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Full text of "Deutsche Medizinische Wochenschrift 1888 14"

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DEUTSCHE 


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MIT BERÜCKSICHTIGUNG 


DEUTSCHEN MEDICINALWESENS 

NACH AMTLICHEN MITTHEILUNGEN, 

DER ÖFFENTLICHEN GESUNDHEITSPFLEGE UND DER INTERESSEN DES 

ÄRZTLICHEN STANDES. 

BEGRÜNDET VON Di P. BOERNER. 


HERADSGEGEBEN VON 


SANITÄTSRATH DIL S. GUTTMANN. 




VIERZEHNTER JAHRGANG. 


LEIPZIG UND BERLIN. 

VERLAG VON GEORG THIEME. 
1888 . 


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INHALTS-VERZEICHNISS 


Beiträge aus Kliniken, Krankenhäusern, aus medicinischen 

und naturwissenschaftlichen Instituten. 

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Aus dein städtischen Krankenliause in Barmen: (Jeher zwei Fälle von Kopf¬ 
verletzungen mit lokalen Hirusymptomen, von I>r. L. Heusner 851. 

Aus der Universitätsklinik für Augenkrankheiten in Berlin: Zur Therapie 
der egyptischen Augenleiden, von L)r. P. Silex 878. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Berlin: Zwei Fälle von Echino¬ 
coccus der Milz, von Dr. Fehleisen 1003. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Berlin: Ein geheilter Ilirn- 
abscess, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. v. Bergmann 10*21. 

Aus dem hygienischen Institut in Berlin: Rohe Schwefel-Carholsäure als 
Desinfectionsmittel, von Dr. E. Laplace 121. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Zur Gehirnlocali- 
sation, von Stabsarzt Dr. Reuvers. 33*2. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Uuber Herzkrank¬ 
heiten bei Tabes, von Geh. Med.-Ratn Prof. Dr. E. Leyden 917. 

Aus der 1. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Ein Fall von Kohlen- 
oxvdvergiftung, Transfusion, Genesung, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. 
Leyden 1033. 1041. 1054. 

Aus der l. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Ueber Lympho- 
sarcomatose mit recurrirendem Fieberverlauf, von Stabsarzt Dr. Renvers 753 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Ueber die motorische | 
Tbätigkeit des menschlichen Magens, von Dr. G. Klemperer 963. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Zur Behandlung I 
der Oesophagusstricturen mittelst Dauercanülen, von Stabsarzt Dr. Renvers J 
und Dr. Waetzoldt 289. j 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Ueber Pyopneumo- 
thorax tuberculosus, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. Leyden 649. 

Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Ueber normale i 
und pathologische Herzstussformen, von Stabsarzt Dr. Martius 241. 

Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Beitrag zur physio¬ 
logischen Methylenblaureaction. von Dr. G. N. Durdufi 518. 

Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin: Ueber einen Fall 
von Tabes dorsalis, von Stabsarzt Dr. Martius 163. 

Aus dem chemischen Laboratorium des pathologischen Instituts in Berlin: 
Ueber die antiseptische Wirkung des Chloroformwassers, von Prof. Dr. E. 
Salkowski 309. 

Au» der Universitätspoliklinik für Hals- und Nasenkranke in Berlin: Zur 
Pathologie dar Glottiserweiterung, von Dr. E. Aronsohn 524. 546. 566. 

Aus der Universitätspoliklinik für Hals- und Nasenkrankheiteu iu Berlin: 
Uel»er Kehlkopfsyphilis, von Dr. Grabower 773. 

Aus der Poliklinik für Ohren- und Nasenkranke des Herrn Dr. A. Hart- 
mann in Berlin: Ein neues Nasenspeculum, von Dr. R. Cholewa 617. 

Au» der Poliklinik für Ohren- und Nasenkrankheiten des Herrn Dr. A. Ha rt- 
rnann in Berlin: Ueber den Eiterdurchbrueh bei Erkrankungen des War- 
zenfortsatzes an aussergewöhnlichen Stellen, von Dr. R. Cholewa 1006. 

Aus dem thierphysiologischen Laboratorium der landwirtschaftlichen Hoch- 
»ohule in Berlin: Ueber conträre Wirkung Fieber erregender und Fieber 
hemmender Mittel, von Dr. E. Aronsohn 45. 67. 

Aus der chirurgischen Abtheilung des Augustahospitals in Berlin: Ein | 
Fall von Myositis ossificans lipomatosa, von Dr. C. Lehmann 733. 

Aus dem städtischen allgemeinen Krankenhause Friedrichshain, Abtheilung 
des Herrn Prof. Fürbringcr in Berlin: Zur Kenntniss der apopleeti- ^ 
formen Bulbärparalyse, von Dr. J. Schwalbe 711. ( 

Aus dem städtischen allgemeinen Krankenhause Friedricbshein, Abteilung 
des Herrn Prof. Fürbringer in Berlin: Zur Kenntniss des Nacbfiebers j 
beim Scharlach, von cand. raed. F. Gumprecht 540. 

Aus dem städtischen allgemeinen Krankenhause Friedrichshain, Abteilung 1 
des Herrn Prof. Fürbringer in Berlin: Zur klinischen Würdigung | 


! und Genese der Schwefelwasserstoffausscheidung im Urin, von Dr. Th. 
| Rosenheim und Dr. H. Gutzmann 181. 

] Aus dem städtischen allgemeinen Krankenhaus Friedriclisbaiu, Abtheilung 
des Herrn Prof. Fürbringer in Berlin: Zur klinischen Würdigung 
| der Sulfonalwirkung, von Dr. J. Schwalbe 499. 

Aus dem städtischen allgemeinen Kraukenhause Friedrichshain, Abtheilung 
des Herrn Prof. Fürbringor in Berlin: Zur Kenntniss der Typhus¬ 
meningitis von Dr. Freyhan 631. 

Aus dem städtischen Krankenbause Moabit in Berlin: Ueber einen Fall 
vou Melanosarcom in inneren Organen, von Dr. P. Guttmann 1063. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Bonn: Ueber die Erfolge der 
chirurgischen Behandlung der diffusen eiterigen Peritonitis und peritonealen 
Sepsis von Dr. 0. Witzei 812. 

Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Bonn: Cadaverin, Jodo¬ 
form und Eiterung, von Stabsarzt Dr. Behring 653. 

Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Bonn: Zur Kenntniss 
der physiologischen und der toxischen Wirkungen des Pentamethylendi¬ 
amins, von Stabsarzt Dr. Behring 477. 

Aus der Universitätsklinik für Syphilis und Hautkrankheiten in Bonn: Ueber 
die gonorrhoische Schleimhautaffection beim Weibe, von Dr. Fabry 877. 

Aus der medicinischen Universitätsklinik in Breslau: Die Diagnose des 
Diabetes, von Dr. G. Rosenfeld 451. 479. 

Aus der chirurgischen Abtheilung des Allerheiligenhospitals in Breslau: 
Exstirpation einer wandernden Cystenniere und Beobachtungen über den 
Stoffwechsel nach der Operation, von Dr. 0. Rieguer und Dr. Roseu- 
feld 4G. 

Aus der medicinischen Abtheiluug des Allerheiligen-Hospitals in Breslau: 
Ueber das Secret des nüchternen Magens, von Dr. H. Rosin 966. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Budapest: Untersuchungen 
über die Aetiologie des Carcinoms, von Dr. L. Makara 634. 

Ans dem Diakouissenkrankenhause in Danzig: Ueber congenitale Pulmonal¬ 
stenose mit Kammersclieidewanddefect, von Dr. Scheele 294. 

: Aus der Königlichen Frauenklinik in Dresden: Beitrag zur Verhütung des 
Kiudbettfiebers, von Prof. Dr. Leopold 389. 

Aus dem anatomisch-pathologischen Institut in Florenz: Ueber die Aetio¬ 
logie der Pericarditis, von Dr. G. Banti 897. 

| Aus der medicinischen Universitätsklinik in Giessen: Ueber Amylenhydrat 
als Schlafmittel, von Dr. G. Avellis 10. 

Ans der medicinischen Universitätsklinik in Giessen: Ein Beitrag zur 
Kenntniss der Herzneurosen, vou I)r. G. Honigmann 919. 

Aus der pädiatrischen Klinik der Universität Graz: Nierenaffectionen bei 
Kindern, nebst Bemerkungen über die Urämie und Ammoniämie, von Prof. 
Dr. R. v. Jak sch 809. 838. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald: Zur operativen 
Behandlung der Elephantiasis, von Prof. Dr. II elfe rieh 21. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald: Zur Casuistik der 
secundären Trepanation bei neuropathisehe» Störungen nach Kopfverletz¬ 
ungen, von I)r. E. Hoffinann 393. 

Aus der medicinischen Universitätsklinik in Greifswald: Ueber das Ver¬ 
hältnis der Chorea zum Gelenkrheumatismus und zur Endocarditis, von 
Dr. Peiper 609. 

Aus der medicinischen Universitätsklinik in Greifswald: Ueber die An¬ 
wendung der Kamphersäure bei Katarrhen verschiedener Schleimhäute, 
von Dr. M. Niesei 818. 

Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität Greifswald: 
Ueber die Dickdarment7,ündnng bei acuten Quecksilberentziindungen, von 
Prof. Dr. P. Grawitz 41. 


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IV INHALTS-VERZEICHNISS. 


Aus dein fürstlichen Landkrankenhause in Greiz: Zur Technik dor Fistel¬ 
operationen, von Med.-Rath Dr. H. Lindner 1005. 

Aus dem fürstlichen Landkrankenhause in Greiz: Ueber Sectio alta, von 
Med.-Rath Dr. B. Lindner 692. 

Aus dem allgemeinen Krankenbause, Abtheilung des Herrn Direktor Cursch- 
mann-in Hamburg: Die Meningitis cerebrospinalis epidemica in Ham¬ 
burg, von Dr. F. Wolff 771. 

Aus der chirurgischen Poliklinik des israelitischen Krankenhauses in Ham¬ 
burg: Zur operativen Behandlung des Lymphangioma colli cysticum con- 
genitum, von Dr. Storch 852. 

Aus dem Seemannskrankenhause in Hamburg: Ein neuer Vorschlag, auf 
operativem \Vege die Brauchbarkeit der daumenlosen Hand zu verbessern, 
von Dr. C. Lauenstein 612. 

Aus der chirurgischen Klinik der Universität Heidelberg: Ueber Haut- 
tuberculose durch Inoculation und Autoinfection, von Dr. C. F. Stein¬ 
thal 184. 

Aus der Luisenheilanstalt für kranke Kinder in Heidelberg: Ueber infec- 
tiöse Kolpitis kleiner Mädchen, von Hofrath Prof. Dr. v. Dusch 831. 

Aus der medicinischen Abtheilung des Bürgerhospitals in Köln: Einige 
Fälle von Ankylostomiasis nebst Sectionsbefunden, von Dr. J. Ernst 291. 

Aus der medicinischen Abtheilung des Bürgerhospitals in Köln: Ein Fall 
von Antifebrinvergiftung, von Dr. C. S. Freund 834. 

Aus der Abtheilung für venerische und Hautkrankheiten des Primärarztes 
Dr. Zarewicz in Krakau: Ein Beitrag zur Kenntniss der Wirkung des 
Quecksilbers auf den Darm, von H. Kraus 227. 

Aus dem allgemeinen Krankenhause in Mannheim: Ueber subcutane Knoten¬ 
bildung bei acutem Gelenkrheumatismus, von I)r. J. Lind mann 519. 


Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität Marburg: 
Ueber eine häufige Ursache der Gallonsteinbildung beim weiblichen Ge¬ 
schlecht, von Prof. Dr. F. Marchand 221. 

Aus dem Golizyn-Hospital in Moskau: Primäres Sarcom der Pleura, von 
I)r. S. F. Deruschinsky 52. 

Aus dem ersten Stadthospital in Moskau: Ein Fall von Gummata im Klein¬ 
hirn, von Dr. M. Lunz 378. 

Aus dem ersten Stadthospitai in Moskau: Paraplegie nach einem Schlage 
auf den Schädel, von Dr. M. Lunz 377. 

Aus dem deutschen Hospital in New-York: Beiträge zur Bauchchirurgie, 
von Dr. G. Krieger 793. 

Aus dem städtischen Krankenhause in Offenbach a. M.: Ueber einen Fall 
von traumatischem Tetanus mit sogenanntem chirurgischem Scharlach, 
von Dr. E. Schaeffer 1063. 

Aus der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses der Barmherzigen 
Schwestern in Posen: Zur perinealen Drainage der männlichen Harnblase, 
von Dr. B. Krysiewicz 105. 

Aus dem pathologischen Institut der Universität Strassburg: Untersuchun 
gen über die Entstehung der Cysten der Scheide, von Dr. S. Takahasi 453. 

Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Zürich: Ueber funcfionelle An¬ 
passung und anatomischen Befund bei alten Kniescheibenbrüchen mit 
breiter Diastase der Fragmente, von Dr. C. Brunner 394. 

Aus der medicinischen Universitätsklinik in Zürich: Klinische Untersuchun¬ 
gen über Leberkrebs, von Dr. H. Siegrist 145. 

Aus der medicinischen Universitätsklinik in Zürich: Zur Symptomatologie 
und Pathogenese des Morbus Basedowii, von Dr. A. Huber 729. 


Alphabetisches Verzeichnis der 


Originalartikel. 


A. 

Akromegalie, von Prof. Dr. 0. Fraentzel in Berlin 651. 

Alkoholmissbrauch, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. F. Mosler in Greifs¬ 
wald 957. 

Altes über neue Mittel, von Prof. Dr. H. Schulz in Greifswald 677. 

Albuminurie, die pathogenen Bedingungen derselben, von Prof. Dr. M. Sera- 
mola in Neapel 409. 434. 459. 

Amylenhydrat als Schlafmittel, von Dr. G. Avellis in Giessen 10. 

Anaesthesie, locale bei Exstirpation eines Lipoms, von Ob.-St.-A. Dr. Spie- 
ring in Halberstadt 1079. 

Andres Laguna, der Leibarzt Karl V. und Philipp II. und der Päpste 
Paul III. und Julius III., von Dr. J. Fastenrath in Köln 927. 

Ankylostoma duodenale, von Prof. Dr. Leichtenstern in Köln 849. 

Ankylostomiasis, einige Fälle mH Sectionsbefunden, von Dr. J. Ernst in 
Köln 291. 

Antifebrinvergiftung, ein Fall, von Dr. C. S. Freund in Köln 834. 

Antiseptik im Hebammenwesen, von Dr. G. Klein in Breslau 645. 665. 685. 

Antiseptische Tamponade, über resorbirbare, von Prof. Dr. Th. Gluck in 
Berlin 791. 

Aortensystem, angeborene Enge in demselben, von Prof. Dr. 0. Fraentzel 
in Berlin 589. 599. 

Aprosexia als Folge von nasalen Störungen, weitere Mittheilungen von Prof. 
Dr. Guye in Amsterdam 815. 

Arzneiexantheme, Beiträge zur Lehre von denselben, von Priv.-Doc. Dr. 
E. Lesser in Leipzig 264. 

Atropin, über die Anwendung desselben in der Augentherapie, von I)r. 
Th. Gelpke in Karlsruhe 225. 248. 

B. 

Bacteriologie, die wichtigsten Vorkommnisse auf dem Gebiete derselben im 
Jahre 1887, von Dr. C. Günther in Berlin 658. 675. 697. 719. 738. 757. 

Bacteriologische Methoden mit besonderer Berücksichtigung quantitativer 
bacteriologischer Untersuchungen, von Prof. Dr. J. Soyka in Prag 875. 

Bauchchirurgie, Beiträge zu derselben, von Dr. G. Krüger in New-York 793. 

Befruchtungserscheinuugen am Ei von Ascaris megalocephala, von Dr. 0. Za¬ 
charias in Hirschberg 311. 

Beinschienen, verstellbare, von Dr. Mügge in Stade 719. 

Bergeon’s Kohlensäure - Schwefelwasserstoffklystire bei Erkrankungen der 
Lunge und des Kehlkopfes, von Dr. Schuster in Aachen 297. 

Blutgerinnungen, über intravitale, hervorgerufen durch toxische Gaben ge¬ 
wisser Arzneikörper und anderer Substanzen, von Dr. 0. Silbermann 
in Breslau 504. 

Borsäurebehandlung der Otorrhoe, von Prof. Dr. Bezold in München 128. 

Brandige Brüche und Anus praeternaturalis, Beitrag zur Vergleichung der 
älteren und neueren Methoden der Behandlung derselben, von Dr. W. Körte 
in Berlin 829. 

Brüsseler Briefe, von Prof. Dr. Bayer in Brüssel 114. 

Bulbärparalyse, zur Kenntniss der apoplectiformen, von Dr. J. Schwalbe 711. i 


C. 

Cadaverin, Jodoform und Eiterung, von Stabsarzt Dr. Behring in Bonn 653. 

Carcinom, Untersuchungen über die Aetiologie desselben, von Dr. L. Makara 
in Budapest 634. 

Celsus über den Krebs, von Stabsarzt Dr. A. Villaret in Berlin 990. 

Chinin, zur Wirkung desselben bei gesunden Menschen, von Prof. Dr. H. Schulz 
in Greifswald 915. 

Chirurgie, Rückblick auf die letzten Jahre, von Dr. E. Senger in Berlin. 
462. 481. 505. 528. 

Chloroformwasser, über die antiseptische Wirkung desselben, von Prof. Dr. 
E. Salkowski in Berlin 309. 

Chlorzinkätzung, über intrauterine, von Dr. P. Bröse in Berlin 853. 

Cholera in Chile, von Dr. H. Polakowsky in Berlin 277. 

Chorea, über das Verhältnis derselben zum Gelenkrheumatismus und zur 
Endocarditis, von Priv.-Doc. Dr. Peiper in Greifswald 609. 

Choreaepidemie, von Dr. L. Laquer in Frankfurt a. M. 1045. 

Cocain bei Nachblutung aus der Nase in Folge von Nieskrampf, von Dr. 
Ziem in Danzig 827. 

Contentivverband aus Blechstreifen und Gazebinden, von Dr. Aufrecht in 
Magdeburg 165. 

Creolin als Antisepticum und Antiparasiticum des Dannkanals, von Priv.-Doc. 
Dr. A. Hill er in Breslau 555. 

Cysten der Scheide, Untersuchungen über die Entstehung derselben, von Dr. 
Takahasi in Tokio 453. 

Cystenuiere, Exstirpation einer wandernden und Beobachtungen über den 
Stoffwechsel nach der Operation, von Dr. 0. Rieger und Dr. Rosenfeld 
in Breslau 46. 

D. 

Darmwandeinklemmung, zur Frage der Existenz der acuten, von Dr. C. Lau eil¬ 
st ein in Hamburg 903. 

Daumenlose Hand, Vorschlag zur Verbesserung der Brauchbarkeit derselben 
auf operativem Wege, von Dr. C. Lauenstein in Hamburg 612. 

Dermatotherapeutischo Mittheilungen, von Dr. E. Saalfeld in Berlin 954. 976. 

Desiufection der Hände des Arztes, von Prof. Dr. Fürbringer in Berlin 985. 

Diabetes, die Diagnose desselben, von Dr. G. Rosenfeld in Breslau 451. 479. 

Diabetes mellitus, über wirkliches und scheinbares Afifhören der Zuckeraus¬ 
scheidung bei demselben, von Dr. Toschomacher in Neuenahr 205. 

Dickdarmentzündung bei acuten Quecksilbervergiftungen, von Prof. Dr. Gra- 
witz in Greifswald 41. 213. 

Diphtherie, Behandlung mittelst Einblasen von Zuckerstaub, von Dr. C. Lorey 
in Frankfurt a. M. 944. 

Diphtherie, Untersuchungen über die antiseptische Wirkung verschiedener 
gegen dieselbe empfohlener Mittel, von Dr. F. Engel mann in Kreuz¬ 
nach 945. 

Durchfallkrankheiten, Untersuchungen über den Einfluss der Lufttemperatur 
auf die Sterblichkeit der Kinder an denselben, von Dr. Meinert in 
Dresden 491. 


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INHALTS-VERZEICHNISS. V 


E. 

Echinococcus der Milz, zwei Fälle von Priv.-Doc. Dr. Fehleisen in Berlin 1003. 

Eisenbahnunfälle, Beitrag zur Frage der Beurtheilung der nach denselben 
auftretenden nervösen Störungen, von Prof. Dr. M. Bc.rnhardt in Berlin 245. 

Elektrotherapie und medicinischo Elektrotechnik, von Prof. Dr. A. Eulen - 
bürg in Berlin 494. 

Elephantiasis, zur operativen Behandlung derselben, von Prof. Dr. II elfe rieh 
in Greifswald 21. 

Erblindung nach Keuchhusten, von Dr. Alexander in Aachen 204. 

Ernährungslehre, Rundschau auf dein Gebiete derselben, von Dr. I. Munk 
in Berlin 89. 

Krythrophlaein-Anaesthesie, Leber die praktische Verwendbarkeit derselben, * 
von Dr. Karewski in Berlin 143. 

F. 

Fernwirkung von Medikamenten, von Prof.Dr. Secligmül 1er in Halle a. 8. 342. 

Fieber und Fieberbehandlung, von Prof. Dr. v. Liebermeister in Tü¬ 
bingen 1. 26. 

Fieber erregende und Fieber hemmende Mittel, über contiäre Wirkung der¬ 
selben, von Dr. E. Aron so hn in Berlin 45. 67. 

Fieberlehre, kritische Bermerkungen zu derselben, von Prof. Dr. Unverricht 
in Jena 749. 778. 

Fieberprocess, Einiges zur Theorie desselben und der Wirkung der Anti- 
pyretica, von Dr. C. Rosenthal in Berlin 146. 

Fisteloperationen, zur Technik derselben, von Med.-Rath Dr. 11. Lindner 
in Greiz 1005. 

Fleischl’sche Percussionstheorie, von Prof. Dr. P. Grützner in Tübingen 402. 

Fluorwasserstoffsäure-Inhalationen bei Tuberculose der Lungeu. von Dr. C. 
Gager in Arco-Gastein 594. 

Friedrichshallei Bitterwasser, von San.-Rath Dr. 8. Guttinann in Berlin 647. 

Furunkel, Natur und Behandlung derselben, besonders im äusseren Ohr, von 
Dr. B. Loewenberg in Paris 559. 

Fussgangrän bei Diabetes mellitus, zwei Fälle, von Dr. Schuster in 
Aachen 904. 

Gährungsvorgänge im kindlichen Darmkanal und Gährungstherapie der Ver¬ 
dauungskrankbeiten, von Priv.-Doc. Dr. A. Baginsky in Berlin 391. 414. 

Gährungsvorgänge im kindlichen Dannkanal, von Priv.-Doc. I)i. Esc he rieh 
in München 481. 

Galle, zur Kenntniss derselben, von Prof. Dr. A. Kos sei in Berlin 709. 

Gallensteinbildung, eine häufige Ursache derselben beim weiblichen Ge¬ 
schlecht, von Prof. Dr. F. Marchand in Marburg 221. 

Gangrän, ein Fall von spontaner symmetrischer, yoh Kr.-Wund-A. Dr. 
Steiner in Rosenberg 0. S. 65. 

Gegengift, Ueber die geschichtliche Entwickelung des Begriffes, von Priv.- 
Doc. Dr. L. Lewin in Berlin 317. 

Gehirn, Neubildung in demselben, Magenerweichung und einfaches oder 
rundes Magengeschwür, von Prof. Dr. R. Arndt in Greifswald 83. 

Gehimlocalisation, von Stabsarzt Dr. Renvers in Berlin 332. 

Gelenkrheumatismus, subcutane Knotenbildung bei acutem, von Dr. J. Lind¬ 
mann in Mannheim 519. 

Genu valgum, ein einfacher Apparat zur Behandlung desselben bei Kindern, 
von Dr. A. Bidder in Berlin 66. 

Gesichtsrose, zur Genese derselben, von Dr. Ziem in Danzig 373. 

Glottiserweiterung, zur Pathologie derselben, von Dr. Ed. Aronsohn in 
Berlin 524. 546. 566. 

Glühlicht, selbsthaltendes mit selbsthaltendem Speculum für gynaekologisch- 
diagnostische Zwecke, von Priv.-Doc. Dr. L. Fürst in Leipzig 312. 

Gonorrhoische Schleimhautaffection beim Weibe, von Dr. Fabry in Bonn 876. 

Guajakolbehandlung der Luogentuberculose, von Prof. Dr. 0. Fraentzel 
in Berlin 138. 

Gummata im Kleinhirn, von Dr. M. Lunz in Moskau 378. 

H. 

Halssympathicus, eine seltene Affection desselben, von San.-Rath Dr. Samel- 
sohn in Köln 937. 

Harnblase, zur perinealen Drainage derselben, von Dr. B. Krysiewicz in 
Posen 105. 

Hauttuberculose durch Inoculation und Autoinfection, von I>r. C. F. St ein- 
tbal in Heidelberg 184. 

Herzaffeetionen bei Tabes dorsalis, von Dr. Groedol in Nauheim 397. 

Herzfehler, zur Casuistik und Pathogenese der angeborenen, von Dr. H. 
Scbmaltz in Dresden 921. 

Herzklappenfehler, über die Folgen derselben für den Kreislauf und deren 
Coinpensation, von Hofrath Prof. Dr. v. Dusch in Heidelberg 689. 

Herzkrankheiten bei Tabes, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Lev den in Berlin 
917. 929. 

Herzneurosen, ein Beitrag zur Kenntniss derselben, von Dr. G. Honigmann 
in »Hessen 919. 

llerzstossformen, über normale und pathologische, von Stabsarzt Dr. Martius 
in Berlin 241. 359. 

Herztonregistrining, zur Methodik derselben, von Staatsrath Prof. Dr. Krae- 
pelin in Dorpat 669. 

Hirnabscess, ein geheilter, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. v. Bergmann 
in Berlin 1021. 

Hornhautentzündung, über specifische, von Prof.Dr. Hirschberg in Berlin 

497 . 525 . 

Rvdrargrpim oxydafum flavum, zur Behandlung der Syphilis mit Tnjectionen 
desselben im Vergleich zum Calomelöl, von Dr. Ci. Kühn in Cottbus 635. 


Hypnose, ein Beitrag zur Frage derselben, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. 
G. Lewin in Berlin 64. 

Hypnotismus, der moderne, von Prof. Dr. Seoligmüller in Halle a. S. 7. 
•28. 262. 637. 655. 673 694. 

I. 

Ichthyol und seine Präparate in therapeutischer Hinsicht, von Dr. ('. Pauli 
in Köln 892. 

Ileus, die operative Behandlung desselben, von Prof. Dr. Sonnen bürg in 
Berlin 537. 

Impfschädeu, von Oberimpfarzt Dr. L. Voigt in Hamburg 890. 914. 933. 

Impftuberculose von der Haut aus, von Priv.-Doc. Dr. v. besser in 
Leipzig 592. 

Inipotentia geuerandi, von Prof. Dr. P. Kürbringer in Berlin 557. 569. 

Inhalation medicaraentöser Flüssigkeiten durch Spray, von Dr. A ; . Lange 
in Kopenhagen 826. 

lnhalationsapparat, ein neuer, von E. Jahr in Berlin 787. 806. 997. 

Intratracheale Injection bei Thieren, die therapeutische Verwendung der¬ 
selben, von Dr. Sch mal tz in Berlin 379. 

Intubation des Larynx, von Dr. J. O’Dwycr in New-York 942. 

Irrenfürsorge, zur Entwickelung und modernen Gestaltung derselben, von 
Dr. W. Niessen in Neuenahr 1069. 

K. 

Kali-chloricum-Vergiftungen, absichtliche beim Mensche», von Geh. Ob.-Med - 
Rath Dr. Schm hardt in Gotha 835. 

Kamphersäure, über die lokale Anwendung derselben, von Dr. M. Reichert 
in Berlin 747. 76'!. 

Kamphersäure, über die Anwendung derselben bei Katarrhen verschiedener 
Schleimhäute, von Dr. M. Niesei in Greifswald 818. 

Kehlkopf, Pseudostimme nach Ausschaltung, speciell nach Exstirpation des¬ 
selben, von Priv.-Doc. Dr. Strühing in Greifswald 1062. 

Kehlkopfkrebs und die Resultate seiner Behandlung, von Dr M. Scheier in 
Berlin 456. 

Kehlkopfsyphilis, von Dr. Grabower in Berlin 773. 

Kehlkopftuberculose. ihre Behandlung und Heilung, von Dr. Keim er in 
Düsseldorf 939. 9S8. 1011. 1030. 1051. 

Keuchhusten, über Pathologie und Therapie desselben, von Dr. Coesfeld in 
Barmen 178. 

Kindbettfieber, Beitrag zur Verhütung desselben, von Prof. Dr. Leopold in 
Dresden 389. 

Kniescheibenbrüche, alte, mit breiter Diastase der Fragmente, von Dr C. 
Brunner in Zürich 394. 

Körpererschütterungen, Beitrag zur Frage der nach derselbeu. in spocie nach 
Eisenbahnunfällen auftretenden nervösen Störungen, von Prof Dr. M. 
Bernhardt in Berlin 245. 

Kohlenoxydvergiftung, Transfusion, Genesung, ein Fall, von Geh. Med.-Rath 
Prof. Dr. E. Leyden in Berlin 1033. 1041. 1054. 

Kolpitis, infectiösc kleiner Mädchen, von Hofrath Prof. Dr. v. Dusch in 
Heidelberg 831. 

Kopfverletzungen, zwei Fälle mit lokalen Hirnsymptomen, von Dr. L. Ileus- 
ner in Barmen 851. 

Krankenheiler Quellsalz, über den Einfluss desselben auf den Stoffwechsel, 
von Dr. M. Hoefler in Krankenheil-Tölz 457. 

JL. 

Lachgas-Sauerstoff-Anäslhesie hei Entbindungen, von Dr. II. Kreutzmaiin in 
San Franzisco 334. 

Larynxcarcinom, ein Fall mit Exstirpation der erkrankten Kehlkopfhälfte, 
Tod, von Dr. R. Kayser in Breslau 925. 

Leberkrebs, klinische Untersuchungen, von Dr. H. Siegrist iu Zürich 145. 

Leichenwarze (Tuberculosis verrucosa cutis) und ihre Stellung zum Lupus 
und zur Tuberculose, von Doc. Dr. E. Finger in Wien 85. 

Linsencontusionen, zur klinischen Kenntniss derselben, von Prof. Dr. II. 
Magnus in Breslau 42. 

Linsenernährung und Linsentrübung, von Prof. Dr. II. Magnus iu Breslau 814. 

Litholyse, über dieselbe, von Dr. ('. Posner in Berlin 49. 

Localisation im Grosshirn und deren praktische Vervverthung. von Dr. M. 
Jastrowitz in Berlin 81. 108. 125. 151. 172. 188. 209. 

Lungenentzündung und Lungentuberculosc, über dieselben, von Prof. Dr. 
v. Liebermeister in Tübingen 101. 123. 149. 166. 187. 207. 517. 544. 
564. 789. 819. 840. 854. 1023. 1046. 1068. 

Lymphangioma colli cysticum congenitum, zur operativen Behandlung des 
selben, von Dr. Storch in Hamburg 852. 

Lymphosarcomatosc mit reeurrirendem Fieberverlauf, von Stabsarzt Dr. Rou- 
vers in Berlin 753. 

H. 

Mackenzie, die Schmähschrift desselben vom ärztlichen Standpunkte be¬ 
leuchtet, von San.-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin 86.9. 

Magen, über die motorische Thätigkeit des menschlichen, von I)r. G Klern- 
pe'rer in Berlin 962. 991. 

Magen, über das Secret des nüchternen, von Dr. 11. Rosiu in Breslau 966. 

Magengeschwür, über die Zeichen und Behandlung des einfachen chronischen, 
von Geh. Med.-Rath. Prof. Dr. Gerhardt in Berlin 349. 440. 

— über die Behandlung des runden, von Dr. P. Cornils iu Lugano 755. 

Magenschleimhaut, zur Pathologie derselben, von Prof. Dr. M. Litten in 
Berlin 960. 

Malaria, der gegenwärtige Stand der Frage von der Aetiolngio derselben, 
von Dr. Günther in Berlin 879. 


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VI 


INHALTS-VERZEICHNIS*. 


Marburger geburtshilfliche Klinik und Poliklinik, Bericht vom 1. April 1887 
bis 31. März 1888, von Prof. Dr. F. Ahlfeld in Marburg 468. 403. 513. 
553. 573. 

Massage, elektrische in Verbindung mit einer Bade- und Trinkcur in Wies¬ 
baden zur Behandlung des Rheumatismus, von Dr. C. Mord hörst in 
Wiesbaden 335. 355 

Mastitis, über puerperale, von Geh. Med.-Rath Prof. I)r. Olshausen in 
Berlin 261. 

Medicinische Klinik und Poliklinik, Mittheilungeu aus der Bonner, von Geh. 
Med.-Rath Prof. Dr. Rühle in Bonn 11. 31. 54. 70. 01. 

Melaena neonatorum, über einen Fall, von Dr. 0. Tross in Karlsruhe 432. 

Melanosarcom in inneren Organen, über einen Fall, von Dr. P. Guttmann 
in Berlin 1063. 

Meningitis cerebrospinalis epidemica in Hamburg, von Dr. F. Wolff in Ham¬ 
burg 771. 

Methylenblaureaction, zur physiologischen, von Dr. G. N. Durdufi in Mos¬ 
kau 518. 

Milchreis, ein neuer fester Nährboden, von Prof. Dr. J. Sovka in Prag 833. 

Milchsäure, Beitrag zur Wirkung derselben bei Tubereulose des Kehlkopfs, 
von Dr. W. Oltuszewski in Warschau 146. 

Militärsanitätswesen, Uebersicht über die wichtigsten Ereignisse auf dem 
Gebiete desselben im Jahre 1887, von Gen.-A. Prof. Dr. W. Roth in 
Dresden 1057. 1078. 

Mineralwassercompositionen, über Herstellung freier gegenüber dem Her¬ 
kommen der Quellen und der Kohlensäure, von llofrath Dr. Ewich in 
Köln 820. 

Mittelohreitemugen, zur bacterielleu Diagnostik und Prognostik derselben, 
von Prof Dr. Moos in Heidelberg 902. 

Morbilli adultorum, von Prof. Dr. Bohn in Königsberg 352. 

Morbus Basedowii, zur Symptomatologie und Pathogenese desselben, von 
Dr. A. .Huber in Zürich 729. 

/Morphrumentwöhnung. von Dr. R. Wagner in Hallo a. S. 300. 

\vMorphium- und Gocainentziehungen, die Therapie der Reconvalescenz nach 
denselben, von Dr. Th. Levinstein in Jena 715. 

Mundpilze, Beiträge zur Kenntniss derselben, von Prof. Dr. Miller in 
Berlin 612. 

Myositis, über acute multiple bei Neuritis, von Geh. Med.-Rath Prof Dr. 
Senator in Berlin 449. 550. 

Myositis ossificans lipomatosa, ein Fall, von Dr. G. Lehmann in Berlin 
733. 

Myxoedem, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Mosler in Greifswald 411. 

Nasenschleimhaut, Croup derselben, von Dr. M. Bresgen in Frankfurt a. M. 66 

Nasenspeculum, ein neues, von Dr. R. Cholewa in Berlin 617. 

Neisser’schor Gonococcus, von Dr. J. C. Sehuurmans Stekhoven in 
Utrecht 717. 

Nephrolithotomie bei Anurie durch Niereusteineinklemmung; zugleich ein 
Beitrag zur Frage der reflectorischen Anurie, von Dr- J. Israel in Berliu 4. 

Nervendurchschneidung, Verschwärungs- und Wueherungsvorgftnge nach 
derselben, von Prof. Dr. IL Arndt in Greifswald 591. 

Nervenverletzungen, über einige Ernährungsstörungen nach denselben, von 
Prof. Dr. R. Arndt in Greifswald 754. 

Nervöse Störungen, Beitrag zur Frage der Beurtheilung der nach heftigen 
Körpererschütterungen, in specie nach Eiseubahnunfallen auftretenden, 
von Prof. Dr. M. Bernhardt in Berlin 245. 

Neuralgia phrenica ex traumate, von Dr. A. Falkenberg in Moskau 316. 

Neuritis optica specifica, von Prof. Dr. Horstmann in Berlin 833. 899. 

Neurosen nach gynaekologischen Operationen, von Dr. R. Gnauck in 
Pankow 735. 

Nierenaffectionen bei Kindern, nebst Bemerkungeu über die Uraemie und 
Ainmoniaemie, von Prof. Dr. R. v. Jaksch in Graz 809. 838. 

O. 

Oertel’sches Heilverfahren, dessen Begrenzung und richtige Anwendung, 
von Dr. R. Hausmann und Dr. Mazegger in Meran-Mais 267. 

Oesophagusstricturen, zur Behandlung derselben mittelst Dauercanülen, 
von Stabsarzt Dr. Renvers und Dr. Waetzoldt in Berlin 289. 

Ohr, über die Pathogenität der Bacterien bei eiterigen Processen desselben, 
von Priv.-Doc. Dr. Roh rer in Zürich 902. 

Ophthalmologie, wichtigere Arbeiten aus dem Jahre 1887, von Prof. Dr. 
II. Magnus in Breslau 270. 

Opiumtinctur, über einen Fall von vorübergehendem Verlust des Sehver¬ 
mögens durch innerlichen Gebrauch derselben, von Stabsarzt Dr. Ilammerle 
in Strassburg i. E. 838. 

Otitis externa ex infectione, von Priv.-Doc. Dr. Hessler in Halle a. S. 332. 

Otorrhoe, über die Behandlung derselben mit Borsäurepulver, von Dr. 
Stacke in Erfurt 696. 

P. 

Paukreaskrebs, zwei Fälle von primärem, von Dr. A. Seebohm in Pyr¬ 
mont 777. 

Paraplegie nach einem Schlage auf den Schädel, von Dr. M. Lunz iu Mos¬ 
kau 377. 

Parenchymdegeneration, acute der zurückgebliebenen Niere in einem Falle 
von Nierenexstirpation, von Dr. E. Fraenkel in Hamburg 985. 

Pathogene Mikroorganismen, neuere Arbeiten über das Absterben derselben 
im Körper, von Prof. Dr. Ribbert in Bonn 899. 

Pathologie und pathologische Anatomie. Rückblick auf das Jahr 1887, von 
Prof. Dr. Ribbert ln Bonn 180. 


Paukenhöhle, Veränderungen in derselben bei Perforation der Shrapnoll- 
schen Membran, von Dr. A. Hartmann in Berlin 925. 

Pellagra, über die nervösen Störungen bei derselben, von Priv.-Doc. Dr. 
F. Tuczek in Marburg 222. 

Pentamethylendiamin, zur Kenntniss der physiologischen und der toxischen 
Wirkungen derselben, von Stabsarzt Dr. Behring in Bonn 477. 

Peptonurie in der Schwangerschaft, von Dr. Koettnitz in Zeitz 613. 

Pericarditis, zur Aetiologio derselben, von Dr. G. Banti in Florenz 81)7. 

Perineoplastik, über dieselbe, von Prof. Dr. Zweifel in Leipzig 629 

Peritonitis, diffuse eiterige, und peritoneale Sepsis, über die Erfolge der chi¬ 
rurgischen Behandlung derselben, von Priv.-Doc. Dr. 0. Witzei in Bonn 812. 

Phenacetin, von Dr. Rohden in Treben 367. 

Phenacetin, vom klinischen und physiologischen Standpunkte, von Dr. F. Mah¬ 
nert in Graz 1027. 1048. 

— gegen Migräne, von San.-R. l)r. F. Rabuske in Berlin 767. 

Plötzliche Todesfälle im Säuglingsalter, von Prof. Dr. P. Grawitz in Greifs¬ 
wald 429. 

Pneumatische Kammern, die Anwendung derselben bei Herzleiden, von 
Dr. G. v. L io big in München 1066. 

Poliklinik über den Unterricht an derselben, von Prof. Dr. Th. v. Jürgen- 
sen in Tübingen 758. 778. 

Poliklinischer Unterricht, über denselben, vou llofrath Prof. Dr. v. Dusch 
in Heidelberg 69. 

— über denselben, von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Henoch in Berliu 53. 

Preussischer Medicinalbenmtenvereiu. zu den Thesen desselben, von Dr. 

R. Pick in ('oblenz 116 997. 

Privatirrenanstalten, die neue preussische MinisterialVerfügung, betreffend die¬ 
selben, von Dr. A. Schmitz in Bonn 823. 753. 

— — von Prof. Dr. Falk iu Berlin 866. 

Processus vermiformis, Perforation durch einen Kothstein, vou Dr. Hilde¬ 
brandt. in Hettstedt 564. 

Prostata, über Galvanopunctur derselben, vou Dr. Biedert in Hagenau 414. 

Puerperalfieberfrage, zur Klärung in derselben, von Geh. Med.-Rath Prof. 
Dr. 11. Fritsch in Breslau 202. 228. 

Pulmonalstenose, über congenitale mit Kammerscheidewanddefect, von Dr. 
Scheele in Danzig 294. 

Pyaemie, ein nicht gewöhnlicher Fall nach Scharlach, von Dr. S. Lauche iu 
Christiana 943. 

<*• 

Quecksilber, ein Beitrag zur Kenntniss der Wirkung desselben auf den Darm, 
von H. Kraus in Krakau 227. 

R. 

Reflexhusten, von Dr. E. Kurz in Florenz 247. 

Rheumatismus, Behandlung mittels elektrischer Massage in Verbindung mit 
einer Bade- und Trinkcur in Wiesbaden, von Dr. 0. Mordhorst in 
Wiesbaden 335. 355. 

Ruplura Uteri, Laparotomie, Genesung, von Dr. A. Koettnitz in Zeit/. 24. 

S. 

Saccharin, zur Verwerthung desselben, von Dr. II. Ilaike in Mariendorf 934. 

Sackniere (Cvstonephrosis), vou Prof. Dr. E. Küster in Berlin 3'.9. 398. 
417. 437. ‘ 

Salicylsüure und Salol. Anwendung beim acuten Gelenkrheumatismus, von 
. Dr. Aufrecht in Magdeburg 23. 

Sarkom, primäres des Pankreas mit enormen Metastasen bei einem vier¬ 
jährigen Knaben, von Prof. Dr. M. Litten in Berlin 901. 

— primäres der Pleura, von Dr. S. F. Deruschinsky in Moskau 52. 

Scharlach, Zur Kenntniss des Nachfiebers bei demselben, von eainl. med. 

F. Gumprecht in Berlin 540. 

Scheurleirscher Krebsbacillus, derselbe ein Saprophyt, von Dr. A. Pfeiffer 
in Wiesbaden 203. 

Schielen, zur Behandlung desselben, von Prof. Dr. Schmidt-Rimpier in 
Marburg 873. 

Schimmelpilze, über wiederholte Infection mit pathogenen, und über Ab¬ 
schwächung derselben, von Prof. Dr. Ribbert in Bonn 981. 

Schwangerschaft und Geburt, über die Complication derselben mit Tumoren 
der Beckonorgane, von Prof. Dr. Fehling in Basel 1001. 

Schwefel-Carbolsäure. rohe als Desinfectionsmittel, vou Dr. E. Laplace in 
Berlin 121. 

Schwefelwasserstoffausscheidung im Urin, zur klinischen Würdigung und Genese 
derselben, von Dr. Th. Rosenberg und Dr. II. Gutzmann in Berlin 181. 

Schweissabsonderung, Bedeutung derselben bei den acuten fnfectionskrank- 
heiten, von Prof. Dr G. B. Queirolo in Genua 987. 

Sectio alta, von Med.-Rath Dr. H. Lindner in Greiz 693. 

Sectio caesarea, von Priv -Doc. Dr. J. Veit in Berlin 329. 

Seeklimatisolie t'uren für neurastheuisehe und anneinische Kinder, von Med.- 
Rath Dr. .1. Schwabe in Apolda 78. 

Seekrankheit, die Behandlung derselben, von Dr. lloening in Bremer¬ 
haven 867. 

Sehvermögen, Verlust nach Gebrauch von Opiumtinctur 838. 

Simulation, ein historischer Beitrag, von Dr. Pagel in Berlin 9S9. 

Sinuesemplindungen. über den Einfluss einer Sinneserrogung auf die übrigen, 
von Prof. Dr. P. Grützner in Tübingeu 905. 

Skoliose, über die Behandlung derselben, von Dr. Staffel in Wiesbaden 338. 

Spannungselektricität, über neuere Apparate für dieselbe und deren thera¬ 
peutische Verwendung, von Prof. Dr. A. Eulenburg in Berlin 161. 

Sterilisirungsapparat für Laboratorium und Küche, insbesondere zur Steri- 
lisirung von Kindermilch und zur Herstellung von Oonserven, von 
Bez.-A. Dr. W. Hesse in Schwarzenberg 431. 


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INHALTS-VERZEICHNIS. 


VII 


Stropbanthuswirkung, über dieselbe, von Prof. Pr. A. Fraenkel in Ferlin. 
Ul. 170. 

-iit>cutane Injeetioiien. zur Technik derselben, von Pr. A. Günther in 
Montreux 406. 

sublimatfrage, Beiträge zu derselben, von Stabs-A. Pr. Guillery in Saar¬ 
louis 411. 

— Beiträge zu derselben, von Ass.-A. I. CI. Ür. Lübbert und Corpsstabs¬ 
apotheker Schneider in Dresden 828. 

Subphrenischer Abscess bei rechtsseitiger Lungenentzündung und Ahdoniinal- 
typhus oder acuter Leberentzünduug. von Ob.-St.-A. Pr. Jahn in Brom¬ 
berg 1042. 

Sulfonalwirkung, zurklinischen Würdigungderselben, von Pr. J. Schwal bc 499. 

— nachträgliche Bemerkungen über dieselbe, von Pr. J. Schwalbe in 
Berlin 725. 

Syphilis, zur Behandlung derselben mit Injectionen vou Caloinelöl und 
Oleum cinereum, von Geh. Med.-Rath Prof. Pr. Pout relepont in Bonn 769. 

''yphili*behandlung, von Pr. M. Joseph in Berlin 857. 

Syphilitische Augenleiden, zur Therapie derselben, von Pr. P. Silex in 
Berlin 878. 

T. 

Tabes dorsalis, über einen Fall, von Stabsarzt Pr. Martins in Berlin 163. 

TenonVhe Kapsel, idiopathische Entzündung derselben, von Pr. W. Ber¬ 
schel in Hamburg 670. 

Terpentinöl. Darreichungsform desselben, von Ob.-St.-A. Pr. Frölich in 
MÖckeru-Leipzig 606. 

Terrain- und Bergsteigeapparate, von Pr. H. Nebel in Hamburg 1031. 

Tracheotomie. Nachbehandlung, von Priv.-Doc. Pr. K. Roser in Marburg 
121 

Traumatische Lähmung, gleichzeitige der Nervi radiales, ulnares und nie- 
diani. von Pr. H. Kühner in Breslau 186. 

Traumatischer Tetanus, über einen Fall mit sogenanntem chirurgischem 
Scharlach, von Dr. E. Schaffer in Offenbach a M. 1063- 


Trepanation, secundfirc bei neuropathischen Störungen nach Kopfverletzungen, 
von Pr. E. Hoffmann in Greifswald 393. 

Trichterbrust, zur Lohre von derselben, vou Dr. G. Klemperer iu Berlin 
732. 

Tubengravidität, über Laparotomie bei derselben, besonders nach Ruptur 
des Fruchtsackes, von Dr. C. Hollstein in Berlin 795. 

Tubereulose, Prophylaxe, von Pr. Marcus in Pyrmont 301. 

Typhoid, über das biliöse, von Dr. Kartulis in Alexandrien 61. 86. 112. 

Typhusmeningitis. zur Keuntniss derselben, von Pf. Freyhan iu Berlin 631. 

Tvphustherapie, zu derselben, von Ob.-St.-A. I)r. Vogel iu München 983. 

'1008. 

U. 

Unterscheukclgeschwür, zur Behandlung des atonisehon, von Pr. Appen¬ 
rodt in Clausthal 478. 

V. 

Vaginale Ligatur des I tems und ihre Anwendung bei Rctrotlexio und Pru- 
lapsus Uteri, von Pr. A Schücking in Pyrmont 817. 

W. 

War/.enfortsatz, über den Eiterdurchbmch bei Erkrankungen desselben au 
aussergewölmlichen Stellen, von Dr. R. Cholewa iu Berlin 1006. 

WüchncrinneiipHegc und Pflegestätteu für unbemittelto Wöchnerinnen, von 
Priv.-Doc. Pr. Löhlein iu Berlin 103. 530. 

Z. 

Zucker, Bestimmung kleiner Mengen im Harn, von Pr. A. Pollatschek in 
Karlsbad 354. 

Zuckerstaub, Behandlung der Diphtherie mittelst Eiublaseu desselben, von 
Dr. C. Lorey in Frankfurt a. M. 944. 


L>ie anderen Rubrikeii der Wochenschrift sind im Allgemeinen Sachregister vereinigt. 


Allgemeines Sachregister. 


A. 

Aachen. Verein der Aerzte des Regierungsbezirks 445. 

\t.dominaltumoren. zweizeitige Eröffnung eystischer 623. 

Xbdominaltyphus. s. Typhus. 

Abführende Wirkung des Colchicin 19. 

Abort. Verlauf und Behandlung 706. 

Al'scesse, retropharyngeale, Therapie 767. 

Abschwächung der Virulenz pathogener Schimmelpilze 981. 

A> cessoriuslähmung bei Tabes dorsalis 365. 

Acetonurie bei Kindern 95. 

A^etphenetidin 661. 

A< hsenzugzangeu 623. 

Acidum arsenicosum gegen chronische Gastralgieen 38 
Vene, chronische. Therapie. 955. 

Acute Miliartubereulose 1068. 

Addison’sche Krankheit, s. Morbus Addisouii. 
r Adelmann + 515. 

Adenom des Uterus 604. 

Adhäsionen, peritoneale des retroflectirteu Uterus 304. 

Admiralsgartenbad 607. 

Adonidin 38. 

Adstringentia 258. 

Aerzte als Mässigkeitsbeförderer 365. 

\crztekammer der Provinz Brandenburg 348. 428. 895. 980. 

— der Provinz Pommern 788. 

— der Provinz Sachsen 496. 

— der Provinz Schlesien 1019. 

— für Mecklenburg-Schwerin und Strelitz 748. 

A •Ärztekammern, preussische 38. 59. 100. 160. 219. 

—. gemeinschaftliche Sitzung der Delegirten derselben mit der wissenschaft¬ 
lichen Deputation für das Medicinalwesen 915. 

Aerztetag, deutscher 39. 100. 448. 470. 727. 799. 

\erztevereiustag, österreichischer 648. 

Aerzt liehe Gutachten 407. 872. 

— Vorprüfung 79. 

\rther, bei Insufticieuz des Herzens 667. 

—. gegen Pediculi 787. 

Vtherscbwefelsäure im Urin 446. 

Agaricin gegen Schweisse der Phthisiker 555. 

Agram. Errichtung einer medicinischen Facultät 470. 

\ka<iemie der Wissenschaften, Gedächtnissfcier 279. 


1 Akromegalie 368. 651. 

: Aktinomykose, pathologische Anatomie 35. 

—, primäre des Gehirns 197. 

! Albuminurie, pathogenese 409. 434. 459. 618. 

; —, Einfluss der Kost auf dieselbe 1054. 
i — hei Geisteskranken 604. 

—, hämatogene 1054. 

: —■, intermittirende 624. 

1 —, cyklische intermittirende 463. 

—, physiologische 137. 

Alkoholamblyopie 388. 

I Alkoholgenuss, Einfluss auf die Nachkommenschaft 388. 

■ Alkoholfrage 193. 

I Alkoholische Phrenicus- und Vagiislähmuug 936. 

Alkoholismus, Einfluss auf Nerven- und Muskelsyslcm 936. 

—, Einfluss auf das menschliche Sehorgan 237. 

—, Einfluss auf Verbrechen 1080. 

—, Therapie 571. 648. 

Alkoholmissbrauch 957. 

Allantois des Menschen 990. 1059. 

Allgemeiner ärztlicher Verein in Köln 236. 275. 703. 974. 

— in Thüringen 388. 

Alopecia areata 1056. 

Alter der Eltern, Einfluss auf die Lebenskraft der Kinder 1040. 

Alters- und Invalidenversicherung 78. 

Altes aus neuen Anstaltsberichten 380. 

Altes über neue Mittel 677. 

Alvelossaft gegen Carciuom 58. 

! American medical Association 220. 

Amerikanische Aerzte und Chirurgen, Congress 788. 

Amiens, medicinische Facultät, s. medieinische Facultätcn. 

Anunoniämie 809. 838. 

Ammoniak, antiseptische Eigenschaft 601. 

I Ammonium salicylicum bei acuten fnfectionskrankheiten 38. 

I Aramoniumsalze als erregende Mittel 935. 
i Amputation, supravaginale des Uterus 491. 

Amputationen und Exarticulationen im Augustahospital iu den Jahren 1871 
bis 1885 420. 

: Amygdalitis, infectiöse 157. 

' Amylenhydrat 10. 19. 914. 
j Arnylnitrit bei Cholera 79. 915. 

1 —, Vergiftung durch dasselbe 915. 


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INHALTS-VERZEICHNIS. 


VIII 

Anaemie, klimatische Behandlung 78. 

Anaesthesie durch Alkohol und Chloroform 535. 

— durch Chlormethyl 747. 

—, lokale 1079. 

Anaesthesirendo Wirkung des Autipyrin 118. 179. 447. 767. 

— Wirkung des Cocain 19. 219. 256. 

Anaesthesirung der ITaut durch Methylchlorür 79. 

Anatomie, Lehrbuch der mikroskopischen von Stöhr 784. 

— des Beckens 507. 

— des Menschen, Handatlas von Bock 618. 768. 

— normale des menschlichen Körpers 12. 

— des schwangeren und kreissenden l'terus 1071. 

Anatomische Gesellschaft 80. 139 200. 308. 348. 428. 

Anatomischer Atlas zur Pharmakognosie von Vogl 485. 

Andres Laguna 9-6. 

Aneurysma, Pathogenese, llistogcnesc und Aetiologie 907. 

—, Therapie 279. 

— dissecans 764. 

— er)ui vermicosum 907. 

— der Arteria cerebri commuuieans posterior 931. 

— der Arteria fossae Sylvii 910. 

— der Arteria interossea 74. 

—, traumatisches der Arteria poplitea 445. 

Aneurysmen der Aorta 158. 824. 

Angina pectoris, Pathologie und Therapie 214. 

Angioma cavernosum 643. 

Animale Impfung, s. Vaccination. 

Ankylose des Kiefergelenks 384. 

Ankylostoma duodenale 291. 849. 

Ann Arbor, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten 496. 
Antagonismus von Giften 916. 

Anthrarobin 197. 112. 1040. 

Anthropologie, Handbuch von Topinard 274. 

—, criminelle, internationaler Congress 896. 

Anthropologencongress 608. 668. 727. 

Antidiarrhoica 258. 

Antiepileptica 665. 

Antifebrin 217. 470. 665. 

Antifebrinvergiftung 118. 158. 834. 

Antihidrotica 258. 

Antike chirurgische Instrumente 1016. 1036. 

Antimycotica, degenerative Einwirkungen derselben auf die Parenchym- 
organe 382. 

Antiparasitica 258 
Antipyrese, s. Fieberhandlung. 

Antipyretica, Theorie der Wirkung derselben 146. 158. 

Autipyrin, Wirkung desselben 386. 

—, Wirkung auf die Zähne 915. 

— als Anaestheticum 447. 767. 

— schmerzstillende Wirkung bei der Geburt 118. 179. 

— gegen Cerebrospinalmeningitis 893. 

— gegen Chorea 158. 

— gegen Diabetes 893. 

— gegen Epilepsie 158. 

— gegen Haemoptoe 79. 

— gegen Haemorrhoidalgeschwürc 807. 

— gegen Keuchhusten 322. 

— gegen Migräne 470. 1040. 

— gegen nervöse Störungen 365. 

— gegen rheumatische Gelenkschmerzen 915. 

— gegen Seekrankheit 158. 495. 

Antiseptik im Hebammenwesen 645. 665. 685. 

Antiseptische Cigarretten 179. 

— Eigenschaft des Ammoniak 601. 

— Mittel 305. 309. 426. 488. 

— Tamponade, resorbirbare 791. 

— Wirkung verschiedener gegen Diphtherie empfohlener Mittel 945. 
Anurie, reflectorische 4. 

Anus praeternaturalis 829. 

Aortenaneurysmen 158. 827. 

Aortenklappeninsufficienz, geheilte 15. 

Aortenruptur 1073. 

Aortensystem, angeborene Enge 589. 599. 600. 

Aphasie 605. 665. 

Aphthen, Therapie 828. 

Apoplectiforme Bulbärparalyse 711. 

Apothekenwesen 844. 

Aprosexia 815. 

Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt 700. 708. 721. 741. 760. 
Arbutin 38. 

Arcus pubis, Anatomie 444. 

Arlt’s Selbstbiographie 133. 

Arteria cerebri communicans posterior, Aneurysma derselben 931. 

— cruralis, Zerreissung bei Fractura femoris 842. 

— fossae Sylvii, Aneurysma derselben 910. 

— interossea, Aneurysma derselben 74. 

— poplitea, traumatisches Aneurysma derselben 445. 

— vertebralis, Ligatur desselben bei Epilepsie 345. 

Arthrektomie des Kniegelenks wegen Arthropathia tabidorum 212. 
Arthrodese 490. 

Arthropathia tabidorum 212. 1036. 

Arzneiexanthemc 264. 


Arzneimittel, die neueren in ihrer Anwendung und Wirkung 212. 
Arzneimittellehre und Arznei verordnungslehre, Lehrbuch von Cloetta 55. 
Arzneiverordnungou von Rabow 516. 

Ascariden in Gallengängen und Leber 365. 

Ascaris lumbricoides 136. 137. 

— megalocephala, Befruchtungserschcinungen 311. 

Assimilirung von Eisenpräparaten bei gesunden Menschen 889. 

— der Fette bei Ikterischen 889. 

Association franfaise pour ravancement des Sciences 60. 100. 

Asthma, Therapie 998. 

Athembewegungen, Innervation 1017. 

—, Mechanismus derselben 683. 

Athtnung 255. 

—, künstliche 440. 

—, Bedeutung des Herzschlages für dieselbe 153. 

Atlas der Anatomie des Menschen von Bock 618. 768. 
i —. anatomischer zur Pharmakognosie, von Vogl 485. 

— der Hautkrankheiten, von Neu mann 486. 

| Atouio des Magens 971. 

• Atouisches Unterschenkelgeschwür, Therapie 478. 

Atresia aui 950. 

— recto-urcthralis 489. 

Atrophischer Magenkatarrh 425. 971. 973. 1076. 

Atropin, Anwendung in der Magentherapie 225. 248. 

— gegen Seekrankheit 158. 

Atropininjectionen bei Gonorrhoe 387. 

Atteste, privatärztliche 974. 

Augenentzündung, phlyctaenuläre 847. 

—, psoudo-egyptische 426. 

—, sympathische 73. 

Augenheilanstalt in Posen 1000. 

Augenheilkunde, Handbuch von Schmidt-Riinpler 822. 

—, Propädeutik für das Studium derselben von Hock 619. 

Augenleiden, syphilitische 878. 

Augenspiegel und ophthalmoskopische Diagnostik 486 
j Augenuntersuchung 1015. 1034. 

Ausstellung, internationale für Hygiene und Rettuugswesen in Ostende 60. 

— für Kinderpflege in Budapest 536. 

Auswurf 1037. 

Autoinfection 184. 

B. 

Baader + 220. 

Bacillus phosphorescens 385. 

I — pneumonicus agilis 606. 

— pyocyaneus 386. 

Bacterien, Reductionsvermögen derselben 76. 

—, Vennehrungsgeschwindigkeit derselben 76. 

Bacteriologie, Bedeutung für die Augenheilkunde 722. 

—, Rückblick auf das Jahr 1887 658. 675. 697. 719. 738. 757. 
Bacteriologischc Methoden 875. 

Bahia, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Balneologischo Section der Gesellschaft für Heilkunde 100. 160 214. 1060. 
Balneometeorologie 214. 

Balogh t 628. 

Baltimore, College of Physicians and Surgeons, s. medicinische Facultäten. 
v. Bamberger + 955. 977. 

Bandwurmeuren 306. 

Barcelona, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 
de Bary + 80. 98. 118. 

Basedow’sche Krankheit, s. Morbus Basedowii. 

Basel, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Bauchchirurgie 793. 

Bauchfell, Erschlaflungszuständc desselben 624. 

Bauchfelltubereulose, Therapie 198. 

Bauchgeschwülste, Diagnostik 996. 

Bauhin’sche Klappe, Carcinom derselben 993. 

Becken, Anatomie 507. 

Beckenabscesse der Frauen, Therapie 805. 

Beckenorgane, Lage der weiblichen 803. 

Beckenschusswunde 640. 

Befruchtungserscheinungen 311. 

Beinschienen, verstellbare 719. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie von Bruns 318. 

Belgrad, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Benzol gegen Keuchhusten 327. 

Bergeoii sehe Kohlensäure-Schwefelwasserstoffklystiere 238. 297. 
Bergsteigeapparate 1031. 

Berichte aus der geburtshülflich gynäkologischen Klinik in Marburg 419. 
468. 493. 513. 553. 573. 

Berichte über das Jenner’sehe Kiuderspital in Bern 463. 

Berichtigungen 40. 60. 80. 120 200. 808. 

Berlin, Errichtung einer neuen Irrenanstalt 39. 

—, hygienisches Institut 39. 

—, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

I —, medicinische Universitätspolitik 20. 59. 

—, psychiatrischer Verein 39. 607. 

—, Sanatorium für Brustkranke 39. 

Berliner Chirurgenvereinigung, s. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. 
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 35. 

Berliner Klinik 516. 



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INHALTS -VERZEICHNISS. 


IX 


Berliner medieinische Gesellschaft 34. 56. 73. 93. 115. 135. 160. 175. 196. 
212. 255. 321. 343. 348. 382. 442. 403. 510. 553. 607. 884 . 909. 930. 
948 973. 993. 1015. 1034. 

Berliner Verein für innere Medicin, s. Verein für innere Median. 

Bern, medieinische Facultät, s. medieinische Facultäten. 

Berthold + 120. 

Bevölkerungsstatistik 257. 

ßibliotheca medico-chirurgica pharmaceutica-chemica et vetorinaria 40. 428. 
ßibliotheca psychiatrica 768. 
ßilinogen 995. 

Biliöses Typhoid 61. 86. 112. 

Biliöses Typhusrecidiv 531. 

Bindehauterkrankungen, Therapie 993. 

Biographisches Lexikon hervorragender Aerzte 343. 999. 

Bismuthsubbenzoat als Escharoticum 535. 

Bissarten und Bissanomalieen 908. 

Blase, perineale Drainage der männlichen 105. 

Blasenexstirpation 1075. 

Rlasengeschwülste 640. 

Blasenkatarrh, Therapie 80". 1059. 

Blasenkrebs 746. 

Blasenschleimbaut, Totalexstirpation 1075. 

Blasenverletzung bei Laparotomie 466. 

Blasenwand, vordere, Anatomie 444. 
blaud’sche Pillen, Formel für dieselben 158. 

Blauer Eiter, Bacillus desselben 386. 

Blei- und zinkhaltige Gegenstände, Gesetz betreffend den Verkehr mit den¬ 
selben 721. 808. 

Blennorrhoe der Sexualorgane 661. 

Blennorrhoea uasi 37. 

Blennorrhoea neonatorum 17. 953. 

Bleivergiftung durch Wasserleitungsröhren 760. 936. 
ßlindenstatistik 748. 

Bliizcataract 705. 

Blot t 239. 

Blut, Alkalescenz im Fieber 556. 

Blutegel im Kehlkopf 688. 

Blutfarbstoff, Umwandlung desselben in Gallenfarbstoff 425. 

—, Verhalten bei Infectionskrankheiten 325. 

Blutgefässe der Herzklappen 404. 

Blutgerinnungen, intravitale 504. 

Blutgifte, gerinnungserregende Wirkung 428. 

Blutkörperchen , Resistenz der rothen 256. 

Blutkrankheiten, klinische Diagnostik 485. 

Blutschorf, Wundheilung unter dem feuchten 323 
Blutung in die Abdominalhöhle 794. 
ßlutuntersuchung, neue Methode 385. 

Bohn f 139. 

du Bois-Reymoud, 70. Geburtstag 935. 

Boldin als Hypnoticum 327. 

Bologna, medieinische Facultät, s. medieinische Facultäten. 

—, 800jähriges Jubiläum der Universität 180. 368. 516. 

Bonn, medieinische Facultät, s. medieinische Facultäten. 

Mittbeilungen aus der medicinischen Klinik und Poliklinik 11. 31 54. 
70. 91. 

Borax gegen Phthise 58. 

BorsäurebehaLndlung der Otorrhoo 129. 696. 

Botbriocephalus latus 136. 

— liguloides Leuckart 889. 

Bradycardie 724. 

Brandige Brüche 829. 

Breslau, medieinische Facultät, s. medieinische Facultäten. 

Bressa- Preis 60. 

British medical Association 742. 785. 803. 825. 865. 911. 932. 

Brochin t 308. 

Bronchien, lokale Behandlung der Erkrankungen derselben 158. 

Bronchitis, Therapie 118. 998. 

Brüsseler Briefe 114. 

Brustdrüse. Inactivitätsalrophie der weiblichen 804. 

Brustwarzen, wunde, Therapie 387. 828. 

Budapest, ärztlicher Hülfsverein 956. 

—, Königliche Gesellschaft der Aerzte 40. 176. 872. 936. 

—, medieinische Facultät, s. medieinische Facultäten. 

Budge f 607. 

Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich 800. 

Bukarest, medieinische Facultät, s. medieinische Facultäten. 

Bulbärpiralyse, apoplectiforme 711. 

C. 

Cadaverin 477. 653. 

Calriumchlorid gegen Verdauungsstörungen 767. 

Calomel, diuretische Wirkung 93. 

Calomelinjectionen gegen Syphilis 94. 

Calomelölinjectionen gegen Syphilis 769. 

Cannabispriparate 19. 

tapsella bursa pastoris gegen Metrorrhagie 576. 

Caput obstipum traum&ticum 213. 

Carbolsäure als Antipyreticum 158. 

Carbolsaures Natron gegen diphtherische Pharyngitis 1040. 

Carcinom, Aetiologie 14. 140. 177. 203. 234. 254. 617. 634. 1080. 

-. Diagnose und Prognose 92. 302. 

—■ pathologische Anatomie 232. 


Carcinom, Statistik der Heilbarkeit 628. 

—, medicameutöse Therapie 58. 

—. experimentell erzeugtes 445. 

— mit papillärer Oberfläche 423. 

— der Bauhin’schen Klappe 993. 

— der Blase 746. 

— des Cervix 602. 623. 

— des Darms 487. 

— des weichen Gaumens 682. 

— des Larynx 7ö2. 925. 930. 

— der Leber 145. 

— der Lunge 884. 

— der Mamma 745. 

— des Pankreas 777. 793. 

— der Portio vaginalis 623. 

— des Rectum 275. 

— des Uterus 115. 

Carcinose. acute allgemeine 949. 

Cascara sagrada. 346. 

Castration bei Fibromen 177. 

— bei Osteomalacie 624. 

Cataraetoperation 56. 306 424. 

Centralhülfskasse für die Aerzte Deutschlands 367. 627. 
Centralnervensystem, multiple inselförmige Sklerose 301. 

—, pathologische Veränderungen 762. 

Centralverein deutscher Zahnärzte 687. 

Celsus über den Krebs 990. 

Cephalalgie, Therapie 626. 

Cervixcarcinom 602. 623. 

Charkow, medieinische Facultät. s. medieinische Faoultäten. 
de Chaumont + 368. 

Chemie, Compeudiutn von Harnack 253. 

—, Lehrbuch der physiologischen und pathologischen von Bunge 320. 

—, Repertorium von Arnold 253. 

Chinin, Verlust des Sehvermögens nach innerlicher Anwendung 576. 

—, Wirkung bei gesunden Menschen 889. 915. 

Chiningebrauch, icterisch-haematurisches Fieber nach demselben 911. 
Chininintoxication 158. 

Chirurgencongress, Deutscher, s. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie. 

— , französischer 100. 239. 276. 

—, italienischer 363. 

Chirurgie, Lehrbuch der allgemeinen, von Fischer 231. 

—, Lehrbuch der allgemeinen, von Tillmauns 72. 

—, Rückblick auf die letzten Jahre 462. 481. 505. 528. 

Chirurgische Instrumente, antike 1016. 1036 

— Krankheiten, Diagnostik 92. 

— Nadeln, Aufbewahrung derselben 641. 

— Pathologie und Therapie, Handbuch von Länderer 507. 

Chirurgischer Scharlach 1063. 

Chlormethyl als Anaestheticum 747. 

Chloroformwasser, antiseptische Wirkung 309. 488. 

— als Haemostaticum 747. 

Chlorsäure Salze, Wirkung 446. 

Chlorzinkätzung, intrautemie 853. 

Cholagoga 1040. 

Choiecystectasie 793. 

Cholecystenterostomie 76 
Cholecystotomie 996. 

Cholera, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

—, Präventivimpfung gegen dieselbe 727. 808. 

—, Therapie 79. 535. 915. 

—, Verhütung und Behandlung 362. 

— in Gonsenheim und Finthen 701. 

-- in Japan 326. 

Choleracommissiun. Bericht der nach Egypten und Indien entsandten 77. 96, 
Choleradejectionen, Desinfection derselben 345. 

Cholraroth 1075. 

Chorea 158. 609. 625. 662. 1043. 

Chorioida als elastisches Organ iin normalen und kranken Auge 705. 
Chorio-Retinitis syphilitica 884. 

Chronische Diarrhoe, Therapie 807. 

Chylöse Flüssigkeit im Pericardium 1018. 

Cigarrettenrauch, giftige Wirkung 1000. 

Cincinnati, Miami medical College, s. mediciuische Facultäten. 

Clausius f 728. 

Cocain, anästhesirende W'irkung 19. 219. 256. 

— gegen Magenleiden 19. 

— gegen Nasenbluten 827. 

— gegen acute parenchymatöse Tonsillitis 893. 

— gegen Variola 576. 

—, Nebenwirkungen 707. 

Cocainintoxication 158. 213. 

Cocainentziehungscuren 715. 

Cocainsalbe bei Verbrennungen 1040. 

Cocosbutter 728. 

Coffeinum nntriobenzoicum 38. 

Cohnheim-Denkmal 699. 

Colberger jüdisches Curhospital 60. 

Colcbicin 19. 

Collateralkreislauf. Entstehung desselben 383. 

Collodium antisepticum 955. 

Combinirte Degeneration des Rückenmarks 683. 


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X INHALTS-VERZEICHNISS. 


Commentar zum Reichsimpfgesetz von Rapmund 936. 

Oompendium der Syphilis von Hutchinson 1013. 

Coudurangorinde gegen Carcinom 58. 

Condylns extemus femoris, Tumor desselben 345. 

Conferenz der Medicinalbeamten im Regierungsbezirk Düsseldorf 664. 
Congenitale Pulmonalstenose 294. 

Congress, deutscher für innere Medicin 100. 240. 259. 308. 322. 344. 362. 
425. 627. 683. 

—, hygienischer in Lima 220. 

—. iutercolonialer in Melbourne 956. 

—, internationaler für criminelle Anthropologie 896. 

—, — für Dermatologie und Syphyligraphie 448. 515. 687. 956. 

—. — für gerichtliche Medicin 1040. 

—, — für Hydrologie und Klimatologie 628. 

—. — für Hygiene und Demographie 18. 

—, — für Ophthalmologie 160. 427. 515. 683. 704. 722. 

—, — für Otologie und Rhinologie 1019. 

—, — für Physiologie 516. 

—, italienischer für Chirurgie 363. 

—, — für Hydrologie und Klimatologie 628, 

—, — für Hygiene 408. 768. 

—, — für innere Medicin 728. 848. 911. 931. 995. 

—, spanischer für Klimatologie 220. 

— amerikanischer Aerzte und Chirurgen 788. 

— französischer Chirurgen 100. 239. 276. 

— polnischer Aerzte und Naturforscher 80. 648. 802. 

— russischer Aerzte 220. 

— südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte 571. 604. 

— ungarischer Naturforscher und Aerzte 768. 

— der Deutschen Anatomischen Gesellschaft, s. Anatomische Gesellschaft. 

— der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie 608. 668. 727. 

— der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, s. Deutsche Gesellschaft für 

Chirurgie. 

— der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie, s. Deutsche Gesellschaft für 

Gynäkologie. 

— des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, s. Deutscher 

Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 

— des Vereins deutscher Irrenärzte 800. 

— der Balneologischen Section der Gesellschaft für Heilkunde 100. 160.214. 

1060. 

— der British medical Association, s. British medical Association. 

— der Association fran^aise pour Pavancement des Sciences 69. 100. 

— für Tuberculose in Paris 660. 678. 740. 

Conjunctiva palpebrarum, syphilitische Erkrankung derselben 135. 
Coustipation, s. Stuhl Verstopfung. 

Coutentivverbände 165. 

Continuirlicher Magensaftfluss 425. 

Convallamarin 38. 

Convallaria majalis 38. 

Copaivaebalsam, Erythem nach Gebrauch desselben 471. 

Corpus trapezoides beim Kaninchen 801. 

Corpusculüre Elemente, Resorption durch Lungen und Pleura 759. 
Craniologische Untersuchungen 556. 

Creolin 279. 555. 687. 803. 847. 893. 955. 

Croup der Nasenschleimhaut 66. 

Croupöse Pneumonie 685. 

Cumarin als Desodorans des Jodoform 179. 

Curling f 576. 

Curpfuscherei in Belgien 260. 

Cyanquecksilbervergiftung 993. 

Cyklische intermittirende Albuminurie 463. 

Oymol, Ueberführung in Cuminsäure ausserhalb des Thierkörpers 213. 
Cysten der Scheide 453. 

Cystenniere, Exstirpation einer wandernden 46. 

Oysticerken 608. 910. 

Cystosarkom 762. 

Cytisin gegen Migräne 626. 

D. 

Daily f 40. 

de la Dardye f 408. 

Darmatonie, Zusammenhang mit Morbus Basedowii 322. 

Darmbacterien 404. 

Darmbewegungen 16. 445. 

Darmcanal, Gährungsvorgänge im kindlichen 391. 414. 481. 847. 
Darmerkrankungen, Aetiologie 404. 

Darminvagination, operative Behandlung 996. 

Darinkrebs 487. 

Darmnath 1073. 

Darmueurosen 971. 

Darmparalyse mit Axendrehung des Darms 35. 

Darmresection 275. 345. 385. 1073. 

Darmspülung 279. 

Darmverschluss 236. 624. 1076. 

Darmwandeinklemmung, acute 903. 

Dauereanülen bei Oesophagusstricturen 289. 

Daumenlose Hand, Verbesserung der Brauchbarkeit auf operativem Wege 612. 
Daviel, Jacques, zur Erinnerung an den VII. internationalen Ophthnlmo* 
logencongress 1032. 

Deformität, paralytische 490. 

Degeneration der Bevölkerung in grossen Städten 471. 

—, combinirtc des Rückenmarks 683. 

Demographie, internationaler Congress 18. 


Denkfehler 951. 

Dermatitis herpetiformis 1055. 

Dermoidcysten 93. 

Dermoide der Nase 1034. 

Dermatologencongress, internationaler 448. 515. G87. 956. 
Dermatotberapeutische Mittheilungen 954 976. 

Desinfection 121. 280. 304. 325. 406. 760. 847. 

— der Hände 985. 

Desinfectionsapparate 346. 

Deutsche anatomische Gesellschaft, s. Anatomische Gesellschaft. 

— dermatologische Gesellschaft 708. 

— Gesellschaft für Anthropologie 608. 668. 727. 

— — für Chirurgie 99. 100. 302. 307. 323. 345 383. 444. 

-für Gynäkologie 160. 347. 388. 448. 465. 602. 622. 1019. 

— Irrenärzte, Congress 800. 

Deutscher Aerzteveroinsbund 39. 100. 448. 470. 727. 799. 

— Saraariterverein 515. 

— Verein für öffentliche Gesundheitspflege 280. 707. 784. 801. 845. 
Dextrocardie 213. 

Diabetes mellitus, Wesen und Behandlung 233. 

— —, seine Theorie und Praxis, von Ebstein 71. 

— —, Diagnose 451. 479. 

— —, Therapie 893. 1039. 

— —, Fussgangrän bei demselben 904. 

— —, »hypertrophische Lebercirrhose bei demselben 1038. 

— —. wirkliche^ und scheinbares Aufhören der Zuckerausscheidung 205. 

— — in Verbindung mit Hirnrindenverletzung 825. 

Diagnostik der inneren Krankheiten 661. 

Diagnostische Irrthümer 72. 75. 

Diarrhoe, chronische, Therapie 807. 

Dickdarmentzündung bei acuten Quecksilbervergiftungen 41. 213. 
Dimethylcarbinol 217. 

Dinitrokresol 443. 

Diphtherie, antiseptische Wirkung verschiedener gegen dieselbe empfohlenen 
Mittel 945. 

—, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

—, Exanthem bei derselben 872. 

—, Prophylaxe 306. 

—, Statistik 253. 

—, Therapie 97. 98. 118. 944. 

Diphtherische Lähmungen 13. 

— Pharyngitis 1040. 

Distomum haematobium 628. 

Diuretica 37. 

Diuretische Wirkung des Calomel 93. 

— — des Colchicin 19. 

Dlauhy f 668. 

Doctorencollegium, Wiener medieinisehes 75. 887. 

Domville + 648. 

Donders’ 70. Geburtstag 160. 427. 896. 

Donders-Stiftung 496. 

Dorpat, medicinische Facultät, s. mediciuische Facultäten. 

Drastica 258. 

Drainage, perineale der männlichen Harnblase 105. 

Dresdener Frauenklinik 389. 

Druck und Druckmessung in menschlichen Augen 705. 

Drüsengewebe, Regeneration 251. 

Ductus venosus Arantii, Fehlen desselben 489. 

Düsseldorf, Conferenz der Medicinalbeamten des Regierungsbezirks G64. 
Dupuytren’sche Fingercontractur 761. 

Durchfallkrankheiten der Kinder 491. 495. 

Dursy’sches Labyrinthmodell 424. 

Dysphagie 971. 

Dyspnoe, Therapie 827. 

Dystrophia muscularis progressiva 572. 

K. 

Echinococcus der Leber 640. 

— der Lunge 823. 

— der Milz 487. 1003. 

— in der Oberschenkelmuskulatur 640. 

Ecole d’Anthropologie in Paris 100. 

Edlund f 728. 

Eingewachsener Nagel, Therapie 1018. 

Einzelheft, Psychosen 572. 

Eisen, Ausscheidung aus dem Thierkörper 197. 

—, Wirkung und Dosirung 94. 

Eisenbahnbeamte, Erkrankungsverhältnisse 892. 

Eisenbahnunfälle, Neurasthenie nach denselben 194. 245. 

Eisengehalt der Milch 385. 

Eisenpräparate, Assimilirung bei gesunden Menschen 889. 

Eisenreaction der Endothelien der feineren Milzarterien nach lujection lös¬ 
licher Eisensalze 994. 

Eiterung 324. 605. 653. 

Eklampsie, puerperale 387. 

Eklamptische Krämpfe 387. 426. 

Ekzema palpebrarum 1040. 

Elbogenfractur 444. 

Elektrische Behandlung des Uterus 625. 

— Erregbarkeit der Hörnerven 995. 

— Massage 335. 355. 

Elektrizität als Galactagogum 426. 


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INHALTS-VERZEICHNISS. XI 


Elektroden, fixirbare 494. 

Elektrodiagnostik und Elektrotherapie. 155. 

Elektrotherapie bei acutem Gelenkrheumatismus 38. 

Elektrotherapeutische Neuheiten 258. 494. 

Elephautiasis, Therapie 21. 495. 

— penis 640. 

Elisabeth-Kinderhospital 896 
Eisass-Lothringen, Medicinal Verwaltung 766. 

Empyem der Gallenblase 77. 

Empyemoperation 1055. 

Enchondrom 1034. 

Encyklopaedie der Naturwissenschaften 175. 1019. 

Endocarditis, Beziehungen zur Chorea 609. 625. 

— valvularis 404. 

Endocarditisebe Efflorescenzen 425. 

Endolaryngeale Behandlung des Kehlkopfkrebses 887. 

Englische laryngologische Gesellschaft 100. 120. 

Enteritis, chronische 1059. 

Ephedrin 426. 

Epidemiologie: 

Cholera 40. 60. 77. 80 96. 140. 160. 240. 260. 276. 348. 368. 408. 

536. 608. 668. 688. 708. 748. 768. 828 896. 916. 1020. 
Diphtheritis 40. 

Flecktyphus 140. 

Gelbfieber .828. 848. 

Meningitis cerebrospinalis 200. 220. 408. 771. 

Pocken 120. 260. 328. 348. 368. 576. 608. 768. 826. 1020. 

Scarlatina 40. 

Trichinose 180. 

Typhus 100. 120. 361. 408. 421. 464. 512. 641. 744. 763. 

Epidemiologie des 111. Quartals 1887 826. 

Epididvmitis suppurativa 683. 

Epilepsie 158- 571. 604. 825. 915. 1040. 1076. 

Epileptischer Anfall, Pathogenese 683. 

Epiphysentrennung, traumatische 1039. 

Epitbeliaikrebs der Lunge mit Metastasen 884. 

Erbrechen, Therapie 998. 

Erblindung nach Keuchhusten 204. 

Envtionen, schmerzhafte 446- 
Ergostat 382. 

Erkältung 485. 

Erlangen, medicinische Facultät, s. inedicinische Facultäten. 

Ernährung, Einfluss auf die Entstehung des Krebses 1080. 
Ernährungsstörungen nach Nervenverletzungen 754. 

Emtearbeiter, sanitäre Verhältnisse derselben in den Provinzen Brandenburg 
und Schlesien 844. 

Kr>te Hülfe bei Unglücksfollen 387. 

Erwerbsunfähigkeit mit Rücksicht auf die Uufailgesetzgebung 843. 

Ervsipel, Einfluss auf Syphilis 94. 

Therapie 467. 495. 626. 996. 1039. 

— und Puerperalfieber, Aetiologie 572. 

Erysipelrecidiv in Folge einer Frühgeburt 623. 

Erythem nach Gebrauch von Copaivaebalsam 471. 

Erythema caloricum 748. 

Erythropblaein 56. 93. 135. 143. 196. 305. 327. 

Etat des Preussischen Cultusministeriums 79. 119. 139. - 
EuWburg’s Realencyklopädie der gesammten Heilkunde 72. 131. 343. 
Exanthem bei Diphtherie 872. 

Exostosen, multiple 511. 948. 

Exspiratio sjstolica 995 
Evjpirarionsluft, Toxicität derselben 175. 

Extraction, zeitliche Trennung derselben von der Wendung 17. 

Extractum Jaborandi gegen Schlangenbiss 555. 

Extrauterinschwangerschaft 36. 466. 622. 

F. 

Fabrikhygiene 801. 

Farialislähmong. Gehörstöruug bei peripherer 58. 

Kirbe»erfahren 952. 

Farben, erlaubte 443. 

Faltungen des Grosshirns 1074. 

Farben, Gesetz, betreffend die Verwendung gesundheitsschädlicher 39. 
Farbenreactionen für den Säurenachweis im Mageninhalt 157. 969. 

Karre + 20. 

Fermente in den Faeces der Kinder 197. 

K-rmentgebalt des Urins 425. 

Kernwirknng von Medicamenteu 342. 

Kette. Assimilirung bei Ikterischen 889. 

Fettleibigkeit 679. 

Fibrom der Zunge 487. 

Fibroma molluscurn 705. 

Fibrome, multiple der Haut 705. 

— Myotomie und Castration bei denselben 177. 

Fieber erregende und Fieber hemmende Mittel, conträre W irkung derselben. 45.67. 
Fieber und Fieberbehandlung 1. 26. 33. 749. 778. 822. 931. 

Fieberhafte Affectionen, Therapie 38. 

~ . Verhalten des Magenaftes 970. 

Fieberhafter Icterus 156. 

Fieberprocess, Theorie der Wirkung desselben 146. 

Fieuzal + 668. 

Finger, abnorme Beweglichkeit 950. 

Fiwhe, Giftigkeit des Blutes gewisser Arten 668'. 


Fischpulver 305. 

Fissuren der Brustwarze 387. 

Fisteln der Harnröhre 947. 

Kistelopcrationen 1005. 

Flecktyphus, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

Fleischr.sche Percussionstheorie 402. 

Flughautbildung, angeborene 384. 

Fluorwasserstoffsäure-Inhalationen gegen Lungeutuberkulo.se 594. 

Folliculitis abseedens infantum 256. 

Forensische Bedeutung des Hypnotismus 844. 

Formulae raaglstrales Berolinenses 60. 

Fortleitung des Schalles 995. 

Fotliergill f 608. 

Fracturen und Luxationen 133. 253. 

Frankfurt a. 51., Jahresbericht über die Verwaltung des Jledicinalwesens 137. 
Französische Gesellschaft für Otologie und Laryngologie 160. 

Französischer Chirurgencongress, s. Chirurgencongress. 

Französisches Hospital in Constantinopel 668. 

Frauenkleidung, Reform derselben 848. 

Frauenmilch, Einfluss der Nahrung auf die Zusammensetzung derselben 801. 
Freiburg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins 427. 486. 640. 8G0. 1016. 1035. 
Freiwillige Krankenpflege im Kriege 980. 

Fremdkörper in den weiblichen Genitalien 17. 

Fremdkörper in Wunden 950. 

Friedrich III. und seine letzte Krankheit 129, 200. 534. 576. 577. 608. 
Fritsch’scher Katheter, modificirter 304. 

Frostsalbe 955. 

Frühgeburt, künstliche wegen Oedema pulmonum 1076. 

Fundus uteri, Verhalten der Schleimhaut desselben bei Carcinom der Porti* 
vaginalis 623. 

Furunkel, Natur und Behandlung 559. 

Fuselgehalt des Trinkbranntweins 515. 

Fussgangrän bei Diabetes mellitus 904. 

G. 

Gähruugsvorgänge im kindlichen Darmcanal 391. 414. 481. 847. 
Gärtnerischer Ergostat 382. 

Galactagoga 426. 

Galle. Physiologie 709. 

—, Wirkung auf die Herzbewegungen 385 
Gallenblase, Empyem derselben 77. 

Gallenconcremente, Entleerung nach grossen Oelgabeu 313. 535. 848. 
Gallensteine, Aetiologie 221. 

—, Therapie 535. 

Galvanopunctur der Prostata 414. 470. 

Ganglien, subcorticale 604. 

Gangrän, symmetrische 65. 

Garnett + 648. 

Gastralgieen. chronische, Therapie 38. 

Gastritis flbrinosa diffusa 511. 

Gaultheriaöl 872. 

Gaumen, Carcinom des weichen 682. 

Gaumenspalte, operative Vereinigung 444. 

Gebärmutter, s. Uterus. 

Geburt, Complication mit Tumoren der Beckeuorgano 1001. 

Geburtskunde und Gynaekologie, Beiträge zur klinischen und experimentellen 
von Kehrer 233. 

Geburtshülfe, Handbuch von Müller 1053. 

Geburtsmechanismus bei Schädellage 622. 

Gefängnis8wesen, Handbuch von Holtzendorff und v. Jage mann 536. 
Gefrierdurchschnitt einer Kreissenden 679. 

Gegengift, Geschichtliches 317. 

Geheim mittel wesen 200. 

Gehirn, s. a. Hirn. 

—, Neubildung 83. 

—, Schablone zur Eintragung von Sectionsbefunden 175. 

—, Stichwunden 251. 

Gehirnabscess 1021. 1056. 

Gehirnlocalisation, s. Localisation. 

Gehirnstörungen bei peripherer Facialislähmung 58. 

Gehirnsymptome, locale nach Kopfverletzungen 851. 

Gehimsyphilis 36. 

Gehirntumoren 762. 1038. 

Gehörnerven, elektrische Erregbarkeit 995. 

Gehörswahrnehmungen, subjective und deren Behandlung 908. 

Geisteskranke, Albuminurie derselben 104. 

—, symmetrische Affectionen der Gliedmassen bei denselben 801. 

—, SulfonalWirkung 605. 

— Verbrecher, Unterbringung derselben 20. 1072. 

Geisteskrankheiten, Lehrbuch von Sa vage 908. 

Geistesstörungen nach Kopfverletzungen 801. 

Gelbfieber, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

Gelbsucht der Neugeborenen, s. Icterus. 

Gelenkneurosen, Differentialdiagnose 572. 

Gelenkrheumatismus, acuter 23. 38. 495. 519. 

Gelenkrheumatismus, chronischer 158. 

—, Beziehung zur Chorea 609. 625. 

General berichte über das Medicinalwesen 137. 305. 469. 766. 

Gcnitalapparat, Psychosen infolge von Operationen am weiblichen 466. 
Genitalcanal, Desinfectiou des weiblichen 707. 

Genitaltuberculose des Weibes 679. 


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XII INH ALTS-VERZEICHNISS. 


Gent, medicinische Faeultät, s. inedicinische Facultäten. 

Genu valgum 66. 

Genua, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäten. 

Gerbsäure gegen Carcinom 58. 

Gerbsäuretinctur gegen Verbrennungen 648. 

Gerichtliche Medicin, internationaler Congress 1040. 

Geruchsorgan, peripheres der Säugethiere 590. 

Geschlecht, willkürliche Hervorbringung desselben 721. 

Gesellschaft, Berliner medicinische, s Berliner medicinische Gesellschaft. 

— Berliner, für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 35. 

— für Geburtshülfe und Gynaekologie in Wien 160. 

—, deutsche für Anthropologie 608. 668. 727. 

— — für Chirurgie, s. deutsche Gesellschaft für Chirurgie. 

— — für Gynaekologie, s. deutsche Gesellschaft für Gynaekologie. 

—, englische für Laryngologie 100. 120. 

—, französische für Otologio und Laryngologie 160. 

—, niederrheinische für Natur- und Heilkunde 348. 

— der Aerzte, Königliche, in Budapest 40. 176. 872. 936. 

— —, K. K. in Wien, s. Wien, K. K. Gesellschaft der Aerzte. 

— für Heilkunde, balncologische Section 100. 160. 214. 1060. 
Gesichtsasymmetrie 140. 180. 

Gesichtsrose, Genese 373. 

Gesichtsspalten 1036. 

Gesundheitsamt, Kaiserliches 700. 708. 721. 741. 760. 

Gesundheitspflege, öffentliche und private, Vorlesungen von Hosenthal 700. 
Gicht, Beziehungen zu den Krankheiten der Leber und der Nieten 7!l8. 
v. Gietl f 259. 

Giessen, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäten. 

—, naturwissenschaftliche medicinische Institute 871. 

Glaucom 705. 

Gletscberbacterien 936. 

Glottiserweiterung 524. 546. 566. 

Glühlicht für gynäkologisch-diagnostische Zwecke 312. 

Glycerin als Abführklysma 387. 

— gegen Carcinom 58. 

Glycerinsuppositorien 469. 998. 

Göttingen, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäten. 

Gonococcus Neisser 717. 805. 

Gonorrhoe, Beziehungen zu den Generationsvorgängen 953. 

—, Therapie 387. 

— des Weibes 805. 876. 

Granula in den Nervenzellen 36. 

Graues Oel in der Syphilistherapie 490. 495. 787. 

Graz, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäten. 

Gream f 668. 

Greifswald, medicinische Falcultät, s. medicinische Facultäten. 

Greifswalder medicinischer Verein 94. 176. 213. 423. 496. 531. 570. 601. 

621. 662. 680. 761. 823. 861. 935. 978. 

Greisenalter 506. 

Grindelia robusta 118. 

Grosshirn, Faltungen desselben 1074. 

—, Localisation, s. Localisation. 

Grundriss der gynäkologischen Operationen von Hofmeier 858. 

Guajacol 19. 138. 367. 

Gudden’s gesammelte Abhandlungen 808. 

Gumbinner, öOjähriges Doctorjubiläum 407. 

Gumbinner + 1000. 

Gummata im Kleinhirn 378. 

(iynäkologencongress, deutscher, s. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie. 
Gynäkologische Operationen, Grundriss von Hofmeier 858. 

— —, Neurosen nach denselben 735. 

Gymnema sylvestra 447. 

Gvpsvorband der Nabelschnur 626. 

H. 

Haas f 408. 

Habilitationsordnung, neue österreichische 180. 

Habituelle Stuhlverstopfung, Therapie 346. 469. 

Haeckermann + 896. 

Hämatogene Albuminurie 1054. 

Hände, Desinfection 985. 

Hämoglobinurie, paroxysmale 668. 1038. 

Hämoptoe, Therapie 79. 847. 

Hämorrhagieen, Therapie 787. 

Hämorrhoidalgeschwülste, Therapie 807. 1079. 

Hämostatica 258. 747. 

Hadernkrankheit 364. 

Hagen + 536. 

Halle, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäten. 

Halssympathicus, eine seltene Affection desselben 937. 

Hals- und Nervenkrankheiten 381. 

Hamburger ärztlicher Verein 56. 75. 93. 361. 421. 443. 464. 488. 511. 641. 

682. 702. 744. 762. 824. 842. 863. 886. 910. 930. 949. 956. 1073. 
Handatlas der Anatomie des Menschen von Bock 618. 

Handbuch der Augenheilkunde und Ophthalmoskopie von Schmidt- 
Rimpier 822. 

— der allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie von Länderer 507. 

— der Geburtshülfe von Müller 1053. 

— des Gefäugnisswesens von v. Holt/.endorff und v. Jagemann 536. 

— der acuten Infectionskrankheiten von v. Ziemssen 273. 

— der Krankheiten der Lunge von v. Jürgensen 638. 

— der Massage von Hühnerfauth 320. 


Handbuch der Ohrenheilkunde von Kirchner 463. 
Handgelenksluxation 1017. 
llandgelenktuberculose 215. 

Handwörterbuch der gesammten Medicin von Villaret 55. 740. 
Hannosset + 471. 

Harnanalyse. Lehrbuch von Schotten 948. 

Harnapparat, nervöse Störungen 928. 

Harnblase, s. Blase. 

Ilarnreaction nach Naphthalingcbraueh 425. 

Harnröhre, pseudogonorrhoisclic Entzündung 1077. 

— Stricturen und Fisteln 947. 

Harnröhrensteiue 602. 

Harnsäureausscheidung und llarnsäurelösung 425 
Harnstoffausscheidung. Bedeutung für die Diagnose der Bauchgeschwülste 
Hausgymnastik 233. 

Haut- und Geschlechtskrankheiten Lehrbuch von Lesser 928. 
Hautentzündung, eiterige durchlücherndc 303. 

Hauteruption, postvacciuale 463. 

Hautkrankheiten, Atlas von Neumaun 486. 

Hautödem, acutes umschriebenes 746. 

Hauttransplantation 444. 

Hauttuberculose 184. 

Hebammentasche, die Marburger 975. 

Hebammenwesen 645. 665. 685. 

Heibcrg + 408. 

Heidelberg, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäten. 
Hei!(|uellen des Taunus 381 
Heilstätte auf Teneriffa 516. 

Heisse Speisen 1020. 

Hektisches Fieber, Therapie 199. 

Helleborein 38. 

nelsingfors, medicinische Faeultät s. medicinische Facultäten. 
Hemiauopsia superior 490. 

Hemiatrophia facialis 321. 

Hemiatrophie der Zunge 624. 

Hemicranie, Antifebrin gegen dieselbe 217. 

Henneberg’scher Desinfector 326 
Herba Adonis vernalis 37. 

Hernie, eingeklemmte 641. 

Hernien, Radicaloperation 641. 

Herzbewegungen, Wirkung der (lalle auf dieselben 385. 

Herzfehler, angeborene 921. 

Herzklappen, Blutgefässe derselben 404. 

Herzklappenfehler 160. 689. 

Herzkrankheiten, Wesen derselben 931. 

— bei Tabes 397. 917. 929. 

Herzleiden, Anwendung pneumatischer Kammern bei denselben 1066. 
Herzmittel 667. 

Herzmuskelerkrankungen, Behandlung chronischer 322. 
nerzneurosen 805. 918. 

Herzschlag, Bedeutung für die Athmung 153. 

Herzstoss 241. 321. 359. 

Herztonica 37. 

Herztonregistrirung 669. 

Hinrichtung 388. 896. 

Hirn, s. Gehirn. 

Hirn hau terkrankungen, lucale Behandlung 621. 

Hirnmantel, Entwickelung desselben in der Thierreihe 604. 

Hirnrinde der Affen 1018. 

Hirnrindenverletzung und Diabetes 825. 

Hirsch, 25 jähriges Jubiläum 239. 

Histologie, Lehrbuch von Stöhr 784. 

Hitzschlag 765. 

Hörnerven, elektrische Erregbarkeit 995 
v. Hofmann, 70. Geburtstag 308. 
v. Holst + 260. 

Hornhautentzündung, specitische 497. 525. 

Horner’s Selbsthiographie 822. 

Hüftgelenksresection 304. 

Hülfs- und Schreibkalender für Hebammen 40. 

Humerusfractur mit Epiphysentrennung 384. 

— mit Radialislähmung 910. 

Hundswuth, Fortpflanzung des Giftes längs der Nerven 16. 683. 912, 
Hundswuth, Pasteur’sche Impfungen 60. 200. 240. 428. 748. 1075. 
—, Statistik 328. 826. 

Hydrargyrum oxydatum flavum gegen Syphilis 635. 

Hydrastis canadensis 602. 

Hydrocephalus 361. 663. 930. 

Hydrologie und Klimatologie, internationaler Congress 628. 

—, italienischer Congress 628. 

Hydromeningocele 56. 487. 

Hydronephrose, interraittirende 885. 909. 

Hydrops antri Highmori 490. 

Hygieneausstellung in Paris 516. 

Hygienische Curse füi Verwaltungs- und Schulbeamte 935. 
Hygienischer Congress, internationaler 18. 

—, italienischer 408. 768. 

—, in Lima 220. 

Hygienisches Institut in Berlin 39. 

— — in Rostock 448. 

Hyoscin 18. 347. 407. 807. 1018. 

Hyoscyamin 19. 496. 1018. 


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INHALTS-VERZEICHNIS*. XIII 


Hyperplastischer Katarrh 511. 

Hypertrophische Lebereirrhose bei Diabetes 1038. 

Hypnon 18. 511. 913. 

Hvpnotica 10. 18. 3*27. 868. 1080. 

Hypnotismus 7. *28. 64. 20*2. 6*26. 637. 655. 673. 694. 844. 916. 1018. 

I. 

Ichthyol 495. 892. 

Iberische Assimiliruug von Ketten 889 
Icterisch-haematurisches Fieber infolge Ohiuitigebraueh 911. 
b terus catarrhalis 913. 

— fieberhafter 156. 

— neonatorum 192. 

biioten. Musiksiuu derselben 801. 

Ileus, operative Behandlung 537 680. 

Immunität 688. 724. 7*26 
Impfung, $. Yaccination. 

— und interessenpolitik der Kreisphysiker 116. 200. 

Impfscbäden 890. 914. 933. 

Impfstatistik 178. 

Impftuberculose 184. 592. 910. 

Impfzwang, Verschärfung desselben 178. 

Impotentia generaudi 557. 

Inactivitätsatrophie der weiblichen Brustdrüse 804. 

Index Catalogue 100. 

— medicus 448. 916. 

Indigo bildende Substanz, in einem Pleuraexsudat 15. 

Infectiöse Kolpitis 831. 

Infection bei heiler Haut 1075. 

Infectionserreger, Eindringen von den Luftwegen und der Lunge aus 684. 
841. 

Infeotionskrankheiten, Handbuch von v. Ziemssen 273. 

—. Meldewesen 844. 

—. Prophylaxe 1080. 

—. Verhalten des Blutfarbstoffs bei deuselben 325. 

Inhalation medicamentöser Flüssigkeiten durch Spray 826. 

Inhalationsapparat von Jahr 787. 806. 997. 

Initialsclerose, Exstirpation 383. 

Innsbruck, medicinische Falcultät, s. tnediciuische Facultäten. 
Inoculationstuberculose, s. Impftuberculose. 

Intercolonialer inedicinischer Congress in Melbourne 828. 956. 
Intercostalnerven. Rankenfibrom derselben 706. 

Intermittirende Albuminerie 463. 624. 

— Hydronephiose 885. 909. 

Internationale Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen in Ostende 60. 
Internationaler Congress für criminelle Anthropologie 896. 

-für Dermatologie und Syphiligraphie 448. 515. 687. 956. 

— — für gerichtliche Medicin 1040. 

-für Hydrologie und Klimatologie 628. 

-für Hygiene und Demographie 18. 

— — für Otologie und Rhinologie 1019. 

— — für Ophthalmologie 160. 427. 515. 68 : . 704. 72*2. 

— — für Physiologie 516. 

Intestinaltumor, eine Gallensteinkolik vortäuschender 220. 

Intratracheale Injection bei Thieren 379. 

Intrauterine Chlorzinkätzung 853. 

— Kindsbewegungen 604. 

Intravitale Blutgerinnungen 504. 

Intubation des Larynx 444. 942. 

Inversio Uteri 624. 

Iris. Impftuberculose 910. 

Irre Verbrecher 1072. 

Ireenfürsorge 1069. 

Irrenstatistik 956. 

Isehaemische Muskellähmung 385. 

Ischias, Therapie 648. 

Ischiopagus 622. 
lscburia puerperarum 602. 

Italienischer Chirurgencongress 363. 

— Congress für Hygiene 408. 768. 

— — für Hydrologie und Klimatologie 628. 

— — für innere Medicin 728. 848. 911. 931. 995. 

J. 

Jahrbuch der Medicinalverwaltung in Eisass-Lothringen 766. 

— der praktischen Medicin von S. Gut! mann 550 

Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen Mikro¬ 
organismen von Baumgarlen 78t'. 

Jahr’scher Inhalationsapparat 787. 806. 997. 

Jassy, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Jena, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Jenner’»ches Kinderspital in Bern, medieiuischer Bericht 463. 

Jodismus, unilateraler 575. 

Jodkalium gegen Lebercirrhose 258. 

— gegen Priapismus 1040. 

Jodoform, antibacterielle Wirkung 59. 305. 572 
—. antituberculöse Wirkung 319. 

Wirkung auf die Eiterung 653. 

—• Desodorantia desselben 179. 535. 

— bei Haemoptoe 847. 

~ bei Lungenschwindsucht 1018. 

~ iur int rast rum Ösen Injection 279. 


Jodoforraätherinjection 807. 

Jodoformsalbe gegen tubereulöse Meningitis 33. 576. 

Jodol, antiseptische Wirksamkeit 59. 

Jodolbehandlung tuberculöser Krankheiten des Kehlkopfes und der Nase 157. 
Jodtinctur, Veränderungen der Haut nach Einwirkung derselben 251. 
Jodwasserstoffsäure bei Asthma und Bronchitis 998. 

Jodtrichlorid als Desinficiens und Antisepticum 325. 760. 

K. 

Kaiserschnitt 95. 329. 599. 602 802. 

Kali chloricuin-Vergiftung 835. 

Kaliseifen, medicinische 426. 

Kalium chloratum, zersetzende Wirkung auf Syrupus f**rri jodati 555. 

Kalk, desinficirende Wirkung 325. 

Kampher als erregendes Mittel 935. 

Kamphersäure. lokale Anwendung 464. 511. 747. 766. 81*. 

Karlsbader Thermalwasser, therapeutische Wirkung 972. 

Kasau, tnediciuische Facultät, s. inedinui.vhc Facultäten. 

Kataraktextraction s. Cataract. 

Katarrh, hyperplastiseher 511. 

Katarrhalischer Icterus 913. 

Katatonie 661. 

Katheterisation der Ureteren 996. 

Kehlkopf, s. Larynx. 

Kermes minerale 607. 

Keuchhusten, Aetiologie 865 866. 

—, Pathologie 178. 

-, Therapie 178. 322. 327. 426. 1059. 

—, Erblindung nach demselben 201. 

Kezraarszky’sches Beinkleid zur Stütze des Unterleibs 623. 
Kiefergelenks-Ankylose 384. 

Kiel, medicinische Facultät, s. mediciuisehe Facultäten. 

Kierulf t 1019. 

Kieselfluorsaures Natron als keimtödtendes Mittel 1040. 

Kiew, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Kilcher f 536. 

Kiudbettfieber, s. Puerperalfieber. 

Kinderdiarrhoeen 495. 747. 

Kinderheilkunde, Lehrbuch von v. Hüttenbrenner 619. 
Kinderkrankheiten, Vorlesungen von Henoch 883. 

Kindersterblichkeit au Durchfallkrankheiteu 491. 

Kiudsbewegungen, intrauterine 604. 

Kirchhöfe. Gefährlichkeit der Nähe derselben 78. 

Klärvorriclitungeu der städtischen Abwässer 801. 

Klauseuburg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 
Kleinhirntumor 762. 

Klimatologie, internationaler Congress 628. 

—, italienischer Congress 628. 

—. spanischer Congress 220. 

Klinische Vorträge vou v. Ziemssen 13. 

Klumpfuss, Behandlung 345. 

Kniegelenkscoutracturen 176. 

Kniegelenksreseetionen 216. 

Kniephaeuomen, Ungleichheit bei Tabes dorsalis 1076. 

Kuiescheibenbrüche s. Patella. 

Knochenbildung 215. 

Knochenentzündung, multiple rceidivirciidc 404. 

Knochennaht bei Patellarfraclur 445. 

Knochenwachsthum, künstliche Steigerung 179. 1016. 1035. 

Knöcherner Brustgürtel, operative Entfernung 486. 

Knotenbildung, subcutane bei acutem Gelenkrheumatismus 519. 

Köln, allgemeiner ärztlicher Verein 236. 275. 703. 974. 

—, Verein der Aerzte des Regierungsbezirks 408. 

Eröffnung der Augenheilanstalt 180. 

Königsberg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 
Körpererschütterungen, nervöse Störungen nach denselben 194. 24-). 
Körpertemperatur, Veränderung infolge chemischer Reizung der motorischen 
Region 863. 

Kohlehydrate, Einfluss auf die Säuren des Magens 968. 
Kohlenoxydvergiftuug, Genesung nach Transfusion 1033. 1041. 1054. 
Kohlensäureinhalatiouen bei dyspnoischen Zuständen 280. 827. 
Kohlensäure-Schwefelwasserstoffklystiere 297. 

Kohlensaurer Kalk gegen Carcinom 58. 

Kolpitis, infectiöse 831. 

Konstantinopei, medicinische Facultät, s. mediciuisehe Facultäten. 
Kopenhagen, medicinische Facultät," s. medicinische Facultäten. 

Kopfhaar, Erkennung seelischer Vorgänge aus demselben 93. 
Kopfverletzungen 393. 801. 861. 

Kothsteine 564. 

Krakau, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Krankenhäuser, Bau, Einrichtung und Lage 845. 

Krankenheiler Quellsalz 457. 

Krankenkassen des Regierungsbezirks Stettin 724. 

Krankenkassengesetz 536. 

Krankenpfleger 257. 

Krankenversicherung 976. 

Krebs, s. Carcinom. 

Kreislauf, Folgen der Herzklappenfehler für denselben 689. 

Kreisphysiker, unbillige Belastung derselben 844. 

Kreissende. Gefrierdurohschnitt 679. 

Kreissender Uterus, Anatomie 1071. 

Kreosot 19. 606. 847. 1018. 1059. 


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XIV INHALTS-VERZEICHN SS. 


Kriegssanitätsordnuug, Neubearbeitung der Beilage 5 vom IO. Januar 1878 
3G6. 

Kropfexstirpation 488. 

Kryptogenetische Septicopyämie G84. 

Künstliche Athinung 440. 

Kunstbutter 89G. 

Kussmaul, Absehiedsfeier 239. 

JL. 

Labfennent, Vorkommen im Magen und dessen diagnostische Vcrwerthuug 970. 
Labyrinthmodell, Dursy’sches 424, 

Lachgas-Sauerstoff-Anästhesie bei Entbindungen 334. 

Lähmung, traumatische der Nervi radiales, ulnares und modiani 18G. 
Lähmungen, functionelle, durch Hypnose geheilt 511. 
Langeubeck-Gedenkfeier 100. 180. 239. 307. 

Langenbeck-Haus 536. 847. 998. 

Langerhans + 048. 668. 

Lanolin 404. 605. 

Laparotomie bei Impormeabilität im Verdauungslract 1076. 

— bei tuberculöser Peritonitis 177. 

— bei Tubengravidität 795. 

— bei Uterusruptur 806. 

—, Blasenverletzung bei derselben 466. 

—, Darmocclusion nach derselben 624. 

Lappenperineorrhaphie nach Tait 466. 

Larvirte Pneumonie 197. 

Laryngologische Gesellschaft, englische 100. 120. 

Larynxcarcinora, endolaryngeale Behandlung 887. 

Larynxexstirpation 34. 37. 384. 702. 861. 894. 925 930. 1061. 
Larynxintubation 444. 942. 

Larynxkrankheiten, Handbuch von Gottsteiu 342. 

—, Vorlesungen von Sehrötter 972. 

—, Therapie 297. 

Larynxneubildungen, Umwandlung gutartiger in bösartige 628. 
Larynxpolypen 34. 36. 

Larynxstenose, Tracheotomie 843. 

Larynxsyphilis 773. 

Larynxtuberculoso, pathologische Anatomie 93. 

—, Heilbarkeit 802. 

—, Therapie 146. 156. 157. 939. 988. 1011. 1030. 1051. 

Laschkewitsch f 628. 

Lausanne, Umwandlung der Akademie in eine Universität 748. 

— medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten 1019. 
v. Lauer, 80. Geburtstag 847. 

v. Lauer, GOjähriges Dienstjubiläum 1040. 

Laveran’s Organismus der Malaria 880. 

Lebensdauer, extreme 896. 

— der Aerzte 1020. 

Leber, Innervation 322. 

—, beweglicher Schnürlappen 1039. 

Leberabscess, operativ geheilter 682. 

Lcbercirrhose, Therapie 258. 

—, hypertrophische bei Diabetes 1038. 

Leberechinococcus 640. 

Leberkolik, Therapie 535. 

Leberkrebs 145. 

Lebertumor, Fehldiagnose 72. 

Leberuntersuchung 1080. 

Lehrbuch der Analyse des Harns von Schotten 948. 

— der Arzneimittellehre und Arznei verordnungsieh re von Cloetta 55. 

— der physiologischen und pathologischen Chemie von Bunge 320. 

— der allgemeinen Chirurgie von Fischer 231. 

— — von Tillmanns 72. 

— der Fracturen und Luxationen von Hoffa 253. 

— der Geisteskrankheiten von Savage 908. 

— der Haut- und Geschlechtskrankheiten von Lesser 928. 

— der Histologie von Stöhr 784. 

— der Kinderheilkunde von v. Hüttenbrenner 619. 

— der pathologischen Mykologie von Baumgarteu 211. 

— der Psychiatrie von v. Krafft-Ebing 798. 

— der Syphilis und der örtlichen venerischen Krankheiten von v. Zeiss 1 947. 
Leichen, neues Verfahren zur Vernichtung derselben 1080. 

Leichenwarze 85. 

Leiden, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Leihbibliotheken, Verbreitung ansteckender Krankheiten durch dieselben 728. 
Leimbrodt 495. 

Leipzig, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Leitfaden für medicinisch-chemische Curse von Kossel 507. 

— der Psychiatrie von Koch 402. 

Lenhossek f 1040. 

Leontiasis ossea 884. 

Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher 160. 192. 

Lepra, pathologische Anatomie 1076. 

— in den Ostseeprovinzen 508 
Leukämie, pathologische Anatomie 73. 

—, Pathologie und Therapie 386. 

—, Einfluss auf Schwangerschaft 953. 

Leukämische Erkrankungen, Beziehungen zu Haut- und Herzaffectiouen 994. 
Leukocythämie 260- 
Lichtentwickelnder Spaltpilz 385. 

Lille, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 
l.insencontusionen 42. 


Linsenemährung und Linsentrübung 814. 

Lipomexstirpation 1079. 

Lippen- und Gaumenspalte, operative Vereinigung 445. 

Lissabon, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Lithionpillen gegen Diabetes 1039. 

Litholein 426. 

Litholyse 49. 

Liverpool, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Localisation im Gehirn 81. 108. 125. 151. 172. 188. 209. 332. 664. 851. 
Lochien, Mikroorganismen in denselben 533. 

Löwe-Denkmal 1080. 

Londoner Briefe 132. 231. 999. 1019. 

Lorent f 980. 

Luftwege, Eintrittspforte für Infectiouserreger 841. 

Lufttemperatur, Einfluss auf die Kindersterblichkeit 491. 

Lunge, Handbuch der Krankheiten derselben von v. Jürgenscn 638. 
Lungenblutung, Therapie 725. 787. 

Lungencarcinom 884. 

Lungenechinococcus 823. 

Lungenentzündung, s. Pneumonie. 

Lungenhernie, traumatische 1017. 

Lungenschwollung und Lungenstarrheit 383. 

Lungentuberculose 19. 58. 98. 138. 179. 238. 239. 273. 297.517.544. 564. 

594. 606. 618. 827. 847. 911. 1018. 1046. 1059. 1068. 

Lupuscarcinoin 318. 

Luxatio cubiti complicata 640. 

— humeri retroglenoidea 861. 

— sub talo 640. 

Luxation des Unterkiefers 384. 

Lymphangioma colli cysticum congenituin 852. 

Lvmphosarcomatose 753. 

M. 

Mackenzie als Arzt des Deutschen Kaisers 534. 576. 577. 608. 869. 707. 
Madrid, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Magen, physikalische Diaguostik der Insufficienz desselben 425. 

—, Vorkommen von Labferment in demselben 970. 

—, motorische Thätigkeit 962. 991. 

—, die Säuren des gesunden und kranken bei Einführung von Kohle¬ 
hydraten 968. 

—, das Secret des nüchternen 966. 

Magenatonie 970. 

Magenausspülung bei Säuglingen 948. 

Magencarcinom und Magenatrophie 973. 

Mageudilatation 807. 977. 

Magendüundarmfistel 911. 

Magenerkrankungen, chemische Diaguostik 137. 157. 275. 405. 619. 668. 
669. 969. 

Magenerweichuug 83. 

Magenfunction, Einfluss bitterer Mittel auf dieselbe 405. 

Magengeschwür, s. Ulcus ventriculi. 

Magenhusten 17. 

Mageninhalt, Schwankungen des Säuregehalts während des Schlafes und 
im Wachen 405. 

Magenkatarrh, atrophischer 425. 971. 873. 1076. 

Magenkrankheiten, Handbuch von Ewald 598. 

Magenleiden, Wirkung des Cocain bei denselben 19. 

Magenneurosen 971. 

Magenphthise 883. 

Magenresection 384. 949. 

Magensecretion, localer Einfluss des Chlornatriums auf dieselbe 405. 
Magensaft, Verhalten bei fieberhaften Krankheiten 405. 970. 

Magensaftfluss 425. 971. 

Magenschleimhaut, Pathologie 960. 

Magenverdauung, erste Producte derselben 197. 

Magen-Darmkatarrh der Kinder, Therapie 626. 

Magnesiumsilicat gegen chronische Diarrhoe 977. 

Malaria 252. 364^ 879. 

Mammacarcinom 745. 

Manchester, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Marburg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Marburger geburtshülf liehe Klinik und Poliklinik 419. 468. 493. 513. 653. 573. 

— Hebammentasche 375. 

Marchiafava’sche Plasmodien im Blute Vaccinirtor und Scharlachkranker 363. 
Martineau + 239. 328. 

Masern 133. 

Massage, Handbuch von Hünerfauth 320. 

—, elektrische gegen Rheumatismus 335. 355. 

— bei Krankheiten der weiblichen Sexualorgane 199. 

— bei Prolapsus uteri 802. 

Mastdarmfisteln 1079. 

Mastdarmrohr mit Ballouverschluss 469. 

Mastfettherz, Therapie 367. 

Mastitis, puerperale 261. 
v. Mayer, Robert, Denkmal 668. 

Medianschnitt einer Hochschwangeren von Waldeyer 192. 

Medianschnitto durch Leichen in der Geburt Verstorbener 624. 

Meconarcein 626. 

Medicinalbeamtentaxe 844. 

Medicinalbeamtenverein, preussischer 407. 687. 843. 

—, zu den Thesen desselben 116. 200. 

Medicinalverwaltuug in Els&ss-Lothringeu 766. 


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IN HALTS-VERZEICHNISS. 


XV 


Medicinalwesen im Königreich Sachsen 766. 

—. Generalberichte 137. 305. 469. 766. 

Medicinische Faeultäten, Aenderungen iin Personalbestand, während des 
Jahres 1887 38. 

Medicinische Faeultäten: 

Amiens «-88. 728. 

Ann Arber 496. 

Bahia 448. 

Baltimore 1000. 

Barcelona 648. 

Basel 728. 828. 

Belgrad 536. 

Berlin 39. 59. 79. 139. 220. 259. 308. 470. 536. 556. 607. 648. 667. 

768. 935. 956. 1019. 

Bern 627. 

Bologna 180. 448. 

Bonn 60. 100. 260. 328. 708. 728. 748. 768. 788. 

Breslau 348. 470. 708. 

Budapest 20. 160 220. 260. 448. 496. 648. 688. 728. 748. 872. 
Bukarest 768. 808. 848. 

Charkow 328. 628. 648. 848. 1000. 1040. 

Cincinnati 956. 

Dorpat 40. ICO. 872. 

Erlangen 160. 536. 576. 

Freiburg 536. 956. 1040. 

Gent 496. 608. 728. 

Genua 1020. 1040. 

Giessen 240. 388. 408. 608. 687. 916. 

Güttingen 687. 

Graz 516. 708. 

Greifswald 496. 536. 768. 808. 896. 980. 1000. 

Halle 160. 368. 648. 

Heidelberg 140. 328. 828. 

Helsingfors 768. 

Innsbruck 20. 471. 768. 

Jassv 808. 872. 

Jena 39. 140. 160. 367. 470. 536. 556. 687. 708. 768. 1060. 

Kasan 240. 260. 428. 

Kiel ISO. 220. 

Kiew 3S8. 448. 

Klausenburg 496. 

Künigsberg 39. 60. 139. 180. 348. 407. 627. 1000 
Konstantiuopel 260. 

Kopenhagen 608. 

Krakau 120. 448. 516. 576. 618. 708. 748. 768 1020. 

Lausanne 1019. 

Leiden 608. 

Leipzig 40. 180. 387. 688. 

Lille 368. 628. 728. 

Lissabon 448. 

Liverpool 608. 728. 

Madrid 748. 808. 1000. 

Manchester 608. 728. 

Marburg 328. 496. 556. 956. 

Moskau 20. 2G<>. 496. 536. 956. 

München 240. 308. 328. 348. 556. 872. 936. 1020. 

Nantes 608. 

Neapel 788. 980. 

Newcastle 956. 

New-York 916. 

Padua 608. 728. 

Palermo 471. 

Paris 160. 180. 648. 

Parma 1020. 

Paria 708. 1000. 

Petersburg 180. 260 408. 471. 49C. 556. 916. 936. 1020. 

Pisa 100. 308. 1020. 

Poitiers 728. 

Prag 688. 848. 

Rio de Janeiro 788. 808. 

Rom 100. 708. 768. 

Rostock 448. 

Siena 1000. 

Stockholm 728. 

Strassburg 20. 139. 

Tomsk 576. 7G8. 808. 

Tours 120. 

Tübingen 60. 367. 536. 

Turin 708. 

I trecht 536. 

Valencia 648. 

Warschau 368. 

Wien 20. 80. 239. 240. 348. 368. 388. 576 628. 648. 708. 748. 768. 788. 
Würz barg 20. 200. 348. 536 576. 608. 627. 648. 687. 

Zürich 100. 200. 556. 

Rheinische Publicistik 40. 100. 120. NO. 160. 180. 240. 368. 408. 471. 496. 

516. 628. 668. 687. 896. 936. 980. 1000. 1020. 

Htdicinischer Unterricht 387. 

Rdicinisch-chemiscbe Curse, Leitfaden von Knssel 507. 

IWito-mechanisches Institut in Berlin 847. 

Rlaena neonatorum 432. 762. 

JMaii.*a r k..m 276. 1063. 


I Meldewesen bei iufectiösen Krankheiten 844. 

Meningitis cerebrospinalis, Therapie 893. 

— —, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

— — epidemica in Hamburg 771. 886. 

--, tuberculöse, Therapie 33. 576. 

Meuingocele der Regio occipitalis 445. 

Mercurialismus, chronischer 134. 

Metastatisches Sarkom des Unterkiefers 385. 

Methylchloryr als Anaesthelicuin 79. 

Methyiviolettreactiou des Magensaftes bei Mageucarcinom 137. 

Metrorrhagie, Therapie 576. 807. 

Meyerhoff + 447. 

Migräne, Therapie 470. 626. 767. 913. 1040. 
j Mikroben, morphologische Variation 428. 
j Mikroorganismen im künstlichen Selterwasser 700. 

| Mikrophotographie 274. 991. 

Mikroskopische Anatomie, Lehrbuch von Stöhr 784. 

—, Arbeiten, Tabellen zum Gebrauch bei denselben 721. 

Milch, Eisengehalt 385. 

— als Nährboden 1056. 

Milchcur bei Behandlung der Albuminurie 1054. 

Milchdrüse, normale und pathologische Anatomie 251. 

Milchreis als fester Nährboden 833. 

Milchsäure bei Laryuxtuberculose 146. 939. 988. 1011. 1030. 1051. 
Milchsterilisirung 431. 

Miliartuberculo.se, acute 1068. 

Militärärztliche Bildungsanstalten 6(57. 

Militärsanitätsweseu, Rückblick auf das Jahr 1887 1057. 1078. 

Milzabscess, operativ geheilter 793. 

Milzechinococcus 487. 1003. 

Milzexstirpation 348. 

Milztumor, pulsireuder 386. 

Milztumorcu, Diagnose chronischer 570. 

Mineralwasser, Einfluss kochsalz- und glaubersalzhaltiger auf den Stoff¬ 
wechsel 137. 

Mineralwassercompositionen, Herstellung 821. 

Missbildung der Unterschenkel und Küsse 38t. 

Missbrauch geistiger Getränke, Verein 365. 748. 808. 

Mitosen, Keagentien zur Fixirung derselben 824. 

Mittelohreiterungen, Diagnostik 902. 

—, Therapie 129. 696. 

Monuinenta ophthaimologica germanica 687 
Morbilli adultorum 352. 

Morbus Addisonii 35. 510. 950. 

— Basedowii 35. 73. 322. 687. 729. 950. 

— Brightii 1020. 1054. 

— maculosus Werlhofii 532. 

Morgagni, die pathologische Anatomie und Physiologie desselben 639. 
Morphiumentwühnuug 300. 

Morphium- und Cocainentziehungen 715. 

Morphologische Variation der Mikroben 428. 

Morrhuol 98. 

Mortalitätsstatistik 178. 257. 766. S26. 891. 976. 

Moskau, medicinische Facultät, s. mediciuische Faeultäten. 

Motorische Region, Veränderung der Körpertemperatur nach chemischer 
Reizung derselben 863. 

— Thätigkeit des Magens 962. 991. 

München, mediciuische Facultät. s. medicinische Faeultäten. 

Multiple Exostosen 511. 948. 

— Fibrome der Haut 705, 

— Myositis bei Neuritis 449. 

Multipler Pigmentkrebs 510. 

Mundhöhle, Rachen und Nase, Krankheiten derselben 823. 

Mundpilze 612. 

Muscarin-Lungenödem 57. 

Muscatnüsse, Intotixation durch dieselben 158. 

Musculus crico-arytaenoideus lateralis, isolirte Lähmung desselben 134. 

— tensor tympaui, Function desselben 238. 

Musikalische Störungen bei Aphasie 605. • 

Musiksinn der Idioten 801. 

Muskeln, ungewöhnliche Entwickelung derselben 93 
Muskelarbeit, Physiologie 741. 

! Muskelatrophie, progressive 604. 

1 Muskellähmung, ischaemische 385. 

* Muskelphysiologie 15. 

1 Mycosis fungoides 1077. 

: Mydriasis, Behandlung 426. 

Mykologie, Lehrbuch der pathologischen von Baumgarten 211. 

Myofibrom des Uterus 995. 

Myome, regressive Metamorphosen und Struohir 602. 

| Myornectomie 822. 

I Myomotomie 602. 

Myopie, Abhängigkeit vom Sehädelbau 994. 

1 Myositis, acute multiple bei Neuritis 449. 550. 

| — ossificans lipomatosa 733. 
j Myotomie uud Castrafion bei Fibromen 177. 

Myotus rnurinu$, Entwickelung der Placonta 881. 

Myxoedem 411. 930. 

Nachgeburtszeit, Behandlung 466. 

Nachfieber bei Scharlach 540. 

I Nachfolgender Kopf 466. 


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XVI INHALTS-VERZEICHNISS. 


Nährboden, Färbung desselben zu bacteriologischen Versuchen 76. 
Nährböden aus Milch und Milchreis 833. 1056. 

Nahrungsmittelverfälschuug 872. 

Nantes, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Naphthalin gegen Durchfall der Kinder 405. 

— bei chronischer Enteritis 1059. 

Naphthalinharn 425. 

Naphthol gegen Ozaena 893. 

—, Gefahren der Einspritzung in die Venen 555. 

(Narcein 19. 626. 

Nase, Jodolbehandluug tuberculöser Erkrankungen derselben 157. 
Nasenbluten infolge Nieskrampf 827. 

—, Therapie 607. 1039. 

Nasendiphtheritis, Therapie 889. 

Nasenkatarrhe, Therapie 726. 

Nasenrachenraum, Erkrankungen desselben 380. 

Nasenschleimhaut, Croup derselben 66. 

Nasenspeculum 617. 

Nasopharyngealpolypen 803. 

Natrium benzoicum gegen Urämie 199. 

Natrium salicylicum bei acutem Gelenkrheumatismus 495. 
Natnrforscherversammlung, deutsche, s. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aezte. 

—, polnische 80 648. 802. 

—, ungarische 768. 

Naturforschung und Schule 952. 

Naturwissenschaftlich-medicinischer Verein in Strassburg 994. 

Neapel, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Nebenhoden, pseudogonorrhoischo Entzündung 1077. 

Neisserscher Gonococcus 717. 805. 

Nephitis bacillosa imerstitialis primaria 137. 

— haemorrhagica 802. 

—, parenchymatöse der Kinder 217. 

— nach Scharlach 685. 

Nephrolithotomie 4. 

Nervendurchschneidung, Verschwärung«- und Wuchernngsvorgängc nach der¬ 
selben 591. 

Nervenfasern, Verhalten in multiplen Fibromen der Haut und Neuronion 705. 
Nervensystem, syphilitische Erkrankungen 571. 

Nervenverletzungen, Ernährungsstörungen nach denselben 754. 

Nervenzellen, Granula in denselben 36, 

Nervina 258. 

Nervöse Störungen im Harnapparat 928. 

Nervus opticus, Anatomie 605. 

— —, Schussverletzung 445. 

— ulnaris, Verletzungen desselben 641. 

Neuralgia phrenica ex traumata 316. 

Neuraslhenia sexualis beim Manne 746. 

Neurasthenie 13. 78. 913. 

— nach Eisenbahnunfällen 194. 245. 

Neuritis 1013. 

—, acute multiple Myositis bei derselben 449. 

— multiplex 418. 

— optica 403. 

— — specifica 883. 899. 

— optici, symptomatische 571. 

Neurofibrom 706. 

Neurologen und Irrenärzte, Wanderversammlung der südwestdeutschen 428. 

571. 604. 

Neurome 705. 

Neuropathische Störungen nach Kopfverletzungen 393. 

Neurosen nach gynäkologischen Operationen 735. 

— des Magens 971. 

Netzhautablösung 485. 

Netzhautgefasse, sklerotische Veränderungen 571. 

Newcastle, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

New-York, College of Physicians, s. medicinische Facultäten. 

Nicotin, Einfluss auf die Schwangerschaft 828. 

Niederiheinische.Gesellschaft für Natur- und Heilkunde 348. 

Niedrigste Lebewesen, Bedeutung als Krankheitserreger 550. 
Nierenaffectionen bei Kindern 809. 838. 

Nierenepithel, seeretorisches 424. 

Nierenepithelien, Regeneration 251. 

Nierenepitheliom mit Steinbilduug 260. 

Nierenexstirpatiou 212. 275. 985. 

Nierenkolik, Therapie 767. 

Nierensteineinklemmung 4. 

Niorentuberculosc 909. 

Nieskrampf, Nachblutung aus der Nase nach demselben 827. 

Nitroglycerin bei Epilepsie 915. 

— gegen Migräne und Cephalalgie 626. 

O. 

Obersalzbrunn 848. 

Obstipation, s. Stuhlverstopfung. 

Oculomotoriuslähmung nach Schädeiverletzuug 556. 

Oedem auf spinaler Basis 1015. 

— der Haut, acutes umschriebenes 746. 

Oertel’sches Heilverfahren 267. 

Oesophagusstricturen, Behandlung mit Dauercanülen 289. 

Oesterreichischer Aerztevereinstag 648. 

Oesterreichisches Sanitätswesen 896. 


Ohr, eiterige Processe desselben 902. 

—, Pflege und Behandlung 702. 

Ohrelektrode 495. 

Ohrenheilkunde, Handbuch von Kirchner 463. 

Ohrfurunkel 559. 

Oleum cinereum gegen Syphilis 769. 

Olivenöl gegen Leberkolik und Gallensteine 343. 535. 848. 
Ophthalinoblennorrhoea neonatorum 17. 953. 

Ophthalmologencongress, internationaler 160. 427. 515. 683. 704. 722. 
Ophtalmologic, Rückblick auf das Jahr 1887 271. 

Ophthalmoskopie, Handbuch von Schmidt-Rimpier 822. 
Ophthalmoskopische Diagnostik 486. 

\ Opium bei kleinen Kindern 648. 

Opiumtinctur, Verlust des Sehvermögens nach Gebrauch derselben 838. 
Oppenheim’sches Sanatorium in Berlin 807. 

Ordensfest 79. 

Osteoklasie 490. 

Osteomalacie 602. 624. 

Osteomyelitis 682. 931. 949. 1035. 

Osteosarcom des Femur 343. 

Osteotomie 215. 

Otitis externa ex infectione 332. 

Otologencongress, internationaler 1019. 

Otorrhoe, Borsäurebehandlung 129. 696. 

Ovarien, Herzneurosen bei Erkrankungen derselben 805. 

Oxalsäurevergiftung 321. 

Ozaena, Therapie 893. 

P. 

Padieu + 556. 

Padua, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Palermo, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäteu. 

Pankreas, primäres Sarkom 901. 

Pankreascarcinom 777. 793. 

Paukreasextract bei atrophischem Magenkatarrh 1076. 

Papaiu zur Förderung der Verdauung bei Dyspepsieen 977. 

Paraldehyd bei Erbrechen 998. 

Paraphimose, Therapie 893. 

Paralyse, progressive, Zusammenhang mit Syphilis 913. 

Paralysie pyocyanique 556. 

Paraplegie nach fibrinöser Pneumonie 386. 

— nach einem Schlage auf den Schädel 377. 

Paralytische Deformität 4: 0. 

Parenchymatöse, acute 156. 

Parenchymdegeneration der zurückgebliebenen Niere beiNierenexsfirpation 985. 
Parfüm, Einfluss auf den menschlichen Organismus 408. 

Paris, medicinische Facultät, s medicinische Facultäten. 

Pariser Briefe 358- 483. 

Parma, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Paroxysmale Haemoglobinurie 668. 1038. 

Parthenicin 1018. 

Partus praematurus 70(1. 

Pasteur’scho Wuthimpfungen, s. Hundswut h. 

Pasteur-Institut 160. 979. 

Patellarfracturen 394. 421. 445. 532. 

Pathologische Anatomie und allgemeine Pathologie, Rückblick auf das 
Jahr 1887 130. 

Paukenhöhle, Veränderungen bei Perforation «ler Shrapnell’schen Mem¬ 
bran 925. 

Pavia, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Pediculi, Therapie 279. 787. 

Pellagra, die nervösen Störungen bei derselben 222. 

Pemphigus, Aetiologie 1078. 

—, Therapie 575. 

Penis, Tuberculose desselben 1074. 

Pentamethylendiamin 477. 

Peptonpraeparate 1033. 

Peptonurie in der Schwangerschaft 613. 

Percussionstheorie, Fl ei sc hl’sehe 402. 

Perforativperitonitis 303. 956. 

Pericarditis, Aetiologie 897. 

Pericardium, chylöse Flüssigkeit in demselben 1018. 

Perichondritis laryngea 75. 

Perineale Drainage der männlichen Harnblase 105. 

Perineoplastik 345. 466. 629. 

Peripheres Geruchsorgan der Säugethiere 599. 

Periphere Nerven, Entzündung derselben 418. 

Peritonitis, chirurgische Behandlung 812. 

—, Laparotomie bei tuberculöser 177. 

Perlmutterdrechsler, multiple recidivirende Knochenentzüdung derselben 404. 
Personalien 20. 40. 60. 80. 100. 120. 140. 180. 200. 220. 240. 260. 280. 
308. 328. 368. 388. 408. 428. 448. 471. 496. 516. 536. 556. 576. 608. 
628. 64S. 668. 688. 708. 728. 748. 788. 808. 848. 872. 896. 916. 936- 
956. 980. 1020. 1040. 1060. 1030. 

Pessarien 603. 

Petersburg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 
v Petteukofer, 70. Geburtstag 1019. 

Phagocytose 399. 880. 

Pharmakognosie, anatomischer Atlas von Vogl 485. 

Pharyngitis, acute, infectiöse 276. 

Pharyngitis, diphtherische 1040. 

Pharynx, acute, infectiöse Phlegmone desselben 35. 73. 

Phenacetin 661. 767. 1018. 1027. 1048. 


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ISIIA I.TS -VERZEICHN ISS. XVII 


Phlegmone, acute, iufectiöse des Pharynx 35. 73. 

Phlyctaenuläre Augenentzündung 847. 

Phosphor, therapeutische Wirkung 179. 

Photogramme pathogener Mikroorganismen 343. 

Photographiren des Auges bei Magnesiuinldil?. 259. 

Phrenasthenie 800. 

Phthise, s. Lungentuberculose. 

Phthisis florida 1068. 

Physikatsprüfung 470. 

Physiologencongress, internationaler 516. 

Physiologische Albuminurie 137. 

Pigmentkrebs, multipler 510. 

Pilocarpin subcutan gegen urämische Convulsionen 555. 

Piper methysticum 38. 

Pisa, medicinische Facultät, s. mpdiciuische Facultäten. 

Piscidia Erythrina 19. 

Placeuta, Entwickelung in den frühesten Stadien 623. 

— von Myotus murinus 881. 

— marginata 622. 

— praevia 603. 806. 

Placentarlösung 466. 

Pleura, primäres Sarcom derselben 52. 

Pleuritis, Behandlung der serösen 175. 

Plötzliche Todesfälle bei Psychosen 801. 

— — im Säuglingsalter 429. 

Pneumatische Kammern, Anwendung bei Herzleiden 1066. 

Pneumonie 101. 123. 149. 166. 187. 207. 386. 446. 607. 684. 686. 911. 1059. 

— während des fötalen Lebens 1080. 

Pneumonie, eine neue Form infectiöser 200. 

Pneumonie, Paraplegie nach fibrinöser 386. 

Pneomonieen, rudimentäre und larvirte 197. 

Pocken, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

Pockentodesfalle, Statistik 741. 

Poirier + 728. 

Poitiers, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Poliklinischer Unterricht 11. 31. 53. 54. 69. 70. 91. 758. 778. 
Pollutionsartige Vorgänge beim Weibe 804. 

Polnische Aerzte und Naturforscher, Congress 80. 648. 302. 

Polymyositis 995. 

— acuta progressiva 16. 

Polyneuritis 418. 

Polypen des Larynx 34. 36. 

Pons Varoli, Erweichungsherd 703. 

Porrooperation 643. 

Portiocareinom, Verhalten der Schleimhaut des Fundus Uteri bei dem¬ 
selben 623. 

PostTaccinale Hauteruption 463. 

Praecorneales Gefässnetz 556. 

Praeventivimpfung gegen Cholera 727. 808. 

— gegen Hundswuth 60. 200. 240. 428. 748. 1075. 

Prag, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

—, Verein Deutscher Aerzte. 424. 643. 

Pramberger f 120. 

Preisausschreiben 180. 220. 260. 576. 628. 648. 728. 828. 956. 
Preussiscber Medicinalbeamten-Verein 407. 687. 843 
Priapismus 1040. 

Privatärztliche Zeugnisse 974. 

Privatirren&nstalten, MinisterialVerordnung 800. 866. 723. 

Processus vermiformis, Perforation durch einen Kothstein 564. 

Progressive Muskelatrophie 604. 

Progressive Paralyse, Zusammenhang mit Syphilis 913. 

Prolapsus recti 950. 

— uteri, Therapie 762. 802. 

— — vaginale Ligatur 817. 

Prostata, Galvanopunctur 414. 470. 

Prostatahypertropbie 424. 444. 511. 553. 930. 

— und Prostatatumoren 343. 

Prostitution, Strafen für dieselbe in Finnland 576. 

Proteus hominis 405. 

Pruritus pudendi 955. 

— vulvae 199. 

Pseudarth rosen 1039. 

Pseodoegyptische Aagenentzündung 426. 

Pseudogonorrhoische Entzündung der Harnröhre und des Nebenhodens 1077. 
Pseudoleukimie 995. 

Pseudomyxoedem 640. 

Pseudostimmc nach Ausschaltung des Kehlkopfes 1061. 

Psoriasis, Aetiologie 446. 

— linguae mit Carcinom 861. 

— bei Tabes dorsalis 889. 

Psychiatrie, Lehrbuch von v. Krafft-Ebing 798. 

—, Leitfaden von Koch 402. 

Psychiatrischer Verein in Berlin 39. 707. 

Psychosen der Einzelhaft 572. 

— in Folge Operationen am weiblichen Genitalapparat 466. 

—, plötzliche Todesfälle bei denselben 801. 

Ptomaine 383. 

Ptoris congenita 950. 

Poerperale Eklampsie 387. 

— Mastitis 261. 

— Sepsis 387. 1020. 

Pn<-q.eralfiel*er. Aetiologie 572. 


Puerperalfieber, Verhütung 389. 

Puerperalfieberfrage 202. 228. 

Pulmonalstenose 295. 

Punctionsapparat für pleuritische Exsudate 175. 

Purpura haemorrhagica in Folge Schrecks 280. 

Pyämie nach Scharlach 943. 

Pyelonephrose 863. 

Pylorusstenose 860. 

Pyopneumothorax tuberculosus 649. 

Pyridin 19. 667. 

<*• 

Quebrachinum hydrochloricum 38. 

Quecksilber, Wirkung desselben auf den Darm 227. 

Quecksilbersublimat als Antisepticum 305. 

Quecksilbervergiftung, acute, Dickdarnient/.ündung bei derselben 41. 213. 

R. 

Rabies, s. Hundswuth. 

Racheukatarrh, Therapie 138. 

Rachentonsille 1036. 

Radialislähmung 910. 

Radialpuls, Veränderungen während und nach Aenderung der Körnerstel¬ 
lung 485. 

Railway-spine 194. 241. 

Rankenneurosen 706. 

Rauchen 388. 1020. 

Rauschbrand 364. 724. 

Rea Agnew + 408. 

i Realencyclopädie der gesammten Heilkunde von Eulen bürg 72. 133. 343. 

I Recepttaschenbuch von Silbermann 1040. 

! —, Wiener von Wiethe 175. 

; Rectum, Anatomie des menschlichen 274. 

—, Carcinom desselben 275. 

Reductionsvermögen der Baeterien 76. 

Reflexerscheinungen bei neugeborenen Kindern 96. 

Reflexhusten 247. 

Refraction 683. 

Regeneration 251. 

Reichsimpfgesetz, Commentar, von Rapmund 936. 

Repertorium der Chemie von Aruold 253. 

Resectionen, Ernährungsstörungen nach denselben 216. 

Resorbirbare antiseptische Tamponade 791. 

, Resorcin bei Krebsaffectionen 58. 955. 

— bei Nasenkatarrhen 726. 

! Resorption corpusculärer Elemente durch Lungen und Pleura 759. 
Respirationsapparat, Behandlung der Krankheiten desselben 1038. 

Retinitis syphilitica 884. 

Retroflexio uteri 603. 817. 1075. 

Retroperitonealer Tumor 762. 

Retropharyngeale Abscesse, Therapie 767. 

Revue des Sciences medicales 798. 
j Rheostatelektrode 494. 

I Rheumatismus, Therapie 335. 355. 
j — nodosus 519. 

Rhinologencongress, internationaler 1019. 

. Rhinoplastik 322. 444. 467. 

Richtungskörper 549. 

Ringelhaare 490. 

Rinne’scher Versuch 57. 

Rio de Janeiro, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Rom, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Rosenthal, 50jähriges DoctorjubiJäum 496. 

Roser f 1060. 

Rostock, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten 448. 

I Rothe Blutkörperchen, Resistenz 256. 

Rotz bei Waldmäusen 364. 

Rotzbacillen 606. 

Rudimentäre Pneumonie 197. 

Rückblick auf die Bacteriologie des Jahres 1887 658. 675. 697. 719. 738. 757. 

— auf die Chirurgie der letzten Jahre 462. 481. 505. 528. 

— auf das Militärsanitätswesen des Jahres 1887 1057. 1078. 

— auf die allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie des Jahres 

1887 130. 

Rückenmark, combinirte Degeneration 683. 

—, Heterotopie der grauen Substanz desselben 36. 

Rückenmarks8äule, Syphilis derselben 508. 

Rückenmarkssyphilis, hereditäre 36. 

Rückenmarkstumor, Excision 495. 

Rühle f 607. 626. 

Ruminatio bumana 406. 

Ruptura uteri 24. 622. 806. 1076. 

Russische Aerzte 253. 

—, Congress 220. 

8 . 

Saccharificirende Fermente 197. 

Saccharin 279. 327. 533. 556. 934. 935. 955. 977. 

Sachsen, Medicinalwesen 766. 

Sackniere 369. 398. 417. 437. 

Salicylsäure, desinficirendc Eigenschaften 326. 

-- und Snlol heim acuten Gelenkrheumatismus 23. 


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XVIII IX n ALTS -V ERZEICIIXISS. 


Salzsäurenachweis im Magen, Bedeutung für die Krebsdiaguose 968. 
Salicylsaures Quecksilber 998. 

Salol 19. 23. 619. 807. 

Samariterverein 515. 

Sammelforschun» 260. 628. 

Sanatorium für Brustkranke in Berlin 39. 

Sanct Blasien 1060. 

Sanct Moritz 404. 

Sanitätsdienst in Böhmen 120. 

Sanitätswesen, Generalberichte 137. 305. 469. 766. 

— in Oesterreich 896. 

San Kemo, Deutsches Krankenhaus 748. 

Santoninoxym 575. 

Sarcomatosis 74. 

Sarkom der Diploe 910. 

— des Pankreas 901. 

— der Schultergegend 304. 

— der Tonsille, des Gaumenbogens und Pharynx 931. 

—, metastatisches des Unterkiefers 384. 

—, primäres des Herzens 1073. 

—, — der Pleura 52. 

Sarkome, blutreiche 345. 

Säugethiere, peripheres Geruchsogran derselben 599. 

Säuglingsalter, plötzliche Todesfälle 429. 

Säuglingssterblichkeit 257, 721. ; 

Säurenachweis im Mageninhalt 157. 969. 

Scarlatina, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

Schablone des menschlichen Gehirns zur Eintragung von Sectionsbefunden 175. 
Schädelbildung und Refraetion 683. 

Schädelfractnr 444. 640. i 

Schädellage. Geburtsmechanismus bei derselben 622. 

Schädellücken im frühen Kindesalter 464. 553. 

Schädelsynostosen, Diagnose praematurer 213. 

Schädelwunden 4S7. 

Scharlach, chirurgischer 1063. 

—, Nachfieber bei demselben 540. 

—. Pyäraie nach demselbeu 943. 

Scharlachkranke, Plasmodien im Blute derselben 363. 

Scharlachnephritis 685. 

Scheidencysten 453. 

Scheideumastdarmfistel 467. 

Scheidensarkom, polypöses kleiner Kinder 622. 

Schichtstaar 238. 

Schiefhals, muskulärer 490. 

Schielen, Therapie 873. , 

Schiffer + 180. 199 

Schiffshygiene 768. ^ 

Schilddrüse, Erkrankungen derselben SSO. 

—, Physiologie 13. 93Ü. 

Schimmelpilze, pathogene 981. 

Schlafmittel, s. Hypnotica. 

Schlangenbiss, Therapie 555. 

Schleimhautaffection, gonorrhoische beim Weibe 876. 

Schleimhautkatarrhe, Therapie 818. 

Schleimhauttransplantation 324. 

Schlesischer Bädertag 1060. 

Schlottergelenk 490. 

Schnürlappen der Leber 1039. ; 

Schorf, Wundbehandlung unter dem trockenen aseptischen 467. 

Schreck, Purpura haemorrhagica infolge desselben 280. 

Schritt in den verschiedenen europäischen Armeen 916. 

Schroeder, Aufstellung der Büste desselben in der Berliner Universitäts- * 
frauenklinik 447. 

Schrott er’sehe Dilatationsraetbode 843. 

Schrumpfniere 685. 

Schule, Einfluss auf die physische Entwickelung 728. 

Schulhygiene 1080. 

Schulreform 120. 952. j 

Schussverletzung des Nervus opticus 445. 

Schussverletzungen, Todesursachen nach denselben. 75. 

.Schutzpockenimpfung s. Vaccination. 

Schwangerer Uterus, Anatomie 1071. 

Schwangerschaft, Peptonurie bei derselben 613. 

— und Geburt, complicirt mit Tumoren der Beckenorgane 1001. 

Schwefelblüthe gegen Ischias 648. I 

Schwefeldünste bei Lungenphthise 827. 

Schwefelkohlenstoff gegen Elephantiasis 495. 

Schwefelräucherungen gegen Keuchhusten. 

Schwefelsäure-Injection und Inhalation gegen Lungenphthise 179. 
Schwefelwasserstoffausscheidung im Urin 181. 

Schwefel-Carbolsäure als Desinfectionsmittel 121. 

Schwefligsaurer Kalk gegen Lungenschwindsucht 1018. 

Schweinfurter Grün, tödtliche Vergiftung mit demselben 569. 
Schweissabsonderung bei acuten Infectionskrankheiten 987. 

Schweisse der Phthisiker, Therapie 555. 

Sechslinge 725. 

Secretorisches Nierenepithel 424. 

Sectio alta 445. 692. 1076. 

— caesarea, s. Kaiserschnitt. 

Seeklimatische Curen für neurasthenische und anaemische Kinder 78. 
Seekrankheit mit Bildung von Querfurchen auf den Nägeln 348. 

—Therapie 158. 495. 867. 


Sehhügel, Bedeutung derselben 439. 

Sehnennaht und Sehnenplastik 1039. 

Sohnervendegeneration und Sehnervenkreuzung 619. 

Selterwasser, Mikroorganismen in demselben 700. 

Sernmelwei8, Ignaz Philipp, eine geschichtlich-medicinische Studie 1032. 
Sensible Nerven, Verbindung mit dem Zwischenhirn 605. 

Sensorische Aphasie 665. 

Sepsis, acute 56. 

—, peritoneale, chirurgische Behandlung 812. 

—, puerperale 387. 1020. 

—, Immunität gegen dieselbe 724. 

Septicopyämie, kryptogenetische 684. 

Septische Infection von den Rachenorganen aus 57. 

Seröse Häute, Tuberculose 1037. 

Serratuslähmung, doppelseitige 860. 

Sexualorgene, Blennorrhoe derselben 661. * 

Shrapnell’sche Membran, Perforation 925. 

Simulation 989. 

Singultus, Therapie 426. 977. 

Sinnesempfindungen, Einfluss einer Sinueserregung auf die übrigen 905. 
Sinnilotinctur 1040. 

Situs transversus viscerum 886. 

Sklerose, multiple inselförmige des Centralnervensystems 301. 

Skoliose, Behandlung 338. 

Smegmabacillen 932. 

Snowden f 576. 

Solanin 807. 

Sonnenkalb + 20. 

Soolquellen in Berlin 607. 

Soyabohne 495. 

Spanischer klimatologischer C'ongress 220. 

Spannungselektricität 161. 211. 

Sparteinum sulfuricum 37. 575. 

Spasmus glottidis, bedingt durch Aortenaneurysma 158. 

Speculum für gynäkologische Zwecke 312. 

Spirillen, Reinculturen neuer 214. 215. 

Sport, Physiologie der Muskelarbeit 741. 

Staaroperation 704. 

Staphylorrhaphie 680. 996. 

Stauungspapille 403. 

Steinbach's Formulare zur Geschäfts- und Buchführung des praktischen 
Arztes 916. 

Steinthal, 90. Geburtstag 895. 

Stenocarpin 306. 

Sterbetafeln 257. 

Stereoskopische Bilder von Kroll 784. 

Sterilisirungsapparate 308. 431. 

Stettin, Verein der Aerzte des Regierungsbezirks 848 
Stichwunden des Gehirns 251. 

Stielversorgung nach supravaginaler Amputation des Uterus 491. 

Stockholm, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

—, Jahresbericht des Krankenhauses Sabbatsberg 33. 

Stoffaustausch zwischen Mutter und Frucht 465. 

Stoffwechsel, Einfluss kochsalz- und glaubersalzhaltigen Mineralwassers auf 
denselben 137. 

—, Einfluss des Krankenheiler Quellsalzes auf denselben 457. 

Stomatitis uleero-gangraenosa 40. 

Strabismus 683. 

Strassburg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

—, Naturwissenschaftlich-medicinischer Verein 994. 

Strassenbefestigung und Strassenreinigung 846. 

Stricturen der Harnröhre 947. 

Strophanthus hispidus 37. 79. 141. 170. 470. 648. 

Strychnin gegen Alkoholismus 648. 

— gegen Seekrankheit 158. 

— als Hypnoticum 1080. 

— und Alkohol, Antagonismus 217. 

Studium der Medicin und die Frauen 887. 

Stuhlverstopfung, Einfluss der Körperhaltung bei der Defäcatinn 808. 868. 
—, Therapie 346, 469. 

Subcorticalo Ganglien 604. 

Subcutane Injeetionen, Technik 139. 406. 687. 

— Knotenbildung bei acutem Gelenkrheumatismus 519. 

Subjective Gehörsempfindungen, Behandlung 908. 

Sublimat zur Zerstörung von Warzen, Condylomen etc. 279. 

Sublimatcolitis 35. 41. 213. 

Sublimatfrage 411. 828. 

Sublimatlösung gegen Blasenkatarrh 1059. 

Sublimatenteritis 443. 

Sublimatdämpfe als Desinfectionsmittel 304. 

Subluxation beider Hände 861. 

Subphrenischer Abscess 1042. 

Succinimidquecksilber 998. 

Südwestdeutsche Neurologen und Irrenärzte, Wander.versammlung 428.571.604. 
Suggestion, s. Hypnotismus. 

Sulfonal 327. 499. 514. 605. 707. 725. 868. 

Supravaginale Amputation des Uterus 491. 

Symmetrische Gangrän 65. 

Sympathische Augenentzündung 73. 

Symphyse, partielle Resection 444. 

Synovialis, Exstirpation an der hinteren Wand des Kniegelenks 572. 
Syphilis, Compendium von Hutchinson 1013. 


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INHALTS-VERZEICHNISS. XIX 


Syphilis. Lehrbuch von v. Zeissi 947. 

—, Prophylaxe 928. 

Therapie 94. 258. 490. 635. 769. 786. 787. 856. 933. 998. 1076. 
—, Wesen und Verlauf 928. 

—, Zusammenhang mit progressiver Paralyse 913. 

—, hereditäre des Hirns und Rückenmarkes 36. 

— innocentium 446. 

— der Wirbelsäule und der Rückenmarkssäule 508. 

Syphilisbacillen 932. 

Syphilitische Augenleiden 878. 

— Erkrankung der Conjunctiva palpebrarum 135. 

— Erkrankungen des Nervensystems 571. 

— Wirbelaffection 553. 

•Syringomyalie 424. 745. 

Syrupus ferri jodati, Zersetzung durch Kalium chloratum 555. 

T. 

Tabakamblyopie 388. 

Tabakmissbrauch 347. 

Taltellen zum Gebrauch für Mediciuer vou Vierordt 798. 

— zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten 721. 

Tabes dorsalis, Herzkrankheiten bei derselben 397 917. 929. 

— —, Pathologische Anatomie 163. 

— —. Accessoriuslähmuug bei derselben 365. 

— —. Psoriasis bei derselben 889- 

— —, Ungleichheit des Kuiephaenomens 1076. 

Taenia cucumerina 624. 

— nana und Taenia elliptica 136. 137. 

Talcum gegen chronische Diarrhoe 807. 

Tamponade, antiseptische resorbirbare 791. 

Tannin gegen Magendilatation 977. * 

— bei örtlicher Tuberculose 827. 

Tartarus stibiatus bei Pneumonie 446. G86. 

Taunus, die Heilquellen desselben 381. 

Teneriffa. Heilstätte 516. 

Tenon’sche Kapsel, idiopathische Entzündung 670. 

Teplitzer Quellenkatastropbe 214. 

Terpentin gegen Carcinom 58. 

T»rpentindämpfe als Prophylacticum gegen Phosphornekroso 896. 

Terpentinöl, Darreichungsform *'•06. 

— bei Diphtherie 98- 

Terpentin-'liampons geg< n Nasenbluten 1039. 

Terrain- und Bergsteigeapparate 1031. 

Tetanie 1037. 

Tetanus. Aetiologie 257. 

— neonatorum 176. 

—, traumatischer 1063. 

Theenrasser gegen Haeraorrhagieeu 787. 

Theeverfalschungen 536. 

Thein 1018. 

Theophyllin 496. 

Tomsen'scbe Krankheit 664 
Thrombose 55. 325. 

Tbuilber-Denkmal 516. 

Thymol, desinficirende Eigenschaften 326. 

Todesfälle, plötzliche im Säuglingsalter 429. 

Todtenschau des Jahres 1887 19. 

Todtenschau des Jahres 1888: 
v. Adelmann 515. 

Baader 220. 

Balogh 628. 
v. Bamberger 955. 977. 
de Bary 80. 98. 118. 

Bertbold 120. 

Blot 239. 

Bohn 139. 

Brochin 308 
Bndge 607. 
de Chaumont 368. 

. Clausius 728. 

Curling 576. 

Daily 40. 

de la Dardye 408. 

DIauby 668. 

Domville 648. 

Ediund 728. 

Farre 20. 

Fienzal 668. 

Fothergill 608- 
Garnett 648. 
v. Gietl 259. 

Gream 668. 

Gnmbinner 1000. 

Haas 406. 

Haeckermann 896. 

Hagen 536. 

Hannosset 471. 

Heiberg 408. 

▼. Holst 260. 

Kierulf 1019. 

Kilcher 536. 

I.augerhaus 648. 668. 


Laschke witsch 628. 

Lenhossek 1040. 

Lorent 980. 

Martineau 239. 328. 

.Meyerhoff 447. 

Padieu 556. 

Poi rier 728. 

Pramberger 120. 

Rea Agnew 408. 

Roser 1060. 

Rühle 607 626. 

Schiffer 180. 199. 

Show den 576. 

Sonuenkalb 20. 

Toinmasi 628. 

Torres 260. 

Tuke 556. 

Vanzetti 40. 

Wagner 139. 217. 

Wert he im 60. 

1 Tommasi t 628. 

Tomsk, medicinischc Faeultät, s. medicinisclie Pacultäten. 

| Tonica 258. 

, Tonsillitis, acute parenchymatöse 893. 

Torres + 260. 

' Totalnekrose, experimentelle 1035. 

( — nach Osteomyelitis 1035. 

, Tours, medicinischc Faeultät, s. medicinische Facultäteu. 

Tracheale Ozäna 280. 

! Trachea, lokale Behandlung der Erkrankungen derselben 158. 
j Trachealtumoren 86. 

Tracheotomie bei Croup und Diphtherie 890. 

— Gei Larynxstenosc 843. 

—. Nachbehandlung 121. 

—, Statistik 253. 

Trachom 1076. 

Transfusion bei Kohlenoxydvergiftung 1033. 1041. 1054. 

— indifferenter Flüssigkeiten in die Blut bahn 217. 

, Traumatische Epiphysentreunung 1039. 

I — Lähmung, gleichzeitige der Nervi radiales, ulnares und modiatii 186. 

— Lungenhernie 1017. 

' Traumatischer Tetanus 1063. 
j Trefusia 139. 
i Trepanation 384. 393. 
i Trichinenschau 748. 

Trichinose, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

1 Trichterbrust 732. 

Trigeminus, Beziehungen zur Athmung 255. 

Trigeminusresection 444. 

Trimethylcarbiuol 217. 

Trinkbranntwein, Fuselgehalt 515. 

Tripperrheumatismus, Therapie 59. 

Trismus und Tetanus, Aetiologie 257. 

Trismus sive Tetanus neonatorum 176. 

Trochi8ci aus Fruchtpaste 703. 

Trunksucht, Behandlung 260. 
i Tschinguexpedition 865. 

. Tubenschwangerschaft 177. 706. 795. 

Tuberkelbacillus, Verbreitung desselben 684. 

! Tuberculose Meningitis, Therapie 33. 576. 

— Peritonitis, Laparotomie bei derselben 177. 

! — Sputa, Desinfection 847. 

i Tuberculose, Aetiologie 13. 

| —, Prophylaxe 301. 911. 
i —, Therapie der örtlichen 827. 

| —. Uebertragung durch ausgeathmete Luft 368. 

— der serösen Häute 1037. 

— des Larynx, Therapie 146. 156. 157. 939. 988. 1011. 1030. 1051. 

— der Lunge, s. Lungentuberculose. 

— des Penis 1074. 

— der Hunde 301. 308. 

\ — bei Schlachtthieren 724. 

Tuberculosecongress in Paris 660. 678. 740. 

Tuberculosis verrucosa cutis 36. 85. 

Tübingen, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäteu. 
j Tuke T 556. 

; Tumoren der Beckenorgane 1001. 

j Turin, medicinische Faeultät, s. medicinische Facultäteu. 

| Typhöse Infection. atypische Localisation 605. 

! Typhoid, biliöses 61 86. 112. 

| Typhus, Epidemiologie, s. Epidemiologie. 

• —, Statistik 685. 

, —, Statistisches und Klinisches über die Hamburger Epidemie 361. 421. 
! 464. 512. 641. 744. 763. 

! —, Therapie 983. 1008. 

! — exanthematicus 1075. 

! Typhusbacillen in der Zuugenschleiinhaut 443. 

Typhusmeningitis 631. 
i Thyphusrecidiv, biliöses 531. ^ 

I Unfallgesetzgebung 843. 

| Ungarische Acrztc und Naturforscher. Wanderver*utmmluug 768. 


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XX 


IN II ALTS - VERZEICHN! SS. 


Unglücke in der Chirurgie 788. 

Unguentum Kalii jodati 347. 

Universitäten, s. medicinische Facultäten. 

—, Etat derselben 79. 119. 

Universitätsstatistik 872. 

Unterkiefer, Luxation nach hinten 384. 

—, Osteomyelitis desselben 931. 949. 

—, metastatisches Sarkom desselben 384. 

Unterkieferbrüche 1039. 

Unterkiefertumor 74. 

Unterleibstyphus s. Typhus. 

Unterschenkelamputatiou 1039. 

Unterschenkelgeschwür, Therapie 478. 

Ulcus rodens 824. 

— ventriculi 83. 349. 405. 910. 931. 

Urachusfistel 467. 

Uraemie 199. 809. 838. 

Urämische Convulsionen, Therapie 555. 

— Krämpfe der Kinder 387. 

Uranoplastik 680. 996. 

Urethan 18. 

Uretoren, Katheterisution 996. 
l'rethralblennorrhoe 176. 

Urethrotomia externa 640. 

Urin, Fennentgehalt des pathologischen 425. 

Urinabsonderung, Allgemeiuerscheinuugcn bei gestörter 115. 

Urticaria mit Ausgang im oberflächliche Gangrän 950. 

— pigmentosa 824. 

— Simplex und pigmentosa 746. 

Ustilago majalis 1040. 

Uterus, Anatomie des schwangeren und kreisscuden 1071. 

—. peritonaele Adhäsionen des retroflectirten 304. 

—, supravaginale Amputation 491. 

—, Herzneuroseu bei Erkrankungen desselben 805. 

—. vaginale Ligatur bei Retroflexio und Prolaps 817. 

—, Totalexstirpation eines graviden retroflectirten 95. 

Uterusadenom 604. 

Uterusaffectionen, elektrische Behandlung 625. 

Uteruscarcinom 115. 

Utemsincarceration durch ein submucöses Fibrom 803. 

Uterusprolaps, Therapie 762. 802. 

Uterusruptur 24. 622. 806. 1076. 

Utrecht, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

V. 

Vaccination 116. 178. 200. 302 701. 803. 890. 994. 933. 1013. 

Vaccinirte, Plasmodien im Blute derselben 363. 

Vaginalatresie 643. 

Vaginale Ligatur des Uterus bei Retroflexio und Prolapsus 817. 

Vagus, Einwirkung auf die Urinsecrotion 428. 

Valencia, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Vanzetti + 40. 

Variola, Therapie 576. 

Vaselin, Fehler beim Verschreiben desselben 575. 

Verbrechen und Geistesstörung 864. 1072. 

Verbrennungen, Therapie 217. 648. 1040. 1076. 

Verdauungskrankheiten, Klinik von Ewald 598. 

—, Gährungstherapie 391. 

Verdauungsstörungen, Therapie 767. 

Verein für innere Medicin in Berlin 14. 134. 194. 234. 239. 254. 348. 359. 
381. 440. 470. 508. 535. 550. 569. 599. 619. 661. 883, 929. 991. 998. 
1013. 1033. 

—, psychiatrischer in Berlin 39. 607. 

—, Greifswalder medicinischer, s. Greifswalder medicinischer Verein. 

—, Hamburger ärztlicher, s. Hamburger ärztlicher Verein. 

—, allgemeiner ärztlicher in Köln 236. 275. 703. 974. 

— Deutscher Aerzte in Prag 424. 643. 

—, naturwissenschaftlich-medicinischer in Strassburg 994. 

—, allgemeiner ärztlicher in Thüringen 388. 

— der Aerzte des Regierungsbezirks Aachen 445. 

— der Aerzte des Regierungsbezirks Köln 408. 

— der Aerzte des Regierungsbezirks Stettin 848. 

—, deutscher für öffentliche Gesundheitspflege, s. Deutscher Verein für 
öffentliche Gesundheitspflege. 

— gegen den .Missbrauch geistiger Getränke 748. 808. 

— deutscher Irrenärzte 800. 

Vereinigung der Chirurgen Berlins, s. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. 
Vereinshaus für die Berliner wissenschaftlichen Vereine 239. 

Vererbung 549. 951. 

Verfälschungen, internationale Maassregeln gegen dieselben 765. 

Vergiftung durch Brod 728. 

Vergiftungen, Therapie 256. 

Verletzung, schwere durch Ueberfahren 860. 

Verniehrungsgeschwindigkeit der Bacterien 76. 


Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 328. 347. 367. 387. 427. 

448. 495. 535. 607. 707. 767. 788. 799. 808. 844. 864. 887. 951. 1074. 
Verschwärungsvorgänge nach Nervendurchschneidung 591. 

Vertebralarterien, Unterbindung bei Epilepsie 1076. 

Viburnum prunifolium 602. 

Volksbäder 428. 865. 

Vorlesungen über öffentliche und private Gesundheitspflege von Rosen- 
thal 700. 

— über die Krankheiten des Kehlkopfes von Schrott er 972. 

— über Kinderkrankheiten von He noch. 882. 

Vorträge, klinische von v. Ziemssen 18. 

Vulvovaginitis im Kindesalter 623. 

W. 

Wachsthumsfiebor 913. 

Wände, Desinfection 326. 

Wagner, 25jähriges Jubiläuui 39. 

— f 139. 217. 

Wanderherz 425. 

Wanderniere 46. 640. 822. 996. 

Wanderzellen 324. 

Wangenplastik 467. 

Warschau, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäteu. 

Warzenfortsatz, Eiterdurchbruch bei Erkrankungen desselbeu 1006. 
Wasserkopf 487. 

Wassersucht, essentielle 533. 

Wasserversorgung 760. 

Wechselfieber, Verbreitungsweise 17. 

Weib, dasselbe in der Natur- und Völkerkunde 12. 

Weibliche Aerzte 887. 1080. 

— Beckenorgane, I,age derselben 803. . 

— Brustdrüse, Inactivitätsatrophie derselben 804. 

— Genitalien, Fremdkörper in denselben 17. 

Weicher Gaumen, Carcinom desselben 6S2. 

Weil’sche Krankheit 156. 684. 

Weingeist als Heilmittel 344. 

Wendung, zeitliche Trennung derselben von der Extraction 17. 

Wertheim + 60. 

Weyr-Mitchell’sche Cur 216. 

Wien, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

! —, K. K. Gesellschaft der Aerzte 36. 74. 94. 213. 275. 304. 322. 383. 
i 424. 489. 950. 995. 

—, Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynaekologie 160. 

—, Jahresbericht des Stadtphysikats 137. 
i Wiener medicinisches Doctorencollegium 75. 887. 

| — Recepttascbenbuch 175. 

Wiesbadener Bade- und Trinkcur gegen Rheumatismus 335. 355. 
i Wilhelm I t 201. 

; Wirbelaffection, syphilitische 553. 

I Wirbelsäule, Syphilis derselben 508. 

Wissenschaftliche Beobachtungen auf Reisen, Anleitung von Neumayer 576, 

— Deputation für das Medicinalwesen 915. 

Wochenbetthygiene 496. 

Wochenbett, vorbereitende Behandlung für dasselbe 806. 
i Wöchnerinnenpflege 103. 160. 530. 

Wohnräume, Desinfection 345. 
j Wohnungshygiene 784. 

Wucherungsvorgänge nach Nervendurchschneidung 591. 

Würzburg, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 
Wundbehandlung 323. 467. 638. 

Wurmfortsatz, Resection 490. 

Wuth, s. Hundswuth. 

X. 

| Xanthelasma cordis 425. 

! Xeroderma pigmentosum 424. 

Z. 

Zähne, das Füllen derselben 908. 

Zahnärzte, Centralverein deutscher 687. 

Zahnärztliche Praxis 59. 119. 160. 

Zahnschmerzen, Therapie 556. 

Zehen, Operationen an denselben 345. 
v. Zenker, 25jährigos Jubiläum 39. 

Zittmann’sches Decoct gegen Carcinom 58. 

Zuckerbestimraung im Harn 354. 

Zuckerharnruhr, s. Diabetes mellitus. 

Zuckernachweis 620. 

Zuckerstaub, Einblasung gegen Diphtherie 944. 

Zürich, medicinische Facultät, s. medicinische Facultäten. 

Zunge, Fibrom 487. 

—, Hemiatrophie derselben 624. 

| Zungenschleimhaut, Typhusbacillen in derselben 443. 

' Zurechnungsfähigkeit, geminderte 800. 

I Zwischenhirn, Verbindung der sensiblen Nerven mit demselben 605. 


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A. 

A dunkle wie/. 680. 
v. \de\maxm 486. 506. 

Afa&asäew 865. 

AbHeld 419. 468. 493. 513. 653. 

573. 603. 604. 679. 974. 

Albert 99. 

Alberti 445. 

Alberts 932. 

Alexander (Aachen) 204. 

Alexander (Breslau) 16. 57. 137. 
933. 485. 606. 638. 685. 1037. 
1038. 

Alsberg 769. 

Altmann 804. 

Angerstein 233. 

Apolant 822. 

Appenrodt 478. 

Arlt 133. 

Arndt 83. 591. 754. 

Aming 950. 

Arnold 253. 

Aronsohn 45. 67. 257. 365. 4£9. 

524 546. 566. 605. 968. 
Aufrecht 17. 23. 156. 165. 197. 

550. 618. 624. 685. 

Avellis 10. 

B. 

Baer 193. 

Bäumler 572. 

Baginsky, A. 95. 133. 301. 391. 

414. 440. 

*. Bamberger 213. 

Bandler 643. 

Banti 605. 897. 

Baracz 803. 

Bardach 912. 

Bardeleben (Berlin) 487. 640. 
Bardeleben (Jena) 12. 784. 803. 990. 
Bargez 1076. 

Bartels 12. 
t. Basch 383. 

Battlehner 624. 

Baumgartner 623. 

Bamogarten 211. 549. 606. 783. 
Bayba 318. 

Bechterew 439. 

Becker (Berlin) 843. 

Becker (Heidelberg) 1032. 

Beevor 1018. 

Behrend 197. 463. 1056. 

Behrens 721. 

Behring 305. 477. 653. 

Beissel 446. 

Bellarminoff 1015. 

Benckiser 95. 1071. 

Berger 1039. 

t Bergmann (Berlin) 385. 487. 511. 

861. 1021. 1036. 
v Bergmann (Riga) 384. 

Bernays 345. 

Bernhardt 245. 664. 

Beselin 238. 

Beniner 176. 1013. 

Besold 57. 129. 

Bidder 66. 215. 253. 276. 384. 507. 

508. 644. 645. 1039. 

Biedert 192. 414. 

Binswanger 683. 864. 

Binz 344. 605. 

Btondi 385. 930. 

Bizzozero 251. 

Blaschko 1055. 

Blasius 846. 

Boas 469. 968. 969. 970. 

Bockbart 1077. 

Bode 420. 

Bahn 352. 

Bokai 16. 445. 

Bokelmann 507. 805. 806. 

B<4Jt 805. 


INHALTS - VERZEICHNISS. 


XXI 


Namenregister. 


Bollinger 197. 

Bordoni-Uffreduzzi 405. 

Bostroem 764. 

Bozzolo 911. 

Bramann 860. 1034. 

Brandt 680. 

Brass 550. 618. 

Brault 1038. 

Braun 489. 802. 803. 1076. 

Braus 928. 

Breisky 36. 

Brenner 490. 

Bresgen 66. I5G. 158. 380. 381. 

599. 1036. 

Brie 801. 

Brieger 383. 

Bröse 853. 

Brösike 12. 

Brohl 1075. 

Brosius 380. 

Browne 37. 

Bruck 1032. 

Brückner 253. 

Brunner 394. 

Bruns (Hannover) 800. 

Bruns (Tübingen) 318. 

Buch 405. 624. 889. 1078. 

Büchner 76. 684. 841. 

Buchwald 17. 157. 198. 485. 533. 

684. 724. 725. 969. 970. 1037. 
Budor 746. 

Bujwid 1075. 

Bull 17. 305. 624. 

Burnra 623. 801. 

Bunge 193. 320. 

Burschinsky 405. 

C. 

. Cad«-ac 363. 

Cahen 76. 

, Cahn 446. 

Oameron 953. 

Cantani 363. 683. 

. Cardarelli 931. 995. 

Casper 343. 470. 

I Celli 880. 

Chamberland 724. 

Champneys 440. 

Chenzinsky 880. 

Chiari 381. 425. 

Cholewa 617. 1006. 

Chrostowski 803. 

Coen 251. 404 
Coesfeld 178. 

Cohen 930. 

Cohn, F. 99. 118. 

Cohn, M. 93. 

Combemale 913. 

Conrad 805. 

Cordua 949. 

Cornet 684. 

Cornils 755. 

Councilman 880. 

Classen 56. 

Cioetta 55. 

Cramer 515. 605. 

Curschmann 361. 845. 

Cutts 806. 

Czempin 17. 95. 177. 679. 

D. 

' Lafontaine 215. 

I Dehio 406. 425. 

1 Demange 506. 

| Demme 463. 
l Deruschinsky 52. 

1 Deutschmann 73. 403. 910. 

• Dieterich 724. 

| Dimmer 486. 

I v. Dittel 275. 

I Doederlein 533. 623. 

' Dohrn 17. 466. 


Dollinger 17G. 

Doutrelepont 769. 
Dubousquet-Laborderie 157. 
Duchamp 177. 

Dührssen 465. 

Durdufi 518. 
v. Dusch 69 689. 831. 

O’Dwyer 942. 

HL 

Eberhart 465. 602. 622. 

Eberth 55. 

Ebstein 71. 

Eckardt 623. 

Eckler 233. 

Edingtr 604. 605. 1013. 

Edlefseu 425. 

Ehreuhaus 930. 

Eichbaum 908. 

Eichhorst 664. 

Eickholt 746. 913. 

Einhorn 620. 

Eiseisberg 213. 

Eisenlohr 762. 824. 910. 

Elsässer 533. 

Engelmann 945. 

Eppinger 907. 

Epstein 327. 

Erb 572. 

Ernst (Heidelberg) 386. 

Ernst (Köln) 291. 

Eros 176. 

Escherich 404. 481. 

Esmarch 214. 326. 

Eulenburg 72. 155. 161. 211. 343. 
893. 913. 

Ewald 35. 598. 619. 

Kwich 820. 

Exner 175. 951. 

P. 

Fabry 876. 

Falk 115. 638. 844. 866. 
Kalkeuberg 316. 

Farago 96. 

Fastenrath 926. 

Federn 322. 

Fehleisen 487. 1003 
| Fehling 466. 624. 1001. 

; Fenoglio 995. 

| Fick 485. 

! Fiedler 684. 

| Filehne 55. 424. 

1 Finger 85. 661. 

Finkelnburg 800. 

1 Finkler 684. 
j Fischer, B. 385. 

Fischer, E. 404. 

! Fischer, H. 231. 384. 

' Fiscbl 822. 

Klaischlen 17. 95. 177, 233. 304. 
419. 533. 858. 953. 1032. 1053. 
1071. 

Fleiner 759. 

: Fleischl v. Marxow 153. 

' Forel 571. 

Fournier 446. 786. 928. 

Fraenkel, A. (Berlin) 57. 141. 170. 
. Fraenkel, A. (Wien) 950. 

Fraenkel. B. (Berlin) 84. 73. 884. 

1 Fraenkel, C. (Berlin) 404. 

Fraenkel, E. (Hamburg) 16. 443. 
463. 511. 572. 682. 745. 765. 
886. 931. 953. 985. 1038. 1073. 
Fraentzel 138. 589. 651. 

Freund, C. S. 834. 

Freund, H. W. 17. 

Freyhan 631. 

Fritsch 202. 228. 

Frölich 606. 

Frommei 706. 881. 

Fuchs 950. 


Fürbriuger 13.' 15. 71.72. 133. 175. 
273. 485. 510. 557. 569. 618. 
685. 798. 822. 985. 1033. 

1 Fürst 312. 

1 Füth 801. 

e. 

(iaffky 77. 96. 701. 

(Jager 594. 

Üalliard 1039. 

Gamaleia 727. 

1 Gangolphe 215. 

1 Garrigues 806. 

Gayet 704. 

Gelpkc 225. 248. 
v. (Jenscr 322. 

Gerhardt 349. 

(Jerster 216. 

! Gersuny 74. 

Giuffre 995. 

Glax 971. 

Gluck 72. 791. 
i Gluzinski 405. 970. 

; (Jnauck 735. 

Görges 446. 805. 952. 1076. 1077. 
(Joldflam 1076. 

Goldschmidt 306. 

Golgi 880. 

Gottbrecht 601. 

Gottstein 342. 605. 
i Günther, A. 406. 

! Günther, C. 76. 136. 137. 175. 177. 
214. 256. 304. 325. 343. 363. 

364. 365. 395. 386. 404. 405. 

605. 658. 675. 697. 719. 721. 

738. 757. 879. 991. 

Guillery 411. 

, Gumprocht 540. 

; Gurlt 343. 1016. 

Guth 253. 

(iutmann. G. 135. 

: Guttmann, I*. 15. 255. 1063. 

Guttraann, S. 12. 55. 79. 157. 201. 
' 343. 534. 550. 618. 647. 726. 

740. 803. 847. 869. 935. 1013. 
(iutzinann 181. 

Guyc 815. 

(Jrabower 773. 

Graebeu 485. 

Graser 324. 345. 

Grashey 800. 

Grassi 136. 

Grawitz 41. 213. 423. 429. 532. 
Grob 724. 

Groedel 397. 

Gross 745. 

Grossmann 57. 381. 

Grützner 13. 15. 153. 402. 741. 905. 

H. 

Haas 157. 969. 

Haberkorn 467. 

Hahn 34. 231. 232. 384. 1034. 
Haike 934. 

Hammerle 838. 

H&rnack 253. 

Hartmann, A. 925. 

Hartmann, H. 572. 

Hasebrock 197. 1018. 

Hauptmann 238. 702. 908. 
Hausmann 267. 

Hayem 798. 

Hegar 679. 

Heidenhain, 274. 488. 

Heinemann 600. 

Helferich 21. 384. 444. 680. 1035. 
1039. 

Hellat 508. 

Hendel 801. 

Henoch 53. 464. 553. 882. 
ner&us 304. 

Herm&nides 825. 

Herschel 670. 


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Google 




XXII 


Hcryng 156. 802. 

Hess 705.. 

Hesse 431. 

Ilessler 332. 

Heuser 846. 

Ileusner 851. 

Heymanu 134 511. 

Hil'debrandt (llottstodt) 564. 
Hildebrandt (Königsberg) 841. 
Hiller 555. 

Hirsch (Uerliu) 343. 

Hirsch (Teplitz) 214. 

Ilirschberg. J. 497. 525. 884. 
Hirschberg, M. 77. 

Hochenegg 74. 950. 
ilochstetter 700. 

Hock 611). 
v. Hockor 322. 

Hoefler 457. 

Ilöltzke 993. 

Hoening 867. 

Iloffa 253. 

Hoffniaun, K. (dreifswald) 393. 
Iloffmann, J. (Heidelberg) 604. 1037. 
Ilofmeier 95. 603. 858. 1071. 
Ilofmokl 275. 

Ilollsteiu 795. 

Ilonigmann 918. 

Iloppe-Seyler 446. 

Horner 367. 822. 

Horsley 1018. 

Ilorstraann 133. 237. 485. 486. 619. 

822. 883. 899. 

Huber 729. 

Ilüber 684. 

Hünerfaulh 320. 
v. Hüttenbrennor 619. 

Hutchiusou 258. 1013. 

I. 

Immerwahr 1054. 

Israel, J. 4. 444. 467. 

Israel, 0. 35. 

Iverseu 996. 


J. 

Jacob 214. 

Jahn 1042. 

Jahr 787. 806. 997. 

Jakowski 803. 

v. Jaksch 197. 344. 809. 838. 

Jamin 446 
Janke 721. 

Jastrowitz 88. 108. 125. 151. 172. 
188. 209. 

Jaworski 425. 971. 972. 

Jehn 801. 

Jefferies 572. 

Jeserich 991. 

Johnson 970. 

Jolly 800. 

Joseph 446. 661. 856. 928. 932. 933. 
947. 

Jürgens 508. 510. 

v. Jürgensen 638. 684. 758. 778. 

K. 

v. Kae/.orowski 97. 

Kahler 424. 

Kanzow 200. 

Kappeier 76. 

Karewski 143. 306. 

Kartulis 61. 86. 112. 365. 

Käst 605. 

Kayser 925. 

Kehrer 233. 

Keil 622. 

Keimer 939. 988. 1011. 1030. 1051. 
Kindervater 133. 

Kirchner 463. 

Kirn 572. 

Kirstein 137. 

Kisch 367. 679. 

Kitt 364. 

Klein 645. 665. 686. 

Kleiuwächter 420. 889. 

Klemperer 405. 732. 962. 970. 

Knies 571. 

Kobler 1038. 

Koch (Berlin) 77. 96. 

Koch (Braunschweig) 57. 58. 


INHALTS -VERZEICHNISS. 


| Koch (Paris) 624. 

I Koch (Zwiefalten) 402. 

Köbuer 186. 486. 

Köhler 445. 640. 860. 1017. 
i König 302. 

! Köuigstein 306. 

Koeppen 604. 

Körte 829. 

Koettnitz 21. 613. 

Kohlschütter 533. 

Kolaczek 644. 

Kolb 741. 

Kolisko 74. 

Koller 306. 

Korn 953. 

Kossel 507. 709. 1037. 

Kraepelin 669. 

v. Krafft-Ebing 746. 798. 804. 
Krannhals 364. 

Krasko 1074. 

Krasztyk 1076. 

Kraus 227. 804. 1075. 

Kreibohin 304. 

Kreutzmann 334. 

Kriege 705. 

Krieger 793. 

Kroll 784. 

| Krön 664. 665. 913. 914. 

' Krouer 953. 
i Kronthal 36. 

: Kröwczyrtski 1076. 

| Krüger 624. 

| Krukenberg 886. 968. 

Krupin 345. 
j Krysiewicz 105. 

Kühn 197 635. 
j Kühnast 467. 

| Kühne 952. 1076. 1077. • 

! Kümmell 488. 931. 

Küster 212. 345. 369. 384. 398. 417. 

437. 445. 467. 909. 930. 993. 1055. 
Kurz 247. 

L. 

Laacho 943. 

Laffont 256. 

Larapiasi 177. 

! Landau 115. 885. 

Länderer 507. 

Landgraf 134. 

Landois 863. 

Laudolt 683. 822. 

Lang 490. 

Lange 826. 

Langenbuch 325. 
v. Langer 404. 

Lantos 623. 

Laplace 121. 

Laquer 665. 1045. 

Lassar 865. 

Lauder Bruntou, 327. 

Lauenstein, C. 56. 93. 323.444. 612. 

682. 903. 910. 

Lauenstein, 0. 1073. 

Leber 722. 

Lehmann, C. 733. 

Lehmann, G. 913. 

; Leichtenstem 236. 849. 

Lent 801. 

• Leo 16. 137. 197. 382. 425. 445. 
446. 507. 598. 948. 1018. 

Leopold 889. 599. 622. 
i Lepine 365. 

Lesser 264. 928. 
v. Lesser 592. 

1 Letzerich 137. 

Leube 137. 425. 

I Leubuscher 346. 

Leuckart 136. 137. 

Levinstein 715. 

Lewandowski 155. 

Löwin, G. 64. 

Lewin, L. 56. 93. 317. 

Leyden 14. 418. 553. 649. 917. 1041. 
Liborius 325. 

Lichtheim 323. 

Liebennanu 212. 

Liehermcister 1. 26. 101. 123. 149. 
166. 187. 207. 517. 544. 564. 789. 
819. 840. 854. 1023. 1046. 1068. 
v. Liebig 1066. 

Liebreich 135. 


Lindley 801. 

Lindmann 519. 

Lindner 692. 822 1005. 

Lipp 327. 

Litten 901. 90). 

Livierato 386. 

Löbker 94. 212. 384. 

Löhlein 103. 530. 

Löwe 702. 

Löwenberg 559. 

Löwenhardt 327. 

Löwenmeyer 93. 884. 

Löwit 55. 

Lohausen 802. 

London 137. 

Longard 76. 256. 

Loreuz 424. 490. 

Lorey 944. 

Lübbert. 828. 

Lunz 377. 

Lutz 136. 

51 . 

Macewen 215. 

Mackenzie 159. 

Magnus 42. 270. 403. 619. S14. 1032. 
Mahnert 1027. 1048. 

Mairot 913. 

Makara 634. 

Malachowski 665. 

Malet 363. 

Manasse 930. 

Mauz 571. 

Maragliano 256. 911. 

Marchand 221. 

Marchiafava 880. 

Marcus 301. 

Marie 624. 

Markuse 932. 

Martin, A. 602. 

Martin, M. C. 1039. 
i Martius 163. 241. 365. 

Maydl 491. 

Mazegger 267. 

Mc Clean 806. 

Megevand 380. 

Meinert 491. 

Meitzer 971. 

Mendel 321. 798. 800. 

Meudes de Leon, 385. 

Mennig 1073. 

Merley 463. 

Mover, B. (Berlin) 386. 

Mejfer, G. (Berlin) 446. 883. 

Meyer (Hamburg) 950. 

Meyuert 213. 

Michel 619. 

Mikulicz 345. 

Miller 274. 612. 

Miquel 784. 

Miura 889. 

Moeli 1072. 

Moll 844. 

Moos 902. 

Mordhorst 335. 355. 

Mori 889. 

Morian 76. 467. 996. 1039. 
j v. Mosetig-Moorhof 75. 995. 

! Mosler 411. 531. 570. 621. 662. 823. 
i 957. 

Mügge 719. 

, Müller (Berlin) 661. 

I Müller (Bern) 1053. 

Müller (Hamburg) 842. 

Munde 805. 

Munk, II. 13. 

Munk, I. 89. 199. 721. 

Murri 321. 931. 

Nauheim 420. 

Naunyn 571. 994. 

Nauwerck 319. 

Nebel 17. 320. 1031. 

Neisser 661. 

1 Neuber 445. 

Neudörfer 304. 

Neumann (Berlin) 606. 

Neuraann (Wien) 94. 383. 486. 

! Nicolai 860. 

Nieberding 624. 

Niehaus 996. 


Nicrmeijer 825. 

Niesei 818. 

Niessen 1069. 

Nötzel 784. 799. 801. 841. 84». 864. 
887. 

Nonne 361. 5M. 

Nordenson 485. 

Nothnagel 383. 490. 

Nussbaum 788. 

O. 

Obalinski 1076. 

Oberlaender 928. 

Obermayer 1038. 

Obrzut 802. 

Obtulowicz 1075. 

Oertel 322. 

Oest reich 1054. 

Oestreichor 515. 

Olshausen 261. 602. 622. 

Oltuszewski 146. 

Oppenheim 35. 418. 

Ost wähl 884. 

Otis 274. 

Olt 533. 807. 

P. 

Packard 764. 

Pagel 989. 

Pal 322. 

Pult auf 489. 

Panas 327. 

Pariueutier 913. 

Paroua 136. 

Pauli 157. 892. 913. 

Pauly 318. 467. 572. 890. 

Peiper 257. 609. 1013. 

Pelman 380. 402. 800. 1072. 

Peters (Bromberg) 844. 

Peters (Wien) 489. 

Petersen 303. 345. 385. 

Petteruti 995. 

Peyer 971. 

Pfeiffer, A. 203. 362. 700. 721. 741. 
760. 

Pfeiffer, K. 425. 

Pfeiffer. L. 363. 
v. Pfungcn 970. 

Philippsou 705. 

Pick 116. 997. 

Pickering Pick 133. 

Plate 950. 

Play fair 913. 

Ploss 12. 

Podwyssozki 251. 

Pohl-Pincus 93. 

Polakowsky 277. 

Pollak 238. 995. 

Pollatschek 354. 

Pomorski 706. 762. 

Posner 49. 

Pott 623. 

v. Preuscheu 762. 990. 1059. 

Prior 157. 386. 

<*• 

Queirolo 987. 

R. 

Kalt bas 514. 

Rabow 516. 

Rabuske 767. 

Kählmaun 571. 

Räther 950. 

Rahts 741. 

Raskina 1056. 

Rasmusseu 405. 
v. Recklinghausen 994. 

Reclus 913. 

Reichert 464. 747. 766. 

Reichmaun 405. 1076. 

Reimer 381, 404. 

Reinak 1013. 1015. 

Renvers 289. 332. 753. 
de Renzi 911. 
v. Reuss 306 
Reymond 683. 

Richter 469. 

Ribbert 55. 92. 130. 211. 251. 399. 
404. 705. 759. 764. 783. 841. 907. 
981. 

Riedel 77. 96. 252. 302. 385. 572 
700. 760. 


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Riedlin 76 
Rieguer 46. 

Riehl 424. 490. 74G. 

Kinnne 532. 761. 

Ri'a 911. 995. 

R-tchrt 216. 

Ruckwell C44. 

Rohden 366. 

Rohrer 902 
Rolle 803. 

K.w.^e 798. 

R<-'<e 467. 

R->senbach, O. (Breslau) 58. 342. 
Rosenbach, O. (Göttinnen) 324. 
Rnsenberg 343. 

Rosenberger 345. 

Rosenfeld 46. 424. 451. 479. 1018. 
RosenLeim 181. 386. 405. 679. 968. 

970. 971. 972. 973. 

Rosenthal 146. 680. 700. 

Roser 121. 997. 

Rosin 515. 966. 

Rossbaeh 36. 

Roth, Th. 157. 

Ruth, W. 1057. 1078. 

R. ux 724. 912. 

Kubinstein 404. 

Kühle II. 31. 54 . 70. Ol. 

Rüge 304. 604. 

Kumpf 425. 

■I*- Ruyter 325. 

Rydygier 1076. 

>aalfeld 951. 976 
Singer 46» : . 467. 94 0. 
v Saexinger 679. 

>ahli 726. 

Sala 605. 

Salessky 804. 

>alg<» 514. 

Salkowski 309. 

Salm 664. 

Ntlomon, M. 33, 638. 

Salier 36. 444. 

'ainelsohn 937 
Saxnter 326. 
c an<juirino 256. 

Sattler 722. 

Sa\age 908 
Srhichter 638. 

Schaeffer. E. 1063. 

<-baefler, M. 3C. 157. 158. 823. 972. 
'■-'hatz 602. 
vbech 823. 

Sebesle 56. 949. 1074. 

'»•heele 294. 
s. beier 456. 
vrheurien 617. 

Schiaruzzi 364. 
vhill 366. 

Nbimmelbuscb 55. 325. 1075. 
Schlange 444. 511. 

S--bliep 214. 


IN H A LT 8 -V K R ZKIOH X ISS. 


Schinalfnss 177. 

Schmält/. 379. 921. 

Schmid, H. (Stettin) 861. 

Schmidt, Mcinh., 996. 

Schmidt, M. (Riga) 405. 406. 533. 

624. 645. 804. 866. 889. 

Schmidt (Steinau) 844. 
Schmidt-Rimpier 822. 873. 

Schmitz 723. 953. 

Schneider 828. 

Schneller 17. 

Schnirer 305. 363. 724 912. 1056. 
Schnitzler 74. 887. 

Schnopfhagen 1074. 

Schönberg 1078. 

Schott 214. 

Schotten 948. 

Schrakamp 890. 

Schreiber 1038. 

Schroemann 662. 

Schrötter 972. 

Schuchardt (Gotha) 825. 

Schücking 817. 

Schüller 1016. 

Schultz-Hencke 305. 

Schultze (Jena) 304. 603. 622. 
Schulz, H. (Greifswald l 94. 213. 302. 

677. 8S9. 015. 

Schumacher 825. 

Schuster 297. 904. 928. 

Schwabach 463. 1036. 

Schwabe 78. 

Schwalbe 499. 711. 725. 

Schwartz (Köln) 469. 974. 

Schwartz (Halle) 466. 

Schweigger 704. 

Schwimmer 933. 

S.’-e 969. 

Seebohm 777. 

Seeligmüller 7. 28. 263. 342. G37. 

655. 661. 673. 694. 908. 

Seguin 1038. 

Seitz 725. 

Semmola 409. 434. 459. 

Senator 35. 449. 550. 

Senger 37. 92. 133. 234. 253. 325. 
382. 420. 462. 467. 481. 505. 528. 
638. 996. 1039. 

Siemerliug 36. 

Silbermann 95. 96. 192. 256. 463. 

504. 619. 882. 

Silex 878. 

Sk ut.se h 603. 

Smith 705. 

Snellen 705. 

Snbotta 1054. 

Sokolowski 802. 

Solger 824. 

Sonnenberg 343. 445. 537. 1035.1036. 
Sorokin 215. 

Soyka 833. 875. 

Spallitta 385. 

Spengler 485. 948. 

Spiering 1079. 


| Spina 76. 

I Sseintsclicnko 866. 

Ssirsky 889. 

Stacke G96. 

Staffel 338. 

I Starr 745. 

| v. d. Steinen 865. 

Steiner 65. 

Steinthal (Berliu) 179. 

Steinthal (Heidelberg) 184. 303. 
Stekhovcn 717. 

Stenglei» 274. 

Stenzei 641. 

Sternfeld 908. 

Stewart 618. 

Sticker 275. 386. 703. 

Stilling 683. 994. 

Stöhr 784.* 

Storch 852. 

Strassmanu 321. 843. 

Straub 705. 

Stroynowski 802. 

Ströbing 1062. 
j v. Swiecicki 706. 804. 

T. 

i Takahasi 453. 

Teschemacher 205. 

Thietn 384. 

Thierseh 444. 

Thiriar 996. 

Thomas 605. 

Thompson 947. 

Tlio.st 702. 843. 

Tiling 645. 

: Tilimanns 72. 

Tnmaselli 911. 

| Topiuard 274. 

' de! Torre 321. 

; Tross 432. 

| Tsclieruittg 1039. 

I Tuezek 222. 

II. 

Ulitboff 237. 

Ultzniann 644. 

Unger 301. 

I nna 746. 824. 

Unverricht 16. 683. 749. 778. 1017. 


| Vaihiuger 952. 

: Vassale 251. 

, Vassalli 725. 

! Veit 329. 507. 599. 
j Veraguth 404. 
i di Vestea 16. 
j Vierordt 661. 798. 1037. 

I Villaret 55. 740. 990. 

Virchow, H. 36. 

Virchow, R. 35. 73. 92. 93. 115. 
159. 993. 

! Vocke 233. 


XX1H 


Vogl, A. 983. 1008. 
V..g|, A. E. 485. 
Voigt 890. 914. 933. 


Waetzoldt 289. 

1 Wagner, K. I5G. 533. 

Wagner, R. 300. 
v. Wahl 444. 

! Waldever 192. 444. 881. 887. 

. Wallfors 705. 

Wallichs 844. 
j Walter 889. 

' Walzbcrg 345. 

Warfvinge 33. 

Warn ek ros 908. 
i Wassiljew 345. 
j Wehmer 177. 

1 Wehr 444. 

, Weigert 55. 

i Weinbaum 15. 93. 256. 365. 1054. 

Weinlechuer 275. 490. 

! Weir 1038. 

, Weismaun 549. 951. 

1 Weiss 469. 

Werner 252. 

Wernich 844. 

Werth 466. 

Westphaleu 705. 

Weydlich 643. 

Weyl 443. 

Widersheim 572. 

Wiebe 802. 

Wiedow 624. 

Wiethe 175. 

Wildermuth 801. 

Winckel 466. 706. 

Winter 624. 801. 

Witzei 812. 

Wölfler 324. 99G. 1039. 

Wulff, J. (Merlin) 212. 384. 445.996. 
Wolff, F. (Hamburg) 771. 

Wolff, Rud. (Hamburg) 863. 
Wolffhügel 721. 760. 

, Wür/.burg 721. 

Z. 

| Zacharias 311. 

I Zagari 16. 

Zaleski 197. 

Zederbaum 865. 

Zeiss 991. 

' v. Zeissl 947. 

Zemann 36. 276. 

Zesas 572. 

J Ziegler 425. 

, Ziehen 604. 913. 

1 Zielewicz 996. 

Ziem 373. 

v. Zicmssen 13. 273. 618. 

Zinstneister 490. 
i Zschokke 136- 
| Zuckerkandl 599. 

! Zweifel 466. 602. 629. 822. 


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Donnerstag 


m i, 


5. Januar 1888, 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteor Sanitäts-Rath Dr. S. Gattmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Fieber und Fieberbehandlung. 

Von Prof. Liebcrnieister in Tübingen. 

Im Jahre 1875 habe ich, nachdem ich mich seit etwa 16 Jahren 
mit theoretischen und praktischen Untersuchungen über das Fieber 
und dessen Behandlung beschäftigt hatte, den Versuch gemacht, 
auf Grund des ganzen bis zu jener Zeit vorliegenden Materials eine 
zusammenfassende Darstellung der Lehre vom Fieber zu geben 
(Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers; Leipzig 1875). 
Jene Darstellung kann ich auch heute noch in ihrem ganzen Um¬ 
fange vertreten. Es ist seitdem die Fieberlehre durch manche 
dankenswerthe Arbeiten gefördert worden, und es haben während 
des letzten Decenniums namentlich auch die Physiologen sich be¬ 
strebt, die Grundlage derselben, die Lehre von der Wärmeökonomie 
des gesunden Organismus, zu vervollständigen. Ich kann mit Be¬ 
friedigung sagen, dass Alles, was an thatsächlichem Material seit¬ 
her hinzugekommen ist, dazu beigetragen hat, die von mir ver¬ 
tretenen Anschauungen zu stützen und zu befestigen; auch haben 
dieselben in weiten Kreisen Anerkennung gefunden und sind als 
Grundlage für weitere Forschungen benutzt worden. 

Es hat in dieser Zeit freilich auch nicht gefehlt an der Dar¬ 
legung abweichender Anschauungen und an mehr oder weniger 
direkten Angriffen auf Einzelheiten oder auf die Gesammtanschau- 
ung. Wenn ich auch natürlicherweise bestrebt bin, diejenigen 
Anschauungen, welche ich für die richtigen halte, zu möglichst 
ausgedehnter Anerkennung zu bringen, so habe ich doch geglaubt, 
mich der Einzeldiscussion über solche abweichenden Ansichten ent¬ 
halten zu dürfen. Es kann ja für die Sache nur erspriesslich sein, 
wenn in einem so schwierigen Gebiete die Forscher von ver¬ 
schiedenen Gesichtspunkten ausgehen. Es wird dabei eher die Ge¬ 
fahr der Einseitigkeit vermieden, und es ist zu erwarten, dass im 
Laufe der Zeit das Lebensfähige und Richtige sich als das Dauer¬ 
hafte ausweisen werde. Und wo bei solchen Erörterungen Mangel 
an Sacbkenntniss die Grundlage der abweichenden Ansicht zu sein 
schien, da durfte man auf die Berichtigung durch fortschreitende 
Einsicht rechnen und vorläufig die Frage dem kritischen Urtheil 
des ärztlichen Publicuras überlassen. Es konnte ja nicht meine 
Aufgabe sein, jedes Missverständniss sofort zu berichtigen, zumal 
■ia bei so verwickelten Fragen eiue ausreichende Darlegung sich 
nicht mit wenigen Worten geben lässt. Vielmehr glaubte ich meines- 
theils genug zu thun, wenn ich in mehr positiver Weise einerseits 
an dem weiteren Ausbau der Theorie und Praxis mitarbeitete, und 
andererseits mich bemühte, durch möglichst klare und fassliche 
Darstellung das Verständnis dieses theoretisch und praktisch so 
wichtigen Tbeiles der Pathologie zu befördern. So habe ich neuer¬ 
lichst versucht, eine gedrängte Darstellung der Pathologie und 
Therapie des Fiebers nach dem gegenwärtigen Standpunkte zu 
gehen, welche für jeden Arzt leicht verständlich sein wird (Vor¬ 
lesungen über specielle Pathologie und Therapie, III. Band: All- 
zemeinkrankheiten; Leipzig 1887). 

Während ich demnach bisher jede Einzelpolemik, die ja auch 
►rfahningsgemäss gewöhnlich unfruchtbar ist, möglichst vermieden 
habe, glaube ich jetzt von diesem Verhalten abgehen zu sollen. Die 
niesten Angriffe gegen die moderne Fieberlehre tragen eine 
Siegesgewissheit zur Schau, wie sie nur erklärt werden kann aus 
•lern bisherigen Schweigen der Vertreter dieser Lehre, welches eine 
kühne Phantasie als eine Art Zugeständniss auszulegen scheint. 
H» werde mich zunächst auf die Besprechung des Angriffs be- 
v'hränken, welchen Professor Unverricht, Direktor der medici¬ 


nischen Poliklinik in Jena, gegen die moderne Fieberbehandlung 
gerichtet hat (diese Wochenschrift 1887 No. 21 und 22). 

Die neuere Fieberbehandlung, welche überall, wo sie in zweck¬ 
mässiger Weise durchgeführt wurde, so überaus günstige Resultate 
ergeben hat, ist für Herrn Unverricht bereits vollständig ab- 
gethan. Wir stehen nach seiner Meinung „gegenwärtig vor einem 
wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Fieberlehre, mitten 
drin in einer Zeit, wo man anfängt, Anschauungen zu verlassen, 
welche Jahrzehnte hindurch unwidersprochen geherrscht, welche 
fast ein Vierteljahrhundert lang der Forschung auf einem bestimm¬ 
ten Gebiete die Richtung vorgeschrieben haben, und welche jetzt, 
wo das Ziel fast erreicht ist, sich als Irrlichter zu erweisen be¬ 
ginnen, die den strebenden Wanderer weit vom Wege abgeführt 
haben. Ich meine die Liebermeister’schen Lehren“ .... „Es 
ist interessant zu sehen, wie diese ganze Richtung eigentlich durch 

falsche Beobachtungen inaugurirt wurde“. Und dann heisst 

es gegen den Schluss: „So stehen die Acten der Fieberbehandlung. 
Wir müssen eingestehen, dass der ganze weite Weg, den wir 
zurückgelegt haben, eiu falscher gewesen ist. Dieses Bekenntniss 
ging auch auf dem vorletzten Congresse aus dem Verhalten 
Liebermeister’s hervor, der dem Göthe’schen Zauberlehrlinge 
gleich sich vergeblich bemühte, die Geister, die er rief, zu bannen. 
Er, der stets den Kampf gegen die Wärmestauung gepredigt hatte, 
that den Ausspruch, man solle über den antipyretischen Mitteln 
die viel wichtigere Kaltwasserbehandlung nicht vergessen, also eine 
Behandlung, die im Grunde genommen gar nicht zu den anti¬ 
pyretischen Methoden gehört“. . . . „Was jetzt vor allen Dingen 
noth thut, ist, sich möglichst schnell loszusagen von alten An¬ 
schauungen, die uns zum Theil lieb und theuer geworden sind und 
deren Unrichtigkeit jetzt klar zu Tage liegt“. Und nachdem so 
mit leichter Mühe und in raschem Siegesfluge die ganze neuere 
Fieberlehre nebst der darauf gegründeten Therapie über den Haufen 
geworfen ist, wird uns von Herrn Unverricht noch ein tröstender 
Nachruf gewidmet: „Es ist nicht unehrenhaft, in ernstem Streben 
geirrt zu haben“. 

Ich glaube sagen zu können, dass ich zu jeder Zeit eiue auf 
Thatsachen sich gründende Berichtigung meiner Anschauungen mit 
Freuden entgegengenommen habe; und so würde ich auch mich auf¬ 
richtig freuen, wenn es Jemandem gelänge, die gegenwärtige Lehre 
vom Fieber, deren Unvollkommenheit mir vielleicht deutlicher ist 
als manchem Andern, der sich weniger mit derselben beschäftigt 
hat, durch eine vollständigere und bessere Lehre zu ersetzen. Sehen 
wir, was vou Herrn Unverricht in dieser Beziehung geboten wird! 
Das einfache Negiren ist ja ausserordentlich leicht: es ist bekannt¬ 
lich die gewöhnliche Leistung aller Derjenigen, welche voll Thaten- 
drang, aber zu positivem Schaffen nicht befähigt sind; wer selbst 
Positives leisten kann, sucht nur da niederzureisseu, wo es gilt, 
Raum zu schaffen für etwas Besseres. — Was bringt uns Herr 
Unverricht? Zunächst einen Wechsel auf die Zukunft, von dem er 
selbst es für zweifelhaft hält, ob er jemals eingelöst werden wird. 
„Wir wollen nicht wehklagend stehen bleiben, sondern hurtig 
weiter wandern, um den Aufstieg von einer anderen Seite zu ver¬ 
suchen . . . Hoffen wir nur, dass am Ende eines neuen Aufstiegs 
das Dichterwort keine erneute Anwendung finde: Es irrt der Mensch, 
so lang er strebt“. Von der Kaltwasserbehandlung weiss er nur zu 
sagen: „Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Wasser 
eine Reihe Nebenwirkungen besitzt, die den Verlauf gewisser Er¬ 
krankungen, besonders des Typhus, günstig beeinflussen, aber nach 
dieser Richtung müs s en die Acten der Hydrotherapie einer neuen 


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2 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 1 


Revision unterzogen werden. Die Zeit ist zu kurz, heute noch auf 
diese Fragen einzugehen“. 

Das ist iu der That alles Positive, was Herr Unverricht uns 
zu bieten weiss. Es ist das sehr wenig, und auch die Aussichten 
auf die Zukunft erscheinen nicht gerade erfreulich. Vielleicht werden 
dieselben sich bessern, wenn Herr Unverricht später einmal mehr 
Zeit hat, und dann wird sich möglicherweise darüber verhandeln 
lassen, ob wir ihm auf seinem Wege folgen können. Vorläufig aber 
wird wohl Mancher Bedenken tragen, sich seiner Führung anzu¬ 
vertrauen und mit ihm in die neue Zeit einzutreten, die sich bisher 
nur durch den Mangel jedes positiven Gedankens auszeichnet. Viel¬ 
leicht auch wird man, bevor man die alten Anschauungen, „die uns 
zum Theil lieb und theuer geworden sind“, in die Rumpelkammer 
wirft, zunächst das Bedürfniss haben, einmal zuzusehen, welches 
denn die Gründe sind, die Herrn Unverricht veranlasst haben 
zu behaupten, dass „deren Unrichtigkeit jetzt klar zu Tage liegt“. 
Es wäre ja doch möglich, dass Herr Unverricht, der uns nichts 
Positives vorzutragen weiss, auch in seinem negirenden Urtheil nicht 
überall Recht hätte, dass er manchen Satz nur deshalb für un¬ 
richtig hält, weil er die Bedeutung und die Begründung desselben 
sich noch nicht genügend klar gemacht hat, oder weil ihm die zu 
seiner Beurtheilung erforderliche Erfahrung zur Zeit noch abgeht. 

Man kann die Einwendungen, welche Herr Unverricht gegen 
die moderne Auffassung des Fiebers und insbesondere gegen die 
moderne Fieberbehandlung erhebt, in der Hauptsache auf drei Be¬ 
hauptungen zurückführen. Herr Unverricht behauptet: 

1. Die kalten Bäder wirken gar nicht antipyretisch; sie setzen 
die febril gesteigerte Temperatur nicht herab. 

2. Die antipyretischen Medicamente wirken antipyretisch; es 
ist dies aber für den Kranken nicht nützlich, sondern schädlich. 

3. Die hohe Temperatur im Fieber ist überhaupt nicht 
nachtheilig für den Kranken; sie ist im Gegentheil nützlich, indem 
sie ihm hilft, die Krankheit zu überstehen. 

In der That, wenu diese Sätze vollständig richtig wären, so 
stände es schlecht um die Grundlagen der modernen Fieberbehand¬ 
lung. Wir wollen sie der Reihe nach prüfen. 

1. Zur Zeit als man anfing, Fieberkranke mit Wärmeentziehun¬ 
gen zu behandeln, hatte man gewöhnlich die Ansicht, es sei sehr 
leicht, die Körpertemperatur eines Menschen künstlich herabzu¬ 
setzen. Es erregte Aufsehen und vielfachen Widerspruch, als ich 
gefuuden hatte (1859), dass beim gesunden Menschen durch ein 
gewöhnliches kaltes Bad oder eine andere Wärmeentziehung von 
nicht übermässiger Intensität und Dauer die Temperatur im Innern 
des Körpers während der Dauer der Kälteeinwirkung überhaupt 
nicht herabgesetzt wird, sondern eher um ein Geringes steigt. Und 
auch in Bezug auf den Fieberkranken musste ich wiederholt und 
dringend vor der Illusion warnen, als ob der Mensch sich eben 
so leicht abkiihlen lasse, wie ein heisses Stück Eisen. Ich zeigte, 
dass der Fieberkranke eben so gut wie der Gesunde, wenu auch 
mit etwas weniger weit reichenden Mitteln, seine Körpertemperatur 
gegen künstliche Abkühlung vertheidigt, und dass deshalb, um bei 
hartnäckigem Fieber Erfolg zu haben, man intensive Wärmeent¬ 
ziehungen und diese häufig nach einander anweuden müsse. Immer 
noch stellten manche Aerzte sich die Sache zu leicht vor. Weil 
sie nicht mit der nöthigen Consequenz vorgingen, erreichten sie 
nur ungenügende Erfolge und waren enttäuscht. Herr Unver¬ 
richt scheint zu diesen Letzteren gehört zu haben: weil er nicht 
mit leichter Mühe erreichte, was er vielleicht wünschte und hoffte, 
ist er in das andere Extrem verfallen und behauptet, die kalten 
Bäder seien überhaupt nicht ira Stande, die Fiebertemperatur her¬ 
abzusetzen. Merkwürdiger Weise stützt er aber diese Behauptung 
nicht auf eigene Erfahrungen, sondern auf meine Beobachtungen: 
„Nach Liebermeister’s eigener Zusammenstellung geht aus über 
6000 Einzelbeobachtungen hervor, dass die Wirkung eines 16° R 
warmen und 15 Minuten fortgesetzten Bades nur 0,37° beträgt, ja 
sich bei Weibern sogar nur auf 0,28° beläuft. Je mehr man also 
davon überzeugt war, dass gerade in der Temperatursteigerung die 
Gefahren der fieberhaften Processe beruhten, um so mehr musste 
man von der Kaltwasserbehandlung zurückkommen . . . “. Wie 
Herr Unverricht aus meiner Darlegung das obige Resultat ziehen 
konnte, ist mir völlig unverständlich. Wenn er selbst Fieberkranke 
gebadet hat, so musste er wissen, dass die Wirkung eines Bades 
durchschnittlich eine viel bedeutendere ist. Aber wie steht es 
denn in Wirklichkeit mit meiner von Herrn Unverricht an¬ 
geführten Statistik? Zunächst handelt es sich nicht, wie Herr Un¬ 
verricht sagt, um Bäder von 15 Minuten, sondern um solche von 
10 Minuten. Das ist freilich ein bedeutender Unterschied, aber es 
ist doch nicht die Hauptsache. Wer meine Darstellung gelesen hat, 
der wird wissen, dass sich dieselbe gar nicht auf die unmittelbare 
Wirkung des Bades bezieht, sondern dass jene Zahlen den Vergleich 
geben zwischen der Temperatur vor dem Bade und zwei Stun¬ 
den nach dem Bade. Jene statistische Zusammenstellung, aus 


welcher Herr Unverricht seine Kenntniss der Wirkung der Bäder 
geschöpft hat, hatte nicht den Zweck, die Grösse der Temperatur¬ 
abnahme in Folge des Bades festzustellen (auch dies ist ja be¬ 
kanntlich von mir und vielen Anderen häufig genug ausgeführt 
worden), sondern nur, zu erforschen, zu welcher Tageszeit das 
Bad am günstigsten wirke. Und dabei kam freilich ausser der 
Temperaturerniedrigung auch die Dauer derselben in Betracht. 
Ferner ist zu berücksichtigen, dass für jene vergleichende Zu¬ 
sammenstellung nur die schweren Fälle, bei welchen häufige Bäder 
nöthig waren, ausgewählt wurden. Und dazu kommt endlich noch, 
dass, wenn man der Regel folgt, die ich gerade durch jene Ver¬ 
gleichungen begründet habe, und zur passenden Tageszeit badet, 
die durchschnittliche Wirkung eine beträchtlich grössere und länger 
dauernde ist: in den Stunden von 11 Uhr abends bis 7 Uhr 
morgens stellte sich die nach 2 Stunden noch vorhandene Tempe¬ 
raturerniedrigung durchschnittlich auf 0,54 bis 0,58°, oder, wenn 
nur solche Kranke berücksichtigt werden, bei denen keine medi- 
camentöse Einwirkung mitbetheiligt sein konnte, auf 0,43 bis 
0,54 °. Es ist doch wohl klar, dass bei solcher Wirkung es nur 
der genügend häufigen Wiederholung der Bäder bedarf, um jede 
für nöthig erachtete Herabsetzung der Temperatur zu erreichen. 
Wenn demnach auch jene Statistik ebenso wie viele andere Er¬ 
fahrungen geeignet ist, uns vor der Illusion zu warneu, als könne 
man in schweren Fällen mit seltenen und vereinzelten Bädern eine 
genügende Wirkung erreichen, so dürfen doch im übrigen diejenigen 
Aerzte, welche ihre Fieberkranken mit kalten Bädern behandeln, 
beruhigt sein: die kalten Bäder wirken auch jetzt noch ebenso wie 
früher; Herr Unverricht hatte nur aus Versehen in meinem Buche 
die falsche Seite aufgeschlagen. 

2. Bei der zweiten Behauptung freue ich mich, mit Herrn 
Unverricht wenigstens so weit in Ueberein6timmung zu sein, als 
ich ebenfalls die antipyretischen Medicamente für mehr schädlich 
als nützlich halte, wenn sie in leichtfertiger und unzweckmässiger 
Weise angewendet werden. Anders verhält es sich freilich, wenn 
man diese Medicamente, wie es dem verständigen Arzte ziemt, mit 
Umsicht und in zweckmässiger Weise anwendet. Wer wird denn 
den Gebrauch des Messers, welches in der Hand des Unvorsichtigen 
häufig Unheil anrichtet, dem erfahrenen und umsichtigen Chirurgen 
verbieten! Ich habe mich schon ira Jahre 1885 auf dem Wies¬ 
badener Congress über diesen Gegenstand ausgesprochen und ich 
kann hier anführen, was ich neuerlichst in meinen Vorlesungen 
darüber gesagt habe (III. Band; Leipzig 1887, p. 231): „In 
den letzten Jahren ist die Reihe der antipyretisch wirkenden Me¬ 
dicamente wesentlich bereichert worden durch die Entdeckung von 
Mitteln, welche die bisher gebräuchlichen an Sicherheit der Wirkung 
nbertreffen und dabei zugleich weniger unangenehme Nebenwir¬ 
kungen haben. Ob aber die Einführung dieser Mittel in die Praxis 
sich als ein Fortschritt der Therapie erweisen werde, lässt sich 
noch nicht mit Sicherheit Voraussagen: es wird wohl hauptsächlich 
davon abhängen, ob man dieselben nach passenden Indicationen 
anwenden wird; und das ist leider bisher nicht immer geschehen. 
Wohl alle Aerzte, welche den Fortschritten der Therapie nicht 
ganz fern geblieben sind, haben die Ueberzeugung gewonnen, dass 
bei zahlreichen fieberhaften Krankheiten eine zweckmässige anti¬ 
pyretische Behandlung weit bessere Resultate giebt als die exspec- 
tative Behandlung; sie fühlen deshalb die Verpflichtung, eine anti¬ 
pyretische Behandlung auszuführen. Es kann aber mancher Arzt, 
der leichten Herzens sich dazu versteht, ein Recept zu verschreiben, 
auch wenn er das verordnete Mittel aus eigener Erfahrung noch 
nicht kennt, nur schwer zu dem Entschluss kommen, eine conse- 
quente Behandlung mit Wärraeentziehungen durchzuführen, nament¬ 
lich an einem Orte, wo eine solche noch nicht gebräuchlich ist, 
uud wo es gilt, den Vorurtheilen des Publicums entgegenzutreten. 
Und so wäre es vielleicht denkbar, dass einzelne Aerzte mit der 
Forderung einer antipyretischen Behandlung sich bequem glaubten 
abfinden zu können, indem sie nach wie vor Recepte schrieben und 
nur ein neues Medicament auf das Recept setzten. Dabei sollte 
aber bedacht werden, dass alle antipyretischen Medicamente neben 
ihrer antipyretischen Wirkung nothwendig noch manche andere 
Störungen der Functionen bewirken müssen, dass sie starke Gifte 
sind. Nun sind zwar überhaupt die Gifte zugleich unsere wirk¬ 
samsten Heilmittel; aber ein gewissenhafter Arzt wird doch immer 
ein solches Mittel nur dann anwenden, wenn eine bestimmte und 
klare Indicatiou vorliegt, und er wird es nicht in grösserer Dosis 
und nicht öfter anweuden, als es zur Erreichung des Vorgesetzten 
Zweckes nöthig ist. Wenn man mehr thut, so muss man noth¬ 
wendig dem Kranken schaden. Alle diese Erwägungen sind ja 
naheliegend und selbstverständlich. Dessenungeachtet sehen wir, 
dass man Fieberkranke zuweilen Tage und Wochen lang anhaltend 
unter der Wirkung eines antipyretischen Mittels gehalten hat, indem 
dasselbe immer wieder gegeben wurde, sobald die Temperatur 
wieder anfing zu steigen. Und wenn man dann am Schluss der 


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5. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 3 


Beobachtungsreibe fand, dass dadurch den Kranken mehr geschadet 
als genutzt worden war, dass die Mortalität nicht abgenommen, 
sondern zugenommen hatte, so hat man daraus nicht geschlossen, 
was man eigentlich schon ohne diese Probe hätte wissen sollen, 
dass ein solches Verfahren ein verkehrtes sei, sondern man hat zu¬ 
weilen daraus die Folgerung abgeleitet, dass die ganze antipyretische 
Behandlung nichts tauge. Und damit hat man dann wieder sich 
und vielen Anderen das Gewissen beruhigt, wenn sie es bequemer 
landen, mit der altgewohnten exspectativen Behandlung fortzu- 
fabren“. Ich habe schon wiederholt hervorgehoben, dass ich eine 
antipyretische Behandlung, bei welcher nicht die direkten Wärme¬ 
entziehungen die Grundlage bilden, nicht als eine zweckmässige 
anerkennen kann. Wenn Herr Unverricht bei diesem Kampf 
gegen Uebertreibungen an den Goethe’schen Zauberlehrling er¬ 
innert, dem die Geister, welche er gerufen, es schliesslich zu stark 
trieben, so ist ja dieser Vergleich nicht ganz unpassend. Wir müssen 
eben bei allen stark wirkenden therapeutischen Eingriffen uns hüten, 
mehr zu thun, als für den Kranken gut ist. Abter nur Unverstand 
könnte die Warnung vor Uebertreibungen als einen Abfall von der 
eigenen Lehre bezeichnen. Dass auch ein antipyretisches Medicament, 
zur rechten Zeit und in richtiger Dosis angewendet, unter Umständen 
lebensrettend wirken kann, habe ich schon wiederholt ausgesprochen, 
und die weitere Erfahrung hat es oft genug bestätigt. Die allge¬ 
meinen Indicationen für antypiretische Medicamente habe ich fol- 
gendermaassen formulirt (a. a. 0. p. 231): „In einzelnen Fällen ist 
das Fieber so hartnäckig, dass die kalten Bäder nicht ausreichen, 
um genügende Remissionen zu erzielen. Auch kann es Vorkommen, 
dass schwächliche Kranke die Bäder in der Häufigkeit, wie sie für 
eine genügende Wirkung erforderlich sein würde, nicht ertragen. 
Endlich können Contraindicationen gegen die Anwendung der kalten 
Bäder vorhanden sein, wie z. B. schwere acute Peritonitis, Darm¬ 
blutungen bei Abdominaltyphus, hohe Grade von Herzschwäche mit 
niedriger Temperatur der Peripherie. In solchen Fällen ist es ge¬ 
boten, zur Bekämpfung des Fiebers auch die antipyretischen Medi¬ 
camente heranzuziehen. Und auch sonst darf man einmal bei einem 
Kranken, welcher so häufig baden muss, dass er dadurch schwer 
belästigt wird, ein antipyretisches Medicament anwenden, um da¬ 
durch die Zahl der erforderlichen Bäder etwas zu vermindern“. — 
Herr Un verricht wird wohl schon jetzt mit dem negativen Theil 
meiner Ansicht einverstanden sein und es in der Ordnung finden, 
dass ich vor dem Missl»rauch der antipyretischen Medicamente 
warne. Vielleicht wird er, wenu er über den zweckmässigen Ge¬ 
brauch derselben Erfahrungen gesammelt hat, auch dem positiven 
Theil zustimmen können. 

3. Herr Unverricht behauptet, dass die hohe Temperatur 
im Fieber von Nutzen sei für den Kranken, indem sie ihn befähige, 
mit Erfolg gegeu die Krankheit anzukämpfen. Auch mit diesem 
Gedanken kann ich mich bis zu einem gewissen Punkte einverstan¬ 
den erklären. Ich habe denselben schon seit längerer Zeit aus¬ 
gesprochen und sogar im Jahre 1875 ein ganzes Capitel über die 
Heilwirkungen des Fiebers geschrieben. Ueberhaupt glaube ich in 
unserer Zeit der Erste gewesen zu sein, der diese Ansicht vertreten 
und auf die Bedeutung des Fiebers für den Kampf des Organismus 
gegen die Infectionsstoffe hingewiesen hat, und zwar schon zu einer 
Zeit, als die Strömung in der Wissenschaft einer solchen teleologi¬ 
schen Auffassung des Fiebers keineswegs günstig war. Erst lange 
nachher haben dann Pflüger und viele Andere die gleiche An¬ 
sicht ausgesprochen. In jenem Capitel (Handbuch p. 389 ff.) habe 
ich zunächst die Meinungen der Alten über diesen Gegenstand an¬ 
geführt, dann dargelegt, wie sich in der nachgalenischen Zeit die 
Lehre vou der depuratorischen Wirkung des Fiebers entwickelte, 
ferner erörtert, wie weit die Ansichten der älteren Aerzte auch 
jetzt noch als richtig anerkannt w’erden können, und endlich zu 
zeigen versucht, dass mit der neueren Auffassung der Infections- 
krankheiten die Annahme einer depuratorischen Wirkung des 
Fiebere in vielen Fällen wohl verträglich sei. Ich habe dann die 
Thatsachen angeführt, welche darauf hindeuten, dass in der That 
das Fieber unter Umständen zur Befreiung des Körpers von den 
lnfectionsstoffen beitragen könne. Bei einer späteren Bearbeitung des 
gleichen Gegenstandes konnte ich schon Erfahrungen anführen, welche 
zu zeigen scheinen, dass gewisse Infectionsstoffe bei einer Temperatur 
von 40° weniger lebensfähig sind als bei niederer Temperatur 
(Ziemsseu’s Handbuch der allgemeinen Therapie, Bd. I. 2; Leipzig 
1880, p. 114). Und neuerlichst habe ich das Fieber geradezu als eine 
^ehr-Action des Organismus im Kampf gegen dieKrankbeitserreger be¬ 
zeichnet (Vorlesungen, Bd. 1.1885, p. 40; Bd. III. 1887, p. 220 ff.). — 
Es ist demnach diese Auffassung des Fiebers keineswegs neu, 
sondern bereits von mir und vielen Anderen ausführlich erörtert 
worden. Es besteht aber zwischen der Auffassung von Herrn Un¬ 
verricht und der meinigen ein Unterschied. Während Herr Un¬ 
verricht aus einzelnen mehrdeutigen Thatsachen einen bestimmten 
Schluss ableitet, dann sofort, was für einen besonderen Fall mög¬ 


lich oder wahrscheinlich erscheint, auf alle Fälle • von fieberhaften 
Krankheiten ausdehnt und daraus weitgreifende allgemeine thera¬ 
peutische Folgerungen zieht, die thatsächlich aller Erfahrung wider¬ 
sprechen, bin ich vorsichtiger gewesen: ich habe mich darauf be¬ 
schränkt, die Wahrscheinlichkeit einer depuratorischen Wirkung des 
Fiebers in gewissen Fällen darzulegen und zu zeigen, wie dieses 
Verhältniss bei der Aufstellung der therapeutischen Indicationen zu 
berücksichtigen sei. Vor allem aber habe ich mich davor gehütet, 
zu meinen, weil die Temperatursteigeruug unter gewissen Umständen 
und in gewissen Grenzen für den Menschen zuträglich sein könne, 
so müsse sie überhaupt in jedem Falle und in jedem Maasse für 
nützlich erklärt weiden. Auch der Schmerz kann ja mit vollem 
Rechtals der „Wächter der Gesundheit“ bezeichnet werden; welchem 
Arzt aber wird es einfallen zu behaupten, der Schmerz sei unter 
allen Umständen nützlich für den Kranken und dürfe niemals be¬ 
kämpft werden! Um zu verstehen, dass Temperatursteigerung unter 
Umständen nützlich sein könne, dass aber ein Uebermaass trotzdem 
schädlich und tödtlich wirkt, braucht man ja nur an die Wirkung 
der gewöhnlichsten Arzneimittel und anderer Agentien zu denken: 
es kommt eben bei allen diesen Dingen auf die besonderen Um¬ 
stände und namentlich auf die Quantität oder Intensität der Ein¬ 
wirkung an. Durch Feuer lassen sich die Parasiten in einem Hause 
sicher zerstören, aber es brennt dabei leicht das ganze Haus ab. 

Herr Unverricht ist freilich anderer Ansicht. Er sagt: „Es 
ist höchst unwahrscheinlich, dass der Körperwärme nach oben zu 
so enge Grenzen gesteckt sein sollen, während doch nach unten 
zu eine Abkühlung des Körpers um 10—12° sich mit dem Fortbe¬ 
stehen des Organismus verträgt. Es sind wiederholt Fälle beob¬ 
achtet worden, wo die Temperatur ohne Schaden für den Kranken 
weit über 44° hinausging“. Diese letztere Behauptung lässt einen 
sehr bedenklichen Mangel an Kritik erkennen. Hat Herr Unver¬ 
richt vielleicht selbst einmal solche Erfahrungen gemacht? Oder 
kann er einen Forscher nennen, welcher mit dem Thermometer um¬ 
zugehen weiss, der solches beobachtet hätte? Herr Unverricht 
beruft sich auf Beobachtungen von Naunyn, der bei Kaninchen 
die Temperatur wochenlang im Durchschnitt auf 41,5° gehalten 
habe mit häufigen Steigerungen über 42°, selbst bis 43°. Aber 
das waren ja Kaninchen; hätte er Vögel gewählt, bei denen die 
Norinaltemperatur 40° oder selbst 42° beträgt, so hätte er noch 
höher gehen können. Bei unserer Frage handelt es sich um Menschen, 
und dass bei solchen, wie Herr Unverricht versichert, die Tem¬ 
peratur „weit über 44°“ steigen könne „ohne Schaden für den 
Kranken“, wird ihm Niemand glauben, der nur einigermaassen mit 
Temperaturbestimmungen bei Kranken sich abgegeben hat. Aus 
älterer Zeit, als man die gewöhnlichsten Vorsichtsmaassregeln bei 
Temperaturbestimmungen noch nicht kannte, sind freilich auch Be¬ 
obachtungen am Menschen überliefert worden, bei welchen dieselben 
noch viel höhere Temperaturen ohne Schaden ertragen haben sollen, 
und hin und wieder werden selbst in unserer Zeit noch solche Märchen 
erzählt; aber solche Mittheilungen zeigen doch nur, dass die betref¬ 
fenden Autoren nicht wissen, was zu einer zuverlässigen Temperatur¬ 
bestimmung gehört. — Möge doch Herr Unverricht oder wer 
sonst noch keine Kenntniss von der Bedeutung der Temperaturstei¬ 
gerung hat, das einfache Experiment machen und seine eigene 
Temperatur um einige Grade erhöhen. Es geliugt dies leicht im 
heissen Vollbade oder im russischen Dampfbade. Eine vorüberge¬ 
hende Steigerung über 40° ist noch ganz ohne Gefahr, und wenn 
er sonst gesund ist, kann er vielleicht unbedenklich bis auf 41« 
hinaufgehen. Er wird dann nachher über die thatsächliche Wir¬ 
kung der Temperatursteigerung aus eigener Erfahrung reden können. 
Zu höheren Steigerungen möchte ich nicht rathen. Zwar wird er 
möglicherweise auch noch eine Steigerung bis 42«, wenu sie nur 
ganz kurze Zeit anhält, ohne dauernden Nachtheil ertragen; wenn 
aber seine Temperatur 43° oder gar 44« erreichen sollte, so würde 
er sicher seine Beobachtungen nicht mehr niederschreiben. Dabei 
setze ich natürlich voraus, dass er Thermometer anweudet, die nicht 
um einige Grade zu hoch gehen, und dass ihm auch die sonstigen 
unerlässlichen Vorsichtsmaassregeln bei Temperaturbestimmungen 
bekannt sind. 

Vielleicht werden diese Bemerkungen, die freilich nur apho¬ 
ristisch sein konnten, genügen, um die Ueberzeugung zu vermitteln, 
dass vorläufig, bis etwas Besseres an ihre Stelle gesetzt ist, die 
Thesen Geltung behalten, welche in Wiesbaden auf dem ersten 
Congress für innere Medicin im Jahre 1882 allgemeine Anerkennung 
gefunden haben, und welche ich später auch auf dem internatio¬ 
nalen Congress in Kopenhagen im Jahre 1884 vertreten habe. Die¬ 
selben lauten: 

1. In vielen Fällen von fieberhaften Krankheiten besteht eine 
Gefahr für den Kranken in der Steigerung der Körpertempe¬ 
ratur. 

2. In solchen Fällen ist es Aufgabe des Arztes, durch entspre¬ 
chende Maassregeln die Temperatursteigerung zu bekämpfen. 


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4 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


tfo. 1 


3. Die Grundlage der antipyretischen Behandlung bilden die 
direkten Wärmeentziehungen durch abköhlende Bäder. 

4. In manchen Fällen ist daneben die Anwendung von antipyre¬ 
tisch wirkenden Medicamenten zweckmässig. 

Zur Erläuterung und Begründung dieser Thesen verweise ich 
auf den Anhang, der mein Referat über dieselben aus den Ver¬ 
handlungen des Kopenhagener Congresses enthält. 

Vorher aber noch ein Wort, welches sich an den weiteren Kreis 
der Collegen richtet. Wir sollten doch niemals vergessen, dass wir 
auch bei der literarischen Erörterung von therapeutischen Problemen 
eine gewisse Verantwortlichkeit übernehmen. Ueber rein theore¬ 
tische Fragen kann man ja leichten Herzens akademisch disputiren; 
ob die Wahrheit oder der Irrthum zum Siege gelangt, ist dabei 
gewöhnlich für das Wohl der Menschheit ziemlich gleichgültig. 
Auf unserem Gebiete dagegen handelt es sich um Fragen von ausser¬ 
ordentlicher praktischer Wichtigkeit, von deren richtiger Entschei¬ 
dung oft das Wohl und Wehe von Tausenden von Menschen ab¬ 
hängt; da ist es nicht gleichgültig, was Recht und Unrecht ist. 
Ich glaube, wenn wir uns diese Verantwortlichkeit immer vor Augen 
hielten, so würden wir bei therapeutischen Fragen ein abschliessen¬ 
des Urtheil so lange zurückhalten, als wir nicht durch ausreichende 
eigene Erfahrung oder wenigstens durch ein sorgfältiges Studium 
der in der Literatur niedergelegten Erfahrungen Anderer uns eine 
gewisse Berechtigung dazu erworben haben. — Wird nicht mancher 
Arzt, der sich bisher in seinem Gewissen gedrängt fühlte, trotz der 
grossen Unbequemlichkeit eine zweckmässige Kaltwasserbehandlung 
bei seinen Fieberkranken durchzuführen, sich beruhigen und zum 
Nichtsthun zurückkehren, wenn er erfährt, es sei die neueste Er¬ 
rungenschaft der Therapie, dass die antipyretische Behandlung über¬ 
flüssig oder gar schädlich sei? Der Bequemen ira Lande sind nicht 
wenige, die am liebsten bei der rein exspectativen Behandlung, 
welche keine Mühe und, wie sie meinen, keine Verantwortlichkeit 
mit sich bringt, stehen bleiben würden, und diese werden einen 
solchen Ausspruch mit Freuden begrüssen, namentlich wenn er von 
einem Manne ausgeht, der durch seine Stellung als akademischer 
Lehrer eine gewisse Autorität hat, mit welcher man sich gegen 
etwaige Zweifel decken kann. Glücklicherweise nimmt aber auch 
die Zahl der strebsamen Aerzte immer mehr zu, welche den Willen 
und die Fähigkeit haben, sich durch eigene Erfahrung ein Urtheil 
zu bilden. (Schluss folgt.) 


II. Ueber Nephrolithotomie bei Anurie durch 
Nierensteineinklemmung; zugleich ein Bei¬ 
trag zur Frage der reflectorischen Anurie . l ) 
Von Dr. James Israel. 

Unter allen Eingriffen, welche seit Simon’s Wiederbelebung 
der Nierenchirurgie an den harnabsondernden Organen ausgeführt 
werden, ist keiner befriedigender, als die Nephrolithotomie, d. h. 
die Excision von Nierensteinen mit Erhaltung der Niere, weil 
diese Operation nicht nur eine schwere Erkrankung eines lebens¬ 
wichtigen Organes ohne Entfernung desselben beseitigt, sondern 
auch im Punkte der Gefahrlosigkeit weitaus die verstümmelnde 
Nierenexstirpation übertrifft. 

Um so verwunderlicher ist es, dass diese erprobte Operation 
nicht öfter ausgeführt ist unter dem Zwange einer Indicatio vitalis 
bei vollständiger Anurie durch eingeklemmte Nierensteine. So weit 
meine Information reicht, sind es nur zwei 2 ) Fälle, in denen aus 
dieser Indication zur Operation geschritten wurde. 

Im Jahre 1882 entfernte Bardenheuer 3 ) wegen plötzlich 
eingetretener Anurie einen eingeklemmten Stein aus dem rechten 
Nierenbecken eines Mädchens, dessen linke Niere durch Eiterung 
gänzlich verödet war. 

F. Lange 4 ) in New-York hatte bei einem 30jährigen Manne 
linkerseits die Nephrotomie wegen calculöser Pyonephrose gemacht. 
Als sich 23 Tage später unter rechtsseitigen Nierenschmerzen 
Oligurie, bald Anurie entwickelte, schritt Lange zur Eröffnung 
des rechten Nierenbeckens und entfernte aus dem Ureter mittelst 
Wassereinspritzung vom Ostium pelvicum aus einen incrustirten 
Fibrinpfropf. Bei der Neuheit und Wichtigkeit des Gegenstandes 
wünschte ich daher, Ihnen über einen einschlägigen Fall meiner 
Beobachtung einen genaueren Bericht zu gebeu, weil derselbe so¬ 


1 ) Vortrag, gehalten in der freien Vereinigung Berliner Chirurgen. 

2 ) Inzwischen hat v. Bergmann auf der 60. Naturforscherversamm¬ 
lung am 21. Sept. 1887 eine linksseitige Nephrolithotomie wegen Stein¬ 
einklemmung bei Verödung der rechten Niere mitgetheilt. 

*) 0. Th eien. Nephrolithotomie wegen Anurie. Centralbl. f. Chir. 
1882 No. 12. 

4 ) Medical News 16. Jan. 1886 p. 69. 


wohl in operativer Beziehung einiges Lehrreiche bietet, als auch 
geeignet ist, einen Beitrag zu der Frage nach dem Vorkommen einer 
reflectorischen Anurie zu liefern. 

Am 20. November 1886 wurde ich von den Herren Dr. Posner und 
Dr. Georg Meyer zu einer Consultation bei einem 49jährigen Herrn auf¬ 
gefordert, der wiederholt sowohl an Gichtanfällen wie an rechtsseitigen 
Nierenkoliken mit Abgang von Steinen gelitten hatte. Fünf Tage zuvor, 
am 15. November, hatte er von neuem Nierenkoliken bekommen; diesesmal 
aber auf der linken Seite. Am 16. November zwangen ihn die Schmerzen 
sich in’s Bett zu legen; seit dem Mittag dieses Tages hatte er keineu Tropfen 
Urin mehr entleert. 

Ich fand einen ungewöhnlich fettleibigen Mann mit kurzem Halse, 
häufiger, etwas dyspnoischer Respiration, feuchter schwach uriuös riechen¬ 
der Haut. Art., rad. von mittlerer Weite und Spannung, Pulsus celer von 
96 Schlägen in der Minute. Das Herz stark nach links vergrössert, bot 
alle Zeichen einer Insufficienz der Aortenklappen dar, die Lungen zeigten 
erhebliche Volumszunahme mit diffusem Bronchialkatarrh. Trotzdem der 
monströse, hart gespannte Fettbauch eine genaue Palpation unmöglich 
machte, konnte doch linkerseits zwischen Rippenbogen und Darmbeinkamiu 
eine stärkere Resistenz, sowie eine etwas gesteigerte Druckempfindlichkeit 
erkannt werden. 

Durch eine ausgesprochene Druckschmerzhaftigkeit zeichnete sich ein 
ganz umschriebener Punkt zwei Querfinger breit nach oben und innen vom 
linken oberen vorderen Darmbeinstachel aus. 

Trotz klaren Sensoriums machte Patient einen etwas trunkenen Ein¬ 
druck; seine Augen batten einen schläfrig glasigen Ausdruck; es fehlte 
ihm ebensowohl jedes Bedürfniss zu uriniren, wie jede spontane Schmerz¬ 
empfindung; sein gleichgültiges, sorgloses Verhalten stand in seltsamem 
Widerspruche zu der Schwere seines Zustandes. Nach sehr unruhig ver¬ 
brachter Nacht hatte sich der Zustand am nächsten Morgen, dem 21. No¬ 
vember, entschieden verschlechtert. Das Gesicht erschien gedunsen, bläu¬ 
lich, die Venen des Kopfes und Halses waren überfüllt, die Conjunctiva 
injicirt, der Ausdruck der Augen war noch trunkener geworden. DerAthem 
war mühsam, von laut hörbarem Pfeifen begleitet; die Spannung in den 
Radialarterien war seit dem vorigen Tage zu auffallender Härte gestiegen: 
die Pulsfrequenz 96; an den Fussrücken und Knöcheln hatte sich etwas 
Oedem eingestellt. Nach allem, was vorangegaugen war, konnte es keinem 
Zweifel unterliegen, dass es sich um eine Verlegung des linken Ureters 
durch Nierensteine handele; ob auch rechterseits de;selbe Zustand vor¬ 
handen war, oder die rechte Niere aus anderen Gründen nicht functionirte, 
konnte zunächst nicht entschieden werden. Wie dem auch sein mochte, 
konnte es kaum bezweifelt werden, dass der Kranke bei der rapiden Ver¬ 
schlimmerung seines Zustandes und Unwirksamkeit der bisher angewandten 
üblichen medicinischen Therapie schnell zu Grunde gehen würde, wenn es 
nicht gelänge, den verstopfenden Stein auf chirurgischem Wege zu ent¬ 
fernen. Am Mittag des 21. wurde Patient nach meiner Privatklinik über¬ 
führt, und um P/a Uhr die Operation begonnen. 

Lagerung auf der rechten Seite mit dicker Rolle unter der W r eiche. 
Der Hautschnitt begann an dem Kreuzungspunkt der 12. Rippe mit dem 
vorderen Rande des M. sacrolumbalis und lief schräg abwärts und vorwärts 
bis zum Darmbeinkamm. Der Schnitt fiel genau auf den vorderen Rand 
des Muse, quadratus lumbor. und legte nach Trennung der Fascia transversa 
die Capsula adiposa renis frei, w'elche von eiuer erstaunlichen Mächtigkeit 
war. Bei ihrer Incision sinterte wie aus einem Schwamm eine erhebliche 
Quantität einer hellen, urinös riechenden Flüssigkeit. Nach stumpfer Ab¬ 
streifung der dicken Fettkapsel präsentirte sich die in allen Durchmessern 
enorm vergrösserte dunkelrothblaue Niere. Bald zeigte es sich, dass es bei der 
starken Ausdehnung des Organs und der ausserordentlichen Tiefe der Wundo 
nicht möglich sein würde, von dem einfachen Längsschnitt aus zum Nierenbecken 
vorzudringen oder die Niere innerhalb der Wunde so zu drehen, dass man 
des Beckens hätte ansichtig werden können. Deshalb wurde eine zur Mitto 
des Längsschnitts senkrecht nach vorn laufende Incision von 12 cm Länge 
durch die Bauchdecken bis auf das properitoneale Fett hinzugefügt, und 
nun liess sich die Niere leicht nach vorn luxiren. Sie maass 18 cm im 
Längsmesser bei entsprechender Vergrösserung in den anderen Dimensionen, 
zeigte am oberen Pole eine apfelgrosse Cyste und schwoll so deutlich 
pulsirend, wie ein Aneurysma, bei jeder Herzsystole an. 

Indem ich das nun frei bewegliche Organ nach vorn und oben zog, 
gelang es, die hintere Wand des kaum erweiterten Nierenbeckens freizu¬ 
legen und einen Stein in demselben zu fühlen. Eine kleine Längsincision 
liess sofort einen Theelöffel voll Urin ausfliessen und gestattete den Stein 
zu extrahiren, welcher herzförmig gestaltet mit seiner Spitze in den 
Anfangstheil des Ureters gepresst war. Als ich demnächst den Harnleiter 
zur Prüfung seiner Wegsamkeit sondirte, stiess ich ca. 10 cm unterhalb 
seines Ostium pelvicum auf einen fest eingekeilten zweiten Stein. Zur 
Herausbeförderung desselben spannte ich mit der einen Hand durch An¬ 
ziehen der Niere den Ureter an, glitt, stumpf das umgebende Gewebe ab¬ 
schiebend, längs desselben mit Zeige- und Mittelfinger bis unterhalb des 
Steines hinab, der sich als leichte Verdickung des Rohres markirte, und 
strich ihn, den Ureter zwischen beide Finger klemmend, in das Nieren¬ 
becken hinauf, von wo er sich leicht extrahiren liess. Nach Desinfection. 
mit Salicylwasser wird die inzwischen noch stärker angeschwoliene Niere 
mit einiger Mühe reponirt, die Wunde mit Jodoformäther besprüht, und 
nach Einlegung mehrerer Drainröhren, von denen eine bis zum Nierenbecken 
reicht, die Querwunde und der obere Theil der Längswunde vernäht, der 
untere mit Jodoformgaze tamponirt, darüber ein Jodoformgaze-Watteverband 
gelegt. Die Operation hatte ca. 2 Stunden gedauert. 

Bereits drei Stunden später, gegen 7 Uhr, entleerte Pat. durch die 
Harnröhre 310 ccm fast klaren Urins von 1017 spec. Gewicht und massigem 
Eiweissgehalt; gleichzeitig wird der Verband und die Bettunterlage durch¬ 
nässt gefunden. Bis Abends 10 Uhr waren schon 700 ccm per vias natu- 


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5. Janaar. 


DEUTSCHS MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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rales ausgeschieden, Verband und Unterlagen gänzlich von Urin durchfränkt; 
die Pulsspannung hatte sich verringert, starker Schweiss war eingetreten, 
Pat. befand sich wohl. 

Bis zum nächsten Morgeu (22. November) waren 2000 ccm Urin aus 
der Blase ausgeschieden, neben einem so enormen Quantum durch die 
Wunde, dass Pat. in einer grossen Lache schwamm. In Folge dieser starken 
Ausscheidung wurde von nun an der direkt der Wunde entströmende Harn 
durch einen langen, den Verband durchbohrenden Schlauch in ein am Fuss- 
boden stehendes Gefass unter Carbollösung geleitet: Die somit ermög¬ 
lichte gesonderte Untersuchung des Blasenurins und des 
Wundurins, wie ich kurz die beiden getrennt aufgefangenen 
l'rine bezeichnen will, ergab das überraschende Resultat, dass 
in jeder Probe der Wundurin sich von dem gleichzeitig produ- 
cirten Blasenurin durch erheblich grösseren Farbstoffgehalt, 
bedeutenderen Eiweissreichthum und höheres specifisches Ge¬ 
wicht unterschied. Hierdurch war der sichere Beweis geliefert, 
dass auch die nicht operirte rechte Niere gleichzeitig mit der 
linken wieder angefangen hatte zu functioniren. 

Ungeachtet der ausserordentlichen Harnfluth, welche am 23. November 
schon 9000 ccm betrug, machte Pat. einen leicht urämischen Eindruck. Trotz 
der Aufnahme unglaublicher Mengen von Flüssigkeit hatte die Zunge entschie¬ 
dene Neigung zur Trockenheit; es bestand ein hoher Grad von Schlafsucht, 
so dass Pat. meistens sofort ohne Uebergang schnarchend eiuschlummerte, 
sobald man aufhörte, mit ihm zu sprechen; wenn er auch auf einfache 
Fragen richtig antwortete, so gingen doch seine Gedanken, sich selbst über¬ 
lassen, häufig irre. 

Von den 9000 ccm Urin waren 3000 durch die Blase entleert: der 
Tags zuvor gefundene Unterschied beider Harne in Bezug auf Farbstoff, Ei¬ 
weissgehalt und Gewicht tritt noch deutlicher hervor; während der Wund¬ 
urin ein Gewicht von 1010—1012 zeigt, sind die correspondirenden Befunde 
im Blasenurin 1004 — 1007. Diese Gewichtsunterschiede bleiben auch ferner¬ 
hin coustant. 

Am 24. November zeigte der Blasenurin fleischwasserartige Färbung: 
das Mikroskop wies reichliche Epitheleylinder, Nierenbeckenepithel und Harn- 
säure-Krvstalle iu Rosettenform nach; gleichzeitig stellte sich häufiger Urin- 
draug ein. Von nun au bis zum Endo der Beobachtung wechselte immer 
stärker blutig werdender Blasenurin mit hellem, während das wachsende Se¬ 
diment reicher an Eiterkörpern wurde. Trolz dieser Aenderung des Blasen- 
urius zeigte der «undurin niemals Spuren von Blut. 

Während bis zum 5. Tage p. op. der Wundverlauf ein durchaus be¬ 
friedigender gewesen war und die Temperatur sich stets unter 37° gehalten 
hatte, trat vom 6. Tage ab nach beiden Richtungen hin eine ungünstige 
Veränderung ein, deren Ursache in groben Schädigungen zu suchen war, 
welche Pat. sich unter dem Einflüsse abnormen psychischen Verhaltens zu- 
gefögt batte. Pat., der oft schon in gesunden Tagen in unmotivirter Weise 
heftig bis zu Wuthausbrüchen war, zeigte unter dem Einflüsse der urämischen 
Intoxicatiou nicht selten Hallucinationen, Illusionen und Tobsuchtsanfälle 
heftiger Art. In solchen Erregungszustäuden riss er sich in drei aufeinander 
folgenden Nächten mittelst ungestümen Wälzens und Hin- und Herwerfens 
das Urin abführende Drain aus der Wunde und eutblösste dieselbe theil- 
weise von dem schützenden Verbände. Die Folge des gestörten Abflusses 
war eine Urindurcbtränkung des perirenalen Gewebes, welche eine Trennung 
der schon vereinigten Wunde erforderlich machte. Nichts desto weniger 
trat unter geringer Temperatursteigerung eine Nekrotisirung der durch- 
tränkteu Gewebe sowie des freiliegenden Abschnitts der Capsula propria 
der Niere ein. Gleichzeitig wurde der Wundurin zunehmend reicher an 
Eiweiss und Eiterzellen. 

Vom 9. Tage au begann die Urinmenge rapide abzusinken, und die 
urämischen Erscheinungen steigerten sich zu Benommenheit, Delirien und 
Coma, bis unter stetigem Ansteigen der Temperatur am 30. November, dem 
9. Tage p. op., der Tod eintrat. 

Autopsie 31. November. 

Die rechte Niere war fest mit der sehr starken Fettkapsel ver¬ 
wachsen. Durch die unverletzte Albuginea hindurch konnte man zwei dicht 
unter der Oberfläche gelegene Steine fühlen. Die Nierenoberfläche war von 
gelblicher Farbe, gesprenkelt durch viele kleine Hämorrhagieen. Das Nieren¬ 
becken wie die Kelche waren sehr erweitert, mit blutiger Flüssigkeit erfüllt. 
In zwei vom Becken durch einen engeren Hals abgegreuzten Kelchen steckten 
4 Steine, 3 von Haselnuss-, einer von Erbsengrösse, während das Nieren¬ 
becken und der Ureter sich gänzlich frei von Concretionen wie 
Ton SuggiNationen erwiesen. Die Papillen waren zum Theil abge¬ 
stumpft, zum Theil verschwunden, die Corticalis auf eine kaum 1 cm breite 
Schicht verschmälert und vielfach von kleinen frischen und alten Häraor- 
rhagieen durchsetzt. 

Die linke Niere sehr vergrössert, sehr weich, von graugelber Farbe, 
zeigt eine grosse geplatzte und viele kleinere Cysten der Rinde. Auf dem 
Durchschnitt findet man das Rindenparenchym weich, in der peripheren Zono 
vielfach eitrig infiltrirt, stellenweise zerfliessend, von gänzlich verwaschener 
Zeichnung. Am Nierenbecken, welches nahe dem Abgänge des Ureters eine 
Längsincision zeigt, keine Spuren frischer Entzündung. Die mikroskopische 
Untersuchung des Organs ergab eine Durchsetzung des unmittelbar der 
Kapsel anliegenden Rindenparenchyms mit netzartig augeordneten Zügen von 
Mikroorganismen und eine massige Durchsetzung des interstitiellen Gewebes 
mit Eiterkörpern, welche am dichtesten in der peripherischen Zone der 
Niere auftraten, nach der Markgrenze zu immer sparsamer wurden. Das 
Kpitbel der gewundenen Canäle zeigto ausgedehnte Coagulationsnekrose. 

Aas diesem Befände ergiebt sich, dass es sich rechterseits um 
eine hydronephrotische geschrumpfte Steinniere mit recurrirender 
hämorrhagischer Entzündung gehandelt hatte, während linkerseits 
eine frische, eitrige Infiltration der Rinde mit secundären Epithel¬ 


veränderungen vorhanden war in einer durch ältere interstitielle 
Processe mit Cystenbildung vergrösserten Niere. 

Diese eitrige Infiltration war, wie die mikroskopische Unter¬ 
suchung lehrte, die Folge einer von der Oberfläche her gegen die 
Niere vordringenden Infection, hervorgerufen durch Urininfiltration 
des perirenalen Gewebes in Folge von Misshandlung des Verbandes 
und der Wunde seitens des Kranken. 

Epikritische Bemerkungen. 

Unter mancherlei Fragen von Wichtigkeit, welche der Fall an¬ 
regt, scheint mir keine dringender eine Antwort zu fordern, als die 
Frage nach dem Grunde der gleichzeitigen Functionseinstellung 
beider Nieren, sowie der gleichzeitigen Wiederaufnahme ihrer 
Fuuction nach nur einseitiger operativer Beseitigung des Abfluss- 
hiudernisses. Denn die merkwürdige Thatsache, dass die Secretion 
der rechten Niere sofort nach dem operativen Eingriff an der linken 
wieder iu Gang kam, geht mit Sicherheit daraus hervor, dass der 
Blasenurin vom ersten Beginne der Beobachtung bis zum Ende der¬ 
selben constante erhebliche Differenzeu aller seiner Qualitäten gegen¬ 
über dem Wundurin erkennen Hess, so dass jedenfalls ein grosser 
Theil des Blasenurins, wo nicht seine Gesammtmenge, von der rechten 
Niere geliefert werden musste. Wenn somit eine Beeinflussung der 
rechtsseitigen Nierenthätigkeit durch die linksseitige Nephrolithotomie 
ausser Zweifel staud, so sprach diese Thatsache von vorn herein 
gegen die Annahme, dass auch rechterseits eine calculöse Ver¬ 
stopfung als Ursache der Anurie zu beschuldigen sei. Es wäre 
schlechterdings nicht einzusehen gewesen, wie die Wegräumung von 
Steinen der linken Seite den rechten Ureter hätte wegsam machen 
können. 

Waren doch auch im Gegensätze zur linken Seite keinerlei 
klinische Erscheinungen vorhanden gewesen, welche auf rechts¬ 
seitige Einklemmung gedeutet hätten, weder Koliken noch Druck¬ 
schmerz daselbst. Wenn somit schon am Krankenbette eine Stein- 
verstopfuug als Ursache der rechtsseitigen Anurie mit grösster Wahr¬ 
scheinlichkeit auszuschliesseu war, so wurde die Wahrscheinlichkeit 
zur Gewissheit durch den Sectionsbefund. Denn Nierenbecken, 
Ureter und Harnblase waren frei von Steinen, ebenso wie sicherlich 
kein Concrement während der Krankenbeobachtung abgegangen war. 
Die Steiue, welche gefunden wurden, lagen ausschliesslich in den 
Kelchen und konnten somit keine Verlegung des Ureters verursacht 
haben, wenn man nicht etwa zu der absurden Hypothese seine Zu¬ 
flucht nehmeu wollte, dass ein im Ureter eingeklemmter Stein in 
einen Nierenkelch zurückgewandert wäre. Eiue treibende Kraft für 
eine Fortbewegung in diesem Sinne keunen wir nicht. Aber selbst 
wenn Jemand die Möglichkeit dieses räthselhaften, unwahrschein¬ 
lichen Vorganges zugeben wollte, würden die Schwierigkeiten der 
Erklärung uuseres Falles damit nicht hinweggeräumt sein, da doch 
iu keiner Weise zu begreifen wäre, welchen Einfluss ein Eingriff 
an der entgegengesetzten Seite auf das Zustandekommen jenes son¬ 
derbaren Ereignisses hätte haben können. 

Wenn somit das Verhalten der rechtsseitigen Urinausscheiduug 
nicht auf ein Hinderniss des Abflusses zurückgeführt werdeu darf, 
so kann die fünftägige Unterdrückung der rechtsseitigen Urinaus¬ 
scheidung nur in einem Stillstände der Secretion gesucht werden. 
Da nun Entstehen und Schwinden der rechtsseitigen Anurie genau 
mit dem Eintritt und der Beseitigung der linksseitigen Steineinklem¬ 
mung zusammenfiel, also in einem offenbaren Abhängigkeitsverhält- 
uisse zu letzterer stand, so erkläre ich die Functiouseinstel- 
lung der rechten Niere als eine reflectorische Secretions- 
hemmuug, hervorgerufen durch den Reizzustaud des lin¬ 
ken Ureters. 

Zur Stütze dieser Hypothese, welche bisher nur wenige An¬ 
hänger hat, mögen die uachfolgendeu experimentellen und klinischen 
Erfahrungen dienen, sofern sie geeignet sind, das Vorkommen einer 
reflectorischen Anurie darzuthun. 

Es ist bekannt, dass die Harnabsonderung unter dem Einflüsse 
des Nervensystems steht mittelst vasomotorischer Verengerung und 
Erweiterung der Nierengefässe. Claude Bcrnard zeigte, dass 
durch Reizung der in den Nierenhilus eintretenden Nerven Anämie 
der betreffenden Niere mit Anurie erzeugt werden kanu. Im ent¬ 
gegengesetzten Sinne experimentirten Cohnheim und Roy, 1 ) 
welche durch Euervirung einer Niere bedeutende hyperämische An¬ 
schwellung des Organs mit vermehrter Harnsecretion hervorriefen. 
Ebeuso wie durch direkte Inangriffnahme der Nierennerven, kann 
man auch durch verschiedenartige Reizung des Gefässcentrums in 
der Medulla oblongata die Harnmenge beeinflussen. Mag man das¬ 
selbe durch elektrische Ströme, wie Eckhardt, 2 ) oder durch An¬ 
häufung von CO2 im Blute erregen, wie Grützner, 3 ) jedesmal ist 

') Untersuchungen über die Circulation der Nieren. Virchow’s 
Archiv Bd. 92. 3. 

3 ) Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Bd, V, p. 157. 

*) Beiträge zur Physiologie der Harnsecretion. Pflüger’s Arch. XI, 1875. 


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6 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 1 


man im Stande, hei genügender Reizstärke die Harnsecretion gänz¬ 
lich zu sistiren. Diejenige Thatsache indessen, welche für das Ver- 
ständniss unseres Falles die grösste Bedeutung hat, ist die reflecto- 
rische Erzeugung vollkommener Anurie durch Reizung eines sen¬ 
siblen Nerven. Dieses Experiment gelang Cohuheim und Roy, 1 ) 
welche durch Reizung des centralen Stumpfes eiues durchschnittenen 
Ischiadicus eine gewaltige Gefässcontraction der Niere hervorriefen, 
mit Verkleinerung des Organs um 12% seines Volumens. Es ist 
besonders wichtig zu bemerken, dass, wie die Autoren angeben, der 
Reizeflfect erheblich länger anhielt als die Dauer der Reizung. — 

Diese experimentellen Erfahrungen bilden das Fundament der 
Hypothese von dem Vorkommen einer reflectorischen Anurie beim 
Menschen. 

Wie weit entsprechen nun die klinischen Erfahrungen den 
Thierversuchen? Giebt es sichergestellte Fälle von rein nervöser 
Anurie bei ganz gesunden Nieren? 

Die Frage muss durchaus bejaht werden. Hierher gehören in 
erster Linie die Fälle von hysterischer Anurie, unter denen ich nur 
einen vorzüglich beobachteten erwähne, der durch die exacte Unter¬ 
suchung jede Täuschung ausschliesst. 

Charcot 2 ) beobachtete bei einer schwer hysterischen Frau 
mit Convulsiönen, Hemiplegie und Hemiauästhesie eine Monate laug 
dauernde Oligurie (3—5 g in 24 Stunden) mit Perioden von völliger 
Anurie bis zu 11 tägiger Dauer. Während der ganzen Zeit wurdeu 
vicariirend geringe Harnstoffmengen erbrochen. Nach einer tiefen 
Chloroformnarkose, welche zum Zwecke der Lösung von Ge- 
lenkcontracturen unternommen war, trat normale Urinsecretion 
wieder ein. 

Der Fall zeigt, dass 'die lange Dauer einer Anurie 
nichts gegen ihre rein nervöse Natur beweist; dass letztere 
eine angio-spastische ist, lehrt ausser der Erfahrung des Thierexpe¬ 
riments der heilende Einfluss der krampflösenden Chloroforranarkose. 
Wenn es also eine nervöse Anurie wirklich giebt, so liegt die Ver- 
muthung nahe, dass eine solche nach Analogie der Thierversuche 
auch auf reflectorischem Wege in Folge sensibler Reize entstehen 
könne. Diese Vermuthung wird zur Gewissheit durch folgende 
zwei Beobachtungen. Ich behandelte eiue 24jährige Frau mit 
Retro-lateroposition des Uterus, Fixation desselben an das Kreuzbein, 
Stenose des äusseren Muttermundes, Uteruskatarrh, permanenten 
Schmerzen im Unterleibe, die auf das heftigste mit jeder Men¬ 
struation gesteigert wurden. Seit einem halben Jahre bestand Oli¬ 
gurie und profuses Erbrechen, welche Erscheinungen 10 Monate uuter 
genauester Controle im Kraukeuhause beobachtet und ohne Erfolg 
behandelt wurden. Die tägliche Harnausscheidung war im Maximum 
150 ccm, oft erheblich geringer, manchmal nur spurweise vorhanden. 
Nach bilateraler Discision des Collum uteri trat alsbald die nächste 
Menstruation schmerzlos ein, und damit war die Oligurie geheilt, 
indem unter Aufhören des Erbrechens die Harnmenge sofort erheb¬ 
lich über die Norm stieg, um dann auf mittlerer Höhe während der 
weiteren 5 Monate meiner Beobachtung zu bleiben. Aualoge Er¬ 
fahrungen machten T. A. M’Bride und Mann 3 ) bei einer mit 
Dammriss, Hypertrophie des Uterus und tiefen beiderseitigen Ein¬ 
rissen des Cervix uteri behafteten Patientin, welche meist prämen¬ 
struelle Anfälle von Anurie bis zur Dauer von 108 Stunden bekam. 
Morphiuminjectionen coupirten jedesmal die Anurie, die Operation 
des Cervixrisses beseitigte dieselbe dauernd. Ist somit das Vor¬ 
kommen reflectorischer Anurie und Oligurie vom Genitalapparat aus 
als erwiesen zu betrachten, so erübrigt noch die Untersuchung, ob 
ebenso sensible Reize, welche eine Niere oder einen Ureter treffen, 
die Harnsecretion reflectorisch zu hemmen im Staude sind. Auch 
diese Frage ist bejahend zu beantworten. Denn kaum anderer 
Deutung fähig sind Fälle von einseitiger Nierenkolik bei sonst ge¬ 
sunden Nieren mit tagelanger Herabsetzung der Harnmenge auf 
100 ccm, wie ich solche selbst beobachtet habe. Direkt beweisend 
aber ist ein Fall von Bourgeois, 4 * 6 ) betreffend einen 79jährigen 
Mann, der bereits mehrere mit Anurie einhergehende rechtsseitige 
Nierenkoliken überstanden hatte, ohne dass jemals ein Concrement 
abgegangen wäre. Nachdem derselbe einem erneuten Anfalle nach 
9 tägiger Anurie erlegen war, fand man bei der Section deu rechten 
Ureter durch einen Stein verstopft, das zugehörige Nierenbecken um 
das Dreifache erweitert, den linken Ureter dagegen gänzlich weg- 
sam und die linke Niere ganz gesund. Schon dem vortrefflich be¬ 
obachtenden Morgagni ö ) war die Thatsache bekannt, dass bei ein¬ 
seitiger Ureterobstruction bisweilen die andere Niere ihre Function 
einstellt; er sagt darüber: „nam etsi non semper, haud rarissime 

2 1. c. 

*) Le^ons de 1872 ä la Salpetriere. 

3 ) Archiv of. Med. I. 3. p. 293. June 1879. 

4 ) Union medicale 1755 No. 31. Citirt nach Rosenstein. Nieren¬ 

krankheiten 1886 p. 460. 

6 ) Epistola XI. 5. Citirt nach Rosonstein. Nierenkrankheiten 1886, 
p. 460. 


tarnen contiugit, ut uno affecto rene alter quoque in consensum 
trahatur“. 

Ausser den Steineinklemmungen gaben in seltenen Fällen noch 
Traumen der Niere Gelegenheit zur Erzeugung von Reflexanurie, 
mögen dieselben absichtlich zugefügte operative oder zufällig er- 
worbeue Quetschungen sein. Unter diesem Gesichtspunkte mögen 
manche tödtlich ablaufende Fälle von Nierenexstirpation ihre Er¬ 
klärung finden, in welchen trotz Zurücklassung einer gesunden 
Niere die Nierensecretion völlig sistirte. Derartige Erfahrungen 
haben Howard Marsh, 1 ) Barlow und Godlee 2 ) und Bruce 
Clarke 3 ) gemacht; doch handelt es sich bei derartigen Fällen um 
ein zu complicirtes Zusammenwirken verschiedener Factoren, um sie 
mit Sicherheit für den Beweis einer Reflexanurie zu verwerthen. 
Dagegen fällt folgende Beobachtung von Nepveu 4 ) mehr in’s 
Gewicht, welche den Einfluss schwerer Contusion einer Niere auf 
die Function der anderen demonstrirt. Ein Eisenbahnarbeiter erlitt 
durch Quetschung eine mehrfache rechtsseitige Rippenfractur, an 
welche sich in Folge von Perforation der Fragmente eine Pleuro¬ 
pneumonie anschloss. Am ersten Tage bei 37,5 Temperatur, ohne 
Shokerscheinungen („sa position paraissait assez bonne“) bestand 
vollkommene Anurie, iu den nächsten Tagen stieg trotz Ansteigens 
der Temperatur auf 40,7 und Zunahme des Pleuraergusses die 
24stündige Harnausscheidung auf je 240 ccm, 350 ccm, 500 ccm, 
600 ccm, 900 ccm Urin ohne Blut und Albumin. Die Section 
zeigte ausser einem grossen rechtsseitigen Pleuraexsudat eine starke 
Quetschung und Suggillation der rechten Niere, welche einen tiefen 
Querriss an ihrer vorderen Seite aufwies. Da allgemeine Shok- 
erscheinungen nicht bestanden hatten, nimmt Nepveu als Ursache 
der Anurie einen durch die rechtsseitige Nierenquetschung beding¬ 
ten reflectorischen Gefässkrampf der linken gesunden Niere an. 

Auf Grund aller vorstehend angeführten physiologischen und 
klinischen Erfahrungen glaube ich für meinen Ihnen vorgetragenen 
Fall nach genauer Analyse aller Erscheinungen zu der Deutung be¬ 
rechtigt zu sein, dass hier eine reflectorische Anurie der rechten 
Niere in Folge von Steineiuklemmung im linken Ureter vorlag. 
Wenn wir uns nun fragen, welcher Ursache die Beseitigung der 
spastischen Secretionshemmung zu danken war, so ist es nicht ganz 
sicher zu entscheiden, ob die Entfernung des irritirenden Agens, 
nämlich der Steine, oder die gleichzeitig herbeigeführte Herab¬ 
setzung der Erregbarkeit durch die tiefe und protrahirte Chloroform¬ 
narkose von grösserer Wirksamkeit war. Jedenfalls würde die 
letztere Möglichkeit mich veranlassen, in Uebereinstimmung mit den 
günstigen Erfolgen, die Charcot, M’Bride und Mann von Chloro¬ 
form und Morphium sahen, in jedem ähnlichen Falle zunächst einen 
Versuch mit der tiefen und langen Narkose zu machen. '*• 

Der ungünstige Ausgang unseres Falles muss zum Nachdenken 
anregen, ob unser Verfahren in Bezug auf Operation und Nach¬ 
behandlung vermeidbare Fehler erkennen lässt. Das ist nun in der 
That der Fall, wenngleich sie erklärlich sind durch die ungewöhn¬ 
lich grossen Schwierigkeiten, welche hier zu überwinden waren. 
Denn ganz abgesehen von dem ungünstigen Einflüsse, welchen das 
Zusammenwirken von Gicht, Aorteninsufficienz, schwerer doppel¬ 
seitiger Nierenaffection, von urämischem Zustand und unbändigem 
tobsüchtigem Verhalten auf die Wiederherstellung ausüben musste, 
erschwerte der monströse Fettreichthum der Bauchdecken und be¬ 
sonders der Nierenkapsel die Aufsuchung des Nierenbeckens auf das 
höchste, da bei der Dicke der durch trennten Fettschichten die Wunde so 
tief wurde, dass in Folge der Raumbeschränkung jede Manipulation 
an der gewaltig vergrösserten Niere unmöglich war. Diese Schwie¬ 
rigkeiten glaubte ich in Uebereinstimmung mit anderen Operateuren 
nur durch eine ausgedehnte Ablösung der Fettkapsel von der Capsula 
propria behufs Mobilisirung der Niere überwinden zu können — ein 
Verfahren, welches sich als Fehler erwiesen hat. Denn die weit¬ 
gehende Entblössung der Niere setzte das Organ der Gefahr einer 
Infection seitens des umspülenden Urins aus, falls derselbe in Folge 
eines Abflusshindernisses stagnirte und sich zersetzte. Dieses un¬ 
günstige Ereigniss führte Pat. in oben geschilderter Weise durch 
seiu tobsüchtiges Verhalten herbei und erlag in Folge dessen iu 
letzter Instanz einer infectiösen Entzündung der Nierenrinde. 

Aus dieser Erfahrung geht hervor, dass man bei der Auf¬ 
suchung des Nierenbeckens die Niere möglichst wenig aus ihren 
normalen Verbindungen lösen soll. Ein Verfahren, welches mit Be¬ 
rücksichtigung dieser Forderung möglichst direkten Zugang zum 
Nierenbecken gewährt, ist das von Lange in New-York vor¬ 
geschlagene, deu Patienten nach Ausführung des Simon’sehen 
Lumbalschnittes auf den Bauch zu legen und durch Druck auf die 
Bauchdeckeu das Nierenbecken in die Incisionswuude zu drängen. 


l ) Clinic. Soc. Transact. Vol. XV. p. 140. 
a ) Clinic. Soc. Transact. 1882. Vol. XV. p. 129. 

3 ) Surgery of the Kidney. London, H K. Lewis. 1886. 

4 ) Gazette hebd. 2. Ser. XIV. 7. 1877. 


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5. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Bei sehr grosser Niere, wie in unserem Falle, empfiehlt sich statt 
des einfachen Längsschnitts ein Tschnitt, dessen querer Schenkel 
mit seinem hinteren Antheil den M. sacrolumbal. und den Quadrat, 
lumborum zum Theil durchtrennt. Hat man das Nierenbecken 
eröffnet, so ist es nöthig, auch wenn man einen ver¬ 
stopfenden Stein im Ostium pelvicum des Harnleiters gefunden hat, 
dennoch stets den letzteren in seiner ganzen Länge zu sondiren, um 
sich zu überzeugen, ob etwa weiter abwärts, wie nicht selten, noch 
Concremente eingekeilt sind. Zu diesem Zwecke empfiehlt sich eine 
elastische Bougie mit Metallknopf vom Caliber No. 32-13 (Charriere). 
Hat man damit noch einen Stein entdeckt, so richtet sich das Ver¬ 
fahren nach der Stelle seines Sitzes. Befindet sich dieser im oberen 
Dritttheil, dann lässt sich der Stein, wie ich gezeigt habe, von dem 
Lumbalschnitte aus mit den Fingern erreichen, indem man sich 
an dem angespannten und durch eine eingeführte Sonde leicht er¬ 
kennbaren Ureter stumpf nach unten entlang arbeitet. Hat man den 
Stein erreicht, so schiebt man ihn nach oben in das Nierenbecken, 
um ihn von dort zu extrahiren. Eine grössere Schwierigkeit er¬ 
wächst aus dem tieferen Sitze der Verstopfung in den unteren 
zwei Dritttlieilen des Harnleiters. Für diesen Fall sind bis jetzt 
zwei Verfahren empfohlen. Nach Cullingworth’s 1 ) Vorgang soll 
man nach Laparotomie das hintere Peritonealblatt spalten, die 
Harnleiterwand über dem Steine einschneiden und nach Extraction 
des letzteren wieder vernähen. Liegt dagegen der Stein unmittelbar 
über dem Ostium vesicale des Harnleiters, so soll er in die Blase 
dislocirt werden, indem man von ihrer Höhle aus den ihre Waud 
durchsetzenden Theil des Ureters incidirt. Bei Männern ist selbst¬ 
redend der Zugang nur durch die Cystotomie zu schaffen, bei 
Frauen wäre es wohl ausführbar, durch die erweiterte Harnröhre ein 
gedecktes Messer neben dem Finger eiuzuführen und unter Leitung 
des letzteren auf den Stein zu incidiren. 

Da es einleuchtend ist, dass sowohl das transperitoneale Ver¬ 
fahren nach Cullingworth, wie die Eröffnung der Blase grosse 
Gefahren bergen, so halte ich die Ausführung beider Methoden 
nicht für räthlich. Vielmehr empfehle ich auf anderem Wege sich 
Zugang znm Ureter zu verschaffen, nachdem ich mich an der Leiche 
überzeugt habe, dass es möglich ist, denselben in seinem ganzen 
Verlaufe auf extraperitonealem Wege freizulegen. Mein Schnitt be¬ 
ginnt am vorderen Rande des M. sacrolumbalis einen Querfinger 
breit unter der 12. Rippe, verläuft anfänglich dieser parallel bis 
zu ihrer Spitze, weiterhin schräg nach unten bis dicht über die 
Mitte des Ligament. Poupartii und streicht zum Schlüsse in einem 
leichten Bogen medianwärts gegen den äusseren Rand der M. rectus 
abdom. Der Schnitt wird schichtweise bis auf das Bauchfell geführt und 
dieses nach vorn gestreift. Lagert man jetzt den Patienten auf die 
entgegengesetzte Seite, so fallen die Därme mit dem Parietal¬ 
peritoneum hinüber, und der gesammte Verlauf der Ureters bis zu 
seinem Eintritt in die Blase wird frei zugängig für Auge und Finger. 
Hat man vom Nierenbecken eine Sonde in denselben eingeführt, 
so ist er mit grössester Leichtigkeit zu erkennen. Es ist nicht 
nöthig, für jeden Fall den Schnitt in ganzer Ausdehnung anzulegen, 
sondern es genügt, je nach dem Sitze der Stein ei nkeilung, die Be¬ 
schränkung auf eine obere oder untere Hälfte oder einen mittleren 
Abschnitt seines Verlaufs. 

m. Der moderne Hypnotismus. 

Ein kritischer Essay. 

Von Professor Seeligmnller in Halle a. S. 

Das Interesse der Aerzte für das Studium des Hypnotismus 
scheint seit dem ergebnissreichen Jahre 1880, wo Haidenhain. 
Grützner und Berger in Breslau die Erscheinungen desselben 
wissenschaftlich beleuchteten, bei uns in Deutschland eingeschlafen 
zu »ein. Wenigstens ist von selbstständigen Forschungen auf diesem 
Gebiete in den Jahren seither bei uns kaum etwas von Bedeutung 
veröffentlicht worden. 

In Italien ist das ärztliche Interesse dafür ein regeres geblieben: 
kh erinnere an die ausserordentlich exacten Untersuchungen von 
Tamburini und Sepilli. 

Mit ungleich grösserem Eifer aber ist die Sache des Somnam¬ 
bulismus an seiner eigentlichen Heimathstätte, in Frankreich 2 ) weiter 
verfolgt worden, nnd zwar nicht nur in Paris unter der Aegide 
Cbarcot’s, sondern auch in Nancy unter der Führung von Lie- 
beanlt, Bernheim nnd Beaunis und weiter iu Rochefort von 
den Professoren Bourru und Burot. 


», Impaction of Calculus. Brit. med. journal Mai 23. 1885. 
ij Busser sehr zahlreichen sonstigen Publicntionen über Hypnotismus 
erscheint seit dem Monat Juli 188H allmonatlich ein mindestens 2 Bogen 
fastendes Heft der Revue de l’hypnotisme unter Redaction von Dr. 
EJgjr ßeriilon. 


7 


Besonders in Nancy ist in den letzten Jahren die Frage des 
Somnambulismus, wie es scheint, mit grossem Interesse ventilirt wor¬ 
den, insofern sich nicht nur Aerzte, soudern Apotheker, z. B. Fo- 
cachon in Charmes, und Juristen — ich nenne den Professor juris 
Liegeois 1 ) — an ihrer Lösung lebhaft betheiligen. 

Grund genug, dass der Pariser Schule der Salpetriere 
die Schule von Nancy entgegengestellt worden ist. 

In Nancy hatte der Arzt Liebeault sich seit Jahren mit dem 
Studium des Hypnotismus beschäftigt, als er im Jahre 1866 die 
Ergebnisse seiner Untersuchungen in einem umfangreichen Werke 
„Le sommeil et les etats aualogues“ veröffentlichte. Aber erst 
1882 bemächtigte sich, wie es scheint, auf Anreguug des Physikers 
Duiuout, der Professor der Nanziger Klinik Bernheim der Sache 
des Somnambulismus. 

Er ist seit 1884, wo er sein Sensation erregendes Buch über 
die Suggestion (neuerdings in 2. Auflage erschienen) 2 ) veröffent¬ 
lichte, der Hauptvertreter der Nanziger Schule. 

Die Suggestion ist nach ihm der Schlüssel für alle Erschei¬ 
nungen auf dem Gebiete des Hypnotismus und gleichzeitig ein 
wichtiges therapeutisches Agens für die verschiedensten Krank¬ 
heiten. 

Ganz anderer Natur, aber doch unzweifelhaft in das Bereich 
der Suggestion hinüberspielend sind die Beobachtungen der Pro¬ 
fessoren Bourru und Burot iu Rochefort über die Fernwirkung 
von Medicamenten und toxischen Substanzen. 3 ) Diese wunderbare 
Blüthe ärztlicher „Beobachtung“ im 19. Jahrhundert! bedarf einer 
ganz besonderen Beleuchtung. 

Ich werde dieselbe daher in dem nachfolgenden kritischen 
Essay über den modernen Hypnotismus voranstellen und ihr das 
erste Capitel desselben widmen. 

In den folgenden Abschnitten gedenke ich dann nacheinander 
die Suggestionserscheinungen, die therapeutische Ver- 
werthung derselben und des Hypnotismus überhauptund 
schliesslich die Gefahren des Hypnotismus und seine 
gerichtsärztliche Bedeutung zu besprechen. 

I. Die Fernwirkung von toxischen und medicamentösen 

Substanzen. 

Im Frühjahr 1885 machten die Professoren der Medicin Bourru 
nnd Burot an der Ecole de Medecine iu Rochefort metalloskopische 
Versuche an einem Marinesoldaten Louis V., 22 Jahre alt, welcher 
seit dem 27. März wegen „grande hysterie“ in dem Marinehospital 
behandelt wurde. 4 ) Von den an diesem Kranken am 22. Mai ver¬ 
suchten Metallen zeigte das Gold eine ausserordentlich auffällige 
Wirkung, insofern der Kranke im Augenblick der Berührung der 
Haut irgend eines Körpertheiles mit einem goldenen Ring oder 
Manschettenknopf sofort laut aufschrie, über einen wüthenden Brenn¬ 
schmerz klagte und gelegentlich an der Berührungsstelle sogar eine 
Brandblase zeigte. Unechte Goldsachen blieben ohne Wirkung, 
während Gegenstände aus wirklichem Golde selbst in der Entfernung 
von 10—15 cm wie eine glühende Kohle wirkten. In derselben 
Weise wie das Gold wirkte das Quecksilber. Eine Thermometer¬ 
kugel, auch wenn sie vollständig mit Zeug umhüllt war, brachte an 
dem Berührungspunkte denselben Schmerz und eine kleine Brand¬ 
wunde hervor. Ebenso wie die Metalle selbst wirkten ihre Salze. 

Diese letzteren Versuche wurden weiter der Ausgangspunkt für 
solche mit medicamentösen und toxischen Substanzen. 

Die betr. Substanz wurde, nachdem die Versuchsperson hypno- 
tisirt war, ohne ihr ein Wort zu sagen, bald unverhüllt, bald ein¬ 
gewickelt oder in ein Fläschchen eingescblossen, auf die Haut appli- 
cirt oder in einiger Eutfernung von derselben gehalten. Ehe die 
typischen Erscheinungen, welche die specifische Wirkung des Medi- 
camentes ausdrücken sollen, eintraten, zeigten sich meist variable 
Prodromalerscheinungen, welche an die Phänomene eines hysterischen 
Anfalles erinnerten. Als typische Erscheinungen fanden sie u. a., 
dass Narcotica, in die Nähe des Körpers gebracht, binnen Kurzem 
Schlaf hervorbrachten, Brechmittel Erbrechen, Abführmittel Draug 
zum Stuhle, Spirituosen Rausch, Aqua laurocerasi religiöse Extase, 
Baldrian katzenartige Aufregung, Nux vomica Krämpfe, Jaborandi 
Schwitzen u. s. w. 


') Liegeois, Memoire sur la Suggestion hypnotique dans les rapports 
avec le droit civil et criminal. 

2 ) Bernheim, De la Suggestion et ses applications ä la therapeutique. 
2eme edition corrigee et augmentee. Paris 1888. 

3 ) H. Bourru et P. Burot, La Suggestion mentale et l’action ä di 
stance des substances toxiques medicamenteuses. Paris 1887. Auf dieses 
Buch beziehen sich in dem folgenden Abschnitt alle Seitenzahlen, zu welchen 
keine specielle Angabe gemacht ist. 

4 ) Die ausführliche Krankengeschichte dieser einen Hauptversuchsperson 
der Rocheforter Professoren findet sich iu der Abhandlung eines Schülers 
derselben, A. Berjon: La grande hysterie chez l’homme. Paris 1886. Nä¬ 
heres über diese Versuchsperson s. unten. 


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8 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 1 


Die ausführliche Tabelle über die versuchten Substauzen und 
ihre Wirkung s. unten p. 9. 

Ehe ich aber auf die z. Th. „erstaunlichen Wirkungen“ der 
Substanzen im Einzelnen eingehe, will ich über den Eindruck be¬ 
richten, welchen die Veröffentlichung dieser Neuheit bei den fran¬ 
zösischen Aerzten hervorbrachte. Die erste öffentliche Mittheilung 
dieser sehr sonderbaren Versuchsergebnisse machten Bourru und 
Burot noch in demselben Jahre, im August 1886, auf dem Congress 
„pour l’avancement des Sciences“ in Grenoble und eine zweite an 
die Societe de psychologie physiologique in der Sitzung vom 28. De- 
cember unter dem Präsidium von C har cot. ln dieser Sitzung er¬ 
griff Ch. Riebet, welcher behufs Kenntnissnahme der Sache vorher 
einen Besuch in Rochefort gemacht hatte, das Wort und machte im 
Wesentlichen auf folgende Punkte aufmerksam: 

3. Zunächst sind die Versuche mit flüchtigen Substanzen wie 
Alkohol, Absinthöl, Cautharidentinctur, baldriansaurem Ammoniak, 
vollständig zu eliminiren, weil die Versuchsperson diese Substanzen 
am Geruch leicht erkennen und durch eine Art von Autosuggestion 
oder in Folge einer grösseren Empfindlichkeit für toxische Sub¬ 
stanzen die Phänomene der specifischen Wirkung der Substanz 
zeigen kann. Diese fundamentale Vorsicht haben die Herren Bourru 
und Burot bei ihren Versuchen nicht genügend angewandt. 

2. Geradezu unerklärlich aber bei dem jetzigen Standpunkt der 
Wissenschaft sind die Wirkungen solcher Substanzen, welche weder 
riechen noch eine Spur von Dämpfen von sich geben: 

Wir haben also die Frage folgendermaassen zu stellen: 

„Kann eine nicht flüchtige Substanz, wenn sie hinter 
dem Nacken oder in der Hand einer hynotisirbaren oder 
hypnotisirteu Person applicirt wird, physiologische 
Wirkungen hervorbringen?“ 

„Nun! dieses Phänomen, so unwahrscheinlich es 
sein mag, es existirt. Die genannten Herren haben sehr 
beweisende Beispiele gegeben; und ich selbst habe bei 
Versuchen an anderen Personen dieselben reproduciren 
können. Die Wirkung ist eine rapide und sehr inten¬ 
sive.“ 

3. Um jede Täuschung auszuschliessen, habe er so experimen- 
tirt, dass er selbst von der Art der zu versuchenden Substanz keine 
Ahnung hatte und die Diagnose auf die wirksame Substanz aus dem 
Symptomencomplex stellen musste; in 6 von 7 Experimenten sei 
ihm dies gelungen. Auf Einzelheiten wolle er nicht eingehen, 
weil die Thatsachen zu unwahrscheinlich sind, als dass 
man sie bestätigen könnte, ohne selbst absolut davon 
überzeugt zu sein. 

Für weitere Versuche empfiehlt er folgende Methode: 

1. Der Operateur darf die Natur der Substanz, welche zur 
Wirkung kommen soll, nicht wissen; 

2. Vielmehr muss er die Diagnose nach dem symptomatischen 
Tableau stellen, welches die Versuchsperson darstellt. 

3. Um das Problem zu vereinfachen, soll er nur zwischen einer 
sehr kleinen Anzahl von Substanzen die Wahl haben, z. B. Strych¬ 
nin (welches tetanisirt), Brechmittel (welches Uebelkeit und Angst 
bewirkt), Morphium (welches abstumpft und einschläfert), Wasser 1 ) 
(welches nichts bewirkt). 

4. Da die Wahrscheinlichkeit eine genaue Diagnose zu stellen 
hierbei x /4 ist* so wird man nach einer kleinen Zahl von Experi¬ 
menten wohl sehen, ob die Diagnose besser ist, als sie der Zufall 
ergeben könnte. 

Schliesslich empfiehlt er, Cigarrettenpapiere mit concentrirten 
Lösungen der Substanzen impräguiren zu lassen uud diese Papiere 
mit einer Nummer versehen für die Versuche zu verwenden. 

Wie sehr Riebet mit seiner Mahnung zur Vorsicht Recht hatte, 
zeigen auch die Versuche auderer Experimentatoren, welche aller¬ 
dings zum Theil in Gegenwart von Bourru oder Burot auge¬ 
stellt wurden. Ausser den Aerzten Dumontpallier, Thomas 
und Pascal in Toulon, Decle, Chazarain und Dufour, fühlte 
sich auch ein Laie, der Commandant A. de Rochas, durch die 
Analogie der Versuchsergebuisse mit Traditionen der Vergangenheit 
berufen zu experimentiren. Er versuchte es mit sämmtlicheu 
Kräutern und Blumen aus Wald und Feld und fand u. a., „dass 
Melisse bald Heiterkeit, bald Traurigkeit hervorrufe, und dass Weih¬ 
rauchdämpfe religiöse Extase hervorbringeu.“ Dies hält die Herren 
Bourru und Burot nicht ab, ihm für die Belehrungen, welche er 
ihnen hatte zu Theil werden lassen, sehr aufrichtig zu danken 

(p. 106 ). 

Neben diesen fast durchweg wenig Beachtung verdienenden 
Experimentatoren, nimmt ausser Ch. Rieh et, der sich (s. oben) 
noch zurückhaltend aussprach, noch einer unsere volle Aufmerksam¬ 
keit in Anspruch, der bekannte Neurolog Luys, insofern er noch 

*). Vergleiche damit das Ende der Tabelle. Aqua communis bringt 
nach Luys hydrophobische Erscheinungen hervor. 


entschiedener als jener für die Richtigkeit der von Bourru und 
Burot mitgetheilten Versuchsergebnisse eingetreten ist. 

In einem Aufsatze (L’Encephale 1887, Bd. VII, p. 74) 
schreibt er: 

„Ich habe also eine grosse Zahl von Substanzen aus dem 
Pflanzen- wie aus dem Thierreiche versucht; ich habe mit diesen 
Substanzen bei verschiedenen Subjecten experimentirt; ich habe bei 
gleichen Versuchsbedingungen dieselben Reactionen erhalten; und 
ich bin dahin gelangt, dieses Gesetz dahin zu formuliren, dass der 
hypnotische Zustand die Eigenthümlichkeit hat, nicht 
nur eine neuromuskuläre Hyperexcitabilität hervorzu¬ 
bringen, sondern auch eine Hyperexcitabilität der emo¬ 
tiven und intellectuellen Regionen des Gehirns, und zwar 
so, dass man bei Einwirkung gewisser Substanzen durch Vermitte¬ 
lung der peripheren Nerven in dem emotiven Seusorium verschie¬ 
dene Reactionen — Furcht, Schreck, Wohlbehagen, Exaltation oder 
Depression — hervorbringen kann, je nachdem man die oder jene 
Substanz anwendet.“ 

Wie will man es denn erklären, dass 10 g Aqua communis in 
einer zugeschmolzenen Röhre (tube scelle) bei mehreren Personen 
alle Erscheinungen der Hydrophobie, 4 g Thymianöl ebenfalls in 
wohlverstöpseltem Glase bei einer Person die Phänomene eines 
acuten Basedow hervorgerufeu hat! 

Schliesslich verwahrt er sich ernstlich gegeu jede Täuschuug 
von Seiten der hysterischen Versuchspersonen, hebt aber u. a. her¬ 
vor, dass er seine misstrauische Anschauung von dem betrügerischen 
Treiben der armen Hysterischen, die man viel zu sehr verläumde, 
aufgegeben habe. 

In einem späteren Aufsatze in der Revue de l’hypnotisme 1887, 
II, p. 98 theilt er die weiteren Ergebnisse seiner Versuche mit. 
Unter diesen ist der mit Spartein, welches eine sofortige Lähmung 
der Inspirationsmuskeln hervorbrachte, besonders auffällig. 

Hervorzuheben ist aber, dass hier wie dort die verschiedenen 
Emotionserscheinuugen (phenomenes emotifs) in den Versuchsergeb¬ 
nissen von Luys eine grosse Rolle spielen. Um die emotiven 
Phasen, welche eine hypnotisirte Person durchmacht, je nachdem 
man in ihre Nähe die oder jene Substanz bringt, zu fixiren, hat er 
sich der Moineutphotographie bedient. 

Die durch die verschiedenen Substanzen im hypnotisirten Orga¬ 
nismus hervorgebrachten Reactionen stellen sich unter zwei wohl von 
eiuander zu trennenden Modalitäten dar: sie gehen entweder unter 
vollständigem Stillschweigen oder mit lebhaftem Geschwätz vor sich. 

Reactionen der ersten Art erfolgen auf: Morphium, Valeriana, 
Strychnin, Spartein, Bromkalium. 

Hier spielen sich alle Phänomene stillschweigend wie an einem 
Automatenab: die im lethargischen Zustande gehaltene Person sitzt 
mit offenen und lebhaften Augen da, welche die inneren Emotionen 
wiederspiegelu. 

Reactionen der zweiten Art beobachtet man nach Kaffee, 
Haschisch uud Spirituosen. 

Hier bleibt die Person nicht in dem lethargischen Zustande; sie 
tritt in die Periode des luciden Somnambulismus ein, indem sie mit 
der äusseren Welt durch Rede und Gegenrede verkehrt, ohne sich 
zur Zeit oder später ihrer Handlungen bewusst zu werden. 

Während die emotiven Phänomene der schweigsamen Phase 
sämmtlich denselben Typus verratheu und unter einander sehr ähn¬ 
lich sind, sind dagegen die der geschwätzigen Phase verschieden¬ 
artig und polymorph und der Lebensweise und den individuellen 
Eigenthümlichkeiten der Versuchspersonen durchaus entsprechend. 

Gerade in dieser geschwätzigen Phase kann man nachweisen, 
wie die Substanz allein sie hervorruft. Soeben schwatzt, singt, de- 
clamirt die Person noch - man entfernt die Substanz — und sie 
steht still, sie hält ein mit den Worten, sie bricht ab mit dem Lied 
— sie schwankt, sie stammelt, sie fällt zu Boden, wie ein Gelähm¬ 
ter, dem man plötzlich seine Krücken weggeschlagen hat. So weit 
Luys. 

Ehe wir selbst auf eine speciellere Kritik eingehen, wollen wir 
über die bis jetzt bei den Versuchen zu Tage geförderten „That¬ 
sachen“ eine Uebersicht eiuschalten und die Methode, wie sie er¬ 
zielt wurden, genauer beschreiben. Um dieselben wirklich über¬ 
sichtlich darzustellen, haben wir in den laufenden Text nur die 
hauptsächlichsten Ergebnisse aufgenommen, welche, wo nicht auf 
einen anderen Autor verwiesen ist, durchweg von Bourru und 
Burot und zwar nach ihrer letzten Publication „La Suggestion men¬ 
tale et Paction ä distance 1887 wiedergegeben sind. Luys konnte 
nur gelegentlich erwähnt werden, da die ausführliche Veröffent¬ 
lichung seiner Versuchsresultate noch nicht erfolgt ist. In die An¬ 
merkungen haben wir nähere Erörterungen über die Phänomene, 
sowie abweichende Versuchsergebnisse anderer Experimentatoren ver¬ 
wiesen. 


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5. Januar. 


DEUTSCUE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


9 




I. Narcotica. 

All*? Opinmpräpu r a tu brachten Schlaf hervor, jedes einzelne aber 
Schlaf von besonderer Art: 

'»pium. Der Schlaf war tief und konnte nicht unterbrochen werden. 

Beim Erwachen Müdigkeit und Schwere im Kopfe. 

Morphium. Derselbe Schlaf mit Verengerung der Pupille. Atro¬ 
pin erweckt das Subject und bringt die Pupille zur Xormalweite 
zurück. 

Narr ein. Besondere Art des Schlafes ohne Veränderung der Pu- 
pillenweite, aber mit Salivation. Das Erwachen geschieht plötz¬ 
lich. und der Blick ist danach ängstlich. 

• '«.dein. Thebain und Nar¬ 

ret in. Schlaf mit mehr 
weniger generalisirteu Con- 
vulsiouen. 0% 

• hloral. Der Schlaf ist we¬ 
niger tief, das Erwecken 

leichter (durch Blasen auf ^ 

Haschisch. Geffihl des Er- 
hobenwerdens (enlevemcnt) 
mit HaUucinationcn aller 

Atropin. Singultus und Pu- 
pillenerweitening; llallmi- 
nation. die durch Morphium 
sofort Auf hören 

bracht wird.*) 

11. Brechmittel. 

Apomorphin. Sehr reich- fl 

'trciiiriliii;. gefolgt von Kopf- f 

><-Inner/, und Neigung zum MBKKa&BmtiH V >'• . 

Shlafen. 

I pe.-ac u a ii li a. Weniger reich- ■HHnflSggSBr /T.' . 

liebes Erbrechen mit besou- mBKKKKKßmMWt 
derern Geschmack in dein 
Mumie; Salivation. 

Tartarus stibiatus. Nausea und Prostratiou. 8 ) 


Fig. 1. 


Kampher; Monobromkampher. Beruhigung. Action decontrac- 
turante, insofern jede Coutractur dadurch gelöst wird. 

Valeriana. Heftige Aufregung mit sonderbaren Phäno¬ 
menen, ganz analog denen bei Katzen. 10 ) s. Fig. 3. 
Baldriansaures Ammoniak dagegen wirkt beruhigend auch auf 
den vollständig ausgebrochenen hysterischen Anfall. 

VI. Auästhetiea. 

Sehr ausgesprochene Aufregung wie im ersten Stadium der chirur¬ 
gischen Narkose. 

VII. Excitantien. 

Phosphor. Allgemeines Zittern mit schrecklichen Ilallucinationen. 

C a n t h a r i d e u. G escbleeht- 
liche Aufregung, die Kam¬ 
pher zum Stillstand bringt 
(als Nachwirkung länger als 
24 Stunden anhaltendes 
Brennen in der Harnblase). 
Nux vomiea. Heftige Krampf¬ 
bewegungen mit nachfolgen¬ 
dem bitteren Geschmack.’-) 

V111. Verse h i ed e ne a n d e rt: 
Substa uzen. 

V e rat rin. Stockschnupfen 

mit Stechen in der Nase 
und Sehstörung. 

S part ein. Lähimingsartiger 
Stillstand der Respiration. 
(Luys.) 

Jaborandi und Pilocarpin. 
Schwitzen mit saecharifi- 
cirender AVirkung des Spei¬ 
chels. 

Sabina. Bauehknurren und 
Diarrhoe. 

Zinnpräparate. Gefühl von 
Wohlsein mit leuchtenden 
Fig. 2 . Visionen. 

Secale coruutum. Allge¬ 
meine Contractur. 


IH. Abführmittel 

bewirken fühlbare Darmcontractionen, Drang zum Stuhle, aber nur 
selten wirkliches Abführen. l * * 4 ) 

IV. Alkoholica. 

Aetliylalkoliol. Heiterer Rausch mit Schwanken. 5 * 7 ) 

Amylalkohol oder schlechter Schnaps. Rausch mit AVuth- 
ausbrüclien von über 20 Minuten Dauer. 0 ) 

Aldehyd. Fast unmittelbar vollständige Prostration mit stertorösem 
Athinen. Unfähigkeit zu sprechen und stumpfem Gesiehtsaus- 
•Ini^k. •) 

V. Autispasinodica. 

•»rangenblüthenwasscr. Beruhigung; ruhiger Schlaf. 

Aqua laurocerasi hat zwei verschiedene Wirkungen, nämlich durch 
die Blausäure,*) die es enthält, Krampf der Athmungsmuskeln, 
dnreh das ätherische Oel dagegen religiöse Extase. 9 ) 



Fig. 3. Katzoukoller nach Baldrian. 


l > buys sah bei Haschisch gewöhnlich heitere Scenen sich abspielen, 
/. B. bei der einen Person, die das Theater verehrt, Vorführen einer Scene 
aus einer Opera boufTe ä la mode. 

* Dufour: Pupillenerweiterung, Trockenheit in der Kehle und allge¬ 
meine Muskelerschlaffung. 

und Diarrhoe (Decle). 

4 ) Bei Application von Podophyllin trat ausserdem Erbrechen ein; auf 
Kiurniaöl, in einem Fläschchen in die Hand gegeben, nur Uebelkeit (Oha¬ 
ra ra in,: auf Jalappeutiuctur erst Nachts darauf Purgiren (idem). 

y ) Die Versuchsperson V. schwankt nach dem Erwachen noch und hat 
'ieschraack nach Schnaps im Munde. Dieser Mann, dem es danach zu Muthe 
»ar, al.i käme er von einer Orgie, trinkt sonst nur Milch, während die Frau 
Victoriua M., hei welcher die Erscheinungen dieselben waren, habituelle 
l.iipieurrrinkerin ist. Ammoniak hebt leichte Rauschzustände auf. 

r ' Hypnotisirt hat der Mann eine Hallucination, als schlüge er sich mit 
Kiubcrn herum. 

7 Hypnutisirt hat die Frau eine Hallucination, man wolle sie mit einer 
-‘hierbt schmeckenden Substanz vergiften. 

l'eber die Wirkung anderer Spirituosen noch Folgendes: 

Champagner macht heiteren Rausch mit Springen und geschlechtliche 
\ufregung: Chartreuse Rausch mit Wuthausbrüchen; Absinthliqueur 
i-arh kurzer Aufregung Lähmung, schwere Sprache, Schlingbeschwerden; da- 
l-i die Hallucination, geprügelt zu werden; Absinthöl (Essence) epilepti- 
f rme fonvul&iouen; Kirsch hinterlässt den specifischen Geschmack im 
ilmde. 

"} Cyankalium in einpr^centiger Lösung wirkt ähnlich wie Blausäure. 

*} Die Sibyllen sollen Kirschlorbeerblätter gekaut haben, um sich in 
b iliöse Extase zu versetzen. Eine solche trat auch ein bei einem Atheisteu 


Dufour), Verzückung und Anbetung der Jungfrau Maria dagegen bei einer 
Jüdin, die noch dazu „une fille de raauvaiso vie“ war. Andore (Chazarain) 
beobachteten Schlaf und selbst Lösung von Contracturen. 

Aetberische Oele (Anis-, Mirban-, Lawendel-Oel) riefen im concentrirten 
| Zustande Verdrehungen des Körpers mit traurigen Hallucinationeu hervor, 
I im verdünnten als Aniswasser u. s. w. dagegen erzeugten sio sanfte und 
! langsame Bewegungen mit angenehmen Hallucinationeu. Ganz eigen¬ 
tümliche Erscheinungen, nämlich die eines Morbus Basedowii 
acutissimus, traten hei Application von Ol. Thymi ein: Hervor¬ 
treten der Augen bis zum Exophthalmus, rothbläulicho Färbung 
des Gesichts und Anschwellung der vorderen Haisgegend (Stei- 
1 gerung des Halsumfanges von öl bis auf 39 cm). (Luys). s. Fig. 
1 u. 2. Denselben hochgradigen Morbus Basedowii sah Luys eiutreten, wenn 
er einer Frau Ipecacuanhapulver vor die Schilddrtlss hielt, s. unten. 

10 ) Die Attitüden von männlichen und weiblichen Personen, wie sie 
Bourru und Burot 1. c. photographisch wiedergegeben haben, haben aller¬ 
dings eine gewisse Aehnlichkeit mit dem drolligen Gebühren von Katzen, 
j die sich auf einem Bündel Baldriauwurzel herumkollern und den Boden 
kratzen. — Andere (Chazarain) beobachteten eine beruhigende Wirkung 
J mit Schlaf. Luys sah, im hellen Contrast zu jener katzenarligen Aufregung, 
nach einem Röhrchen mit Baldrianpulver traurige Hallucinationeu eintreten. 
Die eine Versuchsperson wiederholte dabei stets dieselbe Scene: auf einem 
Kirchhof sammelt sie voll Pietät die Gebeine einer soeben exhumirten ge¬ 
liebten Person, macht daraus einen kleinen Hügel, auf den sio ein Kreuz 
; pflanzt und begleitet dies mit Seufzern, Kniebeugen, Kreuzschlagen, Küssen 
| der Erde. 

") Selbst wenn-der Arzt seine nand, welche er mit einer Brechnuss 
I bestrichen, der Versuchsperson wie zum Abschied reichte, trat bei dieser 
| Contractur der betr. Hand ein. 


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10 

Jodkalium. Aufregung. Niescu, Gähnen während des Schlafes und 
nach dein Erwachen. 

Wasserstoff. Wollüstiges Behagen. 

Aqua communis („Protoxyde d’hydrogene“). Trismus, Schling¬ 
krämpfe, Spucken, Genickstarre und alle Erscheinun¬ 
gen der Hydrophobie. (Luys.) (Fortsetzung folgt.) 

IV. Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. Riegel 

in Giessen. 

Ueber Amylenhydrat, als Schlafmittel. 

Von Georg Avellis. 

Bei ihren Untersuchungen über das Verhalten tertiärer Alkohole 
im thierischen Organismus hatten v. Mering und Thierfelder die 
Beobachtung gemacht, dass Amylenhydrat, ein zuerst von Wurtz 
dargestellter tertiärer Alkohol, bei Kaninchen und Hunden einen 
länger dauernden Schlaf bewirkt. Diese Beobachtung gab v. Mering 1 ) 
Anlass, das Amylenhydrat eingehend auf seine schlafmachende 
Wirkung zuerst bei Thieren, später auch an Menschen zu unter¬ 
suchen. Hierbei ergab sich, dass schon kleine Dosen Amylenhydrat 
bei Fröschen und Kaninchen tiefen Schlaf erzeugten; ein schädlicher 
Einfluss auf das allgemeine Befinden konnte nicht beobachtet werden. 
Auch au Huuden ergab sich die gleiche hypnotische Wirkung. Di¬ 
rekte Controlversuche lehrten ferner, dass das Amylenhydrat so gut 
wie gar nicht die Herzthätigkeit beeinflusst. Versuche an Menschen 
ergaben, dass bei Dosen von 3 g eine gleiche hypnotisirende Wirkung 
eintrat, ohne dass sich unangenehme Nebenwirkungen bemerkbar 
machten und ohne dass ein Aufregungsstadium vorausging. 

Daraufhin wurden in der Irreuklinik des Herrn Prof. Jolly 
ausgedehnte Versuche mit Amylenhydrat bei Geisteskranken ange¬ 
stellt,' 2 ) wobei dasselbe sich gleichfalls als Schlafmittel vorzüglich 
bewährte. Weitere Mittheilungen liegen bis zur Stunde noch nicht 
vor. Die hier mitgetheilten günstigen Resultate veranlassten Herrn 
Prof. Riegel, die Wirkung des Amylenhydrats auch bei somatischen 
Erkrankungen zu prüfen; ich habe auf seine Anregung hin eine 
grössere Reihe diesbezüglicher Versuche angestellt, deren Resultate 
ich in Nachstehendem in Kürze mitzutheiien mir erlaube. 

Das Amylenhydrat ist eine farblose, wasserähnliche Flüssigkeit 
von scharfem Geschmack und Geruch. Spec. Gew. 0,8. Es ist in 
Wasser im Verhältnis von 1:8, in Alkohol in allen Verhältnissen 
löslich. Therapeutisch wandten wir dasselbe in zwei Formen au: in 
Gelatinekapseln und iu flüssiger Form. 8 ) In letzterer wurde das 
Amylenhydrat auf die Empfehlung von v. Mering in Rothwein, 
später in Wasser mit etwas Syr. Rubi Idaei gegebeu. Die Dosen 
bewegten sich zwischen 0,8—3,2 g. Am häufigsten wurde 2,0 und 
2,4 g gereicht. 

Im Ganzen waren die Doseu kleiner als die auf der Strassburger 
Irrenklinik angeweudeten. Die Zahl der Einzelversuche beträgt über 
300, die Zahl der Patienten über 40. 

Um eine genaue Dosirung zu ermöglichen, wurde für jeden Pa¬ 
tienten kurz vor der Einnahme die Arznei hergestellt. Da jeder 
Cubikceutimer Amylenhydrat 0,8 g wiegt, so war es am be¬ 
quemsten, die betreffende Zahl von Cubikcentiraetern in einem gra- 
duirten Cylinder abzumesseu und sie in ein Weinglas mit Wasser 
zu schütten. Als Corrigens wurde Syr. Rubi Idaei benutzt. Da der 
Syrup gleichsam eine Ausfällung des Amylenhydrats bewirkt, so 
empfiehlt es sich für die Praxis, etwa 5,0 g Amylenhydrat: 50 Wasser 
für 2 Abende zu verschreiben und den Zusatz des Corrigens von 
dem Patienten selbst kurz vor der Einnahme bewerkstelligen zu 
lassen. Die Ordinirung in Kapseln ist bequem, aber theuer. Ausser¬ 
dem sind diese nur bei Personen mit vollständig gesundem Magen 
anwendbar, da die unverdünnte Darreichung des Amylenhydrats 
nicht nur bei Magenleidenden, sondern auch bei Personen mit voll¬ 
ständig gesundem, aber etwas empfindlichem Verdauungstractus leicht 
Beschwerden veranlasst. Wo eine Einführung per os contraiudicirt 
war, so z. B. bei manchen Oesophagusstenosen, bei Ulcus rotun- 
dum etc., wurde das Amylenhydrat als Klystier nach der auch in 
«ler Jolly’srhen Klinik angeweudeten Formel gegeben: 

Rp. Amylenhydrati 3,0 
Aq. dest. 

Gummi arab. aa 25,0 
MDS zum Klystier. 

Die Wirkung tritt hierbei fast ebenso schnell ein wie bei per 
os eingeführten Gaben. Die Dannschleimhaut wird gar nicht ge¬ 
reizt, ein Vorzug, der dem Chloralhydrat fehlt. 

Die Verabreichung des Amylenhydrats erfolgte gewöhnlich 

*) v. Mering. Therap. Monatshefte 1887. No. 7. 

3 ) Scharschmidt. Therap. Monatshefte 1887. No. 9. 

^ Die Präparate wurden von C. A. F. Kahl bäum (Berlin) bezogen. 
Jede Kapsel enthält 1,0 g Amylenhydrat. 


No. 1 

zwischen 8 — 9 Uhr Abends. Der Schlaf trat verschieden schnell 
ein, manchmal fast momentan, oft nach 15—45 Minuten. War die 
Dosis ausreichend gewesen, um einen festen Schlaf zu erzeugen, 
so trat die Wirkung meist schon nach 5—8 Minuten ein. Gar 
keine Wirkung wurde nur einige Male beobachtet, doch erzeugte 
bei einem Tlieil dieser Fälle am nächsten Abend dieselbe Dosis 
einen Schlaf von 6 — 8 Stunden. Im allgemeinen war der Erfolg 
als ein sehr guter zu bezeichnen. Die Wirkungen des Amylen¬ 
hydrats lassen sich nach den in hiesiger Klinik bisher gemachten 
Erfahrungen in folgende Sätze zusammeufasseu: 

1. Das Amylenhydrat ist ein Hypnoticura, auf dessen Wirkuug 
man sich verlassen kann, wenn eine hinreichende Dosis gegeben 
worden ist. Coutrolversuche haben ergeben, dass das Araylen- 
hydrat schwächer als Chloral. aber stärker als Paraldehyd wirkt. 

2. Amylenhydrat wirkt auch bei Leuten, die an Narcotica ge¬ 
wöhnt sind, doch bedürfen diese Patienten einer grössereu Dosis (4,0). 

3. Der Schlaf tritt meist schnell ein, ohne dass ein Auf¬ 
regungsstadium vorhergeht. Der Schlaf ist je nach der Grösse der 
Dosis mehr oder minder fest, doch gelingt es immer leicht, die 
Kranken zu erwecken. Beim Aufwachen sind sie vollständig klar, 
antworten richtig und schlafen, wenn sie nicht mehr gestört werden, 
sofort wieder ein. 

4. Der Schlaf dauert bei zu kleinen Dosen 2—3, nach 
grösseren Dosen (2,0—3,2) 6—8 Stunden. 

5. Das Erwachen gleicht vollkommeu dem nach natürlichem 
Schlaf; die Kranken fühlen sich gestärkt. Kein Kopfschmerz, keine 
Abgeschlagenlieit. 

6. Die Respiratiou wird nicht geändert. 

7. Eine Aemlerung des Pulses und des Blutdrucks tritt, ab¬ 
gesehen von der auch im normalen Schlafe zu beobachtenden ge¬ 
ringen Pulsverlaugsamuug, nach Amylenhydrat nicht ein, wie von 
Herrn Professor Riegel an verschiedenen Patienten aufgenommene 
Sphygmogramme zeigten. 

8. Schlechter Geschmack und Geruch nach dem Erwachen, 
wie er nach Paraldehyd oft den Kranken und seine Umgebung be¬ 
lästigt, ist niemals beobachtet worden. 

9. Ob eine Gewöhnung eintritt, lässt sich noch nicht ent¬ 
scheiden. Jedenfalls war es bei unseren bisherigen Versuchen nie 
nöthig, die Dosen auch bei öfters wiederholter Anwendung zu 
steigern. 

Unangenehme Nebenwirkungen wurden uur in 2 Fällen be¬ 
obachtet. Eiue Hysterien gerieth nach Einnahme von 2,4 g iu 
eiuen rauschartigen Zustand. Die Haut des Gesichtes w r ar ge- 
röthet, der Puls beschleunigt. Sie war sehr gesprächig und gab 
an, wie betrunken zu sein. Nach 4 Stunden trat erst Schlaf ein. 
Ein anderer Patient nahm Nachts um 1 Uhr 2,4 g Amylenhydrat. 
Am nächsten Morgen „fühlte er noch, dass er unter der Einwirkung 
eines Hypnoticums stehe“. Wahrscheinlich war daran die sehr 
späte Einnahme des Mittels schuld. Versagt hat das Mittel drei¬ 
mal, bei einem Delirium während eines Erysipels, bei einer begin¬ 
nenden Psychose und bei einem Kranken, der an einer sehr hefti¬ 
gen Neuralgie litt. Angewandt wurde das Amylenhydrat bei ver¬ 
schiedenen Magen- und Nervenleiden, Kreislaufsstörungen, Icterus, 
Cholelithiasis, Chrysarobinderniatitis, Diabetes, Tuberculose, Em¬ 
physem, Bronchitis, Brouchiectasie etc. Der Hustenreiz bei den 
Phthisikern ward nicht vermehrt, eher vermindert. Mehrere 
Phthisici gaben an, dass sie gut auf Amyleuhydrat schliefen, wenn 
sie kurz nach der Einnahme nicht sehr vom Husten gequält wurdeu. 
Mussten sie aber bald darnach andauernd husten, so konnten sie 
nicht oder erst spät einschlafen. Ein intelligenter Patient ver¬ 
sicherte, dass er schon nach 3 Minuteu das im Klystier ver¬ 
abreichte Amylenhydrat im Munde geschmeckt habe. Beide Be¬ 
obachtungen legen den Gedauken nahe, dass das Amylenhydrat 
sehr schnell durch die Lungen wieder ausgeschieden wird. Be¬ 
sonders gute Wirkung that das Mittel bei Icterus und icterischein 
Hautjucken. Das von Eichhorst dagegen empfohlene Chloral- 
hydrat dürfte in Zukunft besser durch Amylenhydrat ersetzt werden, 
weil letzterem nicht wie dem Chloral eine schwächende Wir¬ 
kung auf das Herz eigentümlich ist. Dass bei alleu Kreislauf¬ 
störungen das Amylenhydrat vor dem Chloral den Vorzug verdient, 
bedarf keiner besonderen Begründung, da es ja von Chloral längst, 
bekannt ist, dass es eine eihebliche Druckherabsetzung in dem Gefäss- 
system hervorruft. 

Contraindicationen für die Anwendung des Amylenhydrats 
haben wir bis jetzt nicht gefunden, nur ist bei schweren Magen- 
leiden und ulcerösen Processen im Pharynx die Anwendung per 
auum angezeigt. Auch bei Kehlkopftuberculose haben wir bisher 
üble Erfahrungen, wie sie bei Paraldehyd (Uebelkeit, Erbrechen, 
Hustenanfälle und grosse Aufregung) früher dahier 1 ) beobachtet 
wurden, nicht gemacht. 

') C-. v. Noordcn. Paraldehyd als Schlafmittel. C-entralblatt f. 
klin. Med. 1884. No. 12. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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5. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. H 


Wenn wir zum Schluss die an hiesiger Klinik gewonnenen Re¬ 
sultate kurz präcisiren wollen, so müssen wir uns dahin zusannnen- 
fassen. dass das Amylenhydrat ein sicher wirkendes Hypnotieuin 
ist. das stärker als der Paraldehyd wirkt und letzteren vollkommen 
zu ersetzen im Stande ist. zumal es den Paraldehyd in Bezug auf 
Geschmack und Geruch nbertrifft. Der allgemeinen Anwendung 
dürfte für jetzt nur der verhältnissmässig noch hohe Preis, sowie 
die etwas unbequeme Medication im Wege stehen. 

V. Feuilleton. 

littheilangen ans der medicinischen Klinik und Poliklinik 

in Bonn. 

Von Professor Rühle. 

Es hat noch nie eine Zeit gegeben, in welcher die Wissenschaft- j 
liehe Medicin so grosse Veränderungen erfahren, wie die letzten SO 
Jahre. Dementsprechend mussten die Unterrichtsmittel und der 
Unterricht selbst anders gestaltet, vermehrt und vervielfältigt wer¬ 
den. Ein Institut von heute, sei es in welcher Disziplin immer, ist 
mit demselben, wie es vor 30 Jahren genügte, entweder gar nicht 
zu vergleichen, oder es gab damals eiu solches überhaupt noch 
nicht. Die deutschen Universitäten haben iu diesem Zeitraum sehr 
erhebliche Summen für den Bau neuer Institute oder die zeit- 
cemässe Umwandlung bestehender verwenden müssen. 

Besonders auffallend hat sich dieser Umschwung in Bonn voll¬ 
zogen. Noch vor 20 Jahren war von alledem, was heut an medi- ; 
rinischen Institutsbauten vorhanden ist, Nichts in Ausführung. Ja, 
vor 23 Jahren, als ich nach Bonn übersiedelte, wurde mir aus- j 
drücklich eröffnet dass an Neubauten von Kliniken gar nicht zu 
denken sei. 

Glücklicher Weise ist es anders gekommen, und wir verdanken 
cs auch hier den Naturwissenschaften, dass neues Leben in den 
Stillstand, richtiger Verfall, kam. Der Neubau des chemischen La- 1 
(•Oratoriums brachte den Stein in’s Rollen. Pläne und Anträge für 
den Neubau von Kliniken, die höheren Ortes Beifall fanden, hatten 
wir freilich bereits 1865 eingereicht, aber ihrer Ausführung stelltet] 
rieh mancherlei Schwierigkeiten in den Weg; es genügt, die beiden 
Kriegsjahre 1866 und 1870 als solche zu nennen. Genug, zwischen 
den Plänen nnd ihrer Ausführung liegen 17 Jahre, eiu Zeitraum, 
innerhalb dessen die Anforderungen an die Einrichtung einer Klinik 
selbst wieder ausserordentlich wuchsen. Die naturwissenschaftlichen 
und medicinischen Institute in Bonn zeichneten sich vordem durch 
negative Eigenschaften aus, ja, mau darf zuversichtlich sagen, dass 
es keine deutsche Universität gab, an welcher dieselben einen gleich 
hohen Grad von Unvollkommenheit gehabt hätten. 

Von der medicinischen Klinik will ich nur erwähnen, dass die¬ 
selbe eigentlich ans zwei Sälen bestand, die in ein gemeinsames, kleines 
Vorzimmer mündeten. Der grössere, dunkel, gar nicht zu lüften, 
nnd 16 — 18 Betten fassend, war für die männlichen, der kleinere, 
etwas besser construirte zu 10—12 Betten für weibliche Kranke be¬ 
stimmt. Im Vorzimmer hatte ich einen Verschlag zum Kehlkopf¬ 
spiegeln anbringen lassen. In weiteren drei einfensterigen Zimmern 
konnten einige Privatkranke resp. einzelne, zur Isolirung nöthigende 
Fälle nntergebracht werden; ein kleines Zimmer enthielt die Biblio¬ 
thek und musste noch zu mikroskopischen Untersuchungen verwendet . 
werden; für den Assistenzarzt war eine sehr bescheidene Wohnung ! 
und für den Direktor ein einfensteriges Zimmer bestimmt, in welchem 
sowohl die Waldenburg’schen Athmnngsapparate aufgestellt wur- i 
den. als die Cursisten ihre Clausurarbeiten machen mussten. Die ■ 
Wärtersleute schliefen auf den Krankensälen und hatten keinen be- ; 
sonderen Raum für sich zum Aufenthalt, Ankleiden u. dgl. 

Der Poliklinik waren zwei Zimmer bestimmt, das kleinere, ; 
dessen Glasthür nach dem Hofe sich öffnend zugleich das Fenster i 
darstellte, zum Wartezimmer für die Kranken, das grössere zum 
Auditorium, für etwa 50 Plätze ausreichend. Einen Raum für Sec- ] 
tionen hatte ich durch Einsetzen von Zwischenwänden in einem ge- ; 
*ölbten Corridor 1864 beschafft. Das war der Gesammtraum der j 
alten Klinik, in welchem also für wissenschaftliche Arbeiten, ja 1 
selbst für die nöthigsten chemischen Untersuchungen jeder noch so 
bescheidene Platz fehlte. | 

In dieser Klinik habe ich 17 Jahre aushalten müssen. Aber . 
das Unterrichtsmaterial war reichlich und erfreute mich zugleich 
durch seine Mannichfaltigkeit. 

Freilich lag der Hauptwerth in der Poliklinik. Das wohl¬ 
habende und so dicht bevölkerte Rheinland mit seinen reichlichen 
Verkehrsmitteln führt der Poliklinik bis weit aus Westphalen und 
bis ans dem Regierungsbezirk Trier die Kranken zu. Ja, aus diesem 
Zuzug bezieht auch die stationäre Abtheilung ihre meisten Kranken, 
da diese gewöhnlich in der Lage sind, dem Rath des klinischen 
Arztes, sich zu besserer Ausführung der Kur aufnehmen zn lassen, 


sofort Folge zu leisten. Schon aus diesem Grunde ist die Poli¬ 
klinik unentbehrlich, weil sie für die stationäre Klinik die Haupt¬ 
quelle bildet, aber auch sonst halte ich die ^Poliklinik für den 
Unterricht von grösster Wichtigkeit. Sie liefert die Mannich- 
t'altigkeit der zu demonstrirenden Fälle, sie repräsentirt den grossen 
Theil der ärztlichen Praxis, der jeden Arzt in der Sprechstunde 
beschäftigt. Wenn der klinische Lehrer alle die Fälle entbehren 
muss, welehe nicht als bettlägerig Kranke erscheinen, so muss sein 
Material einförmig werden, uud, worauf ich vor Allem Werth lege 
im Unterricht, es fehlen ihm die tagtäglichen Sachen. Der klinische 
Unterricht muss auch den Schnupfen behandeln. Freilich leichter 
und für den Lehrer unterhaltender, anregender werden die grossen 
Fälle bleiben, über die sich eben viel reden lässt, — eine Klinik 
in einem grossen Krankenhause wird für den Lehrer immer anzie¬ 
hender sein — ob auch für den Lernenden nutzbringender, erlaube 
ich mir zu bezweifeln. 

Wenn der klinische Unterricht einerseits ein möglichst voll¬ 
ständiger Spiegel der ärztlichen Gesamrntpraxis sein soll, so soll 
auch der klinische Lehrer nur der laut denkende Arzt sein, der am 
besten ex tempore die vorkommenden Fälle vor den Zuhörern unter¬ 
sucht, die Resultate seiner Untersuchung zu Protokoll giebt und die 
sich daraus fiir ihn ergebenden Schlüsse zieht und begründet. 

Das Ideal für den Kliuicisteu ist die Vereinigung der stationären 
und der Poliklinik in einer Hand, die Ausnutzung beider durch eine 
möglichst reichliche und mannichfaltige Auswahl der Fälle und eine 
glückliche Beschränkung in der Zahl der Praktikanten. 

Die Auswahl der zu demonstrirenden Fälle soll also ebensowohl 
die gewöhnlichsten, tagtäglichen Beispiele des Krankseins neben den 
ernsteren, compücirteren darbieten, als namentlich möglichst aus 
alleu Gebieten der inneren Medicin die Hauptsachen in jedem Se¬ 
mester vorführen. Wo das angängig ist, kann der Lehrer in jedem 
Semester so zu sagen die gesamrate specielle Pathologie und The¬ 
rapie durch Krankendemoustration erläutert zum Vortrag bringen. 
Der klinische Unterricht unterscheidet sich in seinen Besprechungen 
nur dadurch vom theoretischen Colleg über die specielle Pathologie 
und Therapie, dass beim Vortrag der letzteren ein regelmässiger 
Gang eingehalten wird und somit eine gleichmässige Behandlung 
und planmässige Anordnung der einzelnen Capitel stattfinden kann. 

Ich bedauere lebhaft, dass die gesammte Zeitrichtung immer 
mehr von den Interessen der theoretischen Vorlesung abführt. 
Freilich bin ich nicht der Meinung, dass ein schönes Heft, wie es etwa 
noch aus Schönlein’s oder Frerichs’ Vorlesungen von Zuhörern 
hergestellt wurde, die durch 3—4 Semester ausgelialten, ein werth¬ 
voller Besitz sei —, aber das glaube ich sagen zu dürfen, dass ein 
richtig gefasster Ueberblick über das Gesammtgebiet der inneren 
Pathologie, wobei Einzelnes in genügender Ausführlichkeit hervor¬ 
gehoben werden mag, unbedingt dem Lernenden eine wichtige und 
erhebliche Erleichterung für das Verständnis und den Nutzen der 
klinischen Uebungen bietet, — und ein solcher Ueberblick lässt 
sich in einem bis zwei Semestern geben. Weniger bedauere ich, 
dass die Zeiten vorüber sind, wo die Hauptthätigkeit des klinischen 
Praktikanten darin bestand, in Vertretung des klinischen Assistenz¬ 
arztes oder mit diesem die Kranken in ihren Wohnungen zu be¬ 
suchen uud ihnen womöglich selbstständige Verordnungen zu geben, 
resp. Medicamente zu verschreiben. Heutzutage besteht das grösste 
Hinderniss für eine gedeihlichere Art, die medicinischen Studien 
in den praktischen Semestern zu betreiben, in dem Vielerlei, das 
dem Studirenden geboten wird, und er in der Möglichkeit oder Ab¬ 
sicht, sich später zu einem „Specialarzt 11 zu entwickeln, bereits 
während der Studienzeit sich anzueignen für klug und jedenfalls 
für sparsam hält. Iu dieser Zersplitterung, welche sehr gewöhnlich 
die Zahl der gleichzeitig angenommenen Vorlesungen, d. h. prak¬ 
tischen Uebungen in einem Semester auf ein Dutzend oder mehr 
steigert, läuft die Entwickelung zu derjenigen Reife und Selbst¬ 
ständigkeit, welche die Staatsprüfung in erster Reihe verlangen 
muss, begreiflich sehr ernste Gefahr. 

Es ist dies ein ebenso wichtiger als schwieriger Punkt bei der 
Einrichtung der medicinischen Studien, und in dieser Schwierigkeit 
steckt unter anderem auch die Frage der Zulassung der Real¬ 
abiturienten zum medicinischen Studium, deren Beantwortung so 
viel überflüssigen Eifer uud Zorn geboren hat. Gegenwärtig, sollte 
ich meinen, läge gar kein Grund vor, durch die Gewähr der Zu¬ 
lassung der Realabiturieuten zum medicinischen Studium die Zahl 
der künftigen Aerzte zu vermehren, da wir Alle auf Mittel denken 
müssen, diese Zahl zu beschränken. Soll der Arzt in erster 
Reihe Techniker oder Mann der Wissenschaft sein, darauf kommt 
es an. Ist die Wissenschaft seine eigentliche Basis, so soll sie 
hinreichend tief und breit sein, und dazu bedarf es einer Zeit, 
welcher auch die neun Studiensemester noch kaum genügen, ge¬ 
schweige denn dass in ihnen alle mögliche Technik ausgebildet 
werden kann. Auf die alten drei Hauptkliniken und die ihnen zu¬ 
gehörigen theoretischen Vorlesungen, sowie auf die für alle drei 


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12 


grau dl egen den Studien der pathologischen Anatomie und der Phar¬ 
makologie ist daher in der zweiten Hälfte des medieinischen 
Studiums der Accent zu legen und letzteren das fünfte und sechste 
Semester zu widmen, während das siebente, achte und neunte Se¬ 
mester dcu Kliniken gehören. 

Nun haben sich aber einmal eine Anzahl Specialfächer aus¬ 
gebildet, und es darf gewiss verlangt werden, dass auch die Pflege 
und Entwickelung dieser von den medieinischen Facultäten aus¬ 
geht— aber hier tritt eine äusserliche Schwierigkeit hervor. Welche 
Abgrenzung, so muss man zuerst fragen, giebt einer Speeialität die 
Berechtigung, als solche, anerkannt zu werden? 

Wir nehmen hier am natürlichsten und mit historischer Be¬ 
rechtigung den Ausgang von der Ophthalmologie. Die Krankheiten 
des Auges besonders zu pflegen, ist schon eine alte Sache, und 
wenn auch diese Disciplin früher den chirurgischen Kliniken zu¬ 
fiel, weil operative Eingriffe den Gipfel der Therapie bildeten, so 
hat es schon immer Chirurgen gegeben, die mit Vorliebe die 
Augenheilkunde betrieben, sich literarisch und praktisch als Augen¬ 
ärzte hervortliaten und so dieser Disciplin zur Absonderung ver¬ 
halten. Es war aber jedenfalls Alb. v. Grfife’s Persönlichkeit, 
die hier so schnellen Wandel schaffte, dass in wenigen Jahren die 
Augenheilkunde zur anscheinend ebenbürtigen Stellung neben den j 
anderen drei Kliniken gelangte. Unverkennbar war durch den Augen- I 
spiegel und die Fortschritte der Physik, Physiologie und patholo¬ 
gischen Anatomie die Ophthalmologie zu einer Vollendung gelangt, 
deren sich die anderen Disciplincn nicht rühmen konnten. Das 
genauere Studium derselben musste als ein besonders einflussreicher 
Führer zur Erkenntniss des Zusammenhanges der praktischen Me- 
dicin mit den exacteu Naturwissenschaften den Studirenden vor 
Allem empfohlen werden. So, meine ich, ist es gekommen, dass 
diese erste Speeialität sich so widerstandslos Alles an Stellung im 
Corpus academicum eroberte, was die drei Hauptkliniken hatten. 
Dieses Beispiel halten sich die später gekommenen Specialitäten 
vor und fragen, warum soll nicht auch für uns das Ordinariat sein? 
und sie haben an sich nicht Unrecht. Aber wo wäre das Ende, 
und wo sind die Kriterien dafür, dass eine hier oder da, von Diesem 
oder Jenem' cultivirte Gruppe von Krankheiten eine berechtigte 
Speeialität darstellt? Wie ist es mit der Elektrotherapie, welche 
sich zur Neuropathologie umgestaltet und, indem sie Elektrotherapie 
geblieben ist, gewiss nicht zum Vortheil dieser wichtigen Krank¬ 
heitsgruppe derselben eine Sonderstellung aufgedrungen hat. Denn 
ich scheue mich nicht zu behaupten, dass der elektrische Strom 
eine ganz unberechtigte Breite einnimmt, und dass in der kost¬ 
spieligen und zeitraubenden Art seiner Anwendung, nicht aber in 
seiner wissenschaftlichen Begründung die Hauptursache der Existenz 
dieser Speeialität liegt. 

Mit welchem Rechte hat sich die Nasen-, Rachen- und Kehl¬ 
kopfgegend zur Speeialität erhoben, doch gewiss nicht aus wissen¬ 
schaftlicher Nothwendigkeit? Beanspruchen nicht die Ohrenärzte 
Nase und Rachen auch für sich mit demselben Recht, weil ihre 
Krankheiten so sehr häufig Ausgangspunkt für die Ohrenleiden 
werden und mit ihnen combinirt Vorkommen, den Ohrenarzt also 
zwingen, sich auch mit ihnen zu beschäftigen? Man sieht leicht, 
wie schwankend die Grundlagen und wie veränderlich die Grenzen 
der jetzt bestehenden, an den Universitäten vertretenen Specialitäten 
sind, und was kann die Zukunft jeden Tag hinzubringen? 

Nur äusserliche Gesichtspunkte sind es auch, welche die Haut¬ 
krankheiten und die Syphilis zur Absonderung bestimmt haben. 
Denn sollte wirklich die Aetiologie oder das ermüdende Einerlei 
der Therapie bei der letzteren die sammelnde Fahne sein, so wür¬ 
den die Neuropathologen dagegen lauteu Einspruch thun, und die 
drei Hauptkliniken würden ebenso wenig gewillt sein, alle Krank¬ 
heitsfälle auf luetischer Basis von ihren Sälen auszuschliessen und 
der Klinik für Syphilis zu überweisen. Auch die Absonderung der 
Kinderkrankheiten ist nicht ohne Bedenken für die specielle Patho¬ 
logie, und die Errichtung von Kinderkliniken verdankt ebenfalls 
zum grossen Theil äusserlichen Schwierigkeiten ihre Entstehung. 
Kranke Kinder zu untersuchen, die Anamnese ihres Krankseins fest¬ 
zustellen, erfordert Geduld und Zeit, und ein sehr gefülltes Audi¬ 
torium ist nicht der geeignete Ort dafür. Aber auch hier stützt 
man sich nicht mit Unrecht auf eine hundertjährige Geschichte 
in Literatur und Praxis —, dazu kommen die hygienischen Be¬ 
strebungen der Neuzeit, welche gerade das heranwachsende Ge¬ 
schlecht in’s Auge fassen, um es zu rechtfertigen, dass die Kinder¬ 
krankheiten apart gepflegt werden, trotzdem hiermit gerade das 
Gegentheil von dem geschieht, was sonst die Signatur unserer Zeit 
ist. Denn mit der Cultivirung dieser Speeialität werden gerade die 
getrennten Disciplinen wieder vereinigt. Der Kinderarzt muss auch 
Chirurg, Rhinolaryngolog, Neuropatholog — kurz alles wieder in einer 
Person sein. 

So lässt sich wohl ohne fehlzugehen, das Bestehen der heu¬ 
tigen Specialitäten nur als Thatsache hinnehmen, und ihre Berech- 


No. 1 

tigung sich vorzugsweise vom Standpuukt des Nutzens und der 
Zweckmässigkeit verstehen. Um so mehr muss der Standpunkt be¬ 
tont werden, dass dieselben nur Acste am gemeinsamen Stamm 
sind, die verdorren, wenn der Stamm keine gesunden Wurzeln hat. 
Und ich denke auch bei den Vertretern anderer Disciplinen auf 
keineu Widerspruch zu stossen, wenn ich mich dem Standpunkt 
v. Frerichs’ in seiner Eröffnungsrede des ersten medieinischen 
Congresses und den Ausführungen v. Bergmanns auf der Berliner 
Naturforscher-Versammlung anschliesse und die pathologische 
Anatomie und Physiologie, die allgemeine und specielle Pathologie 
als diesen Stamm betrachte und somit gerade der innern Klinik die 
Aufgabe zuweise, den Lernenden es einzuprägen, sie mit der Er¬ 
kenntniss zu durchtränken, dass die Vertiefung in diese Theile der 
Wissenschaft hauptsächlich das Verstäudniss der Krankheitsprocesse 
erschliesst, und dem wissenschaftlichen Bedürfniss, also dem Univer¬ 
sitätsstudium, gerade in dieser Vertiefuug am besten Genüge ge¬ 
schieht. (Fortsetzung folgt.) 


VI. Referate und Kritiken. 

H. Floss. Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. 

II. Auf 1.; nach dem Tode des Verfassers bearbeitet und heraus- 

gegeben von M. Bartels. Leipzig, Gricben’s Verlag, 1887. 

Referent S. Guttmann. 

Auf die Anregung des Präsidenten der Deutschen anthropolo¬ 
gischen Gesellschaft, Rudolf Virchow, übernahm M. Bartels, 
der bekannte Berliner Arzt, die Bearbeitung der zweiten Auflage 
des obengenannten Werkes. Wie keinem anderen Werke ist diesen 
anthropologischen Studien von Ploss bei ihrem ersten Erscheinen 
in zahllosen Besprechungen begeistertes Lob entgegen ge tragen 
worden, woraus man billig den Schluss ziehen könnte, dass die 
so schnell nothwendig gewordene zweite Auflage dem Bearbeiter 
wohl nicht allzu grosse Schwierigkeiten bereitet haben werde. 
Allein wir werden beim Studium dieser zweiten Auflage, ohne den 
unendlich grossen Verdiensten Ploss’ damit Abbruch zu thun, bald 
eines anderen belehrt. Wir dürfen uns den in der Vorrede der 
zweiteu Auflage befindlichen Worten Bartels’ voll anschliessen, 
dass das Ploss’sche „Weib“ ein Torso geblieben sei, insofern wir es 
nur beim Eintritt der Pubertät keunen lernen und es nach dem Ab¬ 
schluss des Wochenbettes verlassen. Alle die tausend Beziehungen des 
Weibes ausserhalb des Kreises des Geschlechtslebens im engeren 
Sinne waren unberücksichtigt geblieben, und hier tritt Bartels vor¬ 
nehmlich ein. Sein Streben, das Bild zu vervollständigen und ein 
in sich zusammenhängendes und soweit nur möglich abgeschlossenes 
Bild des Weibes im Lichte anthropologischer Forschung zu geben, 
kann als ein nach allen Richtungen geglücktes bezeichnet werden. 
So hat nun auch das gescldechtsreife Weib im Zustande der Ehe¬ 
losigkeit, das Weib als Wittwe, das Weib in seinem Verhältniss zu 
den nachfolgenden Generationen, als Mutter, Grossmutter und selbst 
als Schwiegermutter seine Würdigung gefunden. 

Die grosse Reihe neuer Thatsachen brachten es selbstverständ¬ 
lich mit sich, dass die Eintheilung des Buches eine andere geworden 
ist, welches sich jetzt in eine grosse Anzahl mit besonderen Ueber- 
schriften versehener kürzerer Abschnitte gliedert, wodurch die 
Uebersichtlichkeit desselben wesentlich erhöht und erleichtert ist. 
Eine ferner gewiss nicht unerhebliche Bereicherung geben die 
zahlreichen Abbildungen, welche sich auf das Eugste dem 
Inhalt anschliessen und die Vorstellung des Lesers beleben. War 
schon der ersten Auflage mit Recht nachgesagt worden, dass keine 
Literatur der Welt ein Werk wie das vorliegende aufzuweisen hat, 
so gilt das für die Neubearbeitung desselben um so mehr. Die 
reiche Fülle der Belehrung, welche in diesem einzig dastehenden 
Werke zu finden ist, lässt den Wunsch in uns entstehen, es möge 
in der Bibliothek keines Collegen fehlen. Kein Leser wird es ohne 
die höchste Befriedigung aus der Hand legen, und gewiss wird sich 
auch die Hoffnung Bartels’ bethätigeu, dass ein jeder womöglich 
sein Scherflein zum Ausbau der Anthropologie beitragen möge, welche 
in allen, auf den Menschen sich beziehenden Wissenschaften neues 
Licht verbreitet. 


Gustav Brösike. Curaus der normalen Anatomie des mensch¬ 
lichen Körpers. I. Hälfte: Knochen-, Bänder- und Muskellehre. 
Mit Holzschnitten. VII u. 229 S. 8°. Berlin, Fischer’s medici- 
nische Buchhandlung, 1887. Ref. K. Bardeleben.| 

Verf. ist zu der Herausgabe dieses „Cursus“ durch die oft 
wiederholten Bitten seiner Zuhörer veranlasst worden, welche den 
Inhalt der vom Verf. gehaltenen anatomischen Curse nicht in der 
Form von incorrect und flüchtig geschriebenen Heften, sondern 
eines durch den Lehrer als richtig legitimirten Druckwerkes in ihre 
weitere Lebensthätigkeit hinübernehmen wollten. Aber nicht nur 
für frühere, sondern auch für zukünftige Zuhörer ist das Buch ge¬ 
schrieben. Besondere Aufmerksamkeit hat Verf. den praktisch, be- 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


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5. Jannar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 13 


x>D<iers cbirurgiscli wichtigen Organen und Gegenden des Körpers 
zugewandt so den Fascien, Gelenken und Schleiinbeuteln, dem 
Leisten- und Schenkelcanal. Die Anordnung des Stoffes ist in dem 
vorliegenden ersten Theile derart, dass auf die Beschreibung der 
Knochen gleich diejenige der Gelenke, auf diese unmittelbar die der 
zugehörigen Muskeln folgt, d. h. also eine topographische. Die 
Nerven und Gefässe sollen dagegen systematisch besprochen 
werden. 

Einige, theilweise schematische Holzschnitte tragen dazu bei, 
die klare Darstellung, der man den geübten Lehrer stets anmerkt, 
noch mehr zu erläütern. 

Iu den vom Verf. selbst in bescheidener Weise gezogenen 
Grenzen, aber wohl auch über den engeren Kreis der Zuhörer 
hinaus wird das Buch, dessen zweite, schwierigere Hälfte hoffentlich 
bald erscheint gewiss dankbar aufgenommen werden und Nutzen 
stiften. 


EL Munk. Untersuchung über die Schilddrüse. Sitzungs¬ 
iterichte der k. preuss. Akademie der Wisseusch, zu Berlin. 
Sitzung vom 20. October 1887. Ref. P. Grützner (Tübingen). 

Indem wir zunächst den Leser, auf zwei vor Kurzem in dieser 
Zeitschrift erschienene Arbeiten (1887 No. 14 von Ribbert und 
No. 32 von dem Ref.) hitiweisen. in denen die Ergebnisse der Unter¬ 
suchungen über die Physiologie und Pathologie der Schilddrüse zu- 
sammengestellt waren und welche sich dahin zusammenfassen lassen, 
dass die vollständige Exstirpation genannten Organes bei Hunden 
uud Katzen uuter eigenartigen Störungen von Seiten des Central- 
»ervensystems (Schläfrigkeit, Muskelkrämpfe u. s. w.) in längerer oder 
kürzerer Zeit zum Tode führt, sowie dass vollständige Entfernung 
des Kropfes oder vollständiges Fehlen der Glandula thyreoidea beim 
Meo-scheu eine merkwürdige Kachexie (Cachexia strumipriva, Myx¬ 
ödem) nach sich zieht, heben wir sofort aus der obengenannten 
Arbeit Munks folgenden Satz heraus. Er lautet: „Die Tbatsache, 
dass einzelne Hunde die totale Schilddrüsenexstirpation überlebeu, 
macht es unmöglich, eine lebenswichtige Funetiou der Schilddrüse 
anzuerkennen“. Nach Fuhr überleben derartige Hunde die Ope¬ 
ration. weil sie neben der Hauptschilddrüse noch eine Nebenschild¬ 
drüse haben, die dann bei dem Verlust der ersten ihre Stelle ver¬ 
tritt. Munk schlicsst sieb dieser Ansicht nicht an; denn ein von 
ihm operirter Hund, der freilich drei Wochen laug nach der Ope¬ 
ration die charakteristischen Krankheitserscheinungen und zwar An¬ 
fangs in sehr heftigem Grade zeigte, lebte 94 Tage. Alle paar 
Wochen stellten sich von Neuem für 1—2 Tage Krämpfe ein, bis 
<l«*r Hund schliesslich einmal einem Krampfanfalle erlag. Bei diesem 
Hunde fand Munk keine Nebenschilddrüse; auch ist er der Meinung, 
dass das Thier länger gelebt hätte, wenn es nicht allzu häufig auf¬ 
geregt und zu unfreiwilligen Bewegungen gebracht worden wäre, die 
immer wieder Krampfanfalle auslösten. 

Weiter äussert sich aber Munk dahin, dass er die Erfahrungen 
seiner Vorgänger, betreffend die vollständige Exstirpation der Drüse, 
reichlich habe bestätigen können und „bei guter Vernarbung der 
Wunde in wenigen Tagen, die Hunde längstens in 31 Tagen habe 
sterben sehen“. Auch betreffs der zweizeitigen Operationen, das 
heisst der Entfernung des halben Organes heute und der Entfernung 
der anderen Hälfte nach 37—60 Tagen, sah Munk, wie seine un¬ 
mittelbaren Vorgänger (Fuhr, Ewald u. A.) „die Hunde wie nach 
der einzeitigen Totalexstirpatiou zu Grunde gehen“. Aus all’ diesen 
Thatsachen, sowie aus dem Umstand, dass mitunter auch partielle 
Ex*tirpatiouen der Drüse tödtlich ablaufen, schliesst Munk, dass 
die tödtlichen Folgen der Schilddrüsenexstirpation nicht vom Aus¬ 
fall der Schilddrüsenfunction herzuleiteu sind, sondern vielmehr von 
anderweitigen Schäden, welche mit der Schilddrüsenexstirpation ver¬ 
knöpft sind. 

Dies zu beweisen, führt Munk folgenden Versuch aus: Er 
schält die Drüse vollständig aus und unterbindet nur alle mit ihr 
in Verbindung stehenden Nerven und Gefässe. bringt aber die Drüse 
wieder an ihren Ort zurück. Auf diese Weise bewirkt er, dass 
hinnen einigen Tagen die Schilddrüse ganz oder so gut wie ganz 
amergeht. Er ist nun der Meinung, so die Schilddrüsenfunction 
ausschalten zu können, ohne die Schilddrüse selbst zu exstirpiren. 
Acht derartig operirte Hunde, deren Wunden gut und schnell heilten, 
LlieWn längstens 5 Monate (nach welcher Zeit sie getödtet wurden) 
im Leben und zeigten keine Störungen. Nur wenn die Heilung der 
Wunde nicht regelrecht von Statten ging, trat der Tod unter den 
rigenthümlichen Störungen von Seiten des Centraluervensystems ein. 
Weiter meldet Munk von derartig operirten Hunden, dass gerade 
diejenigen, bei denen es zur Anheftung ansehnlicher Lappen kam, 
id gewöhnlicher Weise zu Grunde gingen, während die anderen Hunde, 
!*ei welchen die Lappen verschwanden oder nur in geringster Grösse 
sich anhefteten, von vornherein frei von den Krankheitserscheiuungen 
waren und weiter ohne jede Störung am Leben blieben. Schliess¬ 
lich sei noch folgender Versuch erwähnt: Wenn man, wie oben 


initgetheilt, die Schilddrüse „ausgesclialtet“ und, nach guter Verhei¬ 
lung der Wunde und völliger Genesung des Hundes, von der zweiten 
Woche an sich überzeugt bat. dass die Schilddrüse ganz oder nahe¬ 
zu verschwunden ist, so bedingt eine neue Blosslegung der Drüse 
oder ihrer Umgebung die charakteristischen krankhaften und zum 
Tode führenden Erscheinungen, sobald entzündliche Schwellung oder 
Eiterung ciutritt. Das Thier bleibt aber völlig normal, wenn auch 
die neue Verletzung per primam heilt. Also auch, wo die Schild¬ 
drüse schon ganz oder fast ganz fehlt, treten lediglich iu Folge 
neuer äusserer Verwundungen die tödtlichen Erkrankungen auf. 
bleibeu aber aus, wenn überhaupt keine neuen Verletzungen gesetzt 
werden oder die gesetzten gut heilen. 

Aulangend die Erfahrungen, die Munk au Affen gemacht hat, 
sei Folgendes initgetheilt: Während Horsley seine Versuchstiere 
an den Erscheinungen des Myxödems nach 4—7 Wochen zu Gruude 
gehen sah, bleibeu für Munk als nothwendige Folgen der Sehild- 
drüsenexstirpatiou bloss die fibrillären Zuckungen uud klonischen 
uud tonischen Krämpfe bestehen, in Folge deren es zum Tode 
kommen kann, von denen aber auch die Affen ohne merkliche blei¬ 
bende Nachtheile genesen können. Da nun schliesslich Ratten und 
Kaninchen besagte Operation ganz und gar ohne allen Schaden er¬ 
tragen, so ist für Munk „die Schilddrüse (von früher Jugend 
an) überall von gleichem und zwar so geringem Wcrthe, 
dass ihr Ausfall keinerlei merkliche Störung im Befin¬ 
den und Verhalten der Tliiere bedingt. Dass trotzdem die 
Exstirpation der Schilddrüse oft Krankheit und selbst den Tod zur 
Folge hat, rührt nur von anderweitigen Schäden her, welche der 
Eingriff setzt“. 

Welcherlei Art diese Schäden sind, wird von Munk später 
initgetheilt werden. Er versetzt uns so in eine ähnliche Spannung, 
wie viele Romanschriftsteller am Ende eines Capitels oder Bandes 
ihrer Erzählungen. Uns will es aber vorläufig scheinen, dass hei 
diesen anderweitigen Schäden die Schilddrüse doch die Hauptrolle 
spielt; denn die mannigfachsten anderweitigen Verletzungen und 
Verwundungen des Halses ziehen eben niemals, soweit wenigstens 
behauptet wird, die beschriebene Kachexie nach sich. Zudem wer¬ 
den die Gegner M unk’s sagen, dass er vollkommen ihre Exstirpations¬ 
versuche bestätigt habe, seine. „Ausschaltungsversuche“ aber doch 
keine vollkommene Ausschaltung des Organs zur Folge gehabt hätten, 
wie er ja selbst sagt, und keineswegs den viel einfacheren Exstir¬ 
pationsversuchen gleich zu setzen seien. 

v. Ziemssen. Ueber diphtheritiache Lähmungen und deren 

Behandlung. Leipzig, F. C. Vogel, 1887. 24 Seiten. 
Derselbe. Die Neurasthenie und ihre Behandlung, ibid. 

34 Seiten. 

Derselbe. Die Aetiologie der Tuberculose. ibid. 21 Seiten. 

Referent: Fürbringi-r. 

Der Autor hat den vorstehenden klinischen Vorträgen (No. 6, 
7 und 8) die Vorzüge der früheren: schöne und klare Darstellung, welche 
den jungen und gereiften Arzt zu fesseln versteht, voll gewahrt. Dass 
iu ihrem Inhalt wesentlich Neues und Originelles zu finden, wird bei 
der Natur des behandelten Stoffes kein billig Denkender verlangen 
dürfen. Immerhin fehlt es nicht an eigener und aparter Zutliat, 
für welche gerade der erfahrenere Kliniker dem Vortragenden Dank 
wissen wird. 

Einen erklecklichen Theil des erstgenannten Vortrags nimmt die 
Krankengeschichte einer jener schweren Fälle von postdiphtherischer 
Lähmung ein, iu welcher sich die Fuuctionsstörungen vom Rachen 
aus über das ganze Nervensystem verbreiten, und erst nach einer 
Reibe von Monateu (iu der vorliegenden Beobachtung nach 
1'/-» Jahren) die Reactionsvcrhältuisse in Nerv und Muskel wieder 
zur Norm zurückkehren. Auch Ziemssen spricht sich mit ziem¬ 
licher Entschiedenheit für die Annahme einer infectiösen Poly¬ 
neuritis als anatomischer Grundlage der Lähmungen aus, welche in 
den Endausbreitungen des Laryngeus sup. beginnt und centrifugal 
auf den Stamm des Vagus und von diesem auf die übrigen Aeste 
fortschreitet. Freilich sind mit einem derartigen Weiterwandern 
des Giftes längs der Nervenbahnen die Paralysen des Rumpfes und 
der Extremitäten noch keineswegs erklärt, und wenn Ziemssen 
hier an eiue Vermittelung des Rückenmarkes als eines Uebergangs- 
organes denkt, so steht mit einer solchen die vom Vortragenden 
weiterhin mit Recht urgirte sehr untergeordnete Betheiligung des 
Rückenmarks in einigem Widerspruch. Die Gefässalterationen (Hä- 
morrhagieen) gehören zum Begriff der multiplen Neuritis. 

Die. Therapie anlangend ist das offene Geständuiss bemerkens¬ 
wert!), dass die den Lähmungen zu Grunde liegenden Veränderungen 
der Nerven sich spontan rückzubilden pflegen, und die ärztliche 
Kunst an diesem gewissermaassen normalen Verlauf kaum etwas zu 
ändern vermag. Trotzalledem hat der Arzt die hochwichtige Auf¬ 
gabe zu erfüllen, einer „Erhöhung 4 ' — Referent möchte auf dieses 
Wort den Hauptnachdruck legen — der Gefahren der Schwäche des 


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14 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 1 


Herzens und des Athinungsorganes durch ungenügende Ernährung, 
anstrengende Muskelaction sowie der Speisepueumonie zu begegnen. 
Also unbedingte Bettlage, Ernährung durch die Schlundsonde, subcu- 
tanc Nährinjectionen, Ernührungsklystire. Kamphereinspritzungen etc. 
(Referent kann nicht umhin eigener Erfahrungen zu gedenken, nach 
welchen der erschütternde plötzliche Tod in vollkommener Bettruhe, 
einmal sogar während des Einschlafens eingetreteu, und wird den 
Gedanken nicht los, dass in diesen Fällen gerade das absolute Still¬ 
liegen wenig gefrommt habe.) — 

Der zweitgenannte Vortrag birgt eine musterhafte Schilderung 
der Aetiologie und Symptomatologie der „pathologischen Signatur 
der Culturepoche, in der wir leben.“ Auf wenigen Seiten hat 
Ziemssen mit sichtender Feder mehr zusammengetragen, als man¬ 
ches langathmige Specialwerk, das mit unerquicklichem Ballast des 
Lesers Kopf beschwert. 

Die Frequeuzzunahrae der Neurasthenie verdankt ihre Ent¬ 
stehung den grossartig wachseudeu Fortschritten auf dem Gesammt- 
gebiete des geistigen, politischen und socialen Lebens und muss sich 
naturgemäss im Treiben der Grossstädte am stärksten ausprägen. Zu 
dieser allgemeinen Schädlichkeit treten als weitere ätiologische Mo¬ 
mente der Alkoholmissbrauch. Morphinismus und der sexuelle Excess. 
Nebenher geht die hereditäre neuropathische Disposition. deren 
principale Bedeutung für die Entwickelung der Krankheit Rassen- 
und Stammeseigenthümlichkeiten zeitigen. 

Sehr wohlthuend berührt, gegenüber der schematischen Dar¬ 
stellung mancher Autoren auf dem grünen Tische der bestimmte 
Ausspruch des Vortragenden, dass eine Abgrenzung der Krankheit 
als eines functionellen Schwächezustandes des Nervensystems (der 
Centra der Intelligenz wie der Psyche, der Reflex- uud Hem- 
mungscentren, wie der nervösen Leitungsbahnen) von der Hysterie, 
Hypochondrie, Melancholie und selbst Manie z. Z. unmöglich ist. 
Die Symptomensehilderung folgt der allgemein üblichen Darstellung; 
die „Anomalieen der Genitalien“ weisen Lücken auf (Spermatorrhoe 
wird nicht einmal erwähnt), welche Ziemssen später einmal auszu¬ 
füllen halb uud halb verspricht. 

Rücksichtlich der Therapie hält der Vortragende für die schwe¬ 
ren erethischen Formen die lsolirung und Anstaltsbehaudlung für „ab¬ 
solut erforderlich; hier wirkt keine Cur iu der Freiheit günstig“ (? Ref.). 
Das bekannte Mitchell’sche Kurverfahreu empfiehlt Ziemssen 
warm, nicht ohne vor den schablonenhaften Systemeuren nach- 
drücklichst zu warnen. Mit demselben Recht spricht er der Eleva¬ 
tion der Gebirgsorte die ihr vielfach beigemessene Bedeutuug ab. 
Die Warnung, empfindliche, erregte oder deprimirte Neurastheniker 
an die See zu schicken, wird rechtzeitig durch das Geständniss cor- 
rigirt, „dass es selbst bei sehr grosser Erfahrung oft recht schwer 
ist, sich über die Frage: Seebad oder Hochgebirge schlüssig zu 
machen, und man es auf einen Versuch ankommen lassen muss“. 
(Ref. schweben dabei eigene Fälle vor, in welchen die „grossartige 
Ruhe der Hochgebirgswelt“ die Erethiker aufregte, die „Reizwirkung 
des Seebades“ aber beruhigte). Zum Schluss folgen noch einige 
beherzigenswerthe Bemerkungen über den Nutzen kleiner, nicht 
ermüdender Erholungsreisen, die Hydrotherapie mit ihrem bunten 
Apparat, die elektrische Behandlung, Massage und endlich die 
sehr weise Warnung vor dem Arzueiglauben bei der exquisit 
chronischen Krankheit, was indess nicht verhindern darf, gelegent¬ 
lich einmal zum Bromkalium oder irgend einem auderen „Nervinum“ 
zu greifen. — 

Ad 3 verbreitet sich Ziemssen, nachdem er der Verdienste K o c h ’s 
gebührend gedacht, über die Misslichkeit der Entscheidung zwischen 
wirklich hereditärer und extrauterin erworbener Tuberculose ganz 
im Sinne des Rühle'schen Vortrages auf dem letzten Congress für 
innere Medicin. Doch hält er — und welcher unbefangene und er¬ 
fahrene Arzt schlösse sich dem nicht an — an dem Begriff der 
Erblichkeit noch fest und räumt auch der Lateuz ein erhebliches 
Terrain ein. Weiter wird die ererbte und erworbene Disposition 
besprochen, von allen die Widerstandskraft der Gewebe und der 
Zellen schwächenden Momenten der Mangel genügender Muskel¬ 
action im Freien und des frischen Luftgenusses obenan gestellt. 
Ein geradezu schauriges Bild entwirft der Vortragende von dem 
traurigen Schicksal der barmherzigen Schwestern des Münchener 
Krankenhauses, welche als kernige rothwangige Landmädchen in 
den Orden eintreten, um zur Hälfte (!) einer sicher nicht ererbten 
Lungenschwindsucht zum Opfer zu fallen. Ref. hat mit um so 
grösserem Befremden von dieser Thatsache Kenntniss gewonnen, als 
etwas dem Aehnliches im grossen Berliner Krankenhause Frie¬ 
drichshain mit seinem bedeutenden Pflegerinnenpersonal nicht 
existirt, und hier u. A. gerade die ältesten Wärter sich der unver¬ 
dächtigsten Lungen erfreuen, während Ziemssen gerade bei Wegfall 
eines schnellen Wechsels des Wärterpersonals das sofortige Entgegen¬ 
treten grösserer Infectionsziffern hervorhebt. (Jedenfalls hat es mti 
den Bedingungen der direkten Infectiosität der Tuberculose noch seine 


besondere Bewandtniss, von der sich das Stückwerk unseres Wis¬ 
sens noch Nichts träumen lässt.) 

Alle drei Vorträge seien hiermit auf das Wärmste allen der me- 
dicinischen Wissenschaft Nahestehenden empfohlen. 

Der bereits bei früherer Gelegenheit vom Ref. und Anderen 
monirte, in seiner zweiten Hälfte einer freien Wissenschaft wenig 
würdige Vordruck, welcher denn auch in No. 5 glücklich geschwunden 
war, hat sich in den 3 letzten Heften wieder eingefunden. Wir 
denken stark an einen der angesehenen Verlagsfirma unbewussten 
Fehlgriff des Setzers und wagen es darauf hin, dem Herrn Redacteur 
dieser Wochenschrift die sonst straffällige Aufnahme vorstehender 
Referate anzusinnen. 


VII. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzuug am 5. December 1887. 

Vorsitzender: Herr Fräntzel; Schriftführer: Herr P. Gutt- 
man n. 

Als Gast anwesend Herr Dr. Go! I in er. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen uud ange¬ 
nommen. Vor der Tagesordnung erhält zur Demonstration das 
Wort: 

1. Herr P. Guttmann: Ueber indigobildende Substanz 
in einem Pleuraexsudat. (Der Vortrag mit der sich anschliessen¬ 
den Discussion ist iu No. 51 des vorigen Jahrganges dieser Wochen¬ 
schrift abgedruckt). 

2. Discussion über den Vortrag des Herrn Jastrowitz: Beitrag 
zur Lehre von der Localisation im Gehirn und über deren 
praktische Verwerthung. (Die Discussion wird später im Zusam¬ 
menhang mit dem Vortrag veröffentlicht werden.) 

Sitzung am 19. December 1887. 

Vorsitzender: Herr Gerhardt; Schriftführer: Herr P. Gutt¬ 
mann. 

Das Protocoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

Vor der Tagesordnung erhält das Wort: 

1. Herr Leyden: Meine Herren! Die Mittheilungen über die 
Aetiologie des Carcinoms, welche Herr Scheurlen vor einigen 
Wochen hier in der Gesellschaft gemacht hat, haben, wie es Ihnen 
begreiflich sein wird, in weiteren Kreisen Interesse erregt. Mir ist nun 
in Beziehung auf diesen Vortrag ein Brief zugegangen, welchen ich 
verlesen soll, und zwar von Herrn Domingos Freire, dessen Name 
wohl einem Tbeil von Ihnen bekannt ist. Derselbe, Professor in 
Rio de Janeiro, augenblicklich in Paris, ist bereits dadurch berühmt, 
dass er den Mikroben des gelben Fiebers entdeckt hat. In 
diesem Briefe theilt er mit, dass er ähnliche Untersuchungen wie 
Herr Scheurlen bereits im Februar oder März dieses Jahres pu- 
blicirt hat. Er wünscht, dass der Brief der Gesellschaft vorgelegt 
wird, und ich erlaube mir, denselben zu Protocoll zu geben: 

A la societe de Medecine interne de Berlin. 

Monsieur le President! 

Je viens de lire dans la Semaine medicale de Paris du 30. Novembrc 
dernier une communication presentee le 28 du meine mois, ä la Societe de 
Medecine interne de Berlin, par Mr. Scheurlen. Getto communication a 
pour titre „Le Bacille du carcinome“. 

L’auteur y declare quo personne avant lui n’etait parvenu ä demontrer 
la nature de Pagent etiologique du cancer. Je demande, donc, la perraission 
pour faire remarquer devant cette societe savante que vers le commencement 
de cette annee merae je fis paraitre un memoire intitule Premieres 
etudes experimentales sur la nature du cancer —, dans lequel 
j’arrive aux memes conclusions que Mr. Scheurlen J’ai Phonneur de vous 
en remettre un exemplaire afin que vous puissiez vous assurer vous-meme 
de Pexactitudc des propositions que j’ose avancer. 

Je rappelle dans cette occasion que plusieurs journaux, non seulemcnt 
en Amerique, mais encore en France, se sont occupes de mon travail d’une 
maniere plus ou moins detaillee. Je citerai entre tous la „Revue scien- 
tifiquo de Paris“ (Revue rose) du 5. Mars 1887, oü se trouve un 
article assez long sous le titre ,.le microbc du cancer“. Je no me 
propose aucunement ici de faire la critique de Pinteressant travail de 
Mr. Scheurlen. Qu’on me permette pourtant de signaler la comcidencc 
presque complete entre les resultats de ses recherches et ceux des experiences 
que j’avais faites anterieurement sur le memo sujet. 

En effot, nous sommes arrives tous les deux ä la conclusion: que dans 
Porganisme atteint du cancer se trouve un bacille se developpant par 
sporulation, la seule divergence entre nous etant que je considere ces 
bacilles commc provenant, primitivement au moins, des zooglees rencontrees 
dans les tumeurs et dans le sang, (dont Mr. Scheurlen n’a pas fait 
d’ailleurs Panalyse microscopique). Je pense que ces zooglees ne sont pas 
restees inaper^ues ä ce confrere dans le suc carcinomateux; car tout en les 
regardant comme des spores du bacille il s’exprime ainsi dans sa com¬ 
munication: „On les voit (les spores) rarement isolees, dans la 
plupart des cas on les observe en masses, comme si eiles avaient 
fait 4clater une cellule.“ 


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5. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


15 


J'appelle Patteution de cette societe savante sur les raisons que — a 
fappui de mon idee sur Revolution du bacille du cancer — je developpe 
aas pages 9 et 10 de mon memoire. 

Quant k la transmissibilite du carcinome, les expdriences de 
Ür. Scheurlen ne font que confirmer les miennes, car il a observe 
lotnme raoi-meme que l’inoculation des cultures pures du bacille aus animaux 
Jonne lieu a la production de tumeurs cancereuses. (Voyez la deuxierae 
coaclusion de mon memoire — page 28). 

Aus pages 26 et 27 du meine ouvrage je donne la dcscription de 
Tumenrs cancereuses obtenues au moyen de l’injectiou d’une culture daus 
des eobayes. Dans une de ces tumeurs, dans l’intervalle des cellules ean- 
cereuses, je rencontrai un grand nombre de spores et quelques bacilies. 

Outre la demonstratiou du bacille du cancer je fis des etudes sur une 
piomaine extraite de l’urine d’un sujet atteint de caehexio cancereuse, 
ainsi que sur l’attenuation du virus cancereux et l’immunii4 acquise par 
l’inoculation de cc virus de plus en plus actif. Le rapport de ces ex- 
periences se trouve egalement compris dans le memoire dejä eite. 

J’ai fait aus>i des cultures du bacille non seulcmeut dans des bouillous 
•le gelatiue, mais encore dans des milieux solides, (agar-agar peptouise), 
•l'apres la methode de Koch, et des essais do coloration au moyen de la 
fuchsine. J’ai du interrompre et laisser in4dits ces essais et la description 
des cultures solides, a cause de ma mission aux Etats-Unis coininc delegue 
de mon gouveruemeut, afiu d’y presenter au Congres medical international 
de Washington les resultats de ines recherches sur la vaccination contre la 
tievre jaune. 

Je dois me borner ä ces indications, mou but n’etant pas de contestcr 
le merite des recherches de Mr. Scheurlen; bien au contraire je reconuais 
toute rimportance du travail que cct auteur a lu devant cette Societe savante 
Je desire k peine faire valoir le droit de priorite que j’ai sur la decouvcrte 
du bacille du carcinome. 

J’ose esperer que la Societe de Medecine interne de Berlin ne sc 
refusera pas k preudre en consideration une reclamation qui me parait 
fondee sur des raisons incontcstables. 

Veuillez agreer, Monsieur le President, l’assurance de mes sentimeuts les 
plus distingues. 

Dr. Domingos Freire, 

Professur de Uhimie organique et biologique ä la Faculte de Medecine 
de Rio de Janeiro. 

Paris, le 3 Decembre 1887. 

2. Herr Fürbringer. Meine Herren! Die Mehrzahl von Ihnen 
wird sieh eines anatomischen Präparates von geheilter Aorten- 
klappeninsufficienz erinnern, welches Herr Fräutzel vor etwa 
einem Jahr hier demonstrirte (cf. Nr. 5). Es handelte sich um die 
Retraotiou zweier Aortenklappen und um den Ausgleich des Defects 
durch eine relativ beträchtliche Wucherung, die an der dritten Klappe 
sass. derart, dass diese Wucheruug sieh in die pathologische 
Lücke biueinlegte. Ich kann Ihnen nun ebenfalls ein anatomisches 
Präparat von. wie ich glaube, geheilter Aorteninsufficienz demon- 
striren. dessen besondere Eigenthümliehkeiten den Fall zu einem 
recht bemerkenswerthen stempeln. 

Es handelt sich um einen 35jährigen Maler, der am 15. vorigen 
Monats in die innere Abtheilung des städtischen Krankenhauses am 
Friedrichshain in desolatem, halb benommenem Zustande aufgenommeu 
wurde. Die Anamnese ist deshalb dürftig; sie beschränkt sich auf 
diejenige einer Phthise: Seit Monaten Husten, Heiserkeit; seit eini¬ 
gen Wochen Schwellung der Beine; später blutiger Auswurf und 
Athemooth. 

E>ie Untersuchung ergab Verdichtung der Lungenspitzen, Hy¬ 
drops UDd, was besonders auffiel, eine gauz hochgradige Ver¬ 
breiterung der Herzdämpfung nach links und rechts, nach links bis 
zur vorderen Axillarliuie, bei reinen Tönen, Galopprhvthmus, 
kleinen Puls. Tod nach 6 Tagen. Die Section ergab Lungen¬ 
phthise. bestätigte die Herzhypertrophie, die ganz besonders links 
ausgeprägt war unter der Form einer sehr starken Dilatation mit 
Hypertrophie, ganz wie bei Aorteninsufficienz bei leichter Myocar- 
ditis. Die Mitralis war vollkommen intaet, der Klappenapparat 
der Aorta eigentümlich verändert; trotzdem waren die Aorten¬ 
klappen fast vollkommen schlussfahig, das Wasser lief nur tropfen¬ 
weise ah. 


h hintere Klappe. 1 Unke, r rechte, x Scheidewand, x, Scheidewaudregt, s Sack. 

Die rechte und hintere Aortenklappe war in einen grossen 
Sack verwandelt, und dieser Sack bildete mit der dritten linken 
Klappe einen ziemlich vollständigen Schluss. Was die Genese 
dieser eigentümlichen Bildung anlangt, so ist natürlich vor allem 
auffallend, dass in dem Sack das Septum geschwunden ist, welches 
dadurch entstehen muss, dass zwei Aortenklappen in grösserer Aus¬ 
dehnung verwachsen. Ich stelle mir die Sache folgendermaassen 
*or und glaube auf wenig Widerpruch zu stossen. dass zunächst 




der Pat. in Folge einer lediglich auf die Aortenklappen beschränkten 
Eudocarditis eine Aorteninsufficienz und dadurch Hypertrophie uud 
Dilatation des linken Ventrikels acquirirte. Die hintere Klappe muss 
mit der rechten in der Weise unter Retraction verwachsen gewesen 
sein, dass bei der Rückstauung des Bluts in der Diastole eine Lücke 
entstanden sein muss. Nach und nach muss unter der combinirten 
Wirkung des rückstauenden Blutes und des ulcerösen Processes der 
Endocarditis das gemeinsame Septum geschwunden sein, derart, dass 
nun sich die vereinigten Klappen uahe an die linke Klappe anlegen 
konnten und schliesslich dieses Bild entstand: ein gauz schmaler 
Spalt und eiue Andeutung des Septums in Form eines Wulstes, 
welcher im Grunde des Sackes verläuft und eine Zweitheilung dieses 
anzeigt. 

Ein Plus von Zerstörung hat also zu dem Ausgleich, eine glück¬ 
liche Laune des Zufalls zur Heilung der Insufficienz geführt, wie 
Sie sich an diesem Präparat nunmehr überzeugen wollen. Der 
Kernpunkt des Falles ist der, dass das hemmende Septum, welches 
sicher in einer Phase des Processes bestanden haben muss, einfach 
geschwunden ist, und dass mit diesem Schwund die Heilung ohne 
Stenose eiutreten konnte. Es war kein Geräusch, hingegen enorme 
Hypertrophie und Dilatation des linken Ventrikels vorhanden ge¬ 
wesen, wofür kein anderer Grund als der, den ich eben entwickelt, 
Vorgelegen haben kann. 


3. Herr P. Guttmann: Aus Anlass meiuer neulichen Mittheilung 
über die Anwesenheit von indigobildender Substanz in einem 
Pleuraexsudat, welches dadurch intensiv dunkelblau geworden ist, 
habe ich in verflossener Woche einen Brief des Herrn Dr. Firket, 
Professor an der Universität in Lüttich erhalten, mit dem Ersuchen, 
Ihnen von dem Inhalt Kenntniss zu geben. 


Tres honore Colleguc! 


Liege, 11. Deeembre 1887. 


Je viens do lire dans le Bulletin medical le eomplc rendu de votre 
Observation sur la presence de l’indigo daus un liquide pleuretique J’ai 
fait, il y a quelques ruois, une observation analogue qu’il peut etre interessant 
pour vous de connaitre. C’est ce qui me decide k vous ecrire directement 
bien que je n’aie pas l’honneur d’etre connu de vous. 

L’hiver dernier jo recus d’uu Chirurgien de not re ville le produit d’une 
ponction abdominale qu’il me priait d’examiner: ia ponctiou avait ete pra- 
tiquee sur une jeune fille de 22 ans, chez laquelle s’etait produitc une tu- 
mefaction rapide et considerable do l’abdomen, menacant la malade de suffo- 
catiun. Outre un liquide sereux, clair, le trocart avait laisse sortir un 
rertain nombre de masses vesiculeuscs dont on me demandait la uature. 
Celle que je reeus etait tres molle, jaunätre, longue de 4 ceutimetres envirou, 
large de 2 : eile paraissait forinee par une membrane tres mince et un cou- 
tenu liquide jaune, sereux, qui s’etait dejä en partie ecoule et laissait la 
membrane plissee par places- 

A l’une des extremites sc trouvait une petito masse de sang, probable- 
ment extravase ä la suite de l’operation, car les globulcs etaient encore bien 
colores. Au niveau de cette petite collection sanguine, la membrane etait 
retracteo en plis assez epais et deja ä l’oeil nu, laissait voir une colora¬ 
tion bleue bien accusee, que le Chirurgien u’avait pas remarquee lors de 
l’operation. 

Un petit fragment de la membrane. exci>ö et examine au microscope. 
montra une structure vagueraent fibrillaire (probablement fibrine), et daus les 
plis de la membrane on retrouvait, outre les globules rouges du sang, un 
tres ^rand nombre de concretions d’un bleu intense, analogues aux pre- 
cipites de bleu d’indigo qui s’observent souvent dans certaines urines con- 
servees ä l’air. 

Les circonstances ne m’ont malhcureusement pas permis de faire pro- 
ceder ä l’examen chimique complct de ces produits. mais leur aspect, leur 
coloration, leur resistance ä l’eau et ä la glyci-rine m’ont fait croire qu'il 
s’agissait d’indigo. J’ai publie cetle observation dans la troisieine edition du 
Manuel de microscopic cliniquc que je publie avec Monsieur le professeur 
Bizzozero: cette edition va paraitre dans quelques jours et je vous envoie 
ei joint la figure que j’ai dessinee et puldiee d’apres mes preparations 

Quant ä la malade, une incision explo*-atrico avait montre Fexistence 
d’un sarcome inoperable (je n’ai pas eu ä exaininer de fragment de la tu- 
meur); la mort eut lieu peu de temps apres. saus quo l’autopsic put 
etre faite. 

Peut-etre voudrez bien signaler cette observation, qui confirme la vötre, 
ä vos collegues du Verein für innere Medicin. 11 est possible que d’autres 
cas analogues soient restes inconnus. 

Veuillez agreer, tres honore Colleguc, I’expression de mes sentimeuts 
les plus distingues. I)r. Ch. Firket. 

4. Herr Posner: Ueber Litholyse. (Der Vortrag wird in einer 
der nächsten Nummern zur Veröffentlichung gelangen.) 


VIII. Jouraal-Revue. 

Physiologie und physiologische Chemie. 

1 . 

P. Grützner. Zur Muskelphysiologie. Breslauer är/.tl 
Zeitschr. 1887. 

Bekanntlich unterscheidet mau zwei Arten quergestreifter 
Muskelfasern, „rotbe“ und „weisse“. Die erstereu zeichnen 
sich histologisch durch eine deutlichere Längsstreifung und zahl- 


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16 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No 


reichere Muskelkerne, physiologisch durch wesentlich langsamere 
Arbeitsleistung vor den weisson aus. Verf., mit einer genauen Unter¬ 
suchung der physiologischen Unterschiede dieser beiden Arten von 
Muskelfasern beschäftigt, macht in der vorliegenden vorläufigen 
Mittheilung darüber folgende Angaben. Hei Anwendung maximaler 
Reize zeigt sich für schnell arbeitende Muskeln (Trieeps, Semi- 
membranosus, Gastroknemius) die Höhe des Tetanus relativ un¬ 
bedeutend im Vergleich zu der Höhe der Zuckung (2—3 : 1), wäh¬ 
rend dieses Verhältniss für langsam arbeitende (Hyoglossus. Rectus 
abdominis) bei mittleren Spannungen 8—9:1 beträgt. Um nun 
zu entscheiden, ob diese physiologischen Unterschiede wirklich auf 
dem verschiedenen Gehalt an rotheu und weissen Muskelfasern 
beruhen, machte Verf., da es ganze Muskeln von rein rother 
oder rein weisser Beschaffenheit nicht giebt, die obigen analogen 
Versuche an ausgeschnittenen ziemlich rein rothen und rein weissen 
Muskel stück en. In der That stellte sich dabei heraus, dass die 
relative wie die absolute Zuckungshöhe der rothen Muskeln sehr 
unbedeutend* ist gegenüber derjenigen der weissen, dass hingegen 
sowohl die Höhe des Tetanus als die Arbeitsleistung in demselben 
für die rothen Muskeln ausserordentlich viel höher sind. Verf. 
weist darauf hin, dass man von einem und demselben Muskel bei 
unmittelbarer Reizung je nach Richtung und Art des Stromes ganz 
verschiedene Zuckungscurven erhalten kann, und erklärt dies damit, 
dass der Reiz das eine Mal mehr die weissen. das andere Mai 
mehr die rothen Bestandtheile getroffen hat. Hei der Reizung vom 
Nerven aus zeigt sich, dass auch durch constante Ströme die 
rothen Muskeln häufig, die weissen nie in Tetanus versetzt werden, 
und dass chemische Reizung der Nerven viel eher in den rothen 
als in den weissen Muskeln einen gleichmässigen, dauernden Tetanus 
hervorbringt. S. Weinbaum. 

A. Bokai. Experimentelle Beiträge zurKenntuiss der 
Darmbewegungen. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. XXIII 
p. 209. 

B. theilt die Resultate von Versuchen mit, welche die Wirkun¬ 
gen der Darmgase auf die Darmbewegungen aufklären sollten. Durch 
Einleiten von Sauerstoff in die sich stark bewegenden Gedärme 
eines eben erstickten Thieres wurdeu die Darmbewegungen in 
einigen Secunden sistirt. Dagegen wurden durch Einleiten von 
Kohlensäure in den Darm starke peristaltische Bewegungen erzeugt. 
Diese letzteren Bewegungen Hessen sich durch Einleiten von Sauer¬ 
stoff oder auch durch Einspritzen von Kalkwasser, welches die 
CO 2 absorbirt, leicht coupiren. B. leitet aus diesen Versuchen den 
Schluss ab, dass die Wirkung der C0_> eine periphere sei, und ist 
der Meinung, dass sowohl Mangel an Sauerstoff als auch Anhäufung 
von Kohlensäure Darmbewegungen hervorrufen könne. Die Darm¬ 
bewegungen würden durch den Kolilensäuregehalt des Blutes be¬ 
wirkt. Die Kohlensäure müsse mithin als automatischer Reiz, wie 
für das Athemcentrum, so auch für die in der Darmwand befind¬ 
lichen motorischen Nerven angesehen werden. 

Auch das im Darm vorkommende Sumpfgas und Schwefel¬ 
wasserstoffgas erzeugt heftige Darmbewegungen, die durch Sauer¬ 
stoff nicht aufgehoben werden. 

Die antidiarrhoische Wirkung, welche das Bismuthum subnitricum 
bekanutermaassen ausübt, glaubt B. dadurch erklären zu müssen, 
dass es den in abnormer Menge gebildeten Schwefelwasserstoff binde. 

A. Bokai. Experimentelle Beiträge zur Kenntniss der 
Darmbewegungen. II. Mittheil. Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. 
Bd. XXIII. p. 414. 

ln der vorliegenden Arbeit suchte B. die Wirkung der ge¬ 
steigerten Kürpeitemperatur resp. des Fiebers auf die Darm¬ 
bewegungen festzustellen, wobei ihm die bekannte Thatsache, dass 
Obstipation eine gewöhnliche Begleiterin des Fiebers ist, als Aus¬ 
gangspunkt diente. B. constatirtc zunächst, dass bei fiebernden 
Thieren eine hochgradige Darmträgheit besteht, indem die peristal¬ 
tischen Bewegungen der Darmwandungen gegen die Norm bedeu¬ 
tend herabgesetzt erscheinen. Da gezeigt werden konnte, dass die 
Ursache hierfür nicht in einer etwaigen Parese der Darmmuskulatur 
selbst zu suchen sei, da ferner gezeigt werden konnte, dass jene 
Vagusfaseru, welche als motorische Darmnerven betrachtet werden, 
nicht gelähmt waren, so musste der Schluss gezogen w'erden auf 
eine übermässig ausgebildete Energie der hemmenden Wirkung der 
Nn. splanchnici. Dieselbe Darmträgheit, wie bei fiebernden Thieren, 
kounte B. auch naclnveisen bei Thieren, deren Körpertemperatur 
er auf künstliche Weise durch Unterbringen im Wärmekasteu erhöht 
hatte. Doch bezieht sich dies nur auf Temperaturen von 39 — 42,5°. 
Bei höheren Temperaturen tritt umgekehrt eine Parese der die 
Darmbewegung hemmenden Nerven und in Folge dessen eine sehr 
hochgradige Verstärkung der peristaltischen Bewegung ein. B. 
sehliesst, dass bei fiebernden Thieren die Darmträgheit, die zufolge 
des erhöhten Reizzustandes der Darmhemmungsnerveu besteht, von 
der erhöhten Temperatur abhäugt, demuach eine subordinirte Er¬ 


scheinung derselben ist. — Es wäre von Interesse gewesen, wenn 
B. dieselben Versuche auch bei fiebernden Thieren angestellt hätte, 
deren Temperatur durch Darreichung eiues Antipyreticums auf die 
Norm gebracht worden wäre. Leo. 

Infcctionskrankhcitcn und Zoonoseu. 

1 . 

Di Vestea e Zagari. Sulla trasmissione della rabbia 
per la via dei nervi. Gioruale Iuternazionale delle Scienze me- 
diche, IX. 

Die unter den Auspicien Cantani’s entstandene Arbeit erbringt 
den Nachweis von der Möglichkeit einer Uebertragnng des Wuthgiftes 
durch Vermittelung der Nerven. Die Verf. haben dabei eine Reihe 
ganz interessanter Thatsachen gefunden, auf welche im Folgenden 
hingewiesen sei. 

Die Uebertragung der Wuth bei Einbringung des Virus in einen 
Nerven gelingt mit der gleichen Sicherheit, wie bei der von 
Pasteur und Späteren geübten subduralen Einführung; die mitt¬ 
lere Incubationsdauer beträgt bei Uebertragung des Sti assenwuth- 
Virus 18 Tage, bei Infeetion mit fixem Virus 9 Tage. Als erstes 
sichtbares Symptom wird bei den vom Nerven aus iufieirten Ka¬ 
ninchen eine Motilitätsstörung der zugehörigen Extremität beobachtet, 
welche sich in einer gegen den 8. oder 9. Tag auftretenden Rigidi¬ 
tät und Unbeholfenheit der Bewegungen der betreffenden Extremität 
zu erkennen giebt. Ist der Hüftuerv als Infectionsstelle benutzt 
worden, so wird zuerst das eine, nachher das andere Bein gelähmt, 
allmählich greift die Lähmung auf die oberen Extremitäten über. 
Bei Infeetion vom Medianus aus ist die Lähmung descendirend und 
zeigt grosse Analogieen mit den Paralysen durch Trepanation infi- 
cirter Kaninchen. Bei letzteren haben die Verf. eine sehr charak¬ 
teristische Temperaturcurve beobachtet. Vom 5. Tage p. infeet. 
geht die Temperatur unter leichten Fieberbewegungeu in die Höhe, 
um mit dem Auftreten der ersten Lähmungserscheinungen ganz jäh 
bis zum erfolgenden Tode abzufallen. Während der Fieberperiode 
entnommene Blutproben sind stets mit negativem Erfolg auf andere 
Kaninchen verimpft worden. Wurden von in dieser Zeit der Krank¬ 
heit getödteteu oder spontan eingegangenen Thieren Rückeumarks- 
theile auf andere Kaninchen verimpft, so ergab sich die überraschende 
Thatsache, dass mit Theilen des Bulbus med. spin. inficirte Kanin¬ 
chen wuthkrank wurden, während die Lendenanschwellung des RM 
sich zu dieser Zeit noch nicht virulent erwies. Die Verf. schliessen 
daraus, dass das Wuthgift von der iufieirten Stelle aus sich entlang 
dem Cerebrospinalsystem weiter entwickelt und sich an den vom 
Ort der Infeetion eutfernteren Stellen später localisirt, als an den 
der linportatiousstelle näher gelegenen Theilen des Centralnerveu- 
systems. Sie beweisen diese Annahme durch eine Anzahl von Ver¬ 
suchen mit Einbringung des Gifts in die Hiift- oder Mediannerven, 
aus welchen hervorgeht, dass im ersten Fall das Lendenmark früher 
virulent ist als das Cervicalmark und der Bulbustheil. während bei 
Einbringung des Giftes in den Medianus die Verhältnisse umgekehrt 
liegen. Als Beweis dafür, dass das Wuthgift dabei nicht auf dem 
Wege der Lymph-, sondern unter Benutzung der Nervenbahnen fort¬ 
kriecht, führen die Verf. verschiedene Gründe an, z. B. dass die I 11 - 
fection um so sicherer gelingt, je direkter das Gift in die Substanz 
des Nerven, um so weniger sicher, je mehr es unter die Nerven¬ 
scheide gebracht wird, und dass es, was besonders wichtig erscheint, 
nach Durchschneidung des inficirten Nerven oberhalb der Infections¬ 
stelle und Kauterisirung des peripheren Endes gelingt, die Entwicke¬ 
lung der Krankheit entweder aufzuhalten oder eine längere Incuba- 
tion herbeizuführen. Im weiteren Verlauf ihrer Abhandlung führen 
die Verf. als Belag für ihre Behauptung in Betreff der Abhängigkeit 
des Auftretens und Verlauf der kliuischen Symptome von dem Sitz 
der Infeetion 2 Beobachtungen von menschlicher Lyssa an, welche 
mit den am Thiere constatirteu experimentellen Erscheinungen im 
besten Einklang stehen. (Details der Krankengesch. s. Orig.) Auch 
hier ist die Reihenfolge der Erscheinungen verschieden, je nachdem 
die oberen oder unteren Partieen des Körpers als Eintrittspforten des 
Giftes gedient haben. Bei Fällen der ersten Art stellen sich zu¬ 
nächst cortico-bulbäre und erst später spinale Symptome ein, bei denen 
der zweiten ist der Ablauf der Erscheinungen umgekehrt. Die Verff. 
unterscheiden demnach den cortico-bulbäreu und spinalen Typus 
der Wuth, welchem sie den Typus der rabies furiosa und paralytica 
beim Hunde an die Seite stellen. Die Lectüre der vorstehend kurz 
referirten Abhandlung sei allen für den Gegenstand sich Interessiren- 
den empfohlen. Eug. Fraenkel (Hamburg). 

Innere M e d i c i n. 

1 . 

Unverricht. Polymyositis acuta progressiva. Zeitschrift 
für klinische Medicin. Band XII. Heft 5 u. 6. 

Ein von U. im Allerheiligenhospital zu Breslau beobachteter, von 
March and secirter Fall stellte sich als eine acute echte Entzün- 


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5. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


17 


düng fast aller willkürlichen Muskeln dar. Die Entzündung ergriff 
auch die Athroungs- und Kehlkopfsmuskeln, es trat Schluck-Pneu¬ 
monie ein, und der Kranke startr'solfoeatorisch. Bei Lebzeiten hatte 
das Krankheitsbild grosse Aehnlichkeit mit Trichinose? doch Messen 
sich in einem aus dem Musculus deltoideus excidirteu Stückchen Tri¬ 
chinen nicht nachweisen. Die Section ergab denn auch, dass es 
sich nicht um Trichinose, sondern um eine schwere Entzündung der 
Mosknlatur fast des ganzen Körpers handelte. Die Streckmuskeln 
waren stärker befallen, als die Beugemuskeln, Zwerchfell und 
Angenmuskeln ganz frei, während letztere beiden bei Trichinose ge¬ 
wöhnlich in hohem Grade erkrankt sind. Die histologischen Ver¬ 
änderungen der Muskeln werden eingehend geschildert. U. war 
nicht ira Stande, einen diesem Falle ganz analogen in der Literatur 
aufzufinden. Aetiologisch war in dem U.’schen Falle nichts zu er¬ 
mitteln. Derselbe liefert zweifellos einen sehr werthvollen und in¬ 
teressanten Beitrag zur Kenntniss von den acuten, diffusen Entzün¬ 
dungen der Mnskeln. Alexander (Breslau). 

Ed. Bull. Ueber Magenhusten. Deutsches Archiv f. klin. 
Med. 1887, Bd. 41, 4/5. 

Während die alten Aerzte einen sogenannten „Magenhusten“ 
ohne Weiteres anerkannten, auch die Laien noch heutzutage gern 
von einem derartigen Leiden sprechen, hat in der ärztlichen Welt 
der Magenhusten längst sein Ansehen verloren. Wir wissen, dass 
nicht der Ort, wo der Husten entsteht, der Kehlkopf, direkt krank 
zu sein braucht, dass vielmehr reflectorisch von den verschiedensten 
Stellen aus Husten ausgelöst wird. 

Nase, Schlundkopf, Luftröhre, Bronchien, Pleura, Ohr etc. 
können die erkrankten Theile sein. Alle Schriftsteller, welehe sich 
mit der Frage des Hustens beschäftigt haben, erkennen einen Magen¬ 
husten kaum an, die meisten äussern sich mindestens sehr zweifelnd. 
Alle beobachteten Fälle lassen eben andere Deutung zu. 

Bull erzählt nun einen Fall, welcher die Deutung zulässt, dass 
bei der magenkranken Person der quälende, continuirliche Husten 
vom Magen ausgelöst sein könnte. Mit eintretender Besserung des 
Magenleidens, welches mit grossen Dosen Bisrauth behandelt wurde, 
wich auch der Husten. Da aber die Patientin auch lange Zeit an 
Ohren- und Nasenleiden erkrankt gewesen, so ist auch dieser Fall 
nicht mit Sicherheit zu den Fällen von Magenhusten zu rechnen. 
Auch wo Magensymptome in den Vordergrund treten, wird der 
Arzt bei hustenden Personen sein Augenmerk auf andere Organe 
zu richten haben, welche erfahrungsgemäss den Husten hervorzurufen ! 
im Stande sind. Wie oft sind nicht sogenannte Magenleidende Tu- 
i*erculöse? Buchwald. 

Schneller (München). Ueber die Verbreitung des 
Wechselfiebers in Bayern und dessen Abnahme in den 
letzten Jahrzehnten. Münchener med. Wochenschrift 1887, 
No. 43,44. 

An der Hand sorgfältiger statistischer Angaben, insbesondere 
über die Wechselfiebererkrankungen in den Garnisonen Ingolstadt 
und Germersheim, wird die Abnahme der geographischen Aus¬ 
breitung des Wechselfiebers in Bayern nachgewiesen und durch 
zwei Kärtchen illustrirt. In den von dieser Krankheit heimgesuchten 
Gebieten erweist sich die Bodenbeschaffenheit für die Infection 
'•ehr günstig. In Oberbayern sind die Moos- und Moorgründe: das 
Amper- und Glonthal die Stätten des Wechselfiebers, in Nieder¬ 
bayern: die Donau- nnd Isarmoore, das Vils- und Laaberthal, in 
der Pfalz: die Niederungen des Rheins, in der Oberpfalz bieten 
sumpfige und weiherreiche Gegenden, das Naab-, Vils- und Regen- 
Thal geeigneten Boden. Die Schwankungen in der Frequenz des 
Wechselfiebers stehen mit den Schwankungen der Durchfeuchtung 
des Bodens im Einklang. 

Die fortschreitende Bodencultur, die zahlreichen Wasserbauten, 
die Eindämmung von Flüssen, die Trockenlegung sumpfiger Wiesen 
♦*86000 wie das natürliche Austrocknen von Altwasser und Mooren 
'in Schwaben) haben die Abnahme der Krankheit vermittelt. 

Aufrecht. 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

1 . 

Dohm. Ueber die zeitliche Trennung von Wendung 
nnd Extraction. Zeitschr. f. Geburtshülfe. Bd. 14, Heft 1. 

Dohm beleuchtet auf Grund seiner eigenen Erfahrungen die von 
Winter in einer jüngst veröffentüchten Arbeit ausgesprochenen 
Sätze. Letztere lauteten im Wesentlichen: 1) Dass man nicht eher 
zur Wendung schreiten solle, als bis die Weite des Muttermundes 
auch die Extraction gestattet, und 2) dass man für das Kind die 
besten Resultate erreicht, wenn man an die Wendung sofort die 
Fxtraction anschliesst. 

Dobrn stimmt dem ersteren der beiden Sätze vollauf zu, den letz¬ 
teren vermag er jedoch nicht als durchaus richtig anzuerkennen. 
Seine Anschauungen über die Vornahme der Wendung auf die Füsse 


und die Frage der anschliessenden Extraction fasst er in die fol¬ 
genden Sätze zusammen: 

‘ 1. Man wende auf die Füsse bei quergelagerter Frucht, drin¬ 

gende Nothfälle ausgenommen, nur bei vollständig eröffnetem Mutter¬ 
mund. 

2. Man extrahirt die gewendete Frucht nur dann, wenn eine 
bestimmte Indication dazu vorliegt. Ist das Letztere nicht der Fall, 
so ist der Mutter, wie dem Kinde mit der Spontanausstossung der 
Frucht am besten gedient. Fl ai sch len. 

A. Nebel. Zur Prophylaxe derf Ophthalmobl en nor- 
rhoea neonatorum. Zeitschrift für Geburtshülfe. Bd. 14. Heft 1. 

Nach den Erfahrungen Kaltenbach’s kann die Gefahr der 
primären Ansteckung des Auges weit einfacher und sicherer ver¬ 
mieden werden, als durch Höllensteinbehandlung, nämlich durch 
gründliche Sublimatdesinfection der mütterlichen Geburtswege und 
durch Auswaschen des kindlichen Auges mit destillirtem Wasser 
unmittelbar nach der Geburt. Auf Grund eines grösseren Beobach¬ 
tungsmaterials will Nebel diese Ansicht seines Lehrers Kalten¬ 
bach stützen und zu weiterer Prüfung der Methode anregen. Unter 
330 Geburten, bei denen Kaltenbach’s Methode zur Anwendung 
kam, wurde kein einziger Fall von Blenorrhoe beobachtet. Einen 
bemerkenswerthen Vorzug des Kaltenbach’scheu .Verfahrens vor 
der Höllensteinbehandlung sieht Nebel darin, dass das kindliche 
Auge nicht gereizt wird. Es entsteht nach demselben niemals 
Röthung, Schwellung und Secretion der Conjunctiva. Ein weiterer 
grosser Vorzug des Kaltenbach’schen Verfahrens ist der, dass es 
sich nicht nur gegen die primären Infectionen, sondern auch zu¬ 
gleich gegen die Spätinfectionen wirksam erweist. Bei der Einfach¬ 
heit der Methode wird es leicht sein, dieselbe in die Hebammen¬ 
praxis einzuführen. Flaischlen. 

H. W. Freund (Strassburg). Zur Casuistik der Fremd¬ 
körper in den weiblichen Genitalien. CentralbL f. Gyn. 
1887, No. 51. 

Den zahllosen bekannten Fällen, in denen zu onanistischen oder 
verbrecherischen Zwecken in die weiblichen Genitalien eingeführte 
Fremdkörper zu ihrer Entfernung ärztliche Hülfe erforderlich machten, 
fügt Verf. zwei neue in ihrem Verlaufe interessante Fälle zu. In dem 
einen derselben fand sich bei einer 15jährigen Näherin, welche 
wegen heftigen Harndrangs und Schmerzen beim Urinlassen die 
! Strassburger Klinik aufsuchte, eine Anschwellung der linken grossen 
Labie und in letzterer das eine spitze Ende einer Haarnadel. Das 
andere spitze Ende fand sich frei in der Scheide und liess sich bis 
in das vordere Laquear vaginae verfolgen, das umgebogene Ver¬ 
bindungsstück steckte in der Blase, frei in dieselbe hineinragend. 
Der Vorgang war, wie aus dem Geständniss der Patientin und difesem 
Befunde zu entnehmen war, der, dass die Nadel mit dem Bügel 
voran in die Harnröhre eingeführt wurde und in die Blase schlüpfte, 
von wo aus die eine Spitze durch das vordere Scheidengewölbe in 
die Scheide perforirte, die andere durch den M. bulbo-cavernosus 
hindurch in die linke grosse Labie drang, während das Verbindungs¬ 
stück in der Blase blieb. Die Extraction des Fremdkörpers gelaug 
ohne weitere Verletzung; die Blasenerkrankung schwand unter geeig¬ 
neter Behandlung in einigen Tagen. — Der zweite Fall, welcher un¬ 
durchsichtiger in Bezug auf seine Entstehung und ernster in seinen 
Folgen war, betraf eine 41jährige Taglöhnersfrau, welche im Ver¬ 
laufe einer wochenlangen, mit Fieber, Blutabgang und Unterleibs¬ 
schmerzen einhergehenden Krankheit die Hülfe der Klinik nach¬ 
suchte. Ein walthussgrosser, neben dem linken Uterushorn liegender 
Tumor, von welchem die Beschwerden ausgingen, wies auf eine 
abgelaufene Tubenschwangerschaft hin. Bei der im weiteren Ver¬ 
laufe des Leidens endlich vorgenomraenen Laparotomie erwies sich 
der Tumor ab eine Tubencyste, in welcher Reste einer Schwanger¬ 
schaft nicht nachweisbar waren. In einer Adhäsion des Netzes mit 
dem Tumor wurde ein 2*/2 cm langes Metallstückchen gefunden, 
welches als Bruchstück der beiden zusammengedrehten Schenkel 
einer Haarnadel erkannt wurde. Anscheinend war diese Haarnadel 
zum Zwecke der Provocation des Abortes der Patientin von fremder 
oder eigener Hand in den Uterus eingeführt worden und ist von 
hier in die Tube und weiterhin in das Peritoneum gelangt. Die 
Patientin selbst leugnete jede Kenntnbs davon. Sie machte eine 
durch ein Exsudat in der Gegend des Tumors, welches vereiterte 
und durch die Blase durchbrach, gestörte Reconvalescenz durch. 
Bemerkenswerth ist, dass nach Entfernung der Tubencyste und des 
erwähnten Fremdkörpers bei der Patientin ein deutlicher Nachlass- 
der schweren hystero-epileptischen Krämpfe eintrat, an welchen sie 
seit der Zeit ihrer Erkrankung litt, und welche mit einer Aura in 
der Gegend des Tumors begannen. Czempin. 


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18 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 1 


IX. Oefifentliclies Sanit&tswesen. 
Rückblick auf die Leistungen des Yl. internationalen 
Congresses für Hygiene und Demographie, Wien 1887. 

Wenn wir einen Rückblick auf die Leistungen des VI. internationalen 
■hygienischen Congresses werfen, so müssen wir gleich im Beginne einen 
Vorbehalt bezüglich der Fassung von Resolutionen und des Werthes der¬ 
selben machen. Es ist dies ein Vorbehalt, der hier um so mehr in die 
Waagschale fällt, als es sich um praktisch wichtige Fragen bandelt, welche 
für den Staat, für die Gesellschaft, sowie für das Einzelindividuum von 
grosser Tragweite sind. Artikel IV des Reglements des Congresses lautet: 

„Als Mitglieder des Congresses werden., sowie alle jene Personen 

angesehen, welche dem Congresse ihr Interesse zuwenden und ihren Beitritt 
zu demselben erklären.“ Nun heisst es allerdings im Artikel XIV, dass 
„über rein wissenschaftliche Fragen nicht abgestimmt wird“, was aber nicht 
hindert, dass über rein praktische Fragen dennoch abgestimmt wird, und in der 
That werden auch alle Resolutionen durch Abstimmung gefasst. Da nun 
alle Mitglieder Stimmrecht haben, so wird bei der Fassung von Resolutionen 
die Majorität zum nicht geringen Theil von Personen gebildet, „welche dem 
Congresse ihr Interesse zuwenden und ihren Beitritt zu demselben erklären.“ 
Ob das Interesse für den Congress bereits genügende theoretische Kenntnisse 
involvirt, um auf Grundlage derselben für die eine oder die andere .prak¬ 
tische Resolution seine Stimme abgeben zu können, das möchte ich dahin¬ 
gestellt sein lassen. Es würde sich daher für die künftigen hygienischen 
Congresse empfehlen, eine namentliche Abstimmung einzuführen, damit mau 
auch ein Urtheil über die Qualification der über eine gewisse Resolution 
Stimmenden gewinnen könne. Es liegt somit die Bedeutung des Congresses 
nicht so sehr in den gefassten Resolutionen, als in den sehr interessanten 
und lehrreichen Discussionen; freilich lässt sich den gefassten Resolutionen, 
trotz des erwähnten Vorbehaltes, nicht jede Bedeutung absprechen, da sie 
doch von competenten Männern formulirt und zum Theil auch von solchen 
acceptirt sind. 

Eine der wichtigsten Leistungen des Congresses betrifft die Feststellung 
der Grundsätze für ein internationales Epldemleregolativ. Es war ein 
heisser Kampf, der zwischen den Contagionisten und Localisten mit 
Meister Pettenkofer an der Spitze, geführt wurde und der doch im Sinne 
der Ersteren ausgekämpft wurde. Als die wichtigsten Bestimmungen dieses 
Regulativs,^auf welches wir in unseren Berichten noch ausführlich zu sprechen 
kommen werden, sei hier nur die obligatorische Anzeigepflicht jedes 
einzelnen Falles der in Betracht kommenden epidemischen Krankheiten, die 
Verpflichtung der contrahirenden Staaten an Orten, wo die betreffenden 
Krankheiten endemisch oder epidemisch auftreten, verdächtige Personen oder 
Waaren nicht einschiffen zu lassen, und die Verpflichtung der Schiffe, welche 
aus inficirten Orten kommen, ihre Kranken am Bord zu isoliren und die 
nöthige Desinfection auszuführen, erwähnt Die Quarantänen sind zwar 
durch dieses Regulativ nicht abgeschafft worden, sie sollen aber nach dem¬ 
selben nicht mehr in nutzlosen Vexationen, sondern in einer wirksamen 
Isolirung der Kranken und gründlichen Desinfection bestehen. 

Dass die Principien einer wirksamen Desinfection in wenigen Sätzen 
vom Congresse festgestellt worden sind, muss demselben als besonderes 
Verdienst angerechnet werden, an welchem übrigens die Koch’sche Schule 
ihren ehrlichen Antheil hat. Als die wichtigsten Punkte der diesbezüglichen 
Bestimmungen seien hier nur hervorgehoben: die Abschaffung der Räuche¬ 
rungen, die Einbeziehung der Tuberculose unter diejenigen Krankheiten, 
welche unbedingt die Desinfection erheischen, und die Feststellung einer 
beschränkten Anzahl von Desinfectionsmitteln. : 

Die Discussion über den Zusammenhang der Wasserversorgung mit 
den Infectionskrankheiten hat uns mit einigen neuen Typhusepidemieen be¬ 
kannt gemacht, deren Entstehung zweifellos dem Trink- und Nutzwasser zuzu¬ 
schreiben ist, und auf Grundlage deren die 3. Section des Congresses fol¬ 
gende von Hueppe formulirte Resolution gefasst hat: „Bei der nachge¬ 
wiesenen Möglichkeit der Krankheitserregung durch inficirtes Trink- und 
Gebrauchswasser ist die Sorge für gutes, unverdächtiges Wasser eine der 
wichtigsten Maassregeln der öffentlichen Gesundheitspflege.“ 

Die Frage der Bekämpfung der Verfälschung der Nahrungsmittel ist 
durch die Verhandlungen des Congresses um einen Schritt weiter gekom¬ 
men, indem ein Comite, bestehend ausBrouardel, Pouchet (Paris) und 
Hilger (Erlangen), gewählt wurde, welches die Einführung einer regel¬ 
mässigen Lebensmittelcontrole und die Anbahnung einer diesbezüglichen 
internationalen Gesetzgebung anzustreben hat. 

Angesichts eines jüngst vom Wiener Lehrerverein „Mittelschule“ er¬ 
hobenen Einwandes dagegen, dass Aerzten eine Ingerenz in den pädago¬ 
gischen und didaktischen Fragen zugestanden werde, sind die in der Frage 
der ärztlichenUebervrachung der Schalen von Wasser fuh r (Berlin), Cohn 
(Breslau), Napias (Paris) formulirten Thesen wichtig, durch welche unter 
Anderem auch die Betheiligung sachverständiger Aerzte an der Schulver¬ 
waltung als nothwendig bezeichnet wird. Gewiss wird die Realisirung der 
vom Congresse in dieser Beziehung gefassten Beschlüsse die Frage der 
Ueberbürdung der Schüler von der Tagesordnung verschwinden machen. 

Die Discussionen über diePastear’schenSohutzimpfangen haben zwar 
so manches neue und interessante Detail zu Tage gefördert, im Grossen 
und Ganzen hat es sich aber gezeigt, dass die von Koch gegen die prak¬ 
tische Verwendung der Milzbrandimpfung erhobenen Einwände von Pasteur 
nicht widerlegt werden können, und dass über den Werth der übrigen 
Schutzimpfungen (die gegen die Hundswuth mit inbegriffen) ein endgültiges 
Urtheil heute noch nicht gefallt werden kann. 

Hoffentlich werden die allen Parlamenten unterbreiteten Beschlüsse 
des Congresses bezüglich der Fabrikbygiene, welche insbesondere die Ver¬ 
einbarung eines Normalarbeitstages, den Ausschluss der unter 14 Jahre 
alten Kinder von der Fabrikarbeit sowie der Arbeiterinnen von schwerer 
Arbeit betreffen, kein todter Buchstabe bleiben, sondern in die Praxis über¬ 
tragen werden. 


Bezüglich des Alkohol Ismas scheinen die Arbeiten des Congresses be¬ 
reits ihre Früchte zu tragen, wenigstens scheint die von der österreichischen 
Regierung dem Reichsrathe vorzuschlagende Vorlage im Zusammenhänge mit 
den Beschlüssen des Congresses zu stehen. So beginnt denn der hygieni¬ 
sche Congress seinen segensreichen Einfluss zu üben, und gewiss nicht 
gering eine Thatsache geschätzt werden, die, wenn sie auch eine mehr 
locale Bedeutung hat, nichtsdestoweniger erfreulich ist, und zwar um so 
mehr als sie eine direkte Folge des Congresses ist. Das unermüdlich» 
Organisationscomite bat nämlich an die behufs Unterstützung des Congresses 
gebildeten Landescomites in Oesterreich die Einladung ergehen lassen, in 
den einzelnen Königreichen und Ländern autonome Landes vereine für Ge¬ 
sundheitspflege zu gründen, welche in ihr Programm die Gründung eines 
Verbandes aller derartigen Vereine unseres Staates aufnehmen sollen. Auf¬ 
gabe des Verbandes soll es sein, in regelmässigen Intervallen Versammlungen, 
für alle seine Mitglieder zu veranstalten, bei welchen wichtige hygienisch» 
Fragen verhandelt werden sollen. Die Arbeiten über dieses Project schreiten 
vorwärts und werden zweifelsohne zu einem gedeihlichen Abschlüsse kommen. 
Es ist dies eine bedeutende Leistung des Congresses, der damit auch seiner 
ihm durch Artikel II des Reglements auferlegten Aufgabe: „Das Intereäs» 
für die Fortschritte der Hygiene und Demographie in den weitesten Kreisen 
wachzurufen, zu beleben und zu erhalten“ in reichem Maasse entspricht. 

M. 

X. Therapeutische Mitteilungen. 

Neuere Hypnotica. 

Uretlian. Von Schmiedeberg (Arch. f. experimentelle Pathologie 
und Pharmacologie XX, p. 203 — 216) in die Therapie eiugeführt. Es. 

ist der Carbaminsäureäthyläther bildet farblose, säulenförmig» 

Crystalle von eigenthümlich galligem Geschmack, welche bei 48—50° schmelzen, 
bei 170° sieden und unzersetzt sublimiren, angezündet mit wenig louchtender 
Farbe ohne Rückstand verbrennen, in Wasser, Weingeist, Aether, Chloroform 
leicht und klar löslich sind, von neutraler Reaction. In Schwefelsäure lösen, 
sie sich ohne Färbung auf und geben beim Erhitzen unter lebhaftem Auf¬ 
schäumen ein färb- und geruchloses Gas. 

In Dosen von 1 — 2 g erzeugt es meist Schlaf, mildert angeblich den 
Hustenreiz, vermehrt die Diurese. Bei subcutaner Anwendung genügen 
0,5-1,0. 

Das Mittel wird in vielen Fällen gute Dienste leisten, Morphin und 
Chloralhydrat aber nicht ersetzen. Das eigentliche Wirkungsgebiet tritt ein 

1. Bei Zuständen, wo „das Bedürfniss nach Ruhe und Schlaf vorhanden, 
sein Eintreten dagegen durch Erregungszustände des Grosshirns er¬ 
schwert ist“ (Schmiedeberg); 

2. Bei nervöser Agrypnie und Schwächezuständen, die mit Schlaflosigkeit 
einhergehen (Sticker); 

3. Bei Herzkranken (Sticker, Saundry, Huchard), wobei kein» 
Wirkung auf das Herz ausgeübt wird; 

4. Bei Phthisikern; 

Ganz unwirksam ist das Mittel bei allen schmerzhaften Zuständen. Beim 
acuten Alkoholismus ist die Wirkung sehr unsicher. 

5. Bei functionellen Geistesstörungen, wenn die Schlaflosigkeit nicht mit 
zu grosser Aufregung verbunden war, jedoch auch Gewöhnung trat 
schnell ein, so dass das Mittel schon nach wenigen Tagen seinen 
Dienst versagte und für einige Zeit ausgesetzt werden musste; 

6. In grösseren Dosen ist es nach Coze im Stande, Strychninkrämpfe zu 
unterdrücken. 

Urethan 6,0 
Aq. dest. 60,0 

D. S. Abds. 1—2 Esslöffel. • 

Bei kleinen Kindern verordnete Huchard: 

R R 

Urethan 4,0. | . Urethan 0.2.• 

Aq. dest. 40,0. i Aq. flor. tiliae 

Syr. Aurant. Gort. 20,0. 

M. D. S. Esslöffelweise in */*—1 stdl. Aq. flor. Aurant. 

Zwischenräumen bis zur gewünsch- : Syr. simpl. &a 20,0. 

ten Wirkung zu nehmen. j M. D. S. stündlich 1 Kinder- 

; löffel zu nehmen. 

Hypnon. Farblose, in Wasser unlösliche, in Alkohol leicht lös¬ 
liche Substanz. Chemisch ist es als Methylphenylaceton oder Acetophenon, 

pll 

CsHbOj oder zu bezeichnen. Es ist im Jahre 1857 von 

Friedei entdeckt, 1885 von Dujardin-Beaumetz, Laborde und G„ 
Bardet als Schlafmittel in die Therapie eingeführt. Ein Autor (Schüler) 
spricht sich ziemlich befriedigt über die Wirkung aus, nach Anderen ist di» 
Wirkung eine unsichere. 

Man giebt Dosen von 0,05—0,2, ja vorsichtig bis 0,5, am besten mit 
Oel oder Aether in Gelatinekapseln. 

R. 

Capsul. gelatinös; 

Hypnon. gutt. IV 
et 01. Amygd. dulc. 0,5. 
repletas No. X. 

S. Vor dem Schlafengehen 
1—2 Kapseln zu nehmen. 

Die Wirkung erlischt bei schmerzhaften Zuständen. Die Kranken er¬ 
wachen nach dem Mittel mit heftigen Kopfschmerzen, auch der Athem riecht 
unangenehm nach dem Mittel. 

Hyoscin. ' Ein Mittel von grosser practischer Bedeutung; man hat 
Brom- und Jodwasserstoffsaures, nicht zu verwechseln mit dem früher so 
genannten Spaltungsproduct des Hyoscyamin. Das Alkaloid kommt neben 


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3. JiUinar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 19 

den Hyoscyamin im Bilsenkrautsamen vor und wurde von Ladenburg aus athmen lassen, dreimal täglich, 20—30 Minuten. Gegen Ende der Sitzung 
dem amorphen Hyoscyamin des Handels dargestellt. Das Alkaloid stellt Neigung zum Schlaf, nicht ohne Abnahme des Muskeltonus, Muskel¬ 
einen farblosen, zähen, in Wasser schwer, in Alkohol und Aether leicht lös- ' erschlaffung als Folge der Herabsetzung der Reflexerregbarkeit. Besonders 
liehen Syrup dar. Hyoscin- hydrobromicum stellt ein weisses bis gelb- 1 wohl mit Erfolg nur bei nervösem Asthma anzuwenden, bei allen anderen 
lieh weisses, krystallinisches, etwas hygroskopisches, in Wasser sehr leicht ! Formen des Asthmas nur momentanes Palliativmittel. Kein harmloses Mittel, 
lösliches Pulver dar. H. hydrojodicum bildet kleine, gelblich gefärbte, in : Bei sehr heruntergekommenen Kranken mit geschwächter Herzthätigkeit 
Wasser ziemlich schwer lösliche Prismen (C17HMNO3HI-+- ‘/sHsO, das andere kommt es zu stärkeren Stauungserscheinungen, ist bei diesen also contra- 
CnHzsNOs. HB-t-3VsH*0). indicirt. 


Indication: Bei den verschiedensten Formen der Schlaflosigkeit. 

1. Bei der Insomnie erregter Melancholiker, bei Morphiopbagen, Pota¬ 
toren, acuter Neurasthenie und chronischen Geistesstörungen (Wetherill). W. 
bezeichnet es als das beste Sedativum bei motorischen Erregungen acuter 
■nd chronischer Geisteskranker. 

2. Sehr gute Erfolge beim Asthma (CIaussen 1883), wo cs mehr 
leistete als Atropin, auch beim Keuchhusten, Neuralgieen des Magens und 
Darms, Trigeminusneuralgieen, bei Epilepsie, Paralysis agitans und nervösem 
Herzklopfen mit gutem Erfolge angewandt. 

3. Zur Unterdrückung phthisischer Schweisse leistet das Mittel nach 
Fräntzel weniger als Atropin. 

4. Bei Spennatorrhoe erzielte Wood vorübergehenden Erfolg. Das H. 
gehört zu den stärksten Giften, manche Individuen scheinen ungeheuer 
empfindlich dagegen zu sein. Zuweilen schon nach kleinen Dosen Uebelkeit, 
Erbrechen, Appetitlosigkeit, Collaps mit kleinem, scheinbar unregelmässigem 
Pnlsschlag, mitunter heftige Erstickungserscheinungen. Bei subcutaner In- 
jection wirkt das Mittel viel energischer, als bei innerlicher Darreichung. 
Nach Einträufeln einer VsP rocent 'g en Lösung in den Conjunctivalsack kann 
ec zu allgemeinen Wirkungen kommen. Nach Claussen ist mit den klein¬ 
sten Dosen zu beginnen, bis die Toleranz des Individuums gegen das Mittel 
festgestellt ist 

Dosirung: Für subcutane Inject. 0,0001—0,0005, innerlich 0,0005 
bis 0,001, in Losung, Wein oder Cognac oder in Pillen. Zum Einträufeln 
in’s Auge 0,01: 10,0 Aqu. Es soll stärker aber weniger anhaltend wirken, 
als Atropin. 

R. R. 

Hyoscin. hydrobromic. Hyoscin. hydrobromic. 

s. hydrojodic. 0,005. s. hydrojod. 0,01—0,02. 

Solve in Aq. destill. 10,0. Aq. destill. 70,0. 

D.S. Zur subcutanen Injection 1 /s Syrup. Aurant Cort. 30,0. 

bis 1 Spritze. j M.D.S. 1—2mal tägl. 1 Theelöffel 

i zu nehmen. 

HjMeyuniMm erystalllsatnm. Hyoscyaminalalkaloid aus H. niger. 
Als Anodynon Antispasmodicum 0,0005—0,001. Als Hypnoticum: 0,001 bis 
0,003. Bei Geisteskrankheiten: 0,003 — 0,005: In Pillen, Solution: subcutan 
wie innerlich. Dem Atropin gegenüber wirkt es schwächer als dieses, ist 
bloss Hypnoticum. Handelspräparate sind nicht immer rein, daher Vorsicht, 
wenn man die Wirkungsgrösse des Präparats nicht kennt. 

AMyleahydrat. v. Me ring hat das Amylenhydrat bei Schlaf¬ 

losigkeit, bei Anämischen, Phthisikern, Reconvalescenten etc. angewendet. 
Ohne Excitations-Stadium trat nach */» Stunde ruhiger Schlaf ein, der 6 bis 
12 Standen dauerte. Dosis 3—5 g, auch gegen Keuchhusten waren 0,2 bei 
Kindern Abends genommen, von sehr gutem Erfolg. Für die Klystierform 
giebt er folgende Formel an: 

Rp. Amylenhydrat 5,0 

Aq. dest. 50,0 

Mucilag. Gummi arab. 20,0 
M.D.S. Zum Klystier. 

Ferner: 

Rp. Amylenhydrat 6,0—7,0 

Aq. destill. 60,0 

Extr. Liquir. 10,0 

M.D.S. Abends die Hälfte zu nehmen. 

Gegen Schlaflosigkeit bei neuralgischen Schmerzen etc. 

Ca— amipriparate. Die Bestrebungen, die bisher gebräuchlichen, 
unsicher wirkenden Cannabispräparate durch zuverlässige zu ersetzen, haben 
das Cannabinum tannicum, das Cannabinon und den Balsam. Canab. indic. 
(Denzel) gebracht. Doch auch diese Präparate sind unsicher und rufen recht 
oft die aJlerunangenehmsten Nebenwirkungen hervor. Am ungefährlichsten, 
wenn auch nicht ganz frei von Nebenwirkungen, dürfte wohl noch das Cannab. 
tank. sein, das jedoch auch unsicher ist, oft ganz im Stich lässt, vor anderen 
Hypnotids keine Vorzüge bat. Wood sah einmal nach 1,2 Cannab. tannic. 
(Merek) nur etwas Schläfrigkeit, in einem Fall von Chorea nahmen danach 
die Bewegungen ab. 

PbeMla Erythriaa (Jamaica Dogwood). Angewandt wird die Rinde 
and zwar 0,5—1,0 in Pulverform. Stark wirksames Narcoticum, scheint 
ihnbeh dem Opium zu wirken, ohne dessen Nebenwirkungen zu haben. Bei 
Neuralgie, Grippe, Asthma. 

Extr. Piscid. fluid. 0,5—1,0- und mehr im Verein 
mit einem Syrup. 

Extract. Pisc. spirit. sicc. 0,26—0,5 in Pillen, Pulver. 

Rareäla, von Laborde empfohlen. Bei Keuchhusten: 0,01—0,015, i 
genügt bei Kindern von 3—4 Jahren, um Schlaf zu erzielen und nächt- | 
heben Hustenanfällen vorzubeugen. Brown Sequard bestätigte die Wirkung. * 

Pyridin, antiasthmatisches Mittel. C5H5N. Product der trockenen I 
Destillation tbierischer Substanzen, Zersetzungsproduct mehrerer Alkaloide j 
(Cinchonin, Nicotin, Pilocarpin), stellt eine klare, farblose, flüchtige Flüssig¬ 
keit von brenzlichem Geruch und brennendem Geschmack dar, ist mit j 
Wasser, Weingeist, Aether, Benzin, Fetten, mit allen klar mischbar. Es setzt 
Keflexerregbarkeit und die Erregbarkeit des Respirationscentrums herab, bei 1 
Hunden bleibt auf Reizung der centralen Vagusstümpfe die unter normalen 
Verhältnissen eintretende Blutdrucksteigerung aus (See). 

Dosirung. 4,0—5,0 g auf einen flachen Teller ausgegossen, frei- ! 
willig verdunsten und die mit den Pyridindämpfen imprägnirte Luft ein- i 


— Nach den Untersuchungen von Mairet und Comberaale (Comptes 
| rendus CIV, No. 7 und 8) äussert das Colchicin schon in einer Dosis von 
0,002 —0,003 dinretisehe, in einer Dosis von 0,005 abführende Wirkung 
beim Menschen. Die Harnsäureausscheidung ist dabei nicht unbeträchtlich 
vermehrt. Da die Ausscheidung sehr langsam erfolgt, hat das Mittel curau- 
lative Wirkung. Bei Katzen und Hunden, die damit vergiftet wurden, zeig- 
I ten sich Affectionen der Knochen, des Verdauungstracts und der Nieren. 

— Nach A. Wölfler (Wiener medicin. Wochenschrift 1887) kann 
man die äussere Haut zum Zweck von Operationen (Exstirpation vou Ge¬ 
schwülsten u. dgl.) mit 5% Coeainlüsung völlig anästhesiren, wenn man 
nur Sorge trägt, dass dieselbe direkt in die Haut, nicht unter dieselbe 
gespritzt werde. In einigen Fällen vou Hemikranie, sowie von Ischias 
brachten die Oocaininjectionen mehr oder weniger dauerhaften Erfolg, während 
sie bei Trigeminusneuralgieen keine Besserung bewirkten. 

P- Keraval (Progres medical 1887, No. 43) sieht den Grund 
dafür, dass das sonst für schmerzhafte Schleimbauterkrankungen so werth¬ 
volle Cocain sich für Magenleiden bisher wenig bewährt hat, in dem Um¬ 
stande, dass man sich zu wenig der Art erinnerte, in welcher die Indianer, 
um das Hungergefühl zu unterdrücken, die Coca gebrauchen. Sie gemessen 
dieselbe mit Asche von „Llpta“, einer dort einheimischen Art von Cheno- 
podiaceen, in deren Asche sich bekanntlich ziemlich viel Kalk- und Natron¬ 
salze linden. Dieselben bewirken eine vermehrte Secretion von Magensaft. 
In diesem löst sich dann der Cocasaft auf, so dass seine Wirkung der ge- 
sammten Magenschleimhaut gleichmässig zu Gute kommt. Ein analoges Re¬ 
sultat kann man erhalten, wenn man das Cocain mit Natriumbicarbonat giebt« 
Da ausserdem bekanntlich die Wirkung des Cocain zu einer viel anhalten¬ 
deren wird, wenn man dasselbe mit ganz kleinen Dosen Morphin combinirt, 
so räth Keraval bei schmerzhaften Magenkrankheiten das Cocain behufs 
Anästhesirang der Magenschleimhaut in folgender Form zu geben: Cocain 
2—8 mg, Morphin 0,5—1 mg, gelöst in einer reichlichen Menge einer mittel¬ 
starken Natriumbiearbonatlösung. S. W. 

— Sahli hat auf Grund der günstigen Erfolge Sommerbrodt’s und 
Fräntzel’s mit Kreosot bei Taberenlose statt des genannten oft nicht 
unerhebliche Differenzen bietenden Präparates einen Hauptbestandteil des 
Kreosot, das Gn^jaeol, bei Phthisikern in Anwendung gebracht. Im Beginn 
der Krankheit mildert es den Hustenreiz, befördert die Expectoration und 
wirkt günstig auf Appetit und Allgemeinbefinden. Weniger erfolgreich 
schien es bei bettlägerigen Phthisikern zu sein, von denen das Mittel häufig 
erbrochen wurde. Das vou Sahli angewendete Guajacol stellt eine farblose 
stark lichtbrechende, bei 200° siedende wenig in Wasser, gut in Alkohol 
und fetten Oelen lösliche Flüssigkeit dar. Geschmack und Geruch des 
Guajacols sind angenehmer als beim Kreosot. Da Guajacollösungen bei 
Licbtzutritt unter Bildung unlöslicher harziger Substanz sich trüben, hat 
die Verordnung in dunklen Gläsern zu geschehen. Sahli schreibt folgende 
Verordnung vor: 

Rp. Guajacoli purissim. 1—2,0 
Aq. dest. 180,0 
Spirit, vin. 20,0 

MD. iu vitr. nigr. S. 2—3 mal täglich l 'fhee- bis 1 Esslöffel in 
I Glas Wasser nach der Mahlzeit zu nehmen, (ev. auch in Lebertbrau 
gelöst). Therap. Monatsh H. 11. p. 452). Ba. 

— Das SÄIol wird jetzt verschiedentlich von Frankreich aus (Bull, 
gen. de tberapeutique, 15. September 1887)'empfohlen und zwar 

1. Gegen Verbrennungen als Liniment in folgender Formel: 

R. Öl. Olivarum 60,0 
Saloli 10,0 
Aq. Calcis 60,0 
Mf. Liniment. 

2. Gegen wunde Warzen der Brust als Collodium: 

R. Saloli 4,0 
solve in 
Aetheris 4,0 
adde 

Collodii elastici 30,0 

3. Als Zahnwasser: 

R. Saloli 3,0 
Spiritus 150,0 
01. Anisi stellati 
01. Geranii ana 0,5 
01. Menth. Piper. 1,0 
. MDS. Zahnwasser. 

4. Salolwatte wird dadurch helgestellt, dass von einer Lösung von 
Salol und Aether ana die Watte getränkt wird. Der Aether verduftet, und 
das Salol bleibt gleichmässig vertheilt zurück. 

Die Formeln rühren von A. Ni cot her. Gr. 

XI. Die Todten des Jahres 1887. 

Wenn wir zu Beginn des neuen Jahres Rückschau halten auf die Ver¬ 
luste, welche die Medicin an hervorragenden Vertretern im abgelaufenen 
Jahre erlitten hat, so müssen wir diesmal constatiren, dass der Tod eine 
besonders reiche Ernte gehalten hat. v. Langenbeck und Schroeder, 
v. Arlt und Jaksch v. Wartenhorst, Vulpian und Beclard — das 


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DEUTSCHE MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


No. I 


20 


sind Namen von einer Bedeutung, die weit über die ongeren Grenzen der 
Nationen, denen ihre Träger angehörteu, hinausreicht. Der Tod dieser 
Heroen der medicinischen Wissenschaft und Praxis hat tiefe Lücken 
gerissen,- und die gesammte medicinische Wolt hat im Geiste trauernd an 
den Gräbern der Dahingeschiedeneu gestanden. Aber noch eine ganze 
Reihe anderer Namen nennt die Verlustliste, die wir hier zusaramenstellen 
wollen, Namen, die in weiteren oder engeren Kreisen einen guten Klang 

gehabt haben. _ 

Beginnen wir mit Deutschland. Ausser v. Langenbcck und 
Schroeder, die beide der Berliner medicinischen Facultät angehörten, 
betrauert die letztere noch den Verlust von Joseph Meyer, a. o. Professor 
und Director der Universitätspoliklinik, Arthur Christiani, a. o. Professor 
und Abtheilungsvorstand im physikalischen Institut, sowie der Privat* 
docenten Professor Dr. Carl Friedländer und Dr. Kempner. Von 
Universitätslehrern starben ferner im abgelaufenen Jahre der ordentliche 
Professor der Anatomie in Marburg Dr. Nathanael Lieberkühn, der 
ordentliche Professor der inneren Medicin und Hygiene in Würzburg Dr. 
A. Geigel, der a. o. Professor dor Hygiene und gerichtlichen Medicin in 
Leipzig, Dr. Reclam, der Privatdocent. der Gynäkologie in Rostock Dr. 
Brummerstadt. Durch einen traurigen Unglücksfall wurde der a. o. Professor 
der Anatomie Dr. Pansch in Kiel dahingerafft. Wir dürfen hier dieNamen zweier 
Minner anreihen, die, wenn sie auch nicht der Medicin im engeren Sinne ange¬ 
hörten, doch in naher Beziehung zu derselben standen, den Physiker Kirchhoff 
und den Botaniker Eichler, beide Angehörige der Berliner Universität, 
die, wie die vorstehende Uebersicht ergiebt, im Jahre 1887 vor allen an¬ 
deren durch herbe Verluste betroffen ist. Weiter nennen wir ira Anschluss 
hieran die Professoren Rechner, der einst der Leipziger, und Möller, der 
der Königsberger medicinischen Facultät angehörte, die aber beide schon seit 
längerer Zeit nicht mehr dem Lehrberufe angehörten. Weiter gehört eine 
Reihe praktischer Aerzte zu den Dahingeschiedenen, deren Namen auch über 
gehört ihre engere Berufssphäre hinaus bekannt waren: der Laryngochirurg 
Andreas Böcker und der Geheime Sanitätsrath Dr. M. Eulenburg in 
Berlin, der Geheime Obermedicinalrath Dr. Re iss ne r in Darmstadt, wohl- 
bekannt durch seiue Verdienste um das Impfwesen, der Primärarzt am 
Allerheiligenhospital Dr. Victor Friedlacnder und der SecUndärarzt an 
der Universitätspoliklinik Dr. Julius Wolff in Breslau, der Geheime 
Sanitätsrath Dr. A. Reumont in Aachen, der Chefarzt des Hospitals zum 
Heiligen Geist Sanitätsrath Dr. Wiesner in Frankfurt a. M., Geheimer 
Sauitätsrath Dr. Richarz und Sanitätsrath Dr. Kalt in Bonn. 

Oesterreich-Ungarn betrauert ausser v. Arlt und Jaksch den 
Verlust des Anatomen Langer in Wien, des ordentlichen Professors der 
pathologischen Anatomie Dr. Schott und des früheren Professors der all¬ 
gemeinen und experimentellen Pathologie Dr. Dietl in Innsbruck, des Kli¬ 
nikers Professor Hainmernik in Prag und des pathologischen Anatomen 
Professor Aränyi in Budapest. — Von bekannten französischen Medi- 
cinem starben ausser Vulpian und Beclard der Chirurg Gosselin, der 
Physiologe Giraud-Teulou, der sich auch durch Arbeiten auf dem Ge¬ 
biete der Ophthalmologie einen Namen gemacht hat, der Pharraacien am 
Höpital de ia Charite Dr. Me hu, bekannt durch seine Arbeiten auf dem 
Gebiete der medicinischen Ghemie. — England betrauert den Verlust des 
Hygienikers Edwin Chadwik, des Anatomen R. Quain, der Leibärzte der 
Königin Wilson Fox und Sir George Burrows, des früheren Präsidenten 
der British Gynecological Society Alfred Meadows, sämmtlich in London, 
dos Physiologen Eben-Watson in Glasgow und des Chirurgen Alexan¬ 
der Gordon in Belfast. — In den Vereinigten Staaten starb der 
Pathologe Alonzo Clark in New-York und der Professor der Psychiatrie 
und Neurologie Jewell in Chicago. — Holland betrauert den Verlust des 
Gynaekologen Thomas Simon in Leiden und des Chirurgen J. H. Ranke 
in Groningen, — Norwegen des Anatomen 0. S. Jenseu in Christiania, 
— Russland des Professors der speciellen Pathologie Dr. Mering in Kiew. 

XII. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Die Besetzung der «jurch den Tod Joseph Meyer’s 
frei gewordenen Stellung des Direktors der medicinischen Universitäts¬ 
poliklinik steht immer noch aus, und soll, wie wir hören, die Fortdauer der 
Poliklinik in ihrer jetzigen Organisation in Folge eines, seitens der Facultät 
an die vorgeordnete Behörde gemachten Vorschlages überhaupt .in Frage 
stehen. Nach dem Vorschläge der Facultät soll die Leitung der roedi- 
einischen Poliklinik den beiden Direktoren der mediciuischen Kliniken über¬ 
tragen werden. Die medicinische Poliklinik wurde im Jahre 1810 zur Feier 
der Rückkehr des Königs Friedrich Wilhelm III. nach Berlin von Hufe¬ 
land begründet, und standen derselben nach des Begründers Tode Osann, 
Romberg, Griesinger und der jüngst verstorbene Joseph Meyer als 
Direktoren vor. Seit der im Jahre 1882 erfolgten Verlegung der Poliklinik 
von der Ziegelstrasse nach der Dorotheenstrasse haben bedeutende und 
zweckmässige Erweiterungen derselben stattgefunden. Der Etat der Anstalt 
beträgt gegenwärtig 12 600 Mark, die Frequenz der Kranken hat sich in 
den letzten Jahren sehr vermehrt; sie betrug im Jahre 1885: 14 398, und 
zwar 5 562 Männer, 5 031 Frauen und 3 8U5 Kinder. Auf die Bedeutung 
und Nothwendigkeit gerade des poliklinischen Unterrichts hatten wir Ge¬ 
legenheit, erst vor Kurzem hinzuweisen. Ob und wieweit eine derartige 
einschneidende Umgestaltung des Instituts, dessen Leistungen für den 
Unterricht, gemessen an der wenig bedeutenden Frequenz der Praktikanten 
in den letzten Semestern, ira Rückgang waren, sich mit den Inten¬ 
tionen des Ministeriums hinsichtlich der so nothwendigen Reorgani¬ 
sation des klinischen Unterrichts überhaupt deckt, dürfte nunmehr 
in Bälde zu Tage treten. Indessen darf nicht vergessen werden, worauf wir 
auch bereits früher hingewiesen haben, dass das Herabgehen der Zahl der 
Praktikanten wohl zumeist auf den bekannten Circularerlass des Reichs¬ 
kanzlers vom 5. Mai 1886 zurückzuführen ist, wonach den Direktoren der 


Polikliniken die Berechtigung der Ausstellung von Praktikantenscheinon 
entzogen wurde. Wir möchten an dieser Stelle die Bedeutung der Poliklinik 
für den Unterricht durch die Worte eines unserer hervorragendsten und 
erfahrensten Kliniker, Prof. Dr. Rühle in Bonn, erhärten, der in dem Feuilleton 
dieser Nummer auf das Eindringlichste auf dieselbe hinweist. Rühle sagt 
daselbst von der Poliklinik: „Sie liefert die Mannichfaltigkeit der zu demon* 
strirenden Fälle, sie repräsentirt den grossen Theil der ärztlichen Praxis, der 
jeden Arzt in der Sprechstunde beschäftigt. Wenn der klinische Lehrer 
alle die Fälle entbehren muss, welche nicht als bettlägerig Kranke erschei¬ 
nen, so muss sein Material einförmig werden, und, worauf ich vor Allem 
Werth lege im Unterricht, es fehlen ihm die tagtäglichen Sachen. Der kli- 
j nische Unterricht muss auch den Schnupfen behaudeln. Freilich leichter 
| und für den Lehrer unterhaltender, anregender werden die grossen Fälle 
I bleiben, über die sich eben viel reden lässt, — eine Klinik in einem grossen 
i Krankenhause wird für den Lehrer immer anziehender sein — ob auch für 
den Lernenden nutzbringender, erlaube ich mir zu bezweifeln.“ 

— In der Königlichen Strafanstalt Moabit (Zellengefängniss) wird 
am 1. Januar eine Abtheiluug für Geisteskranke eröffnet; zum Arzt 
; derselben ist Dr. Wulffert, bisher an der Rheinischen Provinzialirrenanstalt 
; Merzig, ernannt. Durch diese Einrichtung ist die vielfach erörterte Frage 
wegen Unterbringung geisteskranker Verbrecher für Preussen zum Austrag 
gebracht und damit hoffentlich eine Befreiung der öffentlichen Irrenanstalten 
| von der Aufnahme dieser Unglücklichen herbeigeführt. Dagegen werden, die 
I Gerichte gemäss § 81 der Strafprocessordnung fortfahren, Angeschuldigte 
' zur Vorbereitung eines Gutachtens über ihren Geisteszustand den öffentlichen 
Irrenanstalten zu überweisen. 

— Strassburg. Prof. Dr. Naunyn in Königsberg hat den an ihn 
ergangenen Ruf als Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Direktors 
der medicinischen Klinik, Prof- Dr. Kuss maul, angenommen. 

— Würzburg. Als Nachfolger des um seine Pensionirung einge- 
i kommenou ordentlichen Professors der Geburtshülfe und Gynäkologie Dr. 

Scanzoni von Lichtenfels wird der Berner Gynäkologe Prof. Dr. P. 
i Müller genannt. 

— Leipzig. In der Nacht zum 23. December starb der a. o. Professor 
‘ der gerichtlichen Medicin Geh. Medicinalrath Dr. Sonnenkalb. 

— London. Der frühere Professor der Geburtshülfe an King’s College 
j Dr. Arthur Farre ist gestorben. 

— In der Canada Lancet veröffentlicht ein Arzt die von Am ade e 
| Latour herrührenden, an die Collegen gerichteten, noch immer in vielen 
| Punkten beherzigenswerthen Lebensregeln folgendeu Inhalts: 

Das Leben ist kurz, die ärztliche Kunst schwierig, die Collegialität 
I trügerisch. 

Die Praxis ist ein Feld, das mit Tact bestellt werden muss. 

Der Arzt, welcher seine Praxis vernachlässigt, gleicht einem Lieb- 
! haber, der sich um seine Geliebte. nich t kümmert; er kann sicher 
sein, dass ein Anderer schnell bereit ist, sich an seine Stelle zu setzen. 

Wer einen lästigen Kranken los werden will, braucht nur ihm die 
Rechnung zu schicken. 

Der Kranke, welcher seinen Arzt bezahlt, thut nur seine Schuldigkeit. 
; Die nicht bezahlenden Personen pflegen ihren Arzt zu tyrannisiren- 

Derjenige Arzt, welcher ausser dem Honorar von seinen Kranken noch 
i Dankbarkeit erwartet, gleicht dem Wanderer am Ufer des Flusses, welcher 
wartet, bis dieser aufhört zu fliessen, um trocken ans jenseitige Ufer zu 
gelangen. 

Bescheidenheit, Offenheit, Wahrheitsliebe, sonst anerkennens- 
werthe Tugenden, taugen nichts am Krankenbett. Offenheit wird als 
Unentschlossenheit, Bescheidenheit als Vertrauensmangel, 
Wahrheitsliebe als Grobheit angesehen. 

Die Hauptaufgabe des Arztes besteht darin, sich in derartigen Grenzen 
zu halten, dass er geachtet sich Vertrauen erwirbt, ohne in den 
Verdacht eines aufgeblasenen, eingebildeten Prahlers zu fallen. 

Stets muss der Arzt den Schein erwecken, als ob er Alles für 
seinen Kranken thut, wenn auch wenig oder gar nichts geschieht. 

Mit gleichem oder geringerem Talent wird der sauber und feinge¬ 
kleidete, manierliche Arzt einen Vortheil vor dem unmanierlichen, 
i unsauber und schmutzig gekleideten erreichen. 

— Universitäten: Wien. Dem Professor der Chirurgie und Vor¬ 
stand der I. chirurgischen Klinik Dr. Albert wurde der Titel eines K. K. 
Hofrathes verliehen. — Budapest. Das Professorencollegium hat den 
Priv.-Doc. Dr. A.ngyän als Supplenten der Lehrkanzel des in den Ruhe- 
: stand tretenden Prof. Dr. Wagner vorgeschlagen. — Innsbruck. Der 
Priv.-Doc. an der Wiener Universität Dr. A. Jarisch ist zum a. o. Prof, 
j für Hautkrankheiten und Syphilis an der Universität Innsbruck ernannt. — 
i Moskau. Dr. D. Dubelir hat sich als Priv.-Doc. für Balneologie an der 
Moskauer Universität habilitirt. 


Xin. Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
i geruht, den Ober-Stabsärzten a. D. Dr. Brunzlow zu Haram i. W., bisher 
' Reg.-Arzt des Posen’schen Feld-Artillerie-Reg. No. 20, und Dr. Kuthe zu 
j Frankfurt a. M., bisher Reg.-Arzt des 1. Hessischen Husaren-Reg. No. 13, 
den Königl. Kronen-Orden III. CI. zu verleihen. 

Ernennungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht, 

! den bisherigen ordentlichen Professor au der Universität Dorpat, Dr. Rung e, 
! zum ordentlichen Professor in der medicinischen Facultät der Universität 
Göttingen zu ernennen. Der Apotheker Dr. Karl Schacht zu Berlin ist 
I zum pharmazeutischen Assessor beim Königl. Medicinal - Collegium der 
; Provinz Brandenburg ernannt worden. 


Gedruckt bei Julias 8itteUfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 2« 12. Januar 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactear Sanitäts-Rath Dr. S. Guttninnn in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Zur operativen Behandlung der 
Elephantiasis. 1 ) 

Von Prof. Dr. Helferieh. 

I>ie Behandlung der reinen Fälle von Elephantiasis der Extre¬ 
mitäten mittelst elastischer Compression, Massage und hoher Lage 
siebt so schöne Resultate und ist jetzt so allgemein geübt, dass 
ich zu ihrem Lobe liier nichts zu sagen brauche. Man könnte 
nach dein Einflüsse dieser Therapie drei verschiedene Grade des 
Leideus unterscheiden: in den leichtesten und noch nicht lange 
bestehenden Fällen kann diese Behandlung zu einer völligen 
Restitution fuhren; nach correctev Benutzung und genügend lange 
fortgesetzter Anwendung der genannten mechanischen Hülfsinittel 
kann es hier erreicht werden, dass die betreffenden Kranken ohne 
lästige Binden oder Gummistrümpfe und ohne wesentliche Ein¬ 
schränkung in ihrer Lebensweise sich völliger Gesundheit er¬ 
freuen. In den schwereren Fällen wird zwar auf die genannte 
Weise eine Wiederherstellung annähernd normaler Formen erzielt 
werden können, aber es wird nicht möglich sein, nach der Behand¬ 
lung eine sorgfältige Bindeneinwickelung oder das Tragen guter 
Gnmmistrümpfe zu unterlassen, wenn die Patienten wieder ihrer 
gewohnten Beschäftigung nachgehen wollen. Immerhin ist es in 
solchen Fällen den Kranken selbst möglich, ohne weitere ärztliche 
Hülfe durch gewissenhafte Anwendung der bekannten Hülfsinittel 
da* erlangte Resultat, zu erhalten. Um so trauriger ist es, wenn 
Patienten dieser Art, vor nicht langer Zeit auf diese Weise geheilt 
und mit den geeigneten Gummibinden und Vorschriften entlassen, 
mit einem schweren Recidiv zurückkehreu. Ich habe selbst solche 
Fälle erlebt und denke jetzt besonders an einen, den ich noch in 
München beobachtet habe. Es handelte sich um eine Elephantiasis 
lyraphorrhagica bei einem 18jährigen Mädchen; 2 ) der Beginn und 
namentlich die Zunahme des Leideus bis zu einem hohen Grade 
hing, wie so oft. mit zahlreichen immer wieder auftretenden An¬ 
fallen von Erysipel zusammen. Die Kranke wurde nach mehr- 
monatlicher Behandlung durch Massage und elastische Einwickelung 
so gebessert, dass die vorher prall gespannte Haut weich geworden 
war. die Lymphergüsse und Erysipele sistirten, und eine leidlich 
normale Form erreicht war. Das Mädchen hatte unter unserer 
Aufsicht gelernt, die lange elastische (Martin’sche) Binde correct 
anznlegen. und so wurde sie nach Hause entlassen, wo der gebesserte 
Zustand Monate lang anhielt. Dann wurde sie nachlässig, und die 
Folge war leider ein schweres Recidiv, welches iu seinen Erschei¬ 
nungen das frühere Leiden noch überbot, und dessen Behandlung 
von der Patientin nicht mehr gewünscht wurde. 

Durch diese Beobachtung bin ich zu der Ueberzeugung ge¬ 
drängt, dass iu solchen Fällen ganz schwerer Art die hohe Lage, 
die Massage und die elastische Compression nicht genügen, um die 
Besserung zu sichern. Die Veränderungen consecutiver Art, welche 
an diesen Extremitäten vorliegen, sind zu hochgradig, die Wirkung 
der elastischen Einwickeluug in der Hand der Kranken zu leicht 
Störungen ausgesetzt, und anfangs geringe Verschlimmerung durch 
rasche Zunahme derselben zu bedenklich, als dass mau die Pa¬ 
tienten nach monatelanger Cur solchen Gefahren und dem durch 
sie unvermeidlich drohenden Recidiv aussetzen dürfte. In der Be- 


Vortrag, gehalten in der Seclion für Chirurgie der Versammlung 
I^ut-cher Naturforscher und Acrztc zu Wiesbaden 

*; Dissertation von Dr. J Sendtner, München 1884. 


handlung des erwähnten Mädchens mit Elephantiasis lymphorrhagica 
würde ich heute, davon bin ich fest überzeugt, zu einem besseren 
und mehr dauerhaften Resultat gelangen. 

Wenn wir heute einen solchen schweren Fall von Elephantiasis 
ohne Complieationen (durch Geschwüre, Narben etc.) in Behandlung 
nehmen, so wird es in der Regel binnen 14 Tagen durch hohe 
Lage, Massage und Einwickelung mit elastischen Binden neben 
anderen Hülfsmitteln (Bäder etc.) gelingen, eine annähernd normale 
Form der Extremität wiederherzustellen. Die Massage wird hier 
zweckmässig statt mit den Händen mit einem starken Gummischlauch 
ausgeführt, 1 ) indem derselbe in gespanntem Zustande und unter 
stetem Druck auf die gut eingefettete Unterlage aufwärts geschoben 
wird. Die Haut wird weich, und man freut sich bei Vornahme 
häufiger Messung an dem raschen Rückgänge der Schwellung. Aber 
eine Erscheinung tritt dabei zu Tage, welche besondere Beachtung 
verdient: die Haut erscheint viel zu gross, viel zu weit für die 
Extremität. Es ist. als ob die Haut für eine viel dickere Extremi¬ 
tät berechnet wäre: man hebt sie in hohe Längsfalten, welche nur 
langsam und unvollständig sich ausgleichen und zum Tlieil be¬ 
stehen bleiben, als wenn es sich nicht um lebendige Haut, sondern 
um Leder handelte. Mit einem Worte, die gedehnte Haut hat 
ihre Elasticität zum Theil verloren. 

Sie haben vielleicht vor einigen Jahren einen Mann aus Nürn¬ 
berg gesehen, welchen ich gelegentlich auch in der chirurgischen 
Poliklinik zu München meinen Zuhörern vorstellen konnte, und 
welcher, glaube ich, auf den eigenthüinlichen Zustand seiner Haut 
hin reiste. Dieser Mann hatte am ganzen Körper eine so locker 
sitzende Haut, dass es den Anschein hatte, als wäre dieselbe für 
ein viel grösseres und corpulenteres Individuum berechnet. Er 
konnte aus seiner Brusthaut eine quere Falte bilden, mit der er die 
untere Hälfte seines Gesichtes bedecken, deren hohen Rand er 
bequem in den Mund nehmen konnte. Au seinem ganzen Körper 
zeigte die Haut diesen ungewöhnlichen Zustand; an Stellen, welche 
sonst eine straffe, wenig verschiebbare Haut darbieten, konnte man 
bei diesem Manne noch bequem Falten erheben. Die freigelassene 
Hautfalte schnellte aber förmlich wieder zurück; bei aller Schlaff¬ 
heit bot die Haut doch eine ausserordentliche Elasticität, und es 
zeigten sich namentlich an den Füssen nicht die geringsten Zu¬ 
stände von mangelhafter Circulation und Stauung. Ein ähnliches 
doch minder hochgradiges Beispiel dieser seltenen Hautbildung be¬ 
obachtete ich nur noch bei einem Burschen von 14 Jahren, der 
wegen eines Panaritium Hülfe in der chirurgischen Poliklinik zu 
München suchte. 

Welcher Unterschied zwischen der elastisch-dehnbaren Haut 
dieses Xürnbergers und der Haut, wie sie bei schwerer Elephan¬ 
tiasis nach erfolgreicher mechanischer Behandlung erscheint! Auch 
wenn man solche schwere Fälle lange Zeit fort raassirt und mit 
elastischer Compression behandelt, so ändert sich dieses Verhalten 
nicht wesentlich: die Haut bleibt schlaff und unelastisch, zu weit 
für das betreffende Glied, nicht geeignet, den nothwendigen elasti¬ 
schen Druck auf das darunterliegende Gewebe auszuüben und nicht 
im Stande, die reichliche Wiederansammlung seröser Flüssigkeit in 
den erweiterten Räumen des schwerveränderten, fettarmen, subcu- 
tanen Bindegewebes durch Gegendruck zu verhindern. Dies ist, 


l ) Diese Modificalion habe ich 1879 bei einem Patienten der chirurgi¬ 
schen Poliklinik zu München, der mit Elephantiasis der Hand und des Vorder¬ 
armes behaftet war, zuerst und seitdem häufig mit gutem Erfolg angewendet; 
cf. Bericht der chir. Poliklinik zu München im ärztlichen Intelligenzbl. 1880. 


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22 


DEUTSCHE MEDICINISCUK WOCHENSCHRIFT. 


No. 2 


wie ich glaube, der Punkt, auf welchen es bei der Behandlung der ) 
schweren Formen von Elephantiasis besonders ankoinmt. Und ich I 
bin in dieser Ansicht durch das Studium der interessanten Schrift 
von Länderer über die Gewebsspannung 1 ) noch bestärkt worden. 
Die Haut ist, nachdem der Process einmal im Gange war, mehr 
und mehr gedehnt worden, etwa wie die Wand eines wachsenden 
Aneurysma oder die Wände von varicösen Venen. Der erste An¬ 
fang aber könnte in einer Lymphstauung liegen oder in einer 
eigentümlichen Veränderung des subcutanen Bindegewebes oder 
auch in einer primären, mangelhaften Elasticität und Festigkeit 
der Hautdecke. Ich möchte glauben, dass in nicht seltenen Fällen j 
dieser Art der pathologische Zustand der Haut die erste Ursache 
der Elephantiasis ist, mag dieser Zustand nun angeboren oder z. B. 
durch häufiges Befallensein von Erysipel erworben sein. Für die 
letztere Annahme kann ich jetzt auf die erwähnte Schrift und 
spätere Arbeiten von Länderer verweisen, welcher die Elasticitätsver- . 
hältnisse entzündeter Gewebe zum Gegenstand besonderer Studien 
gemacht hat. Dass die Hautdecke verschiedener Individuen unter 
normalen Verhältnissen bezüglich ihrer Verschiebbarkeit und elasti- : 
sehen Dehnbarkeit grosse Unterschiede bieten kann, wird mir j 
Niemand bestreiten, wenn er wie ich bei der Entnahme von Haut- J 
Stückchen zum Zwecke Reverdin’seher Hauttransplantationen Hunderte 1 
von gesunden jungen Männern daraufhin untersucht hat. 

Was folgt nun aus alledem für die Therapie? Ich hatte 
anfangs gedacht, die Elephantiasis könnte in solchen schweren j 
Fällen etwa als ein diffuses Lymphangiom aufgefasst und mittelst 
punktförmiger Ustion erfolgreich behandelt werden, wie ich es vor 
Jahren bei einer Makroglossie -) mit sehr gutem Erfolg ausgeführt 
und empfohlen habe. Allein ich habe diesen Gedanken nie ausge- j 
führt; es ist unwahrscheinlich, dass mit diesem Verfahren überhaupt 
genug erreicht würde, und obendrein sind Narben mindestens ebenso i 
dehnbar, wie gesunde Haut. Das einzig Richtige ist die Excision | 
grosser Haut stücke von solcher Länge und Breite, wie es der ; 
Grösse der Hautfalten, die bequem erhoben werden können, ent- i 
spricht. Die Haut soll nach der Operation nicht gerade ge- j 
spannt sein, aber doch der Unterlage allseitig dicht anlie- j 
gen. Hierdurch wird selbstverständlich keine Hadicalheilung zu 
Stande gebracht, denn die zurückbleibende Hautdecke und andere 
Factoren würden eine Wiederkehr des Uebels, ein Recidiv zulassen. 
Aber es werden doch durch diese Operation Verhältnisse geschaffen, 
welche von dem Patienten selbst mittelst Bindeneinwickelung etc. I 
unschw'cr erhalten werden können, so dass die Besserung Bestand hat. | 

Andere operative Eingriffe, wie die Ligatur grosser Arterien- | 
stamme bei Elephantiasis entbehren, wie mir scheint, gehöriger i 
physiologischer Begründung. Die Ausschneidung grosser Hautstücke ; 
(Keilexcisionen) ist in früherer Zeit hie und da geübt worden. Doch j 
findet sich in dem grossen Werke von Esmareh und Kulen- j 
kampff :l ) p. 256 die Bemerkung, dass diese Excisionen heutzutage j 
kaum mehr berücksichtigt seien aus Furcht vor üblen Zufallen, i 
Es sind daselbst nur zwei Beobachtungen neu erwähnt, eine sehr j 
interessante von Nussbaum aus dem Jahre 1864 und eine andere i 
von Mikulicz, in welch’ letzterer übrigens nur die Excision eines 
2 cm breiten und 8 cm langen Hautstückchens aus dem Fussrücken 
gemacht wurde. Durch private Mittheilung ist mir bekannt, ge¬ 
worden, dass auch Rose und der verstorbene Heine in Innsbruck 
so operirt haben. Wenn bei diesen früheren Operationen die Keile 
oder Streifen aus der elephautiastisch schwer veränderten Haut 
ausgeschnitten wurden, so unterscheidet sich dies Verfahren von 
dem meinigen, da ich auf eine vorhergehende, sorgfältig durch¬ 
geführte Behandlung mit hoher Lage, Massage und elastischer Com- 
pression den grössten Werth lege. Der Erfolg der Operation muss 
eben am grössten sein, wenn die Grösse der Excision der Menge 
der überschüssigen Haut möglichst entspricht. Ich habe aus dem 
Unterschenkel Hautstreifen excidirt von 40 cm Länge und in der I 
Mitte 12 cm Breite, an beiden Enden spitz zulaufend. Der Defect ! 
muss sofort durch eine sorgfältige Naht bis auf kleinste Drainstellen 
geschlossen werden. Auf Grund meiner Erfahrung empfehle ich. 
die Operation in Esmarch’scher Blutleere vorzunehmen und die 
sichtbaren Gefässe, auch die zahlreichen Venen zu unterbinden, die 
Wunde durch die Naht zu schliessen und den Verband anzulegen j 
vor Abnahme der elastischeu Binde. Das subcutane Bindegewebe i 
zeigt sich bei der Operation ausserordentlich verdickt, schwielig 
entartet; das Messer knirscht bei dem Durchschneiden und ist in j 
der kürzesten Zeit stumpf. Ich möchte ratheu, dieses veränderte > 
Zellgewebe in der ganzen Breite des Defectes bis auf die Fascie 
heraus zu präpariren. Dass die ganze Operation unter strengster 
Antisepsis ausgeführt werden muss, versteht sich von selbst. Zur 


*) Länderer, Die Gewebsspannung in ihrem Einfluss auf die Blut- 
und Lyraphbeweguug Leipzig 1884. 

2 ) Aerztliches Intelligenzblatt 1879. 

:i ) Die clephantiastischen Formen, Uamburg 1885. 


Entnahme der grossen Hautstreifen eignet sich meines Erachtens 
die Aussenseite des Unterschenkels am besten; ich habe den 
Defect so angelegt, dass die Narbe oben vor das Capitulum filmlae 
und unten bogenförmig hinter den äusseren Knöchel fiel. Natür¬ 
lich müssen diese Prominenzen von intacter Haut gedeckt bleiben. 
Am Fusse habe ich den Defect auf die äussere Hälfte des Fuss- 
rückens verlegt, so dass das obere Ende der Narbe etwas vor den 
äusseren Knöchel zu liegen kam. Figur 2 dient zur Erläuterung 
dieser Einzelheiten. 

Die Heilung erfolgt ohne Fieber per primam. Die Art der 
ferneren Behandlung ist nicht gauz gleichgültig. Um ein gutes und 
dauerhaftes Resultat zu haben, muss man für möglichste Entwicke¬ 
lung und Thätigkeit der Muskulatur und für Schutz der Haut vor 
weiterer Dehnung sorgen: hierdurch wird ein normales Verhalten 
der Circulationsverhältnisse, namentlich des Lyinphstromes am 
sichersten erreicht, ln einer tüchtigen activen Benutzung der Beine, 
welche mit einer Flanellbinde regelrecht eingewickelt sein müssen, 
liegt der grösste Schutz vor Recidiven. Alles, was Stauung ver¬ 
ursacht, Stehen und Sitzen mit herabhängenden Beinen, ist zu ver¬ 
meiden. 

Zur Kräftigung der Muskulatur habe ich täglich den 
Inductionsstroin und Massage verwendet. Doch darf die Massage 
nur durch Klopfen (Tapottement), nicht mittelst Streichens ausgeführt 
werden; durch letzteres Verfahren würde immer von neuem eine 
Dehnung der Haut und eine Verlängerung der Fasern des subcutanen 
Bindegewebes zu Stande gebracht. 

Um über deu Erfolg der Behandlung zu sprechen, möchte ich 
kurz meine im Jahre 1885 und 1886 gemachte Beobachtung hier 
einschalten: 

Die 27jährige Pauline F. litt seit ihrem 10. Lebensjahre wenigstens 
einmal jährlich au Erysipel, welches von einem Unterschenkel ausgehend in 
der Regel sich über den ganzen Körper verbreitete. Nach jeder derartigen 
Krankheit blieben die Unterschenkel dicker als zuvor. Alle angewandten 
Mittel waren bis jetzt erfolglos. Bei der Aufnahme zeigten die Unter¬ 
schenkel einen den normalen stellenweise fast um das Doppelte überschrei¬ 
tenden Umfang. Auch die Vorderarme und Hände zeigen eine geringe Ver¬ 
dickung. Beide Beine sind ungefähr gleich verdickt. Der Zustand lässt 
sich aus der in Figur 1 gegebenen Abbildung des linken Beines erkennen. 
Nachdem durch Hochlagerung, Massage und Einwickelung mit elastischen 
Binden eine annähernd normale Form erzielt und die Eigenthümlichkeit der 
schlaffen, in hohen Falten abhebbaren, offenbar überschüssigen Haut con- 
statirt war, cutschloss ich mich zu dem obon beschriebenen operativen Vor¬ 
gehen. Am 27. November 1S85 excidirte ich am rechten Unterschenkel 
und Fuss, am 22. Januar 1886 linkerseits grosse Hautstreifen. Am rechten 
Bein operirte ich ohne Blutleere, und es entstand eine beträchtliche parenchy¬ 
matöse Blutung, während zahlreiche Gefässe unterbunden wurden, zum Theil 
aber wegen des äusserst straffen, narbigen Gewebes umstochen werden 
mussten. Alle diese kleinen Schwierigkeiten wurden bei der zweiten Ope¬ 
ration am linken Bein vermieden, indem die ganze Operation, wie oben er¬ 
wähnt, in Blutleere vollendet wurde. Beiderseits war ausser der Haut das 
schwielig veränderte subcutane Gewebe bis auf die hascie excidirt. Die 
Heilung erfolgte vollständig per primam. Die Form, Lage und Ausdehnung 
der Narben ergiebt sich aus Figur 2, welche wie Figur 1 nach der Photo¬ 
graphie hergestellt wurde. 


Fig. I. big. 2. 





12. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


iu iler Folge wurde durch Elektricität und Tapottement die Muskulatur 
möglichst bekräftigt, so dass Patientin bald wieder zum Aufsteheu und Gehen 
gelangte. Die Beine ganz ohne Bindeneinwickelung zu lassen, hatte ich 
nicht den Muth. wenn es auch tageweise hie und da versucht und gut. ver- 1 
tragen wurde. Die Haut lag an «len Füssen und Unterschenkeln der Unter- | 
läge glatt, «loch nicht gespannt an. Eine Neigung zu neuer Schwellung trat 
nie hervor. Mit dem Aufstehen wurde sehr vorsichtig verfahren, indem Pa¬ 
tientin anfangs ganz kurze Zeit und allmählich länger das Bett verliess. Ende 
Hai war Patientin schon den ganzen Tag ausser Bett und machte unter täglicher 
Fortsetzung der elektrischen und Massagebehandlung und bei Vornahme 
yymnastischer l'ebungen gute Fortschritte. Am 5. Juni wurde sie mit kräf- 
’iger Muskulatur, annähernd normaler Form beider Beine und mit gutem 
«»ebvermögeu, glücklich über die grosse Verbesserung ihres Zustandes, nach 
Hause entlassen, lieber «las weitere Befinden kamen in der nächsten Zeit 
die testen Nachrichten. Doch Ende September erkrankte sie mit Schnupfen j 
und unter Schüttelfrost an einem vom Gesicht aus ausgehenden Erysipel, welches | 
üter den ganzen Körper fortwanderte und dein die Patientin am 14. Tage der 
Erkrankung erlag. 

So Diu ich leider nicht in der Lage über eine längere Beob- 
achtungszeit nach der Operation zu referiren. Doch halte ich die 
Methode für empfehlenswert!! und bin auf Grund dieser Erfahrung 
der Ansicht, welche vonEsmarch und Kulenkampff vermuthuugs- 
weise schon erwähnt ist, dass sich diese Excisionen an den Extre¬ 
mitäten neben anderen Mittelu bewähren müssen. 

Von Wichtigkeit erscheint mir noch das Resultat einiger mit 
den excidirteu Hautstücken angestellteu Untersuchungen. Mein 
College Solger. dem ich an dieser Stelle für seine Freundlichkeit 
dankeu möchte, hatte die Güte, die mikroskopische Untersuchung 
der excidirten Haut in dem eben mitgetheilten Falle zu übernehmen. 
l«-h hatte erwartet, dass es gelingen werde, erweiterte Lymphgefässe 
durch lujection darzustellen. Statt desseu erwiesen sich einige 
elastische Fasern ganz eigeuthfimlich verändert, während die grosse 
Mehrzahl derselben allerdings intact erschien. Es zeigte sich ein 
'^uerzerfall elastischer Fasern, wie er bis jetzt nur unter 
ganz besonderen Verhältnissen nach der Einwirkung gewisser Rea- 
gentien constatirt war. Ich bin so glücklich, die sachverständige 
Mittheilung, welche ich Herrn Prof. Solger verdanke, hier folgen 
lassen zn können: 

.Unmittelbar nach der Operation wurde mir ein Stück des 
excidirten Hautstreifens, der sammt dem daran haftenden Unterhaut¬ 
fettgewebe die Dieke von etwa 2 cm hatte, mit dem Bemerken 
übergeben, bei der Untersuchung möglichst auf das Verhalten der 
Lymphgefässe achten zu wollen. Nach der Sachlage konnte, von 
der Schnittrnethode abgesehen, als Untersuchungsmethode nur noch 
die interstitielle Injection in Betracht kommen. Hierbei war zu 
wählen zwischen der Verwendung einer gefärbten Flüssigkeit (Ber¬ 
liner Blau z. B.) oder des Silbernitrats. Ich entschied mich für 
letzteres, weil mir im Falle des Gelingens die bekannte Reaction 
auf die Kittsubstanz der Endothelieu die Aussicht zu eröffnen schien, 
über die Natur der iujicirten Hohlräume eher ein Urtheil abgeben 
zu können, als bei unvollkommener Fiilluug mit Berliner Blau; 
«lenu die Form der Endothelzellen der Lymphgefässe ist ja häufig 
eme so charakteristische, dass sieh dasselbe von dem gleichwertigen 
Gewebe der Blutgefässe mit Sicherheit unterscheiden lasst (s. Ran- 
vier, Techn. Lehrb. d. Histolog., übersetzt von Nicati und Wyss, 
p. 612). Es wurden aber zahlreiche Einstichinjectionen von Argent. 
nitr. (0.1%), und zwar von der freien Fläche des Unterhautfett¬ 
gewebes aus gemacht und nach Verlauf einer halben Stunde, wäh¬ 
rend welcher das Object in Aqu. destill. dem Lichte ausgesetzt ( 
war. den verschiedensten Schichten des Unterhautfettgewebes durch I 
Flächenschnitte Gewebspartikel entnommen. Das Ergebniss der 
mikroskopischen Untersuchung blieb bezüglich der Lymphwege ein 
negatives (vielleicht hätte eine concentrirtere Lösung eher zum 
Ziele geführt), dagegen zeigte eine andere Gewebsforra eine Ver¬ 
änderung. die notirt zu werden verdient. 

.In einem der Scheerenschnitte, die, wie ich ausdrücklich be¬ 
merken möchte, stets in einem einzigen Tempo abgetragen wurden, 
konnte nämlich über ziemlich weite Strecken ein farbloses scharf 
contourirtes Gebilde verfolgt werden, das in mehrfache grössere 
und kleinere Unterabtheilungen gegliedert war. Die einzelnen 
Segmente sind entweder vollkommen von einander getrennt, oder sie 
hängen noch durch feine Fädeu oder Brücken unter einander zu¬ 
sammen. Ich erlaube mir bezüglich der Einzelheiten auf neben¬ 
stehende Zeichnung zu verweisen und zwar auf Fig. 3, welche bei 
starker Vergrösserung (Zeiss, homog. Immers, Vis) aufgenommen 
wurde. Die Zeichnung briugt ausserdem noch gewisse Unregel¬ 
mässigkeiten in der Form einiger Theilstücke zum Ausdruck. — 
Dass ein Kunstproduct vorliegen möchte, ist mit Sicherheit auszu- 
schliessen; es liegt nicht der geringste Anhaltspunkt für die An¬ 
nahme vor, dass mechanische Insulte das Präparat getroffen hätten, j 
•xler dass mangelhafte Erhaltung des Objectes mit ira Spiele sei. | 
Auch an eine Verunreinigung ist nicht zu denken, denn das frag- j 
liebe Gebilde fand sich im Innern der abgetreunteu Gewebsplatte j 
und haftete nicht etwa der oberen oder unteren Fläche an. Das ! 


23 

Verhalten gegen starke Essigsäure, in welcher die umgebenden 
Biodegewebsbündel zu homogenen Massen aufquollen, während die 
fragliche Faser, ebenso wie die benachbarten normalen elastischen 
Fasern unverändert blieb, gab die Antwort auf die Frage nach der 
Bedeutung derselben. Es handelt sich offenbar um eine eigenthüm- 
liche Veränderung des elastischen Gewebes, für deren Zustande¬ 
kommen weder die mechanisch noch die chemisch wirkenden Mo¬ 
mente, welche nach der Excision das Object trafen, verantwortlich 
gemacht werden können, sondern die schon währeud des Lebeus 
bestanden hatte. Diese Veränderung cliarakterisirt sich als ein Zer¬ 
fall der elastischen Faser quer zur Längsaxe derselben. Der Be¬ 
fund eriunert lebhaft an den allerdings viel mehr ausgesprochenen 
Querzerfall, wie er an demselben Gewebe künstlich auf verschiedene 
Weise hervorgerufen werden kann, nämlich 1. durch abwechselnde 
Maceratiou im Wasser und Trockenen (H. Müller), 2. durch Ma- 
ceration in sehr verdünnten Chromsäurelösungen (Schwalbe, Zeit¬ 
schrift f. Anat. u. Entw. Bd. II. p. 230), und endlich 3. durch Ein¬ 
wirkung von Pepsin oder Trypsin (Burg uuter A. Budge’s Lei¬ 
tung, His, Kühne, Pfeuffer). Figur 4 in beistehendem Holzschnitt 
gielit das Bild in Wasser macerirten Materials (Lig. nuchae) wieder, 
das mir Herr Professor Ebertb (Halle) vor längerer Zeit gütigst 
zur Verfügung stellte. Die Zeichnung stellt die (unvollkommen und 
der Länge nach zerklüfteten) kleinen Segmente dar, die man auf 

„Nachträglich sei noch bemerkt, dass 
Cornil (1874) die elastischen Fasern der 
Lungenalveolen in einem Fall von Broncho¬ 
pneumonie der Quere nach iu einzelne 
Stücke zerfallen sah, die ihre normale 
Resistenz gegen Säuren und Alkalien 
erhalten hatten (vergl. Hofmann und 
Schwalbe, Jahresber. üb. die Fortschr. 
d. Anat. u. Physiol. Bd. 111. p. 59). u 

Ueber solchen pathologischen Befund 
an elastischen Fasern ist sonst zu wenig 
bekannt, als dass viel damit anzufangen 
wäre. Doch verdient Erwähnung, dass 
sich iu sehr gedehnter Haut, z. B. über 
Balggesch Wülsten nichts ähnliches gefunden 
hat. Es wäre also denkbar, dass nicht 
nur die Dehnung der Haut bei Elephan¬ 
tiasis, sondern die gleichzeitig dabei be¬ 
stehenden Veränderungen in Folge der 
abnormen Oirculationsvorgänge, derLyraph- 
stauung, in ursächlicher Beziehung zu 
diesem eigenthümlicheu Befunde stehen. 
Und man könnte vielleicht weiter annehmen, dass eine Regeneration der 
elastischen Fasern auch in der elephautiastisehen Haut möglich ist, 
und dass in Folge davon nur einzelne Fasern bei der Untersuchung 
den geschilderten Befund darboten. Doch das sind hypothetische 
Satze! Immerhin ist es erlaubt, daran zu denken, dass der er¬ 
wähnte histologische Befund mit dem klinisch erkannten Verlust der 
Elasticität der Haut in ursächlichem Zusammenhänge steht. 

Ueber die Versuche, welche ich zur Prüfung der Elasticität mit 
den excidirten Hautstreifen angestellt habe, hier zu referiren, hat 
keiuen Werth, da es mir noch an hinreichendem normalem Ver¬ 
gleichsmaterial fehlt. In der Hoffnung aber, dass andere Collegen, 
die häufiger solche Fälle zur Behandlung bekommen, die Excision 
grosser Hautstreifen vornehmen und dieselben auf ihre Elasticität 
untersuchen, (was nach Herstellung eines einfachen Apparats leicht 
und schnell gelingt), will ich nur anführen, dass die Elasticitäts- 
prüfung der Haut in querer Richtung (zur Längsrichtung der Ex¬ 
tremität) wichtiger ist als die iu der Längsrichtung. Nach meinen 
bisherigen Untersuchungen bin ich eigentlich erstaunt über den 
immerhin hohen Grad von Elasticität, welchen die elephantiastische 
Haut noch bot. 

Ich möchte wünschen, dass meine Bemerkungen zur Verbesse¬ 
rung der Resultate bei Behandlung schwerer Fälle von Elephantiasis 
etwas beitragen. 

II. Ueber die Anwendung von Salicylsäure 
und Salol beim acuten Gelenkrheumatismus. 

Von Dr. Aufrecht in Magdeburg. 

Der Werth und Nutzen der Salicylsäure bei der Behandlung 
l des acuten Gelenkrheumatismus dürfte wohl allgemein anerkannt 
sein. Wer Gelenkrheumatismus-Fülle zu behandeln hatte, bevor von 
Stricker die Salicylsäure dagegen empfohlen war, der weiss die 
unendliche Wohlthat dieses Mittels zu würdigen. Der segensreiche 
Erfolg lässt sicli mit wenigen Worten aussprechen: Die bis dahin 
fast unerträglichen Leiden der Patienten sind auf ein Minimum re- 


diese Weise erhält. 



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24 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2 


ducirt; die Krankheitsdauer ist bedeutend abgekürzt: das Hin/.u- 
treteu von Herzfehlern kommt bei weitem seltener vor wie in 
früherer Zeit und würde noch weniger häutig sein, wenn die 
Kranken stets mit dem Beginn der Krankheit in Behandlung kämen 
und den Rath befolgten, trotz des häutig schon nach wenigen Be¬ 
handlungstagen erreichten Schwindens von Fieber, Gelenkschwellung 
und Schmerzen, noch 8 bis 10 Tage das Bett zu hüten. Ich habe 
vor Kurzem bei einem am vierten Krankheitstage in das Magde¬ 
burger Krankenhaus aufgenommenen Manne, welcher bis dahin 
stets gesund gewesen war, schon eine vollentwickelte Mitralinsufticienz 
gefunden. Und was die Nothwendigkeit eines längeren Bett¬ 
aufenthaltes nach dem Aufhören von Fieber und Schmerz betrifft, 
so bieten dafür solche Patienten den sichersten Beweis, welche 
schon nach wenigen Behandlungstagen das Krankenhaus trotz alles 
Abrathens verlassen, weil sie den Zweck eines längeren Verbleibs 
nicht einseheu können oder wollen. Sie kommen fast ausnahmslos 
mit einem Recidiv zurück. 

Gewöhnlich erhielten die erwachsenen Patienten in den ersten 
zwei oder drei Tagen je 6 g Salieylsäure in Grainmdosen, in den 
folgenden 8 bis 10 Tagen je 4 oder auch nur 3 g. 

Leider stellen sich einer derartigen zu einer sicheren Heilung 
unumgänglich nothwendigen Anwendungsweise nicht selten unüber¬ 
windliche Schwierigkeiten in den Weg. Trotz reichlichen Trinkens 
von Wasser nach dem Entnehmen des in Oblaten gehüllten Medi- 
caments kann nicht selten heftiges Brennen im Magen und Erbrechen 
auftreten oder es folgt unerträgliches Ohrensausen. Bisweilen setzt 
Salicyl-Dyspnoe dem Fortgebrauch eine vollständige Schranke. — 
Durch die Anwendung von salicylsaurem Natron in entsprechend 
grosser Dosis ist hierin nichts gebessert. Ich habe um so mehr 
von diesem Mittel beim acuten fieberhaften Gelenkrheumatismus 
abgesehen, weil ich mich überzeugt zu haben meine, dass seine 
Wirkung keine so prompte und sichere ist, wie die reine Salicyl- 
säure. 

Unter solchen Verhältnissen war mir die Mittheilung Sahli’s l ) 
über die günstige Wirkung des Salols ausserordentlich willkommen, 
und ich beschloss, dasselbe an Stelle der Salieylsäure anzuwenden. 

ln der Sitzung der Magdeburger medicinischen Gesellschaft am 
3. Februar 1887 konnte mein Assistenzarzt Herr Dr. Behm über 
die Erfolge der Salolbehandlung bei 30 Gelenkrheumatismen 
Bericht erstatten. 2 ) Das Mittel war in der Dosis von 6 g in 
einzelnen Fällen auch von 8 g täglich und zwar in Gramm¬ 
dosen verabfolgt worden. In Oblaten brauchte dasselbe nicht in 
allen Fällen gegeben zu werden, da der Geschmack nicht sehr un¬ 
angenehm ist. Einzelne Patienten schütteten das Pulver auf die 
Zunge und spülten es mit Wasser in den Magen hinunter. Auch 
beim Salol empfiehlt es sich, wie bei Salieylsäure, reichlich Wasser 
nachtrinkeu zu lassen. 

Gegenüber der Salieylsäure Hessen sich beträchtliche Vorzüge 
feststellen. Mageubeschwerden traten sehr viel seltener auf. Nur 
einmal in den 30 Fällen stellte sich vorübergehend Erbrechen ein. 
Das Mittel konnte weiter gegeben werden. Ebenso Hess das Auf- 
stosseu saurer Flüssigkeit, über welches einzelne Male geklagt 
wurde, trotz coutinuirlicher Anwendung bald nach. Der Appetit 
blieb fast immer gut. Schweisse wurden in 2 /.$ der Fälle beobachtet, 
doch waren sie nie so profus wie bei Salieylsäure. Ohrensausen 
trat bei den 30 Fälleu 5 mal auf, Hess aber bald, trotz Fort¬ 
gebrauchs nach. Schwerhörigkeit wurde nicht beobachtet. Fast 
ausnahmslos bekam der Uriu eine grünschwarze Farbe, welche beim 
Fortgebrauch schwand. Eiue Coutraindieation war damit nicht 
gegeben. Eine Patientin hatte bei täglichem Gebrauch von 6 g, 
im Ganzen 243 g eingenommen. Sie litt an einem seit 5 Mo¬ 
naten bestehenden Rheumatismus im linken Kniegelenk, welcher 
trotz energischen Gebrauchs von Salieylsäure und lokaler Application 
der verschiedensten Mittel nicht gewichen war und soviel Schmerzen 
verursachte, dass der Fuss gar nicht bewegt werden konnte; schon 
wenige Tage nach Beginn der Salolcur verlangte sie aufzustehen, 
weil sie keiue Schmerzen mehr habe. Mit einer Ankylose des Knie¬ 
gelenks, welche schon vor Beginn der Salolcur bestanden hatte, 
konnte sie vollkommen schmerzfrei und arbeitsfähig entlassen werden. 

Das Ergebniss der Behandlung konnte also folgendermasseu 
präcisirt werden. Beim chronischen Gelenkrheumatismus dürfte 
dem Salol ohne Weiteres der Vorzug vor der Salieylsäure zuzu¬ 
sprechen sein. Fälle, welche durch Salieylsäure gar nicht beein¬ 
flusst werden konnten, erfuhren eine Besserung, ja auch Heilung 
durch Salol. Dagegen wirkt beim acuten polvartikuläreu Rheumatis¬ 
mus die Salieylsäure rascher wie das Salol. Während bei ersterem 
Mittel die Patienten überaus häufig schon in deu ersten 24 Stunden 

') Sahli. Ueber die therapeutische Anwendung des Salols. Corresp.- 
Blatt für Schweizer Aorzte. 1880, No. 12, 13. 

8 ) Vgl. den Bericht aus der Magdeburger ined. Gesellschaft. Bert 
Kliu. Wochenschr. 1887, No. 13. 


der Behandlung von Fieber und Schmerzen befreit sind, wird dies 
durch Salol erst nach 3 bis 4 Tagen erreicht. Doch gelten hierbei 
der Nachlass des Fiebers und das Aufhören der Schmerzen nicht 
Hand in Hand. Letztere nehmen schon in deu ersten 24 Stunden 
so bedeutend ab, dass der Zustand ein recht erträglicher ist. 

ln Anbetracht des gleich günstigen Endresultats beim Salol 
wie bei der Salieylsäure wurde auch fernerhin nur Salol auge¬ 
wendet, obwohl mir die um mehrere Tage verlängerte Fieberdauer 
zu Bedenken Veranlassung gab. l^s lag nahe, daraus zu schliessen. 
dass bei der Anwendung von Salol das krankmachende Agens 
länger wirksam sei: während eine Fortdauer des Fiebers bei Salicyl- 
säure als ein viel selteneres Vorkomniuiss angesehen, somit eine 
raschere Beseitigung des schädlichen Agens durch dieses Mittel er¬ 
möglicht sein muss. 

Nun kam es vor, dass bei einem am 15. März 1887 aufge¬ 
nommenen 23 Jahre alten Patienten dev Krankheitsverlauf sich 
folgendermasseu gestaltete. Er war am 6. Krankheitstage mit einer 
Temperatur von 38.6° aufgeuommen worden. Das linke Fussgelenk 
war geschwollen, sehr schmerzhaft, stark geröthet, das rechte Hand¬ 
gelenk nur schmerzhaft. Ueber dem Herzen hörte mau eiu systo¬ 
lisches Blasen, welches um so weniger auf ein schon vorhandenes 
Leideu bezogen werden konnte, weil es in den folgenden Tagen 
verschwunden war. Das Fieber ging bei 8 g Salol pro die 
am zweiten und drittm Tage vollständig zur Norm herunter, stieg 
aber zwischen dem vierteu und neunten Tage seines Krankenhaus- 
Aufenthaltes Abends bis 38,2 resp. 38,6. Der Rheumatismus befiel 
noch mehrere andere Gelenke und schleppte sich vier Wochen bei 
leichter Temperaturerhöhung hin. Am 14. April klagte er über 
Schmerzen in der Herzgegend, am 16. trat ein diastolisches Ge¬ 
räusch über der Aorta auf, man hörte einen systolischen Ton über 
der Cruralis, und am 21. April, etwa 5 Wochen nach der Aufnahme, 
stellte sich Collaps und Tod eiu. Die Section ergab eine hoch¬ 
gradige frische Erkrankung der Aortaklappen mit theilweiser Zer¬ 
störung derselben. In den Luugenspitzen fanden sich mehrere 
bronchopneumouische tuberkulöse Herde. 

Es bedurfte nach dieser Beobachtung für mich nicht erst der 
Erwägung, ob nicht auch bei Salicylsäurebehandluug ein gleicher 
Ausgang in diesem Falle eingetreten wäre. Da vom 1. Januar 1880 
bis zum September 1886 im Magdeburger Krankenhause etwas mehr 
wie 600 acute Gelenkrheumatismen mit Salieylsäure behandelt 
worden waren und in keinem einzigen Falle eine acute tödtliche 
Endocarditis beobachtet worden war, während unter 40 mit Salol 
behandelten Fällen ein derartiger verzeichnet werden musste, wur¬ 
den nunmehr alle fieberhaften Rheumatismen wie früher mit Salicyl- 
säure behandelt. In Anbetracht der so sehr unbehaglichen Neben¬ 
wirkungen aber wurde die Salieylsäure von dem Moment ab, wo 
das Fieber aufgehört hatte, durch Salol ersetzt. In den meisten 
Fällen konnte dies schon am zweiten oder dritten Behandlungstage 
geschehen. 

Die Patienten erhalten jetzt meist nur zwei Tage lang je 6 g 
Salieylsäure, von da ab je 6 g Salol. Die Dosis des letzteren wird 
weiterhin, bei absoluter Bettruhe, auf je 4 g herabgesetzt. 

Da die Salieylsäure fast ausnahmslos zwei Tage laug gut ver¬ 
tragen wird, sehr oft aber nicht länger, glaube ich diese Combi- 
nation von Salieylsäure und Salol als die wirksamste uud am besten 
durchführbare Behandlungsmethode empfehlen zu dürfen mit dem 
Anheimgebeu, da, wo die Salieylsäure bei nur geringen Beschwerden 
verabfolgt werden kann, dieses Mittel während der ganzen Dauer 
des Leidens anzuwendeu, andernfalls, da wo die Salieylsäure absolut 
gar nicht vertragen wird, von vornherein vom Salol als dem nächst¬ 
besten Mittel Gebrauch zu machen. 

Beim chronischen Gelenkrheumatismus aber verdient das Salol 
auf alle Fälle den Vorzug vor der Salieylsäure, zumal da bei län¬ 
gerem Gebrauch der letzteren schwere Salieylsäure-Delirien, ja selbst 
Psychosen Vorkommen uud ein Heilerfolg bei Salieylsäure oft aus¬ 
bleibt, bei Salolanwenduug dagegen, nach meinen bisherigen Er¬ 
fahrungen, eher zu erwarten ist. 

m. Ruptura uteri; Laparotomie; Genesung. 

Von Dr. A. Koettnitz in Zeitz. 

Die 29jährige Tischlerfrau Minna Schmidt in Zeitz war in ihrer 
Jugend rhachitisch gewesen. Erst Ende des 3. Lebensjahres lernte sie laufen, 
blieb aber bis in die Pubertätszeit hinein ein blutarmes, schwächliches Ge¬ 
schöpf. Anfang des 20. Jahres wurde sie meustruirt, mit dom 21. verhei- 
rathetc sie sich. 

Ihre erste Entbindung, eiu Jahr nach ihrer Verhcirathung, war an¬ 
geblich eine schwere gewesen. Sie wurde mit der Zange, die mit grosser 
Kraft, gebraucht, einen ausgedehnten Dammriss verursachte, von einem todten, 
aber erst während des Kreissens abgestorbenen Knaben entbunden. Das 
Wochenbett verlief gut. 

Die zweite Entbindung, zwei Jahre später, soll wiederum sehr schwei- 
gewesen sein. Nach mehreren Zangenversuchen musste zur Perforation und 


e 



12. Jaimar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


25 


Keph.ilotryp.sie geschritten werden. N'a«*h 14 Tagen war die Wöchnerin wie¬ 
der auf den Beinen, Hoch stellte sich kur/, darauf Haruträufcln aus der 
scheide und Stuhlheschwerden ein. Ein Vierteljahr darauf wurdo Patientin 
in der Halle’sehen Klinik vom Geheimrath Olshauseu operirt. 

Nach zwei Jahren abortirte Frau Schmidt Ende des 2. Monats. Sie 
\erlur viel Blut und musste circa zwei Wochen das Bett hüten. 

L’eber die letzte Schwangerschaft lässt sich Folgendes berichten: 

Ende October vorigen Jahres (1886) waren die Menses zum letzten 
Haie dageweseu. Ende December hatten sich noch einmal Spuren von 
tdutig-wässeriger Flüssigkeit gezeigt. Von dem lebhaften Wunsche beseelt, 
lumöglich ein lebendes Kind zu erhalten, eonsultirte mich Frau Schmidt 
-rhon im März dieses Jahres. Die Untersuchung ergab Gravidität im 5. Monat. 
I'ie Beckenmaasse waren folgende: 

Conjug. diag. = 10,0 cm 

Cr. ilci = 27,5 , 

Sp. ilei = 24.0 * 

Die Körperlänge betrug 1,58 m. Die Frau war anämisch, aber all’ ihre Be¬ 
wegungen frisch und kräftig. Auf Grund der Antecedentien und des Becken- 
befundes schlug ich künstliche Frühgeburt in der Halle’schen Klinik vor, 
mit dem Bemerken, sich jetzt schon in Halle vorzustelleu, um zum rechten 
Zeitpunkte Aufnahme zu tinden. Der Vorschlag wurde acceptirt. Herr 
Dr. Thorn — jetzt Secuudärarzt an der Berliner Frauenklinik — sah die 
Notizen im Krankenjournale ein, untersuchte die Gravida und bestellte sie 
für Ende Juni wieder. Aber schon Mitte Mai begab sich Frau Schmidt 
wiederum zur Untersuchung nach Halle. Mag nun die Reise und die Auf¬ 
regung oder sonst etwas Schuld sein, kurz, am 18. Mai trat die Katastrophe 
ganz unvermuthet ein. 

Früh 2 Uhr begannen die Wehen; früh 6 Uhr wurde die Hebamme ge- 

die keine Spur von OefTnung vorfand. Da der Termiu erst zwei Monate 
!>piter war, glaubte sie nur au Leibweh, das durch Erkältung hervorgerufen 
Wehen vortäuschte, gab ein Klystier und ging wieder, mit der Weisung, im 
Notbfalle zum Arzt zu senden. Gegen 8 Uhr hatten nun die Wehen eine 
t-xressive Höhe erreicht. Die Kreissende hatte aus Leibeskräften gepresst 
und geschrieen. Um 10 Uhr wurde ich bestellt. Eine halbe Stunde darauf 
angekommeu, fand ich die Kreissende in einem desolaten Zustande. Das 
• iesicht war verfallen, leichenblass, der Puls war kaum zu fühlen und sehr 
tYequent. Die Kreissende war unruhig und klagte über den Leib. 

Bei der Untersuchung per vagiuam fühlte man nichts von einer Portio, 
nichts von einem Muttermund; mühsam erreichte der Finger hoch oben und 
hinten eine kuppenförmige, strahlig eingezogene Vertiefung. Eine eigent¬ 
liche OefTnung war nicht zu constatiren, trotzdem Blutspuren dem Finger 
mhafteten und anscheinend auch bis zur Vulva geflossen waren. Der Kopf 
lag lose auf dem Becken auf: die äussere Hand, die prüfend über das Ab¬ 
domen strich — jede Berührung übrigens entlockte der Kreissenden 
Schmer/.enslaute — fühlte von links her deutlich den ausgedehnten Uterus, 
alter rechts neben dem Fundus ebenso deutlich eine Vorbucklung, ein 
kindesbein, das genau als solches abgetastet und mit den Bauchdecken erfasst 
«erden konnte. 

Kein Zweifel, es handelte sich «in eine Uterusruptur, um eine 
Uterusruptur bei einer Kreissendeu, die erst im 7. Monat der Schwanger¬ 
schaft sich befand und einen, anscheinend narbigen Verschluss des äussereu 
Muttermundes bei einem rhachitisch verengten Becken hatte. 

Ich schlug sofort Laparotomie als einziges Rettungsmittel vor, ver¬ 
hehlt« aber nicht, dass die Hoffnung auf einen günstigen Ausgang gering 
*äre. Der Vorschlag wurde augenomraen. Es handelte sich nun darum, 
so schnell wie möglich die allernöthigsten Instrumente und Verbandmate¬ 
rialien und vor Allem mindestens zwei College« zur Hülfe herbeizuholeu. 
Erster«* war bald besorgt, aber die Collegeu waren um diese Zeit sämmt- 
lich auf Praxis. Endlich nach qualvollem halb- bis dreiviertelstündigeu 
Warten konnte mit den beiden Collegen') Kreisphysikus Dr. Scliaffranek 
und Dr. Otto zur Operation geschritten werden. 

l>as Abdomen wurde mit Bürste und Seife gereinigt, die oberen Scham- 
haare abrasirt, das ganze Operationsfeld mit starker Oarbollösung über¬ 
waschen. Unter Narkose wurde der Schnitt in der Linea alba vom Nabel 
bis einige Centimeter oberhalb der Symphyse geführt. Ein colossaler Strom 
von Blut und Fruchtwasser schoss uns entgegen. Der Uterus wurde ein 
wenig nach links verschollen, das Bein erfasst und das Kind extrahirt. Der 
l'terus zog sich sofort rapid zusammen, so dass die Entfernung der Placenta 
und Kihäute unsäglich mühsam in dem Blutsee zu bewerkstelligen war. 
E» war eine peinliche Situation. Mit einem in Carbolwasser getauchten 
Handtuch wurde das Netz, das prolabirt war, zurückgeschoben; es quoll 
Blut über Blut aus dem eröffneten Abdomen; und dabei diese Schwierig¬ 
keiten mit der Entfernung der Placenta und Eihäute! Der Uterus schien 
nämlich links unten durch perimetritische Adhäsionen gefesselt zu sein, 
'o ^gelang es nicht, den Riss zur Ansicht oder deutlichen Palpation zu 
••ringen. Endlich glückte es mir, dem Verlauf der Nabelschnur folgend, 
mich gleichsam in den Uterus cinzubohren und Placenta nebst Eihäuteu zu 
Tage zu fördern. 

Aber noch eine Schwierigkeit war zu überwinden. Wir mussten Ab¬ 
fluss für die Lochien schafTen, also den narbigen Verschluss des Muttermunds zu 
beseitigen suchen. Während nun der eine College den Uterus im Abdomen 
f**t eomprimirte, ging ich per vaginam ein und bohrte mich mit dem Finger 
inreh die kuppenförmige Vertiefung in die Uterushöhle ein. Dabei konnte 
ich rechts die Rissstelle als Circulärruptur erkennen. Wir schlossen jetzt 
möglichst schnell die Bauchwunde. Die Fäden (Seide 5) waren mit zwei 
Nadeln armirt. so dass beide Collegen von innen nach aussen, während 
meine Hand mit einem Schwamm die Intestina zurückhielt und deckte, über 
dieser Hand mit grösster Schnelligkeit nähen konnten. Im untern Wund- 

Beide Collegen haben bei der Operation wie bei der Nachbehand¬ 
lung Last und Arbeit redlich mit mir getheilt. Ihnen au dieser Stelle 
meiueu wärmsten Donk! 


winkcl wurde ein fingerdickes Drain, das vom Irrigatorschlauch abge.vhnitten 
und mit heissein Carbolwasser gebrüllt worden war, eingelegt und nach 
aussen mit U förmiger Krümmung zwischen die Schenkel geleitet, also das 
Princip der Pasteur’.scheu U-Röhren berücksichtigt. Die Bauehwuude 
wurde mit Jodoform bepudert, etwas Krüllga/.e und Wuudwatte darauf ge¬ 
legt, der Leib danu mit einer Guininibinde, die oberhalb des Uterus sehr 
fest angezogen wurde, um mechanisch eine Ausdehnung der Gebärmutter 
zu verhindern, umwickelt. Das Drain, das zwischen den Schenkeln frei 
endete, wurde mit Jodoformkrüllgaze umhüllt und mit den Schenkeln, der 
Genital - uud Glutäalgegend in eine dicke Lage von Subliinatholzwoilc 
versenkt. 

Die Patientin, die während der ungefähr halbstündigen Operation völlig 
collabirt und fast pulslos dagelegen hatte, erholte sich nach Schluss der 
Bauchwunde überraschend schnell. 

Der Puls war zwar sehr frequent und klein, aber doch wenigstens zu 
fühlen. Aetlierinjectioncu, Einflössen von Wasser mit Act her Ihaten das 
Uebrige. Um eine Relaxation der Gebärmutter, somit die Gefahr neuer 
Blutung zu verhüten, wurde Secaledecoet mit Säure, um die Darmbewe¬ 
gungen einzuschränken, Opiumtinctur ordinirt; des enormen Blutverlustes 
wegen fleissig Flüssigkeiten zu reichen, den Angehörigen ei «geschärft. 

Abends 8 Uhr war die Temperatur 37,2, Puls noch sehr klein und 
frequent, Allgemeinbefinden leidlich. Bedenken erregend waren die Klagen 
über Unterleibssclunerzen und das Erbrechen, das freilich schon vor der 
Operation dagewesen war. Wir waren pessimistisch gestimmt Acute 
Sepsis schien uns unvermeidlich. Aber es ging besser, als wir erwarten 
konnten. 

Am nächsten Tage war die Temperatur früh und Abends normal, der 
Puls leidlich kräftig. Nur das fatale Brechen machte uns viel zu schaffen. 
Durch Darreichung von Coeaiulösung und Eispilleu, durch Morphiura- 
Atropininjectiouen gelang es wenigstens eine geringe Nahrungsaufnahme 
möglich zu machen. Am besten vertragen wurde einfaches Bier, das mit 
Eiern verquirlt späterhin literweise getrunken wurde. 

Am 21. Mai war die Temperatur früh 37,9, Mittags 38.2, Abends nach 
Frostschauern 39.0. Allgemeinbefinden war leidlich. Urin wurde ohne alle 
Beschwerden, der Stuhl alter öfter und unbewusst entleert. 

Am 22. früh war die Temperatur 39,1. Mittags wurde der Verband 
zum ersten Male gewechselt. Gaze und Watte waren reichlich mit Blut 
durchtränkt; das Drain wurde eutfernt und durch einen Jodoformgaze¬ 
streifen ersetzt. Die Holzwolle war jeden Tag öfter entfernt worden. Sie 
war stets durch die aus Drain und Scheide fliessenden Secrete sanguinolent 
gefärbt. Stets war sie geruchlos, uud sie bewährte sich in unserem Falle 
als ein ausgezeichnetes Resorbens und Desinficieus. 

Patientin wurde nun vorsichtig auf einen Volk mann'.sehen Hebe¬ 
rahmen und in ein reines Bett gehoben, da das von Blut, Urin und 
Faeces verunreinigte Lager die grössten Gefahren betreffs lnfeetion bieten 
musste Trotz des vorsichtigsten Hebens trat ein leichter Oollaps ein, der 
allerdings nur kurze Zeit anhielt. Jetzt war mm die Behandlung eine 
leichte und relativ günstige. Da die Diarrhoe durch einige Opiutmloseu 
gehoben war, konnten die Darmeutleerungen durch eine Bettsehüsscl auf- 
gefangen, die Holzwolle also in einem leidlich reinlichen Zustande erhalten 
werden. Die Temperatur betrug Abends 39,5. 

Am 23. Mai früh 39,U; Mittags 38,8; Abends 39,0. 


Am folgenden Tage 

früh 

38,8 

Abends 

38,9 

Am 25. Mai 

11 

38,0 

• 1 

38.5 

„ 26. „ 

11 

38,4 


39,1 

i, 27. „ 

11 

38,6 


39.6 

„ 28. „ 

11 

38,7 

11 

39,7 

„ 29. „ 

11 

38,5 

11 

39,1 

„ 30. „ 


38,9 

1* 

39.0 

V 31. „ 

M 

38,7 


38,5 

Am 1. Juni 

11 

38,3 

11 

38,7 

0 

11 11 

11 

38,1 


38,5 

5» 3. „ 

.. 

38.2 


38,4 


Späterhin schwankten die Temperaturen früh zwischen 37,0—37.5, 
Abends zwischen 37,5—38,0; schliesslich waren sie völlig normal. 

Der weitere Verlauf war kurz folgender: 

I Der Gazestreifen wurde am 23. Mai wieder durch ein kurzes Drain 
I ersetzt, dies späterhin aber, da die Secretiou gleich Null war, einfach 
entfernt. Am 7. Tage nach der Operation wurden die Nähte entfernt, die 
Stichcanäle eiterten etwas. Ais das Lochialsecret übelriechend wurde, ein 
rechtsseitiges festes Exsudat auftrat — am 26. Mai —, wurden Ausspülungen 
mit einer Lösung von übermangansaurem Kali vorgenoimnen. Der Boze- 
mann-Fritsch’sclie Katheter führte nach rechts, anscheinend in das 
Cavuin abdominis, hinein. Das Exsudat ging von Tag zu 'lag zurück. 
’ zumal als warme Soolumschläge stundenweise applicirt wurden. Nach vier 
Wochen konnte Patientin das Bett mit dem Sopha vertauschen, eine Woche 
später, also fünf Wochen nach der Operation, frei umhergehen. Jetzt ist 
sie völlig arbeitsfähig; sie rennt und springt wie früher umher. 

Merkwürdig ist in unserem Falle die Ruptur im sie heuten 
Schwangerschaftsmonat. Als ätiologische Momente sind heran¬ 
zuziehen die narbige C ougl utinatio orificii Uteri, die 
j vorausgegangenen metritischeu und periinetritisehen Affec- 
tionen, also alles Folgen der überstandenen schweren Entbin- 
! düngen, die ihrerseits wieder durch das enge, rhachitisch ver- 
, änderte Becken bedingt waren. 

Der wunderbar günstige Ausgang ist in erster Linie der zähen 
Natur der Patientin zu verdanken. Denn bei dem von Blut und 
Fruchtwasser erfüllten Bauchraum war von sauberer Toilette nicht 
die Rede, bei der in enger Kammer oliue alle Vorbereitungen vor- 
, genommenen Operation von strenger Antisepsis nicht zu sprechen. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2 


26 

IV. Ueber Fieber und Fieberbehandlung. 

Von Prof. Liebermeister in Tübingen. 

(Schluss aus No. 1.) 

Bei dem Kopeuhageuer Congress stand auf der Tagesordnung: 
Die antipyretische und die antiseptische Behandlung der Infections- 
krankheiten. Ich leitete die Verhandlungen ein durch folgendes 
Referat: 

„Wenn auf der heutigen Tagesordnung steht einerseits die 
antipyretische Behandlung der acuten Infectionskrankheiten und 
andererseits die antiseptische Behandlung der acuten Infections¬ 
krankheiten, so könnte vielleicht der Anschein entstehen, als ob 
hier zwei verschiedene Behandlungsmethoden mit einander in Wett¬ 
streit träten, von denen etwa die eine versuchte die andere zu 
verdrängen. So verhält es sich nicht, wenigstens nicht nach meiner 
Auffassung. Ich sehe keinen Grund, weshalb eine Methode mit 
einer anderen in Kampf treten soll. Wenn einmal eine Methode so 
Grosses leistet, dass dadurch alle anderen überflüssig würden, so 
würden dieselben von selbst wegfallen. Vorläufig aber sind wir 
nicht so reich an wirksamen therapeutischen Methoden, dass wir 
es verantworten könnten, irgend etwas Brauchbares wegzuwerfen. 
Wenn Sie mir irgend eine Methode der Behandlung geben, von der 
ich die Ueberzeugung gewinne, dass sie einigen meiner Kranken 
nützlich sein wird, so werde ich sie mit grösstem Dank an nehmen 
und in den geeigneten Fällen anwenden. Aber ich werde deshalb 
noch nicht ohne Weiteres alle anderen bewährten Methoden auf¬ 
geben. 

„Es ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, die Discussion 
über die antipyretische Behandlung mit einem Referat einzuleiten. 
Vielleicht wird es dazu dienen, den Standpunkt zu klären, wenn 
ich zunächst versuche mit wenigen Worten darzulegeu, wie sich 
die antipyretische Methode nach meiner Auffassung verhält zu den 
anderweitigen Methoden, welche uns in der Therapie zu Gebote 
stehen. 

„Wenn wir die therapeutischen Methoden nach aprioristischen 
Gesichtspunkten classificiren, so nimmt die antipyretische Behand¬ 
lung nur einen bescheidenen Rang ein. 

„Die erste Stelle unter allen therapeutischen Methoden gebührt 
ja ohne Frage derjenigen, welche darauf ausgeht Krankheiten zu 
verhüten, der prophylaktischen Methode. Wenn wir die 
Krankheiten verhüten könnten, so brauchten wir sie nicht zu be¬ 
handeln. Und die Prophylaxis hat in der Tliat schon bedeutende 
Resultate aufzuweisen. Zu dieser Methode gehören zunächst alle 
die Bestrebungen der öffentlichen Gesundheitspflege, welche darauf 
ausgehen, einerseits die Entwickelung und Verbreitung von Krauk- 
heitskeimen möglichst zu beschränken, und andererseits die Lebens¬ 
bedingungen für die einzelnen Menschen so zu gestalten, dass ein 
kräftiges und gegen Krankheiten widerstandsfähiges Geschlecht vor¬ 
handen sei. Zu den prophylaktischen Methodeu im weiteren Sinne 
ist aber auch zu rechnen die aseptische Wundbehandlung, wie sie 
durch Lister angeregt wurde und durch Beseitigung der Pyämie 
und anderer schwerer Wundkrankheiteu für die Chirurgie ein neues 
Zeitalter freudigen Schaffens heraufgeführt hat; und es gehört ferner 
hierher die Methode des indirekten Schutzes, welche den grössten 
Triumph gefeiert hat durch die segensreiche Entdeckung von 
Edward Jenner, indem sie die civilisirte Menschheit von einer 
der schlimmsten Seuchen befreite, und welche durch die genialen 
Bestrebungen von Pasteur und seinen Mitarbeitern für die Zukunft 
noch Aussichten auf weitere Erfolge eröffnet. 

„Den nächsten Raug hinter den prophylaktischen Methoden 
nehmen theoretisch ein die specifischen Methoden, welche 
darauf ausgehen, die in den menschlichen Körper eingedrungenen 
Krankheitsgifte durch specifisch wirkende Mittel zu vernichten oder 
unschädlich zu macheu. Es ist etwa die gleiche Methode, welche 
in dem Programm, nach meiner Ansicht weniger passend, als die 
antiseptische bezeichnet wird. Zur specifischen Behandlung gehört 
die Anwendung des Chinin bei Wechselfieber, des Quecksilbers bei 
Syphilis, der Salicylsäure bei acutem Gelenkrheumatismus. Auch 
das Calomel hat in manchen Fällen von Abdomiualtyphus und auch 
wohl bei Cholera und Dysenterie eine specifische Wirkung Der 
Nachweis von specifischen Mikroorganismen als Krankheitsursachen, 
der in neuester Zeit für immer zahlreichere Krankheiten geliefert 
wird, muss uothwendig dahin führen, noch eifriger als bisher nach 
specifischen Heilmitteln zu suchen. Freilich dürften wir nach den 
bisherigen Erfahrungen allen Grund haben, vor Uebereilungen und 
Täuschungen sorgfältig auf der Hut zu sein; aber gewiss ist die 
Hoffnung nicht unberechtigt, dass in dieser Richtung vielleicht noch 
grosse Erfolge in Aussicht stehen mögen. 

„Wo eine wirksame Prophylaxis stattgefunden hat, bedürfen 
wir keiner anderen Therapie, und wo wir ausreichende specifische 
Mittel besitzen, da werden wir ohne Frage denselben vor allen 


anderen den Vorzug geben. Aber leider kommen immer noch un¬ 
zählige Krankheitsfiille zur Behandlung, bei welchen diese beiden 
Methoden nicht ausreichend geweseu sind. Was dann? Wir können 
doch nicht etwa die Behandlung dieser Fälle verschieben, bis wir 
ein genügendes specifisehes Mittel gefunden haben. Die Erfahrung 
lehrt uns, dass wir auch solchen Fällen gegenüber noch Vieles zum 
Wohle des Kranken wirken können. Es kommt dann die Methode 
zur Geltung, welcher wir nach dem philosophischen Schema den 
dritten Rang auweisen müssen, die aber, wenn wir die Häufigkeit 
der Anwendung in der ärztlichen Praxis als Maassstab anlegen, bei 
weitem den ersten Rang eiunehmen würde, nämlich die exspecta- 
t i v - s y m p t o m a t i s c h e M e t h o d e. 

„Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass die meisten acuten Krank¬ 
heiten nach einem bestimmten Typus und in bestimmten Zeiträumen 
verlaufen, und dass sie von selbst zu Ende geheu, nachdem die 
ihuen zukommende Zeit abgelaufen ist. Bei allen diesen Krank¬ 
heiten ist demnach, um sie zu beseitigen, ein ärztlicher Eingriff 
nicht erforderlich; auch geduldiges Abwarten führt zum Ziele, eine 
exspectative Behandlung, welche sich darauf beschränkt, den 
Kranken unter möglichst günstige Bedingungen für das Ertragen 
der Krankheit zu bringen. Aber es würden viele Kranke, bevor die 
Krankheit abgelaufen ist, an den Wirkungen derselben zu Grunde 
gehen, wenn wir nicht ausserdem durch eine symptomatische 
Behandlung die einzelnen gcfahrbriugendeu Symptome in ihrer 
Wirkung auf den Kranken so weit abschwächen, dass sie erträglich 
werden. 

„Die exspectativ-symptomatische Methode hat ein ausserordent¬ 
lich ausgedehntes Anwendungsgebiet, und wir köunen wohl behaup¬ 
ten, dass die bedeutendsten Leistungen der praktischen ärztlichen 
Thätigkeit, so weit dieselbe sich auf die Behandlung der einzelneu 
Kranken bezieht, im Gebiete derselben liegen. Ich habe heute nur 
von einer der Methoden der exspertativ-symptomatischen Behandlung 
zu reden, nämlich von der Behandlung des Fiebers, dieses bei so 
vieleu Krankheiten vorkommenden Symptoms, welches nicht selten 
dem Krauken Gefahr bringt und dann einer besonderen Behandlung 
bedarf. Es bezieht sich die antipyretische Methode nicht bloss auf 
die acuten Infectionskrankheiten, wie es nach dem Tagesprogramm 
vielleicht scheinen könnte, sondern auf alle fieberhaften Kraukheiten 
überhaupt 

„Vor einigen Jahren habe ich auf einem Congress für iunere 
Medicin in Wiesbaden die Grundsätze für die Fieberbehandlung in 
vier kurze Thesen zusammenzufasseu versucht, und dieselben haben 
damals allgemeine Anerkennung gefunden. Die gleichen Thesen 
lege ich auch heute vor. 

„Da wir hier zunächst praktische Ziele verfolgen, so möchte 
ich es vermeiden, die theoretische Frage nach dem Wesen und der 
Bedeutung des Fiebers in die Erörterung hereinzuziehen. Ich rede 
deshalb weniger vom Fieber, als von der Steigerung der Körper¬ 
temperatur. 

I. In vielen Fällen von fieberhaften Krankheiten 
besteht eine Gefahr für den Kranken in der Steigerung 
der Körpertemperatur. 

„Ich denke, jeder Beobachter, der zahlreiche Kranke mit un¬ 
befangenem Blick angesehen hat, wird von der Wahrheit dieser 
Behauptung sich überzeugt haben, und sie hat auch kaum jemals 
ernsthaften Widerspruch gefunden. Dass ausser der Temperatur¬ 
steigerung für einen Fieberkranken auch noch andere Gefahren vor¬ 
handen sein können, dass ein Kranker mit Abdominaltyphus auch 
einmal an einer Darmperforation oder einer Darmblutung oder au 
anderen schlimmen Complicationen sterben kann, dass es ferner 
Kraukheiten giebt, bei welchen die Infection des Organismus auch 
ohne Dazwischenkunft von Fieber den Kranken tödten kann, dass 
endlich manche Localaffectiouen, wie z. B. Meningitis, sogar bei 
auffallend uiedriger Temperatur tödtlich verlaufen können, das ist 
ja Alles unzweifelhaft und selbstverständlich. Es ändert aber nichts 
an der Thatsache, dass von den Kranken, welche an Abdomiual¬ 
typhus, exanthematischem Typhus und anderen fieberhaften Krauk- 
heiteu zu Grunde gehen, eiu grosser Theil getödtet wird durch die 
direkten oder indirekten Folgen der Temperatursteigerung. 

II. In solchen Fällen ist es Aufgabe des Arztes, 
durch entsprechende Maassregeln die Temperatursteige¬ 
rung zu bekämpfen. 

„Wenn man die erste These zugiebt, so ist die zweite selbst¬ 
verständlich, und es kanu sich nur noch darum handeln, die Indi- 
cationen näher festzustellen und diejenigen Fälle, bei welchen von 
der Temperatursteigerung Gefahr zu erwarten ist, zu unterscheiden 
von denen, bei welchen ein Einschreiten uunöthig ist. In dieser 
Beziehung möchte ich hervorheben, dass ich weit davon eutfernt 
bin, jedes Fieber für schädlich zu erklären und einer gedankenlosen 
Bekämpfung jedes Fiebers das Wort zu reden. Ich glaube im Gegen- 
theil unter den Neueren einer der Ersten geweseu zu sein, welche 
an die alte Tradition vou der Heilwirkung des Fiebers wieder au- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


27 


12. Januar. 


geknüpft haben. Ich habe deshalb sorgfältig unterschieden zwischen ! 
<len fällen, bei weh-heil die Temperatursteigernng Gefahr droht 
und einen ärztlichen Eingriff fordert, und den Fällen, bei welchen 
man ohne Nachtheil für den Kranken von einer Bekämpfung der 
Tfniperatnrsteigerung absehen kann. Im einzelnen Falle ist es nicht 
immer leicht, diese Entscheidung zu treffen. Ausser dem Grade der 
Temperatursteigerung kommt vor allem die Dauer derselben in Be¬ 
tracht: und um die voraussichtliche Dauer des Fiebers annähernd 
bestimmen zu können, ist erforderlich eine genaue Kenntniss der 
vorliegenden Krankheit und ihres normalen Verlaufes sowie auch 
der häufiger vorkommenden Abweichungen vom Normalverlauf. 
\r<n grösster Bedeutung für die Feststellung der Indicationeu ist 
f>mer die genaue Kenntniss der Individualität des Kranken und ein 
sicheres Urtheil über die Widerstandsfähigkeit desselben und seiner 
duzeinen Orgaue. Die Durchführung der antipyretischen Behand¬ 
lung stellt deshalb hohe Ansprüche an die Befähigung des Arztes 
und erfordert namentlich eine sachkundige und sorgfältige Unter¬ 
suchung und Beurtheilung jedes Einzelfalles. Ein näheres Eingehen 
auf Einzelheiten glaube ich hier vermeiden zu können, da ich in 
meiuen bisherigen Veröffentlichungen gerade diesen Verhältnissen 
eine eingehende Besprechung gewidmet habe. Doch möchte ich 
nochmals ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass in diesem 
Gebiete die Unterlassungssünden weit schlimmer sind als die Be- 
"chungssünden. Wer ohne weitere Ueberlegung darauf ausgeht, jede 
l«edeutende Temperatursteigerung zu bekämpfen, der wird vielleicht 
zuweilen überflüssiger Weise einschreiten; aber er wird damit nicht 
leicht schaden. Wer es aber versäumt, zur rechten Zeit einzugreifen, 
der ist häufig Schuld daran, wenn der Kranke nachher in Folge der 
T. mperatursteigerung zu Grunde geht. Es ist eine schlechte Ent¬ 
schuldigung, wenn der Arzt bei einem Kranken, der nach längerer 
Dauer eines sehwereu Fiebers an unerwartet schnell ciutretender 
Herzparalyse zu Grunde geht, sein bisheriges exspectatives Verhalten 
damit rechtfertigen will, dass bis dahin keinerlei bedrohliche Er¬ 
scheinungen und deshalb keine Indicationen zum Einschreiten vor¬ 
handen gewesen seien. Hätte er die Temperatur beobachtet, wäre 
er mit den Gefahren der andauernden Temperatursteigerung ver¬ 
traut gewesen, so hätte er die Gefahr voraussehen und ihr Vor¬ 
beugen können. 

«Die folgenden Thesen beziehen sich auf die Mittel, durch 
welche wir im Stande sind, die abnorm gesteigerte Körpertemperatur ' 
herabzusetzen. 

III. Die Grundlage der antipyretischen Behandlung 
bilden die direkten Wärmeentziehungen durch abküh¬ 
len de Bäder. 

.Die Erfahrung hat gezeigt, dass die antipyretische Behandlung 
vorzugsweise dann die auffallend günstigen Resultate ergiebt, wenn 
die Methode der direkten Abkühlung die Grundlage bildet, und die 
antipyretischen Medicamente nur als Reserve betrachtet werden für 
die besonderen Fälle, in welchen die direkte Abkühlung nicht 
ausreicht oder aus irgend einem Grunde nicht anwendbar ist. Ich 
möchte dies ganz besonders betonen, weil ich vielfach gesehen 
habe, dass manche Aerzte sich eher entschliessen, ihren Kranken 
irgend ein antipyretisches Medicament zu verordnen, als dieselben 
in ausreichender Weise mit Abkühlungen zu behandeln. Von solchen 
halben Maassregeln haben die Kranken nur wenig Nutzen. Wer 
mit Erfolg das Fieber behandeln will, muss sich zur Anwendung 
der Wärraeentziehungen entschliessen. Welche Art der Wärmeeut- 
ziehung nngewendet wird, erscheint dabei gleichgültig, vorausgesetzt, 
dass sie genügend wirksam sei. Das Auflegen vou Eisblasen, die 
Darreichung kalten Getränks, die einfachen kalten Abwaschungen 
sind unzweifelhaft nützlich; aber bei schweren Fällen reichen sie 
nicht aus. wie man mit dem Thermometer sich leicht überzeugen 
kann. Eher kann durch kalte Einwickelungen, wenn sie bald nach 
einander häufig wiederholt werden, eine genügende Wirkung erzielt 
werden. Die kalten Uebergiessungeu sind dem Kranken unange¬ 
nehmer als die kalten Bäder, und sie leisten weniger. Laue Bäder 
von 30^ C oder mehr müssen stundenlang angewendet werden, um 
eine ausreichende Wirkung zu haben, während ein Bad von weniger 
als 20" C gewöhnlich schon in 10 Minuten die Temperatur genü¬ 
gend herabsetzt. Meine Kranken ziehen die kurz dauernden kalten 
Bäder entschieden vor. Man kann ja immerhin mit weniger kalten 
Bädern beginnen und sehen, wie weit man in dem betreffenden 
Falle damit kommt; wenn man sieht, dass sie nicht ausreichen, 
muss inan sie kälter nehmen. Auch die allmählich abgekühlten 
Bäder, deren Temperatur vou 35° allmählich bis unter 20° herabgesetzt 
wird, sind sehr wirksam, müssen aber ebenfalls eine etwas längere 
Dauer haben. 

IV. In manchen Fällen ist daneben die Anwendung 
von antipyretisch wirkenden Medicamenten zweckmässig. 

.Ich möchte nochmals hervorheben, dass für mich die antipy¬ 
retischen Medicamente nur die Reserve bilden, welche nur dann in 
Anwendung gezogen wird, wenn die direkten Warmeentziebungen 


nicht ausreichen, oder wenn dieselben aus irgend einem Grunde 
nicht in genügender Weise angewendet werden können. Auch 
ein antipyretisches Medicament, zur rechten Zeit und in richtiger 
Dosis angewendet, kann unter Umständen lebensrettend wirken. 
Die gleichzeitige Anwendung vou Wärmeentziehungen und von 'an¬ 
tipyretischen Medicarnenten hat eine Wirkung, welcher auch das 
hartnäckigste Fieber nicht leichtwidersteht. Amlängsten bekannt istdie 
antipyretische Wirkung des Chinin; und tausendfache Erfahrung 
hat uns gezeigt, dass dieses Mittel ohne wesentlichen Nachtheil für 
den Kranken in ausreichender Dosis angewendet werden kann. 
Noch sicherer wirkend ist die Salicylsäure; aber die Anweudung 
derselben erscheint nicht unbedenklich bei Kranken, bei welchen 
schon ein höherer Grad von Herzschwäche besteht. Die letzten 
Jahre haben uns eine grosse Zahl neuer antipyretisch wirkender 
Medicamente geliefert, unter denen namentlich das Kairiu und das 
Antipyrin sich durch Sicherheit der Wirkung auszeichnen. Ich habe 
in letzter Zeit das Autipyrin in den verschiedensten Fällen von 
fieberhaften Krankheiten angewendet, und ich kann sagen, dass es 
die Erwartungen übertroffen hat. Es wurde angewendet bei Abdo¬ 
minaltyphus, Scharlach, Masern, Erysipelas, Pneumonie, Tuberculose, 
Peritonitis, Eiterungsfieber. Unaugenehme Nebenwirkungen treten 
dabei kaum hervor; gewöhnlich war mit dem Abfall der Tempera¬ 
tur subjectives Wohlbefinden verbunden. Das Mittel ist leicht lös¬ 
lich und wirkt, im Klysma verabreicht, nahezu ebenso sicher als 
bei der Einverleibung durch den Mund. Auffallender Weise kommt 
bei Darreichung im Klysma zuweilen Erbrecheu vor ohne sonstige 
nachtheilige Folgen. Die Einführung des Antipyrin, dem eine 
grosse Zukunft bevorzustehen scheint, ist als ein grosser Fortschritt 
der antipyretischen Behandlung anzusehen. Immerhin werden wir, 
bevor wir die Indicationen und Contraindicationen mit Sicherheit 
feststellen können, noch weitere Erfahrungen abwarten müssen; 
denn erst durch vieltausendfache Erfahrung kann bei einem so 
wichtigen und folgenschweren Eingriff ein gewisser Grad von 
Sicherheit erreicht werden. 

„An diese Erläuterung der Theseu möchte ich noch einige Be¬ 
merkungen anschliessen über die praktische Ausführung der antipy¬ 
retischen Behandlung. 

„Im Anfang ist man gewöhnlich darauf ausgegangen, entweder 
das Fieber ganz zu unterdrücken oder wenigstens hauptsächlich die 
Exacerbatiouen zu bekämpfen. Es wurde z. B. die Behandlung so 
ausgeführt, dass jedesmal ein kaltes Bad gegeben wurde, so oft die 
Temperatur des Kranken 39° in der Achselhöhle oder 39,5° im 
Rectum erreichte oder überstieg. Wenn man nach diesem einfachen 
Schema behandelt, und wenn man namentlich auch während der 
Nacht die Temperatur sorgfältig beobachtet und die erforderlichen 
Bäder anwendet, so kann man mit Sicherheit güustige Resultate er¬ 
warten. Ich habe selbst Jahre lang hunderte von Fieberkranken 
nach dieser Methode behandelt. 

.Aber allmählich habe ich gelernt, die Indicationen etwas 
anders zu fassen. Ich überzeugte mich, dass man bei der Behand¬ 
lung nach diesem Schema in einzelnen Fällen den Zweck nicht er¬ 
reicht oder nur mit grosser Unbequemlichkeit für den Kranken, 
dass man aber in anderen Fällen mehr thut als nöthig ist, und 
so bin ich allmählich zu einer anderen Art der Ausführung ge¬ 
laugt, welche für den Krankeu weniger unangenehm und dabei oft 
wirksamer ist. 

„Die alltägliche Erfahrung lehrt uns, dass ein Fieber von kurzer 
Dauer, falls nicht etwa die Temperatursteigerung ganz ungewöhnlich 
hoch ist, dem Kranken keinen wesentlichen Schaden bringt. Und 
ebenso sehen wir, dass ein Fieber, welches starke Remissionen oder 
Intermissionen macht, lange Zeit ohne Lebensgefahr ertragen werden 
kann. Ich erinnere an das gewöhnliche Wechselfieber. Wenn bei 
einer Febris quotidiana die Temperatur alle Tage 41° erreicht, so 
kanu dabei der Kranke wohl sehr herunterkommen, aber eine 
eigentliche Lebensgefahr ist dabei nicht vorhanden; die Zeit der 
Intermission gestattet dem Kranken immer wieder, sich von der 
Wirkung der Temperatursteigerung genügend zu erholen. Dagegen 
ist ganz ausserordentlich gefährlich eine Febris continua, bei welcher 
die Temperatur lange Zeit anhaltend auf einer bedeutenden Höhe 
verbleibt und die Remissionen nur so gross oder selbst kleiner sind 
als die normalen Morgenremissiouen. Diese Erfahrungen geben uns 
einen deutlichen Fingerzeig. Um die Lebensgefahr zu verhüten, 
ist es nicht nöthig, das Fieber vollständig zu unterdrücken: es ge¬ 
nügt, wenn wir die Febris continua umwandeln in eine Febris 
remittens, wenn wir dafür sorgen, dass die Remissionen stark genug 
sind und lange genug dauern, damit der Kranke und seine Organe 
immer wieder die Wirkungen der Temperatursteigerung ausgleichen 
können. Wenn wir berücksichtigen, dass alle antipyretischen Agen- 
tien nur eine vorübergehende Wirkung ansüben, dass einige Zeit 
nach dem Aufhören der Einwirkung die Körpertemperatur wieder 
zu steigen beginnt, so ist es leicht verständlich, dass die vollstän¬ 
dige Unterdrückung des Fiebers bei hartnäckigen Fällen schwer 


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98 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 2 


und oft unmöglich zu erreichen ist, in anderen Fällen nur mit ! 
grosser Unannehmlichkeit und nicht ohne Nachtheil für den Kran- I 
kcn, während die Umwandlung der Febris continua in eine Febris j 
remittens eine verhältnissmässig weit leichtere Aufgabe ist. Zur 
Erreichung dieses Zweckes halten wir uns an den von der Natur 
vorgezeichneten Weg: wir lassen die antipyretischen Mittel ein- | 
wirken vorzugsweise zu der Zeit, wenn die Körpertemperatur von i 
selbst schon eine gewisse Neigung zum Sinken hat, wie dies ge- ' 
wohnlich in der Nacht und besonders nach Mitternacht der Fall 
ist. Es werden z. B. die kalten Bäder nur angewendet in der 
Zeit von 7 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens, und zwar wird ein ! 
Bad gegeben 

von 7—11 Uhr bei 40° im Rectum. 

* 12—3 „ * 39,5° „ „ 

„ 4-7 „ „ 39° „ 

Während des Tages lassen wir in der Regel dem Fieber freien 
Lauf, und es wird nur dann gebadet, wenn die Temperatur eine 
ungewöhnliche Höhe erreicht. Uebrigens sind die Exacerbationen 
meist weniger heftig, wenn es gelungen ist, in der Nacht eine starke 
Remission herzustellen. Es ist selbstverständlich, dass je nach dem 
einzelnen Krankheitsfall die Vorschrift für die Bäder mannichfach 
verändert werden kann, und dass auch die Temperatur des Bades 
und die Dauer desselben der Hartnäckigkeit des Fiebers im ein- 1 
zelnen Falle angepasst werden muss. Wenn zugleich antipyretische 
Medicaniente angewendet werden, so wird die Zeit der Verabreichung 
so gewählt, dass ihre stärkste Wirkung auf die Nacht und be- j 
sonders auf die Zeit nach Mitternacht fallt. 

„Wir gehen also darauf aus, die spontanen Remissionen, wie sie 
auch bei der Febris continua vorhauden sind, möglichst zu ver¬ 
tiefen und zu verlängern und so die lebensgefährliche Febris con- j 
tinua in eine relativ ungefährliche Febris remittens umzuwandeln, j 
Wir haben dazu weniger anhaltende Eingriffe nöthig, als wenn wir 
uns die Aufgabe stellen wollten, das Fieber vollständig zu unter¬ 
drücken. Nachdem ich seit 10 Jahren diese Methode angewendet 
habe, kann ich sie auf Grund meiner Erfahrungen dringend empfehlen. 

„Zum Schluss gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, die viel¬ 
leicht geeignet ist, etwaigen Missverständnissen vorzubeugen. Ich 
habe schon angedeutet, dass ich die Prophylaxis höher stelle als die 
Therapie, dass ich ferner eine specifische Behandlung bei den 
Krankheiten, bei welchen sie in ausreichender Weise ausgeführt 
werden kann, jeder anderen vorziehe und die antipyretische Be¬ 
handlung nur da anwende, wo sie durch die Fieberverhältnisse ge¬ 
boten ist. Ich möchte noch hinzufügen, dass auch in den Fällen, 
welche antipyretisch behandelt werden, diese Behandlung keineswegs ; 
einseitig oder ausschliesslich ist. Unter anderem legen wir bei 
unseren Fieberkranken ein grosses Gewicht auf die Ausführung einer 
zweckmässigen Diätetik im weitesten Sinne des Wortes. Wir 
suchen ausserdem allen anderen Indicationeu, welche sich aus der ! 
Beobachtung des einzelnen Kranken ergeben, aufs Sorgfältigste zu 
entsprechen. Ich gehe hier auf diese Verhältnisse nicht ein, weil 
meine Aufgabe sich nur auf die antipyretische Behandlung bezieht“. 

An den Verhandlungen betheiligten sich die Herren Prof. 
Bouchard (Paris), Dr. Warfwiuge (Stockholm), Dr. Rothe j 
(Altenburg), Prof. Pribram (Prag), Dr. Mahomed (London). Ich j 
schloss die Verhandlung mit folgendem Schlusswort: 1 

„Meine Herren! Es gereicht mir zur Genugthuuug coustatiren [ 
zu können, dass in Betreff der specifischen und antipyretischen Be- J 
handlung in der Hauptsache, wenn auch zunächst vielleicht nur in 
der Theorie, eine erfreuliche Uebereinstimmung vorhanden ist. Wir 
werden Alle, wo wir eine ausreichende specifische Behandlung 
haben, jede andere Behandlung für überflüssig halten. Dass wir 
uns vorläufig gegenüber den Empfehlungen von specifischen Mitteln, 
welche noch nicht hinreichend erprobt sind, einigermaassen skep¬ 
tisch verhalten, werden auch diejenigen Coliegeu, von denen die 
Empfehlungen ausgehen, in der Ordnung finden. Wie oft schon i 
sind Mittel als unfehlbar angepriesen worden, die nachher als un¬ 
wirksam anerkannt wurden! Aber es müssen Versuche gemacht ; 
werden, und ich kann versprechen, dass ich auch iu dieser Rich¬ 
tung Versuche machen werde, ln unserer Wissenschaft ist ja allein 
maassgebend die Erfahrung. Aber auf der anderen Seite bitte ich 
auch diejenigen unter Ihnen, die bisher noch nicht consequent das 
Fieber mit kalten Bädern behandelt haben, Versuche zu machen 
und Erfahrungen zu sammeln, entweder in Ihrer Praxis, oder indem ; 
Sie in eines der deutschen Spitäler gehen, wo eine zweckmässige : 
antipyretische Behandlung stattfindet. Oder gehen Sic hier in 
Kopenhagen in das Commune-Hospital. wo in der Abtheilung vou 
Prof. Trier die Bäderbehandlung durchgeführt wird, und wo, wie 
mir Herr College Trier eben mitgetheilt hat, die Mortalität des 
Abdominaltyphus seitdem nur noch 8% beträgt. Aber gehen Sie ; 
nicht hin für eine Stunde, sondern für Wochen und Monate, denn , 
Sie müssen selbst beobachten. Die Sache ist das Opfer wertli, 1 
denn das Leben von Tausenden vou Kranken hängt davon ab. i 


„Besonders erfreulich war es mir zu erfahren, dass jetzt auch 
im Londoner Fieberhospital die Bädcrbehandlung mit gutem Erfolg 
durchgeführt wird. Ich hatte es bisher immer als eine beklagcns- 
werthe Anomalie betrachtet, dass in dem Lande, in welchem zuerst, 
schon am Eude des vorigen Jahrhunderts, durch James Currie 
eine consequente Kaltwasserbehandlung bei Fieber durchgefülirt 
wurde, diese Methode vergessen zu sein schien. Der Widerstand, 
den das Publicum noch bietet, wird zu überwinden sein, wenn die 
Aerzte ihre Pflicht thun. Ich könnte Ihnen deutsche Städte neunen, 
wo die Bäderbehandlung in der öffentlichen Meinung schou so 
selbstverständlich ist, dass der Kranke den Arzt, der bei Fieber 
nicht mit kalten Bädern behandeln wollte, fortschicken würde. Und 
sollte ein so intelligentes Publicum wie das englische weniger ver¬ 
ständig sein? Ich rechne im Gegentheil auf die Mitwirkung des 
Publicums bei der Einführung der antipyretischen Behandlung. 
Ich darf es wohl gestehen, dass ich das Referat über diesen Gegen¬ 
stand zum Theil deshalb übernommen habe, weil ich hoffe, dass 
die Verhandlungen unseres Congresses in vielen Ländern Wieder¬ 
hall finden werden. Es braucht ja nur die Aufmerksamkeit der 
Aerzte und des Publicums in genügender Weise auf die Methode 
hingelenkt zu W'erden, damit beide vereinigt sie durchführen. Und 
die Resultate werden so auffallend günstig sein, dass sie dann nicht 
wieder verlassen wird. 

„Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen Ausspruch eines 
grossen englischen Arztes anzuführen. Sydenham hat vor inehr 
als 200 Jahren, als er gegen das übermässig warme Verhalten bei 
Variola eiferte, aber mit seiner abkühlenden Behandlung gegenüber 
den Vorurtheilen seiner Zeit nicht durchzudringen vermochte, das 
resignirtc Wort, ausgesprochen: „Obtinebit demum me vita functo“: 
„Die Methode wird zur Geltung kommen, wenn auch erst nach 
meinem Tode“. Gewiss! jede grosse Sache bedarf der Zeit, bis sie 
durchdringt. Aber in diesem Falle bin ich nicht so resignirt. In 
unserer Zeit geht die Entwickelung schneller. Und ich habe schon 
so viele Entwickelungeu in den ärztlichen Anschauungen erlebt, 
dass ich wohl glaube einmal eine Prophezeiung wagen zu dürfen: 
Ich hoffe es noch zu erleben, dass Sie Alle, durch Erfahrung be¬ 
lehrt, Anhäuger der antipyretischen Behandlung werden.“ 

V. Der moderne Hypnotismus 

Ein kritischer Essay. 

Von Professor Seeligmüller in Halle a. S. 

(Fortsetzung aus No. 1.) 

Die Methode der Application der genannten Sub¬ 
stanzen ist schon oben im Allgemeinen angedeutet worden. Zur 
vollen Würdigung der Versuche ist es aber nöthig, die Einzelheiten 
derselben genauer anzugeben. 

Die Substanzen, mit welchen experimentirt wurde, zerfallen in 
drei Classen: 

1. Stark riechende, wie Valeriana, Kampher, Moschus; 

2. Schwach riechende, wie Opium; 

3. Für gewöhnliche Nasen uichtriechende, wie Nux vomica. 

Die Art der Application anlaugend, wurden diese Sub¬ 
stanzen bald unverhüllt angewendet, bald in Papier gewickelt, bald 
in offenen Flaschen (flneons ouverts), bald in einfachen mit Kork 
zugestöpselten Flaschen (flacons bouches au liege), bald in Flaschen 
mit eingeschliffenem Stöpsel (flacons fermes ä l’emori), bald in 
Flaschen mit Stöpsel und einer Substanz, wie Siegellack, Paraffin, 
Kautschuck verschlossen (bouchon recouvert de cire ä cacheter, de 
paraffin, de caoutchouc), bald in zugeschmolzenen Röhren (tubes 
seelles ä la lampe). 

Im allgemeinen fanden die Experimentatoren: Je weniger 
die Substanz eingehüllt war, um so schneller und inten¬ 
siver war die Wirkung. In offener Flasche wirkten die Mittel 
immer und brachten das Maximum der Wirkung hervor. Die zu¬ 
geschmolzenen Glasröhren haben oft negative und immer sich 
widersprechende Resultate gegeben. Die in anderer Weise ver¬ 
schlossenen Flaschen zeigten um so schwächere Wirkung, je dichter 
der Verschluss war. 

ln Betreff der Dosis behaupten die Experimentatoren, dass 
die Wirkung desto stärker hervortrete, je grösser die Dosis war. 
Auf einen Unterschied zwischen riechenden und niclit- 
riechenden Substanzen haben sie dabei nicht geachtet. 
Verdünnungen der Substanzen bringen nur psychische Wirkungen 
hervor. Alkohol berauscht erst in der Dosis von 15—20 g. 

Der Ort der Application war bei vielen Personen voll¬ 
ständig gleichgültig. 

Die Art der Application an langend, wurde die Substanz 
selbst, nicht eingehüllt oder in eiuer der oben angegebenen Hüllen, 
auf die Körperoberfläche (Kopf, Genick, Hals, Hand oder Bein) 


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12. Jannar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


29 


aufgelegt, oder auf derselben herumgeführt, oder die Haut nur 
momentan damit berührt; oder sie wurde in einer gewissen Distanz 
von dem betr. Körpertheil, meist am Genick gehalten. Eiue 
Maximaldistanz haben die Experimentatoren nicht feststelleu könneu. 
Sie vergleichen die wirksame Substanz mit einem erhitzten Körper, 
•ler nach dem Grad seiner Temperatur und nach der Empfindlich¬ 
keit der Applicationsstelle auch aus der Ferne erhitzt. Manche 
Personen fühlen ein grosses Unbehagen, wenn in ihr Bereich 
eine wirksame Substanz gebracht wird; von einer Kranken wurden 
aus einem Strausse alle fatalen Blumen herausgeworfen und nur 
die inoffensiven behalten. Dass solche Personen im gewöhnlichen 
Leben zu existiren vermögen, erklärt sich daraus, dass sie die 
fatalen Substanzen schon von Ferne wittern; ehe sie vou denselben 
beeinflusst werden, gehen sie ihneu aus dem Wege (!) 

Bei manchen hemianästhetlschen Kranken ist es gleichgültig, 
ob man die Substanz auf der einen oder anderen Körperhälfte ap- 
plirirt; bei anderen tritt die Reaction (Stechen u. s. w.) zuerst auf 
der fühlenden Körperhälfte ein. 

Kranken, welche keine Hemianästhesie, wohl aber Hyper¬ 
ästhesie an verschiedenen Stellen auf derselben Körperhälfte (Ova- 
rial-, Submanual-, Schläfengegend) zeigen, empfinden die Wirkung 
der Substanz, gleichgültig wo sie applicirt ist, au der hyperästhe¬ 
tischen Körperliälfte. — In manchen Fällen wirkte das Mittel auf 
der einen Stelle des Halses applicirt auders als auf der entgegen¬ 
gesetzten: Nach Narcein (p. 93), auf der rechten Seite des 
Halses applicirt sah Decle unmittelbar Contractiouen der ganzen 
rechten Seite eintreten; auf der linken Seite applicirt nur unbe¬ 
deutende Erscheinungen, jedenfalls keine Contractur. Auf Ipeca- 
euanhapulver, im Nacken applicirt, reagirte eine Versuchsperson 
von Luys (Rev. de Hiypnotisme I. p. 90) mit Uebelkeit und Er¬ 
brechen; an die Schilddrüse gehalten, dagegen mit ausgesprochenen 
Erscheinungen von M. Basedowii, wie sie sonst vou ihm nach 
01. thvmi beobachtet waren. 

W as den Zustand der Versuchsperson zur Zeit des Ex- j 
periments betrifft, so haben die Experimentatoren folgende Erfah¬ 
rungen gemacht: 

Je mehr das Nervensystem aus dem Gleichgewicht ist, 
desto mehr empfindlich (sensibel, impressionabel) ist die 
Versuchsperson. Manche Kranke sind immer impressionabel. 
Bei anderen, die noch besser equilibrirt sind, bedarf es dazu der 
Hypnose; im gewöhnlichen Zustande sind sie nicht impressionabel. 
Umgekehrt waren zwei Kranke mit grande hysterie in dem hypnose- 
ähnlichen Zustand, in welchen sie spontan verfielen, weniger sensibel, 
als wenn sie in ihrem gewöhnlichen Zustande sich befanden. 

Eine Erziehung (entrainement) durch häufige Versuche mit Me- 
dicamenten hat nicht statt: vielmehr ergaben sich die zu Anfang 
mit derselben Person gemachten Versuche am reinsten?! (s. unten.) 

Die Dauer der Application, d. h. die Zeit, binnen welcher 
Wirkung eintritt, ist verschieden. Bei den „grands sujets" trat die 
Wirkung rapid ein, unmittelbar oder höchstens 1—‘2 Minuten nach 
der Application. Alsdann spielte sich die Wirkung ohne Aufenthalt 
ab. auch wenn die Application unterbrochen wurde. 

Wurde dann die Application wiederholt, so verlängerte sich die 
Wirkung einfach, ohue eine Veränderung zu zeigen. 

War die Application aber einmal suspendirt, so kam die Per¬ 
son nach etwa '/o Stunde wieder zum Bewusstsein, und die Wir¬ 
kung war vollständig vorüber, vielleicht mit Ausnahme vou etwas 
Geruch oder Geschmack der Substanz, welche die erweckte Person 
noch eine Zeit lang empfand. 

Bei Anderen (und das ist die Mehrzahl der Fälle) dauerte die 
Wirkung überhaupt nur so lange wie die Application. Als die 
Mütze mit Baldrian blättern von dem Kopfe eines Kranken (Dufour) 
berunterfiel. wunderte sich dieser nicht wenig, sich nach Katzenart 
anf allen Vieren zu finden. 

In einem Falle dauerte der Alkoholrausch allerdings bis zum 
nächstfolgenden Tage. 

Zum Schluss muss ich noch ein gewisses antagonistisches 
bezw. antidotäres Verhalten einzelner Substanzeu erwäh¬ 
nen: Ammoniak brachte den durch Alcoholica hervorgebrach¬ 
ten Rausch sofort zum Aufhören; Kampher vernichtete in einigen 
Augenblicken die Wirkung der Canthariden. 

Endlich behaupten die Experimentatoren, dass bei jeder Sub¬ 
stanz ausser der individuellen Reaction auch eine specifische 
Wirkung, die bei allen Versuchspersonen dieselbe sei (?!), hervor¬ 
trete. Bittermandelöl macht allen himmlische Verzückung, Mir¬ 
banöl bringt die Illusion einer Zeichenstunde (!) hervor, Baldrian 
macht die Menschen nach Geberden und Gebahren zur Katze. 

Was sollen wir zu diesen, wenn sie wahr wären, in der That 
wunderbaren Versuchsergebnissen sagen? 

Ueber die von Bourru und Burot angestellten Experimente 
and ihre Resultate brauchen wir nicht viel Worte zu verlieren. Sie 
ruhten sich durch sich selbst. Und wer für die Zurechnungsfähig¬ 


keit dieser Herren noch etwas übrig hätte, den bitte ich den letzten 
Abschnitt ihres Buches „Resultats pratiques“ zu lesen, wo mau 
unter jede Seite sc.hreibeu möchte: „Wo bleibt die Kritik?“ Nur 
eiuige Beispiele: Während der Visite legt ein Arzt auf den Arm 
einer Kranken ein Goldstück. Zunächst keine Wirkung. Man tritt 
au das nächste Bett und setzt die Visite fort. Nach einer Viertel¬ 
stunde bricht bei der Person mit dem Goldstück ein hysterischer An¬ 
fall aus, dessen Ursache dunkel blieb, bis man sich des Goldstücks 
auf dem Arme wieder erinnerte. Weitere Versuche „gestatten zu 
bejahen“ (permettent d’affirmer), dass das Goldstück wohl die 
wirkliche Ursache des hysterischen Anfalls war. „Wie oft. werden 
unzweifelhaft analoge Vorgänge hervorgebracht!“ — Ein ander Mal 
geräth eine nervöse Dame bei einem hypnotischen Versuche, wo 
ihr der Experimentator wiederholt das Vermögen zu sprechen ge¬ 
nommen und wiedergegeben hatte, in dem Augenblick, wo sie die 
Sprache vollständig wieder erhalten hatte, in einen „besonderen 
Zustand von Fascinatiou“. Um sie davon zu befreien, lässt mau 
sie Aether eiuathmen; sofort tritt wieder Stummheit ein und weicht 
erst nach dreistündigen Bemühungen eines anderen Arztes. Die 
Fascination ist durch den Aether erzeugt, denn die $ehr intelligente 
Dame ist sich bewusst, dass der Aether diese Erscheinung hervor¬ 
gebracht hat; „sie selbst hat uns denselben als Ursache bezeichnet“ 

(p. 281). 

Etwas anders ist es mit Herrn Luys! Er ist derselbe Forscher, 
dessen Leistungen in einem so nüchternen Gebiete, wie das der 
Hirnanatomie ist, allgemein anerkannt sind. Aber schon im Jahre 
1884 hat derselbe in der Pariser Akademie vier Sitzungen hindurch 
seine wunderliche Hypothese von „ausgiebigen Bewegungen des 
menschlichen Gehirns in der Schädelkapsel“ mit einer Hartnäckig¬ 
keit verfochten, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. 
Und was haben wir an dem berühmten Zöllner in Leipzig er¬ 
lebt, der sich von den Spiritisten gründlich dupiren Hess! 

Auf die mannigfachen Widersprüche in deu Ergebnissen der 
einzelnen Experimentatoren habe ich schon im Vorhergehenden 
zum Theil aufmerksam gemacht. Ich erinuere nur daran, dass 
Luys statt des Katzenkollers, den die Professoren von Rochefort 
u. Ä. nach Baldrian beobachtet hatten, traurige Halluciuationen 
mit Kirchhofscene eintreten sah; nach Aqua communis dagegen, 
welches den Anderen, wie vorauszusehen war, kein Resultat gal), 
ausgebildete Hydrophobie beobachtete, vielleicht weil er es nicht 
wie jeue als Eau simple, sondern als Protoxyde d’hydrogeue ange¬ 
sprochen hatte. 

Eine grössere Ernüchterung scheiut sich übrigens auch in Frank¬ 
reich neuerdings einzustelleu. 

Der Professor Bern heim in Nancy, welcher als Experimenta¬ 
tor in Sachen des Hypnotismus sich eiues grossen Rufes erfreut, hat 
bei Controlversucheu mit Medicamenten auf Distanz uur negative 
Resultate erhalten. 1 ) Freilich lauten seine Versuchsbediugungeu 
ungleich strenger als die des Herrn Rieh et: 

1. Eine dritte Person, die bei den Experimenten nicht zugegen 
sein darf, präparirt eine Reihe von Substanzen von wohlbekannter 
Wirkung in Flaschen, die Nummern tragen. 

2. In ein versiegeltes Couvert steckt sie ein Verzeichniss mit 
den Namen der Substanzen, die den Nummern entsprechen. 

3. Bei Versuchspersonen, welche schon zu ähnlichen Versuchen 
gedient haben, dürfen nur Substanzen versucht werden, mit denen 
bei ihnen noch nicht experimentirt ist, damit nicht Täuschungen 
durch Erinnerung an die früher stattgehabten Eindrücke entstehen. 

4. Ueber alle Phäuomene soll nach Maass wie sie sich zeigen, 
während der Experimente Protoeoll geführt werdeu. 

5. Jeues Couvert darf nicht eher geöffnet werden, als bis die 
Experimente vollständig beendigt sind und die Versuchsperson ent¬ 
fernt worden ist. 

Bernheim betont besonders, dass die Möglichkeit von Sug¬ 
gestionen anderenfalls nicht ausgeschlossen sei, insofern es Personen 
giebt. bei denen die engste Spalte genügt, um der Suggestion in 
das Gehirn Eintritt zu gestatten. 

Die Herren Bourru nnd Burot und ihre Anhänger werden 
freilich ihrerseits den Experimenten Anderer wenig Beweiskraft zu¬ 
gesteheu. Ist doch für sie selbst die Identität der Versuchsperson 
allein nicht maassgebend, sondern dieselbe muss sich ausserdem 
in demselben Stadium ihrer Nervenkrankheit befinden, wie z. Z. 
wo sie ihre Versuche mit ihr anstellten. Daher kam es, dass 
Auguste Voisin hei Controlversuchen an eiuem der grands sujets 
der Roeheforter Professoren nicht die positiven Resultate erzielen 
konnte, wie jene, „sintemal diese Person jetzt nur noch Heini¬ 
anästhesie, aber nicht mehr Hemiplegie linkerseits zeigte“. 

Dass in der That die Täuschung bei vielen Versuchen durch 
Suggestionen hervorgebracht wurde, geht u. a. aus Folgendem her- 


‘) Mitgetheilt in der diesjährigen Decembernummer der Revue de l’hyp- 
notisme. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2 


30 


vor: Die eiue Hauptversuchsperson V. M. verfiel, nachdem mehrere 
Monate hindurch mit ihr experimentirt worden war, schon in Trun¬ 
kenheit, wenn sie nur von Ferne eine Champagnerflasche sah. bez. 
in religiöse Extase, sobald sie ein Fläschcheu erblickte, welches 
zwar mit Wasser gefüllt war, aber dem bei den Versuchen mit 
Aq. laurocerasi gefüllten ähnlich sah (p. 131). 

Im Uebrigeu wird sich ein jeder Leser nach dem vorliegenden 
Berichte seiu Urtheil über die wunderbaren Versuche schon allein 
gebildet haben. Den Schlüssel zu den Wundern haben die Autoren 
selbst in der Hand gehabt, wenn sie sagen: „In eiuem so wech¬ 
selnden Organismus wie dem hysterischen ist alles möglich.“ Ge¬ 
wiss, sie haben es mit Versuchspersonen zu thun gehabt, 
die an den hochgradigsten Formen von Hysterie litten, 
mithin an einer Impressionabilität und Suggestibilität 
ohne Gleichen, an einer Sucht Aufsehen zu erregen, 
welche durch die Verwunderung der Umgebung genährt, 
vor keiner Lüge, vor keinem Betrüge zurückschreckt. 
Dass die Versuchspersonen nach den Applicationen der Substanzen 
gelegentlich Bauchknurren, Uebelkeiten, selbst Erbrechen, Krämpfe, 
allerlei Aufregi^gszustände u. s. w. zeigten, wollen wir gern glauben, 
nimmermehr aber, dass diese Erscheinungen durch die Application 
dieser oder jener Substanz direkt hervorgerufen werden. 

Was speciell die Impressionabilität anbetrifft, so ist vollauf 
bekannt, dass man bei Hypnotisirteu im Stadium der gesteigerten 
Muskel- und Nervenerregbarkeit durch einfache Berührung einzelner 
Muskeln eine sofortige Contraction derselben allein oder gleichzeitig 
eine solche der übrigen Muskeln des Gliedes bezw. der Körperhälfte 
hervorrufen kann. Wie darf man da noch staunen, wenn nach Be¬ 
rührung mit einem Fläschen, welches ein Mutterkorn- oder Krähen¬ 
augen-Prä parat oder auch gelegentlich einmal Narceiu enthielt 
(p. 93 Decle), localisirte oder generalisirte Krämpfe eintraten? 
Wenn dann weiter diese gesteigerte Muskelerregbarkeit sich nur 
auf der einen Körperseite zeigte, wie bei der Versuchsperson von 
Decle, so ist ebenfalls durch zahlreiche Versuche erwiesen, dass 
während der Hypnose die eine Körperhälfte allein in lethargischen 
Zustand geratheu kann (Hemilethargie). Ja selbst der acute M. ßa- 
sedowii des Dr. Luys ist wahrscheinlich auf eine abnorme Erreg¬ 
barkeit der Gefässnerven zurückzuführen. Denn wenn wir Dumont- 
pallier (Rev. de l’hypnot. I. p. 91) Glauben schenken, so gelingt es 
nicht selten, bei Hypnotisirten durch einfache Berührung eine An¬ 
schwellung der Brustdrüsen hervorzurufen, warum nicht auch eine 
solche der Schilddrüse? 

Dass der Inhalt des berührenden Fläschchens gleichgültig ist, 
erhellt aus Luys’ eigeneu Versuclisergebnissen, insofern er gelegent¬ 
lich bei Ipecacuauha, die aber nicht wie sonst hinten im Nacken, 
sondern vorn an der Schilddrüse applicirt wurde, ebenfalls die 
Phänomene des acuten M. Basedowii eintreten sah, die sich sonst 
nur bei Application von Thymiauöl gezeigt hatten. Und wer weiss 
nicht, dass nach Emotionen irgend welcher Art der Basedow’sche 
Symptomencomplex in acutester Weise bei vorher scheinbar völlig 
Gesunden sich ausbilden kann? Warum nicht bei hypnotisirten 
Personen mit „nicht equilibrirtem Nervensystem“ in Folge der Auf¬ 
regung, welche die Situation mit sich bringt? 

Geradezu lächerlich erscheint die Erwähnung eines Versuchs, 
wo bei einer Person Uebelkeit eiutrat, wenn mau ihr eine Flasche 
Ricinusöl in die Hand gab. (Chazarain p. 99.) Wie vielen kern¬ 
gesunden Frauen, die einmal Ricinusöl gekostet haben, wird schon 
bei dem Gedanken daran übel! 

Und die Darmcontractionen, welche jene Herren nach Distanz- 
applicationen vou diesen oder jenen Abführmitteln wahrgenommen 
haben! Haben sie niemals von dem hysterischen Darmkollern ge¬ 
hört, welches zum grossen Schrecken der Damen bei der geringsten 
Aufregung und darum besonders häufig in Gesellschaft eintritt? 

Aus dem allen geht hervor, dass die Herren Professoren von 
Rochefort mit einer Unkenntniss, Voreingeuommeuheit und einem 
Mangel an gesundem Menschenverstand experimentirt haben, welche 
in der Geschichte der modernen Medicin ohne Gleichen dastehen. | 
Ein Versuch klappt nicht, es tritt eiue andere Wirkung ein als die 
erwartete, sofort sind sie mit der Erklärung bei der Hand: die 
paradoxe Erscheinung sei wohl als die Folge einer vor der letzten 
probirten Substanz auzusehen. Welche Verblendung gehört dazu, 
wenn nicht blos die Rocheforter, sondern selbst Luys glauben, mit 
ihreu Untersuchungen eine ganz neue Methode für die Therapie 
(p. 301) eröffnet zu haben! 

Nachschrift. 

Erst nachdem mein Manuscript bis hierher bereits fertig gesetzt i 
war, bekam ich die neueste vollständige Arbeit des Herrn Luys 
zu Gesicht: „Les Emotions chez les sujets en etat d’hypnotisme. 
Etudes de psychologie experimentale faites ä l’aide de substauces 
medicamenteuses ou toxiques impressionant ä distance les reseaux 
nerveux peripheriques avec 28 photographies originales. Paris 
1887.“ 


In diesem Titel ist der Inhalt des Buches vollständig wieder¬ 
gegeben : 

1. Herr Luys sieht in den Distanceänderungen wesentlich emo¬ 
tive Aeusserungen und hat den entsprechenden Gesichts¬ 
ausdruck, bez. das sonstige Gebahren der Versuchspersonen 
in 28 Momentphotographieen wiedergegeben. 

2. Er glaubt, dass diese emotiven Aeusserungen hervorgerifen 
werden in Folge von Reizung der peripheren sensiblen Nerveu 
durch die medicamentösen oder toxischen Substanzen, welche 
in den Ceutralorganen jene Reactionen dev motorischen Nerven 
auslösen. Er beruft sich dabei auf eine Aeusserung Brown- 
Sequard’s, „dass man kaum einen sensiblen Theil des thie- 
rischen Organismus reizen könne, ohne mehr oder weniger 
tief das dynamische Gleichgewicht des Nervensystems in 
seiner Totalität, ebenso wie die Reizbarkeit der contractilen 
Gewebe zu modificiren.“ (p. 22) *) 

3. Die Art der emotiven Reaction hängt aber vor 
Allem und durchaus von der speciellen Eigen- 
thümliehkeit der Substanz ab, welche man appli¬ 
cirt, so dass man jede Saite des emotiven Apparates 
durch eine bestimmte Substanz in Vibration ver¬ 
setzen kann. p. 59. So kann man hintereinander 
die Saite des heftigen Schreckens, der Abscheu, der 
Drohung anschlagen und ebenso die der Fröhlich¬ 
keit, der Sanftmuth, der wollüstigen Hingabe, je 
nachdem man die entsprechende Substanz appli¬ 
cirt. 

4. Die Reactionen bei derselben Person sind verschieden, je 
nachdem man sie von der linken oder rechten Seite her 
hervorruft. 

5. Sie variiron ferner, je nachdem man die Röhrchen, welche die 
Substanzen enthalten, über die vorhandenen sensitiven und 
sensoriellen Regionen derselben Versuchspersonen hinführt, 
oder sogar, je nachdem man sie auf Distance vor denselben 
Regionen hin und her führt, ähnlich wie man mit einem 
Magneten verfahren würde, p. 21 u. 22. 

Dies sind die Hauptsätze, welche Herr Luys aus seinen „psy¬ 
chologischen“ Experimenten zieht. 

Wir wollen der Uebersichtliclikeit wegen diese Sätze einen 
nach dem anderen der Kritik unterziehen: 

ad 1. Schon durch den Titel seines Buches hat Herr Luys 
angedeutet, dass er als Distanzwirkung der Medicamente wesentlich 
emotive Phänomene beobachtet hat. Allerdings giebt er p. 10 
an, er habe auch constatiren können, dass solche trophischen 
Vorgänge, welche vou dem vegetativen Leben abhängen, sich eben¬ 
falls unter der reizenden Wirkung gewisser Substanzen zeigen 
können; so Schwellung der Schilddrüse, Turgescenz des Gesichts, 
Störungen in der Function der Inspirationsmuskeln, Beschleunigung 
des Pulses und am Herzen sogar ungeordnete Bewegungen mit 
Stillstand; schliesslich Erbrechen und andere Störungen der gastri¬ 
schen Organe, namentlich Borborygmen. Es dürfte jedoch leicht 
zu beweisen sein, wie aus den folgenden Ausführungen klar hervor¬ 
geht, dass alle diese Störungen des vegetativen Systems als Aus¬ 
druck bez. Begleiterscheinungen der Emotionen anzusehen sind. 
Dies zugegeben, verliert aber die Distanzwirkung der Medicamente 
alles Wunderbare und zu ihrer Erklärung bedarf es nicht der 
Brown-Sequard’schen oder anderer Hypothesen, sondern wir 
haben uns einfach an die allgemein bekannte pathologische That- 
sache zu erinnern: 

ad 2. Hysterische Personen reagiren in gewissen Stadien des 
hypnotischen Zustandes in abnormer Weise auf äussere Reize, in¬ 
sonderheit durch emotive Bewegungen und Körperstellungen. 

ad 3. Die Art der emotiven Reaction hängt nur dann von 
der Substanz ab, mit welcher das Versuchsröhrchen gefüllt ist, 
wenn die Versuchsperson durch das Aussehen oder namentlich 
aber durch den Geruch derselben in einer bestimmten Richtung 
irgendwie beeinflusst wird, ln allen übrigen Fällen aber — und 
das ist die übergrosse Mehrzahl — ist es vollständig gleichgültig, 
ob das Versuchsröhrchen leer oder mit irgend einer Substanz ge¬ 
füllt ist, weil die emotiven Phänomene in Folge von Berührung 
einer Hautstelle oder selbst durch die bei Annäherung des Röhr¬ 
chens entstehende leichte Luftbewegung hervorgebracht werdeu 
können, ausserdem aber und vornehmlich auch durch Suggestion 
und Autosuggestion. Was zunächst die Wahrnehmung der Substanz 
durch den Gesichtssinn anbelangt, so erinnere ich an die Flasche 
Ricinusöl (s. oben p. 9, Anm. 4), welche in die Hand gegeben Uebelkeit 
hervorrief, jedenfalls weil die Versuchsperson bei ihrem Anblick 
an den schlechten Geschmack und die Uebelkeit erinnert wurde, 


*) Brown-Sequard, Influences exerc^es sur l’enc^phale par les nerfs 
sensitifs et sur les nerfs moteurs par les centres nerveux. Communique ä 
l’Academie des Sciences, 1886. 


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12. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 31 


welchen sie früher einmal bei dem Genuss dieses Oels empfunden 
hatte. Was aber den Geruch anbetrifft, so bestätigt Herr Luys 
selbst die Wichtigkeit dieses Sinnes für das Zustandekommen seiner 
Versuchsergebnisse, wenn er p. 61 sagt: „Die Wirkung riechender 
Substanzen auf die Sensibilität, die bis jetzt so sehr vernachlässigt 
ist, gewinnt noch eine neue Wichtigkeit, welche die tiefgehende 
Störung demonstrirt, die jene Substanzen auf das Nervensystem 
ausüben.“ l ) 

Dieser hervorragende Einfluss riechender Substanzen auf nervöse 
und hysterische Personen, auch im nichthypnotischen Zustande, ist 
aber wenigstens bei uns in Deutschland vollständig gewürdigt, in¬ 
sofern die Sachverständigen sich längst darüber klar sind, dass 
Baldrian, Asa foetida, Kampher, Moschus und viele andere stark 
riechende Medicamente ihre Wirksamkeit vorzugsweise oder aus¬ 
schliesslich dem Geruch verdanken. 

In Betreff der von Luys behaupteten specifischen Wirkung der 
einzelnen Substanzen will ich zunächst darauf hinweisen, dass die 
von ihm seinem Buche beigegebenen Photographieen iu keiner Weise 
diese Annahme unterstützen. 

Vielmehr lehrt eine vorurtheilsfreie Vergleichung derselben, dass 
Gesiebtsausdruck und Körperstellung in Fig. 2 uud 5 (Thymianöl). 
Fig. 13 (Spartein). Fig. 18 (Pfeffer), Fig. 21 (Strychuin) und Fig. 23 
(Ipecacuanba) im Wesentlichen dieselben und nur dem Grade uach 
verschieden sind. Luys giebt ja überdies selbst zu, dass er nach 
Ipecacuanha, vorn an der Schilddrüse applicirt, denselben acuten 
Basedow auftreten sah, wie nach Thymianöl. So war es doch wohl 
die mechanische Reizung der Haut über der Schilddrüse durch das 
Versuchsröhrchen, welche den wunderbaren Effect hervorbrachte. 

Dies führt mich auf die Besprechung der wichtigen Rolle, 
welche die Hautreize, auch die minimalsten, überhaupt bei den Ver¬ 
suchsergebnissen spielen. Die Versuchsperson sitzt da in gespannter 
Erwartung der Dinge, die da kommen sollen; jetzt fühlt sie im 
Nacken oder anderswo das unheimlich glatte und kühle Glasröhrchen; 
sollte dies nicht allein genügen, um emotive Aeusserung von Schreck, 
Angst u. s. w. hervorzubringen? Selbst die leise Luftbewegung, 
welche bei Annäherung des Röhrchens an die Haut entstehen muss, 
ist sicherlich im Stande, bei überempfindlichen Personen solche Er¬ 
scheinungen hervorzurufen. Es ist wunderlich genug, dass Herr 
Luys selbst p. 41 darauf aufmerksam macht, wie nach Durnont- 
pallier-) „un simple courant d’air“ solche Phänomene her- 
vorrnfen kann. 

Bei einem anderen Versuche (Fig. 24) sieht die Versuchsperson 
in dem glänzenden Röhrchen, welches sich ihrem Gesicht nähert, 
offenbar ein Mordinstrument: daher der Ausdruck des starren 
Schreckens, den Herr Luys als Wirkung des in dem Röhrchen ent¬ 
haltenen Strychnins deutet. Ueberhaupt können wir au ihm, wie 
an vielen der französischen Collegen, welche in Sachen des Hypno¬ 
tismus gearbeitet haben, sehen, wie leicht mau sich bei solchen 
A ersuchen dazu hinreissen lässt. Dinge zu sehen, die ein nüchterner 
Beobachter gar nicht sehen kann. Fig. 20 ist die schaurige Kirch¬ 
hofsscene photographisch dargestellt, welche Herr Luys als Baldrian¬ 
wirkung beschreibt. Man sieht eine Person knieend und zur Erde 
gebeugt mit den Händen ein kleines Erdhäufchen zusammenscharren. 
Herr Luys deutet das Gebahren der Person so: „sie ist auf einem 
Kirchhof an der Erde niedergekniet uud zeigt Neigung den Boden 
zu kratzen. Sie hat eine Exhumation gemacht und ein Grabhügel¬ 
ehen hergestellt“ (s. dasselbe ausführlich oben p. 9, Anm. 10). Da 
wäre es doch wahrhaftig einfacher mit den Herren Bourru und 
Burot zu sagen: „Alles Katzenbrauch!' 4 

Herr Bern he im sieht in den sogenannten Medicament Wirkungen 
auf die Versuchspersonen nur Suggestiou und er hat für viele Fälle, 
wie wir gesehen, vollständig Recht (s. u.II. Ueber Suggestiou). Wir gehen 
weiter und sagen: nicht nur die Versuchspersonen, sondern auch 
die Experimentatoren stehen unter dem Einfluss der Suggestion. 
Sonst könnten sie aus ganz richtig beobachteten Versuchen nicht 
so ganz abstruse Schlüsse ziehen. Herr Luys z. B. applicirt ein 
leeres Röhrchen derselben Person (wir werden sehen, dass er im 
Grunde überhaupt nur mit einer einzigen experimentirt hat): sie 
macht dieselben Grimassen wie vorher bei mit irgend einer Substanz 
gefülltem Röhrchen. Er füllt das Röhrcheu mit Aqua communis: 
rie (Esther) zeigt die Symptome der Hydrophobie, 3 ) ebenso eiue 
andere (Gabrielle). Statt nun den einzig zulässigen Schluss zu 
riehen: Sintemalen Luft und gewöhnliches Wasser dieselben oder 
»ogar noch schrecklichere Erscheinungen hervorbringen, so ist es 
»ollstindig gleichgültig, welche Substanz man mit der Versuchs¬ 
person in Connex bringt, erklärt Herr Luys die Phänomene bei 

*) Bei der Uebersetzung dieses wie der übrigen Citate ist absichtlich 
»ehr auf Treue als auf Eleganz Rücksicht genommen. Daher die Beibe¬ 
haltung der Fremdwörter. 

*) Comptes rendus de la Soc. de Biol. 1881, 82, 83, 84. 

*) Auch hier muss diese Deutung, den Photographieen (Fig. 16 u. 26) 
nach zu urtheilen, als eine durchaus willkürliche bezeichnet werden. 


dem Versuche mit dem leeren Röhrchen als Wirkung des Glases 
als chemischer Verbindung, (Kieselsäure u. s. w.) und die bei dem 
zweiten als Effect des Protoxyde d’hydrogene! Und da die Hydro¬ 
phobie bei Füllung der Röhrchen mit einer in Wasser gelösten oder 
suspendirten Substanz sich nicht zeigt so wird die Wirkung des 
Wassers durch die der aaderen Substanz neutralisirt! 

Doch genug! Nur noch einen Blick auf die Versuchs¬ 
personen, und das Wunderbare der Actions ä distance wird in 
noch hellerem Lichte erglänzen! Von Versuchspersonen kann 
überhaupt nicht die Rede sein, denn im Grunde hat es Herr Luys 
in seinem Buche nur mit eiuer einzigen Veruchspersou zu thun. 
Diese Person, Esther, ist auf den 28 Photographieen, welche Herr 
Luys giebt, nicht weniger als 24 Mal in ihrem verschiedenen 
emotionellen Gebahren dargestellt; die übrigen 4 Photographieen 
beziehen sich auf eine auderc weniger ergiebige Versuchsperson, 
Gabrielle. 

Ueber jene Esther, welche zur Zeit der Versuche 20 Jahre 
alt, seit 7 Jahreu an schwerer Hysteroepilepsie litt, berichtet Herr 
Luys selbst, p. 73, Folgendes: Nach einem bewegten Leben als 
Arbeiterin in einer Druckerei, Tänzerin am Theater und Sängerin 
und bei einer ausgeprägten Vorliebe für theatralische Vorstellungen, 
Gerichtsverhandlungen und alle Seaudalscenen, die sie nach 
Möglichkeit zu befriedigen gesucht hatte, weilte sie seit 5 Jahren 
als Kranke iu der Salpetriere, wo sie vollauf Gelegenheit hatte, 
alle grotesken hysterischen und hypnotischen Phänomene an ihren 
Mitkranken zu studiren. An diesen im höchsten Grade impressio- 
nableu Subject, welches „eine reichmöblirte Einbildungskraft“ 
(immagination richement meublee), wie Herr Luys p. 73 selbst 
sagt, besass. machte dieser, nachdem er sie zu dem Zweck jedes 
Mal hypnotisirt hatte. seiue Versuche mit 87 verschiedenen 
Substanzen! 

Ich denke, das genügt, um Herrn Luys durchaus Glauben zu 
schenken, wenn er versichert: „Das Subject wird im hypnotischen 
i Zustand ein wahrer Apparat von Sensibilität, ein wahrhaftes 
Reagens von extremer Feinheit, welches durch infinitesimale 
Vibrationen des umgebenden Mediums in Erschütterung ver¬ 
setzt wird.“ 

Wir glauben es und schliessen. ! ) (Fortsetzung folgt.) 

VI. Feuilleton. 

Mittheilungen aus der medicinischen Klinik und Poliklinik 

in Bonn. 

Vou Professor Rühle. 

(Fortsetzung aus No. 1.) 

Um nuu dem Studireuden dennoch die Gelegenheit zu bieten, 
sich mit den Specialfacheru bekannt zu machen, uud dabei die 
Nachtheile einer vorzeitigen Zersplitterung möglichst zu vermeiden, 
halte ich die Vereinigung der klinischeu Uebungen derselben unter 
einem Dache für das Hauptmittel. Hierdurch gelingt es, eiue hin¬ 
reichende Menge Beispiele zur Krankendemonstration zu beschaffen, 
an denen der Zusammenhang, die Abhängigkeit eines Localleidens 
von einem Allgemeiuleiden, oder Leiden anderer Organe und somit 
die allein richtige Auffassung der Specialität zu ihrem Mutterboden 
klar gemacht werden kann. 

Von diesem Gesichtspunkt bin ich auch bei der Einrichtung 
der hiesigen mediciuischeu Klinik ausgegangen, indem ich nicht nur 
, eine besondere Kinderpoliklinik von der allgemeinen abgezweigt, 
dafür besondere Stunden angesetzt uud ihr Material einem jüngeren 
Docenten zur Verwerthung überlassen habe, sondern auch für die 
j Neuropathologie resp. Elektrotherapie, dieRhino-pharyngo-laryngologie 
Locale hergegeben, um mit den Vertretern dieser Fächer gemeinsam 
arbeiten und das Unterrichtsmaterial vervielfachen zu können. 

Ausser dem so leicht verständlichen Vortheil, den die Studireu¬ 
den haben, wenn sie denselben Fall, den sie in seiner Allgemein¬ 
bedeutung bei einer klinischen Demonstration kennen gelernt haben, 
nun in seiuem Einzelinteresse als Kehlkopf- oder Nerven- etc. 
-Leiden in der betreffenden Demonstration Wiedersehen —, wird 
ihnen auch am besten Gelegenheit zur Dissertationsarbeit gegeben 
und den strebsamen Docenten Material zu Forschung uud Unterricht 
gewährt, welches ihnen noch obendrein den Zusammenhang mit der 
Gesammtklinik darbietet. Am Leichentisch finden sich gelegentlich 
die verschiedenen Beobachter zusammen, und der Austausch ihrer 
Beobachtungen und Anschauungen kann Jedem zum Nutzen ge¬ 
reichen. 

Die Nothwendigkeit, den allgemeinen klinischen Unterricht noch 
durch besondere Uebungen zu vervollständigen, in denen die 

l ) Die Punkte 4 u. 5 haben schon in dem früher Gesagten ihre Er¬ 
ledigung gefunden. 


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32 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Untersuchungsmethoden gelehrt werden, zu denen eine besondere 
Technik gehört, die mau sich nur durch längeren Fleiss und Aus¬ 
dauer aneignen kann, hat man seit der Entdeckung der Auscultation 
eingesehen, und die Auscultation und Percussion, später die „physi¬ 
kalischen Untersuchungsmethoden“, fanden immer beim klinischen 
Unterricht ihre Stelle. Nicht lange, so kamen auch Chemie und 
Mikroskopie hinzu, so dass heute eine Propädeutik von stattlichem 
Umfange als integrirender Bestandteil des Unterrichtes überall 
gelehrt und geübt werden muss, welchen der klinische Lehrer allein 
durchzuführen wohl selten in der Lage sein wird. Hierorts lehren 
zwei Docenten, sich ergänzend diese Fächer, und wenn man von 
der Bacteriologie soviel, als bereits von dem Gebiete der Forschung 
auf das Gebiet der Lehre übergegangen ist, den Studirenden zu 
zeigen für unentbehrlich hält,* so hat sich diese Propädeutik bereits 
so gefüllt, dass gewiss ein Docent nicht im Stande ist, sie zu ver¬ 
treten; dass nun gerade diese Zweige, die physikalischen, chemischen 
und mikroskopischen Untersuchuugsmethoden nur in den Kliniken 
selbst gelehrt und bearbeitet werden können, ist selbstverständlich. 
Während also früher der Direktor der medicinischen Klinik allein 
den Unterricht besorgte, müssen sich heut 5-6 Docenten in die 
Arbeit theileu, Alles das vorzutragen und einzuüben, was das Gebiet 
dieses Unterrichtes zusammensetzt. Es kann somit heute nicht mehr 
von Kliniken im früheren Sinne, sondern nur von klinischen Instituten 
die Rede sein, einem Complex von Apparaten und Unterrichtsmitteln, 
die von dem Krankenmaterial der Klinik in Bewegung gesetzt, einer 
Mehrheit von Docenten Stoff zu Arbeit uud Uebung im Unterricht 
gewährt, denen der Direktor der Klinik fördernd zur Seite stehen mag. 

Von diesem Gesichtspunkt aus besteht die hiesige medicinische 
Klinik aus einer Unterrichtsabtheilung und einem Krankeuhause, 
die in unmittelbarster Verbindung, doch durch besondere Eingänge 
zugänglich sind, so dass die Studirenden und die poliklinischen 
Kranken niemals durch das Krankenhaus zu gehen haben. Im 
Unterrichtsflügel befindet sich das klinische Auditorium, das klinische 
Laboratorium, die Räume für Elektrotherapie und Lnryugologie, 
die poliklinischen Wartezimmer und das Zimmer des Direktors. 
Die Krankenabtheilung besteht aus grösseren Sälen und einer Reihe 
Einzelzimmer, der Wohnung der Assistenzärzte und der klinischen 
Bibliothek. 

Die Krankensäle sind im Pavillonsystem gebaut und enthalten 
je 12 Betten, ausserdem aber soviel Raum, dass der Lehrer die 
Studirenden ohne Belästigung für die Kranken in den Saal führen 
kann. Solcher Säle sind fünf, ausserdem noch ein zu 8—10 Betten 
eingerichtetes, nach Süden gelegenes Zimmer, in welchem zunächst 
die männlichen Phthisiker hauptsächlich Platz finden. Die Einzel¬ 
zimmer, in denen meist Kranke 1. und 2. Classe placirt werden, 
können noch 12—14 Kranke aufuehmen, und endlich gehört den auf 
demselben Terrain vereinigten Kliniken ein Isolirhaus gemeinschaftlich, 
iu welchem sowohl die für die chirurgische Klinik besonders gefähr¬ 
lichen Erysipele, Diphtheritis etc., sowie etwa vorkommende acute 
Exantheme untergebracht, vou den Aerzten der medicinischen Klinik j 
behandelt und von einem nur für dieses Haus bestimmten Warte- j 
personal gepflegt werden. 

Seit der Uebersiedelung der Klinik in diese neuen Räume hat 
sich das Material der Klinik verdoppelt und die Zuhörerschaft 
verdreifacht; die Erwartungen, die bei den ersten Anfängen an die 
Neugestaltung unserer Kliniken geknüpft wurdeu, sind weit über¬ 
troffen. 

Was die äussere Form des Unterrichts anlangt, so werden täg¬ 
lich l'/i Stunden zur klinischen Demonstration verwendet, resp. in 
derselben Zeit die vorkommenden Sectionen vom Professor der pa¬ 
thologischen Anatomie gemacht. Auf 10 Uhr ist die poliklinische 
Freistunde angesetzt, so dass sich die Rath holenden Kranken vor 
Beginn der Klinik in den Wartezimmern befinden, und ich mir | 
die geeigneten Fälle auswählen kann, die ich in der bevorstehenden 
Stunde zu demonstriren und zu besprechen beabsichtige. Dies ge¬ 
schieht im Auditorium, dessen aufsteigende Bankreihen ein bequemes 
Sehen gestatten, und werden die Kranken auf einer Matratze ge¬ 
lagert resp. auf einem erhöhten Sessel sitzend untersucht. Nach 
dem Auditorium lasse ich auch diejenigen Kranken von der Ab- j 
theilung kommen, die nicht schwer bettlägerig krank sind. Diese 
Letzteren aber werden auf den Sälen besucht und vorgestellt, und 
geschieht ein Gleiches bei wiederholten Demonstrationen schwer 
Kranker, die zur Vorführung des Krankheitsverlaufes, insbesondere 
bei acut fieberhaften Krankheiten nothwendig sind und bei denen 
ein ebenso häufiges Transportiren uach dem Auditorium eine 
Barbarei wäre. Nach den Sectionen gebe ich jedesmal über den 
Fall eine ausführliche Epicrise, in der ich mich besonders bemühe, 
den Sectionsbefund in ungezwungenem Zusammenhänge zu erklären , 
und den Wahrnehmungen am Lebenden gegenüberzustellen. Nicht ! 
weniger aber benutze ich aucli alle nicht unmittelbar zum Ver- 1 
ständniss des letzten Krankseins gehörigen Befunde, sowie die I 
Sectionen anderer Abtheilungen, denen ich wo möglich immer bei- I 


No. 2 


| wohne, um das Verständniss und die richtige Auffassung der 
| Krankheitsproces.se daran zu fördern und zu erläutern. Deuu ich 
! halte an der Erfahrung fest, dass derjenige, welcher, um mich 
i kurz auszudrücken, einen Cruveilhier’schen Atlas in seinem 
i Kopf hat, am Krankenbett am sichersten Vorgehen wird. Zu den 
' Glücksumständeu, die mich in meinem Beruf begleitet haben, 
rechue ich stets deu, dass es mir von meiuer Studentenzeit, vou 
1845 ab, vergönnt war, eine ungewöhnliche Menge Sectionen zu 
seheu uud besonders auch in meiuer Breslauer Zeit selbst zu 
machen. Letzteres dürfteu wenigstens 4000 sein. 

Durchschnittlich verwende ich iu jedem Semester 300 Krauk- 
i heitsfälle zur Demoustration, gebe 20—30 Epicrisen und erstatte am 
Ende des Semesters eine nach Krankheitsgruppen geordnete Ueber- 
1 sicht des gesammten zu den klinischen Besprechungen verwendeten 
! Materials. Da ich dieser Gewohnheit von Anfang an treu gebliebeu 
bin, so kann ich nach den 46 Semestern meiuer Bonner Lehrthätig- 
keit wohl der Befriedigung Ausdruck geben, dass jedes Semester 
Gelegenheit geboten hat. das Gesammtgebiet der spe- 
cielleu Pathologie und Therapie zur Besprechung und 
Demonstration zu bringen. 

Wenn ich bei der Aufstellung der verschiedenen Gruppeu die 
Infectionskrankheiten noch nicht nach neuesten Mustern zusammen¬ 
zufassen pflege, sondern z. B. die Pneumonie noch als Lungen¬ 
krankheit gelten lasse, so bekenne ich, dem anatomischen Eiu- 
theilungspriucip vor dem ätiologischen einstweilen noch den Vorzug 
zu geben und hierbei iu erster Reihe Zweckmässigkeitsrücksichten 
für den Unterricht zu nehmen, als Principieu reiteu zu wollen. 

Eine solche Repetitio halte ich gerade für den angehenden 
Arzt sehr erspriesslich, der sich gewöhnen soll, seine Wahrnehmun¬ 
gen in der Praxis treu im Gedächtniss zu behalten; und reichhaltig 
genug ist der Ueberblick über ein klinisches Semester, um schon 
an solchem Abschnitt eine Rückschau zweckmässig erscheinen zu 
lassen, wie ich solches durch das folgende Beispiel erläutern will. 

„Schlussvortrag über das Sommersemester 1887.“ 

Im vergangenen Sommersemester habe ich 295 Fälle deraon- 
strirt, davon natürlich viele zu wiederholten Malen, und ich hebe 
aus diesem Anschauungsmaterial das Wichtigere in Folgendem hervor. 

1. Unter den Krankheiten des Blutes erinnere ich Sie an die 
Fälle ächter Chlorosen, bei denen ich besonders Gelegenheit 
nehmen konnte, Ihnen die Differentialdiagnose der chlorotischen 
Herzerscheinungen gegenüber deu Klappenfehlern zu erörtern. Ein 
Irrthum kann in solchen Fällen einem Anfänger leicht begegnen, 
aber die Folgeu könuen für den Patienten fatal sein, denn die The¬ 
rapie der Klappenfehler und der Chlorose sind gewissermaassen 
Antipoden. 

Den Fall einer hochgradigen Anämie bei einer Frau von 
30 Jahren betrachtete ich als eine Anämia peruiciosa progressiva 
(Bieriner), weil neben den Erregungserscheinungeu und dem lauten 
Herzgeräusch Temperatursteigeruug und Druckschmerz am Sternum 
vorhanden war. 

Von Leukämieeu kamen 4 Fälle vor. Zwei davon wurden 
aufgenommen und davon der eine, eine 33jähr. Frau, durch Sauer¬ 
stoffinhalationen einigermassen gebessert, da das ursprüngliche Ver¬ 
hältnis der farblosen Blutzellen zu den farbigen von 1: 3 auf 1 : 13 
gebracht wurde, die Milzdimension abnahm und das Allgemeinbe¬ 
finden nebst dem Körpergewicht sich hob. In dem anderen Falle 
kam es zur Section. Der 45jälir. Mann zeigte, wie die anderen 
Fälle, auch seinerseits sowohl bedeutende Lymphdrüseuschwellung, 
als eine bis zur Linea alba unterhalb des Nabels herabreicheude 
Milz. Sie erinnern sich, dass ich Sie Alle die lncisur an dem Milz¬ 
tumor habe fühlen lasseu, dieses zur Unterscheidung einer Milzge¬ 
schwulst von anderen Tumoren so wichtige Merkmal. Der Mann 
lobte die Sauerstoffinhalationen (jedesmal 30 Liter), die ihn un¬ 
mittelbar belebten, sehr, musste dringender Besorgungen halber 
einige Tage nach Hause, kam von dort mit einem bedeutenden 
Erguss in der linken Pleurahöhle, in sehr bedauerlichem Zustand 
wieder zurück und erlag bereits 2 Tage nach seiner Rückkehr. Das 
Pleuraexsudat war in hohem Grade hämorrhagisch und füllte den 
ganzen linken Thorax, die Milz war ohne Infarcte, von echt leukä¬ 
mischem Charakter, und sämmtliche Lymphdrüsen, zumal auch die 
de Bauchhöhle, waren ganz erheblich, manche bis zu Hühnerei¬ 
grösse geschwellt. Das Auffallendste war, dass sie sämmtlich aussen 
und innen von der Farbe einer frisch hyperämischen Milz waren, 
ein Befund, den ich noch nie gesehen habe und der vielleicht mit 
den Sauerstoffinhalationen zusammenhängt. Das Mark der Knochen 
war hochgradig verändert, in einen schmutzig graurotheu Brei ver¬ 
wandelt. 

Von den Infectionskrankheiten kamen Abdominal¬ 
typhus, Scharlach, Diphtherie, Gesichtserysipel uud 
acuter Gelenkrheumatismus vor. 

Die Typhen waren nur mittelschw-er, bei dem eiueu derselben 
war das Krankheitsbild durch die Deutlichkeit der Darmaffection, 


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12. Jaimar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 33 


der Roseola, des zu- und abnehmenden Milztumors und des typischem j 
Fieberverlaufes ein besonders lehrreiches, ln einem anderen Falle i 
machte ich Sie aufmerksam auf den im Anfang zu beobachtenden 
Herpes labialis, den mau früher (z. B. Oppolzer) als ein sicheres 1 
Zeichen gegen die Diagnose Typhus betrachtete. Auch die Ery¬ 
sipele waren nicht schwerer Art, zwei davon zeichneten sich durch j 
ihre häufigen Recidive aus, befielen immer die Nasengegend und 
Hessen sich auf Eocalerkrankung der Nasenschleimhaut zurückführen, 
daher die Therapie gegen diese gerichtet wurde. Der eine Fall 
aber, der in der Poliklinik erschien, erwies sich als eine Gesichts- 
phicgmone, die durch einen giftigen lnsectenstich erzeugt war. 

Einige andere Falle wurden im lsolirhaus gepflegt, wohin ich 
auch den schweren Diphtheriefall bei einem fijähr. Knaben diri- ( 
girte. den die Eltern der Klinik übergaben, um ihre anderen Kinder 
vor Ansteckung zu schützen. Das Fieber war sehr hoch, die 
Rachenaffection sehr intensiv und von einer ganz auffallend starken ( 
Ly inphdriiseuschwelhmg in der Unterkiefergegend begleitet —, da 
aber der Laryux frei, die Respiration ungestört und kein Kiweiss | 
iui Harn war, erschien die Prognose noch nicht schlecht. Am | 
4. Tage der Krankheit traten heftige t'erebralerscheinungen in 
rascher Entwickelung und der Tod in voller Bewusstlosigkeit ein. 
Die Section ergab eine ganz auffallende venöse Hyperämie der Hirn- ; 
häute und der Grosshirnsubstanz selbst, hingegen keine anderweiti- ! 
gen Befunde zur Erklärung des tödtlicheu Ausganges, und ich hielt 
mich berechtigt. Ihueu diese acute venöse Hyperämie, deren Grund | 
wohl in der auffallend starken Drüsenschwellung zu suchen war, ( 
analog den Befunden bei dem Delirium acutum der Geisteskranken 
als Todesursache hinzustellen; leider hatte die energische Eisbe- j 
hnndlung diese Lymphdrüseuschwellung und die Hiruhyperämie ! 
nicht in Schranken zu halten vermocht. 

Die Scharlachfalle und ihren Verlauf mögen die Herren .im | 
Gedüchtniss behalten, die vou der Kinderpoliklinik aus Gelegenheit i 
gehabt haben, das lsolirhaus zu besuchen. 

Die 4 Fälle vou acutem Gelenkrheumatismus waren nur 
leichter Art; aber der eine derselben war denuoch mit Endocarditis ' 
coinplicirt. welche eine Insuff. valv. mitral, bewirkt hatte. 

(Fortsetzung folgt.) 


VH. Referate und Kritiken. 

F. W. Warfvinge. Fern fall of tuberkulös meningit med 
framgang behandlade med ingnidning af jodoformsalva. 

(Fünf Fälle von tuberculöser Meningitis durch Jodoformsalbe j 
geheilt.) j 

Derselbe. Om antipyres. (Ueber Autipyrese.) 

Derselbe. Arsberättelse (den attende) fran Sabbatsbergs 
Syukhus i Stockholm för 1886 . (Achter Jahresbericht über 
das Krankenhaus Sabbatsberg in Stockholm, für das Jahr 1886.) 
Stockholm, Isaac Marcus, 1887, 265 S. — Referent Max Salomon. 

1. Warfvinge, dem die Therapie schwerer Krankheiten schon 

manche Fortschritte verdankt (ich erinnere speciell an die Arsenik- | 
behandlung der progressiven pernieiösen Anämie) berichtet hier über 
den günstigen Einfluss der vou Molescliolt und Nilsson ein- ' 
pf<ddenen Einreibungen mit .Todoformsalbe bei tuberculöser Menin- | 
gitis. Verf. gesteht allerdings die Möglichkeit eines Irrthums in der | 
Diagnose dieser Krankheit, einer Verwechselung mit Meningitis¬ 
formen von besseren Prognosen zu (giebt es doch Aerzte, die ohne 1 
weitere Prüfung hei jeder Mittheilung einer Heilung \on Hydroce- l 
phalus acutus eiuen Diagnosen-Irrthum anuehmen, die Krankheit | 
für absolut unheilbar erklären — Ref.). meint aber ganz riclitig, es 
wäre kaum anzunehmen, dass er sich in allen fünf Fällen geirrt 
haben sollte. Die Behandlung bestand in zweimal täglicher Ein- j 
reibung der rasirten Kopfhaut mit Jodoformsalbe (1 auf 5 Vaselin) ; 
und folgender Einwickelung mit impermeablem Tafft. In den ver- , 
schiedenen Fällen waren die Einreibungen resp. 17, 19, 30, 32 und : 
9 Tage nntlnvendig, das Alter der Kinder betrug 9, 14, 7, 13. 3'/<; 
.lalire. Die heilsame Wirkung der Behandlung zeigte sieh schon 
nach wenigen, längstens acht Tagen, das Endresultat war völlige | 
Genesung, deren Bestaud in den meisten Fällen noch nach Monaten 
n.nstatirt werden konnte. Solche Resultate fordern dringend zur 
Nachprüfung auf. | 

2. Je mehr in ätiologischer Hinsicht die Bedeutung der Mikro- 1 
ben für eine ganze Reihe fieberhafter Krankheiten hervortritt, um 
so mehr wächst auch bei uns in Deutschland die Opposition gegen 
die eine Reihe von Jahren die absolute Herrschaft behauptende 
Lehre, dass in diesen Fiebern die hohe Körpertemperatur die Haupt¬ 
schädlichkeit bilde, dass es zur Erzielung eines guten Ausganges 
vor allen Dingen darauf aukomme, um jeden Preis die Temperatur i 
lierab/usetzen. Diese Lehre nahm eigentlich ihren Ausgang von , 


der hauptsächlich durch Brand iuaugurirten Kaltwasserbehandlung 
des Ahdominaltyphus. Während aber Brand seiner Methode 
eine Specifieität gegen diese Krankheit zuschrieb und keineswegs 
nur Gewicht auf die Wärinecntziehung legte, verwarfen seine 
Nachfolger von Jiirgensen an seine Ansichten als unwissenschaft¬ 
lich, als phantastisch, und erklärten, das einzig Deletäre wäre die 
erhöhte Eigenwärme, das Bestreben des Arztes müsse darauf 
gerichtet sein, dieselbe möglichst auf die Norm herunterzu¬ 
drücken. Die Folge dieser Lehre war das Suchen nach und das 
Auffinden von einer ganzen Anzahl vou Mitteln, die im Stande sind, 
diesem Zwecke zu dienen, ohne die Unbequemlichkeiten uud Un- 
zuträglichkeiten der Hydrotherapie zu haben. Solcher Antipyretica 
sind uns nun im Laufe der Jahre eine ganze Reihe vorgeführt und 
zum Tlieil enthusiastisch gepriesen worden, ohne doch, vom Chinin 
abgesehen, bei aller ihnen nicht abzusprechenden temperatureruiedri- 
genden Kraft, auf das Mortalitätsverhältniss der Krankheiten von 
wesentlichem Einflüsse zu sein, sicher ohne, auch nach unserer 
Ueberzeugung mul Erfahrung, in Betreff der günstigen Einwirkung 
mit der Kaltwasserbehandlung in Coneurrenz treten zu können. 
Immer mehr bricht sich wieder die alte Ansicht Bahn, dass die er¬ 
höhte Körpertemperatur der Ausdruck des Heilbestrebens der Natur 
sei, eine Keactiou gegen die Infeetiou. dass das Fieber an sich nicht 
das Schädliche repräsentire. dass nur gegen seine Ausschreitungen 
vorzugehen sei. Es lässt sich die Lehre wohl so formuliren, dass 
dasjenige Mittel in den Fiebern den Vorzug verdiene (und wahr¬ 
scheinlich verlangen die verschiedenen Infcctionskrankheiten auch 
verschiedene Mittel), das neben seiner antipyretischen Eigenschaft 
die Fähigkeit besitzt, den Körper in seinem Kampfe mit den Mi¬ 
kroben durch Aufrechterhaltung der Kräfte, Anregung der Nerven¬ 
tätigkeit, der Hnutthütigkeit u. s. w. zu unterstützen mul direkt die 
Mikroben unschädlich zu machen. 

Auf diesem Standpunkte steht auch Warfvinge. und zwar 
hat er denselben schou im Jahre 1877 bei Gelegenheit eines Vor¬ 
trages in der Gesellschaft Schwedischer Aerzte präcisirt. Gestützt 
auf die Beobachtung einer grossen Anzahl von Krankheitsfällen 
(2239 exanthem. Typlien, 536 Abdominaltypheu, 1096 Pneumouieen) 
sucht er darzuthun. dass nicht die Temperatursteigeruug das Ver¬ 
derbliche sei. dass weder in Betreff des günstigen noch in Belieft' 
des ungünstigen Ausganges ein wesentlicher Einfluss der Wärme¬ 
steigerung nachzuweisen sei. Den gewiss nicht zu bezweifelnden 
heilsamen Einfluss der Antipyretica sucht Warfvinge mehr in 
ihrer gleichzeitigen antiseptischen Wirkung, und besonders auf die.se 
Eigenschaft hin und in der Hoffnung, für die eine oder die andere 
Krankheit das ihr zusagende (specifische) Mittel zu finden, hat er 
die gebräuchlichen Antipyretica einer grösseren Versuchsreihe 
unterworfen. Es sind dies die Kaltwasserbehandlung, Chinin. 
Salicylsäurc, Carholsäure, Hydrochinon, Resorcin, Thy¬ 
mol, Naphthalin, Chinolin. Kairin, Antipyrin, Tliallin. 

Wir können hier nicht näher auf alle einzelnen Ausführungen 
des Verfassers eingehen, nur einzelne derselben, die ein besonderes 
Interesse erregen, sei uns gestattet kurz zu erwähnen. So be¬ 
zweifelt W., dass das allerdings in den letzten 20 Jahren ungleich 
bessere Resultat der Abdominaltyphus-Beliandlung eine Folge der 
eingeführten Hydrotherapie sei. Es kämen da, abgesehen von dem 
wechselnden genius epidemicus, die grossen Veränderungen zum 
Besseren in Betracht, die in Bezug auf die sanitären Einrichtungen 
der Krankenhäuser und auf die allgemeinen hygienischen Maass- 
regeln den Kranken gegenüber, wie die Diät, sich allmählich heraus¬ 
gebildet haben. Von wesentlichem Einflüsse sei auch die mit der 
und durch die Wasserbehandlung gleichzeitig eingeführte Thermo- 
metrie gewesen, die eine frühzeitige Diagnose und somit auch eine 
frühzeitige geeignete Therapie ermögliche. W. giebt aber anderer¬ 
seits zu, dass die Hydrotherapie von günstiger Wirkung auf den 
Typhuspatienten sei. dass dabei dessen ISomnoleuz und Delirien 
sich verminderten, der Puls kräftiger würde. Eiue consequeute 
Kaltwasserbehandlung hat Verf. nicht angewandt, sondern das kalte 
Bad nur verordnet, wenn es ihm uötliig schien, auf die Nerven- 
centren einzuwirken. Zur Temperaturherabsetzung der Kranken 
hätten wir in den antipyretischen Medicamenteu weit geeignetere 
uud rationellere Mittel, insofern diese neben einer möglicherweise 
antiparasitäreu Wirkung die Wärmeproduction verminderten, 
wogegen durch das kalte Bad die Wärmeproductiou und somit die 
Consumption der Körpergewebe vermehrt würden. 

Während Ref. diesen Ausführungen des Herrn Verfassers eut- 
gegentreten und betonen muss, dass nach seinen Erfahrungen eiue 
consequent durchgeführte methodische Wasserbehandlung (Ref. zieht 
die allmählich abgekühlten den kalten Bädern vor) vou keiner 
anderen Therapie des Typhus an günstiger Einwirkung erreicht 
wird - stimmt er dagegen aus vollem Herzen der Verwerfung der 
Hydrotherapie bei Pneumonie zu; die von Jürgensen erzielte 
Mortalität von 12,7 % hat wirklich nichts Verlockendes. 

Interessant sind Verfassers Mittheilungen über die Behandlung 


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34 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2 


des Abdominaltyplnis mit Carbolsäure (nach dem Vorgauge von 1 
Deplats). Das Mittel wurde meistens in Klystiren. selten innerlich i 
in einer Dosis von 50 Ccntigramm auf 150 g Wasser morgens und | 
abends bei 178 Fällen angewandt; es kürzte den Krankheitsverlauf, j 
den exspectativ behandelten Fällen gegenüber, um 5 Tage ab, : 
milderte die Symptome und gab eine massige Mortalität von ca. 
6.2 %. wobei zu beachten, dass die milder verlaufenden Fälle von 
der Carbolbehandlung ausgeschlossen waren. 

Das Antipvriu ist nach Verf. das kräftigste, am wenigsten 1 
unzuträgliche (mässige Scl^veisse, geringer Frost beim Wiederan¬ 
steigen der Temperatur) und gefahrloseste Mittel im Typhus; nur 
in einem Falle trat ein leichter Collaps ein; die Mortalität stellte 
sich allerdings bei 84 Patienten auf 8,3 %. Die von dem Herrn 
Verf. gegebene, auch bei uns in Deutschland ja vielfach beliebte 
Analyse der Todesfälle (reiner Fiebertod, schwereCoinplieutionen etc.), 
um durch Ausscheiden einer Anzahl der letzteren die Wirkung des 
Mittels günstiger erscheinen zu lassen, ist, wie immer wieder 
betont werden muss, nicht angebracht — es waren einfach Todes¬ 
fälle in Folge von Abdominaltyphus. 

Aus der eingehenden. (67 pp.) Abhandlung des Herrn Verf.’s 
lässt sich ein Uebergewicht der medicamentösen Behandlung des 
Abdorainaltyphus über die Hydrotherapie desselben (die vortheilhaft 
durch abendliche Chinindosen unterstützt wird) durchaus nicht cou- 
struiren. Sämmtliche Medicainente, mit Ausnahme des Chinins, sind 
Herzgifte, keinem ohne Ausnahme kommt die erfrischende, erregende 
Eigenschaft des kalten Bades zu. 

In seinem Resume geht Verf. näher auf die Art und Weise ein. 
wie die Antipyretica die Temperaturherabsetzung bewirken, und 
sucht nachzuweisen, dass dies weder durch eine direkte Einwirkung 
auf die Wärraeregulirungsceutren des Organismus, noch durch eine 
direkte Verminderung der Wärmeproduction oder eine vermehrte 
Wärmeabgabe geschieht. Er schreibt diese Eigenschaft der Mittel 
vielmehr ihrer Fähigkeit zu, auf die Mikroorganismen, die wahr¬ 
scheinlichen Ursachen der lufectionskrankheiten, zerstörend oder 
lähmend einzuwirken. Es spricht nach W. auch dafür, dass die 
Antipyretica, selbst die kräftigsten, nicht in allen Infectionskrank- 
heiten gleich wirksam sind, was doch der Fall sein müsste, wenn 
es nur darauf ankäme, die Körpertemperatur zu erniedrigen. Bei¬ 
spiele dafür sind Chiuiu und Salicylsäure, jenes gegen Intermitteus, 
dieses gegen acuten Gelenkrheumatismus. Es muss daher unser 
Bestreben sein, gegen die verschiedenen Infectiouskrankheiten die 
geeignetsten Antipyretica zu finden uud nicht zu glauben, dass ein 
Mittel, weil es stark wärmeherabsetzeud ist, auch in allen mit 
starker allgemeiner Wärmeeutwickelung einhergehendeu Krankheiten 
heilsam wirken müsse. 

Die Abhandlung des Herrn Verf.’s, die wir nur in ihren Grund¬ 
zügen wiedergeben konnten, ist eine sehr anregende und verdient 
bei ihrer ruhigen, objectiven Erörterung der verschiedenen Gesichts¬ 
punkte, gestützt auf ein umfangreiches Versuchsmaterial, die höchste 
Beachtung. 

3. Der von Warfvinge als Krankenhaus-Direktor und Ober¬ 
arzt der medicinischen Abtheilung herausgegebene Jahresbericht 
bringt neben einer ausführlichen medicinischen und ökonomischen 
Statistik des Krankenhauses Sabbatberg für das Jahr 1886 eine 
Reihe von Abhandlungen aus den verschiedenen Gebieteu der Me- 
dicin, deren Verfasser als Oberärzte oder Assistenzärzte dem genannten 
Hospitale angehören: 1) Ueber Blasenstein-Operation von 
Dr. Svenson; 2) Ein Fall von Aorta-Verengerung mit 
consecutiver Herzhypertrophie und Bildung eines Ver¬ 
schlussthrombus in der Aorta abdominalis, von Prof. 
Wallis; 3) Ein Fall von Myxoedem, von Dr. Warfvinge; 
4) Ueber Papillarkystoin und Papillom in den Ovarien, 
von Prof. Netzei: 5) Ureter-Genitalfisteln beim Weibe, 
von ('. 1>. Josephsou; 6) Ueber Untersuchung von Magen¬ 
kranken, von Dr. Johnson; 7) Ein Fall von periodischer 
Magensaft-Hypersecretion. von Dr. Wilkens; 8) Ueber 
Exstirpation der Tuba Fallopii uud die Indication zu 
dieser Operation, von F. J. E. Westermark. 

Mehrere dieser Abhandlungen sind sehr ausführlich, die Li¬ 
teratur und Geschichte berücksichtigend, so No. 5 (57 S.) und No. 8 
(70 S.), alle legen Zeugniss ab für den wissenschaftlichen Ernst 
uud Eifer, der die an dem Krankenhause Wirkenden beseelt. — 
In der ersten Arbeit tritt Svenson für die Epicystotomie bei 
grossen Blasensteinen und bei kranker Blase wie bei Prostata¬ 
hypertrophie ein. Verf. macht die Operation meistens in zwei 
Sitzungen, zuweilen auch in einer, uud rühmt ihre Ungefährlichkeit 
und Schmerzlosigkeit. Es sei eine falsche Vorstellung, dass die 
Litbolapaxie mit geringeren Gefahren und Schmerzen verbunden 
sei. als der hohe Steiuschuitt. — Der Fall von Aorta-Verengeruug 
(Wallis) gehört zu den seltensten pathologischen Befunden. Sie war 
durch eine chronische, alle Arterienhäute in Mitleidenschaft ziehende 
Arteriitis bedingt, als deren Ursache Verf.. wegen der vorhandenen 


amyloiden Degeneration der Leber, Syphilis anzuuehmen geneigt 
ist. obgleich sonstige Zeichen von Syphilis fehlten. — Der von 
Warfvinge mitgetheilte Fall von Myxoedem (3) ist höchst in¬ 
teressant. einmal wegen der Seltenheit der Krankheit überhaupt, 
sodann wegeu der verhältuissmässig schnellen Heilung. Ob zu 
letzterer der Gebrauch von Arsenik (Sol. arseu. Fowl. 3 mal täglich 
4 Tropfen) beigetragen, lässt Verf. dahingestellt sein. — Wilkens 
beschreibt einen Fall von eigeuthümlicher Magenerkrankung (7), 
die darin bestand, dass Patient seit 3*/•» Jahren Anfälle von Er¬ 
brechen uud Magenschmerzen bekam, die 20 bis 35 Stunden dauerten, 
alle 10 oder 11 Tage wiederkehrten, und während deren Patient 
weder essen noch trinken konnte. Nach Verschwinden des Anfalles 
völliges Wohlbefinden, starker Huuger. Die ausgebrochene Flüssig¬ 
keit erwies sich als gesunder Magensaft. Verfasser, der keiue ner¬ 
vöse Krankheit, weder eine centrale noch eine peripherische, nach¬ 
zuweisen vermochte, glaubt das Leiden auf eine Störung der Se- 
cretiousnerven des Magens zurückführen zu müssen. 


VIII. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 21. December 1887. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1. Herr Hahn: Ueber Kehlbopfexstirpationcn. Herr Hahn hat seit 
seinem Vortrage am IG. November Gelegenheit gehabt, den damals er¬ 
wähnten Patienten aus London wiederzusehen, und er konnte constatiren, 
dass, wie bereits Scmon festgestellt hatte, an der Tracheotomiewunde, also 
weitab von der Operationsstelle, eine, wie eine Bleistiftspitze aussehende, 
kleine, weissliche, in die Trachea hineinragende Geschwulst vorhanden ist, 
die sich im Laufe von sechs Wochen nicht vergrössert hat. Herr Hahn 
sowohl, wie Herr B. Fraenkel, der den Patienten ebenfalls untersuchte, 
sind geneigt, die Geschwulst für ein Enchondrom eines Trachealringes zu 
halten, und sie haben von einer intralaryngealen Operation Abstand ge¬ 
nommen, da Patient weder Beschwerden von dem Tumor hat, noch letzterer 
erheblich gewachsen ist. 

Ferner stellt Herr Hahn den Patienten vor, den er am Tage seines 
früheren Vortrages (lfi. November) operirt hatte- Der Verlauf nach der 
Operation hatte sich vollkommen typisch gestaltet, schon nach zehn Tagen 
konnte die Ernährung durch das .Sehlundrohr entbehrt werden, nach weiteren 
drei Tagen verliess Pat. das Bett, und jetzt ist bereits seit mehreren Tagen 
dio Wunde vollkommen geheilt. Der Pat. vermag, wenn auch mit flüstern¬ 
der Stimme, deutlich zu sprechen. Herr Hahn hat auch den anderen, in 
seinem Vorträge erwähnten Patienten bewogen, sich vorzustellen, den er 
bereits im Jahre 1880 operirte; demselben war fast der ganze Kehlkopf 
exstirpirt. Dieser Pat. vermag sich ebenfalls, wenn auch mit leiser Flüster- 
stimrae, verständlich zu machen. 

Endlich demonstrirt Herr Hahn ein Präparat, welches namentlich von 
dem Gesichtspunkte aus interessant ist, dass es die Schwierigkeit der Diag¬ 
nose intralaryngealcr Geschwülste veranschaulicht. Dasselbe stammt von 
einem 28jährigen Pat., der vor vier Wochen wegen hochgradigen Diabetes 
(S°/o Zucker) auf die innere Station des Krankenhauses Friodrichshain ge¬ 
langte. Am 17. December trat, ohne dass sich vorher irgendwelche Zeichen 
von Larynxstenose bemerkbar gemacht hätten, sehr heftiger Laryngospasmus 
mit Erscheinungen von Larynxstenose auf. Pat. verfiel in einen comatösen 
Zustand. Prof. Fürbringer constatirtc auf der linken Kehlkopfseite einen 
Tumor, auf der rechten Seite eine Verdickung des Stimmbandes. Wegen 
hochgradiger Athemnoth wurde Pat. auf die chirurgische Abtüeiluug gelegt. 
Es wurde die Tracheotomie gemacht und der Kehlkopf herausgenommen. 
Trotzdem konnte keine sichere Diagnose gestellt werden. Es war auffallend, 
dass der kleine, etwa erbsengrosse Tumor, der in der Nähe des Aryknor- 
pels lag, von einem unterminirten Rande umgeben war. Nachdem eine 
Laryngolissur, und zwar von hinten vorgenommen war, liess sich deutlich 
erkennen, dass es sich um eine Perichondritis am Ringknorpel handelte, 
und dass von dem unterminirten Rande aus ein Gang nach diesem peri- 
chondritischen Abscess führte. 

2. Herr B. Fraenkel berichtet über einen Fall von Ausstossung 
eines Kehlkopfpolypen durch Hustenstösse, den ihm Herr Sanitätsrath 
Swiderski in Posen brieflich mitgetheilt hat. Pat. bemerkte zuerst i. J. 
1862 Heiserkeit und Athemnoth, ohne dass an der Lunge etwas Krankhaftes 
nachzuweisen war. Er machte eine Cur in Salzbrunn durch, wo eiu Kehl¬ 
kopfpolyp constatirt wurde, und consultirte später eine Reihe von Autori¬ 
täten, u a. v. Bruns in Tübingen, der eine Laryngolissur vorschlug, die 
Pat. aber abwies. Pat. kam dann im Jahre 1870 nach Posen; unterwegs 
war eine heftige Blutung eingetreten. Dr. Swiderski fand damals den 
Kehlkopf links stark geröthet, unterhalb des linken Stimmbaudes eine 
birnenförmige Geschwulst. Die Blutung stand nach subcutanen Ergotinin- 
jectionen; die Athemnoth war aber eine sehr grosse. Pat. lehnte die Aus¬ 
führung der Tracheotomie ab. Trotzdem die Geschwulst, mit Höllenstein in 
Substanz touchirt und täglich mit conceutrirter Ergotiulösung betupft wurde, 
schwand die Erstickungsgefahr nicht. Am 12. Mai wurde dieselbe so gross, 
dass die Tracheotomie dringend geboten schien, Pat. lehnte dieselbe aber 
beharrlich ab. Als Dr. Swiderski am 13. den Pat. besuchte, fand er ihn 
im Bette sitzend und beim Kaffee seine Cigarre rauchend: ein heftiger 
Husteustoss hatte den Polypen herausbefördert. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab einen fibrösen Polypen. Der Tumor, der sicher durch das 
lange Aufbewahren in Alkohol geschrumpft ist, ist beinahe 2 cm lang. 

Herr Fraenkel hat «las spontane Ausstossen von Kehlkopfpolypen 
nie beobachtet, wohl aber hat er einen Fall gesehen, wo ein Kehlkopf- 


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35 


1*2. .lannar. 


DEUTSCHE MED1CIN1SCHE WOCHENSCHRIFT. 


polyp sich spontan vollständig zurnckbildete. Ein derartiges Vorkoinmniss 
gehört jedoch zu den grössten Seltenheiten. 

Es folgte sodann eine kurze Discussion über den Vortrag des Herrn 
Virchow über Emphysema pulmonum, und zum Schluss stellte Herr 
Munter einen Patienten mit amyotrophischer Lateralsklerose vor. 

Sitzung am 4. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1. Herr Ewald deinonstrirt das Präparat eines Falles von Darmparalyse, 
welcher mit Axcndrehung des Darmes combinirt war. Die 49 jährige 
Patientin war vor einem Jahr mit linksseitiger Paralyse in die städtische 
Siechenanstalt aufgenommen. Sie war bettlägerig, aber vollkommen bei 
Bewusstsein und hatte, abgesehen von den Lähmungserscheinungen, keine 
weitere Klagen. Sie hatte spontan nur alle 4—5 Tage eine Stuhlentleerung, 
häufig dauerte die Verstopfung aber länger, und es erfolgte die Entleerung 
alsdann nur auf grössere Gaben von Ricinusöl Am 20. December 1887 
war wieder eine solche Periode länger dauernder Stuhlverhaltung eingetreten. 
Am ‘28. December erhielt die Patientin Uicinusöl, ohne Erfolg, ebenso blieb 
eine am folgenden Tage angewandte hohe Eingiessung resultatlos. Es 
stellten sich Schmerzen im Abdomen ein, welch letzteres aufgetrieben war. 
Calomel in Gaben von 0,9 g innerhalb drei Stunden blieb ebenfalls erfolglos. 
Es wurden Einreibungen mit grauer Salbe gemacht, ferner am nächsten 
Tage wieder eine hohe Eingiessung — ohne Erfolg. Es wurde die Diagnose 
auf Colonverschluss wahrscheinlich durch Axendrehung und Darmparalyse 
gestellt. Am 4. Tage bekam sie Ricinusöl mit Ol. Crotonis, von dieser 
Medication wurde aber bald wieder Abstand genommen, weil die Patientin 
über starke Schmerzen klagte. Um ihr Erleichterung zu schaffen Punction 
des Abdomens und Entleerung einer erheblichen Menge von Darmgasen. In 
der folgenden Nacht Oollaps und Exitus lethalis. Die Eröffnung der Bauch¬ 
höhle ergab das Vorliegen von zwei grossen, die Bauchhöhle ausfüllenden 
Darmscblingen. die der Kiexura sigmoidea angehörten, und zwar war eine 
Drehung der Flexur von links nach rechts erfolgt. Die Radix mesenterii 
war ausserordentlich kurz und schmal, und um dieselbe hatte sich der Darm 
herumgeschlungen. Die Schleimhaut der betreffenden Darmtheile zeigte eine 
>ehr starke hämorrhagische Infiltration. Der Abschluss des Darmes war an 
der betreffenden Stelle kein irreparabler, sondern wurde in dem Masse stärker, als 
sich der Darminhalt vermehrte, und die Darmschlingen gegeneinander gepresst 
wurden Solche Fälle sind keine Raritäten, aber sie werden selten diagnostisirt. 

2. Herr O. Israel demonstrirt Präparate eines Falles von Aklino- 
mjkose. Die betr. Patientin wurde mit der Diagnose Muskelsyphilis auf die 
chirurgische Abtheilung der Charite gebracht, wo eine grosse Schwiele an 
der Innenseite des linken Oberschenkels Gegenstand eines operativen 
Eingriffes wurde. Im weiteren Verlaufe zeigten sich an verschiedenen 
anderen Stellen der Haut kleine Abscesse, die erst zu der richtigen Diagnose 
führten. Bei der Section fanden sich an verschiedenen Stellen der Muskulatur 
Schwielen, wie die zuerst exstirpirte; in der Nähe derselben war die Musku¬ 
latur stark atrophisch, und in einer Schwiele fand sich noch ein wenig 
eingedickter Eiter, eine käsige Masse, die mikroskopisch nur Zerfalls- 
producte erkennen liess. Von den inneren Organen waren Herz, Lunge, 
3Iilz betheiligt, und hier gelang es, Pil/.elemente nachzuweisen. Von 
welchem dieser Herde die Erkrankung abzuleiten war, liess sich jedoch 
nicht feststellen, wie Vortr. überhaupt der Ansicht ist, dass es wegen der 
grossen Neigung derartiger Processe zur Narbeubildung oft schwer sein 
wird, den primären Krankheitsherd festzustellen. Ein eigentümliches Ver¬ 
halten boten die Herde in der Milz dar. Es zeigten sich, entsprechend dem 
Verlauf eines der grösseren Gefasse, eine Reihe von miliaren oder etwas 
grösseren Herden. An letzteren tritt neben der starken Grauulationsbildung als 
besonders charakteristisch hervor, dass die Pilze niemals direkt im festen 
Gewebe sitzen, sondern dass sich jeder Pilz in einem, wenn-auch kleinen, 
Abscess findet. Letztere lasseu eine sehr ausgedehnte Fettmetamorphose 
der Elemente ihrer Wand erkennen. Ein ähnliches Verhalten war auch an 
den Herden in der Leber zu bemerken. 

3. Herr Virchow demonstrirt einige weitere Präparate von Fällen 
von Snblimat-Colltls, die seit seiner letzten Mittheilung über diesen 
Gegenstand zu seiner Kenntniss gekommen sind. Zwei dieser Fälle be¬ 
trafen Puerperae. von denen namentlich der eine, aus der Privatpraxis des 
Herrn Lewy stammend, in ganz ausserordentlichem Maasse die früher be¬ 
schriebenen Erscheinungen darbot. Das in diesem Falle zu Ausspülungen 
des Uterus und der Vagina verwandte Quantum Sublimat berechnet sich 
ungefähr auf 2 Gramm. In diesem Falle war gleichzeitig eine starke 
parenchymatöse Nephritis vorhanden. Der zweite Fall kam in der 
Gebäranstalt der Charite zur Beobachtung. Die betr. Gebärende war drei 
Wochen vor dem Tode entbunden und hatte acht Tage nach der Ent¬ 
bindung eine Uteru,sausspülung mit 2 Liter einer Sublimatlösung von 
I : 4000 erhalten. Der Tod erfolgte nach profusen Darmblutungen. In 
diesem Falle fanden sich heftige hämorrhagische Erscheinungen im lleum. 

Ein dritter, vielleicht nicht ganz so einwandsfreier Fall betraf einen 
Patienten mit Noma faciei, der sich auf der chirurgischen Abtheilung der 
Charite befand und vom 18.—25. November mit halbstündlichen Gurge¬ 
lungen mit einer Sublimatlösung von 1 :2000 behandelt war. Bei ihm 
beschränkten sich die Darmerscheinungen auf eine Affection des Rectum 

Die beiden ersten Fälle gaben Veranlassung zu Untersuchungen 
der Nieren, und zwar fanden sich nur in dem einen, dem weniger schweren 
Falle, die von Herrn Senger beschriebenen Kalkablagerungen in den ge¬ 
wundenen Canälen. Herr Virchow schliesst daraus, dass zwar eine gewisse 
Berechtigung besteht, da. wo solche Ablagerungen neben Darmdiphtherie vor¬ 
handen sind, auf eine Sublimatvergiftung zu schliessen, dass aber, wenn 
man dieselben nicht findet, daraus nicht folgt, dass eine Sublimateinwirkung 
nicht stattgefunden hat. 

Herr Virchow benutzt endlich die Gelegenheit, anlässlich der so 
zahlreich zur Beobachtung kommenden Sublimatvergiftungen zur Vorsicht in 
der Anwendung des Sublimats zu mahnen. 


4. Herr Senator: lieber acute infectlöse Phlegmone des Pharynx. 

Herr Senator geht bei seinen Erörterungen von folgenden Kranken¬ 
geschichten aus: 

Am 28. September 1887 kam auf die innere Abtheiluug des Augusta- 
Hospitals ein 3G jähriger Metalldreher, stark fiebernd, mit nicht ganz freiem 
Sensorium. Soweit zu ermitteln war der Kranke früher stets gesund ge¬ 
wesen, war 14 Tage vor Beginn der jetzigen Erkrankung einen bis zwei 
Tage heiser gewesen, ein Zustand der nach Gurgeln mit chlorsaurem Kali 
vorüberging. Am 24. September trank er, sehr erhitzt, ein Glas eiskaltes 
Bier. Unmittelbar danach erkrankte er mit Fieber und llalsschmerzen. Bei 
der Aufnahme warf sich der Kranke unruhig hin und her, klagte über 
Schmerzen im Halse, Athemnoth. Die Untersuchung der inneren Organe 
ergab nichts Bemerkenswerthes. Am Halse zeigte sich eine geringe Schwel¬ 
lung, namentlich der linken Seite, die auf Druck schmerzhaft war. Tousille 
und Pharynxschleimhaut stark geröthet: kein Belag. Temperatur 39". Die 
vorhandenen Schlingbeschwerden besserten sich etwas, nachdem kalte l ra¬ 
schläge applicirt und Eisstücke zum Verschlucken gegeben waren Das 
Fieber blieb sehr mässig und betrug am Morgen des folgenden Tages 38. 
am Abend 3S,8. Schon in der Nacht, am 8. Tage der Krankheit, starb der 
Kranke ganz plötzlich ohne Erstickungserscheinungen. Der Urin zeigte sich 
das eine Mal. wo er erhalten werden konnte, stark eiweisshaltig, ohne mor- 
photische Bestandteile und ohne Blut. 

Die Section (Dr. Grawitz) ergab an der linken Ilalsseite, unterhalb 
de.» Pharynx eine Eiterung im peripharyngealen Gewebe, stark ödematösc 
Schwellung der Stimmritze, Decubitalgeschwür am linken Stimmband, 
Oesophagus intact, diffus hämorrhagische Schwellung der Magenschleimhaut. 
Letzterer Proeess setzte sich bis in das Duodenum und Jejunum fort. Starke 
Schwellung der Milz, der Leber. Nieren parenchymatös entartet. 

Kurze Zeit darauf, am 20. October gelangte ein 29jähriger Kaufmann 
zur Aufnahme, der nach seinen Angaben und denen seiner Frau, sowie laut 
Erkundigungen, die nachträglich bei dem behandelnden Arzt. Dr. F. Strass¬ 
mann, eingezogen weiden konnten, am Sonntag den IG. October plötzlich 
erkrankte, nachdem er am 14. bei gutem Wohlbefinden eine kleine Festlich¬ 
keit mitgemacht hatte, die sich bis zum frühen Morgen erstreckt hatte. 
Kr hatte danach bis zum Mittag geschlafen, nahm ein frugales Mahl zu sich, 
in der Nacht zum folgenden Tage klagte er über Magenschmerzen und 
hatte Erbrechen, so dass man glaubte, es mit einer Gastritis zu thun zu 
haben. Gleichzeitig starker Frost und Hitze: Durchfall. Am 17. klagte 
Put. über sehr heftige Schmerzen beim Schlingen, dann stellte sich Heiser¬ 
keit ein, die sich fast bis zur völligen Aphonie steigerte. Vom zweiten 
Tage der Krankheit an leichte Delirien. Am vierten Tage Erythem der 
unteren Körperhälfte. Bei der Aufnahme war das Sensorium leicht getrübt, 
Puls sehr schwer zu fühlen, ziemlich starke Dyspnoe. Pat. klagte über 
Schlingbeschwerden. Die linke Halsseite ist stark geschwollen, auf Druck 
schmerzhaft. Die Dyspnoe steigerto sich bald, sehr beschleunigte Athmung. 
An den inneren Organen, soweit eine Untersuchung des sehr fettleibigen Pat. 
möglich war, nichts Abnormes nachzuweisen. Pharynxschleimhaut stark 
geröthet. Beide Tonsillen geschwollen und auf Druck schmerzhaft, ohne 
Belag. Pat. starb noch an demselben Abend, dem fünften Krankheits¬ 
tage, ganz plötzlich, ohne dass cs zu einem Erstickungsanfall gekommen wäre. 

Die Section wurde ebenfalls von Dr. Grawitz ausgeführt, die Organe 
von Geh-Rath Virchow besichtigt. Man fand: Phlegmone des Pharynx, eitrige 
Infiltration des linken Ligamentum aryepiglotticum, Decubitus beider Stimm¬ 
bänder, allgemeine Schwellung der Oesophagusschleimhaut, Schwellung der 
Magenschleimhaut, grossen hyperplastischen Milztumor und parenchymatöse 
Nephritis. 

Diese beiden Fälle riefen dem Vortragenden einige frühere Beob¬ 
achtungen in's Gedächlniss zurück, die in ihrem Verlaufe viel Analoges 
boten, die er jedoch damals nicht zu deuten wusste. Auch in der Literatur 
finden sich vereinzelte Fälle, die Vortr. als hierhergehörig bezeichnen zu 
müssen glaubt, obgleich sie meistens unter anderen Bezeichnungen, so als 
primäres Laryuxödem, als acute primäre phlegmonöse Laryngitis (Gruveilhier) 
beschrieben sind. Vortr. glaubt vielmehr, manche dieser Fälle unter dem Namen 
der acuten primären infectiösen Phlegmone des Pharynx als eine besondere, 
bisher nicht als solche beschriebene Krankheit auffassen zu sollen. Als 
Analoga, wo ebenfalls gewisse Organe, und zwar solche, die noch mehr 
gegen von aussen eindringende Schädlichkeiten geschützt sind, primär er¬ 
griffen werden, bezeichnet Vortr. u a. jene Fälle vou acuter eitriger Pleu¬ 
ritis, die sehr rasch unter typhösen Erscheinungen zum Tode führen und bei 
denen ein primärer Eiterherd nicht nachzuweisen ist; ferner die sehr seltenen 
Fälle von eitriger Peritonitis ohne primären Eingangsherd. Auch manche 
Fälle von primärer infectiöser Osteomyelitis dürften hierher gehören. 

Das Charakteristische der Affection besteht in der primären Phleg¬ 
mone des Pharynx, aus der sich die anderweitigen Organveränderungen mehr 
oder weniger gut erklären lassen. Mit Rücksicht auf die infectiüse Natur der 
Erkrankung wurden eine Reihe mikroskopischer Untersuchungen und Cultur- 
versuchc mit Blut aus verschiedenen Organen der Kranken angestellt, die 
aber zu keinen abschliessenden Resultaten geführt halten. 

Was die Diagnose der Krankheit anlangt, so dürfte dieselbe, nachdem 
einmal die Aufmerksamkeit darauf gelenkt ist. sich unschwer aus den oben 
angeführten charakteristischen Symptomen ergeben. Die Prognose dürfte als 
absolut schlecht zu bezeichnen sein. Ebenso haben die bisherigen Fälle 
für eine erfolgreiche Therapie keinerlei Anhaltspunkte gegeben. 

IX. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und 
N ervenkrankheiten. 

Sitzung am 12. December 1887. 

Vorsitzender: Herr Westphal; Schriftführer: Herr Bernhardt. 

1. Herr Oppenheim stellt vor der Tagesordnung einen Patienten mit 

der Complication von Basedon’scher nud Addison’schcr Krankheit vor. 


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36 


No. *2 


DEUTSCHE MKD1CINISCHK WOCHENSCHRIFT. 


Es besteht ausgesprochener Exophthalmus duplex, Graefe'sches Symptom , 
(Nichtfolgen der oberen Lider beim Blick nach abwärts), leichte Insufficienz 
der Recti interni, starke Struma, Pulsfrequenz von 160—180, beträchtliche ! 
Verbreiterung beider Herzventrikel, Zittern, das bei Bewegungen zunimmt i 
und die Hals- und Nackenmuskulatur wie die Extremitäten betrifft. Ausser- 1 
dem hat Pat. über Polydipsie und Polyurie, über Durchfall und Heisshunger, ■ 
sowie über heftige Schweisssecretion zu klagen gehabt. Die Erscheinungen 
des M. Basedowii, der vielleicht schon 10 Jahre und länger besteht, sind 
durch die Symptome des M. Addisonii complicirt. Am Penis ist die nicht 
bedeckte Partie des Präputiums intensiv sehwar/braun gefärbt. Ebenso findet 
sich an der Eichel eine graphitähnliche Färbung mit eingestreuten helleren 
Flecken. Dasselbe gilt für das Scrotum. Auch das Abdomen ist reichlich 
pigmentirt, ebenso die Innenfläche der Oberschenkel und vor Allem die 
Waden. Auch die Brustpartieen und die Hände zeigen die Pigmentirung, 
an der sich endlich auch die Schleimhäute (Oonjunctiva palp. sup. und Ober- | 
lippe) betheiligeu. Es ist auch eine erhebliche Abnahme der Kräfte, sowie 
psychische Alteration (Theilnahmlosigkeit, Gedächtnissschwäche) zu ver- J 
zeichnen. Der Fall ist dadurch von besonderem Interesse, dass man sowohl | 
für M. Basedowii wie Addisonii den Sympathicus beschuldigt hat, und zwar 
für jenen den Halstheil, für diesen den Brusttheii. 

2. Herr 11. Virchow: lieber grosse tiranula in Nervenzellen des 
Kaninchens: Diese Granula, die nach Alt mann die Träger wichtiger Lebens- 
thäligkcit innerhalb der Zelle sein sollen, hat Vortr. in den Nervenzellen 
des Kaniuchens von einer zuweilen etwas eckigen, aber doch im Allgemeinen 
rundlichen oder elliptischen Gestalt gefunden. Die Gebilde zeigen sich, was 
besonders charakteristisch ist, auch in den dickeren Nervenfortsätzen und { 
nehmen dann eine langgestreckte Form an; sie stosseu nicht unmittelbar an 
die Oberfläche an, scheinen vielmehr in einer der Oberfläche parallelen Zone 
besonders angehäuft zu sein. Zum Studium der Granula, wie überhaupt der 
Nervenzellen, injicirt Virchow eine l"/no Chromsäurelösung warm, legt 
die Präparate in Alkohol von steigender Concentration und färbt die Schnitte 
mit Häinatoxyliu und Chinoliurofh. 

Herr Bcnda hat schon früher auf die cigenthümliclie Färbereaction 
der Granula hingewiesen und ebenfalls die besondere Anordnung derselben | 
und ihr Einticten in die Protopiasmafortsätzc beobachtet. Was die Be- I 
deutung der Granula anbetrifl't, so stehen sie vielleicht, zu den Functionen 
der Ganglienzellen in specicller Beziehung. Nach Yignal zeigen die jungen 
Zellen keine Granula. Dieselben treten vielmehr erst in einem bestimmten 
Alter der Zellen auf, was Ben da bestätigen kann. 

3. Herr Krönthal demonstrirt ein Rückenmark mit Heterotopic der 
grauen Substanz. Dasselbe stammt von, einem 22jähr. Manne, der ver¬ 
schiedene Male an Bleivergiftung gelitten hatte, und zeigt auf Querschnitten 
ein ganz ungewöhnliches Aussehen, u. a. ist auch die Anlage eines zweiten 
Rückenmarks zu erkennen. Der Befund hat mit der Bleiiutoxication nichts 
zu thun, ist vielmehr als Bildungsfehler aufzufassen. 

4. Herr Siemerling: Ein Fall von hereditärer Hirn- und Rücken- . 
inarkssyphilis (mit Demonstration von Präparaten). Die Präparate stammen ! 
von einem 12jährigen Mädchen, das im September vorigen Jahres auf die | 
Krampfabtheilmig der Charite aufgenommen worden war. Der Vater hatte j 
vor seiner Verheirathung Lues gehab^ und eine Schmierern - gebraucht. Die i 
Mutter ist gesund. Im 4. Jahre hatte Pat. einen rechtsseitigen Schlaganfall ' 
mit Verlust der Sprache. Nach 8 Wochen hatte sich die Sprache vollständig 
gebessert, doch war eine Schwäche der rechtsseitigen Extremitäten zurück¬ 
geblieben. Es bestand ausgesprochene Ataxie der unteren, geringe der j 
oberen Extremitäten, keine deutliche Sensibiiitätsstürung, hochgradige Be- ! 
schriinkung des Sehvermögens, totale weisse Verfärbung der Papille beider- I 
seits. April 18S6 Erbrechen und wiederholte Schwindelanfälle, aus welchen j 
im Juli opileptiformc Anfälle wurden. Daneben Schwindel und leichte Er- | 
müdung beim Gehen. Im October Schwerhörigkeit auf beiden Ohren. Bei i 
«ler Aufnahme fand sich totale Sehnervenatrophie, Nystagmus, hochgradige 
Ataxie bei erhaltenem Kniephänomen, keine erhebliche Störung der Intelli- 1 
genz. Das weitere Krankheitsbild war wesentlich durch die epileptiformen j 
Anfälle beherrscht. Ausserdem zeigten sich Ohnmachtsanfälle mit Schlaffheit 
aller Glieder, einmal auch eine rasch vorübergehende rechtsseitige Facialis- ' 
lähmung. Die Section ergab an der Basis des Gehirns zahlreiche syphi- j 
litische Granulationsgeschwülste, starke Verdickung der Pia, besonders des • 
Rückenmarks, das wie in eine dicke Schwarte eingehüllt erschien. Das Ge- i 
liirn war erheblich hydrocephalisch, das Schädeldach stellenweise papierdünn j 
und durchscheinend. 

X. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. ! 

Sitzung am 25. November 1887. 

Vorsitzender: Herr Richter. Schriftführer: Herr v. Török. | 

1. Herr F. Salzer demonstrirt einen 49jährigen Mann, der im Juli 1886 j 
mit einer ausgedehnten Eikrankung der Haut der rechten Hohlhand, des 
2., 3. und 4. Fingers auf der Bi11 roth'sehon Klinik aufgenommen wurde. 
Angeblich hatte sich das Leiden im Anschlüsse an eine im Jahre 1882 
stattgehabte Verletzung des rechten Zeigefingers entwickelt. Fs handelte 
sich um jene J'orin derImpftuberculo.se (1er Haut, welche Paltauf und 
Riehl als Tabercnlosis verrucosa cutis beschrieben halten. Ami. August 1886 
wurde in Narkose das Evidement der erkrankten llaulpartieen mit nach- ! 
folgender Kalicausticmnätzung vorgenommen. Es trat Heilung ein, aber der ! 
Kranke blieb wegen der sich entwickelnden Narbencontractur der Hohlhand, 
die jeder Behandlung trotzte arbeitsunfähig. Es wurden daher die Narben- I 
massen so vollständig excidirt, wie wenn es sich um eine bösartige Neubil¬ 
dung gehandelt hätte, und der grosse Defect der Palma mittelst eines ge- j 
stielten Hautlappens aus der linken Lendengegend gedeckt. Der Stiel des ; 
Lappens wurde am 8. Tage durchtrennt. Das mit seiner ganzen Fläche i 
per primam der wunden Palma angeheilte Hautstück ist vollkommen ge- ' 
schmeidig geblieben, so dass der Erfolg ein vollständiger ist. Herr Salzer i 
nwälmt. dass bei den von ihm präparirten Verbrenmnigsiiarben der Hohl- j 


hatnl die Sehnen niemals in die Narbenmassen einbezogen waren, obwohl 
man «lies bei der oberflächlichen Untersuchung vermuthen konnte; dass hin¬ 
gegen die Palmaraponeurose in weitaus grosserer Ausdehnung narbig ge¬ 
schrumpft war, als dies äusserlich den Anschein hatte. 

2. Herr Zeraann demonstrirt einen über wallnussgrossen Tumor der hin¬ 
teren Trnchenhvund. Das Präparat stammt von einem am 25. October d. J. 
verstorbenen Kranken, welcher in den Jahren 1867 und 1S69 wiederholt 
von Herrn Prof. v. Schnitter operirt worden war. Der Tod erfolgte nicht 
in Folge von Suftbcation, sondern, wie die Obdnetion zeigte, an Broncho- 
blennorrhoe. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass der vorliegende 
Tumor ein Sarcom sei, welches mehrfach von sehr weiten Gefässriiumen 
durchsetzt erscheint. Derartige Tumoren der Trachea sind sehr selten, und 
wurde in den letzten Jahren ausser diesem Falle nur noch ein Fall von 
Maycr-Hunuy und ein Fall von Schnitter bekannt. 

Herr v. Schrotter sah den von Dr. Zeraann erwähnten Kranken 
zuerst im Jahre 1867 und war über die damals vorhandene colossale 
Restnetion des Tracheallumens im höchsten Grade überrascht. Wiewohl 
der an der rechten rückwärtigen Traehealwand aufsitzende und mit der In- 
und Exspiration sich bewegende Tumor damals den Raum der Trachea so 
weit erfüllte, dass der auf der vorderen Fläche der Geschwulst aufliegende 
Schleim zugleich die vordere Wand der Luftröhre streifte, konnte der 
Kranke doch noch in einem gewissen Grade körperliche Anstrengungen er¬ 
tragen. Nach vorgenommener lokaler Anästhesie mit Chloroform und Mor¬ 
phium ging Herr v. Schnitter mit einer in einer Röhre verdeckten 
Aluseux’schen Zange intralaryngeal bis an den Tumor und entfernte von 
demselben etwa a /s seines vorderen Antheiles. Der Rest hat stark geblutet, 
was bei dem Gefässreichthum der Geschwulst erwartet werden musste. Die 
damals von Prof. Wedl ausgeführte mikroskopische Untersuchung ergab 
einen gleichen Befund mit dem heute von Dr. Zeraann angegebenen Unter- 
suchungsresultate. Die Abtragung des Restes war mit der Zange wegen 
grösserer Derbheit des Stieles, als vorausgesetzt war, nicht durchzuführen. 
Um auch noch den letzten Thcil zu entfernen, hat Herr v. Schrötter eine 
subcutane Injeotion von Ferrum scsquichloratum in den Tumor ausgeführt, 
d. h. durch Einstechen einer verdeckten Nadel von entsprechender Länge 
und Krümmung, um durch den Mund eingeführt werden zu können. Es 
trat sofort eine Verschorfung mit nachträglichem Schrumpfen des Neugebil¬ 
des ein. Patient blieb bis 186!) gesund. In diesem Jahre zeigte sich ein 
Recidiv, aber diesmal sass der Tumor der hinteren Traehealwand fest auf 
und bewegte sich nicht mehr mit der Ex- und Inspiration hin und her. 
Der Recidivknoten wurde 1870 wieder nach den obgenannten Methoden 
intralaryngeal entfernt, 187!) wurde das zweite Recidiv der Geschwulst be¬ 
obachtet. Patient wollte eine Operation von aussen nicht zugeben. Im 
IJebrigen scheint ihn das Leiden nun nicht allzuviel belästigt zu haben, 
denn er wurde jetzt Deraonstrationsobject in den laryngologischen Curseu 
und war mit der erwerbsmässigen Verwerthung seiner Krankheit, vollkommen 
zufrieden. Die nun eingetretene Erleichterung im Athmcn erklärt sich aus 
einem Nachabwärlsbeugen des vorderen Antheiles der Geschwulst, so dass 
zwischen dieser und der vorderen Traehealwand Luft durchstreichen konnte. 

3. Herr Breisky: Zar Casuistik der Extrauterinschwangerschaft. 
Der Vortragende stellt eine Frau vor, die er wegen einer vorgerückten Ex¬ 
trauterinschwangerschaft operirt hat. Die 30jährige Gpara hatte im Fe¬ 
bruar d. J. die letzten Menses, am 30. März traten allgemeine Schwanger¬ 
schaftssymptome auf, im Mai bildete sich eine umschriebene peritonitischc 
Infiltration über dem Becken aus, im Juli traten Kindsbewegungen auf, und 
nun konnte die bis dahin unsichere Diagnose auf interligamentöso rechts¬ 
seitige Tubenschwangersehaft gestellt worden. Im 9. Schwangerschaftsmonatc 
hat der Vortragende durch Laparotomie eia lobendes Kind extrahirt und durch 
Exstirpation des ganzen Fruchtsackes die Gefahr der Blutung und Sepsis für die 
Mutter vermieden. Der weitere Verlauf war ein sehr günstiger, es heilte 
Alles per primam, und besteht gegenwärtig nur noch die kleine Drainage¬ 
fistel im unteren Narbenwinkel und ein neben dem Uterus gelagertes in¬ 
differentes, schmerzloses Infiltrat. Das Kind starb am Ende der 3. Lebens¬ 
woche an Phlebitis umbilicalis. 

Es ist dies der erste Fall von Exstirpation des ganzen Fruchtsackcs 
bei lebendem Kinde. Herr Breisky hat noch andere 3 Fälle von Extra¬ 
uterinschwangerschaft beobachtet, von denen nur einer Object der Laparo¬ 
tomie wurde, allein erst nachdem 6 Jahre nach Absterben des Kindes ein 
Röhrenknochen des Lithopädiou den Blascnscheitel perforirt batte, und in 
Folge eitriger Cystilis und Jauchuug in der Fruclitsackhöhle chronische 
Sepsis sich entwickelt hatte. Patientin starb sechs Tage nach der Operation 
unter Symptomen progredienter Sepsis. Die Section ergab linksseitige 
Tubarschwangerschaft. Von den zwei nicht operirten Fällen betraf der 
eine eine zum Termin vorgeschrittene interligamentöse Tubarschwangerschaft. 
Die Kranke starb plötzlich, bevor es zur Operation gekommen war. Der 
andere Fall ist eine sccundäre Abdominalgravidität, vermuthlich tubaron 
Ursprungs, bei welcher jetzt ohne erhebliche Beschwerden das Lithopädiou ge¬ 
tragen wird. Herr Breisky erörtert schliesslich die bessere Aussicht, 
welche durch die neuesten Ermittelungen Litzmann’s und Wcrth's über 
die Häufigkeit einer tubaren Fruchtsackbildung auch bei einer vorgeschritte¬ 
nen Gravidität für die Möglichkeit der totalen Exstirpation des Fruchtsackcs 
gewonnen worden ist. M. 


XI. Journal-Revue. 

Larvngologie und Hhinnlogie. 

1 . 

Rossbao.li. Bericht über 85 Operationen von Kehl* 
kopfpolypeu. Correspondcnzblätter des allgemeinen ärztlichen 
Vereins von Thüringen. 1887. No. 2. 

Rossbach hat diese Operation an 79 nuinnliehen und 0 
weiblichen Patienten vollzogen; der jüngste war 4 x /-> Jahre, die 


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1 “ 2 . Januar. 


DEUTSCHE MEDIU1NISUHE WOCHENSCHRIFT. 


37 


ältesten zwischen 60—70 Jahre, die meisten zwischen 30—60 Jahre 
alt. — 

56 Polypen waren Papillome, darunter 19 solitäre, 7 multiple, 
die übrigeu waren Fibrome und Cystome. Referent mochte hier 
b»-fürworteu, dass die Fibrome in Schleimpolypen und Fibrome zu 
trennen gewesen wären. Pa die ersteren nach seiner Erfahrung 
leichter zu Iiecidiven Veranlassung geben als letztere. — 

80 Operationen wurden vor der Einführung des Cocain aus¬ 
geführt. llei zwei Patienten dieser Kategorie beobachtete Verfasser 
vollständige hysterische oder nervöse Anästhesie des Kehlkopfes. — 
Seit 1867 operirte Verfasser hauptsächlich mit dem ungedeck¬ 
ten Messer und Galvanokauter, welchen er mit Recht bedeutende 
Vnrtheile zuspricht. — 

Mittelst der Voltolini“sehen Schwammmethode konnte Ver¬ 
fasser nur 2 Polypen entfernen. Verfasser will von dieser Methode 
nicht viel wissen. — 

Pas Cocain hat ja jetzt allerdings auch den Aerzten. deren Pa¬ 
tienten nicht immer über sehr viel Zeit und Geld disponiren. die 
Möglichkeit gegeben, rascher und leichter als früher Kehlkopfpolypen 
zu entfernen. Und dennoch musste Referent erst dieser Tage zum 
Schwamme greifen, nachdem er einige Wochen vorher 6 Polypen, 
von denen einige nicht gerade leicht zu operiren waren, in der ersten 
Sitzung jedes Mal mit Messer. Schlinge, Guillotine und Galvanokauter 
entfernt hatte. Patient fühlte nach Einpinselung von */•» g Cocain ab¬ 
solut nichts, und dennoch war seine Angst so gross, dass es unmöglich 
war. die zwei sich gegenüber sitzenden Polypen zu entfernen. Mit dem 
Schwamme riss Referent den auf der l’nterflüche des linken wahren 
Stimmbandes sitzenden Schleimpolypen von seiner Basis los und zer¬ 
störte dann beide Polypen einige Tage später mit dem Galvanokauter. 
Hätte dieser Patient mehr Zeit gehabt, so wäre wohl der Schwamm 
zu umgehen geweseu. 

Es wird also immer gut sein, diese Operationsmethode für alle 
Fälle zu kennen. 

2 Mal sah Verfasser grosse Kehlkopfcystome ohne Eingriff von 
selbst, offenbar durch Platzen verschwinden. — 

2 Mal beobachtete Verfasser bei Viehhändlern durch Ueber- 
sebreien hervorgerufene, Schleimpolypen gleichende Geschwülste, 
welche einem Einstiche wichen. — 

Verfasser beschreibt weiter einen interessanten Fall von einer 
Geschwulst, die von dem zwischen Trachea und Oesophagus sich 
hinziehenden Bindegewebe ausging und die hintere Kehlkopfwand 
kugelförmig nach vorn wölbte. Patientin fiel vor der in Vorschlag 
gebrachten Tracheotomie Abends plötzlich todt vom Stuhle. — 

Verfasser gieht zu, dass es trotz der ausserordentlichen Fort¬ 
schritte in der Operationsmethode der Kehlkopfpolypen nicht gelingt, 
aller auf intralaryngealem Wege Herr zu werden. Immer wieder 
eiutretende Recidive multipler Papillome zwangen in einem Falle 
zur Exstirpation der linken Kehlkopfhälfte, welche nach jeder Rich¬ 
tung hin ein günstiges und befriedigendes Resultat ergab. — 

Bei zwei Fällen von multiplen Papillomen, die schon oft recidi- 
virten. versuchte Referent im vorigen Herbste zum ersten Male durch 
starkes Einreiben einer 50% Milchsäurelösung in die Wunden nach der 
Exstirpation, das Recidiviren der Geschwülste zu verhindern. Bis heute 
ist kein Reeidiv an den betreffenden Stellen eiugetreten, und möchte 
Referent deshalb die Collegen bitten. Controlversuche anzustellen, 
wozu die Wichtigkeit der Sache wohl auffordern dürfte. -■ 

Bösartige Geschwülste räth Verfasser mit Recht, gar nicht in- 
tralarvngeal zu operiren zu versuchen. M. Schaeffer. 

Eennox Browne. A successful ease of partial excision 
of the larynx etc. Brit. med. Journ. 1887. p. 272. 

60jähriger Mann hatte am linken Stimmband eine Geschwulst 
und daneben eine Infiltration. Eymphdriisenschwellung nicht nach¬ 
weisbar. Eine antisyphilitische Cur hemmte das Wachsthum nicht, 
daher Operation. 

Hahn’sche Tamponcanule, subperichondrale Ablösung der 
Weichtheile über dem Knorpel mittelst des Raspatoriums bis zur 
hinteren Mittellinie; Exstirpation der linken Kehlkopf hälfte mit 
Schonung der Epiglottis. Blutung sehr unbedeutend. Heilung reac- 
tionslos. Hie ersten Tage post. oper. Schluudrohr-Ernährung. 3 Tage 
nach der Operation erhielt Patient Fleisch zu schlucken. Die Stimme 
war nach 1 Monat völlig scharf und deutlich markirt. — 

Browne ist, wie aus der Epikrise hervorgeht, ein entschiedener 
Gegner der totalen Exstirpation wegen Careinom, weil die 
Tracheotomie dieselben Vortheile, aber geringere Gefahren als diese 
gieht: nach der Tracheotomie berechnet er im Durchschnitt, das 
Leben der Patienten auf 2 l /> Jahr. Sollte also die Spaltung des 
Larynx zeigen, dass beide Seiten von Geschwülsten ergriffen seien, 
so räth Browne, von der Exstirpation abzustehen und sich nur 
auf die Tracheotomie zu beschränken; die partielle Keseetion dagegen 
iäs't er zu, besonders weil die Sprache eine vorzügliche wird. 

E. Seliger. 


G. Firwe. Blenuorrhoea nasi. Berl. klin. Woehenschr. 
1887, No. 35. 

Gonorrhoische Blenuorrhoea nasi ist eminent selten; für die 
Entstehung des purulenten Nasenausflusses liegen daher. — wenn 
Vulnerationen und die exanthematischen Krankheiten eliminirt werden 
— nur drei Möglichkeiten vor: 1. Fremdkörper resp. Schleimpo¬ 
lypen und Knochenleiden: 2. Eitersecretion vom Antrum Highmori 
oder 3. vom Sinus frontalis. Beim Fehlen der „Schulsymptome*, 
Schmerz, Hedem. Hervortreibung, ist es sehr schwer zu entscheiden, 
ob die purulente Secretion durch ein Empyem des Antrum High¬ 
mori oder des Sinus frontalis bedingt ist, und nur durch Punction 
derjenigen Höhle, wo das Empyem die überwiegend häufigere Krank¬ 
heit ist. nämlich des Antrum Highmori, kann man sich positive oder 
negative Sicherheit verschaffen. In einem solchen Falle eröffnete 
Verf. bei einem Patienten, der schon 16 Jahre an purulentem Aus¬ 
fluss aus der Nase gelitten hatte und von vielen Aerzten behandelt 
war, nach der Methode von Mikulicz von der Nase aus die Ober¬ 
kieferhöhle und entleerte eine reichliche Menge Eiter; hierauf folgten 
Ausspülungen mit Salzwasser. Aronsohn (Berlin). 


XII. Therapeutische Mittheilungen. 

Neuere Diurctica (Herztonica). 


Samen von Strophanthns hispidns, einer im äquatorialen Afrika ein¬ 
heimischen Apocynie. Von Fraser 1885 empfohlen als Ersatzmittel der 
Digitalis. Nach Fraser enthält dieselbe als wirksames I’rinoip ein Glyco- 
sid: Strophantin. Dasselbe besitzt krystallinische Beschaffenheit, schmeckt 
stark bitter, ist von schwach saurer Reaetion, leicht löslich in Wasser und 
Alcohol, unlöslich in Aetlier. Chloroform, Benzol, Petroleumäther, enthält 
keinen N und wird durch unsere Alkuloid-Reageiitien nicht gefällt. Die am 
Herzmuskel durch kleine Dosen Strophantin erzeugten Veränderungen sind 
die gleichen wie nach Digitalis, jedoch ist durch Durchspülung* versuche am 
isolirten Froschherzen gezeigt, dass Strophantin ungleich energischer auf den 
Herzmuskel wirkt. Von Digitalis unterscheidet sieh dies Mittel durch Fehlen 
einer Wirkung auf die Blutgefässe, ein Umstand, den Fraser als besonders 
günstig für die Therapie der Herzkrankheiten hiustellt. Die bei Herzkranken 
mit dein Mittel erzielten Resultate waren änsserst günstig. Neben der Wir¬ 
kung auf die Uirculatiou (Pulsverlaugsamuug, Bluldrucksteigerung) machte 
sich starke Vermehrung der Diurese geltend. Oedeme, Dyspnoe verschwanden. 

Der Digitalis gegenüber tritt die Wirkung sehr rasch ein. Die günstige 
Wirkung einer Dose von Ü.Oül auf Uirculatiou und Diurese hielt 8 Tage 
an. Erscheinungen von Seite des Magen« und Darms seltener als nach Di¬ 
gitalis. Uumulative Wirkungen selbst bei woclieulauger ununterbrochener 
Darreichung nicht zur Beobachtung gelangt. 

Dosirung: Alcohol. Tinctur der Samen 4 — 5—10 Tropfen 2—4mal 
täglich. Strophantin 0.001 einmal täglich, in alcoholischer, wässeriger Lö¬ 
sung oder Pillen. Zur subcutanen Injektion ist Strophantin seiner örtlich 
stark irritirenden Eigenschaften wegen nicht geeignet. 

Spnrteinum sulfuricuni. Das Spartein ist das Alkaloid des Besen¬ 
ginsters. gehört zu den O-freien Alkaloiden Cis Hm Na. An Stelle des schwer lös¬ 
lichen und leicht zersetzliclicn Alkaloids wird für die medicinischc Anwen¬ 
dung das Sulfat. Spartein. sulf., benutzt. Dasselbe bildet grosse, durch¬ 
scheinende. .farblose, in Wasser leicht lösliche, rhoinboedrische Orystalle 
von bitterem Geschmack. Therapeutisch angewendet von Gcrinaiu See 
(1885). Es wurde beobachtet: erregende Wirkung auf die Ilerzcontractionen, 
Verlangsamung derselben, Erhebung der Spannung im Arteriensystem, Ver¬ 
mehrung der Diurese. Der Rhythmus der Ilerzcontractionen wurde nur in 
wenigen Fällen hergestellt. Die Wirkung des Spart eins stieg schnell an 
und hielt sich nicht lange genug auf der Höhe, um auch schwere Compen- 
sationsstö.rungen zu beseitigen, und selbst durch wiederholte Dosen ist keine 
anhaltende Wirkung zu erzielen wie durch Digitalis. (Voigt empfahl es bei 
Klappenfehlern mit und ohne eigentliche Compensationsstörungen, auf längere 
Fälle als regnlirendes und beruhigendes Mittel, bei Insufficienz des Herz¬ 
muskels ohne Erkrankung der Klappen, bei Pericarditis, endlich als unter¬ 
stützendes Mittel im Anschluss an Digitalisgebrauch.) 

Dosirung: Laborde setzt die Tages dose auf 0,05—0,25 fest; auf 
der Not h nage 1‘schen Klinik 0,001—0,004 pro die. Mittlere Dosis wäre 
demnach 0.02 pro dosi, 0,1 pro die. Den UofTeinverbindungen, der Adonis 
vornalis und dem Uonvallamarin ist es überlegen. Die diuretische Wirkung 
ist besonders stark. 

R. 1 R. 


.Spartein. sulf. 0,2. 

A(|. (lest. 10.0. 

M. I). S. 2— 4mal tägl. 20 
Tropfen in Znckerwasser 
oder Wein zu nehmen. 

R. 


Spartein. sulf. 0,4. 

Pulv. radie. Liquir. 

Sine. Liquir. q. s. 
ut. f. pilulae 20. 

D. S. 2—4mal tägl. 1 Pille. 


Spartein. sulf. 0,2. 

Syr. Aurant. fort. 100,0. 

M. I>. S. 2 — 4mal täglich 
1 Kinderlöffel voll in 
Wasser zu nehmen. 

Herba Adonis vernalis, zuerst von Meinl und ('ullen in England als 
Diureticum und Abführmittel empfohlen, später auch von <i. See, I.uhordc 
und Le (iris. (10 Gramm — 0.15 Mk.). Als Infus 4,0 — 8,0:180,0 mit 
Syrup. Aurant. Uortic. 2stündl. 1 Esslöffel. An Stelle der Digitalis bei Herz¬ 
krankheiten und Hydrops. Die Wirkung auf die Diurese ist stärker als auf 
das Herz. Erzeugt leicht l'ebelkeit, Erbrechen. Durchfall, ohne cumulative 
Wirkung. 


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38 DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 2 


Adouidin ist das aus Adouis vernaüs dargestellte wirksame Glycosid, 
0,005, 2 —4 mal täglich in Pillen, statt Digitalis. 

Convftllarln majalis, Maiglöckchen. Am besten die von den Blüthen- 
stielen befreiten Blüthen. Andere Theile der Pflanze sind in ihrer Wirkung 
viel unsicherer. (10,0 Gramm — 0,20 Mk.). Vom Extract 0,3 —0,5—1,5 
pro die: 3,0—5,0—10,0:150 als Infus der Blüthen. Man giebt es an 
.Stelle der Digitalis, deren cumulative Wirkung es nicht haben soll, als Diu- 
reticum bei Herzkrankheiten. Erfolge sind bis jetzt zweifelhaft. 

Extract. Convallariae 0,1 —0,2 mehrmals täglich, 1,0—1,5 pro die. 

Tinct. Conv. 10 Tropfen mehrmals täglich. 

Convallamarin, Glycosid der C. majalis, 0,01—0,05 mehrmals täglich, 
0,25 — 0,5 pro die in Lösung, Pillen. Die Handelspräparate sind von un¬ 
gleicher Wirkung, Dosirung unsicher, nicht zu empfehlen. 

Arbntin, Glycosid aus Folia Uvae Ursi (0,1g — 0,10 Mk.). 1,0 3 bis 
4 Mal täglich als Solution oder Pulver, bei Erkrankung der Harnwege. 

Coffeinum natrio-benzoicum, Cotf. natrio-cinnamyl. und Coff. natr.- 
salic. Alle drei in zwei Theilen warmen Wassers löslich. Bei Herzkrankheiten, 
beginnend mit 0,6 pr. die (0,2 pro dosi), steigend bis 1.0 —1,5. erreicht Digi¬ 
talis nicht. 

Helleboreiimm, Glycosid aus verschiedenen Ilelleborusarten, 0,01—0,02. 
4—5 mal tägl. in Pillen oder Lösung, in schleimigem Vehikel, erzeugt leicht 
Durchfälle. 

(juebracliluuui liydrochloricum, aus Cortex Quebraeho, 0,05—0, 1 pro 
dosi, 0,25—0,5 p. die in Pillen, Lösung. Bei Asthma, Dyspnoe in Folge 
von Herzkrankheiten. 

Piper methysticnin (Cava-Cava). Verwendet wird das flüssige Extract 
der Wurzel, besonders bei Gonorrhoe, es wirkt uaKkotisch und diuretisch 
ohne unangenehme Nebenwirkungen oder Störungen des Allgemeinbefindens. 
Das alkoholische Harzgemisch oder das a-Cava-Harz und Extr. fluidum Cavae 
sind zu verwenden, 4 — 8 Gramm 3 —4 mal täglich von gutem Cavapulver zu 
geben. Vom wässerig - alkoholischen Extract entspricht 0,1 etwa 1 Gramm 
Cavapulver (Lew in). 


— Prof. Lewandowski ist ein grosser Anhänger der Elektro¬ 
therapie des acuten und chronischen Gelenkrheumatismus und ruft 
Quincke, Erb, Lenhartz, Schwabach, A. Frankel und Itiess als 
Zeugen dafür auf, dass die Salicylpräparate einerseits keine zuverlässigen 
Erfolge liefern, andererseits von zahlreichen unangenehmen Nebenwirkungen 
begleitet sind und weder die Erkrankung des Herzens verhindern, noch den 
Krankheitsverlauf wesentlich abkürzen, noch die Exsudation und Schwellung 
der Gelenke aufhalten oder schwinden machen können, wenngleich zumeist 
Verminderung des Fiebers und Aufhören der Schmerzen zu verzeichnen 
ist. Dagegen wurden mit dem galvanischen resp. faradischen Strome über¬ 
raschend günstige Resultate beim acuten Gelenkrheumatismus gesehen 
von Froriep, R. Remak und auf den Kliniken von Botkin, v. Ziemssen 
und v. Frerichs. Lewandowski applicirte in 75Fällen acuter Rheumar- 
thritis 42 Mal ausschliesslich 4—5 Mal täglich eine Viertelstunde den 
faradischen Pinsel an der Haut über den afficirten Geleuken und constatirte 
ausnahmslos günstige Erfolge. Welch’ glänzende Resultate man mit der 
Elektrotherapie beim chronischen Gelenkrheumatismus selbst in den 
schwierigsten Fällen erzielen kann, ist schon vielfach und von den berufensten 
Autoren hervorgehoben worden und erhärtet Lewandowski des Weiteren 
durch Mittheilung einiger Krankengeschichten. Man benutzt zumeist den 
galvanischen Strom local in einer Stromdichtc von 6—8 Milli-Amperes 
(E. Remak) bei stabiler Anodenbehandlung der druckempfindlichen Stellen, 
während die Kathode an einer indifferenten Stelle ruht; viele Autoren, wie 
Benedict, Althaus, M. Meyer, Erb, E. Remak verbinden die 
galvanische Behandlung mit der faradischen in einer Sitzung unmittelbar 
nach eiuander. (Wiener medic. Presse 1887, No. 14 — 16). A. 

— Ammonium salicylicutn empfiehlt Dr. 0. Fliesburg (The Thcra- 
peutic Gazette, October 1887) bei fieberhaften Affectlonen und besonders 
bei acuten Infectionskrankheiten. Das von dem Autor angewendete. 
Präparat enthält 1 Theil Salicylsäure auf 2 Theile Ammoniumcarbonat, 
wobei sich ein Niederschlag vom letzteren bildet, der aber keineswegs 
störend ist. Die Dosis betrug bei Kindern 0,05, bei Erwachsenen 1,0 und 
mehr pro dosi, je nach Bedarf 1—2stündlich wiederholt. Flies bürg hat 
sowohl bei Kindern mit Bronchitis, Croup, Pneumonie, als auch bei Er¬ 
wachsenen ausgezeichnete Resultate mit Ammonium salicylic. sowohl be¬ 
züglich der Entfieberung als auch des Krankheitsverlaufs im Ganzen er¬ 
halten. Ba. 

— James Sawyer (The Lancet, August 1887) hat ausgezeichnete 
Erfolge von Acidum arsenieosum in einer Dosis von 0,0025 bei chronischen 
Gastralgieen gesehen. Sawyer reicht das Präparat in Pillen mit Extr. 
Gentian. 2 Mal täglich zwischen den Mahlzeiten. In nicht zu hart¬ 
näckigen Fällen soll hiermit vollständige Heilung erreicht werden. Ba. 


XIII. Die erste Einberufung derAerztekammer 
der Provinz Brandenburg und des Stadt¬ 
kreises Berlin. 

Die Aerztekammer der Provinz Brandenburg und des Stadt¬ 
kreises Berlin ist auf den 12. Januar einberufen worden, um den 
Vorstand sowie die Delegirten zu der Wissenschaftlichen Deputation 
für das Medicinalwesen und das Provinzial-Medicinalcollegium zu 
wählen. Der auf diese Wahlen bezügliche § 8 der Verordnung vom 
25. Mai 1887 lautet: 

„In der Wahlversammlung führt der Oberpräsideut oder dessen 
Stellvertreter den Vorsitz. Der Vorstand ist für die Dauer der 


Wahlperiode der Aerztekammer zu wählen und hat aus einem Vor¬ 
sitzenden und mindestens vier Mitgliedern zu bestehen. Die Aerzte¬ 
kammer beschliesst mit dieser Massgabe nach absoluter Stimmen¬ 
mehrheit, wie viele Vorstandsmitglieder, und ob für dieselben 
Stellvertreter zu wählen sind. Die Wahl erfolgt in geheimer Ab¬ 
stimmung durch Stimmzettel in besonderen Wahlgängen. Der Vor- 
sitzeude wird zuerst gewählt. Ungültige Stimmzettel werden 
als nicht abgegeben betrachtet. Ueber die Gültigkeit entscheidet 
die Aerztekammer. Als gewählt sind diejenigen zu betrachten, 
welche die absolute Stimmenmehrheit erhalten haben. Ergiebt sich 
keine absolute Stimmenmehrheit, so wird zu einer engereu Wahl 
zwischen denjenigen zwei Personen geschritten, welche die meisten 
Stimmen erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das 
von dem Vorsitzenden zu ziehende Loos darüber, wer auf die 
engere Wahl zu bringen, beziehungsweise wer als schliesslich ge¬ 
wählt zu betrachten ist. Die Gewählten haben sich über die 
Annahme der Wahl, sofern sie anwesend sind, sofort, anderenfalls 
nach Mittheiluog der auf sie gefallenen Wahl durch den Ober¬ 
präsidenten binnen acht Tagen zu erklären.“ 

Der langersehnte Boden ist nunmehr geschaffen worden, auf dein 
die aus der allgemeinen Wahl hervorgegangene Vertretung des ärzt¬ 
lichen Standes im Sinne seines tapferen Vorkämpfers, des Deutschen 
Aerztevereiusbundes, des sorgsamen Pflegers seiner materiellen und 
ideellen Interessen, nunmehr auch in Preussen allgemeine und eigene 
Interessen pflegen wird. Der Geschäftskreis der Aerztekammern 
(§ 2 der Verordnung) umfasst die Erörterung aller Fragen und An¬ 
gelegenheiten, welche den ärztlichen Beruf oder das Interesse 
der öffentlichen Gesundheitspflege betreffen, oder auf die Wahr¬ 
nehmung und Vertretung der ärztlichen Standesinteressen gerichtet 
sind. Die Aerztekammern sind befugt, innerhalb ihres Geschäfts¬ 
kreises Vorstellungen und Anträge an die Staatsbehörden zu richten, 
und sollen die letzteren geeigneten Falls, insbesondere auf dem 
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege, deu Aerztekammern 
Gelegenheit geben, sich über einschlägige Fragen gutachtlich zu 
äussern. Zu den Sitzungen der Provinzial-Medicinalcollegien und 
der Wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen (§ B), 
in denen allgemeine Fragen oder besonders wichtige Gegenstände 
der öffentlichen Gesundheitspflege zur Berathung stehen, oder in 
denen über Anträge von Aerztekammern beschlossen wird, sind 
Vertreter der Aerztekammern als ausserordentliche Mitglieder mit 
beratender Stimme zuzuziehen. Der Vorstand der Aerztekammer 
bildet endlich als solcher ein collegiales Ehrengericht, indem § 5 
der Verordnung bestimmt: „Aerzten, welche die Pflichten ihres Be¬ 
rufes in erheblicher Weise oder wiederholt verletzt, oder sich durch 
ihr Verhalten der Stellung, welche ihr Beruf erfordert, unwürdig 
gezeigt haben, ist durch Beschluss des Vorstandes der Aerztekammer 
das Wahlrecht und die Wählbarkeit dauernd oder auf Zeit zu ent¬ 
ziehen. . . . Gegen deu Beschluss steht dem Betroffenen innerhalb 
vier Wochen die Beschwerde an den Minister der Medicinalaugelegen- 
heiten zu“. 

Sicher wird noch manches Jahr in das Land gehen, bevor sich 
die segensreiche Einwirkung der neuen Institution in vollem Maasse 
zeigen wird, aber zeigen wird sie sich. Das Schwerste war die 
Grundlegung, und diese ist in einer Form gewonneu, durch welche 
dem ärztlichen Staude die wichtigsten Rechte einer staatlich aner¬ 
kannten Corporation gesichert sind. Unter dem Gesichtspunkte 
dieser Organisation ist das Verhältniss der Aerzte zu einander, ihr 
Verhaltniss zu den Behörden und dem Publikum in ein Licht ge¬ 
rückt, welches wohl geeignet ist, die Aerzte — wie der Minister 
v. Gossler s. Z. ausführte — aus einer gewissen schiefen Stellung, 
in welche sie gedrängt sind, herauszubringen. Der hohen Einsicht 
und der thatkräftigen Initiative des leitenden Ministers Dr. v. Gossler 
danken wir es, dass der ärztliche Stand die ihm gebührende Be¬ 
rücksichtigung erfahren hat und dass er nach seinem Antheil mit 
berufen ist zur Lösung der grossen Fragen organisatorischer Gesetz¬ 
gebung. S. G. 


XIY. Die Bewegung im Personalbestand der 
deutschen medicinischen Facultäten während 
des Jahres 1887. 

Wir wollen auch in diesem Jahre unsere Leser in einem gedrängten 
IJeberblick über die Personalveränderungen orientiren, welche sich im Laufe 
des verflossenen Jahres innerhalb der medicinischen Facultäten Deutschlands 
vollzogen haben. 

In Berlin trat in die Stelle des verstorbenen ordentlichen Professors 
der Gynäkologie und Geburtshülfe und Direktors des Klinischen Instituts 
für Geburtshülfe Dr. Carl Schroeder der ordentliche Professor Geh. Me- 
dicinalrath Dr. Olshausen in Halle. An Stelle des letzteren trat der 
ordentliche Professor Dr. Kaltenbach in Giessen, und letzterer wurde 
durch den früheren Secundürarzt an der Schroeder’schen Klinik, Priv.- 
Doc. Dr. M. Ifofmeier in Berlin, ersetzt. — In Marburg wurde das durch 
Lieherkühu’s Tod erledigte Ordinariat der Anatomie dem bisherigen 


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12-Jannar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 39 


ordentlichen Professor der Berner Hochschule Dr. Gasser übertragen, der 
seinerseits durch den a. o. Professor der Anatomie Dr. Strasser in 
Freiburg ersetzt wurde. Die Marburger Facultät verliert ferner ihren 
Ordinarius der Chirurgie, Geh. Medicinalrath Dr. W. Roser, der in den 
Ruhestand tritt. Nachfolger desselben wird der ordentliche Professor 
Dr. H. Braun in Jena. — In Göttingen ist der ordentliche Professor 
der Geburtshülfe und Gyuäkologio Geh. Medicinalrath Dr. II. Schwärt/, 
in den Ruhestand getreteu. Sein Nachfolger ist der bisherige ordentliche 
Professor der Dorpat er Facultät Staatsrath Dr. M. Runge, und in des 
letzteren Stelle rückt der Priv.-Doc. Dr. Wyder in Berlin. Die Göttinger 
Facultät hatte einen weiteren Verlust, iudem der ordentliche Professor der 
Hygiene Dr. Flügge die neu begründete ordentliche Professur der 
Hygiene in Breslau übernahm. An seiner Stelle erhielt der Privat- 
Docent der Berliner Universität Regierungsrath Dr. Wolffhügol, ordent¬ 
liches Mitglied des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, die Göttinger Pro¬ 
fessur der Hygiene. — In Königsberg trat in die Stelle des 
Ende des vorigen Jahres nach Würzburg berufenen ordentlichen Pro¬ 
fessors der Chirurgie Dr. Schönborn Professor Dr. Mikulicz in Krakau. 
— In Strassburg tritt mit Ablauf des Semesters der ordentliche Professor 
der speciellen Pathologie und Therapie Dr. Kuss maul in den Ruhestand. 
Sein Nachfolger wird der bisherige ordentliche Professor der Königsberger 
Facultät Dr. Naunyn. — In Würzburg ist Geigel, der neben der inneren 
Mediein auch das Lehrfach der Hyiene vertrat, durch zwei Extraordinarien 
ersetzt. Dio medicinische Poliklinik wurde dem Würzburger Privatdoccnteu 
Dr. Matterstock übertragen, für das Fach der Hygiene der Assistent 
Petteuk ofer’s und Priv.-Doc. an der Münchener Facultät Dr. K. B. Leh- 
maun berufen. Ferner wurde an Stelle Grashcy’s, der als Gudden’s 
Nachfolger im Vorjahre nach München berufen war, der bisherige Priv.-Doc. 
Dr. Rieger im Extraordinariat mit dem Lehrfach der Psychiatrie und Neu¬ 
rologie betraut. Für den in den Ruhestand tretenden ordentlichen Professor 
der Geburtshülfe und Gynaekologie Geh. Rath Dr. Scauzoni von Lich¬ 
ten fei s ist ein Nachfolger noch nicht ernannt. — In Leipzig trat an 
Crede’s Stelle, der in den Ruhestand getreten ist, der bisherige ordent¬ 
liche Professor der Geburtshülfe und Gynaekologie iu Erlangen Dr. Zweifel, 
und letzterer wurde durch Dr. Frommei, Priv.-Doc. in München ersetzt. — 
Heidelberg verlor den a. o. Professor Dr. Schultze, der als Nachfolger 
Weil’s die ordentliche Professur der speciellen Pathologie und Therapie 
in Dorpat übernahm. 

Innerhalb ihrer Facultät wurden zu Ordinarien befördert die a. o. Pro¬ 
fessoren Dr. Grawitz in Greifswald und Dr. Gärtner iu Jena. 

Zu ordentlichen Honorarprofessoren wurden ernannt die a. o Professoren 
Wagener in Marburg, Hcubner und Bruno Schmidt in Leipzig, ferner 
der frühere ordentliche Professor der Universität Dorpat Dr. A. Vogel zum 
Honorarprofessor in München und der Priv.-Doc. Dr. Helfreich in Würzburg. 

Innerhalb ihrer Facultät wurden zu a. o. Professoren ernannt die Pri- 
vatdocenten Dr. B. Fraeukel, Dr. Gad, Dr. Kossel in Berlin, Dr. Wiener 
und Dr. I.esser in Breslau, I)r. Rumpf und Dr. Ungar in Bonn, Dr. 
Vossius in Königsberg, Dr. Strahl in Marburg, Dr. v. Spee in Kiei, Dr. 
Altmann und Dr. Huber in Leipzig, Dr. Steinbrügge in Giessen. Der 
a. o. Professor Dr. Tappeiner in München trat von der Central - Thier¬ 
arzneischule als a. o. Professor zur medicinischen Facultät über. 

Als Privatdocentcn habilitirteu sich im Laufe des verflossenen Jahres: 
In Berlin: Dr. Oppenheim, Dr. Leo, Dr. Fr. Müller, Dr. Thom-cn, 
Dr. Winter, Prof. Dr. Ehrlicn; in Halle: Dr. Krctschmann: in München: 
Dr. Schlösser und Dr. Ziegenspeck; iu Erlangen: Dr. Hermann; in 
Leipzig: Dr. Karg; in Jena: Dr. Ziehen und Dr- Semou. 

XY. Kleine Mitteilungen. 

- Berlin. Der Geh. Med.-Rath Prof. Dr. R. Koch, Direktor der 
Hygienischen Institute der Universität Berlin, ist zum Generalarzt 2. Classc 
ä "la suite des Sanitätscorps ernannt worden. 

— Denn a. o. Prof, an der medicinischen Facultät der Universität 
Berlin und Prosector am Anatomischen Institut Dr. Hart mann ist der 
Charakter als Geheimer Medicinalrath verliehen worden. 

— An den Hygienischen Instituten der Universität Berlin 
sind eine Reihe von Personal Veränderungen eingetreten Der bisherige erste 
Assistent, Dr. Georg Frank, verlässt am 1. März seine Stelle, um die 
Leitung einer bacteriologischen Abtheilung an der Zoologischen Station in 
Neapel zu übernehmen. An seine Stelle tritt der bisherige zweite Assistent 
Dr. Carl Fraenkel, und in des letzteren Stelle Dr. E. v. Esmarch. In 
ihrer bisherigen Stellung verbleiben der Chemiker am Institut Dr. Proskauer 
und der (’ustos am Hygieuemuseum Dr. Petri. Die als Assistenten zum 
Institut commandirt gewesenen Stabsärzte Dr. Plagge, Weisser und 
Marinestabsarzt Dr. G Io big sind zu ihren Truppcntheilen zurückgekehrt 
und ersetzt worden durch die Stabsärzte Dr. Kirchner. Pfeiffer unu 
Mariuestabsarzt Dr. Nocht. 

— Am 7. d. M., nach der Sitzung des Central-Ausschusses, iu welcher 
der bisherige Vorstand durch Acdamation wiedergewählt wurde, fand eine 
gemeinsame Sitzung des Central-Ausschusses und der Berliner 
Delegirten zur Aerztekammer statt. Von den '20 Delegirten waren 
15 anwesend. Den Vorsitz führte auf Beschluss der Versammlung 
Herr Becher. — Zunächst einigte man sich über die Anzahl der Vorstands¬ 
mitglieder der künftigen Aerztekammer und fand bei 32 Vertretern die 
Zahl 7 am zweckmässigsten, und zwar einen Vorsitzenden und dessen 
Stellvertreter, einen Schriftführer und einen stellvertretenden Schriftführer, 
einen Kassenführer und zwei Beisitzer. Sodann besprach man die Be¬ 
setzung der einzelnen Aeinter und hielt cs für geboten, den Herren aus 
der Provinz drei Stellen im Vorstande zu überlassen, auch das Amt des 
stellvertretenden Vorsitzenden durch einen der auswärtigen Collegen zu be¬ 
setzen. Die Per.sonenfrage wurde vertagt his zu der gemeinschaftlichen 
Sitzung mit den Collegen aus der Provinz, am 11. d. M. Ueberhaupt wurde 


betont, dass obige Beschlüsse keineswegs bindend seien, sondern nur den 
Charakter einer Vorberathung tragen. 

— Im Kaiserlichen Gesundheitsamt fand am 2. Januar unter dem Vor¬ 
sitz des Diicktors Köhler eine Conferenz zur Berathung von Ausführungs¬ 
bestiminungen zu dem Gesetz vom 5. Juli 1887, betreffend die Verwen¬ 
dung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nah¬ 
rungsmitteln etc. statt. An der Sitzung nahmen ausser den Mitgliedern des 
Gesundheitsamtes Prof. Seil und Dr. Renk die Herren Geh. Hofrath Prof. 
Dr. Fresenius (Wiesbaden), Prof. Dr. Hilger (Erlangen) und Geh. Rath 
Prof. Dr. A. W. Hofmann (Berlin) thcil. 

— Psychiatrischer Voroin zu Berlin Am 16. December v. J. 
fand die 61. Versammlung unter dem Vorsitze des Geheimen Sanitätsraths 
Dr. Laohr (Schweizerhof) statt. Anwesend waren 36 Irrenärzte aus Berlin 
und Umgegend bis aus Greifswald, Görlitz. Magdeburg etc. Eine lebhafte 
Debatte rief die Schilderung des Entmündigungsverfahrens von 
Jastrowitz (Schöneberg) hervor, wonach es den Geisteskranken in Privat- 
Irrenanstalten leicht gelingt, Angehörige bezw. Rechtsanwälte zu Anträgen 
auf Aufhebung der ausgesprochenen Eutmündiguug wiederholt zu veran¬ 
lassen. Dadurch entstehen kostspielige Gerichtsverhandlungen und Be¬ 
lästigungen, die vermieden werden könnten, wenn die Gesetzgebung die 
Wiederaufnahme des Entmündigungsverfahrens in solchen Fällen mehr er¬ 
schwerte. Ferner hielt Prof. Mendel einen Vortrag über periodische 
; Formen der Psychosen. Seine Ausführungen gipfelten darin, dass 
1 nach seiner Meiaung die periodischen Psychosen abwechselnd in den Formen 
I der Manie, der Melancholie oder der Paranoia auftreten können Die Dis- 
I cussion ergab mehrfach entgegenstehende Ansichten und wird in der nächsten 
! Sitzung fortgesetzt werden. Ebenso wurde die Discussion über den Vortrag 
| von Dr. Liebe (Schweizerhof) über Diabetes bei Geistesstörung 
vertagt. Nächste Sitzung am 15. März bei IIaussmanu, Jägerstr. 5. 

— Wie wir bereits mittheilten, wird der XVI. Aerztetag am 
j 17. September d. J. in Bonn abgehalten werden, und zwar, gemäss einem 
I auf dem vorigen Aerztetage gefassten Beschluss, zeitlich und örtlich im 
Zusammenhang mit der vom 18.—24. September in Köln tagenden Ver¬ 
sammlung Deutscher Naturforscher und Aerztc. Da sich in unseren Bericht 
in No. 51 einige kleine Ungenauigkeiten eingeschlichen hatten, wiederholen 
wir, dass die Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses, die hierüber 
Beschluss gefasst hat, am 18. December in Berlin tagte, und zwar waren 
in dieser Sitzung zugegen die Herren Graf-Elberfeld, Au b-München, 
Bardeleben-Berlin, Becher-Berlin, Eschbacher-Freiburg, Heinze- 
Leipzig, Hüllmann-Halle, KrabIer-Greifswald, Szmula- Zabrze, Torspe- 
ken-Bremen, Wallichs-Altoua, während die Herren B rausor-Rogens- 
burg, Cnyrim-Frankfurt a. M., Pfeiffer-Weimar, Sigul-Stuttgart ihr 
Nichterscheinen entschuldigt hatten. 

— Die zur Prüfung des vom Medicinalrath Dr. Sander entworfenen 
; Programms zur Errichtung einer neuen Irrenanstalt in Berlin cinge- 
I setzte Untercommissiou nat ihre Berathungen unter Vorsitz des Ober- 
] bürgermeisters von Forckonbeck begonnen. Das Programm wurde ge- 
; uehmigt. Die Anstalt soll für 1000 Personen errichtet, jedoch vorerst nur 
| für 600 Personen eingerichtet werden. Dio Berathung über die llerrichtung 
j von sogenannten Coloniehäusern etc. wird demnächst fortgesetzt und 
über das ganze Programm Beschluss gefasst werden. 

— Die Frage der Errichtung eines Sanatoriums für Brustkranke 
: in Berlin wurde bereits im Jahre 1885 im Schoosse der städtischen Depu- 
i tation für die öffentliche Gesundheitspflege angeregt, aber mit Rücksicht. 

auf die vorliegenden dringenden Aufgaben auf dem Gebiete der Gcsundheits- 
i und Krankenpflege, namentlich wegen der Errichtung eines Krankenhauses 
1 im Süden der Stadt, des Hospitals nebst Siechenanstalt in der Prenzlauer 
Allee, der zweiten Irrenanstalt etc. bisher vortagt. Nachdem alle diese 
Angelegenheiten fast vollständig erledigt sind, konnte nunmehr in einer 
hierfür eingesetzten Untercommission zur Entscheidung der Frage geschritten 
werden, ob überhaupt die Errichtung eines besonderen Hospitals für Brust¬ 
kranke erforderlich ist. Die Commission, an welcher ausser dem Oberbürgcr- 
i meister v. Forckenbeck als Vorsitzendem, den Stadträthen Dr. Wasscr- 
fuhr (Referent), Bail und Stadthagen, den Stadtverordneten Professor 
! Dr. Virchow und Hass als Mitgliedern, noch dio Herren Professor 
I)r. Senator, Stadtbaurath Blankenstein, Professor Dr. Fürbringer 
und Sanitätsrath Dr. P. Guttmann als Sachverständige theiluahmen, fasste 
| folgenden einstimmigen Beschluss: „Die Commission hält mit Rücksicht 
auf die grosse und voraussichtlich zunehmende Zahl chronischer Brust¬ 
kranker, welche, in den städtischen Krankenhäusern und Siechenanstalten 
| aufgenommen werden muss, die Errichtung einer besonderen Heil- und 
Pflegeanstalt für solche Kranke in der Umgegend Berlins für dringend 
i wünschenswerth. Zunächst würde für etwa 460 Kranke Vorsorge zu 

treffen sein.“ 

— In der Königlichen medicinischen Universitätspoliklinik 
wurden im Jahre 1886 behandelt: 5580 Männer, 4860 Frauen, 4000 Kinder, 
i also in Summa 14442 Patienten: 1887: 4869 Männer, 5352 Frauen, 3924 
1 Kinder, also in Summa 14145 Patienten. 

— Königsberg i. Pr. Wie wir erfahren, dürften für die Wieder- 
, besetzung der durch Prof. Naunyn’s Uebersiedelting nach Strassburg er- 
| ledigten Professur der medicinischen Klinik die Professoren v. Mering- 
Strassburg, Eichhorst-Zürich, Lichtheim - Bern und Leichte nstern - 
! Köln in Frage kommen. 

— Jena. Die Berufung von Professor extraord. Rosenbach aus 
I Göttingen als Nachfolger Braun’s für den Lehrstuhl der Chirurgie ist von 
der Facultät vorgeschlagen. 

— Leipzig. Der Direktor der inedicinischeu Klinik (ich. Med.-Rath 
Prof. Dr. E. Wagner beging das 25jährigo Jubiläum seiner akademischen 
Lehrtätigkeit. Der Jubilar wurde durch eine Festschrift gefeiert. 

! — Erlangen. Prof. Dr. v. Zenker beging das 25jährige Jubiläum 

I seiner akademischen Lehrtätigkeit. Von dem Deutschen Archiv für klinische 
Mediein, dessen Mitbegründer und Herausgeber v. Zenker ist, ist ein 


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40' 


DEUTSCHE MEDK'INLSf 1IE WOCHENSCHRIFT 


Festband „Herrn Prof. l)r. F. A. v. Zenker gewidmet von seinen Freunden 
und Schillern“, erschienen. 

— Paris. Der bekannte Anthropologe Dr. K. A. F. Daily, früherer 
Präsident der Societe d'Anthropologie, ist gestorben. < 

— Dr. Achille Foville, einer der Redaeteure der Annales nn’d. 
psychologii|ues, der sieh auch durch eine Keihe hervorragender psychiatrischer 
Arbeiten bekannt gemacht hat, ist gestorben. 

— Im Bicetre iu Paris wurde vor einiger Zeit eine Marmortafel von | 
dein Präfecten der Seine feierlich enthüllt zu Ehren .1. B. Pussin's. 
eines früheren Kranken und späteren Wärters der Anstalt, welchen Piael 
„seinen besten Mitarbeiter“ genannt hat. Der Präfect hielt eine warme 
Ansprache an das Wartepersonal, welche mit den Worten schloss: „Wir 
hollen, unter Ihnen Nachfolger Pussin’s zu finden, welche verdienen, ihren 
Namen auf die Steinblätter des Buches einzugraben, das wir heute eröffnen.“ • 
(Neurol. Centralbl.) 

— Dorpat. Die Universität Dorpat feierte am 12. December den 
85. Jahrestag ihres Bestehens. 

— Madrid. Im April oder Mai 1888 wird in Madrid ein t'ongress [ 
für Gynäkologie, G'eburtshülfe und Pädiatrie tagen. 

— Budapest. Von den December-.Sitzungen des abgelaufenen Jahres 
der König!. Gesellschaft der Aerzte, ist die Generalversammlung 
hervorzuhehen, zufolge der gehaltenen Ansprache des Präsidenten Minist.- 
Rath Dr. L. Markusovszky, welche die Entwickelung der Mcdicin be¬ 
leuchtete und folgende zwei Momente folgerte: I) Dass die Hypothesen, 
auch wenn sie von den grössten Capaciläten herrühren, mit kritischem 
Zweifel aufgenommeu werden und 2) dass an dem Aufbau der Medicin 
neuestens nicht nur die Professoren und Kliniker, sondern auch die prak¬ 
tischen Aerzto ihren Antheil haben. — Der Verein zählt gegenwärtig 327 
ordentliche, 152 correspondirendo und 0 Ehren-Mitglieder; die Bibliothek 
4 931 Werke mit 8 474 Bänden. — Di der ungarischen medicinischen 
Literatur sind im Jahre 1837 insgesummt 202 Originalaufsätze erschienen, 
von welchen 128 aus den Universitätskreisen Budapest s und Klausenburg’s 
und 74 von Privatärzten stammen. — Die anlässlich der Cholera im Jahre 
1866 mH ausserordentlichen Befugnissen eingesetzte Ccntral-Epidemie- 
Commission ist nunmehr aufgelöst worden. Die Kosten derselben be¬ 
trugen 207 294 Gulden. — Die Aerzte und Apotheker in Temesvär 
haben einen südungarischen ärztlich-pharmaceutischen Verein gegründet. 

— Anlässlich eines in Budapest vorgekommenen Streitfalles, haben 
das König!. Gericht und die Künigl. Kurie entschieden: „Dass der Hausarzt 
nicht verpflichtet ist, die Angehörigen der Familie unentgeltlich zu be¬ 
handeln, wenn dieselben abgesondert wohnen, und dass für dieselben, ausser 
dem vereinbarten Jahreshonorar, der Arzt von Fall zu Fall extra zu 
honoriren ist.“ 

— Italien. Das Ministerium des Innern hat eine Commission ernannt 
zuin Studium der sogenannten Stomatitis ulcero-gangraenosa, welche 
in den Krankenhäusern zu Palermo epidemisch aufgetreten ist. Die 
Commission besteht aus den Professoren Armanni, SiIvestrini und 
Weis. (Riforma med.) 

— Padua. Professor T. Vanzctti, Direktor der chirurgischen Uni¬ 
versitätsklinik in Padua ist am 7. d. M., 78 Jahre alt, gestorben. 

— Zur medicinischen Publicistik. Die von Dr. Winter redigirte 
Allgemeine Deutsche Hebammenzeitung tritt in ihren dritten Jahr¬ 
gang. Das der letzten Nummer des zweiten Jahrgangs beigegebene Inhalts¬ 
verzeichnis ermöglicht einen Ucberblick über den reichen Inhalt und 
lässt erkennen, dass die Redaction mit Erfolg an den vorgesteckten Auf¬ 
gaben gearbeitet hat. — Im Verlage von Ricmann et Möller iu Berlin 
erscheint eine neue Wochenschrift „Der Naturwissenschaftler“, die 
sich zur Aufgabe gemacht hat, einen Ucberblick über das Gesammtgobiet 
der Naturwissenschaften und ihre praktische Verwendung iu gemeinfasslicher 
Form zu geben. — Unter dem Titel: „llosszu etet“ (Langes Leben) erscheint 
seit Neujahr in Budapest ein populäres Blatt, redigirt von Dr. Franz 
Lörinczi, für all’ Diejenigen, welche gesund wohnen, praktisch essen 
und trinken und sich rationell kleiden wollen, im Allgemeinen für Hygiene, 
Kinderpflege etc. 

— Der Ilülfs- und Schreibkalender für Hebammen, heraus¬ 
gegeben vom Geh. Medieinalrath Dr. L. Pfeiffer in Weimar (Verlag von 
Herrn. Bühlau in Weimar) liegt iu seinem 11. Jahrgange vor. Die Aus¬ 
gabe für das Königreich Preussen ist von Medieinalrath Dr. Ab egg iu l 
Danzig bearbeitet. Es bedarf wohl nur der Anzeige, dass der neue Jahrgang 
dieses, das allgemeine Wohl in so hohem Grade fördernden Unternehmens 1 
erschienen ist, um es allen Collegen zur Pflicht zu machen, für eine 
möglichst weite Verbreitung des Kalenders nach Kräften cinzutretcn. 

— Von der im Verlag von Vandenhoeck und Ruprecht in Göttingen 
erscheinenden, von Gustav Ruprecht herausgegebenen Bibiiotheca i 
medico • Chirurgien pharmacculico-Shemica et vctcrinaria, die ! 
in vierteljährlichen Lieferungen eine systematisch geordnete Uebersicht 
aller auf dem Gebiete der gesamintcn Medicin in Deutschland und dem 
Auslände neu erschienenen Schriften, wichtigeren Aufsätze aus Zeit- | 
Schriften etc. bringt, liegt uns das dritte lieft des Jahrganges 1887 vor. 
das die Monate Juli und September 1887 umfasst. Bei den Schwierigkeiten, i 
die der zu verarbeitende umfangreiche Stoff darbietet, ist die Promptheit 1 
des Erscheinens dieser Publication ganz besonders hervorzuhebeu, während 
der niedrige Preis — 6 Mark für den Jahrgang — es jedem literarisch 
beschäftigten Arzte ermöglicht, sich in den Besitz der für ihn fast unent¬ 
behrlichen Bibliographie zu setzen. Das verdienstvolle Unternehmen sei ( 
den Collegen hiermit auf das Wärmste empfohlen. 

— Die schwierige Frage der Entscheidung über das Geschlecht 
der Frucht vor der Geburt löst R. B. Steward in einfachster (ob 
auch zu treffender'0 Weise wie folgt. Fühlt die Mutter das Gewicht des 
Foetus links, so ist es ein Knabe, fühlt sie cs rechts, so ist cs ein 
Mädchen. Der Autor will in 25 Fällen aus diesem Anzeichen, ohne sich 


No. 2 

ein einziges Mal zu täuschen, die richtige Prognose gestellt haben. (Rcv. 
intern, des Sciences med.) 

— Cholera In der letzten Novcmbcrwochc sind iu der .Stadt 
Bombay 2 Cluderatodcsfälle, Eingeboiene in zwei verschiedenen Stadt¬ 
bezirken betreffend, verzeichnet worden. Die Cholera wird daselbst als er¬ 
loschen angesehen. 

— Diphtheritis. In Vermilion (Illinois) herrscht eine heftige 
Diphtheritisepidemie. — Eine weitere Diphtheritisepidemie herrscht in Shoharie 
(New-York). (Sem. med.) 

— Scarlatina. Die iu Basel augenblicklich heirschende Scarlatina- 
epidemie hat seit Mitte September bereits 200 Erkrankungen zu verzeichnen. 
(Sem. med.) 

— Universitäten. Leipzig. Dr. A. Döderlcin. Assistent von 
Prof. Zweifel, hat sich als Priv.-Doc habilitirt. — Dorpat. Das Conseil 
der Universität Dorpat hat den Priv.-Doc. der inneren Medicin an der Uni¬ 
versität Heidelberg Dr. Stadclmann zum etatsmässigen Docenleu für die 
propaedcutisclien Fächer der inneren Medicin gewählt. 

XVI. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, den praktischen Aerzten Dr. Oskar Rothmann und Dr. Clemens 
Mayer in Berlin den Charakter als Sanität.s- Rath zu verleihen, dem Ass. 
A. I. CI. Dr. Paalzow im 7. Thür. Inf.-Reg. No. 97 zu Altenburg zur 
Anlegung des ihm verliehenen Ritterkreuzes II. CI. des Hcrzogl. Sachsen- 
Ernestinischen Hausordcns sowie dem Ass. Arzt I. CI., bisher an Bord 
Sr. Majestät Fahrzeuges -Loreley“ in Constautinopel zur Anlegung des ihm 
verliehenen Grossherrlich Türkischen Medschidjc Ordens IV'. CI. die Aller¬ 
höchste Erlaubniss zu ertheilen. 

Ernennungen: Der seitherige Hülfsarbeiter beim Königl. Mediciual- 
Collegium der Rheinprovinz, Kreis-Physikus San.-Rath Dr. Schulz iu 
Coblenz ist zuin Medicinal-Assessor bei dem genannten Collegium, der 
seitherige commissarische Verwalter der Kreis-Wundarztstelle des Kreises 
Gumbinnen, Dr. Gebhard in Gumbinnen definitiv zum Kreis-Wundarzt, 
und der seitherige commissarische Verwalter des Phvsikats des Kreises 
Stolzenau, Dr. Tampke iu Stolzenau definitiv zum Kreis-Physikus des ge¬ 
dachten Kreises ernannt worden. Seine Majestät der König haben Aller- 
gnädigst geruht, den ordtl. Prof. Dr. Braun in Jena zum ordtl. Prof, in 
d. medic. Fac. der Uuivers. Marburg zu ernennen. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Tannow iu Züllchow, 

Dr. Bluth uud Dr. Winckler in Stettin, Dr. Schollenberg in Runkel, 
Dr. Pfeiffer iu Wiesbaden, Dr. Hamm iu Osnabrück, Dr. IIo th als Ass.- 
Arzt des städtischen Krankenhauses in Potsdam, Dr. Born und Dr Kiessler 
in Breslau, I)r. Scheller in Camcuz i. Seid, Dr. Zepler in Conrads¬ 
waldau, Dr. Lingenauher in Ramsbeck, Dr. Schcdtler als Vol.-Arzt 
: der Irren-Anstalt in Marburg, Dr. Kuhn iu Steinbach-Hallenberg, Dr. Bla¬ 
sius in Bergheim, Dr. Schroers in Krefeld, Dr. Jucrgonsmay er in 
Borbeck, Dr. Franke in Elberfeld, Dr. Apfel als Ass.-Arzt der Provinzial- 
I Irren-Anstalt in Grafenberg, Dr. (juchl iu Heissen, Dr. Beckmann in 
I Styrum. Dr Schmidt in Barlin, Dr. Kizinski in Zerkow, Dr. Kozasz- 
kiewicz in Jersitz, Dr. Jaffc, die Ass. Aerzte Dr. Schmidt, Dr. Schneg- 
i Jer und Seemann in Po..cn, Dr. Schilling in Schlichtiugsheim, Dr. 

| Ullrich in Obersitzko, Dr. Longard in Bonn, Dr. Maoks in Erfurt, Dr. 
i Jankofsky in Sohl, Dr. VVoszeik iu Weissensce, Krause in Bondorf, 

! Dr. Buddeberg in Andernach, Dr. Rosenberg, Dr Ernst Schneider 
u. Ocstreicher säinmtlich in Berlin, Dr. Tarnowski in Charlottcnbuag. 

Die Zahnärzte: Ncwigcr u. Gutmann in Berlin. 

Verstorben sind: Die Arzte: Dr. Bruhn in Schönberg in Holstein, 
Dr. Rambow in Grcvesmühleu in Meckleubg., Dr. Wilh. Kollosscr in 
Nordhausen, Amtsphysikus a. D. Sun.-Rath Dr. Justi in Marburg, Geh. 
San.-Rath Dr. Blümncr in Breslau, der Ass.-Arzt der Prov. Irren-Anstalt 
Dr. Brandenburg in Owiusk u Prof. Dr. Christiani in Berlin. 

Vaeantc Stellen: Die Physikate des Kreises Schleusingen und des 
neu gebildeten Kreises Briesen; die Kreis-Wundarztstellen der Kreise 
Schroda, Mescritz, Wreschen und Rcichenbach. Die Kreis-Wundarztsteilo 
des Kreises lleydekrug mit Wohnsitz in Russ. 

2. Württemberg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Laudcsver.) 

Ernennungen: Dr. M. Müller in Stuttgart zum zweiten Ass.-A. au 
der Heil- und Pilegean^talt Schussenried. Dr. Bisinger in Rottenburg 
zum Hausarzt a. d. Landgefiingniss daselbst. 

Ruhestands Versetzung: Ob.-Amts.-A. Dr. Härlein in Stuttgart. 

Gestorben: Ob.-Amts.-A. Dr. W. Kaupp in Freudeustadt. 

3. Sachsen. 

(Corr.-Bl. d. ärztl. Kr.- und Bcz.-Ver im Kgr. Sachsen.) 

Gestorben: Dr. K. R. llennig in Freiborg. 

Berichtigt! n g. 

In dem Referat über die letzte Sitzung der freien Vereinigung Berliner 
Chirurgen demonstrirte Herr Dr. Rosenstein zwei mit multiplen Exostosen 
behaftete Kranke. Das Referat über diese Demonstration muss wie folgt 
lauten: ln dein einen Fall wurde von Herrn Dr. Israel ein operativer 
Eingriff ausgeführt und eine Exostosis bursnta der Vorderfläche der Scapula 
entfernt. Die Exostose selbst war nur wenige Millimeter hoch; von der Grösse 
eines Markstückes; der Schleimbeutel, iu welchen sie frei hineinragte und 
der ausserdem der ersten Rippe adhärirtc, trat am Innonrande des Knochens 
in der Grösse einer Kinderfaust hervor. Gluck (Berlin). 


Gedruckt bei Julius Sittcufekl iu Ueilin W. 


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Donnerstag 


JWS. 


19. Januar 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mitteilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sauitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber die Dickdarmentzündung bei acuten 
Quecksilbervergiftungen. l ) 

Von Prof. Dr. Granitz. 

Erst seit wenigen Jahren ist durch die vielfache Anwendung, 
welche das Sublimat in der Wundbehandlung erfahren hat,' die 
Aufmerksamkeit in erhöhtem Maasse auf ein Vergiftungssymptom 
gelenkt worden, welches früher zwar bekannt, aber wenig beachtet 
war, nämlich auf eine schwere hämorrhagisch-diphtherische Ent¬ 
zündung des Dickdarms.-) Es mag die Ursache für dieses Ver- 
Cessenwerden einmal darin liegen, dass die bei weitem grössere j 
Mehrzahl der beobachteten Quecksilbervergiftungen der Reihe der 
«‘(ironischen lutoxicationen angehört, in deren Verlauf eine Dickdarm- 
eiitzündung nur ganz ausnahmsweise vorkommt, andererseits darin, 
dass bei acuten Sublimatvergiftungeu in einer ganzen Anzahl von 
Fällen das Gift durch den Mund eingeführt worden war. so dass 
die diphtherische Colitis gleichzeitig mit Aetzungen von Mund. 
.Speiseröhre und Magen gefunden und mit diesen direkten Contact- 
wirkungen als gleichbedeutend erachtet wurde. | 

Die erste Kenntuiss, welche ich persönlich von dieser Form der ' 
Colitis erhalten habe, datirt etwa aus dem Jahre 1875. zu welcher j 
Zeit Dr. Thomas Ruttledge aus London, welcher Jahre lang unter ; 
Yirchow am Berliner pathologischen Institut Arbeitete. Einreibungen 
grosser Mengen von grauer Salbe bei Hunden vornahin, welche bis 
zur Vergiftung der Thiere fortgesetzt wurden. Bei der Sectiou 
dieser Thiere fand Ruttledge regelmässig eine über den ganzen 
Dickdarm ausgebreitete hämorrhagische Infiltration in der Schleim¬ 
haut mit Schorfbilduug auf der Höhe der Falten, die Thiere hatten 
an heftigem Tenesmus gelitten und häufig blutigen Koth entleert. 
Leider ist Dr. Ruttledge bald darauf im serbisch-türkischen Kriege 
am Typhus verstorben, seine Versuchsergebnisse sind nicht ver¬ 
öffentlicht worden. Später habe ich gelegentlich der bekannten 
Untersuchungen, welche 0. Liebreich über die Wirkung des 

1 Vortrag, gehalten Im Greifswalder medicinischen Verein. 

Wibmer, Die Wirkung der Arzneimittel und Gifte im gesunden 
thierw-hen Körper, 1837. 

.Auch die äusserlichc Anwendung des Sublimates kann sehr gefährlich i 
»erden; e-; erfolgt nämlich nach der grösseren oder kleineren Dosis des 
Giftes eine stärkere oder geringere Entzündung des Applicationsortes 
und der benachbarten Theile .... ausserdem zeigen sich aber , 
auch häutig Schmerzen im Magen und den Gedärmen. Ekel, Erbrechen, 
Durchfall. Durst. Angst elc. In den Leichen findet man fast immer ausser ) 
der Entzündung am Applicationsorte auch noch entzündete, geschwürige, 
'cll»t brandige Stellen im Magen und im Mastdarm . . . 

In die Blutadern gespritzt wirkt der Sublimat sehr heftig: wenn man | 
ihn in kleinen Dosen zu 1 j — 3 * Gran einspritzt, so erfolgt ausser schwerem [ 
Athem und den Zeichen der Lungenentzündung auch oft Speichelfluss, ge¬ 
wöhnlich aber bald Erbrechen. Durchfall, selbst blutiger Art, Zwang, Fieber 
etc. Im t'adavcr findet man die Lungen stellenweise entzündet, den Magen [ 
und die Gedärme, besonders den Mastdarm, stellenweise entzündet, brandig, 
mit blutigem Schleim überzogen“. 

Orfila, Lehrbuch der Toxikologie. Deutsch von Krupp. 1852. ent¬ 
hält die genauesten Angaben über die Wirkung der verschiedensten t^ueck- 
'ilberpräparate, aber in den Seetionsberichten wird höchstens andeutungs¬ 
weise einer Colitis Erwähnung gethan. In dein Bilde des chronischen 
Mercurialismus ist nichts davon enthalten. Auch bei Kussmau! wird 
Dysenterie nur beiläufig als zufällige Complication angeführt. Dagegen be- 
-chreilit Orfila (p. 534) Vergiftungen eines Hundes durch subentane Ein¬ 
führung von Cupniin sulfuricuin. wobei im Mastdarm hämorrhagische In¬ 
filtration in Form schwarzrother Runzeln beobachtet wurde. 


Quecksilberforniainids anstellte, eine grosse Anzahl von Kaninchen 
seeirt. welche durch subcutane Injection dieses Präparates von 
Liebreich vergiftet waren; die Thiere zeigten regelmässig Darm¬ 
entzündung. hämorrhagische Infiltration und Verschorfung der 
Schleimhaut. welche besonders im Coecum immer zuerst auf der 
Höhe der Querfalten angetroffen wurden. 

Bei Menschen habe ich im Berliner pathologischen Institut 
öfters diphtherische Colitis beobachtet, welche auf Sublimatanweu- 
dung bezogen werden musste, namentlich erwiesen sich Typhuskranke 
in der späteren Zeit (etwa 5. Woche) der Krankheit ungemein 
empfindlich gegen Quecksilbersalze. Ich theile heute einen neuen 
Fall mit. welcher sich bei einem 28 jährigen Manne hier in Greifs¬ 
wald ereignet hat. Der Kranke wurde mit einer complicirten 
Obcrschenkelfractur auf die chirurgische Klinik eingeliefert er hatte 
starke Blutverluste gehabt und wurde durch Herrn Collegen Hel- 
ferich amputirt. Die Wunde ist mit Sublimatlösung 1:1000 mehrmals 
ausgespült worden: der Tod trat am 3. Tage nach der Operation 
ein. Bei der Sectiou fand sich ein kleines chlorotisches Herz, enge, 
dünnwandige, sehr elastische Aorta, reichliche Fettembolieen der 
fälligen, frische parenchymatöse Nephritis. Den in Lake conser- 
virten Darm erlaube ich mir vorzuzeigen. Der Dünndarm ist nicht 
sichtbar verändert: vom Coecum an beginnt eine frische Diphtherie, 
welche sich bis zum Rectum erstreckt und an dem ganzen Colon die 
hervorragenden, durch die Taeniae coli und die Anordnung der Haustra 
bedingten Falten einnimmt, so dass die hämorrhagischeu Schorfe in 
regelmässigen Viereckeu. einer Strickleiter ähnlich, angeordnet sind. 
Der anatomische Befund stimmt demnach mit der Beschreibung, 
welche Eugen Fraeukel (im 99. Bande von Virchow’s Archiv) 
von seinen Fällen giebt. vollständig überein. Ich möchte die Frage, 
warum gerade die Höhe der prominenten Sehleimhautfalten be¬ 
troffen wird, etwas weiter verfolgen, zumal ich ausser bei Orth 
(Handbuch der Pathologischen Anatomie, Bd. I p. 804) kaum irgend 
welche Erörterung dieses nicht unwichtigen Umstandes gefunden habe. 

Diese Anordnung der Schorfe legt den Gedanken einer Aetz- 
wirkung vom Darminhalte her nahe und ist in der älteren Litera¬ 
tur anscheinend auch immer mit den Aetzbefunden am Magen in 
Parallele gebracht worden. Da sich nun auch hei äusserer An¬ 
wendung des Sublimats derselbe Befund ergeben hat, so hat sich 
die unzweifelhaft richtige Anschauung Bahn gebrochen (Maschka, 
Hoff mann u. A.). dass die Aetzwirkung bei der Ausscheidung des 
Giftes aus dem Blute in das Darinlumen zu Stande kommen muss. 
E. Fraeukel sagt darüber (1. c.): „Wir werden daher per exclusiouem 
zu der Annahme gedrängt, die beschriebene, mit Nekrose der 
Schleimhaut einhergehende Darmaffection als eine toxische, durch 
den resorbirten und nach dem Darm hin wieder ausgeschiedenen 
Sublimat bedingte Erkrankuug aufzufassen“. Bei dieser Annahme, 
dass es Sublimat, also eine corrosiv wirkende Quecksilberverbindung 
ist, welche ausgeschieden wird, wäre allerdings die Verschorfung 
erklärt, allein es bleibt doch immer noch die Frage offen, warum 
das Sublimat bei seiner Ausscheidung gerade immer die am meisten 
prominenten Falten des Dickdarms versehorft und nicht vielmehr 
die Mucosa in gleichmässiger Stärke zerstört. Unter der Annahme, 
dass wirklicli Sublimat im Darm vorhanden ist, würde man wohl 
am ehesten zur Erklärung des anatomischen Befundes annehmen 
müssen, dass das Hg-Salz, welches bekanntlich durch die Speichel¬ 
drüsen, die Galle und in geringerer Menge auch durch den Dünndarm 
aus dem Blute eliiniuirt wird, im Dickdarm durch Wasserresorptiou 
concentrirter würde und so die mit dem Koth am leichtesten in 
Uontact kommenden hervorragenden Flächen anätzen könnte. 


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42 


Ich theile hier einen Thierversuch mit, den ich zur Klärung I 
der Frage mit meinem Freunde Poelcheu zusammen unternommen I 
habe: Einem Hunde wurde unter Beobachtung strenger Antisepsis 
eine Laparotomie gemacht, der Dickdarm hervorgezogen und 12 cm 
unterhalb des Coecums durchschnitten, das peripherische Stück 
wurde an der Schnittfläche eingestülpt, Seros» an Serosa vernäht 
und dann in die Bauchhöhle versenkt; das obere Ende wurde in 
die Bauchwunde eingenäht, so dass ein künstlicher After entstand. 
Der Hund wurde nun mit reichlicher subcutaner Injection von 
Sublimatlösung (1 : 1000) vergiftet. Am 3. Tage entleerte sich aus 
dem eingenähten Darmstück blutiger Inhalt, in der folgenden Nacht 
starb der Hund. Die Section ergab ein durchaus reines Resultat. 
Au den Injectionsstellen der Haut war in grossem Umfange Nekrose 
des Uuterhautfettgewebes und der oberflächlichen Fascie eingetreten, 
keine Eiterung. Das Bauchfell war durchaus intact, Herz, Lungen, 
Milz, Nieren und Magen ohne nennenswerthe Veränderungen. Die 
Schleimhaut des Dünndarms war etwas geschwollen und injicirt, 
vom Coecum begann lebhafte Injectionsröthe und hämorrhagische 
Infiltration auf der Höhe der Falten, es war fast gar kein Kotli im 
Darm enthalten. An dem Hauptabschnitt des Dickdarms, welcher 
versenkt worden war, hatte sich eine feste Verklebung der Serosa- 
flächen gebildet, im Lumen war nur flüssiges Blut vorhanden, die 
Schleimhaut enthielt unregelmässig verlaufende dicke Falten, welche 
hämorrhagische Infiltration und auf der Höhe oberflächliche Nekrose 
zeigten. 

Aus diesem Versuche, den ich in Anbetracht der oben erwähn¬ 
ten eigenen Erfahrungen über Quecksilbervergiftung bei Hunden 
nicht wiederholt habe, da der Befund ein ganz typischer war, 
geht hervor, dass die Enteritis mercurialis in derselben Form zu 
Stande kommt, auch wenn gar kein Contact mit galligem Darm¬ 
inhalt vorliegt, der Darminhalt vielmehr gänzlich abgesperrt ist. 

Die Schorfbildung beruht demnach nicht auf einer Contact- 
wirkung mit ätzendem Darminhalt, sonderu auf heftiger krampf¬ 
artiger Contraction der Muscularis bei extremer Hyperämie der 
Schleimhaut; 1 ) dadurch kommt im menschlichen Darm die bekannte 
Anordnung im Verlaufe der starken Muskellageu zu Staude. Die 
Verschorfung ist also nicht gleichzusetzen einer Corrosion der 
Schleimhautfalten des Magens bei Aetzvergiftuugen, sondern den 
hämorrhagischen Infiltrationen des Magens, welche man so oft nach 
heftigem Erbrechen beobachtet, wo sich alsdann auf der Höhe der 
contrahirten Falten durch die Verdauung und Abstossung der 
nekrotischen Schleimhautoberfläche eine Erosion bildet. Ob also 
aus dem Blute wirklich Sublimat oder nicht vielmehr Quecksilber- 
albuminat ausgeschiedeu wird, ist für die Entstehung der „Diph¬ 
therie“ ohne Bedeutung, da diese wesentlich abhängig ist von der 
Reizung, welche das Quecksilber beim Durchströmeu des Blutes 
durch den Darm auf die Muscularis ausübt. Dass sich nachträg¬ 
lich, nachdem die Nekrose der Schleimhaut einmal hergestellt ist, 
Bacterien ansiedelu und das anatomische Bild schliesslich domiuiren 
können, bedarf keiner weiteren Ausführung, ich schliesse mich 
hierin ganz au die Schilderung von Orth an. 

Einen Gedanken finde ich von Orth bei Erörterung der Ruhr 
ausgesprochen, auf den ich hier noch eingehen möchte; es heisst 
da p. 811: „Dabei bleibt auch noch die andere Frage zu ent¬ 
scheiden, ob die epidemische Ruhr, wie es wohl zweifellos die 
sporadische ist, eine primäre Localaffection des Darms darstellt, 
oder ob sie eine Allgemeinkrankheit ist, welche sich nur im Darm 
localisirt“. Diese letzte Möglichkeit, dass das Virus der Ruhr vom 
Blute her auf die Dickdarmschleimhaut wirkt, wird meines Erachtens 
durch den Vergleich der anatomischen Befunde bei Quecksilber¬ 
vergiftung und der epidemischen Ruhr (Dysenterie) uugemein nahe 
gerückt. Vor wenigen Wochen hat Virchow in der Berliner me- 
dicinischen Gesellschaft Fälle von Diphtheria mercurialis demonstrirt, 
von welchen er aussagt, dass sie anatomisch bis in alle Einzel¬ 
heiten mit den Befunden der diphtherischen Ruhr übereinstimmen. 
Auch bei der Dysenterie ist die Veränderung vorwiegend oder gar 
ausschliesslich im Dickdarm localisirt, der Tenesmus, die blutigen 
Stühle, die Localisation auf der Höhe der Taenieu und Haustra 
ist dieselbe, die Schleimhaut zwischen diesen Stellen erhält sich 
lange, oft andauernd intact. Diese Uebereinstimmung im anato¬ 
mischen Befunde macht es höchst wahrscheinlich, dass auch bei 
der Ruhr eine Ausscheidung toxischer Substanz in den Darm vor¬ 
liegt. Andererseits könnte man annehmen, dass hier eine direkte 
Aetzwirkung stattfände, etwa durch chemische Zersetzungsproducte, 
welche die Darmschleimhaut local reizten, allein solche localen 
Irritationen sind ja auch bekannt, z. B. bei Darmstenosen, beim 
Choleratyphoid, bei Decubitus durch harte Kothballen, jedoch sind 
diese Veränderungen unschwer von den Befunden bei diphtherischer 
Ruhr und Quecksilbervergiftung zu unterscheiden. Ich entsinne 

*) Betreffs dieser Wirkungen des Tenesmus vgl. Virchow’» Abhand¬ 
lungen über Typhus und Dysenterie, Archiv Bd. LIl, p. 19. 


No.3 

mich mit Deutlichkeit eines in dieser Hinsicht gewiss bedeutsamen 
Falles, den ich vor Jahr und Tag in Berlin secirt habe; es bandelte 
sich um den damals in Aufnahme gekommenen Versuch einer 
Narkotisirung durch reichliche Aetherinjection in’s Rectum. Die 
Person war gestorben, das Rectum zeigte eine ausgebreitete ober¬ 
flächliche Verschorfung und Entzündung, recht ähnlich den Befunden 
bei diphtherischer Ruhr, allein ohne die charakteristische An¬ 
ordnung der Schorfe, da der Aether die Schleimhaut natürlich an 
allen Stellen in gleicher Intensität geschädigt und nicht etwa bloss 
die am meisten hervorragenden Falten betroffen hatte. 1 ) Ich 
möchte daraus schliessen, dass die auf die Falten beschränkte 
typische Darmdiphtherie ein sicheres Zeichen dafür ist, dass eine 
irritirende, entzündungserregend wirkende Substanz vom Blute in 
das Darmlumen ausgeschieden worden ist. Die Frage, von welcher 
Stelle aus dieses Gift in die Blutbahn hineiugelangt ist, wird 
hierdurch natürlich in keiner Weise gelöst. Es ist bekannt, dass 
Aramoniakverbiudungeu bei Urämie typische Darmdiphtheric bei 
ihrer Ausscheidung hervorrufen können (Virchow 1. c. Bd. LII); 
ich habe (Virchow’s Archiv Bd. CII p. 178) durch subcutaue 
Injection von rein cultivirten Acne-Bacillen bei Meerschweinchen 
hämorrhagische Infiltration der Dickdarmschleimhaut erzeugt, es 
ist gewiss möglich, dass auch vom Magen und Darm aus ähnlich 
wirkende Gifte resorbirt werden können, allein eine Resorption in’s 
Blut, d. h. eine Allgemeinkrankheit, im Sinne des citirten Satzes 
von Orth, muss in allen Fällen voraufgegangen sein. 

II. Zur klinischen Kenntniss der Linsen- 
Contusionen. 

Von Prof. Dr. H. Magnus. 

Die Kenntniss der Linsencontusionen war bisher eigentlich 
ausschliessliches Eigenthum der Experimental - Pathologie; die 
Klinik hat von den Erscheinungen, unter denen eine Contusion der 
Linse zur Beobachtung gelangt, bis jetzt nur so oberflächlich Kennt¬ 
niss genommen, dass eine genaue Schilderung des klinischen Bildes 
der reinen Linsencontusion in den Lehrbüchern 3 ) der Augenheilkunde 
bis jetzt vollständig fehlt, und Arlt 3 ) im Jahre 1874 den Ausspruch 
tliun konnte: „Ob Erschütterungen des Auges, wenn weder Beratung 
der Kapsel noch Zerreissung der Zonula stattfand, direkt Linsen¬ 
trübung bewirkt habe, darüber liegen keine verlässlichen Angaben 
vor; es wird nur gewöhnlich so angenommen.“ Wenn nun auch, 
seit Arlt jenes Wort gesprochen, einzelne casuistische Mittheilungen 
über Linsentrübung in Folge von Erschütterung des Auges gemacht 
worden sind, so z. B. von Becker, 4 ) so galten die einschlägigen 
Publicationen doch eigentlich nur als äusserst seltene Curiositäten, 
und Schirmer 5 ) durfte in seiner vortrefflichen Dissertation ohne 
Scheu den Ausspruch thun, reiue Contusionen der Linse gehören 
in der augenärztlichen Praxis zu den „extremsten Seltenheiten.“ 
Dass bei solch’ einer Sachlage es nicht zur erschöpfenden Ent¬ 
wickelung des klinischen Bildes der Linsencontusionen kommen 
konnte und uns die Lehrbücher eine klare Schilderung derselben 
schuldig bleiben mussten, wird wohl Niemand sonderlich verwundern. 
Ich bin nun in der Lage, die Lücke, welche unsere kliuischen 
Kenntnisse gerade bezüglich der Erscheinungen der Linsencontu¬ 
sionen zeigen, auf Gnind zweier einschlägiger Beobachtungen, wenn 
auch nicht vollständig auszufüllen, so doch wenigstens theilweise 
zu ergänzen. 

*) Vgl. hierüber die bei Orth citirte Literatur über Injection stärkerer 
Ammoniaklösungen in’s Rectum, wobei eine von der echten Diphtherie 
merklich verschiedene Aetzung entstanden war. Petro ne, Lo Sperimen- 
tale, 1884. 

'■') Auch in dem vortrefflichen Werk von Zander und Geissler, 
Die Verletzungen des Auges, Leipzig und Heidelberg 1864 
vermissen wir eine Beschreibung der Linsencontusionen vollständig. So 
eingehend in diesem Werk auch die verschiedensten Verletzungen des Auges 
besprochen sind und so ausgiebig auch die Literatur benutzt ist, so fehlt 
eine Darstellung der reineu Linsencontusionen doch. 

Desgleichen hat auch Vossius. (Die Verletzungen des Seh¬ 
organs. Souderabdrücke der Deutschen Medicinal - Zeitung 
lieft 9. Berlin 1884). die Contusionstrübungen der Linse nicht genauer, 
sondern nur mit wenig Worten wie folgt geschildert: „Gelegentlich hat man 
auch ohne Verschiebung der Linse oder Berstung ihrer Kapsel durch 
die einfache Erschütterung einen Katarakt entstehen sehen und in den 
Experimenten Borlin’s am Kaninchenauge eine Stütze dieser Beobachtung 
gefunden“. Gerade die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Contusions- 
Linsentrübungeu werden in dieser Beschreibung aber nicht erwähnt. 

Arlt. Ueber Verletzungon des Auges in gerichtsärzt¬ 
licher Beziehung. Wiener medicinische Wochenschrift 1874. 

4 ) Becker. Pathologie und Therapie des Linsensystems. 
Gräfe und Säraisch. Handbuch der gesammten Augenheilkunde. V. 5, 
p. 275. Leipzig, 1877. 

5 ) Schirmer. Experimentelle Studien über reine Linsen - 
1 contusionen. Dissertatio iuauguralis. Greifswald, 1887, p. 7. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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19. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 43 


leb werde im Folgenden zunächst die zwei von mir beob- I 
achteten Fälle mittheilcn und alsdann einige epikritische Bemerkungen | 
anschliessen. 

1. B. H.. ein kräftiger 17jähriger Arbeiter, erlitt im Laufe dos Vor- [ 
mittags des 21. Juli eine Verletzung des linken Auges, und zwar wurde j 
der Vorfall durch Explosion einer Flasche hervorgerufen, mit deren Ver¬ 
korkung Patient gerade beschäftigt war. Ein grösserer Glassplitter. über 
dessen Dimensionen genaue Angaben vom Verletzten allerdings nicht , 
gemacht werden konnten, war dem Patienten gegen das linke Auge geflogen 
und alsbald wieder, so gab der Kranke wenigstens an, vom Auge abgeprallt. ; 
Besondere therapeutische Maassnahmen gegen die Verletzung waren sofort l 
nicht ergriffen worden, vielmehr wurde mir der Patient erst im Laufe des 
Nachmittags des Unglückstages zur Besichtigung zugeführt. Ich hatte also 
Gelegenheit, den Kranken etwa 6—8 Stunden nach geschehener Verletzung | 
genau zu untersuchen. 

Ich fand eine 5mm lange lineare Schnittwunde in der inneren Hälfte 
der Cornea, und zwar verlief dieselbe schräg von oben innen nach der 1 
Mitte der Hornhaut. Vom inneren oberen Cornearand war die Wunde etwa i 
2 mm entfernt. Die Ränder der Wunde waren durchaus scharf und glatt ! 
und wurden durch vorgefallene Iris etwas von einander abgedrängt. 
Die Iris lag in der ganzen Ausdehnung der Wunde in derselben und ragte 
‘/s mm über die Wunde hervor. Die vordere Kammer war verstrichen, die 
Pupille nach der Wunde hin verzogen und durch eiue eigenthümliche grau- i 
liehe Trübung gekennzeichnet. Mit seitlicher Beleuchtung konnte ich in 
dieser Trübung hier und da eine intensiver getrübte Partie entdecken, 
sowie feststellen, dass die gesammte Trübung ganz oberflächlich, dicht unter 
der Vorderkapsel lag. Wie weit peripher diese Trübung reichte, ob sie die 
ganze vordere Fläche der Linse bedeckte oder nur einen Theil derselben, 
vermochte ich wegen des Verhaltens der Pupille nicht zu ermitteln, doch 
fand ich nach der Iridectomie, dass die Trübung auch unter dem ausge¬ 
schnittenen Irisstücke vorhanden war. Entzündliche Erscheinungen an der 
Iri* fehlten vollständig. Subjective Klage über Schmerzen im verletzten 
Auge oder dergleichen wurden nicht geäussert. 

Bei der soeben geschilderten Sachlage musste natürlich die nächste 
therapeutische Indication die sein, den mächtigen Prolapsus Iridis zu be¬ 
seitigen, und dies bewerkstelligte ich durch eiue sofort von der Comeawunde 
aus vorgenommene Iridectomie. Nach Ausschneidung des vorgefallenen Iris- 
theiles erhielt ich eine reine, freie Corncalwunde und eine sehr typisch 
geformte Schlüsselloch-Pupille. Die weitere Behandlung bestand in Atropin, \ 
Verband unter den hergebrachten antiseptischen Maassnahmen und Ableitung ' 
auf den Darin. 

24 Stunden nach Ausführung der Operation entfernte ich den Verband j 
und konnte jetzt von der gestern so charakteristisch ausgeprägten j 
Linsentrübung auch nicht die leiseste Andeutung mehr entdecken Die 
Linse war völlig klar, in allen ihren Theilen transparent und zeigte in keiner 
Weise eine pathologische Veränderung. Der weitere Heilungsverlauf der 
Verletzung bietet keinerlei Besonderheiten dar, und genügt die Bemerkung, 
dass Patient am 10. Tage nach erlittener Verletzung aus der Klinik ent¬ 
lassen wurde und wieder in Arbeit treten konnte. Ich habe nun später noch 
wiederholt Gelegenheit gehabt, den Patienten wieder zu sehen und mich ; 
dabei stets zu überzeugen, dass die Linse frei von jeder Trübung, auch | 
selbst der leichtesten Andeutung einer solchen geblieben war. 

2. 0. Sch., ein lGjähriger Sattler, verletzte sich am 2. Juli das rechte 
Auge in der Weise, dass er beim Ledernähen mit der rechten Hand von 
der Arbeit abglitt und mit voller Kraft mit der abgleitenden Hand gegen ' 
das rechte Auge schlug. Er hielt bei dieser Gelegenheit einen spitzen j 
Pfriemen in den Fingern, der aber glücklicherweise nicht geschliffen und 
deshalb ziemlich stumpf war. Mit diesem Instrument nun hatte der Ver¬ 
letzte das Auge getroffen. Der Unfall war des Vormittags etwa gegen 9 Uhr 
geschehen, und Nachmittags um 4 Uhr stellte sich der Kranke mir vor, so dass 
also etwa 7 Stunden zwischen Trauma und meiner Untersuchung lagen. 
Alsbald nach Verletzung des Auges war ein Arzt geholt worden, welcher 
Atropin eingeträufelt und einen Druckverband angelegt hatte. 

Meine Untersuchung ergab nun folgenden Befund: 

Das rechte Auge zeigte etwa 1 mm unterhalb des unteren Cornealfalzes 
ein graues, prominentes, etwa V> miD langes und '/4 mm breites Höckerchen, 
welches bei genauer Besichtigung als eine Irisbernie imponirte. Die 
Scleralwunde, aus welcher diese Hernie sich hervordrängte, zeigte ziemlich 
scharfe Ränder. Die Cornea war völlig normal und von der gewöhnlichen 
Transparenz. Ebenso war an der Iris auch nicht die geringste Beschädigung 
nachweisbar, weder Risse resp. Wunden, noch Zeichen einer Entzündung; 
auffallend war nur, dass die durch Atropin erweiterte Pupille nicht rund, 
sondern eiförmig gestaltet war, und zwar lag die Spitze nach unten In der 
vorderen Kammer fand sich eine allerdings nur sehr geringe Menge eines 
dunkelbraunen Blutes, und zwar auf dem Boden der Kammer; im Uebrigen 
zeigte die Vorderkammer ein völlig klares Kammerwasser, dessen Menge 
gleichfalls durchaus normal war. Höchst eigenthümlich war nun aber das 
Verhalten der Linse. Zuvörderst wurde die Linse an ihrem gewöhnlichen 
Ort gefunden und konnte an derselben auch keinerlei abnorme Beweglichkeit 
bemerkt werden. Dagegen waren die unteren in der Pupille sichtbaren 
zwei Drittel der Linse in höchst ausgeprägter Weise getrübt, und zwar 
handelte es sich um eine diffuse grauliche Trübung, in welcher einzelne 
weissliche Striche und Punkte sich sehr deutlich abzeichneten. Diese 
Trübung konnte nach unten und nach den Seiten nicht begrenzt werden, 
vielmehr erstreckte sie sich hier bis hinter den Pupillenrand. Dabei lag 
die Trübung genau so wie in dem zuerst beobachteten Fall unmittelbar unter 
der Linsenkapsel und war im Uebrigen doch so dicht, dass eine ophthal¬ 
moskopische Untersuchung des Augengrundes unmöglich gemacht wurde. 
Das obere in der Pupille sichtbare Drittel der Linse war dagegen nicht 
getrübt, und konnte dieser Theil der Linse ohne Weiteres mit dem Augen- 
»pi egel durchleuchtet werden. Die Trübung setzte sich gegen diesen oberen, 


nicht getrübten Linsentheii mit einer sehr scharfen Grenzlinie ab; es 
existirto etwa kein allmähliger Uebergang aus der getrübten in die nicht 
getrübte Linsenpartie, vielmehr grenzten beide ganz unvermittelt aneinander, 
l'ebrigens verlief die scharfe Grenzlinie, mit welcher die Trübung gegen die 
ungetrübte Linsenzone sich abset/.te, nicht gerade, sondern zeigte nach oben 
eine leichte Concavität. 

Da, wie bereits vorhin bemerkt wurde, keinerlei entzündliche Keaction 
von Seiten des Auges vorlag, so beschränkte ich meine Therapie auf Ver¬ 
band des verletzten Auges, Aufenthalt im Bett, und Ableitung auf den Darm. 

Am Abend des nächstfolgenden Tages, etwa 36 Stunden nach dem 
Eintreten der Verletzung, entfernte ich den Verband und bemerkte nun, 
dass die Linsentrübung vollständig verschwunden war. Auch nicht die 
leiseste Spur der Trübung war mehr nachweisbar, vielmehr zeigte die Linse 
im Bereich der früher getrübten Zone nunmehr die normale Transparenz, 
und war die vorher nicht ausführbare ophthalmoskopische Untersuchung nunmehr 
möglich. Ich fand jetzt mit dem Augenspiegel und zwar bei Untersuchung 
im aufrechten Bild, auf dem Boden des Augengrundes, und zwar sehr 
peripher, eine massige flächenartige Netzhautblutung und ausgehend von 
derselben ein feines bei jeder Bewegung des Auges hin- und herschwankendes 
in den Glaskörper hineinreichendes Blutgerinnsel. Sonstige Erscheinungen 
pathologischer Natur waren an dem Auge nicht nachweisbar. Die Iris zeigte 
noch immer keinerlei Zeichen einer Iritis und traten solche auch im weiteren 
Verlauf nicht auf. Die Cornea war klar, entzündlich. Iujection um die 
Cornea fehlte. Die Therapie blieb die alte. Der fernere Verlauf bot 
keinerlei besondere Erscheinungen mehr dar. Die Blutungen in Retina und 
Glaskörper verschwanden allmählich, ebenso war die geringe Blutansammlung 
in der Vorderkammer bald resorbirt. Nach 14 tägigem Aufenthalt in der 
Klinik entliess ich den Patienten in die poliklinische Behandlung und nach 
weiteren 8 Tagen auch aus dieser. Das Auge ergab bei der Entlassung 
Sehschärfe *°, 3 o, ebenso wie das gesunde linke Auge, dabei eine Myopie 
von 2 Dioptrien und einen massigen Conus an dem maculosen Rand der 
Papilla optica. Die Pupille des verletzten Auges bewegte sich jetzt in 
normaler Weise, nur war sie immer noch eiförmig gestaltet. Die Scleral¬ 
wunde war vernarbt aber leicht ectatisch und von dunkelgrauer Farbe. 

Dürfen wir diesem Fall noch einige Bemerkungen über den 
Mechanismus der Verletzung anschliessen, so hat es sich dabei offen¬ 
bar um eine starke Contusion der unteren Hälfte des rechten Auges 
gehandelt; Patient gab ausdrücklich an, dass er sich mit der vollen 
Hand gegen das Auge geschlagen habe. Complicirt wird nun diese 
Contusion noch durch die Verletzung mit einem stechenden, wenn 
auch stumpfen Instrument. Mit diesem Instrument hat Patient die 
Sclera etwa 1 mm unterhalb des Cornea-Scleralfalzes getroffen und 
hier uicht eine reine Stich- oder Schnittwunde, sondern eine Quetsch¬ 
wunde erzeugt, in welche ein Theil des Uvealblattes gefallen ist, 
und zwar dürften wohl die allerperiphersten Theile der unteren 
Irishälfte diejenigen gewesen sein, welche in die Scleralwunde sich 
legten; dafür spricht wenigstens die nach unten gerichtete eiförmige 
Verschiebung der Pupille. Eine Eröffnung der Bulbuskapsel ira 
weiteren Umfang ist bestimmt nicht erfolgt; es liess sich mit dem 
Augenspiegel wohl Blut in der Retina und dem Glaskörper nach- 
weisen, aber nirgends war eine Rissstelle der Netzhaut bemerkbar. 
Es muss die Quelle dieses intraoeularen Blutaustrittes hauptsächlich 
in einer Quetschung der Ader- resp. Netzhaut gesucht werden. Mit 
der Linse oder dem Aufhängeapparat derselben ist das verletzende 
Instrument aber unter keinen Verhältnissen in Berührung gekommen. 
Die Linse befand sich ja nicht allein an ihrem gewöhnlichen Platz, 
sondern war auch vollständig unbeweglich und liess keinerlei Spuren 
einer directen Verletzung erkennen; auch dann, als die Trübung 
verschwunden und die Linse nach energischer Atropinisirung in 
allen ihren Theilen einer genauen Untersuchung zugänglich war, 
konnte nirgends die Andeutung einer Verletzung der Linse resp. 
ihrer Kapsel gefunden werden, so eifrig ich nach einer solchen auch 
suchte. Es ist mir daher am Wahrscheinlichsten, dass das ver¬ 
letzende Instrument die Bulbuskapsel schräg von vorn nach hinten 
gestreift, auch ein kleines Stück zwischen Sclera und Uvealblatt 
eingedrungen sein mag und auf diese Weise wohl eine länglich von 
vorn nach hinten streichende Quetschwunde der Sclera und Ader¬ 
haut verursacht hat, welche Wunde zu jenem ophthalmoskopisch 
sichtbaren Bluterguss geführt hat. Aussen am Auge war übrigens 
von einem Bluterguss zu keiner Zeit etwas bemerkbar. Es dürfte 
sich demnach die in Rede stehende Verletzung ihrer mechanischen 
Wirkung nach aus zwei Factoren zusammensetzen, nämlich einmal 
aus der starken Erschütterung, welche der Augapfel durch das 
Schlagen mit der Hand gegen denselben erlitten hat, und zweitens 
aus der Quetschung, welche die Bulbuskapsel durch das halbscharfe 
Instrument erfahren hat. Uebrigens hat die genaue Erkenntniss des 
Mechanismus der Verletzung für unsere Zwecke kein hervorragendes 
Interesse; für uus ist es ausschliesslich von Wichtigkeit zu wissen, 
dass die Linse ohne directe Verletzung der Kapsel oder des Auf¬ 
hängeapparates eine theilweise Trübung davongetragen hat. 

Die epikritischen Bemerkungen, welche wir zur Beleuch¬ 
tung der mitgetheilten Krankengeschichten für angezeigt erachten, 
werden wir am zweck massigsten wohl mit einem Hinweise auf den 
wichtigsten Punkt in dem klinischen Bilde der Linsencontusionen, 
nämlich die schnell vorübergehenden Linsentrübungen, beginnen. 


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44 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 3 


Es sind ja derartige Trübungen von anderen Beobachtern auch schon 
gesehen worden; so weiss ich z. B. durch briefliche Mittheiluugen, 
dass Coccius ganz ähnliche Fälle wiederholt beobachtet hat, wo 
durch Stoss gegen ein Auge, oder durch Anprallen eines aus eiuer 
Flasche schnell herausspringenden Pfropfens vorübergehende Trü¬ 
bungen in der Linsen Peripherie entstanden waren. Doch hat uns das 
volle pathologische Verständniss für dieselben erst in neuester Zeit 
die ganz vortreffliche Dissertation von Schirmer (bereits Eingangs 
dieses Aufsatzes von uns genannt) gebracht. Schirmer hat experi¬ 
mentell den Nachweis geliefert, dass durch Contusionen resp. 
Quetschungen der vorderen Linsenfläche ohne Eröffnung der Kapsel 
sich eine unmittelbar unter der Vorderkapsel gelegene Trübung von 
graulich opaker Farbe entwickelt welche nicht stationär wird, viel¬ 
mehr stets innerhalb einer gewissen Zeit wieder verschwindet, also 
zu einer vollständigen restitutio ad integrum der Linse führt. Als 
pathologisch - anatomische Ursache dieser Trübung hat Schirmer 
folgende Vorgänge nachgewiesen; einmal entwickeln sich Degene¬ 
rationen des Vorderkapselepithels, welche aber durch Regeneration 
auffallend schnell, schon etwa in 8 — 12 Stunden, falls die Degene¬ 
ration nicht einen zu grossen Umfang angenommen hatte, wieder 
ausgeglichen werden. Sodann wird in der Linse selbst durch die 
Contusion eine Ernährungsstörung gesetzt', welche zu einem er¬ 
höhten Zufluss oder verminderten Abfluss der Ernähruugsflüssigkeit, 
vielleicht auch zu Beidem, führt. Diese sich in der Linse stauende 
Ernähruugsflüssigkeit erweitert die zwischen den Linsenfasern vor¬ 
handenen Spalten, sowie auch ein körniger Zerfall der Linsenfasern 
selbst eiutritt. Mit Resorption dieser gestauten Ernährungsflüssig¬ 
keit und der Zerfallsproduete der zerstörten Linsenfaserpartieen 
verschwindet alsbald daun auch wieder der Mangel an Transparenz, 
die Linse verliert die Trübung. Ob nun, wie Schirmer dies an¬ 
nimmt, nur die Veränderungen an der Linse selbst die mit den 
Linseucontusionen einhergehenden Trübuugen veranlassen, dagegen 
die Epithelveränderungeu optisch ganz belanglos sind, dies vermag ich 
im Augenblick nicht zu entscheiden, und scheint diese Frage vor 
der Hand überhaupt noch nicht endgültig spruchreif zu sein, doch 
hat die Schirmer’sche Ansicht von der optischen Bedeutungs¬ 
losigkeit der Epithelveräuderungen jedenfalls viel für sich. Prak¬ 
tisch dürfte es auch ziemlich gleichgültig sein, ob nur die in den 
Linsenspalteu sich stauende Ernährungsflüssigkeit als optische Ur¬ 
sache der Trübung gelten darf, oder ob auch noch die Epithel¬ 
degenerationen bei dem Zustandekommen jener Coutusions-Trübungen 
behülflieh sein mögen. Der wichtigste Punkt in praktischer Hin¬ 
sicht. bleibt eben die Thatsache, dass durch reine Erschütterungen 
der Linse ohne directe Verletzung der Kapsel resp. des Aufhäuge- 
apparates sich im engsten Anschluss an die Erschütterung, d. h. 
schon wenige Stundeu nach erlittenem Trauma, oberflächlich gelegene 
Linsentrübungen entwickeln, welche durch eine sehr ausgeprägte 
Flüchtigkeit ihres Bestehens charakterisirt sind. In den von mir 
beobachteten Fällen betrug die Dauer der Contusions-Trübung der 
Linse nur 36—40 Stunden, während sie in den Schirmer sehen 
Experimenten theils auch nur Stunden, theils aber auch Tage und 
Wochen bestanden hatte. Die Dauer der Trübung hängt ganz ge¬ 
wiss, wie dies Schirmer ja auch nachgewiesen hat, von der In¬ 
tensität der Contusion ab; je schwächer diese ist, um so später tritt 
die Trübung ein und um so schneller verschwindet sie auch wieder. 
Ob eventuell eine reine Liusencontusion auch zu dauernden Linsen¬ 
trübungen führen könue, darüber geben meine beiden Fälle keinerlei 
Aufschluss, doch wäre die Möglichkeit einer derartigen Thatsache 
ganz gewiss nicht so ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Es 
lässt sich ja sehr wohl denken, dass bei sehr schweren Erschütterungen 
die Veränderungen der Linse, das Auseinanderdrängen ihrer Fasern 
resp. der Zerfall derselben eine solche Ausdehnung erreichen, dass 
eiue vollständige Wiederherstellung ausgeschlossen erscheinen muss. 
Uebrigens hat ja auch Schirmer einen Fall raitgetheilt, in welchem 
die experimentell erzeugte Contusions-Trübung der Linse nach Ab¬ 
lauf von 3 Wochen auch nicht die geringste rückgängige Veränderung 
erkennen liess, und die Section alsdann eine besonders umfangreiche 
Zerstörung in den Linsenfaseru nach wies. Auch Becker 1 ) hat 
einen Fall raitgetheilt, iu welchem nach einer heftigen Contusion 
des rechten Auges eiue Linsentrübung sich entwickelte, welche 
nicht rückgängig wurde; doch sind dem Beck er’sehen Fall gegen¬ 
über gewisse Zweifel darüber nicht von der Hand zu weisen, ob 
wir es bei ihm überhaupt mit einer reinen Contusions-Trübung zu 
thun haben. Schirmer hebt ja doch ausdrücklich hervor, dass bei 
seinen Experimenten die Linsentrübungen der Verletzung unmittel¬ 
bar auf dem Fuss zu folgen pflegten; genau dasselbe hat Berlin-) 
bei seinen Versuchen auch gefunden, und bei den von mir beob¬ 
achteten Fällen konnte der Eintritt der Linsentrübung allerhöch- 


*) a. a. 0. 

a ) Berlin. Zur sogenannten Commotio retinae. Klinische 
Monatsblätter für Augenheilkunde. XI. Jahrgang. Erlangen 1873, p. 47. 


stens nur 5—6 Stunden nach geschehener Erschütterung erfolgt 
sein. In dem Becker sehen Fall wurden die ersten »Spuren der 
Linsentrübung aber erst von der dritten Woche an bemerkt. Im 
Anschluss an diesen Fall macht Becker in sehrzutreffenderWei.se 
darauf aufmerksam, dass die im Gefolge von Contusionen des Auges 
bei unverletzter Kapsel und unverletzter Zouula später auftreteudeu 
Katarakte durchaus nicht durch den directen Einfluss der Er¬ 
schütterung auf die Linse eutstauden zu sein brauchen, sondern als 
consecutive aufzufassen sind, d. h. als solche Katarakte, die sich 
allmählich aus den durch die Erschütterung bedingten anderweitigen 
Verletzungen des Auges herausbilden. Dass aber derartige Linsen- 
Trübungeu mit den von uns beschriebenen, von Schirmer und 
Berlin experimentell erzeugten, der Contusion sich unmittelbar an¬ 
schliessenden Linsentrübungen nichts gemein haben, darf keines¬ 
wegs ausser Acht gelassen werden. Es treten also im Gefolge von 
Contusionen des Auges zweierlei Trübungen der Linse auf; nämlich: 

a) Linsentrübungen im unmittelbaren Anschluss an die Contu- 
siou; diese sind entstanden zu denken durch den unmittelbaren 

; schädigenden Einfluss, welchen die Erschütterung auf die Linse 
(Auseiuanderdrängeu der Linsenfasern durch sich stauende Er 
nährungsflüssigkeit, Zertrümmerung von Linsenfasern, degenerative 
i Vorgänge im Epithel der Vorderkapsel) ausübt. Directe Contusions- 
Trübungen wohl meist vorübergehender Natur. 

b) Linsentrübungen, welche erst längere Zeit nach der Er- 
! schütterung sich entwickeln und entstanden zu denkeu sind durch 

die anderweitigen Verletzungen, welche das Auge durch das Trauma 
erlitten, sog. consecutive Coutusions-Trübungen ohne Neigung zur 
spontanen Rückbildung. 

Was nun die Häufigkeit der direkten Coutusions-Trübungen der 
Linse anlangt, so bezeichnet Schirmer dieselben zwar als „ex¬ 
tremste Seltenheiten“, doch möchte ich diesem Ausspruch nicht so 
ohne Weiteres beipflichten. Schon der Umstand, dass ich im Laufe 
des letzten Jahres unter einem Beobachtungsmaterial von 3000Kranken 
2 Fälle von direkten Linsencontusionen finden konnte, scheint da¬ 
für zu sprechen, dass dieselben denn doch nicht gar so selten seiu 
können. Ich glaube, dass die Seltenheit der fraglichen Trübungen, 
von der Schirmer spricht, überhaupt nur eine scheinbare ist; in 
Wirklichkeit werden direkte Contusionen der Linse gewiss des 
Oefteren auftreten, wenn sie aber nicht diagnosticirt werden, so er¬ 
klärt sich dies aus folgenden Ursachen. Zuvörderst bekommt der 
Arzt eine ganze Reihe von Verletzungen des Auges, besonders wenn 
dieselben nicht gerade allzu schwere sind, keineswegs alsbald nach 
geschehenem Trauma zu Gesicht, souderu sehr oft erst nach Verlauf 
einiger Tage; da nun aber die reinen Coutusions-Trübungen der 
Linse flüchtiger Natur sind, bald nach der Verletzung auftreten und 
je nach der Schwere oft schon nach »Stunden oder nach 1 - 2 Tagen 
bereits wieder verschwinden, so wird ganz gewiss ein Theil der 
fraglichen Linsentrübungen schon abgelaufeu sein, noch ehe der 
Patient zum Arzt kommt. Und des Ferneren darf mau auch nicht 
vergesseu, dass in nicht wenigen Fällen die mit einem Trauma ver¬ 
bundenen anderweitigen Umstände, wie z. B. Corneawundeu, Blu¬ 
tungen in die Vorderkammer u. dgl. rn. die Untersuchung der Linse 
entweder bedeutend erschweren, oder auch die Aufmerksamkeit des 
untersuchenden Arztes von der Linse ablenken können. 

Schliesslich möchten wir mit wenigen Worten noch des Mecha¬ 
nismus der Contusion gedenken. Wie dies unsere beiden klinischen 
Beobachtungen, sowie die experimentellen Untersuchungen lehren, 
kann die Contusion der Linse in doppelter Weise erfolgen. Einmal 
kann nämlich ein Fremdkörper die Hornhaut durchdringen und in 
direktester Weise die Vorderfläche der Linse treffen und hier ohne 
Eröffnung der Kapsel eine Quetschung der Linsensubstanz und der 
Kapsel erzeugen. Dies war in unserem Fall 1 durch den gegen das 
Auge fliegeuden Glassplitter geschehen, und einen ähnlichen Mecha¬ 
nismus benützte Schirmer experimentell zu seinen Studien der 
Linsencontusionen, indem er entweder die Cornea mit einer geraden 
Lanze eröffnete und durch diese Wunde hindurch die Linsenvorder¬ 
fläche mit einer Sonde strich, oder indem er mit einem Gräfe’schen 
Messer, ähnlich wie zum Extractionsschnitt, iu die Vorderkammer 
einging und mit dem Rücken des Messers die Linse direkt berührte. 

Sodann kann auch unabsichtlich bei allen operativen therapeu¬ 
tischen Eröffnungen der Vorderkammer ganz in der nämlichen Weise 
eine Quetschung der Linsen vorderfläche bewirkt werden, wie dies 
Schirmer experimentell bewerkstelligt hat; so konnte z. B. 
Deutschmann') nach Spaltung des Ulcus serpens Contusious- 
Linsentrübuugen beobachten. 

Die Linsencoutusion kann aber auch hervorgerufen werden bei 
völlig intacter Cornea und ohne dass ein Fremdkörper direkt die 
Linsenoberfläche zu berühren braucht, lediglich nur durch eine starke 
Erschütterung. So war in unserem Fall 2 die Linse bestimmt von 


*) Deutschmann. Untersuchungen zur Pathogenese des Ka¬ 
tarakt. Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie. XXVI. 1. p. 151. 


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19. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


45 


4 ‘inein verletzenden Instrument nicht getroffen worden, vielmehr war 
die ('ontnsions-Truhuug lediglich durch den starken Schlag entstanden, 
welcher dein Auge mit der Hand versetzt worden war. Ex¬ 
perimentell ist dieser Mechanismus von Berlin 1 ) gehamlhaht worden, 
welcher lediglich durch Schläge gegen den Bullms Contusions-Trü- 
luingen der Linse zu erzeugen im Stande war. 


III. Aus dem thier-physiologischen Laboratorium der land¬ 
wirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. 

Ueber conträre Wirkung Fieber erregender 
und Fieber hemmender Mittel. 

Von Dr. Ed. Aronsohii in Berlin. 

Im Verfolg meiner noch nicht publicirten Untersuchungen über 
den Fieberproress im W. S. 1886—87 machte ich eine Beobachtung, 
die. an sich schon merkwürdig, in Beziehung gebracht zu einigen 
neuerdings gemachten ähnlichen Erfahrungen, noch ein besonderes 
Interesse gewinnt. 

Durch suheutaue Injection sterilisirter Heujauche ist man näm¬ 
lich im Stande, Thiere in einen Fieberzustand zu versetzen, ohne 
dass dieselben durch diesen Eingriff zu Grunde gehen oder über¬ 
haupt das Bild einer schweren Erkrankung bieten. Aus der grossen 
Zahl von subcutaneu Injectionen, welche ich mit sterilisirter Heu¬ 
jauche bei Kaninchen ausgeführt habe, ergiebt sich, dass der Ver¬ 
lauf der Temperaturen während der Fieberzeit sich in folgender 
Weise charakterisirt: 


Vniperatiirsteigerung 

nach 1 l /j 

Stunden 

Ulli 

Minimum 

0 050 

Maximum 

1.7» 

• 

2 

n 

r> 

V 

0,7» 

1.4» 


n 


n 

0,80 

1,7° 


* 4 

Ti 


1.15» 

2.0» 

* 

- 6 



1,0» 

1,450 

V 

r. " 

r> 

ri 

0,80 

1.25° 

?> 

* 9 

n 

rt 

0,5» 

1,2° 


Also schon 1 l /-> Stunden nach der Injection ist eine Temperatur- 
Weigerung uin 0,80 im Durchschnitt nachweisbar und sie erreicht 
•*chon meist nach 4 Stunden ihr Maximum; aber auf dieser Hübe 
hält sich die Temperatur nur eine sehr kurze Zeit und nach ca. 
12 Stunden ist sie zur Norm zurückgekehrt. Injieirt wurde jedes 
Mal 2 ccm pro kg Thier; indess konnte eonstatirt werden, dass 
auch durch eine doppelte Menge dieser Flüssigkeit Höhe und Dauer 
des Fiebers nicht wesentlich beeinflusst wurden. Was aber an dieser 
Stelle besonders hervorgehoben werden muss, ist das. dass an jedem 
Vorsuchstage mit derselben sterilisirten Heujauche gleichzeitig an 
2-5 Kaninchen die Injection gemacht wurde und der Vorrath an 
Flüssigkeit für mehrere Versuchstage reichte. 

So hatte ich bei 14 Kauiuchen nach jedesmaliger Einspritzung 
im Ganzen in 70 Fällen eine Steigerung der Temperatur beobachtet. 
Bei einem Kaninchen, No. IV, hatte ich im Verlaufe von drei Mo¬ 
naten schon 15 Versuche mit positivem Erfolge angestellt; als aber 
am 5. März 1887 zum 16. Male die sterilisirte Heu jauche subcutan 
injieirt wurde, da folgte nicht eine Temperatursteigerung, sondern 
ein Temperaturabfall! Und dieser Abfall vollzog sich in derselben 
charakteristischen Weise, wie die sonst unter denselben Bedingungen 
erfolgte Teiuperatursteigerung. Mit derselben sterilisirten Jauche 
wurde an demselben Tage noch an zwei anderen Kaninchen, 
No. VIII und IX, experiineutirt, und bei diesen beiden Kaninchen 
stieg die Temperatur. Es boten ferner Temperatursteigerung dar 
säraratliche Kaninchen No. IV, VIII, IX, X, XIV uud XI, welchen 
diese sterilisirte Jauche an zwei Versuchstageu vor dem 5. März, 
tiämlieh am 18. Februar und am 26. Februar injieirt wurde. 


Diese 

Thatsachen 

veranschaulichen am 

besten 

folgende Ta- 

bellen: 








Tabelle 

1. 5 März 1887. 




Conträre 

Wirkung. 


Normale Wirkung. 



No. 

IV. 


No. VIII. 


No. 

IX. 

Vor der Injection 

Vor 

c 

_o 

ß 

V 

-c 

Vor 

ler 

Injection 

Zeit 

Grade 

Zeit 

Grade 

Zeit 


Grade 

11.12 . . 

. . 39,65 

11,25 

. . . . 39,95 

11,3 


. . 39,15 

11,15 Inject 

. 27» Spritz. 

11,30 Inject., 3 Spritzen 

11,5 Injection, 3 Spritzen. 

12,45 . . 

. . 89,0 

1 

. . . 40,05 
. . . 40.85 

12,35 . 


. . 40,85 

1,15 . . 

. . 88,75 

1,30 

1,5 . 


. . 41,4 

2.15 . . 

. 87,5 

2,30 

. . . 40,5 

2,5 . 


. . 40,7 

6,15 . . 

. . 88,8 

4,30 

. . . 40.5 

4,35 . 


. . 40,6 

6.55 . . 

. . 38,8 

6 

. . . 40.6 

6,15 . 


. . 40.1 



7 

. . . 40,6 

7,10 . 


. . 39,9 


') *. a. 0. 


Tabelle 11. 

18. Februar 

1887. Norm 

ile Wirkung. 


Nu. IV. 

No. 

VIII. 

No. 

IX. 

Vor der Injcetion 

Vor der 

Injection 

Vor der 

njection 

Zeit Grade 

Zeit 

Grude 

Zeit 

(i rade 

11,46 . . . . 39,8 

11,25 . . 

. . 39,55 

11,23 . . 

. . 39,35 

11,42 Inject., 2 1 a Spritz. 

11,37 Inject 

, 3 Spritzen. 

11.35 Inject.. 

3 Spritzen. 

1,12 ... . 40,55 

1 .’ . 

. . 40,35 

1,5 . 

. . 41.3 

1,42 .... 40,1 

1,30 

. . 40,45 

1,35 . . 

. . 41,05 

2,42 .... 89,7 

2,30 . . 

. 40,45 

2.35 . . 

. . 40.55 

4.42 .... 39,5 

3 . . 

40,4 

7,10 . . 

. . 40.6 

6.40 .... 39,4 

5,30 . . 

. 39,9 

8,15 . . 

. . 40.2 


7,15 . 

. . 39,6 



No. 

X. 

No. 

XIV. 


Vor der 

Injection 

Vor der Injection 


Zeit 

Grade 

Zeit. 

Grade 


10,20 . . 

. . 39,2 

11,54 . . 

. . 39,75 


11,48 . . 

. . 39,2 

11,57 Injection, 1 Spritze. 


11,56 Inject. 

3’/io Spritz. 

2,55 . . 

. . 40.7 


1,20 . . 

. . 41,15 

7,5 

. . 40.6 



1.50 .... 41,25 j 8,10 .... 31),7 

2,50.. . . . 41,4 

5.20 .... 40,4 | 

7.20 .... 40,1 , 

Tabelle III. 26. Februar 1887. Normale Wirkung. 

No. XI. 

Zeit Vor der Injection. Grade 

12,37 . 39.75 

12,40 Injection 3 Spritzen 

1.40 .'.41,6 

2.40 . 40,9 

4,15.41,0 

5,30 . 40,5 

6,45 . 40,3 

Schon aus diesen Versuchen geht es hinlänglich hervor, dass 
die paradoxe Wirkung in dem einen Falle nicht in einer Verände¬ 
rung des einwirkundeu Agens, sondern in einem veränderten Ver¬ 
halten des thierischen Organismus zu suchet) ist. Es drängt sich 
aber sofort die Frage auf. wie diese sterilisirte Jauche nach dem 
5. März gewirkt, und wie Kaninchen No. IV sich bei erneuten 
Versuchen verhalten hat. Es stand mir auch in der That noch 
soviel von derselben sterilisirten Jauche zur Verfügung, um am 
0. März an 3 Kaninchen No. XII, VIII und IV zu experimentiren. 
Ich stelle voran die Teraperaturcurve von Kaninchen No. XII, 
welches erst zu zwei Versuchen gedient hatte und nach der In¬ 
jection die typische Temperatursteigerung erkennen liess. 

Tabelle IVa. 9. März 1887. Normale Wirkung. 


No. XII. 

Zeit Vor der Injection. Grade 

11,8 .39,6 

12,10 Injection, 3 Spritzen 

1.10 .40.4 

2.10 40,3 

4.20 . 40.9 

6.20 . 40.3 


War hierdurch aufs Neue bewiesen, dass die sterilisirte Jauche 
ihre pyrogene Eigenschaft nicht eingebüsst hatte, so war um so 
überraschender der eigenthümliche Verlauf, den die Temperatur- 
curve von Kaninchen No. VIII nahm: 

Tabelle IVb. 9. März 1887. Conträre Wirkung. 


No. VIII. 

Zeit Vor der Injection. Grade 
12,30 39,6 

12.35 Injection 2 4 /s Spritzen 

2,5 » 9,15 

2.35 . 39,4 

4.15 .40,0 

6.15 .39.8 


Also auch hier war die Temperatur im Gegensatz zu den 
früheren Versuchstagen gleich nach der Injection abgefallen und 
stand noch 2 Stunden nach der Injection um 0.2° unter der Norm, 
so dass wir aucli hier von einer conträren Wirkung der 
sterilisirten Heujauche sprechen könneu, wenn auch die 
Wirkung nicht so ausgesprochen erscheint, wie in No. IV. Was nun 
Kaninchen No. IV betrifft, so war die erste Conträrwirkung. wie 
bereits oben angeführt ist, am Sonnabend den 5. März beobachtet 
worden. Am Montag den 7. März 1 Uhr wurde 39.05° gemessen, 
und als am Mittwoch den 9. März der neue Versuch zugleich mit 
No. XII und No. VIII, (Tab. IVa u. b) angestellt wurde, fiel die 
Temperatur wiederum. 

Tabelle IVc. 9. März 1887. Conträre Wirkung. 

Zeit Vor der Injection. Grade 

12,3 ..38,25 

12,5 Injection, 27a Spritzen 

1.5 .87,5 

2.5 .37,8 

2,55 . 87,8 

3,54 . 87,5 

6,10.87,2 

Donnerstag, den 10. März 12,30 unter 34,9°, Tod Donnerstag Abend. 


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46 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3 


Von Kaninchen No. VIII finden .sich nach dem Ycisuchstage 
am 9. März im Protokolle nur noch folgende Notizen: 

Donnerstag den 10. Mär/. 12,10 40,0. r > u 

Sonnabend den 12. März 1,10 39,6“, Gewicht 1320 

Freitag den 18. März. „ 1330 

Hiermit sehliessen meine Aufzeichnungen über dieses Thier wie 
überhaupt meine Arbeiten im Laboratorium, und ich vermag über 
die weiteren Lebensschicksale des Kaninchens nichts zu berichten. 
Aber aus der früheren Beobachtungszeit von Kaninchen Xo. VIII 
wie von No. IV sind noch einige Momente hervorzuheben, welche 
für unsere Betrachtung von Werth erscheinen. Kaninchen No. IV 
erhielt die ganze Zeit hindurch gewöhnliches Futter: Hafer, 
Kartoffeln, Wasser, und doch nahm das Gewicht des Thieres stetig 
ab, von 2000g am 14. Deceinber 1886 sank es auf 1090 g. am 
9. März 1887, also Gewichtsabnahme um 46%: in den letzten 
Tagen vor seinem Tode nahm das Thier überhaupt kein Futter zu sich 
und litt an einem Darmkatarrh. Kaninchen No. VIII erhielt vom 
7. Januar 1887 bis zum 14. Jauuar 1887 gewöhnliches Futter, und 
das Gewicht erhielt sich constant auf 2030 g. Vom 14. Januar 
bis zum 19. Februar wird das Kaninchen nur mit Stärke und Fett 
gefüttert, und das Gewicht fällt stetig bis auf 1420 g. also Gewichts¬ 
abnahme 30°/o. Der Zustand des Kaninchens wird dement¬ 
sprechend ein immer elenderer; am 14. Februar wurde notirt: 
Kaninchen zeigt sich unbeholfen, ist matt, mager, gleitet leicht aus. 
Es wird daher dem Kaninchen vom 19. Februar bis zum letzten 
Tage der Beobachtung, 18. März, gutes Futter: Kohl, Weizen, 
Hafer gereicht. Trotz der besseren Ernährung nimmt das Gewicht 
nur anfangs wieder zu: am 26. Februar 1530g, aber dann fällt es 
immer: am 4. März 1490, 5. März 1460, 9. März 1370. 12. März 
1320, 18. März 1330, also Gewichtsabnahme um 34%. 

Wie aus den mitgetheilten Temperaturtabellen geschlossen 
werden musste, dass die Ursache der paradoxen Erscheinung nicht 
die injicirte Substanz, sondern nur ein anormales Verhalten des 
Versuclisthieres sein kann, so ist aus diesen Angaben ersichtlich, 
dass die beiden Kaninchen IV und VIII zu einer Zeit gegen die 
sterilisirte Heujauche conträr zu reagiren begannen, als sie durch 
unzureichende und ungeeignete Ernährung in einen schlechten 
Gesundheitszustand gerathen waren. 

Dies sind die unmittelbaren Ergebnisse meiner Beobachtung, 
und wenn auch mit pyrogenen Substanzen recht viele Versuche 
angestellt sind — so von Schmidt in Dorpat und seinen Schülern, 
v. Bergmann, Naunyn und Quincke, so ist doch über eine 
conträre Wirkung eines sonst regelmässig Fieber erzeugenden 
Mittels bisher in der Literatur kaum etwas bekannt. Nur Berg¬ 
mann 1 ) hat eine ähnliche Beobachtung gemacht, aber sie unter¬ 
scheidet sich dadurch von der meinigen, dass in Bergin ann\s Ver¬ 
suchen gleich nach der ersten Injection verhältnissmässig grosser 
Mengen faulenden Blutes in die Vena jugularis die Temperatur 
unter den schwersten Krankheitssymptomen sank und zwar stetig 
von Stunde zu Stunde bis zu dem nach wenigen Stunden erfolgten 
Tode. Ueber die paradoxe Wirkung von Fieber hemmenden Mitteln 
liegen hingegen bereits mehrere Mittheilungen vor, zu deren Klärung 
und Würdigung meine Beobachtungen nicht ohne Bedeutung sind. 

Man hat nämlich mehrfach bei Darreichung von Chinin, Salieyl 
und Antipyrin nicht einen Temperaturabfall, sondern eine Temperatur- 
Steigerung gesehen, verbunden mit mannigfachen Complicationen: 
Exanthemen. Ohrensausen, Flimmern vor den Augen, Oedemen an 
Arm und Fuss, Albuminurie, Hämaturie und Icterus. Die durch 
diese Mittel erzeugten Fieberanfälle nahmen meist denselben 
charakteristischen Verlauf wie das durch den Wärmestich 2 ) oder 
durch subcutane Injection sterilisirter Heujauche hervorgerufene 
Fieber. Der Anstieg der Temperatur nach der Injection der sterili- 
sirten Jauche sowie nach elektrischer und mechanischer Reizung 
der therraogenetischen Hirnelemente tritt sofort ein, und das 
Maximum wird meist schon nach einigen Stunden erreicht; die 
Temperatursteigerung dauert im ersten und zweiten Falle ca. 12 
Stunden, beim Wärmestich 2—3—4 Tage lang. Als Beispiele für 
den Verlauf des Chinin-, Salieyl- und Antipyrin-Fiebers geben wir 
aus den vorliegenden Krankengeschichten von Tomaselli (1874 
und 1877), Ughetti (1877), Antoniades (1879), Herrlich (1883). 
Leichtenstern (1884), Merkel (1885), — Lürmann (1876), 
Baruch (1876), Erb (1884), — Laaclie (1886), A. Fraenkel 
(1886) und Beruouilli (1887) folgende Auszüge. 

(Schluss folgt.) 

‘) E. Bergmann, Petersburger medicinische Zeitschrift I8G9 XV, 
p. 26 u. 27. 

*) Ed. Aronsohn und J. Sachs, Deutsche medic. Wochenschrift 
1884 No. 51 und Pflüger’s Archiv 1885, Bd. XXXVII. — Ott, Journal 
of nervous and mental diseases 1884 und Therapeutic Gazette 1887. — 
ltichet, Compl. rend. 1884 und 1885.— Girard, Archives de Physiologie 1886. 


IV. A. Exstirpation einer wandernden 
Cystenniere. 1 ) 

Von Dr. 0. Riegner, 

Primärarzt der chirurgischen .Station des Allerheiligenhospitals 
in Breslau. 

B. Beobachtungen über den Stoffwechsel 
nach der Operation. 

Von Dr. Hosenfeld, 

Assistenten am chemischen Laboratorium der künigl. medicinischen Klinik 

in Breslau. 

A. Exstirpation einer wandernden Cystenniere. 

M. H.! Gestatten Sie, dass ich Ihnen heute über einen Fall 
von Nierenexstirpation berichte, der klinisch und pathologisch, wie 
ich glaube, nicht geringes Interesse bietet. Es handelt sieb um 
eine 30jährige Frau P. Sch., die bis zu einer im Jahre 1875 erfolg- 
i teu normalen Entbindung im Wesentlichen stets gesund und voll¬ 
kommen arbeitsfähig gewesen sein will. Seit dieser Zeit klagte sie 
theilweise Alter ziehende Schmerzen im Kreuz und Unterleib, die 
sie indess in ihrer Thätigkeit als Gutswirthschafterin nicht störten, 
bis sie 1880 von einer steinernen Treppe fiel und dabei besonders 
heftig auf die linke Seite in der Gegend der unteren Rippen auf¬ 
schlug. Wegeu starker Schmerzen im Leihe und Benommenheit 
musste sie einige Tage das Bett hüten. Seitdem traten häufiger 
ziehende Schmerzen in der linken Lendengegend auf, die nach der 
Seite und dem linken Beine zu ausstrahlten und zeitweise so exacer- 
birten, dass sie zu längerer Bettruhe gezwungen wurde. Gleich¬ 
zeitig mit diesen Anfällen stellten sich Magenbeschwerden ein: 
Schmerzen, Appetitmangel und häufiges Erbrechen, gegen die sie 
vergeblich ärztliche Hülfe in Anspruch nahm. Langes Bettliegen 
brachte alle diese Beschwerden immer für einige Zeit zum Schwin¬ 
del], doch wurden sie allmählich so häufig und heftig, dass Patientin 
ihren Dienst aufgeben musste und sich am 14. September 1886 auf 
die innere Station des Allerheiligenhospitals aufuehmen liess. Von 
Seiten des Harnapparates will sie nie Störungen bemerkt haben, 
ihr Stuhl dagegen war immer obstipirt, die Menstruation regel¬ 
mässig. 

Im Hospital wurde als objectiver Befund ein mässiger Blasen- 
katarrli und ein als vergrösserte Wanderniere angesprochener be- 
| weglicber Bauchtumor constatirt, von welchem Patientin selbst vorher 
i uie etwas gemerkt batte. Die tägliche Urinmeuge schwankte zwi¬ 
schen 1500 und 2000 cbem. Der Blasenkatarrh wurde erfolgreich 
mit Ausspülungen von Arg. nitr. 1 : 1000 behandelt, gegen die von 
Seiten der beweglichen Bauchgeschwulst veranlassten Beschwerden 
Bandagen vergeblich angewandt. 

Ende November 1886 wurde die Pat. daher behufs eines even¬ 
tuellen operativen Eingriffs auf meine Abtheilnng verlegt und hier 
folgender Befund aufgenoramen: 

Grosse, kräftig geltaute Person mit gut entwickeltem F'ettpolster 
und etwas blasser Gesichtsfarbe. Die Untersuchung des Thorax 
ergiebt nichts Abnormes, insbesondere sind keine Zeichen einer 
Herzhypertrophie vorhanden; der Leib weich, in der Magengegend 
massig empfindlich. In der linken Regio hypochondriaca fühlt man 
eine durch die schlaffen Bauchdecken leicht abtastbare Geschwulst 
von derber Consistenz, annähernd eiförmiger Gestalt und anscheinend 
glatter Oberfläche ohne deutlich wahrnehmbare Eiukerbung. 

Ihr Längsdurchmesser wird auf etwa 18, die Breite auf 10 bis 
12 cm geschätzt. Im Stehen sinkt der Tumor weiter nach vorn 
und unten und lässt sich bis zum Nabel vorschieben, im Liegen 
kann er leicht unter den linken Rippenbogen sowie gegen die Len¬ 
dengegend repouirt und hier vom Rücken aus neben der Masse 
des Acrolumbalis zwischen Rippen und Crista von der andern Hand 
palpirt werden. Dabei zeigt sich die Geschwulst wenig empfindlich 
und von Därmen überlagert. Ein Dämpfungsunterschied in 
beiden Nierengegenden ist nicht zu constatireu, auch wenn die Ge¬ 
schwulst nach unten dislocirt wird. Die rechtsseitige Niere ist 
nicht zu fühlen, also wohl nicht wesentlich vergrössert. Der Urin, 
von strohgelber Farbe, mittlerem spec. Gewicht (zwischen 1007 
und 1020 schwankend), neutraler oder schwach saurer Reaction, 
zeigt stets eine massige Trübung, die sich annähernd gleich bleibt, 
jedenfalls während langer Beobachtuugszeit niemals grössere Schwan¬ 
kungen gezeigt hat. Der filtrirte Urin enthält kein Eiweiss, Blut ist 
niemalsdarin bemerkt worden. Das Sediment enthält neben Blasenepithe- 
lien zahlreiche Eiter-und spärlich rotlie Blutkörperchen, Nierenepithelien 
und Harncanalchencylinder sind niemals zu finden. Die Urin¬ 
menge schwankte zwischen 1500 und 2000, betrug innerhalb 4 
Wochen 2 mal 3000 ebem. Pat. ist stets fieberfrei gewesen, Appetit, 
leidlich gut, Stuhlgang träge. Harnbeschwerden werden durch den 

*) Nach einem, in der medicinischen Section der schlesischen Gesell¬ 
schaft für vaterl. Cultur gehaltenen Vortrage. 


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19. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 47 


noch bestehenden raässigen Blasenkatarrh, welcher trotz Ausspü¬ 
lungen mit verschiedenen Flüssigkeiten nicht ganz schwindet, gar 
nicht veranlasst. Doch sind die durch den Tumor bewirkten Leiden, 
heftig ziebeude, nach unten ausstrahlende Schmerzen in Lenden¬ 
gegend und Unterleib, welche sofort wieder auftreten, wenn Patientin 
das Bett verlässt, und von keinerlei Versuch, durch Bandagen die 
Geschwulst zu fixiren, güustig beeinflusst werden, so unerträglich, 
dass die Pat. selbst dringend nach operativer Abhülfe verlangt. 

Die wiederholte Untersuchung und lange Beobachtung liess 
keinen Zweifel darüber, dass es sich um eine wandernde Nierenge¬ 
schwulst handelte. Fraglich war nur die Natur der letzteren. Man 
konnte au eine Hydro- resp. Pyonephro.se, eiue carcinös dcgenerirte 
oder eine einfach hypertrophische, von dicker Fettkapsel eiugehüllte 
Wanderniere denken. Gegen die erste Annahme sprach der während 
der 5 monatl. Beobachtungszeit stets gleich gebliebene Umfang, die 
Abwesenheit jeglichen Fiebers, der constant geringe, wohl nur auf 
Cystitis zu beziehende Eitergehalt des Urins. Ebenso liess das 
mangelnde Wachsthum, die geringe Empfindlichkeit, die scheinbar 
glatte Contour, und vor Allem das Fehlen jeder Hämaturie und 
jeder Kachexie die Malignität der Geschwulst mit ziemlicher Sicher¬ 
heit ausschliesseu. So war ich denn geneigt, eiue einfach vergrösserte 
Niere anzunehmen, wie sie ja bei Beweglichkeit derselben nicht 
selten beobachtet wird. Die grosse Seltenheit des später durch 
die Operation sich ergebenden abweichenden Befundes macht den dia¬ 
gnostischen Irrthum wohl erklärlich. Wir versuchten zunächst nach 
der von Pawlick in letzter Zeit angegebenen Methode und mit 
dessen Instrument die Ureteren zu sondireu, um uns über die (Qua¬ 
lität der Nieren und namentlich den Gesundheitszustand der rechten 
möglichste Gewissheit zu verschaffen. Indess waren die von Paw¬ 
lick stets beobachteten den Ureterenwülsten entsprechenden Schleim¬ 
hautfalten an der vorderen Vagiualwand hier so wenig ausgesprochen, 
dass sie kaum als Führer für die Sonde dienen konnten, und viel¬ 
fache Bemühungen meinerseits und von Seiten meines Assistenten 
blieben vergeblich. Es gehört jedenfalls viel Uebung und Geduld 
zu dieser Ureterensondirung, die ja Pawlick immer gelungen ist. 
Zu anderen eingreifenderen Verfahren wie Umstechung des rechten 
Harnleiters von der Scheide aus (nach Kaltenbach) mochte ich 
mich nicht entschliessen, zumal ich in der Annahme einer nur ver- 
grösserten Wanderniere die Hoffnung hatte, mit der von Hahn be¬ 
kanntlich angegebenen und von ihm und Anderen mehrfach mit 
gutem Erfolge ausgeführten Nephrorhaphie auszukommen. Dieselbe 
besteht, wie Sie wissen, in Freilegung der Niere durch den Lumbar¬ 
schnitt, Incision der Fettkapsel und Auheftung von deren Rändern 
an die Haut- resp. Muskelwunde, oder, wie Andere es gethan, in 
gleichzeitiger Suspension der Niere durch eine um die unterste 
Rippe geführte Fadenschlinge. 

Am 8. Februar d. J. schritten wir zur Operation, nachdem 
der Darm Tags zuvor gehörig entleert und ein Bad gegeben war. 
Die Pat. wurde mit der rechten Bauchseite auf eine dicke Rolle 
gelagert, um den Raum zwischen linkem Rippenbogen und Becken¬ 
rand möglichst zu vergrössern, und unter Anwendung der üblichen 
antiseptischeu Cautelen der Simon’sehe Lum barschnitt von der 
11. Rippe bis zur Crista ilei am äusseren Rande des Sacrolumbalis 
geführt. Nach Durchtrennung des vorderen und hinteren Fascien- 
blattes dieses Muskels, des Quadratus lumborum und schliesslich 
der den retroperitonealen Raum abschliessenden Fascia eudo- 
thoracica präsentirte sich die von einem Assistenten vom Bauche 
her in die Wunde gedrückte von ihrer Capsula adiposa eingehüllte 
Nierengeschwulst. An ihrer ganzen sichtbaren Oberfläche schimmer¬ 
ten dicke blaue prall gespannte variceuähnlicbe Windungen durch 
die Umhüllung, welche wir im ersten Augenblick für colossale 
Venen hielten. Ich glaubte nun doch einen malignen Tumor mit 
enormer Gefässentwickelung vor mir zu haben, der natürlich die 
Nephrectomie nothwendig forderte, spaltete daher vorsichtig die 
ganze Kapsel und löste dieselbe so weit angängig vou der Geschwulst¬ 
oberfläche ab. Jetzt freilich erkannten wir unsern Irrthum. Wir 
hatten einen höckerigen, an der ganzen Oberfläche von prall ge¬ 
spannten, meist bläulich durchschimmernden kleineren und grösseren 
Cysten eingenommenen Tumor, also eine cystisch degenerirte Niere 
vor uns. Wie wohl ich mir der Gefahr bewusst war, welche in 
Folge der häufig beobachteten Doppelseitigkeit der Cystennieren hier 
mit der Nephrectomie verknüpft war, und mich namentlich au einen 
ganz ähnlichen durch Urämie letal verlaufenen Fall von Berg¬ 
mann erinnerte, mochte ich doch nicht auf halbem Wege stehen 
bleiben, weil die vollständig entartete, offenbar nur noch sehr wenig 
secernirendes Parenchym enthaltende Niere kaum noch neunens- 
werth functionirt haben konnte, und ich zu der Annahme berechtigt 
war. dass die andere Niere schon längst für sie vicariirend eingetreten 
sei. So schritt ich denn zur Exstirpation. Dazu bot indess bei der 
Grösse der Geschwulst der Längsschnitt bei Weitem nicht Raum 
genug, und es wurde daher an der Grenze seines mittleren und 
unteren Drittels ein etwa 12 cm langer Querschnitt durch die ganze 


Mitte der Bauchwandung geführt, der freilich eine erhebliche An¬ 
zahl Unterbindungen nötliig machte. Dabei wurde, da die Niere 
durch ihre Mobilität sich eineu grossen Sack gebildet hatte, das 
Peritoneum nur in geringer Ausdehnuug angeschnitten und sofort 
durch einige Uatgutuähte wieder vereinigt. Auch jetzt war die 
Ausschälung und Entwickelung des Tumors, namentlich seiues obereu, 
von einer grösseren Cyste eingenommenen Poles noch rech müh¬ 
sam. Mit der unteren Hälfte, namentlich in der Nähe des convexen 
Niereurandes war die Fettkapsel so fest verwachsen, dass ein Theil 
derselben mit entfernt werden musste. Schliesslich gelangten wir 
au den Hilus, führten zwischen Ureter und Nierengefässen mittelst 
einer Aueurysmanadel einen doppelten starken Seidenfaden durch, 
schnürten nach beiden Seiten zu und legten darunter noch eiue 
circuläre Massenligatur. Beim Abtrennen des Tumors Hessen wir, 
um jedes Abgleiten auszuschHessen, einen Theil des Nierenbeckens 
am Stumpfe stehen. Die Stielfäden wurden lang belassen. Nach 
sorgfältiger Blutstillung durch Unterbindung vielfacher Kapsel- 
gefässe, Ausspülung der grossen Wundhöhle mit Sublimat 1 : 5000, 
Jodoformirung und Verseukung des Stiels wurde ein in Form einer 
langen breiten Binde aufgerollter Jodoformgazestreifen eingelegt, und 
das Ende desselben an der Kreuzungsstelle der beiden Schnitte 
herausgeführt. Diese selbst wurden im übrigen sorgfältig vernäht, 
und zwar im Bereich der queren Bauchwunde erst versenkte 
Muskelcatgutnähte angelegt, um die Entstehung eines Bauchbruches 
zu verhindern. Darüber grosser circulärer Verband mit Sublimat¬ 
gaze und Holzwollwatte. Damit waren nahezu 2 Stunden vergangen. 
Der Blutverlust war relativ gering gewesen, die Chloroform-Morphium- 
Xarkose gut verlaufen. Patientin erw achte bald aus der Narkose, hatte 
einen guten Puls und klagte über Schmerzen in der linken Seite 
und Uebelkeit, die sich im Laufe des Tages zu mehrmaligem Er¬ 
brechen schleimiger grünlicher Massen steigerte. 

Es wurden dreistündlich 10 Tropfen Opiumtinctur, Eisstückchen 
und esslöffelweise Wein verordnet. Die Nacht wurde durch starken 
Durst und Uebelkeiteu. wohl nur Wirkung des Chloroforms, ge¬ 
stört. Die Abendtemperatur betrug 38,6 bei 120 Pulsen, die Tem¬ 
peratur am Morgen des folgenden Tages 37,6. Leib nur links 
druckempfindlich. Die äusseren Verbandschichten waren durch¬ 
tränkt und wurden deshalb gewechselt, während der grosse Jodoform¬ 
tampon bis zum 15. Februar, also 7 Tage liegeu blieb und dauu 
erst durch einen kleineren ersetzt wurde. 

Mit einiger Angst wartete ich nun darauf, ob auch die andere 
Niere jetzt ihre Schuldigkeit thun würde, denn davon hing ja vor 
Allem der Ausgang ab. Aber schon die ersten 24 Stunden be¬ 
ruhigten mich darüber uud bestätigten meine Annahme, dass die 
zurückgelassene Niere schon früher die wesentliche Arbeit geleistet 
hatte. Die der Genauigkeit halber in der ersten Zeit mit dem 
Katheter entleerte Ui inraeuge betrug schon am ersten Tage 890 ebem 
bei einem spec. Gewicht von 1019,5, stieg am 2. und 3. Tage auf 
1000 und 1200, am 4. auf 2070 und schwankte von da ab zwischen 
1500 und 2000 bei einem spec. Gewicht von 1013—17. Der erst 
entleerte Urin war leicht blutig gefärbt. Ueber die Stoffwechsel- 
änderuug nach Exstirpation der Niere wird Herr Dr. Rosenfeld, 
der auf meine Veranlassung die Güte hatte, genaue diesbezügliche 
Untersuchungen der täglichen Uriumeuge vorzunehmen, Ihnen nach¬ 
her berichten. 

Mit den sonstigen Details der Krankengeschichte will ich Sie 
nicht weiter aufhalten. Bis auf Appetitmangel in der ersten Zeit, 
zeitweise Schmerzen der übrigens sehr sensiblen Kranken in der 
linken Bauchseite, einer mässigeu rasch vorübergehenden Stomatitis, 
wohl in Folge einer leichten Sublimatintoxication, war der Verlauf 
ein ungestörter. Die Temperatur war des Morgens annähernd normal, 
schwankte des Abends in den ersten 4 Wochen zwischen 38 und 
38,5, stieg nur einige Male auf 39°. Der Verbandwechsel musste 
wegen starker Secretion ziemlich häufig erfolgen. Die Wundhöhle 
reinigte sich rasch, granulirte gut und füllte sich bald aus. Im 
Bereiche der Näthe erfolgte Prima intentio. Der vor der Operation 
bestandene leichte Blasenkatarrh hielt sich wochenlang in denselben 
Grenzen, bis er endlich auf Gebrauch von Salol (pro die 2,0, im 
Ganzen 30,0) definitiv verschwand, so dass jetzt der Urin völlig 
klar, ohne jeden Eitergehalt ist, auch in Bezug auf seinen Harn¬ 
stoffgehalt eiu gauz normales Verhalten zeigt. Albuminurie ist 
auch nach der Operation niemals beobachtet worden. 

Anfangs März beganu Patientin zeitweise das Bett zu verlassen 
und klagte zuerst beim Gehen über Schmerzen im linken Beine, 
die indess bald nachliessen. 

Der definitive Schluss der Fistel trat erst nach der am 
28. April erfolgten Ausstossung der Stielunterbindungsfädeu ein. 
Seitdem ist die Wunde fest vernarbt, Patientin ohne alle Beschwer¬ 
den, bei ausgezeichnetem Appetit und vollkommen arbeitsfähig. 
Sie hat an Körpergewicht erheblich gewonnen und macht den Ein¬ 
druck blühender Gesundheit. 

Die exstirpirte Niere hat eiu Gewicht vou 600,0, sie misst 


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48 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 3 


in der grössten Länge 18, in der Breite 12, in der Dicke 9 cm, 
im Umfange 30 resp. 40 cm. Die Oberfläche ist, wie Sie sehen, 1 
durchweg von Cysten in allen Grössen eingenommen, die einen 
theils hellen, klareu serösen, theils bräunlichen oder bläulichen 
hämorrhagischen Inhalt durchschimmern lassen. Namentlich findet 
sich am oberen Pol und in der Mitte der Hinterfläche näher dem 
convexen Rande zu eine apfelgrosse Cyste. Auch der Querdurch¬ 
schnitt zeigt die ganze Niere durchsetzt von verschieden grosseu 
Cysten, die theilweise mit ziemlich dicken Wandungen und mit 
vorspringenden Trabekeln versehen sind und anscheinend nur spar- 1 
liebes Nierenparenchym zwischen sich lassen. Nur in der Mitte der 
Hinterfläche war dasselbe etwas reichlicher vorhanden und konnte 
zu mikroskopischen Schnitten verwerthet werden. Cortical- und 
Marksubstanz sind makroskopisch nicht zu unterscheiden, die Nieren¬ 
kelche etwas erweitert, sonst normal. 

Der Inhalt der Cysten wurde leider erst am Spirituspräpa¬ 
rate untersucht. Er bestand aus ziemlich gut erhaltenen rothen Blut¬ 
körperchen, reichlicheren gelblich gefärbten Trümmern von solchen, 
amorphen geronnenen albuminoiden Massen und Cholestearinkry- 
stallen. Harnbestandtheile, namentlich Harnstoff konnte nicht darin 
gefunden werden (Dr. Rosenfeld). Die aus der noch erhaltenen 
Nierensubstanz von Herrn Dr. Kauffmann giitigst angefertigten 
mikroskopischen Schnitte (mit Alaun carmin gefärbt und mit 
Pikrinsäure nach behandelt) siud, wie Sie an den aufgestellten Präpa¬ 
raten sich überzeugen werden, überall von zahlreichen kleinen Cysten 
durchsetzt, welche zum Theil direct unter der verdickten Nieren¬ 
kapsel liegen, dieselbe hervorwölben und mit einer einfachen Lage 
polygonaler Zellen ausgekleidet sind. Sie enthalten hier und da 
der Wand anhaftende feinkörnige Massen. An manchen Cysten 
ist der Uebergang aus Harncanälchen deutlich zu erkennen. Die 
Mehrzahl derselben, der geraden sowohl wie der gewundenen, ist 
erweitert, stellenweise in rosenkranzförmiger Anordnung. Die Epithe- 
lien in diesen Erweiterungen zeigen vielfach schwach oder gar 
nicht gefärbte Kerne, verwischte Contouren und ein körnig-sulziges 
Netzwerk als Protoplasma. Viele Zellen sind hier von der Wand 
abgehoben und iu feinkörnig-sulzige Massen oder in Blutconglome- 
rate eingebettet, welche die Cauälchen ganz oder theilweise ver¬ 
stopfen. Aus Gloinerulis hervorgegangene Cysten konnten nicht 
nachgewiesen werden. Die ersteren sind von sehr verschiedener 
Grösse und Beschaffenheit in Bezug auf Dicke der Kapseln und | 
Reichthum au Kernen. Viele sind atroph irt, manche vielleicht 
etwas grösser als normal. In einzelnen Kapselräumen liegen matt- j 
glänzende vou Pikrinsäure gelb gefärbte Massen von annähernd halb¬ 
mondförmiger Gestalt, in welchen wenig blassgefärbte Kerne zer¬ 
streut sind. In der Umgebung mancher atrophischer Glomeruli ist 
eine starke kleinzellige Wucherung zu constatiren, namentlich direkt 
unter der Nierenkapsel. Im Uebrigen sind zahlreiche kleinere und 
grössere Herde von Rundzellen durch Rinden- und Marksubstanz 
verstreut und folgen zuweilen ziemlich genau dem Verlauf der 
Vasa recta und geraden Harncanälchen. 

Die Arterien zeigen vielfach eine beträchtlich verdickte Intima. ' 

In der neuesten grösseren Zusammenstellung der Nierenopera- i 
tionen von Azarie Brodeur (de l’interveution chirurgicale dans | 
les affections de rein) vom Jahre 1886 sind nur 12 Fälle von nicht 
auf Echinococcus beruhenden cystischen Geschwülsten der Niere 
berichtet, von welchen 11 durch Laparotomie entfernt wurden mit 
7 Todesfällen, einer durch lumbare Nephrotomie zur Heilung ge¬ 
langte. 5 davon waren als Ovarialeysten, 1 als Lebercyste diag- 
nosticirt. Indess betrafen von diesen 12 Fällen 11 einfache grosse 
Cysten der sonst meist normalen Niere (darunter eine vereiterte 
von Pean, eine mit hämorrhagischem Inhalt von Leopold). Nur 
ein einziger Fall, schon eingangs von mir erwähnt, den Bergmann 
in der Jubiläumssitzung der medic. Gesellschaft in Berlin berichtete, 
war ein wirklicher Hydrops renis cysticus und dem meinigen ganz 
ähnlich. Auch hier handelte es sich um eine linksseitige degene- 
rirte Wanderniere bei einer 38jährigen Frau, die seit 10 Jahren 
ohne wesentliche Beschwerden bestanden und erst seit der vor 
einem Jahre erfolgten Entbindung stark gewachsen war und 
Schmerzen gemacht hatte, welche vom liuken Hypochondrium iu 
den betreffenden Oberschenkel ausstrahlten. Seiner Härte, höckeri¬ 
gen Gestalt und Schmerzhaftigkeit wegen bei gleichzeitig eingetre¬ 
tener Abmagerung und Kachexie wurde der Tumor vou Bergmann 
als eine seit der Entbindung krebsig degenerirte Wanderniere an¬ 
gesprochen und durch Laparotomie entfernt, stellte sich aber als 
eine voluminöse, vollkommen cystisch degenerirte Niere, ganz ähn¬ 
lich der von mir operirten, heraus. Am 3. 'läge erfolgte bei voll¬ 
kommener Anurie der Tod unter urämischen Erscheinungen. Es 
fanden sich 500,0 blutig serösen Inhalts im Becken, Zeichen be¬ 
ginnender Peritonitis, und die andere Niere ebenfalls cystisch ent¬ 
artet, Als Ursache der Kachexie und der Magensymptome cousta- 
tirte man einen während des Lebens nicht palpirten Pyloruskrebs. 
Ich hätte mit meiner Patientin dasselbe Unglück haben können, 


wenn zufällig auch die zurückgelassene Niere von Cystenhydrops 
befallen gewesen wäre. Freilich ist es leider auch nicht aus¬ 
geschlossen, ja nach den vorliegenden Beobachtungen eher wahr¬ 
scheinlich, dass dieselbe, wenn auch in sehr geringem Grade 
cystisch degenerirt ist und bei etwaigem Fortschreiten des Pro- 
cesses oder in Folge anderer compensatorischer Störungen in schweren 
Kraukheiten schliesslich einmal früher oder später insuffieient wird. 
Doch kann man andererseits immerhin hotfeu, dass dieser Zufall nicht 
eintritt oder mindestens auf lange Jahre hinausgeschoben wird. 
Denn wenn auch in der Majorität der Fälle der Hydrops renis doppel¬ 
seitig ist, so liegen doch eine ganze Reihe vou Beobachtungen vor, 
in welchen eine Niere ganz gesund war. So fand Henry Morris 
(Surgical diseases of the kiduey 1885) unter 3 Fällen seiner Beob¬ 
achtungen 2 einseitige. 

Dass auch hochgradige derartige Veränderung beider Nieren 
keine wesentliche Störung bedingt, geht schon daraus hervor, dass 
die Befunde meist zufällig bei Leuten mittleren und meist höheren 
Alters (50—60 Jahren) gemacht wurden, welche an anderen Krank¬ 
heiten gestorben w T aren. So war einer der von Morris erwähnten 
an Krebs der Mandel, der zweite au Pcniscarcinom und der dritte 
an Bronchitis und Herzhypertrophie zu Grunde gegangeu. Der¬ 
artige Individuen haben ein Alter von 50, 65, einer (Zusammen¬ 
stellung von Dickinson) sogar von 98 Jahren erreicht. Nur aus¬ 
nahmsweise erfolgt der Tod als direkte Folge der Affection durch 
Urämie. Meist verläuft sie ganz symptomlos. nur in einzelnen 
Fällen sind Schmerzen in der Nierengegend, Hämaturie und massige 
Albuminurie, sehr selten Oedeme und zwar meist nur locale, durch 
den mechanischen Druck veranlasste, angegeben. Häufig ist da¬ 
gegen Herzhypertrophie beobachtet. Dass dieselbe bei meiner 
Patientin fehlt, spricht daher auch zu Gunsten der Annahme, dass 
die zurückgelassene Niere gesund ist. Die Affection ist bei Männern 
doppelt so häufig als bei Frauen und mitunter mit gleichzeitiger 
Cystendegeneration von Milz und Leber complicirt. 

Im Gauzen ist, was aus dem Vorhergesagten erklärlich, der 
klinische Verlauf sowohl als die pathologische Anatomie 
dieser Geschwülste bei Erwachsenen noch nicht ausreichend fundirt, 
und namentlich die Aetiologie und Genese noch nicht ganz aufgeklärt. 
Sorgfältiger studirt sind die bekanntlich von Virchow als Hydrops 
renis cysticus congenitus zuerst genauer beschriebenen angeborenen 
Cystennieren, w’elche in ihrer Grösse und Entwickelung mit den 
Cystennieren Erwachsener viel Aehnlichkeit bieten. Während bei 
diesen aber die Cysten meist vollkommen abgeschlossene Säcke 
bilden und keine ftarnbestandtheile enthalten, finden sich solche 
deutlich nachweisbar in den Cysten der angeborenen Form. Die 
letzteren sind also als wahre Harnretentionscysten aufzufassen und 
entstehen nach Virchow in Folge einer entzündlichen Atresie der 
Nierenpapilleu, vielleicht bedingt durch eine schon vorzeitig irn 
fötalen Lebeu stattfindeude reichliche Bildung von Harnsäure- 
infarcten in den geraden Harncanälchen. 

Nach Thorn soll die Entzündung häufiger primär im Nieren¬ 
becken entstehen und von dort auf die Papillen der Marksubstanz 
übergreifeu. 

Klebs macht darauf aufmerksam, dass nach den Untersuchungen 
von Kupfer und Remak eine discontinuirliche Entwickelung der 
Niereticanälchen und des Nierenbeckens statt hat, dass es also be¬ 
greiflich sei, wie unter Umständen ihre Verbindung mangelhaft bleibt. 
Mithin wäre die Annahme einer entzündlichen Atresie der Nieren¬ 
papillen nach Virchow' nicht gerade nothweudig. Cliotinsky 
(Inaugural-Dissertation, Bonn, 1882) glaubt, dass Epithelwucherungen 
einen wesentlichen Antheil an dem Verschluss der Harncanälchen 
hätten. 

Andere Autoren halten die Entstehung der Cystenniereu durch 
ein vitium primae formationis bedingt und stützen sich dabei auf 
das gleichzeitig häufig beobachtete Vorkommen anderer Bildungs¬ 
fehler, wie Klurapfüsse, Wolfsrachen, Hydrencephalocele, oystische 
Degeneration anderer Organe etc. Am bekanntesten ist der Fall von 
Heusinger, in welchem rechts Cystenniere neben Mangel der 
gleichseitigen Uuterextremität und der rechten Hälfte der weiblichen 
Genitalien bestand, während die linke Niere normal war. Ferner 
sprächen dafür die Fälle, iu welchen eine Mutter mehrere Kinder 
mit Cystenniereu abwechselnd mit gesunden geboren habe. Eine 
solche Beobachtung theilt z. B. Virchow in seinen gesammelten 
Abhandlungen über wissenschaftliche Medieiu (p. 837) mit. 

Ein Fall von Ackermann (Deutsches Areh. f. kl. Med. 1866. 
I. Band) — Atresie beider Harnleiter mit Hydronephrose der einen und 
partiellem cystischem Nierenhvdrops der anderen Seite bei einem 
lÖtägigen Kinde — weist darauf hin, dass diese beiden Processe 
pathognomonisch verwandt sind. „Die Papillen waren undeutlich 
wie verschrümpft., mit dem derben Bindegewebe des ebenfalls ganz 
zusammengeschrumpften Nierenbeckens und der Kelche verwachsen, 
von demselben eingehüllt und anscheinend darin zu Grunde ge- 
| gangen.* An der Bildung der Cysten betheiligeu sich nach 


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19. Januar. 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Virebow wesentlich die Harncanälchen, deren fortschreitende 
Ectasie die mikroskopische Untersuchung klar ergiebt. Rindfleisch 
konnte auch die Malpighi’schen Kapseln als Ausgangspunkte 
nachweisen. „Die Wand derselben zieht sich von den Gefäss- 
knäueln zurück, so dass zwischen beiden ein mehr oder 
minder breiter halbmondförmiger Zwischenraum klafft. Je grösser 
dieser letztere wird, um so mehr wird das Malpigbi’sehe Körper¬ 
chen zu einer wandständigen Prominenz, welche sich aber als 
solche noch an erbsengrossen Cysten finden kann.“ Gleichzeitig 
konnte dieser Autor hier im Gegensatz zu den Cystennieren Er¬ 
wachsener eine äusserst mangelhafte Entwickelung des Nierenblut- 
gefasssystems constatiren. „Die Art. renalis hatte an ihrem Ur¬ 
sprung ein so enges Lum£n. dass man mit einer Stecknadel eben 
noch hindurch kann.“ 

Bekanntlich geben die fötalen Cystenuieren häufig ein so 
starkes Geburtshinderniss al», dass die Embryotomie erforderlich 
wird. Kommen die Kinder unzerstiickelt zur Welt, so gehen sie 
bald asphyktisch zu Grunde, weil die colossalen beiderseitigen Ge¬ 
schwülste das Zwerchfell nach oben drängen und sein Herabsteigen 
verhindern. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, dass die in 
höherem Alter gefundene!) hochgradigen Cysteunieren schon als 
solche aus dem fötalen Leben pevsistirteu. Indess könnte nach 
Yirchow eiue partielle fötale Degeneration sich immerhin bis in’s 
spätere Leben erhalten, in den Cysten die Harusecretion aufhören 
und durch andere Abscheidungen ersetzt werden. Für gewöhnlich 
aber hätten nach seiner Annahme „die Cystenniereu Erwachsener 
überhaupt mit einer Harnretention gar nichts zu thun, sondern ent¬ 
ständen in Folge eiuer chronischen interstitiellen Nephritis, welche 
sich verbindet mit einer Abscheidung von festen Albuminaten in 
das Innere der Harucanälchen.“ Dadurch entständen Abschnürun¬ 
gen. varicöse Ausbuchtungen der Harncanälchen und schliesslich 
vollkommen abgeschlossene Cysten, die durch Transsudate und 
durch Confluenz mit benachbarten sich enorm vergrössem können 
und den mannichfachsteu Inhalt haben, bald gallertigen, bald 
serösen, bald hämorrhagischen, sehr selten noch Reste von Harn- 
bestandtheilen enthalten. Ihre Innenwand, häufig als Residuen der 
Confluenz vorspringende Leisten zeigend, ist mit einem einfachen 
polygonalen Platteuepithel ausgekleidet. Auch die mikroskopische 
Untersuchung der Parenchymreste der vorliegenden Niere demonstrirt 
in anschaulicher Weise die Entstehung der Cysten aus abgeschnürten 
und erweiterten Harncanälchen, sowie eine deutliche interstitielle 
Wucherung. Immerhin bleibt auch bei dieser Annahme der kli¬ 
nische Verlauf nicht ganz aufgeklärt. Auffallend wäre es doch, dass 
eine interstitielle Entzündung, welche zu so hochgradigen Verände¬ 
rungen fuhrt, in der Majorität der Fälle so ganz symptomlos ver¬ 
laufen sollte. Wahrscheinlicher ist es also wohl, dass eine fötale 
Anlage in das spätere Leben mit hinübergenommen wird und 
durch interstitielle Processe zur weiteren Entwickelung gelangt. 

B. StofFwechselbeobachtungen. 

Da bei dieser Krankeu, wie oben erwähnt, nicht die Xephrectomie, 
sondern nur die Nephrorrhaphie geplant war, so wurden vor der 
Operation Untersuchungen über die Gesundheit der zurückzulassen¬ 
den Nieren nicht angestellt. Als nun bei der Operation sich die 
Nothwendigkeit heransstellte, die Niere zu exstirpiren, und con- 
statirt wurde, dass eine cystische Degeneration höchsten Grades bei 
der einen Niere vorlag, da war es bei der häufigen Doppelseitigkeit 
dieser Erkrankung ein schwerer Zweifel, ob die andere Niere gesund 
oder functionstnchtig genug sei, um die Leistung der anderen Niere 
mit übernehmen zu können. Wir versuchten mit Hülfe der Urin¬ 
untersuchungen in dieser Frage Klarheit zu erringen. Es zerfiel 
diese Frage in zwei Theile: 

1. Ob die zurückgelassene Niere functionstüchtig genug sei, um 
die Leistungen der exstirpirten Niere zu übernehmen. 

2. Hatte überhaupt die exstirpirte Niere noch functiouirt? 

Zur Beantwortung beider Fragen wollen wir uns zunächst 

einmal das Problem vorlegen: Wie würden wir erwarten, dass die 
Stoffwechselcurve aussehe, wenn eine Niere die Function der 
anderen nach der Exstirpation derselben übernehme. Wir würden 
annehmen müssen, dass sich in den ersten Tagen eine geringe 
Stickstoffausscheidung zeigt. 

Die Minderzahl von Stickstoff würden wir erwarten: 

1. Weil der Stoffwechsel im Shok. der sich an solche Operationen 
anschliesst. gering ist. 

2. Weil die eiue Niere noch nicht gelernt hat, die ganze Masse 
von Harnsubstanzen, deren Hälfte sonst die andere excernirte. aus¬ 
zuscheiden. Nehmen wir an, die Patientin hätte einen Stoff- 
wechselconsum derart, dass sie täglich 15 g Stickstoff ausscheidet; 
dann würde die eine Niere ca. 7 l j-> g auszuscheideu gewohnt sein; 
schneidet man nun die eine Niere heraus, so wird die andere 
Niere mit einer leichten Steigerung ihrer Function ungefähr Alles 
ausscheideu. was in dem etwas geschwächten Organismus gebildet 


wird. Nehmen wir an, es werden statt 15 g ca. 12 g gebildet 
und 9 g N ausgeschieden, so ist mit einer geringen Retention 
von 3 g alles von Stoffwechselendproducten entleert. Am nächsten 
Tage müsste man denken, habe sich der Organismus besser erholt, 
es stiege der Stoffwechsel auf 13—14 g X und es würden nun 
10 bis 11 g ausgeschieden, da sich die Niere ihrer erhöhten 
Function schon besser anpasste. Ara 3. Tage wird im Stoffwechsel 
die Norm erreicht, 15 g N umgesetzt, ebenso steigt die Aus¬ 
scheidung wieder auf 12 g N. Au den folgenden Tagen ist die 
Niere nun so functionstüchtig, dass sie jetzt im Stande ist, soviel 
N auszuscheiden, als producirt wird, und eine Stufe höher scheidet 
sie einige Tage lang nicht nur die Consuraproducte des Tages aus, 
sondern auch die rückständigen Reste aus den ersteu Tagen; es 
besteht einige Tage eine Ausscheidung von 20 g, worauf Alles zur 
Norm zurückkehrt. So ist unsere Vorstellung, wenn eiue functions¬ 
tüchtige Niere für eine andere mit eintritt. Fast ganz genau so 
steht es in unserem Falle. 1 ) 

Die Resultate der Beobachtung 2 ) fasst folgende Tabelle zu¬ 
sammen: 


Tage 

Menge des 
Harns 

Specifisches 

Gewicht 

N - Bestimmung 

8 

Chlor- 

Bestimmung ^ 

Jodaus- 

scheidung 4 ) 

1 

890 

1019,5 

8.725 

5,963 

Stark 

2 

1020 

1018 

15.1 

3,06 

Stark 

3 

1290 

1017 

11,56 

2,6 

Stärker 

4 

2070 

1017 

14,8 

4,8 

Stark 

5 

1775 

1015 

24,85 

7,2 

Stark 

G 

1550 

1016 

20,4 

9,3 

ganz schwach 

7 

1125 

1018 l 

10,5 

8.3 

0 

8 

1230 

1018 

.2.4 

7.8 

1 o 


! Wie man sieht, ist mit Ausnahme des zweiten Tages Alles 
j genau so, wie wir es nach dem obigen Schema erwartet. Erst eine 
; geringe Ausscheidung, die immer stärker wird, die Norm erreicht 
. und schliesslich so hoch wird, dass sie durch die Ausscheidung 
1 der Retentionsbestände wohl erklärt werden dürfte. Die Aehnlich- 
: keit der construirten und unserer wirklich erhaltenen Curve scheint 
! es uns nicht unwahrscheinlich zu machen, dass hier zwar nicht 
i der Constructionsfall in toto, aber doch immerhin rudimentär vor- 
i liegt. Wir möchten schliessen, dass die exstirpirte Niere noch nicht 
I ganz ihre Functionen eingestellt hatte — wofür ja auch die Theil- 
! eben erhaltenen Parenchyms sprechen — und dass die. zurückblei- 
; bende Niere diesen Rest von Functionen allmählich übernommen 
; hat, ohne dass wir dabei vergessen, wieviel das Abuelimen des 
| Shok’s an der Steigerung der N-Ausscheidung theil hat. Sicherer 
, ist der zweite Schluss, dass die zurück bleibende Niere den grössten 
j Ansprüchen an ihre Leistungsfähigkeit gewachsen ist. Eine Niere, 
i die 25 g Stickstoff an einem Tage ausscheideu kann, ist in maximo 
j functionstüchtig. Ob sie aber ganz frei von eystischer Degeneration 
I sei, kann wohl selbst nach diesen Leistungen nicht ausgeschlossen 
i werden. Dass der mikroskopische Befund in Beziehung auf diese 
i Frage negativ ist, kann nicht als beweiskräftig für die Abwesenheit 
von Cysten angesehen werden, da diejenigen Partieen, welche 
I derartig entartet sind, abgeschlossen, ohne Ableitungswege sind 
| und somit keine Zeichen ihrer Degeneration in den Harn gelangen 
| lassen. 

V. Ueber Litholyse.') 

Von Dr. C. Posner in Berlin. 

i Unter den Anzeigen von Brunnen und Badeorten, welche zum 
Beginn einer jeden Saison die Spalten unserer Zeitungen zu füllen 
j pflegen, spielen neuerdings eiue hervorragende Rolle diejenigen. 
[ welche sich eines sonderlichen Erfolges gegenüber den Beschwerden 
des Harnsäureüberschusses, der harnsaureu Diathese oder der harn- 


') Die Nahrung kann hier für die N-Bestimmung vollständig vernaGi- 
lässigt werden, da mit Ausnahme von Suppen und Alcoholicis während der 
8tägigen Beobachtung nichts verabreicht wurde. 

*) Der Urin reagirte stets sauer, enthielt Spuren von Eiwciss, am ersten 
Tage etwas mehr als Spuren. Mikroskopisch enthielt er entfärbte rothe 
Blutkörperchen, zahlreiche weisse Blutkörperchen, welche oft in Schollen 
zusammenliegen. Harnsäurecrystalle. Die körperlichen Elemente werden 
späterhin spärlicher: sie entsprechen einer Cystitis. Die Stickstoff¬ 
bestimmungen wurden nach Kjeldahl's, die Chlorbestimmungen nach der 
Salkowski - Vollliard’schen Methode ausgeführt. Vor der Stiekstoff- 
hestiinmung wurde das Eiweiss entfernt. 

•*) Die Zunahme der Chlorausscheidung vom 5. Tage an kann eventuell 
aus dem Suppengenuss erklärt werden. 

4 ) Das Jod stammt aus dem Jodoform, mit welchem die Wunde ans¬ 
gestäubt. wurde. Die Deutung der Verstärkung der Jodreaction kann im 
Sinne der unten gegebenen Anschauung erklärt werden, kann aber auch 
auf das Weichen des Shok’s zurückgeführt werden. 

5 ) Vortrag, gehalten im Verein für innere Mediciu. 


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No. 3 


:>o 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


sauren Steinbildungen rühmen. Die Analysen werden in der Regel 
auf das Genaueste mitgetheilt, jedes Tausendstel von kolilensaurem 
oder Chlorlithium besonders betont, Atteste hervorragender Mediciuer 
beigefugt, und man muss bekennen, dass der Arzt, welcher in ge¬ 
wissenhafter Weise bei derartigen Beschwerden einen Rath ertheilen 
will, sich einem gewissen embarras de richesse gegenüber befindet 
und, wenn ich so sagen darf, es eher einer therapeutischen Intuition 
als einer fest gegründeten, wissenschaftlichen Ueberleguug entspricht, 
wenn der Eine Salzbrunner Kronenquelle, ein Zweiter den Boni- 
faciusbruuuen von Salzschlirf, ein Dritter etwa die Magnesia boro- 
citrica oder dem ähnliche Mittel empfiehlt. Es erscheint daher wohl 
von einem gewissen Werth (selbst unter den Einschränkungen, 
welche mau von vornherein der Anwendung bestimmter Brunnen 
gegenüber der harnsauren Diathese oder der harnsauren Steinbilduug 
zu machen geneigt sein dürfte), doch sich wenigstens klar zu machen, 
in welcher Weise die Kräfte, welche uns unser Arzneischatz liefert, 
im Einzelfalle am besten zu verwertheu wären. 

Von langer Zeit datiren Versuche, Skalen der lösenden Wirk¬ 
samkeit der einzelnen Brunnen (speciell auf diese bezog man sich 
wesentlich) gegenüber den harnsauren Steinen und der Harnsäure 
überhaupt aufzustellen. Es wurden derartige Versuche öfters wieder- I 
holt, so jüngst noch auf Veranlassung Ebstein’s durch den Göttin- | 
ger Apotheker Jahns ausgeführt. Indessen machte doch Ebstein, 
als er diese Versuche in seinem Werk über die Harnsteine anführte, j 
selbst darauf aufmerksam, dass man aus diesen Versuchen nicht 
ohne Weiteres auf die praktische Verwerthung dieser Mittel Folge- i 
rangen ziehen dürfe. Er führt ein Beispiel an, welches ja bekannt I 
ist und welches zeigt, wie anders unter Umständen die Arzneimittel ; 
au sich und nach der Einverleibung in den Organismus wirken j 
können; es betrifft das Lith. carbon., welches in reiner Lösung eine | 
ziemlich erhebliche Harnsäure lösende Wirkung besitzt, während es ! 
nach dem Uebergang in den Urin als Chlorlithium erscheint und fast j 
unwirksam ist. 

Unter diesen Umständen erschien es als ein glücklicher Griff j 
von Emil Pfeiffer in Wiesbaden, nicht, wie es bis dahin ge- I 
scheheu war. die Brunnen oder die Lösungen der Arzneimittel 
selbst auf ihre therapeutische Verwendbarkeit zu prüfen, sondern | 
den Urin, welcher nach dem Gebrauch dieser Mittel entleert wird, i 
in dieser Richtung zu untersuchen. Pfeiffer hat in seinen Mit¬ 
tbeilungen auf dem Congress für innere Medicin 1886 sich wesent¬ 
lich auf Repräsentanten von drei Gruppen von Mineralwässern da¬ 
bei beschränkt. Er hat vor allen Dingen das altberiihmte alkalisch- ; 
sulfatische Karlsbader Wasser in dieser Richtung untersucht, daun 
die Kochsalzquelle von Wiesbaden, die praktisch wohl weniger für 
diese Dinge verwendet wird, und endlich einen Repräsentanten der 
rein alkalischen Wässer, die Quelle von Fachingen. Die Resultate 
seiner Untersuchungen — auf die Methode derselben werde ich so¬ 
fort eingeben — waren die, dass die Karlsbader Quelle allerdings 
während ihres Gebrauches dem Urin eine erhebliche, Harnsäure i 
lösende Kraft ertheile, die aber unmittelbar nach dem Aussetzeu 
wieder schwand und im Gegentheil dann zu einer vermehrten Ab¬ 
scheidung von Harnsäure führte. Bei Wiesbaden war das Gleiche der 
Fall, nur dass die Harnsäure lösende Eigenschaft, wie das vorauszu- 
setzon war, ganz erheblich geringer blieb als bei Karlsbad. Aber auch 
diese geringe Wirkung verschwand ebenso schnell. Anders Fachin¬ 
gen. Nach dem Gebrauche von Fachinger Wasser zu einem Kruge 
pro Tag nahm der Urin schon am zweiten Tage eine ausgeprägte 
Harnsäure lösende Eigenschaft an, und diese Eigenschaft erhielt sich 
noch ungefähr, wenn das Wasser etwa 5 Tage gebraucht worden 
war, 3 — 4 Tage deutlich, um ganz allmählich zu verschwinden, j 
Diese Untersuchungen habeu, beiläufig bemerkt, bereits auch die | 
praktische Wirkung gehabt, dass das Fachinger Wasser, welches bis j 
dahin ziemlich stiefmütterlich behandelt war, einen ausserordentlichen \ 
Aufschwung im Verbrauch genommen hat. 

Es schien mir zweckmässig, diesePfeiffer’sclien Untersuchungen, 
die bis dahin keine Nachprüfung gefunden hatten, ciuer Nachunter- i 
suchung mit verschiedenen neuen Gesichtspunkten zu unterwerfen. , 
Ich habe diese iu Gemeinschaft mit Herrn Dr. Goldenberg, da- I 
maligem Assistenten des Herrn Dr. Lassar und im Laboratorium j 
desselben ausgefübrt und möchte mir erlauben, über deren Resultate | 
hier kurz zu berichten. 

Die Methode, nach der wir arbeiteten, war im Wesentlichen 
diejenige Pfeiffer’s. Er stellte seine Untersuchungen in der Art 
an, dass er bestimmte Mengen des Urins nach dem Genuss be¬ 
stimmter Mengen des Mineralwassers auf ein Filter gab, auf welches ! 
vorher abgewogene Mengen chemisch reiner Harnsäure gebracht j 
waren, und den Substanzverlust nach dem Filtriren und nach dem I 
nachherigen Trocknen u. s. w. wog. Dass diese Methode berechtigt 
sei, hat Pfeiffer selbst in einer Reihe von Untersuchungen, die 
wir auch nachpriifteu, hinreichend bewiesen. Es zeigto sich na¬ 
mentlich, einmal, dass nicht schon etwa normaler Urin eine ähn¬ 
liche, Harnsäure lösende Eigenschaft in dieser Weise ausfibt, sondern 


im Gegentheil das Gewicht der Harnsäure nach dem Dürchfiltriren 
vermehrt, während Wasser eine Abnahme, die sich in bescheidenen 
Grenzen hält, hervorbringt. Pfeiffer ist der Sache noch näher 
getreten, durch quantitative Analysen hat er in dem Urin vor und 
nach dem Filtriren den Substanzverlust noch durch Wägung nach- 
weisen köunen. Es war also augenscheinlich gegen die Methode 
nichts einzuwenden, aber es fragte sich für uns, ob die Resultate, 
die er speciell mit dem Fachinger Wasser erhalten batte, nicht 
etwa eine diesem speciell eigenthiimliche Wirkung darstellten oder 
der Ausdruck eines grösseren Gesetzes waren. Es fragte sich 
weiter, ob die Folgerungen, die Pfeiffer aus seinen Untersuchun¬ 
gen gezogen hat, sich durch die weitere Nachprüfung bestätigten; 
denn, wie Ihnen vielleicht erinnerlich seiu wird, ging er in diesen 
Folgerungen wohl etwas weit. Den grössten Theil der Versuche 
hat er zwar an chemisch reiner Harnsäure ausgeführt, aber auch 
harnsaure Steine diesem selben Verfahren unterworfen und aus 
seinen Resultaten den Schluss gezogen, durch den Gebrauch von 
Fachinger Wasser würden harnsaure Steine „sehr rasch aufgelöst.“ 
Dieses immerhin bei unseren augenblicklichen Anschauungen über 
Bildung und Lösung von Steinen frappirende Resultat reizte uns 
ganz besonders zur Nachuntersuchung. Mit Absicht haben wir uus, 
da die ganze Procedur ziemlich zeitraubend ist, in einer Richtung 
beschränkt, uäralich unter Zugrundelegung der Pfeiffer’scbcu 
Untersuchungen über Karlsbad und Wiesbaden von diesen beiden 
zunächst Abstand genommen. 

Wir beschränkten uns auf die rein alkalischen Quellen, die ja 
auch gegenwärtig im Vordergründe des Interesses stehen. 

Ohne dass ich Sie hier mit Zahlenangaben behelligen will, in 
welcher Beziehung ich auf die demnächst erscheinende ausführliche 
Publicatiou verweise, möchte ich vor Allem in Rücksicht auf die 
Versuche mit reiner Harnsäure bemerken, dass wir die Pfeiffer¬ 
schen Angaben sowohl für den Gebrauch alkalischer Wässer, als 
auch für Nachwirkungen des Wassers im Wesentlichen bestätigen 
können. Wir sind von dem Gedanken ausgegangen, diese Frage mit 
Rücksicht auch auf die procentische Zusammensetzung dieser Brunnen 
zu prüfen. Pfeiffer selbst stellt bei seinen Untersuchungen den 
Natriuragehalt des Fachinger Wassers in den Vordergrund, speciell 
den an Na_>CO;t. Es ist uus nun gelungen, eine Skala der Wirk¬ 
samkeit der verschiedenen Brunnen in der Weise zu ermitteln, 
dass wir zu dem Schluss gelangten, die Harnsäure lösende Wirk¬ 
samkeit der alkalischen Quelleu häugt direkt ab von ihrem Gehalt 
an NaoCOs. Den erheblichsten Gehalt daran hatte die iu Deutsch¬ 
land erst wenig bekannte Quelle von Vals (Desirecquellc), welche mit 
über 6: 1000 Natr. carbon. beinahe 8%o kohlensauren Alkalien, an 
der Spitze aller dieser Quelleu steht. Mit dieser haben wir auch die¬ 
jenigen Resultate erhalten, welche in jeder Hinsicht als die befrie¬ 
digendsten bezeichnet werden können, namentlich bei Berücksichti¬ 
gung des Verhaltens der harnsauren Steine. In 100 g des betreffenden 
Urins wurden ca. 0,1 Harnsäure gelöst, eine Zahl, die ziemlich beträcht¬ 
lich erscheinen wird, wenn ich einschalte, dass nach unseren Unter¬ 
suchungen nach derselben Methode destillirt.es Wasser bei Körper¬ 
temperatur nur ca. 0,04 g aufzulösen vermag. 

Vals fast ebenbürtig ist die Quelle Grande Grille von Vichy, 
daun kam eine, io Deutschland ziemlich unbekannte, die Ulricus- 
quelle von Passugg, dann Fachingen, in Bezug auf welches wir die 
Pfeiffer’schen Zahlen im Wesentlichen bestätigen können (es 
handelt sich hier um Lösungen von ca. 0,05 pro 100 ccm), dann 
Wildunger Helenenquelle, dann Salzbrunner Kronenquelle. Diese 
löste am wenigsten, nur den 5. Theil etwa des Quantums der Quelle 
von Vals, etwa die Hälfte des Betrages, den die Fachinger löste. 
Dieses Resultat, dass die Harnsäure lösende Kraft eine Functiou des 
Gehalts an Na>C 03 zu sein schien, veranlasstc uns, auch auf die 
einfachen Arzneimittel unsere Untersuchungen auszudehnen, in der 
Hoffnung, dass es gelingen könne, wenigstens für den Gebrauch im 
Hause die Braunen bei ihren immerhin in's Gewicht fallenden 
Preisen durch einfachere Mittel zu ersetzen. In der That zeigte sich, 
dass eine ganze Reihe von einfachen Alkalien in dieser Beziehung, 
rein quantitativ betrachtet, ziemlich dieselben Resultate zu geben 
im Stande war, wie bei den Brunnen. Zuerst das Natr. bic. Gaben 
von etwa 4—5 g pro Tag, die noch leidlich gut vertragen werden, 
ergeben annähernd dieselben Grössen, wie Fachiugen, aber es 
zeigte sich, dass man diese Gaben nicht so lange reichen kann als 
die Branueu. In ähnlicher Weise wirken die von Cantani ange¬ 
gebenen bekannten Pulver aus Natr. bic., Lithiou carb. und Ka. citr., und 
an diese schloss sich an die ebenfalls in der Praxis beliebte Magnesia 
boro - citrica. Den tiefsten Rang nahm der Borax ein, obwohl er, 
wie Ihnen bekannt sein wird, in einem klassischen Krankheitsfall 
praktisch eine sehr erhebliche Wirksamkeit hatte, indem Virchow 
sich durch denselben von seiner Nierengicht befreit hat. Ein 
letztes Mittel, welches wir prüften, war das hier in Berlin in vielen 
Kreisen zur Anwendung kommende sogenannte „Litholydium“; wie 
Sie wissen, ein Mittel, welches unter dem Versprechen in den Handel 


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19. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 51 


kommt, dass es nicht nur Harnsäuresteine, sondern Steine jeder Art, 
von welcher chemischen Beschaffenheit auch immer auflösen werde. 
Ich kann darüber mittheilen, dass allerdings eine direkte Auflösung 
dieser (ziemlich theuren) Substanz ganz erhebliche Einwirkungen auf 
die Harnsäure äussert, nach Gebrauch desselben der Urin aber nicht 
viel mehr Harnsäure lösend wirkt, als nach Magn. boro-citr., die ich 
denn auch für den wesentlichen Bestandtheil des Geheimmittels halte. 

Was die Resultate an harnsauren Steinen selbst betrifft, 
die wir dann untersuchten, so möchte ich mich da erheblich 
skeptischer aussprechen. Nur einmal sahen wir, dass ein nicht 
unerhebliches Stück eines reinen Harnsäuresteins, iu den Urin 
gebracht, welcher nach dem Gebrauch von Vals entleert wor¬ 
den war, sich iu ähnlicher Weise veränderte, wie man dies bei 
der direkten Einwirkung der Brunnen und der alkalischen Mittel 
zu sehen bekommt. Wirft man einen harnsanren Stein in einen 
der Brunnen, so sieht man nach kurzer Zeit den Stein brüchig 
werden, sein Gefüge einbüssen; er ist nach einigen Tagen zwischen 
den Fingern zerreiblich, es sind hamsaure Na und K Kiwstalle an 
Stelle der U getreten. Im Urin, nach dem Gebrauch der von uns 
untersuchten Mittel ist derartiges, w'ie gesagt, nur einmal nach dem 
Gebrauch von Vals der Fall gewesen; bei einer Person, welche 
drei Tage den Brunneu getrunken hatte, äusserte der Urin, wie 
wir bestimmt feststellen konnten, bei Körpertemperatur dieselben 
Einwirkungen, beim Fachinger Wasser war der Erfolg allerdings 
der, dass die Steine, wie Pfeiffer ebenfalls angiebt, au Gewicht 
hierbei einbüssten (innerhalb 2—3 Tagen um fast 1 /% des ursprüng¬ 
lichen Gewichts), so dass man hieraus verfuhrt sein könnte, den 
von Pfeiffer gezogenen Schluss, die Steine würden sehr rasch auf¬ 
gelöst, ebenfalls zu ziehen. Nie konnten wir aber eine Structur- 
veränderung des Steins nachweisen, der Stein blieb so hart wie er 
war, zeigte höchstens an der Oberfläche leichte Arrosionen, auf die 
die Gewichtsabnahme zu schieben ist. 

Dass die Steine sich so anders verhalten wie pulverisirte Harn¬ 
säure, ist a priori einleuchtend. Eine Zwischenstufe zwischen der 
pulverisirten Harnsäure und den Steinen nehmen pulverisirte harn¬ 
saure Concremente ein, sie sind hierbei auch weniger löslich als 
reine Harnsäure selbst. Bei kleinen harnsauren Grieskörnern aber 
waren die Resultate, wenn auch geringer als bei den letzterwähnten, 
doch immer noch ziemlich deutlich. 

So wenig bis jetzt diese Untersuchungen uns selbst nach ver- 
tjchiedenen Richtungen hin abgeschlossen erscheinen, und so gewagt 
es unter allen Umständen ist, aus Laboratoriumsversuchen unmittel¬ 
bar Schlüsse auf die Wirkung dieser Mittel im Organismus zu ziehen, 
so glaube ich doch, und es haben uns einige Erfahrungen, die wir 
gelegentlich an Patienten machten, darüber belehrt, dass man aus 
unseren Zahlen über die Wirksamkeit dieser Mittel einen gewissen 
Anhaltspunkt für die Praxis gewinnen kann. Ich glaube den Satz 
vertreten zu können, dass man überall da, wo es sich um eine 
rasche Einwirkung, möglichst schnelles Auflösen eines Harnsäure¬ 
überschusses handelt, von welcher Art er auch immer sei, zu den 
am stärksten wirkenden Mitteln, den Quellen von Vals und Vichy, 
allenfalls auch Fachingen, unter allen Umständen zu greifen hat, dass 
diesen Quellen aber am nächsten stehen nicht etwa die alkali-ärmeren 
Quellen, sondern dass diesen Quellen am nächsten stehen grosse 
arzaeiiiche Gaben von Natr. bicarbonicum. Aber wo es sich darum 
han&fe, eine länger dauernde Cur durchzumachen, möchte ich vor 
diesen allzustarken alkalischen Brunnen nachdrücklich warnen. 
Es tritt hier das bekannte Factum mit erstaunlicher Schnelligkeit 
ein, dass der Urin alkalisch wird, und dass die sämmtlicheu prak¬ 
tischen Vortheile der Harnsäurelösung verloren gehen gegenüber 
dem Nachtheil einer zu erheblichen Alkali-Niederschlagung; nament¬ 
lich gilt das für gewisse Steine, bei denen man die Bildung der 
Phosphatrinde nur beschleunigen würde. 

Mit den schwächeren Quellen kann man dagegen den Urin 
längere Zeit sauer erhalten; schwer allerdings mit dem Fachinger- 
wasser, wie ich es Pfeiffer gegenüber betonen muss. Wohl aber 
bleibt er oft lange Zeit sauer mit der Kronenquelle von Salzbrunn 
und mit den Pulvern von Cantani und der Mg. boro-citrica. Auf 
letztere möchte ich besonderes Gewicht legen, da es mir schien, 
namentlich in einem Fall, dass diese besser und länger vertragen 
wird als die anderen Arzneimittel, speciell als Natr. bicarbonicum. 

Was die Dosirung der Brunnen betrifft so kann man darin 
dem von Pfeiffer gegebenen Rath folgen: bei den stärkeren Alkalien 
genügt es, und das ist praktisch von Bedeutung, nicht täglich die 
Brunnen trinken zu lassen, vielmehr nach 2—3 Trinktagen einen 
oder zwei Ruhetage einzuschieben. Die Harnsäure lösende Kraft 
des Urins wird durch die Pause in keiner Weise beeinträchtigt. 
Auf die Grösse des zu trinkenden Quantums kommt es für die ab¬ 
solute Wirkung des Urins weniger an als man erwarten sollte. Es 
ist ziemlich gleich für das augenblicklich zur Untersuchung stehende 
Quantum Urin, ob Patient eine halbe oder ganze Flasche Fachinger 
getrunken bat, und von Bedeutung ist die Dose nur in der Hinsicht, 


! dass dadurch die Urinmenge vermehrt wird und damit das tägliche 
Quantum des wirksamen Urins. Bei den Arzneimitteln haben wir 
uns innerhalb der medicinalen Dosen ungefähr bewegt. Nur um 
nicht missverstanden zu werden, möchte ich noch einmal betonen, 
dass die Hoffnung auf Auflösung der harnsauren Steine durch die 
von uns bearbeiteten Mittel in ziemlich weite Ferne gerückt zu 
sein scheint. Der eine Erfolg mit dem Valswasser steht den 
andereu als Misserfolgen zu bezeichnenden gegenüber. Ohne allen 
Zweifel hängt die Wirksamkeit des betreffenden Urins von der 
Grösse des Steins ab. Aus unseren Versuchen geht mit voller 
Sicherheit hervor, dass bei irgendwie grösseren Blasensteinen man 
von Einwirkung von noch so hoch gegriffenen Dosen von Alkalien 
nichts zu erwarten hat, während wir harnsauren Gries allerdings 
I noch als solcher Behandlung zugänglich ansehen müssen. Ich möchte 
; auch noch dies eine betonen, dass ich mit diesen kurzen Andeutungen 
I über Anwendung von alkalischen Mitteln bei diesen Dingen durchaus 
J keine Skizze für die Behandlung der barnsauren Steine geliefert haben 
will. An einem anderen Orte habe ich bereits nachdrücklich darauf 
aufmerksam gemacht, dass bei Steinkrankheiten viele zu behandelnde 
Factoren concurriren. Ich möchte in dieser Beziehung auch erinnern an 
die jüngste Arbeit von Maschka in Karlsbad, welche wiederum zeigte, 
in wie hohem Maasse der Zustand der Harnorgane oder ihres Gefäss- 
systems hierbei ursächlich in Beziehung zu bringen ist. Die Be¬ 
handlung mit Brunnen bildet nur einen Theil der für die Behand¬ 
lung der Steinkrankheiten nothwendigen Therapie, und speciell wird 
sie ihre Wirksamkeit weniger entfalten der ausgebildeten Krankheit 
gegenüber, als dass sie prophylaktisch und in dem Beginne der 
Krankheit in dem von uns erörterten Sinne eine gewisse Bedeutung 
i beizubehalten vermag. 

Discussion. 

' Herr Leyden. Ich möchte den Herrn Vortragenden nur noch fragen, 

ob er nicht etwas über das Lithium äussem möchte. 

Herr Postier. Unsere Ansichten über das Lithium sind noch nicht 
so abgeschlossen, dass ich bindend daraus Schlüsse formuliren möchte. Ich 
! möchte nur betonen, dass Salzschlirf, eine alkali-arme, kochsalzreiche Quelle, 

| für den Moment eine recht günstige Wirkung hatte. 

Lithium carbonicum iu Substanz gab günstige Resultate, die aber sehr 
rasch wieder schwanden. Bei den weiteren Lithium haltigen Brunnen kann 
von der Wirkung der minimalen Mengen, die sie enthalten, wohl keine 
Rede sein. Pfeiffer hat über Lithium und künstliche Lithiumwässer 
sich ausführlicher verbreitet und ist zu analogen Resultaten gekommen, leid¬ 
liche Wirkung für den Augenblick, die aber im Moment verschwindet. 

Herr Jacques Mayer. Es war ein dankenswertes Unternehmen des 
Herrn Posner, seine Untersuchungen auf einen Gegenstand gerichtet zu 
! haben, der für die Behandlung der harnsauren Diathese von grosser Be¬ 
deutung ist. Wenn ich auch gegen die Methode dieser Untersuchungen 
! nichts einweuden kann, so muss ich doch bemerken, dass die Beobachtun- 
j gen, welche ich über die Wirkungsweise Karlsbads bei der harnsauren 
Diathese gemacht hatte, ganz anderer Natur sind, als sie von Herrn Collegen 
; Posner geschildert worden sind. 

Die Beobachtungen, wie sie in einem Curorte gemacht werden können, 

I unterscheiden sich allerdings wesentlich von derartig exact durchgeführten 
I chemischen Untersuchungen. Dazu fehlt es vor allem an Zeit. Gleichwohl 
i ist in Karlsbad festgestellt worden, von mir und anderen Collegen, dass die 
: Harnsäure im Verlaufe einer 3—öwöchentlichen Cur entschieden abge¬ 
nommen hat. Wenngleich im Anfänge der Cur — ja sozar 8 bis 14 Tage 
hindurch — bei verhältnissmässig nicht zu reichlicher Zufuhr von Karls¬ 
bader Brunnen die Ausscheidung von Harnsäure und harnsauren Salzen 
sich häufig intensiv vermehrte, so konnte doch mit Bestimmtheit im zweiten, 
eventuell erst im letzten Theil der Cur eine auffällige Abnahme derselben 
cotastatirt werden. 

Ich erkläre mir dies einfach so, dass wir es bei einer Karlsbader Cur 
mit einem complicirten Angriff auf die Krankheit zu thun haben, dass es 
sich dabei um verschiedene Factoren handelt, die auf den Gang der narn- 
säureausscheidung einen wesentlichen Einfluss ausüben. Ausser den Brunnen 
gehört hierzu in erster Reihe die Diät. Dann muss die reichliche Körper¬ 
bewegung in Betracht gezogen werden, ebenso eine Reihe anderer Factoren, 
auf die ich nicht näher einzugehen brauche. 

Ich selbst habe in den letzten Jahren neben der vegetabilischen Nah¬ 
rung besondere Rücksicht auf den Milchgenuss genommen und konnte mich 
überzeugen, dass bei Patienten, welcher vor ihrer Ankunft in Karlsbad au 
den heftigsten Anfällen von Nierenkolik gelitten und auch grosse Massen 
von Harnsäure und deren Salzen ausgeschieden hatten, unter dem Einflüsse 
der Brunnencur, die mit vorwiegend vegetabilischer Nahrung, mit reichlichem 
Genuss von Milch und meist nur einer einmaligen täglichen Fleischzufuhr 
combinirt war, die genannten Erscheinungen sich sehr bald und erheblich 
vermindert haben. 

Wir sind daher auch gewöhnt, wenn wir von einer Carlsbader oder 
einer anderen Brunnencur sprechen, den Effect derselben nicht ausschliess¬ 
lich auf den Brunnen zu beziehen, sondern auf sämmtliche Factoren, die 
mitunter, wie bei der Behandlung von Diabetes, von Magen- und Leber¬ 
krankheiten, sehr complicirt sein können, in Rechnung zu stellen. 

Der Herr Vortragende hat bemerkt, dass seine Untersuchungen noch 
nicht zum Abschluss gelangt sind; ich selbst bin gerade dabei, diese Frage 
etwas eingehender zu bearbeiten und werde seiner Zeit Gelegenheit haben, 
mich noch schriftlich darüber zu äussern. 

Herr Färbringer. Es ist gewiss sehr werthvoll für uns Aerzte, dass 
wir nun endlich einmal in den Untersuchungen des Herrn Vortragenden 


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52 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3 


einen concreten und exacten Begriff der Vergleichbarkeit des Harnsäure 
lösenden Effects der Alkalien in Medicamentenform mit denjenigen der al¬ 
kalischen natürlichen Trinkwässer .begegnen. Ich kann nicht umhin, Ihnen 
zu gestehen, dass ich in meinem praktischen Handeln schon seit einigen 
Jahren ohne wesentliche experimentelle Grundlage zu ganz ähnlichen Sub- 
stitutionswerthen gekommen bin. Ich halte es seit einer Reihe von Jahren 
so, dass ich diejenigen Patienten, welche leicht abkominen können und 
finanziell günstig gestellt sind, in die betreffenden Bäder schicke, etwa nach 
Vichy; die der Beruf zu Hause hält, lasse ich dort Vichybrunnen trinken; 
denjenigen, die auch dieses Geldopfer nicht bringen können, verschreibe ich 
das künstliche Vichy-Salz, wie es von Sandow in Hamburg componirt ist; 
es sind diese Präparate keine Geheimnisskrämerei, sondern nach rationeller 
Berechnung dispensirte Mischungen der wirksamen Mineralsalze der betr. 
Quelle. Ganz armen Patienten endlich habe ich den Rath gegeben, aus käuf¬ 
lichem Natr. bicarbon. Lösungen anzufertigen, welche ungefähr dem Gehalt 
des Vichybrunnens an Natr. bicarbon. entsprechen. Man muss sich fragen, 
warum verabreichen wir die natürlichen Wässer? Herr Posner hat diese Frage 
nur flüchtig gestreift; die Antwort war, dass die natürlichen Wässer eben 
besser vertragen werden; aber diese bessere Verträglichkeit möchte ich 
nicht ohne Weiteres zugeben; ich habe mich nicht recht überzeugen können, 
dass die künstlichen Compositionswässer in derselben Verdünnung (nicht in 
Pulverform!) wie die natürlichen, eine weniger annehmbare Wirkung in 
Bezug auf den übrigens äusserst schwer zu beurtheilenden litholytischen 
Effect im Organismus entfalten. 

Ich denke dabei besonders an diejenigen Fälle, wo nicht unter Anfällen 
von Nierenkolik Concremente oder Gries in bedeutenden Mengen im Harn 
erscheinen, sondern an jene, wo mehr in continuo, innerhalb gewisser Pe¬ 
rioden fast an jedem Tage, Nierengries oder -Sand mit dem frischen Urin 
entleert wird. Diese letzteren eignen sich für das Experiment ganz anders, 
als die unberechenbaren paroxysmalen Formen. Ich will nicht leugnen, dass 
der Gebrauch eines Trinkwassers im Bade selbst im Allgemeinen ungleich 
günstigere Chancen, schon aus Anlass der gleichzeitigen Hemmung der 
Bildung der harnsauren Concremente liefert, aber in Bezug auf den Kern¬ 
punkt, Lösung der Harnsäure und Verträglichkeit, kann ich mich bis jetzt 
nicht zu so colossalen Differenzen bekennen, wie sie von vielen Aerzten an¬ 
gegeben werden. Ein Herr, um zu schliessen, ein sehr intelligenter und 
genau controlirender, nur auf natürliche Quellen schwörender Patient, den 
ich Jahre lang an Nephrolithiasis behandle, hat sich durch Ankleben falscher 
Etiquetten auf künstliche Präparate in vollkommener Weise täuschen lassen, 
keinerlei Unterschied in Bezug auf Verträglichkeit und das Verhalten des 
Nierengrieses ira Ham beobachten können. 

Herr Posner. Zu dem, was Herr Fürbringer bemerkt hat, möchte ich 
noch sagen, dass ich allerdings auch einen Unterschied zwischen den natür¬ 
lichen und künstlichen, genau ebenso componirten Mineralwassern nicht 
statuiren möchte; es handelt sich um die Frage, ob man all’ die verschiede¬ 
nen Ingredienzen gebrauchen muss, die z. B. im Vichywasser enthalten 
sind, oder ob es genügt, einen bestimmten Stoff zu verwenden. Ein Unter¬ 
schied in der Wirkung möchte übrigens vielleicht auch in dem Gehalt an 
COa gelegen sein und in der daraus sich ergebenden stärkeren diuretischen 
Wirkung der natürlichen Brunnen. 

VI. Primäres Sarcom der Pleura. 1 ) 

Von Dr. S. F. Demschinsky. 

Ordinator am Golizyn-Hospital in Moskau. 

Das überaus seltene Vorkommen eines primären Sarcoms der 
Plenra, sowie der Umstand, dass es mir gelungen war, die Diagnose 
dieses Falles intra vitam zu stellen, welche sich auch post mortem 
in vollem Maasse bestätigte, mag die Veröffentlichung desselben 
rechtfertigen. 

In der mir zugänglichen Literatur finde ich ganz einstimmig 
der Seltenheit primärer Neubildungen der Pleura Erwähnung ge- 
than, so bei Ziegler und Birch-Hirschfeld, nur in Bezug auf 
die Nomenclatur sind Differenzen zwischen den Autoren, die dem 
meinigen ähnliche Fälle beschreiben, vorhanden. Während Schulz 
und Malassaise sie zu den Carcinomen rechnen, bezeichnen sie 
Andere wie Boehm als primäre Sarcome oder präciser Sarco- 
Carcinome. Herr Professor J. F. Klein und Herr Professor 
Schervinsky, die die Güte hatten, meine mikroskopischen 
Präparate zu durchmustern, zählen den Tumor zu den Sarcomen 
(Sarcoma globo-cellulare), weshalb auch ich mir erlaube denselben 
als solches zu bezeichnen. 

Krankengeschichte. 

Den 5. October 1886 wurde der Bereiter, ehemaliger Soldat, N. N. 
47 a. n. in den Krankenstand des Golizyn - Hospitals aufgenommen mit 
Klagen über quälende Athemnoth, Gefühl von Schwere in der Brust und 
Husten. Aus seinen anamnestischen Angaben geht hervor, dass er, aus 
gesunder Familie siaromend, sich bis vor einem Jahr guter Gesundheit er¬ 
freut habe. Er ist nicht Potator, hat sich auch nie luetisch inficirt. Seit 
einem Jahr ist er leidend und ist im verflossenen Winter wegen eines 
acuten Magenkatarrhs auf meiner Abtheilung behandelt worden, doch hatte 
er sich schon zum Frühjahr soweit erholt, dass er den ganzen Sommer 
hindurch bis zum August seinen Dienst als Bereiter versehen konnte. Um 
diese Zeit stellte sich Athemnoth ein, die ihn zwang, seine Beschäftigung 
aufzugeben. Da sowohl Dyspnoe als auch der Husten an Intensität Zu¬ 
nahmen, er den Appetit verlor und sichtlich abmagerte, bat er um Aufnahme 
in das Hospital. 

’) Nach einem Vortrage, gehalten in der physiko-medicinischen Gesell¬ 
schaft zu Moskau.. 


Status präsens den 6. October 1886. 

Patient ist von gutem Körperbau, die äussere Haut, wie die sichtbaren 
Schleimhäute sind blass, der Gesichtsausdruck ist leidend. Seine haupt¬ 
sächlichen Klagen beziehen sich auf Dyspnoe und ein Gefühl von Schwere 
in der linken Thoraxhälfte. Es besteht ferner geringe Dyspepsie und Ob¬ 
stipation. Das Diaphragma steht etwa l'/j Intercostalräume niedriger als 
normal. Die Leber ist nach unten gerückt, jedoch nicht vergrössert auch 
nicht schmerzhaft. Die Milz ist normal. Von Seiten der Nieren nichts 
Abnormes. 

Patient hustet heftig und expectorirt in 24 Stunden etwa ein Glas voll 
schleimig-eitrigen Sputums. 

Percutorisch wird Dämpfung etwa fingerbreit unterhalb der linken 
Clavicula constatirt, ferner vorne von der vierten Rippe an nach unten und 
hinten vom Scapularwinkel an eine absolute, weniger deutlich ausgesprochene 
in der Fossa supraspinata. An diesen eben beschriebenen Stellen ist das 
Athmen abgeschwächt respective unhörbar, selbst wenn Patient hustet, der 
Pectoralfremitus geschwunden. An den übrigen Stellen der linken Brust¬ 
hälfte ist vesiculäres Athmen und ab und zu trockenes Rasseln vorhanden. 

Patient liegt auf der kranken Seite, beim Versuch sich auf die rechte 
zu legen tritt eine Verstärkung des Hustens ein. 

Die Grenzen der rechten Lunge sind vergrössert; der Percussions- 
schall zeigt hier einen tympanitischen Beiklang; auscultatorisch wird 
schwaches Vesiculärathraen constatirt. Die Intercostalräume dieser Thorax¬ 
hälfte sind erweitert und verstrichen und zeigen selbst bei stärkster Inspi¬ 
ration keine Einziehung. 

Die Herzgrenzen können nicht genau festgestellt werden, da die Lungen¬ 
dämpfung in die Herzdämpfung übergeht. Der Spitzenstoss befindet sich 
an der normalen Stelle, erscheint etwas verstärkt. Puls regelmässig 96 in 
der Minute. Die Herztöne sind rein. Es besteht ferner eine auffallende 
Differenz in dem Füllungszustand beider Art. brachiales und radiales; wäh¬ 
rend die linken Arterien kaum durchzufühlen sind, sind die rechten gut 
gefüllt. Die genannten Arterien sind beiderseits hart und geschlängelt. 
Ueber der linken Clavicula ist systolisches Blasen hörbar. 

Die Stimme des Patienten zeigt keine Veränderung. 

Unterhalb der linken Clavicula und in der Achselhöhle derselben Seite¬ 
sind die Lymphdrüsen geschwellt, etwa bohnengross, von teigiger Consisten/., 
doch indolent. Die Temperatur ist subnormal. Patient ist stark abgemagert 
und marastisch. 

Fünf Tage nach der Aufnahme in’s Hospital wurde in Anbetracht der 
sich steigernden Dyspnoe und des zunehmenden Gefühls von Schwere in 
der Brust die Punction mittelst des Dieulafoy in der vorderen Axillarlinie 
zwischen der 7. und 8. Rippe ausgeführt und 1 270 ccm einer serös-blutigen 
Flüssigkeit entleert. Dr. Jegorow, der die Güte hatte das Exsudat mikro¬ 
skopisch zu untersuchen, fand ausser einer grossen Menge rother Blut¬ 
körperchen ganze Aggregate hyalin degenerirter Endothelzellen. 

In den ersten zwei Tagen nach der Punction athmete Pat. recht frei, 
doch bald trat wieder derselbe Zustand wie vor der Operation ein, so dass 
die Punction nach einer Woche wiederholt werden musste, wobei 1500 ccm 
einer wie oben beschriebenen Flüssigkeit entleert wurden. 

Von Tag zu Tag verschlimmerte sich der Zustand des Patienten, er 
magerte immer mehr ab, und ausser der Dyspnoe quälte ihn noch ein 
intensiver Schmerz in der linken Seite, welcher in den Arm und in die 
Finger hin ausstrahlte, in welchen er ein Gefühl von Taubsein und Kraft¬ 
abnahme verspürte. 

Die Verschiedenheit in dem Puls beider Art. brachiales und radiales 
trat immer deutlicher zu Tage. 

Die physikalischen Erscheinungen von Seiten der Lunge zeigten keine 
Veränderung. Die Punction der Pleura musste wiederholt ausgeführt 
werden, doch brachte sie dem Patienten nur für einen, höchstens zwei Tage Er¬ 
leichterung seiner Leiden. 

Am 11. November, einen Monat nachdem Eintritt in’s Hospital, konnte 
bei der vorgenommenen Punction keine Flüssigkeit mehr entleert werden, 
und bei der an diesem Tage erneuerten Untersuchung wurde Folgende» 
constatirt: 

Der Umfang der Dämpfung scheint sich ein wenig verringert zu haben, 
an einzelnen Stellen ist pleuritisches Reiben zu hören, das Athmen sowie 
der Fremitus pectoralis sind abgeschwächt, theilweise überhaupt nicht vor¬ 
handen. Die Drüsen in der linken Achselhöhle und unterhalb der Clavicula 
derselben Seite sind grösser geworden. 

Die Schmerzen in der Brust werden von Tag zu Tage heftiger. Der 
Kräftezustand des Patienten nimmt immer mehr ab. 

Die einige Tage vor dem Tode vorgenomraene Untersuchung ergab: 
absolute Dämpfung hinten von der neunten Rippe an, vorne unterhalb der 
Clavicula zeigt sie einen Umfang von zwei Fingerbreite, ferner erstreckt sie 
sich vorne von der vierten Rippe an nach abwärts, doch ist sie hier nicht so 
absolut ausgesprochen wie zu Anfang der Beobachtung, im October. Das 
Athmen ist überall abgeschwächt, theilweise unhörbar, der Fremitus pecto- 
rajis vermindert. Ausser Reibungsgeräuschen ist noch mittel- und gross¬ 
blasiges Rasseln hörbar. Der Puls ist schwach. Sehr starke Dyspnoe. 
Die in die Hand ausstrahlenden Schmerzen der linken Seite sind so 
intensiv, dass zu Morphiuminjectionen (2 Mal pro die) Zuflucht genommen 
werden muss. 

Unter den Erscheinungen einer Herzparalyse erfolgt am 1. December 
der Exitus letalis. 

Section (24 h. p. mortem). 

Die rechte Lunge stark emphysematos, im Parenchym derselben finden 
sich drei weiche haselnussgrosse Knoten von weisslicher Farbe. Die Broncbial- 
drüsen sind vergrössert und infiltrirt, auf einem Durchschnitt erscheinen sie 
milchig-weiss. Die liuke Pleura ist fingerbreit verdickt, mit weichen tumor¬ 
artigen Knoten bedeckt, welche theils einzeln, theils in Gruppen aufsitzen. 
Von der Pleura ziehen Bindegewebsstränge iu’s Parenchym der Lunge, 
dieselbe ist atelektatisch und von haselnussgrossen tumorartigen Knoten 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


53 


19. Januar. 


durchsetzt. Einige Rippen sind sowohl vorne wie hinten vom Periost 
entbietest, die Knochensubstanz exulcerirt. Die Lymphdrüsen unterhalb 
des Schlüsselbeins und in der Achselhöhle der linken Seite sind sarcomatös 
degenerirt. 

Epikrisis. 

Da der eben beschriebene Fall als absolut unheilbar kein 
therapeutisches, wohl aber in Bezug auf die Diagnose resp. Prog¬ 
nose Interesse bietet, so will ich mir erlauben, der Momente Er¬ 
wähnung zu thun, welche mich veranlassten, hier eine bösartige 
Neubildung der Pleura anzunehmen. 

Patient trat zu mir ein mit Symptomen eines schweren chroni¬ 
schen Leidens, seine hauptsächlichen Klagen bezogen sich auf 
Dyspnoe und Schmerzen in der linken Brusthälfte. Das Ergebniss 
der Auscultation und Percussion sprach für ein Exsudat, so die 
Dämpfung, das abgeschwächte Athmen und der verminderte Pecto- 
ralfremitus. Die Punction bestätigte unsere Voraussetzung, doch 
der serös-blutige Charakter der entleerten Flüssigkeit, mit den in 
ihr suspendirten hyalin degenerirten Endothelzellen lässt uns eine 
gewöhnliche Pleuritis ausschliessen und lenkt uns auf den Gedan¬ 
ken einer etwa vorhandenen Tuberculose der Pleura oder eine Neu¬ 
bildung in derselben. Scorbut war in unserem Falle absolut aus- 
zuschliessen, da sich sonst keine Symptome desselben fanden. Doch 
auch für Tuberculose waren keine Anhaltspunkte vorhanden, denn 
erstens fiel die wiederholt angestellte Untersuchung auf Tuberkel¬ 
bacillen negativ aus, ferner waren weder Fieber, noch Schweisse 
vorhanden, endlich sprach auch die Anamnese dagegen. Für eine 
Neubildung aber sprach das serös-blutige Exsudat, die Aggregate 
hyalin degenerirter Endothelzellen, welche in jeder Punctionsflüssig- 
keit vorhanden waren, ferner die Drüsenschwellung unterhalb der 
Clavicula und in der Achselhöhle, die Compression des Art. axilla¬ 
ris, die ungleich vertheilte Dämpfung und endlich das Bestehen¬ 
bleiben derselben nach der Punction. Alle diese Momente mussten 
unsere Gedanken auf eine vorhandene Neubildung in der Pleura 
lenken, worin wir noch bestärkt wurden durch pleuritisches Reiben 
bei Abwesenheit von Bronchialathmen, Crepitation und Fieber. 

VH. Feuilleton. 

Ueber den poliklinischen Unterricht. 

Von Professor Henoch. 

Der Tod des Professor Joseph Meyer, welcher die K. Uni¬ 
versitätspoliklinik in Berlin eines bewährten Leiters beraubte, hat 
den alten Hader über den poliklinischen Unterricht von neuem an¬ 
gefacht. Eine merkwürdige Tbatsache! Denn man sollte es kaum 
glauben, dass über diese Frage überhaupt noch eine Controverse 
stattfinden könnte. Und dennoch ist dies der Fall! Seit einiger 
Zeit durchschwirrt die ärztlichen Kreise das unheimliche Gerücht, 
die medicinische Facultät habe dem Herrn Minister vorgeschlagen, 
die Poliklinik als selbstständiges Institut ganz eingehen zu lassen 
und das betreffende Kranken material den beiden inneren Kliniken 
der Charite zur Disposition zu stellen. Ich weiss nicht, in wie weit 
dies Gerücht begründet ist; jedenfalls tritt es mit einer solchen 
Bestimmtheit auf, dass es bei der Wichtigkeit der Sache dringend 
geboten scheint, zu derselben Stellung zu nehmen. 

Mein persönliches Interesse an der Erhaltung der Poliklinik 
haftet, das sei hier vorweg bemerkt, lediglich an den schönen Er¬ 
innerungen aus der Jugendzeit, an die ersten sieben Jahre meiner 
ärztlichen Laufbahn, in denen es mir vergönnt war, unter der 
Aegide Romberg’s mich für den ärztlichen Beruf auszubilden und 
zugleich viele Studirende, die später Bedeutendes geleistet haben 
(ich nenne nur A. v. Graefe, die Chirurgen Busch und Wagner, 
Mehl hausen) in denselben einzuführen. So etwas vergisst man 
nicht, ja die Erinnerung an diese Zeit gestaltet sich mit den zu¬ 
nehmenden Jahren immer lebendiger, und schon aus diesem Grunde 
müsste ich bedauern, ein Institut, welches einst unter den klinischen 
Anstalten Berlins eine der ersten Stellen einnabm, plötzlich wie in 
einer Versenkung verschwinden zu sehen. Viel schwerer wiegt aber 
auch für mich die Ueberzeugung, dass mit diesem Act der medi¬ 
cinische Unterricht in Berlin eine ernste Schädigung erfahren würde. 

Ueber die Vorzüge einer poliklinischen Lehranstalt hat sich 
Herr Prof. Rühle in der diesjährigen ersten Nummer dieser Zei¬ 
tung ganz in meinem Sinne ausgesprochen. Ich habe daher nur 
wenig hinzuzufügen. Was mir vor Allem wichtig erscheint, ist/der 
Wechsel, die Vielseitigkeit des Krankenmaterials und die Demon¬ 
stration von Fällen, die im Krankenhause selten oder niemals Vor¬ 
kommen. In früheren Zeiten beruhte fast die ganze medicinische 
Ausbildung vieler Aerzte lediglich auf dem lange fortgesetzten, 
fleissigen Besuche einer gut geleiteten Poliklinik, z. B. derKruken- 
berg’schen in Halle, und es sind wahrlich ganz tüchtige Practiker 
aus dieser Schule hervorgegangen. Davon kann ja heutzutage nicht 
mehr die Rede sein, und mir kommt es gewiss nicht in den Sinn, 


die absolute Nothwendigkeit eines mindestens zwei bis drei Semester 
lang fortgesetzten Besuches der stationären Kliniken iu Abrede 
stellen zu wollen. Ebenso unentbehrlich aber halte ich die Er¬ 
gänzung dieser Lehrmethode durch die Poliklinik. Meine aca- 
demische Laufbahn hat mich von Anfang an mit der Poliklinik 
und den wahren Bedürfnissen der Studirenden innig vertraut ge¬ 
macht. Die hie und da gefallene Aeusserung, dass die Poliklinik 
nur „Routiniers“ ausbilde, halte ich unter unseren Verhältnissen 
für geradezu absurd, und wenn es in der That so wäre, würden 
mir diese „Routiniers“ als Aerzte immer noch lieber sein, als Igno¬ 
ranten. Denn dass ohne poliklinischen Unterricht eben kein guter 
Practiker zu erziehen ist, davon haben wir leider oft genug Beweise 
vor Augen. Voll von Gelehrsamkeit tritt er in’s Leben; mit Pneu¬ 
monie, Typhus, Nephritis, localisirten Gehirnkrankheiten weiss er 
sich vortrefflich abzufinden, ja selbst bis zur Färbung von Tuberkel¬ 
bacillen kann er sich aufschwingen, aber der erste Patient mit einer 
einfachen Diarrhoe, einem Keuchhusten, einer Angina setzt ihn in 
arge Verlegenheit. Gerade diese täglichen Vorkommnisse kann der 
Student nur in der Poliklinik kennen lernen, ganz abgesehen davon, 
dass dieselbe auch sehr wichtige Krankheiten, über die ein rede¬ 
lustiger Kliniker sich breit genug aussprechen kann, in Fülle liefert, 
also nicht bloss dem Lernenden, sondern auch dem Lehrer Befriedi¬ 
gung zu gewähren vermag. 

Wenn sich die Gegner des poliklinischen Unterrichts in der 
Facultät auf das Sinken des Interesses für denselben berufen, wel¬ 
ches sich aus der Abnahme der Zuhörerzahl ergeben soll, so täuschen 
sie sich, und zwar in Folge eigener Verschuldung. Wie kann man 
unter den jetzigen Verhältnissen erwarten, dass die Zuhörer sich zu 
einer Klinik drängen sollen, der man ganz ungerechter Weise das 
Recht, vollgültige „Practikantenscheine“ auszustellen, entzogen hat! 
Der Student rechnet nun einmal mit dem Examen; die Poliklinik 
braucht nicht gehört zu werden, ist für die Prüfung nicht nöthig, 
also fort mit ihr! Ganz ähnlich geht es ja mit anderen Dingen, 
z. B. mit der Kinderklinik, die ich hier nur ungern heranziehe, weil 
ich selbst dabei betheiligt bin. Dass gerade diese Klinik ein drin¬ 
gendes Bedürfniss für den angehenden Mediciner ist,, weiss jeder mit 
der Praxis vertraute Arzt; nur der Facultät scheint es leider nicht 
bekannt zu sein, dass der junge Practiker gerade während der 
ersten Jahre seiner Thätigkeit vorzugsweise Kinder zu behandeln 
hat. Am richtigsten wäre es daher, nicht allein die Universitäts¬ 
poliklinik, sondern auch die Kinderklinik, so gut wie die grossen 
Kliniken, zu sogenannten „Zwangscollegien“ zu machen, welche 
eben gehört werden müssen. Aber was geschieht? In dem offi- 
ciellen Programm, welches jeder Studirende bei der Immatriculation 
erhält, findet er die Kinderklinik mit ganz kleinen Lettern gedruckt, 
in eine abgelegene Ecke verbannt! Muss nicht der Student glauben, 
dass sie etwas Nebensächliches sei? Erst beim Eintritt in die Praxis 
erkennt er zu seinem Erstaunen den Irrthum und sucht nun, wo es 
schon zu spät ist, in aller Eile das Versäumte nachzuholen. Viel 
richtiger als die Facultät beurtheilt die Direction der militärärztlichen 
Bildungsanstalten dies Verhältnis; denn obwohl sie nur für die 
Ausbildung von Militärärzten zu sorgen hat, sendet sie doch in jedem 
Semester 25—30 ihrer Eleven in meine Klinik. Hätte die Facultät 
allein die Macht in Händen, sie würde vermutblich am liebsten auch 
die Kinderklinik auflösen und das frei werdende Material den unter 
ihrer besonderen Aegide stehenden Kliniken „zur Disposition“ stellen. 

Nun verdenke ich ja den beiden Directoren der medicinischen 
Kliniken keineswegs, dass sie auch den Wunsch hegen, ein poli¬ 
klinisches Institut zu ihrer Verfügung zu haben. Ich finde im 
Gegentheil diesen Wunsch um so mehr gerechtfertigt, als ich selbst 
mich der Combination einer stationären und einer Poliklinik seit 
vielen Jahren zu eifreuen habe. Wahrscheinlich wird auch eine 
solche Einrichtung in nicht zu langer Frist zu Stande kommen und 
damit ein immer frischer, belebender Strom durch die stationären 
Kliniken geleitet werden, Aber auch diese Eventualität würde die 
Universitätspoliklinik nicht entbehrlich machen, weil die Leiter der 
grossen Kliniken meiner Ueberzeugung nach ihr poliklinisches Ma¬ 
terial doch immer nur als etwas Nebensächliches, als eine Art von 
Ergänzung betrachten und grösstentheils von ihren Assistenten ver¬ 
werten lassen würden. Mangel an Krankenmaterial aber dürfte 
unter keinen Umständen zu befürchten sein, denn wenn es schon 
jedem jungen Docenten bald gelingt, sich eine für seine Zwecke 
ausreichende Poliklinik zu schaffen, um wie viel leichter wird dies 
der K. Charitedirection werden, welche noch durch die bewährten 
Namen der Kliniker unterstützt wird! 

Gegen die schwachen Seiten einer Poliklinik bin ich, durch 
eigene reiche Erfahrung belehrt, gewiss nicht blind. Die geringere 
Exactheit der Beobachtung, das häufige Wegbleiben der Kranken, 
die Seltenheit der Sectionen, das alles sind bekannte Missstände, 
welche indess durch die oben berührten Vortheile mehr als aufge¬ 
wogen werden. Am bedenklichsten scheiut mir jedoch der Um¬ 
stand, dass die in früherer Zeit eine so grosse Rolle spielenden 


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54 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 3 


Besuche der Practikanten in den Wohnungen der Patienten jetzt, 
hei der ungeheuren Ausdehnung der Stadt, mit seltenen Ausnahmen 
unmöglich sind. Will man dies durchsetzen, so müsste den Stu- 
direnden zur Pflicht gemacht werden, sich ein ganzes Semester 
ausschliesslich dem poliklinischen Unterricht zu widmen, 
was nach meiner Ansicht durchaus zweckmässig sein wurde. 

Unter allen Umständen halte ich demnach den Fortbestand der 
Universitätspoliklinik für eine absolute Nothwendigkeit., und ich 
glaube auch Grund zu der Annahme zu haben, dass die Sache an 
maasgebender Stelle in derselben Weise aufgefasst wird. Ueber 
die Persönlichkeit des neuen Directors kann für die mit den Ber¬ 
liner Capacitäten Vertrauten kaum ein Zweifel bestehen. Möge 
unter seiner Leituug die Poliklinik zu neuer Blüthe und wiederum 
zu jener Bedeutung gelangen, welche sie sich einst unter llom- 
berg’s unvergesslicher Direction errungen hatte. 


Mittlieilungen ans der medicinischen Klinik und Poliklinik 

in Bonn. 

Von Professor Rühle. 

(Fortsetzung aus No. 2.) 

Unter den Constitutionsanomalieen befanden sich 3 Fälle 
von Diabetes mellitus. Davon war der eine mit Phthise complicirt 
und ging daran zu Grunde. Bezüglich des Diabetes ergab die 
Section kein Resultat, die Lungenphthise war eine richtige Tuber- 
culose, wie dies jetzt allgemein feststeht, dass die diabetische 
Phthise eine ächte Tuberculose und keinerlei besondere Krankheit 
ist. Bei einem anderen Falle konnte ich Ihnen das interessante 
Factum wieder vorführen, dass eine längere Muskelthätigkeit den 
Zuckergehalt des Harnes vermindert. Der Harn, den die Kranke 
eben vor ihrem Weggang zu Hause gelassen und mitbrachte, ent¬ 
hielt noch 1% Zucker, der Harn aber, den sie hier nach einem 
3 Stunden weiten Marsche entleerte, gab keine Reaction auf die 
Tromm er’sehe Probe. 

Die Scrophulosen gehen zumeist der Kinderpolikliuik zu, 
doch konnte ich auch in diesem Semester die Wanderung der Er¬ 
krankung der Lymphdrüsen am Halse nach der betreffenden Lungen¬ 
spitze demonstriren bei einem 15jährigen Knaben, dessen rechts¬ 
seitige Halslymphdrüsen seit längerer Zeit angeschwollen waren 
und einen bis zur Clavicula reichenden Strang bildeten, dessen 
grösste Tumoren in der Ohrgegend lagen. Die rechte Lungenspitze 
zeigte deutliche Infiltration. Nichts desto weniger empfahlen wir 
die Exstirpation der Tumoren, um die im Körper vorhandene Menge 
des Tuberkelgiftes zu vermindern. 

Wir wollen hier die beiden Fälle chronischer Alkohol¬ 
vergiftung anreihen, deren einer sich mit Lebercirrhose verband 
und während seines Aufenthaltes auf der Klinik auch einen Anfall 
des acuten Alkoholdeliriura durchmachte, der, verbunden mit den 
charakteristischen Erscheinungen des Tremor und der Halluciuationen, 
bei Chloralgebrauch rasch vorüberging. 

Zu den Krankheiten des Bewegungsapparates rechnen wir 
ausser den 3 Fällen von chronischem, deformireudem Gelenkrheu¬ 
matismus, deren einer übrigens mit Pericarditis verbunden war, die 
beiden Fälle von Muskelerkrankung, deren einer vorzugsweise die 
atrophische der andere ausschliesslich die hypertrophische Form 
der Dystrophia muscularis darstellte, sowie eine mit Compressions- 
myelitis verbundene Caries des 3. und 4. Dorsalwirbels bei einem 
8jährigen Mädchen. 

Was die Beispiele von Krankheiten des Nervensystems be¬ 
trifft, so sahen wir 2 Fälle tuberculöser Meningitis zu Grunde 
gehen. Der eine betraf einen jungen Handwerker, der früher nie 
krank gewesen sein wollte, an welchem auch keiue Abnormitäten 
aufzufinden waren. Er klagte nur über unerträglichen Kopfschmerz, 
hatte öfters Erbrechen und machte den Eindruck eines schwer 
Kranken, war aber völlig bei Besinnung. Ich bewog ihn, sich auf¬ 
nehmen zu lassen, und die Krankheit nahm schon in 8 Tagen tödt- 
lichen Ausgang. Allmählich bildete sich die cutane Hyperästhesie, 
das Trousseau’sche Phänomen, die Unregelmässigkeit des retar- 
dirten Pulses, die Iutermissionen und Ungleichheiten der Athmung 
aus, während das Bewusstsein nur am letzten Tage getrübt war. 
Die Sectiou ergab eine Meuingealtuberculose mit sehr geringen ent¬ 
zündlichen Erscheinungen, mässigem Ventrikularhydrops und als 
Quelle ein Packet verkäster Bronchialdrüsen, sonst aber ausser 
einigen frischen Miliartuberkeln in Lungen, Milz. Leber, Nieren, keine 
weitere Tuberculose. Von Interesse war der Zustand eines Knaben 
von 8 Jahren, der nach der Beschreibung des durchaus intelligenten 
Vaters vor 2 Monaten eine Meningitis überstanden haben musste; 
der Knabe war seitdem stumm, konnte nicht stehen und gehen, 
hatte zuweilen unwillkürliche Entleerungen und war psychisch 
auffallend verändert; er war stets mürrisch, verzog keine Miene, 


lag vor sich hinstarrend da; die Oberextremitäten aber wurden 
gauz gut gebraucht, und der Knabe hörte. So sehr ich auch diesen 
Zustand als eine Folge der überstandenen Kraukheit anerkannte, 
so konnte er doch unmöglich die Folge etwaiger Reste eines 
meniugealen Exsudates sein. Ich fasste vielmehr Stummheit. 
Paraplegie und Unreinlichkeit vom psychischen Standpunkt auf. 
Der Vater Hess den Knaben da, und es gelang, denselben schon 
nach 8 Tagen zum Sprechen einzelner Worte und dem Gebrauch 
seiner Beine zu bringen. Ohne irgend welche Anwendung direkter 
Therapie konnte der Patient nach 4 Wochen geläufig vorlesen, rasch 
laufen, war reinlich und wurde nach Hause entlassen. Seine letzte 
Production, der Sie beigewohnt, war, dass er in vollem Trabe den 
langen Corridor herunter lief. 

An den 6 Apoplexieeu, welche in diesem Semester vorkamen, 
konnten Sie die verschiedenen Stadien dieser häufigen Affection 
kennen lerneu. Während der eine Fall erst am Tage vor der Auf¬ 
nahme sich ereignet hatte, Bewusstseinsstörung mit schlaffer Lähmung 
links, sowohl im Facialis als im Gebiet der Extremitäten, unwillkür¬ 
liche Entleerungen und soporöse Benommenheit darbot, zeigten an¬ 
dere bei vollständig freiem Sensorium nach mehrmonatlicher Dauer, 
Hemiplegie mit Coutractur, erhöhten Sehnenreflexen, und in einem der 
Fälle liess sich aus der Aphasie mit rechtsseitiger Hemiplegie der 
Sitz des Herdes in der liuken 3. Stirnwindung erkennen. 

Unter den 5 Fällen von Tumor cerebri erinnere ich Sie au den 
Ponstuberkel bei eiuem 40jährigen Manne, der früher eine Pleuritis 
gehabt, dann Infiltrat der Lungenspitze derselben Seite bekam und 
nach längerer Zeit langsam sich entwickelnde Reiz- und Lähmungs¬ 
erscheinungen besonders der rechten Seite zeigte, die mit dem Finale 
des Meningitisbildes zum Tode führten. Es faud sich ueben einer 
mässigen Luugentuberculose ein kirschkerngrosser Tuberkelknoten 
im Pons. Ein lOjähriger Knabe wurde der Poliklinik wegen 
Lähmung und Krämpfen, zu dem sich Erblindung auf beiden Augen 
gesellt hatte, zugeführt. Gerade bei der Krankenvorstellung ereignete 
sich ein heftiger opistotonischer Anfall, während das Bewusstsein 
iutact blieb. Alle 4 Extremitäten, besonders aber die Beine, waren 
paretisch, Harn- und Stuhlentleerungen erfolgten oft unwillkürlich. 
Das Leiden hatte sich ganz allmählich im Laufe eines Jahres entwickelt, 
der Knabe litt viel an Hinterkopfschmerz und Schwindel. Wir nahmen 
ihn sofort in die stationäre Abtheilung auf und behandelten ihn mit 
steigenden Gaben von Jodkali. Nach 3 Monaten konnte er stehen, 
cinigermassen gehen, seine Ausleerungen beherrschen und klagte 
nicht mehr über Kopfschmerz, hingegen hatte sich in den Augen¬ 
erscheinungen nichts geändert. Bei einem Fall gekreuzter Lähmung, 
rechtsseitiger Abducens- und linksseitiger Extremitätenlähmung, lernten 
Sie das Symptomenbild der Tumoren an der Schädelbasis kennen, und 
zur Gehirnsyphilis gab ein anderer Fall das Beispiel, dessen Gehirn- 
erscheiuungen sich bei antiluetischer Therapie rasch und erheblich 
besserten. 

2 Fälle von Bulbärparalyse, der eine mit ausgesprochener 
Atrophie der Zungen- und Gaumenmuskulatur, gaben Gelegenheit, 
auch diese so interessante Erkrankungsform zu erörtern. 

Die Rückenmarkserkrankungen waren wie gewöhnlich 
zahlreich. 2 Fälle hochentwickelter Compressionsmyelitis bei Wirbel- 
caries, 2 Exemplare transversaler Myelitis, von denen der eine erheblich 
gebessert entlassen wurde, 7 mal Tabes dorsalis, theils rein, theils 
complicirt mit spastischer Lähmung, erhöhten Sehuenreflexen etc , 
8 Fälle spastischer Spinalparalyse, 3 Beispiele multipler Herdsclerose 
und ein Fall acuter Poliomyelitis anterior bei einer jungen Frau, 
deren complete Lähmung und hochgradige Atrophie aller 4 Extre¬ 
mitäten bei Integrität der Sensibilität und der Sphincteren nur eiue 
geringe Besserung durch mouatelange elektrische Behandlung in Ver¬ 
bindung mit Massage erfuhr, stellten das Material dar, an welchem 
Ihnen in diesem Semester die Grundzüge der Spinalkrankheiten 
wiederholt demonstrirt werden konnten. 

Die allgemeinen Nervenkrankheiten waren vertreten 
durch 5 Fälle von Hysterie, darunter interessante Krampfformen 
im Gebiet der respiratorischen Functionen, auch eine Apuoea uterina 
gehört hierher; durch 3 Fälle von Chorea minor, eiue Hemichorea 
bei allen dreien keine Spur einer Herzaffection, 4 Epilepsieen, 
1 Paralysis agitans und einen sehr intensiven Fall von Trismus und 
Tetanus rheumat. Ein junger kräftiger Mann hatte sich nach starkem 
Laufen einer längeren Einwirkung kalten Windes ausgesetzt und am 
zweiten Tage darnach die ersten Erscheinungen des Trismus wahr- 
genomraen, die Aufnahme erfolgte 7 Tage später, irgend eine Ver¬ 
letzung, welche zur Einimpfung der Tetauusbacilleu hätte Veran¬ 
lassung geben können, war nicht vorhanden. Im Laufe der nächsten 
Woche bildete sich der Tetanus zu solcher Höhe aus, dass die Mit- 
betheiligung der Athemmuskulatur die Prognose zu gefährden anfing. 
Allein die allgemeine Erfahrung, dass der Tetanus um so günstiger 
verläuft, je langsamer sich die Symtome bis zu ihrer Akrue entwickeln, 
bewährte sich auch hier. Der Kranke genas vollständig, wie Sie 
wissen, und ich wiederhole, dass wir nur Ruhe und Chloralhydrat, 


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19. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 55 


letzteres per Klysma, angewendet haben, öebrigens vergingen vier 
Wochen, ehe der Patient entlassen werden konnte. 

Bei den Krankheiten peripherer Nerv en erinnere ich Sie an 
die hülle von Trigeminusueuralgieeu, Ischias, Hemicranie, Herpes 
zoster, die Lähmungen im Gebiete des N. radialis und besonders die 
beiden wohl ausgeprägten Serratuslähinungen, *) sowie eine um¬ 
schriebene atrophische Lähmung der linken Schultermuskulatur bei 
einem »jährigen Mädchen. 

Die Herren, welche die Nervenpoliklinik besucht haben, werden 
sich der speciellen Erörterungen über diese verschiedenen Fälle 
noch besonders zu erinnern in der Lage sein. (Schluss folgt.) 

Vm. Referate und Kritiken. 

Weigert. Bemerkungen über den weissen Thrombus (Zahn). 
Fortschr. d. Med. 1887, 7. 

Bberth. Ueber die Blutplättchen der Wirbelthiere. ib. 8. 
Eberth u. Schimmelbusch. Ueber die Zusammensetzung des 
Thrombus, ib. 15. 

Löwit. Die Beobachtung der Circulation beim Warmblüter. — 
Ein Beitrag zur Entstehung der weissen Thromben. Arch. 
f. exp. Path. und Pharm. XXXI11. p. 1. 

Eberth u. Schimmelbasch. Ueber Thrombose beim Kalt¬ 
blüter. Virch. Arch. 108. p. 359. 

Referent: Ribbert. 

Seit der in No. 44 des Jahrganges 1886 dieser Wochen¬ 
schrift gegebenen Uebersicht über neuere Arbeiten zur Thrombose 
sind einige weitere Mittheilungen erschienen, welche die damals 
angeführten Beobachtungen nach verschiedenen Richtungen ergänzeu. 

Die an jener Stelle referirten Untersuchungen hatten zu dem 
Schluss geführt, dass bei der experimentell erzeugten Thrombose 
den Blutplättchen die wichtigste Rolle zufällt. Es war aber von 
Weig ert der Eiuwand erhoben worden, dass bei älteren mensch¬ 
lichen Thromben stets weisse Blutkörperchen und Fibrin den 
wesentlichsten Bestandteil bilden. Weigert führt diese Thatsache 
nunmehr etwas weiter aus. Er betont, dass man bei Untersuchungen 
über Thrombose von dem anatomisch gut charakterisirten weissen 
Thrombus auszugehen habe und zunächst feststellen müsse, 
wie dieser zusammengesetzt sei. Da ergebe sich dann, dass der¬ 
selbe, wie durch eine von ihm gefundene Methode (Fortschr. der 
Med. 8) leicht nachgewiesen werden kann, ausserordentlich grosse 
Mengen von Fibrin enthält, durch welches er als Gerinnungsproduct 
kenntlich gemacht wird. Ausser dem Fibrin finden sich zahlreiche 
weisse Blutkörperchen in bestimmter Anordnung, ferner einge¬ 
sprengte körnige Massen, die man nunmehr von Blutplättchen ableitet, 
und als ganz nebensächlicher Bestandtheil auch rothe Blutkörperchen. 
Der weisse Thrombus ist somit nicht durch Conglutination von 
Blutplättchen, sondern nach den bisherigen Vorstellungen durch 
echte Gerinnung entstanden, und mit ihm sind die experimentell 
erzeugten Gebilde nicht zu identificiren. Weigert hält indess die 
Beobachtungen von Eberth und Schimmelbusch nicht für be¬ 
deutungslos für die Entstehung der Thromben, er hält es vielmehr 
für möglich, dass die Blutplättchenablagerungen eine vielleicht noth- 
wendige Vorstufe des echten weissen Thrombus bilden. 

Eberth and Schimmelbusch heben demgegenüber hervor, 
dass sie sich durchaus berechtigt glauben, die von ihnen experimentell 
erzeugten Processe für die Lehre von der Thrombose zu ver- 
werthen. dass sie dieselben unter den gleichen Bedingungen erzeugten, 
unter denen sie beim Menschen entstehen. Sie betonen ferner, 
dass sie niemals die Betheiligung von Fibrin und Leukocyteu geläugnet 
haben, da sie dagegen die Beimengung dieser beiden Bestandtheile 
nicht für einen wesentlichen Vorgang ausehen. Sie beschrieben 
bisher nur die jüngeren Stadien genauer, haben aber auch die 
älteren nicht vernachlässigt und keine fundamentale Verschiedenheit 
in der Entstehung und Zusammensetzung beider Formen gefuudeu. 
Sie stellen darüber weitere Publicationeu in Aussicht. 

Eine Bestätigung der von Eberth und Schimmelbusch mi¬ 
kroskopisch beobachteten Vorgänge bei der Thrombose liefert Löwit. 
Er befindet sich aber jenen beiden gegenüber in dem bekannten 
Gegensatz, dass er die Blutplättchen nicht für normale Bestandtheile 
des circulirenden Blutes, sondern für ausgefälltes Globulin hält. Er 
ist der Ansicht, dass die von Eberth und Schimmel husch be¬ 
nutzten Methoden (Eiutaucheu des ganzen Thieres in temperirtes 
W asser etc.) ungeeignet siud, dass sie zu einer Ausfüllung von Glo¬ 
bulin im Blute in Gestalt der Blutplättchen führen. Er selbst ver¬ 
fahrt so, dass er das Mesenterium narkotisirter weisser Mäuse 
mittelst einer besonderen Vorrichtung unter Ricinusöl untersucht, 
wodurch eine Blutverdünnung vermieden wird. Er sieht daun, dass 
die Blutplättchen im circulirenden Blute in der ersten Zeit der 
Untersuchung nur ganz vereinzelt oder gar nicht aufzufinden siud, 

*) Die eine derselben hat Herr Prof. Rumpf auch in der niederrhei- 
ninchen Gesellschaft demonstrirt. 


dass sie also nach seiner Ansicht keinen präformirten Bestandtheil 
bilden, während sie späterhin auch bei den Mäusen allmählich zahl¬ 
reicher werden. Diese so ausserordentlich leicht ausfallenden 
Plättchen stehen nun zu der Bildung experimenteller Thromben in 
ganz der gleichen Beziehung, wie es von Eberth und Schimmel¬ 
busch ausführlich geschildert wurde, sie häufen sich bei Verlang¬ 
samung des Blutstroins und bei bestimmten Alterationen der Ge- 
fässwand in grossen Mengen auf der Innenfläche derselben an. Nach 
dieser Darstellung ist also die Entstehung des experimentellen 
Thrombus nicht auf die Conglutination bestimmter Blutbestandtheile 
zu beziehen, sondern auf eine eigenartige Gerinnung, die auch in 
nicht gerinnungsfähigem Peptonblute (Schimmelbusch) zu Stande 
kommen kann, während hier allerdings die Ausfüllung des typischen 
Fibrins gehemmt ist. 

Löwit wendet sich auch gegen die Vorstellung von Eberth 
und Schimmelbusch, dass die den Blutplättchen der Warmblüter 
analogen Gebilde der Kaltblüter in spindelförmigen kernhaltigen 
Elementen zu suchen seien. Er sieht in ihnen keinen besonderen 
Körper, sondern Formen von Leukocyten und zum kleinen Theil 
auch Vorstufen von rothen Blutkörperchen. Er lässt im Uebrigen 
den Thrombus des Kaltblüters vorwiegend aus Leukocyten hervor¬ 
gehen, wobei sowohl die runden wie die spindeligen Zellen be¬ 
theiligt sind. 

Eberth und Schimmelbusch vertheidigen Löwit gegenüber 
ihre Auffassung. Ersterer stellt zunächst (F. d. M. 15) kurz die 
Gründe zusammen, die ihn bestimmen, die Spindeln für die Blut¬ 
plättchen der Kaltblüter zu halten. Dahin gehört die charakteristi¬ 
sche von den Leukocyten wohl unterschiedene, im Grossen und 
Ganzen spindelige Form, ihre leichte Vergänglichkeit, ihre Viscosität, 
der ovale Kern und ihr Unvermögen, selbstständige Bewegungen 
auszuführen. Beide Beobachter schildern dann (Virch. Arch.) aus¬ 
führlich die Bildung experimenteller Thromben heim Kaltblüter. 
Auf mechanische oder chemische Eingriffe (Aether) sieht man die 
für gewöhnlich im Axenstrom zwischen den rothen Blutkörperchen be¬ 
findlichen Spindeln in grosser Menge in den Randstroin übertreten 
und sich ganz wie die Blutplättchen der Säugethiere zu thromboti- 
sclieu Massen zusammenlagern, in denen Leukocyten nur als secun- 
däre und zufällige Einschlüsse Vorkommen. Die gleichen Beob¬ 
achtungen hat auch Zahn gemacht, die spindelförmigen Zellen aber 
als weisse Blutkörperchen angesprochen. Die Thromben in grösseren 
Gefässen, in denen sie durch Umschnürung oder durch Stichver¬ 
letzung erzeugt wurden, bilden sieb in derselben Weise vorwiegend 
aus den Spindeln. 

So gehen also die Vorstellungen über die Bildung des weissen 
Thrombus nach mehreren Richtungen auseinander. Darin freilich 
besteht Uebercinstimmung, dass in den experimentell erzeugten 
Thromben die Blutplättchen der Hauptbestandteil sind. Aber 
während sie von Eberth uud Schimramelbusch für eine prü- 
formirte dritte Form von Blutkörperchen gehalten werden, sieht 
Löwit in ihnen Globulinausfällungen, die ausserordentlich leicht zu 
Staude kommen, und Weigert betont, dass die Blutplättchen viel¬ 
leicht in den ersten Stadien der Thrombusbildung eine grosse Rolle 
spielen, dass aber später Fibrin und weisse Blutkörperchen die 
wichtigsten Bestandteile bilden. 


A. Cloetta. Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiver¬ 
ordnungslehre. IV. Aufl. Herausgegeben von W. Filehne. 
383 S. Freiburg. J. C. IL Mohr, 1887. Ref. S. G. 

Die vierte, von Filehne besorgte Auflage des bekannten 
Cloetta’schen Lehrbuches der Arzneimittellehre hat eine vollständige 
Umarbeitung erfahren und zeigt die gewiss in die Waage- fallende 
Signatur, dass sie die mit den reichen Mitteln der modernen 
Forschung erworbenen Ergebnisse in lichtvoller Darstellung, in 
gedrängtester Form und doch inhaltlich erschöpfend wiedergiebt. Den 
einzelnen Gruppen der Arzneimittel sind Uebersichteu vorangestellt, 
welche in klassischer Weise ihre Wirkung im Allgemeinen zusammen¬ 
fassen und die reiche Sachkenntnis des bewährten Forschers wieder¬ 
spiegeln. Das Werk hält das einzig für ein Lehrbuch zweckmässige uud 
auch im Vorwort betonte Programm inne. das Wesentliche darzubieten, 
das Nebensächliche hei Seite zu lassen, streitige Fragen möglichst 
zu umgehen und den Belehrung Suchenden auf einen festen Stand¬ 
punkt zu erheben. Damit ist am besten den Bedürfnissen des Prak¬ 
tikers und auch des angehendeu Mediciners entsprochen, und ihnen 
sei daher dieses vorzügliche Lehrbuch auf das Wärmste empfohlen. 

A. Villaret. Handwörterbuch der gesammten Medicin. 

Stuttgart, F. Enke, 1888. Ref. S. G. 

Von dem Villaret’schen Handwörterbuch, auf dessen erste 
Lieferung wir bei ihrem Erscheinen vor noch nicht einem halben 
Jahr Gelegenheit hatten hinzuweisen, ist bereits die sechste Lie¬ 
ferung erschienen. Die bisher zur Ausgabe gelaugten Lieferungen 
erbringen mehr und mehr den Beweis, dass das vorgesteckte Pro- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


grarara zielbewusst und mit bestem Erfolg durchgeführt wird, und 
für den Praktiker ein Werk im Werden begriffen ist, welches in 
seltener Weise eine bisher sehr fühlbare Lücke durch die Art seiner 
wirklich geschickten und praktischen Durchführung ausfüllt. Selten 
ist bei der Verschiedenartigkeit der einzelnen Materien und einer so 
grossen Zahl von Bearbeitern eine gleich einheitliche Durchführung 
eines Werkes erreicht worden. Wir behalten uns vor, auf den 
Inhalt der bisher erschienenen Lieferungen, welche — was bei den für 
den gegebenen Rahmen vorhaudeneu Schwierigkeiten um so mehr 
anzuerkennen ist — durchgehends sachliche und ausgezeichnete 
Artikel bringen, noch näher einzugehen. 


IX. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 11. Januar 1887. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

Herr L. Lewin berichtet über die anästheslronde Wirkung einer 
Substanz unbekannter Provenienz, die ihm zur Untersuchung zugesandt 
worden war. In der amorphen Masse fanden sich zwei Giftarten, die beide 
in Wasser leicht löslich waren; die Lösungen opalescirten leicht, zeigten 
alkalische Reaction, hatten eine dunkelbraune, bezw. gelbe Farbe. Mit den 
gewöhnlichen Alkaloidreactionen gelang es, Niederschläge in den Lösungen 
zu erzeugen. Auch in Alkohol gingen gewisse Mengen der Substanz über, 
die sich giftig erwiesen. Eine wässrige Lösung des Giftes, in das Auge 
von Thieren (Katze, Kaninchen, Meerschweinchen) gebracht, erzeugte Grade 
von Anästhesie, die das Auge gegen jede Art von Insult unempfindlich 
machten. Die Anästhesie trat durchschnittlich nach 15—20 Minuten ein und 
hielt 10—12—24 Stunden an. Die Cornea erlitt dabei keine Trübung. 
Frösche, denen das Gift subcutan injicirt wurde, zeigten Abnahme der 
Herzfrequenz, später trat Lähmung ein. Bei Warmblütern ergaben sich 
Schwächeerscheinungen, Herabsinken des Kopfes; ferner lief von Zeit zu 
Zeit über das Thier eine Krarapfwelle, die an den Augen begann, sich über 
die Bauchfläche fortsetzte und bis zum Schwanz fortlief; die Extremitäten 
wurden nur passiv daran betheiligt. Thiere, die brechen können, brachen 
unmittelbar nach Einspritzung der Substanz. 

Die Wirkung der Substanz erinnerte an afrikanische Pfeilgifte, nament¬ 
lich wurde Vortr. an eine Substanz erinnert, mit der er bereits vor 12 Jahren 
gearbeitet hatte, nämlich Erythrophlaeum judiclale, eine Pflanze, die in 
Afrika zu Gottesurtheilen benutzt wird. Einen weiteren Anhalt gaben einige 
winzige Rindenstücke, die sich in der Substanz vorfanden und die sich, mit 
Rindenstücken im botanischen Museum verglichen, als Rindenstücken von 
Erythrophlaeum erwiesen. 

Vorlr. stellte nun weitere Versuche mit dem Alkaloid von Erythro¬ 
phlaeum, dem Erythrophlaeinum hydrochloricum, sowie mit Abkochungen 
der Rinde von Erythrophlaeum an. Eine 0,2% Lösung von Erythrophlaein, 
in’s Auge von Thieren gebracht, ergab nach 15 —20 Minuten eine Anästhesie, 
die bis 2‘/a Tag anhielt. Bei concentrirteren Lösungen zeigte sich eine 
typische Reizwirkung, bei 2% Lösung trat intensive Hornhauttrübung auf. 
Herr Lewin demonstrirt die anästhesireude Wirkung der Substanz an 
Thieren. 

Herr E. Küster demonstrirt Präparate eines Falles von Osteomyelitis. 


X. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 8. November 1887. 

Vorsitzender: HerrSchede; Schriftführer: HerrSchmal- 
fuss. 

1. Herr Lauen stein demonstrirt mikroskopische Präparate eines 
Falles von acuter Sepsis, iu welchem sich während des Lebens 
zahlreiche Staphylococcenmengen im Blute nachweisen Hessen. Der 
betr. Patieut, eiu 56 jähriger Herr, wurde am 30. October d. J. 
auf die chirurgische Abtheilung von Bethesda geschickt, nachdem 
er sich 2 Tage zuvor eine Nadel unter den rechten Daumennagel 
gestochen hatte. Daumen, Handrücken und Vorderarmstreckseite 
waren stark geschwollen, gelblich-bräunlich gefleckt mit vereinzelten 
Brandblasen. Uebrigens bestand hohes Fieber und ein starker 
Gastricismus. Nach Anlegung von ausgedehnten Incisionen, welche 
am Handrücken und Vorderarm nur in stark ödematöses Gewebe 
fielen, während an der Streckseite des Daumens das subcutane Ge¬ 
webe mehr opak und lederartig, von trübem dünnem Eiter durch¬ 
setzt war, schwoll der Arm mehr ab; doch war am anderen Tage 
der ganze Handrücken brandig und der Allgemeinzustand erheblich 
schlechter. Trotzdem klagte der Kranke nie, hatte am Arme wenig 
Schmerzen und erklärte, dass es ihm gut gehe. Am 1. November 
begann auch Gangrän des Vorderarmes, und die am Abend zuvor 
auf 38,8° gesunkene Temperatur stieg wieder auf 40°. Daher wurde, 
obgleich die Prognose von vornherein sehr zweifelhaft gestellt war, 
den Angehörigen ein Versuch zur Rettung des Kranken durch Am¬ 
putation des Oberarmes vorgeschlagen. Doch war am Nachmittage, 
als die Einwilligung gegeben wurde, der Kranke bereits bewusstlos 
und ging unter zunehmender Schwäche der Herzthätigkeit im Coma 
am 2. November Abends zu Grunde. 

Die am 1. November Nachmittags unter allen Kautelen aus 
eiuer Vene des rechten Unterschenkels entnommenen 4 Blutprä¬ 
parate enthielten sämmtlich grosse Mengen von Staphylococcenhaufen. 


NOjJ 

Im Wundsecret des Vorderarmes war sehr zahlreich vertreten der 
Streptococcus, welcher gleichzeitig demonstrirt wird. 

2. Herr Schede referirt über das weitere Schicksal des vor 
einigen Wochen vorgestellteu Kindes, das eine Hydromeningocele 
hatte und mit Glück und mit gutem Erfolg operirt wurde. 

Schon bald nach der Operation entwickelte sich ein Hydro- 
cephalus internus, dem das Kind vor kurzem erlegen ist. Das 
Schädelpräparat wird demonstrirt. Es zeigte sich, dass der Sack 
der Geschwulst mit dem vierten Ventrikel iu Zusammenhang ge¬ 
standen hat. 

3. Herr Schede demonstrirt vom Instrumentenmacher Stras- 
zacker (Hamburg, Steindamm) verfertigte Instrumente: Parallel¬ 
zangen, Scheeren und Schieberpincetten, die bequem auseinander¬ 
zunehmen und zu reinigen sind, zusammengesetzt aber sicher halten. 

4. Herr Classen: Ueber eine eigentümliche Methode 
der Kataraktextraction. Die Aufgabe ist: die möglichst voll¬ 
ständige Entfernung der Linse aus dem Auge, ohne Zurücklassung 
von Corticalisresten, bei möglichst unschädlicher und geringer Ver¬ 
letzung, d. i. die unvermeidlichen mit der Operation verbundenen 
Gefahren, auf das geringste Maass zu reduciren. 

Der bis in die 60er Jahre allgemein übliche Bogenlappeuschnitt 
in der Cornea macht zu grosse Ansprüche an die Naturheilkraft und 
berücksichtigt zu wenig die Ernährungsbedingungen der Cornea. 
Selbst die geübtesten Operateure haben es, soweit das naclizuweiseu 
möglich ist, bei dieser Methode auf nicht mehr als 70% guter Er¬ 
folge gebracht, in den Zeiten vor der aseptischen Wundbehandlung 
zuweilen noch weniger. 

Verbesserungen der Methode wurden erstrebt durch Verklei¬ 
nerung der Wunde in dem v. Gräfe’schen Linearschnitt mit einem 
breiten, lanzenförmigen Messer und durch Anwendung verschiedener 
Extractionsinstrumente, LöfFel oder Häkchen (bes. Sch uft-Waldau). 
Das hatte im Allgemeinen den Vortheil, dass man die Iridectomie 
als eine zweckmässige und ungefährliche Vorbereitung oder Hülfs- 
operation für die Extraction kennen lernte, während andererseits die 
Gefahren, die eine zu kleine Wunde der normalen Linseneutbindung 
entgegensetzte, deutlicher hervortraten. 

Daher wurde die Verbesserung der Methode durch Veränderung 
der Form der Wunde versucht. 

Zunächst zu erwähnen ist die Methode von Jacobsohn, der 
den Bogenschnitt in den Scleralbord verlegte, Iridectomie damit ver¬ 
band und wegen der Schwierigkeit der Technik stets tiefe Chloro¬ 
formnarkose dabei zur Regel erhob. Seine Nachbehandlung mit 
den Vorschriften zur sorgfältigen Reinigung der Wunde vom ersten 
Tage an, ist als erster Vorläufer der antiseptischeu Methode zu be¬ 
trachten. Er berichtete zuerst von über 90% guter Erfolge. 

Gleichzeitig bildete v. Gräfe die modificirte Linearextraction 
aus, die mit dem spitzen Schmalmesser vollführt, eine sehr leicht 
gebogene, fast geradlinige Wunde anlegt, deren Anfangs- und End¬ 
punkte in der Sclerotica liegen, während die Mitte durch den Rand- 
theil der Cornea nahe dem Scleralbord verläuft. Iridectomie wurde 
auch hierbei zur Regel erhoben. Der Schnitt erfordert eine bedeu¬ 
tende Uebung und Gewandtheit des Operateurs, und die Gefahren 
der perniciösen Blutung aus dem Plexus ciliaris sowie des Glas¬ 
körpervorfalles, der wieder die reine Entfernung aller Linsenreste 
verhindert, sind nicht ausgeschlossen, während bei glücklicher Voll¬ 
endung der Procentsatz der guten Erfolge uoch über 95% gesteigert 
wurde. 

Adolph Weber in Darmstadt suchte sodann die mit der 
v. Gräfe’schen Methode noch unvermeidlich verbundenen Gefahren 
durch den Schnitt mit seinem eigenthümlichen Lanzenmeser zu 
beseitigen. Dasselbe ist 8 mm breit und seine Fläche ist nach 
einem Kreis von 5 Zoll Durchmesser nach rückwärts gewölbt, so 
dass die mit ihm ausgeführte Schnittwunde, w'enn die Spitze der 
Lanze genau am Cornearand eingestochen wurde, eiue leichte 
Krümmung nach rückwärts in die Sclera hinein bekommt. Da der 
Abstand der Endpunkte der Wunde 8 mm beträgt, so konnte ein 
leichter Druck mit einem flachzulaufenden Löffel auf deu scleralen 
Wundraud ein Klaffen der Wundränder bis zu 4 mm Distance be¬ 
wirken, ohne dass dabei die Cornea gedrückt oder gequetscht zu 
werden brauchte. Durch eine solche Wunde glaubte Weber alle 
Katarakte ganz gefahrlos entbinden zu können, denn die Führung 
des Lanzenmessers ist einfach und leicht, der Einstichpunkt braucht 
nicht mit dem Augenmaass taxirt zu werden, sondern ist iu der 
Cornea-Scleralgrenze bestimmt gegeben. Die flache Richtung des 
Schnittes macht eine Verletzung des Plexus ciliaris und damit jede 
gefährliche Blutung unmöglich, das Manöver der Linsenentbindung 
verletzt und drückt die Cornea in keiner Weise; während auf der 
der Wunde gegenüber liegenden Seite des Auges eine breite Fixir- 
pincette an der Conjunctiva einen leichten Zug und Druck ausübt, 
hindert der flachausiaufende Löffel, welcher den scleralen Wundrand 
leicht herunterdrückt, den etwaigen Vorfall des Glaskörpers und 
nimmt die herausgleitende Linse sicher in Empfang. Sind nun noch 


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19. Januar. DEUTSCHEjMEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 57 


Flocken der Corticalis zurückgeblieben, so ist ihre nachträgliche 
Hinausbeförderung, eben weil weder Blutung in die vordere Kammer 
noch Glaskörpervorfall eingetreten sind, sehr leicht durch Wieder¬ 
holung des Pineettendruckes uud Klaffenmachen der Wunde zu be¬ 
wirken. Iridectomie uud umfangreiche Eröffuung der vorderen 
Kapsel müssen natürlich vorausgeschickt werden. Für die Heilung 
der Wunde ist dann wieder die Form derselben sehr günstig. Die 
flach aufeinander liegenden Ränder werden bei allen unwillkürlichen 
Actionen der Augenmuskelu, bei Brechen, Nieseu, Husten etc. nur fester 
aufeinander gedrückt, während dieselben bei allen anderen Methoden 
die Heilung stören können. Diese Lauzeumesserschnitte sind daher 
schon nach drei Tagen regelmässig so fest geschlossen, dass sie 
kaum noch sichtbar sind, und entzündliche Reactionen, wenn man 
nur die nötliigen aseptischen Kautelen gebraucht hat, von der Wunde 
aus gar nicht Vorkommen. 

Aber es lassen sich doch nicht alle Linsen durch die Wunde 
mit der Weber’schen Lanze leicht und ohne Quetschung des Auges 
entfernen. Denn der Durchmesser der Linse beträgt oft mehr als 
10mm, und die Endpunkte der Lanzenwunde sind 8 mm von einander 
entfernt. Ist nun der Kern der katarakten Linse verhältnissmässig 
klein uud die Corticalis weich, so lässt sich die Operation auf diesem 
Wege doch noch ganz gut vollenden, aber anders verhält es sich bei 
sehr grossen, harten Katarakten, die nicht ganz selten Vorkommen. 
Bei solchen lassen uns die Vortheile des Lanzenmessers im Stich, 
wir müsseu zu Tractionsinstrumenten, seien es Löffel oder Haken, 
greifen und beschwören damit die Gefahr der inneren acuten oder 
chronischen Entzündung herauf. 

Deshalb habe ich dem Lanzenmesser eine andere Form ge¬ 
geben. Ich lasse es an der Basis 12 mm breit sein bei einer Länge 
von 11 mm von der Mitte der Basis bis zur Spitze. Die Seiten 
verlaufen völlig gerade, die Wölbung der Fläche nach rückwärts ist 
nach einem Kreis von 8 Zoll Durchmesser geformt, also weniger 
stark gekrümmt wie die Weber’sche Lauze. Wenn das Instrument 
aus sehr gutem Stahl gemacht und völlig scharf ist, so ist bei dem 
Einstich nur ein sehr geringer Druck nöthig. Mangelnde Schärfe 
macht sich allerdings bei diesem Instrument empfindlicher bemerk- 
lich wie bei schmaleren Lanzen und Messern. Die Wunde fällt 
aber immer gross genug aus, da man ohne Schwierigkeit die Klinge 
parallel zur Pupillarebene gerade so weit vorschieben kann, bis die 
Wunde ebenso gross ist, wie der Durchmesser der Cornea. Da 
dieser nicht mehr als 12 mm beträgt, so braucht man das Messer 
nur selten ganz bis an seine Basis vorzuschieben. Der Einstichs¬ 
punkt ist ebenso wie der Weber’sche an der Cornea-Scleralgrenze, 
und die Form der Wunde ist ungefähr dieselbe, wie die mit dem 
v. G räfe’schen Schmalmesser augelegte, nur mit dem Unterschied, 
dass die Wuudränder nicht wie dort steil nach oben die Cornea 
und Sclera durchsetzen, sondern ebeuso schräg auf einander drücken 
wie beim Weber sehen Schnitt. So siud die Vortheile des letzteren 
mit denen einer genügend grossen Wunde vereinigt. Die Gefahren 
der Operation sind auf diesem Wege, vorausgesetzt, dass man auch 
die aseptischen Kautelen anwendet, auf das möglichst geringe Maass 
reducirt. 

Die Einstichwunde wird nicht nach dem Augenmaass gefunden, 
sondern ist bestimmt an der Grenze der Cornea. Die Richtung der 
Führung des Messers ist einfach der Pupillarebene parallel. Die 
Grösse der Wuude kann in jedem Fall hinreichend gemacht werden. 
Blutung aus dem Plexus ciliaris ist unmöglich, Glaskörpervorfall ist 
leicht zu vermeiden. Die Linsenentbindung ist schonend und leicht, 
die Genesung erfolgt wegen der fest aufeinander liegenden Wund¬ 
ränder sehr schnell. Die Iridectomie, die ich stets damit verbinde, 
scheint nach meinen Erfahrungen keine Nachtheile zu haben. 

Herr Haase: Die Erfolge der Kataraktoperation haben mit der Art der 
Schnittführung wenig zu thun, das wesentliche ist die Antisepsis. Die von 
Herrn Classen angeführte Methode ist alt, wohl jeder erfahrene Operateur 
hat ebenso operirt — Misserfolge treten in etwa 2—3% der F«lle ein; II. 
selbst hat unter IGO Fällen weniger als 2°/o Misserfolge. 

Herr Deutsch mann: Die Gefahr einer Infection ist bei klaffenden 
Wunden grösser, insofern ist die Art der Schnittführung doch von Belang. 
Er selbst extrahirt ohne Iridectomie, was ihm von Bedeutung erscheint. 

Herr Franke ist der Ansicht, dass die Gefahr des Klaffens der Wunde 
mehr theoretisch sei; es wird daher die Lappenoperation im Scleralraum von 
Vielen wieder mehr in Anwendung gezogen. 

Ob Schnitte mit so breiter Lanze, wie sie Herr Classen gebraucht, 
wirklich so wenig klaffen, ist ihm zweifelhaft. 

Herr Classen bleibt bei seiner Behauptung. 

XII. Journal-Revue. 

Innere Mediciu. 

2 . 

A. Fraenkel. Ueber septische Infection im Gefolge 
von Erkrankung der Rachenorgane. (Aus der I. medicinischen 
Klinik des Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Leyden). Zeitschrift für 
klinische'Medicin. Bd. XIII. Heft 1. 


Nach einer kurzen Recapitulation unserer bisherigen Kenntnisse 
über das Vorkommen von Mikroorganismen bei der Diphtherie und 
über das Stattfinden von Secundärinfectionen durch Streptococcen 
bei dieser Krankheit berichtet der Verfasser über zwei hierher ge¬ 
hörige, namentlich bacteriologisch genau untersuchte Fälle. In bei¬ 
den Fällen wurde die als Ausgang der allgemeinen septischen In¬ 
fection aufzufassende Diphtherie der Rachenorgane erst durch die 
Section uachgewiesen. Der erste Fall betraf einen 37 Jahre alten 
Mann. Es handelte sich bei demselben um eine retropharyngeale 
Phlegmone, ausgehend von der rechten Tonsille. Infolge davon kam 
es zur Senkung iu’s Mediastinum, zu eiteriger Pericarditis, doppel¬ 
seitiger Pleuritis, rechts mit eiterigem, links mit stark getrübtem 
Exsudat. Bei der Probepunctiou des rechtsseitigen pleuritischen 
Exsudates mittelst sterilisirter Spritze ergab sich eiue ganz klare, 
gelbliche Flüssigkeit, welche ausser spärlichen Lymphkörperchen 
Mikrococcen, und zwar zum Theil iu Diplococcen —, zum Theil iu 
Kettenform angeordnet enthielt. Cultureu auf Agarplatten ergaben 
den Streptococcus pyogenes. Dasselbe Resultat ergab nach ange- 
stellter Probepunction die bacteriologisehe Untersuchung auch des 
linksseitigen Exsudates. Aus dem von der Leiche entnommenen 
Eiter aus dem Pericard und aus dem retropharyngealen Abscess 
liess sich derselbe Pilz cultiviren. Die zweite Beobachtung F.’s. 
betrifft einen 34 Jahre alten Mann, bei welchem sich im Anschluss 
au eine Diphtherie des Rachens und des Kehlkopfes eine Endocar- 
ditis ulcerosa entwickelte. Nach der Section wurden die Tonsilleu, 
das Her/., die hepatisirte linke Luuge und die rechte Niere bacterio¬ 
logisch untersucht. Iu allen diesen Orgauen liess sich der Strepto¬ 
coccus pyogenes nachweisen. Verfasser hält es für möglich und 
sogar für wahrscheinlich, dass dieser Mikroorganismus im Stande 
sei, eine nekrotisirende Entzündung der Schleimhaut der Rachcu- 
organe primär herbeizuführen, behauptet jedoch nicht, dass ei allein 
dazu im Stande sei oder dass er die Ursache der genuiuen Diph¬ 
therie sei. Alexander (Breslau). 

Grossmann. Das Muscarin-Lungenödem. Ein Beitrag 
zur Lehre von der Entstehung des acuten allgemeinen Lungenödems. 
(Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. v. Basch in Wien). Zeitschrift 
für klinische Medicin. Band XII. Heft 5. u. 6. 

Die vorliegende Arbeit enthält eine grosse Reihe sorgfältig ange- 
stellter Versuche zur Flrforschung der Bedingungen, unter welchen das 
Lungenödem bei der Muscarin-Vergiftung entsteht. Auf die Einzelheiten 
dieser Versuche einzugehen, ist iu dem Rahmen eines Referates nicht 
wohl möglich. Die Resultate, zu welchen der Verfasser gelangte, sind, 
mit seinen eigenen Worten angeführt, folgende: 1. Das durch 
Muscarin erzeugte Lungenödem ist ein Stauungsödem. 2. Diese 
Stauung äussert sich in einer Erhöhung des Blutdruckes iu den 
Venen, im rechten Vorhofe, in der Arteria pulmonalis, im linken 
Vorhofe und in einem Absinken des Druckes iu der Aorta. 3 Die 
Stauung entsteht durch einen Spasmus der Herzmuskulatnr, der im 
linken Herzen in höherem Maasse zum Ausdruck gelangt als im 
rechten. 4. Das Atropiu und die Reizung der Nn. accelerantes 
heben das durch Muscarin hevorgerufene Lungenödem wieder auf. 

Ob eine ähnliche Eutstehungsweise auch dem Lungenödem beim 
Menschen zu Grunde liegt, diese Frage lässt der Verfasser mit Recht 
unentschieden. Alexander (Breslau). 

Ohrenheilkunde. 

1 . 

F. Bezold (München). Statistische Ergebnisse über 
die diagnostische Verwendbarkeit des Rinne’schen Ver¬ 
suches und eine daraus sich ergebende Erklärung für 
die physiologische Function des Schallleitungsapparates. 
Zeitschr. f. Ohrenhlk. Bd. 17, 3. und 4. Heft. 

In vorliegender Arbeit, die dem Andenken Burckhardt-Me- 
riau’s gewidmet ist, stellt Verf. als Ergebnisse seiner Untersuchun¬ 
gen folgende kurze Schlusssätze auf: 

„Bei allen doppelseitigen Erkrankungen des Ohres mit 
nicht zu weit auseinander liegender Hörweite der beiden Seiten 
beweist uns der negative Ausfall des Rinne-V. das Vorhandensein 
einer Veränderung am Schallleitungsapparate. Dieser Satz gilt aber 
nicht ebeuso umgekehrt, d. h. wir haben durchaus nicht in allen 
Fällen, wo eine Mittelohraffection vorliegt, auch einen negativen 
Ausfall des Versuches zu erwarten. Derselbe findet sich vielmehr 
hier sehr häufig zwar verkürzt aber positiv, nämlich: 

1. Bei den chronischen Affectionen mit negativen Befunden für 
Spiegel- und Katheteruutersuchung, wenn eine relativ gute 
Hörweite über 1 Meter für Flüstersprache vorhanden ist (Lucae); 

2. Bei acuten und subacuten Mittelohrerkraukungen mit Exsu¬ 
dat in der Paukenhöhle trotz starker Herabsetzung des Hör¬ 
vermögens. 

Bei hochgradiger nur einseitiger Affection kann umgekehrt 
der Versuch negativ ausfallen, trotzdem dass der Schallleitungs¬ 
apparat intact ist. 


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58 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 3 


Ein normal langer oder nur wenig verkürzter positiver Ausfall 
des Rinne-V. bei stark herabgesetzter Hörweite neben sonstigem 
negativem Untersuchungsbefunde für Spiegel und Luftdouche lässt 
eine wesentliche Betheiligung des Schallleitungsapparates an der 
Functiousstörung ausschliessen, mag die Erkrankung eine doppel¬ 
seitige oder einseitige sein.“ 

Aus dem gegensätzlichen Verhalten in Beziehung auf die Per- 
ception der hohen und tiefen Töne bei theilweiser oder vollständi¬ 
ger Functionsbehinderuug des schallleitenden Apparates ergiebt sich 
nach Verf. mit Notwendigkeit der Schluss; 

fl l)er Schallleitungsapparat vermittelt nur die Ueberleitung für 
die Schallwellen des unteren Theiles der Tonscala, welche per 
aerotympanale Leitung unser Ohr treffen; für den oberen Theil der 
Scala ist derselbe entbehrlich. Wo der Schallleitungsapparat ausser 
Function getreten ist, hat das Ohr die Fähigkeit verloren, die Töne 
des unteren Theiles der Scala, mindestens von A abwärts, welche 
durch die Luft in dasselbe gelangen, zu percipiren.“ 

Koch (Braunschweig). 

0. Rosenbach. Ueber Gehörstörungen in Fällen 
leichter peripherer Facialislähmung. Erlenmeyer’s Central¬ 
blatt für Nervenheilkunde. 1887. No. 12. 

Nachdem Rosenbach in dem ersten der 3 mitgetheilten Fälle 
von Facialislähmung combinirt mit Schwerhörigkeit nur durch 
einen glücklichen Zufall auf die bestehende Functionsstörung des 
Gehörorgans aufmerksam geworden war, wurde eine solche dann 
auch in den beiden nächsten Fällen durch die auf jenes Factum 
hin systematisch vorgenommene Hörprüfung constatirt. In allen 
3 Fällen war die Hörschärfe des der gelähmten Gesichtsseite ent¬ 
sprechenden Ohres für die Uhr und Sprache bedeutend herabgesetzt, 
und steigerte sich dieselbe in sämmtlichen 3 Fällen auch wieder 
mit der entsprechenden Abnahme der Lähmungserscheinungen im 
I'acialisgebiet, um mit vollständigem Ausgleich der Facialislähmung, 
oder auch schon etwas früher, der Hörschärfe des normalen Ohres 
gleich zu werden. Da die otiatrische Untersuchung keine der be¬ 
kannten Bedingungen ergab, unter welchen sich Facialislähmung 
und Gehörsstörungen vergesellschaften können, da andererseits der 
enge Anschluss der Gehörsstörung an die Facialislähmung für einen 
Zusammenhang zwischen beiden Affectionen und gegen eiu rein 
zufälliges Zusammentreffen derselben sprach, so glaubt Rosenbach 
den Grund der in Frage stehenden Erscheinungen in einer mit der 
Facialislähmung combinivten leichten Leitungslähmung des Acusticus- 
stammes suchen zu dürfen, indem ein und dieselbe — rheumatische 
Noxe in gleicher oder ähnlicher Weise ihren schädlichen Einfluss 
auf die so nahe bei einander liegenden Nervenstärame des Acusticus 
und Facialis ausiibte. 

Für diese Annahme spräche auch die Erhaltung der Kopf¬ 
knochenleitung; das Fehlen von subjectiven Geräuschen stehe nicht 
damit in Widerspruch, da solche meist nur durch Affection des 
Endapparates des Acusticus oder gewisser centraler Apparate, nur 
selten aber durch Affectionen des Nervenstammes selbst hervor¬ 
gerufen werden. Koch (Braunschweig). 


XII. Therapeutische Mittheilungen. 

Zur Behandlung des Carcinoms mit Medicamenten. 

Obwohl die moderne Chirurgie, die nach Prof. Voltolini nur vom 
Messer und der Antisepsis Hülfe erwartet, jeder medicamentösen Therapie 
des Carcinoms hoffnungslos gegenübersteht, sind in neuerer Zeit dennoch 
verschiedene Mittel zur Behandlung des Carcinoms von den verschiedensten 
Seiten empfohlen worden, die theils das Leiden völlig zu heilen, theils we¬ 
nigstens zum Stillstand zu bringen befähigt sein sollten. Es dürfte deshalb 
von Interesse sein, die in neuerer Zeit gegen Carcinom empfohlenen Mittel 
zusammenzustellen. 

Die eingehendste Publication auf diesem Gebiet 1 ) verdanken wir dem kürzlich 
auch in Deutschland mehrfach genannten Prof. John Clay in Birmingham, 
Arzt an einem Hospital für Frauenkrankheiten. Das Mittel, das er anwendet — 
in welcher Weise, wird weiter unten dargelegt— ist das Terpentin von Chios, 
in Form der Essenz (von Southall und Barclay in Birmingham). Er benutzt 
es jetzt seit 3 Jahren in Verbindung mit Resorcin und erklärt in seiner 
letzten Publication, dass er trotz aller Angriffe auf diese Behandlung von 
ihrem Lobe nichts zurückzunehmen habe. Ira Ganzen sind damit behandelt 
und nach seiner Angabe geheilt worden: 2 Carcinome der Zunge, 1 Epi¬ 
theliom der Oberlippe, 10 Fälle von Krebs des Os und Cervix uteri, 1 Krebs 
des Uterus und der Vagina, I Krebs der Nase und des Gesichts. Eine An¬ 
zahl Fälle vorgeschrittenen Krebses sind kurze Zeit behandelt worden; die 
Patienten starben, aber die schlimmsten Symptome besserten sich, die Pa¬ 
tienten erlagen der Anämie. In drei Fällen konnte man nach dem Tode 
das Verschwinden der krebsigen Neubildung constatiren. Man findet bei 
Anwendung des Terpentins allmählichen Nachlass der Kraukheit — die 
Dauer der Behandlung ist verschieden, je nach der Resistenz des Tumors 
— dann Verminderung der Schmerzen, Verminderung der Blutung, Zunahme 


! ) Siehe Lancet October 16, 1886, p. 721; Lancet, 1887 19. November 
und 17. December. On the treatment of cancer by Prof. John Clay. 


der inucopurulonten Absonderung, Verbesserung des Allgeineinbefindeus, 
mitunter vermehrte Tendenz zur Anämie. Es ist mehr als wahrscheinlich, 
dass das Mittel die krebsigen Infiltrationen entfernt, welche die primäre 
Neubildung umgeben Diese nimmt allmählich an Grösse ab, wird locker 
und schrumpft. In einigen Fällen wurden Drüsencomplicationen durch das 
Mittel beseitigt. Je früher die Fälle in Behandlung kommen, desto grösser 
ist die Aussicht auf definitive Heilung. 

Das Präparat wird ohne Schwefel bereitet und enthält keinen Aether. 

1 Theelöffel der Essenz enthält 3 g Terpentin. Sodann führt die Firma auch 
Pillen (Pil. sulph. comp.) mit Schwefel, Cupr. sulf. u s. w., ferner auch das 
Terpentin selbst in Pillen. Man gebe zwei Theelöffel der Essenz mit 
1—2 Pil. sulph. comp. 3—4 mal täglich. Nachdem die Medicin 3 Monate 
lang genommen ist, muss sie alle 14 Tage 3 Tage lang ausgesetzt werden. 
In Bezug auf speciellere Angaben muss auf die Originalabhandlungen ver¬ 
wiesen werden. In manchen der mitgetheilten Fälle von Heilung hatten 
hervorragende englische Aerzte die denkbar schlechteste Prognose gestellt. 

Jean Strobinder, pensionirter kais. russischer Regimeutsarzt in Moskau 
(Wiener med. Zeitung 29. November 1887), empfiehlt snbeutano Injection 
von Gerbsäure in carcinomatöse Neubildungen, täglich eine Pravaz’sche 
Spritze einer Tannin-Glycerinlösung 1:24, später in längeren Zwischen¬ 
räumen. Es erinnert das an die Dittmann’sche Lohcur. (Vgl. Hüter, 
Allg. Chirurgie 1886, p. 29i>.) Er berichtet von 4 Erfolgen mit dem Mittel, 
zweimal bei Krebs der Parotis, je 1 mal bei Krebs des Unterschenkels und 
der Brust. Die Krebsgeschwülste waren sämmtlich nicht aufgebrochen. 

Sodann hat 0. Hood Veröffentlichungen gemacht (Lancet, Mai 1887) 
über die Behandlung von Krebsgeschwülsten mit kolilensanrein Kalk resp. 
mit gepulverten Austornschalen. Hierbei mag daran erinnert werden, dass 
Ko lisch er in Wien im Jahre 1887 den phosphorsauren Kalk empfahl und 
zwar zur Behandlung der Localtuberculose (vgl Deutsche med. Wochenschr- 
1887, p. 702, 1109). Hood empfiehlt Pulver aus calcinirten Austern¬ 
schalen mehrmals täglich mindestens drei Monate lang zu nehmen. Während 
einer 20jährigon Beobachtungszeit will er durch dies Mittel in zahlreichen 
Fällen Stillstand des Wachsthuins der Geschwülste erzielt haben, die alle 
nicht aufgebrochen waren. Da in neuerer Zeit mehrfach von Vernarbung 
als von einer Sache, die bei Krebsgeschwüren niemals vorkommt, die Rede 
gewesen ist, so sei hier beiläufig erwähnt, dass Veuillet (British Medical 
Journal 1886, p. 7S8) über Vernarbung eines Carcinoms berichtet 

Ueber Kalkbehandlung der Carcinome berichtet weiter Dr. Blenkinsop 
(Brit Med. Joum. 1887, p. 159). Sie schien in vier Fällen günstig zu 
wirken. Er glaubt, dio Ablagerung von Kalksalzen in den Gefässen lasse 
diese atheromatös entarten und vermindere so die Blutzufuhr zu den kan¬ 
krösen Geweben. Kreidepräparate aus dem Thierreich schienen den Magen 
weniger zu belästigen. 

Weiter will Dr. Velloso (Brit. Med. Journ. 1. Januar 1887) sechs 
verschiedene Carcinome des Gesichts und der Lippen mit Alvelossaft (von 
einer Euphorbiacee stammend) geheilt haben. Es wirkte als Reizmittel und 
zerstörte die erkrankten Gewebe, die rasch durch gesunde Granulationen 
ersetzt wurden. Am wirksamsten ist die weibliche Al velospflanze, man findet 
sie bei Pcrnambuco. Dio besten Resultate erhielt man mit dem Saft in 
concentrirter solider Form und mit Vaseline oder Lanolin. Das Mittel wird 
mit einer Bürste in die erkrankten Theile eingerieben, nachdem sie mit 
Carbolsäure gewaschen sind, und dann mindestens eine Stunde der Luft 
ausgesetzt Diese Behandlung ist alle 2—3 Tage zu wiederholen. Das 
Mittel macht starke Schmerzen. Vor Eintritt von IJlceratiouen angewendet, 
führt es rascher zum Ziele. 

Ueber Anwendung von Resorcin bei Carcinom berichtet Dr. Antonio 
Mazzaro del Vallo Maggio (Brit. Med. Journ. 1885 p. 1003). In 
einem Falle waren die Knochen des Gesichts ergriffen, die Gewebe stark 
infiltrirt, Operation für nicht wünschenswerth erklärt. Eine Salbe von Re¬ 
sorcin 15 g, Vaseline 20 g zweimal täglich soll die Krankheit völlig geheilt 
haben. Nur eine weisse Narbe von 1 cm Durchmesser soll zurückgeblie¬ 
ben sein. 

Von deutschen Aerzten empfahl Rust (Aufsätze und Abhandlungen, 
Berlin 1834, Bd. I, p. 276) das Zittmann’sche Decoct, namentlich beim 
Lippen- und Gesichtskrebs. Es sei unglaublich, was man in einzelnen 
Fällen damit auszurichten vermöge. Auf p. 271 empfiehlt Rust den Ar¬ 
senik innerlich. Ueber combinirte Anwendung beider Mittel mit günstiger 
Wirkung bei einem Polypen des rechten Stimmbandes, der nach der Ent¬ 
fernung von Ponfick für Krebs erklärt worden ist, berichtet Prof. Volto¬ 
lini in Breslau (Deutsche Med. Centralztg. November 1887). 

Bei dieser Aufzählung muss auch der Koiiduraiigorinde gedacht 
werden (Riess, Berl. kl. Wochenschr. No. 10, 1887) ltiess empfiehlt ihre 
Anwendung bei Magenkrebs. Das Erbrechen lä :st bei Gebrauch des Mittels 
nach, hört bald ganz auf, und der Schmerz wird fast immer vermindert, das 
Körpergewicht nahm in einzelnen Fällen beträchtlich zu. 

Ueber die gute Wirkung des Glycerins bei Carcinom des Uterus, in 
Form von Tampons angewendet, berichtet Dr. Hüll mann in Halle (Der 
Frauenarzt 1886, p. 64). Er will in eiuigcn Fällen radicale Heilung damit 
erzielt haben. In einem solchen Falle dauerte die Behandlung 53 Tage, 
während welcher Zeit 41 Glycerintampons, einige Male mit Zusatz von 01. 
Tere binth. eingelegt waren. R. 


— Ueber die Behandlung der Lnngenphtliise mit Borax berichtet l>r. 
G. Canio aus Cagliaro (Ceutralbl. f. d. med. Wissenschaften 1887 No. 41), 
dass er in fünf Fällen vorgeschrittener Tuberculose davon günstige Er¬ 
folge gesehen habe, nämlich: Verbesserung des Appetites, Vermehrung des 
Gewichtes, Abnahme des Fiebers und des Hustens, Verbesserung des Athmens 
und dos Schlafes, Verringerung der Secretion, selbst Stillung von Hämoptoe. 
Er gab auf den Rath von Professor Fenoglio das Mittel in der Art, dass 
er eine Wulff’sehe Flasche mit Doppelrohr zur Hälfte mit feinpulverisirtem 
trockenem Borax füllte, das eine Rohr durch einen Gummischlauch direkt 
an den Waldenburg’sehen Apparat anschloss, das andere mit einer 


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19. Januar. DEUTSCHE MEDICINlSCnE WOCHENSCHRIFT. 59 


Sohnitzler’schen Mundcanüle verband. Er richtete den Luftdruck derartig 
ein, dass mit dem Fortschritt der Cur die Patienten immer mehr von dem 
Pulver einathmeten. S. W. 

— Jodoform und Jodol. II. Sattler hat ausgedehnte Versuche an¬ 
gestellt über die antiseptische Wirksamkeit der beiden genannten Mittel an 
sierilisirteu Seidenfäden, die mit Culturen verschiedener pathogener Mikro¬ 
organismen (Staphylokokken u. a.) imprägnirt wurden. Kr fand dabei, dass 
das Jodoform als Pulver eine deutlich entwickelungsrerzögernde Wirk¬ 
samkeit in vielen Fällen erkennen lässt, dass es in dieser Beziehung dem 
Sublimat 1:1000, der Carbolsäure 5:100 und dem heissen Wasser aller¬ 
dings bedeutend naebsteht, jedoch alle anderen Antiseptica nach dieser 
Richtung hin übertrifft. Auch das Jodol in Substanz übt eine entschieden 
weit geringere Wirkung als das Jodoform, abgesehen davon, dass es etwas 
mehr als das Jodoform die Wunden reizt. Anders jedoch verhalten sich 
Jodoform- und Jodol-Vaseline. Von diesen beiden Mcdicamenten giebt 
Sattler der Jodol Vaseline entschieden den Vorzug, da sie eine viel deutlichere 
entwickelungshemmende Einwirkung auf Bakterien äussert als die Jodoform¬ 
vaseline. Kr geht daher noch weiter als de Ruyter, der die Wirkung des 
Jodoforms nur daraus erklärte, dass es die Ptomaino zersetze, und glaubt, 
ihm entschieden auch eine gewisse direkt antibakterielle Wirksamkeit 
zubilligen zu müssen. So rechtfertigt es sich also auch theoretisch, dass 
trotz scheinbar wiedersprechender Laboratoriumsversuche das Jodoform aus 
der chirurgischen Praxis nicht verdrängt werden kann. Und ebenso wie 
für den Chirurgen bei Operationen am Munde, im Mastdarm, am Urogenital¬ 
apparate ist für den Ophthalmologen bei der Behandlung der eitrigen Hom- 
bautgeschwüre und besonders des Ulcus corneae serpens das Jodoform als 
Antisepticum unersetzlich. (Fortschr. d Med. 1887. *\'o. 12.) S. W. 

— Vulpian, der berühmte französische Mediciner, empfiehlt in der Gaz. 
des Höpit. No. 140, 1886, das salicylsaure Lithion in solchen Fällen von 
Tripperrhenmatisnins, in denen Natron salicyl. vergeblich angewendet 
worden ist. Gr. 


xrn. Zur zahnärztlichen Praxis. 

In ärztlichen Kreisen erregt der Vorwurf der Zahnärzte, dass 
die Aerzte die Zahntechniker begünstigen, um die approbirten Zahn¬ 
ärzte in ihrem Erwerbe zu schädigen, berechtigtes Aufsehen. Der 
Vorwurf ist unbegründet. Es ist eine vollständige Verkennung des 
gesetzlich anerkannten Umfanges der ärztlichen Praxis, wenn die 
Berechtigung angezweifelt wird, dass auch Aerzte, welche nicht die 
Approbation als Zahnarzt besitzen, die Behandlung vou Mundkrank- 
heiten übernehmen und behufs einer technischen Behandlung der 
Zähne vertrauenswürdige Zahntechniker zuziehen können. Ferner 
Ist gesetzlich gewiss nicht anfechtbar, wenn ein Patient sich an 
einen ihm zuverlässig erscheinenden Zahntechniker wendet, und ein 
Arzt die hei der Zahnextraction nothweudig werdende Narkose 
überwacht. Dem Publicum ist die Verantwortung des Arztes für 
das Chloroformiren gewiss werthvoll und die Bedeutung des Nar- 
kotisirens gross genug, um deu Techniker als Gehilfen des Arztes 
erscheinen zu lassen. — 

Und ist die Zahl der zahnärztlichen Fälle nicht gross genug 
im Laude, in denen approbirte Zahnärzte dem Publicum überhaupt 
nicht zur Verfügung stehen? Am 1. April 1887 gab es in Preussen 
320 approbirte Zahnärzte, davon in Berlin 71, in 11 Städten mit 
über 100000 Ew. 83 und in 14 Städten von 50000 bis 100000 Ew. 
42: demnach wohnen in 26 Städten bereits 196 6l°/o samrnt- 
licher Zahnärzte. In 114 Städten mit über 10000 Ew. giebt es 
keine approbirten Zahnärzte und in 63 Städten dieser Grösse nicht 
einmal Zahntechniker. 

Von Ueberschreitungen der Qualification seitens der Aerzte kann 
demnach keine Rede sein. Wohl aber sind Uebergriffe der Zahn¬ 
ärzte auf ärztliches Gebiet vorhanden. Warum wird die Bezeichnung 
gewählt „Zahn-Arzt“ oder „Praktischer Zahn-Arzt“ oder „Special- 
Arzt für Mundkrankheiten“, obgleich dem Candidaten der Zahnheil- 
kunde nach abgelegter Prüfung die Approbation als „Zahnarzt“ er- 
theilt wird? Ein Abgangszeugniss von Prima und ein Studium von 
vier Semestern kann doch nicht ausreichen, um den Titel „Special- 
Arzt für Mundkraukheiten“ einzubriugen, wenn ein Abiturienten- 
zeugniss und ein Studium von neun Semestern verlangt wird, bevor 
ein Arzt durch nachfolgende besondere Studien auf die Bezeichnung 
eines Speoialisten auf einem mediciuischen Gebiet Anspruch erheben 
kann. 

Wenn auch Vorlesungen über allgemeine Chirurgie im zahn¬ 
ärztlichen Institut in Berlin gehalten und einige wichtige Operationen 
zur Ausbildung der Studirenden dort ausgeführt werden, so folgt 
daraus noch nicht, dass der Zahnheilkunde das Gebiet der eigent¬ 
lichen Chirurgie eröffnet ist, und die Zahuärzte zu ihrer Thätigkeit 
die Eröffnung tiefliegender Abscesse, die Ausmeisseluug verirrter 
Zähne aus den Knochen und ähnliche weitergreifende Operationen 
machen dürfen. Es ist doch nicht zu überseheu, dass sie nur 
Zabnkranke kennen lernen, die poliklinisch behandelt werden 
können. Wenn, da nach der bestehenden Gewerbeordnung die 
Grenzen der zahnärztlichen Thätigkeit nicht festgestellt sind, die 
('ondicte mit den Aerzteu mit der Zunahme der approbirten Zahn¬ 
ärzte sich vermehrten, so kann jede Streitigkeit der Art nach dem 


Vorgang in Oesterreich beseitigt werden durch Einführung der Be¬ 
stimmung, dass niemand sich Zahnarzt nennen darf, der uicht die 
Approbation als Arzt besitzt. Oder es können mit der Bestrafung 
der Pfuscherei die Bestimmungen über die Grenzen der Thätigkeit 
eines Zahnarztes in das Gesetz aufgenommeu werden. Wie die 
Verhältnisse zur Zeit liegen, sollte der berechtigte Ehrgeiz der 
Zahnärzte dahin gehen, sich in der feinen operativen und technischen 
Behandlung der Zähne von Anderen nicht übertreffen zu lassen. 
Solche Bestrebungen sind sicherere Mittel, das Publicum heranzu¬ 
ziehen, als zweifelhafte Mittel oder Hilferufe uach der Polizei. 


XTV. Die preussischen Aerztekammern. 

— Am 12. Januar, Vormittags 11 Uhr, erfolgte im Saale des Stände- 
liauses die Eröffnung der Aerztekammer der Provinz Brandenburg 
und des Stadtkreises Berlin durch den Oherpräsidenten Dr. Achen¬ 
bach Derselbe führte in seiner au die vollzählig erschienenen Delegirtcn 
j gerichteten Ansprache aus, dass es ihu mit besonderer Ehre und Genug¬ 
tuung erfülle, die Aerztekammer zu eröffnen, mit. deren Organisation nun- 
| mehr die Grundlage geschaffen sei, auf welcher, wie er bestimmt hoffe, die 
l Interessen der Allgemeinheit sowohl, wie die des ärztlichen Standes die 
| weitgehendste Förderung erfahren würden. Nachdem der Oberpräsident des 
| in der Ferne weilenden Kronprinzen gedacht und die Hoffnung ausgesprochen 
hatte, dass es der ärztlichen Kunst gelingen werde, denselben bald in die 
Arme seines Vaters, Seiner Majestät des Kaisers, zurückzuführen, schloss er 
mit einem Hoch auf den letzteren. 

In geheimer Abstimmung wurden sodann Geh.-Rath Dr. Körte (Berlin) 
zum Vorsitzenden, Geh.-Rath Dr. Zinn (Eberswalde), San.-Rath Dr. Becher 
j (Berlin), Dr. Hadlich (Pankow), Dr. Selberg (Berlin), Dr. Brehmor 
! (Berlin) und San.-Rath Dr. Wehmer (Frankfurt a. 0.) zu Beisitzern im 
| Vorstande gewählt. In die wissenschaftliche Deputation für das Medicinal- 
wesen wurde Geh.-Rath Dr. Körte (Mitglied), Geh.-Rath Dr. Zinn (Stell¬ 
vertreter), in das Provinzial-Medicinal-Collegium San.-Rath Dr. Rüge (Berlin), 
Med.-Rath Fr. Wiebecke (Frankfurt a. 0.) (Mitglieder), Geh.-Rath Liebert 
(Charlottenburg) und Prof. Dr. Fraenkel (Berlin) (Stellvertreter) entsendet. 

Der Oberpräsident sprach hierauf den Wunsch aus, dass die Wahlen 
in das Medicinal-Collegium zur Erweiterung der Zuständigkeit desselben Ver¬ 
anlassung geben mögen, denn sonst würden die gewählten Herren nicht Be¬ 
friedigung in ihrer Thätigkeit finden. Der frische Zug, der in das Medici- 
nalwesen hineingekommen sei, müsse namentlich in den Medicinal-Collegien 
des Staates Geltung gewinnen. Er sehe auch nach dieser Richtung hoff¬ 
nungsreich in die Zukunft. Er wiederhole, dass es an den Aerzteu liege, 
die Institution der Aerztekammer nutzbar zu machen, sie müssten nur den 
ernsten Willen zeigen, von der gebotenen Gelegenheit Gebrauch zu machen. 
Er werde nach Kräften und Vermögen die Institution fördern und habe seine 
Unterstützung auch auf die Localfrage erstreckt. Er nehme an, dass der 
Landesdirektor seinem Ansuchen entsprechen werde, hier und in dem neuen 
Ständehause der Aerztekammer Raum zu gestatten. Es sei angemessen, dass 
die Aerztekammer auch äusserlich einen Theil der Provinzialverwaltung dar¬ 
stelle und in demselben Raum mit der Provinzialverwaltung tage. 

Geh.-Rath I)r. Körte sprach Namens der Aerztekammer dem Ober¬ 
präsidenten den Dank der Versammlung aus und versicherte, dass die Mit¬ 
glieder bestrebt sein würden, die Hoffnungen, die der Oberpräsident ange¬ 
deutet habe, zu erfüllen. Für das, was der Oberpräsident bis heute geleistet 
habe, und für die thatkräftige Unterstützung, die er in Aussicht gestellt 
habe, möge er den Dank der Versammlung entgegen nehmen. 

Bereits am 7. Januar fand in Coblenz die Constituirung der Aerzte¬ 
kammer für die Rheinprovinz und dio Hohenzollern’sehen 
Lande unter dem Vorsitz des Oherpräsidenten Dr. v. Bardoleben statt. 
Zum Vorsitzenden der Rheinischen Aerztekammer wurde der verdiente Vor¬ 
sitzende des Deutschen Aerztevereinsbundes, San.-Rath Dr. Graf (Elberfeld), 
zum stellvertretenden Vorsitzenden San.-Rath Dr. Lent (Köln) gowählt. Der 
übrige Vorstand setzt sich, in der Weise, dass alle Regierungsbezirke ver¬ 
treten siud, wie folgt zusammen: Mitglieder die Herren: Dr. Brock haus 
(Godesberg), Dr. Busch (Crefeld), Dr. Capellmann (Aachen), Geh. San.- 
Rath Dr. Koch (Sigmaringen), Dr. Nütel (Andernach), San.-Rath I>r. Pci- 
raan (Grafenberg), Dr. Thanisch (Trier); Stellvertreter: Dr. Kuenne 
(Elberfeld), Dr. Kunschert (Fraulautern), Dr. Pick (Coblenz), Dr. Roelen 
(Düren), Geh. Med.-Rath Dr. Schwartz (Köln), Geh. Ob.-Med.-Rath Prof. 
Dr. Veit (Bonn). 

Am 10 Januar wurde durch den Oberpräsidenten Graf Behr-N egen- 
dank die Aerztekammer für Pommern eröffnet. Dieselbe wählte zum 
Vorsitzenden Prof. Dr. Krabler (Greifswald), zum stellvertretenden Vor¬ 
sitzenden Dr. Sauerhering (Stettin), ferner San.-Rath Dr. Steffen (Stettin), 
Reg.- und Med.-Rath I)r. Wernich (Cöslin) und San.-Rath Dr. Grünberg 
(Stralsund). 

Die Ergebnisse der Wahlen zu den Aerztekammern der sämmtlicheu 
Provinzeu sind auf dem Umschläge dieser Nummer zusammengestellt. 


XV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Dem Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Senator soll die 
Stellung des Directors der medicini.sehen Universitäts-Poliklinik 
übertragen werden. Seitens der Facultät waren neben Senator dio Prof. 
Ewald und A. Fraenkel vorgeschUgcn. Die Poliklinik erhält eine Er¬ 
weiterung durch einige stationäre Betten, eine Einrichtung, welche früher 
bereits vorübergehend bestanden hat. Auch soll durch Aufhebung des Cir¬ 
cularerlasses vom 5. Mai 1886 dem Dirigenten der Poliklinik wieder das 


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60 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 3 


Recht der Ausstellung von Praktikantenscheinen ertheilt werden. — Wie wir 
weiter hören, sollen auch die beiden stationären Kliniken durch die Ein¬ 
richtung einer Ambulanz eine Erweiterung erfahren, eine gewiss wünschcns- 
werthe und zweckmässige Reform, die allerdings bei den gegenwärtig ge¬ 
gebenen Einrichtungen der medicinischen Klinik für den Unterricht keines¬ 
wegs genügend, doch als der Anfang einer hoffentlich recht baldigen, weil 
dringend nothweudigen vollständigen Umgestaltung der bisherigen ganz un¬ 
haltbaren Verhältnisse willkommen ist. 

— Die Berliner medicinische Gesellschaft hielt am 11. Januar 
ihre diesjährige Generalversammlung ab, in der statutenmässig die Neuwahl 
des Vorstandes vorzunohmen ist. Der Vorstand wurde mit Ausnahme des 
langjährigen Schatzmeisters der Gesellschaft, Geh. Sanitätsrath Dr. Klein, 
wiedergewählt. Der Vorsitzende gedachte in warmen Worten der vielen 
Verdienste des Herrn Klein, der auf seinen eigenen Wunsch aus dem 
Vorstände ausscheidet, um die Gesellschaft, der er seit ihrem Bestehen seine 
Kräfte in dem oft schwierigen Amte des Schatzmeisters gewidmet hat. An 
seiner Stelle wurde Herr Bartels zum Schatzmeister gewählt. Letzterer, 
der durch diese Wahl aus der Aufnahme-Commission ausscheidet, wird in 
diesem Amte durch Herrn Klein ersetzt. Die übrigen Mitglieder der Auf¬ 
nahme-Commission wurden wiedergewählt. Die Gesellschaft zählt bei Beginn 
des laufenden Geschäftsjahres 666 Mitglieder. Im Anschluss au einen Rück¬ 
blick auf die Verluste, welcho die Gesellschaft im vorigen Jahre erlitten hat, 
theilte Herr Virchow mit, dass, nach der mit dem Vorstande der deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie getroffenen Vereinbarung, die geplante Langen- 
beck-Feier am 3. April stattfinden wird. Herr v. Bergmann wird die 
Festrede halten. 

— Königsberg i. Pr. Die Facultät hat für die Wiederbesetzung 
der durch Prof. Naunyn’s Berufung nach Strassburg freigewordenen 
Professur die Professoren Quincke-Kiel, Strümpell-Leipzig und Licht¬ 
heim-Bern vorgeschlagen. 

— Bonn. Dem a. o. Professor in der medicinischen Facultät der 
Universität Bonn, Dr. J. Doutrelepont, dem geschätzten Mitarbeiter 
dieser Wochenschrift, ist der Charakter als Geheimer Medicinalrath ver¬ 
liehen worden. 

— Wien. Der a. o. Professor der Dermatologie und Syphilidologie 
Dr. G. Wertheim ist gestorben. 

— Paris. Die königliche Akademie der Wissenschaften in Turin hat 
Herrn Pasteur den grossen Bressa-Preis von 12 000 Franken zuerkannt. 
Pasteur hatte der französischen Akademie der Wissenschaften sein 
Entlassungsgesuch als lebenslänglicher Secretär dieser gelehrten Gesell¬ 
schaft zukommen lassen. Die Akademie hat indess einstimmig beschlossen, 
dass sie diese Amtsniederlegung nicht annehmen könne und dass sie 
nur einen vorläufigen Stellvertreter ernennen werde. Herr Bertrand, 
der in der nämlichen Sitzung dazu gewählt worden ist, hat Pasteur 
versichert, dass er sich gern die ausserordentliche Arbeit gefallen lässt, so 
lange Pasteur durch sein Unwohlsein an der Ausübung seines Amtes 
verhindert wäre. Darauf hat Pasteur sein Entlassungsgesuch zurück¬ 
gezogen. 

— Die Akademie der Wissenschaften hat eine Commission er¬ 
nannt, um das Programm für den von der Regierung ausgesetzten Preis 
von 50000 Fr. für ein sicheres und leicht ausfünrbares Verfahren, Ver¬ 
fälschungen des Alkohols nachzuweisen, festzustellen. Die Commission be¬ 
steht aus den Herren Becquerel, Berthelot, Bouchard, Debray, 
Deherain, Fremy, Friedei, Mascart, Pasteur, Peligot, Schloe- 
sing und Troost. 

— Die Association fran^aisepourl’avancement des Sciences, 
die sich mit der Association scientifique vereinigt hat, hält vom 
21. Januar bis 17. März eine Reihe wöchentlicher Sitzungen ab, für die 
u. a. Vorträge von Verneuil: Ueber Wesen und Aetiologie des Tetanus, 
Blanchard: Ueber die Feinde des Menschengeschlechtes; Ein Capitel der 
Nahrungsmittelhygiene etc. angekündigt sind. 

— In Ostende wird im nächsten Jahre eine Internationale Aus- 
stellung für Hygiene und Rettungswesen stattfinden. 

— Italien. In dem Laboratorium der medicinischen Klinik zu Neapel 
wurden von Prof. Cantani und Dr. di Vestea vom 22. September 1886 
bis zum 15. December 1887 Präventivimpfungen nach der Pasteur’schen 
Methode bei von tollen Hunden Gebissenen ausgeführt. Im Ganzen kamen 
187 Fälle in Behandlung; davon sind bei 165 Fällen bereits mehr als drei 
Monate nach der Cur verflossen. Von den 165 Fällen wurde in 49 es durch 
das Experiment sichergestellt, dass die heissenden Thiere wuthkrank waren, 
während in den übrigen 116 Fällen dieser Nachweis nicht geführt wurde. 
Von den 165 Behandelten starben 3 (Riforma medica). 

— Aus dem diesjährigen (XIV.) Jahresberichte dos Colberger 
jüd. Curhospitals ersehen wir, dass diese gemeinnützige Anstalt, aus 
den bescheidensten Anfängen hervorgegangen, immer mehr durch die Gunst 
hochherziger Wohlthäter aus allen Theilen Deutschlands gehoben wird, so 
dass im letzten Sommer bereits 110 arme Kranke (darunter 43 Kinder) 
ganz unentgeltlich Wohuung und Verpflegung, sowie Sool-, See- und 
Moorbäder erhalten konnten. — In Folge des Umstandes, dass in diesem 
Jahre besonders viele Fälle von schweren chronischen Leiden vertreten 
waren, konnten im Allgemeinen die Resultate der Heilungen bedauerlicher¬ 
weise nicht vollkommen befriedigen. Es richtet deshalb der dirigirende 
Arzt Dr. Weisseuberg an die Collegen die dringende Bitte, für die 
Zukunft vorzugsweise solche Patienten zur Aufnahme zu empfehlen, bei 
welchen die bekannten Colberger Curmittel indicirt erscheinen und mit 
Sicherheit wenigstens einen wesentlichen Erfolg erhoffen lassen. 

— Von den Formulae magistrales Berolinenses ist im 
R. Gaortner’schen Verlag die Ausgabe für 1888 erschienen. Das Heft 
enthält im Anhänge die Zusammenstellung der Ilandverkaufspreise der 
Arzneistoffe, welche nach der mit dem Vorstande des Vereins der Apotheker 


j Berlins getroffenen Vereinbarung für die Apothekenbesitzer vom 1. Januar 
ab maassgebend sind, und eine Anleitung zur Kostenersparniss beim Ver¬ 
ordnen von Arzneien. 

— Cholera. In Valparaiso mehren sich wiederum die Cholerafälle. 

( Nach einer Mittheilung der Lima’er Zeitung kommen durchschnittlich täglich 
130 Erkrankungen vor. Auch in Santiago (Chile) ist die Cholera wieder in 
Besorgniss erregender Weise aufgetreten. Am 21. November wurden da¬ 
selbst 18, am 23. 27 und am 24. 23 Choleratodesfällo gemeldet. 

— Universitäten. Tübingen. Dr. Garrö, Priv.-Doc. f. Chirurgie 
und Bacteriologie in Basel, hat einen Ruf als Professor nach Tübingen 
erhalten. 

XVI. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem ausserordentlichen Professor in der medicinischen Facultät 
Dr. Josef Doutrelepont zu Bonn, sowie dem ausserordentlichen Professor 
und Prosector am anatomischen Institut Dr. J. Robert Hartman n zu 
Berlin den Charakter als Geheimer Medicinal-Rath zu verleihen. 

Ernennungen: Der praktische Arzt Dr. Blokuzewski zu Pasewalk 
ist zum Kreis-Physikus des Krcisos Aurich, der praktische Arzt Dr. Hel¬ 
ming zu Ahaus zum Kreis-Physikus des Kreises Ahaus, der praktische 
Arzt Dr. Helm zu Tangermünde unter Belassung in seinem Wohnsitz zum 
Kreis-Wundarzt des Kreises Stendal ernannt, sowie der Kreis-Wundarzt 
Dr. Masurke zu Dirschau aus dem Kreise Pr. Stargard in gleicher Eigen¬ 
schaft in den Stadt- und Landkreis Elbing mit dem Wohnsitz in der Stadt 
Elbing versetzt worden. — Die Kreis-Wundarztstelle des Kreises Pr. Stargard 
wird nicht wieder besetzt. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Wolff von Milkel (Sachsen) 
nach Labes, Dr. Mantzel von Züllchow nach Berlin, Dr. Eichbaum 
und Dr. Metzker von Magdeburg nach Stettin, Dr. Schlegel von Leip¬ 
zig nach Stettin, Dr. Freiherr von Blomberg von Neuhof bei Uecker¬ 
münde nach Jena, Dr. Knecht vou Colditz und Dr. Juliusburger als 
Direktor bezw. Ass.-Arzt an die Proviuzial-Irren-Anstalt zu Neuhof bei 
Ueckermünde, Dr. Tewes von München nach Paderborn, Ober-Stabsarzt a. D. 
Dr. Brunzlow von Posen nach Hamm i. W., Dr. Friedländer von 
Hochheim nach Bad Nauheim, Dr. Hubert von Neuerburg nach Stadtkyli, 
Dr. Brenssell von Potsdam nach Berlin, Dr. Kindl er von Potsdam nach 
Erdmannsdorf i. Sachs., Ass.-Arzt a. D. Beurmann von Thora nach Herz¬ 
felde, Dr. Mayerhausen von Schweizermühle in Sachsen und Dr. Ritter 
von Göttingen nach Breslau, Dr. Eckardt von Breslau nach Düsseldorf, 
Dr. Wendelstadt vou Breslau nach Bonn, Dr. Hartwig von Liebenburg 
und Dr. Kohn von Wilhelmshaven nach Berlin, Dr. Ranschoff von 
Göttin gen nach Dortmund, Dr. Pfalz von Hamm nach Düsseldorf, Dr. Tas- 
sius von Lichenrod nach Salmünster, Dr. Rusche von Fritzlar nach 
Bremerhaven, Dr. Niggemann von Kastellaun nach Somborn, Dr. Günther 
von Schmalkalden nach Montreux, Ob.-Stabsarzt Dr. Kühne von Hofgeismar 
nach Charlottenburg, Dr. von Karzewski von Owinsk nach Kowanowko, 
Dr. Jourdan von Berlin als Ass.-Arzt des städt. Krankenhauses nach Posen, 
Ass.-Ä. Dr. Schlacke als Stabsarzt von Gardelegen nach Posen, die Ass.- 
Aerzte Dr. Hartung, Dr. Heinrich u. Meyer von Posen nach Mainz, 
bezw. Berlin u. Gardelegen, Dr. Kau der von Schlichtingsheim nach Berlin, 
Dr. Vaal von Bonn nach Schapen, Dr. Meerbeck von Ründeroth nach Engels¬ 
kirchen, Dr. Müller von Küllstedt nach Siegburg, Dr. Lickfett von Danzig 
nach Stützerbach, Stabsarzt Dr. Kirchner von Erfurt nach Berlin, Dr. 
Berliner von Berlin nach Friedrichsroda, Dr. Marcusy von Breslau nach 
Hirschberg i. Schl. 

Der Zahnarzt Ballowitz von Stettin nach Gera. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Kräudt in Steudnitz, Kreis- 
Physikus Sanitäts-Rath Dr. Rosenthal in Rosenberg O.-Schl., Direktorder 
Hebammenlehranstalt Dr. Uttech in Frankfurt a./'O., Kreis-Wundarzt 
Dr. Mroczek in Nicolaiken. 

2. Württemberg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Landesver.) 

Ernennungen: Dr. B. Mauerer in Bodenwöhr zum Bez.-A. I. CI. 
in Burglengenfeld, Dr. Hermann aus Stuttgart zum II. Hülfsarzt der Kreis- 
Irren-Anst. Klingenmünster. 

Niederlassung: Dr. Munich aus Zwickau in Wollenfels. 

Verzogen ist: Der Arzt: Dr. Klietsch von Mussbach nach 
Neustadt. 

Ruhestandsversetzung: Dr. M. Horn, Bez.-Arzt I. CI. in 
Weilheim. 


Berichtigungen. 

— Mit Bezug auf das Referat des Herrn Dr. Morian über die Section 
für Chirurgie der 60. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in 
No. 52, p. 1132, des vor. Jahrg. dieser Wochenschr. theilt uns Herr 
Dr. Schwalbe (Magdeburg) berichtigend mit, dass er niemals ein Gemisch 
von Alkohol und kochendem Wasser, sondern bis vor einem Jahre nur 
kalte Alkoholmischuugen mit Wasser von verschiedener Stärke angewandt 
hat. Seit einem Jahre wendet er, um die Heilungsdauer der Hernieu ab¬ 
zukürzen, mit sehr gutem Erfolge Injectionen von kochendem destillirtem 
Wasser an. 

— In dem Referat über die Sitzung der Berliner medicinischen 
Gesellschaft vom 21. December 1887 in No. 2 dieser Wochenschrift ist 
im dritten Absatz, Zeile 12, zu lesen: „Es wurde die Tracheotomie gemacht 
und nach dem 48 Stunden später erfolgten Tode bei der Section der 
Kehlkopf herausgenommen. 


Gedruckt bei Julius Siltcnfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 4 


26. Januar 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 


Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gattmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber das biliöse Typhoid. 

Von Dr. Kartnlis in Alexandrien. 

In den Jahren 1851 — 1852 hat Griesinger in Cairo eine 
Krankheit studirt, welcher er den Namen „das biliöse Typhoid“ ge¬ 
geben hat. 1 ) Nach ihm aber wurden aus Aegypten keine weiteren 
Mittheilungen darüber bekannt gemacht, während einige Forscher’ 2 ) 
aus anderen Ländern das biliöse Typhoid als mit Recurrens iden¬ 
tisch beschrieben. Es war Griesinger selbst, der zuerst darauf 
aufmerksam machte, indem er diese Krankheit für analog dem Re- 
lapsing fever der Engländer hielt. Unser biliöses Typhoid aber 
hat mit Recurrens nichts gemein; denn abgesehen davon, dass das 
Fieber im ersteren keiuen Rückfall zeigt, kommen die Spirdcbäte- 
spirillen im Blute der an biliösem Typhoid erkrankten Personen 
niemals vor. Es bleibt also anzunehmen, dass bei sog. biliösem 
Typhoid aasserhalb Aegyptens, wo Spirillen im Blute vorgefunden 
sind, es sich um echten Recurrens mit ikterischen Symptomen 
handelte. Damit aber soll nicht gesagt sein, dass die Krank¬ 
heit nur in Aegypten auftrete. Es ist sogar wahrscheinlich, dass 
eine in Smyrna vorkoramende Krankheit, der Typhus ikterodes, 3 ) 
nach dem von Diamantopulos von demselben entworfenen Bilde 
identisch mit dem biliösen Typhoid ist. Merkwürdiger weise ist 
das biliöse Typhoid jetzt in Cairo nur dem Namen nach be¬ 
kannt. Griesinger erwähnt, dass zu seiner Zeit auch, ausser 
in Cairo, noch in Damiette und in den oberen Nilländern die 
Krankheit herrschte, dass er aber nicht wüsste, ob dieselbe in 
Aegypten stationär wäre, oder überhaupt noch dort vorkäme. Die 
älteren statistischen Berichte aus Aegypten erwähnen die Krankheit 
gar nicht, während die der letzteren Jahre biliöses Typhoid und 
Recurrens auch als eine Krankheit aufführen. Was ich durch Er¬ 
kundigungen erfahren konnte, bezieht sich nur auf Alexandrien, wo 
die Krankheit seit mehr als 20 Jahren stationär zu sein scheint. 
Einige Collegen wollen in den letzten Jahren spärliche Fälle in 
Cairo, Tanta und Cafr-el Zayat gesehen haben. In Alexandrien 
wüthet das biliöse Typhoid alljährlich, besonders in den heissen 
and feuchten Monaten des Jahres. Da aber die Krankheit, wenn 
auch spärlich, auch während des Winters vorkommt, müssen wir 
dieselbe als eine endemische Infectiooskraukheit betrachten, welche 
in bestimmten Jahreszeiten Ursache zu Epidemieeu giebt. 

Binnen neun Jahren hatte ich Gelegenheit, mehr als 150 Fälle 
von biliösem Typhoid zu beobachten. Davon wurden 40 secirt. Da 
mir gegenwärtig nur ein kleiner Theil dieses Materials zur Ver¬ 
fügung steht, kann dieser Bericht nicht deu Anspruch erheben, eine 
fertige Arbeit zu sein, ich will nur versuchen, eine kleine Vor¬ 
stellung von dieser sehr interessanten Krankheit zu geben, umsomehr, 
als das heutige Alexandriner biliöse Typhoid manche wichtige Ab¬ 
weichungen von der von Griesinger beschriebenen Kraokheit auf¬ 
weist. Bevor ich aber meine Erfahrungen mittheile, möchte ich 
zum Vergleich einen kurzen üeberblick über das von Griesinger 
geschilderte Bild des biliösen Typhoids geben. 

Griesinger beobachte selbst 132 Fälle (alle Araber) mit 
25 Sectionen. Ausserdem obducirte er noch 76 Fälle, welche in 
anderen Abtheilungen des Casr-el ATn Hospitals vorkamen. Also 
im Ganzen 132 Krankheitsfälle und 101 Obductiouen. — Von diesen 


*) W. Griesinger’s Gesammelte Abhandlungen. Berlin 1872. p. 479. 
*) Vergl. die diesbezügliche Literatur in Hirsch’s Lehrbuch der geo¬ 
graphischen Pathologie u. s. w. in sämmtlichen Lehrbüchern der Mediciu. 
3 ) '/’KTtpürtTfi T'jtfOi Zfiupvrtf. 'A&r/Wjm 1884. 


bot etwa ein Dritttheil leichtere, nicht vollständig ausgebildete Zu¬ 
stände dar. 

A. Anfangsstadium. Dauer ungefähr 3—5 Tage. Symptome: 
Kopfschmerz, Schwindel, Ermattung, heftige, reissende Schmerzen, 
besonders in den Waden; einiger Frost im Beginn der Krankheit. 
Bei allen Kranken war die Temperatur erhöht, der Schlaf gestört. 
Puls 100—120, voll, stark. Zunge verschieden mehrmals galliges 
Erbrechen; Stuhl meistentheils angehalten. Das Epigastrium uud 
manchmal der ganze Bauch bei Druck empfindlich. Bei weuigen 
Kranken mässiger Bronchialkatarrh. Sämmtliche Organe zeigten 
ausser einer geringen Volumzunahme der Milz, nichts Besonderes. 

B. Uebergangsstadiura. Dauer verschieden, von 36 Stunden 
bis 4 Tage. Glühende Hitze der meist trockenen, hie und da von 
Schweiss triefenden Haut. Das Kopfweh ist tobend, das Auge 
injicirt. Aussehen eines Betrunkenen. Puls steigt bis 140 und ist 
meistens noch voll. Grosse Muskelschwäche, Geleukschmerzen. 
Selten Nasenbluten. Bei 7s—'/< der Kranken Herpesausschlag an 
der oberen Lippe oder Nase, bei l /s Petechien. Zunge jetzt trocken, 
schwillt an uud wird rissig und krustig. Respiration beschleunigt; 
bei 74 der Pat. Bronchialkatarrh. Schlingbeschwerden und Schmerzen 
ira Rachen, Heiserkeit. Die Unterleibsorgane bis jetzt noch wenig 
afficirt. Nicht oft Erbrechen, Diarrhoe häufiger als bei Typhus, 
hie und da blutig, schwärzlich, stinkend, oder dünn dunkelgrün¬ 
braun und copiös; in anderen Fällen ist der Stuhl angehalten. Bauch 
empfindlicher. Eiu Hauptherd der Erkrankung lässt sich jetzt 
deutlich erkenneu: es ist die Milz; im Verlauf von 24 36 Stunden 
schwillt sie oft um 1—2 Querfinger nach uuten und ebensoviel nach 
oben. Schmerzen sind da selten. Leber wenig vergrössert; rechtes 
Hypocliondrium empfindlich. Der Ikterus zeigt sich durch eiue 
leicht citronengelbe Färbung der Sclerotica, nimmt innerhalb weniger 
Stunden zu, doch wird er auch später selten intensiv. Der 
Ikterus ist durchaus kein constantes Symptom; er fehlte 
bei Vs der sonst ausgebildeten Fälle. 

C. Typhöses Stadium. Dauer 3 — 6 Tage. Prostration, 
Apathie, Delirium. Haut heiss. Puls hie und da noch voll und 
schnell, oft wird er kleiner. Durch den Eintritt des Ikterus wird 
er in mehreren Fällen langsamer und zwar fällt er von 130 auf 80 
und 75 herab. Lippen trocken, Zunge ist kaum durch die Zähne 
zu bringen, geschwollen, dürr, wie die Zähne und das Zahnfleisch 
mit schwärzlichen Krusten bedeckt. Stühle dünn, dunkelgrün, 
schwärzlich, blutig, stinkend, 2—6 täglich; Schluchzen und F,rbrechen 
kommen auch oft vor. In diesem Stadium schwillt die Milz noch 
mehr; sie kaun ein Volumen erreichen, dass sie den Rippenrand 
stark handbreit überragt oder bis zur Crista ossis ilei, oben bis fast 
in die Achselhöhle reicht, und der Breitendurchmesser gleichfalls um 
stark handbreit zugenommen hat; oft ist das linke Hvpochondrium 
sehr erheblich vorgewölbt. Der Leber schwillt nicht mehr au. — 
Andere Symptome: Schlingbeschwerden, Dyspnoe. Complicationen: 
Bronchitis, lobuläre Pueumonie, selten Paricarditis und Endocarditis. 

In wenigen Fällen kam um diese Zeit noch Nasenbluten, in 
einigen anderen zeigten sich Petechien. Inconstant ist die Be¬ 
schaffenheit des Urins. Anfangs normal aussehend, oder 
sparsam und dunkel gefärbt, sauer mit harnsauren Salzen. Im 
typhösen Stadium behielt er zuweilen dieselbe Beschaffenheit, 
anderemale wurde er sparsam, trübe, in anderen Fällen war er 
neutral oder alkalisch, hie und da glich, er auch einem normalen 
Urin. Gallenfarbstoff enthielt der Harn in der Regel, Eiweiss 
jedoch nur in 6 Fällen. Die meisten Todesfälle traten währcud 
dieses Stadiums ein. Bei deu am Leben gebliebeneu Kranken er- 


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62 DEUTSCHE MEDICINISCIIE WOCIIENSCDKIFT. No. 4 


folgte in einer Reihe von Fällen die Wandlung zum Besseren um 
den 9.—10. Tag, bei anderen wieder, wo sieh ein anhaltender 
massiger Fieberzustand einstellte (ohne typhöse Symptome), trat 
die eigentliche Reronvalescenz erst am 14.—20. Tage ein. 

D. Reronvalescenz und Nachkrankheiten. Die eigent¬ 
liche Reronvalescenz war im Allgemeinen schnell und leicht. 
In 2 Fällen Recidive. Bei 2 Knaben trat Marasmus und Oedeme 
ein. In einem Fall Brand mehrerer Fusszehen, schwere Dysenterie« 
und nach 4 Monaten trat der Tod au Tuberculose ein. 

Pathologische Anatomie. Hirnhäute und Hirn: Charak¬ 
teristisches Verhalten: Blutarmuth; hier und da Exsudate auf der 
Innenfläche der Dura mater, hier und da Meningealblutung. 

Schlund und Kehlkopf: Charakteristische Veränderungen: 
Croup, öfters mit Erosion oder Verschwärung unter dem Exsudat; 
selten blosser Katarrh. Eitrige Parotitis kam nur einmal vor. 

Pleura und Lungen: Im Ganzen wenig Veränderungen, 
hier und da Exsudativprocesse oder Blutungen. 

H e rz: Ekehymosen, hier und da Pericarditis. selten Kndo- 
carditis. 

Blut: Sehr häufiges (charakteristisches?) Verhalten: starke 
Fibrinausscheidung mit wässerigem eruorarmen Blut. 

Leber: Charakteristisches Verhalten: Anfangs Schwellung 
und Turgescenz (öfters mit Hyperämie), bald Blutarmuth, Durch¬ 
tränkung mit Gallenpigment und Fett, Erschlaffung des Gewebes, 
hier und da ein der gelben Atrophie sich nähernder Zustand. 
Häufig Leberperitonitis. 

Milz: Charakteristische Veränderungen: Schwellung, Ent¬ 
zündung des Milzgewebes und der Malpighi'schen Bläschen, hier 
und da Milzperitonitis. Die Milz zeigte die constantesten und 
bedeutendsten Abweichungen und war in keinem Fall ganz 
normal. 

Magen: Oft starker Blutgehalt; hier und da acuter Katarrh, 
selten Croup der Magenschleimhaut. 

Dünndarm: Wesentliche Veränderungen: Oft Katarrh oder 
Croup des Ileum. 

Dickdarm: Wesentliche Veränderungen: Oft Katarrh oder 
dysenterischer Process. 

Mesenterial drüsen: Sehr häufig Schwellung und Infiltration. 

Harn wege: Charakteristische Veränderungen: Acute In¬ 
filtration der Nieren, bald mit Blutarmuth und starkem Fettgehalt. 
Katarrh des Nierenbeckens. 

Von den von mir beobachteten Fällen des biliösen Typhoids 
waren nur 3 Einheimische, alle übrigen betreffen Griechen, Syrier, 
Italiener und Deutsche. Im Alter standen die meisten im 25.-45. 
Jahr. Unter 18. Jahren habe ich keinen Fall gesehen, Fälle im 
Alter von 45—65 Jahren waren jedoch nicht selten. 

Während Griesinger die grösste Zahl von Erkrankungen im 
April (34), Februar (28) und März (23), die kleinste aber im Juni. 
Juli, August, September und November (1—4) beobachtet hat, 
nimmt bei uns die Krankheit ihren intensivsten Charakter zwischen 
Mitte Mai bis Mitte Juni und wieder zwischen Mitte September bis 
Ende October an. Aber auch in den Monaten Juli und August kommen 
Fälle vor. während nach November bis Anfangs Mai nur vereinzelte 
Erkrankungen zu beobachten sind, welche jedoch viel milder als die 
Sommer-Fälle auftreten. Von den diesjährigen (1887) mir zur Kenntniss 
gebrachten Fällen vom 1. Mai bis 30. September kamen 7 im Mai, 
3 im Juni, 2 im Juli, 3 im August und 3 im September vor. Davon 
starben nur 5, während die gewöhnliche Mortalität dieser Krankheit 
zwischen 60°,o schwankt. Die Epidemieen von biliösem Typhoid 
haben in den letzten 6 Jahren sehr au Intensität zugenommen, so dass 
dasselbe durch die vielen Erkrankungs- und Sterbefälle jetzt die 
gefürclitetstc Krankheit bei deu europäischen Einwohnern ist. Da 
leider, wie schon oben erwähnt, in den officiellen Bulletins des 
Statistischen Amtes die Krankheit immer noch mit Recurrens zu¬ 
sammen aufgeführt wird, ist es unmöglich, mit Sicherheit anzugeben, 
wie viele Personen jährlich daran sterben. 

Fast alle Fälle von biliösem Typhoid stammen aus bestimmten 
Gegenden der Stadt. Die Küste um den östlichen Hafen (jetzt Port 
neuf genannt) von der Eisenbahnstation Ramie (wo früher die 
Kleopatra-Nadel stand) bis zum Fort Kaid-Bey (alter Pharos) ist theil- 
weise mit ganz ueuen Häusern bebaut. Von der genannten Station bis 
zu der Umgebung der Okella Dumreicher sind dieselben fast, 'aus¬ 
schliesslich von Europäern bewohnt. Hier münden in den Hafen 
verschiedene Canäle, welche die Abwässser und Fäealien des grössten 
Theils des europäischen Stadtviertels ergiessen, so dass zu be¬ 
stimmten Jahreszeiten der Aufenthalt dort unerträglich ist. Un¬ 
mittelbar an der Küste stehen mehrere Caffeehäuser, wo in den 
Sommernächten ein starker Menschenverkehr stattfindet. Ausser 
Caffees befinden sich daselbst kleine Schankbuden. Bierhäuser und 
noch dazu 3 Badeanstalten. Von Fort Kaid-Bey und dem nebenan 
liegenden Fort Ada bildet sich ein kleiner Meerbusen, dessen Küste 
keine Kanäle aufweist und das arabische Quartier Abon l’Abas 


umfasst. An der ganzen Küste des westlichen aetiveu Hafens 
treffen wir aber von Schloss Ras-el-Tin bis zum Fort Gabari, ausser 
den Staatsgebäuden, dem Arsenal, Zollhaus u. s. w. noch eine 
Menge von Magazinen. Speichern, Kaufläden, kleinen Caffees und 
Schänken, nur um das Fort Napoleon einige Wohnungshäuser. 
In der Nähe des westlichen activen Hafens befinden sich die 
arabischen Viertel mit ihren engen, feuchten und schmutzigen Gassen. 
Auch die Douane-Straxse. welche vorn Hafen durch die Ras-el-Tin- 
strasse bis zu dem Consularplutz führt, sowie die naheliegenden 
Strassen und Gassen sind eng, feucht und unrein, die Häuser so¬ 
wie die Kaufläden, von Europäern, Syriern, Türken und Arabern 
bewohnt, dunkel und feucht. Da in diesem Stadtviertel keine 
hygienischen Einrichtungen existiren, die Abwässer- und Excre¬ 
menten-Gruben selten gereinigt werden, ist der Besuch eines 
solchen Hauses für eine verwöhnte Nase nicht zu rathon. Erst 
am Consularplatz, in den schönen C'lierif-, Paschas- und Rosetta- 
stras.se n treffen wir die Wohnungen ganz europäisch eingerichtet. 
Obwohl die Küste nicht weit davon entfernt ist, kommen die Aus¬ 
dünstungen nicht bis in diese Gegenden. Vom Consularplatz ziehen 
von W. nach S. mehrere Strassen, von welchen die Rue des Soeurs 
am bekanntesten und stärksten bewohnt ist. Dieser Stadttheil. 
sowie ein anderer nach S.-W. liegender, der Ahtarin, besitzen alte 
Häuser mit gemischter Bevölkerung; die Strassen sind auch hier 
eng. feucht und dunkel. 

Die grösste Zahl von Erkrankungen an biliösem Typhoid liefert 
die Küste des östlichen Hafens (Port neuf). besonders die Caffeehäuser, 
wo die Canäle ausmünden. Ebenso oft kommen Erkrankungsfälle 
bei den in den darangrenzendeu Gassen weilenden Personen vor. 
Zuuächst trifft mau Krankeitsherde in den um den westlichen activen 
Hafen liegenden Vierteln, sowie zwischen diesem Hafen und der Rue 
des Soeurs (Fort Napoleon) und endlich im Ahtarin, also überall, wo 
Schmutz mit Feuchtigkeit verbunden ist. In den grossen breiten 
Strassen der Stadt mit gut ventilirten und canalisirten Häusern 
(Consularplatz, Rue Cherif-Pacha, Rue Rosetta, Com-el-Dik u. s. w.) 
sowie in den ländlich liegenden Vierteln und in der am 0. lie¬ 
genden Sommerfrische Ramie sind Fälle von biliösem Typhoid 
meines Wissens bis jetzt nicht vorgekommen. Die Erkrankungen 
kommen besonders bei Leuten vor, welche sich im Freien der 
feuchten und unreinen Luft aussetzen. Ich kenne überhaupt keinen 
Fall, wo die Iufection in der Wohnung selbst stattgefunden hat. 
Dafür spricht auch der Umstand, dass bei Frauen äusserst selten 
Erkrankungen Vorkommen. Einen noch grösseren Beweis dafür be¬ 
sitzen wir in den von auswärts oder von Typhus-biliosus-freien Ge¬ 
genden nach Alexandrien kommenden Individuen; Seeleute z. B., 
welche zum ersten Mal die Stadt besuchen und in den genannten 
Herden verkehren, werden leicht von der Krankheit befallen. Es 
giebt in Aegypten eine Gesellschaft von Hausirern (Lotto genannt), 
welche bei Tage meistens versteckt bleiben und beim Anbruch der 
Dunkelheit in die Kaffee- und Bierhäuscr wandern und ihre Waaren 
verkaufen. Diese, sowie die dort beschäftigten Kellner, fallen oft 
der Seuche zum Opfer. Aber auch die nicht nach der Küste lie¬ 
genden Krankheitsherde bieten einen ähnlichen lnfectiousmodus. Die 
Erkrankten geben an, dass sie in ihrem Laden bei offenem Fenster 
geschlafen haben, oder sich längere Zeit während der Nacht 
auf der Strasse aufhielten. Am Tage scheint die Jnfeetion 
selten vorzukommen. Wenigstens sprechen nicht viele Fälle dafür. 

Die lneubation des biliösen Typhoids ist eine sehr kurze. 
Meistentheils zeigen sich die ersten Krankheitssymptome binnen 
24 Stunden, manchmal sogar schon nach wenigen Stunden. Im 
Ganzen aber übersteigt die lneubation nicht 2 Tage. Ich lasse 
hier einige Beispiele folgen: 

1. Mal., ."0 Jahre alt, kräftig gebaut, auch früher sehr gesund. 
Patient gehörte der besseren Gesellschaft an und bewohnte ein schönes Haus 
in der Cherif-Pascha-Strasse. An einem September Nachmittage war er im 
Hafen beschäftigt, wo er bis Abend verbleiben musste. Zu Hause ange- 
koimnen spürte er etwas Kopfweh und war sehr ermüdet Die Nacht ver¬ 
brachte er unruhig. Am nächsten Morgen bekam er Frost und nahm ein 
Abführmittel ein. Abends Fieber; Brechmittel. Die Nacht sehr unruhig. 
Nasenbluten. Am zweiten Morgen befindet er sich noch schlechter, t.'hinin. 
Am dritten Tage die Sclerotica leicht gell) gefärbt. Kein Urin seit 
•24 Stunden. Im Verlauf des Tages färbte sich die ganze Haut des Körpers 
ikterisch. Grosse Unruhe mit Delirien. Muskelkrämpfe. Augen starr. 
Blut aus dem Munde. Während der Nacht verstarb er an urämischen 
Symptomen. Kurz vor seinem Tode war die Körperhaut sehr intensiv gelb 
gefärbt. 

2. N. Ekon, Arzt in C'airo, 35 Jahre alt. kräftig gebaut und früher 
sehr gesund. Zwei Tage vor seiner Erkrankung kam er nach Alexandrien, 
um sich zu verloben, und nahm Quartier bei einem seiner Verwandten in 
einer Gasse zwischen Fort Napoleon und Rue des Soeurs. Während 
der zwei Tage seines Aufenthaltes in Alexandrien soll er überall in der 
Stadt gewesen sein (als ich ihn besuchte, (am II. October 1885) war 
er nicht im Stande meine Fragen zu beantworten). Die Krankheit begann 
mit Frost, Fieber und Muskelschmerzen. Als ich ihn am sechsten Krankheits- 
tago zum ersten Male besuchte, war der ganze Körper ikterisch gefärbt; 


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*_><;. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. ßtf 


siarke Kpistaxis, hie und <la zeigten sieh auf dein Bauch und der Brust 
einiire Petechien Der L’riu sehr spärlich, das Sensorium henommen. Siu- 
gultus, Eibrechen und Heiserkeit. Der Tod trat am achten Tage ein. 

3 K. B.. Seemann, GO Jahre alt. Er kam 3 Tage vor seiner Erkran¬ 
kung zum er>tou Male nach Alexandrien und nahm ein Zimmer filier einem 
fatleehaus im alten Hafen. Er verkehrte auch in den nahe liegenden 
( affee Die Krankheit trat mit allen schlimmen Symptomen, wie Fieber, 
Schmerzen, Blutungen. Auurie etc. auf, so dass Exitus letalis am fünften 
oder «erlisten Krankheitstage eintrat. 

4. X., 30 Jahre alt, Schiffscapitain, früher gesund (s. Temperaturtabelle). 
Er befand sich seit seiner Ankunft in Alexandrien stets an Bord und ging 
selten nach der Stadt. Einer Einladung Folge leistend, verblieb er eine 
ganze Nacht in der Stadt. Nach 24 Stunden stellten sich Rigor mit nacli- 


Kranken-Tag 



folgendem Fieber ein. Nasenbluten und Wadenschmerzen. Am folgenden 
Tage die Leber angeschwollen und schmerzhaft. Ikterus am vierten Tage; 
spärlicher Harn. Tod am fünften Tage. 

ö. St., 28 Jahre alt; sehr kräftiger Bursche. Er wohnte eine halbe 
Stunde weit von der Stadt, war aber am Fischmarkt beschäftigt, wo er nach 
einer Mahlzeit von 4 Uhr Nachmittags bis l J Uhr Abends schlief. Schon 
nach dem Erwachen soll-er Kopfschmerzen gefühlt haben. Während der 
Nacht konnte er nicht schlafen und bekam einen Schüttelfrost. Am 
nächsten Tage starkes Fieber und Muskelschmerzen. Alle schweren 
Symptome der Krankheit folgten nach, und am achten Tage war er todt. 

Aehnlioho Beispiele könnte ich noch mehr anführen, wählte 
aber diese fünf aus« da sie sichere Anhaltspunkte für die lncuhation, 
sowie für die Erkrankungsweise an biliösem Typhoid bieten. 

Wie schon erwähnt worden ist, hält Griesinger das biliöse 
Typhoid für eine nahezu oder ganz identische Krankheit 
mit dein ltelapsiug-fever der Engländer. Dass dies nicht der 
Fall ist. haben wir schon oben besprochen. Griesinger findet 
das biliöse Typhoid weiterauch dem lnterniittens (weil die Milz 
bei beiden Krankheiten anschwillt und beide mit Chinin geheilt 
werden) der Pest und dem gelben Fieber ähnlich. Dass das 
biliöse Typhoid einige Symptome mit diesen Krankheiten gemein 
haben kann, lässt sich nicht bestreiten. Insbesondere glaube ich, 
dass, was lncuhation und lnfeetionswei.se an betrifft, die Krankheit 
uur mit Malaria eine Analogie haben kann. Von einer Contagio- 
sität des biliösen Typhoids existirt bis jetzt kein Beispiel. Weder 
in einem Hospital, wo die Biliös-Typhösen mit den anderen Kranken 
unterbracht werden, noch in einer Familie ist Jemand von dein 
Pflegepersonal bis jetzt von der Krankheit befallen. 

Die ersten Symptome des biliösen Typhoids sind gewöhnlich 
Schüttelfrost oder Kopfweh, Schwindel und Ermattung. Gleich 
darauf stellt sich hohes Fieber ein. und wenn mau die Gelegenheit 
hat. was sehr selten der Fall ist, gleich den Kranken zu sehen, 
so findet man unter der Achsel eine Temperatur von 39.5—40°. Der 
Schlaf wird gestört, und die Patienten wälzen sich unruhig und ängst¬ 
lich irn Bette. Die Extremitäten sind anfangs frei, bald aber werden 
ihre Bewegungen durch Schwere beeinträchtigt. Die unteren Ex¬ 
tremitäten versagen rasch ihren Dienst, und bald stellen sich reissende 
Schmerzen in den Waden ein. Oft werden auch die Artieu- 
Intionen betroffen, und viele nehmen dieses Symptom für ein rheu¬ 
matisches Leiden und suchen durch Reiben Linderung zu 
finden. Die Schmerzen verbreiten sich in einigen Fällen auf alle 
Muskeln, so dass hei Druck nicht nur in den Waden, sondern auch 
in den Schenkeln, Vorderarmen und Armen und am Nacken die 
Schmerzen fühlbar sind. Diese Schmerzen begleiten aber nicht 
immer die ersten Symptome, manchmal erscheinen sie später, können 
auch, wenn auch selten, ganz fehlen. Irn manchen Fällen fühlen 
die Patienteu auch Schmerzen im Kreuz und in der Wirbelsäule. 
Das Kauen und Schlingen ist. auch oft schmerzhaft. Aber als 
charakteristisches Symptom der Krankheit gelten in der Regel die 
Schmerzen in den Waden. Das Fieber in den ersten zwei Tagen 
hält eine Höhe von 39—41°; oder gleich nach der ersten Exacer¬ 
bation fällt dasselbe bis 38° herab. Ueberhaupt gestaltet sich das 
Fieber bei jedem Falle verschieden, ln einigen Fällen ist die 
Temperatur 4 —5 Tage laug hoch, sinkt aber beim Erscheinen des 
Ikterus bis zur Norm. Iu anderen Fällen wieder fällt das Fieber 
nach dem ersten Schüttelfrost bis zu 38—37°. Sobald der Ikterus 
zn verschwinden beginnt, steigt das Fieber wieder manchmal bis 
39.5°. Der I*uIs ist iu den ersten Tagen schnell und stark. 110 
bis 120. Beim Erscheinen des Ikterus fällt er bis 100 oder bis 90. 
In vielen Fällen zeigt der Puls eine Eigenthümlichkcit, die Grie¬ 
singer nicht erwähnt; derselbe wird intcrmittireml und macht in 
••/ner Minute 2—G Pausen. Oft wird er klein und unzählbar, be¬ 
kommt aber wieder seine Stärke, um wieder klein zu werden oder 
zu verseil winden. Die Respirationsorgane bieten in den ersten 


Krankheitstagen nichts Abnormes. Allmählich können aber leichte 
Bronchialkatarrhe, sehr selten auch lobuläre Pneumonieen entstehen. 
Uedem der Lunge kommt nur in wenigen Fällen vor. Das Herz 
ist in den ersten Tagen vollkommen gesund, in wenigen Fällen, 
wenn der Ikterus aufgetreten ist. wird dasselbe ataktisch, gröbere 
Alterationen des Herzens aber habe ich nicht gesehen. Von den 
Unterleibsorganen ist es die Leber allein, welche vom zweiten Erkran¬ 
kungstage an zu schwellen beginnt. Die Anschwellung dieses Orgaues 
jedoch ist niemals bedeutend, dasselbe ist aber auf Druck sehr schmerz¬ 
haft. Erst mit dem Verschwinden des Ikterus fängt auch die Leber 
an abzuschwellen. Die Milz wird während des ganzen Stadiums 
der Krankheit nur äusserst selten vergrössert. Gewöhnlich 
bietet dieselbe keine Abnormitäten und ist bei Druck nicht schmerz¬ 
haft. Der Magen, sowie der Bauch zeigen iu den ersten Tagen eine 
Empfindlichkeit. Der Stuhl ist oft ungehalten. Beim typhösen Stadium 
der Krankheit kommen sehr oft Diarrhöen vor. Einmal ist nach einer 
starken Diarrhoe von Dr. Moschatos Peritonitis mit tödlichem 
Ausgang beobachtet worden. Vor dem Erscheinen des Ikterus 
sehen die Stuhlausleerungen oft normal aus; wenn der Ikterus zum 
Vorschein gekommen ist. werden dieselben touweiss und sind 
sehr stinkend und copiös; erst mit dem Verschwinden desselben 
färben sie sich wieder. Während der Urin in den ersten Krankheits¬ 
tagen normal aussieht, gallenfarbstoff- und eiweissfrei ist, beginnt 
er, auch manchmal noch vor dem Auftreten des Ikterus dunkel 
zu werden. Durch die Untersuchung entdeckt man bald reich¬ 
lichen Gallenfarbstoff, oft auch Eiweiss, dann fängt er in vielen 
Fällen an, sich zu vermindern, oder hört ganz auf. Während 
des typhösen Stadiums wird er wieder reichlicher, geht oft zur 
Polyurie über und wechselt oft die Farbe. Bald ist er gelblich, 
bald wieder Fleischwasser ähnlich, oder sieht wie eine Chinin¬ 
abkochung oder ein Digitalisinfus aus. Sehr gefährlich ist natürlich 
bei biliösem Typhoid die Oligurie oder totale Anurie. Wir 
haben Anurieen von 3 —5tägiger Dauer gesehen. Bei Polyurieen ent¬ 
leeren die Patienten oft von 4 — 8000 ccm. Urin in 24 Stunden. In der 
Regel bemerkt man die Anurie zwischen dem 3.—6. Tage, und 
ist dieselbe prognostisch sehr ungünstig. In einigen Fällen wird 
der Urin während der Krankheit röthlich, und bei der mikroskopischen 
Untersuchung findet man in demselben rothe Blutkörperchen. 
Seltener noch wird er schwärzlich, und die mikroskopische Unter¬ 
suchung lässt im Stich, während das Spectrum die charakteristischen 
Absorlitionsstreifen von Haemoglobin zeigt. Haemoglobinurie habe 
ich bei biliösem Typhoid nur 2 Mal beobachtet. Das sperifische 
Gewicht des Harnes hat in den untersuchten Fällen 1010 und 1011 
gezeigt: die Keactiou war stets sauer. Schmerzen in der Nieren¬ 
gegend sind selten, bei Druck aber sind die Nieren oft empfindlich. 

Zu den ersten Symptomen der Krankheit muss eine grosse 
Anorexie gerechnet werden; die Patienten wollen nichts von 
Essen hören uud vermeiden jede Nahrung. Das Durstgefühl ist 
erhöht. Ein Kranker trank iu 24 Stunden 11 Liter Wasser, während 
die Uriumenge 8 Liter betrug. Der Schlaf ist vom ersten Tage 
gestört: die Nächte verbringen die Patienten in grosser Angst. Es 
giebt wohl bei keiner Infectionskrankheit solche ruhelosen Nächte, 
wie bei biliösem Typhoid. Die Beschaffenheit der Zunge ist nicht 
in allen Fällen gleich. Einmal erscheint sie weiss und glatt, ein 
anderes Mal ist sie spitzig und weiss. roth oder braun gefärbt, nur in 
dein typhösen Stadium wird die Zunge holzhart, roth. rissig, oder 
sie ist stark belegt aber gewöhnlich trocken. Das Zahnfleisch sowie 
die Zähne werden von schmutzigem Schleim belegt. Der Isthmus 
pharyngeus, und Larynx sind entzündet, trocken. Die Patienten 
können kaum den Mund öffnen; ihre Stimme ist oft schwach und 
heiser, ja manchmal beobachtet mau eine ähnliche A phonie wie 
bei Cholera. 

Zu den schlimmen Symptomen des biliösen Typhoids gehören 
das Erbrechen und das Schluchzen. Eine Brechneigung lässt 
sich gleich im Beginn der Krankheit constatiren, oft kommt es zum 
Erbrechen. Das Herausgebrochene besitzt keine besondere Eigen¬ 
schaft: es sind meistens Reste von unverdauten Speisen, oder 
Galle mit Magenschleim gemengt, ln der Akme der Krankheit aber 
können einige Patienten nichts mehr im Magen behalten. Alles 
was genossen wird, kommt wieder heraus. Die Massen haben dann 
entweder ein galliges Aussehen, oder dieselben sind scliwarzgelblich. 
In einigen Fällen ist das Erbrechen so hartnäckig, dass durch Er¬ 
schöpfung der Tod bald eintritt. 

Ein noch schlimmeres Symptom ist der Singultus, welcher 
auch häufiger als das Erbrechen vorkommt. Das Schluchzen tritt 
fast immer erst nach, dem Erscheinen des Ikterus auf und ist von 
sehr langer Dauer. Oft geschieht es. dass die Patienten Tags und 
Nachts bei jeder Athcinbewcgung schluchzen, ln einigen Fällen 
hört das Schluchzen für einen bis zwei Tage auf und kommt 
wieder zum Vorschein. 

Haemorrhagieen kommen bei biliösem Typhoid, wenn auch 
nicht in allen Fällen, aber doch häufig vor. 


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64 


Nasenbluten ist wohl in der Hälfte der Fälle zu beobachten. 
Dasselbe zeigt sich besonders vor dem Erscheinen des Ikterus, 
kommt aber auch später vor. Lungenhaemorrhagieen und Haemate- 
mesen habe ich nur 3 Mal gesehen. Haematurieen sowie Enterorr- 
hagieen sind auch beobachtet, wenn auch selten. 

Petechien und sonstige Hauthaemorrhagieen sind vielleicht 
auch hier bei der Hälfte der Fälle zu beobachten. Das Erscheinen der¬ 
selben ist für die Prognose sehr ungünstig. Sie zeigen sich gewöhn¬ 
lich in der Mitte der zweiten Woche der Erkrankung zuerst auf 
dem Bauch und auf der Brust. Seltener werden auch der Rücken 
und die Extremitäten betroffen. Sie zeichneu sich auf dem Bauch 
und der Brust besonders als dendroide, punktförmige, linsengrosse 
und unregelmässige Haemorrhagieen ab. Roseolaähnliche 
Exantheme habe ich nur selten beobachtet. Die Dauer der 
Petechien ist verschieden ; manchmal verschwinden sie in 
24—48 Stunden, um nach 24 Stunden wieder zu erscheinen oder 
ganz weg zu bleiben. Im Ganzen aber verschwinden die Petechien, 
bis das typhöse Stadium vorbei ist. Von anderen Exanthemen sah 
ich noch einen masern ähnlichen Ausschlag ein Mal. Das 
Exanthem zeigte sich zuerst an den Händen, dann am Hals und der 
Brust, war sehr juckend und verschwand nach 2 Tagen; dann kam 
es nach 24 Stunden wieder zum Vorschein und dauerte im Ganzen 
5 Tage lang. Darauf erfolgte Desquamation. In zwei anderen 
Fällen trat ohne vorausgegangenen Ausschlag nach Verlauf der Krank¬ 
heit Desquamation ein. Herpes, besonders der oberen Lippe uud 
der Nase, ist in wenigen Fällen zu sehen. Decubitus ist auch iu 
einigen Fällen beobachtet worden. 

Einseitige oder beiderseitige Parotitis mit Vereiterung der 
Drüse kommt in vielen Fällen vor. Dieses Symptom zeigt sich 
während des typhösen Stadiums und giebt oft Anlass zu pyämi¬ 
schen Processen. 

In den ersten 48 Stunden der Krankheit ist das Sensorium 
frei; die meisten der Kranken aber sind ängstlich und unruhig. 
Obwohl dieselben noch gut über ihr Leiden Auskunft geben können, 
gewahrt man an ihueu eine aussergewöhnliche Beredtsamkeit, welche 
auf eine Störung der Psyche schliessen lässt. Sie betrachten starr und 
mit Neugierde den Arzt, und ihr Blick gleicht dem eines Betrunkenen. 
Die anfangs Unruhigen werden ungeduldig, fangen bald an über die 
Bedienung, Kost, Bett u. s. w. zu klagen. Da die Nächte schlaf¬ 
los vergehen, rufen sie oft ängstlich nach Hülfe, venneideu jede 
Bedeckung des Körpers und suchen aufzustehen. Wenn die Kranken 
durch die Wadenschmerzen zu gehen verhindert werden, fallen sie 
zu Boden und fangen an zu schreien. Kommt dann Jemand zu 
Hülfe, so benehmen sie sich wieder ruhig, sprechen vernünftig und 
bemühen sich, sich zu entschuldigen. Allmählich steigert sich dieser 
Zustand zu Delirien, oder es kommen Visionen und Hallucinationen, 
ja manchmal auch Manieen vor. 

Das constanteste Symptom des biliösen Typhoids ist der Ikteru s. 
Er erscheint gewöhnlich zwischen dem 4. und 6., seltener zwischen 
dem 6. und 8. Tage. In sehr wenigen Fällen aber tritt er schon am 
3. Tage auf. Erst wird die Bindehaut stark injicirt, dann entwickelt 
sich nach und nach eine ikterische Färbung derselben. Wird die 
Conjunctiva intensiver gelb, so fängt auch der Körper an, zuerst 
auf der Brust und dem Bauch ikterisch gefärbt zu werden. All¬ 
mählich wird der ganze Körper in 24—48 Stunden orangegelb ge¬ 
färbt. Es giebt aber Fälle, wo diese Färbung nicht so intensiv 
wird, und andere wieder, wo nicht alle Theile des Körpers gefärbt 
werden. Griesinger sah x /s seiner Fälle ohne Ikterus verlaufen, 
ich selbst sah 2 Fälle, von denen einer letal endete (s. Fall 7). 
Wie viele von diesen ikterusfreien Fällen echte biliöse Typhoide 
sind, bleibt, ehe uns die wirkliche Ursache der Krankheit bekannt 
ist, unentschieden. (Fortsetzung folgt.) 

II. Ein Beitrag zur Frage der Hypnose und 
ähnlicher Zustände aus der klinischen Ab¬ 
theilung für Syphilis der Kgl. Charite. 
Vom dirig. Arzt Prof. G. Lewin. 

Die Lehre vom Hypnotismus scheint jetzt, zumal in Frankreich, 
in voller Blüthe zu stehen, und doch ist sie nichts anderes als eine 
Wiederbelebung des Mesmerismus und Somnambulismus in verän¬ 
derter Form und Gestaltung. Den prägnantesten Ausdruck erhielt 
diese durch das Werk die „Seherin von Prevorst“ vom bekannten 
Arzt Dr. Justinus Kerner, einem Manne, in dem sich Ueber- 
zeugungstreue mit aufgeregter Phantasie in wunderbarer Weise 
vereinigten, und dessen interessantes, eben erwähntes, jetzt fast ver¬ 
gessenes Werk früher nicht nur Gegenstand heftigster Polemik, 
sondern eine für jugendlich aufregbare Gemüther geradezu gefähr¬ 
liche Lectüre war. 

Ohne dass ich selbst eine bestimmte Meinung aussprechen oder 
eine Stellung zu der bezüglichen Tagesfrage einuehmen will, diese viel- 


No. 4 

mehr den Sachverständigen überlasse, möchte ich doc/j folgende 
kleine, selbst erlebte Episoden mittheilen, welche eclatant zur Vor¬ 
sicht und scharfen Prüfung der oft wunderbaren Erscheinungen, na¬ 
mentlich bei hysterischen Frauen, auffordern, deren Energie oft 
staunenerregend ist. 

Auf meiner Klinik befindet sich im Durchschnitt ein täglicher 
Bestand von 200 meist jugendlichen Frauenzimmern. Die bei 
weitem grösste Mehrzahl bilden Puellae publicae, eine kleine An¬ 
zahl Criminalgefangene. Dass bei solchem Krankencontingent Fälle 
nicht allein von vielgestaltiger Hysterie, sondern auch von Simulation 
nicht zu den seltensten Vorkommnissen gehören, wird Niemand 
wundern. Demgemäss erlebte ich in den ersten Jahren meiner kli¬ 
nischen Thätigkeit eine Menge anscheinend wunderbarer Vorkomm¬ 
nisse. Da ich jedoch durch langjährige Thätigkeit in gerichtlicher 
Medicin eine grössere Routine im Nachweise von Simulationen er¬ 
langt hatte, so liess ich mich auch später nicht so leicht täuschen, 
ja brachte die Simulanten oft selbst zum Geständniss ihrer beab¬ 
sichtigten Täuschung. Bald wurde ich in dieser Eigenschaft den 
Fraüen so bekannt, dass bisher simulirte Krämpfe, Lähmungen, 
Ohnmächten, langes Hungern, nächtliches Herumwandeln, Erbrechen 
von den verschiedensten Gegenständen etc. rasch abnahmen, uud 
jedwede Simulation zu den allerseltensten Vorfällen gehörte. Von 
diesen möchte ich jedoch folgende auführen: 

Zur Zeit, als von Frankreich das Phänomen des Transfert zu 
uns nach Deutschland transportirt und vielfach discutirt wurde, be¬ 
fand sich auf meiner Abtheilung eine 22jährige, an Parametritis 
leidende Gefangeue. Mehrere Tage nach ihrer Aufnahme gab die 
Kranke an, dass sie auf der gauzen linken Körperhälfte gefühllos 
sei. Als mir mein Assistenzarzt die Kranke vorstellte, kameu wir auf 
den Transfert und ähnliche Vorgänge zu sprechen und discutirten die 
Angaben Charcot’s über diese Phänomene in Gegenwart der 
Kranken. Die darauf vorgenommene Untersuchung derselben ergab 
anscheinend die behauptete linksseitige Anästhesie vom Scheitel bis 
zur Zehe. Wir stachen Nadeln au verschiedenen Körpertheilen tief 
durch die Haut bis in die Muskulatur, ja selbst bis auf den Knocheu, 
wählten auch Stellen, wo grössere Stämme sensibler Nerven verliefen, 
berührten die Haut mit heissen Instrumenten, durchstachen die Zunge, 
stiessen mit der Scheere rasch in der Richtung gegen das Auge zu, 
kitzelten die Nase, allein kaum verrieth eine geringe Reaction, wie ein 
leichtes Mieneuspiel der Kranken eine Spifr von Empfindung. Bei 
späterer Wiederholung dieser Versuche trat nach Streichen über das 
Gesicht uud Druck auf die Bulbi eine Art Hypnose ein. Die Kranke 
schlief ein und lag erschlafft da. Beim Streichen auf die Beuger 
der Extremitäten contrahirten sich letztere, um sich beim Bestreichen 
der Extensoren wieder zu flectiren. — Die Kranke erschien mir da¬ 
her als eine zum Transfert ganz geeignete Person. Der Versuch 
wurde gemacht und — gelang auf das Glänzendste. Sobald ein 
Zwanzigmarkstück iu eine Ellenbeuge gelegt und fest angedrückt 
wurde, verschwand die Anästhesie, um auf die andere Körperhälfte 
überzugehen und hier mit gleicher Intensität aufzutreten. 

Trotz des scheinbar so exacten Krankheitsbildes hegte ich 
doch den Argwohn, dass die Kranke unsere oben erwähnten Unter¬ 
haltung über Somnambulismus und den Transfert zur Simulation be¬ 
nutze. Um darüber in’s Klare zu kommen, machte ich folgenden 
Versuch: Nachdem ich in mehreren Sitzungen den Transfert aus¬ 
geführt hatte, legte ich unter rascher Wiederholung und schnellem 
Wechsel des Experimentes anstatt des Goldstückes ein ganz ähnlich 
geformtes Holzstück in die Armbeuge. Die Wirkung war dieselbe, 
die Anästhesie ging sofort auf die andere Seite über. Um die 
Täuschung noch prägnanter nachzuweisen, liess ich bei der Vorstellung 
der Kranken in der Gesellschaft der Charite-Aerzte einen mehrfach 
zusammengefalteten Zwanzigmarkschein auflegen uud erzielte unter 
allgemeiner Heiterkeit denselben eclatanten Effect. 

Einige Jahre später spielte sich folgender Vorfall ab. Die 
27jährige Gefangene E. K., rec. 3. V. 86, klagte über ziehende, 
brennende Schmerzen in der Magengegend, sowie über ein Gefühl, 
„als ob ihr etwas Heisses vom Magen nach oben stiege“. Ausserdem 
erbrach die Kranke mehrfach eine blutig schaumige Flüssigkeit. 
Fieber war nicht vorhanden, auch ergab die Untersuchung keine 
nachweisbare Erkrankuug irgend eines Organs. Die K. gab bald 
darauf an, einige Tage vor ihrer Aufnahme in das Krankenhaus eine 
Stecknadel verschluckt zu haben. 

Als ich am 21. V. in den Kraukensaal trat, fand ich den assi- 
stirenden Herrn Stabsarzt damit beschäftigt, der Kranken einen als 
Nadel fühlbaren Fremdkörper iu der Gegend des rechten Epigastri- 
ums, etwa eine Hand breit unter dem Rippenbogen, auszuschneideu. 
Der gefundene Gegenstand war in der That eine Stecknadel, aber 
ohne Kopf. Vor Allem fiel mir auch auf, dass die Kranke, welche 
nicht chloroformirt sein wollte, nicht das geringste Zeichen von 
Schmer/, während der Operation äusserte, obgleich diese sehr 
schmerzhaft sein musste, da die Nadel, mit der Spitze nach innen 
gerichtet, nur nach einem tiefen Schnitt mittelst der Pincette extra- 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


26. Januar. 


hirt werden konnte. „Dies ist — sagte ich zum Herrn Stabsarzt 
— ein seltener und interessanter Fall, der Aufsehen erregen wird. 
Ich behandele zufällig eine sehr vornehme Dame an gleicher Krank¬ 
heit. Vor Allem müssen wir diese Kranke fortau gut nähren und 
ihr morgens Chokolade, mittags Braten mit Wein geben u. s. w., 
wir werden dann sehen, dass an der lleo-Cöcalgegend — ich zeigte 
auf diese deutlich hin — in drei Tagen wiederum eine Nadel er¬ 
scheinen wird“. 

Meine Vorhersage bewahrheitete sich pünktlich in Bezug auf 
Zeit und Stelle. Man fühlte eine hirsekorngrosse circumscripte, 
nicht geröthete Geschwulst, auf deren Basis mau die Nadel aber 
nur undeutlich wahrnehmen konnte. Wiederum wurde eine 2'/•> cm 
lange Stecknadel ohne Kopf extrahirt. 

„Jetzt, meine Herren, — prognosticirte ich von Neuem — 
wird in drei Tagen eine dritte Nadel an der Aussenseite der linken 
Wade erscheinen!“ 

Und pünktlich ging meine Prophezeiung zur bestimmten Zeit 
und an der bezeichneten Stelle in Erfüllung. 

Am nächsten Tage stellte ich die Kranke den Zuhörern meiner 
klinischen Vorlesung vor: M. H., hier ist eine interessante Kranke, 
bei der in bestimmten Terminen Nadeln aus dem Körper hervor¬ 
wachsen. Wahrscheinlich formireu sich die im Blute vorhandenen 
Eisentbeilchen zu solchen spitzen Nadeln. Ausserdem zeichnet sich 
die Kranke durch einen hohen Grad von Anästhesie aus, so dass 
die nötbige Operation von ihr gar nicht empfunden wird.“ Die 
Zuhörer sahen mich zuerst höchst verwundert über diese Erklärung 
an, merkten jedoch bald meine Absicht, die Kranke in ihrer Simu¬ 
lation noch sicherer zu machen. „Bei solchen Kranken erscheinen 
die Nadeln, fuhr ich fort — von denen ich Ihnen zwei vorzeige — 
immer in bestimmten Perioden von Neuem; bei unserer Patientin 
wird dies wie das letzte Mal wieder’ iu 3 Tagen geschehen.“ 
Natürlich ging auch diesmal meine Vorhersage vollständig in Er¬ 
füllung. Die Nadel wurde wiederum exstirpirt. Darauf stellte' ich 
die Kranke zum letzten Male iu der Klinik vor, zeigte das jüngste 
corpus delicti und sagte mit strengem Tone zur Kranken, sie zu¬ 
gleich scharf ansehend und mit erhobenem Finger drohend: „Nun 
genug des grausamen Spiels! Ihr Betrug ist durchschaut! fortan darf 
keine Nadel mehr erscheinen, sonst —“. 

Seitdem wurde auch keine Nadel mehr aufgefuuden. 

HX Ein Fall von spontaner symmetrischer 

Gangrän. 

Von Kreiswandarzt Dr. Steiner in Rosenberg O./S. 

Folgenden, im hiesigen Kreiskrankenhause beobachteten Fall 
erlaube ich mir der Oeffentlichkeit zu übergeben, da er in das Ge¬ 
biet der „seltensten, merkwürdigsten Neurosen“, die noch der Auf¬ 
klärung bedürfen: der symmetrischen Gangrän gehört und dadurch 
dem Leser einiges Interesse abzugewinnen geeignet sein dürfte. 

Julie Pr. aus B., 17 Jahre alt, hat im 16. Lebensjahre erst zu roen- 
struiren begonnen. Die Menstruation dauerte stets nur einen Tag. verlief 
in spärlicher Weise ohne Schmerzen; im letzten Jahre war sie noch dürftiger, 
„kaum der Rede werth“. Von Krankheiten erinnert sie sich nicht, nennens- 
wertbe erlitten zu haben, bis sie am 17. März a. p. aus der Untersuchungs¬ 
haft, in die sie wegen Veidachtes der Brandstiftung gerathen war, in’s dies¬ 
seitige Krankenhaus geschafft wurde, um von der schweren Dysthymie in 
Folge der durch jene Beschuldigung hervorgerufenen heftigen Gemüths- 
erregungen, die ihr Schlaf, Appetit raubten und sie der Verzweiflung nahe 
brachten, befreit zu werden. — Geheilt und in ihrer Ehre restituirt in ihre 
Heimath entlassen, stellte sie sich wieder in demselben am 10. Deceraber 
ein, nachdem sie in der vorangegangenen Nacht mit dem Gefühl des Krib- 
belns in den Fingern der rechten Hand, heftigen Schmerzen an dieser und 
der betreffenden Extremität, welche stark anschwoll, erkrankt war. 

Der Status praes. zeigte das Dorsum der rechten Hand geschwollen, 
die mittlere Partie desselben, zwischen 2. und 5. Metacarpalknochen, weiss¬ 
grau und grauschwärzlich gefärbt, von pergamentenem Aussehen; die nächste 
Umgebung ist geröthet. Am nächsten Tage schon ist die Schwellung völlig 
geschwunden, und sehr bald bildete sich um jene veränderte Hautpartie 
eine rosenrothe, zickzackförmig verlaufende Demarcationslinie. Nach 14 
Tagen war der grösste Theil der gangränösen Cutis durch Eiterung mit 
Zurücklassung einer reinen Granulationsfläche eliminirt. Ohne die Heilung 
derselben abzuwarten, verliess Patientin zu den Weihnachtsfeiertagen das 
Krankenhaus, um jedoch schon am 31. ejusd. in. zurückzukehren, weil das¬ 
selbe Leiden sich am rechten Vorderarme abzuspielen drohte, was sie an 
den gleichen Erscheinungen wie früher bemerkte. 

Die Dorsalfläche der rechten Hand wies nun eine gute, zarte Vernar¬ 
bung auf; dagegen trat thatsüchlich tfie oben beschriebene Hautveränderuug 
fast an der ganzen Beugefläche des rechten Vorderarmes auf, indem nur 
nach dem Ellbogengelenke zu eine circa 4 qcm grosse Hautfläcbe freiblieb, 
in der Nähe des Handgelenkes ragte zungenförmig eine 7 cm lange und 
5 cm breite Fortsetzung jener llautmetnmorphose auf die Streckseite hinüber. 
.Vacb ferneren 2 Tagen, nachdem Patientin den Abend zuvor der Kranken- 
xbwester gegenüber über Schmerzen am linken Arme .geklagt hatte, ohne 
dass diene eine Veränderung an diesem bemerken konnte, wurde der linke 
Vorderarm an seiner Streckfläche Sitz der gleichen Veränderung in der Aus¬ 


65 


dehnung von 13 cm, in welcher die Haut ein zum Theil grauschwarzes, 
zum Theil braungelbes, bernsteinfarbenes Aussehen erhielt und sich eben¬ 
falls mit einer hellrothen Begrenzungslinie umgab. 

Der Verlauf gestaltete sich fieberlos, nur am 6. Januar kam es bei 
Beginn der Exfoliation durch Eiterung zu einer massigen Temperatursteige- 
j rung (39° C), die bei der Extensität der reactiven Entzündung leicht er¬ 
klärlich ist. — Die Patientin ist eine Blondine, klein, grazil gebaut, ziem¬ 
lich gut genährt, das Gesicht erscheint voll, aber blass, mit zahlreichen 
Epheliden besetzt; die sichtbaren Schleimhäute sind nicht auffallend blass- 
roth; an den nicht erweiterten Halsgefässen kein „bruit de diable“ hörbar. 
Die Lungen vollkommen frei, Herztöne rein, ohne accidentelle, blasende 
Geräusche, die Herzdärapfung nicht vergrössert, nur in Folge der leichten 
Erregbarkeit der Patientin wurde bei der ersten Untersuchung eine llerz- 
hypertrophie mit nach links und unten verbreitertem Herzstoss vorgetäuscht, 
der stark hebend eine Mitbewegung der gut entwickelten Mamma bewirkte. 
Der Puls war dabei 118 in der Minute, sonst 90—80, regelmässig, aber 
mit kleiner Welle. Die Milz nicht vergrössert. Die Fingerspitzen sind kalt, 
und ebenso klagte sie über das stete Gefühl der Kälte an den Füssen, „die 
sie nicht erwärmen kann“ schon seit Wochen vor der Erkrankung. Die 
Sensibilität an allen Stellen erhalten. Die mikroskopische Untersuchung des 
Blutes ergiebt keine Vermehrung der farblosen Blutkörperchen, dagegen 
erscheinen die rothen (bei 480 facher lin. Vergrößerung mit Hart na ck 
System 7, Ocular 4) kleiner und blasser als gewöhnlich. Die Urinunter¬ 
suchung deutet in nur leichter Trübung beim Kochen mit NO 3 H spuren¬ 
weise Eiweiss, jedoch keinen Zucker an. 

Anamnestisch bleibt noch besonders hervorzuheben, dass ihre Mutter 
im Alter von 44 Jahren einem langen Siechthum erlag, nachdem sie viel 
an Kopfschmerzen, Athemnoth, Herzklopfen, Husten mit starkem Auswurf, 
zuletzt Ascites und Abmagerung gelitten hatte, so dass ein chronisches Herz¬ 
leiden, eventuell Tuberculose die causa mortis bilden mochte. Als unsere 
Patientin zum ersten Male aus dem Krankenhause entlassen wurde, musste 
sie bald die Pflege ihrer 7 Wochen hindurch bettlägerigen Mutter bis zu 
deren Tode übernehmen, dazu das Hauswesen unter kümmerlichen Ver¬ 
hältnissen leiten, für ihre vierjährige Schwester sorgen, ausserdem wurde 
sie nicht der peinigenden Erinnerung an ihre Haft ledig. Ihr Vater, wie 
2 Brüder, sind gesund. 

Der Schlaf war während der Dauer der Krankheit meist kurz, durch" 
die mit jenen verbundenen heftigen Schmerzen an den afficirten Stellen 
häufig unterbrochen. 

Die gangränöse Hautdecke wurde durch eine mehrere Millimeter tief 
sich erstreckende Demarcationsfurche scharf abgegrenzt und durch lebhafte 
Suppuration successiv abgestossen, so dass am 24. Januar nur noch ein 
I handtellergrosses Stück vorhanden, am 27. auch diese noch restirende Partie 
vollends von der Matrix losgelöst war, und nun nur gut granulirende Wund¬ 
flächen frei zu Tage lagen. 

Die Stimmung der Patientin hatte sich entschieden gehoben, das Aus¬ 
sehen derselben hatte eine Veränderung erfahren. 

Die Menstruation trat am 22. nach regelmässigem Intervall in so 
reichem Maasse, „wie nie zuvor“ ein, und dauerte vier Tage. Boi ihrer 
gewünschten Entlassung am 3. Februar fühlt Patientin sich sehr wohl, doch 
sind die sichtbaren Schleimhäute sehr blass, die Defeete in fortschreitender 
Vernarbung begriffen. 

Die wiederholte Mikroskopie des Blutes liess vorübergehend (am 
12. Jauuar) eine deutliche Vermehrung der weissen Blutkörperchen er- 
keunen, indem sich im Gesichtsfelde an den einzelnen Stellen des Objectes 
10—15 derselben einstellten; doch erstreckte sich am 27. dieser abnorme 
Befund nur noch auf ca. 6, und am 8. März (bei der letzten Vorstellung, 
bei der das subjective und objective Befinden ein gutes war, wenn auch die 
Wunden noch suppurirten) war er völlig der Norm gewichen. 

Dass die Therapie in tonisirender und roborirender Medication (Chinin, 
Eisen, Wein) und dementsprechender Diät bestand, ist selbstverständlich. 

Lassen wir die für die Pathogenese der Gangrän im Allgemeinen 
wichtigen Einflüsse Revue passiren, so zähleu dahin (Billroth’s 
Allgemeine Pathol. und Therap. 1880, p. 367 u. ff.) 1. Die Einwir¬ 
kung von Hitze und Kälte, ätzender Säuren und Alkalien; 2. Con- 
tinuirlicher Druck bei herabgesetzter Herzthätigkeit (Decubitus); 
3. Thrombenbildung, autochthone (bei Gangraeua senilis), embo- 
lische (bei Endocarditis); 4. Sehr hochgradige dauernde Anaemie 
mit enormer consecutiver Contraction der Arterien; 5. Secale 
cornutum; und 6. Gewisse krankhafte Blutqualitäten, wohin die Gan¬ 
grän nach Typhusinterraittens, exanthematischen Fiebern, Diabetes 
mellitus, Morb. Brigthii zu rechneu ist. Von all’ diesen Momenten 
trifft keiner auf unsere Patientin zu, besonders noch wurde der 
Genuss mutterkornhaltigen Brotes entschieden geleugnet. Wir haben 
es vielmehr mit einer hereditär belasteten, durch psychische Affecte 
stark mitgenommenen, leicht erregbaren, zarten, jedoch dem Aus¬ 
sehen nach nicht hochgradig anämischen jungen Person, die wolil- 
disponirt zu Erkrankungen des Nervensystems erscheint, zu thun. 
Dahin gehört die zuletzt von Raynaud (1862) genauer beschriebene 
seltene Krankheitsform: „Asphyxie locale et gangreue symmetrique 
des extremites“. Die von jenem für diese Erkrankung angegebenen 
praedisponirenden Momente stimmen mit denen für unseren Fall 
fast in toto überein, so was Geschlecht, Alter, Constitution, Erb¬ 
lichkeit, Jahreszeit (Winter) anbelangt, ebenso die gelegentliche Ur¬ 
sache: moralische Erregung. Besonders wird die Anaemie, Chlorose, 
verantwortlich gemacht, indem diese das Nervensystem in erhöhte 
Erregbarkeit zu versetzen im Stande ist, wodurch wiederum ein 
fruchtbarer Boden für Neurosen geschaffen wird (Lauers Disserta- 


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66 

tiou ia Strassburg über Asphyxie locale etc.)- Dieser fand in dem 
einen daselbst erwähnten Falle „ausnehmend grosse Mengen Uro¬ 
bilin in Urin und Faeces, unstreitig das Product eiuer gesteigerten 
Blutkörperchen Zerstörung“. Diesem Befunde dürfte die erwähnte 
Vermehrung der weissen Blutkörperchen in unserem Falle als Aus¬ 
druck des Unterganges von rothen Blutkörperchen entsprechen, ohne 
dass wir uns jedoch über die Grundursache Rechenschaft geben 
könnten. 

Leider war es uns nicht vergönnt, den Beginn der Erkrankung, 
den Gefässkrampf. die dadurch entstandene Asphyxie locale zu be¬ 
obachten — genügt doch schon bei vorhandener „Opportunität zur 
Necrose“ ein kurz andauernder und wenig intensiver Arterien¬ 
krampf, um zu einem Absterben der Zellen zu führeü —; doch ist 
er sicher nach den Angaben der Patientin vorauszusetzen. 

Während in deu veröffentlichten Fällen von symmetrischer 
Gangrän in überwiegender Mehrzahl nur die Endphalangen der 
Finger und Zehen und selten andere Stellen (Gesicht, Ohrmuschel, 
Nates, Kreuz, Schamlippen) in Gestalt von „Stecknadelknopf- bis 
linsengrossen pergamentenen Flecken, oder als erbsen- bis bohnen¬ 
grosse mit sauguinolentem Serum gefüllte Blasen, nach deren Ber- 
stung die excoriirten Stellen eintrockneu uud ein schwarzes Aus¬ 
sehen bekommen“ (Weiss in Wiener Klinik 1882, No. 10 und 11 
über symmetrische Gangrän p. 670) betroffen werden, ist unser 
Fall durch eiue auffällige Extensität an beiden Vorderarmen ausge¬ 
zeichnet, bei welchem die Gangrän trotzdem nicht iu die Tiefe 
greift und zu einem Verlust der Extremitäten führt, sondern sich 
nur auf die Cutis beschränkt. Bei der symmetrischen Erscheinung 
der Ernährungsstörung, dem Ausschluss peripherer Nervenerkrankung 
werden wir uns der Anschauung Raynaud’s anschliessen, der als 
Grund dieser Erkrankung eine spastische Contraction der kleineren 
Blutgefässe viudicirt, hervorgerufen durch abnorme Gefässinnervation 
von den Gefässnervencentren im Rückenmark aus. 

Auch Weiss (1. c. 391 und 392) gelangt in einem höchst 
complicirten Falle von symmetrischer Gangrän, indem er die Frage 
des specifisch trophischeu Nerveneiuflusses, der ein „unabweisbares 
klinisches Postulat zu seiu scheint“, offen lässt, zu dem Raisonne- 
ment: 

„Bei Krauken, welche mit dieser Neurose belastet sind, wird 
das vasomotorische Centrum entweder auf reflectorischern Wege, 
oder durch psychische Emotionen, oder automatisch durch 
uns unbekannte Einflüsse sehr leicht in einen Zustand von Hypertonie 
versetzt, die natürliche Folge muss eine excessive Erregung der 
'Vasomotoren sein, die ihrerseits durch mehr oder weniger ausge¬ 
breiteten Gefässkrampf ihren Ausdruck findet. Von der physiolo¬ 
gischen Dignität der Theile, in welchen sich der Angiospasmus ab¬ 
spielt, werden nun die weiteren Erscheinungen abhängen. 

. . . Bei spastischer Ischaemie der mit der Haut in funetioneller 
Beziehung stehenden Abschnitte der Hintersäulen, Nutritious- 
störungen der Haut und der epidermoidalen Gebilde in Erscheinung 
treten“. __ 

IV. Croup der Nasenschleimhaut. 1 ) 

Von Maximilian Hresgen in Frankfurt a./Main. 

In No. 29 d. W. hat A. Hartmann die Aufmerksamkeit auf 
eine von ihm als Croup der Nasenschleimhaut bezeichnete Erkrankung 
gelenkt. Nach ihm führt dieselbe, ausser zu einem fieberhaften All- 
gemeiuzustande, nur zu den durch Verstopfung der Nase bedingten 
Erscheinungen und hat nicht die Neigung, nach den unteren Theilen 
der Athmungswege sich fortzupflanzen. Der Croup der Nasenschleim¬ 
haut scheide gerade so wie die croupöse Laryngitis auf der Schleim¬ 
haut eiu fibrinöses, weissgelbliches Exsudat in der Form häutiger Ge¬ 
rinnungen aus; dieses Exsudat sitze der Schleimhaut lose auf, bilde 
sich leicht und öfter wieder und hinterlasse weder Substanzverluste 
noch Narbeu. Hartraann hat sechs solcher Fälle bei Kindern im 
Alter von 3—9 Jahren beobachtet; in allen Fällen handelte es sich 
urn sporadisches Auftreten der Erkrankung; eine bestimmte Ursache 
war nicht nachzuweisen; nur in einem Falle war vor 10 Tagen eine 
Ausschabung der Rachentonsille vom Munde aus geschehen, und 
in einem anderen Falle waren die Maseru eben Überstunden. 

Ich bin nun nicht in der Lage, ganz gleiche Beobachtungen 
mitzutheilen, und, deshalb wäre die von mir gewählte Ueberschrift 
vielleicht anzugreifen. Allein die Erkrankung, auf welche ich hin- 
"weisen möchte uud die gewiss vielfach schon beobachtet ist, hat 
sehr grosse Aehnlichkeit mit der von Hartmann beschriebenen. 
Ich habe zuweilen, besonders im Winter oder bei plötzlichem Witte¬ 
rungswechsel, Gelegenheit gehabt, zu bemerkeu — und ich glaube 

*) Inzwischen in der Section für Rhinologie und Laryngologic der 
Naturforscher - Versammlung in Wiesbaden vorgetragen. Vgl. Tageblatt 
S. 338. — Ueber den gleichen Gegenstand hat in ähnlicher Weise unter¬ 
dessen auch Seifert in der Münchener medic. Wochenschrift 1887 No 38 
sich ausgesprochen. 


No. 4 

der gleichen Angabe auch bereits iu der Literatur irgendwo begegnet 
zu seiu —, wie nach Entfernung von mit dem Galvanokauter er¬ 
zeugten sog. Brandschorfen sehr rasch und wiederholt jene weiss¬ 
gelben Groupmembranen an der gebrannten Stelle und iu deren Um¬ 
gebung sich bilden (Vergl. auch meinen Artikel „Nasenkrankheiten“ 
in Eulenburg's Real-Encyklopädie der gesummten Medicin. Zweite 
Auflage). Der durch den Galvanokauter gesetzte Brandschorf lockert 
sich in der Regel am sechsten Tage soweit, dass er mit der Nasen¬ 
sonde meist leicht und ohne erhebliche Blutung abgestreift werden 
kann. Wenn der betreffende Kranke um diese Zeit einen frischen 
Schnupfen sich zuzieht, so bildet sich an der Brandstelle sofort eine 
neue Speckhaut, die im Gegensätze zum entfernten Brandschorf sehr 
locker aufsitzt und bereits am anderen Tage wieder entfernt werden 
kann, aber nach ihrer Beseitigung wiederholt sich wieder bildet. 
Während man bei normalem Verlaufe darauf rechnen kann, «lass in 
ungefähr 12 Tagen die gesetzte Brandwunde wieder verheilt ist, 
dauert die Abheilung in den Fällen, in welchen die Croupmembranen 
sich immer-wieder bilden, zwischen 3 und 4 Wochen. Ein ähn¬ 
liches Verhalten habe ich auch nach Anwendung der Galvanokaustik 
in der Rachenhöhle beobachtet, wo, nachdem der Brandschorf von 
selbst sich abgestosseu, unter allgemeinem Unbehagen, Fiebererschei- 
uungen und erneuten Schlingbeschwerden neue Pseudomembranen 
sich bildeten. Die Allgemeinerseheinungeu fehlen auch bei der 
gleichen Nasenerkrankuug nicht, die sich ebenso wie in den Hart¬ 
man irischen Fällen noch dadurch auszeichnet, dass eine hochgradige 
Verschwellung der Nase eintritt, die durch ihre Dauerhaftigkeit die 
Kranken iu hohem Grade belästigt. Ich pflege nach Entfernung 
der Pseudomembranen die Wundfläche mit Jodglycerin einzureibeu; 
ich glaube beobachtet zu haben, dass hierdurch die Erkrankung 
rascher verläuft. Die Beseitigung der Haute bewirke ich unter vor¬ 
heriger Cocamisirung der Schleimhaut, um diese etwas abschwelleu 
zu machen, mit einer silbernen Nasensonde. 

Ob wir in den bezeichneten Fällen einen wirklichen Croup der 
Nasenschleimhaut vor uns haben, wage ich nicht zu entscheiden: 
die Membranen haben allerdings ganz die Eigenschaften einer Croup¬ 
membran. Der Zweck dieser Zeilen ist nur der, auf die geschil¬ 
derten Vorkommnisse weitere Kreise aufmerksam zu machen und 
dadurch Anlass zu ferneren Beobachtungen zu geben. 

V. Ein einfacher Apparat zur Behandlung 
des Genu valgum bei Kindern. 

Von Dr. Alfred Bidder in Berlin. 

Trotz der Fortschritte und der relativen Ungefährlichkeit der 
Osteotomieen, welche die neuere Aera der Chirurgie aufzuweisen 
hat, wird man aus hier nicht weiter zu erörternden Gründen doch 
für alle Zeit bestrebt, sein müssen, die durch das Genu valgum ver¬ 
ursachte Verkrümmung des Beines, namentlich bei Kindern, auf 
unblutigem Wege zu beseitigen, d. h. mit Hülfe orthopädischer 
Apparate. — Die bisher zur Correction des Genu valgum ange- 
gegebenen Apparate beruhen alle auf dem durchaus richtigen Prin¬ 
cipe, durch einen an der Innenseite des Kniees angreifenden Zug 
das Knie nach aussen zu drücken bei gleichzeitiger Fixation des 
Ober- und Uutersehenkels. Dadurch soll die laterale Hälfte des 
Femur und der Tibia entlastet und (vielleicht durch die Spannung 
der Ligamenta lateralia unterstützt) hier verstärktes Längenwachs¬ 
thum der Knochen an den Diaphysengrenzen angeregt werden, wäh¬ 
rend gleichzeitig die medialen Hälften eomprimirt und die Condyli 
interni gegeneinander gepresst sind und hier das Längenwachsthum 
der Knochen behindert wird. Diese den abnormen statischen Ver¬ 
hältnissen bei Geuu valgum entgegenwirkende Druckdifferenz soll 
während des fortschreitenden Wachsthums des kindlichen Körpers 
zur Ausgleichung der Difformitüt führen. 

Schon die grosse Reihe der zu diesem Zwecke construirten 
Vorrichtungen dürfte wohl als Beweis dafür dienen, dass man einen 
einfachen uud wirklich praktischen Apparat noch nicht gefunden 
hat. Die gebräuchlichsteu bestehen bekanntlich aus einer Eisen¬ 
stange. welche leicht bogenförmig gekrümmt au der äusseren Seite 
des Beines verläuft, oben mit einem Beckengürtel articulirt und 
unten in den Stiefel eingelassen ist. An diese Stange nun wird 
das Knie durch eine Kappe herangezogen. Diese Apparate haben 
folgende Nachtheile: Erstens können sie trotz des Beckengürtels 
obeu nicht genügend fixirt werden, zweitens passt die Eisenstange 
sich nicht dem Wachsthum der Extremität an. drittens entsteht fast, 
immer, wenn die Kappe angezogen wird, Flexionsstellung im 
Knie, wodurch eine Correction des Genu valgum wohl vorge¬ 
täuscht wird, aber die eigentlich gewollte Wirkuug des Apparates 
illusorisch ist; endlich kosten solche Schienenapparate viel, und 
umsomehr, als sie sehr häufig zerbrechen uud daher reparirt 
werden müssen. Ob der neuerdings von Tuppert 1 ) angegebene 

*) Bavr. ärztliches Intelligenzblatt, 32. Jahrg. 1885. p. 33. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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2(>. Jauuar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


(»7 


Apparat, hei tiem allerdings der Beckengiirtel wegfällt, welcher 
aber im \S esentliclien mit dem oben genannten Apparate übercin- 
stimnit. diese Neigung zur Flexion hindern kann, weiss ich nicht, 

, .‘ , n nur aus der Beschreibung und Abbildung kenne. Wahr¬ 
scheinlich erscheint es nicht. Wenn trotzdem mit diesen und an¬ 
deren Apparaten erfreuliche Resultate erzielt werden, so ersieht 
man daraus nur. dass auch mit nicht ganz entsprechenden Mitteln 
uoch '»Utes geleistet werden kann. 

Ich will diese verschiedenen Apparate, die sich in den Hand¬ 
büchern der Chirurgie und in den Katalogen der Instrumenten¬ 
macher finden, an diesem Orte nicht weiter kritisiren, auch nicht 
auf die Anwendung des GypsVerbundes und der mittleren Schiene, 
an welche beide Beine für die Nacht angebunden werden etc., ein- 
gehen. und ebensowenig die gute Wirkung des Tragens von ganz 
kleinen Kindern auf dem rechten Arme zurnckkomnien, falls das 
Genu valgum durch beständiges einseitiges Tragen auf dem linken 
Arme der Wärterin entstanden war. 1 ) Dagegen möchte ich einen 
von mir eonstruirteu Apparat kurz beschreiben und empfehlen, 
welcher die oben berührten Mängel nicht hat und sehr energisch 
wirkt. Er ist so einfach, dass ich mich nur wundern muss, dass 
er — so viel ich weiss — nicht schon längst erfunden worden ist. 

Eine Halbrinne aus Eisenblech 
(s. Holzschnitt I») wird an die äussere 
Fläche der unteren Hälfte des Ober¬ 
schenkels gelegt, eine zweite Halb¬ 
rinne an die äussere Fläche der oberen 
Hälfte des Unterschenkels (a). In der 
Mitte ihrer convexen Flächen sind sie 
durch einen kräftigen Eisenbügel, eine 
breite, etwas bogenförmig von einer 
Halbrinne zur anderen verlaufende 
Eisenstange (c), verbunden und zwar 
durch zwei Charniere in der Weise 
beweglich, dass die Rinnen nur in 
der Frontalebene mobil sind. Ge¬ 
rade diese Art der Beweglichkeit der 
Hinnen ermöglicht, dass sie bei der 
l*eal»si< htigten Vergrößerung des Win¬ 
kel» zwischen Ober- und Unterschenkel 
stets gleich massig angeschmiegt bleiben 
mul gleichzeitig jede Flexion im 
Kniegelenk hindern. Das Kniegelenk 
selbst aber wird durch eine gepolsterte, seiner Innenfläche anliegende 
Lederkappe (d) dadurch kräftig und gleichmässig nach aussen ge¬ 
zogen. dass man die vier (auch zwei würden ausreichen) von den 
Ecken der Kappe ausgehenden, mit Gummizügen versehenen Riemen 
an den Eisenbügel von vorn und hinten her ankniipft. Ein Blick 
auf die beistehende Zeichnung dürfte das schneller erklären als jede 
Beschreibung. Der Apparat wirkt in ähnlicher Weise, als wenn 
man sich bestrebt, mit Händekraft das Genu valgum zu strecken, 
nachdem mau Ober- und Unterschenkel von innen her mit den 
Händen gefasst hat unter Anstemmung beider Daumen an die 
inneren Uondylen. 

Ist der Apparat richtig und fest appliciit, so ist eine Flexion 
im Kniegelenk unmöglich, obgleich jegliche circulare Umfassung der 
Extremität ausgeschlossen ist. Gerade deswegen ist aber die re- 
dressirende Wirkung des Apparates eine besonders energische. 

Man kann auch die Halbrinnen, wenn nöthig, polstern lassen 
und das Ganze — Bein und Apparat — mit einer Flanellbinde um¬ 
wickeln. um bei sehr lebhaften Kindern etwaige Verschiebung des 
Apparates zu erschweren. 

Dieser Apparat ist billig und sehr dauerhaft und hat den wei¬ 
teren Vortheil. dass er durch Vermehrung oder Verminderung der 
Uouvexität der Halbrinnen, was man selbst mit seiner Händekraft 
Wsorgeu kann, verschiedenen Körpergrössen angepasst zu weiden 
vermag, wenn sie nicht zu weit von einander verschieden sind. — 
Ich habe den Apparat nur am Tage tragen, ihn aber während der 
nächtlichen Bettruhe entfernen lassen, um den Kindern wenigstens 
in dioer Zeit die freie Beweglichkeit der Kniegelenke zu ermög¬ 
lichen. 

Weit schneller würde man natürlich zum Ziele kommen, wenn 
man den Apparat auch Nachts über liegen lassen wollte. Doch 
wiegt diese Beschleunigung wohl kaum das mehr oder weniger 
Qualvolle des Einspannetis der Beine während des Schlafes, abge¬ 
sehen von anderen Missstanden, auf. Auf Apparate aber, welche 
Bewegungen im Kniegelenke gestatten, müssen wir. wie ich glaube, 
Dei Genu valgum verzichten, da nur bei unbeweglich gestreckt ge¬ 
haltenem Beine eine constante. zuverlässige, gerade richtende Kraft 
wirken kann. 

Der geschilderte Apparat wird nach meinen Angaben vom Iu- 

') Vergl. Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 1882. 



struinentemnacher Detert (Berlin W., Französische Str. 53) für ein 
Billiges angefertigt. 

VI. Aus dem thier-physiologischen Laboratorium der land- 
> wirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. 

Ueber conträre Wirkung Fieber erregender 
und Fieber hemmender Mittel. 

Von Dr. Ed. Aronsohn in Berlin. 

(Schluss aus No. 3.) 

Bei einem von Herrlich 1 ) auf der II. medicinischen Klinik 
des Herrn Prof. Leyden lange Zeit und mit grosser Sorgfalt beob¬ 
achteten Falle handelte es sich um eine sehr anämische Malaria¬ 
kranke. die am 21. Juli Abends 8 Uhr 0.5 Chinin, sulf. nahm, 
ln der Nacht: Schüttelfrost, Hitze und alle Erscheinungen eines 
typischen Intermittensanfalles. Am nächsten Morgen 39,0. Mittags 
39,7, Abends 38.8, das Fieber hielt 24 Stunden an. — 30. Juli 
Abends 8 Uhr Ord. Chinin, sulf. 0,75. In der folgenden Nacht 
gegen 12 Uhr Schüttelfrost, Temperatur 40,0; am nächsten Morgen 
ist das Fieber noch ebenso hoch, sinkt langsam bis Abends auf 
38,0. am dritten Tage Morgens noch 38,2°. Ord. Chin. sulf. 0,5: 
Erneutes Ansteigen des Fiebers im Laufe des Tages und der Nacht 
auf 39,3, dann schnelle Defervescenz bis zum nächsten Mittag. — 
Fortgesetzte Versuche ergaben dasselbe Resultat. 

Erb-) hatte einem Rheumatiker in 8 Tagen 36 g Salicylsäure 
in Dosen von 0,5 g gegeben, ohne Nebenerscheinungen gesehen zu 
haben. Nach einer Pause von 2 Tagen wurde das Mittel wieder 
gereicht, und schon am 1. Tage nach Verbrauch von 6,5 g überfiel 
den Patienten ein diffuses Erythem mit Schüttelfrost und zweitägi¬ 
ger Temperaturerhöhung bis auf 40,2°. Später riefen Gaben von 
1,5 und 1.0 und auch das Natr. salicyl. denselben Effect hervor. 

Laach e 3 ) gab eiuem Phthisiker wegen »lässigen, aber lang- 
dauernden Fiebers vom 7. August 1885 10 Tage lang 2—5 g 
Antipyriu pro die; dann wurde das Medicament ausgesetzt und 
am 30. August wieder 2 Pulver ä 1 g gereicht. Eine halbe Stunde 
darauf stellte sich Schüttelfrost von 2 Stunden Dauer ein und 
Frösteln den ganzen Tag über; die Temperatur stieg von 38,2 in 
der Frühe, schon um 11 Uhr Vormittags bis auf 40,3 und stieg 
wieder Abends auf 40,7. Am anderen Tage Temperatur 39,2 und 
weiterer Abfall bis auf 37.5 ; am folgenden Morgen 36,2. 

Bernouilli 4 ) beobachtete folgenden Temperaturverlauf nach 
jedesmaligem, innerlichem Gebrauch von Antipyrin: 

13 Januar 10 Uhr 10 Min. 37,4° 

Darreichung von 1 g Antipyrin 

11 Uhr.38,8° 

12 . .40,8° 

2 ..40.2° 

4 .40,0° 

5 .39,0° 

14. Januar Morgens.38.2" 

Bei dem so übereinstimmenden Verhalten der Tcmperaturcurven 

des Chinin-. Salicyl- und Antipyrin-Fiebers mit dem experimentell 
durch pyrogene Methoden erzeugten Fieber ist der Schluss berech¬ 
tigt. dass Chinin, Salicyl und Antipyrin in dem betreffenden Falle 
auf dieselben thermogenen Apparate eingewirkt haben, welche 
wir in den Thierversuchen den so charakteristischen Fiebertypus 
hervorbringen sahen. Wenn wir also für die beschriebenen para¬ 
doxen Erscheinungen nach einer Erklärung suchen wollten, so 
müssen wir das Verhalten und die Wirkungsweise der wärmeregu- 
latorischen Apparate in normalen und pathologischen Verhältnissen 
näher iu Betracht ziehen. Denn dariu sind alle genannten Beob¬ 
achter einig, dass an ein verändertes Verhalten der eiugeführten 
Substanzen, also des Chinins, Salicyls und Antipyrins, nicht zu 
denken sei, und dass man vielmehr nur Idiosynkrasie der Individuen 
in den betreffenden Fällen annelimen müsse. Wie aber und iu 
wiefern die Idiosynkrasie der Individuen zu Stande kommt, wissen 
diese Autoren nicht anzugeben; nur Herrlich, Fraeukel, Erb 
und Leichtenstern gehen näher auf die Ursachen der auffallenden 
Erscheinungen ein. 

Nach Herrlich kommt der Fieberanfall dadurch zu Staude, 
dass das Chinin bei seiner auf die Milz zielenden Angriffsrichtung 
gegen die feindlichen Malariakeime diese unter gewissen Umständen, 
Idiosynkrasie, in explosiver, turbulenter Weise in Bewegung setze, 
sie aufrüttele, mobilisirc und in die Blutbahu bringe. 

Fraeukel'’) erschien die abnorme Tempera tu rsteigerung in Zu¬ 
sammenhang mit dem Exanthem zu stehen, und die Localaffection 

*) Herrlich, Charite Annalen 1883, X, p. 232. 

4J ) Erb, Berliner klinische Wochenschrift 1S84, No. 29. 

3 ) Laache, Centralblatt für klinische Medicin 1886, No. 32. 

4 ) Bernouilli, Correspondenzblatt für Schweizer Aerzto 1887, No. 12. 

5 ) A. Fraenkcl, Deutsche medic. Wochenschrift 1886, No. 44. 


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68 


DEUTSCHE MEDIC1NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4 


das Wesentlichste an der ganzen Erscheinung zu sein, welche erst 
secundär die Temperatursteigerung zur Folge hat. Wie aber der 
Zusammenhang zwischen beiden zu erklären ist, vermag auch 
Fraenkel nicht zu sagen und er denkt, dass das Mittel einfach die 
Disposition zu einer Erkrankung der Haut setze, und dass auch hier 
in letzter Instanz die Einwanderung von Mikroorganismen für die 
Localaffection sowohl wie für das Fieber verantwortlich zu machen 
sei. Jedoch konnten im Gewebssaft der papulösen Efflorescenzen 
keine Mikroorganismen gefunden werden. 

Erb glaubt, dass durch cumulative Wirkung der gereichten 
Salicylpräparate eine Art krankhafter Erregung gewisser Theile des 
Nervensystems, besonders des vasomotorischen Systems, herbei ge¬ 
führt sei, nur sei es schwierig zu entscheiden, ob es sich um Läh¬ 
mung der Vasoconstrictoren oder um Erregung der Vasodilatatoren 
handele. 

Leichtenstern 1 ) endlich sagt, dass, „wenn die normalmässige 
antifebrile Wirkung des Chinins in einem lähmenden Einfluss auf 
das excitocalorische oder in einer starken Erregung des moderiren- 
den Centrums beruht, so würde die conträre Iuitialwirkung des 
Chinins so zu deuten sein, dass in diesen äusserst seltenen Aus¬ 
nahmefällen das Chinin zunächst stark erregend und danach erst 
lähmend auf das excitocalorische System einwirke, während es schwie¬ 
rig erscheint, zuerst eine lähmende und daun erst erregende Wir¬ 
kung auf das moderirende Centrum anzunehmen. Danach würde 
es sich in diesem Falle um eine von der Norm abweichende äus- 
serst seltene Eigenthümliclikeit in der Reactionsweise der wärme- 
regulirenden Centren, um eine Art Idiosynkrasie handeln“. 

Man wird zugeben, dass alle diese Erklärungsversuche noch 
keineswegs eine vollkommen befriedigende Antwort auf die Frage 
nach der Ursache der paradoxen Wirkung geben. Unser Causal- 
trieb fühlt sich ja erst dann befriedigt, wenn wir die wunderbaren 
Dinge auf allgemein bekannte Erfahrungen zurückzuführeu im Stande 
sind. Nach den in den letzten Jahren über die Art des Zustande¬ 
kommens des Fiebers gemachten Erfahrungen erscheint aber die 
Beantwortung der vorliegenden Frage weniger schwierig. Zunächst 
ist zu berücksichtigen, dass übereinstimmend in beiden Fällen so¬ 
wohl bei der paradoxen Wirkung der Fieber erregenden als der 
Fieber hemmenden Mittel es sich immer um Individuen haudelt, 
die sich in einem lange Zeit hinziehenden Fieberstadiura befinden 
und die durch begleitende Kraukheiten in ihrer vitalen Energie ge¬ 
schwächt sind. Diese beiden Momente aber: langdauerndes Fieber 
und Siechthum sind von bedeutendem Einfluss auf die Constanz 
der Körperwärme. 

Unter normalen Verhältnissen bedarf es freilich exorbitanter 
Einflüsse, um eine Aenderung der Körpertemperatur zu erzielen, im 
Fieber aber ist die Temperatur, wie Senator 2 ) betont, eine äusserst 
bewegliche und sie erfahrt auch auf ganz geringfügige Einflüsse hin 
die erheblichsten Schwankungen nach oben oder unten. So verstehen 
wir, dass die Antipyretica die fieberhafte Temperatur energisch 
herabsetzen, die normale aber viel weniger beeinflussen. Hierzu 
kommt noch, dass das Wärmegleichgewicht Kranker, besonders 
Hungernder labiler ist als das Gesunder; 3 ) der Gewichtsverlust 
Fiebernder aber ist ein verhältnissmässig sehr bedeutender. Nach 
Leyden 4 ) beträgt die tägliche Consumption im Fieber 7°joo des 
Körpergewichtes; d. h. halb so viel als bei vollkommenem Hunger; 
es würde eiu einigermaassen beträchtliches Fieber im Staude sein, 
in etwa 8 Wochen einen Menschen von mittlerem Ernährungszustand 
einfach durch den fortdauernden Gewichtsverlust zu Grunde zu 
richten. Bis zu einem solchen Grade der Consumption waren aber 
die beiden Kaninchen No. IV und VIII durch die wiederholten Fieber¬ 
versuche gekommen. Desgleichen finden wir in den meisten Kranken¬ 
geschichten, dass die betreffenden Patienten, welche ja alle an aus¬ 
zehrenden Krankheiten Malaria, Phthise und Gelenkrheumatismus 
litten, mehr oder weniger heruntergekommen waren. Unter der ver¬ 
einten Herrschaft zweier so gefährlicher Factoren kann die Wärme¬ 
regulation, die aus dem harmonischen Zusammenwirken der Organe 
für die Wärmeproduction und Wärmeabgabe resultirt, nicht gut 
bestehen, und auf erneute Reize werden sich diejenigen Organe zu¬ 
erst erschöpft zeigen, welche die grössere Arbeit zu leisten hatten. 
Da nun die Art des Zustandekommens des Fiebers nach Injection 
sterilisirter Heujauche ziemlich genau studirt ist, so können auch 
die Bedingungen der conträren Wirkungen genauer präcisirt werden; 
Lilienfeld 5 ) zeigte nämlich, dass im Fieber nach Heujauche eiue 
Steigerung der Oxydationsprocesse regelmässig vorhanden ist, welche 

*) Leichtenstern, Deutsche raedic. Wochenschrift 1884, No. 52. 

*) Senator, Untersuchungen über den fieberhaften Process. 1873, 
p. 151. 

3 ) Cohnheim, Vorlesungen über allgemeine Pathologie. 1882. 

4 ) Leyden, Deutsches Archiv für klinische Medicin. V. Untersuchungen 
über das Fieber, p. 371. 

5 ) Lilienfeld, Untersuchungen über den Gaswechsel fiebernder Thiere. 
Pflüger’s Archiv, Bd. XXX11. 


Steigerung, wie die Experimente von Zuntz an curari$jrf e n Thieren 
darthaten, auf verstärkte Innervation der quergestreiften Muskulatur 
zu Stande kommt. Es ist ferner bekannt, dass an dem anfänglichen 
raschen Anstieg der Temperatur die veränderte Wärmeabgabe seitens 
der Hautgefässe einen erheblichen Antheil hat. Das ist besonders 
sichtbar an den Ohren der Thiere, welche zu Beginn des Fiebers 
stets blass und kalt erscheinen. — Solche Blässe und Anämie der 
Haut beobachtet man aber bei hochgradig herabgekoramenen Thieren 
ständig; sie produciren eben in Folge ihres schlechten Ernährungs¬ 
zustandes wenig Wärme, und ihr Hauptgefasssystem ist deshalb 
schon in der Norm auf möglichste Verhinderung des Wärmeverlustes 
eingestellt. Bei solchen Thieren aber hat ein neuer das vasomo¬ 
torische Centrura treffender Reiz, z. B. die stcrilisirte Heujauche 
leicht Lähmung des seit lange übermässig thätigen Apparates zur 
i Folge, während das diktatorische Centrum die Oberhand gewinnt, 
der Wärmeverlust durch die Haut steigt, die Körpertemperatur sinkt 
und dies um so mehr, als auch die schlecht genährten Muskeln zu 
immer ausgiebigerer Steigerung der Wärmeproduction wenig geeignet 
erscheinen. 

Für die Erklärung der Fälle von conträrer Wirkung 
antipyretischer Arzneimittel müssen wir der Thatsache 
eingedenk sein, dass auch diese Mittel neben Verminderung der 
Oxydationsprocesse durch Erweiterung der Hautgefässe wirken; 
sie erweitern dieselben, und zwar um so energischer, je mehr sie 
vorher verengt waren; in allen Fällen paradoxer Temperatur¬ 
steigerung war auch in der That die Erweiterung der Haut¬ 
gefässe eine überaus energische und documentirte sich in Form von 
Exanthemen, ausgebreiteten Erythemen und Oedemen. Die Wir¬ 
kung der Antipyretica war also in dieser Beziehung, wenn auch 
eine exorbitante, so doch eine normalmässige; wenn aber trotz er¬ 
weiterter Hautgefässe doch die Temperatur stieg, so ist das wenig¬ 
stens nach meinen Untersuchungen über die Beziehungen des Ge¬ 
hirns zum Fieber nicht anders möglich als durch exorbitante Reizung 
der therraogeuetischen Centralorgane. Die Art des Reizes wird aber 
klar, wenn man mit Erb und Fraenkel die Temperatursteigerung mit 
dem Auftreten des Exanthems in den Capillaren in Verbindung bringt. 
Denn in fast allen beobachteten Fällen manifestirte sich die Alteration 
des Blut- und Lymphgefässsystems zuerst und am auffallendsten. Im 
Er b’schen Falle trat um ‘/all Uhr die Röthung am Körper auf und erst 
um 11 Uhr der Fieberfrost. Das Erythem verbreitet sich ausserdem 
nicht allein über die Haut — oft des gesammten Körpers (Fraenkel), 
sondern auch über die Schleimhäute: Conjunctiva, Nase, Zunge, Rachen 
(Erb). Dass man ferner berechtigt ist, aus gewissen äusseren Symp¬ 
tomen, wie z. B. Ohrensausen, Augenfliramern, Kopfschmerzen etc. 
auf Hyperämie oder sogar Anwesenheit von Blutpünktchen in den 
betreffenden Organen zu schliessen, lehren die daraufhin angestellten 
Experimente von Kirchner. Kirchner 1 ) fand nämlich solche 
Extravasate in Form von kleinen Blutpünktcheu, Ecchymosen und 
Hyperäraieen bei seinen experimentellen Versuchen an Kaninchen, 
Katzen und Hunden nach Einverleibung vou Chinin und Salicylsäure 
sowohl am Trommelfelle als iu der Paukenhöhle, Schnecke und halb- 
zirkelförraigen Canälen und sah in diesem Befund die Ursache des 
nach Gebrauch von Chinin und Salicylsäure auftretenden Ohren¬ 
sausens. Weitere Symptome für Circulationsaudrang in innere Organe 
sind die beobachtete Hämaturie, Albuminurie, Icterus und Oedeme 
an den Gelenken. Durch diese Betrachtung kommt man zu dem 
Schluss, dass auch das in paradoxer Weise entstandene 
Fieber nichts anderes ist, als ein Symptom der durch 
Alteration ihres Gefässsystems gereizten thermogeneti- 
schen Centra. Es liegen nämlich diese am gefässreichsten Gebiete 
des Gehirns, in unmittelbarer Nähe des Plexus choroideus und zwar 
nur an der medialen Seite des Corpus striatum und am Thalamus 
opticus. An keiner Stelle des Gehirns kommt es aber bekanntlich 
so oft zu Alterationen der Gefässe resp. Hämorrhagieen als am Corpus 
striatum, und durch Reizung der medialen Seite des Corpus striatum 
(Innenwand des Seitenventrikels) konnte (Aronsohn und Sachs) 
ein Fieber erzeugt werden, welches dem in Frage stehenden in 
seinem ganzen Verlaufe sehr ähnlich ist. (S. p. 10). Dass mau 
keine anderen Erscheinungen beobachtet hat, welche man auf eine 
Reizung der Centralganglien durch Hämorrhagieen hindeuten konnte, 
ist kein Grund gegen meine Annahme, danach Bernhardt 2 ) durch 
die Untersuchungen von Meynert, Chareot und Flechsig be¬ 
wiesen ist, dass isolirte uud nur auf die Streifenhügel und Linsen¬ 
kern oder auch Sehhügel beschränkte Läsionen gar keine klinisch 
zu diagnosticirenden Ausfallserscheinungen setzen. Die factisch bei 
Läsion dieser Theile in der grossen Mehrzahl aller Fälle zu be¬ 
obachtende Hemiplegie ist, wenn sie audauernd bleibt, auf eiue Mit- 
affection der inneren Kapsel zu beziehen. 

*) Kirchner, Monatsschrift für Ohrenheilkunde. 1883, No. 5. 

*) Bernhardt, Gehirnkrankheiteu, Kulenburg’s Real - Eucyclopädie. 
1886, Bd. VIII. 


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26. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 69 


Demnach vereinigt meine Auffassung über das Zustandekommen : 
der contriiren Wirkung Fieber hemmender Mittel die schon vielfach | 
mit diesen Mitteln am Krankenbett gemachten Erfahrungen mit den 
Ergebnissen der experimentellen Forschungen. Ich bin auch über¬ 
zeugt. dass die Zahl der Beobachtungen von conträrer Wirkung 
antipyretischer Mittel eine viel grössere sein würde, wenn man in 
all den Fallen, in welchen man nach Einnahme des Antipyrcticums ! 
das Auftreten eines Exanthems beobachtet, auch die Körper¬ 
temperaturen genau mit dem Thermometer messeu würde. 

- I 

VH. Feuilleton. 

Leber den poliklinischen Unterricht. 

Peuk>chrifl dein Grossh. Badischen Ministerium der Justiz, des Uuitus und j 
Unterrichts vorgelegt 

von Prof. Dr. Th. von Dusch, 

Dir. der med. Poliklinik an der Universität Heidelberg. 

Durch Erlass Grossh. Ministeriums des Innern vom 28. Mai 1886 
wurde der Vorsitzende der ärztlichen Prüfuugscommission in Heidei- 
In-rs zur Verständigung der Studirenden der Medicin in Kenntniss 
gesetzt, dass hei der Zulassung zur ärztlichen Prüfung auch künftig¬ 
hin. entsprechend der seither in Anwendung gebrachten 1 ) und von 
der Mehrzahl der betheiligten Bundesregierungen getheilten An¬ 
schauung. wonach im Sinne der Vorschrift des § 4, Abs. 4, Ziff. 4 
der Bekanntmachung vom 2. Juni 1883 das Prakticiren an der 
Poliklinik einer Universität der Theilnahme an einer stationären 
Klinik nicht als gleichstehend anzusehen ist, nur die Theil- 
,»allme an einer stationären Klinik als den Vorschriften des § 4. 
Abs. 4. Ziff. 4 der Bekanntmachung vom 3. Juni 1883 genügend 
anerkanut werde. 

Da ich auf Grund des soeben erwähnten Erlasses voraussetzen 
muss, dass in Bezug auf den Werth und die Bedeutung des poli¬ 
klinischen Unterrichts für die Studirenden der Medicin nicht voll¬ 
kommen zutreffende Anschauungen bestehen, so sei es mir gestattet, 
mich hierüber iu Folgendem eingehender auszusprecheu, um so mehr 
als ich glauben darf, mir in meiner Stellung als Pirector der medi- 
«inis«heu Poliklinik in Heidelberg, welcher ich seit mehr als 
30 Jahren vorstehe, ein Urtheil in dieser Sache erworben zu haben. 

Zunächst ist es nöthig. Einiges über die Bedeutung des Wortes 
_Poliklinik* vorauszuschicken. Das Wort „Poliklinik“ bedeutet 
Unterricht am Krankenbette in der Stadt, im Gegensätze zu 
dem Unterricht am Krankenbette im Hospital, der Noso- 
«omialklinik. Unter Poliklinik ist daher ein Institut zu versteheu, 
von welchem aus Kranke, die selbstverständlich den ärmeren Klassen 
angehören, in ihren Wohnungen, d. h. in der Stadt, zu dem Zwecke 
des Unterrichts von Studirenden der Medicin, welche bereits in ihrer 
Ausbildung weiter vorgeschritten sind, unter der (’ontrole des Lehrers 
besucht und ärztlich behandelt werden. An vielen deutschen Hoch¬ 
schulen. so auch hier in Heidelberg, war diese Art des Unterrichts 
am Krankenbette für die Studirenden vor der Einrichtung klinischer 
Hospitäler die allein gebräuchliche. Da mit solchen poliklinischen 
Instituten fast stets auch öffentliche und unentgeltliche Consultatious- 
stnndeu für ambulante Kranke verbunden waren, wie dieses auch 
bei vielen stationären Kliniken der Fall ist. so kam es, dass die 
Bezeichnung „Poliklinik“ auch auf solche Messe Consultations- oder 
Sprechstunden, d. h. auf sogen. Ambulatorien übertragen wurde. 
In manchen, namentlich den grösseren Universitätsstädten giebt, es 
—b-h.- Ambulatorien nicht nur für iunere oder chirurgische Krank¬ 
heiten. sondern auch für eine ganze Anzahl von Spocialitäteu (Augen-, 
Ohren-, Kehlkopfs-, Nerven- und andere. Krankheiten), an welchen, 
wenn sie von Docenten der Universität geleitet werden, auch klini- 
M-her Uuterricbt lür die Studirenden ertheilt wird. Solche Anstalten 
werden aber, wie schon bemerkt wurde, fälschlich Polikliniken ge¬ 
nannt. sie sind nur als klinische Sprechstunden oder Ambulatorien 
zu bezeichnen. 

Die Kranken, welche sich in solchen Ambulatorien vorstellen, 
'in«l aus leicht begreiflichen Gründen zum grossen Theil solche, die 
au leichteren und vorübergehenden Erkrankungen leiden, oder deren 
Krankheit sie wenigstens nicht am Ausgehen oder der Ausübung ihres 
Berufes hindert. Da die Zeit, welche zur Untersuchung solcher 
Kranken, deren sich während einer Consultationsstuude eine grössere 
Anzahl einzustelleu pflegt, verwendet werden kann, eine verhält¬ 
nis-massig beschränkte ist. so ist es einleuchtend, dass eine solche 
Untersuchung in der Regel nicht eine nach allen Richtungen hin 
erschöpfende sein kann, sondern mehr eine derartige sein wird, wie 
'ic von liereits routinirten Aerzten zu geschehen pflegt. Es kann 

*) Anmerkung. Hier liegt insofern eiu Irrthuin vor, als seit der Ein¬ 
führung der neuen Prüfungsordnung im Grossherzogth. Baden die Prakti¬ 
kantenseheine der Heidelberger Poliklinik bei der Zulassung zur ärztlichen 
Prüfung niemals beanstandet worden sind. 


aber meiner Ansicht nach nicht genug betont werden, wie wenig 
förderlich es für den Unterricht der Studirenden ist, wenn sie schon 
frühzeitig an eine gewisse Routine gewöhnt werden, die sich der 
viel beschäftigte Arzt nothgedrungen im Laufe seiner Thätigkeit oft 
nur allzu früh aneignet, und wie notliwendig es ist, den angehenden 
Mediciner an eine möglichst genaue, nach allen Richtungen hin er¬ 
schöpfende Krankenuntersuchung zu gewöhuen. Viele solcher in 
ambulanter Behandlung befindlichen Kranken zeigen sich nur ein 
einziges Mal oder doch nur selten; es mangelt daher bei denselben 
jede eingehendere Beobachtung über den weiteren Verlauf der Krank¬ 
heit und die Wirkung der bei derselben angewendeten Heilmittel, 
es entgeht somit den Studirenden, welche solche Ambulatorien als 
Praktikanten besuchen, ein wesentlicher Theil des für die ärztliche 
Praxis so nutzbringenden und möglichst frühzeitig anzusammelnden 
Schatzes einer eigenen, auf selbstgemachter Beobachtung beruhenden 
Erfahrung. Es kann daher nur als vollkommen berechtigt und be¬ 
gründet erscheinen, wenn das Prakticiren an solchen fälschlich als 
Polikliniken hezeichneten Ambulatorien nicht als gleichstehend mit 
dem Prakticiren an einer stationären Klinik bezeichnet wird. Denn 
in einer solchen werden doch vorzugsweise die schwereren Erkran¬ 
kungen den Lernenden vorgeführt, es ist dem Lehrer Zeit und Ge¬ 
legenheit geboten, die Krankeu nach allen Richtungen hin einer 
gründlichen und sorgfältigen Untersuchung zu unterziehen, die Re¬ 
sultate derselben zu demonstriren und daran einen geeigneten Lehr¬ 
vortrag zu knüpfen, während es dem Studirenden, welcher praktirirt, 
vergönnt ist, sich nicht nur an der Krankeuuutersuchung zu bethei¬ 
ligen, sondern auch den weiteren Verlauf der Krankheit und die 
Wirkungen der in Anwendung gebrachten therapeutischen Maass¬ 
regeln zu verfolgen und damit den Grund zu einem, wenn auch 
vorläufig noch kleinen, aber um so sicherer begründeten Schatze 
eigener Erfahrung zu legen. 

Es kann aber nicht verschwiegen werden, dass die Zahl der 
den Praktikanten an einer stationären Klinik zur eigenen Unter¬ 
suchung geboteneu Krankheitsfälle eine verhältnissmässig geringe 
ist; an stark besuchten stationären Klinikeu gelaugt der Praktikant 
nur selten, im Semester zuweilen nur 1—2 mal, an schwächer be¬ 
suchten vielleicht 5—6 mal zum Prakticiren. Was die Art und 
Weise des Prakticirens an einer stationären Klinik anlangt, so pflegt 
es wohl allenthalben so zu geschehen, dass der Praktikant in Gegen¬ 
wart und unter der unmittelbaren Leitung des Lehrers an einem 
von diesem letzteren bereits nach allen Richtungen hin beobachteten 
Kranken, bei welchem die Diagnose der Krankheit einigermaassen 
feststeht, die Untersuchung vornimmt, seine Diagnose stellt und die 
therapeutischen Indicationen angiebt. um die Ausführung der letzteren 
Anderen, d. h. deu Assistenzärzten und dem geschulten Warteper¬ 
sonal zu überlassen. 

Man wird daher nicht leugnen können, dass unter solchen Um¬ 
ständen das Prakticiren an einer stationären Klinik selbst während 
zweier Semester nicht ausreichend ist für eine vollständige Ausbil¬ 
dung zur Ausübung der selbstständigen Praxis. Die so geschulten 
jungen Aerzte. wenn sie unmittelbar nach überstandener Staats¬ 
prüfung in die Praxis eintreten, sind nicht so praktisch vorgebildet, 
wie es ihre Patienten und sie seihst, wünschen müssen. Dass 
diese letzteren aber dieses Bedürfniss fühlen, geht aus dem Bestreben 
der meisten derselben hervor, wo möglich noch für längere Zeit, 
eine Stelle als Assistenzarzt an einer Klinik oder an einem grösseren 
Hospitale zu erlangen, wo ilineu daun allerdings eine reiche Ge¬ 
legenheit zur weiteren, nicht nur wissenschaftlichen, sondern na¬ 
mentlich auch praktischen Ausbildung geboten ist. Wenn auch die 
Zahl der Assistentcnstelleu im Laufe der letzten Jahre in sehr er¬ 
heblicher Weise zugenommen hat, so ist dieselbe doch immer noch 
zu gering im Vergleich zu der Menge von studirenden Medieinern, 
so dass nur ein kleiner Bruchtheil derselben zu diesem Mittel einer 
weiteren und vollkommeneren praktischen Ausbildung gelangen kann. 

Nach dem Gesagten kann es nicht geleugnet werden, dass 
zwischen dem unselbstständigen und auch meist ungenügenden Prak¬ 
ticiren an einer stationären Klinik und dem Eintreten des jungen 
Arztes in die selbstständige Praxis im Unterrichte eine Lücke be¬ 
steht, deren Ausfüllung dringend wünschenswert!» ist, — es ist dieses 
die Anleitung zur selbstständigen Thätigkeit am Kran¬ 
kenbette unter der Controle eines Lehrers. Ein solcher Unterricht 
kann aber nur an einer Poliklinik, wie sie dem eigentlichen Sinne 
des Wortes entspricht, ertheilt werden, in der Weise, wie dieses in 
der That an einer Anzahl deutscher und schweizerischer Hoch¬ 
schulen, z. B. Tübingen, Würzburg, Erlangen, Halle, Leipzig, 
Zürich etc. der Fall ist. 

In welcher Weise ein solcher Unterricht ertheilt werden kann, 
will ich mir erlauben dadurch zu schildern, dass ich des Näheren 
ausführe, auf welche Art und Weise ich selbst seit nunmehr 30 Jahren 
an der Heidelberger medicinischeu Poliklinik bestrebt bin, die jungen 
Mediciner zur selbstständigen Praxis anzuleiten. Ich kann dabei 
wohl sagen, dass, wenn auch je nach der Individualität des Lehrers 


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70 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


an einer oder der anderen Poliklinik vielleicht in einzelneu Punkten 
etwas abweichend verfahren werden sollte, dennoch im Ganzen die 
Grundsätze, nach welchen die Studirenden der Medicin zum selbst¬ 
ständigen Handeln am Krankenbette angeleitet werden, an den ver¬ 
schiedenen poliklinischen Instituten dieselben sind. 

Von dem poliklinischen Praktikanten wird vorausgesetzt, dass 
er in den von verschiedenen Docenten abgehaltenen Cursen sich 
mit den zur Untersuchung der Kranken nothwendigen Methoden 
(physikalische, chemische und mikroskopische Diaguostik, Laryngo¬ 
skopie. elektrische Prüfung etc.) vertraut gemacht, dass er min¬ 
destens ein Semester als Praktikant die innere Klinik besucht 
habe und dass er mit der Wirkungsweise und der Dosis der ge¬ 
bräuchlichsten Arzneimittel und der durch deren Anwendung zu er¬ 
füllenden Indieationen bekannt sei. 

Diese Kenntnisse und Fertigkeiten, welche der Studirende bis¬ 
her stets nur in der Gegenwart und unter der unmittelbaren 
Aufsicht des Lehrers am Krankenbette zu verwerthen Gelegenheit 
hatte, soll er in der Poliklinik lernen allein und selbstständig 
zu gebrauchen. Zu diesem Zwecke werden ihm Kranke zugetheilt, 
welche er in ihren Wohnungen allein zu besuchen hat; er muss 
dieselben allein, d. h. ohne Beihülfe untersuchen, die Diagnose 
stellen und ordiniren, er übernimmt dem Kranken gegenüber voll¬ 
kommen die .Stellung und die Pflichten eines ordinirenden 
Arztes. Die Kranken müssen daher so oft und so lange von ihm 
besucht werden, als dieses im betreffenden Falle uothwendig ist und 
es ihm demgemäss vom Lehrer vorgeschrieben wird. Zu der Vor¬ 
nahme chemischer und mikroskopischer Untersuchungen, welche zur 
Diagnose etwa nothwendig sind, findet der Studirende die nothwen¬ 
digen Chemikalien und Instrumente in dem poliklinischen Institute, 
wohin er sich das Untersuchungsmaterial verbringen lässt. Die Con- 
trole der Studirenden geschieht dadurch, dass die Kranken ausser 
von den Praktikanten auch von dem Director und dessen Assistenz¬ 
ärzten besucht und untersucht werden, jedoch zu einer anderen Zeit. 
Die von den Praktikanten ordinirten Reeepte werden in der Apo¬ 
theke des akademischen Krankenhauses gemacht und eventuell vou 
dem daselbst wohnenden Assistenzärzte — regelmässig aber von 
dem Direktor vor der klinischen Unterrichtsstunde revidirt. In dieser 
letzteren hat der Praktikant über die ihm zur Behandlung über¬ 
gebenen Kranken täglich mündlichen Bericht zu erstatten und das 
Ergcbniss der etwa vorgenommenen chemischen oder mikroskopischen 
Untersuchungen zu demonstriren, wobei Gelegenheit gegeben ist, ihn 
auf etwaige Mängel seiner Untersuchung aufmerksam zu machen, 
seine Ordinationen zu kritisiren, seine Diagnose nöthigenlälls zu be¬ 
richtigen, und dem hehrer Veranlassung geboten wird, über die in 
Frage stehende Krankheitsform einen entsprechenden Vortrag zu 
halten. Ueber jeden einzelnen ihm übertragenen Krankheitsfall hat 
der Praktikant eine je nach Urastäudeu mehr oder minder ausführ¬ 
liche schriftliche Krankheitsgeschichte zu führen, welche nach der 
Entlassung oder dem erfolgten Tode des Kranken dem Direktor ab¬ 
geliefert werden muss, in letzterem Falle mit einem Protocolle über 
die etwa vorgenoimnene Section, welche der Praktikant selbst vor¬ 
zunehmen berechtigt ist. Es ist endlich selbstverständlich, dass in 
allen schweren Fällen der Direktor dem prakticirenden Studenten, 
der die Stelle des ordinirenden Arztes vertritt, als consultirender 
Arzt zur Seite steht. 

In der poliklinischen Praxis ist aber auch dem Studirenden 
Gelegenheit gegeben, Manches zu sehen und zu lernen, was ihm 
im Hospitale und an einer stationären Klinik nicht geboten wird. 
Zunächst lernt der poliklinische Praktikant die Anfangsstadien vieler 
acuter Krankheiten kennen, welche bei dem Eintritte eines Kranken 
in das Hospital meist schon vorüber sind — oder welche, weil sie 
ihres noch zweifelhaften und unbestimmten Charakters wegen eine 
bestimmte Diagnose nicht gestatten, dem Studirenden in der Klinik 
nicht vorgeführt werden. Ein volles Dritttheil der poliklinischen 
Kranken gehört ferner dem Kindesalter an; wie selten aber sieht 
der Studirende kranke Kinder, besonders Säuglinge, in einer statio¬ 
nären Klinik, in der Poliklinik; dagegen ist ihm reiches Material 
geboten zur selbstständigen Untersuchung, Beobachtung und Be¬ 
handlung von Kinderkrankheiten und damit vielfache Gelegenheit, 
sich in der Ueberwindung der damit verbundenen Schwierigkeiten 
zu üben. Der poliklinische Praktikant macht endlich auch die 
Erfahrung, dass in der privaten Praxis sich die Verhältnisse für 
den behandelnden Arzt in vieler Beziehung anders gestalten, wie 
in einem wohleiugerichteten Hospitale, welches mit allen Hilfsmitteln 
der Krankenpflege und einem geschulten Wartepersonale ausgerüstet 
ist, und in welchem die Kranken sich in der nahezu unumschränkten 
Gewalt des Arztes befinden. Während liier der Arzt mit voller 
Sicherheit auf die stricte Durchführung der angeordneten therapeu¬ 
tischen Maassregelu rechnen kann, hat dort der prakticirende Stu¬ 
dent die Aufgabe, mit häufig ungenügenden äusseren Mitteln, unter 
Ueberwindung der den niederen Volksclassen meist anhaftenden 
Gleichgiltigkeit und Nachlässigkeit, und mancher, besonders unter 


No. 4 


den Ungebildeten verbreiteten Vorurtheile, soviel als möglich seiue 
therapeutischen Indieationen wenigstens annähernd zu erfüllen, be¬ 
sonders aber auch durch sein äusseres Auftreten und sein Benehmen 
am Krankenbette sich dem Kranken und dessen Umgebung gegen¬ 
über die nöthige Autorität und das Vertrauen zu erwerben, ohne 
welche ein nutzbringendes Wirkeu des Arztes in der Praxis nicht 
wohl erwartet werden kann. 

Nach dieser eingehenden Schilderung der Art und Weise 
und des Nutzens des poliklinischen Unterrichts, durch welchen 
der Studirende der Medicin im wahren Sinne zum praktischen 
Arzte ausgebildet werden soll, sei es mir nochmals gestattet, auf 
den Eingangs erwähnten Erlass des Grossherzogi. Ministeriums des 
Innern vom 28. Mai 1886 zurückzukommen. Der in demselben ent¬ 
haltene Ausspruch, wonach das Prakticiren an einer Poliklinik nicht 
demjenigen an einer stationären Klinik als gleichstehend zu erachten 
ist, erscheint mir mit Rücksicht auf das oben Vorgetragene wenig¬ 
stens für die Heidelberger medicinische Poliklinik, sowie diejenigen 
Polikliniken an anderen Universitäten, an welchen der Unterricht 
nach denselben Grundsätzen geleitet wird, nicht als vollkommen 
zutreffend, sondern sich auf die Eingangs erwähuten, fälschlich als 
Polikliniken bezeichneten klinischen Ambulatorien zu beziehen. Es 
dürfte aber meines Erachtens vielmehr im Interesse der Staats¬ 
behörden liegen, welche, wie aus den bezüglichen Vorschriften für 
die ärztliche Prüfung deutlich hervorgeht, den Zweck verfolgen, 
wissenschaftlich gebildete praktische Aerzte zu erziehen, 
das Prakticiren der Studirenden an einer Poliklinik während eines 
Semesters geradezu obligatorisch zu machen, um durch das unter 
einer nach alleu Richtungen hin mit den nöthigen Cautelen ver¬ 
sehenen mittelbaren Aufsicht des Lehrers ermöglichte selbst¬ 
ständige Prakticiren der Studirenden, den Uebergang aus dem unter 
der unmittelbaren Controle des Lehrers stattfindenden Prak¬ 
ticiren an einer stationären Klinik in die völlig selbstständige ärzt¬ 
liche Praxis zu vermitteln uud damit eine den meisten Studirenden 
fühlbare Lücke im Unterrichte auszufüllen. 


Mittheiliingen ans der niedicinischen Klinik und Poliklinik 

in Bonn. 

Von Professor Rühle. 

(Fortsetzung aus No. 3.) 

Ich wende mich nun zu den Krankheiten des Cireulations- 
ap parates. 

Zunächst konnte ich Ihnen eine gut ausgeprägte Pericard i tis 
exsudativa vorstellen, die sich bei Anstaltsbehandlung in erfreu¬ 
licher Weise zurückbildete; ein anderer Fall gab Gelegenheit, die 
Erscheinungen der Verwachsung der Perieardialblätter zu erörtern. 

Die 5 Fälle, in denen ich die Myocarditis chron. als Ursache 
der meist erheblichen Herzerscheinungen und Circulationsstöruugeii 
auffasste, werden Ihnen auch aus den sphygiuographischeu Bildern 
des völlig unregelmässigen Pulses erinnerlich sein, und dass die 
Digitalis, die wir in diesen Fällen stets in Form des Pulv. folior. 
geben, die Erscheinungen rasch und erheblich bessert, während die 
Arythmie nicht schwindet. Die Digitalis bleibt, ihren Concurrenten 
gegenüber noch immer Siegerin. 

Die 15 Fälle von Bieuspidalaffeetioneu zeigten 2mal Com- 
plication mit Tricuspidalinsuff., einmal war besonders der Leber¬ 
puls sehr ausgeprägt. Auch gewährte der tödtliche Ausgang in 
dem einen Falle, der eine Combination von Mitral- und Aorten- 
insufficienz betraf, Gelegenheit, die Folgeerscheinungen der venösen 
Hyperämieen aller Organe und die sehr ausgeprägten Herzver¬ 
änderungen unmittelbar in Augenschein zu nehmen. Die Fälle von 
lnsuff. der Aortenklappen (eswaren im Ganzen 6) werden be¬ 
sonders denen vou Ihnen, welche die Uebungen der Propädeutik fre- 
quentirten, noch in lebhafter Erinnerung sein. Einmal sah ich mich 
genöthigt, ein Aneurysma der Aorta abdomin. bei einer Frau, 
die früher Ulcus ventric. gehabt, zu diagnosticiren, weil die Pulsa¬ 
tion eine seitliche Dilatation darbot, und ich gab’der Vermuthung 
Raum, dass die Verwachsungen des vernarbten Ulcus die iudirekte 
Veranlassung zur Aortenerkrankung gewesen sein dürften. Eine 
Thrombose der Vena iliaca dextr. gab mir Gelegenheit, 
die Wichtigkeit dieses Vorganges für die innere Pathologie, beson¬ 
ders in seinen acuten Formen, zu besprechen. 

Vou Herzneurosen kamen 3mal Taehycardieen und ein typi¬ 
scher Fall von Augina pectoris vor, der sich nach Jodkali mit 
Chinin wesentlich besserte. 

Vou den Krankheiten der Respirationsorgane erwähne ich 
eines Falles von Nasenkatarrh mit heftigem, einseitigem Kopf¬ 
schmerz, der durch Fortpflanzung des eiterigen Katarrhes auf die 
Stirnhöhle bedingt war. Die Kehlkopfkrankheiten fanden ihre 
Repräsentanten in acutem und chronischem Katarrh, sowie 9 Fälleu 
von tuberculöseu Ulcerationen. Unter letzteren war 1 Kranker mit 


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26. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


71 


so hochgradigen Erscheinungen von Larynxsteno.se, dass die Tracheo¬ 
tomie gemacht werden musste. Nach derselben erholte sich der 
Kranke, trotz seiner exquisiten Tuborcnlose, auffallend, musste aber 
die Canüle beibehalten, da die Stenose iu einer durch die tuber- 
rnlöse Erkrankung bedingten Unbeweglichkeit der Stimmbänder mit 
Verschluss der Stimmritze bestand. Auch Beispiele von Kehl- 
k<> pfläbmuugeu habe ich Ihnen gezeigt, in dem einen Fall war 
die phonische Lähmung ein Folgezustand von acutem Katarrh, iu 
einem andereu fand sich eine linksseitige Stimmbaudlähmung, be¬ 
dingt durch Druck eines Oesophaguscarcinoms auf den Nerv, recurrens 
sin. Neben der Demonstration und Besprechung der gewöhnlichen 
aenten und chronischen Bronchialkatarrhe habe ich Ihre Auf¬ 
merksamkeit besonders auf die asthmatischen Formen gelenkt 
und meine Ansicht begründet, dass dieselben auf acuteu Ver¬ 
engerungen der capillaren Bronchien beruhen, welche nicht einer 
Ursache allein entstammen, sondern theils durch Schwellung uud 
Secrotanhäufuug seitens der Schleimhaut, theils durch muskuläre 
(Jontraotiou resp. durch Verbindung beider zu Stande kommt und 
mitunter auch auf refleotorischem Wege erzeugt wird. Auch einen 
sehr hartnäckigen Keuchhusteufall stellte ich vor, bei dem Sie 
alle das berühmte Gambarini’sche Geschwür am Zungenbändchen 
in besonderer Grösse gesehen haben. Zu genauerer Bekanntschaft 
mit dieser Krankheit hat Ihnen die Kinderpoliklinik Gelegenheit ge¬ 
boten. 

Die 4 Fälle acuter Pneumonie lieferten 2 Sectiouen. Der 
tödtliche Ausgang war beidemal auf Grund hochgradiger Alkohol- 
intoxicatiou durch Herzlähmung (Lungenödem) bedingt, und Sie 
hatten die nicht in jedem Semester vorkommende Gelegenheit, die 
pathologische Auatomie dieser im Vordergrund des ärztlichen Interesses 
stehenden Krankheit genauer zu studiren. ln dem eiuen Falle war 
die Pneumonie doppelseitig. Auch eine chronische Pneumonie des 
linken Unterlappens kam zur Vorstellung, wobei die Untersuchung 
der Sputa auf Bacilleu stets negative Resultate ergab. 

Die 5 Fälle von Lungenemphysem lieferten zum Theil Be¬ 
weise dafür, dass die gerade bei dieser Krankheit vorkommenden 
asthmatischen Anfälle von acuten Steigerungen der begleitenden 
Bronchialerkraukuug herrühren, und dass die aus solchem Anfall 
stammeuden Sputa die bekannten Leyden’sehen Crvstalle ent¬ 
halten. deren Constanz beim bronchialen Asthma Herr Prof. Ungar 
früher schon uachgewiesen, und welche Sie auch in diesem Semester 
zu sehen Gelegenheit hatten. 

Die 20 Fälle von Lun gentu berculose, die 5 Obduetionen 
lieferten, vertraten sowohl die häutigsten (Jomplicationen mit Pleu¬ 
ritis. Pneumothorax, Larynx- uud Darmaffection. als auch die haupt¬ 
sächlichen Verlaufsformen und Stadien von der Phthisis florida bis 
zur tieberlosen, mit Gewichtszunahme verbundenen, chronischen 
Form. Schliesslich fehlte auch die Complication mit Amvloid- 
erkrankuug nicht und es war auch diesmal ein Fall darunter, bei 
welchem der Urin in der letzteu Lebenszeit reichlich Eiweiss zeigte, 
während die Reaction mit LugoU scher Lösung bei der Section ein 
zweifelhaftes Resultat an der Niere ergab, die mikroskopische 
Untersuchung aber die beginnende Amyloidentnrtung der Glomeruli 
uachwies. mithin die Albuminurie als luitialsymptom des Nieren¬ 
amyloids erschien, was ich auch früher bereits mehrmals constatiren 
konnte. 

Die 10 Fälle von Pleuritis enthielten zwei acute, frische 
Formen, hei denen es jedoch nicht zur Punction kam, da die Ver¬ 
minderung des Exsudates vor Eintritt dringender Erscheinungen zu 
Stande kam. Ein Fall zeigte günstigen Verlauf bei Perforation 
durch die Bronchien; einmal konnten Sie hei einem 16jährigen 
jungen Manne hochgradige Thoraxschruinpfung und eiue noch be¬ 
hebende Eiter entleerende Fistel beobachten. (Schluss folgt.) 

Vm. Referate und Kritiken. 

Ebstein. Die Znckerhararohr, ihre Theorie und Praxis. 

Wiesbaden, .1. F. Bergmann, 1887. 231 Seiten. Ref. Für- 

briuger. 

Der auf dem Gebiete der Stoffwechselstörungen ungemein pro¬ 
ductive innere Kliniker der Universität Göttiugen hat die vor¬ 
liegende Arbeit, eine richtige Monographie, der Feier des hundert- 
uadfünfzigjährigen Bestehens der Hochschule als Festschrift dar¬ 
rebracht. Was sie den Fachgenossen, Physiologen wie Pathologen, 
■nd unter den letzteren nicht zum Geringsten den Aerzteu bietet, 
ist dem Bestreben entsprungen, die „ Natur uud das Wesen der 
Zurkerbamruhr unserem Verständnisse näher zu rücken und damit 
dem ärztlichen Handeln eine feste Stütze zu geben*. Das ist ein 
altes Programm, an welchem hervorragende Vertreter unserer 
Wäisenschaft wiederholt ihre Arbeitskraft geprüft, aber neu uud 
originell ist das Resultat, das unter der Form einer durch zahl- 
und sinnreiche Versuche gefestigten Theorie uns entgegentritt: Es 
giebt nur eine Grundursache der selbstständigen Krankheit Diabetes 


mellitus, nämlich eine fast ausnahmslos angeborene unvollkommene 
Beschaffenheit des Protoplasmas sämmtlicher Organe unseres Körpers, 
die allerdings nicht selten einer besonderen Gelegenheitsursacho be¬ 
darf, um den Ausbruch der Krankheit mit ihren Cardinalsymptomeu, 
der Glykosurie und des vermehrten Eiweisszerfalls zu bewirken. 
Jene fehlerhafte Beschaffenheit der Gewebe äussert sich — das 
bildet den Kernpunkt — in einer relativ zu geringen Knhlcu- 
säureproduc.tion und dem kohlenstoffhaltigen Verbren¬ 
nungsmaterial. Es fehlt somit an jenem hochwichtigen Körper, 
der in den Nerven die Hemmung der diastatischeu Fermente in den 
Geweben uud die Regulatiou des Einflusses derselben auf die Um¬ 
setzung des utiquären Glykogens besorgt, und der nun nicht mehr 
im Stande ist, die Verwandlung des Glykogens in leicht diffusible 
I'roducte, die Zuckerarten, aufzuhalten, ausserdem, insbesondere in 
schweren Fällen, seiner längst anerkannten zweiten Aufgabe, der 
Ueberführung bestimmter Eiweisskörper (des Globulins) iu den 
festen Aggregatzustaud nicht mehr genügen kann. Auf diese Weise 
entsteht das Zuekerharneu, kommt der beträchtliche Eiweisszerläll 
zu Stande, jene beiden Hauptsymptome der Krankheit, von denen 
wiederum das Gros der übrigen Krankheitserscheinuugen abzu¬ 
leiten ist. 

Es ist nun E. der Aufgabe, die Existenz jenes einfachen pa¬ 
thogenetischen Elementes, der relativ unzureichenden Production der 
Kohlensäure im Gesammtorganismus des Diabetikers, zu begründen, 
in einer Weise gerecht geworden, welche zwar nicht den stricten 
Beweis der einzigen Möglichkeit seiner Theorie gebracht — das 
wird kein billig Denkender unseres Jahrhunderts fordern — aber 
die Richtigkeit seines Satzes in der annehmbarsten Form plausibel 
gemacht hat. Es muss uns fern liegen, au dieser Stelle auch nur 
der oberflächlichsten Zeichnuug der Versuchsanordnungen Worte zu 
gebeu, welche der Erläuterung uud Illustration des Einflusses der 
Kohlensäure hezw. Milchsäure und anderer verdünnter Säuren, 
sowie der Schüttelbewegung auf das Ptyalin dienen, auf das diastatisehe 
Ferment des Pankreas, auf diejenigen, welche aus dem Muskel, der 
Niere, dem Harn, der Milz, dem Blute, der Magenschleimhaut dar¬ 
gestellt wurden, auf das in Kiweisslösuugen enthaltene diastatisehe 
Ferment sowie endlich auf das aus der Leber darstellbare und auf 
die Leber selbst. Mehr als 4ü einschlägige Experimente legen 
Zeugniss ah von dem emiuenten Geschick des Verfassers, das der 
Leser bereits aus seinem Werke über die Gicht und über die 
Harnsteine kennen gelernt, einfache und praei.se Methoden der Klä¬ 
rung der interessirenden Fragen anzupassen. E. verkennt dabei die 
Gefahr des Vergleichs dessen, was sich in Retorten und Gläsern 
vollzieht, mit den Vorgängen im lebenden Körper keineswegs und 
widmet, nachdem seine Lahoratoriumsversnche die seiner Theorie 
zu Grunde gelegte Heinmungsrolle der Kohlensäure erwiesen, einen 
j weiteren Abschnitt der Erledigung der Frage, ob und in wie weit 
I die Versuche auf gewisse im thierischcn Organismus abspielemle 
[ Lebensvorgäuge übertragen werden können. Unerlässlich ist hier der 
i Nachweis, dass die im Thierkörper verbreiteten diastatischeu Fermente 
; bereits während des Lebens in Wirksamkeit treten, sowie dass die 
i letztere auch eine vitale Kohlensäurehemmung erfährt. Einschlägige 
Versuche ergaben denn in der That die Berechtigung der Aunuhme. 
i dass Stoffwechsel und Säftecirculation mit der Gegenwart jener 
| Fermente einhergeht, und dass auf sie die ausserhalb der Gefäss- 
| wände sich bildende Kohlensäure am Orte ihrer Entstehung ihren 
| hemmenden Einfluss übt. 

Die zweite Hälfte der Arbeit beschäftigt sich mit der Beant¬ 
wortung der Frage, welche physiologischen und pathologischen 
Lehenserscheinuugeu die Hemmung der Fermeutwirkungen durch 
' die Kohlensäure erklärt. Hier wird zunächst die Zuckerbildung in 
! der Leber während des Lehens und ihre Steigerung nach dem Tode 
| im Sinne der neueren Theorie ventilirt und schliesslich die Patho¬ 
genese, Symptomatologie uud Therapie des Diabetes mellitus iu 
seinen verschiedenen Formen behandelt. Die Störung des Zucker¬ 
gleichgewichts, welche sich in einem abnormen Plus von Zucker- 
bildung ausdrückt, bedingt die Ueherlieferuug von unverbrauchtem 
Zucker au den Harn. ln „leichten“ Fälleu vermag das Deficit 
durch Mehreinfuhr von Eiweisskörpern, die ihrerseits eine Ver¬ 
mehrung von Kohlensäure bedingt, paralysirt zu werden; kann aber 
das Glykogen in Folge des Kohleusäuremangels nicht mehr ge¬ 
nügend geschützt werden, so wird Körpereiweiss zur Deckung des 
Deficits heraugezogen, und es resultirt die „schwere* Form der 
Krankheit, die „protoplasmatische“ Glykosurie. Wird auch dem 
Globulin der Kohlensäure-Schutz versagt, so diffuudirt Eiweiss in 
deu Harn; das giebt die richtige Albuminurie der Diabetiker ete. 
Die specielle Aetiologie der Krankheit anlaugeud, ist des Verfassers 
geringe Geneigtheit der Anerkennung des den Aerzteu so geläufigen 
Zusammenhangs der Krankheit mit cerebralen Affeetiouen be- 
merkenswertli. Die Beobachtung eines weitergellenden Zucker¬ 
diabetes nach der Piquüre rechtfertigt noch keineswegs eine Pa¬ 
rallele mit der exquisit chronischen Krankheit der Zuckerharurulir. 


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DEUTSCHE MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4 


Die Erkrankungen des Nervenapparates bei dieser sind wahrscheinlich 
nur Folgesymptome. Wir müssen es uns versagen, aus der Fülle 
der gerade in diesem eine reiche Literatur zugleich kritisch ver- 
werthendeu Abschnitt niedergelegten Anschauungen noch weitere 
herauszugreifen; sie werden ein werthvolles Substrat zur an¬ 
regendsten Lecture für Physiologen, Pathologen, Kliniker und wissen¬ 
schaftlich deukende Aerzte bieten, gleichgültig welcher Grad von 
Bestätigung oder Widerlegung aus den Untersuchungen der Zukunft 
entspringen wird. Aber auch der rein praktische Arzt, dessen Be¬ 
rn fsthätigkeit der literarischen Beschäftigung nur mit dem Begriff 
der Heilung von Krankheit zu rechnen gestattet, wird nicht un¬ 
befriedigt ausgehen, denn die Theorie hat hier in der That, um 
CI. Bernard’s Worte zu gebrauchen, die Praxis erhellt und ihr 
eine gewisse Macht — wenigstens nach unserer vorläufigen Ueber- 
zeugung — verliehen. Specifische Mittel gegen die Zuckerdiabetes 
können -der neuen Theorie zufolge nicht existiren; das Heil der 
Kranken ist nicht in der Apotheke — nur Opium, Salicylsäure und 
Phenol verdient Beachtung — sondern im Regimen, insbesondere 
in der Diät zu suchen. Da das Fett in unserem Körper direkt zu 
Kohlensäure und Wasser oxydirt wird, so ist vorzugsweise dieses — 
unter den verschiedensten Formen — den Kranken zuzuführen. 
Brod ist gestattet, bis zu 3(K) g täglich, keines seiner Surrogate 
empfehlenswerth. Zucker ist den Kranken leicht abzugewöhnen 
(? Ref.), weshalb E. das Saccharin nur selten angewandt. Von Ge¬ 
tränken ist das Bier „unter allen Umständen zu verbieten“, welcher , 
Ansicht Ref. sich nicht anzuschliessen vermag, wenigstens für die j 
moderne Lebensführung in unseren grossen Bierstädten nicht; 
hier verkümmern wir durch das völlige Streichen des edlen 
Gerstensaftes den Lebensgenuss so manchen Diabetikers in bedenk- ! 
lieberer Weise, als man vermeinen möchte. Ein kleines Tages- 
quantnm, das wir wieder gestattet, liess dauernd die schwer ver¬ 
misste Euphorie ohne ersichtlichen Schaden wiederkehren. Milch¬ 
euren verwirft E., der die Wirkung der Karlsbader Quellen im 
Wesentlichen auf ihren beträchtlichen Kohlensäuregehalt zu be¬ 
ziehen geneigt ist. Muskelübuugeu bilden einen wesentlichen Be- 
staudtheil des Regimens aus Aulass der aus ihnen resultireudeu 
Kohlensäureprnductiou in den Geweben. Rücksichtlich aller Details 
ist das Original eiuzusehen. 

Ein 174 Nummern zählendes Verzeichniss der „benutzten“ 
Literatur sowie alphabetisches Namen- und Sachregister sehliessen 
das bedeutungsvolle Werk, das sich bei der klaren undangenehmen 
Diction des Verfassers trotz mannichfach hervortreteuder Breite der 
Darstellung uud mehrfacher Wiederholungen glatt liest. Die Glie¬ 
derung des Materials ist eine übersichtliche uud logische, nur wäre 
zu wünschen gewesen, dass die zahlreichen „Versuche“, deren Wort¬ 
laut den Leser mehr stört als erwärmt, ihren besonderen Platz im 
Anhang erhalten hätten oder doch wenigstens durch Petitdruck ge¬ 
nügend vom Text abgesondert worden wäreu. Die Festschrift 
wäre deshalb kaum weniger stattlich ausgefallen, so vortrefflich ist 
ihre durch J. F. Bergmann besorgte Ausstattung. 


H. Tillmanns. Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie. Allgemeine 
Operations- und Verbandlehre. Allgemeine Pathologie und Therapie. 
536 S., 12,00 Mk. Leipzig, Veit & Co., 1887. Ref. Gluck. 

Das vorliegende Lehrbuch entspricht, wie der wohlbekannte 
Verfasser im Vorworte hofft, in der That möglichst den Bedürfnissen 
der Aerzte und Studireuden. 

Es ist klar und anziehen'd geschrieben und enthält zum Th eil 
auch Resultate eigener Forschung und Erfahrung. 

Das Werk ist mit wohlgelungenen Holzschnitten versehen, die 
Ausstattung eine durchaus lobenswerthe. 

Trotz der compeudiösen Form (das ganze Gebiet ist auf 
536 Seiten abgehandelt) hat Referent bei sorgfältiger Lectüre des 
Werkes den Eindruck gewonnen, als sei es Till man ns gelungen, 
mit seinem Lehrbuche eine gute chirurgische Propädeutik zu schaffen. 

Alle modernen Forschungen haben entweder in knappen, klaren 
Referaten oder, soweit es dem Verfasser für das Verständniss uoth- 
wendig erschien, in längeren Auszügen Berücksichtigung gefunden. 

Dass die allgemeine chirurgische Operations- und Verbandlehre 
vor der allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie abge¬ 
handelt wird, ist auch nach Ansicht des Referenten durchaus zweck¬ 
mässig. Ist Billroth’s classisches Werk als Ausdruck reichster 
origineller Forschung und geistvoller Diction jedem Mediciner gleich 
einer Bibel der allgemeinen Chirurgie an das Herz zu legen, so be¬ 
sitzt der Studireude in Tillmauns’ Lehrbuch ein durchaus objec- 
tives, allen modernen Forschungen Rechnung tragendes Vademecum, 
in dem er über jede Frage der allgemeinen Chirurgie sich zu orien- 
tiren vermag. 


A. Eulenburg. Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde. 

Zweite Auflage. Wien und Leipzig. Urban Ä: Schwarzenberg. 

1887. 

Von der zweiten Auflage der Eulenburg sehcu Rcal-Eucyclo- 
pädie ist der zwölfte Band erschienen. Derselbe umfasst die Ar¬ 
tikel Lentigo bis Melilotus. Von den zahlreichen kleineren Artikeln 
und Hinweisen abgesehen, mag auf folgende grössere Aufsätze die¬ 
ses Bandes besonders hiugewiesen werden: Lepra (Schwimmer. 
Budapest), Lethargie (Rosenthal, Wien). Leukämie (Riess, Ber¬ 
lin), Leukopathia (B ehrend, Berlin). Lichen (Kaposi, Wien), 
Ligament (Bardeleben, Jena), Lipom (Birch-Hirschfeld, Leip¬ 
zig), Luft (Soyka, Prag), Luugenkrankheiteu (Koranyi, Budapest). 
Luxation (A. Bardeleben, Berlin), Lymphangitis (Küster, Berlin), 
Lymphe (J. Munek, Berlin), Magen (Kleinensiewicz, Graz), 
Magenerweichung (Marchand, Marburg), Magenkrankheiten (Oser. 
Wien), Malariakrankheiten (Eichhorst, Zürich), Manie (Mendel. 
Berlin), Marasmus (Samuel, Königsberg). Massage (Schreiher. 
Meran), Mastdarm (Englisch, Wien), Mastdarmscheideiifistel(Band l, 
Wien), Medicinalpfuscherei (Baer, Berlin), Mehl (Loebiscli, Inns¬ 
bruck), Melancholie (Mendel, Berlin). 

IX. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung vom 9. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden; Schriftführer: Herr P. Gütt¬ 
in ann. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird vorgelesen und ange¬ 
nommen. 

Zur Tagesordnung erhält das Wort: 

1. Herr A. Fraenkel: Ueber Strophanthuswirkung. (Der 
Vortrag wird mit der sich daranschliessenden Discussion in einer 
der nächsten Nummern publieirt werden.) 

2. Herr Martius: Ueber einen Fall von Tabes dorsalis. 
(Der Vortrag wird ebenfalls in einer der nächsten Nummern zur 
Veröffentlichung gelangen). 

Sitzung am 16. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Fräntzel; Schriftführer: Herr A. Fraenkel. 

Das Prntocoll der vorigen Sitzung wird vorgelesen und ange¬ 
nommen. 

Vor der Tagesordnung erhält das Wort: 

1. Herr Fürbringer: Demonstration eines Sectionsbefundes als 
Beitrag zur Fehldiagnose eines Lebertumors mit ganz cigeu- 
thümlicher Täuschungsquelle. Es handelt sich um einen 44jährigen 
Kutscher, einen argen Säufer, der am 16. December 1887 in die innere 
Abtheilung des Krankenhauses am Friedrichshain mit beträchtlichem 
Ascites aufgenommen wurde. Die Diagnose schwankte zwischen Leber- 
cirrhose uud Peritonealcarcinose, welche letztere besonders die auf¬ 
fallende Macies des Pat. nahe legte. Da des Ascites halber über die 
Leberverhältnisse nichts Bestimmtes zu eruiren war, nahm ich die 
Puuetion am 24. December vor; sie ergab mehrere Liter klarer Flüssig¬ 
keit. Nunmehr konnten wir mit aller Deutlicheit nicht nur eiuen 
Lebertumor abtasten, sondern auch verschiedene harte Protuberanzen 
im Bereich desselben. Wir fühlten deutlich den unteren Rand, der 
sich respiratorisch verschob, konnten ihn mit den Fingern umgreifen, 
uud schliesslich war es möglich, entsprechend der Gallenblase eiue 
Incisur an diesem unteren Rande auf das Deutlichste zu fühlen, 
weshalb nunmehr mit Bestimmtheit Lebercarcinom, wahrscheinlich 
neben Bauchfellcarcinose (kein Icterus!) angenommen wird. 

Tod am 8. Januar nach extremer Abmagerung. Die Sectiou 
bestätigte zwar die Diagnose einer sehr bedeutenden und diffusen 
Peritonealcarcinose, aber die Leber war völlig intact in Bezug auf 
Grösse und Configuration. Was als Leber iraponirt hatte, war nichts 
anderes gewesen als ein handbreiter, etwa 2 Finger dicker, durch¬ 
weg aus Krebsraasse bestehender Querbalken, der nach oben mit 
der Leber verlöthet war, nach unten mit stumpfem, ziemlich glattem 
Rande im Niveau des Quercolons frei endete. Das weitere Nach¬ 
sehen ergab, dass dieser Tumor nichts weiter repräsentirte, als die 
Consequenz einer carcinomatösen Infiltration des Omentum, das unter 
der Wirkung der Neubildungsretraction nach oben aufgerollt und in 
einen Körper verwandelt worden war, der alle physikalischen Eigen¬ 
schaften der Leber nachgeahmt hatte. Wie ich nochmals hervor¬ 
heben möchte, hatte eine neckische Laune des Zufalls gerade in 
der Flucht der Gallenblasenincisur eine gleich gestaltete Lücke im 
unteren Rande geschaffen; gerade diese hatte keinen Zweifel über 
den Charakter des gefühlten Tumors aufkommen lassen. 

(Folgt Demonstration einer von Dr. Kuthe angefertigteu Pho¬ 
tographie.) 

2. Fortsetzung der Discussion über den Vortrag des Herru 
A. Fraenkel: Ueber Strophanthuswirkung. 


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26. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 73 


3. Herr Oppenheim: Wie sind diejenigen Fälle von 
Neurasthenie aufeufassen, welche sich nach Erschütterungen 
des Bückenmarks, insbesondere Eisenbahnunfällen ent¬ 
wickeln? (Her Vortrag wird in einer der nächsten Nummern ver¬ 
öffentlicht werden.) 

X. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung vom 18. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Heuoch. 

1. Herr B. Fraenkel stellt einen 17jährigen Patienten vor, der Ende 
vor. J. mit Erscheinungen in die Poliklinik kam, die au Morbus Basedowii 
ankJingen. Zwar war kein Exophthalmus vorhanden, doch hatte Pat. eine 
grosse Struma, und der Puls zeigte dauernd 120 Schläge. Pat. wurde zu¬ 
nächst mit dem constanten Strom und dann, da derselbe über Nasenstenose 
klagte, an der unteren Muschel, zunächst auf der linken Seite, mit Galvanokaustik 
»•«•handelt. Wenige Tage darauf trat eine rapide Abschwellung des Kropfes 
auf der linken Seite ein; gleichzeitig wurde der Puls langsamer. Nach län¬ 
gerer Pause wurde sodann vor vier Tagen die rechte Seite der Nase in der¬ 
selben Weise kauterisirt mit dem Erfolge, dass nunmehr eine sichtbare Ab¬ 
sehwellung der rechten Seite der Struma constatirt werden konnte. Messun¬ 
gen vor- und nachher ergaben, dass sich der Halsumfang um 0.5 cm ver¬ 
ringert hatte. 

Herr B. Baginsky ist der Ansicht, dass die geringe Abnahme des 
Umfanges vielleicht auf eine Fehlerquelle beim Messen zurückzuführen ist. 

Herr Remak hält die Bezeichnung Morbus Basedowii nicht für genügend 
begründet, da der für letzteren charakteristische Exophthalmus fehlt. 

Herr B. Fraenkel hält die Exactheit der Messung, die auch durch den 
Augenschein ihre Bestätigung erhält, aufrecht. 

2. Herr Yirchow deinonstrirt Präparate eines Falles von extremer 
l<enklntie, der von Herrn Dr. Rob. Langerhans in der Ohrenklinik secirt 
»unle. Es war eine ausserordentliche Polyämie (Plethora) vorhanden, und 
•las Blut bot schon äusseriieh den eigentümlichen rahmartigen Charakter 
«lar. der an deu Inhalt eines nicht ganz maturirten Abscesses erinnerte. Die 
Milz hatte einen Umfang, weit über das Maass einer gewöhnlichen Leber hin¬ 
aus. Dieselbe zeigte eine extreme Vervielfältigung der Malpighi’schen 
Körjier und eine ausgedehnte Wucherung des Pulpagewehes, welche an vielen 
Stellen >o vorgerückt ist, dass dadurch ganze Abschnitte der Milz einen grauen 
Karbenton angenommen haben. Von Hyperämie keine Rede. In einzelnen 
Stelleu ältere hämorrhagische Narben. Es ergab sich noch eine weitere 
Veränderung, deren Umfang nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, 
weil die Untersuchung erst nachträglich darauf gerichtet wurde, nämlich 
eine Veränderung des Knochenmarks, wie sie bei sogenannter myelogener 
Leukämie vorkommt. Das eine Os femoris, welches zur Untersuchung vor¬ 
lag, enthält keine Spur von gelbem Mark. Das Mark ist entweder roth oder 
in der Diaphyse) in eine grünliche, eiterähnliche Substanz verwandelt worden. 
Eine Verwechselung mit eitrigen Processen ist ausgeschlossen, denn selbst 
die farblosen Blutkörperchen im Blute zeigen nicht die mehrkernige Form, 
sondern sind überwiegend einkernig. Ebenso wenig finden sich eiterähnliche 
Elemente in den anderen Theilen. In deu Nieren beginnen sich die ersten 
Kr-riieimingen leukämischer Tumoren zu entwickeln. 

Der Tod trat ein unter sehr zahlreichen kleinen Blutungen in die Hirn- 
substanz in Form der sog. capillaren Apoplexie. Anarnnestisch wurde daran 
gedacht, dass der Fall durch eine Reihe von Malariaeinwirkungen entstanden 
■*eiii könnte. Herr Virchow lässt es unentschieden, ob dies der wirkliche 
tirund der Erkrankung gewesen sei. 

3. Discussion über den Vortrag des Herrn Senator: lieber acute 
iafettlose Phlegmone «len Pharynx. 

Herr P. Outtinann führt zunächst eine der von Herrn Senator mit- 
getheilten analoge Beobachtung an, um sodann darauf hinzuweisen, dass 
• las von Herrn Senator beschriebene Krankheitshild doch wohl nicht so 
wenig bekannt sei, wie Herr Senator es behauptet habe. Die Krankheit 
i>t im Gegentheile mehrfach, auch von neueren Autoren beschrieben worden, 
so von einer Reihe französischer Autoren. Auch ist die Beschreibung der¬ 
selben in die ausführlicher gehaltenen Lehrbücher übergegangen. Eine 
ziemlich ausführliche Darstellung findet sich in v. Ziemssen’s Specieller 
Pathologie, Bd. 11: Die acuten lnfectionskrankheiten (1878, p. 736—738 und 
3. Aufl. 1886, Bd. II., p. 252—255), allerdings unter dem Namen der ery- 
:>i|»elatüsen Entzündung des Pharynx und des Larynx — ferner in der 
Pathologie von Eich hörst, IV. Bd., p. 252. sowie in dem Lehrbuch der 
Chirurgie von König, 1885, I. Bd., p. 420- In der ausführlichen Be¬ 
schreibung bei v. Ziemssen ist gesagt worden: es giebt bei Erysipel des 
Gesichtes, aber auch ohne dieses ganz primär eine Entzündung des Pharynx, 
die mit starker Schwellung verbunden ist, welche auf den Larynx übergeht, 
öfter zu Laryngosteno.se führt, und dass solche Kranke selbst nach ausgeführter 
Tracheotomie schnell sterben, dass ferner die Affection von Milzschwellung be¬ 
gleitet ist etc. Herr Senator hat nun zwar hervorgehohen, seine Fälle seien 
kein Erysipel der Schleimhaut gewesen, 1) weil kein Erysipel des Gesichtes 
vorhanden gewesen, und 2) weil bei der bacteriologisehen Untersuchung 
im Gewebe keine Erysipelcoccen gefunden seien. Indessen habe es immer 
etwas Bedenkliches, aus der Untersuchung vielleicht nur eines kleinen 
Stückchens, wenn sie negativ ausfällt, zu sehliessen, es seien Erysipelcoccen 
überhaupt nicht vorhanden. Andererseits finden sich in der Bacteriologie 
überhaupt noch keine Mittheilungen, dass jemals bei vorhandenem Gesichts- 
erysipel in der Schleimhaut der Erysipelcoccus gefunden sei. Wir haben 
also kein Mittel nachzuweisen, ob eine Phlegmone des Larynx oder Pharynx 
«•rysipelaf ös sei oder nicht. Dass man dennoch diese Entzündungen des 
Pharynx und Larynx als Schleimhauterysipel bezeichne, habe seinen Grund 
darin, dass mau die Affection gleichzeitig mit Erysipel des Gesichtes ge¬ 
funden habe, ferner dass bei Erysipelepidemieen gerade solche Fälle von 


phlegmonöser Pharyngitis und Laryngitis beobachtet seien, und dass endlich 
! in Fällen von acuter Phlegmone des Pharynx, eventuell auch des Larynx, 
I noch nachträglich, offenbar durch Einwanderung vmi Mikroorganismen, Go- 
sidiLserysipel eiilstaii'len sei. Herr P. G u (I manu gehl no«di etwas uäher auf 
den Erysipelcoccus ein. Im Wesentlichen komme es aber nicht, darauf au, 
' wie man die Krankheit nenne, sondern es solle nur dargethan werden, dass 
j sie gut bekannt sei. 

Herr Virchow constatirt, dass er eine ganze Reihe von Fällen, wie 
1 sie Herr Senator klinisch beobachtet hat, anatomisch untersucht, und 
! darüber in den Charite-Berichten, namentlich aus den Jahren 1876—80, 

I Mittheilungen gemacht hat. Es handelte sich um infectiöse Processe. die 
! deu Pharynx und von da aus weiterschreitend Oesophagus, Magen und 
Darm betreffen, die aber andererseits auch eine grosse Neigung zeigen, von 
j deu genannten Stellen auf die benachbarten Theile überzugehen, also z. B. 

I vom oberen Theil dos Oesophagus und dem Pharynx auf die Halstheile, 
auf die Umgebung der Trachea, und von dem unteren Theile des Oesophagus 
| auf das Mediastinum und von da weiter auf die Pleura und die Lunge, 
ln manchen Fällen kann man den localen Ausgang unzweifelhaft nachweisen, 
ein anderer Theil ist metastatischer Natur. In letzterer Beziehung sind 
i namentlich häufig die Fälle, welche im Gefolge von puerperalen Erkrankungen 
| auftreten. Herr Virchow deinonstrirt aus der Sammlung des Pathologischen 
Instituts eine ganze Reihe hierher gehöriger Fälle. Ausser den beiden 
genannten Kategorieen giebt es endlich noch eine dritte Reihe solcher, bei 
denen eine bestimmte Ursache nicht nachzuweisen ist, die man also wohl 
als spontan bezeichnen kann. 

Herr Sonnenburg betout, dass auch den Chirurgen solche Fälle sehr 
1 wohl bekannt sind. Namentlich kommen solche acuten Phlegmonen des 
Pharynx häufig bei Kindern zur Beobachtung, die zwar gewöhnlich in die Form 
< der Abscedirung übergehen, an die sich aber auch ebenso leicht eine acute sep* 
j tische Phlegmone anschliesseu kann. Herr Sonnenburg stellt einen solchen 
Fall vor, bei dem sich Anfang Januar ohne nachweisbare Ursache eine acute 
Phlegmone des Rachens ausbildete. Das Kind wurde trnclieotomirt. Zu 
• gleicher Zeit zeigte sich eine starke Anschwellung unter dem reellu*ii 
j Kieferwinkel. Es wurde incidirt und eine grosse Drüse entfernt, die aber 
[ nicht in Eiterung übergegangen war. Jetzt wurde es möglich, (len Mund zu 
| «öffnen, dem eine mächtige Eitermenge entquoll. Es war eine ausgebreitete 
: Phlegmone des Rachens vorhanden, die mit der aussen angelegten Wunde 
! coinraunicirte. Das Kind ist jetzt iu der Reconvalescenz. Der Fall zeigt 
| die Wirksamkeit energischer chirurgischer Behandlung. Der Ausgangsnit 
i der septischen Phlegmone des Hachens ist natürlich derselbe wie der acuten 
1 Phlegmone. Die Gelegenheit der Entstehung der septischen Form dürfte im 
Hachen in erhöhter Weise vorhanden sein, wenn auch nur selten die eigent- 
; liehe Ursache nachgewiesen werden könnte. Ferner erinnert Herr Soli neu- 
I bürg an einen bereits von ihm publicirten Fall von acuter septischer INileg- 
| möne des Pharynx bei einem Diabetiker. 

Herr Senator betont, dass er bei seiner Darstellung ausdrücklich alle 
| Fälle sowohl traumatischer als auch seeundärer, zu anderen Affeclionen hin¬ 
zutretender und metastatischer Natur ausgeschlossen habe. Mag inan diese 
1 Fälle unter irgend einem Gesichtspunkt mit den seinigen in einen gewissen 
1 Zusammenhang bringen, so bieten letztere doch klinisch ein Krankheitshild 
1 dar, das bisher nicht die gebührende Beachtung gefunden hat. Von Abseessen. 

! die geöffnet werden könnten, sei dabei gar keine Rede. Die Annahme eines 
erysipelatösen Processes hält Herr Senator nur für berechtigt, wenn enl- 
J weder die Schleimhaut erkrankt im Anschluss an ein Erysipel, oder wenn 
: sich au die Schleimhauterkrankung ein typisches Ilauterysipel anscliliesst, 
i oder endlich, wenn im Schleimhautgewebe Erysipelcoccen nachgewiesen werden, 
j Man könnte ebensogut an Scarlatina sine exantliemate denken, was aber 
| eben so wenig zu beweisen ist. 


i XI. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 25. October 1887. 

Vorsitzender: Herr Schede; Schriftführer: Herr Schuialftiss. 

Herr Deutsch mann: Ueber die sympathische Augenent¬ 
zündung. Man versteht unter sympathischen Augenerkrankungeu 
| überhaupt diejenigen Affectionen des Auges, welche ihre Entstehung 
einer vorgängigen Erkrankung des anderen Auges verdanken und 
zwar nur einer solchen. Vorzüglich sind zwei Hauptgruppen der 
! sympathischen Augenerkrankungen scharf von einander zu trennen, 
j die sympathischen Reizerscheinungen und die sympathischen Ent- 
I zündungserscheinungeil. Erstere gehen als solche nicht in die 
, letzteren über, sondern bilden eine abgeschlossene Symptomengruppe 
’ für sich, die das Charakteristische hat, dass mit Entfernung der das 
| ersterkrankte Auge afticirenden Grundursache vollständige Heilung 
auf dem zweiten Auge eintritt, um nicht mehr zu recidiviren. Ganz 
anders hei der sympathischen Entzündung. Das klinische Bild 
! derselben lässt sich in eine acute und eine chronische Form zer- 
I legen; beide Formen bieten hauptsächlich das Bild einer Iridocyclitis. 
, nur die Heftigkeit der Begleiterscheinungen ist eine verschiedene; 
eiue gleichzeitige Neuroretinitis lässt sich in der Mehrzahl der Fälle 
constatiren, wenn nicht eine exsudative Verlegung des Pupillenge¬ 
bietes den Einblick in das Augeninnere überhaupt unmöglich macht. 
Die acute und chronische Form sind prognostisch immer dubiös, der 
Zurückgang bei beiden oft genug, mit oder ohne wiederholte Reci- 
i dive, Phthisis bulbi mit totaler Erblindung. Für die Aetiologie 
, spielen die Verletzungen des ersten Bulbus die Hauptrolle, seien es 
j zufällige Traumen oder seltener Operationen; auch Tumoren und 
' Cysticerceu können eventuell, neben sogen, spontanen lridocborioidi- 


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74 


DEUTSCHE MEDIC1NISCTIE WOCnENSCHRrPT. 


No. 4 


titlen die Veranlassung zu sympathischerErkrankung des zweiten Auges 
geben. Zwischen der Erkrankung des ersten und der des zweiten Auges 
vergold immer eine gewisse Zeit; der gewöhnliche Termin sind 3 
bis t> Wochen, eine äusserste Grenzt: lässt sich nicht teststellen, 
nach 25 und 30 Jahren (seit der Erkrankung des ersten Auges) hat 
man sympathische Entzündung entstehen sehen. 

Bezüglich der Pathogenese des Processes hatte schon Mackenzie 
die 3 möglichen Wege der Entzündungsverbreitung von einem auf 
das andere Auge aufgestellt: Gefässbahnen, Bahnen der Ciliarnerven, 
Bahn des Sehnerven mit Vermittelung des Chiasmus. Durch Heinrich 
Müller kam besonders die Ciliarnerventheorie zu Ansehen, wiewohl 
keine positiven Befunde, d. h. Zeichen von Entzündungsleitung an 
ihnen, die Ansicht unterstützten, die in neuerer Zeit, gemäss den 
veränderten pathologischen Anschauungen, immer mehr gegen die 
Leitungsbahn durch den Opticus an Anhängern verlor. Der Vor¬ 
tragende versuchte die Frage mit Hülfe des Thierexperimentes zu 
lösen. Von der Annahme ausgehend, dass nur solche verletzten 
Augen die Ursache für eine Erkrankung des 2. Auges würden, welche 
durch eine lufeetion zu Grunde gegangen wären, da das Auge ab¬ 
solut seine Verwundungen reizlos verträgt, ohne jemals zu sympa¬ 
thischer Affeetion zu führen, inficirte er Kaniuehenaugen. nach vor¬ 
gängigen Orientirungsversuchen mit Aspergillussporen, mit Auf¬ 
schwemmungen von Spaltpilzreinculturen, und zwar von Staphvlo- 
eoccus pyogenes aureus und flavus; die Culturen wurden in den 
Glaskörperraum eines Auges eingebracht, und es entstand in der That 
nach einigen Tagen eine Neuroretinitis auf dem zweiten Auge, die sich 
nach vorn fortpflanzend bis zur Cyelitis gedieh; die Thiere starben 
an durch Blutculturen nachweisbarer Allgemeininfection, vor voll¬ 
ständig typischer Ausbildung auch noch der Iritis; kürzt man den 
zu durchlaufenden Weg für die Mikroorganismen ab, so entsteht 
auch die Iritis. Die pathologisch-anatomische Untersuchung ergab 
regelmässig als Leitungsweg für die Entzündungsträger und damit 
die Entzündung selbst, den Opticus mit seinen Lymphbahnen; hier 
gehen die Organismen aufwärts im ersten Opticus, biegen im Chiasma 
um und geheu nun im zweiten Opticus hinab, um, im zweiten Auge 
angelangt, ihre deletäre Wirkung zu entfalten. Die Untersuchung 
menschlicher Augen musste nun erweisen, ob auch hier die gleiche 
Annahme statthaft wäre, und sie erweist es in der That. Au Augen, 
die wegen Erregung sympathischer Augeneutzünduug enucleirt waren, 
gelang es leicht, Mikroorganismen nachzuweisen, aus frischen 
solchen Augen, ohne Mühe, besonders aus den mit entfernten Op¬ 
ticusstückchen, Mikroorganismen vom Aussehen des weissen und 
gelbeu Staphylocoeeus zu züchten. Auf das Thier überimpft er¬ 
wiesen sie auch ihre Pathogenität. Als noch wichtiger für die Ana¬ 
logie zwischen dem Thierversuch und der menschlichen sympathi¬ 
schen Ophthalmie muss der Umstand angesehen werden, dass sich aus 
dem Kammerwasser des frisch erkrankten zweiten Auges die gleichen 
pathogenen Mikroorganismen züchten lassen, wie aus dem ersten 
Auge. — Die sympathische Augeuentzündung ist danach aufzu¬ 
fassen als beruhend auf einem infectiösen Krankheitsprocess, der 
durch die Bahn des Sehnervenapparates von dem einen zum anderen 
Auge übertragen wird. — Der Vortragende erläutert darauf zum 
Schluss au der Hand dieser Theorie verschiedene Einzelerscheinungen 
im Bilde der sympathischen Ophthalmie und fügt einige Bemerkun¬ 
gen über die Therapie derselben hinzu. 

Piscussion. 

Herr Salomon fragt, ob Redner überhaupt jede Ciliameurose oder 
sympathische Reizuug (sympathische Neurose) in Abrede stelle. 

Herr Deutschmann nimmt nochmals Gelegenheit, gegen die Ver¬ 
mengung der sympathischen Reizerscheinungen mit der sympathischen Ent¬ 
zündung einzutreten: für erstere möge die Reflexbahn der (’iliarnerven ihre 
Gültigkeit behalten, aber sie habe mit der sympathischen Entzündung nichts 
zu schaffen. 

Der Vortragende demonstrirt besonders 2 mikroskopische Präparate: 
I) eine Reineultur von Kokken, die aus dem Kammcrwasser eines sympathisch 
erkrankten Auges gezüchtet sind; 2) einen Längsschnitt eines Opticus von 
einem Kaninchen mit küustlich erzeugter sympathischer Ophthalmie, wo sich 
der Zwisehenscheideuranm resp. das Scheidengewebe reichlich von Mikrokokken 
durchsetzt zeigt. 

Herr Salomon giebt nicht zu, dass alle Fälle sympathischer Augen¬ 
entzündung auf Einwanderung von Mikroorganismen zurückzuführen seien, 
ln einein von Salomon beschriebenen Falle und in einem selbst beobachteten 
sei die sympathische Entzündung nur in Coujunctiva und Hornhaut etahlirt 
gewesen, und sei nach Knueleation des zuerst erkrankten Auges vollständige 
Restitutio ad integrum eingetreten. Es spräche dies gegen die Bedeutung 
der Mikroorganismen. 


XII. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 13. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr-». Bamberger. Schriftführer: Herr Bergmei stcr. 

1. Herr Zeniann zeigt eine sehr voluminöse Abdominal-Gesctmnlst. 

2. Herr Ilochenegg demonstrirt ein Präparat das ein Unicum zu sein 
scheint. Die Eltern des 18jährigen Patienten, von dem das Präparat 
stammt, bemerkten schon im Alter von 6 Monaten eine Geschwulst, ain 


linken Unterkiefer, welche damals nur gegen die Mundhöhle, nach einem 
Jahre aber auch schon aussen wahrnehmbar war. lui weiteren Verlaufe 
1 i.inslalirlcn die Eltern, dass die Geschwulst immer zuuehuic, und dass links 
' die Zähne gänzlich ausldieben. Im 8. Lebensjahre trat ein Zahn auf, 

! wurde aber bald locker und musste gezogen werdeu, die Wuude soll ein 

j ganzes Jahr geblutet haben. Vom 15.—16. Jahre entwickelte sich jener 

, Theil des Tumors, welcher dem horizontalen Aste entsprach, in letzterer Zeit 
• hingegen der ain ansteigenden Aste sitzende Theil, so dass bald die ganze 
linke Gesichts- und Halsseite von der Geschwulst, überragt wurde. Die Ge¬ 
schwulst machte sonst keine Beschwerden, nur hinderte sie das Oeffneu des 
' Mundes, das nur bis zu einem halben cm vor sich gehen konnte, so dass Pat. 

auf kleine Bissen angewiesen war. Bei der Aufnahme auf die Klinik des 

Prof. Albert fand man au der linken Gesichtshälfte eine bimförmige, nach 
oben bis zur Lidspalte, nach unten bis zur Clavicula reichende, von nor¬ 
maler Haut bedeckte Geschwulst, die im unteren Antheile fluctuirte, während 
sie gegen die Mundhöhle zu kuochenhart war. Der Oberkiefer war durch 
den Tumor vollständig eingedrückt, das Jochbein mehr horizontal gelagert, 
papierdünn, die Schleimhaut, die den Tumor in der Mundhöhle bedeckte, 
war normal, die Zähne fehlten linkerseits vollständig. Prof. Albert führte 
die Operation am 7. Mai aus, die Geschwulst wurde durch einen Schnitt 
über die grösste Convexität und durch Abpräpariren der Haut blossgelegt, 

: gegen den Kiefer und gegen die Mundhöhle freigemacht und mit einem bis 
gegen den ersten Mahlzahn reichenden Stücke des Kiefers entfernt, wobei 
| der weiche Theil der Geschwulst platzte und eine gelbliche, klare, zähe 
| Flüssigkeit entleerte. Da die Zunge durch die Geschwulst lange Zeit ver¬ 
lagert und niedergedrückt war, ging das Schlucken nicht gut vor sich, der 
! Kranke bekam eine katarrhalische Pneumonie: während der Dauer derselben 
granulirte die Wuude nicht. 31 Tage nach der Operation wurde Pat. geheilt 
I entlassen mit einer verludtnissmässig sehr geringen Entstellung des Ge- 
! sichts. Der exstirpirte Tumor besteht aus zwei Theilen: einem cystischeu 
' und eiuem festen. Der erstere ist offenbar aus der Oonfluenz mehrerer 
, Cysten durch Schwund der Septa hervorgegangen, der feste Theil bestellt 
aus einer dem Knochen und einer der Zahntextur ähnlichen Substanz. Die 
Einreihung dieser Combination von Odontom und Cyste in das Schema 
der Geschwülste ist nicht leicht. Mugitnt thcilt diese Cysten ein in solche. 

; die aus dem sich bildenden Zahn (folliculäre Cysten), und solche, die ans 
dem bereits gebildeten Zahn entstehen (periostale Cysten). Die erstere» 
j theilt ei wieder in 3 Kategorieen: solche, die sich im embryonalen Stadium, 
j solche, die sich während der Zahnbildung, und solche, die sich bei voll- 
! ständig ausgebildeter Krone entwickeln. Die deinonstrirte Cyste würde noch 
I am besten in die zweite Kategorie der folliculäreu Cysten eingereiht werden 
' können. 

3. Herr Hochenegg demonstrirt ferner ein Aneurysma der Arteria 
| interossea. Der 21jährige Kranke litt im Alter von 17 Jahren an Gelenk¬ 
rheumatismus, dem s-ich ein Klappenfehler anschloss. Vier Wochen vor 
Eintritt in’s Spital recidivirte der Rheumatismus, die Schwellung der Gelenke 

! schwand jedoch bald, mit Ausnahme des linken Ellbogengelenks, woselbst 
, die Schwellung längere Zeit zurückblieb. Im weiteren Verlaufe entwickelte 
] sich an der Ulnarseite des linken Vorderarms eine Hervorwölbung mit colla- 
i'teralem Oedem, die der behandelnde Arzt als Abscess diagnosticirte, behufs 
; dessen Eröffnung er den Kranken auf die Klinik des Prof. Albert schickte, 
i Hier fand man an der Ulnarseite des linken Vorderarms, unterhalb der Ge¬ 
lenklinie, eine halb gänseeigrosse Geschwulst, in der man Schwirren wahr¬ 
nehmen konnte, und welche deutliche transversale Pulsationen zeigte. Es 
handelte sich also um ein Aueurysma, welches wegen der Regelmässigkeit 
des Radialpulses iu die Art. ulnaris localisirt wurde. Die unblutige Methode 
(Esmarch’sche Einwickelung, Compression durch Pelotten) hatte den Effect, 

; dass die Geschwulst kleiner und die Pulsationen schwächer wurden. Der 
Patient befand sich bereits wohl, als er plötzlich über Schmerzen im rechten 
i Hüft- und Kniegelenke zu klagen anfing und erhöhte Temperatur zeigte: 
j bald trat an der Retromalleolargegend eine phlegmonöse Stelle auf, die ganz 
] ähnlich war derjenigen, die der Entstehung des Vorderarm-Aneurysma vor- 
i ausging, so dass Pat. voraussagte, er werde auch an dieser Stelle ein Aneu- 
! rysma bekommen. Seine Voraussage traf nicht ein, denn er starb bald dar¬ 
auf — wie die Section zeigte — in Folge der Ruptur einer Mesenterial¬ 
arterie. Es fand sich ausserdem eine Insufficienz der Mitralis und der Aorta. 
Das Aneurysma zeigte sich als nicht der Ulnaris, sondern der A. interossea 
angehörend, und zwar sass es an der Stelle, wo die Interossea von der Ul¬ 
naris abgeht. 

Herr Eisensohitz interpellirt den Vorredner bezüglich der Natur des 
Aneurysma’s. Da die Affeetion des Circulationsapparates in diesem Falle 
, zweifellos mit dem Rheumatismus in Zusammenhang steht, so wäre es ja 
möglich, dass es sich um eine mycotische Ursache handle. 

Herr R. Pal tauf, der die Section dieses Falles ausgeführt hat, be¬ 
merkt, dass die Ansicht des Vorredners in der That hier zutrifft, es fanden 
sicli neben Resten einer alten auch eine recente Endocarditis sowie Bacterien- 
haufeu au den endoearditischen Producten und an den Sehneufäden. 

Die Art dieser Aneurysmen ist schon bekannt, ihre Natur ist erst durch 
Eppinger näher studirt worden, der 7 derartige Fälle zusammengestellt, hat. 
Bei allen fand sich eine frische oder alte Endocarditis verrucosa bacteritica, 

; in säramtlichen Fällen waren multiple Aneurysmen vorwiegend an den 
| Theilungsstellen der Gefasse, häufig auch miliare Aneurysmen zu finden. 

| Redner hat 4 solche Fälle beobachtet, bei denen alle angeführten Kenn¬ 
zeichen vorhanden waren. Nach Eppinger entwickeln sich diese Aneurys- 
I men in der Weise, dass in Folge eines angeschwemmten embolischen Ge- 
j rinnseis mesarteritische entzündliche Herde entstehen, welche die Media zur 
, Spannung bringen, wodurch die Intima platzt und die Klastica mit einreisst. 

, Diese Aneurysmen entwickeln sehr viele Thromben und gehen somit, einem 
gewissen Grade von spontaner Heilung entgegen. 

4. Herr Kolisko zeigt eiu Präparat von Sarcomatosis, welches durch 
die eigentümliche Art der Metastasirung interessant ist. Die 40jährige 
Patientin lag auf der Abtheilung des Prim. Langer mit der Diagnose Sar- 


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26. Januar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 75 


■ om der Lauge. Die linke Thoraxhälfte ist vou zahlreichen faustgrossen, 1 
knolligen Geschwülsten gänzlich ausgefüllt, welche die Lunge vollständig 
ronoprirairen, in die Wandungen des Thorax hineinwuchern und auch an der 
Ausseuseitc desselben sichtbar sind. Das Mediastinum und das Herz waren 
nach rechts verschoben, das Zwerchfell war linkerseits nach abwärts gedrängt. 
An der hinteren Fläche des Magens zwischen den Schenkeln des Zwerchfells, 
an der Innenfläche des rechten Darmbeintellers, in der rechten und linken 
lnguiualgegeud, an der hinteren Wand und im Fundus des Uterus, an der 
Schädclhaut sassen zahlreiche solche Tumoren, die, wie jene im Thorax, 
weisslicb waren und eine faserige Textur zeigten und sich mikroskopisch 
als aus ziemlich kleinen Spindclzellen mit wenig faseriger lutercellularsub- 
sianz zusammengesetzt erwiesen. Die primäre Geschwulst befand sich am 
rechten Vorderarm, der vor 4 Jahren amputirt wurde. M. 


XIII. Wiener medicinisches Doctoren- 
Collegium. 

Sitzung am 5. December 1887. 

1. Herr Gersuny: Diagnostische Schwierigkeiten und Irrtliflmer. 

Der Vortragende macht auf die Wichtigkeit der Mittheilung diagnostischer 
Irrthümer aufmerksam uud erklärt, dass nur dieser Grund ihn zur Bekannt¬ 
machung einiger hierhergehöriger Fälle geführt habe. Zu den sichersten 
diagnostischen Hilfsmitteln gehört zweifellos das Symptom der Fluctuafion, 
indes» kann dasselbe vorhanden sein, auch wo keine freie Flüssigkeit da ist. 
So hat Redner einen sehr erfahrenen Chirurgen das Troicart in ein Lipom 
einsterhou gesehen, und er seihst hat in ein Carcinomrecidiv mit dem 
Spitzbistouri eingestoehen. Wie sehr der Tastsinn zuweilen täuscht, möge 
folgender Fall beweisen, ln eine hiesige Klinik kam einmal eine Frau, die 
sehr schwere Magenerschcinuugen zeigte, die Diagnose schwankte zwischen 
Ulcus uud Carcinom. Bevor die Kranke starb, wurde sie vom Vorstand der 
kliuik genau untersucht, welcher angab an einer Stelle einen Knoten zu 
fühlen, wodurch die Diagnose: Careinom festgestellt wurde. Bei der Section 
fand sich in der That ein Carcinom, dasselbe sass aber hoch oben am Fundus, 
konnte also nicht getastet worden sein. Die Tastbarkeit war demnach in 
diesem Falle pure Phantasie. 

Die Kxplorativpunetiou, die oft die Diagnose entscheidet, lässt zuweilen 
im .'stich. Im vorigen Jahre kam in’s Rudolphinerhaus ein junger Mann, 
der 2 Tage vorher an heftigom Erbrechen und einer .schmerzhaften Geschwulst 
in der rechten Scrotalhälftc erkrankt war. Die von den Aerzten des Hauses 
gemachte Kxplorativpuuction ergab reines, flüssiges Blut, die Diagnose 1 
wurde daher auf Blutung in die Tunica vaginalis testis gestellt. Nach ! 
eiuigen Tugen wurde die Geschwulst weicher und verkleinerte sich, das Er¬ 
brechen liess nach, und Pat. bekam Stuhl. Nach einer Woche traten wieder 
Schmerzen und Erbrechen auf, so dass sich der Vortragende zur Operation 
entschloss. In der Narkose wurde bis zum Sack präparirt, es fand sich eine 
Hernie in der Tunica vaginalis: in dieser sass der grösste Theil des grossen 
Netzes, welches von grösseren Veneu durchzogen war. Eine dieser Venen 
wurde offenbar bei der Puuction angeslocheu, daher die Blutung. Die Ope¬ 
ration wurde nach Kesection eines gangränösen Darmstückes vollendet, der 
Verlauf war ein vorzüglicher. 

Erschwert wird die Diagnose, wenn eine seltene Erkrankung unter dem 
Bilde einer alltäglichen auftritt- Ein solcher Fall ist folgender: Vor zwei 
Jahreu kam ein blasses 20jähriges Mädchen zum Vortragenden, welches 
-eit langer Zeit eine rundliche, bewegliche Geschwulst am inneren Rande 
des Kopfnickers in der Höhe des Zungenbeins hatte. Der Tumor machte 
ihr keine Beschwerden, doch wollte sie vou ihm befreit werden. Redner 
legle die Geschwulst bloss und zog sie etwas vor, von der oboren und 
unteren Peripherie zogen zwei Stränge, die ligirt und durchschnitten 
wurdeu; die Durchneidung verursachte eine heftige Blutung, doch genas 
die Pat. rasch. Bei der Untersuchung der entfernten Geschwulst fand sich 
in der Mitte derselben die Theilungsstellc der Carotis communis: es handelte 
sieh um ein Adenom der Gland. carotioa. 

Manchmal sind die örtlichen Symptome einer ziemlich schweren Er¬ 
krankung recht gering, so iin folgenden Falle: Im vorigen Frühjahr sah 
Redner ein Fräulein, das angeblich seit vier Monaten zu Bette lag. der 
Arzt hatte eine acute Coxitis diagnosticirt.. Als Redner die Kranke unter¬ 
suchte, konnte er keine schmerzhafte Stelle in der betreffenden Extremität 
tindeu, das Bein war ganz gut beweglich, so dass bei der grossen Nervosität 
des Mädchens eine Gelenkneurose angenommen wurde, nach einigen Wochcu 
• ou-tatirte indess ein College bei der Untersuchung in der Narkose eine 
Ankylose des Hüftgelenks, welche später von Herrn Gersuny mit Erfolg 
gesprengt wurde. 

Oft ist eine grosse Anzahl von Symptomen nur geeignet uns zu ver¬ 
wirren. Redner erzählt einen hierher gehörigen höchst interessanten Fall. 
Eine 41jährige Frau, die schon 5 Mal geboren hatte und stets gesund war, 
erkrankte vor 3—4 Monaten plötzlich an unstillbarem Erbrechen. Dieses 
Symptom, sowie das Ausbleiben der Menses veranlassten den Arzt, eine 
Gravidität zu diagnosticiren. Als Redner die Patientin sah, war dieselbe 
ibgemagert, sehr schwach, der Puls war äusserst klein, es bestand Meteoris¬ 
mus. das Colon transversum und descendens war mit harten Kothmassen 
gefällt. Im Abdomen fand sich ein Tumor, der aus dem Becken herauf¬ 
stieg, vom linken Tub. pubicum zum rechten Darmbeinstacbel reichte und 
handbreit die Symphyse überragte. Die Portio vaginalis war weich, aufge¬ 
lockert, im Seheidengewölbe war deutliche Fluctuation; die Geschwulst war 
uicht verschiebbar und wies keine festen Theile auf, 6 cm oberhalb des 
Anus comprimirte sie das Rectum, die Mammae waren schlaff, sonderten 
aber kein Colostrum ab, die Warzen wareu nicht pigmentirt, die Snn- 
dirung des Uterus gelang nicht Es blieb nichts übrig, als entweder eine 
Cyste im rechten Lig. latum oder eine extrauterine Schwangerschaft anzu- 
nehmeu. Es wurde die Laparotomie gemacht. Beim Eröffnen der Bauch¬ 
höhle lag der mit Flüssigkeit gefüllte Uterus vor, der die Geschwulst vor¬ 


getäuscht hatte, und erst beim tiefen Hineingreifeu in's Becken konnten 
Kindestheile gefühlt werden. Da die Pat. bereits den Gefahren eiuei 
Laparotomie ausgesetzt war, incidirte Herr Gersuny den Uterus und löste 
das ganze Ei, ohne es zu eröffnen, aus. Nach diesem Eingriff befand sich 
die Kranke besser, aber die Sache sollte damit nicht enden. Nach zehn 
Tagen trat das Erbrechen wieder auf, es bestand aber keine Croprosta.se. 
auch konnte im Unterleibe nichts gefunden werden. Durch die auf An¬ 
rathen eines Collegen vorgonommeuc Magenauswaschung wurden 2 Liter 
einer bräunlichen Flüssigkeit entleert, und man konnte nun im Magen einen 
kleinen, harten Tumor fühlen, ein Carcinom des Pylorus oder des oberen 
Jejunums. 22 Tage nach der ersten, führte Herr Gersuny die zweite 
Laparotomie aus, der Tumor sass an der hinteren Magenwand, daher er hei 
gefülltem Magen nicht tastbar war. Vierzehn Tage nach der Pylorusresoc- 
tion konnte Pat. das Bett verlassen. M. 

Sitzung am 19. December 1887. 

1. Herr Schnitzler demonstrirt einen goheilten Fall vou hochgradiger 
Perichondritis laryngea. Patient erkrankte Ende Decombcr 1885 unter 
Husten und Heiserkeit, wurde später von Prof. Schrötter 2 Monate mit 
Pinselung von Jodglyeerin. Argent. uitric. ohne Erfolg bohandelt, als er im 
Juli auf die Poliklinik kam. klagte er über hochgradige Heiserkeit, Husten. 
Schlingbeschwerden. Es bestand eine Schwellung der ganzen Kchlkopf- 
schleimhaut. Verdickung der Epiglottis, und an beiden Hälften derselben 
waren Geschwüre vorhanden, die Aryknorpel waren bedeutend verdickt, die 
Stimmbänder geröthet, geschwellt, die Interarytaenoidalschleimhaut unverändert. 
Geschwüre an der Epiglottis bei Intactsein des übrigen Kehlkopfes lassen 
auf Syphilis schliessen, kommen aber auch hei Tuberculose vor. Die 
Percussion ergab Dämpfung in den Lungenspitzen, aber die Untersuchung 
auf Tuberkelbacillen ergab ein negatives Resultat. Patient (ein Apotheker) 
erklärte, nie Syphilis gehabt zu haben, vor 10 Jahren habe er einen Tripper 
mit Bubonen gehabt, secundäre Erscheinungen sollen nie vorhanden gewesen 
sein. Jodoforineinblasungen, Sublimatspray-Inhalationen, Inunctionseur, hatten 
keinen Erfolg, im Gegentheil die Schwellung nahm bedeutend zu. so dass 
der Kranke der Suffocation nahe war. Auf Jodkali (3—5g täglich durch 
6 Wochen) trat Heilung ein. 

2. Herr v. Mosetig-Moorhof: Todesursachen nach Schussvcr- 
letznngen. Trotz der Mannigfaltigkeit der Todesursachen mach Schussver- 
letzungeu. lassen sich dieselben dennoch in zw r ei grosse Gruppen unterbringen: 
a) direkte und b) indirekte Todesursachen. 

Bei den direkten Ursachen erfolgt der Tod durch die Verletzung als 
solche ohne Mitwirkung anderer aceidentellcr Schädlichkeiten, und zwar 
früher oder später, je nach der physiologischen Wichtigkeit dos getroffenen 
Organs. So führen Verletzungen des Gehirns, Durchbohrungen des Herzens. 
Lufteiutritt in die N euen sofort zum Tode. Hierher gehört auch die Er¬ 
stickung in Folge plötzlicher Verlegung der Luftwege durch Steckenbleiben 
des Projeetils in der Traehea. durch Fracturcn und Knickungen des knorpeligen* 
Kehlkopfgcrüstes. durch Ueberschwemmung der Luftwege mit Blut. 

Zu den direkten, aber langsamer haltenden Verletzungen gehören die 
Verwundungen des Rückenmarkes, solche grosser arterieller Gefässc. der 
Shok und secundäre arterielle Blutungen in Ermangelung sofortiger Hülfe- 
leistuug. Solche secundäre Blutungen kommen nach Contusion uud 
consocutiver Nekrosirung der Gefässwand vor, ferner nach Gefässverletzungeii 
mit zeitweisem Steckenbleiben des verletzenden Gegenstandes, endlieh nach 
Decubitus der Gefässwand durch Druck eines starren Gegenstandes. 

Die indirekten Todesursachen, die in das Gebiet der Chirurgie gehören, 
theilt Redner in zwei Unterabtheilungen: in cinbolisclie Procossc und in 
NVundinfectioneu. Die embolischen Processe kommen als Fettcmbolieen "der 
als Faserstoffembolieen vor. Erstere entstehen nach Fracturcn grösserer 
Röhrenknochen, ihre Bedeutung hängt vom Organe, in welches sie eindringeu, 
ab. Die faserstoftigen Emboli sind die Folge von Thromhosirungcn grösserer 
Extremitätsvenen in der Umgebung der Bruchstelle. Der Vortragende verlor 
auf diese Weise in Belgrad 2 Verwundete mit 8chussfractureu. Bei der 
Obduction fand sieh in beiden Fällen eine Verstopfung der Artcriac basilares 
cerebri mit je einein Faserstoffeinbolus. Venenthrombosen verursachen 
zuweilen den letalen Ausgang dadurch, dass sie sich ceutralwärts bis zur 
Verstopfung von Hauptadern aufbauen und feuchten Brand der betreffenden 
Körperregion Hervorrufen, wie dies in einem vom Vortragenden in Belgrad 
beobachteten Falle stattgefunden hat. 

Von den Wundinfectionskrankheiten bespricht Herr v. Mosetig mir 
den Tetanus, der von der Antisepsis nicht beeinflusst wurde. Bezüglich 
der Aetiologie des Wundstarrkrampfes bemerkt der Vortragende, dass trotz 
der Entdeckung des Tetanusbacillus eine Lücke bleibt, da wir ja wissen, 
dass auch ohne äussere Verletzung (nach Luxationen, nach subcutancn 
Fraeturen etc.) Tetanus auftreten kann. Wenn zu Kriegszeiten der Tetaim- 
stets mit einer Verunreinigung der Wunde durch Erde in causale Beziehung 
gebracht würde, so müsste man sich eigentlich darüber wundern, dass 
nicht viel mehr Erkrankungen an Tetanus Vorkommen, als dies thatsäclilicli 
der Fall ist, da doch die meisten der Schwerverwundeten zu Boden fallen 
und sieh mit Erde und Staub besudeln. Eine weitere Frage wäre die, 
warum beim Kopftetanus der Bacillus seine Wirkung nur auf den Kopf 
beschränkt und nicht auch auf das Rückenmark ausdeliut. Eine dem 
Tetanus sehr ähnliche, auch sehr mörderische Krankheit ist die Neuritis 
ascendens. Die Differentialdiagnosc ist nur dann möglich, wenn mau die 
Entwickelungsweise der Krankheit kennt. 

Während der Tetanus mit Trismus einsetzt und sich dann weiter 
nach abwärts fortsetzt, beginnen die Krämpfe hei der Neuritis ascendens 
an einer Extremität, gehen nach aufwärts, und erst zum Schluss tritt 
Trismus auf. 

Die Principien der Prophylaxe der Wundkrankheiten liegen in folgenden 
drei Fundamentalsätzen Lister’s: 

1. I.et the woiind tn be alone, was für die kriegschirnrgischo 
Praxis so viel heisst als: Störe die Wunde nicht durch unnöthige Manipu¬ 
lationen. 


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76 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 4 


2. Let thc wuuml to he protecteil: Bedecke die Wunde, schütze sie 
vor Infcctionskciinen. 

3. Let to the wouud her free discharge: Sorge für unbehinderten 
Ahlluss der Secrete. Dieses letzte Axiom gilt freilich nur für aseptische 
Wunden, aber im Kriege muss man in der Regel die Wunden als nicht 
aseptisch betrachten und treu an dem Ausspruche v. Volkinann’s fcst- 
haltcn: Nichts für rein, resp. aseptisch zu halten, was man nicht selbst 
gereinigt und desinficirt hat. 

Dementsprechend warnt der Vortragende vor der schablonenmässigen 
Anwendung von Schorfverbänden, weil dieselben den Abgang der Wund- 
secretc hindern, und empfiehlt folgenden Normalverband für die erste Linie: 
Man lege der Wunde irgend eine antiseptische Schut/.decke auf und 
bedecke hierauf mit einem Stückchen Gummipapier, welches den Luftzutritt 
verhütet und die Schorf bildung verhindert, eudlich bringe man einen möglichst 
grossen mit Bindentouren befestigten, hydrophilen Ausscnverband ohne 
weitere impermeable Hülle an. 

Herr Fränkol hält die Schusswunden für a priori aseptisch und be¬ 
merkt. dass auch Bergmann dieser Ansicht ist. Dieser ist in den russisch- 
türkischen Krieg mit der Intention gezogen, dort die Antisepsis mit derselben 
Minutiosität wie in der Klinik durchzuführen, musste aber bald von seinem 
Vorhaben abgehen und überzeugte sich, dass jene Kniewunden am aller¬ 
besten heilten, denen er die Watte recht dick aufthürmtc. was doch auch 
eine Heilung unter dem trockenen Schorfe war. Redner hat in zahlreichen 
Fällen die Uobcrzeuguug gewonnen, dass die grösste Mehrzahl der Schuss- 
vcrletzungen, w'ofcrn das Princip der Nichtintervention bei ihnen cinge- 
haltcn wird, unter dem trockenen Schorfe vollkommen aseptisch verlaufen. 
Der von Herrn v. Mosetig empfohlene Verband begünstigte die Bildung 
einer feuchten Kammer, in welcher die Bactcrien vorzüglich vegetiren 
können. 

Herr v. Mosetig hat in mehr als 80% der von ihm beobachteten 
frischen Sehussvcrletzungcn mit seinem Norinalverhandc behandelt, aber 
noch nie irgend welchen Nachtheil beobachtet. Wohl aber hat er grosse 
Schäden durch die bei Schorfverbäuden entstehende Sccrctrctcntion ge¬ 
sehen. 

Herr Ilofmokl schliesst sich der Ausicht dos Herrn v. Mosetig 
an. Bei kleinen Verletzungen mit nur geringer Blutung sieht man unter 
dem Schorfverbande hin und wieder Heilung eintreten, wo abor eiuc grössere 
Blutung erfolgt, oder bei complicirten Fracturen würde er es nie wagen, 
einen Schorfverband anzulegen. 

Herr Frankel ist ebenfalls der Meinung, dass der trockene Schorf¬ 
verband mit dem Momente aufhört, wo Eiterung auftritt. M. 

XIV. Jouraal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

1 . 

A. Spina (Prag). Baeteriologische Versuche mit gefärb¬ 
ten Näh rs ti bst raten. Centralbl. für Bacteriologie. Bil. II. No. 2 
und 3'. 1887, p. 71—75. 

Spina empfiehlt zur Förderung der Erkenntniss der chemischen 
Beziehungen zwischen Baoterien und Nährböden die letzteren mit 
indigschwefelsaurem Natron oder Methylenblau zu färben. Bei vielen 
Bacterienartcn tritt dann im Laufe ihrer Entwickelung Entfärbung 
des Nährbodens (durch Reduction der Farbstoffe) ein. Zu bemerken 
ist, dass die gewöhnliche Fleischwasserpeptongelatiue schon an und 
für sich eine Entfärbung der in sie eingebrachten Farbstoffe bewirkt; 
Näliragar thut dies nicht. Carl Günther. 

H. Büchner, K. Luitgard und G. Riedl in. Ueber die 
Vermehrungsgeschwindigkeit der Baoterien. Centralbl. für 
Bacteriologie und Parasitenkunde. Bd. II. No. 1. 1887. 

Die Verfasser berichten über Versuche, welche die Feststellung 
der Vermehrungsgeschwindigkeit der Choleraspirillen 
betreffen. Eine Fleischwasserpeptonlösung wurde mit einer sehr ge¬ 
ringen Menge von Choleraculturaufschwemmung versetzt, und die 
Anzahl der in ihr nun pro ccm enthaltenen Keime durch Platten- 
culturen bestimmt („primäre“ Platten), die mit genau 1 ccm der in- 
ficirten Flüssigkeit angestellt wurden. Nach 2- bis östüudigem 
Stehen der inficirten Flüssigkeit bei 37° C. wurde ihr Keimgehalt 
pro ccm auf dieselbe Weise wieder bestimmt („secundäre“ Platten). 
Aus den beiden Resultaten und aus der Versnchsdauer liess sich 
dann die Vermehrungsgeschwindigkeit. d. h. die Zeit, die zur Bil¬ 
dung je einer neuen Generation erforderlich ist, berechnen; und zwar 
wurde hierbei vorausgesetzt, dass aus jeder Zelle immer zwei neue, 
niemals mehr oder weniger, entstehen. — Es fand sich für die 
Choleraspirillen eine bei den einzelnen Versuchen zwischen 19,3 und 
40,0 Minuten schwankende Generationsdauer. Carl Günther. 

F. Cahen. Ueber das Reductionsvermögen der Bau¬ 
te rieu. Aus dem Senekenberg'sehen Institut zu Frankfurt a. M. 
Zeitschrift für Hygiene. Bd. II. p. 386—396. 1887. 

Der Verfasser fand, dass viele Bacterien im Stande sind, aus 
der Lackmusfarbe, durch Reduction der letzteren, ein Leucopro- 
duct abznspalten, welches sich dann an der Luft wieder oxydiren 
lässt. Er benutzte gewöhnliche alkalische Nährgelatine oder Näbr- 
bouillon. der er eine sterilisirte, coiicentrirte. wässerige Lackmuslösung 
bis zu intensiv blaurother Färbung zugesetzt hatte, das Reductions¬ 


vermögen der verschiedensten Bacterienarten zu studiren. Hierbei 
zeigte es sich, „dass alle diejenigen Bacterien, welche die Gelatine 
verflüssigen, gleichzeitig auch Lackmus reducirten“. Die durch 
Entfärbung augezeigte Reduction machte nach und nach in den 
obersten, im Contact mit dem atmosphärischen Sauerstoff stehenden 
Schichten der verflüssigten Gelatine einer Oxydation (Wiedererscheinen 
der Farbe) Platz. Das Verhalten der nicht verflüssigenden 
Arten gegen Lackmus wurde in Bouillon, und zwar möglichst bei 
dem Temperaturoptimum geprüft, wo die event. Reductionsvorgänge 
am schnellsten verlaufen. Hierbei wurde die auffallende Thatsache 
gefunden, „dass einzelne Arten jenseits einer gewissen Temperatur¬ 
grenze keine Reduction mehr bewirkten, obgleich sie im Wachsthum 
nicht merklich zurückblieben“. Hierauf begründet der Verfasser eine 
Differentialdiagnose zwischen Spir. Cholerae asiat., Spir. Finkler 
und Käsespirillen: Von der Platte lier wird die verdächtige Colonie, 
die sich hei mikroskopischer Prüfung als aus Kommabacillen be¬ 
stehend erwiesen hat, in alkalische Lackmusbouillon geimpft und die 
letztere dann in eine Temperatur von 37° gebracht. Ist am nächsten 
Tag die Bouillon entfärbt, so ist, falls eine Verunreinigung ausge¬ 
schlossen ist, sicher auf Cholera zu schliessen, da Finkler’sche so¬ 
wie Käsespirillen bei 37° Lackmus nicht reduciren. — Von den 
nicht verflüssigenden Arten reducirten die einen (Bac. coli 
commune, B. lactis aerogenes, B. Pneumoniae, B. erythrosporus, B. 
cyanogenes, B. pyogenes foetidus) Lackmusbouillon; hei den anderen 
(Typhus abd., Schweinerothlauf, B. Neapolitanus, Streptoc. erysip., 
Tetragenus) liess sich ein Reductionsvermögen nicht constatiren. 
„ln allen Fällen, in denen eine Reduction des Lackmus auftrat, 
fand sich gleichzeitig in den ersten Tagen eine sauere Reaction der 
Nährlösung.“ Auch bei dem Bacillus des malignen Oedems, bekannt¬ 
lich einem obligaten Anaeroben, liess sich Reductionsvermögen 
constatiren; daraus schliesst der Verfasser, dass diese Organismen 
Sauerstoff für ihren Lebensprocess brauchen, denselben aber nicht 
aus der atmosphärischen Luft zu entnehmen vermögen, „soudern 
dass sic frisch abgespaltenen Sauerstoff gleichsam in statu nascemli 
zu ihrem Leben erfordern.“ Carl Günther. 

Chirurgie. 

1 . 

O. Kappeier. Die einzeitige Oholeeystenterostoiiii e. 
Correspondeuzblatt f. Schweiz. Aerzte, Jalirg. XVII. 1887. 

Kappeier stellte dem ärztlichen Vereine zu Münsterlingen 
einen 55jährigen Arbeiter vor. dem er im Monate zuvor wegen Ver¬ 
schluss des Gallenganges eine Gallenblasendünndarmfistel angelegt 
hatte. Seine Krankengeschichte ist kurz folgende: Der bis da hin 
gesunde Mann erkrankte ohne erfindliche Ursache an einem Icterus 
gravis mit Leberansehwellung bis händebreit unter den Rippen¬ 
bogen und gänseeigrossem fluctuirendem Gallenblasentumor. 
13 Wochen lang wurde gegen den Icterus mit allen Mitteln der 
innerlichen Therapie zu Felde gezogeu, aber ohne Erfolg, der 
Kranke wurde von Tag zu Tag gelber und elender und war dabei 
von einem unausstehlichen Hautjucken gepeinigt, so dass er seihst 
sein Heil in einer Operation suchte. Kappeler führte einen 
Längsschnitt zur Seite des rechten M. rectus und fand hei Eröff¬ 
nung der Bauchhöhle das Peritoneum milchig getrübt und verdickt. 
Die grosse Leber und die volle Gallenblase erschienen zunächst, in 
der Wunde, ohne dass sich an ihnen eine Neubildung oder ein 
Concrement gezeigt hätte, die Porta hepatis sowie auch der Pylorus 
waren in Ordnung, hingegen tastete man vor der Wirbelsäule in 
der Gegend des Pankreas, und diesem wahrscheinlich ungehörig, 
eine faustgrosse Geschwulst, die sich höckerig anfühlte und etwas 
verschieben liess. Zweifellos war darin das Hinderniss für die 
Wegsamkeit des Ductus choledocbus gefunden, doch liess es sich 
nicht wegräurnen. an eine Exstirpation war nicht zu denken; daher 
beschloss Kappeler, sich auf die Anlegung einer Fistel zwischen 
Gallenblase und Dann zu beschränken: er zog eine Dftnndarm- 
schlinge hervor — das Duodenum oder seine Nähe war hei diesen 
Leberdimensionen unerreichbar, der Dickdarm nach hinten gedrängt 
— streifte ein Stück von ihr aus. sperrte es provisorisch ab und 
schnitt es au, darauf erweiterte er die Punctionsöffnung der Gallen¬ 
blase, durch die- er mit dem Troikart den schwarzgrünen (350.0 g) 
Inhalt derselben entleert hatte, und schuf durch eiuen Kranz von 
Schleimhaut und Serosanähten eine, für eine Bleifeder durch¬ 
gängige Fistel zwischen Gallenblase und Dünndarm. Dieses geschah 
ausserhalb der Bauchhöhle auf eiuer warmen Serviette, es folgte 
dann die Versenkung, zuletzt die Naht der Bauchwunde. 

Der Patient genas von der Operation, die gelbe Farbe der 
Haut und das lästige Jucken verschwand, das Körpergewicht nahm 
trotz des vorhandenen Tumors zu. Die Fistel hat mit Ausnahme 
einer 6tägigen Störung bislang gut funetionirt. 

Gallenhlasendünndarmfisteln sind am Versuclisthiere schon oft 
und auf mancherlei Arten, am Menschen vor Kappeler nur ein¬ 
mal, und zwar von v. Wiuiwarter unter unsäglichen Mühen von 


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26. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


77 


Seiten des Operateure wie des Kranken in vielen Sitzungen her- ! 
gestellt worden, Kappeier glückte dies in einer Operation von | 
etwa einstündiger Dauer. Morian (Essen.) 

M. Hirschberg. Das Empyem der Gallenblase und 
seine chirurgische Behandlung. Deutsche Zeitschrift für 
Chirurgie, XXVI. Bd. 

Hirschberg machte, angeregt durch einen glücklich operirten 
einschlägigen Fall, das Empyem der Gallenblase sowie die Gallen¬ 
blasenoperationen zum Gegenstände eines im ärztlichen Vereine zu 
Frankfurt a/M. gehaltenen Vortrages. Die Krankengeschichte ist, kurz 
erzählt, folgende: 

Eine 44jährige Jungfrau war vor 10 Jahren öfter in mehrmonatlichen 
Zwischenräumen und vor 2 Jahren eine Zeit lang täglich von Gallenstein¬ 
koliken heimgesucbt; 4 Wochen vor Hirschberg’s erstem Besuche war 
ein ähnlicher Anfall heftigster Art aufgetreten: derselbe setzte mit Erbrechen 
ein, dauerte 4 Tage und hinterliess eine solche Spannung und Schmerz¬ 
haftigkeit im Leibe, besonders in der rechten Seite, dass Patientin ihr 
Lager nicht mehr verlassen konnte. Fieber und Icterus waren weder dies¬ 
mal noch je vorher im Spiele. Der Leib sah normal aus, rechts vom Nabel 
fühlte man eine zweifaustgrosse kugelige Geschwulst, welche mit der ver- 
grösserten Leber zusammenhing und nach abwärts bis zur Horizontalen der 
Spinae ilei reichte. Ihre Oberfläche war glatt, ihre Consistenz prall elastisch, 
verschieben liess sie sich nicht. Der leere Percussionsschall bewies, dass 
keine Dannschlingen über ihr lagerten. Die Hantirungen verursachten der 
Patientin grossen Schmerz. Einige Tage darauf nahm Hirschberg in 
Narkose mit dem Potain und dünner Canüle eine Punction vor, welche 125 g 
Eiter ergab: die Diagnose schwankte damit zwischen Leberabscess, Gallen- 
blasenempyem und Pyonephrose, sie drängte aber auf jeden Fall zur Ope¬ 
ration. Diese wurde denn auch 14 Tage später unternommen. Ein Quer¬ 
schnitt rechterseits in der Höhe des Nabels eröffnete die Bauchhöhle; man 
traf zunächst auf Leber, welche handbreit den Rippenbogen überragte; an 
ihr hing nach vom und unten ein zweifaustgrosser Tumor mit weissem 
Bauchfellüberzuge, der für die vergrösserte Gallenblase angesprochen wurde. 
Diese wurde nun aufgeschlitzt, während die Umgebung sorgfältig durch Com- 
pressen vor dem ausfliessenden Eiter geschützt war, mit Borsäurelösung aus¬ 
gewaschen und mit Jodoformgaze ausgetupft, die Ränder ihrer Thaler grossen 
Oeffnung rings mit der Bauchwand vernäht, der Rest der Bauchwunde ver¬ 
schlossen. In der Gallenblase fand sich zunächst kein Concrement, aber in 
dem Ductus cysticus sass ein wallnussgrosser weicher Stein, der mit dem 
scharfen Löffel unter grossen Schwierigkeiten herausbefördert wurde. Nun 
wurde die Gallenblase mit Jodoformgaze ausgestopft und das Ganze antisep¬ 
tisch verbunden. Nur 14 Tage lang floss Galle aus und in 6 Wochen war 
die Fistel spontan geheilt. 

Aus der Besprechung des Gallenblasenempyems sei nur her¬ 
vorgehoben, dass die Diagnose dieses Leidens bislang noch grosse 
Schwierigkeiten bereitet, Anhaltspunkte bieten sich in Folgendem: 
meist sind Gallensteinkoliken ohne Icterus vorhergegangen, und es 
besteht ein dumpfer Schmerz im rechten Hypochondrium, wohl auch 
in der rechten Schulter; Fieber kann fehlen. Rechts vom Nabel 
findet sich ein schmerzhafter, höchstens mannskopfgrosser Tumor, | 
der kugelig sich nach der Leber zu verjüngt. Derselbe ist von i 
glatter Oberfläche, meist prall elastischer Consistenz, seitlich ver¬ 
schieblich. Sehr selten liegt eine Darmschlinge über der Geschwulst. 
Die Punction des Tumors in Narkose unter antiseptischen Cautelen 
mit dünner Canüle und Potain’schem Apparate, welcher Hirsch- i 
berg sehr das Wort redet, ergibt Eiter, manchmal auch Gallen- 
farbstofF und Cholestearin. Differentialdiagnostisch kommen Leber- [ 
abscess, vereiterter Lebrechinococcus und Pyonephrose in Betracht, 
von denen nur die letztere praktische Bedeutuug besitzt. 

Aus der sehr lesenswerthen Erörterung über den Stand der 
Frage nach den Operationen an der Gallenblase, vor allem Cysto- j 
toinie und Cystectomie, möchten wir hier nur die praktischen Con- ! 
Sequenzen erwähnen. Für das Empyem der Gallenblase sowohl wie I 
für den Hydrops derselben und auch bei chronischer Lithiasis ist j 
die einzeitige Cystotomie indicirt, bei der letzgeuannten Affection 
concurrirt sie mit der Cystectomie; die ideale Cystotomie, d. h. die ! 
Cystotomie mit sofortiger Naht und Versenkung der Gallenblase, ist j 
wegen ihrer Gefährlichkeit zu verwerfen. Ist der Ductus chole- | 
dochus dauernd verschlossen, so reicht man mit der Cystotomie in 
den meisten Fällen auch aus; v. Winiwarter hat einmal mit un- ' 
säglicher Mühe eine nachträgliche Communication zwischen Gallen- i 
blase und Darm hergestellt (und Kappeier — siehe das vorher- ; 
gebende Referat — hat in einem Falle von dauerndem Verschluss des j 
Ductus choledochus eine Gallenblasendüundarmfistel in einer Sitzung 
angelegt. Ref.) Morian (Essen). 


XV. Oeffentliches Sanitätswesen. 

- Bericht Ober die Thätigkelt der zur Erforschung der Cholera 
!■ Jahre 1888 nach Egypten und Indien entsandten Commission, 

unter Mitwirkung von Dr. Robert Koch, bearbeitet von Dr. Georg Gaffky. 
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte III. Bd. Berlin, J. Springer, 
1887. — Referent 0. Riedel. 

In einem stattlichen Bande, welcher neben zahlreichen dem Text ein- 
gefügten Abbildungen durch 30 werthvolle Tafeln eine kostbare Beigabe 
erhalten hat, werden in ausführlicher Weise die Erlebnisse und die Thätig- 


keit der im Jahre 1883 nach Egypten und von da nach Indien gesandten 
Deutschen Choleracommissiou geschildert. Sind die epochemachenden 
Errungenschaften, welche in den vorläufigen, an den Staatssecretär des 
Innern gerichteten Berichten der in Spannung lauschenden gebildeten Welt 
die Entdeckung der Krankheitserreger der Cholera verkündeten, ebenso wie 
die auf breiterer, noch durch weitere experimentelle Forschungen erweiterter 
Grundlage ausgeführten Darlegungen Koch’s auf den beiden Cholera- 
conferenzen inzwischen schon wissenschaftliches Gemeingut geworden, so 
gewährt es doch ein ganz besonderes Interesse, in dem vorliegenden Buche 
die persönlichen Erlebnisse und Eindrücke der Commission, das methodische, 
in sicherer, zielbewusster Weise fortschreitende Verfahren der auf die 
Erforschung der Krankheitsursache gerichteten Bestrebungen zu verfolgen. 
Neben einer ausführlichen Schilderung des epidemischen Verhaltens der 
Cholera in den besuchten Ländern werden, theils auf Grund eigener an Ort 
und Stelle gewonnener Ermittelungen, theils von zuverlässigen Gewährsleuten 
entlehnter Erfahrungen in eingehender Weise die für die Seuchenlehre so 
bedeutungsvollen geographischen, ethnologischen, socialen und hygienischen 
Verhältnisse veranschaulicht, so dass nicht nur der Epidemiologe und Arzt, 
sondern auch jeder gebildete Laie eine Fülle der Anregung und Belehrung 
in jenem Berichte zu finden in der Lage ist. 

Als in der zweiten Hälfte des Juni 1883 die ersten Cholerafälle 
aus Damiette gemeldet worden waren, und sich bald darauf eine Weiter¬ 
verbreitung der Seuche in Egypten constatireu liess, mussten sich die Re¬ 
gierungen der westeuropäischen Staaten, mit Rücksicht auf die Erfahrung, 
dass 1865 die Cholera gleichfalls von Egypten ihren Einzug in Europa 
gehalten hatte, auf ein weiteres Vordringen der Seuche gefasst machen. 
Für die zu ergreifenden Schutzmaassregeln fehlte es bei der mangelhaften 
Kenntniss der Krankheitsursache an einer sicheren Grundlage. Die Hoffnung, 
eine solche in Gestalt einer endgültigen Erkennung des Wesens der Seuche 
zu gewinnen, durfte zur Zeit um so aussichtsvoller erscheinen, als in den 
letzten Jahren namentlich dank den verbesserten Untersuchungsmethoden 
in unserem Wissen über das Wesen der Infectionskrankheiten so ausser¬ 
ordentliche Fortschritte zu verzeichnen gewesen waren. 

Von der französischen Regierung war Ende Juli auf Pasteur’s Anregung 
eine wissenschaftliche Expedition nach Egypten in’s Werk gesetzt, welche am 
15. August dort eintraf. Von der deutschen Reichsverwaltung wurden die 
Mitglieder der zu entsendenden Commission am 11. August benachrichtigt. 
In vier Tagen war die Ausrüstung fertig gestellt, am 16. August verliess 
die Commission Berlin, traf am 23. Abends in Port Said, am 24. früh in 
Alexandrien ein und konnte schon wenige Stunden darauf die Obduction 
einer Choleraleiche und die Untersuchung der Entleerungen Cholerakranker 
in den Räumen des griechischen Spitals, welche bereitwilligst zur Ver¬ 
fügung gestellt waren, in Angriff nehmen. Es wurden in Alexaudrien im 
Ganzen 10 Obductionen und die Untersuchung der Entleerungen von 
11 Cholerakranken ausgeführt; wenn es auch nicht gelang, die Krankheits¬ 
ursache mit Sicherheit zu ermitteln, so wurden doch wichtige Anhaltspunkte 
gewonnen, welche nach dem Erlöschen der Cholera in Egypten eine Fort¬ 
setzung der Arbeiten in ihrem Heimathlande, in Indien, als wünschenswerth 
und Erfolg verheissend erkennen Hessen. 

Was die Herkunft und den Verlauf der Cholera in Egypten betrifft, 
so war der erste Fall officiell am 22. Juni in Damiette coustatirt worden. 
Während von einer Seite, von Chaffey und Ferrari, in einem an den 
Conseil sanitaire, maritime et quarantenaire d’Egypte eingereichten Gutachten 
die autochthone Entstehung der Cholera als Folge der insalubren Verhält¬ 
nisse Damiette’s als wahrscheinlich hingestellt wurde, brachte Dutrieux 
dieselbe in Zusammenhang mit einer voraufgegangenen Typhusepidemie und 
mit der Rinderpest, während schliesslich nach Hunter’s Auffassung die 
Cholera seit 1865 in Egypten überhaupt nie völlig erloschen gewesen um! 
jetzt nur aus dem endemischen Zustande in einen epidemischen über¬ 
gegangen sein sollte. Wie im Bericht dargelegt wird, entbehren diese 
Annahmen sämmtlich einer hinreichenden Begründung, und war vielmehr, 
wenn auch nicht eine bestimmte Persönlichkeit als Träger der ersten 
Infection nachgewiesen werden konnte, die Möglichkeit einer Einschleppung 
der Seuche über Port Said von Kalkutta und Bombay her eine mannigfaltige, 
in welch’ letzteren beiden Städten die Cholera im April und Mai zahlreiche 
Todesfälle verursacht hatte. — Am 27. Juni wurden Choleraerkrankungen 
in Port Said, . am 2. Juli in Mansurah, Samanud und Alexandrien, am 
15. Juli in der Hauptstadt Kairo constatirt, dann verbreitete sich die Seuche 
über das ganze Delta und setzte auch nilaufwärts ihren Weg fort. Der 
letzte Todesfall in Egypten kam am 26. December in Alexandrien vor. Für 
die Zeit der eigentlichen Epidemie vom 22. Juni bis 21. September sind 
die Todesfälle von dem Conseil sanitaire in einer officiellen Statistik zu¬ 
sammengestellt. Es starben nach Angabe derselben im Ganzen 28 722 
Menschen. Diese Zahl dürfte indessen hinter der Wirklichkeit weit Zurück¬ 
bleiben, da einerseits die Neigung vorherrschte, Choleratodesfälle zu ver¬ 
heimlichen, andererseits bei Frauen die Constatirung der Todesursache aus¬ 
schliesslich durch Hebammen erfolgt, während in den ländlichen Bezirken 
die Aufzeichnung der Todesfälle den Dorfbarbieren obliegt. Es wird dem¬ 
entsprechend von Mähe die Zahl der Todesfällle in Egypten auf 60000, von 
Dutrieux sogar auf 100000 veranschlagt. 

Bei der Verbreitung der Cholera in Egypten spielten theils die 
Eisenbahnstrassen theils die Flusswege eine hervorragende Rolle. Als 
wirksames Schutzmittel erwiesen sich die gänzliche Evacuirung der von den 
Seuchen betroffenen, hygienisch ungünstigen Stadttheile und das Verbot grosser 
Messen und Märkte. Die Sanitätscordous, welche allerdings zu spät, nach¬ 
dem bereits in Mansurah Todesfälle vorgekomraen waren, um Damiette 
herumgezogen wurden, erwiesen sich unwirksam, ebenso wie ein später, am 
17. Juli, um Alexandrien gezogener Schutzcordou. 

Als wichtigster hygienischer Missstand in den meisten egyptischen 
Städten muss die Wasserversorgung bezeichnet werden, da fast ausschliess¬ 
lich das Wasser des Nils, das ausserdem zur Aufnahme von allem möglichem 
Unrath dient, zu Genusszwecken benutzt wird. Nur der günstiger situirto 


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78 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4 


Theil der Bevölkerung ist in der Lage, sich dasselbe durch Filtrations- 
Apparate, Klärenlassen in Cistemen oder dgl. in einen reinlichen Zustand 
überzuführeu. Hauslatrinen sind gleichfalls ein Privilegium der höheren 
Gesellschaftsklassen. Der gewöhnliche Manu verrichtet seine Nothdurft in 
den Moscheen, welche mit Latrinen und mangelhaften Badeeinrichtungen 
versehen sind und somit einen günstigen Factor zur Verbreitung von 
Infectionsstoffen darstellen. Der weibliche Theil der Bevölkerung verrichtet 
seine Bedürfnisse auf den flachen Dächern. In Alexandrien findet sich eine 
theils aus älteren, theils aus neueren Canälen bestehende Canalisation, die 
aber nur mangelhaft functionirt. 

Egypten ist bisher im Ganzen sechsmal von Choleraepidemieen heim¬ 
gesucht worden. Jedesmal erfolgte der Beginn der Seuche im Juni oder 
Juli. Bei einem eingehenderen Vergleich des Verhaltens der beiden letzten 
Epidemieen, von 1865 und von 1883, zeigt sich, dass in Kairo die Zahl der 
Todesfälle annähernd eine gleiche war, dass auch das Verhalten der 
Intensität der Seuche ein übereinstimmendes war, indem beide Male die 
Curve der Todesfälle in rapider Weise anstieg. In Alexandrien dagegen, 
wo die Seuche früher ein gleiches Bild gezeigt hatte, fand im Jahre 1883 
ein ganz allmähliches Ansteigen der Seuchencurve statt, welche ebenso 
allmählich wieder abnahm. Während früher 22°/oo der Bevölkerung der 
Cholera erlagen, gingen jetzt nur 4°/oo zu Grunde. Da die übrigen 
hygienischen Verhältnisse im Wesentlichen dieselben geblieben waren, dürfte 
dieses abweichende Verhalten der Cholera auf die inzwischen erfolgte 
Veränderung der Wasserversorgung (Erweiterung der Wasserleitung) zurück¬ 
zuführen sein, eine Annahme, welche noch eine besondere Begründung 
durch das Verhalten der einzelnen Stadttheile während der beiden Epidemieen 
erhält. 

Von den drei am Suezcanal gelegenen Städten hat im Jahre 1883 
Port Said am wenigsten, Suez etwas mehr, Ismailia am meisten von der 
Cholera zu leiden gehabt. Dies verschiedene Verhalten wird gleichfalls mit 
der W’asserversorgung in Zusammenhang gebracht. Alle drei Städte erhalten 
ihr Wasser durch den oberhalb Kairo’s vom Nile abgehenden Ismailiacanal, 
doch ist letzterer, gerade bevor er in Ismailia benutzt wird, der Möglichkeit 
von Verunreinigungen durch Anwohner besonders ausgesetzt. 

Bevor die Commission Egypten verliess, um nach Indien zu gehen, 
nahm sie die Gelegenheit wahr, die Quarantäneanstalten am nördlichen 
Eude des rothen Meeres zu Ei Tor und El Wedj in Augenschein zu nehmen, 
woselbst die Insassen der Schiffe in Zelten auf dem Lande untergebracht 
werden. Auch über die Quarahtäneanstalten zu Alexandrien, Damiette und 
Suez werden eingehende durch Zeichnungen erläuterte Schilderungen gegeben. 
Die Quarantäneanstalt zu Kamaran im südlichsten Theile des rothen Meeres 
konnte leider nicht besucht werden. Dieselbe, im Jahre 1881 zum ersten 
Male benutzt, ist aus der Nothwendigkeit hervorgegangen, die aus dem 
fernen Osten anlangenden Pilger, bevor sie den Hedjaz betreten, auf ihren 
Gesundheitszustand zu untersuchen. Es müssen sich dorthin alle von 
jenseits Bab el Mandeb kommenden Pilgerschiffe begeben, ohne vorher einen 
anderen Hafen am rothen Meere anzulaufen. 

In ausführlicher Weise werden die Choleraepidemieen besprochen, welche 
in den Jahren 1877, 1881, 1882 und 1883 im Anschluss an die Pilger im 
Hedjaz stattgefunden haben. Aus der Geschichte der Cholera im Hedjaz 
geht zur Genüge hervor, wie drohend noch immer die Möglichkeit ist, dass 
von dort aus wieder einmal wie im Jahre 1865 die Seuche ihre Wanderung 
über Egypten und Europa antreten könne, wie gross andererseits die 
Schwierigkeiten sind, welche die egyptische Regierung und der Conseil 
•sanitaire mit ihrem redlichen Bestreben, jener Gefahr zu begegnen, nach wie vor 
zu überwinden haben. — Inzwischen vollziehen freilich sich auch im Osten 
des kaspischen Meeres gewaltige Veränderungen des Verkehrswesens, und 
die Zeit dürfte nicht fern sein, wo durch den Schienenstrang eine direkte 
Verbindung von Europa nach dem endemischen Gebiet der Cholera her¬ 
gestellt sein wird. 

Am 13. November verliess die Commission Suez, kam am 28. November 
in Ceylon an, woselbst das Lepraspital in Colombo besucht wurde. Am 
11. December wurde Madras, am 9. die Mündung des Hoogly, am 11. December 
Kalkutta erreicht. Hier wurden in den Räumen des Medical College 
Hospital die ferneren auf die Choleraätiologie gerichteten Ermittelungen in 
Angriff genommen. _ (Schluss folgt.) 


— Wie mau bei der Unfallversicherung im Reiche die UnfallrerhOtnng 
als eine lediglich den einzelnen Industriezweigen zufallende Aufgabe erklärt 
hat, so sollen auch die Grundzüge zur Alters* and Invalidenversicherung 
eine, den entsprechenden Paragraphen des Unfallversicherungsgesetzes 
analoge Bestimmung enthalten. Punkt 40 derselben besagt, dass die in 
Aussicht genommenen Versicherungsanstalten „Vorschriften zur Verhütung 
von Krankheiten erlassen dürfen“. Erläutert wird diese Bestimmung wie 
folgt: „Wie mit der modernen Art und Weise des industriellen und zu 
einem grossen Theile auch bereits des landwirtschaftlichen Betriebes Un¬ 
fallgefahren untrennbar verbunden sind, so hat sich auch auf Grund der 
von unserer medicinischen Wissenschaft angestellten Forschungen ergeben, 
dass es eine ganze Reihe specifischer Arbeiterkrankheiten giebt, die als 
Folge der Beschäftigungsart anzusehen sind. Da diese Krankheiten eine 
frühere als die normale Invalidität bei den von ihnen betroffenen Arbeitern 
herbeiführen, so werden die Versicherungsanstalten das grösste Interesse 
daran haben, dieselben auf das nun einmal nicht zu beseitigende Minimal¬ 
maass zu beschränken, und dieser Thätigkeit darf ein um so grösserer Erfolg 
in Aussicht gestellt werden, als bei der Alters- und Invalidenversicherung 
nicht wie bei der Unfallversicherung der Arbeitgeber allein, sondern auch 
der Arbeiter und das Reich finanziell interessirt sind.“ 


— In der Reichstagssitzung vom 21. Januar bei Gelegenheit der zweiten Be- 
rathung des Etat« für (las Reichsamt des Innern beklagte bei Cap. 12, Tit. 1 
(Gesundheitsamt) der Abgeordnete Lingens, dass das Reichsgesundheitsamt, 
welches zur Vermittelung zwischen Gesetzgebung und Wissenschaft eingesetzt 


worden sei, in der wichtigen Frage von der Gefährlichkeit der Nähe d er Kirch¬ 
höfe bisher geschwiegen habe. Die Untersuchungen Petteniofer’s haben 
ergeben, dass das Vorurtheil von der Gefährlichkeit der Nähe der Kirchhöfe weit 
übertrieben sei. Direktor im Reichsgesundheitsamt, Köhler, bestreitet, dass 
das Reichsgesundheitsamt diese wichtige Frage vernachlässigt habe. Aber 
; die auf dem Congress zu Wien 1881 dargelegten Erfahrungen Pettenkofer’s 
über die Wirksamkeit der Infectionskörper seien durch die Wissenschaft 
schon weit überholt worden. Das Reichsgesundheitsamt sei mit complicirten 
Untersuchungen beschäftigt, die noch nicht zum Abschlüsse gediehen seien. 

XVI. Therapeutische Mittheilungen. 

Die seeklim&tisclie Cor für neurasthenische und 
anämische Kinder. 

Von Medicinalrath Dr. J. Schwabe. 

Während die Wirksamkeit der Seebäder und ihre Indicationen zu 
den allgemein bekannten und vielbesprochenen Themen gehören, scheint 
die therapeutische Benutzung des Seeklima’s noch viel zu wenig ge¬ 
würdigt zu sein, obgleich für verschiedene Kranke, ganz vorzugsweise aber 
für schwächliche, neurasthenische und blutarme Kinder die klimatische Cur 
am Meeresstrande ein Heilmittel von eminenter Wirkung ist. 

Die Empfehlung des Seeklima’s zu Curzwecken ist ja nichts Neues; 
wir finden sie in jedem Handbuch der Therapie neben anderen klimatischen 
Curen und sonstigen Heilmitteln aufgeführt. Dass aber bei Kranken der 
genannten Kategorie die seeklimatische Cur alle anderen Heilmittel an 
| Wirksamkeit weit übertrifft, dass ferner der gute Erfolg an die richtige 
! örtliche Wahl und an die gehörige Dauer der Cur gebunden ist, das muss 
noch nachdrücklich hervorgehoben werden. 

Von den beiden unsere deutschen Küsten bespülenden Meeren eignet 
| sich entschieden vorzugsweise die Nordsee zum Curaufenthalt für Kinder. 

. Das Wasser der Ostsee ist bekanntlich kälter als das der Nordsee, und in 
Folge dessen, sowie in Folge der nahen russischen Nachbarschaft ist auch 
das Klima rauher und unsteter als das der Nordsee, deren Temperatur 
vom Golfstrom günstig beeinflusst wird, während die cimbrische Halbinsel 
die scharfen Ostwinde abschwächt. Auch auf den grösseren Salzgehalt des 
Wassers der Nordsee ist W’erth zu legen. 

Aber auch die Inseln der Nordsee eignen sich nicht in gleichem 
Maasse zur seeklimatischen Cur für neurasthenische Kinder. Viele der in 
Betracht kommenden Localitäten sind nicht hinreichend gegen rauhe Winde 
geschützt, was schon der Mangel an Bäumen erkennen lässt. Dies ist 
z. B. auf der Insel Sylt der Fall, die wieder den Vorzug eines prachtvollen 
Wellenschlages besitzt, wodurch sie zum Männerbad xar s$opjv sich eignet. 
Auch findet man ausserhalb der sogen. Saison die Bedingungen zu com- 
[ fortabler Existenz auf keiner Nordseeinsel in dem Grade vor, wie im Stadt¬ 
flecken Wyk auf Föhr. In letzterer Beziehung mögen einzelne Badeorte 
an der Festlaudsküste wohl auch gut bestellt sein. Aber immer ist eine 
Insel vorzuziehen wegen der hier weit grösseren Reinheit und sonstigen 
marinen Beschaffenheit der Luft. 

Wyk liegt an der südöstlichen Ecke der annähernd quadratischen, 
etwas über l'/a Quadratmeilen haltenden Insel Föhr. Der Ort ist daher 
gegen die aus Westen und Norden kommenden Winde geschützt, denen die 
westliche und nördliche Seite der Insel ausgesetzt ist. Man findet deshalb 
auf dieser Seite keine Bäume, während die bei weitem grössere südöstliche 
j Hälfte der Insel sich reichlichen Baumwucbses erfreut, der sich um die 
meisten der 14 oder 15 auf Föhr liegenden Dörfer gruppirt. Wyk ist in 
dieser Beziehung besonders begünstigt. Eine schöne dreifache Allee zieht 
sich etwa tausend Schritte dem Strande entlang, auf der einen Seite von 
schmucken Häusern besetzt, auf der anderen den freien Ausblick auf das 
von Schiffen belebte Meer bietend, eine Promenade, wie sie keine andere 
unserer Nordseeinseln aufzuweisen hat. Der langgestreckte, von feinem, 
weichen Sand bedeckte und selbst für kleinere Kinder völlig gefahrlose 
Strand, der sich ganz allmählich in’s Meer abdacht, bietet der Kinderwelt 
einen an unerschöpflichem Material reichen Spielplatz, an welchem das 
kleine Volk nie müde wird, im Sande Höhlen, Burgen etc. zu bauen, 
Muscheln zu sammeln und allerlei interessantes Meergethier zu fangen. 
Und was besonders hoch zu preisen ist: Dieser Aufenthalt in der frischen, 
bacterienfreien, salzgeschwängerteu und ozonreichen Seeluft wird nur selten 
durch allzu rauhes Wetter beeinträchtigt, so dass die Kinder sich einen 
grossen Theil des Tages im Freien herumtummeln können, ohne dass sie, 
auch wenn das Thermometer nur wenige Grad zeigt, frieren und sich Er¬ 
kältungskrankheiten holen. Dies gilt auch für zarte Kinder, die im con- 
tinentalen Klima der Heimath von jedem rauhen Lüftchen mit einem 
Katarrh begabt werden, der 6ie wochenlang an das Zimmer fesselt. 

Aus diesen Gründen ist für schwächliche Kinder der Aufenthalt zu 
Wyk auch während des Frühlings, Herbstes und selbst im Winter sehr zu 
empfehlen. Im ganzen deutschen Reiche dürfte sich kein Ort finden, wo 
die kleinen Patienten während der rauhen Jahreszeiten so vortrefflich auf¬ 
gehoben wären, wie zu Wyk. Uebrigens gilt, was hier von neurasthenischen 
Kindern gesagt ist, in gleichem Maasse auch für erwachsene Kranke dieser 
Kategorie, besonders für nervöse, chlorotische junge Mädchen. 

Als eine der zuerst sich zeigenden wohlthätigen Einwirkungen des 
reichlichen Genusses der freien Seeluft habe ich in Wyk oft die zauberhafte 
Hebung der Esslust und der Verdauung beobachtet. Welch’ erquicklicher 
Anblick es ist, ein vorher essunlustiges Kind freudig in ein schleswig-hol¬ 
steinisches Butterbrod einbeissen zu sehen, kann jedes Mutterherz sich 
denken, aber auch der Arzt, der sich so oft bei neurasthenischen Kindern 
vergeblich bemüht, den Appetit und die Nahrungszufuhr zu regeln. Jener 
günstige Erfolg documentirt sich schon nach wenigen Wochen durch be¬ 
trächtliche Gewichtszunahme und blühende Gesichtsfarbe, sowie auch das 
ganze, früher schlaffe, unlustige Wesen der Kinder einem thatkräftigeren,. 
frischen Verhalten weicht. 


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26. Januar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


79 


Von recht günstigem Einfluss schienen mir, sobald der allgemeine Kräfte¬ 
zustand sich etwas gehoben hatte, Ruderbootfahrten, ein Stück in die See 
hinaus, zu sein, wobei die kleinen Patienten sich am Rudern betheiligen, 
eine l'ebung, die ihnen nicht nur grosses Vergnügen macht, sondern auch 
die Muscolatur des Rumpfes und der Arme erheblich kräftigt. Selbstver¬ 
ständlich muss hierbei das gehörige Maass gehalten werden, damit die schäd¬ 
liche Folge zu grosser Muskelanstrengung vermieden werde. 

Die von Herrn Weigelt zu Wyk sorgfältig geführten Temperatur¬ 
tabellen ergeben, dass die täglichen Wärmedifferenzen sehr gering sind. Sie 
betrugen z. B. pro Tag: 

im Januar 1886: 3,4 Grad R 

„ Februar * 2,8 „ „ 

* Marz „ 3,7 „ „ 

In den Monaten des Sommerbalbjabres verursacht die stärkere Mittags-Inso¬ 
lation selbstverständlich eine grössere Differenz zwischen der höchsten und 
niedrigsten Tageswärme. 

Am westlichen Ende der Strandallee befindet sich die neuerrichtete 
Kinderbeilstätte, ein höchst stattlicher, allen hygienischen Anforderungen 
entsprechender Bau, in welchem während des Sommers gegen achtzig Kinder 
aus allen Ständen und Reichsländern Aufnahme und gute Verpflegung finden- 
Die ärztliche Leitung führt der in Wyk ansässige sehr intelligente Badearzt 
Dr. Gerber, während Pflege und Aufsicht von Schwestern des Augusta- 
hospitals zu Berlin besorgt wird. 

Denjenigen Eltern, welche für ihre Kinder bei längerem oder kürzerem 
Aufenthalt ein mehr familiäres Unterkommen wünschen, darf die Pension 
der Frau Dr. Horn aufs wärmste empfohlen werden. Den Kindern wird 
hier mütterliche Obhut und Pflege zu Theil, besonders auch gute und reich¬ 
liche Beköstigung. Der obengenannte Dr. Gerber ist in vorkommenden 
Fällen behandelnder Arzt der Pensionäre. Die Pensionspreise sind sehr 
massig. 

Zum Schluss noch ein Wort über den Gebrauch der Seebäder neben 
der seeklimatischen Cur. Bei schwächlichen, anämischen Kindern (auch 
Frauen) sind alle Kaltwasserproceduren fast immer schädlich, auch die See¬ 
bäder trotz ihres Salzgehaltes und Wellenschlages; eine Erfahrung, gegen 
welche vielfach gesündigt wird. Dagegen wirken warme und lauwarme See- 
wasserwannenbäder von 22 bis 28 Grad R, zweimal die Woche genommen, 
ganz wohlthuend. Es ist aber darauf zu achten, dass diese Bäder nur von 
kurzer Dauer (nicht über fünf Minuten!) sein dürfen, weil sie sonst über¬ 
reizend und schwächend wirken. Die Einrichtungen der W ei gelt’sehen 
Badeanstalt sind als musterhaft bekannt. 

Indem wir somit die klimatische Cur zu Wyk als ein alle anderen 
Cararten weit hinter sich lassendes Heilmittel für nervöse und schwächliche 
Kinder empfehlen, heben wir nochmals hervor, dass, wie eigentlich jede kli¬ 
matische, so auch die seeklimatische Cur, wenn sie nachhaltig wirken soll, 
möglichst weit über die gebräuchlichen vier oder sechs Wochen ausgedehnt 
werden muss. 


— Amylnitrit bei Cholera versuchte Dr. Palm in Japan (British 
med. Journal 5. November 1887) im Collapsstadium der Cholera während 
einer Epidemie, von der Voraussetzung ausgehend, dass das Mittel durch seine 
Wirkung auf das vasomotorische Nervensystem antagonistischen Einfluss auf 
das Choleragift besitze. Da bei Cholera eine Erweiterung und Congestionirung der 
Blutgefässe, der Eingeweide und Contraction der äusseren Blutgefässe statt¬ 
finde, müsste durch das Amylnitrit in Folge der Dilatation der Hautgefässe 
eine Herabsetzung der Congestion der Blutgefässe der Eingeweide eintreten. 
Er beobachtete, dass die Kranken grössere Dosen des Mittels einathmen 
konnten, bis eine Wirkung eintrat, und liess daher wiederholt die im Collaps¬ 
stadium befindlichen Cholerakranken das Mittel durch die Nase einathmen. 
Unter dessen Gebrauch nahm der fadenförmige, kaum fühlbare Puls an 
Volumen zu und konnte nach mehrmaliger Application am Handgelenk ge¬ 
fühlt werden. In manchen Fällen glaubt er diesem Mitte] die Rettung der 
dem Tode nahen Kranken verdanken zu müssen. Bei der Unmöglichkeit, 
während einer Epidemie ausführliche Beobachtungen über die einzelnen 
Kranken und die Heilungsfälle detaillirt zu notiren, musste er darauf ver¬ 
zichten, die Casuistik mitzutheilen, räth aber dringend, in vorkommenden 
Fällen von dem Amylnitrit Gebrauch zu machen, in der sicheren Erwartung, 
dass auch andere Aerzte denselben Nutzen davon erlangen werden. Bo. 

— Dr. Olichow wandte Antipyrin wegen der localen blutstillenden 
Wirkung, welche dasselbe hat, in 6 Fällen schwerer Haemoptoe an. als 
Inhalation 31/9:3VI. Wo alle übrigen Mittel im Stiche Hessen, hat er von 
diesen Inhalationen, */* stündlich vorgenommen, glänzenden Erfolg gesehen. 
Am gleichen Tage liess die Blutung nach und hörte am nächsten Tage 
auf. In allen 6 Fällen trat gleichzeitig Temperaturerniedrigung ein. (Russ- 
kaja Medizina 1887.) M. S. 

— In der Sitzung der Sociöte de Therapeutique vom 22. Juni 1887 
bespricht Dr. Bailly die verschiedenen Methoden, welche er behufs der 
AiiatketinDg der Hut vor Anwendung der Kauterisationen durch Paquelin 
oder Glüheisen geprüft hat. Weder Eis mit Seesalz gemischt, noch reines 
oder mit Phenylsäure gemischtes Cocain, noch auch zerstäubter Aether oder 
andere bisher gebräuchliche Mittel haben sich bewährt. Er wandte als einzig 
zuverlässiges Mittel das Methylchlorür nach Debove’s Rath an. Er lässt 
das Mittel auf die Haut zerstäuben und, sobald dieselbe weiss geworden, da- 
mü aufhören. Man kann dann mit der Kauterisation beginnen, welche dem 
Kranken nicht die geringsten Schmerzen verursacht. Bo. 

— Professor Fraser, welcher Strophantin» zuerst als Heilmittel in 
die Pharmacopoe einführte, warnt vor grösseren Gaben der Tinctur als bis 
zu 10 Tropfen und des Strophantin von 0,0002 auf ein Kilo Körpergewicht. 
Ausserdem ergaben die klinischen Beobachtungen, dass das Mittel bei Herz¬ 
krankheiten ohne Complication wirksam ist, hingegen bei hinzugetretenen 
Nierenleiden unwirksam bleibt. Bo. 


XVII. Zum Etat der Universitäten. 

i. 

In dem preussischen Cultusetat für 1888/89 sind bei den Uni¬ 
versitäten die dauernden Ausgaben um 259 242 Mk. erhöht. Der 
Hauptantheii der erhöhten dauernden Ausgaben kommt auf Berlin, 
woselbst neben neuen Professuren für Kirchengeschichte, klassische 
Philologie und Zoologie eine ausserordentliche Professur für Hais¬ 
und Nasenkrankheiten geschaffen worden ist. Die Professur sowie 
die Direktion des neueingerichteten Poliklinischen Instituts für Hais¬ 
und Nasenkrankheiten ist, wie bekannt, Bernhard Fraenkel, 
einem unserer hervorragendsten Förderer des Ausbaues der Rhino- 
Laryngologie, übertragen worden. Fraenkel hat auf seinem Gebiete 
mit unermüdlichem Eifer und mit den besten Erfolgen unser Wissen 
und Können durch werthvolle Arbeiten vermehrt. Auch diese Wochen¬ 
schrift erfreut sich eines Theils seiner Publicationen, und nicht wenig hat 
er dazu beigetragen, seiner speciellen Doctrin auch bei uns die Stellung 
einer selbstständigen Doctrin zu schaffen. Unverkennbar erforderte 
die besondere Technik der Untersuchung und Heilmethoden der 
Rhino-Laryngologie die Errichtung einer besonderen Unterrichts¬ 
anstalt, deren Eröffnung am 6. Juni vorigen Jahres erfolgte. Die 
Poliklinik iverfügt nach siebenmonatlichem Bestehen bereits über 
ein Material von nahezu 2000 Hülfesuchenden. Der von dem Diri¬ 
genten mit Unterstützung von zwei Assistenten abgehaltene Cursus 
erfreut sich des Besuches zahlreicher Studirenden, und an den 
Uebuogen für Fortgeschrittenere betheiligen sich eine Anzahl von 
Aerzten, unter denen sich auch eine Reihe von Ausländern befinden. 
Die Frequenz der Lernenden ergiebt, dass an B. Fraenkel ein zu¬ 
verlässiger und wegekundiger Leiter gewonnen ist, nicht minder er¬ 
giebt die Frequenz der Kranken den sicheren Beweis, dass das In- 
j stitut auch als Heilanstalt einem dringenden Bedürfnisse Abhülfe 
i geschaffen hat. Ueber die innere Einrichtung des Instituts haben 
I wir im vorigen Jahre ausführlich berichtet. 

Wie so manche segensreiche Reform des medicinischen Unter- 
■ richts der hohen Einsicht unseres Cultusministers Dr. v. Gossler 
! in die Aufgaben und Bedürfnisse der ärztlichen Wissenschaft und 
| seiner Initiative zu danken ist, so ist er es auch, der diese neue 
Arbeit«- und Unterrichtsstätte in’s Leben gerufen und ihr den Raum 
und die Mittel zu ihrer wissenschaftlichen Entfaltung gesichert hat. 
Die sorgsame Pflege der Wissenschaft und ihre Förderung durch 
die ihr gewidmeten Institutionen sind der Ausgangspunkt und 
! die Richtschnur für die Bestrebungen unseres hochverdienten Mi¬ 
nisters bis zum heutigen Tage gewesen, und dies erfüllt uns mit 
der festen Zuversicht, dass es ihm weiter gelingen wird, den me¬ 
dicinischen Unterricht im Sinne des Fortschrittes der Wissenschaft 
und den vorliegenden Bedürfnissen entsprechend zu reformiren. 

S. G. 


XVTEL Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Gelegentlich des diesjährigen Ordensfestes sind an An¬ 
gehörige des ärztlichen Standes u. a. folgende Auszeichnungen verliehen 
worden: Der Kronenorden II. CI. dem Geh. Medicinalrath und ord. Prof, 
an der Universität Halle Dr. R. v. Volkmann: der Rothe Adlerorden III. CI. 
mit der Schleife dem Reg.- und Geh. Medicinalrath Dr. Schwartz in 
Trier, dem Generalarzt II. CI. und Corpsarzt beim VI. Armeecorps Dr. 
! Strube; der Kronenorden III. CI. den Oberstabsärzten Dr. Grossheim, 
I Dr. Kirchner, Dr. Kohlhardt und Dr. Rothe; der Rothe Adlerorden 
j IV. CI. dem ordentlichen Professor Dr. Külz in Marburg, dem Reg.- und 
, Medicinalrath Dr. Wiebecke in Frankfurt a. 0., dem Sanitätsrath und 
! Polizei-Physikus Dr. Schlockow in Breslau. 

— Dem Vernehmen nach wird Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Senator, 
j der neue Dirigent der medicinischen Universitätspoliklinik, die Abtheilung 
: in der Charite, welcher er bislang Vorstand, behalten, dagegen seine Stellung 
I als dirigirender Arzt am Augustahospital aufgeben. 

— Auf Grund der Bestimmungen im § 29 der Gewerbeordnung vom 
: 21. Juni 1869 hat der Bundesrath beschlossen, dem § 7 der Bekanntmachung 
vom 2. Juni 1883, betreffend die ärztliche Vorprüfung, die nachstehende 
Fassung zu geben, in der die gesperrt gedruckten Sätze gegenüber der frü¬ 
heren Fassung neu sind: 

Von jedem Examinator wird eine Censur ertheilt, für welche aus¬ 
schliesslich die Bezeichnungen „sehr gut“ (1), „gut“ (2), „genügend“ (3), 
| „ungenügend“ (4), „schlecht“ (5) zulässig sind. Für jedes der vier ersten 
Fächer (§ 5, Abs. 1) wird je eine Censur, für Botanik und Zoologie das 
Mittel der beiden Einzelcensuren als eine Censur ertheilt. Für Diejenigen, 
weichein allen fünf Censuren mindestens „genügend“ erhalten haben, wird 
nach Beendigung der Prüfung von dem Vorsitzenden die Gesammtcensur 
ermittelt, indem die Summe der Zahlenwerthe der fünf Censuren durch 5 
getheilt wird. Ergeben sich bei der Theilung Brüche, so werden dieselben, 
I wenn sie über 0,5 betragen, als ein Ganzes gerechnet, andernfalls bleiben 
I sie unberücksichtigt. Das Prädikat -ungenügend“ oder „schlecht“ hat eine 
Wiederholungsprüfung in dem nicht bestandenen Fach zur Folge. Die 
■ Prüfung in Botanik und Zoologie gilt als nicht bes-tanden, 
! wenn auch nur für eines der beiden Fächer die Censur „unge- 
j nügend“ (4) oder „schlecht“ (5) ertheilt ist. Wenn eines der 
: beiden Fächer mit „genügend“ (3) oder einer besseren Censur 
! bestanden ist, so bleibt dieses Fach von der Wiederholungs- 


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80 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


prüfung ausgeschlossen. Die Frist beträgt je nach den Censuren und 
der Zahl der nicht bestandenen Prüfungsfächer zwei bis sechs Monate. Sie 
wird von dem Vorsitzenden nach Benehmen mit dem betreffenden Exami¬ 
nator bestimmt. 

— Die zweite Versammlung der Anatomischen Gesellschaft wird 
vom 21.—23. Mai (Pfingsten) unter dem Vorsitz von Geh. Rath Gegenbaur 
stattfinden. Der Vorstand erlässt eine Aufforderung, Vorträge und Demon¬ 
strationen möglichst frühzeitig bei dem Schriftführer, Prof. Dr, K. Barde¬ 
leben in Jena anzumelden. 

— Strassburg i. Eis. Der ordentliche Professor der Botanik, Heinrich 
Anton de Bary, ist im Alter von 57 Jahren gestorben. Dr. Bary promo- 
virte 1853 in der medicinischen Facultät in Berlin, war kurze Zeit prakti¬ 
scher Arzt in Frankfurt a. M., habilitirte sich 1854 in Tübingen, wurde 1855 
a. o. Professor in Freiburg, daselbst 1859 ordentlicher Professor, wurde 1867 
als ordentlicher Professor und Direktor des botanischen Gartens nach Halle 
und 1872 in gleicher Eigenschaft nach Strassburg berufen. Wir werden 
auf Leben und Wirken des hochverdienten Gelehrten noch eingehender zu¬ 
rückkommen. 

— Halle. Die Leopoldinisch-Caroliuische Akademie der 
Naturforscher hat die Professoren Geh. Med.-Rath Dr. Westphal (Berlin), 
Dr. Wolffhügel und Dr. Runge (Güttingen), Dr. v. Me ring (Strassburg) 
zu Mitgliedern ernannt. 

— Paris. In der Sitzung der Akadamie der Medicin am j 
27. December 1887 fand eine Discussion statt über die gegen die Ver- | 
breitung des unter dem Namen „la pelade“ bekannten Haarausfalls in j 
öffentlichen Anstalten (Lyceen, Alumnaten etc. etc.). Olli vier hält die 
Krankheit für meist tropho-neurotischen Ursprungs; er fordert genaue Prüfung 
und Untersuchung der Einzelfälle, will aber von einem kategorischen Aus- j 
schliessen der Peladösen von der Gemeinschaft mit den Gesunden nichts 
wissen; Besnier dagegen forderte eine stricte Trennung. Die Frage wurde ! 
schliesslich einer Commission von 6 Mitgliedern zur Prüfung übergeben, i 
(Sem. med). 

— In der Semaine medicale (No. 1, 1888) giebt Prof. Dieulafoy 
eine Erörterung über die Diagnostik des Magenkrebses. Keines von 
allen den für Magencarcinom allgemein für gültig gehaltenen Kennzeichen j 
ist absolut sicher. Die Diagnose kann mit Sicherheit allein gegründet 1 
werden auf die dauernde Abwesenheit der Salzsäure im Magensaft. 

— Petersburg. Prof. Dr. Kekule in Bonn ist zum correspondirenden 
Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften ernannt worden. 

— Ende Mai d. J. wird in Lemberg der V. Congress polnischer 
Aerzte und Naturforscher stattfinden, welcher mit einer hygienisch- 
ärztlichen und didaktisch naturwissenschaftlichen Ausstellung verbunden 
werden soll. 

— Italien. Das „Consiglio superiore di sanitä“ beschäftigt 
sich gegenwärtig mit der Frage nach den Maassregeln, die die Regierung 
zu ergreifen hat, um das Königreich vor einer neuen Invasion der Cholera 
im kommenden Sommer zu schützen. (Riforma med.). 

— Cholera. Das österreichische Handelsministerium hat die sämmt- 
lichen, bisher gegen italienische Provenienzen im österreichischen Küsten¬ 
gebiete noch bestehenden Sanitätsmaassregeln ausser Kraft gesetzt. 

— Universitäten. Wien. Das Professoreucollegium der medicini¬ 
schen Facultät hat die Habilitationsgesuche der DDr. L. Unger und F. 
Frühwald, beide für Pädiatrie, befürwortend erledigt, die Docentur-Candi- 
daten DDr. Ehrmann, Hochstetter, Neusser, Kolisko und Paltauf 
zur Probevorlesung zugelassen und dem Dr. v. Hacker unter Nachsicht der¬ 
selben die Docentur ertheilt. 

Berichtigung. 

Von Herrn Dr. Heidt in Danzig geht uns mit der Bitte um Veröffent¬ 
lichung Nachstehendes zu: 

In No. 52 der D. med. Wochenschr. 29./12. 1887 ist von Herrn Dr. 
Roth holz ein lesenswerther Aufsatz über die Beziehungen von 
Augen- zu Nasenkrankheiten veröffentlicht worden. In demselben 
führte derselbe au, dass in dem grossen Handbuch von Gräfe - San)isch 
sehr wenig und erst 1886 Dr. Nieden mehr Aufmerksamkeit der Sache 
gewidmet habe. Ich selbst nun glaube bereits im Jahre 1877 das ärzt¬ 
liche Publikum auf den Zusammenhang zwischen Nasen- und Augenkrank¬ 
heiten hingewiesen zu haben, und bitte mir daher die Priorität zu wahren. 

Der Artikel befindet sich in No. 37 der St. Petersburg. Medicin. Zeitg. 
1877 10./22. September als zweite Abtheilung einer anderen Arbeit über 
die Wirkungen des Amylnitrits bei Amblyopieen. 

Mein Aufsatz lautet wie folgt: 

„Auf der Kinderstation der Reimer’.sehen Augenheilanstalt in Riga 
habe ich gleich im Anfänge die Hartnäckigkeit scrophulöser Binde- wie 
Hornhautentzündungen von Neuem zu beobachten Gelegenheit gehabt. 
Durch die Lecture der kleinen Monographie von Dr. Michel, Cöln 1876, 
(Krankheiten der Nasenhöhle) wurde ich angeregt, die Nasenschleimhaut 
solcher Kinder öfters zu inspiciren. Fast in 73 aller Fälle, ambulatorischen 
sowie stationären (30), war zu constatiren, dass die Schleimhaut der Nasen¬ 
höhlen mit erkrankt war. In 3 Fällen war noch Perforation des Trommel¬ 
fells mit eitrigen Mittelohrkatarrheu vorhanden. Versuchsweise behandelte 
ich gleichzeitig die Nasenschleimhaut und war erstaunt, in relativ kurzer 
Zeit das sonst hartnäckige Augenleiden schwinden zu sehen. Etwas lang¬ 
samer ging es in den Fällen, wo das Mittelohr frei lag. Auch hier trat 
bald nach dem Aufhören des Ohrenflusses Besserung des Augenleidens ein. 

Da Kinder selbst nicht doucheu können oder wollen, so habe ich die 
Nasenhöhle selbst mittelst einer sogenannten englischen (was damals sehr 
gebräuchlich) Nasenspritze gereinigt. 

Für gewöhnlich genügt als Flüssigkeit laues Wasser, dem man nach 
Belieben Kochsalz, oder chlorsaures Kali (*/a Esslöffel auf 1 L Wasser), zu¬ 
setzen kann. 


No. 4 


Ich mache es der Art, dass ich den Kindern befehle, den Kopf nach 
vorn zu beugen und während des Spritzens den Mund offen zu halten, in 
der Absicht, jede Schluckbewegung zu hindern. Beim Schluckakte öffnen 
sich die Tuben, das Wasser dringt in sie hinein und macht empfindliche 
Ohrschmerzen. 

Geschwürchen an der Nasenscheidewand oder an dem vorderen Ende 
der unteren Nasenmuschel habe ich direkt mit dem mitigirten Lapisstift be¬ 
tupft. Mittelst dieser gewiss einfachen Behandlung, bei der natürlich nie¬ 
mals Diät aus dem Spiele gelassen werden darf, sind Hornhaut- und 
Bindehautentzündungen, namentlich phlyctanulärer Form, welche oft Monate 
ja Jahre zu ihrer Heilung brauchen, in überraschend kurzer Zeit geheilt. 

Eine Erklärung dieser auffallenden Erscheinung ist nicht so leicht zu 
geben. Dient der Thränenkanal, welcher im direkten Zusammenhänge mit 
den Nasenhöhlen steht, dazu als Abzugskanal der Secrete aus dem Binde¬ 
hautsacke, welche durch ihr Verweilen in demselben die Ursache neuer 
Reize und Entzündungen sind, oder hat man anzunehmen, dass mittelst der 
Hervorrufuug eines Gegenreizes, wie ihn der Actus selbst bewirkt, eine 
Ableitung von dem afficirten Augengebilde stattfindet? Vollendete 
Thatsache ist die, wie auch mein damaliger Chef, Herr Dr. Waldheiner 
bemerkt bat, die auffallende Besserung scrophulöser Augenleiden bei ört¬ 
licher Behandlung der Nasenschleimhaut.“ 

Hochachtungsvoll Dr. med. Heidt. 


XIX. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Königl. Hofarzt Sanitäts-Rath Dr. Hof mann zu Berlin den 
Charakter als Geheimer Hofrath, sowie dem Stabsarzt ä la suite des Königl. 
Sächsischen Sanitäts-Officiercorps Dr. Wolf, commandirt zum Auswärtigen 
Amt, den Rothen Adler-Orden IV. CI. zu verleihen. 

Ernennungen: Der seitherige Kreis-Wundarzt Dr. Weissenborn 
zu Zielenzig ist zum Kreis-Physikus des Kreises Ost-Sternberg ernannt und 
der seitherige Kreis-Wundarzt des Saalkreises Dr. Strübe in Halle a./S. 
in gleicher Eigenschaft in den Stadtkreis Halle versetzt worden. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Legiehn von Liebemühl nach 
Uderwangen, Dr. Keppler von Neuenrade nach Balve, Dr. Rau von 
Dortmund nach Wandersleben, Ass.-Arzt a. D. Dr. Proetzsch von Wies¬ 
baden nach Hasslinghausen, Dr. Herrmann von Bülzheim (Pfalz) nach 
Berleburg, Dr. Kuemmell von Schoenewalde nach Dueren, Dr. Herrn. 
Schroeder von Treptow a. R. nach Grimmen. 

Verstorben ist: Der Arzt: Dr. Kayser in Höxter. 

Vacante Stellen: Die Kreis wundarztstellen der Kreise Warendorf, 
Sensburg mit Wohnsitz in Nicolaiken, Zell a. d. Mosel. 

2. Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Auszeichnungen: Der ordentl. Professor an der Universität Würz¬ 
burg Geh. Rath Dr. v. Kölliker durch Comthurkreuz d. Verd.-Ord. der 
Bayer. Krone. Hofrath und Hofstabsarzt Dr. Halm, Kr.-Med.-Rath 
Dr. Hofmann in Regensburg, Landger.-A. Med.-Rath Dr. Martin in 
München, Prof. Dr. Rüdinger in München, durch Verd.-Ord. v. hl. Michael 
IV. CI. Ob.-St.- und Garn.-A. Dr. Neuhöfer in München, Ob.-St.- und 
Garn.-A. Dr. Abert in Germersheim, Ob.-St.- und Reg.-A. Dr. Wagner 
durch Mil.-Verd.-Ord. I. CI. — Bez.-A. I. CI. Dr. Prestele in Augsburg 
und Landger.-A. Dr. Rauscher in Deggendorf durch Titel und Rang eines 
Medicinalrathes. Dr. Rapp in Reichenhall und Dr. Hertel in Kempten 
durch Titel und Rang eines Hofrathes. 

Ernennungen: Zu Bez.-Aerzten I. CI. Dr. Fr. Kaehn in Uffenheim 
und Dr. A. Dorffraeister (seither praktischer Arzt in Kolbermoor) in 
Ebersburg. 

Niederlassungen: Dr. A. Kiessling in Hofheim. Dr. H. Ditt- 
mayer und Dr. M. Alberts in Würzburg. 

Verzogen: Dr. J. B. Sartorius von München nach Würzburg. 

Ruhestandsversetzung: Bez.-Arzt I. CI. Dr. K. G. Bredauer 
in Cham. 

. 3. Württemberg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Landesver.) 

Auszeichnung: Dem Spital-Arzt Dr. Buttersack in Heilbronn ist 
der Titel eines Hofrathes verliehen worden. 

Ernennung: Dr. Häberle in Ulm zum Ob.-A.-A. daselbst; appr. 
Arzt F. Büttner in Freudenstadt zum Ob -A.-Wund-A. daselbst. 

Niederlassungen: Dr. A. Wider in Waldenbach; Dr. C. Meeh 
in Mundelsheim; Dr. P. Buttersack in Heilbronn; Dr. C. Hecht in 
Ravensburg. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Feibesch von Mundelsheim 
nach Offenbach; Dr. P. Bilfinger von Horb nach Laichingen. 

4. Baden. 

(Aerztl. Mitth. a. Baden.) 

Niederlassungen: Die prakt. Aerzte Dr. Frankenstein und 
W. Buhrow in Boxberg: Dr. F. Niemeyer in Villingen: Dr. Kämmerer 
in Seckenheim; Dr. Roth weiler inKandern; Dr. J. Tenkhof in St. Peter; 
Dr. Ä. Elsässer in Sinsheim; Dr. H. Keller und Dr. Jakobs iu 
Heidelberg. 

Verzogen: Die prakt. Aerzte 0. Schlegel von Villingen; Dr.Bloo- 
menthal von Offenburg; Dr. Guggenheim von Donaueschingen nach 
Konstanz: Dr. Graf von Krozingen nach Freiburg; Dr. Scheib von 
Heitersheim nach Krozingen; Dr. Blas von St. Peter nach Buchenbach; 
Dr. Bürk von Badenweiler nach Mülhausen i. Eis 

Gestorben: Die prakt. Aerzte Nicolas in Seckenheim; E. Bär in 
Markdorf. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld iu Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 5 


2. Februar 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactear Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Beiträge zur Localisation im Grosshim und 
über deren praktische Verwerthung. 1 ) 

Von Dr. M. Jastrowitz. 

Als Beitrag zur Lehre für die Localisation im Grosshirn wähleich 
mit Rücksicht auf den praktischen Zweck, da Abscesse mir nicht zu Ge¬ 
bote stehen, eine Anzahl von Tumoreufällen, bei welchen die Geschwülste 
in der sog. motorischen Region der Hirnrinde, oder in nicht zu 
grosser Entfernung davon sassen. Alle diese Fälle sind auf Tafel A 2 ) 
— einer Flächenansicht des Gehirns von oben —> zusammengestellt. 

Heutzutage leistet die Sicherheit der autiseptischeu Technik 
bei der Ausführung schwieriger Operationen ganz andere Gewähr 
für das Gelingen der Scbädeleröffnung iu grosser Ausdehnung, als 
dies in früheren Zeitperioden der Fall war, wo ein so kühner 
Operateur wie Dieffenbach vor derselben, als meist tödtlich 
verlaufend, ernstlich warnte und wo, der Bluhm’schen Sta¬ 
tistik zufolge, von 923 wegen Kopfverletzung Operirten, 473 = 51,25% 
starben. 3,2% nach Amidon, 4% nach Roberts betragen die 
Verluste in neuester Zeit, und, nach Lesser’s und Senger’s Beob¬ 
achtungen aus den Volkmann’schen und Hagedorn’schen Kliniken, 
wäre die Trepanation an und für sich überhaupt nicht mehr als 
lebensgefährliche Operation anzusehen. 

Man hat daher in Nord-Amerika und England das Gehirn selbst 
in Angriff zu nehmen und Tumoren aus demselben zu exstirpiren 
gewagt nach den bisher freilich spärlichen Berichten, zuweilen mit 
Erfolg. In einem Leitartikel des Boston Medical and Surgical 
Journal vom 5. Mai 1887 wird constatirt, dass die Schädhöhle 
bereits 10 Mal zu dem Zwecke eröffnet worden ist, einen ver- 
mutheten Tumor zu entfernen. In 4 Fällen trat gute Besserung 
ein. in 1 Fall, in welchem die Diagnose falsch war, genas der Patient 
von der Operation. In 2 Fällen, iu welchen zur Zeit, da die 
< Operation unternommen worden, die Kranken bereits sehr erschöpft 
waren, ist die Operation direct für den Tod verantwortlich zu 
machen. Endlich, in den 3 letzten, bildeten „Zufälle“. Eutzündung, 
Blutung, die Todesursache. 

Vor einem Jahre etwa hat Prof. Mc. Cormac. der Chirurg 
des St. Thomas-Hospitals in London, als ich ihn gelegentlich eines 
weiterhin mitzutheilenden Falles telegraphisch anfragte, ob in Eng¬ 
land nach Hirntumorenexstirpation dauernd günstige Resultate be¬ 
kannt geworden wären, diese Frage bejahend dahin beantwortet, 
dass deren mehrere von günstigem Verlauf bereits bekannt seien. 3 ) 
Von Macewen, Horsley, Hughlins Jacksou-Bastian 4 ) und 
Horsley-Ferrier sind erfolgreiche Operationen publicirt worden, 
vielleicht gehört der Godlee - Ben nett’sche Fall auch hierher, 
welcher nach 4 Wochen wegen ungenügender Aseptik tödtlich 
endigte. Der Horsley-Ferrier’sche Fall betraf eine sehr um¬ 
fängliche Geschwulst, und es blieb eine Paralyse des Armes und 
eine Parese des Beines zurück (Brain XXXVII, 94 und 110). 

Reseciren wir aber wegen Carcinom ganze Oberkiefer und folgen 
der Geschwulst, bis zur Schädelbasis, nehmen wir aus gleichen 
Gründen den Kehlkopf, Theile des Magens, des Darmes fort, bei 
einer im Allgemeinen doch recht ungünstigen Prognose, so scheint 
es gerechtfertigt, auch bei den traurigen Fällen von Hirntumoren 
zu operiren, selbst wenn nur sehr Wenige dem fast unvermeidlicheu 

*) Nach einem Vortrage, gehalten im Verein für innere Medicin. 

7 ) Die betr. Abbildung wird weiter unten zur Darstetlung kommen. 

*) „Several favorable results.“ 

4 ) Brain XXXVII p. 29—30. Fall des Thomas W. Fibröser Tuberkel an der 
Grenze des unteren und mittleren Drittheils der Centralwindnugen rechterseits. 


uud, wenn kein erlösender Schlagfluss eintritt, für die Patienten, 
wie für deren Angehörige, qualvollen Tode entrissen werden. Man 
darf sich nicht scheuen, eine Parese oder selbst Paralyse hinzu¬ 
nehmen, denn für den Arzt bildet die Erhaltung des Lebens, wenn 
es nur einigerinassen menschenwürdig ist, allerdings das Ziel, wo¬ 
nach er streben muss. 

Allein die Vorbedingung für eine Operation ist die genaue 
Kenntniss und Wissenschaft von der Natur und dem Sitz des 
Uebels, und eine exacte Forraulirung der Indicationen zum chirur¬ 
gischen Einschreiten. Hierbei hat die innere Medicin von ihrem 
Standpunkte aus sich zu betheiligen. 

Es ist unter Umständen, wenn eine bestimmte Reihe von All¬ 
gemeinsymptomen, Kopfschmerz, Erbrechen, Krämpfe, Stauungspa¬ 
pille vorhanden sind, sehr leicht, einen Tnmor im Gehirn zu dia- 
gnosticiren; wir wissen darum noch nicht, wo er sitzt, und fehlt 
ein Symptom, z. B. die Stauungspapille, so kann unsere Aufgabe 
eine sehr schwere werden. Andererseits können bestimmte Local¬ 
symptome uns den Sitz einer Läsion in diesem Organ scharf an¬ 
geben, wir erkennen daraus aber nicht die Natur dieser Läsion. 
Diese aber müssen wir gleichfalls kennen, wenn es den chirurgischen 
Eingriff gilt, denu was nützt die Schädeleröffnung, wenn wir z. B. 
einer ausgedehnten Erweichung begegnen, mit welcher der Chirurg 
bislaug nichts beginnen kann? Weil daher nur eine Comhinatiou 
beider Symptomengrappen uns die Geschwulst und ihren Sitz 
verräth. diese Groppen aber nicht selten nur jede allein, oder nicht 
in der Vollzähligkeit beobachtet werden, welche eine hier besonders 
nothwendige, sichere Diagnose verbürgt, z. B. die Stauungspapille 
keineswegs „fast constant“ gefunden wird, wie mau dies seit 
Annuske’s Zusammenstellung glaubt, so müssen wir danach trachten, 
sowohl unsere Allgemeinsymptorae zu erweitern, als auch die Herd¬ 
symptome genauer kennen und würdigen zu lernen. Auch die sehr 
flüssigen psychischen Symptome sollten beobachtet und verwerthet 
werden; jede kleine Beziehung kann durch ihr Zusammentreffen mit 
anderen Momenten ausschlaggebend werden. 

Fall II, Tafel A, den ich hier nur streifen will, da er an einem 
anderen Orte seine Würdigung finden soll, möge das Ausgeführte 
exemplificiren. Ein gänseeigrosses Syphilom, in welches der grössere 
Theil der zweiten und die ganze dritte linke Stirnwindung aufge¬ 
gangen war, das auch Erweichung des linken Cp. Striatum gesetzt 
hatte, gab als Symptome: Stauungspapille, rechtsseitige durch¬ 
gehende Hemiplegie nebst Rutnpflähmung, allgemeine Convulsionen 
und eigentümliche statische Krämpfe. Die Diagnose Tumor war ge¬ 
macht, aber eine Localisation war nicht möglich gewesen. Denn da Pa- 
ient wahrscheinlich Linkshänder war, — Sicheres war darüber nicht 
zu erfahren —, so zeigte er keine motorische Aphasie, die vielleicht 
auf die Spur des richtigen Sitzes der Affection hätte leiten können. 

Begreiflicherweise ist die motorische Region in den Hemi¬ 
sphären der Ausgangs- und Angelpunkt aller Diagnostik und fast 
alles bisherigen operativeu Eingreifens geworden. Denu, was wir 
bei einem Individuum von den Functionen seines Grosshirns über¬ 
haupt kennen lernen, das erfahren wir durch die willkürliche 
Muskel bewegung, durch die motorische Region (cf. Munk, Ueber 
die Functionen der Grosshirnrinde p. 74, 75). Der geistige Inhalt, 
insofern er lediglich durch Sprache, Schrift oder Mimik verlautbart 
wird, wird uns mittelst der Muskeln bekannt gegeben, denen die 
motorischen Felder den Impuls zur Bewegung leihen. Ob Jemand 
Sinneseiudrücke mittelst der Augen, Ohren etc. auffasst, können wir 
nur dadurch erfalireu, dass er es uns mitthcilL oder dadurch, dass 
er auf dieselben in willkürlicher Weise, wiederum mittelst'der nio- 


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8*2 

torischen Centren rengirt. Das ist so richtig, dass, wenn wir uns 
einen Menschen denken, dem die motorischen Regionen beiderseits 
bis auf den letzten Rest gänzlich zerstört sind, dies für den Beob¬ 
achter den gleichen Effect hätte, als wäre ein solcher Mensch des 
Grosshirus überhaupt beraubt, insofern ein solcher, abgesehen von 
der Fähigkeit zur willkürlichen Bewegung, auch aller seelischen 
Fähigkeiten und der Empfänglichkeit, für Siuneseindrücke baar er¬ 
schiene, während letztere in Wirklichkeit noch vorhanden sein könnten. 
Wir vermögen daher mit Sicherheit nur das zu erkennen, was dies¬ 
seits der motorischen Zone, gleichsam peripher von derselben vor¬ 
geht, nicht das, was jenseits dieser Grenze intracentral geschieht. 
Hier haben wir eine sinnverwirrende Zahl von Möglichkeiten in 
Betracht zu ziehen, zwischen denen eine Entscheidung schwer, und 
gewöhnlich gar nicht möglich ist. Um nur ein einfaches Beispiel 
zu geben, so können wir, wenn Jemand, der es darauf anlegt, uns 
irre zu führen, indem er eine bestimmte Bewegung auszuführen ver¬ 
weigert. eine Entscheidung nicht treffen, ob er dieselbe nicht aus¬ 
führen kann oder nicht ausführen will. Ebenso ergiebt die Analyse 
noch so einfacher Aphasieen beim Menschen oft eine Anzahl von 
Möglichkeiten, die uns gleich berechtigt dünken. — 

Um so mehr möchte es. bei solcher Sachlage, fast vermessen 
erscheinen, von der erforderlichen exacten Diagnose bei Hirntumoren 
zu sprechen, von denen wir wissen, dass sie Fernwirkungen i. e. 
Compression, rirculationsstörung. Hemmuugswirkung ausiibeu und 
mit Blutungen und Erweichungen oft sich combiniren, so dass sie 
von namhaften Autoren für die Localisationslehre völlig unbrauch¬ 
bar erklärt wordeu sind. 

Ich glaube indess, dass es durch eine Anzahl guter Beobach¬ 
tungen gelingen muss, diese Fernwirkungen festzustellen und, da 
Naturgesetze überall walten, auch unter eine Regel zu bringen. Ich 
hinein dieser Hinsicht ganz Wernicke's Meinung. Viele dieser 
Fernwirkungen sind flüchtiger Art, wie die Blasen- und Mastdarm¬ 
lähmung im Fall VI, welche sich bei dem Kranken zugleich mit 
einer Monoplegie des linken Beines, nebst lästigen Erectionen ein¬ 
stellte, und nach einigen Tagen schwand. Diese Fernsymptome wäre 
ich geneigt, als Hemmung durch Choc aufzufassen, deren Mecha¬ 
nismus freilich sehr unbekannt ist. Vielleicht erklären sie sich aus 
vorübergehendem Druck auf das Centrum für die Bauchmuskeln 
(llorsley) im Gyrus fornieatus. Bekannt sind als Fernwirkungeu 
auch ein- und doppelseitige Augenmuskellähmungen, namentlich 
oft Lähmungen der Abducenten. Fall 111 auf Tafel A beweist, 
dass dieselben selbst bei wochenlangem Bestehen nicht ohne 
Weiteres zu einer Localdiagnose berechtigen. Hier verursachte 
ein Hemisphärentumor am Fusse der zweiten rechten Stirnwindung 
linksseitige Hemiplegie, Stauungspapille und eine doppelseitige 
Abducenslähmung von wochenlanger Dauer (cf. Deutsche medici- 
uische Wochenschrift No. 26 1885). Als Ursache der letzteren fand 
sich bei der Section eine Blutung iu die Abducenskerne, am Boden 
des vierten Ventrikels, welche offenbar final war, da nicht die ge¬ 
ringsten Reactionserscheinungen wahrzunehmen waren. Aber die 
finale Blutung legte den Gedanken an eine vorangegangene starke 
Circulationsstörung dieses Ortes, vielleicht mit weiteren Folgen nahe, 
welche die Abducentenlähmung hervorgerufen haben konnte. Manche 
Fernwirkungen möchten sich vielleicht überhaupt aus capillaren 
Blutungen in den Hirnstamm erklären, welchen man oft, trotz all¬ 
gemeiner Anämie, doch von solchen durchsetzt sieht, namentlich in 
Pons und Medidla oblongata. Für die häufige Betheiligung gerade 
iles Abducens als Fernwirkung hat Gowers den Grund angegeben, 
dass dieser Nerv den langgestrecktesten Verlauf an der Basis Cranii 
und innerhalb des Sin. cavernosus habe; dort liegt er neben der 
Carotis; es könnte auch daran erinnert werden, dass bald nach 
seinem Austritte eine oder mehrere Ae. cerebelli post, um ihn herum 
nach oben sich schlagen. Wir müssen indess, falls Störungen in der 
Augeumuskelinnervation bei Hemisphärenaffectionen eintreten, auch 
daran denken, dass es wahrscheinlich Centren für die Bewegungen 
der Augen in der Rinde giebt. Als Stellen, die dafür zunächst 
zu beachten wären, ist der Gyr. angularis und der Fuss der zweiten 
Stirnwinduug zu nennen. Es wäreu gewisse Augenmuskellähmungen 
also überhaupt nicht Fern-, sondern Localsymptome. Mit den Fera- 
wirkungen werden wir schon fertig, wenn wir sie erst genügend 
kennen werden. 

Allein es wird eingeworfen, dass Tumoren vielfach latent sein 
können, selbst iu der motorischen Region, wo sie sonst Symptome 
geben; ferner dass sie die Hirnsubstanz ganz unregelmässig befallen, 
vor Allem sich nicht auf die Hirnrinde allein beschränken, sondern 
auch das Mark betheiligen, und folglich auch nicht lediglich Rinden- 
symptoine, sondern, indem sie im Mark unbekannte Verbindungs¬ 
wege unterbrechen, ganz unberechenbare Wirkungen setzen müssten, 
von vielleicht weit entlegenen Hirnabtheilungen aus. 

Obgleich aber die Latenz der Hirngeschwülste auch an em¬ 
pfindlichen Stellen der Hirnrinde sicher gestellt scheint, so ist 
eine solche völlige Latenz doch ein überaus seltenes Vorkomm- 


No. 5 

niss, wenn man den Kranken beständig vor Augen hat. Je nach 
der histologischen Beschaffenheit, der gut- oder bösartigen Natur 
der Tumoren gruppiren sich die Krankheitszeichen ihrem zeitlichen 
Verlaufe nach, und waren, von der Umgebung vielleicht unbemerkt, 
vorhanden, ehe wir deu Kranken sahen, sie sind zurückgegangen; 
wirkliche Ausfallssymptome, besonders die psychischen, können uns. 
ihrer Subtilität wegen, überhaupt entgehen. Ich glaube für meinen 
Theil nicht daran, dass ein ausgewachsenes Gehirn und ein ver¬ 
knöcherter Schädel an den Druck einer grossen Geschwulst sich 
allmählich gewöhnen kann, derart, dass Ganglien und Nerven nur 
bei Seite geschoben werden, ohne Schaden zu leiden. Diese Ele¬ 
mente werden vielmehr entweder, vermöge der den bösartigen Neu¬ 
bildungen eigenen metabolischen Kraft, durch die specifischen 
Zellen der Neubildung ersetzt, oder sehr bald, auch durch weiche 
Geschwülste, z. B. Cysticerkeu, zur Atrophie gebracht. Wie den¬ 
noch bei langsam wachsenden Neoplasmen die Latenz zu Stande 
kommt, wissen wir nicht. 

Was aber die Unregelmässigkeit der durch Neubildungen be¬ 
wirkten Zerstörungen anbetrifft, so ist eine Diagnose, ob eine Läsion 
die Rinde allein, oder noch das darunter liegende Markweiss betrifft, 
so lange unmöglich, als wir nicht den Verlauf und die Dignität der 
Faserzüge im Marklager kennen. Bis zu gewissem Grade ist dieser 
Unterschied, auf den Physiologen wie Pathologen vielfach Gewicht 
gelegt haben, auch gleichgültig, gerade aus einem physiologischen 
und anatomischen Grunde, worauf es gut sein wird, au dieser Stelle 
näher einzugehen, weil eine solche Erwägung über die verschiedene 
Wirkungsweise der Hirngeschwülste uns aufklären kann. 

Jedes Rindenstück stellt ein Centrum dar, zu welchem Er¬ 
regungen und Impulse auf centripetaler Bahn geleitet werden, 
von welchem Impulse und Erregungen centrifugal abgehen, und 
zwar Beides vermittelst der Nervenfasern des Markes, welche 
die Leiter darstellen. Es ist ohne Weiteres klar, dass, mit der Ver¬ 
nichtung des Centfuras, auch diese Leiter werthlos. weil leistungs- 
unfäliig werden, und verinuthlich finden auch Degenerationen nach 
gewissen Richtungen an manchen Stellen statt. 

Anders gestaltet sich das Verhältnis, wenn eine Neubildung inner¬ 
halb der weissen Substanz sich entwickelt und nach der Rinde 
vordringt. Eine solche wird zunächst, wenn sie einigermaassen tief 
eingebettet liegt, die Stabkranzfasern betheiligen, welche Erregungen 
resp. Impulse den subcorticalen Centren zu- und von denselben 
wegführen; sie wird diese Leitungsfasern zusammendriieken und zer¬ 
stören. Aber da die darüber gelegenen Rindencentren noch mit da¬ 
neben gelagerten, von vielleicht ähnlicher Function, vermittelst der 
Associationsfasern verbunden sind, welche der Rinde zunächst streichen, 
und da diese Nachbarcentren ihre Verbindung mit den subcorticalen 
noch bewahrt haben, so werden erstere keineswegs in ihrer Function 
völlig beeinträchtigt sein. Erst wenn die Neubildung sehr erheblich 
in die Breite sich ausdehnt, oder wenn sie, vermöge ihrer Lage, ganz 
differente Territorien ergreift, welche gänzlich verschiedene Thätig- 
keit haben, oder wenn sie gegen die Rinde dicht heranrfickt und 
die Associationsfasern abschneidet, wird das über ihr befindliche 
Rindenstück isolirt, und seiner Function beraubt werden. 

Dies ist vornehmlich der Grund, weshalb im Centrum semiovale 
Tumoren häufig latent verlaufen. Hat doch selbst ein so scharfsinni¬ 
ger Beobachter wie Nothnagel, trotz aller Bemühungen, zwischen 
den Herden daselbst, und denen in der Rinde darüber keine wesent¬ 
lichen Unterschiede entdecken, und Symptome überhaupt nur itn 
Mark, uuterhalb der motorischen Region, beim Befallensein der Py¬ 
ramidenfasern. constatireu können, die denen der motorischen Region 
völlig glichen. 

Diese Symptome.igleichheit von Rinde und dem darunter lie¬ 
genden Mark wird sich wahrscheinlich auch bei anderen Riuden- 
centren herausstelleu. 

Denn ein weiterer Grund für die Abhängigkeit der unterliegen¬ 
den weissen Substanz von der Rinde, und für ihre Werthlosigkeit 
ohne dieselbe, der zu betrachten von Wichtigkeit ist, liegt iß dem 
Verlauf und der Beschaffenheit der beide Territorien versorgen¬ 
den Gefasse. 

Bekanntlich geschieht die Blutvertheilung im Gehirn, um¬ 
gekehrt wie in Lunge, Niere, Milz, nicht von einem Hylus aus, von 
dem die Gefasse sich radienartig nach der Peripherie verzweigen, 
sondern von der an der Peripherie befindlichen Gefässhaut, der 
Pia, in der sie bereits bis zu einem beträchlich kleineu Caliber 
sich verästelt haben, senken die Gefässe sich concentrisch in die 
Hirnmasse ein. Die Rinde enthält kurze Aeste, welche ein dichtes 
Geflecht in derselben bilden und nur wenig über die Markleiste 
hinaus in die weisse Substanz eindringen. Sodann die längeren 
Gefässe, welche die Rinde wenig speisen bezw. dieselbe nur 
durchziehen, um sich zum Markweiss zu begeben. Hier bilden 
sie ächte Endarterien, insofern sie wenig unter sich und nach 
Dur et gar nicht mit den viel spärlicheren, von der Ventrikel¬ 
oberfläche her in’s Mark eindringenden Gefiissen commuuicireu. 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT 


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2.‘ Febrnar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 83 


Jede Verletzung der Riude muss daher die Circulation und die Er¬ 
nährung in der unterliegenden Markmasse in hohem Grade beein¬ 
trächtigen; wodurch die Function der Markmasse leiden muss. Um¬ 
gekehrt wird ein Tumor der Markmasse die darüber liegende Rinde 
circulatorisch nur soweit beeinflussen, dass sie vielleicht der Sitz 
einer Hyperämie wird. — Es giebt Tumorarten, welche ihre Um¬ 
gebung häufig so wenig irritiren, dass dieselben für die Localisa- 
tionslehre sehr wohl zu verwendende Verletzungen bilden. Dies 
sind, wie schon Heubner hervorgehoben hat, dem ich darin bei¬ 
pflichte, die solitären Tuberkel. Dass aber dies nicht immer der 
Fall sei. und dass die auseinandergesetzten Verhältnisse bei Rinden- 
taberkein sich wieder geltend machen können, sehen Sie aus diesem 
Präparat (Demonstration). Hier haben zwei Tuberkel, welche iu 
Secundärfurchen des oberen und unteren Scheitelläppchens, und zwar 
nur oberflächlich sassen, doch die umgebenden Windungen zur 
Atrophie gebracht, so dass förmliche porencephalische Löcher 
entstanden sind, die sich bis ca. 372 cm in die Tiefe erstrecken. 
Wenn andererseits kleine circumscripte Erweichungen für die 
Localisation als besonders werthvoll bezeichnet werden, so können 
nur solche gemeint sein, welche durch Embolie herbeigeführt worden 
sind. Bei den durch Thrombose bedingten Erweichungen sind die 
Ernährungsstörungen der Gefässe, und die dadurch gesetzte Functions- 
störung in weiten Bezirken, gemeinhin zu umfängliche; man kann 
nie wissen, wie weit eine Ernährungsstörung, welche noch nicht zur 
groben Erweichung vorgeschritten ist, doch schon Symptome der 
Krankheit hervorgerufen hat. Erst neuerdings hat Siemerling ge¬ 
zeigt, dass kleine mikroskopische Erweichungsherde, die mit blossem 
Auge ühersehen wurden, in vivo sehr bedeutende Erscheinungen 
Wwirkten. Indem dahingegen des Tumors Wachsthum, wie das¬ 
jenige des Abscesses und der chron. Erweichung, eine allmähliche 
Zunahme und ein Uebergreifen der Lähmung von einem Gebiet aufs 
andere bewirkt, entstehen Summationen der Lähmung und ein 
Wechselspiel von Reizung und Lähmung, das die Bedeutung der 
motorischen Felder erst in’s rechte Licht rückt. 

Vor Allem besitzen wir jetzt eine Methode, welche es er¬ 
möglicht, auch die unregelmässigst gestalteten Hirnläsionen für die 
physiologische Erkenntniss und für die Diagnostik zu verwerthen; 
es ist dies die von Exner ausgebildete sogenaunte negative 
Methode. 

Ich hatte bereits im Jahre 1875 in einem Vortrage: JJeber Ex¬ 
stirpation des Grosshirns bei Tauben ausgesprochen, dass „wenn 
mau genau Alles erwäge, es am Besten sei, in erster 
Reihe auf die Functionen zu achten, welche trotz des 
Eingriffs intact blieben, denn von diesen könne man 
mit Sicherheit sagen, dass sie von den entfernten Thei- 
len nicht abhingen. In zweiter Reihe käme der Leistungs¬ 
ausfall, der gleich nach der Operation sich bemerkbar 
macht und constant während des Reactionsstadiums und 
nach der Genesung verharrt.“ 1 ) 

Den letzten Satz nahm Goltz einige Jahre später auf: es sind 
dies die von ihm 8. g. Ausfallssymptome. Der im ersten 
Satze dargelegten Ansicht hat Exner iu genialer Weise prak¬ 
tischen Ausdruck gegeben, indem er einen Schritt weiter 
ging und auf einem Schema der Grosshirnhemisphären alle 
Läsionen auftrug, bei denen eine bestimmte Function, sagen 
wir der rechten Oberextremität, unversehrt geblieben war. Wenn 
die Anzahl der so verzeichneten Fälle eine genügend grosse war, 
so musste die ganze Oberfläche der Hemisphäre von solchen 
Zeichnungen bedeckt sein, mit Ausnahme des einzigen Feldes, dessen 
Zerstörung dann, stets und unter allen Umständen, eine Functions¬ 
aufhebung des Armes herbeiführen musste. Exner verfuhr ähnlich 
mit anderen ihn interessirenden Körperfunctionen und gelangte 
mittelst dieser von ihm sogenannten negativen Methode zu sehr 
Itedeutsamen Resultaten. Es ist einleuchtend, dass für diese 
negative Methode, jeder, wie immer beschaffene Herd, jeder noch 
so unregelmässige tumor Verwendung finden kann, denn . er mag 
Fern Wirkungen etc. machen, soviel er will; es wird gar nicht nach 
den Störungen gefragt, welche er gesetzt, sondern nach den 
Functionen, welche er intact gelassen hat. 

Mit der negativen Methode hat Exner sich nicht begnügt, 
sondern die Resultate derselben nachgeprüft durch zwei andere 
Methoden, durch die gewöhnliche, bislang von den Klinikern geübte 
positive Methode, wonach, bei Zusammenstellung einer grösseren 
oder geringeren Anzahl von Fällen, als Sitz einer Function der Ort 
angenommen wird, dessen Zerstörung diese Function aufhebt oder 
herabsetzt. Sodann durch die Methode der procentischen 
Berechnung, welche er so ausführte, dass er das Schema der 
Grosshirnoberfläche mit einer Anzahl willkürlich gewählter, quadra¬ 
tischer Bezeichnungen bedeckte (mit 366), und nun für jedes 
einzelne Quadrat mit Beziehung auf bestimmte Functiouen berechnete, 


wie oft, durch Läsion des ersteren, die letztereu geschädigt worden 
waren. 

Wie ich, meine Herren, glaube, muss es unsere Aufgabe für 
die nächste Zukunft sein, ohne Voreingenommenheit für diese oder 
jene Theorie, möglichst reichliches Beobachtungsmaterial zur genauen 
und gründlichen Feststellung unserer Kenntnisse über die Grosshirn- 
functionen zu sammeln, welches auf dem von Exner vorgezeichneten 
Wege dann bearbeitet werden müsste, und zwar am geeignetsten 
von einem Kliniker, der den pathologisch - anatomischen Ver¬ 
änderungen und der Symptomatologie besser als ein Physiologe 
Rechnung zu tragen vermöchte. Dadurch könnte den von (’harcot- 
Pitres und von Luciani-Seppilli an Exner’s Resultaten ge¬ 
machten Ausstellungen am besten begegnet werden. Die Mittheilung 
aller, auch der einfachsten, und gerade der einfachen 
und gewöhnlichen Fälle, wenn dieselben nur genau beob¬ 
achtet werden konnten, ist erwünscht, denn einerseits giebt eine 
Statistik von seltenen Fällen oder lediglich solchen, bei denen die 
Diagnose stimmte, falsche Resultate, sodann dürfen wir dreist be¬ 
haupten, dass unsere Wissenschaft bezüglich der Hirnfunctionen noch 
auf keinem Punkte feststeht. (Fortsetzung folgt.) 

n. Neubildung im Gehirn, Magenerweichung 
und einfaches oder rundes Magengeschwür. 

Von Rudolf Arndt in Greifswald. 

Jra 4. Bande des Archiv’s für Psychiatrie u. s. w. ver¬ 
öffentlichte ich im Jahre 1874 unter dem Titel „Ein Tumor 
cerebri“ einen Artikel, in welchem ich nachzuweisen suchte, dass 
eine Reihe von krankhaften Erscheinungen, blossen Functions¬ 
störungen, wie auch anatomischen Veränderungen des Körpers nicht 
immer allein durch cellulare beziehungsweise cellular-pathologische 
Verhältnisse in loco morbi, also nur durch sogenannte local-patho¬ 
logische Vorgänge zu Stande kämen, was man damals noch mehr 
annahm als heutigen Tages, sondern dass gar manche derselben 
lediglich dem Einfluss nervöser Zustände, deren Ursachen oft weit 
ab, im Ceutralnervensystem oder gar in einem anderweitigen, in 
Bezug auf dieses letztere peripherischen Organe lägen, ihre Ent¬ 
stehung verdankten. 

Zu Gruude lag dem Artikel der Fall eines 20jährigen Dienst¬ 
mädchens, bei welchem sich eine wallnussgros.se Geschwulst von 
aussergewohnlichem Charakter, eiu Angiosarcoma epithelioides sen 
cancroideforrae oder auch Endothelioma epithelioides seu cancroide- 
forme (vid. Virchow’s Archiv für patholog. Anatomie u. s. w. 
Bd. LXXII, p. 400. 1878) an der Basis des Gehirns iu dem Raume 
zwischen den Peduneulis cerebri, dem Pons Varolii und Tuber 
cinereum iutra saecum arachnoideale von der Pia mater aus ent¬ 
wickelt und einen Druck insbesondere auf die Pedunculi und na¬ 
mentlich den linken ausgeübt hatte. Als Folge davon waren eine 
Reihe von abwegigen Zuständen zur Beobachtung gekommeu. unter 
anderen, die uns zur Zeit nicht weiter angehen, auch eine bei der 
Section gefundene, eben erst beginnende Magenerweichung. 
Die Schleimhaut des Magens nämlich zeigte sich bei derselben ge¬ 
lockert, hyperämisch, im Fundus sogar von zahlreichen grösseren 
und kleineren Ekchvmosen durchsetzt. Mit Rücksicht auf die son¬ 
stigen Umstände war nun diese Erweichung nicht als eine rein 
durch örtliche Verhältnisse bedingte Ernährungsstörung im Sinne 
local- oder cellular-pathologischer Theorieen angesehen, sondern mit 
Innervationsveränderungen, vornehmlich Lähmungen, im Sinne neuro- 
pathologischer Auffassungen iu Zusammenhang gebracht und damit 
denn auch zugleich als ein Zeugniss für das gelegentliche Vor¬ 
kommen derselben überhaupt benutzt worden. Denn die Erfahrun¬ 
gen Schiffs, welcher gefunden hatte, dass, wenn er bei Hunden 
die Sehhügel, die Hirnstiele, die eine Hälfte des verlängerten Marks 
durchschnitt, Gefässerweiterungen im Magen und in bestimmten 
Abschnitten des Darmes auftraten, die Magenschleimhaut er¬ 
weichte, missfarbig, leicht zerreisslich und sogar zu Perfo¬ 
rationen geneigt wurde, schienen hier völlig zuzutreffen, 
und der Grund, den er dafür bekanntlich in der Lähmung der sym¬ 
pathischen Fasern suchte, welche vom Magen aufwärts durch den 
Syrapathicus, die Rami communic.antes des Halstheilcs desselben, die. 
vorderen Stränge des Rückenmarks, das verlängerte Mark iu das 
Hirn ziehen, in dessen Stielen sie ja auch Valentin und Budge 
schon gefunden hatten, durchaus maassgebend zu sein. Im Verlaufe des 
ganzen Krankheitsfalles waren fort und fort Erscheinungen beob¬ 
achtet worden, welche bald für eine stärkere Reizung der Pedunculi 
und ihrer verschiedenen Fasern, bald für eine Lähmung derselben 
sprachen, und da in der letzten Zeit die letzteren immer mehr zu- 
i und eudlich überhandgenommen liatteu, so war es in hohem 
Grade wahrscheinlich geworden, dass auch die bei der Section ge¬ 
fundenen Veränderungen der Magenschleimhaut nur im Sinne Schi ff s 
! aufzufasseu und als von ihnen abhängig zu betrachten waren. Kurz 


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*> Griesinger’s Archiv Bd. VI 1875, p. 612, G13. 



84 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 5 


und gut, der Fall schien neben manchen anderen auch insbesondere 
dafür Zeugniss abzulegen, dass tiefgreifende pathologisch-anatomische 
Veränderungen lediglich durch nervöse Einflüsse hervorgerufen wer¬ 
den könnten, wie in ihm die vorhandene Magenerweichung durch 
eine Lähmung der sympathischen Fasern, zu welcher der Druck der 
oben beregten Geschwulst insbesondere auf die Pedunculi cerebri 
und ihre Fasern Veranlassung gegeben hatte. Das war aber von 
grosser Bedeutung. Wie schon hervorgehoben, beherrschte die 
Localpathologie damals noch mehr als heute die Medicin, wo sie, 
nicht zu verwechseln mit der Cellularpathologie schlechtweg, aller¬ 
dings auch noch immer am Ruder ist, obgleich sie doch schon ein 
ganzes Häufchen von Forschern, wenn auch nicht als ihre unbe¬ 
dingten Gegner, so doch als Gegner ihrer unbedingten Herrschaft 
sich gegenüber hat. Eine grosse Menge localer Leiden sind ja ge¬ 
wiss local begründet: am Orte der Krankheit liegt auch der Grund 
derselben. Eine grosse Menge localer Leiden sind aber auch nur 
der Ausdruck von Allgemeinerkrankungen, wie die Syphilis, der 
Scorbut, die Gicht, der Rheumatismus, oder von Erkrankungen des 
Nervensystems, wie die Tabes dorsualis, die allgemeine progressive 
Paralyse, die Nerventrennungen lehren, oder aber endlich gar von 
Erkrankungen entfernterer Organe, die indessen durch das Nerven¬ 
system mit dem iu Frage kommenden im Zusammenhang stehen, 
wie das namentlich die Erkrankungen des sexualen und th eil weise 
auch des uropoetischen Systems auf das Unwiderleglichste darthun. 

Ein Mal indessen ist kein Mal! So sehr ich für meine Person 
auch davon überzeugt war, dass die fragliche Magenerweichung 
durch den Druck der besagten Geschwulst auf die Pedunculi cerebri 
bedingt war, für einwandsfrei konnte die Sache doch nicht erachtet 
werden. Nur erneute einschlägige Beobachtungen konnten sie end¬ 
gültig beweisen oder widerlegen. Aber lange wollte sich mir kein 
entsprechender Fall darbieten; im Laufe des vergangenen Winters 
erst bekam ich Gelegenheit, ihn von Neuem zu sehen. 

Am 9. Februar 1887 starb in der Greifswalder Irrenanstalt der 55jäh- 
rige Arbeiter J. M., der am 20. December 1886 wegen tobsüchtiger Erregung 
aufgenommen worden war. Die tobsüchtige Erregung hatte sich indessen 
bald gelegt, und an ihre Stelle war endlich eine vollkommene Lethargie 
getreten, aus welcher der Kranke durch nichts mehr zu erwecken war und 
in der er auch endlich starb. Bevor es jedoch dazu kam, traten zuerst 
allerhand Coordinationsstörungen in den oberen und unteren Extremitäten, 
im Antlitz und namentlich im Sprachapparat auf. Dieselben waren erst 
schwach, wurden allmählich stärker und gingen endlich in mehr oder minder 
deutliche Lähmungen über. Seit dem 10. Januar 1887 hat Patient nicht 
mehr das Bett verlassen, konnte nicht mehr verstanden, musste ge¬ 
füttert, bei der Verrichtung seiner Bedürfnisse unterstützt werden. Seit dem 
18. oder 20. Januar zeigte er sich schlafsüchtig, seit dem 23. in einem so 
tiefen Schlafe, dass er aus demselben durch nichts mehr aufgerüttelt werden 
konnte. Er bekam nur flüssige Nahrung; etwas festere blieb im Schlunde 
stecken. Der Stuhl war angehalten — Oidtmann’sches Purgativ erwies 
sich eine Zeit lang noch am zweckmässigsten; dann versagte es aber auch 
seinen Dienst; — der Urin floss von selbst ab, konnte aber in einem Glase, 
da der Kranke regungslos lag, aufgefangen werden. Er bot nichts Beson¬ 
deres dar, enthielt namentlich zur Zeit der Untersuchungen weder Eiweiss 
noch Zucker. Vor dem Lethargus war Doppeltsehen, bald stärkerer, bald 
weniger starker Strabismus, kommende und gehende Pupillendifferenz, bald 
deutlichere, bald weniger deutliche Nackencontracturen zu beobachten gewesen. 
Im Lethargus schien Pupillenstarre zu bestehen; die anderen Symptome, 
ausgenommen vielleicht die Nackencontracturen, konnten nicht so deutlich 
wahrgenoramen werden. Der Puls ist immer anscheinend voll und kräftig, 
zwischen 60—80 in der Minute gewesen und die Respiration ohne auf¬ 
fallende Abweichungen von der Norm. In den letzten Tagen freilich, wo 
die Agonie begann, wurden beide öfters aussetzend, letztere an das O'heyne- 
Stokes’sche Phänomen erinnernd. 

Bei der Section fand sich eine mehr als tauben-, fast hühnereigrosse 
Geschwulst im kleinen Gehirn, welche von der Oberfläche des Unterwunnes 
aus bis in die Markmassen des Oberwurmes sowie der beiden Hemisphären 
hineinragte, das kleine Gehirn erheblich vergrössert hatte und durch dieses 
einen Druck sowohl nach unten, beziehungsweise vorn auf die Medulla 
oblongata, die Pedunculi cerebri, die Corpora quadrigemina, als auch nach 
oben auf das Tentorium, den in ihm gelegenen Sinus rectus, beziehungs¬ 
weise die sich in ihn ergiessende Vena magna Galeni ausübte. Durch 
letzteren war es zu einer Stauung in dieser, den Venae cerebri intemae 
und ihren Wurzeln gekommen. In Folge dessen war es im grossen Gehirn 
zu hochgradiger Stauungshyperämie, entsprechendem Hydrocephalus internus 
und dadurch wieder zu einer so argen Schwellung gekommen, dass das 
Gehirn selbst seine Hüllen prall ausfüllte. Seine Oberfläche bildete eine 
ganz glatte, wie lackirt aussehende Fläche. Die Gyri waren ganz dicht an 
einander gedrängt, von den sie trennenden Sulcis war auch nicht eine Spur 
zu sehen. Die in diesen verlaufenden schwach gefüllten Gefässe waren 
zusammengepresst und erschienen wie aufgemalt. Von dem geschilderten 
Befunde und den ihm entsprechenden Verhältnissen hat offenbar der 
Lethargus abgehangen. Von dem Druck auf die Medulla oblongata und die 
ihr benachbarten Hirntheile hingen die Coordinationsstörungen, die anfänglich 
beobachtet wurden, und dann die Lähmungen ab, die selbigen folgten. Der 
Druck im Grosshirn hat natürlich zu letzteren auch noch das Seine bei¬ 
getragen. 

Von den übrigen Organen Hessen die hypostatischen Lungen, das 
kleine Herz, die kleine Milz, die stark gelappten Nieren, die Leber, die 
Blase keine zu dem ganzen Krankheitsverlauf in charakteristischer Beziehung 


stehenden Veränderungen erkennen. Im leeren Magen, dem unteren Theile 
des Oesophagus, im Duodenum und bis in das Jejunum hinein aber herrschten 
byperämische Zustände, waren zahlreiche grössere und kleinere Ekchymosen 
und deutliche Extravasate bis zu 5 Pfennigstückgrösse vorhanden. Ira Magen 
war dazu die Schleimhaut auffallend stark geschwollen, gelockert, zerfliess- 
lich, im Fundus stellenweise geradezu wie zerflossen, so dass sie wie ans¬ 
gefressen aussah und im Verein mit den Ekchymosen und Extravasaten 
sogenannte hämorrhagische Erosionen zeigte: im Grossen und Ganzen der¬ 
selbe Befund wie in dem Eingangs erwähnten Falle, nur ein erhebliches 
Stück weiter gediehen. 

Die Leiche war kaum eine Stunde nach erfolgtem Tode in die kalte 
Leichenkammer geschafft (Februar) und etwa 24 Stunden später secirt 
worden. 

Wird man nicht unwillkürlich, namentlich durch den letzten 
Fall an das einfache oder runde Magengeschwür erinnert? 
Dieses kommt ja bekanntlich vorzugsweise bei chlorämisch-nervösen, 
phthisischen beziehungsweise tuberkulösen, kachektischen Personen 
überhaupt vor, also solchen, die auf . Grund einer widerstandslosen 
Constitution eine gesteigerte Erregbarkeit und Neigung zu rascher 
Erlahmung namentlich des sympathischen, insbesondere soweit es 
Gefässnervensystem ist, an den Tag legen. 

Man bringt das runde Magengeschwür mit der verdauenden 
Thätigkeit des Magensaftes in Bezug auf hinfällig gewordene, weil 
kranke oder vielleicht schon abgestorbene Partieen der Magenschleim¬ 
haut in Zusammenhang, und hat es deshalb auch geradezu das 
peptische genannt. Wodurch sind diese Partieen der Magen¬ 
schleimhaut aber hinfällig geworden? Die allgemeine Annahme ist: 
durch Circulationsstörungen. Wodurch indessen sind diese wieder 
bewerkstelligt? Die einstige Annahme durch Embolieen, beziehungs¬ 
weise Thrombosen ist durch Cohn heim widerlegt und jedenfalls 
für die bei Weitem grösste Mehrzahl der Fälle beseitigt worden. 
Klebs meint durch einen Spasmus einzelner Gefässe. Er äussert 
sich aber nicht darüber, was diesen Spasmus weuigstens in der 
Regel verursacht. Rindfleisch, Axel Key u. A. nehmen nervöse 
Stauungen an, und Rindfleisch macht dabei aufmerksam auf die 
oft zahlreichen Ekchymosen, welche das einfache oder runde Magen¬ 
geschwür begleiten, Verhältnisse also, welche denen in unseren Be¬ 
funden äusserst ähnlich, wenn nicht vielleicht sogar völlig gleich 
sind. Dabei will ich noch der von Pavy beregten Alkalescenz des 
Blutes gedenken, die einer Selbstverdauung des Magens entgegen¬ 
wirken soll, weil stauendes oder gar, wie in den Ekchymosen und 
Extravasaten, stagnirendes Blut seine Alkalescenz verlieren und der 
etwaigen Selbstverdauung Vorschub leisten muss. Kurzum Circu¬ 
lationsstörungen in der Art, dass venöse Hyperämieen mit all ihren 
Folgen, Ekchymosen, Extravasaten, schlechter, beziehungsweise auf¬ 
gehobener Ernährung des Parenchyms zur Geltung kommen, sind 
als Ursache des einfachen oder runden Magengeschwürs anzusehen, 
und eine, wenn nicht gar die Hauptursache derselben sind neu¬ 
rotische Vorgänge, deren Grund in einzelnen Fällen nachweislich 
im Centralnervensystem, speciell im Hirnstock liegt, ein ander Mal 
aber auch in anderen Organen enthalten sein kann und nur durch 
das Centralnervensystera nach dem Magen gleichsam reflectirt wird. 

Uebrigens hat schon Rokitansky darauf aufmerksam gemacht, 
dass es eine Form der Magenerweichung Erwachsener giebt, die er 
eine gallertige nennt, welche in Gesellschaft von Gehirnleiden 
vorkommt, und hat C. C. E. Ho ff mann im Jahre 1868 in 
Virchow’s Archiv (Bd. XLIV) eine solche beschrieben, die 
offenbar zu dieser gallertigen Erweichung, die auch die braune 
genannt worden ist, gehört, und die ebenfalls mit einem Hirnleiden 
in Verbindung stand. Neben einer Knochenwucherung an der 
hinteren Lehne der Sella turcica und einer gummösen Geschwulst 
unter dem Pons sah er diesen selbst in seiner rechten Hälfte er¬ 
weicht, und die bezügliche Erweichung sich bis in die Medulla ob¬ 
longata hinein erstrecken. Doch mit dem Schi ff’sehen Experiment, 
das inzwischen seine Bestätigung auch bei Kaninchen durch 
Ebstein erfahren hat, sowie seiner oben mitgetheilten Erklärung 
ist ausser von mir bis jetzt diese Erweichung in keine Beziehung 
gebracht worden, und ebenso wenig ist das hinsichtlich des ein¬ 
fachen oder runden Magengeschwürs geschehen, obgleich doch der 
Anlass dazu nahe lag. 

Das einfache oder runde Magengeschwür würde aber danach, 
sehen wir von dem nachweislich durch Verwundung entstandenen 
ab, bei dessen Zustandekommen der Innervationszustand der Magen¬ 
schleimhaut indessen auch noch keineswegs gleichgültig ist, das 
einfache oder runde Magengeschwür würde aber danach als der 
Ausgang einer neurotischen Affection, einer Angio- oder auch 
Tropho neu rose zu gelten haben. Dieselbe führte zunächst zu 
einer, allerdings nur theilweisen, auf einzelne Partieen beschränkten 
Magenerweichung, der braunen, welche von March and mit Rück¬ 
sicht auf ihre Entstehung auch die hämorrhagische genannt 
worden ist, und diese zumal in ihren hämorrhagischen Erosionen, 
bereits vorhandenen, wenn auch nur oberflächlichen Geschwüre, 
würden unter dem Einfluss des Magensaftes Veranlassung zu weiter 


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2. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


gehenden Zerstörungen, die endlich das eigentliche Geschwür zur 
Folge hätten. — Die braune oder hämorrhagische Magenerweichung 
führt leicht zu Perforationen. Es sind solche mehrfach beschrieben 
worden, in der neueren Zeit ausser von C. ('. E. Ho ff mann (1. c.) 
auch von Leu he (Zierassen’s Handbuch der Path. und Ther. 
1876. Bd. VII. p. 150.) Die bezüglichen Perforationen aber sind 
derselbe acute Process. dessen chronische Form das Geschwür ist, 
das ja bekanntermaassen ausserdem auch nicht selten zu einer Per¬ 
foration Ursache wird. 

Zudem sprechen auch sonst noch eine ganze Reihe anderer 
Umstände, und unter diesen namentlich die oft günstigen Erfolge 
des Argentum uitricum, des Bismuthum hydrico-uitricum, des 
Ziorum. die in den kleinen Dosen, in denen sie zur Anwendung 
kommen, kaum einen direkten Einfluss auf das Geschwür haben 
können, wohl aber durch ihre Wirkung auf das Nervensystem, und 
vornehmlich das Centralnervensystem, sowie mittelst desselben auf 
die Ernährung der einzelnen Organe einen solchen herbeizuführen 
im Stande sind, dafür, dass das Nervensystem zu dem heregten 
Magengeschwür in naher, in durchaus beeinflussender Beziehung 
steht. Wenn auch die Gegenwart vielleicht noch keine grosse Nei¬ 
gung hat. eine solche anzuerkennen, an der Tbatsache, dass unter 
dem Einfluss des Nervensystems sich Magenerweichung, die hämorr¬ 
hagische Magenerweichung, hämorrhagische Erosionen, Perforationen 
— und warum nicht auch in leichteren, wenig ausgebreiteten Fällen 
Verschwärungen — ausbilden können, ist nicht zu zweifeln. Expe¬ 
riment und Beobachtung haben dafür die Beweise bereits an die 
Hand gegeben. 

HL lieber die sogenannte Leichenwarze 
(Tuberculosis verrucosa cutis) und ihre 
Stellung zum Lupus und zur Tuberculose. 1 ) 

Von Docent Dr. E. Finger in Wien. 

Gegenüber den histologischen, bacteriologischen uud klinischen 
Erfahrungen, die die Identität des Lupus mit der Tuberculose er¬ 
weisen, haben die Gegner dieser Ansicht darunter erst im Vorjahre 
Schwimmer bei Gelegenheit der 59. Versammlung Deutscher Na¬ 
turforscher und Aerzte in Berlin, bisher noch geltend gemacht es 
sei noch nicht gelungen, durch örtliche Einimpfung des Tuberkel¬ 
bacillus Lupus oder diesem ähnliche Formen zu erzeugen. Doch 
auch diesen Einwand haben neuere Untersuchungen entkräftet die 
den Beweis lieferten, dass die sogenannte Leichenwarze, 
eine dem Lupus verrucosus klinisch und anatomisch sehr 
verwandte Hauterkrankung, das Product örtlicher Ein¬ 
impfung von Tuberkelvirus sei. 

So theilte 1884 Verneuil (Cas d’inoculation probable pendant 
uue Autopsie. Bulletin de l’acad. de medecine 1884) folgenden 
Fall mit Einer seiner Schüler acquirirt im Jahre 1877 nach einem 
Stiebe bei einer Obduction eine kleine Pustel am Ringfinger, nahe 
dem Nagelfalz. Dieselbe heilt nicht es bilden sich um dieselbe 
neue Efflorescenzen, die schliesslich zu einem warzenartigen, papillo- 
matösen Plaque auswachsen. Nach drei Jahren, nachdem verschie¬ 
dene therapeutische Maassregeln erfolglos eingeleitet waren, sieht 
die Affection einem scrophulösen Geschwür gleich. Es gesellt sich 
ein tuberculöser Abscess am Handrücken hinzu. Amputation der 
kranken Phalanx, Spaltung des Abscesses, trotzdem in den folgenden 
Jahren tuberculöse Muskel- und Knochenabscesse. 

Verchere (Des portes d’entree de la tuberculose. These, 
Paris 1884) beobachtete einen analogen Fall. Ein Student der Me- 
dicin, hereditär belastet, verletzt sich bei einer Sectiou durch Stich 
in die Interdigitalfalte zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Stich 
geht in ein kleines Geschwür über. Mit demselben nimmt der Be¬ 
treffende die Sectiou einer tuberculösen Leiche vor. Wesentliche 
Verschlimmerung des Geschwürs, das schliesslich in eine Leichen¬ 
warze auswächst. Diese wird galvanokaustisch entfernt, trotzdem 
kommt es zur Entwickelung von Allgemeintuberculose. 

Axel Holst (Inoculation accidentelle de la tuberculose ä uue 
femme. Semaine medicale 1885) berichtet über eine Wärterin, die 
einen Tuberculösen pflegte. Dieselbe bemerkte schmerzhafte Knoten 
zunächst am Daumen, dann am Zeige- und Ringfinger. Diese ver¬ 
eitern, gehen in Wunden über, die keine Tendenz zur Verheilung 
zeigen. Es entwickelt sich eine Achseldrüsenschwellung, Fieber. 
Die Wunden wurden aasgeschabt, die geschwellten Drüsen exstir- 
pirt. ln den Wunden keine Tuberkelbacillen, in den Lymphdrüsen 
typische Miliartuberkel mit Bacillen. 

Interessant ist die Mittheilung von Merklen (Inoculation tu- 
l>erculeuse localisee aux doigts. Lesions secondaires de l’ordre du 
tubercule anatomique. Lymphangite tuberculo-gommense consecutive. 

') Nach einer, in der Sectiou für Dermato-Syphilidologie der 60. Ver- 
i am in hing Deutscher Naturforscher und Aerzte gehaltenen Demonstration. 


Bullet, de la societe medic. des höpit. 1885). Eine bisher stets ge¬ 
sunde Frau pflegt durch 6 Monate ihren hochgradig phthisischen 
und auch an Tuberculose verstorbenen Mann. Eines Tages ent¬ 
wickelt sich bei ihr, zunächst am rechten Mittel-, dann am linken 
Zeigefinger, je ein derber, rother Knoten, beide vereitern, bilden 
Wunden, die sich mit Krusten decken, unter diesen aber entwickeln 
sich warzige, von verdickten Hornlamellen gedeckte Plaques mit 
allen Charakteren des Leichentuberkel. Drei Monate später ent¬ 
wickeln sich Knoten am Vorderarme, die durch Lymphstränge mit 
einander verbunden sind. Die Knoten erweichen, zerfallen, bilden 
scrophulöse Geschwüre. Hierzu gesellt sich Schwellung der Axillar¬ 
drüsen, Spitzenkatarrh. Im Eiter der scrophulösen Geschwüre 
wurden Tuberkelbacillen nachgewiesen. Aus demselben Jahre 
stammt die bekannte und vielfach citirte Mittheilung Tschernig’s 
(Inoculationstuberculose des Menschen. Fortschritte der Medicin 
1885). Ebenso theilte Karg (Tuberkelbacillen in einem sogenannten 
Leichentuberkel. Centralblatt für Chirurgie 1885) seine Unter¬ 
suchungen mit. Es handelte sich um einen gesunden, kräftigen 
Mann, der, seit 6 Jahren Diener im pathologischen Institut, einen 
Leichentuberkel am linken Daumen darbot. Derselbe entzündete 
sich, wurde schmerzhaft, gab Veranlassung zu einer Lymphangitis 
am Vorderarm, innerhalb deren Verlauf sich 5 tuberculöse Knoten 
entwickelten, die zum Theil suppurirten und aufbrachen. Schwellung 
der Axillardrüseu. Der Leichentuberkel sowohl, als die tuberculösen 
| Abscesse uud Knoten werden exstirpirt, Schnitte beider zeigen tu- 
berculöses Gewebe mit Riesenzellen, Tuberkelbacillen und Coccen, 
Culturen des Eiters der Abscesse geben Staphylococeus pyogenes. 

Raymond (Contribution ä l’etude de la tuberculose cutanee 
par inoculation directe. France medicale 1886) theilt zwei weitere 
einschlägige Fälle mit. Im ersten Falle zieht sich ein 42 Jahre 
alter Mann, Phthisicus aus einer belasteten Familie, mit zahlreichen 
Tuberkelbacillen im reichlichen Sputum, am Handrücken eine leichte 
Excoriation zu. Pat. saugt an derselben, um die geringe Blutung 
zu stillen. Statt za heilen, bedeckt sich selbe mit Krusten und 
I eitert. Bei Aufnahme im Spital ist dieselbe Franostück-gross, mit 
! Krusten bedeckt, unter denen sich eine warzige von braunrothem 
Rande eingeschlossene Excrescenz befindet. Dieselbe, ausgesoliabt. 

| zeigt kleinzellig infiltrirtes Gewebe mit Riesenzellen. Der Nachweis 
i von Bacillen gelang nicht. 

Im zweiten Falle sticht sich ein 62 Jahre alter Mann mit 
einem Dorn. Die Verletzung kommt mit tuberculösem Sputum 
seiner Frau in Berührung, indem er ein mit dem Sputum besudeltes 
Tuch zum Verbaud verwendet. Im Verlaufe von 14 Tagen ver- 
grössert sich die Wunde, deckt sich mit Krusten. Nach weiteren 
vier Wochen, bei Eintritt in’s Spital, stellt dieselbe eine warzige 
i Excrescenz von Fünffrancstück-Grösse dar, die bei Druck Eiter aus 
I kleinen Punkten entleert, von einem braunrotheu Rande eingesehlossen 
; ist. Cubitaldrüsen geschwellt. Die mikroskopische Untersuchung zeigt 
in den vergrösserten infiltrirten von dicker Hornschicht gedeckten 
i Papillen spärliche Tuberkelbacillen. 

Durch diese Untersuchungen war die von Vidal, Besnier’, 
Verneuil behauptete und von Besnier schon 1883 ausgesprochene 
tuberculöse Natur der Leichenwarze erwiesen, und konnte Martin 
de Magny (Contribution ä l’etude de l’inoculation tuberculeuse eliez 
Fhomme, These Paris 1886) die Sätze aufstellen: Oertliche Impfungen 
j mit dem Virus der Tuberculose sind häufig. Sputum Tuberculöser 
und thierische Abfälle bedingen sie, daher sie, bei Männern über¬ 
haupt, insbesondere aber gewissen Berufsarten häufig sind, so vor 
Allem bei Aerzten, Fleischern, Kutschern, Abdeckern. Die Ver¬ 
änderungen, die der Impfung folgen, sind theils subcutau, theils 
cutan. Die subcutauen Veränderungen bestehen in der Bildung 
tuberculöser Abscesse. Die cutanen Veränderungen bestehen als 
bläulich rothes Knötchen, das in einen miliaren Abscess übergeht, 
der eine geringe Menge Eiter entleert, worauf das Knötchen pa- 
pillomatös auswächst. Um dieses Knötchen bildet sich eine lufil- 
trationszone, die wieder zuerst miliare Eiterheerde producirt, dann 
aber warzig auswächst. Während der Process in dieser Weise nach 
der Peripherie chronisch weiterschreitet, kann es im Centrum zur 
Abheilung mit Bildung glatter Narbe kommen. Recidive und 
Nachschübe sind häufig. 

Aus demselben Jahre datiren die sorgfältigen Untersuchungen von 
Riehl und Pal tauf. (Ueber Tuberculosis verrucosa cutis. Viertel¬ 
jahrsschrift für Dermat. und Syphil. 1886). Dieselben untersuchten 
eine Reihe von Leichenwarzen und konnten in denselben zunächst 
die Erscheinungen der Tuberculose, typische Miliartuberkel mit Tu¬ 
berkelbacillen, dann aber auch acut entzündliche Veränderungen, 
miliare Abscesse, fibrinöses Exsudat, als deren Erreger sie Coccen 
nachwiesen, vorfinden. 

Durch die Güte des Herrn Prof. Weicliselbanm war auch 
mir die Untersuchung eines typischen Falles von Leicheuwarze 
möglich. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5 


Es liandelic sich um einen 41 .lallre alten Ziininennalcr, der am 
‘28. Februar 1887 iu der Proseetur des K. K. Krankeuliauses „Rudolf¬ 
stiftung fc zur Obduction kam. Dieselbe ergab Tuberculose der Lungen mit 
Cavernenbildung, Tuberculose des Larynx mit hochgradiger Geschwürs- 
bildung, die Tracheotomie nöthig gemacht hatte, Tuberculose des Darmes 
und der Nieren. 

Am linken Vorderarme und Handrücken bot der Obducirte fünf warzige 
Plaques mit allen Charakteren der Leichenwarzc dar. Im Contrum der zwei 
grössten strahlige Narben. Diese Plaques sollen seit 20 Jahren bestanden 
haben, dürften also älteren Datums sein als seine übrigen, anscheinend 
jüngeren tuberculösen Veränderungen. 

Die mikroskopische Untersuchung, die ich in Prof. Weich sei bau m’s 
Laboratorium vornahm, ergab ebensowohl mit Rücksicht auf die histologischen 
Verhältnisse (Befund von typischen Miliartuberkeln) als die bacteriologisehen 
Ergebnisse (Tuberkelbacillen und Coccen) ähnliche Resultate, wie sie bereits 
Karg, sowie Riehl und Pal tauf beschrieben haben. 

Querschnitte durch die Leichenwarzen, die am Rande noch gesunde 
Haut mit betreffen, zeigen als Beginn der Affection an den Randpartieen 
leichte Vergrösserung der Papillen. Um die Gefässe derselben, sowie des 
Stratum reticulare tritt perivasculäre Infiltration auf. Sehr rasch und un¬ 
vermittelt kommt es innerhalb dieses Infiltrates zum Auftreten von miliaren 
Tuberkeln. Diese sitzen vorwiegend in Papillen, seltener im Stratum reti¬ 
culare, nie aber im subcutanen Gewebe, bald einzeln, bald mehrere zu einer 
Gruppe dicht zusammengedrängt. Jeder dieser Miliartuberkel ist von einer 
Zone kleinzelligen Infiltrates eingeschlossen, das dort, wo die Miliartuberkel 
dichter stehen, eonfluirt, wohl auch tiefer eindringt und auch die zahlreichen 
Schweissdrüsenknäule mit in den Bereich der Infiltration zieht. Die Tu¬ 
berkel selbst sind theils nach dem Typus der Riesenzelleu-, theils der 
Endothelialzellentuberkel gebaut; in den Riesenzellen sowohl als den endo- 
theloiden Zellen finden sich spärliche, selten mehr als 3—4 Tuberkel¬ 
bacillen. Die die Tuberkelknötchen tragenden Papillen sind bedeutend ver- 
grössert, verbreitert und tragen über dem meist verschmälerten Rete Mal- 
pighi eine dicke, in Lamellen zerfallende Hornschicht. In dem Maasse, als 
die Tuberkelknötchen, die dann im t'entrum verkäsen, sich vergrössern und 
der Oberfläche näher rücken, schwindet über ihnen, resp. den sie tragenden 
Papillen das Rete Malpighi mehr und mehr, nimmt aber die Dicke der 
Hornschicht zu. Um diese Zeit erst scheint es, vielleicht durch die so 
günstigen Verhältnisse bedingt, zur Invasion von Uoccen zu kommen, die 
nun ihrerseits acut entzündliche Erscheinungen bedingen. Denn ganz aus¬ 
schliesslich an solchen Stelleu, wo die verkästen Tuberkelknötchen, der 
Papillenspitze sehr nahe gerückt, von einer ganz dünnen, oft nur nur aus 
einer Zelllage bestehenden Schicht Rete, dafür aber von einer dicken Schicht 
zerklüfteter Hornlamellen gedeckt werden, zeigt das Mikroskop eitrige In¬ 
filtration der Miliartuberkel und ihrer Umgebung, innerhalb welcher theils 
zahlreiche Gruppen, theill einzelne kurze Ketten eines Kettencoccus sich 
zeigen. Durch diese acut entzündlichen Veränderungen werden die Tu- 
herkelknötchen eliminirt, und erfolgt auf dem Wege der Granulationsbildung 
Heilung mit Hinterlassung einer zarten, nur in der Cutis sitzenden Narbe. 

Vergleichen wir das anatomische und klinische Bild der Leichen¬ 
warze mit dem des Lupus papillaris, verrucosus oder sclerosus, so 
Hisst sich die frappanteste Aehnlichkeit beider nicht verkennen. Bei 
beiden besteht der Process in der Bildung miliarer Tuberkel, diese 
sitzen beim Leichentuberkel ausschliesslich in der Cutis, beim Lupus 
auch im subcutanen Gewebe. Die Leichenwar/.e ist also ein ober¬ 
flächlicherer, der Lupus eiu tiefer greifender Process. Die leichtere 
Heilung, die geringere Tendenz zu Recidiven erklärt sich aus dieser 
Differenz. Vielleicht giebt auch die oberflächlichere Lagerung des 
Processes bei der Leichenwarze Veranlassung zur Invasion von 
Coccen, deren Consequenzen dann eine weitere secundäre Differenz 
zwischen beiden Processen geben, übrigens hat Schüller auch beim 
Lupus Coccen, Cohn heim und Thoma bei demselben Verkäsung 
nachgewiesen. 

Hierzu ist noch ein Umstand zu erwägen. Lupus kommt 
fast ausschliesslich bei Kindern zur Entwickelung, die Entwickelung 
der Leichenwarze wurde bisher nur bei Erwachsenen beobachtet. 

Prädisponiren gewisse Beschäftigungen, die Berührung mit 
menschlichen und thierischen Abfallstoffen bedingen, die Erwachsenen 
zur Acquisition des Leichentuberkels, so werden Kinder, die es mit 
der Reinlichkeit nie zu genau nehmen, mit allen möglichen Abfällen, 
iu Erde, Koth und Sumpf ihre Spiele findeu, von den verschieden¬ 
sten Leuten geherzt und geküsst werden, gewiss vielfach auch mit 
Tuberkelvirus in Berührung kommen und durch ihre zarte Haut, 
die meist Excoriationen, Erosionen trägt, auch für Iufectionen mit 
demselben prädisponirt sein. Sollte nun die Thatsache, dass Lupus 
nur bei Kindern, die Leichenwarze nur bei Erwachsenen entsteht, 
nur ein Zufall, oder nicht vielmehr darauf zurückzuführen sein, dass 
dasselbe Virus in der zarteren und succulenteren Haut des Kindes 
den tiefer greifenden Lupus, in der resistenteren Haut des Erwach¬ 
senen die oberflächlichere Leichenwarze erzeugt? 

Und so können wir denn wohl zu dem Schlüsse kommen, ört¬ 
liche Einimpfung von Tuberkelvirus erzeuge auch Formen 
der Hauttuberculose. die von den bekannten tuberculösen 
Ulcerationen der Haut wesentlich verschieden, anato¬ 
misch und klinisch dem Lupus verrucosus sehr nahe 
stehen uud auch von Allgemeinerscheinungeu gefolgt 
sein können. 


IV. Ueber das biliöse Typhoid. 

Von Dr. Kartulis in Alexandrien. 

(Fortsetzung aus No. 4.) 

Der Verlauf des biliösen Typhoids kann sich in vier verschiedene 
Stadien eintheileu. 

1. Die Invasion oder das Prodromalstadium nach Griesinger. 
Wie wir schon erwähnt haben, werden Leute von biliösem Typhoid 
ergriffen, welche sich an einem bestimmten Ort dem unbekannten 
Miasma der Krankheit ausgesetzt haben. Iu den ersten 24 Stunden 
ist die Diagnose unmöglich, besonders wenn eins oder mehrere 
Symptome fehlen. Gewöhnlich klagen die Patieuten über all¬ 
gemeines Unwohlsein, Kopfschmerzen, Neigung zum Erbrechen, ln 
dieser Zeit, wenn auch alle Symptome der Krankheit bestehen, ist 
die Diagnose noch schwer. Am 2. Tage haben wir dieselben 
Symptome, die Conjunctiva aber fängt sich zu injicireu an, und 
Schmerzen, besonders in den unteren Extremitäten, stellen sich ein. 
Das Fieber ist, wenn auch nicht in allen Fällen charakteristisch 
hoch, wie es schon oben besprochen wurde. Der Puls ebenfalls 
beschleunigt voll und stark. Am 3. Tage schwillt die Leber etwas 
an und ist hei Druck empfindlich, während die übrigen Organe 
nichts Abnormes zeigen. Der Stuhl ist angehalten; wenn Aus¬ 
leerungen stattgefunden haben, bieten dieselben nichts Charakte¬ 
ristisches dar. Ebenso ist der Urin an dem ersten Krankheitstage 
normal. Dieses Stadium kann 3—4 Tage lang dauern, und nur 
selten, wenn besonders Anurie mit Häinorrhagieen stattgefunden 
haben, tritt der Tod ein. Von den erwähnten Symptomen können 
einige fehlen. Nasenbluten ist nicht constant, ebenso können die 
Wadenschmerzen in sehr wenigen Erkrankungen fehlen. Ueber- 
haupt hat das Vorhandensein oder Kehlen eines oder mehrerer Symp¬ 
tome keine prognostische Bedeutung für den Verlauf der Krank¬ 
heit. Es giebt sogar Fälle, welche mit sehr milden Symptomen 
beginnen und letal enden, und andere wieder, welche mit stürmi¬ 
schen Erscheinungen angefangen haben und zur Heilung führen. 

2. Die Akine oder das Uebergangsstadium, nach Griesin¬ 
ger. Mit den ersten Zeichen der ikterischen Färbung der Con¬ 
junctiva nimmt die Krankheit ein ganz anderes Bild an. Die obigen 
Symptome verschlimmern sich, die Leber ist mehr geschwollen uud 
schmerzhaft, die Wadenschmerzen intensiver, die Nächte ruheloser, 
der Appetit mehr geschwächt. Allmählich fängt der übrige Körper 
an sich ikterisch zu färben. Jetzt fängt der Harn an, spärlicher 
zu werden oder ganz aufzuhören; der Stuhl ist noch immer au¬ 
gehalten. Nasenbluten, Erbrechen stellen sich oft eiu. Das Fieber 
hält in einigen Fällen 39°—38,5°, oft fällt es bis 37,5°. Die 
übrigen Organe zeigen nichts Charakteristisches. Der Puls behält 
noch seine Höhe, während die Haut oft feucht und klebrig ist. 
Exantheme fehlen oft in diesem Stadium, und nur die Rachen- und 
Larynxschleimbaut ist meistentheils entzündet. Der Tod tritt iu 
diesen Fällen gewöhnlich unter urämischen Erscheinungen ein. Die 
ganze Dauer dieses Stadiums beträgt 2—5 Tage. 

3. Das typhöse Stadium. Haben sich die Symptome gut 
entwickelt, so sieht man die Kranken soporös und apathisch im 
Bette liegen. Das Sensorium ist meistens benommen, die Respiration 
schwer. Die Leber noch geschwollen und schmerzhaft. An keinem 
der anderen Organe merkt man etwas Charakteristisches mit Aus¬ 
nahme der Complicationen. Das Fieber ist erniedrigt, der Puls 
immer schnell, gewöhnlich einige Remissionen zeigend. Einmal 
gestaltet sich derselbe voll und schnell, ein anderes Mal wieder ist 
er klein oder filiform. Wenn die Anurie oder Oligurie vorbei 
sind, tritt reichlicher Ham oder Polyurie zu Tage. Der Stuhl ist 
jetzt milchweiss aussehend, sehr stinkend; es kommen in diesem 
Stadium auch Diarrhöen vor. Jetzt erreicht die Ausbreitung und 
Intensität des Ikterus ihr höchstes Stadium. Die Kranken sehen 
orangengelb aus. Erbrechen und Singultus, wie aus den obigen 
Mittheilungen ersichtlich, gehören in dieses Stadium. Die Schlaf¬ 
losigkeit ist noch enorm. Der Ham enthält ausser Gallenfarbstoflf 
in einigen Fällen noch. Albumen. Die mikroskopische Untersuchung 
zeigt oft viele hyaline Harncylinder, in welchen auch degeuerirte 
Epithelien oder Blutkörperchen eingebettet sein können. Von Com¬ 
plicationen sieht man Lungenentzündungen, Katarrhe und Paro- 
titiden. Petechien und andere Hautexantheme kommen hier vor. 

Die Kräfte der Patienten werden bis zum Aeussersten geschwächt, 
und am Ende dieses Stadiums können sich dieselben kaum be¬ 
wegen oder sprechen. Der Tod tritt gewönlich zwischen dem 10. 
bis 16. Tage der Erkraukung ein. Ursachen desselben können 
Urämie, Erschöpfung, Blutverluste oder Pyämie (nach eitriger Paro¬ 
titis) sein. 

4. Das Reconvalescenzstadium. Die Reconvalescenz geht 

I sehr langsam von Statten. Die enorme Schwäche fesselt noch lange 
' die Kranken an’s Bett. Die ikterisehe Färbung des Körpers verseilwin- 
j det allmählich, es bleibt aber noch für längere Zeit ein leicht 


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2. Februar. 


DEUTSt’IIE MKDK'INISCHE WOCHKNSCHUIFT. 


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ritronengelber Ton der Haut bemerkbar. Erst nach 2—3 Monaten 
erholen sich die Kranken vollständig. 

In einigen Fällen steigt gleich vor dem Tode die Körper¬ 
temperatur bis 41,5 und nach dem Tode im Rectum auf 42—43°. 
Solche Temperaturerhöhungen habe ich in vielen Fällen bemerkt, 
ein Alexandriner College will sogar gleich nach dem Tode eine solche 
vou 44° beobachtet haben. 

Pathologische Anatomie. 

Pie pathologischen Veränderungen in den Orgauen der an 
biliösein Typhoid verstorbenen Individuen bieten nichts Charak¬ 
teristisches dar. Die Organe werden iu der Weise betroffen, wie es 
der Fall bei den meisten Infectionskrankheiteu ist. 

Das Gehirn mit den Gehirnhäuten zeigte in den unter¬ 
suchten Fällen (nur drei) stets eine ikterisclie Färbung der letzteren. 
Die Gefässe waren stark gefüllt, hier und da sieht man auch punkt¬ 
förmige Blutungen oder Ecchvmosen. 

Die Hirnsubstanz war nur in einem der untersuchten Fälle 
gelb gefärbt. Besondere Läsionen waren an derselben nicht zu 
sehen. Die Veutrikel enthielten in zwei Fällen eine röthliche, in 
einem anderen Fall eine gelbe Flüssigkeit. 

Lungen. In allen Fällen verschiedenes Verhalten; was jedoch 
für ein charakteristisches Vorkommen gehalten werden kann, ist eiue 
intensive Entzündung der Schleimhaut der Bronchien; dieselbe 
ist gewöhnlich roth, während das Lumen voll von blutig-gelben, 
schleimigen Massen ist. Das Lungenparenchym zeigt nichts Cha¬ 
rakteristisches, oft ist die Basis blutreich, jedoch selten verdichtet. 
Ich selbst habe keine richtige Pneumonieen gesehen, Oedem der 
Lunge jedoch zwei Mal. Larynx und Trachea zeigen ein den 
Bronchien analoges Verhalten. Croup ist niemals von uns gesehen. 
Die Peribronchialdrüsen waren in einigen Fällen hypertrophisch. 

Parotis. Oft sind die Drüsen bedeutend geschwollen und roth; 
in vielen Fällen sind beide Drüsen geschwollen oder vereitert. 

Herz. Das Pericardium enthielt in den meisten Fällen wenig 
Flüssigkeit: dieselbe war sehr klebrig und gelb. Im Sack selbst 
waren in wenigen Fällen Hämorrhagieen zu sehen. Der Herzmuskel 
war gewöhnlich von normaler Grösse; die Farbe verschieden, jedoch 
oft gelblich. Petechien waren stets, besonders iu Linsenform, 
anf dem Myocard zu sehen. Das Endocard war frei von Hämorr¬ 
hagieen; andere Veränderungen desselben habe ich nie beobachtet. 
Die Ventrikel waren fast immer voll von Fibringerinnseln. Die 
Aorta, sowie die grösseren Gefässe waren stets ikterisch gefärbt. 

M agen. Vom Pharynx bis zum Magen ist die Entzündung 
•>ft intensiv. Petechialhämorrhagieen des Magens sind fast constant 
zu sehen; die Form ist meistens dendroid, die ganze Schleimhaut 
atn;r nicht selten feuerroth. Kein Croup. 

Darm. Das untere Drittel des Ileum ist in deu meisten Fällen 
am stärksten entzündet, In mancher Beziehung ähnelt dieser Be¬ 
fund dem Choleradarm. Die Peyersehen Plaques sind iu der 
Regel länglicher oder breiter, etwas geschwellt und gewöhnlich 
leicht oder stark roth. nicht selten auch blass und dunkel punktirt. 
Die Umgebung ist entweder blass oder auch stark entzündet. Die 
solitären Follikel sind nicht stets zu sehen; in einigen Fällen aber 
sind sie so vermehrt und vergrössert, dass das ganze Darmstück 
den Eindruck einer mit Akne versehenen Haut macht. In einer 
Reihe von Fällen war der Dünndarm ohne besonderen Katarrh, und 
von Drüsen waren nur einige zu sehen. Das Jejunum zeigt ge¬ 
wöhnlich leichten Katarrh. Am Dickdarm war niemals etwas 
Besonderes zu sehen. Duodenum: verschieden. Die Schleimhaut 
oft locker und stark entzündet. Die solitären Follikel in einigen 
Fällen wie beim Ileum, in anderen Fällen wieder findet man nichts; 
die Schleimhaut ist blass oder gelblich, oder die Papillen sind 
schwer gelblich gefärbt. Die Gallengänge waren stets frei; ihre 
Schleimhaut war sehr entzündet, geschwellt, oft von scharlachrother 
Farbe. Die Gallenblase bot nicht immer das gleiche Bild. 
Während sie in einigen Fällen strotzend voll von einer kaffee- 
ähnlichen Flüssigkeit von Öliger Consistenz, war, zeigte sie sich 
wieder in anderen Fällen ganz verschieden. Die Flüssigkeit war 
gering, dick, oder auch sehr flüssig, vou gelblich-grüner Farbe. Die 
Schleimhaut der Gallenblase war in den meisten Fällen auch sehr 
entzündet, entweder mit Hämorrhagieen versehen oder von sammet- 
artigem Aussehen; einige Male war dieselbe wenig entzündet. 

Leber. Bei früher gesunden und nicht nach dem typhösen 
Stadium verstorbenen Individuen war die Leber stets gleiehinässig 
vergrössert. Die äussere Fläche zeigt gewöhnlich keine besonderen 
Abnormitäten. Die Vergrösserung des Organs übertrifft eine normale 
Leber nicht um 6 cm; charakteristische Läsionen sind makroskopisch 
nicht nachweisbar. Das Parenchym bei Durchschnitten zeigte sich 
marmorirend, manchmal derbe Consistenz, oft durch Gallenfarbstoff 
durchtränkt. Durch die Gefässe floss dunkelrothes, dickes Blut 
heraus. Eine beginnende fettige Entartung war in sehr vielen Fällen 
zu sehen. 


Prankreas. Oft vergrössert und sehr hart, sehr selten mit 
Gallenfarbstoff durchtränkt. 

Milz. In den meisten Fällen zeigte dies Organ absolut keine 
makroskopischen Veränderungen. Nur drei Mal fand ich eine rela¬ 
tive Vergrösserung derselben. In diesen letzteren Fällen war die 
Pulpa weich und dunkelroth. Gewönlich war die Milz derb, oft 
sogar klein. Beim Durchschnitt war dieselbe hellroth. 

Nieren. Immer vergrössert. Auf der äusseren Fläche der 
Nieren punktförmige Hämorrhagieen. Die Nierensubstanz war ent¬ 
weder homolog vou einer gleichmässig kartoffelähnlichen Beschaffen¬ 
heit, mit Ausnahme der Pyramiden, welche roth aussahen, oder es 
war nur die Rinde gelblich und das übrige Parenchym stark iuji- 
cirt. Oft war die ganze Nierensubstanz durch Gallenfarbstoff ge¬ 
färbt. Die Nierenbecken zeigten in den meisten Fällen eine starke 
Entzündung und waren mit Hämorrhagieen versehen. Sehr selten 
fehlteu diese Blutungen ganz. Die Nebennieren waren ebenfalls 
vergrössert und hart. 

Die Mesenterialdrüseu sowie sämmtliche lymphatischen 
Drüsen des Unterleibs waren mässig vergrössert. 

Wenn wir jetzt einen Vergleich zwischen den von Griesinger 
und uns geschilderten klinischen Bildern und den pathologischen 
Veränderungen des biliösen Typhoids machen, finden wir einige 
Abweichungen, welche ich der Wiederholung für werth halte. 


Nach Griesinger. 

Citronengelber Ikterus. 

Gelbe Stuhlausleerungen. 

Puls schnell und regelmässig. 

Milz stets angeschwollen und 
verändert. 

Leber nicht oft angeschwollen. 

Urin: Keine Auurieen. 

Parotitis sehr selten. 

Darm: Katarrh oder Croup vom 
Ileum, Dysenterie des Dick¬ 
darmes. 

Croup mehrerer Schleimhäute. 

Verkürzung und Heilung der 
Krankheit durch Chinin. 


Nach uns. 

Meistens orangengelber Ikterus. 

Meistens thonartige Stuhlaus¬ 
leerungen. 

Puls schnell, oft Unterbrechern!. 

Milz oft normal. 

Leber stets angeschwollen und 
schmerzhaft. 

Urin: oft Oligurie und Anurie. 

Parotitis häufig. 

Katarrh des Dnundarmes. nie¬ 
mals Croup oder Dysenterie. 

Niemals. 

Kein Einfluss des Chinins. 


Fall 6. Biliöses Typhoid (s. Teiup.-Tabelle p. 88). Schüttelfrost. Kophal- 
algie, zuerst Oligurie später Polyurie. Masernähnlicher Ausschlag. Heilung. — 
K. M., 48 Jahre alt. Am 2. Mai 1886 speiste er zu Mittag in einem 
Caffeehaus neben dem Zollamte. Er schlief dort im Freien: nach einigen 
Stunden erwachte er mit schwerem Kopf. Ein Schüttelfrost erfolgte bald. 
Bis zum nächsten Morgen fieberte er stark und verbrachte eine schwere 
Nacht. Am zweiten Tage, obwohl sich unwohl befindend, war er doch 
verhältnissmässig ruhiger. Die Nacht war wieder sehr schlecht. Am dritten 
Tage beim Aufstehen spürte er starke Schmerzen in den Waden, so dass er 
kaum gehen konnte. Appetitlosigkeit seit dem ersten Tage. Am zweiten 
Tage Erbrechen; kein Nasenbluten. 

Am vierten Tage habe ich ihn besucht. Patient, welcher sehr gut 
gebaut ist, hat das Gesicht roth. die Augen wild, injicirt und leicht 
ikterisch. 

Lungen uud Herz gesund. Kachenschleimhaut sehr geröthet. Leber 
zeigt sich bei der Percussion ziemlich vergrössert, besonders im linken 
Lappen. Bei Druck nur ist die Leber sehr schmerzhaft. Milz garnicht 
vergrössert und nicht schmerzhaft. Der schmerzhafteste Punkt im ganzen 
Körper sind die Waden. Wenn man dieselben nur mä^ig drückt, fängt 
Pat. an aufzuschreien. Sensorium frei,' Pat. zeigt aber grosse Aengstlichkeit 
und spricht gern viel. Seit dem ersten Tage kein Stuhl da. Erst heute 
milchweisse Excremente. Harn in den ersten Tagen spärlich, vom 5.-6. 
Mai 800 g mit Galleufarbstoff ohne Eiweiss (s. Temp.-Tabelle). Puls 
schnell, schwach und nicht intermittirend. Am 6. (Mai) Erkrankungstage 
war die Conjunctiva gelber gefärbt, der Körper sehr leicht ikterisch. Am 
7. und 8. Mai war der Harn spärlicher, enthielt viel Gallenfarbstoff aber 
kein Eiweiss, der Ikterus wurde intensiver und nahm einen orangengelbeu 
Stich an. Das Sensorium fing an gestört zu werden, die Antworten waren 
undeutlich. Am 7., 8. und 9. Tage typhöser Status. Sensorium getrübt. 
Delirien. Singultus. Die Nächte sehr unruhig. Am 10. Erkrankungstage 
zwei Mal Erbrechen; darauf schlief er ein, und nach dem Erwachen war der 
Kopf frei. — Eigenthümlieh ist es, dass iu diesen Tagen, trotzdem die 
Temperatur niedrig war, der Puls immer seine Höhe, behielt: er schlug ge¬ 
wöhnlich 110—120 in der Minute, war aber sehr klein. Das Schluchzen 
fing hier am 8. Erkrankungstage an und dauerte 5 Tage lang; sodann 
hörte es für 24 Stunden auf, kam wieder für zwei Tage, um endlich ganz 
aufzuhören. 

Am 11. Mai (d. h. am neunten Tage der Krankheit) an den Vorder¬ 
armen und Armen ein erythematöser Ausschlag. Denselben kann man 
mit Masern verwechseln, und er ist auch sehr juckend. Bauch und Schenkel 
sind leicht davon betroffen. Am 14.- Tage war das Exanthem erloschen. 

Der Harn war in den ersten Tagen sehr spärlich; am 6. entleerte 
Pat. sogar nur 200 g an Gallenfarbstoff reichen Harnes. Die Oligurie ver¬ 
wandelte sich allmählich in eine Polyurie, und am 11. war die Urinmenge 
in 24 Stunden auf 3000 g gestiegen, am 17. betrug dieselbe sogar 3700 g. 
Diese Quantität von Harn entleerte er, bis die ikterische Färbung des 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5 


Körpers bedeutend zu schwinden begann. Am I. und 2. Juni betrug 
die Ilarnmenge noch 4000 g, aber am 9. nur 1700 g. Das Sensorium war 
seit dem 12. Krankheitstage frei. Der Ikterus erreichte sein höchstes 
Stadium zwischen dem 12. und 19. Tage, wo Pat. orangengelb aussah. Schon 
am 20. war der Rückgang des Ikterus deutlich zu sehen, während die 
Temperatur zu steigen anfing. Die Stuhlausleeruugeu, die bis dahin weiss 
waren, begannen sich gallig zu färben. Die Reconvalescenz war von 
langer Dauer. Langdauernde Diarrhöen haben den Pat. noch gequält; 
dieser Darmkatarrh verlief unter massigem Fieber. Erst Mitte Juni war der 
Kranke im Stande herumzugehen. 


sich Erbrechen und Singultus ein. Ikterus ist jedoch garnicht zum Vorschein 
gekommen. Pat. war sehr abgemagert. Drei Tage vor dem Tode ver¬ 
minderte sich der Urin bedeutend (500 g). Am 16. Erkrankungstage Exitus 
letalis. Autopsie wurde nicht gestattet. 

Fall 8. Biliöses Typhoid; leichter Fall. Ataxie (s. Temp.-Tabelle) 
des Herzens. Diarrhoe. Desquamation der Epidermis. Heilung. M. A.. 
20 Jahre alt. Pat. befindet sich seit kurzer Zeit in Aegypten und wohnt 
in einem feuchten Laden in Ahtarin. Die Krankheit fing mit Kopfschmerzen 
und allgemeinem Unwohlsein an. Erst am 5. Tage sollen ihm die Waden 


Kall 6. 



Fall 7. 

Krankli.-Tae fi 7 8 9 lO^flll 12 13 14 15 lß 17 IS 19 20 2l 




Fall 7. Biliöses Typhoid ohne Ikterus. Tod (s. Temp.-Tabelle). Der 
40jährige B., Grieche, erzählt, dass er vor 6 Tagen (16. October 1886) von 
einem Schüttelfrost überrascht wurde. Er wohnte neben der Küste im 
alten Hafen, wo er auch beschäftigt war. Bald nach dem Froste bekam er 
Fieber, Kopfschmerzen und Nasenbluten. Am 2. Tage Schmerzen in den 
Waden. Diese Symptome verschlimmerten sich allmählich. Die Nächte 
verbrachte Pat. schlaflos und unruhig. Als ich denselben zum ersten Male, 
am 6. Tage der Erkrankung, untersuchte, waren sämmtliche Symptome von 
biliösem Typhoid vorhanden. Stuhl ganz weiss. Harn enthält viel Gallen¬ 
farbstoff, Urinmenge 600 g. Temperatur 38,9, Puls schnell, voll, 110. Ge¬ 
sicht roth, Conjunctiven injicirt, nicht ikterisch gefärbt. 

Die grösste Harnmenge betrug während der Krankheit 1100 g und 
enthielt Gallenfarbstoff ohne Eiweiss. Sieben Tage vor seinem Tode stellte 


schmerzhaft geworden sein Die ikterische Färbung des Körpers bemerkte 
er am 6 Tage. Da sämmtliche Symptome leicht waren, blieb er ohne 
jegliche Behandlung in seiner Bude; erst am 8. Tage kam derselbe in 
ärztliche Behandlung. Bei der Untersuchung war das Sensorium voll¬ 
kommen frei. Patient war über den ganzen Körper intensiv ikterisch ge¬ 
färbt. Die Brustorgane zeigten nichts Abnormes, ausser einer Unregel¬ 
mässigkeit der Herztöne. Von den Unterleibsorganen war die Leber nur 
etwas vergrössert und schmerzhaft. Harumenge (mit Gallenfarbstofl) lOOOccm 
Puls klein 106. 

t,9. Tag. Herz wie gestern, Harn 1900 ccm. Stuhl weiss. 

10. Tag. Keine besonderen Beschwerden. Harn 2000ccm. 

11. Tag. Puls 100 regulär. Harn 2000ccin. Diarrhoe gallig gefärbt 

12. Tag. Urin 2000 ccm 


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2. Februar. deutsche medicinische Wochenschrift. 89 


13. Tag. Urin 2000 ccm, orangengelb. Puls 110 voll. Nur die Leber 
und die Waden sind bei Druck empfindlich. Diarrhoe vorbei. 

14. und 15. Tag je 2000 ccm Harn. Puls 100 — 108, gut. 

16. Tag. Sensorium stets ungetrübt. Harn 2000 ccm, Puls 108. — 
Bis zum 19. Tag Harn jeden Tag 1800 —2000ccm. Am 19. Tag war die 
Farbe des Harnes schwärzlich-gelb, viel Gallenfarbstoff enthaltend. 20. Tag. 
Harn 1300 ccm. Wieder gallige Diarrhoe. Desquamation der Epidermis in 
den Vorderarmen und Händen. 21. Tag. Harn 1750 ccm, schwärzlich. 
Diarrhoe vorbei. 22. Tag. Ikterus im Verschwinden. 

24. Tag. Patient fängt an zu gehen, ist aber sehr schwach. Fieber- 
Exacerbation wahrscheinlich wegen des Rückganges des Ikterus. 

27. Tag. Patient erholt sich langsam. (Schluss folgt.) 


Y. Rundschau auf dem Gebiete der 
Ernährungslehre. 

Von Immanuel Munk in Berlin. 

Seit dem Abschluss (Anfangs 1886) der von mir und J. Uffelmann 
bearbeiteten „Ernährung des gesunden und kranken Menschen. Handbuch 
der Diätetik“ sind eine Reihe, die Lehre von den Nahrungsmitteln und der 
Ernährung betreffende Veröffentlichungen erfolgt, deren thatsächlicher Inhalt 
einer zusaramenfassenden Besprechung unterzogen werden soll. 

Auf Grund der von ihm beobachteten Grösse des Eiweissumsatzes hat 
0. v. Voit für den erwachsenen Mann bei mässiger Arbeit den täglichen 
Ei weissbedarf zu 118 g. bei angestrengter Arbeit zu 145 g bemessen. 
Dem gegenüber konnte J. Ranke sich schon mit 100 g, Beneke sogar mit 
nur 90 g für längere Zeit, bis zu 14 Tagen, in’s Eiweissgleichgewicht setzen. 
Bei 8 jungen, ruhenden oder nur leichte Arbeit verrichtenden Menschen, 
welche ihre Nahrung nach Belieben wählten, fanden Pflüger und Boh- 
land (Arch. f. d. ges. Physiol. XXXVI, p. 165), nach Maassgabe des durch 
den Harn ausgeschiedenen Stickstoffs, nur einen täglichen Umsatz von rund 
90g Eiweiss. Bohland hat nun mit Bleibtreu (ebenda, XXXV11I, p. 1) 
die Untersuchungen an 6 jungen und kräftigen Individuen (2 Soldaten. 2 
Laboranten, einem Handwerker und einem Fabrikarbeiter) fortgesetzt. Aus 
69 Bestimmungen der täglichen Gesammtstickstoffausscheidung durch den 
Ham berechnet sich für Ruhe und mittlere Arbeit ein Eiweissumsatz von 
93 g, bei sehr angestrengter Arbeit ein solcher von 107,5 g, also erheblich 
weniger, als das von Voit geforderte Kostmaass. Danach dürfte eine Zu¬ 
fuhr von 100 g verdaulichem Eiweiss bei mittlerer Arbeit und von 115 g 
verdaulichem Eiweiss bei angestrengter Arbeit genügen, um einen kräftigen 
Menschen von circa 70 kg auf seinem Eiweissbestand zu erhalten. 

Für die Versorgung des Volkes mit Fleisch ist das Fisch¬ 
fleisch von grösster Bedeutung; von besonders gesuchten und mehr als 
Leckerbissen geschätzten Fischarten (Lachs, Forelle u. A.) abgesehen, ist der 
Marktpreis derselben erheblich niedriger als der des Fleisches der Haus¬ 
siere. Von letzterem unterscheidet sich das Fischfleisch in chemischer 
Hinsicht einmal durch den durchweg höheren Wassergehalt (80 — 85% 
Wasser), sowie durch die Qualität und Quantität des Fettes. An Eiweiss 
enthält es mindestens 12, meist sogar 16—18%. Auf vorliegende Erfah¬ 
rungen hin hielt ich dafür, dass, da das Eiweiss und das Fett des Fisch¬ 
fleisches im Darm wohl grösstentheils zur Ausnutzung gelangt, der Nähr¬ 
werth des Fischfleisches ein ebenso hoher sein wird, als der des Fleisches 
der Hausthiere, auf den gleichen Eiweiss- (bez. Fett-)Gehalt bezogen. Einen 
strikten Beweis dafür hat Atwater durch einen (im Voit’.sehen Labora¬ 
torium ausgeführten) Ausnutzuugsversuch geliefert (Zeitschr. f. Biologie 
XXIV, p. 16). Ein gesunder Manu von 79 kg wurde drei Tage mit circa 
1500 g Schellfisch, Butter, Wein, Bier und Caffee ernährt. In der Tages¬ 
kost befanden sich 296 g feste Theile, darunter 45,6 g Stickstoff (entspre¬ 
chend 285 g Eiweiss), 35 g Fett und 18 g Asche; von diesen gingen 4,9% 
Trockensubstanz, 2% Stickstoff, 9% Fett und 22,5% Asche unbenützt mit 
dem Kothe heraus. Als au drei folgenden Tagen das Fischfleisch durch 
1200 g Rindfleisch (täglich 291 g Trockensubstanz, 38,5 g Stickstoff, 61 g 
Fett und 13 g Asche) ersetzt wurde, verliessen 4,3% von der Trockensub¬ 
stanz, 2,5% vom Stickstoff, 5,2% vom Fett und 21,5% von der Asche den 
Körper unbenutzt. Also werden auch im Darm des Menschen die Bestand¬ 
teile des Fischfleisches ebensogut ausgenützt, wie die des Rindfleisches. 
Beim Fischfleisch befand sich die Versuchsperson erst mit 285 g, beim Rind¬ 
fleisch schon mit 241 g Eiweiss im Stickstoffgleichgewicht; allein daraus 
ist durchaus nicht auf einen geringeren Nährwerth des ersteren zu 
schliessen. wurden doch neben Fisch nur 35 g, neben Rindfleisch dagegen 
61g Fett täglich gereicht; je grösser die Menge des Nahruuzsfettes, desto 
mehr Eiweiss wird dadurch erspart. Bei der vortrefflichen Ausnützung des 
Fischfleisches im gesunden Darm und bei der Gleichwerthigkeit hinsichtlich des 
Nährwertes von Fisch- und magerem Rindfleisch eignet sich, wie ich auch 
schon hervorgehoben habe, das Fischfleisch ganz besonders als Eiweissträger 
neben stickstoffarmer vegetabilischer Kost (Kartoffeln, Reis u. A ). 

Die Ausnützung der Thymus, der Lunge und der Leber im 
Darm hat E. Bergeat, allerdings nur beim Hunde, festgestellt (ebenda, 
p. 120). Ein 22 kg schwerer Hund, der mit je 700 g Thymusbrei an drei 
Tagen auf Stickstoffgleichgewicht blieb, schied nur 3,2% vom eingeführten 
Stickstoff, dagegen 16% der Thymusasche durch den Koth aus. Bemer¬ 
kenswerter Weise sind in der Thymus fast 23% N nicht in Form von 
Eiweiss, sondern sogenannten Extractivstoffen vorhanden, die, ohne wesent¬ 
lichen Nährwerth zu besitzen, als solche durch den Harn wieder austreten. 
Bei Zufuhr von 800 g Lunge (mit 58 g N) wurde der N bis auf 4,2 %, 
die Asche bis auf 21,7 o,'o ausgenützt. Also wird auch die Lunge im Darm 
recht gut verwertet. Allerdings fanden sich im Koth vereinzelte unverdaute 
Biodegewebsstücke der Lunge, offenbar weil die reichlich vorhandene elasti¬ 
sche Substanz schwerer verdaut und aufgelöst wird. Bei Fütterung mit 
,800 g Kalbsleber, welche kaum zur Erhaltung des N-Gleichgewichtes aus- 


reichteu, gingen 3,3% N und 14% Asche durch den Koth zu Verlust. In 
Bezug auf die Eiweissausnützung stellt sich das Muskdlfleisch am günstigsten 
(bis auf 2% N), dann folgen Thymus und Leber (bis auf 3,3%), sind 
also in Bezug darauf Eiern und Milch gleichwerthig, dann die Lunge (bis 
auf 4,2 o/o) und endlich nach Politis das Gehirn (bis auf 14%). Bezüglich 
I des Nährwertes der Leber und Lungen hatte ich genau das Nämliche ab- 
i geleitet (a. a 0. p. 138). Da nach den Erfahrungen von Itubner und 
! Atwater sich hinsichtlich der Ausnützung beim Menschen und Hunde gleiche 
I Resultate ergeben, dürften die beim Hunde gewonnenen Ergebnisse auf den 
Menschen übertragbar sein. Leber und Lunge sind daher bei ihrem nie- 
i drigen Marktpreise geeignet, in der Volksemährung das Fleisch bis auf 
einzelne Fälle zu vertreten. 

Ueber die Ausnützung des Weizenklebers und über die Ver- 
' Wendung desselben zur Ernährung des Menschen hat Constan- 
tinidi, gleichfalls in Voit’s Laboratorium, beachtenswerte Versuche ange- 
! stellt (ebenda XXIII, p. 435). Bei Bereitung der Weizenstärke fällt eiweiss- 
I reicher Kleber ab; ein solches von Hund hausen (in Hamm) dargestelltes 
I Präparat, wovon das Kilo nur 60—80 Pfennige kostet, enthält 13,77 % 
Stickstoff (= rund 83 o/ 0 Eiweiss), 7 o/ 0 Stärke, '/* % Fett, */a % Cellulose 
und U,8% Asche. Die schon von Rubner festgestellte, gute Ausnützbar- 
keit des Klebereiweiss konnte Constantinidi bestätigen und zugleich zeigen, 
dass dasselbe auch leicht aufnehmbar ist. Ein 74 kg schwerer Mann nahm 
drei Tage lang mit je 1700 g Kartoffeln, 200 g Kleber, 100 g Butter, ferner 
Bier und Wasser, insgesammt täglich 31,7 g N, 101 g Fett und 380 g Kohle- 
' hydrate auf und schied davon nur 2 g N = 6,4% N durch den Koth aus: 
die Stärke wurde vollständig, das Fett bis auf 2,5 % resorbirt. 5,59 g N. 
die im Harn und Koth nicht wieder erschienen, gelaugten zum Ansatz (ent¬ 
sprechend 35 g Eiweiss). Als eine Woche später der Mann dieselbe Kost, 
nur mit Fortlassung des Klebers, im Ganzen täglich 7,2 g N erhielt, betrug 
der Verlust durch den Koth 1,4 N = 19,5 % und nur 0,7 % für die Kohle¬ 
hydrate. Von den in 200 g Kleber enthaltenen 27,5 g N traten somit 
t in der ersten Versuchsreihe nur 0,6 N = 2,2 % mit dem Koth heraus; die 
I Ausnutzung des Kleberstickstoffs ist ebensogut wie die des Fleischstickstoffs. 
Bei dieser guten Ausnulzbarkeit und Annehmbarkeit des Klebers würde sich 
die Verwendung desselben für die Volksernährung ausserordentlich em¬ 
pfehlen, zumal 80 g (trockenes) Klebereiweiss, welche % des täglichen Ei- 
; weissbedarfes decken, nur auf 6—7 Pfennige zu stehen kommen. 

Den Nährwerth der künstlichen Fleischpeptone, welche be- 
1 kauntlich nicht durch Digestion mit Magensaft, sondern durch Einwirkung 
! überhitzten Wasserdampfes hergestellt werden, hat N. Zuutz beim Hunde 
geprüft (Arch. f. d ges. Physiol. XXXVII, p. 313). Ein nund von 3 l /s kg 
! erhielt neben 20 g Schmalz dieselbe N-Menge, bald in Fleisch (120 g), bald 
| in Form von Kemmerich’s Pepton (48,5 g), bald von Kochs’ Pepton 
l (60,7 g). Während beim Fleisch oin geringfügiger N-Ansatz erfolgte, verlor 
| der Hund bei beiden Peptonen täglich rund \a g N = 3,1 g Eiweiss. Gün- 
; stiger stellte sich der Nährwerth der Peptone, als neben ihnen und neben 
| Fett noch 70 g Stärke gegeben wurden. Bei 60 g Kemmerich’s bez. 76 g 
. Kochs’ Pepton wurde so zehu Tage lang annähernd N-Gleichgewicht er- 
I zielt. Danach kommt beiden Fleischpeptonen zweifellos ein hoher Nährwerth 
j zu, nur ist derselbe nicht so gross als derjenige der echten, durch Magen- 
! Verdauung hergestellten Peptone. 

Ein neues Peptonpräparat, Caseinpepton, hat Th. Weyl dargestellt 
(Berl. klin. Wochenschr. 1886, No. 15); die fabrikmässige Herstellung aus 
dem ausgefällten und gereinigten Caselu der Milch hat. Merck (Darmstadt) 
übernommen. Das Peptonpräparat von durchaus constanter Zusammensetzung 
ist ein schon in kaltem Wasser leicht lösliches Pulver. Da aber Pepton um 
so schlechter und um so bitterer schmeckt, je reiner es ist und je concen- 
i trirter dessen Lösung, so sah sich Weyl veranlasst, sein bitter schmecken¬ 
des Präparat durch nachträglichen Zusatz von Floischextrakt zu corrigireu. 
i Das fabrikmässige Präparat enthält 3,9 % Wasser, 12,7 % Salze, 68,4 % 
Pepton, nur Spuren von Eiweiss und Albumosen, andere organische Stoffe, 

I fast ausschliesslich dem zugesetzten Fleischextract angehöreud, 15%: es 
i ist also 5 mal reicher an Peptonen als das Kochs’sehe und 1 4 's mal reicher 
als Kemmerich’s Präparat. Der grosse, dem zugesetzten Fleiehextract 
I entstammende Salzgehalt biete zu Bedenken um so weniger Anlass, als das 
Caseinpepton nicht ohne anderweitigen Zusatz genossen werden soll. Bei 
i Zusatz des Peptons zu anderen Genuss- und Nahrungsmitteln wird die Con- 
i centration der Peptonsalze genügend verdünnt. Abgesehen von dem hohen 
1 Peptougehalt empfehle sich das Caseinpepton durch die infolge der coustanfeu 
' Zusammensetzung leichte Dosirbarkeit uud seine dauernde Haltbarkeit, sofern 
es nur vor Feuchtigkeit geschützt bleibt. 

| Die Ernährung mit Pepton- und Eierklystieren hat C. A. 

Ewald an drei Individuen, deren Verdauung vollständig in Ordnung war und 
, welche während des Versuches unter Clausur gehalten wurden, geprüft 
(Zeitschr. f. klin. Med. XII, p. 407). Es stellte sich hierbei heraus, dass 
sowohl Keminerich’s als Wey 1-Merck’s Caseinpepton, ferner das pep- 
tonisirte Eiereiweiss und das gewöhnliche Eiweiss von der Mastdarmschleim- 
j haut resorbirt werden uud daher den N-Umsatz (die N-Ausscheidung durch 
den Harn) steigern, aber auch noch N-Ansatz herbeiführen. Nach Fortlassen 
der Peptonklysmen trat wieder annähernd Gleichgewicht zwischen N-Ein¬ 
nahme und -Ausgabe ein. Von besonderem Interesse erscheint es, dass die 
Eierklysmen, präparirt und nicht präparirt. nicht nur ebenso prompt wie die 
käuflichen Peptone resorbirt werden, sondern einen erheblichen, den Pep¬ 
tonen gleichwerthigen N-Ausatz bewirken können. Die Application von 
Peptonklysmen kann demnach durch die viel wohlfeileren Eierklystiere voll- 
! werthig ersetzt werden, mit denen überdies dem Körper Fett (bis zu 12 % 
1 vom Gewicht der Eier) zugeführt wird. 

Bezüglich der Zulässigkeit der Conservirung von Lebensmitteln 
■ durch Zusatz antiseptischer Stoffe habe ich (a a. 0. p. 143) den 
Standpunkt vertreten, „es müsse zunächst festgestellt werden, dass die zu- 
| gesetzte Substanz weder an sich noch in den Mengen, in welchen sie mit 
den Conservcn aufgenommen wird, schädlich ist, also das Allgemeinbefinden 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5 


nicht stört, dass sie die Verdauung und Ausnutzung der Nährstoffe nicht 
beeinträchtigt und dass sie endlich bei länger fortgesetztem Genuss keine 
gesundheitsschädliche Wirkung übt“. Neuerdings hat K. Roosen sich eine neue 
Methode, Fische für längere Zeit zu conserviren, die sogenannte norwegische 
Methode, patentiren lassen. Stahlfässer werden zu a /s mit den zu conser- 
virenden Fischen, zu '/3 mit einer 2%igen Borsäurelösung gefüllt und, nachdem 
der Druck im Innern auf 6 Atmosphären gebracht ist, die Oeffnung fest ver¬ 
schroben. Dieses Verfahren der Conservirung von Fischfleisch be¬ 
leuchtet 0. Liebreich (Berl. klin. Wochenschr. 1887, No. 33) vom phar¬ 
makologischen und hygienischen Standpunkte aus. Solches Fischfleisch ist 
noch nach mehreren Wochen in vortrefflichem, durchaus frischem Zustande; 
die Qualität des Fleisches ist etwas härter als die der Eisfische. Nach 
Stein’s Analysen bleiben pro Kilo circa 2 g Borsäure im Fischfleisch; beim 
Kochen tritt 72 — 3 /* davon in’s Kochwasser über, so dass mit '/a kg gekochten 
Fischfleisches, also mit einer sehr reichlichen Mahlzeit, höchstens 1 /i — l h g 
Borsäure in den Körper gelangt; eine solch’ kleine Dose könne, auch wenn 
mau sich auf den von mir vertretenen Standpunkt stelle, selbst bei täglichem 
Genuss eine schädliche Wirkung kaum üben. Die von Förster und Schlen¬ 
kerschon nach 1—3g Borsäure beobachtete verringerte Ausnutzung der Nahrung 
im Darm sei hinsichtlich des absoluten Verlustes an Nährstoffen durchaus 
geringfügig. Auch handle es sich hier um die Combination einer schwachen, 
an sich zur Conservirung ungenügenden Borsäurelösung mit der Wirkung 
<les sechsfachen Atmosphärendruckes. Liebreich hofft, dass die wohlverdiente 
Verbreitung der neuen Methode der Fiscliconservirung nicht an ungerechten 
Vorurtheiien scheitern wird. 

Ueber die Zulässigkeit der Salicylsäure berichtet K. B. Leh¬ 
mann (Arch. f. Hygiene, V, p. 483). Er Hess zwei gesunde Arbeiter durch 
75 Tage hindurch täglich in */a Liter Bier */* g Salicylsäure nehmen. Weder 
kamen während der Versuchsdauer Verdauungsstörungen noch irgend welche 
krankhaften Symptome zur Beobachtung; auch fühlten sich die Versuchs¬ 
personen die ganze Zeit über und auch nach Ablauf des Versuches durch¬ 
aus wohl. Danach hält Lehmann einen raässigeu Zusatz von Salicylsäure 
zur Conservirung von Nahrungs- und Genussmitteln für zulässig. 

Ueber die Ausnützung und den Nährwerth der Pilze und 
Schwämme liegen mehrere werthvolle Untersuchungen vor. Bisher hat 
man ganz allgemein den Nährwerth der Schwämme hochgeschätzt, weil die¬ 
selben, insbesondere im getrockneten Zustande, reich an Stickstoff sind, von 
dem nach Böhmer etwa 7 /io auf Eiweisssubstanzen zu beziehen sind. 
Nach Strohmer (Arch. f. Hyg. IV, p. 322) enthält frischer Edelpilz (Bo¬ 
letus edulis) 2,3 % Eiweiss, 0,5 % Fett, 2,5 0/0 Stärke, 2 % Zucker, 
1,2% Cellulose, 0,6 % Asche. Die Trockensubstanz enthielt 5,1 % 
N, davon 3,7 % Eiweissstickstoff, entsprechend 23,1 % Eiweiss und 1,4 % 
Extractivstickstoff (in Form von Ammoniak, Amidosäuren und Säureamiden); 
es befinden sich also 72% N in Form von Eiweiss. Uffelmann (ebenda, 
VI, p. 105) ermittelte im frischen Edelpilz 2,8 %, im frischen Champignon 
2,58%, im lufttrockenen 22,9%, in lufttrockenen Pfefferlingen 19,9% Ei¬ 
weiss. Der Extractiv-N macht 19—25 % vom Gesaramt-N aus. Die ausge¬ 
wachsenen Pilze enthalten, auf wasserfreie Substanz berechnet, erheblich 
mehr Eiweiss als die wildwachsenden. Mörner endlich (Zeitschr. f. physiol. 
Chem. X, p. 503) fand im Champignon neben 2,5 % Extract-N 4,9 % Ei- 
weiss-N. Im Mittel einer Reihe von Bestimmungen an Lactarius, Morchella, 
Boletus u. A. berechnen sich 26 % Extractiv-N und 74 % Eiweiss-N. Zur 
Bestimmung des verdaulichen Antheils wurde eine kleine Menge Pilzpulver 
erst mit künstlichem Magensaft, dann mit künstlichem Pankreassaft digerirt; 
von den 74% des Eiweiss-N blieben nach der Verdauung noch 33% un¬ 
gelöst zurück, danach wäre das Eiweiss der Pilze nur höchstens zu 55 % 
verdaulich. Wie ich schon an anderer Stelle bemerkt habe, kann ich mich 
des Bedenkens nicht erwehren, ob die bei künstlicher Verdauung gewonnenen 
Resultate auch stricte auf die Grösse der Ausnützung im Darmcanal sich 
übertragen lassen. Saltet (Arch. f. Hyg. III, p. 443) und Uffelmann ge¬ 
bührt das Verdienst, den Weg des direkten Ausnützungsversuches beim 
Menschen betreten zu haben. Ein 31 jähriger Arzt, dem Saltet Champignons 
mit Fleischextrakt, Salz und Butter (pro Tag 127—139 g Trockensubstanz 
mit 6,5—6,8 g N) gab, schied 30,8 % vom aufgenommenen N durch den 
Koth aus. Danach würden nur 69, nach einer ferneren Ermittelung sogar 
nur 66 0/0 vom N der Champignons verdaulich sein. Uffelmann genoss 
abwechselnd frische Pilze in Butter gesotten, ebenso zubereitete lufttrockene, 
ferner gepulverte Cbampignonmasse, die in Fleischbrühe mit Stärkemehl und 
Butter gekocht war. Er fand die Ausnützung des frischen, gekochten 
Champignons zu 64 %, des lufttrockenen und dann gesottenen zu 66 % und 
die des gekochten feinen Pilzpulvers sogar zu 71 %. Demnach wird der 
Stickstoff der Pilze und Schwämme etwa nur ebenso schlecht ausgenützt als 
von den Kartoffeln und Gemüsen. Wenn danach auch den Pilzen und 
Schwämmen kein sehr grosser Nährwerth zuzuerkennen ist, so werden die¬ 
selben immerhin als billiger Ersatz der oft theueren Gemüse, namentlich für 
die ärmeren Volksklassen, Verwendung finden. 

Unter noch nicht genügend bekannten Bedingungen bilden sich in 
manchen Pilzen, z. B. in der Steinmorchel (Helvellula esculonta) Stoffe von 
beträchtlich toxischer Wirkung; man hat deshalb mit Recht die Morchel zu 
den nicht unverdächtigen Pilzen gerechnet und dringend gerathen, diesen 
Pilz immer erst mit Wasser zu kochen und das erste Absud, in welches die 
Giftstoffe übergehen, fortzugiessen. Unterliegen sie nach dieser Behandlung 
der gewöhnlichen Zubereitung, so erweisen sie sich nun als unschädlich. 
Böhm und Külz (Arch. f. exp. Path. XIX, p. 403) haben aus der essbaren 
Morchel den spec. Giftstoff in Form der Helvellasäure (Cu H 20 O7) darge¬ 
stellt. 

Einen Beitrag zur Lehre von der Ernährung 8— I5jähriger Kin¬ 
der, sowie über die Zuträglichkeit fast ausschliesslicher Pflan¬ 
zenkost in diesem Alter liefert W. Schröder (Arch. f Hyg. IV, p. I). In 
der mecklenburgischen Besserungsanstalt (Gehlsdorf bei Rostock) leben die 
8—15jährigen Insassen, welche grössteutheils in einem verwahrlosten Körper¬ 
zustande aufgenommen werden, von fast ausschliesslicher Pflanzenkost, ge¬ 


deihen dabei vorzüglich und erfreuen sich eines gesunden, blühenden Aus¬ 
sehens und einer Muskelkraft, welche diejenige von Kindern ihres Alters im 
Durchschnitt übersteigt. Die vegetabilische Kost, hauptsächlich Kartoffeln, Hül¬ 
senfrüchte, Mohrrüben und andere Gemüse sowie Brod, welche im Durchschnitt 
täglich per Kopf 87 g Eiweiss (davon nur knapp */g animalisches), 50 g Fett 
und 500 g Kohlehydrate (letztere zumeist in Form von Brod) und von Genuss¬ 
mitteln nur Suppenkräuter und Kochsalz bietet, wird zumeist unter Zusatz 
von reichlichem Wasser in breiiger Form hergestellt und verabreicht. Ist 
es schon nicht wenig auffallend, dass fast reine Pflanzenkost mit ihrem 
grossen Volumen für Kinder im Entwicklungsalter nicht nur den Anfor¬ 
derungen vollständig genügt, sondern sogar das Wachsthum und die Anbil¬ 
dung der Muskulatur in ausreichendem Grade unterhält und fördert, während 
doch nach Voit gerade für diese Altersperiode mindestens */s des Eiweiss 
in Form von leicht verdaulichem, animalischen Eiweiss, ein Zuschuss an Fett 
und dafür weniger Kohlehydrate gegeben werden sollte, ist ferner die Kohle¬ 
hydratration eine geradezu erstaunlich grosse, wie sie in der Regel nur der 
Erwachsene verträgt, und das Nährstoffverhältniss der N-haltigen zu den 
N-freien Stoffen in der Kost ein sehr weites (1:7), so ist auch noch ganz 
besonders die Zuträglichkeit des Essens, obwohl es in Breiform verabreicht 
wurde, hervorzuheben, während sonst die Erfahrungen, die zumeist in Ge¬ 
fängnissen gemacht werden, gegen die Breiform sprechen und eine Reihe 
von Verdauungsstörungen auf diese voluminöse und eintönige Form der Zu¬ 
bereitung zurückführen. Wohl mit Recht schreibt Schröder die Zuträglich¬ 
keit dieser Kost und Zubereitungsart dem Umstande zu, dass die Kinder 
täglich mehrere Stunden im Freien mit Feld- oder Gartenarbeit beschäftigt 
sind. Demnach scheint es, als ob Bewegung im Freien und Körperarbeit die 
Ausnützung der Pflanzenkost besser gestaltet; vielleicht ist auch die Be¬ 
kömmlichkeit der breiigen Zubereitungsform auf diese Momente zu beziehen. 
Immerhin bleiben direkte Versuche über den Einfluss der Körperarbeit auf 
die Ausnützung der Nahrungsmittel im Darm höchst wünschenswert!^ wie 
ich dies auch schon früher hervorgehoben habe (a. a. 0. p. 195). 

Endlich liegt noch ein Beitrag über die Grösse der Nahrungs- 
zufuhr erwachsener Menschen und die Vertheilung derselben 
auf die Mahlzeiten von Chr. Jürgensen vor (Zeitschr. f. Biologie 
XXII, p. 489). In der Tageskost eines dänischen Arztes (73 kg) und dessen 
Frau (58 kg) fand Jürgensen im Mittel: beim Mann 135 g Eiweiss, 140g Fett 
und 250 g Kohlehydrate, bei der Frau 95 g Eiweiss, 105 g Fett, 220 g Kohle¬ 
hydrate. Die Kost bestand aus 940 bez. 1010 g Milch, 116 bez. 297 g 
Fleisch und Fisch, 210 g Brod, 20 bez. 39 g Butter und 106 bez. 127 g 
Bier. Bemerkenswerth erscheint der hohe Fettconsum beider Personen, auch 
der körperlich gar nicht beschäftigten Frau. Die Kost wurde in 4 Mahl¬ 
zeiten: Morgenimbiss, Frühstück, Mittagessen (5—6 Uhr), Abendessen (9 bis 
9‘/2 Uhr) aufgenommen. Die Nahrungszufuhr beim Mittagessen war kaum 
grösser als beim Frühstück. Das Abendessen und der Morgenimbiss enthielt 
im Durchschnitt nur je */3 soviel Eiweiss, Kohlehydrate und Fett als das 
Frühstück bez. Mittagessen. Im Gegensatz zu den Ermittelungen von 
Förster fallt die hauptsächlichste Nahrungsaufnahme, das Mittagessen, nicht 
in die Mitte, sondern ziemlich gegen das Ende der Arbeitszeit, andererseits 
wird auch erst am Abend im Mittag- und Abendessen mehr als die Hälfte 
des gesammten Fettes aufgenommen. Auch nahm der von Förster unter¬ 
suchte Münchener Arzt mehr Kohlehydrate und mehr Bier als der dänische 
Arzt auf, während dieser relativ und absolut reichlicher Fett verzehrte. 

Gennssmittel. Unter den Genussmitteln beschäftigen sich wiederum 
eine Reihe von Untersuchungen mit dem Alkohol, dessen physiologische 
Bedeutung wie nicht minder die Folgen des übermässigen Genusses den End¬ 
zweck der Forschung bilden. Den Einfluss des Weingeistes auf den 
Gaswechsel hat Bodländer (Zeitschr. f. klin. Med. XI, p. 548) im Ver¬ 
ein mit Füth unter Benutzung eines eigens construirten Respirations¬ 
apparates an Kaninchen und einem kleinen Hunde studirt. Bei einer Gabe 
von 1,6 —3,9 ccm Alkoh. abs. pro Kilo Thier zeigte der Gaswechsel, und 
zwar sowohl der Sauerstoffverbrauch als die Kohlensäureausscheidung, eine 
beträchtliche Abnahme, die möglicherweise nur einen secundären Effect vor¬ 
stellt, bedingt durch die beruhigende, die Muskelbewegungen vermindernde 
Wirkung und durch die Herabsetzung der Eigenwärme der Thiere. Bod¬ 
länder erschliesst aus seinen Versuchen, dass der Alkohol bei seiner Oxy¬ 
dation im Körper Bestandtheile des Organismus oder der Nahrung vor der 
Oxydation schützt und um so stärker schützt, als er die Gesammtoxydationen 
herabsetzt. Demnach wäre der Alkohol nicht nur ein Genussstoff, sondern 
ein Körperbestandtheile vor der Zersetzung schützendes Sparmittel, ein 
eigentlicher Nährstoff. Zweifellos ist es misslich, auf die Wirkung von 
Genussmitteln im Körper des Menschen aus Erfahrungen am Thiere Schlüsse 
zu ziehen. Wenn irgendwo, so bedarf es gerade hier des direkten Versuches 
am Menschen. Solche Versuchsreihen liegen aus neuester Zeit von Zuntz 
sowie von Geppert vor. In Gemeinschaft mit Berdez und an Letzterem 
hat N. Zuntz (Fortschritte d. Med. 1887, No. 1) den Einfluss des Wein¬ 
geistes auf die Respirationsgrösse geprüft. Berdez inspirirte frei 
aus der .Atmosphäre; der durch leicht spielende Darmventile von der Inspi¬ 
rationsluft getrennte Exspirationsstrom ging zu einer Gasuhr; durch eine be¬ 
sondere Vorrichtung wurde ein aliquoter, genau bestimmter Theil der Aus- 
athraungsluft aus der Gasuhr zum Zweck der Analyse auf Sauerstoff und 
Kohlensäure abgesogen. Das Volumen der Exspirationsluft wurde durch Auf¬ 
nahme von 20—30 ccm Alkoh. abs. im Mittel um 9%, die Sauerstoffauf¬ 
nahme um 372 %, die C02-Bildung um 4 73 % gesteigert; dagegen blieb 
der respiratorische Quotient unverändert (0,79). Wenn man erwägt, dass 
die Versuche in die Vormittagsstunden fielen, in denen die Intensität des 
Athmungsprocesses stetig zu sinken pflegt, so bedeutet die an sich gering¬ 
fügige Steigerung der O-Aufnahme eine nicht unerhebliche Zunahme des 
Gaswechsels unter dem Einfluss des Weingeistes. Aehnlich sind die Resul¬ 
tate, die J. Geppert an gesunden Menschen gewonnen hat (Arch. f. exp. 
Path. XXII, p. 367). Die Versuchsanordnung beruhte hier auf demselben 
Princip, wie bei Zuntz. Es ergab sich als Folge des Genusses massiger 
Weingeist gaben, dass neben einer Zunahme der CO 2 -Ausscheidung um 3 0/0 


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2. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. Ql 


die O-Aufn&hme unverändert blieb. Da nun der bei weitem grösste Theil 
des Alkohols im Körper verschwindet, d. h. oxydirt wird, und ungeachtet 
dessen die O-Aufnahme gar nicht oder nur wenig zunimmt, so muss offenbar 
anderes Körpermaterial (in erster Reihe Fett) durch den Alkohol vor der 
Oxydation geschätzt worden sein. Demnach ist der Alkohol in massiger 
Gabe auch für den Gesunden als ein Sparmittel, als ein Nährstoff zu er¬ 
achten. 

Von England aus wird ein „Condensed beer“ unter Aufwand reichlicher 
Kedame angepriesen, das neben seinem Werthe als Nähr- und Genussraittel 
sich insbesondere bei Zuständen von Schlaflosigkeit nützlich erweisen soll; 
in der Tbat hat letztere Wirkung auch bei uns Bestätigung gefunden. Ein, 
wie es scheint, nicht sehr geübter Analytiker hat darin Morphin finden und 
darauf die einschläfernde Wirkung zurückführen wollen. Dem gegenüber 
weist Sendtner (Arch. f. Hyg. VI, p. 83) nach, dass Morphin in dem Bier 
nicht enthalten ist. Dasselbe enthält 18—19°/o Alkohol und 23—26% Ex- 
rract, darunter 13—14% Maltose, 7—8°/o Dextrine, %°/o Eiweiss, etwas 
Glycerin und Milchsäure, 0,2 % Asche, darunter 0,08 °/o Phosphorsäure. 
Ausserdem findet sich constant darin Salicylsäure. Danach wäre das Con¬ 
densed beer als ein salicylhaltiger Malzextractliqueur zu erachten; der grösste 
Theil des Alkohols und die Salicylsäure ist künstlich zugesetzt. Die hyp¬ 
notische Wirkung scheint allein dem hohen Alkoholgehalt zu entstammen. 

Den Einfluss der Genussmittel auf die Verdauung hat Ogata 
an einem Hunde mit Magenfistel geprüft (Arch. f. Hyg. III, p. 204). Nach 
••einen Feststellungen stören Wasser, kohlensaures Wasser, Thee und Caffee, 
in massiger Menge aufgenommeu, die Magen Verdauung durchaus nicht, da¬ 
gegen wird letztere durch Wein, Branntwein und Bier zunächst beträchtlich 
verlangsamt, und zwar durch Bier mehr als durch Wein und Weingeist; 
offenbar wirken ausser dem Alkohol auch noch die Extractivstoffe des Bieres 
störend. Zucker (Rohr- und Traubenzucker) bewirken ebenfalls eine be¬ 
deutende Verlangsamung der Verdauung, dagegen Kochsalz eine wesentliche 
Beschleunigung. Wie schon oben angeführt, ist gerade für die Genuss- 
mittel eine Uebertragung vom Hund auf den Menschen nicht wohl angängig. 
Die Untersuchungen, welche über dieselbe Frage Henczynski (Dissert. 
Rostock 1886) am Menschen ausgeführt hat, ergaben, dass Alkohol von 
4°,ö (in einer Gabe bis zu */* 1), Bier und Rothwein (bis zu Vs 0 die 
Magenverdauung nicht beeinflussen, wogegen Alkohol von 10—20% die 
Verdauung nachweisbar resp. beträchtlich stört. Weisswein, Caffee, Thee 
und sogar Tabak üben eine die Verdauung mässig bis erheblich fördernde 
Wirkung. Auffallend-sind die Ergebnisse bezüglich des Bieres und Tabaks, 
von denen fast alle Forscher einen die Verdauung störenden Einfluss con- 
statirt haben. Auf die die Darmperistaltik günstig beeinflussende Wirkung 
sehr verdünnten Weingeistes (4 % Alkohol) führt Uffelmann den von 
vielen Seiten bestätigten, die Verdauung fördernden Effect verdünnter Spiri¬ 
tuosen zum Theil zurück. 


VI. Feuilleton. 

littheilongen ans der medicinischen Klinik und Poliklinik 

in Bonn. 

Von Professor Rühle. 

(Schluss aus No. 4.) 

Aus deD Fällen von Krankheiten des Digestionsapparates ! 
hebe ich zunächst bei der Mundhöhle die zwei Fälle von Zungen- ! 
tnberculose und einen von Gaumentuberculose hervor, die 
sich bei Creosotbepioselungen etwas besserten. An einer chronischen 
Hypertrophie der Tonsillen und Fällen von chronischem 
Kachenkatarrh konnte ich Ihnen diese für die ärztliche Praxis 
so wichtigen Erkrankungen, letztere besonders mit ihren hypochon- , 
drischen Begleiterscheinungen zur Beachtung empfehlen. 

Die Verengerungen des Oesophagus kommen hier sehr oft j 
vor, während Divertikelbildungen grosse Seltenheiten sind. Auch I 
in diesem Semester habe ich sechs Fälle vorgestellt. Darunter war i 
nur ein Fall, der von Narbenbildung au der Cardia herrührte, die 
anderen waren Carcinome. Von der Complication mit linksseitiger i 
Stimmbandlähmung war schon oben die Rede. I 

Wenn ich bei den Magenkrankheiten noch alte Nomen- | 
clatur gebrauche, so geschieht dies einfach aus dem Grunde, weil 5 

die neue noch nicht fertig ist. Sie haben in der Propädeutik Ge- j 

legenheit gehabt, die Untersuchungsmethoden des Mageninhaltes l 
kennen zu lernen und haben die Therapie der Ausspülung und j 

Ausheberung wirksam gesehen, — aber ich spreche deshalb doch ! 

von chronischem Magenkatarrh neben der nervösen Dyspepsie , 
und von Ulcus statt der Hyperacidität u. s. w. 

Drei Fälle von Ulcus liessen sich mit Zuverlässigkeit als ; 
solche erkennen, und die häufigen theerartigen Stuhlentleerungen 
in dem einen Falle auf der Frauenabtheilung werden Ihnen noch 
erinnerlich sein. Eine Kranke litt an sofortigem Erbrechen nach 1 
jeder Nahrungsaufnahme (Hyperemesis), ohne dass das Erbrochene ! 
abnorme Eigenschaften hatte, und durch absolute Ruhe, Eispillen , 
und kleine Dosen Morphium liessen auch die Erscheinungen wesent- | 
lieh nach, nur zur Zeit der Menses und zuweilen auf Druck in die j 
seitlichen Unterbauchgegenden (Ovarialgegend) trat öfters noch der 
Brecbact ein. Die sieben Fälle exquisiter Magenectasieen be- j 
trafen dreimal active, hypertrophische, viermal passive, paralytische 
Formen, bei denen Magenbewegungen nicht zu erzielen waren. Zwei 
Fälle der ersteren Kategorie waren mit Pylorustumoren verbunden, 


und ausserdem boten noch drei andere Fälle, die ich zur Demon¬ 
stration brachte, die Zeichen des Mageucarciooms incl. der feh¬ 
lenden Salzsäurereaction dar. 

Zwei chronische Dickdarmkatarrhe waren mit so hoch¬ 
gradiger Anämie verbunden, dass man an Anchylostomiasis denken 
musste, allein es fanden .sich keine Parasiten oder Eier im Stuhl, 
und eine passende Diät mit localer Behandlung durch Tannin¬ 
einläufe heilte beide Fälle in der Zeit von 4 und 6 Wochen. 
Drei Fälle betrafen Perityphlitis, davon endete der eine tödt- 
lich, der schon mit allgemeiner Peritonitis aufgenommen wurde. 
Bei einem anderen handelte es sich mehr um die Residuen, in Form 
eines sehr resistenten und schmerzhaften, umfänglichen Tumors, 
der erst nach mehrwöcheutlicher Behandlung endlich durch die 
Bauchdecken zur Entleeruug und schliesslich zu völliger Heilung 
kam. Sehr instructiv war der Fall von Carcinoma recti, welcher 
uns von der chirurgischen Klinik zuging. Hier bestand bereits eine 
so hochgradige Carcinose der Leber nebst Tumoren im Peritoneum, 
dass der tödtliche Ausgang nicht lange auf sich warten Hess, und 
Sie diese häufige Form der Ausbreitung der Carcinome mit und 
ohne Operation sich recht anschaulich einprägen konnten. 

Auch einem Bandwurme schenkten wir unsere Aufmerksam¬ 
keit und brachten ihn mit Extr. filicis samrat Kopf zum Vorschein; 
sowie ich Ihueu auch eine Frau vorstellen konnte, bei welcher die 
Bauchdecken so atrophisch waren, dass man in dem komischen 
Schlangenspiel der sich contrahirenden Darmwindungeu die Ursache 
ihrer Klagen über nervöse Darmunruhe mit einem Blick er¬ 
kennen musste. 

Die Beispiele von Leberkrankheiten weisen zunächst 3 Fälle 
von sog. katarrhalischem Icterus auf, die in gewöhnlicher 
Weise günstig verliefen, und bei denen eine Volums- oder Consistenz- 
veränderung der Leber selbst nicht nachweisbar war. Sodann 
stellten sich 4 Fälle von Lebercirrhose zur Beobachtung. Bei 
dem einen wurde nach mehrmaliger Punction des Ascites eine vor¬ 
läufige Besserung erzielt, bei eiDem anderen verband sich die inter¬ 
stitielle Entzündung bereits mit Druck auf die Gallengänge und war 
somit von Icterus begleitet. 2 Fälle von Lebercarcinom ent¬ 
stammten das eine Mal einem Mastdarmkrebs (s. oben), das andere 
Mal einem Magenkrebs. Als Ursache heftiger Schmerzparoxysmen 
nahmen wir in 5 Fällen die Einklemmung von Gallensteinen im 
Ductus choledochus an, weil nach den Anfällen stets ein auffallend 
dunkler Harn wahrgenommen worden und andere Anhaltspunkte 
zur Erklärung der weit auseinander liegenden Anfälle nicht vor¬ 
handen waren, auch erstreckten sich die Schmerzen nach dem 
rechten Schulterblatt, eine Verbreitungsweise, die gerade den Leber¬ 
schmerzen eigentümlich ist. Dabei waren die Resultate der physi¬ 
kalischen Untersuchung der Leber nur in einem Falle positive, indem 
sich in der Umgebung der Gallenblase eine diffuse Induration der 
Leber tasten liess, die gewiss als interstitielle circumscripte Ent¬ 
zündung aufzufassen war, bedingt durch die wiederholte Wirkung 
des Steinreizes. Von Interesse war noch ein Fall von Gallen¬ 
blasengeschwulst. Ich erklärte Ihnen denselben als einen Hy¬ 
drops cystid. felleae, und Sie erinnern sich wohl noch der sehr in- 
structiven Abbildung, die ich Ihnen aus dem Atlas von Cruveilhier 
vorzeigte, welche einen derartigen Fall vorstellt. 

An einer acuten Peritonitis iu Folge Durchbruch einer Peri¬ 
typhlitis starb ein junger Mann, der früher nicht krank gewesen 
sein wollte, sondern erst 8 Tage vor der Aufnahme mit heftigen 
Schmerzen im Leibe, von der Coecalgegend ausgehend, Erbrechen 
und Fieber erkrankt war; aber wir vermutheten gleich, dass der 
so gewöhnliche Hergang vom Proc. vermiformis auch hier vorliege. 
Schon am 2. Tage nach der Aufnahme traten die Erscheinungen 
des Collapses ein, und Sie haben Alle auf dem Kraukensaal No. 32 
sich jenes charakteristische Bild der Facies hippocratica einprägen 
können, welches den Ausgang aller schweren Unterleibsaffectionen 
ebenso, wie das Stad, algidum der Cholera charakterisirt. Die 
Section ergab die Perforation des Proc. vermiformis au 2 Stellen 
und die Bildung eines perityphlitischen Abscesses, der in’s Cavum 
peritonaei durchgebrochen war und die allgemeine Peritonitis be¬ 
dingt hatte. Ein Fall von Peritonitis bestand bereits seit 3 Monaten 
und war im Anschluss an einen Abdorainaltyphus entstanden. Ob 
ursprünglich eine umschriebene Perforation eines Darmgeschwürs 
die Veranlassung dazu gegeben, liess sich nicht mit Bestimmtheit 
ermitteln. Absolute Bettruhe und der Neptunsgürtel besserten den 
Zustand, so dass der Kranke auf seinen Wunsch entlassen werden 
durfte. Unter den 4 Fällen chronischer Peritonitis, die alle 
mit erheblichen Flüssigkeitsansammlungen in abdomine einhergingen, 
hebe ich den Fall bei einem 12jähr. Knaben hervor, der mit nach¬ 
weisbarer Lungen- und Darmtuberculose behaftet war, dennoch eine 
Resorption der flüssigen Producte erfuhr und mit verbessertem 
Kräftezustand fast fieberlos die Klinik wieder verliess; sowie den 
Fall einer 32jähr. Frau, welche eine ganz ausserordentliche Aus¬ 
dehnung des Abdomen besass und 2 Mal punctirt werden musste. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5 


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wobei jedesmal 12 Liter Flüssigkeit entleert wurden. Man fühlte 
nach der Punctum die mehrfachen, vielgestaltigen, platten- und 
knotenförmigen Producte an verschiedenen Stellen des Abdomen, 
und es war gewiss gerechtfertigt, auch hier eine Tuberculose als 
Charakter der Erkrankung anzusehen. Nichtsdestoweniger haben 
wir die Frau nach 2 Monaten in der Poliklinik in verhältnissmässig 
gutem Gesundheitszustand wiedergesehen und die eben beschriebenen 
platten- und knotenförmigen Härten unverändert, eher vergrössert 
vorgefunden und die Verwachsung des Darmes au der Bauchwand 
constatirt; Flüssigkeit hatte sich aber nicht wieder angesammelt. 

In einem Falle erklärte ich eine festsitzende, wenig empfindliche, 
knollige Geschwulst im Abdomen für ein Packet geschwellter 
Lymphdrüsen, weil derartige auch in der Inguinal- und Achselhöhlen¬ 
gegend vorfiudlich wareu. Die Milzkrankheiten, in der Regel 
nur Begleiterscheinungen anderer Krankheiten und wesentlich als 
Volumsvergrösserungen auftretend, waren auch in diesem Semester 
als Tumoren bei Cirrhosis hepatis, Amyloiderkrankung und Leu- 
kaemie repräsentirt, und nur 1 Fall erschien von besonderem Inter¬ 
esse, wo der recht erhebliche Milztumor nach einem im vorher¬ 
gehenden Semester auf der Klinik verlaufenen Abdominaltyphus 
zurückgeblieben war. Damals trat am Ende der 2. Krauklieits- 
woche unter lebhaften Schmerzen in der Milzgegend binnen 24 Stunden 
eine VergrÖsserung des schon vorhandenen Milztumors um das 
Doppelte ein, so dass der sehr empfindliche Tumor nunmehr bis 
zur Mittellinie fühlbar war. Unter Eisbehandlung verkleinerte er 
sich, aber verging nicht ganz, sondern die Milz erschien auch jetzt 
noch am Rippenbogen fühlbar und 10 cm breit in der Achsel¬ 
linie. Ob der damalige acute Vorgang eine subkapsulare Blutung 
gewesen, wie ich annahm, mag dahingestellt bleiben. 

Von Krankheiten des Harnapparates kam zunächst eine 
acute Pyelitis dextra zur Beobachtung, die sowohl durch den 
Palpationsbefund, als den Nachweis charakteristischer Epithelien in 
dem schleim- und leicht eiweisshaltigen, trüben Urin gut erkennbar 
war; durch Arbutin, Bettruhe und entsprechende Diät trat voll¬ 
ständige Heilung ein. Von den 8 Fällen chronischer Nephritis, 
die ich Ihnen demonstrirt habe, war der eine mit Aortenklappen¬ 
fehler complicirt, befand sich auf der stationären Abtheilung und 
kam zur Section. Ich hatte Ihnen besonders die Unterschiede einer 
. Albuminurie bei Herzkrankheiten an diesem Fall erörtert, deren 
meiste sich auf Stauungsniere beziehen, also direkte Folgen der 
Herzkrankheit sind, während hier durch die mikroskopische Unter¬ 
suchung eine chronische, parenchymatöse Nephritis nachgew'iesen 
und ebenso in der Section bestätigt wurde. In den 3 Fällen der 
chronischen, interstitiellen Nephritis liess sich das präg¬ 
nante Bild dieser Krankheit klar vorführen, und ich betone hier 
nochmals, dass diese Form der Nephritis eine besondere Stellung 
vom klinischen Standpunkt beanspruchen muss, und dass ihre Ab¬ 
leitung aus der acuten parenchymatösen Nephritis durch stichhaltige 
Beobachtungen noch nicht gelungen ist. Einige Blasenkatarrhe 
und eine Tuberculose der Harnwege schliessen dieses Capitel 
der Pathologie, denn 2 Fälle von sehr erheblicher Blasenblutung 
und ein Fall, wo eine Blasenfistel durch den Nabel etablirt war, 
haben wir der chirurgischen Klinik überwiesen. Als Ursache der 
Blutung ergaben sich Blasentumoren, welche operativ entfernt 
wurden. 

Das in. H. ist die stattliche Reihe erinnerungswerther Fälle, 
welche Sie in diesem einen Semester beobachten konnten. Nehmen 
Sie hinzu, was Sie in den Specialabtheilungen für physikalische 
und chemisch-mikroskopische Diagnostik, Kinderpoliklinik. Elektro¬ 
therapie und Laryngorliinologie zu sehen und zu üben Gelegenheit 
hatten, so konnten Sie auch in dem Gebiete der inneren Klinik 
einen guten Schritt vorwärts thun auf der Bahn zur ärztlichen 
Selbstständigkeit. Halten Sie das Gesehene möglichst fest in der 
Erinnerung, eine Fülle guter Beobachtungen im Gedächtniss bereit 
zu halten, ist die Grundlage zuverlässiger Diagnostik. 


VII. Referate und Kritiken. 

Virchow. Zur Diagnose und Prognose des Carcinoms. Virch. 

Arch. III, p. 2. Ref. Ribbert. 

Virchow geht in dem Aufsatz von der neuerdings wieder in 
den Vordergrund geschobenen Frage aus, ob die anatomische oder 
die klinische Diagnose des Carcinoms sicherer sei. Er hat im Jahre 
1847 der damals herrschenden, auch von Job. Müller vertretenen 
Auffassung, dass alle die Geschwülste zu den krebsigen zu rechnen 
seien, die sich durch eine bestimmte Malignität ihres Verlaufes aus¬ 
zeichneten, die anatomische Definition des Krebses gegenübergestellt 
und von ihm die Sarkomformen abgetrennt. Er betonte, dass mit 
der Diagnose Carcinom (wie mit der Diagnose Sarkom) nicht ohne 
Weiteres eine bestimmte Malignität gegeben sei, dass man hier 
vielmehr graduelle Unterschiede machen könne, die von der ana¬ 
tomischen Structur abhängig sind. Die Erfahrungen über die Bös¬ 


artigkeit der einzelnen anatomisch charakterisirten Formen des Car- 
cinoras gewinnen wir freilich vor Allem durch klinische Beobachtung, 
indessen werden wir hier sehr wesentlich durch die Untersuchung 
! der Leichen unterstützt. Der Kliniker muss zur Beurtheilung der 
Prognose stets von der anatomischen Diagnose ausgehen, zu deren 
Feststellung es allerdings nicht immer einer anatomischen Unter¬ 
suchung bedarf, da der Charakter der Geschwulst oft aus äusseren 
Merkmalen erschlossen werden kann. 

Virchow bespricht nun die histologischen Eigenthümlichkeiten 
des Carcinoms, seinen alveolären Bau und die Erfüllung der Alve¬ 
olen mit epithelioiden Zellen. Eine solche Einrichtung kann nur 
im Innern der Gewebe, nicht auf ihrer Oberfläche stattfinden. Mit 
der Entwickelung von Epithel am ungehörigen Ort beginnt die Bil¬ 
dung des Krebses, der durch den alveolären Bau charakterisirt ist, 

I sich aber von dem alveolären Bau einer Drüse durch den Mangel 
eines Ausführungsganges abgrenzt. 

Die Schwierigkeit der Diagnose eines Carcinoms ist nun oft bei 
den Geschwülsten, die über die Oberflächen eraporwachsen, nicht 
geriug, so z. B. bei den Zottenkrebsen. In diesen Fällen kann nur 
die anatomische Untersuchung der Geschwulstbasis die gewünschte 
Entscheidung bringen. Hier genügen die klinischen Merkmale nicht, 
oder, wenn man mit ihnen zu einer richtigen Diagnose kommt, so 
I ist sie im Grunde genommen doch immer eine anatomische. 

Freilich ist der Anatom gleichfalls gegen Irrthüraer nicht völlig 
geschützt. Es giebt einmal Mischgeschwülste, deren einzelne Ab¬ 
schnitte verschiedene Bilder liefern, und die daher bei nicht allsei¬ 
tiger Untersuchung Irrungen veranlassen können. Aber hier ist dem 
Kliniker eine richtige Diagnose noch weit weniger möglich. Sollen 
ausgeschnittene Theile solcher Turooreu untersucht werden, so kann 
es sein, dass vielleicht gerade nicht charakteristische Stückchen ex- 
stirpirt werden, und der Irrthum ist dann auf Seiten des Klinikers, 
nicht des Anatomen. 

Ganz besonders gilt dies, wenn zwei Neubildungen neben einander 
sitzen, oder wenn papilläre Excrescenzen neben Geschwüren wachsen, 
z. B. im Larynx. Indessen giebt es hier manche Anhaltspunkte. 
So können die neben syphilitischen Geschwüren sitzenden Papillar- 
I hyperplasieen ebensowenig wie die diffusen Anschwellungen der la- 
j ryngealen Pachydermie mit Carcinom verwechselt werden. Dass 
neben Krebs des Larynx spitze Condylome, unschuldige Localpro- 
ducte, Vorkommen, ist nicht bekannt. 

Es wird daher festzuhalten sein, dass nur diejenigen Neubil¬ 
dungen als krebsige anzusehen sind, welche in ihrer Basis alveoläre 
Einrichtungen mit einem Inhalt von heterotopem Epithel zeigen. 
Die von Friedlaender hiergegen erhobenen Bedenken sind praktisch 
ohne Bedeutung. 

Von grosser Wichtigkeit für die Diagnose des Krebses würde 
der Nachweis specifischer' Organismen sein. Absolut nothwendig 
sind sie freilich für das Verständniss des Krebses nicht. Denn wenn 
es auch nicht gelungen ist, alle Erscheinungen der Krebs Wucherung 
auf die Verbreitung von Krebszellen zurückzuführen, so ist doch 
nicht abzusehen, weshalb das nicht noch gelangen, weshalb nicht 
auch den Krebszellen die Möglichkeit innewohnen sollte, auf den 
Stoffwechsel bestimmend einzuwirken. 

Auch von der Chemie der Krebserkrankung darf man sich noch 
Erfolge versprechen, wenn sie auch bisher nur sehr gering sind. 
Es ist anzuuehmen, dass durch das Carcinom bestimmte Umsetzun¬ 
gen im Körper vor sich gehen. Denn der Krebs ist ja ein zunächst 
durchaus locales Leiden, eine Thatsache, die durch die Bemühungen 
Virchow’s jetzt allgemein anerkannt ist. Es ist daher möglichst 
frühe Exstirpation stets-angezeigt. Von einer spontanen Rückbildung 
und einer Anwendung von Medicamenten können wir nach bisheri¬ 
gen Erfahrungen nur wenig erwarten. Virchow meint aber, dass 
mau sich gegenüber der medicamentösen Behandlung nicht zu skep¬ 
tisch verhalten solle. 

Verf. schliesst mit dem Satz: Ist der Krebs in seinem Beginn 
und oft noch sehr lange ein örtliches Leiden, so muss es auch mög¬ 
lich sein, ihn in dieser Zeit örtlich zu heilen. 

Albert. Diagnostik der chirurgischen Krankheiten. Vierte 
gänzlich umgearbeitete Auflage; mit 47 Holzchnitten. Wien, Alfred 
Holder, 1887. Ref. Emil Seuger. 

Es erscheint überflüssig, üher den Werth des vorstehenden 
i Buches sich auszulassen, welches in verhältnissmässig kurzer Zeit 
4 Auflagen erlebt hat. Die Vorzüge, welche die früheren Auflagen 
des Werkes auszeichneten, und durch welche besonders die studen¬ 
tischen Kreise angezogen wurden, hat auch die jetzige Auflage: es 
ist vor allem die klare, gefällige Darstellung, die übersichtliche An¬ 
ordnung und die grosse, praktische Erfahrung des Autors, die aus 
dem Werke spricht. Dasselbe hat entsprechend den Fortschritten 
der neueren Chirurgie wesentliche Bereicherungen erfahren, so hin¬ 
sichtlich der Abdominal-Chirurgie etc. Derjenige, welcher die ersten 
Schritte in die chirurgische Klinik macht, wird aus jedem Capitel 


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2. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 



des Werkes auf angenehme Weise bedeutenden Vortheil ziehen und 
•las Werk lieb gewinnen. 

Max Cohn (Magdeburg). Klinisch-experimentelle Untersuchun¬ 
gen über die diuretische Wirkung des Calomel. iuaug.- 
Diss., Berlin, 1887. Ref. Wein bäum. 

Yerf. stellt in der vorliegenden Arbeit 20 Falle zusammen, in 
denen Calomel behufs Verbesserung der Diurese gegeben wurde, 
und zwar 2 Falle von pleuritisclicm Exsudate, 3 vou Ascites tli. 
iu Folge vou Lebercirrliose th. von chronischer Peritonitis, fi von 
Hydrops bei Morbus Brightii, 9 von Hydrops bei verschiedenen 
Herzkrankheiten. Die Calomeltherapie wurde nach deu vou Jen- 
drässik gegebenen Vorschriften eingeleitet. Ein nennenswerther 
Erfolg wurde bei den Patienten mit Pleuraexsudat und denen mit 
Morbus Brightii nicht erzielt, hiugegeu mehrfach sehr gute Resul¬ 
tate bei Lebercirrhose uud Herzkrankheiten. Als Hauptbedingungen 
Ihr das Zustandekommen einer guten Wirkung bezeichnet Yerf. 
eine gute Beschaffenheit des Pulses und das Fehlen von Störun¬ 
gen des Verdauungstractus. Immerhin sei auch dann noch der Er¬ 
folg so unsicher, die Beschwerden, die das Medicament verursache 
(Stomatitis. Diarrhöen), so unangenehm, dass mau nicht eher zum 
Calomel als möglicher letzter Hülfe greifen sollte, als wenn alle an¬ 
deren Mittel bereits erschöpft sind. 

VIII. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 25. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1. Herr L. Lewin berichtet im Anschluss au seiue Mitteilung in der 
Sitzung vom 11. Januar über einige weitere Versuche mit Erythrophlaein. i 
Meerschweinchen, denen 0,5 Milligramm in einer Pravaz’scheu Spritze I 
gelöst subcutau injicirt wurde, gaben nach 20 Minuten nicht die geringste 
Schmerzäusserung zu erkennen, wenn an der betr. Stelle Haut- und 
Muskelschichten durchtrennt, ja sogar das Peritoneum angeschnitten wurde, 

'«.• dass die Därme hervortraten. Ein ähnlicher eklatanter Erfolg zeigte sich 
bei einem Hunde, au welchem Herr Lewin die anästhesirenden Eigen¬ 
schaften des Mittels deraonstrirt. 

2. Herr Löwenmeyer demonstrirt eine Dermoidcyste des Mesen- 
terians, die bei der Section eines Patienten gefunden wurde, der unter 
äusserster Dyspnoe in das Jüdische Krankenhaus aufgenomineu wurde und 
bereits nach 24 Stunden starb, ohne dass eine bestimmte Diagnose gestellt 
werden konnte. 

Herr Virchow, der das Präparat untersucht hat, ist iu der Lage, in 
diesem Falle, wie bereits früher einmal, nachzuweisen, dass der Tumor ausser 
•lerinoiden Abschnitten Theile enthält, die nicht anders gedeutet werden können, 
als dass dieselben mit dem Respirationsapparat in Zusammenhang stehen und 
bereits frühzeitig von da aus in die Geschwulst hineingelangt sind. Es siud 
nämlich in der Geschwulst Hohlräume nachzuweisen, die mit dicken schleimi¬ 
gen Massen gefällt waren, und deren Wandungen mit Klimmerepitbel be¬ 
kleidet sind. Da es sich um einen Tumor oberhalb des Diaphragma 
handelt, so bleibt kaum etwas anderes übrig als die Annahme, dass das 
Klimmerepithel aus der Respirationsschleirahaut stammt. Damit dürfte es 
Zusammenhängen, dass daneben sehr beträchtliche Knorpelfragmente in 
Form grösserer Platten, wie sie auch im Respirationscanal Vorkommen, ge¬ 
funden wurden. Zähne wurden in der Cyste nicht gefunden. 

3. Herr Virchow demoustrirt den Kehlkopf eines Falles vou chro¬ 
nischer Phthise, an welchem sich auf der einen Seite eine mit vollständiger 
Auslösung des Giessbeckenknorpels verbundene tiefe Höhle von Perichon- 
•Iritis suppurativa erkennen lässt, andererseits eine weitgehende vernarbte 
l'lceration des linken Stimmbandes. 

4. Herr Virchow stellt einen 34jährigen Mann vor. der sich schon 
seit früher Jugend durch eine angewöhnliche Entwickelung seiner 
lukeli auszeichnet, die so mächtig ist, dass er nicht im Stande ist, die 
Arme in gewöhnlicher Weise dem Leibe zu nähern. Die obere Körper- , 
region ist an dieser starken Muskelentwickelung stärker betheiligt als die 
untere. Der Mann ist von erheblicher Körperstärke. 

Herr Haus Virchow demonstrirt eine Reihe von Einzelheiten der 
abnormen Muskelentwickelung des vorgestellten Individuums. 

5. Herr Pohl-Pincus: Ueber die Erkennung seelischer Vorgänge j 
«os dem Kopfhaar des Menschen. Vortr. hat das menschliche Kopfhaar j 
auf das Eingehendste mikroskopisch untersucht, um aus Veränderungen 
demselben Rückschlüsse auf seelische Vorgänge im Menschen zu machen, i 
Er will nicht nur Veränderungen so charakteristischer Art aufgefunden 
itaben, dass er im Stande zu sein glaubt, aus dem sich jeweilig darbieten¬ 
den mikroskopischen Bilde den psychischen Zustand des betreffenden 
Menschen zu erkennen, sondern er glaubt sogar in den Veränderungen, ' 
• Gehe das Haar zeigt, das feinste Reagens auf krankhafte Zustände, ja a 

'lk* Disposition zu krankhaften Zuständen zu besitzen. 

IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 22. November 1887. 

Vorsitzender: Herr Schede. Schriftführer: Herr Schmalfuss. 

1. Herr Lauenstein: Demonstration eines Falles von operativ 
geheiltem MilxabscesB. (Der Vortrag ist in No. 51, 1887. der 
Wochenschrift in extenso mitgetheilt.) 


! Discu.s.siou: 

Murr ('ursch manu will nicht bestreiten, dass es sich in dem soeben 
vorgetragenon Fall um einen Typhus gehandelt habe, doch sei nach seiner 
Uebcrzeugung ein eigentlicher Milzabscess beim Typhus enorm selten. Er 
j sah bei mehreren tausend Fällen von Typhus keinen, wie er auch nicht 
glaubt, dass er bei anderen Infcctionskrankheiten häufig vorkomme; so sah 
er z. B. bei ca. 700 Fällen von Flecktyphus und ca. 300 von Recurrens 
keinen Fall. Nach seiner Ansicht bietet ein Abdominaltyphus dieselben 
j Chancen für einen erabolischen Milzabscess, wie jeder andere uleerative 
| Process. 

Dasselbe gelte für die Perisplenitis, die er ebenfalls für sehr selten 
| halte. Selbst in Fällen, in denen während des Lebens sehr starke Schmerz¬ 
haftigkeit bestand, habe er sic fast nie bei der Autopsie nachwoisen 
können. Er glaube, dass die Schmerzhaftigkeit meist durch Spannung der 
Kapsel veranlasst werde, oder durch AfFection des Colou uud der Curvatur; 
hier bestehende Ulcerationen bewirken eine Reizung uud eventuell eine 
1 secundäre Perisplenitis. Einmal habe er einen subphrenischen Abscess ge¬ 
sehen, der auf diese Ursache zurückzuführen war. 

Eine chirurgische Behandlung des Milzabscesses halte er ebenfalls für 
wichtig. 

Herr Fraenkel erkennt an, dass erweichte Milzinfarcte bei Typhus 
eutschieden zu den Seltenheiten gehören, doch habe er sie in früheren 
Epidemieen einige Male gesehen. Sie hatten zu universeller Peritonitis 
geführt. In den vou ihm secirten Fällen habe er einen Embolus uicht 
nachweisen können, so dass er glaube, embolische Procosse ausschliessen zu 
können. Ob eine zu hochgradige Schwellung der Milz zur Nekrose führeu 
könne, sei ihm fraglich. Er erwarte Aufschluss über die Entstehung durch 
die bacteriologische Untersuchung. 

Die häufigste Ursache sei die ulceröse Eudocarditis. 

Bei anderen Infectiouskrankheiten habe er die erweichten Infarkte 
ebenfalls nicht gesehen, während Po »fick sie bei Recurrens oft gesehen 
haben will. 

Die Abscesse, die er (Fr.) gesehen habe, seien viel kleiner gewesen, 
als in dem eben vorgestellten Fall. In der Umgebung derselben habe 
sich keine Neigung zur Entzündung gezeigt, was w’ohl oft für den be¬ 
treffenden Patienten verhängnisvoll wurde. 

Herr Classen fragt, ob Pat. Seemann war uud etwa an Klimafieber 
gelitten hätte. 

Ferner ob man nicht mit einfachem Liegenlasseu der Punctiont-Canüle 
hätte auskommen können. 

Herr Lauenstein: Herrn Curschmann möchte ich erwidern, dass 
ich auf die Diagnose: Abdominaltyphus kein Gewicht lege, dass ich jedoch 
keinen Grund hatte, in die Diagnose des hersendeudeu Arztes Misstrauen 
zu setzen, um so mehr, als nichts direkt gegen dieselbe sprach. Auf die 
Fragen des Herrn Classen bemerke ich, dass, soviel mir bekannt, der Pat. 
Kesselschmied gewesen ist, ferner, dass ich nicht im Stande bin, zu beur- 
theilen, wie der Fall verlaufen wäre, wenn nur die einfache Punction in An¬ 
wendung gezogen wurde. Bei der Putrescenz des Abscessinhaltes entsprach 
die weite Eröffnung desselben nur den Principien der Chirurgie.* 

Herr Curschmann betont noch einmal, dass sich seine Ausführungen 
nur auf wirkliche Abscesse bezogen haben; kleine Infarcte habe er öfters, 
doch ira Ganzen auch selten, gesehen. 

Herr Brandis, der denOperirten in’s Seemannskrankenhaus geschickt 
hat, hat ihn vorher auch nur selten gesehen; die Diagnose habe er nach 
dem vorhandenen hohen Fieber, der nachweisbaren Milzschwellung und eini¬ 
gen allerdings undeutlich sichtbaren Roseolen gestellt. 

Herr Schede fragt, ob os sich, bei der Ungewissheit, ob die Pleura 
verödet sei, und bei der enormen Grösse der Milz nicht mehr empfohlen 
haben würde, vom Rande des Rippenbogens aus den Zugang zutu Abscess 
zu suchen. 

Herr Lauenstein: Da die Milz trotz ihrer Grösse innerhalb dor 
knöchernen Thoraxgrenzen lag und nicht unter dem Rippenbogen hervor¬ 
ragte, so war der Weg durch die Thoraxwand geboten, zumal da ich bei 
dem stark hinaufgedrängten Zwerchfell und den bestehenden pleuritischen 
Zeichen an der Basis Verwachsungen der Pleurablätter vermuthen durfte. 

Herr Curschmann bemerkt, dass die geschwollene Milz dann stark 
verschoben gewesen sein müsse. Er erläutert seine Ansicht durch schema¬ 
tische Zeichnungen. 

Herr Lauenstein: Ich muss daran festhalteu, dass die normale Milz 
innerhalb der Grenzen des knöchernen Thorax liegt und dass sie im Falle 
der Vergrösserung, falls sie nicht schon an und für sich unter dem Rippen¬ 
bogen vorragt, nur beim Inspirium gefühlt zu werden pflegt. In unserem 
Falle hat die vergrösserte Milz nicht unter dem Rippenrande hervorgeragt 
und ist auch nicht beim Inspirium ITerabgetreten, da das Zwerchfell still ge¬ 
standen hat. Die linke Lunge, an deren Basis pleuritischo Zeichen Vorlagen, 
ist mit dem Zwerchfell stark nach oben gedrängt gewesen. Vielleicht ist 
die Milz in ihren oberen Partieen mit dem Zwerchfell verwachsen gewesen. 
Ich habe aus dem Grunde die Mitte der Milzdämpfung in ihrem vorderen 
Theile zur Punction gewählt, weil hier der Sitz der Schmerzen gewesen ist, 
und weil man in der Mitte der Breite der Dämpfung noch am ersten hoffen 
konnte, den Abscess zu treffen. Dass ich ihn getroffen, war ein grosses 
Glück. Es hätten ja auch mehrere Abscesse iu der grossen Milz existiren 
können: diese würden daun jedenfalls einen so glücklichen Ausgang ver¬ 
eitelt haben. Wenn man von deu Bauchdecken aus Zugaug zu der im 
knöchernen Thorax liegenden Milz gesucht hätte, so wäre man auf deu vor¬ 
deren resp. unteren Rand gerathen, wo wohl schwerlich der Abscess seinen 
Sitz gehabt hätte, und von wo aus man diesen Abscess nur unter sehr 
grossen Schwierigkeiten würde haben erreichen können. 

Herr Aly fragt, ob sicher auszuschliessen war. dass es sich nicht um 
ein abgesacktes pleuritisches Exsudat gehandelt habe. 

Herr Lauenstein erwidert, dass dies uicht der Fall gewesen sei. 
Der Kranke sei niemals dyspnoisch gewesen, noch halte er jemals gehustet: 


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<J4 I)KUTSCHK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 


auch h;il>c sich niemals eine auffällige Ungleichheit in der Betheiligung «ler 
Thnraxhälftcu hei der Athmung gezeigt. Seine Rcspirationsfrequeiiz halte 
niemals wahrend der ganzen Krankheit die Zahl 20 überschritten, wie auf 
der hermngereichteu Tcinperaturcurve sichtbar wäre. Nur geringfügige 
Reibungsgeräusche seien am Randbezirke der Basis der linken Lunge be¬ 
obachtet worden. Durch stetig im Verlaufe der Krkrankung wiederholte 
Percussion das allmähliche Zurückgehen der Milzdäinpfung eonstatirt. 

Herr Külau macht auf die Schwierigkeit aufmerksam, bei den so ausser¬ 
ordentlich häutig durch Verwachsungen mit der Umgebung bedingten Ab¬ 
weichungen von der Norm, (irösse und Lage der Milz durch die Percussion 
genau zu bestimmen, es könne sehr leicht durch eine Schwellung der 
Milz nur eine Zunahme der Dämpfung nach oben bewirkt wordon. Er hält 
das Vorkommen der Abscesso an der convexen Fläche häutiger als am 
Rande, hat selbst vor Jahren einen Fall von erweichtem Milzinfarkt mit 
Perforation in die Pleura nach Typhus abdominalis beobachtet und hält das 
Vorkommou der Milzabscesse für nicht so ausserordentlich selten wie Herr 
C ursch mann. In dem Loschen Falle, wo der Milzrand nicht fühlbar war, 
von der Bauehhöhlo aus die Eröffnung des Abscesses zu versuchen, erscheine 
ihm widersinnig. 

Herr Lüdcrs hat 2 Fälle von Milzanschwcllung mit. Vereiterung er¬ 
lebt; nach Punction durch den Intercostalraum Heilung mit leichter Ver¬ 
krümmung des Rückgrats. 

Herr Korach fragt, ob bei dem Fall des Herrn L. die mikroskopische 
Untersuchung das Vorhandensein von Milzgeweben ergeben habe. Er habe 
in einem Fall von Typhus mit Endocarditis bei der Obduction einen Milz- 
abscess gefunden, in dem viel Pulpa nachzuweisen war. Bei Lebzeiten hatte 
keine Empfindlichkeit der Milz bestanden. 

Horr Lau enstein: Herr Fraeukol hat die ihm zur Untersuchung 
übergebenen in dem Abscess gefundenen Gewebsfragmcnte makro- und 
mikroskopisch für Milzgewebe erklärt. 

Herr Fraenkel bestätigt dies. 

Herr Kümmel! fragt, ob bei diesem Fall nicht vielleicht der Barden- 
heucr’sche extraperitoneale Explorativschnitt am Platz gewesen wäre. 

Herr Lauenstein: Jedenfalls würde ich in einem nächsten Falle der 
Art ganz ebenso wie in diesem Vorgehen. Ob sich der extraperitoneale 
Explorativschnitt Bardenheuer’s, der vielleicht manchen Fortschritt auf 
dem Gebiete der Bauchhöhleuchirurgie enthält, nach allen denjenigen Rich¬ 
tungen hin, wo B. ihn für indicirt hält, bewähren wird, ist sehr fraglich. 
Die Pylorusuntersuchung und Resection ist wenigstens z. B. sehr viel leichter 
und einfacher von einem vorderen Schnitt als von dem Bardenheuer’schen 
Schnitte aus, wo doch direkt das Pankreas vorliegt, ganz abgesehen von der 
stellenweise ganz enormen Verletzung, die durch die B.’schen Schnitte ge¬ 
setzt werden. Die Milz hat für die extraperitoneale Operation eine ganz 
besonders unglückliche Lage. 

Herr Kümmcll erwidert, dass bei der Eröffnung von Abscesscn die 
extraperitoneale Methode meist vorzuziehen sei. 

Herr Schede ist der Meinung, dass man bei vorhandenen Ver¬ 
wachsungen möglicherweise von unterhalb des Rippenbogens ankommen 
könne, oltne den Peritonoalrauin zu eröffnen; andernfalls Hessen sich auch 
wohl Verwachsungen durch eine der gebräuchlichen Methoden künstlich 
erzeugen. 

Herr Fraenkel bemerkt, dass Milzabscesse bei Interinittens jedenfalls 
sehr selten seien. 

Ausserdem hebt er hervor, dass recht grosse Milzen oft noch ganz 
oberhalb des Rippenbogens lägen. 


X. Greifswalder medicinischer Verein. 

Sitzung am 5. November 1887. 

Vorsitzender: Herr Landois. Schriftführer: Herr Peiper. 

Als Gast anwesend Herr Poel ehe» aus Danzig. 

1. Herr Helfe rieh: Demonstration einer plastischen Ope¬ 
ration an der Wange. 

2. Herr H. Schulz: Ueber Wirkung und Dosirung des 
Eisens. 4 Candidaten der Medicin nahmen unter der Aufsicht des 
Vortragenden 4 Wochen lang täglich kleine Mengen von Eisen, in 
Form */,% Lösung von Ferrum .sesquichloraturn. In der ersten 
Woche betrug die Tagesdosis: Morgens und Abends je 15 Tropfen, 
in der zweiten Woche: Morgens und Mittags je 15, Abends 30 
Tropfen, in der dritten und vierten Woche zu denselben Tages¬ 
zeiten je 30 Tropfen. Verbraucht wurden während der Versuchszeit 
von Jedem 0,473 g Ferrum sesquichloraturn. 

Fünf Tage vor Beginn der Eisenaufnahme wurde regelmässig die 
Pulsfrequenz Morgens und Abends um 8 Uhr bestimmt, das gleiche 
Verfahren während der eigentlichen Versuchszeit und noch 14 Tage 
darauf beobachtet. In der Diät werden keine Veränderungen vor¬ 
genommen. 

Die Symptome, die gegen Ende der ersten Woche, während 
welcher Eisen genommen wurde, sich zu zeigen begannen, waren: 
Druckgefühl im Magen, erst vorübergehend, dann anhaltend mit 
starker Flatulenz. Sonstiges Allgemeinbefinden und Esslust gut. 
Weiterhin wurde äusserer Druck auf die Magengegend schmerzhaft, 
Brechneigung Morgens beim Aufstehen, mehrmals breiige Stühle, 
starke Gasentwickelung. An den Nachmittagen wiederholte Anfälle 
von Atheranoth, Präcordialangst, mit hochgradig gesteigerter Herz- 
thätigkeit und Carotidenpuls. Der Appetit blieb dauernd gut. Die 
eben genannten Anfälle schwanden wieder, dafür entwickelte sich 


Schlaflosigkeit, allgemeines Hitzegefühl, das Gefühl erhöhter Muskel¬ 
kraft, in einem Falle ausgedehnte Acne und starke Injection der 
Conjunctiva. Gegen Ende der Eisenaufnahme war die Esslust deutlich 
vermehrt, die Flatulenz dauerte fort, die Körperbewegungen wurden 
wesentlich leichter und elastischer. 

Nach dem Aussetzen des Eisens trat ein starker Abfall ein: 
die Magenbescliwerden erschienen wieder, der Appetit wurde schlecht, 
bitteres Aufstossen nach dem Essen, grosse körperliche Mattigkeit 
und Schlafsucht wurden von wiederholten Anfällen starker Athein- 
notli und Präcordialangst unterbrochen. Die Pulsfrequenz sank, der 
Pulsschlag wurde stellenweise arhythmiseh. Alle Erscheinungen 
waren nach etwa 14 Tagen völlig verschwunden. Der Vortragende 
legt sodann die Pulscurven der 4 Herren vor, die übereinstimmend 
eine constant zunehmende Frequenz während der Eisenaufnahme 
und ein Absinken nach derselben aufweisen. Bei eingehender Be¬ 
sprechung der einzelnen, zur Wahrnehmung gelangten Symptome 
erwähnt der Vortragende ältere mit ihnen übereinstimmende Beob¬ 
achtungen von Trousseau und Schroff, weist auf einige ähnliche 
Wirkungen kleiner ArSendosen hin und betont schliesslich, unter 
Anführung eines Ausspruches von Schroff und im Hinweis auf die 
in den Eisenwässeru obwaltenden quantitativen Verhältnisse, die Wich¬ 
tigkeit kleiner Eisendosen für die Therapie, an Stelle der noch 
vielfach beliebten grösseren Quantitäten. 

3. Herr Löbker berichtet über 5 Fälle schweren Collapses 
bei Anwendung von Cocamanaesthesie mittelst subcutaner Injection 
des Mittels. Die üblen Zufälle sind vorgekominen bei Anwendung 
von einer halben Pravaz’schen Spritze einer 5% frischen Lösung 
und zwar alle bei Injection unter das Kieferperiost bei kleineren 
Kieferoperationen (Zahnextraction etc.), wo also eine loealisirte Wir¬ 
kung des Giftes nicht gewährleistet werden kann. Die Patienten 
hatten theils Herzklappenleiden (2), oder litten an Functionsstörungen 
im Gebiete des Vagus resp. Sympathicus. Amylnitrit hatte keine 
besondere Einwirkung, doch erholten sich die Kranken nach Verlauf 
von einer halben bis IV 2 Stunden. Redner empfiehlt ausser vor¬ 
sichtiger und genauer Dosirung Maassnahmen zu treffen, welche die 
Einwirkung des Medicameutes möglichst localisiren, also besonders 
die elastische Coustriction, welche auch hei breitbasigen Tumoren 
durch künstliche Stielung der Geschwulst mit Durchstechung von 
Nadeln erzielt werden kann. 

Sodann sollen die Injectionsstellen so gewählt werden, dass bei 
der Vornahme der Operation die Bindegewebslagen, iu denen das 
Mittel abgelagert ist, durch die Incision breit gespalten werden, um 
den theilweisen Abfluss des Giftes zu erleichtern. Wo diese Mittel 
nicht anwendbar sind, soll man möglichst auf die Cocai'nanaesthesie, 
namentlich bei nervösen Individuen und Herzkranken, verzichten. 
Bei den kleinen Operationen am Kiefer und den Zähnen wird die 
neuerdings an Stelle des Cocains empfohlene Injection von Carbol- 
lösung zu prüfen sein. 


XI. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 20. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Breisky; Schriftführer: Herr Kolisko. 

Herr Neumann theilt seine Erfahrungen Uber die Behandlung der 
Syphilis mit Calomelinjectionen mit. Er verwandte zur Injection fol¬ 
gende Lösung: 

Calomel 

Natr. chlorat. ana 5,0 

Aq. dest. 50,00. 

Es enthält somit jede Spritze 0,1 Calomel, aber es bleibt immer eine 
Quantität Quecksilber in der Spritze zurück. Im Gauzon wurden 36 Fälle 
systematisch nach dieser Methode behandelt; im Allgemeinen waren viel mehr 
Injectionen nöthig, als gewöhnlich angegeben wird. Die acuten Exantheme 
brauchen etwas weniger Injectionen als die Spätformen, aber auch da kommt 
es vor, dass selbst während der Behandlung aus einem gewöhnlichen inaeu- 
lösen Syphilid eine Roseola annulata wird. Bei den papulösen und deu 
Spätformen sind noch mehr Injectionen nöthig. Herr Neumann prüfte die 
Injectionen auch auf ihre Präventivwirkung, es zeigte sich dabei, dass da« 
Calomel nicht so intensiv wirkt wie die lnunctionscur. Während man mit 
dieser das Exanthem bis zum 150.—160. Tag hinauszuschieben vermag, trat 
in 2 Fällen, die präventiv mit Calomelinjectionen behandelt wurden, da« 
Exanthem in der zehnten Woche auf. In 5 von den 36 Fällen recidivirtc 
die Krankheit. Herr Neumann sieht demnach in den Calomelinjectionen 
eine Behandlungsmethode, die keinen besonderen Vorzug vor den anderen 
Methoden hat und sogar hinter der Schmiercur steht. 

Ueber den Einfluss des Erysipels auf die Syphilis. 

Mauriac war bekanntlich der Erste, der angab, dass das Erysipel den 
Verlauf der Syphilis nicht nur local beeinflusse, sondern auch auf den ganzen 
Process eine günstige Wirkung übe; auf der letzten Naturforscherversammlung 
schrieb Schuster (Aachen) dem Erysipel einen bloss localen Einfluss zu, eine 
Wirkung auf die Allgemeinerkrankung konnte er nicht constatiren. Herr 
Neumann hat auf seiner Klinik 2 Fälle beobachtet, welche eine Bestätigung 
der Ansicht Schusters bilden. Ein mit Tubercula cutanea au der Gesichts¬ 
haut behafteter Patient bekam ein Erysipel, in Folge dessen sich die erbsen¬ 
grossen Geschwülste abflachten. Einige Tage darauf recidivirte das Erysipel, 


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2. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


95 


»•»rauf die Eruption fast schwand, und als nacli wenigen Tagen der Rothlauf 
nun dritten Male auftrat, trat gänzlicher Schwund der Localerscheinungen ein. 
Ein zweiter mit einer vierwöchentlichen Sclerose des Sulcus coronarius be¬ 
hafteter Pat. bekam Erysipel, in Folge dessen das Exanthem erst in der 
elften Woche als ein pustulöses Syphilid auftrat. 

Aehnliche Beobachtungen hat Boeck bei seinen Syphilisationsversuchen 
gemacht. Wenn er Individuen, die an Erysipel, Pleuritis, Typhus etc. litten, 
impfte, haftete der Stoff nicht; sowie aber die fieberhafte Affection vorüber- 
ging. haftete die Inoculation. 

Herr Neumann hatte in jüngster Zeit Gelegenheit, ein Hautstück von 
einem mit Copaiv-Exanthem behafteten Kranken zu excidiren und mi¬ 
kroskopisch zu untersuchen. Er fand, dass der Papillarkörper normal ist, 
und dass das Infiltrat an den Balgdrüsen, Haarbälgen und Schweissdrüsen 
'ich !»etinde. also gerade an den Stellen, wo Follikel Vorkommen. M. 

XII. Journal-Revue. 

Geburtshülfe und Gyuaekologie. 

2 . 

A. Benckiser (Berlin.) Totalexstirpation des im 3. Mo¬ 
nat graviden retroflectirten Uterus wegen Unmöglich¬ 
keit der Reposition "bei osteomalaeischem Becken; Hei¬ 
lung. Centralblatt f. Gyn. 1887. No. 51. 

Die Totalexstirpation des schwangeren Uterus per vaginam 
wegen Carcinom ist in letzter Zeit viermal ausgeführt worden, von 
Landau, Gusserow und Hofmeier in Berlin und von Thiem in 
Kottbus. Einzeln dastehend in seiner Indiration ist folgender von 
Benckiser mitgetheilte, von Olshausen operirte Fall, in welchem 
ein im 3. Monat schwangerer retroflectirter Uterus Incarcerations- 
erscheinungen hervorrief, wo aber weder die Reposition, noch die 
Entleerung des schwangeren Uterus infolge hochgradiger Osteo- 
malacie möglich war, so dass zur Erhaltung der Mutter die Ent¬ 
fernung des Fruchthalters iu Frage kam. Die näheren Einzelheiten 
des betreffenden Falles sind folgende: Die 32jährige Patientin hatte 
zwei Mal geboren und drei Mal abortirt. Bereits in der zweiten 
Schwangerschaft traten Erscheinungen von Osteomalacie auf, die 
Lendengegend sank nach vorn, die Oberschenkel drehten sich nach 
aus?*n, Patientin wurde über Handbreite kleiner. — Patientin kam 
diesmal wegen Urinverhaltung in die Klinik. Bei der Untersuchung 
fand sich eine hochgradige Verkrümmung des Skeletts durch Osteo¬ 
malazie. Die Körperlänge betrug 134 cm, das Gewicht 75 Pfund. 
Die Brustwirbelsäule war linksseitig scoliotisch, die Lendenwirbel- 
*äule stark lordotisch. Das Kreuzbein stark nach hinten vorsprin¬ 
gend sammt der hinteren Partie der Darmbeinkämme. Kreuz- und 
Steisshein ankylotisch verwachsen, letzteres im rechten Winkel nach 
vorn abgehend. Schambogen schnabelförmig nach vorn gerichtet; 
die horizontalen Schambeinäste sind iu’s Beckenlumen geknickt, die 
linke Pfannengegend ist nahezu bis zum 2. Kreuzbeinwirbelkörper 
gerückt, so dass die Distantia sacro-cotyloidea links keinen Finger 
passiren lässt, rechts ist hier noch für ca. 2 Finger Platz. — Die 
Portio ist der Beckenenge wegen auch in Narkose nicht zu er¬ 
reichen, die hintere Scheidewand ist durch den faustgrossen retro¬ 
flectirten im dritten Monat schwangeren Uterus, vorgewölbt. 

Die Versuche, den Uterus zu reponiren, schlugen sämmtlich 
fehl. Der lebhaften Einklemmungserscheinungen wegen wurde des¬ 
halb der künstliche Abort einzuleiten versucht. Doch weder die 
niedicamentösen Mittel, wie Chinin und Pilokarpin, noch heisse In¬ 
jektionen, heisse Bäder, noch schliesslich die Punctiou des Uterus 
von dem hinteren Scheidengewölbe aus hatten Wehen zur Folge. 
Als im Anschluss an die Punction Symptome einer beginnenden 
Peritonitis sich einstellten, wurde der Entschluss gefasst, den Uterus 
durch die vaginale Totalexstirpation zu entfernen. Die Ausführung 
der Operation bot insofern Schwierigkeiten, als die Kniee der Pa¬ 
tientin durch die Verschiebung der Pfannen nach vorn kaum mehr 
als handbreit abducirt werden konnten, und deshalb die Beine der 
Patientin während der Operation senkrecht nach oben gehalten 
werden mussten. Die Operation wurde derart ausgeführt, dass die 
hintere Vaginalwand zunächst gespalten wurde. Der dadurch frei¬ 
gelegte Uterus wurde mit einer Museux’ sehen Zange durch die 
Wunde heruntergezogen, die Ligamenta unterbunden und durch¬ 
schnitten, dann die Portio von der Peritonealseite aus vom Scheiden- 
gewülbe umnäht und abgelöst. Die so entstandene Wunde im 
Scbeidenlumen wurde geschlossen und mit Peritoneum überkleidet, 
dir erste breite Scheidenwuude blieb offen. Jodoformgazetampon 
in «len Douglas'schen Raum. Der Verlauf war ein guter, die 
Patieutin konnte am 23. Tage nach der Operation entlassen w r erden. 

Czempin. 

M. Hofmeier. Drei glücklich verlaufene Fälle von 
Kaiserschnitt. Zeitschr. f. Geburtshülfe. Bd. 14, Heft 1. 

Diese 3 Fälle kamen an der Berliner Universitätsfrauenklinik 
innerhalb 4 Monaten zur Ausführung. 2 davon wurden wegeu 
Beckenenge, eiu dritter wegen Myomen iu den oberen Theileu des 
Cervix vorgenormnen. 


Einer der erste re n und dieser dritte wurde von Schroeder 
operirt, der andere Fall von H. nach Sch.’s Tode, und zwar wurde 
in den beiden Fällen von verengtem Becken der conservative Kaiser¬ 
schnitt gemacht, in dem durch Myome bedingten Fall die Porro- 
Operation. H. theilt die Krankengeschichten ausführlich mit. Die 
3 Mütter und die 3 Kinder blieben erhalten. H. hat den Eindruck 
gewannen, dass die Schwierigkeiten der Myomotomie iu der Gravi¬ 
dität gegen diejenigen einer gewöhnlichen Myomotomie nicht nur 
nicht erhöht, sondern eher verringert sind, und zwar deswegen. 
w r eil bei der ungemeinen Auflockerung und Verschieblichkeit aller 
Theile in der Schwangerschaft die Zugänglichkeit derselben in hohem 
Grade erleichtert wird. Den Standpunkt Leopold’s und Credos, 
dass jetzt gegebenen Falles bei Beckenenge, auch bei relativer lu- 
dication die Sectio caesarea auszuführen sei, billigt H. vollkommen. 
In den ersten der mitgetheilten Fälle nähte Schroeder die ganze 
Uteruswunde in ihren tieferen Schichten mit der fortlaufenden Catgut¬ 
naht in mehreren Etagen, mit möglichster Vermeidung der De- 
cidua. Nur die obersten Schichten der Muskulatur mit dem Perito¬ 
neum wurden mit einer Reihe Seidenknopfnähte an einander genäht. 
Nach Ausführung der eigentlichen Wundnaht wurde das Peritoneum 
soweit wie möglich noch besonders mit einer fortlaufenden Catgut- 
naht etwas über der Knopfnaht zusammengezogen, um einen mög¬ 
lichst sicheren Abschluss von der Bauchhöhle zu bekommen. Das 
Aneinanderliegen der Wunde wurde hierdurch ein so vollendetes, 
dass nach der Lösung des Schlauches die Naht kaum zu sehen war. 
Den Grund einer hochgradigen und anhaltenden Atonie, welche iu 
dem 2. Falle einen geradezu bedrohlichen Charakter annahm, sieht 
H. in der sehr festen und bis zur Vollendung der Naht andauern¬ 
den Umschnürung des Uterus mit der Gummiselmur. — Peinlichste 
Antiseptik, frühzeitige Operation und genaue Uterusnaht sind die 
Grundsätze gewesen, in deren Befolgung in diesen 3 Fällen so gün¬ 
stige Resultate erreicht wurden. — Flaischlen. 

Kinderheilkund e. 

1 . 

A. Baginsky. Ueber Acetonurie hei Kindern. Archiv 
f. Kinderheilkunde Bd. IX Heft 1. 

Veranlasst durch die Untersuchungen von v. Jak sch über 
Acetonurie und Diaeeturie, welche nach ihm bei Kiudern den Aus¬ 
druck einer Autointoxication darstelleu und eine häufige Ursache 
für die Eklampsie sein sollen, unternahm Baginsky eine experi¬ 
mentelle und klinische Nachprüfung dieser Angaben. Da nicht stets 
völlig frischer Harn zur Verfügung stand, nahm Baginsky Abstand 
von dem Nachweis der Diacetsäure, er beschränkte sich nur auf den 
des Aceton im Harn. Hierbei wurden 3 Reactionen in Anwendung ge¬ 
zogen, und zwar die von Lieben, Legol und Revnold. Zunächst 
untersuchte Baginsky das Harndestillat gesunder Kinder und 
konnte in diesem gleich v. Jaksch kleine Mengen von Aceton 
nachweisen. Ferner konnte Baginsky in Uebereinstiinmung mit 
v. Jaksch und zahlreichen anderen Beobachtern die Thatsache 
feststellen, dass zur Zeit des Fiebers eine sehr gesteigerte Aceton¬ 
urie auftritt. Den Grund hierfür sieht derselbe nach seinen mit 
den klinischen Beobachtungen übereinstimmenden Versuchsresultaten 
an Hunden in dem gesteigerten Zerfalle stickstoffhaltigen Materials. 
Auch bezüglich der Eklampsie der Kinder wurde von Baginsky 
bestätigend festgestellt, dass bei derselben der Acetongehalt im Harn 
ein sehr hoher ist, aber derselbe kann nach ihm nicht als Ursache 
der eklamptischen Anfälle angesehen werden, da in den Krankheits¬ 
formen, welche diesen Krämpfen vorauszugehen pflegen, Aceton zu¬ 
meist im Harne fehlt oder nur in geringen Sparen vorhanden ist. 
Besonders konnte bezüglich der Rhachitis festgestellt werden, dass 
bei den an diesen Krankheiten leidenden Kindern der Aeetongehalt 
des Harns eiu ganz normaler ist. Auch die Vermuthung. dass die 
Acetonurie zur Rhachitis in Beziehung stehe, konnte experimentell 
nicht bestätigt werden, denn ein lange Zeit mit Aceton gefütterter 
junger Hund blieb von derselben völlig frei. Unter den für die 
starke Acetonurie bei fieberhaften Zuständen mit oder ohne 
nachfolgende Eklampsie in Betracht kommenden Umständen konnte 
zunächst, an eine Behinderung der Athmung gedacht werden, und 
deshalb prüfte Baginsky experimentell den Einfluss der Dyspnoe 
auf den Acetongehalt des Harns an einem Hunde, dessen Trachea 
durch eine Oanüle stark verengt wurde. Trotz der hierdurch sehr 
beträchtlich bewirkten Dyspnoe fehlt Acetonurie. Endlich prüfte 
Baginsky noch, inwieweit pathologische Gähruugsvorgänge im 
Magen und Darm als die Folgen von Verdauungsstörungen für das 
Auftreten der Acetonurie verantwortlich gemacht werden konnten. 
Es konnte aber weder in den Destillaten des Mageninhaltes, noch 
der Faeces von dyspeptischen Kindern Aceton nachgewiesen werden. 
Ebenso negativ war der Nachweis von Aceton bei beginnender 
Milclisäuregährung. Bezüglich der Details dieser interessanten Arbeit 
müssen wir den Leser auf das Original verweisen. 

Silbermann (Breslau). 


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96 


DEUTSCHK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5 


Farago. Ueber das Verhalten einiger Reflexe der 
neugeborenen Kinder. Arch. f. Kinderhlkde. Bd. Vlll. Heft 5. i 
1887. 

Farago untersuchte in der Prager Findelanstalt das Verhalten ] 
der Sehnen- und Hautreflexe an 117 gesunden Kindern und zwar an 
49 Knaben und 68 Mädchen im Alter vom Geburtsmomente bis | 
zum 16. Lebenstage. Der Verfasser wandte der Frage besonders 
seine Aufmerksamkeit zu, ob diese Reflexe bei vorzeitig, wie eben 
geborenen Kindern schon vorhanden wären. In allen untersuchten 
Fällen war der Patellarreflex beiderseits vorhanden, die Intensität 
der Zuckungen verhielt sich jedoch verschieden. Rei einer Anzahl 
von Neugeborenen war die Zuckung sehr klein, bei einer zweiten 
Gruppe stark ausgeprägt, bei einer dritten Reihe endlich so bedeu¬ 
tend, dass sogar der Quadriceps der nicht percutirten Seite zuckte. 
An der Hand zweier Tabellen zeigt Verfasser, dass einerseits 
(I. Tabelle) der Patellarreflex bei Ebeugeborenen besonders stark : 
ist, andererseits aber (Tabelle II) reife, kräftige Kinder ihn stärker ! 
zeigen, als frühreife oder schwach entwickelte aber ausgetragene. Der 
Bauchreflex und Zuckungen der unteren Extremität nach Streichen 
der Fusssohlen wurden bei allen Kindern beobachtet , ebenso Lid¬ 
schloss nach Berührung der Cornea. Der bei 41) Knaben unter¬ 
suchte Cremasterreflex wurde in 9 Fällen (18,9 %) vermisst. Bei 
einem an chronischer Gastroenteritis leidenden Mädchen, bei wel¬ 
chem die Section hochgradige Thrombose fast aller Hirnvenen 
zeigte, waren Bauch-, Patellar- und Plantarreflex deutlich vorhan¬ 
den, und zwar noch 3 Stunden vor dem Tode, während bei einem 
schwach entwickelten an Scleroödem leidenden Knaben alle Reflexe, 
mit Ausnahme des Plantarreflexes, fehlten. Alle Kinder wurden 
untersucht, nachdem sie an die Brust gelegt waren, weil während 
des Trinkens die Muskulatur der unteren Extremitäten sich im Er¬ 
schlaffungszustande befindet. Silbermann (Breslau.) 

XIII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

— Bericht Ober die Thätlgkelt der znr Erforschung der Cholera 
im Jahre 1888 nach Egypten und Indien entsandten Commission, 

unter Mitwirkung von Dr. Robert Koch, bearbeitet von Dr. Georg Gaffky. 
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte III. Bd. Berlin, J. Springer, 
1887. — Referent 0. Riedel. (Schluss aus No. 4.) 

Bei diesen Arbeiten war zuerst der Schwerpunkt auf die mikroskopische 
Untersuchung des von Leichen herrührenden Materials gelegt worden. Der Darm 
und Theile der inneren Organe wurden in absolutem Alkohol gehärtet, mittelst 
des Mikrotoms in feine Schnitte zerlegt, letztere wurden nach Behandlung 
mit den verschiedensten Färbemitteln mikroskopisch untersucht. Magen- 
und Danninhalt, Erbrochenes, Urin und Blut wurden gleichfalls in Deck¬ 
glaspräparaten untersucht. Daneben war auch schon in Egypten das Cultur- 
verfahren in Anwendung gezogen worden, und hatten anfangs besonders 
Gewebssaft aus Leber, Milz und Nieren, insbesondere auch aus den Mesen¬ 
terialdrüsen, Blut, Darmwandung, Darminhalt und Erbrochenes als Aussaat¬ 
material gedient. Während im Blute und in den Organen kein organisirter 
Infectionsstoff nachgewiesen werden konnte, hatte der Führer der Expedition 
schon in Egypten in der Darmwandung eine Bacterienart entdeckt, welche 
durch die Regelmässigkeit ihres Vorkommens bei Choleraleichen, durch ihr 
Fehlen bei anderen Leichen, sowie durch die Art ihres Eindringens in die 
Gewebe den Schluss rechtfertigte, dass sie in irgend einer ätiologischen 
Beziehung zur Cholera stehen müsse. Diese Bacterien waren in Egyten in 
allen 10 Choleraleichen gefunden worden, aber erst bei dem dritten in Indien 
untersuchten, sehr acut verlaufenen Fall konnte festgestellt werden, dass die 
aus dem Darminhalt gezüchteten, durch die Art ihres Wachsthums in 
Nährgelatine und durch die leicht gekrümmte Gestalt ausgezeichneten 
„kommaförmigen“ Bacillen identisch seien mit den in der Darmwandung 
gesehenen Organismen. 

In Indien wurden in sämmtlichen obducirten 42 Choleraleichen diese Ba¬ 
cillen nachgewiesen. In den untersuchten Entleerungen von 32 Cholerakranken 
fehlten sie nur in einem einzigen Falle, bei welchem der ausgesprochene 
Cboleraanfall schon vor 7 — 8 Tagen stattgefunden hatte. In 30 Leichen da¬ 
gegen, welche von verschiedenen anderen Krankheiten, namentlich auch 
solchen mit Darmaffectionen herrührten, konnten ebensowenig wie in den 
Entleerungen von gesunden, an Diarrhoe oder Dysenterie leidenden Menschen, 
von gesunden oder mit Arsen vergifteten Thieren Kommabacillen gefunden 
werden. Ebenso erfolglos blieb die Untersuchung von den verschiedensten 
bacterienreichen Flüssigkeiten, wie Flusswasser, Morast, Spüljauche, Kartoffel¬ 
wasser u. 8. w. Nur in einem einzigen Falle wurden die Cholerabacillen 
ausserhalb des menschlichen Körpers und seiner Abgänge gefunden, nämlich 
in dem Tank zu Saheb-Bagan, in einer Vorstadt Kalkutta's, unter Verhält¬ 
nissen, die, wie ausführlicher dargelegt wird, die Ueberzeugung von 
ihrer ätiologischen Bedeutung zu bekräftigen durchaus' geeignet waren. — 

In dem Berichte der von Straus geführten französischen Expedition, 
der „Mission Pasteur“, wird das Vorkommen von feinen Bacillen von der 
Grösse der Tuberkelbacillen in der Darmwandung beschrieben. Eine ätiologische 
Bedeutung wurde denselben jedoch nicht beigemessen, da sie in einigen 
sehr acut verlaufenen Fällen vermisst wurden. Sind dies in der That 
Kommabacillen gewesen, so ist ihr Fehlen in der Darmwandung bei ganz 
rapide abgelaufenen Fällen erklärlich. Andererseits sollten sich nach dem 
Berichte der französischen Commission im Blute vermeintliche Mikroorganis¬ 
men finden, welche allerdings ausserhalb des Blutes in künstlichen Nähr¬ 
lösungen nicht zur Vermehrung zu bringen waren. Es dürfte sich demnach 
bei dieaer Beobachtung um sogenannte Blutplättchen gehandelt haben 


Kalkutta, am Iloogly, dem westlichsten Hauptarme des Ganges-Delta 
gelegen, hatte im Jahre 1883 eine Bevölkerungsziffer von ca. 430 000 in 
der eigentlichen Stadt, 251 000 in den Vorstädten. Der südliche Theil der 
Stadt ist vorzugsweise von den bemittelten Europäern, der Norden von den 
Eingeborenen bewohnt. Die Stadt erhält ein ganz besonderes Gepräge durch 
die „Bustees“, Anhäufungen von niedrigen Lehmhütten, selbst zwischen den 
palastartigen Villen des südlichen Theils, und durch die „Tanks“, Tümpel, 
welche durch Fortnahme des zu Aufschüttungsarbeiten entfernten Erdreichs ent¬ 
standen sind. Ganz Niederbengalen erhebt sich so wenig über das Meeres¬ 
niveau, dass zum Schutze vor den alljährlichen Ueberschwemmungen jede 
Wohnstätte auf erhöhtem Terrain angelegt werden muss. Während durch 
die Maassnahmeu der Behörden innerhalb der eigentlichen Stadt die Zahl 
der Tanks allmählich mehr und mehr verringert wird, bilden dieselben in 
den Vorstädten stellenweise noch die einzige Art der Wasserversorgung und 
dienen dann zugleich zur Aufnahme aller Abfälle. Seit dem Jahre 1869 
ist die eigentliche Stadt mit einem weitverzweigten Röhrennetz filtrirten 
Flu8swassers versehen. Dasselbe wird von den Pultah-Waterworks geliefert, 
welche sich 16 englische Meilen stromaufwärts am linken Hooglyufer 
befinden, weil der Strom noch eine beträchtliche Strecke oberhalb Kalkutta’s 
der Ebbe und Fluth unterworfen ist. Das Wasser verweilt erst in einigen 
Klärbassins, wird dann durch Sandtiltration gereinigt und ist an Güte dem 
Berliner Leitungswasser gleichzustellen. Damajs wurden täglich durch¬ 
schnittlich 6 Millionen Gallonen Wassers geliefert, doch waren Ver- 
grösserungen geplant , um die Leistungsfähigkeit auf 12 Millionen zu 
steigern. 

Kalkutta besitzt eine Canalisation, welche aber nur für die Beseitigung 
der Meteorwässer, soweit, diese nicht ihren Weg in die Tanks finden, und 
für flüssige Abfallstoffe, nicht aber für die Aufnahme von Fäcalien be¬ 
stimmt ist. Letztere werdeu vielmehr durch „Mehter“, Angehörige der 
niedrigsten Hinduclasse, aus den Häusern gesammelt und durch Abfuhr be¬ 
seitigt. Die Canäle sind in einen grossen Saramelcanal geleitet, dessen 
Inhalt durch eine Pumpstation gehoben wird, um weiterhin in einen der 
zahlreichen Deltaarme eingelassen zu werden. Die Commission hat Spül¬ 
jauche an den verschiedensten Stellen der Canäle entnommen und niemals 
in derselben Cholerabacillen auffinden können. 

Während in Kalkutta die Leichen der Christen und Muhamedaner 
beerdigt werden, werden die der an Zahl ja überwiegenden Hindus ver¬ 
brannt. Früher wurdeu sie, wie es jetzt auch wohl noch ausserhalb 
Kalkutta’s vorkommt, auch unverbrannt oder halbverbrannt in den heiligen 
Strom geworfen, der sonst nur für die Aufnahme der Asche der Verbrannten 
bestimmt ist. Aus eigener Anschauung berichtet die Commission ausführ¬ 
licher über die drei grossen Verbrennungsplätze in Kalkutta. 

Ob die Cholera vor dem Jahre 1817 schon sonst irgendwo in Asien 
heimisch gewesen, mag dahingestellt bleiben, in Bengalen und in Kalkutta war 
sie bis dahin sicher nicht. Die Krankheitsfälle, welche in den Jahren 
1815, 1816 und der ersten Hälfte des Jahres 1817 als „Cholera morbus“ 
beobachtet und beschrieben sind, dürften als Cholera nostras aufzufassen 
sein. Einerseits war nämlich die Zahl der Todesfälle überhaupt nur eine 
geringe, überstieg nicht 37 im Monat, andererseits fiel das Maximum der 
Todesfälle auf andere Monate, als diejenigen, welche später bei der Cholera 
die schwerste Betheiligung aufwiesen. Nach der schweren Epidemie da¬ 
gegen, welche im August 1817 ihren Anfang nahm, zeigte die Seuche den¬ 
jenigen Typus, den sie noch jetzt in Kalkutta aufweist, d. h. sie bevorzugt 
die Frühjahrsmonate und die letzten Monate dos Jahres, während sie in der 
Regenzeit eine Abnahme erkennen lässt. 

Die Registrirung der Todesfälle in Kalkutta ist übrigens erst in den 
letzten Jahrzehnten eine einigermaassen zuverlässige geworden. Vor 1869 
hatte eine solche Registrirung überhaupt nicht stattgefunden; von 1864—1868 
waren sechs Natives-Aerzte mit derselben beauftragt, seitdem wird sie von 
der Polizei ausgeführt, welche sich mit den Hospitälern und den Yerbreu- 
nungsplätzen in Verbindung setzt. 

Während von 1865— 1869 jährlich durchschnittlich 4388 Menschen 
an Cholera verstarben, beträgt der Durchschnitt von 1870 — 1884 nur 1488. 
Der plötzliche Abfall der Seuche datirt seit 1869, dem Eröffnungsjahre der 
neuen Wasserleitung. Dass er durch diese und nicht etwa durch die Cana¬ 
lisation bedingt wurde, dafür spricht die Plötzlichkeit der Seuchenabnahme, 
während die Canalisation, welche ja übrigens die Fäcalien nicht mit auf¬ 
nimmt, nur ganz allmählich zur Durchführung gelangte. — In eingehender 
Weise wird das Verhältnis der Cholerasterblichkeit zur Bevölkerungs- 
dichtigkeit, zur Zahl der Nicht-Asiaten, der Hindu’s und Muhamedaner, zur 
Zahl der in Bustee’s lebenden Bevölkerung erläutert und in farbigen Tafeln 
graphisch dargestellt. Die Bevölkerungsdichtigkeit zeigt nur einen geringen 
Einfluss auf die Cholerasterblichkeit. Die Hindus weisen die grösste, die 
Nicht-Asiaten die geringste Betheiligung auf. Sehr in die Augen fallend 
ist das verschiedene Verhalten der Vorstädte und der eigentlichen Stadt, 
indem erstere, welche ja nicht an der Wasserleitung participiren, auch nach 
Eröffnung derselben die gleiche Cholerasterblichkeit aufweisen wie vorher. 
Die Thatsache, dass seit dem Jahre 1880 sich in der Stadt wieder eine 
Zunahme der Cholera zeigt, spricht nicht gegen den günstigen Einfluss der 
Wasserleitung, ist vielmehr sehr erklärlich, wenn man erwägt, dass bereits 
im Jahre 1872 die zur Verfügung stehende Menge Leitungswassers eine 
ungenügende war. 

In dem mit ungefähr 3300 Köpfen belegten Fort William ist die Ab¬ 
nahme der Cholera bereits früher erfolgt, als in der Stadt. Während das¬ 
selbe vordem eine gefürchtete Choleralokalität war, in welcher nach ver¬ 
schiedenen anderen iin Jahre 1858 erfolgten sanitären Besserungen iin 
Jahre 1862 doch noch 1,4 %o der Besatzung an Cholera verstarb, hat, seit 
im Jahre 1865 eine neue Wasserversorgung mit ’filtrirtem Wasser ein- 
geführt wurde, die Choleramortalität nie mehr 0,5°/oo überschritten. 

Was die Abhängigkeit der Cholera von der Jahreszeit betrifft, so haben 
nach den Untersuchungen von Lewis und Cunuingbam die Monate Mär/, 
und April die grösste, Juli und Sentember die geringste Sterblichkeit auf- 


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2. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 97 


/»weisen. Weuu schon die Jahreszeit, in welcher die Seuche am heftigsten 
zu sein pflegt, auch den niedrigsten Grundwasserstand zeigt, so hat sich 
doch ein bestimmtes Verhältnis» zwischen den Schwankungen des Grund¬ 
wissen» und dem Verhalten der Choleraepidemieen nicht, nachweisen lassen 
und hat mau die früher consequent durchgeführten Messungen als nutzlos 
wieder aufgegeben. Ebensowenig lässt sich zwischen Cholera und Regen¬ 
fall im Einzelnen ein bestimmter Zusammenhang erkennen. Der günstige 
Einfluss, welchen die reichlichen Regenmengen auf eine Abuahme der 
Choleraiutensität auszuüben pflegen, dürfte sich aus «1er Abhängigkeit er¬ 
klären, in welcher ein grosser Theil der Bevölkerung hinsichtlich der 
Wasserversorgung von dem Regen sich befindet. Im Uebrigen ist die Jahres¬ 
zeit welche <lie meisten Cholerafälle aufzuweisen hat, durchaus nicht ohne 
jeden Regen. Andererseits findet auch in der sogenannten Regenzeit nicht 
täglich Regenfall statt. Letzterer kann im Einzelnen sehr reichlich sein. 
Es gehört nicht zu den Seltenheiten, dass binuen einiger Stunden mehrere 
Zoll Regen fallen. — 

Das weiterhin geschilderte Verhalten der Cholera in den Städten 
Pondichery, Madras, Nagpur und Guutur zeigt gleichfalls Beispiele eines 
entscheidenden Einflusses der Wasserversorgung. 

In besonderen Abschnitten wird das Auftreten der Cholera auf den 
Kuliscbiffen und das indische Pilgerwesen besprochen. Letzteres lässt die 
Abhängigkeit der Cholera vom menschlichen Verkehr deutlich zu Tage 
treten. Die am meisten besuchte Pilgerstätte ist die südwestlich von 
Kalkutta an der Küste des bengalischen Meerbusens gelegene Stadt Puri. 
Während diese die gleichen klimatischen Bedingungen aufweist wie Kalkutta, 
so liegt die Höhe ihrer C-holeracurve zu einer anderen Zeit, nämlich itn 
März und im Juni, in welchen Monaten daselbst die religiösen Feste 
gefeiert werden. 

Nächst Puri ist der bekannteste Pilgerort die kleine Stadt Hurdwar, 
welche im Districte Saharanpur nahe der Grenze des Punjab’s am Ganges 
gelegen ist. Alljährlich findet hier im April eine Versammlung von Pilgern 
<tatt. aber nur alle 12 Jahre, wenn der Planet Jupiter in das Zeichen 
de* Wassermannes tritt, wird daselbst das grosse „Kumbha inela“- 
Fest gefeiert, zu welchem Hunderttauseude, ja selbst Millionen, zusammen¬ 
strömen. Die beiden letzten Kumbharaela-Jahre 1867 und 1869 hatten 
denn auch eine enorme Verbreitung der Cholera im Punjab zur Folge. Es 
*tarben in denselben in der genannten Provinz mehr Menschen als in den 
übrigen 15 Jahren von 1865—1881 zusaramengenommen.. — 

Bis Mitte Februar waren die Temperaturverhältnisse in Kalkutta günstige 
gewesen. Dann begann es heiss zu werden, und Anfang März mussten 
wegen zu grosser Hitze die Laboratoriumsarbeiteu aufgegeben werden. Nach¬ 
dem die Commission noch einen 9 tägigen Aufenthalt in dem 7000 Fuss 
hoch gelegenen Darjeeling genommen, entschloss sich der Führer der Commis¬ 
sion am 9. März zur Heimkehr. Zwar war von dem Staatssecretair «I. Innern 
die Genehmigung ertheilt worden, die Untersuchung, falls es nothwendig 
erscheinen sollte, an einem geeigneten Orte in Indien noch weiter fortzusetzen, 
doch durften die bereits gewonnenen Ergebnisse als ausreichend erachtet 
werden, um eine sichere Grundlage für die Bekämpfung der Seuche in 
Deutschland abzugeben, während die von einem ferneren Aufenthalt in Indien 
zu erhoffenden Vortheile in keinem Verhältnis mit den damit verknüpften 
Opfern standen. 

Als Rückweg wurde zunächst die Eisenbahnroute quer durch Indien 
gewählt. Nach kurzem Aufenthalt in Benares, Agra, Delhi, Jeypore und 
Ahmedabad traf die Commission am 1. April in Bombay ein. 

Bombay besitzt seit dem Jahre 1860 eine anfangs ungenügende, seit 
1879 eine reichlichere Wasserleitung. Das vorhandene Canalnetz ist nicht 
für die Aufnahme von Fäcalien bestimmt. Letztere wurden theils abgefahren, 
theils finden sie Unterkunft in Senkgruben. Für den Einfluss der Wasser¬ 
leitung auf das Verhalten der Cholera in Bombay sprechen zwei Thatsachen: 

1) dass seit Eröffnung der Leitung nur noch in den seltensten Fällen ein 
in der Stadt ansässiger Europäer von der Seuche hingerafft wird, 2) dass 
bei «örtlichen Ausbrüchen der Cholera, wie wiederholt beobachtet wurde, 
der Seuche zugängliches Brunnenwasser der Bevölkerung zum Genüsse 
ge«lient hatte. Bombay weist übrigens, wie schon in der Choleraconferenz 
hervorgehoben wurde, neben einander zwei verschiedene Bodenarten auf, 
welchen von anderer Seite besondere Bedeutung für die Cholera vindicirt 
worden ist, nämlich einen sehr fasten, wenig porösen Felsboden und einen 
iturchiässigen Alluvialboden. Das Verhalten der Cholera lässt nun aber in 
Bombay gar keine Abhängigkeit von der Bodenformation erkennen. — 

Am 4 . April verliess die Commission Bombay, um über Aden und Suez 
nach einem 8 tägigen Uebergangs-Aufentbalt in Egypten nach Europa zurück- 
zukehren. Ueber Brindisi und Venedig langte die Commission am 29. April 
in München an, um dort Herrn v. Pettenkofer einen Besuch abzustatten, 
und traf am 2. Mai nach mehr als achtmonatlicher Abwesenheit wieder in 
Berlin ein. 

XVI. Therapeutische Mittheilungen. 

Kin Wörtchen znr Frage der Diphtheriebehandlung. 

(Przeglad lekarski 1887. No. 1.) 

Autorreferat von Dr. v. Kaczorowski in Posen. 

Weit entfernt, die zahlreichen gegen die Diphtherie empfohlenen, in 
«len schwersten Infectionsfällen sich doch stets trüglich erweisenden Heil¬ 
mittel um ein neues bereichern zu wolleu, möchte ich vielmehr nur auf 
Einiges hindeuten, was man bei der Behandlung der Diphtherie lieber zu 
lassen hätte. 

Die Therapie der Diphtherie ist von vornherein dadurch auf Abwege j 
geleitet worden, dass Kehlkopfscroup mit Keblkopfsdiphtherie zusamineu- 
geworfen wurden. Die beiderlei Krankheiten gemeinsame Gefahr der Kehl- 
kopfsstenose forderte die Aerzte heraus, ihren Hauptangriff gegen die das 
Kefalkopfsinnere verlegenden falschen Membranen zu richten und alle er- ! 


«lenkliehen Mittel anzuwendeu, um diese Häute zu zerstören, zu lösen und 
herauszubefördern. Obwohl beide Krankheitsprocesse gegenwärtig vom 
anatomischen und wohl auch klinischen Standpunkt auseinander gehalten 
werden, indem dem Croup ein rein entzündlicher, der Diphtherie ein in- 
fectiöser zur Sepsis neigender Charakter zugesprochen wird, können doch 
Wenige sich der Versuchung erwehren, schon im Initialstadium der Diph¬ 
therie. wo die charakteristischen Beläge nur die Rachenorgane einzunehmen 
pflegen, die ersteren sofort auf das Energischste zu bekämpfen, und zwar 
hauptsächlich iu der Absicht, ihr Herunterkriechen nach dem Kehlkopf zu 
verhindern. 

Seit Verallgemeinerung der Anschauungen über die bacterielle Aetiologie 
auch dieser Krankheit werden gegen den vermeintlichen Diphtheriepilz aus 
«lern mikrobociden Arsenal alle Waffen der Reihe nach, wie sie von (lei- 
chirurgischen Tactik gegen Wundinfectionen erprobt worden, in den Kampf 
gebracht. Wenu nun aber die bisherigen bacteriologischen Forschungen 
ergeben, «lass das diphtherische Gift kein einheitliches ist, wenn schon 
Löffler ausser einem Bacillus auch Mikrococcen in den diphtherischen Ex¬ 
sudaten, später C'rooke und nach ihm Fraenkel und Freudenberg in 
der scarlatinösen Diphtherie solche als Streptococcus pyogenes Rosenbach 
charakterisirte Coccen aufgefunden, und zwar letztere auch in den infiltrirten 
Lymphdrüsen und inneren Organen an Diphtherie Gestorbener nachgewiesen 
haben, und diese Streptococcen als Vermittler einer seeundären Infection 
ansprechen, so wird man wohl unter Berücksichtigung der klinischen Er¬ 
scheinungen nicht irre gehen, wenn man auch für die idiopathische Diphtherie 
eine primäre diphtherisch«», membranbildende. und eine secundäre. septische 
Infection annimmt. 

Die erste, baeillöse Infection, kann wohl, so lange ihre Producte auf 
den Rachen beschränkt bleiben, keine direkte Gefahr heraufbeschwören, sie 
wird erst bedrohlich mit dem Heruntersteigen nach dem Kehlkopfe. 

Da nach den Thierexperimenten Löfflers die Uebertragung von 
Diphtheriebacillen auf gesunde Schleimhäute ohne nachtheilige Folgen 
bleibt, und nur an vom Epithel enthlössten Stellen die charakteristischen 
Beläge hervorruft, so dürfte man wohl, um die weitere Ausdehnung der 
Bacillen, vornehmlich nach dem Kehlkopf zu verhüten, richtiger zu Werke 
gehen, wenn man anstatt der üblichen Versuche, die fertigen Membranen 
zu zerstören oder zu entfernen, was ohne Schädigung der benachbarten, 
gesunden Epithelien schwerlich zu vollbringen wäre, alle Sorgfalt darauf 
verwendet, die angrenzenden Schleimhautflächen in ihrer Integrität zu er¬ 
halten. Die diphtherische Rachenmembran kann, wenu die Ooagulations- 
nekrose nicht über die Epitheldecke hinaus tiefer in’s Gewebe der Schleim¬ 
haut hineingreift, nicht nur ganz harmlos verbleiben, sondern sogar, wenn 
sie zusammenhängend und fest bleibt, einen Schutzmantel gegen die bevor¬ 
stehende, secundäre Invasion der Sepsis erregenden Streptococcen bilden. 

Noch neuerdings habe ich wieder einen derartigen Fall von Rachen¬ 
diphtherie hei einem 30jährigen Tapezierer zu beobachten Gelegenheit 
gehabt, welcher an Halsschmerzen mit geringer Störung des Allgemein¬ 
befindens erkrankt, aber wegen der ominösen Localaffection sofort der Anstalt 
überwiesen worden war. 

Beide Mandeln, Gaumenbögen und das Zäpfchen waren mit einer grau- 
weisslichen, festzusammenhängenden Membran auf stark geröthetem Schleim¬ 
hautgrunde bedeckt, die Unterkieferdrüsen massig geschwollen, die Temperatur 
gegen 39°, subjectives Befinden ausser Schmerzen beim Schlingen und 
Appetitmangel wenig alterirt. 

Ord.: ein Löffel 01. Ricini und Sol. Natrii chlorati (5,0) 500,0, 
Tr. Jodi 2,0 — alle , , , 4 Stunde '/a Esslöffel langsam gurgelnd herunter- 
zuschlucken. Am folgenden Tage nach mehreren ergiebigen Stuhlaus- 
leerungen Temperatur normal, der Belag der Ausdehnung nach unverändert, 

I nur auf den Mandeln etwas dünner erscheinend, die umgrenzende Schleim¬ 
haut weniger geröthet, die Unterkieferdrüsen weicher. Am dritten Tage 
fühlt sich Patient gesund und äussert Verlangen nach Entlassung, wird 
aber zurückgehalten, weil der diphtherische Belag noch fort besteht, aber 
ganz allmählich, wie ein schmelzendes Schneefeld, immer schmäler und 
dünner wird unter Zurücklassung ganz normaler Schleimhaut, der Art, dass 
der letzte Rest des Belages auf dem Zäpfchen erst am 7. Tage völlig 
verschwand. 

Ein so milder Verlauf der Rachendiphtherie begegnet uns selten, 
zeigt indessen, wie unnöthig es ist, gegen die diphtherischen Exsudate 
! selbst energisch vorzugehen. 

Gewöhnlich zerfallen die Beläge schnell und hinterlasscn je nach dem 
i Umfange und der Tiefe der voraufgegangenen Nekrose in Fläche und Tiefe 
j ausgedehnte putride Ulcerationen mit reactiver Entzündung der Ränder, 
an welchen schmutzig graue Anflüge sich immer wieder erneuern 

Der Streptococcus hat sein verheerendes Regiment begonnen, ver¬ 
geblich suchen ihn die strotzend sich infiltrirenden Lymphdrüsen der Hals¬ 
gegend aufzuhalten, er drängt in die Blutbahn und vergiftet innere wichtige 
Lebensorgane. Während bei plötzlich ausbrechenden Epidemieen die Krst- 
lingsfälle im Verlaufe weuiger Tage an der septischen Allgemeininfectiou 
oder durch Verlegung der Luftwege, jeder Therapie spottend, zu Grunde 
gehen, pflegen die später auftretenden und die Erkrankungen in grösseren 
Städten, wo das Krankheitsgift, wie hier in Posen fast nie ganz erlischt, 
und die Einwohner gewissermaassen an dasselbe acclimatisirt erscheinen, 
einen milderen Charakter anzunehmen und für unsere therapeutischen 
Maassregeln günstigere Chancen zu eröffnen. 

Für die Therapie der Diphtherie, als einer vorwiegend sich darstellen¬ 
den Mischinfection, würden sich demnach zwei Aufgaben ergeben: Die erste 
bestände in der Verhütung der Ausbreitung des exsudativen Processes auf 
die Luftwege, die zweite in der Bekämpfung der hinzutretenden septischen 
Infection. Zu ersterem Zwecke würde es darauf ankominen, die reactive 
Entzündung der fast ausschliesslich primär afficirten Rachensclileimhaut 
möglichst in Schranken zu halten, ohne an der diphtherischen Membran 
selbst irgendwie zu rütteln. 

Ohne den Werth nach der Haut ableitender, warm werdender Wasser- 


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98 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5 


Umschläge um den Hals, des häutigen Genusses eiskalten, sterilisirten oder 
Quellwassers in Frage stellen zu wollen, würde ich eiu viel grösseres 
Gewicht auf alltägliche leichte Purgiruug des Kranken, allerdings nur mit 
Hülfe des harmlos und sicher wirkenden Ricinusöls, legen, indem reich¬ 
lichere Darraausleerungen ganz entschieden die Hyperämie der Hachen¬ 
schleimhaut herabsetzen, ohne die schwächende Nebenwirkung der Blut¬ 
entziehungen zu äussern. Ferner wäre das ganze Krankheitsfeld, unter 
Umständen der ganze Nasenrachenraum recht häufig mit einer desinficirenden 
aber zugleich die Resistenzfähigkeit der Epithelzellen leicht anregenden, 
absolut ungiftigen Flüssigkeit zu berieseln, welche, um die tiefer gelegenen 
Rachentheile zu erreichen, langsam verschluckt event. durch die Nase ein¬ 
gespritzt werden muss. 

Zu diesem Zwecke würde sich ganz vorzüglich das vielfach angewandte 
chlorsaure Kali eignen, wenn nicht die Erfahrung, dass es in den hier 
erforderlichen grossen Quantitäten Yergiftungserseheinungeu hervorrufen 
könne, der Anwendung dieses Mittels ernstliche Bedenken entgegenstellte. 

Aus diesem Grunde ersetze ich dasselbe durch die oben erwähnte 
Jod-Kochsalzlösung, welche vor dem Kali chloricum noch den Vorzug hat, 
kein Brennen im Halse zu erregen und den Widerwillen gegen Nahrungs¬ 
aufnahme zu bekämpfen. 

Diese Lösung wird alle '/« Stunden zum halben bis ganzen Esslöffel 
gereicht, von Kindern gern genommen und ohne die geringsten schädlichen 
Nebenwirkungen Wochen lang gut ertragen. Unter dieser Behandlung habe 
ich in leichteren Fällen, wie in dem oben citirteu, entweder gar keinen 
nlcerösen Zerfall der Membranen eintreten, oder oberflächliche Ulcerationen 
ohne septische Allgemeininfectionen binnen einigen Tagen in Heilung über- 
gelieu gesehen. 

In schwereren Erkrankungsfällen mit putridem Zerfall der Localaffection 
und hereinbrechender Septhäraie werden nebenbei noch energischere Anti- 
septica zu versuchen sein, doch dürften hier ganz besonders nur der aro¬ 
matischen Gruppe angehörende Mittel am Platze sein, welche zugleich 
stimulirend auf die Herzthätigkeit einwirken und mit der Exspirationsluft 
ausgeschieden die Respirationsschleimhaut gewissermaassen desinficiren. 

Die in allen adynamischen Krankheiten bewährte Combination von 
Campher mit Benzoesäure lasse ich 1—2 stündlich in schwerem Ungarwein 
oder Cognac bis zum Nachlass der gefahrdrohenden Erscheinungen nehmen, 
und glaube, dass sie mindestens ebensoviel wie das Terpentinöl leistet, 
ohne den Magen und die Nieren zu behelligen. 

Vor Allem aber möchte ich in der Diphtheriebehandlung vor der An¬ 
wendung der Mercurialien, namentlich des in der Wundbehandlung leider 
noch so beliebten Sublimats warnen. In einer von vornherein zur Sepsis 
teudirenden Krankheit wie der Diphtherie sollte ein Mittel, welches, ab¬ 
gesehen von der Stomatitis, unter Umständen die gefahrdrohendste septische 
Entzündung des Darms zu erregen vermag, als ein zweischneidiges Schwert 
absolut perhorrescirt werden. 

Dass kräftige Ernährung der Patienten mit Milch und edlem Alkohol 
und stete Zuführung frischer Luft ohne Rücksicht der Jahreszeit bei einem 
so schweren Allgemeinleiden unerlässlich sind, glaube ich als selbstverständ¬ 
lich annehmen zu können. Eine Mortalitätsstatistik der so von mir be¬ 
handelten Diphtheriefalle wolle man mir erlassen, weil ich eine solche für 
den Werth einer Behandlungsmethode bei einer Krankheit von so wechseln¬ 
der lnteusität, wie der Diphtherie, nicht für maassgebend erachte. Fulminante 
Diphtheriefalle, welche wohl stets jeder Behandlung Hohn sprechen werden, 
sind mir höchst selten begegnet. Viele Hunderte von Mittelfällen, darunter 
auch ein Fall eines 4 jährigen Knaben, bei welchem unverkennbare An¬ 
zeichen von Kehlkopfsstenose zur Tracheotomie aufzufordern schienen, habe 
ich mit wenigen Ausnahmen in Heilung übergehen sehen 

Nachtrag. Es kann wohl als auffällig bezeichnet werden, dass bei der 
in letzter Zeit verallgemeinerten Richtung, die Diphtherie mit antiseptischen 
Mitteln zu behandeln, das Jod, dieses älteste, wenngleich früher unter 
anderer Firma geführte verhältnissmässig harmloseste und doch sehr that- 
kräftige Antibactericura so sehr ignorirt worden ist. Vielleicht dürfte diese 
Mittheilung neben den von Stepp und Zimmermann in dieser Wochen¬ 
schrift veröffentlichten Beobachtungen über die Behandlung der Diphtherie 
mit Jodkalium diesem alten Freunde zahlreichere Anhänger gewinnen. 


— Dr. C. Roese empfiehlt in dem Octoberheft der Therapeutischen 
Mittheilungen das Terpentinöl bei Diphtherie, nachdem er GO Fälle damit 
behandelt hatte. Er hatte ca. 5 °/o Todesfälle. Das Terpentinöl wurde 
theelöffelweise gegeben, drei Mal täglich. Als (’orrigens wurde Spirit, 
aether. 1 g auf 15 g Terpentinöl benutzt; daneben gab Roese 2stündlich 
1 Esslöffel einer 2 o/o Lösung von salicylsaurera Natr.; ausserdem wandte 
er Eisblase an und Gurgelungen mit 1 o/„ warmer Lösung von chlorsaurem 
Kali. Die subjectiven und objectiven Erscheinungen nahmen bei dieser 
Therapie ab. Erstickungsgefahr trat nur in einem Falle auf und damit 
die Nothwendigkeit der Tracheotomie. Pinselungen wurden nicht ange¬ 
wandt. Bei Anämischen, Decrepiden und Zuckerkranken geschah dieTerpentiu- 
ölverabreichung mit grosser Vorsicht. In allen Fällen daneben eine robo- 
rirende Diät. Nach Eintreten der Fieberfreiheit und nach Besserung der 
localen Erscheinungen wurde das Terpentinöl ausgesetzt. Gewöhnlich ge¬ 
nügten 15—20 g; es wurden aber in einzelnen Fällen 60 g nöthig. In- 
toxieationen sind uie beobachtet worden. Gr. 

— T. Chazeaud giebt bei Phthisis mit gutem Erfolge das Morrhool, 
eine Mischung von braunem Leberthran mit 90%igem Alkohol. Appetit, 
Körpergewicht und Harnstoff sollen danach steigen, der Husten abnehmen. 
Ferner empfiehlt er dasselbe Medicament gegen Scrophulosis und Rhachitis. 
Es darf nur in Kapseln genommen werden. Chazeaud giebt 2—4 Kapseln 
(während der Mahlzeit) für Kinder von 12—15 Jahren, 6—8 Kapseln für 
Erwachsene. 8 Kapseln entsprechen ungefähr 50 g braunem Leberthran. 
Nach reichlicher Dose tritt zuweilen Akne. auf. (These de Paris 1887.) 

Gr. 


XV. Anton de Bary. 

Von Prof. Dr. Ferdinand Cohn in Breslau. 

Die Zersplitterung der Wissenschaft in einzelne Disciplinen, 
welche in der Gegenwart durch die unübersehbar augewachsene Masse 
des Materials geboten ist, hat zur Folge, dass selbst unter den um 
ihr Specialfach hochverdienten Gelehrten die meisten nur von dem 
engen Kreise der Fachgeuosseu gewürdigt werden, und es ist nur 
wenigen von den ersten Meistern gegeben, dass ihr Name zu uni¬ 
verseller Berühmtheit sich erhebt, uud dass ihr Scheiden als schwerer 
Verlust von der gesammteu wissenschaftlichen Welt betrauert, wird. 
Zu diesen Meistern gehörte der am 19. Januar d. J. gestorbene 
Professor der Botanik in Strassburg, Anton de Bary. 

Frankfurt a. M. zeichnet sich unter den deutschen Städten, 
die keine Universität besitzen und ihre Blüthe überwiegend commer- 
ciellen und industriellen Unternehmungen verdanken, durch die un¬ 
gewöhnlich grosse Zahl hervorragender Naturforscher aus, die aus 
ihm hervorgegangen sind. Auch Anton de Bary ist ein Frank¬ 
furter Kind, geboren am 26. Januar 1831 als Sohn eines angesehenen 
Arztes, 1 ) in dessen Hause die Naturwissenschaft fördernde Pflege 
fand. Das Seukenberg'sche Institut bildet den anregenden Mittel¬ 
punkt für die medicinischen und naturwissenschaftlichen Bestrebungen 
in Frankfurt, und hat es verstanden, stets Lehrer ersten Ranges 
an sich zu fesseln; unter diesen gewann der Lehrer der Botanik. 
Georg Fresenius (1808—1866) einen bestimmenden Einfluss auf 
den jungen de Bary, indem er ihn nicht blos in die Flora der 
Heiraath einführte, sondern ihm auch für jenes Lieblingsstudium 
der mikroskopischen Organismen, insbesondere der niedersten Algen 
und Pilze, nachhaltiges Interesse eiuflösste. In den Jahren 1849/50 
besuchte A. de Bary die Universitäten Heidelberg und Marburg 
als angehender Mediciner, und begab sich dann nach Berlin, wo er 
am 30. Mai 1852 auf Grund seiner Inauguraldissertation „De plau- 
tarum generatione* zum Dr. med. promovirt wurde, Schon die 
Wahl des Themas beweist, dass de Bary, während er sich zum 
praktischen Arzte vorbereitete, doch die Botanik nicht aus den 
Augen verloren hatte, in der That war es ein Botaniker, der un¬ 
vergessliche Alexander Braun, der, im Jahre 1852 nach Berlin 
berufen, ihn dort vor allen angezogen hatte. Es war nicht blos 
das universelle Wissen, die mit philosophischer Vertiefung gepaarte 
Gewissenhaftigkeit in der empirischen Beobachtung des Grossen 
wie des Kleinsten, sondern vor allem das selbstlose Aufgehen in 
der Erforschung der Natur, welche de Bary an diesen seinen Lehrer 
fesselten. 

Nach Beendigung der Universitätsstudien versuchte sich 
de Bary, nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt. eine kurze Zeit in 
der ärztlichen Praxis; doch schon nach einem Jahre war er zu der 
l’eberzeugung gelangt, dass er zum akademischen Lehrer, zum 
Botaniker geboren sei. Im Frühjahr 1854 habilitirte er sich als 
Privatdocent der Botanik in Tübingen, an der Seite von Hugo 
v. Mohl, dem Begründer der modernen Pflanzenanatomie, dem er 
dann nach dessen im Jahre 1872 erfolgten Tode einen warm em¬ 
pfundenen Nachruf in der Botanischen Zeitung widmete. 

Die akademische Laufbahn de Bary’s war vom Glück begün¬ 
stigt; schon im Herbst 1855 erhielt er, 24 Jahre alt, einen Ruf als 
ausserordentlicher Professor nach Freiburg i. Br.; 4 Jahre später 
wurde er daselbst Ordinarius und Direktor des Botanischen Gartens, 
nachdem er von der philosophischen Facultät zum Ehrendoctor er¬ 
nannt worden war; er bekleidete diese Stellungen bis 1867, wo er 
als Nachfolger von Schlechtendal nach Halle a. S. berufen wurde. 

Als 1872 die neu begründete Kaiser Wilhelms-Universität in 
Strassburg die ersten Lehrer Deutschlands in sich zu vereinigen 
suchte, erhielt de Bary den Ruf als Professor der Botanik da¬ 
selbst; er war nicht, nur der erste Rektor der jungen Hochschule 
(2. November 1872—1873), sondern widmete derselben auch fortan 
als wissenschaftlicher Beirath des eng befreundeten Curators Ledder¬ 
hose eine hingehende, auch in praktischer Thätigkeit sehr be¬ 
währte Fürsorge; als er im Frühjahr 1887 unter dem Eindruck der 
während der Wahlbeweguug gegen die Strassburger Universität er¬ 
hobene^ Angriffe sich geneigt zeigte, einem ehrenvollen und vor- 
theilhaften Ruf nach Leipzig Folge zu leisten, sprach sich in allen 
Kreisen die Ueberzeugung aus, dass mit jenem Fortgang die Uni¬ 
versität einer ihrer Leuchten beraubt, von ihrer Höhe herunter¬ 
steigen und zu einer Provinzialhoclischule herabsinken werde. 
Durch die persönliche Vermittelung des Fürsten-Statthalter wurde 
de Bary, wie der gleichzeitig nach Heidelberg berufene berühmte 
Staatsrechtslehrer Laband bestimmt, auf diesen Ruf, wie nicht 
minder auf die ihnen dafür von Strassburg angebotene Entschädigung 
hochsinuig Verzicht zu leisten. Bei einem Banquet, welches die 
Lehrerschaft im Mai zu Ehren der beiden Collegen gab, hielt 

') Ein Bruder weilt als Arzt in Frankfurt, eine Schwester ist die 
Wittwe des berühmten Gynäkologen Spiegel Iterg. 


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Februar. 


I » E rTsr 11 E M K r * I r I X istTTK \v«M *1 1 K XSt ■ 11 RI KT . 


»I»' Bary eine HecL-, welche durch ihre mannhafte und doch vor- | 
sohnende Haltung unverlöschlichen Eindruck machte und ihn als i 
Mensch eben so hoch stellte, wie als Lehrer und Forscher. Doch [ 
ni<ht lange sollte de Bary der Hochschule, die er mit in's Leben 
gerufen und deren Weltruhm er begründen half, erhalten bleiben. I 
Als im September 1887 die British Association for the advaneement | 
.*f science ihr Meeting io Manchester im Anschluss an die Jubiläums¬ 
feier der Königin Victoria zu einer besonders glanzvollen inter- . 
nationalen Naturforscherversammlung gestalten wollte und deshalb 
Einladungen an die hervorragendsten (ielehrteu aller Länder hatte 1 
ergehet» lassen, begab sich auch de Bary nach England, ln Man- | 
ehester war er der Mittelpunkt der Huldigungen, mit denen seine 
zahlreichen englischen Schüler den verehrten Meister umgaben: I 
noch bei dem letzten Banquet, welches der Maire von Manchester j 
den Mitgliedern der Versammlung gegeben, ward ihm der Toast im 
Namen der ausländischen Gäste übertragen. Von Manchester begab 
sich de Bary nach Kew. in dessen altberühmtem botanischen Garten | 
er sich von der Erschöpfung, welche die Theilnahme an der Ver- J 
'ammlung ihm gebracht, zu erholen hoffte; doch Zahnschmerzen, 
unter denen er schon in Manchester schwer zu leiden hatte, stei¬ 
gerten sich hier derart, dass er ohne Rast nach Frankfurt zurück¬ 
kehrte; hier stellte sich leider heraus, dass der Sitz des Uebels 
tiefer lag; eine Operation konnte die Entwickelung eines Sarkoms ! 
in der Oberkieferhöhle nicht aufhalten, das schliesslich nach dem 
Gehirn durchbrach; nach viermonatliehem Leiden, während dessen 
unerträgliche Schmerzen mit Bewusstlosigkeit wechselten, wurde er 
am 19. Januar durch den Tod erlöst. 

I)e Bary’s Wirksamkeit als akademischer Lehrer war eine 
ausserordentlich glänzende und erfolgreiche. Schon unter den be¬ 
schränkten Laboratoriumseinrichtungen, die ihm Freiburg und Halle 
darboten, hatte der Ruf seiner Forschungen Schüler aus allen Län¬ 
dern der alten und neuen Welt heraugezogen, welche er als Mit¬ 
arbeiter an seinen eigenen Untersuchungen theilnehmen Hess oder 
za selbstständigen Arbeiten schulte und anleitete. In Strassburg 
musste er sich durch einige Jahre mit einem provisorischen Institut 
und dem alten botanischen Garten behelfen, der mitten in der Stadt 
gelegen, die Gräber rnehrer hundert während der Belagerung ge¬ 
storbener Einwohner aufgenommen hatte. Um so grossartiger sind 
das neue botanische Institut mit seinen reichen Baumanlagen und 
«ler botanische Garten mit prachtvollen Gewächshäusern, welche 
de Bary in’s Dasein rief, Musteranstalten, wie sie kaum eine zweite 
Deutsche Universität besitzt, de Bary hat an den verschiedenen 
Stätten seiner Lehrthätigkeit eine Schule herangebildet, aus der 
nicht nur zahlreiche hervorragende Deutsche Forscher, uuter ihnen 
auch der jetzt nach Berlin als Nachfolger von Eichler berufene 
Graf zu Solms Laubach, sondern auch eine grosse Anzahl 
russischer, polnischer, ungarischer, englischer und amerikanischer 
Botaniker hervorgegangen sind, welche jetzt in ihren Heimathländern 
die akademischen Lehrstühle besetzeu; ja man kann sagen, dass die 
botanischen Forschungen, die in den letzten Jahrzehnten in den 
ausserdeutschen Ländern zur erfreulichen Bliithe gelangt sind, ihren 
Ausgangspunkt in der Schule de Bary’s gehabt haben. 

Einen bedeutenden Einfluss auf die Entwickelung der Botanik 
übte de Bary durch die Botanische Zeitung, die von Mohl und 
Sch lechfeudal begründet, und deren Redaction er von 1867 bis I 
zu seinem Tode geführt hat; während dieser Zeit hat die Botanische 
Zeitung durch die sorgsame Auswahl bei der Aufnahme der Original¬ 
arbeiten. durch die allseitige Berücksichtigung der Literatur, wie 
durch die oft schneidige, doch nie persönliche Haltung der Kritiken, 
von denen nicht wenige aus de Bary’s eigener Feder geflossen, 
dazu beigetragen, die wahre Wissenschaft auf dem Gebiete der 
Pflauzenforschung zu pflegen uud zu fördern. 

de Bary’s eigene Arbeiten haben nach zwei ganz verschiedenen 
Richtungen der Wissenschaft neue Bahnen gebrochen, auf dem Ge¬ 
biete der vergleichenden Anatomie der höheren Pflanzen und auf 
•lern der niedersten Pilze und Algen; sie galten ohne Ausnahme 
als klassisch; de Bary ist einer der wenigen Naturforscher, der nie 
in die I>age gekommen ist, eine von ihm veröffentlichte Bearbeitung 
als unrichtig, eine von ihm gezogene Schlussfolgerung als übereilt 
zurnckzunehmen. 

Im fünften Decenniuui unseres Jahrhunderts wurde die Lehre 
von der Pflanzeuzelle vorzugsweise durch Deutsche Forscher mit I 
Hülfe des verbesserten Mikroskops aufgebaut und als Grundlage für ' 
den Bau und das Leben der Gesamiutpflanze anerkannt, ln den ! 
niedersten AJgen wurde ein für das Studium des Zellenlebens be¬ 
sonders günstiges Material erkannt und durch die Erforschung ihrer I 
Entwickelungsgeschichte eine ganze Reihe neuer überraschender 
Thatsachen durch Unger, Kützing, Alexander Braun, Thuret. 
und Pringsheim an’s Licht gestellt. Auch de Bary lieferte durch 
sein 1856 veröffentlichtes Buch „Untersuchungen über die Familie 
der Conjngaten 14 . wie durch Arbeiten über Keimung der Rivularien 
und Charen höchst werthvolle Beiträge zur Entwickelung der Algen. 


99 

Seit 1850 wurden die Pilze, die bis dahin nur mit der Lupe 
oder mit ungenügenden Mikroskopen beobachtet worden waren, mit 
den vervollkommneten Methoden der modernen Wissenschaft un¬ 
tersucht. Der Anstoss ging aus von Frankreich, wo L. G. Tu¬ 
las ne zuerst die Entwickelungsgescliielite einer Reihe von Pilzen 
von der Keimung bis zur Sporenbildung festgestellt, und den Nach¬ 
weis geführt hatte, dass bei den Pilzen nicht selten eine und die¬ 
selbe Species eine ganze Anzahl sehr verschiedener Fortpflauzungs- 
weisen besitzt, die man früher wohl für verschiedene Arten und 
sei bst Gattungen gehalten hatte. Er zeigte, dass insbesondere die meisten 
Schimmelpilze die man bis dahin in eine besondere ('lasse des 
Pilzsystems, als Fadenpilze oder Hyphomyccteu zusammengestellt 
hatte, in Wahrheit nur unvollkommene Fruetificationeu (Conidieu) 
von Pilzen darstellen, welche später echte Früchte erzeugen, und 
daun zu den Kernpilzen (Pyrenomyceteu) gerechnet werden. Indem 
de Bary die von Tulasne eiugeschlagene Bahu mit noch gründ¬ 
licherer Methode verfolgte, vertiefte und befestigte er die neue Lehre 
vom Polymorphismus der Pilze durch eine Reihe meisterhafter Un¬ 
tersuchungen, über welche, bei der Bedeutung, welche die Pilzkunde 
für die Aetiologie der Krankheiten auch beim Menschen gewonnen 
hat, hier eiu etwas eingehenderer Bericht gestattet sein mag. Einen 
Tlieil seiner Untersuchungen hat de Bary in Gemeinschaft mit 
seinem Petersburger Schüler Woronin 1862—1870 in den Schriften 
des Senkenberg’schen Instituts veröffentlicht; hier führte er den 
Nachweis, dass der bekannte Schimmelpilz Aspergillus, von dem 
auch pathogene Arten im äusseren Gehörgang und in den Luftwegen 
gefunden wurden, eine zweite Fruchtform besitzt, die man früher 
als selbstständige Gattung Eurotium bezeichnet hatte, und bei deren 
Erzeugung eine Art sexueller Copulatiou mitzuwirken scheint. 
Aehnliche anscheinend sexuelle Vorgänge wurden von ihm auch bei 
der Fruchtbildung anderer Kernpilze entdeckt. Dagegen wurde er¬ 
mittelt, dass bei dem echten Rebenmehlthau (Oidiuin Tuckeri), der 
einige Jahrzehnte hindurch die Weinberge Süd-Europas verheerte, 
jetzt aber durch den nicht minder verderblichen nordamerikanischen 
falschen Rebenmehlthau Peronospora viticola verdrängt wird, eine 
angebliche zweite Fruchtform (Cincinobolus) von einem parasitischen 
Schimmelpilz hervorgerufen wird, der sich in die Fäden des Reben¬ 
mehlthau ein nistet. 

In dieses Gebiet fallen auch die Untersuchungen über insecteu- 
tödtende Pilze, welche de Bary in der Botanischen Zeitung 1867 
raittheilte. Er wies nach, dass der Schimmelpilz Botrytis oder 
Isaria Bassii, welcher im dritten und vierten Deccnnium dieses 
Jahrhunderts die Seidencultur Süd-Europits dem Untergang nahe 
brachte, indem er eine als Muscardine bekannte Epidemie unter den 
Seidenwürmern hervorrief, nur die Conidien eines auch unsere ein¬ 
heimischen Raupen heimsuchenden Kernpilzes (Cordiceps) darstellt; 
als feinster Staub senken diese Conidien sich aus der Luft auf die 
Haut der Raupen, auskeimend durchbohren sie dieselbe mit ihren 
dünnen Mycelfäden, die im Innern sich ausbreiten und die Einge¬ 
weide umspinnen, um schliesslich, nachdem sie das Thierclien ge- 
tödtet, sich wieder nach aussen zu drängen und fructificirend ver¬ 
derblichen Conidienstaub von neuem von sich zu streuen. 

Nicht minder bedeutungsvoll waren die Entdeckungen de Bary's 
über die Rost- und Brandpilze. (Schluss folgt) 

XVI. Siebzehnter Congress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. 

Der siebzehnte Congrcss der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 
findet vom 4. bis 7. April d. J. in Berlin statt. 

Ihm geht voraus am 3. April, Abends 7 Uhr, in dem Saale der Phil¬ 
harmonie (SW. Bemburger Strasse 22a/23 part., nahe dem Anhalter Bahnhof) 
eine gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der 
Berliner medicinischen Gesellschaft beschlossene Todtonfeier für den ver¬ 
storbenen Ehrenpräsidenten der Gesellschaft Bernhard von Langen- 
beck. Die Einladungen zu derselben werden den Mitgliedern noch be¬ 
sonders zugehen. 

Die Begrüssuug der zum Congresso sich versammelnden Mitglieder 
findet am 3. April, Abends von 9 Uhr ah im Hotel du Nord (Unter den 
Linden 35) statt. Ihr reiht sich eine Sitzung des Ausschusses zur Auf¬ 
nahme neuer Mitglieder an. 

Die Nachmittagssitzungen werden am 4. April, Mittags von 12 bis 
4 Uhr, an den anderen Tagen von 2 bis 4 Uhr in der Aula der Königlichen 
Universität, die für Demonstrationen von Präparaten und Krankenvorstellung 
bestimmten Morgensitzungen von 10 bis I Uhr im Königl. Universitäts- 
Klinikum abgehalten. 

In den Morgensitzungen vorzusleilende, von auswärts kommende Kranke 
können im Königl. Klinikum (Berlin, N., Ziegelstrasse No 5 — 9) Aufnahme 
finden, Präparate, Bandagen, Instrumente u. s. w. ebendahin gesandt 
werden. 

Am letzten Sitzuugstage des zwölften Congresses wurde der Beschluss 
gefasst (s. Protocolle p. 106), dass die Themata der zur Discussion 
sich eignenden Vorträge und Mittheilungen zuvor au den Vor¬ 
sitzenden eingesandt und demnächst allen Mitgliedern kundgegeben werden 
sollten. 


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100 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Ankündigungen von Vorträgen, Miltheilungon und DonionstrHtioucn 
sind bis zum 15. März dom .ständigen .Schriftführer, Herrn (ich. Med.-Rath 
und Prof. Dr. Gurlt (W., Keithstrasse No. 6) einzurcicho» und dabei an¬ 
zugeben, ob die Vorträge in den Vormittagssitzungeii (Klinik) oder in «len 
Nachinittags.sitzungcn (Aula) gehalten worden sollen. 

In den Sitzungen des sechszchntcn Congresses (Prutocoll p. 4) ist 
folgender Beschluss gefasst worden: 

„Her Vorsitzondo wird auf die Dauer eines Jahres gewählt. Die 
Wahl ist immer eine Zettel wähl. Mitglieder der (lescllschaft, welche 
verhindert sind an den Sitzungen des Congresses thoilzunehinen, müssen 
aber in diesem Falle dio abgegebenen Zettel mit ihrer Unterschrift vor¬ 
sehen, während die anwesenden Wähler ihre Zettel nicht zu unter¬ 
schreiben brauchen. Die Wahl des Vorsitzenden findet am dritten 
Sitzungstage des Congresses im Voraus für die nächste Sitzungsperiode 
statt. ‘ 

Das gemeinschaftliche Mittagsmahl findet am Donnerstag, den 5. April, 
um 5 Uhr Abends im Hotel du Nord statt. Für die Theilnehmer wird ein 
Bogen zur Einzeichnung der Namen am 3. April Abends im Hotel du Nord 
und am 4. April Mittags in der Sitzung ausliegen. 

XVII. Siebenter Congress für innere Medicin. 

Der 7. Congress für innere Medicin findet vom 9. bis 12. April 1888 
zu Wiesbaden statt. Das Präsidium desselben übernimmt Herr Leube 
(Würzburg). Folgende Themata sollen zur Verhandlung kommen: 

Montag, den 9. April: Die chronischen Herzmuskelerkran¬ 
kungen und ihre Behandlung. Referenten: Herr Oertel (München) 
und Herr Licht heim (Bern.) 

Dienstag, den 10. April: Der Weingeist als Heilmittel. Refe¬ 
renten: Herr Binz (Bonn) und Herr v. Jaksch (Graz.) 

Mittwoch, den 11. April: Die Verhütung und Behandlung der 
asiatischen Cholera. Referenten: Herr Cant an i (Neapel) und Herr 
August Pfeiffer (Wiesbaden.) 

Folgende Vorträge sind bereits angemeldet: Herr Rumpf (Bonn): 
lieber das Wanderherz.— Herr Unverricht (Jena): Experimentelle Unter¬ 
suchungen über den Mechanismus der Athembewegungon. — Herr Lieb¬ 
reich (Berlin): Thema Vorbehalten. — Herr Adamkiewicz (Krakau): 
Ueber coinbinirte Degeneration des Rückenmarkes. — HerrJaworski (Kra¬ 
kau): Experimentelle Beiträge zur Diätetik der Verdauungsstörungen. — 
Derselbe: Thema Vorbehalten- — Herr Stiller (Budapest): Zur Therapie 
des Morbus Basedowii. — Derselbe: Zur Diagnostik der Nierentumoren. 


XVm. Sechzehnter Deutscher Aerztetag. 

Der Geschäftsausschuss des Deutschen Aerztevercinsbundes 
hat für den am 17. September in Bonn tagenden XVI. Aerztetag folgende 
vorläufige Tagesordnung festgesetzt: 1) Kunstfehler der Aerzte. Dis- 
mssiou übor die von Dr. Dcneke (Flensburg) dem XV. Aerztetage vorge- 
legton Thesen. 2) Bericht der Commission zum Krankenversiche- 
rungsgesetz. 3) Referat über die für den ärztlichen Stand wichtigen 
Punkte aus dem Gesetzentwurf betreffend die Alters- und Invaliden¬ 
versorgung der Arbeiter. 4) Referat über die nächsten gemein¬ 
samen Aufgaben der ärztlichen Standesvertretungen in den 
einzelnen deutschen Bundesstaaten. — Inzwischen ist am 18. Januar dem 
Buudesrath und dem Reichstage die im Aufträge des Geschäftsausschusses 
bearbeitete Denkschrift betreffend die Zulassung von Laien (Curpfuschem) 
zu der, Krankenkassenmitgliedern auf Grund des Gesetzes betreffend die 
Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 obligatorisch zu ge- j 
währenden freien „ärztlichen“ Rebandlung überreicht worden. Die Denk¬ 
schrift ist gleichzeitig auch dem Reichsamt des Innern mit der Bitte über¬ 
geben worden, sie zur Kenntniss der Commission zu bringen, welche beauf¬ 
tragt ist, das Material für eine künftige Revision des Krankenversicherungs¬ 
gesetzes zusammenzustellen. Bezüglich des Wortlautes der Denkschrift 
verweisen wir auf die No. 189 des Aerztlicheu Vereinsblattes vom Januar 
1888, p. 3. 

XIX. Zehnte Versammlung der Balneologi- 
schen Section der Gesellschaft für Heilkunde. 

Die zehnte öffentliche Versammlung der balneologischen Section der 
Gesellschaft für Heilkunde in Berlin wird unter dem Vorsitz des Herrn 
Professor Liebreich am 10. u. 11. März c. im Hörsaale des pharmakolo¬ 
gischen Instituts stattfinden. 


XX. Elleine Mittheilungen. 

— Berlin. Geh. Rath Prof. Dr. Virchow wird Anfang Februar in 
Begleitung Schliemann's eine Reise nach Ober-Egypten antreten und 
erst im Mai d. J. zurückkehren. 

— Die von der Berliner medicinischen Gesellschaft unddem Vor¬ 
stande der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie vorbereitete Langen- 
beck-Gedenkfeier wird am 3. April d. J. im Saale der Philharmonie 
stattfinden. Die Feierlichkeit, welche am Abend veranstaltet werden soll, 
wird aus der Aufführung von Mozart’s Requiem und aus einer Gedächt¬ 
nisrede bestehen. Das Requiem wird von dem philharmonischen Orchester 
und dem Chor der Hochschule zur Ausführung gebracht. Die Gedächtnis¬ 
rede wird Geh.-Rath Professor v. Bergmann halten. 

— Bonn. Am 27. Januar beging die medicinische Faeultät das 
25jährige Docentenjubiläum der Herren Geheimräthe Professoren DDr. 
Binz, Doutrelepont, Saemisch durch einen ausserordentlich zahlreich * 
besuchten „Gommers im Hähnchen“. Ausser dem Lehrkörper der Faeultät , 


So. 5 

und den Studiroudeu waren dor Curator Geheimrath (raiidlfier, der Rertor 
Gehoimnith Schönfeld und zahlreiche Aerzto erschienen. Hin/, habilitirte 
sich am 31. Juli 1862 für innere Medicin, Doutrelepont am 7. August 
1863 für Chirurgie, Saemisch am 15. Decorabcr 1862 für Augenheilkunde. 
Zuiu Extraordinarius wurde Binz am II. April 1868 befördert und ihm 
zugleich dio Direktion des pharmaceutischen Apparates übertragen. Seine 
Ernennung zum Ordinarius für Pharmakologie erfolgte am 12. April 1873. 
Doutrelepont wurde Extraordinarius am 24. Mai 1869 und Direktor der 
Klinik für Hautkrankheiten und Syphilis am 5. Mai 1882. Saemisch 
wurde zum Extraordinarius ernannt am 9. März 1867, zum Ordinarius am 
9. April 1873 und zum Direktor der Augenklinik im Sommer 1873. 

— Breslau. Die Acrztckammer für die Proviuz Schlesien 
wurde am 14. d. M. durch den Oberpräsidenten Dr. von Soydewitz 
eröffnet. Zum Vorsitzenden wählte dieselbe den Geh. Med.-Rath Professur 
Dr. Foorstor, zum stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Th. Körner- 
Breslau und zu weiteren Mitgliedern des Vorstandes Dr. A nton-Schw'eid- 
nitz, Dr. Szmula-Zabrze, Dr. Kraus-Liegnitz, Dr. Noack-Oppcln, 
Dr. Wagne r-Königshütte. Als Deputirter für die Wissenschaftliche Depu¬ 
tation für das Medicinalwescn wurde der Vorsitzende und als dessen Stell¬ 
vertreter Dr. Wagner-Königshütte gewählt. 

— Wien. Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften hat be¬ 
schlossen, dem Privatdocenten au der deutschen Universität in Prag und 
Vorstand der Poliklinik, Dr. J. Singer, zur Fortsetzung seiner Arbeit 
„Ueber den Bau und die Verrichtung des Centralnervensystems“ eine Sub¬ 
vention zu bewilligen. 

— Zürich. Der ordentliche Professor der Geburtshülfe und Gynä¬ 
kologie Dr. F. Frankenhäuser tritt in don Ruhestand. Wie wir hören, 
ist an seine Stelle der Privatdocent an der Berliner medicinischen Faeultät 
Dr. W y d e r berufen worden, der diesen Ruf angenommen und infolgedessen 
die Berufung nach Dorpat abgclehnt hat. , 

— Paris. Das Lehrercollegium der Ecole d'anthropologie setzt 
sich, nachdem nach dem Ableben von Professor Daily zwei neue Lehr¬ 
stühle creirt. sind, wie folgt zusammen: Embryologie und Anthropogenie: 
Prof. M. Duval; Allgemeine Anthropologie: Topinard; praehistorische 
Anthropologie: G. de Mortillet; Ethnographie und Linguistik: A. Hove- 
lacque; medicinische Geographie: Bordier; Geschichte der Civilisation: 
Letourneau; physiologische Anthropologie: Manouvrier: zoologische 
Anthropologie: G. Herve. 

— Der III. Französische Chirurgencougress wird vom 12. bis 
17. März unter dem Vorsitz von Verneuil in Paris tagen. Als Themata 
; für die Hauptdiscussionen sind ausgewählt worden: 1) Behandlungsmethoden 
von Schusswunden der Eingeweidehöhlen: 2) Werth der Radicaloperation der 
Hernien mit Bezug auf die definitive Heilung; 3) Chronische Pleuraexsudate 
und ihre operative Behandlung; 4) Recidive operirter Neubildungen, ihre 
Ursachen und Prophylaxe. 

— Der XVII. Congress der Association franvaise pour Pavau- 
cernent des Sciences wird vom 29. März bis 3. April in Oran tagen. 

— Lyon. Der französische Kriegsminister beabsichtigt der Kammer 
eine Gesetzvorlage zu unterbreiten, betreffend die Errichtung einer 
medicinischen Akademie zur Ausbildung von Militärärzten 
in Lyon. 

— London. In England ist eine Laryngologische Gesellschaft 
in der Bildung begriffen mit Morell Mackenzie an der Spitze. Wir 
I gehen wohl nicht fehl, wenn wir die neue Gesellschaft als eine Art Gegen¬ 
mine gegen die neugebildete Section für Laryngologie der British medical 
Association betrachten, zu deren Vorsitzendem mit Uebergehung Morell 
Mackenzie’s Dr. Felix Semon gewählt wurde. 

— New-York.. Dem berühmten Gynäkologen J. Marion Sims soll 
in New-York ein Denkmal gesetzt werden. 

— Zur medicinischen Publicistik. In Budapest erscheint unter 
der Redaction von Dr. A. Szenässy ein neues medicinisches Fachblatt 
„Honvedorvos“ (der Honvedarzt), das den Interessen des honvedärztlichen 
Corps gewidmet ist. 

, — Von dem Index Catalogue of the Library of the Surgeon- 

: Generals Office, United States Army, ist der VIII., 1080 Seiten umfassende 
1 Band erschienen. Wir haben wiederholt auf diese monumentale, unter der 
. Leitung von J. S. Billings entstehende Bibliographie der medicinischen 
Gesammtliteratur der civilisirten Welt hingewiesen und wollen, um einen 
ungefähren Anhalt, von dem Umfange derselben zu geben, nur anführen, 
dass der achte Baud, der die alphabetisch geordneten Titel von Legier 
bis Medicine enthält, nicht weniger als 13 405 Autorennamen, die 
| 5 307 Bände und 13 205 Brochuren repräsentiren, sowie 12 642 Titel von 
j Büchern und Brochuren und 24 174 Titel von Artikeln in periodischen 
Zeitschriften enthält. 

— Typhus. In Liegnitz herrscht eine Typhusepidemic, die eine 
so bedenkliche Verbreitung angenommen hat. dass die Regierung sich ver¬ 
anlasst gesehen hat, den Professor der Hygiene in Breslau, Dr. Flügge, 
als Experten an Ort und Stelle zu senden. 

— Universitäten. Rom. Ara 19. ds. Mts. wurde der Grundstein 
zu einer Poliklinik feierlich gelegt; Dr. Bacelli, Professor der mediciuischen 
Klinik hielt, die Festrede. — Pisa. Der ordentl. Professor der Physiologie 
an der medicinischen Faeultät zu Palermo wurde für die erledigte Professur 
der Materia medica und experimentellen Pharmakologie an der med. Faeultät 
in Pisa vorgeschlagen. 

XXI. Personalien. 

Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Gestorben: Dr. K. Arnold in Volkach. Dr. F. Weber in Regcus- 
burg. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag JW 6* 9. Februar 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteor Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


L Ueber Lungenentzündungen und Lungen¬ 
tuberkulose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

Die neueren Entdeckungen im Gebiete der Aetiologie, durch 
welche für eine Reihe von Lungenkrankheiten bestimmte Mikro¬ 
organismen als die einzige uud ausreichende Ursache der Krankheit 
nacbgewiesen wurden, haben unsere Kenntniss dieser Krankheiten 
wesentlich gefördert. Eine grosse Zahl von bisher offenen Fragen 
ist dadurch zum Abschluss gebracht worden. Gleichzeitig ist aber, 
wie dies bei jedem bedeutenden Fortschritt in der Erkenntniss zu 
geschehen pflegt, eine noch grössere Zahl von neuen Fragen hervor¬ 
getreten, deren Beantwortung zum Theil schwierig, zum Theil vor¬ 
läufig unmöglich ist Der Forschung sind neue Wege eröffnet, aber 
auch neue Ziele gesteckt worden, und die Lehre von den entzünd¬ 
lichen Processen und der Tubereulose der Lunge ist von neuem in 
eine lebhafte Gährung gebracht worden, bei welcher wohl noch 
längere Zeit erforderlich sein wird, bevor die erwünschte Abklärung 
der Anschauungen sich vollendet. 

Das Verhalten der Aerzte gegenüber diesen Entdeckungen, 
deren hohe Bedeutung von allen anerkannt wurde, ist ein verschie¬ 
denes gewesen. Manchen waren sie ganz unerwartet gekommen, 
und sie standen vielfach im Widerspruch mit den Vorstellungen, 
welche bisher einen scheinbar gesicherten Besitz gebildet hatten; 
es schien nicht wohl möglich, die neu gewonnenen Anschauungen 
mit den bisher festgehalteuen zu vereinigen, und so entstaud ein i 
gewisser, wenn auch meist nur ein passiver Widerstand. Andere 
dagegen nahmen die ueue Lehre voll und rückhaltlos auf; sie 
wareu der Meinuug, dass erst mit der neuen Einsicht in die Aetio- 
lnjne eine wissenschaftliche Erkenntniss der betreffenden Krauk- 
heiten begonnen habe, die bisherigen Anschauungen erschienen 
aatiquirt und wurden ohne Bedenken fallen gelassen; vielfach wurde 
auch die Tragweite der neuen Errungenschaften überschätzt, indem 
man glaubte, dem Ziele schon ganz nahe zu sein und für die Er- 
kenutniss und Behandlung dieser Krankheiten nur noch der bacterio- 
logischen Forschung zu bedürfen. So stehen einander gewisser- 
maassen zwei Parteien gegenüber. Die Conservativen, zu denen ein 
Theil der älteren Generation der Aerzte gehört, glauben das Alte 
dadurch retten zu können, dass sie sich gegen das Neue ablehnend 
verhalten; dagegen möchte die Partei des rücksichtslosen Fort¬ 
schrittes, welcher naturgeraäss vorzugsweise die Jugend angehört, 
um für das Neue Raum zu schaffen, einfach alles Alte unbesehen 
in die Rumpelkammer werfen. — Zwischen beiden aber steht noch 
eine dritte Partei, welche das Neue aufnimmt, ohne das bewährte 
Alte preiszugeben. Zu dieser Partei des conservativen Fortschrittes 
gehören unter Anderen alle diejenigen Aerzte, welchen die neuen 
Entdeckungen nicht unerwartet kamen, denen sie vielmehr Be¬ 
stätigungen waren für Voraussetzungen oder Verrauthungen, welche 
sie schon lange ihrer Auffassung der betreffenden Krankheiten zu 
Grunde gelegt hatten; vou diesen Aerzten war die Vorstellung, dass 
jene Krankheiten durch specifische Mikroorgauismen hervorgerufen 
werden, bereits seit langer Zeit anticipirt worden, durch den Nach¬ 
weis der Mikrobien wurde in den bisherigen Anschauungen nichts 
Wesentliches geändert, es brauchte nur, was bisher Hypothese ge¬ 
wesen war, als Thatsache hingestellt zu werdeu, und die Einrei¬ 
hung dieser Thatsache in den Kreis der bisherigen Anschauungen 
machte keinerlei Schwierigkeit, weil der Ptatz dafür gewissermaassen 
schon vorher besimmt und offen gehalten war. 


Es dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Partei 
des conservativen Fortschrittes die Zukunft gehört. Die Conserva¬ 
tiven werden auf die Dauer der Berücksichtigung der neuen Er¬ 
rungenschaften sich nicht entziehen können; und die Anhänger des 
rücksichtslosen Fortschrittes werden in der Praxis finden, dass die 
bacteriologische Forschung allein noch nicht die Mittel an die Hand 
giebt, um Kranke richtig zu beurtheilen und zweckmässig zu be¬ 
handeln, sie werden deshalb, so unbequem dies auch zuweilen sein 
mag, sich dazu verstehen müssen, auch noch alle die althergebrachten 
Hülfsmittel der Diagnose und Therapie sich zu eigen zu machen. 
Es werden sich somit Daturgemäss die beiden extremen Parteien 
allmählich immer mehr der Mittelpartei nähern und sich endlich 
an dieselbe anschliessen müssen. 

Vielleicht kann dieser Anschluss gefördert werden durch eine 
Darstellung, welche den Versuch macht, die bewährten alten An¬ 
schauungen heizubehalteu, aber sie mit dem Lichte der neueren Er¬ 
kenntniss zu erleuchten und zu durchdringen. Ich gebe im Fol¬ 
genden die Lehre von den Lungenentzündungen und der Lungen- 
tuberculose im wesentlichen in der Form, wie ich sie wiederholt 
und zuletzt im ersten Theile des laufenden Wintersemesters vor¬ 
getragen habe. Diese Vorträge waren zunächst für Lernende be¬ 
stimmt; daraus erklärt sich die einigermaassen dogmatische Form, 
bei der die Ansichten des Vortragenden im Vordergrund stehen, 
während abweichende Anschauungen zwar, soweit sie von Bedeu¬ 
tung scheinen, berücksichtigt und angeführt, aber nur kurz erörtert 
werden. 

Acute fibrinöse Pneumonie. 

Als acute fibrinöse Pneumonie bezeichnen wir diejenigen 
acuten Krankheiten der Lunge, bei welchen über grössere Lungen¬ 
abschnitte verbreitet ein gerinnendes Exsudat in die Limgenalveolen 
und die feinsten Bronchien ausgeschieden wird, welches die Luft 
aus den betroffenen Theilen verdrängt und dieselben in eine com¬ 
pacte Masse umwandelt, die in Betreff der Consistenz und Farbe 
eine oberflächliche Aehnlichkcit mit dem Gewebe der Leber hat 
(Hepatisation). 

In der Lunge kommen mancherlei verschiedenartig entzündliche Prozesse 
vor. Wenn man von Pneumonie ohne weiteren Zusatz redet, so pflegt 
man darunter die acute fibrinöse Pneumonie zu verstehen, wolche 
wegen des in die Lungeualveolen und die feinsten Bronchien abgesetzten 
gerinnenden Exsudats auch als croupöse Pneumonie bezeichnet wird. 
Und weil diese Entzündung gewöhnlich ganze Lungenlappen oder grössere 
Theile von solchen gleichtnässig ergreift, so wird sie auch als lobäre 
Pneumonie von den nur auf einzelne Lungenläppchen sich erstreckenden 
lobulären Entzündungen unterschieden. 

Die acute fibrinöse Pneumonie entsteht, wie houtigen Tages allgemein 
anerkannt ist, in der Regel durch Infectiou, und es ergiebt sich deshalb 
naturgemäss die Frage, weshalb sie nicht unter den Infectionskrankheiten 
abgehandelt werde. Es hat dies zunächst äusserliche praktische Gründe, 
indem es zweckmässig erscheint, die Symptomatologie der Pneumonie im 
Zusammenhang mit der Lehre von der Auscultation uud Percussion bei den 
Lungenkrankheiten abzuhandelu. Ausserdem aber ist der Begriff der 
Pneumonie nicht, wie der der übrigen Infectionskrankheiten, nach dem 
ätiologischen Eintbeilungsprincip gebildet, sondern nach dem pathologisch- 
anatomischen (vgl. Vorlesungen über spec. Pathologie und Therapie. Bd. I. 
Leipzig, 1885, p. 14), indem als acute fibrinöse Pneumonie alle Lungen- 
krankheiten zusammengefasst werden, bei welchen in acuter Weise ein 
fibrinöses Exsudat in das Lungengewebe ausgeschieden wird, ohne Rück¬ 
sicht darauf, welcher Art im einzelnen Falle die Aetiologie der Krankheit 
ist. Man hat zwar wiederholt versucht, uud es ist dies in hervorragender 
und klarer Weise durch J ürgensen geschehen, für die anatomische Krankheits¬ 
einheit auch eine ätiologische Einheit vorauszusetzen, indem man annahm, 
dass alle croupöseu Pneunionieen durch das gleiche Krankheitsgift hervor- 


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102 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 0 


gerufen und nur in ihrer Erscheinung durch besondere Umstände modificirt 
würden. Die neueren Forschungen haben aber ergeben, dass dieser Stand¬ 
punkt unhaltbar ist, dass vielmehr, wie ich schon seit langer Zeit aus den 
Verschiedenheiten des klinischen und des pathologisch-anatomischen Ver¬ 
haltens abgeleitet hatte, mehrere ätiologisch verschiedene Arten der 
croupösen Pneumonie unterschieden werden müssen. Und so ist der Aus¬ 
druck fibrinöse oder croupöse Pneumonie vorerst nur ein Sammelname, 
welcher alle Zustände umfasst, die pathologisch-anatomisch einander einiger- 
maassen ähnlich sind, obwohl sie durch specifisch verschiedene Mikrobien 
hervorgerufen werden. Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, diese ver¬ 
schiedenen Mikrobien näher zu erforschen und durch genauere Untersuchung 
der Verschiedenheiten des anatomischen und klinischen Verhaltens die da¬ 
durch bewirkten Störungen als besondere „Arten“ der Pneumonie unter¬ 
scheiden zu lernen. Was in dieser Beziehung schon jetzt sich feststellen 
lässt, wird bei der Darstellung der verschiedenen „Formen der Pneumonie“ 
zu erörtern sein. 

Die acute fibrinöse Pneumonie ist schon seit den ältesten 
Zeiten bekannt und gehörte von jeher zu den häufigen Krank- i 
heiten. Sie wurde bis zum Anfänge unseres Jahrhunderts gewöhn- ; 
lieh als Peripneumonie bezeichnet, indem man die Entzündung der j 
Pleura pulmonalis für den Ausgangspunkt der Krankheit hielt. | 
Eine genaue Unterscheidung von anderen entzündlichen Krankheiten , 
der Brustorgane war, weil die erforderlichen diagnostischen Hülfs- I 
mittel fehlten, nicht in genügender Weise möglich. Man hat zwar 
schon seit den Zeiten des Alterthums Pleuritis und Peripneumonie 
unterschieden, aber die Diagnose bestand in der Regel nur darin, 
dass man bei vorherrschendem Seitenstechen die Krankheit als 
Pleuritis, bei vorherrschenden Allgemeinerscheinungen als Peripneu¬ 
monie bezeichnete. Erst mit der Einführung der Auscultation und 
Percussion wurde eine sichere Unterscheidung möglich. 

Die Pneumonie ist über die ganze bewohnte Erde verbreitet 
und gehört überall zu den häufigsten acuten Krankheiten; in der 
Mortalitätsstatistik nimmt sie eine hervorragende Rolle ein und 
folgt unter den Todesursachen der Häufigkeit nach bald hinter der 
Lungenschwindsucht. 

In Betreff der Aetiologie haben wir zunächst zu unter¬ 
scheiden die primäre oder idiopathische Pneumonie, welche unab¬ 
hängig von einer anderen Krankheit auftritt, und die secundäre 
oder deuteropathische Pneumonie, welche als Folge einer anderen 
Krankheit, z. B. des Typhus, der Maseru, der Pocken, zu Stande 
kommt. 

Die idiopathische acute fibrinöse Pneumonie, welche 
häufig auch als die echte oder genuine Pneumonie bezeichnet 
wird, entsteht in den meisten Fällen unzweifelhaft durch Infection 
mit specifischen Kraukheitsgiften. Es ist dies schon seit langer 
Zeit von einzelnen Aerzten vermuthet oder bestimmt behauptet 
worden. Zur allgemeinen Anerkennung wurde die Ansicht, dass 
die Pneumonie eine Infectionskrankheit sei, hauptsächlich durch die 
Darlegungen von Jürgensen gebracht. Und die neueste Zeit hat 
endlich durch den Nachweis, dass in vielen Fällen von Pneumonie 
Mikrobien sich finden, die gezüchtet werden können, und durch 
deren Uebertragung bei gewissen Thieren wieder Pneumonie er¬ 
zeugt werden kann, die Bestätigung dieser Auffassung geliefert. 

Die Gründe, welche schon vor der Auffindung von specifischen 
Mikrococcen dafür raaassgebend waren, die Krankheit für eine 
Infectionskrankheit zu erklären, sind in der Hauptsache dieselben, 
welche auch für den acuten Gelenkrheumatismus zu der gleichen 
Auffassung geführt haben (vgl. Vorlesungen, Bd. III, 1887, p. 46). 
Zunächst ist von Bedeutung der Umstand, dass bisher jede andere 
Auffassung der Aetiologie sich als unzureichend erwiesen hat. In 
früheren Zeiten pflegte man die Pneumonie hauptsächlich von Er¬ 
kältung abzuleiten. Aber man konnte sich der Thatsache nicht 
verschHessen, dass zahlreiche Fälle Vorkommen, in welchen ein 
solcher Zusammenhang nicht anzunehmen ist. Die Statistik zeigt, 
dass bei Leuten, welche im Freien arbeiten und allen Unbilden 
der Witterung sich >iussetzen, die Pneumonie nicht häufiger, sondern 
merklich seltener vorkommt, als bei solchen, welche in geschlossenen 
Räumen sich aufzuhalten pflegen. Auch die Vergleichung der ört¬ 
lichen und zeitlichen Verbreitung der Krankheiten lässt nur wenig 
Uebereinstimmung zwischen Pneumonie und den sogenannten Er¬ 
kältungskrankheiten erkenneu. Dass endlich die einfache Ein¬ 
wirkung der Kälte nicht genügt, um Pneumonie zu erzeugen, ist 
unter anderem ersichtlich aus der Thatsache, dass im Jahre 1812 
beim Rückzug der Franzosen aus Russland, als Tausende durch 
Erfrieren zu Grunde gingen, Pneumonieen in der Armee nicht vor¬ 
kamen (J. Frank). Für die Anerkennung der Pneumonie als 
Infectionskrankheit war aber wesentlich entscheidend die Beobach¬ 
tung, dass die Krankheit zuweilen in epidemischer Verbreitung 
auftritt, und dass auch eine Häufung der Erkrankungen an einzelnen 
Localitäten, z. B. in einzelnen Ortschaften, Stadttheilen, Wohnungen 
häufig beobachtet wird. 

Indem man die Pneumonie als Infectionskraukheit anerkannte, haben 
manche Aerzte geglaubt, es müsse aus dieser Annahme auch sofort die 
Folgerung gezogen werden, dass die Krankheit eine Allgemeinkrankheit sei. 


Eine solche Folgerung ist nicht berechtigt und beruht auf einem Missver¬ 
stehen des Begriffs der Infection (vgl. Vorlesungen, Bd. I. p. 20 ff.). Viel¬ 
mehr bleibt die Frage, ob die Pneumonie eine örtliche oder eine allgemeine 
Krankheit sei, auch wenn sie als Infectionskrankheit anerkanut ist, zunächst 
noch offen; sie kann nur entschieden werden durch Berücksichtigung des 
anatomischen und klinischen Verhaltens. Dieses letztere ist freilich nach 
meiner Ansicht ausreichend, um zu zeigen, dass es sich bei der Pneumonie 
in der Regel um eine locale Krankheit der Lunge handelt, ähnlich wie das 
Erysipelas, mit dem die Pneumonie überhaupt vielfache Analogie hat, eine 
auf Infection beruhende locale Krankheit der Haut darstellt. 

Die Mikrobien, welche fibrinöse Pneumonie erzeugen können, 
sind bisher nur unvollkommen bekannt; doch lassen sich schon 
jetzt mehrere Arten unterscheiden. Nachdem schon vorher wieder¬ 
holt von anderen Autoren in einzelnen Fällen von Pneumonie 
Schizoiuyceten aufgefundeu waren, gelang es zuerst C. Fried¬ 
länder (1882), bd einer grösseren Zahl von Fällen eigenthümliche 
Coceen aufzufinden und zu züchten, welche bei Uebertragung auf 
gewissse Thiere bei diesen wieder Pneumonie und andere ent¬ 
zündliche Affectionen der Brustorgane hervorriefen. Die Cocceu 
sind von länglicher Gestalt, oft zu zweien oder mehreren an ein¬ 
ander gereiht, gewöhnlich von einer Gallerthülle umgeben. In 
anderen Fällen von Pneumonie wird ein zuerst von A. Fraenkel 
(1884) beschriebenerCoccusgefunden, dermitdemFriedländer'sehen 
Coccus morphologisch manche Aehnlichkeit hat, aber in seinen 
Waclisthumsverhältnisseu, bei Reinculturen und auch in seinen 
Wirkungen auf Thiere wesentliche Verschiedenheiten von dem¬ 
selben zeigt. Endlich werden zuweilen bei Pneumonie auch noch 
andere Mikroorganismen gefunden. Die verschiedenen pathogenen 
Mikrobien können einzeln oder in manchen Fällen vielleicht auch 
zu mehreren vereinigt, wenn sie auf die Lunge einwirken, eine 
fibrinöse Exsudation hervorrufen, ähnlich wie z. B. auf der äusseren 
Haut eine exsudative Dermatitis durch sehr verschiedenartige Ein¬ 
wirkungen entstehen kann. Uud so scheint es, dass in der That 
die Krankheit, welche wir nach dem anatomischen Befund als 
fibrinöse Pneumonie zusammenfassen, keine ätiologische Krankheits¬ 
einheit ist, dass vielmehr mehrere Arten von Mikroorganismen, 
welche unter sich specifisch verschieden sind, bei ihrer Einwirkung 
auf die Lunge Veränderungen hervorrufen können, welche pathologisch¬ 
anatomisch iusofern ähnlich sind, als bei allen eine fibrinöse Exsu¬ 
dation in die Alveoleu und die feinsten Bronchien stattfindet. 

Um trotz der nachgewiesenen specifischen Verschiedenheit der Krank¬ 
heitswege dennoch die Einheit der Pneumonie zu retten, hat man die Be¬ 
hauptung aufgestellt, dass die verschiedenen Mikrobien der Pneumonie in 
ihrer Wirkung auf den Menschen sich gar nicht von einander unterschieden. 
Eine solche Annahme ist durch Nichts begründet und von vornherein 
gewiss in hohem Grade unwahrscheinlich; vielmehr ist alle Aussicht vor¬ 
handen, dass es schon der nächsten Zukunft gelingen werde, gewisse Ver¬ 
schiedenheiten im anatomischen und klinischen Verhalten, weiche die Pneu¬ 
monie zeigt, auf Verschiedenheiten der Krankheitserreger zurückzuführen. 

Die wichtige Frage, zu welcher Gruppe der Infectionskrank- 
heiten die fibrinöse Pneumonie zu rechnen sei, ob zu den mias¬ 
matischen oder zu den contagiösen oder zu den miasmatisch-conta- 
giösen Krankheiten (vgl. Vorlesungen, Band I), lässt sich in dieser 
Allgemeinheit wahrscheinlich gar nicht beantworten, da, wie es 
scheint, die verschiedenen Mikrobien, welche Pneumonie erzeugen 
können, eine sehr verschiedene Entwickelungsgeschichte haben. 
Bei den gewöhnlichen Pneumonieen findet eine direkte Uebertragung 
der Krankheit von Person zu Person nicht statt: dieselben sind 
nicht contagiös. Manche Formen der Krankheit scheinen rein mias¬ 
matisch zu sein, und möglicherweise gehört das Miasma* zu den¬ 
jenigen pathogenen Mikroorganismen, welche wir wegen ihrer all¬ 
gemeinen Verbreitung als ubiquitäre Krankheitserreger bezeichnen. 
Für andere Formen sind dagegen eher nicht-ubiquitäre Mikro¬ 
organismen vorauszusetzen, und da solche möglicherweise auch 
durch Kranke von Ort zu Ort verschleppt werden können, so wür¬ 
den diese Formen zu den miasmatisch-contagiösen Krankheiten in 
unserem Sinne gehören. Endlich glaubt man bei einzelnen Epide- 
mieen von Pneumonie auch schon direkte contagiöse Uebertragung 
beobachtet zu haben. 

Ueber die Wege der Infection beim Menschen ist bisher nichts 
Sicheres festgestellt; man wird wohl bis auf Weiteres anzunehmen 
haben, dass das Krankheitsgift in der Regel mit der eingeathiueten 
Luft in die Lungen gelange. 

Wenn wir auch für die gewöhnlichen Formen der Pneumonie 
eine Infection durch specifische Krankheitserreger voraussetzen, so 
werden wir deshalb doch nicht, wie dies manche Aerzte gethan 
haben, die ganze früher angenommene Aetiologie für falsch erklären. 
Dass Pneumonie auf eine Erkältung folgt, ereignet sich zu häufig, 
als dass man ein bloss zufälliges Zusammentreffen annehmen könnte. 
Besonders die längere Einwirkung von Zugluft nach vorheriger Er¬ 
hitzung, ferner eine schnelle und andauernde Abkühlung des Kör¬ 
pers, bei welcher auch in den inneren Theilen die Temperatur 
unter die Norm herabgesetzt wird, langes Verweilen in durchnässten 
Kleidern, Sitzen auf feuchtem Boden, Arbeiten im Wasser gelten mit 


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9. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


103 


Recht als Veranlassungen zur Entstehung von Pneumonie. Es ist 
aber eine solche Erkältung für uns nicht die ausreichende Ursache 
der Krankheit^ sondern eine Gelegenheitsursache, welche die Wider¬ 
standsfähigkeit des Individuums schwächt, oder in irgend einer 
Weise die Ansiedelung des Krankheitsgiftes in der Lunge oder seine 
Entwickeluug daselbst befördert. So können wir auch ersehen, 
dass die rauheren Klimate und Jahreszeiten dem Vorkommen der 
Pneumonie günstig sind, dass vorherrschende Nord- und Ostwinde 
die Krankheit befördern. Die Pneumonie kommt im Winter und 
Frühjahr beträchtlich häufiger vor als im Sommer und Herbst. 
Dass in engen, schlecht ventilirten, unreinlichen Wohuräumeu, in 
Caseraen, Gefängnissen, Arbeitshäusern die Pneumonie häufiger 
vorkommt, ist einfach aus der miasmatischen Natur der Krankheit 
ahzuleiten; das Krankheitsgift erscheint an gewissen Stellen und 
namentlich in manchen Wohnungen sich lange Zeit lebensfähig und 
wirkuogsfähig zu erhalten. Eine Veranlassung zur Entstehung von 
Pneumonie kann ferner gegeben werden durch das Einathmen von 
sehr kalter oder sehr lieisser Luft, durch Einathmen von Staub 
und namentlich von solchen Staubarten, welche mechanisch ver¬ 
letzen können, ferner durch Contusionen des Thorax, durch Ein¬ 
dringen von Fremdkörpern, Mundflüssigkeiten oder Speisen in die 
feineren Bronchien (Schluckpneumonie). 

Die individuelle Disposition zur Erkrankung zeigt insofern einige 
Verschiedenheit, als bei geschwächten Individuen die Krankheit 
durchschnittlich häufiger vorkommt, so namentlich bei alten Leuten, 
hei Reconvalescenten von schweren Krankheiten, bei chronisch 
Kranken. Bei erschöpfenden Krankheiten und auch im Greisenalter 
wird der Tod häufig durch eine „intercurrente“ oder „terminale“ Pneu¬ 
monie herbeigeführt. Uebrigens kommt die Pneumonie auch nicht 
selten bei jugendlichen und kräftigen Individuen vor. Männer er¬ 
kranken merklich häufiger als Weiber. Das Ueberstehen der Krank¬ 
heit hinterlässt keine Immunität; im Gegentheil kommt die Krank¬ 
heit bei solchen Individuen, welche sie einmal oder mehrere Male 
gehabt haben, leichter von neuem vor. Es verhält sich demnach 
in dieser Beziehung die Pneumonie ähnlich wie acuter Gelenk¬ 
rheumatismus, Ervsipelas, Angina und abweichend von den meisten 
anderen Infectionskrankheiten. ln tropischen und subtropischen 
Gegenden erfreuen sich die aus höheren Breiten Eingewanderten 
einer gewissen Immunität, während die Eingeborenen und nament¬ 
lich die der Negerrasse augehörenden häufiger befallen werden. 

Die Frage, ob alle Arten oder Formen der acuten fibrinösen Pneu¬ 
monie auf Infection beruhen, wird noch verschieden beantwortet. Manche 
Autoren, welche für eine grosse Zahl der Pneumonicen die infectiöse Ent¬ 
stehung zugeben, sind doch der Ansicht, dass gewisse Formen der Pneu¬ 
monie, z. B. die durch Erkältung oder durch traumatische Eiuwirkung ent¬ 
standenen, nicht infectiöser Natur seien (A. Hirsch). Die Meinungsver¬ 
schiedenheit über diese Frage beruht zum Theil auf mangelhafter Begriffs¬ 
bestimmung, und die Entscheidung wird hauptsächlich davon abhängen, wie 
weit man den Begriff der Infection fasst. Wenn man darunter nur die 
dorcfa nicht-ubiquitäre, endemisch-epidemische Krankheitserreger entstehen¬ 
den Erkrankungen einbegreift, so giebt es unzweifelhaft viele Pneumonieen, 
welche nicht-infectiöser Natur sind. Wenn man aber, wie es vielleicht 
naturgemässer ist, alle durch pathogene Mikroorganismen entstehenden 
Krankheitszustände als Infectionskrankheiten bezeichnet, so gehört jede 
Pneumonie ebenso wie jede Eiterung und jede Entzündung im engeren 
Sinne zu den Infectionskrankheiten. Wenn durch Trauma oder durch Ein¬ 
dringen von Fremdkörpern eine fibrinöse Pneumonie entsteht, so ist die¬ 
selbe gewiss nicht die einfache Folge der mechanischen Einwirkung, viel¬ 
mehr sind dabei die gleichzeitig einwirkenden Mikroorganismen wesentlich 
betbeiligt. _ (Fortsetzung folgt.) 

IL Ueber Wöcflnerinnenpflege und Pflege¬ 
statten für unbemittelte Wöchnerinnen. 1 ) 

Von Hermann Löhlein. 

Zu allen Zeiten ist der Zustand einer Wöchnerin als ein zwar 
seinem Wesen nach physiologischer, jedoch scharf auf der Grenze 
des Pathologischen stehender aufgefasst worden. Die grossen Um¬ 
wälzungen, die mit der Ausstossung der Frucht verbunden sind, und 
die reichen Ausscheidungen aus dem Fruchthalter, den Brüsten und 
der Haut, die sich an die Geburt anschliessen, haben bei allen 
•'nlturvölkern, aber auch bei vielen wilden Völkerschaften beson¬ 
dere Vorschriften für die Pflege der Wöchnerin und für die Be¬ 
kämpfung der ihr unmittelbar oder in der Zukunft drohenden Ge¬ 
fahren und Schäden aufstellen lassen. 

Diese waren und sind je nach den allgemeinen Lebensverhält- 
oissen einer Nation oder einer Landschaft, nach den religiösen oder 
Stammesüberlieferungen wie auch nach den wechselnden ärztlichen 
Anschauungen ausserordentlich verschieden untereinander. Ueber 
die allgemeinen Grundsätze indessen bestehen bei den Culturvölkern 
heutzutage in den ärztlichen Kreisen wie auch in den Kreisen, die 
an der Entwickelung der Volksgesundheitspflege während der letzten 
Jahrzehnte irgendwie Theil genommen haben, wohl keine wesent- 

V Vortrag, gehalten in d. Gesellscb. f. Geburtsh. u. Gynaekol. in Berlin. 


liehen Differenzen. So dürfte es bei uns unter den gebildeten 
Laien nur noch Wenige, unter den älteren Aerzten kaum noch 
Einen geben, der im) „Hungern, Schwitzen, Dunkelliegen“ statt in 
körperlicher und geistiger Ruhe, strengster Reiulichkeit, einfacher, 
aber kräftiger Eruähruug das Heil der Wöchnerinnen suchte. 

Gestatten Sie mir, dass ich aus dem weitschichtigen Thema 
von der Wöchnerinnen pflege eineu Punkt speciell hervorhebe, der 
mir gerade in der jetzigen Zeit eine etwas eingehendere Erörterung 
zu verdienen scheint, nämlich die Frage: wie lange dieselbe zu 
danern hat. 

Gerade über diesen Punkt gehen die Anschauungen und die 
herrschenden Bräuche ziemlich weit auseinander; ja wir finden, dass 
oft bei benachbarten, nahe verwandten und unter ziemlich gleichen 
äusseren Verhältnissen lebeuden Völkerschaften ganz ausserordeutlich 
verschiedene Auffassungen im Schwange sind. Auf eine vergleichende 
Zusammenstellung derselben darf ich heute nicht eingelien, sie würde 
mich zu weit führen. Wer sich hierüber belehren will, findet in 
dem ebeD erschienenen Ploss-Bartels’schen Werke 1 ) eine Fülle 
interessanter Angaben. Ich muss mich an dieser Stelle darauf be¬ 
schränken, die bei uns, in unseren Breiteu und unter unseren 
Culturverhältnissen bestehenden Zustände und Anschauungen kurz 
zu erörtern. 

Sie wissen Alle, dass je nach der socialen Lage, in der sich 
die Frauen befinden, sehr beträchtliche Unterschiede bei uns gelten, 
dass wir auf der einen Seite die Proletarierfrau nicht selten noch 
am Tage ihrer Niederkunft das Bett verlassen und für sich wie für 
die Angehörigen die Mahlzeit bereiten sehen, während auf der an¬ 
deren Seite 6 Wochen vollständiger Ruhe als unumstössliche Vor¬ 
schrift eingehalten werden, und dass sich dieses letztere Postulat 
auch in der alteu Bezeichnung Sechs Wöchnerin 2 ) für Wöchnerin 
überhaupt ausspricht. Zwischen beiden befindet sich die erdrückende 
Mehrzahl der Frauen des Arbeiterstandes und der Bäueriuneu, die 
bis zum 4. Tage etwa das Bett und — falls sie nicht fieberhaft 
erkrankt sind — bis gegen das. Ende der 2. Woche etwa das 
Zimmer hüten, um von dieser Zeit an, so gut oder so schlecht es 
eben geht, wieder die gewohnte Thätigkeit auszuübeu. 

Wissenschaftlich kann die Frage, wie lange eine gewisse 
Diätetik des Wochenbettes beobachtet werden muss, nicht wohl 
anders beantwortet werden, als: so lange, bis der Fruchthalter — 
seine Waudung wie seine Scbleirahautauskleidung — sich völlig zu¬ 
rückgebildet bat. 

Die Literatur, welche diesen Gegenstand — den Termin der 
vollendeten Involution — eingehender behandelt, ist namentlich in 
Bezug auf das Spätwochenbett nicht eben reich entwickelt. Ueber 
die Rückbildung der Uteruswandung besitzen wir zwar sehr zahl¬ 
reiche anatomische und klinische Angaben bis zum Ende der 
2. Woche, sehr spärliche Zusammenstellungen dagegen aus der Zeit, 
in der die Involution vollendet ist. Die Gründe hierfür liegen nahe. 
Das anatomische Material ist zum grossen Theil (so bei Hecker’s 
48 Sectionsergebnissen in drei Viertel der Fälle) Puerperalfieber¬ 
leichen entnommen, während Gelegenheit zur Autopsie gesunder 
Spätwöchnerinuen, die einer intercurreuten Krankheit erlagen, selten 
vorhanden ist. Unter den anatomischen Zusammenstellungen stehen 
daher noch immer Heschl’s Wägungen obenan, aus denen hervor¬ 
geht, dass im 2. Monat nach der Entbindung der Uterus wieder 
das normale Gewicht hat. 

Auch klinische Beobachtungen über die Involution der Ge¬ 
bärmutterwand liegen, weil eben die grossen Entbindungsanstalten 
ihre Pfleglinge nach 9 — 14 Tagen entlassen, nur für die ersten 1 ’/•» 
bis 2 Wochen reichlicher vor. Es ist Ihnen bekannt, dass seit der 
Mitte der 50er Jahre von Trier und Wieland, später von 
Schneider, Stadtfeld, Pfannkuch, Sutugin, Boerner u. A. 
gründliche Untersuchungen über die Volumensverkleinerung des 
Uterus in der ersten Zeit des Wochenbettes veröffentlicht wurden, 
welche — entweder auf genauer Tastung der Höhe des Fundus über 
der Symphyse oder auf der Messung seiner Länge mittelst des 
Tasterzirkels oder mittelst der Sonde beruhend — mit unwesentlichen 
Abweichungen die von Tag zu Tag regelmässig fortschreitende Re- 
duction feststellten. 

Für die Frage, welche uns hier interessirt, kommen jene Arbei¬ 
ten weniger in Betracht, als eine neuere von Hansen. 3 ) Dieser 
war in der Lage, vom 10. Tage bis zum Ende des 2., resp. 3. Monats 
post partum in bestimmten Intervallen Sondenmessuugen vorzu¬ 
nehmen. Die meisten wurden in einer Pflegeanstalt ausgeführt, 
welche mit dem Gebärhaus Kopenhagens verbunden ist, 
und wo stillende Wöchnerinnen 2—3 Monate nach der Entbindung 

*) Das Weib in der Natur- und Völkerkunde II, p. 364 u. folg. 

®) „Germanis, eine Sechswöchnerin, quia sex hebdomadum spatio, vel 
nisi lecto ad minimum tarnen inter suos parietes se continendam habet,“ 
Grosser, De valetud. puerper. 1694. 

s ) Th. B. Hansen, Ueber die puerperale Verkleinerung des Uterus. 
Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. XIII, p. 16. 


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104 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 6 


bleiben können. Bei 23 Wöchnerinnen (12 lparae, 11 Pluriparae) 
mit normalem Puerperium nach rechtzeitiger, natürlicher Entbindung 
fand Hansen: dass bei der einen Hälfte der Individuen die Involution 
der Uteruswandung spätestens 2 Monate post partiim abgeschlossen 
ist, bei der anderen Hälfte jedenfalls nicht eher als im 3. Monat. 
„Bei zwei Drittel (15) ist sie zwischen 0 und 10 Wochen nach der Ent¬ 
bindung abgeschlossen, bei einem Sechstel (4) in der letzten Hälfte des 
3. Monats oder später, bei dem anderen Sechstel innerhalb 6 Wochen; 
der schnellste Verlauf der Involution geschieht in 4 Wochen.“ 

Was die Rückbildung der Uterusschleimhaut betrifft, so darf 
ich Sie in erster Linie wohl bezüglich des anatomischen Materials 
an Leo pold’s 1 ) „Studien“ erinnern. Aehnlich wie seine Vorgänger, 
Friedländer, Kundrat und Engelmann, hatte Leopold vor 
Allem grosse individuelle Schwankungen je nach der Gesammt- 
constitution der Wöchnerinnen festzustellen. Noch in der 9. und 
10. Woche fand er bei phthisischen Wöchnerinnen die Schleimhaut 
des Corpus, zumal der Placentarstelle, mangelhaft zurückgebildet, 
wie sonst in der 3. und 4. Woche. Von einer vollendeten Ueber- 
häutung ist auch bei kräftigen Wöchnerinnen am Ende der 3. Woche 
noch keine Rede, erst in und nach der 4. Woche zeigen die Epi- 
thelien und Drüsen wieder das frühere Verhalten. Trotz schwerer 
voraufgegangener Entzündung konnte Leopold an 2 Uteris aus der 
6. Woche die völlige Regeneration der Schleimhaut feststellen. 

Hiermit stimmen die klinischen Thatsachen völlig überein: nur 
ganz ausnahmsweise sehen wir bereits mit dem Ende der 2. oder 
dem Anfang der 3. Woche die Lochialsecretion beendet — bei einer 
besonders derb angelegten, nicht stillenden Frau kounte ich in zwei 
aufeinander folgenden Wochenbetten, dem 3. und dem 4., diese 
Ausnahme genau feststellen, — für gewöhnlich schliessen sich an die 
Lochia cruenta und serosa der ersten Woche von der 2. bis zur 4. bis 
6. Woche Lochia alba an, und es genügen auch bei ganz nor¬ 
malen Verhältnissen bis in die 6. Woche unbedeuteude Er¬ 
höhungen des Blutdruckes, ein Glas Wein, eine massige Anstren¬ 
gung der Bauchpresse u. dgl., um für einen oder mehrere Tage Blutaus- 
tretungen zu bewirken. Ebenso lehren mich meine Aufzeichnungen 
(übereinstimmend mit den Angaben Louis Mayer’s), dass bei 
reichlich der Hälfte der nichtstillenden gesunden Wöchnerinnen, 
aber auch bei den überhaupt menstruirten stillenden am häufigsten 
6 Wocheu post partum die Menses zum ersten Mal wieder eintreten 
und mit ihrem Eintritt die Secretionsverhältnisse, wie sie vor der 
Schwangerschaft bestanden hatten, sich wieder einfinden. 

Nicht unerwähnt sei noch, dass die Restitution der Scheiden¬ 
wandung und der Ligamenta, soweit sie überhaupt wieder bis zu 
dem früheren Status erfolgt, namentlich auch der Ersatz des in der 
Schwangerschaft geschwundenen paravaginaleu Fettes mindestens 
dieselbe, oft eine längere Zeit in Anspruch nimmt, als die des 
Uterus. Dieser Umstand war den älteren Aerzteu wohl bekannt 
und veranlasste sie, überall da, wo schon in der Schwangerschaft 
Descensus vaginae bestanden hatte, oder wo eine Dammruptur ein¬ 
getreten war, gut situirte Wöchnerinnen zur Vermeidung von Pro¬ 
lapszuständen zu viel längerer Bettruhe zu zwingen, als wir dies 
heute thun. — 

Wenn sich aus diesem kurzen Ueberblick ergiebt, dass nur in 
den allergünstigsten Fällen 3 — 4 Wochen für die puerperale Resti¬ 
tution genügen, dass für diese meist 6, bei schwächlichen oder gar 
kränklichen Constitutionen häufig 8—12 Wochen nöthig sind, so 
tritt an uns die Frage heran, ob vom ärztlichen Standpunkt aus 
nicht mehr als bisher geschehen soll, um die Folgen mangel¬ 
haft abgewarteter Wochenbetten zu verhüten. 

Welcher Art dieselben sind, brauche ich an dieser Stelle nicht 
aufzuzählen. Ihnen Allen ist bekannt, ein wie grosses Contingent 
der in deu gynäkologischen Polikliniken wegen Lageveränderungen, 
chronischer Katarrhe, Residuen entzündlicher Vorgänge Hülfe suchen¬ 
den Frauen den Ursprung des Leidens von einem Wochenbett, am 
häufigsten dem ersten, datirt. Neben jenen oft betonten Befunden 
möchte ich hier noch auf einen weniger beachteten Punkt aufmerk¬ 
sam machen: die Häufigkeit erworbener Sterilität. Unter den 
letzten 1600 von mir beobachteten poliklinischen Kranken waren 
nach einer auf meine Veranlassung gemachten Zusammenstellung des 
Herrn Dr. Ehlers nicht weniger als 31, die, nachdem sie 1—10 Jahre vor 
ihrerEheschliessunggeborenuudihrunehelichesWocheubettleichtsinnig 
vernachlässigt hatten, unglücklich waren, dass sie jetzt— nachdem sie 
verbeirathet waren, und ihre Männer sich ein Kind ersehnten, unfrucht¬ 
bar blieben (in 25 Fällen wegen Para- und Perimetritis chronica.) 

Was wir Aerzte von heute im Gegensatz zu früheren Genera¬ 
tionen leisten, um dem Heer der angedeuteteu Uebelstände bei deu 
uns anvertrauten Kreissenden der ärmeren Classen entgegenzutreten, 
durch unsere Antisepsis, durch eine geduldigere Abwartung der 
Nachgeburtsperiode, durch eine sofortige sorgfältige Vereinigung 

*) G. Leopold, Studien über die Utenisscbleimhaut. III. Theil, Arcb. 
f. Gyn. XII, p. 169. 


aller Weichtheilverletzungen ist gewiss nicht zu unterschätzen. 
Aber ich glaube, wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. 

Die ungeheuere Mehrzahl der nach den Wochenbetten iuvalid 
Bleibenden lässt nicht aus Leichtsinn oder wegen eines thörichten 
Vorurtheils die Warnungen unbeachtet, die ihnen Seitens der 
Aerzte und Hebammen immer wieder ertheilt werden, sondern 
unter dem eisernen Zwange der materiellen Noth. 

Darum wollen wir für sie uusere Stimme erheben, und speciell unsere 
Gesellschaft hat nach meinem Gefühl eine Ehrenpflicht, sich dahin 
zu äussern, dass es unter den humanitären Aufgaben der grossen 
Gemeinwesen eine der nächstliegenden ist, Sorge zu tragen, 
dass auch die ärmste Wöchnerin eine Stätte findet zur 
Ruhe und Erkräftigung in der Zeit, in der sie der Pflege 
und Schonung absolut bedarf. 

Wir brauchen „Wöchnerinnenpflegen“, in denen in erster 
Linie die aus den öffentlichen Entbindungsanstalten am 10. Tage 
entlassenen mittellosen Pfleglinge, ebensogut aber jede arme Wöch¬ 
nerin in der Stadt, die in ihrer Wohnung die nöthige Wartung und 
Verköstigung entbehren muss, sich so lange erholen können, bis sie 
ohne Schaden für ihre Gesundheit im Stande sind, ihre Thätigkeit 
wieder auszuüben, eventuell auch eine Ammenstelle anzutreteu. Die 
Dauer des Aufenthaltes wird nach allem Gesagten erheblich variiren; 
im Durchschnitt würde wohl am Ende der 4.—5. Woche das sul>- 
jective Gefühl der Wöchnerin wie das Urtheil des überwachenden 
Arztes bei unseren arbeitenden Classen 1 ) eine nicht allzuanstren¬ 
gende Beschäftigung wieder gestatten. 

Fragen wir uns, ob bei uns oder unseren Nachbarn bereits 
Einrichtungen bestanden oder bestehen, wie wir sie ersehnen, so 
zeigt sich, dass vereinzelte Versuche, dem bezeichneten Notlistand 
abzuhelfeu, in Deutschland schon in sehr früher Zeit gemacht 
worden sind. So höreu wir, dass im Spital zu Pfullendorf schon 
im 13. Jahrhundert die segensreiche Einrichtung bestand,-) dass 
arme Wöchnerinnen, Frauen von Tagelöhnern u. s. w., 6 Wochen 
unentgeltlich verpflegt wurden (usque ad sex septimanas favorabi- 
liter tractantur). Jetzt, mehr als sechs Jahrhunderte 
später, besitzen wir derartige Einrichtungen im Zu¬ 
sammenhang mit unseren grossen staatlichen oder städti¬ 
schen Krankenhäusern oder Entbindungsanstalten nicht. 
Die humanitären Bestrebungen in diesem Punkte beschränken sich 
bei uns fast vollständig auf die private Unterstützung armer Wöch¬ 
nerinnen in ihrer Wohnung Seitens Einzelner oder wohltbätiger Ver¬ 
eine durch Geld, Speisen und Getränke, Wäsche u. dgl. 

Wer wollte leugnen, dass auch auf diesem Wege recht viel 
Gutes geschehen kann und beispielsweise in dieser Stadt in aller 
Stille und mit grosser Hingebung geschehen ist? Aber die so ge¬ 
übte Wolilthätigkeit kommt doch nur einer beschränkten Zahl, und 
den Bedürftigsten, den unehelich Eutbundenen, wohl überhaupt nur 
ausnahmsweise zu Statten. Der grossen Mehrzahl der Bedürftigen, 
die ein modernes grosses Gemeinwesen aufweist, kann die vom 
ärztlichen Standpunkt aus nothwendige Pflege auf diesem W T ege 
überhaupt nicht gewährt werden. Jeder Arzt, jeder poliklinische 
Praktikant wird mir bestätigen, dass selbst bei reichlicher mate¬ 
rieller Unterstützung einer armen Arbeiterin in ihrer Wohnung 
nicht annähernd die Ruhe, Sauberkeit und Pflege verschafft werden 
kann, die sie in einer wenn auch noch so einfach eingerichteten 
„Wöchnerinnenpflege“ finden muss. 

Aus der verdienstvolleu Arbeit Paul GüterbockV 1 ) können 
Sie ersehen, dass in Frankreich und England derartige Institute 
bereits bestehen. 

So besitzt Paris bereits seit 1859 im Asile du Vesinet ein 
sehr ausgedehntes Heim für genesende Frauen, von denen die 
Mehrzahl Wöchnerinnen sind, „die gewöhnlich direkt aus deu 
Gebärhäusern oder den Entbindungsstationen der Hospitäler am 
7. oder 8. Tage nach der Niederkunft dahin geschickt und im 
Durchschnitt 23 Tage daselbst verpflegt werden.“ 

Unter den englischen Reconvalescentenhäusern steht seiner Be¬ 
stimmung und Einrichtung nach obenan das von der Prinzessin 
Friederike von Hannover in der Nähe von Hampton Court 1881 
eröflfnete und in der ursprünglichen Anlage noch jetzt fortgeführte. 
Dieses gewährt Frisch entbundenen, und zwar nicht allein solchen, 
die in Gebäraustalten, sondern auch solchen, die in der Privat- 
wohuuug niedergekommen sind, eine 14tägige Erholung iu gesunder 
Luft. Mit Recht heisst es in dem Bericht der Laneet (1881, Vol. II, 
p. 391): „Such a home will prove of inestimable value, by giving 
the rest and food and pure air. whicli so many women confined 
in lying-in-hospitals or at their own homes cannot get.“ Ausser 
diesem existiren nach gütiger brieflicher Mittheilung des Herrn 

*) Bezüglich der Fabrikarbeiterinnen bestimmt die Gewerbeordnung 
f. d. D. R. (§ 135: Wöchnerinnen dürfen während 3 Wochen nach ihrer 
Niederkunft nicht beschäftigt werden. 

9 ) Mone, Armen- und Krankenpflege früherer Zeit, 1861, p. 30. 

^ P. Güterbock, Die öffentliche Reconvalescentenpflege, Leipzig, 1SS2. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


105 


9. Februar. 


Dr. F. Semon zwei ähnliche Homes in oder bei London; das eine 
(^neen Charlottes Convalescent Hospital for Lying-in-Womeu im 
Norden Londons (Kilburn) ist vor etwa 6 Jahren gegründet worden. 
Das andere ist von eiuer Mrs. Wilson im Südwesten Londons be¬ 
gründet und ist speciell für unverheirathete Wöchnerinnen bestimmt, 
qdi denselben nach der Entbindung die Aufnahme einer anständigen 
Thätigkeit zu erleichtern. 

Wenu wir Berliner gerade jetzt darauf binweisen, dass ein 
Vergleich mit Paris und London in dieser Richtung eine Lücke 
in unserem Krankenversorgungswesen erkeunen lässt, so ist die 
Wahl des Zeitpunktes wohl genügend dadurch erklärt, dass unser 
Gemeinwesen gerade in der letzten Zeit, d. h. seit etwa 
Jahresfrist, der lange vernachlässigten Reconvalesceutenpflege 
»eine Aufmerksamkeit zugewandt hat. Ich nenne Ihnen ein¬ 
fach das Siechenhaus zu Lichterfelde und die Heimstätten für 
Genesende in Blankenburg und Heinersdorf. 

Gerade in diesem Augenblick gilt es daran zu erinnern, dass 
es keinen einzigen Krankheitszustand giebt, bei dem die allzufrühe 
Rückkehr zu anstrengender Thätigkeit bei schlechter Ernährung so 
sicher zu dauernder Invalidität zu führen, und dagegen eine ein¬ 
fache und wenig kostspielige Wartung die Gattin, die Mutter, die 
Hausfrau rüstig zu erhalten vermag, als dies im Wochenbett der 
Fall ist. Es gilt zu erinnern, dass, je kümmerlicher die Erwerbs¬ 
verhältnisse eines Hausstandes, um so beklagenswerther das Loos 
der invalid aus dem Wochenbett aufgestandenen jungen Frau ist, 
wie tief verbittert sie wird und wie unheimlich schnell sie altert, 
wenn sie sich in Folge ihrer aus dem Wochenbett zurückgebliebenen 
krankhaften Zustände erst gleichgültig, bald roh und rücksichtslos 
von dem Manne behandelt sieht. Und das möchte ich nach dem 
Eindruck mancher Erfahrungen in der geburtshülflichen wie in der 
gy näkologischen Poliklinik noch besonders betonen, dass die öffent¬ 
liche Wohlthätigkeit m. E. gerade an diesem Punkte dem 
wachsenden, von verbitterten Frauen besonders leiden¬ 
schaftlich geschürten Classenhass erfolgreicher als an 
irgend einem anderen entgegenarbeiten kann. 

Ich möchte nicht schliessen, ohne noch einen Vortheil zu er¬ 
wähnen, den ich mir von der Einrichtung einer solchen „Wöchnerinnen¬ 
pflege“ gerade für Berlin verspreche. Ich hoffe, dass durch die¬ 
selben die Schwierigkeiten, die wir so oft bei der Aminensucke 
zu überwinden haben, wenigstens zum Theil beseitigt werden. Ich 
wiederhole Ihnen nicht die oft geäusserten Klagen über die 
geschäftlichen Usancen der Arnmeuvermietherinnen. Diese letzteren 
werden immer als nothwendiges Uebel ihr Dasein fristen durch 
Herbeischleppung der in der Provinz Entbundenen. — Die Besserung, 
welche eintreten wird, bezieht sich auf die gewöhnlich am 
10. Tage entlassenen Pfleglinge der grossen Entbindungsanstalten, 
die. wenn sie zum Stillen noch so tauglich erscheinen, und auf 
ihre gesundheitlichen Verhältnisse noch so genau in der Klinik 
untersucht und beobachtet waren, doch vielfach in den Familien 
znrückgewieseu werden oder auch vom Arzt principiell unberück¬ 
sichtigt bleiben, weil sie in vieler Beziehung selbst noch der 
Schonung bedürftig sind. Wenn diese Personen, von deu Ver- 
raietherinnen hin- und hergeschleppt, schlecht genährt, von Nach¬ 
blutungen befallen (und solche Nachblutungen pflegen auch bei 
den derb angelegten Naturen in der 3.—5. Woche in Folge des 
angestrengten Treppensteigens mit dem Kinde auf dem Arm einzu¬ 
treten), sich zur Ammenstelle anbieten, muss Einen oft das tiefste 
Mitleid erfassen. Trotzdem kann man sie in ihrem Zustande ge¬ 
wöhnlich nicht für eine Stelle empfehlen, und abgewiesen schwanken 
sie mit dem Ausdruck der Verzweiflung in den Mienen weiter, um 
an einer anderen Stelle wiederum abgewiesen zu werden. 

Aus der Kategorie dieser Anstaltspfleglinge dürften später recht 
viele brauchbare Ammen hervorgehen, über deren Verhältnisse die 
Tagebücher des Pflegehauses zuverlässige Auskunft geben. 

Aber dieser Punkt, so sehr er verdient, bei der Lage der 
Berliner Verhältnisse in Erwägung gezogen zu werden, war nicht 
für mich maassgebend, um die Frage der Pflegestätten hier zur 
Sprache zu bringen. Was mich veranlasste, war die aus der täg¬ 
lichen Beobachtung entnommene Ueberzeugung. dass es sich um 
die Erfüllung einer schon lange versäumten Pflicht der Humanität 
handelt, und dass es gerade unserer Gesellschaft zukommt weitere 
Kreise an die Einlösung dieser Pflicht zu erinnern. 

III. Aus der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses 
der Barmherzigen Schwestern in Posen. 

Zur perinealen Drainage der männlichen 
Harnblase. 

Von Dr. B. Krysiewicz, Secnndärarzt. 

Der Aufschwung der operativen Technik, sowie die Ergebnisse 
der pathologischen Anatomie lenkten, wie überall, so auch bei deu 


Harnblasenkranklieiten die Behandlung auf neue Wege: die ana¬ 
tomische Diagnose ermöglichte erst eine ganze Reihe von Blasen¬ 
leiden, welche früher nur symptomatisch und deshalb auch meistens 
erfolglos behandelt wurden, den chirurgischen Krankheiten der 
Blase einzureihen und dieselben einer rationellen, operativen Therapie 
zu unterziehen, ohne dabei eine Gefahr aus dem Eingriff selbst für 
die Kranken zu riskiren. In Folge davon änderten sicli auch die 
Indicationen der Cystotomie. Dieselben gewannen noch mehr an 
Ausdehnung, seitdem mau mit den Functionsstörungen der Blase 
näher bekannt wurde und ihre hohe Bedeutung für die pathologi¬ 
schen Processe an der Blase kennen lernte. Obgleich wir nun im 
Katheterismus ein vortreffliches und nicht hoch geuug anzuschla¬ 
gendes Mittel besitzen, diesen Functionsstörungen erfolgreich zu be¬ 
gegnen, so giebt es doch Fälle, in deneu der Katheter entweder 
gar nicht applicirt werden kann, oder nur höchst unvollkommen 
den gesetzten Anforderungen entspricht. Will man in solchen Fällen 
von einer rationellen Therapie, die unbedingt dauernden, ungehin¬ 
derten Uriuabfluss erfordert, nicht gänzlich absehen, so bleibt oft 
kein schonenderes Verfahren übrig, als die Blase durch Cystotomie 
zu eröffnen und, je nach Bedarf des speciellen Falles, länger oder 
kürzer zu drainiren. Es tritt also die Blasendraiuage unter die Iu- 
dicationen zur Cystotomie. 

Die eisten Erfahrungen mit der Drainage machte man zufällig 
bei Gelegenheit von Cystotoraieen, die Blasensteine wegen ausge¬ 
führt wurden. Frühzeitig genug constatirte man die Thatsache, 
dass Cvstitiden, die Blasensteine so häuftg begleiten, nach Cysto- 
toiuie einen vjel günstigeren Verlauf nehmen als nach Lithotripsie, 
sogar vollständig zur Ausheilung kommen. Diese Beobachtungen 
verwerthete man zuerst dahin, dass mau bei Blasensteiuen mit 
schwerer Cystitis, caeteris paribus, der Lithotomie vor der Litho¬ 
tripsie den Vorzug gab. Alsdann ging man aber noch einen Schritt 
weiter und legte sich die Frage vor, ob es nicht angezeigt wäre, 
bei schweren, hartnäckigen Cystitiden allein die operative Behand¬ 
lung mit der Drainage einzuleiteu. Parker war der erste, der in 
richtiger Beurtheiluug des pathologischen Processes diese Behand¬ 
lungsmethode der Cystitis befürwortete und die Blaseudrainage als 
ludication zur Cystotomie aufstellte. 

„Meine Absicht war“, schrieb Parker (New-York. med. Journ. 
1851) „einen Canal zu eröffnen, durch welchen der Urin so rasch, 
als er secernirt wurde, abfliessen köuute und dadurch der Blase 
Ruhe zu verschaffen: die erste Indication bei der Behandlung von 
Entzündung.“ 1 ) Dem Beispiele Parker's folgten bald andere Auto¬ 
ren, blieben aber bei der Cystitis allein nicht stehen, erweiterten 
vielmehr die Drainage auf Prostata-Hypertrophie, inoperable Blasen¬ 
geschwülste, Blasenverletzungen und die sog. „irritable bladder.“ 

Im Folgenden werde ich die genannten Blasenkrankheiten in 
ihrem Verhältniss zur Drainage besprechen und die von mir im 
Charitekrankenhause zu Posen beobachteten, von meinem Chef, dem 
Primararzt, Herrn Dr. Zielewicz operirteu Fälle anführen. 

Da der therapeutische Einfluss der Drainage in erster Linie auf 
dem mechanischen Effect derselben beruht, so ist es nöthig, darüber 
klar zu werden, inwiefern die Drainage in den Functionsmechanis¬ 
mus der Blase überhaupt eingreift. 

Die Blase als Hohlkörper mit muskulös elastischen Wandungen, 
zwischen die Ureteren und die Urethra eingeschaltet, steht zwei 
verschiedenen Functionen vor: der Harnaufnahme und der Harnent¬ 
leerung. Bei der Harnaufnahme, die continuirlich, ohne Zuthun des 
Willens und ohne jede subjective Empfindung erfolgt, verhält sich 
die Blase vollkommen passiv, indem nur ihre Wände durch den 
Druck des einfliessenden Urins gedehnt werden. Erst bei gewissem 
Füllungsgrade, der individuell verschieden und im Allgemeinen von 
der Grösse der Blase abhängig ist, kommt es durch Reizung der 
sensiblen Nerven zur reflectorischen Contraction der glatten Blasen- 
rauskulatur, die sich subjectiv als Harndrang kundgiebt. Die Ent¬ 
leerung erfordert zunächst die Erschlaffung des willkürlichen Spbincter 
vesicae externus, der während der ganzen Dauer der Harnaufnahme 
fest contrahirt, die Passage am Blasenhalse versperrt. Im Augen¬ 
blick, wo dieser Verschluss aufgehoben wird, erfolgt eine starke 
Contraction der Blase, und der Harn fliesst im Strahle ab. Nach 
erfolgter Entleerung liegt die Blase als solider Körper auf dem 
Beckenboden, und der eingeführte Katheter bringt keinen Tropfen 
Urin heraus (Thompson). 2 ) Man kann deshalb, streng genommen, 
die Blase nicht schlechtweg als Hohlkörper bezeichnen, denn in be¬ 
stimmten Stadien ihrer Function ist ein Hohlrauni gar nicht vor¬ 
handen; allerdings ist dieses Stadium im Vergleich mit dem sonstigen 
Zustande der Blase so kurz, dass es zeitlich kaum gemessen werdeu 
kann; denn kaum ist die Blase entleert, so träufelt schon wieder 
frischer Harn aus den Ureteren nach, und das Spiel der Ausdehnung 
beginnt von Neuem. 

‘) Nach Horowitz: Wiener med. Wochenschrift, 1883 No. 13. 

a ) Thompson: Zur Chirurgie der Hamorgane, deutsch von Dupuis. 
Wiesbaden 1885. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 9 


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Drainirt man nun die Blase, d. h. schafft man ihrem Inhalte 
unbehinderten, beständigen Abfluss, wodurch jeder Tropfen Urin, 
ohne sich in der Blase anzustaueu, sogleich nach aussen sich ent¬ 
leert, so fällt zunächst die Ursache der Blasenausdehnung weg, und 
die Blase hört auf als Harnreservoir zu functioniren. Dadurch 
kommt es aber in zweiter Linie zu keiner Reizung und reflec- 
torischer Blasencontractiou. Es sistirt somit auch die periodische 
Harnentleerung, die Blase befindet sich iu einem Zustande voll¬ 
ständiger Ruhe und ist quoad functionein aus dem uropoetisclien 
System eliminirt. 

Was nun zunächst die chronischen Cystitiden anlangt, so 
kommen selbstverständlich hier nur diejenigen in Betracht, welche 
weder einen Blasenstein, einen Bluseutumor, noch irgend ein anderes 
materielles Moment zur Grundlage haben, denn in diesen Fällen 
muss die Behandlung eine ätiologische sein und wäre jede andere 
zweck- und resultatlos. 

Die Behandlung einer chronischen, idiopathischen Cystitis ergiebt 
sich aus der Betrachtung des Wesens des pathologischen Processes. 
Die Entzündung der Harnblase beschränkt sich bei längerem Be¬ 
stehen nicht allein auf die Blasenschleimhaut, was in acuten Fällen 
die Regel ist, sondern ergreift auch die submucösen Schichten 
und die Muskulatur selbst. Iu Folge dessen wird nicht nur die 
Schleimhaut dick und unnachgiebig, sondern auch die Muskelschicht 
durch Einlagerung der entzündlichen Producte hypertrophisch. 1 2 ) 
Für die Functionen der Blase resultirt aus diesen Veränderungen 
zweierlei: erstens vermag sich die Blase nicht mehr in den physio¬ 
logischen Grenzen auszudehneu, und zweitens büsst der Musculus 
detrusor die Fähigkeit ein, durch kräftige Contractionen allen Urin 
zu entleeren; ein geringes Quantum bleibt trotz der noch so 
häufigen Harnentleerung in der Blase immer zurück. Nun ist aber 
der Urin durch die Beimengungen der entzündlichen Producte der 
Schleimhaut schon pathologisch veräudert; er enthält mehr oder 
weniger rothe Blutkörperchen. Eiter, abgestossene und abgestorbene 
Schleimhautepithelien. In Folge der Stauung verfällt er rasch der 
ammoniakalischen Gährung, wodurch dann die phosphorsauren Salze 
niedergeschlagen werden. Der entzündliche Process wird bei solchem 
Inhalte intensiver, und dadurch die pathologisch-auatomischen Ver¬ 
änderungen an der Blase und ihre Folgen für die Function des 
Organs noch bedeutender. So entwickelt sich mit der Zeit ein 
Circulus vitiosus, in welchem die Ursache als Wirkung und die 
Wirkung wieder als Ursache weiter fortarbeitet. 

Die Behandlung muss diesen Circulus vitiosus unbedingt sprengen.' 
Man erreicht den Zweck für gewöhnlich durch die jetzt allgemein 
acceptirte locale Therapie vermittelst Katheter und Blasenaus¬ 
spülungen. 

Es giebt aber auch Fälle, wo trotz der sorgfältigsten localen 
Behandlung die Cystitis hartnäckig sich erhält.-) In anderen wie¬ 
der 3 ) ist die Reizbarkeit der Harnröhre und Blase so gross, dass 
die Einführung selbst eines weichen Nelatou’scheu Katheters 
wegen der unerträglichen Schmerzen unterlassen werden muss, und 
die Ausspülung der Blase durch die kraukhafte Contraction der¬ 
selben vereitelt wird. 4 5 ) Für solche Fälle bleibt die Cystotoraie 
und Drainage Vorbehalten und vermag die besten Resultate zu lie¬ 
fern. Sie befreit einerseits den Kranken von dem lästigen Harn¬ 
drang und den qualvollen Schmerzen bei der Harnentleerung, ge¬ 
währt ihm dadurch ungestörte Ruhe und Schlaf und trägt so 
wesentlich zur Hebung des Allgemeinbefindens bei; andererseits be¬ 
seitigt sie vollkommen die Harnstauung, den Hauptfactor der an¬ 
dauernden Entzündung, gestattet leichten Zutritt zu der Blase und 
ermöglicht, da man auf die empfindliche Harnröhre keine Rücksicht 
mehr zu nehmen braucht, die Anwendung von stärker wirkenden, 
namentlich kaustischen Mitteln. 

Die Casuistik der zuerst von F. Collot, systematisch von 
Gustav Simon empfohlenen und besonders durch Thompson in 
die Praxis eingeführten Drainage bei chronischer Cystitis beläuft 
sich bis jetzt im Ganzen auf ein nicht ganzes Hundert von Fälleu 
mit einem ziemlich hohen Procentsatz von Verlusten, wobei jedoch 
zu bemerken ist, dass die hohe Mortalität mit dem Eingriffe in 
keinem direkten Zusammenhänge steht. Denn nur in zwei Fällen 
erfolgte der Tod an Nachblutung; & ) in allen übrigen erlagen die 
Kranken tiefgreifenden Nierenleiden. Es wurde somit die Operation 
zu einer Zeit gemacht, wo Aussicht auf Heilung nicht mehr vor¬ 
handen war. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass die Drai¬ 


1 ) Ziegler: Lehrbuch der pathologischen Anatomie, Jena 1886. 

2 ) Thompson 1. c- C. Hueter: Grundriss der Chirurgie. Band II, 
p. 366. Leipzig 1886. 

^ Horowitz: Die Behandlung schwerer Blasenkatarrhe durch Blasen- 
schnitt. Wiener medic. Wochenschrift 1883, No. 13 und 14. 

4 ) Guyon: Le^ons cliniques sur les maladies des voies urinaires. 
Paris 1884. Ref. Centralblatt für Chirurgie 1884. No. 47. 

5 ) Weir: Jahresb. Virchow-Hirscii 1880 Fridgin Teale (Leeds)’; 

Lancet June 4, 1887. 


nage in jenen unheilbaren Fällen principiell zu verwerfen ist; sie 
kaun im Gegentheil unter bestimmten Umständen, wie dies aus 
einem meiner Fälle hervorgeht, sogar indicirt erscheinen. Aber für 
die Statistik ist es rathsara, nicht alle Cystitiden von einem Ge¬ 
sichtspunkte aus zu betrachten, um die Statistik für die Methode 
der Behandlung verwerthen zu können. 

1. Fall. Cystitis tuberculosa. 

C. St., 16 Jahre alt, liess sich am 13. Januar 1886 wegen schmerz¬ 
haften und häufigen Hamens in’s Krankenhaus aufnehmen. Die Eltern des 
Patienten starben an Phthisis pulmonum. Er selbst war bis vor Kurzem 
gesund; erst seit mehreren Wochen leidet er an einem schmerzhaften und 
allstündlichen Uriniren, Appetitlosigkeit und gestörter Nachtruhe. 

Patient sieht anämisch aus, trotzdem der Panniculus adiposus gut ent¬ 
wickelt ist, Thorax flach, die Scapulae stehen ab. Der Urin weiss-gelblich, 
trübe, reagirt neutral, enthält ein reichliches Sediment, welches aus Eiter¬ 
körperchen und abgestossenen Blasenepithelien besteht. Trotz der einge¬ 
leiteten allgemeinen und localen Behandlung nahm die Cystitis an Intensität 
zu, das Sediment wurde copiöser, der Urin alkalisch und übelriechend. 
Dieser ungünstige Verlauf, ausserdem das Alter des Patienten, im Verein 
mit der hereditären Belastung und dem spontanen Auftreten, Hessen mit 
grosser Wahrscheinlichkeit Blasentuberculose vermuthen, obwohl volle Sicher¬ 
heit in die Diagnose intra vitam nicht kam, da die wiederholten Unter¬ 
suchungen auf Tuberkelbacillen negativ ausfielen. Eben aus Rücksicht auf 
die Natur des Leidens sollte die Behandlung der Cystitis auf die Be¬ 
kämpfung der subjectiven Beschwerden beschränkt bleiben. Dieselben 
wurden Anfangs Mai 1886 unerträglich. Patient hatte fast keinen Augen¬ 
blick Ruhe; denn der Harndrang war continuirlich, und alle paar Minuten 
flössen unter den heftigsten Schmerzen mehrere Tropfen einer nicht mehr 
dem Urin ähnlichen Flüssigkeit ab. Von dem Katheter war jetzt kein 
Gebrauch mehr zu machen, denn, abgesehen von den schrecklichen 
Schmerzen, die das Einführen desselben hervorrief, stellte sich eine acute 
Urethritis und ein so heftiges Präputialödem ein, dass selbst Scarificationen 
nöthig wurden, um die Hautnekrose zu vermeiden. Man ging deshalb zu 
den lauen Vollbädern und den Narcoticis über, erzielte aber auch damit 
kein besseres Resultat. Unterdessen brachte die andauernde Schlaf- und 
Appetitlosigkeit im Verein mit der profusen Eiterung aus der Blase und 
der Albuminausscheidung aus den Nieren, den Kranken sehr herunter. 
Man entschloss sich deshalb zur Drainage und dieselbe wurde von dein 
Primärarzt der Anstalt, Herrn Dr. Zielewicz, vermittels Boutonniere ein¬ 
geleitet. Mit Rücksicht auf das angestrebte Ziel war der Effect ein voll¬ 
kommener; der Harndrang und die Schmerzen Hessen nach, Patient hatte 
ungestörte Nachtruhe, bekam Appetit und erholte sich ganz bedeutend. 
Mehr war in dem Falle nicht zu erreichen. Die Drainage wurde durch' 
mehrere Monate bis zum Tode des Patienten, der unter urämischen Er¬ 
scheinungen am 10. Februar 1887 erfolgte, fortgesetzt, und er ertrug sie 
vortrefflich. 

So lange ist meines Wissens die Blase noch nicht drainirt 
worden. Man kann demnach, wie aus dem Gesagten hervorgellt, 
die Drainage hei der chronischen Cystitis für indicirt halten: 

1. Wenn die gewöhnliche Behandlung mit Katheter u. s. w. zu 
keinem Resultate führt; oder 

2. Wenn dieselbe wegen Reizbarkeit der Urethra und der Harn¬ 
blase nicht durchzuführen ist; und zwar in beiden Fällen möglichst 
frühzeitig, um die secundären Erkrankungen der Nieren zu ver¬ 
meiden. 

3. Wenn, wegen des bereits entwickelten Nierenleidens, jede 
Hoffnung auf Genesung zwar schon geschwunden, die subjectiven 
Beschwerden aber auf keine andere Weise beseitigt werden kiinnen. 

An dieser Stelle möchte ich noch im Kurzeu über einen Fall 
berichten, der in Bezug auf den uns beschäftigenden Gegenstand nicht 
ohne Interesse sein dürfte. 

Ein 13jähriger Knabe aus der Praxis des Herrn Dr. v. Zuch o wski aus 
Graetz acquirirte beim Zaunkletteru durch Fall auf das Perineum eine voll¬ 
ständige Urethraruptur. Erst am 10. Tage nach der Verletzung wurde der 
Patient in’s Krankenhaus gebracht. Man fand in der Gegend des Perineum 
eine Geschwulst, über der die Haut bereits nekrotisch und zum grössten 
Theile schon demarkirt war. Im Bereiche der Demarkationslinie mehrere 
kleine Oeffnungen sichtbar, aus denen in Tropfen eine jauchige nach Ammo¬ 
niak stark riechende Flüssigkeit sich entleerte. Die Blase war bis über 
den Nabel ausgedehnt; der eingeführte Katheter (Nelaton) entleerte ziemlich 
viel von der genannten Flüssigkeit, die Blase blieb aber trotzdem gleich 
hoch stehen. Nach Entfernung der nekrotischen Partieen überzeugte man 
sich, dass die Ruptur eine complete war; die Rupturstelle lag dicht vor dem 
Bulbus urethrae. Von der Dammwunde wurde die Blase durch einen Ka¬ 
theter entleert; der Harn war jauchig, von alkalischer Reaction und enthielt 
kleinere und grössere Fetzen der Blasenschleimhaut. Es lag somit die 
diphtheritische Form der Cystitis vor. Dieselbe wurde durch Ausspülungen 
und durch Einlegen eines Verweilkatheters, um die Wundfläche vor Infectiou 
zu schützen, behandelt; der Katheter wurde am Tage öfters unwegsam, 
musste gewechselt und nachgespült werden. Manchmal hatte aber die 
Durchspülung des Katheters keinen Erfolg. Patient hatte nach wie vorher 
heftigen Harndrang, contrahirte spastisch die Blase, nahm die ganze Kraft 
der Bauch presse hinzu und konnte dennoch keinen Tropfen Urin heraus¬ 
pressen. Beim Einführen des Katheters stiess mau im Blasenhalse auf einen 
Widerstand, der beim stärkeren Drucke nachgab, und der Katheter glitt in 
die Blase; es flössen mehrere Tropfen Urin ab, aber der Patient hatte da¬ 
durch keine Erleichterung. Der Katheter wurde deshalb wieder heraus- 
genommen, und, während der Kranke heftig presste, eine geschlossene 
Hakenpincette in den Blasenhals eingeführt, dort leicht geöffnet, noch ein 


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9. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 107 


wenig vorgeschobon, daun geschlossen und extrahirt. Die Manipulation war 
nicht umsoust: die Pincette förderte zu Tage ein im Durchschnitt ca. 4 cm 
grosses nekrotisches Schleimhautstück. Darauf hatte Patient Ruhe. Wäh¬ 
rend der Dauer der Cystitis wiederholte sich dies mehrere Male und wurde 
immer auf gleiche Weise verfahren. In ca. 14 Tagen war die Cystitis 
au geheilt. 

Legt inan sich die Frage vor, was im vorliegenden Falle den 
Verlauf einer so schweren Cystitis so günstig beeinflusste, so wirft 
sich fast von selbst die Antwort auf: der durch die Ruptur ge¬ 
schaffene leichte Zugang zur Blase. Man hätte sonst an die An¬ 
wesenheit von solch’ grossen, abgestossenen Schleimhautpartieen gar 
nicht gedacht und wäre gar nicht dazu gekommen, dieselben zu ex- 
trabiren. Sie hätteu in der Blase weiter faulen und zerbröckeln 
müssen, ehe sie in Form von Detritus spontan abgegangen wären. 
Inzwischen wäre aber der Patient an dem septischen Fieber sicher 
zn Grunde gegangen. 

Ich will auf Grund dieses einzelnen Falles keine allgemeinen 
Kegeln für die Behandlung der schwereren Formen der acuten Cysti- 
tiden aufstellen, auch nicht etwa der ausschliesslichen Anwendung 
der Drainage das Wort reden; ich führte den Fall nur an als inter¬ 
essante Illustration der Idee, welche der Drainage der Blase in den 
schweren Erkrankungen dieses Organs zu Gruude liegt. 

Die günstige Wirkung der Operation bei den schweren chroni¬ 
schen Formen äussert sich besonders in Bezug auf die Schmerzen, 
auf den Eiter- und den Blutgehalt des Urins. Aeusserst wohlthätig 
wirkt die Drainage auf den Tenesmus, indem sie die Spannuug der 
Blasenwände aufhebt und die schmerzhaften Contractionen derselben 
zum Verschwinden bringt. Die Eiterung hört theils von selbst auf 
durch die jetzt erleichterte Fortschaffung aller septischen und ent¬ 
zündungserregenden Stoffe, theils wird sie durch energische Behand¬ 
lung der Blase mit antiseptischen und adstringirenden Auswaschun¬ 
gen fortgeschafft. Durch die Abschwellung der Schleimhaut schwin¬ 
det deren venöse Stauung und die damit häufig verbundene Hä¬ 
maturie. 

Bezüglich der inoperablen Blasengeschwülste kann ich mich 
kurz fassen; denn die Drainage ist hier im Allgemeinen aus den¬ 
selben Rücksichten indicirt, wie in den ad 3 angeführten Fällen der 
chronischen Cystitis. Es handelt sich meistens um Blasencarcinome, 
die wegen ihrer flächenhaften Ausbreitung oder der Verwachsung 
mit den Nachbarorganen einer operativen Behandlung sich entziehen. 
Die Beschwerden der Patienten werden, wenn nicht gerade zufällig 
eine Hypertrophie der Prostata vorliegt, entweder durch die beglei¬ 
tenden Cystitiden oder durch die Blasenblutungen bedingt. Die 
Cystitiden werden in der Regel durch die faulige Zersetzung des 
Urins in Folge des geschwürigen Zerfalls der Geschwulstoberfläche 
eingeleitet. Alle Chirurgen stimmen darin überein, dass die Zer¬ 
setzung des Harns bei diesen Carcinomen (Zottenkrebs) durch kein 
Mittel zu beseitigen ist, da sie durch das faulende Carcinomgewebe 
immer wieder eingeleitet w r ird. Alle Injectionen, auch die der 
starken antiseptischen Lösungen, bleiben erfolglos. In einem meiner 
Fälle gelang es, durch die Drainage dieser jauchigen Cystitis Herr 
zu werden. 

Die Blutungen können, wenn sie profus sind, durch Bildung 
von klumpigen Blutcoagulis die Harnentleerung gänzlich aufheben. 
Mit dem Katheter lässt sich zwar das flüssige Blut und der Urin 
entfernen, die Blutklumpen bleiben aber zurück und reizen als 
Fremdkörper die Blase in manchen Fällen so sehr, dass dieselbe 
sich krampfhaft contrahirt, und eine unerträgliche Strangurie daraus 
resultirt, gegen welche selbst die Xarcotica sich unwirksam erweisen. 
Die Schmerzen localisiren sich meistens in der Eichel, uud die Pa¬ 
tienten haben das Gefühl, als ob ihnen die Harnröhre platzen sollte. 
Trotzdem die Drainage der Blase als sicheres palliatives Mittel gegen 
diese lästigen Symptome von manchen Seiten 1 ) empfohlen wurde, 
habe ich in der Literatur nur einen Fall gefunden, wo sie zu ge¬ 
nanntem Zwecke ansgeführt wurde. Bei einem 60jähr. Patienten 
machte Watson 2 ) wegen eines Blasencarcinoms, das bereits auf die 
Beckenknochen übergegangen war, die Boutonniere, kratzte die Ober¬ 
fläche der Geschwulst möglichst genau aus und drainirte. Der Tod 
erfolgte nach Monaten an Marasmus, die Hauptbeschwerden 
aber waren beseitigt. 

Ich habe über zwei diesbezügliche Fälle zu berichten. 

L Fall. A. H., 70 Jahre alt, am 26. Mai 1886 aufgenommen, leidet 
seit mehreren Wochen an profusen Blasenblutungen, beständigem Harn¬ 
drang und grossen Schmerzen beim Uriniren. Der Kranke weiss keine Ur¬ 
sache seines Leidens anzugebeu. — Patient ist äusserst abgemagert; die 
Haut blass, trocken, seniler Marasmus. Local constatirt man eine massige 
Fällung der Blase und bei Palpation vom Rectum aus eine harte, den 
ganzen hinteren Hamblasentheil umfassende Geschwulst. Der Urin ist 
reichlich mit flüssigem Blut getränkt. Durch den Katheter eutleeren sich 

*) Ponsson: De Pinteivention ebirurgieale dans le traitement et le 
diagnostic des tumeurs de la vessie. Paris 1884- Ref. Centralbl. für Chi¬ 
rurgie 1885, No. 23. — Thompson: Zur Chirurgie der Harnblase. 

*) Ref. C-entralbl. f. Chirurgie 1885, No. 9. 


ca. 300 g blutigen Urins mit Blutgerinnsel. Das Alter des Patienten, die 
profusen Blutungen und die vom Rectum aus deutlich zu fühlende Ge¬ 
schwulst machten die Diagnose auf Carcinoma vesicae urinariae absolut 
sicher. Weder die häufige Anwendung des Katheters und der verschiedenen 
Styptica, um die Blutungen zu mässigen, noch die grossen Dosen von Mor¬ 
phium brachten irgend welche Erleichterung. Er wünschte den Tod, um 
von den Qualen befreit zu werden. Als letzes Mittel blieb die Drainage 
übrig; sie wurde auch am 25 Mai 1886 von Herrn Dr. Zielewicz durch 
die Boutonni&re eingeleitet. Patient ertrug die Operation und die Drainage 
bis zu seinem Ende, das nach 15 Tagen sich einstellte, sehr gut und war 
für die Hülfe äusserst dankbar. Die Blutungen hielten zwar an, verursachten 
aber keine Schmerzen mehr, da das Blut gleich flüssig durch das dicke 
Drainrohr abfloss. Die Autopsie ergab eine gleichmässige, harte Infiltration 
des Fundus und der seitlichen Wände: die Oberfläche war uleerös, die Ge¬ 
schwüre von unregelmässiger Form. 

II. Fall. M. Sz-, 55 Jahre alt, aufgenommen am 7. Mai 1887, hat 
über häufiges und schmerzhaftes Harnen zu klagen. Die Beschwerden des 
Patienten bestehen seit 2 Monaten und sind in stetem Zunchmen begriffen; 
als Ursache seiner Erkrankung giebt Patient Erkältung an. — In der Blasen- 
gegend fühlt man durch die dünnen Bauchdecken hindurch eine harte kuge¬ 
lige Geschwulst; der Urin ist jauchig, von alkalischer Reaction, enthält 
grosso Mengen Eiweiss. Die mit dem Urin entleerten Gewebsfetzen geben 
bei der mikroskopischen Untersuchung zweifellosen Aufschluss über die Natur 
der Neubildung. Es liegt der sogenannte Zottenkrobs der Blase vor; das 
Krankheitsbild beherrscht die heftige jauchige Cystitis, welche dem Patienten 
grosse Schmerzen bereitet. Die Drainage wurde am 11. Mai 1887 in erster 
Linie wegen der Cystitis gemacht, da Patient hoch fieberte. Der Zweck 
wurde auch erreicht, denn die Cystitis verlor ihren jauchigen Charakter, 
und Patient war fieberfrei. Er starb nach l*/s Monat unter urämischen 
Erscheinungen. — Die Autopsie ergab an der Blase die typische Form 
des sogenannten Zottenkrebs. (Untersucht im pathologischen Institut zu 
Greifswald.) Die Neubildung nahm den ganzen Fundus ein und war auf 
der Oberfläche geschwürig, ausserdem parenchymatöse Nephritis im Stadium 
der Verfettung. 

Ueber den Werth und die Verwendbarkeit der Drainage bei 
Prostatahypertrophie kann man bis jetzt kaum ein Urtheil fällen; 
denn das casuistische Material beschränkt sich auf gar wenige 
Fälle. Man ist auch über die Indicationen noch nicht im Klaren. 
Thompson 1 ) will die operative Behandlung der Prostatahypertro¬ 
phie mit Drainage auf diejenigen Fälle beschränkt wissen, in wel¬ 
chen die Blase seit längerer Zeit nur mit Hülfe des Katheters ent¬ 
leert werden kann uud eine gleichzeitige Cystitis besteht, die vor¬ 
zugsweise durch den nothwendigen Katheterismus unterhalten wird. 
Harisson 2 ) dagegen schlägt vor, bei erschwertem Katheterismus 
und chronischer Urinverhaltung in Folge von Prostatahypertrophie 
die Urethrotomia externa auszuführen, das Hinderniss im Blaseu- 
halse eventuell durch Incision der Drüse zu beseitigen und die Blase 
mitttelst einer, den neuen Canal genau ausfüllenden Doppelcanüle 
so lange zu drainiren, bis ein mitteldickes Bougie auf natürlichem 
Wege leicht sich einfiihreu lässt. 

Dass die Drainage durch temporäre Ausserfunctionssetzung des 
Organs auf die in Folge der chronischen Urinverhaltung atonisch 
gewordenen Blasenwandungen günstig eiuwirken muss, ist a priori 
wahrscheinlich. Insofern als die Urinverhaltung im speciellen Falle 
auf dieser Atonie der Blase beruht, wird die Drainage die gestörte 
Function wiederherzustelleu vermögen. Ob aber die mechanische 
Streckung und Erweiterung des prostatischen Theiles der Harnröhre, 
wie es Harisson durch seine protrahirte Drainage bezweckt, für 
die Dauer das Uebel zu beseitigen im Stande ist, entzieht sich einst¬ 
weilen der Beurtheilung. 

Braun 3 ) machte wegen Urinverhaltung bei Prostatahypertro¬ 
phie, wo ausserdem noch ein falscher Weg durch die Drüse gebohrt 
war, die Urethrotomia externa und drainirte die Blase 16 Tage hin¬ 
durch. Das Resultat war sehr günstig; nach 4 Wochen war die 
Dammwunde zugeheilt, und Patient, ein 60jähriger Mann, konnte 
wieder spontan uriniren. Auf Grund dieses Falles empfiehlt Brauu 
unter ähnlichen Umständen seine Behandlungsweise gegenüber der 
Blasenpunction, namentlich aus Rücksicht auf die falschen Wege, 
die, wenn sie vollkommen sind, recht üble Folgeu haben können. 
Thompson wandte in zwei Fällen von Prostatahypertrophie die 
Drainage an. 

Was die Indicationen zur Drainage bei den Harnblaseverletzungen 
anbetrifft, so ist man bis jetzt hauptsächlich noch nicht darüber 
einig, wann operirt werden soll. Beck, 4 ) Koenig : ') halteu die 
Drainage der Blase, nach vorausgeschicktem Medianschnitt, erst 


‘) Thompson: 1. c. p. 39. 

*) R. Harisson: Ueber die Behandlung von gewissen Formen der 
Prostatahypertrophie mit Durchschneidung der Drüse. Ref. Ctbl. für Chi¬ 
rurgie 1884, No. 42. 

3 ) Braun (Jena): Ueber die Behandlung der Urinverhaltung und 
eines gleichzeitig vorhandenen falschen Weges bei Prostatahypertrophie 
durch die Urethrotomia externa. Ctbl. für Chirurgie 1885, No. 46 

4 ) Beck: Ueber traumatische Zerreissung der Harnblase. Ref. Ctbl. 
f. Chirurgie 1883, No. 44. 

6 ) Koenig: Lehrbuch der speciellen Chirurgie. Bd. II, p, 122. 
Berlin 1885. 


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DEUTSCHE MEDICIN1SCIIE WOCHENSCHRIFT. 


dann für indicirt, wenn der Verweilkatheter, mit dem die Behand¬ 
lung eingeleitet werden soll, für die Urinableitung als unzureichend 
sich erweist. Guerterbock 1 ) will dagegen, sobald die Diagnose 
auf Blasenzerreissung gestellt ist, ohne Zuwarten zur Laparotomie 
schreiten, den Blaseuriss, gleichgültig, ob er intra- oder extra¬ 
peritoneal liegt, aufsuchen und nach sorgfältiger Toilette der Bauch¬ 
höhle die Riiuder derselben in die Bauchwäude einuälien. Durch 
die so gebildete Fistel wird dann die Blase, wie nach einer gewöhn¬ 
lichen Sectio alta, vermittelst zweier starrwaudiger Gummiröhren mit 
Benutzung der Hebervorrichtung drainirt. Riviugton 2 ) und Weir*) 
rathen, um in zweifelhaften Fällen möglichst frühzeitig zur Diagnose 
zu kommen, was für die Behandlung von grösster Wichtigkeit ist, 
den Perinealschnitt auszuführen, der auch zugleich „dem so noth- 
wendigen Urinabfluss dienen soll.“ Es würde mich zu weit führen, 
hier des Näheren auf die Vor- und Nachtheile der Drainage, an 
deren Behandlungsmethoden gegenüber, so namentlich der Blasen- 
nalit. einzugeheu. Ich hebe nur im Allgemeinen hervor, dass die 
Drainage nach jetzigen Erfahrungen (Guyon, König, Trendelen- 
burg) noch am sichersten die Haruinfiltration zu verhüten im 
Stande ist. Dafür erlaube mir aber, aus der Literatur 4 ) einen 
mit Perineal-Draiuage behandelten und glücklich verlaufenen Fall 
von Blasenzerreissung anzuführen. 

Patient, ein 28jähriger Arbeiter, wurde durch herabfallende 
Erdmasseu verletzt; das Becken und die linke Hüfte wurden be¬ 
sonders stark betroffen. Bei der Aufnahme kein Shock, Allgemein¬ 
befinden gut, kleine Eechymose am Scrotum, ein Bluttropfen an 
der Harnröhrenmündung. Kein Zeichen von Beckenfractur. Ein 
eingeführter Gummikatheter entleerte blutigen Urin. In den nächsten 
Tagen bildete sich eine Dämpfung in der Regio suprapubica aus, 
die sich bis 4 cm über die Symphyse und nach beiden Leisten hin 
erstreckte. Der Leib wurde gespannt und empfindlich, es trat 
Fieber und Brechneigung ein. Eine Punction des Hypogastrium 
ergab blutige Flüssigkeit von saurer Reaction und Uringeruch. 
Operation vier Tage nach der Verletzung. Die Bauchdecken werden 
in der Mitte zwischen Nabel und Symphyse ausgiebig gespalten; 
man eröffnet so eine grosse Höhle, die wenigstens eine Pinte blu¬ 
tigen, nicht zersetzten Urins enthielt. Eine Blaseirsvunde konnte 
von hier aus nicht entdeckt werden. Es wird deshalb die Harn¬ 
röhre durch den Perinealschnitt eröffnet; der eingeführte Finger 
findet einen Riss, der entlang der linken Seite des Daches der 
Prostata verläuft und sich dann weiter in die Blasenwand hinein 
erstreckt. Drainage der Extravasathöhle und der Blase durch ein 
dickes Drainrohr, das durch die Bauchwunde eingeführt, durch die 
Blasenwunde hiudureh, und zur Dammwunde wieder herausgeführt 
wird. Ausspülung mit V 2 %o Sublimatlösung; Jodoformgazeverband. 
Verlauf durchaus glatt. Patient einen Monat nach der Operation 
geheilt entlassen. 

Endlich wurde noch die Drainage der Blase in Anwendung 
gebracht bei einem Symptomencomplex, den man kurz als Cystal- 
gia, Neuralgia vesicae oder Irritable Bladder bezeichnet. Das 
Wesen des Leidens scheint in einer krankhaft gesteigerten Reizbar¬ 
keit des Blaseuhalses und namentlich des Blasensehliessmuskels zu 
liegen (Englisch). In der Mehrzahl der Fälle reiht es sich als 
Theilerscheiuuug an anderweitige Erkrankungen des Geschlechts- 
uud Harnapparates an; oft ist aber keine Ursache zu eruiren. An 
der Harnblase findet man nichts Pathologisches; der Urin hat 
normale Beschaffenheit, allerdings können auch leichte Blutungen 
auftreten, und die Kranken klagen doch über lästigen Harndrang 
und häufiges, schmerzhaftes Uriniren. Thompson 5 ) allein führte 
in 6 derartigen Fällen die Boutonniere aus und drainirte die Blase 
6—8 Tage hindurch. In 3 Fällen war der Effect ein vollkommener; 
es schwanden alle Beschwerden; in den 3 anderen wurden sie be¬ 
deutend gelindert. Auch Mikulicz 6 ) berichtet über einen ähn¬ 
lichen Fall. Bei einem 60jährigen Patienten bestanden Hämaturie 
und heftiger Harndrang ohne gleichzeitige Cystitis und andere 
nachweisbare Ursache. Boutonniere und Drainage der Blase führten 
nach mehreren Wochen zur Heilung. Diese Erfolge ermuthigen 
dazu, die Drainage als letztes Mittel bei der Irritable Bladder zu 
versuchen; ihre Wirkung ist wahrscheinlich in der mechanischen 
Erweiterung des contrahirten Blasenschliessers zu suchen. 

Was die zur Einleitung der Drainage nothwendige Operation 
betrifft, so sind, ohne dabei irgend welchen besonderen Zweck zu 

*) Gueterbock: Notiz zur Behandlung der Blasenruptur. Archiv für 
klin. Chirurgie. Bd. XXXI, Heft 2. 

,J ) Ref. Ctbl. f. Chirurgie 1884, No. 31. 

®) Robert F. Weir: Ueber Blasenruptur. Ref. Ctbl. f. Chirurgie 
1884, No. 31. 

4 ) F. Weir. I. c. 

5 ) Thompson: ibidem p. 39. 

6 ) Trzebicky: Beiträge zu den Operationen an der Harnblase. (Aus 
der chirurgischen Klinik von Professor Mikulicz in Krakau.l Wiener 
raed. Presse 1885, No. 42—52. 


No. 6 


verfolgen, alle Arten des Perinealschnittes angewandt worden. Von 
Guyon ist sogar die Sectio alta behufs Drainage vorgeschlagen 
worden, ist aber weder von ihm selbst, noch von Anderen aus 
dieser Indicatiou ausgefühlt worden. Bei der Wahl der Operation 
verdient diejenige unbedingt den Vorzug, welche als Operation am 
wenigsten gefährlich ist und doch genügenden Raum für unge¬ 
hinderten Urinabfluss schafft. Von diesem Gesichtspunkte ist die 
Sectio alta entschieden zu verwerfen; denn sie ist als Operation 
sicher die gefährlichste von allen Cystotomieen (Koenig, Volk¬ 
mann). Am besten entspricht den genannten Anforderungen die 
Boutonniere. Sie hat der Sectio mediana gegenüber den Vorzug, 
dass sie die Prostatakapsel unverletzt lässt; dadurch ist der Gefahr 
einer Prostatitis purulenta vorgebeugt, v. Volkmann führte die 
Boutonniere in über 100 Fällen aus; nur zwei Kranke erlagen 
direkt dem Eingriff, der eine an Blutung, der andere an Sepsis. 
Auch falleu bei der Boutonniere die Gefahren der Verletzung der 
im Blaseuhalse am Caput galliuaginis gelegenen, geschlechtlich 
wuchtigen Theile weg; denn es wird nur die Pars nuda urethrae 
augeschnitten. Für die Einlegung eines Drainrohrs und die Urin- 
ableitung erwies sich die Boutonniere bis jetzt in allen Fällen aus¬ 
reichend. (v. Dittel, Thompson.) 

Was die Technik der Operation und der Drainage anbelangt, 
so wurde sie in unseren Fällen von Herrn Dr. Zielewicz genau 
nach den Vorschriften von Thompson ausgeführt. Während der 
Operation ereignete sich keine Coraplication, wie etwa eine stärkere, 
arterielle Blutung; auf dem Itinerariura gelang es leicht und schnell, 
die Urethra aufzufinden. Der Bulbus urethrae sowie die Prostata¬ 
kapsel wurden in keinem Falle verletzt, die Wundheilung wurde 
in keinem Falle complicirt. Die Drainage wurde vermittels eines 
dickwandigen, mittelstarken Guramirohres, ohne Fenster, herge¬ 
stellt. Die Wunde wurde mit Jodoformgaze bedeckt; darauf kam 
ein Verband, der das Becken umfasste und durch Achtertouren das 
Perineum bedeckte. Das Drainrohr wurde mit einer Doppelnadel 
an den Verband befestigt. 


IY. Beiträge zur Localisation im Grosshim 
und über deren praktische Verwerthung. 
Von Dr. M. Jastrowitz. 

(Fortsetzung aus No. 5.) 

Was Exner in seinem Buche publicirt hat uud was seitdem 
von anderen, besonders englischen Autoren an Neuem gefunden 
worden ist, nebst den Folgerungen, welche daraus für die Pathologie 
und für die Diagnose zu ziehen sind, habe ich in folgenden Sätzen 
zusammengestellt, die eine Uebersicht von dem heutigen Stande 
unserer Kenntnisse in der Localisatiouslehre geben sollen. 

Es wird angenommen, dass vorhanden sind: 1 ) 

1. Für die Motilität zunächst, absolute Rindenfelder, 
deren Verletzung jederzeit Lähmung einer bestimmten Extremität 
setzt, und relative Rindenfelder, welche sich über die ganze 
sonstige Hirnoberfläche erstrecken, bei denen dies zwar der Fall 
sein kann, aber nicht mit Nothwendigkeit zu sein braucht. Die 
absoluten und die relativen Rindenfelder sind gegen einander nicht 
scharf abgesetzt, sondern klingen allmählich ab, bis fast Null. Na¬ 
türlich muss deshalb in den relativen Gebieten, soll ein bestimmtes 
Symptom eintreten, eine um so grössere Läsion vorhanden sein, je 
weiter dieselbe von dem betreffenden, für dies Symptom mass¬ 
gebenden absoluten Felde entfernt ist. 

Aus diesem ganzen Verhältniss der absoluten und relativen 
Felder, welche für alle Functionen des Gehirns existiren, resultirt 
die der Flourens’schen Lehre nahe Anschauung, dass in jedem 
Hirntheil alle Functionen vertreten sind. Dagegen ist der Locali¬ 
sation insofern Rechnung getragen, dass man eine absolute dauernde 
Lähmung nur durch Zerstörung der motorischen Regionen, eine ab¬ 
solute Bliudbeit nur durch Exstirpation der Hinterlappen erzielen 
kann etc. 

Sind die absoluten Centren total exstirpirt, so verlieren die rela¬ 
tiven ihre Dignität; letztere können die ersteren nicht ersetzen. Ein 
Mensch, dessen Hinterlappen biiderseits zerstört sind, bleibt für 
immer blind (Munk). Aber er wird sich von dem am peripheri- 


*) Abkürzungen: Fi obere. Fa mittlere, F 3 untere, dritte Stirnwindung. 
CA == Centralis Anterior, vordere Centralwindung. 

CP = Centralis Posterior, hintere Centralwindung. 

LP = Lobulus Paracentralis, die mediale Fläche beider Gyri centrales. 

P*a unteres } Scheitelläppchen Letzteres umfasst Pa, den Gyrus supramar- 

ginalis, oberhalb des Randes der Fossa Sylvii, und Pa', den Gyrus 
angularis. — Pi und Pa werden durch den Sulcus interparietal is 
von einander getrennt. 

Oi, O2, O3, die Occipitalwindungen. 

Ti, Ta, T3, die Schläfewindungen. 


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9. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


109 


sehen Sehapparat, an den Augen Erblindeten, selbst von dem Blind¬ 
geborenen wesentlich unterscheiden. Ihm wird es unmöglich sein, 
neue Vorstellungen und neue Begriffe zu bilden, welche an das 
optische Centrum anknöpfen, alle damit verbundenen gemüthlichen 
Erregungen, alle damit in Beziehung stehenden Bewegungen, Töne 
etc. werden aufhören; es werden gewiss auch secundäre Verände¬ 
rungen eintreten, welche noch andere Felder in Mitleidenschaft 
ziehen, kurz, das Individuum wird in gewissem Sinne dement 
werden. 1 ) 

Tafel A. 



Liukc Hemisphäre. Tafel B. 



*) Die Lehre von den relativen Feldern ist keine innerlich physiologisch 
begründete, weil die Fälle, von denen Exncr dieselbe abstrahirt hat, durch 
die mannigfachsten, rein äusserlichen, vor Allem auch pathologisch-anatomi¬ 
schen Ursachen zu ihrem relativen Werth bezüglich der einzelnen Felder 
gelangt sein können. Weun demnach diese Lehre sicher noch viele Ab¬ 
änderungen erfahren dürfte, so ist doch ihr praktischer Werth gross, als 
eines Schema's, in welches Beobachtungen eingeordnet werden können, bis 
wir Besseres haben. Sie hilft überdies über manche, sonst unlösbare 
Schwierigkeiten hinweg, welche auch den Munk’schen Anschauungen von 
den scharf umgrenzten Feldern für die einzelnen Functionen anhaftet, nach 
denen man sich die Bildung von Vorstellungen schwer erklären kann, was 
hier des Weiteren auszuführen nicht der Ort. ist. Die wichtigsten Einwürfe 
sind Einer von Nothnagel auf dem Congress für innere Medicin 1887 
gemacht worden, von denen ich die vornehmsten den Nachbeobachtern em¬ 
pfehle: Dauernde Monoplegieen, besonders des Arms, sind bisher nur bei 
Verletzung der Gyri centrales festgestellt worden. — Bei Erkrankung der 
Rinde der motorischen Gegend kann das Muskelgefühl erhalten bleiben. 
— Erkrankung des Occipital-, Temporal- und des grössten Theiles des 
Frontalhirns haben mit Störung der ITautsensibilität. nichts zu thun (cf. auch 
Luciani-Seppilii). — Es scheine das noch nicht zweifellos gesagt 
werden zu können, ob die Läsionen der Partieen der Rinde, welche moto- 


II. Die linke Hemisphäre ist für die Motilität, die rechte da¬ 
gegen für die Sensibilität mehr begabt; in der linken sind die 
motorischen, in der rechten die sensiblen Felder ausgedehnter. Auf 
der ersteren erstrecken sich die motorischen absoluten Felder auf 
die beiden Centralwindungen, das Paracentralläppchen (LP) und 
weiter nach hinten bis in’s obere Scheitelläppchen (P;), in den Prae- 
cuneus, selbst Cuneus; auf letzterer beschränken sie sich auf die 
beiden Centralwinduugen und den Paracentrallappen (LP) (cf. Ab¬ 
bildungen auf Tafel B, C und D). 

Tafel C. Rechte Hemisphäre. 



Tafel D. Mediale Fläche. 



III. Die intensivsten sensiblen Rindenfelder fallen in die moto¬ 
rische Region und colncidiren daselbst mit den motorischen, selbst bis 
auf einzelne Glieder, z. B. Finger. Absolute sensible Felder giebt 
es nicht. Den Exner’schen procentischen Tabellen zufolge, finde 
ich dieselben ausserdem besonders im Praecuneus entwickelt, bis 67%. 
ferner in den Gyr. front, med. et infer., in den Occipitalwindungen, 
im Gyr. angularis. Im oberen Abschnitt des Lobul. paracentralis 
linkerseits ist die Sensibilität — nach Exner’s Tabellen — stärker 
als an derselben Stelle rechts vertreten, dasselbe ist bei den Occi¬ 
pitalwindungen und Gyr. angularis linkerseits der Fall. Der con¬ 
vexe Theil des Scheitelläppchens scheint von keiner besonderen 
sensiblen Dignität.*) 

rische Paralysen veranlassen, auch Störungen der Hautsensibilität nach sich 
ziehen. 

') Löpine hat einen Fall mitgetheilt von totaler rechtsseitiger Hemi¬ 
plegie ohne tactile Störung und ohne Beeinträchtigung der Intelligenz. 
Zerstört waren: Links CP, die 3 hinteren Digitationen der Insel, der Lob. 
parietal, superior gänzlich und der Lob. pariet. inf. im oberen Theil. 


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110 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 6 


Nach Horsley und Schäfer und nach Ferrier ist der Sitz 
der Hautsensibilität (common and tactile sensibility) und des Muskel- 
gefühls enthalten im ganzen Gyrus fornicatus incl. G. hippoeampi, 
welchen Wulst sie als Gyrus limbicus, auch als Gyr. falciformis und 
Gyr. marginatus bezeichnen. 

IV. Bei Feststellung des Charakters der einzelnen motorischen 
Rindenfelder müssen wir daran denken, dass die motorischen 
Functionen im Hirn willkürliche Bewegungsformen der 
Glieder bedeuten. Einzelne Muskeln sind daselbst nur soweit 
repräsentirt, als sie eben singuläre willkürliche Bewegungsformen 
darstellen. 

Es giebt motorische Felder für die oberen und unteren Extre¬ 
mitäten gemeinsam. — Es sind ferner, wie Horsley und Beevor 
nachgewiesen haben, verschiedene und dieselben Giiederabschuitte 
in der Rinde auf beiden Seiten des Sulcus Rolando vertreten. — 
Die absoluten Felder sind von verschiedener Empfindlichkeit; z. B. 
setzt für die obere Extremität schon eine kleine Läsion des absoluten 
Feldes eine Schädigung, während die Läsion, soll die untere Extre¬ 
mität geschädigt sein, grösser sein muss. — Die Möglichkeit ist nicht 
ausgeschlossen, dass noch andere Centren, als die bisher gefundenen, 
beim Menschen aufgedeckt werden, von absolutem oder minderem 
Functionswerth. 

V. Die von Hitzig, Lepine, Petrina, Charcot-Pitres, 
de Boyer, Nothnagel li. A. am Menschen gefundenen Stellen für die 
verschiedenen Extremitäten, den Facialis, die Zunge, sind im We¬ 
sentlichen bestätigt worden. Je tiefer ein Glied am Körper sitzt, 
um so höher ist dessen Rindenfeld im Gehirn gelagert (de Boyer): 
Bein am höchsten, dann obere Extremitäten, Facialis, Zunge, das 
articulatorische und das sog. motorische Sprachcentrum. 

Auf der linken Hemisphäre (Tafel B), also für die rechteSeite 
ist das absolute gemeinsame Rindenfeld für die obere und untere Ex¬ 
tremität im oberen Scheitelläppchen (Pj), Paracentralläppchen (LP), 
und in den beiden oberen drei Vierteln beider Gyri centrales 
gelagert. Das absolute Rindenfeld des Facialis liegt als schmaler 
Streif auf dem Gyr. central, anterior (CA) zwischen den beiden 
Sulci frontales, näher dem oberen. 

Auf der rechten Hemisphäre (Tafel C), also für die linkeSeite, 
ist das gemeinsame absolute Feld gelegen im Lobul. paracentralis, im 
oberen Drittheil des Gyr. central ant. und in einigen Antheilen des 
Gyr. central, posterior. Die unteren 2 /3 der CA. sind für den linken 
Arm reservirt, mit Ausnahme des untersten Abschnittes. 

Ein absolutes Rindenfeld für den linken Facialis giebt es auf 
der rechten Hemisphäre nicht, sondern nur ein procentisch hoch 
bewerthetes relatives. Es ist demnach bei Herden in dieser Gegend 
mehr wahrscheinlich, dass der Facialis zuweilen frei bleibt, als wenn 
dieselben Herde an analoger Stelle links sässen, und man kann 
Herde auf der motorischen Region der rechten Hemisphäre, wegen 
deren kleinerer Ausdehnung, sicherer als auf der linken diagnosti- 
ciren. 

Entsprechend den von Paneth an Hunden experimentell er¬ 
hobenen Verhältnissen 1 ), scheinen auch beim Menschen die zu ver¬ 
schiedenen Muskelgruppen gehörigen Rindengebiete einander zu 
decken, sich durcheinander zu schieben. Dies Verhalten, sowie 
gewisse individuelle Verschiedenheiten, erklären sich aus der Ent¬ 
wickelung der Hirnrinde, welche mehrere Metamorphosen in ihrem 
äusseren Ansehen durchzumachen hat, ehe sie zu bleibender 
Gestaltung gelangt, wobei das Schädelwachsthum und die Ge- 
fässentwickelung ihre Rolle spielen. Nur das Gebiet des Facialis 
ist vermuthlich vom Gesammtgebiet der Extremitäten constant 
getrennt. An den Grenzen des erregbaren Gebietes für letztere 
finden sich kleine Partieen, welche nur eiuer einzelnen Muskelgruppe 
anzugehören scheinen. Die Felder für die Extensoren der oberen 
Extremitäten scheinen in der CA, etwa gegenüber dem Ursprung 
des Gyr. frontal, med. zu liegen (Fälle von Reynaud, Mahon, 
v. Bergmann), die Flexoren höher oben (Horsley, Lan- 
douzy), die Opponenten des Daumens und der Finger (Bastian 
und Beevor) an der Grenze des mittleren und unteren Drittheils 
beider Gyri centrales, für Daumen und Zeigefinger im unteren Theile 
beider Centralwindungen (Fälle von Bramwell, Martin). — 

Nach Horsley sitzen die Centren für die Bauchmuskeln im Gyr. 
fornicatus (marginat.) gegenüber dem hinteren Ende des Gyr. frontal, 
sup.; nach Ferrier sollen die für die Bewegung des Kopfes und 
Nackens bestimmten sich unter dem Sulc. frontal, primus befinden. 

Das absolute Rindenfeld für die Zunge sitzt beiderseits im 
untersten Abschnitt der CA und an der Basis des Gyr. frontal, inf. 
Ein relativ hoch bewerthetes Feld für dieselbe — 63% — ist der 
Gyr. supramarginalis, und zwar rechterseits höher als links. — 

Der articulatorische und motorische Impuls zur Wort¬ 
bildung geschieht vom unteren Theile der CA aus und vom Fuss 
des Gyr. frontal, inf. sinister. Verletzung der letzteren Stelle bewirkt 

') Pflüger's Archiv 37, p. .>23—561. 


motorische oder ataktische Aphasie (Broca). Man hat sich 
vorzustellen, dass diese Orte, wie die übrigen absoluten motorischen 
Rindenfelder, nach Nothnagel’s treffender Ausführung, Sammel¬ 
punkte darstellen für das psychische Geschehen auf der gesammten 
Hirnrinde, Sammelpunkte, in welchen durch die Associationsfasern, 
von den verschiedensten Stellen der Rinde her, der Innervationsimpuls 
in die functioneil isolirte Stabkranzfaserung tritt. So wird es 
verständlich, dass verschiedene Formen der Aphasie — und 
ich darf hier nur nebenher erwähnen, dass die Verletzung der 
Hörsphäre im Schläfelappen sensorische Aphasie oder Wort- 
taubheit (Wernicke, Kussmaul) bewirkt, — durch die Zer¬ 
störung von verschiedenen, zuweilen selbst entlegenen Hirnrinden- 
theilen hervorgerufen werden können, vorausgesetzt, dass die Herde 
nur gross genug sind. Letzteren Satz habe ich 1877 gelegentlich 
der Mittheilung eines Falles aufgestellt, bei welchem amnestische 
und ataktische Aphasie nebst Hemianopsie und rechtsseitiger Parese 
bedingt wurden durch eine Geschwulst im Occipitallappen, welche 
bis in den Praecuneus Erweichung gesetzt hatte 1 ). 

Auf dem letzten Cougress für innere Medicin hat Naunyn neben 
der motorischen und sensorischen Aphasie eine dritte Form als ge¬ 
mischte Aphasie bezeichnet, bei welcher die Verletzungen theils in 
der motorischen Region, theils im Schläfelappen, am häufigsten im unteren 
Scheitelläppcheu und zwar im Gyr. angularis, in derjenigen Windung 
gefunden werden, welche zwischen Hör- und Sehsphäre gelagert ist. 
Es muss unser Bestreben sein, diese gemischte Aphasieform, deren 
Aufstellung sicherlich vorläufig dem praktischen Bedürfnisse ent¬ 
sprach, deren pathologisch-anatomische Fixirung Naunyn’s Verdienst 
bleibt, durch genaue Analyse der einzelnen Krankheitsäusserungen noch 
weiter zu differenziren, wie dies Lichtheim und Wernicke mit 
den Aphasieen überhaupt versucht haben. — Aus der Thatsache, 
welche jedem einigermassen erfahrenen Arzt bekannt ist, dass die 
Aphasieen selten rein, dass sie vielmehr häufig, besonders in der 
ersten Zeit ihres Bestehens, als „gemischt“ sich darstellen, könnten 
leicht „die gemischten Aphasieen“ in der Litteratur bedeutend au- 
wachsen. Deshalb ist es vielleicht nicht überflüssig anzumerken, 
dass wir nicht gleich die Diagnose „gemischte Form der Aphasie, 
also Affection des Gyr. angularis“, ohne genauere Begründung, 
machen dürfen. — 

Indem ich an der Hand der obigen Localisationssätze an eine 
Besprechung der auf Tafel A verzeichneten Tumorenfälle I, IV, V, 
VI und VII herangehe, bemerke ich, dass die ersten drei, isolirte 
Tuberkelkuoten betrafen, welche in den Gehirnen chronisch Geistes¬ 
kranker sich vorfanden, bei welchen die Schwierigkeiten der Be¬ 
obachtung sich bedeutend erhöhen. Die beiden letzteren Fälle sind 
Tumoren, von denen psychisch intacte Personen befallen wurden. 

Seit Instituirung der Sammelforschung über Tuberkulose, welche 
diesen Verhältnissen eine schärfere Aufmerksamkeit zuzuwenden 
nöthigte, ist es uns aufgefalleu, dass bei chronisch Irren, welche 
von Tuberculose als der weitaus häufigsten, bei ihnen fast gewöhn¬ 
lichen Todesursache hingerafft wurden, der Locus minoris resistentiae, 
das Gehirn, relativ intact bleibt. Wir haben Tuberculose der Lun¬ 
gen, der Pleuren und Bronchialdrüsen constatirt, besonders häufig, 
da die Irren die Sputa gewöhnlich verschlucken, solche des Darmes 
in grosser Ausdehnung, uud der Mesenterialdrüsen; die Unterleibs¬ 
drüsen, Leber, Milz, Nieren waren recht oft mit miliaren Knötchen 
besetzt; das Gehirn sahen wir nur in kaum 2°/ 0 als Sitz der Tuber¬ 
culose, und zwar waren dies jedesmal agglomerirte Tuberkelknoten. 
Ueberaus selten ist die miliare Meningitis tuberculosa; da ich der¬ 
selben überhaupt nur einmal begegnet bin, so muss ich sie — wie 
die Tuberculose des serösen Epicards, welche gleich selten ist — 
geradezu als Rarität bei den chronischen Geisteskranken bezeichnen. 

Die agglomerirten Tuberkelknoten waren theils einzeln (Fall I\ 
wahrscheinlich traumatischen Ursprunges, theils multipel, und dann 
annähernd symmetrisch auf. beiden Hemisphären vertheilt. Die 
letztere Art des* Vorkommens deutet auf den wahrscheinlichen 
embolischen Ursprung; ich weiss von solchen Knoten, die von 
einer tuberculöscn Ohreneiterung herstammten. Sie mögen, wie 
die aus gleicher Ursache herstammenden Abscesse, dann meist im 
Schläfelappen und Kleinhirn sich finden. Wie bekannt, sitzen die 
Tuberkelknoten häufig als Beleggeschwülste an der Peripherie uud 
haften an der Pia, mit welcher sie sich gewöhnlich abziehen lassen, 
indem sie sich glatt aus der Substanz auslösen. Aber auch im Ge¬ 
webe, z. B. im Corp. striat., Pons werden sie gefunden; von der 
Peripherie aus sah ich mehrmals diese Knoten die Dura durch¬ 
brechen; sie sassen letzterer Haut alsdann als Fungus Durae matris 
pilzförmig breit, mit schmälerem Stiel auf, und usurirten den Knochen 
einmal bis zu dem Grade, dass nur eine dünne, glasig durchscheinende 
Lamelle der Tabula externa des Schädels noch vorhanden war. Es 
interessirt, dieses Wachsthum durch die Hirnhäute und den Knochen 

') Centralblutt für praktische Arzneiheilkunde 1877, p. 254. 


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9. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1 [ 1 


hindurch zu kennen, weil der Chirurg dort zu dem Glauben kommen 
kann, es mit einer Ostitis tubereulosa zu thun zu haben, wo der 
Krankheitsherd bis zu beträchtlicher Tiefe sich in die Hirusubstanz 
erstreckt. 

Auch die grössten Tuberkel setzen sich bekanntlich aus den 
miliaren Knötchen zusammen, welche um die Bacillen sich bilden. 
Die Anordnung der Knötchen ist meist eine kreisförmige, um ein 
l,\mphgefäss oder ein kleines Blutgefäss herum, in dessen adventi- 
tivttem und periadventitiellem Raum man auf Schnitten auch die 
Bacillen findet. Die Gefässe selbst, und zwar alle Häute, gerathen 
in F.ntzündung und Wucherung, am stärksten die Adventitia. Es 
*rfolgt um die Adventitia herum eine massenhafte Ansammlung von 
Lcukooyten, uud eine Neubildung von Bindegewebe, welches die 
i'inzclnen miliaren Knötchen und Conglomerate derselben zusammen¬ 
fasst und wie ein Paket umschnürt, indem es gesunde Gewebs- 
partikel zwischen sich nimmt. Die Gelasse thrombosiren, das 
Gewebe verfällt der Coagulationsnekrose und den weiteren Folge¬ 
zuständen der Verkäsung und Verkalkung. Daher zeigt ein Schnitt 
durch solchen Tuberkelknoten neben vielen thrombosirten Ge¬ 
lassen und den periadventitiellen Leukocytenanhäufuugen, welche 
wie grosse Ringe das verdickte Gefiiss umgeben, deutliches fibröses 
und auch faseriges Bindegewebe, und die veränderten specifische» 
Klemente des durch Strangulation ertödteten Gewebes in einer Ge¬ 
walt, dass dieselben kaum zu erkennen sind. So sieht man Ganglien¬ 
körper in hyaliue, verhornte Schalen verwandelt, deren Form 
höchstens ihre Herkunft verräth, und noch andere rätliselhafte 
Elemente. 

Aus dieser Art des Wachsthums des Tuberkels, welchem das¬ 
jenige mancher Tumoren gleicht, ist es klar, dass er selbst an 
empfindlichen Hirnstelleu zuerst keTne Symptome machen wird; die¬ 
selben werden sich dann bemerklich machen, wenn das Zusammen- 
sebnnren der einzelnen Knötchen erfolgt. Dann wird es oft Reiz¬ 
zustände neben subparalytischen Zuständen geben, wie bei der 
S.lerose eu plaques. Der Tremor, welcher der Ausdruck ist eines 
Reizzustandes iu einem .subparalytischen Glied, ist daher ein für 
Tuberkel charakteristisches Symptom. Dass es lediglich die all¬ 
mähliche Abschnürung, der mit Subparalyse gepaarte Reiz ist, welcher 
den Tremor hier bewirkt, beweist am besten die Anwesenheit des 
Tremor bei syphilitischen und encephalitischen Plaques, wo ähnliche 
pathologisch-anatomische Verhältnisse obwalten. Es kann also geben: 
•dn Stadium der Latenz, ein Stadium der Reizung und, wenn der 
Process abgeschlossen ist, wiederum der Latenz. Zu jeder Zeit 
können endlich Symptome auftreten, welche dadurch hervorgerufen 
werden, dass der Tuberkel, der Tumor durch eine Erweichung in 
seiner Umgebung aus der Hirnmasse ausgelöst wird. 

I. 

Paujas, 38 Jahre alt, Hausdiener, wegen Epilepsie in Dalldorf auf- 
genommen und als unheilbar geisteskrank im September 1881 nach Schöne¬ 
berg verlegt. Nach einem Atteste der Dalldorfer Aerzte litt er an Epilepsie, 
nebst unheilbarer Geisteskrankheit. Ueber die Natur der epileptischen 
Anfälle ist nichts angegeben; nur heisst es, dass er nach den Anfällen sehr 
erregt, verwirrt und aggressiv gegen seine Umgebung sei. Auch habe er 
zugleich tagelang Gesichts- und Gehörstäuschungen und unterhalte den 
Wahn, dass andere Kranke ihn verfolgen, misshandeln und ausspotten 
würden. 

Die letzten 6 Jahre sind Anfälle garnicht gesehen worden; er zeigte 
■«ich im Allgemeinen schwachsinnig, freundlich heiter, zu Possen aufgelegt. 
So »teilte er sich vor irgend einem Mitkranken hin, riss, offenbar muthwillig, 
die Augen weit auf und lachte aus vollem Halse. Wärter und Aerzte hielt 
er für frühere Bekannte von sich, welche ihn nach Dingen fragtou, welche 
«ie selber besser wüssten. Er benahm sich kindisch und albern, pfiff, schrie 
plötzlich oft laut auf oder lachte krampfhaft. Die ersten Jahre war er 
ganz unbeschäftigt. Er erklärte, er wäre schön dumm, wenn er arbeitete, 
er wolle den suchen, der die Arbeit aufgebracht, er sei für die Arbeit zu 
*chade und Aehnl. dergl. Was er sonst über die einfachsten Dinge hinaus 
-prach, war verworren und unverständlich. Zuweilen ging er tagelang mit 
zesenktem Kopf umher, blieb plötzlich stehen, lachte od£r ging schimpfend 
auf seine Umgebung los. Manchmal sprach er unverständlich von Frauen- 
rumnem, die ihm im Wege ständen, über welche er sehr böse war, so dass 
-*t sie zu schlagen suchte. 

Mehrmals ist ein erotischer Zug im Journal verzeichnet; einmal 
iusserte er, seine ganze Umgebung bestände aus Mädchen. Auch Gehörs- 
tiosehungen sind beobachtet worden. Seit 1886 beschäftigte er sich an¬ 
haltend beim Bau, Kohlentragen, Holzschneiden, zeigte meist ein lachendes 
Gesicht. Doch wurde er zeitweise auch plötzlich erregt, trat auf den Nächst- 
ctehenden zu, fasste ihn derb an und sagte: er sei Derjenige, der ihn 
»chimpfe und ihn quäle, er könne diese Schmerzen nicht mehr aushalten. 
Er wurde dabei ganz blass im Gesicht; nach höchstens einer Viertelstunde 
hatte er sich immer beruhigt und zeigte seine gewöhnliche blödsinnig 
Lkehelnde Physiognomie, schien auch von der Erregungszeit keine Erinnerung 
zn haben. Im Frühjahr 1887 nahm man bei dem Patienten eine starke 
Abmagerung und Schwäche wahr, es traten Schalldifferenzen am Thorax, 
unregelmässiges, hektisches Fieber auf, im Sputum reichliche Bacillen, 
Eiweiss im Urin; er bohrte den Kopf in dio Kissen, knirschte viel mit den 
Zähnen, starb am 15. Juli. 

Au» dem Sectionsbefunde hebe ich hervor, dass das Stirnbein 1 Cen- 


timeter dick, der ganze Schädel überhaupt schwer war und wenig Diploe 
enthielt. 

Bei Herausnahme des Gehirns zeigt sich rechterseits, etwa einen 
Centiraeter von der Mittellinie und 2 Centimeter über dem Augendach, an 
der Innenseite der Dura eine Geschwulst, welche derselben pilzartig aufsitzt. 
An dieser Stelle sind Dura, Pia und Gehirn in Eins verwachsen, so dass 
die Geschwulst durchschnitten werden muss. Dieselbe, welche einem 
länglich-runden Kartoffelknollen gleicht, ist etwa 4 cm lang, etwas über 
3 cm breit, und nimmt genau die Spitze des rechten Stinilappens ein, dort 
wo dio oberste Stirnwindung in die Orbitalwindung umbiegt. Auch die 
mittlere Stirnwindung ist mitbetroffen, die untere ist ganz frei. Die Ge¬ 
schwulst durchbohrt die Dura nicht; auf der ihr zugewandten Seite ist der 
Knochen, an dem die Dura hier fester haftet, stärker vascularisirt, aber 
nicht arrodirt. Sonst ist die Pia ödematös, aber klar, nirgends eine Spur 
von miliaren oder conglomerirten Tuberkeln. Im Gehirn sonst nichts Be¬ 
merk enswerthes. Es fand sich ferner MiliartubercuIo.se der Lungen mit 
(’averueii und Fettleber. Der Hirntumor hatte auf dem Durchschnitt das 
Aussehen einer Lymphdrüse von fester Consisteuz; er löste sich aus der 
erweichten Hirnmasse leicht aus, Hess viele runde kernige Zellen uud einige 
geschwänzte erkennen; Bacillen konnte man bisher darin nicht finden. 

Der Fall war nicht diagnosticirt worden, weil der Sitz des 
Tuherkelknollens an einer für uns noch indifferenten oder latenten 
Hirnstelle sich befand. Der Sitz entspricht den Quadranten 214, 
215, 218, 219 auf Tafel I in Exuer’s Werk, für welche die 
Symptomlosigkeit mit 100% verzeichnet ist, d. h. alle bisher be¬ 
kannten Erkrankungen dieser Stelle sind symptomlos verlaufen. 
Natürlich ist diese Stelle darum weder eine indifferente, noch 
latente; wir haben nur deswegen bisher kein Symptom, weil ihre 
Verbindung mit der motorischen Region eine äusserst lose ist, weil 
sie, wegen einer vielleicht auf psychischem Gebiete liegenden Be¬ 
deutung. in ihrem Werth für die Motilität zu den relativsten 
j Riudenfeldern gehört. 

Als ich das Studium der Psychiatrie vor vielen Jahren begann, 

I glaubte ich, ein Schlüssel für die Abirrungen des menschlichen 
! Geistes müsse sich ergeben, wenn man die Geistesstörungen be¬ 
obachte und sammle, welche die Herderkrankungen des Gehirns 
i begleiteten. Ich beann mit einer solchen Sammlung und kam 
zunächst bald dahinter, dass, von Vergesslichkeit, Dementia, von 
j psychischen Schwächezuständeu abgesehen, jede Form von De¬ 
lirien dabei möglich ist, hypochondrische, melancholische, Vefolgungs- 
[ ideen und Grössenideen, so dass Verdacht auf Paralysis progr. ent- 
! steht. Eine gewisse Form indess von Geistesstörung, den 
Blödsinn mit eigenthümlich heiterer Aufregung, die so- 
j genannte Moria, sah ich einzig und allein bei Tumoren 
! in den Stirn la ppen. — Ich verfüge über mehr denn ein halbes 
Dutzend solcher Fälle, worüber ich früher, wegen der Schwierigkeit 
: der Darstellung und Abgrenzung der Symptome, und wegen ihrer 
j Ineonstanz, Nichts publicirt habe. Eine Besprechung scheint mir 
I jetzt an derZeit mit Rücksicht aufGoltz, der eine bestimmte Charakter- 
i änderung bei seinen, an den Stirnlappen operirtenHunden bemerkt hat, 
welche er als Gemüthsstöruug bezeichnet (Pflüger’s Archiv XXXIV 
p.477). Bei doppelseitiger Exstirpation der Stirnlappen, denn bei einseiti¬ 
ger siud diese V eränderungeu nach JaquesLoeb nicht wahrzunehmen, 
sah Goltz eine zornige, heftige Gemüthsart, bei Exstirpation der 
Hinterlappen einen gefügigen, gutmüthigen, sanften Charakter 
i bei früher von Natur selbst bösartigen Thieren entstehen. Die 
i Hunde der ersten Kategorie sind ausgezeichnet durch eine erhöhte 
| Reflexerregbarkeit, indem sie unfähig werden, die Reflexe willkürlich 
J zu hemmen. Damit eben im Zusammenhang steht der reizbare auf¬ 
geregte Charakter, das unbändige Umherrennen, was sie als gewalt- 
i thätig und als rauflustige Krakehler erscheinen lässt, während sie 
früher zutraulich und friedlich waren. (Loeb, Pflüg. Archiv XXXIX 
p. 309.) Man kann gerade hinsichtlich der Abänderung des Geistes 
i am wenigsten auf Uebereinstimmung zwischen Mensch und Thier 
rechnen, und muss mit entfernten Anklängen schon zufrieden sein, 
i Inwiefern solche vorhanden sind, mögen folgende Auseinander- 
| Setzungen lehren. 

Unser Kranker war im Wesentlichen gutmüthig, hallucinatorisch 
und anderweit ziemlich verwirrt und geistig schwach, zu allerlei, 
manchmal groben Spässen und Neckereien aufgelegt Die Zorn¬ 
anfälle, an welchen er litt, glaube ich wegen ihrer Grundlosig¬ 
keit, Plötzlichkeit im Ausbruch und Nachlass, und wegen der aus¬ 
gesprochenen vasomotorischen Begleiterscheinungen, der Gesichts¬ 
blässe, endlich wegen der anscheinenden Amnesie für dieselben, als 
epileptische Aequivalente ansprechen zu sollen. Sie würden als 
1 solche auch dann anzusehen sein, wenn plötzliche Hallucinationen 
| sie veranlasst haben sollten. Pat. hat an epileptischen Anfällen 
früher sicher gelitten, über deren Natur von Dalldorf keine Aus- 
i kunft ertheilt wurde; er wurde von dorther auch als epileptisch 
1 geisteskrank bezeichnet, obgleich seine Geisteskrankheit eigentlich 
nicht den Stempel der epileptischen trug. Eine gewöhnliche epilep¬ 
tische Manie mit moriaartigem Anstrich war sie nicht, denn der¬ 
gleichen Manieen gehen mit tieferen Störungen des Bewusstseins 
einher, und treten überdies als vorübergehende Folgezustände nach 


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112 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 6 


epileptischen Anfällen auf, was hier nicht zutraf. Weder bei diesem, 
noch bei den anderen Patienten dieser Gattung habe ich erhöhte Reflex¬ 
erregbarkeit gesehen. Obgleich ausgesprochenere Lähmungen fast 
in allen Fällen bis zum Tode fehlten, so waren die Bewegungen bei 
einigen doch eher schwerfällig und unbeholfen. Bei einigen kam 
es vor, dass sie ihre Mitkranken schlugen, höhnten, dass sie manch¬ 
mal mürrisch und reizbar erschienen, was besonders bei Hirnkranken 
begreiflich ist; als eigentliche bösartige Charaktere waren sie jedoch 
nicht zu bezeichnen. Vielmehr trat bei ihnen eine gewisse humo¬ 
ristische, läppische Art in Reden und Benehmen zu Tage, welche 
sie komisch erscheinen liess. Diese Heiterkeit ist aber darum 
pathognomischer als das mürrische Wesen, weil sie den Verhält¬ 
nissen der Patienten nicht entspricht. Vielleicht lag diese unfrei¬ 
willige Komik in dem Contraste zwischen ihrer sonstigen Apathie 
und Vergesslichkeit und plötzlichen Lichtblicken, iu deuen sie, wahr¬ 
scheinlich ihrem ursprünglichen Naturell entsprechend, muntere und 
selbst sarkastische Aeusserungen thaten. Als ich einmal mit meinen 
Assistenten lateinisch in Gegenwart von Fall III sprach, fuhr der 
Pat. in äusserst humoristischer lateinischer Rede fort, als wollte er 
mich überzeugen, dass er diese Sprache verstehe, trotzdem er Kauf¬ 
mann sei. 

Einen andern 67jährigen, sonst dementen Kranken, der einen 
Tumor im linken Stirnlappen trug, sah ich in der Charite oft, wie 
er, Charpie zupfend, an einem Tische am Fenster sass und über alle 
Passanten witzelnde Bemerkungen machte, worüber die im Kreise 
umherstehenden Wärter sich ergötzten. — Ein anderer 44jähriger 
Patient wurde, wegen seines agitirten, scheinbar mit Bewusstsein 
unsinnigen Wesens, als „Simulant“ angesehen. Er gab quere Ant¬ 
worten, als hätte er nicht recht verstanden, und schnitt dabei 
komische Grimassen. Seine Mitkranken höhnte und schlug er, nahm 
ihnen das Essen fort; er legte sich lang im Zimmer aus und wollte 
einmal die Kommode abrücken, um sich dahinter zu legen, weil er 
müde sei. Er urinirte in’s Bett und versicherte lachend, er habe 
geschwitzt. Mit Vorliebe führte er unzüchtige Reden und sang 
gemeine Lieder. Man konnte ihn schwer untersuchen, denn er liess 
den Kopf vornüber oder nach einer Seite hängen, kniff die Augen 
zu, an deren Optici übrigens partielle weisse Atrophie festgestellt 
wurde u. s. w. Ziemlich plötzlich wurde er schlafsüchtig und starb 
im Coma. Es fand sich ein Tumor im linken Stirnlappen. 

Goltz hat nach Bestätigung seiner Beobachtungen durch die Er¬ 
fahrungen der Pathologie amMenschen gesucht. Erführt den berühmten 
Crowbar-case und einen anderen Fall von Baraduc an. Ersterer, ein 
Mann, dem ein Stück eines Brecheisens durch den Schädel gefahren war, 
hat zwar nach Ferrier’s Referat annähernd gleiche Symptome 
geboten; es ist jedoch durch keine Section festgestellt worden, 
welche Hirntheile verletzt waren. Der Baraduc’sehe Fall nähert 
sich bedeutsam der von mir gegebenen Schilderung. Atrophie 
sämmtlicher Stirnwindungen beiderseits, nebst Verkleinerung des 
Calibers der zu ihnen führenden Arterien, bewirkt: Bizarrerie, 
Heiterkeit, Eigenwillen, Eitelkeit, Sprachstörung, schliesslich Demenz. 
Allenfalls könnte ein Fall von Wilks noch hierher bezogen werden: 
Auffälliges, mürrisches Wesen, Demenz: Eigrosser Tumor im Mark 
des linken Stirnlappens. 

Ich habe jedoch einen Fall in Longet’s Physiologie des 
Nervensystems (übersetzt von Hein Leipzig 1847, p. 552) gefunden, 
dessen Uebereinstimmung überraschend ist: Skirrhöse Geschwulst 
im rechten Stirnlappen, fast wie in unserem Fall I gelagert, und 
eine symmetrisch im linken Stirnlappen sitzende, findet sich bei 
einem Kranken, der von Velpe au und Delpech in einer schrift¬ 
lichen Mittheilung an Longet folgendermassen beschrieben wird: 

Charles Paris, 66 Jahre alt, Coiffeur, kam am 25. Februar 
1843 wegen eines alten Uebels in den Harnwegen zur Charite. 
Sehr eingenommen von seinem Geist, ist er ein Spötter, treibt 
ScherZe bis zur Ausgelassenheit und ergiebt sich mit der grössten 
Unzüchtigkeit der Masturbation. Uebrigens antwortet er vernünftig 
auf alle vorgelegten Fragen. Während seines Aufenthaltes im 
Krankenhause überzeugte man sich, dass die Bewegungen seiner 

Glieder vollkommen frei seien und dass das Sprechen durchaus 

nicht gestört sei. Ganz plötzlich wurde er überaus schwach und 
erlag am 7. März, indem er bis zu seinem Tode schwatzte. 

Wie ich oben bereits angedeutet, bin ich weit entfernt zu be¬ 
haupten, dass im Stirnlappen alle Herde, oder auch nur die 
Tumoren von der Moria als eigenartiger Psychose begleitet würden. 
Giebt es doch Stirnlappentumoren, die selbst mit melancholischen 
Zuständen eiuhergehen (Ewald Grimm, Wiener med. Wochen¬ 
schrift XVIII, 1868, p. 41—43). Man findet die Moria nur bei einer 

gewissen Zahl von Stirnlappenerkrankungen und durchaus nicht bei 

Tumoren allein. Dies eigenthiimliche psychische Krankheitsbild 
zeigt sich ebenso bei manchen Paralytikern im Beginn ihres Leidens, 
bei senil Dementen, bei manchen Säufern, wo freilich gleichfalls 
Atrophie der Vorderlappen vorkommt. 

Nun sind, von der motorischen Aphasie bei linksseitigem Sitz 


des Herdes abgesehen, für die Affectionen der Stirnlappeu bisher Symp¬ 
tome überhaupt nicht gewonnen worden. Ausgesprochene Lähmungen 
werden bei Herden in der prae-Rolando’schen Gegend nicht gesetzt, 
und Störung des Geruchs und Sehens nur bei indirekter oder direkter 
Einwirkung aufOlfactorius und Opticus. Daher sehe ich die beschriebene 
Psychose als eine Erscheinung von Bedeutung für die Localisation 
im Stirnlappen an. Zeigen uns z. B. Kopfschmerz, Krämpfe, Er¬ 
brechen die Existenz einer Neubildung im Gehirn überhaupt an. 
so dürfen wir dieselbe in die Stirnlappen versetzen, wenn der 
Patient mit Moria behaftet ist. Denn es sclieiut Moria, soviel ich 
auch aus der Litteratur habe Ueberzeugung schöpfen können — die 
psychischen Symptome sind oft unerwähnt, wenn sie nicht hervor¬ 
stechend waren —, bei Herden, insbesondere Tumoren, in den übrigen 
Hirutheilen nicht, und nur bei solchen in den Stirnlappen vorzu¬ 
kommen. (Fortsetzung folgt.) 

V. Ueber das biliöse Typhoid. 

Von Dr. Kartulis in Alexandrien. 

(Schluss aus No. 5.) 

Fall 9. Biliöses Typhoid. Eiweiss im Harn. Herpes labialis. Intermitti- 
render Puls, Petechien, Delirium, Tod (s. Temp.-Tabelle). — Ab. T. F., 
55 Jahre alt. Vor 25 Tagen nach Alexandrien gekommen. Er wohnte in 
einer schlechten Wohnung neben Fort Napoleon. (Am 5. Erkraukungstage 
zum ersten Male beobachtet.) Die Krankheit fing mit stürmischen Symp¬ 
tomen an. Schüttelfrost, Kopfschmerzen und überall am Körper Schmerzen. 
Darnach erfolgte starkes Fieber und reissende Wadenschmerzen. Die narn- 
menge war in den ersten drei Tagen sehr spärlich. Als ich den Kranken 
zuerst gesehen, delirirte er stark, das Gesicht war voll, roth, das Auge 
stark injicirt und intensiv gelb gefärbt, während der Körper leicht ikterisch 
war. Von sämmtlichen Organen war* die Leber nur angeschwollen und bei 
Druck schmerzhaft. Am 6. Erkrankungstage Herpes labialis. Dyspnoe. 
(18 Atm.) Temperatur niedrig. Harn 1000 ccm, enthält Gallenfarbstoff 
und wenig Eiweiss. Puls 96, intermittirend. Stuhl weiss. 


Fall !>. 

Krankh.-Tag 5 6 7 8 9 



Tcmp._Puls 


7. Tag. Delirien, Patient phantasirt stark, sehr unruhig während der 
Nacht. Ikterus goldgelb. Petechien auf dem Epigastrium. Puls 100, voll, 
Respiration 20. Harn 1500 ccm, Eiweiss. 

8. Tag. Harn 1000 ccm mit Gallenfarbstoff und Eiweiss. Puls 96. 
stark. Respiration 20. 

9. Tag. Das nämliche Befinden. Puls schlecht, 108, intermittirend 
5—6 Mal in einer Minute. Kein Singultus, kein Erbrechen. Petechien be¬ 
deutend. Harn 1000 ccm, immer sehr viel Eiweiss enthaltend. Tod. 

Obduction 12 Stunden nach dem Tode. Körper kräftig gebaut. Die 
Färbung der Haut des ganzen Körpers ist goldgelblich. Auf dem Epi¬ 
gastrium sieht man sehr viele dendroide und punktförmige Petechien. 
Rigor mortis vorhanden. In der Bauchhöhle sind die Organe in natürlicher 
Lage. Die Leber ragt 1cm unter dem Rippenbogen. Im Thorax nichts 
Abnormes. Die Lungen sind etwas blutreich, zeigen aber keine besonderen 
Läsionen. Die Larynxschleimhaut. sehr geröthet, mit blutigem Schleim be¬ 
haftet; ebenso sahen auch die grossen Bronchien aus. Herz, wenig Flüssig¬ 
keit im Pericard; Herzmuskel normal; einige Haemorrhagieen; Herzventrikel 
enthalten gelbe Coagula. 

Der Darm ist äusserlich rosa gefärbt. Der ganze Dünndarm, be¬ 
sonders das Ileum, bietet einen starken Katarrh dar; die Schleimhaut 

ist geschwellt und roth; die Peyer’sehen Plaques sind länglich formirt, 
angeschwollen und rosa gefärbt. Der Dickdarm ist voll von thon¬ 

artiger Skybala, zeigt aber nichts Abnormes. Das Duodenum ebenfalls ent¬ 
zündet und röthlich; die solitären Follikel nicht sichtbar. Die grossen 
Gallengänge frei; dfr Ductus choledochus stark injicirt. Die Gallenblase 
besitzt eine längliche Gestalt, ist gefüllt mit einer dunkelfarbigen Flüssig¬ 
keit und hat eine stark geröthete Schleimhaut, von einer sammetartigen Be¬ 
schaffenheit. Milz rund, klein, mit schwarz-weisser Pulpa. Magen zeigt in 
seiner Schleimhaut mehrere hämorrhagische Herde. Leber etwas vergrössert, 
sehr blutreich, weiss marmorirt. Mesenterialdrüsen nicht angeschwollen. 
Beide Nieren sind um das Doppelte vergrössert; die Scheiden heben sich 
leicht ab. Beim Durchschneiden zeigen sie sich in ihrem Parenchym 

gelblich gefärbt; die Pyramiden sind nur röthlich. In dem Becken sieht 

man mehrere punktförmige Hämorrhagieen. 

Fall 10. Biliöses Typhoid. Totale Anurie. Tod (s. Temp.-Tabelle). 
A. K., 24 Jahre alt. Pat. wohnte und war beschäftigt in einem kleinen 
Geschäft an der Küste des alten Hafens. Seine Krankheit fing mit allge¬ 
meinem Unwohlsein und Schüttelfrost an. Fieber stellte sich bald ein. Am 
nächsten Tage Fieber, Müdigkeit und Schmerzen in den Waden. Vom 
ersten Tage an konnte er weder schlafen noch essen. Er kam in unsere 
Beobachtung am 7. Tage (6. October 1886). Bei der Untersuchung zeigt 
sich Pat. sehr ängstlich, hat ein rothes Gesicht, die Conjunctiva leicht ikterisch. 
Der Hals sehr entzündet. Die Organe, ausser einer kleinen Anschwellung 
und Schmerzhaftigkeit der Leber, bieten nichts Besonderes dar. Puls 


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9. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 113 


schnell aber schwach 120. Temperatur 37,8. Harn fehlt (soll auch von 
Anfangs an sehr spärlich gewesen sein). Kein Stuhlgang. Zunge 
trocken, roth. 

Fall 10. 

Krankb. Tag 7 8 9 10 11 



8. Tag. Grosse Unruhe und Schlaflosigkeit Delirien stärker; Patient 
ist heute leicht ikterisch. llammenge 0. 

9- Tag. Puls unzählbar, filiform. Pat. bewusstlos. Thonartige Diarrhoe, 
sehr stinkend. Herzschläge atactisch. Harn 0. 

10. Tag. Kein Tropfen Urin. Puls schlecht. Körper gelber. Zustand 
sonst, wie gestern. 

11 Tag. Kein Urin da. Urämische Symptome. Puls nicht zu 

fühlen. Tod. 

Obduction vier Stunden nach dem Tode. Sehr starker mittel- 
massiger Körper. Conjunctiven und Haut des Körpers orangengelb. Panni- 
culus adiposus ebenfalls gelb gefärbt. Rigor mortis. Ueberall auf dem 
Körper rothe Flecken. Einige sind linsengross, einige wieder kleiner. 
Knochenhaut und Knochen selbst auch gelb gefärbt. 

Pericardium enthält sehr wenig Flüssigkeit, welche gelb gefärbt und 
sehr klebrig ist. Herz von normaler Grösse. Im rechten Ventrikel be¬ 
findet sich dickflüssiges, kirschrothes Blut; links weniger Blut, aber grosse 
gelbe Coagula. Myocard und Eudocard zeigen hie und da einige rothe 
Flecken. Die grossen Gefasse gelb gefärbt. Beide Lungen zeigen äusserlich 
inselfirmige Hämorrhagieen. Bei Durchschnitt sieht man einige Läppchen 
tiefroth, während das übrige Parenchym hellroth gefärbt ist. Larynx, 
Trachea und die grossen Bronchien voll von schleimig-blutigen Massen; 
ihre Schleimhaut selbst hyperämisch. Dünndarm stark entzündet. Das 
Ileum. besonders seine Schleimhaut, ist sammetartig und kirschroth, die 
Peyer’schen Plaques, im unteren Theil des Ileums breit, nicht geschwollen 
und rosafarbig; die solitären Follikel aber stecknadelkopfgross und ver¬ 
mehrt. Im Dickdarm sieht man ausser milchweissen Excrementen nichts 
Besonderes. Duodenum stark geröthet, viele solitäre Follikel wie oben. 
Die Gallenwege frei. Der Ilepaticus, der Choledochus und der Pankreaticus 
zeigen gelbrothe Schleimhaut. Die Gallenblase, welche eine ölfarbige 
dickflüssige Galle enthält, hat ebenfalls eine entzündete Schleimhaut. Leber 
etwas vergrössert, graugelblich, weich. Das Parenchym homolog; die 
Ge&s^e blutreich. Pankreas gross und hart. Milz 10 cm lang, 7 cm breit, 
35 mm dick und hart. Beim Durchschneiden fliesst dickes dunkles Blut 
heraus, das Parenchym ist auch dunkelroth. Nieren: links zeigt sich die 
Niere 9 cm lang. 5 cm breit. Capsula zieht sich leicht ab. Aeussere 
Fläche gelblich, hie und da rothe Punkte. Die Schnittfläche der Nieren 
zeigt homologes Parenchym, kartoffelähnlich, während die Pyramiden 
durch ihre Breite und Röthe sich auszeichnen. Becken und Kelche voll 
von punktförmigen Hämorrhagieen. Die rechte Niere hat die nämliche 
Grösse und zeigt ähnliche Veränderungen. Nebennieren vergrössert und 
hart. Harnblase leer. Mesenterialdrüsen nicht vergrössert. 

Fall 11. Biliöses Typhoid. Oligurie. Epistaxis. Haematurie. Delirien. 
Tod. G. K. 35 Jahre alt. (S. Terap.-Tabelle.) 

Am 6. Tage der Erkrankung zuerst beobachtet (10. October 1886). 
Zuerst bekam Pat. einen Schüttelfrost und dann Fieber mit Kopfschmerzen. 

Am 2. Tage. Fieber, Schlaflosigkeit, Anorexie und Schmerzen in den 
Waden und anderen Muskeln. 

Ara 3. und 4. Tage. Anurie. Am 5. Tage. Körper ikterisch gefärbt. 

Bei der Untersuchung ist nur die Leber wenig angeschwollen und 
schmerzhaft. Die Waden wenig empfindlich. Körper tief ikterisch. Sen- 
sorium gut. Puls weich, 110. —.Harnmenge 50 ccm in 12 Stunden. 

Fall 11. 

Krankh.-Tag 6 7 8 9 10 11 12 



Temp. Pols 

7. Tag. Hammenge 250 g. Farbe roth. Mikroskopisch findet man 
Blutkörperchen und einige Blutglieder und Epithelien. Chemisch ist viel 
Eiweisa und heller Farbstoff nachzuweisen. Puls schlecht, Kopf benommen 
Er erbrach Blut. 

8. Tag. Mit dem Erbrechen kam Blut zum Vorschein. Wieder der 
Ham blutig, 250 ccm. Starke Epistaxis. — 9. Tag. Enorme Epistaxis. Harn 
tief gelb, 750. Petechien auf dem Bauch. — 10. Tag. Delirien. Puls 100. 
Hauthämorrhagieen und Petechien mehr. Bauchdecken weich. Urin 500 ccm. 
Herztöne gut. — 11. Tag. Delirien. Puls 100, schwach. Starke Epistaxis 
und blutiges Erbrechen. Urin 500 ccm enthält wenig Blut. — 12. Tag. 
Puls filiform, 90. Dyspnoe. 48 Athmungen. Ham 500 ccm. Stühle weiss¬ 
gefärbt, in den letzten Tagen aber keine Diarrhoe. Ikterus orangegelb. 


j Starke Delirien. Herztöne sehr schwach. Dendroide Petechien auf der 
Lebergegend, der Brust und dem Bauch. Punktförmige Hämorrhagieen auf 
1 dem Bauch und dem Rücken. Tod um 3 Uhr Nachmittags. 

Obduction 14 Stunden nach dem Tode. Blutflecke überall am 
Körper, besonders auf der Brust und dem Bauch In der Bauchhöhle sieht 
man die Eingeweide in normaler Lage und ikterisch gefärbt. In der 
Brusthöhle sah die Lunge äusserlich trocken aus. Ihre Schnittfläche bietet 
nichts besonderes dar. Im Herzbeutel befindet sich wenig klebrige, gellte 
Flüssigkeit. Herzgrösse normal; auf dem Myocard sieht man einige Hä¬ 
morrhagieen. Im Endocard nichts. Ventrikel enthalten kirschrothes Blut, 
aber keine Coagula. — Dünndarm nicht stark entzündet, im unteren Drittel 
des Ileum sind einige Peyer’sche Plaques geschwellt; im Dickdarm ausser 
weissen Excreraonten nichts Besonderes. Das Duodenum hat eine lockere 
und stark mit galligem Pigment gefärbte Schleimhaut; sonst keine Drüsen¬ 
anschwellung. Gallenwege frei; Gallenblaso enthält schleimige ölfarbigo 
Flüssigkeit. Die Leber ist bedeutend vergrössert, sehr hart, Parenchym gelb¬ 
lich. Milz 12 cm lang, 9 cm breit. Pulpa kirschroth und weich. Magen: 
die Schleimhaut sehr entzündet; dunkelrothe Hämorrhagieen. — Nieren: 
beide um das Doppelte vergrössert. Kapsel leicht abzuziehen. Parenchym 
blutreich, Pyramiden sehr roth. Durch Pressen kommen aus den kleinen 
j Gefässen schwarzrothe Blutcoagula. Die Nierenbecken sehr entzündet mit 
mehreren Hämorrhagieen versehen. 

Fall 12. Biliöses Typhoid mit Anurie, Nasenbluten, Parotitis, inter- 
mittirendem Pulse und Petechien. Im 10. Tage Tod. (45jähriger Lehrer Z.) 

Obduction 12 Stunden nach dem Tode. Körper klein, sehr ab- 
; gemagert. Ikterus canariengelb. Punktförmige Petechien auf der Brust. 
Panniculus adiposus auch gelb, Muskeln hellroth. Linke Parotis bedeutend 
angeschwollen und erweitert. Aeusserliche Färbung des Darmes rosaroth. 
Peritonealhöhle enthält wenig gelbe Flüssigkeit. 

Lungen in der Basis bedeutend congestionirt. Herz: Myocard mit 
Hämorrhagieen rechts. Sonst nichts Besonderes. Darm, Ileum: Spärliche 
Peyer’sche Plaques, wenig geschwollen und dunkel punktirt; seine Schleim¬ 
haut massig entzündet von leichter rosa Farbe. Man sicht über die ganze 
Schleimhaut übrigens einige dunkelrothe Linien. Der Dünndarm enthält, 
gelblich gefärbte Excremente, während der Dickdarm mit weisser Skybala 
j gefüllt ist. — Duodenum: Die ganze -Schleimhaut locker und schwarzroth 
i gefärbt. Gallengängo frei. Die Schleimhaut dos I). choledochus ist rauh 
1 und entzündet. — Leber gross, hart mit weissgelblichem glänzendem Pa- 
! renchym. Gallenblase enthält eine schleimige Flüssigkeit. Milz 8. 6. 3. 
roth derb. — Nieren etwas vergrössert, kartoffelähnlich; die Pyramiden 
breit rosafarbig, die Gefasse stark injicirt. 

Fall 13. 40jähriger Araber. Blind. Er ist nur 10 Stunden lang im 
Hospital beobachtet und konnte keine Anamnese angeben. W T ir erfuhren 
nur, dass er in einer Moschee neben der Küste wohnte und seit einigen 
I Tagen krank war. Ikterus über den ganzen Körper verbreitet mit einigen 
Petechien auf dem Bauch. — Die Obduction, gleich nach dem Tode ge¬ 
macht, zeigte Folgendes: Körper mager und klein, tief ikterisch gefärbt. 
Beide Parotiden angeschwollen, aber nicht vereitert. Beide Lungen stark 
; congestionirt. Herzmuskel zeigte einige punktförmige Hämorrhagieen und 
I war mit gelben Coagula gefüllt. Von den Baucheingeweiden war die Leber 
1 angeschw'ollen und mit galligem Pigment durchtränkt; sonst sehr blutreich; 
die Gallenblase halb voll von einer dunkelen Galle mit sehr entzündeter 
Schleimhaut. Die übrigen Gallengänge waren frei. Im Duodenum sind die 
| solitären Follikel vergrössert und vermehrt, die Schleimhaut leicht gelblich. 

: Im Ileum die Peyer’schen Plaques nur breit und roth gefärbt. Dickdarm 
I mit weissen Excrementen gefüllt. Milz klein, hart und roth. Nieren um 
I das Doppelte grösser, stark injicirt, die Pyramiden sehr roth. In den 
Becken leichte Entzündung, keine Hämorrhagieen. 

Der mikroskopische Befund von sämmtlichen Fällen war ver- 
hältnissmässig negativ. Wir konnten nichts Charakteristisches für 
die Krankheit aus dieser Untersuchung nachweiseu. Wie bei den 
meisten Infectiouskrankheiten, je nach dem Grade der Erkrankung, 
zeigten die Organe sämmtliche Stufen der Entzündung. Iusbesoudere 
waren es auch hier die Leber und Nieren, welche diese Ver¬ 
änderungen zeigten, während der Dünndarm in den meisteu Fällen 
eine starke Eutzündung darbot. Bei geeigneten Schnitten sah 
man in den schlauchförmigen Drüsen das Epithel geschwellt und 
granulirt. Der Epithelkern war sonst deutlich zu sehen. Das Lumen 
dieser Drüsen ist meistens verschwunden, einige abgestossene Epithel¬ 
zellen sitzen auf demselben oder sind im Lumen selbst; der Kern 
der meisten abgestossenen Epithelzellen zeigt eine deutliche Mikose; 
i dieser Befund liess anfangs etwas Charakteristisches des biliösen 
Typhoids vermuthen, mehrere Controlversuche aus Darmstücken 
anderer Krankheiten lehrten aber bald, dass es nicht der Fall war. 

| In der Submucosa des Dünndarmes sind die Capillaren stark inji¬ 
cirt, geschlängelt, von Blutkörperchen strotzend. Vom gauzen Dünu- 
! darm ist Duodenum und unteres Ende des Ileum an diesen Läsionen 
betheiligt. 

Die Leber verändert sich auch, je nach der Inteusität der 
Krankheit. Die Leberzellen werden anfangs geschwellt und granu¬ 
lirt. In den fortgeschrittenen Fällen werden dieselben stärker gra¬ 
nulirt und allmählich auch fettig entartet. Die Gefasse sind auch 
; hier stark gefüllt und geschlängelt. 

In den Nieren trifft, man Befunde von trüber Schwellung 
bis zu fettiger Degeneration des Epithels der Harncanälchcn; letztere 
| Form ist seltener, während in allen Theilen des Parenchyms der 
1 Niere Blutungen sehr häufig sind. Die mikroskopische Untersuchung 
der grossen Gallengänge, sowie der Gallenblase zeigt eine Wucherung 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 6 


114 


der Papillen ihrer Schleimhaut; die submucösen Capillaren sind auch 
hier stark injicirt und geschlängelt.. Die Untersuchung der anderen 
Organe liess nichts Besonderes nachweisen. 

Bezüglich der bacteriologischen Untersuchung von Blut, Galle, 
Darminhalt, sowie säraratlichen Organen, ist der negativen Resultate 
halber wenig rnitzutheilen. Das Blut wurde bei allen Stadien der 
Krankheit auf Baeterien untersucht, auch zu (Kulturen gebraucht, 
niemals aber wurde in demselben ein Mikroorganismus gefunden oder 
war in den Culturmedien etwas gewachsen. Von der Galle wuchsen 
auf Gelatineplatten eiuige Mikroorganismen, dieselben wurden isolirt, 
weiter gezüchtet und durch das Thierexperiment geprüft. Dasselbe 
kann auch vom Darminhalt gesagt werden. Keiner der gezüchteten 
Mikrobeu wurde in einem oder mehreren Fällen überwiegend gefunden. 
Sammtliche Thierversuche schlugen ebenfalls negativ aus. Von der 
bacteriologischen Untersuchung des Dünndarms und der Gallengänge 
können hier nur zwei frische Fälle nebenbei erwähnt werden, ln 
beiden dieser Fälle war ein kleiner Bacillus mit 2—3 ungefärbten 
Punkten (Sporen) vorhanden, welcher nicht nur auf der Oberfläche 
der Dünndarmschleimhaut zu sehen war, sondern auch in das Lumen 
der schlauchförmigen Drüsen eindrang, ln beiden Fällen wurde er 
auch im Ductus choledochus nachgewiesen; er drang auch hier 
durch die Papillen bis in die Submucosa. In keinem der übrigen 
Organe von allen Fällen konnte ich einen Mikroorganismus nach¬ 
weisen. 

Was endlich die Therapie anbetrifft, so konnte bis jetzt keines 
der gebrauchten Mittel weder die sehr hohe Mortalität noch den 
Verlauf der Krankheit beeinflussen. Was Griesinger von dem 
günstigen Einfluss des Chinins auf die Krankeit behauptet hat, 
konnte ich leider niemals bestätigen. In einigen Fällen sogar, wo 
dasselbe nach seinen Vorschriften gebraucht wurde, schien es uns 
eine Verschlimmerung hervorgebracht zu haben. Von Calomel 
erwarteten wir mehr, dasselbe liess uns aber auch im Stich. Einmal 
nur, wo das Fieber sich durch mehrere Tage lang hoch hielt, haben 
kalte Bäder genützt. Blutentziehungen oder warme Bäder, von 
anderen Collegen gebraucht, waren ebenfalls erfolglos. Pis bleibt 
also auch hier nur eine symptomatische Behandlung übrig, mit der 
wir diese schwere Krankheit zu bekämpfen haben. 1 ) * 

VI. Feuilleton. 

Aus Brüssel. 

Im laufenden Jahre wird unsere belgische Hauptstadt, diese 
internationale Congressstadt par excellence, das Vergnügen haben, 
der inedicinischen Welt seine gastlichen Thore zu öffnen. Hierzu 
sind derselben zwei Gelegenheiten gegeben; einmal ist es der „All¬ 
gemeine internationale Wettstreit für Wissenschaft und 
Gewerbe“, welcher die ganze heilkünstlerische Körperschaft in ihrem 
weitesten Umfange zur Mitbetheiligung an dem grossen internationalen 
Turnier, welches in diesem Jahre hier in Brüssel stattfindet, a,uf- 
fordert; und zweitens hat — bescheidener zwar in seinem Auftreten, 
aber nicht minder der Beachtung werth — der international e 
Otologencongress für dieses Jahr ebenfalls Brüssel für seine 
Sitzungen auserwählt. 

Was jetzt schon feststeht, ist das, dass man von allen Seiten 
so sehr wie möglich bemüht sein wird, den fremden Gästen den 
Aufenthalt dahier so angenehm als möglich zu machen, und jeden¬ 
falls werden die näher betheiligten hiesigen wissenschaftlichen Kreise 
aufbieten, was in ihren Kräften steht, damit Niemand unzufrieden 
von dannen zieht. 

Was nun den „Allgemeinen internationalen Wettstreit für 
Wissenschaft und Gewerbe“ anbelangt, so hat derselbe eine „Elfte 
Bewerbung“ für Mediciu, Chirurgie, Hygiene, Balneologie und Wolil- 
thätigkeitspflege organisirt und folgenden Aufruf zur Betheiligung 
erlassen. 

„Auf den bisherigen Allgemeinen Ausstellungen hat die medi- 
cinische Wissenschaft eine wenig bedeutende Stellung eingenommen. 
Dies mag wohl dem Umstande zuzuschreiben sein, dass die auf die 
Heilkunde bezüglichen Gegenstände unter der Menge der Erzeug¬ 
nisse aller Art verschwanden und daher nicht zur Geltung kamen. 

Bei der Veranstaltung des Allgemeinen • internationalen Wett¬ 
streits gingen nun die Organisatoren von dem glücklichen und nutz¬ 
bringenden Gedanken aus, den Wetteifer der Betheiligten durch 
eine zweckmässige Anordnung der Gegenstände anzuspornen, um auf 
diese Weise eine übersichtliche Gruppirung gleichartiger Erzeugnisse 
verschiedener Länder zu erhalten und Studien und Vergleiche zu 
erleichtern. — Unserer Ansicht nach ist die Heilkunde besonders 
dazu berufen, aus dieser Anordnung Vortheil zu ziehen. 

! ) Von den mitgetheilten Fällen habe ich den grössten Theil in der Klinik 
des Herrn I)r. Moschatos im griechischen Hospital beobachtet. Für die 
l'eberlassung dieses Materials sage ich ihm hier meinen besten Dank. 


In den medicinisclien Wissenschaften sowohl wie in den ver¬ 
wandten Künsten und Gewerben haben sich in den letzten Jahren 
ganz bedeutende Fortschritte vollzogen. Wir verweisen auf die 
denkwürdigen Entdeckungen auf anatomisch-pathologischem Gebiete, 
auf demjenigen des physiologischen Experiments, auf die mikrosko¬ 
pischen Forschungen und mikrobiologischen Studien, ferner auf die 
zahlreichen Verbesserungen in der Chirurgie, welche dem Operateur 
gestatten, sammtliche Körpertheile zu erreichen, selbst diejenigen, 
welche wegen ihrer Lage oder Beschaffenheit auf immer für die 
menschliche Hand unerreichbar schienen. 

Durch Experimente im Laboratorium und durch wissenschaft¬ 
liche Beobachtung wurde der Grund gelegt zu jenen zahlreichen 
hygienischen Leistungen, deren Wirksamkeit sich durch eine Ver¬ 
längerung der menschlichen Lebensdauer kund giebt, den ungünsti¬ 
gen Verhältnissen unserer Zeit zum Trotz. Die therapeutische Ver- 
werthung der grossartigen physikalischen Entdeckungen setzt den 
Arzt in die Möglichkeit, sich alle Naturwirkungen dienstbar zu 
machen. Schliesslich sind auch in der Organisation und Pflege der 
öffentlichen Wolilthätigkeit höchst wichtige Verbesserungen durch- 
geführt worden, welche nicht allein die humanitären Bestrebungen 
unserer Zeit, sondern auch die P'ortschritte des Kunstgewerbes in 
seinen Beziehungen zur öffentlichen Wohlthätigkeit bekunden. 

Der Allgemeine internationale Wettstreit 1888 bietet daher eine 
schätzbare Gelegenheit, dem nur zu ungläubigen Publicum darzu- 
thun, dass die Heilkunde inmitten der Entwickelung aller Zweige 
der menschlichen Thätigkeit nicht still geblieben ist. Wir ersuchen 
Sie, sich an diesem Unternehmen zu betheiligen etc.“ 

Gez. der Vorsitzende der 11. Commission 
Stas. 

Ich habe nicht nöthig hier hinzuzufügen, dass ein Unter¬ 
nehmen, bei welchem der Altmeister der Chemie, der Begründer 
exacter Atomgewichtsbestiramuug, der Dr. med. Stas, den Vorsitz 
übernommen hat, die beste Garantie für sein Gelingen in sich birgt. 

Ich werde nur kurz das Wesentliche aus dem Progromm der 
„11. Bewerbung“ mittheilen. Diejenigen, welche sich näher zu in- 
forrairen wünschen, haben sich nur an das Exegutivcomite, 22 rue 
des palais Bruxelles, zu wenden, welches ihnen bereitwilligst die 
nöthige Auskunft ertheilen und das Verlangte zusenden wird. 

Die „11. Bewerbung“ besteht, wie schon gesagt, aus fünf be¬ 
sonderen Abtheilungen, wovon die erste 11a. die Medicin repräsen- 
tirt. Dieselbe zerfällt in zwei Sectiouen: 

Section 1. Unterricht. — Medicinische Wissenschaften 
und zwar: 

1. Organisation des Unterrichts. 

2. Medicinische Pflichtenlehre. 

3. Allgemeine Anthropologie. 

4. Physiologie. 

5. Anatomie: a) Normalanatomie; b) Pathologische Ana¬ 
tomie. 

6. Mikroskopie. Bacteriologie. 

Section 2. Medicinische Praxis: 

1. Bau und Ausstattung von Spitälern und Pflegehäusern, 

a) Pläne und Kostenanschläge für öffentliche Kranken¬ 
häuser; 

b) Ausstattung. Luftzuführung. Heizung. 

2. Medicinische Technik. 

3. Gerichtliche Medicin und Toxikologie. 

4. Therapeutik. 

llb. Chirurgie. 

Section 1. Allgemeine Chirurgie. 

Section 2. Specielle Chirurgie: Ophthalmologie; Laryngo- 
logie; Otologie; Rhinologie; Gynäkologie; Harnorgane; 
Zahnheilkunde. 

Section 3. Tokologie: Operationssäle; Operationstische et<*.; 
Antisepsis und tokologisehe Instrumente. 

llc. Hygiene. 

Section 1. Oeffeutliche Gesundheitspflege. 

Gruppe 1: Meteorologie. 

„ 2: Geologie. 

„ 3: Hydrologie. 

„ 4: Oeffeutliche Salubrität. 

„ 5: Oeffentliche Anstalten. 

„ 6: Organisation und Verwaltung. 

Section 2. Gewerbehygiene. 

Section 3. Privathygiene. 

Gruppe 1: Gesundheitspflege des Individuums. 

„ 2: Ernährung. 

„ 3: Bekleidung. 

„ 4: Wohnung. 

lld. Balneologie etc. 

Section 1. Allgemeines. (Vorzeigung sämmtlicher physika¬ 
lischen Apparate für den therapeutischen Gebrauch; 


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9. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


115 


dieselbe soll auf praktische Weise eingerichtet werden, 
nach dem Muster der Ausstellungen in verschiedenen 
Anstalten Deutschlands.) 

Scction 2. Besondere Abtheilungen. 

Gruppe 1: Hydrotherapie. 

2: Aerotherapie. 

„ 3: Elektrotherapie. 

. 4: Gymnastik. 

A 5: Pläne und Modelle (hydrotherapeutische An¬ 
stalten, Seehospitäler, von Luftcuranstalten etc.). 

Ile. Oeffeutliche Wohlthätigkeit. 

1. Organisation der Armenpflege. 

2. Aerztliche Stadt- und Landpraxis. 

3. Kinderpflege. 

4. Pflege der Greise. 

5. Krankenmaterial. 

6. Aufbesserung der physischen, geistigen und moralischen 
Lage der arbeitenden Classen. 

7. Gesetzgebung über Bereitung und Verschleiss geistiger 
Getränke. Maassregeln gegen die Trunksucht. 

8. Strafsystem (Zellen; Colonieen; beziehungsweise Strafent¬ 
lassung. 

Im Anschluss an dieses Programm sind einstweilen 67 Frageu 
sog. Desiderata aufgeworfen, welche auf die einzelnen Abtheilungen 
\ertheilt sind. 

Sämmtliche von Belgiern und Ausländern aufgestellten Desi¬ 
derata sind zur Betheiligung am allgemeinen Wettstreit geeignet. 
Die Liste der Desiderata wird nötigenfalls durch Nachträge ergänzt, 
welche die später eingehenden Arbeiten enthalten. 

Für den Wettstreit werden Prämien vertheilt in Baargeld, 
Münzen, Medaillen, Diplomen etc. bis zuin Betrag von 500 000 Fcs. 
behufs dessen von der Belgischen Regierung eine Lotterie genehmigt 
wurde, welche mehrere Serien von je einer Million Losen in sich 
begreifen kann. 

Also wie mau sieht die beste Gelegenheit etwas zu erobern! 

Eine zweite Gelegenheit internationalen Zusammenkommens, 
wenn auch nur für einen ganz kleinen Theil der ärztlichen Welt, 
ist durch den Otologencongress geboten, welcher hier vom 10. bis 

16. September tagen wird. Ursprünglich war der 5.—10. September 
in Aussicht genommen, die Verschiebung aber vorgenommen, um 
den Mitgliedern eine etwa beabsichtigte Theilnahme an der am 

17. September in Köln beginnenden Deutschen Naturforscherver¬ 
sammlung zu erleichtern. Die Ankündigung von Vorträgen und die 
Anmeldungen zur Theilnahme werden bis zum 15. Mai erwartet, 
jedenfalls wäre es für das Organisationscomite sehr erwünscht, 
wenn die Anmeldungen vorher stattfänden, aus leicht begreiflichen 
Gründen. Officielle Sprachen sind das Deutsche, Englische, Franzö¬ 
sische. Italienische, Holländische; übrigens sind alle Sprachen zu¬ 
gelassen, vorausgesetzt, dass sich Jemand findet, der ein Resume 
der gemachten Mittheilung liefern will — in einer der officiellen 
Sprachen! Die Sitzungen werden im Palais des Academies statt¬ 
finden, woselbst noch ein Saal eingeräurat ist für eine Ausstellung 
von Instrumenten, makroskopischen und mikroskopischeu Präparaten, 
Demonstrationen etc. Für fachmännische Leitung der Ausstellung 
ist gesorgt. 

Im Juni wird ein detaillirtes Programm an die Herren, welche 
ihre Mitbetheiligung zugesagt haben, abgesandt. 

Der Brüsseler Gemeinderath hat seine Mitwirkung schon durch 
einen Beschluss sanctionirt, und der Unterrichtsminister dieselbe 
versprochen, und da der Eifer des Comite unermüdlich ist, so 
wird auch das Dulce bei dem Utile nicht fehlen. Bayer. 

VII. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am l. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

I. Herr Virchow demonstrirt eine Reihe von Präparaten: a) Die 
Lungen einer Frau in den mittleren Lebensjahren, welche linkerseits im 
l nterlappen in exquisiter Weise die Erscheinungen des Albinismus dar¬ 
bietet. Es handelt sich in diesem Falle nicht um Emphysem, sondern um 
eine alte retrabirende Pleuritis der linken Seite. Alle anderen Theile der 
Lungen sind stark mit Kohle durchsetzt. — b) Den Kehlkopf eines 
Kranken, der jene Form von Dilatation und Hypertrophie des 
Herzens ohne Klappenfehler und ohne Nierenaffection darbot, welche nach 
der Auffassung des Vortr. in der Regel auf eine chronische Bronchial- 
affection zu beziehen ist. Der Fall zeigt die schüsselförmigen Anschwel¬ 
lungen an den Processus vocales der Giessbeckenknorpel, auf welche der 
Vortr. bei Gelegenheit der Besprechung der Pachydermie hingewiesen 
hat. — c) Präparate eines ausgezeichneten Falles von syphilitischer 
Ghondritis. Man sieht besonders an den Kniegelenken in ausserordentlich 
deutlicher Weise auf den Knorpeln tiefe narbige Gruben und marginale 
V erluste. Die betreffende Kranke bot in keiner Weise etwas von den 


Erscheinungen einer Arthritis deformans dar. — d) Einen Schädel, 
i ganz durchsetzt mit geschwulstartigen Massen, so dass die Innenfläche an 
j vielen Stellen von denselben durchbrochen ist. Es handelt sich um einen 
Fall chronischer Lues. Die übrigen Körpertheile sind leider nicht zur 
j Section gelangt. 

2. Herr Falk: lieber Allgemeinerscheinungen bei gestörter Urin- 

i absondernng. Vor einigen Jahren ist es Musculus geglückt, aus dem 
j menschlichen Urin eine Substanz darzustellen, welche, zum Harn gebracht, 
schnell fermentartig den Harnstoff spaltet. Herr Falk hat nun Thierver¬ 
suche angestellt, welche womöglich Aufschlüsse über die Lehre von der 
1 Harninfiltration geben sollten. Die blosse Einspritzung der Fermentsubstanz 
i rief bei den Versuchsthieren (Kaninchen) keinerlei Erscheinungen hervor; 
i es ist anzunehmeu, dass dieselbe innerhalb des thierischen Organismus 
| zerstört wird. Eine weitere Versuchsreihe bestand dann darin, dass einmal 
an verschiedenen Körperstellen desselben Thieres einerseits eine Lösung 
jenes Fermentes, andererseits Harnstofflösung bezw. Harn iujieirt wurde. 
In einer zweiten Versuchsfolge wurde das Ferment ausserhalb des Körpers 
, mit Harnstoff zusammengebracht, und das Gemenge sogleich eingespritzt, ln 
| einer dritten Reihe endlich wurde gewartet, bis in diesem Gemenge eine 
deutliche Ammoniakgährung auftrat, und dann injicirt. Es traten keine 
I Erscheinungen ein, welche als urämische hätten angesprochen werden können. 

Nun hat bekanntlich Fr er ich s zur Erklärung des urämischen Anfalls 
ein hypothetisches Ferment angenommen, welches innerhalb des Organismus 
den Harnstoff in kohlensaures Ammoniak spaltet, und darauf hingewiesen, 
dass unter Umständen die Ausscheidung dieser Substanz so schnell vor sich 
gehen könne, dass keine toxische Wirkung eintrete. Herr Falk hat daher 
eine solche rasche Ausscheidung auszuschliessen gesucht und an einer 
Reihe von nephrectomirten Thieren experimentirt.. Auch bei diesen 
1 Thieren rief die Einspritzung von Urin, in welchem der Harnstoff in 
kohlensaures Ammoniak gespalten war, keine urämischen Erscheinungen 
! hervor. 

Weiterhin trat Herr Falk der Frage näher, ob nicht vielleicht andere 
Umwandlungen im Urin, namentlich Fäulnissvorgänge zur Erklärung herbei¬ 
gezogen werden könnten? Zunächst wurde Urin der spontanen Zersetzung 
überlassen und alsdann injicirt. Bei dieser Versuchsanordnung gelang es 
' nicht, zu stringenten Schlüssen zu gelangen. Anders wenn der Urin mit 
faulem Fleischinfus geimpft und dann der Zersetzung überlassen war und 
er nunmehr injicirt wurde, so traten Krankheitserscheinungen auf, welche 
mindestens als der Urämie ähnliche bezeichnet werden mussten. Zu 
deutlichen Ergebnissen kam es allerdings nur, wenn vorher die Nieren aus¬ 
geschaltet waren. Die Injection von faulem Fleischinfus allein ergab keine 
analogen Erscheinungen 

Was die Herkunft derjenigen Zersetzungserreger anlangt, welche, wie 
'■ diese Versuche verrauthen lassen, eine Rolle beim urämischen Anfall spielen, 
so liegt es nahe, an den Darmcanal als an die Brutstätte der verschiedensten 
Zersetzungsvorgänge zu recurriren. Frerichs hat ebenfalls auf Darm- 
irritationen als die Quelle des von ihm hypothetisch angenommenen Harn¬ 
stoffferments hingewiesen. Man hat ferner auf die secundären Entzündungen 
i der Nephritiker hingewiesen, in erster Linie die Pneumonieen. Eine cx- 
; perimentelle Untersuchung dieser Gebiete ist mit mannichfachen Schwierig- 
I keiten verbunden, aber die ersten Schritte, welche Herr Falk auf diesem 
Wege unternommen hat, haben ihn, in Folge der geringen Zahl der 
Experimente, noch zu keinen eindeutigen Ergebnissen geführt. — 

I Herr Liebreich stellt an den Vortr. die Frage, welche Quantität 

J urinösen Materials er zu den Einspritzungen gebraucht hat. Durch Ein¬ 
führung von Ammoniaksalzen kann man bei Thieren klonische Krämpfe er- 
, zeugen, udü so würde es sich fragen, ob die eingeführten Mengen urinösen 
! Materials auch so gross waren, dass durch Freiwerden von Ammoniak solche 
klonische Krämpfe hätten erzeugt werden können, die ein der Urämie 
ähnliches Bild ergeben. 

Herr Falk kann augenblicklich die Zahlen nicht angeben, constatirl 
i aber, dass es sich um ziemlich erhebliche Mengen gehandelt hat. 

3. Herr Landau: Ueber Gebärmutterkrebs. Der Vortr. geht bei 
; seinen Erörterungen von sieben Fällen von Krebs des Gebärmutterhalses 

aus, Cancroide, die er in den letzten l'/a Jahren operirt hat. Die Fälle 
sind kurz folgende: 

| 1) 37jährige Frau, die zweimal geboren hat. Am 10. Juni^ 188(1 

Totalexstirpation des Uterus. Pat., die zur Zeit der Operation 102 Pfund 
wog, erholte sich so, dass ein halbes Jahr darauf das Körpergewicht auf 
130 Pfund gestiegen war. Ein Jahr daranf Recidiv. Tod iin Dccember 
1887, also 18 Monate nach der Operation. 

2) 27jährige Frau, die zweimal geboren hatte. Pat. war in blühendem 
i Zustande. Totalexstirpation des Uterus am 17. August 1886. Am 4. Sep¬ 
tember geheilt entlassen. Patientin ist 18 Monate nach der Operation voll¬ 
kommen recidivfrei. 

3) 26jährige, blühend aussehende Frau. Totalexstirpation des Uterus 
am 28. Juni 1887. Am 15. Juli geheilt entlassen. Pat. war drei Monate 

, nach der Operation recidivfrei. Tod im Januar dieses Jahres. 

4) 30jährige Frau. Totalexstirpation des Uterus am 15. Juli 1887. 
Am 15. August geheilt entlassen. Ist bis heute ohne Recidiv. 

5) 41jährige Frau. Totalexstirpation des Uterus am 10. September 
1887. Es ist der einzige Fall, der unmittelbar nach der Operation, und 

I zwar durch eigenes Verschulden der Patientin, zu Grunde ging, 

6) 29jährige, blühend aussehende Frau. Totalexstirpatiou des Uterus 
am 29. September 1887. Am 14. October geheilt entlassen. Es scheint 
jetzt ein Recidiv vorhanden zu sein. 

7) 22jähri'ge Frau. Totalexstirpation des Uterus am 6. October 1887. 
Am 24. October geheilt entlassen. 

Auffallend ist, dass unter den sieben Fällen vier Frauen im Alter von 
, 20—30 Jahren standen, was früheren Statistiken widerspricht. Von den 
, sieben Fällen ging einer während der Operation zu Grunde, zwei starben 
I nachträglich an Rccidivcn, vier sind bis jetzt recidivfrei. 


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116 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 6 


In Bezug auf die Behandlung der Portiokrebse will Herr Landau so 
früh ynd so radikal wie möglich operirt wissen. Er zieht die Totalexstir¬ 
pation des Uterus der von Schroeder empfohlenen supravagiualen Portio¬ 
amputation vor, indem er die von Schroeder und seiner Schule vertretene 
Ansicht nicht theilt, dass Cancroide der Portio die Neigung zeigen, nach 
dem Unterkörper zu wuchern. Im Gegentheil hat die genaue mikroskopische 
Untersuchung obiger Fälle (Herr Dr. Abel) ergeben, dass bei Carcinom 
der Portio eine sarkomatöse Degeneration der Corpusschleimhaut bestand. 

Was die Operationsmethode anlangt, so hat Herr Landau alle sieben 
Fälle nach der neuerdings von Richelot angegebenen Methode operirt, die 
vor allen anderen Verfahren namentlich den Vorzug grosser Schnelligkeit 
der Ausführung besitzt, bei der die Blutung nur minimal und die Gefahr 
der Nachblutung ebenso äusserst gering ist. Ferner wird dabei die Gefahr 
der Verletzung der Harnleiter so gut wie ganz vermieden, und die Nachbe¬ 
handlung ist eine ausserordentlich einfache. Herr Landau hat — abge¬ 
sehen von dem einen Fall, in dem eigene Schuld der Patientin den 
lethaleu Ausgang herbeiführte — keinen Misserfolg zu verzeichnen. 

Die wundeste Stelle in der Behandlung der Uteruscarcinome ist die 
grosse Schwierigkeit einer frühzeitigen Diagnose, die ja für eine erfolgreiche 
Therapie die wichtigste Bedingung ist. Die Möglichkeit einer Erkennung 
der Krankheit aus der Structur erkrankter Theile, die durch Excision oder 
Auskratzen gewonnen sind, darf nicht überschätzt werden. Wenn es aber 
gelingt, theils auf dem Wege histologischer Unsersuchung, theils durch die 
klinische Beobachtung das Carcinom zu diagnosticiren, so liegt die Indication 
für sofortige Operation vor, und zwar befürwortet der Vortr., alsdann auch 
hoi Cancroid der Portio die Totalexstirpation vorzunehmen. 

Herr Abel demonstrirt die von den vorerwähnten Fällen gewonnenen 
mikroskopischen Präparate und sucht, an der Hand derselben die von Rüge 
und Veit aufgestellte Behauptung zu widerlegen, es komme in dem Früh¬ 
stadium des Portiokrebses nie Erkrankung der Corpusschleimhaut vor. Es 
fanden sich in allen Fällen hochgradige Veränderungen der Körperschleim¬ 
haut, die sich in mehreren Fällen als sarcoraatöser Natur herausstellten. 

Herr E. Küster hat in zwei Fällen die Richelot’sche Methode der 
Uterusexstirpation in Anwendung gezogen, ist aber, ungeachtet ihrer grossen 
Bequemlichkeit, davon zurückgekommen, weil, nachdem er die Klemmen nur 
20 Stunden liegen liess, in dem ganzen gefassten Gewebe Gangrän eintrat 
und es ziemlich lange dauerte, bis die abgestorbenen Partieen abgestossen 
wurden. In dem zweiten Fall aber trat ein noch viel bedenklicherer 
Zwischenfall ein. Die Operation war ziemlich schwierig gewesen und hatte 
etwas länger gedauert, die Klemmen waren angelegt, und Herr Küster 
hatte sich genau überzeugt, dass nicht etwa Darm mitgefasst sei. Es traten 
Erscheinungen von Sepsis auf, Patientin ging zu Grunde. Die Section ergab 
keine Spur einer Peritonitis, aber eine Darraschlinge in der Nähe des 
Operationsfeldes hatto einen brandigen Fleck. Herr Küster erklärt den¬ 
selben als Decubitus, entstanden dadurch, dass während 20 Stunden die 
schwere eiserno Klemme auf die Darmschlinge gedrückt hat. Die Methode, 
bösartige Neubildungen des Fundus aus ausgeschabten Stückchen zu dia¬ 
gnosticiren hält Redner mit Herrn Landau in ihrer allgemeinen Verwendung 
für zu unsicher. Er empfiehlt die Digitalexploration des Fundus nach vor¬ 
gängiger blutiger Erweiterung des Cervix, eine Methode, welche offenbar 
weniger geübt werde, als sie es verdiene. 

Herr Virchow nimmt auf die mikroskopischen Demonstrationen Bezug 
und erinnert an das von ihm in Mischgeschwülsten beschriebene Vorkommen 
von Sarcom und Carcinom. , 

Herr Landau giebt zu bedenken, dass auch bei der Schroeder- 
Czerny’schen Methode der vaginalen Operation durch die Ligaturen eine 
Menge von Gewebe abgestossen wird. Der Darm könne nach seiner 
Ansicht nur dann in Folge der Klemmen Decubitus acquiriren, wenn er 
durch Peritonitis auf dieselben gedrückt wird. Der gesunde Darm weicht 
aus. Die Erkrankung in dem Küster’schen Falle sei daher nicht auf die 
Methode zu schieben. Immerhin mahnt die Erfahrung des Herrn Küster 
zur Vorsicht. 

VIII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Zu den Thesen des preussischen Medicinalbeamtenvereins.' 

Erwiderung auf Dr. Wiener’s „Impfung und Interessenpolitik 
der Kreisphysiker“. 1 ) 

Von Dr. R. Pick in Coblenz. 

So sehr ich die Ehre zu schätzen weiss, dass mein in der General¬ 
versammlung des Vereins der Aerzte des Regierungsbezirks Coblenz am 
0. October v. J. gehaltener Vortrag „Bemerkungen zu den sogenannten 
Thesen des preussischen Medicinalbeamtenvereins“ die Beachtung des Herrn 
Dr. Wiener-gefunden hat, so unendlich bedaure ich, dass der verehrte Herr 
College in den alten Fehler verfallen ist, einige gänzlich aus dem Zusammen¬ 
hang gerissene Sätze zur Zielscheibe seines kritischen Talents zu machen. 
Musste ihm doch als „Redacteur der weiland Physikatszeitung und mehr¬ 
jährigem Mitredacteur der Medicinalbeamtenzeitung“ erst, recht bekannt sein, 
wie sinnentstellend ein solches Verfahren zu wirken pflegt. Nicht — wie 
mau nach der W ienc r’schen Darstellung glauben sollte — der Versuch, den 
praktischen Aerztcn das öffentliche Impfgeschäft zu entziehen, hat mich ver¬ 
anlasst, die in den Thosen 4 und G ausgesprochenen Forderungen als den 
nacktesten Ausdruck einer reinen Interesscnpolitik zu bezeichnen, denn dafür 
Hesse sich, wenn auch nur gezwungen und von einem höchst einseitigen 
■Standpunkte aus, noch ein Schein von Berechtigung geltend machen; für 
die Wahl dieser Bezeichnung war vielmehr der Umstand ausschlaggebend, 
dass in den verschiedenen Thesen bezw. in ihrer Motivirung ausser einem 

l ) Deutsche medicinische Wochenschrift 1887, No. 27. Der Abdruck 
der Erwiderung erfolgt wegen Raummangels verspätet. 


j pensionsfähigen Gehalt ä la Amtsrichter mit Wohnungsgeldzuschuss und 
! Dienstaufwandgeldern, ausser den gerichtlichen Gutachten und Attesten, 
ausser der öffentlichen Impfung, ausser der Beschäftigung an staatlichen 
Anstalten, für die Kreisphysiker auch noch die Anstellung an Kreis- und 
Communalkrankenhäusern und daneben die Ausübung der Privatpraxis be¬ 
ansprucht wird; letztere allerdings nur in so weit, als die amtlichen Ge¬ 
schäfte es gestatten. Ob man angesichts solcher Forderungen ohne „effect- 
: haschende“ Absichten von Interessonpolitik sprechen darf, das zu beurtheilen 
überlasse ich getrost meinen Lesern; ganz gewiss wird man sich aber hierzu 
voll berechtigt fühlen, wenn man die Motivirung dieser Forderungen genau 
betrachtet. Mau sagt z. B., der Physikus als Sanitätsbeamter dürfe gerade 
im Interesse seiner sanitären Aufgaben der ärztlichen Praxis nicht entsagen, 
indem er sonst Gefahr laufe, an der medicinischen Wissenschaft Einbusse 
zu erleiden und zum unpraktischen Theoretiker oder Bureaukraten herab¬ 
zusinken. Nun frage ich, warum ist denn zur Verhinderung einer wissen¬ 
schaftlichen Verödung gerade die Ausübung der Privatpraxis oder die Be¬ 
schäftigung an Krankenhäusern nothwendig? Würde sich dieser Zweck nicht 
i ebenso gut oder erst recht durch die Uebernahme der Armenpraxis erreichen 
lassen? In letzterer ist doch gewiss Material zur Uebung in vollstem Masse 
geboten; gerade in der Armenpraxis findet man hinlänglich Gelegenheit, 
sanitäre Studien zu machen, gerade hier, an der Quelle und dem Herde der 
meisten Iufectionskrankheiten, kann unendlich viel für das allgemeine, für 
das öffentliche Wohl geleistet werden. Wenn es den Herren wirklich nur 
um die wissenschaftliche Fortbildung zu thun ist, warum reflectiren sie denn 
nicht auf die Krankenkassen? Allerdings wird in den Motiven bemerkt, 
der Physikus vermeide besser mit Rücksicht auf sein Verhältniss zu den 
i anderen Collegen seinos Wohnortes eine ausgedehnte curative Thätigkeit, 
besonders als Kassenarzt. Aber warum denn gerade als Kassenarzt, warum 
nicht viel eher in der Privatpraxis, in der Praxis aurea? Die zarte Rück¬ 
sichtnahme auf die praktischen Aerzte macht geradezu einen komischen Ein¬ 
druck, wenn man erwägt, dass beim Impfgeschäft — so sagte ich in meinem 
' Vortrag, und dieser Satz scheint den Unmuth des Herrn Collegen Wiener 
ganz besonders hervorgerufen zu haben — der Physikus sich nicht scheut, 

: den „lieben Collegen“ einen Theil ihrer Einnahmen zu entziehen. Und dass 
es sich hier wirklich um den Versuch der Entziehung berechtigter Ein¬ 
künfte handelt, werde ich später nachweisen. 

Auch die Begründung der These 4, „die Ausführung des öffentlichen 
Impfgeschäftes ist den Physikern zu übertragen“, enthält bei Licht be¬ 
sehen eine starke Dosis Selbstsucht, um einen anderen vielleicht passenderen 
Ausdruck nicht dafür zu gebrauchen. Bei der commissarischen Berathung 
der Thesen wurde nämlich das Bedenken geltend gemacht, dass durch ört¬ 
liche Verhältnisse mancher Physikus ausser Stande sei, die gesammten 
öffentlichen Impfungen in seinem Kreise auszuführen, dass weiterhin in ab¬ 
gelegenen Orten der praktische Arzt wesentlich auf die Einnahme aus der 
ihm übertragenen Impfung angewiesen sei, und die Gemeinde möglicherweise 
in Gefahr komme, ihren Arzt zu verlieren, wenn ihm das Impfgeschäft ent¬ 
zogen würde; die Commission schob daher vor „dem Physiker zu über¬ 
tragen“ das Wörtchen „vorzugsweise“ ein. Damit war ohne weitere Um¬ 
schweife gesagt, der praktische Arzt bekommt die öffentliche Impfung nur 
dann, wenn die Uebernahme dieses Geschäftes dem Physikus aus irgend 
! einem Grunde, sei es nun wegen Ueberhäufung mit amtlichen Geschäften 
oder mit Privatpraxis, sei es deshalb, weil der Impfbezirk zu abgelegen oder 
zu klein ist, nicht passt. In der Hauptversammlung wurde das Wörtchen 
„vorzugsweise“ wieder gestrichen, weil der Staat sich da schon selbst zu 
helfen wisse, wo die beamteten Aerzte zur Impfung nicht ausreichten. Wio 
stimmt das Alles zu der Prätention, dass die öffentliche Schutzpockenimpfung 
eine eminent sanitätspolizeiliche Massrcgel sei, die nur von beamteteu 
Aerzten ausgeführt werden könne? 

Und wenn wir nun vollends die Mittel und Wege, welche der preussi- 
, sehe Medicinalbeamtenverein zur Herbeiführung der als nothwendig erachteten 
Reformen eingeschlagen hat (Absendung von Deputationen an den Reichs¬ 
kanzler und Cultusminister, Petitionen an die beiden Häuser des Landtages), 
mit demjenigen Verfahren vergleichen, welches die Handels- und Gewerbe¬ 
treibenden zur Erreichung ihrer Ziele zu verfolgen pflegen, so dürfte die 
Bezeichnung „Interessenpolitik“ ganz gewiss am richtigen Platze sein. 
Uebrigens haben auch Specialcollegen des Herrn Dr. Wiener die fraglichen 
Bestrebungen mehrfach mit diesem Ausdruck, ja selbst mit einem viel 
schlimmeren bezeichnet. Trotzdem will ich nicht unterlassen, dem Herrn 
Collegen die Versicherung zu geben, dass es mir völlig fern gelegen hat, 
| den Bestrebungen des gonannteu Vereins etwas Verwerfliches zu imputiren. 
i Ausdrücklich habe ich in der Einleitung zu meinem Vortrage — leider 
fehlt dieser Satz in dem von Dr. Wioner citirten Referat — gesagt, dass 
nach meinem Ermessen der Inhalt der Thesen an und für sich nichts Un¬ 
geziemendes an sich habe, dass vielmehr das Inconvenable sich erst 
ergebe bei Berücksichtigung deijenigen Interessen, welche von den ärzt¬ 
lichen Bezirksvereinen, die doch zum weitaus grössten Theile aus praktischen 
Aerzten beständen, im Allgemeinen verfolgt bezw. angestrebt würden — 
und dazu gehört in erster Linie die Wahrung des materiellen Besitzstandes 
I der praktischen Aerzte. Es geht meiner Empfindung nach nicht 
an, dass einzelne Mitglieder der Bezirksvereine sich zu einem 
besonderen Verein zusammenthun und durch Bittschriften an 
die Staatsgewalt u. s. w. Dinge, die bisher beamtete und nicht 
beamtete Aerzte gemeinsam besessen haben, für sich allein 
zu erlangen suchen. Wenn der Satz „um dem lieben Collegen einen 
' Theil seiner Einkünfte zu entziehen“ die Entrüstung des Herrn Dr. Wiener 
\ ganz besonders hervorgerufen hat, so dürfte er vielleicht einigermaassen 
j eine Beruhigung in den schönen Complimenten finden, welche in der 
4. Hauptversammlung des preussischen Medicinalbeamtenvereins den prakti- 
I sehen Aerzten von einzelnen Rednern gemacht worden sind. Wer sich 
! dafür interessirt., möge den in der Deutschen Medicinal - Zeitung 1886, 
j No. 82, S. 911, mitgetheilten Bericht durchlesen. Für die praktischen 
I Aerzte sind solche Auslassungen jedenfalls von der grössten Wichtigkeit 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


117 


9. Februar. 


insofern, als sie ihnen fast mit dem Zaunpfahle winken, nicht nur in den 
Aerztevereinen, sondern auch in den zukünftigen Aerztekammern die Ver¬ 
tretung ihrer Interessen in die eigene Hand zu nehmen 

Kehren wir nun zu den Ausführungen des Herrn Collegen Wiener 
zurück, so möchte ich zunächst bei der von ihm aufgeworfenen Frage, ob 
der praktische Arzt auf die Besorgung der öffentlichen Schutzpockenimpfung 
überhaupt ein Anrecht habe, kurz verweilen. Dr. Wiener antwortet hierauf 
selbstverständlich mit einem kategorischen „Nein“, weil 1. die öffentliche 
Impfung als „sanitätspolizeiliche Massregel im eminenten Sinne des Wortes** 
in das Gebiet der staatlichen Gesundheitspflege, also auch in den 
Geschäftskreis der für diese letztere bestellten Organe gehöre, und 2. bis 
1875 die preussischen Medicinalbeamten die legitimen Impfärzte gewesen 
seien. Beides ist durchaus unrichtig. Gewiss bildet — und darin stimme 
ich mit Dr. Wiener überein — die Schutzpockenimpfung einen wesent¬ 
lichen Bestandtheil der staatlichen Gesundheitspflege, deshalb gehört aber 
noch lange nicht die Ausführung derselben in den Geschäftskreis der 
Medicinalbeamten, vielmehr liegt letzteren die Pflicht ob, die Ausführung 
dieser sanitätspolizeilichen Massregel zu überwachen, bezw. zu controliren. 
Warum besorgen denn die Medicinalbeamten nicht auch die Trichinenschau, 
die doch ebenfalls eine hochwichtige, wenn auch vorläufig noch nicht allge¬ 
mein durchgeführte sanitätspolizeiliche Massregel ist? Was würden wohl 
die Schulräthe bezw. die Schulinspectoren sagen, wenn man von ihnen ver 
langte, dass sie, in deren Geschäftskreis die Ueberwachuug des gesetzlich 
geregelten Schulwesens gehört, nun auch den Schulunterricht ertheilen 
sollten? 

Und weiter: Seit 12 Jahren ist thatsäcblich ein sehr grosser Theil der 
praktischen Aerzte mit der Besorgung des öffentlichen Impfgeschäftes legaliter 
betraut! Es gehört wahrlich eine wunderbare Rechtsanschauung dazu, 
zu behaupten, dass man auf eine Sache, die man rechtmässig 12 volle Jahre 
hindurch besitzt, absolut kein Anrecht habe! Vor Allem aber bestreite ich 
dem Herrn Dr. Wiener, dass bis 1875 die preussischen Medicinalbeamten 
die legitimen Impfarzte waren. In der Rheinprovinz — die anderen Provinzen 
der preussischen Monarchie kommen für mich nicht in Betracht — war viel¬ 
mehr bis zu dem genannten Zeitpunkte die Impfarztstelle in der Regel mit 
der Armenarztstelle verbunden, die letztere aber befand sich durchgängig in 
den Händen praktischer Aerzte. Ich könnte dem Herrn Collegen eine statt¬ 
liche Reihe von praktischen Aerzten namhaft machen, die vor 1875 das 
öffentliche Impfgeschäft besorgt haben, wegen Mangel an Raum muss ich 
leider hierauf verzichten. Es wird also tbatsächlich, falls die These 4 
Gesetzeskraft erhält, dem lieben Collegen, d. h. im vorliegenden Falle dem 
praktischen Arzte ein Theil seiner Einkünfte entzogen. 

Vielleicht dürfte es nun dem Herrn Dr. Wiener ehereinleuchten, dass 
Annexionsgelüste, wie sie in einzelnen Thesen zum Vorschein kommen, den 
bisherigen Frieden zwischen beamteten und nichtbeamteten Aerzten zu ge¬ 
fährden im Stande sind; ja ich möchte fast behaupten, dass die Einigkeit 
schon getrübt ist, und zwar nicht nur zwischen beamteten und nichtbeamteten 
Aerzten, sondern vielfach auch zwischen Physikern und Kreiswundäraten. 
Sollten letztere sich ohne Grund von der Betheiligung an dem preussischen 
Xedkinalbeamtenverein so sehr fern halten? 

Im Uebrigen kann ich dem Herrn Collegen Wiener die beruhigende 
Versicherung geben, dass die rheinischen Aerzte sich wegen der Impffrage 
nicht im Mindesten echauffiren. So heissblütig und — begierig sind wir 
Rheinländer nicht! Andererseits haben wir aber auch keine Lust, uns ohne 
Widerspruch und Gegenwehr nehmen zu lassen, was wir Jahrzehnte hin¬ 
durch mit gesetzlicher Autorisation besessen haben! 

In den süddeutschen Staaten sind, soviel mir bekannt, die Medicinal¬ 
beamten stets die legitimen Impfärzte gewesen; hier wird demnach bei 
Durchführung der These 4 nichts geändert und liegt mithin auch kein Grund 
zur Entstehung von Uneinigkeit u. s. w. vor. 

Wenn College Wiener das verlangte Anrecht der Physiker auf die 
Besorgung der öffentlichen Schutzpockenimpfung durch die Berathungen der 
Reichsimpfcommission zu beweisen sucht, so erinnere ich denselben daran, 
dass die praktischen Aerzte diesen Beweis niemals als vollgültig ansehen 
können, weil mit Ausnahme der drei Impfgegner die genannte Commission 
nur aus beamteten Aerzten bestand. Aber auch abgesehen davon, hat selten 
eine Commission sich in solche Widersprüche verwickelt, wie die gedachte 
bezüglich der Frage, warum sich gerade die Physiker zur Ausführung der 
öffentlichen Impfung besonders eignen. Wie verworren und widersprechend 
die Gründe gewesen sind, welche einzelne- Mitglieder dieser Commission für 
die Uebertragung des Impfgeschäftes an die beamteten Aerzte geltend 
machten, hat in drastischer Weise Dr. Nicol zu Hannover in seinem Auf¬ 
sätze: „Zeitgemisse Glossen zu den Verhältnissen der praktischen Aerzte, 
Medicinalbeamten u. s. w.“ geschildert. Sollte dieser Artikel Herrn Dr. 
Wiener entgangen oder sein Inhalt ihm wieder entfallen sein, so empfehle 
ich demselben No. 6 des Aerztlichen Central-Anzeigers für Deutschland zur 
gefälligen Durch- bezw. Nachsicht. 

Am Schlüsse seines Artikels kommt Herr Dr. Wiener auf die tech¬ 
nische Ueberwachung des Impfgeschäftes, die nach den Beschlüssen des 
Bundesrathes vom 18. Juni 1885 für den Fall, dass in Zukunft das Impf- 
gescbäft von den Physikern besorgt wird, von den Rcgierungs-Medicinal- 
räthen, von Kreisphysikern aber ausgeübt werden soll, wenn jenes Geschäft 
praktischen Aerzten übertragen wird. Für eine solche Controle habe sich 
auch, so behauptet der verehrte College, die These 7 des Düsseldorfer 
Aerztevereins ausgesprochen. Hierauf entgegne ich zunächst, dass eine 
These 7 des genannten Vereins gar nicht existirt, wohl aber eine These 1, 
die gewiss nicht zu Gunsten des Herrn Dr. Wiener Folgendes besagt: 
.In Erwägung, dass kein Grund vorliegt, bei den beamteten Aerzten eine 
grössere technische Fertigkeit oder eine grössere Gewissenhaftigkeit und 
Treue in der Ausübung ihres Berufs anzunehmen, ist die vorzugsweise Be¬ 
trauung der beamteten Aerzte mit dem Impfgeschäfte als unmotivirt und die 
Interessen der übrigen Aerzte in ungerechtfertigter Weise schädigend zu 


erklären. Ferner kann die mit Recht geforderte Controle des Impfgeschäfts 
durch den Staat wirksamer ausgeführt werden, wenn sie den Kreismedicinal- 
beamten, als wenn sie den Regierungsmedicinalbeamten übertragen wird.“ 

Wenn nun der Herr College des Weiteren mich fragt, was ich dazu 
sagen würde, wenn der Kreisphysikus seiner Pflicht gemäss zu einem meiner 
Impftermine erschiene und controlirte, so erwidere ich darauf, dass ich mich 
ungemein über die Ehre dieses Besuches freuen und dem Herrn Kreisphysi¬ 
kus beweisen würde, dass ein praktischer Arzt das öffentliche Impfgeschäft 
ebenso gut, ebenso correct und ebenso gewissenhaft zu leiten versteht wie 
ein beamteter. Mir würde die Controle des Kreisphysikus ebenso angenehm 
bezw. unangenehm sein, wie für ihn die durch den Vorgesetzten Medicinal- 
rath ausgeführte. Ganz genau dieselbe Geschichte! Ich plaidire allerdings, 
wie College Wiener hervorzuheben die Güte hat, für die gänzliche Unab¬ 
hängigkeit der praktischen Aerzte, und warne deshalb auch nochmals an 
dieser Stelle die Collegen vor den Consequenzen der These 3. Auf der 
andern Seite aber stehe ich natürlich nicht an, mich zu fügen, sobald etwas 
Gesetzeskraft erlangt hat; denn „Gehorsam ist des Bürgers Pflicht.“ Würde 
vielleicht Herr Dr. Wiener Steuer zahlen, wenn er nicht gesetzlich dazu 
angehalten wäre? 

Wenn Herr Dr. Wiener behauptet, in einem Impftermin seien über 
100 Kinder erfolglos geimpft worden, so kann doch günstigsten Falls daran 
nur die Qualität der Lymphe schuld sein, sicherlich aber nicht die tech¬ 
nische Ausführung der Impfung. Aehnliche Ergebnisse sind auch schon mit 
staatlich gelieferter Lymphe vorgekommen. Ja, selbst beamtete Aerzte haben, 
wie ira Abgeordnetenhause ohne Widerspruch hervorgehoben wurde, beun¬ 
ruhigende Misserfolge beim Impfen gehabt. Von der Nichtimpfung ganzer 
Ortschaften, von welcher Dr. Wiener spricht, haben die rheinischen Aerzte 
keinen Begriff; sie mag in den polnischen Theilen unseres Vaterlandes vor¬ 
gekommen sein, am Rhein ist Derartiges schon Dank der staatlichen Con¬ 
trole einfach unmöglich! ' 

Um nun zu beweisen, dass es gerade nach 1875 in Preussen durch 
das Impfgeschäft zu bedauerlichen Collisionen unter den Aerzten und zu 
Unzuträglichkeiten gekommen sei, theilt Herr Dr. Wiener im Anschluss an 
das bekannte „in schaurigen Accorden an unser Ohr klingende Lied von 
der ärztlichen Misere“ zwei für unseren Stand allerdings wenig schmeichel¬ 
hafte Thatsachen aus dem Regierungsbezirk Marienwerder mit: In dem einen 
Falle übernahm ein College auf Grund der Submission eines nicht genann¬ 
ten Kreisausschusses das Impfgeschäft für 17 Pfg. pro Kopf und Impfung, 
in dem anderen Falle wurde ein Arzt, um die Impfung zu erhalten, sogar 
wortbrüchig. Wie solche bedauerliche Vorkommnisse nothwendig zu Diffe¬ 
renzen ernstester Art unter den Aerzten führen müssen, ist mir unerfind¬ 
lich. Nach meinem Gefühl hätten die dortigen Aerzte sich freuen sollen, 
dass es endlich gelungen wäre, solch’ unwürdige Mitglieder des Standes in 
flagranti zu ertappen und von dem gemeinsamen collegialischen Verkehr aus- 
zuschliessen. Ich kann es absolut keine Differenz nennen, wenn von 100 
Aerzten die anständigen 98 auf der einen Seite stehen und die 2 unan¬ 
ständigen kalt gestellt werden. Es ist höchstens ein Gewinn für den Stand! 
Am allerwenigsten kann man aber zugeben, dass derartige Vorkommnisse nur 
dann unmöglich sind, wenn das Recht zur Anstellung der Impfärzte den Staats¬ 
behörden wiedergegeben wird. Die Vermeidung jener Uebelstände lässt sich schon 
erreichen, wenn ein für allemal der Staat die Höhe des Impfhonorars fest¬ 
setzt; dann fallen Minuslicitation und verwerfliche Concurrenz vollständig 
fort. Dss Dinge, wie sie nach der Schilderung des Herrn Dr. Wiener 
im Regierungsbezirk Marienwerder vorgekommen sind, nothwendig auch in 
anderen Regierungsbezirken passireu müssen, hält mir schwer zu glauben. 
Auch bestreite ich die Richtigkeit der Wiener’schen Behauptung, dass 
vielen beamteten Aerzten die Impfung entzogen worden, weil sie dem 
Kreisausschuss nicht sympathisch, vielleicht auch nicht servil genug waren; 
das mag ausnahmsweise stattgefunden haben, im Allgemeinen werden aber 
für die Kreisausschüsse dieselben Opportunitätsgründe massgebend gewesen 
sein, welche auch schon bei der Berathung des Impfgesetzes von einzelnen 
Oberbürgermeistern geltend gemacht wurden. Sollte Herr Dr. Wiener mit 
der vorstehenden Bemerkung haben andeuten wollen, dass die praktischen 
Aerzte vielfach die Impfarztstellen erhalten hätten, weil sie dem Kreis¬ 
ausschuss gegenüber servil gewesen seien, so trage ich kein Bedenken, gegen 
eine solche unberechtigte Insinuation im Namen der praktischen Aerzte auf 
das Energischste zu protestiren. Auf welcher Seite erfahrungs- und natur- 
gemäss am meisten in Servilismus geleistet wird, ob auf Seite der Beamten 
oder der unabhängigen praktischen, Aerzte, mag unerörtert bleiben. 

Nur zur Vollständigkeit sei noch bemerkt, dass mir die Vereinigung 
der beiden Eigenschaften eines Staatsbeamten und Gewerbtreibenden in einer 
und derselben Person, wie sie von den beamteten Aerzten angestrebt wird, 
mit den Grundsätzen der preussischen Staatsverwaltung unvereinbar er¬ 
scheint. 

Hoffentlich genügt das Vorstehende, um zu zeigen, wie wenig das 
„Wort“ des Herrn Dr. Wiener „zur Verständigung“ geeignet ist. Voll 
und ganz aber unterschreibe ich — und mit mir, denke ich, alle praktischen 
Aerzte — den Satz, welchen Herr College Wiener keineswegs in Conse- 
quenz mit seiner ganzen Ausführung ungefähr am Schlüsse seines Artikels 
ausgesprochen hat: „der praktische Arzt übe seine curative Praxis und 
verlange darin so wenig wie möglich durch die beamteten Aerzte beein¬ 
trächtigt zu werden, und umgekehrt werde dem amtlichen Arzte seine amts¬ 
ärztliche Thätigkeit ungeschmälert gelassen.“ Geschähe dies in dem von 
mir gewünschten Sinne, d. h. strebten nicht die beamteten auf Kosten der 
praktischen Aerzte nach einer unberechtigten Erweiterung der bisherigen 
ihnen vermöge ihres Amtes obliegenden Thätigkeit, so würde damit so recht 
bewiesen sein, wie begründet meine Bemerkungen zu den sogenannten 
Thesen des preussischen Medicinalvereins sind. 


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118 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 6 


IX. Therapeutische Mitteilungen. 


X. Anton de Bary. 


P. le Gendre (Arch. de Laryng., de Rhinol, etc) bespricht von 
ant {septischen Behandlungsarten bei Diphtheritls zuerst diejenige mit 
Quecksilberpräparaten und führt eine Anzahl von Autoren und Methoden an. 

Das Sublimat wird innerlich, als Inhalation, zum Pinseln uiid sub- 
cutan gegeben; z. B. verordnet Burrow von einer wässerigen Sublimat - 
lösung täglich 0,018—0,024. Lynn 0,003 dreistündlich, Pepper in Amerika 
giebt methodisch (?) 0,ÜI — 0,03 je nach dem Alter der Kinder. Kau- 
lich lässt mit einer Lösung von 1,0 : 1000,0 pinseln und mit 15,0 : 1000,0 
inhaliren. Hugo Schulz und Jacobi geben subcutan eine Pravaz’sche 
Spritze von 1,0 : 1000,0. Ferner wird innerlich Calomei, dann Hydrargyr. 
cyanatum gegeben, auch Quecksilbereinreibungen bis zum Speichelfluss sind 
empfohlen worden. 

Das Jodoform in Lösung von 1,0 : 10,0 zum Pinseln oder als Jodoform¬ 
stift oder Jodoform in Lösung mit Balsam. Tolutau. und Aeth. soll nach 
Einigen abkürzend auf den diphtheritischen Process einwirken; Andere wie 
P. le Gendre haben keine Erfolge gehabt. — Ozanam empfiehlt Brom 
als Aqua bromata, und Hill er zum Pinseln und Inhaliren. Der Schwefel 
wird von Barbosa als Gurgelwasser gelobt (Flor, sulfur. 2,5 : 01. Amygd. 
dulc. 180,0), von Anderen innerlich gegeben (Rilliet und Barthez). 
Salicylsäure wird von Letzerich in folgender Form gepriesen, als Gurgel¬ 
wasser 1,0:250 zugleich mit Pinselung von 1,0: 100,0 und innerlich 0,3 
zweistündlich. 

G. See, Bergeron, Weber geben salicylsaures Natron, Letzerich 
das benzoesaure Natron. Als Gurgelwasser wird Borsäure und Borax an¬ 
gewandt (Atkinson, Hanies, A. Jamieson, Huntiuel). Chloralhvdrat 
wird von Mercier gelobt. Oxalsäure und Milchsäure erwähnt Verfasser, 
ohne weitere Resultate anzugeben. Dem Resorcin schreibt besonders 
Callias eine heilende Wirkung zu, er lässt mit einer wässerigen Lösung 
von 5,0: 100,0 pinseln. Quinolin ist von Seiffert angewandt, er hatte 
eine Sterblichkeit von 17 auf 100. Tcrpenthin wird von Hampeln und 
Satlow gelobt, letzterer giebt Kindern 2mal täglich 1 Theelüffel und Er¬ 
wachsenen 1 Esslöffel voll. Delthil betrachtete das Terpenthin als Spe- 
cificum. Er zündet eine Mischung von Terpenthin, Theer und Cajeputöl an 
und lässt die Dämpfe einathmen, um hierdurch die Membranen schneller 
zum Verschwinden zu bringen. Indessen fielen die im Krankenhause von 
Trousseau angestellten Control versuche zu Ungunsten der DelthiFschen 
Behandlung aus. Renou wendet den antiseptischen Spray von Carbolsäure, 
Eucalyptus, Thymol, Sublimat, Salicylsäure an, ohne besondere Erfolge sagt 
le Gendre. Renou hat folgende Methode: In einem nicht zu grossen 
Zimmer, in dem der Patient ununterbrochen bleibt, lässt er in 2 Liter Wasser 
dreistündlich 1 Löffel folgender Lösung am Bette des Kranken verdampfen: 

Acid. carbo I. 280,0 
„ salicyl. 5(5,0 
„ benzoic. 112,0 

Alcoh. rectif. 468,0. 

Er berührt den Hals des Patienten absolut nicht. Diese Methode fand 
grossen Anhang; besonders war es Paterne, der sich ebenso wie Greffier, 
jedoch nur der Carbolsäure bediente und zwar 50,0 : 1000,0 mit einigen 
trockenen Eucalyptusblättern. Paterne sieht die Erfolge dieser Methode 
einmal in den Wasserdämpfeu und dann in dem antiseptischen Mittel. Von 
138 mit antiseptischem Spray behandelten Kindern starben 27 (5 an 
Bronchopneumonie). Greffier fand die Sterblichkeit in seiner Privat¬ 
praxis ohne antiseptischen Spray höher als im Krankenhause mit anti- 
septischem Spray. Dem Einwurf von Schotte und Gärtner, dass bei 
Kindern leicht Carboivergiftungen eiutreten können, stellt Renou entgegen, 
dass man genau auf den Urin aufpassen müsse. Freilich ist bei Renou 
der Tod in 2 Fällen durch Intoxication eingetreten. Entgegengesetzt ist die 
Behandlung von Soulez Hnd Gau eher, welche eine gesättigte Lösung 
von Carbolsäure und Kampher in Alkohol nehmen und mittels eines scharfen 
Pinsels zweimal täglich die Membranen und die Schleimhaut kräftig ab¬ 
reiben trotz der furchtbaren Schmerzen des Kranken. Zum Schluss führt 
le Gendre seine eigene Methode an. Er reibt die Membranen 3—4mal 
täglich mit einem an ein Stäbchen befestigten Wattetampon, das in 
Sublimatlösung getaucht ist, ab; lässt alle 2 Stunden Berieselungen oder 
Zerstäubungen von Borsäure (4,0 : 100,0) folgen, giebt innerlich Natr. 
benzoic. 3 = 12 g pro die und viel Wein und Tonica, achtet auf kräftige 
Diät, auf gute, etwas feuchte, antiseptische Luft im Krankenzimmer, warnt 
jedoch vor ätzenden Mitteln, die stärkere Entzündungen hervorrufen, und 
allen denen, die die Verdauung stören können. H. L. 


— Tod durch Antifebrln. Ein amerikanischer Arzt Dr. E. v. Quast 
verordnete einem Kinde 0,25 Antifebrin, Morgens und Abends ebenso viel. 
Der ängstliche Vater hielt sich aber nicht an die Verordnung, sondern gab 
obige Dosis alle 2 Stunden. Am Abend bei der Visite fand der Arzt das 
Kind cyanotisch, collabirt mit schwachem, schnellem Pulse. Trotz aller ärzt¬ 
lichen Bemühungen gelang es nicht, den Tod des Kindes zu verhindern. 
Es zeigt sich hier wieder, wie vorsichtig man bei der Darreichung differenter 
Medicamente sein muss, und wie gut der Arzt thut, genaue Vorschriften 
seinen Patienten zu geben. Gr. 

— Läget (Coinpt. rend. de la soc. de biol. No. 42) gelang es, eine 
schmerzhafte Gebart einer fünfmonatlichen Frucht durch zwei Clystiere 
von je 2 g Antipyrin auf 100 völlig schmerzlos zu machen, ohne dass hier¬ 
bei die Energie der Uteruscontractionen litt. 

— Dr. Paul wandte bei chronischer Bronchitis, der idiopathischen 
sowohl wie bei der mit asthmatischen Symptomen complicirten das Extr. 
Grindcllae robustne fluid, in Dosen von 3— 4 g täglich mit vielem Erfolg 
an, weist aber darauf hin, dass man, um diesen zu erreichen, ein reines 
unverfälschtes Präparat anwenden müsse, das eindn dem Terpentin ähn¬ 
lichen Harzgeruch haben muss. Bo. 


Von Prof. Dr. Ferdinand Cohn in Breslau. 

(Schluss aus No. 5.) 

Schon 1853 hatte de Bary in seiner Habilitationsschrift (Leipzig, 
mit 8 Tafeln) die wesentlichen Organisationsverhältnisse dieser Pilze 
aufgedeckt, die man bis dahin noch vielfach als exanthematische Pro- 
ducte einer aus klimatischen Ursachen entstandenen Pflanzenkrankheit 
anzusehen geneigt war. 1866 bewies de Bary durch unanfechtbare mi¬ 
kroskopische und experimentelle Untersuchungen, dass den Rostpilzen 
nicht blos eine doppelte Sporenbildung zukommt (Sommer- oder 
Uredosporen, Winter- oder Teleutosporen), sondern dass dieselben 
in der Regel noch eine dritte und vierte vollkommenere Fruchtform 
(Aecidiumfrüchte und Spermogonien) erzeugen; und zwar ent¬ 
stehen diese letzteren bei vielen Rostarten und insbesondere beim 
Getreiderost auf verschiedenen Pflanzenarten, so dass der Pilz, ähnlich 
der Trichine und dem Bandwurm, seine vollständige Entwickelung nicht 
im Körper eines und desselben Wirthes zurücklegen kann, sondern 
von der einen zur anderen überwandernd, zwei verschiedene Nähr¬ 
pflanzen befällt; so erzeugt der am meisten verbreitete Getreiderost 
(Puccinia graminis) die Uredo- und Teleutosporen gewöhnlich auf der 
Roggenpflanze, während er die Aecidiumfrüchte nur auf dem Berbe- 
rizenstrauch hervorbringt. Dadurch wurde die schon früher von 
•Landwirthen behauptete, aber wegen Mangel überzeugender Beweise 
immer in Zweifel gezogene Ansteckung der Roggenfelder mit Rost 
durch die in der Nähe befindlichen Berberizenhecken als eine That- 
sache erwieseu, und gleichzeitig die Verhütung des Rostes durch 
Ausrottung der Berberizen in der Nähe der Getreidefelder iu Aus¬ 
sicht gestellt. 

Von ebenso grosser wissenschaftlicher wie praktischer Bedeutung 
war die kleine von de Bary 1861 veröffentlichte Schrift: „Die Kar¬ 
toffelkrankheit, deren Ursache und Verhütung.“ Als seit dem 
Jahre 1845 die Kartoffelkrankheit sich über ganz Europa epidemisch 
ausgebreitet und das Brot der Armen vernichtet, Elend und Hunger¬ 
typhus über ganze Länder gebracht hatte, war zwar in dem ge¬ 
schwärzten Kartoffelkraut ein bis dahin unbekannter Schimmelpilz 
(Peronospora infestans), und zwar zuerst 1847 von einer belgischen 
Mykologin Mme. Libert, entdeckt worden, aber der aetiologische Zu¬ 
sammenhang des Kartoffelpilzes mit der Epidemie war dunkel ge¬ 
blieben. Erst durch ein einfaches Experiment vou Speerschneider 
wurde 1857 ermittelt, dass nicht die Krankheit den Pilz, sondern 
der Pilz die Krankheit der Knollen erzeugt. Schneidet man nämlich 
eine gesunde Kartoffel in zwei gleiche Hälften, legt die eine mit der 
Schnittfläche einfach auf den Tisch, hüllt die andere in krankes, 
vom Schimmel befallenes Kartoffellaub, so bleibt die eine Hälfte 
gesund, indem die Schnittwunde durch eine neu erzeugte Korklage 
vernarbt; die mit dem verschimmelten Kraute in Berührung gebrachte 
Hälfte fault in ganz ähnlicher Weise, wie die kranken Kartoffeln im 
Boden. Aber damit war noch nicht erklärt, auf welche Weise in 
der freien Natur der Kartoffelpilz epidemisch um sich greift, von 
einem Felde zum anderen, von einer Landschaft zur anderen sich 
ausbreitet. Erst de Bary lehrte uns die Vorgänge erkennen, durch 
welche die Infection entsteht; die im Innern des befallenen Laubes 
wuchernde Peronospora drängt durch die Spaltöffnungen ihre Frucht¬ 
fäden nach aussen, alsdann lösen sich von ihnen eine Anzahl Conidien 
ab, die durch die Luftströmungen als leichte Stäubchen von einem Blatt 
auf das andere, von einer Pflanze auf die andere übertragen werden; 
werden diese Conidien von einem Regen- oder Thautropfen benetzt, 
so gebären sie 7—8 Schwärmsporen, die bald keimen und ihre 
Keimschläuche in die Blätter der Kartoffelstaude einbohren. Die 
mit dem Staub auf den Ackerboden sich senkenden Conidien werden 
durch Regen in die Tiefe gespült, und wenu sie den unterirdischen 
Kartoffelknollen nahe kommen, inficiren sie dieselben durch ihre 
Krankheit zeugenden Keime. 

De Bary hat dann später gezeigt, in wie mannichfaltiger Weise 
geschlechtlicher und geschlechtsloser Fortpflanzung die anderen mit 
dem Kartoffelpilz mehr oder weniger nahe verwandten Peronosporaarten 
bei den verschiedensten wilden und angebauten Gewächsen Epi- 
demieen erzeugen. (Preisaufgabe der Pariser Akademie 1861, Mo¬ 
nographie des Peronosporees in Ann. d. sc. nat. 4 ser. 1863, Botan. 
Zeitg. 1881.) 

EineReihe überraschenderEntdeckungen brachte die von de Bary 
1859 (2. Aufl. 1864) veröffentlichte Schrift über Mycetozoen oder Pilz- 
thiere. Schon längst hatte man in den Pilzsystemen eine Anzahl 
meist auf moderndem Holz lebender Pilze unter dem Namen der 
Schleimpilze oder Myxomyceten abgesondert, die in sterilem Zu¬ 
stande weissen, gelben, rothen, violetten, braunen Schleimmassen 
gleichen, bei der Fruchtbildung aber verstäubenden kleinen Bovisten 
ähnlich scheinen, de Bary wies nach, dass aus den Sporen der 
Myxomyceten schwärmende Monaden hervorgehen, die sich bald in 
Amoeben verwandeln und in diesem Zustande nicht nur lebhaft um- 


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9. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


119 


herkriechen, feste Körperchen in sich aufnehmen und verdauen, 
sondern auch in grosser Zahl Zusammenflüssen und untereinander 
verschmelzen; diese oft netzförmig verzweigten Schleimgebilde, von 
Cienkowski Plasmodien genannt, kriechen rasch über weite Flächen, 
bis sie schliesslich sich in die charakteristischen, mit zahllosen 
staubfeinen Sporen und einem hygroskopischen Haarnetze erfüllten j 
Früchte verwandeln, de Bary glaubte deshalb die Schleirapilze aus 
dem Pflanzenreich verweisen und mit den nächst verwandten Rhizopoden 
in den Anfang des Thierreiches stellen zu müssen. Die Bedeutung 
deT de Bary’sehen Entdeckung der Mycetozoen, die später von 
seinem Schüler Rostafinski in Krakau monographisch bearbeitet 
worden sind, wird in Zukunft vielleicht noch mehr iu’s Gewicht 
fallen, da verwandte, wenn auch einfachere Organismen als 
pathogene Parasiten auch im Menschen auftreten. 

Wir müsseu darauf verzichten, hier auf die übrigen wichtigen 
Forschungen de Bary’s aus dem Gebiete der Pilzkunde und der 
von Pilzen erzeugten Krankheiten einzugehen, und uns auf den Hinweis 
beschränken, dass wir de Bary auch die erste streng wissenschaft¬ 
liche, durchweg auf eigeuen, grossentheils neuen Untersuchungen 
fassende, dabei klar und anregend geschriebene Zusammenfassung 
unseres gesammten Wissens über diese Organismen verdanken, die 
unter dem Titel: „Vergleichende Morphologie der Pilze, Mycetozoen 
und Bacterien (Leipzig, Engelmann, erste Auflage 1886, zweite 
1884)“ erschienen ist. Dieselben Vorzüge des Inhalts wie des Stils 
zeichnen de Bary’s „Vorlesungen über Bacterien“ aus, die ursprüng¬ 
lich an der Universität Strassburg gehalten, 1885 in erster, 1887 in 
zweiter Auflage veröffentlicht wurden. Von beiden Werken sind 
im vorigen Jahre englische Uebersetzungen erschienen. 

Hatte die botanische Welt sich auch längst daran gewöhnt, iu 
de Bary den Meister entwickelungsgeschichtlicher Forschung auf dem 
Gebiete der niederen Pflanzen und insbesondere als einen der Begründer 
der wissenschaftlichen Mykologie zu bewundern, so wurde sie doch 
überrascht, als derselbe 1877 durch seine „Vergleichende Anatomie 
der Vegetationsorgane der Phanerogaraen und Farne“ sich einen 
neuen Lorbeer auf einem ganz anderen Gebiete erwarb. Zwar hatten 
schon einzelne in der botanischen Zeitung mitgetheilte kleinere Ar- , 
beiten, insbesondere eine wichtige über die Entstehung des Wachses ! 
auf der Oberhaut der Pflanzen, verrathen, wie eingehend de Bary i 


XL Aus dem Staatshaushalts-Etat für das 
Jahr 1888 89. 

ii. 

A. Mehrausgaben für Universitäten: Königsberg: Zur Er¬ 
richtung einer ausserordentlichen Professur für inedicinische 
Poliklinik und klinische Propädeutik, Gehalt und Wohnungsgeldzuschuss 
3 210 Mk. In Folge Umwandlung einer ordentlichen Professur der raediei- 
nischen F;icultät in eine ausserordentliche Professur werden durch die Be¬ 
soldungsdifferenz 2 550 Mk. weniger ausgegeben. Berlin: 1) Zur Errichtung 
einer ausserordentlichen Professur für Hals- und Nasenkrank¬ 
heiten Gehalt und Wohnungsgeldzuschuss 3 900 Mk. 2) In Folge von 
Entziehung der Dienstwohnung werden an einen Ablheilungsvorsteher des 
physiologischen Instituts 390 Mk. und an den Präparator des anatomischen 
Instituts 540 Mk. Zuschuss verlangt. 3) Für die Universitätsklinik 
für Syphilitische Krankheiten 1 000 Mk. zu sächlichen Ausgaben. 
4) Für die Universitäts-Frauenklinik 300 Mk. zu Entschädigungen für 
geistliche Amtshandlungen und 4 460 Mk. zur Verstärkung des sächlichen 
Ausgabefonds sowie zur Löhnung von 2 Wärterinnen und eines Leichen¬ 
dieners. 5) Für die hygienischen Institute: Zur Anstellung eines 
Gustos beim Museum mit 3 600 Mk. Gehalt und 540 Mk. Wohnungsgeld¬ 
zuschuss (unter Mitverwendung der entbehrlichen Remuueration des Direktors 
in Höhe von 3 000 Mk.) 1 140 Mk., zur Anstellung eines Dieners beim 
Laboratorium 1 320 Mk., zur Remunerirung eines IIülfsa r beit ers 
1 500 Mk. und zur Verstärkung des sächlichen Ausgabefonds 3 0 )0 Mk. 
6) Für das zahnärztliche Institut: 2 000 Mk. zur Remunerirung des 
Vorstehers des zahntechnischen Laboratoriums und 1 320 Mk. zur Anstellung 
eines Dieners. 7) Für die Poliklinik für Hals- und Nasenkrank¬ 
heiten: 2 700 Mk. zur Remunerirung zweier Assistenten uud5 0UOMk. 
zu sächlichen Ausgaben einschliesslich 750 Mk. Lohu für einen Diener und 
I 500 Mk. Miethe für ein Local. Greifswald: 1) Für das pharmakologische 
Institut 900 Mk. für Heizung und Beleuchtung. 2) Für das physiologische 
Institut Zuschuss zur Remunerirung eines Assistenten 750 Mk. und 2 000 Mk. 
zur Verstärkung des sächlichen Ausgabefonds. 3) Für die psychiatri¬ 
sche Klinik 500 Mk. zu sächlichen Ausgaben. 4) Für das geburts- 
hülfliche Institut 100 Mk. zur Lohnerhöhung des Heizers. 5) Für die 
Augenklinik zur Erhöhung der Remuneration des Assistenten auf den 
Durchschnittssatz von 1 200 Mk. 150 Mk. und 6 000 Mk. zur Verstärkung 
des sächlichen Ausgabefonds. Breslau: 1) Zur Errichtung einer 
ausserordentlichen Professur für innere Krankheiten, Gehalt 
und Wohnungsgeldzuschuss 3 210Mk. 2) Für das hygienische Institut 
1 200 Mk. zur Remunerirung eines Assistenten und 900 Mk. für einen 
Hülfsdiener. 3) Für die chirurgische Klinik 8 000 Mk. zur Verstärkung 


mit dem mikroskopischen Bau der höheren Pflanzen sich beschäftigt 
hatte; doch eine so meisterhafte Beherrschung eines fast unüberseh¬ 
baren Stoffes und eine solche Fülle eigener Untersuchungen hatte 
Niemand erwartet. Das Buch ist nicht nur die erste Bearbeitung 
einer neuen bis dahin niemals im Zusammenhang behandelten 
Wissenschaft, sondern zugleich grundlegend und in vieler Beziehung 
abschliessend. Auch von ihm ist im vorigen Jahre eine englische 
Cebersetzung erschienen. 

Hervorzuheben ist, dass de Bary ausser seinen streng wissen¬ 
schaftlichen Werken, die nur eine so ungewöhnliche Arbeitskraft 
in so kurzer Zeit neben so vielen amtlichen Beschäftigungen an’s 
Licht zu fördern vermochte, es nicht verschmäht hat, die Ergeb¬ 
nisse seiner Forschungen auch in populärer Form weiteren Kreisen 
zugänglich zu machen, wie er dies z. B. in seiner, der Virchow- 
schen Sammlung gemeinverständlicher Vorträge einverleibten Schrift 
„Schimmel und Hefe“ 1869, 2. Auflage 1874, gethan? er hat sich selbst 
bereit gefunden, eine kleine Botanik für die Volksschulen des Eisass 
zu verfassen; auch ist er nicht selten in den Strassburger Vereinen 
erschienen, um seinen Mitbürgern populäre Vorträge über 
Fragen der Wissenschaft zu halten, de Bary erfreute sich aber 
auch in allen Kreisen Strassburgs einer Popularität, wie nur wenige 
seiner Collegen, und allgemein war die Trauer, die besonders am 
Tage seiner Beerdigung am 22. Januar in allen Schichten der Be¬ 
völkerung sich kund gab. 

De Bary war eine hohe schlanke Erscheinung; die edlen Ge¬ 
sichtszüge mit den ausdrucksvollen blauen Augen, von dem 
vollen blonden, früh ergrauten Bart eingerahmt, zeigten die 
Sporen der Ueberanstrengung, welche die meist im Schwarzwald 
oder der Schweiz verlebten Ferien nicht immer zu verwischen ver¬ 
mochten; sein Organ von sympathischem Wohlklang verlieh seinem 
Vortrag fesselnden Reiz, obwohl er jedes rednerischen Schmucks 
entbehrte. Im Verkehr von liebenswürdigster Leutseligkeit, machte 
er doch stets den Eindruck einer ungewöhnlich bedeutenden, im- 
ponirenden Persöülichkeit. Auf ihn können wir die Worte anwen¬ 
den, die er einst Hugo v. Mohl nachgerufen. „Es wird wenige 
Naturforscher, keinen Botaniker geben, den die Nachricht seines | 
Todes nicht schmerzlich berührt, tief erschüttert hätte; denn dieselbe j 
bedeutete das Erlöschen eines Sternes, welcher durch ein Viertel- 
jabrhundert auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Botanik Licht 
verbreitet hat, wie Wenige vor und ausser ihm.“ j 


des sächlichen Ausgabefonds einschliesslich 9 '0 Mk. Lohn für einen Diener. 
4) Für die Frauenklinik zur Remunerirung eines 4. Assistenten 900 Mk. 
Göttingen: 1) Zur Errichtung einer ordentlichen Ersatz-Pro¬ 
fessur in der medicinischen Facultät, Gehalt und Wohnungsgeldzuschuss 
6 540 Mk. 2) Zur Errichtung einer ausserordentlichen Pro¬ 
fessur für Ohrenheilkunde, Gehalt und Wohnungsgeldzuschuss 3090 Mk. 
Marburg: 1) Für die Augenklinik zur Remunerirung eines 2. Assi¬ 
stenten I 200 Mk. 2) Für das physiologische Institut 3 200 Mk zur 
Verstärkung der sächlichen Ausgabefonds einschliesslich 1 200 Mk. Lohn 
(neben freier Wohnung) für einen Portier und Mechanikus. Bonn: Für 
die gynäkologische Klinik 1200 Mk. zur Remunerirung eines dritten 
Assistenten. 

B. Einmalige und ausserordentliche Ausgaben. Königsberg: 
Zum Neubau des pathologischen und pharmakologischen Instituts (1. Rate) 
1000U0 Mk. Berlin: 1) Zur Einrichtung und Ausstattung des zahntech¬ 
nischen Laboratoriums des zahnärztlichen Instituts 80 : *0 Mk. 2) Zur Deckung 
eines Deficits bei dem anatomischen Institut 12700 Mk. Greifswald: Zur 
Ausstattung des physiologischen Instituts mit Indrumenten, Apparaten u. dgl. 
15000 Mk. Breslau: 1) Zum Neubau der Frauenklinik (3. Rate) 100000 Mk. 

2) Zum Neubau der chirurgischen Klinik (1. Rate) 150000 Mk. 3) Zum 
Bau eines Wirtschaftsgebäudes für die klinischen Institute 90000 Mk. uud 
eines Verwaltungsgebäudes 40000 Mk. 4) Zur Ausstattung des hygienischen 
Instituts mit Apparaten u. dgl. 8000 Mk. Halle: Zum Erwerb eines Bau¬ 
platzes für den Neubau einer Irrenklinik 125000 Mk. Kiel: 1) Zum Neu¬ 
bau einer Augen- und Ohrenklinik (2. uud letzte Rate) 80000 Mk.; zur 
inneren Ausstattung derselben 14800 Mk. 2) Zur Ausstattung des pharma¬ 
kologischen Instituts 6000 Mk. Göttingen: 1) Zum Neubau der chirurgi¬ 
schen Klinik, einschliesslich der Ausstattung 250000 Mk. 2) Zum Neubau 
des Oekonomiegebäudes für die Kliniken (2. und letzte Rate) 82000 Mk. 

3) Zum Neubau der medicinischen Klinik (1. Rate) 150000 Mk. 4) Zum 

Neubau eines Verwaltungsgebäudes für die Kliniken 42400 Mk. 5) Zur 
Herstellung der Heizungsanlagen für die klinischen Neubauten (1. Rate) 
80000 Mk. Marburg: I) Zum Neubau eines physiologischen Instituts 
(4. und letzte Rate) 73360 Mk; 2) Zum Neubau eines pathologischen In¬ 
stituts (2. und letzte Rate) 131880 Mk. 3) Zur inneren Ausstattung des 
Erweiterungsbaues des pharmaceutisch-chemischeu Instituts 5000 Mk. 4) Zur 
Deckung eines Deficits bei der medicinischen Klinik 5806 Mk. tt. 


XII. Zur zahnärztlichen Praxis. Erwiderung. 

In No. 3 der D. m. W. werden unter obigem Titel den Zahnärzten 
Vorwürfe von so schwerwiegender Bedeutung gemacht, dass die Unterzeich¬ 
nete „Gesellschaft Deutscher Zahnärzte zu Berliu“ nicht umhin kann, die¬ 
selben zu widerlegen und zu berichtigen. 

Vorwürfe haben wir Zahnärzte, eingedenk der Hochachtung vor dein 
ärztlichen Stande, niemals gegen diesen in seiner Gesammtheit ausgesprochen; 
nur in gebührender Achtung sind wir mit der Bitte an die Aerzte herange¬ 
treten, uns in unserem Streben zur Bekämpfung des Curpfuscherthums auf 


* 


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120 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


N T 0. 6 


unserem Gebiete und zur Hebung unseres, durch meist ungebildete Parasiten, 
leider auch durch manche Collegen arg in Misscredit gerathenen Standes zu 
unterstützen, in der festen Zuversicht, dass jeder billig denkende Arzt un¬ 
seren Grundsatz als richtig anerkennen werde: Die Heilkunde (natürlich 
incl. Zahnheilkunde) ist Sache des approbirten Arztes, die Zahnheilkunde 
die des approbirten Zahnarztes — NB. Die Parallele bedeutet keine 
arrogante Gleichstellung, sondern geschieht in der respectmässigen Abstufung 
gemäss den mit der bezüglichen Approbation verbundenen Bedingungen —; 
jede nicht approbirte Person ist Curpfuscher. Allerdings stellen wir uns 
hiermit nur auf den moralischen, nicht gesetzlichen Standpunkt: denn Cur- 
pfuscherei ist in neuerer Zeit gesetzlich nicht strafbar, vom Standpunkt der 
Moral — sicherlich doch der ärztlichen Moral — immer verdammungs¬ 
würdig. 

Erkennt man obige Vordersätze als richtig an, so ergiebt sich als Nach¬ 
satz: Jeder Arzt hält es unter seiner Würde, zu einem Curpfuscher in en¬ 
gere Beziehungen zu treten. 

Dass ein Arzt an Stelle der allein maassgeblichen Approbation das 
durch.den Erfolg der Behandlung bedingte Vertrauen setzt, ist eine Maxime, 
deren Consequenzen zur Existenzberechtigung eines „Wasser- und Natur- 
doctors“ Kanitz, Mahlitz und Consorten fuhren. 

Auf die Insinuation betreffs der Uebergriffe seitens der Zahnärzte er¬ 
widern wir, dass gerade wir, die wir gegen jeden Schwindel und Unfug auf 
zahnärztlichem Gebiete Front machen, wiederholentlich um Angabe der 
Zahnärzte gebeten haben, welche sich als „Specialarzt für Mundkrankheiten“ 
bezeichnen und die Eröffnung tiefliegender (d. h. nicht von kranken Zähnen 
ausgehender) Abscesse, die Ausmeisselung verirrter Zähne aus den Knochen 
und andere Operationen, als die in’s Gebiet der Zahnheilkunde gemäss dem 
im Staatsexamen von uns geforderten Wissen fallenden, sich anmaassen. 
Mit demselben Rechte könnte man uns für jenen reclamesüchtigen Collegen 
mit dem Hofrathstitel verantwortlich machen, welcher „die Diphtheritis durch 
neue, eigenartige und milde Behandlung noch in den bedenklichsten Fällen 
erfolgreich bekämpft.“ 

Als Zahn-Arzt bezeichnen wir uns in Folge aufgezwungener Nothwehr 
zu Schutz und Frommen des Puhlicums, welches in dem Wirrwarr von Be¬ 
zeichnungen, als da sind Zahntechniker, -künstler, -artisten (und zwar ab¬ 
gekürzt Zahnart., Zahnarts oder Zahn-A., auch prakt. Zahnart. etc.), Zahn- 
Atelier oder american. Zahn-Atelier (abgekürzt Zahn-A.), Zahnoperateur 
u. dgl. bald nicht mehr weiss, dass Zahnärzte einer Approbation bedürfen 
und wissenschaftlich gebildet sein müssen. Warum wir den Zusatz „prak¬ 
tisch“ wählen, wissen wir ebensowenig wie jeder „praktische“ Arzt mit der 
Approbation neueren Datums. 

Auf den uns gemachten Vorwurf, wir führten „zweifelhafte Titel“, er¬ 
klären wir nur, dass keines unserer Mitglieder solche führt gemäss der in 
unseren Statuten ausgesprochenen Aufnahmebedingungen: „Jedes Mitglied 
verpflichtet sich durch Ehrenwort, 

a) nur approbirte Zahnärzte als Assistenten zu beschäftigen, 

b) jede Reclame zu vermeiden, 

c) nur einen allseitig anerkannten Doctortitel zu führen.“ 

Unseren Kampf gegen das Curpfuscherthum auf zahnärztlichem Gebiete, 
welchen man als „Hilferuf nach der Polizei“ zu bezeichnen beliebt, halten 
wir und viele Aerzte für ebenso nothwendig und berechtigt, wie die Aerzte 
den ihrigen gegen die Curpfuscherei im Allgemeinen. 

Zur Bekräftigung der Richtigkeit unserer Ansicht, dass Aerzte es ver¬ 
schmähen, ihre Patienten sogenannten Zahntechnikern anzuvertrauen, können 
wir hier noch mittheilen, dass sämmtliche Gewerksärzte einstimmig beschlossen 
haben, gegen die etwaige Anstellung jener Personen energisch zu protestiren, 
und daher nicht die geringste Aussicht für deren Zulassung vorhanden ist. 

Bezüglich der uns untergeschobenen Gesinnung, unsere Bestrebungen 
bezweckten nur das „Heranziehen des Publicums“ erklären wir: Unsere 
Agitation erstrebt die Beschränkung des Curfuscherthums als Endziel im 
Allgemeinen und im Besonderen als gegenwärtiges Ziel die Aufklärung des 
Publicums — einschliesslich der Aerzte —, welches zum grossen Theile 
uns Zahnärzte mit jenen ungebildeten Empirikern in eine und dieselbe 
Rubrik stellt — eine Thatsache, welche geeignet ist, das Ansehen unseres 
Standes arg zu schädigen. 

Zum Schluss appelliren wij- vertrauensvoll an das Wohlwollen der 
Aerzte und hoffen, dass ihr Vorschlag, unser lang’ ersehntes Ziel, die als 
Specialfach bereits allseitig anerkannte Zahnheilkunde solle auch äusserlich 
durch Erhöhung der Vorbedingungen der Staatsprüfung dem medicinischen 
Studium gleichgestellt werden, recht bald in Erfüllung gehen möge; gleich¬ 
zeitig aber bitten wir, diejenigen Schärfen, welche etwa bisweilen unter¬ 
gelaufen sein sollten, durch die uns aufgezwungene Defensive entschuldigen 
zu wollen. 

Die Gesellschaft Deutscher Zahnärzte zu Berlin. 


XIII. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Dem Cultusminister v. Gossler überreichte in diesem 
Monate der Geschäftsausschuss für deutsche Schulreform, bestehend aus den 
Herren Dr. med. Conrad Kuester, Dr. Friedr. Lange (Tägliche Rund¬ 
schau), Th. Peters, Generalsecretär des Vereins Deutscher Ingenieure, 
v. Schenckendorff, Mitglied des Abgeordnetenhauses, eine Eingabe zur 
„Frage der so nothwendig gewordenen Reform der Schule“, welche in den 
beiden Schlusssätzen gipfelt: 1) Aus berufenen Kreisen Deutschlands Vor¬ 
schläge und Gutachten zur Frage einer Reform der deutschen Schule einzu¬ 
holen. 2) Mit geeigneten Personen und Vertretern von Körperschaftenj ins¬ 
besondere auch mit solchen, welche inmitten des heutigen Lebens stehen, 
über die Grundzüge dieser Reform und den Gang ihrer Durchführung in 
Beratbung zu treten, sowie die Ergebnisse dieser Berathung thunlichst aus¬ 
führlich der Oeffentlicbkeit zu übergeben. — Die Petition zählt neben dem 
Geschäftsausschuss noch die sehr zahlreichen Namen der erweiterten Schul¬ 


commission der Deutschen akademischen Vereinigung, sowie eine grosse 
Anzahl von Unterschriften aus den berufensten Kreisen Deutschlands. 

— Dem Vernehmen nach soll Herrn Professor Ewald die frei ge¬ 
wordene Leitung der inneren Station am Königin-Augusta-Hospital 
übertragen werden. 

— Zur medicinischen Publicistik. Den neuen im Jahre 1888 
in’s Leben getretenen litterarischen Unternehmungen auf medicinischem Ge¬ 
biete wird sich demnächst, wie wir hören, ein neues anschliessen, und zwar 
die „Berliner Klinik“, herausgegeben von den beiden Directoren des 
städtischen Krankenhauses, den Herren Professor Dr. Färb ringer und 
Geh. Sanitätsrath Dr. Hahn. Gegenüber ihrem Muster, der „Wiener Klinik“, 
welche als regelmässige Gratisbeilage der „Wiener med. Presse“ allmonat¬ 
lich ein Mal erscheint, soll die „Berliner Klinik“ in zwanglosen Heften aus¬ 
gegeben werden. Das Unternehmen schliesst sich neben der genannten 
„Wiener Klinik“, der in Verbindung mit deutschen Klinikern von Richard 
Volkmann herausgegebenen „Sammlung klinischer Vorträge“ und den von 
Professor Dr. Johann Schnitzler in Wien herausgegebeneu „Klinischen 
Zeit- und Streitfragen“ an. 

— Hannover. Der Generalarzt I. CI. und Corpsarzt des X. Arraee- 
corps Dr. Berthold ist gestorben. 

— Graz. Der Privatdocent der inneren Medicin Dr. H. Pramberger 
ist, erst 87 Jahre alt, gestorben. 

— Die langjährigen Bestrebungen der deutschen Aerzte in Böh¬ 
men, eine Regelung des Sanitätsdienstes in den Gemeinden zu 
erlangen, haben zu einem für jene sehr unbefriedigenden Abschluss geführt. 
Das im böhmischen Landtag endlich zur Annahme gelangte Sanitätsgesetz 
verlangt nämlich von den Aerzten eines Districtes, wenn in demselben beide 
Nationalitäten vertreten sind, die Kenntniss beider Landessprachen in Wort 
und Schrift. Da nun aber in allen, auch in sonst rein deutschen Districten 
die czechische Nationalität vertreten ist, so wird durch dieses Gesetz auch 
von den Aerzten in rein deutschen Gegenden die Kenntniss der czechischen 
Sprache in Wort und Schrift verlangt. Der Centralverein deutscher Aerzte 
in Böhmen, der durch diese Bestimmung die Zukunft der dortigen deutschen 
Aerzte aufs Spiel gesetzt sieht, bereitet deshalb eine Petition an das k. k. 
Ministerium des Innern vor, in welcher das Ersuchen gestellt wird, das 
vom Landtage beschlossene Sanitätsgesetz, mit Rücksicht auf die bezeichnet» 
Bestimmung, der kaiserlichen Sanction nicht zu unterbreiten. 

— Typhus. In der Strafanstalt des Staates Michigan, in Jackson, ist 
eine Typhusepidemie ausgebrochen (Sera. med.). 

— Pocken. Auf Martinique herrscht, wie wir der Sem. med. ent¬ 
nehmen, eine Pockenepidemie. — In Sheffield herrscht seit Anfang des 
Jahres eine Pockenepidemie, die verheerende Dimensionen angenommen hat. 

— Universitäten. Krakau. Prof. Dr. v. Madurowicz feierte am 
14. Januar sein 25jähriges Jubiläum als Professor der Geburtshülfe und 
Gynäkologie. — Tours. Anstelle des verstorbenen Prof. Giraudet wurde 
der bisherige a. o. Professor Dr. Ledouble zum ordentlichen Professor der 
Anatomie ernannt. 


Berichtigung. 

Von Herrn Dr. F. Semon in London geht uns die nachstehende Be¬ 
richtigung zu: 

Sehr geehrter Herr Redacteur! 

In den „Kleinen Mittheilungen“ der letzten Nummer der Deutsch, med. 
Wochenschr. ist unter der Ueberschrift „London“ die beabsichtigte Gründung 
einer Britischen Laryngologischen Gesellschaft in einen causalen 
Zusammenhang mit Personenfragen gebracht worden. 

Ich sympathisire ebensowenig mit der Gründung dieser neuen Gesell¬ 
schaft, wie mit früheren Versuchen, die Laryngologie weiter von dem Ge- 
sammtkörper der Wissenschaft loszulösen, aber ich halte es für eine ein¬ 
fache Pflicht der Gerechtigkeit, Sie zu benachrichtigen, dass der von Ihnen 
vermuthete Zusammenhang in Wirklichkeit nicht existirt. 

Die Anregung zur Gründung einer permanenten britischen laryngolo¬ 
gischen Gesellschaft stammt nicht von Sir Morell Mackenzie, der, wie 
ich der gedruckten Einladung zur Tbeilnahme an der Mitgliedschaft ent¬ 
nehme, seinen Beitritt erst später zugesagt hat, sondern von dem Vor¬ 
sitzenden der laryngologischen Subsection der letztjährigen Versammlung 
der Brit. Med. Association, Dr. Whistler, und ist von demselben bereits 
im August vorigen Jahres gegeben worden, also lange, bevor die Beschluss¬ 
fassung des Vorstandes der Britisch Medical Association über die Zusammen¬ 
setzung des Bureau der laryngologischen Section der diesjährigen Ver¬ 
sammlung der Associatiou erfolgte. Die seitdem zur Verwirklichung der 
gegebenen Anregung gethanen Schritte stehen vollständig auf dem Boden 
der W histl er’sehen Ausführungen und gehen von dem damaligen Secretär 
der Subsection, Dr. Hayes aus. 

Mit der Bitte, diese Berichtigung in die nächste Nummer der D. M. W. 
aufnehmen zu wollen, verbleibe ich 

hochachtungsvoll ergebenst der Ihre 

_ Felix Semon. 


XTV. Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Geheimen Medicinal-Rath Professor extraordin. Dr. Schwartze 
zu Halle a./S. zur Anlegung des ihm verliehenen Ritterkreuzes des Gross- 
herzogl. Mecklenburgischen Hausordens der Wendischen Krone, und dem 
prakt. Arzt Dr. Erlenmeyer in Bendorf zur Anlegung des ihm verliehenen 
Fürstl. Waldeck’schen Verdienst-Ordens II. CI. sowie des Ritterkreuzes des 
Kgl. Schwedischen Wasa-Ordens die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen. 

Vacante Stellen: Die Kreiswundarztstellen der Kreise Templin, Zell 
a. d. Alosel und des Saalkreises mit dem Wohnsitz in Halle a. S. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag JW 7 . 16. Februar 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ans dem hygienischen Institut zu Berlin. 

Rohe Schwefel-Carbolsäure als Desinfections- 

mittel. 

Von Dr. Ernst Laplace aus New-Orleans. 

In meinem ersten Artikel (s. diese Wochenschrift vom 6. October 
1887) über „saure Sublimatlösung als Desinficiens“ hatte ich schon 
gelegentlich darauf hingewiesen, dass ein Zusatz von Salzsäure zu 
einer Lösung von Carbolsäure die desinficirende Kraft auch dieses 
Antisepticums zu erhöhen vermöge. Ich hatte damals meine Ver¬ 
suche nur mit der sogenannten iOO°oigen Carbolsäure des Handels 
angestellt; denn die als 50°/oige und als 25%ige bezeichuete rohe 
Carbolsäure ist erfahrungsgemäss von sehr geringer desinficirender 
Kraft und ausserdem für die Praxis ungeeignet, weil sie zumeist 
aus Substanzen besteht, die in Wasser schwer oder gar nicht löslich 
sind und deswegen, auch wenn sie Desinfectionsmittel sind, in 
wässerigen Flüssigkeiten nicht zur Wirkung kommen. 

Ich habe nun Versuche darüber angestellt, auch dieser schwäche¬ 
ren rohen Carbolsäure einen antiseptischen Werth zu verleihen, und 
ging dabei von dem Gedanken aus, dass man zunächst bestrebt 
sein müsse, dieselbe in Wasser löslich zu machen, um so die volle 
antiseptische Wirksamkeit der neben der eigentlichen Carbolsäure 
darin vorhandenen Substanzen zur Geltung zu bringen. 

Bei dem Zusatz von verschiedenen Säuren zu einer Lösung der 
25% (billigsten) roheu Carbolsäure ergab sich, dass die Löslichkeit 
schon erheblich erhöht und die desinficirende Wirkung verbessert 
wurde, wenn als Säure Schwefelsäure zur Anwendung kam. 
Wenn diese Resultate auch ganz befriedigende waren, so stellte sich 
doch dabei heraus, dass der Zusatz der Schwefelsäure zur rohen 
Carbolsäure zwar einige aber keineswegs alle die unlöslichen Stoffe 
io Lösung brachte, welche in der Mischung enthalten waren. 

Ich ging deshalb noch etwas anders vor. indem ich 5 ccm der 
rohen 25% Carbolsäure direkt mit 1 ccm roher Schwefelsäure ver¬ 
setzte, die Mischung gut umschüttelte und dann erhitzte. Ein 
Tropfen der Flüssigkeit, in Wasser gebracht, zeigte, dass immer 
noch ein ansehnlicher Theil der rohen Carbolsäure ungelöst blieb. 
Ich fugte dann allmählich eine immer grössere Menge von Schwefel¬ 
säure zu und fand schliesslich, dass, wenn ich 5 ccm rohe Schwefel¬ 
säure zu 5 ccm roher 25% Carbolsäure gab, die Mischung gut 
schüttelte, erhitzte und wieder erkalten liess, dann eine schwarze 
homogene, syrupartige Masse sich gebildet hatte. Brachte ich nun 
eine bestimmte Menge dieser Schwefel-Carbolsäure in Wasser, so 
zeigte sich, dass dieselbe leicht und mit der grössten Schnelligkeit 
aufgelöst wurde. Mein Ziel war damit erreicht. 

Schwefel-Carbolsäure besteht demnach aus gleichen 
Th ei len roher Schwefelsäure und roher (25°,o) Carbolsäure. 
Ich suchte nun die desinficirende Wirksamkeit dieses Mittels festzu- 
stellen, und zwar prüfte ich dieselbe sogleich an dem Musterobject 
für diese Zwecke, nämlich an Milzbrandsporen. Die Resultate, die 
ich hier erhielt, waren ebenso überraschender wie werthvoller Natur. 

Milzbrandsporen an Seidenfäden angetrocknet, wurden in die 
verschiedenen Lösungen eingebracht, nach längerer oder kürzerer 
Zeit wieder aus denselben herausgeuommen, mit sterilisirtem Wasser 
gründlich abgespült, dann in sterile Fleischwasserpeptonbouillon 
übertragen und in dieser Nährlösung in den Brutschrank gestellt. 
Kam es von noch erhaltenen Sporen aus zum Wachsthum von 
Milzbrandbacillen, so war dies in der Regel schon nach den ersten 
24 Stunden in den Bouillonröhrchen deutlich zu erkennen. 


Gleiche Theile roher Carbol- und roher Schwefelsäure. 
Milzbrandsporen. 

Conceutration der Dauer des Aufenthaltes der 8poren in der deslnfidrenden 
Lösung (in Wasser) Lösung 

’/j Std. ISt 8 St. 5 St 8 St. 20 St 24St 48 St 72 St 96 St 


4% 

4 - 

4 

+ 

+ 

+ 

+ 

4-* 

0 

0 

0 

2 % 

-t- 

4- 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+* 

0 

0 

10/o 

+ 

4 

+ 

4- 

+ 

4- 

+ 

+ 

+ 

+ 

y»°/o 

-F 

4- 

4 

4- 

+ 

+ 

+ 

4 

+ 

+ 


4- Wachsthum; 0 kein Wachsthum; -+-* verzögertes Wachsthum. 

Diese Versuche ergeben also, dass Milzbrandsporen 
in einer4% wässerigen Lösungd er rohen Schwefel-Carbol¬ 
säure innerhalb 48 Stunden sicher vernichtet werden, 
während in der 2°/o Lösung der gleiche Erfolg nach 72 Stunden zu 
verzeichnen ist. 

Um die Bedeutung dieser Thatsache in das rechte Licht zu 
setzen, sei bemerkt, dass die grosse Mehrzahl aller sonst benutzten 
desinficirenden Mittel chemischen Ursprungs nicht im Entfernten die 
gleiche Wirksamkeit besitzen. Reine Carbolsäure in 2% Lösung 
ist z. B. auf Milzbrandsporen überhaupt ohne Einfluss, und ebenso 
vermag das in neuester Zeit vielgenannte und als Desinficiens ge¬ 
rühmte Creolin in 2% Lösung Milzbrandsporen nicht an¬ 
zugreifen. Allein die sauren Sublimatlösungen besitzen schon in 
0,1 o/ 0 Conceutration eine stärkere desinficirende Kraft; doch wird 
der Gebrauch des Sublimats aus Gründen, die hier wohl keiner 
weiteren Erörterung bedürfen, häufig genug nur in beschränktem 
Maasse zur Anwendung kommen können. 

Im Hinblick auf diese Ergebnisse müssen wir demnach dem 
neuen Mittel einen sehr erheblichen praktischen Werth beilegen, 
und zwar ebenso wegen seiner hervorragenden Wirksamkeit, als 
auch wegen seiner Billigkeit, denn die rohe 25% Carbolsäure, die 
bisher als nur von sehr zweifelhaftem Werthe angesehen wurde, wird 
mit 15 Pf. pro kg bezahlt. 

Ich will nicht schliessen, ohDe meinem verehrten Lehrer, Herrn 
Geheimrath Koch, meinen herzlichsten Dank zu sagen für seinen 
werthvolleu Rath und seine fortdauernde Unterstützung bei meinen 
Arbeiten. Zugleich will ich auch bemerken, dass dieser vorläufigen 
Mittheilung ebenso wie derjenigen vom 6. October des vorigen Jahres 
eine ausführliche Abhandlung über saure Sublimatr und Carboisäure¬ 
lösungen demnächst folgen wird. 


n. Zur Nachbehandlung Tracheotomirter. 

Von Dr. Karl Roser, 

Docent für Chirurgie in Marburg. 

Nach einer kürzlich veröffentlichten 1 ) Zusammenstellung, welche 
sich auf 21853 Tracheotomieen bezieht, sind im Durchschnitt von 
100 Operirten 28 geheilt worden. Bessere Resultate verdienen Be¬ 
achtung: ich konnte in der chirurgischen Section der letzten Natur¬ 
forscherversammlung berichten, dass von den 47 während der letzten 
3 l / 2 Jahre in der Marburger chirurgischen Klinik wegen Diphtherie 
gemachten Tracheotomieen 53% zur Heilung führten. Diese 
überraschend guten Heilungsresultate sind, so betonte ich, ganz 
wesentlich bedingt durch den Gebrauch einer Jodoformtampon- 
Canüle. Dieselbe hat uns nämlich in mehreren Beziehungen gute 
Dienste geleistet. 

Die diphtherische Entzündung schreitet bekanntlich meist nicht 
sprungweise, sondern, ähnlich dem Erysipel, continuirlich fort; es 
ist äusserst selten, dass man bei Sectionen in der Trachea oder in 

*) Lovett and Munro, Amer. Journ. of Med. Sc., July 1887, p. 170. 


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122 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


den Bronchien inselförmige Erkrankungsherde findet. Mit dieser 
eigentümlichen, noch ganz unaufgeklärten Ausbreitungsweise des 
diphtherischen Processes müssen wir rechnen, wenn wir denselben 
einengen wollen. Wir dürfen, gestützt auf diese Thatsache und 
bekannt mit den übrigen günstigen Wirkungen des Jodoforms, 
hoffen, dass der Jodoformtampon in der Trachea eine 
Schranke setzt, welche von dem aus dem Kehlkopf 
herabsteigenden Infectionsprocess nicht überschritten 
wird. Von solchen Ueberlegungen 1 ) ausgehend, richtete ich mir die 
sofort zu beschreibende Jodoformtampon-Cauüle her. Ich schicke 
aber gleich voraus, dass diese Canüle auch danu noch Anwendung 
verdient, wenn sie, bei schon bestehender Erkrankung der Trachea, 
die oben angedeutete lndication nicht erfüllen kann. 

Die Jodoformtampon-Canüle wird folgendermaassen her¬ 
gestellt. Man wickelt um eine gewöhnliche neusilberne Canüle ein 
etwa 2 cm breites und 10 cm langes in Sublimatlösung ange¬ 
feuchtetes Bindchen aus gestärkter Gaze und reibt diesen Ueberzug, 
so lange er noch feucht ist, dicht mit gepulvertem Jodoform ein. 
Der Ueberzug muss nahe an der Spitze des Röhrchens anfangen 
und bis zum Schild derselben reicheu; er soll, so weit er innerhalb 
der Trachea zu liegen kommt, IV2 — 2 mm dick sein. Nach dem 
Trocknen bildet die Binde mit dem Jodoform zusammen eine fest- 
hafteude Kruste, welche beim Einführen der Canüle nicht zurück¬ 
gestreift wird. Wenige Minuten nach der Einführung aber quillt 
der Ueberzug durch Imbibition auf und bildet dann ein weiches 
und nach allen Seiten hin gut abschliessendes antiseptisches Polster 
um das Röhrchen herum. 

Wenn man die eben angegebene Tamponade der Trachea be¬ 
absichtigt, dann muss man natürlich bei der Wahl der Canüle mit 
ganz besonderer Umsicht zu Werke gehen. Man muss eine Canüle 
wählen, die mit dem Ueberzug zusammen gerade die Lichtung der 
Luftröhre ausfüllt. Am besten ist es, ungefähr zehn umwickelte 
Canülen verschiedener Stärke und Länge fortwährend bereit zu 
halten, um vor der Operation je nach Alter und Grösse des be¬ 
treffenden Kindes zwei Canülen zur engeren Wahl zu bestimmen; 
man versucht dann nach der Eröffnung der Luftröhre eine möglichst 
dicke Canüle einzuführen und geht erst, wenn diese nicht passen 
sollte, zu der schwächeren Nummer über. Für 1—2jährige Kinder 
müssen 5—6 mm dicke Canülen vorbereitet sein; 3jährige brauchen 
Canülen von 6—7 mm Durchmesser; 5jährige solche von 7—8 mm; 
7jährige solche von 8 —9 mm Dicke. Auf die Krümmung der 
Canüle kommt bei der jetzt fast allgemein gebräuchlichen Tracheo- 
tomia superior wenig an. Die Canüle sollte mindestens 2 cm in 
die Trachea hinabragen; man wird also bei einem dicken Hälschen 
eine läugere Canüle anwenden müssen, als bei einem mageren. 

Das Einführen der Tamponcanüle pflegt, wenn der Gaze¬ 
mantel schön gleichmässig gewickelt ist, keine Schwierigkeiten zu 
machen: man lässt die je nach der Grösse des Kindes kürzer 
oder länger anzulegende Schnittwunde der Trachea mit feinen, ein¬ 
zinkigen Wundhaken, oder wie das W. Roser zur Erleichterung 
des Canülenwechsels empfohlen hat, vermittelst in die Trachealwand 
eingelegter Fäden auseinander halten und schiebt nun die Canüle 
unter leichtem Druck und theils drehenden, theils seitlich hebelnden 
Bewegungen schnell hinein. 

Die jodoformirte Canüle bleibt mindestens 2 Tage lang liegen, 
um durch eine andere ebenso zubereitete Cauüle ersetzt zu werden. 
Man wird am fünften Tage keine Secundärinfection der Trachea zu 
fürchten haben; dann hat also auch die Tamponade nichts mehr 
zu leisten. Die Cauüle kann wegbleibeu, sobald man sich überzeugt 
hat, dass der Kehlkopf wieder wegsam und die Luftröhre von der 
Erkrankung verschont geblieben ist. 

Wie schon oben erwähnt, verwende ich diese Tamponcanüle 
auch dann, wenn sich bei der Operation die Trachea schon als er¬ 
krankt erweist; die Canüle bietet nämlich selbst dann noch be¬ 
trächtliche Vortheile: sie wird, weil sie ganz fest liegt, besser ver¬ 
tragen, als die gewöhnliche Canüle; sie erzeugt, weil ihr metallener 
Theil die Schleimhaut gar nicht berührt, keinen Decubitus, und 
es kommt in Folge dessen auch nicht zu Blutungen aus der Trachea; 
wenn eine Nachblutung aus der Wunde selbst stattfindet, so ver¬ 
hindert sie das Eindringen des Blutes in die Trachea, denn das 
Loch in der letzteren ist ja durch sie vollständig tamponirt. Aus 
demselben Grunde verhütet sie das Einwandern von in der äusseren 
Wunde etwa eingenisteten Infectionskeimen. Bei keinem der mit 
dieser Cauüle behandelten Kinder kam es zur Knorpelnekrose 

l ) Ich hatte meine Canüle schon mehrfach angewandt, als ich las, dass 
Watson Cheyne, der bekannte englische Bacteriologe, dieselbe Ansicht 
äussert und empfiehlt, man solle die Trachea langhin aufschneiden und ober¬ 
halb der Canüle mit sublimatisirten Gazestückcheu austamponiren (cfr. Amer. 
Journ. of. Med. Sc. 1887, January, p. 118). Noch später erfuhr ich aus der 
Dissertation von Guth (Berlin 1887), dass Langenbuch schon seit Jahren 
einen mit Jodoformäther getränkten Wattetampon in die Trachea einzuführen 
pflegt. 


oder zu Granulationswucherungen in die Trachea hinein; bei 
keinem derselben war das Decanulement erschwert. Drei Kinder 
liess ich die Canüle wegen eingetretener Schlucklähmung bis zu 
vier Wochen lang tragen: die Canüle verhütete das Eindringen und 
Herabfliessen von Nahrungsmitteln in die Luftröhre. 

In allen Fällen von diphtherischer Larynxstenose, aber auch 
dann, wenn wegen anderer Ursachen, z. B. wegen eines 
inoperablen Kehlkopfcarcinoms, die Tracheotomie ge¬ 
macht werden muss, findet die Jodoformtampon-Canüle 
Anwendung; sie verhindert dann, dass das in die Luftröhre hin- 
abfliessende Secret quälenden Husten auslöst; sie verhindert bei 
Krebs oder anderen jauchigen Processen in Mund, Nase oder Rachen 
die Schluckpneumonie; sie ist ferner am Platz bei der prophy¬ 
laktischen Tracheotomie, die der Aspiration von Blut während der 
Narkose Vorbeugen soll. Mir scheint, dass in solchen Fällen die 
Jodoformtampon-Canüle vor der Trendelenburg’schen und Hahn- 
schen Tampon-Canüle den Vorzug grösserer Einfachheit und Sicher¬ 
heit hat. 

Mit der Verwendung des elastischen Katheters zum 
Wegsammachen der Trachea und zum Entfernen der croupÖsen 
Ausgüsse und der leimartig zähen Auflagerungen der Trachea bin 
ich vorsichtig geworden, seitdem es mir einmal begegnete, dass ich 
durch den Katheter eine dicke Membran auf die Bifurcationsstelle 
hingepfropft hatte: nur durch ganz forcirte Aspiration des Pfropfens 
konnte ich der drohenden Erstickung Vorbeugen. An Stelle des 
Katheters verwende ich jetzt immer das von meinem Vater 1 ) zur 
Entfernung von Fremdkörpern aus der Luftröhre angegebene ge¬ 
stielte Ringchen. (Das Instrumentchen ist am schnellsten so 
beschrieben: auf einer ganz schlanken und leicht gebogenen Ure- 
thralstrictursonde sitzt ein 5—6 mm breites Ringchen.) Man nimmt 
die Canüle heraus und führt das gestielte Ringchen schnell bis zur 
Theilungsstelle der Luftröhre oder, wenn nöthig, noch bis in die 
Bronchien hinein, neigt dann den Griff nach dieser oder jener 
Richtung, drückt dadurch das Ringchen gegen die Luftröhren wand 
an und entfernt nun die Membranen und Krusten, indem man sie 
gewissermaassen a tergo in Angriff nimmt; man kann auf diese Art 
totale Ausgüsse der Trachea und der grösseren Brouchien in einem 
Stück auslösen. Das schlanke Instrument behindert die Athmung 
nicht, deshalb pflegt kräftiges Husten die Entfernung der fester 
haftenden Fetzen zu erleichtern. Wenn man der günstigen Mit¬ 
wirkung des Hustens nicht verlustig gehen, sondern das Kind bei 
guten Kräften erhalten will, muss man das eben beschriebene Aus¬ 
räumen der Trachea immer wieder vornehmen, sobald nur geringe 
Cyanose auftritt. Diesem energischen Vorgehen haben wir es zu 
verdanken, dass ein lV^jähriges Kind durchkam, dem 28 mal 
die Trachea ausgeräumt, und wegen Schlucklähmung 80mal durch eine 
in die Nase eingeführte Schlundsonde Milch eingegossen werden musste. 

Nur dann, wenn das gestielte Ringchen im Stich lässt, wenn 
also die Verstopfung kleinerer Bronchien an der Dyspnoe schuld 
ist, greife ich zu dem auf die Aspirationsspritze aufgesetzten elsati¬ 
schen Katheter. Einige Male befolgte ich den Rath von Passavant 2 ) 
und benützte knieförmig gebogene Katheter, weil man mit diesen die 
Bronchien besser aussaugeu kann. In einigen ganz schweren Fällen 
liess ich durch den Katheter hin 10—20 Tropfen Sublimatlösung in 
die Trachea einlaufen, um dieselben möglichst schnell wieder zu 
aspiriren. Diese Minimalirrigatiou schien durch Aufweichen und 
Losspülen der Krusten einigen Nutzen zu gewähren, es ist aber 
weder durch sie noch durch häufiges Auswischen der Luftröhre mit 
in Sublimatlösung angefeuchteten Federchen die Membranbildung 
irgend nennenswerth beeinflusst worden. 

Wie viel mit der oben beschriebenen Nachbehandlung diph¬ 
theriekranker tracheotomirter Kinder geleistet werden kann, möge 
daraus erhellen, dass von 47 während der letzten 3 l /2 Jahre in der 
Marburger chirurgischen Klinik operirten Kindern 25, also 53°/o 
geheilt worden sind. So war das Zahlenverhältniss im September 
dieses Jahres. Seitdem haben wir noch 21 Kinder tracheotomirt 
und davon 8 geheilt. Ein um so bemerkenswertheres Resultat, als 
grundsätzlich alle auch noch so jungen und noch so herunterge¬ 
kommenen und schwer septischen Kinder operirt wurden, während 
dagegen ein paar ältere zur Operation geschickte Kinder ohne diese 
entlassen werden konnten. Das Alter der operirten Kinder beein¬ 
flusst bekanntlich die Mortalität in ganz auffallender Weise, ich muss 
deshalb zur Controle unserer Resultate hier die Altersangabe der 
Operirten folgen lassen: 3, 5 (+), 3, 5 1 (f), 3 (f), 2 (f), 3, 5, 4, 
2, 272 (t), 4, 5 (f), 5 (f), 7, 8 Mon. (f), 2 (f), l»/ 4 (f), 4, 9 (f), 
2V,, 2 (f), 8, 77 2 , 272 (t), 7, 4, 7, 6, 2 (f), 27 2 , 174 (t), 2 (+), 
l 3 /4 (t), 372 (t), 7, 3, 472. 8, 5, 6,3 (f), 3 (f), 17, (+), 5, 9 (+), 
- 174, 5, 4 (f), 4, 4, 5 (f), 5 (f), 3 (+), 2 (+), 4 (f), 4 (f), 7, 


*) Neunter Chirurgencongress, 1880, p. 19 des Berichts. 
7 Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1884, Bd. 19, p. 52. 


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16. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


123 


5, 4. 3 (f), 3, 2Va (t), 2 Vj (t), 2 1 / 2 (f), 6 (+), 4 (+). Daraus er¬ 
gabt sich, dass von den 21 noch nicht 3 Jahre alten Kindern nur 
4 . von den 47 älteren Kiudern dagegen 29 gerettet wurden. 

Wer durch Gebrauch der Taraponcanüle die Luftröhre vor se- 
condärer Erkrankung bewahren will, muss die Tracheotomie natür¬ 
lich früh machen. Dazu waren wir leider nur selten in der Lage: 
die meisten Kinder wurden uns wegen dringender Erstickungs¬ 
gefahr von aussen zugeschickt. Nur 9 mal fanden wir bei Eröff¬ 
nung der Luftröhre diese selbst noch von Membranen frei, und es 
konnte also die Tamponcanüle auf ihre prophylaktische Leistung 
geprüft werden, und nur bei 5 Kindern ist es gelungen, auf 
diese Art das Hinabsteigen des croupösen Processes zu verhindern. 
Man könnte einwenden, dass in diesen 5 Fällen der Process ganz 
ohne unser Zuthun im Kehlkopf Halt gemacht habe, ich muss je¬ 
doch diesem Einwand gegenüber betonen, dass drei von den Kindern 
einer ganz bösartigen Epidemie entstammten, und dass das vierte 
noch wochenlang nach der Operation an diphtherischer Schlund¬ 
lähmung litt, also gewiss schwer erkrankt war. Einen stricten Be¬ 
weis für die prophylaktische Leistung der Tamponcanüle liefern 
meine kleine Zahlen nicht; sie fordern aber doch mindestens 
zur Nachprüfung auf. Die angeregte Frage Hesse sich in dem 
Krankenhause einer Grossstadt, in welcher die Kinder schon frühzeitig 
zur Operation eingeliefert werden, in ganz kurzer Zeit entscheiden. 

Nun möchte ich den Herren Collegen noch einen therapeutischen 
Vorschlag zur Begutachtung unterbreiten. Laut statistischen Nach¬ 
weisen 1 ) sind im Jahre 1883 in Oesterreich-Ungarn 23975 Kin¬ 
der an Keuchhusten und dessen Complicationen gestorben. Auf 
dem letzten Congress für innere Medicin theilte Hagenbach in 
seinem Referat über den Keuchhusten folgende statistische Daten 
mit: In Deutschland erkranken jährlich ungefähr 250000 Kinder an 
Keuchhusten, was bei einer Mortalität von 4—5%-) circa 10- bis 
12000 Todesfälle giebt. Das sind erschreckend hohe Zahlen, 
die dringend Abhülfe verlangen! Mein Vorschlag lautet nun dahin, 
dass man die Tracheotomie machen solle, sobald bei 
Keuchhusten die Kinder durch die Hustenparoxysmen in 
lebensgefährlicher Weise herunterkommen und z. B. alle 
eingeführte Nahrung wieder erbrechen. Dieser beim ersten Anblick 
vielleicht paradox erscheinende Vorschlag wird Berechtigung ge¬ 
winnen, wenn man folgendermaassen überlegt: Die Hustenanfälle 
werden nach fast allgemeiner Annahme von der überreizten Schleim¬ 
haut des Kehlkopfes aus ausgelöst. Sobald die Luft nicht mehr 
durch den Kehlkopf streicht, sobald keine Schleimflöckchen mehr 
durch den Luftstrom in dem Kehlkopf hin und her getrieben werden, 
wird auch der Husten ausbleiben. Selbst dann aber, wenn durch 
die Ablenkung des Luftstroms die Auslösung des Hustenanfalls nicht 
unterdrückt werden könnte, wird die Tracheotomie bedeutende Er¬ 
leichterung schaffen, denn ein eigentlicher Krampfhusten ist nach 
der Operation nicht mehr möglich, da die Luft durch die weite Canüle 
frei aus- und einströmt und nicht mehr mit Gewalt durch die krampf¬ 
haft geschlossene Glottis hindurchgetrieben werden muss. Von der 
Wunde aus könnte man den Kehlkopf sowohl wie die Luftröhre 
örtlich behandeln: das wäre ein weiterer Nutzen, der sich aus der 
Tracheotomie ergiebt. Es ist selbstverständlich, dass die Tracheal- 
canüle zugleich eine Tamponcanüle sein muss, wenn sie den Luft- 
strom vom Kehlkopf ablenken soll; man wird also zu der oben be¬ 
schriebenen Jodoforintamponcanüle greifen, denn diese allein schliesst 
genau an und kann doch Tage lang getragen werden. 


IIL lieber Lungenentzündungen und Lungen- 
tuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 6.) 

Die secundäre Pneumonie kann bei allen schweren Krank¬ 
heiten Vorkommen, so z. B. bei Typhus, Pocken, Scharlach, 
Masern u. s. w. -Dabei kann der Zusammenhang mit der ursprüng¬ 
lichen Krankheit und die Pathogenese der Pneumonie verschieden 
sein. In manchen Fällen handelt es sich eigentlich um eine 
genuine Pneumonie, deren Entstehung nur durch die anderweitige 
Krankheit und durch die Schwäche des Kranken begünstigt war. 
So kommen Pneumonieen vor im späteren Verlauf oder in der 
Reconvalescenz von Typhus und anderen schweren acuten Krank¬ 
heiten; dieselben sind ebenso zu beurtheilen wie die Pneumonieen, 
welche bei Carcinom, Diabetes, bei Gehirn- und Rückenmarksleiden 
und bei anderen erschöpfenden Krankheiten intercurrent auftreten 
und häufig das Ende herbeiführen. — In anderen Fällen wird die 


*) Statistik des österreichischen Sanitätswesens für das Jahr 1883, 
Wien 1886. 

*) Nach Bi er me r beträgt die Keuchhustenmortalität im Mittel 7,6o/o. 


Pneumonie veraulasst durch die Abschwächung der Herzaction, wie 
sie namentlich bei Abdominaltyphus und anderen schweren fieber¬ 
haften Krankheiten häufig zu Stande kommt. Es erfolgt dabei 
zunächst eine Anhäufung des Blutes in den abhängig gelagerten 
Theilen der Lunge: Hypostase; und wenn dann die Einwirkung 
eines Eutzündungserregers hinzukomrat, so entsteht hypostatische 
Pneumonie. — Endlich giebt es Fälle, bei welchen die secundäre 
Pneumonie dadurch entsteht, dass der ursprüngliche Krankheits¬ 
erreger ungewöhnlicher Weise sich in der Lunge localisirt. In 
Fällen von Abdominaltyphus kommt es vor, dass schon in einer 
frühen Zeit der Krankheit eine Pneumonie vorhanden ist, oder dass 
die Krankheit überhaupt mit den Erscheinungen der Pneumonie 
beginnt, und erst später die Erscheinungen des Typhus sich ent¬ 
wickeln. Es kann dies in einzelnen Fällen möglicherweise eine 
zufällige Complication sein; in manchen Fällen aber ist es wahr¬ 
scheinlicher, dass es sich dabei um eine locale Einwirkung des 
Typhusgiftes auf die Lungen handelt. Der Nachweis von Typhus¬ 
bacillen in der infiltrirten Lunge würde für die letztere Auffassung 
entscheidend seiu. Eine ähnliche Deutung lassen vielleicht manche 
Fälle von secundärer Pneumonie bei Pocken, Maseru, acutem 
Gelenkrheumatismus, Erysipelas, Diphtherie und anderen Krank¬ 
heiten zu. Solche Pneumonieen können zu den metastatischen 
Pneumonieen gerechnet werden. Auch die bei Malariainfection 
vorkommende Pueumonia intermittens kann im einzelnen Falle 
möglicherweise eine zufällige Complication sein; häufig aber ist es 
wahrscheinlicher, dass es sich um eine Localisation des Malaria¬ 
giftes in der Lunge handelt. 

Mit der Darstellung des anatomischen Verhaltens der 
Pneumonie verbinden wir die Besprechung der physikalisch- 
diagnostischen Erscheinungen, welche in dem anatomischen 
Befunde ihre vollständige Erklärung finden. 

Man unterscheidet im Verlauf der acuten fibrinösen Pneumonie 
drei Stadien. 

1. Stadium der Anschoppung oder Hyperämie. Der 
befallene Abschnitt der Lunge ist ausserordentlich blutreich, die 
Wände der Alveolen sind geschwellt, in die Alveolen und die 
feineren Bronchien erfolgt ein Erguss von klebriger Flüssigkeit, 
welche Rundzellen (ausgewanderte farblose Blutkörperchen) zunächst 
in mässiger Menge enthält. Der Luftgehalt der Alveolen ist ver¬ 
mindert, einestheils in Folge der Erweiterung der Capillaren und 
der Schwellung der Alveoleuwände und anderentheils in Folge 
des Flüssigkeitsergusses in die Alveolen; doch lässt sich die Lunge, 
wenn sie in diesem Stadium zur anatomischen Untersuchung kommt, 
noch aufblasen. Die Dauer dieses Stadiums ist verschieden: bei 
gewissen Formen der Pneumonie besteht dasselbe nur einige 
Stunden oder einen Tag, bei anderen Formen kann es mehrere 
Tage lang dauern. 

Die physikalischen Erscheinungen während dieses Stadiums 
lassen sich einfach aus dem anatomischen Verhalten ableiten. Weil 
der Luftgehalt des betreffenden Lungenabschnittes beträchtlich ver¬ 
mindert ist, so findet sich in seiuem Bereich eine Abnahme der 
Intensität des Percussionsschalles, eine sogenannte relative Leerheit 
oder Dämpfung; und weil zugleich das Lungengewebe in Folge der 
Schwellung seine elastische Spannung verloren hat, so kann der 
Percussionsschall mehr oder weniger deutlich tympauitisch sein. 
Ein leer-tympanitischer Schall, bei dem die Höhe des Tones 
durch Oeffnen und Schliessen des Mundes nicht verändert wird, 
gehört deshalb häufig zu den ersten Zeichen der Pneumonie. Bei 
der Auscultation hört man wegen der Gegenwart von Flüssigkeit 
in den Alveolen und den feinsten Bronchien reichliche feinblasige 
Rasselgeräusche, welche aber nur während der Inspiration vor¬ 
handen sind und, weil die Flüssigkeit zäh ist, einen trockenen 
Charakter haben: es ist dies das Knisterrasseln, Crepitatio. Der 
Stimmfreraitus ist gewöhnlich verstärkt. 

2. Stadium der Hepatisation. Der Erguss von Flüssigkeit 
in die Alveolen und die feinsten Bronchien nimmt immer mehr zu, 
die Flüssigkeit wird immer reicher an Rundzellen, zugleich sind 
derselben reichliche rothe Blutkörperchen beigemischt, welche durch 
Diapedese aus den Gefässen austreten, und das Ganze gerinnt zu 
einer fibrinösen Masse, welche die Alveolen, Infundibula und feinsten 
Bronchien vollständig ausfüllt und alle Luft verdrängt. Das 
Volumen des infiltrirten Lungenabschnittes erscheint in der Leiche 
gegenüber den anderen Lungenabschnitten vergrössert; in Wirklich¬ 
keit entspricht es etwa dem Volumen der Lunge bei stärkster 
Inspiration. Die Lunge hat an Gewicht bedeutend zugenommen: 
während eine einzelne normale Lunge kaum mehr als V» kg wiegt., 
kann eine vollständig infiltrirte Lunge ein Gewicht von 2 kg und 
mehr haben. Abgeschnittene Stücke sinken im Wasser zu Boden. 
Die Schnittfläche der infiltrirten Lunge ist luftleer und für die 
oberflächliche Betrachtung mehr einer Leber als einer Lunge ähn¬ 
lich : man bezeichnet sie als hepatisirt. Die Schnittfläche ist 


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124 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 7 


gewöhnlich deutlich granulirt, indem die Fibrinpfröpfe, welche die 
Alveolen und die feinsten Bronchien füllen, etwas über'die Schnitt¬ 
fläche hervorragen; sie ist anfangs von rother Farbe, theils in 
Folge der noch fortbestehenden Hyperämie, theils wegen des 
Gehaltes des Exsudats an rothen Blutkörperchen, in manchen Fällen 
mehr derb und trocken, in anderen schon früh weich, leicht 
zerreisslich und feucht. Man spricht zu dieser Zeit von rother 
Hepatisation. Allmählich verliert sich die rothe Farbe, indem durch 
den Druck des Exsudats die Gefässe blutleer werden, und zugleich 
die in dem Exsudat enthaltenen rothen Blutkörperchen zerfallen 
und ihr Farbstoff durch Diffusion und Resorption verschwindet. 
So geht die rothe Hepatisation bald früher, bald später über in die 
graue Hepatisation, bei der gewöhnlich das ganze Gewebe der 
Lunge weicher und zerreisslicher, und die Schnittfläche feucht durch 
ausfliessende, trübe, flockige, grauröthlich-missfarbige Flüssigkeit zu 
sein pflegt. Die Gefässe des infiltrirten Lungenabschnittes sind aufs 
Aeusserste comprimirt; doch zeigen sie sich für künstliche Injection 
noch wegsam. In manchen Fällen findet man auf der Schnittfläche 
grössere und kleinere roth hepatisirte Stellen mit grau hepatisirten 
durch einander liegen, das bunte Aussehen wird oft noch vermehrt 
durch reichlich vorhandenes und stellenweise zusammengehäuftes 
Lungenpigment, durch Querschnitte von Bronchien und Gefässen, 
so dass man von einem marmorirten oder granitähnlichen Aus¬ 
sehen geredet hat. 

Die physikalischen Erscheinungen während dieses Stadiums 
sind die Folgen davon, dass die Lunge in eine compacte luftleere 
Masse umgewandelt ist. Es besteht absolute Dämpfung des Per¬ 
cussionsschalles. Häufig ist aber, namentlich bei starker Percussion, 
noch eine Andeutung von tympanitischem Schall vorhanden, der 
von dem noch fortbestehenden Luftgehalt der grösseren Bronchien 
oder von der. Betheiligung der nicht infiltrirten Lungenabschnitte in 
der Umgebung des Entzündungsheerdes abzuleiten ist. Bei der Aus- 
cultation hört man, da die Lunge in einen annähernd homogenen, 
den Schall gut leitenden Körper umgewandelt ist, häufig lautes 
Bronchialathmen. Es kann aber auch Vorkommen, wenn die 
grösseren Bronchien durch Schleimmassen verschlossen sind, dass 
nur schwaches Bronchialathmen gehört wird oder in seltenen Fällen 
das Athmen ganz fehlt. Aehnlich verhält es sich bei der Auscul- 
tation der Stimme: meist ist oberhalb der infiltrirten Lungentheile 
starke Bronchophonie vorhanden; es kann aber auch Vorkommen, 
dass nur schwache Bronchophonie besteht. Neben dem Bronchial¬ 
athmen werden häufig klingende, kleinblasige oder grossblasige 
Rasselgeräusche gehört. Der Stimmfremitus ist in vielen Fällen 
verstärkt; es kann aber auch, wenn die Bronchien verschlossen 
sind, eine Abschwächung desselben bis zu vollständiger Aufhebung 
stattfinden. 

3. Das dritte Stadium muss je nach dem Verlauf des einzelnen 
Falles entweder als Stadium der Rückbildung oder als 
Stadium der eiterigen Infiltration bezeichnet werden. In 
den günstig verlaufenden Fällen erfolgt die Rückbildung durch 
Lösung des Exsudats: die Fibrinpfröpfe in Lungenalveolen und 
Bronchien werden zunächst gelockert durch Transsudation aus 
den Wandungen, so dass sie in diesem Stadium auf der Schnitt¬ 
fläche leicht ausgedrückt werden können; die Rundzellen degeneriren 
und zerfallen, das Fibrin wird in eine schleimige Masse umge¬ 
wandelt, der grössere Theil des Exsudats wird durch Resorption 
entfernt, ein kleinerer auch durch den Auswurf. Man hat auch 
diesen Vorgang der Rückbildung, weil dabei oft noch weitere 
Rundzellen in die Alveolen austreten, häufig als eiterige Infiltration 
bezeichnet; wir beschränken diesen Ausdruck auf den Fall, wenn 
nicht nur auf die freie Fläche der Alveolen, sondern auch in das 
Gewebe selbst reichliche Rundzellen austreten. — Bei der eigent¬ 
lichen eiterigen Infiltration, wie sie bei weniger günstigem Verlauf 
sich einzustellen pflegt, wird das Gewebe der Alveolen und das 
interstitielle Bindegewebe mit reichlichen Rundzellen durchsetzt, 
die Schnittfläche erhält eine mehr graugelbliche oder gelbrothe 
Farbe (gelbe Hepatisation), das Gewebe wird morsch, leicht zer¬ 
reisslich, über die Schnittfläche fliesst reichlich eine graugelbe, eiter- 
ähnliche Flüssigkeit. Auch bei diesem Zustande ist eine Wieder¬ 
herstellung, wenn auch sehr erschwert, doch nicht ausgeschlossen, 
indem die Rundzellen degeneriren und zerfallen und allmählich 
resorbirt werden können, während zugleich das Exsudat verflüssigt 
und resorbirt wird. In zahlreichen Fällen aber, bei welchen es 
zu eiteriger Infiltration gekommen ist, erfolgt der Tod des Kranken. 
Anch können besondere Nachkrankheiten, namentlich Nekrose oder 
Gangrän der Lungen oder Lungenabscess, aus der eiterigen Infil¬ 
tration sich entwickeln. 

Der physikalische Befund während des Stadiums der Rück¬ 
bildung entspricht dem allmählichen Wiedereintritt der Luft in die 
Alveolen. Die absolute Dämpfung verschwindet, der Percussions¬ 
schall wird zunächst wieder leer-tympanitisch und allmählich immer 
voller, bis endlich der normale Schall wieder hergestellt ist. Es 


kann dies in den günstigsten Fällen im Verlauf eines oder einiger 
Tage geschehen, in anderen Fällen sind dazu eine oder mehrere 
Wochen oder selbst Monate erforderlich. Die Auscultation lässt 
zunächst beim Beginn des Wiedereintritts der Luft in die Alveolen 
reichliche Rasselgeräusche erkennen, die mit der Crepitation iin 
ersten Stadium eine gewisse Aehnlichkeit haben, aber gewöhnlich 
weniger trocken und auch nicht ganz so feinblasig sind; sie werden, 
weil sie das erste Zeichen der Rückbildung sind, als Crepitatio 
redux bezeichnet. Daneben kann das Bronchialathmen noch 
einige Zeit fortbestehen, aber in stetig abnehmender Stärke. 
Der Stimmfremitus ist gewöhnlich noch während einiger Zeit ver¬ 
stärkt. 

Die fibrinöse Pneumonie kommt beträchtlich häufiger in den 
unteren als in den oberen Lungenlappen vor, etwas häufiger auf 
der rechten als auf der linken Seite. Die Pneumonieen in den 
oberen Lungenlappen sind im Durchschnitt schwerer und gefähr¬ 
licher als die in den unteren. In einzelnen Fällen sind beide 
Lungen gleichzeitig von Pneumonie befallen (Pneumonia duplex), 
und es kann dann auch Vorkommen, dass auf der einen Seite der 
untere, auf der anderen der obere Lappen betroffen ist. Sehr 
häufig kommt es vor, dass zunächst nur ein einzelner Lungenlappen 
oder ein Theil eines solchen befallen wird, dass dann aber nachher 
noch weitere Lungenabschnitte ergriffen werden, entweder so. dass 
die Infiltration in der Continuität sich weiter ausbreitet, oder auch 
so, dass entferntere Lungenabschnitte, zuweilen selbst die der 
anderen Seite, nachträglich befallen werden und nun den Process 
durchmachen, während in den zuerst befallenen die Infiltration fort¬ 
besteht, oder schon die Lösung beginnt oder auch schon vollendet 
ist (Pneumonia migrans). 

Die Pleura nimmt regelmässig an dem entzündlichen Process 
theil, indem sie, soweit die Infiltration der Lungen an die Ober¬ 
fläche reicht, hyperümisch, getrübt, geschwellt und mit einer fibri¬ 
nösen Pseudomembran überzogen ist. In einzelnen Fällen besteht 
auch neben der Pneumonie eine Pleuritis mit reichlichem Exsudat, 
welches zuweilen eiterig ist oder schnell eiterig wird. Wo neben 
der pneumonischen Infiltration ein reichliches pleuritisches Exsudat 
sich findet, reden wir von Pleuropneumonie. Die Pleuritis 
scheint dabei häufig auf der Einwirkung der gleichen Mikrobien 
zu beruhen, welche die Pneumonie hervorgerufen haben. 

Einzelne Autoren haben in allen Fällen, in welchen die Pleura an der 
Entzündung betheiligt ist, von Pleuropneumonie gesprochen. Wenn man 
eine solche Bezeichnung durchfuhren will, so ist fast jede Pneumonie eine 
Pleuropneumonie, denn Hyperämie, Trübung und Schwellung der Pleura 
und ein fibrinöser Belag derselben findet sich überall da, wo die pneumo¬ 
nische Infiltration an die Pleura angrenzt, also überhaupt in allen Fällen von 
Pneumonie mit Ausnahme der seltenen Fälle von sogenannter centraler Pneu¬ 
monie, bei welchen die Infiltration an keiner Stelle bis zur Oberfläche der 
Lunge und zu ihrem Pleuraüberzug vordringt. Wenn der Ausdruck Pleuro¬ 
pneumonie überhaupt etwas anderes bezeichnen soll als der einfache Aus¬ 
druck Pneumonie, so darf mau nur diejenigen Fälle damit bezeichnen, bei 
welchen ein nachweisbares pleuritisches Exsudat neben der Pneumonie vor¬ 
handen ist. 

Die Symptome und der Verlauf der Pneumonie sind in den 
Einzelfällen recht verschiedenartig, und es erscheint dies nicht auf¬ 
fallend, wenn wir berücksichtigen, dass man unter dem Namen der 
acuten fibrinösen Pneumonie mehrere ätiologisch verschiedene Krank¬ 
heiten zusammenfasst, welche nur anatomisch, nämlich durch das 
Vorkommen der fibrinösen Exsudation in einem grösseren zusammen¬ 
hängenden Bezirk der Lunge, übereinstimmen. Wenn trotzdem in 
den Lehrbüchern gewöhnlich für die Pneumonie ein einheitliches 
Krankheitsbild entworfen wird, so kann es nicht ausbleiben, dass 
dasselbe nur eine unvollständige Uebereinstimmuug mit dem zeigt, 
was in der Praxis beobachtet wird: ein Theil der Fälle entspricht 
dem schulgerechten Bilde, ein grosser Theil aber weicht von dem¬ 
selben in wichtigen Punkten ab. Wir werden, weil dadurch die 
Auffassung erleichtert wird, dem allgemeinen Gebrauche folgen und 
zunächst das Krankheitsbild nur für eine Form der Pneumonie ent¬ 
werfen, und zwar für diejenige, welche wir als die typische oder 
einfache Form bezeichnen; auch gilt dieses Kraukheitsbild zunächst 
nur für kräftige Individuen im mittleren Lebensalter. Die häufiger 
vovkommenden Abweichungen werden wir bei den „Formen der 
Pneumonie“ besprechen. 

Die typische oder einfache Pneumonie beginnt in der 
Regel plötzlich mit deutlichen Krankheitserscheinungen, so dass der 
Kranke oft im Stände ist, genau auf die Stunde den Anfang der 
Krankheit anzugeben. Die erste Krankheitserscheiuung besteht ge¬ 
wöhnlich in einem Frostanfall, welchem ein schnelles Steigen der 
Körpertemperatur entspricht. Je nach der Geschwindigkeit des 
Steigens der Temperatur und nach der Empfindlichkeit des Indivi¬ 
duums ist entweder ein einfaches Frösteln oder stärkeres Frieren 
oder selbst ausgebildeter Schüttelfrost vorhanden. Dazu gesellt sich 
stechender Schmerz, der meist auf die eine Seite localisirt wird, bei 
tieferem Athmen sich steigert und den Kranken veranlasst, weniger 


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16 . Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


125 


tief und dafür häufiger zu athmen. Die Athemfrequenz wird noch 
weiter gesteigert durch Dyspnoe, die theils von dem Fieber und 
dem dadurch gesteigerten Athembedürfniss, theils von der Affection 
der Lunge uud der dadurch bedingten Behinderung des Gasaus- 
tausohes abhängt. Dazu kommt Husien und Auswurf; der letztere 
wird gewöhnlich bald charakteristisch, indem die Sputa zäh sind, 
an dem Spuckglase fest ankleben und schon früh mehr oder weniger 
reichliche Beimischung von rothen Blutkörperchen zeigen. Das Blut 
ist mit dem Auswurf innig gemischt und im einzelnen Sputum an¬ 
nähernd gleichmässig vertheilt. Je nach der Menge des Blutes ist 
der Auswurf rötblichgelb (Sputa citrica) oder mehr roth (Sputa 
crocea). rostfarben (Sputa ferruginosa) oder stark blutig gefärbt 
(Sputa sanguinolenta). Häufig sind fibrinöse Ausgüsse der feinsten 
Bronchien, welche gabelige Theilungen zeigen, dem Auswurf bei- 
gemischt; dieselben können bei Vertheilung der Sputa in grösseren 
Mengen von Wasser deutlich mit blossem Auge erkannt werden. 
Danebeu kann auch noch mehr oder weniger reichlich katarrhalisches 
Secret vorhanden sein, welches aus den nicht pneumonisch afficirten 
Theilen kommt. Während die Hepatisation der Lunge sich aus¬ 
bildet und weiterschreitet, besteht ein continuirliches Fieber mit 
massigen Morgenremissionen, bei welchem die Abendtemperalur 
ineist über 400 hinausgeht, und dabei sind die gewöhnlichen Fieber- 
erecheinungen vorhanden: Hitzegefühl, Steigerung der Pulsfrequenz 
auf 100 bis 120 Schläge in der Minute, Durst, Appetitmangel, Nei¬ 
gung der Zunge zur Trockenheit, Gefühl der Abgeschlagenheit, 
Kopfschmerz, etwas Benommenheit des Kopfes oder selbst leichte 
psychische Störungen. Die Respirationsfrequenz beträgt gewöhulicb 
40 oder mehr in der Minute; die Menge der ausgeschiedenen Kohlen¬ 
säure ist nicht, wie man früher oft wegen der Lungenaff ction ver¬ 
mutbet hat, vermindert, sondern dem Fieber entspreche J über die 
Norm vermehrt. Der Harn ist spärlich, concentrirt, die Menge des 
in 24 Stunden ausgeschiedenen Harnstoffes ist über die Norm ge¬ 
steigert, die Salze und namentlich die Chloralkalien sind beträcht¬ 
lich vermindert, zuweilen bis zum vollständigen Verschwinden; in 
einzelnen Fälleu zeigt der Harn geringe Mengen von Eiweiss. Sehr 
häufig entwickelt sich ein aus kleinen Bläschengruppen bestehendes 
Exanthem au der Lippe oder in deren Umgebung (Herpes labialis 
s. facialis). 

Die Verminderung der Chloralkalien im Harn lässt sich durch eine 
einfache Reaction deutlich nachweisen, wenn man dem Harn eino Lösung 
von salpetersaurem Silber zusetzt, nachdem man ihn vorher, um die Fällung 
von phosphorsaurem Silber zu verhindern, mit reichlicher Menge von 
Salpetersäure versetzt hat. Es entsteht dann nur ein geringer Niederschlag 
von Chlorsilber und in einzelnen Fällen nur eine sehr schwache Trübung, 
während in einem ebenso behandelten normalen Harn ein dicker Nieder¬ 
schlag sich zeigt. Die Verminderung der Chloralkalien ist nicht etwa, wie 
man früher oft gemeint hat, charakteristisch oder pathognomonisch für die 
Pneumonie, sondern kommt auch bei anderen Krankheitsprocessen mit 
Markern Fieber und reichlichen Exsudationen vor. Die Ursache der Ver¬ 
minderung ist zum Theil zu suchen in der Verminderung der Nahrungs¬ 
aufnahme und der Zufuhr von Chloralkalien, zum Theil aber auch darin, 
dass durch die reichliche Exsudation dem Blute schnell Salze entzogen 
werden, und endlich vielleicht auch darin, dass das in Folge der Exsudation 
an Eiweiss ärmer werdende Blut die noch vorhandenen Salze um so mehr 
zurückhält. 

Das Fieber hat einen typischen Verlauf, indem dasselbe nach 
schnellem Ansteigen als Continua mit den gewöhnlichen Morgen¬ 
remissionen fortdauert und endlich mit einem kritischen Abfall der 
Temperatur endigt. Die Krisis erfolgt am häufigsten zwischen dem 4. bis 
7. Tage der Krankheit. Dass sie wesentlich häufiger auf die unge¬ 
raden als auf die geraden Krankheitstage falle, wie man nach miss¬ 
verstandenen Angaben der Aerzte des Alterthums und nach unvoll¬ 
kommenen Beobachtungen eine Zeit lang geglaubt hatte, wird durch 
eine genaue Statistik widerlegt. Seltener erfolgt bei der typischen 
Pneumonie der Abfall des Fiebers in langsamer und unterbrochener 
^eise durch sogenannte Lysis. Mit dem Abfall des Fiebers fühlt 
sich der Kranke bedeutend erleichtert, der Schmerz, die Athemnoth 
und die übrigen sübjectiven Beschwerden verschwinden; allmählich 
beginnt auch die Lösung der Hepatisation, und es treten die phy¬ 
sikalischen Erscheinungen des dritten Stadiums auf, namentlich 
die Crepitatio redux und die allmähliche Wiederkehr des Per¬ 
cussionschalles. (Fortsetzung folgt.) 


IV. Beiträge zur Localisation im Grosshim 
und über deren praktische Verwerthung. 

Von Dr. M. Jastrowitz. 

(Fortsetzung aus No. 6.) 

IV. 

Neumann, Zimmermann. Aufnahme 18. April 1881, + 30. April 1885. 
39 Jahre alt. Patient war Potator strenuus. Das über ihn im Januar 1880 
in Dalldorf ausgestellte Attest besagt, dass er durch Jahre langen Gebrauch 
von Spirituosen geistesgestört wurde. Er leide an Anfällen, in denen 


er, durch Hallucinationen veranlasst, die tollsten Handlungen begehe. Er 
sei bei Nacht durch das Fenster seiner Kellerwohnung auf die Strasse ge¬ 
klettert, habe sich an den Scherben des Fensterglases dabei eino grosse 
Wunde beigebracht, habe laut um Hülfe gerufen, weil man ihm nach dem 
Leben trachte. Er erzählte ausserdem, dass die Leute auf der Strasse über 
ihn sprächen; er tobte, wenn man seiueu sinnlosen Handlungen entgegen¬ 
trat, derartig, dass er mit Gewalt gebändigt werden musste. In der Anstalt 
in Schöneberg versank er bald in Apathie, eine Folge des immer mehr 
zunehmenden Schwachsinnes; er hallucinirte noch häufig, führte leise Selbst¬ 
gespräche, stand stundenlang auf demselben Fleck, ohne sich zu rühren. 
Zu Zeiten lag er auch tagelang schlafend auf einer Bank, die Jacke über 
den Kopf gezogen, völlig unthätig. Er hatte einen finsteren und mürrischen 
Gesichtsausdruck, besonders in den letzten Jahren seines Lebens; wenn 
man ihn anredete, so drehte er sich entweder kurz um und ging davon, 
oder er drohte mit Schlägen, wenn man ihm nicht vom Leibe ginge. Er 
wurde unsauber, verweigerte zeitweise die Nahrung, indem er behauptete, 
er dürfe nicht essen, es sei ihm verboten. Eine im Juli 1883 mit Mühe 
ausgeführte Untersuchung ergab rechtsseitig die Residuen einer überstandenen 
Pleuritis. Sein mürrischer Gesiebtsausdruck änderte sich in den letzten 
Jahren dahin, dass er verdrossen zwar, aber zugleich so aussah, als müsse 
er jeden Augenblick anfangen zu w'einen. Er hatte die Gewohnheit ange¬ 
nommen, mit herabhängendem Kopf und unbeweglich starr vor sich hin¬ 
gehaltenen Händen auf einer Stelle zu stehen, oder automatisch herum zu 
laufen. Einsilbige, abweisende Antworten ertheilte er noch immer, oder er 
gab die Frage als Antwort zurück. Einmal erwiederte er auf die Frage, ob 
er nicht die Freiheit wünsche, was er draussen solle, er werde ja doch bald 
sterben. Noch im April 1885 ging er mit herabhängendera Kopf umher, 
ist also sicher nicht gelähmt gewesen. Nie hat er eine Beschäftigung vor¬ 
genommen. Theils wegen schlechten Aussehens, besonders aber, weil seine 
Füsse schwollen, wurde er am 25. April 1885 in das Lazareth aufgenommen. 
Die körperliche Untersuchung ergab: Fehlen der Inspirationsbewegungen 
des Brustkorbes rechterseits und Dämpfung von der dritten Rippe ab. 
Herzdämpfung nicht abzugrenzen, kleiner, frequenter, zuweilen unregel¬ 
mässiger Puls, geringes Fieber. Starkes Oedem der Füsse und Unter¬ 
schenkel, Urin spärlich, Harnmengc vom 25.26. nur 250 Cubikcentimeter 
betragend, enthält ziemlich viel Eiweiss. reichliche, theils hyaline, theils 
granulirte Cylinder. Keinerlei deutliche Lähmungen, weder an Kopf noch 
an Extremitäten. 

Am 28. April betrug die Urinmenge nur 55 Cubikcentimeter, enthielt 
reichlich Eiweiss, viel granulirte mit zerfallenen Blutkörperchen besetzte 
Cylinder. An demselben Tage schrie Patient im Bett plötzlich auf: „Meine 
Beine!“ Es erfolgte ein Anfall von allgemeinen Krämpfen mit Bewusst¬ 
losigkeit, Heben des Rumpfes, heftigen Zuckungen in beiden Armen, Cyanose, 
unwillkürlichem Kothabgang, hinterher Amnesie. Trotz aller Diuretica blieb 
die Urinausscheidung gering; am 29. bemerkte man Anasarca; Patient 
wurde unruhig, zog die Beine an den Leib, versuchte sich umzulegen. Die 
Temperatur sank bis auf 33,4, und Patient starb am 30. April. 

Die am l. Mai vorgenommene Section zeigte am frischen Rückenmark 
makroskopisch nichts Besonderes. Beide Lungen mit dem Thorax ver¬ 
wachsen, das Herz von den Lungen überdeckt; Herzspitze an normaler 
Stelle, der rechte Ventrikel ragt über den rechten Sternalrand hinaus, Herz¬ 
gewicht 270 g, Klappen schlussfähig, Aorta 8 1 /4, Pulmonalis 8 cm breit, 
Herzfleisch braunroth, links 2 cm, rechts s /< cm dick, an den Klappen geringe 
Verdickungen. Mikroskopisch braune Atrophie des Herzfleisches. Die rechte 
Lunge ist von dem Thorax fast gar nicht loszulösen, ln beiden befinden 
sich, neben vielen peribronchitischen Herden, auch graue miliare Tuberkel. 
Die Nieren bieten das Bild der parenchymatösen und interstitiellen Ent¬ 
zündung, welche auch mikroskopisch bestätigt wird. Man sieht in den 
Harncanälchen reichliche Rundzellen mit Fibrin, die Glomeruli sind theils 
atrophisch, theils mit Rundzellen angepfropft. 

Der Schädel ist hyperostotisch, besonders am Stirnbein; die Dura ver¬ 
dickt und mit schalenariigen blutigen Pseudomembranen beiderseits auf der 
Innenfläche versehen. Beim Abziehen der Dura gehen links auf der Höhe 
des Scheitels eine erbsgrosse und eine nussgrosse Excrescenz mit, welche 
letztere flach */* cm über der Dura emporragt und einen entsprechenden De- 
fect in der Hirnsubstanz zurücklässt. 

Pia ist verdickt, lässt sich im Allgemeinen gut abzieheu, nur nicht au 
bestimmten Stellen, wo, bei dem Versuch hierzu, sich harte Geschwülste aus- 
lösen, die in die Gehirnsubstanz eindringen und an der Pia haften bleiben. 
Ausserdem zeigen an einzelnen Stellen die Windungen weissliche, durch¬ 
scheinende Verfärbung, welche, wie man beim Einschneiden bemerkt, Ge¬ 
schwülsten entsprechen, die von meist rundlicher Gestalt, zuweilen con- 
fluirend, fast ausschliesslich die graue Substanz einnehmen. (Cf. Taf. A 1171) . 

Rechterseits sitzen solche zwei kirschgrosso Tuberkel iin oberen 
Viertel der hinteren Centralwindung, genau au der Grenze gegen das zweite 
Viertel. Ein anderer gleich grosser sitzt an der Abdachung derselben 
Windung gegen das obere Scheitelläppchen hin, mehrere erbs- bis linsgrosse 
zum Theil einzeln, theils confluirt, finden sich in diesem selbst und der 
ersten Occipitalwindung; ein klein-kartoffelgrosser vorwiegend in der zweiten 
und ersten Windung des Schläfelappens. 

Linkerseits zeigt sieh eine annähernd symmetrische Zerstörung der 
hinteren Centralwindung, in deren oberem Theil, durch 2 Tuberkel, von denen 
der oberste erbsgross ist, der andere, an der Grenze des ersten und zweiten 
Viertels (von oben gerechnet), aus drei confluirenden Tuberkeln besteht und 
im Ganzen die Grösse einer kleinen Wallnuss hat. Derselbe vergrössert 
sich nach der Tiefe bedeutend und hat dort die Windung völlig zerstört. Ein 
haselnussgrosser liegt endlich an der Grenze des oberen Scheitelläppchens 
gegen das untere. Es finden sich nirgends an der Pia miliare Tuberkeln; 
auch die Gefässe bieten nichts Besonderes; auch sonst an der nirnsubstanz 
Nichts hervorzuheben. 

Wiederum ein Fall ohne Diagnose des Hirnleidens, trotz zahl¬ 
reicher Herde! Weil solche Fälle eine Menge belehrender Fragen 


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126 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


und Betrachtungen uns nahe legen, sei demselben gleichwohl eine 
kurze Besprechung gewidmet. 

Es sind Lähmungserscheinungen nicht beobachtet worden; die 
finalen Krämpfe waren sicher urämischen Ursprungs. Die Tu¬ 
berkel im Scheitellappen, im Occipitallappen und im rechten 
Schläfelappen waren nicht zu erkennen, weil der mürrische, ab¬ 
weisende Charakter des Patienten (Immanitas ebriosa) eine Unter¬ 
suchung der Sinnesorgane unmöglich machte. Er konnte ganz gut 
auf dem linken Ohr rinden- oder seelentaub, auf den Augen seelen¬ 
blind oder rindenblind sein; da er willkürlich keine Angaben machte, 
so konnten wir davon nichts wissen. Dasselbe gilt von den Stö¬ 
rungen der Sensibilität. Weshalb aber verriethen die beiden kirsch¬ 
grossen Knoten in der rechten CP und die an fast symmetrischer 
Stelle links gelagerten ihre Anwesenheit nicht? Wie Exner über 
diese Orte denkt, zeigt Ihnen ein vergleichender Blick von Taf. A 
mit Taf. B und C. Nothnagel hat sich dahin ausgesprochen, 
dass motorische Störungen auftreten sowohl bei Läsion der CP, wie 
der CA, wie der Thaleinsenkung des Sulcus Rolando. Wenn wir 
nun auch dem Umstande Rechnung tragen, dass rech;s der obere 
Theil der CP nur an einigen Stellen absolut ist, so hätte man doch, 
auch wenn eine Lähmung des Beines, nach Exner, einen grösseren 
Herd verlangt, mindestens eine Lähmung des rechten Beins er¬ 
wartet von dem kirsch- und von dem wallnussgrosseu Knoten in 
der linken CP oben, weil diese Stelle eine absolut motorische ist. 

Wir müssen uns indess der Möglichkeit erinnern, dass, bei der 
grossen Ausdehnung der für Arm und Bein gemeinsam bestimmten 
Partieen der linken motorischen Region, auch ein wallnussgrosser 
Herd vielleicht nur eine einzelne Function des Beines, z. B. die 
Auswärtsdrehung, aufheben kann. Bei unserem Pat. war die Moti¬ 
lität, nur im Ganzen und Groben genommen, anscheinend unversehrt 
geblieben. Ihr wirkliches Verhältniss ist um so schwieriger zu be- 
urtheilen gewesen, als gerade wegen der Symmetrie der Tuberkel 
rechts und links eiue doppelseitige Abschwächung der Unterex¬ 
tremitäten in der That vorhanden gewesen sein mag, ohne dass wir 
sie bei den kurzen Schritten, die Patient automatisch höchstens 
vollführte, bemerken konnten. Unsere Diagnose einer Lähmung stützt 
sich auf vergleichende Prüfung, wobei wir selbst zu vergessen 
pflegen, dass, neben dem Hauptstrom motorischer Erregung für die 
gegenständige Seite, ein Nebenstrom für die gleichnamige Seite bei 
jedem Willensact entsteht. Daher zeigen Gelähmte, welche man 
dynamometrisch misst, eine Abnahme in der Kraft auch auf der ge¬ 
sunden Seite. Man bemerkt Lähmungen am ehesten, wenn der 
betreffende Muskel mit einem Antagonisten zusammenwirkt, z. B. 
an den Augenmuskeln. Andererseits giebt es in der Hirnrinde 
Centren, in welchen, weil die von ihnen innervirten Bewegungen ge¬ 
wöhnlich gemeinsame sind, eine doppelte Vertretung für beide Seiten 
statt hat, z. B. für den Facialis, Hypoglossus. 

In unserem Fall konnte auch nicht die Motilitätsprftfung aus¬ 
gedehnt werden auf die feineren Bewegungen, was sie stets sollte. 
Wir müssen prüfen nicht nur die grobe Kraft, sondern auch die Aus¬ 
dauer des Patienten, die Schnelligkeit der Bewegungen, wodurch 
Paresen leichter sich bemerklich machen, die Möglichkeit prompter 
Umsetzung einer Bewegungsform in eine befohlene andere. Ferner 
die Möglichkeit, gröbere und feinere Bewegungen auszuführen, ohne 
atactische und Coordinationsstörungen. Bei einem derartigen Geistes¬ 
kranken konnten wir solche Prüfungen nicht anstellen. So konnte 
es auch nicht Wunder nehmen, dass wir in dem, bei der Section 
makroskopisch gesund erschienenen Rückenmark nach der Härtung 
eine Myelitis der Hinterstränge fanden, welche auch latent geblieben 
war. Die für beginnende Tabes nothwendige Prüfung der Sensibilität 
und der Reflexe konnte man nicht vornehmen bei dem einsilbigen, 
finsteren Patienten, dessen weinerlicher Gesichtsausdruck vielleicht 
durch Wahnideen, vielleicht durch die Tuberkel, die die Dura durch¬ 
brachen, vielleicht durch chronische Urämie bedingt war, welche 
letztere zwei Leiden ihm heftige Kopfschmerzen verursacht haben 
mögen. 

V. 

Wilhclmine Janke, Dienstmädchen, geboren 1855, erkrankte am 
4. April 1881, wurde am 24. Juli 1883 nach Maison de sante verlegt, starb 
am 20. December 1884. Ein vom 29. April 1881 datirtes Attest aus Dalldorf 
giebt über sie folgende Nachrichten: Sie habe in der letzten Zeit wegen 
ihres eigenthümlichen Verhaltens häufigen Dienstwechsel erlitten und sei in 
tobsüchtiger Erregung zur Anstalt gekommen. Sie bot ein echauffirtes Aus¬ 
sehen, glänzende Augen, lebhaften, oft erstaunten Blick. In ihrem sonstigen 
Verhalten und in ihren Reden, in ihrem Mienenspiel sprechen sich hallu- 
cinatorische Vorgänge aus. Sie kommt zuweilen mit abgerissenen Sätzen 
und Redensarten hervor, sagt z. B., dass ihr Alles durch den Kopf gehe, 
oder bemerkt lachend, „was gebunden ist, soll gelöst werden.“ Dann er¬ 
scheint sie wieder besonnener, giebt gute Auskunft über sich, berichtet, 
dass sie in der Jugend hartlehrig gewesen sei und jetzt Kopfdruck, Con- 
gestionen zum Kopf, Flimmern vor den Augen und Herzklopfen verspüre, 
was sie sehr belästige. 

Während der ganzen Zeit, die sie in der Maison de sante war, hielt 
der Erregungszustand mehr weniger an und erreichte oft excessive Höhe, 


so dass man sie häufig isoliren musste. Sie geberdete sich ganz unsinnig, 
schlug mit Fäusten gegen Thüren und Wände, hat also das ganze Jahr 
August 1883—1884 sicher keinerlei Lähmung gehabt. Als Ursache ihrer 
Aufregung entnahm man ihren Aeusserungen, dass sie sich von Männern 
beschimpft und entehrt glaubte, die sie mit den gemeinsten, kaum wieder¬ 
zugebenden Redensarten belegte. Sie klagte auch darüber, dass die Wär¬ 
terinnen, während sie eingeschlafen sei, sich ihr auf die Brust setzten, ihr 
das Blut aussaugten und ihr Gift eingäben. Tobsuchtsanfälle, wobei sie 
mit Händen und Füssen gegen Thüren und Wände stiess und furchtbar 
schrie: „verfluchter H.“, sind noch im Juni 1884 notirt. 

Um diese Zeit fiel sie einmal im Saale um, verdrehte die Augen, ohne 
Arme und Beine zu rühren, wurde im Antlitz bleich und war ein paar 
Tage schwach. Zur selben Zeit etwa bemerkte man, dass sie die rechte 
Hand sonderbar hielt und sich beim Waschen der linken Hand bediente. 
Am 28. Juli wurde sie bettlägerig, Temperaturen wechselnd, 37,2 — 39,8, 
37,8-38,9. Psychische Unruhe war noch die gleiche. 

Im Monat August hatte sie 3 Krampfanfälle, die von der rechten 
Hand ausgingen, dann in den rechten Arm hineinstiegen, der in zitternde 
Bewegung gerieth und sich in solcher gegen das Gesicht hinauf bewegte. 
Dann fing der rechte Mundwinkel an zu zucken, zuweilen zuckte auch das 
rechte Auge. Pat. machte dabei laute, schmatzende Bewegungen mit dem 
Munde. Dieser Krampf hielt bis zu 10 Minuten an. Die Anfälle häuften 
sich, namentlich bei psychischer Erregung, und waren im September und 
October zuweilen drei Mal täglich aufgetreten Patientin war immer bei 
Bewusstsein, klagte niemals über Schwindel. Sie fühlte die Krämpfe 
kommen und rief des Nachts nach der Wärterin. Zuweilen bat sie die¬ 
selbe, den Arm festzuhalten, wenn er zu zucken beganu. 

In den letzten Monaten äusserte sie häufig Grössenideen, sagte, sie wäre 
Kaiserin, Prinzessin, hätte sehr viel Geld, Alles müsse ihr gehorchen. Die 
erotischen Aeusserungen bliebeu bis zuletzt, sie bildete sich ein, in anderen 
Umständen zu sein und zu gebären, onanirte schamlos mit dem Strohsack. Sie 
hatte bemerkenswerther Weise stets einen weinerlichen Gesichtsausdruck und 
eine greinende, fast unerträgliche Stimme. Am 15. August bemerkte man 
eine Gontractur im rechten Ellbogengelenk, dabei stand die Hand in 
Flexion. Diese Flexionscontractur liess sich ausgleichen, so dass sie, 
nachdem die Finger einige Zeit bewickelt waren, dieselben strecken und 
auseinander bringen konnte; benutzen konnte sie dieselben nicht. 

Anfang November kam Patientin in’s Liegen, indem sie bemerkte, es 
brächen ihr die Kniee zusammen; sie magerte sehr ab. Ein Status, der 
am 24. November gemacht wurde, so gut es die Aufregung der Patientin 
gestattete, ergab eine unvollständige Lähmung des rechten Vorderarmes 
nebst Contractur desselben und der Hand, wie beschrieben; es bestand 
Extensoren- und Supinatoren-Parese. Der ganze Arm konnte, wenn auch 
mühsam, noch gehoben werden. Extreme allgemeine Abmagerung, jedoch 
keine locale Atrophie; cutane Sensibilität nicht grob gestört. Muskelgefühl 
nicht zu prüfen. Allgemeine Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit; 
durch die stärksten Ströme nur schwache Zuckungen. Eigenthümlich 
tiefe, ausgiebige Respirationen, die nur aufhörten, wenn Patientin ass. Am 
Thorax hell tympanitischer Schall und bronchiales klingendes Rasseln. 
Quälender Husten, kleiner, schneller Puls, remittirendes Fieber. Stuhl und 
Urin immer willkürlich entleert. Letzterer mässig eiweisshaltig, ohne 
Formbestandtheile. Unter hektischen Schweissen, zunehmender Abmage¬ 
rung, starkem Decubitus starb Patientin am 20. December plötzlich. 

Die Section ergab Tuberculose der Lungen, besonders in peri- 
bronchitischen Herden, Tuberculose des Diaphragma’s und der Leber nebst ' 
Stauungsatrophie derselben, Tuberculose der Milz, atrophisches Herz. 

An der Schädelkapsel Verdünnung des Knochens in der Gegend der 
grossen Fontanelle, woselbst er sehr durchscheinend ist, Verdickung der 
Dura, längs des Sinus longitudinalis. Die Pia klar, aber ödematös durch¬ 
tränkt, ziemlich stark injicirt. Die Venen insbesondere sehr breit, stark 
gefüllt, basale Gefässe klar. An einzelnen Stellen der Convexität lässt sich 
die Pia nur mit Gewalt abziehen, und es lösen sich dabei gelbe Knoten aus 
der Hirnrinde aus, welche am Orte ihres Sitzes kapselartige Vertiefungen 
hinterlassen. Es wird festgestellt, dass sich solche gelbe käsige Knoten 
vorfinden. (Taf. A, V). 

Links: In der hintern Ce nt ral Windung, und zwar in deren 
mittlerem Drittheil, vier Knoten; von diesen sitzt ein bohnengrosser und 
ein erbsgrosser an der vorderen Abdachung des gedachten Gyrus gegen den 
Sulcus Rolando. Zwei erbsgrosse sitzen gerade auf der Kuppe der Windung, 
oberhalb und unterhalb der gedachten. Ein fünfter kirschkerngrosser Tuberkel 
sitzt an der vorderen Abdachung der vorderen Centralwindung, ander 
Grenze des oberen und mittleren Drittheils, am Rande der Präcentralfurcbe. 
Ein sechster erbsgrosser sitzt in der Mitte der hinteren Centralwindung; ein 
siebenter linsgrosser im unteren Scheitelläppchen, und zwar in dem der 
hinteren Centralwindung benachbarten Theil derselben. 

Dies sind die in der motorischen Region befindlichen Tumoren. Ich 
bemerke ausdrücklich, dass dieselben sämmtlich in die weisse Substanz ein- 
griffen, und dass insbesondere der sechste und siebente, als man ihre 
Ausdehnung in die Tiefe verfolgte, sich von weit beträchtlicherem Umfange 
erwies, als sie von der Oberfläche sich dargestellt hatten; es waren in 
die Hirnsubstanz eingesenkte kuglige Gebilde, die nur einen Theil ihrer 
Oberfläche sehen Hessen. Ausserdem fand sich auch am Fusse der 
linken Occipitalwindung ein erbsgrosser Tuberkel. Im rechten Corpus 
striatum ein Flintenkugel-grosser mitten im Kopf desselben. Ganz durch¬ 
setzt war das Kleinhirn, indem in der Peripherie desselben sich diverse, hasel¬ 
nussgrosse befanden, und ein klein Kafleobohnen-grosser in dem Wurm, über 
der Decke des vierten Ventrikels. Miliare Tuberkel nahm man nirgends 
wahr, die Gefässe der Fossa Sylvii, der Plexus chorioidei waren vollkommen 
klar; die Ventrikel mässig erweitert. — 

Eine theilweise, und wie sich herausstellte, richtige Diagnose 
konnten wir hier stellen, insoweit die Tuberkelknoten in der Ro¬ 
land o’sehen Zone sassen. 


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16. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


127 


Wenden wir uns erst, mit Vernachlässigung der anderen, der 
Betrachtung dieser Knoten zu, so wollen Sie bemerken, dass deren 
fünf, ein bohnengrosser und vier erbsengrosse, in der CP sassen, 
ein einzelner, kirschkerngrosser befand sich in der CA, an der 
Grenze des oberen und mittleren Drittheils, ganz vorn an der Prä¬ 
centralfurche. Welche Geschwülste riefen nun die charakteristischen 
Symptome hervor, jene in der CP, oder der einzelne in der 
CA? — Wenn auf der rechten Hemisphäre die CP in ihren 
Functionen noch wenig bekannt ist, so wissen wir doch, dass 
auf der linken Hemisphäre der mittlere Theil derselben motorisch 
wirksam sei. Andererseits existiren Fälle, welche beweisen, dass 
eine Monoplegie des Armes, namentlich eine Supinatoren- und 
Eitensorenparese, lediglich durch eine in der CA an genau der¬ 
selben Stelle wie in unserem Falle, gelagerte Geschwulst bedingt 
werden kann. Mahon beobachtete Lähmung der Extensoren der 
rechten Hand und geringe Facialparese rechts, bei einem Tumor 
von der Grösse eines Zehncentimesstückes, der an der Vereinigungs¬ 
stelle der CA und mittleren Stirnwindung sass. Noch treffender ist 
der Fall von Reynaud, wo Parese des linken Armes, Lähmung 
der Extensoren und des Supinator longus verursacht wurde durch 
einen Tuberkel von 1 cm Durchmesser, mit erweichter Umgebung, 
welcher gegenüber der mittleren Stirnwindung auf der CA begann 
und schräg nach unten und hinten im Sulcus Rolando endigte. 

Da demnach diese eine Ursache zur Erklärung der an der 
Patientin wahrgenommenen motorischen Störung genügt, so bin ich 
der Ansicht, dass dieselbe vorwiegend durch den in der CA sitzen¬ 
den Tuberkel hervorgerufen wurde. 

Somit wären auch sämmtliche in der CP sitzenden Tuberkel 
latent gewesen. Fast käme man, wenn man Fall IV und diesen 
Fall mit Bezug auf die AflFectionen der CP zusammenfasst, zu der 
Ansicht, dass diese Windung mit der Motilität im stricten Sinne 
überhaupt nichts zu thun habe, und dass es beim Menschen wie 
beim Affen sei, wo die CA nach Hitzig fast alle Centren für die 
Körpermuskulatur in sich begreift. 1 ) 

Es schiede dann der Sulcus Rolando beim Menschen die Hemi¬ 
sphäre in einen vorderen, mehr activen, der Bewegung und dem 
Willen dienenden Theil und in einen hinteren, mehr receptiven, 
sensorischen. — 

Gerade über die CP wären weitere Beobachtungen kleinster 
Herde erwünscht, wobei kleinen Tuberkelgeschwülsten vor den Er¬ 
weichungsherden ein gewisser Vorzug einzuräumen wäre, damit man 
zur Klarheit über die Bedeutung von CP gelangt. — 

Für die Diagnose ist das sicherste Symptom eine beharrende 
Lähmung, die also eine Ausfallserscheinung ist, wie solche 
in unserem Falle zur Erscheinung kam. 

Seit lange ist es bekannt, dass Monop legi een, die Lähmung 
einzelner Glieder, mit Wahrscheinlichkeit den Sitz des Leidens im 
Grossbirn anzeigen. A. v. Gräfe lehrte, dass die Lähmung 
einzelner, vom Oculomotorius versorgter Augenmuskeln auf den Sitz 
des l'ebels im Grosshirn deutete, weil in demselben die Nerven 
alsbald über weite Gebiete sich zerstreuten und deshalb in ihren 
einzelnen Fasern getroffen werden könnten. Seitdem wir die 
mosaikartige Anordnung der motorischen Felder und die fächer¬ 
förmig von denselben ausstrahlenden Stabkranzfasern kennen, haben 
wir für solche Anschauungen eine anatomisch-physiologische Unter¬ 
lage gewonnen. 

Zwar kommen auch Monoplegieen bei Affectionen des Mark- 
weisses vor. Zwei Fälle von Frei und Jaccoud, welche beide 
kleine Herde im rechten resp. linken Stirnlappeu betrafen, die 
übrigens in der Nähe der Rinde sassen, haben Parese des linken 
Arms und Facialis bei Frei, Paralyse des rechten Facialis und 
Sprachlosigkeit bei Jaccoud verursacht. Pitres hat eine Mono¬ 
plegie des linken Armes beobachtet, bewirkt durch einen Er¬ 
weichungsherd in Grösse einer kleinen Nuss, an derselben Stelle 
fast wie in Frei’s Fall, im Stirnlappen, 2 cm unterhalb der Rinde 
gelegen. (Progres medical 1880, p. 644.) 

Der Facialis kann völlig monoplegisch gelähmt sein bei Herden 
im Corpus Striatum. Duplay berichtet von einem Patienten, dem 
der linke Facialis isolirt apoplektisch gelähmt wurde, die Lähmung 
besserte sich, Tod nach 20 Monaten. Eine alte apoplektische Cyste 
mit serösem Inhalt findet sich im rechten Corpus striatum. — 

Dejerine (Progres medical 1880, p. 669) sah, dass ein Tu¬ 
berkel im Thalamus opticus, welcher auf die innere Kapsel drückte, 
Monoplegia brachialis mit Contractur und Zittern der Hand bedingt 
hatte. 

Bei Läsionen im Pons, in den Crura, in der inneren Kapsel 
können wirdissociirten Lähmungen, entweder des Facialis allein, 
oder des Facialis plus Arms, oder beider Extremitäten einer Seite be¬ 
gegnen, aber einer isolirten Monoplegie einer oberen, oder einer solchen 
der unteren Extremität schwerlich. Je isolirter vielmehr die Lähmungen 


*) Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. 1874, p. 133. 


sind, um so mehr weisen sie auf die Rinde als den ursächlichen 
Sitz hin (Charcot-Nothnagel), und da auch Monoplegieen dieser 
Art, beim Sitz des Uebels ausserhalb der motorischen Rinde, kaum 
bekannt sind, auf den Sitz in der Rinde der motorischen Zone. 

Haben wir vollends Lähmungen isolirter Functionen, 
isolirter Bewegungsformen einzelner Extremitäten als Ausfalls¬ 
erscheinungen aus centraler Ursache, so kann diese kaum irgendwo 
anders als in der Hirnrinde sitzen. Denn wenn es schon schwer denk¬ 
bar ist, dass z. B. in der inneren Kapsel die von der Riude herab¬ 
ziehenden, hier dicht bei einander gelagerten Fasern für Zunge, Ge¬ 
sicht, Arme und Beine einzeln sollten getroffen werden können, indem 
dies nur durch einen natürlich seltenen, sehr kleinen Herd möglich 
wäre, so ist es vollends undenkbar, wie eine Verletzung einer einzelnen 
Function der Armnerven, z. B. der Gegenstellung von Daumen zum 
Zeigefinger, an dieser Stelle möglich sein sollte. Einzig und allein in 
der Rinde sind solche Verletzungen möglich, wo die willkürlichen 
Functionen bis in’s Einzelne vertreten und auch bis in’s Einzelne 
gestört sein können. 

Von grosser Wichtigkeit ist dies Moment der Vereinzelung 
der Functionsstörungen für das zweite hier in die Erscheinung 
getretene Symptom, für den monospastischen Krampf im ge¬ 
lähmten Arm, der bis in’s Gesicht stieg. 

Seit Fritsch und Hitzig isolirte Zuckungen von der Hirnrinde 
ausgelöst haben, welche durch stärkere Reizungen iu allgemeine 
Krämpfe übergingen, und seitdem Bubno ff und Heidenhain ge¬ 
zeigt haben, dass nach doppelseitiger Wegnahme der motorischen 
Zone keinerlei Reizungen des Markweisses mehr so geartete epilep¬ 
tische Anfälle erzeugen können, hat man jedenfalls das Recht, isolirte 
Krämpfe mit dieser Rindenaffection in Verbindung zu bringen. 

Noch früher hatte Hughlins Jackson gelehrt, von den allge¬ 
meinen Krämpfen, wie sie bei genuiner Epilepsie Vorkommen, die¬ 
jenigen Krämpfe zu unterscheiden, welche auf eine Läsion der Rinde 
deuten. Das Charakteristische, zeigte er, sei der typische Beginn 
und der damit gegebene, meist typische Ablauf derselben in einer 
bestimmten Reihenfolge, welche, wie wir jetzt wissen, der räum¬ 
lichen Anordnung der Centren auf der Rinde entspricht (Tafel B 
und C). Also Bein — Arm, Gesicht; Gesicht — Arm, Bein; Arm — 
Gesicht, Bein. Niemals Bein — Gesicht, Arm; oder Arm — Bein, 
Gesicht. 1 ) Die Zunge, die Augen, die Nackenmuskulatur können sich 
bei diesen Krämpfen betheiligen. Das Bewusstsein ist gewöhnlich er¬ 
halten und erst dann leicht umnebelt, wenn die Augenkrämpfe beginnen; 
es geht völlig verloren, wenn die unilateralen Convulsionen auf 
die andere Seite übergreifen, indem die Krämpfe, den Körper gleich¬ 
sam umkreisend, zuerst meist das Bein der gegenständigen Seite 
erfassen und dann weiter aufsteigen. Dabei befinden sich diese Extre¬ 
mitäten der Gegenseite häufig in Streckung und krampfen in Zitter¬ 
bewegungen. 

Stellen sich solchergestalt allgemeine Krämpfe ein, so kann 
der ursprüngliche Charakter des Monospasmus oder Hemispasmus 
verwischt und der Anfall dem epileptischen gleich werden. Denn 
auch bei genuiner Epilepsie, besonders bei Hystero-Epilepsie, 
bei welcher man die allermannigfachsten Formen von Krämpfen 
findet sieht man oft genug typische Anfänge, indem die Kranken 
z. B. den Kopf nach einer Seite rotiren, oder eine geballte Faust 
vorstrecken. Häufiger freilich ist doppelseitiger typischer Beginn, 
indem eine Faust z. B. vorn hin, die andere nach hinten ausgestreckt, 
oder mit beiden Händen gegen die Brust gefahren wird und dergl. 
mehr. Der Hauptunterschied zwischen solcher genuiner Epilepsie 
von typischem Beginn und jener Jackson’schen oder Rin- 
denepilepsie, wie man sie genannt hat, liegt darin, dass letztere 
aus Monospasmus, resp. Hemispasmus sich herausgebildet hat, 
vielleicht mit solchem auch abwechselt. Bei der genuinen Epilepsie 
ist die Bewusstlosigkeit von vornherein markant, ebenso der 
allgemeine Streck- oder Flexionstonus des Rumpfes und 
der Extremitäten, welcher auf die Betheiligung der subcorticalen 
Centren deutet (Munk-Ziehen) und, nebst der Bewusstlosigkeit, 
den plötzlichen epileptischen Sturz herbeiführt. 

Endlich die initiative Betheiligung der Respirationsmuskeln, 
welche zum epileptischen Schrei fuhrt. — 

Man sollte gerade bei Rindenepilepsie die Bewusstlosigkeit er¬ 
warten, weil die Rinde das Organ des Bewusstseins ist. Doch tritt, wie 
bemerkt, die Bewusstlosigkeit nur ein, wenn die Krämpfe allgemein 
werden, und es beginnt Umschleierung des Bewusstseins erst dann, wenn 
das Gesichts-Zungengebiet und die Augen zu krampfen beginnen. Ich 
beobachtete wiederholentlicli bei Paralytikern, bei denen alle Arten 
von Rindenzuckungen und Krämpfen, auch die als Rindenreizung 

*) Es wäre möglich, dass das Nichtvorkommen dieser letzteren Reihen¬ 
folge der Jackson’scheu Krämpfe sich daraus erklärt, dass das Beincentmm 
zum grössten Theil ein abgesondertes Gefässsystem besitzt, das der A. cor¬ 
poris callosi, während Arm- und Facaliscentrum gemeinsam von den Ae. 
centrales, Aesten der A. fossae Sylvii gespeist werden. Bei der Propagation 
des Krampfes bilden, neben den Nerven, die Gefässe die Vermittler. 


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128 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


sicher anzusehenden automatischen Gesticulationskrämpfe, Vorkommen, 
dass zuweilen sämmtliche Muskeln des Körpers incl. Facialis krampf- 
ten, ohne dass das Bewusstsein völlig geschwunden war. Ein 
solcher Kranker nahm Nahrung und antwortete einzelne Worte 
entsprechend, während er von heftigen Krämpfen des Körpers all¬ 
gemein erschüttert wurde, ein wahrhaft grässlicher Anblick. Ein 
anderer derartiger Kranker bekam beim Spaziergang plötzlich hef¬ 
tige Schüttelkrampfe aller vier Extremitäten, so dass er mit Mühe 
gehalten wurde, während er vollkommen klar blieb. 

Wir müssen zur Erklärung solcher Erscheinungen uns erinnern, 
dass das Bewusstsein eine Function der gesammten Hirnrinde ist, 
und dass, um dasselbe in seiner Totalität aufzuheben, es noch eines 
besonderen Mechanismus, wahrscheinlich eines allgemeinen Gefäss- 
krampfes bedarf, welcher ausgelöst wird, sobald die Reizung die 
Gegend des Facio-lingualis-Centrums, die Fossa Sylvii erreicht, wo 
die Hauptgefässstämme liegen, welche den grösseren Theil der Hirn¬ 
rinde versorgen. 

Bei Alkoholisten habe ich, trotzdem dieselben mit der bekann¬ 
ten Säufermedaille, oberhalb der motorischen Gegend, bei der Section 
versehen gefunden und mit Krämpfen bei Lebzeiten behaftet waren, 
doch keine Mono- und Hemispasmen gesehen, sondern meist solche 
Krämpfe, die mit einem allgemeinen Flexionstonus, Bewusstlosigkeit 
und Cyanose einsetzen. Wohl aber köunen Krämpfe aus toxischer 
Ursache, wie die urämischen, ferner die meningitischen Krämpfe, 
was man bei Kindern oft genug beobachten kann, als hemilaterale 
Convulsionen oder auch als isolirte Monospasmen beginnen. Wir 
müssen hierbei annehmen, dass das den Krampf zuerst auslösende 
Centrum labiler, schwächer und daher durch die toxische Ursache 
leichter in Krämpfe zu versetzen sei. 

Endlich ist es bekannt, dass Reflexepilepsie aus irgend welcher 
peripheren Ursache, Eklampsie, auch mit einzelnen Zuckungen be¬ 
ginnen kann. Ein Arbeiter, den ich mit H. Quincke in der Charite 
behandelt habe, war von einem Neurom aus, das an einem Vorderarm¬ 
stumpf sass, epileptisch geworden, und es konnte durch Druck auf das 
Neurom der Anfall ausgelöst werden Hier konnte man das Vorschrei¬ 
ten der Krämpfe von Tag zu Tag beobachten; dieselben ergriffen 
erst den Stumpf, alsdann Oberarm und Schulter, die entsprechende 
Gesichtshälfte und die Augen, und sprangen schliesslich auf die an¬ 
dere Seite über, indem das Bewusstsein schwand. Bei den weiteren 
Attaquen wurde der Ablauf des die einzelnen Gliederabschnitte er¬ 
greifenden Krampfes ein ganz rapider, und das Bewusstsein verlor 
sich bald. Der Mann wurde durch Entfernung der Ursache ge¬ 
bessert, wahrscheinlich geheilt. 

Wie hier das Neurom die periphere Ursache für die Jackson’- 
sehe Epilepsie abgab, so kann dieselbe natürlich durch irgend eine 
Ursache im Gehirn selber peripher, d. h. ausserhalb der mo¬ 
torischen Gegend, bedingt sein. Z. B. machte ein Cystosarkom im 
rechten Hinterlappen keine Lähmung, aber Zuckungen, die stets im 
linken Unterschenkel begannen (Leyden-Traube). Eine Blutung 
im Pons kann gelegentlich verursachen isolirte Zuckungen einer Extre¬ 
mität, der Kieferitiuskulatur, des Gesichts (Nothnagel l.c. pg. 146); 
eine Geschwulst und eine Narbe auf der zweiten rechten Stirnwindung 
erzeugten eine zweijährige Epilepsie, schliesslich klonische Krämpfe, 
die unter Cyanose, Athemerschwerung und zunehmender Bewusst¬ 
losigkeit sich auf der linken Gesichtshälfte einstellten, den linken Arm, 
das linke Bein, dann die rechte Körperhälfte ergriffen (Leichten- 
stern). 

Was in unserem Fall für die Diagnose entschied, das war das 
Zusammentreffen von Monoplegie und Monospasmus in 
demselben Gliede. Wenn daneben auch der Krampf in Facialis 
und Zunge ausstrahlte, so verlor er darum seine Bedeutung nicht als 
Monospasmus, noch konnte er in dieser Bedeutung herabgesetzt 
werden durch den ohnmachtsähnlichen Anfall mit Verdrehung der 
Augen, welcher im Juni statt hatte. Dass gerade ein Tuberkel als 
Läsion angenommen wurde, dafür sprachen die Zitterkrämpfe und 
die Contractur in eben demselben Gliede, bei Anwesenheit allge¬ 
meiner Tuberculose. — 

Seit Todd Früh- und Spät-Contracturen unterschieden, und 
Charcot in einer Reihe von Artikeln, die im Progres medical 1880 
veröffentlicht worden sind, über deren Symptomatologie und Ursachen 
uns belehrt hat, wissen wir, dass Frühcontracturen und Erhöhung 
der Sehnenreflexe ganz besonders durch Reizung der Pyramiden¬ 
seitenstränge entstehen, welche Reizung bis zu den Vorderhörnern 
der Grauen Substanz des Rückenmarks, dem Knotenpunkt der di¬ 
versen Reflexbögen, sich fortpflanzt. Die genannten Stränge nehmen 
aber ihren Ursprung von der motorischen Gegend (Flechsig, 
Par rot). So musste also auch in unserem Fall die Contractur von 
einer Geschwulst in der motorischen Gegend herrübren, welche die 
Pyramidenseitenstränge reizte. 

Von den im rechten Nucl. caudatus, in P 2 , in den Occipitalwindun- 
gen befindlichen Tuberkeln dürfen wir absehen. Lähmungen haben 
sie, soweit die Untersuchung möglich war, nicht verursacht. Wäre durch 


das Befallensein des letztgenannten Ortes selbst ein Skotom entstan¬ 
den, es wäre, zumal bei seiner nur geringen Ausdehnung, von der 
Kranken übersehen worden, wie dies normaler Weise mit dem 
blinden Fleck geschieht. Zu erwähnen bleibt, weil in gewisser 
Uebereinstimmung mit dem, was man bei Kindern sieht, die mit 
multiplen conglomerirten Tuberkeln behaftet sind, die ganz extreme 
Macies der Patientin und das unerträgliche Greinen. Ferner der 
Umstand, dass trotz multipler Herde im Kleinhirn, von denen einer, 
von der Grösse einer kleinen Kaffeebohne, sogar im Wurm sass, 
doch an ihr keine Coordinationsstöiung aufgefallen ist. Schliesslich 
sei noch der selten starken erotischen Erregung gedacht, für deren 
Erklärung wir, nach dem heutigen Stande der Wissenschaft, keinerlei 
Anhalt finden. (Fortsetzung folgt.) 

V. Antwort auf „die Behandlung der Otorrhoe 
mit Borsäurepulver (ein Wort zur Warnung 
an die Herren Collegen)“ von Dr. L. Stacke 

in Erfurt in No. 49 und 60 vor. Jahrg. dieser Wochenschrift. 1 ) 
Von Prof. Bezold. 

Zum ersten Male ergreife ich im Interesse meines Faches mit 
Widerwillen 'die Feder, um noch einmal für die antiseptische Be¬ 
handlung der Mittelohreiterungen mit Borsäure einzutreten. 

Seitdem ich meine erste Arbeit „Zur antiseptischen Behand¬ 
lung etc.“ im Archiv für Ohrenheilkunde 2 ) veröffentlicht habe, ist 
bis in die neueste Zeit eine so grosse Reihe von Bestätigungen ihrer 
Wirksamkeit durch hervorragende Fachcollegen erschienen, dass 
deren Aufzählung hier nicht wohl möglich ist, und gegenwärtig hat 
sich ihre Verwendung so ziemlich ebenso weit ausgebreitet als 
Ohrenärzte wohnen. 

Es war nicht anders zu erwarten, als dass auch mit der Zeit 
wirkliche und vermeintliche Schattenseiten an dieser Methode ent¬ 
deckt wurden. Heftige Angriffe hat dieselbe gefunden in den „Chi¬ 
rurgischen Krankheiten des Ohrs“ von Schwärtze und insbesondere 
in dessen Vortrag „Therapeutische Missgriffe und Fehler“, in der 
otiatrischen Section der Naturforscherversammlung in Berlin ge¬ 
halten. 

In No. 8 dieser Wochenschrift erschien darauf eine sachlich gehal¬ 
tene Entgegnung, in welcher ich, neben der Zurückweisung unbe¬ 
rechtigter Vorwürfe, selbst einige ausnahmsweise sich geltend 
machende unangenehme Eigenschaften der Borsäure hervorhob, die 
ich im Laufe der Zeit kennen gelernt hatte. 

Dieser Artikel hat nun Dr. Stacke zu der im obigen Titel 
ausgedrückten „Warnung an die Herren Collegen“ veranlasst. Nur 
mit diesem Gegner kann ich mich im Folgenden befassen, da ihm 
gegenüber die peinliche Nothwendigkeit für mich vorliegt, die Waffen 
zu kennzeichnen, welche derselbe führt. 

Dr. Stacke bestreitet mir zunächst überhaupt die Berechtigung 
für die Bezeichnung „antiseptische“ Behandlung. 

Für die acute Mittelohreiterung verlangt er eine Durchspülung 
der Mittelohrräume mit dem Antisepticum und verbreitet sich dabei 
in ausführlicher Weise über die Nothwendigkeit, jede zu kleine 
Oeffnung zu erweitern, günstiger zu verlegen, Granulationen abzu¬ 
tragen etc. Diese Nothwendigkeit tritt allerdings besonders häufig 
unter Borsäurebehandlung an uns heran, wie dies bereits im J. 1880 
von Löwenberg auf dem II. otologischen Congress zu Mailand 
hervorgehoben und von mir selbst 1881 in meinem IV. Bericht 3 ) 
bestätigt wurde. Jeder Fernerstehende muss nach der Darstellung 
von Dr. Stacke den Eindruck erhalten, als ob die dabei nothwen- 
digen chirurgischen Eingriffe von den Vertretern der Borsäurebe¬ 
handlung vernachlässigt oder ganz unterlassen würden. 

Die Einblasung von Borsäurepulver könne hier nur dann einen 
Zweck haben, wenn das Pulver Secret aus der Paukenhöhle anzu- 
s äugen vermöchte. Dies ist, wie ich sowohl experimentell als am 
Lebenden nachgewiesen habe, trotz dem Widerspruch von Dr. Stacke 
der Fall, kommt aber hier überhaupt nur ganz secundär in Betracht. 

Ausserdem verträgt nach Dr. Stacke die gesunde, noch viel 
mehr aber die acut entzündete Paukenhöhlenschleimhaut die Bor¬ 
säure nicht, und dieselbe „erzeugt“, wie Dr. Stacke „vielfach erlebt 
hat, oft heftige Entzündungen“, worüber ich das Urtheil den mit 
Borsäurebehandlung vertrauten Collegen anheimstellen kann. 

Endlich wird noch die langsame Einwirkung der Borlösung auf 
die Milzbrandbacillen angeführt. 

Nach alledem sieht Dr. Stacke „keinen einzigen Grund, 
welcher die Berechtigung involvirte, die Einblasung von Borsäure¬ 
pulver in den Gehörgang bei acuten Mittelohreiterungen eine „an¬ 
tiseptische“ Behandlung zu nennen“. 


*) Eingegangen im December vor. Jahres. 

3 ) Bd. XV, I. Heft (ausgegeben am 19. Juni 1879). 
s ) Aerztl. Intelligenzblatt 1881. No. 26. 


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16. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 120 


Mit der Entwickelung der Gründe, welche einer vollkommenen 
Antiseptik im Ohr immer Schranken setzen werden, der Unmöglich¬ 
keit, einerseits die durch die Tuben eindringendeu Schädlichkeiten 
abznhalteu und andererseits die Räume des Mittelohrs in der bei 
offenliegenden Wunden möglichen Vollständigkeit zu desinficiren, habe 
ich meine erste Arbeit im Archiv f. Ohr. Bd. XV begonnen. Da 
sich aber die Chirurgie an allen Orificien in der gleichen Lage be¬ 
findet, und trotzdem eine Antisepsis in modificirter Form als 
wirkungsvoll auch an diesen Localitäten sich erwiesen hat. so 
.glaubte ich trotz dieser Unvollkommenheiten, welche der Aus¬ 
dehnung des antiseptischen Verfahrens auf das Ohr uaturgemäss 
immer anhaften müssen, nicht auf dasselbe von vornherein ver¬ 
zichten zu sollen“. Wie der Versuch ausgefallen ist, dafür zeugt 
die Literatur, welche seitdem über diese Behandlungsmethode ange¬ 
wachsen ist. 

Von vornherein konnte es sich hier nicht um eine vollkommene 
Desinfection der Mittelohrräume handeln, sondern nur um eine 
Abhaltung neu hinzutretender Schädlichkeiten durch den äusseren 
Gehörgang, deren Wirkung uns längst schon aus dem erst im 
Verlaufe der Otorrhoe auftretenden, nicht von Anfang an vor¬ 
handenen Fötor bei acuten Mittelohreiterungen bekaunt war. Es 
fragte sich also, ob durch Abhaltung der Fäulnisserreger 
von» Eindringen durch den äusseren Gehörgang nicht ein 
•rünstiger Einfluss auf den Verlauf zu erwarten sei. 

Nach achtjähriger ausgedehntester Erfahrung konnte ich uun 
in meiner Entgegnung ! ) feststellen, dass durch die Borsäurebehand¬ 
lung .secundäre diffuse Otitis externa, Excoriationen, diffuse 
Schwellung und Wucherung der Gehörgangswände und Fötor des 
Secrets (welche bei sich selbst überlassener Otitis media puru- , 
lenta acuta zur Regel gehören) sich mit unbedingter Sicherheit ab¬ 
halten lassen“ etc., ja dass auch bei bereits fötid in unsere Behand¬ 
lung kommenden acuten Mittelohreiterungen mit ausgedehnter Zer¬ 
störung des Trommelfells, wie wir sie im Verlaufe von Scharlach 
und Phthisis sehen, ausnahmslos unter Borbehandlung der Geruch ' 
in kurzer Zeit verschwindet, wenn die Behandlung früh genug ein- 
"eleitet wird. Diese von Hunderten von Ohrenärzten constatirten 
Beobachtungsthatsachen verschweigt Dr. Stacke vollständig. Sie 
<ind es aber, welche die Bezeichnung der Borsaurebehandlung als 
•dne .antiseptische“ rechtfertigen und wohl auch erhalten werden. 

Den chronischen uncomplicirteu Snppuratiousprocessen, zu i 
welchen weiter Dr. Stacke sich wendet, „will er mit Bezold den 
Namen des chronischen „eitrigen Katarrhs“ beilegen“. Die Stelle, 
auf welche Dr. Stacke sich bezieht, lautet: 2 ) „Die einfachen un- 1 
• omplicirten Suppurationsprocesse, welche als acuter und chronischer 
f’rtriger Katarrh“ bezeichnet und bis dahin fast durchgehends mit 
Adstringentien oder mit der von Schwartze angegebenen kaustischen 
Methode behandelt wurden etc.“, also eine vollständige Ver¬ 
drehung. Natürlich muss gerade von unserem antiseptischen Stand¬ 
punkt die Trennung zwischen Katarrh und Eiterung in den Mittel- 
•dirräamen mit besonderer Schärfe festgehalteu werden. 

Am wenigsten geeignet für Pulverbehandlung sind nach 
Dr. Stacke die Perforationen der ShrapnelI‘sehen Membran: 
-Wodurch kommt es denn, dass Eiterungen diessr Art relativ , 
häufig zum Tode führen, wie auch Bezold (1. c.) erfahren hat?“ 
Das habe ich allerdings erfahren; an der angedeuteten Stelle habe ; 
ich darauf hingewiesen, dass vou den 3 Todesfällen, welche ich | 
unter 37 Perforationen der Membrana Shrapnelli im Verlauf von 
3 Jahren gesehen habe, keiner in eine Abhängigkeit von voraus¬ 
gegangener Borsäurebehandlung zu bringen ist, wie dies von 
Dr. Stacke nach seinen späteren Ausführungen supponirt wird. j 

Es werden nun ausführlich die gegenwärtig allgemein be- I 
kannten Gründe erörtert, warum gerade diese Formen einen soviel 
'chwereren Verlauf nehmen. 

Ich selbst war es, der auf Grund der Widerstandsfähigkeit 
dieser Fälle gegen eine consequent durchgeführte antiseptische Be- J 
handlung zuerst sorgfältiger nach den Ursachen ihrer oft lebens¬ 
wichtigen Bedeutung geforscht hat. Auf der Basis von 7 Fällen, 
welche ich damals in meiner ersten Arbeit über antiseptische Be¬ 
handlung im Ohr mittheilen konnte, habe ich die Haupteigen- 
thümlichkeiten dieser Eiterungsform, ihre lange Dauer, den häufigen 
Abschluss des Erkrankungsheerdes von der Paukenhöhle, das oft¬ 
malige Vorkommen von Polypen in der engeu Oeffnung und von 
t’holecteatom in deu Höhlen des Warzentheiles etc. festgestellt. 

Nun dreht Dr. Stacke deu Spiess um und behauptet, die 
Borsäurebehandlung selbst veranlasse durch die Borkenbildung an 
der engen Oeffnung den ungünstigen Verlauf. „Eine solche Kruste 
kann wochen- und monatelang trocken bleiben, die Eiterung scheint 
dann geheilt zu sein, in der Tiefe aber geht die Zerstörung weiter. ( 
Wenn Bezold (I. c.) hier die Behandlung „consequent und oftmals 

') Diese Zeitschrift. 1887 No. 8. 

Diese Zeitschrift a. a. 0. 


jahrelang“ ohne Nacht heile (lurchgeführt hat. so beweist dieser 
Ausspruch zum mindesten, dass die Behandlung eben jahrelang er¬ 
folglos angewendet wurde“! (Verf.) (Die gesperrten Worte finden 
sich bereits in seinem Artikel gross gedruckt). 

Bei Dr. Stacke „heilten aber diese Eiterungen ausnahmslos 
iu der Zeit von 4 Wochen bis */* Jahren“ unter chirurgischen 
Maassnahmen, welche nach seiner Darstellung wieder von den Ver¬ 
tretern der Borsäurebehandlung ganz vernachlässigt scheinen. 

Der Verfasser sagt weiter: „Da ich über die schädlichen Wir¬ 
kungen der Borsäure aus deu letzten Jahren keine eigenen Beob¬ 
achtungen zur Erhärtung meiner Behauptungen aufzuweisen habe etc.“ : 
diese Beobachtungen scheinen ihm allerdings zu fehlen, das geht mit 
Bestimmtheit aus der so oft und breit erörterten Bildung von festen, 
schwer entfernbaren Krusten hervor, welche die Borsäure mit dem 
Secret sowohl auf deu kleinen Oeffnungen frischer Mittelohreiterungen 
als im Inneren der Paukenhöhle, in Perforationen der Membrana 
Shrapnelli, ja sogar am Eingang der Paukenhöhle iu den Aditus ad 
antrum bilden soll. Jeder, der diese Behandlungsmethode unter 
Spiegelcontrole übt, kann sich leicht in jedem Fall überzeugen, dass 
das auf die Schleimhaut gelangende Pulver sofort in Folge einer 
geringen serösen Absonderung derselben gelöst wird, und dass nur 
in der Umgebung, niemals iu der Perforation die Borsäure bei 
späterer Controle sich vorfindet; die weisseu Massen, welche so 
häufig in den Perforationen der Membrana Shrapnelli uns entgegen- 
treteu, siud nicht Borsäure, sondern vou innen sich vorschiebende 
Cholesteatommassen; ihre Entfernung ist allerdings unbedingt geboten 
und sie geschieht in der Regel am schonendsten mit direkten In- 
jectioneu durch das Paukenröhrchen, welches werthvolle Instrument 
Dr. Stacke in seiner eingehenden Auseinandersetzung mit keinem 
Worte erwähnt. 

Ebensowenig erwähnt er, dass wohl jeder Ohrenarzt, der von 
der Borsäurebehandlung Gebrauch macht, in gleicher Weise wie ich 
in jeder einzelnen Sitzung Trommelfell uud Perforationsöffnung sich 
zunächst natürlich vollständig freilegt, ehe das Borsäurepulver ein¬ 
gebracht wird, welches einen Schutz gegen das für diese Fälle 
geradezu deletäre Hineingelangen von Fäuluissträgern bis zur näch¬ 
sten Untersuchung bildet. 

Dr. Stacke lässt nun noch eine Casuistik vou 8 Fällen mit 
zum Theil schwerem Verlaufe folgen, „in welchen die vorher 
von anderer Seite in Anwendung gezogene Borsäure¬ 
behandlung nachtheilige Folgen gehabt hat“. (Dort ge¬ 
sperrt gedruckt). 

Von einem Autor, der solche Beschuldigungen gegen seine 
Collegen erhebt, wie diese Krankengeschichten und ihre Epikrisen 
sie enthalten, ist man wohl berechtigt, eine striugente Beweisführung 
für jeden Einzelfall zu fordern. Denn das post hoc. ergo propter 
hoc kann hier noch eine geringere Geltung beanspruchen als bei 
unseren sonstigen klinischen Schlussfolgerungen. Bleibt es doch 
einerseits keinem Otiatriker erspart, die Richtigkeit des allbekannten 
Ausspruchs von Wilde zu bestätigen, nach welchem unter allen 
Umständen und Behandlungsmethoden ein Bruclitheil der Mittelohr¬ 
eiterungen von schweren uud theilweise letalen Complicationen heim¬ 
gesucht wird. Der objective Beobachter wird hier viel mehr nach 
bleibenden und immer wiederkehrenden Ursachen forschen, welche 
vielleicht zum Theil schon in der so ausserordentlich variablen 
Grösse und dem Bau der pneumatischen Zellen zu suchen sind, die 
sich regelmässig an dem Suppurationsprocess mit betheiligen. Für 
die Beurtheilung dieser Fälle auf ihren statistischen Werth iu der 
vorliegenden Frage muss andererseits in Betracht kommen, dass die 
Borsäurebehandlung in den letzten Jahren auch unter den prakti¬ 
schen Aerzten sich successive mehr und mehr eingebürgert hat. Da 
nun gerade die schweren, eine eventuell operative Behandlung er¬ 
heischenden Fälle es vorzüglich sind, welche einer Ohrenklinik Zu¬ 
strömen, so wird dementsprechend unter denselben natürlich auch 
die Zahl derjenigen immer mehr anwachseu, bei welchen die Bor- 
säurebehaudlung in mehr oder weniger vollkommener Weise An¬ 
wendung gefunden hat. Diese Zahlen werden dort um so auf¬ 
fälliger erscheinen, je seltener in der Anstalt selbst die in Rede 
stehende Behandlung geübt wird; au sich berechtigen dieselben noch 
zu gar keinen Schlüssen, wenn solche nicht bei genauerer Verfolgung 
des Krankheitsverlaufes im Einzelfall sich ergeben. 

Unter den von Dr. Stacke aufgeführten 8 Fällen bin ich nun 
in der Lage, den einen (IV.) noch etwas zu ergänzen, da hier Dr. 
Stacke die Krankengeschichte einer Patientin giebt. welche früher 
unter meiner eigenen Beobachtung gestanden batte. Die Identität 
der Persönlichkeit hat mir Dr. Stacke auf meine briefliche An¬ 
frage bestätigt. 

Ich schicke meine Krankengeschichte voraus: 

Frl. H , damals 12 Jahre alt. wurde von mir am 30. Mai 1883 zum ersten 
Male gesehen; es bestand seit ungefähr 2 Jahren übelriechender Ausfluss aus 
dem linken Ohre, welcher im Verlauf eines Scharlachs zuerst aufgetreten 
war. Damals hatte nach Angabe des Vaters auch eine kurz dauernde Ah- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


scedirung hinter dem Ohr stattgefunden, von welcher eine kleine Narbe an der 
Spitze des Warzenfortsatzes zurückgeblieben ist. Der Ausfluss war bis zum 
2. Juli unter Borsäurebehandlung vollständig verschwunden, von üblem Ge¬ 
ruch war damals und schon einige Zeit vorher keine Spur mehr vorhanden. 
Vom Trommelfell war nur ein oberer liest mit dem eingeschlossenen 
Hammergriff erhalten, so dass die nun normale Schleimhaut der inneren 
Paukenhöhlenwand in grosser Ausdehnung zu überschauen war. 

Während des Octobers 1883 sah ich dieselbe wieder eine Zeitlaug 
wegen acuten Mittelohrkatarrhs und Tubenaffection des anderen rechten 
Ohrs, als deren Ursache sich adenoide Vegetationen im Nasopharyngeal- 
raura fanden. Bei dieser Gelegenheit überzeugte ich mich, dass der Befund 
auf dem linken Ohre noch der gleiche geblieben war wie Anfang Juli. 
Zeitweilige Kopfschmerzen mussten auf Rechnung der adenoiden Vegetatio¬ 
nen gesetzt werden. 

Die Otorrhoe linkerseits kehrte noch ein Mal wieder am 11. Januar 
1884 im Anschluss an eine Angina und wurde zum zweiten Mal unter der 
gleichen Behandlung beseitigt bis zum 29. Februar. 

Vom 6.—23. Mai sah ich dieselbe nochmals wegen einer acuten 
Mittelohrentzündung des anderen, rechten Ohrs, welche mit normalem Hör¬ 
vermögen abschloss. Wegen dieser Itecidive auf dem rechten Ohr wurden 
am 14- Juni eine grössere Menge adenoider Vegetationen mit der Schlinge 
durch die Nase entfernt. 

Vom 29. Februar 1884 an war linkerseits der Ausfluss nicht wieder¬ 
gekehrt und erwies sich die Mittelohrschleimhaut bei wiederholter Unter¬ 
suchung als normal, ebenso bei der letzten von mir vorgenoinmenen Be¬ 
sichtigung am 19. September 1884. Fötor bestand seit der erstmaligen 
Behandlung im Jahre 1883 nicht mehr. 

Im December 1886 kam der Vater zu mir mit der Mittheilung, 
dass bei seiner nunmehr in einem Mädcheninstitut zu Gotha ver- 
weileuden Tochter das linke Ohr von neuem erkrankt sei, und dass 
der behandelnde Arzt, Dr. Stacke, eine Operation in Aussicht ge¬ 
nommen habe; er stellte an mich die Bitte, demselben meine 
früheren Beobachtungen über die Erkrankung mitzutbeilen, was 
von mir auch in einem ausführlichen Brief an Dr. Stacke geschah; 
darauf erhielt ich von letzterem eine Schilderung des damaligen 
Standes, welche der unten folgenden (von Stacke als die IV. auf¬ 
gezählten) Krankengeschichte ungefähr entsprach. Auf diesen Bericht 
hin veranlasste ich den Vater, sofort seine Zustimmung zur Operation 
zu geben. 

Ich lasse nun die Krankengeschichte von l)r. Stacke folgen: 

„IV. Chronische Mittelohreiterung seit 3 Jahren durch Borpulver vor¬ 
übergehend sistirt. Caries des Warzenfortsatzes, Aufmeisselung. Frl. H. 
aus Gotha ist seit 5 Jahren mit einer linksseitigen Mittelohreiterung in 
Folge von Scharlach behaftet. Sie war früher von einem Ohrenarzt jahrelang 
in Zwischenräumen mit Einblasungen von Borpulver behandelt worden. Die 
Eiterung war jedes Mal nach kurz dauernder Behandlung versiegt, um nach 
Wochen oder Monaten wiederzukehren und derselben Behandlung nach 
kurzer Zeit zu weichen. Ich sah die Patientin zuerst im December 1886. 

Aeusserst fötide Otorrhoe, Perforation (Iinseugross) vorne unten, 
Paukenschleimhaut glatt. Nachdem eine mehrere Wochen lang consequent 
durchgeführto Behandlung mittelst Durchspülungen der Paukenhöhle von 
der* Tuba und ausgiebiger Irrigation vom Gehörgang aus wohl die Eiterung 
erheblich vermindert, den Fötor aber nicht beseitigt hatte, entschloss ich 
mich in der Annahme eines Eiterdepöts im Warzenfortsatz zur Eröffnung 
desselben, ohne dass zur Zeit bedrohliche Symptome bestanden hätten. Be¬ 
stärkt wurde ich in meiner Diagnose durch die Angabe der Patientin, dass 
sie seit Jahren fast täglich Kopfschmerzen in der linken Schläfengegend 
habe, ferner durch die bestimmte Versicherung der Umgebung der Kranken, 
dass früher selbst zu den Zeiten, wo die Eiterung sistirt hatte, ein un¬ 
erträglicher Fötor sich nie verloren habe, endlich durch eine an der Spitze 
des Warzenfortsatzes befindliche unscheinbare, aber mit dem Knochen ver¬ 
wachsene Narbe.“ 

Ueber Operation und verschiedene Complicationon, welche 
während der Nachbehandlung eintraten, kann ich hier Weggehen. 
Die Heilung wird November 1887 gemeldet. 

Die Epikrise von Dr. Stacke lautet: „Hier war also die von 
fachmännischer Seite jahrelang consequent durchgeführte Borpulver- 
behaudlung nicht einmal im Stande gewesen, den Fötor zu beseitigen, 
die Eiterung hörte jedes Mal nach kurz dauernder Anwendung des 
Pulvers auf, d. h. sie wurde cachirt, der Eiter konnte nicht durch 
die Borsäuremasse hindurch, dickte sich in Folge dessen ein, die 
Retention wurde aber übersehen trotz der fortwährenden Kopf¬ 
schmerzen etc.“ 

Nach dem Einblick, der sich uns hier aufthut, kann ich wohl 
dem Leser und mir das Eingehen auf die weiteren 7 Kranken¬ 
geschichten ersparen. Niemand, der die Gefahren der offenstehenden 
Paukenhöhle kennt, wird sich darüber wundern, dass, nachdem die 
Heilung des früheren Eiterungsprocesses bis zum 19. September 1884 
von mir festgestellt war, später wieder ein neues Recidiv durch 
äussere Schädlichkeiten auftrat, welches auch möglicherweise bereits 
eine längere Zeit vor December 1886 begonnen haben kann. Dass 
aber Dr. Stacke die genaue Information, welche ihm durch meinen 
Bericht geworden war, einfach verschweigt, und die Krankengeschichte 
gerade in Beziehung auf den hier allein entscheidenden Punkt, das 
Vorhandensein oder Fehlen des Fötors während der 2 l /4 Jahre der 
Operation vorangehenden Zeit, in welcher sie unter meiner Behand¬ 


lung stand, nach seinem Bedarf construirt, das mit dem gehörigen 
Ausdruck zu bezeichnen, überlasse ich dem Leser. Hier steht die 
Objectivität der Casuistik in Frage, welche die erste und wichtigste 
Voraussetzung aller klinischen Forschung bildet, und über deren 
Zuverlässigkeit wir gar nicht streng genug wachen können. 

Die Collegeu aber, welche noch nicht selbst mit den Wirkungen 
der Borsäurebehandlung sich vertraut gemacht haben, kann ich ruhig 
auf meine Statistik der Behandlungsresultate in den letzten 6 Jahren 1 ) 
hinweisen. welche sich über ein Material von 493 acuten und 1337 
chronischen Mittelohreiterungen erstreckt. 

Ich selbst habe hiermit mein letztes Wort in der Polemik 
über Borsäurebehandlung des Ohres gesprochen. 

VI. Die wichtigsten Vorkommnisse des Jahres 
1887 auf dem Gebiete der allgemeinen Patho¬ 
logie und pathologischen Anatomie. 

Von Prof. Dr. Ribbelt in Bonn. 

Nach den im vergangenen Jahre bei gleicher Gelegenheit (d. Woch. 
No. 4) geltend gemachten Gesichtspunkten stelle ich nachfolgend die wich¬ 
tigsten Erscheinungen des Jahres 1887 im Bereich der pathologischen Ana¬ 
tomie zusammen. Die in das Gebiet der Bacteriologie fallenden Arbeiten 
werden von anderer Seite besprochen und daher hier nicht berücksichtigt. 

Ich beginne auf dem Felde der allgemeinen Pathologie mit der 
Thrombose. Die Frage der Betheiligung der Blutplättchen an derselben 
steht im Wesentlichen noch auf demselben Standpunkt, bis zu welchem sie 
vor einem Jahre gediehen war. Zunächst sei angeführt, dass Eberth und 
Schimmelbusch (Yircli. Arch. 108 p. 359) ihre schon damals kurz be¬ 
rührten Untersuchungen über die Thrombose beim Kaltblüter genauer 
beschrieben haben, denen zufolge sie in spindeligen, kernhaltigen Elementen 
die Analoga der Blutplättchen erblicken, von denen jene sich nur ebenso 
unterscheiden wie die kernhaltigen rothen Blutkörperchen von den kernlosen. 
Die Spindeln sind es, wie die Plättchen beim Warmblüter, die sich zu 
Thromben zusamraenlagern, ohne dass hierbei weisse Blutkörperchen eine 
wesentliche Rolle spielten. Demgegenüber behauptet Löwit (Arch f. 
exp. Path. und Pharm. Bd. XXIII, p. I), dass jene Spindeln nichts anderes 
seien, als jugendlich e w eisse Blutkörperchen,und dass demgemäss 
der Thrombus sich vorwiegend aus Leukocyte» bilde. Er muss damit frei¬ 
lich einen anatomischen Unterschied zwischen der Thrombose beim Kalt- 
und Warmblüter constatiren, denn bei diesem bilden sich auch seiner Mei¬ 
nung nach die Thromben aus den Blutplättchen, nur dass er diese nicht 
für präformirte Bestandtheile. sondern für ausgefälltes Globulin hält 
(1. c und ih. XXIV p. 188). Er benutzte zu seinen Beobachtungen das 
Mesenterium jimger weisser Mäuse, in welchem zarte Blutgefässe fettfrei 
verlaufen. Auf dasselbe wurde indifferentes Oel gebracht, und so konnte 
mit starken Systemen untersucht werden. Er sah, dass unter diesen Ver¬ 
hältnissen im lebenden Blute keine oder nur äusserst wenige Blutplättchen 
circulirten. — Weigert (Fortschr. d. Med. 7) ist etwas ausführlicher auf 
seine schon im vorigen Jahre erwähnten Einwände zurüekgekomraen. Er 
betonte, dass man den anatomischen weissen Thrombus nicht ohne Wei¬ 
teres mit dem experimentell erzeugten identificiren dürfe. In jenem 
treffe man stets als wichtigste Bestandtheile Leukocyten und Fibrin, über 
dessen unerwartet grosse Menge eine neue von ihm angegebene Färbeme¬ 
thode (Fortschr. d. Med. 8) orientirt. Jedenfalls also seien in den mensch¬ 
lichen Thromben die Blutplättchen nicht die Hauptsache, womit aber nicht 
gesagt sein soll, dass nicht die ersten Anfänge der Throrabusbildung in 
einer, vielleicht eine nothwendige Vorstufe darstellenden Ablagerung von 
Blutplättchen beständen. Später bestehe der Thrombus jedenfalls aus ge¬ 
ronnenen Massen, sei also durch Coagulation und nicht durch Conglutination 
entstanden. Eberth und Schimmelbusch (Fortschr. d. Med. 15) treten 
diesen Ausführungen entgegen und betonen zunächst, dass die von ihnen 
experimentell gesetzten Bedingungen ganz den bei der Bildung von Throm¬ 
ben beim Menschen vorhandenen entsprächen, dass sie ferner bei Unter¬ 
suchung der letzteren einen principiellen Unterschied in der Zusammen¬ 
setzung nicht gefunden haben. Weitere Mitteilungen hierüber stellen sie 
in Aussicht. — Wie inan also sieht, sind bezüglich der Entstehung von 
Thromben noch zahlreiche Fragen zu lösen. 

Marchand hat die Wirkung der Chlorsäuren Salze auf das 
Blut einer erneuten Untersuchung unterzogen. Er hatte früher festgestelll. 
dass die Folge ihrer Einwirkung eine Umwandlung des O-Hämoglobins in 
Methämoglobin im Innern der rothen Blutkörperchen ist. wodurch diese zur 
Athmung unbrauchbar werden. Diese Ergebnisse hatten durch Stokvis 
eine Anfechtung erfahren, der behauptet hatte, dass die fraglichen Sub¬ 
stanzen nur dieselbe Wirkung entfalteten, wie sie allen anderen concentrirteu 
Salzlösungen zukomme. Marchand (Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. XXI11) 
hat nun eine grosse Reihe sorgfältiger Experimente angestellt und dadurch 
seine früheren Resultate gesichert. Er zeigte, dass schon ira lebenden Blute 
das Methämoglobin vorhanden ist, da es aus der angeschnittenen Arterie in 
der charakteristischen braunen Farbe ausströmt und auch eine entsprechende 
Verfärbung der Schleimhäute herbeiführt. An die Bildung derselben schliesst 
sich ein Zerfall der rothen Blutkörperchen, Hämoglobinurie und Methämo- 
globinurie an. Erfolgt dadurch noch nicht der tödtliche Ausgang, so kann 
er durch die ferner eintretende Verschliessung der Harnkanälchen mit ge¬ 
ronnenen Hämoglobinmassen bedingt sein. Die Differenz gegenüber Stok¬ 
vis beruht darauf, dass dieser Kaninchen benutzte, bei denen die Methä- 

') V. und VI. dreijähriger Bericht. Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. 
XXI und XXV. 


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16. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 131 


raeglobinbilduug nicht zu Stande kommt, während sie bei Hunden, die Mar- 
i band benutzte, regelmässig auftritt. Das Ausbleiben der Umwandlung des 
Hämoglobins bei Kaninchen wurde von Riess (Centrbl. für Physiol. 10) durch 
zahlreiche Versuche und von Bokai (Deutsche raed. Wochensrhr. 42) durch 
direkte spektroskopische Beobachtung der Ohrgefässe bestätigt. Letzterer 
glaubte daraus irrthümlich einen Einwand gegen Marchand ableiteu zu 
können. Cohn (Arch. f. exp. Path. u. Pharm. XXIV, p ISO) bemühte sich 
gleichfalls vergeblich, durch Modification der Versuchsanorduung (Verrin¬ 
gerung der Alkalescenz des Blutes, Auflösung eines Theiles der rothen 
Blutkörperchen) die Methämoglobinbildung bei Kaninchen hervorzurufen. 
I>agegen konnte er bei Hunden die Angaben Marchand’s bestätigen. 
I.enhartz (Deutsche med. Wochenschr. 43) zeigte dann noch durch Beob¬ 
achtung circulirenden Blutes bei Hunden, dass man die Gegenwart des Methä- 
inoglobins direkt spektroskopisch erkennen kann. 

Marchand bespricht in seiner Arbeit ausser manchen anderen Punkten 
mich die Entstehung von Icterus bei seinen Versuchstieren und führt den- 
'elbeu darauf zurück, dass aus den in grossen Mengen zu Grunde gehenden 
rothen Blutkörperchen in der Leber Galle in übermässiger Menge gebildet 
und resorldrt werde. Diese Erklärung des hämatogenen Icterus ist jetzt 
wohl die allgemein angenommene und wird auch durch Stadelmann (Arch. 
f. exp. Path. u. Pharm. XXIII, p. 427) befürwortet, der ihn durch Anwen- 
ihiug von Toluylendiamin hervorrief. Durch diese Substanz werden 
auch die rothen Blutkörperchen in grossen Mengen zerstört. 

Eine Reihe von Arbeiten beziehen sich auf die Frage der Entzün- 
uuug. Disselhorst (Fortschr. d. Med. 10) hat die Auswanderung 
der Leukocyten unter dem Einfluss einer Berieselung des Mesenteriums 
nach Vorgang anderer Forscher) mit Carbol, Salicvl, Chinin, Sublimat etc. 
nochmals geprüft und gefunden, dass nach anfänglicher Strombeschleunigung 
meist eine für die Emigration günstige Verlangsamung sich einstellt, dass 
aber trotzdem keine Auswanderung erfolgt. Er führt das Ausbleiben der¬ 
selben, da die Leukocyten in den Gefässen durch die Berieselung in ihrer 
Lebensfähigkeit nicht alterirt würden, auf eine Veränderung der entzündeten 
Wandung zurück, durch welche ein Anhaften der Zellen nicht oder nur 
schwer stattfindeu könne. Binz (Centralbl. f. klin. Med. 30) ist dieser Auf¬ 
fassung entgegengetreten. Er hält daran fest, dass jene Substanzen auf die 
Leukocyten selbst lähmend einwirken und so deren Lebensäusserungen be¬ 
schränken. — Ueber TheilungsVorgänge an Wanderzellen stellte 
Arnold (Arch. f. mikrosk. Anat. XXX.) ausführliche Untersuchungen an. 
Er brachte Hollundermarkplättchen in die Lymphsäcke von Fröschen und 
prüfte ihr Verhalten nach verschiedenen Zwischenräumen. Er fand in ihnen 
reichliche Wanderzellen, deren Vertheilungsproces.se er genau verfolgte. Sie 
gehen vorwiegend nach dem Typus der Fragmentirung vor sich, und durch 
sie können Riesenzellen sich bilden, wenn die Theilung des Protoplasmas 
ausbleibt. Die Wanderzellen können mannichfaltige Gestalt annehmen, und 
ihrer Betheiligung an der Bindegewebsbildung redet Verfasser das Wort. 
Marchand (Naturf.-Vers. Wiesbaden), der ähnliche Versuche mit Ein¬ 
bringung von Schwammstückchen, Partikeln injicirter menschlicher Lunge etc. 
in die Bauchhöhle anstellte, kam bezüglich des letzteren Punktes zu anderen 
Resultaten. Er führt die Entstehung des Granulationsgewebes ausschliess¬ 
lich auf die präexistirenden Gewebselemente zurück. Die Zellen des Peri¬ 
toneum oder des Netzes gerathen in lebhafte Proliferation durch mitotische 
kerntheilung und dringen in die Fremdkörper ein, die am ersten bis zweiten 
Tage von Fibrin und Wanderzellen durchsetzt sind. Aus letzteren gehen 
hauptsächlich durch Zusammenfluss Riesenzellen hervor, doch können wahr¬ 
scheinlich an der Bildung derselben auch andere Elemente sich betheiligen. 
Die grosskernigen Wanderzellen streben vor Allem die Resorption der 
Fremdkörper an. Sind diese leicht aufzusaugen (Lunge), so entstehen keine 
Kiesenzellen, sie bilden sich aber, wenn die Körper eine zu feste (’onsistenz 
haben (Schwamm). — Coön (Beitr. v. Ziegler u. Nauwerck II, p. 2!») 
studirte die Entzündung der Haut nach Einpinselung von Jod- 
tiuctur und sah reichliche Neubildung des Bindegewebes und Epithels. 
Lüeselbe geht durch lebhafte mitotische Processe der fixen Zellen 
»or sich, an der Bildung der Bindesubstanz scheinen sich jedoch auch 
•iie einkernigen Leukocyten zu betheiligen. — Hoffmann (Fortschr. d. 
Med.; «ah nach Aetzung der Hornhaut lebhafte Reparationsvorgänge 
•lurch karyokinetische Processe der fixen Hornhautzellen. Wir kommen 
damit zum Capitel der Regeneration. Zunächst fand ausführlichere 
Bearbeitung der Wiederersatz verloren gegangenen Drüsengewebes. Nur in 
v>lchen Drüsen ausgewachsener Thiere werden unter normalen Bedingungen 
F.pithelien stets neugebildet, in denen, sei es aus mechanischen (Darm- 
drnsen), sei es aus functionellen Momenten (Milchdrüsen) eine beständige 
Entfernung von Zellen stattfindet. Bei der physiologischen Thätigkeit der 
übrigen Drüsen dagegen werden keine Epithelien verbraucht und daher 
auch nicht neugebildet. Zu diesem Resultat kameu übereinstimmend 
Podwyssozki (Beitr. v Ziegler und Nauwerck II, p. 1) und Biz- 
rozero und Vassale (Virch. 110, p. 155). Ersterer sondirte die Rege¬ 
neration der Nieren, der Meibom'schen und Speicheldrüsen nach 
Nerletzung und fand dieselbe stets ausgehend von den zahlreiche Mitosen 
enthaltenden fixen Gewebselementen, die Proliferation der Epithelien führte 
zu einem mehr oder weniger vollkommenen Wiederersatz des zerstörten 
Drösengewebes. Die Zellwucherung wird angeregt durch die Verminderung 
des physiologischen Seitendruckes in Folge der künstlichen Entfernung 
eines Theiles der Drüsensubstanz. •— ln der Niere beobachtete Cornil 
gleichfalls reichliche mitotische Vorgänge nach chronischer Verabreichung 
von Cantharidin (Arch. de Phys. V, p. 71). — Die Regeneration der 
Milchdrüse prüfte Coen (Beitr. v. Ziegler und Nauwerck II, p. 83). 
Das Epithel und das Bindegewebe proliferirt nach Verletzungen sowie bei 
Entzündungen. Die Drüsenzellen werden auch in der Norm während der 
Thätigkeit der Drüse in die Alveolen abgestossen, werden hier zu Colostrura- 
körperehen und auf der Wand durch mitotische Vorgänge der noch fest¬ 
ritzenden Zellen ersetzt.— Coen (ib p. 107) untersuchte auch die Wieder¬ 
herstellung des Gehirngewebes nach Stichwunden und sah, dass 


alle zelligen Elemente« auch die Ganglienzellen, anfänglich Mitosen auf¬ 
weisen, dass aber an dem Schlüsse des Defectes sich nur die Bindegewebs- 
elemente betheiligen. — In ähnlicher Weise sah Ritsch I (Virch. Arch.) 
die Heilung von experimentell erzeugten Darmwunden lediglich durch 
Wucherung des angrenzenden Bindegewebes zu Stande kommen. Die 
glatten Muskelfasern proliferirten zwar auch in grossem Umfange, nahmen 
aber an der Ausfüllung der Wunde keinen Antheil. — Cornil (1. r. p 46) 
fand in den Riesenzellen des Knochenmarks Mitosen und führt auf sie die 
Bildung der zahlreichen Kerne zurück, die Arnold durch Fragmentirung 
j entstehen lässt. 

Auf dem Gebiete der Geschwülste beschäftigen sich zunächst einige 
Arbeiten mit den multiplen Fibromen, vor Allem mit Rücksicht auf 
| die von v. Recklinghausen für deren Ausgangsstelle geltend gemachten 
I Gesichtspunkte. Aus der Arbeit von Kriege (Virch. Arch. 108, p. 466) 

; sei hier nur erwähnt, dass er in einem Falle das Hervorgehen der zahl¬ 
reichen Fibrome aus dem Endoueurium deutlich nachweisen konnte. 
Charakteristisch für diese Genese ist die Dissociation, der Nervenfasern im 
Inneren der Tumoren durch das zwischen ihnen sich entwickelnde Ge- 
j schwulstgewebe. Die Nichtbetheiligung der bindegewebigen Scheiden der 
! Schweissdrnsen und Haarbälge dürfte auch daraus hervorgehen, dass ein 
I Fibrom der Zunge existirte, welches die gleichen Beziehungen zu einem 
! Nerven darbot. — Westphalen (ib. 110, p. 29) bestätigte die Angaben 
i v. Recklinghausen's gleichfalls. Sein Fall ist insofern von Interesse, 
als ein Fibrom in der Kniekehle sareomatös entartet war und Metastasen 
; in die Lunge gemacht hatte. — Philippson (ib. 110, p. 602) fand in 
i einem Falle keine Nervenfasern in den Tumoren und führte ihre Genese 
| aut die Scheiden der Gefässe zurück. Er ist der Ansicht, dass für die 
I multiplen Fibrome eine verschiedene l'rsprungsstätte angenommen werden 
I muss. 

Auf die melanotisehen Geschwülste beziehen sich zwei Arbeiten. Miura 
(Virch. Arch. 107, p. 250) stellte aus melanotisehen Geschwülsten von 
Pferden den Farbstoff rein dar und fand ihn nahezu übereinstimmend mit 
dem von Nencki und Berdez gewonnenen Hippomelanin. Er brachte die 
Substanz Kaninchen in die Bauchhöhle und sah nun den Farbstoff im Harn 
wieder erscheinen. Derselbe gab die gleiche Reaction, wie der Ham von 
I Menschen, die mit melanotisehen Tumoren behaftet sind. — Nencki und 
| Sieber (Arch. f. exp. Path. u. Pharm. XXIV) kamen durch weitere Unter- 
| suchungen zu dem Ergebniss, dass der beim Menschen vorkommende Farb- 
] stoff nicht stets derselbe ist, also nicht stets das sogenannte Phymatorhusin 
1 darstellt. 

Pinders (Dissert. unt. Leit. d. Ref.) untersuchte 2 Dermoidcysten 
! des vorderen Mediastinums und leitete sie nach dem Vorgänge von Mar- 
■ chand aus der ursprünglich epithelialen Thymus ab. In einem Falle lag 
! die Cyste in einem grossen Sarcom, für welches die Entwickelungsstätte 
| gleichfalls in der Thymus zu suchen ist, in dem anderen war sie in Ver- 
| bindung mit einem Gewebsstrange, der als restirende Thymus aufzu- 
I fassen war. 

Baumgarten (Virch. Arch. 107, p. 515) beobachtete in einer complicirt 
zusammengesetzten Dermoidcyste desOvariums zweiaugenähnlicho 
Bildungen. Die eine gegen das Innere der Cyste durch eine hornhaut- 
ähnliche, uhrschalenförmig gekrümmte Membran abgegrenzt, enthielt einen 
runden, kirschkerngrossen, mit einem regelmässigen Pigmentepithel ausge- 
i kleideten Raum und war eingebettet in typisches Hirngewebe. Die andere 
war etwas unregelmässiger gestaltet. Der Befund schliesst sich an einen 
i früher von Marchand erhobenen, nicht ganz so typisch ausgebildcten an. 

| — Tauffer (ib. p. 505) fand in einer gleichfalls dem Ovarium angehörigen 
I Dermoidcyste ein Gebilde, welches makroskopisch und mikroskopisch 
grosse Uebereinstimmung mit einer Mamma zeigte. 

Aus dem Capitel der Missbildungen sei zunächst hingewiesen auf 
eine Mittheilung von Brunner (Virch. Arch. 107. p. 494). Er sah bei 
einem 20jährigen Menschen über der Lendenwirbelsäule eine Entwickelung 
langer Haare und fand, dass die Stelle einer Spina bifida occulta ent¬ 
sprach. Man konnte hier einen Defect des hinteren Umfanges der Wirbel- 
1 säule constatiren, wie denn bekanntlich solche umschriebenen Behaarungen 
den Verdacht auf jene Missbildung erwecken. Der Patient litt an einem 
! Ulcus perforans pedis des rechten Fusses und zwar am Stumpfe des Kusses, 
denn wegen eines gleichen l'lcus war die vordere Fusshälfte bereits am- 
putirt. Klebs untersuchte den nochmals amputirten Fuss und fand, dass 
die Entstehung des Ulcus perforans eingeleitet wird durch eine Granulations- 
i hyperplasie des Gewebes, welches dann in Folge mechanischer Insulte zer- 
! fällt. Die Nerven der Extremität waren durch hyperplastische Neuritis 
verändert. — Boerner (Dissert. unter. Leit. v. Marchand) untersuchte 
genau ein Kind mit Phocomelie. Er führte die Missbildung aus nicht im 
1 Einzelnen zu besprechenden Gründen darauf zurück, dass die knorpeligen 
] Knochenanlagen ursprünglich ausgebildet waren, dann aber durch äussere 
Einwirkung in der weiteren Entwickelung gehemmt wurden. — Ger lach 
, (Festschr. für v. Zenker) konnte direkt mit der Lupe beobachten, wie die 
vordere Verdoppelung der Keimscheibe eines Hühnereies durch gabelige 
Theilung des vorderen Endes des Primitivstreifens zu Stande kam. — 
i Gun ekel (Diss. unt. Leit. v. Marchand) theilte einen Fall von Pseudo- 
! hermaphroditismus feminiuus completus bei einem erwachsenen 
Menschen mit. Neben Uterus, Scheide, Ovarien fand sich eine Prostata. 
; ein Penis mit Hypospadie und ein allgemeiner männlicher Habitus. 

Im Bereich der speciellon pathologischen Anatomie beginne 
i ich mit dem Verdauungsapparat. Lewy beschrieb (Berl. klin. Wochensehr. 4) 
1 zunächst einen neuen Fall von totaler Atrophie der Magen- 
; Schleimhaut bei gleichzeitig bestehendem carcinomatösen Geschwür. — 
Auch v. Kahlden (Centralbl. f. klin. Med 16) sah bei eiuer 60jährigen 
Frau, ohne Carcinom, eine beträchtliche, derbe Verdickung der Wand des 
kleinen Magens und eine Verminderung oder völlige Atrophie der 
Drüsen desselben. Diese waren durch ein zellreiches Bindegewebe ersetzt. 
Aetiologisch blieb der Fall unklar, die Symptome waren denen des Magen- 


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132 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No 7 


krebses ähnlich. C h i a r i (Prag. ined. Wochenschr. 48) theilte einen 
interessanten Fall von Darmsocclusion mit. Die Spitze eines Meckel'schen 
Divertikels war mit dem Ende des Wurmfortsatzes durch einen Strang ver¬ 
wachsen. Eine Zerrung des Divertikels durch eine unter ihm verlaufende 
stark gefüllte Jejunumschlinge führte zur Abknickung des Darmes, aus dem 
es entsprang. — Strauss und Bloc<| (Arch. de phys. 7) studirten experimentell 
die Einwirkung des per os verabreichten Alkohols auf die Leber und 
sahen entzündliche Processe des Bindegewebes als erste Erscheinung auf- 
treten. Krönig (Virch. Arch. 110 p. 002) fand bei chronischer Darreichung 
von Phosphor zuerst Nekrose der Leberzellen, dann erst Zunahme des 
Bindegewebes, überträgt aber dieses Verhältnis» nicht auf alle anderen Fälle, 
sondern lässt z. B. bei Alkohol auch das Bindegewebe zuerst sich ver¬ 
ändern. 

Beim Circulationsapparat findet zunächst das Herz Besprechung, 
v. Langer (Virch. Arch. 4G5) suchte die Beziehung der Gefässe der 
Herzklappen bei Endocarditis zu dieser selbst festzustellen. Er 
kommt zu dem Ergebniss, dass dieselben im Anschluss an die entzündlichen 
Processe neugebildet seien, da die normalen Zipfelklappen nur so weit 
Gefässe enthielten, als Muskelfasern von der Ansatzlinie her in sie ein¬ 
träten, die Semilunarklappen aber ganz gefässlos seien. Die (iefässe könnten 
also nicht für einen embolischeu Ursprung der Endocarditis in Anspruch 
genommen werden. — Sternberg (Diss. mit. Leit. v. Marchand) unter¬ 
suchte eine Reihe von Fällen frischerer und älterer Myocarditis und 
konnte die Beziehung ihrer Genese zum Verschluss oder zur Verengerung 
der Coronar arterien darthun. — Ep p in ge r schrieb eine ausführliche 
Monographie (Berl. Hirschwald) über die Aneurysmen, über die dem¬ 
nächst in dieser Wochensehr, genauer berichtet werden soll. Er besprach 
die congenitalen Aneurysmen, die auf einer angeborenen Defectbildung der 
Elastica beruhen, nicht besonders häutig sind und u. A. als Periarthritis 
nodosa beschrieben wurden. Auf eine Unterbrechung der elastischen Wand- 
bestandtheile sind auch die parasitären Aneurysmen, darunter auch die 
Wurmaueurysoien der Pferde zu beziehen. Das Aneurysma simplex ist auf 
traumatische Momente, auf eine Zerreissung der elastischen und muskulären 
Gefässwandschichten zurückzuführen. Die Monographie ist sehr eingehend 
und durch zahlreiche Beispiele und viele Tafeln illustrirt. — E. Grawitz 
(Virch. Arch. 110 p. 426) sah 2 eigenartige Fälle von Pulmonal¬ 
in sufficienz bei Fehlen der einen Klappe. Es bestanden gleichzeitig 
Aneurysmen der Aorta, und eins derselben hatte durch Druck auf die 
Pulmoualis die eine Semilunarklappe an die Wand auf Grund entzündlicher 
Processe festgeheftet. In dem einen Fall war die angelüthete Klappe noch 
zu erkennen, in dem anderen fehlte sie ganz. Er sah ferner einen Fall 
von Embolie eines Astes der Arteria mesaraica superior und eine 
Thrombose der gleichen Seite mit hämorrhagischer Infarcinuig des Ver¬ 
zweigungsgebietes. — Epstein untersuchte (Virch. Arch. 108. p. 105 u. 239) 
die Venectasieen nach den von Thoma für die Arterien geltend gemachten 
Gesichtspunkten, denen zufolge die Verdickung der Intima eine Compensation 
und Ausgleichung für die Erweiterung des Gefässlumens darstellt. Er konnte 
diese Anschauung für die Venen gleichfalls durchführen. — Heuking und 
Thoma prüften die Substitut ion des marantischen Thrombus durch 
Bindegewebe (Virch. Arch. 109 p. 288). Sie sahen, dass in dem 
schrumpfenden Thrombus spaltförraige Räume entstehen, die sich von dem 
freien Gebiet des Gefässes her mit Blut füllen und von der Intima desselben 
aus mit Endothel ausgekleidet werden. Dieses wuchert dann in den 
Thrombus hinein, bildet Bindegewebe und Gefässe. Andere Capillaren ent¬ 
stehen aus den Schlingen der Gefässwaud an den Stellen, wo der Thrombus 
der Wand anhaftet. Beide Gefässbezirke gehen Anastomosen ein. — 
Böttcher (Beitr. v. Ziegler u. Nauwerck VI, p. 199) prüfte da> 
histologische Verhalten der Gefässwaud und des Blutes bei 
doppelter Unterbindung der Gefässe. Das Blut bleibt hier wochen¬ 
lang flüssig, die rothen Blutkörperchen lange unverändert, während die 
weissen allmählich einer fettigen Degeneration verfallen. Das Endothel 
wuchert in der Nähe der Unterbindungsstellen, und einzelne abgelöste Eudo- 
thelien finden sich im Blute wieder. Ebenso proliferirt das Bindegewebe 
in der Umgebung des Gefässes besonders nahe den Unterbindungen. — 
Bostroem besprach (Festschr. f. v. Zenker) die Heilung des Aneurysma 
dissecans. Aus der ausführlichen Arbeit sei nur hervorgehoben, dass, 
wenn das Blut, nachdem es sich in die Schichten der Media eingewühlt 
hat, wieder durch neue Oeffnungen mit dem Innern des Gefässes in Ver¬ 
bindung tritt, der so gebildete Canal sich mit einer Intima auskleidet und 
so regelmässig von Blut durchflossen werden kann, dass man eine congenitale 
Verdoppelung vor sich zu haben glaubt. Diese an sich ja nicht neuen 
Thatsachen werden durch viele genau untersuchte Beispiele illustrirt. 

Respirationsorgane. Dennig (Beitr. v. Ziegler u. Nauwerck. 
II. p. 101) beschrieb 2 Fälle von Knochenbildung in der Trachea. 
Die Knochen hatten sich in Gestalt von Platten in der Mucosa gebildet und 
bestanden aus Balken nach Analogie des spongiösen Knochens. In beiden 
Fällen waren zahlreiche solche von Epithel überzogene Kuochenplatten vor¬ 
handen. Sie standen mit den Knorpeln nicht in Zusammenhang. 

Heller (Festschr. f. v. Zenker) besprach im Zusammenhang die 
Luugenerkrankungen bei augeborener Syphilis. Dieselben treten 
auf einmal als sogenannte weisse Pneumonie bei todtgeborenen oder lebens¬ 
unfähigen Kindern. Sie besteht anatomisch in einer Ausfüllung der Alveolen 
mit meist fettig entarteten Epithelien. Die zweite Form der Erkrankung 
ist die interstitielle mit Zunahme des Bindegewebes der Septa, zelliger 
Infiltration derselben und mit Vermehrung der Capillaren. Höhere Grade 
machen auch hier das Leben unmöglich, geringere Grade lassen lange 
Störungen, insbesondere Neigung zu allerlei Lungenerkrankungen zurück. 

Harnorgane. Die Veränderungen der Nieren durch Galle 
und gallensaure Salze untersuchte Werner (Arch. f. exp. Path. u. 
Pharma. XXIV, p. 31.) Er sah Quellung der inneren Zellabschnitte der Tubuli 
contorti und Ablösung derselben, jedoch seien diese Erscheinungen vielleicht 
zum Theil Kunstproducte durch die Härtung der Osmiumsäure. Er fand 


ferner Quellung der hellen Epithelien der geraden Canälchen und im Lumen 
verschiedene Formen von Cylindern. 

Albertoni undPisenti (ib. XXIII, p. 393) experimentirten mit Acet- 
essigsäure und Aceton. Sie fanden Zerstörung, granuläre Degeneration 
und Desquamation des Epithels, ferner homogene Entartung auf der Grenze 
von Rinde und Mark, wie sie in Folge von Glycogeneinlagerung bei Diabetes 
beobachtet wird. Bei den Versuchen mit Aceton war aber kein Glycogen 
betheiligt und trat auch nicht bei Einführung desselben in Substanz auf. 
Strauss (Arch. de phys. 5, p. 76) beschrieb drei Fälle derartiger Glycogen- 
infiltration bei Diabetes. Kruse (Virch. Arch. 109, p. 193) studirte den 
Bürstensaum der Harncanälchenepithelieu, wie er physiologisch oft zur 
Beobachtung kommt. Eine Beziehung zu pathologischen Zuständen scheint 
er nicht zu haben. — Hansemann (Virch. Arch. 110, p. 52) theilt seine 
Beobachtungen über die Glomerulitis mit. Eine Wucherung des Endothels 
der Capillaren des Glomerulus kommt nicht vor. Die betreffenden Angaben 
beruhen auf unzureichender Präparation, auf Täuschungen über die Lage 
der Kerne, sowie auf Verwechselung mit den Kernen der Leukocyten, die 
oft reichlichst in Gefässkernen sich ansammeln und, der Wand anliegend, 
mit Endothelien verwechselt werden können. 

Generationsorgane. Bauingarten lieferte die Beschreibung von 
vier Vaginalcysten (Virch. Arch. 107, p. 528), die ander vorderen seit¬ 
lichen Wand der Vagina lagen und Pflaumen- bis Kleinapfel-gross waren. 
Sie waren mit Cylinderepithel ausgekleidet. Verf. leitet sie von den Gärt¬ 
nerischen Gängen ab und findet eine Stütze für seine Ansicht darin, dass 
in einer Cyste sich an umschriebener Stelle Plattenepithel fand, welches 
nicht wohl durch eine Metamorphose des Cylinderepithels entstanden sein 
kann, sondern darauf bezogen werden muss, dass ja das Epithel der Gart- 
ner'schen Gänge an der Mündung in Plattenepithel übergeht. — Huber 
(Virch. Arch. 108, p. 124) beschrieb eine Verdoppelung des Uterus 
mit Carcinom des Cervix und wollte dies Zusammentreffen nicht als 
zufällig auffassen, sondern dachte daran, dass das Carcinom sich in Folge 
einer bei der Missbildung des Uterus gleichzeitig vor sich gegangenen 
abnormen Anlage des Epithels entwickelt habe. — Chiari (Zeitschr. für 
Heilk. VIII) sah bei Tubenkatarrheu nahe dem Uterus in vielen Fällen 
bohnengrosse Verdickungen der Tuben, die sich veranlasst erwiesen durch 
Hypertrophie der Muscularis, Wucherung des Epithels der Schleimhaut in 
die Tiefe bis in die Muscularis und Bildung kleiner Cystchen aus den 
Epithelsprossen. Orthmanu (Virch. Arch. 108, p. 165) beobachtete 
ähnliche Wucherungen des Epithels bei katarrhalischer Entzündung der 
Tubenschleimhaut. — Kapuste (Dissert. München) konnte Mittheilung 
machen über 3 Fälle von primärem Carcinom der Prostata, welche-? 
nur selten beobachtet wurde. Die Symptome sind anfangs die einer 
Prostatahypertrophie, erst Blut im Ham, Kachexie. Metastasen lassen Carci¬ 
nom vermuthen. — v. Kahl den (Münch, med. Woch. No. 31) beschrieb 
ein Myxosarcom eines in der Bauchhöhle zurückgebliebenen Hodens mit 
Metastasirung. Der Befund ist gegenüber der häufigen Entartung des 
Leistenhodens ein seltener. 

VII. Feuilleton. 

Briefe aus London. 

Innerhalb der letzten Monate hat man sich hier viel mit neuen 
Anwendungen der Elektrolyse für gewisse chirurgische und gynäko¬ 
logische Zwecke beschäftigt, und besonders hat die von Apostoli 
in Paris geübte Behandlung der Myome des Uterus viele Freunde 
und Widersacher gefunden. Für heute will ich jedoch die Auf¬ 
merksamkeit Ihrer Leser auf die elektrolytische Behandlung 
der Thränenfisteln lenken, welche neuerdings von Steavenson 
und Jessop ausgeübt ist. Die Schwierigkeit, hartnäckige Fälle 
von Epiphora zu heilen, welche von Verstopfung in den Thränen- 
canälen herrührt, ist nur zu wohl bekannt. Adstringirende Mittel. 
Sondiren und die hin und wieder geübten Operationen sind oft eher 
nachtheilig als nützlich. .Te feiner der Caual, desto grösser ist die 
Schwierigkeit solcher Operationen. Die Anwendung kaustischer Al¬ 
kalien in der Behandlung der Harnröhrenstricturen ist aufgegeben 
worden, weil man die Einwirkung des Aetzmittels nicht genau genug 
localisiren konnte. Die Elektrolyse dagegen steht vollständig und ab¬ 
solut unter der Controle des Operateurs und kann auf den kleinsten 
Punkt localisirt werden; ebenso ist die Dauer und der Grad der 
Kauterisation aufs Genaueste durch die Stärke des angewandten 
Stromes und die Länge der Zeit, welche man ihn fliessen lässt, zu 
bestimmen. 

Die Stromstärke, welche gebraucht wurde, variirte von 2 bis 
4 Milli-Amperes, was vollkommen hinreicht, um irgend eiuen ver¬ 
engerten Thränencanal zu erweitern. Eine Platinsonde, welche dünn 
genug ist, um in den Thränenpunkt zu gehen, wird in den Ductus 
naso-lacrymalis eingeführt. Dieselbe wird durch eine Schraube mit 
dem negativen Pol der Batterie in Verbindung gesetzt, während eine 
flache Anode, wohl befeuchtet, am Nacken applicirt wird. Die Er¬ 
weiterung des Canals wird in einer halbeu Minute bewerkstelligt. 
Etwas Schaum (von Wasserstoff herrührend) kommt am Punctum 
zum Vorschein. Das leichte Brennen, welches die Operation verur¬ 
sacht. wird von dem Patienten leicht ohne Anästhesie ertragen, be¬ 
sonders wenn man ihm vorher sagt, dass die ganze Sache unr eine 
halbe Minute dauert. Die Gegend des Punctum, des inneren Canthus 
und der Haut erscheint’ ein paar Stunden nach der Operation leicht 
congestionirt. Man muss sich hüten, den positiven Pol inwendig 


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16. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


133 


zu gebrauchen, da derselbe bekanntlich Eiweiss zum Gerinnen bringt 
und die Sonde sich deshalb inwendig fixiren würde. Mit dem ne¬ 
gativen Pol wird die Sonde schon innerhalb ein paar Secunden 
leichter beweglich, und lässt sich nach der Operation eine dickere 
Sonde bequem einführen. In zehn aufeinander folgenden Fällen 
war der Erfolg sehr gut, obwohl allerdings noch nicht Zeit genug 
verflossen ist, um zu wissen, ob die Besserung permanent sein wird. 

Vor einiger Zeit theilte ich Ihnen Untersuchungen von Dr. Klein 
mit welche darauf hinzudeuten schienen, dass das Scharlach¬ 
fieber beim Menschen dieselbe Krankheit sei, welche als ein Aus¬ 
schlag an den Eutern der Kühe vorkoramt. Klein beschrieb einen 
Mikrococcus, den er bei beiden Krankheiten erhalten und cultivirt 
hatte, und nannte ihn den M. scarlatinae. Die englischen Thier¬ 
ärzte erklärten sich jedoch bald nach der Veröffentlichung dieser 
Forschungen fast einstimmig gegen die Ansicht Klein’s und be¬ 
haupteten, dass, wenn wirklich ein causaler Zusammenhang zwischen 
zwei so häufigen Krankheiten existirte, derselbe sich schon lange 
vorher herausgestellt haben würde. Weitere Untersuchungen von 
Edington und Thin sprachen gleichfalls gegen die Klein’sche 
Theorie, und ganz kürzlich hat Trof. Crookshank im Aufträge der 
Regierung die Sache weiter verfolgt und ist zu dem Schlüsse ge¬ 
kommen, dass die betreffende Krankheit der Kühe mit den Jenner¬ 
seben Kuhpocken identisch ist. Zur Zeit der Jenner’schen Ent¬ 
deckung waren die Kuhpocken in England, auf dem Continent und 
in Nord- und Süd-Amerika gar nicht selten. Neuerdings jedoch war 
die Regierung genöthigt, Kälberlymphe aus dem Haag und Bordeaux 
kommen zu lassen, da sich dieselbe in England nicht auftreiben 
liess. Crookshank hatte verschiedentlich Gelegenheit, diese Krank¬ 
heit bei Kühen zu studiren; die wichtigste davon war eine Epidemie 
bei einer aus 160 Kühen bestehenden Herde. Die Leute, welche mit 
dem Melken dieser Herde beschäftigt waren, erzählten, dass die 
Krankheit mit einer Schwellung der Euter anfinge, welche sehr heiss 
und empfindlich wurden, so dass die Kühe sich nicht gern melken 
Hessen; zuweilen wurden die Kühe beim Melken so wild, dass es 
nöthig war, ihnen die Beine zusammenzubinden. Es erschien dann 
rine kleine weisse Blase am Euter, welche so gross wurde wie eine 
Erbse oder noch grösser und beim Melkeu platzte. Es bildete sich 
dann eine wunde Stelle, welche mit einem Häutchen bedeckt wurde. 
Unter dem Häutchen bildete sich Eiter, und da die Häutchen beim 
Melken gebrochen wurden, kam Blut und Eiter heraus und mischte 
sich mit der Milch. In 4 bis 5 Wochen war Alles vorüber. 

Diese Krankheit wurde auf eine Anzahl der Melker übertragen. 
Die Symptome waren ziemlich dieselben, zeigten sich besonders an 
den Fingern und der Hand; auch war Anschwellung des Armes 
and der Axillardrüsen gewöhnlich. Die Milch der betreffenden 
Kühe wurde theilweise auf dem Dorfe und dessen Umgebung, und 
theilweise in einer benachbarten grösseren Stadt getrunken, doch 
gab es nirgendwo Scharlachfieber. In einem ganz frischen 
Falle, den Crookshank zu sehen bekam, konnte er sich über¬ 
zeugen, dass die Krankheit die richtigen Jenner’schen Kuhpocken 
war. Der sog. Mikrococcus Scarlatinae findet sich in der Tbat nicht 
nur in der Lymphe der Kuhpocken, sondern auch bei Diphtheritis, 
Erysipelas, Puerperalfieber, acuter Eiterung, Scharlachfieber, schlecht 
aufbewahrter Milch, und wahrscheinlich auch in der sog. Maul¬ 
and Klaaenfäule. Derselbe ist daher wohl nur als ein Mikrococcus 
anzusehen, welcher, wenn er cultivirt und auf gesunde Thiere 
übertragen wird, im Stande ist septische Entzündung zu erregen. 
Solche septische Complicationen können ebenso gut bei Kuhpocken 
wie bei Scharlach u. a. fieberhaften Krankheiten Vorkommen, dass 
dieser Mikrococcus zuweilen bei Scharlach gefunden wird, rührt 
wahrscheinlich daher, dass in bösartigen Fällen, mit starker Ulce- 
ration des Kehlkopfes, das Blut nicht im Stande ist, die Invasion 
der Mikrococcen von der oberflächlichen Läsion aus zu verhindern. 

Als praktisches Resultat dieser Untersuchungen würde sich 
heransstellen, dass die Behörden auf strenger Isolirung der er¬ 
krankten Thiere bestehen sollten, um die Infection der ganzen 
Heerde zu verhüten. Da die Milch durch Blut, Eiter, nnd Abson¬ 
derung von den Eutern verunreinigt wird, muss man darauf sehen, 
dass nur die Milch der gesunden Kühe verkauft werde. Man 
würde dadurch den Thieren viel Schmerzen ersparen, grössere Rein¬ 
heit der Milch erreichen, und auch Impfstoff zum Gebrauch des 
Publikums erhalten können. 


VIEL Referate und Kritiken. 

Fürbringer. Masern. Eulenburg’s Realencyclopädie Bd. XII. 
Wien, Urban & Schwarzenberg, 1888. Ref. A. Baginsky. 
Fürbringer giebt in gedrängter Kürze eine durch eigene Er¬ 
fahrungen ergänzte Darstellung unserer augenblicklichen Kenntnisse 
über das Masernexanthem. Nach einer kurzen historischen Skizze 
giebt Verf. in der Aetiologie der Vermuthung Raum, dass die Mor¬ 
biden durch einen bisher allerdings noch nicht nachgewiesenen 


Mikroorganismus oder durch das von einem solchen erzeugte Virus 
geschaffen werden. Er weist auf die bisherigen, dahin bezüglichen 
Mittheilungen von Lumbroso und Leyden hin, nach welchen ein 
sehr kleiner Coccus möglicherweise die Ursache der Masern abgiebt. 
Die Masern sind schon in dem Prodromalstadium infectiös und 
augenscheinlich sind die von den Schleimhäuten ausgehenden Ex- 
halationen die Träger des Infectionsstoffes. Verschleppung durch 
Mittelspersonen findet nicht statt, wenn nicht sehr rasch aufeinander 
folgende Berührungen von Masernkranken und Gesunden durch die 
ungereinigte Hand von Mittelspersonen dazu gerechnet werden sollen. 
Die Disposition zu Morbillen ist ausserordentlich verbreitet, ebenso¬ 
wohl bei Erwachsenen wie bei Kindern, wie die bekannten Epi- 
demieen auf den Färöer Inseln, den Fidji-Inseln, in Island und 
Guernsey bewiesen haben. Die Epidemieen treten in abgelegenen 
Orten in der Regel in 2—5jährigen Perioden auf, während die 
Krankheit in grossen Städten endemisch ist. — Es folgt eine kurze 
Schilderung der anatomischen Veränderungen der Haut und der 
Schleimhäute, in welcher die jüngste Arbeit von Tobeitz (Archiv 
f. Kinderheilk.) noch keine Berücksichtigung finden konnte. — Im 
Verlaufe zeigt das Incubationsstadium im Mittel eine Dauer von 
10 Tagen, zumeist 9 und 8 Tage, selten 11 und 12 Tage; es folgt 
das exanthematische Stadium mit einer Durchschnittsdauer von 
3 Tagen, den bekannten katarrhalischen Erscheinungen auf Nasen¬ 
schleimhaut und Conjunctiven und dem Ausbruch des Exanthems 
auf der Pharynxschleimhaut. Die Temperatur, während dieses Sta¬ 
diums angestiegeu, sinkt um l —20, wird indess alsbald von einer 
erheblichen Steigerung der Temperatur gefolgt, mit welcher sich die 
3. Periode, diejenige des Hautexanthems einleitet. Das Exanthem 
wird als Fleckenausschlag geschildert mit intacten blassen Zwischen- 
partieen, und die Haut als mit „rotherTinte bespritzt“ bezeichnet, im 
Gegensätze zum Scharlach, wo die Haut wie bestrichen erscheint. 
Unter den Anomalieen des Exanthems wird unter anderen auch 
die vesiculöse Form des Ausschlags erwähnt. Gelegentlich der 
Desquamation erwähnt Verf. die Diazoreaction im Harn und hätte 
wohl auch der Acetonausscheidung Erwähnung tliun können. — 
Unter den Complicationen betout Verf. die schweren toxischen Masern, 
„durch die ausserordentliche Menge der giftigen Ausscheidungs- 
producteder pathogenen Mikroorganismen, mit dem löslichen (noch un¬ 
bekannten) Masern ptomaiu“ zuStande gebracht, die sich durch schwere 
Nervensymptomeund hämorrhagische Erscheinungen äussern, weiterhin 
werden ulcerative Laryngitis, subchordale Larynxschwellungen, La- 
rynxeroup, Capillarbronchitis, Katarrhalpneumonie, chronische inter¬ 
stitielle Pneumonie, käsige Processe, Lungenschwindsucht, Pleuritis, 
schwere Stomatitis ulcerosa, Enteritis, Brechdurchfall, Erkrankungen 
der Augen und Ohren, Albuminurie, Meningitis, Noma, Pemphigus, 
Phlegmonen hervorgehoben. — Wichtig ist, was Verf. über die Pro¬ 
gnose sagt; nach ihm und aller erfahrenen Beobachter Aussagen sind 
die Maseru eine sehr ernste Erkrankung, wenngleich dieselben in den 
Altersstufen nach dem 3. Lebensjahre bis zu einer gewissen Grenze 
nach der Pubertät hin eine relativ günstige Prognose geben; ganz 
besonders gefährlich sind die Masern wegen ihrer vielen Complica¬ 
tionen und der langwierigen Nachkrankheiten. Die Mortalität ist 
in den einzelnen Epidemieen und je nach Beschaffenheit der be¬ 
fallenen Bevölkerung sehr verschieden von 3,30/o— 8 %—8,1%, wenn¬ 
gleich auch bis 25% beobachtet sind. — Für die Therapie spricht 
sich Verf. für allgemeine hygienische Maassnahmen aus, verwirft 
auch die oft gegebenen Expectorantien, an deren Stelle er Wein 
und kalte Uebergiessungen im warmen Bade gesetzt wissen will. — 
Für die Prophylaxe wird der Isolirung der Erkrankten und dem 
frühen Ausschluss von der Schule das Wort geredet. 


Piokering Pick. Fraoturen und Luxationen. Deutsche autori- 
sirte Ausgabe von W. Kindervater. Mit 93 Abbildungen. Leipzig, 
Arnoldi’sche Buchhandlung, 1887. Ref. Emil Senger. 

Vorliegendes, durch seine gefällige Form, Uebersichtlichkeit und 
schöne Ausstattung sich auszeichnende Werk zerfällt in 4 Abschnitte. 
Der erste behandelt die allgemeine Pathologie der Fracturen, der zweite 
die speciellen Fracturen, der dritte die allgemeine Pathologie der 
Luxationen, der letzte endlich die speciellen Luxationen. Das reiche 
Material des St. Georgs-Hospitals hat meist immer zum Vorbilde ge¬ 
dient, und so hat der Autor seine eigenen Ansichten über die 
Vorzüglichkeit einer Methode gegeben, was sicher ein Vortheil des 
Buches ist. Freilich ist darum auch besonders die deutsche Lite¬ 
ratur sehr wenig vertreten. Zur schnellen Orientirung tragen die 
zahlreichen, durchweg gut gelungenen Abbildungen vorzüglich bei 
und werden dem beschäftigten Praktiker von grossem Nutzen sein. 


Ferdinand Arlt. Meine Erlebnisse. 144 S. Wiesbaden, 
J. F. Bergmann, 1887. Ref. Horstmann. 

Vorstehendes Werk enthält die Selbstbiographie des hervor¬ 
ragenden Ophthalmologen, welche er auf Veranlassung 0. Becker’s 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


verfasst hat. Sie giebt uns ein vorzügliches Bild des in Armuth 
und Dunkelheit geborenen Mannes, der an hervorragender Stelle 
eine Leuchte der Wissenschaft und Humanität geworden ist. Im 
letzten Capitel beschreibt Becker die letzten Lebensjahre Arlt’s, 
seine Krankheit und seinen Tod. 

Nicht nur deu Schülern und Freunden Arlt’s, auch weiteren 
Kreisen wird die Selbstbiographie eine werthe Erinnerung an den 
Altmeister der Ophthalmologie sein. 


IX. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 6. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden. Schriftführer: Herr Fraenkel. 

Das Protocoll der vorigen Sitzung wird verleseu und ange¬ 
nommen. 

Vor der Tagesorduung erhält das Wort: 

1. Herr Fraentzel: Ueber die Behandlung der Lungen- 
tuberenlose mit G-uajakol. (Die Mittheilungen des Herrn 
Fraentzel sind an anderer Stelle dieser Nummer veröffentlicht. 

2. Discussion über die Demonstration des Herrn Martius: Bin 
Pall von Tabes dorsalis. (Die Discussion wird im Anschluss an 
den später in extenso zu veröffentlichenden Fall zum Abdruck 
gelangen). 

3. Discussion über den Vortrag des Herrn Oppenheim: Wie 
sind diejenigen Fälle von Neurasthenie aufeufassen, welche 
sich nach Erschütterungen des Bückenmarks, insbesondere 
Eisenbahnunfällen entwickeln? (Die Discussion wird ebenfalls 
später im Anschluss an den Vortrag veröffentlicht werden). 

4. Herr Landgraf stellt einen Patienten vor, welcher an 
einer wohlbekannten aber in Berlin bisher wenig beobachteten 
Affection leidet, an chronischem Merourialismus. 

Der 26jährige Mechaniker P. Wolff stammt aus gesunder 
Familie und war bisher nie erheblich krank. Wegen hochgradiger 
Myopie ist der starke, muskulöse Mann nicht Soldat geworden. 
Seit Mai 1887 arbeitet er in einer Fabrik, in welcher Glühlicht¬ 
larapen angefertigt werden. Er selbst ist mit „Carbonisiren“ d. h. 
mit dem Einführen und Abglühen des Kohlendrahts beschäftigt. 
Die Glaskugeln der Lampen werden mit einer Quecksilberluftpumpe 
luftleer gemacht. Oberhalb seines Arbeitstisches läuft ein dicker 
Gummischlauch, der metallisches Quecksilber enthält. Aus einem 
kleinen Loch dieses Schlauches spritzte fortwährend Quecksilber 
auf den Arbeitstisch und zwar so viel, dass der Kranke öfter in 
den Taschen seiner Kleidung Quecksilberkügelchen fand, und ein 
Blechgefäss, aus welchem er seinen Kaffee zu trinken pflegte, im 
Laufe der Zeit völlig mit Quecksilber sich überzog, so dass es wie 
Silber glänzte. Wegen Mangels an Zeit und Ueberhäufung mit 
Arbeit war der Kranke genöthigt, sein Frühstück und Vesperbrod 
im Arbeitssaal und während der Arbeit zu geniessen. Unter den 
Mitarbeitern kommen häufig Mundentzündungen vor, gegen welche 
den Arbeitern ein Gurgelwasser geliefert wird. Eine solche Sto¬ 
matitis mercurialis bekam der Kranke als erstes Zeichen der Ver¬ 
giftung ungefär 6 Wochen vor Weihnachten. Dieselbe besserte 
sich auf den Gebrauch des Gurgelwassers. Erst 4 Wochen später 
bemerkte der Kranke, dass er ungeschickt bei der Arbeit wurde. 
Seine Hände zitterten, er musste sich sehr in Acht nehmen, die 
Glaskugeln nicht hinzuwerfen. Er wurde ängstlich und aufgeregt, 
konnte, sobald ihm Jemand bei der Arbeit auf die Finger sah, 
kaum noch etwas thun. Diese Symptome steigerten sich so, dass 
er bald, so wie nur einer seiner Chefs in die Nähe seines Arbeits¬ 
tisches kam, die Arbeit niederlegen musste. Seit dem 2. Januar 
musste er ganz aufhören zu arbeiten. Er wurde bis zum 31. Januar 
in seiner Wohnung ärztlich behandelt und bot bei seiner Aufnahme 
in die Charite ganz das Bild, welches er heute noch zeigt. 

Er ist ein kräftiger, gut genährter Mann. Im allgemeinen 
macht er einen etwas erregten Eindruck. Weniger tritt dies in dem 
Verhalten zu seinen Mitkranken zu Tage, als gelegentlich der ärzt¬ 
lichen Visite. In den Erzählungen von seinem Leiden ist er sehr 
gesprächig, überhastet dabei oft die Rede, fällt leicht von einer 
Satzconstruction in die andere und gestikulirt sehr lebhaft. Diese 
Erscheinungen des mercuriellen Erethismus treten auch in Schrift¬ 
proben hervor. Er lässt Buchstaben aus, schreibt Worte falsch, 
alles in grosser Hast, und die einzelnen Buchstaben, namentlich die 
grossen, zeigen sehr deutlich den Tremor des Kranken. Dieser 
wird auch sehr auffällig, sobald der Kranke die Hände aus¬ 
streckt und die Finger spreizt, während bei unterstützten Armen 
der Tremor sofort aufhört. Es fällt auf, dass die linke Hand 
viel stärker zittert als die rechte. In dieser Beziehung ist vielleicht 
bemerkenswerth, dass der Kranke während seiner Arbeit nur den 
linken Arm gebraucht und mit dem rechten Arme meist unthätig 
ist. Allerdings zittert auch das linke Bein stärker, als das rechte. 


ohne dass sich dafür ein gleicher Grund auffinden Hesse. Den¬ 
selben Tremor, wie die Hände, zeigt die herausgestreckte Zunge. 
Bei der von Herrn Martius vorgenommenen elektrischen Unter¬ 
suchung hat sich eine starke Uebererregbarkeit der Muskulatur na¬ 
mentlich vom Nerven aus bei übrigens normaler Zuckungsformel 
herausgestellt. Die grobe motorische Kraft ist gut. Die Sensibili¬ 
tät zeigt keine Abweichung. Die Patellarreflexe sind bedeutend 
gesteigert. Der Schlaf ist gut. Die geschlechtlichen Functionen 
ungestört. Pupillarreflex erhalten. An den Verdauungsorganen ist 
die mercurielle Stomatitis am ausgesprochensten. Das Zahnfleisch 
ist an den Rändern gewulstet, blauroth, an einzelnen Stellen ulce- 
rirt und sehr zum Bluten geneigt. In den ersten Tagen klagte 
der Kranke über Druckgefühl im Magen. Dies ist jetzt ver¬ 
schwunden. Der Appetit ist gut. Es bestand nie Durchfall, mehr 
Neigung zur Verstopfung. Der Stuhl ist von gewöhnlicher Farbe. 
Die Respirationsorgane sind völlig gesund. Die Herzdämpfung von 
normaler Grösse. Die Herztöue rein. Der Puls constant langsam 
zwischen 56 und 60. An der Cruralis ist ein leiser Doppelton 
hörbar. Im Ham findet sich weder Eiweiss noch Zucker. Herr 
College Müller hat in demselben Quecksilber nachgewiesen, wie 
an dem Reagenzglas, das hemmgereicht wird, zu sehen. Störungen 
in der Urinentleerung sind nicht vorhanden gewesen.' 

Die bisher geführte Behandlung mit Gurgel wasser von 
Salbeiabtragung, Jodkali innerlich und Schwefelbädern ist bisher 
ohne Einfluss auf den Zustand geblieben. 

Herr Bernhardt: Ich möchte nur fragen, ob bei diesem Patienten 
auf Sensibilitäts- und Gesichtsfeldstörungen untersucht ist. (Herr Land¬ 
graf: Sind normal.) Ich frage nur deshalb, weil man in Folge dieser 
Metallvergiftungen auch bei Männern eine Art hysterischen Wesens heraus¬ 
gefunden haben will, das derartige Sensibilitätsstörungen mit sich bringt. 

Herr Gerhardt: Nur eine principielle Bemerkung. Dieser Fall ist 
von einiger Bedeutung. Diese Quelle des Mercurialtremors und Erethismus 
ist noch nicht besprochen. Nach Nachrichten, die ich für zuverlässig halte, 
kommt bei Arbeitern von Edison diese Art Mercurialismus ziemlich häufig 
vor, der Fall stellt also eine neue Quelle des gewerblichen Mercurialis¬ 
mus vor. 

Herr Remak: Ich möchte Herrn Landgraf nur fragen, ob auch die 
Zunge betheiligt gewesen ist. (Herr Landgraf: Ja!) Ich habe eine grosse 
Reibe von solchen Hg-Intoxieationen beobachtet bei Spiegelarbeitern. Es 
existirt in Berlin eine Spiegelfabrik. In diesen Fällen war immer Tremor 
der Zunge und Sprache vorhanden, auch die übrigen Symptome des Tremors 
sind häufig, gelegentlich habe ich auch diese Uebererregbarkeit der Nerven 
beobachtet, sie ist aber kein constantes Phänomen, ich habe mehrere Fälle 
von Hg-Tremor daraufhin untersucht und möchte warnen, diese Ueber¬ 
erregbarkeit als ein constantes Symptom aufzufassen. 

Herr Levy: Ich habe vor wenigen Tagen einen ähnlichen Fall gesehen, 
die Aetiologie war dieselbe; er hatte aus den Edison’schen Birnen die 
Luft auszupumpen, was mit Hg geschieht. Er klagte über dieselben Sym¬ 
ptome, auch mehrere von seinen Collegen aus der Fabrik seien ähnlich 
erkrankt. 

5. Herr P. Hey mann. Ich möchte Ihnen hier einen Fall vor¬ 
stellen, der, wenn auch von keiner principiellen Bedeutung, doch an 
sich sehr selten ist. Vor einigen Monaten kam in meine Poli¬ 
klinik eine ältere Frau, die seit 3 Jahren heiser war, seit 2 Jahren 
ist ihr das Sprechen schmerzhaft gewesen. Die anamnestischen 
Daten, der Status praesens, wie die Wirkung von Kalium jodatum 
zeigten, dass es sich zweifellos um einp späte Form von Lues han¬ 
delte. In der Wange, an den Schläfen etc. etc. fanden sich Gum- 
mata, in der Nase syphilitische Geschwüre. 

Was die Affection des Kehlkopfes betrifft, so ergab die Unter¬ 
suchung fast normale Verhältnisse der Form; bei dem Versuche zu 
phoniren jedoch blieb das linke Stimmband in seinem mittleren 
Theile nach aussen gerichtet; der linke Processus vocalis stand 
ganz auswärts und etwas tiefer als der rechte, während der hintere 
Theil des Aryknorpels ganz normal neben seinen Genossen rückte. 
Auch die Contraction des Muse, vocalis proprius kann man mit 
dem Spiegel deutlich verfolgen. Ausserdem findet sich auf dem 
linken Stimmband liegend ein kleiner Tumor, aussehend wie eine 
Schleimhautfalte des Sinus Morgagni. Bei der Inspiration erhält man 
ein ziemlich normales Glottisbild, bei der inspiratorischen Phona¬ 
tion wird die nach aussen gerichtete Stelle des Stimmbandes ein 
wenig nach innen bewegt, und die sehr schmal erscheinende Stelle 
des Stimmbandes verbreitert sich anscheinend etwas. Das ist Alles, 
was sich findet. 

Ich habe geglaubt, in diesem Falle die Diagnose einer iso- 
lirten Lähmung des linken Muscul. crioo-arytaenoideus late¬ 
ralis stellen zu sollen, ein Vorkommniss, das zu den ausserordentlich 
seltenen gehört. In der Literatur finden sich nur wenige Fälle, na¬ 
mentlich bei Mackenzie, dann einer bei Nikolas-Duranty, sonst 
fast nichts. Wodurch in unserem Falle die Unthätigkeit des Muskels 
bedingt ist, habe ich nicht feststellen können; es liegt nahe, an 
myopatbische Ursachen, wie Zerstörung d»‘s Muskels durch gummöse 
Infiltration oder dergl., zu denken. Der kleine beobachtete Tumor 
könnte vielleicht als ein Rest der Gump igeschwulst angesprochen 


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16 . Febrnar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


135 


werden, vielleicht auch als ein durch eine früher bestandene Gummi- 
gescbwulst bewirkter Schleimhautvorfall. 

Die einzige weitere theoretische Möglichkeit, die man sich noch 
construiren könnte, besteht in der Annahme einer Fixation des 
Processus vocalis durch Narbenretraction, ich glaube aber, das ist 
auszuschliessen, da man sowohl vom Musculus vocalis proprius ab¬ 
hängige Zuckungen dieser Stelle, als auch die durch den Luft¬ 
strom bewirkte Bewegung beim inspiratorischen Phoniren beob¬ 
achten kann. Ebensowenig kann von einer Ankylose des Ary- 
knorpels die Rede sein, dessen Bewegung unter der sehr schön zu 
beobachtenden isolirten Wirkung des Musculus interarytaenoideus 
transversus deutlich in die Erscheinung tritt. 


X. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 8. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

1. Herr G. Gut mann stellt einen Fall syphilitischer Erkrankung 
4er Co^Janctira palpebrarum vor. Patientin, ein 26jähriges Dienstmädchen, 
wurde im September vorigen Jahres inficirt und wegen eines darauf fol¬ 
genden Exanthems in der Charite behandelt. Es stellte sich bald ein 
Recidiv ein, das noch heute als papulo-pustulöses deutlich ausgesprochen 
ist. Dabei ist eine eigentümliche Erkrankung der Conjunctiva aufge¬ 
treten. Am rechten unteren Lide sieht man flache Erhabenheiten, eine 
papulöse Infiltration der Schleimhaut, die etwas über das Niveau der Um¬ 
gebung hervorragt. Eine ähnliche Stelle zeigt sich am rechten oberen und 
linken unteren Lide. Am linken oberen Lide findet sich ein etwas grau- 
weisses verhärtetes Geschwür mit wallartig verdickten Rändern. Mit dem 
Augenspiegel ist hochgradige Neuritis nachzuweisen. Vielleicht handelt es 
sich um eine syphilitische, resp. gummöse Infiltration des Orbitaltheiles 
des Sehnerven. Die Conjunclivalerkrankung ist bisher nur einmal in der 
Literatur von Magnus beschrieben worden. 

2. Herr Liebreich: Ceber die Wirkung der K’Cassorlnde und 
de* Erytbropblaeins. Die von Herrn L. Lewin in der Sitzung vom 
II. Januar raitgetheilten Versuche über die auäslhesirende Wirkung des 
Erythrophlaeins haben Herrn Liebreich Veranlassung zu einer Nach¬ 
prüfung gegeben. Derselbe ist dabei zu Ergebnissen gelangt, die in vieler 
Hinsicht von denen des Herrn Lew in abweichen. Zunächst hält Herr 
Liebreich keineswegs für erwiesen, dass die Herrn Lewin zur Unter¬ 
suchung übergebene, Haya genannte Masse überhaupt aus Erythrophlaeura 
gewonnen war, vermuthet vielmehr, dass es sich um eine zufällige Verun¬ 
reinigung mit Erythrophlaeumrinde handelte, wenn Herr Lewin Spurender 
letzteren in der fraglichen Substanz entdeckte. Der Name Haya weist viel¬ 
mehr auf ein Schlangengift hin, womit sich auch die von Herrn Lewin 
angegebene Thatsacbe deckt, dass die Substanz, subcutan injicirt, eine viel 
prägnantere Wirkung zeigte, als vom Magen aus. 

Herr Lewin hat nun aber weiterhin mit dem Alkaloid von Erythro- 
phlaeum experimentirt, und es kommt darauf an, die Ergebnisse auf ihren 
»tatsächlichen Werth zu prüfen, zu denen er dabei gelangt ist. Zunächst I 
führte Herr Le win als beweisend seine Versuche an mit Strychnin vergifteten | 
Fröschen an, bei denen, nachdem ihnen Erythrophlaein injicirt war, kein 
Strychninkrampf ausgelöst werden konnte, ja man konnte an der Injections- 
stelle brennen, schneiden u. s. w., ohne dass eine Reaction erfolgte. 
Herr Liebreich weist darauf hin, dass von den Fröschen, die im Winter ’ 
in Froschkästen gehalten werden, eine grosse Zahl sich in dem von 
Du Bois-Reymond sogenannten leukopathisch-hydropischen Zustande be- I 
finden, dass dieselben zwar ganz munter herumhüpfen, dass man aber j 
Essigsäure, concentrirte Schwefelsäure, den glühenden Draht auf dieselben : 
wirken lassen kann, ohne dass eine Reaction erfolgt. Man muss also schon | 
von vornherein den Nachweis verlangen, dass es sich bei den Experimenten 
nicht, etwa um Versuchstiere dieser Art gehandelt hat. Weiter aber kann 
man sich auch überzeugen, dass bei strychninisirten Fröschen von dem 
Moment an, wo von der Stelle der Erythrophlaein-Ii jection aus keine 
Reaction mehr auszulösen ist, auch von anderen Stellen aus keine Reaction 
mehr erfolgt. Das Thier wird nämlich paretisch, und mit diesem Moment 
ist natürlich der Tetanus aufgehoben. 

Ein weiterer Versuch des Herrn Lewin bestand darin, dass er Meer¬ 
schweinchen an irgend einer Körperstelle Erythrophlaein injicirte, und dass 
man nun an der Injectionsstelle eine vollkommene Anästhesie beobachten 
konnte. Die Thatsache ist richtig, aber sie kommt keineswegs dem Ery- 
thropblaein allein zu. Ganz dieselbe Wirkung gelang es Herrn Liebreich 
mit den verschiedensten anderen Substanzen herbeizuführen, z. B. durch 
Injection von Eisenchloridlösung, Ferrum dialysatum, Resorcin, etc. Auch 
die Resultate, die Herr Lewin am Kaninchenauge erzielt hat, hält Herr 
Liebreich nur für theilweise richtig. Wir wissen aber bereits seit Claude 
Bernard, dass es zwei Arten von Sensibilität des Auges giebt, die Cor- 
nealempfindlichkeit und die Conjunctivalerapfindlichkeit. Experimentell 
können durch eine Reihe Substanzen Zustände herbeigeführt werden, wo 
die Conjunctiva anästhesirt wird, die Cornea nicht. So sehen wir, dass 
bei der Asphyxie durch Wasserstoff zuerst die Conjunctiva empfindungslos 
wird, dann die Cornea. Strychnin hat die umgekehrte Wirkung. Beim 
Cocain wird, wenn dasselbe in das Auge hineingebracht wird, sofort die 
Cornea, die Conjunctiva, die Sclera u. s. w. anästhesirt. Beobachtet man 
nun den Verlauf der Wirkung des Erythrophlaeins, so findet man, dass 
zuerst wesentlich die Comeal-Anästhesie eintritt, dann im weiteren Verlauf 
die Scleral-An&sthesie. Um zu unterscheiden, wie lange die Anästhesie 
wirkt, ist ebenfalls grosse Vorsicht nöthig. Die Erscheinungen, die Herr 


Lewin noch am folgenden Tage beobachtet haben will, sind oft nichts 
weiter als Erscheinungen, die man auch an jedem Kaninchen, dem vorher 
keine Injection gemacht ist, beobachten kann. 

Herr Lewin behauptet ferner, dass wenn man E. in die Augenlider 
einspritze, locale Anästhesie eintrete. Ein bedeutungsvoller Unterschied zeigt 
sich aber, wenn man das Erythrophlaein zuerst in das obere Augenlid ein¬ 
spritzt gegenüber dem unteren. Spritzt man in das obere Augenlid ein, so 
beobachtet man einen Zustand der Unempfindlichkeit, d. h. da, wo die In- 
jectionsflüssigkeit hingelangt ist, erhält man selbst von den sehr empfindlichen 
Cilien aus keine Reaction. Berührt man das Auge, so zuckt dasselbe. Be¬ 
obachtet man aber genauer, so ergiebt sieb, dass das obere Augenlid eine 
Ptosis zeigt. Spritzt man auch in das untere Augenlid, so wird man von 
dem Augenblicke an, wo man vom Augenlid aus keine Reflexe mehr erhält, 
auch vom Bulbus keinen Reflex mehr auslösen können. Es handelt sich 
hier auch um einen paretischen Zustand, und das Bild ist ungefähr das¬ 
selbe. wie wenn man auf der einen Seite den Sympathicus durchschneidet 
mit dem Unterschiede, dass bei Erythrophlaein 2 die gesaramte Muskulatur 
gelämt wird. Aehnliche Bilder lassen sich durch eine Reihe anderer Sub¬ 
stanzen herbeiführen. 

Herr Liebreich ist nun aber nicht beim Thierexperiment stehen 
geblieben. Er hat vielmehr — natürlich wegen der schweren Herz¬ 
erscheinungen, die das Erythrophlaein hervorruft, mit kleinen Dosen — Ver¬ 
suche am Menschen angestellt, die im allgemeinen einen therapeutischen 
Werth des Mittels nicht ergaben. Einer der Fälle sei hier etwas detaillirter 
mitgetheilt: Einem kräftigen Manne wurden 7,5 mg — die grösste Dose, 
die Vortr. vorläufig für zulässig erachtete — um 4 Uhr 6 Min. am rechten 
Oberschenkel injicirt. 4 Uhr 8 Min. überall gleichmässige Empfindlichkeit. 
Pat. giebt au, dass er an der Einstichstelle leises Kitzeln verspüre. An 
der Einstichstelle eine Flohstich-ähnliche Erhebung. 4 Uhr 10 Min. Gleich¬ 
mässige Empfindlichkeit. Um die Stelle des Einstiches eine Fläche von 
der Grösse einer Kinderhand gerüthet. Stiche in die geröthete Partie 
werden schmerzhaft empfunden. 4 Uhr 13 Min. Kein Unterschied der 
Empfindlichkeit an der gerötheten und anderen Stellen. 4 Uhr 15 Min. 
i Bei Ueberstreichen mit der Nadel Empfindlichkeit an der Injectionsstelle am 
stärksten. 4 Uhr 17 Min. Stärkere Empfindlichkeit au der gerötheten 
Stelle. 4 Uhr 30 Min. Bei Stichen an der Grenze der Röthnng bedeu¬ 
tende Empfindlichkeit. 5 Uhr. Wogender Schmerz im Umkreise der In¬ 
jectionsstelle. 8 Uhr. Eine Zwanzigpfenuigstück-grosse Fläche um die Ein- 
! stichsteile ist unempfindlich, eine Füufraarkstück-groese Fläche im weiteren 
I Umkreise weniger empfindlich, als die übrige Haut. — 

Herr L. Lewin bedauert, dass Herr Liebreich eine ausführlichere 
Publication über den Gegenstand nicht abgewartet hat, die demnächst in 
I Virchow’s Archiv erscheinen wird. Manche Einwände des Herrn Lieb- 
i reich würden dadurch von vornherein gegenstandslos geworden sein. So 
| hat Herr Lewin keineswegs angegeben, dass die, Haya genannte Substanz 
Erythrophlaein sei, vielmehr will er nur einen Theil der Wirkung der ihm 
vorliegenden Substanz, die höchst wahrscheinlich durch allerlei anderweitige 
Bestandteile verunreinigt ist, auf die darin enthaltenen Erythrophlaein- 
theile zurückführen. 

Mit Entschiedenheit weist Herr Lewin die Möglichkeit von Versuchs¬ 
feldern zurück, wie Herr Liebreich sie angedeutet hat. Die zu den Ex¬ 
perimenten verwandten Frösche reagirten sofort, sowie eine Spur von 
Schwefelsäure über die Region hinausfloss, die anästhetisch gemacht war. 
Dass auch andere Substanzen ähnliche Erscheinungen hervorrufen, ist kein 
Gegenbeweis gegen die anästhesirende Wirkung des Erythrophlaein. So ist 
vom Aconitin bekannt, dass es ein starkes lokales Anästheticom ist. Im 
Uebrigen hält Herr Lew in seine Versuchsergebnisse voll aufrecht und 
weist namentlich darauf hin, dass er ausser an Kaninchen auch an Hunden 
experimentirt hat, und dass die Versuche am Auge sich zum Theil auf so 
empfindliche Thiere wie Tauben beziehen, bei denen es gelang, Stunden 
lang dauernde Anästhesie der Augenlider zu erzielen. 

Hinsichtlich der Wirkung des Mittels am Menschen hat Herr Lewin 
keine Versuche gemacht und dementsprechend auch keine Schlussfolge¬ 
rungen gezogen. Seine Versuche hatten nur den Zweck, das gegebene 

Material, soweit der Thierversuch dies gestattet, einer genauen Prüfung zu 
unterziehen. 

Herr Schüler hat mit einer 0,2% Erythrophlaeinlösung Versuche am 
Menschen angestellt. Nach Einträufelung eines Tropfens in das Auge tritt 
leichtes Brennen und das Gefühl eines Fremdkörpers ein, leichtes Thränen 
und Hyperämie der Conjunctiva bulbi. Nach 5 Minuten kann man Herab- 
i setzung der Empfindlichkeit der Hornhaut bei Berührung mit der geknöpf- 
! ten Sonde wahrnehmen, die sich innerhalb 15 Minuten bis zu völliger 
Cornealanästhesie steigert; indessen geht die Tastempfindung nicht ver- 
I loren. Nach weiteren 15—20 Minuten sind die Reizerscheinungen ge- 

i schwunden, nur besteht noch leichte Hyperämie der Conjunctiva bulbi. 

i Nach 2 Stunden tritt Schwere im oberen Lide und eine Verschleierung ein, 

sodann Interferenzerscheinungen. Diese Erscheinungen dauern 2 bis 3 
Stunden, dann tritt allmähliches Nachlassen derselben ein, nach 9 Stunden 
sind die farbigen Ringe verschwunden, erst nach 11 Stunden der Schleier. 

' In anderen Fällen variirten die Zeitbestimmungen etwas, einmal war schon 
5 Minuten nach Einträufelung der Lösung vollständige Anästhesie einge¬ 
treten. Im Allgemeinen dauerte die Anästhesie 8—9 Stunden. Die 
Conjunctivalanästhesie ist eine bedeutend schwächere, in manchen Fällen 
überhaupt nicht sicher nachzuweisen. 

Bei Kaninchen konnte Herr Schüler vollständige Cornealanästhesie 
[ erzeugen, aber nicht Anästhesie der Nickhaut. Im Vergleich zum Cocain 
| tritt die Anästhesie bedeutend später ein, hält länger an und ist eutschieden 
stärker. Eine Wirkuug auf den Sympathicus wie Oculomotorius schliesst 
i Herr Schüler vollständig aus, vielmehr glaubt er, dass es sich um die 
I Anfänge eines Lähmungsprocesses der Trigeminusendungen handelt. 


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136 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


XI. Journal-Revue. 

Infectionskrankheiten und Zoonosen. 

2 . 

R. Leuckart. Zur Bothriocephalus-Frage. Centralbl. für 
Bacteriologie und Parasitenkuude. Bd. I. No. l u. 2. 1887. 

E. Parona (Mailand). Ueber die Herstammung des Bo- 
thriocephalus latus und sein Vorkommen in der Lombar¬ 
dei. Arcbivio per le scienze mediche. Vol. XI. 1887. p. 41—95, 
mit einer Tafel. 

F. Zschokke (Genf)- Der Bothriocephalus latus in Genf. 
Centralbl. für Bacteriologie und Parasitenkunde. Bd. 1. No 13 und 
14. 1887. 

Der Aufsatz Leuckart’s schildert in durchsichtigerWei.se den 
jetzigen Stand der Bothriocephalus-Frage. Bekanntlich hatte vor 
mehreren Jahren Braun (jetzt in Rostock, damals in Dorpat) die 
Entdeckung gemacht, dass in den Seen der Umgegend von Dorpat, 
wo Bothriocephaluserkrankungen ausserordentlich häufig Vorkommen, 
die Hechte fast sämmtlich nicht allein in den Eingeweiden, son¬ 
dern auch im Muskelfleische Finnen beherbergen, die unver¬ 
kennbar die Charaktere einer Bothriocephalusfiune besitzen und sich 
im Darme des Menschen nach der Verfütterimg schon vor Ablauf 
eines Monats zu geschlechtsreifen Bandwürmern entwickeln, welche 
mit den spontan in der Dorpater Gegend vorkommendeu Bothrioce- 
phalen in allen wesentlichen Charakteren übereinstimmen. Leuckart 
sah es nach diesen Braun’sehen Untersuchungen als erwiesen an, 
„dass der Bothriocephalus latus seinen Finnenzustand in einem Fische 
verlebe und durch den Genuss von Fischen in den Menschen über¬ 
wandere“, ferner, „dass zu diesen Fischen in erster Reihe der 
Hecht gehöre.“ Der Hecht wird, wie Braun feststellen konnte, in 
Dorpat und am esthländischen Strande leicht gesalzen in rohem Zu¬ 
stande genossen. — Gegen die Ergebnisse der Braun’schen For¬ 
schungen eröffnete nun Küchenmeister eine Polemik, die zunächst 
die Braun’schen Fütterungsversuche als nicht einwandsfrei hinstellte, 
dem Hechte die Rolle des Bothriocephalus-Zwischenwirths absprach 
und dieselbe mit Wahrscheinlichkeit dem Lachs oder einer Lachs¬ 
art zukommend erachtete. Küchenmeister hatte das Braun’sche 
Werk (Zur Entwickelungsgeschichte des breiten Bandwurmes. Würz¬ 
burg 18^5) bis dahin nur aus einem Referate kennen gelernt. Das 
Studium des Originals zwang ihn die Bemängelung der Braun’schen 
Experimente aufzugeben. Er gab also zu, dass hier die Hecht¬ 
finnen sich zu Bothriocephalen entwickelt hätten. Nun aber be¬ 
stritt er, dass diese Bothriocephalen mit dem Schweizer Bothrioce¬ 
phalus latus identisch seien. Schliesslich behauptete Küchenmeister, 
dass nicht blos die von Braun aus den Hechtfinnen gezüchteten 
Bothriocephalen, sondern die Dorpater Bothriocephalen sammt und 
sonders nichs mit Bothriocephalus latus zu thuu hätten, da sie von 
dem Schweizer Bandwurnie in wesentlichen Punkten abwichen. 
Leuckart weist nun darauf hin, dass der Bothriocephalus latus des 
Menschen sich in sehr verschiedener Form präsentirt, und dass diese 
Thatsache bereits seit Lin ne bekannt ist. Diese Verschiedenheiten 
werden jedoch bedingt durch das verschiedene Alter des Wurmes, 
durch verschieden starke Füllung der Dotterstöcke, durch verschie¬ 
dene Contractionszustände der Muskulatur u. s. w. Der baltische 
Bothriocephalus ist ganz sicher als Bothriocephalus latus zu bezeich¬ 
nen. — Uebrigens ist, wie Leuckart ausführt, der Hecht nicht 
die einzige Quelle des breiten Bandwurmes. Die Quappe, der 
Flussbarsch, auch Lachsarteu haben sich als Träger der Finne er¬ 
wiesen. 

Parona berichtet über Untersuchungen finniger Hechte und 
Flussbarsche, die aus oberitalienischen Seen stammten. Direkte 
Vergleiche mit von Braun geschickten Dorpater Präparaten ergaben 
die Identität der Finnen. Auch bei den lombardischen Fischen fan¬ 
den sich sehr häufig die tiefen Lagen der Rückenmuskulatur mit 
den Finnen besetzt. Nur Seefische wurden inficirt gefunden; Fluss¬ 
fische waren stets frei. Fütterungsversuche mit den Finnen von 
Hechten und Barschen, die z. Th. aus oberitalieuischen, z. Th. aus 
dem Genfer See stammten, an Menschen und Hunden hatten meist 
positive, mit den Braun’schen übereinstimmende, Resultate. 

Zschokke wurde durch die Polemik zwischen Küchenmeister 
und Braun veranlasst, die Botbriocephalusfrage für Genf zu unter¬ 
suchen. Während er 1883 im Hecht ganz vereinzelt, und zwar nie 
in der Muskulatur, Bothriocephalusfinnen gefunden hatte, gelang es 
ihm jetzt nicht, dieselben im Hecht aufzufinden. Auch in Coregonus 
fera fanden sich keine Finnen. Jedoch wurden dieselben in der 
Quappe (Lota vulgaris), in Salrao Umbla und im Barsch (Perca flu- 
viatilis) gefunden. Sämmtliche Fische stammten aus dem Genfer 
See. Die Finnen unterscheiden sich von den Braun’schen Hecht¬ 
finnen durch nichts als etwas geringere Grösse. Bei Fütterungsver¬ 
suchen am Menschen hatte der Verfasser nur mit Finnen, die aus 
Lota vulgaris und Salmo Urabla stammten, positive Erfolge, nicht 
mit Barschfinnen. Die von ihm hierbei erzielten Bothriocephalen 


siud zwar etwas kürzer als die von Braun aus Hechtfinnen erzoge¬ 
nen; jedoch sind sonst keine Unterschiede vorhanden, die Verfasser 
veranlassen könnten, die Braun’schen Bothriocephalen nicht als 
Bothriocephalus latus zu bezeichnen. — Den Hauptzwischenwirth 
des Bothriocephalus latus für Genf bildet nach Zschokke’s Unter¬ 
suchungen die Quappe, der sich wahrscheinlich (nach Parona) der 
Flussbarsch nnsrhliesst. Mehr zufällig dürften Lachsarten, in 
letzter Linie der Hecht für die Uebertragung in Frage kommen. 

B. Grassi (Catania). Die Taenia nana und ihre medi- 
cinische Bedeutung. Vorläufige Mittheilung. Centralblatt 
f. Bacteriologie und Parasitenkunde. Bd. I. No. 4. 1887. 

G. entdeckte 1879 in den Faeces eines kleinen mailändischen 
Mädchens eigentümliche Eier, welche er für Taenieneier ausprach. 
Sie sind von der Grösse der Eier der Taenia mediocanellata, jedoch 
haben sie eine etwas dickere Schale, die nicht braun, sondern 
weisslich und ohne jede prismatische Structur ist und aus zwei sehr 
dünnen concentrischen Membranen besteht, zwischen denen sich ein 
beträchtlicher, mit einer köruchenhaltigen amorphen Substanz ange¬ 
füllter Zwischenraum befindet. Innerhalb der amorphen Substanz 
sieht man einen eigentümlichen gewundenen, an eine elastische 
Faser erinnernden Faden, der zuweilen au einem Pole des Eies an 
der inneren Membran angeheftet zu sein scheint. Der Embryo hat 
gewöhnlich 6 Haken und ist sonst dem der Taenia mediocanellata 
sehr ähnlich. Diese Eier fand Grassi kürzlich bei zwei jungen 
Siciliauern wieder. Auf eine Gabe von G,<) äther. Extr. vou Filix 
mas entleerte jeder der Patienten mehrere Tausend Band¬ 
würmer mit Kopf. Die Mehrzahl derselben ist 8 -15 mm lang und 
besitzt etwa 27 Haken. Die übrigen Kenuzeicheu stimmen mit den 
von Bilharz, v. Siebold und Leuckart für Taenia nana an¬ 
gegebenen überein. Ausser diesen 2 Fällen wurde die Taenia nana 
bisher nur ein einziges Mal beim Menschen gefunden, und zwar 
von Bilharz in Aegypten im Duodenum eines Kindes. Fütterungs 
versuche mit den Eiern bei den mannichfachsten Thieren ebenso 
wie bei einem Manne waren erfolglos. Eine direkte Ansteckung 
kann, wie vorauszusehen war, nicht stattfinden. Die Finne der 
Taenia nana vermuthet Grassi in der Larve des Tenebrio mo- 
litor (Mehlwurm). Indem der Mensch diese Larve unwissentlich 
verschluckt, würde er zu der Taenie gelangen. Die oben genannten 
beiden Patienten boten schwere nervöse Störungen (epileptische An¬ 
fälle ohne Bewusstseinsverlust, Melancholie) dar, die mit der Ab¬ 
treibung der Taenien verschwanden. 

B. Grassi (Catania). Einige weitere Nachrichten über 
die Taenia nana. Centralbl. f. Bacteriologie u. Parasitenkunde. 
Bd. II. 1887. N. 10. p. 282-285. 

Zunächst wird auf einige zoologische Kennzeichen der Taenia 
nana aufmerksam gemacht. Das mit 24—28 Hakeu versehene 
Rosteilum kann rüsselähnlich weit aus dem Kopfe hervortreten und 
sich wieder einziehen. Die Saugnäpfe können sich wie Arme ver¬ 
längern und selbstständig einzeln bewegen, sie können sich auch, 
ebenso wie das Rostellura, vom Scolex ablösen, ohne dass dieser 
seine Bewegungen einstellt. — Die irn Dünndarm der Wanderratte 
(Mus decumanus) lebende Taenia muri na, die in Catauia sein- 
gemein ist, hält Grassi nach seinen neueren Feststellungen „höchstens 
für eine einfache Varietät“ der Taenia nana. — Klinisch ist zu 
bemerken, dass sich manche mit Taenia nana behaftete Individuen'* 
ganz wohl befinden können. Im Uebrigen sind Hartleibigkeit, ab¬ 
wechselnd mit Diarrhoe, und heftige Leibschmerzen die häufigsten 
durch Taenia nana hervorgerufenen Symptome. 

B. Grassi. Entwickelungscyclus der Taenia nana. 
Centralbl. f. Bacteriologie u. Parasitenk. Bd. II. 1887. No. 11. 
p. 305—312. 

Der Autor stellte durch Fütterungsversuche an jungen weissen 
Ratten fest, dass die Taenia murina keines Zwischenwirthes 
bedarf, sondern sich aus den reifen Proglottiden der Taenie im 
Körper der Ratte direkt wieder entwickelt; der Autor giebt deshalb 
seine frühere Ansicht, die Taenia nana verlebe ihren Fiunen- 
zustand im Mehlwurm, wieder auf und halt auch für diesen mensch¬ 
lichen Bandwurm eine direkte Entwickelung mit Umgehung 
des Finnenzustandes für die Regel. Dasselbe gilt für Taenia 
elliptica des Hundes. Es muss hierzu bemerkt werden, dass Grassi 
nach den Finnen der besprochenen Taenien in den verschiedensten 
Arthropoden vergebens gesucht hat. — Von seiner Entdeckung er¬ 
hofft der Autor eine endliche Aufklärung der bisher unklaren Ent¬ 
wickelungsgeschichte mancher Taenien. 

A. Lutz (Säo Paulo in Brasilien). Zur Frage der In¬ 
vasion von Taenia elliptica und Ascaris lumbricoides. 
Centralbl. f. Bacteriologie u. Parasitenkunde. Bd. II. 1887. No. 24. 
p. 713—718. 

Der Autor berichtet zunächst von einer Beobachtung an seinem 
Hunde, der colossale Mengen von Proglottiden der Taenia ellip- 


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16 . Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


tica entleerte, ohne dass sich ein einziges Exemplar von Tricho- 
dectes (die Hundelaus, die nach den bisherigen Anschauungen für 
den Zwischenwirth der Taenia elliptica galt) fand. Die Flöhe, die 
der Hnnd genug hatte, waren frei von Finnen. Lutz findet in der 
Entdeckung Grassi’s eine befriedigende Erklärung für seine Beob¬ 
achtung. — Weiterhin berichtet Lutz über zwei Beobachtungen, 
in denen die Infection mit Ascariden beim Menschen wahrschein¬ 
lich durch Erde geschah, die mit Ascariseiern besudelt war; und 
zwar hatten sich diese Eier, wie mikroskopisch nachgewiesen wurde, 
im Freien bereits zu entwickeln angefangen; die Uebertragung ge¬ 
schah also ohne Zwischenwirth, den man ja für Ascaris lumbri- 
eoides bisher überhaupt vergeblich gesucht hat. 

R. Leuckart. Die Uebergangsweise der Ascaris lum- 
bricoides und der Taenia elliptica. Nachschrift zum voran¬ 
gehenden Aufsatz (von Lutz). Centralbl. f. Bacteriologie und 
Parasitenkunde. Bd. II. 1887. No. 24. p. 718—722. 

Mit der Ansicht, dass Ascaris lumbricoides ohne Zwischen¬ 
wirth übertragen werde, erklärt sich Leuckart einverstanden, nicht 
>o mit derselben Meinung für die Taenia elliptica beim Hunde. 
Für diese sowohl wie für Taenia nana hält er die direkte Ent¬ 
wickelung noch durchaus nicht für bewiesen. Anders ist es bei 
der Taenia murina, für die es - bei weissen Ratten im Alter 
tou 1—3 Monaten — nach Grassi’s Versuchen feststeht, dass sie 
»ich ohne Hülfe eines fremden Zwischenwirthes entwickeln kann. 
Aber auch hier will Leuckart nicht von „direkter Entwickelung“ 
sprechen; der Wurm macht auch hier einen Fiunenzustand, und 
zwar in der Darmwand desselben Thieres, der Ratte, durch. 

Carl Günther. 

Innere Medicin. 

3 . 

Letzerich. Untersuchungen und Beobachtungen über 
Nephritis bacillosa interstitialis primaria. (Eine neue 
Mykose.) Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. XIII, Heft 1. 

Die neue von L. beobachtete Form der Nephritis tritt ende¬ 
misch auf und befällt fast nur Kinder. Die Symptome der Krank¬ 
heit unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer 
Formen von acuter Nephritis. Das Fieber ist im Allgemeinen nicht 
sehr hoch. Die Krankheit erstreckt sich meist über 3 bis 6 Wochen 
l'nter 25 Fällen starben 4 = 16%. Die Diagnose stützt sich ganz 
wesentlich auf die Beschaffenheit des Urins. Der Eiweissgehalt ist 
nicht bedeutend, im Sedimente befinden sich massenhaft die von L. 
näher beschriebenen Bacillen. In therapeutischer Beziehung em¬ 
pfiehlt L. eine roborirende Diät, ein diaphoretisches Verfahren und 
als antibacterielles Mittel das Natrium benzoicum. Die Bacillen 
konnte L. in Trockenpräparaten des Urins nachweisen, Anilinfprb- 
stoffe nehmen dieselben begierig an. Die Gestalt der Bacillen wird 
als walzenförmig geschildert Die Bacillen entwickeln sich in 
Platteuculturen bei Zimmertemperatur sehr rasch, verflüssigen die 
Gelatine und bilden ausgedehnte Mykoderma-Massen. Infections- 
versucbe an Kaninchen lehrten, dass sich die L.’sche Nephritis 
♦'Xperimentell erzeugen lässt. In den Nieren der getödteten Thiere 
lassen sich die Bacillen in grosser Menge nachweisen, auch in den 
Nieren zweier an der Krankheit gestorbenen Kinder fanden sich die 
Bacillen in Nestern angeordnet, besonders im interstitiellen Gewebe 
am Uebergange der Rinden- in die Marksubstanz. Der Arbeit ist 
eine Tafel mit Abbildungen beigegeben. 

London. Ueber den Einfluss des kocksalz- und 
rlaubersalzhaltigen Mineralwassers auf einige Factoren 
des Stoffwechsels. (Aus dem hygienischen Institute des Herrn 
Prof. F. Hofmann und aus der Klinik des Herrn Geheimrath 
Wagner in Leipzig.) Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. XIII, 
Heft 1. 

Die Untersuchungen des Verfassers wurden an drei Personen 
mit Beobachtung aller erforderlichen Vorsichtsmaassregeln unter 
Benützung des Karlsbader Sprudelwassers angestellt. Zwei Per¬ 
sonen erhielten die gesammte Menge des Brunnens frühmorgens 
nüchtern auf einmal, bei der dritten Person wurde dieselbe Menge 
in mehreren Portionen im Laufe des Tages gereicht. Die Resultate, 
a denen der Verfasser gelangte, waren bezüglich der Stickstoff- 
»•»eheidung und des Eiweissumsatzes nicht entscheidend. Die 
Harnsecretion war während der Dauer der Trinkcur selbstverständ¬ 
lich eine vermehrte, die Peristaltik des Darmes w T urde in schmerz¬ 
loser Weise gesteigert. Bezüglich der aus den Untersuchungen des 
Verfassers sich ergebenden praktischen Schlussfolgerungen muss auf 
das Original verwiesen werden. 

Leube. Ueber physiologische Albuminurie. Zeit¬ 
schrift für klinische Medicin. Bd. XIII, Heft 1. 

Schon in einer früheren Arbeit hat der Verfasser nachgewiesen, 
dass im Harn des gesunden Menschen,' namentlich nach vorange- 
nngenen Muskelanstrengungen, Eiweiss auftreten kann, und hat diese 


137 


Form der Albuminurie die physiologische genannt. Die neuen auf 
denselben Punkt gerichteten Untersuchungen des Verfassers, welche 
mit allen erforderlichen Vorsichtsraaassregeln angestellt sind, haben 
ergeben, dass in den meisten Fällen im normalen, „anscheinend“ 
eiweissfreien Harn noch Spuren von Eiweiss enthalten sind, dass 
es aber auch Harne giebt, in welchen auch nicht die kleinste Spur 
Eiweiss nachzuweisen ist. Die Untersuchungen des Verfassers er¬ 
strecken sich aber auch auf das Vorkommen von Cylindern im 
Harne. Im normalen Urin finden sich nur solche aus saurem harn¬ 
sauren Natron, hyaline Cylinder dagegen in der Regel nicht. 
Finden sich die letzteren im Sedimente eines „anscheinend“ eiweiss¬ 
freien Urins, so lässt dies unter allen Umstäuden auf eine patholo¬ 
gische Albumin-Ausscheidung schliessen. Finden sich iin Sedimente 
mehrere oder zahlreiche hyaline Cylinder, so ist dies unter allen 
Umständen eine pathologische Erscheinung. Andererseits ist man 
nicht berechtigt, eine Albuminurie für eine physiologische zu halten, 
wenn Cylinder im Sedimente fehlen. Namentlich giebt es Fälle 
von chronischer Nephritis, bei denen zu einer gewissen Zeit die 
Eiweissausscheidung so gering ist, dass man sie für eine physiolo¬ 
gische halten könnte, und Cylinder im Sedimente fehlen, ebenso 
auch andere entscheidende Symptome z. B. Herz-Hypertrophie, Netz¬ 
hautveränderungen u. s. w. nicht vorhanden sind, der Tod aber 
nach einiger Zeit unter dem Bilde der Urämie eintritt. In derar¬ 
tigen zweifelhaften Fällen kann die Menge des ausgeschiedenen 
Eiw'eisses zur Entscheidung benutzt werden. Alexander (Breslau). 

A. Kirstein. Methylviolettreaction des Magensaftes 
bei Magencarcinom. Correspondenz - Blätter des Allgemeinen 
ärztlichen Vereins von Thüringen 1887. 

K. berichtet über einen auf der Rossbach’scheu Klinik be¬ 
obachteten Fall von Carcinoma ventriculi, bei dem der zu wieder¬ 
holten Malen ausgeheberte Mageninhalt stets deutlich die Methyl¬ 
violettreaction gab. Den Nachweis dieser Reaction bildet trotz der 
Versuche von Cahn und v. Me ring, aus denen hervorgeht, dass 
das Ausbleiben der Blaufärbung keineswegs das Vorhandensein freier 
Salzsäure ausschliesst, bekanntlich in zweifelhaften Fällen ein sehr ' 
wertbvolles und gewichtiges Argument gegen die Annahme eines 
Krebses, wie sich aus zahlreichen Untersuchungen ergiebt. 

Der vorliegende Fall beweist jedoch wieder, dass dieses Argu¬ 
ment keineswegs stets absolute Sicherheit gewährt. Die Methyl¬ 
violettreaction fiel stets positiv aus. Trotzdem bestanden im übrigen 
die zweifellosen Symptome eines Magencarcinoms mit Metastasen 
im Abdomen. 

Die Section ergab denn auch die Richtigkeit der gestellten 
Diagnose, nämlich das Vorhandensein eines ausgedehnten Galleu- 
krebses des Magens mit zahlreichen Metastasen in den verschieden¬ 
sten Organen. Leo. 


XII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

— Jahresbericht über die Verwaltung des Medicinalwesens, die 
Krankenanstalten and die öffentlichen Gesundheitsverhältnissc der 
Stadt Frankfurt 0. M. — Herausgegeben vom ärztlichen Verein, XXX. 
Jahrgang 1886. 

Zu den trefflichsten Publicationen über die Gesundheitspflege zählen 
seit Jahren die Arbeiten des ärztlichen Vereins der Stadt Frankfurt a. M., 
insbesondere aber die Beiträge des Dr. Alex. Spiess, dessen verdienst¬ 
volle Thätigkeit um -diese Stadt in allen Fachkreisen die grösste Anerken¬ 
nung gefunden hat. Auch der diesmalige Bericht enthält musterhafte Ar¬ 
beiten dieses Statistikers, der sich durch seine objective und präcise Dar¬ 
stellung auszeichnet. Als sehr dankenswert sind die Durchschnittszifferu, 
welche sich auf die fünfjährigen Perioden seit 1881 beziehen, zu begrüssen, 
dieselben geben ein klares übersichtliches Bild der Gesundheitsverhältnisse 
Frankfurts und zeigen, dass es nur einiger Mühe bedarf, um das ent¬ 
sprechende Material aus den Acten hervorzuholen. Auch im Jahre 1886 
waren die Gesundheitsverhältnisse Frankfurts im Ganzen sehr günstige, die 
Sterblichkeit war eine noch geringere als 1885 und in den meisten der 
letzten 20 Jahre und kam mit einer Mortalitätsziffer von 19,6 pro Mille dem 
sehr günstigen Sterblichkeitsverhältniss der 35 Jahre 1851/85, »las im Durch¬ 
schnitt 19,3 betrug, sehr nahe. Der Antheil der verschiedenen Krankheits¬ 
formen an der Gesammtsterblichkeit (3050) zeigt namentlich bei der Diph- 
theritis eine sehr entschiedene weitere Zunahme (110 gegen 76, resp. 72 
in den beiden Vorjahren). Die Zunahme traf besonders auf das Ende des 
Jahres und bildete den Anfang einer für Frankfurt ungewöhnlich starken 
Verbreitung, die den ganzen Winter 1886/87 anhielt. Die Zahl der im 
ersten Lebensjahr Verstorbenen betrug 8‘21 oder 26,9% aller Gestorbenen. 
— Ferner behandelt Dr. Spiess das städtische Sanitätswesen in ausführ¬ 
lichster Weise. Dem Abschnitt über die Hospitäler entnehmen wir, dass 
in den 4 städtischen Anstalten 2124 Personen verpflegt wurden; in den 
14 nicht städtischen Heilanstalten sind 17366 Kranke behandelt worden. 
Den Schluss bildet neben dem Jahresbericht über die Thätigkeit des Vereins 
eine Reihe von Nekrologen, von denen wir namentlich desjenigen über den 
Nestor der Frankfurter Aerzte Dr. Georg Varrentrapp von Dr. E. Marcus 
erwähnen. _ 

— Jahresbericht des Wiener Stadtphjrslkats über seine Amts¬ 
tätigkeit, sowie über die Gesundheitsverhältnisse Wiens und der städtischen 


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138 


DEUTSCHE IfEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 7 


Humanitätsanstalten in den Jahren 1885 und 1886. im Aufträge des Ge¬ 
meinderaths erstattet von dem Stadtphysikus, K. K. Sanitätsrath Dr. Emil 
Kämmerer und den beiden Stadtphysikus-Stellvertretern Dr. Gregor 
Schmid uud Dr. Adolf Löffler. Wien 1887. Wilhelm Braumüller. 1056 S. 

Der vorliegende neueste Rechenschaftsbericht über die Gesundheits¬ 
verhältnisse Wiens zeichnet sich nach Form und Inhalt gleich den bis¬ 
herigen vortheilhaft aus und liefert ein mit äusserster Sorgfalt ausgeföhrtes 
Bild von der fortschreitenden Assanirung dieser Stadt. Bei dem bedeu¬ 
tenden Umfange dieses trefflichen Werkes müssen wir uns darauf be¬ 
schränken, nur die Hauptpunkte bezüglich der sanitären Zustände hier 
anzuführen, möchten aber ein eingehenderes Studium seines Inhaltes um so 
mehr empfehlen, als sich in demselben vielfach werthvolle Fingerzeige 
für den Beamten und Mediciner Anden, die der Beachtung werth sind. 

Bezüglich der Gliederung des Inhaltes sei erwähnt, dass der I. Theil 
die allgemeinen hygienischen und sauitäts-polizeilichen Maassregeln behandelt, 
der II. Theil in ausführlichster Darstellung das gesammte Medicinalwesen, 
sowie die Sanitätsstatistik umfasst (p. 201 - 1052). Die Wohnungshygiene 
zeigt zwar auch in Wien die grellsten Gegensätze, namentlich haben die 
sanitätswidrigen Schlafstellen des gewerblichen Hülfspersonals die behörd¬ 
liche Controle vielfach wachgerufen, doch wird hervorgehoben werden 
müssen, dass eine Besserung der Wohnverhältnisse durch den fortgesetzten 
Neubau und Umbau der Wohnhäuser eingetreten ist, und durch die treff¬ 
liche Hochquellwasserleitung, mit welcher auch die Verbreitung der Water- 
closets immer mehr zur Durchführung gelangte, sich die Reinlichkeits¬ 
verhältnisse in hohem Grade vervollkommnet haben. In dem Abschnitt 
über die Krankenanstalten wird besonders die Nothwendigkeit der Ver¬ 
mehrung der Spitäler in Wien und speciell noch die Erbauung von Isolir- 
spitälern zur Unterbringung infeetiös erkrankter Personen betont. Eine 
sehr eingehende Schilderung wird den Morbiditäts- und .Mortalitätsverhält¬ 
nissen Wiens für die einzelnen Monate auch für die Jahre 1885/86 zu 
Theil. Vergleichsweise finden sich auch die Mortalitätsziffern einiger 
grösserer Städte Europas für einen längeren Zeitraum mitgetheilt. Wiens 
Sterblichkeit zeigte im Durchschnitt in den Jahren 1873/8*2 die Ziffer von 
35,0 auf 1000 Einwohner, gegenüber derjenigen der meisten übrigen Haupt¬ 
städte der österreichischen Monaichie eine sehr günstige, unter denselben 
steht Klagenfurt mit 45,2, Prag mit 45,07 obenan, während Salzburg nur 
25,7 aufweist. Von besonderem Interesse sind die Angaben über Wiens 
Sterblichkeit seit dem Jahre 1783; man ersieht aus denselben, dass zu 
Anfang dieses Jahrhunderts die Sterblichkeit sich auf ca. 80 pro Mille be¬ 
zifferte und in den Jahren 1806 und 1809 bis auf 89,4 stieg, seit dem 
Jahre 1160 macht sich eine sehr bedeutende Abnahme um das Doppelte, 
selbst Dreifache bemerkbar; diese statistischen Belege werden als das 
sicherste Zeichen für die fortschreitende Assanirung Wiens angesehen. 
Gegenüber diesen erfreulichen Thatsachen meldet der Bericht aber, dass 
die Geburtsziffer Wiens in stetem Abnehmen begriffen sei, namentlich seit 
1883: in erster Linie wird diese Erscheinung „uuf die ungünstigen mate¬ 
riellen Grundlagen des Lebens und auf die immer zunehmenden Schwierig¬ 
keiten im Kampfe um’s Dasein“ zurückgeführt. Parallel mit der Abnahme 
der Geburten läuft die Zunahme der Todesfälle in Folge mangelhafter 
Lebensfähigkeit der neugeborenen Kiuder. — Unter den Todesursachen 
interessiren besonders die Infectionskrankheiten; beim Abdominaltyphus 
lässt sich seit der Einführung der Hochquellenwasserleitung im Jahre 1873 
eiue Abnahme wahrnehmen; während im genannten Jahre 742 am Typhus 
starben, sank diese Zahl 1874 auf 375, 1876 auf 225, 1878 auf 158 und 
betrug seit 1884 immer weniger als 100. Die zweite Krankheit, welche in 
Folge der Besserung der Wasserversorgung eine wesentliche Verminderung 
erfuhr, ist die Ruhr (Dysenterie); es starben nämlich während der Jahre 
1867/73 überhaupt 587, dagegen 1874,80 nur 150 an Ruhr. Diese beiden 
Erscheinungen haben in hohem Grade die Aufmerksamkeit der Fachmänner 
Wiens auf sich gelenkt und zu eingehenden Untersuchungen angeregt, 
namentlich des Epidemiologen Professor Dr. Dräsche, dessen Arbeiten 
1883 auf der Hygiene-Ausstellung grosses Interesse erweckten. Die Zahl 
der Todesfälle an Infectionskrankheiten zeigte eine fortschreitende Abnahme, 
1876 noch 3334 und 1886 nur noch 1542; im letzten Jahre starben von 
je 10 000 Einwohnern Wiens an Blattern 2,60, Masern 4,28, Scharlach 1,58, 
Typhus 1,07, Diphtheritis 4,65, dagegen an Tuberculose 65,46. Ein 
weiteres Eingehen auf die anderen Todesursachen verbietet uns hier der 
Raum, wir empfehlen ein specielles Studium des Werkes in dieser Be¬ 
ziehung allen Collegeu. _ P. 


XIII. Therapeutische Mitteilungen. 

Zur Behandlung der Lungentuberculose 

empfiehlt Fraentzel, statt des Kreosots das Guajakol in der 
Praxis zu verwerthen. In der Sitzung des Vereins für innere 
Medicin vom 6. Februar führt3 derselbe aus: Ich wollte nur für 
wenige Augenblicke ihre Aufmerksamkeit vor Eintritt in die 
Tagesordnung in Anspruch nehmen. Sie werden sich vielleicht 
entsinnen, dass ich im vorigen Jahre ihnen eine Mittheilung machte 
über die Erfolge der von mir seit Jahren bei Lungentuberoulose 
geübten Kreosotbehandlung. Ich kam dabei zu dem Schluss, 
dass nach 9jährigen genauen in der Krankenhauspraxis gesammelten 
Erfahrungen, über welche ich schon früher zwei Mittheilungen ge¬ 
macht hatte, dem Kreosot für eine bestimmte beschränkte Reihe 
von Fällen eine günstige Wirkung nicht abzusprechen sei. Diese 
Wirkung war ich nicht geneigt als eine solche anzusehen, welche 
durch das Abtödten der Tuberkelbacillen entsteht, sondern der 
überaus günstige Einfluss des Kreosots auf deu Digestionsapparat 
bewirkt wohl allein den guten Erfolg bei gewissen Fällen von 
Tuberculose. Ich habe im vorigen Jahre die Indicationen und 


Contraindicationen für die Anwendung des Mittels bestimmt ange¬ 
geben und davor gewarnt, seinen Gebrauch zu verallgemeinern und 
allzugrosse Hoffnungen zu hegen: unter 400 bis 500 Fällen wird 
man 16 bis 20 mal wirklich günstige Erfolge erzielen. 

In allen diesen Beziehungen hat sich seit dem vorigen Jahre 
nichts in meinen Anschauungen geändert Ich habe mir aber das 
Wort erbeten, um auf einen anderen Punkt in der Kreosotbehandlung 
Ihre Aufmerksamkeit zu richten. 

Wir wussten ja seit langen Jahren, dass das Kreosot ein Ge¬ 
menge verschiedener Stoffe sei. Nachdem nun eine gewisse Wirk¬ 
samkeit des Kreosots feststand, lag natürlich die Frage nach dein 
eigentlich wirksamen Bestandtheil nahe. 

Schon im Sommer 1887 hat mich Herr Professer Dr. Penzoldt 
in Erlangen darauf aufmerksam gemacht, dass das Guajakol ihm der 
wirksame Bestandtheil zu sein scheine. Seit dieser Zeit ist von Dr. Sahli 
in Bern eine ausführliche Mittheilung über den Gebrauch des Gua- 
jakols an Stelle des Kreosots gemacht worden, und ich habe nun 
selbst hier in der Charite mit Beginn des Winters angefangen, 
Guajakol statt Kreosot anzuwenden. Da es damals hier in Berlin 
noch nicht im Handel war, wurde es von der hiesigen Firma Kahl¬ 
baum hergestellt und in grossen Mengen für die Charite bezogen. 

Ich darf wohl darauf verzichten, die näheren Eigenschaften des 
Guajakols noch einmal genauer zu beschreiben, nachdem dies von 
Sahli bereits geschehen ist. Ich habe nun das Guajakol in mehr 
als einem Dutzend von Fällen in gleicher Dosirung wie früher das 
Kreosot angewendet, d. h. in folgender Mischung: 

Guajakol. 13,5 
Tinct. Gentian. 30,0 
Spirit, vini rectificatiss. 250,0 
Vini Xerens. q. s. ad colat. 1000,0 
täglich zwei bis dreimal einen Esslöffel voll in einem Weinglase 
Wasser gegeben. Gallertkapseln zu gebrauchen und Tolubalsam 
dem Medicaraent zuzusetzen, wie dies Sommerbrodt beim Ge¬ 
brauch des Kreosots empfohlen hat, sah ich mich nicht veranlasst, 
weil nach meinen Erfahrungen schon diese Form der Darreichung 
des Kreosots weniger gut vom Digestionsapparat vertragen wurde, 
wie die von mir vorgeschlagene. Das Guajakol hat sich mir bisher 
in seinen Wirkungen dem Kreosot gleichwerthig gezeigt; ich halte es 
daher für den wirksamen Bestandtheil des Kreosots. Da es nun 
rationell erscheinen muss, statt eines Gemenges ein reines Medica- 
ment zu gebrauchen, das ausserdem entschieden weniger schlecht 
schmeckt, so rathe ich von jetzt ab in der Behandlung der Lungen¬ 
schwindsucht, wenn man meinen bestimmt angegebenen Indicationen 
folgt, dem Kreosot das Guajakol zu substituiren. 

Vielleicht möchten Sie mich noch fragen, warum ich nicht die 
hier gebotene Gelegenheit benutze, um auf die Angriffe zu ant¬ 
worten, welche Herr Sommerbrodt in Breslau auf meine erwähnte 
Arbeit über den Gebrauch des Kreosots bei Tuberculose in einem 
jüngst erschienenen Aufsatz gerichtet hat. Schon die erste Arbeit 
des Herrn Sommerbrodt über diesen Gegenstand, welche ziemlich 
gleichzeitig mit der meinigen des vorigen Jahres erschien, zeigt bei 
genauerer Betrachtung, dass wir unsere Rathschläge auf Erfahrungen 
aufbauten, die eine ganz verschiedene Unterlage hatten. Ich habe 
klinische Erfahrungen mitgetheilt und in ihren Erfolgen ausführlicher 
erörtert, nur 9 Mal komme ich auf genaue Beobachtungen der Privat¬ 
praxis zurück; Herr Sommerbrodt stützt sich auf 5000 Fälle seiner 
ambulatorischen Praxis, ohne irgendwie auf Details einzugehen. 
Ich halte das Kreosot nur bestimmten Indicationen folgend in einer 
geringen Zahl von Fällen für ein brauchbares Mittel, Sommerbrodt 
erklärt es, ohne bestimmte Indicationen aufzustelleu, eigentlich immer 
für erfolgreich. Bei diesem Widerstreit der Ansichten halte ich 
jede Discussion für fruchtlos. Die Zeit, die Erfahrung der Fach¬ 
genossen wird hier entscheiden. Für heute möchte ich nur noch 
einmal rathen, statt des Kreosots das Guajakol in der 
Praxis zu verwerthen. 


— In der Section für innere Medicin des Washingtoner internationalen 
Congresses berichtete Dr. Eve aus Rieding über eiue curiose Methode der 
Behandlung der Tnbercnlose. Nachdem durch das Mikroskop der Tuberkel- 
bacillus constatirt, lässt er folgende Mischung inhaliren. Er versetzt ei 
Glas Wasser mit dem Weissen von einem Ei, lässt diese Mischung 5— 
Tage stehen, bis sich ein Geruch nach faulen Eiern entwickelt hat. Bei 
länger fortgesetzter Inhalation verliert sich der Tuberkelbacillus in dem 
Auswurf. Auf welche Weise diese Wirkung erlangt wird, weiss Eve nicht, 
doch vermuthet er, dass sich in dieser Mischung ein Bacillus entwickelt, 
der antagonistisch den Tuberkel bacillus zerstört. Bo. 

— Zur Therapie des Rachenkatarrlis empfiehlt Endler ein zuver¬ 
lässiges und von keinerlei unangenehmen Erscheinungen begleitetes Gurgel¬ 
wasser bestehend aus: 

R. Sulfat. Zinc. 5,0 

Aqu. Menth, piper. 1000,0 
S. 3—4 mal tägl. gurgeln. 

(Berl. klin. Wochenschr. No. 3 1888.) 


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>. 0)3 







16. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


139 


— Als Ersatz für Eisenpräparate hat der Chemiker Luigi d’Emil io 
in Neapel ein Präparat in den Handel gebracht, das er Trefosia (abgeleitet 
von rpitpm ich nähre) nennt, und das die festen Bestandteile des arteriellen 
Blutes junger kräftiger Rinder darstellt. Dasselbe soll als Tonicam, in 
Ohocolade, Milch, Caffee etc. gelöst, in Fällen, in denen bisher Eisen, 
Chinin, Lebertbran und andere Präparate gereicht wurden, Anwendung 
finden. Nach der Analyse von V. Gauthier, Präparator des Instituts für 
Pharmakologie und experimentelle Therapie der Universität Neapel ent¬ 
halten IOO Theile des Trefusiapulvers: 

Serum, Paraglobuliu, Globulin etc. 89,733 Th. 

Extractivstoffe . 2,475 „ 

Anorganische Salze. 6,294 „ 

Eisenoxyd. 0,382 „ 

Verluste. 1,116 „ 

Nach Gauthier wird das Präparat wegen seiner vollkommenen Lös¬ 
lichkeit leicht absorbirt und selbst von einem kranken Magen ertragen. 
Verdauungsversuche mit natürlichem Magensaft und Pepsin ergaben fast 
völlige Umwandlung des Präparates in Pepton. Prof. Tommasi, der das 
Präparat in einigen Fällen von Anämie und Chlorose angewandt hat, rühmt 
seine leichte Absorbirbarkeit und seine Wirksamkeit - mit Bezug auf die 
Neubildung von Blutkörperchen. Eine Reihe anderer italienischer Autoren 
spricht sich ebenfalls günstig über das Mittel aus, so dass Versuche mit 
demselben sieb empfehlen dürften. 

— Dr. Kade’s Oranien-Apotheke stellt sterllisirte Subcutaninjec- 
tiaMM her, die dem praktischen Arzte den Vortheil bieten, beständig einen 
Vorrath zuverlässig wirkender lnjectionen zur Verfügung zu haben und solche 
ohne Unbequemlichkeit stets bei sich führen zu können. Die lnjectionen 
sind nach vorheriger Sterilisation in Glasröhrchen eingeschmolzen, deren 
Inhalt 1 ccm entspricht. Es ist leicht, die Spitze des Röhrchens abzubrechen 
und den Inhalt in die Spritze zu ziehen, zumal wenn man das Gläschen auf 
die Canäle steckt, den Hals desselben zwischen zwei Fingern der linken 
Hand hält und nun beim Aufsaugen mit der Spritze die Canüle allmählich 
mit der sinkenden Flüssigkeit aus dem Gläschen herauszieht. Zum be¬ 
quemen Transport in der Tasche sind die lnjectionen theils in Etuis ge¬ 
bracht, welche neben einer Pravazspritze 6 lnjectionen enthalten, theils sind 
kleine Etuis ohne Spritze zur Aufnahme und zum bequemen Transport von 
6 lnjectionen hergestellt. 


Xjlv. Prof. Dr. Ernst LeberecM Wagner f. 

In Leipzig starb am 10. Februar der Professor der speciellen 
Pathologie und Therapie, Geh. Medicinalrath Dr. Ernst Leberecht 
Wagner im Alter von 59 Jahren. Wie uns von dem Verstorbenen 
nahe stehender Seite mitgetheilt wird, war es in letzter Linie eine 
acute Nephritis mit schwerster Uraemie, welcher Wagner erlag, 
.und dieser Umstand ist gewiss doppelt tragisch, da wohl Niemand 
in den letzten 10 Jahren mit gleichem Eifer und Interesse gerade 
dieses Capitel der speciellen Pathologie zu fördern bestrebt gewesen 
ist“ Der Tod des hervorragenden Lehrers und weitberühmten Arztes 
hat über seinen engeren Wirkungskreis hinaus die medicinische Welt 
auf das Tiefste erschüttert. 

Eine eingehende Würdigung des Lebens und Wirkens des her¬ 
vorragenden Forschers, Arztes und Lehrers von berufenster Seite 
behalten wir uns für eine der nächsten Nummern vor. 


XV. Prof Dr. Heinrich Bohn f. 

Am 5. Februar c. starb in Königsberg nach längerem Leiden 
der ausserordentliche Professor der Pädiatrie Dr. Heinrich Bohn. 
Bohn ist am 8. Januar 1832 zu Memel geboren und hat fast aus¬ 
schliesslich, vom Beginn seiner Studienzeit bis zu seinem Tode, der¬ 
jenigen Universität angehört, an welcher er den Lehrstuhl für 
Kinderheilkunde inne batte. Nur im Anfang seiner Laufbahn hatte 
ihn der grosse Ruf »1er österreichischen Universitäten Prag und Wien 
frühzeitig zu Studienzwecken dorthin gelockt, indess kehrte er nach 
beendeter Lernzeit nach Königsberg wieder zurück, um dort als 
Assistent an der inneren Klinik einzutreten. Das hohe Interesse 
für die Kinderheilkunde, welches der Verstorbene aus Wien mitge¬ 
bracht hatte, führte ihn dazu, in dem Fache allmählich mehr und 
mehr anfzugeheu und, im Jahre 1860 als Privatdocent habilitirt, 
übernahm er 1868 officiell den Lehrstuhl für Pädiatrie an der 
Königsberger Universität. 

Bohn war ein guter, nüchterner und klarer Beobachter. War es 
ihm auch nicht gegeben, an den neueren experimentellen Forschungen 
in der Pathologie Antheil zu nehmen, so sprechen doch sowohl seine 
kasuistischen Mittheilungen wie seine grösseren zusammenfassenden 
Arbeiten dafür, dass Bohn unbefangen und gut zu sehen im Stande war 
and das Beobachtete wahrheitsgetreu, in einfacher, nüchterner Dar- 
«tellung wiedergab. — Seine bekanntesten Werke sind die Mund- 
krankheiten der Kinder, das Handbuch der Vaccination 
und die Bearbeitung der acuten Exantheme in dem umfang¬ 
reichen Gerhardt’schen Handbuch der Kinderkrankheiten. Seine 
kleineren, lehrreichen Aufsätze sind fast sämmtlich im Jahrbuch 
für Kinderheilkunde veröffentlicht, dessen Mitredacteur er in der 
-neuen Folge“ bis zuletzt gewesen ist. Hier finden sich Arbeiten 
über Rachitis, die Hautkrankheiten der Kinder, so über die 


embolischen HautafFectionen, über Pemphigus, Zoster, Eczem 
u. s. w. Vor Allem waren es auch die Nervenkrankheiten der 
Kinder, für welche Bohn Interesse zeigte, so erschien im Jahr¬ 
buch eine kurze Skizze der Nervenkrankheiten des kindlichen Alters 
und später eine Mittheilung über aphasische Störungen bei Kindern. 

— Bohn ist bis zuletzt von ausdauerndem Fleiss gewesen, und noch 
das letzte Heft des Jahrbuchs für Kinderheilkunde und die Deutsche 
medicinische Wochenschrift enthalten Mittheilungen aus seiner fleissi- 
gen Feder. 

Der Verstorbene hat unter den ungünstigen Verhältnissen, unter 
welchen bis jetzt noch die Pädiatrie an deutschen Universitäten lebt, 
zu leiden gehabt, da ihm kein seiner Arbeitskraft und seinem Talent 
genügendes klinisches Material an einer pädiatrischen Klinik zu Ge¬ 
bote stand; umsomehr ist die Vielseitigkeit und Tüchtigkeit des von 
ihm Geschaffenen anzuerkennen. — Bohn war überdies eine kernige, 
aufrichtige und ehrenhafte Natur, und Jedermann, der mit ihm be¬ 
kannt wurde, nahm von ihm den erfreulichen Eindruck eines ebenso 
liebenswürdigen, wie aufrichtigen und wohlwollenden Charakters mit. 

— Sein Name wird unter den speciellen Fachgenossen noch lange 

fortleben. Baginsky. 


XVI. Aus dem Staatshaushalts-Etat für 
1888/89. 

m. 

Medicinalwesen. A. Mehrforderungen: I. Für 20 Kreisphy¬ 
siker 18 000 Mk., und zwar je 900 Mk. Besoldung für 3 Kreisphysiker im 
Regierungsbezirk Danzig, für 1 im Regierungsbezirk Marienwerder, für 10 
im Regierungsbezirk Posen und für 3 im Regierungsbezirk Broraberg. Die 
Errichtung dieser Stellen ist in Folge der durch das Gesetz vom 6. Juni 1887 
bewirkten Theilung von Kreisen in den Provinzen Posen und Westpreussen 
erforderlich. Ferner werden angestellt je 1 Kreisphysicus für den Stadtkreis 
Spandau, Landkreis Cottbus und den Kreis Mühlheim an der Ruhr. Dagegen 
sind 16 800 Mk. weniger erforderlich, weil 18 Kreiswundarztstellen aufge¬ 
hoben und die Aussterbebesoldungen eines Kreisphysicus, zweier Amtsphysiker 
und von 5 Amtswundärzten erledigt wurden. Die Mehrforderung be¬ 
trägt demnach nur 1 200 Mk. 2. 5000 Mk. sind zur Bestreitung 
der Tagegelder und Reisekosten ausgeworfen, welche nach § 11 der 
A. V. vom 25. Mai 1887, betreffend die Einrichtung einer ärztlichen 
Standesvertretuug den zu den Sitzungen der Provinzial-Medieinalcolle- 
gien von auswärts einzuberufenden Vertretern der Aerztekamraern zu ge¬ 
währen sind. 3. 3750 Mk. für das in Königsberg i. Pr. zu errichtende 
Impf- und Lympherzeugungsinstitut, und zwar zur Remunerirung 
des Vorstehers 3000 Mk., des Assistenten 750 Mk., ferner ebensoviel für 
das in Cassel zu errichtende Institut zur Gewinnung thierischen Impfstoffes. 
Zu sächlichen Ausgaben ausserdem für das Institut in Königsberg 5 500 Mk. 
und in Cassel 4720 Mk. 4. Zur Unterhaltung der Quarantaine-Anstal¬ 
ten in Swinemünde 300 Mk., an der Kieler Föhrde 1500 Mk. und in Emden 
300 Mk. Der Gesammtetat für das Medicinalwesen beträgt 1 537 SSO,12 Mk., 
darunter 41 180,57 Mk. Mehrforderungen gegen das Vorjahr. 

B. Einmalige und ausserordentliche Ausgaben. In weiterer 
Ausführung des Bundesrathsbeschlusses vom 18. Juni 1875, betreffend das 
Impfwesen, wurden neue Impfinstitute in Königsberg und Cassel errichtet 
und für den Bau und innere Einrichtung derselben 6800 und 1500 Mk. ver¬ 
langt: die Stadt Cassel errichtet das Gebäude auf ihre Kosten. tt 


XVn. Kleine Mittüeilungen. 

— Berlin. Wie verlautet, bat der Direktor des Göttinger Botanischen 
Gartens, Prof. Graf Solms-Laubach, der einen Ruf an die Berliner Uni¬ 
versität bereits angenommen hatte, nachträglich diese Berufung abgelehnt 
und wird als Nachfolger de Bary’s nach Strassburg gehen. 

— Das Dr. Weigert’sehe Privatlaboratorium, aus welchem bereits 
wertbrvolle wissenschaftliche Arbeiten hervorgegangen sind, ist zu einem 
Laboratorium erweitert worden, in welchem pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchungen aller Art ausgeführt werden. Unser verehrter Mitarbeiter, l)r. 
Emil Senger, der früher mehrere Jahre Assistent am Pathologischen In¬ 
stitut in Breslau war, einige Monate im Berliner Hygienischen Institut arbei¬ 
tete und dann unter Maas in Würzburg und Hagedorn in Magdeburg 
sich der Chirurgie widmete, hat in dem genannten Laboratorium die Con- 
trole sämmtlicher pathologisch-anatomischen und bacteriologischen Arbeiten 
übernommen, während die chemischen Untersuchungon ein Chemiker von 
Fach leitet. Die betreffenden Untersuchungen befinden sich somit in den 
zuverlässigsten Händen. 

— Der Vorstand der Anatomischen Gesellschaft hat beschlossen, 
gelegentlich der zu Pfingsten in Würzburg stattfindenden II. Versammlung 
eine Ausstellung aller zu den anatomischen Wissenschaften in Beziehung 
stehenden Apparate zu veranstalten. Ferner sollen bei dieser Versammlung 
möglichst zahlreiche Demonstrationen anatomischer Präparate aller Art 
stattfinden. Mit der Führung der diesbezüglichen Geschäfte hat der Vor¬ 
stand ein Comite, bestehend aus den Herren Dr. Decker, Dr. 0. Schultze 
und Prof Dr. Stöhr, betraut. Das Comite erlässt einen Aufruf, die Aus¬ 
stellung mit selbst construirten oder sonst erprobten Apparaten zu beschicken 
und Anmeldungen möglichst bald an Herrn Prof. Stöhr in W'ürzburg ge¬ 
langen zu lassen, an den auch Mittheilungen behufs der Zahl zu eventuellen 
Demonstrationen gewünschter Mikroskope mit genauer Angabe der Objec- 
tive etc. zu richten sind. 

— Königsberg i. Pr. Prof. Dr. Quincke hat, wie wir hören, den 
an ihn ergangenen Ruf nach Königsberg abgelehnt, und ist nunmehr Prof. 


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140 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 7 


Dr. Strümpell (Erlangen), der an zweiter Stelle vorgeschlagen war, berufen 
worden. 

— Jena. Wie wir hören sind für die durch Prof. Braun’s Berufung 
nach Marburg erledigte Professur der Chirurgie neben Prof. Rosenbach- 
(Göttingen) noch Prof. Oberst (Halle), Priv.-Doc. Dr. Länderer (Leipzig) und 
Dr. Riedel, Oberarzt des Mariahilfspitals in Aachen, von der Facultät 
vorgeschlagen worden. 

— Würzburg. Während der Osterferien werden, wie in früheren 
Jahren, von den Docenten und Assistenten der medicinischen Facultät Ferien- 
curse abgehalten, bezüglich deren wir auf den Inseratentheil dieser Nummer 
verweisen. 

— Paris. Im Ministerium des Innern haben unter dem Vorsitz von 
Monod, Directeur de PAssistance publique, Verhaudlungen zum Zwecke der 
Begründung einer Kasse stattgefunden, aus welcher Familien von Aerzten 
unterstützt werden sollen, die ihrem Berufe zum Opfer gefallen sind. Dieses 
Vorgehen verdient auch bei uns Nachahmung. 

— Zur medicinischen Publicistik. Eine Reihe von Professoren 
der Wiener medicinischen Facultät hat beschlossen, ein neues medicinisches 
Journal ersten Ranges zu begründen. Dasselbe wird unter der Redaction 
von Dr. G. Riehl im Verlage von Holder erscheinen. Die K. K. Gesell¬ 
schaft der Aerzte hat dasselbe, wie wir hören, in der Sitzung vom 6. Februar 
zu ihrem amtlichen Publicationsorgan gewählt. 

— Zur Aetiologie des Carcinoms. Der Arbeit Scheurlen’s 
über die Aetiologie des Carcinoms sind rasch weitere Veröffentlichungen 
über denselben Gegenstand gefolgt. Ausser Freire und Perrin erheben 
nunmehr zwei weitere Autoren den Anspruch, die Entdecker des Krebs¬ 
bacillus zu sein, nämlich Dr. Barnabei, Professor der medicinischen Klinik 
an der Facultät in Siena, und Dr. Sanarelli, Assistent für experimentelle 
Pathologie an derselben Facultät. Dieselben haben der Accademia di roedi- 
cina Mittheilungen über Iteinculturen gemacht, durch deren Einimpfung es 
angeblich gelungen ist, bei Thieren Carcinom zu erzeugen. — Eine weitere 
Mittheilung über dasselbe Thema machte Dr. C. Francke am 17. Januar 
der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München. (Münch, 
med. Wochewschr. No. 4, 1888). Francke knüpft an die Publication von 
Dr. Scheurlen an und berichtet nach einer Kritik der Mittheilungen des¬ 
selben über seine eigenen Arbeiten über den Gegenstand, die er vor dem 
Bekanutwerden der erwähnten Publication im klinischen Institut zu München 
begonnen haben will. Francke hat im Ganzen 3 Sarcom- und 9 Carcinom- 
fälle genauer untersucht. Seine Resultate in Betreff des Carcinombacillus und 
seiner Sporen stimmen ira Wesentlichen mit denen Scheurlen’s überein. 
Das von Scheurlen beschriebene Wacbsthum konnte Francke dagegen nur 
im Brutschrank erzielen, der Pilz gedieh auch auf sauren Medien sehr gut. 
Bei ungefärbten Schnitten, Concavspiegel und engster Blende gelang es auch 
im Schnitt die Sporen zu sehen, ebenso die noch nicht in Bacillen zerfallenen 
langen Mycelfäden durch Lithion-Carmin. Ein Theil der in Lehrbüchern 
erwähnten Pigmentflecke ist nach Francke auf das Mycel und die Sporen 
dieses Pilzes zurückzuführen. Der aus den Sarcomen gezüchtete Pilz glich 
dem des Carcinoms vollständig, nur waren seine Bacillen dünner und länger. 
Die Sporen des Sarcoms sind etwas grösser als die des Carcinoms. Die 
Unterscheidung der beiden Pilze ist schwierig, wegen ihres Wachstbums auf 
sauren Nährböden möchte sie Francke ausserhalb der Spaltpilze rubriciren. 
Verunreinigungen kamen bei den Versuchen vor, und in faulendem Eiweiss 
fanden sich oft den Carcinombacillen ähnliche Stäbchen und ovale Körperchen, 
doch nie so charakteristisch vereinigt, wie bei Sarcom und Carcinom. Einige 
Male gelang es auch im Blut die Pilze nachzuweisen. Uebertragung auf 
einen anderen Organismus gelang bisher nicht. 

— Eine interessante Beobachtung hat Hasse über Gesichtsasym¬ 
metrie angestellt. Veranlassung dazu boten Studien über die Venus von 
Milo und Glossen, welche Henke zu diesem Gegenstände gemacht hatte. 
Hasse hatte gefunden, dass die berühmte Statue in allen wesentlichen Ver¬ 
hältnissen anatomisch richtig ausgeführt sei. Henke hingegen hatte unter 
Anderem die Schiefheit des Gesichtes der Venus tadelnd hervorgehoben. 
Hasse (Ueber Gesichtsasymmetrien, Archiv für Anat. und Physiol. Anat. 
Abtheil. p. 119—125, 1. Tafel und Anat. Anzeiger Jahrg. 2, No. 12, p. 371) 
macht nun die überraschende Mittheilung, dass nicht bloss die Venus von 
Milo, sondern wir Alle ein schiefes Gesicht haben. Diese Asymmetrie be¬ 
schränkt sich auf die obere Hälfte des Gesichts. Mund und Kinn sind voll¬ 
kommen symmetrisch, ln der Regel überwiegt die linke Schädelhälfte in 
Folge stärkerer Entwickelung der linken Gehirnhälfte, die Nase weicht (be¬ 
kanntlich) nach rechts oder links ab. Ferner steht meist die rechte Augen¬ 
gegend höher als die linke, während das linke Auge der Mittellinie näher 
steht. Das linke Ohr steht in der Regel höher als das rechte. Diese An¬ 
gaben werden durch Abbildungen der Venus und von lebenden Menschen 
(nach Photographieen) gestützt. 

— Cholera. Nach einer Nachricht vom 24. Dec. vor. J., die den 
Veröff. d. K. Ges.-A. zugeht, hat die Cholera in Valparaiso (Chile) in be¬ 
denklichem Maasse um sich gegriffen und in allen Schichten der Bevölkerung, 
sowie in allen Stadttheilen Opfer gefordert. Den amtlichen Veröffent¬ 
lichungen zufolge sind in den vier Tagen vom 19.—23. December in den 
Lazarethen und Sanitätsstationen 130 Choleratodesfälle vorgekommen. Die 
früher bestandene freiwillige deutsche Ambulanz ist wieder eingerichtet 
worden. 

— Flecktyphus. Von Herrn Dr. R. Schulz, Vorstand der medi¬ 
cinischen Abtheilung des Herzoglichen Krankenhauses in Braunschweig, geht 
uns nachstehende Mittheilung zu: „Nachdem Braunschweig in den Jahren 1886 
und 1887 frei von Typhus petechialis war, ist Ende December 1887 wiederum 
1 Fall und im Januar 1888 zwei Fälle von Flecktyphus zur Behandlung ge¬ 
kommen Der erste Fall im December 1887 wurde im städtischen Kranken¬ 
hause vom Oberarzt desselben, Herrn Sanitätsratb Prael, beobachtet. Der 
Kranke hatte in derselben Herberge genächtigt, aus welcher mein erster 


Fall entstammt. Dieser Pat. wurde am 13. Januar d. J. aufgenommen, nach¬ 
dem er seit dem 31. December 1887 in der betr. Herberge Iogirt hatte. Er 
verlief typisch und wurde geheilt. Der zweite Fall kam auf meiner Ab¬ 
theilung im Herzogi. Krankenhause am 18. Januar d. J. zur Aufnahme. Der¬ 
selbe hatte in einer anderen Herberge Iogirt; auch dieser Fall verlief typisch 
und endete mit Genesung. Beide Fälle betrafen Landstreicher, auch der 
erste Fall Prael’s, alle trieben sich im Hannoverschen und am Harze, Nord¬ 
hausen, Giffhorn, Hannover, Lehrte herum. Weitere Fälle, die eigentlich zu 
erwarten waren, sind bis jetzt nicht zur Beobachtung gekommen. Doch ist 
es möglich, dass in den betr. Herbergen andere Landstreicher angesteckt 
ihre Reise fortgesetzt haben und an anderen Orten erkranken. Um die 
Collegen anderer Orte der Nachbarschaft aufmerksam zu machen, erlaubte 
ich mir Ihnen diese Mittheilung zu machen.“ 

— Universitäten. Heidelberg. Die DDr. J. Hoffmann und 
W. Fleiner haben sich als Privatdocenten habilitirt. 


XVm. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht den Regierungs- u. Medicinal-Räthen Dr. Zcuschner in Danzig 
und Dr. Richter in Erfurt den Charakter als Geheimer Medicinal-Rath, 
ferner dem Kreis-Physikus Dr. Wilke zu Gnesen und den prakt. Aerzten 
Dr. Jacoby in Bromberg, Dr. Osowicki in Posen, Dr. Drake und Dr. Loh- 
mann in Hannover den Sanitätsraths - Titel sowie dem ordtl. Professor 
Dr. Schmidt-Rimpler zu Marburg den Rothen Adler-Orden IV. CI., und 
dem Ober Stabsarzt I. Kl. a. D. Dr. Kühne zu Charlotten bürg den Kgl. 
Kronen-Orden III. CI. zu verleihen. 

Bei Gelegenheit des Krönungs- und Ordensfestes haben erhalten: 

Den Rothen Adler-Orden III. CI. mit der Schleife: Regierungs¬ 
und Geheimer Medicinal-Rath Dr. Schwartz in Trier, General- und Corps¬ 
arzt Dr. S trübe in Breslau. 

Den Rothen Adler-Orden IV. C1-: Die Ober-Stabs- und Reg.- 
Aerzte Dr. Berkofsky in Prenzlau, Dr. Claus in Saarlouis, Dr. Goetting 
in Paderborn, Dr. Graf in Altenburg, Dr. Haertel in Krotoschin, 
Dr. Heimlich in Tilsit, Dr. Lorenz in Thora. Dr. Richter in Magde¬ 
burg, Geh. Sanitäts-Rath Dr. Brandis in Aachen, Ober-Stabs- und Gam.- 
Arzt Dr. Huya in Mainz, Professor Dr. Külz in Marburg, Stabsarzt a. D. 
Dr. Marung in Schönberg (Mecklbg. Strel.), Stabs- und Bat.-Arzt 
Dr. Malmier in Northeim, Kreis-Physikus Sanitäts-Rath Dr. Nöldechen 
in Lauban, Kreisarzt Dr. Pawollek in Bolchen, Polizei - Stadt - Physikus 
San.-Rath Dr. Sch lockow in Breslau, Stabs- und Bat.-Arzt Dr. Senft leben 
in Breslau, Regierungs- und Medicinal-Rath Dr. Wiebecke in Frankfurt a./O., 
Arzt Dr. Zartmann in Metz. 

Den Stern zum Königl. Kronen-Orden II. CI.: Geheimer Re¬ 
gierungs-Rath Professor Dr. v. Helmholtz zu Berlin. 

Den Königl. Kronen-Orden II. CI.: Geh. Medicinal-Rath Professor 
Dr. v. Volk mann in Halle a./S. 

Den Königl. Kronen-Orden III. CI.: Ministerial-Referent Ober- 
Stabsarzt Dr. Grossheim in Berlin, die Ober-Stabs- und Reg.-Aerzte 
Dr. Kirchner in Breslau, Dr. Kohlhardt in Metz und Dr. Rothe in 
Frankfurt a./0. 

Den Königl. Kronen-Orden IV. CI.: Hofarzt Dr. Boer in Berlin, 
Kreis-Wundarzt Rudloff in Delitzsch. 

Ernennungen: Seine Majestät der Kaiser haben Allergnädigst ge¬ 
ruht, den seitherigen 2. Arzt an der Waadtländischen Irren-Anstalt zu Cerp 
bei Lausanne, Dr. Jakob Kayser zum Direktor und 1. Arzt der Provinz.- 
Irren-Anstalt zu Owinsk zu ernennen. Der praktische Arzt Privat - Docent 
Dr. Tuczek zu Marburg ist unter Belassung in seinem Wohnsitz zum Me- 
dicinal-Assessor beim Kgl. Medicinal-Collegium der Provinz Hessen-Nassau, 
der seitherige Kreis-Wundarzt des Kreises Landsberg Dr. Friedrich zu 
Landsberg a./W. zum Kreis-Physikus desselben Kreises, der seitherige Kreis- 
Wundarzt des Unter-Taunus-Kreises Dr. Justi zu Idstein zum Kreis-Physikus 
des Kreises Hünfeld und der praktische Arzt Dr. Sylvius Stern zu Glogau 
zum Kreis-Physikus des Kreises Bomst mit dem Wohnsitz in Wollstein, 
der seitherige commissarische Verwalter der Kreiswundarzsttelle des Kreises 
Labiau, Dr. Herrmann in Mehlauken ist definitiv zum Kreiswundarzt des 
gedachten Kreises ernannt worden. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Gust. Klein von Bredew bei 
Stettin nach Breslau, Dr. Mobs von Wansen nach Hundsfeld, Dr. Wieg er 
von Schmitten, Dr. Düttmann von Dietzenbach (Hessen) nach Montabaur, 
Dr. Scheller von Camenz i. Schl, nach Bitburg, Dr. v. Poklatecki von 
Zerkow nach Gurzno, Asst.-Arzt a. D. Dr. Pfeffer von Thorn nach Kalk¬ 
berge Rüdersdorf, Dr. Kessner von Werder a. H. nach Schmitten, Dr. Hon- 
nig von Pankow nach Hamburg, Dr. Kayser von Kolberg nach Berlin, 
Stabsarzt Dr. Kirchner von Rastatt nach Emden, Stabsarzt Dr. Hündorf 
von Emden nach Rastatt, Geissler von Sprottau nach Grimmen, Albert 
Krueger von Liebenburg nach Berlin, Dr. Rieh. Schaefer von Mühl¬ 
hausen nach Berlin, Dr. Tel sch ow von Frankfurt a/O. nach Biesen, 
Dr. Ullrich von Obersitzko nach Forst i. L., Dr. Eysoldt von Roda 
(Altenburg) als Ass.-Arzt der Prov.-Irrenanstalt nach Owinsk, Ass.-Arzt 
Dr. Schuster von Glogau nach Posen, Conrad von Triebus nach Greifs¬ 
wald, Dr. Seeger von Schmölln nach Naumburg a/S., Gen.-Arzt a. D. 
Dr. Winzer von Trier nach Torgau, Ludwig Schaefer, von Prettin, 
Dr. Walle von Aachen nach Wandersleben, Dr. Snell von Hildesheim nach 
München, Dr. Evers von Münstereifel nach Bilk. 

Der Zahnarzt Hochberg von Hildesheim nach Leipzig. 

2. Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Ernennung: Der prakt. Arzt Dr. C. Götz in Altdorf zum Bez.-Arzt 
I. CI. in Hersbruck. 


Gedruckt bei Julius Sittenleld in Berlin W. 


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Donnerstag .4/ 8. 23. Februar 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHKIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinahvesens nach amtlichen Mitteilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Faul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttnmun in Berlin W. Verlag von Georg Tkioine, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber StropbantliusWirkung.') 

Von Prof. Dr. A. Fraenkel. 

Meine Herren! Unter den verschiedenen Arzneisubstanzen, 
welche zur Behandlung der Circulatiousstörungen bei Herzkraukeu 
\u «1er letzten Zeit als besonders wirksam empfohlen worden sind, 
haben speciell zwei die Aufmerksamkeit der Aerzte in grösserem 
Maasse auf sich gezogen, nämlich das altbekannte Calomel, welches 
eine rein diuretische \Virkung besitzt, und das Mittel, über das ich 
Ihnen heute referiren soll, die Tinctura Strophanthi. 

Bekanntlich waren es die Gebrüder Li vingstone, welche 
Anfang der 60er Jahre von ihrer Reise in das Zambesigebiet ! 
Strophanthus zuerst in Gestalt eines von den Eingeborenen Ost-Afrikas 
benutzten Pfeilgiftes nach Europa brachten. Bemerkenswerth ist die 
Bereitungsweise desselben, insofern die Samen von den Eingeborenen 
zuerst zerquetscht uud daun mit Wasser zu einer Masse verrieben 
werden, welche mehrere Tage stehen gelassen wird, ehe sie benutzt 
wird. Es deutet dies auf eine zunehmende Giftigkeit des Extractes, 
welche vielleicht auf der Zersetzung einer Muttersubstanz beruht, 
aus der sich erst das wirksame Princip bildet. Aus den medici- 
uischen Arbeiten über Strophanthus geht hervor, dass die Autoren 
keineswegs immer Tincturen derselben Samenart angewandt haben. 
Die lwiden Hauptspecies scheinen Strophanthus hispidus (West¬ 
afrika) und Strophanthus Kombe (Ostafrika) zu sein, welche letztere 
«lie hei uns vorwiegend oder aussclilhsslich benutzte Drogue dar¬ 
stellt Schon Langgaard 2 ) macht mit Recht darauf aufmerk¬ 
sam. dass, je nach der verschiedenen Abstammung der Tincturen 
dieselben in mancher Beziehung differente Eigenschaften aufweisen 
dürften. Bereits im Jahre 1870 isolirte der Edinburger Phar¬ 
makologe Fraser aus den Samen eine krystallisirende Substanz, 
angeblich ein Glncosid von bitterem Geschmack, welches unter der 
Anwendung verdünnter Säuren Zucker abspalte. Nach neueren 
Mittheilungen von Fraser selbst war aber, wie man schon von 
vornherein vermuthen durfte, diese Substanz kein reiner Körper, und 
erst in letzter Zeit will er das in seinen früheren Versuchen durch 
eine Sanre verunreinigte wirksame Princip in Gestalt eines unvoll¬ 
kommen krystallisirenden, in Wasser leicht, in Alkohol schwerer lös¬ 
lichen Körpers dargestellt haben, welchen er Strophanthin benennt. 
Derselbe wird, wie schon angedeutet, durch relativ schwache Säureu 
in Glucose und Strophanthidin gespalten, ist also ein Glucosid. 
Verjagt man den Alkohol einer aus dem Samen dargestellten Tinctur 
und lässt den mit Wasser aufgenommenen Rückstand einige Zeit 
stehen, so nimmt die Giftigkeit zu, was im Einklang mit den bei 
Bereitung des Pfeilgiftes seitens* der Eingeborenen gemachten Be¬ 
obachtungen steht. 

Das Strophantin hat nach Fraser digitalisartige Wirkung, in¬ 
dem es die systolischen Contractionen des Herzmuskels steigert, 
die Pulsfrequenz herabsetzt und schliesslich — bei steigender Dosis 
— systolischen Herztod bewirkt. Die Harnsecretion, sowie der 
Blutdruck nehraeu dabei zu; aber was von Wichtigkeit ist: es soll 
das Mittel im Gegensatz zur Digitalis keine Wirkung auf 
die Gefässmuskulatur oder das vasomotorische Centrum 
ausüben, sondern die Drucksteigerung soll ausschliesslich Product 
der zunehmenden Energie der Herzcontractionen sein. Ueberdies 
irebt dem Strophanthin — ebenfalls im Gegensatz zur Digitalis — 
cnmulative Wirkung nahezu gänzlich ab. Sie begreifen sofort, dass, 

') Vortrag, gehalten iui Verein für innere Medicin. 

“, Therapeutische Monatshefte 1887, No. 5. 


wenn diese dem Mittel vindicirten günstigen Eigenschaften sich auch 
nur annähernd bewahrheiteten, wir in demselben iu der That eine sehr be- 
achtensw'erthe Bereicherung unseres Arzneischatzes zu erblicken hätten. 
Denn ich brauche kaum darauf hinzuweisen, dass es eine ganze 
Reihe von HerzafFectionen giebt, für deren Behandlung es uns direkt 
erwünscht wäre, ein Mittel zu besitzen, welches im Stande ist, aus¬ 
schliesslich die erlahmende Herzthätigkeit anzuregen, ohne — wie 
dies die Digitalis thut — die Widerstände im grossen Kreislaufs¬ 
gebiet zu steigern. Zu diesen Affectionen gehören vor Allem die¬ 
jenigen, bei denen schon an sich, in Folge erschwerten Abflusses 
des Blutes aus dem Aortensystem, der Blutdruck über die Norm 
gesteigert ist, nämlich die Arteriosklerose, die chronische Nephritis, 
ferner gewisse Fälle von Ueberanstrengung des Herzens, bei welchen 
zwar in der Ruhe keine abnormen peripheren Widerstände vor¬ 
handen sind, wohl aber in Folge der vorhandenen linksseitigen 
Herzhypertrophie zuweilen permanent gesteigerter Arteriendruck 
angetroffen wird. Langgaard selbst berichtet am Ende seiner 
ersten Mittheilung über von ihm angestellte Blutdruckversuche an 
Thieren, welche nicht ganz mit den oben erwähnten Fraser’scheu 
Beobachtungen übereinstimmen und auch untereinander nicht völlig 
gleichartige Resultate ergaben. Zu denselben wurde die Tinctur benutzt, 
welche Kaninchen theils subcutan, theils (nach Verjagung des Alko¬ 
hols) direkt in die Vene injicirt wurde. Bei subcutaner Application 
grösserer Dosen constatirte nun Langgaard in der Regel ein nicht 
unerhebliches Sinken des Blutdrucks, welches bis zum Tode an¬ 
hielt oder es kam nur zu einer kurzen, vorübergehenden, dabei 
mässigen Steigerung. Erhebliche Erhöhung des Blutdruckes machte 
sich, wenn überhaupt, erst nach einer Periode bedeutender Druck¬ 
schwankungen nnd unregelmässiger Herzactionen kurz vor dem durch 
Herzlähmung erfolgenden Tode bemerkbar. Langgaard schliesst aus 
diesen Ergebnissen seiner Versuche, „dass unsere Kenntnisse über 
das Mittel noch sehr mangelhafter Natur sind, und dass ein ein¬ 
gehendes Studium nothwendig ist.“ 

Weitere experimentelle Prüfung der Angaben Fräse rs habeu 
die Herren Paschkis und Zern er 1 ) in Wien unternommen. Sie be¬ 
dienten sich zu dem Behufe theils einer nach Fraser’s Vor¬ 
schriften selbst dargestellten Tinctur, theils einer wässerigen Lösung 
vom Strophanthin. Die Experimente wurden an Fröschen und 
Hunden angestellt und zwar so, dass bei ersteren die Strophanthin¬ 
lösung direkt auf das freigelegte Herz, beziehungsweise die Mesen- 
terialgefasse eingeträufelt oder subcutan, beziehungsweise in den 
Lymphsack injicirt wurde. Ausserdem wurde eine gleiche Lösung 
in die Vena jug. gespritzt. Am Froschherzen wurde zunächst das 
Ergebniss der früheren Untersucher bestätigt, irsofem es sich zeigte, 
dass das Mittel zunehmende Energie der Herzsystolen, Verlang¬ 
samung der Pulsfrequenz, hierauf peristaltische Bewegungen des Ven¬ 
trikels und endlich Stillstand desselben in Systole, kurz danach 
auch solche der Vorhöfe in Diastole bewirkte. Diese Wirkung 
entspricht also bis auf kleine Differenzen ganz der der Digitalis. 
Dagegen konnte an den blossgelegten Mesenterialgefässen 
niemals eine Verengerung beobachtet werden, was mit den 
Angaben Fraser’s über die fehlende Wirkung auf den peripheren 
Gefässapparat vollkommen übereinstimmen würde. 

Kymograpbische Versuche an Hunden ergaben bei lnjection 
kleiner Dosen (0,0005) mässige Blutdrucksteigerung, wonach der 
Aortendruck wieder znr ursprünglichen Höhe absank und constant 
blieb. Wurden grössere Dosen angewandt so ging der Reizung 


*) Mediciuische Jahrbücher 1887. Heft 8 |*. 513 ii (f. 


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142 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 8 


anfangs ein Sinken mit Arhythmie des Pulses voraus; doch er¬ 
holte sich meist, selbst wenn der Druck sehr niedrig wurde, das 
Herz wieder vollständig. Erst bei Application ganz grosser Dosen 
von 0,005 sank der Blutdruck dauernd bis zu dem in 2—3 Minuten 
eintretenden Tode. Pulsverlangsamende Wirkung konnte in den 
Experimenten am Hunde nicht wahrgenommen werden. 

Wie man sieht, stimmen diese Versuche weder mit denen 
Langgaard’s, noch mit denen Fraser’s überein, so dass man bis 
zur absolut sicheren Reindarstellung des wirksamen Principes im 
Strophanthussamen wahrscheinlich auf genaue und eingehende Kennt¬ 
nisse der physiologischen Wirkungen wird verzichten müssen. 

Zu erwähnen ist noch, dass in neuerer Zeit Langgaard 1 ) im 
Verein mit Dr. Bahadhurji einige interessante Versuche zur Prü¬ 
fung der Frage, ob Strophanthin ausser seiner Eigenschaft als 
Herzgift noch anderweitige Wirkungen auf das Centralnervensystem, 
speciell hypnotische äussert, unternommen hat. Zu diesen Ver¬ 
suchen hatte ihn eine Beobachtung von Boyd am Menschen an¬ 
geregt, welcher bei einem an Karbunkel leidenden Patienten, bei 
dem sich eine hochgradige Herzschwäche nach der Operation ein¬ 
gestellt hatte, auf mehrmalige Darreichung von 6 Tropfen Tinctur 
in 6ständigen Intervallen jedesmal einen mehrstündigen erquickenden 
Schlaf eintreten sah. In der That nimmt Langgaard auf Grund 
seiner an Fröschen und Kaninchen angestellten Experimente an, 
dass die Tinctur einen direkten Einfluss auf das Centralnerven¬ 
system ausübt und als ein cerebrales und spinales Sedativum an¬ 
zusehen sei, welches in Folge dieser Eigenschaften, besonders nach 
Beseitigung vorhandener Circulationsstörungen, schlafbefördernd zu 
wirken vermöge. 

Wir gelangen nunmehr zu dem Hauptgegenstande meines Themas, 
nämlich der Anwendung der Strophanthustinctur bei Kranken, na¬ 
mentlich Herzleidendeu. Die Zahl der hierüber bis jetzt vorliegen¬ 
den Mittheilungen ist eine so grosse, dass ich unmöglich auf alle 
hier eingehen kann, sondern mich nur auf die Berücksichtigung der 
wichtigsten unter ihnen und Wiedergabe eines Gesammtresume 
. beschränke. 

Pins, 2 ) dessen Bericht mir bei Weitem zu optimistisch gefärbt 
erscheint, bezeichnet die Tinctur als ein eminentes Herztonicum, 
welches in vielen Fällen an Verwendbarkeit und Wirksamkeit der 
Digitalis vorzuziehen sei. Das Mittel wurde von ihm bei verschie¬ 
denen Herzaffectionen (Klappenfehler, Fettherz, Arteriosclerose), 
insbesondere aber chronischer Nephritis mit Erfolg angewandt. Ohne 
Nutzen zeigte es sich bei Ascites in Folge von Stauung im Pfortader¬ 
system, chrouischer Peritonitis u. dgl. ' Die angewandte Dosis be¬ 
trug 3 x täglich 5 bis 3 x 10 Tropfen. Ferner wurden Versuche 
mit subcutaner Application einer wässrigen Strophanthinlösung von 
1 : 1000, von der 7-2—*/4 Spritze = 0,0005—0,00075 injicirt wurde, 
gemacht; jedoch wurde wegen der dabei sich einstellenden Reiz- 
und Eutzündungserscheinungen bald von dieser Form der Medication 
Abstand genommen, eine Erfahrung, die auch andere Beobachter 
zu machen Gelegenheit hatten. In sämmtlichen Fällen von Compen- 
satiousstörung, sowie bei drei Nierenkranken wurde der Puls voller 
und kräftiger, regelmässig und sank seine Frequenz um 12—40 
Schläge pro Minute; die Athembeklemmungen Hessen nach, die 
Harnmenge stieg in einzelnen Fälleu auf das 6—7 fache, die Oedeme 
schwanden. Eine Temperatur-herabsetzende Wirkung wurde weder 
bei Phthisikern noch bei Pneumoniekranken constatirt; jedoch soll 
auch für solche Fälle das Mittel geeignet sein, um einestheils Zu¬ 
fälle von Herzschwäche bei ihnen wirksam zu bekämpfen, andern- 
theils den Appetit zu steigern. Namentlich wirksam soll nach 
Pins die Tinctura Strophanthi bei der Behandlung des cardialen 
Asthmas und der cardialen Dyspnoe sein, welche schnell unter 
ihrem Gebrauch schwinden, resp. nur selten mehr wiederkehren. 
Gegen den dyspnoetischen Anfall selbst nützt sie nur dann, wenn 
sie rechtzeitig, d. h. zu Beginn desselben, gereicht wird. Ist der 
Anfall auf seiner Höhe, so gelingt es zuweilen, seine Intensität noch 
durch subcutane Injection zu brechen. Eine Abstumpfung, resp. 
Gewöhnung wurde nicht constatirt; ebenso wurden nachtheilige 
Folgen nicht beobachtet, obwohl in einzelnen Fällen das Mittel 
4—6, ja selbst 10 Wochen hindurch gebraucht wurde. Ich habe 
einen Theil gerade dieser Beobachtungen hier so ausführlich angeführt, 
weil sie nicht im Einklang mit meinen eigenen, Ihnen gleich vor¬ 
zutragenden Erfahrungen stehen. Auch giebt Pins an, dass die ein¬ 
mal verabfolgte Tinctur deutliche Nachwirkung zeige, insofern die in 
Gaug gebrachte Diurese nach dem Aussetzen des Medicaraentes 
noch 6—8 Tage lang anhalte und ebenso die Besserung der Respi- 
ratiou. Das steht aber, wie man sieht, nicht im Einklang mit der 
auch von Pins betonten fehlenden cumulativen Wirkung. 

Sehr bemerkenswerth sind zwei weitere Arbeiten, von denen 
die eine, we lche die Herren Zern er und Loew 3 ) zu Verfassern hat, 

') Ibid. Heft 8, p. 306. 

3 ) Therapeutische Monatshefte 1887, No. 6 u. 7. 

3 ) Wiener tnedicinische Wochenschrift 1887, No. 36—40. 


aus der Bamberger’schen Klinik in Wien, die andere aus dem 
hiesigen städtischen Krankenhause Friedrichshain stammt und unter 
Aegide des Herrn Collegen Fürbringer von Hochhaus 1 ) ausge¬ 
führt worden ist. In der ersterwähnten Abhandlung bemühen sich 
die Autoren die Gründe darzulegen, warum Strophanthus in einzelnen 
Fällen von Herzkrankheit eine entschieden günstige Wirkung äussert, 
während eine solche in anderen ausbleibt. Zunächst bestätigen die 
Verfasser die schon mehrfach hervorgehobene Wirkung der Tinctur 
auf die Herzthätigkeit und den Puls, sowie auf die Diurese, von 
denen letztere auch nach ihnen eine indirekte, durch die Erhöhung 
des Blutdruckes bedingte ist. Im Ganzen wurden 11 Fälle von 
Morbus Brightii, sowie 27 Fälle verschiedener Herzaffectionen und 
Gefässleiden (Arteriosclerose) von ihnen mit Strophanthus behandelt. 
Sie kommen zu dem Schluss, dass dem Mittel „in der Behandlung 
der Erkrankungen des Herzmuskels, welcher Art immer, die 
beste Wirkung zugeschrieben werden muss, eine solche, wie sie kein 
anderes Mittel unserer Pharmakopoe zu erzielen im Stande ist.“ 
Nur in Fällen fortgeschrittenster Degeneration war ein Misserfolg zu 
verzeichnen. „Nicht so bedingungslos, wie bei den degenerativen 
Erkrankungen des Herzmuskels, können sie dagegen das Strophanthin 
bei den Herzklappenerkrankungen empfehlen.“ Aber auch hier sahen 
sie in 3 Fällen unzweifelhaften Nutzen, namentlich bezüglich der 
Diurese und der Verringerung der subjectiven Beschwerden. In einem 
Falle von Mitralinsufficienz wurde sieben Wochen hindurch täglich 
ein Gramm Tinctur mit Erfolg gebraucht. Aus derartigen Beobach¬ 
tungen schliessen die Verfasser, dass „solche Klappenfehler, wo der 
Herzmuskel, sei es wegen beginnender Degeneration, sei es wegen zu 
geringer Hypertrophie die genügende Arbeit nicht mehr zu leisten 
im Stande ist, eine wesentliche Indication zur Anwendung von 
Strophanthus abgeben.“ Wo der Erfolg ausblieb, zeigte sich, wie 
schon angedeutet, bei der Section entweder hochgradigste Degene¬ 
ration des Herzmuskels oder, wie in einem Falle, gleichzeitige 
Erkrankung mehrerer Klappen oder endlich eine so bedeutende 
Hypertrophie, dass eine Vermehrung der Arbeitskraft des Herzens 
und noch erhöhtere Leistung durch Strophanthin nicht bewirkt 
werden konnte. Speciell die letztere Bemerkung erinnert mich an 
eine schon von Traube mit der Digitalis gemachte Erfahrung, 
welche besagt, dass bei sehr bedeutender Gefässspannung 
und consecutiver Hypertrophie des linken Ventrikels, 
wie sie in gewissen Fällen von Arteriosclerose angetroffen wird, 
Digitalis statt die Beschwerden zu verringern, dieselben vermehrt. 
In diesen Fällen ist nämlich das Kraftmaass des Herzens schon 
vorher bis zu einem solchen Grade in Anspruch genommen, dass 
eine weitere Erhöhung der Thätigkeit durch das Herzstimulans nicht 
mehr möglich ist. Will man letzteres trotzdem gebrauchen, so muss 
man erst depletorisch verfahren und dann zur Anwendung der Di¬ 
gitalis übergehen. Vielleicht ist gerade für solche Fälle Calomel das 
geeignete Mittel. 

In Uebereinstimmung mit dieser Beobachtung fanden Zern er 
und Loew Strophanthus, auch nur bei denjenigen chronischen Ne¬ 
phritiden (7 von 11 Fällen) wirksam, wo, wie die Untersuchung 
des Pulses ergab, die Herzthätigkeit bereits erheblich in der Ab¬ 
nahme begriffeu war. Dann trat allemal eine Steigerung der Di¬ 
urese auf, welche sich in einem Falle von 800 bis auf 5000 belief. 
Bei der Mehrzahl der Kranken trat ferner die Wirkung auf die 
vorhandenen Beschwerden schon nach kurzer Zeit, d. h. 10—15 
Minuten, auf, und wenn Strophanthus bei Herzkranken keine Wir¬ 
kung ausübte, konnte eine solche auch nicht mit Digitalis erzielt 
werden, eine Erfahrung, die im Uebrigen, wie ich gleich zeigen 
werde, mit meinen eigenen nicht übereinstimmt. 

Aus der Arbeit von Hochhaus, welche nicht zu ganz gleich 
günstigen Ergebnissen gelangt, erwähne ich hier nur, dass Verf. 
bei den uncompensirten Klappenfehlern (10 unter einer Gesammtzahl 
von 60 Beobachtungen) die Wirkung mässig zufriedenstellend fand, 
und Digitalis noch manchmal einen Effect erreichte, wo Strophanthus 
fehlschlug. Doch wurde auch hier mehrfach erhebliche Steigerung 
der Diurese, Verringerung der Athembeschwerden, Pulsverlangsamung 
und Zunahme der Arterienspannung beobachtet. Die besten Er¬ 
folge hatte Hochhaus in solchen Fällen von Dilatation beider 
Ventrikel, bei welchen eine nachweisbare Klappenerkrankung fehlte 
und die von ihm in einer Rubrik unter der Bezeichnung Myocarditis 
chronica aufgeführt werden. Ihre Gesammtzahl betrug 18; in 8 von 
ihnen war gar kein Erfolg zu constatiren; bei den übrigen 10 da¬ 
gegen wurde nicht bloss eine erhebliche Verminderung der Pulszahl, 
sondern neben Steigerung der Diurese vor Allem eine günstige 
Beeinflussung der Athembeschwerden beobachtet, welche 
zuweilen auch ohne die Wirkung auf das Herz und die Harn- 
secretion nachweisbar war und vom Verf. auf die durch Lang- 
gaard dargethanen sedativen Eigenschaften des Mittels bezogen 
wird. Nach Hochhaus steht die Tinctura Strophanthi als Herz- 


*) Deutsche inedicinische Wochenschrift 1887^ No. 42 u. 43. 


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23. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ 143 


tonicum und Diureticum dicht hinter der Digitalis. Von störenden 
Nebenwirkungen wurden dyspeptische Beschwerden beobachtet, welche 
in etwa J /4 aller Fälle sich bemerkbar machten, aber doch nur 
höchst selten derartig heftig wurden, dass sie das Aussetzen des 
Mittels nöthig machten. Sie bestanden in Widerwillen und Ekel, 
denen hei fortgesetzter Darreichung Würgen und Erbrechen, ja 
manchmal sogar heftige Diarrhöen folgten. Meist blieb es aber nur 
hei den ersteren Störungen, so dass die Tinctur ruhig weiter gegeben 
werden konnte. In den Fällen von Nephritis, welche eine Gesammt- 
zahl von 19 umfassen und verschiedene Stadien der Affection be¬ 
trafen, war die Wirkung auf Herzschwäche und Diurese im Ganzen 
nur mässig und konnte jedenfalls der der Digitalis nicht gleichge¬ 
stellt werden. Bei Peritonitis und Pleuritis wurde jeglicher Effect 
vermisst. 

Meine eigenen Beobachtungen umfassen ein Krankenmaterial, 
welches zwar nur wenig mehr als ein Drittel der Fälle von Hoch¬ 
haus, nämlich einige 20 betrifft; dieselben sind indess meist mit 
grosser Sorgfalt verfolgt und betreffen eine Reihe der verschiedensten 
Herzaffectionen sowie anderweitige Erkrankungen, so dass sie wohl zu 
bestimmten Schlussfolgerungen berechtigen. 

Es befinden sich unter denselben zunächst 12 Klappenfehler, 
von denen 9 uncomplicirt waren, d. h. Fälle darstellen, in denen 
vor Allem keine intensivere Erkrankung der Nieren bestand. Bei 
den drei restirenden Klappenerkrankungen handelte es sich einmal um 
die Verbindung eines Mitralfehlers mit Ueberanstrengung, wie ab¬ 
gesehen von der Anamnese aus der ganz excessiven Dilatation 
des linken Ventrikels bereits intra vitam geschlossen werden durfte, 
in einem zweiten um gleichzeitig vorhandene interstitielle Hepa¬ 
titis und Pleuritis dextra, in dem dritten Falle endlich war die vor¬ 
handene Aorteninsufficienz durch chronische Nephritis complicirt. 
Von den Klappenfehlern betrafen sechs solche der Mitralis (meist 
Stenose mit Insufficienz), sechs die Aortenklappen (Insufficienz, 
mit Ausnahme eines Falles von gleichzeitiger Stenose). 

Das Mittel wurde bei den meisten dieser Kranken in der Dosis 
von dreimal täglich 10—15 Tropfen verabfolgt; doch kann ich 
gleich vorausschicken, dass einige Male auch durch erheblich ge¬ 
ringere Gaben ein sichtlicher Erfolg erzielt wurde, so dass ich 
rathen würde, die Behandlung stets mit kleinen Dosen, etwa 3x5 
täglich zu beginnen und, wenn nöthig, erst später zu den grösseren 
überzugehen. In sieben von den zwölf Fällen übte die Tinctura 
Strophantin gar keine, in vier eine schlagende, in einem eine mässige 
Wirkung aus. 

Ich beginne mit den vier Fällen, welche ein positives Resultat 
ergaben. Bei allen diesen Patienten constatirte ich Abnahme der 
Pulsfrequenz um 10—30 Schläge, Zunahme der Arterienspannnng 
und der Diurese, Verringerung der Athemnoth und der Oedeme. 
Die Wirkung auf die Diurese trat meist schon am folgenden Tage 
auf; sie belief sich durchschnittlich auf das Doppelte bis Dreifache 
der vorher ausgeschiedenen Harnmenge, so dass Zahlen von nahezu 
3000 erhalten wurden. Eine so schnelle Einwirkung auf die Ge- 
sammtsymptome, wie sie die Wiener Autoren constatiren, in der 
Weise, dass schon 10—15 Minuten nach dem • Einnehmen Ver¬ 
ringerung der subjectiven Beschwerden eintrat, habe ich in keinem 
Falle gesehen. Eine weitere auffallende Beobachtung war für mich 
die, dass nach einer Reihe von Tagen trotz Weitergebrauch 
des Mittels die anfänglich günstige Wirkung, speciell auf <Jie Diurese, 
erlosch, und zwar war dies nicht bloss bei denjenigen Kranken der 
Fall, bei denen die Oedeme unter dem Einfluss des Mittels schwan¬ 
den und schliesslich Heilung erfolgte, sondern auch in einem Falle, 
in dem schliesslich der Exitus lethalis eintrat. Es war dies ein 
Patient mit einer Stenosis ostii venös, sinistri, der eine ziemlich er¬ 
hebliche Erweiterung beider Ventrikel darbot; der rechte zeigte 
sich p. ra. stark hypertrophisch, die Muskulatur von noch ziem¬ 
lich guter Beschaffenheit. Patient war Potator. Auch hinsichtlich 
der Wirkung auf die subjectiven Beschwerden (Herzklopfen, Athem¬ 
noth) wurde ein solches Abklingen, resp. Schwinden des Effects bei 
einem zweiten Pat. mit Stenosis ostii venös, sinistri, einem blassen 
29jährigen Handelsmanne mit mässiger Dilatation beider Ventrikel, 
sehr engen Arterien und schwach gespanntem Pulse beobachtet. 
Cngünstige Nebenwirkungen waren bei den erwähnten 4 Patienten 
nicht zu constatiren. Die Gesammtquantität des verabfolgten Mittels 
betrug einmal 30,5 g der Tinctur. 

W as nun die restirenden 7 Fälle von Klappenerkrankung mit 
negativem Erfolge anlangt, so trat in dreien von ihnen der Exitus 
lethalis ein. Bei der Section wurden sehr beträchtliche Dilatationen 
der entsprechenden Ventricularabschnitte mit mehr oder weniger 
vorgeschrittener Structurveränderung gefunden. In zweien dieser 
Fälle that Digitalis, trotzdem Strophanthus, wie gesagt, total ver¬ 
sagte, ihre volle Wirkung, indem nicht bloss die Athemnoth schwand, 
sondern auch die durch das erste Mittel gar nicht beeinflusste Diurese 
sich sehr beträchtlich hob, so dass der eine Patient (Stenosis ostii 
venös, sin- mit Ueberanstrengung) unter dem Digitalisgebrauch pro 


die bis zu 4500 ccm Harn ausschied. In zwei anderen Fällen 
war Digitalis ebenso erfolglos, wie Strophanthus. Da wo Stro¬ 
phanthus auf die Diurese nicht einwirkte, war auch keine 
Besserung der Athembeschwerden zu beobachten. Bei 
zweien der Kranken schien es sogar, als wenn dieselben unter dem 
Einfluss des Mittels direkt Zunahmen, so dass schnell zur Digitalis 
übergegangen wurde; vielleicht war indess dieser ungünstige Effect 
bei einem derselben auf die gleichzeitigen durch Strophanthus her¬ 
vorgerufenen gastrischen Störungen (Uebelkeit und Erbrechen) zu 
beziehen. _(Schluss folgt.) 

II. Ueber die praktische Verwendbarkeit der 
Erythrophlaein-Anästhesie. *) 

Von Dr. Karewski. 

Die Veröffentlichung des Herrn Lew in, die uns in dem Ery¬ 
throphlaein ein neues locales Anästheticum von bisher ungeahnter 
Wirksamkeit versprach, hat mich veranlasst, dieses Präparat in Be¬ 
zug auf seine praktische Verwendbarkeit für die Chirurgie zu prüfen. 
Nach den Auseinandersetzungen, die wir von dieser Stelle gehört 
haben, musste es in zweierlei Beziehung wirksam und brauchbar 
sein: 1. als ein Mittel, welches erlaubt, operative Eingriffe ohne 
allgemeine Narcose schmerzlos vorzunehmen, und 2. als locales Nar- 
coticum, welches bestehenden Schmerz betäubt und für Stunden 
verschwinden macht, ohne, sofern man gewisse Dosen inne hält, 
solche Allgeraeinwirkungen zu erzeugen, wie sie die bisher gekannten 
Anästhetica besitzen. Stoffe, welche ja alle, bis zum Cocain, in wirk¬ 
samen Dosen eine gewisse, für die Patienten nicht gerade angenehme, 
wenn auch oft harmlose Intoxication hervorrufen. 

Das Präparat, welches ich zu meinen Versuchen verwendete, 
wurde direkt von Merck in Darmstadt bezogen. Ich empfing es 
in kleinen, wohlverschlossenen Glasfläschchen, die je 1 deg des 
Giftes enthielten. Dieselben wurden in der Apotheke des jüdischen 
Krankenhauses geöffnet und zur Herstellung von ifa- und l°/oigen 
Lösungen, die ich nach Bedarf mir selbst mit Aqua destillata ver¬ 
dünnte, benutzt. Diese Lösungen waren absolut klar, ohne jede 
Opalescenz wie ohne jeden Bodensatz, reagirten neutral und ent¬ 
sprachen somit allen Anforderungen, welche Herr Lewin an die 
Reinheit des Erythrophlaein stellt. 

Trotz der allerdings sehr hochgespannten Hoffnungen, welche 
die Publication des Collegen Lewin erweckte, war von vornherein 
nicht anzunehmen, dass das neue Anästheticum im Grossen und 
Ganzen einen weiteren Kreis der Anwendbarkeit finden würde, als 
sein Vorläufer, das Cocain. Hatte doch Lewin gerade hervorge¬ 
hoben, dass der Einfluss des Erythrophlaeins ein exquisit localer 
wäre. Nun wissen wir Alle, dass das Cocain für eine grosse Anzahl 
kleinerer operativer Eingriffe, die insbesondere der poliklinischen 
Thätigkeit des Chirurgen zukommen, wie Exstirpation gutartiger 
Tumoren, Fremdkörperextractionen u. dgl. die Chloroformirung voll¬ 
kommen ersetzt, und ich speciell habe dieses locale Anästheticum 
seit seiner Entdeckung bei solchen Fällen angewendet und hoch¬ 
schätzen gelernt. Aber seine Brauchbarkeit hat doch gewisse 
Grenzen. Vor Allem die, dass es in entzündeten Geweben, sobald 
man nicht gleichzeitig die Esmarch’sche Anäraisiruug anwendeu 
kann, so gut wie unwirksam wird, ganz abgesehen davon, dass die 
Injection an sich bei solchen Affectionen ausserordentlich schmerz¬ 
haft ist. Ich habe deshalb auch, nachdem mir zwei Versuche, Pa- 
naritien nach Einspritzung von Erythrophlaein schmerzlos zu er¬ 
öffnen, trotz Applicirung der nach Lewin’s Angaben colossalen 
Dosis von 5 mg fehlgeschlagen waren, überhaupt darauf verzichtet, 
in dieser Richtung weitere Versuche anzustellen. Damit wurde aber 
das zu verwerthende Kranken material ein sehr kleines; denn Phleg¬ 
monen und Panaritien bilden ja bekanntermaassen das Hauptcon- 
tingent der ambulanten erwachsenen Patienten. Bei Kindern, die 
für derartige Experimente überhaupt schlecht geeignet sind, wagte 
ich nicht, das differente Mittel anzuwenden. Aus diesem Grunde, 
und besonders auch um zu einem ganz einwurfsfreien Resultat zu 
kommen, hielt ich es für angezeigt, bei gesunden Menschen Experi¬ 
mente anzustellen über die Möglichkeit, vermittelst des Erythro¬ 
phlaeins eine Gefühllosigkeit der Haut herzustellen, welche es er¬ 
lauben dürfte, dieselbe schmerzlos zu durchtrennen. 

Durch den dankenswerthen Opfermuth von vier Collegen sowie 
eines Heilgehülfen, lauter robusten, von jeder Nervosität freien 
jungen Leuten, und durch ein besonders kräftiges junges Mädchen, 
der ich angeblich zu Heilzwecken lnjectionen machte, wurde ich in 
Stand gesetzt, eine Reihe von Beobachtungen anzustellen, deren Re¬ 
sultat ich Ihnen in erster Reihe mittheilen möchte, um Ihnen sofort 
zu zeigen, was überhaupt von dem Erythrophlaein zu erwarten ist. 


') Nach einem Vorfrage, gehalten in der Berliner Medicinischen Ge¬ 
sellschaft. 


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bfcÜTSCHE MEblClNlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 8 


144 


Zum besseren Verständniss sei zunächst die Versuchsanordnung ge¬ 
schildert. Unter peinlichster Beobachtung der Kegeln der Asepsis 
wurde die Erythroplilaeinlösung unter die Haut des Vorderarms ge¬ 
spritzt; die Stellen, von welchen aus und bis zu welchen die Flüssig¬ 
keit drang, wurde durch Tinte markirt. Zweimal wurde, um jede 
Täuschung auszuschliessen, an Herren experimentirt, die nicht 
wussten, dass ich ihnen Erythrophlaein einspritzte, und deneu ich 
gleichzeitig an correspondirenden Stellen des anderen Armes Carbol- 
säure resp. physiologische Kochsalzlösung subcutan beigebracht 
hatte. In 3 Fällen wurden beide Arme mit Erythrophlaein injicirt 
und der eine Arm der betreffenden Person gleichzeitig anämisirt. 
Zweimal nach Esmarch’s Methode, einmal durch 15 Minuten 
langes Eleviren und nachheriges Abschnüren. • Zweimal wurde 
der Eiufluss auf die Nasenschleimhaut, einmal die percutane Wir¬ 
kung studirt. Dazu kommen dann noch die Fälle, wo ich zwar 
zu therapeutischen Eingriffen Erythrophlaeininjection machte, bei 
denen ich aber gleichzeitig sehr genaue Gefühlsprüfungen vornahm, 
und auf welche ich deswegen auch hier schon hin und wieder Be¬ 
zug nehmen werde. Die Dosis des verbrauchten Alkaloids stieg 
von %—5 mg, immer in 1 g Wasser gelöst. Die Versuche wurden 
bis zu IV 2 Stunden fortgesetzt und dann weiterhin nach einigen 
Stunden, sowie am anderen Tage controlirt. Die Prüfung des Ge¬ 
fühls geschah durch Berührung und Stiche mit dem Kopf resp. der 
Spitze einer Stecknadel. 

Als allgemeines Resultat nehme ich vorweg, dass niemals eine 
complete Anästhesie erzielt wurde, sofern man darunter eine voll¬ 
ständige Aufhebung des Gefühlssinnes versteht. Selbst in den Fällen, 
wo das Erythrophlaein — und dann immer nur bei gleichzeitiger 
Blutleere — seine vollste Wirkung entfaltete, wurde auf der Höhe 
derselben angegeben, dass nur allerfeinste Berührungen mit Nadel¬ 
spitze oder Kopf gar nicht mehr gemerkt wurden. Alle wirklichen 
Einstiche oder gröberen Betastungen wurden percipirt, ohne allerdings 
noch irgend welchen Schmerz zu erzeugen. Die Herren merkten, dass 
man eine Nadel tief in die Haut hineinstach, aber sie hatten keine 
unangenehme Sensation davon, oder sie verwechselten die Nadelspitze 
mit dem Kopf, resp. den Druck des Nadelkopfes mit dem Eindruck 
eines Fingers. Aber dieser hohe Grad von, nennen wir es Analgesie, 
wurde nicht immer erzielt; zum mindesten gehörte dazu eine In- 
jection von 2 l /2 mg, und auch diese genügte einmal nicht, 
um ohne Blutleere so hochgradige Herabsetzung des Gefühlssinnes 
hervorzurufen. Ueberhaupt ist die Blutleere, ganz wie beim Cocain, 
ein mächtiges Unterstützungsmittel zur Erzielung des gewünschten 
Effectes. Auch beim Cocain, welches im Uebrigen ebensowenig 
wie das Erythrophlaein in den gebräuchlichen Dosen eine totale 
Aufhebung der Gefühlsperception erzeugt, wovon ich mich nicht 
nur bei Operationen, sondern auch durch einen sehr sorgfältigen 
Controlversuch überzeugt habe, erreicht man durch die Anämisirung 
einen viel stärkeren Erfolg als ohne diese. Ja es giebt Fälle, bei 
denen auch das Cocain ohne Anwendung der Constriction keine 
Anästhesie bewirkt. Worauf dieser Effect der Blutleere beruht, 
steht nicht ganz fest; jedenfalls wirkt die Blutleere an sich nicht 
anästhesirend, wovon ich mich in allen meinen Versuchen ganz 
sicher überzeugte. Auch scheint nicht etwa der mechanische Effect 
der Einwickelung, d. h. das festere Hineinpressen der Alkaloide 
in die Gewebe, bedeutsam zu sein; denn auch in dem Falle, wo 
ich durch blosses Eleviren des Armes Entblutung desselben ver¬ 
ursachte, wurde derselbe Effect wie bei der Esraarch’schen Ein¬ 
wickelung erzielt. So bleibt nur die Annahme übrig, dass die An¬ 
ämisirung den Uebertritt des Giftes in den allgemeinen Kreislauf 
verhindert und ihm so einen rein örtlichen Einfluss verschafft. 
Allerdings halte ich es für nöthig, dass man die Injection stets vor 
der Einwickelung macht. 

Vergleichen wir nun die Resultate der Jnjectionen mit gleich¬ 
zeitiger Anämisirung und derjenigen ohne solche, so zeigt sich, 
dass die Dame, welcher ich V 2 mg in jeden Arm injicirt hatte, 
da wo die Einwickelung nicht angewendet war, überhaupt keine 
Herabsetzung des Gefühls constatiren konnte, jedoch an der Extre¬ 
mität, die blutleer gemacht worden war, noch 46 Minuten lang eine 
deutliche, wenn auch nur sehr schwache Veränderung der Aesthesie 
bemerkte. Bei 2 l /2 mg wurde auf der anämisirten Seite einmal nach 
28, einmal nach 20 Minuten vollste Analgesie erzeugt. Auf der an¬ 
deren nicht anämisirten konnte dieser Erfolg einmal gar nicht, einmal 
nach 40 Minuten erzielt werden. Mit 5 mg und gleichzeitiger Anämi¬ 
sirung vergingen 15 resp. 20 Minuten bis zur Aufhebung des 
Schmerzgefühls. Ohne Blutleere dauerte es bei 2*/2 mg und auch 
bei 5 mg 30 Minuten, während die Controlarme mit Kochsalz¬ 
lösung und 5% Carbolsäure nur insofern beeinflusst wurden, als 
Spontanschmerz eiotrat. Als Resume können wir also aus diesen 
Versuchen zunächst den Schluss ziehen, dass: 

1. Das Erythrophlaein individuell verschieden wirkt, 

2. Mindestens 2 l /2 mg zur Erzielung von Analgesie nöthig sind, 

3. Die Blutleere die Wirksamkeit des Erythrophlaeins erhöht. 


Was den Einfluss auf die Nasenschleimbaut betrifft, der 
durch Tamponade mit 0,5% Lösung geprüft wurde, so konnte 
hier nach 18 Minuten Analgesie constatirt werden. Tamponade 
wurde für nöthig gehalten, weil ja das Gift sehr lange Zeit ge¬ 
braucht, bis es seine anodynischen Eigenschaften entfaltet, also 
anzunehmen ist, dass in der Zwischenzeit der herabfliessende 
Schleim dasselbe hinwegspülen würde, im Uebrigen ein Grund, der, 
wie ich glaube, die Anwendung des Erythrophlaeins im Munde illu¬ 
sorisch macht. Der Bezirk, welcher durch die Injection empfin¬ 
dungslos wird, ist ein sehr kleiner, höchstens V 2 cm oberhalb, 
unterhalb und zu beiden Seiten der Injectionsstelle (ich machte die 
Injection so, dass durch eine lange Nadel die beim Herabdrücken 
des Spritzenstempels allmählich herausgezogen wurde, das Gift 
über ein möglichst grosses Terrain sich verbreitete) kann er über¬ 
schreiten. Darüber hinaus bleiben die Verhältnisse genau dieselben 
wie an der intacten Haut. Percutan wirkt es gar nicht, auch nicht 
bei 2% alkoholischen Lösungen, die unter Abschluss der Luft über 
Va Stunde eingewirkt haben. 

Die Dauer der Analgesie ist eine über mehrere Stunden an¬ 
haltende, mit steigender Dosis zunehmend. Sobald einmal über¬ 
haupt der Erfolg eingetreten ist, hält er bei l /o mg über mehrere 
Stunden, bei 5 mg bis zu 12 Stunden an. Sehr unangenehm sind 
bei subcutaner Anwendung die Nebenwirkungen. Zwar konnte ich 
niemals, auch bei Verabreichung von 1 cg nicht, ausser schnell 
vorübergehender leichter Uebelkeit irgend welche allgemeinen Sym¬ 
ptome, besonders auch keiue Beeinflussung des Pulses constatiren; 
stets aber entstand schon nach wenigen Minuten ein intensiver 
Schmerz in der Umgebung der Injectionsstelle, der sich bis zur 
Unerträglichkeit steigerte und mehrere Tage andauerte. Dazu kam 
Röthung der Haut, Bildung einer Papel an der Einstichstelle, ja 
circumscriptes Oedera um die Injection herum, das nach 12 Stunden 
begann und über 24 Stunden anhielt. Diese heftigen Reizerschei¬ 
nungen traten immer bei subcutaner Appliciruog auf, auch wenn 
nur % mg injicirt war. Sie äusserten sich des Ferneren in starkem 
Nieskrampf, Thränen der Augen, reichlicher Schleimsecretion und 
heftigem Schnupfen nach Tamponade der Nase. Tamponade mit 
indifferenten Substanzen bei demselben Patienten hatten keine solche 
Wirkung. Ganz so, wie die gleichzeitige Anämisirung eines Gliedes 
die Erythrophlaein-Anästhesirung erhöht, verringert sie die Reiz¬ 
erscheinungen. Mit dem Augenblick, wo man die Es mar ch'sehe 
Einwickelung vollendet hat (dieselbe wurde etwa 10 Minuten nach 
der Einspritzung gemacht), verschwindet der Spontanschmerz, um 
erst nach Abnahme der constringirenden Binde wiederzuerscheinen. 
Dann allerdings ebenso heftig wie auf der anderen nicht entbluteten 
Seite und noch vermehrt durch die unangenehmen Sensationen, 
welche die Constriction an sich mit sich bringt. 

Man kann sich denken, dass diese Resultate meiner Experi¬ 
mente an Gesunden nicht gerade sehr ermuntern konnten, das neue 
Alkaloid zur Herstellung einer localen Narcose bei operativen Ein¬ 
griffen zu versuchen. Wenn ich trotzdem in einer kleinen Zahl 
von Fällen solche Versuche machte, so geschah es theils, weil ich 
dieselben vor oder zu gleicher Zeit mit den erstgenannten Experi¬ 
menten anstellte, theils weil ich, selbstverständlich ohne Beschädi¬ 
gung meiner Kranken, über ein hinreichend grosses Beobachlungs¬ 
material verfügen wollte, um zu einem klaren Urtheil über ein von 
so bewährter Seite empfohlenes Medicament zu kommen. Die 
operativen Eingriffe, die Ich unter Anwendung von Erythrophlaein 
vornahm, betrafen zwei Pauaritien, über deren negatives Resultat 
ich Ihnen schon berichtete, eine Abmeisselung eines Knochencallus 
einer schief geheilten Metacarpalfractur, ein Ganglion, eine Eröff¬ 
nung eines Hydrops bursae volaris manu«, 6 Zahnextractionen, eine 
Entfernung von Nasenpolypen, eine Auslöffelung einer tuberculöseu 
Granulationsfläche, eine Incision und Auslöffelung tuberculöser 
Drüsen am Hals. Die Exstirpation des Ganglions, die Ab¬ 
meisselung des Knochens und die Oeffüung des Hydrops konnten 
unter Anwendung von Blutleere gemacht werden, und diese Ope¬ 
rationen verliefen in der That, nachdem ich 20 Minuten bis zu 
ihrer Ausführung gewartet hatte, schmerzlos. Die Patienten wussten, 
was mit ihnen vorgenommen wurde, sie fühlten die Arbeit der 
Iustrumente, aber sie hatten keine Schmerzen davon und Hessen, 
ohne zu zucken, Alles mit sich machen. Allerdings war auch bei 
ihnen vor der Constriction Spontanschmerz aufgetreten, stellte sich 
nach derselben wieder ein und hielt mehrere Tage an. Der Wund¬ 
verlauf wurde im Uebrigen in keinem Falle gestört. Von den 
6 Zahnextractionen, bei denen die Einspritzung unter das Zahnfleisch 
gemacht worden war, konnten nach 15 — 67 Minuten gleichfalls 4 
schmerzlos vollzogen werden. Aber stets spürten die Krankeu den 
Ruck bei dem Heraushebeln des Zahnes aus der Alveole, immer 
hatten sie vor der Extraction und nachher bis über 24 Stunden 
Schmerzen. Die Nasenpolypen wurden, nachdem der Patient einen 
heftigen Nieskrampf überstanden hatte, ohne unangenehme Sensa¬ 
tion entfernt, ebenso konnte die Granulationsfläche, welche so laug 


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23. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 145 


und doppelt so breit wie ein Finger war, nach zweimaliger Bepin- 
selung mit 0,5% empfindungslos ausgelöffelt werden (18 Minuten). 
Allerdings war jede Berührung des Instruments am Narbensaum 
von heftiger Schmerzensäusserung gefolgt. Spontanschmerzen traten 
hier nicht auf. 

Eine Fingernagelexstirpation, welche ohne mein Wissen einer 
meiner Famuli unter Erythrophlaein an sich vornehmen liess, hatte 
man l l /2 Stunden nach der Injection, welche von wüthenden 
Schmerzen in der ganzen Hand gefolgt war, empfindungslos ge¬ 
macht. Die Incision des Drüsenabscesses wurde gleichfalls eine 
Stunde nach der Einspritzung nicht gefühlt. Auch die Auslöffelung 
war nicht wesentlich schmerzhaft. Bei allen diesen Operationen 
konnte constatirt werden, dass die Injectionen nur streng innerhalb 
des von ihnen betroffenen Bezirkes wirksam waren. Jedes Vor¬ 
gehen seitwärts oder nach oben und unten verursachte heftige 
Schmerzen. 

Die Uebereinstimmung mit den physiologischen Versuchen ist 
so evident, dass es unnötbig erscheint, nochmals darauf hinzuweisen. 
Hingegen ist noch über eine Anzahl von Neuralgieen zu berichten, 
die mit Erythropblaeininjectionen behandelt wurden, und die aller¬ 
dings bessere Resultate gaben. Es handelte sich zweimal um Lum¬ 
bago, zweimal um Neuralgia brachialis, zweimal um Neuralgia 
intercostalis, einmal um Ischias. Alle Fälle hatten schon längere ! 
Zeit bestanden, waren also keine von jenen acuten schmerzhaften 
Zufällen, die gelegentlich auch einmal nach einer Injection von 
Wasser verschwinden. Die Einspritzung wurde parenchymatös in 
den Punkt des heftigsten Schmerzes gemacht. Die Dosis betrug 
'/•» bis 5 mg. In einem Falle wurde sogar, nachdem die erste 
Injection von 5 mg nach 1 Stunde keine Erleichterung gebracht 
batte, eine zweite ebenso grosse Dosis nachgespritzt. Die Wirkung 
war folgende: Immer folgte der Injection starker Schmerz, dieser 
dauerte 1 — 1 % Stunde. Nach dieser Zeit war er einschliesslich 
des ursprünglichen Leidens verschwunden. Die Analgesie dauerte bei 
'*2 mg 1 Stunde, bei 1 mg 1 Stunde, bei 272 mg 24 Stunden (eine 
neue Dosis von 2Va mg brachte diesem Patienten dauernde Heilung). 

5 mg heilte eine Ischias und eine Neuralgia intercostalis dauernd, 
erzeugte einmal nur vorübergehende Analgesie. 1 cg beseitigte einen 
Lumbago dauernd. 

Das Schlussresultat dieser Erfahrungen, die, wie ich glaube, 
zahlreich und objectiv genug beobachtet sind, um ein Urtheil 
daraus zu bilden, würde sich dabin zusammenfassen lassen: 
Dass für operative Eingriffe die Brauchbarkeit der Erythrophlaein- 
Anästhesic wegen der langen Dauer der Zeit, bis zu der sie cin- 
tritt der Unsicherheit, ob sie überhaupt in allen Fällen ohne Blut¬ 
leere erzielt werden kann, und vor Allem der intensiven Neben¬ 
erscheinungen eine sehr beschränkte ist, vielleicht sich nur für 
Auslöffelung von Granulationen eignen wird. Dass aber das Erytbro- 
pblaeiu werth ist, an einem grossen Krankenmaterial in seiner 
Wirksamkeit zur Beseitigung neuralgischer Beschwerden geprüft zu 
werden. In Bezug auf diese Fälle dürfte es sich empfehlen, ganz 
so wie es Herr Sch Öler für die Anwendung am Auge vorgeschlagen 
bat, das Erythrophlaein mit dem Cocain zu verbinden. Letzteres 
hat ja eine nur sehr vorübergehende anästhesirende Wirkung, 
welche vielleicht durch das Erythrophlaein zu einer länger dauern¬ 
den werden dürfte, während gleichzeitig das Cocain das Auftreten 
der Reizerscheinungen verhindern mag. In einem Falle wenigstens, 
wo ich 2 mg Erythrophlaein mit 2 cg Cocain mischte, fehlten die 
Spoutanschmerzen ganz, und war die Intercostalneuralgie, derent¬ 
wegen das Medicament verabreicht war, nach 1% Stunde völlig 
verschwunden. 

Bei Operationen aber, welche sich für locale Anästhesirung 
eignen, ist das Cocain dem Erythrophlaein vorzuziehen, und erscheint 
eine Vermengung beider nicht indicirt, weil das Cocain an sich 
ausreicht, und das Erythrophlaein eine überflüssige, unter Umständen 
sogar nacbtheilige Complicirung des Verfahrens bedeutet. 

III. Aus der medicinischen Klinik in Zürich. 

Klinische Untersuchungen über Leberkrebs. 

Von Dr. med. Hans Siegrist, 

prakt. Arzt in Brugg (Aargau). 

Auf Anregung meines verehrten Lehrers, des Herrn Prof. Eich¬ 
horst, habe ich alle in den Jahren 1874 bis 1886 (inclusive) auf 
der Züricher inediciuischen Klinik vorgekommenen Fälle von Leber¬ 
krebs gesammelt und einer namentlich klinischen Durcharbeitung 
unterzogen. Es sei mir vergönnt, an dieser Stelle eine kurze Ueber- 
sicbt über die Ergebnisse meiner Untersuchung folgen zu lassen, 
wobei ich rücksichtlich aller Einzelheiten auf meine Doctordjsser- 
tation (Zürich 1887) verweise. 


Vom 1. Januar 1874 bis 31. December 1886 wurden nach den 
officiellen Jahresberichten auf der medicinischen Klinik des Züricher 
Cantonspitales 15538 Kranke verpflegt, unter welchen 311 an Krebs 
der verschiedensten Organe litten. Mithin kam etwa 1 Krebskranker 
auf 50 innere Fälle. 

Nach den einzelnen Organen liess sich folgende Häufigkeitsscala 


der Krebse aufstellen: 

Magen . 

199 Beobachtungen 


63,987 

% 

Leber . 

45 

T. 

= 

14,469 

T> 

Speiseröhre .... 

19 


= 

6,109 

Ti 

Darm. 

17 


= 

5,466 


Bauchfell .... 

8 

* 

== 

2,572 

T 

Lungen und Brustfell 

3 


= 

0,965 


Netz. 

3 


= 

0,965 

T 

Uterus . 

3 

n 

= 

0,965 

n 

Skelett. 

3 


= 

0,965 

n 

Mediastinum . . . 

»2 

Ti 

= 

0,643 

n 

Nieren . 

2 

n 

= 

0.643 


Harnblase .... 

2 

9* 

= 

0.643 

Ti 

Dura mater .... 

1 

T 

= 

0,322 

T) 

Zunge . 

1 


= 

0.322 

T) 

Herz . 

1 

T. 

= 

0,322 


Retroperitonealdrüsen 

1 


== 

0,322 

Ti 

Ovarium . 

1 

•n 

= 

0,322 



Summa 311 Beobachtungen = 10(3%. 


Die Ziffer für den Leberkrebs bedarf noch einer Correctur. 
Während die officiellen Jahresberichte nur die hauptsächlich von 
Krebs betroffenen Organe berücksichtigen, fand ich bei genauerer 
Durchsicht der Krankengeschichten und namentlich der zugehörigen 
Sectionsberichte, dass es sich nicht um 45, sondern um 77 Leber¬ 
krebse handelte, so dass je nach der für die Berechnung zu Grunde 
gelegten Zahl 1 Leberkrebs auf 6,9 oder auf 4 Krebskranke und 
auf 245 oder anf 201 innere Kranke kommt. 

Von den 77 Fällen von Leberkrebs gelangten 63 zur Section, 
und unter diesen erwiesen sich 12, also etwa 18 % als primäre 
Leberkrebse. Während v. Frerichs unter 31 Fällen von Leber¬ 
krebs 10 primäre Krebse beobachtete, demnach etwa in 32 % seiner 
Beobachtungen, und auch Biermer und Hess eine beträchtlich 
grössere Ziffer berechneten, nämlich unter 25 Leberkrebsen 6 pri¬ 
märe, also 24%, steht meine Ziffer, die sich wohl mit auf das 
grösste Material stützt, das jemals aus einer Anstalt verwerthet 
wurde, den Zahlenwerthen sehr nahe, welche Leichtenstern aus 
430 aus der Literatur gesammelten Beobachtungen von Leberkrebs 
berechnete, denn unter diesen 430 Fällen fanden sich 72 primäre 
Leberkrebse, mithin fast 17% (genau 16,7%). 

Für den primären Leberkrebs zeigte sich das weibliche Ge¬ 
schlecht in zweifellos höherem Grade prädisponirt als das mänu- 
liche; betraf doch der primäre Leberkrebs 8 Mal Weiber und 4 Mal 
Männer. Mit Hinzuzählung der secundären Leberkrebse freilich 
überwiegt gerade das männliche Geschlecht (58 % Männer, 42 % 
Weiber), doch muss hier bemerkt werden, dass auf die Züricher 
medicinische Klinik keine Frauen aufgenommen werden mit Gebär¬ 
mutter- oder Brustdrüsenkrebsen, in deren Gefolge bekanntlich sehr 
häufig secundärer Leberkrebs zur Entwickelung gelangt. 

Rücksichtlich des Lebensalters stellte es sich heraus, dass 
die meisten Fälle von Leberkrebs zwischen dem fünfuudvierzigsten 
und fünfundsechszigsten Lebensjahre vorkameu, nämlich unter 
77 Fällen 53, oder 68,8 %. Der primäre Leberkrebs aber befällt 
im Allgemeinen eher ältere als jüngere Individuen. 

Heredität liess sich mit einiger Sicherheit unter 63 Fällen 
nur 2Mal annehmen, also in ungefähr 3 % der Fälle. 

Die ersten krankhaften Erscheinungen sind häufiger im Früh¬ 
ling und Sommer, als in der kühleren Jahreszeit aufgetreten. 

Unter vorausgegangenen Krankheiten kam bei 7 von 
77 Fällen (ca. 9%) früher überstandene Polyarthritis vor und nur 
2Mal Gicht, von welcher Budd annimmt, dass sie zu Leberkrebs 
in ätiologischer Beziehung stehe. Gallensteinbilduug, Fettsucht und 
Verletzungen spielten in unseren Fällen keine nachweisbare Rolle. 

Zur Lebervergrösserung kam es bei etwa zwei Dritteln 
aller Fälle und beim primären Leberkrebs häufiger, als beim 
secundären. 

Auch Gelbsucht war bei dem primären Krebse weit häufiger 
anzutreffen, als bei dem secundären, nämlich in 67% gegen 35% 
beim secundären und 40,3% bei allen 77 Fällen zusammen. Die 
Gelbsucht kanu abnehmen; sie ist im Allgemeinen ein spät auf¬ 
tretendes Symptom des Leberkrebses; Gelbsehen wurde nur einmal 
beobachtet. 

Ascites bildete sich unter 77 Fällen 33Mal (in 42,9%), wo¬ 
bei wiederum der primäre Leberkrebs häufiger (66,7 °/o) zu Bauch¬ 
höhlenwassersucht führte, als der secundäre (38,5 0 o)- 

Schmerzen wurden nur sehr selten vermisst. 


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146 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 8 


Im Gegensätze zu den Angaben anderer Autoren fand sich 
Milzvergrösserung häufig, denn klinisch wurde sie in 9% und 
bei der Section in 17,5% aller Fälle nachgewiesen. 

Die Dauer der Krankheit, soweit sich dieselbe mit einiger 
Sicherheit ermitteln Hess, war beim primären Leberkrebs geringer 
als die Durchschnittsdauer, nämlich 29 Wochen gegenüber 36,4 
Wochen. 

Bestimmte Lieblingssitze der Leberkrebse scheinen nach unseren 
Beobachtungen nicht vorzukommen. Bei primärem Leberkrebs zeig¬ 
ten sich ausser der Leber am häufigsten die Pleuren (58 %), dem¬ 
nächst Bauchfell (42%) und Lungen (33%) erkrankt, während 
beim secundären Leberkrebs zuerst der Magen (76 %), dann das 
Bauchfell (47 %) und die Lvmphdrüsen (47 %) und erst dann Pleu¬ 
ren (27 %) und Lungen (23 %) au die Reihe kamen. 

Zum Schlüsse benutze ich gern die Gelegenheit, auch an dieser 
Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Eich hörst, für die 
Ueberlassung der Krankengeschichten und der einschlägigen Lite¬ 
ratur, sowie für seine freundliche Unterstützung bei der Abfassung 
meiner Arbeit meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 

IY. Einiges zur Theorie des Fieberprocesses 
und der Wirkung der Antipyretica. 

Von l)r. Curl Rosenthal in Berlin. 

Bei meinen im Sommer 1887 im Laboratorium des Herrn Pro¬ 
fessor Dr. J. Rosenthal in Erlangen vorgenommenen calorime- 
trischen Untersuchungen über die Wärmeproduction und Wärme¬ 
abgabe des Armes an Gesunden und Kranken habe ich Gelegenheit 
gehabt, über die Genesis des Fieberprocesses und über die physio¬ 
logische Wirkung einiger antipyretischer Mittel Beobachtungen zu 
machen, die, wie ich hoffe, nicht für den Physiologen von Fach 
allein, sondern auch für den praktischen Mediciner einiges Interesse 
beanspruchen dürfen. Es sei daher an diesem Orte eine kurze 
Uebersicht über die genannten Punkte gegeben, indem die näher 
interessirten Kreise auf meine im Archiv für Anatomie und Physio¬ 
logie (Physiologische Abtheilung) erschienene längere Abhandlung 
verwiesen werden. 

Da das Hauptsymptom des Fiebers eine Erhöhung der Körper¬ 
temperatur darstellt, so ist in der Frage nach der Entstehung dieser 
Temperaturerhöhung zugleich diejenige nach der Genesis des Fieber¬ 
processes selbst gegeben. Bezüglich dieser Frage ergaben meine 
Untersuchungen folgendes Resultat. Die Erhöhung der Temperatur 
im Fieber beruht im Wesentlichen auf einer Verringerung der 
Wärmeabgabe nach aussen. Nebenbei noch eine Steigerung der 
Wärmeproduction im Innern des Körpers anzunehmen, ist durchaus 
unnöthig, wenn auch nicht undenkbar. Die Verringerung der 
Wärmeabgabe nach aussen kommt nun in folgender Weise zu Stande. 
Ein den Fieberprocess bewirkendes, im Blute kreiseudes, bisher noch 
unbekanntes Agens übt eine specifische Wirkung auf die Vasomo- 
torencentra aus, und zwar in zweierlei Art. Entweder erregt dasselbe 
direkt die Vasoconstrictoren, dadurch wird in Folge der Verengerung 
aller Gefässe durch Contraction ihrer Wände die Wärmeabgabe 
nach aussen sehr verringert werden, oder dasselbe wirkt reiz¬ 
unempfindlichmachend auf die Vasodilatatoren, wodurch dann auf 
indirektem Wege der gleiche Erfolg erzielt wird. Welcher dieser 
beiden Wege die Erhöhung der Körpertemperatur bewirkt, das 
hängt vielleicht von der Individualität des betreffenden Kranken, 
vielleicht auch von dem Wesen des Fieberprocesses selbst ab. Wie 
oben angedeutet, glaube ich, dass man zur Erklärung des Fieber¬ 
processes der Annahme einer Steigerung der Wärmeproduction im 
Innern entrathen kann. Diese letztere soll nun nach der Ansicht 
ihrer Vertreter eine Folge des im Fieber gesteigerten Stoffumsatzes, 
welcher sich in der vermehrten Harnstoffausscheidung zeigt, sein. 
Sollte man nun nicht vielmehr annehmen können, dass diese Ver¬ 
mehrung des Stoffuinsatzes erst eine Folge des Fiebers, speciell der 
erhöhten Bluttemperatur ist, und dass sie bezüglich der erhöhten 
Körpertemperatur nur eine untergeordnete Rolle spielt? Diese Auf¬ 
fassung möge durch die Erwägung gestützt werden, dass durch 
mehrfache glaubwürdige Nachweise sichergestellt ist, dass, während 
viele antipyretische Mittel deu Stoffumsatz im Organismus hemmen, 
ein anderes, nämlich Antifebrin, gerade das Gegentheil bewirkt, in¬ 
dem der Stoffumsatz nach seiner Einverleibung lebhaft gesteigert 
wird. Vergegenwärtigt man sich nun aber, wie exact gerade das 
letztgenannte Mittel den Fieberprocess in günstiger Weise beeinflusst, 
indem es die Temperatur beträchtlich herabsetzt, so muss man zu¬ 
geben, dass es zum mindesten unwahrscheinlich ist, dass das Wesen 
des Fiebers — und dies ist ja die Erhöhung der Eigenwärme — 
durch deu gesteigerten Stoffumsatz dargestellt werde. 

Interessant war mir die Beobachtung, dass diejenigen Fiebern¬ 
den, deren Wärmeabgabe eine relativ grössere war, sich stets sub- 
jectiv besser befanden, als solche, die eine geringere Wärmeabgabe 


unter sonst gleichen Verhältnissen zeigten. Besonders klagten 
erstere weniger über die allgemeinen Fiebersymptome, als Hitze¬ 
empfindung, Kopfschmerz, Durst und Mattigkeit. Mit der Schwere 
der Erkrankung an sich scheint dieser Umstand nichts zu thun zu 
haben. 

ln einem Falle von geringem Schüttelfrost konnte ich nach- 
weisen, dass während desselben die Wärmeabgabe nach aussen 
ausserordentlich beschränkt und das Wiederansteigen derselben ein 
sehr langsames war. 

Von antipyretischen Mitteln habe ich nur zwei der am häufigsten 
angewandten, nämlich Antipyrin und Antifebrin, meinen Unter¬ 
suchungen zu Grunde gelegt. Diese Untersuchungen wurden theils 
an mir selbst, theils an verschiedenen Kranken (Typhus, Pneumonie, 
Phthisis pulm., Erysipel) angestellt, und zwar diente zu diesen, wie 
auch zu den vorhergegangenen ein von Prof. Dr. J. Rosenthal 
eigens zu diesem Zwecke construirtes Calorimeter. Die Wirkung der 
antifebrilen Mittel hat sich für den gesunden, fieberlosen Organismus 
stets als null und nichtig herausgestellt, eine Thatsache, die auch 
von den meisten Autoren als richtig anerkannt wird. Bei Fiebern¬ 
den bewirken diese Mittel stets eine Steigerung der Wärmeabgabe 
nach aussen. Sie befreien auf diese Weise den Körper gleichsam 
von der Last der in ihm zurückgehaltenen Wärme. Die Wirkung dieser 
Mittel ist also entweder die, dass dieselben die Reizbarkeit der 
Vasoconstrictoren abschwächen, oder diejenige der Vasodilatatoren 
steigern. Der Effect ist in beiden Fällen derselbe, nämlich eine 
mehr oder weniger bedeutende Erweiterung aller Gefässe, die sich 
deutlich in dem Rothwerden der Haut kundgiebt. Die Wirkung tritt 
gewöhnlich sehr bald nach der Einverleibung des Mittels ein. Bald 
darauf fühlen sich die Patienten gewöhnlich um vieles leichter und 
klagen speciell weniger über Hitzegefühl. 

Meine Untersuchungen über die Wirkung kühler Bäder mit 
kalten Uebergiessungen sind noch nicht so weit geklärt und abge¬ 
schlossen, dass ich deren Resultate veröffentlichen könnte, doch 
wird das in absehbarer Zeit geschehen. 

Y. Ein Beitrag zur Wirkung der Milchsäure 
bei Tuberculose des Kehlkopfs. 

Von Dr. Wladislaus Oltuszewski, prakt. Arzt in Warschau. 

Es hat sehr lange gedauert, bis eine Heilung von Lungen- 
tuberculose sowohl von den Klinicisten wie auch Anatomopathologen 
bestätigt worden ist. Zwar hat sich diese Ueberzeugung langsam 
Bahn gebrochen, und heute besteht über die Heilbarkeit der 
Lungentuberculose bei gewissen Umständen kein Zweifel mehr. 
In gleicher Weise haben sich auch die Gesichtspunkte auf die Mög¬ 
lichkeit einer Ausheilung von tuberculösen Geschwüren des Kehl¬ 
kopfes geändert. In Uebereinstimmung mit anderen Autoren, die 
eine Ausheilung dieser Krankheit behaupten, hat Dr. Hering in 
seiner Arbeit über die Ausheilung von tuberculösen Geschwüren bei 
sogenannter Keblkopfphthise *) aufs Neue diese wichtige Frage be¬ 
rührt und, gestützt auf eine verhältnissmässig grosse Zahl von ge¬ 
heilten Fällen, diese Ansichten vollständig bestätigt. Einen dieser 
Patienten mit Kehlkopftuberculose, R. J., habe ich zusammen mit 
Dr. Hering beobachtet und konnte eine vollständige Ausheilung 
eines Geschwürs, welches % Theil des rechten wahren Stimmbandes 
einnahm, bei verhältnissmässig indifferenter localer Behandlung con- 
statiren (Insufflation von Acid. boric. mit Jodoform). Es ist all¬ 
gemein bekannt, dass das Verhältnis» zwischen den tuberculösen 
Veränderungen im Kehlkopf und in den Lungen einsehr verschiedenes 
ist. In vielen Fällen sind unbedeutende Veränderungen im Kehlkopf 
von grossen Zerstörungen in den Lungen begleitet, und umgekehrt 
finden wir manchmal minimale Veränderungen in den Lungen bei 
sehr grossen Zerstörungen im Larynx. Sehr viele hervorragende 
Beobachter haben vom klinischen Standpunkte eine primäre Laryux- 
tuberculose beobachtet, da aber die Resultate der anatomopathologi- 
schen Untersuchungen keine primäre Veränderung von Tuberculose 
des Larynx constatirt haben, so hat man bis jetzt eine primäre 
Larynxtuberculose angezweifelt 2 ). 

Für die Möglichkeit einer primären Larynxtuberculose spricht 
ein von Dr. Pogrebinski beschriebener Fall 3 ), bei welchem neben 
primärer Kehlkopftuberculose keine Veränderungen in den Lungen 
gefunden wurden, was durch die Section und mikroskopische Unter¬ 
suchung bestätigt worden ist. 

Diese zwei Möglichkeiten, nämlich die Heilbarkeit von tubercu¬ 
lösen Larynxgeschwüren und die Existenz einer primären Kehlkopf¬ 
tuberculose, müssen auch unsere Ansichten über die Therapie be[ 


*) Gazeta Lekarska. 1886. No. 28 u. 29. 

3 ) Heinze, welcher dieSectionsprotocolle von 1226 Phthisikern durch¬ 
musterte, fand kein einziges Mal primäre Tuberculose des Kehlkopfs. 

3 ) Trudy wraczej odieskoj gorodskoj bolnicy 1881. 


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23. Februar. 


DEUTSCHE MEÜ101N1SCHE WOCHENSCHRIFT. 


147 


der sogenannten Larynxphthise entsprechend ändern. Neben einer 
entsprechenden allgemeinen muss auch die locale Behandlung eine 
mehr oder minder wichtige Rolle spielen. Wenn wir bis jetzt bei 
der sehr geringen Zahl von geheilten tuberculösen Kehlkopfgeschwüren 
die Hauptrolle gewissen Eigenthümlichkeiten des Organismus zuzu¬ 
schreiben geneigt waren, so können wir heute mit der Einführung 
der Milchsäure in die locale Therapie dreist behaupten, dass 
unsere ärztliche Intervention eine viel wichtigere Rolle spielen, und 
damit auch die Zahl der geheilten Fälle mit jedem Tage eine 
grössere sein wird. Es scheint mir, dass nach den publicirten Be¬ 
obachtungen über die locale Wirkung der Milchsäure auf tubercu- 
löse Geschwüre des Kehlkopfes von Krause, 1 ) Jellinek 2 ) uud 
Hering 3 ) dieses Mittel, ungeachtet des Zweifels an seiner Wirk¬ 
samkeit seitens solcher Beobachter, die wahrscheinlich entweder die 
Milchsäure gar nicht angewendet, oder ihre glänzenden Wirkungen 
nicht erprobt haben, eine hervorragende Rolle in der Behandlung 
der Larynxtuberculose spielen und immer mehr Anhänger gewinnen 
wird. Ich hatte Gelegenheit, die Kranke, welche Dr. Hering 
in seiner Arbeit beschreibt, auf seiner Abtheilung im St. Rochus¬ 
hospital zu beobachten und konnte die guten Erfolge, welche er 
mit der Milchsäure erhalten hat, bestätigen. 

Die Wirkung der Milchsäure besteht namentlich darin, dass 
diese Säure pathologisch veränderte Gewebe vernichtet, also in der 
uns hier beschäftigenden Frage ödematös veränderte Schleimhaut, 
tuberculöse Infiltrate und Geschwüre, auf die gesunde Schleimhaut 
hingegen in sehr geringem Grade einwirkt. Ausserdem tödtet sie 
Tuberkelbacillen. 

Indem ich auf andere Details, die der Leser in den drei oben 
citirten Arbeiten finden wird, nicht näher eingehen will, gehe ich 
zur gedrängten Beschreibung meiner Krankheitsfälle über, bei 
welchen ich consequent durch eine längere Zeit die Milchsäure an¬ 
gewendet habe. Solche Fälle, wo die Beobachtung eine unvoll¬ 
ständige war, d. h. wo die Kranken keine genügende Ausdauer hatten, 
am die in Wirklichkeit ziemlich beschwerliche Cur zu beenden, 
werden hier nicht in Betracht gezogen. 

Diese Fälle habe ich von Ende des Jahres 1885 bis Anfang 
1887 beobachtet. Ihre Zahl beträgt 9. 

I. Fall. Wladimir Radziechowski, 24 Jahre alt, Schreiber. Die 
Mutter ist an Lungenschwindsucht gestorben. Im Jahre 1882 hat Patient 
eine beiderseitige Pleuritis durchgemacht. Syphilis nicht vorhanden. Seit 
einem Jahre Husten und am Morgen schwitzt Patient. Die Abmagerung 
datirt erst seit den letzten Monaten. Seit 8 Monaten Heiserkeit, die bis 
jetzt besteht. Das Schlingen ist nicht schmerzhaft. Den Kranken sah ich 
zum ersten Mal im October 1885 und fand bei demselben Folgendes: 
in der rechten Lungenspitze eine leichte Dämpfung vorn und hinten, un¬ 
bestimmtes Athmen, zahlreiche feuchte Rasselgeräusche. In der linken 
Lungenspitze hört man hinten verlängertes Exspirium. In den spärlich, 
aber mit Leichtigkeit ausgehusteten Sputis fand Dr. Bujwid Tuberkel¬ 
bacillen. Im Larynx ein ziemlich tiefes Geschwür des ganzen 
linken wahren Stimmbandes. Ich verorduete dem Patienten Milch 
mit Cognac und Arsenik, local wurde mit einer Milchsäurelösung gepinselt, 
und zwar Anfangs mit einer 10 % bis zu 50 u /o Lösung steigend, ohne 
die Stellen zu cocainisiren. Nach jeder Sitzung trat ein starker Glottis- 
krampf auf. Die Schmerzhaftigkeit dauerte nach den Pinselungen ein bis 
drei Stunden. Nach mehr als 10 Pinselungen ist das Geschwür des 
Stimm bandes vollständig geheilt worden. Der Patient hat Warschau 
verlassen. Das letzte Mal habe ich den Patienten mit Dr. Hering am 
29. Februar 1886 gesehen. 

II. Fall. Piotr Kieszczyiiski, 39 Jahre alt, Beamter. Husten 
seit 14 Jahren. Vor 3 Jahren hat Patient Syphilis gehabt und wurde mit 
Vrietionen behandelt. Seit der Zeit ist Patient immer magerer geworden 
und schwitzt am Morgen. Den Kranken habe ich zum ersten Mal am 
4. März 1886 gesehen und Folgendes bei ihm gefunden: Allgemeinzustand 
sehr schlecht, starke Abmagerung, eine unbedeutende Vergrösserung der 
Hals- und inguinalen Lymphdrüsen. In der rechten Lungenspitze vorn und 
hinten Dämpfiing, Bronchialathmen, feuchte Rasselgeräusche. In der linken 
Lungenspitze ist das Exspirium verlängert. Die Lungengrenzen beiderseits 
nach unten gerückt. Der Kranke hustet sehr viel und befördert eine 
spärliche Quantität von schleimig-eitrigem Sputum aus. Auf Tuberkel¬ 
bacillen wurden die Sputa nicht untersucht. 

Bei der Untersuchung des Kehlkopfes fand sich ein starkes, 
plastisches Infiltrat der Epiglottis, eine Schwellung der 
falschen Stimmbänder, die die wahren theilweise deckten. 
Die wahren Stimmbänder in ihrer ganzen Ausdehnung exul- 
cerirt. Auf der hinteren Larynxwand ein tiefes Geschwür. 
Reactives Oedem der Ary taenoida lknorpel, Excursionsfähigkeit 
erhalten. Vor nicht langer Zeit wurde beim Patienten eine antisyphi¬ 
litische Cur versucht, aber ohne Erfolg. Ich verordnete kalte Milch, 

') Krause, Milchsäure gegen Larynxtuberculose. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift. 1885. No. 29. 

*) Jellinek, Ueber Milchsäurebehandlung im Kehlkopfe, Rachen und 
der Nase mit vorzugsweiser Berücksichtigung der Kehlkopftuberculose. Separat- 
Abdruck aus dem Centralblatt für die gesammte Therapie. 

3 ) Kwas mleczny jako srodek leczniczy przy wrzodzeniach gruiliczych 
towarzyszfjcych tak zwanym suchotom krtani Medycyna 1886. No. 24, 25, 26, 
27 und 28. 


Arsenik, und local wurde Milchsäure in 25 % Lösung eingepinselt nach 
vorheriger Cocaineinwirkung. Nach 12 Einpinselungen bildete sich ein 
dicker Schorf auf beiden falschen Stimmbändern und auf der hinteren 
Larynxwand. Die wahren Stimmbänder konnten in Folge von starkem 
Oedem der falschen Stimmbänder nicht gesehen werden. Das Schlingen 
besserte sich bedeutend, und dadurch besserte sich auch der Allgemein¬ 
zustand des Kranken. Nach einer Consultatiou mit Dr. Hering beschlossen 
wir, nicht weiter zu pinseln, sondern ein Abfallen der Schorfe abzuwarten, 
was auch am 31. März zu Stande kam. 

Der Zustand des Kehlkopfes war nun folgender: 

Die Epiglottis nicht verändert, das Oedem der falschen Stimmbänder 
geringer, die wahren Stimmbänder mit Granulationen bedeckt, das Oedem 
der hinteren Larynxwand hat sich bedeutend reducirt. Das Schlingen 
während dieser Zeit ging gut von Statten. Während der Behandlung war 
kein .Fieber zu notiren, am Anfang April trat starkes Fieber ein, das 
Schlingen wurde immer mehr behindert, und unter immer steigendem 
Kräfteverfall starb Patient. 

III. Fall. Kouierski Ignacy, 48 Jahre alt, Handelsgehülfe. Der 
Vater des Patienten ist an Lungenschwindsucht gestorben. Syphilis hat 
Patient nicht gehabt, hustet seit sechs Jahren, seit zwei Jahren stark ab¬ 
gemagert, schwitzt in der Nacht und am Morgen. Seit dieser Zeit ist 
Patient heiser. Keine Beschwerden beim Schlingen. Den Kranken habe 
ich im Juni 1886 gesehen und fand folgenden Status: Starke Abmagerung, 
Dämpfung an der rechten Lungenspitze von vorn und von hinten in der 
linken. An den gedämpften Stellen hört mau unbestimmtes Athmen und 
feuchte Rasselgeräusche. Eiterig-schleimiges Sputum enthält Tuberkel¬ 
bacillen uud wird in ziemlich grosser Quantität ausgeworfeu. Im Kehlkopf: 
ein oberflächliches Geschwür an der rechten Seite der Epi¬ 
glottis, in den hinteren Abschnitten beider wahren Stimm¬ 
bänder tiefe Geschwüre, plastisches Infiltrat der hinteren 
Larynxwand. 

Dem Patienten wurde Milch mit Cognac und Arsen verordnet. Nach 
‘20 Einpinselungen von Milchsäure ohne Cocain, und zwar beginnend mit 
25°,o Lösungen, ist das oberflächliche Geschwür der Epiglottis 
vollständig geheilt, die Geschwüre an den Stimmbändern 
reinigten sich und fingen an zu heilen, und das plastische 
Oedem an der hinteren Larynxwand verminderte sich be¬ 
deutend. Die Einpinselungen wurden vom Patienten sehr gut und ohne 
jegliche Reaction vertragen. Der Patient musste Warschau verlassen, und 
so sah ich ihn nicht mehr wieder. Den Kranken hat früher auch Dr. Szteyner 
gesehen. 

IV. Fall. Ludwika Zackiewicz, 30 Jahre alt, Lehrerin. Der Vater 
ist. an Lungenschwindsucht gestorben. Patientin ist verheirathet, hat 4 Mal 
geboren. Seit 10 Monaten leidet sie an Husten und seit 5 Monaten au 
Heiserkeit. Patientin habe ich im Monat Juli v. J. gesehen und Folgendes 
gefunden: Allgemeinzustand gut, in den Lungen eine sehr unbedeutende 
Dämpfung in der rechten Lungenspitze mit unbestimmtem Athmen. Im 
Larynx — oberflächliche Exulcerationen der hinterenWand und 
beider Processus vocales. Beim Schlingen keine Schmerzen. Es wurde 
Milch mit Cognac und Arsenik verordnet. Nach mehrmaligem Bepinselu 
mit Milchsäure in 25%—75% Lösung ohne Cocain haben sich die Ge¬ 
schwüre namhaft verkleinert, und die Heiserkeit verschwand. 
Patientin ging auf das Land. Ich sah sie zum zweiten Mal im October v. J. 
und konnte in den Lungen deutlichere Zeichen von Infiltration in der 
rechten Spitze constatiren. — Es wird von der Patientin eine geringe Quan¬ 
tität Sputum ausgeworfen, in welchem Dr. Mayzel sehr viele Tuberkelbacillen 
und elastische Fasern nachweisen konnte. Bei der Untersuchung des Larynx 
fand ich eine fast vollständige Verheilung der Geschwüre auf 
der hinteren W T and, denn nur in der Mitte konnte eine unbedeutende 
spaltförmige Vertiefung, und auf den Processis vocal. an den Stellen, wo 
früher Geschwüre sassen, kleine Grauulationen constatirt werden. Um eine 
vollständige Vernarbung der hinteren Wand zu erreichen und um die Gra¬ 
nulation zu zerstören, wurde reine Milchsäure nach vorheriger Anästhesie 
mit Cocain angewendet. Nach mehrmaligem Bepinseln vernarbte die hintere 
Wand vollständig, auf die Granulationen hatte es gar keinen Einfluss. Es 
wurden dieselben unter Cocain mit Chromsäure zerstört, und danach schwan¬ 
den die Granulationen vollständig. Die Kranke haben DDr. Hering und 
Wröblewski gesehen, dieselbe befindet sich zur Zeit noch in meiner Be¬ 
obachtung und fiebert nicht. Der Zustand des Larynx hat sich in Nichts 
geändert. 

V. Fall. Autonina Dobrowolska, 38 Jahre alt, Tagelöhnerin, kam 
in meine Behandlung Ende October v. J. Patientin ist verheirathet und hat 
10 Mal geboren. Seit einem Jahre hustet sie, ist heiser, das Schlingen er¬ 
schwert, schwitzt am Morgen, fiebert und ist magerer geworden. Der Er¬ 
nährungszustand schlecht. An der rechten Lungenspitze — Dämpfung mit 
unbestimmtem Athmen. In der linken Lungenspitze hört man fast bronchiales 
Athmen und feuchte Rasselgeräusche. Schleimig-eiteriges Sputum, enthält 
nach den Untersuchungen von Dr. Bujwid Tuberkelbacillen. 

Im Larynx ein tiefes Geschwür des linken wahren und falschen 
Stimmbandes. An der hinteren Wand mehr nach links eben¬ 
falls ein tiefes Geschwür von plastischem Infiltrat umgeben. 
Nach 12 Einpinselungen mit Milchsäure ohne Cocain, wobei ich mit einer 
25% Lösung begonnen habe und zur reinen Milchsäure überging, heilten 
die Geschwüre der Stimmbänder theilweise, das Schlingen ging 
leichter von Statten, und die Heiserkeit verminderte sich. Um die Heilung 
des Geschwürs an der hinteren Larynxwand zu beschleunigen, forderte ich 
die Kranke auf, sich in’s St. Rochushospital auf die Abtheilung des Herrn 
Dr. Hering aufnehmeu zu lassen. 

Am 18. November wurde */* tr Cocain submucös in die hintere Wau! 
injicirt, darauf noch mit einer 15% Lösung von Cocain bepinselt und dio 
Granulationen an der hinteren Wand mit einem scharfen Löffel ausgekrat/.t. 
Nach zwei Tagen verliess Patientin das Hospital und wurde weiter von mir 


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148 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ambulatorisch behandelt. Nach mehrmaligem Bepinseln mit reiner Milch¬ 
säure heilte das Geschwür an der hinteren Wand vollständig, 
und es ist nur in der Umgebung desselben ein plastisches Infiltrat zurück¬ 
geblieben. Dieses Infiltrat wurde von mir am 5. December unter Cocain 
mit Chromsäure geätzt, jedoch ohne Resultat. In der zweiten Hälfte des 
Monats December wurde eine Verschlimmerung des Zustandes der Lungen 
gefunden, obgleich der Befund im Larynx derselbe geblieben ist. Patientin 
befindet sich zur Zeit in meiner Beobachtung. 

VI. Fall. Walenty Lada, 22 Jahre alt, Schuster, wurde auf die Ab¬ 
theilung des Dr. Heri ng am 1. September v. J. aufgenommen. Patient stammt 
von gesunden Eltern. Im 8. Lebensjahre hat Patient Masern und vor 2 Jahren 
Typhus durchgemacht. Hustet seit einem Jahre. Die Abmagerung datirt seit 
2 Monaten. Im letzten Monat fing er an, bei Nacht und des Morgens zu schwitzen. 
— Heiserkeit seit 2 Wochen. Die Ernährung gesunken. In der rechten 
Lungenspitze hinten bronchiales Athmen und feuchte Rasselgeräusche, vorn 
unbestimmtes Athmen. In der linken Spitze sind die Veränderungen weniger 
deutlich ausgesprochen. Der Kranke hustet viel, dabei ist aber der Aus¬ 
wurf spärlich. Im Sputum hat Dr. Mayzel Tuberkelbacillen nachgewiesen. 
Im Larynx sind beide Stimmbänder im vorderen Winkel, nament¬ 
lich das linke oberflächlich exulcerirt. Der Rand des linken 
Stimmbandes ist an dieser Stelle geröthet. Die Stimmbänder 
schlaff, von grauer, matter Farbe. Die hintere Larynxwand in geringem 
Grade plastisch infiltrirt. Das Schlingen nicht behindert. Dem Patienten 
wurde Milch mit Cognac und Arsenik verordnet und local Einpinselungen 
von Milchsäure, die vom Patienten sehr gut ohne Cocain vertragen wurden. 
Nach 16 Eiupinselungen heilten die Geschwüre an den Stimm¬ 
bändern, die Stimme besserte sich, und das Infiltrat der 
hinteren Wand wurde bedeutend kleiner. Der Kranke fieberte 
während der ganzen Zeit seines Verbleibens im Hospital nicht. Den Kranken 
hat ausser Dr. Hering auch Dr. Wröblewski beobachtet. 

VII. Fall Dawid Hersz, 20 Jahre alt, Trödler, kam in das Am¬ 
bulatorium des St. Rochushospitals am 6. October. Sein Vater ist ad 
Lungenschwindsucht gestorben. Vor 2 Jahren hat Patient Hämoptoe gehabt. 
Seit der Zeit hustet er. Heiserkeit seit einigen Monaten. Der Kranke ist 
Idass, etwas abgemagert, schwitzt nicht in der Nacht, kein Fieber. Die 
Untersuchung der Lungen erweist eine Affection der rechten Lungenspitze 
von vorn, und der linken von hinten (verlängertes Exspirium, feuchte Rassel¬ 
geräusche). Sputum schleimig - eiterig, dick, enthält Tuberkelbacillen (Dr. 
Mayzel). Im Larynx ein ziemlich oberflächliches Geschwür auf 
der hinteren Wand und auf beiden wahren Stimmbändern. Es 
wurde dem Kranken Milch mit Cognac, Leberthran und Arsenik verordnet. 
Local wurde mit Milchsäure ohne Cocain gepinselt, und dies wurde von dem 
Patienten sehr gut vertragen. Nach 20 Pinselungen heilten alle Ge¬ 
schwüre vollständig. Dieser Kranke wurde ebenfalls von DDr. Hering 
und Wröblewski beobachtet. 

VIII. Fall. Abraam Szparag, 52 Jahre alt, Klempner, kam in das 
Ambulatorium des St. Rochushospitals im November v. J. Patient leidet 
seit einigen Wochen an Heiserkeit. Stammt von gesunden Eltern. Giebt 
an, seit einigen Wochen am Morgen zu schwitzen. Keine Schmerzen beim 
Schlingen. Patient zeigt einen mässigen Ernährungszustand. Der Auswurf, 
untersucht von Dr. Mayzel, erscheint dick, schleimig-eiterig, mit dunklen 
und schwarzen Flecken, die von Kohlenstaub stammen, enthält aber keine 
Tuberkelbacillen. Die Grenzen der Lungen nach unten erweitert. In der 
rechten Lungenspitze vorn eine Dämpfung, nicht sehr zahlreiche feuchte 
Rasselgeräusche, in der linken eine Dämpfung hinten und unbestimmtes 
Athmen. 

Im Larynx ein tiefes Geschwür auf dem Processus vocalis 
des rechten wahren Stimmbandes von der Grösse einer Erbse, bedeckt 
mit einem grau-gelben Belag, mit glatten, wenig erhabenen und gerötheten 
Rändern. Auf dem linken Stimmbande, auf dem Processus vocalis ein rand- 
ständiges Geschwür. Obgleich die Untersuchung der Sputa ein negatives 
Resultat ergab, stellten wir, gestützt auf das Aussehen der Geschwüre und 
den Befund in den Lungen, nach einer Consultation mit den DDr. Hering 
und Wröblewski, die Diagnose auf tuberculöse Geschwüre, und es wurden 
dem Patienten, abgesehen von einer allgemeinen Behandlung, Milchsäure¬ 
einpinselungen zuerst unter Cocain und dann ohne dieses gemacht. Nach 
12 Einpinselungen heilten die Geschwüre vollständig. Das letzte 
Mal sah ich Patienten am 22. December 1886. 

IX. Fall. Ignacy Nowicki, 45 Jahre alt, Beamter, kam in meine 
Behandlung in den letzten Tagen des November v. J. Der Vater des Patienten 
ist an Lungenschwindsucht gestorben. Der Patient hat einigemal und zuletzt 
vor 3 Jahren Lungenentzündung durchgemacht, seit der Zeit hustet er, 
Heiserkeit datirt seit 14 Monaten. Das Schlingen ohne Beschwerden; Er¬ 
nährungszustand ein guter. Ein unbedeutender Husten mit spärlichem Aus¬ 
wurf, welcher auf Bacillen nicht untersucht worden ist. In den Lungen eine 
Verdichtung im rechten Apex, die Grenzen der Lungen nach unten gerückt. 
Im Larynx eine Verdickung des linken wahren Stimmbandes und eine Narbe 
von einem geheilten Geschwür herstammend. Auf der hinteren Larynxwand 
eine Art Pilz, welcher in das Lumen des Larynx hineinragt. Es wurde 
dem Patienten angerathen, sich auf die Abtheilung von Dr. Hering auf¬ 
nehmen zu lassen, woselbst ich am 12. November unter Cocain eine Aetzung 
der hinteren Wand mit Chromsäure, jedoch ohne Resultat, vornahm. Am 
15. November versuchte Dr. Hering die hintere Wand mit einem scharfen 
Löffel auszukratzen, ohne grossen Erfolg, da die Neubildung aus festem 
interstitiellem Bindegewebe bestand. Vom 17. November an wurde die hintere 
Wand mehrmals mit Milchsäure gepinselt, ohne ein positives Resultat 
zu erhalten. Der Kranke fieberte während seines Aufenthaltes im Hos¬ 
pital nicht. 

Aus diesen Krankengeschichten ist ersichtlich, dass in 9 Fällen 
von Application der Milchsäure nur in 6 Fällen eine Ausheilung 
der Geschwüre, in einem ein Zuheilen, in einem ein Verbessern 


No. 8 

des Sehlingens und in einem ein negatives Resultat erhalten 
wurde. 1 ) Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass wir es in allen 
Fällen mit tuberculösen Geschwüren zu thun hatten. Einige Be¬ 
denken könnte man nur in zwei Fällen haben, bei welchen die 
Sputa auf Tuberkelbacillen nicht untersucht worden sind, die 
Anamnese aber, der Mangel von objectiven Zeichen von Syphilis, 
somit einer Lungenaffeetion, waren meiner Meinung uach genügend, 
um eine tuberculöse Natur der Geschwüre annehmen zu dürfen. 
Was den Fall VIII anbetrifft, so habe ich denselben, wie schon oben 
bemerkt wurde, obgleich im Sputum keine Bacillen gefunden worden 
sind, auf das Aussehen der Geschwüre und den Befund in den 
Lungen gestützt, doch zu den tuberculösen gezählt, um desto mehr, 
da ein einmaliges negatives Resultat der Untersuchung der Sputa 
doch nicht beweisend ist. 

Auf diese Fälle gestützt und übereinstimmend mit deu Arbeiten 
von Krause, Jellinek und Hering habe ich constatirt: 1. Dass 
die Milchsäure am raschesten wirkt bei Geschwüren des Larynx, 
welche ihrer Einwirkung zugänglich sind (Stimmbänder, Epiglottis). 
Solche Geschwüre, namentlich wenn sie oberflächlich sind, heilen 
vollständig nach mehrmaligen Eiupinselungen. 2. Die Einwirkung 
der Milchsäure auf Geschwüre der hinteren Larynxwand ist, wenn 
auch eine langsame, doch eine gute (Fall IV und VII), namentlich 
wenn die Geschwüre nicht sehr tief sitzen. 3. Sowohl plastische 
wie auch reactive Infiltrate vermindern sich unter der Einwirkung 
der Milchsäure, obgleich die erste Art viel langsamer als die zweite. 
4. Die Milchsäure hebt die Beschwerden beim Schlingen auf und 
bessert die Stimme. 

Dass wir in vielen Fällen mit der Milchsäure nicht auskommen 
können, beweist Fall IV, in welchem wir, um die uach der Aus¬ 
heilung gebliebenen Granulationen zu vernichten, wobei die Milchsäure 
keinen Effect hatte, zur Chromsäure greifen mussten, welche die Gra¬ 
nulationen vollständig zerstörte. Tiefe Geschwüre der Epiglottis, 
der falschen Stimmbänder und der hinteren Larynxwand, welche 
mit einem starken plastischen Infiltrat umgeben und mit Granu¬ 
lationen bedeckt sind, heilen viel rascher, wenn wir zuerst 
diese Infiltrate und Granulationen mit dem scharfen Löffel aus¬ 
kratzen nnd erst dann die Milchsäure einwirken lassen (Fall IV). 
Die Milchsäure zeigt eine schwache oder gar keine Wirkung auf 
harte, aus Bindegewebe bestehende Hypertrophieen, wie im Falle IX. 
Bei der Application der Milchsäure habe ich bemerken können, dass 
die Patienten dieselbe auch ohne Cocain sehr gut vertragen, ja noch 
mehr, der Schmerz, welcher eine Zeit lang nach der Einpinselung 
andauerte, war ein sehr geringer oder fehlte ganz. In Fällen, 
die ich beobachtet habe, habe ich selten Gelegenheit gehabt, eine 
Bildung von dicken Schorfen zu sehen, in der Mehrzahl der Fälle 
vernarbten die Geschwüre ohne Schorfbildung. Im Falle VII habe ich 
mich überzeugt, dass es sehr schwer ist, eine Narbe von einem in 
Heilung begriffenen Geschwür zu unterscheiden, was hier sehr wich¬ 
tig ist, denn eine unnütze Bepinselung zerstört manchmal die schon 
gebildeten dünnen Narben. 

Indem ich Alles, was ich oben gesagt habe, zusammenfässc, 
kann ich aus meinen Beobachtungen und aus den zahlreichen 
Fällen, die ich im St. Rochushospital Gelegenheit hatte zu beob¬ 
achten, dreist schliessen, dass wir in der Milchsäure ein vorzügliches 
Mittel, welches an und für sich oder in Verbindung mit einem ent¬ 
sprechenden chirurgischen Eingriff, die Heilung der Geschwüre be¬ 
deutend anregt, reactive Oedeme und tuberculöse Infiltrate bedeutend 
vermindert, die Schmerzen beim Schlingen aufhebt und die Larynx- 
functionen verbessert, besitzen. 

Dass wir die Milchsäure nicht als Specificum für Larynxtuber- 
culose betrachten, das versteht sich von selbst, aber es unterliegt 
andererseits keinem Zweifel, dass wir, indem wir den Kranken mög¬ 
lichst gute hygienisch-diätetische Bedingungen, die wie bekannt auf 
einer möglichst starken Hebung des Ernährungszustandes durch all¬ 
gemeine therapeutische Maassregeln beruhen, verschaffen, nebenbei 
mit der localen Application von Milchsäure eine dauernde oder zeit¬ 
weilige Heilung, eine Besserung oder eine bedeutende Erleichterung 
bei den Patienten erzielen können. 

Die vollständige Heilung von tuberculösen Geschwüren ist, 
ausser den uns unbekannten Umständeu, die im Organismus des 
Kranken, seinem Ernährungszustand, dem Verhalten der Temperatur, 
einem früheren oder späteren Stadium der Krankheit etc. liegen, 
unter anderen Ursachen, auch von der Tiefe des tuberculösen In¬ 
filtrates, welches in Geschwüre übergeht, abhängig. Dass in manchen 
Fällen nach der Entfernung des Infiltrats auf chirurgischem Wege 
und Verheilung des Geschwürs dasselbe nach einiger Zeit recidi- 
viren kann (wie ich Gelegenheit hatte bei einem im Hospital be¬ 
handelten Kranken zu sehen), darf uns jedoch nicht abschrecken 
und von der weiteren Anwendung der Milchsäure nicht abhalten. 

*) Es ist selbstverständlich, dass hier nur von einer zeitweiligen Aus¬ 
heilung die Rede sein kann: in wie weit diese Ausheilung eine dauernde sein 
wird, darüber wird uns die weitere Beobachtung Aufschluss geben. 


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23. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


149 


Was die technische Seite der Einpinselungen anbetrifft, so 
halte ich die Manipulation für schwierig, und erfordert dieselbe eine 
grosse Uebung. Das Einpiuseln, richtiger Einreiben von Milchsäure 
in die krankhaft veränderte Stelle muss recht energisch vorgenommen 
werden, denn ein gewisses Zagen führt nicht zum Ziele und dis- 
creditirt die ganze Methode. 

Eine detaillirte Beschreibung dieser Technik wird der Leser in 
der oben citirteu Arbeit von Hering, welche in der „Medycyna“ 
publicirt wurde, finden. 


VI. Ueber Lungenentzündungen und Lungen- 
tuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 7.) 

Von besonderer Wichtigkeit ist die Unterscheidung der ver¬ 
schiedenen Formen der Pneumonie. 

Schon bei der Aetiologie wurden die Gründe angegeben, welche uns 
zu der Annahme bestimmen, dass unter dem anatomischen Gesammtnamen 
der acuten fibrinösen Pneumonie mehrere ätiologisch unter einander ver¬ 
schiedene und von specifisch verschiedenen Mikroorganismen abhängige 
Krankheiten zusammengefasst seien. Voraussichtlich wird eine weitere 
Untersuchung dieser Krankheitserreger und die Vergleichung der durch die 
einzelnen Krankheitserreger hervorgerufenen Störungen allmählich dahin 
führen, dass man mehrere specifisch verschiedene Arten der Pneumonie 
unterscheiden kann, und man wird dann vielleicht für viele Fälle auch 
klinisch die genauere Diagnose der Art der Krankheit machen können. Es 
ist dies bei dem gegenwärtigen Stande des Wissens noch nicht möglich, 
und wir müssen uns deshalb damit begnügen, statt der Unterscheidung ver¬ 
schiedener Arten vorläufig nur verschiedene Formen der Krankheit fest- 
zusteUeu, von denen wir vermuthen können, dass ihre Verschiedenheit 
wenigstens zum Theil von der Verschiedenheit der Krankheitserreger ab¬ 
hängig sei, ohne aber im Stande zu sein, schon jetzt anzugeben, welche 
einzelne Formen den einzelnen Krankheitserregern entsprechen. 

Die Verschiedenheiten der Pneumonie, welche zur Aufstellung 
mehrerer Formen derselben Veranlassung geben, beruhen zum 
Theil auf der Verschiedenheit der Krankheitserreger, zum Theil 
aber auch auf besonderen Eigenthömlichkeiten der Individuen, 
welche von der Krankheit befallen werden. Wir können deshalb 
specifische Formverschiedenheiten und individuelle Formverschieden¬ 
heiten unterscheiden. 

Als besondere Formen der Pneumonie, welche wir geneigt 
sind, von specifischen Verschiedenheiten der Krankheitser¬ 
reger abzuleiten, fuhren wir die folgenden auf. 

Die typische oder einfache Pneumonie, welche auch als 
sthenische Pneumonie bezeichnet wird, entspricht im wesentlichen 
der Darstellung, welche wir bei der Symptomatologie gegeben haben. 
Sie ist klinisch charakterisirt durch schnelles Steigen der Temperatur 
im Beginn, mässige Febris continua und schnelles Sinken der Tempera¬ 
tur am 4. bis 7. Tage, ferner durch schnelle Entwickelung der Hepati¬ 
sation, die gewöhnlich schon nach 12 bis 36 Stunden deutlich nach¬ 
weisbar ist, und endlich durch einen relativ günstigen Verlauf. 
Anatomisch ist sie charakterisirt durch Beschränkung der Affection 
auf einen einzelnen grösseren Abschnitt der Lungen, gewöhnlich 
einen unteren Lappen, feste Consistenz des hepatisirten Bezirks, 
granolirte und trockene Schnittfläche, relativ langes Bestehen der 
rothen Hepatisation, Ausgang in Lösung ohne eigentliche eiterige 
Infiltration. Gewöhnlich ist die Milz nicht wesentlich vergrößert, 
meist fehlen alle besonderen Complicationen. Nur der Herpes facialis 
scheint bei dieser Form häufiger vorzukommen, und damit würde 
die schon von vielen Beobachtern hervorgehobene günstige pro¬ 
gnostische Bedeutung dieses Ausschlags sich erklären. — Diese 
typische Form ist zu manchen Zeiten und an manchen Orten die 
vorherrschende gewesen, an anderen Orten und zu anderen Zeiten 
hat sie die Minderzahl gebildet. Die Prognose ist in Fällen, in 
welchen nicht individuell besonders schlimme Umstände vorhanden 
sind, als günstig zu bezeichnen. In einzelnen Fällen kommt na¬ 
mentlich bei dieser Form der Pneumonie ein abortiver Verlauf vor, 
so dass schon vor dem 4. Tage die Krisis erfolgt und der Process 
rückgängig wird. 

Die asthenische oder schleichende Pneumonie umfasst 
auch einen Theil der Zustände, welche als typhöse oder biliöse Pneu¬ 
monie bezeichnet zu werden pflegen. Die Krankheit ist gegenüber 
der typischen Form zunächst dadurch charakterisirt, dass sie lang¬ 
sam und allmählich beginnt, oft mit einem mehrtägigen Prodromal¬ 
stadium; der Kranke ist, wenn er den Beginn der Krankheit angeben 
soll, nicht selten um einige Tage im Zweifel. Die Temperatur 
steigt im Verlaufe mehrerer Tage in mehreren Absätzen in die Höhe, 
die erreichte Höhe ist aber-durchschnittlich eine bedeutendere, über¬ 
steigt häufig 410; dem langsameren Steigen entsprechend kommt 
aasgebildeter Schüttelfrost seltener vor, häufiger dagegen bei einem 
oder mehreren Ansätzen ein leichterer .Frostanfall. Das Fieber hat 
gewöhnlich eine längere Dauer, es geht nicht leicht vor dem 7. Tage 


zu Ende; der Abfall ist seltener ein einfach kritischer, gewöhnlich 
| erfolgt er in mehreren Absätzen oder erstreckt sich in Form der 
Lysis über eine längere Reihe von Tagen. Während der Dauer der 
! Krankheit ist das Allgemeinbefinden viel schwerer gestört; dem 
höheren Fieber entsprechend treten schwere Gehirnerscheinungen 
! häufiger auf, in vielen Fällen entwickelt sich ein ausgebildeter 
i Status typhosus; es kommt leicht Herzschwäche und Herzparalyse 
zu Stande, und die Pulsfrequenz ist gewöhnlich von Anfang an be- 
I deutender gesteigert. Anatomisch ist charakteristisch die langsame 
und schleichende Ausbildung der Infiltration des Lungengewebes; 
j es kommt häufig vor, dass man am dritten oder vierten Krankheits- 
I tage noch nicht im Stande ist, mit Sicherheit die Stelle und die 
| Ausdehnung der Lungenaffection anzugeben; die Infiltration bleibt 
! überhaupt im Anfang mehr diffus, besteht besonders häufig aus 
j mehrfachen Herden, ist deshalb häufiger doppelseitig. Die rothe 
j Hepatisation besteht nur kurze Zeit, es erfolgt schnell der Ueber- 
i gang in die graue oder gelbe Hepatisation; das infiltrirte Lungen- 
! gewebe zeigt sich schon früh von weicher Consistenz, morsch, leicht 
; zerreisslich, die Schnittfläche ist weniger deutlich granulirt, über 
| dieselbe ergiesst sich reichlich missfarbige Flüssigkeit; es erfolgt 
’ häufiger der Ausgang in eigentliche eiterige Infiltration. In der Regel 
' ist deutliche und oft sehr bedeutende Milzvergrösserung vorhanden. 
Oft besteht gleichzeitig oder es entwickelt sich nachträglich ein pleu- 
ritisches Exsudat, welches zuweilen schon von Anfang an eiterig ist 
! oder später in Eiterung übergeht. Auch andere Complicationen 
kommen häufiger vor. so namentlich höhere Grade von Nieren- 
affection, ferner Icterus, Magen- und Darmkatarrh, zuweilen auch 
Pericarditis, Endocarditis, Meningitis. Die ungünstigen Ausgänge 
der Pneumonie, namentlich Nekrose oder Gangrän der Lunge und 
Lungenabscess, werden vorzugsweise bei dieser Form beobachtet. 
Die Prognose ist bei der asthenischen Form beträchtlich ungünstiger 
als bei der typischen. 

Ob an einem Orte zu einer gewissen Zeit die typische oder die asthe- 
) nische Form der Pneumonie die vorherrschende ist, lässt sich häufig schon 
| aus der blossen Angabe des Mortalitätsverhältnisses ersehen. Wenn z. B. 
in Edinburgh die Mortalität bei Pneumonie 3 Procent betrug zu einer Zeit, 
als sie in Paris mehr als das Zehnfache war, so werden wir nicht geneigt 
■ sein, dies mit den Edinburgher Berichterstattern nur von ihrer vortrefflichen 
Behandlungsweise abzuleiten, sondern annehmen, dass es sich daböi um ver- 
I schiedene Krankheiten gehandelt habe. — In Deutschland und wahrscheinlich 
auch in manchen anderen Ländern war noch um die Mitte unseres Jahr- 
\ hunderts die typische oder einfache Pneumonie an vielen Orten die vor- 
! herrschende Form; in den letzten drei Decennien ist dagegen die asthenische 
Form häufiger geworden. Ich habe aus meiner Studienzeit noch Jahrgänge 
! in Erinnerung, in welchen 20 und mehr Pneumonieen nach einander günstig 
! verliefen; selbst sehr alte Leute und Potatoren, die ja unter allen Umständen 
1 mehr gefährdet sind, machten die Pneumonie glücklich durch. In den beiden 
I letzten Decennien sind mir solche glückliche Verhältnisse nicht mehr vorge- 
i kommen. Seit ich in Basel in grossem Umfange die asthenische Pneumonie 
1 kennen lernte, gewann ich die Ueberzeugung, dass dies eine von der typi- 
1 sehen Pneumonie specifisch verschiedene Krankheit sei. Ich habe in der 
! Dissertation von Fismer (abgedruckt im Deutschen Archiv für klinische 
j Medicin Bd. XI, 1873) dieser Ansicht Ausdruck gegeben und auch bereits 
i die wesentlichen klinischen und anatomischen Unterschiede der beiden Formen 
der Pneumonie zusammengestellt. In der Tübingei Klinik wird in jedem 
l einzelnen Falle von Pneumonie die Frage erörtert, ob es sich um eine ty¬ 
pische oder um eine asthenische Pneumonie handle, und die Prognose wird 
zum grossen Theil von dieser Diagnose abhängig gemacht. Auch jetzt noch 
giebt es Zeiten, in welchen die typische, und andere, in welchen die asthe¬ 
nische Form der Pneumonie bei uns häufiger vorkommt. 

Der Umstand, dass etwa seit der Mitte unseres Jahrhunderts die asthe- 
1 nische Pneumonie angefangen hat, an vielen Orten die vorherrschende Form 
zu werden, erklärt auch eine Thatsache, die sonst nicht wohl verständlich 
1 sein würde. In früheren Zeiten wurde die Pneumonie allgemein mit reich¬ 
lichen Aderlässen behandelt; seit der Mitte des Jahrhunderts ist der Ader- 
j lass immer mehr eingeschränkt worden und wird jetzt bei der Pneumonie 
nur noch selten und nur nach ganz bestimmten Irtdicatiouen angewendet. 

| Wie ist dieser auffallende Wechsel in der Therapie zu erklären? Es hat 
Autoren gegeben, welche geglaubt haben, die Anwendung des Aderlasses bei 
Pneumonie sei einfach eine therapeutische Modethorheit gewesen, und diese 
sei durch die Bestrebungen der neueren Wiener Schule und namentlich unter 
dem Einfluss der Erfahrungen von Dietl (1849) endlich glücklich über¬ 
wunden worden. Eine solche Auffassung würde, wie ich glaube, unseren 
Vorgängern schweres Unrecht thun. Und es haben auch schon Andere die 
Ansicht aufgestellt, die Abnahme der Anwendung des Aderlasses falle zu¬ 
sammen mit einer Aenderung des Krankheitsgenius, welche etwa um die 
Mitte des Jahrhunderts stattgefunden habe. Eine solche in dieser Form 
etwas unbestimmte Ansicht trifft wohl ohne Zweifel das Richtige, wenn wir 
sie dahin präcisiren, dass die Pneumonie seit der Mitte des Jahrhunderts 
eine andere geworden sei, indem statt der bis dahin vorherrschenden typi¬ 
schen Form allmählich die asthenische Form häufiger geworden sei. Bei 
einer typischen Pneumonie, die einen sonst kräftigen Menschen befällt, hat 
1 ein Aderlass in der That eine bedeutende subjective Erleichterung zur Folge 
| und ist zum Mindesten durchaus unschädlich; bei der asthenischen würde 
| er gewöhnlich schädlich sein, weil er den Eintritt der Herzschwäche be- 
j günstigt; und eine solche nachtheilige Wirkung würde gewiss auch den 
I älteren Aerzten. die zum Theil vortreffliche Beobachter waren, nicht eüt- 
! gangen sein. .Und in der That finden wir. dass auch solche ältere Aerzte, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 



welche bei der gewöhnlichen Pneumonie regelmässig den Aderlass anwen¬ 
deten, ihn bei der asthenischen Pneumonie ausdrücklich als schädlich ver¬ 
boten. 

Auch manche Darstellungen aus älterer Zeit zeigen in deutlicher Weise, 
dass die Autoren damals vorzugsweise die typische Form der Pneumonie 
vor Angen hatten. Wenn wir die Beschreibung der Hepatisation, wie sie 
Rokitansky, dieser bisher unübertroffene Meister in der Darstellung des 
makroskopischen Befundes, im Anfänge der vierziger Jahre gegeben hat, mit 
dem vergleichen, was wir heutigen Tages gewöhnlich sehen, so kann es nicht 
zweifelhaft sein, dass jener Beschreibung eine andere Form der Krankheit 
zu Grunde gelegen hat. Und ebenso verhält es sich mit den älteren Dar¬ 
stellungen des klinischen Verhaltens. Wiederholt haben neuere Autoren 
ihrer Verwunderung darüber Ausdruck gegeben, dass man in der Praxis so 
selten dem Krankheitsbilde begegne, welches für die croupöse Pneumonie 
aus früherer Zeit überliefert ist, und bei dem namentlich der plötzliche Be¬ 
ginn, die schnelle Ausbildung der Hepatisation, der kritische Abfall der 
Temperatur und dio damit erfolgende schnelle Besserung der Krankheits¬ 
erscheinungen charakteristisch sind. Besonders auffallend ist auch die Ver¬ 
änderung, welche die Prognose der Pneumonie erfahren hat. Wunderlich 
sagt uoch im Jahre 18G2: „Die croupöse Pneumonie ist eine Krankheitsform, 
welche so sehr in sich selbst die Bedingungen der Wiederausgleichung zu 
enthalten scheint, dass die Aussicht auf spontane Herstellung und völlige 
Genesung unter einigermaassen günstigen Verhältnissen eine ungemein 
grosse ist. Sie reiht sich in dieser Hinsicht unter die gutartigen typischen 
Krankheiten.“ In unserer Zeit werden nur an wenigen Orten die Aerzte 
noch im Stande sein, einen solchen Ausspruch mit ihren Erfahrungen in 
Uebereinstimmung zu bringen. 

Zur asthenischen Pneumonie werden gewöhnlich auch die¬ 
jenigen Pneumonieen gerechnet, welche zeitwei.se in kleineren oder 
grösseren Epidemieen auftreten und oft durch besonders schlimmen 
Verlauf sich auszeichnen, so dass man sie als maligne Pneu¬ 
monieen zusammenfassen kann, ln der Schweiz wurden solche 
epidemisch vorkommende Pneumonieen häufig als Alpenstich be¬ 
zeichnet. Es ist wahrscheinlich, dass bei manchen derartigen Epi- 
deraieen die Krankheit von der gewöhnlichen asthenischen Pneu¬ 
monie verschieden ist, und dass überhaupt die malignen Pneu¬ 
monieen nicht immer von der gleichen Krankheitsursache ab¬ 
hängig sind. 

Es kommt bei Pneumonieen häufig vor, dass, nachdem die 
erste Infiltration vollendet ist, weitere Nachschübe erfolgen, indem 
in der Umgebung der zuerst ergriffenen Lungentheile oder auch in 
räumlich davon getrennten Bezirken neue Infiltrationen entstehen, 
die dann wieder mit dem entsprechenden Fieber und den ander¬ 
weitigen Kraukheitserscheiuungen einhergehen. Wenn ein solcher 
Nachschub erfolgt, bevor das von der ersten Infiltration abhängige 
Fieber abgelaufeu ist, so schliesst sich die neue Teraperaturstei- 
gerung ohne scharfe Grenze an die frühere an, nnd es wird nur 
die Febris continua verlängert und zeitweise gesteigert. Es kann 
aber auch geschehen, dass der Nachschub erst erfolgt, wenn das 
der früheren Infiltration entsprechende Fieber bereits abgenommen 
oder aufgehört hat; dann folgt auf ein Sinken der Temperatur 
wieder eine bedeutende Erhebung, und der Abfall, der nachträglich 
sich als nicht endgültig herausstellt, wird dann als Pseudokrisis be¬ 
zeichnet. Zuweilen folgen während längerer Zeit zahlreiche Nach¬ 
schübe auf einander, von denen immer neue Lungenabschnitte er¬ 
griffen werden, während vielleicht in den zuerst befallenen die 
Lösung bereits begonnen hat oder auch schon vollendet ist. Man 
redet dann von einer Pneumonia migrans. Ob solche wieder¬ 
holte Nachschübe vorzugsweise gewissen besonderen Krankheits¬ 
giften eigenthümlich sind, oder ob sie bei allen Arten der Pneu¬ 
monie Vorkommen können und vielleicht nur von wiederholter In- 
l'ection abhängen, ist bisher nicht sicher festzustellen. Durch die 
immer von Neuem auftretenden Infiltrationen wird die Gefahr der 
Krankheit bedeutend gesteigert; es kann dabei die Dauer der 
Pneumonie, wenn der Kranke nicht vorher zu Grunde geht, auf un¬ 
begrenzte Zeit verlängert werden. 

Die secundären Pneumonieen, wie sie im Verlauf von 
manchen acuten und chronischen Krankheiten Vorkommen, sind zum 
Theil als zufällige Complicationen anzusehen, deren Entstehung 
nur durch die vorhergegangene Schwächung des Individuums be¬ 
günstigt wurde. Ein anderer Theil dieser Pneumonieen entsteht 
unter wesentlicher Mitwirkung der Abschwächung der Herzaction 
bei den acut-febrilen Krankheiten: es sind dies die hyposta¬ 
tischen Pneumonieen. Ein Theil endlich ist anzusehen als 
Folge einer Localisirung des ursprünglichen Kraukheitsgiftes in den 
Lungen: dieselben sind als metastatische Pneumonieen zu be¬ 
zeichnen. Die letztere Deutung erscheint hauptsächlich zulässig bei 
einzelnen Fällen von Pneumonieen, welche in einem frühen Sta¬ 
dium des Abdominaltyphus oder bei Pocken, Masern, Erysipelas, 
Diphtherie, Malariafiebern u. s. w. Vorkommen (s. oben). Alle 
diese Pneumonieen würden demnach als ätiologisch verschiedene 
Formen anzusehen sein. Die secundären Pneumonieen und nament¬ 
lich die hypostatischen und metastatischen haben das Gemeinsame, 
dass dabei häufig einzelne charakteristische Züge der Krankheit 
fehlen: sie äussern sich zuweilen nur durch Steigerung des Fiebers 


und durch die physikalischen Erscheinungen der Infiltration. Husten 
| und pneumonische Sputa können fehlen. Schmerzen sind zuweilen 
j gar nicht vorhanden oder nur unbedeutend. Auch die Tuberculose 
kann in einzelneu Fällen unter der Form der fibrinösen Pneumonie 
sich entwickeln, indem oft neben einem acuten Auftreten von reich¬ 
lichen kleinen Miliartuberkeln in der Lunge eine lobäre fibrinöse 
Exsudation erfolgt. 

Die Contusionspneumonie, die Fremdkörper- und 
| Schluckpneumonie sind nicht nur ätiologisch, sondern auch 
j symptomatologisch als besondere Formen anzusehen. Sie entsprechen 
in manchen Fällen in dem anatomischen Verhalten und in dem 
Krankheitsbilde mehr der lobuläreu Pneumonie (s. u.). 

Nach den individuellen Verschiedenheiten der an 
; Pneumonie leidenden Kranken kann mau etwa die folgenden Ver- 
I schiedenheiten des Verlaufes unterscheiden: 

Bei Kindern fehlen gewöhnlich die äusseren Zeichen der 
j Pneumonie: Husten ist oft nicht vorhanden oder nur unbedeutend, 
Auswurf wird nicht herausgefördert, die Sputa werden verschluckt, 
oder die etwa ausgeworfenen spärlichen Massen zeigen nicht die 
Eigenthümlichkeiten der pneumonischen Sputa, sondern sind dem 
gewöhnlichen katarrhalischen Secret ähnlich; Schmerz kann ganz 
; fehlen, oder er wird mangelhaft localisirt; es wird z. B. Schmerz 
! in der Schulter oder im Arme angegeben. Das Fieber erreicht ge- 
j wöhnlich hohe Grade. In manchen Fällen verläuft die Pneumonie 
bei Kindern unter dem Bilde eines sogenannten gastrischen Fiebers 
ohne sonstige auffallende Symptome, oder es wird auch wohl als 
Zabnfieber, Wurmfieber oder dgl. gedeutet, und nur die sorgfältige 
physikalische Untersuchung lässt die Natur der Krankheit erkennen. 
In anderen Fällen treten die febrilen Gehirnerscheinungen in den 
Vordergrund, so dass man schon von einer „cerebralen Pneumonie“ 
geredet hat: statt des anfänglichen Schüttelfrostes sind allgemeine 
Convulsionen vorhanden, Erbrechen kommt häufig vor, und nachher 
stellen sich lebhafte Delirien ein oder auch ein soporöser Zustand; 
der Arzt kaun eine Meningitis vor sich zu haben glauben, um so 
mehr, da zuweilen in den ersten Tagen der Krankheit die Infiltra¬ 
tion in der Lunge noch nicht aufgefunden wird. Wenn es in einem 
! solchen Falle bei wiederholter sorgfältiger Untersuchung endlich 
gelungen ist die Pneumonie nachzuweisen, so wird dadurch die 
bisher höchst bedenkliche Prognose zu einer sehr günstigen (vgl. 
Vorlesungen Bd. II. p. 300, 352.) Der Verlauf der Pneumonie ist 
bei Kindern gewöhnlich ein günstiger, wohl grösstentheils deshalb, 
weil das uoch nicht durch anderweitige Schädlichkeiten geschwächte 
Herz weit länger aushält; und es gilt dies nicht nur von der 
typischen, sondern auch von der asthenischen Pneumonie. Während 
an Bronchitis capillaris und katarrhalischer lobulärer Pneumonie 
(s. u.) zahlreiche Kinder zu Grunde gehen, wird durch eine lobäre 
fibrinöse Pneumonie, wenn die Kinder nicht etwa besonders schwäch¬ 
lich oder anderweitig krank sind, nicht leicht das Leben bedroht 
Es ist somit die Prognose dieser beiden Krankheiten bei Kindern 
nahezu die entgegengesetzte wie hei Erwachsenen. 

Pneumonie der Greise. Auch bei sehr alten Leuten sind 
oft die äusserlichen Erscheinungen der Pneumonie (Husten, Aus¬ 
wurf, Schmerz) wenig ausgebildet oder können selbst ganz fehlen; 
die Infiltration entwickelt sich häufig langsam, und es kommt oft 
nur zu einer wenig ausgebildeten schlaffen Hepatisation. In der 
Praxis wird eine solche Pneumonie nicht selten übersehen. Der 
sogenannte Tod durch Altersschwäche erfolgt häufiger, als man ge¬ 
wöhnlich glaubt, durch eine fibrinöse Pneumonie. Bei alten Leuten 
ist das Fieber durchschnittlich weniger hoch als bei jungen; die 
Gefahr ist aber eine sehr grosse, indem frühzeitig Herzschwäche 
einzutreten pflegt. Doch sieht man die einfache typische Pneumonie 
auch bei sehr alten Leuten nicht selten noch günstig verlaufen. 

Ein ähnliches Verhalten zeigt die Pneumonie bei geschwäch¬ 
ten Individuen. Nach schweren acuten oder bei erschöpfenden 
chronischen Krankheiten wird nicht selten die „terminale Pneu- 
mouie“ während des Lebens übersehen und erst bei der Section 
gefunden. — Bei anämischen Personen kommt es, wenn sie von 
Pneumonie befallen werden, leichter als bei anderen zu schweren 
febrilen Gehirnerscheinungen und namentlich zu lebhaften Delirien. 
(Vgl. Vorlesungen Bd. II, p. 348). 

Bei Potatoren zeigt die Pneumonie manche Eigenthümlich¬ 
keiten. Es kommt vor, dass die äusseren und subjectiven Sym¬ 
ptome der Pneumonie (Husten, Auswurf, Schmerz, Dyspnoe) gar nicht 
vorhanden oder nur wenig ausgebildet sind. Das Fieber verläuft 
durchschnittlich etwas niedriger, aber die Wirkung desselben auf 
die Organe und deren Functionen ist wegen der Beeinträchtigung 
derselben durch die frühere Alkoholwirkung weit verderblicher und 
deshalb die Gefahr der Krankheit viel grösser. Namentlich komiht 
Herzschwäche und Herzparalyse früher zu Stande. Auch die Gehirn¬ 
erscheinungen treten früher und heftiger auf; zuweilen nehmen sie 
die Form des Delirium tremens an, und es liegt überhaupt dem 
Deliriüm tremens symptomaticum (Vorlesungen Bd. n, p. 348, 350) 


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*23. Febrnar. 

besonders häufig eine Pneumonie zu Grunde, die sich oft durch 
keinerlei äusserliche oder subjective Symptome verräth, bei der der 
Kranke in heiterer Aufregung und gehobener Stimmung sein kann, 
während der objective Befund auf den Lungen und die Steigerung 
der Körpertemparatur die einzigen Zeichen einer schweren Pneu¬ 
monie sind. _ (Fortsetzung folgt.) 

YU. Beiträge zur Localisation im Grosshirn 
und über deren praktische Verwerthung. 

Von Dr. M. Jastrowitz. 

(Fortsetzung aus No. 7.) 

VI. 

Mohr. Bankier, 43 Jahre alt, war stets gesuud, nur litt er an Hart¬ 
leibigkeit und Magenverstimmung und war deshalb oft leicht hypochondrisch 
gelaunt. In den letzten Jahren ist er dieser Leiden wegen in Marienbad, 
Karlsbad, Kissingen gewesen. Schon seit einigen Jahren ist sein schlechtes 
Aussehen aufgefallen, welches man mit den Unterleibsbeschwerden begründet 
fand. Er ist seit 6 Jahren verheirathet, hat 2 gesunde Kinder. Eine lue¬ 
tische Infection hat niemals stattgehabt; bezüglich der Aetiologie wäre der 
Vollständigkeit wegen noch erwäbnenswerth, dass er vor 20 Jahren in 
Brüssel vom Pferde gestürzt sein soll, ohne ein erheblicheres Unwohlsein 
davon zu tragen; über etwa dabei erlittene Bewusstlosigkeit ist Nichts zu 
erfahren. Die zahlreichen Geschwister sind gesund. Die Eltern sind hoch¬ 
betagt an Herzleiden, beziehungsweise an Schlagfluss verstorben. 

Seit 2 Jahren hatte Patient besonders starke Gemüthsbewegungen 
durchzumachen und klagte seit etwa l'/a Jahren, vielleicht schon länger, 
über dumpfen Kopfschmerz rechterseits; er hatte die Gewohnheit angenommen, 
über die rechte Hälfte der Stirn und des Schädels zu streichen, als ob er 
mühevoll nachzudenken hätte. Seit November 1886 gesellte sich dazu ab 
und an Schwindelgefühl. In den letzten Wochen desselben Monats empfand j 
er ein Ziehen in dem linken Arm und ein Gefühl, als ob er die linke Hand 
mrfct schliessen könnte. — Am 25. November consultirte er einen inneren 
Kliniker hiesiger Universität, der ihm wegen Nervosität den Gebrauch einer 
nissigen Kaltwassercur anrieth. Diese gebrauchte er einige Tage und gab 
de auf, weil sich auch im linken Fuss das gleiche Gefühl wie in der Hand 
emstellte. 

Er wandte sich dann den 29. November 1886 an mich, indem er seine 
Befürchtung aussprach, rückenmarkskrank zu sein und bat, ihn doch für 
seine Kinder zu erhalten. Es fiel mir an ihm, den ich seit Jahren kannte 
und Monate lang nicht gesehen hatte, sein schlechtes, abgemagertes Aus¬ 
sehen auf, und eine ganz ungewohnte Gemüthsweicbheit: er brach plötzlich 
in Thrinen aus und lieh der Empfindung Ausdruck, dass er schwer krank 
sei. Eine genaue Untersuchung liess objectiv keine Motilitätsstörung und 
keine Sensibilitätsbeeintrichtigung erkennen; er übte beiderseits kräftigen 
Hiifdedruck. bewegte die Arme und Finger gelenkig, stand und ging mit 
geschlossenen Augen ohne Schwanken, stieg auf einen Stuhl etc. Er locali¬ 
sirte genau, erkannte die verschiedenen Reize, die Lage seiner Glieder, die 
Reflexe waren erhalten, der Patellarreflex erhöht auf beiden Seiten. Auch 
am Augenhintergrund zeigte sich nichts. 

Die anderweite Untersuchung ergab ferner eine geringe Vergrösserung 
der Leber: im Urin die Anwesenheit einer stärker reducirenden Substanz, 
kein Zucker, kein Eiweiss. 

Patient ging gegen meinen Rath zur Börse; am 1. December Abends 
stellte er sich abermals mir vor mit der Beschwerde, dass bei längerem 
Geben das linke Bein versage. Eine abermalige Untersuchung ergab das 
bereit« erwähnte negative Resultat. Nichts destoweniger musste er einen 
Abendspaziergang, den er mit seiner Frau und einem Freunde unternahm, 
unterbrechen, weil das linke Bein auf die Dauer versagte und nachschleppte. 

Als er am nächsten Tage, den 2. December Morgens 9 Uhr, das Bett 
verlassen wollte, stellte sich Schwindel ein. und er brach zusammen. Das 
linke Bein konnte nicht gehoben, nur mit Mühe im Kniegelenk gekrümmt 
werden, Fuss und Zehen dagegen waren noch vollständig beweglich. Die 
Reflexe waren vorhanden, linker Patellarreflex erhöht, Cremasterreflex 
link» dagegen aufgehoben, rechts normal. Die Sensibilität war 
iriehi wesentlich gestört, Patient localisirte, bestimmte die applicirten Reize 
and unterschied Münzen, welche man ihm in die Hand gab, mit geschlossenen 
4ngen schnell nach Gefühl und Gewicht. Die Sensibilität nahm erst an 
den folgenden Tagen in den einzelnen Gliedern in dem Maasse ab, als diese i 
in der bald zu besprechenden Weise nach einander stärker gelähmt wurden: 
doch localisirte er Stiche noch genau am Bein und Fuss, als diese schon 
gelähmt dalagen. 

Ungeachtet Patient zugleich in den nächsten 3 Tagen den Urin spontan 
nicht entleeren konnte, sich viel über Erectionen und selbst Pollutionen 
beschwerte, auch durchaus obstipirt war und beständig von einem Rücken- 
marksleiden sprach, das ihn befallen hätte, so prognosticirte ich doch 
wegen des linksseitig fehlenden Cremasterreflexes, der wenige Tage zuvor 
noch vorhanden gewesen war, and wegen der auffallend stark passiven Lage, 
«ach des Oberkörpers, dass die Monoplegie sich zur Hemiplegie vervoll¬ 
ständigen werde. Diese Vorhersage erfüllte sich bald. Nach wenigen Tagen 
bemerkte man Schwäche im Oberarm, so dass derselbe nur, indem Patient 
mit dem gesunden Anne etwas nacbhalf, gehoben werden konnte; die Parese 
vervollständigte sich zur Paralyse, während zugleich Vorderarm und Hand be¬ 
fallen wurden, so dass der Händedruck schwäch und schwächer wurde; zu¬ 
letzt konnten* nur, wie an dem Bein die Zehen, so an den Händen die Finger, 
and an diesen wieder zuletzt die extremsten Phalangen bewegt werden. 
EodHeh ging diese Bewegung spontan nnr dann von Statten, wenn Patient, 
sobald man ihm z. B. befahl, die dargereichte Hand des Arztes zu drücken, 
üBter Aufbietung aller Kräfte die rechte Faust ballte, oder, wenn er den 


151 


gelähmten Fuss bewegen sollte, den rechten Fuss bewegte und so, die 
Willensintention auf die gelähmten Glieder richtend, sie als Mitbew-egun- 
gen übertrug: schliesslich wurden auch diese Mitbowegungen unmöglich. 
Die Lähmung des Armes erfolgte langsamer, als diejenige des Beines, und 
schritt, wie am letzteren, von oben nach unten sich allmählich vervollständigend, 
gliedweise vor. Zugleich trat in den gelähmten Gliedern Muskel- 
rigidität ein, welche sowohl am Arm als am Bein bereits am 7. December 
constatirt wurde. Der linke Facialis war nur andeutungsweise in seinen 
unteren Aesten ungleich, so dass seine Betheiligung überhaupt zweifelhaft 
schien und erst deutlich in deu letzten Tagen vor dem Tode wurde, als 
Patient mit schiefem, weit geöffnetem Munde comatös dalag. Der Kopf 
konnte immer frei bewegt werden. 

Am 12. December traten schmerzhaftes Ziehen und ein krampf¬ 
haftes Zucken im linken Bein und Arm ein, ohne Bewusstseinsverlust: 
dasselbe wiederholte sich zwei Mal in den nächsten Tagen und stieg bis 
in’s Gesicht, so dass der Mund sich verzog. Danach wurde die Lähmung 
stärker, besserte sich aber, um dann, wie bemerkt, graduell ausgesprochen 
zu werden. 

Von Anfang Januar etwa trat eine Andeutung von Deviation con- 
juguee der Augen nach rechts auf, welche bis zum Ende verharrte, 
mindestens bevorzugte Patient beim Sehen die rechte Seite, sah z. B. nach 
rechts, auch wenn man nach links hinübertrat, obgleich er rechts wie links 
gleich gut zu hören schien. Er gab auch einmal ausdrücklich als Grund 
au, dass er nach links hin nicht so deutlich, vielmehr dunkel sehe. 
Andere Sinne völlig normal, Sensorium klar, Stimmung zuerst verzagt, 
hernach, als ihm Hoffnung gegeben wurde, dass er leben werde, wurde die¬ 
selbe sogar eine behagliche und harmlos heitere. 

Die Sensibilität zeigte etwa vom 10. December ab, in dem Maasse 
als die Parese vorschritt, eine allmähliche Abstumpfung, so dass sowohl am 
Arm als am Bein nicht genau localisirt wurde, Kälte und Wärme, Metall- 
und Fingerberührung wurde an den Extremitäten noch ziemlich lange 
unterschieden, die Berührung kalten Wassers auf dem Rumpf, auf der linken 
Thoraxhälfte noch spät einmal wahrgenommen. Bei tiefen Nadelstichen 
erfolgte Schmerzäusserung und reflectorisches Zurückziehen der betreffenden 
Extremität, noch als der Patient im Coma lag. Im Gesicht zuerst keine 
Sensibilitätsstörung nachweisbar; von Mitte Januar vielleicht geringe 
Abstumpfung gegen Berührungen, im Vergleich zur rechten Seite. 

Allein das Muskelgefühl war in höchst auffallender Weise von Mitte 
December etwa ab in der Weise gestört, dass Patient von der Lage seines 
linksseitigen Fusses und Armes absolut keine Vorstellung besass; man konnte 
die Finger beugen, das Handgelenk, Arm, Fuss, Bein bewegen — er nahm 
davon Nichts wahr. Ebensowenig vermochte er mit dem rechten Bein 
Bewegungen nachzuahmen, die man passiv mit dem gelähmten linken Bein 
vollführte. Auch die Gewichtsempfindungen waren ihm verloren gegangen; 
er konnte Münzen nach dem Gewicht nicht mehr unterscheiden. 

Sämmtliche Krankheitssymptome, obwohl sie stetig alle stärker wurden, 
oscillirten hin und her. Der ganze Gang des Leidens, bezüglich der Läh¬ 
mungen sowohl, als des Allgemeinbefindens, wurde von einem nahen Ver¬ 
wandten des Patienten treffend mit der Echtemacher Springprocession ver¬ 
glichen: 2 Schritte zum Verderben vorwärts, 1 Schritt zur scheinbaren 
Besserung und zum früheren Wohlbefinden rückwärts. 

So ging es den Monat December und die erste Woche des Januar 
hindurch; der Patient unterhielt sich, liess sich vorlesen, über sein Geschäft 
zuweilen berichten. Der rechte Arm stellte sich in leichte Flexions- 
contractur, der Vorderarm pronirt, die Finger leicht flectirt, Bein blieb 
gestreckt. 

Es war also bisher gegangen: Parese, Rigor, Krampf, Paralyse, Beuge- 
resp. Streckcontractur. Am 15. Januar trat im Arm eine vorübergehende 
Streckcontractur auf. Patient behielt von Beginn an eine schwer passive 
Lage, wie ein Sack glitt er schräg im Bette nach der gesunden Seite 
hinab. 

Am 9. Januar traten Erbrechen und darauf Krämpfe mit Bewusst¬ 
losigkeit ein, welche links schwächer als rechts waren, danach wurde die 
Lähmung eine vollkommen schlaffe. Am 10. Januar wiederholten sich die 
Krämpfe 7 Mal und ergriffen links Bein, Arm, Gesicht und die Augen fast 
zu gleicher Zeit, ohne dass das Bewusstsein schwand; am 11. Januar verlor 
sich wiederum das Bewusstsein, der Kranke delirirte hinterher in ruhiger 
Weise und glaubte sich nicht in seiner Wohnung, sondern in derjenigen 
seines Schwagers zu befinden. — Da am Hals und in der Leistenbeuge 
einige Drüsen sich leicht geschwollen anfühlten, so wurde eine Schmiercur 
beschlossen und 4 g Ung. einer, täglich eingerieben; daneben Jodkali in 
grösseren Dosen gegeben. Die Cur musste indess schon nach wenigen 
Tagen sistirt werden, weil unter Fiebererscheinungen sich Salivation und 
Ulcera an der Zunge und der Wangenschleimhaut einfanden, welche die 
Ernährung sehr erschwerten. Am 13. Januar wurde Patient wieder somno- 
lent, stöhnte klagend, indem er mit der rechten Hand nach dem Scheitel 
fasste, schien grösstentheils bewusstlos. Puls begann unregelmässig zu 
werden, bald verlangsamt, bald frequent, und es stellte sich in der Nacht 
vom 12.—13. Januar zoerst ein deutliches Chey ne-Stokes’scbes Athmen 
ein. Die Somnolenz hielt bis zum 19. Januar an, das Athmeu war wechselnd 
wie der Puls, im Ganzen frequenter und oberflächlicher geworden, oftmals 
lautes Zähneknirschen. Am 19. Januar kehrte das Bewusstsein wieder. 
Vom 20. Januar ab rapider Verfall. Zuweilen sah man noch leichte 
Zuckungen in den linken, gelähmten, oberen Extremitäten. Es trat starker 
Schweiss und, trotz sorgsamster Pflege, ein Decubitus in der Mitte des 
Os sacrum auf, der binnen drei Tagen handtellergross wurde und sehr tief 
eingriff. Noch einmal, wenige Tage ante obitum, wurde ophthal- 
moskopirt und der Augenhintergrund normal befunden (Hirsch¬ 
berg). Indem die Respiration stetig bis 44 , und ebenso der Puls, bis 140, 
znnahm und sehr unregelmässig wurde, erfolgte am 28. Januar 1887 der Tod. 

Eigentliches Fieber war nie vorhanden gewesen; die höchste Temperatur 
während des Verlaufes der Krankheit war 38,2 —38,6 und 88,0—38,9; 


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152 


aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Stomatitis bedingt. In den 
letzten drei Tagen ante mortem waren die Abendtemperaturen 38,1—38,3 
gewesen. 

Die Section, welche am 30. Januar im Beisein der Geheimräthe 
v. Bergmann und Gerhardt von Dr. Kuthe gemacht wurde, ergab 
folgenden Befund: Geringe Bronchitis, geringe Lebervergrösserung. An dei 
Schädelkapsel, welche im Verhältniss zur Länge ziemlich breit gestaltet 
war, waren die Nähte grösstentheils verknöchert. An der Aussenfläche der 
Dura und an der Innenfläche derselben nichts Besonderes, keine straffe 
Spannung derselben; in den Sinus wenig dünnflüssiges Blut. Pia, abge¬ 
sehen von leicht kalkigen Trübungen, längs des Sinus longitudinalis und 
längs einiger Venenstämmchen, normal: die Dura der Basis zeigt geringe 
Injection, die Gefässe der Basis, auch die A. corporis callosi bis in die 
feineren Verzweigungen frei. 

Vergleicht man die rechte mit der linken Hemisphäre, so zeigt sich 
in der Gegend der Rolando’schen Furche zwischen den Windungen rechts 
und links eine bedeutende Differenz. Die rechtsseitigen Windungen sind 
fast um das Doppelte verbreitert, in der Gegend des Paracentralläppchens 
baucht sich die Hirnsubstanz medial- und convexitätwärts beträchtlich vor. 
In der Farbe besteht zwischen beiden Hirnhälften kein Unterschied. Die 
Stelle, wo die Windungen rechterseits verbreitert sind, zeigt das Gefühl 
einer grösseren Weichheit. 

Nach dem Abziehen der Pia, welches nicht schwierig und ohne Ver¬ 
letzung der Hirnsubstanz abgeht, zeigt sich beim Vergleich beider Hira- 
hälften Folgendes: Von einem Punkt, der 4 cm vor der verlängert gedachten 
Präcentralfurche liegt, ist die oberste Stirnwindung fast um das doppelte 
verbreitert, auch der Anfang der mittleren ist etwas verbreitert. Sehr be¬ 
deutend geschwollen und verbreitert, an den breitesten Stellen 279 bis 3 cm, 
ist die vordere Central Windung. Dort, wo sie nach innen sich hervor¬ 
wölbt, ist sie bläulich-röthlich verfärbt. Eine zweite bläulich-röthlich ver¬ 
färbte, aber bei weitem nicht so stark vorragende Stelle schliesst sich auf 
der medianen Fläche nach hinten an die genannte an, dicht an dem Orte, 
wo der hintere Schenkel des Sulcus calloso-marginälis nach oben abbiegt; 
sie befindet sich also unten am Scheitelpunkt des Winkels, wo Gyrus forni- 
catus und Praecuneus zusammenstossen, im Gyrus fornicatus, so dass sie 
noch unterhalb des verlängert gedachten horizontalen Astes des Sulcus 
calloso-margiualis fallt. (Tafel D). Die hintere Centralwindung ist etwas 
abgeplattet, nicht wesentlich breiter. Das Gefühl der Weichheit beschränkt 
sich auf den oberen Theil und auf die mediane Fläche der CA. 

Auf einem schrägen Horizontalschnitt, welcher die Mitte der Hervor- 
ragung von vorn nach hinten halbirt, zeigt sich ein von der Nachbarschaft 
abstechender Tumor, der 5 cm Länge bei 4 cm Breite im Durchmesser 
misst, welcher in der Mittellinie ganz dicht unter der Hirnrinde beginnt, nur 
einen überaus dünnen Ueberzug von derselben übrig lässt, weiter nach aussen 
und seitlich aber die ganze Rinde und */s cm von der weissen Substanz 
übrig lässt, die ihm gleichsam als Decke nach oben dienen. Auf diese Decke folgt 
nach dem Mark hinein eine Zone, die ziemlich resistent, bläulich-röthlich 
und von vielen Hämorrhagieen durchsetzt ist, sodann wieder im Mark eine 
Partie, die den grössten Theil des Tumors ausmacht, weich ist und pflaumen- 
brühartig aussieht. Ein schräg frontaler Schnitt zwischen den beiden auf der 
medialen Fläche befindlichen Hervorragungen zeigt eine schmale Partie an¬ 
scheinend gesunder Substanz, welche den erkrankten Lobus paracentralis 
von der in den Gyrus fornicatus vordringenden Tumormasse trennt. Der 
medialste Theil der letzteren greift noch etwas in den Trabs hinein, bleibt 
aber über der oberen Ventrikel wand noch 1 cm entfernt. — Beide Sub¬ 
stanzen des Hirns im Allgemeinen bleich, die Schnittflächen glänzend und 
feucht. Die Ventrikel enthalten wenig Flüssigkeit, sind nicht erweitert. In 
Cerebellum, Pons, Medulla oblong., den Cpp. striat. und Thalam. opticis, an 
den Tractus und den Nerv, opticis nichts Besonderes. — Die mikroskopische 
Untersuchung der Geschwulst Hess dieselbe als ein gefässreiches Gliosarkom 
erkennen. (Die Zellen sind zum Theil rund, einkernig, stark granulirt, zum 
Theil grösser und von unregelmässiger, bimförmiger Gestalt, mit 2—3 Kernen, 
ohne Kemkörperchen. An manchen Stellen trifft man längere, spindelförmige 
Elemente mit langem, granulirtem Kern, ähnlich glatten Muskelfasern. Es 
sind sehr reichliche Gefässe mit überaus zarter Wand vorhanden, in deren 
Verlauf reichlichere Spindelzellen mit granulirter Zwischensubstanz, hie und 
da mit faseriger Intercellularsubstanz, angeordnet sind). 

VII. 

Barthel, 57 Jahre alt, Buchhändler. Aufnahme 1. Januar 1887, 
t 3. März 1887. Der Vater des Patienten ging im 58. Lebensjahre an einem Ge- 
himleiden zu Grunde, war 3 /* Jahre vor dem Tode mit häufigen Schwindel¬ 
anfällen behaftet, Mutter erlitt im 68. Jahre eine Apoplexie und starb da¬ 
nach. Auch Patient litt in seinem 29. Jahre vorübergehend an Schwindel¬ 
anfällen, so dass er beim Spazierengehen sich an Bäume festhalten musste; 
bewusstlos wurde er niemals. Im September v. J., auf einer Alpentour, 
stürzte er auf die linke Seite und erlitt einen Bruch des Akromion. Starke 
Erschütterung des Körpers und leichte Benommenheit, kein Bewusstseins¬ 
verlust. — Seit dem Fall wurde er nervös, der sonst Alles sanft ertragen 
hätte, und bat in heftiger Weise, nicht so laut zu sprechen. Ca. 5 jt Jahr 
nach dem Fall fühlte er, dass das Schreiben allmählich schwieriger wurde. 
Schriftproben von October bis 20. December lassen graduelle Verschlechterung 
der Schrift erkennen, die letzte Probe vom 20. December sieht genau wie 
diejenige einer Person aus, die an Sclerose en plaques leidet. Seit 5 Wochen 
musste er die linke Hand beim Schreiben zur Hülfe nehmen, weil er in 
der rechten keine Kraft hatte, so dass ihm die Feder aus der Hand 
fiel. Seit 3 Wochen kann er überhaupt nicht mehr schreiben; seit eben 
derselben Zeit wird auch das rechte Bein nachgeschleift, jedoch hat er zu 
Weihnachten noch die Kirche besucht. Vor 5 Tagen unilaterale Convul- 
sionen; die Krämpfe begannen im rechten Bein, dann folgte der rechte 
Arm, und schliesslich betheiligte sich die rechte Gesichtshälfte mit nur 
schwachen; Zuckungen; die Augen waren weit offen, starr auf einen Punkt 


No. 8 


geradeaus gerichtet, das Bewusstsein erhalten, so dass Patient während des 
Anfalles sprach. Diese Convulsionen wiederholten sich noch in schwächerem 
Grade in den nächsten Tagen, blieben seit dem 30. December 1886 weg. 

Der geistig sehr intelligent erscheinende Patient, welcher seine An¬ 
gaben präcise und mit Verständniss macht, befindet sich in gutem Ernäh¬ 
rungszustand, nirgends Muskelatrophie, der Schädel ist wohlgebildet. Die 
Bewegungen des Kopfes und der Wirbelsäule sind frei. Leichte Parese des 
rechten Abducens, da beim Maximum der Auswärtsdrehung Oscillationen 
des Bulbus auftreten; rechte Pupille etwas weiter als die erbsgrosse linke; 
beide reagiren gut auf Lichteinfall, Accommodation und auch je einzeln 
beim Schluss des anderen Auges. Geringe Parese des unteren Facialis in 
der Ruhe und bei Bewegungen des Gesichts; die Zunge wird gerade vor- 
gestreckt, Sprechen flott, Zäpfchen hängt schlaff nach rechts herab, an den 
Gaumenbögen keine Lähmung. 

Der rechte Arm liegt gelähmt in leichter Adduction, starker Flexion 
bis zum rechten Winkel und Pronation des Vorderarmes, die Finger leicht 
in die Hohlhand eingeschlagen. Pectoralis und Biceps sind bretthart anzu- 
fühlen, ebenso die Flexoren der Hand. Bei passiven Bewegungen hat man 
einen beträchtlichen Widerstand zu überwinden, auch der Antagonisten. — 
Die absolute Lähmung des Armes besteht seit 3—4 Tagen. Das rechte 
Bein, welches bei der Ankunft des Patienten noch insoweit brauchbar war, 
als er, auf den Arm des Wärters gestützt, vom Bett zum Sopha sich begab, 
verlor binnen Stunden seine Beweglichkeit, so dass Patient zwar aufzutreten 
und zu stehen, aber mit demselben nicht zu gehen vermochte, indem es 
bei dem Gehversuch im Kniegelenk kraftlos einknickte und am Boden 
schleifte. Dasselbe liegt in mässiger Streckcontractur, kann activ nicht ge¬ 
beugt und nur bis zum Winkel von 45° von der Fläche erhoben werden. 
Bei passiver Bewegung starke Rigidität des Quadriceps und der Flexoren. 
Am Unterschenkel Spannung der Wadenmuskeln, der Fuss steht in leichter 
Varo-equinus - Stellung, geringe active Beweglichkeit der Zehen. Die Con- 
tracturen lösen sich während des Schlafes nicht. Keine Lähmung der 
Blase und des Mastdarms. 

Reflexe von den Sohlen werden durch Nadelstiche beiderseits fast 
gar nicht ausgelöst, doch scheint Patient wenig empfindlich. Patellarreflex 
rechts wie links gesteigert, rechts viel stärker, so dass das Beklopfen der 
Quadricepssehne förmliches Zittern bewirkt; rechter Fussklonus vorhanden; 
auch an der rechten Oberextremität sind die Sehnenreflexe gesteigert. 

Bauch- und Cremasterreflexe sind links vorhanden, rechts aufgehoben. 
Bei Bewegungen links tritt auf der rechten Seite der Versuch zu Mit¬ 
bewegungen zu Tage, keine Spur von Ataxie. — Die locale Muskelirri¬ 
tabilität ist rechts gesteigert. — 

Die Sensibilität ist rechts allgemein herabgesetzt: Leise Berührungen 
werden gar nicht gespürt; stärkere werden im Gegensatz zu links ungenau 
localisirt, besonders am rechten Oberarm. Die Schmerzempfindung ist all¬ 
gemein geringer, jedoch rechts sicher herabgesetzt. Alle diese Unterschiede 
treten auf beiden Gesichts- und Kopfhälften weniger stark auf. 

Ich füge gleich hinzu, dass eine Woche später, als Patient die Speisen 
oft in der rechten Mundhöhle zurückbehielt, genaue Sensibilitätsprüfung er¬ 
gab, dass die Mundhöhlen-, Zungen- und Nasenschleimhaut unempfindlich gegen 
Berührungen und leichtere Stiche war, das Velum indess darauf beiderseits 
gut reagirte. Die rechte Cornea ist bedeutend weniger empfindlich als die 
linke; der reflectorische Lidschluss tritt rechts verspätet auf. 

Sehr auffallend gestört ist das Muskelgefühl. Patient hat 
absolut keine Vorstellung von dem, was man mit seinem rechten Arm macht, 
wenn er nicht hinsieht. Beugen im Ellbogen, Handgelenk, Manipulationen 
mit den Fingern spürt er nicht und kann es mit der rechten Hand nicht 
nachahmen. Ebenso verhält es sich mit dem rechten Bein. Fordert m&u 
ihn unter Augenschluss auf, mit der linken Hand eine bestimmte Stelle am 
linken Bein, z. B. das Knie zu berühren, so thut er es prompt, soll er 
dagegen das rechte Knie berühren, so sucht er umher und tastet sich den 
Schenkel entlang, bis er es endlich findet. Am Rumpf, im Gesicht 
rechterseits trifft er jede Stelle, welche man ihn berühreu 
heisst; diese Störung betrifft lediglich die rechten Extremi¬ 
täten. 

In der linken Handfläche unterscheidet er durch das Gewicht eine 
Mark von einem Thaler sehr leicht; in der rechten kann er eine Mark von 
3 Thalem nicht unterscheiden, also nicht das li 3 /s fache. Die Geldstücke 
empfindet er lediglich als kalt, indem er Temperaturunterschiede gröberer 
Art jedenfalls unterscheidet. — 

Ueber Schmerzen klagt er nicht. 

Sehschärfe gut, keine Hemianopsie. Am 5. Januar und 3. Februar 
ergab die ophthalmoskopische Untersuchung nichts Abnormes. 
Geruch, Geschmack vorhanden. Gehör erscheint links (altes Ohrleiden) 
etwas schwächer als rechts, jedoch hört er auf beiden Ohren. — Kein 
Fieber. Ae. radiales geschlängelt, aber weich. An Brust- und Unterleibs¬ 
organen nichts Wesentliches: Klappender zweiter Aortenton. — Urin klar, 
bernsteingelb, 1030, ohne Eiweiss und Zucker. 

Im Verlauf der Krankheit, welche nur vorübergehend eineu leichten 
Stillstand nahm, sonst stetig ad obitum fortschritt, bildeten die Lähmungen 
der rechten Seite sich nicht zurück; es trat Rumpflähmung hinzu, so dass. 
Patient sich im Bett mit dem Oberkörper nach links hinüber bewegte. Das. 
rechte Bein wurde vollständig gelähmt. — Die rechte Seite fühlte sich stetig 
wärmer an als die linke. Die Contracturen wechselten häufig, namentlich 
in der oberen Extremität; einmal Hessen sie nach, so dass der Arm in 
stumpfem Winkel dalag, dann wieder fand man denselben sogar gestreckt., 
dann sah man Mitte Februar abermals Flexionscontractur in halber Flexion 
Hand leicht pronirt, Finger lose gestreckt; am Vorderarm waren sowohl- 
Flexoren wie Extensoren contrahirt, am rechten Oberarm füfilte sich der 
Triceps selbst härter als der Biceps an. Nur unter Schmerzen Hessen 
diese Contracturen passiv sich überwinden. Das rechte Bein wurde ebenso 
mehrmals schlaffer gefunden, selbst ganz schlaff, dann wieder contracturirt; 
Drei Tage vor dem Tode- stand der Vorderarm zum Oberarm im stumpfen 


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23. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 153 


Winkel, ein Strecken des erstereu verursachte mehr Schmerzen als sonst, 
das Bein war ganz schlaff. Die Sehnenphänomeue blieben gesteigert. Die 
Sensibilität blieb im gleichen, so oft sie geprüft werden konnte. Ueber die 
anderen Symptome, namentlich über die alsbald sich einstellende Aphasie, gebe 
ich aus dem Krankenjournal folgende kurze Auszüge in chronologischer Folge. 

8. Januar. Klagt über Müdigkeit und Abspannung. Auffassung, Ge- 
daukenproduction schwierig. Erscheint schwer besinnlich. Spuren von am¬ 
nestischer Aphasie. Er, ein Kenner der Kunstgeschichte, weiss nicht von 
wem ein bekanntes Rembrandt’sches Bild gemalt ist, kann keinen Maler 
der Niederländischen Schule angeben, sagt „Rembrandt“ erst, als man 
die erste Sylbe „Rem“ ihm genannt hat. Sprache und Stimme na¬ 
türlich. 

11. Januar. Empfindet von Tag zu Tage mehr, dass ihm die Worte 
fehlen, hilft sich durch Flickworte und Ausrufe, wie „0 ja“, „0 nein“, „das 
ginge wohl“, „das wird ja wohl“, spricht mit unglücklicher Miene hülfesuchend 
zu seiner Frau darüber,, weint leicht. Geschriebene und gedruckte 
Schrift liest er fliessend. 

An demselben Tage Nachmittags traten, ohne Bewusstseinsstörung, locale 
Krämpfe in der rechten unteren Gesichtshälfte auf, deren Muskeln sich 
rhythmisch contrahirten, der Mundwinkel stieg dabei nach oben, das rechte 
Auge war starr geradeaus auf einen Punkt gerichtet. Dauer einige Minuten. 

15. Januar. Patient erscheint benommener, hat das Bett benässt. 
Die Aphasie schreitet fort, dieselbe ist sicherlich nicht mehr rein amnestisch. 
Vorgehaltene Gegenstände weiss er nicht zu benennen, kann auf Geheiss 
nicht Nase, Mund, Ohren zeigen, weiss nicht was er thun soll und führt 
zweckmässige Bewegungen nicht aus. Ob Hemianopsie vorhanden, lässt sich 
nicht feststellen. Beim Nachsprechen vorgesprochener Worte, was er 
mechanisch gut ausführt, macht sich eine Articulationsstörung be- 
merklich. Die Aussprache ist undeutlich, verschleiert, wie ohne Zunge, und 
es klingen insbesondere die Consonanten am Anfänge der Wörter ver¬ 
schwommen; er verschluckt einzelne Silben am Ende; das Timbre ist nasal. 

19. Januar. Das Sensorium ist freier; auf alle Fragen antwortet Pat. 
mit „0 ja“ oder „nein“. Den schriftlichen Befehl, die Zunge zu zeigen, 
liest er, überlegt anscheinend, kommt selbst nach wiederholtem Lesen dem¬ 
selben aber nicht nach, spielt mit dem Papier zwischen den Fingern. Ruft 
man nun ihm zu: „So thun Sie es doch!“ so bleibt er gleichwohl regungs¬ 
los. Sagt man direkt: „Die Zunge!“ mehrmals nach einander, so streckt 
er sie vor, und zwar, anscheinend fast rcflectorisch, nachdem man sein Kinn 
mit dem Finger berührt hat. Eiger.thümlicher Weise reagirt er nun, wahr¬ 
scheinlich weil seine Aufmerksamkeit geschärft ist, auf schriftlichen Befehl 
prompter. Kaum hat er jetzt auf dem Zettel „Schliessen Sie die Augen!“ 
gelesen, so schliesst er solche sofort. Der sogleich nachfolgenden münd¬ 
lichen Aufforderung, sein Ohr zu berühren, kann er jedoch nicht entsprechen, 
sondern fasst nach vielem Zureden an die Nase. Den Namen seiner Frau 
hat er vergessen. 

20. Januar. Schlafsüchtig, selbst beim Essen nickt er ein, ver¬ 
schluckt sich oft beim Einnehmen von Flüssigkeiten. Half 
heute seiner Frau mit der linken Hand beim Aufwickeln der Wolle. 

22. Januar. Somnolenz, Puls 44, Decubitus. 

8. Februar. Freier. Reicht die linke Hand, führt einfache Befehle 
au>, schliesst die Augen, zeigt die Zunge etc. Spricht kleine Sätze: „Ich 
danke — das kann ich gerade nicht sagen“. Versteht und begiunt heftig 
zu weinen, als in seiner Gegenwart vom Beginn seines Leidens ge¬ 
sprochen wird. 

17. Februar. Zuckungen im rechten Fuss und Uutersc henkel, 
vornehmlich im Extensor hallucis longus, welche letztere die Frau 
am 22. Januar bereits bemerkt und als wiederkehrende Beweglichkeit des 
rechten Fusses angesehen bat. 

21. Februar. Pat. ist häufig somnolenL Zuckungen im Extensor 
hallucis longus allein wiederholen sich. 

23. Februar. Oheyne-Stokes’sches Athmen. Heftige Zuckungen im 
linken, gesunden Bein. Puls 144, Temp. 38,6, Rasseln in den unteren 
Lungenparti een. 

25. Februar. Puls 80, Temp. normal. Die isolirten Zuckungen 
des Extensor hallucis longus kehren fast täglich für kurze 
Zeit wieder. Dieselben folgen sich, mehrmals nach einander, in Zwischen¬ 
räumen von 1—2 Minuten. 

27. Februar. Pat. ist klarer, spricht unarticulirt „Ja“ und „Nein“, 
spricht auf Verlangen „Ja“ nach. — Die Zunge zeigt er nicht auf Geheiss, 
sondern öffnet den Mund. Er streckt sie erst vor, nachdem man ihm das 
Kinn berührt und selber das Vorstrecken vorgemacht hat. 

Nachdem eine hypostatische Pneumonie sich eingestellt hatte, starb 
Pat. am 3. März im C-oma. 

Nur die Schädelböhle durfte secirt werdeu. 

.Section: Wohlgeformter Schädel, mässig dick und schwer, mit 
ziemlich viel gefässreicher Diploe und längs der Scheitelhöhe mit zahl¬ 
reichen, durch Pacchionische Granulationen bedingten Impressionen versehen. 
Sinus longitudinalis wenig gefüllt. 

Die Dura ist' zu beiden Seiten des Längssinus und oberhalb der 
ersten und zweiten linken Stirnwindung mit den gedachten Granulationen 
besetzt, sonst glatt, prall gespannt, rechts wie links. In der Gegend des 
vorderen Astes der A. mening. med. bemerkt man beim Vergleich beider 
Hälften links eine Einsenkung. Die Dura ist ein wenig verdickt, sehr 
gefassreich, auf der Innenfläche beiderseits spiegelglatt. Pia stark ödematös, 
besonders rechts hinten; die Ve., namentlich rechts, stark gefüllt. Oberhalb j 
des Fusses der Stirnwindungen und über den Centralwindungen ist beider¬ 
seits geringe kalkige Trübung vorhanden. 

Beim Betasten erweist sich die Consistenz der rechten Hemisphäre ; 
etwas fester als diejenige der linken. Die Gefässe der Basis sind zart, 
grosse Ae. leer. Nur an der Carotis dextra ist ein atheromatöser Fleck, ein 
kleiner auch an der Communicans post, dextra, die Sinus der Basis ent¬ 
halten wenige Gerinnsel. 


Auch die Verästelungen der Basalarterien sind völlig frei. Die Pia- 
zieht sich leicht ab. Dabei zeigt sich, dass sämmtliche 3 Stirn¬ 
windungen beiderseits, ferner die Inselwindungen und die 
Schläfewindungen beiderseits durchaus nichts Pathologisches bieten. 
Erst über der Ro 1 ando’sehen Gegend tritt nach dem Abziehen der Pia 
links die starke Schwellung beider Centralwindungen in den oberen 2 Dritteln 
hervor, auf welchen mau die tiefen Eindrücke der Ae. centrales sieht. Die 
Schwellung beträgt bis 3 cm; auch der untere Theil der Gyri centrales ist noch 
erheblich geschwollen. Die CP ist 4 ein von der Scissura magna be¬ 
sonders verbreitert und lässt einen bohnengrossen, bläulich 
marmorirten Knoten dicht unter der Ober fläche durchschimmern. 
Das obere Scheitelläppchen ist gleichfalls sehr geschwollen, ebenso der Para¬ 
centrallappen. Die Consistenz der geschwollenen Windungen ist eino 
teigige, gegen rechts verminderte, der bläulich - rothe Knoten in CP ist 
resistent; schwappend fühlt sich die CA in ihrem obersteu Theil und 
das Paracentralläppchen an. Ein wenig geschwollen und wenig in ihrer 
Consistenz verändert ist der Fuss der I. und II., am wenigsten, fast gar 
nicht, derjenige der III. Stirnwindung. “ 

Rechter Ventrikel normal, Ependym glatt; — der linke Ventrikel ist 
blutig verfärbt durch ein von der Decke her in denselben durchbrechendes 
Blutgerinnsel, das Unterhorn erweitert. — Dritter Ventrikel normal. Linker 
Thalamus und Corp. striat., soweit dieselben intraventriculär gesehen werden, 
bieten nichts Besonderes. 

Es wird ein Längsschnitt durch die ganze linke, und des Vergleiches 
wegen, auch durch die rechte Hemisphäre gelegt, welcher links mitten durch 
den in der CP befindlichen Knoten hindurchgeht. Es zeigt sich nun, 
dass die Veränderungen in der linken Hemisphäre beginnen ein wenig vor 
der oben erwähnten Schwellung der Stirnwindungen, und zwar mit zahlreichen 
flohstichähnlichen, bis linsgrossen Hämorrhagieen. Es folgt alsdann im 
Marklager, 2 cm von der Rinde des Fusses der I. Stirnwindung entfernt., ein 
klein-wallnussgrosser, hämorrhagischer Heid, der bereits etwas bräunlich ver¬ 
färbt ist und auf der Oberfläche einsinkt, offenbar zerstörtes Mark enthält. 
Weiter nach hinten befindet sich eine leicht schmutzig-blutig verfärbte 
Zone anscheinend normalen Gewebes von 2 cm Breite. Endlich springt 
auf dem Querschnitt, gerade unterhalb des oberen Theiles der CA, und 
von dort nach hinten sich erstreckend, bis an die hintere Grenze der CP 
dicht unter der Rinde, eine klein hühuereigrosse, grauroth gefärbte, sehr 
derbe Geschwulst vor, die 47a cm lang und 2*/a cm breit ist und offenbar 
dem durchschneidenden Messer auswich, indem sie völlig in der äusseren 
Hälfte des Längsschnittes stecken geblieben ist. Unterhalb dieser Geschwulst 
ist die Hirnmasse erweicht. Dort, wo sie in den gegenüberliegenden medialen 
Theil des Schnittes einbohrte, befinden sich blutige, pulpöse Massen. Das 
Mark des oberen Scheitelläppchens ist erweicht. Der Tumor enthält viele 
grössere thrombosirte Gefässe. Der Knoten in der CP steht mit der 
grossen Geschwulst in keinem direkten Zusammenhang, sondern ist durch 
eine kleine Partie normalen Gewebes davon geschieden. Die Substanz des 
Grosshirns ist ziemlich feucht, blutarm. Die rechte Hemisphäre fast normal, 

| in Pons, Medulla oblongat. nichts Bemerkenswerthes. Das Cerebellum mit 
! vielen Blutpunkten, die grossen Ganglien und die innere Kapsel sind nicht 
[ betroffen und bieten nichts Abnormes. Die Hirnnerven ebenso. 

Nur ein kleines Stückchen des Rückenmarks, von oben, konnte entfernt 
werden. Die Pyramiden, die Seitenstränge zeigten mikroskopisch keine 
secundäre Degeneration, jedoch enthielten beide auffallend viele Corp. 

' amylacea. 

Die mikroskopische Untersuchung des jüngsteu Secundärkuotens zeigte, 
dass derselbe aus länglichen Zellen, mit überaus langen, sich verästelnden 
Fortsätzen bestand. An der Grenze des grossen Knotens, nach vorn hin, 
wo die Blutungen sich befanden, zeigte ein Partikel auch viele Rundzellen. 
Sarcoraa fibrosum hämorrhagicum. (Fortsetzung folgt.) 


VIEL Referate und Kritiken. 

B. Fleisohl v. Marxow. Die Bedeutung des Herzschlages 
für die Athmung, eine neue Theorie der Respiration. Stuttgart, 
F. Enke, 1887. 196 S. Ref. P. Grützner (Tübingen). 

In den „Beiträgen zur Physiologie“, welche Carl Ludwig zu 
seinem siebzigsten Geburtstage von seinen Schülern gewidmet 
wurden, befindet sich eiue Arbeit von E. Fleisch 1 v. Marxow, 
welche den Titel führt „Eine bisher unbekannte Wirkung des 
Herzschlages“. Der wesentliche Inhalt dieser Arbeit, die von uns in 
No. 15, 1887 dieser Zeitschrift besprochen wurde, besteht darin, dass 
die Absonderung der Kohlensäure in der Lunge nicht wohl ein ein¬ 
facher DifFusionsprooess, das heisst eine Ausdunstung der chemisch 
gebundenen Kohlensäure in die Alveolenluft sein könne, weil er als 
solcher kaum mit derjenigen Geschwindigkeit ablaufen würde, mit 
welcher er thatsächlich abläuft. Vielmehr erhalte das venöse Blut 
des rechten Ventrikels bei dessen Zusammenziehung einen Stoss, 
welcher die Kohlensäure aus ihrer festen Verbindung befreie, ähn¬ 
lich wie Gase, die in Flüssigkeiten absorbirt sind, in Folge eines 
Stosses frei werden und entweder unter lebhafter Schaumbildung 
aus der Flüssigkeit austreten oder doch ohne Schaumbilduug frei 
in der Flüssigkeit suspendirt werden und leicht und schnell, nament¬ 
lich in einen luftverdünnten Raum abdunsten können. 

Dieser Gedanke, dass der kurze, heftige Stoss, welcher dem 
Blute im Herzen ertheilt wird, nach der geschilderten Richtung hin 
von der grössten Bedeutung für den Athmungsprocess ist, bildet die 
Grundlage obigen Buches, welches der Schüler in dankbarer Ver¬ 
ehrung seinem Lehrer Brücke gewidmet hat, und wird des Wei- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 8 


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teren durch eine Reihe von bekannten Thatsachen, dagegen nicht 
durch eigene Versuche gestützt, denn die ganze Untersuchung ist, 
wie der Verfasser selbst sagt, eine „Schreibtischarbeit“. Trotzdem 
halten wir den in ihr ausgesprochenen Gedanken für so überaus 
wichtig und geistvoll, dass wir in Folgendem etwas näher auf den 
wesentlichen Inhalt des Buches eingehen. 

Der einen oder der anderen Anschauung muss man sich, wie 
der Verfasser meint, zuwenden, nämlich entweder der, dass das 
Hämoglobin eine grössere Verwandtschaft zum Sauerstoff hat als die 
Gewebe, oder der anderen, dass die Gewebe eine grössere Verwandt¬ 
schaft besitzen als das Hämoglobin. Erstere Anschauung ist ohne 
Weiteres von der Hand zu weisen, denn dann könnten eben die 
Gewebe das Hämoglobin nicht seines Sauerstoffes berauben, wie sie 
es thatsächlich thun, indem sie das durch sie hindurclifliessende 
arterielle Blut venös machen. Mit der zweiten Anschauung sind 
aber unter Anderem folgende Thatsachen unvereinbar. Von dem im 
arteriellen Blut vorhandenen Sauerstoff wird nur V3 verbraucht, 
die übrigen 2 /s gelangen in das venöse Blut (der Hohlvenen). Diese 
Sauerstoffentziehung gellt in der Zeit eines Kreislaufes vor sich, 
also in etwa 20 Secunden. Würde also die Athmung unterbrochen, 
so müssten in zwei weiteren Kreisläufen auch die übrigen 2/3 ver¬ 
braucht werden. Nach drei Kreisläufen, das ist nach etwa einer Mi¬ 
nute, während welcher der Athem angehalten wird, müsste hier¬ 
nach ein Mensch vollkommen sauerstofffreies Blut haben, mit anderen 
Worten vollkommen erstickt sein. Dass das nicht der Fall ist, weiss 
Jeder. Denn wenn es auch nicht angenehm ist, eine Minute unter 
Wasser zu bleiben, ohne zu athmen, leistet dies doch jeder halb¬ 
wegs geübte Schwimmer und Taucher. Weiter haben die ver¬ 
schiedenen Gasanalysen, welche mit dem Blute von erstickten Thieren 
gemacht wurden, ergeben, dass dieses Blut keineswegs vollkommen 
sauerstofffrei war. Vielmehr enthielt es noch über 5% von der 
anfangs in ihm vorhandenen Sauerstoffmenge. Warum haben sich 
nun die Gewebe nicht auch dieses Restes von Sauerstoff bemäch¬ 
tigt, wenn sie eine stärkere Affinität zu ihm haben als das Hämo¬ 
globin? Warum haben sie ihn ferner nicht in drei Umläufen, wenn 
kein neuer Sauerstoff zugeführt wird, vollkommen aufgezehrt, wie 
man doch erwarten sollte? Nach alledem besteht eine Lücke für 
uns in dem Verständnis der Athmungsvorgänge. Diese Lücke aber wird 
nach Fleisch 1 in durchaus befriedigender Weise ausgefüllt, wenn 
man sich erst klar gemacht hat, wozu der Herzschlag da ist. 

„Weshalb“, so fragt der Verfasser, „ertheilt das Säugethier- 
und Vogelherz der Flüssigkeit, welche es im Körper herumzutreiben 
hat, in jeder Minute während des ganzen Lebens 60—200 heftige, 
scharfe Stösse?“ Wenn man sich die Sache recht überlegt, wird 
der Zweck der Circulation auf diese Weise keineswegs am einfachsten 
erreicht. Das Herz könnte sich ja viel langsamer und allmählicher 
zusammenziehen. Im Gegentheil, diese Stösse scheinen höchst un¬ 
zweckmässig und bringen eine Menge von Gefährdungen für den 
Organismus mit sich. Wie leicht können bei diesem jähen Stösse 
Klappen und Gcfässe zerreissen, oder zarte Gewebe zertrümmert 
werden! Wenn wir einen Vergleich machen dürfen, so wäre es 
nahezu ebeuso unzweckmässig uud gefahrvoll, wenn der Lokomotiv¬ 
führer sofort beim Anfahren der Lokomotive ihre volle Fahr¬ 
geschwindigkeit ertheilen wollte. Wieviel fester müssten da die 
Ketten und Verankerungen sein! „Lasciate ogni speranza“ könnte 
man über die Wagenthüren schreiben; denn keiner der eingestiegenen 
Reisenden käme lebendig wieder heraus. Oder wie verwickelt und 
sicher müssten andererseits die Mechanismen in den Eisenbahnwagen 
arbeiten, wenn man sich ihnen doch ohne Gefahr anvertrauen könnte! 
Da nun die kurzen Stösse des Herzens sicherlich nicht zur Schä- 
diguug des Körpers da sind, sondern einen Sinn, einen Zweck haben, 
so muss man sich eben fragen, worin liegt oder kann ihr Nutzen 
liegen? Fleischl behauptet, das Blut wird vom Herzen deswegen 
auf keine andere Weise, sondern durch eine rasche Aufeinanderfolge 
kurzer, jäher Stösse in Bewegung erhalten, weil es für die Vorgänge 
der Uebertragung des Sauerstoffes an die Gewebe und der Aus¬ 
bauchung der Kohlensäure in der Lunge nicht hinreicht, dass das 
Blut continuirlich den grossen und kleinen Kreislauf durchströmt, 
sondern auch nothwendig ist, dass dem Blute, unmittelbar bevor es 
die Lunge betritt und unmittelbar nachdem es sie verlassen hat, je 
ein kurzer, scharfer Stoss versetzt werde, das erste Mal ein schwächerer, 
das zweite Mal ein stärkerer. Beginnen wir also einmal mit dem 
linken Ventrikel. Das Blut tritt mit Sauerstoff beladen, der, wie 
bekannt, in Folge der ungeheueren Oberfläche des Hämoglobins 
schnell chemisch sich mit demselben verbindet, aus der Lunge in 
das linke Herz. Hier wird ihm ein gewaltiger und sehr kurzer (nur 
einen kleinen Bruchtheil einer Secunde dauernder) Stoss ertheilt, 
über dessen Grösse man sich meiuer Meinung nach am besten 
folgeudermaassen klar wird. Man habe ein Gefass mit Blut in der 
Hand; plötzlich in Folge irgend einer beliebigen auslösenden Kraft 
fliegt die ganze Flüssigkeitsmasse von beinahe 200 Gramm aus 
dem Glase heraus vielleicht 2 m hoch. Wir würden diesen Vor¬ 


gang schon eine Explosion nennen; und solche Stösse ertheilt der 
linke Ventrikel der in ihm enthaltenen Blutmasse bei jeder Systole. 
Durch solche und noch viel schwächere Stösse werden nun aber 
viele chemische Verbindungen zerlegt, zu denen — ganz abgesehen 
von den bekannten explosiven, Chlorstickstoff, Jodstickstoff, Nitro¬ 
glycerin etc. — auch Bicarbonate und vor Allem das Oxyhämoglobin 
gehört. Erstere verlieren hierdurch einen Theil ihrer Kohlensäure, 
letzteres seinen Sauerstoff. 

Leider theilt uns der Verfasser seine dahin abzielenden bewei¬ 
senden Versuche nicht mit, sondern vertröstet uns auf später. Da 
aber auf letzterer Thatsache nahezu seine ganze Theorie steht, und 
wenn jene nicht zu beweisen wäre, diese zum mindesten einer 
wichtigen Grundlage entbehrte (mag sie an sich auch noch so geistreich 
sein), so hätten wir im Interesse des Autors gewünscht, dass er da 
ein wenig vom Schreibtisch aufgestanden wäre und uus einen Blick 
in seine Versuche hätte thun lassen. Nur einer von Pflüger be¬ 
obachteten, hierher gehörigen Thatsache wird ausführlich gedacht. 
Sie besteht nach Pflüger’s Worten in Folgendem: „Wenn man 
das arterielle Blut bei 0° im Vacuum ganz ruhen lässt, so ist es 
interessant zu sehen, wie eine ausserordentlich dünne Schicht der 
Oberfläche sich offenbar durch Sauerstoffabdunstung schwärzt, wäh¬ 
rend die tieferen Mengen schön hellroth bleiben. Hier reicht also 
der sehr schwache hydrostatische Druck von ca. 1 mm Blut aus, um 
der Spannung des Sauerstoffes im eiskalten Hämoglobin das Gleich¬ 
gewicht zu halten. Das ist dann auch die Ursache, warum bei 
niederer Temperatur, wie ich gezeigt habe, durch Schütteln der 
Flüssigkeit die Auspumpung ausserordentlich beschleunigt werden 
kann; denn immer neue Mengen werden an die Oberfläche geführt, 
wo der hydrostatische Druck = 0 ist“. Gegen diese Auffassung 
tritt Fleischl, und, wie wir glauben, vollkommen mit Recht auf; 
denn man kann nicht wohl annehmen, dass ein Druck von 1 mm 
Blut (etwa gleich V10000 Atmosphäre) die Abdunstung des Sauer¬ 
stoffes aus dem Oxyhämoglobin verhindert. Wäre es der geringe 
Druck, der hier die Zersetzung verhinderte, so dürfte dieselbe auch 
nicht stattfinden, wenn man auf das sauerstoffhaltige Blut denselben 
Druck, aber in anderer Form einwirken liesse, etwa durch das Ein- 
führen einer geringen Menge von Stickstoff in das Vacuum. Sicher¬ 
lich aber bildet sich dann die sauerstofffreie Schicht ganz ebenst». 
Wenn ferner die Bedeutung des Schütteins nach Pflüger lediglich 
darin bestände, dass so zu sagen immer die 1 mm dicke Blutschicht 
abgehoben würde und eine neue darunter liegende, nicht mehr mit 
diesem Druck belastete frei zu Tage träte, so müsste das Schütteln 
ganz erfolglos sein, wenn in dem Vacuum über dem Blut eiue kleine 
Menge von Stickstoff vorhanden wäre, die eben fortwährend jenen 
Druck von V10000 Atmosphäre auch während des Schütteins ausübte. 
Dass dem nicht so ist, ist bekannt. Die Bedeutung des Schütteln« 
bei diesem Versuche liegt also nicht darin, dass immer neue Schich¬ 
ten dem Drucke von l /ioooo Atmosphäre entzogen werden, wie Pflü¬ 
ger annimmt, sondern darin, dass durch die Stösse der Sauerstoff 
von dem Hämoglobin befreit wird. 

Es wird hiernach, umFleischl’s eigene Ausdrücke zu gebrauchen, 
das Blut in der Lunge zwar oxydirt, indem sich das Hämoglobin 
mit dem Sauerstoff chemisch verbindet, im linken Herzen aber erst 
durch die dort stattfindende Percussion arterialisirt, das heisst, 
es wird der Sauerstoff in eine freie Form umgewandelt. Nur in 
dieser Form, in dem Blute suspendirt oder ihm molecular beige¬ 
mischt, ist er für die Gewebe verwendbar. Der an das Hämoglobin 
chemisch gebundene Sauerstoff kann von den Geweben gar nicht 
aufgenommen werden. So findet er sich zum Beispiel im venösen 
Blute, dem arteriellen aber ist er, wie gesagt, molecular beigemischt. 

Für die Richtigkeit dieser Auffassung sprecheu nach Fleischl 
folgende Thatsachen. 1. Die Leber, welche durch die Vena portae 
noch genügend sauerstoffhaltiges Blut bekommt, kann von diesem 
allein nicht leben; denn der Sauerstoff im Blut der Vena portae ist 
an Hämoglobin chemisch gebunden. Sie bedarf des arteriellen, 
freien Sauerstoff enthaltenden Blutes und nekrotisirt, wie Cohn- 
heim und Litten gefunden, wenn man die Arterie zuschnürt". 
2. Je näher ein Organ dem Herzen liegt, um so mehr freien Sauer¬ 
stoff wird ihm im Allgemeinen das arterielle Blut zuführen. Je 
ruhiger und gleichmässiger hingegen die Strömung wird, je mehr 
also der Puls verschwindet, was aber bekanntlich erst in den klein¬ 
sten Arterien geschieht, um so mehr wird sich wieder das Hämo¬ 
globin des freien Sauerstoffs im Blute bemächtigen und ihn chemisch 
binden. In einer günstigen Lage, anlangend die Versorgung mit 
freiem Sauerstoff, befindet sich der Kopf mit seinen Organen: denn 
kurze und weite Arterien setzen ihn mit dem Herzen in Verbin¬ 
dung. Dass in der That nach Ehrlich Hirn und Herz, welches» 
letztere nach Fleischl sein arterielles Blut möglichst frisch nach 
der Percussion empfängt, wohl die Sauerstoff bedürftigsten Organ«* 
sind, sei nur nebenbei bemerkt. Dieser Sauerstoffreichthum kommt 
nun auch den Drüsen des Kopfes zu Gute, uud die verhältniss»- 
mässig grosse Menge von Sauerstoff, die sich im Speichel findet im 


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23. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 155 


Vergleich zu anderen Secrete», spricht nach Fleischl für seine 
Ausohauung. Dieselbe wird, 3. durch folgendes pathologische Vor- 
kommniss unterstützt. Wie ist es zu verstehen, so fragt er sich, 
dass Aneurysmen der Aorta einen langen, durch dyspnoische Er¬ 
scheinungen gekennzeichneten Marasmus bedingen, obwohl jede 
mechanische Beschädigung benachbarter Organe oder Gebilde kli¬ 
nisch und anatomisch ausgeschlossen werden kann? Seiner Auffas¬ 
sung nach sehr einfach dadurch, dass durch den elastischen Sack 
des Aneurysma der dem Blut ertheilte kurze Stoss nahezu ver¬ 
nichtet wird. Das in den Körper gelangende Blut ist also viel 
weniger arterialisirt, wenn es auch überreichlich oxydirt sein kann. 

Bei dem Strömen des Blutes durch die Gefässe wird nun der 
freie Sauerstoff des arteriellen Blutes mehr und mehr verbraucht, 
theils und der Hauptsache nach von den Geweben, theils von dem ! 
Hämoglobin des Blutes selbst, und schliesslich ist in den Venen I 
nur noch chemisch gebundener Sauerstoff und Kohlensäure, die den 
Geweben entnommen ist, vorhanden. 

Mit den Venen kommen wir weiter in’s rechte Herz. Hier er¬ 
hält das Blut wiederum einen Stoss, aber einen bedeutend schwäche¬ 
ren, der nur ausreicht, die Kohlensäure zu befreien, aber nicht den 
Sauerstoff. Tritt jetzt dieses venöse Blut, welches freie Kohlensäure 
enthält, in mittelbare Berührung mit der Alveolenluft, welche wenig¬ 
stens während eines Theiles der Inspiration unter negativem Druck 
steht, so dunstet eben die Kohlensäure ausserordentlich schnell ab. 
Eine Zwischenfrage drängt sich mir hier unwillkürlich auf. Warum 
wird durch deu viel kräftigeren Stoss links nicht mit dem Sauer¬ 
stoff zugleich die Kohlensäure frei gemacht, die ja doch auch im j 
arteriellen Blute sich findet, da ja schon ein weniger kräftiger Stoss ; 
rechts die Kohlensäure entbindet? Findet sich die Kohlensäure im 
arteriellen Blut in anderer Bindung als im venösen, oder ist vielleicht 
uur der Ueberschuss der Kohlensäure im venösen Blute in dieser 
lockeren Form gebunden, dass ihn ein schwacher Stoss völlig frei 
macht? 

Hier wie überall in genannter Arbeit ist natürlich, was ich 
noch einmal betonen möchte, wenn von der Entbindung von Gasen 
aus Flüssigkeiten die Rede ist, immer nur der Fall angenommen, 
dass das Gas in raolecularer Form in der Flüssigkeit gelöst ist 
und nicht etwa in grösseren, zusammenhängenden Massen in der 
Flüssigkeit sich angehäuft hat; denn derartiges mit Luftblasen durch¬ 
setztes, schaumiges Blut würde, wie männiglich bekannt, in kürzester 
Zeit den Tod wegen Aufhebung oder Erschwerung des Lungenkreis¬ 
laufs zur Folge haben. 

Als weitere Beweise für die Richtigkeit seiner „Percussions¬ 
theorie“ betrachtet Fleischl noch folgende Thatsachen. Es ist 
bekannt, dass das Blut des rechten Herzens wärmer ist als das des 
linken. Genügend erklärt konnte diese Erscheinung bisher nicht 
werden. Nach Fleischl findet im linken Herzblute eine Abkühlung 
statt, weil der Sauerstoff befreit wird; in der Lunge dagegen muss 
Wärme frei werden, weil der Sauerstoff sich mit dem Hämoglobin 
chemisch bindet. Die Abdunstung der Kohlensäure, welche freilich 
den entgegengesetzten Einfluss haben müsste, bindet nämlich viel 
weniger Wärmfc, als in Folge der Oxydation des Hämoglobins in 
der Lunge frei wird. Ohne in die Einzelheiten dieser Angaben über 
die verschiedenen Temperaturen einzutreten, sei zum Schluss noch 
darauf aufmerksam gemacht, dass die Percussionstheorie nach der 
Anschauung ihres Vertreters nur dann berechtigt ist, wenn wirklich 
die dem Blute der verschiedensten Warmblüter ertheilten Stösse nahezu 
die gleiche Kraft haben und bei der gleichen Temperatur, die ja für 
die Entbindung von Gasen aus Flüssigkeiten von grösstem Einfluss 
ist sich vollziehen. Thatsächlich aber sind diese beiden Bedingun¬ 
gen erfüllt, denn die Höhe des arteriellen Blutdruckes, der ja ein 
Jfoass für die Grösse des Stosses im linken Herzen ist, beträgt bei 
den verschiedensten Thieren vom Elephanten bis zur Maus, vom 
grössten bis zum kleinsten Vogel nahezu 150 mm Quecksilber, und 
unter den verschiedensten physiologischen und pathologischen Lebens¬ 
bedingungen wird diese Höhe des Blutdruckes merkwürdig constant 
erhalten, sie wird geradezu fixirt, nicht blos regulirt, wie man sich 
gewöhnlich ausdrückt Ist dagegen, fügen wir hinzu, der Herz¬ 
schlag schwach und namentlich längere Zeit hindurch schwach, so 
wird, wie bekannt, der Organismus im allerhöchsten Maasse ge¬ 
schädigt und schliesslich zu Grunde gerichtet. Dass andererseits 
gerade bei den Warmblütern auch die Temperatur des Blutes in 
wunderbarer Weise constant auf etwa 40° C gehalten wird, ist eben¬ 
so bekannt und bemerkenswerth. 

Anders freilich, wie die Warmblüter verhalten sich die Kalt¬ 
blüter Bei ihnen ist auch der Charakter der Herzbewegung ein 
durchaus anderer; die Zusararaenziehungen des Herzens geschehen 
hier viel langsamer, vielfach nach Art einer peristaltischen Welle. 
Zudem ist bekannt, welch’ untergeordnete Bedeutung im Vergleich 
zu einem Säugethier, etwa bei einem Frosch, die Lungenathmung 
hat. Auch mit abgebundenen Lungen lebt der Frosch weiter. Bei 
den meisten Fischen ferner, welche durch Kiemen und nicht durch 


Lungen athraen und ihren Sauerstoff aus dem Wasser nehmen, ihre 
Kohlensäure in das Wasser abgeben, findet sich ein Bulbus arteriosus. 
Der Stoss des Herzens wird, wie durch einen aueurysmatischen Sack 
gemildert und mehr oder weniger abgeschwächt. Aehnlich den 
Kaltblütern verhalten sich in gewisser Beziehung die Warmblüter 
im Winterschlaf. 

Dies sind die unserer Meinung nach wichtigsten Thatsachen 
und Gedanken, welche Fleischl in obengenanntem Buche nieder¬ 
gelegt und in scharfsinniger Weise für die Begründung seiner Per¬ 
cussionstheorie verwendet hat. Er selbst äussert sich über dieselbe: 
„So fest ich auch davon überzeugt bin, dass die Theorie der 
Percussion des Blutes im Allgemeinen richtig ist, so wenig zweifle 
ich daran, dass sie in der Gestalt, welche ich ihr dermalen zu geben 
vermochte, von zahlreichen Lücken durchbrochen und• ausserdem 
mit zahlreichen Fehlern durchflochten ist.“ Wenn wir uns selbst 
ein Urtheil über sie erlauben dürfen, so halten wir sie für einen 
der originellsten und wichtigsten Gedanken, der seit lange in der 
Physiologie gedacht worden ist. Sie ist dem Ei des Columbus ver¬ 
gleichbar und wird sicherlich, wie jede gute Theorie, befruchtend 
und erweiternd auf unser Wissen wirken, auch wenn sie theilweise 
noch diejenigen Eigenschaften hat, die ihr Begründer selbst ihr 
zuschreibt. 

Rudolf Lewandowski. Elektrodiagnostik und Elektrothe¬ 
rapie, einschliesslich der physikalischen Propädeutik für praktische 
Aerzte. Mit 170 Illustrationen. Wien und Leipzig, Urban u. 
Schwarzenberg, 1887. Referent A. Eulenburg. 

Das soeben erschienene Werk von Lewandowski enthält 
in verhältnissmässig knappem Umfange (440 Seiten) eine ausseror¬ 
dentlich gediegene, in allen Theilen mit gleicher Sorgfalt durch¬ 
gearbeitete Darstellung der gesammteu medicinischen Elek- 
tricitätslehre — der wir, was Vollständigkeit und Anpassung 
an das praktisch-ärztliche Bedürfniss betrifft, kaum etwas Früheres 
an die Seite zu stellen haben. 

Naturgeraäss gliedert sich das Ganze iu drei Hauptabschnitte: 
1. Physikalische Propädeutik; II. Elektrodiagnostik 
(Elektrophysiologie und Elektropatbologie); III. Elektrotherapie 
(allgemeine und specielle). Ist auch jeder Abschnitt gleich vor¬ 
trefflich und zweckentsprechend, so stehe ich doch nicht an, dem 
ersten, der zudem auch der ausführlichste ist (228 Seiten, etwas 
über die Hälfte des Buches) entschieden die Palme zu reichen. 
Was wir hier in übersichtlicher Zusammenstellung, klarer Darstel¬ 
lung und durch wohlgeluugene Holzschnitte veranschaulicht finden, 
das bietet in ähnlicher erschöpfender Vollständigkeit überhaupt 
keines der bisherigen medicinischen Special werke. So 
z. B. die genauen und miuutiösen Schilderungen der verschie¬ 
denen galvanischen Elemente, Inductionsapparate, Galvanometer, 
stationären und transportablen Batterieen, und der einzelnen Appa- 
ratentheile, sowie die überaus wichtigen und werthvollen Rath¬ 
schläge über Auswahl und Behandlung elektromedicinischer Vor¬ 
richtungen, die zum Theil bis in’s kleinste Detail hineingehen und 
nicht bloss dem Anfänger, sondern auch selbst dem geübten Spe- 
cialisten noch mannichfache Belehrung darbieten. Als ein beson¬ 
derer Vorzug des propädeutisch-physikalischen Theiles muss es be¬ 
zeichnet werden, dass bei aller Klarheit und Vollständigkeit in den 
Auseinandersetzungen doch nur die elementaren arithmetischen 
Grundbegriffe vorausgesetzt, schwierigere mathematische Entwicke¬ 
lungen gänzlich vermieden werden, so dass der Text sich auch 
hieriu den Anforderungen und Bedürfnissen eines grösseren ärzt¬ 
lichen Leserkreises vollständig anpasst. 

Dass trotz einer staunenswerten Kenntniss auf diesem Gebiete, 
trotz einer wahrhaft immensen Literaturbenutzung dem Verfasser 
doch Einzelnes entgangen, dass einzelne kleine Unrichtigkeiten hier 
und da unterlaufen, ist ebenso natürlich als entschuldbar. Ich 
möchte für eine zweite Auflage, die hoffentlich bald bevorsteht, 
dem Verfasser ein paar kleine, aber nicht ganz unwichtige Berich¬ 
tigungen an’s Herz legen. So heisst es (p. 173) von dem bekannten 
absoluten astatischen Vertical-Galvanometer Hirschmann’s: die 
Nadel macht bei Einschaltung des menschlichen Körpers 20—30 
Schwingungen, ehe sie zur Ruhe kommt; und noch an einer spä¬ 
teren Stelle (p. 276) kehrt der Vorwurf wieder, diese Instrumente 
seien „neuestens tadellos geaicht — aber nicht gedämpft“. 

Diese Behauptung ist keineswegs zutreffend; die neuere mecha¬ 
nische Dämpfung ist sehr befriedigend und giebt bei eingeschaltetem 
Körper selbst vom Nullpunkt aus höchstens 2—3 Eigenschwingungen 
der Nadel. — Wenn an der letztcitirten Stelle es heisst, dass zu 
elektrodiagnostischen Zwecken nur ein Horizontalgalvanometer „mit 
gutem Gewissen“ empfohlen werden kann, so hätte den nicht weg- 
zuläugnenden Vorzügen dieser Instrumente gegenüber doch wohl 
auch der für den Praktiker schwerwiegende Uebelstand Berück¬ 
sichtigung verdient, dass dieselben schwierig aufzustellen siud und 
in Folge der Stellung der übrigen Apparate oft keine bequeme Ab- 


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]56 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCJIENSCHRIFT. No. 8 


lösung gestatten, da ja ihr Zeiger im magnetischen Meridian liegen 
muss. — Auf einem entschiedenen Missverständnis beruht es wohl, 
wenn (p. 199) bei der daselbst beschriebenen Tauch batterie als 
Forderung hingestellt wird, sie täglich zu reinigen, täglich nach- 
zusehen, ob die Zinke gleich weit hervorragen u. s. w.: Forderun¬ 
gen, die (auch vom Verfertiger) niemals ausgesprochen worden sind, 
wie sich denn überhaupt die in Rede stehende Chromsäurebatterie 
hinsichtlich der Behandlung von anderen ähnlichen keineswegs und 
am allerwenigsten durch erhöhte Ansprüche und Schwierigkeiten der 
Instandhaltung unterscheidet. 

Derartige und ähnliche unvermeidliche kleine Unebenheiten 
können aber den hohen Gesammtwerth des Werkes nicht im Ge¬ 
ringsten beeinträchtigen. Es sei noch bemerkt, dass auch die In- 
fluenzelektricität in nicht allzu grosser Kürze (die Publicationen des 
letzten Jahres fehlen natürlich) mit abgehandelt ist, und dass nicht 
bloss die internen, sondern auch die externen chirurgischen, derma¬ 
tologischen, gynäkologischen u. s. w. Anwendungen der Elektrothe¬ 
rapie in dem der letzteren gewidmeten speciellen Theile gebührende 
Berücksichtigung finden. 

Die zahlreichen Holzschnitte im Text sind sehr gut und an¬ 
schaulich, Druck und Ausstattung — wie bei allen Verlagswerken der 
Firma — vorzüglich, wobei namentlich die Erhöhung der Ueber- 
sichtlichkeit durch Anwendung verschiedenen Druckes hervorzuheben 
ist. Ein sehr vollständiges Namen- und Sachregister ist beigegeben, 
dagegen von einem Literaturverzeichniss wohl mit Recht Abstand 
genommen, da dasselbe, um einigermaassen vollständig zu sein, das 
Werk bedeutend anschwellen würde, ohne doch dem ärztlichen 
Leserkreise, für den es berechnet ist, erheblichen Nutzen zu schaffen. 


Theodor Heryng. Die Heilbarkeit der Larynxphthise und 
ihre chirurgische Behandlung. Eine anatomo-pathologische 
und klinische Studie. 192 Seiten. Mit 3 Holzschnitten und 
3 lithographischen Tafeln. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1887. Ref. 
M. Bresgeu (Frankfurt a. M.) 

Der auf dem Gebiete der Behandlung der Kehlkopfschwiudsucht 
wohlbekannte Verfasser hat in dem vorliegenden, 192 Seiten 
starken Buche seine l ntersuchungen der erkrankten Kehlkopftheile 
sowie die Ergebnisse seiner Behandlungsart und diese selbst ein¬ 
gehend dargelegt und durch ausführliche Krankengeschichten und 
schöne Abbildungen erläutert. Ein seltener Fleiss, der sich sowohl 
auf die gesammte einschlägige Literatur, wie auch auf die Erlernung 
der neueren, theilweise recht schwierigen Methoden mikroskopischer 
Untersuchung erstreckt, sowie eine hochausgebildete Geschick¬ 
lichkeit in den in Betracht kommenden Untersuchungs- und Be¬ 
handlungsmethoden, gepaart mit dem Mnthe eigener, aus reicher 
und gut durchgearbeiteter Erfahrung geschöpfter Meinung, zeichnen 
das vorliegende Werk vor vielen anderen aus. 

Im I. Theile bespricht er die Aetiologie und pathologische 
Anatomie der tuberculösen Kehlkopfphthise und erbringt anato¬ 
mische und histologische Beweise der Heilbarkeit tuberculöser 
Larynx- und Pharynxgeschwüre. Seine Untersuchungen ergaben, 
dass in allen tuberculösen Kehlkopfgeschwüren von der kleinsten 
Erosion bis zum kraterförraigen Substanzverluste immer Tuberkelba¬ 
cillen sich nach weisen lassen. Verf. hält mit Orth die Larynxphthise 
für ein fast immer örtliches Leiden, dem stets eine Lungenphthise 
folge. Einen bisher fast unbeachteten Weg der Infection glaubt Verf. 
in dem Eindringen der Bacillen in die Drüsenkanäle bezw. in die 
Zellen des dieselben bekleidenden Cylinderepithels sehen zu sollen. 
Wichtig ist in dieser Hinsicht, dass er entgegen den seitherigen An¬ 
gaben an den Rändern der w r aliren Stimmbänder und zwar in der 
Gegend des Processus vocalis einige grosse Schleimdrüsen fast regel¬ 
mässig gefunden hat. Bemerkenswerth sind auch seine Erörterungen 
über sog. katarrhalische Geschwüre und deren Beziehungen zum 
tuberculösen Geschwüre sowie über die Laryngitis chronica desqua- 
mativa (Virchow’s Pachydermia diffusa) und deren Verhältnis 
zu den sog. erosiven Geschw'üren. Es sei hier auf das Original 
verwiesen. Bezüglich der Heilbarkeit der tuberculösen Kehlkopf¬ 
geschwüre bemerkt Verf. sehr richtig, dass früher oder später sich 
einstellende Rückfälle die Thatsache der Heilbarkeit nicht zu er¬ 
schüttern vermögen, da die Prognose der Larynxschwindsucht durch 
den Zustand der Lungen beeinflusst wird. Fast immer wurden Rück¬ 
fälle verschuldet entweder durch den Leichtsinn vieler Kranken, die 
sich als vollkommen geheilt betrachten und den Mahnungen ihres 
Arztes nicht folgen, oder durch die ungünstigen Verhältnisse der 
ärmeren Classe und mangelhafte Ernährung. Mit Recht betont Verf., 
dass aber auch zu häufig die Krankheit des Kehlkopfes zu spät 
erkannt und die Behandlung zu spät begonnen werde. 

Unter Besprechung der bisherigen Behandlungsarten der tuber¬ 
culösen Kehlkopfschwindsucht widmet Verfasser auch der Cocainisi- 
rung eingehende Berücksichtigung. Die gewöhnlichen Cocainpinse¬ 
lungen fand Verfasser manchmal wenig oder garnicht wirksam, be¬ 
sonders wenn die tuberculösen Geschwüre von der vorderen Fläche 


der hinteren Kehlkopfwand auf deren hintere, zur Speiseröhre ge¬ 
hörige Fläche übergegrilfen hatten, oder wenn die äussere Fläche 
der Lig. ary-epiglottica betroffen war. In diesen sowie überhaupt 
in allen Fällen von durch Geschwüre bedingten Schlingbeschwerden 
erreichte Verfasser die besten Erfolge durch submucöse Einspritzun¬ 
gen von Cocain an der schmerzhaften Stelle. Er benutzte dazu 
eine eigens angefertigte Spritze, die 2 l /-> g Flüssigkeit fasst. Von 
einer 10°/ 0 igen Cocainlösung (Cocain, raur. 0,25; Solut. acidi carbol. 
(2 °/ 0 ) 2,50) spritzte er gewöhnlich an 2 Stellen je 2, 3 oder 
4 Tropfen ein; ein Theilstrich der Spritze fasst 4 Tropfen zu 
0,03 Cocain. Die auf diesem Wege erzielte Empfindungslosigkeit 
dauert viel länger, als bei Pinselung, und lässt sich auf bestimmte 
Bezirke beschränken. Die gleiche Spritze benutzt Verfasser zur 
Behandlung tuberculöser Kehlkopfinfiltrate mittelst submucöser Ein¬ 
spritzungen einer aseptischen Jodoformeraulsion. Zur Bekämpfung 
starker entzündlicher acuter Schwellungen, die zu schon bestehenden 
Geschwüren und Infiltraten hinzutreten, hält Verfasser lange, tiefe 
Einschnitte mit dem Stoerk’scheu Messer für sehr empfehleus- 
werth; es müsste jedoch die Tracheotomie vorbereitet sein, da bei 
ungenügend ausgiebigen Einschnitten die Schwellung ungemein rasch 
wachse. Durch wiederholte mikroskopische Untersuchungen kam 
Verfasser zu der Ueberzeugung, dass die Rückfälle bedingt seien 
durch die Schwierigkeit, die tiefen tuberculösen Infiltrate im sub- 
mucüsen Gewebe vollständig zu beseitigen. Verf. griff deshalb zum 
scharfen Löffel, den er für den Kehlkopf in geeigneter 
Weise herstellen liess. Mit demselben vermag man beson¬ 
ders an gewissen Stellen des Kehlkopfes wirksamer die In¬ 
filtrate zu beseitigen und Vernarbung zu erzielen. Ausdrücklich 
bemerkt Verfasser, dass keine Behandlungsmethode schablonenmässig 
zur Anwendung gebracht werden dürfe, sondern dass nicht nur für 
jeden Fall, sondern auch für einen einzigen Fall in verschiedenen 
Zeiten verschiedene Mittel zur Anwendung gezogen werden müssten; 
ihre Anwendung fordere eine persönliche Erfahrung. Die chirur¬ 
gische Behandlung der Kehlkopfschwindsucht werde sich nur bei 
denjenigen Aerzteu bewähren, welche eine zu ihrer Anwendung 
nöthige Technik besitzen oder dieselbe zu erlangen trachten und 
sich noch nicht für ausgebildet halten in dem Augenblicke, in dem 
es ihnen nach ausgiebiger Cocainisirung gelingt, einen schön ge¬ 
stielten Polypen zu entfernen. Erwähnt sei noch, dass Verfasser es 
nicht unterlässt darauf hinzuweisen, dass die Besserung der Ernährung 
und Hebung der Kräfte des Kranken die Hauptbediugung zur Ge¬ 
nesung oder Ausheilung bildet. Bei 20 Kranken führte Verfasser 
die Auslöffelung tuberculöser Geschwüre aus; vollständige Vernar¬ 
bung wurde in 9 Fällen erzielt. Die besten Erfolge erlangte er bei 
hypertrophischen Geschwüren der hinteren Wand und der inneren 
Fläche der Arytaenoidknorpel. 

Es mag genügen, was wir hier aus dem vortrefflichen Buche 
hervorgehoben haben. Der für gewöhnlich verstattete Raum zur Be¬ 
sprechung eines Buches ist ohnehin längst überschritten. Wer für 
den Gegenstand auch nur ein mässiges Interesse hat, kann nicht 
umhin, das Werk selbst durchzuarbeiten; wer Kehlkopftuberculose 
aber selbst behandeln will, wird zu wiederholtem Stucfium desselben 
sich veranlasst sehen und dem Verfasser recht geben, wenn er zum 
Schlüsse seines Buches die Worte anführt, mit welchen der Referent 
einen Aufsatz in der Wochenschr. 1886, No. 22 schloss. Wir wün¬ 
schen, dass sie von Allen, welche die Methode Heryng’s nach prüfen, 
recht beherzigt werden. Das verdient nicht nur das Werk an sich, 
sondern auch der Gegenstand, mit dem es sich beschäftigt. 


IX. Jouraal-Revue. 

Innere Medicin. 

4. 

Aufrecht. Die acute Parenchymatöse; ein Beitrag 
zur Kenntniss der neuen Infectionskrankheit Weil’s. 
Deutsches Archiv für kl. Med. 1887, 40 5/6. 

E. Wagner. Zwei Fälle von fieberhaftem Icterus 
(Weil), ibidem. 

Th. Roth. Ein Beitrag zur neuen Infectiouskrank- 
heit Weil’s. Deutsches Archiv f. kl. Med. 1887, 41, 3. 

Ueber die Fälle, welche Weil beschrieb, haben wir seiner 
Zeit referirt. Es handelte sich um eine acut fieberhafte mit schwe¬ 
ren nervösen Erscheinungen^, ausserdem mit Schwellung der Milz 
und Leber, Icterus, nephritischen Symptomen einhergehende Er¬ 
krankung, die aber nach verhältnissmässig kurzer Dauer des 
schweren Krankheitsbildes einen raschen günstigen Verlauf nahm. 
(Weil: Deutsches Archiv f. Kl. Med. 39.) 

Goldschmidt beschrieb dann im 2. Hefte des 40. Bandes 
einen analogen Fall. Aufrecht hebt nun hervor, dass er im 1. 
Hefte seiner pathologischen Mittheilungen (Magdeburg 1881) unter 
der Bezeichnung „acute Parenchymatöse“ Fälle veröffentlicht 
habe, deren Uebereinstimmung mit den von Weil und Gold- 


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23. Februar. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 157 


Schmidt gemacliteu Beobachtungen nicht zu verkennen wäre. Der 
Verlauf war aber entgegengesetzt den von Weil und G o 1 d s c h m i d t 
geschilderten Fällen ein tödtlicher. 

Im ersten Falle trat zu einem sich rapid entwickelnden phthi- 
sischen Processe im rechten Lungenoberlappen eine Erkrankung 
hinzu, welche der von Weil geschilderten‘ähnelte. 

Der zweite Fall betrifft eineu bis dahiu gesunden 40jährigeu 
Manu. Er erkrankte plötzlich unter Erscheinungen eines Magen¬ 
katarrhs, war matt, angegriffen, appetitlos, klagte über Brechneigung. 
Am nächsten Tage gesellte sich Fieber hinzu, am 4. Tage trat 
Icterus auf, am nächsten Tage wurde Albuminurie beobachtet, am 7. 
Tage trat unter Convulsionen der Tod ein. 

Ausser Herzverfettung ergab die Section sehr starke Verände¬ 
rung der Nieren und Leber. Es kann, sagt Aufrecht, nicht 
zweifelhaft sein, dass es sich um eine Erkrankung handelt, welche 
die lebenswichtigsten parenchymatösen Organe: Leber, Nieren, Her/. 
1 getroffen hat. Leber und Nierengewebe waren von gleichmässig 
grossen dunklen Körnchen durchsetzt, welche Aufrecht nachträg¬ 
lich als Mikrococceu anzusehen geneigt ist. Er bezeichnet die 
Krankheit, wie erwähnt, als acute Parenchymatöse. 

Die von Wagner beobachteten 2 Fälle siud im wesentlichen 
deneu Weil's gleich, stellen nur leichtere Fälle dar, bei einem 
fehlte übrigens die Albuminurie, Herpes facialis und öfteres Nasen¬ 
bluten waren bei einem Kranken zu beobachten. Wagnep will 
die Fälle ebenfalls als „einheimisches biliöses Typhoid“ be¬ 
zeichnen, auch sei die Annahme eines Abortiv-Typhus mit Icterus 
nicht von der Hand zu weisen. 

Der von Roth geschilderte Fall ist dadurch bcmerkenswerth, 
dass einmal als direkte Ursache der Erkrankung der Genuss von' 
Salat angegeben wird, dass es sich ferner um eine sehr schwäch¬ 
liche Person handelte, der Verlauf ein sehr protrahirter war, und 
am 31. Krankheitstage, nach einem fieberfreien Intervall vom 10. 
Tagen ein Recidiv auftrat, welches 5 Tage anhielt. Auch war als 
('omplieation eine leichte rechtsseitige Pleurtis vorhanden. 

Zur weiteren Klärung der Natur dieser Infectionskrankheit 
werden weitere Mittheilungen sehr erwünscht sein. Gewiss haben 
viele Collegen derartige zweifelhafte Fälle gesehen; besondere Rück¬ 
sicht wird namentlich auf das Verhalten während der ersten Krank¬ 
heitstage und auf die Temperaturcurve zu nehmen sein, auch wird 
man der bacteriologischen Untersuchung mehr Rechnung zu tragen 
haben. Buchwald. 

F. Haas. Ueber die praktisch verwerthbaren Farben- 
reactionen zum Säurenachweis im Mageninhalt. Münch, 
med. Wchschr. 1888, No. 6 u. 7. 

Der Verfasser kommt in seiner Arbeit zu folgenden Schluss¬ 
sätzen: 

„Von den Proben zum Nachweis der freien Salzsäure im Magen¬ 
inhalt ist die Phloroglucin-Vanillinprobe als die schärfste und keinen 
wesentlichen Störungen durch Eiweiss, Peptone, saures phosphor¬ 
saures Natrium und Kochsalz unterworfene am meisten zu empfehlen. 

Nächst dieser eignen sich noch die Heideibeerfarbstoffprobe und 
die Tropaeolinprobe in den von Boas angegebenen Modificationen 
am besten für die Praxis. Erstere ist sehr scharf und verhältniss- 
mässig geringen Beeinflussungen durch die obigen Stoffe ausgesetzt, 
letztere sind wegen der einfachen Handhabung zur raschen Orien- 
tirang sehr vortheilhaft. 

Weniger zuverlässig sind die Resultate, welche man mit der 
Methylviolettprobe, dem Mohr’sehen Reagens und der Tropaeolin- 
(resp. Methylorange-)Probe im Reagensglase und nach Uffelmann 
erhält, und sollten diese Proben in der Praxis nur mit Vorsicht, oder 
vielleicht besser gar nicht mehr verwendet werden. 

Das Congopapier ist zur raschen Orientirung über das Vor¬ 
handensein freier Säure überhaupt sehr empfehlenswert!!. 

Znm Nachweis von Milchsäure verdient die Eisenchlorid carbol- 
probe vollkommene Anerkennung und Empfehlung. 

Eosin und Fluoresceln haben sich nicht bewährt. 

Gestützt auf diese Ergebnisse möchte Verf. für die Untersuchung 
eines Magensaftes in der Praxis folgenden Gang vorschlagen. 

Der filtrirte Magensaft wird zunächst mit Congopapier auf das 
Vorhandensein von freier Säure überhaupt geprüft. 

Fällt diese Probe positiv aus, so schlägt er vor, zunächst die 
Tropaeolinpapierprobe anzustellen. Fällt auch diese positiv aus, so 
kann man den sicheren Schluss ziehen, dass in dem Magensaft freie 
Salzsäure enthalten ist und zwar bestimmt mehr als io/,*,. 

Sollte Tropaeolinpapier keine Reaction ergeben, so treten au 
seine Stelle Heideibeerfarbstoff und Phloroglucin-Vauillin, mit Hülfe 
deren noch ein HCl-Gehalt von 0,25, resp. 0,1%,) nachgewiesen 
werden kann. 

Ergeben auch diese negatives Resultat, so kann man das Vor¬ 
handensein freier HCl mit ziemlicher Sicherheit ausschliessen. 

Zum Schluss wird noch die Eisenchlorid-Carbolprobe mit even¬ 


tueller allmählicher Verdünnung des Magensaftes ausgeführt, um sich 
auch über die Anwesenheit von Milchsäure zu inforrairen. 

Eine nach diesem Vorschlag ausgeführte Untersuchung eines 
Magensaftes ist in einigen Minuten beendigt und geuiigt wohl in 
den meisten Fällen für die Bedürfnisse der Praxis.“ 8. G. 

Dubousquet-Laborderie. Quelques eonsiderations 
cliniques sur les amvgdalites infectieuses. — Gaz. des 
Hop. 1887. No. 107. 

Zunächst kommt es darauf an, da, wo eine Prädisposition zu 
Mandelentzündung vorhanden ist, die Atrien, durch welche das in- 
ficirende Agens in den Organismus eindringt, zu verscliliessen. 

Dieses Ziel erstrebt die Ignipunctur, welche den Vorzug vor 
der Tonsillotomie verdient, weil hiernach leicht Drüsenstücke 
zurückbleibeu. 

Im Beginne der Amygdalitis empfiehlt sich die Verabreichung 
eines Brechmittels, welches nicht allein das inficirende Agens mecha¬ 
nisch entfernt, sondern auch den schädlichen Einfluss desselben neu- 
tralisirt. Zur Verhütung seiner weiteren Entwickelung findet sodann 
ein Recurs an den internen Gebrauch einer der folgenden Droguen: 
Acid. carbol., Acid. salicylic., Natr. benzoie., Chinin., Resorcin statt, 
von welchen D.-L. eine der beiden letzteren mit Vorliebe wählt. 
Daneben Diaeta roborans. 

Gegen eine etwa vorhandene Nierenläsion (desquamative Ne¬ 
phritis) erweist sich Milch als das beste Heilmittel. Pauli (Cöln). 

Laryngologie und Rhinologie. 

2 . 

J. Prior. Das Jodol und sein therapeutischer Werth 
bei tuberculösen und andersartigen Erkrankungen des 
Kehlkopfes und der Nase. Münchener mediciu. Wochenschrift 
1887. No. 38. 

Nach Verfassers und Anderer Beobachtung reinigt das Jodol, 
iu Pulverform auf die Ulcerationen gebracht, den Gesellwürsgrund 
von anhaftenden Secreten und Gewebsfetzen, regt die Bildung ge¬ 
sunder Granulationen an, bildet dabei aber keinen Schorf wie viele 
andere Mittel, sondern legt sich in schöner, gleichmässiger Schicht 
auf die erkrankten Partieen auf und bildet einen leichten, durch¬ 
sichtigen, grauen Schleier, der sich als schützende Decke über die 
unter ihr sprossenden, jungen Gewebe breitet, und kann so verhält- 
nissmässig rasch die Geschwüre zur Vernarbung bringen. Ebenso 
zweckmässig erweist sich das Jodol bei chronischen Erkrankungen 
des Kehlkopfes sowohl, wie der Nasen- und Rachenhöhlen, die 
Verdickungen und ab und zu Geschwulstformen im Gefolge haben. 
Auch bei luetischen Ulcerationen der Schleimhaut darf man getrost 
Jodol anweuden. 

Ein absolut souveränes Mittel gegen Larynxtuber- 
culose ist das Jodol nicht, es vermehrt nur die Zahl der 
hier wählbaren und mit eventuellem Erfolge anwend¬ 
baren Mittel um ein diesen gleiches. Seit einem Jahre ver¬ 
wendet Ref. Jodol bei den verschiedensten Krankheitsformen obiger 
Organe als Ersatz für Jodoform. Es hat vor diesem 1. die Geruch¬ 
losigkeitvoraus, und 2. verdirbt es den Appetit der Patienten nicht. 

Dennoch ist Ref. in verschiedenen Fällen zum Jodoform zu¬ 
rückgekehrt, in denen sich Jodol gänzlich wirkungslos erwiesen hatte. 

Allgeraeinerscheinungen beobachtete Ref. nach längerer Appli¬ 
cation einige Male; „die betr. Patienten klagten über Schmerzen im 
Hinterkopfe und das Gefühl, als ob sich Alles im Körper zusammen¬ 
zöge“. Für die vom Ref. geübte locale Behandlung der Tracheal- 
Erkrankungen war es nothwendig. das Jodol mit Borsäure zu 
vermischen. Das Jodol allein ballte sich leicht zu Klümpchen zu¬ 
sammen, die wirkungslos ausgehustet wurden. Mit dieser Mischung 
arbeitete Ref. bisher mit meist günstigem Erfolge. 

Durch seine Beobachtungen ist Ref. übrigens dahin gekommen, 
die tuberculösen Ulcerationen im Larvnx zuerst durch Einspritzung 
der C'adier'schen Kreosotlösung oder einer 50% Milchsäurelösung 
zu reinigen, in ihren tieferen Zerklüftungen auszuspülen und anzu¬ 
greifen und dann Einstäubuugen von Jodolborsäure folgen zu lassen. 

Mit dieser combinirten Methode erzielte Ref. zum grössten Tlieil 
die günstigsten, oft glänzendsten Resultate, deren Veröffentlichung er 
sich vorbehält, und empfiehlt sie dringend allen Collegen zur Nach¬ 
ahmung. Beide Proceduren w r erden sehr gut vertragen, wenn man 
nach den Einspritzungen schnell einen Schluck Wasser nachtrinken 
lässt. Günstige Wirkung sah Ref. ferner bei Nasensyphilis, bei 
seinen früher veröffentlichten tuberculösen Tumoreu der Nasen¬ 
scheidewand, die jetzt bereits alle zur Perforation derselben geführt 
haben. 

Bei chron. Otorrhoeen sah Ref. in einzelnen Fällen ebenfalls 
gute Heilerfolge. 

Die einzelnen Fälle für die Anwendung des Jodol muss sich 
der Praktiker eben heraussucheu, will er sich bei schablonenhafter 
Anwendung dieses Mittels nicht Enttäuschungen aussetzen. 

M. Sehaeffer. 


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15 8 

Max Schaffer. Die locale Behandlung der Erkran¬ 
kungen der Trachea und Bronchien. Monatsschrift für Ohren¬ 
heilkunde sowie für Kehlkopf- etc. Krankheiten. 1887, No. 4. 

Verfasser ernfiehlt, anlässlich der Mittheilungen von Reichert 
auf der Naturforscher-Versammlung in Berlin, hei acuten Ent¬ 
zündungen der unteren Luftwege, sowie auch hei tuherculösen 
und syphilitischen Geschwüren derselben die Medicamente in der 
Inspirationsphase durch die Stimmbänder hindurch in die Luftröhre 
zu blasen. Sie wirkten auf diese Weise unmittelbar gegen die ent¬ 
zündlichen Erscheinungen und beförderten eine kräftige Expectoration, 
ohne dass der Magen durch viele Arzneien beschwert werde. 

Max Schaeffer. Aneurysma der Aorta anonyma. Monats¬ 
schrift. für Ohrenheilkunde sowie für Kehlkopf- etc. Krankheiteu 
1887, No. 1. — Maximilian Bresgen, Ein Fall von Spasmus 
glottidis, bedingt durch Aortenaneurysma. Berlin, klin. 
Wochenschrift 1887, No. 8. 

Schaffer berichtet über zwei Fälle, in welchen ein Aneurysma 
ein Mal Paralyse des linken Muse, thyreo-arytaenoideus internus und 
des linken Muse, crico-arytaenoideus posticus hervorrief und durch 
Hämorrhagie zum Tode führte; im zweiten bestand Paralyse des 
linken Muse, crico-arytaenoideus posticus und des linken Taschen¬ 
bandes; Tod war noch nicht erfolgt. Im ersteren Falle wurde die 
Paralyse durch den inducirten und constanten Frommhold’schen 
Strom gebessert, im zweiten Falle fand keine Behandlung statt. 

Bresgen beschreibt einen Fall, in welchem bei Bewegungen 
und Anstrengungen des Körpers Athenmoth sich einstellte, die 
laryngoskopisch als Spasmus glottidis erkannt wurde. In der Ruhe 
war der Kehlkopf ganz normal und bestauden auch keinerlei 
Beschwerden. Es erfolgte plötzlicher Tod in Folge Zerreissung 
eines kleinapfelgrossen Aneurysma, welches am Aortenbogen sass 
und in die Luftröhre dnrehgebrochen war. Die Athembeschwerdeu 
bestanden erst seit sechs Wochen. 

M. Bresgen (Frankfurt a. M.). 


XI. Therapeutische Mittheilungen. 

— Mit der allgemeineren Anwendung der Medicamente besonders von 
Seiten der Laien mehren sich die Iutoxlcationsfälle. ln der Literatur 
liegen eine ganze Reihe derselben vor: 

Ueber einen Fall von Vergiftung durch MuscatnOsse, berichtet Joh. 
Gillespine (Philadelph. Medic. Tim. August 1887): Nach dem Genuss 
von 5 geriebenen Muscatnüssen, welche in heissem Wasser vertheilt waren, 
bekam eine schwangere Frau einige Stunden darauf Kopfschmerzen, Schwindol 
und ein glühendes Gesicht, Schweiss brach am ganzen Körper aus, bald da¬ 
rauf auch Erbrechen und Schwellung des Gesichts besonders der Augenlider. 
Pupillen verengt. Puls 130. Durch 0,2 Zinc. sulf. erfolgte Erbrechen, wo¬ 
durch viele Muscatnusspartikelcnen zum Vorschein kamen. Darauf erfolgte 
Collaps, der sich nach excitirender Behandlung legte. Die Oedeme blieben 
noch einige Tage bestehen. 

Ueber einen Vergiftungsfall durch Antifebrin berichtet Doll in der 
Deutsch. Med.-Zeitg, No. 72: Eine an Migräne leidende Frau hatte — 
verleitet durch eine Tagesblattannonce — l'/s Esslöffel voll Antifebrin ca. 
4 g für 25 Pfg. auf ein Mal genommen. Nach 3 Stunden erfolgte anhaltendes 
Erbrechen, kalter Schweiss und tiefe Ohnmacht. Fast der ganze Körper wurde 
eiskalt und mit kaltem Schweiss bedeckt; Leichenfarbe des Gesichts, Augen¬ 
lider geschlossen, Pupillen etwas weit, schwach reagirend, Puls 120. Re¬ 
spiration beschleunigt, Sensorium wurde benommen. Erst nach ca. 14 Stunden 
kehrte durch excitirende Behandlung das Bewusstsein allmählich wieder. Die 
Frau wusste nun nichts von ihrem bedrohlichen Zustande, auch nicht, dass 
sie sich mit dem Arzte unterhalten hatte. Grosse Dosen Antifebrin scheinen 
daher auch einen dem Hypnotismus ähnlichen Zustand hervorrufen zu können. 
Nach weiteren 3 Tagen wurde die Frau wieder gesund. 

An diesen Fall wollen wir einen dritten durch Vergiftung mit Cocain 
anreihen, welchen Dr. R. Wagner beschreibt (Erlenmeyer’s Centr. Bl. 
18S7). Einem Morphinisten wurden vor der Incision eines Furunkels l‘/s 
Pravaz’sche Spritzen einer 5°,’o Cocainlösung injicirt. 2 Minuten darauf 
starke Röthung des Gesichtes und Halses, Puls beschleunigt. Präcordial- 
angst. Der Kranke weinte laut und zeigte sich sehr ängstlich. Dieser 
Anfall dauerte 10 Minuten. Nach 25 Minuten war es vorübergegangon. 

Endlich sei ein Fall von Amblyopie nach Chlninintoxication erwähnt, 
der von Dr. Me Hing er (Kl. Mon. Bl. f. Augenhkd. Februar 1887) be¬ 
schrieben ist. Eine Puerpera erhielt innerhalb 4 Tage 15 g Chinin. Es 
stellte sich plötzlich eine Amblyopie ein, und darauf eine melancholische 
Geistesstörung, wegen welcher die Pat. Va Jahr in einer Irrenanstalt unter¬ 
gebracht werden musste. Anfänglich konnte Pat. nur Finger auf 10‘ zählen. 
Nach der Entlassung aus der Anstalt hatte sie eine Sehschärfe von 3 /*\ 
das Sehfeld war ira unteren und oberen Quadranten eingeengt. Sämmtliche 
Retinalgefässe waren verengt, Papillen blass. Gr. 

— Atropin in Verbindung mit Strychnin empfiehlt ein Schiffsarzt in 
der Semaine medicale als wirksames Mittel gegen Seekrankheit und ver¬ 
ordnet Atropin sulph., Strychnini sulph. ana 0,03, Aq. menth. pip. 10,0 
hypodermatisch 2 stdl. 15 Tropfen einzuspritzen, Kindern von 2 Jahren ab 
3 Tropfen, und wenn dies Mittel nicht helfen sollte, entweder Oaffein in 
Dosen von 0,3 oder dieses Mittel mit Atropin und Cocain zusammen zu ge¬ 
brauchen. Bo. 


No. 8 

— Ueber die Anwendung des Antipyrin9 gegen die Seekrankheit theilte 
Herr K. Dupuy der Pariser Soc. de Biologio am 5. November 1887 Fol¬ 
gendes mit: Er gab Leuten, welche wussten, dass sie bei jeder Seefahrt 
von der Seekrankheit viel zu leiden hatten, vom dritten Tage vor der 
Reise an 3 mal täglich immer vor der betreffenden Mahlzeit 1 g Antipyriu 
in einem Weinglase Wasser und Hess diese Medication auch noch an den 
ersten beiden Tagen der Reise beziehungsweise noch länger fortsetzen. In 
11 Fällen sah er davon einen glänzenden Erfolg. Die Grösse der Dose ist 
angeblich ganz unbedenklich. Diese Erfahrungen wurden von Herrn E. 
Ossian-Bonnet in der Sitzung der Pariser Academie des Sciences vom 
21. November im Ganzen und Grossen bestätigt. Derselbe gab im Allge¬ 
meinen im Beginne des Anfalles 1,5 g und fügte, wenn diese Dose nicht 
genügte, höchstens noch 1,5 g nach einiger Zeit hinzu. Die Gesammtdose 
von 3,0 g wurde nie überschritten. Konnte wegen unstillbaren Erbrechens 
das Medicament nicht per os genommen werden, so gab Ossian-Bonnet 
1 g Antipyrin in subcutaner Injection. Der Erfolg soll absolut sicher sein. 
(Semaine medicale und Journal des Societes scientifiques.) S. W. 

— In der Pariser Academie de Medecine (Sitzung vom 27. December) 
berichtete Herr Legroux über sechs durch Antlpyrln-Darreichung geheilte 
Fälle von Chorea. Er gab in der Regel 3 g täglich in Mixtur mit Syrupus 
aurant. cort. Der Verlauf des einen Falles, den er ausführlicher mittheilt, 
soll hier kurz skizzirt werden, da er nicht ganz so beweiskräftig erscheint, 
wie der Autor meint: Knabe von 8'/« Jahren zeigt ira Mai leichte Sym¬ 
ptome von Veitstanz. Am 26. August beginnen nach einer heftigen Geraüths- 
bewegung sehr intensive Erscheinungen. Aufnahme in’s Krankenhaus. Der 
Knabe wird von den Zuckungen beständig hin- und hergeschüttelt, er ist 
von Ekchymosen und Quetschungen am ganzen Körper bedeckt, schneidet 
Gesichter, schläft sehr wenig. Vom 3. bis 7. Septomber wurden nach¬ 
einander 0,05g, dann 1,0—1,5 —2,0g Antipyrin im Laufe des Tages ge¬ 
geben, am 7. und 8. September je 3 g. Von diesem Tage an wurden die 
Zuckungen geringer, der Schlaf besser. An den nächsten Tagen wurden 
immer wieder je 3 g des Medicaments verabreicht. Die Heilung machte 
rapide Fortschritte und konnte am 12. August als beendigt angesehen wer¬ 
den. Da bekanntlich schnell verlaufende Fälle von Chorea nicht gerade 
zu den grössten Seltenheiten gehören, da auch nicht genau erkennbar ist, 
in wie weit in dem mitgetheilten Falle etwa die Isolirung von der Familie, 
sachgemässe Krankenhauspflege u. s. w. die Heilung günstig beeinflusst 
haben, so muss wohl die Veröffentlichung einer grösseren Zahl von Fällen 
abgewartet werden, ehe ein so günstiges Urtheil berechtigt ist, wie es der 
Redner selbst fällte. Immerhin erscheint Nachprüfung geboten. (Journal 
des Soc. scient.). S. W. 

— Mr. Geo Lemoine, Professor an derFaculte de Medecine zu Lille, 
ist der Ansicht, dass Antipyrin die Häuflgkeit der epileptischen Anfälle 
vermindert und sie unter folgenden Umständen sogar zum Verschwinden 
bringt: 1) Wenn die Anfälle zur Zeit der Menstruation eintreten und an¬ 
scheinend durch die Menstruation herbeigeführt werden; 2) wenn die Pa¬ 
tienten an Neuralgie und Migräne leiden. In allen anderen Fällen hat Anti¬ 
pyrin nach seiner Ansicht nur vorübergehende Wirkungen. R. 

— Carbolsänre als Antipyreticum. Robert Kirk hat bei verschiedenen 
von Pyrexie begleiteten Zuständen eine gute Wirkung durch Darreichung 
von Carbol erzielt, selbst in Fällen, wo Chinin ohne Wirkung blieb. In 
schweren Fällen von Erysipelas mit grossen Schmerzen und Schlaflosigkeit 
schien die Carbolsäure gleichzeitig als Anodynon und Hypnoticum zu wirken. 
Eine Dose von 0,33 beim Schlafengehen hatte in der Regel einen guten 
Schlaf zur Folge. Eine nachtheilige Wirkung des Carbols hat Kirk nicht 
gesehen. (LanceL) M. 

— Dr. Ziemssen in Wiesbaden hat in seiner 20jährigen Praxis 
folgende Heilmethode des chronischen Gelenkrheumatismus als 
„probata“ gefunden. Bei der allgemeinen Behandlung sieht man vor Allem 
auf eine zweckmässige Ernährung, indem abgemagerte und körperlich 
reducirte Patienten eine kräftige und nährende, fette und überfütterte 
Individuen eine blande, reducirende Diät erhalten. Der Genuss von Bier 
behindert wesentlich die schnelle Resorption von rheumatischen Exsudaten 
und ist darum zu verbieten. Die warmen Sommermonate bieten die besten 
Chancen für das Gelingen der Cur, und sind die Patienten zu möglichst 
ausgiebigem Aufenthalt im Freien und Tragen von wollenen Kleidern an¬ 
zuhalten. Das Natrium salicylicum übertrifft in .seiner Wirkung bei Weitem 
sämmtliche gegen Gelenkrheumatismus empfohlenen Medicamente, wenn es 
nur in grossen Dosen, 5—7 g täglich und beharrlich gegeben wird. Die 
locale Behandlung der einzelnen ergriffenen Gelenke besteht in Massage, und 
ist speciell die Massage mit warmer Douche im wannen Bade empfehlenswerth. 

Referent, der aus eigener Erfahrung die Massage bei chronischem 
Gelenkrheumatismus schätzen gelernt hat, möchte darauf hinweisen, dass 
das einfache Streichen, das gewöhnlich die Heilgehülfen und ungebildeten 
Masseure anwenden, nur von geringem Nutzen ist; dagegen ist schneller 
und sicherer Erfolg zu erzielen durch Kellgren’s Methode, besonders 
durch seine Vibrations. Es muss nämlich jedes einzelne Gelenk und jede 
einzelne schmerzhafte Stelle mit besonderer Sorgfalt massirt und an den 
afficirten Gelenken, passive Bewegungen ausgeführt werden. (Therap. 
Monatshefte October 1887.) A. 

— Folgende Formel für Blaud’sche Pillen empfiehlt Prof. Bäumler 
(Therap. Monatshefte No. 11). Diese Pillen sollen auch bei längerem Aufbe¬ 
wahren nicht hart werden und auch in Fällen von Magenbeschwerden bei 
Chlorose gut vertragen werden: 

Rp. Ferri sulfurici 

Sacchari albi aa 10,0 
Kalii carbon. 5,0 
Magn. ustae 0,5 
Pulv. rad. Alth. 0,5 

Glycerin q. s. u. f. massa e qua form, pilul. No. 150. 

MDS. 3 Mal täglich 1 — 3 Pillen. Ha. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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23. Februar. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


*%TT- Gutachten über ein aus dem Kehlkopfe 
Sr. K. K. Hoheit des Kronprinzen entleertes 
Gewebsstück. 

Vom Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Rudolf Vlrchow. 


| Zellen. Regelmässig lagen diese Nester in der Deckschicht oder 
I doch in nächster Nähe derselben. Die Deckschicht ihrerseits hat 
wohl gleichfalls aus einer epidermoidalen Wucherung bestanden, 
j jedoch waren einzelne Zellen nur noch stellenweise daran zu unter¬ 
scheiden. Epidermiszwiebeln in tiefen Theilen und deutlich isolirte 
! \lvoniün holt» i/*>i anhaltenden Suchens nicht gefunden. 


Ara 26. d. M. Vormittags wurde mir durch Generalarzt Dr.' 
Weg ner ein versiegeltes Kästchen nebst einem Brief des Oberstabs¬ 
arztes Dr. Schräder aus San Remo vom 23. d. M. zugesendet. I 
Letzterem Briefe war ein Bericht des Dr. Krause vom 17. d. M. j 
beigelegt, welcher über die an demselben Tage erfolgte Entleerung 
eines grösseren Gewebsstückes aus dem Kehlkopfe Seiner Kaiser- , 
liehen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen Mittheilungen machte. 
Dieses Gewebsstuck war, nachdem Dr. Krause 6 ganz kleine Par¬ 
tikel iu frischem Zustande entnommen hatte, in absoluten Alkohol 
gethan und befand sich in einem versiegelten Gläschen iu dem oben 
erwähnten Kästchen. Ausserdem lagen iu demselben Glase zwei 
isolirte und etwas festere Stücke, ein grösseres und ein kleineres. 
Auf ersteres bezieht sich offenbar die Angabe des Dr. Krause, ( 
dass das beiliegende, etwa erbsengrosse Stück aus einer fast harten 
Stelle des ausgeworfenen Körpers herausgeschnitten sei. 

Die Untersuchung bot grosse Schwierigkeiten. Weder aus der j 
Form, noch aus dem Aussehen Hess sich erkennen, um was es sich 
handle. Am meisteu Aehnlichkeit hatte der Körper mit gewissen i 
Fetzen aus der Nahrung, wie sie zuweileu nach dem Verschlucken 


Diese Nachforschung wird noch fortgesetzt werden. 

Sollte sich dabei ein weiteres Ergebniss herausstellen, so werde 
ich darüber sofort berichten. 

Pathologisches Institut, Berlin, 29. Januar 1888. 

Der Direktor des Instituts: 

Rudolf Virchow. 

P. S. Die weitere Nachforschung ergab, wie privatim initge- 
theilt wurde, keine Ergänzung oder Erweiterung der im Obigen mit- 
getheilten positiven Untersuchungsergebnisse. Es konnte nur noch 
festgestellt werden, dass sich nirgends ein Knorpelfragment hat 
nachweiseu lassen._ 

Vorstehendes Gutachten wird unter Höchster Genehmigung 
Seiner Kaiserlichen und Köuiglichen Hoheit des Kronprinzen zur 
Veröffentlichung übergeben. 

ln Vertretung des Leibarztes Sr. Kaiserlich 
Königlichen Hoheit des Kronpriuzen: 

Fr. Schräder. 


unvollkommen gekauter Fleiscbtheile durch Würgen oder Erbrechen 
wieder zu Tage gefördert werden. Mit einer solcheu Annahme 
schien es zu harmouiren, dass hier und da kleine, gelbe und bräun¬ 
liche Krümel von vegetabilischem, feinzelligem Holzgewebc anhafteten, 
und dass die innere Structur des Körpers bis auf zahlreich vorhan¬ 
dene elastische Fasern fast ganz unkenntlich geworden war. 

Indessen die sehr bestimmte Erklärung des Dr. Krause, dass 
der Körper schon vor seiner Lostrennung am Kehlkopfe beobachtet 
.-ei nnd sich hier uuter dem linken Taschenbande vou der Mitte 
bis zura vorderen Drittel desselben, von da auf den vorderen 
Winkel unterhalb der Glottis und auf die rechte Seite unterhalb 
des rechten Stimmbandes erstreckt habe, sowie die weiteren Er¬ 
mittelungen über die Zusammensetzung liesseu keinen Zweifel 
darüber bestehen, dass es sich in der That um einen spontan ab¬ 
gelösten grossen Fetzen der inneren Kehlkopfwand handle. Von 
einer blos exsudativen (fibrinösen) Masse kann keine Rede sein. 

An dem Körper, der nach dem Bericht des Dr. Krause 
ursprünglich 3,5 cm lang und an dem einen dünneren Ende 1 /-j, 
an dem dickeren (bis zu 4 min) Ende 1 cm breit gewesen ist, 
unterschied man eine schmale, der Länge nach über denselben 
binziehende, rinuenförmig zusammengebogene, glatte Stelle, während 
alle übrigen Theile der Oberfläche mit sehr dichten und langen 
Fasern besetzt waren. Obwohl an der glatten Stelle ebensowenig 
Epithel als darunter Drüsen gefunden wurden, so dürfte sie doch 
der Schleimhautoberfläche angehört haben, denn man erkennt daran 
mikroskopisch unter einer düuuen Lage von fast homogenem Binde¬ 
gewebe grosse Anhäufungen vou elastischen Fasern. Darauf folgte 
in grösserer Tiefe eine hauptsächlich aus langen schlauchförmigen 
Zügen mit körnig amorphem Inhalt bestehende sehr dicke Schicht, 
aus welcher auch die schon mit blossem Auge bemerkten „Fasern 14 
hervortreten. Es gelang nicht ein einziges Mal, an diesen Zügen 
und Fasern Querstreifung zu erkennen; vielmehr schienen sie stets 
nur einen amorphen Inhalt zu besitzen, von dem sich bei genauerer 
Untersuchung herausstellte, dass zahlreiche Mikrococcen darin 
befindlich waren. Nur an einzelnen Stellen zeigten sich häufige, 
aber ganz minimale hellbraune Körner oder krystallähnliche Ab- 
scheidungen eingesprengt. Nichts desto weniger trage ich kein 
Bedenken, die Züge und Fasern für Muskel primitivbündel, welche 
durch einen fauligen Process angegriffeu sind, zu erklären. 

Das entleerte Stück muss also ein abgestorbeuer und faulig 
veränderter Theil des Kehlkopfes sein, der von der Oberfläche her 
bis in die Tiefe von stellenweise 4 mm losgelöst ist. Die sehr 
reichlichen Muskelfasern können wohl nur dem Thyreoarytaenoideus 
internus zugeschrieben werden. 

Vou dem Process, welcher die Gangrän bedingt hat, vermochte 
ich ebenso wenig etwas wahrzunehmen, als von demjenigen, welcher 
die Demarcation und Exfoliation des Stückes gemacht hat. Weder 
Eiterkörperchen noch Granulationszelleu wareu erkennbar. An den 
meisten Stellen fand sich überhaupt nichts vor, was auf irgend 
eine fremdartige Beimengung hindeutete. 

Nur an dem aus einer fast harten Stelle herausgeschnittenen 
grösseren Stück, welches die Form und das Aussehen einer flachen 
Warze hatte, und an welchem sich auf einem Durchschnitt schon 
mit blossem Auge ein festerer mehr weisslicher Kern und eine 
trübe, ziemlich dicke Deckschicht unterscheiden Hessen, zeigten 
»ich fast in jedem mikroskopischen Schnitt sogeuannte Nester 
(Zwiebeln) von epidermoidalen, häufig ganz homogen gewordenen 


XHI. Die Krankheit Sr. Kaiserlichen Hoheit 
des deutschen Kronprinzen. 

Von Sir Morell Mackenzie. 

Auf den Wunsch Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen, 
meine Ansicht über Seine Krankheit zu veröffentlichen, benutze ich 
die Gelegenheit, einige ungenaue Mittheilungen, welche mir zuge¬ 
schrieben worden sind, zu berichtigen. 

Es ist eine allgemein verbreitete Meinung, dass ich annehme, 
die Krankheit, an welcher Seine Kaiserliche Hoheit leide, sei nicht 
Krebs 1 ). Meine Ansicht von der Sache, welche ich beständig auf¬ 
recht erhalten habe, ist die, dass kein Beweis von dem Vorhanden¬ 
sein eines Carciuoms erbracht worden ist. Um eingehender zu 
sprechen: Als ich im Mai v. J. in Berlin ankam, erklärte ich den 
Collegen gegenüber, dass meines Erachtens die Erscheinungen im 
Kehlkopfe einen negativen Charakter trügen, d. h. die Krankheit 
könne gutartig oder bösartig sein, der Charakter derselben könne 
nur durch mikroskopische Untersuchung festgestellt werden. Zu 
diesem Zwecke wurde von mir ein Stück des erkrankten Gewebes 
herausgenommen und von Prof. Virchow untersucht, welcher 
nichts Malignes daran entdecken konnte. Wiederholte Untersuchungen 
anderer von mir aus dem Kehlkopfe entfernter Stücke durch 
Prof. Virchow ergaben ähnliche Resultate. Im Monat Juli, 
während eines Aufenthaltes Seiner Kaiserlichen Hoheit auf der 
Insel Wight, erklärte ich mehr als einmal Seiueu hohen Verwandten 
gegenüber, dass diejenige Gefahr, welche ich am meisten fürchtete, 
in einem späteren Auftreten von Perichondritis bestände. Drei 
Monate später zeigte sich diese Besorgniss wohlbegründet. Zu 
Ende October und Anfang November traten neue Symptome auf, 
und die örtliche Erkrankung zeigte ein Aussehen, welches mit der 
Diagnose: Krebs vereinbar erschien. Damals war es unmöglich, 
frisches Material zur mikroskopischen Untersuchung zu entnehmen, 
und ich erachtete es demgemäss als sicherer, die Krankheit als 
eine solche bösartigen Charakters zu behandeln. Indessen unter¬ 
breitete ich gleichzeitig meinen Collegen ein Protokoll, in welchem 
ich angab, dass, obgleich das Leiden augenblicklich das Aussehen 
von Krebs hätte, ich nicht damit übereinstiramen könnte, dass 
dasselbe als bösartig erwiesen sei, bis eine weitere mikroskopische 
Uutersuchung gemacht worden sei. Dieses Documeut, in welchem 
ich meine Meinung aussprach, ist nach Berlin gesandt worden, um 
im Staatsarchiv aufgehoben zu werden. 

Obgleich nun diese ungünstigen Symptome, welche sich damals 
boten, auf Grund des Vorhandenseins eines Carciuoms gedeutet 
werden konnten, war es doch der Majorität der behandelnden Aerzte 
klar, dass Perichondritis hiuzugekommen war. 

Mitte December waren diese ungünstigen Zeichen verschwunden, 
und nun waren klinische Symptome, welche für Krebs sprachen, 
nicht mehr vorhanden. Es fehlte indessen immer noch an einer 
mikroskopischen Untersuchung. Diese wurde Ende Januar ermög¬ 
licht, als ein nekrotisches Gewebsstück von derselben Stelle sich 
loslöste und ausgeworfen wurde, welche im November vorigen Jahres 
ein so sehr verdächtiges Aussehen gezeigt hatte. Dieses Gewebsstück 
wurde sorgfältigst und wiederholt von Prof. Virchow uutersucht, 

*) In diesem Berichte sind die Worte: „Krebs“ und „malign“, „bös¬ 
artig“ als Synonyma gebraucht. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 8 


160 


und das Ergehniss, welches jetzt veröffentlicht wird, zeigt wiederum, 
dass Krebs nicht nachgewiesen werden konnte. 

Um zu recapituliren: Nach meiner Ansicht waren die klinischen 
Symptome immer durchaus vereinbar mit einer nicht bösartigen Er¬ 
krankung, und die mikroskopische Untersuchung befand sich in 
Uebereinstimmung mit dieser Ansicht. 

Ich brauche nur noch hinzuzufügen, dass, obgleich in beinahe 
jedem Falle von Kehlkopferkrankungen es auf den ersten Anblick 
möglich ist, eine genaue Diagnose in Bezug auf die Natur des Leidens 
zu stellen, in allerdings sehr seltenen Fällen allein das Fortschreiten 
der Krankheit die Bestimmung des Charakters derselben gestattet. 
Unglücklicherweise gehört das Leiden Seiner Kaiserlichen Hoheit zu 
der letzteren Art, so dass iu diesem Augenblick die mediciuische 
Wissenschaft mir nicht gestattet zu behaupten, dass irgend eine an¬ 
dere Krankheit vorhanden ist als eine chronische Entzündung des 
Kehlkopfes, verbunden mit Perichondritis. 

San Remo, den 12. Februar 1888. 

XIY. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie. 

Vom 24.—26. Mai dieses Jahres, in der zweiten Hälfte der Pfingstwoche, 
wird in Halle a. S. der zweite Congress der Deutschen Gesellschart für 
Gynäkologie tagen. 

Die Sitzungen werden Vormittags von 9—12 und Nachmittags von 
2—4 Uhr in der Kgl. Universitätsfrauenklinik abgehalten. 

Kranke, welche von Mitgliedern der Gesellschaft vorgesfellt werden 
sollen, können nach vorheriger Anmeldung Unterkunft in der Kgl. Univer¬ 
sitätsfrauenklinik finden. 

Anmeldungen von Vorträgen und Demonstrationen werden bis zum 
15. April an Prof. Kaltenbach erbeten. Zu reger Betheiligung laden ihre 
Fachgenossen ein: 

Kaltenbach Ols hausen Gusserow 
Halle Berlin Berlin. 

XV. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Auf Anregung des Vorsitzenden des Aerztevereinsbundes und 
Mitgliedes des Abgeordnetenhauses, Herrn San.-Rath Dr. Graf, wird demnächst 
der Vorstand der Aerztekammer für den Stadtkreis Berlin und die Provinz 
Brandenburg mit den ärztlichen Mitgliedern des Reichstages und Abgeord¬ 
netenhauses zu einer gemeinschaftlichen Berathung über den ärztlichen 
Stand betreffende Fragen zusammentreten. 

— Der Geheime Medicinalrath Prof. Dr. Liman beging am 16. d. M. 
die Feier seines 70. Geburtstages. 

— Die Anregung, welche Herr Löh lein in der Frage der Pflege¬ 
stätten für unbemittelte Wöchnerinnen (s. diese Wochenschr. No. 6) 
gegeben hat., hat dahin geführt, dass die Gesellschaft für Geburtshülfe und 
Gynäkologie eine Commission, bestehend aas den Herren Gusserow, 
Löhlein, Martin, Odebrecht und Veit, eingesetzt hat, welche sich mit 
dieser Frage zu beschäftigen haben wird. 

— Die Berliner medicinischo Gesellschaft hat iu ihrer Sitzuug 
am 15. d. M. folgenden Zusatz zu § 9 ihrer Satzungen beschlossen: „Ordent¬ 
liche Mitglieder, welche eine einmalige Zahlung von dreihundert Mark leisten, 
sind für die Folge von der Zahlung der regelmässigen Jahresbeiträge ent¬ 
bunden.“ Der Beschluss bezweckt bekanntlich die Vergrösserung des Fonds 
für den Bau eines eigenen Heims für die Gesellschaft. 

— Zur zahnärztlichen Praxis. In der in No. 6 dieser Wchschr. 
abgedruckten Erwiderung der Gesellschaft deutscher Zahnärzte in Berlin 
erscheint die Motivirung für die Schreibweise „Zahn-Arzt“ durchaus nicht 
stichhaltig. Es bleibt vielmehr auffallend, dass Zahnärzte absichtlich „zum 
Schutz und Frommen des Publikums“! behufs Unterscheidung von nicht 
approbirten Personen eine Bezeichnung wählen, die zur Annahme verleitet, 
das Publikum habe einen Arzt vor sich, der Zahnheilkunde treibt. Wer die 
Approbation als „Zahnarzt“ erhalten hat, darf diese Bezeichnung nicht in 
zwei Worten schreiben, wie etwa ;Sanitäts- oder Regierungs-Rath“; denn der 
Titel „Arzt“ ist selbstständig und durch die Reichsgewerbeordnung an die 
Erfüllung bestimmter Vorbedingungen gebunden, während die Bezeichnung 
-Rath“ keine selbstständige Bedeutung hat und gesetzlich nicht geschützt 
ist. Charakteristisch ist aber folgender Satz in der Erwiderung: „Warum 
wir den Zusatz „praktisch“ wählen, wissen wir ebensowenig wie jeder 
„praktische“ Arzt mit der Approbation neueron Datums.“ — Vor Emaniruug 
der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 wurde die Approbation als „prak¬ 
tischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ ertheilt. Tausende von Aerzten 
besitzen demnach noch jene ältere Approbation. Seit 1869 lautet die j 
Approbation zwar allein auf „Arzt“, aber die Behörden gebrauchen bis 
heute noch die Bezeichnung „praktischer Arzt“. So schreibt das Cultus- 
ministerium z. B., wenn der Ausfall der schriftlichen Arbeiten für das 
Physikatscxamen raitgetheilt werden soll, „An den praktischen Arzt Herrn ! 
Dr. N.“ Die zahnärztliche Approbation vor 1869 lautete auf „ausübender I 
Zahnarzt“, jetzt auf „Zahnarzt“. Der Gesetzgeber hat demnach damals wie 
jetzt unzweifelhaft die Absicht gehabt, den Unterschied zwischen beiden 
Approbationen kenntlich zu machen. Wenn sich die jetzigen Zahnärzte 
..praktische Zahnärzte“ nennen, so haben sie kein Recht zu dieser Be¬ 
zeichnung. 

— Jena. Für die Besetzung des Lehrstuhls der Chirurgie sind seitens 
der medieinischen Facultät der Regierung folgende Vorschläge gemacht: 
primo loco Dr. Riedel (Aachen), sccundo loco Priv.-Doc. Dr. Länderer 
(Leipzig) und tertio und aequo loco die Professoren Oberst (Halle) und 
Rosenbach (Göttingen). 


— Dorpat. Die medicinische Facultät der Universität Dorpat hat, 
nachdem Dr. Wyder den an ihn ergangenen Ruf abgelehnt hat, als Nach¬ 
folger Runge’s den a. o. Professoy an der Universität Hallo, Dr. Küstner 
gewählt. 

— Wien, ln Wien hat sich auf die Initiative des Hofrathes Professsor 
Breisky eine Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynaekologie 
constituirt. Dieselbe wählte zu ihrem Vorsitzenden Hofrath Prof. Dr. Braun 
v. Fernwald, zum stellvertretenden Vorsitzenden Hofrath Prof. Dr. Breisky, 
zu Schriftführern Hofrath Prof. Dr. G. Braun, Prof. Chrobak, Docont 
I)r. W. Schlosinger, Doc. Dr. A. Felsonreich. 

— Paris. Paul Gibier giebt in der Sitzung der Pariser Akademie vom 
! 6. Februar die Erklärung ab, dass seine erneuten Untersuchungen au Gelb¬ 
fieber- Kranken ihm hinsichtlich des Vorkommens des von Domingo Frei re 
gefundenen Mikroorganismus im Blute und Urin der Kranken absolut negative 
Resultate ergeben haben. 

— Das Institut Pasteur wird in der Rue Dutot in Vaurigard er¬ 
richtet, die Bodenfläche desselben misst 11 030 m und ist von den städtischen 
Behörden zu diesem Zwecke angekauft; die Gesammtkosten des Gebäudes 
werden sich auf mehr als 1 500 000 Frcs. belaufen. 

— Utrecht. Professor F- 0. Donders, der berühmte Physiologe 
j und Ophthalmologe, feiert in kurzer Zeit seinen 70. Geburtstag. Das 
j Niederländische Gesetz bestimmt, dass Universitätsprofessoren nicht über ihr 
70. Lebensjahr hinaus im Amte bleiben. Hat im Uebrigen auch diese For¬ 
derung ihre Berechtigung, so wird es doch diesmal der Facultät Utrecht 
schwor, den Mann zu verlieren, der ihr so lange Glanz verliehen hat, und 
der sich einer Rüstigkeit erfreut wie ein Fünfzigjähriger. In der ganzen 
Welt, wo die Wissenschaft geehrt wird, bereiten sich Donders’ Freunde 
und Verehrer vor, dem grossen Manne bei Gelegenheit seines 70. Geburts¬ 
tages, am 27. Mai d. J, eine glänzende Huldigung darzubringen. 

— Die Ophthalmologische Gesellschaft hat bei ihrer vorjährigen 
Versammlung in Heidelberg beschlossen, ihr 25jähriges Bestehen im 
Jahre 1888 dadurch zu feiern, dass sie die Augenärzte aller Länder auf¬ 
fordert, ihren am 9. August 1888 beginnenden Sitzungen beizuwohnen und 
durch ihre Anwesenheit den jährlichen Heidelberger Ophthalmologencongress 
in diesem Jahre zu einem internationalen Congress zu erweitern. Mit 
der Vorbereitung für die Ausführung dieses Beschlusses sind die Herren 
Becker (Heidelberg), Hess (Mainz) und Stilling (Strassburg) beauftragt. 

— Die Baineologische Section der Gesellschaft für Heil¬ 
kunde wird, wie wir bereits mittheilten, vom Freitag d. 9. bis Sonntag d. 
11. März in Berlin ihre zehnte öffentliche Versammlung abhalten. Die Sitzun¬ 
gen finden Sonnabend von 11 — 2 Uhr Vormittags und von 7 Uhr Abends 
ab, Sonntag von 11 Uhr Vormittags ab im Hörsaale des pharmakologischen 
Instituts, Dorotheenstr. 34a, statt. Vorträge sind angemeldet von den Herren: 
Schott (Nauheim), Schliep (Baden-Baden), Schuster (Aachen), Kisch 
(Marienbad), Ewald (Berlin), B. Fraenkel (Berlin), Averbeck (Laubbach), 
Rörig (Wildungen), Schüller (Berlin), Weissenberg (Colberg), Gold¬ 
schmidt (Reichenhall), Jacob (Cudowa), v. Liebig (Reichenhall), Brock 
(Berlin). 

— Die vier ärztlichen Kreisvereine des Königreichs Sachsen 
haben nach der im Correspondenzblatt der Sächsischen Vereine veröffent¬ 
lichten Uebersicht zusammen 883 Mitglieder. Nach dem Deutschen Reichs- 
Medicinalkalender beträgt die Zahl der Aerzte im Königreich Sachsen über¬ 
haupt 1T96. Den Kreisvereinen gehören also rund 75o/o der Aerzte des 
Königreichs au. 

— Die französische Gesellschaft für Ofologie und Laryngo- 
logie wird am 26. April ihre allgemeine Sitzung abhalten. 

— Zur medieinischen Publicistik. In Paris erscheint seit Neu¬ 
jahr eine neue Monatsschrift für Elektrotherapie unter der Redaction 
von Dr. Danion. Unter den Mitarbeitern werden Prof. Bernhardt (Berlin), 
Dr. Weiss (Wien), Dr. Onimus (Paris), Prof- Vizioli (Neapel), Dr. 
de Watteville (London) u. A. genannt. 

— Die Leopoldinisch-Karolinische Akademie der Natur¬ 
forscher hat die Professoren Dr. Nagel in Tübingen und Dr. Iraraer- 
mann in Basel zu Mitgliedern ernannt. 

— In der Clinical Society in London stellte kürzlich Dr. K. Forle r 
einen Mann von 66 Jahren vor, der eine Erkrankung der Mitral- und 
Aortenklappen von etwa 53jähriger Dauer aufwies. Er war 1834 
in’s Middleserhospital in London wegen eines acuten Gelenkrheumatismus 
aufgenommen worden, wo er 9 Monate behandelt wurde. Es schien hin¬ 
reichend erwiesen, dass Pat. die gegenwärtigen Klappenfehler während seiner 
Erkrankung von 1834 erworben hatte. Jedenfalls ist seitdem kein rheuma¬ 
tischer Anfall cingetreten, er hat während der letzten 54 Jahre kaum einen 
Tag die Arbeit ausgesetzt. Sein Herz sollte auch jetzt noch keine Er¬ 
scheinungen gestörter Compensation zeigen. 

— Cholera. In Salta (Argentinien) ist gegen Mitte Januar eino 
Anzahl von Krankheitsfällen vorgekommen, welche als Fälle von asiatischer 
Cholera bezeichnet werden. Es wird vermuthet, dass die Krankheit aus 
Chile eingeschleppt sei. (Veröff. d. Kais. Ges.-A.). 

— Universitäten. Halle. Der Privatdocent der Ophthalmologie, 
I)r. Bunge ist zum a. o. Prof, ernannt. — Erlangen. Für den Lehrstuhl 
der Psychiatrie an der Universität Erlangen wurdo von der medieinischen 
Facultät in Vorschlag gebracht: primo loco Dr. S. Ganser, Oberarzt am 
Stadtkrankenhause in Dresden, secundo loco Dr. C. Dittmar, Direktor der 
Irrenanstalt in Saargemünd, und tertio loco Dr. A. Buram, Direktor der 
Kreisirrenanstalt in Deggendorf. — Budapest. Die DDr. J. Eröss und 
J. Ottava wurden als Docenten für Kinderheilkunde bezw. Ophthalmologie 
an der Budapester Universität bestätigt. — Paris. Die medicinischo 
Facultät hat als Nachfolger Vulpian’s für den Lehrstuhl der experimentellen 
und vergleichenden Pathologie in erster Linie Dr. Straus in zweiter Linie 
Dr. Hanot in Vorschlag gebracht. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 




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Donnerstag 


JW © 


1. März 1888, 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactear Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


L Ueber neuere Apparate für Spannungs- 
elektricität und deren therapeutische 
Verwendung. 

Von Prof. A. Enlenbnrg in Berlin. 

Auf jede historische Einleitung glaube ich verzichten zu 
sollen: eine so interessante Aufgabe es auch wäre, den wechseln¬ 
den Schicksalen der Spannungselektricität nachzugehen, die be¬ 
kanntlich auf ein Jahrhundert des Glanzes ein Jahrhundert des 
Verfalles und der tiefsten Vergessenheit folgen sah und erst vor 
kaum zwei Decennien (1868) durch Schwanda rehabllitirt wurde. — 
Schwanda, dessen verdienstvolle Leistung damals die wegwerfendste 
Benrtheilung zu erfahren hatte, selbst von Solchen, die sich jetzt mit 
Lobpreisungen der Spannungselektricität an die OefFentlichkeit drän¬ 
gen. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass diese so gründlich ver¬ 
nachlässigte und in Deutschland Jahre lang fast durch S. Th. Stein 
allein wissenschaftlich angebaute Methode neuerdings die Aufmerk¬ 
samkeit mehr und mehr auf sich zu ziehen und einer lebhafteren 
Nachfrage in ärztlichen Kreisen zu begegnen anfängt. Ich habe in 
den zwei Jahren, seit welchen ich mich eingehender mit physio¬ 
logischen und therapeutischen Untersuchungen über Spannungs¬ 
elektricität beschäftige, ! ) es zugleich wesentlich als mein Ziel be¬ 
trachtet, den anscheinend überaus complicirten, schwerfälligen 
Instrumentenapparat einfacher, solider und verlässlicher zu gestalten, 
überdies die therapeutisch brauchbaren Methoden uuter Ausschei¬ 
dung des Veralteten und nur traditionell Fortgeführten genauer zu 
präcisiren, um so die Handhabung dieser für so ungemein schwierig 
und fast unzugänglich geltenden Elektrisationsweise möglichst zu 
erleichtern. Wie weit mir dies gelungen, mögen Sie aus der hier 
ausgestellten — nach meinen Angaben von der intelligenten und 
strebsamen Firma W. A. Hirsch mann gefertigten — „Einrichtung 
für die Anwendung statischer Elektricität“ (No. 201 des Ausstellungs¬ 
katalogs) ersehen. Sie finden daseihst auch deu von mir (neben 
dem Handbetriebe) vielfach benutzten, an anderer Stelle 2 ) bereits 
beschriebenen Heissluftmotor, mit dessen Leistungen ich bisher 
fortdauernd zufrieden zu sein Ursache hatte, ohne deswegen die 
Brauchbarkeit anderer Motoren, wie der von Stein und Mund 
hierselbst ausgestellten Elektromotoren mit dazugehöriger Chrom- 
säcrebatterie, irgendwie zu bezweifeln. 

Die von mir bisher ausschliesslich verwandte modificirte 
Toepler’sche (sgn. Voss’sehe) Influenzmaschine ist bezüg¬ 
lich der Scheibenconstruction den bekannten Maschinen dieser 
Art ziemlich gleich; nur sind die mit den Schleifpinseln in Be¬ 
rührung kommenden Knöpfe der Metallbelegungen der roti- 
renden Scheibe beträchtlich höher gearbeitet, damit die 
Pinsel hei der Rotation weniger leicht die Scheibe berühren und 
den Lacküberzug derselben verletzen. Die Axe der rotirenden 
Scheibe ist durch die Rückwand des Glaskastens geführt, um die 
Lager jeuer und die Uebertragungsräder ohne Oeffnung des Kastens 
zugänglich zu machen. Die Schleifpinsel sind aus härteren, sehr 
feinen Metalldrähten hergestellt, um sie bei dem für ärztliche 
Zwecke benöfhigten anhaltenden Gebrauche genügend widerstands- 


') Vgl. meine früheren Publicationen über diesen Gegenstand: Thera¬ 
peutische Monatshefte 1887. Februar, No. 2. und Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1887 No. 13, 14. 

s ) Berl. klin. Wochenschrift, I. c. 


fähig zu machen. Innerhalb des Kastens befinden sich ausser den 
Glasscheiben nur noch die Conductoren mit den durch Ver¬ 
schraubung von der Aussenseite des Kastens her gegen 
einander verstellbaren Conductorkugeln, sowie die zur 
Ablesung der Schlagweiten (Funkenlängen) dienende Skala. Zwei 
genau schliessende Durchführungen leiten die an den Conductor- 
enden aufgesammelte Elektricität nach der Vorderseite des Kastens. 
Unter diesen Durchführungen stehen (also ausserhalb des 
Kastens) zwei leicht einstellbare Kleist’sche — sog. Leydener- 
— Flaschen, von je 60 qcm wirksamer Belagfläche. Ihre innere 
Belegung ist direkt mit dem Conductor verbunden; die äussere stellt 
mit einer Metallplatte in Verbindung, auf der eine einfache Vor¬ 
richtung für Befestigung der Ableitungskabel augebracht ist. 
Auf dieser gut isolirten Platte befindet sich ein Metallstab, der 
an seinem unteren Ende in einem leicht beweglichen Lager ruht, 
während das obere, mit einem isolirenden Griff versehene Ende 
gegen den Conductor und .somit auch gegen die innere Belegung 
der Flasche angelegt werden kann. Ist letzteres geschehen, 
so sind innere und äussere Belegung der Flasche ver¬ 
bunden. letztere ist also ausgeschaltet, und man entnimmt 
durch die Kabel direkt die von den Conductoren angesammelte 
Elektricität zur Benutzung der Spitzenausströraung, der sog. 
Kopfplatte (vgl. u.) oder zur elektrischen Ladung des Kör¬ 
pers. — Werden dagegen die Metallstäbe von den Conductoren 
entfernt uud gegen seitlich angebrachte, isolirende Ansätze gelegt, 
so sind die Kabel mit den äusseren Belegungen der 
Flaschen verbunden, der Körper ist also eventuell in den Kreis 
der letzteren eingeschaltet, uud es muss jeder Entladung zwischen 
den Conductorkugeln eine Entladung innerhalb des Körpers ent¬ 
sprechen, deren Stärke sich bei Annäherung oder Entfernung der 
Conductorkugeln mittelst der Pole wird reguliren und absebätzen 
lassen. 1 ) 

Die Nebentheile des Armameutariums haben eine sehr er¬ 
hebliche Vereinfachung erfahren, indem namentlich die beiden 
besonderen Standvprrichtungen (Glockenvorrichtung und sog. Ozo- 
nisirapparat), sowie das „Tabouret" ganz in Wegfall gebracht sind. 
Die gewöhnlich sogenannte „Glocke“, eine dem Schädeldache 
anuähernd conform gewölbte, halbellipsoidische Metallschale, ist durch 
eine plane und ziemlich dünne Metallscheibe („Kopfplatte“) von 
entsprechenden Dimensionen ersetzt worden. Bei Anwendung der 
„Glocke“ macht sich nämlich dereD ellipsoidische Gestalt iu der 
Weise geltend, dass in den um einen kleinen Radius gekrümmten 
Stellen die Elektricität dichter angehäuft ist, als an Stellen mit 
grösserem Krümmungsradius, und in Folge dessen bei erhöhter Span¬ 
nung von erstereu Stellen aus leicht Funken überschlagen, welche 
die Wirkung unterbrechen und den Patienten in unangenehmer 
Weise irritiren. Die „Kopfplatte“ ist bei meinem Apparate fest 
mit dem Glashause der Maschine verbunden; sie lässt sich 
durch Verschraubung bequem einstellen und, da letztere isolirt ist, 
auch währeud der Zuleitung der Elektricität dem Kopfe nähern 
oder entfernen. Auch eine (oft wünschenswerthe) seitliche Verstel¬ 
lung der Platte — z. B. für einseitige Kopfaffectionen — ist vor¬ 
gesehen. — Die Stelle des recht unbequemen Spitzen- oder sog. 
Ozonisirapparates vertritt einfach eine Spitze oder eiu mit vielfachen 

*) Es ist hierbei daran zu erinuern, dass bei kleiuen Schlagweiten, wie 
sie gewöhnlich zur Anwendung kommen (in der Regel erheblich uuter 
1 cm), die Potentiale den Schlagweiten direkt proportional gesetzt werden 
dürfen. 


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162 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 9 


im Kreise stehenden nadelförmigen Spitzen garnirtes Ansatzstück, 
oder für manche Zwecke oft noch besser ein Haarpinsel, der mit 
dem isolirenden Hefte verbunden wird, auf welches überdies selbst¬ 
verständlich auch knopfförmige Ansatzstücke für Funkenentladungen 
oder behufs localer Franklinisation der Nerven und Muskeln u. s. w. 
aufgesteckt werden können. Alle sonstigen Elektroden, namentlich 
auch die sog. Condensationsrheophoren, die Sch wauda-Mund’schen 
lunkenmesselektrode u. s. w. habe ich für praktische Zwecke ent¬ 
behrlich gefunden und aus meinem Instrumentarium nach und nach 
gänzlich beseitigt. 

Der einen grossen Raum beanspruchende Isolirtisch (sog. Ta- 
bouret) ist durch einen kleinen Isolirstuhl ersetzt, der mit einem 
Stab versehen ist, durch welchen er mit der Erde ableitend ver¬ 
bunden werden kann; an der Rückwand des Stuhls nämlich befindet 
sich ein drehbarer Griff, der aufrechtstehend den Stuhl isolirt, 
flachgestellt aber die Ableitung zum Erdboden vermittelt. Das 
Sitzbrett des Stuhles bildet eine, mit einem Stoffüberzug verkleidete j 
Metallplatte; ein Metallhaken bewirkt die Verbindung der Platte, 
resp. des Stuhles mit dem zuleitenden Kabel. Für aufrechte Stellung 
benutze ich eine Fussplatte von Hartgummi, l l /2 cm dick, mit 
eingelegter Metallscheibe (lö cm Durchmesser) und mit einem Metall¬ 
haken zur Aufnahme des Zuleitungskabels. 

Dieses Armaraentarium genügt vollständig für die von mir als vor¬ 
zugsweise wirksam und empfehlenswert!) zu therapeutischen Zwecken 
erprobten Proceduren, nämlich 1. die Anwendung der Kopf¬ 
platte bei — gewöhnlich positiver — Ladung des Kör¬ 
pers (am besten wohl als „Franklinisation am Kopfe“ zu be¬ 
zeichnen); 2. die besonders als milderes Antineuralgicum und am 
Kopfe sehr schätzbaren Spitzen Strömungen (sog. elektrischer 
Hauch und Wind, Büschelströmungen, elektrisches Effluvium); 3. 
die locale Franklinisation der Nerven und Muskeln. — 
Für die beiden ersten Proceduren, Franklinisation am Kopfe, Spitzen¬ 
strömungen, ist direkte Maschinenableitung mit Ausschluss der 
Kleis sehen Flaschen (oder ähnlich wirkender Condensatoren) zu be¬ 
nutzen; der Patient befindet sich dabei auf dem Isolirstuhl, resp. der 
Fussplatte; für die Spitzenströmung muss stets der positive Pol ge¬ 
wählt werden, da die Strömung hier eine weit intensivere ist als am 
negativen. 1 ) für die locale Franklinisation derNervenstämme und Mus¬ 
keln ist der durch den Körper hindurchgebende Strom, wie oben an¬ 
gegeben, von den äusseren Belegungen der Flaschen zu ent¬ 
nehmen; der Patient ist dabei entweder isolirt oder nicht; in letz¬ 
terem Falle (Ableitung des einen Poles zum Erdboden) ist die 
Wirkung natürlich schwächer. Uebrigeus kann man für die locale 
Franklinisation der Nerveustämme und Muskeln Ansatzstücke von 
derselben form, und Grösse („Normalelektroden“) benutzen, wie 
für locale faradisation und Galvanisation, was für eine vergleichs¬ 
weise Beurtheilung der verschiedenen Stromarteu sehr wünschens¬ 
wert!) ist; auch können die Ansatzstücke, wie bei anderen Elektri- 
sationsweisen, mit feuchtem Leiter umwickelt sein, wodurch die 
Localwirkung nur unerheblich geschwächt wird. 

Ausser den angegebenen Verfahren können auch stark haut¬ 
reizende Funken entladungen und Funkenströme (mitttelst 
des knopfförraigen Fuukengebers) in geeigneten Fällen, bei cutanen An- 
ästhesieen, schweren veralteten Neuralgieen u. s. w. zur Verwendung 
gelangen. Diese Proceduren haben den, öfters nicht zu unterschätzen¬ 
den Vortheil, auch durch die Kleidung hindurch auf fast alle Kör- 
pertheile bequem angewandt werden zu können. — 

Was nun die therapeutische Wirksamkeit der Spannungs¬ 
ströme betrifft, so habe ich innerhalb des letzten Jahres in der 
Poliklinik 74 2 ) ausgewählte Fälle verschiedenartiger, meist schwerer 
und veralteter Neurosen einer methodischen Behandlung mit Spau- 
nungselektricität unterworfen. Von denselben wurden 6 bei allei¬ 
niger Anwendung der Franklinisation geheilt, 33 mehr oder minder | 
erheblich gebessert, während in 35 Fällen von einer weiteren Fort¬ 
setzung der Behandlung Abstand genommen und zu anderweitigen 
Curverfahren, resp. Elektrisationsweisen übergegangen wurde. Ein 
Gesammtresultat, das wohl nicht gerade als ungünstig bezeichnet 
werden kann, wenn man einerseits die besonderen Behandlungs¬ 
schwierigkeiten eines ambulanten, poliklinischen Materials in Betracht 
zieht — andererseits den Umstand, dass die Fälle (wie aus der Ta- \ 
belle ersichtlich) keineswegs mit Rücksicht auf ihre Heilbarkeit, i 
sondern auf das bei der Behandlung obwaltende specielle Interesse! j 
z. B. auch in elektrodiagnostischer Hinsicht, ausgewählt wurden! 
Das Nähere ergiebt die folgende tabellarische Zusammenstellung: 

') Welcher Pol positiv ist, erkennt man am leichtesten, wenn mau bei 
Ausschaltung der Flaschen zwischen den Conductorkugeln Funken von 1 cm ! 
Länge überspringen lässt; dieselben zeigen nach dem positiven Ende zu 
eine deutlich woisse, hellleuchtende Strecke (Mund’s „positive Leucht¬ 
strecke“). 

2 ) Die (icsammtzahl beträgt einschliesslich der Privatkranken 97. 


Bezeichnung der 
Krankheit 

5 

i 

a 

i 

o 

Ge- 

schlecht 

— 

Alter 

— 

Art der 
Behandlung 

Curerfolg 

SS 

* 

8 

u 

■S 

0 

0 

unter 30 

unter 40 

Ofi 

unter 60 

Glocke resp. 
Kopfplatte 

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Frankl, der Ner¬ 
ven und Mnskcln 

Geheilt 

Gebessert 

Ja 

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ja 

Neurasthenia (cephalica) 

11 

10 

1 

— 

4 

3 

4 

— 

11 

— 

— 

_ 

_ 

6 

5 

Cephalalgieen (anämisch, 
















hysterisch u. s. w.) . . 

8 

2 

6 

— 

— 

4 

3 

1 

6 

2 

— 

— 

2 5 

1‘) 

Hemicranie. 

4 

— 

4 

— 

2 

1 

1 

— 

4 

— 

— 

— 

— 

2 

2 

Agrypnie. 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

1 

— 

1 


— 

— 

— 

— 

1 

Melancholie. 

1 

— 

1 

— 


1 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

Hypochondrie. 

1 

1 

0 

— 

— 

— 

1 


1 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

llysterie(Hemianästhesie, 
















Analgesie, Tremor, Pa- 
















rese u. s. w.). 

7 

— 

7 

1 

3 

2 

1 

— 

1 

— 

5 

1 

— 

4 

3 

Paralysis agitans .... 

2 

— 

2 

— 

— 

— 

— 

2 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

2 


1 

\ 


1 












Basedow’sche Krankheit 

2 


2 


1 

1 

_ 


2 

_ 

_ 

_ 

_ 

2 


Cutane Anästhesie (neu- 
















ritisch, tabisch) .... 

2 

1 

1 

— 

— 

— 

2 

— 

— 

— 

2 

— 

1 

— 

l 3 ) 

Neuralgieen d.Trigeminus 

6 

2 

4 

— 

2 

1 

— 

3 

1 

4 

1 

— 

1 

4 

l 3 ) 

Neuralg. occipitalis . . . 

1 

1 


— 

— 

1 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

1 

— 

„ brachialis . . . 

3 

1 

2 

— 

1 

1 

1 

— 

— 

— 

1 

2 

— 

2 

I 4 ) 

„ intercostalis . . 

3 

— 

3 

— 

1 

2 

— 

— 


1 

2 

— 

1 

2 

- 5 ) 


2 















Lähmung des Facialis . . 

6 

1 

5 

— 

1 

3 

1 

1 

_ 

_ 


6 


2 

4®) 

Bleilähmung. 

2 

2 

_ 

— 


1 

— 

1 

— 

— 

— 

2 

— 

— 

2 

Traumatische Ulnarisläh- 
















mung. 

1 

— 

1 

— 

— 


1 

— 


— 

— 

1 

— 

— 

1 

Atrophische Armlähmung 

1 

— 

1 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

1 

- 7 ) 

Muskelatrophie nach 
















Traumen etc. 

2 

1 

1 

— 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

2 

— 

— 

2 

Progressive Muskelatro- 
















phie. 

4 

4 

— 

— 

1 

1 

2 

— 



— 

4 

— 

— 

4 

Juvenile Dystrophie . . . 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

1 

Apoplektische Hemiplegie 

2 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

2 

— 


— 

2 

— 


2 

; 74 

31 

43 

3j 17 24 18 12| 3i 

8 

14 

21 

6j33 

35 


Meist entschieden günstig beeinflusst wurden Fälle von Neu¬ 
rasthenie mit vorwaltenden, oder fast ausschliesslichen 
Kopfsymptomen (sog. Kopfdruck mit permanenter Benommen¬ 
heit, Rauschen im Kopf, Schlaflosigkeit u. s. w.); in derartigen 
Fällen zeigte sich die Anwendung der Glocke oder der dieselbe 
ersetzenden Kopfplatte bei — gewöhnlich positiver — Ladung des 
auf dem Isolirstuhlc befindlichen Patienten oft von überraschender 
Wirkung. Es ist dies um so bemerkenswerther, als im Uebrigen 
— wie schon Stein hervorhob — Neurastheniker die Anwendung 
der Spannungselektricität (des sog. „elektrostatischen Luftbades“) im 
Allgemeinen minder gut vertragen und nicht selten von beängstigenden 
Empfindungen während der Sitzung sowie auch von Erscheinungen 
excitirender Nachwirkung, Schwindel, Aufregung, Steigerung von 
Kopfschmerz und Schlaflosigkeit u. s. w. nach derselben heimge¬ 
sucht werden. Ein recht dankbares Behaudluugsgebiet bilden auch 
verschiedene Formen von permanentem oder anfallsweise auf¬ 
tretendem Kopfschmerz, namentlich anämischen und hyste¬ 
rischen Ursprunges, und die angiospastische (oder anä¬ 
mische) Migraine, sowie ferner die eigentlichen Neuralgieen des 
Kopfes, Trigeminus (bes. Supraorbital-) und Occipital- 
neuralgieen. Auch hier erzielte die „Franklinisation am Kopfe“, 
mittelst Glocke oder Kopfplatte schöne Erfolge, wurde aber in 
einzelnen Fällen der oben geschilderten Neben- und Nachwirkungen 
halber nicht gut vertragen und musste durch die milder wir¬ 
kende, meist sehr angenehme und beruhigende Spitzenausströ- 
mung — mit dem positiven Pol, bei negativer Ladung des 
isolirten Körpers — ersetzt werden. — Einen Nutzen von der thera¬ 
peutischen Anwendung der Spannungselektricität constatirte ich, 
ausser bei anderweitigen Neuralgieen (Intercostal-, Brachial- 
Neuralgieen, Ischias) auch vom Gebrauche stark hautreizender 
Funkenströme bei cutanen Anästhesieen (hysterische Hemi- 
anästhesie oder Analgesie; Hautanästhesie nach Neuritis) und iu 
einzelnen Fällen schwerer atrophischer Paralysen, in welchen 
eine kräftige Anregung der darniederliegenden Circulation und Er¬ 
nährung in den gelähmten Gliedmaassen, neben localer Elektrisatiou 
der Muskeln und Nervenstämme, dadurch bezweckt wurde. Sonst 
j habe ich bei Behandlung der Motilitätsstörungen, der eigentlichen 
Lähmungen sowohl wie der muskulären Atrophieen und Dystrophieen, 

') 1 durch Saturnismus chron. 

9 ) I Anästhesie des Trig. bei Tabes. 

■*) Darunter 3 N. supraorbitalis. 

4 ) I traumatisch. 

5 ) 1 Mastodynie. 

tt ) 1 bei Tabes. 

7 ) infantil. 


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1. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


163 


im Ganzen keinen erheblichen Nutzen von der Anwendung der 
Spannungsströme und jedenfalls keinen Vorzug derselben vor ande¬ 
ren Elektrisationsweisen beobachtet, weshalb meist zur localen Fara- 
disation oder Galvanisation in derartigen Fällen zurückgekehrt wurde, 
die sich ja ohnehin — zumal unter den räumlich beschränkteu Ver¬ 
hältnissen und der Arbeitslast einer stark besuchten Poliklinik — 
auf die Dauer leichter durchführen lassen. 

Auch elektrodiagnostisch scheint, wie ich schon in meinen 
früheren Publicationen hervorhob, die Verwerthung der Spaunungs- 
elektricität bei Motilitätsstörungen ein nennenswerthes Interesse in¬ 
sofern nicht darzubieten, als sich mir wenigstens bisher stets ein 
paralleles Verhalten der gelähmten, resp. degenerirteu 
Nerven und Muskeln gegen Spannungsströme und gegen 
faradische Ströme als constanter Befund berausstellte. Von zahl¬ 
reichen untersuchten Fällen will ich nur 6, in dieser Hinsicht be¬ 
sonders instructive Fälle von einseitiger Gesichtslähmung kurz 
hervorheben. 

I. 55jährige Frau mit schwerer, seit ca. 5 Monaten bestehender peri¬ 
pherischer Lähmung des linken Facialis. Anfangs complete EaR; zur Zeit 
wieder beginnende faradische Nervenreizbarkeit, während far. M R noch fehlte, 
lianz ebenso war das Verhalten gegen Spannungsströme (NR sehr herabge- 
>etzt, direkte M R noch gänzlich fehlend). 

II. 33jährige Frau mit seit fast 2 Jahren bestehender totaler Lähmung 
des rechten Facialis; wahrscheinlich durch syphilitisches Gumma an der 
Basis cranii. Reaction gegen faradische wie gegen franklinische Ströme in 
Nerven und Muskeln vollständig erloschen; auch galvanische MR fast ganz 
aufgehoben. 

III. 27 jährige Frau; seit 4 Wochen bestehende, peripherische Lähmung 
des rechten Facialis. Complete EaR; faradische sowie franklinische Reaction 
in N und M fehlend. Behandlung mit Spannungsströmen; langsame Besse¬ 
rung der Motilität nach 4—5 Wochen beginnend. 

IV. 38jährige Frau; seit 3 Wochen peripherische rechtsseitige Facialis- 
liliaiang. Mittelform der EaR; faradische sowie statische NR und MR sehr 
erheblich vermindert; galvanische MR erhöht, träge Zuckung, ASZ>KSZ. 
Behandlung mit Spannungsströmen. Nach ca. 3 Wochen zeigen sich im 
unteren Facialgebiete die Erscheinungen faradischer und zugleich auch 
*t arischer EaR, träge langgezogene Zuckung, und zwar ausschliesslich bei 
indirekter Reizuug vom Nerven aus (Zuckung einzelner Bündel des M. 
levator menti bei Reizung des zum Triangularis und Levator tretenden ge¬ 
meinschaftlichen Facialastes); die Muskeln bei direkter Reizung noch reac- 
tionslos. Erst nach weiteren 3—4 Wochen beginnende Wiederkehr der fa- 
radischen und franklinischen MR; zugleich fortschreitende Zunahme der 
Motilität. — Dieser Fall scheint mir für den Parallelismus zwischen fara¬ 
discher und franklinischer Reaction ganz besonders beweisend. 

V. 37jährige Frau; frische peripherische Lähmung des rechten Facialis. 
Mittelschwerer Fall, keine EaR; quantitative Herabsetzung der NR und in 
geringerem Grade auch der direkten M R für sämmtliche Stromarten. 

VI. 40jähriger Mann mit typischer Tabes dorsalis; ausser Augen¬ 
muskellähmungen auch Parese des rechten Facialis in den unteren Zweigen, 
die oberen (Frontalis, Orbicularis palp. ats.) frei. In dem gelähmten Gebiete 
besteht deutliche Herabsetzung der faradischen sowohl wie der franklinischen 
MR: die galvanische MR nicht merklich alterirt, keine EaR. 

Zum Schluss glaube ich meine Ansicht über die Verwerth- 
barkeit der Spannungselektricität dahin zusammenfassen zu dürfen, 
dass dieselbe, einmal in die elektrotherapeutische Praxis eingeführt, 
nicht wieder aus derselben verschwinden und einen hervorragenden 
Platz (wenn auch bis auf Weiteres mehr in den Händen der Specia- 
listen) behaupten wird, weil sie ein zwar engbegrenztes, aber 
eigenartiges Gebiet von Wirkungen in sehr vollkommener 
Weise repräsentirt und überdies bei erlangter Uebung, zumal 
bei wachsender Bequemlichkeit der instruraentellen Vorrichtungen, 
keineswegs die so sehr gefürchteten technischen Schwierigkeiten dar¬ 
bietet. 

II. Ans der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin. 

Ueber einen Fall von Tabes dorsalis. 1 ) 

Von Stabsarzt Dr. Martins, Privatdoeent. 

Ich will Ihnen heute eine Anzahl anatomischer Präparate eines 
Falles von Tabes dorsalis demonstriren, die nach mehr als einer 
Richtung hin eines gewissen Interesses nicht entbehren. Der be¬ 
treffende Kranke war bis zu seinem 53. Jahre gesund, hat niemals 
Lues gehabt, erkrankte im Juui 1885 an Typhus, lag 6 Wochen zu 
Hause krank, unmittelbar darau schlossen sich die ersten Symptome 
desjenigen Leidens, das ihn später in die Charite führte. Sie be¬ 
standen in Parästhesieen, zunächst ausschliesslich in den oberen Ex¬ 
tremitäten, besonders den Händen und Fingerspitzen, nämlich Ge¬ 
fühl von Steifigkeit, Pelzigsein und dergleichen mehr. Erst im 
September traten ähnliche Sensationen in den unteren Extremitäten 
auf. Bald darauf entwickelte sich ein ausgesprochenes Schwäche¬ 
gefühl in den unteren Extremitäten und diese Klagen führten ihn 
Januar 1886 in die Charite. Bei seiner Aufnahme zeigte Patient 
sieb als ein schwächlicher Mann mit sehr heruntergekommenem 


') Nach einem Vortrage, gehalten im Verein für innere Medicin. 


allgemeinem Kräftezustand. Klagen noch dieselben, Parästhesieen in 
Händen und Füssen, Schwäche in den Knieeu. Objectiv fanden 
sich die inneren Organe gesund, in der motorischen Sphäre nichts 
von Ataxie zu bemerken, auch der Gang war nicht ataktisch, 
Pupillen reagirten normal auf Licht, kein Schwanken bei ge¬ 
schlossenen Augen, Kniephänomen beiderseits vorhanden, leicht zu 
erzielen, auch ohne Jendrassik’scheu Handgriff. Die einzigen 
nachweisbaren Symptome in der sensiblen Sphäre: Bei geschlossenen 
Augen konnte Patient kleine Gegenstände mit den Händen nicht 
unterscheiden, als habe er dicke Handschuhe an den Fingern. 
Störungen des Drucksinns, geringe des Temperatursinns. An Tabes 
wurde gedacht, aber die Diagnose konnte nicht mit Sicherheit ge¬ 
stellt werden. Die klassischeu Frühsymptome der Tabes, das 
Ro mberg’sche, Robertson’sche, Westphal’sche Zeichen fehlten, 
auch in der nächsten Zeit wurde das Bild nicht präeiser; erst zwei 
Monate später kam noch Gürtelgefühl hinzu. Ende März desselben 
Jahves erkrankte Patient, der bis dahin fieberfrei gewesen war, an 
intercurrenter Pneumouie, der er nach 3 Tagen erlag. Während 
der Pneumonie wurde nunmehr reflectorische Pupillenstarre consta- 
tirt, Kniephänomen war vorhanden bis zum Tode. Bei der Section 
fand sich ausser der Pneumonie nichts, das Rückenmark erschien 
makroskopisch vollkommen normal. Das Interesse für uns begann 
erst, als nach Erhärten in Müller’scher Flüssigkeit nunmehr sich 
prägnante und ganz bestimmte Degenerationsfelder im Rückenmark 
erkennen Hessen. Diese Felder (s. Fig. 4—6) zeigten eine andere 
Anordnung als sonst bei Tabes. Zunächst trat die Thatsache in 
den Vordergrund, dass die Degeneration ihren höchsten Grad, in¬ 
tensiv und extensiv, im Cervicalraark (Fig. 4) erreicht hatte, im 
Lumbalmark (Fig. 6) war sie äusserst geringfügig. Fälle derart 
sind selten, aber schon beobachtet. 



Fig. 8. 



Fig. 6. 



In Leyden’s „Klinik der Rückenmarkskrankheiten“ heisst es: 
„In seltenen Fällen sind die Arme der Ausgangspunkt der Krank¬ 
heit, hier beginnen die Schmerzen, hier bleiben sie am intensivsten 
und führen auch zuerst zu deutlichen Sensibilitätstörungen, die Beine 
bleiben wenig ergriffen. Die Verbreitung des anatomischen Pro- 
cesses bietet Besonderheiten, indem die äusseren Keilstränge der 
Hinterstränge in der Cerviralanschwellung am stärksten afficirt sind, 
weniger die mittleren (Goll’schen) Keilstränge, von hier nacli unten 
zu nimmt die Degeneration ab“ — genau wie es hier der Fall ist. 

Nach neueren Untersuchungen über den Aufbau der Hinter¬ 
stränge brauchen wir uns nicht mit dieser allgemeinen Aufstellung 
zu begnügen. Wir können hier deu Versuch wagen, die klinischen 
Symptome iu genauere Uebereinstimmung zu bringen mit den De¬ 
generationsfeldern, wie wir sie im Rückenmark sehen. Diese Ex¬ 
perimente. auf die ich mich beziehen möchte, sind gemacht von 
Kahler und von Singer, deren Resultate durch pathologisch-ana¬ 
tomische Untersuchungen von Friedr. Schultze in Heidelberg auch 
am Meuschen verificirt sind. 

Die genannten Autoren durchschnitten die hinteren Wurzeln 
isolirt von verschiedenen Rückenmarksgebieten und beobachteten 
die secundäre Degeneration, die dann nach aufwärts sich entwickelt. 
So durchschnitten sie die hinteren Wurzeln deijenigen Nerven, welche 
in die Lumbalanschwellung einstrahlen, dann isolirt dieselben Wur¬ 
zeln der Nerven, welche zum Dorsalmark, dann die zum Cervical- 
mark gehören. 

Resultat: ln den hinteren Wurzeln giebt es lange Bahneu, 
welche in das Rückenmark einstrahlen und, ohne von einer Zell¬ 
station unterbrochen zu werden, auf derselben Seite bis zu den Kernen 
der G o 11 ’schen und B u r d a c Ir sehen Stränge nach aufwärts steigen. Die¬ 
jenigen langen Bahnen, welche zu einem bestimmten Wurzelgebiet ge¬ 
hören, also aus einer bestimmten Körperregion stammen, liegen regionär 
im Rückenmark als compacte Bündel zusammengefasst, jedoch so. 
dass sie nicht in allen Querschnittsebenen des Rückenmarks dieselbe 
Stelle einnehmen. 

Dies letztere Verhalten erklärt sich durch folgendes allgemeine 
Gesetz des Faseraufbaues der Hinterstränge: 


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164 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 9 


Die ein strahl enden Fasern steigen zunächst in den Bur- 
dach’schen Strängen auf und verlaufen an ihrer Eintrittsstelle 
neben der inneren Fläche der Hinterstränge, um je weiter nach 
oben, desto mehr nach der Mittellinie zu rücken. Diejenigen 
Fasern, die an höheren Stellen eintreten, legen sich nach aussen 
au die bereits eingetretenen Fasermassen an. So kommt im Cer- 
vicalmark eine Faseranordnung zu Stande, die ohne weiteres aus 
den 3 nebenstehenden schematischen Figuren verständlich wird. 
Fig. 1 zeigt das Degeneratiousfeld derjeuigeu Fasern, welche aus 
den hinteren Lumbalwurzeln stammen, also diejenigen Fasern, in 
denen die unteren Extremitäten repräsentirt sind: ihr Degenerations¬ 
bezirk nimmt die innerste Stelle der Goll’schen Stränge ein. Fig. 2 
zeigt das cervicale Degenerationsfeld der aus den hinteren dorsalen 
Wurzeln, Fig. 3 das cervicale Degenerationsfeld der aus den hin¬ 
teren Wurzeln der unteren Cervicalnerven stammenden, also zur 
oberen Extremität gehörigen Faseru. Diese Anordnung des Faser¬ 
verlaufs kann nicht ohne Einfluss auf die Interpretation der tau¬ 
schen Felderung bleiben. Denkt man sich die drei eben beschrie¬ 
benen Felder zur Deckung gebracht und dann das mittlere, das 
Kumpfgebiet repräsentirende Degenerationsfeld fort, so hat man 
genau das Bild vor sich, welches ein Querschnitt aus 
der oberen Hälfte des Cervicalmarks in unserem Falle 
von Tabes incipiens darbietet (Fig. 4). 

Hält man dies zusammen mit den klinisch festgestellten Sym¬ 
ptomen, so ergiebt sich Folgendes: 

1. Beginn der Erkrankung in den oberen Extremitäten; dem¬ 
entsprechend vollständige Degeneration der langen Fasern des Quer¬ 
schnittsareals a (Fig. 4). 

2. Zwei Monate später gleiche Erkrankung in den unteren Ex¬ 
tremitäten; dementsprechend Degeneration (aber geringere) der 
Fasern des Querschnittsareals c (Fig. 4). 

3. Freibleiben des Rumpfes (erst wenige Tage vor dem Tode 
trat das erste Gürtelgefühl auf), dementsprechend Freibleiben des 
Querschnittsareals b (Fig. 4). 

Ist diese Auffassung richtig, so muss sich noch Folgendes er¬ 
geben. Das Degenerationsfeld, welches eine Projection der sensiblen 
Nerven der Oberextremitäten in’s Rückenmark darstellt, muss nach 
unten zu kleiner werden, da ja die langen Fasern nach unten zu 
abgegeben werden. An der Grenze zwischen Cervical- und Dorsal¬ 
mark muss dieses Degenerationsfeld ganz verschwunden sein. Das 
ist in der That, wie Fig 5 zeigt (Querschnitt durch das obere Dor¬ 
salmark), der Fall. 

Was nun die Lendenanschwelluug betrifft, so zeigt sich die 
von Westphal sogenannte Wurzeleintrittszone völlig intact (Fig. 6). 
Da in unserem Falle das Kniephänomen bis zum Tode erhalten 
war, so bietet dasselbe eine besonders prägnante Bestätigung der 
von Westphal zuerst aufgestellten Localisation des Kniephänomens 
in den Hintersträngen des Rückenmarks dar. 

(Demonstration der Rückenmarksschuitte von 2 Fällen von 
Tabes incipiens. In einem Fall ist die WestphaPsclie Eintritts¬ 
zone degenerirt. In dem anderen Fall ist die Wurzeleintrittszone 
intact. Man sieht die Wurzelfaserung einstrahlen und an dem 
kleinen Degenerationsfelde vorbeiziehen. Dies letztere Präparat 
stammt von dem obigen Falle). 

Discussion. 

Herr Leyden: M. H.! Da seit dem Vortrage des Herrn Martius schon 
einige Zeit verflossen ist, so gestatte ich mir, Sie daran zu erinnern, dass derselbe 
Präparate (Rückenmarksschnitte) von einem Falle von Tabes dorsalis de- 
monstrirte: in diesem Falle hatte die Erkrankung nicht, wie gewöhnlich, an 
der unteren, sondern an der oberen Extremität begonnen. Herr M artius zeigte 
die eigenthümliche Verbreitung, welche die Rückenmarkserkrankung in diesem 
Falle erkennen Hess. Herr Martius hatte die Güte, bei dieser Gelegenheit 
auch mich zu citiren und anzugeben, dass ich eine analoge Beobachtung 
in meiner Klinik der Rückenmarkskrankheiten mitgetheilt habe. Dieser 1. c. 
kurz mitgetheilten Beschreibung ist die Zeichnung des Rückenmarksbefundes 
mit beigegeben, uud dieselbe lässt eine ganz analoge, bemerkeuswerthe 
Vertheilung erkennen, wie der Fall von Herrn Martius. Es findet sich 
nämlich, dass die graue Degeneration der hinteren Rückenmarksstränge nicht 
so, wie in der Mehrzahl der Fälle angeordnet ist, sondern die stärkste Degenera¬ 
tion zeigt sich in zwei keilförmigen Zügen, welche die Goll’schen Keilstränge 
umfassen und zwischen diesen und den Wurzelzonen gelegen sind. Der Bezirk 
der stärksten Degeneration gehört somit den äusseren Keilsträngen an, 
während die inneren (Goll’schen) Keilstränge nur einen sehr mässigen Grad 
von Degeneration erkennen lassen. 

Diese eigenthümliche Vertheilung lässt sich, wie ich damals ohne 
Weiteres als richtig vorausgesetzt habe, mit Leichtigkeit befriedigend er¬ 
klären, wenn man als Ausgangspunkt der degenerativon Erkrankung die 
hinteren Rückenraarkswurzeln ansieht und annimmt, dass sich nach der 
Richtung ihres Verlaufes auch die Degeneration centripetal nach oben ver¬ 
breitet. Die Wurzelfasern treten nämlich zuerst in die äusseren Keilstränge, 
erst weiter nach oben hin in die inneren. Im Cervicaltheil enthalten also die 
GolPschen Stränge grösstentheils Fasern, welche vom unteren Theile des 
Rückenmarks (resp. dem unteren Körperabschnitt) aufgestiegen sind, daher 
begreift es sich, dass in Fällen, wo die untere Körperhälfte so gut wie gar 


nicht an der Erkrankung theilnahm, im Halstheil die Goll’schen Stränge 
auch so gut wie intact waren. Ein Verhältniss, wie es sich bei der auf¬ 
steigenden secundären Degeneration genau wiederholt. Die von den Ober¬ 
extremitäten ausgehenden Fasern treten erst später im oberen Halstheile in 
die inneren Keilstränge und bleiben im Halstheile selbst auf den Bezirk 
der äusseren Keilstränge beschränkt. 

Diese Deductionen, welche, soweit ich mich erinnere, mit denen des 
Herrn Martius im Wesentlichen übereinstimmen, sind nun nicht ohne 
Interesse für die pathologische Physiologie der Tabes. Diese beiden Fälle 
dürfen daher einiges Interesse beanspruchen. So weit mir bekannt, sind 
es bisher die einzigen Untersuchungen solcher Fälle von Tabes, in denen 
die Erkrankung im Halstheile begonnen hat, und welche noch in einem sehr 
frühen Stadium zur Autopsie kamen und zur genauen Untersuchung des 
Rückenmarks Gelegenheit boten. 

Seit meiner ersten im Jahre 1863 publicirten Monographie „Ueber die 
graue Degeneration der hinteren Rückenmarksstränge“ habe ich die Ansicht 
vertreten, dass es sich bei der Tabes um einen chronischen, atrophischen 
Degenerationsprocess im Rückenmark handelt, welcher, von den sensiblen 
Wurzeln ausgehend, sich dem Verlaufe derselben in centripetaler Richtung 
fortschreitend anschliesst. Dementsprechend handelt es sich wesentlich um 
die Abnahme und den schliesslicheu Verlust der den sensiblen Wurzeln 
zustehenden Function, der Sensibilität. Ich habe demnach die eigen¬ 
thümliche (strangförmige, systematische) Anordnung des anatomischen Pro- 
cesses dadurch erklärt, dass sich die Fortschritte der Krankheit der physio¬ 
logischen Function anschliessen, dass es sich bei der Tabes um eine Krank¬ 
heit mit fortschreitender Degeneration der sensiblen Nervenstränge und 
deren Leitungsbahnen handelt. Wie Ihnen wohl bekannt, habe ich aus dieser 
Anschauung die charakteristischen Symptome der Tabes hergeleitet und auf 
diese Weise die pathologische Anatomie mit der Symptomatologie der 
Krankheit in Einklang gebracht. 

Nun aber ist von anderer Seite, namentlich von Seite der französischen 
Schule, eine andere Auffassung der strangförmigen (oder systematischen) 
Erkrankungen des Rückenmarks aufgestellt worden, nämlich die Anschauung, 
dass sich die chronischen (degenerativen) Erkrankungen des Rückenmarks 
nach bestimmten Fasersträngen, Fasersystemen, verbreiten, daher der Aus¬ 
druck: Systemerkrankungen. Obgleich es nicht im Widerspruch steht, 
dass die verschiedenen Fasersysteme auch Fasern von verschiedenen Functionen 
enthalten, so tritt doch dieser physiologische Gesichtspunkt hinter dem 
anatomischen zurück. Die anatomische Untersuchung lässt das Rückenmark 
in eine Reihe von Strängen, von Fasersystemen, eintheilen, und es wird an¬ 
genommen, dass alle diese Systeme selbstständig für sich erkranken können. 
Eine gewisse, angeborene Schwäche und geringe Widerstandskraft des einen 
oder anderen Stranges ist die wesentlichste Ursache der Erkrankung. Aus 
dieser — ich kann es nicht anders bezeichnen — dogmatischen Auffassung 
resultirte das Ihnen wohl bekannte Rückenmarksschema, welches den Quer¬ 
schnitt in die bekannten Stränge zerlegte und jedem Strange eine besondere, 
wohl charakterisirte Krankheit als Systemerkrankung zuwies. Dieser Schema¬ 
tismus hat eine Zeit lang grossen Beifall gehabt und zählt auch jetzt noch 
viele Anhänger. 

Ich selbst habe mich demselben niemals anschliessen können und habe 
schon vor ca. 10 Jahren in einem Vortrage, den ich im Verein für Nerven¬ 
krankheiten hielt, erklärt, dass ich nur zwei systematische Erkrankungen 
anerkenne und zwar solche, welche sich an die verschiedenen Functionen der 
Nervenbahnen anschliessen; die eine derselben ist die Tabes, die Degene¬ 
ration der sensiblen Bahn, und die andere, die Atrophie der motorischen 
Bahnen, ist die echte oder spinale Form der progressiven Muskelatrophie. 
Dieser Auffassung bin ich getreu geblieben und glaube, allen Grund dazu 
zu haben. 

Nach meiner Auffassung ist also die Tabes eine Erkrankung der sen¬ 
siblen Leitungsbahnen im Rückenmark, nach jener Ansicht eine System¬ 
erkrankung; diese letztere Auffassung hat schon in ihrer Consequenz dahin 
geführt, die Tabes als eine combinirte Systemerkrankung zu bezeich¬ 
nen, denn in der That zerfallen die Hinterstränge in mehrere Fasersysteme. 

Die mitgetheilten beiden Beobachtungen von Herrn Martius und mir 
stehen nun, wie ich meine, mit meiner Auffassung im Einklänge und sind 
geeignet, dieselbe zu stützen, denn die Anordnung der Degeneration erklärt 
sich leicht aus meiner Anschauung. Dagegen sind hiermit die Auffassungen 
der systematischen Erkrankung nicht wohl in Einklang zu bringen, denn 
sie zeigen eine wesentliche Abweichung vom typischen Schema, welche 
durch nichts begründet erscheint. 

So weit ich mich entsinne, hat Herr Martius im Wesentlichen diese 
Auffassung getheilt, doch bitte ich mich zu corrigiren, wenn ich mich hierin irre 

Herr Martius: Ich bin Herrn Leyden sehr dankbar für die weiter. 
Ausführung der Schlüsse, die sich an meinen Fall anschliessen lassen, ich 
habe mich damals wegen der vorgerückten Zeit auf die Anführung des 
Thatsächlichen beschränken müssen. In der That glaube ich, dass der Fall, 
dessen Präparate ich hier demonstrirte, deswegen von einigem Interesse ist, 
weil die eigenthümliche Felderung des pathologischen Processes in unge¬ 
zwungener Weise nicht im systematischen Sinne von Strümpell, sondern 
nur in dem regionären Sinne von Herrn Leyden sich auffassen lässt, 
d. h., dass die eigenthümliche Felderung hervorgebracht ist durch die Er¬ 
krankung von Bahnen, die Projectionen bestimmter sensibler Körpergebiete 
darstellen. Darum der Name „regionär“. Natürlich will ich nicht behaupten, 
dass dasselbe nun in jedem Fall von Tabes wiedergefunden werden müsse; 
ich will nur sagen, dass in dem von mir genau untersuchten Falle einer 
Tabes incipiens eine ungezwungene Erklärung nur dann möglich erscheint, 
wenn man die Localisation des pathologischen Processes — ganz wie Herr 
Leyden es früher gethan — nicht im „systematischen“, sondern im regio¬ 
nären Sinne auffasst. 

Herr Leyden: Noch eine Frage an Herrn Martius. Der zweite 
Theil seiner Deduction betraf das Verhältniss der Sehnenreflexe. Die Unter¬ 
suchungen von Westphal sind Allen bekannt, auch das Localisationsverhält- 


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1. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 165 


niss, iudem Westphal fand, dass die genannten Reflexe an die Integrität 
einer gewissen Partie des Dorsaltheils gebunden sind. So hat sich auch 
HerrMartius ausgesprochen. Ich glaube nun, dass wir in Bezug auf das 
Verhalten der Sehnenphänomene bei Tabes heute etwas anders urtheilen 
müssen, wie früher. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Sehnenphänomene 
verloren gehen ziemlich frühzeitig, bei allen Processen, welche zur peri¬ 
pheren Neuritis gehören. Bei solchen Erkrankungen, z. B. auch bei den 
Lähmungen nach acuten Krankheiten, erlöschen die Sehnenreflexe sehr 
frühzeitig. Bier geht das Symptom von den peripheren Nerven aus, 
nicht vom Rückenmark. Dies ist so zu deuten, dass der Reflexbogen 
durch die Erkrankung der peripheren Nerven unterbrochen oder ab¬ 
geschwächt wird. In der Mehrzahl der Fälle findet diese Abschwächung 
auf der Bahn der sensiblen Nerven statt, es ist aber auch möglich, dass 
motorische Nerven, wenn die Leitung in ihnen geschwächt ist, die Reflex¬ 
leitung abschwächen. Diese Verhältnisse werfen heutzutage interessante 
Streifbilder auch auf die Tabes. Denn es ist jetzt als eine Thatsache an¬ 
zusehen, dass an dem Processe der Tabes nicht ausschliesslich das Rücken¬ 
mark, sondern auch die peripheren Nerven betheiligt sind. Von französischen 
Autoren (Dejerine), von Westphal und Oppenheim sind derartige 
Beobachtungen mitgetheilt. Die sensiblen Nerven finden sich in vielen 
Fallen von Tabes ebenfalls degenerirt. Zwar gehen die Ansichten über die 
Bedeutung dieser Beobachtungen noch auseinander, Herr Oppenheim hat sich, 
wenn ich mich recht entsinne, dahin ausgesprochen, dass die periphere 
Tabische Neuritis nicht an dem typischen Krankheilsbilde, sondern nur an 
gewissen Complicatiouen betheiligt sei, und dass bis jetzt aus den Unter¬ 
suchungen keine beweisenden Thatsachen für einen peripheren Ursprung 
der Tabes zu entnehmen sind. Wie dem nun auch sei, so ist der Nachweis 
einer Theilnahme der peripheren Nerven an dem tabischeu Krankheits- 
processe eine Thatsache von hohem Interesse. Daher ist nun auch die 
Frage berechtigt, ob und unter welchen Umständen der Verlust der 
Sehnenreflexe in den Anfangsstadien der Tabes mit dieser peripheren Neu¬ 
ritis in Verbindung gebracht werden könnte. 

Herr Martius: Ich habe die betreffenden peripheren Nerven (Cru- 
ralis etc.) nicht untersuchen können, da sie nicht aufgehoben sind. Die 
hinteren Wurzeln, welche in’s Lumbalraark einstrahlen, wurden gesund ge¬ 
funden, ferner ist gesund befunden diejenige Stelle im Rückenmark selbst, 
welche Westphal als Uebertragungsstelle annimmt, die er Wurzeleintritts¬ 
zone nennt. Ich glaube, dass der ganze Reflexbogen gesund gewesen ist. 

Herr Oppenheim: Herr Leyden hat auf die von Siemerling und 
mir angestellten Untersuchungen verwiesen; ich habe dazu zu bemerken, 
dass wir uns in unserer Arbeit ausser Stande erklärt haben, die Rolle zu 
ermitteln, welche die peripherische Nervendegeneration in der Symptomato¬ 
logie der Tabes spielt, aber sicherlich derselben eine symptomatologische 
Bedeutung zuschreiben müssen. — Was die Grundlage des Kniephänomens 
anlangt, so ist die Westphal’sche Beweisführung eine so exacte, dass sie 
bis auf Weiteres als maassgebend betrachtet werden muss. Es handelte 
sich um Fälle, in denen das Kniephänomeu bis zum Ende erhalten war 
oder kurz vor dem Tode erlosch, und Westphal konnte den Nachweis 
führen, dass in diesen Fällen die Degeneration ein ganz bestimmtes Gebiet 
der Hautstränge im oberen Lendentheil ergriffen resp. verschont hatte. 

Herr Bernhardt: Auf die Frage des Herrn Leydon kann ich mit 
einer Beobachtung antworten, freilich ohne eine pathologisch-anatomische 
Untersuchung gemacht zu haben. Ich kenne seit 3 l ; > Jahren einen Patienten, 
der bei der ersten Untersuchung folgende Symptome darbot: Hochgradige 
Ataxie der oberen Extremitäten (Hände und Finger), mit schweren Sensi¬ 
bilitätsstörungen bei intacter Gebraucbsfähigkeit der unteren Extremitäten. 
Ausser einer leichten (übrigens nur subjectiv geklagten) Steifheit der Beine 
fand ich weder eine Spur von Sensibilitätsstörungen dort, noch Symptome 
von Seiten der Augen (Pupillen), der Blase oder des Mastdarmes. Das 
Allgemeinbefinden war ausgezeichnet, lancinirende Schmerzen bestanden 
nicht, und von Ataxie war so wenig die Rede, dass er damals und noch 
Jahre nachher Nächte hindurch tanzte. Potenz durchaus erhalten. 

Dieses Verhalten (hochgradigste Ataxie der oberen Extremitäten, 
schwere Sensibilitätsstörungen dort, freie Action der Beine bei intacter 
Sensibilität hier) blieb Jahre hindurch: dagegen waren (schon bei der ersten 
Untersuchung) und blieben die Kniephänomene verschwunden. 

Dieses Verhalten scheint mir demnach dafür zu sprechen, dass schon 
roa Beginn an Veränderungen, wenn auch leichter Natur, im Lendenmark 
bestanden, und dass es nicht eine peripherische Affection der Nerven an den 
nnteren Extremitäten war, von der das Fehlen der Kniephänomene (in 
diesem speciellen Falle) abhängig zu machen war. 

Herr Remak: Im Anschluss an die letzte Bemerkung des Herrn Bern¬ 
hardt erinnere ich daran, dass ich als locale Oberextremitätenataxie mit 
gleichseitiger Ephidrosis unilateralis in der Berl. klin. Wochenschrift 1880, 
No. 22 einen Fall beschrieben habe, in welchem damals das Fehlen des 
Kniephänomens nahezu das einzige tabische Symptom der Uuterextremitäten 
war. Der Fall wurde nach mehreren Jahren in der Charite secirt und von 
Oppenheim und Siemerling bearbeitet, die Haisanschwellung konnte 
leider nicht untersucht werden. 

Ob das Kniephänomen bei Tabes nach der Ansicht des Herrn Geh. 
Rath Leyden auf Grund peripherischer Neuritis fehlen kann, dazu möchte 
ich bemerken, dass vorläufig die Nervendegeneration hier in der grossen 
Mehrzahl der Fälle nur die sensiblen Hautnerven betrifft, und die Degene¬ 
ration sich weiter nach oben fast regelmässig verloren bat, je mehr die 
Kervenstärame weiter hinauf verfolgt wurden. Es scheint mir deshalb un¬ 
wahrscheinlich, dass z. B. der frühe Verlust des Kniephänomens, der häufig 
bei Atrophie des Opticus cintritt, wenn andere tabische Symptome der Unter¬ 
extremitäten (Ataxie, Sensibilitätsstörungen u. s. w.) noch völlig fehlen, etwa 
von peripherischer Neuritis der Cruralisnervenbahn abhängen sollte. Anders 
steht es für die multiple peripherische Neuritis und besonders die Alko¬ 
holneuritis, wo gelegentlich, wie ich beschrieben habe, auch Spuren von 
Entartungsreaction im Extensor quadriceps cruris darauf deuten können, dass 


das Ausbleiben des Phänomens hier von einer Unterbrechung der centrifu- 
galen motorischen Faserung des gemischten Cruralis selbst abhängt. Noch 
dunkler ist, worauf der Verlust des Kniephänomens nach Diphtherie beruht, 
welcher, wie ich und kurz darauf Bernhardt hervorgehoben haben, auch 
ohne Ataxie und ohne Sensibilitätsstörungen häufig eintritt, nach den bis¬ 
herigen Befunden ebenfalls wahrscheinlich auf peripherischer Basis. 

Herr Leyden: Ich kann Herrn Remak mittheilen, dass ich im Augen¬ 
blick auf meiner Klinik einen Fall von Ataxie nach Diphtherie habe, der 
ausgedehnte Sensibilitätsstörungen zeigt, an den Füssen bis zu den Knieen, 
an den Armen bis fast zur Schulter. Nach Schluss der Augen wird das 
Schwanken beim Gehen bei ihm sehr viel stärker, der Gang ist nicht gerade 
der charakteristische der ausgebildeten Tabes, es ist ja jede Form etwas 
verschieden, aber er ist entschieden atactisch, schwankend, taumelnd. Die 
Muskelbewegungen sind excessiv, alle Symptome worden bei geschlossenen 
Augen erheblich verstärkt. Für mich ist es nicht fraglich, dass es sich bei 
dieser diphtherischen Ataxie um periphere Neuritis handelt. 


ITC. Ein Contentiwerband aus Blechstreifen 
und Gazebinden. 

Von Dr. Aufrecht in Magdeburg. 

Ich habe im Laufe der beiden letzten Jahre bei mehreren Fällen 
von Knie- und Ellbogengelenkentzündungen sowie bei zwei Vorder¬ 
armbrüchen statt des Gypsverbandes eine Methode verwerthet, welche 
bei allen Vortheilen des Gypsverbandes den Vorzug einer bei weitem 
bequemeren Handhabung für sich hat. Es erscheint mir nicht un¬ 
geeignet, meine Methode weiteren Kreisen zur Prüfung resp. An¬ 
wendung zu empfehlen. 

Das wesentliche Princip des Verbandes beruht darauf, dass 
Blechstreifen von etwa 5 cm Breite und der uöthigen Länge an die 
durch das entsprechende Geleuk verbundenen Knochen derartig an¬ 
gelegt werden, dass sie der Fläche nach nicht auszuweichen im 
»Stande sind. Will mau z. B. ein krankes Ellbogengelenk so fixiren, 
dass Vorderarm und Oberarm zu einander im rechten Winkel stehen, 
dann muss zunächst der ganze Arm mit breiten Wattestreifen um¬ 
wickelt werden, über welche eine angefeuchtete Gazebinde gelegt 
wird. Hierauf werden zwei Blechstreifen, deren jeder die Länge 
des ganzen Armes hat, unter rechtem Winkel über die Fläche ge¬ 
knickt und an die innere und äussere Seite des Armes angelegt, 
so dass die Knickungsstelle der Blechstreifen dem Ellbogen ent¬ 
spricht. Wesentlich nothwendig zur Fixirung der Blechstreifen sind 
augefeuchtete Gazebinden, denn bei jedem anderen Stoffe würden 
sich die Bindentouren verschieben, auch von dem Blechstreifen ab- 
rutschen, während die in den Gazebinden enthaltene Stärke ein 
dauerndes wochenlanges Zusammenkleben der einzelnen Touren er¬ 
möglicht. Man thut am besten, für jeden Blechstreifeu eine be¬ 
sondere Gazebinde zu verwenden, also bei der eben geschilderten 
Fixirung des Ellbogengelenks erst den Streifen an der Innenseite 
des Armes, dann den an der Aussenseite anzulegen. Ein dritter 
kurzer Streifen, welcher an der Ulnarseite des Vorderarmes bis zur 
Hand resp. bis zum kleinen Finger anzulegen ist, reicht aus, um 
die Bewegungen des Haudgelenkes nach der Radial- und Ulnarseite 
hin zu hemmen. Ueber die spitzen Ecken der Blechstreifen legt 
man am besten etwas Watte, bevor man die Bindentouren darüber 
führt. 

Diese Vornahme reicht auch für Vorderarmbrüche vollständig 
hin. Ich bin sogar bei der Vorderarmfractur eines fünfjährigen 
Mädchens mit einem einzigen, an der Aussenseite des Armes ange¬ 
legten Blechstreifen ausgekoramen und brauchte nur noch zur 
Fixirung des Handgelenks einen kurzen Blechstreifen an die Ulnar¬ 
seite der Hand bis zum kleinen Finger hin zu legen. — Bei Unter¬ 
schenkelbrüchen, sowie bei Fuss- und Kniegelenksleiden, kann man 
in ganz analoger Weise vorgehen. Eine absolute Immobilisirung 
der erkrankten Theile ist in jedem Falle erreichbar, eventuell 
brauchen nur mehrere Streifen übereinander gelegt zu werden. 
Nichtsdestoweniger ist der Verband immer noch bei weitem leich¬ 
ter, als der einfachste Gypsverband. 

Der Vortheil dieser Methode gegenüber dem Gypsverbande 
liegt — wenn wir es als richtig gelten lassen, dass die kranken Ex¬ 
tremitäten in gleicher Weise sicher immobilisirt werden können — 
klar auf der Hand. Der Transport des Gypsmehles, der Raum für 
die Aufbewahrung desselben, die Anfertigung des Gypsbreies, die 
Schwierigkeit der Abnahme des Verbandes fällt fort, während bei 
dem Blechstreifenverbaude die Anlegung wenig umständlich ist, die 
Streifen wiederholt gebraucht werden können, das Einschneiden von 
Fenstern in den Verband sowie die Abnahme desselben sehr leicht 
ausführbar ist. 

Ganz besonders geeignet aber dürfte dieser Verband für kriegs¬ 
chirurgische Zwecke sein. Der Transport der Verbandstoffe ist ein 
bequemerer, das Material kann unterw-egs nicht leiden, wie es bei 
dem Gyps vorkommt. 

Mit einiger technischen Fertigkeit lässt es sich gewiss auch 
ausführen, Oberschenkelfracturen durch einen das Becken ein- 


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166 

scliliessenden Bleclistreifenverband wenigstens für den Transport zu 
fixiren, ebenso gut wie ich das bei einer sein - schweren Kniegelenks- 
Entzündung schon ausgeführt habe. Auch dürfte es im allgemeinen 
nicht schwer sein, Oberarmfraeturen mit Hülfe eines Schulter- resp. 
Brustgürtels aus Blechstreifen in der richtigen Stellung zu erhalten. 

Es wird in allen Fällen nur darauf aukommen, den Gelenken 
entsprechend, die Blechstreifen über die Fläche hinweg in dem ge¬ 
eigneten Winkel zu biegen, eventuell die Umbiegungsstellen mit 
einem Hammer oder einem sonstigen geeigneten Gegenstände platt 
zu schlagen, und dann, nach genügender Watte-Unterpolsterung, mit 
Gazebinden so zu fixiren, dass die Blechstreifen ihrer Fläche nach 
nicht ausweichen können. 

IV. Ueber Lungenentzündungen und Lungen¬ 
tuberkulose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 8.) 

Die Ausgänge und die Prognose der Pneumonie sind ab¬ 
hängig einesteils von der Form der Krankheit und anderntheils 
von den individuellen Verhältnissen des Kranken. 

Bei der Mehrzahl der Fälle von Pneumonie erfolgt der Aus¬ 
gang in Genesung. Bei der typischen oder einfachen Pneumonie 
ist dieser Ausgang die Regel; die Prognose ist günstig, sofern es 
sich um vorher gesunde und einigermaassen widerstandsfähige In¬ 
dividuen handelt; nur sehr alte oder durch anderweitige Krankheit 
geschwächte Personen oder endlich Gewohnheitstrinker sind wesent¬ 
lich gefährdet; doch kommt nicht selten auch bei solchen noch Ge¬ 
nesung zu Stande. Die Mortalität ist bei der typischen Pneumonie 
eine geringe, sie beläuft sich auf etwa 3 bis 10 Procent. — Weit 
ungünstiger ist die Prognose bei der asthenischen Form; die Mor¬ 
talität beträgt bei derselben in der Regel mehr als 20 Procent und 
kann an einzelnen Orten und in einzelnen Jahrgängen auf 30 oder 
40 Procent und noch höher steigen. Besonders gefährdet sind Per¬ 
sonen mit individuell ungünstigen Verhältnissen und vor allen solche, 
bei denen das Herz weniger widerstandsfähig ist, so namentlich 
sehr alte oder schwächliche Leute, ferner sehr fettreiche Individuen, 
Potatoren, Herzkranke, Emphysematiker und andere chronisch Kranke; 
nicht selten aber erliegen auch kräftige Personen im besten Lebens¬ 
alter; dagegen ist bei Kindern bis etwa zum 16. Lebensjahre auch 
bei dieser Form die Prognose eine günstige. — Noch ungünstiger 
stellt sich zuweilen das Mortalitätsverhältniss in einzelnen Epidemieen 
von maligner Pneumonie, wie sie in der Schweiz als Alpenstich, 
an anderen Orten als typhöse, biliöse, putride oder pestartige Pneu¬ 
monie beschrieben worden sind. 

Der Tod kann in jedem Stadium der Krankheit eintreten; am 
häufigsten erfolgt er zur Zeit der grauen Hepatisation oder auch 
während des Bestehens einer eigentlichen eiterigen Infiltration. Die 
Frage nach den näheren Ursachen des Todes erfordert, da sie für 
die Feststellung der allgemeinen therapeutischen Indicationen von 
entscheidender Bedeutung ist, eine etwas eingehendere Erörterung. 
In einzelnen Fällen ist bei der anatomischen Untersuchung die Ursache 
des Todes leicht zu erkennen: wenn bei einer doppelseitigen 
Pneumonie die Infiltration so ausgedehnt ist, dass der grössere 
Theil beider Lungen für die Luft unzugänglich wurde, so ist es 
leicht zu verstehen, wie die Verkleinerung der athmenden Fläche 
den Tod durch Erstickung zur Folge haben musste. Eine solche 
einfache Erklärung passt aber nur für wenige Fälle. Der Mensch 
kann, wie die Erfahrung lehrt, in der Ruhe, selbst wenn Fieber 
vorhanden ist, mit einem Bruchtheil der dem Gesunden zu Gebote 
stehenden Athemfläche noch zur Noth für einige Zeit ausreichen, 
und die Erstickungsgefahr pflegt erst dann einzutreten, wenn die 
athmende Fläche auf weniger als die Hälfte der normalen herab¬ 
gesetzt ist. Da in den meisten Fällen von tödtlichem Ausgang 
die Infiltration einen solchen Umfang nicht erreicht hat, so müssen 
nothwendig noch andere Umstände dabei mitgewirkt haben. Wir 
sehen in der Tbat, dass am häufigsten der Tod erfolgt unter dem 
Auftreten von Lungenödem, indem im Bereiche der von der In¬ 
filtration frei gebliebenen Theile der Lungen die Alveolen sich 
mehr und mehr mit ödematöser Flüssigkeit füllen und dadurch 
für die Luft unzugänglich werden. Die Frage nach der häufigsten 
näheren Ursache des Todes bei Pneumonie kommt deshalb hinaus 
auf die Frage nach der Entstehungsweise dieses Lungenödems. 
Die Meinungen sind darüber getheilt gewesen. Man hat vielfach 
geglaubt, es handle sich wesentlich um ein actives und zwar 
collaterales Oedem: da in den infiltrirten Lungentheilen die Circu- 
lation behindert oder aufgehoben sei, so müsse in den noch freien 
Bezirken der Lunge der arterielle Blutdruck abnorm gross werden 
und deshalb eine Transsudation in die Alveolen erfolgen. Aber, 
auch abgesehen von dem Zweifel, ob ein actives Oedem in diesem 
Sinne vorkomme (vgl. Vorlesungen, Bd. III. p. 245), ist eine solche 


No. 9 


Deutung unhaltbar gegenüber der Thatsache, dass ein ausgebreitetes 
Lungenödem nicht einzutreten pflegt, so lange die Herzactiou noch 
kräftig ist, dass es dagegen regelmässig sich einstellt, wenn die 
Herzaction schwächer wird und unter einen gewissen Grad sinkt. 
Als actives oder entzündliches Oedem können wir deshalb nur etwa 
dasjenige ansehen, welches in der unmittelbaren Umgebung der 
infiltrirten Lungenbezirke auftritt; das verbreitete und tödtliche 
Lungenödem ist. wie dies hauptsächlich von Jürgensen zur 
j Anerkennung gebracht worden ist, gewöhnlich ein passives Oedem 
und entsteht in Folge von ungenügender Herzaction. In den meisten 
Fällen von tödtlich verlaufender Pneumonie ist deshalb die Herz¬ 
schwäche oder Herzparalyse als die eigentliche Ursache des Todes 
zu bezeichnen. Die Entstehung dieser Herzschwäche, welche bei 
der Pneumonie so leicht eintritt und eine so schlimme Bedeutung 
hat, ist auf mehrere Umstände zurückzuführen. Zunächst kommt 
in Betracht das Fieber, welches, wenn es hohe Grade erreicht, je 
nach den individuellen Verhältnissen des einzelnen Kranken bald 
früher, bald später das Herz zur Degeneration und functioneilen Insuffi- 
cienz bringt (vgl. Vorlesungen, Bd. III. p. 206 ff.). Dazu kommt aber 
noch der Umstand, dass in den infiltrirten Lungenbezirken die 
Gefässe beträchtlich verengert und somit die Wege für den Kreis¬ 
lauf durch die Lungen beschränkt sind. Das rechte Herz kann 
nur durch übermässige Anstrengung diesen gesteigerten An¬ 
forderungen entsprechen, und die Folge der übermässigen 
Anstrengung ist eine frühzeitige Ermattung. Da das Athmen 
wesentlich in dem Gasaustausch zwischen Blut und Luft besteht, 
so muss die Schwäche des rechten Ventrikels schon dadurch, dass 
nicht mehr die genügenden Mengen von Blut durch die Lungen 
getrieben werden, die Respiration beeinträchtigen; dazu kommt 
aber erfahrungsgemäss als weitere Folge der Herzschwäche 
noch das Lungenödem, welches mechanisch den Eintritt der Luft 
in die Alveolen verhindert. — Nur in seltenen Fällen erfolgt 
bei Pneumonie der Tod durch eine von dem Fieber abhängige 
Gehirnparalyse (vgl. Vorlesungen Bd. III. p. 211 ff.). — Endlich 
kann in einzelnen Fällen der Tod herbeigeführt werden durch be¬ 
sondere Complicationen oder Nachkrankheiten (s. u.). 

Die Prognose der Pneumonie ist, wenn man von den extremsten 
Fällen absieht, nur in untergeordnetem Maasse abhängig von der Ausdehnung 
der Lungenaffection. Nicht selten sieht man Kranke zu Grunde gehen, 
bevor die Infiltration zur vollen Ausbildung gekommen ist. Dagegen kann 
man behaupten, dass diejenigen Pneumonieen, bei welchen schon früh eine 
umfangreiche compacte Infiltration nachzuweisen ist, im allgemeinen eher 
einen günstigen Verlauf erwarten lassen. Ein solches Verhalten ist ver¬ 
ständlich, wenn man berücksichtigt, dass die langsame Ausbildung der 
Infiltration mehr der asthenischen, die schnelle mehr der typischen Form 
eigenthümlich ist. 

Ein weiterer Ausgang der acuten fibrinösen Pneumonie ist der 
Uebergaug in chronische Pneumonie. Das Exsudat wird nicht 
resorbirt, sondern bleibt in den Alveolen liegen; es kann lange 
Zeit in nahezu unverändertem Zustande verbleiben, und unter 
günstigen Verhältnissen kann die chronische Pneumonie später doch 
noch theil weise oder vollständig in Lösung übergehen. Eine solche 
protrahirte Lösung kommt z. B. vor bei schwächlichen Individuen, 
bei Emphysematikern, bei Leuten, welche schon wiederholt 
Pneumonieen durchgemacht haben. Es kann aber auch während 
der protrahirten Lösung eine Wucherung des Bindegewebes der 
Lunge stattfinden, und zwar sowohl des interstitiellen Gewebes als 
auch der Alveolenwände. Dadurch wird ein Theil des Lungen¬ 
gewebes in eine derbe, luftleere, meist pigmentirte fibröse Masse 
umgewandelt, und der Zustand wird dann als chronische inter¬ 
stitielle Pneumonie oder Lungeninduration oder Cirrhose 
der Lunge bezeichnet. Diese Induration erfolgt häufig nur strich¬ 
weise, so dass zwischen den derben Biudegewebszügen noch luft¬ 
haltiges Lungengewebe übrig bleibt; doch können dadurch auch 
grössere Bezirke vollständig luftleer werden. In allen Fällen wird 
durch die spätere Retraction des neugebildeten Bindegewebes das 
Volumen der betroffenen Lungentheile beträchtlich vermindert, und 
es können dann noch weitere Folgezustände sich entwickeln, welche 
später näher 2 u besprechen sind. Endlich in manchen Fällen kommt 
das Exsudat nicht zur Lösung, sondern verwandelt sich nebst einem 
Theil des infiltrirten Lungengewebes allmählich in eine käsige 
Masse, welche später erweichen und zerfallen kann unter Bildung 
von Hohlräuraen oder Cavernen in der Lunge. Dieser letztere 
Ausgang erfolgt vorzugsweise dann, wenn in der Lunge oder im 
übrigen Körper bereits die Keime der tuberculösen Lungenphthise 
vorhanden waren, oder wenn dieselben während des Bestehens der 
chronischen Pneumonie von aussen aufgenommen wurdeu; und 
dann ist die weitere Entwickelung die einer gewöhnlichen Lungen- 
tuberculose mit schnellem Verlauf. Bei Individuen, in deren 
Lunge schon vorher tuberculöse Herde vorhanden waren, wird, 
wenn sie von fibrinöser Pneumonie befallen werden, dieselbe häufig 
nur theilweise resorbirt, während ein Theil der infiltrirten Lunge 
der tuberculösen Degeneration verfällt. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


167 


Man hat in neuerer Zeit häufig angenommen, eine solche in chronische 
Pneumonie und eventuell in tuberculöse Zerstörung übergehende acute 
Pneumonie sei in allen Fällen schon von Anfang au eine secundäre auf 
tuberculöser Grundlage entstandene Pneumonie gewesen, auf die man auch ; 
wohl den nicht ganz passend gewählten Namen der Desquamativpneumonie 1 
(Buhl) anwendet. Eine solche Annahme, welche alle Fälle in gleicher 
Weise deutet, hat freilich den Vortheil der Einfachheit; aber sie ist will¬ 
kürlich und entspricht nicht der klinischen Beobachtung. Dass sie für 
manche Fälle zutrifft, ist nicht in Zweifel zu ziehen und wurde auch bereits 
bei der Besprechung der secundären Pneumonieen ausgeführt; aber sie gilt 
nicht für alle Fälle. Zunächst ist kein Grund vorhanden für die Annahme, ' 
dass etwa tuberculöse Individuen oder Leute mit Anlage zu Tuberculöse 
gegen die gewöhnliche fibrinöse Pneumonie immun seien; sie werden in 
der That gar nicht selten von solcher befallen, und sie sind dann mehr ge¬ 
fährdet als andere, weil die Resorption leicht ausbleibt oder nur unvoll¬ 
ständig erfolgt, und dann der Uebergang in chronische Pneumonie und 
eventuell in Tuberculöse stattfindet. Und endlich giebt es Fälle, bei 
welchen nicht der geringste Anhalt vorliegt für die Annahme, dass etwa 
schon vor dem Auftreten der Pneumonie das Gift der Tuberculöse im i 
Körper vorhanden gewesen sei, bei denen vielmehr Alles dafür spricht, 
dass es erst während des Bestehens der Infiltration nachträglich zugeführt 
wurde und dann die käsige Umwandlung des Exsudats und des Gewebes 
bewirkt hat. Wohl jeder beschäftigte Arzt hat schon die Erfahrung ge¬ 
macht, dass zuweilen auch bei Menschen, bei welchen nicht der geringste 
Verdacht hereditärer oder anderweitiger Tuberculöse bestand, eine solche 
zur Entwickelung gelangte nach dem Ueberstehen einer gewöhnlichen 
fibrinösen Pneumonie, die nicht vollständig zur Lösung gekommen war. 

Ein seltener Ausgang der Pneumonie ist der in Abscess- 
bildung. Dieselbe erfolgt, wenn in einem beschränkten Bezirk 
der Lunge die eiterige Infiltration nicht in Lösung übergeht, sondern 
unter andauerndem Austreten von Rundzellen zu Nekrose und Auf¬ 
lösung des Gewebes führt. Es liegt nahe zu verrauthen, dass dabei 
gewöhnlich besondere pyogene Mikrobien, die nachträglich aufge- ! 
nommen wurden, betheiligt seien. Wenn der Kranke nicht, wie es i 
häufig der Fall ist, zu Grunde geht, so perforirt der Abscess später J 
»wohnlich in einen Bronchus oder seltener in die Pleura oder durch 
die Thoraxwand nach aussen, und nach Entleerung des Eiters 
bleibt eine Höhle zurück, die allmählich sich verkleinern und mit 
Narbenbildung ausheilen kann. Seltener und nur bei kleineren 
Abscessen findet eine Abkapselung des Eiterherdes statt, der dann 
theilweise resorbirt wird, während zugleich gewöhnlich Kalksalze 
sich ab lagern. 

Endlich kommt als ein ziemlich seltener Ausgang der Pneumonie 
auch Lungengangrän vor, und zwar meist die diffuse Form, 
welche in der Regel tödtlich verläuft. Das infiltrirte Lungengewebe 
ist schon durch den entzündlichen Process und die Corapression 
der Gefässe einigermaassen zur Nekrose disponirt, namentlich wenn 
zugleich in Folge von Abschwächung der Herzaction die Circulation 
noch mehr beeinträchtigt ist, oder wenn in Folge anderer Umstände 
die Gewebe des Körpers weniger widerstandsfähig sind. Daher 
erfolgt dieser Ausgang leichter bei Potatoren und bei anderweitig 
geschwächten Individuen. Zur Entstehung der Gangrän ist aber 
noch erforderlich die Aufnahme von Fäulnisserregern in grösserer 
Menge. Daher kommt Lungengangrän hauptsächlich vor in über¬ 
füllten und schlecht ventilirten Spitälern, oder wenn sonst in der 
eingeathmeteu Luft grosse Mengen von Fäulnisserregern vorhanden 
sind. 

Die Bedeutung der Einathmung von Fäulnisserregern wird durch folgen¬ 
den von mir beobachteten Fall illustrirt: Ein Mann wurde, während er in 
«■iner CJoake mit der Reinigung derselben beschäftigt war, von einem 
Schüttelfrost befallen und dadurch während längerer Zeit verhindert die 
•'loake zu verlassen. Es entwickelte sich eine Pneumonie, die schnell in 
diffus« Lungengangrän überging und tödtlich verlief. — Im Baseler Spital 
«ah ich unter 230 Pneumoniekranken 4 Fälle von Lungengangrän, sämmtlich 
mit tödtlichem Ausgang. 

Die Complicationen der Pneumonie sind zum Theil als 
zufällige zu bezeichnen. Dahin gehören alle die verschiedenartigen 
Krankheitszustände, welche bei dem Kranken schon vor dem Beginn 
der Pneumonie vorhanden waren, oder welche während der Dauer 
der Pneumonie auftraten, ohne mit dieser in einem näheren Zu¬ 
sammenhänge zu stehen. Ein anderer Theil der Complicationen ist 
dagegen als Folge der Pneumonie auzusehen. Dahin gehört vor 
Allem eine Reihe von entzündlichen Localaffectionen, welche wir 
uns in der Weise entstanden denken, dass das gewöhnlich auf die 
Lunge localisirte Krankheitsgift durch Vermittelung des Blutkreis¬ 
laufs auch anderen Organen zugeführt wurde und dort ebenfalls 
krankheitserregend wirkte. Zu diesen metastatischen Entzündungen, 
wie sie namentlich bei der asthenischen Form der Pneumonie be¬ 
sonders häufig Vorkommen, gehört zunächst die Pleuritis mit reich¬ 
lichem Exsudat, ferner die acute Nephritis, die schwerereu Formen 
von Darmkatarrh, wahrscheinlich auch die bei einzelnen Epidemieen 
häufiger vorkommende Meningitis, so weit sie nicht etwa als zu¬ 
fällige Complication namentlich mit Meningitis cerebrospinalis epi¬ 
demica zu deuten ist, endlich die Pericarditis und Endocarditis. 
Auch der Icterus kommt bei dev asthenischen Form so häufig vor. 


dass man dieselbe schon als biliöse Pneumonie bezeichnet hat, und 
dass ein näherer Zusammenhang mit der Pneumonie anzunehmen 
ist. — Bei lange dauerndem Fieber können endlich auch Decubitus 
und andere Folgen desselben auftreten. 

Unter 230 im Baseler Spital von mir behandelten Fällen kam Pleuritis 
mit reichlichem Exsudat 41 mal vor, ausgebildete acute Nephritis nur 1 mal, 
Diarrhoe 25 mal, Meningitis, die aber wahrscheinlich mit der gleichzeitig 
bestehenden Meningitis epidemica in Zusammenhang zu bringen war, 2 mal, 
Pericarditis 9 mal, Endocarditis 2 mal, Icterus 65 mal, Decubitus 5 mal. 

Ein mässiger Grad von Albuminurie kommt bei Pneumonie sehr häufig 
vor und ist vom Fieber abzuleiten. Eine wirkliche acute Nephritis ist nur 
dann anzunehmen, wenn der Eiweissgehalt einen hohen Grad erreicht, und 
gleichzeitig reichliche Cylinder und rothe Blutkörperchen im Harn auftreten. 
Bei solchen Fällen von complicirender Nephritis wurden schon Mikrococcen, 
welche den Pneumoniecoccen entsprachen, in den Nieren gefunden 
(Nauwerck). 

Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, dass schwere Gehim- 
erscheinungen, wie Delirien leichteren und höheren Grades bis zu Mania 
transitoria, ferner Convulsionen, Sopor und Coma auch als blosse Folgen 
des Fiebers Vorkommen können ohne Meningitis oder anderweitige Gehirn- 
affection. Diese febrilen Gehirnerscheinungen sind häufiger bei Kindern, 
bei Potatoren, bei Anämischen, sie sind ferner durchschnittlich häufiger bei 
Pneumonie der oberen als der unteren Lungenlappen. 

Bei der Therapie der Pneumonie kommt zunächst die 
Prophylaxis in Betracht. Maassregeln, durch welche die Pneu¬ 
monie eingeschränkt werden könnte, lassen sich theoretisch leicht 
aus der Aetiologie ableiten; sie haben aber bisher noch keine 
grosse praktische Bedeutung. Da es sich um eine Infectionskrank- 
heit handelt, bei der die Krankheitserreger wenigstens zum Theil 
zu den ubiquitären Mikroorganismen zu gehören scheinen, so können 
vielleicht alle diejenigen Maassregeln, welche in den menschlichen 
Wohnungen das Gedeihen von niederen Organismen beschränken, 
in dieser Beziehung von Bedeutung sein. Die individuelle Prophy¬ 
laxis wird darin bestehen, Gelegenheiten zu Erkältung, zu Trauma 
u. dgl. zn vermeiden und im ganzen den Körper möglichst wider¬ 
standsfähig zu erhalten. 

Bei schon vorhandener Krankheit erhebt sich zunächst die 
Frage, ob es Mittel giebt, durch welche wir die Krankheit direkt 
bekämpfen, also der Indicatio morbi unmittelbar genügen können. 
Die älteren Aerzte legten auf diese das Hauptgewicht und hatten 
meist die Ueberzeugung, dass eiue Pneumonie nur dann zum gün¬ 
stigen Ausgang gebracht werden könne, wenn man in energischer 
Weise der Entzündung entgegentrete durch eine sogenannte anti¬ 
phlogistische Behandlung. Als das wichtigste antiphlogistische 
Mittel galt die allgemeine Blutentziehung durch den Aderlass, der 
von manchen Aerzten (Boui 11 and) häufig nach einander ( r coup 
sur coup“) angewendet wurde, so lauge die Entzündung und das 
Fieber nicht rückgängig wurden; daneben wurden noch örtliche 
Blutentziehungen durch Schröpfköpfe oder Blutegel vorgenommen. 
Ausserdem wurden als antiphlogistische Mittel angewendet die 
Quecksilberpräparate und namentlich das Calomel, ferner der 
Tartarus stibiatus in verhältnissmässig grossen und lange fortge¬ 
setzten Dosen, endlich auch Kalium nitricum und manche andere 
weniger eingreifende Mittel. Erst seit der Mitte unseres Jahrhun¬ 
derts ist man allmählich zu der Einsicht gekommen, dass die 
meisten Fälle vou Pneumonie auch spontan, ohne irgend eine ein¬ 
greifende Behandlung, einen günstigen Ausgang zu nehmen pflegen, 
und seitdem sind die Blutentziehungen und die anderen Mittel, 
durch welche man der Indicatio morbi zu entsprechen dachte, 
immer mehr in den Hintergrund getreten. Man hat sich überzeugt, 
dass es mit den bisher zu Gebote stehenden Mitteln nicht möglich 
! ist, den Ablauf der Krankheit wesentlich zu beschleunigen oder 
; die Krankheit plötzlich abzuschneiden, zu „coupiren“. Man hat 
sich deshalb allmählich immer mehr darauf beschränkt, den spon¬ 
tanen Ablauf der Krankheit zu überwachen und dabei die Einzel- 
I erscheinungeu der Krankheit, welche dem Kranken Gefahr drohen 
i können, so weit in Schranken zu halten, dass der Kranke wo 
möglich die Krankheit übersteht. Es ist dies die exspectativ-sym- 
ptomatisclie Methode, welche heutigen Tages allgemein als die einzig 
zweckmässige bei der Behandlung der Pneumonie anerkannt ist. 

Die Möglichkeit, dass es einmal gelingen könne, ein Mittel zu finden, 
welches direkt gegen die Pneumonie wirksam sei, ist gerade durch die 
neuesten Untersuchungen, durch welche pathogene Mikroorganismen als die 
eigentliche Ursache der Pneumonie erkannt wurden, theoretisch wieder nahe 
gelegt werden. Ein solches specifisches Mittel könnte etwa in der Weise 
wirken, dass es die Mikrobien tödtete oder in ihrer Entwickelung beein¬ 
trächtigte, ohne dem Kranken wesentlich zu schaden, oder in der Weise, 
dass dadurch die Gewebe widerstandsfähiger oder überhaupt weniger geeignet 
würden, den pathogenen Mikroorganismen als Ansiedelungsort zu dieneu. 
Aber bisher ist ein specifisches Mittel nicht bekannt, und die Hoffnung auf 
Auffindung eines solchen ist vielleicht bei der Pneumonie überhaupt ge¬ 
ringer als bei manchen anderen Infectionskrankheiten; auch hat schon um 
die Mitte des Jahrhunderts die Einsicht in die schweren pathologisch-anato¬ 
mischen Störungen, welche bei der Pneumonie vorhanden sind, wesentlich 


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168 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 9 


dazu beigetragen, den Glauben an die Wirksamkeit der auf direkte Be¬ 
kämpfung der Krankheit ausgehenden Methoden zu beeinträchtigen. 

Die exspectativ-symptomatische Methode stellt sich 
die Aufgabe, zu verhüten, dass der Kranke während des Ablaufs 
der Krankheit derselben erliegt. Deshalb ist vor allem erforderlich 
eine klare Einsicht in die Gefahren, welche die Pneumonie gewöhn¬ 
lich mit sich bringt. Wir haben schon im früheren, hauptsächlich 
im Anschluss an die Darlegungen von Jürgensen, diese Gefahren 
erörtert und gezeigt, dass in der weit überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle mit unglücklichem Ausgang die Kranken zu Grunde gehen 
durch Herzschwäche oder Herzparalyse, und dass solche Herz¬ 
schwäche zu Stande kommt einerseits in Folge des Fiebers und an¬ 
dererseits in Folge der übermässigen Anforderungen, welche die 
Behinderung der Circulation in den infiltrirten Lungentheilen an 
das rechte Herz stellt. Zur Beseitigung der Lungeninfiltration 
können wir in direkter Weise nichts thun, wir müssen sie der Zeit 
überlassen; und so bleiben zur Abwendung der Gefahr noch zwei 
Indicationen, nämlich erstens, das Fieber so in Schranken zu halten, 
dass dasselbe nicht lähmend auf das Herz einwirken kann, und 
zweitens, das Herz möglichst lange leistungsfähig zu erhalten. Der 
ersten Indication entspricht die antipyretische Behandlung, der 
zweiten die analeptische, stimulirende oder excitirende Behandlung. 

Die antipyretische Behandlung im Allgemeinen ist früher 
bereits dargestellt worden (Vorlesungen Bd. III, p. 228 ff.; vgl. auch 
diese Wochenschrift No. 2), und es genügt deshalb, hier nur auf 
das einzugehen, was für die Behandlung der Pneumonie besonders 
zu bemerken ist. Vor allem ist hervorzuheben, dass auch bei der 
Pneumonie die direkten Wärmeentziehungen durch kalte Bäder 
sich vortrefflich bewährt haben, dass dagegen überall da, wo man 
die Bäder vernachlässigt und nur antipyretische Medicamente ange¬ 
wendet hat, die Resultate der Behandlung weniger günstig gewesen 
sind. Es sind deshalb auch bei der Pneumonie die antipyretischen 
Medicamente nur als die Reserve zu betrachten, welche erst dann 
zur Anwendung kommt, wenn die Wärmeentziehungen allein nicht 
ausreichen. Aber unter Umständen kann auch ein antipyretisches 
Medicameut., zur rechten Zeit angewendet, für den Erfolg entschei¬ 
dend sein. Ferner ist von Wichtigkeit, dass man nicht, wie es noch 
häufig geschieht, darauf ausgehe, das Fieber vollständig niederzu¬ 
halten, dass es vielmehr genügt und für den Kranken weit vorteil¬ 
hafter ist, wenn man nur dafür sorgt, dass ausreichende Remissionen 
und Intermissionen hergestellt werden. Die am wenigsten günstigen 
Resultate haben sich da ergeben, wo man bestrebt war, durch an¬ 
haltend fortgesetzte Anwendung von antipyretischen Medicamenten 
das Fieber ganz zu unterdrücken. Auch liegen gerade für die 
Pneumonie Beobachtungen vor, welche darauf hinzudeuten scheinen, 
dass die febrile Temperatursteigerung an und für sich der Entwicke¬ 
lung der Mikrobien eher hinderlich sei, dass demnach das Fieber 
vielleicht, wie es schon die alten Aerzte auffassten, eine Art Heil¬ 
bestreben der Natur darstelle (vgl. Vorlesungen Bd. III p. 220 ff.). 
Man wird deshalb die Bäder vorzugsweise während der Nacht an¬ 
wenden, um die spontane Morgenremission zu vertiefen und zu ver¬ 
längern, dagegen am Tage dem Fieber, wenn es nicht excessiv ist, 
freien Lauf lassen, und man wird auch bei etwaiger Anwendung 
eines antipyretischen Medicaments es so einrichten, dass dessen 
Wirkung mit der nach Mitternacht sich ausbildenden spontanen Re¬ 
mission möglichst zusammenfällt. 

Ich wende die Bäder vorzugsweise in der Zeit von etwa 7 Uhr 
Abends bis 7 Uhr Morgens an, und zwar so, dass im Anfänge der 
Nacht bei 400 im Rectum gebadet wird, später schon bei 39,5°, 
gegen Morgen schon bei 39°. Diese Vorschrift kann je nach den 
besonderen Verhältnissen des Einzelfalles vielfach modificirt werden. 
Je nach dem Zustande des Kranken werden entweder Bäder von 
20° C (160 R) oder noch niedrigerer Temperatur und von 10 Minuten 
Dauer, oder allmählich abgekühlte Bäder, oder endlich laue Bäder 
von etwa 30° C (24° R) und längerer Dauer angewendet, häufig 
so, dass die Temperatur für die ersten Bäder höher, für die fol¬ 
genden, wenn die Wirkung nicht ausreichend war, niedriger ge¬ 
nommen wird. Das Bad wird so oft wiederholt, als die Temperatur 
des Kranken dafür die Anzeige giebt. Während des Tages wird in 
der Regel nicht gebadet; dagegen können kalte Abwaschungen und 
kalte Umschläge, soweit sie dem Kranken angenehm sind, zu jeder 
Zeit augewendet werden. 

Man hat in früheren Zeiten sich vor der Anwendung kalter Bäder bei 
Pneumonie gescheut, indem man davon Erkältungen und andere Nachtheile 
und namentlich eine Verschlimmerung der Lungenaffection fürchtete. Die 
Erfahrung hat gelehrt, dass diese Besorgnisse unbegründet sind, dass viel¬ 
mehr ausser der temperaturerniedrigenden Wirkung auch noch die Neben¬ 
wirkungen der Bäder eher vortheilhaft sind, indem dadurch der Kranke zu 
tieferem Athmen und kräftigerer Expectoration veranlasst, körperlich und 
geistig erfrischt und angeregt, und überhaupt der ganze Organismus gewisser- 
maassen zu einem energischen Wiederstand gegen die Krankheit angetrieben 
wird. Bei der ausgedehnten Anwendung, welche ich von den kalten Bädern 
bei Pneumonie schon im Baseler Spital in den Jahren 1867 bis 1871 ge¬ 


macht habe, sind die Resultate sehr günstige gewesen. Ich gebe im folgen¬ 
den ffie Mortalitätsstatistik der Jahre 1839 bis 1871. 

I. Bei indifferenter Behandlung. 


Jahro Eingetretene Davon Mortalität 

Janre Pneumoniekranke gestorben Mortalität 

1839-1848 .... 223 55 24,7 o/„’l 

1849-1857 .... 197 49 24,9 „ } 25,3 »/„. 

1858 bis Mitte 1867 . 272 71 26,1 „ J 

II. Seit Einführung der antipvretischen Behandlung. 

Mitte 1867 bis Mitte 1871 230 '38 26,5 o/o. 

Seit Einführung der antipyretischen Behandlung sind alle Fälle auf¬ 
geführt, welche während des betreffenden Zeitraumes in das Spital eintraten, 
und darunter auch alle diejenigen, welche aus irgend einem Grunde nicht 
antipyretisch behandelt worden sind. Würde man nur diejenigen Fälle 
rechnen, bei welchen Bäder zur Anwendung kamen, so ergeben sich 152 
Kranke mit 16 Todesfällen, also eine Mortalität von 10,5 Procent. Vgl. C. J. 
Major, Ueber die Behandlung der acuten croupösen Pneumonie mit kühlen 
Bädern. Dissertation. Basel 1869. — Fismer, Die Resultate der Kalt¬ 
wasserbehandlung bei der acuten croupösen Pneumonie. Dissertation. Basel 
1873. Abgedruckt im Deutschen Archiv für klin. Med. Bd. XI. 


Von antipyretischen Medicamenten, die möglichst selten und 
gewissermaassen nur zur Unterstützung der Wirkung der Bäder in 
Gebrauch gezogen werden, wende ich vorzugsweise an das Chinin 
und das Antipyrin und in letzterZeitaucli das Antifebrin. Chinin 
wird in der Dosis von l 1 /-» bis 2 l /2 g, die binnen 1 bis 2 Stunden 
zu verbrauchen ist, gegebeu, am besten in den späteren Nach¬ 
mittagsstunden, damit die Wirkung, die nach etwa 8 bis 12 Stun¬ 
den am stärksten zu sein pflegt, hauptsächlich auf die Zeit nach 
Mitternacht falle. Von Antipyrin ist eine Gesammtdosis von 3 
bis 5 g erforderlich; da seine Wirkung schon bald nach der Ver¬ 
abreichung auftritt, so wird es am besten in den späten Abend¬ 
stunden oder kurz vor Mitternacht angewendet, etwa so, dass zu¬ 
nächst eine Dosis von 1 oder 2 g gegeben wird und dann unter 
Controle der Temperatur jede Stunde noch 1 g, bis eine genügende 
Remission begonnen hat. In ähnlicher Weise giebt man das An¬ 
ti febrin in einer Gesammtdosis von 0,75 bis 1,25, die in Einzel¬ 
dosen von 0,25 auf mehrere Stunden vertheilt wird. 


Andere antipyretische Mittel, wie Veratrin, welches früher vielfach 
empfohlen wurde, ferner Salicyisäure, Kairin, werden gegenwärtig nur 
selten bei Pneumonie angewendet, zum Theil deshalb, weil man einen un¬ 
günstigen Einfluss auf das Herz fürchtet. 

Bis vor nicht langer Zeit war das gebräuchlichste Mittel bei Pneumonie 
die Digitalis, die während mehrerer Decennien fast von allen Aerzten, 
welche dem regelmässigen Aderlass entsagt hatten, angewendet wurde, meist 
unter der Annahme, dass sie eine antiphlogistische Wirkung habe und so¬ 
mit eine Art Surrogat für den Aderlass darstelle. Man gab das Mittel ge¬ 
wöhnlich im Infusum zu 1 bis 2 g auf 180, häufig unter Zusatz von Kalium 
nitricum, alle 2 Stunden I Esslöffel. Durch Traube wurde nachgewiesen, 
dass der Digitalis eine antipyretische Wirkung zukommt; dieselbe ist freilich 
weniger sicher als die des Chinin und der neueren Antipyretica; und indem 
man diese antipyretische Wirkung für die Hauptsache hielt, ausserdem aber 
aber auch eine ungünstige Wirkung des Mittels auf das Herz fürchtete, hat 
man dasselbe in neuester Zeit fast gänzlich verlassen. Ob es wohlgethan 
war, das Mittel ganz aufzugeben, kann zweifelhaft erscheinen, da es keines¬ 
wegs ausgeschlossen ist, dass die Digitalis ausser ihrer antipyretischen Wir¬ 
kung vielleicht auch noch auf die Exsudation in den Lungen einen Einfluss 
ausüben könnte. — Auch der Tartarus stibiatus, der namentlich von 
den französischen Aerzten noch vielfach angewendet wird, ist vielleicht mit 
Unrecht in Deutschland fast gauz ausser Gebrauch gekommen. Neuerlichst 
wurde er wieder von Mosler auf Grund seiner Erfahrungen empfohlen. 
(S. diese Wochenschrift 1887 No. 47). Derselbe verordnet Tartar, stibiat. 
0,1 bis 0,3 auf 200, 1- bis 2stündlich 1 Esslöffel. — Jedenfalls können die 
theoretischen Ueberleguugen, nach welchen diese Mittel werthlos oder sogar 
schädlich sein sollen, keinen grossen Anspruch auf Beachtung machen: ein 
maassgebendes Urtheil über dieselben kann nur durch direkte Erfahrung 
gewonnen werden; die Aerzte aber, welche sich am entschiedensten gegen 
dieselben aussprechen, sind fast ohne Ausnahme solche, welche diese Mittel 
niemals angewendet haben. 

Die analeptische Behandlung wird zunächst darauf aus¬ 
gehen, die Herzkraft zu erhalten, dadurch, dass man den Kranken 
in möglichst günstige äussere Verhältnisse bringt, und namentlich 
durch eine sorgfältige Anordnung der Ernährung. Es ist dabei 
nach den auch sonst für die Ernährung bei acuten fieberhaften 
Krankheiten gültigeu Gesichtspunkten zu verfahren (Vorlesungen, 
Bd. III, p. 227). Auch ist zu berücksichtigen, dass eine antipy¬ 
retische Behandlung, welche zeitweise stärkere Remissionen des 
Fiebers herstellt, während dieser Pausen eine bessere Ernährung 
des Kranken möglich macht. Besonders wichtig für diesen Zweck 
sind die Alcoholica, die schon früher von Todd u. A. in grosser 
Ausdehnung angewendet worden waren, und denen neuerlichst 
hauptsächlich durch Jürgensen der ihnen zukommende Platz bei 
der Behandlung der Pneumonie wieder zugewiesen worden ist. 
Der Alkohol, in passender Form und Dosis dargereicht, wird leicht 
aufgenommen, ohne dass dabei eine besondere Leistung des Ver¬ 
dauungsapparates in Anspruch genommen würde. Er hat zunächst 
eine Bedeutung als Sparmittel, indem unter seiner Einwirkung der 
Gesammtstoffumsatz beschränkt wird; und dem entsprechend wird 


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1. Marz. DKUTSCJIE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1(5!) 


auch durch Alkohol beim Fieberkranken die Körpertemperatur 
etwas herabgesetzt, so dass man ihm eine wenn auch geringe anti¬ 
pyretische Wirkung zuschreiben kann. Er hat aber ausserdem, da 
er im Körper oxydirt wird, einen gewissen Nährwerth. der, wenn 1 
im übrigen die Nahrungsaufnahme erschwert ist. von grosser Be- ' 
deutung sein kann. Endlich aber ist der Alkohol in passender 
Dosis und Concentration eiues der wirksamsten Reizmittel für das [ 
Herz: dasselbe kann dadurch für einige Zeit zu einer ungewöhnlich 
grossen Leistung angetrieben und befähigt werden. In der That 
gelingt es durch eine umsichtige Anwendung der Alcoholica in 1 
vielen Fallen, das Herz so lange leistungsfähig zu erhalten, als es 
für das l'ebersteheu der Krankheit erforderlich ist. Bei der An¬ 
wendung muss in sorgfältiger Weise individualisirt und namentlich 
die bisherige Gewöhnung des Kranken berücksichtigt werden. Bei 
Gewohnheitstrinkern sind von Anfang an grössere Mengen stärkerer 
Alcoholica erforderlich: bei Kranken, welche nicht oder nur wenig 
an Spirituosen gewöhnt sind, wird . man mit massigen Dosen eines 
guten Weines beginnen uud erst, wenn Herzschwäche droht, die 
Dosis allmählich steigern, um endlich bei ausgebildeter Herz¬ 
schwäche auch die stärkeren Weinsorten in Anwendung zu ziehen. 
Bei der Anwendung der Wärmeentziehungen ist es zweckmässig, 
sowohl vor als nach dem Bade dem Kranken eine entsprechende 
Menge Wein zu verabreichen, und auch beim Gebrauch antipyre¬ 
tischer Medicamente ist es zuweilen rathsam. zugleich Alcoholica zu j 
geben. um zu verhüten, dass das bisher uuter dem Reiz der hohen 
Temperatur arbeitende Herz nicht beim Sinken der Temperatur ; 
vorübergehend in seiner Thätigkeit nachlasse. Die gleiche Rücksicht 
kann das Darreichen von Spirituosen zur Zeit einer schnell sich 
ausbildenden Krisis verlangen. Zur Anregung der ermattenden 
Herzthätigkeit kann auch beitragen die Anwendung vou Karapher 
H bis 2 g pro die) in Emulsion oder in Pulver, und vorübergehend 
kann das Herz wirksam augeregt werden durch starken Caffee, 
durch Moschus oder noch mehr durch subcutaue Injection von 
Oleum camphoratum oder Aether. Eine gewisse aualeptische 
Wirkung kommt auch den Ammoniakpräparaten zu. namentlich 
dem Ammonium earbonicum und dem Liquor Arnmouii anisatus. 

Vou sonstigen therapeutischen Eingriffen, welche durch ander¬ 
weitige Zwischenfälle oder durch besondere Krankheitserscheinungen 
nötliig werden können, seien noch die wichtigsten aufgeführt. 

Der Aderlass wird wegen der Pneumonie an sich gegenwärtig 
nicht mehr angewendet. Aber es giebt einen häufig vorkomraenden 
Folgezustand, für welchen selbst die entschiedensten Gegner der 
Blutentziehungen nicht umhin können, wenigstens theoretisch zuzu- 
eeben. dass dieselben zweckmässig seien: es ist dies der Fall, wenn 
Lungenödem droht oder schon begonnen hat. Dasselbe äussert 
sich dadurch, dass die Sputa mehr flüssig, serös und schleimig 
werden, uud dass im Bereich der nicht iufiltrirten Lungentheile 
statt des reinen Yesicularathmens reichliche Rasselgeräusche gehört 
werden. Die günstige Wirkung des Aderlasses bei beginnendem 
Lungenödem ist durch vielfache Erfahrung erwiesen, und es ist 
deshalb von untergeordneter Bedeutung, wie man sich diese Wirkung 
theoretisch erklärt. Diejenigen Aerzte, welche das Lungenödem für 
ein durch collaterale Fluxion bedingtes actives hielten, erklärten 
den Aderlass für nothwendig. damit der übermässige Druck in den 
Lungenarterien herabgesetzt werde. Diese Auffassung wurde hin¬ 
fällig, seitdem man erkannt hatte, dass das ausgebreitete Lungen¬ 
ödem gewöhnlich ein passives Gedern ist und die Folge eines hohen 
Grades von Herzschwäche darstellt (s. o.). Aber auch von diesem 
Standpunkt aus ist die theoretische Erklärung der günstigen 
Wirkling des Aderlasses nicht schwer. Indem die Blutmenge im 
ganzen Gefasssystem plötzlich vermindert wird, erfolgt zunächst 
eine vermehrte Aufnahme von Flüssigkeit aus den Geweben iu die 
Blutgefässe, und es ist zu erwarten, dass dabei die bereits in die 
Alveolen ergossene Flüssigkeit resorbirt oder wenigstens eine 
weitere Transsudation verhindert werde. Dazu kommt noch, dass 
das Herz, welches nicht mehr im Stande ist. die vorhandene Blut¬ 
menge in ausreichender Weise durch die Gelasse zu treiben, mög¬ 
licherweise dazu noch fähig sein würde, wenn die Blutmenge ge¬ 
nügend vermindert wäre; und endlich kann durch eine reichliche 
Blutentleerung auch die von dem Circulatioushinderuiss in den 
Lungen abhängige Ueberfüllung und passive Ausdehnung des rechten 
Ventrikels, welche eine vollständige Zusammenziehung desselben 
mechanisch unmöglich macht, beseitigt und damit eine ausgiebige 
Contraction des Ventrikels wieder ermöglicht werden. Es unterliegt 
keinem Zweifel, dass in früheren Zeiten der Aderlass häufiger ge¬ 
macht worden ist, als es zweckmässig war; man kann aber auch 
wohl behaupten, dass er in gegenwärtiger Zeit seltener angewendet 
wird, als es für die Kranken nützlich sein würde. Wenn es nicht 
gelungen ist, durch eine analeptische Behandlung das Auftreten 
von Lungenödem zu verhüten, und wenn bei deu ersten Anzejfhen 
desselben die Anwendung stärkerer Excitantien nicht sofort Erfolg 
hat, so bleibt als einziges Mittel, welches den tödtlichen Ausgang 


noch hinausschieben kann, der Aderlass übrig. Freilich wird 
dadurch nur ein Aufschub erreicht, und es ist zu berücksichtigen, 
dass durch die Verminderung der Blutmenge die Ernährung des 
Herzens beeinträchtigt, und somit auf die Dauer die weitere Aus¬ 
bildung der Herzschwäche begünstigt werden kann: aber ein solcher 
Aufschub ist bei eiuer Krankheit, bei welcher von einem Tage zum 
anderen eine spontane günstige Wendung erhofft werden kann, 
möglicherweise lebensrettend. Auch würde man, wenn etwa im 
weiteren Verlauf die gleichen bedrohlichen Erscheinungen sich wieder 
einstelleu sollten, nicht zögern, den Aderlass nochmals zu wiederholen. 

Ob ausserdem noch andere Indicationen für den Aderlass bei 
Pneumonie Vorkommen können, darüber sind die Meinungen ge- 
theilt. Man hat häufig eine solche auch finden wolleu in einem 
excessiveu Grade des Fiebers, und es ist nicht zu leugnen, dass 
durch eine ausgiebige Blutentziehung iu der That die febril gestei¬ 
gerte Temperatur sehr schnell herabgesetzt werden kann; aber wir 
haben zur Erfüllung dieser Indication gegenwärtig eine Reihe von 
Mitteln, welche noch sicherer wirken und den Aderlass für diesen 
Zweck entbehrlich machen. Auch ist zu berücksichtigen, dass eine 
exeessive Höhe 'des Fiebers hauptsächlich bei asthenischer Pneu¬ 
monie vorkommt, bei welcher mau den Aderlass wegen der dadurch 
begünstigten Herzschwäche mit Recht möglichst zu vermeiden sucht. 

Ausserdem hat man deu Aderlass häufig für iudicirt erklärt bei 
bedrohlichen Gehirnerscheinungen. Dabei ist zu bemerken, dass 
die gewöhnlichen Gehirnerscheinungen, welche vom Fieber abhangen, 
am besten bekämpft werden durch eine antipyretische Behandlung; 
wenn dieselben dagegen von einer Meningitis oder einer anderen 
schweren Gehirnaffection abhängig sind, so wird durch den Ader¬ 
lass gewöhnlich keine Besserung erreicht. Durch Gehirnerscheinungen 
könnte deshalb nur in gauz besonderen Fällen eine Indication für 
den Aderlass gegeben werden, nämlich erstens dann, wenn man ge¬ 
nügenden Grund hätte, das Eintreten einer Gehirnhämorrhagie zu 
erwarten, oder unter Umständen auch dann, wenn eine solche be¬ 
reits eingetreten wäre (s. Vorlesungen Bd. 11, p. 265), oder zweitens, 
wenn die schweren Störungen der Gehirnfunctionen von einem 
durch Stauung entstandenen Gehirnödem abzuleiten wären. Beide 
Fälle sind jedenfalls ausserordentlich selten. 

Oertliche Bluteutziehungen haben zwar auf den Verlauf des 
entzündlichen Processes keinen merklichen Einfluss, aber die von 
der Entzündung abhängigen Schmerzen werden dadurch ziemlich 
sicher gelindert. Eine Behandlung der Schmerzen ist dann indicirt. 
wenn durch dieselben der Kranke an ausgiebigem Athmen gehindert 
wird. Ob man örtliche Blutentzielmugeu oder etwa eine Morphium- 
Iujection gegen dieselben anwendet, muss von den besonderen Um¬ 
ständen des Falles abhängig gemacht werden. In manchen Fällen 
werden auch durch kalte Umschläge die Schmerzen genügend ver¬ 
mindert. 

Wenn der Hustenreiz sehr heftig ist. und der Kranke mehr 
hustet, als zur Herausforderung des Auswurfes nöthig erscheint, so 
ist es zweckmässig, durch Anwendung eines Narcoticum dem Kranken 
Ruhe zu verschaffen. Es kann dies geschehen durch Morphium in 
kleinen Gaben; eine gute Verordnung ist auch Opium (0,02 bis 0,03) 
i in Verbindung mit Sulfur, aurat. Antimou. (0,1), 2- bis 4mal täg¬ 
lich. Dagegen kann, wenn die Expeetoration ungenügend erscheint, 
dieselbe gefördert werden durch Anwendung von Senega im Infusum 
oder Decoct (10 auf 150) mit Zusatz von Liq. Ammon, anisat. (5), 
oder auch durch Acid. benzoic. in Pulver (0,1 bis 0,3, 2- bis 6mal 
täglich). Wenn der Schleim in der Trachea und den grossen 
Bronchien sich ansammelt und dadurch Traehealrasseln zu Stande 
kommt, so ist dies immer ein ungünstiges Zeichen, uud es wird da¬ 
durch häufig der Beginn der Agouie angekündigt. Zuweilen beruht 
eine reichliche Fliissigkeitsausammluug in den Bronchien auf Lungen¬ 
ödem, und dann ist der Aderlass indicirt. Wo solches nicht vor¬ 
handen ist und die gewöhnlichen Expectorantien nicht schnelle Besse¬ 
rung bringen, da ist in einzelnen Fällen noch von der Anwendung 
eines Brechmittels Hülfe zu hoffen. 

Man hat mit Recht hervorgehoben, dass durch ein Brechmittel die 
Herzaction noch mehr herabgesetzt und dadurch nach dieser Richtung die 
Gefahr vergrössert werden könne. Dessenungeachtet wird man, wo durch 
die Schleimansarnmlung Krstickungsgefahr herbeigeführt wird, die Anwendung 
des Brechmittels nicht unterlassen. Aber man gebe dann ausreichende 
Dosen, damit die Wirkung schnell eintrete und bald vorübergehe. Kür Er¬ 
wachsene ist z. B. die folgende Schüttelmixtur passend: Rp. Pulv. rad. 
Ipecac. 3,0, Tartar, stibiat. 0,2 (20 cg), Aq. destill. 60,0. Mucil. Gi. arab., 
Oxymell. Scillae ana 15.0 M. I). S. Umgeschüttelt alle 10 Minuten 1 Ess¬ 
löffel bis zur Wirkung. Dabei lässt man jedesmal reichlich lauwarmen 
Kamilleuthee nachtrinkeu. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die gün¬ 
stige Wirkung des Brechmittels nicht alleiu auf der mechanischen Beför¬ 
derung der Expeetoration beruht. Es ist mir schon vorgekommen, dass bei 
Kranken, welche s<> schwer darniederlagen, dass sie selbst durch die volle- 
Dosis nicht mehr zum Erhrechen gebracht wurden, das Trachealrassen bald 
nachher sich verlor und schliesslich doch noch Genesung erfolgte. 

(Fortsetzung folgt.) 


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No. 0 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


V. Ueber Strophanthus Wirkung. 

Von Prof. Dr. A. Fraenkel. 

(Schluss aus No. 8.) 

Ich komme nun zu der zweiten Gruppe; es sind dies drei 
Fälle von Arteriosclerose, in denen die Nieren p. m. relativ 
intact gefunden wurden, jedenfalls keine Schrumpfung bestand. I n 
allen drei Fällen versagte Strophanthus vollständig und 
hatte, was ich ganz besonders betone, auf die sehr be¬ 
deutenden Athmungsbeschwerden der Pat., welche sich 
in Gestalt ausgeprägter asthmatischer Anfälle äusserten, 
nicht die Spur eines Einflusses; ja es schien sogar direkt, als 
ob die Pat. während des Gebrauchs des Mittels sich schlechter be¬ 
fanden als zuvor. Bei zweien der Patienten war die Spannung der 
Arterien eine abnorme; der dritte Fall betraf einen Kranken, welcher 
mit hochgradiger Cyanose und kleinem Pulse in die Anstalt kirn. 
Bei ihm wurde p. m. eine sehr umfangreiche Bindegewebsdegene- 
ratiou des bedeutend dilatirten Herzens, namentlich im Bereich des 
Septum ventric. und der Herzspitze gefunden. Digitalis brachte 
hier die Cyanose schnell zum Verschwinden, steigerte die Arterien¬ 
spannung. während Strophanthus, wie gesagt, ganz versagte. Als 
später Calomel gereicht wurde, trat eine Steigerung der Diurese bis 
zu 2600 ccm pro die auf. Von den beiden anderen Patienten mit 
abnorm starker Arterienspannung reagirte der eine wiederholentlich | 
auf Digitalis in ganz prompter Weise. Bei der Section wurde ein I 
zwar stark dilatirtes. aber hinsichtlich des Verhaltens der Musku- ( 
latur noch ziemlich gut beschaffenes Herz gefunden. In dem anderen 
Falle versagte auch Digitalis, das Herz war hier im Verhältniss zur 
bedeutenden Dilatation nur mässig hypertrophisch und zeigte wenig 
umfängliche Bindegewebsdegeneration. Die Resultate, welche die 
Strophanthusbehandlung bei diesen 3 Kranken ergab, harmoniren 
ebensowenig mit den Beobachtungen von Zerner und Loew, als ■ 
mit denen von Hochhaus, welche gerade in Fällen von Dilatation 
und Hypertrophie der Ventrikel ohne Klappenfehler, aber mit 
Structurveränderuugeu des Herzfleisches, günstige Wirkungen, sei es 
auf die Pulsspannung und Diurese, sei es auf die Athembeschwerden 
constatirten. Es stehen dieselben auch im Widerspruch zu dem 
von den Pharmakologen speciell im Vergleich zur Digitalis betonten 
Vorzüge der Tinctura Strophanthi, besonders da wirksam zu sein, 
wo es gelte, die Herzkraft anzuspornen, ohne den Arteriendruck zu 
steigern. Würde diese Eigenschaft maassgebend für die Wirkung 
des Mittels sein, so hätte letztere gerade in den angeführten drei 
Fällen zu Tage treten müssen. 

So ungünstig also unsere Erfahrungen hinsichtlich der Tinctura 
Strophautlii bei der Behandlung der Arteriosclerose lauten, um so f 
Günstigeres habe ich von derselben bei drei Kranken gesehen, deren 
Affection zur Kategorie der sogen, functionellen Herzkrank¬ 
heiten gehörte. Es ist dies die dritte Gruppe meiner Fälle. Ur¬ 
sache der Störungen, welche in Herzklopfen, Pulsbeschleuniguug, 
Athembeschwerden und Oedemen bestanden, waren in zwei Fällen 
Alkoholmissbrauch, neben welchem in einem derselben noch über- ; 
mässiger Tabaksgenuss eine Rolle spielte; in einem dritten handelte 
es sich um Ueberanstrengung des Herzens. In kurzer Frist bewirkte 
hier das Mittel sichtliche Zunahme der Diurese bis auf 3000 ccm 
pro Tag und darüber, Verschwinden der Oedeme und der subjec- 
tiven Beschwerden, desgleichen Zunahme der Pulsspannung bei 
gleichzeitiger Frequenzverminderung, so dass alle 3 Pat. schliesslich 
geheilt entlassen werden konnten. Einer derselben verbrauchte in 1 
20 Tagen 21,5 g der Tinctur, ein zweiter in 17 Tagen = 16,5 g; 
von ungünstiger Nebenwirkung oder einer Cumulation war bei keinem 
derselben etwas zu sehen. 

Im Gegensatz zu diesen Fällen mit ausgesprochen gutem 
Resultat befinden sich wiederum drei Fälle einer vierten Gruppe, 
welche Patienten, die mit einer chronischen Nephritis behaftet 
waren, betraf. Bei einem derselben handelte es sich um Niereu¬ 
schrumpfung, eomplicirt mit Insufficienz der Aortenklappen 1 ), bei 
dem zweiten um Diabetes mit einige Wochen vor dem Tode sinkendem 
Zuckergehalt und Nephritis (die Section wurde leider nicht gestattet), 
bei dem dritten um Nierenschrumpfung. Alle drei litten an aus- j 
gesprochenen, z. Th. sehr heftigen Anfällen von cardialem Asthma, 
gegen welche Strophanthus sich absolut effectlos zeigte. Der erste ; 
der Fälle erhielt wiederholentlich Digitalis, und zwar mit günstigem 
Erfolge. 

Endlich habe ich noch zum Schluss eines Falles mit positivem 
Erfolge Erwähnung zu thun, welcher dadurch besonders bemerkens- 
werth ist, dass der betreffende Patient an einer Unterleibsaffection 
mit consecutivera Ascites litt, bei welcher nach den Mittheilungen ! 
aller Ihnen hier citirten Autoren am wenigsten von der Verabfolgung j 
der Tinctura Strophanthi hätte erwartet werden müssen. Die j 

') Schon in Gruppe 1 aufgeführt. i 


Ursache des Ascites war nicht ganz klar, doch handelte es sich 
allem Anschein nach um Stauung im Pfortadersystem, worauf auch 
der bedeutende, palpirbare Milztumor hinwies. Abusus spirituosorum, 
i sowie specifische lnfection wurde von dem Patienten in Abrede 
gestellt. Nachdem der Ascites wiederholentlich durch Punction 
ihren definitiven Effect entleert worden war, erhielt der Kranke 
Tinctura Strophanthi iu Dosen von dreimal täglich 15 Tropfen, 
wonach eine so bedeutende Zunahme der Diurese erfolgte, dass 
innerhalb weniger Wochen der locale Hydrops dauernd beseitigt 
wurde. 

Wenn ich nunmehr meine Erfahrungen über die Tinctur in 
wenigen Schlusssätzen zusammenfasse, so würden dieselben folgender- 
massen lauten: 

1. Die Tinctura Strophanthi ist ein wirksames Herztonicum, 
welches zwar in keiner Weise die Digitalis an Stärke der Wirkung 
übertrifft, wohl aber in einzelnen Fällen sie zu ersetzen im Stande 
ist. Während wiederholentlich von mir Fälle gesehen worden sind, 
in denen trotz mangelnden Effectes der Tinctur die Digitalis dennoch 
ihren anerkannten Einfluss auf Herz, Blutdruck, Diurese und sub- 
jective Beschwerden der Patienten äusserte, habe ich umgekehrt 
keinen einzigen Fall beobachtet, wo bei fehlschlagender Digitalis¬ 
wirkung mit Strophanthus eclatante Besserung erzielt wurde. 

2. In einer Reihe von Fällen, wo die Tinctura Strophanthi eine 
deutliche Wirkung auf Blutdruck und Diurese äusserte, machte sich 
trotz Fortgebrauchs des Mittels allmählich ein Nachlass dieser 
Wirkung bemerkbar, woraus auf eine schliessliche Abstumpfung der 
Empfänglichkeit des Organismus gegen das Medicament zu schliessen 
ist. Es trat dies Verhalten namentlich bei Klappenfehlerkranken 
zu Tage. 

3. Am bestell bewährte sich die Tinctur bei Kranken mit 
sogenannten functionellen Störungen der Herzthätigkeit (Alkohol-, 
Tabaksmissbrauch, Ueberanstrengung), während bei Klappenfehlern 
nur ein mässiger Effect, bei Patienten mit Arteriosclerose, sowie 
bei chronischer Nephritis ein direct negativer zu verzeichnen war. 
Doch ist zuzugeben, dass die Zahl der behandelten Fälle eine wenig 
umfängliche ist, so dass bei ausgedehnterer Auwenduugsweise die ge¬ 
machten Schlussfolgerungen vielleicht eine gewisse Einschränkung 
erfahren dürften. 

4. Unter Umständen kann die Tinctur auch bei Stauung im 
Pfortadersystem in Folge ihrer Wirkung auf Diurese und Blutdruck 
zu schneller Beseitigung des Ascites führen. 

5. Eine Beinflussung der dyspnoischen Beschwerden, unabhängig 
von der Wirkung auf Blutdruck und Diurese, wurde bei keinem 
der Kranken beobachtet. 

6 Ungünstige Nebenwirkungen, in Gestalt von dyspeptischen 
Störungen traten nur bei sehr wenigen meiner Patienten auf. 

7. Da wo Strophanthus einen günstigen Effect äussert, macht 
derselbe sich erst nach 24 Stunden oder noch später bemerkbar, 
nicht aber, wie Pins, Zerner, Loew dies sahen, schon nach Ver¬ 
lauf vou 10—15 Stunden. 

Discussion: 

Herr P. Guttmann: Meiue Herren! Ich habe Strophanthus seit dem 
Frühling des vergangenen Jahres angewendet, unmittelbar nach den Mittbei¬ 
lungen des Herrn Langgaard. Von den behandelten Fällen sind 30 für 
meine heutige Mittheilung verwerthet, IO weitere aus äusseren Gründen 
nicht verwerthet. Unter den 30 befanden sich 13 Herzklappenfehler, 
Mitral-, Aortenfehler resp. beide combinirt, 5 Fülle von chronischer Myo- 
carditis, beziehungsweise gleichzeitigem Fettherz, diese beiden Zustäude 
kommen, wie Sectionserfahrungen zeigen, häufig combinirt vor, dann zwei 
Fälle von sogenannter idiopathischer Herzhypertrophie, 1 Fall von Base¬ 
dowscher Krankheit, 2 Fälle von chronischer Nephritis, 2 von Lungen¬ 
emphysem, 1 von pleuritischem Exsudat, 2 von Ascites bei Lebercirrhose 
und 2 Fälle von Phthisis. Sie sehen schon aus der Angabe dieser Fälle, 
woraufhin die Untersuchung sich richtete: abgesehen von den schon er¬ 
wähnten Herzklappenfehlern und Herzaffectionen geschah die Anwendung 
des Strophanthus bei Pleu aexsudaten und Ascites bei Lebercirrhose in 
Rücksicht auf die Frage, ob auch in Höhlen eingeschlossene Flüssigkeiten 
ohne llerzursache durch Steigerung der Diurese vermindert werden könnten, 
bei Emphysem und Phthisis in Rücksicht auf die Frage, ob das Mittel auch 
dyspnoische Beschwerden vermindern könne. Im Ganzen weichen die Er¬ 
gebnisse nicht sehr ab von denen, welche Herr Fraenkel eben hier mit- 
getheilt hat, sie lassen sich in dem einen Satz formuliren: -Strophanthus 
ist ein brauchbares Mittel für eine Anzahl von Fällen, ist aber nicht im 
Stande die Digitalis zu ersetzen.“ Dennoch möchte ich zur Begründung 
dieses Satzes einige Bemerkungen ansehliessen über das Ergebniss in der 
einzelnen Reihe vou Fällen. Verhältnissmässig am wenigsten deutlich 
schien mir die Wirkung des Strophanthus gerade auf dasjenige Organ aus¬ 
gesprochen, gegen das es in erster Linie empfohlen worden ist, nämlich 
auf das Herz in Bezug auf Excitation seiner Thätigkcit, wo die Pulsschlägo 
beschleunigt, aber schwach sind. Nur in einigen Fällen unter den dreizehn 
Klappenfehlern habe ich diejenige Wirkung vom Strophanthus gesehen, die 
man der Digitalis zuschreibt, während Digitalis hei derselben Zahl zweifel¬ 
los sich häufiger wirksam erwiesen hätte und auch in einigen Fällen er¬ 
wiesen. hat, nachdem Strophanthus wegen Unwirksamkeit ausgesetzt worden 
war. Bei Myocarditis chronica kann man sehr leicht erkennen, ob ein 
Herzmittel wirksam ist, ob es im Stande ist die Unregelmässigkeit der 



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1 . März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 171 


Herzaction zu bessern, welche bei dieser Krankheit so gewöhnlich ist und 
woran man sie ja erkennen kann, falls nämlich Herzklappenfehler aus- 
»chliessbar sind, bei denen in späteren Stadien ja auch Arhythmie so 
häufig ist. Diese Ausschliessung ist natürlich sehr leicht. Bei diesen 
Fällen vou Myocarditis habe ich nur einmal regelmässige Pulszahl und ver¬ 
markten Puls erhalten, in den übrigen nicht. Bei Basedow’scher Krank¬ 
heit, ebenfalls eine AfTection, welche wegen ihrer dauernd hohen Pulszahl 
die Wirkung eines auf das Herz wirkenden Mittels ermessen lässt, wurde 
keine Verringerung der Pulszahl erzielt. 

Günstige Wirkung sah ich in einer nicht kleinen Zahl dieser 30 Fälle 
auf die Diurese. Es war dies für mich überraschend, weil gerade diese 
Wirkung von den früheren Autoren viel weniger in den Vordergrund ge¬ 
stellt war. Ich will nicht mit Zahlenangabeu über die Ausscheidungsgrösse 
des Harns in den einzelnen Fällen ermüden, nur erwähnen, dass in einem 
Fall durch Steigerung der Diurese die Oedeme so stark geschwunden sind 
durch Strophanthus, dass das Körpergewicht in 8 Tagen von 70 kg auf 
45 kg abnahm. Die Hainmenge, welche bei dieser Kranken vor dem 
Srrophanthusgebrauch tagelang nur 300—700 ccin betrug, stieg auf mehrere 
Tausend an jedem Tag und an einem Tage sogar bis auf 5350 ccm. In 
mehreren anderen Fällen war die diuretische Wirkung und die hierdurch 
erzielte Abnahme vou bydropischen Ergüssen ebenfalls so bedeutend, wie 
mau sie nur bei den stärksten Diureticis sieht. 

Entgegen einer vorher gemachten Angabe habe ich. in einem Falle 
freilich nur, gesehen, dass diese Diurpse noch mehrere Tage anhielt, nach¬ 
dem das Mittel absichtlich ausgesetzt war. In einem anderen Falle, wo 
>tr,*phantbus gewirkt hatte, wurde das Mittel ausgesetzt, sofort nahm die 
l'rinmenge ab, und der Hydrops stieg wieder an, es wurde aufs Neue ge¬ 
geben, der Hydrops nahm ab. Wir haben also im Strophanthus ein, wenn 
auch nicht in allen Fällen, was man von keinem Mittel sagen kann, gut 
wirkendes diuretisches Mittel. Bei Transsudaten in geschlossenen Räumen 
bestreitet Pins die Wirkung, Herr Fraenkel hat eine solche gesehen, ich 
nicht, obwohl in diesen beiden Fällen es ziemlich lange gegeben worden 
ist Ich habe es sodann angewendet bei starken dyspnoischen Zuständen, 
in zwei Fällen haben diese danach unzweifelhaft nachgelassen. Als das 
Mittel aufgesetzt war, beklagten sich die Patienten sofort über zunehmende 
brspnoe. Ich glaube, das Mittel ist werth, bei dyspnoischen Zuständen 
veracht zu werden. In zwei Fällen vou Nephritis hat es keinen nenueus- 
werthen Einfluss auf die Diurese gehabt. Die diuretische AVirkuug ist 
zweifellos Folge einer Wirkung auf das Herz, aber, dass es diuretische 
Wirkungen giebt, die ganz unabhängig sind von einer Stärkung der Herz¬ 
thätigkeit, das liegt ja bei verschiedenen Mitteln zu Tage, die garnicht auf 
•las Herz wirken, nur die Diurese steigern, beispielsweise beim Calomel. 
Ich habe dieses Mittel etwa seit einem Jahre in einer ziemlich grossen Zahl 
von hydropischeu Zuständen versuchsweise angewendet und öfters gute Wir¬ 
kungen gesehen. Ich habe den Seinen Strophantin (Combesamen) aus der 
Af-Ztheke von Dr. Kade bezogen und aus demselben eine Tinctur in der 
Apotheke des von mir geleiteten städtischen Krankenhauses Moabit unfer¬ 
tigen lassen, welche auf 100 Thcile Alkohol 1 Theil Strophanthus enthielt. 
Diese Tinctur ist also eine Sfache Verdünnung gegenüber deijenigen, die 
andere Autoren angewendet haben. Von dieser Tinctur habe ich in 
inaxiroo in einem Falle lbO Tropfen pro Tag gegeben, in einzelnen dann 
noch über lOO, in allen anderen Fällen weniger, etwa 80, 90 Tropfen 
pro Tag. 

Wenn ich mich also resumiren soll, so sage ich: Strophanthus ist ein 
trutes diuretisches Mittel, diese Wirkung, wo sie eintritt, ist wohl die Folge 
von einer Wirkung auf das Herz, oft aber schlägt die Wirkung fehl. Das 
Mittel ist unzuverlässig und mit Digitalis nicht zu vergleichen. 

Herr Thorner: Ich möchte an die Herren Vorredner folgende Frage 
richten: Herr Fraenkel hat die Wirkung der Tr. Strophanthi auf das Herz | 
bervorgehoben, Herr P. Guttmann die diuretische Wirkung so weit sie durch 
•las Herz vermittelt wird, in den Vordergrund seiner Betrachtung gestellt. 
Beide Redner waren darüber einig, dass die Wirkung der Digitalis zuver¬ 
lässiger sei. Es kommt nun aber noch eine Frage in Betracht, die wohl 
für die Anwendung des Mittels in der Praxis eine der wichtigsten sein 1 
dürfte: was leistet das Mittel bei vorgegebener Digitalis? Sehr oft tritt 
V-e'v ungenügender Herzarbeit ein Zustand ein, wo Digitalis wegen der zu | 
befürchtenden Cumulations-Wirkung nicht fortgegeben werden darf, und doch 
Doch das Bedürfnis besteht, im Sinne der Digitalis auf das Herz zu wirken, j 
Die Beantwortung vorstehender Frage würde mich sehr interessiren. 

Herr Langgaard: Es giebt etwa 18 verschiedene Strophanthusarten, 
von denen ich Ihnen mitgebracht habe, was ich davon besitze, theils l 
-rammen die Präparate aus der Sammlung des Pharmakolog. Instituts, iheils I 
-ind sie Privatbesitz. Die gewöhnliche Handelssorte sind die Uombesameu 
aus Ostafrika, welche nach Entfernung der Federkrone zur Bereitung der i 
Tinctur benutzt werden. Importirt werden die vom Epicarp und Mesocarp be¬ 
freiten Früchte, wie ich sie Ihnen hier vorzeige. Lederartige Schoten, welche I 
etwa 100—‘200 Samen enthalten. Eine andere Sorte von Samen ist weiss, die- ! 
—Ibe bildet keine eigentliche Handelssorte und wird meines Wissens nicht zur [ 
Darstellung von Tincturen benutzt. Eine dritte Sorte sind die Samen von 
>trophanthus hispidus aus Westafrika, und als vierte zeige ich Ihnen hier 
'amen unbekannter Herkunft vor. ich bin der Letzte, der die Resultate 
von Thierversuchen direkt auf Menschen überträgt, dieselben bilden aber 
eine »ehr wichtige Basis, ganz besonders bei einer Substanz, welche als 
Er»atz für ein so wichtiges und werthvolles Mittel wie die Digitalis 
»•rnpfohlen ist. Indem wir bei Thieren toxische Dosen geben können, treten 
Symptome in die Erscheinung, wie sie bei den kleinen Dosen beim Menschen 
nicht zu beobachten sind. So können uus Unterschiede klar werden, die 
-•n»t verloren gehen. Nach meinen an Thieren gemachten Beobachtungen 
••vistiren nun in der That ganz erhebliche Unterschiede in der Digitalis- 
'iiid Stropbanthnswirkung. Zunächst die Pulsfrequenz. A on der Digitalis 
••rwarten wir, dass sie die Pulsfrequenz herabsetzt: bei Strophanthus ist 
■ lie»e Wirkung eine sehr untergeordnete. Bei kleinen Dosen beträgt sie 


I nur wenige Schläge oder sie tritt gar nicht ein; bei grossen Dosen sinkt 
j die Pulsfrequenz etwas, jedoch ist diese Abnahme garnicht mit derjenigen 
, zu vergleichen, wie wir sie nach Digitalis beobachten. Als ganz charakte- 
I ristisch für Strophanthus führe ich die verhältnissmässig sehr früh auftretende 
! Unregelmässigkeit der Herzthätigkeit an. 

Zweitens der Blutdruck. Meine neuen Versuche bestätigten nur die 
I früheren Ergebnisse. Kleine Dosen wirken auf deu Blutdruck nicht, bei 
grossen Dosen ist die Wirkung entweder vorübergehend, oder man sieht 
ein continuirliches Sinken des Druckes bis zum Tode des Thieres. Erheb¬ 
liche Drucksteigerungen kommen zuweilen vor, aber erst nach einer Periode 
bedeutender Druckschwaukungen und unregelmässiger Herzthätigkeit kurz 
vor dem durch Herzlähmung eintretenden Tode. 

Wie verhält sich Strophanthus gegenüber dem Herzmuskel? Von 
der Digitalis ist Ihnen bekannt, dass dieselbe eine direkte Wirkung auf 
den Herzmuskel ausübt, die sich in eiuer Verstärkung der systolischen 
] (.'ontraction kundgiebt. Eine gleiche Wirkung kommt nach Fraser dem 
i Strophanthus zu. Diese Angabe ist nicht unwidersprochen geblieben. So 
1 giebt Haas an, dass er beim Menschen jegliche Verstärkung der Herz- 
, thätigkeit vermisst habe Die günstigen Erfolge, welche dieser Autor bei 
seinen Herzkranken beobachtete, führt derselbe zurück auf eilte Verminde¬ 
rung resp. Beseitigung der Widerstände in Folge einer durch das Mittel 
! bewirkten Gcfässlähtnung. — Fraser stützt seine Angabe auf die 
Beobachtungen am Frosch heizen, auch ich kann dieselbe für dieses Ver¬ 
suchsobject bestätigen. Bei kleinen Dosen erfolgen die Systolen energischer 
und vollständiger bei starker Füllung «los Ventrikels während der Diastole. 
Wenn man aber die Dosen etwas vergrössert, so sieht man, dass das Herz 
das Bestreben zeigt, mehr und mehr in l'outractionszustand überzugehen: 
schliesslich tritt in Systole Herzstillstand ein, und der Herzmuskel ist ge¬ 
lähmt. Für den Warmblüter lässt sich diese Wirkung auf den Herzmuskel 
nicht so exact angeben. Aus dem Umstande, dass bei Thieren, die au 
Strophanthus gestorben waren, das Herz nicht in Systole Stillstand, hat man 
. folgern wollen, dass überhaupt eine derartige Wirkung auf deu Herzmuskel 
nicht besteht. Meine Herren, dieser Schluss ist nicht richtig. Auch bei der 
Digitalis, «lie zweifellos eine derartige Wirkung hat, finden wir das Herz 
nicht in fest contrahirtem Zustande. Eine Zunahme in «ier Höhe der 
einzelnen Pulswellen habe ich nicht beobachtet. 

Ich komme jetzt zu dem Vorhalten der Gefässe. Als fundamentaler Unter¬ 
schied gegenüber der Digitalis ist von Fraser das Fehlen einer Wirkung auf 
die Gelässmuskulatur hervorgehobeu worden. Fraser experimentirte an 
Fröschen, denen das Centralnervensystein zerstört war und die küustiich durch¬ 
spült wurden. Aus der Menge der ablaufenden Flüssigkeit beurtheilte er den 
Gefasszustand und schloss, dass eine ('ontraction der Gefässe, wie nach Digitalis. 

, nicht stattfinde. Nun ist aber «ler Frosch für derartige Versuche eiu sehr un¬ 
geeignetes Object. Ich habe mit diesen Thieren ein ähnliches Resultat er¬ 
halten wie Fraser, ja ich beobachtete sogar gesteigerten Abfluss, was auf 
; eine Gefässerweiterung schliessen liess. Bei der überlebenden, durch¬ 
bluteten Hundeuiere lässt sich dagegen eine Gefasscontraction nachweisen. 
Hierin befinde ich mich in Uebereinstitninung mit Thomson, der unter 
Kobert arbeitete, und mit Phillipps. — Die Wirkung auf das Nervensystem 
ist schon von Herrn Fraenkel betont. Dass das Mittel beim kranken 
Menschen diuretisch wirkt, ist wohl zweifellos. Zur Erklärung dieser Er¬ 
scheinung müssen wir wieder auf das Thierexperiment zurückgreifen. Ich fand, 
dass Thiere nach Strophanthusgaben zuweilen häufiger urinirten, 'häufig war 
] jedoch kein Unterschied erkennbar. In einer Anzahl von Versuchen 

wurden (,'anülen in die Uretheren eingebunden, so dass die Vrinseoretion 
direkt beobachtet werden konnte, während die Thiere gleichzeitig mit dem 
Kymographion in Verbindung standen. Ich habe dabei, allerdings nicht 
constant, eine leichte Steigerung der Diurese, in einigen Fällen bis auf 
ungefähr das Doppelte beobachtet, ohne gleichzeitige oder voraufgehende 
Blutdrucksteigerung. Hiernach halte ich eine geliud reizende Wirkung auf 
die Nierenelemente für wahrscheinlich. 

Fraser hat Strophanthus ferner als Muskel- und Herzgift bezeichnet. 
Dem ist neuerdings widersprochen worden. Nach Mairet und Com bemale 
sollen toxische Dosen durch Respirationsstillstaud tödten. Ich habe da¬ 
gegen alle Thiere nur an Ilerzlähinung zu Grunde gehen sehen, die Respi¬ 
ration hat die Herzthätigkeit stets überdauert. 

Ich komme jetzt /u einem Punkte, dessen Erörterung, wie ich glaube, 
dazu beitragen wird, die au Kranken gewonnenen sich widersprechenden 
Resultate zu erklären: Es ist das die Beschaffenheit der angewendeten Prä¬ 
parate. Das gebräuchlichste derselben ist die Tinctur. Es ist ganz un¬ 
glaublich, von wie verschiedener Wirksamkeit diese angetroffen wird. 
Von einigen genügten bereits 0,2 ccm pro Kilo Thier, um dasselbe zu 
tödten, von anderen wareu dazu 1,5 ccm und noch mehr erforderlich. Aber 
nicht nur quantitative, auch qualitative Unterschiede bestehen zwischen 
verschiedenen Tincturen, indem bald die Wirkung auf das Herz, bald «lie 
auf das Nervensystem mehr ausgeprägt war. In letzterem Falle schien dann 
auch die Diurese stärker beeinflusst zu werden. Diese Differenzen lassen 
sich nur durch ungleichartige Beschaffenheit der angewandten Präparate er¬ 
klären und sind zurückzuführen auf eine verschiedene Bereitungsweise und 
vielleicht auch auf die Benutzung verschiedener Samen. (Redner «iemonstrirt 
eine Anzahl von Tincturen, welche sich schon durch ihre Farbe wesentlich 
von einander unterscheiden.) 

Wie ich bereits erwähnte, werden zur Darstellung der Tincturen die 
sogenannten Coinbt'samen benutzt. Durch Culturen. welche in England mit 
diesen Samen vorgenommen wurden, hat sich ergeben, dass dieselben von 
mindestens zwei verschiedenen Arten abstammen. Ob diese beiden Arten 
die gleiche Wirkung zeigen, wissen wir nicht, auch sind wir bis jetzt nicht 
im Stande zu beuriheilen, wie viel Samen von der einen, wie viel von der 
anderen Art in der Waare enthalten sind. Möglich i»t es auch, dass noch 
andere Arten zur Darstellung benutzt werden. Eine von mir selbst aus an¬ 
geblich echtem Strophanthussamen dargestellte Tinctur zeigte fast gar keine 
Herzwirkung, statt (lassen stellten sich bei einer Steigerung der Dosis teta- 


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172 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 9 


nische Krämpfe ein. In diesem Zustande lag das Thier annähernd 3 Mal • 
24 Stunden, bis es an Erschöpfung zu Grunde ging. 

Auch andere Droguen, garnicht von Strophanthus herrührend, sind im- • 
portirt worden. Ich zeige Ihnen hier eine Kicksia-Art vor. Es scheint 
eben jetzt in Afrika Alles, was nur äusserlich an Strophanthus erinnert, 
abgerissen zu werden. Der neueste Coup ist der Import unreifer Samen, J 
welche, in grosser Menge auf den Markt geworfen, den Preis des Mittels , 
herabgedrückt haben. Wir haben jetzt begründete Aussicht, in Zukunft 
mit noch schlechteren, noch ungleichartiger wirkenden Präparaten zu experi- 
meutiren. 

Unter diesen Umständen tritt an uns die Frage heran, ob es nicht 
rathsamer erscheint, statt der Tincturen das wirksame Princip der Samen, 
das Strophanthin anzuwenden. Meiner l'eberzeugung nach sind wir jedoch 
noch garnicht in dem Besitz eines reinen Präparates. Fraser war selber 
genöthigt, seine früheren Angaben über das wirksame Princip zurückzu- I 
nehmen. Was er zuerst als Strophanthin bezeichnete. war nach seiner 
zweiten Mittheilung ein Gemenge einer Säure, der Corabesäure, und einer 
zweiten von ihm jetzt als Strophanthin benannten Substanz. Sie werden, 
meine Herren, aus den Handelspräparateu, die ich Ihnen hier vorzeige, den 
Eindruck erhalten, dass es sich nicht um gleichartige Substauzen handelt. 
Nach Fraser ist das wirksame Princip ein stickstofffreies Glykosid. Zu 
ganz anderen Resultaten kamen neuerdings Bardet und Adrian, welche 
angeben, aus dem Strophanthin durch Beliamteln mit Säuren ein Alkaloid 
abgespalten zu haben. Auch soll nach diesen Autoren in der alkoholischen 
Tinctur neben dem Strophanthin ein Alkaloid Vorkommen, welches nicht 
identisch ist mit dem aus Strophanthin abgespaltenen. 

Herr Fürbringcr: Herr Fraenkel hat in seinem Vortrage über 
Strophanthus gegenüber den im Friedrichshain gewonnenen Beobachtungs- 
resultateu den Mangel einer antidyspnoischen Wirkung unter Anderem auf¬ 
geführt. Es wird ihn interessiren, zu erfahren, dass gerade dieser Gegen¬ 
satz durch meine jüngsten Beobachtungen, die einigermaassen den Stand¬ 
punkt verrückt haben, wie ihn Dr. Hochhaus tixirt hat und wie er damals 
auch der raeinige war, wesentlich abgeschwächt wird, wenn ich auch im , 
Uebrigen nicht bereit sein kann, einen völligen Compromiss mit ihm zu ' 
schliessen. Zu den (»0 Fällen, die Hochhaus als Grundlage seiner Arbeit 
benutzt hat. sind noch etwa 00 hinzugekommen. die ich freilich nicht alle : 
mit wünschenswerther Genauigkeit habe verfolgen können; immerhin dürften 
sie folgende Urtheile rechtfertigen, die leider die Sache in positiver Richtung 
nicht wesentlich vorwärts gebracht halten. Ich will voranschicken, dass die 
späteren Erfahrungen wachsend ungünstig waren, derart, dass von den 120 
Fällen nur ca. 30 übrig blieben, wo das Medicament in unzweideutiger ' 
Weise genutzt hat. Mindestens drei Viertel der Fälle haben versagt. 
Zunächst möchte ich hervorheben, dass die bisherigen Indirationsstcllungen 
viel zu sehr in’s Detail gegangen sind. Hie Verhältnisse liegeu hier sehr 
complicirt und sind schwer berechenbar. Ein paar Dutzend Fälle allgemeinen 1 
Schlüssen zu Grunde zu legen, halte ich für sehr gewagt. Mehrmals glaubte 
ich schon ganz bestimmte Gruppen zur Indicationsstellung fixirt zu halten, 
aber immer wieder wurden die .Schlussfolgerungen über den Haufen ge¬ 
worfen durch neue Beobachtungen, theils mit negativem, theils mit posi¬ 
tivem. jedenfalls mit entgegengesetztem Resultat. Herzklappenfehlcr, Myo- 
carditis, Fettherz, Schrumpfniere u. s. w haben in völlig gesetzlosem Hin- 
und Herschwanken dem Mittel getrotzt und gehorcht, trotzdem anscheinend 
gleiche Formen Vorlagen und das Präparat stets das gleiche war. Ich 
möchte nur eine einzige allgemeine Indication aufzustellen wagen, für die 
Strophanthus einigermaassen Erfolg verspricht: diese ist nicht in der Form, 
sondern in dem Alter der Herzaffection gegeben; je frischer die Compen- 
sationsstörung. namentlich je frischer der Hydrops, um so wahrscheinlicher I 
findet eine Ausgleichung der Compeusationsstörung durch Strophanthus statt, 
ganz ähnlich wie bei der Digitalisbehandlung. 

Fast ausnahmslos wurde eine wesentliche antidyspnoische Wirkung 
nur da beobachtet, wo zugleich eine ausgesprochene antihydropischc Wirkung 
sich entwickelte: im Uebrigen habe ich nur selten asthmatische Zustände 
dem Mittel weichen sehen. Freilich hat es an verschiedenen scheinbaren 
Erfolgen nicht gefehlt, so namentlich bei Emphysem und Asthma. Hier 
ist vor Allem Vorsicht geboten; die beobachteten Besserungen waren höchst¬ 
wahrscheinlich Post- und keine Proptcr-Wirkungen: die geänderte Lebens¬ 
weise, Ruhe und Pflege während des Krankenhausaufenthalts beeinflusst 
bekanntlich dyspnoische Zustände bei Lungenemphysem und bei versi hie- 
denen nervösen Zuständen, sobald das Herz nicht wesentlich gelitten hat, | 
fast regelmässig auf das Günstigste. 

Bei rein renalem Hydrops bezw. bei echtem Morbus Brightii ist 
die Wirkung des Strophanthus fast Null: hierin befinde ich mich durchaus 
in Uebereinstimmung mit den Herren Fraenkel und Guttinaun — im 
Gegensatz zu den Berichten von Pins, die wenig Kritik verrathen. Du- 
jardin-Beaumetz, welcher in Bezug auf Empfehlung von neuen Medi- 
eamenten das Möglichste leistet, hat geradezu den Morbus Brightii als 
Contraindication für .Strophanthus aufgestellt. Anders bei der eigentlichen 
Schrumpfniere, sobald das hypertrophische Herz erlahmt ist. und Oedeme 
und Compensationsstörungen auftreten.* Hier kann man kaum noch von 
renalem Hydrops sprechen, vielmehr ist derselbe wesentlich eiu cardialer, 
besonders bei der arteriosklerotischen Form. 

Die Theorie der Wirkung anlangend ist schon von Herrn Langgaard 
erwähnt, dass sich zwei Ansichten gegenüberstehen. Nach den meisten Autoren 
ist Str. ein direktes llerztonicum, während Haas in einer ganz trefflichen Ar- ! 
beit, wie mir scheint, hervorgehoben hat, dass das Medicament nur indirekt 
auf's Herz wirke, derart, dass die Widerstände in der Gefässcirculation ge- , 
ringer werden resp. aufhören, und nun das entlastete Herz besser, ruhiger 
arbeiten kann. Hier und da mag eine solche Wirkung auf die Muskulatur 
der peripheren Gefässe stattfinden, aber die Hauptwirkung ist, m. H., die¬ 
jenige, welche der Digitaliswirkung entspricht: auch ich muss .Strophanthus der 
Hauptsache nach für ein primäres llerztonicum halten. Hier zwei Beispiele, 
die diese Ansicht begründen. Wenn bei reiner Aorteninsufticienz Compen- 


sationsstörung auftritt, wirktStrophanthus ebensowenig wie Digitalis; beseitigte 
es die peripheren Widerstände, so müsste gerade hier, wo Digitalis fast 
immer versagt, eine Wirkung auftreten. Ferner beobachteten wir in einigen 
Fällen von Schrumpfniere, wo Strophanthus hervorragend gewirkt hatte, den 
Ausgleich der Compeusationsstörung in demselben Maasse, in welchem der 
harte Drahtpuls wieder unter die Hände gelangte. So lange ein derartiger 
Puls existirt. wird wohl von einem Aufhören der Widerstände nicht die 
Rede sein können. Ich möchte dann eine Warnung aussprechen, obwohl 
ich hierin vielleicht zu schwarz sehe und der Zufall einen Streich gespielt 
haben kann. Von den 120 Kranken sind 3 plötzlich und unerwartet ge¬ 
storben, ohne dass die Section irgend einen Anhaltspunkt gegeben, weder 
<'oronararterienaftection, noch Lungenarterienembolie. Der erste Todesfall 
ist bereits von Hochhaus erwähnt, und die Möglichkeit seines Zusammen¬ 
hanges mit Herzlähmung durch Strophanthus angedeutet. Der zweite Fall 
(ebenfalls Mitralstenose) ereignete sich wenige Wochen nach der Publication, 
der dritte vorgestern. Es handelte sich hier um Myocarditis. Es ist mir 
sehr wohl bekannt, dass bei den genannten AfTectionen plötzlicher Tod 
Vorkommen kann; immerhin ist die Häufung da, wo Strophanthus ziemlich 
lange und in ziemlich grossen Dosen gegeben worden war, auffällig. Auch 
Bowditch hat einen ganz ähnlich gestalteten Fall angeführt. Langgaard 
hat bereits in der ersten Mittheilung auf die Gefahr der Herzlähmung durch 
Strophanthus hingewiesen, Haas gefunden, dass bei Stenose der Herzostien 
die Compensationsstörung sich nicht ausgleicht, sondern lebensgefährliche 
Zustände, drohende Erstickung und Collaps, eintreten. Endlich räth neuer¬ 
dings kein Anderer als Fraser selbst zu grosser Vorsicht in der Dosirung. 
Jedenfalls ist das Ilerzgift Strophanthus kein so harmloses Mittel, als es von 
einer Reihe von Autoren ausgegeben worden. Ich erinnere nur an ent¬ 
sprechende Erfahrungen mit der Digitalis in früheren Zeiten. 

Endlich noch ein Wort über eine vortheilhafte Anwendung des Mittels, 
die von den anderen Vortragenden nicht erwähnt, aber schon von Hoch¬ 
haus empfohlen worden ist. Ich rathe Strophanthus nicht nur da zu ge¬ 
bt auchen. wo Digitalis versagt, nicht schnell genug wirkt, oder schlecht 
vertragen wird, also als Substitut, sondern auch mit Digitalis zusammen 
als Bundesgenossen zu geben. Ich stütze mich hierbei lediglich auf prak¬ 
tische Erfahrungen: In Fällen von hochgradigem Hydrops, wo Digitalis, 
Strophanthus, Kali aceticum selbst in grossen Dosen allein versagten, com- 
binirten wir alle drei Diuretica und haben selbst da, wo nur noch wenige 
Hundert Dubikeentimeter Harns entleert worden waren, durch I—2 Tage 
lang gereichte energische Dosen eine wahrhaft enorme llochfluth, 6000 ebem 
und darüber, beobachtet. Ich möchte gleich zufügen, dass ich, obwohl im 
Princip ein abgesagter Feind eomplicirter Recepte, keinen Anstand genom¬ 
men habe, in ganz verzweifelten Fällen von cardialem Hydrops, wo auch 
diese Combination nicht gewirkt hat, ausserdem noch zu Calomel oder 
Coffein oder Campher zu greifen, um die immerhin preeären und zwei¬ 
schneidigen Scarificatiouen zu vermeiden. Die Wirkung ist einige Male 
eine ausgezeichnete, selbst andauernde gewesen. Patienten, welche fast 
sterbend schienen, sind entlassen worden, haben sich wochenlang wohl be¬ 
funden. Da, wo auch unser „Mixtum composilura“ versagte, war der Fall über¬ 
haupt verloren. Das Herz ist dann eben abgearbeitet, derartig entartet, dass 
der Tod vor der Thürc steht. Wir haben nach und nach die Wirkungs¬ 
losigkeit der Triarier als Reagens auf die baldige Erlösung der aufgegebe¬ 
nen Kranken kenneu gelernt. 

Herr Fraenkel: lm allgemeinen hat sich aus der Discussion die Tliat- 
saclie ergeben, dass die ausgezeichneten Erfolge, welche die ersten Autoren 
mit dem Mittel beobachtet haben wollen, von uns hier nicht in gleichem 
Maasse erzielt worden sind. Die Frage des Herrn Thorner betreffend: 
„Ob Strophanthus noch wirksam sein könne, wenn mit Digitalis kein Effect 
mehr zu erzielen sei, entweder wegeu bereits sich bemerkbar machender 
eumulativer Wirkung, oder deswegen, weil die Patienten nicht mehr ordent¬ 
lich darauf reagiren“, so habe ich, wie ich glaube, schon voriges Mal an¬ 
geführt. dass ich in derartigen Fällen auch von Strophanthus keinen Nutzen 
gesehen habe. Ich glaube, dass die verhältuissmässig geringen Differenzen 
zwischen mir und den Herren Guttmann und Fürbringer sich vielleicht 
aus dem von Langgaard urgirten Umstande erklären lassen, dass wir noch 
kein einheitliches Präparat, haben. So lange das nicht der Fall ist, wird 
auch eine bestimmte Einigung über die Wirkungsweise des Mittels sich 
nicht erzielen lassen. Wichtig erscheint mir endlich, dass Herr Fürbringer 
in einer der von ihm aufgeführten Schlussthesen zu dem gleichen Resultate 
wie ich gelangt ist, nämlich dass eine antidyspnoische Wirkung der Tinctura 
Strophanthi sich im allgemeinen nur da zeigt, wo ein gleichzeitiger Einflug 
des Mittels auf die Diurese bemerkbar ist. 


VI. Beiträge zur Localisation im GrossMrn 
und über deren praktische Verwerthung. 

Von Dr. M. Jastrowitz. 

(Fortsetzung aus No. 8.) 

Ich bespreche die Diagnose der beiden lety.teu Fälle VI und 
VII gemeinschaftlich, weil sie zusammengehören und sich ergünzeu. 
Zur allgemeiner Begründung darf ich auf die bei Fall V gegebenen 
Erklärungen in den meisten Punkten verweisen. 

Die Annahme eines Leidens in der motorischen Gegend der 
Hirnrinde, und zwar einer solchen, welche Arm- und Beincentrum 
betraf, war bei beiden Patienten begründet. 

1. Die Lähmungen begannen monoplegisch in der linken 
resp. rechten Hand, indem dieselbe bei VI vorübergehend uieht 
geschlossen werden konnte, alsdann das linke Bein, sodann der 
Arm gliedweise gelähmt wurde, während bei VII die rechte Hand, 


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1. Marz. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 173 


mangelnden Schlusses wegen, nicht zu schreiben vermochte, alsdann 
die Paralyse den rechten Arm und darauf das rechte Bein befiel, 
und zwar anscheinend auch gliedweise. Bei VI schritt diese Läh¬ 
mung im Allgemeinen von oben nach unten; bei anderen Fällen 
schlägt die Lähmung den umgekehrten Gang, von unten nach oben, 
ein. Jedenfalls ist die gliedweise Lähmung ein Punkt, auf 
welchen aus diagnostischem Interesse besonders zu achten ist, ferner 
die Lähmung in Form einer Radialis-Parese oder Paralyse, die bei 
Riudenherden ebenfalls vorkommt. — 

Weil bei VI zuletzt noch die Mitbewegung, von der gesunden 
Seite her, auf die linken Extremitäten übertragen werden konnte, 
und weil das Beincentrum auf der rechten Seite ausschliesslich im 
oberen Theil beider Gyri centrales und im Paracentrallappen gelagert 
ist, schloss ich auf einen sehr hohen Sitz der Affection in der CA. 
Denn die Mitbewegungen der Extremitäten werden durch die Balken¬ 
fasern vermittelt, wie Novi und Bai di experimentell nachgewiesen 
haben. 1 ) Die aus dem Balken kommenden, zur Verbindung der 
Beincentren bestimmten Fasern steigen aber vom Körper des Bal¬ 
kens fast senkrecht an der medialen Wand der Hemisphäre zu den 
Centralwindungen oben empor. Ein Herd also, welcher Bein und 
Arm schädigte, dessen Sitz mehr seitlich auf der CA anzunehmeu 
war, konnte sehr wohl, indem er medialwärts sich verbreitete, zuletzt 
die den Mitbewegungen dieser Extremitäten dienenden Commissur- 
fasern des Balkens erfassen und vernichten. 

Das fast gänzliche Freibleiben des Facialis in Fall VI und die 
blosse Parese desselbeu iu Fall VII Hess auf eiuen vom Facialis- 
centnim entfernten Herd schliessen Freilich will mir scheinen, als 
ob die Facialislähmungen, welche Herde in der Rinde verursachen, 
überhaupt nicht sehr ausgesprochen seien, gleichviel, ob der rechte 
oder linke Facialis betroffen ist. — 

Vielleicht darf hier auch auf die iu beiden Fällen beobachtete 
ßumpflähmung hingewiesen werden; insofern wir, nach den von 
Monk und Horsley experimentell an Thieren gemachten Erfah¬ 
rungen. Grund haben, das Centrum für die Rumpfmuskulatur unter¬ 
halb des Fusses von Fi und an deren medialer Seite zu suchen. 
F : > scheint mit Rumpflähmungen nichts zu thun zu haben, wie 
Fall III bewies. Bei Fall II bestand solche Rumpflähmung, indess 
war zugleich das Corp. striat. erweicht, und Rumpflähmungen sollen 
auch nach ausgedehnten Zerstörungen des Streifenhügels und der 
Pedunculi cerebri Vorkommen. Immerhin konnte auch die Rumpf¬ 
lähmung bis zu einem gewissen Grade auf einen hohen Sitz des 
Cebels hinweisen. 

2. In beiden Fällen trat früh Muskelsteifigkeit und Früh- 
»ontractur ein, nebst Erhöhung der Sehnenreflexe. Auch 
die irritativen oder Frühcontracturen können, wie bei Durch¬ 
brach einer Blutung in die Ventrikel, bei Meningealblutungen, eben¬ 
so bei direkter unmittelbarer Reizung der Pyramidenfasern sofort 
sich einstellen. Es kann die Frühcontractur aber auch erst nach 
einigen Tagen sich bemerklich machen. Letzteres geschieht, wenn 
der Herd in der Nachbarschaft der Pyramidenfasern sitzt, und die 
Entzündung auf diese sich erst fortpflanzt. 

Die Frühcontracturen unterscheiden sich von den degenera- 
tiven oder Spätcontracturen nur insoweit, als letztere noch 
später, nach Vulpian frühestens nach 20 Tagen, eintreten. Bei den 
<?rsteren, wie bei den letzteren, können neben den Muskeln, welche 
das Gelenk in bestimmter Lage fixiren, auch deren Antagonisten con- 
tracturirt sein, wie durch Fall VII bewiesen wird, bei welchem gleich¬ 
wohl im obersten Rückenmarkstheil keine secundäre Degeneration ge¬ 
funden wurde. Natürlich sprechen für die Anwesenheit der sekun¬ 
dären Contractur etwaige Folgezustände, Verdickungen der Gelenke, 
Verkürzungen der Sehnen und Bänder, ferner das Auftreten von Ent- 
artnngsreaction in den contracturirten Muskeln, welche eine weitere 
Aasbreitung des Processes von den Pyramiden auf die Vorderhörner 
des Rückenmarks voraussetzt. 

3. Bei beiden Patienten wurden Jackson'sehe Krämpfe be¬ 
obachtet, und zwar bei Fall VI unilaterale Convulsionen, die mit 
dem linken gelähmten Fuss regulär begannen und im linken Gesicht 
und in den Augen endigten, schliesslich in allgemeine Krämpfe 
aosarteten. Bei Fall VII waren es zuerst gleichfalls dieselben, mit 
dem gelähmten rechten Fuss beginnenden einseitigen Krämpfe, so¬ 
dann dissociirte Monospasmen des unteren Facialis, des rech¬ 
ten Beines, des linken gesunden Beines und des rechten Exteusor 
Hallucis longus. 

Letztere beiden Krampfarten verdienen besondere Beachtung: 
Die plötzlichen sehr heftigen Krämpfe im linken gesunden 
Beine erklären sich am besten durch den Heidenhain’sehen 


*) Cf. ferner darüber Westphal, Ueber einige Bewegungsstörungen j 
an gelähmten Gliedern (Archiv für Psychiatrie 1874). Die entgegenstehenden, ; 
mir nur ans einem kurzen Referat bekannten Angaben Exner’s betreffen 
•len Facialis des Kaninchens, einen Nerven, der stark doppelseitig innervirt | 
wird, dessen Commissuren sich weiter unten im Himstamm finden. 


Versuch, welcher lehrt, dass nach Exstirpation der Rinde einer 
Seite, Reizung des unterliegenden Markweisses Krämpfe der gleichen 
Seite erzeugt, und zwar durch Reizung der nach der gegenüber¬ 
liegenden Seite ziehenden Commissurfasern. Beim Auftreten 
von mit dem Herd gleichseitigen Krämpfen kann man 
also eine starke Zerstörung der grauen Rindensubstanz 
voraussetzen, wie im Fall VII damals bereits geschehen war, 
als die Krämpfe im gesunden Beine gesehen wurden. 

Für den merkwürdigen, in den letzten Wochen der Krankheit 
oft bemerkten, ganz isolirten Krampf des Extensor Hallucis longus 
dexter glaube ich ohne Zwang den bohnengrosseu Secundärknoten 
verantwortlich machen zu können, welcher auf der linken CP 
oberflächlich, 4 cm von der Scissura magna entfernt, sass. (Taf. 
A, VII, mit * bezeichnet.) Denn einmal ist es keineswegs befremdlich, 
dass dieser einzelne Muskel gerade auf der Hirnrinde Vertretung 
hat, wenn wir erwägen, dass er allein von den Zehenmuskeln es 
ist, der von Jedermaun willkürlich bewegt werden kann; sodann hat 
Ferner, dessen Verdienste in der Aufdeckung einzelner Centren der 
motorischen Gegend unbestritten sind, in den oberen Theil der CP 
die Bewegung für die Zehen gesetzt. 

Es wäre also möglich, dass für den Menschen das Centrum 
für die Extension der grossen Zehe 4 cm ca. von der 
Scissur in der CP sitzt, was ich der Nachprüfung durch weitere 
Beobachtungen empfehlen möchte. — 

Isolirte Lähmuug, Contractur und Krampf wiesen also wiederum 
in Fall VI und VII, wie in Fall V, auf eine Affectiou der moto¬ 
rischen Gegend hoch oben hin. 

Indem ich die Discussion über die Möglichkeit der Verwerthung 
der anderen, bei VI und VII beobachteten Symptome, besonders 
des Verhaltens der Sensibilität für die Localdiagnose verschiebe, 
möchte ich zuerst eine Besprechung der Diagnose von der Natur 
des Leidens folgen lassen, die in beiden Fällen nicht geringe 
Schwierigkeiten geboten hat. 

Von einem Abscess mussten wir bei beiden Patienten von vorn¬ 
herein absehen; die Erscheinungen schritten, nachdem sie einmal 
sich markirt hatten, langsam und stetig, wenn auch unter Schwan¬ 
kungen, vorwärts, nicht sprungweise und stürmisch wie beim Ab¬ 
scess; es war nur anderweit motivirtes, geringes Fieber vor¬ 
handen, uud es waren weder Kopftrauroen, noch Krankheiten des 
mittleren Ohres vorhanden gewesen, noch sonstige, den Hirnabscess 
erzeugende Eiterquelleu im Körper, wie Empyem, bronchiektatische- 
Lebervereiteruugen, Pyämie u. dgl. 

Unsere erste Annahme bei Fall VI war die einer, durch maran¬ 
tische Thrombose erzeugten Erweichung, wozu das schlechte Aus¬ 
sehen, der elende Puls des Kranken, und das schleichende Einsetzen 
der Lähmung verleitete. Die Sumtnirung der einzelnen Lähmungen 
zur unvollkommenen Hemiplegie war kein Gegengrund, ebensowenig 
die Jackson’schen Krämpfe, welche auch bei Erweichungen Vor¬ 
kommen; die Abwesenheit der Stauungspapille schien selbst ein 
Argument gegen Tumor. Erst als man das stetige, feste Vor¬ 
schreiten der Erkrankung wahrnahm, stellte zuerst Herr Geheim¬ 
rath Leyden, welcher den Fall mit beobachtet hat, die Diagnose 
auf eine Neubildung. Ich musste dieser Diagnose beitreten, weil 
nicht nur in bestimmten, fest umgrenzten Zügen der Gang der 
Krankheit ein stetig progressiver war, sondern weil derselbe auch 
in der Weise sich vollzog, dass er heute hier nachliess, um morgen 
oder nach einigen Tageu, an anderer Stelle oder an derselben, von 
Neuem anzupacken. 

ln den gelähmten, in den contracturirteu Gliedern, welche man 
schon zur Ruhe verdammt glaubte, traten wiederum neue Reiz¬ 
erscheinungen, Zuckungen, Krämpfe, Contracturen auf, jetzt war es 
zwangsweise Streckung, nach einiger Zeit Beugung der Gliedmassen, 
dann Nachlass der Contractur, der LähmuDg, wiederum Krämpfe, 
stärkere Lähmung, kurz, es war als griffe die Krankheitsursache die 
Nervenfasern an immer neuen Querschnitten an, wie mau etwa den 
ermüdeten, abgestorbenen Muskel an einem neuen Querschnitt reizt, 
ln dieser Weise agirt ein Tumor, gleichsam wie ein Individuum, wie 
ein Parasit im Kopfe, der sein Zerstörungswerk bald hier, bald dort, 
nach Laune, betreibt. Das erklärt sich ans den, den Tumoren 
eigenen Wachsthumsverhältnissen, Druckwirkungen und aus den die¬ 
selben begleitenden Hyperämieen, wodurch An- und Abschwellung 
derselben bewirkt wird. — 

Auch eine Erweichung kann, insofern sie durch Thrombose oder 
Embolie bedingt wird, welche Anämie eines Hirntheils erzeugen, 
mit Krämpfen isolirter oder allgemeiner Art einsetzeu, und tritt 
der Tod ein, so dürfte eine Diagnose unmöglich sein. Bleibt aber 
der Kranke noch am Leben, und stellt sich Lähmung ein, so pflegen 
die gelähmten Glieder nicht mehr zu krarapfen, weil der be¬ 
treffende Hirntheil von der Blutzufuhr schon abgesperrt und der 
Möglichkeit an Lebenserscheinungen theilzunehinen und mit Reiz¬ 
symptomen zu antworten beraubt ist. Nur bei der Blutung und 


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174 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 9 


consecutiven rothen Erweichung, namentlich wenn Blutcoagula vor¬ 
handen sind, bleibt die Möglichkeit weiterer Reizung durch das 
chemisch differente Blut und dessen Zersetzungsproducte, sowie durch 
den vom Coagulnm bewirkten Druck auch ferner bestehen. Die 
rothe Erweichung, ferner Plaques jaunes, im allgemeinen Narben¬ 
gewebe, können den Tumoren ähnliche Symptome bewirken. 

Wenn Nothnagel (Top. Diagnostik 463, 601) durch den 
Krampf, welcher ein gelähmtes Glied befällt, ein Rindenleiden der 
motorischen Gegend kennzeichnen lässt und dies Yerhältniss vom 
Krampf zur Lähmuug als viel pathognostischer erklärt, als das um¬ 
gekehrte, wo ein krampfendes Glied hinterher von Lähmung be¬ 
fallen wird, so können wir dem nicht nur nach unseren Ausfüh¬ 
rungen voll beistimmen, sondern dürfen auch behaupten, dass der 
in einem schon gelähmten Gliede auftretende Krampf 
viel mehr für Neubildung, Abscess. Blutung resp. rothe 
Erweichung zeugt. 

In Fall VII dachten wir bei der ersten flüchtigen Untersuchung 
zuerst an Sklerose, wofür Alter, Muskelrigidität, abnorme Erhöhung 
der Sehnenreflexe und die Monoplegie des Arms zu sprechen schienen. 
Als indessen die sehr isolirten Krämpfe auftraten, die Contracturen 
wechselten, als wir die zunehmeude, vielgestaltige Wirkung einer 
stetig wachsenden Ursache sahen, als totale Hemianästhesie Sklerose 
unwahrscheinlich machte, nahmen wir trotz der fehlenden Stauungs¬ 
papille einen Tumor an. Denselben haben wir auch nicht ausge¬ 
schlossen , als die Dementia, die weinerliche Stimmung, die 
amnestische, motorische und sensorische Aphasie und die allgemeine 
Körperschwäche uns die Anwesenheit einer ausgedehnten Erweichung 
verrieth. 

Kehren wir nunmehr zur Symptomatologie zurück, und betrach¬ 
ten zuerst die Störungen der Sensibilität: 

In Fall VI bestand beträchtliche Herabsetzung des Berüh- 
rungs- und Localisationsvermögens, geringere derSchmerz- 
und Temperaturempfindung, totaler Verlust des Muskel¬ 
gefühls. 

Auch in Fall VII war die Empfindung für Berührung und 
Localisation fast aufgehoben, und zwar an Haut und Schleim¬ 
häuten, Temperatur- und Schmerzempfindung zwar herab¬ 
gesetzt, aber nicht vernichtet, dagegen Muskelsinn gleichfalls auf¬ 
gehoben. Wenn Fall VII, bezüglich der örtlichen Ausdehnung, 
beweist, dass es totale Hirnrindenauästhesieen einer Seite 
giebt, so scheint es andererseits, als ob es solche nicht gebe, wobei 
sämmtliche Qualitäten der Sensibilität, wie etwa bei voll¬ 
kommener Myelitis trausversa, gänzlich vernichtet sind. 

In unseren Fällen ist hervorzuheben das relative Erhalten¬ 
sein des Schmerz- und Temperaturgefühls, — im Gegensatz 
zu den Sensibilitätsstörungen, welche bei manchen Rückenmarks¬ 
krankheiten, z. B. der Syringomyelie, viel häufiger beobachtet 
wurden, wobei Temperatur- und Schmerzgefühl gerade zuerst litten. — 

Eine Anästhesie der Haut und Schleimhäute ist in der 
Litteratur bei Hirnrindenläsionen schon mehrfach beschrieben; letztere 
waren gewöhnlich sehr ausgedehnter Natur. So von Demange 
(Revue de medecine 1883 p. 391). Beide Centralwindungen, P|, P-_>, 
Insel, Occipital- und Temporallappen sind erweicht, ausser Anäs¬ 
thesie ist auch Herabsetzung der Sinnesfunctionen zugegen. Ferner 
von Petrina, welcher der Herabsetzung der verschiedenen Gefühls¬ 
qualitäten bei Rindenaffectioneo hesondere Beachtung gewidmet hat 
(Zeitschrift f. Heilkunde 1881, Fälle 1, 2, 5, 6). — In unserem Fall 
VII waren beide Gyri centrales, LP und P|, also genau die ge- 
sammte motorische Gegend, in einer Weise durch den patho¬ 
logischen Process ausgeschaltet, wie dies nur durch ein Experiment 
hätte geschehen können. Er ist bis zu einem gewissen Grade eine 
Bestätigung der Munk’sehen Angaben über die Endigung der sen¬ 
siblen Nerven in der motorischen Gegend, welche mit Exner's An¬ 
sichten, welcher das absolut motorische Gebiet weiter ausdehnt, die 
sensiblen Felder nur als relative ansieht, und denen von Luciani- 
Seppilli, die noch P-j zu denselben zählen, Übeinstimmen. — 

Wo grosse Herde, Geschwülste oder Blutungen vorhanden sind, 
ist es natürlich, an Druck und Fernwirkung zu denken. Bei Blu¬ 
tungen kann man ganz allgemein, wenn man Grund hat anzu¬ 
nehmen, dass motorische Region oder innere Kapsel direct nicht ge¬ 
troffen sind, aus der Tiefe der Hemiauästhesie einen Rückschluss 
auf die Höhe des vorhandenen Druckes und die Menge des er¬ 
gossenen Blutes machen, was die Prognose mit bestimmt. Wie 
Hemiplegie, Aphasie, Hemianopsie, so kann auch Hemianästhesie 
Allgemeinsymptom und Localsymptom sein. 

Merkwürdigerweise können an manchen Stellen der Rinde 
selbst weitverbreitete Sensibilitätsstörungen auch durch kleinere 
Herde zu Stande kommen, ganz wie im hinteren Theil der inneren 
Kapsel, welchen Ort Charcot als sensiblen Kreuzungspunkt (carre- 
four sensitif) bekanntlich bezeichnet hat. In Fall 6 von Petrina 
(1. c.) bewirkte ein kleiner, von punktförmigen Hämorrhagieen um¬ 


gebener Tuberkel in Fg links: Anästhesie der rechten Gesichtshälfte 
incl. Conjunctiva und Nasenschleimhaut, partielle Anästhesie des 
rechten Armes und Hyperästhesie mancher Empfinduugsqualitäten 
in der ganzen rechten Seite. Ira Allgemeinen möchte jedoch ausge¬ 
breitete Sensibilitätsstörung durch einen localisirten, kleineren Rin¬ 
denherd recht selten sein, und solche ist also, wo Druck sie nicht 
bedingt, durch einen Herd in der inneren Kapsel, in der Rolando - 
schen Gegend, oder in den Parietalwindungen hervorgerufen. 

Schwierig kann die Diagnose mit Herden in der inneren Kapsel 
werden. Die Betheiligung der anderen Sinnesnerveu entschiede mehr 
für die innereKapsel. Einerseits beweist jedoch der erwähnterallDeje- 
rine’s, dass bei Betheiligung der inneren Kapsel die höheren Sinne 
gleichfalls nicht zu leiden brauchen. Sodann zeigen Fall VI, wo 
Hemiamblyopie beim Sitz des Tumors in CA oben, und Demange, 
wo Betheiligung sämmtlicher Sinnesnerven bei einer grossen Rinden- 
affection vorhanden war, dass auch dies diagnostische Moment nicht 
immer Stich hält. 

Auch die etwaige Aufhebung des Muskelsinnes, dessen 
Sitz und genauere Verhältnisse noch discutirt werden sollen, wäre 
nicht massgebend. Bereits im Rückenmark verlaufen die Fasern 
für den Muskelsinn eigenartig, da bei halbseitiger Durchtrennung 
desselben sämmtliche Empfindungsqualitäten der dem Herd gegen¬ 
überliegenden Seite aufgehoben werden, mit Ausnahme des Muskel¬ 
sinnes. Ferner stecken nach Couty in der inueren Kapsel die 
Fasern für den Muskelsinn mehr basalwärts in der Tiefe, so dass 
für den Muskelsinn auch bei Herden in der inneren Kapsel ein 
eigenartiges Verhalten erwartet werden darf, und widersprechende 
Beobachtungen vorderhand nicht befremden könneu. Gowers hat 
auch Störung des Muskelsiuns bei Affectionen dieses Hirntheils 
gesehen. Dreschfeld dagegen (Brain 1882 Januar) hat bei einem 
infiltrirten Tumor im hinteren Theil der inneren Kapsel und 
Sehhügel dauernde Hemiplegie und Herabsetzung der Empfind¬ 
lichkeit für Berühruug, Schmerz, Temperatur, bei Erhaltung 
des Muskelsinnes, beobachtet. Ich habe im Juni eine seit 
einem Jahr apoplektisch gelähmte Kranke zur Section be¬ 
kommen, bei welcher hinterer Stirn-, Centralwindungs- und Parietal- 
antheil der Pia vielfach getrübt war. Ausserdem wurde durch eine 
rothe Narbe von 2 l Aicm Länge, in Höhe der vorderen Vierhügel, 
ein Theil des rechten Thalamus, die ganze iunere Kapsel bis lem 
von der äusseren Kapsel durchtrennt, und zwar in Eutfernuug von 
174—lV2cm von der ventrikulären Oberfläche. Diese Narbe hatte 
die letzten Ausläufer des Nucleus caudatus noch zerstört. Die Symp¬ 
tome intra vitam waren: Parese der linken Körperhälfte, Unmöglichkeit 
zu gehen und zu stehen, später Contractur aller vier Extremitäten; 
diejenige der rechtsseitigen liess sich ausgleichen, auch konnten die¬ 
selben activ bewegt werden. Ferner Cyanose, Hemianästhesi.'e 
und Kälte der linken Seite, Schmerz-, Berührungs- und 
Localisationsgefühl abgestumpft. Das Muskelgefühl war er¬ 
halten, sowohl in Bezug auf die Lage der linksseitigen Glieder 
beim Augenschluss, als auch in Bezug auf die Möglichkeit, Gegen¬ 
stände, Münzen zu erkennen. Indess wurde das Muskelgefühl erst 
später geprüft, als auch die anderen Sensibilitätsqualitäteu sich ge¬ 
bessert hatten. Es wäre also nicht ausgeschlossen, dass auch hier 
Muskelsinnstörung zu Anfang vorhandeu gewesen sei. — Hemianopsie 
schien uicht vorhanden. 

Die Empfindung des Schmerzes und der Temperatur scheint 
bei directen und indirecten Affectionen der inneren Kapsel (Dejerine, 
Progres medical 1880, p. 669) gleichfalls, ebenso wie Localisations- 
und Tastgefühl zu leiden. Eigeuthiimlicherweise beharrt oft das Ge¬ 
fühl für Kälte, oder verwandelt sich in, manchmal abnorm erhöhtes, 
Schmerzgefühl. 

Da auch bei ausgebreiteter oder totaler Hemianästhesie die vor¬ 
handenen Qualitäten der Empfindung sich verschieden verhalten — 
z. B. wies ein Fall von Vetter Geschwulst in Pi uud Zerstörung 
bis zur Insula, u. A. Analgesie auf, — so ist aus dem Fehlen 
gerade der einen oder der anderen ordinären Sensibili¬ 
tätsqualität, nach unseren bisherigen Kenntnissen, für 
die Diagnostik nichts zu entnehmen. 

Controvers sind die Ansichten der Autoren rücksichtlich des 
Werthes auf eine Körperstelle oder ein Glied begrenzter An- 
ästhesieen, der Monoanästhesieen. Nothnagel in seiner To¬ 
pischen Diagnostik erklärt p. 456 und 500, wenn, neben der 
motorischen Lähmung einer Extremität oder beider, ausgesprochene 
vasomotorische oder sensible Störungen in derselben bestehen, so 
könne man mit grosser Wahrscheinlichkeit oder fast Sicherheit an¬ 
nehmen, dass der Herd nicht in der Rinde seinen Sitz habe, und 
ibid. p. 363, dass durch Herde im Centrum semiovale selten 
Sensibilitätsstörungen gesetzt würden. Ob der berühmte Kliniker 
noch gegenwärtig der gleichen Ansicht ist, weiss ich nicht zu sagen. 
Luciani und Seppilli kommen durch ihre Untersuchungen zu 
dem Schluss, dass im Allgemeinen Herde im unteren Theil des 
motorischen Rindengebieti-s in näherer Beziehung stehen zur Haut- 


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I. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 175 


empfindung im Gesicht, im oberen Theil dagegen in solcher zu den 
Extremitäten. — Gowers lehrt, dass erheblicher Sensibilitäts¬ 
verlust an den aussersten Partieen der Extremitäten, nicht auf 
der ganzen Seite, mit Wahrscheinlichkeit deute auf eine Läsion der 
Rinde oder der darunter gelegeneu weissen Substanz. 

Die in neuester Zeit von Chirurgen an der Hirnrinde aus- 
gefuhrten Operationen (Horsley, v. Bergmann) haben auf das 
Unzweideutigste dargethau, dass circumscripte Störungen ver¬ 
schiedener Qualitäten der Sensibilität, ebensogut wie isolirte 
Lähmungen, bei localisirten Verletzungen in den motorischen 
Gegenden Vorkommen, und dass insbesondere circumscripte 
Störungen des Muskelsinnes oder Muskelbewusstseins da¬ 
für als Symptom einen besonderen Werth beanspruchen dürfen. 
Nothwendigerweise muss ich auf die Verhältnisse des sog. Muskel¬ 
sinnes daher genauer eingehen. (Fortsetzung folgt.) 

VH. Di© Mitteilungen von Brown-Söquard 
und d’Arsonval über die Toxicität der 
Exspirationsluft. 

Sach den Comptes reudus der Akademie und der Societe de Biologie referirt 

von Carl Günther. 

Am 28. November 1887 theilten Brown-Sequard und 
d’Arsonval der Akademie des Sciences in Paris mit, dass Thiere, 
die sie mit tuherculösem Virus geimpft hätten, gesund geblieben 
seien, wenn dieselben in frischer Luft gehalten worden wären, dass 
äe aber beim Aufenthalt in eng begrenzten Räumen an Tuberculose 
erkrankt und gestorben seien. Die Autoren halten dafür, dass bei 
dem Zustandekommen der Lungentuberculose überhaupt die Ex- 
sfurationsluft, die im geschlossenen Raume immer wieder eingeathmet 
wird, eine wesentliche Rolle spielt. Am 9. Januar 1888 ergänzten 
Brown-Sequard und d’Arsonval ihre Mittheilungen in ausge¬ 
dehnter Weise. Sie hatten die Exspirationsluft (oder vielmehr den 
in derselben befindlichen Wasserdampf mit den in dem letzteren ge¬ 
llten Substanzen) gesunder Menschen und Hunde oondensirt, sie hatten 
ferner Thieren grössere Mengen reiueo Wasserä in die Lungen in- 
jicirt von diesem Wasser dann wieder etwas zurückgezogen; mit so 
aus der Lunge erhaltenen Flüssigkeiten wurden dann Hunden und 
Kaninchen Injectionen in die Blutgefässbahn gemacht. Bei Injection 
von 4—8 ccm zeigte sich leichte Pupillenerweiterung, ferner Ver¬ 
langsamung der Respiration und paralytische Schwäche, besonders 
der hinteren Extremitäten, leichteTernperaturerniedrigung. Wurden grös¬ 
sere Mengen (20—25 ccm) der Flüssigkeit iujicirt, so steigerten sich die 
genannten Vergiftungserscheinungen; unter Krämpfen, grosser Schwäche, 
choleraartigen Diarrhoeen giugen die Thiere häufig in 3—4 Tagen 
zn Grunde. Das Bewusstsein war bis zum Tode erhalten. Bei der 
Autopsie fanden sich Blutfülle der Organe und Ecchymosen. Brown- j 
Sequard und d'Arsonval ziehen aus diesen Beobachtungen den 
Schluss, dass 1) die Lungen des Menschen, des Hundes und des 
Kaninchens im gesunden Zustande ein äusserst energisches Gift pro- 
dnciren, welches mit der Exspirationsluft fortwährend aus der Lunge 
entfernt wird; 2) dass höchst wahrscheinlich, wenn nicht sicher, 
dieses toxische Agens den Aufenthalt in geschlossenen, nicht venti- 
\irten Räumen so gefährlich macht. Der Kohlensäuregehalt der Ex¬ 
spirationsluft, ebenso wie der geringe Gehalt derselben an Ammoniak 
könne zur Erklärung der beobachteten Erscheinungen nicht heran 
gezogen werden. — Am 16. Januar d. J. fügten die Autoren dem : 
bisher Mitgetheilten noch hinzu, dass das toxische Agens der Ex- i 
spirationsluft ein flüchtiges organisches Alkaloid (aus der 
Reihe der PtomaTne oder Leukomame) sei. Die Flüssigkeit nämlich, ! 
welche das Gift enthält, zeigt sich alkalisch; beim Aufkochen im 
geschlossenen Gefäss bleibt das Gift unverändert. Die Autoren be¬ 
tonen wiederum ihre Ansicht, dass das Gift für die Entstehung der 
Lungentuberculose von Bedeutung sei. Es wirkt auf die Thiere bei 
intravasaler und subcutaner Einverleibung, ebenso aber, wenn es 
per rectum oder per os dem Körper einverleibt wird. Die Autoren 
weisen auf die Aehnlichkeit in der Einwirkung zwischen ihrem Gifte 
and dem von Brieger dargestellten Neurin hin. 

Die Mittheilungen von Brown-Sequard und d’Arsonval 
haben Angriffe erfahren durch Dastre und Loye, welche am 3. Fe¬ 
bruar d. J. in der Societe de Biologie eine Reihe von Versuchen mit¬ 
theilen, welche die Resultate der zuerst genannten Autoren nicht 
bestätigten. Eine weitere Prüfung des hochinteressanten Themas 
bleibt abzuwarten. 


vm. Referate und Kritiken. 

8. Einer. Schablone des menschlichen Gehirns zur Ein¬ 
tragung von Seotionsbefnnden. 2 Taf. m. 12 Abbild. Wien, 
Wilb. Braumüller, 1888. 

Die „Schablone“ verdankt ihre Entstehung der Erwägung, dass 


es zweckmässig wäre, eine Abbildung wie Tafel I in des Verf. „Lo- 
calisation der Functionen in der Grosshirurinde des Menschen“ zur 
Verfügung zu haben, um mit Bequemlichkeit bei jedem interessanten 
Falle Ausdehnung und Lage von Rindenläsioneo in dieselbe ein¬ 
tragen zu können. Jener ersten Tafel, die der grösseren Billigkeit 
wie der Uebersichtlichkeit wegen nur einige unbedeutende Aende- 
rungen erfahren hat, wurde alsdann eine zweite Tafel hinzugefügt, 
welche es ermöglicht, die Tiefe der Läsion an successiven Frontal- 
schuitten ebenfalls zu notiren. Die in der That ausserordentlich 
brauchbaren Tafeln sind so eingerichtet, dass sie aus dem Heft 
leicht herausgetrennt und den Sectionsprotocollen beigelegt werden 
können. 

Th. Wiethe. Wiener Recepttasohenbnch. Wien, C. Fromme, 
1888. 

Das Recepttaschenbuch enthält Receptformeln und therapeu¬ 
tische Winke der Professoren Albert, Bamberger, Benedikt, 
Billroth, C. Braun, Gruber, Kaposi, Meynert, Monti, 
Neumann. Schnitzler, Stellwag von Carion, Ultzmann und 
Widerhofer. Mit der Aufzählung dieser Namen ist der Werth des 
Taschenbuches hinlänglich charakterisirt. Wir können dasselbe nach 
eingehender Durchsicht dem Praktiker sowohl wegen seines reichen 
Inhalts als wegen seiner Handlichkeit empfehlen. 

Enoyklopädie der Naturwissenschaften. Herausgegeben von 
Prof. Dr. W. Förster, Prof. Dr. A. Kenngott, Prof. Dr. 
A. Ladenburg, Dr. A. Reichenow, Prof. Dr. Schenk, 
Dr. Schlömilch, Prof. Dr. W. Valentiner, Prof. Dr. A. Win¬ 
kelmann, Prof. Dr. G. C. Wittstein. Breslau, E. Trewendt. 

Von der ausgezeichneten, mehrfach von uns besprochenen 
Encyklopädie ist die 54. Lieferung der ersten Ahtheilung er¬ 
schienen. Dieselbe bildet die 22. Lieferung des „Handwörterbuches 
der Zoologie, Anthropologie und Ethnologie“ und reicht vom Stich¬ 
worte „Merodon“ bis „Mya“. Aus dem wieder sehr manuichfaltigen 
Inhalte seien diesmal in erster Reihe zwei grössere illustrirte Bei¬ 
träge von Professor E. v. Martens, nämlich „Mollusken“ (Weicb- 
thiere) und „Muscheln“, und Sussdorf’s ausführliche Abhandlung 
über „Milch“ genannt. Von anderen interessanten Aufsätzen seien 
dann u. a. noch erwähnt: „Milvinae“ von Reichenow, „MLrditen“ 
und „Mongolen“ von Fr. v. Hellwald etc. Bemerkenswert!) 
für den weiteren Fortgang des Werkes erscheint noch das Hiuzu- 
treten dreier neuer Mitarbeiter, der Herren Dr. R. Neuhauss 
(Berlin), Dr. J. Dewitz (Berlin) und B. Düringen (Berlin). 


IX. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 22. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Siegmund. 

Herr Färbringer: Zar Behandlung der aerOsen Pleuritis (mit 
Demonstration eines neuen Apparates). Die Apparate, die zur Punction 
seröser pleuritischer Exsudate empfohlen worden sind, lassen sich in drei 
Gruppen unterbringen: 1) Apparate, welche keinerlei eigene evacuirende 
Kraft entfalten, also lediglich bei positivem Exsudatdruck wirken; 2) Appa¬ 
rate, die durch Heberkraft wirken, also einen massigen negativen Exsudat¬ 
druck zu überwinden im Stande sind. Nach des Vortr. Versuchen fördern 
diese Apparate in der Zeiteinheit bis 8mal so viel, wie der gewöhnliche 
Troikar mit Condom. 3) Apparate, mit welchen eine selbständige Saug¬ 
wirkung durch besondere Tbätigkeit ausgeübt wird, und zwar eine solche, 
welche geeignet ist, bedeutenden negativen Exsudatdruck zu überwinden: 
die sogenannten Aspirationsapparate i. e. S. Die gebräuchlichsten Appa¬ 
rate der letzteren Kategorie sind diejenigen, bei welchen als saugende 
Kraft die Stempelpumpe benutzt wird. 

Dem Vortr. ist es in seiner consultativen Praxis aufgefallen, dass, 
während man in Kliniken und Krankenhäusern im Allgemeinen die Aspirations¬ 
apparate bevorzugt, in der Privatpraxis grösstentbeils der einfache Heber¬ 
schlauch angetroffen wird. Neben rein äusseren Gründen — hohe An- 
schafüingskosten, complicirte Construction, bei seltenem Gebrauch Eintrocknen 
des Stempels oder Versagen der Hähne und Ventile — dürften gegen die 
Benutzung der Stempelspritze auch folgende Mängel sprechen: Während der 
grössten Zeit der Operation verlangt dieselbe eine Arbeit .vom Arzte, die 
ganz überflüssig ist, weil sie ohne dessen Zuthun von dem einfachen Heber¬ 
schlauch auch verrichtet wird; dann aber zeigt sich der noch grössere Missstand, 
dass es im Allgemeinen schwer ist, mit der Hand die Zugkraft abzumessen, 
die von der Stempelspritze thatsächlich ausgeübt wird, und darin liegt eiue 
Gefahr für den Kranken. 

Es könnte in Frage kommen, ob auf eine stärkere Aspiration, als der 
Heberschlauch sie äussert, überhaupt Verzicht geleistet werden kann? Die 
Autoren sind in dieser Hinsicht ganz verschiedener Meinung. Um diese 
Frage zu entscheiden, hat Herr Fürbringer in einer Reihe von 25 Fällen 
den Versuch angestellt, wie viel von dem Exsudat bei der Punction frei¬ 
willig abläuft, wie viel nach Auf hören der Heberwirkung noch durch 
stärkere Aspiration herausbefördert werden kann. Die Exsudatmengen, die 
, überhaupt in diesen Fällen entleert wurden, schwankten zwischen 420 und 
2 890 ccm. In 11 Fällen betrug die Menge, welche nach Aufhören der 
| Heberwirkung noch durch Aspiration entleert werden konnte, unter */»o der 


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176 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 9 


Gesammtmenge, in 10 Fällen */io bis Vs, in 4 Fällen aber, die 
Exsudatmengen von 500 bis 1600 ccm betrafen, musste */3 bis Vi der Ge¬ 
sammtmenge nachträglich aspirirt werden. Von diesen 4 Fällen waren zwei 
Fälle acute. Einmal musste also die gesammte Menge des Exsudates 
aspirirt werden. Diese Versuche, wenn sie sich auch vorläufig nur auf eine 
geringe Zahl von Fällen erstrecken, weisen doch darauf hin, dass in einem 
nicht verschwindenden Bruchtheil der Fälle die einfache Heberkraft zur 
Entfernung des Exsudates nicht ausreicht. 

Hieran schliesst sich die weitere Frage: Ist es für die Kranken von 
Vortheil, den grössten Theil des Exsudats überhaupt zu entfernen? Auch 
hierüber gehen die Ansichten bekanntlich weit auseinander. Herr Für¬ 
bringer nimmt in dieser Frage einen vermittelnden Standpunkt ein. Eine 
massige Aspiration, welche die blosse Heberkraft übertrifft, hält er in einer 
nicht geringen Zahl von Fällen auf Grund eigener Erfahrungen für unent¬ 
behrlich. Diese Erfahrung ist für ihn die Veranlassung gewesen, einen 
Apparat zu construiren, der einmal von den oben erwähnten Uebelständen 
frei ist, andererseits Heberwirkung und Aspirationswirkung in sich vereinigt. 
Der Apparat besteht aus einem einfachen Glase, durch dessen luftdicht 
schliessenden Korken zwei Glasrohre gehen, von deneu das eine bis auf den 
Boden reicht. Beide Rohre sind mit einem je 1 ra laugen und 0,5 cm starken 
Schlauch armirt, der Luftrohrschlauch hat einen Quetschhahn. In das Auf- 
fanggefass wird etwas Sperrflüssigkeit eingesogen, der Kranke puuctirt, der 
Schlauch wird mit dem Troikar verbunden und wirkt als Heber- Ist soviel 
Exsudat entleert, dass die Heberwirkung aufhört, wird an dem zweiten 
Schlauch gesogen. Auf diese Weise ist man im Stande, viel subtiler die 
Saugwirkung zu bemessen, als bei den Apparaten, bei denen dieselbe durch 
die Stempelspritze hervorgebracht wird. 

Herr Für bringe r hat in nahezu 50 Fällen diesen Apparat zur An- j 
wendung gebracht und ist mit den Ergebnissen ausserordentlich zufrieden. 
Er glaubt denselben seiner Einfachheit und Brauchbarkeit wegen namentlich 
dem praktischen Arzt sehr empfehlen zu können. Der Apparat ist bei 
Windler, Berlin, zum Preise von 6 Mk. zu haben. 

Zum Schluss liefert der Vortr. einen Beitrag zu der Frage, wann ein 
mittelgrosses Exsudat unbekannten Alters punktirt werden soll, giebt ein 
einfaches Verfahren zur Bestimmung des Exsudatdrucks ohne Manometer an 
und zeigt an verschiedenen Kurven die eigentümliche Gestaltung des 
Drucks während des Abzapfens des Ergusses. 

Herr G. Hahn tritt für den Dieulafoy’schen Aspirationsapparat ein, 
der sich ihm stets auf das beste bewährt hat. 

Herr P. Guttmann hält den von Herrn Fürbringer empfohlenen , 
Apparat für ganz zweckmässig, glaubt aber, dass man bei der Aspiration 
mit der Stempelspritze genau so gut die Aspirationswirkung bemessen kann : 
wie beim Saugen mit dem Munde. 

Herr Riess verweist auf die von ihm angegebene Modification des 
Dieulafoy’schen Apparates, die darauf beruht, dass eine gleichmässige und , 
langsame Bewegung des Spritzenstempels durch eine Zahnstange und Kurbel 
ermöglicht wird. 

Herr B. Fraenkel schlägt vor, als aspirirende Kraft die gewöhnlichen ! 
Inhalationsapparate zu benutzen, die eine ziemlich constante Wirkung aus- i 
üben. 

Herr Fürbringer betont, dass er den von ihm früher viel benutz¬ 
ten Dieulafoy’schen Apparat, namentlich mit der Riess’schen Verbes¬ 
serung, für keineswegs unbrauchbar hält, namentlich nicht für die Hospital¬ 
praxis. Er wollte aber auch für den praktischen Arzt einen einfachen, 
für jeden Fall brauchbaren, nie versagenden Apparat schaffen, der seiner 
Ansicht nach wesentliche Vortheile bietet, und empfiehlt, nicht eher zu 
urtheilen, als bis man sich persönlich von seinen Leistungen am Kranken¬ 
bette überzeugt habe. 

X. Greifswalder medicinischer Verein. 

Sitzung am 3. December 3887. 

Vorsitzender: Herr Landois; Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Beuraer: Anknüpfend an seine Untersuchungen über den 
Trismus sive Tetanus neonatorum, deren Resultate vor Kurzem 
in der Zeitschrift für Hygiene veröffentlicht sind, erörtert Beumer 
auf Grund weiterer Prüfungen diejenigen Verhältnisse, welche bei 
der Infection von der granulirenden Nabelwundfläche als ausschlag¬ 
gebend zu betrachten seien. Schon am Schlüsse der genannten 
Arbeit sprach der Vortragende die Vermuthung aus, dass zur er¬ 
folgreichen Infection die Granulationsfläche irgend eine, wenn auch 
noch so leichte Verletzung erfahren müsse; es könne als nicht ge¬ 
nügend angesehen werden, wenn die Tetanuserreger nur auf die 
Oberfläche der Nabelgeschwüre gelangten, sie müssten durch die 
bei jeder Bewegung der Neugeborenen sowie beim Schreien erfol¬ 
genden Verschiebungen der Bauchdecken und dadurch bedingte 
Reibung an dem die Nabelwunde bedeckenden Leinwandläppchen 
in die zarten Granulationen gelangen. 

Diese Ansicht fand Beumer durch seine weiteren Versuche 
bestätigt. Wurde die künstlich erzeugte Nabelwunde bei neuge¬ 
borenen Meerschweinchen oder Kaninchen mit infectiösera Eiter 
einfach berührt, so blieben die Thiere gesund, wurde dagegen der 
Eiter auf der genannten Fläche verrieben, so erkrankten und ver¬ 
endeten mehrfach dieselben an Tetanus. 

Einzelne in der letzteren Weise inficirte, sechs Tage alte 
Kaninchen werden demonstrirt. Bei dieser Gelegenheit betont 
Beumer die Verschiedenartigkeit im Auftreten der ersten Tetanus¬ 
erscheinungen im Gegensatz zu den in einer früheren Sitzung vor¬ 


gezeigten Tliieren. Diese letzteren waren durchweg an den Hinter- 
schenkelu geimpft, und dementsprechend traten die ersten tetanischen 
Erscheinungen auch an diesen Gliedmaassen auf. Bei den ersteren, 
von der Nabelwunde aus geimpften Thieren treten die ersten Sym¬ 
ptome an der Rumpfmuskulatur auf, dann an den vorderen, schliess¬ 
lich an den hinteren Gliedern. Am deutlichsten ist der Tetanus 
der Thierchen, wenn mau dieselben an einer der vorderen Ex¬ 
tremitäten in die Höhe zu heben versucht, man sieht und noch 
mehr fühlt man die Starrheit des ganzen Körpers; wenn man die 
Thierchen auf die Gliedmaassen stellt, dann bemühen sich dieselben 
auf Augenblicke, sich aufrecht zu erhalten, um alsbald auf die 
Seite zu fallen und sämmtliche Glieder tetanisch zu strecken. 

Nach dieser Demonstration weist Beumer auf den dia¬ 
gnostischen Werth des von Bujwid erwähnten Choleraroths hin. 
Durch die im Berliner hygienischen Institut angestellten Unter¬ 
suchungen von Dunham sei diese Reaction für die frühzeitige 
Diagnose der Cholera asiatica verwerthbar geworden. Auch der 
Vortragende hat bei seinen diesbezüglichen Prüfungen die Angaben 
Dunham’s bestätigt gefunden und insbesondere den Eintritt des 
Choleraroths bei Mischungen von Cholerabacillen und Faeces- 
bacterien in klarer Peptonlösung beobachtet. Ebenso wie Dunham 
konnte Beumer schon 4 — 6 Stunden nach Herstellung derartiger 
Culturen und Verweilen derselben während dieser Zeit im Brütofen 
den Eintritt der Farbeureaction sehen. Es war ihm des ferneren, 
entgegengesetzt den Dunham’schen Untersuchungen, auch nach 
Ablauf längerer Zeit, ja noch nach Tagen möglich, in einzelnen 
dieser Culturen das Choleraroth hervorzurufen. 

2. Herr Hoffmann: Zur Casuistik der secundären Tre¬ 
panation nach Kopfverletzungen. (Der Vortrag wird in der 
Deutschen med. Wochenschrift erscheinen.) 

3. Herr Mosler theilt seine Erfahrungen über die Stro- 
phanthustinctur mit. 


XI. Budapester Königl. Verein der Aerzte. 

Aus den im Monate Januar d. J. abgehaltenen Sitzungen registriren 
wir folgende Vorträge: 

1. Herr Docent Dr. Dollinger sprach: „Ueber die bei der 
Kniegelenkcontractur gemachten pathologischen und therapeutischen 
Erfahrungen“, wozu 97 Fälle das Material boten, wovon 70 % 
die Folge tuberculöser Gelenksentzündung waren und wobei eine Ent¬ 
zündung, die in der Nähe der Epiphysenknorpeln abläuft oder die¬ 
selben theilweise zerstört, das Wachsthum der betreffenden Extremität 
beeinflussen muss. Dollinger machte an 28 Extremitäten genaue 
Messungen, aus welchen sich ergiebt, dass mit Ausnahme von zwei 
Fällen, nach einer jeder im kindlichen Alter verlaufenden Kniegelenks- 
Entzündung, die kranke Extremität im Wachsthum zurückbleibt und Ver¬ 
kürzungen von 8,10 ja sogar von 19*/a cm entstehen. Bei jenen Knie¬ 
gel enkconstracturen, die in Folge von Gelenksneurose, Gelenksblennorrhoe 
oder Polyarthritis entstanden sind, wendet Dollinger mit gutem Erfolge 
die Massage an; für die tuberculösen Kniegelenkscontracturen passt jedoch 
die Bewegungscur nicht, in solchen Fällen streckt er das Gelenk nur bis 
zur Spannung und legt in dieser gespannten Stellung einen Gypsverband 
an. Nach Beendigung der Streckung macht er von der Extremität einen 
Gypsabguss, nach welchem eine harte Filzkapsel angefertigt wird, welche 
durch zweiseitige, bei den Knöcheln articulirende Schienen, mit dem 
Schuhwerke verbunden wird. Diese Kapseln tragen die Patienten zur Ver¬ 
hütung sekundärer Verkrümmungen. 

2. Herr Prof. Schwimmer stellte „drei in3tructive Fälle seltener 
Hautkrankheiten“ vor: einen „Lupus exulcerans framboisioides“, einen 
„Lupus universalis keloidiformis“ und eine „Ichthyosis universalis“, 
welche bei einem 20jährigen Menschen seit der Geburt besteht und eine 
der universellsten Erkraukungsformen bildet, die man in dieser Art zu sehen 
selten Gelegenheit findet. 

3. Herr Docent Dr. Eros demonstrirte einen „Fall von Urethralblennor- 
rhoe bei einem 16 Monate alten Kinde“, welches seit 4 Monaten an Urinbeschwer¬ 
den laborirt. DasOrificium urethrae war gedunsen undgeröthetundkonnten7—8 
Tropfen grünlich-gelber Eiter ausgedrückt werden, in welchem Gonococcen zu 
finden waren. Der Fall ist durch seine Seltenheit von besonderem Interesse, da 
auch in Gerhardt’s Sammelwerk ein solcher nicht verzeichnet ist. Erös 
liess nach Ulzraann’s Methode täglich zweimal Einspritzungen von folgen¬ 
der Mischung machen: Rp. Acidi carbolici, Aluminis crudi, Sinei sulfurici 
ana 0,5, Aquae destillatae spl. 200,0, welche jedoch auf l /io°/o diluirt 
wurde. Darauf wurde das Excet bald flüssiger und sistirte mit Ende der 
ersten Woche: die Einspritzungen wurden jedoch noch durch zwei Wochen 
fortgesetzt und das Kind war geheilt. 

4. Herr Dr. Flesch demonstrirte den „Ergostat Gaertner’s“, wozu 

Dr. Nicolaus Reich unter Anderem bemerkte, dass einseitige, durch 
2—4 Stunden an diesem Apparat täglich geübte Arbeit den Patienten geistig 
mehr als körperlich ermüdet, ein Moment, welches Niemand unterschätzen 
wird, der mechanotherapeutische Erfahrungen zu machen in der Lage ist. 
Reich wendet gegenwärtig den Ergostat ausser bei Fettleibigkeit auch bei 
Myositis rheumatica und Chorea minor au und wird seine Resultate mit¬ 
theilen. M. 


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1. Mftrz. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 177 


XII. Journal-Revue. 

Patb ologische Anatomie und Mykologie. 

2 . 

JS. Lampiasi. Ueber die parasitäre Natur der Krebs¬ 
geschwülste. La Riforma medica 1888 No. 4 u. 5. 

Lampiasi. Director des Hospitals di S. Antonio in Trapani, 
untersuchte 28 Tumoren: 2 Encephaloide, 5 Epitheliome von ver¬ 
schiedenen Localitäten, 4 Scirrhen der Mamma, ein Adenom, 4 Sar¬ 
kome, 2 Zottenkrebse der Vagina von Hündinnen, 7 Fibrome und 
5 Lipome. Der Autor impfte aus dem Innern der Tumoren in Näbr- 
Agar und -Gelatine über. Die Fibrome, Lipome, das Adenom, 2 
Sarkome, ein Epitheliom und 2 Mammakrebse gaben kein Resultat; 
dagegen erhielt der Autor aus den beiden Encephaloiden, 4 Epithe¬ 
liomen, 2 Mammakrebsen, 2 Sarkomen und 2 Zottenkrebsen fast in 
allen geimpften Culturröhrchen, und zwar im Verlauf von 2 bis 10 
Tagen (je nach der Temperatur), Reinculturen eines aeroben, die 
Gelatine nicht verflüssigenden, sporenbildendeu Bacillus. Auch aus 
dem Blut eines Kranken mit enormem Encephaloid der Iuguinalgegend 
wurde derselbe gezüchtet. Bouillonculturen, Hunden, Meerschwein¬ 
chen. Kauinclien subcutan oder intraabdominell beigebracht, Hessen 
die Thiere erkranken und einen Theil derselben zu Grunde gehen. 
5 Meerschweinchen und 3 Kaninchen wurden secirt: „Die Unter¬ 
leibs- und Brustorgane zeigten keine merkbaren Veränderungen.“ — 
.ln verschiedenen Blutpräparaten von Individuen mit Krebscachexie 
und von Thieren, die an der bacteriellen Infection gestorben waren, 
ferner in Präparaten von Tumorsaft und in Präparaten von Tumor¬ 
schnitten hat mir die Färbung nach der Gram’schen Methode unter 
Anwendung der Doppelfärbung mit Picrocarmin und mit Bismarck- 
braun keine Resultate ergeben, die mich von der Existenz 
der Mikroorganismen sicher hätten überzeugen können. 
Durch Variirung der Färbuugsmethode wird man wahr¬ 
scheinlich bessere Resultate erhalten.“ Mit einer Bacillen- 
cultur, die aus dem oben erwähnten Encephaloid stammte, wurden 
bei demselben Kranken Einimpfungen in die gesunde Haut ge¬ 
macht. Es bildeten sich im Verlauf von 50 Tagen erbsengrosse 
Knötchen, die excidirt wurden und bei der Untersuchung sich er¬ 
wiesen .von alveolärem Stroma mit weiten Maschen, die viele Epi¬ 
thelialzellen verschiedener Form und Grösse enthielten.“ - Aus 
seinen Beobachtungen zieht der Verfasser den Schluss, dass in ma¬ 
lignen Tumoren sich constant ein specifischer Bacillus findet, der 
sich in Form und Biologie von den anderen pathogenen Mikroorganis¬ 
men unterscheidet, der aber in gutartigen Tumoren vermisst wird; 
ferner, dass dieser Mikroorganismus für Thiere pathogen ist; endlich, 
dass „die Production der maUgnen Tumoren und die allgemeine 
Krebscachexie wahrscheinlich von der Gegenwart dieses Mikroorga¬ 
nismus abhängig ist.“ 

Ref. erlaubt sich zn bemerken, dass das Fragezeichen, welches 
die Kritik den bisherigen Mittheilungen über die bacterielle Natur 
der Krebserkrankung angefügt hat, nach seiner Ueberzeugung auch 
der vorliegenden Arbeit nicht entgehen wird. So lange der „Krebs- 
bacillus“ nicht im Krebsgewebe in einwandsfreier Weise mikroskopisch 
nachgewiesen ist, so lange wird man seine Existenz überhaupt be¬ 
zweifeln müssen. Carl Günther. 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

3. 

G. Schmalfuss (Hamburg). Zur Casuistik der Laparo¬ 
tomie bei tuberculöser Peritonitis. Centralblatt f. Gynäk. 
1887. No. 51. 

Den mehrfach in der Literatur der letzten Jahre besprochenen 
und in dieser Wochenschrift bereits referirten Fällen, in welchen 
eine klinisch und pathologisch-anatomisch nachweisbare tuberculöse 
Peritonitis nach der probeweisen Eröffnung der Bauchhöhle, event. 
nach Entleerung der angesamraelten ascitischen Flüssigkeit zur 
Heilung gelangte, reiht der Verf. einen neuen Fall au, welcher an 
Interesse dadurch gewinnt, dass auch hier der pathologisch-anato¬ 
mische Nachweis der miliaren Peritonealtuberculose an excidirten 
Stücken geliefert worden ist, ferner dass neben der geringen 
probatoriscben Incision, therapeutisch nichts weiter geschah. 
Es handelte sich um ein 16jähriges, hereditär nicht belastetes 
Mädchen, welches im Anschluss an einen Typhus unter Erscheinun¬ 
gen erkrankte, welche auf einen Abdominaltumor hiuwiesen. Die 
Diagnose war, da der Leibesumfang schnell sich vergrösserte, die 
untere Hälfte des Abdomens von unregelmässigen höckrigen Massen 
ausgefallt wurde, ferner vom Rectum aus geschwollene peritoneale 
Drüsen gefühlt wurden, aaf einen malignen, vom Netz oder den 
Ovarien ausgehenden Tumor gestellt worden. Die probatorisch vor¬ 
genommene Laparotomie ergab, dass ein Tumor nicht vorhanden 
war, dass vielmehr das Peritoneum zu einer 3 cm dicken Schwarte 
verdickt war, welche mit unzähHgen miliaren Knötchen besetzt war, 
dass ferner die Därme und das Netz zu einem massigen Convolut 


verwachsen waren, welche mit dem verdickten peritonealen Ueber- 
zug zusammen den Tumor vorgetäuscht hatten. 

Die Bauchhöhle wurde geschlossen; die Heilung verlief glatt. 
Die Kranke besserte sich zusehends und stellte sich P/o Jahre 
später dem Verf. wieder vor. Sie litt an uterinen Blutungen, welche 
bald beseitigt wurden. Von dem Tumor war nichts zu fühlen, der 
Leib war weich und bis zur Wirbelsäule eindrückbar. Pat. war 
blühend und gesund. 

Der Verf. betont mit Recht, wie räthselhaft in diesem Falle 
die Heilung zu Stande gekommen war. Dass eine blosse Eröffnung 
der Bauchhöhle auf wenige Minuten ohne weitere Maass¬ 
nahmen im Stande sein solle, eine verbreitete Miliartuberculose 
zu beeinflussen, ist kaum erklärlich. (Dennoch fordern diese Fälle 
sicher coustatirter Peritonealtuberculose dringend zur weiteren Beob¬ 
achtung derselben auf. Die eigenthümliche Art der Heilung, welche 
das post hoc, ergo propter hoc zweifelhaft erscheinen lässt, macht 
es andererseits nicht unwahrscheinlich, dass auch ohne den chirur¬ 
gischen Einfluss vielleicht temporäre Zurückbildungen selbst vorge¬ 
schrittener tuberculöser Peritonitis möglich sind. Ref.) Czempin. 

Paul Wehraer. Beitrag zur Myotomie und Castration 
bei Fibromen. Zeitschrift für Geburtshülfe. Bd. 14. Heft 1. 

Die Arbeit enthält einen Bericht über sämmtliche von Kalten¬ 
bach bisher ausgeführte Myomoperationen. Unter 30 Operationen 
finden sich 3 Myomotomieen im engeren Sinne und 27 supravagiuale 
Amputationen des Uterus. Die Indication zur Entfernung der Ge¬ 
schwülste wurde in 6 Fällen durch den ausserordentlichen Umfang 
der letzteren gegeben, in einer anderen Reihe von Fällen war das 
rasche Wachsthum des Tumors, ferner Compressionserscheinungen 
der Beckenorgane, am häufigsten jedoch unstillbare Blutungen, die 
Anzeige zur Vornahme der Operation. Die Ovarien wurden, wenn 
möglich, stets mitentfernt. Bei grösseren Myomen boten die Eier¬ 
stöcke fast immer pathologische Veränderungen von einfacher Ver- 
grösserung bis zu klein - cystischer Degeneration und wirklicher 
TumorenWldung dar. Auch die Tuben waren in einer Reihe von 
Fällen stark vom Secret ausgedehnt und zu grössereu hydrosalpin- 
gitischen Säcken herangewachsen. 

Unter den 27 supravaginalen Amputationen des Uterus wurde 
der Stiel fünfmal intraperitoneal, in 22 Fällen extraperitoneal be¬ 
handelt. Bei der ersten Methode waren 3 Todesfälle zu verzeichnen, 
während von den 22 extraperitoneal behandelten Fälleu nur einer 
tödtlich verlief. 

Wehm er glaubt, dass, bevor wir nicht eine Methode besitzen, 
durch welche wir mit Sicherheit die Infection des Stumpfes vom 
Cervicalcanal und der Scheide aus verhindern köunen, die intra¬ 
peritoneale Methode nicht den Vorzug erhalten wird. 

Von 10 Castrationen, die Kalteubach wegen Fibrom ausführte, 
verlief 1 tödtUch. In den übrigen 9 Fällen cessirten 8 mal sofort 
die vorher heftigen Blutungen. Iu 5 Fällen trat sofort nach der 
Operation eine regelmässig fortschreitende Schrumpfung der Ge¬ 
schwulst ein. Flaischlen. 

Duchamp. Grossesse tubaire de six semaines; rup- 
ture de la trompe; laparotomie; guerison. Lyon medical 
1887, No. 35. 

Eine Dame, welche am 30. April 1887 zum letzten Male ihre 
Regel gehabt hatte, erkrankte am 17. Juni Nachmittags plötzlich 
unter Ohnraachtserscheinungen, Erbrechen, plötzlichem Erblassen 
und hatte dabei das Gefühl, als wenn ihr im Leibe etwas zerrisse. 
Verf., der am nächsten Tage vom behandelnden Arzte hinzugezogen 
wurde, fand den Puls unfühlbar, den Leib stark aufgetrieben, grosse 
Druckempfindlichkeit in der Gegend unterhalb des Nabels. Dabei 
erbrach die Pat. grünliche Massen. Sie gab an, dass der erste 
heftige Schmerz im Anfänge unmittelbar oberhalb der Schamgegend 
localisirt gewesen war, und gleichzeitig etwa eine halbe Stunde 
lang Tenesmus bestanden hatte. Die Untersuchung von der Scheide 
aus bot keine erheblichen Anhaltspunkte. Verf. diagnosticirte eine 
Blutung im Becken auf peritonitischer Basis. Er machte am Nach¬ 
mittag desselben Tages die Laparotomie, nachdem er die Pat. kathe- 
terisirt, die Bauchwand sorgfältig desinficirt hatte. Carboispray 
wurde nicht angewendet. Aus der Bauchhöhle wurden etwa 2,5 1 
flüssigen Blutes, untermischt mit Gerinnselu, entleert. Dazwischen 
fand sich ein Fötus von etwa 2 cm Länge, ln der Bauchhöhle 
wurden alte peritonitische Adhäsionen sowie eine Perforation der 
linken Tube constatirt. Tube und Ligamentum ovaricura wurden 
hart am Uterus mit Carbolseide doppelt unterbunden, der übrige 
Theil der Tube und das Ovarium excidirt. Unter autiseptischem 
Verband vollzog sich die Wundheilung ohne erhebUche Störung. 
Drei Wochen nach der Operation konnte Pat. als geheilt gelten. 

Wm. 


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178 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


XIII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

— Beiträge zur Beurthellung des Nutzens der Schutzpocken- 
Impfung nebst Mittheilungen Uber Maassregeln zur Beschaffung un- 
tadeliger Thierlymphe. Bearbeitet im Kaiserlichen Qesundheitsamte. 

Gr. 8°. XV u. 192 p. Mit 6 Tafeln. Berlin, Julius Springer, 1888. 

Die Petitionscommission des Reichstages hat in ihrer Sitzung vom 
23. März 188G gelegentlich der Berathungen über die Petitionen zum Impf¬ 
gesetz den Beschluss gefasst, über die Petitionen zur Tagesordnung über¬ 
zugehen, jedoch mit Rücksicht auf die Erklärung des Herrn Regierungs- 
commissars, dass im Anschluss an die Verhandlungen der Sachverständigen¬ 
commission im Reichsgesundheitsamt statistische Ermittelungen über den 
Nutzen der Schutzpockenimpfung stattfinden, den Herrn Reichskanzler zu 
ersuchen, von dem Ergebniss dieser Ermittelungen, insbesondere der Bear¬ 
beitung von Urpockenlisten, ebenso über die Maassregeln, welche zur 
Beschaffung untadeliger animaler Lymphe ergriffen sind, dem Reichstag bis 
zur nächsten Session Mittheilung zu machen. 

In Folge dieses Beschlusses hat die Reichsverwaltung das Kaiserliche 
Gesundheitsamt mit der Ausarbeitung einer Denkschrift beauftragt, in 
welcher die Ergebnisse der beregten Ermittelungen niederzulegen seien, um 
dieselben sowohl dem Reichstage als auch weiteren Kreisen zugänglich zu 
machen. Der Inhalt derselben zerfallt in folgende Abschnitte: 

1. Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Irapfgesetzes in 
Deutschland. 

2. Ergebnisse einer Statistik der Pockentodesfälle im deutschen Reiche 
für das Jahr 1886. 

3. Die während des Jahres 1886 in mehreren Staaten des deutschen 
Reiches vorgekommenen Erkrankungen an den Pocken, nebst einem 
Anhänge, betreffend Pockenerkrankungen im Jahre 1885. 

4. Der Einfluss der Schutzpockenimpfung auf die Pockensterblichkeit in 
Schweden. 

5. Die Regelung des Impfwesens in den neun älteren Provinzen 
Preusseus bis zum Jahre 1874, nebst einem Anhänge: Die Entwicke¬ 
lung des Impfwesens in der Königlich preussischen Armee. 

6. Die Ergebnisse der Bearbeitung sogenannter „Ur-Pockenlisten“. 

7. Mittheilungen über die Maassregeln, welche zur Beschaffung un¬ 
tadeliger Thierlymphe ergriffen worden sind, sowie über die Zunahme 
der Verwendung von Thierlymphe bei den im deutschen Reiche aus¬ 
geführten öffentlichen Impfungen. 

Bei einer Durchsicht der Bearbeitung erhält man den Eindruck, als ob 
die Pocken zur Zeit überhaupt kaum noch zu den in Deutschland endemi¬ 
schen Krankheiten gehören, denn wenn man die durch einen regen Schiffs¬ 
verkehr mit dem Auslande in naher Beziehung stehenden Stadtbezirke von 
Bremen, Hamburg, Königsberg und Danzig den Grenzbezirken des deutschen 
Reiches zurechnet, so sind etwa zwei Dritttheile sämmtlicher Pockentodes¬ 
fälle in den Grenzbezirken des Reiches vorgekommen, und nur etwa ein 
Dritttheil im Binnenlande. In Berlin ist im Jahre 1886 nur eine einzige 
Person als an den Pocken gestorben gemeldet, in Breslau, Dresden, Köln 
und Frankfurt a. M. überhaupt keine, in München nur zwei, in Leipzig 
drei u. s. w. 

Einen wie wenig günstigen Boden die Bevölkerung des deutschen 
Reiches im Jahre 1886 für die Pocken abgegeben hat, erhellt u. A. auch 
daraus, dass unter 86 von Pockentodesfallen betroffenen Gemeinden des 
Reiches in 54 nur je ein Todesfall vorgekomraen ist, in 19 anderen nur je 
zwei Todesfälle; dass ferner nur aus 4 der überhaupt betroffenen Gemeinden 
fünf und mehr Todesfälle gemeldet worden sind (nämlich aus Hamburg 17, 
aus Königsberg 8, aus dem oberschlesischen Dorfe Zalenze 5 und aus 
Salbke, Kreis Wanzleben, 7). 

Dass die Pockensterblichkeit in Deutschland gegenüber derjenigen des 
Auslandes im Jahre 1886 sehr gering gewesen ist, ergiebt sich aus einem 
Vergleiche, bezüglich dessen Einzelheiten auf den Abschnitt 2 verwiesen 
werden muss. Hiernach hatten im Jahre 1886 die in Vergleich gestellten 
Städte Oesterreichs eine 65 mal, Ungarns eine 486 mal, der Schweiz eine 
44 mal und Belgiens eine 39 mal grössere Pockensterblichkeit als die Städte 
des Deutschen Reiches. 

Bemerkt werden muss hierzu, dass in den genannten Ländern ein all¬ 
gemeiner gesetzlicher Impfzwang wie in Deutschland nicht bestand. 

Die Städte Englands, wo die Impfung der Kinder im jugendlichen Alter 
obligatorisch ist, standen entsprechend dieser gesetzlichen Regelung des Impf¬ 
wesens auch bezüglich ihrer Pockensterblichkeit den deutschen Städten weit 
näher, als die Städte jener anderen Länder; immerhin hat auch in den eng¬ 
lischen Städten die Pockensterblichkeit noch mehr als das l'/i fache von 
derjenigen in den deutschen Städten betragen. Es steht diese Thatsache 
im Einklang damit, dass eine obligatorische Wiederimpfung, wie sie das 
deutsche Impfgesetz vorschreibt, in England nicht eingeführt ist. 

Auch die Pockentodesfallstatistik des Jahres 1886 spricht, wie schon 
aus diesen kurzen Mittheilungen sich ergiebt, in überzeugender Weise für 
den segensreichen Einfluss des deutschen Impfgesetzes. Ganz besonders 
lehrreich erscheinen die Tafeln, welche zur Veranschaulichung der Wirkung 
des Impfgesetzes bereits im Jahre 1883 den Mitgliedern des Reichstages 
vorgelegt und unter Ergänzung bis auf die neuere Zeit hier aufgenommen 
sind. Auch diese berechtigen zu dem Ausspruche: Soweit der Statistik 
ein Urtheil zu entnehmen ist, muss das Impfgesetz als eine 
ausserordentlich nützliche und segensreiche Einrichtung ange¬ 
sehen werden. 


— In einzelnen Städten der Provinz Hannover, z. B. Osnabrück, ist 
kürzlich auf Grund der §§ 5. und folgenden der königlichen Verordnung 
vom 20. September 1867 über die Polizeiverwaltung in den neu erworbenen 
Laudestheilen und der §§143 und 144 des Landesverwaltungsgesetzes 
vom 30. Juli 1883 eine Polizeiverordnung erlassen worden, welche folgende 
Verschärfung und Ausdehnung des Impfzwanges vorschreibt: In 


No._9 

Bettfedernfabriken und Lumpeuhandlungen, in denen rohe Bettfedern 
bezw. Lumpen verarbeitet oder sortirt werden, dürfen Beamte (einschliess¬ 
lich des Comtoirpersonals) und Arbeiter nur dann angenommen werden, 
wenn sie nachweislich innerhalb der letzten 4 Jahre geimpft sind. Die in 
derartigen Geschäften angenommenen Beamten und Arbeiter sind verpflichtet, 
sich in jedem vierten Jahre nach ihrer letztvorhergegaugenen Impfung von 
Neuem impfen zu lassen. Die Impfscheine über vorbezeichnete Impfungen 
sind den Inhabern der betreffenden Geschäfte einzureichen, von diesen auf¬ 
zubewahren und auf Verlangen den Polizeibeamten jederzeit vorzulegen. 
Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung unterliegen in jedem einzelnen 
Falle einer Geldstrafe bis zu 20 Mk. event. entsprechender Haftstrafc. 


— Auf Antrag des Oberphysikus Prof, von Gebhardt wird im 
neuen Uellöer Spitale in Budapest ein städtisches bacteriologisches In¬ 
stitut errichtet, zu welchem Behufe das Municipium den Prosector Dr. Pertik 
nach Berlin exmittirte, damit derselbe im Koch’schen Laboratorium dies¬ 
bezügliche Studien mache. 

,— Die Mortalität in Budapest, welche im Jahre 1886 16666 betrug, 
ist im Jahre 1887 auf 13666 herabgesunken, und wenn auch die 586 
Cholerafälle vom Jahre 1886 in Abzug gebracht werden, so ist noch 
immer im abgelaufenen Jahre eine Verminderung der Mortalität um 2414 
zu constatiren, ein Resultat, auf welches der neue Oberphysikus stolz 
sein darf. _ 

XTV. Therapeutische Mitteilungen. 

Ueber Pathologie und Therapie des Keuchhustens. 

Von Dr. Coesfeld in Barmen. 

Auf dem Congress für innere Medicin (s. Verh. desselben, heraus¬ 
gegeben von Leyden und Pfeiffer, Wiesbaden 1887), sagte Vogel 
(München) am Schluss seines Referates über obengenannten Gegenstand: 
.Von einer psychischen Behandlung überhaupt findet sich in der neueren 
Literatur gar nichts mehr vor. Die alte preussische Generalin, welche, wie 
Niemeyer erzählt, einmal behauptete, man könne den Keuchhusten nur 
mit der Ruthe curiren, scheint zum Glück für die armen, kleinen Patienten 
keine weiteren Nachbeter gefunden zu haben“. 

Dies ist nicht ganz richtig. Das Factum verhält sich vielmehr so. 
Schönlein, der bei Vorstellung einer Pleuritis-Kranken auch über die ver¬ 
schiedenen Hustenformen sich äusserte, erzählte, als er die Keuchhusten- 
Paroxysmen geschildert, folgendes zur Therapie derselben: „Ich behandelte 
die Kinder eines Generals an Keuchhusten, die Mutter derselben war die 
zärtlichste und liebevollste, die Sie sich denken können. Als ich eines 
Morgens bei ihr in das Zimmer trat, empfing sie mich mit den Worten : 
Jetzt, Herr Geheimrath, habe ich ein Mittel gegen den Keuchhusten.“ Und 
das wäre, meine Gnädige? Der Stock, lautete die Antwort. — Selbstver¬ 
ständlich war die Ruthe nicht ernst genommen, und so führte dies Schön¬ 
lein auch aus. In dem Drohen mit der Ruthe und dem dadurch herbeige¬ 
führten Schreck und der Augst lag das Moment der psychischen Behand¬ 
lung. Berichtet doch schon Thomas Wallis, der zuerst der Krankheit den 
Namen „Tussis convulsiva“ gegeben, hierüber mit den Worten: .Hinc cum 
raedicamenta minus efficiunt, apud vulgus in praxi familiari est ut pro 
terriculamento . . . .“ Und wer wollte denn auch wohl ein kleines Kind, 
ein infans, in seinem Kranksein und Leiden mit einer Ruthe schlagen? 
Das wäre ja geradezu straffällig. Aber wie weit man im concreten Falle 
mit strengem und ernstem Worte bei der Behandlung des Keuchhustens 
kommen kann, das weiss ich aus eigener Erfahrung zu berichten. Mein 
damals sechsjähriges Söhnchen hatte den Keuchhusten. Vier Zimmer, durch 
einander gehend, sehr häufig gelüftet, bildeten seine Krankenstube. Am 
Nachmittag war ich sein Gesellschafter, da die Mutter ihm durch den Tod 
entrissen. Wollte nun ein Hustenanfall kommen, so sprach ich ihn ernst 
und mit allem Nachdruck an: „Ich wolle keinen Husten hören, das solle er 
sein lassen, er müsse ihn unterdrücken, und was der Worte mehr waren.“ 
Und der Anfall blieb entweder ganz aus oder war sehr gelinde und kurz. 
In vier Wochen war ohne jegliches Medicament der Husten beseitigt. Extr. 
Belladonnae, damals allgemein angewandt, wurde von vorn herein nicht ver¬ 
tragen. So bin ich im Gegensatz zu Vogel der Ansicht, dass die psychische 
Seite der Behandlung des Keuchhustens bei solchen Kindern, deren Alter 
sie zulässt, und wo die Eitern oder sonstige Angehörige die nÖthige Auto¬ 
rität und den bestimmten Ernst besitzen, wahrlich nicht unterlassen und 
unterschätzt werden sollte. Wegwerfend darüber zu urtheilen, dazu ist 
sicher kein Grund vorhanden. 

Bis jetzt finden wir in fast allen Hand- und Lehrbüchern über specielle 
Pathologie und Therapie den Keuchhusten bei den Krankheiten der Respi¬ 
rationsorgane angeführt, was um so natürlicher ist., weil eben der Husten, 
der spastische Husten, das Hauptsymptom bildet. Indess gehen die An¬ 
sichten über das Wesen desselben noch weit auseinander. Romberg, 
Lehrbuch der Nervenkrankheiten, I. Bd., II. Abthl., zählt ihn zu den Neu¬ 
rosen, speciell zu den exspiratorischen Convulsionen, zu denen er noch den 
Niese- und Lachkrampf gesellt. Hagenbach in Gerhardt’s Handbuch 
der Kinderkrankheiten, Bd. II, reiht den Keuchhusten zuerst unter die In- 
fectionskrankheiten, dem sich Vogel voll und ganz anschliesst. Hierhin 
zählen wir auch Baginsky mit seinem „infectiösen Katarrh“ und 
Michael mit seiner Ansicht von einer Reflexneurose der Nase, einer Neu¬ 
rose, die nach ihm durch einen „specifischen Reiz“, durch einen „In- 
fectionsstoff“ hervorgerufen wird. Wir ersehen aus dem Angeführten, 
dass die verschiedenen Autoren verschiedener Ansicht über das Wesen der 
Krankheit sind. Dazu kommt, dass auch die laryngoskopischen Befunde 
beim Keuchhusten von den verschiedenen Beobachtern sich nur zum Theil 
decken, — Rossbach hat sogar einen ganz intacten Kehlkopf und eine 
ebensolche Trachea gefunden (?) — una dass die pathologische Anatomie 


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1. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


unsere Erkenntniss über das Wesen der Krankheit entschieden nicht geför¬ 
dert hat. Der viel gesuchte Mikrococcus tussis convulsivae ist noch nicht 
gefunden, und die Impfungen mit dem Sputum Keuchhustenkranker, in dem 
der vermeintliche Uebeithäter vermuthet wird, der „Keuchbustenpilz“, sind 
nicht einwandsfrei und können, wie Vogel sehr treffend sagt, vor dem 
Kichterstuhle der exacten Bacteriologie nicht bestehen. 

Bei dieser Divergenz der einzelnen Ansichten lohnt es sich unseres 
Erachtens wohl der Mühe, in anderer Weise, aus seinen einzelnen Erschei¬ 
nungen heraus, zu versuchen, dem Keuchhusten seinen bestimmten Platz im 
nosologischen Systeme anzuweisen, und zwar so, dass wir das Für und 
Wider prüfen, ob der Keuchhusten eine Infeciionskrankheit oder ob er nur 
ein einfacher Katarrh mit besonderer Hustenform, wie Traube meinte, ist, 
oder aber ob wir ihn zu den Neurosen zahlen müssen, wie es Romberg 
that, und heute noch Viele thun. 

Der einzige Grund, mit dem man den Keuchhusten zu den Infections- 
krankheiten zählen kann, liegt nur in seinem epi- resp. endemischen Auf¬ 
treten. Alles andere spricht dagegen. Und selbst das epidemische Auf¬ 
treten ist für diese Ansicht nicht einmal stichhaltig. Zeigt uns doch die 
Geschichte der Medicin im Mittelalter und in der Neuzeit Epideraieen, die 
kein Mensch je zu den Infectionskrankheiten gerechnet hat, noch auch 
jemals einer rechnen wird. Auch diese Krankheiten befielen die Betreffenden 
nur einmal. Wir beobachten weiter beim Keuchhusten, der ohne Compli- , 
cationen verläuft, kein Fieber. Ein Stadium der Incubation ist nicht | 
nachweisbar, und die Daten über dessen Dauer verdienen keine Beachtung. 1 
Die Stadien des Wachsens, der Höhe und des Nachlassens, sind beim 
Keuchhusten gleichsam kaum markirt. Das katarrhalische Stadium geht 
allmählich in das couvulsive über, und dieses, schon fast verschwunden, 
tritt öfter wieder von Neuem in alter Heftigkeit auf, ohne dass eine Ursache 
hierzu nachweisbar wäre. Den Beobachtungen des Keuchhustens bei Neu¬ 
geborenen. von keuchhustenkranken Müttern stammend, die vonHagenbach 
für die A1 lge m eininfection angeführt worden, sind sehr berechtigte 
Zweifel entgegen zu stellen. Nicht jeder Laryngo-Tracheal-Katarrh, bei dem 
das Kind durch Husten nicht sofort den Schleim aus den Luftwegen nach 
oben bringt, bei dem das Kind dann gleichsam „stickt“, ist gleich ein 
Keucbbusten. Und wir glauben, dass jeder Herr College, der etwa im 
Besitze eines Yomitus matutinus ist, sich doch dagegen verwahren würde, 
m Keuchhusten zu leiden. — Auch der Nachweis der Oertlichkeit, wo 
die Infection stattgefunden haben könnte, ist bis jetzt nicht erbracht, sei 
es für die Nase, den Rachen, den Kehlkopf oder die Trachea. 

Gegen die Ansicht Traube’s, dass es sich beim Keuchhusten nur 1 
um einen einfachen Katarrh, aber mit besonderer Hustenart einhergehend, 
handle, sprechen alle die eigentümlichen Nebenerscheinungen, die wir bei 
dieser Krankheit beobachten, z. B. ihr epi- resp. endemisches Auftreten, 
sowie alles, was wir gleich anführen werden, um dem Keuchhusten seinen 
Platz unter den Neurosen anzuweisen. 

Gegen die Annahme, dass wir es beim Keuchhusten mit einer Neurose 
und nicht mit einer lnfectionskrankheit zu thun haben, spricht nicht, wie 
schon früher hervorgehoben, das epidemische Auftreten und das einmal Be- 
fallenwerden seitens des Keuchhustens. Für dieselbe spricht aber der 
fieberlose Verlauf des uncomplicirten Keuchhustens, sowie die anfallsweise 
anftretenden Erscheinungen, welche durch Weinen, Angst, Aerger etc. und 
nach Romberg (I. c. p. 435) selbst durch mimische Uebertragung hervor- j 
gerufen werden können. Dafür spricht weiter, dass wir in den meisten 
Fällen den einzelnen Anfällen eine Aura vorhergehen sehen, wie wir dies 
auch bei der Epilepsie haben, die von Romberg als eine Aura des Vagus 
bezeichnet wird. Die Kinder, die eben noch lustig spielten, hören auf 
damit, werden still, laufen zur Mutter oder einem anderen anwesenden Er¬ 
wachsenen, drücken sich an denselben an, um so die nöthige Unterstützung 
bei dem Hustenanfall sofort zur Hand zu haben. Sodann finden wir häufig, 
•lass dem Hustenanfall ein sogenannter Niesekrampf vorhergellt, wobei die 
Kinder 10, 20 und mehr Mal auf das Heftigste niesen. Und hustet eins unter 
mehreren, an Keuchhusten leidenden Kindern, welche in ein und demselben 
Zimmer sind, so folgen bald auch die anderen nach, und Meitzer (Abhdl. 
*om Keuchhusten p. 6) behauptet sogar, dass dies selbst dann geschehe, 
wenn die Kinder in getrennten Räumen sich befinden und der Husten von 
ihnen nur gehört wird. Hier muss ich dann der merkwürdigen Thatsache i 
gedenken, dass bei taubstummen Kindern noch nie Keuchhusten i 
beobachtet sein soll. Eigene Erfahrungen hierüber stehen mir nicht zu j 
Gebote. Zu Anfang der sechziger Jahre, (ich beschäftigte mich zu der Zeit ; 
sehr mit Ohrenheilkunde) wurde mir eine Broschüre vom Buchhändler zu¬ 
geschickt mit folgendem oder doch ähnlichem Titel: „Ueber den Zusammen¬ 
hang von Ohrenkrankheiten und Keuchhusten“. Zu meiner Enttäuschung 
fand ich darin nichts Specielles über Ohrenerkrankungen, wohl aber zu 
meiner grossen Ueberraschung die Thatsache angeführt, dass in den Taub¬ 
stummenanstalten Deutschlands, soweit statistische Daten darüber dem Ver¬ 
fasser zur Verfügung gestellt waren, nie eine Keuchhustenepidemie beob¬ 
achtet worden war, trotzdem der Verkehr der Zöglinge mit Kindern der 
Stadt, wo Keuchhusten epidemisch zu verschiedenen Zeiten geherrscht, der | 
vielfachste und intimste gewesen war. Ich bedauere lebhaft, den Namen des 
Autors sowie den Titel der Broschüre nicht angeben zu können, da ich ! 
diese unter meinen Büchern jetzt nicht herauszufinden vermochte. Aber | 
den Herren College», denen eine Universitätsbibliothek zur Benutzung frei 1 
steht, wird es ja ein leichtes sein, den Namen des Verfassers, Titel und I 
Inhalt der Broschüre angeben zu können. Wenn aber obige Angabe ihre 
Richtigkeit hat, sie ist ja auch jetzt noch festzustellen, und vorläufig kein 
«»rund vorhanden, daran zu zweifeln, so möchte ich in aller Welt wissen, 
wie hiermit die Infectionstheorie in Einklang zu bringen ist. Dass aber die 
Schleimhäute des ganzen Respirationstractus, von der Nasenschleimhaut selbst¬ 
verständlich beginnend, anders beschaffen sein sollten bei taubstummen als 
bei h örenden Kindern, wird doch kein Mensch ernstlich behaupten wollen! 
Der Ort für die Infection mit dem noch zu findenden Mikrococcus Tussis 
convulsivae ist vorhanden, weshalb nun bei den Taubstummen keine lufeo- 


179 


tion? Es bleibt hiernach nichts anderes übrig, entgegen allen auderen An¬ 
sichten über das Wesen des Keuchhustens, als ihn zu den Neurosen zu 
zählen, zu denen mit noch unbekannter anatomischer Grundlage. Rilliet 
und Barthez zählen ihn gleichfalls zu den Neurosen, und Bouchut lässt 
die Uebertragung von einem auf das andere Kind auf unerklärliche Weise 
geschehen. 

Auch die Therapie schliesslich, die jetzt warm empfohlen wird, spricht 
nicht gegen, sondern vielmehr für die Annahme des Keuchhustens als einer 
Neurose. Chinin setzt die erhöhte Reflexerregbarkeit herab, weshalb es 
dringend von Rossbach empfohlen wird. So haben auch Letzerich’s 
Einblasungen wohl nur eine allgemeine Wirkung. Auch das zuletzt von 
Sonnenberger, Demuth und Windelband gleichzeitig als sehr wirksam 
gegen Keuchhusten empfohlene Antipyrin, sicher gleichwerthig ist Antifebrin, 
hat, sowie letzteres auch, nach Chouppe und Bonnot eine ganz bedeu¬ 
tende serative Einwirkung auf das Centralnervensystem und 
dessen Reflexerregbarkeit. So lässt sich ihre Wirkung gegen den 
Keuchhusten dann auch leicht begreifen. 


Zur Anästhesirung schmerzhafter Wehen. 

Von Dr. S. Steinthal in Berlin. 

In No. 6 dieser Wochenschrift war nach den Comt. rend. de la soc. de biol. 
berichtet, dass es Läget gelungen war, eine schmerzhafte Geburt einer 
fünfmonatlichen Frucht durch zwei Clystiere von je 2 g Antipyrin völlig 
schmerzlos zu machen. Nach einer am 20. d. M. gemachten Beobachtung 
kann ich diese Wirkung des Antipyrin durchaus bestätigen. Bei einer 
25 jährigen Primipara, welche seit 20 Stunden etwa in Wehen lag, und bei der 
ich eine sehr langsame Dehnung der Muttermundsränder wahrnahm, verordnetc 
ich, da sie die Schmerzen angeblich nicht mehr ertragen konnte und sich 
gar zu ungeberdig benahm, ein Clysraa von 2 g Antipyrin auf 1 Tassenkopf 
Wasser, event auch ein zweites Clysma. Es trat fast sofort Schmerzlosig¬ 
keit ein. Dieselbe hielt eine Stunde an, ohne dass die Contractionen des 
Uterus aussetzten. Das zweite Clystier war von der Hebamme in Folge 
eines Missverständnisses nicht gereicht worden. 2'/9 Stunde nach der 
Application wurde die Kreissende behufs Zangenoperation chloroformirt. 
Die Narkose währte in Folge der Schwierigkeit der Extraction etwa 50 Min. 
und verlief ohne jede Störung. 


— Kisel (Petersburg) hat gefunden, dass die Darreichung von kleinen 
Dosen Phosphor gar keine vorteilhafte Wirkung auf das Waehsthnm der 
Knochen hat, dagegen eine schädliche Wirkung auf die Entwickelung des 
Thieres. Die scheinbar leichte Störung der Verdauung kann ausserdem einen 
letalen Ausgang herbeiführen. (Lancet 24. December 1887). 

— Einen Fall von Verstopfung des Meatns externus des Ohrs durch 
einen Pilz, beschreibt Don Juan Salelles. Die Pilzmassen, welche aus dem 
Mycel und den Sporen des Aspergillus flavescens bestanden, hafteten so 
fest, dass jeder Versuch, sie mechanisch zu entfernen, ohne Erfolg blieb. 
Das Wachsthum des Pilzes wurde von heftigen Schmerzen und Entzündungs¬ 
erscheinungen begleitet. Durch Application von Alkohol und Tannin wurde 
die Masse so gelockert, dass sie am folgenden Tage ausgespritzt werden 
konnte. M. 

— Professor Dujardin-Beaumetz machte der Pariser societe de 
therapeutique Mittheilung über die Ipjection und Elnathmnng von Schwefel« 
säure bei Lnngenphthise. Zur subcutanen Injection wurden jedesmal 2 
bis 3 ccm einer 0,6%igen Schwefelsäure enthalteöden Vaseline verwendet. 
Der Einfluss auf Husten, Auswurf, Schlaf wird als ein günstiger beschrieben. 
Die Inhalationen liess Dujardin-Beaumetz in folgender Weise vor¬ 
nehmen: In einem Zimmer von 25 cbm Rauminhalt wurden 250 g Schwefel 
verbrannt. Nach Ablauf einer Stunde wurden die Kranken in das Zimmer 
geführt und hielten sich alsdann darin 4 Stunden auf. Der Husten soll da¬ 
nach augenblicklich schwinden, der Appetit und Schlaf besser werden, der 
Auswurf seine eiterige Beschaffenheit verlieren. In einem Falle wurde sogar 
eine Hämoptoe durch diese Behandlung coupirt. Dujardin-Beaumetz 
lässt diese Inhalationen nur von kräftigeren Phthisikern gebrauchen, be¬ 
trachtet jedoch das Vorhandensein von Cavernen in den Lungen als keine 
Contraindication. S. W. 

— Dr. Mai Naughton beschreibt im British Med. Journal vom 
3. September 1887 die Fabrikation antiseptischer Clgarretten, die er zur 
Heilung von Krankheiten des Pharynx und der Nase mit Erfolg gebrauchen 
liess. Er nahm dazu entweder 1. Eucalyptus und Jodoform mit Vanillin, 
2. Jodsalicyl mit Eucalyptus. 8. Huflattig und Jodoform mit Vanillin. 4. 
Tabak, Eucalyptus, Jodoform und Kaffee. Jede Cigarrette enthielt 0,06 der 
wirksamen Substanz. Dem Jodsalicyl gab er den Vorzug, weil dieses 
weniger riecht und beim Rauchen Jod entwickelt, das die niederen Organismen 
tödtet. Man kann jedoch auch der anderen Cigarretton sich mit Vortheil 
bedienen, wenn man dem Jodoform genügend Vauiliin, Cumarin oder Kaffee 
hinzusetzt, da der entstehende Rauch sehr angenehmen Duft verbreitet. 

Bo. 

— Das Cumarin, Desodorans des Jodoform, wird uach Lang¬ 
lebert in Paris folgendermaassen verschrieben: 


Jodoform, pulv. 

0,75 

2. Jodoform. 15,0J 

Cumarin 

0,15 

Cumarin 5,00 

für 1 Pille. 


Alcohol q. s. 



ln Lösung zur localen 



Application. 

3. Jodoform. 

15,0 

4. Jodoform. 15,0 

Cumarin 

3,0 

Cumarin 3,0 

Lycopodii 

3,0 

Vaselin. liquid. 16,0 


Als Pulver. 

(Gazette de Gynecologie, 15. September 1887.) R. 


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180 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 9 


XV. Kleine Mittheilungen. 

— Berliu. Der Privatdocent der hiesigen Universität Dr. med. 
.lulius Schiffer ist am 27. d. M. seinem langjährigen Leiden erlegen. 
Ueber den Lebensgang des verdienten Forschers und des wegen seiner 
Charaktereigenschaften in den weitesten Kreisen hochangesehenen Mannes 
behalten wir uns vor, demnächst zu berichten. 

— Die Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der 
Berliner raedicinischen Gesellschaft, Geh. Med.-Räthe Prof. Dr. v. Berg¬ 
mann und Prof Dr. Virchow erlassen eine Einladung zur Gedächtniss- i 
feier für Bernhard v. Langenbeck. Die Feier findet am 3. April 1888, 
Abends 7 Uhr, im Saale der Philharmonie in Berlin statt. 

— Die Poliklinik von Dr. Arthur Hartmann (Ohren- u. Nasen¬ 
krankheiten), Dr. H. Krause (Hals- u. Nasenkrankheiten) und Prof. 
A. Fraenkel (Innere- incl. Nervenkrankheiten) wird am 19. März nach der 
Ziegel-Strasse 2 verlegt. Das neue Local ist durch seine Ausdehnung und 
durch seine Lage im medicinischen Viertel für Unterrichtszwecke besonders 
geeignet; mit demselben ist ein Laboratorium für mikroskopische und 
bacteriologische Untersuchungen verbunden. Ausser den Vorlesungen für 
Studenten und den Feriencursen, welche von Krause und Fraenkel ab¬ 
gehalten werden, ist von den Dirigenten der drei Abtheilungen die Ein¬ 
richtung getroffen, dass Aerzte die Poliklinik monatsweise zu praktischen 
Uebungen besuchen können. Es ist zu diesem Zwecke eine beschränkte 
Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden. 

— Köln. Am 25. Februar wurde in Köln die neuerbaute Augen¬ 
heilanstalt eröffnet, die, unter der Leitung des bekannten Augenarztes 
Dr. J. Samelsohn stehend, das erste öffentliche Krankenhaus in der Rhein¬ 
provinz ist, welches zu dem ausgesprochenen Zweck erbaut worden ist, der 
Behandlung von Erkrankungen eines einzelnen Organs zu dienen. Die An¬ 
stalt, die allen hygienischen Anforderungen der Neuzeit in ihren Einrich¬ 
tungen entspricht, hat für 60 Betten Platz. 

— Leipzig. Für die durch den Tod Wagner’s erledigte Professur 
der medicinischen Klinik sind von der Falcultät Erb-Heidelberg und 
Liebermeister-Tübingen ex aequo vorgeschlagen worden. 

— Die sächsische Kammer hat zur Erbauung und Ausstattung eines 
neuen Entbindungsinstitutes in Leipzig 1 200 000 Mark bewilligt. 

— Tübingen. Die Württembergische Kammer hat das Gesuch der 
-Habnemannia“ dass an der Landesuniversität die Grundlagen der 
Homöopathie gelehrt und bei der Physikatprüfung die Homöopathie 
berücksichtigt werde, der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen 

— Wien. Das österreichische Unterrichtsministerium hat eine neue 
Habilitationsordnung für die Habilitirung der Privatdocenten an den 
österreichischen Universitäten erlassen, welche eine Reihe gegen früher 
verschärfter Bestimmungen enthält. Namentlich kann nach der neuen Habi¬ 
litationsordnung die Venia docendi nicht mehr für einen .willkürlich be¬ 
grenzten Theil einer Wissenschaft“, sondern nur für den ganzen Umfang 
einer Disciplin oder ein grösseres Gebiet derselben erlangt werden. 

— Paris. In der Academie de medecine theilten Cha,uveau und 
Pasteur mit, dass es Chamberland und Roux gelungen sei, bei Thieren 
Immunität gegen malignes Oedem zu erzeugen durch Einverleibung der von 
den Bacillen befreiten Culturen des malignen Oedems, d. h. durch Einführung 
der Stoffwechselproducte dieser Organismen in den Thierkörper. 

— Der Decan der medicinischen Facultät in Paris hat dem 
Unterrichtsminister einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Facultät 
überreicht, dem wir nachstehend einige interessante Einzelheiten ent¬ 
nehmen. Bei der medicinischen Facultät waren am 15. October 1886 in- 
scribirt 3616 Studenten, zu denen 582 (510 Civil- und 72 Militärärzte) 
hinzutraten. Unter diesen letzteren befanden sich 103 Ausländer, von 
denen Amerika (20), Serbien (20), Rumänien (II) und die Türkei (11) 
das grösste Contingeut stellten. Im Weiteren wird eine Parallele zwischen 
dem Besuche der hauptsächlichsten medicinischen Facultäten Deutschlands 
und Frankreichs (Paris) gezogen, woraus erhellt, dass Wien 2 177, München 
1211, Berlin 1140, dagegen Paris 4278 Studirende der Medicin aufweist. 
Im Anschlüsse an den Bericht wird ijm Vermehrung von praktischen 
Arbeitslocalen, besser geordneten Bibliotheken etc., entsprechend der grossen 
Zahl der Studirenden, gebeten. 

— ln Paris hat sich unter dem Vorsitz von Magitot unter dem 
Namen „Societe de Stomatologie“ eine Gesellschaft gebildet, welche sich das 
Studium der Krankheiten der Mundhöhle zur Aufgabe gemacht hat. 

— Die Herren Debray, Mitglied der Akademie, und Grimaux, Pro¬ 
fessor an der Ecole polytechnique, sind mit der Herausgabe des fünften 
Bandes der Werke Lavoisier’s, der bisher nicht veröffentlichte Schriften 
enthalten wird, beauftragt. 

— Italien. Durch Decret vom 23. Januar d. J. wird die Einfuhr 
eingesalzter Häute in das Gebiet des Königreiches für die Provenienzen aus 
denjenigen Ländern verboten, in denen Epizootien herrschen und von denen 
her die Einfuhr der betreffenden Thiere bereits verboten ist. (Riforma medica). 

— Die Universität Bologna, die älteste in Europa, feiert am 
12. Juni die Feier ihres 800jährigen Bestehens. 

— Preisausschreiben. Der William-Jenks-Preis im Betrage von 
1300 Fr. ist für die beste Arbeit über das Thema: Diagnose und Be¬ 
handlung der Extrauterinschwangerschaft, ausgeschrieben. Die 
englisch geschriebenen Arbeiten sind bis zum 1. Januar 1889 an Dr. Ell- 
wood Wilson in Philadelphia Pa einzureichen. 

— Zur medicinischen Publicistik. Von der von Dr. Beck in 
Bern redigirten Ulustrirteu Monatsschrift der ärztlichen Poly¬ 
technik erscheint seit Kurzem eine französische Ausgabe unter dem Titel: 
„Revue illustrde de polytechnique medicale orthopediquo“ unter der Redaction 
der DDr. A. Leblond und R. Chenet in Paris. — In Constantinopel er¬ 
scheint ein neues Journal „Revue medicale pharmaceutique“ in französischer, 
türkischer und griechischer Sprache unter der Redaction von Dr. Apery. 


— Im Anschluss an die Mittheilung über Gesichtsasymmetrie, 
die wir in No. 7 p. 140 nach einem Referate des Herrn Prof. K. Barde¬ 
leben brachten, macht uns Herr Prof. Steinbrügge in Giessen auf ein 
eigenthümliches Verhalten der menschlichen Trommelfelle und Hammergriffe 
aufmerksam, welches bisher noch nicht zur Sprache gekommen sein dürfte. 
Schon seit einer Reihe von Jahren fiel es Herrn Steinbrügge auf, dass 
der linke Hammergriff in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle stärker zur 
Horizontalebene geneigt liege, als der rechte, dass das linke Trommelfell 
stärker oingezogen erscheine, als das rechte. Von den Otiatern wird dies 
Verhalten meist als pathologisch und zwar, wie bekannt, als Folge vermin¬ 
derten Luftdruckes innerhalb der Paukenhöhle aufgefasst, wodurch ein 
stärkeres Einwärtsdrängen des Trommelfells bedingt werde. — Da nun 
eben das beschriebene Verhalten der linken Membran sich auch t ei Normal¬ 
hörenden findet, da ferner in Fällen doppelseitiger Erkrankung die Hori¬ 
zontalstellung des linken Hammergriffs immer überwiegt, so vermuthete 
Herr Steinbrügge schon seit längerer Zeit eine Asymmetrie in Betreff 
der Lage beider Trommelfelle. Einige Anfragen bei Anatomen von Fach 
über diesen Gegenstand blieben erfolglos; bei der Lecture des interessanten 
Hasse’schen Aufsatzes ward Herr Steinbrügge jedoch wieder lebhaft an 
obiges Thema erinnert, zumal der Herr Verf. angiebt, dass die linke 
Schädelhälfte meist breiter sei als die rechte. Eine geringe Senkung des 
linken Annulus tympanicus gegen die Horizontalebene würde zur Erklärung 
des linkerseits abweichenden Trommelfellbildes genügen. — Die asymme¬ 
trische Lage der beiden Trommelfelle würde insofern eine praktische Bedeu¬ 
tung haben, als das Urtheil über abnorme Hammergriffstellung resp. Ein¬ 
ziehung der linken Membran dem entsprechend modificirt werden müsste; 
vielleicht dürfte es sich demnach empfehlen, die Aufmerksamkeit der Ana¬ 
tomen auf diesen Punkt zu lenken, da letztere durch Abgüsse von Gehör¬ 
gängen oder durch anderweitige Maassnahmen am meisten zur Entscheidung 
dieser Frage beitragen könnten. 

— Trichinose. In Ober-Cunewalde in Sachsen und Umgegend 
herrscht eine Trichinoseepidemie, die bereits über 200 Erkrankungen zählt. 
Bis zum 10 Februar waren bereits 27 der Erkrankten gestorben. Die 
Epidemie lässt sich darauf zurückführen, dass von einem bestimmten Fleischer 
fabricirte Würstchen, roh genossen wurden. 

-- Universitäten. Königsberg. Dr. P. Michelson hat sich 
als Privatdocent an der medicinischen Facultät habilitirt. — Kiel. Stabs¬ 
arzt Dr. B. Fischer, der Begleiter Koch’s auf seiner Reise nach Aegypten 
und Indien, hat sich als Privatdocent für Bacteriologie habilitirt. — 
Leipzig. Dr. L. Krehl, erster Assistent an der medicinischen Klinik, 
hat sich als Privatdocent habilitirt. — Bologna. Prof. Tartuferi (Messina) 
ist zum Professor der Ophthalmologie an der Universität Bologna ernannt 
worden. — St. Petersburg. Dr. A. Dostojewski hat sich als Privat¬ 
docent für Histologie und Embryologie an der militärmedicinischen Akademie 
habilitirt. -— 

XVI. Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Kreis-Physikus I)r. Jung in Weener u. dem prakt. Arzt 
Dr. Aufrecht zu Frankfurt a./O. den Charakter als Sanitäts-Rath, sowie 
dein seitherigen Institutsarzt am Militär-Knaben - Erziehungsinstitut, Stabs¬ 
arzt a. D. Dr. Hoff zu Annaburg den Rothen Adler-Orden IV. Kl. zu ver¬ 
leihen , ferner den nachbenannten Aerzten die Erlaubniss zur Anlegung der 
ihnen verliehenen nichtpreussischen Ordensinsignien zu ertheilen: dem Ober- 
Stabsarzt I. Kl. im Kgl. Kriegsministeriura Dr. Gross heim zu Berliu des 
Kommaudeurkreuzes II. Kl. des Schwedischen Wasa-Ordens, dem ausserordtl. 
Professor Geh. Medic.-Rath Dr. Lew in zu Berlin des Koramandeurkreuzes 
des Kgl. Portugiesischen San Thiago-Ordens vom Schwert, dem ausserordtl. 
Professor Dr. Herrn. Cohn zu Breslau des Grossherrlich Türkischen Med- 
schidje-Ordens II. Kl., dem Badearzt von Cudowa, Geh. Sauitäts-Rath 
Dr. Scholz in Görlitz des Ritterkreuzes I. KI. des Herzogi. Sachsen Ernes- 
tiniscben Hausordens, dem Generalarzt I. Kl. Korpsarzt des Gardecorps 
Dr. Wegner in Berlin der zur Feier des 50jährigen Reg. Jubiläums Ihrer 
Majestät der Königin von Grossbritannien und Irland gestifteten silbernen 
Medaille. 

Ernennungen: Der Stabsarzt a. D. Dr. Claes zu Mühlhausen i. Th. 
ist zum Kreis-Wundarzt des Kreises Mühlhausen u. der prakt. Arzt 
Dr. Gust. Cohn zu Breslau zum Kreis-Wundarzt des Kreises Meseritz er¬ 
nannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Engelien in Bartenstein, 
Dr. Maschke in Liebemühl, Dr. Weber in Pillkallen, Dr. Li ehr in 
Mühlberg a./E., Dr. Seyffert in Sangerhausen, Dr. Leske in Rothenburg 
a./S., Dr. Karl Levy in Hille. Dr. Neustadt in Höxter, Dr. Goedde in 
Hovestadt, Dr. Baron in Vettweiss, Dr. Bodet in Dueren, Dr. Goldfeld, 
Dr. Ittmann, Dr. Lindner, Dr. Mannaberg, Dr. Perls sämmtlich in 
Breslau, Dr. Hoven in Falkenstein im Taunus, Dr. Künkler in Wies¬ 
baden, Dr. Boedecker in Dalldorf, Dr. Schmilinsky in Friedrichsberg, 
Asst.-Arzt Di. Raske in Thorn, Dr. Israel in Owinsk, Dr. Wendland in 
Schwersenz, Gabel in Priebus, Dr. Kolbe in Itosslebeu, Dr. Sternberg 
in Hunteburg, Dr. Brackei in Münstereifel, Dr. Lohmann in Köln, 
Dr. Herrmann, Dr. Podlewski und Dr. Mertsching in Oderberg i/'M., 
Dr. Puczynski in Neu-Trebbin, Dr. Cr am er in Wittenberge, Dr. Rau 
iu Ahrensfelde, Dr. Bootz in Meyerich, Dr. Grevemeyer in Sachseu- 
hagen, Dr. Zahn in Hünfeld, Dr. Heusmann in Burgdamm, Dr. Proelss 
in Scheessei,Goede inNeuenburgW.Pr.,Dr. Aug. Mülleru. Ass-Arzt Daune 
in Lüneburg, Dr. G oll in er in Burgdorf. 

Vacante Stellen: Das Pbysikat des Kreises Neidenburg; die Physi- 
kate der Kreise Gostyn, Jarotschin, Koschmin, Lissa, Ncutomischel, Schild¬ 
berg und Schmiegcl; die Kreis-Wundarztstelle des Untertaunus-Kreises mit 
Wohnsitz in Idstein. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W 


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Donnerstag 


JW 1© 


8. März 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


L Aus dem Städtischen Allgemeinen Krankenhause 
Friedrichshain. 

Abtheilung des Herrn Prof. Dr. Fürbringer. 

Zur klinischen Würdigung und Genese der 
Schwefelwasserstoffausscheidung im Urin. 

Von Dr. Th. Bosenheim Assistenzarzt, nnd 
Dr. med. H. Gutzmann. 

Dass der frisch entleerte Urin in gewissen Krankheitszuständen 
Schwefelwasserstoff enthält, ist seit langem bekannt. Diese Er¬ 
scheinung hat vielfach bereits das Interesse der Physiologen und 
Kliniker erregt. Die Ansichten der Autoren über Entstehung und 
Bedeutung des HoS im Urin (Hydrothionurie) sind indess äusserst 
wechselnde gewesen, und erst in jüngster Zeit ist über die Ursachen 
des Phänomens durch genaue Untersuchungen eine grössere Klarheit 
erzielt worden. 

Unsere Untersuchungen lehnen sich direkt an klinische 
Beobachtungen an. Wir haben die Absicht gehabt, das seither Be¬ 
kannte kritisch zu sichten und Neues besonders Dach zwei Rich¬ 
tungen hiuzuzufügen. Einmal auf die letzte Ursache der Hydro- 
thionurie einzugehen und den diagnostischen Werth dieser Er¬ 
scheinung zu fixiren, und zweitens diejenigen chemischen Substanzen 
ausfindig zu machen, aus denen im Harn bei Abwesenheit von Eiweiss¬ 
stoffen sich das Gas entwickeln kann. 

Friedrich Betz 1 ) sagt in seiner letzten, unser Thema berühren¬ 
den Arbeit Folgendes: „Ueber die Entstehung des Schwefelwasser¬ 
stoffes oder Schwefelammoniums im Urin können wir jetzt drei 
(Quellen angeben, deren Kenntniss von wissenschaftlich praktischem 
Werthe ist: 

1. Der Schwefelwasserstoff bildet sich in der Blase in Folge 
von Zersetzung eiweissartiger Körper, wie Eiter, Blut etc. Eine 
selten vorkommende Erscheinung. 

2. Der Schwefelwasserstoff gelangt in Folge der Resorption 
von dem Darm aus in das Blut und wird von den Nieren aus¬ 
geschieden (Hydrothionammonaemie). 

3. Der Schwefelwasserstoff gelaugt durch Exosmose und Endos¬ 
mose vom Darm aus in die Blase und mischt sich mit dem Urin*. 

Fangen wir mit der letzten der aufgezählten Eventualitäten an. 
so giebt Betz seihst dafür eiu Beispiel, wo in einem von ihm 
beobachteten Falle die Gasdiffusion dadurch erfolgte, dass durch 
eine divertikelartige Ausbuchtung die sehr dünne Blasenwand dicht 
an den Mastdarm herangebracht wurde, welcher an dieser Stelle 
bedeutend erweitert und mit Koth angefüllt war. Der Urin hatte 
stets gleich nach seiner Entleerung einen durchdringenden fäculen- 
ten Geruch, eine grünliche, molkenartige Farbe, reagirte schwach 
sauer, hatte ein niedriges specifisches Gewicht von 1003 bis 1005. 
-Eiweiss war nicht vorhanden, dagegen sedimentirte sich eine etwas 
feste Schleimwolke nach 24 Stunden, die Eiterkörperchen, Epithelien 
und Vi brionen nachweisen Hess*. 

Die Möglichkeit einer Gasdiffusion durch die Blasenwand wird 
von Vötsch*) und von Ziegler 3 ) und zwar ohne weiteres zugegeben, 


*) Ueber die Quellen und diagnostisch-therapeutische Bedeutung des 
HaS im Urin. Memorabilien 1874. 
a ) Koprostase. 1874. . 

*) Die Uroskopie am Krankenbette. 1871. 


während Heller 1 ) und Ultzmann 2 ) als prädisponirendes Moment 
eine gewisse „Lockerung der Gewebe“ fordern. 

Nächst dem oben citirten Betz’sehen Fall erwähnen wir die 
zwei von Emminghaus 3 ) beschriebenen ausführlicher. In dem 
ersteo Falle, in dem es sich um ein 20jähriges Mädchen handelte, 
waren der Magen einmal, der Dünndarm zweimal und die Flexura 
sigmoidea einmal durchbrochen. Leider steht in dem Sections- 
protocoll nichts über die Beschaffenheit der Blase angegebeu. Der 
Urin zeigte vier Tage nach einer Katheterisation, die infolge vod 
Blasenheschwerden vorgenommen werden musste, Schwefelwasser- 
stoffreaction. Wir glauben nicht, dass sich aus der Katheterisation 
das Auftreten von HjS genügend erklärt, jedenfalls würde dies ein 1 
Vorwurf gegen den Arzt sein, zu dem niemand ohne weiteres be- ' 
iechtigt ist. Ausserdem giebt der zweite von Emminghaus ange¬ 
führte Fall gar keinen Anlass zu einer derartigen Vermuthung. Die 
Urinbeschwerden, die auch in diesem Falle bestanden, hoben sich 
nach warmen Umschlägen auf den Leib. Auch hier fand sich neben 
Urobilin am 10. Krankheitstage Schwefelwasserstoff. Die Section 
ergab mehrere eitrige Abscesse des Dünndarm, Coecnm, Processus 
vermiformis, S Romanum. Ausserdem Hyperämie der Nierenbecken; 
über die Blase ist nichts ausgesagt. 

ln allen drei Fällen ist die Möglichkeit eines Blasenkatarrhs 
nicht ausgeschlossen. Bei dem ersten Fall von Betz finden sich im 
Urin Eiterkörperchen, Epithelien und Vibrionen, so dass wohl eine 
Cystitis dagewesen sein muss. Bei den beiden Emminghaus'schen 
Patienten bestanden Uriubeschwerdeu, hei dem zweiten fand sich 
eine Hyperämie des Nierenbeckens, die vielleicht auf einen asceu- 
direnden Blasenkatarrh zu beziehen ist. Vor allem aber lässt sich bei 
diesen beiden Fällen, wo ja die ganze Bauchhöhle in einen grossen 
Eitersack umgewandelt war, daran denken, dass die Eutzündungserreger 
die Blasenwand passirten und eine Zersetzung des Urins herbei¬ 
führten. Wir /kommen hei dem einen der von uns beobachteten 
Fälle hierauf noch einmal zurück. 

Es fragt sich nun, ob es überhaupt möglich ist dass Gase 
durch lebende Membranen diffundiren; jeder Physiolog wird hierauf 
mit einem entschiedenen ja antworten. Wir müssen gestehen, dass 
wir nichts gegen die Erklärung durch Diffusion in den vorliegenden 
Fällen einzuwenden vermöchten, wenn die Autoren die Blasenaffection 
hätten ausschliessen können. Besonders in dem von Betz ver¬ 
öffentlichten Falle war die Bedingung für eine Gasdiffusion vom 
Darm in die Blase die denkbar günstigste. 

Da keine weiteren Fälle von Auftreten von H>8 im Urin ver¬ 
öffentlicht sind, die auf Diffusion durch die Darmwandungen bezogen 
werden durften, und hei welchen man Blasenkatarrh resp. eine Zer¬ 
setzung des Urins in den letzten Wegen hätte ausschliessen können, 
so suchte Müller 4 ) die Entscheidung durch ein Experiment herbei¬ 
zuführen. Allein die Art, in welcher en dasselbe anstellte, kann 
durchaus uicht als beweisend angesehen werden. Es gelang ihm 
nicht, bei Einspritzung nicht tödtlicher Mengen von HjS in die 
Bauchhöhle H 2 S im Harn nachzuweisen. Erst hei colossaleu 
Mengen — 20 kbem halbgesättigten H>S-Wassers —, die den Tod 
herbeiführten, fand sich in der Blase H 2 S. Bekanntlich haben vor 


’) Wocheublatt der Wiener Aerzte. 1867. 

*) Bemerkungen zu dem fäculenten Geruch der Wundsecrete und des 
Harns beim hohen Blasenschnitte. Wiener Presse. 1879. 

'■ 3 ) 2 Fälle von mehrfacher Perforation des Verdauungscauals und HaS- 

gehalt im Urin. Berl. kl. Woch. 1872. 

*) Ueber Schwefelwasserstoff im Harn. Berl. ki. Woch. 1887. 


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182 DEUTSCIIE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 10 


mehr als 20 Jahren Kaufmann und Rosenthal 1 ) denselben Ver¬ 
such gemacht. Gleich nach der Injection des Gases trat Allgeinein- 
intoxication ein, die sich sofort durch die eintretende Pulsverlang¬ 
samung anzeigte. Allerdings achteten sie nicht auf den Harn, aber 
sie würden wohl auch keinen H_>S in demselben gefunden haben. 
Es ist ganz natürlich, dass das Gas sofort von den enorm zahl¬ 
reichen Gefässen der äusseren Darmwandungen uud des Peritoneums 
resorbirt werden muss. Die Blasenwand selbst ist der Bauchhöhle 
nur mit dem kleinsten Theil zugekehrt, der gegenüber der Fläche, 
welche die Därme bieten, minimal ist. Deswegen ist es viel wahr¬ 
scheinlicher, dass das Gas durch die Lungen ausgeschieden wird; 
oder wenn es diffundirt, in das Darmlumen hineingeht. Wenn man 
nun aber bedenkt, dass in dem Betz'schen Falle die Blasenwand 
durch die divertikelartige Ausbuchtung enorm dünn war, dass die 
übrigen, die Diffusion vertheidigenden Autoren stets eine Lockerung 
der Blasenwandung annehmen, so muss man doch sagen, dass unter 
geeigneten Umständen uud bei genügender Menge des Gases die 
Möglichkeit der Diffusion in die Blase nicht von der Hand zu weisen 
ist. Uebrigens glaubt Müller selbst an die Möglichkeit der Diffu¬ 
sion, wie dies aus seiner Publication hervorgeht. 

Ebenso halten wir eine Resorption des Gases vom Darm 
aus und Ausscheidung durch die Nieren für möglich und unter ge¬ 
wissen Bedingungen für wahrscheinlich. 

Durch Thierexperimente Eulenberg’s 2 ) und Lewin's 3 ) wurde 
die Möglichkeit der Resorption in's Blut überhaupt bewiesen, und 
durch die Versuche des letzteren die Ausscheidung des einmal im 
Blute vorhandenen Gases mit dem Urin in die Blase in hohem 
Grade wahrscheinlich gemacht, da alle Körperhöhlen der von Lewin 
vergifteten Thiere bei der Section intensiv nach HnS riechend ge¬ 
funden wurden. Die Blase wurde leider nicht untersucht. Wir 
kommen nun zu den diesbezüglichen klinischen Beobachtungen. 

Der erste Fall, der hierher gehört, wurde von Betz 4 ) veröffent¬ 
licht. Es handelte sich um ein Krankheitsbild, das der Verfasser 
schon früher einmal beobachtet hatte, sich aber nicht hatte er¬ 
klären könuen. Es entstand dann nachträglich durch diesen zweiten 
Fall bei ihm die Meinung, dass beidemal eine Intoxication des ge- 
sammten Organismus durch resorbirte Fäulnissproducte des Darm¬ 
canals stattgefunden habe. Der Urin, den er am ersten 
Tage untersuchte, „sah einer dünnen Molke gleich, roch nach 
Aceton und Schwefelwasserstoff, reagirte neutral oder schwach 
sauer“. Später roch der Urin ausser nach H>S derartig faculent, 
„dass man hätte glauben können, es seien Fäcalstoffe beigemischt, 
der Nachttopf war jedoch ganz rein“. Hier wies Betz zum ersten 
Mal mit Bleipapier den Schwefelwasserstoff nach. Der Uriu ent¬ 
hielt kein Albumen. Ausserdem constatirte er mit angefeuchtetem 
rothem Lacrauspapier, das sich bald bläute, das Entweichen von 
Ammoniak. „Es wurde das Entströmen von hepatischem und 
Ammoniakgas aus dem Urin somit zur Genüge constatirt, wobei ich 
zugleich bemerke, dass ich «len Urin immer ganz frisch, einigemale 
noch warm zum Experimentiren nahm.“ Sobald er das erste Mal 
H-jS im Urin nachgewiesen hatte, dehnte er seine Untersuchungen 
auch auf den Stuhl aus. Er constatirte das Vorhandensein beider Gase 
im Stuhl in viel grösserer Menge, als beim normalen Menschen, 
und ferner, dass zur Zeit der stärksten HoS-Reaction des Stuhl¬ 
ganges auch der Urin das Bleipapier am intensivsten schwärzte, 
und dass die Stärke der Reaction in Stuhl und Urin gleichmässig 
abnahm, also im ganzen die Reactionen einander parallel gingen. 
Er kommt zu dem Schluss: „Die Hydrothionammonaemie ist 
als ein in dem menschlichen Körper entstandener Fäulnissprocess 
zu betrachten“. 

Den zweiten Fall veröffentlichte Senator/’) Die Ursache der 
Gesammterkrankung war ein Diätfehler, die Symptome die einer 
Schwefelwasserstoffvergiftung, da die Ructus und der ausströmende 
Athem deutlich nach HoS rochen. 

Da als die Quelle des Schwefelwasserstoffes der infolge des 
Diätfehlers erkrankte Darmcanal angesehen werden musste, so 
handelte es sich hier um eine Autointoxication durch abnorme Ver¬ 
dauungsvorgänge. Am zweiten Beobachtungstage waren die Er¬ 
scheinungen die allerheftigsten; Patient bekam unter den Augen des 
Arztes beim Versuch, sich im Bette aufzurichten, plötzlich einen 
schweren Collaps. Der kurz nach der erwähnten Katastrophe ent¬ 
leerte Urin war klar und dunkelgoldgelb und zeigte eine entschiedene 
Reaction auf H.S, imlem er eiue bleihaltige Visitenkarte deutlich 


*) Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases auf den thierischeu 
Organismus. Arch. f. Anatomie und Phys. 1865. 

2 ) Die Lehre von den schädlichen und giftigen Gasen. Braunschweig 1865. 

3 ) Ueber die Veränderungen des Natrium sulfantiainmoniats im thierischen 
Organismus- Virch. Arch. Band 74. 

*) Ueber Hydrothion-Ammonaemie. Memorabilien 1864. 

5 ) Ueber einen Fall von Hydrothionaemie und über Selbstinfection durch 
abnorme Verdauungsvorgänge. Berl. kl. Woehenschr. 1868. 


braun färbte; einen Geruch nach dem Gas konnte Senator im 
Urin nicht wahrnehmen. 

Einen dritten, diesem letzten ähnlichen Fall beschrieb wieder 
Betz; 1 ) jedoch ist hier nichts besonderes Neues zu berichten. 

Eine Parallele zu ziehen zwischen diesen klinischen Beobach¬ 
tungen und den experimentellen Untersuchungen ist wohl überflüssig. 
Das Gemeinschaftliche der Intoxication des Gesamratorganismus 
liegt klar zu Tage; das Vorhandensein von H2S im Urin hierbei, 
das bereits durch die Experimente höchst wahrscheinlich gemacht 
war, wird durch die klinischen Beobachtungen zur Gewissbett. 

Wir selbst haben die Diffusions- und Resorptionstheorie zu 
bestätigen nicht Gelegenheit gehabt. Wir haben in zahlreichen 
passenden Fällen genau und öfters den frischen Urin aufl H2S 
untersucht: bei Ileus, Perforatiousperitonitiden. Das Resultat war 
trotz der exactesten Methode 2 ) immer ein negatives. 

Die Entstehung des Schwefelwasserstoffs durch Zersetzung 
des Urins in den letzten Harnwegen kommt jedenfalls «uni 
häufigsten vor, obgleich Betz anderer Meinung ist (s. 0.). 

Schon Chevallier 3 ) hielt das Auftreten von Schwefelwasser¬ 
stoff für eiue Gähruugserscheinung. 

Aber erst Ranke 4 ) studirte diesen interessanten Vorgang 
genauer. Er beuutzte einen per Katheter entleerten Schwefelwasser- 
stoffreaction gebenden Urin zu seinen Untersuchungen. Er ent¬ 
deckte, dass der Harn in hohem Grade die Fähigkeit hatte, aus 
anderen Harnen, denen er in wenig Tropfen zugesetzt war, H2S 
zu entwickeln. Es zeigte sich, dass diese Fähigkeit sich au or¬ 
ganische Beimischungen, Fermente, knüpfte, die in dem schwefel¬ 
wasserstoffhaltigen Harn enthalten waren. Die in ihm entstehenden 
Schimmel- und Gährungspilze erregten, in normalen Harn gebracht, 
nach einigen Tagen H>S-Entwickelung. Der so geimpfte Harn 
konnte einen eigenthümlichen Zersetzungsvorgang durch die in ihm 
entstandenen Organismen wieder auf einen dritten überpflanzen. 
„Es unterliegt also keinem Zweifel, dass wir es bei der Schwefel¬ 
wasserstoffentwickelung im Harn mit einer Gähruugserscheinung zu 
thun haben, die ich als Schwefelwasserstoffgährung bezeichne“. — 
„Die Schwefelwasserstoffentwickelung geht nur in sauren und neu¬ 
tralen Harnen vor sich, sie sistirt in alkalischen“. 

Es liegt hier sehr nahe, die Parallele mit den Versuchen 
Leube’s, 5 ) die die Harnstoffzersetzung betrafen, zu ziehen und 
auch bei dieser Gährung bestimmte Pilze zu isoliren, welche die¬ 
selbe hervorrufen. Jedenfalls hat Ranke schon lange vor Leube 
darau gedacht, als er Impfungsversuche mit beliebigen fauligen 
Stoffen unternahm, jedoch kam er zu keinem positiven Resultat; es 
gelang ihm nicht, das Ferment, welches die Schwefelwasserstoff- 
gähruug im Harn erzeugt, und dessen Vorhandensein er bewiesen 
hatte, näher zu bestimmen. 

Härtling 15 ) fand ausserdem, dass jeder Haru beim Stehen an 
der Luft allmählich H2S erzeugt. Es sind also ebenso wie bei 
Leube in der Luft befindliche Pilze, denen die Fähigkeit zukoinmt, 
die Schwefelwasserstoffgährung im Harn hervorzurufen. 

Auch in Krankheiten, wo eine Zersetzung des Harus in den 
letzten Wegen anzunehmen war, haben wir den Schwefelwasserstoff 
im Verhältniss zu dem gewaltigen Material, das uns gütigst zur Ver¬ 
fügung gestellt worden war, ziemlich selten gefunden. Die Krank¬ 
heitsgeschichten, mit denen wir uns ganz speciell beschäftigt haben 
und die der Ausgangspunkt für unsere bacteriologischen und che¬ 
mischen Untersuchungen geworden sind, seien hier, soweit sie ein 
Interesse zur Sache beanspruchen dürfen, kurz skizzirt. 

1. Fall. II. L., 55 Jahre, Cigarrenmacher. Cystitis faeculenta. Patient 
kam mit Klagen über ein lästiges Oppressionsgefühl des Unterleibes und 
Urinbeschwerdeu in’s Krankenhaus. Es handelte sich um einen mageren, 
sehr cachektisch aussehenden Mann. An Lungen und Herz nichts Beson¬ 
deres. Abdomen auf Druck dicht über der Symphyse empfindlich. Der Urin 
ist schmutzig, grünlich-gelb, hat ein schleimiges Sediment, kein Eiweiss; 
eine Menge von rothen Blutkörperchen und Leukocyten nebst zahllosen 
Bacterien finden sich unter dem Mikroskop. Der Urin, per Katheter wegen 
der starken Beschwerden entleert, riecht deutlich nach Schwefelwasserstoff 
und giebt die Reaction darauf. Da Pat. später über starke Schmorzen ia 
der Urethra klagte, so wurde diese mit der Sonde untersucht und ein retro- 
stricturaler Abscess aufgedeckt, der seinen Eiter constant durch einen Fistel¬ 
gang dem Urin beimischte. — Patient stirbt nach einem sehr kurzen Krauk- 
heitsverlaufe, während dessen das für uns wichtige Symptom der Hydro- 
thionurie bestehen bleibt, an Marasmus. 

Scction: Das Nierenparenchym auf dem Durchschnitt mit gelblich- 

*) Ueber den Nachweis und die klinische Bedeutung des schwefel¬ 
wasserstoffhaltigen Urins. Memorabilien 1869. 

a ) Ueber die Art des Nachweises von Spuren 11aS im Harn verweisen 
wir auf Müller (s. 0 .) und Rosenheim. Die Ursache der HaS-Entwicke- 
lung im Urin. Fortschritte der Med. 1887. 

*) Journal de chim. med. 1829. 

4 ) Lehrbuch der Physiologie. IV. Auflage 1881. 

5 ) Virch. Arch. Bd. 100, 1885. 

f ’) Ueber das Vorkommen von IlaS im Harn. [uaugural-Dissert, 188G, 
Berlin. 


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DEUTSCHE MED1ÜIN1SCRB'WOCHENSCHRIFT:" 


18 ? 


8. März. 

weissen und diffusen, nötlilicheu Flecken durchsetzt, die sich unter dem Mi- | 
kroskop als Bacterieneinbolieen herausstellen. In den Nierenbecken, von | 
.denen das linke stark erweitert war, eine gelbe dicke Flüssigkeit. Uretheren , 
«ehr weit, Blase zeigt starke Verdickung der Schleimhaut und enthält eine 
gelblich-trübe, mit weissen Flocken durchsetzte Flüssigkeit. Nach Eröffnung 
der Urethra zeigen sich im membranösen Theile nekrotisch zerfallene Stellen 
uud Perforationen in das Uuterhautbindegewebe beider Hodensäcke, welche 
vollständig eitrig infiltrirt sind. 

Der Fall bietet diejenigen pathologischen Veränderungen, welche 
gewöhnlich die Voraussetzung der Hydrothionurie sind, d. h. eine 
direkte Verbindung der Blase mit einer Abscesshöhle, die diesmal 
kerne Beziehung zum Darmcanal hatte (vgl. Müller). 

2. Fall. Frau S., 31 Jahre, Schneiderfrau, kam mit Klagen über 
Schmerzen in der linken Seite unter dem Rippenbogen in s Krankenhaus. — 
Schwächliche kyphotische Frau. Lungen und Herz normal. Die Stelle 
unter dem linken Rippenbogen, die auf Druck sehr schmerzhaft war, gab 
auf Percussion gedämpften Schall. Es wurde daher zunächst, zumal Ver¬ 
stopfung bestand, an Verdauungsbeschwerden gedacht uud Ol. Ricin. ge¬ 
geben. Gleich am vierten Tage jedoch forderte der Harn durch seinen 
penetranten Geruch nach Schwefelwasserstoff zur Aufmerksamkeit auf. Es 
wurde ein Blasenkatarrh coustatirt. 

In diesem Falle gelang es uns bereits, kleine Stäbchen durch Cultur 
zu isoliren, die, auf anderen Harn verimpft, in demselben HsS erzeugten. 
Die Colonieen gingen durch Zufall zu Grunde. 

Der Schwefelwasserstoff verschwand nach 8 Tagen aus dem Urin; 
obwohl der Blasenkatarrh noch weiter fortbestand und Patientin noch 
einmal später wegen ähnlicher Beschwerden in's Krankenhaus kam, konnte 
er doch nie wieder nachgewiesen werden. Jedoch waren stets Bacterien in 
Menge unter dem Mikroskop nachzuweisen, die anscheinend identisch mit 
den obigen waren. 

Bemerkenswerth ist in diesem Falle der transitorische Charakter 
der Hydrothionurie, während die Beschwerden und der objective 
Befund durch die angewandte Therapie nicht modificirt waren. 

3. Fall. Martha C., 17 Jahre alt, war schon einmal im Kranken¬ 
hause wegen parametritischer Beschwerden gewesen. Nach 2 monatlichem 
Aufenthalt ausserhalb des Krankenhauses kamen die Schmerzen, verbunden 
mit starker Hyperästhesie der Vaginalschleimhaut, wieder, und zwangen 
Patientin wieder das Krankenhaus aufzusuchen. Status: Kräftiges Mädchen; 
Urin eiweissfrei, Druck im Hypogastrium beiderseits sehr schmerzhaft. Die 
Schleimhaut der Vagina sehr stark geröthet, granulirt, mit trübem gelb¬ 
lichem Secret belegt. Urethra frei (wiederholt auf gonorrhoische Infection 
untersucht). An der Portio Erosionen. Uterus etwas vergrössert, sehr 
empfindlich auf Druck, liegt retrovertirt. Beide Tuben verdickt, ebenso wie 
die Ovarien von Exsudat umgossen. Unter geeigneter Behandlung wurde 
die Vaginitis fast vollkommen beseitigt. Bald darauf aber stellten sich 
Urinbeschwerden ein. Patientin konnte nicht Urin lassen. Die Blasen¬ 
function kam erst nach 4tägigera Katheterisiren wieder in Gang. Der am 
ersten Tage per Katheter entleerte Urin war nicht ganz so klar wie sonst. 
Die leichte Trübung war durch Bacterienmassen bedingt. Der Harn war 
dabei sauer, ohne Leukocyten und roch nach HaS. Die Rcaction mit p-Amido- 
Dimethylanilin sehr deutlich. Bald jedoch war der Urin wieder klar; die 
Bacterien wurden von Tag zu Tag weniger, obwohl der Urin immer noch 
stark nach HaS roch. Zuletzt schienen überhaupt keine Mikroorganismen 
mehr vorhanden zu sein; wenigstens waren sie mikroskopisch ebenso wenig 
als Leukocyten zu finden. Als wir aber mit diesem Urin Agarnährböden 
impften und Plattenculturen anlegten, wurden Bacterien noch nachge¬ 
wiesen. 

Schliesslich verschwand auch die HaS-Reaction aus dem Urin. 

Nach 8 Tagen traten plötzlich wieder Urinbeschwerden auf, so dass 
Patientin der Urin wieder per Katheter abgelassen werden musste. Zu 
gleicher Zeit waren von neuem enorm viel Bacterien im Urin nachweisbar, 
ebenso wie die HaS-Reaction wieder sehr deutlich wurde. Allmählich nahm 
die Menge der Bacterien ab, es traten wie bei einer gewöhnlichen 
Cystitis viel Leukocyten auf; der Schwefelwasserstoff verschwand später aus 
dem Urin. 

Auch hier begegnet uns wieder bei Fortdauer der entzündlichen 
Vorgänge in der Blase die schon im vorigen Falle erwähnte Er¬ 
scheinung, dass die Hydrothionurie eine vorübergehende ist. Hier 
ist es aber sichergestellt, dass das Auftreten der Hydrothionurie 
mit der Menge der im Urin nachweisbaren, wohlcharakterisirten 
Bacterien in einem deutlichen Parallelismus stand. Wir dürfen es 
wohl als ausgeschlossen betrachten, dass die Infection der Blase in 
unserem Falle von der Urethra aus erfolgt ist, wie dies ja sonst ge¬ 
wöhnlich zu geschehen pflegt. Denn erstens haben wir in der 
Urethra zu keiner Zeit Mikroben nachweisen können, zweitens war 
der Vaginalkatarrh beim Auftreten der Blasenbeschwerden als im 
Ganzen geheilt zu betrachten. Ueberdies war die Vagina während 
-der Anwesenheit der Kranken im Hospital täglich zweimal mit stark 
antiseptischen Flüssigkeiten irrigirt worden. Drittens spricht der 
klinische Verlauf für einen anderen Infectionsmodus. Wir sehen im 
Anfang zugleich mit dem Einsetzen der Blasenbeschwerden, die vor¬ 
wiegend auf Detrusorlähmung zu beruhen scheinen, eine vollkommene 
Bacillurie eintreten, während die Anwesenheit von morphotischen 
Elementen als Reaction der afficirten Blasenschleimhaut vorläufig 
vermisst wird. Es liegt deshalb wohl näher anzuuehmen, dass diese 
grossen Bacterienmengen von den benachbarten Entzündungsheerden 
aus durch die Blasenwand gelangten, auf dem Wege durch die Mus¬ 
kulatur die oben beschriebenen Erscheinungen einer Detrusorlähmung 


hervorgerufen haben, um sich dann schliesslich iu grossen Mengen, 
in die Blase selbst zu .ergiessen .und im Urin aufzutreten. Diese 
Bacillurie währte .eine ; Reihe von .Tagen und bewirkte erst bei län¬ 
gerer Dauer gewisse Reizerscheinungen von Seiten der Schleimhaut, 
so dass wir später in der Lage waren, neben Bacterien viele Leuko- 
cyten nachzuweisen. 

Aus den geimpften Bacterien gelangtes uns nun, ■ eine- ganz 1 
scharf charakteristische Art herauszufiuden, ditb wir als die Ursache 
der Hydrothionurie in unserem Falle ansehen müssen. ■ Dieselben 
sind bereits von dem einen von uns in der dieser Arbeit vorausge¬ 
gangenen vorläufigen Mittheilung (Rosenheim, Die Ursache der 
H 2 S-Entwickelung im Urin, Fortschr. d. Med. Bd. V, No. 11) be¬ 
schrieben worden. Wir verweisen in Bezug auf Einzelheiten auf 
diese Arbeit. 

Durch zahlreiche Wiederholung der Impfversuche mit den 
mannichfachsten Modificationen haben wir uns davon überzeugt, dass 
nur den oben beschriebenen Bacterien unter den uns zur Verfügung 
stehenden die Fähigkeit zukam, auf die schwefelhaltigen Substanzeu 
des Harns reducirend zu wirken, und wir mussten sie in uuserem 
Falle als die alleinige Ursache der Hydrothionurie ansprecben. 
Selbstverständlich mögen in anderen Fällen andere Mikroorganismen 
die gleiche Eigenschaft zu zeigen im Stande sein, wie dies auch aus 
der zu gleicher Zeit und unabhängig von uns vorgenommenen Unter¬ 
suchung Müller’s hervorgeht. Uns kam es iu Uebereinstimmuug 
mit Müller nur darauf an, an einem eclatauten Falle das bacterio- 
logische Princip für die Aetiologie darzuthun. Es darf durch diese 
Arbeiten als zweifellos feststehend angesehen werden, dass, 
abgesehen von Resorption und Diffusion, der iu der Blase ent¬ 
stehende H-jS durch die Anwesenheit von bestimmten 
Mikroorganismen bedingt ist. 

Nachdem wir nun die Erreger der Hydrothionurie kennen ge¬ 
lernt hatten, musste uns daran liegen, in Erfahrung zu bringen, 
aus welchen im Harn vorkommenden Substanzen der HjS entwickelt 
wurde. Dass im eiweisshaltigen Urin das Eiweiss selbst die Quelle 
des H>S sein könne, möchten wir doch nicht so absolut von der 
Hand weisen, wie Müller dies thut. Allerdings müssen Wir zugeben, 
dass Versuche, welche wir selbst angestellt haben, um diese Mög¬ 
lichkeit aufrecht zu erhalten, negativ ausgefallen sind. Wir haben 
unsere Bacterien in Nährlösungen, denen wir Spuren von Eiweiss 
zusetzten, gebracht und haben niemals eine H-iS-Entwickelung be¬ 
obachten können. Andererseits gaben eiweissfreie Uriue, mit unseren 
Bacterien geimpft, H> S-Reaction. Welche von den im normaleu 
Harn vorkommenden schwefelhaltigen Substanzen war nun die Quelle 
der H»S-Gährung? 

Nach Neubauer und Vogel 1 ) wäre diese Quelle in den Sul¬ 
faten zu suchen, von denen sie als Charakteristicum angeben, dass 
sie bei Gegenwart von feuchteu organischen Stoffen bei iuässig er¬ 
höhter Temperatur H>S abscheiden. Auch Pfeffer 2 ) betout, dass 
bei Vorhandensein von Sulfaten gewisse Spaltpilze dieselben zu 
H>S redueiren. Diese Auffassung bekam eine erhebliche Unter¬ 
stützung durch den Ausfall folgender Versuchsreihe. 

Es wurden aus normalem frischem Urin die Sulfate (auch die 
gepaarten Schwefelsäuren) entfernt und dann geimpft. Es entwickelte 
sich keine Spur von H>S. Der Versuch wurde oft und mit mannich- 
fachen Veränderungen wiederholt — jedesmal ohne Erfolg. 

Es gelang uns also im Gegensätze zu Müller nicht, 
nach Ausfällung der Sulfate aus dem Rückstaude mit 
Hülfe der Bacterien H>S zu entwickeln. Allein mit Sicher¬ 
heit konnten die Sulfate erst als Quelle angesehen werden, wenn 
wir den positiven Beweis ihrer Zerlegung durch Bacterien erbrachten. 

Es wurde eine Lösung von 2 g Harnstoff, 1,0 Na CI, 0,3 Kal. 
biphosph., 0,2 Kal. sulph., 0,1 Kal. phosph., 0.1 Calc. phosph., Aq. 
dest. 100,0 mit den Bacterien geimpft, und es ergab sich, dass die¬ 
selben Colonieen, die. zu gleicher Zeit in normalen Harn geimpft, 
H 2 S nach 24 Stunden in grösster Menge entwickelten, — in dieser 
Lösung nicht die Spur von Reaction hervorbrachten. Auch dieser 
Versuch wurde mit mannichfachen Aeuderungen besonders in Bezug 
auf den Zusatz der Sulfate häufig wiederholt — stets mit demselben 
Resultate. Selbst dann wurde kein Erfolg erzielt, als wir aus den 
Kolben die atmosphärische Luft durch Einleiten von Wasserstoff 
verjagt hatten. Die Bacterien waren übrigens sowohl in dieser wie 
in der vorhergehenden Versuchsreihe stets wirksam geblieben, wie 
die Rückimpfung eclatant erwies. 

Da nun diese Versuche nach keiner Richtung ein positives Er¬ 
gehn iss zu Tage förderten, so mussten wir auf die anderen S-hal¬ 
tigen Substauzen gewissenhaft recurriren. Hierbei musste in erster 
Reihe an das Rhodan, dessen leichte Zersetzung ja bekannt ist, 
gedacht werden. 

Der Versuch glückte uns ebensowenig wie Müller. Weder 


') Anleitung zur qualitativen uud quantitativen Analyse des Harns. 187G. 
*) Pflanzenphysiologio I. p. 3G9. 


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184 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 10 


iu einer Lösung mit geringem Zusatz von Rhodankalium, noch mit 
einem Zusatz des betreffenden Natrium- und Ammoniumsalzes ver¬ 
mochten die Bacterien H»S hervorzubriugen, obwohl sie — wie die 
Rückimpfung bewies — am Leben und wirksam blieben. 

Nach diesen Versuchen blieb die Quelle der Hydrothionurie 
noch immer unklar, nur soviel können wir mit Bestimmtheit sagen, 
dass die HpS- gebende Substanz höchst wahrscheinlich zu denjenigen 
Stoffen gehört, die in den sogenannten neutralen Schwefel mit ein¬ 
begriffen werden, dass dieselbe aber derartig constituirt ist, dass sie 
durch diejenigen Manipulationen, welche zur Ausfüllung der Sulfate 
nöthig sind, Kochen mit HCl, Ausfüllung mit Chlorbaryum, gleichfalls 
zerstört oder doch modificirt wird. 

Als eine solche hier in Betracht zu ziehende Substauz wäre in 
erster Reihe die unterschweflige Säure zu bezeichnen. Es ist klar, 
dass dieser Körper ganz besonders geeignet ist, mit Leichtigkeit HjS 
zu entwickeln. Im Harn von Hunden und Katzen war diese Säure 
bereits von Schmiedeberg, Meissner und Salkowski entdeckt 
worden. 

Schon im Jahre 1876 hatte Strümpell 1 ) die unterschweflige 
Säure im Harne eines Kranken mit Typhus abdominalis iu der zwei¬ 
ten Krankheitswoche gefunden. Strümpell fand die Säure durch 
Zufall. Der gesammte Schwefel wurde bei einer Tagesquantität von 
nur 500 kbcm Urin auf 2,36 g von ihm berechnet, woraus man auf 
einen sehr beträchtlichen Eiweisszerfall schliessen kann. Davon kameu 
1,5 g auf die unterschweflige Säure! 

Im normalen Harn ist dieselbe bisher vermisst worden; doch 
fehlen zur Zeit umfassende, daraufhin abzielende und absolut be¬ 
weisende Versuche, die ihr Vorhandensein im menschlichen Urin 
ausschliessen. Wir .glauben deshalb wohl die Vermuthung aus¬ 
sprechen zu dürfen, dass unterschweflige Säure oder rich¬ 
tiger unterschweflig saures Alkali doch wohl im normalen 
Harn vorkomint, und dass sie für gewöhnlich die Quelle 
der Hydrothionurie ist. 

Die klinische Bedeutung des Schwefelwasserstoffs im Urin ist 
je nach den Urastäuden, unter denen man ihn gefunden hat, je nach 

der Art und Weise, wie man sich seine Entstehung gedacht hat, 

verschieden aufgefasst worden. 

Der Fall von Betz und die beiden von Emrainghaus, die 

auf Diffusion des Gases bezogen werden, mussten bei ihren auf¬ 

fallend schweren Allgeraeinsymptomen und letalem Verlaufe veran¬ 
lassen, in dem Auftreten von Schwefelwasserstoff im Urin „ein 
Symptom von schlimmer prognostischer Bedeutung“ zu erblicken. 

Aus der zweiten Art der Eutstehung der Hydrothionurie durch 
Resorption vom Darm aus und Ausscheidung durch die Nieren 
folgert Betz, indem er einen Rückblick auf die von ihm und von 
Senator veröffentlichten Fälle wirft: „Es hat demnach die Hydro¬ 
thionurie nicht nur einen semiotisch-diagnostischen Werth, sondern 
auch einen therapeutischen, indem sie die Aufgabe stellt: Befreiung 
des Darmcanals von stagnirenden Gasen und Koth“. Umgekehrt 
verlangt er, man solle immer auf H 2 S im Urin vigiliren, wo faulige 
Stühle vorkämen. Aehnliche Erwartungen hegte Vötsch von dem 
exacten Nachweis des Schwefelwasserstoffs im Urin (s. 0 .): „es 
dürfte sich dann ereignen, dass mit dem Gelingen des objectiven 
Nachweises ganz andere Diagnosen in manchen Krankheitsfällen zu 
stellen wären als bisher“. Aehnliches verspricht sich auch Ziegler. 

Nach den bis jetzt feststehenden Erfahrungen hat man für ge¬ 
wöhnlich die Bedeutung des Schwefelwasserstoffs im Urin darauf zu 
reduciren, dass er eine Zersetzung des Harns in den letzten Wegen 
— Blase, Uretheren, Nierenbecken — anzeigt, die auf Einwirkung 
von Bacterien beruht. 

Findet man daher cystitischen Urin, der nach Schwefelwasser¬ 
stoff riecht, so giebt dies für die Beurtheilung des Falles, d. h. für 
Prognose und Therapie keinen wesentlich neuen oder verwerthbaren 
Gesichtspunkt. Findet man jedoch in einem Falle, wie in dem 
dritten von uns mitgetheilten, einen klaren Urin, der keine Leuko- 
cyten sedimentirt, unter dem Mikroskop keine Bacterien zeigt und 
doch nach H 2 S riecht, so hat man zunächst durch Impfung die 
Abwesenheit von Bacterien darzuthun. Erst dann ist die Möglich¬ 
keit einer Resorption oder Diffusion von Schwefelwasserstoff in Er¬ 
wägung zu ziehen. 

Darin scheint uns eben die Bedeutung dieses Falles“ 2 ) zu liegen, 
dass er der einzige bisher beobachtete ist, bei welchem ohne klinisch 


*) Ueber das Vorkommen von unterschwelliger Säure im Harn des Men¬ 
schen. Arch. d. Heilkunde 1876. 

*) Wir haben iu der Literatur, auch in Winckel’s Handbuch der Er¬ 
krankungen der weiblichen Blase, keine Analogie für unseren Fall finden 
köunen. Nur eine Beobachtung von Schottelius und Reinhold: Ueber 
Bacteriurie (Ceutralbl. f. kl. Med. 1886, No. 37) dürfte vielleicht hierher 
gehören. Es handelte sich um einen 45 jährigen Pat. mit Vit. Cordis, der 
fortdauernd mit dem Harn enorme Mengen von Bacillen entleerte, ohne dass 
Zeichen einer Pyelitis oder erheblicheren Gystitis bestehen. Ursache der 
Bacteriurie völlig dunkel, da keine Section vorliegt. 


nachweisbare Erkrankung der Blase sich Schwefelwasserstoff in 
diesem Organ entwickelte, indem die in die Blase gelangten Mikro¬ 
ben im Urin diese Gährung anregten. Dieser unserer Beobachtung 
gegenüber erscheint die Annahme der Diffusion in den früher ver¬ 
öffentlichten Fällen kaum berechtigt oder doch ihre Berechtigung 
auf ein Minimum zurückgedräugt. 

Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich dahin zusammen¬ 
fassen : 

1. Das Auftreten der Hydrothionurie ist für gewöhnlich bedingt 
durch die Anwesenheit gewisser Bacterien arten in der Blase, welche 
auf die schwefelhaltigen Substanzen des Harns reducirend wirken. 

2. Der Angriffspunkt dieser Bacterien sind weder die Sulfate 
noch das Rhodan, sondern ein Körper, der bisher dem sogenannten 
neutralen Schwefel zugerechnet wurde (wahrscheinlich unterschweflig¬ 
saures Alkali). 

3. Die Möglichkeit einer Resorption des H 2 S in’s Blut und Aus¬ 
scheidung durch die Nieren, ferner einer Diffusion des Gases vom 
Darm in die Blase ist nicht von der Hand zu weisen. In der weitaus 
grössten Zahl der Fälle jedoch ist die Hydrothionurie nur als eine 
zufällige und im Ganzen und Grossen bedeutungslose Complication 
der Gystitis anzusehen. 


II. Aus der Chirurg. Klinik des Herrn Geh. Rath Czerny 
zu Heidelberg. 

Ueber Hauttuberculose durch Inoculation 
und Autoinfection. 

Von Dr. C. F. Steinthal, I. klinischem Assistenzarzt. 1 ) 

Als ausschliessliche Eintrittspforte für das tuberculöse Virus 
galten noch bis vor Kurzem, nachdem einmal der Krankheitserreger 
der Tuberculöse klinisch und experimentell nachgewiesen war, die 
Lungen und vielleicht noch der Darmcanal, aber eine Impf- oder 
Inoculationstuberculose, die man zwar auf experimentellem Wege 
schon erzeugt hatte, war klinisch noch nicht gesehen worden, und 
damit fehlte noch ein Glied in der Beweiskette für die Annahme, 
dass wir es bei der Tuberculöse nicht mit einer Diathese, nicht mit 
einer krankhaften Reizbarkeit des Organismus, meist auf hereditärer 
Basis, sondern mit einer während des Lebens erworbenen Infection 
zu thun haben. Nun kamen aber bald derartige klinische Beob¬ 
achtungen: eine Frau schneidet sich mit dem Sputumglas ihres au 
Lungenphthise leidenden Mannes und bekommt von der Wunde aus 
eine tuberculöse Affection der Finger; 2 ) — ein lungenphthisischer 
Beschneider saugt die Wunden der Kinder aus und die Kinder 
sterben an den verschiedensten tuberculösen Affectionen; 8 ) — die 
frische Hiebwunde in das Kniegelenk eines vorher blühenden Knaben 
unrein verbunden, wird tuberculös uud benöthigt die Resection des 
tuberculösen Gelenkes; 4 ) — kurz wir verfügen heutzutage über eine 
ziemliche Anzahl von Beobachtungen, die zu der Annahme drängen, 
dass die Tuberculöse, dass irgend eine tuberculöse Affection die 
direkte Folge einer localen Einimpfung in die äusseren Bedeckungen 
sein kaun. 

Einen derartigen Fall von localer Inoculationstuberculose, und 
zwar in der Haut, erlaube ich mir, meine Herren, Ihnen heute vor¬ 
zuführen. 

Diese Patientin, Frau Friederike Knapp, 37 Jahre alt, trat am 1. De- 
cember 1887 in unsere Klinik ein mit der Angabe, früher, abgesehen von 
einer vorübergehenden Geisteskrankheit, stets gesund gewesen zu sein. Am 
13. Februar 1884 sei ihr erster Mann, dessen Wäsche sie stets selbst ge¬ 
waschen habe, an Lungenschwindsucht gestorben. Nun hätte sie 14 Tage 
vor dem Tode des Mannes ein Panaritium des linken Mittelfingers bekommen, 
das aber nie ausgeheilt, sondern in einen chronischen Verschwärungs- 
process übergegangen sei. Etwa zu Ostern desselben Jahres begannen auf 
dem Rücken der rechten Hand an der Basis der 1. Phalange des 2. Fingers 
sich warzenähnliche Gebilde zu zeigen, auf deren Basis sich dann ebenfalls 
ein chronischer Verschwärungsprocess ausbildete, der trotz verschiedentlicher 
localer Behandlung nicht heilen wollte, im Gegentheil immer weiter schritt. 
Wir nahmen damals folgenden Status auf: 

Leidlich kräftig aussehende, ziemlich gut genährte Frau. Lippen und 
sichtbare Schleimhäute gut geröthet, in der Mundhöhle und im Rachen keine 
Anomalieen. An den Hautdecken mit Ausnahme der Hände keine krankhaften 
Veränderungen. Die linke obere Lungeugrenze steht einen vollen Querfinger 

') Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Heidelberg. 

2 ) Merklen: Gaz. hebd. de med. et chir. 1885, No. 27. — Tscher- 
ning: Fortschr. d. Med. 1885, No. 3. — Leser: ibidem 1885, No. 16. — 
A. Holst: Semaine med. 1885, p. 385. — M. Schmidt: Inauguraldisser¬ 
tation, Leipzig 1887. 

®) Lindemann: D. med. Wochenschrift 1883, No. 30. — Lehmann: 
ibidem 1886, No. 9—13. — Elsenberg: Berl. klin. Wochenschrift 1886, 
No. 35. 

4 ) Middeldorpf: Fortschr. d. Med. 1886, No. 8. Hierher gehören 
auch die Fälle von Kraske im Centralblatt, f. Chir. 1885, No. 47: Ueber 
tuberculöse Erkrankung von Wunden. 


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8. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 185 


tiefer als die rechte; Dämpfung besteht nicht über den Lungenspitzen. 
Athmungsgcräusch beiderseits vesiculär, links unter der Clavicula das Ex- 
'piriuin länger uud schärfer als rechts an der gleichen Stelle. Pectoralfre- 
mitus rechts deutlicher als links über der Lungenspitze. Sonst nichts Pa¬ 
thologisches. 

Auf dein Rücken der rechten Hand, in der Haut über dem ‘2., 3. uud 
4. Metacarpus findet sich eine ca. 5 Markstück grosse geschwürige Fläche, 
«reiche zwischen 2. und 3. Finger in die Vola manus zieht. Dieselbe ist 
zunächst mit dicken übelriechenden Borken bedeckt und erweist sich nach 
Entfernung letzterer durch Salben und Bäder als aus kleinen Verschwärungen 
zusammengesetzt von meist rundlicher, aber auch unregelmässiger Configu- 
ration mit etwas kleinbuchtigen Rändern, die aber da und dort, namentlich 
an der Peripherie, wo das Geschwür fortschreitet, wie mit dem Locheisen 
ausgeschlagen erscheinen. Der Grund dieser Geschwürchen ist blassroth und 
secemirt sehr wenig Eiter. An der Peripherie sieht man deutlich, wie die 
Geschwürchen aus dem Zerfall kleiner, stecknadelkopfgrosser, röthlicher Haut- 
infiltrate entstehen Durch Confluenz mehrerer solcher Geschwürchen sind 
an exponirten Stellen wie zwischen 2. und 3. Finger tiefe, rissige, längliche 
Geschwüre entstanden, die leicht bluten und etwas schmerzhaft sind. Im 
Centrum der ganzen Geschwürsfläche da und dort Tendenz zur narbigen 
Ueberhäutung. Durch diese Erkrankung ist die Beweglichkeit, der leicht 
flectirten Finger sehr beschränkt. 

An der linken Hand ist nur der Mittelfinger, wo die ganze Affection 
der Hände angefangen haben soll, erkrankt. Hier sehen Sie die Haut in 
toto etwas verdickt, der Nagel zeigt verlängertes Wachsthum, ist bräunlich 
verfärbt. An dem radialen Fingerrande ebenfalls ein rissiges, leicht bluten¬ 
des, längliches Geschwür, zwischen der wie narbig aussehenden Haut da und 
dort noch einzelne kleine Infiltrate. 

Durch Auskratzen, Anwendung des Paquelins, Gebrauch von Sublimat- 
haadbädern und Jodoformsalbe hat sich der Zustand heute wesentlich ge¬ 
bessert. Statt der geschwürigen Fläche sehen Sie jetzt eine ziemlich glatte 
Hautnarbe, an deren Peripherie noch einzelne, Lupus ähnliche Knötchen. 
Ebenso ist der Mittelfinger der linken Hand fast ganz verheilt. 

Diese Beschreibung, welche ich Ihnen gab, stimmt ziemlich 
genau mit dem Bilde überein, wie es Kaposi von der wahren 
Hauttuberculose im Gegensatz zu Lupus oder Scrophuloderma ent¬ 
wirft. Nun hat auch die mikroskopische Untersuchung des ausge¬ 
schabten Materials, welche vorzunehmen Herr College Dr. Martin 
Schmidt die Freundlichkeit hatte, die klinische Diagnose bestätigt. 
Kein Zweifel also, dass wir hier einen Fall von wahrer Hauttuber¬ 
culose vor uns haben, dessen Aetiologie höchst wahrscheinlich 
darin zu suchen ist, dass die Frau sich beim Reinigen der Wäsche 
ihres phthisischen Mannes inficirte — also eine locale Inoculations- 
toberculose acquirirte. Wahre Hauttuberculose ist nun eine ziemlich 
seltene Affection, Kaposi 1 ) will bei seinem sehr grossen Beob- 
achtnngsmaterial nur etwa 20 derartige Fälle gesehen haben; der 
Sitz der Erkrankung war an den verschiedensten Körperstellen, 
meistens im Gesicht, aber in dieser Weise, wie wir sie an den 
Händen unserer heutigen Patientin sehen, scheint sie noch nicht 
beobachtet zu sein. Dabei betrafen alle Fälle mit einer Ausnahme 
männliche Personen, und ebenso bestand in sämmtlichen Fällen gleich¬ 
zeitige mehr oder weniger vorgeschrittene Lungentuberculose. Unser 
heutiger Fall würde sich demnach dadurch auszeichnen, dass es 
sich einmal um eine Frau handelt, dass der Sitz der Erkrankung 
die Hände sind, und dass letztere ohne gleichzeitig bestehende 
Lungentuberculose auf einer localen Infection beruht. Was nun bis 
jetzt in dieser Richtung von Inoculationstuberculose beobachtet 
worden ist, hat sich meist so dargestellt, dass entweder frische 
Wunden in chronische, tuberculöse Geschwüre übergingen mit 
nachfolgender, abscedirender Drüsenschwellung, oder gesunde Granu¬ 
lationen nahmen fungös-tuberculösen Charakter an, oder es handelte 
sich nm Leichentuberkelartige Knötchen, in denen Tuberkelbacillen 
nacbgewiesen wurden, deren Träger dann späterhin andere tuber- 
culöse Processe durchzumachen hatten, 2 ) allein einen ähnlichen Fall 
wie den heutigen, dass sich ganz local flächenhaft in der Haut in 
Folge einer äusseren Infection eine wahre Hauttuberculose etablirt, 
habe ich in der Literatur nicht auffinden können. 

Man kann höchstens drei Beobachtungen von Volkmann 3 ) 
in Parallele stellen: von einer tuberculösen Spina ventosa entwickelt 
sich Lupus der Finger und des Handrückens; direkt nach einer 
tuberculösen Caries des Calcaneus zeigt sich Lupus in der benach¬ 
barten Haut; von der vernarbten Schnittwunde einer gespaltenen 
und rasch verheilten tuberculösen Mastdarmfistel bildet sich ein 
Lupus exfoliativus der Hinterbacke aus. Hierher gehört auch der 
von Leser 4 ) mitgetheilte Fall, in welchem in direktem Anschluss 
an eine tuberculöse Coxitis durch den unter dem Verbände sta- 
gnirenden Eiter eine lupöse Erkrankung der benachbarten Haut 
anftrat, und zwar nur soweit als der Verband gereicht haben soll. 
Eis führen uns diese Fälle auf das Capitel der Autoinfection, doch 
kommt ihnen noch eine besondere Bedeutung zu, nämlich für 


*) Pathologie u. Therapie der Hautkrankheiten 1887, p. 787. 

*) Vachire: These, Paris 1884. — Karg, Centralblatt f. Chirurgie 1885, 
No. 32. 

*) Verhandlgn. d. deutsch. Ges. f. Chirurgie 1885. 

4 ) 1. c. 


die immer noch umstrittene Frage, ob Lupus, Scrophuloderma. 
Hauttuberculose, wenn auch nicht als identische Processe doch als 
Geschwister aufzufassen seien oder uiclit. Beobachtungen, wie die 
angeführten, sind aber wohl geeignet, diese Frage im bejahenden 
Sinne zu beantworten. Deun wenn wir auch wissen, dass Scro- 
phulose und Lupus häufig Zusammentreffen, so wird immer gern 
angeführt, dass eine genaue Beobachtung lehre, wie Lupus den 
primären, die scrophulösen Entzündungen den consecutiven Process 
darstellen. Können wir aber zeigen, dass Lupus direkt von einem 
scrophulösen Heerde aus sich entwickele, so gewinnt dadurch die 
Anschauung einer nahen verwandtschaftlichen Beziehung beider 
Krankheiten eine gewisse Berechtigung. 

Einen derartigen Fall hin ich nun in der glücklichen Lage, 
Ihnen vorstellen zu können. 

Au diesem 14jährigen Jungen, Otto Hauck aus Kirehheim, sehen Sie 
einen vor einigen Tagen mit dem scharfen Löffel und dem Paquelin behan¬ 
delten Lupus der Nase. Der Patient trat zum ersten Mal im August 1882 
in unsere klinische Behandlung wegen Ostitis und Periostitis des Nasenbeines. 
Die Haut über der erkrankten Stelle war iutact. Sonst war der Knabe 
damals völlig gesund. Herr Geh. Rath Czerny hat dann auf diese Stelle 
incidirt und den erkrankten Knochen ausgeschabt. Im weiteren Verlaufe 
blieb nun eine Fistel zurück, von der aus sich ein exquisiter Lupus der 
Nase entwickelte, der, wie Sie sehen, ziemliche Zerstörungen gesetzt hat. 
Die Nase ist sattelförmig eingesunken und verbreitert, dadurch sind die 
Nasenöffnungen nach der Seite verlagert. Von der so in etwas ungewöhn¬ 
licher Weise ergriffenen Nase aus beginnt sich der Lupus jetzt auf 
die Wangen und Oberlippen fortzusetzen. Er hat aber auch schon 
andere Gebiete des Körpers befallen, wie aus den zahlreichen Haut¬ 
narben der rechten Ellenbogenbeuge, über der rechten Patella, am rechten 
Gesäss, am linken Fussrücken zu ersehen ist. Ueberall ist hier die Aus¬ 
heilung gelungen. Nur an dem primären Sitze ist die Erkrankung von 
einer Hartnäckigkeit, die bis jetzt allen angewandten Mitteln siegreich 
widerstanden hat. Sonst ist der etwas gracil gebaute, wenig gut genährte 
Junge, abgesehen von einer kleinen Caries am rechten Fusse, gesund, nament¬ 
lich sind die inneren Organe nicht nachweisslich erkrankt. Ich bemerke 
noch, dass bei der letzten Operation die Nase gespalten wurde, da immer 
der Verdacht bestand, dass der Lupus in der Nasenschleimhaut seinen 
primären Sitz haben könne. Allein die Schleimhaut der Innenfläche der 
Nase war ganz gesund, nur an den Rändern der Nasenflügel ging die 
lupöse Infiltration auf das Innere der Nasenlöcher über. Die gleichzeitig 
exstirpirten Halsdrüsen erwiesen sich mikroskopisch tuberculös. 

Stellt man sich auf den Standpunkt, dass dieser Fall ira Sinne 
der engen Verwandtschaftslehre zwischen Lupus und Scrophulose zu 
verwerthen sei, so wird man bei näherer Ueberlegung nicht umhin 
können, den ersten der beiden Fälle in einem etwas eigentümlichen 
Lichte zu sehen, und sich des Gedankens nicht erwehren können, ob 
nicht eine wahre Hauttuberculose in Lupus übergehen, ja als Leichen¬ 
tuberkel beginnen könne? Denn diese Frau giebt anamnestisch be¬ 
stimmt an, dass an der rechten Hand als erste Krankheitserscheinung 
warzenähnliche Gebilde auftraten, an ihre Stelle trat eine flächen¬ 
hafte Ulceration, mit welcher die Frau in der Klinik sich vorstellte, 
uud nachdem jetzt in Folge zweckmässiger Behandlung fast gänz¬ 
liche Heilung eingetreten ist, sehen wir nur noch an der Peripherie 
des früheren Krankheitsheerdes einzelne wenige Knötchen, die ganz 
das Aussehen von Lupusknötchen haben. Ich gebe zu, es ist das 
nur ein Gedanke, vielleicht zeigen uns aber doch weitere genaue 
Beobachtungen, dass in der Haut seihst alle die sogeu. tuberculösen 
Processe unter gegebenen Verhältnissen in einander übergehen und 
aus einander hervorgehen können. 

Doch dies nur nebenbei! Uns iuteressirt in erster Linie der 
Modus der Autoinfection bei diesem multiplen Lupus. 

Derselbe kann auf zweierlei Art entstanden sein. Entweder 
hat der Junge sich selbst an den verschiedensten Stellen, nachdem 
einmal ein primärer Heerd da war, durch Ungeschicklichkeit, durch 
Kratzen mit beschmutzten Fingern das Gift inoculirt, oder die je¬ 
weilige locale Infection ist von innen heraus erfolgt. Mir scheint 
die erstere Erklärung die plausiblere zu sein, und es Hesse sich zu 
ihrer Stütze vielleicht anführen, dass der rechtshändige Junge vor¬ 
wiegend auf der rechten Körperhälfte die lupösen Narben hat, denn 
die rechte Hand kratzt leichter auf der rechten, die linke leichter 
auf der linken Seite. Wäre die Infection aber von innen heraus 
erfolgt, dann müssten wir annehmen, dass Jahre lang in der Blut¬ 
bahn das tuberculöse Gift circulirte und sich bald da und dort, je 
nach Zeit und Umständen, in der Haut localisirte nach demselben 
Vorgänge, der sich nach Roseubach und Kocher bei der experi¬ 
mentellen Osteomyelitis, nach Schüller bei den experimentellen 
tuberculösen Gelenkentzündungen abzuspielen scheint. Dass ein 
solcher Vorgang immerhin möglich sei, dafür möchte ich Ihnen, 
meine Herren, folgende Beobachtung anführen. 

Es handelte sich um einen 34jährigen Schuhmacher, dessen Lungen 
nicht ganz unverdächtig waren, und der am 3. Mai 1886 in die Klinik wegen 
periarticulären abscedirenden Fungus des linken Sprunggelenkes kam. Der 
Fuss wurde operirt, Pat. am 28. Mai mit geheilten Wunden, aber allerdings 
neu aufgotretener elastischer Schwellung im alten Operationsgebiet auf drin¬ 
genden Wunsch entlassen. Er stellte sich am 31. Juni wieder vor, Local- 


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1«6 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 10 


hcfuml hatte sich verschlechtert, und ausserdem fand sich über dem t'ondylus 
internus der linken Tibia eine inarkstückgrosse Hautsteile, die dunkelblau 
verfärbt war: in ihrem Ceutrum eine kleine, von innen nach aussen aufgc-» 
brochene Fistel, welche unter die von einem schwammigen, leicht blutendeu 
Gewebe untermiuirte Haut führt. Diese Gewcbsmasse wird ausgeschabt und 
erweist sich mikroskopisch als tuberculöses Granulationsgewebe, auch Tu¬ 
berkelbacillen werden darin nachgewiesen. Sonst waren die Hautdecken 
völlig intact, nur an dieser Stelle, wo die Blech sch io ne den Pa¬ 
tienten etwas gedrückt hatte, die Haut also alterirt war, hatte sich 
ein tuberculüser Proeess etablirt. 

Zum Schluss erlaube ich mir Ihnen noch über eineu Patienten 
zu berichten, der unsere Klinik erst kürzlich verlassen hat. 

Es war das ein 11 jähriger Junge, der nach Angabe des Vaters als 
6 monatliches Kind Abscesse an der linken Schulter und am linken Ober¬ 
schenkel gehabt haben soll. Seit Deceraber 1886 habe sich allmählich eine 
Kyphose der Brustwirbelsäule eingestellt. Im Octobcr 1887 bekam der 
Junge böse Finger, nachdem er kurz vorher frische, vom Felde entnommene 
Tabaksblätter aufgereiht hatte. Seit 8 Tagen bestehe ein über den ganzen 
Körper verbreiteter Ausschlag, der am Munde und an der linken Halsseite 
grössere Dimensionen angenommen hatte. Bei der Aufnahme am 23. No¬ 
vember 1887 constatirten wir folgenden Status: Blasser, schlecht genährter 
Junge; spitzwinklige Kyphose der Brustwirbelsäule, dessen höchste Spitze 
der Dornfortsatz des X. Brustwirbels darstellt; innere Organe nicht nach¬ 
weisbar erkrankt, bei der Palpation des Abdomens keine auffallende 
anomale Resistenz zu fühlen. 

lieber dem ganzen Körper ein lichenartiger Ausschlag. Auf der linken 
Halsseite, entsprechend dem vorderen Rande des Cucullarmuskels, in halber 
Höhe eine l /s Pfennigstück grosse Stelle als eine etwas prominirende, derbe, 
nicht nässende, bläulichrothe Infiltration der Cutis, die an ihrer Peripherie 
feine Schüppchen zeigt. Aehnliches am rechten Mundwinkel. An dem 3. 
und 4. Finger der rechten nand zeigen die Nägel trophische Störungen, 
die Nagelglieder sind kolbig angeschwollen, am Rande des Nagelbettes 
wuchern kleine, schwammige Granulationen heraus. An der radialen Seite 
der Fingerbeere des Mittelfingers ein kleiner Abscess. Am ulnaren Rande 
des Kleinfingers eine erbsengrosse, bräunliche Kruste, unter der eine leicht 
blutende Geschwürsfläche zum Vorschein kommt. 

Behufs mikroskopischer Untersuchung, welche vorzunehmen 
Herr College Dr. Martin Schmidt die Freundlichkeit hatte, wurde 
die erkrankte Hautstelle der linken Halsseite, sowie je eine lichen- 
artige Stelle vom Bauch und rechten Oberschenkel excidirt, ebenso 
wurden die spärlichen Granulationen an den Fingern ausgeschabt. 
Tu dem Präparat der Halshaut fanden sich Tuberkel und Tuberkel¬ 
bacillen, bei den übrigen Präparaten ergab die Untersuchung ein 
negatives Resultat, und doch zweifle ich nicht, dass es sich an den 
Fingern ebenso gut um einen tuberculöseu Proeess handelte, wie an 
der linken Halsseite, denn die Finger boten klinisch dasselbe Bild 
dar, wie es bei einer Zehe als Onychia tuberculosa in einem Falle 
aus unserer Klinik von Dr. v. Meyer 1 ) beschrieben worden ist. 
Es kommt hier nur noch eine interessante Frage mit in’s Spiel, 
nämlich ob wir den Proeess an den Fingern als Theilungsprocess 
der übrigen Tuberculose (Kyphose, Hautinfiltrate) auffassen sollen, 
oder ob wir aunehraen dürfen, zu der Kyphose ist eine neue Infection 
hinzugekommen, vielleicht von den Tabaksblättern aus, und die 
tuberculösen Finger haben auch hier am Halse, am Munde eiuen 
Inoculationsheerd gesetzt? Ich führe die Tabaksblätter speciell 
an, weil Herr Geh. Rath Czerny vor längerer Zeit Gelegenheit 
nahm, hier im ärztlichen Verein auf eiuen möglichen Causalnexus 
zwischen Beschäftigung mit Tabaksblättern und tuberculöser 
Fingeraffection hinzuweisen. Eine sichere Entscheidung wage ich 
im vorliegenden Falle nicht zu geben. 

Sie sehen, meine Herreu, die Art und Weise des Auftretens 
der Hauttuberculose ist eine noch nicht genügend geklärte, die 
Wege, welche sie wandert, sind noch recht dunkle, und wir haben 
noch Vieles von der Zukunft für die Lösung aller angedeuteten 
Fragen zu erhoffen. 


III. Ein Fall von gleichzeitiger traumatischer 
(Druck-) Lähmung d. Nn. radiaL, ulnar, und 

median. 

Von Dr. Hugo Köbner in Breslau. 

Drucklähmungen der Armnerven in Folge von Verbänden und 
Binden sind genügend bekannt. Die Mittheilung des nachstehenden 
Falles geschieht daher auch nicht zur Bereicherung dieser Casuistik, 
sondern weil die in ihr beschriebene Lähmung in diesem Zusammen¬ 
treffen an und für sich sicherlich nur selten beobachtet ist und weil sie 
die Nothwendigkeit illustrirt, die Anlegung von festen Binden um 
deu Oberarm — wie z. B. zur Erzeugung der künstlichen Blutleere 
— einzuschränken. Der Fall ist folgender. 

Der Arbeiter W. P., 29 Jahre alt, war im Juni d. J. an einer Schleim¬ 
beutelentzündung an der Streckseite des linken Ellenbogengelenks erkrankt, 
welche eine Operation nothwendig machte, als deren Residuum eine über 
das Olecranon längs verlaufende, 3 cm oberhalb desselben beginnende, im 


l ) Virchow’s Archiv, Bd. 108. 


Ganzen ca. 7 cm lauge Narbe persistirt. Vor der Operation wurde dem Pa¬ 
tienten nach seiner Angabe eine Gummibinde um den Oberarm gelegt. Bald 
nach dem Erwachen aus der Narkose war die willkürliche Beweglichkeit der 
linken Hand, die vorher völlig normal war, verschwunden. Ueber Schmerzen 
hatte Pat. während der ganzen Wundbehandlung weder an der Operations- 
Stelle, noch am Unterarm und Hand zu klagen; die Wunde heilte rasch. 
Der erste feste Verband, ungefähr das untere Drittel des Oberarms und das 
obere des Unterarms bedeckend, lag 4 Tage; darnach trug Pat. noch mehrere 
Tage einen leichten Verband. 

Der am 2. September aufgenommene Status ergab: Beugung und 
Streckung des linken Unterarmes gegen den Oberarm sind zwar möglich, sie 
geschehen aber mit. erheblich geringerer Kraft als rechts. Pronation und 
Supination fehlen; die linke Hand hängt schlaff halb flectirt im Handgelenk 
herab, und Pat. vermag mit ihr keinerlei active Bewegungen auszuführen: 
ebenso unbeweglich sind die Finger, so dass dem Patienten, da er zwischen 
die Finger gesteckte Gegenstände auch nicht zu halten vermag, der Gebrauch 
dieser Hand unmöglich ist. Die cutano Sensibilität ist bis zum Ellenbogen- 
gelenk hinauf sehr herabgesetzt: leichte Berührungen werden gar nicht 
wahrgenommen, Nadelstiche, wie elektrocutane Reize rufen nur geringe Em¬ 
pfindung hervor. Die Ernährung hat. ebenfalls gelitten: der Umfang im 
oberen Drittel des Unterarmes ist links 2 cm, der des Handtellers über 1 env 
geringer als an den entsprechenden Stellen rechts. Die elektrische Prüfung 
ergiebt am N. rad., uln. und med. Herabsetzung der indirekten Erregbarkeit; 
es fehlt die maximale Zuckung, indem die Steigerung der Stromstärke von 
keiner entsprechenden Zuckungssteigerung gefolgt ist. Die direkte Erreg¬ 
barkeit der Streck- und Beugemuskulatur der linken Hand und Finger ist 
für den galvanischen Strom beträchtlich erhöht, der Verlauf der Muskel¬ 
zuckung selbst ein träger. Für den faradischen Strom dagegen ist die Er¬ 
regbarkeit ausserordentlich herabgesetzt; namentlich sind die Muskeln des 
Kleinfingerballens und die Mm. iuterossei schwer erregbar. 

Es besteht also hier eine coraplete Lähmung der gesammten, von den' 
N. rad., uln. und med. versorgten Muskulatur mit Herabsetzung der cutanen 
Sensibilität. Von einer charakteristischen Stellung der Finger, wie bei der 
Ulnarlähmung, kann natürlich der gleichzeitigen Lähmung der Antagonisten 
der M. interossei wegen nicht, die Rede sein. In dem Lähmungsbereich 
zeigt sich dabei die Erscheinung der partiellen Entartungsreaction (.Herab¬ 
setzung der direkten faradischen, Erhöhung der direkten galvanischen Erreg¬ 
barkeit und charakteristische Aenderung der Muskelcontraction), während die 
indirekte Erregbarkeit für beide Stromesarten noch besteht. 

Nach Verlauf einer ca- .sechswöchentlichen Behandlung mittelst des: 
faradischen und constantcn Stromes besserte sich der Zustand erheblich. 
Die Kraft der Beugung und Streckung des linken Unterarmes wurde wesent¬ 
lich stärker, Supination und Pronation w urden wieder möglich, Beugung und 
Streckung iin Handgelenk wieder, wenn auch nicht in voller Exeursiou, aus¬ 
führbar; die Finger vermag Pat. nun wieder gegen einander zu abdueiren 
und sie zu adducircn, sie zu beugen und zu strecken. Am meisten behindert 
blieb noch die Bewegung des 5. Fingers sowie die Opposition des Daumens, 
so dass jetzt die willkürliche Beweglichkeit in allen vordem gelähmten 
Muskeln vorhanden ist. Die Ernährung hat sich zwar gebessert, doch ist 
der Umfang der Muskulatur an entsprechenden Stellen di*s linken Vorder¬ 
armes und der Hand noch deutlich geringer als rechts. Die Empfindung für 
Berührung und Sehmerzeindrücke ist zwar vorhanden, aber Pat. giebt an. 
noch links ein stumpferes Gefühl als rechts zu haben, und klagt auch über 
Taubheitsgefühl namentlich der drei letzten Finger. Die Besserung dos 
elektrischen Verhaltens zeigt sich in dem Verschwinden der partiellen Ent¬ 
artungsreaction. Die direkte faradische Erregbarkeit überwiegt die galvani¬ 
sche, die Muskelzuckung bei letzterer ist nicht mehr träge, und die indirekte 
Erregbarkeit verhält sich für beide Stromesarten links und rechts gleich. 
Die partiell»? EaR. ist. demnach nicht mehr vorhanden. 

Wenn auch die eben geschilderte Lähmung d. N. rad., uln. und 
med. im Anschluss an die Eingangs erwähnte Operation eintrat, so 
ist sie doch nicht eine direkte Folge derselben, denn diese liess die 
Nerven selbst uubetheiligt, und die Lähmungen können daher nur 
auf einen nebensächlichen Umstand der Operation zurückgeführt 
werden. Der derselben nachgefolgte feste Verband, welcher mehrere 
Tage liegen blieb, ist hierfür nicht verantwortlich zu machen; denn 
solche zu festen Verbände führen, wenn sie zu Läsionen Anlass 
geben, zu ischämischen Muskellähmungen, welche mit mehr stür¬ 
mischen Erscheinungen, wie schnell eintretenden und sich rapide 
steigernden Schmerzen und Schwellungen, einhergehen und sich 
durch schnell eintretende und nicht mehr zurückgehende Coutrac- 
turen charakterisiren. Selbst in Fällen geringerer Schädigung bleibt 
Unfähigkeit zu Finger- und Handbeweguugen zurück. 1 ) 

Die Ursache der Lähmungen muss demnach in der Anlegung 
der elastischen Binde vor der Operation behufs Erzeugung der 
künstlichen Blutleere gesucht werden. Da bekanntermaassen schon 
ein leichter Druck auf den Nerven dessen Lähmung zur Folge haben 
kann, hier aber durch die Dauer der Operation eine längere Ein¬ 
wirkung des Druckes stattfand, so erklärt sich die Entstehung der 
Lähmung zur Genüge durch die eben bezeichnete Ursache, und auch 
ihre Ausbreitung auf die drei Oberarmnerven weist auf die rings 
um deu Arm gleichzeitig wirkende Ursache der elastischen Binde hin. 

Nach den Erfahrungen über traumatische Lähmungen, wie nach 
dem bisherigen Resultat der Behandlung ist zwar die Prognose des 
Falles keine ungünstige, es dürften aber noch Monate vergehen, ehe 
die Folgen der in der EaR. gekennzeichneten Lähmung und Er- 

’) cf. Löser: Untersuchungen über ischämische Muskellähmungen und 
Muskelcontract. Volkra. Sammlung No. 249. 


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8. M&rz. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 187 


n&brungsstörung ausgeglichen sind, und die Extremität wieder voll¬ 
ständig functionsfähig geworden ist. Angesichts dieser schweren 
Folgen aber ist sicherlich denen beizustimmen, welche die elastische 
Ligatur am Oberarm nur für grössere Operationen reservirt oder 
überhaupt durch einen genau zu localisirenden Druck ersetzt wissen 
wollen. 

IV. lieber Lungenentzündungen und Lungen- 

tuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 9.) 

Acute lobuläre Pneumonie. 

Die acute lobuläre Pneumonie stellt eine Form der acuten Pneu¬ 
monie dar, welche man wegen ihrer besonderen Aetiologie und 
wegen der Abweichungen, welche das anatomische Verhalten von 
dem der gewöhnlichen genuinen Pneumonie zeigt, schon seit langer 
Zeit als eine eigenthümliche Form erkannt und von der gewöhn¬ 
lichen acuten Pneumonie abgetrenut hat. Man pflegt sie als ka¬ 
tarrhalische Pneumonie zu bezeichnen, indem man annimmt, 
dass im Gegensatz zu der fibrinösen Pneumonie das Exsudat in den 
Alveolen nicht aus einer gerinnenden fibrinösen Masse, sondern aus 
einer mucinhaltigen zellenreichen Flüssigkeit bestehe und deshalb 
im Wesentlichen mit dem katarrhalischen Secret auf Schleimhäuten 
übereinstimme. Wenn auch diese Ansicht häufig zutrifft, so gilt 
sie doch nicht für alle Fälle; vielmehr scheint nicht selteu auch bei 
den hierher gerechneten Pneumonieen das Exsudat iu den Alveolen 
gerinnungsfähig und fibrinös zu sein. Ohne der weiteren histolo¬ 
gischen Forschung vorzugreifen, ziehe ich es vor, diese Form der 
Pneumonie, für welche es charakteristisch ist, dass sie nicht ganze 
Lungenlappen oder grössere Theile von solchen im Zusammenhang 
befallt, sondern nur einzelne kleine Lungenläppchen, als acute lo¬ 
buläre Pneumonie zu bezeichnen und dadurch von der lobären 
fibrinösen Pneumonie abzugrenzen. 

Die Aetiologie der lobulären Pneumonie ist insofern 
eigentümlich, als dieselbe gewöhnlich eine Folge des acuten Ka¬ 
tarrhs der feinsten Bronchien, der sogenannten Bronchitis capillaris 
ist, sowohl wenn diese primär auftritt, wie es namentlich bei Kindern 
häufig vorkommt, als auch, wenn sie secundär im Gefolge von 
Masern, Keuchhusten, Influenza, Abdominaltyphus, Tuberculose und 
anderen Krankheiten entsteht. 

Ceber die Pathogenese der katarrhalischen Pneumonie, die Art 
und Weise, wie dieselbe aus der Bronchitis capillaris sich entwickelt, 
sind hauptsächlich drei verschiedene Ansichten aufgestellt worden, 
die aber keineswegs, wie man zuweilen geglaubt hat, sich gegenseitig 
ausschliessen, von denen vielmehr jede einzelne für gewisse Fälle 
und bis zu einem gewissen Punkt ihre Berechtigung hat. Es kann 
geschehen, dass der entzündliche Process, der bei der Bronchitis 
capillaris in den feinsten Bronchien vorhanden ist, sich in der Con- 
tinuität der Gewebe bis auf die Lungenalveolen fortsetzt und auch 
in diesen eine Exsudatiou hervorruft, durch welche in einzelnen 
Lungenläppchen die Alveolen ausgefüllt werden, während die Luft 
aus denselben verdrängt wird. Eine solche Fortpflanzung von ent¬ 
zündlichen Processen in der Continuität der Gewebe kommt auch 
sonst sehr häufig vor und ist einfach aus einem continuirlichen 
Weiterschreiten der Eutzündungserreger zu erklären. — Nach einer 
anderen Auffassung soll die Infiltration der Lungenläppchen nur da- 
dnrch zu Stande kommen, dass das in den Bronchien abgesonderte 
katarrhalische Secret bei der Inspiration bis in die Lungenalveolen 
aspirirt werde und diese allmählich vollständig ausfülle. Eine solche 
Aspiration des Secrets in die Lungenalveolen kommt unzweifelhaft 
häufig vor. Eine eigentliche lobuläre Pneumonie entsteht dabei aber 
nur dadurch, dass zugleich mit dem Exsudat der Bronchien auch 
die Entzündungserreger durch Aspiration iu die Alveolen gelangen 
und dann auch in diesen eine Exsudation bewirken. — Endlich 
nach einer dritten Ansicht sollen die Lungenläppcheu dadurch luft¬ 
leer werden, dass in Folge des Katarrhs die zuführenden Bronchien 
verstopft werden, und so keine Luft mehr in die Alveolen gelangen 
kann. In der That lehrt die Erfahrung, dass, wenn bei einem klei¬ 
neren Lungenabschnitt die zuführenden Bronchien vollständig ver¬ 
schlossen sind, so dass kein Luftwechsel in denselben mehr statt¬ 
findet, dann regelmässig die in den Alveolen abgeschlossene Luft 
allmählich durch Resorption verschwindet und die entsprechenden 
Lungenläppchen collabiren. Ein solcher Lungencollapsus, der auch 
wohl als Atelektase bezeichnet wird, findet sich in der That häufig 
neben katarrhalischer Pneumonie oder als Vorläufer einer solchen; 
eine wirkliche lobuläre Pneumonie ist aber erst dann vorhanden, 
wenn nachträglich die collabirten Alveolen sich mit Exsudat füllen 
und sich dadurch wieder ausdehuen; und dies kann nur dadurch 
geschehen, dass Entzündungserreger bis in die Alveolen gelangen 
und Exsudation hervorrufen. 


Im übrigen fällt die Aetiologie der katarrhalischen Pneumonie 
zusammen mit der der Bronchitis capillaris, und dabei spielt 
namentlich die Erkältung eine wichtige Rolle. Vorzugsweise werden 
jüngere Kinder befallen, ausserdem aber auch sehr alte Leute und 
solche, welche durch anderweitige Krankheiten geschwächt sind. 
Manche terminale Pneumonieen bei Greiseu und bei Kachektischen 
gehören zu den lobulären Formen. Auch viele Schluckpneumonieeu 
und Fremdkörperpneuraonieen (s. o.) stellen lobuläre Infiltrationen dar. 

Das anatomische Verhalten und die Symptomatologie 
der katarrhalischen Pneumonie zeigen manche charakteristische 
Abweichungen von dem Verhalten der acuten fibrinösen Pneumonie. 
Die lobuläre Pneumonie kann an allen Stellen der Lunge auftreten; 
häufig entwickeln sich die Krankheitsherde zuerst in den unteren 
Lappen und zwar oft gleichzeitig in beiden Lungen. Die infiltrirten 
Lungenläppchen sind luftleer, bei der Betastung als mehr oder 
weniger resistente Knoten und Knötchen durchzufühlen. An der 
Lungenoberfläche zeigen sie sich beim Herausuehmen der Lunge, 
weil sie nicht wie das übrige Lungengewebe sich retrahiren können, 
gewöhnlich über die übrige Oberfläche erhaben, und sie unter¬ 
scheiden sich dadurch von denjenigen Lungenläppchen, welche 
durch einfachen Collapsus luftleer geworden sind, und die deshalb 
eher unter die Oberfläche zurückgesunken erscheinen. Die Ober¬ 
fläche der infiltrirten Läppchen ist von dunkelrother Farbe, die 
Schnittfläche ist anfangs dunkelrotli, später mehr grauroth. uicht 
granulirt. In der Umgebung der infiltrirten Lungenläppcheu und 
zwischen denselben ist das Lungengewebe lufthaltig und zeigt die 
Veränderungen, welche dem Katarrh der fernsten Bronchieu und 
dem etwa vorhandenen Oedem entsprecheu. Wenn aber in einem 
Bezirk der Lunge die infiltrirten Läppchen sehr zahlreich sind, so 
kann durch Zusammenflüssen derselben oder durch Collapsus der 
dazwischen liegenden Läppcheu eine mehr oder weniger compacte 
grössere Infiltration entstehen, in der nur noch wenige oder selbst 
gar keine lufthaltige Inseln sich finden. Die übrigen Lungen¬ 
abschnitte und namentlich die oberen Lappen sind häufig im 
Zustande starker Aufblähung. Die Pleura zeigt häufig da, wo die 
infiltrirten Läppchen an dieselbe angrenzen, Iujection und leichte 
fibriuöse Auflagerungen. 

Die Infiltration der Lungenläppcheu bewirkt eine Dämpfung 
des Percussiousschalles. So lauge aber nur einzelne Läppchen in- 
filtrirt sind, und zwischen denselben noch reichlich lufthaltiges 
Lungengewebe sich findet, ist diese Dämpfung uur eine relative 
und kann, wenn das lufthaltige Luugengewebe beträchtlich über¬ 
wiegt, sogar ganz unmerklich sein. Häufig aber zeigt dabei wegen 
der Erschlaffung des Lungengewebes der Percussionsschall einen 
tvinpanitischen Charakter, und der Stimmfremitus ist verstärkt. 
Und wenn in einem grösseren Bezirk zahlreiche kleine Läppchen 
iufiltrirt werden und eine confluirende Verdichtung entsteht, kommt 
eine absolute oder nahezu absolute Dämpfung zu Stande, wie sie 
einer compacten Infiltration entspricht. Der Stimmfremitus ist 
häufig verstärkt. Bei der Auscultation finden sich zunächst nur 
die der Bronchitis capillaris eigenthümlichen Erscheinungen, nämlich 
reichliche kleinblasige Rasselgeräusche und Rhouchi sibilantes; im 
Falle einer confluirenden Verdichtung kann aber auch Bronchial- 
athraen mit klingenden Rasselgeräuschen zu Stande kommen. — 
Mit dem Auftreten der katarrhalischen Pneumonie erfolgt ge¬ 
wöhnlich eine merkliche Steigerung des Fiebers; das Fieber ist 
unregelmässig, ohne typischen Verlauf; im Allgemeinen erreicht es, 
wenn nicht etwa die zu Grunde liegende Krankheit bedeutendere 
Steigerungen bedingt, weniger hohe Grade wie bei der lobären 
fibrinösen Pneumonie; häufig bleibt es unter 40° oder zeigt nur 
auf kurze Zeit eine bedeutendere Höhe. Im Uebrigen bestehen die 
anderweitigen Symptome der Bronchitis capillaris, die bei dieser 
näher zu besprechen sind; dieselben werden durch das Hinzutreten 
der katarrhalischen Pueumouie noch mehr verschlimmert. — Der 
Tod kann iu acuter Weise erfolgen unter den Erscheinungen der 
Kohlensäurevergiftung, oder auch nach längerer Dauer der Krank¬ 
heit in Folge von Erschöpfung oder von anderweitigen Folgezu- 
ständeu. Die katarrhalische Pueumonie ist namentlich für Kinder 
eine sehr gefährliche Krankheit, im Allgemeinen um so gefährlicher, 
je jünger das Kind ist. Während die lobäre fibrinöse Pneumonie 
von Kindern gewöhnlich gut ertragen wird (s. <».), gehen au Bron¬ 
chitis capillaris mit katarrhalischer Pneumonie unzählige Kinder zu 
Grunde. Die Kinder, welche an Masern oder Keuchhusten sterben, 
erliegen zum grossen Theil der dabei häufig auftretenden Bronchitis 
capillaris mit katarrhalischer Pneumonie. Bei Erwachsenen ist die 
Affection weniger unmittelbar gefährlich; doch kann sie z. B. bei 
einem Abdominaltyphus wesentlich zum unglücklichen Ausgange 
beitragen. 

Der Verlauf der Krankheit ist insofern verschieden, als 
einzelne Fälle schnell verlaufen, andere dagegen, und zwar die 
Mehrzahl, einen protrahirten Verlauf nehmen. Als Ausgang kann 
Lösung zu Stande kommen, iudem das Exsudat in den Alveolen, 


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188 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 10 


ähnlich wie bei der fibrinösen Pneumonie, allmählich verflüssigt 
und resorbirt wird. Diese Lösung erfordert oft längere Zeit, und 
sehr häufig, namentlich viel häufiger als bei der fibrinösen Pneu¬ 
monie, bleibt zunächst das Exsudat liegen, so dass eine chronische 
lobuläre Pneumonie entsteht. Diese kann lange Zeit im wesent¬ 
lichen unverändert fortbestehen und endlich doch noch theilweise 
oder auch vollständig zur Lösung gelangen. In vielen Fällen aber 
geht, ähnlich wie bei der chronischen lobären Pneumonie (s. o.), 
das Exsudat die käsige Umwandlung ein, und es kann, wenn das 
specifische Gift der Tuberculose schon vorher vorhanden war oder 
nachträglich hinzugekommen ist, eine eigentliche Lungentuberculose 
sich entwickeln. Auch kann in ähnlicher Weise wie bei der fibri¬ 
nösen Pneumonie eine chronische interstitielle Pneumonie entstehen. 
Der Ausgang in Lungengangrän kommt namentlich bei Schluck- 
pneumonieen und Freradkörperpneumonieen vor, ist aber sonst bei 
lobulärer Pneumonie selten. 

Die Diagnose der lobulären Pneumonie ist nicht immer 
leicht, und namentlich ist es oft schwierig, den Zeitpunkt zu be¬ 
stimmen, wann zu der bisher vorhandenen Bronchitis capillaris eine 
entzündliche Infiltration von Lungeuläppchen hinzugekommen ist. 
Man wird dabei einerseits die Steigerung des Fiebers und der 
übrigen Erscheinungen zu berücksichtigen haben und andererseits 
die ersten Anfänge der physikalischen Erscheinungen, welche zeigen, 
dass neben dem Katarrh der feinsten Bronchien auch eine Ver¬ 
dichtung des Lungengewebes stattgefunden hat. 

Die Behandlung der lobulären Pneumonie ist im wesent¬ 
lichen die der Bronchitis capillaris. Durch das Auftreten der 
katarrhalischen Pneumonie wird zwar die Gefahr gesteigert, aber 
es entstehen dadurch meist keine neuen Indicationen. Nur wenn 
das Fieber ungewöhnlich hohe Grade erreichen und mehr continuir- 
lich werden würde, könnte die Indication zu antipyretischen Ein¬ 
griffen gegeben sein; und es ist in dieser Beziehung hervorzuheben, 
dass weder die Bronchitis capillaris noch die katarrhalische 
Pneumonie eine Contraiudication gegen die Anwendung von Wärme¬ 
entziehungen bilden, die Krankheit vielmehr bei der Anwendung 
von solchen eher einen günstigen Verlauf zu nehmen pflegt. Bei 
Kindern genügen wegen des geringeren Körpervolumens gewöhnlich 
schon die weniger intensiven Wärmeentziehungen durch laue Bäder 
oder durch kalte Einwickelungen. Durch laue Bäder mit nach¬ 
folgender kalter Uebergiessung kann die Inspiration energisch ange¬ 
regt und dadurch der Entstehung von Lungencollapsus entgegen¬ 
gewirkt werden. Die Anwendung von Expectorantien oder von 
Brechmitteln geschieht, nach den gleichen Indicationen wie bei der 
fibrinösen Pneumonie und der Bronchitis capillaris. 

Zu den lobulären Pneumonieen gehören auch manche derjenigen 
Processe, welche man als raetastatische Herdpneumonieen 
bezeichnet hat. Wenn irgendwo im Körper eine eiterige oder eiterig¬ 
jauchige Entzündung vorhanden ist, so können von dort aus Eiter- 
coccen oder andere pathogene Mikrobien in das Blut aufgenommen 
und in die Lunge verschleppt werden. Wenn dabei durch einen 
grösseren Embolus eine Verstopfung von Aesten der Lungenarterien 
stattfindet, so entsteht ein hämorrhagischer Infarkt, der die 
eiterige oder gangränöse Umwandlung eingehen kann. Wenn aber 
nur sehr kleine Partikel in die Lunge verschleppt werden, welche 
erst in deu Capillaren stecken bleiben, so können durch die An¬ 
siedelung der Mikrococcen lobuläre Infiltrationen zu Stande kommen. 
Dieselben sind gewöhnlich nicht scharf begrenzt, das Exsudat in 
den Alveolen ist häufig fibrinhaltig, hämorrhagisch und eiterig. Die 
Infiltrationsherde sind oft sehr zahlreich, namentlich über die unteren 
Lappen beider Lungen zerstreut, sie können in Abscessbildung oder 
in Gangrän übergehen. Die Krankheit verläuft mit unregelmässigem, 
zuweilen sehr hochgradigem Fieber und hat oft den Tod zur Folge. 
Ich habe diese Form der lobulären Pneumonie namentlich auch 
nach längerem Bestehen chronischer Knocheufisteln auftreten sehen. 
Daneben kann Pleuritis vorhanden sein, ferner auch Endocarditis 
ulcerosa im rechten Herzen; auch können weitere Metastasen in 
anderen Organen, namentlich in den Gelenken, in der Milz, in 
den Nieren Vorkommen. (Fortsetzung folgt.) 

V. Beiträge zur Localisation im Grosshirn 
und über deren praktische Verwerthung. 
Von Dr. M. Jastrowitz. 

(Fortsetzung aus No. 9.) 

Indem ich hiermit ein überaus schwieriges, theoretisches Gebiet 
betrete, möchte ich nochmals betonen, dass die folgenden theo¬ 
retischen Ausführungen gleichwohl einen praktischen Hintergrund 
haben, welcher darauf hinausläuft, festzustelleu die eigentliche Be¬ 
deutung der motorischen Gegend und die Erledigung der Frage, in¬ 


wieweit Störungen gewisser Empfindungen, welche uns über Lage 
und Bewegung unserer Glieder unterrichten, besonders diejenigen 
des Muskelsinnes, hier oder wo sonst localisirt sind, und ob sie ver¬ 
wendet werden können zur localen Diagnostik. 

Eine willkürliche Bewegung, welche wir ausführen wollen, setzt 
voraus eine Vorstellung im Allgemeinen und die Verstärkung dieser 
Vorstellung vermöge verschiedener Associationen, welche das herbei¬ 
führen, was wir die gemüthliehe Betonung eines Gedankens 
nennen, bis zu dem Grade, dass gleichsam als Grosshirnreflex, 
mittelst der motorischen Gegend, durch die daselbst beginnenden 
Stabkranzfasern die Bewegung ausgelöst wird. Einen Grosshirn¬ 
reflex in solchem Sinne darf man nicht entfernt mit den 
gewöhnlichen Reflexen gleichstellen wollen. Das ist schon daraus 
zu ersehen, dass ein so beschaffener Cerebralreflex Wochen, Monate, 
ja Jahre aufbewahrt werden kann, ehe er zu einer Bewegung 
führt, während der gewöhnliche Reflex bekanntlich in seinem Ablauf 
an eine bestimmte kurze Zeit gebunden ist, wodurch die Zusammen¬ 
gehörigkeit von sensibler Reizung und ausgelöster Bewegung in 
charakteristischer Weise documentirt wird. — Ein Grosshirnreflex 
kann nur gedacht und, um manche Erscheinungen besser uns er¬ 
klären zu können, angenommen, er kann eigentlich nicht recht 
und streng bewiesen werden. 

Die geeignetsten Vorstellungen für die Bewegungen sind, wie 
ohne Weiteres einleuchtet, die vom Gesicht und von dem Gefühl 
hergeleiteten, durch welche die Kategorie des Raumes überhaupt 
uns erst offenbar wird, folglich auch eine Veränderung des Körpers 
im Raume, d. h. eiue Bewegung. Jede Bewegung hinterlässt, nach¬ 
dem sie vollführt ist, gewisse Empfindungen sehr complexer Natur, 
welche sich zusammensetzen aus Muskelempfindungen, aus den 
Nervenerregungen, welche durch Dehnung der Sehnen, der Haut und 
anderer Gebilde, Verschiebung der Gelenke 1 ), der Knochen, der Inner¬ 
vationsanstrengung des ganzen Körpers, u. A. auch der Athem- 
muskeln entstehen und sich für diese Bewegungen im Gehirn ein¬ 
zeichnen. 

Man kann die Summe aller dieser Empfindungen am besten 
mit Charlton Bastian als kinästhetische Empfindungen be¬ 
zeichnen; man hat von ihnen auch als von den Bewegungsvor¬ 
stellungen gesprochen, und die wichtigste Componente derselben 
macht der sog. Muskel sinn aus, den man prüft, indem man beim 
Augenschluss den Patienten eine vorgenommene Lageveränderung 
seiner Glieder genau bezeichnen, oder bestimmte Bewegungen aus¬ 
führen, namentlich mit den gesunden Extremitäten bestimmte Stellen 
der afficirten berühren heisst, indem man ferner ihn Gewichte 
taxiren lässt und indem man den sog. Drucksinn der Prüfung 
unterzieht. 

In welcher Weise diese kinästhetischen Empfindungen erzeugt 
und mit anderen Sinneswahrnehmungen zu Vorstellungen verknüpft 
werden, und wie sie benutzt werden, das dürfte am klarsten sich 
darstellen lassen durch die Heranziehung eines geistreichen Beispiels 
von Meynert, dessen er auf der jüngsteu Naturforscher-Ver¬ 
sammlung zu Wiesbaden sich bediente. Ein Kind, dessen Hornhaut 
man mit einem Gegenstände berührt, schliesst das Auge reflectorisch. 
Wenn man später einen Gegenstand dem Auge bloss nähert, so er¬ 
folgt gleichfalls der Lidschluss, diesmal auf cerebral-reflectorischem 
Wege. — Analysiren wir das Beispiel einmal genauer, um daran 
noch einige weitere Bemerkungen zu knüpfen. Indem der Gegen¬ 
stand die Hornhaut des Kindes berührt, erfolgt in dem von Em¬ 
pfindungen noch leeren Grosshirn eine Einzeichnung im Bereiche der 
Fühlsphäre, eine zweite im Bereiche der Sehsphäre, von dem unter¬ 
geordneten Ganglienkörper aus, welcher die Reflexbewegung ver¬ 
mittelt. Es muss dieses Ganglion in leitender Verbindung stehen 
mit Fühlsphäre und mit Sehsphäre, und Fühl- und Sehsphäre sind 
unter sich gleichfalls durch den anatomischen Bau associirt. 

Kommt nun das nächste Mal der Gegenstand dem Auge nahe, 
so genügt der einzelne Reiz, welcher von der Retina aus in der 
Sehsphäre sich einzeichnet, um auch die einmal associirte Tast¬ 
empfindung zu wecken und den gleichen Augenschluss-Reflex aus¬ 
zulösen. Es kann mit der Zeit aber die ganze periphere Bahn des 
Reflexes wegfallen, und nur zurück bleiben die Association zwischen 
Seh- uud Gefühlssphäre, d. h. die Vorstellung des Gegenstandes, 
dessen Schema in Beiden liegt, und es kann diese blosse Vor¬ 
stellung eines bestimmten Gegenstandes schon stark genug .ein, den 
Augenschluss zu bewirken. Diese Emancipation vom peripheren 
Reiz kann als spontaner Wille bei Vorhandensein des Bewusst¬ 
seins, und wenn das Bewusstsein den Vorgang nicht begleitet, was 
überhaupt geschieht, wenn derselbe sehr oft eingeübt wird, als 
automatisch imponiren. 


') lieber die Wichtigkeit der Gelenksensibilität für das Gefühl der 
Lageveränderung und für das Entstehen der Ataxie hat Goldscheider 
einen sehr interessanten Beitrag geliefert in Verhandlungen der Physio¬ 
logischen Gesellschaft zu Berlin 15. 7. 1887. 


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8. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


189 


Nach diesem Schema benutzen wir die Hirnrinde und erlangen 
wir überhaupt Kenntnisse, Vorstellungen, besonders Bewegungsvor¬ 
stellungen und lernen die coinplicirtesten Muskelleistungen aus- 
fnhren. Hierbei spielt auch die Erblichkeit ihre Rolle. — Ein 
Kind lernt bekanntlich nicht eine elementare Bewegung, nicht 
syllabiren und buchstabiren, sondern gleich stehen und gehen und 
rein mechanisch ganze Wörter und Sätze, deren Sinn ihm erst viel 
später aufgeht, und die ganze Fonn von Gegenständen in toto auf¬ 
fassen. Das Gehirn mit seinen peripheren Endorganen 
besorgt die Analyse dieser Total ein drücke, indem z. B. der 
Eindruck eines gewissen Menschen mit seinen optischen, Tast-, I 
acustischen Zeichen und Wirkungen auf die Sinne eines Kindes, j 
sich zersetzt und eine jede Siunesempfindung mittelst der speci- 
fischen Nerven an einen besonderen Ort in dem Gehirn des Kindes 
seine Eindrücke hinleitet und registrirt. Umgekehrt kann auch die > 
oben entwickelte Automatie sehr bedeutend werden; ein Virtuose 1 
vollführt schliesslich ohne Bewusstsein die wunderbarsten Bewegungen, 
die er zuerst mühselig eingeübt hat; ein grosser Denker kann Massen 
von Gedanken bewältigen, ganze Reihen von Folgerungen und 
Schlüssen in Schnelligkeit ziehen, vermöge der Kraft der Verdich¬ 
tung, der Synthese, wodurch das Gehirn befähigt ist, eine Masse 
Einzelleistungen zusammenzufassen. 

Bezüglich der BewegungsVorstellungen, worunter natürlich 
auch die Sprache fällt, fragt es sich nun, ob wir im Stande sind, will¬ 
kürliche Bewegungen zu vollfuhren ohne die sogenannten kinästhe- 
tiseben Empfindungen, oder ob diese nothwendig dazu gehören, ob 
die kinästhetischen Empfindungen gelagert sind in der motorischen 
Sphäre, oder nicht, ob der Wegfall der kinästhetischen Empfindung j 
Lähmung oder welche Störung der Bewegung sonst veranlasst, ob ] 
die Lähmung, welche man nach der Zerstörung der s. g. motorischen 
Centren beobachtet, eine wirklich motorische sei, womit die Frage 
zusammenhängt, ob die um die Rolando’sche Furche gelagerte 
Region motorisch ist, oder sensibel. 

Es hat eine grosse und sehr lehrreiche Discussion in der Lon¬ 
doner Neurological Society über diese Fragen stattgefunden, wobei 
Vertreter der verschiedenen Richtungen auftraten, Charlton Bastian 
vertrat die Eigenschaft der Rolando’schen Zone als kinästhetisches 
Centrum, während Ferner für ihre ausschliesslich motorische Eigen¬ 
schaft eintrat. 

Bastian gründete seine Ansicht auf pathologische Fälle, die 
von Briquet, Duchenne, Landry beobachtet worden waren, 
wobei Personen mit vollständiger Anästhesie einer Körperhälfte 
incl. des Muskelgefnhls zu irgend welcher Bewegung unfähig waren, 
sobald sie die Augen schlossen. Solche Personen konnten bei¬ 
spielsweise die zur Faust geballte Hand nicht öffnen und sagten, 
die Faust wäre schon geöffnet, wenn dieselbe noch geschlossen j 
war; sie Hessen Gegenstände aus der Hand fallen, welche sie mit 
Sicherheit bei geöffneten Augen trugen u. dergl. m. Daraus schloss 
Bastian auf die Nothwendigkeit der kiuästhetischen Empfindungen 
für die willkürliche Bewegung. 

Allein alle diese Fälle waren hysterisch, und ich glaube, es geht 
nicht an, Beobachtungen an Hysterischen für so wichtige naturwissen¬ 
schaftliche Fragen zu verwerthen, denn der Täuschungen giebt es 
dabei zu viele. Schon die Frage, ob bei an Hemianästhesie erkrankten 
Hysterischen das Muskelgefühl verloren gehe, ist controvers. 

Cbarcot mit seiner grossen Erfahrung glaubt sie verneinen zu 
können. Gowers, Ross und andere bejahen dieselbe, und ich 
muss den letzteren Beobachtern mich anschliessen. da ich eine 
Hysterische gesehen habe, welche bei totaler Anästhesie nebst 
Verlast des Muskelsinns, trotz Augenschlusses, lief wie ein Hase. Ein 
von Bastian angeführter Fall von Fincham-Bazire ist auch 
dunkel. 

Dagegen haben wir positive andere Fälle, welche beweisen, 
dass auch beim Fortfall aller kinästhetischen Empfindungen 
Läbmungeu nicht aufzutreten brauchen. Ein solcher ist der von 
Grasset mitgetheilte (Revue de Medecine et de Chirurgie 1880), 
den ich soweit anführe, als er interessirt. Von einem linkshändigen 
Individuum werden Tasteindrücke und passive Bewegungen am 
linken Arm nicht wahrgenommen. Die Motilität ist ungestört. 
Krankheitsherd in Pa, hinter der unteren Hälfte von CP. Da es 
für die hier ventilirte Frage gleichgültig ist, wodurch die Störuug 
der kinästhetischen Empfindung, und an welcher Stelle dieselbe 
bewirkt wird, so führe ich auch an den von Schüppel-Späth mit- 
getheilten Fall des Remigius Leins, welcher, wenn er sich in’s 
Bett legte, zu fliegen meinte, und doch keine Lähmung, noch auch 
Ataxie beim Augenschluss zeigte. Man fand nach seinem Tode 
Höhlenbildung in der ganzen Länge des Rückenmarks, vom 1. Hals- 
bis 1. Lendennerven, Zerstörung der Hinterstränge in der unteren 
Hälfte des Cervicalmarkes, nach oben graue Degeneration, Zer¬ 
störung der vorderen Commissur im Rückentheil, und der Hinter¬ 
hörner und der grauen Commissur im Hals- und Rückentheil. 

Ich habe vor Kurzem einen Hauptmann, einen intelligenten, 


wenn auch curiosen Herrn behandelt, der seit vielen Jahren an Tabes 
leidet, welche auch den die Aime versorgenden Rückenmarkstheil 
befallen hatte; derselbe hatte eine überaus starke Herabsetzung aller 
Sensibilitätsqualitäten mit Verlangsamung der Schmerzempfindung 
und einer Aufhebung des Muskelgefühls in den sehr ataktischen 
Armen. Wenn man diesen Patienten die Augen schliesseu liess 
und ihm eine Münze oder event. einen Gegenstand in die Hand 
gab, damit er dessen Natur bestimme, so machte er zweckmässig 
die Bewegung des Tastens und des Wägens, ohne zum Ziele zu ge¬ 
langen. Jedenfalls konnte er also zweckmässige Bewegungen machen, 
ohne kiuästhetische Empfindungen zu haben, wenn auch freilich das 
Spiel der Finger eigenartig steif und ataktisch ausfiel. 

Willkürliche Bewegungen vollführen wir nicht nur unter Anleitung 
der kinästhetischen Centren allein, sondern auch unter Führung der 
anderen Sinne, welche jene einigermassen ersetzen können. Der 
Ersatz derjenigen Bewegungen wird besonders leicht sein, bei denen 
die Sinue die Erinnerung aufbewahrt haben an die gemeinsamen Er¬ 
fahrungen aus früherer Zeit, vor der durch Krankheit gesetzten Zer 
Störung der kinästhetischen Centren. Wir benutzen die kinästhetischen 
Empfindungen unbewusst zur Vollführung der willkürlichen Actionen, 
wodurch deren Präcision, Schnelligkeit, Abrundung bewirkt wird. 
Das Kind, welches nach dem Monde greift, der Mensch, welcher 
nach einem jener anscheinend schweren, aus Papier gefertigten 
Scherzgewichte mit Vehemenz auslangt, sie müssen ihre kinästhetischen 
Empfindungen erst erwerben und ihre durch das Auge bemessene 
Kraftanstrengung corrigiren. Dazu dienen also die kinästhetischen 
Empfindungen; sie sind ein Regulator, welcher jeden Moment uns 
sagt, ob die unbewusst nach gegenwärtigen, oder gehabten Sinnes¬ 
eindrücken veranlagte Kraftanstrengung auch richtig bemesseu ist. 
Wir haben durch sie gleichsam eine Vorahnung der anzuwendenden 
Kraft, der Bewegungsform, und können diese Vorahnung mit den 
die Bewegung begleitenden neuen Sensationen vergleichen. 1 ) 

Eiu historischer Rückblick über die verschiedenen Anschauungen 
der Autoren zeigt, welch’ grossem Wechsel die Ansichten unterworfen 
waren, und auf wie engem Raum die Gedanken aufeinander stiessen. 

Als Fritsch und Hitzig die Entdeckung gemacht hatten, dass 
durch elektrische Reizung der Grosshirnrinde bestimmte Bewegungen 
ausgelöst wurden, trug Hitzig begreiflicherweise das Verlangen zu 
sehen, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn die neu gefundenen 
Centren exstirpirt würden. Die erwartete Lähmung trat nach Ex¬ 
stirpation bei Thieren nicht ein, sondern es zeigten sich nur ge¬ 
wisse Abnormitäten der Bewegung. Hunde rutschten z. B. mit der 
betreffenden Pfote oft aus, gingen auf dem Rücken derselben, 
zogen sie nicht zurück, wenn man sie in unnatürliche Lage brachte, 
und wie Hitzig auf der Berliner Naturforscherversaramlung 1886 
in einem sinnreichen Experiment berichtete, ein in einer Schwebe 
befindlicher Hund zog die betreffende Pfote nicht zurück, wenn 
man dieselbe zu stechen drohte, während er durch ein Winseln 
und die ganze Mimik zu erkennen gab, dass er den zu erwarten¬ 
den Schmerz fürchte. Hitzig bezog diese Erscheinung damals, 
und wohl noch heute, auf die Beeinträchtigung, resp. den Wegfall 
der Bewegungsvorstellungen, des Muskelbewusstseins, und er setzte 
dasselbe in die motorische Sphäre, welche er als eine solche be¬ 
zeichnet hat, deren die seelischen Functionen sich bedienen zu 
ihrer Entstehung aus der Materie-). 

Dann kam Nothnagel, beobachtete dieselben Erscheinungen, 
bezog sie aber auf den partiellen Ausfall des Muskelsiunes, und da 
er wahrnahm, dass die Lähmungen sich ausglichen, so glaubte er, 
dass an diesen hier interessirenden Orten die Nerven für den 
Muskelsinn passirten und die Nerven für die Bewegung nur eine 
vorläufige, nicht ihre letzte Endstation hätten, wodurch die 
Möglichkeit der Retablirung auf auderen Wegen gegeben sei. 
(Virch. Archiv 57, p. 196). 

Dann kam Schiff und er entdeckte, dass bei den so operirten 
Thieren die Berührungs- und Tasteindrücke sehr herabgesetzt wären. 
Er behauptete, dass die motorische Gegend überhaupt nicht moto¬ 
risch, soudern sensibel sei, und dass diese Bewegungsanomalieen 
nur Ataxie wären, bedingt durch den Wegfall der Tasteindrücke. 
In der Centralwindungs-Region endigten die Hinterstränge des 
Rückenmarks; dies bewies er dadurch, dass, wenn er die Hinter¬ 
stränge des Rückenmarkes durchschnitt, Reizung der sogenannten 
motorischen Gegend kein Resultat mehr lieferte. Um es hier gleich 


*) Der im neurologischen Centralblatt 1885, No. 2 mitgetheilte Fall 
von Erb beweist beiläufig, dass es ataktische Störungen giebt, ohne dass kin- 
ästhetische Empfindungen verloren gegangen sind. Ein von Bernhardt 
gelegentlich der Discussion über diese Vorträge gezeigter Patient, der nach 
einem Schlagfluss vorübergehend Aphasie und rechtsseitige Lähmung 
erlitten hatte, zeigte ausserdem Anästhesie complicirter Art und Aus¬ 
breitung an der rechten Iland, mit Ausnahme des Daumens, und vollständigen 
Verlust des Muskelsinnes in derselben. Nichtsdestoweniger konnte er alle 
Bewegungen ganz zweckmässig ausführen, auch beim Augenschlusse. 

®) Untersuchungen über das Gehirn p. 31 und 58—62. 


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190 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 10 


zu erwähnen, so ist Schiff, wie mir trotz seiner Entgegnung 
scheinen will, ganz treffend von Horsley widerlegt worden, welcher 
das Experiment Schiff’s nachahmend, zwar die erwähnten That- 
sachen bestätigte, aber zugleich fand, dass die den Hintersträngen 
benachbarten Seitenstränge durch den geführten Schnitt per con- 
tiguitatem entzündet und degenerirt waren, wodurch in der moto¬ 
rischen Zone des Grosshirns der Verlust der elektrischen Anspruchs- 
fahigkeit aufs Natürlichste sich erklärte. Selbstverständlich ist 
damit nur dieser Beweis Schiffs, nicht aber dessen Annahme 
widerlegt, dass die Hiuterstränge in den Centralwindungen endigten. 

Nun kam Munk; derselbe fand, dass Druck- und Berührungs¬ 
gefühl, Lage- und Bewegungsvorstellungen und die feinere Tast¬ 
mechanik bei den von ihm in dieser Region operirten Thieren ver¬ 
loren gegangen war, und er fasste diese Erscheinung auf als einen 
Verlust der Bewegungs- und Gefühlsvorstellungen und bezeichnete 
die Rolando’sche Region als Fühlsphäre. Eine geringere Ver¬ 
letzung derselben sollte bewirken Seelenlähmung und Seelen¬ 
gefühllosigkeit, die Exstirpation der ganzen Gegend Rinden¬ 
lähmung und Rindengefühllosigkeit. 1 ) 

Brücke parallelisirte, wie schon Bastian gethan, den Vorgang 
bei Bewegungen und das Verhältniss der kinästhetischen Empfin¬ 
dungen zu den Bewegungen, mit demjenigen des sog. motorischen 
Sprachfeldes zu den articulatorischen Bewegungen der Zunge, des 
Mundes etc. Wie bei Zerstörung des motorischen Sprachfeldes nicht 
gesprochen werden könne, obgleich die motorischen Nerven in Ord¬ 
nung wären, und man gleichwohl Zunge und Mund bewege, so 
wären, wenn die kinästhetischen Empfindungen, die Bewegungsvor¬ 
stellungen, vernichtet seien, die willkürlichen Bewegungen unmöglich. 

Nothnagel endlich acceptirte den Vergleich Bastian’s und 
Brücke’s auf dem medicinischen Congress 1887 zu Wiesbaden und, 
indem er die Endigung des von ihm in Betracht gezogenen Muskel¬ 
sinnes in’s Scheitelläppchen versetzte, brachte er den Bastian- 
Brücke’schen Satz in die Form: es verhalte sich das Scheitelläpp¬ 
chen zur Rolando'scheu Gegend, wie das sog. motorische Sprach- 
feld zum articulatorischen. Hierbei hat er insofern auch betreffs 
der Localisation gegen früher gewechselt, als er früher die moto¬ 
rische Region überhaupt nicht für motorisch angesehen und die 
motorischen Centren anderswohin (subcortical?) verlegt hatte. 

Eine Recapitulation der Ansichten der verschiedenen Forscher 
hinsichtlich der Localisation der Motilität und der kinästhetischen 
Empfindungen in dieser Gegend ergiebt also als Resultat, dass 
Hitzig, soweit aus seinen sehr vorsichtigen, oben angezogenen 
Auseinandersetzungen erhellt, jedenfalls die kinästhetischen Empfin¬ 
dungen in die Centralwindungszone verlegt, Ferrier die Rolando’¬ 
sche Zone als ausschliesslich motorisch ansieht und die kinästhe¬ 
tischen Empfindungen im Gyr. fornicatus sucht, Nothnagel gegen¬ 
wärtig zwar die Motilität auch dorthin, aber den Muskelsinn in das 
Scheitelläppchen setzt, Munk, Brücke, Schiff, Bastian der 
Fühlsphäre, resp. dem Tastgefühl, resp. den kinästhetischen Empfin¬ 
dungen die Rolando’sche Gegend zuweisen, während sie die Or¬ 
gane für die Motilität an andere Orten, weiter abwärts in die 
subcorticalen Centren verlegen. 

Wie mir scheint, istCharlton Bastian’s und Brücke’s glän¬ 
zender Vergleich doch nicht recht stichhaltig. Die Sprachvorstellungen 
können eben nicht blossen mechanischen Bewegungsvorstellungen 
gleich gesetzt werden. Hier wirken die höheren psychologischen 
Elemente in viel bedeutenderem Grade mit, so dass durch ihre Be- 
theiliguug allein, indem Aufmerksamkeit (Grashey), Gedächtniss 
fehlt, Aphasie entstehen kann. Davon abgesehen, steht auch der 
Mechanismus selber um eine Stufe höher, insofern es hier gilt, die 
Muskeln sehr verschiedener und entfernter Gegenden zum Zwecke 
der Stimm- und Lautbildung, der Wort- und Satzbildung zu coor- 
diniren. Bouillaud hat daher mit Recht von einem „centre coor- 
dinateur de la parole“ gesprochen. Die einzelnen Bewegungs- 
vorstellungeu sind es gewöhnlich nicht, die dem motorisch Apha- 
sischen fehlen, er kann die Mundstellungen, die Zungen bewegungen 
vielleicht einem gesunden Menschen nachmachen, aufs feinste 
selbst nachraachen, er bringt doch nichts heraus, selbst wenn er 
überdies genau dieselben Vorstellungen, wie der Gesunde hat, was 
vielleicht aus seiner Mimik zu erkennen, auch wenn er das Wort 

') „Nach alledem ist die Sachlage so klar, wie sie für’s Erste nur ge¬ 
wünscht werden kann .... In den wahrnehmenden centralen Elementen einer 
Region enden bei einander die Fasern, welche die Haut-, die Muskel- und die 
Innervationsgefühle des zugehörigen Körpertheils vermitteln, und innerhalb 
der Region haben auch die Gefühlsvorstellungen eben dieses Körpertheils ihren 
Sitz, so dass die Region die selbständige Fühlsphäre des zuge¬ 
hörigen Körpertheils, z. B. des Vorderbeins oder Hinterbeins vorstellt“ 
Grössere Exstirpationen innerhalb derselben bringen völligen Verlust der 
Gefühlsvorstellung des Körpertheils „Seelenbewegungs-- und Seelen¬ 
gefühllosigkeit“, mit sich, die sich im Rest der Fühlsphäre von Neuem 
bilden können, völlige Zerstörung der betreffenden Zone, Rindenlähmung 
resp. Rindengefühllosigkeit. Munk, Ueber die Functionen der Gross¬ 
hirnrinde, p. 50. 


innerlich genau weiss, z. B. niederschreiben kann. Was ihm fehlt, 
das ist jener höhere, complicirtere, eigenthümliche Mechanismus, ver¬ 
mittelst dessen die Bewegungen nicht zum Laut, aber zur Sprache 
eben zusammengefasst werden, welcher vergessen, oder direkt und 
indirekt gelähmt daniederliegen kann. Dieser Sprachbewegungs- 
mechanismus verhält sich zur Mechanik einzelner Bewegungen, wie 
z. B. die Fähigkeit, einen Brief zu schreiben, zum Beugen des Ell¬ 
bogens und zum Erfassen einer Feder, — eine Reihe von Bewegun¬ 
gen erfüllt von geistigem Inhalt zu einem simplen Motilitäts- 
act ohne solchen. Es ist bei der seltenen, reinen motorischen Aphasie, 
wo der Kranke völlig stumm, dabei aber intelligent ist, ein exquisit 
motorischer Mechanismus, der einem solchen Patienten fehlt, nicht 
die Coordinationsvorstellung, sondern die Fähigkeit der Coordination 
qua Bewegung. 

In unseren Fällen VI und VII waren die Muskeln, nicht die 
Bewegungsvorstellungen, einfach gelähmt, und es unterschied sich 
diese Lähmung in gar nichts von jener anderen communen Lähmung, 
wie sie z. B. durch Blutungen in das Corpus striatum erzeugt 
wird. Wenn vielleicht mit einigem Recht bei Fall VI eingewendet 
werden könnte, da die Sensibilitätsstörungen später aufgetreten 
wären, so hätte der Tumor vielleicht erst die abgehenden motori¬ 
schen Fasern zerstört, ehe er dann die zuführenden sensiblen fasste, 
so können dagegen, ausser dem citirten Grasset’schen, andere Fälle 
angeführt werden, bei denen, wie in den Fällen bei Vetter und Kah¬ 
ler und Pick, die kinästhetischen Empfindungen bei Rindenherden 
fehlten, und doch bei ersterem gar keine Lähmung, in dem letzt¬ 
erwähnten Fall nur Ataxie bemerkt wurde. 

Bastian hat in seinen Ausführungen plausibel zu machen ge¬ 
sucht, dass, wie Zerstörung der kinästhetischen Centren Lähmung, so 
Vernichtung der die Empfindung zuleitenden Nerven Ataxie bewirken 
müsse. Die erstere Behauptung ist, wie gezeigt worden, unrichtig; 
die letztere scheint bis auf einen gewissen Punkt zutreffend. Sind 
nämlich die kinästhetischen Centren intact, uud wirken sie bei der 
Entstehung einer Bewegung noch mit, so muss diese durch den 
Wegfall der peripheren Controle geschädigt werden. Ob indess diese 
Schädigung gerade immer eine Ataxie sein wird, müssen weitere 
Beobachtungen lehren. Jene Ungeschicklichkeit in der Ausführung 
bestimmter Bewegungen, deren die Autoren Erwähnung thun, ist 
nur selten Ataxie und lässt sich zum Theil sehr wohl aus der Parese 
und dem Bewusstsein, das der Patient davon hat, was ihn unsicher 
macht, nebst den etwaigen Sensibilitätsstörungen erklären. Das 
Vorkommen der eigentlichen Ataxie bei Rindenläsionen, insofern 
damit gemeint ist eine quantitativ falsche Innervation der Muskeln, 
wodurch deren stossweises, ungemessenes Agiren bewirkt wird, ist 
nicht häufig. Das Vorkommen von Incoordination dabei, insofern 
allgemein krampfhafte und unzweckmässige Innervation von zur ge¬ 
wollten Bewegung nicht nothw'endigen Muskeln erfolgt (Paradigmen: 
Tabes und Chorea!), möchte man fast anzweifeln, falls nicht Athetose 
und Gesticulationskrämpfe hierunter begriffen worden sind. 

Jedenfalls wird es nothwendig werden, in der Folge genauer 
zu beschreiben, welche Störungen der Sensibilität, besonders des 
Muskelsinns, welche der Motilität bei Affectionen der Gyri centrales 
und der anderen motorischen Partieen sich finden, und man wird 
sich mit den Bezeichnungen Ataxie- und Coordinationsstörung nicht 
begnügen können. 

Ueber alle diese Verhältnisse und Beziehungen der kinästhetischen 
Empfindungen zur Motilität kann man selbstverständlich beim Menschen 
viel genauere Beobachtungen als beim Thiere machen. Klinische 
Beobachtungen sind einzig und allein das hier Massgebende. Reich¬ 
lich wird der Umstand, dass die Verletzungen beim Menschen nicht 
so genau umgrenzt sind, was übrigens, schon wegen des auseinander¬ 
gesetzten Einflusses der Rinde auf das Markweiss, auch bei den 
Thierexperimenten nicht so scharf ist, als viele Autoren es dar¬ 
stellen, — durch die Möglichkeit aufgewogen, dass wir beim Men¬ 
schen über seine Empfindungen vermittelst der Sprache Auskunft 
erhalten können. 

Den bei Menschen erhobenen Erfahrungen zufolge, können wir 
also weder Munk, noch Bastian beistimmen. Für Nothnagel’s 
Ansicht, dass der Muskelsinn in den Scheitelläppchen endige und 
seinen Sitz habe, sprechen unsere bisherigen Erfahrungen nicht. 
Kahler’s Fall ist zu complicirt, auch der von Kahler und Pick 
1879 in Prager Vierteljahrsschrift berichtete ist, da 2 Tuberkel in 
Frage kommen, nicht ganz rein, und bei dem bemerkenswerthen 
hier einschlägigen Vetter’sehen Fall bestand ein apfelgrosser Er¬ 
weichungsherd, der neben Pi auch die Gyri centrales fast völlig 
zerstört hatte, so dass hier nicht davon die Rede sein kann, den 
Sitz des Muskelsinns im Scheitelläppchen aus der alleinigen Ver¬ 
letzung desselben zu folgern. Bei einem Forscher wie Nothnagel 
ist indess anzunehmen, dass er entsprechende Beobachtungen in 
petto hat, wenn er einen solchen Satz aufstellt, und wir müssen 
erwarten, dass er das nothwendige Beweismaterial beibringt. Ganz 
entschieden spricht gegen ihn unser vorletzter Fall VI, wo Auf- 


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8 März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


191 


hebung der kinästhetischen Empfindung bestand, während der Herd 
am obersten Theil der CA und im LP sass und nur eine Schwel¬ 
lung der Fi und der F 2 zum Theil bewirkt hatte, während die 
CP nur leicht abgeplattet, sonst normal, das Scheitelläppcheu 
ganz intact war. Was diesem Falle besonderen Werth giebt, ist, 
dass er die rechte Hemisphäre betrifft; die linke ist überhaupt für 
die Entscheidung dieser Frage nicht zu brauchen, weil links das 
Scheitelläppchen zur absolut motorischen Gegend gehört. Allein 
ich erwähnte, dass nach Ferrier und nachHorsley und Schäfer 
der Gyrus fornicatus im ganzen Umfange der Sensibilität, namentlich 
dem Muskelgefühl, dienen solle. Wenn das richtig ist, so würde 
der in dem gedachten Gyrus befindliche Tochterknoteu die Störung 
der Sensibilität nach den englischen Autoren wohl erklären; in 
keinem Falle aber» käme dies der Nothnagel’sehen Annahme zu 
Gute, man müsste sich denn vorstellen, dass_gerade an diesem Orte 
(cf. Taf. D) die dem Muskelbewusstsein dienenden Fasern der Tiefe 
zustrebten. 

Auffallend ist der Bericht über den Horsley-Ferrier’schen 
Fall, der mit anderweiten Erfahrungen in Widerspruch steht, auf 
dessen physiologische Tragweite Horsley selber übrigens kein 
grosses Gewicht legt, in welchem, nach der Exstirpation einer Ge¬ 
schwulst in der Gegend des Armcentrums, deutlichere Störungen 
der Sensibilität überhaupt erst später, uud solche des Muskel- ■ 
bewusstseins einige Tage nach dem Auftreten der Störungen der 
Berührung und Localisation sich einfanden. 1 ) Das schiene darauf 
zu deuten, dass nicht direkt in der motorischen Gegend, sondern 
in deren Nähe der Sitz der Sensibilitätsempfindungen im Allgemeinen 
sei. Vielleicht ist auch in der motorischen Zone nur soviel an 
Sensibilität enthalten, als zur Bildung kinästhetischer Empfindungen 
gehört. Die anderweite, namentlich die allgemeinen Sensibilitäts- 
Qualitäten: Schmerz, Temperatur-, Lokalisations-, Tastgefühl sitzen 
jedenfalls ausserdem auf weiten Gebieten des Gehirns zerstreut. 
Insofern hätte die Anschauung der Engländer von der sensiblen 
Werthigkeit des Gyr. fornicatus manches für sich, als derselbe die 
ganze Hemisphäre an der medialen Fläche uraschliesst (Taf. D), 
nach Meynert’s treffendem Ausdruck wie der Bügel das Porte¬ 
monnaie. Möglich wäre auch, dass CP speciell für den Muskelsinn 
bedeutender wäre als CA. Das könnte man daraus schliessen, 
dass diese Windung nicht so ausgesprochen motorisch wie CA ist, 
welcher Meinung Nothnagel und Exner freilich nicht sind, der 
dagegen für den Affen, ausser Hitzig, neuerdings noch Horsley 
und Beevor beigetreten sind. Ferner daraus, dass die mit besonders 
feinem Muskelgefühl begabten Finger ihre Centren nach Ferrier 
in CP haben. 

Soviel ich von Störung des Muskelsinns bei Rindenherden 
gesehen habe, war dieselbe stets der Ausdehnung nach begrenzter 
als die der übrigen 'Sensibilitätsqualitäten. Sie entsprach dem 
stärkst gelähmten Gliede auf der hemiplegischen Seite. Ich behandle 
gegenwärtig einen 24jährigen Mann, der mit reiner .motorischer 
Aphasie und durchgehender rechtsseitiger Hemiplegie behaftet ist. 
Auch Krämpfe, welche bisher nur zur Nachtzeit auftraten und 
nicht genauer beobachtet wurden, sind vorhanden. Das stärkst 
gelähmte Glied ist die rechte Hand und die Finger, und hier findet 
sich auch hochgradige Störung des Muskelsinns, so dass passive 
Bewegungen garnicht erkannt, und ein oberhalb eines Spreukissens 
aufgesetztes Gewicht von 5*/2 Kilo nicht empfunden wird. Temperatur¬ 
unterschiede werden gefühlt; es besteht Hyperalgesie allenthalben, 
besonders auf der rechten Seite. Die Empfindung für Berührung 
and Localisation ist an Brust und Rücken, Hals, oberer Extremität, 
stark herabgesetzt, an Vorderarm und Hand aufgehoben. Die 
Anästhesie endet rechterseits mit dem Rippenbogen und an 
der Medianlinie. — 

Gegen Bastian und Munk sprechen überdies noch eine ganze 
Reihe von Momenten, welche die Rolando’sche Gegend, als direct 
motorische, ganz deutlich kennzeichnen, und bei der Londoner Dis- 
cussion grösstentheils zur Sprache kamen. 

Hier finden sich allein im Gehirn jene grossen Betz’sehen 
Ganglienzellen, welche den in dem Vorderhorn des Rückenmarkes 
befindlichen in gewissem Sinne gleichen. Die dem Markweiss an¬ 
grenzende Schicht der grauen Substanz in dieser Gegend, welche die 
Betz’sehen Zellen gerade beherbergt, ist nach Asch und Neisser 
am erregbarsten für den elektrischen Strom (Pflüger’s Archiv 
Bd. 40 Heft 3 u. 4). Reizungen setzen bis in’s Detail stets dieselben ; 
wohl characterisirten Zuckungen, welche den willkürlichen Be¬ 
wegungen gleichen. Von hier gehen die Pyramidenfasern ab, die 
wir als motorisch anzusehen gewöhnt sind. Von hier aus erfolgen 
nach Exstirpationen und Verletzungen ganz besonders secundäre 
Entartungen derselben Stränge. 

Mir möchte zudem scheinen, als ginge aus den physiologischen 
Experimenten von Munk bezüglich der Fühlsphäre gar nicht stringent 

') Brain, April 1887 p. 94. 


genug deren Charakter eben als Fühlsphäre hervor. Denu Munk 
nahm dabei vorweg, dass die exstirpirte Gegend wirklich eine Fühl 
Sphäre sei, weil er glaubte, durch die Weguahme der Endstation 
der sensiblen Nervenbahnen auch die Motilitätsstörungen erklären 
zu können, umgekehrt aber die Motilitätsstörung nicht den Seu- 
sibilitätsverlust erklärte. Und sicher ist dies die einfachere Annahme 
und Erklärung der Erscheinungen; zudem träten noch die Gleich¬ 
artigkeit in der Qualität mit Seh- und Hörsphäre und der Umstand 
hinzu, dass es alsdann möglich wäre, das ganze Grosshirn als ein 
lediglich sensoriellen uud sensorischen Functionen 1 ) dienendes Organ 
aufzufassen. Aber man kann und muss Munk den Einwand machen, 
dass er bei seinen Exstirpationen nicht nur die Endstation der Sen¬ 
sibilität für diese Theile, sondern auch die Anfangsstation der 
motorischen Impulse weggenommen habe, und dass daher die 
Lähmungen sich erklärten. 

In der mehrerwähnten Londoner Discussion scheint man der 
Meinung sich zugeneigt zu haben, die Rolando’sche Gegend für 
senso-motorisch anzusehen. 2 ) Auch Luciani und Seppilli 
haben die gleiche Meinung in ihrem Werke direct ausgesprochen. 

Auch wir nehmen, bis hier sehr erwünschte anderweite Nach¬ 
prüfungen Aufklärung geben, mit Hitzig, Schiff, Munk, 
Bastian und Luciani-Seppilli an, dass die kinästhetisehen 
Empfindungen in der motorischen Gegend localisirt 
sind, und mit Ferrier, Nothnagel, Luciani-Seppilli gegen 
Munk, Bastian und Brücke, dass auch die motorischen Impulse 
direct von hier aus stattfinden. 

Wir werden also das Fehlen der kinästhetischen 
Empfindungen als ein den Läsionen der motorischen 
Felder zugehöriges Symptom anzusehen haben. Bei Er¬ 
krankung der Scheitelregion, durch welche die Fasern passiren, 
welche die gedachten Empfindungen leiten, können dieselben gleich¬ 
falls leiden, und zwar wäre Ataxie zu erwarten. 

Jedenfalls werden wir mit um so grösserer Sicherheit den Ort 
des Herdes in der motorischen Region diagnosticiren, je isolirteren 
subjectiven — (Parästhesieen, Aurae) — und objectiven Empfindungs¬ 
lähmungen, besonders des Muskelsinnes, wir in den Gliedern begeg¬ 
nen, welche zugleich mit Monoplegie, Frühcontractur, Monospasmus 
behaftet sind. Ein solches Zusammentreffen von vier eigenartigen 
Symptomen, deren jedes für sich allein eine Affection der Rolando’- 
schen Gegend wahrscheinlich macht, an einem Gliede, erhebt die 
Diagnose fast zur Gewissheit. 

Nur Weniges möchte ich noch über die Hemiamblyopie bei 
Fall VI und über die Aphasie und Anarthrie in Fall VII sagen. 
Die linksseitige Hemiamblyopie, denn dies war die Sehstörung bei 
Fall VI zum mindesten, konnte sehr wohl Fernwirkung sein, ob¬ 
gleich sie dafür etwas lang, fast 4 Wochen anhielt. Nach den 
Mittheilungen von Goltz, Hitzig, Loeb über die Entstehung ein¬ 
seitiger, homonymer Sehstörung nach Operationen am Stirnlappen 
der Hunde wäre, da der Tumor in CA oben sass und Fi pathologisch 
verändert war, auch an eine analoge Wirkung desselben hier zu 
denken. Wir sind jedenfalls heute noch nicht im Stande, die 
Hemianopsie bei VI genügend zu erklären. In keinem Falle glaube 
ich aber, dass im Stirnhirn ein Centrum, lediglich für das gegen¬ 
ständige Auge bestimmt, vorhanden sei. Fürstner, dessen an 
und für sich werthvolle Beobachtungen an Paralytikern zu solchen 
Annahmen Anlass boten, hat behauptet, dass diese Kranken auf 
einem Auge rinden- oder seelenblind wären, uud er hält diese 
Behauptung noch in einer neueren Publication zum Theil aufrecht 
(Archiv für Psych. u. Nervenkrkht. Bd. XVII p. 518). 

Soviel ich an derartigen, anscheinend rinden- oder seelenblinden 
Paralytikern habe Beobachtungen anstellen können, konute ich mir 
Ueberzeugung schaffen, dass sie auf dem anscheinend blinden Auge 
doch noch sahen. Um dies zu constatiren, verklebt man am besten 
das sehende Auge für einige Tage. Bei einem solchen Kranken, 
der vor wenigen Tagen bei ,uns starb und lange mit linksseitiger 
Lähmuug und Anästhesie der linken Seite incl. Conjunc- 
tiva, nebst Deviation conjuguee der Augen nach rechts, mit an¬ 
scheinender Blindheit des linken Auges dalag, konnte ich auf solche 
Weise eine hemi anopische Störung an beideu Augen 
nachweisen, wobei das linke Auge allerdings stärker amblyopisch 
schien. Bei der Section sah man die rechte Hemisphäre auffallend 
; bleich, die linke weinhefefarbig roth; beide Scheitellappen, besonders 
die Gyri angulares, stark mit der getrübten Pia verwachsen; die¬ 
selben Verhältnisse walteten in der Rolando’schen Gegend ob. Weni¬ 
ger afficirt war die Stirnregion. Gerade die Occipitalwindungen boten 
wenig Pathologisches, und es betraf eine geriuge Verwachsung nur 
Oi rechts, am Rande der Scissur. — Sicher darf man klinische 

*) Sensorium, also sensoriell; Sensus, also sensorisch = von den Sinnen 
kommend, wird correct geschrieben, nicht umgekehrt, wie vielfach geschieht. 

®) Brain 1887 Aprilheft p. 94. 


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192 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 10 


Beobachtungen nicht von vornherein von unseren anatomischen und 
physiologischen Kenntnissen abhängig machen und einschränkeu 
wollen. Wo aber so sichere Thatsachen vorliegen, wie die ist, dass 
jeder Tractus opticus Fasern für beide Hemisphären enthält, da 
stellt sich die Sache anders. 1 ) Wenn wir zudem das Verhältniss in 
Betracht ziehen, dass die äusseren, temporalen Netzhauthälften, 
welche von den gleichnamigen Hirnhälften herstammen, die be¬ 
deutend kleineren, die inneren, medialen, von den gekreuzten her¬ 
stammenden dagegen die grösseren sind, so ist es begreiflich, dass 
das der Hirnverletzung entgegengesetzte Auge, welches den grösseren 
Netzhautausfall hat, im Vergleich zu dem gleichnamigen amblyopisch 
erscheint. Dazu kommt, dass ein blödsinniger Paralytiker mit dem 
äusseren peripheren Retiuatheil sich nicht gut zurechtfinden kann, 
weil er uicht deutlich zu sehen und zu deuten versteht, dass manch¬ 
mal Deviation der Augen nach dem Hiruherd hin und, wie es 
scheint, öfter Hemianästhesie, iucl. Gefühllosigkeit der eigenthümlichen 
Fühlsphäre des Auges, entsteht, indem der Gyr. angularis des Scheitel¬ 
hirns betheiligt wird. - Jener Gedanke an ein Centrum, nur für das 
gegenständige Auge bestimmt, muss also fallen gelassen werden. 

Ob rinden- oder seelenblind, immer muss die Empfindung des 
Sehens durch den Tractus opticus, und es kann daher central- 
wärts vom Chiasma nur hemianopische Sehstörungen 
geben. 

Die Aphasie im Fall VII bietet trotz der Intactheit von linker 
F3 des Gyros angularis, der Schläfen- und Inselwindungen für die 
Erklärung keine Schwierigkeiten. Dieselbe war zuerst amnestisch, 
eine Folge der Mitleidenschaft weiter Gebiete des Gehirns. Hernach, 
als die ganze geschwollene motorische Gegend zu erweichen begann, 
wurden die Wege zwischen den verschiedenen Centren des Gehörs, 
des Gesichts etc. und dem motorischen Sprachcentrum gesperrt. 
Die Leistung einer Maschine, eines Gasmotors z. B., kann zum Still¬ 
stand gebracht werden dadurch, dass man die Maschine selber zer¬ 
stört, oder dadurch, dass man die Gasröhren abschneidet, welche 
die Maschine speisen. So wurde auch hier durch Abschneiden der 
Wege, auf denen das motorische Sprachcentrum an Vorstellungen, 
Begriffen, Worten, Nahrung erhält, dieses ausser Function gesetzt, 
und durch Lahmlegung des Lippen-Zungencentrums und der von ihm 
ausgehenden, der Articulation dienenden Fasern die Articulations- 
störung verursacht. _ (Schluss folgt.) 

VI. Feuilleton. 

Aus der Kaiserlich Leopoldino-Carolinischen Akademie 
deutscher Naturforscher. 

Die Kaiserlich Leopoldino-Carolinische Akademie deutscher 
Naturforscher, die zu ihren Mitgliedern eine Reihe hervorragender Aerzte 
zählt, hat für das verflossene Jahr eine Anzahl günstiger Erfolge zu ver¬ 
zeichnen. In den letzten Heften der „Leopoldina“, des amtlichen Organes 
dieser Gesellschaft, befinden sich mehrere Mittheilungen an die Mitglieder, 
die auch Aerzte und Naturforscher, welche ausserhalb dieser Vereinigung 
stehen, interessiren dürften. 

Das Octoberheft enthält an seiner Spitze ein huldvolles Schreiben S. M. 
des Kaisers von Deutschland an den Präsidenten, Geheimen Regierungsrath 
Professor Dr. Hermann Knoblauch, mit dem der hohe Protector die 
Uebersendung der Jubiläumsschriften des Jahres 1887 unter dem 10. October 
aus Baden-Baden erwidert. Dasselbe lautet: 

„Die Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinische deutsche Akademie hat, wie 
Sie Mich bisher von dem Ergebniss Ihrer Forschungen durch die dankens- 
werthe Einsendung Ihrer Schriften in fortlaufender Kenntnis» erhalten hat, 
Mir abermals unterm 30. v. M. drei Bände XLIX, L und LI Ihrer Verhand¬ 
lungen, sowie den letzten Jahrgang der „Leopoldina“ überreicht. Es gereicht 
Mir diese wiederkehrende Aufmerksamkeit zur besonderen Freude. Der 
Band L hat mir zugleich in das Gedächtniss zurückgerufen, dass die 
Akademie mit dem 7. August d. J. die Erinnerungsfeier Ihres zweihundert¬ 
jährigen Bestehens als deutsche Reichsakademie begangen hat. Ich nehme 
daraus gern Veranlassung, der Akademie zur Wiederkehr dieses Gedenktages, 
an welchem Sie mit hoher Befriedigung auch eine segensreiche Wirksamkeit 
während einer ungewöhnlichen Zeitdauer zurückblicken darf, Glück zu 
wünschen, indem Ich Meine Zuversicht ausspreche, dass die Akademie Ihren 
wohlverdienten weitverbreiteten Ruf hoher Wissenschaftlichkeit auch ferner 
zu bewahren wissen werde“. Wilhelm. 

Am 7. August 1687 erhob Kaiser Leopold I. in reger Theilnahme für 
die Pflege der Wissenschaften in Deutschland die erst 35jährige Akademie 
durch besondere Urkunde zur „Kaiserlichen Reichsakademie“ und 
stattete dieselbe mit Rechten und Privilegien aus, wie sie keiner anderen 
Gelehrtengesellschaft weder vor- noch nachher zu Theil geworden. Kaiser 
Carl VII. bestätigte unter neuen Verleihungen an den Präsidenten diese 
Privilegien am 12. Juli 1742, und trägt die Gesellschaft in dankbarer Er¬ 
innerung an diese beiden Kaiser den Namen „Academia Caesarea Leopoldino- 
Carolina Germanica Naturae Curiosorum“. Leopold 1. hatte ihr überdies 
das Wappen mit dem Wahlspruche: „Nunquam otiosus“ verliehen. 

Von einer Festfeier der 200sten Wiederkehr des 7. August war, wie 
warme Erinnerungsworte im Julihefte der „Leopoldina“ berichten, Abstand 
genommen worden, erstens, weil die Zahl und räumliche Entfernung der 
Mitglieder, sowie der Gelehrtengesellschaften, mit welchen die Akademie in 
Verbindung steht, eine zu grosse erschien, und zweitens eine andere Feier 
dem Charakter der Gesellschaft entsprechender erachtet wurde. 


Die Mittel der Akademie, bestehend in den Gaben deutscher Fürsten 
und Regierungen, Legaten und den Beiträgen der Mitglieder werden zu 
wissenschaftlichen Zwecken von ihr verwendet, und so sah sie ihre Ehre und 
Freude zur zweiten Säcularfeier darin drei Bände ihrer Nova Acta: 49, 50 
und 51, mit vielen Tafeln ausgestattet., im Jahre 1887 gleichzeitig erscheinen 
zu lassen. Von diesen ist der fünfzigste Band gleichsam als Jubiläumsband 
betrachtet und enthält als Festschrift eine Abhandlung des Präsidenten. 
Ferner ist die Herausgabe eines systematischen Kataloges der mehr als 
50000 Bände zählenden Bibliothek der Akademie, für die Naturwissen¬ 
schaften die umfassendste Deutschlands, im Drucke — und schliesslich be¬ 
steht die Absicht, aus Anlass des Jubiläumsjahres die „Geschichte der 
Kaiserlich Leopoldino-Carolinischen deutschen Akademie der Naturforscher 
während des zweiten Jahrhunderts ihres Bestehens“, welche Dr. Neigebaur 
im Jahre 1860 veröffentlichte, bis zum gegenwärtigen Zeitabschnitte fortzu¬ 
führen. 

Unter wie erfreulichen Auspicien das dritte Jahrhundert für die Akademie 
beginnt, geht aus weiteren Mittheilungen des Octoberheftes der „Leopoldina“ 
hervor. Ihre Mitgliederzahl ist in fortwährender Zunahme begriffen. Vor 
zwei Jahren zählte sie deren 657, am Beginne des Jahres 1887 676; im 
Verlaufe desselben sind 47 neue Mitglieder aufgenommen worden, darunter 
aus Deutschland und Oesterreich 38, aus England 4, aus Nordamerika 2, 
aus Frankreich 2, aus Schweden 1. 

Bislang hatte der fünfte Wahlkreis — Elsass-Lothringen — kein 
Anrecht auf eine selbstständige Vertretung in dem Adjuncten-Collegium; die 
Zahl der in diesem Kreise lebenden Mitglieder ist nun so weit gewachsen, 
dass zum ersten Male in 1887 dieselben zur Wahl eines Adjuncten auf¬ 
gefordert werden konnten. 

Die Büchersammlung der Akademie hat namentlich durch Erwei¬ 
terung des Tauschverkehrs eine bedeutende Ausdehnung erhalten: während 
eines Jahres sind 54 Gelehrtengesellschafteu zum Schriftenaustausche neu 
hinzugetreten, so dass sich ihre Gesammtziffer zur Zeit auf 398 beläuft, die 
sich über alle Erdtheile erstrecken. In Europa steuert Deutschland mit 115 
Zeitschriften bei, Belgien mit 13, Dänemark mit 4, Frankreich mit 22, 
Grossbritannien und Irland mit 38, Italien mit 26, die Niederlande mit 16, 
Oesterreich-Ungarn mit 37, Portugal mit 2, Rumänien mit 2, Russland mit 
21, Schweden und Norwegen mit 13, Schweiz mit 11, Serbien mit 1, 
Spanien mit 4. 

Afrika liefert zwei Zeitschriften: aus Bona und Cairo. 

Nordamerika ist mit 43 Schrifterzeugnissen vertreten, während Süd¬ 
amerika 7 liefert, worunter eines in deutscher Sprache. 

Asien steht ira Tausche mit 11 Zeitschriften in holländischer, englischer, 
deutscher und japanischer Sprache. 

Australien sendet 10 Zeitschriften nach Halle, dem jetzigen Sitze 
der Akademie. 

Ausserdem ist die Akademie noch auf 10 Zeitschriften abonnirt. 

Wir können nur wünschen, dass die alte, ehrwürdige und verdienstvolle 
Akademie rüstig und erfolgreich auf ihrem Wege des unablässigen Strebens 
zur Vervollkommnung der Naturwissenschaften fortschreiten möge. 

_ A.n. 

VII. Referate und Kritiken. 

W. Waldeyer. Median schnitt einer Hochschwangeren bei 

Steisslage des Foetus, liebst Bemerkungen über die Lage- und 
Formverhältnisse des Uterus gravidus. 36 S., mit 3 Holzschn. 
und einem Atlas von 5 Tafeln. Bonn, Max Cohen <fc Sohn. 

Die in den Tafeln abgebildeteu Medianschnitte gehören der 
Leiche einer 38jährigen Hochschwangeren an, der von einer Loco- 
motive beide Oberschenkel dicht am Rumpfe abgetrennt wurden. 
Sie starb wenige Stunden später unter den Erscheinungen der Ver¬ 
blutung. Ihren Angaben zufolge erwartete sie ihre Niederkunft 
binnen wenigen Tagen. Die Leiche, die sich, so weit der Körper 
äusserlich unverletzt war, als wohlgebaut, etwas fettreich erwies, 
wurde 10 Tage der Einwirkung einer Kältemischung von fein zer- 
stossenem Eis und Kochsalz ausgesetzt. Waldeyer zeichnete dann 
mit einem Anilinstifte die Medianlinie auf, und der Körper wurde 
alsdann in dieser Linie von einem Tischler mit einer gewöhnlichen 
gut geschärften Spannsäge auf einen Zug durchschnitten. Die Schnitt¬ 
führung erwies sich als eine durchaus gelungene. Nach diesem 
Schnitte wurden die Zeichnungen von dem Maler Eyrich angefer¬ 
tigt. Es bedarf bei dem Namen Waldeyer’s, dem wir diese hoch¬ 
interessante Arbeit verdanken, keiner weiteren Empfehlung der¬ 
selben. 


O. Silbermann. Die Gelbsucht der Neugeborenen. S.-A. aus 
d. Arch. f. Kinderheilk. 1887. VIII. 6. H. Ref. Biedert (Hagenau). 

Ueber Entstehung des Icterus Neonatorum standen bis jetzt 
zwei Erklärungen sich gegenüber: die hämatogene, welche den 
Gallenfarbstoff durch Umwandlung des Blutfarbstoffs entstehen lässt 
infolge von Stoffwechselstörungen nach der Geburt, die mit Zer¬ 
fall von Blutkörperchen einhergehen, die hepatogene, welche 
einen Uebertritt der Galle in’s Blut annimmt, entweder veranlasst 
durch Blutdruckverminderung in der Pfortader nach der Geburt 
(Frerichs) oder durch Stauung in den Gallengängen, in welchen 
entweder durch Duodenalkatarrh (Virchow) oder durch Druck 
seitens gestauter Venen (West u. A.) oder endlich auch seitens des 
ödematösen periportalen Bindegewebes (Birch-Hirschfeld) der 


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ft.M&rz. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 193 


Gallenabfluss behindert wurde. Die hepatogene Entstehung ist in 
nachdrücklichster Weise durch den Gallensäurenachweis in der j 
ieterischen Pericardialflüssigkeit von Bircli - Hi i ch l eid gestützt 
worden. 

Silbermann kommt nun, auf fremden und eigenen Untersuch ungen 
fassend, zu dem Schluss, dass das Ausschlüssen der eiuen Theorie 
seitens der andern gar nicht weiter zu bestehen braucht, dass die 
hepatogene Entstehung, welche durch den Gallensäurebefund be¬ 
wiesen wird, sehr wohl anerkannt werden kann, ohne dass man 
die Bedeutuug des ebenso sichergestellten Blutkörperchenzerfalls ! 
beim Neugeborenen für das Zustandekommen des Icterus Neonatorum 
in Abrede stellen müsste. Nur muss der Gedanke fallen gelassen 
werden, dass das von dem Blutkörperchenzerfall gelieferte 
Hämoglobin direkt in’s Blut ohne Betheiligung der Leber in Galleu- 
farbstoff übergeführt werde und so den Icterus zu stände bringe. 

Vielmehr ist durch die Untersuchungen von Naunyn und 
M inkowski die Unentbehrlichkeit der Leber für die Gallenfarbstoff- 
biidung ausser Zweifel gestellt worden, welche bei Gänsen und 
Enten mit Entleberung trotz hergestellten Blutzerfalls (Arsenwasser- 
stoff-Inhalationen) nicht stattfand. Der Vorgang ist vielmehr der, 
dass die hierbei zerschellten Blutkörperchen und zum Theil auch 
das frei gewordene Hämoglobin der Leber vermehrtes Material 
zur Gallentarbstoffbildung durch die Leberzellen liefern. Die Blut- 
zereetzung beim Neugeborenen ist durch die Untersuchungen von 
Hayem, Hofmeier und Silbermann bekannt gemacht wordeu, 
wobei sich im Ganzen oder im Centrum blasse und auch sparsame 
ganz entfärbte rothe Blutkörperchen (Schatten) fanden als Zeichen 
für ein tbeilweises Auslaugen des Blutfarbstoffs aus den Scheiben, 
in vorwiegender Weise aber Makro- und Mikrocvten, kernhaltige 
rothe Blutkörperchen, rothe Blutscheiben von Keulen- und Biscuit- 
form, endlich bräunliche Körner, Trümmer von Blutkörperchen, frei 
oder im Innern von Zellen (weissen Blutkörperchen). Letzteres als J 
Folge des Zerfalls von Blutkörperchen ohne Farbverlust. 

Dass ein solcher einfacher Zerfall von Blutkörperchen beim 
Neugeborenen vorliegt, ohne stärkeres Freiwerden von Hämoglobin, 
ist maassgebend für die Folgen. Hätte die Blutveränderung einen 
starken Austritt mit folgender Lösung des Blutfarbstoffs zur Folge 
gehabt, so würde Hämoglobinurie entstehen, wie dies z. B. auf 
Einspritzung von Glycerin in den Versuchen von Afanassiew 
folgte. Umgekehrt hat der einfache Zerfall der Blutkörperchen ohne 
Austritt des Farbstoffs, welchen man experimentell durch Einspritzen I 
von Toluylendiamin bewirken kann, niemals Hämoglobinurie, sondern ! 
Icterus zur Folge, eben den Icterus, der bei 80% der Neugeborenen 
auf die in gleicher Weise vor sich gehende Blutzerstörung folgt. 
Wird einmal unter besonders ungünstigen Umständen der andere 
Blutzerfall mit Auflösung des Hämoglobin bewirkt, so entsteht die 
perniciöse Hämoglobinurie der Neugeborenen, die Win ekel’sehe 
Krankheit. 

Die Veränderungen bis jetzt haben nur erklärt, wie im Blut 
vermehrtes Material erzeugt wird, aus dem die Leber Gallenfarbstoff 
bilden kann. Es ist noch zu zeigen, wie der Leber dies Material 
auch in besonders günstiger Weise zugeführt, und wie dann wieder 
ein vermehrter Rücktritt des Gallenfarbstoffes in das Blut veranlasst 
wird. Der Nachweis, dass dies eben durch dieselbe Blutzersetzung 
beim Neugeborenen veranlasst wird, giebt der neuen Theorie ihre 
Einheitlichkeit, in welcher sie die beiden alten zusammenfasst. 

Dieser Vorgang hängt von einer zweiten Folge des Blutkörper¬ 
chenzerfalls ab, die von der Dorpater Schule, Schmidt und seinen 
Schülern, nachgewiesen wurde, der Bildung von Blutgerinnungs- 
ferment Fermentämie. Das vermehrte Ferment hat ein Dickerwerden 
des Blutes bis zur Neigung zur Thrombosenbildung zur Folge mit 
Klebrigwerden der weissen Blutkörperchen und Stocken im Blutlauf. 
Da an sich schon das Venenblut am fermentreichsten ist, machen 
sich diese Folgen am meisten in den Venen geltend, und da wieder 
vorzugsweise in der Gegend, in welcher das Venensystem — mit 
Ausbildung des Pfortadersystems — doppelt entwickelt ist, im 
Unterleib. Hier treten Stauung, Blutüberfüllung und Verlangsamung 
des Blntlaufs ganz ausnahmsweise stark in der Leber auf, wo durch 
Wiederauflösung der Pfortader in Capillaren der Blutlauf an sich 
schon der all er langsamste ist. 

Diese Verlangsamung des Blutlaufs hat zur Folge, dass geformte 
Bestandtheile, die Blutkörperchentrümmer, weisse Blutkörperchen, 
welche rothe und ihre Trümmer verschlungen haben, sich in ver- 
mehrtester Weise in der Leber anhäufen und zur Gallenfarbstoffbe¬ 
reitung darbieten. Versuche mit Zinnoberinjection lehren analog, 
dass in den Lebercapillaren Zinnober noch lange vorhanden ist, 
nachdem es aus dem ganzen übrigen Gefösssystem geschwunden. 
Jene Gefässstauung, jener bis in die Capillaren erstreckte Blutreich- 
tbum lässt sich direkt an Thieren, denen gefrorenes und wieder auf- 
get haute«. lackfarbenes Blut von Silbermann eingespritzt wurde, 
naebweisen. Frisches, intensiv wirkendes Blut hat baldigen Tod 
durch Blutfülle und Stauung, Thrombose in der Pfortader, Vena cava 


uud dem rechten Herzen zur Folge. Wird älteres, schwächer wir¬ 
kendes Blut eingeführt, so beobachtet mau an den laparotomirteii 
Thieren dunkle Hyperämie der Leber und au Gefriermikrotoin- 
sehuitteu aus Stückchen, welche der lebenden Leber ausgeschnitten 
sind, in 0,6% Kochsalzlösung starke Blutfullc und Erweiterung der 
Pfortaderverzweigungen und Lebercapillaren. Die erweiterten Ge- 
fasschen üben einen Druck auf die kleinen interlobulären Gallen¬ 
gänge, in welchen so Gallenstauung und Rücktritt der Galle in’s 
Blut veranlasst wird. Da die grösseren Gallengänge hierbei frei 
bleiben, wird nicht der Gallenabfluss in den Darm überhaupt ver¬ 
hindert, und im Gegentheil ermöglicht es die stark vermehrte 
Gallenbildung, von der schon die Rede war, dass ausser der ge¬ 
stauten und in’s Blut zurückgetriebenen Galle aus den offen geblie¬ 
benen Gallengängen noch genug in den Darm fliesseu kann, um 
auch die Fäces so stark und noch stärker zu färben, als gewöhnlich. 
Dies ist das Charakteristicum für die Gelbsucht der Neugeborenen. 
Ein Oedein der Glisson’schen Kapsel, wie Birch-Hirschfeld 
verlangt, um die Gallenstauung in den Gängen zu motiviren, kann 
die Folge der hier beschriebenen Verhältnisse sein, ist aber nicht 
nöthig. Eine einfache Hyperämie genügt. 

Seine Auseinandersetzungen, die nicht gerade leicht durch¬ 
sichtig vorgetragen, aber geistreich und durch fremde, wie eigene 
Experimente wohlbegründet sind, fasst Silbermann in 6 Schluss¬ 
sätzen zusammen, deren wesentlicher Inhalt ist: 1. Der Icterus 
Neonatorum ist hepatogen. 2. Es handelt sich um eine Gallenstauung 
in den feinen Gallengängeu infolge von Compression derselben durch 
erweiterte Capillaren und Pfortaderäste. 3. Die Stauung ist Folge 
einer Circulationsänderung, welche Theilerscheinung einer Allgemein- 
veräuderung des Blutplasma nach der Geburt ist. 4. Diese Blut¬ 
veränderung ist eine durch Blutkörperchenzerfall hervorgerufene 
Fermentämie. 5. Der Icterus ist stärker bei schwächlichen Neuge¬ 
borenen, bei denen dieser Zerfall grösser ist. 6. Der Zerfall liefert 
massenhaftes Material für die Gallenbereitung, welches sich unter 
dem Einfluss der Fermentämie in der Leber ansammelt. 

Eine Schwäche der Theorie dürfte in dem 5. Punkt gefunden 
werden, wo der stärkere Blutkörpercheuzerfall den schwächsten 
Kindern zugeschoben wird, während Violet solchen gerade bei 
stärkeren uud durch Spätabnabelung künstlich plethorisch gemachten 
Neugeborenen sah. Das häufigere Vorkommen des Icterus bei 
schwächlichen Kindern wird von Anderen mit einer durch uugeuügende 
Athmung bewirkten venösen Blutstauung zusammengebracht. Im 
Uebrigen giebt die Silbermann'sche Darstellung einen Einblick 
in die Blutveründerungeu der Neugeborenen, der geeiguet ist, mit 
einem Schlag eine Anzahl von mehr oder minder räthselhaften 
Vorgängen in einheitlicher und dadurch um so befriedigenderer 
Weise verständlich zu machen. Sie verdient darum die höchste 
Beachtung. 

GL Bonge. Die Alkoholfrage. II. Aufl. Leipzig, F. G. W. Vogel. 

1887. Ref. A. Baer. 

Von den in neuerer Zeit in deutscher Sprache erschienenen 
Schriften über die Alkoholfrage hat keine eine so ungetheilte An¬ 
erkennung gefunden wie die obige. Es sei nur auf einige Punkte 
hingewiesen, die der Herr Verfasser zum besonderen Vorwurf seiner 
Abhandlung gewählt. — Die Alkoholfrage ist nach ihm lediglich 
eine physiologische Frage; sie gipfelt darin, ob der Alkohol ein 
Nahrungsstoff ist. Wenn dieser auch im Körper verbrannt und zur 
Quelle von lebendiger Kraft wird, so folgt nach Verf. noch nicht, 
dass er ein Nahrungsstoff ist, weil keineswegs erwiesen ist, dass die 
aus seiner Verbrennung hervorgehende lebendige Kraft Verwerthung 
finde zur Verrichtung einer normalen Function. Uusere Gewebe, 
meint er, sind gar nicht darnach eingerichtet, mit jedem beliebigen 
Material gespeist zu werden; sie entnehmen dem Blute ganz be¬ 
stimmte Nahrungsstoffe, sie weisen das Fremde, das Schädliche zu¬ 
rück. Der Alkohol ist auch kein Sparmittel, denn wenn er durch 
seine Verbrennung die Wärmequelle vermehrt, vermehrt er durch 
die Lähmung des vasomotorischen Centrums, durch die Erweiterung 
der Getasse uud durch die gesteigerte Blutzufuhr die Wärmeabgabe 
in einem solchen Grade, dass thatsächlich eine Temperaturerniedri¬ 
gung sich ergiebt. — Alle Wirkungen des Alkohols, die gewöhnlich 
als Erregung gedeutet werden, sind nach Bunge im Grunde nur 
Lähmungserscheinuugen. Die beginnende Hirnlähmuug ist es, welche 
das Urtheils vermögen, das Gefühl des Missbehagens auf hebt, daher 
die Prävalenz des Gemüthslebens im Trünke. Der Alkohol stärkt 
nicht zu neuer Leistung, er betäubt nur das Müdigkeitsgefühl. Nur 
der Gewohnheitstrinker wird durch die Zufuhr von Alkohol leistungs¬ 
fähiger. für Nichttrinker ist dieser auch in den massigsten Dosen 
nutzlos, ja schädlich. Durch den Missbrauch des Alkohols, und das 
nicht alleiu in Form des Branntweins, wird eine Unmenge von Verderben, 
von Elend somatischer uud psychischer Art geschaffen. — Wiedas 
Individuum, meint der Herr Verf., wird auch ein Volk ohne Zwang 
nicht zur Sittlichkeit erzogen; wie hinsichtlich des Morphiums und 


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1Ö4 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 10 


anderer schädlicher Substanzen muss auch hinsichtlich des Alkohols 
dem Staate das Recht der Bevormundung eingeräumt werden. Der 
Gesetzgebung muss aber durch die Thätigkeit von Vereinen vor¬ 
gearbeitet werden, und diese müssen rückhaltslos das Princip der 
vollen Enthaltsamkeit von allen alkoholischen Getränken vertreten. 
Noch niemals ist ein Trinker durch den Vorsatz der Mässigkeit ge¬ 
rettet worden, und die gebildeten, die besitzenden und herrschenden 
Klassen haben die Pflicht, durch ihr Beispiel zu wirken. — Von 
den vieleu Gesichtspunkten, die der Herr Verf. in seinem Vortrage 
in so überaus lehrreicher und anregender Weise erörtert, wird der 
letztere der einzige sein, der nicht geringem Widerspruch begegnen 
wird. Für uns ist die Streitfrage, ob Mässigkeits- oder Enthaltsam- 
keit&princip im Kampfe gegen den Alkoholismus, zunächst vom 
Standpunkt der Opportunität zu beantworten. Wir sind aber mit 
dem Herrn Verf. vollkommen einverstanden, dass die Enthaltsamkeit 
allein nur dann in Frage kommen kann, wenn es sich darum han¬ 
deln soll, die grossen Massen aus den Fesseln des Alkohols zu be¬ 
freien und sie vor dem Trunksuchtseleud zu behüten. 

Die Schrift verdient die weiteste Verbreitung; sie ist durch ihren 
reichen Inhalt, wie durch die Wärme und Vollendung der Darstellung 
gleich ausgezeichnet. 


vm. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 16. Januar 1888. 

Herr Oppenheim: Wie sind diejenigen Fälle von Neura¬ 
sthenie anffeufassen, welche sich nach Erschütterungen des 
Bückenmarkes insbesondere nach Eisenbahnunfallen ent¬ 
wickeln? (Referat). 

Das Thema, über welches ich Ihnen zu referiren die Ehre habe, 
hat nur die äussere Gestalt einer Frage, ist jedoch vielmehr ein 
Lehrsatz des Inhaltes, dass die sich an Rückenmarkserschütterung 
anschliessenden Erkrankungen des Nervensystems als Neurasthenie 
aufzufassen seien. Ich möchte die Frage so formuliren: Wie sind 
die Krankheitserscheinungen aufzufassen, welche im Anschluss an 
Rückenmarkserschütterungen, besonders nach Eisenbahnunfällen, zur 
Eutwickelung gelangen? Die Frage ist vielfach discutirt worden und 
hat nach Emanation des Haftpflichtgesetzes ein allgemeines 
praktisches Interesse gewonnen. Mit diesem hat sich das Studium 
vertieft, die Symptomatologie erweitert und vervollständigt, und vor 
allem die nosologische Auffassung eine mächtige Umwandlung er¬ 
fahren. Die Symptomatologie dieser Krankheitszustände ist seit 
Erichsen in ihren Hauptzügen bekannt gewesen, nur sind gewisse 
Symptome als nebensächlich vernachlässigt worden, auf die man 
gerade durch neuere Untersuchungen besonderen Werth gelegt hat 
und auf die die neue, jetzt herrschende Auffassung aufgebaut 
worden ist. Früher war Voraussetzung, dass derartige Verletzungen 
und Erschütterungen ihren Angriff auf das Rückenmark richten 
und deshalb wurden die Symptome in’s Auge gefasst, die sich vom 
Rückenmark ableiten Hessen. Die Bezeichnung Railway-spine 
ist ja auch das Product dieser Auffassung, und wurden ge¬ 
wisse Hirnsymptome als secundär für die Deutung nicht ver¬ 
wertet, während man jetzt gerade diesen mehr und mehr 
Aufmerksamkeit schenkt, so dass aus dem Railway-spine das 
Railway-brain geworden ist, aus der traumatischen Meningomyelitis 
die traumatische Hysterie. Auf Grund zahlreicher eigener Beob¬ 
achtungen will ich die Symptomatologie dieser Krankheit zu ent¬ 
werfen und in derselben die Basis für die nosologische Auffassung 
zu finden versuchen. 

Wenn man von den schweren Verletzungen der Wirbelsäule, 
deren Deutung nicht streitig sein kann, absieht, so hat man es mit 
jenen Krankheitszuständen zu thun, die sich an Eisenbahnunfälle, 
welche zu keiner oder zu keiner wesentlichen äusseren Verletzung 
geführt haben, anschliessen. Die Symptomatologie ist eine mannich- 
faltige und bunte, von einem einheitUchen Krankheitsbilde kann 
nur insofern die Rede sein, als gewisse Kernsymptome in jedem 
Falle hervortreten. Zunächst will ich diese in’s Auge fassen, um 
nachher auf einzelne Symptomengruppen einzugehen, welche das 
Bild compliciren und moditiciren können. Die Hauptverän¬ 
derung betrifft in diesen Fällen die Psyche, besonders die affective 
Sphäre: Gemüthsverstiramung und abnorme Reizbarkeit bilden den 
Kern der Seelenstörung. Die Patienten sind verstimmt, versenken 
sich in schmerzliche Vorstellungen, lieben die Einsamkeit, sind 
überaus rührselig, haben Angstzustände, die sich von Zeit zu Zeit 
zu heftigen Angstattaquen steigern. Keineswegs kann von Wahn¬ 
vorstellungen im engeren Sinne des Wortes die Rede sein, aber die 
Erinnerung an den Unfall ist eine so lebhafte, ihr Denken und 
Fühlen in solchem Maasse bestimmend, dass diese Vorstellung häufig 
durch ihre Zähigkeit, durch ihre Alleinherrschaft in der Seele 
geradezu einen pathologischen Charakter gewinnt. Sie lässt die 


Kranken nicht schlafen, bestimmt den Inhalt ihrer Träume, so dass 
sie im Schlafe aufschreien, aufschrecken, aus dem Bette ^springen 
und ruhelos umherlaufen. Zwei Momente unterscheiden diese 
seelische Alteration von der reinen Melancholie: 

1. Abnorme Reizbarkeit. Diese Kranken, obwohl sie in sich ge¬ 
kehrt und verschlossen sind, sind doch überaus empfindlich gegen alle 
äusseren Reize. Ein geringer Anlass: ein unerwartetes Geräusch, die 
Unterredung mit dem Arzt macht sie erregt, sie sind misstrauisch, 
fühlen sich durch ein Geringes gekränkt und verletzt; gemüthliche 
Einflüsse, denen sie sonst gleichgültig gegenüberstanden, versetzen 
sie jetzt in Erschütterung. Beim Hören eines Chorals, um ein 
Beispiel zu nennen, bei der Nachricht vom Unglück eines Fern¬ 
stehenden etc. gerathen sie in Ekstase, lassen sich von ihren Em¬ 
pfindungen hinreissen. 

2. Das zweite ist der hypochondrische Charakter der Seelen¬ 
störung. Ebenso mächtig wie die Erinnerung an den Unfall ist die 
Vorstellung, in Folge derselben schwer erkrankt zu sein, sie belauern 
ihren Körper, spüren der geringsten Sensation nach und wissen ihre 
Beschwerden sehr zu betonen. Diese Beschwerden verrathen denu 
auch durch ihre subjective Färbung, dass ihre Hauptquelle nicht in 
einem lädirten Nerven, nicht im erkrankten Rückenmark, sondern 
in der pathologisch veränderten Psyche zu suchen ist. Die Intelli¬ 
genz ist meist nicht schwer gestört, indessen giebt es auch Fälle 
von fortschreitender Demenz mit Gedächtnissschwäche, das sind Aus¬ 
nahmen. Meist hat man den Eindruck, dass die Kranken unter 
dem Einfluss der traurigen Vorstellungen nicht frei über ihre Geistes¬ 
kräfte verfügen, aber für frühere Erlebnisse sich eine gute Erinne¬ 
rung bewahren. Die Meisten klagen über Zerstreutheit, so dass sie sich 
auch wohl in den Strassen verlaufen, in fremde Häuser gerathen u. s. w. 

Modificationeu der Angstzustände, die von Bedeutung sein können, 
sind folgende: Es können hallucinatorische Delirien, hallucinatorische 
Traumzustände auftreten, so dass die Patienten nur in einer geschlos¬ 
senen Anstalt behandelt werden können. Auch Platzangst, Höhen¬ 
angst habe ich beobachtet. Die Anfälle können sich auch mit 
heftigem Erbrechen vergesellschaften. Sehr häufig und fast zu diesem 
Krankheitsbild gehörig sind Krampf- und Schwindelzustäude, bald 
leichte Schwindelanfälle mit oder ohne Umflorung des Bewusstseins 
aber auch so stark, dass der Patient sich festhalten muss, um nicht 
zu stürzen oder es sind Anfälle von petit mal, epileptische oder 
deren Aequivalente, auch Anfälle kommen vor, die in die Kategorie 
der hysterischen gehören. 

Störungen der Sensibilität und der Sinnesfunctionen kommen oft 
vor, sind sehr wechselnd, zeigen mannichfache Abstufungen. Wie 
bei den psychischen Vorgängen Gemüthsdepression und ab¬ 
norme Reizbarkeit, so wird hier ein Nebeneinander von Hyper¬ 
und Anästhesie im Bereich aller Sinnesempfindungen beobachtet. 
FUmmern vor den Augen, Blendungsgefühl, dabei Herabsetzung 
des excentrischen Sehens mit Farbensinnstörungen, ebenso: 
Sausen, Pfeifen, Zischen in den Ohren, abnorme Empfindlich¬ 
keit gegen Geräusche; hierbei besteht mehr oder weniger 
starke Herabsetzung der Hörschärfe. Aehuliches gilt für die übrigen 
Sinnesfunctionen. Noch eclatanter tritt die Verbindung von Anästhesie 
und Hyperästhesie bei der Hautsensibilität hervor, häufig sind grosse 
Theile der Hautoberfläche empfindungslos, während in den anästhe¬ 
tischen Bezirken einzelne Zonen hyperästhetisch sind. Ein anderes 
Verhalten, das noch leichter zu falschen Deutungen Veranlassung 
geben kann, ist: eiue Hautpartie ist gegen leichten Druck abnorm 
empfindlich, während schmerzhafte Eingriffe, wie Nadelstiche nicht 
als schmerzhaft empfunden werden; besonders ist die Lendeu- und 
Kreuzgegend häufig hyperästhetisch, bald nur die tieferen Theile auf 
Druck abnorm empfindlich, bald die Haut selbst, auch sind zuweilen 
die von der Verletzung herrührenden Narben und ihre Umgebuug 
hyperästhetisch. 

Ueber Charakter und Verbreitung der Sensibilitätsstörungen 
habe ich an einer anderen Stelle ausführlich berichtet. Die senso¬ 
rische Anästhesie spielt in der Semiotik dieser Krankheitszustände 
eine hervorragende Rolle. Auf den Westphal’schen Kliniken ange- 
stellte Beobachtungen haben die Wichtigkeit dieses Befundes für die 
Frage, ob Simulation oder Krankheit, nachgewiesen. Die Verbrei¬ 
tung der Sensibilitätsstörungen ist sehr raannichfaltig, oft wunderlich, 
sie folgen nicht der Bahn eines Nerven und haben fast niemals die 
Verbreitungsweise wie bei den Erkrankungen des Rückeumarks. 
Besonders instructiv sind jene Fälle, wo die Verletzung Arm, Bein 
oder Fuss getroffen hat, und nun sich eine Sensibilitätsstörung ent¬ 
wickelt, welche die ganze entsprechende Körperhälfte betrifft. Ge¬ 
rade diese Hemianästhesie wird leicht übersehen, weil die Aufmerk¬ 
samkeit des Arztes wesentlich der verletzten Extremität zugewendet 
ist. Ueber typischen Gürtelschmerz wird nur selten geklagt, und es 
findet sich zuweilen eine entsprechende anästhetische Zone. Der 
Parästhesieen in ihrer grossen Mannichfaltigkeit will ich gar nicht 
gedenken, Schmerzen gehören zu den regelmässigen Krankheitssym¬ 
ptomen, besonders in der unteren Rückengegend, am Kreuzbein, 


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8. M&rz. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


195 


auch Kopfschmerz ist ein sehr häufiges Krankheitssymptom. Die 
Reflexerregbarkeit kann sich vollständig normal verhalten, jedoch auch 
gesteigert sein, oft waren Sohlen-, Cremasterreflex aufgehoben, 
die Sehnenphänomene waren immer nachweisbar, fehlten nie, sie 
können aber auch (ziemlich häufig) gesteigert sein. 

Motilitätsstörungen: Zunächst diejenigen, welche die Muskulatur 
des Rumpfes und der Extremitäten betreffen, meist nur Verlang¬ 
samung der Bewegungen, die schwerfällig und energielos ausgeführt 
werden. Oft kann man nachweisen, dass der Kranke, wenn er an¬ 
gefeuert wird, den Willen auspannt, die motorische Leistungsfähig¬ 
keit bis zu einem gewissen Grade zu steigern im Stande ist. Ein 
sehr wesentliches Moment für die Beeinträchtigung der willkürlichen 
Bewegungen sind die Schmerzen, daher die Theile, welche vorzugs¬ 
weise Sitz der Schmerzen sind, bei der Bewegung geschützt werden. 
Der Kranke fixirt den Rumpf, hat eine eigenthümliche Körperhaltung 
beim Gehen, weil er Drehung und Bewegung in der Wirbelsäule 
vermeidet, auch führen die Schmerzen zu reflectorischen Muskelan¬ 
spannungen, die bewegungshemmend wirken können. Sehr mannich- 
faltig sind die Abnormitäten des Ganges, pathologische Gangarten 
sind zu beobachten, die auf den ersten Blick frappiren, wunderlich 
erscheinen und den Verdacht der Simulation erwecken. Wenn man 
von dem schwerfälligen und breitbeinigen Gang absieht, wobei der 
Kranke die Hand gewöhnlich in’s Kreuz legt, worauf Westphal 
immer hinweist, so kann es Vorkommen, dass der Kranke wie ein 
Betrunkener geht oder unter fortwährender Erschütterung des ganzen 
Körpers taumelt Ein Kranker konnte besser rückwärts als vorwärts 
gehen. Man kann nicht alle diese Formen erschöpfend beschreiben, 
das eine tritt zur Evidenz hervor, sie haben nicht den Charakter 
derjenigen Gehstörungen, wie bei Erkrankungen des Rückenmarks. 
Hier spielt zweifellos ein psychisches Moment eine Rolle. Bei den 
selteneren, einseitigen Motilitätsstörungen wird die Extremität der 
leidenden Seite nachgeschleppt, aber abweichend von dem Nach¬ 
schleppen bei echter Hemiplegie. Zittern ist eine sehr häufige Krank¬ 
heitserscheinung, es hat den Charakter wie bei Hysterischen, Neura¬ 
sthenikern, Alkoholisten; steigernd wirkt die psychische Erregung, 
manchmal auch die willkürliche Bewegung, jedoch nur ausnahms¬ 
weise wie bei Sklerotischen. Schwanken bei Augenschluss ist eine 
sehr häufige Erscheinung, und man sollte nicht versäumen, auf 
dieselbe zu fahnden. 

Was die Function der Hirnnerven anlangt, so ist vor allem 
häufig die Sprache gestört. Auch hier handelt es sich nicht um 
eine Articulationsstörung, bulbäre Sprachlähmung oder um Scan- 
diren etc., sondern um eigenartige Anomalieen des Sprechens 
Einige Worte werden ganz geläufig hervorgebracht, dann wird 
pausirt, als ob der Kranke den Faden verlöre, einzelne Worte 
werden ganz schwerfällig, die anderen geradezu explosiv heraus- 
gestossen, ein Kranker zerfetzte die Worte in eigenthümlicher Weise, 
die schwer zu schildern ist, auch typisches Stottern ist einige Male 
beobachtet. 

Dann sind gewisse Erscheinungen von Seiten des Herzens und 
Gefässnervensystems, die bisher wenig beachtet sind, obgleich sie 
diagnostisch sehr wichtig sind, zu erwähnen. Sehr häufig kommt 
ein anfalisweises Auftreten nervösen Herzklopfens mit beschleunigter 
Pulsfrequenz, Angst und erweiterten (auch wohl differenten) Pupillen 
vor, der Puls kann bis 160 steigen, ausserdem tritt oft eine constante, 
jederzeit festzustellende Beschleunigung der Pulsfrequenz, die aber 
unter der leisesten psychischen Erregung in die Höhe schnellt, ein. 
GesicbtBrust, Hals können sich dabei mit Röthe übergiessen, der Sch weiss 
trieft ans den Achselhöhlen etc. Man findet aber keine verbreiterte 
Herzdämpfung, keine Geräusche, wohl aber diffuse Pulsation. Nur 
einmal war bestimmt zu verfolgen, wie daraus Hypertrophie und 
Dilatation beider Ventrikel sich entwickelte. Auch Ernährungs¬ 
störungen, bis zu vollständigem Marasmus, können sich entwickeln, 
Anorexie und Obstipatio Alvi wird beobachtet. Von obigen Krank¬ 
heitserscheinungen sind oft nur einzelne ausgeprägt, einige wenige 
seltene will ich noch hinzufügen: Durst, Polyurie, Erbrechen, 
Temperatursteigerung, Fieberanfälle mit Frost etc. wurden nur 
zweimal beobachtet. Etwas häufiger sind Blasenstörungen leichter 
Art, zuweilen aber auch so schwere, dass der Harn nur tropfen¬ 
weise entleert wurde, oder der Kranke katheterisirt werden musste. 
Pupillendifferenz, Trägheit der Pupillen recht häufig, doch nur in 
fünf der Beobachtungen ausgeprägte, reflectorische Pupillenstarre; 
Opticusatrophie • ist ausser den beiden früher erwähnten Fällen nicht 
wieder beobachtet worden. 

Nach der Entwickelung des Symptomenbildes mit seinen mannich- 
fachen Modificationen werden Sie mir die Schwierigkeit der Classi¬ 
fication zugestehen, und doch führt uns die Analyse der Symptome 
zu einer, von der früheren wesentlich abweichenden Auffassung. 
Die ältere, von Erichsen ausgebildete und verfochtene Anschauung, 
wonach sich infolge solcher Verletzungen eine traumätische Meningo¬ 
myelitis entwickeln soll, fand die Zustimmung der deutschen 
Autoren; wenn auch Erb und Leyden auf das Moment des Shoks 


ein grösseres Gewicht legten und als erstes Resultat eine Functions¬ 
hemmung des Rückenmarks annahmen, so meinten sie doch, dass 
in der Folgezeit anatomische Veränderungen im Rückenmark und in den 
Häuten Platz griffen, ähnlich urtheilte auch Bernhardt. West¬ 
phal wies auf die Aehnliclikeit des Krankheitsbildes in manchen 
Fällen mit dem der disseminirten Sklerose hin. Wenn auch die 
Lehre vom traumatischen Irresein fest begründet war (durch die 
berühmten Untersuchungen von Krafft-Ebing u. A.), so hatte man 
merkwürdiger Weise die psychischen Anomalieen bei Railway-spine 
nahezu ausser Acht gelassen. Ri gl er begnügte sich, ihnen eineu 
Namen zu geben — er sprach von Sidero-dromophobie, — womit 
er nur einen unwesentlichen Theil herausgriff. Bei der Beurtheilung 
i seiner Fälle liess er dies psychische Moment ganz ausser Acht. Moeli 
wies dann mit Nachdruck auf die Seelenstörung hin. Die Bezeich¬ 
nung Railway-spine meinte er, sei hier unzulänglich, weil es sich 
um Psychose handele. 

Wenden wir uns nun zu der modernen, oder französischen Auf¬ 
fassung, wie sie von Charcot und seinen Schülern ausgebildet. 
Sie lautet: die sich an Eisenbahnunfälle anschliessenden Erkrankun¬ 
gen des Nervensystems sind Hysterie, nichts weiter. Charcot 
erhielt einen Anstoss zu seinen Untersuchungen durch Beobachtungen, 
von Putnam und Walton dann in umfassender Weise durch die 
auf der Westphal’schen Klinik gemachten Beobachtungen, welche 
lehren, dass als ein häufiges Symptom dieser Zustände sich 
Sensibilitätsstörungen von eigenthümlicher Verbreitung und Cha¬ 
rakter finden. Diese Sensibilitätsstörungen waren nun ein lange 
bekanntes Symptom der Hysterie. Charcot nahm dies zum Aus¬ 
gangspunkt und suchte zu beweisen, dass alle Krankheitserscheinun¬ 
gen hysterischer Natur sind. Verfolgt man seiue Publicationeu, so 
muss man sagen, dass er es meist mit Hysterischen und Hystero- 
Epileptischen zu thun hatte, vornehmlich mit solchen, die bereits 
vorder Verletzung neuropathische Veranlagung oder exquisit hysterische 
Symptome dargeboten hatten. Wenngleich seine Auffassung in der 
Verallgemeinerung entschieden zu bekämpfen ist, so haben seine 
Untersuchungen doch wesentlich beigetragen, Licht über das Wesen 
dieser Erscheinungen zu verbreiten, vor allem seine Beobachtungen über 
Coxalgia hysterica, die zu Gehstörungen führt, wie sie auch nicht selten 
bei unseren Kranken beobachtet werden, dann seine Enthülluugen 
über die psychische Lähmung. In der Hypnose, durch Ideenüber¬ 
tragung könne man Lähmungszustände hervorrufeu von ganz dem¬ 
selben Charakter, wie die nach Verletzungen der geschilderten Art. 
Durch das Erwecken einer Vorstellung kann man nach seinen Aus¬ 
führungen Lähmungszustände hervorrufen, wie sie nach solchen 
Verletzungen und Erschütterungen zu Stande kommen. Es lag also 
nahe, diese Lähmungen als psychische, durch Vorstellungen bedingte 
aufzufassen. Nun war Charcot’s Schlussfolgerung: „Man darf 
sich fragen, ob der psychische Zustand, der sich in Folge der Er¬ 
regung, des nervösen Shoks während des Unfalls entwickelt und ihn 
einige Zeit überdauert, ob dieser eigenthümliche Zustand nicht die 
Hypnose aufwiegt“. „Wahrscheinlich liegt ein ähnlicher Mechanis¬ 
mus, so sagt Charcot, der Entstehuug jener so mannichfaltigen und 
dauerhaften, aber doch nicht von Organerkrankung herzuleitenden 
Erkrankungen zu Grunde, welche als Railway-spine und -brain be¬ 
schrieben worden sind.“. — Wenn diese französische Auffassung auch 
weit über das Ziel hinausschiesst, so müssen wir doch bekennen, 
dass wir in den letzten Jahren in der Deutung und Beurtheilung 
dieser Krankheit wesentlich weiter gekommen sind. 

Bei der Betrachtung der oben von mir geschilderten Symptome 
finden wir, dass es im Wesentlichen die Elemente der Psychose und 
Neurose sind, aus denen sich das Symptomenbild zusammensetzt, 
also jener Erkrankungen des Centralnervensystems, denen materielle 
Veränderungen nicht zu Grunde liegen. — Damit begründe ich 
meinen Standpunkt Selten handelt es sich um reine Psychosen, 
wie Melancholie, Hypochondrie, oder Demenz, ebenso selten um 
eine einfache Neurose, wie Neurasthenie, Hysterie, Epilepsie etc., 
meistens um Mischformen, die von dem gewöhnlichen Typus ab¬ 
weichen. Jedenfalls, und das ist der eine wichtige Fortschritt, 
deuten fast alle Krankheitserscheinungen auf eine cerebrale Grund¬ 
lage. Der alte Name Railway-spine ist zu streichen, aber nicht 
die Bezeichnung: traumatische Hysterie, oder, wie Page will, trau¬ 
matische Neurasthenie an seine Stelle zu setzeu. Aber unter den 
Begriffen „traumatische Neurose (Eisenbahnunfallsneurose) oder 
traumatische Psychose“ wird sich dieMehrzahl der Fälle subsumiren 
lassen. Eine wichtige Einschränkung ist aber dabei zu machen: 
in einer geringen Anzahl finden sich Symptome, welche mit der An¬ 
nahme eines rein functioneilen Nervenleidens nicht zu vereinbaren 
sind, ich weise auf die schweren Blasenstörungen hin, die mitunter 
freilich auch ein Symptom der Hysterie sind, dann auf die reflec¬ 
torische Pupillenstarre und Opticusatrophie etc. In einer geringen 
Zahl von Fällen sind also materielle Veränderungen im Central¬ 
nervensystem, über die wir noch nicht genau orientirt sind, anzu- 
nehmen, und zwar fortschreitende Veränderungen. ln meinen 


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196 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 10 


früheren Publicationen hatte ich die Häufigkeit solcher Fälle mit 
anatomischen Veränderungen überschätzt. Auf Grund eines 
grösseren Beobachtungsmaterials gestehe ich gern die Modificirung 
meiner Ansicht. Auch mag eine Combination beider Formen Vor¬ 
kommen. 

Ganz ähnliche Krankheitsbilder werden mitunter durch Schreck, 
psychische Erschütterung allein hervorgerufen. Ich selbsthabe mehrere 
ludividuen gesehen, die nur durch Schreck ohne Trauma erkrankten. 
Es wäre aber doch unberechtigt, wollte man der körperlichen Er¬ 
schütterung, die oft eine so gewaltige ist, keine Rechnung tragen. 
Vou diesem Standpunkt aus wird es verständlich, dass die Lebens¬ 
dauer dieser Patienten durch die Krankheit meist nicht wesentlich 
beschränkt wird, und dass wir selten Gelegenheit haben, durch 
Sectionen etwas über die Grundlage zu erfahren. Unzweideutige 
Obductionsresultate liegen überhaupt nicht vor. Zwei von meinen 
Patienten sind gestorben, ausserhalb des Krankenhauses, und konnte 
ich nichts über die Ursache erfahren. Auch ist die Thatsache in ein 
helleres Licht gesetzt, dass mit der Lösung der Entschädigungsfrage 
zuweilen eine Wendung zum Besseren eintritt, ebenso wie ich umge¬ 
kehrt wiederholt constatiren konnte, dass unter dem Einfluss der 
nicht endenwollenden Processverhandlungen der Zustand sich ver¬ 
schlimmerte, dass schliesslich jedes zugeschickte Schriftstück vom 
Eisenbahubetriebsamt zur Steigerung der Erscheinungen führte. 
Sollen wir uns darüber wundern, dass bei solchen psychischen 
Leiden die Sorge um die Existenz, Noth und Entbehrung zur 
Verschlimmerung führen? Uebrigens habe ich auch bei den durch 
die Entschädigung günstig situirten Patienten niemals Heilung beob¬ 
achtet, wie denn überhaupt die Prognose quoad sanationem un- , 
günstig ist. Besonders schädigend sind gehäufte Aufälle. Einige J 
überwanden den ersten und zweiten, so dass sie wieder erwerbs¬ 
fähig wurden, der folgende machte sie ganz erwerbsuufähig. 
Interessant ist die Frage nach den Antecedentien der Kranken, ob 
nervöse Belastung' vorliegt, meist war bei uns dieselbe nicht nach- j 
zuweisen. Alkoholmissbrauch schafft gewiss eine Prädisposition, 
und es kann selbst schwer sein, zu entscheiden, wie viel auf seine 
Rechnung von den Symptomen zu bringen ist, aber meist war auch 
dies Moment völlig zurückzuweisen. Die Entscheidung zwischen 
Simulation und Krankheit halte ich meist nicht für schwierig durch 
längere Beobachtung und zwar im Krankenhause. Meist gelingt es 
da doch, ein oder mehrere objective Symptome aufzufinden, be¬ 
sonders schwer ist die Entscheidung bei rein psychischen Ano- 
malieen. Auch hier wird mau durch längere Beobachtung sicher 
entscheiden, wenn man auch wohl hier und da sich nur unbestimmt 
und mit Vorsicht wird aussprechen können, dies aber nur selten. 
Soweit ich das Geschick meiner Patienten ausserhalb des Kranken¬ 
hauses weiter verfolgen konnte, muss ich sagen, dass ich nie der 
Täuschung ausgesetzt gewesen bin. Auch Verletzungen anderer 
Art können zu ganz denselben Erscheinungen führen, namentlich 
bei Personen, die von Maschinentheilen getroffen werden. Was die 
Beziehungen zwischen Hypnose uud diesen Krankheitszuständen 
in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht anbetrifft, so habe 
ich die Hypnose häufig ohne Erfolg versucht. Nur eine Patientin, 
die schon vorher neuropathisch war, ward durch leichten Druck 
auf die Augen hypnotisirt, ohne dass jedoch Einfluss auf den 
Krankheitszustand gewonnen wurde. 

Discuss iou: 

Herr Bernhardt. (Die Ausführungen des Herrn Bernhardt werden 
in der nächsten Nummer in extenso mitgetlieilt werden.) 

Herr Oppenheim: Die Ausführungen des Herrn Bernhardt schliessen 
sich eng an die meinigen an, und die von ihm demonstrirten Fälle geben 
eine gute Illustration zu meiner Schilderung. Nur in einem Punkte kann 
ich mich mit ihm nicht einverstanden erklären. Er sagt: ob man das 
Hysterie oder Neurose nennen will, ist gleichgültig, denn die Hysterie ist 
auch eine Neurose. Das ist keine richtige Folgerung. Der Begriff Neurose 
ist weit umfassender: es gehört dazu die Epilepsie, die Neurasthenie, Para¬ 
lysis agitans etc. und eine ganze Anzahl von Krankheitsformen, die eine 
scharfe Abgrenzung und nominelle Bezeichnung noch nicht erfahren haben. 
Ich habe die Bezeichnung traumatische Neurose mit Bedacht gewählt. Aber 
auch damit sind nicht alle Fälle bezeichnet, denn abgesehen von den orga¬ 
nischen Erkrankungen spielt auch das traumatische Irresein eine hervor¬ 
ragende Rolle. 

Herr Leyden: Ich war leider verhindert, den Vortrag des Herrn 
Oppenheim zu hören, und da er auch noch nicht gedruckt ist, so bin ich 
über seine Mittheilungen noch nicht vollständig informirt Ich hoffe aber j 
trotzdem, dass die wenigen Bemerkungen, welche ich zu machen habe, mit ; 
dem, was er selbst gesagt hat, in Einklang stehen werden. Ich selbst habe 
den Gegenstand der Railway-spine auch in meiner Klinik der Rückenmarks- , 
krankheiten abgehandelt. Es war damals ein Gegenstand, der in Deutsch- l 
land noch nicht viel Beachtung gefunden hatte, und es waren auch noch | 
nicht die Ansichten nach allen Seiten hin geklärt wie heute. Im Ganzen ' 
fusst meine Darstellung auf den Beobachtungen der englischen Autoren, na- ! 
mentlich Krichsen’s, ich hatte damals noch nicht über viele eigene Beob- ! 
achtungen zu gebieten. Einige Jahre später habe ich diejenige Beobachtung 
lnitgetheiit, welche Herr Bernhardt citirt hat. Ich muss in Bezug auf , 
dieselbe aber constatiren, dass heute der Standpunkt ein anderer geworden i 


ist. Damals rechnete ich alle Rückenmarkserkrankungen, die sich in Folge 
von solchen Unglücksfallen und Erschütterungen entwickelt haben, zu dieser 
Gruppe der Railway-spine. Gegenwärtig aber betrachten wir die eigentlichen 
typischen Fälle als Neurosen, wie die von Charcot und Oppenheim be¬ 
schriebenen, welche man als Neurasthenie oder (männliche) Hysterie be¬ 
zeichnen kann. Der Fall, den ich damals beschrieb, hatte in Folge eines 
solchen Unfalls eine tiefe Läsion des Rückenmarks hervorgerufen, welche 
nach 3 Jahren zum Tode führte. Einen solchen Fall können wir heute nicht 
mehr zu den typischen Fällen des Railway-spine rechnen, es war eben eiu 
organischer Krankheitsprocess im Rückenmark. Uebrigens ist dieser Fall in 
anderer Beziehung interessant und bemerkenswerth, denn er stellt eine trau¬ 
matische Tuborculose an der Seite des Rückenmarks dar. Ausgehend von 
der durch die Erschütterung am meisten betroffenen linken Schulter hatte 
sich eine Neuritis outwickelt, welche sich aufsteigend auf die Spinalvene 
fortsetzte und im Cervicaltheil einen flachen Tumor erzeugte, der das Rücken¬ 
mark hier in der Höhe von mehreren Stellen umfasste. Die Untersuchung, 
damals in Strassburg von unserem leider zu früh verstorbenen Collegen 
Friedländer gemacht, ergab die tuberculöse Natur dieses Tumors, denn 
er enthielt zahlreiche Riesenzellen (Tuberkelbacillen gab es damals noch 
nicht). 

Seit jener Zeit habe ich in Berlin eine ziemlich grosse Anzahl ein¬ 
schlägiger Fälle bei Eisenbahnbeamten beobachtet, die in Folge meiner Pu- 
blication in grosser Anzahl zu mir kamen, ich bin auch verschiedentlich zu 
Terminen citirt wurden, in neuerer Zeit ist es mir gelungen, dieses Onus 
auf Herrn Oppenheim abzuwälzen. Ich habe nichts Neues aus meiner 
Erfahrung hinzuzufügen, denn es handelte sich auch in meinem Falle im 
Wesentlichen um männliche Hysterie. Bei der praktischen Wichtigkeit dieser 
Sache habe ich es mit grosser Freude begrüsst, da s Herr Oppenheim das 
Referat übernommen hat. was zur Verbreitung der Kenntniss von diesen 
Fällen in alle ärztlichen Kreise nur beitragen kann. Denn es will mir 
scheinen, als ob solche Kenntnisse noch nicht so verbreitet sind, als es die 
praktische Bedeutung des Gegenstandes wünschen lässt. 


IX. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 29. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Henoch. 

1. Discussion über den Vortrag des Herrn Karewski 

Ueber die praktische Verwendbarkeit der Erythrophlaein* Anaesthesie. 

Herr P. Guttmann hat das Erythrophlaein bei 15 Patienten in 
24 Einzelversuchen angewandt. Von denselben litten 11 an Schmerzen aus 
verschiedener Ursache, vorzugsweise an neuralgischen Schmerzen, andere 
an Schmerzen infolge chronischer Entzündungsprocesse. Angewandt wurde 
das Mittel in subcutaner Injection in wässeriger Lösung l : 1000, bezw. 
j 1:2000. In 4 Fällen wurde das Erythrophlaein zur Bepinselung granulirter 
Wunden angewandt. 

Aus der ersten Reihe der Versuche hat sich ergeben, dass die Sub¬ 
stanz ganz unzweifelhaft schmerzstillend wirkt. Die Wirkung tritt schon 
auf nach Injection von '/* — '/i mg, und zwar nach etwa *25—30 Minuten, 
mitunter etwas früher, selten später. Bei den genannten kleinen Dosen 
hält die Wirkung mindestens mehrere Stunden an. In etwas grösseren 
i Dosen, d. h. von '/a mg aufwärts bis 1 mg, 1 l ,'a mg uud in maximo bis 
! 2 mg, hält die schmerzstillende Wirkung 6—8 Stunden und darüber an. 

Dieselbe tritt in einer Zeit ein, wo noch die unmittelbar nach der Injection 
> sich bemerkbar machende brennende Empfindung besteht, die etwa eine 
; Stunde und etwas darüber anhält. Diese Nebenwirkung ist aber keine so 
| unangenehme, dass sich die Kranken, namentlich wenn sie an starken 
' Schmerzen leiden, darüber sehr beklagen. Ausser dieser Nebenwirkung 
sah Herr P. Guttmann nur zweimal eine Infiltration des Gewebes in un¬ 
mittelbarer Nachbarschaft der Injectiousstelle, die wieder schwand und sonst 
keine Erscheinungen hervorrief. 

In den Fällen mit graDulirenden Wundflächen trat erst nach Anwen¬ 
dung von 2 mg eine anaesthesirende Wirkung ein. In den vorerwähnten 
Fällen war nur zweimal an der Einstichstelle eine geringe Anaesthesie vor¬ 
handen. Eine wirkliche Hautanaesthesie tritt bei subcutaner Injection 
nicht eiu. 

Herr G. Gutraann berichtet über einen Fall, in dem er 2 Tropfen einer 
0,2 o/ 0 Lösung in das Auge instillirte, um einen Fremdkörper von der Cornea zu 
entfernen. Nach einer halben Stunde trat Anaesthesie ein, und die Entfernung 
des Fremdkörpers gelang wie unter Cocainanwendung. Aber am folgenden 
Tage fand sich eine sehr intensive grauweisse Trübung der ganzen Horn¬ 
haut: die Cornea war ganz anästhetisch. Dieses Bild erhielt sich 4 bis 
5 Tage. Noch nach 8 Tagen war die Anästhesie in der Cornealmitte 
deutlich zu constatiren. Erst vom 8.—11. Tage lichtete sich die Trübung 
der Cornea von der Peripherie aus. Noch am 14. Tage ist, obgleich die 
Cornea bis auf einen feinen Hauch in der Mitte ganz aufgehellt ist, im 
Ceutrum derselben die Anästhesie nachweisbar. Herr Gutmann hält diese 
Erscheinungen nicht für angethan, um das Mittel für die Augenheilkunde zu 
empfehlen. 

Herr Liebreich hält seine Auffassung aufrecht, dass das Erythrophläin 
nicht als locales Anästheticum wirkt, die Wirkung ist vielmehr eine caustische, 
ähnlich der anderer Mittel der Digitalisgruppe. Dagegen sprechen selbst 
die günstigen Beobachtungen des Herrn Schüler nicht. Die Versuche des 
Herrn Karewski sind nicht einwandsfrei. Derselbe ist von der Voraus¬ 
setzung ausgegangen, uass die gleichzeitig angewandte Esmarch’sche Blut¬ 
leere nicht anäst hesirend wirkt. Dem widersprechen die mannichf&chsten 
Beobachtungon. Die Versuche des Herrn P. Guttmann decken sich mit 
der Beobachtung Liebreich’s, dass eine halbe Stunde nach der Injection 
in unmittelbarer Nähe der Eintrittsstelle Anästhesie eintritt. Wo also der 
Schmerz in einer solchen Stelle seine Ursache hat, ist die schmerzstillende 


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8. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


197 


■Wirkung erklärlich. Dieselbe »ritt aber auch bei allen möglichen anderen 
Substanzen ein. die nicht als locale Anfisthetica bezeichnet werden können. 

Herr Karewski tritt zunächst dem Einwand des Herrn Liebreich 
entgegen. Er hat sich in jedem seiner Fälle überzeugt, dass bei blosser 
Anwendung der Blutleere keine Anästhesie vorhanden war und letztere erst 
nach Injection der Erythrophläinlösung eintrat. Für ein ätzendes Mittel 
kann er das Erythrophläiu nicht ansehen. Von einer Schorfbildung, wie sie 
bei Argentum nitricum selbst in den schwächsten Lösungen auftritt, ist 
keine Rede. Es würde auch kaum erklärlich sein, dass ein Aetzmittel 
erst nach einer halben Stunde seine Wirkung äussert. Herr Karewski 
glaubt, dass sich das Mittel für Fälle analog denen, in welchen Herr 
P. Guttmann es angewandt hat, einbürgem dürfte. Für die Anwendung 
bei Operationen hält er es für ungeeignet. 

Herr G. Bebrend: Das Anthrarobln, ein Ersatzmittel des C'hrysa- 
robln and der Pyrogallussäure bei Behandlnng von Hautkrankheiten. 
Da« Anthrarobin, das dem Vortragenden im October vorigen Jahres von 
Herrn Professor Liebermann zu Versuchen übergeben wurde, ist ein 
gelblich weisses Pulver, von etwas grobkörniger Beschaffenheit. Es löst 
sich in Wasser in geringen Theilen, in 10 Tbeilen Glycerin bei 100°, in 
absolutem Alkohol in 10 Theilen in der Kälte, in 5 Theilen bei Siede¬ 
temperatur. Mit Oel verrieben, lässt es sich leicht zu Salben verarbeiten. 
Vortr. verwendete zu seinen therapeutischen Versuchen eine 10°/o beziehungs¬ 
weise 20% Salbe, eine 10% Tinctur und eine 10% Glycerinlösung, ln 
allen diesen Formen wurde es ausserordentlich gut vertragen, ohne dass 
die Reizerecheinungen auftraten, wie man sie bei Chrysarobin beobachtet. 
Das Mittel wurde wochenlang in Gesicht und Augenlider eingerieben, ohne dass 
eine Spur von Entzündung auftrat. Die einzige, unangenehme Nebenwirkung 
ist eine Gelbfärbung der betreffenden Hautpartieen, ausserdem ist mit der 
ersten Application ein gewisses Brennen verbunden, das in einzelnen Fällen 
nur wenige Minuten, in anderen %—2 Stunden dauert, jedoch keine solche 
Intensität erreicht, dass es nicht auch von Kindern ertragen würde. 

Vortr. wendete das Anthrarobin bei denjenigen Erkrankungen an. bei 
denen das Chrysarobin als wirksam betrachtet wird: Psoriasis, Herpes ton- 
surans, Pityriasis versicolor, Erythrasma. Die Salbe wie die Tinctur wurde 
nach Ablösung der Epidermisscbuppen in die Haut eingerieben. Die Wirk¬ 
samkeit wurde erhöbt, wenn den Einreibungen Einreibungen mit Kaliseife 
oder Spiritus saponatus kalinus vorausgegangen waren. 

Das Anthrarobin wirkt langsamer, als das Chrysarobin. dagegen viel 
intensiver als die Pyrogallussäure, welche so häufig als Ersatz des 
Chrysarobins dienen muss, weil die lästigen Nebenwirkungen, welche 
letzteres im Gefolge hat, seine Anwendung in manchen Fällen geradezu 
unmöglich macht. Die langsamere Wirkung und die längere Bebandlungs- 
dauer, welche bei Anwendung des Anthrarobin erforderlich ist, wird aufge¬ 
wogen durch die grosse Toleranz, welche der Körper dem letzteren gegenüber 
an den Tag legt, ausserdem ist der Preis des Anthrarobin etwa um Vs billi¬ 
ger als der des Chrysarobin und der Pyrogallussäure. Herr Behrend stellt 
eine Reihe von Kranken vor, bei denen das Mittel mit Erfolg angewendet 
wurde. Das Mittel wird von Jaffe & Darm Städter in den Handel ge¬ 
bracht. 

X. Journal-Revue. 

Physiologie und physiologische Chemie. 

2 . 

R. v. Jaksch. Ueber das Vor kommen von Fermenten 
in den Faeces der Kinder, nebst Bemerkungen über das 
Vorkommen von saccharificirenden Fermenten im Cysten¬ 
inhalt. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. XII p. 116. 

R. v. J. theilt mit. dass er nicht nur in dem Inhalte einer , 
Pankreascyste, sondern auch in Ascitesflüssigkeiten und Abdominal¬ 
cysten anderer Herkunft wiederholt ein saccharificirendes, bisweilen 
aber nur. im letzteren Falle, ein Stärke umwände Indes Ferment 
nachweiseu konnte. Daher sei der Nachweis von diastatischem 
Ferment in einer Punctionsflüssigkeit für die Diagnose einer Pankreas- | 
cyste nur von beschränktem Werthe. Verf. berichtet daun über das 
Vorkommen von Fermenten in den Faeces der Kinder. Danach 
findet sich hier, wenn anch nioht constant. so doch häutig sowohl 
ein saccharificirendes, als auch ein Rohrzucker invertirendes Fer¬ 
ment. 

K. Hasebrock. Ueber erste Producte der Mageuver- 
dauung. Zeitschrift f. physiol. Chem. Bd. XI p. 348. 

H. hat in dankenswerter Weise eine Lücke ausgefüllt, indem 
er die als erste Producte der Magenverdauung des Fibrins zu be¬ 
trachtenden Körper identificirte. Bisher nahm man an. dass hierbei 
zunächst Acidalbumiu entstehe und somit ein auffallender Unter¬ 
schied von der Pankreasverdauung und Fäulniss vorhanden sei. als 
deren erstes Product Globulin auftritt. H. zeigt nun in sicherer 
Weise, dass die Bildung von Acidalbumiu bereits ein weiteres 
Stadium der Magenverdauung sei, und dass auch hierbei in erster 
Linie Globulin entsteht. Dies Globulin erwies sich als ein Gemenge 
zweier Substanzen, von denen die eine bei 65°, die andere bei 70° 
gerinnt. Die erstere entspricht dem Fibrinogen und Myosin, die 
letztere dem Serumglobulin. Bei der Auflösung des Fibrins ent¬ 
stehen also zwei Körper, die, wenigstens in ihren Coagulatious- 
punkteu. mit den beiden Componenten übereiustimmen, aus denen 
mittelst eines Fermentes »las Fibrin entsteht. Bei der Verdauuug 


von coagulirtein Fibrin und Eieralbumin entsteht kein Globulin, und 
es drängt sich die Frage auf, ob dieser Unterschied nicht etwa die 
( schwierigere Löslichkeit der letzteren Eiweissarten mitbedingt. 

Zaleski. Zur Frage der Ausscheidung des Eisens aus 
I dem Thierkörper und zur Frage, über die Mengen dieses 
Metalls bei hungernden ThiereD. Arcli. f. exper. Pathologie 
: und Pharmakologie. Bd. XXIII p. 317. 

Nach einem historischen und kritischen Rückblick über die bis- 
I herigen Arbeiten, die sich mit der Frage der Ausscheidung des Eisens 
! aus dem Thierkörper beschäftigt haben, theilt Verf. seine eigenen 
Versuche mit. Dieselben wurden im Anschluss an die Untersuchungen 
von Kobert und Cahn angestellt, welche nachwiesen, dass die 
Verbindungen des Mangan, ebenso wie die übrigen schweren Metalle, 
durch die Schleimhaut des Darmcanals ausgeschiedeu werden. Die 
Versuche wurden in der Weise angestellt, dass die Organe von je 
zwei Vereucbstbieren auf ihren Eisengehalt untersucht wurden, nach¬ 
dem unter sonst gleichen Versuchsbedingungen dem einen derselben 
mehrere Tage vor der Tödtung eine bestimmte Menge Eisen durch 
subcutane Injection beigebracht worden war. Es werden im Ganzen 
nur zwei Versuche mitgetheilt. Das eine Mal handelte es sich um 
hungernde, das andere Mal um uicht hungernde Thiere. 

Verf. kommt auf Grund der analytischen Befunde zu folgenden 
Schlüssen, die freilich durch eine grössere Versuchszahl noch erhärtet 
werden müssen. Die Leber ist das einzige Organ, in welchem das 
in das Blut eingespritzte Eisen aufgesamraelt wird. In Folge dessen 
sei die Leber als ein Organ zu betrachten, zu dessen Functionen 
die Ausscheidung des Eisens aus dem Thierkörper gehöre. Dagegen 
i folge aus den vergleichenden Analysen des Verdauungscanals, dass 
j die Ausscheidung des Eisens aus dem Thieikörper durchaus nicht 
I durch die Darmwände geschehe, wie dies bei den übrigen schweren 
Metallen der Fall ist. Leo. 

Innere Medicin. 

b. 

Bolliuger. Ueber primäre Actinomykose des Gehirns 
beim Menschen. Münchner med. Wochenschrift 1887. No. 41. 

Eine 16 Jahre alte Ingenieursgattin erkrankte ein Jahr vor 
j dem Tode au heftigen Kopfschmerzen, zu denen sich eine Parese 
des linken Abducens hinzugesellt. Ein halbes Jahr vor dem Tode 
wird sie von einem gesunden Knaben entbunden. Der Kopfschmerz 
wird weiterhin immer heftiger, zudem stellen sich kurzdauernde 
Bewusstlosigkeitsanfälle ein. Am letzten Lebenstage tritt auch 
Erbrechen auf. Im Coina erfolgt der Tod. — Die Diagnose war 
auf Hirntumor gestellt worden. 

Bei der Section fand sich ein haselnussgrosser Tumor im 
3. Ventrikel; Hydrocephalus internus chronicus mit bedeutender 
Erweiterung aller Hirnhöhlen. Der Tumor enthielt eine eiweiss¬ 
haltige, mucinreiche Masse mit vielen Granulationszelleu und zahl¬ 
reichen charakteristischen Actinomycescolouieen. 

Dieser erste in München beobachtete Fall ist zugleich der erste 
Fall von primärer Actinomykose des Gehirns, welcher vom gewöhn¬ 
lichen Bilde der Strahlenpilzkrankheit noch dadurch abweicht, dass 
er im Gegensatz zu den häufiger producirten chronisch - eitrigen 
Processen eine exquisit geschwulstbildende Tendenz zeigt und 
keineswegs als abgekapselter Abscess aufzufassen ist. Er nähert 
sich also mehr dem Bilde der Actinomykose beim Rinde, wo der 
Pilz fast regelmässig ächte Granulome, geschwulstartige Bildungen 
hervorbringt. Dem entspricht auch der durchaus afebrile Verlauf. 
Wahrscheinlich ist die Erkrankung vom Ependym des dritten Ven¬ 
trikels ausgegangen. 

Bezüglich des Infectionsmodus. welcher in der Mehrzahl der 
Fälle garnicht festgestellt werden kann, dürfte in diesem Falle 
wahrscheinlich die Milch als Träger des Infectionsstoffes anzuschcu 
sein. Die Patientin hatte in den letzten Jahren längere Zeit hin¬ 
durch ungekochte Ziegen- und Kuhmilch genossen, zu welcher in 
den Stallungen sehr leicht der Aetinomycespilz sich mischen kann. 
Es ist auzunehmeu, dass derselbe wahrscheinlich in die Blutbahu 
eingedrungeu ist. ohne au der Invasiouspforte nachweisbare Spuren 
hinterlassen zu haben (Ref. hat gleichfalls in dem einzigen unter 
ziemlich zahlreichen Sectionen beobachteten und im II. Hefte seiner 
pathologischen Mittheiluugen beschriebenen Falle von Actinomykose 
des retroperitouealen Zellgewebes eine Eingangspforte nicht fest¬ 
stellen können.) Aufrecht. 

Kühn. Rudimentäre und larvirte Pueumouieeu, nebst 
ätiologischen Bemerkungen über Pneumouieinfectiou. Deutsch. Arch. 
für klin. Med. 1887. Decemberheft. 

Verf. bemerkt zunächst, dass vor nicht langer Zeit kein Gebiet 
der Pathologie in sich abgeschlossener und gefestigter erschien, als 
die Lehre von der Pneumonie. Erkältung war die Ursache, und der 
locale Eutzünduugsvorgaug die Wirkung. Bald aber fand mau eine 
Reihe von Pneuiuonieen. welche in den gewöhnlichen Rahmen nicht 


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198 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 10 


hineinpassten. Man half sich mit sogenannten spec. Formen. Es 
wurden nervöse, biliöse, primär asthenische und andere Formen von 
Trousseau, Mosler, Leichtenstern, Todd, Grisolle u. A. 
aufgestellt. 

Jürgensen erst stellte den Satz auf: Die croupöse Pneumonie 
ist eine allgemeine Krankheit, keine örtlich bedingte. Die Entzün¬ 
dung der Lunge ist nur ein Hauptsymptom; es lassen sich die 
Krankheitsphänomene nicht aus dem Örtlichen Leiden erklären. Die 
Annahme eines specifischen Krankheitserregers ist nothwendig. Die 
Pneumonie gehört also zur Gruppe der Infectionskrankheiten. Kühn 
erweiterte dann den Satz dahin, dass die Pneumonie zu manchen Zeiten 
nicht nur das Zeichen der Infectionskrankheit trage, sondern auch 
exquisit contagiös sei. Es giebt eine contagiöse Krankheit, welche 
unter dem für primär asthenische Pneumonieen verzeichneten Bilde 
einhergebt, die aber von der genuinen Pneumonie scharf abzu¬ 
grenzen ist. 

Auch der heutige Standpunkt unseres bacteriologischen Wissens 
hat uns noch zu keiner einheitlichen Auffassung der Pneumonielehre 
geführt, da über die specifische Wirkung der gefundenen Bacterien 
keine Einheit herrscht. 

Es werdeu dann die Arbeiten von Klebs, Eberth, Koch, 
Friedländer, Talamon, Fraenkel, Weichselbaum, Flügge 
u. A. kur/, erwähnt. 

Kühn wendet sich dann zu seinem Thema und bespricht im 
ersten Theile seiner Arbeit die rudimeutäre Pneumonie. 

Es handelt sich um eine Reihe ephemerer oder auch mehrtägiger 
Fiebererkrankungen, welche die charakteristischen Merkmale des 
Pneumoniebeginnes zeigen: hohes mit Schüttelfrost einsetzendes 
Fieber, Brechdurchfall, nervöse Erscheinungen, grosse Prostration 
der Kräfte, ziehende Schmerzen in der Brust etc., die aber mit 
einem plötzlichen Temperaturabfall wieder zur vollständigen Eu¬ 
phorie führen, ohne dass es zu einer durch noch so genaue Unter¬ 
suchung objectiv nachweisbaren Erkrankung des Lungengewebes, 
oder zu anderen Pneumonieerscheinungen kommt. Hustenreiz 
kann vorhanden sein oder fehlen, Sputa, wenn sie vorhanden sind, 
erscheinen vollkommen blutfrei. Dadurch unterscheiden sie 
sich von den sogenannten Abortivpneumonieen der Auto- - 
ren (Wunderlich, Leube, Jürgensen, See). 

Die Fälle von diesen rudimentäreu Pneumonieen häuften sich 
während einer im Jahre 1885 in der Moringer Strafanstalt beob¬ 
achteten Epidemie so, dass sie die Zahl der ausgebildeten Pneumo¬ 
nieen überstiegen. Angeführte Tabellen erläutern dies. Verfasser 
erwähnt ferner betreffs der Aetiologie, dass die Pneumonieinfec- 
tion um so leichter gelingt, je aggressibler das Individuum ist, 
dass das kräftigste Lebensalter deshalb am widerstandsfähigsten 
gegen die Infection ist, dass alle Lebeusverhältnisse, welche Gele¬ 
genheit zur Verwundung der Epithelien der Respirationsschleimhaut 
geben, so besonders gewisse Beschäftigungen in den Strafanstalten, 
zur Pneumonieinfection disponiren. Ferner hebt er hervor, dass 
die Erkältung in dem gewöhnlich damit verbundenen Sinne mit 
der Pneumonieerkrankung nichts zu schaffen hat. 

Bezüglich der rudimentären Pneumonieen macht er auf die That- 
sache aufmerksam, dass bei allen Infectionskrankheiten, Typhus 
Recurrens, Scarlatina, Variola etc. zu Zeiten einer Endemie oder Epidemie 
neben typischen mehr oder weniger schweren Fällen, so leichte Erkran¬ 
kungen Vorkommen, dass man eben nur zur Zeit der Endemie die 
Diagnose mit Sicherheit stellen kann. 

Bezüglich einzelner Symptome erwähnt er noch, dass Herpes 
labialis annähernd so häufig beobachtet wird, als bei ausgeprägten 
Pneumonieen. Im Fiebergange entsprechen die Rudimentärpneumo- 
nieen genau den Temperaturverhältnissen der Initialperiode ausge¬ 
bildeter Pneumonieen, das Fiebermaximum ist verschieden hoch, der 
Fieberabfall ist in der Regel sehr schroff und führt fast immer ein 
oder mehrere Tage zu subnormalen Temperaturen. In seltenen 
Fällen ist der Teraperaturabfall mehr lytisch, über 24—3f> Stunden [ 
sich ausdehuend. Bei Schweisssecretion ist ein Abfall meist sehr 
erheblich. Auffallend ist die grosse Erschöpfung, welche die 1—2tägigen 
Rudimentärpneumonieen hinterlasseu. Pathologisch anatomische Un¬ 
tersuchungen sind nur wenige gemacht worden. Wo es ohne Hirn- 
affectionen (conf. larvirte Pneumonieen im 2. Artikel) bei Rudimentär¬ 
pneumonieen zum Exitus letalis kommt, liegt entweder eine Functions¬ 
beschränkung wuchtiger, zur Ausscheidung pathogener Mikroorganis¬ 
men bestimmter drüsiger Organe (Nieren, Leber etc.) oder Herz¬ 
schwäche vor. Auffallend war, dass sich in den 3 tödtlich am 1. 
Tage endeuden Rudimentärpneumonieen, alte adhäsive Pleuritis im 
Bereiche fast der ganzen Lunge zeigte. Die Lungenlappen waren 
blutig ödematö8. Dem Verfasser gelang es auch in solchen ange¬ 
schoppten Parthieen Pneumoniemikroben in gleicher Weise wie in 
hepatisirten oder blos ödematösen Stellen bei ausgebildeten Pneu- 
monieen nachzuweisen. 


Kühn. Rudimentäre nnd larvirte Pneumonieen nebst 
ätiologischen Bemerkungen über Pneumonieinfection. 2. Theil. Deut¬ 
sches Arch. für klin. Medic. 1887. Decemberheft. 

Der Verfasser wendet sich zunächst gegen die Behauptung 
See’s, als ob die eiufache Pneumonie eine durch einen specifischen 
Mikroben erzeugte primäre locale Entzündung sei. Die spe¬ 
cifischen Krankheitserreger gelangen auf die Schleimhaut der Respi^ 
rationsorgane, haften und vermehren sich. Die Incubationszeit der 
Pneumonieinfection ist meist symptomlos, nur sensible Personen 
reagiren durch Prodrome. Letztere sind, wie bei allen Infections¬ 
krankheiten, Folgen der Einwirkung der durch die pathogenen Bac- 
terieen erzeugten Ptomalne auf das Centralnerveusystem. Je nach¬ 
dem nun die localen Entzündungserscheinungeu oder die Allgemein¬ 
wirkungen in den Vordergrund treten, gestaltet sich das Bild ver¬ 
schieden. Im ersteren Falle giebt es die schulgerechten Lungen¬ 
entzündungen, im anderen Falle die asthenischen oder nervösen 
Pneumonieen. Bei deu epidemischen Formen ist die Ptomainbildung 
eine reichlichere uud deletärere, als bei den sporadischen Fällen. 
Die typischen Formen der contagiösen Pneumonie zeigen nur das 
ausgeprägte Bild der Pneumonieinfection. Alle Pneumonieen sind 
local und inficirend, parasitär und contagiös, aber der Infections- 
process ist nur selten voll entwickelt, das Krankheitsbild ein sehr 
mannigfaltiges. 

Am constantesten, selbst bei den rudimentären Formen, sind 
immer die Ptoraamwirkungen, die Reizerscheinungeu des Central¬ 
nervensystems. Besonders bei cerebral afficirten Hysteroepileptischen, 
Epileptikern, Geisteskranken sieht man, auch bei rudimentär ver¬ 
laufenden Pneumonieen, ohne dass es zu einer nachweisbaren, 
schwereren Veränderung im Lungenparenchym kommt, mit unge¬ 
wöhnlich schweren epileptiformen Anfällen die Krankheit einsetzen. 
Es fehlt dann der Schüttelfrost. 

Aehnlich liegt die Sache bei Kindern. Es beginnt die Erkran¬ 
kung mit eklamptisühen Anfällen, daun kommt ein- und mehrtägiges 
Fieber, auf den Lungen lässt sich wenig oder gar nichts nach- 
weisen und doch handelt es sich um eine larvirte Pneumonie. 

Besonders lehrreich sind die Fälle bei Paralytikern, welche für 
pueumonische Infectionen ausserordentlich empfänglich sind. Kühn 
stellt den Satz auf: 

Die epileptiformen und apoplektiformen Anfälle der Paralytiker 
sind in der Regel die Initialsymptorae ausgebildeter oder rudimen¬ 
tärer Pneumonieen. Die febrilen Erscheinungen, welche solche An¬ 
fälle begleiten, sind pneumonische Infectionstemperaturen. 

Er weist ferner darauf hin, dass der Seitenschmerz der Pnen- 
mouiker schon häufig vor Beginn des Schüttelfrostes quälend auf¬ 
tretend, wie bei anderen Infectionskrankheiten auf toxischer Neu¬ 
ralgie der Intercostalnerven, nicht wie fälschlich angenommen 
wird, auf begleitender Pleuritis beruhe. Die Pneumonieneuralgieen, 
welche auch Gesichtsnerven betreffen können, ähneln darin den 
Malarianeuralgieen. Zuweilen äussern sich larvirte Pneumonieen 
durch Anginen, Laryngeal, Bronchialkatarrh. Auch viele Fälle von 
Pleuritis und Pericarditis sind nichts anderes als larvirte Pneu¬ 
monieen. Therapeutisch verwendet Kühn Calomel mit Jalapa im 
Beginn (mit Ausnahme der mit Gastrointestinalkatarrh complicirten 
Fälle). Er warnt mit Recht vor starken Antipyreticis, der plan¬ 
losen Darreichung der Digitalis und grossen Dosen Alkohol, auch 
ist er kein Freund der kalten Bäder. 

Bei hohen Temperaturen will er entsprechende Gaben Chinin,, 
kalte Abwaschungen, Eiscompressen angewendet wissen. Auch hält 
er von der Expectorantien nichts. Buchwald. 


XI. Therapeutische Mitteilungen. 

— Prof. A. Pribram, Vorstand der I. deutschen medicinischen Klinik 
in Prag giebt folgende Directive für die methodische Behandlung der 
Bauchielltubercnlo8e: 

1. Bauchfelltuberculose als untergeordnete , Theilerscheinung einer 
schweren, allgemeinen tuberculösen Erkrankung gestattet ausser einem rein- 
symptomatischen Verfahren, das gegen etwaige peritoneale Erscheinungen 
gerichtet ist, keine besondere Therapie. 

2. Rein peritoneale Fälle, bei denen nur geringfügige oder stillstehende 
Lungenaffection, Knochen-, Drüsenaffectionen u. s. w. vorhanden sind, und 
bei denen insbesondere keine Darmulceration nachweisbar ist, erfordern eine 
methodische Behandlung. Zuvörderst ist das hektische Fieber nach Mög¬ 
lichkeit zu bekämpfen (s. unten). Zu gleicher Zeit sind die Kranken an¬ 
fangs mit leichten Nährmitteln, worunter insbesondere Fettbildner nicht 
fehlen dürfen, später in der gewöhnlichen, kräftigen Weise zu ernähren. 
Bei gutem Ernährungszustände und Abwesenheit von Diarrhöen kann ein 
Versuch mit einem diuretiseben Mittel, in erster Reibe Adonis .vemalis 
gemacht, jedoch nicht lange fortgesetzt werden. Die Bauchdecken sind einer 
systematischen Inunction von Sapo viridis zu unterziehen. Tritt hierbei 
die erwünschte Resorption ein, so ist der Kranke hygienisch entsprechend 
zu behandeln. 

3. Zögert die Resorption, und ist es insbesondere nicht gelungen, nach 
etwa vierwöehentlichen methodischen • Versuchen des hektischen Fiebers 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


199 


$. März. 


Herr zu werden, dann ist die Frage der palliativen Incision aufzu¬ 
werfen und zu erwägen. Diese letztere wird statthaft sein, wenn der Fall 
im obengenannten Sinne ein rein peritonealer und eine Darmulceration aus¬ 
geschlossen ist Eine geringe Lungenaffection wird den Eingriff nicht 
absolut verbieten; ira Falle der Laparatomie werden beim weiblichen Geschlecht 
insbesondere die Tuben zu berücksichtigen und im Falle der Erkrankung 
mit zu entfernen sein. 

4. Ist die Diagnose zwischen Ovarialcyste und Bauchfelltuberculose 
zweifelhaft, so ist die probatorische Incision natürlich unter Mitberücksich¬ 
tigung der oben erwähnten übrigen Umstände angezeigt und empfehlens- 
werth. (Prager raed. Wochenschrift No. 35, 1887). 

— Derselbe Autor giebt in der nächstfolgenden Nummer der genannten 
Wochenschrift folgende Metliode der Behandlung des hektischen 
Flehen an. 

I. Hat man einen tuberculösen Kranken mit typisch wiederkehrendem 
Fieber vor sich, so constatire man zunächst, ob dieses seinem Typus und 
seiner Höhe nach dem tuberculösen Processe allein oder Complicationen 
desselben mit septischer oder pyämischer Infection entspricht. 

.2 Im ersten Falle mache man durch wenige Tage zwei stündliche, 
orientirende Messungen zur genaueren Erkenntniss des Fieberverlaufes im 
gegebenen Falle. 

3. Zwei bis drei hierauf folgende Tage genügen zur Erkenntniss der 
PräTentivgabe des Autipyreticums, ca. 0,2 g Antipyrin oder Acetanilid, 
welche man */a Stunde vor dem muthmaasslichen Eintritte der Fieberex¬ 
acerbation und dann stündlich so lange reicht, bis die Temperatur die Höhe 
von 38° nicht überschreitet, und zur Vorsicht auch noch 4—5 Tage nach 
dem gänzlichen Ausbleiben von Temperatursteigerungen. 

4. Schon mit der artificiellen Verringerung des Fiebers beginne man 

nach Zulass des Zustandes der Verdauungsorgane mit kräftiger Mästung des 
Kranken, welche nach gänzlichem Ausbleiben des Fiebers möglichst intensiv 
fortzusetzen ist. A. 

— Dr. Partzevsky in Moskau hat in 10 Fällen von Urämie (7 von 
parenchymatöser, 3 von interstitieller Nephritis) Natnun benxoioum ange¬ 
wandt in stündlichen Dosen, täglich etwa 3,5—7,0 g. Wo es innerlich 
nicht verabreicht werden konnte, gab er es als Klystier. Von den Patienten 
genasen 9, einer starb. Dr. Partzevsky kommt zu dem Schluss, dass das 
Mittel die urämischen Anfälle coupirt; die convulsivischen Erscheinungen 
verschwinden allmählich und machen einem tiefen Schlaf Platz, der in der 
Mehrzahl der Fälle durch Uebergang zum vollen Bewusstsein endigt. Giebt 
man das Salz beim Auftreten der ersten Erscheinungen (Kopfschmerz, Uebel- 
keit, PupillenerweiteruDg), so kann die Weiterentwickelung des Anfalls ganz 
ausbleiben, auch die Albuminurie verschwindet meistens vollständig damit. 
•'Brit. Med. Journ. Jan. 14. 1888.) R. 

— A. Resch. Ueber die Anwendung der Massage bei Krankheiten 
4er waiblleben Sexmalorgane. (Centralblatt für Gynäkologie 1887 No. 32.) 
Vert, Assistent an der chirurgischen Klinik in Greifswald, hatte Gelegenheit, 
auf der Klinik des Geh. Rath Prof. Schultze in Jena die ganze Behand¬ 
lungsweise Brandts kennen zu lernen und sich in Stockholm die noth- 
wendigen technischen Fertigkeiten anzueignen. Nach seinen Erfahrungen 
geben folgende Affectionen der weiblichen Genitalorgane durch Massage- 
bebaadlung vorzügliche Resultate: 

I. Chronische und subacute Entzündungen des Beckenzellgewebes und 
daraus resultirende Dislocation des Uterus oder seiner Adnexe. 

11. Haematocele retro-uterina. 

III. Chronische Metritis. 

IV. Erschlaffung der Befestigungsbänder des Uterus, Descensus und Pro¬ 
lapsus uteri. 

Absolut contraindicirt ist die Anwendung der Massage bei acuter 
Pelveoperitonitis, bei gonorrhoischen Affectionen der Uterusadnexe, bei 
acuter Metritis. Mit der Localbehandlung sind, besonders bei chronischer 
Metritis mit häufig auftretenden starken Blutungen, gymnastische Bewegungen 
zu verbinden. Des Weiteren legt Verf. dar, wie es auf diese Weise mög¬ 
lich ist, einen jahrelang prolabirten Uterus wieder in seine Lage zu bringen 
und ohne Colporrhaphie in derselben zu erhalten. A. 

— v. Campe. Ein Beitrag zur Therapie des Prnritns vulvae. 
'Centralblatt für Chirurgie 1887 No. 33.) Bei teiner Frau von 53 Jahren, 
welche über ungemein heftiges Jucken in der Vulva, den Schenkel beugen, 
am Damm und Anus klagte, waren alle von den verschiedensten Aerzten 
fegen dieses Leiden angewendeten Heilmethoden, besonders Ausspülungen 
des Uterus und der Scheide, tägliche Sitzbäder, Excision grosser Stücke Haut, 
an denen das Jucken am unerträglichsten war. wirkungslos geblieben, 
v. Campe versuchte zuerst neben den früher gebrauchten Mitteln Unna’- 
sebea Salicylsalbenmull und Cocain, ohne jedoch eiben längeren als wenige 
Standen dauernden Erfolg erzielen zu können. Zeichen von Syphilis nicht 
vorhanden; im Urin kein Zucker und kein Eiweiss. Nach dem Vorgang von 
Black wood wendete Verf. dann den galvanischen Strom (6—10 Elemente 
des kleinen Spamer’schen Apparates) und zwar mit dem besten Erfolge 
an. Der Zustand wurde täglich besser, und nach etwa 15 Sitzungen von 
10 Minuten langer Dauer war die Frau von ihrem Leiden fast ganz 
befreit. A. 

— In der Gazette de Gynecologie vom 1. August 1887 räth Verrier 
zu folgender Mischung gegen hartnäckige Fälle von Pruritus vnlvae 
Acid. carbol. solut. 0,5 
Morphii acet. 0,4 
Arid, hydrochlor. dilut. 3,0 
Glycerin. 10,0 
Aq. destill. 120,0. 

Man tauche in diese Flüssigkeit einen Schwamm, wasche damit die 
juckende Stelle oder drücke diesen aus und bringe ihn an die afficirten 
Theile. Bo. 


XII. Julius Schiffer +. 

Am 13. December 1840 zu Pelsohowitz in Schlesien geboren, 
studirte Schiffer in Berlin, die letzten beiden Semester in Breslau 
und wurde dort nach abgelegter ärztlicher Staatsprüfung Assistent 
an der von Middeldorff geleiteten chirurgischen Universitätsklinik. 
Nach dem Kriege gegen Oesterreich verlegte er, von seiner 
Breslauer Thätigkeit, wie es scheiut, nicht ganz befriedigt und von 
dem inneren Drange nach weiterer theoretischer Ausbildung ge¬ 
trieben, seinen Wohnsitz nach Berlin. Ohne die klinischen Fächer 
zu vernachlässigen, ergab er sich hier in dem alten physiologischen 
Laboratorium, auf Anregung von E. du Bois-Reymond, bei dem 
er schon als Student gearbeitet hatte, und unter Leitung von J. Ro¬ 
se nthal, hauptsächlich physiologischen Studien. Aus dieser Zeit 
stammen seine schönen Mittheilungen „Ueber die Temperaturerhöhung 
bei der Blutgerinnung“ (Centralbl. f. d. med. Wiss. 1868), „Ueber 
die Wärmeentwickeluug bei Entstehung der spontanen Muslcelstarre“ 
(Arch. f. Anat. u. Physiol. 1868), sowie eine grössere Arbeit „Zum 
Verständniss des Steuson’sehen Versuches“ (ebenda, 1870). Hier 
führte er den bedeutsamen Nachweis, dass die beim Warmblüter 
nach Unterbindung der Bauchaorta oberhalb der Nierenarterieu fast 
momentan auftretende Lähmung der Hiuterbeine auf die Absperrung 
der Blutzufuhr durch die Spinal arte rien zu den Ganglieu des uuteren 
Rückenmarksabschnittes zurückzuführen ist. Wie Schiffer fand, 
sind auch die Sphinkteren der Blase und des Mastdarmes gelähmt, 
während die direCte Bewegung der gelähmten Muskeln noch 
Zuckungen auslöst. 

U Der Krieg gegen Frankreich unterbrach seine wisseuschaftlichen 
Arbeiten; als Assistenzarzt machte er den ganzen Feldzug mit 
und kehrte 1871 mit dem eisernen Kreuz geschmückt — aber 
zugleich die Keime einer langwierigen schweren Neph¬ 
ritis in sich tragend, zurück. Die klinische Medicin trat 
nunmehr in den Vordergrund seines Interesses, um so mehr, 
als er im Jahre 1871 Assistent an der von Joseph Meyer ge¬ 
leiteten Universitätspoliklinik wurde; daneben trieb er mit Vorliebe 
physiologische und pathologische Chemie. Bei letzteren Studien war 
es, wo ich ihtn — inzwischen hatte er sich als Docent für specielle 
Pathologie und Therapie habilitirt — 1875 zuerst auf dem Sal- 
kowski’sehen Laboratorium begegnete. Ungeachtet seiner Albumi¬ 
nurie, zeitweiligen Oed erneu, anhaltenden Kopfschmerzeu und wieder¬ 
holtem urämischen Erbrechen arbeitete er hier mit bewundernswerther 
Ausdauer fort. Aus dieser Zeit stammt eine Mittheilung „Ueber das 
Verhalten der Ammonsalze im Organismus“ (Zeitschr. f. physiol. 
Chem. I). Wenn noch in der Folge eine erfreuliche Besserung 
seines Leidens und in seiuem Gesammtbefinden eintrat, so fühlte er 
doch, dass er der aufreibenden Thätigkeit eines Arztes in Berlin 
nicht ganz gewachsen war, Im Sommer 1878 übte er zuerst in 
Carlsbad ärztliche Thätigkeit aus. Nach vorübergehender Besserung 
seines körperlichen Befindens traten vor 4 Jahren zuerst Bewegungs¬ 
störungen auf, die sich weiterhin immer mehr zu dem Bilde einer 
Paralysis agitans entwickelten und ihn zwangen, seine badeärztliche 
Thätigkeit aufzugeben. In dieser durch Jahre währenden, schweren 
Prüfung war die aufopfernde Pflege seitens der liebenden Gattin 
geradezu bewundernswerth. Obwohl kürzlich mehr und mehr ge¬ 
brochen, nahm Schiffer die ganze Zeit hindurch regen Geistes an 
den Sitzungen der Medicinischen, Physiologischen u. a. Gesellschaften 
Theil, ja er versuchte noch zeitweilig auf dem Laboratorium zu 
arbeiten. Noch zwei Tage vor dem Ausbruch der acuten Pneu¬ 
monie, der er innerhalb drei Tagen (am 27. Februar Morgens 1 Uhr) 
nach langer Agone erlag, sahen wir ihn, ein Bild des Elends, schwan¬ 
kenden Ganges in der Sitzung der Medicinischeu Gesellschaft. 
Schiffer war als Arzt und Mensch vielseitig gebildet, von scharfem 
kritischem Verstände, mehr receptiv als productiv veranlagt, von 
edler lauterer Gesinnung, von strenger Gewissenhaftigkeit und Pflicht¬ 
treue. Er erfreute sich allgemeiner Achtung und Werthschätzung, 
wofür die stattliche Versammlung hochangesehener ärztlicher Collegen 
Zeugniss ablegte, welche seiue Bahre umstanden. 

Von kleineren Mittheiluugen sind noch erwähneuswerth „Ueber 
das Saccharificirungsvermögen des Speichels der Neugeborenen“ 
(Arch. f. Anat. u. Physiol. 1882); „Ueber das Vorkommen von Methyl¬ 
amin und Methylharnstoff im Harn“ (Zeitschr. f. Physiol. Chem. IV); 
„Ueber das Verhalten von Sarkosin im Thierkörper“ (ebenda V und 
VIII); „Ueber die Wirkung des (von C. Sachs aus Südamerika mit¬ 
gebrachten) Guachamachagiftes“ (Verhdlg. d. physiolog. Gesell. 1881/2); 
„Ueber die toxische Substanz ira Ham“ (diese Wochenschr. 1883. 
No. 26). 

Ehre dem Andenken des vielgeprüften, ernsten For¬ 
schers und des gewissenhaften Arztes! J. Munk. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 10 


200 


Xm. Die Krankheit des Deutschen 
Kronprinzen. 

Das letzte Bulletin des ..Reichs-Anzeiger" lautet wie folgt: 

San Rerao, 6. März. 11 Uhr Vormittags. 

.,Gegenüber den in der Presse verbreiteten Gerüchten von Mei¬ 
nungsverschiedenheiten unter den behandelnden Aerzten Sr. Kai¬ 
serlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen des 
Deutschen Reichs und von Preussen erklären die Unterzeichneten, 
dass hinsichtlich der Natur und Beurtheilung der Krankheit eine 
solche unter ihnen nicht besteht. Ebenso wenig ist von ihnen die 
Nähe einer gefährlichen Wendung des Leidens behauptet worden. 
Die einheitliche, verantwortliche Leitung der Behandlung befindet 
sich wie vor der Operation in den Händen des mitunterzeichneten 
Sir Morell Mackenzie. An die Zeituugeu des In- und Auslandes 
richten die Aerzte noch einmal im Interesse des hohen Kranken 
und der Völker, die ihn hochachten, lieben und verehren, die Bitte, 
sich jeder Discussion über die Krankheit Höchstdesselben oder über 
die bei der Behandlung angewandten Methoden und Instrumente zu 
enthalten. Die örtlichen Störungen im und am Kehlkopfe Sr. Kai¬ 
serlichen und Königlichen Hoheit haben sich wesentlich nicht ver¬ 
ändert, die Wunde ist geheilt, die Cauülen liegen gut, die Lungen 
sind gesund, Husten und Auswurf wurden geringer. Der Kräftezu¬ 
stand ist ein befriedigender, der Appetit im Zunehmen begriffen, 
Verdauungsstörungen sind nicht vorhanden, ebensowenig Schmerzen 
beim Schlucken oder Kopfweh. Der Schlaf hält ununterbrochen 
Stunden lang an. Da die Mission des Geheimen Raths von Berg¬ 
mann beendet ist, wird er demnächst abreisen. 

Mackenzie. Schräder. Krause. Hovel), 
von Bergmann. Bramann." 

Mit nur wenigen Ausnahmen hat die Deutsche Fachpresse seit 
dem Erscheinen des ersten Virchow’schen Gutachtens die Discussion 
über die Krankheit des Kronprinzen vermieden, und es steht zu 
erwarten, dass dem in dem obigen Bulletin enthaltenen Appell an 
die Zeitungen des In- und Auslandes, sich aller weiteren Erörterun¬ 
gen über die Krankheit des Kronprinzen oder über die bei der Be¬ 
handlung angewandten Methoden und Instrumente zu enthalten, im 
Interesse des hohen Kranken entsprochen werden wird. 

Diejenigen Punkte, welche die Zeitungen in jüngster Zeit leider 
besonders discutirten, erweisen sich als vollständig gegenstandslos, 
da die verbreiteten beunruhigenden Gerüchte über etwaige, durch 
eine unzweckmässige Canüle gesetzte Schädlichkeiten durch das 
obenstehende Bulletin als grundlos hingestCllt sind, und letzteres auch 
des Weiteren bestätigt, dass hinsichtlich der Natur und der Behand¬ 
lung der Krankheit kein Zweifel besteht. 


XIV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Am 7. d. M. traten, auf Anregung des Vorsitzenden des 
Aerztevereinsbundes und Mitgliedes des Abgeordnetenhauses Herrn Sanitäts¬ 
rath Dr. Graf, die ärztlichen Mitglieder der parlamentarischen Körper¬ 
schaften mit den Berliner Mitgliedern des Vorstandes der Aerztekammer 
für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin, sowie Herrn Geh. 
Medicinalrath Dr. Pi stör zu einer Berathung über die gegen das Ge- 
heimmittelunwesen einzuschlagenden Wege zusammen. 

— Seitens des Cultusministers ist Herrn Dr. M. Joseph einer der 
dem Ministerium zur Verfügung stehenden Plätze in der zoologischen 
Station des Professors Dr. Dohm in Neapel angewiesen worden. Herr 
Dr. Joseph wird daselbst seine im hiesigen physiologischen Institut 
gemachten Untersuchungen über das Nervensystem bei Torpedo marmorata, 
welche er jüngst in der physiologischen Gesellschaft demonstrirt hat, j 
weiter fortsetzen* 

— Würzburg. An Stelle des in den Ruhestand getretenen Prof, j 
Scanzoni ist Professor Dr. Fritsch in Breslau von der Facultät und ] 
dem Senat primo loco vorgeschlagen worden. 

— Für die am 21., 22. und 23- Mai in Würzburg tagende II. V'er- j 
Sammlung der Anatomischen Gesellschaft sind folgende Referate , 
in Aussicht genommen. Ueber Cänogenese (Ref. Herr Gegenbaur); j 
l'eber die Lage der weiblichen Beckenorgane (Ref. Herr K. Barde- I 
leben). Vorträge haben bis jetzt die Herren His und K oll mann an¬ 
gemeldet. 

— Die nächste Versammlung des Internationalen Vereins gegen t 
den Missbrauch geistiger Getränke wird im Jahre 1889 in Chri¬ 
st i a n i a stattfinden. 

— Der nächste ordentliche Verbandstag der Deutschen Berufs- 
genossenschaften wird am 7. Mai d. J. in Köln statttinden. Auf der 
Tagesordnung der Versammlung steht u. a. ein Antrag der Berufsgenossen¬ 
schaft der chemischen Industrie, betreffend eine Vereinbarung mit dem 
Deutschen Aerztetag über die Erstattung ärztlicher Gutachten. 

— Von dem von dem Redacteur dieser Wochenschrift herausgegebenen 
Jahrbuch der praktischen Medicin (Stuttgart, F. Enke) ist soeben 
der erste Halbband des Jahrganges 1889 erschienen. Derselbe umfasst die 
Abschnitte: Anatomie, Physiologie, Pathologische Anatomie, Chirurgie und i 
Innere Medicin. 


— Wieder werden eine Reihe von Fällen mitgetheilt, in denen In- 
1 dividuen, die von tollen Hunden gebissen wurden, trotzdem sie den 
| Pasteur’schen Schutzimpfungen unterzogen wurden, der Wuth erlagen: 
i J. Mazoyer (St. Albain) 4 Jahre alt, wurde am 6. December v. J. gebissen, 
vom 12. December 1887 bis 7. Januar 1888 im Institut Pasteur be¬ 
handelt, starb am 22. Januar an der Wuth. — Frau Delpech (Paris), 
52 Jahre alt, wurde am 23. Januar d. J. gebissen, von da bis zum 29. Januar 
im Institut Pasteur behandelt, starb am 17. Februar an der Wuth. 
(Sem. med.) 

— Nach Mittheilungen von Mr. Rite hie, die am 16. Februar im 
Englischen Parlament gemacht wurden, betrug während 10 Jahren die 
Durchschnittszahl der in England und Wales an Hundswuth 
verstorbenen Personen jährlich 40, in London von 1878—1887 jährlich 
durchschnittlich 7. Im Jahre 1885 starben in England und Wales 60 Per¬ 
sonen an Hundswuth, davon 27 in London, 1886 betrug die Zahl 26, 
davon 9 in London. 1887 seien in London nur 2 Todesfälle aus gleicher 
Ursache vorgekommen, die Totalziffer für England und Wales für 1887 fehlt. 

— Professor Cantani hat eine neue Form von infectiöser 
Pneumonie entdeckt. Die Krankheit begann in dem von ihm beobach¬ 
teten Fall mit diffuser Bronchitis, dann folgte Broncho-Pneumonie mit 
remittirendem und sehr ausgesprochenem Fieber, erheblicher Abmagerung 
und beträchtlicher Milzvergrösserung. Die Krankheit war ansteckend und 
bestand in einer Primäraffection der Bronchien, die sich abwärts in die Lungen 
; und öfter auch über die Pleuren verbreitete, nach aufwärts Trachea, Larynx 
| und Pharynx ergriff. Man fand dabei zahlreiche Diplococcen und besonders 
: Streptococcen ähnlich den beim Erysipel / gefundenen. Subcutan injicirt 
führten die Reinculturen jedoch nicht zum Erysipel. Unter die Haut eines 
Kaninchenohres eingespritzt, führten sie nur zu localer Röthung und Schwellung. 
Alle Fälle verliefen günstig. 

— Cerebrospinalmeningitis. In der Provinz Hiroshima (Japan) 
herrschte 1887 die Cerebrospinaimeningitis in grosser Ausdehnung. Den 
| Ausgangspunkt bildete die Marinestation in der Hafenstadt Kure, wovon 
i die daselbst gebräuchliche Bezeichnung Kure-Krankheit herrührt. 

I (Chiigai Iji Shiupö No. 174, 1887). 

— Universitäten. Zürich. Dr. Suchanneck hat sich als Privat- 
' docent in der medicinischen Facultät habilitirt. 


Berichtigung. 

ln dem Aufsatze des Herrn Dr. Pick zu Coblenz „Zu den Thesen 
des Preussischen Medicinalbeamteuvereins, Erwiderung auf 
Dr. Wiener’s Impfung und Interessenpolitik der Kreisphy¬ 
siker“, welcher in No. 6 der Deutschen medicinischen Wochenschrift vom 
7. Februar d. J. veröffentlicht ist, findet sich folgende Aeusserung: „Und 
wenn wir nun vollends die Mittel und Wege, welche der Preussische Medi- 
cinalbeamtenverein zur Herbeiführung der als nothwendig erachteten Re¬ 
formen eingescblagen hat — Absendung von Deputationen au den Reichs¬ 
kanzler und Cultusminister, Petitionen an die beiden Häuser des Landtages 
— mit demjenigen Verfahren vergleichen, welches die Handel- und Ge¬ 
werbetreibenden zur Erreichung ihrer Ziele zu befolgen pflegen, so dürfte 
die Bezeichnung Interessenpolitik ganz gewiss am richtigen Platze sein.“ 

Dieser irrthümlichen Aeusserung gegenüber halte ich als Vorsitzender 
des genannten Vereins mich für verpflichtet, auszusprechen, dass der Verein 
die von Herrn Pick ihm imputirten Wege niemals betreten und überhaupt 
weder jemals Deputationen entsendet, noch Petitionen eingereicht oder 
irgend ein anderes agitatorisches Verhalten angenommen, sondern sich be¬ 
züglich seiner sämmtlichen Verhandlungen darauf beschränkt hat, dieselben 
in Eulenberg’s Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medicin und öffentliches 
Sanitätswesen zu veröffentlichen und den an der Spitze der Medicinalver- 
waltung stehenden hohen Beamten Sonderabdrücke mittelst Anschreibens zu 
überreichen, wie es die Ordnung und der Anstand erfordert. In den Be¬ 
richten über die Verhandlungen der in den Jahren 1886 und 1887 abge¬ 
haltenen Hauptversammlungen (s. Eulenberg’s Vierteljahrsschrift, Neue 
Folge XLVI, 1, p. 85 bis 87 und XLVIII, I, p. 1) ist dieses Verhalten des 
Vereins übrigens mit so klaren und deutlichen Worten dargelegt, dass es 
für Herrn Pick nicht schwierig gewesen wäre, sich vor dem in Rede stehen¬ 
den Irrthum zu bewahren. 

Potsdam, 5. März 3888. Dr. Kanzow. 


XV. Personalien. 

Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Auszeichnung: Der a, o. Prof, an der Univ. München, Dr. M. J. Oertel 
durch den Titel eines K. Hofrathes, die Badeärzte Dr. H. Stifler in Steben 
und Dr. A. Wehner in Brückenau durch Titel eines Kgl. Brunnenarztes. 

Ernennung: Der prakt. Arzt Dr. H. Heinzeimann in Kaufbeuern 
zum IV. Ass.-Arzt der Kr.-Irreu-Anst. in München, der Direktor der Kreis- 
Irren-Anstalt Deggendorf. Dr. A. Bumm zum Direktor der Kr.-Irr.-Anst. 
in Erlangen. Bez.-A. I. CI. Dr. J. Bayerl zum Bez.-A. I. CI. in Cham, 
Bez.-A. I. CI. Dr. R. Sieger in Bayreuth zum Mitglied des Kr.-Med.-Aussch. 
von Oberfranken. 

Niederlassung: Der prakt. Arzt H.- Aumüller in Weissenstadt. 
Appr. A. J. Pauly ip München. Dr. F. Kohl er in Bodenwöhr, Dr. Fr. Müller 
und appr. A. J. Graf in Berching. Dr. J. Ochsenkühn in Tarsberg. 

Verzogen: Dr. P. Staudach er von München nach Schwabhausen. 
Bez.-A. a D. Dr. J. Mayer von Amberg nach München, Dr. v. Dessauer 
von München nach Greifswald. Dr. Sandtner von Parsberg nach Osten¬ 
burg. Dr. 0. L. Gmehling von Kronach nach Gerolzhofen. Dr. E. Weber 
von Weisseuhoru nach Kronach. 

Gestorben: Bez.-A. II. CI. Dr. V. Mahler in Weissenhorn. Bez.- 
Ger.-A. a. D. Dr. Hagen in Windsheim. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der 
öffentlichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 


Vierzehnter Jahrgang. 

Redaeteur Sanitäts-Rath I)r. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 

Wilhelm I f. 

Die Welt betrauert den Tod Kaiser Willielm's, vor dessen Grösse Freund und Feind in 
Ehrfurcht sich beugen. Sein ruhmvoller Name ist geehrt von allen Nationen. In den Herzen des 
Deutschen Volkes wird das Andenken seiner Erhabenheit und Güte für ewig fortbestehen. 

Wie er mit Heldenkraft Deutschland geeinigt hat, so war das Deutsche Volk einig in der 
tiefsten Verehrung, in der treusten Hingebung für seinen Kaiser. Mit grenzenloser Liebe hing es an 
ihm. und von gleicher Kümmerniss umfangen trauert es in unstillbarem Schmerz. 

Die Herrschertugenden dieses erhabenen nationalen Helden und seine edle Menschlichkeit waren 
das Band, welches das Deutsche Volk mit seinem grossen Kaiser unauflöslich verknüpft hat. Seine 
Thaten sind eingetragen in das Buch der Geschichte. In seinem Namen ist verkörpert, was unsere 
Nation gross gemacht und ihre Stellung unter den Völkern begründet hat — sein Name ist das geeinte 
Deutschland, das grosse, das mächtige Deutsche Reich. Sein Name bedeutet die Verwirklichung lange 
gehegter Hoffnungen und Ideale, bedeutet die Sühne langjähriger Schmach, welche auf dem Deutschen 
Volke gelastet hat. 

Das Buch der Geschichte wird weiter erzählen, wie Kaiser Wilhelm das heiss und siegreich 
Eirungene gesichert und gefestigt hat, wie er mit der Begründung des mächtigen Deutschland Europa 
den Frieden gegeben hat, wie er der Träger der Cultur des neunzehnten Jahrhunderts geworden. 
Welchen Aufschwung haben Kunst und Wissenschaft genommen! Wie viele Stätten sind unter seinem 
Schutz der Forschung und ihrem Gedeihen auf allen Gebieten des Wissens und der Wohlfahrt der 
Menschheit geweiht worden! Er hat getreulich gehalten, was er in jener denkwürdigen Kaiserpro- 
clamation vom 18. Januar 1871 sich vorgezeichnet: „Uns aber und Unseren Nachfolgern an der 
Kaiserkrone wolle Gott verleihen, alle Zeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriege¬ 
rischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Heben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler 
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“ 

Die Werke Kaiser Wilhelm’s haben feste Wurzeln geschlagen, und in der fernsten Geschichte 
wird er als Muster des Regenten und des edlen, reinen Menschen dastehen. 

Doch dahin ist der Hort des Deutschen Reiches, der liebende und sorgsame Vater des Deutschen 
Volkes, und hart — hart betroffen sind die Schützlinge seiner grossen Familie. 

Nur einen Trost linden wir in unserem Schmerz: Die Grösse, die Tugenden, die Werke Kaiser 
Wilhelm’s sind mit ihm nicht erloschen. Sein Beispiel wird fortleben und ein heiliges Vermächtniss 
bleiben den nachfolgenden Geschlechtern. S. Guttniann. 


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DEUTSCHS MKDIC1N1SCIIB WOCHENSCHRIFT. 


So. 1 1 


202 


I. Zur Klärung in der Puerperalfieberfrage. 

Von Prof. Heinrieh Fritsch in Breslau. 

I. 

Es macht einen eigentümlichen Eindruck, dass die Geburts¬ 
helfer schein har noch nicht über den Infectiousmodus bei den 
Wochenbettkranklieiten einig sind. Während in der Chirurgie die 
Billro th’schen Ausdrücke Contact- und Spontan-Iafection sich ein¬ 
geführt haben, streiten sich die Geburtshelfer noch um das Wort 
„Selbstinfection.“ Die Einen beziehen fast alle Fälle von fieber¬ 
haften Wochenbettserkrankungen auf die Selbstinfection, ja sie 
diagnosticiren geradezu Selbstinfection als eine Krankheit, während 
Andere sagen: „Selbstinfection giebt es nicht ! 14 Betrachtet inan 
die Sache genau, so sind wir Alle derselben Meinung, und das 
Wort, der Name ist es, der dem Einen passend dem Anderen un¬ 
passend erscheint. 

Darüber dürfte wohl kein Zweifel mehr sein, dass Iufections- 
stoffe weder im gesunden Blute, noch in den intacteN Geweben 
sich nachweisen lassen. Fleischstücke und Blut, dem lebenden 
gesunden Organismus mit bacteriologischer Sachkeuntniss 
entnommen und am sterilen Orte aufbewahrt, verfaulen nicht. Wer 
das Gegentheil auuimmt oder durch Experimente beweisen will, 
beherrscht ebeu die Technik nicht. Freilich bei der grossen Neiguug 
in der Baeteriologie zu dilettireu, werden falsche Behauptungen 
gerade in dieser Specialität auch fernerhin häufig sein. 

Fasst man also das Wort Selbstinfection so auf, dass in dem Kör¬ 
per selbst das inficireude Agens vorhanden sei, dass also eine Wöch¬ 
nerin, ohne irgend einen von aussen au sie gelangenden Coccus eine 
bactcrielle Krankheit bekommen könnte, so ist diese Ansicht natür¬ 
lich falsch, und mau ist berechtigt zu sagen: Selbstinfection ist ein 
Unding! 

Fasst mau aber die Selbstinfection so auf, dass man damit die 
Fälle bezeichnet, wo die Schuld eines Dritten fehlt, nimmt man 
an, dass nicht durch einen in den Körper eiugeimpfteu Infcctions- 
stoff die Infeetion entsteht, sondern dass die aussen an der Körper¬ 
oberfläche oder innen an der Scheidenoberfläche haftenden Coccen 
in eine puerperale Wunde gelangen, die Wundsecrete zur Fäulniss 
bringen, Ptomaine bildeu und Resorptiousfieber bedingen, so ist na¬ 
türlich diese Selbstinfection der häufigste Infectionsmodus. Man ist 
bei dieser Interpretation des Wortes berechtigt zu sagen: Selbstin¬ 
fection ist die häufigste Ursache der Wochenbettkrankheiten. 

Die andere Art der Infeetion ist diejenige, wo direct durch die 
Hand oder das Instrument des Operateurs eine infectiöse, Masse in 
die Wunde eingeimpft oder in dem Wundsecret depouirt wird. 
Nennt mau nur diese Fälle „Infeetion von aussen“ so ist dieser 
Iufeetionsmodus natürlich heutzutage selten. Fast unmöglich bei 
einem strengen Antiseptiker, und schwer denkbar bei einer Hebe- 
amme, die mit kranken Wöchnerinnen und mit Kranken überhaupt 
nichts zu thun hatte. 

Nennen wir aber einen Infectionsfall deshalb Infeetion von 
aussen, weil ja im gesunden Körper, in dem verwundeten Gewebe 
selbst kein Infectionsstoff sich befand, sondern weil auch die Fäul- 
uissbacterien und überhaupt alle Bacterien erst ausserhalb eines 
Körpers waren, ehe sie in ihn gelangen und in ihm wachsen, so 
gehören zu dieser Infeetion überhaupt alle Infectionsfällc. Wir sagen 
dann: Infeetion von aussen ist die Regel! Selbstinfection giebt es nicht! 

Es läge nun nahe, einmal zu bestimmen, wo die Grenze zwischen 
dem „Selbst“ und dem „Aussen“ liegt. Ist „Aussen“ Alles, was 
nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch ausserhalb des Körpers 
liegt, so wäre also z. B. eine Abscessbildung in der Blasenwand bei 
Cystitis, eine eitrige Periproctitis, ein übelriechender Abscess im 
Munde und ein Infarct bei Pyämie eine „Selbstinfection“. Und doch 
wird Jedermann meinen, dass die Coccen, welche diese Krankheiten 
zu Stande brachten, vou aussen in den Körper kamen, z. B. bei 
dem Abscess in der Blasenwand durch unreinliche Katheterisation! 

Wir müssten demnach die Grenze überall da zu suchen haben, 
wo eine intaete Oberfläche mit der natürlichen Epitheldecke liegt. 
Was also z. B. in der Scheide oder ira Cervix oberhalb der Epi¬ 
theldecke resp. auf ihr liegt, befindet sich ausserhalb des Körpers 
und bewirkt eine Infeetion von aussen. Was unterhalb der intacten 
Oberfläche, ohne Commuuication mit dem „Aussen“, sich befindet, 
liegt im Körper „selbst“. Nun ist aber klar, dass keine dieser 
Körperoberflächen innerhalb und ausserhalb frei von Fäulnissbac- 
terien ist. Tritt eine Verwundung ein, bildet sich dabei Wundsecret, 
entsteht eine, wenn auch gering ausgedehnte Abtödtung des ver¬ 
wundeten Gewebes, so werden die überall vorhandenen Bacterien in 
dieser geeigneten Nährflüssigkeit einen Boden für ihr Wachsthum 
finden. Denn weder Scheide noch Portio werden so steril je sein, 
wie z. B. ein aus dem Körper selbst, unterhalb der Epitheldecke 
entnommenes Stück Gewebe. 

Wir sehen also, dass bei unseren heutigen Anschauungen mit 
dem Worte Selbstinfection und Infeetion von aussen wenig zu 


machen ist. Eine Eintheilung konnte wohl Semmelweiss auf 
diese Worte basiren, jetzt wird es unmöglich sein. Dies ist auch 
unbewusst dadurch anerkannt, dass fast alle Autoren, die sich mit 
der Frage beschäftigten, eine neue Nomeuclatur zu begründen und 
zu erfinden suchten. So sprach ich vor Jahren von direkter und in¬ 
direkter, von primärer und secundärer Infeetion, so erfand Mikulicz 
die jedenfalls bessere Bezeichnung: Spontan- und Contactinfection. 

Andererseits hat mau bei fortschreitender Erkeuutuiss der In- 
fectionskrankheiten immer mehr den Standpunkt gewonnen, dass 
bestimmte Coccen stets bestimmte Krankheiten erzeugen. Nach mo¬ 
dernen Anschauungen gehört zur Bestimmung einer Species von 
Coccen unbedingt das Experiment, welches nachweist, dass stets eine 
ganz bestimmte Reaction der Gewebe auf die Infeetion mit dem be¬ 
stimmten Coccus eintritt. Es schien uns deshalb möglich, die Puer¬ 
peralkrankheiten nach der Art oder Eigenschaft oder der Wirkung 
der inficirenden Coccen einzutheilen. Ich wählte nach jahrelanger 
Ueberlegung die Namen: Nichtpathogene und pathogene Infeetion. 

Indessen muss ich zugeben, dass auch diese Unterscheidung 
manches gegen sich hat. Wenn z. B. bei einer Entbindung ein 
grosser Einriss in die Portio und die Scheide entsteht, wenn die 
Wunde durch eine unreine, mit Bacterien bedeckte Oberfläche ver¬ 
läuft, wenn die Secrete und die Wuudfläche inficirt werden, wenn 
demnach diese Infeetion bei der schwierigen Localität, bei der Un¬ 
möglichkeit spontaner Reinigung und spontanen Abflusses zu einer 
fortschreitenden Entzündung Veranlassung giebt, so tritt Lebens¬ 
gefahr ein. Wenn also bei grosser Ausdehnung der Wunden und 
der Übeln Eiterung schliesslich der Organismus dieser von Anfang 
an nicht pathogenen Infeetion erliegt, so kann man doch den 
Vorgang nicht als etwas Harmloses auffassen! Freilich haben wir 
damit nichts dem Puerperium Besonderes beschrieben. Auch eine 
grosse Maschinen- oder Schussverletzung des Fusses führt zu Gangrän, 
auch hier bildet sich, da eine unreine Oberfläche verwundet wird 
und mit dem abgetödteten Gewebe communicirt, Jauchung und In- 
fection. Nur kann man das Bein abschneiden und dadurch den 
Iufectionsherd vom Körper ausschliessen. Die puerperalen Wunden 
dagegen sind nicht abzutrennen! Hier in dem natürlichen Brütofen 
der Scheide und des Uterus wird die Fäulniss, ohne Therapie, fort¬ 
schreiten; werden durch das Wachsen der Bacterien Ptomaine ge¬ 
bildet und resorbirt, der Körper wird vergiftet, die Wöchnerin stirbt. 
Sie wird bei nicht pathogener Infeetion sterben, und das Criterium 
der Gefahrlosigkeit hat sich für die nicht pathogenen Coccen als 
falsch herausgestellt. 

Und werden die gefährlichsten Coccen des Leichengiftes beim 
Touchiren in die Scheide deponirt, folgt ihnen aber sofort der Strom 
desinficireuder Flüssigkeit, die theils mechanisch die Coccen sammt 
den zersetzungsfähigen Massen entfernt, theils, ebenfalls resorbirt, 
noch in der Tiefe die Generationsfähigkeit der Coccen beschränkt 
oder vernichtet, so werden die gefährlichen Coccen unschädlich ge¬ 
macht oder entfernt, die pathogene Infeetion hat weiter keine schäd¬ 
lichen Folgen. Es kann also bei nicht pathogener Infeetion, ohne 
Therapie, der Tod eintreten, und eine pathogene Infeetion kann bei 
geeigneter Therapie geheilt werden! 

Bedenken wir nun noch, dass nicht etwa zwei Bacterienformen 
in Betracht kommen, sondern höchst wahrscheinlich eine Unzahl 
verschiedener Species, so wird sich eine strenge Trennung in nicht¬ 
pathogene und pathogene Infeetion nicht aufrecht erhalten lassen. 
Denn darüber dürfte kein Zweifel sein, dass es einen Puerperal¬ 
fieberpilz, wie etwa einen Typhuspilz, nicht giebt. Schon die Alten 
haben ja gewusst, dass Eiter vou den verschiedensten Affectionen 
stammend, vielleicht selbst Bacterien acuter Exantheme Puerperal¬ 
fieber erzeugen können. Es ist gewiss richtig, dass auch die In- 
fection der Genitalien mit Erysipelcoccen ein Puerperalfieber be¬ 
wirkt. Ja man müsste sich wundern, weun es nicht der Fall wäre. 
Dass aber jedes Puerperalfieber auf Erysipelinfection beruht, ist 
schon deshalb nicht denkbar, weil die Aetiologie den Zusammen¬ 
hang des Puerperalfiebers mit jauchenden Wunden, an denen nie 
Erysipel vorgekommen war, oft genug klargelegt hat. 

Ich eriunere auch an die Thatsache, dass verschiedene Puer- 
peralfieberepidemieen einen sehr verschiedenen Charakter hatten, 
dass, wie die Alten sagten, der Genius epidemicus verschieden war. 
Einmal starben alle Wöchnerinnen an septischer, rapid verlaufen¬ 
der Peritonitis, das andere Mal fanden sich nur eitrige Peritoni¬ 
tiden, die erst in der zweiten oder dritten Woche tödteten. In 
anderen Epidemieen kamen mehr Pyämieen und Endocarditiden 
oder wenigstens Mischformen von Septicopyämie vor. In einigen 
Epidemieen war der Uterus auffallend unbetheiligt, klein und gut 
involvirt, die Sepsis war eine allgemeine, locale Erkrankungen 
fehlten. In anderen Epidemieen wiederum konnte man Schritt vor 
Schritt die Schmerzhaftigkeit des Uterus, der Parametrien nach¬ 
weisen, und es fanden sich grosse Tumescenzen der Parametrien. 
Einmal nur „venöse“, ein andermal nur „lymphatische“ Fälle. 

Es dürfte doch nach unseren heutigen Anschauungen richtig 


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15- März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


203 


sein, hier stets verschiedene Coccenformen als inficirend anzu- 
nebmeu. Olshausen hat gewiss Recht, wenn er z. B. für die 
Pyärnie einen anderen Coccus anniramt als für die Sepsis. 

So habe ich z. B. im Sommer 4 Wöchnerinnen in der Klinik 
verloren, an einer Puerperalkrankheit, die in dieser Form sehr 
selten ist. Die Wöchnerinnen erkrankten erst in den späteren 
Woehenbettstagen, bei völlig iutacten Genitalien. Sie bekamen bei 
andauernd hohem Fieber Muskelanschwellungen an Armen und 
Beinen, acute, maligne, circumscripte Oedeme. Das Bewusstsein war 
nicht getrübt. Die bei Lebzeiten entnommene Oedemflüssigkeit 
enthielt eine colossale Menge Streptococcen. Es lag hier jedenfalls 
eine ganz bestimmte Coccenform vor, welche dieses eigenthümliehe, 
vom gewöhnlichen Puerperalfieber verschiedene Krankheitsbild lieferte. 

Ich führe dies Alles an, um auch meinerseits zuzugeben, dass 
die Eintheilung in nichtpathogene und pathogene Infection viel gegen 
sich hat. Trotz dessen halte ich sie immer noch für besser als die 
alte Eintheilung in Selbstinfection und Infection von aussen. Bei 
dem Festhalten au dem Worte „Selbstinfection“ fühlt mau mit einem 
gewissen Schmerz sich die Basis der modernen Prophylaxe unter 
den Füssen weggezogen! Auch die Anhänger der alten Eintheilung, 
die ja sachlich natürlich keine wesentlich anderen Anschauungen 
haben und gerade wie Kaltenbach die energische Säuberung der 
Scheide besonders betonen, werden gewiss zugeben, dass der Aus¬ 
druck Selbstinfection manches Bedenkliche hat. 

Vielleicht, wenn eine ganze Anzahl von infieirenden Coccen¬ 
formen charakterisirt ist, wird mau die Puerperalkrankheiten nach 
der botanischen Species eiutheilen können. Vielleicht gelingt es ein¬ 
mal, für alle verschiedenen G'occen auch verschiedene parallele Krank¬ 
heiten za erkennen. Vorläufig ist dies aber nicht der Fall, und des¬ 
halb ist auch die Eintheilung in nichtpathogene und pathogene In¬ 
fection angenau. 

Sehen wir nun, dass sich gegen jede Nomenclatur und Einthei¬ 
lung Einwände erheben lassen, so wird es das Beste sein, die 
Woehenbettkraukheiten, wie die anderen Krankheiten, nicht nach 
der Aetiologie, sondern nach den klinischen Erscheinungen einzutheilen. 
Wir werden am besten alles „Wochenbettkrankheiten“ nennen. Dass 
sie alle auf Infection beruhen, bezweifelt Niemand mehr. Es ist 
also unnöthig, von puerperalen Infectionskrankheiten zu sprechen. 

Unsere Aufgabe muss es sein, jeden einzelnen Fall auf seine 
Aetiologie hin möglichst genau zu untersuchen. Nicht nur im all¬ 
gemeinen. sondern speciell auf die Coccenform hin. In 
jedem Falle werden wir der lebenden Wöchnerin Blut und 
Wundsecrete entnehmen, die Flüssigkeit resp. die Coccen unter¬ 
suchen, cultiviren und mit den Culturen experimentiren. 

Aus diesen Einzelforschungen werden sich ganz sicher allmäh¬ 
lich allgemeine Gesichtspunkte ergeben. 

W as aber die Prophylaxe aubelangt, so wird sie stets nach 
zwei Richtungen hin ausgeübt werden müssen. Erstens Desiufec- 
tion der Hände und Instrumente! An ihnen haften jedenfalls die ge¬ 
fährlichsten, die pathogenen Coccen. Dafür aber ist auch die Des- 
infection höchst vollkommen möglich. Hände und Instrumente sind 
ohne grosse Mühe aseptisch zu machen. 

Zweitens die Desinfection der Kreissenden. Dies ist zwar 
nicht so vollkommen zu erzielen, wie bei den Händen und Instru¬ 
menten, dafür aber sind die hier in Betracht kommenden Coccen 
ungefährlich, nicht pathogen. Sie werden nur dann gefährlich, wenn 
ihnen gTosse Wunden viel Nährflüssigkeit liefern. Zu diesen grossen 
Wunden gehört auch die üterushöhle. Dass sodann hei der Unge- 
fährlichkeit dieser Bacterienformen die Desinfection der Wunden 
guten Erfolg haben muss, liegt auf der Hand. (Schluss folgt.) 

IL Der Scheurlen’sche Krebsbacillus ein 
Saprophyt. 

Von I)r. A. Pfeiffer in Wiesbaden. 

Nach der Veröffentlichung des Scheurlen’schen Vortrages 
über die Aetiologie des Carcinoms (s. d. Woch. No. 48 vom 1. De- j 
«eraber 1887) habe ich versucht, den Scheurlen’schen Bacillus aus ; 
carcinomatös erkrankten nicht ulcerirten Organen (in Gemeinschaft mit 
Herrn Dr. V. Gerl ach) zu cultiviren, jedoch ohne Erfolg. Da wir 
selbstverständlich mit der grössten Vorsicht und unter Beachtung aller 
Cautelen arbeiteten, so hatten wir in sofern stets ein negatives Resultat | 
za verzeichnen, als meistens die beschickten Nährböden völlig steril 
blieben, oder sich hier und da Verunreinigungen entwickelten, deren 
Repräsentanten aber eiuestheils mir wohlbekannte Bacterienformen 
waren, anderntheils nach der Beschreibung Scheurlen’s von seinem 
Bacillus ganz erheblich in ihren Eigenschaften abwichen. Ich hielt 
es daher für das Beste, mich in den Besitz einer Reincultur des 
Scheurlen’schen Bacillus zu setzen, welche mir durch einen be¬ 
freundeten Herrn aus Berlin von der Firma Klön ne und Müller 
verschafft wurde. 


Es war eine Gelatine- und eine Agarstiehoultur. Die Gelatine- 
cultur war bei ihrer Ankunft im Verlauf des Impfstiches gespalten, 
weshalb ich sie vorsichtig erwärmte und so den’Spalt zum Sehliessen 
brachte. Die Agarcultur kam in den Brutofeu (37,7° C). Am 
anderen Tage war die gauze Oberfläche derselben mit der von 
Scheurleu beschriebenen Haut bedeckt. Von.'dieser Cultur wurden 
weitere Impfungen auf menschlichem und tV : - hem Blutserum. 
Kartoffeln, Agar, Gelatine und Fleischbrühe :t legt. Im gefärbten 
Deckglaspräparat erwies sich die Cultur als ausschliesslich aus Ba¬ 
cillen bestehend, welche in der Grösse und Breite mit den Scheur¬ 
len’schen Angaben übereinstimmten. 

Zwischen den Bacillen lagen zahlreiche, stark lichtbrechende, 
eiförmige Sporen, theilweise fanden sich ebensolche Sporen noch mit 
Stäbchen in Verbindung. 

Die Bacilleu selbst färbten sich leicht mit Methylenblau, viele 
jedoch nur an ihren Polen, ln älteren Culturen fanden stell häufig 
lange, gewundene Scheinfäden, welche, am Ende in sich zurückge¬ 
schlagen, eigenthümliehe, Spermatozoon ähnliche Bilder gaben, ln 
der Gelatinestichcultur hatte sich bei Zimmertemperatur am zweiten 
Tage von dem Impfstich nach zwei Seiten ein schleierartiges Wachs¬ 
thum entwickelt, welches offenbar dem früher vorhandenen Spalt 
gefolgt war. Von dem Impfstich verbreiteten sich, bei circa 
30facher Vergrösserung beobachtet, den Schleier bildend, überaus 
zierliche Wuchsformen, bald lange, korkzieherartig gewundene, blasse 
Fäden, bald keulenförmige, bräunlich gefärbte Bildungen, dazwischen 
einzelne runde, anscheinend abgesprengte Colonieen. andere mit ganz 
prachtvoll entwickelten Wurzelfortsätzen, so dass es mir nicht mehr 
zweifelhaft sein konnte, dass die vorliegende Cultur einer Proteus¬ 
art angehören müsse, vielleicht aber auch einen der sogenannten 
Wurzelbacillen repräsentire. 

Da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen war, dass diese aus 
zweiter Hand bezogenen Culturen unecht sein könnten, wandte ich 
mich au Herrn Scheurlen selbst, mit der Bitte um freundliche 
Ueberlassuug einer Reincultur, welchem Wunsche er auf das Liebens¬ 
würdigste nach kam. 

Wenn ich ihm trotzdem heute einen bacteriologisehen Irrthum 
vorwerfen muss, so bitte ich dies damit entschuldigen zu wollen, 
dass es lediglich im Interesse der Wissenschaft geschieht. Auch die 
Schcurlen'sche Cultur erwies sich bei genauer Untersuchung als 
dieselbe Bacterienart, wie ich sie in den Reinculturen von Klön ne 
und Müller gefunden hatte. 

Die Proteusarten, äusserst interessante Bacterieu. vielleicht mit 
den sog. Wurzelbacillen verwaudt, haben die Eigenthümlichkeit, 
unter gewissen Bedingungen, die jedoch noch nicht sicher festgestellt 
sind, aus den Colonieen, aus den Impfstichen und Impfstrichen wurzel¬ 
förmige und keulenförmige Fortsätze auszusenden, welche den Colo¬ 
nieen und Culturen ein überaus zierliches Ansehen geben. Scheurlen 
beschreibt dieses Wachsthum 1. c. als nicht unähnlich dem der Mäuse¬ 
bacillen. 

Ausführlich hat G. Hauser in einer Arbeit: „Ueber Fäulniss- 
bacterien“ drei Proteusarten beschrieben, von welcheu diejenige, 
.welche er Proteus mirabiiis nennt, sich am Besten mit demfBilde 
des Scheurlen’schen Bacillus deckt, weshalb ich dazu neige, den 
Scheurlen’schen Bacillus als identisch mit dem Proteus mirabiiis 
Hauser anzusehen. 

Jedenfalls ist es ein Irrthum von Senger, wenn er den 
Scheurlen’schen Bacillus unter die sogenannten Kartoffelbacillen 
zählt. Das eigenthümliehe Wachsthum, resp. die Bildung von 
Wurzelfortsätzen erhält man bei dem Scheurlen'schen Bacillus 
gut in Gelatiueplatten, besser in Agarstrichculturen, am besten aber 
in Rinderblutserum, welches entweder, in Reagenzgläsern schräg 
i erstarrt, mittelst eines Längsstriches in der Mitte geimpft wird. 

: oder man lässt das Serum iu flachen Schälchen fest werdeu und 
j impft mit senkrechten Stichen. Bei beiden Methoden der Impfung 
muss möglichst wenig Impfmaterial verwandt werden. Blutserum 
und Agarculturen kommen in den Brutofen (37.7° C), worauf sich 
nach circa 12 Stunden von den Strichen und Stichen aus die zier¬ 
lichsten Wurzeln nach allen Seiten über die Oberfläche des Nähr¬ 
bodens verbreiten. 

Wenn Hauser angiebt. dass er bei keiner seiner Proteusarten 
Sporeubildung beobachtet habe, so mag dies an der Art der Cultur- 
versuche liegen, da er hauptsächlich auf Gelatine und bei Zimmer¬ 
temperatur gezüchtet hat. 

Bei Zimmertemperatur bildet aber auch der Scheurlen’sehe 
Bacillus auf Gelatine keine Sporen. Namentlich die langsame Ver¬ 
flüssigung der Gelatine veranlasst mich, den Scheurlen’schen Ba¬ 
cillus mit dem Proteus mirabiiis zu identificiren, da der Proteus vul¬ 
garis, ebenso wie die Wurzel bacillen, die Gelatiue sehr schnell, der 
Proteus Zenkeri dieselbe garnicht verflüssigt, während alle drei Pro- 
! teus-Arten in ihren übrigen Wachsthumserscheinungen wenig Unter- 
j schiede zeigen. 

i Mit der Aetiologie des Carcinoms dürfte jedenfalls der Sc heu r- 


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204 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 11 


len’sehe Bacillus, mag er nun zu den Proteusarten oder zu den 
Wurzelbacillen gehören, absolut nichts zu thun haben, da beide 
nicht pathogen sind. 

in. Erblindung nach Keuchhusten. 

Von Dr. Alexander in Aachen. 

In der mir zugänglichen ophthalmologischen Literatur finde 
ich nur einen Fall von Erblindung nach Keuchhusten, von Knapp 
in New-York beschrieben (Archiv für Augen- und Ohrenheil¬ 
kunde V, 1, p. 203). Dort handelte es sich um eine deutlich ausge¬ 
sprochene Ischaemia retinae, von der Knapp es unentschieden 
liess, ob dieselbe auf einen Bluterguss in die Scheiden der Seh¬ 
nerven oder aber auf die allgemeine Anämie und die gesunkene 
Herzthätigkeit des sehr herabgekommenen Patienten zurückzuführen 
sei; es trat eine theilweise Wiederherstellung des anfänglich total 
geschwundenen Sehvermögens ein; doch ging der kleine Patient 
6 Wochen später an lobulärer Pneumonie zu Grunde. Was den 
ophthalmoskopischen Befund betraf, so fand Knapp „den Augen¬ 
grund leuchtend wie gewöhnlich und keinerlei Blutaustritte darin, 
dagegen das ausgesprochene Bild der Netzhautischämie. Beide 
Sehnervenscheiben waren weisslich. Von deu Arterien waren 
linkerseits nur die Hauptäste zu sehen und diese waren faden¬ 
dünn; rechterseits konnte ich gar keine Arterien unterscheiden, 
und die Venen waren spärlich und gleichfalls dünner als im Nor¬ 
malen, während dieselben linkerseits etwas zahlreicher und dicker 
waren, jedoch auch hinter der physiologischen Füllung merklich 
zurückblieben“. Als Knapp sich bei einigen seiner New-Yorker 
Collegen über das Vorkommen von Erblindung bei Keuchhusten 
erkundigte, theilte ihm Professor Loomis mit, „dass Erblindung 
im Keuchhusten wohl beobachtet sei, aber fast nur bei solchen 
Kindern, die darauf an lobulärer Pneumonie zu Grunde gingen. 
Demzufolge wäre Erblindung im Keuchhusten ein unheilvolles 
Symptom. Ihre Ursache und Natur scheinen nicht bekannt zu 
sein.“ — Das ist so ziemlich das Einzige, was ich in der mir zu¬ 
gänglichen Literatur aufzufinden vermochte; vielleicht sind in der 
vorophthalmoskopischen Zeit derartige Fälle schon beobachtet uud 
publicirt, sicherlich aber nicht gedeutet worden; in der ophthal¬ 
mologischen Literatur habe ich, wie erwähnt, ausser dem obigen 
von Knapp beobachteten Falle derartiges nicht aufzufinden ver¬ 
mocht. Die Seltenheit dieses Zustandes möge die Publication der 
beiden sogleich zu beschreibenden Fälle entschuldigen, die sich mir 
in einem Zwischenraum von wenigen Wochen präsentirten und die, 
da sie beide auf intracranielle Vorgänge zurückzuführen waren, sich 
wesentlich von dem Knapp’schen Falle unterschieden. Auch 
unter sich sind sie, wie wir sogleich sehen werden, sowohl hinsicht¬ 
lich der örtlichen Bedeutung des Leidens, wie der Prognose und 
des Ausganges von einander unterschieden. 

Der erste Fall betraf einen 3jähr. Knaben, den ich, da er in der Praxis 
eines auswärtigen, mir befreundeten Collegen vorkam, nur einige Male con- 
sultativ zu Gesichte bekam. Der Knabe litt seit dem Juli d. J. an ziemlich 
heftiger Tussis convulsiva mit besonders lange anhaltendem Kranipfstadium. 
Während desselben zeigten sich im August Cerebralerscheinungen. Das Kind 
fieberte, schreckte leicht aus dem Schlafe, war missmuthig, zum Spielen un- 
aufgelegt und erbrach häufig, sowohl spontan wie auch nach der Einführung 
von Speisen. Am Morgen des 13. August, nach einer besonders unruhigen 
Nacht, bemerkten die Eltern, dass das Kind mit dem Blicke einem vorge¬ 
haltenen Gegenstände nicht zu folgen schien und mit den Händen suchend 
in seinem Bette umhertappte. Der sofort citirte College bestätigte die Beob¬ 
achtung der erschreckten Eltern und constatirte ebenfalls, dass das Kind 
vollkommen erblindet war. Ira Laufe desselben Tages sah ich den Knaben, 
der sich unruhig im Bette umherwälzte, viel und unmotivirt weinte und bei 
dem auch ich die totale Erblindung nachzuweisen vermochte; die Temperatur 
betrug 38,2, der reichlich gelassene Urin war vollständig eiweissfrei; an den 
inneren Organen liess sich ausser weit verbreiteten Rhonchi sibilantes über 
beide Lungen etwas Krankhaftes nicht nachweisen. Die Augen zeigten sich 
äusserlich vollkommen normal, die Bewegungen erfolgten ungestört nach 
allen Seiten, entzündliche Erscheinungen waren weder an der Cornea noch 
an der Iris nachweisbar. Die mittelweiten Pupillen reagirten vollkommen 
normal, sowohl consensuell, wie auch bei Annäherung der Kerzenflamrae; 
die brechenden Medien waren klar und durchsichtig; der Augenhintergrund 
zeigte ebenfalls normale Verhältnisse, nur schien mir die Centralveue etwas 
erweitert zu sein, wogegen das arterielle Gefässsystem sein normales Kaliber 
zeigte; das Gewebe des Sehnervenquerschnittes wie der Netzhaut und auch 
endlich des bei schwach entwickeltem Pigmentepithel deutlich sichtbaren 
Chorioidealstromas mit den weiten Intervascularräumen erschien ungetrübt. 
Das total geschwundene Sehvermögen stellte sich nicht wieder her; die Cere¬ 
bralerscheinungen nahmen allmählich zu, es gesellten sich Zuckungen der 
rechtsseitigen Extremitäten hinzu, das Kind wurde coraatös, und unter den 
Erscheinungen des Hirndrucks trat 14 Tage später der Exitus letalis ein. 
— Auf die Deutung des Falles komme ich später zurück. 

Der zweite hierher gehörige Fall befindet sich noch in meiner Behandlung; 
er betrifft die 12jährige Marie J. aus T., welche am 3. October d. J. total 
erblindet meiner Anstalt überwiesen wurde. Auch hier bestand ein ziemlich 
heftiger Keuchhusten, zu welchem sich ca. 14 Tage vor der Erblindung an¬ 


haltende Kopfschmerzen hinzugesellt hatten. Mitte September begann die 
Kleine darüber zu klagen, dass die Gegenstände ihr wie in Rauch gehüllt 
erschienen, allmählich nahm das Sehvermögen mehr und mehr ab, so dass 
ich, wie erwähnt, am 3. October die vollständige Erblindung zu constatiren 
vermochte. Das gut genährte, etwas bleich aussehende Mädchen klagte bei 
der Vorstellung über keinerlei Beschwerden mehr, die Hustenstösse kamen 
selten, dann aber mit ganz besonderer Intensität, die Kopfschmerzen waren 
verschwunden, Anschlägen des Schädels mit der Fingerkuppe nicht schmerz¬ 
haft; Urin neutral von 1010 spec. Gewicht, absolut eiweissfrei, die inneren 
Organe normal. Die Erblindung war so vollständig, dass selbst eine gross¬ 
brennende Gasflamme nicht mehr wahrgenommen werden konnte; beide Pu¬ 
pillen weit, starr, reagirten weder auf Lichtreiz noch consensuell, noch end¬ 
lich aecoramodativ. Cornea, Iris, brechende Medien boten nichts Abnormes 
dar: dagegen liess das Ophthalmoskop im Augenhintergrunde eine beider¬ 
seitige Neuritis optica erkeunen: beide Papillen waren ein wenig geschwellt, 
opak; die Contouren verschwommen, indessen überall noch deutlich erkenn¬ 
bar; die umgebenden Retinalpartieen eine Strecke weit getrübt, die in ihrem 
Kaliber nicht veränderten Centralgefässe zogen in leichtem Bogen über die 
Papillengrenzeu hinweg, tauchten an einzelnen Stellen in die Netzhauttrübung 
unter, um au anderen Stellen wieder zum Vorschein zu kommen und dann 
in durchaus normaler Weise bis zur Peripherie der in geringer Entfernung 
vom Sehnervenquerschnitt normalen Netzhaut zu verlaufen; Arterienpulsation 
war unschwer auszulösen. Blutungen nicht vorhanden. Unter dem Gebrauch 
ableitender Mittel (Cetaceum in den Nacken etc.) und des Jodkalium begann 
nach ca. 5 Tagen zuerst die linke, einige Tage später auch die rechte Pu¬ 
pille zu fuuetioniren; in gleichem Tempo hiermit stand auch die Wiederkehr 
des Sehvermögens, so dass am 1. November, trotzdem das Spiel der Pupillen 
durchaus noch nicht ein normales war, doch schon Finger auf ca 8' gezählt 
werden konnten. Mitte November betrug die Sehschärfe 17/200, von den 
Jaeger’schen Schriftskalen wurden einzelne Worte von No. 18 gelesen: 
bei der Untersuchung am 25. November betrug die Sehschärfe schon 17/100, 
von Jaeger 12 wurde Einiges entziffert. Dementsprechend zeigte auch die 
wiederholt vorgenommene ophthalmoskopische Untersuchung den Rückgang 
der Neuritis optica an: zuerst wurden die Contouren der Papillen, besonders 
der macularen Hälften derselben, klar, allmählich verschwand die Trübung 
des Sehnervenquerscbnittes und der Netzhaut vollends — doch zeigte sich 
in gleichem Tempo hiermit ein Atrophirungsprocess der Sehnervensubstanz, 
so dass derselbe heute schon ziemlich weit vorgeschritten ist; die Sehnerven 
sehen weiss aus, sind scharf begrenzt, die Gefässe nicht verändert, mit 
stellenweiser Verdickung der Adventitialschicht. Wie weit die nunmehrige 
Behandlung mit Strychnininjectionen noch zur Hebung der Sehschärfe bei¬ 
tragen wird, vermag ich bei den sichtbaren Zeichen vorgeschrittener Atrophie 
der Sehnerven nicht anzugeben; eine vollständige Wiederherstellung dürfte 
wohl ausgeschlossen sein, wenn auch noch eine wesentliche Besserung zu 
erhoffen ist. 

Diese 3 Fälle von Erblindung nach Keuchhusten weisen als 
ursächliches Moment auch 3 verschiedene Processe auf: bei dem 
von Knapp beschriebenen Falle handelte es sich um Circulations- 
störungen in der Peripherie: um eine Ischaemia retinae; in den 
beiden von mir beobachteten Fällen musste die Ursache der Er¬ 
blindung in intracraniellen Processen gesucht werden; als urämische 
Amaurose ist keiner der 3 Fälle aufzufassen, weil bei allen der 
Urin eiweissfrei gefunden wurde. Doch zeigen die beiden von mir 
beschriebenen Fälle so wesentliche Verschiedenheiten unter sich, 
dass mir noch einige epikritische Bemerkungen gestattet sein 
mögen. Beide, im Verlauf der Tussis convulsiva entstanden, unter¬ 
scheiden sich zunächst durch die verschiedene Reac.tion der 
Pupillen — ein Verhalten, welches auch, wie wir sogleich sehen 
werden, uns die Möglichkeit an die Hand giebt, den Sitz der Läsion 
im Centralorgan näher zu bestimmen. 

Bekanntlich wies zuerst Ebert in der Sitzung der medicinischen 
Gesellschaft zu Berlin am 11. December 1867 auf eine transitorische 
Erblindung bei Typhus und Scharlachfieber hin. Ebert führte 
4 Fälle von diesen plötzlichen Erblindungen an und zwar einen beim 
Typhus mit abundantem Nasenbluten und drei bei Nephritis scarlatinosa 
mit starkem Eiweissgehalt des Urins. Bei diesen 4 Kranken trat 
die Erblindung plötzlich ein und ging eben so schnell — schon 
nach 48 Stunden — in vollkommene Wiederherstellung des Seh¬ 
vermögens über; der eine von diesen Kranken, ein 8 jähriger Knabe, 
ging an Lungenödem zu Grunde. Zu den Ursachen dieser transi¬ 
torischen Erblindungen übergehend, kommt Ebert nach Ausschluss 
mehrerer anderer Momente zu dem Schluss, dass es sich hierbei 
um einen diffusen, vorübergehenden Krankheitsprocess, und zwar 
um ein flüchtiges Oedem, vielleicht um ein interstitielles Oedem 
des Sehnerven in seinem Verlaufe intra cranium handeln müsste. 
In der sich hieran anknüpfenden Discussion machte v. Graefe 
darauf aufmerksam, dass das charakteristische Merkmal der vor¬ 
übergehenden Fälle von Erblindung nach Typhus und Scharlach 
in der erhaltenen Reaction der Pupille auf Licht, selbst wenn schon 
jede Lichtwahrnehmung fehle, liege, und zeigte, dass die Anwesen¬ 
heit dieses Symptomes auch eine durchaus günstige Prognose zulasse. 
Der negative ophthalmoskopische Befund sei hierbei nicht maass¬ 
gebend, da auch bei anderen acuten Kraukheiten Erblindungen 
ohne ophthalmoskopischen Befund beobachtet würden, welche als 
retrobulbäre Processe des Sehnervenstammes gedeutet werden 
müssten und welche erst später, oft erst nach Monaten, zur Decolo- 
rirung und zum Atrophirungsprocess der Sehnervenpapille führen; 


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15. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


in diesen Fällen fehle aber die Reaction der Pupille auf Licht, die 
ja beruht auf der ununterbrochenen Leitung von der Netzhaut 
durch den Opticus hindurch zu der Vierhügelgegend und dann 
wieder in reflectirter Richtung zu dein Oculoraotorius hin. Ist da¬ 
gegen, so fährt v. Graefe fort, in den Fällen transitorischer Er¬ 
blindung die Pupillarreaction auf Licht erhalten, so kann die 
Ursache der Erblindung nicht im Laufe jener Leitungskette (Retina, 
Opticus, Vierhügel, Oculomotorius) gesucht werden, sondern die 
Leitungsunterbrechung muss in jenen Fälleu zwischen der Vier¬ 
hügelgegend und zwischen dem Orte der Lichtwahrnehmung im 
Gehirn liegen; hierbei besteht die Pupillarbewegung als Reflexbe¬ 
wegung unbehindert fort, ohne dass die Erregung durch das Licht 
bis zum centralen Orte der Lichtwahrnehmung hindurchzudringen 
vermöchte; ein solcher auf Oedera in den Centraltheilen beruhender 
Process könne sehr wohl zum Tode führen, er könne aber nicht 
wohl mit Fortbestehen des Lebens derartige Residuen hinterlassen, 
welche eine dauernde Abschneidung aller Comraunication zwischen 
Vierhügelgegend und dem Orte der Lichtwahrnehmung bedingen. 

Ich stehe nun nicht an, den von mir beschriebenen 1. Fall von 
Erblindung nach Keuchhusten zur Kategorie jener von Ebert 
und v. Graefe so charakteristisch geschilderten Fälle plötzlicher 
Erblindungen zu rechnen. Wie in unserem Falle das Gehirnödem 
zu erklären wäre, wo es sich nicht wie bei Ebert um Verdünnung 
des Blutserums nach abundanten Blutungeu oder nach starkem 
Eiweissverlust handelt, vermag ich allerdings nicht anzugeben und 
enthalte mich deshalb auch jeder Hypothese; auch Möbius lässt 
in seinem Artikel über Hemiplegie und seelische Störungen nach 
Keuchhusten im Centralblatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie 
(10. Jahrgang No. 21) es unentschieden, wodurch die Gehirnkrank¬ 
heiten beim Keuchhusten sich erklären lasseu. und deutet an, dass 
es sich vielleicht um ein während des Keuchhustens entstandenes 
Toxin handeln könne, welches Gehirnkrankheit liervorrufe. Sei 
dem nun wie ihm wolle, wir haben in unserem 1. Falle von Keuch¬ 
husten es mit der plötzlich entstandenen Erblindung bei erhaltener 
Papillarreaction und negativem Augenspiegelbefund zu thun — 
einer Erblindung, welche auf ein zwischen Vierhügelgegend und 
Occipitalgegend abgesetztes Oedem zurückgeführt werden muss. 
Dieses Oedem gelangte nicht zur Resorption, sondern führte, indem 
es sich über weitere Hirnpartieen ausbreitete und dadurch die 
Erscheinungen des Hirndruckes veraulasste, schon nach wenigen 
Wochen zum Tode; man darf sicherlich annehmen, dass, wie in den 
von Ebert, v. Graefe u. A. wiederholentlich beobachteten und 
publicirten Fällen von plötzlicher Erblindung nach acuten Erkran¬ 
kungen bei erhaltener Pupillarreaction und negativem Augenspiegel¬ 
befund. dass auch bei unserem Kranken eine Restituirung des ge¬ 
schwundenen Sehvermögens eingetreten sein würde, wenn nicht die 
Weiterentwickelung des Oedems hemmend auf das Fortbestehen 
des Lebens gewirkt hätte. — 

Wesentlich anders lagen die Verhältnisse in unserem zweiten 
Falle von Erblindung nach Keuchhusten, in welchem ebenfalls 
Cerebralerscheinungen der Erblindung vorausgegangen waren. Wir 
fanden die ausgesprochenen Merkmale einer Neuritis optica nebst 
Verlust jedweder Pupillarreaction; es mussten somit die beider¬ 
seitigen Sehnerveqfasern zwischen den Endorganen in der Retina 
und den pupillomotorischen Reflexorganen im Gehirn ihrer Leitungs¬ 
fähigkeit beraubt worden sein. In derartigen Fällen handelt es 
sich nun entweder um eine retrobulbäre Neuritis oder um eine 
descendirende, durch Encephalomeningitis hervorgerufene Neuritis 
des Sehnervenstammes. Beide haben, wie v. Graefe in seiner Ab¬ 
handlung „über Neuroretinitis und gewisse Fälle fulminirender Er¬ 
blindung" im Archiv für Ophth. XII, 2, p. 114 schildert, so viele 
Berührungspunkte gemein, dass es oft recht schwer fällt, zwischen 
beiden eine differentielle Diagnose zu stellen. Sowohl die retro¬ 
bulbäre Neuritis wie die Neuritis descendens nach Encephalo¬ 
meningitis treten doppelseitig auf; beide zeigen einen fulminirenden 
Verlauf, so dass selbst nach längerer Abwesenheit jeder quantita¬ 
tiven Lichtemptindung eine vollständige Wiederherstellung möglich 
ist; ebenso findet man bei beiden Formen die maximale Pupillen¬ 
erweiterung vor, welche, wie schon häufiger erwähnt, auf totale 
Leitungsunterbrechung zwischen den peripheren Endorganeu des 
Sehnerven und der Vierhügelgegend hindeutet. Indessen waren bei 
unserer Kranken die Gewebsstörungen im Augenhintergrunde doch 
so sehr entwickelt, dass ein wirklich entzündlicher Process des 
Sehnervenstammes supponirt werden muss — ein Process, der 
durch Basilarmeningitis seine ungezwungene Deutung finden dürfte. 
Bei der einfachen retrobulbären Neuritis sind die Entzündungs¬ 
erscheinungen innerhalb der Papilla nervi optici, wenn überhaupt 
vorhanden, so doch nur gering angedeutet und wesentlich circula- 
torischer, schnell vorübergehender Art; die hierbei zuweilen vor¬ 
kommende geringe Trübung und kaum angedeutete Schwellung des 
Sehnervenquerschnittes ist dann als ein interstitielles Oedem auf¬ 
zufassen. Da wir es aber bei unserer Kranken, wie schon erwähnt, 


205 


mit ausgesprochenen Entzüudungserscheinungen zu thun haben, die 
sogar schon zu nachweisbarer Verdickung der Adventitia mehrerer 
Gefässe geführt haben, so dürfte meine Diagnose wohl kaum einem 
Widerspruch begegnen, welche auf Neuritis descendens ex meningitide 
gestellt wurde. Sobald die Resorption des meuingitischen Exsu¬ 
dates begann und dadurch der Sehnerv entlastet wurde, vermochte 
auch die durch das Licht bedingte Erregung der Sehnervensubstanz 
bis zu den Ursprungskernen des Nerv, oculoraotorius zu dringen, 
diese zu reizen, das Spiel der anfänglich absolut immobilen Pupille 
auszulösen und schliesslich auch bis zum Sitze der Gesichtsempfin¬ 
dung durchzudringen, um dann ein dem vorhandenen atrophischen 
Zustande des Sehnerven entsprechendes Sehvermögen zu gestatten. 

Von Encephalitis, 1 ) Meningitis, 3 ) Hämorrhagieen 3 ) bei Keuch¬ 
husten sind wiederhoieutlich schon Fälle in der Literatur publicirt 
worden. Wohl leugnet Hugueniu (Ziemssen’s Handbuch XI, 
1, 571) das Vorkommen wirklicher Meningitis bei Keuchhusten und 
betrachtet die vorhandenen Fälle wegen des Mangels anatomischen 
Nachweises als durch seröse Transsudation entstanden. Mir sind 
die von Bierbaum publicirten Fälle wirklicher Meningitis bei 
Keuchhusten augenblicklich nicht zugänglich, uud ich bin nicht in 
der Lage, anzugeben, ob in denselben die Diagnose auf Meningitis 
durch das Ophthalmoskop hat sichergestellt werden können. Bei 
meiner Kranken war das nun wirklich der Fall; es wird nicht ge¬ 
leugnet werden können, dass die sichtbaren Erscheinuugeu der 
Neuritis descendens mit ausgesprochener Gewebstriibung der Papille 
und der angrenzenden Netzhaut, so wie endlich der Verdickung 
der Gefässwaudungen auch zweifellos für eine Meningitis plädireu 
müssen, und dass somit der von Hugueniu vermisste anatomische 
Beweis in dem vorliegenden Falle durch den ophthalmoskopischeu 
Befund hat ersetzt werden könneu. 

IV. Ueber wirkliches und scheinbares Auf¬ 
hören der Zuckerausscheidung bei Diabetes 

mellitus. 

Von Dr. Teschemnchcr in Neuenahr. 

Frau I)., Wimve, GO Jahre alt, hatte nie schwerere Krankheiten zu be¬ 
stehen und erfreute sich bis zum Winter 1885/86 einer guten Gesundheit. 
Um diese Zeit machte sich ihr ein heftiger Durst bemerklich, zu dessen 
Stillung sie bedeutende Quantitäten Wasser consuinirte. Die l'rinausscheidung 
war entsprechend vermehrt. Zu gleicher Zeit stellte sich verminderte Ess¬ 
lust, Druck und Spannung im Epigastrium, sowie häufiges Aufstossen ein. 
Der grosse Durst lenkte den Verdacht auf Diabetes mellitus, der auch durch 
die Harnanalyse, welche 6% Zucker ergab, bestätigt wurde. Die im Laufe 
des Winters und Frühjahres mehrfach angcstellten Untersuchungen, die 
unter anderem auch im Fresenius’schen Laboratorium in Wiesbaden vor¬ 
genommen wurden, ergaben stets mindestens 6% Zucker. — Um die Kranke, 
welche vor der Möglichkeit einer Erkrankung an Diabetes grosse Furcht 
äusserte, nicht zu erschrecken, verheimlichte man ihr das eigentliche Leiden, 
in Folge dessen sie den ihr gegebenen diätetischen Vorschriften keine Folge 
leistete und vor wie nach Zucker und mehlhaltige Nahrung zu sich nahm. 
Das therapeutische Verfahren bestand in der Verordnung von 30 Flaschen 
Neuenahrer Sprudel, welchen die Kranke vor ihrer Ankunft in Neuenahr 
trank. In ihrem Befinden soll sich während dieser Zeit keine wesentliche 
Veränderung gezeigt, Durst und Polyurie jedoch in letzter Zeit nachgelassen 
haben. — 

Als ich die Patientin zuerst sah, machte sie durchaus nicht den Ein¬ 
druck einer Schwerkranken, im Gegentheil war sie wohl genährt und 
fühlte sich von der Reise bei grosser Hitze kaum angegriffen. Bei der 
Untersuchung der Körperorganc fand sich nichts Krankhaftes, nur war der 
Magen durch Gase massig aufgetrieben. Aetiologische Anhaltspunkte für das 
Entstehen der Krankheit fehlten. 

Am folgenden Tage wurde mir der Nachturin zur Untersuchung geschickt. 
Den Boden des Uringefässes bedeckte ein massiges, wolkiges Sediment, irn 
Uebrigen war die Harnprobe klar, die Farbe dunkel, Reaction sauer, spec. 
Gewicht 1,030. Beim Filtriren des Urins fiel mir eine ungewöhnliche, 
fast syrupartige Cohaerenz desselben auf, so dass jeder durch 
den Trichter abfliessende Tropfen einen bis auf den etwa 
10 cm tiefer stehenden Boden des Glasgefässes reichenden 
Faden zog. Derselbe ergab weder beim Erhitzen mit Fehling’scher 
Lösung Zuckerreaction, noch konnte ich mittelst des Polarisationsapparates 
eine Spur links- oder rechtsdrehenden Zuckers nachweisen. Zusatz von 
Eisenchlorid erzeugte keine Rothfärbung. Albumin war gleichfalls nicht 
vorhanden. 

Am folgenden Tage wurde eine Haruprobe an das Fresenius’sche 
Laboratorium zur Untersuchung übersandt., ln derselben war, wovon ich 
mich vorher überzeugte, die fadenziehende Beschaffenheit des Urins nicht 
mehr so stark ausgeprägt wie Tags zuvor, im Uebrigen war das Verhalten 
desselben das nämliche, auch das spei-. Gewicht das gleiche. — Professor 
Fresenius fand ebenfalls weder Zucker noch Eiweiss. Die fadeuziehende 
Eigenschaft des Urins, welcher Pflasterepithelieu und Schleimgerinusel ent- 

') Leyden, Klinik der Rückenmarkskranklieiten II, 1, p. 260. 

*) Bierbaum, Journal für Kinderkrankheiten VII, 1871. 

®) Cazin, Haemorrhagie sus-meningec daus le cours de la coqueluche. 
Gaz. des höp. LIV, 37, p. 25)2. 


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206 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 11 


hielt, 1 ) wurde dort nicht beobachtet und angenommen, dass der Urin wahr¬ 
scheinlich sehr fein vertheilten Schleim enthalten habe, der durch den 
Transport zerrissen wurde, wodurch der Urin seine Klebrigkeit einbüsste. 
Es sei übrigens denkbar, dass etwa in dem Urin noch enthalten 
gewesener Zucker schon in der Harnblase eine schleimige Gäh- 
rung durchgemacht hätte, doch spräche die gänzliche Abwesen- 
heit von Zucker gegen diese Annahme. — 

Die eigentümliche Beschaffenheit des Urins nahm im Laufe der Zeit 
immer mehr ab und verschwand zuletzt vollständig Zucker war weder im 
Tag- noch Nachturin jemals nachzuweisen und ist auch bis jetzt nicht wieder 
aufgetreten. Die Magenbeschwerden der Kranken verloren sich im Verlaufe 
der Cur fast ganz. 

Die Heilung des Diabetes erfolgte in diesem Falle ganz spontan, 
da eine antidiabetische Diät nicht beobachtet wurde, und die The¬ 
rapie einzig und allein in dein Genuss von 30 Flaschen Neuenahrer 
Sprudel bestand. Ich bin nun nicht sanguinisch genug, um letzterem 
Umstande das Verschwinden des Zuckers beizumessen, obgleich ich 
Fälle von Diabetes beobachtet habe, in denen die Zuckerausscheidung 
mit dem Auftreten eines acuten Magenkatarrhs zusammenfiel und nach 
Beseitigung des letzteren durch eine Cur in Neuenahr verschwand. 
Einige Fälle dieser Art habe ich früher in dieser Wochenschrift 
(1883 No. 6) mitgetheilt. Im vorliegenden Falle jedoch bestanden 
die Zeichen des Magenkatarrhs bei der Ankunft der Kranken hier- 
selbst noch fort, trotzdem die Zuckerausscheidung ihr Ende erreicht 
hatte. — Eine Erklärung für das eigentümliche Verhalten des 
Urins vermag ich nicht zu geben. Dass der Zucker schon in der 
Harnblase einen Zersetzungsprocess durchgemacht habe und deshalb 
bei der Untersuchung nicht nachgewiesen werden konnte, ist. wie 
auch Professor Fresenius bemerkt, nicht anzunehmen, weil bei 
den wiederholten späterhin angestellten Untersuchungen niemals eine 
Spur aufgefunden wurde. Zwar sind Fälle beobachtet worden, in 
denen bei gleichzeitig bestehendem Blasenkatarrh selbst 
erhebliche Zuckermengen schon in der Blase in Gährung über¬ 
gegangen waren, nach geheiltem Blasenkatarrh aber wieder nach¬ 
gewiesen werden konnten. Eine solche interessante Beobachtung 
hat zuerst der verstorbene Dr. Braun aus Oeynhausen-Rehme in 
seinem Handbuch der Balneotherapie veröffentlicht. Da dieselbe 
nicht allgemein bekannt sein dürfte, will ich sie hiermit kurz wieder¬ 
geben. 

Ein Herr in den 40er Jahren litt, seit längerer Zeit an hochgradigem 
Blasenkatarrh, verbunden mit Lähmung des Detrusor urinae. Nach einer 
sehr ergiebigen, wegen Entleerung stark ausgedehnter Mastdarmknoten ange¬ 
stellten Blutentziehung am Anus wurde Patient von äusserst heftigem Durst 
befallen, in Folge dessen er enorme Quantitäten Wasser zu sich nahm und 
entspechend viel Urin liess. Zugleich stellte sich Hunger und Abmagerung 
ein. Der Verdacht auf Diabetes wurde aufgegeben, weil wiederholte Unter¬ 
suchungen keinen Zucker im Harn nachwiesen. Nachdem jedoch durch 
tägliche Ausspritzungen der Blase der Katarrh erheblich gebessert war, 
kounte Zucker bis zu 4% nachgewiesen werden. Auf eine an Professor 
Scherer in Würzburg gerichtete Anfrage erwiderte dieser, dass er Fälle 
beobachtet habe, wo bei gleichzeitigem Blasenkatarrh der Zucker noch in 
der Blase in Milchsäure und Buttersäure umgewandelt worden sei. 

Folgender von mir vor 3 Jahren beobachteter Fall scheint 
dieselbe Deutung zuzulassen. 

Eine 58jährige Frau, welche nachweislich seit l /i Jahre an Diabetes, 
ausserdem an einer Infiltration der rechten Lungenspitze litt, klagte bei 
ihrer Vorstellung über heftigen schmerzhaften Drang zum Urinlassen und 
meinte selbst, dass ihr alter Blasenkatarrh, von dem sie seit längerer Zeit 
wenig gemerkt, in den letzten Tagen sich verschlimmert habe. Der Urin, 
welcher sauer reagirte und dessen specifischcs Gewicht 1,027 betrug, war I 
trübe und enthielt ein starkes Sediment von Blasenepithel und Schleim¬ 
körperchen, dagegen keine Spur Zucker, während noch 8 Tage vorher 
laut Analyse eines bewährten Chemikers ein Zuckergehalt von 2,75°/o ge¬ 
funden worden war. Der Blasenkatarrh besserte sich langsam, und erst 
nach 14 Tagen trat wieder eine kleine Menge Zucker auf, nämlich 0.25%, 
die sich sodann auf 0,7, zuletzt auf 1,2% steigerte, auf welcher Höhe sie 
sich dauernd — mit nur geringen Schwankungen — erhielt. 

Ob folgender Fall auch zu dieser Kategorie gerechnet werden 
kann, lasse ich dahin gestellt sein. 

Ein 11 jähriger Knabe wurde mir von Professor Fr er ich s vor 5 Jahren 
zur Behandlung überwiesen mit der Diagnose: Diabetes gravis, und dem schrift¬ 
lichen Bemerken, dass der Zuckergehalt des Urins 3% betrage. Bei der Unter¬ 
suchung de* kleinen, sehr erschöpften Patienten klagte derselbe über häufigen 
Drang und Schmerzen heim Urinlassen : die Mutter glaubte, dass er sich während 
der Kisenbahnfahrt zur Nachtzeit erkältet habe. Der sauer reagirende, iin 
Uebrigen klare Urin enthielt einen wolkigen Niederschlag von Blasenepithel und 
Schleimkörperchen. Von Zucker war keine Spur nachweisbar; das specifische 
Gewicht = 1,025. Acht Tage lang blieb der Zucker trotz gemischter Kost 
vollständig aus, nur 2 Mal waren in dem täglich untersuchten Urin Spuren 
aufzufinden, dann aber trat mit gleichzeitiger Besserung des Blasenkatarrhs 
die Zuckerausscheidung wieder ein, dieselbe betrug am 8. Tage 0,5, eiuige 
Tage später 1 %. Bei geeigneter Diät und fortgesetzter Trinkcur verschwand 
derselbe nach weiteren 8 Tagen vollständig, um erst 3 Monate später wieder¬ 
zukehren. 

Unter gewissen noch unbekannten Umständen liefert also der 

*) Subjective Zeichen von Blasenkatarrh, wie Schmerz in der Blasen¬ 
gegend, häufiger schmerzhafter Drang zum Uriniren bestanden nicht. 


Blasenkatarrh ein Ferment, welches schon in der Blase eine völlige 
Gährung des Zuckers bewirkt und die Bestimmung desselben un¬ 
möglich macht; dass dieses Vorkommniss iudess zu den grossen 
Ausnahmen gehört, geht aus der Thatsache hervor, dass in den 
gar nicht seltenen Fällen, in denen der Diabetes von Blascnkatarrh 
begleitet wird, der letztere auf die Zuckerausscheidung für gewöhn¬ 
lich ohne allen Einfluss ist. 

Was den erstell von mir mitgetheilten Fall anbetrifft, so ist es 
wohl erklärlich, dass durch das eigenthümliche Verhalten des Urins 
der Verdacht entstehen konnte, der Nachweis des vorhandenen 
Zuckers Werde durch irgend welche abnorme Harnbestandtheile ver¬ 
eitelt. da ja im diabetischen Harn unter Umständen Substanzen Vor¬ 
kommen. welche die Anwesenheit von Zucker — wenigstens zum 
Theil — verdecken können. (S. Leo. diese Wochenschrift 1886, 

p. 680.) 

Wesentlich verschieden von den eben mitgetheilten Fällen von 
scheinbarem Nachlass der Glykosurie sind die Fälle von soge¬ 
nanntem intermittirend em Diabetes. Derselbe bestellt bekannt¬ 
lich darin, dass der Zucker für längere Zeit vollständig — auch 
bei gemischter Kost — aus dem Urin verschwindet, so dass man 
versucht ist, an eine definitive Heilung zu glauben, bis die Zucker¬ 
ausscheidung in Folge irgend einer Schädlichkeit — sei es einer 
heftigen Gemüthshewcgung oder fortgesetzter grober Diätfehler — 
sich wieder einstellt. Unter den von mir beobachteten Fällen 
dieser Art ist folgender einer der interessantesten. Derselbe liefert 
zugleich einen neuen Beleg für meine mehrfach gemachte Beob¬ 
achtung. dass der Diabetes nicht selten unter den Zeichen eines 
acuten Magenkatarrhs auftritt und mit Besserung resp. Heilung des 
letzteren verschwindet. 

Ein scheinbar ganz gesunder, im besten Mannesalter stehender 
Herr, als Begleiter seiner die Cur gebrauchenden Frau in Marienbad 
anwesend, erkrankte dort plötzlich nach dem Genuss neuer Häringe 
an einem mit heftigem Durst verbundenen acuten Magenkatarrh. Der 
consultirte Arzt coustatirte Zucker im Harn, der aber bald ver¬ 
schwand. Im Laufe des Winters bildete sich ein leichter chronischer 
Magenkatarrh mit acuten Exacerbationen aus; die ab und zu vorge¬ 
nommene Urinuntersuchung ergab regelmässig einen, wenn auch 
uicht hohen, so doch bis zu 1% betragenden Zuckergehalt. Im 
folgenden Sommer kam Patient in meine Behandlung. Zucker 
war im Urin nicht nachzuweisen. Bei dem Gebrauch der 
Trinkcur und einer gegen den Magenkatarrh gerichteten Diät, aus 
welcher Kartoffeln und sonstige Kohlehydrate durchaus nicht aus¬ 
geschlossen waren, besserte sich der Magenkatarrh ganz erheblich, 
das Verhalten des Urins blieb dasselbe. Als im Laufe des folgenden 
Winters der Magenkatarrh recidivirte, wurde wiederholt das Vor¬ 
handensein einer mässigen Zuckermenge im Urin festgestellt. Kurz 
vor der Ankunft des Patienten in Neuenahr soll dieselbe noch 2°/o 
betragen haben, während ich keine Spur mehr nachweisen konnte- 
Der Magenkatarrh besserte sich sehr rasch, um völligem Wohlbe¬ 
finden Platz zu machen. Da trat nach fast 4 Wochen plötzlich von 
Neuem ein acuter Magenkatarrh auf, merkwürdigerweise wiederum 
hervorgerufen durch den Genuss neuer Häringe. Der Urin enthielt 
jetzt 2,8% Zucker. Nach einigen Tagen war der Magenkatarrh ge¬ 
heilt und auch der Zucker vollständig verschwunden. 

Ein anderer, sehr interessanter Fall dieser Art kam im ver¬ 
flossenen Herbst zu meiner Kenntniss. 

Bei einer jetzt 45jährigen Dame zeigte sich vor 14 Jahren nach Ent¬ 
wöhnung des ersten Kindes Durst und Polyurie. Erst nach mehreren Jahren 
wurde Diabetes constati.t. Durch eine sofort eingeleitete zweckmässige 
Heilmethode wurde vollständige Heilung erzielt, die über 2 Jahre anhielt. 
Vor 8 Jahren, nach Entwöhnung des zweiten Kindes, trat, der Diabetes wie¬ 
der auf mit einem Zuckergehalt von fast 7%. Seither ist derselbe nicht 
mehr vollständig verschwunden. 

Einen Uebergang vom intermittirendeD Diabetes zu den leichte¬ 
ren Formen der Krankheit bilden diejenigen Fälle, in denen der 
Zucker spontan für kurze Zeit, gewöhnlich für einige Tage, selten 
für längere Zeit, vollständig verschwinden kann. Diese Beobachtung 
wird nicht selten nach einer länger dauernden Eisenbahnfahrt, und 
zwar besonders an denjenigen Badeorten, wo Diabetiker vorzugs¬ 
weise Heilung suchen, also in Karlsbad und Neuenahr, von den da¬ 
selbst prakticirenden Aerzten gemacht. Es stellen sich nämlich 
frisch zugereiste Diabetiker mit der mündlichen oder schriftlichen 
Angabe, dass ihr Harn 1, 2, selbst 3% Zucker betrage, dem Arzte 
vor, welcher sehr erstaunt ist, bei der Harnuntersuchung keiuen 
Zucker zu finden und leicht geneigt ist anzunehmen, dass bei den 
früheren Untersuchungen ein Irrthura unterlaufen sei, bis meist nach 
einigen Tagen, nach Genuss von Zucker oder einer reichlichen Menge 
von Kohlehydraten aber oft sofort, die Zuckerausscheidung wieder 
eintritt. Es geschieht dies fast ausnahmslos bei noch kräftigen In¬ 
dividuen, welche mit der leichten Form der Krankheit behaftet sind, 
während bei körperlich heruntergekommenen Kranken eine längere 
Reise fast immer eine Steigerung des Zuckergehalts zur Folge hat. 


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DEUTSCHE MEDICINISCDE WOCHENSCHRIFT. 


207 


15. März. 


Die günstige Einwirkung einer lungeren Eiseubalmfahrt in den 
genannten Fällen muss man sich wohl aus dein Umstand erklären, 
dass bei muskelkräftigen Diabetikern ein gewisses Maass körper¬ 
licher Thätigkeit, in manchen Fällen selbst angestrengter Muskel¬ 
arbeit auf die Zuckerausscheidung fast immer einen sehr günstigen 
Einfluss ausübt. Nun ist die Eisenbahnfahrt ebenfalls als ein die 
Körpermuskulatur des Reisenden in gelinder und zwar mehr passiver 
W eise in Anspruch nehmender Vorgang zu betrachten, wie dies ja 
auch mit der Massage der Fall ist, welche aus diesem Grunde 
neuerdings bei Diabetes warm empfohlen wurde. 

Aus diesen Fällen von wirklichem und scheinbarem Verschwinden 
des Zuckers geht hervor, dass ein einmaliges negatives Resultat der 
Urinuntersuchung nicht immer ausreicht, um mit positiver Gewiss¬ 
heit das* Vorhandensein von Diabetes mellitus in jedem Falle in 
Abrede stellen zu können. Wo mit Rücksicht auf das Allgemein¬ 
befinden oder einzelne Krankheitssymptome der Verdacht auf Dia¬ 
betes nahe liegt, soll man sich die Mühe nicht verdriessen lassen, 
den Urin öfters und zu verschiedenen Tageszeiten, besonders aber 
einige Stunden nach einer an Zucker oder Kohlehydraten reichen 
Mahlzeit zu untersuchen. 


IV. Ueber Lungenentzündungen und Lungen¬ 
tuberkulose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 10.) 

Chronische Pneumonieen. 

Die chronischen entzündlichen Processe in den Luugen zeigen 
eine grosse Mannichfaltigkeit. Um eine gewisse Uebersicht über 
dieselben zu gewinnen, erscheint es zweckmässig, zunächst nach 
dem gröberen anatomischen Verhalten vier Formen derselben 
zu unterscheiden. 

1. Die lobäre chronische Pneumonie. Dieselbe kaum 
wie dies bereits im früheren dargelegt wurde (s. o.), entstehen aus 
der acuten lobären Pneumonie, indem in einem gewissen Bezirk 
der Lunge die Infiltration sich nicht löst, und das fibrinöse Exsudat 
nicht resorbirt wird. Es kommt aber auch vor, dass eine fibrinöse 
Pneumonie von Anfang an einen chronischen Charakter zeigt: sie 
verläuft mit weniger hohem Fieber, die rothe Hepatisation besteht 
lange Zeit fort, sie ist mehr schlaff, die Schnittfläche ist weniger 
granulirt. mehr glatt. Die lobäre chronische Pneumonie kann 
unter Umständen noch spät, entweder vollständig oder wenig¬ 
stens theilweise zur Resorption gelangen; in vieleu Fällen aber 
erfolgt käsige Umwandlung und Uebergang in tuberculöse Zer¬ 
störung. — Manche Infiltrationen von grösserem Umfange beruhen 
anf ausgedehnter tuberculöser Infiltration; dieselben können unter 
dem Bilde einer acuten fibrinösen Pneumonie auftreten (s. o.), die 
erst später chronisch wird; häufiger aberhaben sie von vornherein 
einen mehr chronischen Charakter; ineist gehen sie verhältniss- 
mässig schnell die käsige Umwandlung ein und führen zu ausge¬ 
dehntem Zerfall. Hierher gehört die graue und gelatinöse Infiltra¬ 
tion von Laennec (infiltration tuberculeuse grise, infiltration tuber- 
culeuse gelatiniforrae), so weit es sich dabei um umfangreiche 
lobäre Infiltrationen handelt, so wie auch ein Theil dessen, was 
von Buhl als Desquamativpneumonie bezeichnet wurde. 

2. Die lobuläre chronische Pneumonie. Bei der acuten 
lobulären Pneumonie kommt es noch häufiger als bei der lobären 
vor, dass das Exsudat nicht zur Resorption gelangt, sondern lauge 
Zeit in den Alveolen liegen bleibt, und dass so eine chronische 
Pneumonie entsteht (s. o.). Andere lobuläre Pneumonieen haben 
von Anfang an einen chronischen Charakter, indem die Infiltration 
der Lungenläppchen langsam sich entwickelt und keine Neigung 
zu einer weiteren Umwandlung zeigt. Auch die chronische lobuläre 
Pneumonie kann nach langem Bestehen endlich noch iu Lösung 
üWrgehen; sehr häufig aber entwickelt sich aus derselben eine 
Tuberculöse. 

3. Chronische Bronchopneumonie oder Peribron- 
chitis. Dabei besteht eine entzündliche Infiltration des Lungen¬ 
gewebes in der Umgebung der Bronchien, welche die einzelnen 
Bronchien in ihrem Verlauf mit einer annähernd cylinderförmigen 
Schicht umgiebt. Während die zweite Form, die lobuläre Pneu¬ 
monie. in der Weise zu Stande kommt, dass der eutzündliehe 
Process auf der Bronchialschleimhaut sich in der Fläche ausbreitet 
gegen die Enden des Bronchus hin bis auf die Luugenalveoleu, 
erfolgt bei dieser dritten Form die Ausbreitung des entzündlichen 
Processes von der Schleimhaut des Bronchus aus in die Tiefe, 
zunächst auf die tieferen Schichten der Bronchialwaud und auf das 
peribronchiale Bindegewebe, und dann auch auf das benachbarte 


Lungengewebe, so dass der einzelne Bronchus von einer mehr oder 
weniger dicken Schicht infiltrirten Lungengewebes umgeben ist. 
Auf dem Durchschnitt durch die Lunge erscheinen diese peribron- 
chitischen Verdichtungen, je nachdem der Schnitt das Gebilde quer 
oder schräg trifft, als runde oder elliptische Knötchen oder Knoten, 
von denen die kleineren leicht mit Miliartuberkeln verwechselt 
werden. Sie köunen stellenweise so dicht stehen, dass sie eine 
compacte Infiltration bilden. Diese Art der Ausbreitung der Ent¬ 
zündung findet hauptsächlich dann statt, wenn die Entzünduugs- 
erreger vermöge ihrer physikalischen oder biologischen Natur be¬ 
fähigt sind, durch die Bronchialwandungen hindurch in das um¬ 
gebende Lungengewebe eiuzudringeu. Es ist dies z. B. der Fall, 
wenn der Entzündungserreger aus Staubpartikeln besteht, welche 
sehr hart sind und mikroskopisch scharfe Spitzen und Kanten be¬ 
sitzen, vermöge deren sie leicht die Bronchialwandungen durch¬ 
bohren können, oder wenn bei der Bronchitis Mikrobien betheiligt 
sind, welche die Eigenthümlichkeit haben, sich durch die Gewebe 
hindurch auf die Umgebung fortzupflanzen, wie z. B. die Mikrobien 
der Tuberculöse. 

Der Ausdruck Bronchopneumonie wird häufig auch in einem weiteren 
Sinne gebraucht, indem man dazu auch die lobulären Pneumonieen rechnet, 
die wir als die zweite Form der chronischen Pneumonieen aufgeführt haben, 
und welche durch Fortsetzung der Entzündung von den Bronchien auf die 
an ihren Enden befindlichen und von ihnen mit Luft versorgten Lungen¬ 
läppchen entstehen. Wir beschränken den Ausdruck Bronchopneumonie 
auf die Infiltrationen des Lungengewebes in der Umgebung der Bronchien 
und betrachten denselben als gleichbedeutend mit Peribronchitis; auch mag 
noch ausdrücklich erwähnt werden, dass wir unter Peribronchitis nicht 
etwa ausschliesslich die Entzündung des peribrouchialen Bindegewebes ver¬ 
stehen, sondern zugleich und vorzugsweise die Infiltration des Luugen- 
gewebes in der Umgebung des Bronchus. 

4. Chronische interstitielle Pneumonie, Induration 
oderCirrhose der Lunge. Bei dieser Form handelt es sich tun eine 
Wucherung des interlobulären Bindegewebes, an der aber gewöhnlich 
auch das Gewebe der Läppchen theilnimmt. Die Bindegewebs¬ 
wucherung erfolgt zunächst mehr in strichweiser oder flächenhafter 
Ausbreitung, so dass anfangs zwischen den wuchernden Binde- 
gewebsmassen noch mehr oder weniger lufthaltige Luugenläppchen 
vorhanden sind; später kann stellenweise die Wucherung derart 
überwiegend werden, dass grössere Bezirke der Lunge und ira 
äussersten Falle selbst ganze Lungenlappeu iu eine feste Binde- 
gewebsmasse umgewandelt werden. Wir haben die interstitielle 
Pneumonie bereits früher als eine der möglichen Ausgänge der 
acuten Pneumonie, und zwar sowohl der lobären als der lobulären 
besprochen (s. o.). Sie kann aber auch ohne vorhergegangene acute 
Pneumonie auftreten, wenn entsprechende Entzündungserreger auf 
das interstitielle Bindegewebe einwirken. Endlich kann sie auch 
vou der Pleura ausgehen, indem bei Pleuritis mit Bindegewebs- 
wucherung diese letztere sich auf das interstitielle Gewebe der 
Lunge fortsetzt. — Indem später das gewucherte Bindegewebe sich 
retrahirt, wird das Volumen der betroffenen Lungenabschnitte be¬ 
trächtlich verkleinert. Da aber wegen des Luftdruckes eiu leerer 
Raum nicht entstehen kann, so wird zunächst die entsprechende 
Stelle der Thorax wand möglichst eingezogen, und es werden auch 
die benachbarten Organe herangezogen; iin übrigen wird der Raum 
dadurch ausgefüllt, dass in den noch lufthaltigen Lungenabschnitten 
die Alveolen eine übermässige Ausdehnung erlangen (vicariirendes 
Emphysem), und dass einzelne Abschnitte der Bronchien sich be¬ 
deutend erweitern (sackartige Bronchiektasie). 

In der gleichen Lunge können neben einander verschiedene 
Formen der chronischen Pneumonie Vorkommen, und indem sie sich 
in verschiedener Weise zu zweien oder zu mehreren combinireu und 
bald die eine, bald die andere dieser vier Formen vorherrschend 
ist, entstehen die ausserordentlich mannichfaltigcn anatomischen Be¬ 
funde, welche bei chronischen Lungenkrankheiten sich ergeben. 
Diese Mannichfaltigkeit und die Schwierigkeit der Beurtheiluug im 
einzelnen Falle wird noch dadurch erhöht, dass als ein füufter 
Factor sehr häufig noch die eigentliche Lungentuberculose hiuzutritt. 
Die näheren Beziehungen zwischen chronischer Pneumonie und 
Lungentuberculose, die bisher in sehr verschiedener Weise aufgefasst 
worden sind, und deren Verständniss in der That mancherlei Schwierig¬ 
keiten darbietet, werden wir später erörtern. Es genügt vorläufig 
festzustellen, dass jede der beschriebenen Formen der chronischen 
Pneumonie sowohl ohne Tuberculöse Vorkommen, als auch sich mit 
Tuberculöse comhiniren kann, und letzteres iu der Weise, dass in 
manchen Fällen die Tuberculöse die Grundlage und Ursache der 
chronischen Pneumonie ist, während sie iu anderen Fällen zu einer 
durch andere Ursachen entstandenen chronischen Pneumonie erst 
nachträglich und gewissermaassen als zufällige Complicatiou hinzu¬ 
tritt. — ln selteneren Fälleu kommen auch anderweitige iufectiöse 
Granulationsgeschwülste in der Lunge vor, die sich daun ebenfalls 
mit verschiedenen Kormeu der chronischen Pneuiüonie combiniren. 
so namentlich Lungensyphilis und Aktinomykose. 


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208 


DEUTSCHE MKDICINISCIIK WOCHENSCHRIFT. _ N<>. 11 


In Bezug auf die Aetiologie ist zunächst anzuführen, dass 
manche chronische Pneumonieen, wie bereits wiederholt hervor¬ 
gehoben wurde, Fortsetzungen von acuten Pneumonieen 
sind. So kann aus der acuten fibrinösen Pneumonie eine chronische 
lobäre, aus der acuten katarrhalischen Pneumonie eine chronische 
lobuläre entstehen, und beide Formen der acuten Pneumonie können 
auch in chronische interstitielle Pneumonie übergehen. 

Unter den sonstigen Ursachen der chronischen Pneumonie spielt 
eine bedeutende Rolle der Bronchialkatarrh, und namentlich 
der Katarrh der feineren Bronchien. Manche Katarrhe haben mehr 
die Tendenz, sich in der Fläche der Schleimhaut auszubreiten bis 
in die Alveolen: dadurch entstehen acute oder chronische lobuläre 
Pneumonieen. Andere Katarrhe greifen mehr in die Tiefe, so dass 
zunächst die übrigen Schichten der Bronchialwandungen und endlich 
auch das umgebende Lungengewebe in den entzündlichen Process 
hineingezogen werden: dann entsteht eine chronische Broncho¬ 
pneumonie oder Peribronchitis. Das letztere geschieht vorzugsweise 
dann, wenn der Katarrh sehr intensiv ist und wiederholt die gleichen 
Bronchien ergreift, und namentlich wenn die Eutzündungserreger 
gewisse besondere Eigenthümlichkeiteu besitzen (s. o.). 

Chronische Pneumonieen entstehen ferner durch Staubinha¬ 
lation. Schon früh haben manche Aerzte die schwarze Färbung 
der Lungen mit stellen weiser chronischer Verdichtung derselben, 
die sogenannte Melanose der Lunge, wie sie bei Arbeitern in Stein¬ 
kohlenbergwerken und bei Tunnelarbeiteru häufig gefunden wird, 
auf eingeathmeten Kohlenstaub oder Lampenruss zurückgeführt, 
während Andere das Eindringen solchen Staubes in das eigentliche 
Lungengewebe leugneten und die schwarze Färbung nur als ein 
Uebermaass des gewöhnlichen Lungenpigments, welches aus um¬ 
gewandeltem Blutfarbstoff entstehe, gelten lassen wollten (Virchow). 
Erst nachdem Traube in zwei Fällen (186'), 1865) bei Arbeitern, 
welche Jahre lang Holzkohlenstaub eingeathmet hatten, durch 
mikroskopische Untersuchung gezeigt hatte, dass das im Auswurf 
und post mortem in der Lunge reichlich vorgefundeue schwarze 
Pigment aus wirklichen Holzkohlenpartikelu bestand, welche noch 
deutlich als verkohlte Pflanzenzellen zu erkennen waren, und nach¬ 
dem ferner Zenker (1866) eine massenhafte Anhäufung von rothem 
Eisenoxyd in den Lungen von Arbeitern, welche solchen Staub lange 
eingeathmet hatten, beschrieben hatte, ist die Lehre von der Ver¬ 
staubung der Lungen, der Pneumonoconiosis (von xuvtq = Staub) 
zur allgemeinen Anerkennung gelangt, und es wurde endlich er¬ 
kannt, dass bei allen der Einathmung von Staub stark ausgesetzten 
Leuten auf die Dauer eine solche Pneuraonokoniose Vorkommen 
kann. Die Ansammlung von Kohlenstaub in den Lungen wird als 
Anthracosis (von 9pa£ = Kohle), die Ansammlung von Eisenstaub 
als Siderosis pulmonum (mtypog = Eisen) bezeichnet. Bei Einlagerung 
von Thonerdestaub redet man von Aluminosis, bei Kieselstaub von 
Chalicosis pulmonum. Aehnliche Verstaubungen der Lunge kommen 
vor bei Müllern, bei Steinbrechern und Steinhauern, bei Kalk- und 
Gypsarbeitern, bei Schleifern, bei Arbeitern in Tabak- und Baum¬ 
wollenfabriken u. s. w. 

Die Gegner der Lehre von der Lungenverstaubung haben mit Recht 
darauf aufmerksam gemacht, dass bei weitem nicht aller Staub, welcher ein¬ 
geathmet wird, wirklich in die Lunge gelangt und dort sich festsetzt. Wenn 
dies der Fall wäre, so müssten bei vielen Menschen die Lungen allmählich 
vollständig mit Staub ausgefüllt werden. Ein Theil des in der eingeathmeten 
Luft enthaltenen Staubes bleibt, namentlich wenn durch die Nase geathmet 
wird, schon an den Wandungen der äusseren Respirationsw'ege hängen und 
gelangt gar nicht in die Bronchien, ein anderer Theil wird in den grösseren 
und kleineren Bronchien abgesetzt und kommt nicht bis zu den Lungen¬ 
alveolen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Inspiration von ge¬ 
wöhnlicher Tiefe die eingeathmete Luft nur zum Theil direkt bis in die 
Lungenalveolen gelangt, dass vielmehr zunächst nur die Luftwege, die 
Trachea und die Bronchien mit frischer Luft gefüllt werden, während die 
bis zu den Lungenalveolen vordringende Luft zum Theil aus derjenigen be¬ 
steht, welche nach der letzten Exspiration noch in den Luftwegen zurück¬ 
blieb und daselbst ihren Staub schon niedergeschlagen hat. Es wird des¬ 
halb in der Regel der in der eingeathmeten Luft enthaltene Staub nicht 
bis zu den Lungenalveolen gelangen, sondern in den Luftwegen hängen 
bleiben. Aus den Bronchien wird er dann durch die Flimmerbewegung 
nach oben geschafft und mit dem Auswurf aus den Luftwegen wieder ent¬ 
fernt. Es ist eine bekannte Erfahrung, dass, wenn wir an einem Tage 
viel Kohlenstaub oder Russ eingeathmet haben, wie z. B. bei einer langen 
Eisenbahnfahrt, dann einige Zeit nachher der ausgeworfene Schleim eine 
schwärzliche Farbe hat. So erklärt es sich, dass, obwohl die meisten Men¬ 
schen täglich mit der Luft grosse Mengen von Staub einathmen, die Lungen 
doch nur ausnahmsweise besonders grosse Mengen davon enthalten. Aber 
der Schutz, welchen diese Vorrichtungen und namentlich die Flimmer¬ 
bewegungen in den Bronchien gewähren, ist nicht für alle Fälle ausreichend. 
Wenn ausnahmsweise tief und namentlich durch den Mund geathmet wird, 
so gelangt der grösste Theil der Luft und damit auch ein Theil des darin 
enthaltenen Staubes direkt bis in die Lungenalveoleu. Ferner mag auch 
zuweilen das Fliramerepithel in seiner Wirkung etwas nachlassen, so z. B. 
bei stärkeren Katarrhen oder anderen pathologischen Zuständen. Und end¬ 
lich giebt es Staubpartikel, welche vermöge ihrer besonderen Eigenschaften 


an der Bronchialschleimhaut sich festsetzen und durch die Bronchialwandungen 
in das Lungengewebe eindringen können. 

Der Staub, welcher bis io die Lungenalveolen gelangt ist, geht 
weiter durch die Wandungen derselben hindurch; zum Theil lagert 
er sich ab im interstitiellen Gewebe, zum Theil gelangt er in die 
Lymphgefässe und von diesen in die Bronchialdrüsen. Es kann 
aber auch der Staub, ohne in die Alveolen zu gelangen, von der 
Bronchialschleimhaut aus in das umgebende Lungengewebe Vor¬ 
dringen. Es ist dies um so leichter möglich, je grösser der Härte¬ 
grad des Staubes im mineralogischen Sinne ist, und je mehr scharfe 
Kanten und spitze Vorsprünge die einzelnen Staubpartikel besitzen. 
So ist der Staub von Sandstein gefährlicher als der von Kalkstein 
oder Marmor, Holzkohlen- oder Steinkohlenstaub ist schlimmer als 
Russ. Für den Müller besteht die Schädlichkeit weniger in dem 
Mehlstaub, als vielmehr in dem Staub der Mühlsteine. Aber auch 
die weicheren Staubarten, wie Lampenruss, können, wenn sie in 
grosser Menge eingeathmet werden, auf die Dauer bedeutende 
Schädigungen bewirken. 

Die weiteren Folgen von Staubablagerung in den Lungen sind 
verschieden. Es kommt vor, dass der Staub in der Lunge sich 
wie ein indifferenter Fremdkörper erhält, indem er im interstitiellen 
Gewebe, in der Pleura, in den Broncbialdrüsen liegen bleibt, ohne 
besondere Störungen zu machen. Meist aber kommen, wenn grössere 
Mengen von Staub abgelagert wurden, krankhafte Veränderungen in 
der Lunge zu Stande. Fast immer entsteht Bronchialkatarrh, und 
daran können sich die verschiedenen Formen der chronischen Pneu¬ 
monie anschliessen, namentich lobuläre Infiltrationen, ferner bei den 
mehr mechanisch verletzenden Staubarten vorzugsweise auch Peri¬ 
bronchitis und von der Wucherung des peribronchialen Binde¬ 
gewebes ausgeheud auch interstitielle Pneumonie. Bald ist eine 
dieser Formen vorherrschend, bald sind sie in mehr gleichmässiger 
Mischung vorhanden. Und endlich kommt es häufig vor, dass da¬ 
neben auch noch Tuberculose sich entwickelt, während in anderen 
Fällen Tuberculose ausbleibt und nur eine fortschreitende Ver¬ 
ödung des Lungengewebes mit ihren Folgen zu Stande kommt. 
Wir werden wohl anzunehmen haben, dass diese Verschiedenheit 
der Folgen einestheils von der Menge und Beschaffenheit des eiu- 
gedrungenen Staubes abhängig ist, anderentheils aber auch davon, 
ob und welche besonderen Krankheitserreger von dem Staub mit¬ 
geführt werden oder neben demselben in die Lunge gelangen. 
Namentlich durch die mechanisch verletzenden Staubarteu scheint 
das Eindringen von pathogenen Mikroorganismen wesentlich er¬ 
leichtert zu werden. 

An die durch Staubinhalationen entstehenden chronischen Pneu¬ 
monieen schliessen sich diejenigen an, welche durch Eindringen 
gröberer Massen in die Bronchien oder Alveolen entstehen. Dahin 
gehören zunächst die Fremdkörper- und Schluckpueumonieen, so 
weit sie nicht einen acuten Verlauf nehmen, sondern entweder von 
Anfang an chronischen Charakter haben oder solchen im Laufe der¬ 
zeit annehmen. Und endlich sind hierher die Fälle zu rechnen, 
bei welchen chronische Pneumonie dadurch entsteht, dass irgend 
welche Krankheitsproducte, wie z. B. Eiter, zerfallene Tuberkel¬ 
masse, extravasirtes Blut in die Lungenalveolen aspirirt werden. 
Bei Hämoptoe kommt eine Aspiration von Blut in die Lungen¬ 
alveolen sehr häufig vor, und in einzelnen Fällen wird dadurch 
eine meist chronisch verlaufende pneumonische Infiltration hervor¬ 
gerufen (s. u.). 

Endlich ist als eine der häufigsten und wichtigsten Ursachen 
von chronischer Pneumonie die Tuberculose zu nennen, welche, 
wie sie häufig zu schon bestehender chronischer Pneumonie hinzu¬ 
tritt, so auch selbst wieder chronische Pneumonie hervorrufen oder 
zu weiterer Ausbreitung bringen kann. So kann durch Aspiration 
von tuberculösem Erweichungsmaterial lobuläre chronische Pneu¬ 
monie entstehen, bei Tuberculose der Bronchialschleimhaut kommt 
durch Uebergreifen auf das umgebende Lungengewebe Peribrouchitis 
zu Stande, in der Umgebung von tuberculösen Herden findet Binde¬ 
gewebswucherung statt in Form der interstitiellen Pneumonie oder 
Lungeninduration. 

Auch andere specifische Affectionen und infectiöse Granulations- 
geschwülste können zu chronischer Pueumonie führen. So kann 
die Luugensypliilis als interstitielle Pneumonie und vielleicht auch 
in Form von lobulärer Pneumonie und von Peribronchitis auftreten 
(Vorlesungen, Bd. I, p. 276), und auch bei Aktinomykose der 
Lunge kommen interstitielle Bindegewebswucheruugen vor. 

Die Symptomatologie der chronischen Pneumonie stimmt, 
so weit dabei die Verdichtungen des Lungengewebes in Frage 
kommen, mit der der acuten lobären und lobulären Pneumonie 
überein; in anderen Beziehungen kann auf die Symptomatologie der 
Tuberculose und der Bronchiektasie verwiesen werden. 

Obwohl die verschiedenen Formen der chronischen Pneumonie 
häufig neben einander in der gleichen Lunge Vorkommen, so ist 
doch oft die eine oder die andere Form vorherrschend, und in 


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15. März. 


DEUTSCHE 1TED1CINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


209 


diesem Si*n kann von einer Diagnose der einzelnen Formen wäh¬ 
rend des Ldbens die ilede 'sein. Die lobäre Form ist gegenüber 
der lobuläaen charäkterisirt durch die umfangreichere «ompacte 
Verdichtung «und die davon abhängigen physikalischen Erscheinungen; 
doch ist dnlbei zu berücksichtigen, dass a»ch solche Infiltrationen, 
welche ursprünglich lobulär waren, allmählich zu umfangreichen 
Verdichtungen conflulren können. Die Bronchopneumonie oder 
•Peribronchife ist vorzugsweise vorauszusetzen in den Füllen, bei 
welchen die entsprechenden ätiologischen Verhältnisse vorliegen, 
•wie *. B. länger dauernde Inh&ation von -Staub und besonders von 
mechanisch verletzenden Staubarten. Bei der sogenannten Stein¬ 
hauerlunge "handelt -es sich wesentlich um solche Peribronchitis; 
•doch sind «ftabei häufig zugleich lobuläre Herde vorhanden, und 
auch der interstitiellen Bindegewebswucherung kann ein wesentlicher 
Antheil an den Veränderungen zukommen. Die interstitielle Pneu- 
jnonie kommt häufig im Gefolge und in Verbindung mit den an¬ 
deren Formen vor. Man wird dieselbe um so mehr voranssetzen, 
Je mehr die Erscheinungen der ILungenretraetion mit Einziehung der 
Ühoraxwand, Disloeation des Herzens, des Zwerchfelles und anderer 
Organe ausgebildet sind. In besonderen Fällen können auch die 
Erscheinungen der sackartigen Bronchiektasie für die Diagnose ver- 
werthet werden. — Endlich für die wichtige Entscheidung, ob im 
gegebenen Falle neben der chronischen Pneumonie auch Lungen- 
täberculose vorhanden sei oder nicht, ist vorzugsweise maassgebend 
das Vorhandensein oder Fehlen der für Tuberculose in Frage 
kommenden Daten der Anamnese und des Status praesens (s. u.). 
ha Zweifelsfalle wird die Untersuchung des Auswurfes auf Tuberkel- 
bacntlen. wenn sie positiv ausfällt, eine sichere Entscheidung geben. 

Manche Aerzte sind geneigt, jede aachgewiesene chronische Verdichtung 
in der Lunge für Tubereuioee zu erklären und sieh damit jeder weiteren 
Untersuchung und Ueberlegung enthoben zu glauben. Und da in Wirklich¬ 
keit bei der Mehrzahl der Fälle von chronischer Pneumonie eine Compli- 
cation mit Tuberculose entweder schon von vornherein vorhanden ist oder 
im weiteren Verlaufe zu Stande kommt, so behalten sie für die Mehrzahl 
der Fälle Recht. Nichtsdestoweniger muss ein solches bequemes Verfahren 
entschieden gemissbilligt werden. Die Frage, ob bei einem Kranken mit 
chronischer Lungenverdichtung Tuberculose bereits vorhanden sei oder nicht, 
ist von se entscheidender Bedeutung für Prognose und Therapie des Falles, 
dass dieselbe nicht blos nach Wahrscheinlichkeitsgründen beurtheilt werden 
darf, sondern, so weit es möglich ist, mit. Sicherheit entschieden werden 
muss, und dass in jedem einzelnen Falle alle Hülfsmittel der Diagnostik, so 
weit sie zur Entscheidung beitragen können, herangezogen werden müssen (s.u.). 

Der Verlauf der chroniscbeu Pneumonie ist hauptsächlich 
4avon abhängig, ob zugleich Tuberculose besteht oder nicht. Wo 
Leine Tuberculose vorhanden ist, da kann eine chronische Pneu¬ 
monie während unbegrenzter Zeit in dem gleichen Zustande ver¬ 
bleiben oder nur unmerklich weiter schreiten. Je nach der Aus¬ 
dehnung der Verdichtung oder Verödung der Lunge stellen sich 
dabei mehr oder weniger bedeutende Störungen der Respiration 
und der Circulation ein. Auch ist daran zu denken, dass die bis¬ 
her nicht vorhandene Tuberculose später noch hinzukommen kann. 
Der Verlauf bei gleichzeitig bestehender Tuberculose wird im fol¬ 
genden Abschnitt dargestellt werden. 

In Betreff der Therapie ist gewöhnlich die chronische Pneu¬ 
monie an sich weniger maassgebend für die Aufstellung der Indi¬ 
kationen, als vielmehr die zu Grunde liegenden oder begleitenden 
Aflfectionen oder die Folgezustände, so namentlich Bronchialkatarrh, 
Pneumonokonio.se, Verödung der Lunge, Bronchiektasie, Emphysem, 
Tuberculose. ! ) _ 

VL Beitrage zur Localisation im Grosstarn 
und über deren praktische Verwerthung. 

Von Dr. M. Jastrowitz. 

(Schluss aus No. 8.) 

Die Operationen, welche die Chirurgen in neuerer Zeit am 
Schädel ausführten, haben, wie das in der menschlichen Natur liegt, 
begünstigt durch die antiseptische Methode, eine fortschreitende 
grössere Kühnheit bekundet. Zuerst gab das Trauma, die Knochen¬ 
depression, nebst den sogleich auftretenden oder bald daran ge¬ 
knüpften alarmirenden Hirnerscheinungen die Indication ab für das 
chirurgische Eingreifen. Schrittweise gelangte man, indem man von 
der gedachten Indication abwich, zu ganz anderen Anzeichen. Mau 
trepanirte auch, wenn der Defect im Schädel, den die Verletzung 
gesetzt hatte, nicht unmittelbar wahrzunehmen war, sondern wenn 
inan nur Spuren davon, Narben sah, oder wenn anamnestisch eiuiger- 
inassen genau eine Verletzung augegeben war und mit einigen beim 
Kranken vorhandenen prägnanten Hirnsymptomen stimmte, welche 
ungefähr auf den Ort bezogen werden konnten. Dann begnügte man 
sich mit der allgemeinen Annahme, dass ein Trauma erfolgt war. 
Endlich sah man auch vom Trauma ab uud beachtete lediglich die 
Symptome. 

*) Die Artikel über Lungentuberculose werden im nächsten Monat fort¬ 
gesetzt werden. 


1 Auch bezüglich derselben ist man, wie mir scheint, in deti An- 
; forderungen stetig herabgegangen. Man verlangte keine Lähmung 
mehr als Indication zum Trepaniren, man begnügte sich schon mit 
Jacksoa’schen Krämpfen oder mit einer localisirten, stetigen Aura, 
ja man hat selbst bei genuiner Epilepsie, wenn am Schädel irgend- 
j wo eine Narbe war, angeblich mit Erfolg trepanirt und ist soweit 
j gegangen. Geisteskranken den Schädel anzubohren, welche irgend 
| einmal an demselben ein Trauma erlitten haben sollten. 

Die Indicationen für die chirurgische Behandlung der Hirn- 
I krankheiten sind in einer vor Kurzem erschienenen Abhandlung 
des Herrn v. Bergmann ausführlich derart dargelegt und mit 
I Beobachtungen begründet worden, dass wenig zu sagen bleibt, und 
j ich auf dieselbe in allen Punkten verweisen muss. (Arbeiten aus 
; der chirurgischen Klinik der Kgl. Universität Berlin. III. Theil. 
j 1887, auch als Separatabdruck bei Hirschwald unter dem Titel: 
j „die chirurgische Behandlung der Hirnkrankheiten 14 inzwischen er- 
j schienen.) Vom Standpunkte des inneren praktischen Arztes hätte 
ich einige Bemerkungen und Wünsche noch hinzuzufügen. 

Herr v. Bergmann stellt den Satz auf, dass nur dann trepanirt 
i werden solle, wenn aus den Symptomen auf die Anwesenheit einer 
I organischen Erkrankung des Hirns zu schliessen sei. Das ist sicher 
; die einzig begründete Indication. Man wird nicht fehl gehen, wenn 
j man länger beobachtete Fälle mit Paralyse, Krämpfen im gelähmten 
! Glied, Verlust des Muskelsinnes, vielleicht auch primären Contrae- 
! turen, eventuell rein motorischer, dauernder Aphasie etc. zur Operation 
| auswählt. Alles wird sich uatürlich nicht beisammen finden lassen, 
i und es wird von dem diagnostischen Scharfblick des Arztes ab- 
! hängen, ob er z. B. bei Jackson'sehen Krämpfen allein, wenn 
; ein Trauma ausserdem voranging, schon genügende Ursache dazu 
zu haben glaubt. 

Jedoch muss bemerkt werden, dass acut auftretende Jacksou- 
i sehe Krämpfe, selbst wenn die krampfenden Glieder paretisch, sogar 
! monoparetisch werden, keine Sicherheit gewähren für die Anwesenheit 
’ einer organischen Krankheit, und natürlich auch nicht für einen 
! erkennbaren Sitz. Die Fälle von Senator, 1 ) Landouzy und 
Siredey 2 ) und der von uns durch Sebastian Levy mitgetheilte 
(Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie, Bd. 42, p. 96) ergaben, trotz 
i Monoplegie und Jackson'scher Krämpfe, doch nach dem Tode 
i einen negativen Befund. 

Die Operationen bei seit längerer Zeit Epileptischen, selbst 
1 wenn deren Anfälle vielleicht typisch beginnen, geben wenig Aus¬ 
sicht, auch wenn Trauma voraugegangen. Das muss uns aus Hit- 
zig’s Untersuchungen einleuchten, der bei Thieren, denen er das 
Centrum für eine Vorderextremität z. B. exstirpirte, bald früher, 
bald später, einmal schon am Tage nach der Operation, epileptische 
| Anfälle auftreten sah, während bei der Section doch nur die gesetzte 
; Rindenverletznng constatirt werden konute (1. c. p. 271). Das be- 
i greift sich ferner aus den Experimenten vou Luciani und Unver- 
j rieht, welche darthun, dass nach Exstirpation eines in Krampf¬ 
zustand versetzten Centrums die Krämpfe keineswegs sistireu, son¬ 
dern, wenn der Reiz stark genug ist, mit Ueberspringuug des aus- 
geschalteten Centrums, die anderen Centren befällt. Nur im Anfang 
eines einmal erzeugten Anfalles von Rindenepilepsie kann die rasche 
i Exstirpation der motorischeu Zone (Heidenhain), oder des krampfen- 
! den Feldes (Munk) die Krämpfe sistiren. Ob für immer, ist mehr 
! als fraglich, denn Goltz behauptet mit.positiver Bestimmmtheit. 

I dass gerade diejenigen Thiere, denen die sogenannten motorischen 
| Centren in grösster Ausdehnung weggeuorameu waren, am meisten 
i der Gefahr unterliegen, tödtlichen epileptischen Krämpfen zum Opfer 
! zu fallen (Pflüger’s Archiv XXIV, p. 479). An der Stärke des Reizes 
darf bei Epileptischen nicht gezweifelt werden, denn das ist eben 
' ihr Leiden, dass ihr labiles, psychisches und nervöses Gleichgewicht 
| die Auslösung von Krämpfen mit Leichtigkeit gestattet. Der Aus- 
| sprach v. Bergmann’s, dass mau zur eventuellen Operation die 
I traumatisch entstandenen Fälle Jackson’scher Epilepsie auswählen 
| solle, muss uns zunächst durchaus massgebend sein. Ausserdem 
| wäre es rathsam, auch nach glücklich vollführter Operation bei 
j allen Kranken, die Krämpfe halber trepanirt wurdeh, die innere 
Therapie nicht zu vernachlässigen, ihnen Bromide zu geben etc., um 
ihr Nervensystem gegen Reize abzustumpfen. 

Darüber ist heute alle Welt so ziemlich einig, dassAbscesse 
angestochen werden müssen, wenn man ihren Sitz kennt, und dass 
man-sich dabei nicht scheuen darf, selbst in die Tiefe zu gehen. 

Bei Tumoren wird die Indication eingeschränkt. Es heisst, 

J man solle nur solche Neubildungen zu exstirpiren unternehmen, 
j welche peripheren Sitz haben, z. B. von der Dura ausgehen, bei 
i denen man annehmen kann, dass sie nicht zu gross, nicht multipel, 
i nicht infiltrirt, sondern scharf begrenzt seien und an keiner lebens- 
| wichtigen Stelle sich befänden, denn bei infiltrirten Tumoren oder 


*) Berl. klin. Wochenschr. 1879, p. 75. 
J ) Revue de medeeine 1884, p. 984. 


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2L0 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 11 


bei malignen, welche weit verzweigte secundäre Kuoteu treiben, 
wäre die Operation unmöglich. 

Indessen darf man von einer Diagnose auch nicht zu viel ver¬ 
langen. Manches ist selbst bei ganz äusserlich gelegenen Geschwülsten 
vorher zu wissen unmöglich, z. B. ob sie mit einem Nerv oileff 
Gefäss verwachsen sind, wie weit sie in die Tiefe gehen u. dgl. Um 
wie viel mehr werden wir bei Hirntumoren genöthigt sein, erst .bei 
der Operation, von manchen Verhältnissen Kenntniss zu erlangen. 
Sind wirklich multiple Geschwülste vorhanden, wie z. B. in den 
von mir demonstrirteu Tuberkelfällen, so wird wenigstens das fort- 
genomraen, was die Reiz- und Lähmungssymptorae, die be¬ 
drohlichen Erscheinungen macht, welche uns die Diagnose ermöglicht 
hatten, und es kann auf diese Weise das Leben verlängert werden. 
Wir müssen uns ferner klar sein, dass wir bei der Schwierigkeit* 
der Diagnose oft nicht in der Lage sein werden, dieselbe zeitig genug 
mit wfmschenswerther Exactheit zu stellen, so dass z. B. die Ent¬ 
wickelung von secundären Knoten, wie in Fall VI geschehen, ver¬ 
hindert würde. Es wird oft zum Operiren zu spät sein, — das ; 
Alles darf nicht entmuthigen. • 

Wenn die Schädelkapsel eröffnet wird, so darf man nicht , 
immer erwarten, die Dura gespannt, das blossgelegte Gehirn ge- • 
schwollen und hervorquelleud zu erblicken. Mit Rücksicht auf 
Fall VII, bei welchem die erkrankte linke Hemisphäre sogar ver¬ 
kleinert gefunden wurde, als sie mit der Dura bedeckt war, und 
die Schwellung der Windungen erst nach Ablösung der Pia hervor- i 
trat, wäre zu rathen, mehr dem Gefühl als dem Auge zu ver- ! 
trauen. Hat man nicht alle Symptome beisammen, und trepanirt ! 
mau namentlich lediglich auf Grund von isolirten Reizerscheinungen, j 
so ist zu erwägen, dass ein Herd, nach vorn oder nach hinten von 
einem motorischen Feld gelegen, am ehesten Reizsymptome und ; 
selbst Lähmungen setzen kann, welche denen gleich kommen, die i 
das betreffende Feld selber giebt. Die motorischen Felder sind 
nun nach horizontaler Richtung weniger verschieden, dahingegen 
zeigen sie beträchtliche Unterschiede nach verticaler Richtung von 
oben nach unten, indem ihrer Function nach ganz verschiedene 
Centreu übereinander gelagert sind (cf. Tafel A und B). Daher 
empfiehlt es sich, die Trepanationsöffnung über dem vermutheten 
krauken Felde nach horizontaler Richtung grösser zu machen, weil 
nach horizontaler Richtung die präcise Angabe eines Herdes schwieriger 
und Irrthümer in der Localisation leicht möglich sind. 

Ein durch Drummond jüngst mitgetheilter Fall (Lancei, 
17. Juni 1887) von einem Abscess der motorischen Gegend bei einer 
29jährigen Frau mit Empyem legt den Wunsch nahe, die Oeffnung im 
Schädel so gross zu machen, als es irgend möglich ist. Es scheinen 
indess hier bestimmte Grenzen gegeben zu seiu, da eine zu grosse j 
Schädeleröffnung nach v. Bergmann Hirnödem bewirkt. Durch 
die nothwendige Unterbindung grösserer Venenstämme wird der 
freie Abfluss des Blutes aus der Schädelhöhle gestört und retardirt. 
und durch den Wegfall eines grösseren Fragments des knöchernen, [ 
unnachgiebigen Schädeldaches, mit dem durch dasselbe auf das Ge- ; 
hirn geübten Druck, eiu die Circulation der Lymphe förderndes 
Moment beseitigt. Eine weitere Gefahr ist der Tod durch Shock, 
welcher nach Suckling wegen der Nähe der Medulla oblongata, 
besonders bei Operationen am Cerebellum, zu fürchten ist und in 
den von Bennet May, Horsley und Suckling operirten Fällen 
auch erfolgte. (Lancet 1887, October, p. 656.) Nach dieser 1 
Richtung müssen Weitere Erfahrungen gesammelt werden, welche 
über die möglichste Grösse einer Trepanationsöffnung uns belehren, 
ohne dass wir solche Gefahr laufen. In Drummond’s Fall 
traten zu einem Schüttelfrost und Kopfschmerz in der linken Scheitel¬ 
region, neben beginnender Neuritis optica an beiden Augen, Krämpfe 
ein, die mit dem rechten oberen Augenlid begannen und Gesicht 
und Rücken ergriffen, dann fand sich Steifigkeit im rechten Bein, 
dann sprang der Krampf auf das linke Gesicht und die linken Ex¬ 
tremitäten über, und endlich hatte man Convulsionen des ganzen • 
Rumpfes, Bewusstseinsverlust nebst Secessus inscii. Nach zehn j 
solchen Anfällen blieb Deviation conjuguee der Augen und des j 
Kopfes dauernd zurück, ebenso Lähmung am rechten Bein und j 
Arm, während die linksseitigen Extremitäten rigide waren und i 
passiver Bewegung widerstanden. Motorische Aphasie, Bewusstsein 
umnebelt. — Operation am Schädel über dem Facialiscentrum. 
— Dieselbe ist vergeblich; weder an der geöffneten Stelle, noch 
seitlich davon entleert sich auf einen Stich Eiter. Dessen un¬ 
geachtet ist Tags darauf das Bewusstsein schon vorhanden, 
die Krämpfe haben nachgelassen, die Fähigkeit zu sprechen > 
ist zurückgekehrt und es besteht keine Paralyse mehr. Nach i 
einigen Tagen, vor ihrem Tode, traten Delirien auf, in denen die | 
Kranke sprach und sogar herumlief. Bei der Autopsie fand sich 
hernach die gesetzte Trepanöffnung 2 1 / 4 " lang. 274 " breit. Das 
hintere Dritttheil von Fo links war uni das Dreifache geschwollen,-! 
haftete der Pia fest an. und hier befand sich ein haselnussgrosser ! 
Abscess. 


Dieser Fall lehrt ausserdem, dass die blosse Trepanation schon 
eine Druckaufhebung bewirkt, und Lähmungen und Sprachstörungen 
ohne Weiteres durch dieselbe sich zurückbilden können. 

Dasselbe zeigt eine von Robert F. Weir in New-York mit- 
getheilte interessante Krankengeschichte 1 ) einer mit Sarkom behaf¬ 
teten Frau, die deswegen schon vier Mal operirt war. Verleitet 
durch isolirte Zuckungen am linken Bein und eine partielle Läh¬ 
mung des liuken Armes, stellte man die Diagnose auf einen Herd 
in der rechten Rolando’scheu Gegend, obgleich manche, nebenbei 
vorhandene anderweite Symptome hätten die Diagnose in andere 
Wege leiten sollen. Man operirte, fand Nichts. Die Wunde heilte, 
trotzdem das Hirn zuerst hernienartig in Hühnereigrösse vordrängte, 
so dass die Hälfte des Prolapses vor dem Nähen abgeschnitten 
wurde. Auch nachher war der Druck wenig vermindert, denn 
abermals erfolgte eine Vorwölbung des Gehirns durch die Knochen¬ 
lücke und unterhalb der verheilten Hautdecken in gleicher Grösse. 
Tod nach 2 l /> Monaten. — Mau fand an der Hirnbasis einen 
grauen, durchsichtigen Tumor, von der ünterfläche der linken Klein¬ 
hirnhälfte ausgehend, welcher die Medulla oblongata, den vierten 
Ventrikel und die hintere seitliche Region des Wirbelcanals zwischen 
Dura und Pia in einer Ausdehnung von fast 4" ergriffen hatte. 
Trotz der missglückten Operation hörten doch Kopfschmerz und 
Zuckungen gänzlich auf, und es machte sich selbst eine zeitweise 
Besserung der gelähmten linken Seite bemerklich. — 

Solche Fälle lassen uns die Frage erwägen, in wie weit 
durch ausgiebige Oeffnungen des Schädels das bei den 
verschiedenen Hirnleiden bedrohlichste Symptom, der 
Hirndruck, hintangehalten und beseitigt werden kann. 

Bei den Tumoren des Gehirns sterben die Kranken viel weniger 
durch die Geschwülste selber, insofern diese Theile im Gehirn 
zerstören, an deren Existenz das Leben unmittelbar gebunden ist. 
Es ist vielmehr der durch jene Läsionen geübte Druck und die 
durch sie veranlassten Circulationsstörungen welche Hirnlähmung 
und Tod herbeiführen. Dafür scheint mir der bereits erwähnte 
Leichenbefund zu sprechen, dass man neben den Tumoren kleinere 
und grössere Blutungen in Pons und Medulla oblongata, trotz im 
Uebrigen anämischer Beschaffenheit der Hirnmasse, häufig sieht. 

Schon Magendie hat in seinen „Legons sur les fonctions et 
maladies du Systeme nerveux“, Paris 1839, p. 196—199, über Ver¬ 
suche berichtet, die er nach dieser Richtung gemacht hatte, welche 
er Wollaston in London damals zeigte. Er brachte Thieren durch 
Stiche in die Hemisphären Blutungen bei; die Thiere wurden ge¬ 
lähmt und comatös. Nun eröffnete er schnell den Schädel, reizte 
einen ihm bekannten Nodus cursorius, und das Thier kam nicht nur 
wieder zu sich, sondern lief lebhaft umher. 

Es würde sich fragen, ob man nicht in manchen Fällen von Hirn¬ 
blutungen zur Aufhebung des Druckes trepaniren solle, damit 
die Blutung Zeit zur Resorption gewinne. Sicher würde man chi¬ 
rurgisch vorgehen, wenn man wüsste, dass schlimmsten Falles mit 
der Trepanation nicht geschadet werde, dass insbesondere nicht 
durch die plötzliche Aufhebung des Druckes an einer grösseren 
Stelle, ausser gefährlichem Prolaps und Hirnödem, erneute Blutung 
im Innern und erhöhte Lebensgefahr entstünde. 

Bei peripheren meningealen Blutungen sind bereits Operationen 
von günstigem Verlaufe bekannt. 

Macewen trepanirte, ohne dass eine Schädelverletzung be¬ 
stand, über der CA, fand daselbst Blutung und Entzündung. 
Heilung nach acht Monaten. Ebenso hat Demous durch Incision 
eines hämorrhagischen Herdes Heilung erzielt. Auf dem Congr.ess 
italienischer Chirurgen hat Ceci den Fall eines 52jährigen Bauern 
mitgetheilt, welcher sich durch einen Sturz das Scheitelbein verletzt 
hatte, das mit seichter Depression verheilte. Zwei Monate später 
Schwäche im linken Fuss und allmähliche vollständige Hemiplegie. 
Unwillkürlicher Harnabgang. Sopor. — Trepanation: Dura mit 
Knochen verwachsen, auffallend dick, blau durchscheinend. Unter 
derselben flüssiges, mit alten Gerinnseln vermischtes Blut. Kein 
Eiterherd in der Nähe. Genesung. Vollständige Zurückbildung bis 
auf leichte Parese der linken Hand. Die Besserung hielt noch ein 
halbes Jahr später an. 

Die Ausräumung eines peripher gelegenen Blutherdes, wenn 
man das Glück hat, gleich darauf zu treffen, scheint demnach 
für den Operateur eine dankbare Aufgabe zu sein. Würde aber 
die Trepanation auch nützen, oder wenigstens nicht schaden, wenn 
man auf die Blutung nicht trifft? Wird es weiteren Erfahrungen 
und verbesserter Technik gelingen, den Gefahren des Prolapsus, 
des Oedems und anderer Folgezustände zu begegnen? Leider dürften 
experimentelle Vorstudien hier nicht in dem Grade wie anderswo 
leitende Gesichtspunkte liefern. Gerade durch das different con- 
struirte. und in Bezug auf geistige Fähigkeiten anders geartete 

‘) London Medical Record 1887, p. 236. Es ist dies wohl der, in der 
v. Bergmann’schen Arbeit als zweiter Birdsall’scher citirte Fall, welcher 
in Medical News 1887, Vol. I. p. 273 mitgetheilt ist. 


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15. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Seelenorgan besteht der tiefe Unterschied zwischen Mensch und 
Thier. Nun ist das Gehirn kein Uterus, der sich Alles bieten lässt. 
Nach operativen Eingriffen bleiben Narben zurück, können Schrum¬ 
pfungen, secundäre Degenerationen eintreten, die beim Thiere viel¬ 
leicht nichts zu sagen haben, den Menschen aber blödsinnig, epi¬ 
leptisch etc. machen und den durch die Operation erzielten Gewinn 
sehr fragwürdig gestalten können. Andererseits haben wir meisten- 
theils nichts zu verlieren. Wenn anscheinend nicht viel durch diese 
Operationen zu gewinnen ist, so stehen wir doch erst am Beginn der 
chirurgischen Behandlung von Hirnkrankheiten, und Niemand wird 
von vornherein der Wissenschaft uud dem praktischen Handeln, 
welches darauf basirt, Grenzen stecken, oder dasselbe ablehnen 
wollen, weil häufig Irrthümer und Misserfolge es begleiten. 

VIL Nachtrag zu dem Artikel „über neuere 
Apparate für Spannungselektricität“ etc. in 
No. 9 dieser Wochenschrift. 

Von Prof. Enlenburg in Berlin. 

Der obige Artikel ist — was im gedruckten Text leider zu erwähnen 
vergessen wurde, aber aus dem Zusammenhänge unmittelbar hervorgeht — 
die getreue Wiedergabe eines auf der vorjährigen Naturforscherversammlung 
in Wiesbaden gehaltenen Vortrages. Da seitdem nahezu ein halbes Jahr 
verflossen ist, hat es an Gelegenheit nicht gemangelt, den daselbst be¬ 
schriebenen Apparat in der Praxis weiter zu erproben. Ira Ganzen hat 
sich derselbe auf das Vortheilhafteste bewährt; nur haben sich einzelne, 
nicht das Wesentliche berührende Modificationen der äusseren Anordnung 
als zweckmässig herausgestellt, welche daher bei deu gegenwärtig gelieferten 
Annamentarien der Firma W. A. Hirschmann zu Grunde gelegt werden. 
Die wichtigste darunter ist der Ersatz der Leydner Flaschen durch 
zwei Condensatorplatten (Franklin’sche Tafeln) und deren 
Anbringung, nebst den Durch- und Ableitungen, statt an der 
Vorderwand, über dem Dache des Maschinengehäuses. — Von 
<len horizontalen Conductoren verlaufen nach oben zwei Metallstangen, die 
mittelst Glasröhren vollkommen isolirt sind, und die Dachwand des Ge¬ 
häuses um 12 cm durchragen. Beide Stangen endigen in Metallkugeln, an 

sich unter rechtem Winkel nach vorn je ein Ansatz anschliesst, der 
<14 cm lang) die Wand des Glaskastens um 4 cm nach vorn überragt und 
mit einem nach der Seite beweglichen Arm versehen ist. — Seitlich von 
diesen Durchleitungen befinden sich, 10 cm nach aussen davon entfernt, 
zwei isolirte Säulen, die einen horizontalen, nach vorn gerichteten Arm 
tragen, der in einer Metallkugel endigt, die gleichzeitig mit einer einfachen 
Vorrichtung zur Befestigung der Ableitungskabel versehen ist, und vom 
■entgegengesetzten Ende einen seitwärts beweglichen in einer kleineren 
Xetallkuge) endigenden Arm aussenden. Letzterer lässt sich mit seinem 
freien Ende der die Durchleituug abschliessenden Metallkugel auflegen, 
während dagegen der von dieser ausgehende bewegliche Arm auf der die 
Ableitung vermittelnden Metallkugel aufruht. — Zwischen Durch- und Ab¬ 
leitung kommt nun jederseits eine Franklin'sche Tafel (von ungefähr 
-50 qcm wirksamer Belegfläche), die schräg gegen die Endkugel der Durch- 
leitung gestellt wird, so dass ihre eine (innere) Belegung mit dieser Kugel 
in leitende Berührung gebracht ist, während der bewegliche Arm der Ab¬ 
leitung sich gegen die andere (äussere) Belegung der Tafel anlehnt. Bei 
dieser Anordnung verbindet der bewegliche Arm der Durch¬ 
leitung diese, und somit den Conductor, direkt mit der Ab¬ 
leitung, so dass die Tafeln also ausgeschaltet sind, und die an den Con- 
ductorenden angesammelte Spannung unmittelbar durch die Ableitungskabel 
auf den Körper übertragen werden kann. Ist dagegen der bewegliche 
Arm der Durchleitung aufwärts gestellt, so ist die Ableitung 
nur mit der äusseren Belegung der Tafel verbunden, der 
Körper ist also in den Stromkreis der letzteren eingeschaltet. — Die Tafeln 
können leicht herausgenommen und, falls es zu weiterer Abstufung der 
relativen Energiewerthe erforderlich, durch solche von kleinerer oder 
grösserer Capacität (25 oder 75 qcm Belegfläche) ersetzt werden. 

VIII. Referate und Kritiken. 

Bum garten. Lehrbuch der pathologischen Mykologie. Zweite 

Hälfte, erster Halbband. Braunschweig, Harald Bruhn, 1888. 
Ref. Ribbert. 

Der erste, allgemeine Theil des vorliegenden Lehrbuches wurde 
im vergangenen Jahre besprochen. Der zweite umfangreichere, 
specielle Theil ist noch nicht ganz fertiggestellt und daher zunächst 
nur in seiner ersten Hälfte erschienen. 

Die Darstellung beginnt mit den pathogenen Coccen und 
wendet sich sodann zu den pathogenen Bacillen. In beiden 
Abschnitten werden die einzelnen Formen der Reihe nach be¬ 
sprochen. Die Behandlung des Stoffes ist durch grösste Gründlich¬ 
keit und ausgiebigste Benutzung der Literatur ausgezeichnet. Bei 
den einzelnen Formen wird die historische Entwickelung ihrer Kennt- 
nis8, ihr Aussehen unter dem Mikroskop, in den Culturen und Ge¬ 
weben, ihre Färbung, Uebertragung, ihr Verhalten im Thierkörper, 
die Heilung der durch sie hervorgerufenen Erkrankungen, etwaige 
Immunität und manches Andere auf das Genaueste erörtert. Es 
Ist naturgemäss unmöglich, über das gebotene Material im Einzelnen 
zu berichten, es sei daher hier nur eine kurze Uebersicht des auf 
•618 Seiten zusammengestellten Materials gegeben und der eine oder 


211 


andere wichtigere Punkt, besonders wo es sich um die eigenen An¬ 
sichten des Verfassers handelt, genauer hervorgehoben. 

Die Coccen des Erysipels werden zunächst abgehandelt. 
Daun folgen die Pneumoniecoccen. Baumgarten stellt sich 
auf den Standpunkt der einheitlichen Aetiologie der croupösen 
Pneumonie, lässt die von Friedländer gefundenen Mikroben 
auch nicht für einen Bruchtheil der Fälle als die specifischen Er¬ 
reger gelten, hält sie vielmehr für secundäre Eindringlinge, sieht 
dagegen mit Wahrscheinlichkeit in den Fraenkel'schen Organismen 
die richtigen Pneumoniecoccen. Als solche werden sie mit voller 
Sicherheit allerdings erst dann anerkannt werden können, wenn es 
gelungen sein wird, durch einen der natürlichen Einathmnng mög¬ 
lichst angepassten Infectionsmodus auch experimentell Pneumonie 
hervorzurufen. —Weiterhin werden einige andere zur Pneumonie 
in Beziehung gesetzte Coccenformen, unter denen der Streptococcus 
und Staphylococcus als secundär angesiedelt angesehen werden, 
ferner die Brustseuche der Pferde und die Lungenseuche der Rinder 
besprochen. — Daran schliesst sich die Erörterung des Gono- 
coccus. Der nächste Abschnitt ist den pyogenen Coccen, unter 
diesen zunächst dem Staphylococcus aureus gewidmet. Verf. spricht 
sich dahin aus, dass er alle Folgezustände der Coccen in vasion für die 
Gewebe lediglich dem Eindringen und der direkten chemischen Wirkung 
der Coccen selbst zuschreibt, dass eine indirekte Mitwirkung von 
Toxinen nicht in Betracht kommt, dass speciell die Mikroben zu ihrer 
Ausbreitung im Gewebe keiner Vorbereitung desselben durch von 
ihnen producirte giftige Substanzen bedürfen. Die Coccen dringen 
in die Gewebsbestandtheile ein, insbesondere auch in die Gefäss- 
wandzellen und erregen so Eiterung. Baum garten benutzt die 
Gelegenheit um zu betonen, dass alle Eiterkörperchen aus dem Blut 
stammen, die fixen Bindegewebszellen dagegen bei der Binde¬ 
gewebseiterung nur eine passive Rolle spielen und erst später re¬ 
generativ in Frage kommen. — Des Weiteren werden die haupt¬ 
sächlich mit Staphylococcus aureus von verschiedenen Seiten ange- 
stellten Experimente zur Erzeugung von Endocarditis geschildert. 
— Der Staphylococcus albus, citreus, cereus albus und flavus finden 
j kurze Erwähnung. — Der Streptococcus pyogenes wird wieder 
I ausführlicher behandelt. Hier sei nur erwähnt, dass Verf. ihn in 
| bestimmte Beziehung zu den diphtheritischen Processen setzt Er 
! ruft nicht nur in dem puerperalen Uterus entsprechende Verände¬ 
rungen hervor, er wird auch in den Membranen des Rachens bei 
schwerer Diphtheritis, in secundären Processen und im Innern des 
Körpers angetroffen, uud seine Bedeutung für die Rachenprocesse 
wird dadurch sehr nahe gerückt. (Der Koch-Löffler’sche Diph¬ 
theriebacillus wird erst später Besprechung finden). — Es folgt die 
! Schilderung des Mikrococcus pyogenes tenuis, der Coccen der 
progressiven Abscessbildung bei Kaninchen, der Pvämie der 
Kaninchen, der progressiven Gewebsnecrose der Mäuse, der 
Septicämiecoccen. Bezüglich der Septicäraie ist Verf. der 
Ansicht, dass es sich nicht uur um eine Vergiftung des Körpers mit 
| Producten der Fäulnissbacterien, sondern auch um eine Aufnahme 
der eitererregenden Coccen handelt. Welchem Momente die grössere 
Bedeutung zukommt, muss noch genauer festgestellt werden. — Es 
schliessen sich nunmehr an die Trachom coccen, die Coccen des 
Mykodesmoids der Pferde, der Pseudotuberculose der Meer¬ 
schweinchen, der progressiven Granulombildung, der Krank¬ 
heit der Graupapageien, Coccenbefunde bei einer grossen Reihe von 
Krankheiten (Koryza, Scharlach, Variola etc.) ohne bestimmt nach¬ 
gewiesene Beziehung, Coccen bei epidemischen Insectenkrankheiten. 

Die Reihe der pathogenen Bacillen wird durch den Milz¬ 
brandbacillus eröffnet. Verf. spricht sich für die hohe wissen¬ 
schaftliche Bedeutung der Pasteur’schen Schutzimpfungen aus. 
Er erörtert am Schluss des Abschnittes auch die epidemiologischen 
Thatsachen der Milzbrandinfection. Auf den Milzbrand folgen die 
! Bacillen des malignen Oedems, die Rauschbrandbacillen, 
die Bacillen des Schweinerothlaufs und der Mäusesepticämie, 
die für identisch gehalten werden, und deren genüge Verschieden¬ 
heiten nur auf die Verschiedenheit des Wachsthumsbodens bezogen 
werden, die Bacillen einer Reihe von thierischen Infectionskrank- 
heiten, die Typhusbacillen. Den Schluss des Buches macht die 
erste Hälfte der Darstellung des Tuberkelbacillus. Es wird die 
historische Entwickelung von der Kenntniss desselben, sein Aus¬ 
sehen und Wachsthum, seine Färbung, seine pathogene Bedeutung 
i besprochen. Verf. bringt dann seine Untersuchungen über die Histo- 
| genese der Tuberculose in den einzelnen Organen, die Verbreitung 
| im Körper zur Darstellung. Er spricht sich gegen die Annahme 
j einer Disposition für die Tuberculose oder einer Immunität gegen 
dieselbe aus und ist der Ansicht, dass eingetrocknete und verstäubte 
Tuberkelbacillen überhaupt gar nicht oder doch nur in minimalen 
Mengen ira infectionsfahigen Zustande in die Luft übergehen. Ein 
die Darstellung beherrschender Gesichtspunkt sei schliesslich im 
Zusammenhang hervorgehoben. Verf. äussert sicli mit Lebhaftigkeit 
gegen die bekannten Ansichten von Metschnikoff über die Phago- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 11 


cytose. Er wendet sich gegen dieselben bei Besprechung des Ery¬ 
sipels, der Pneumonie, der Gonorrhoe, der Eiterung, des Milzbrandes, 
der Typhusbacillen, der Mäusesepticämie etc. Seiner Ansicht nach 
hat die Aufnahme der Bacterien durch Zellen keinen Einfluss auf 
die Vernichtung derselben, im Gegentheil die Zellen würden durch 
die eingedrungenen Mikroben zerstört. Es ist hier nicht der Ort, 
die Frage der Phagocytose, die sich in weiteren Kreisen günstiger 
Aufnahme erfreut, eingehender zu besprechen. 

Das Referat dürfte gezeigt haben, wie reichhaltig der Inhalt 
des Buches ist. Es ist in der That wohl Alles darin enthalten, was 
über die einzelnen besprochenen Mikroben Wichtiges bekannt ist. 
Dadurch, dass Verf. in ausgiebigster Weise seine eigenen Ansichten 
in die Darstellung verwebt, gewinnt das Buch an Interesse. Es 
kann daher Allen empfohlen werden, die sich auf dem Gebiete der 
Bacteriologie orientiren wollen. 


W. F. Loebisoh. Die neueren Arzneimittel in ihrer An¬ 
wendung nnd Wirkung. III. Aufl. 440 S. Wien und Leipzig, 
Urban & Schwarzenberg, 1888. 

Das obengenannte Werk Loebisch’s, das bereits in dritter, 
wesentlich erweiterter Auflage erscheint, bildet eine ausserordent¬ 
lich sorgfältige Zusammenstellung aller therapeutisch wichtigen 
Arzneimittel, deren physiologische sowohl wie klinische Bedeutung 
mit kritischer Benutzung der gesammten hierhepgehörigen Literatur 
in klarer und übersichtlicher Form dem Leser vorgeführt wird. 
Seit dem Erscheinen der zweiten Auflage im Juli 1883 haben alle 
inzwischen klinisch versuchten Arzneimittel, so das Paraldehyd, 
Urethan, Nitroglycerin, Ainylenhydrat, das Naphtalol, Saccharin, 
Salol, das Pyridin, Jodol, Antipyrin, Cocain. Strophanthus etc. etc. 
Aufnahme gefunden. Die Ausstattung des Werkes ist eine vorzügliche. 


IX. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 7. März 1888. 

Vorsitzender: Herr Siegmund. 

1. Herr E. Küster stellt einen Krankeu vor, dem wegen tuberculöser 
Erkrankung die linke Niere exstlrpirt wurde. Pat., ein 38jähriger Mann, 
stammt aus sonst, gesunder Familie, nur sein jüngerer Bruder ist zur Zeit 
lungenleidend. Im Jahre 1886 wurde er von Fieber befallen, dessen Quelle 
nicht nachweisbar war; er magerte erheblich ab. Im April vorigen Jahres 
wurde ein Tumor der linken Niere entdeckt, welcher den behandelnden 
Aerzten Veranlassung gab, die Nephrotomie zu machen. Die Niere wurde ■ 
drainirt. Aber die Eiterung liess nicht nach, und es wurde deshalb ein 
zweiter Schnitt nach vorn gemacht uni die Niere quer durch drainirt. 
Dieser zweite Schnitt ist durch das Bauchfell hindurch geführt, ohne dass 
ein Schaden dadurch entstanden wäre. 

Als der Patient im October vorigen Jahres in die Behandlung des 
Vortragenden kam, war derselbe auf das Aeusserste abgemagert; er trug 
zwei Fisteln in der Nierengegend, eine hintere und eine weiter nach vorn, 
aus denen sich jauchiger Eiter ergoss. Vortragender glaubte zunächst, 
eine einfache Pyonephrose vor sich zu haben, um so mehr, da übrigens 
der Urin, der nur von der rechten Seite kam, keine abnormen Bestandteile 
darbot. Als durch einen Schnitt die beiden Fisteln vereinigt wurden, 
gelangte man in die Niere, welche ein Gewirr von Höhlen darstellte, und - 
aus welcher mit dem Finger ein käsiger gelber Eiter hervorzudrücken war. 

Es entstand damit sofort der Verdacht, dass es sich um eine tuberculöse 
Niere handelte. Da die andere Niere ganz gesund war, wurde sofort zur 
Exstirpation der Niere geschritten. Vortragender wählte den Schnitt, den 
er sonst für die Nephrotomie zu verwenden pflegt, d. h. den horizontalen 
Lumbalschnitt. Trotzdem die Operation durch den Umstand erschwert 
wurde, dass früher das Bauchfell angeschnitten war, ging dieselbe glatt von 
statten, und die Heilung erfolgte prompt und ohne nennenswerthen Zwischen¬ 
fall. Der Patient trägt nur noch zwei, kaum mehr secernirende Fisteln; 
derselbe hat in Zeit von zwei Monaten um 40 Pfund an Körpergewicht zu¬ 
genommen. 

2. Herr Lieb ermann: Ueber therapeutische Ersatzmittel des 
Chrysarobin vom chemischen Standpunkte ans. Der Vortr. spricht zu¬ 
nächst über seine früheren Arbeiten über den wirksamen Bestandtheil des 
Ooapulvere, welchen bekanntlich Attfield für Chrysophansäure ansprach. 
Herr Lieber mann wies s. Z. nach, dass die Chrysophansäure erst secundär 
aus einem primär im Goapulver vorhandenen Körper entsteht, welchen er 
mit dem Namen des Chrysarobin belegte. • Die hervorragendste Eigen¬ 
tümlichkeit des letzteren besteht darin, dass es sehr geneigt zur Oxydation 
ist, so dass z. B. alkalische Lösung desselben nur des Zutrittes der 
Luft bedarf, um begierig Sauerstoff zu absorbiren und in Chrysophan- 
säure überzugehen. Schon damals war Herr Liebermann der An¬ 
sicht, dass es bei der therapeutischen Anwendung des Goapulvers 
wahrscheinlich nicht die Chrysophansäure sei, welche die Heilwirkung 
hervorbringe, sondern dass dieselbe offenbar auf der Eigenschaft des im 
Goapulver enthaltenen Chrysarobins beruhe, Sauerstoff aufzunehmen, bei 
parasitäre» Hautkrankheiten vielleicht in der Weise, dass den in Frage 
kommenden Parasiten der zu ihrer Existenz nöthige Sauerstoff entzogen 
werde. Herr Liebermann machte schon damals den Vorschlag, ver¬ 
gleichende therapeutische Versuche mit Chrysarobin und Chrysophansäure 
auzustellen. Derartige Versuche fehlen bis heute. Nur Ja risch hat nach 
einer anderen Richtung experimentirt und konnte als Ergebniss seiner 


Versuche einmal mittheilen, dass das von ihm als Ersatzmittel des Chrysarobin 
angewandte Alizarin sich als unwirksam erwies, sowie ferner, dass die Pyro- 
gallussäure unter Umständen das Chrysarobin vertreten könne. Jarisch 
hat die Pyrogallussäure und das Chrysarobin von dem Gesichtspunkte aus 
in Beziehung zu einander gebracht, dass beide mehrwerthige Phenole sind. 
Herrn Liebermann scheint diese Erklärung weniger plausibel als eine 
andere bereits oben angedeuteto. Die Pyrogallussäure ist nämlich gerade 
wie das Chrysarobin eine Substanz, welche in alkalischer Lösung Sauerstoff 
mit äusserster Begierde aufnimmt. 

Bei erneuten Versuchen, die der Vortragende im vorigen Sommer hin¬ 
sichtlich der Chrysophansäure unternahm und die darauf hinausgingen, 
letztere auf umgekehrtem Wege durch Reduction in Chrysarobin über¬ 
zuführen, kam er auf seine früheren Betrachtungen über die Art der thera¬ 
peutischen Wirksamkeit der Substanz zurück. Der Gedanke lag nahe, aus 
der grossen Reihe der Substanzen, welche in analogen Beziehungen zu 
einander stehen wie die Chrysophansäure zum Chrysarobin, solche auszu¬ 
wählen, welche sich technisch ohne Mühe und zu grosse Kosten in grösseren 
Quantitäten herstellcn lassen und diese zur Basis therapeutischer Versuche 
zu machen. Zwei solche Substanzen, von denen die erstere sich zur zweiten 
verhält wie die Chrysophansäure zum Chrysarobin, sind das technisch als 
Farbstoff vielfach verwandte Alizarin.und das daraus abgeleitete, vom Vor¬ 
tragenden sogenannte Anthrarobin. Letzteres nimmt ebenso wie das Chrysa¬ 
robin begierig Sauerstoff auf und geht dabei wieder in Alizarin über. Nach¬ 
dem es Herrn Liebermann geglückt ist, für die technische Darstellung 
des Anthrarobins eine sehr brauchbare Methode auszuarbeiten, wird dasselbe- 
von der Firma Dr. Jaffe und Darmstädter in den Handel gebracht. 

Die in der letzten Sitzung vorgetragenen Versuche des Herrn Behrend 
haben erwiesen, dass das Anthrarobin in der That eine dem Chrysarobin 
analoge therapeutische Wirksamkeit äussert, während, wie oben gesagt, 
Jarisch nachweisen konnte, dass dem Alizarin diese Wirkung abgeht. Herr 
Liebermann sieht hierin eine neue, sehr gewichtige Bestätigung des von 
ihm oben angedeuteten therapeutischen Princips. Die Feststellung des 
letzteren wird aber nicht nur ein neues Ersatzmittel des Chrysarobins 
ergeben haben, vielmehr dürfte bei der grossen Zahl der derselben Gruppe 
angehörenden Substanzen damit ein Weg gefunden sein, planvoll nach der 
Richtung weiterer Verbesserungen der hier in Betracht kommenden Heil¬ 
mittel zu arbeiten. 

Herr Weyl hat mit dem Anthrarobin Thierversuche nach der Richtung 
angestellt, zu entscheiden, ob dasselbe giftige Eigenschaften besitzt. Das 
Mittel scheint auch insofern einen Vorzug vor dem Chrysarobin zu besitzen, 
als es in Dosen bis zu Vs und I g Kaninchen in den Magen gebracht oder 
unter die Haut gespritzt keine giftigen Wirkungen äussert. Ferner ist es 
Herrn Weyl gelungen, eine Reaction aufzufinden, welche den Nachweis von 
in den Harn übergegangenem Anthrarobin ermöglicht. 

Herr P. Guttmann ergänzt den Bericht des Herrn Behrend über 
die therapeutische Wirksamkeit des Anthrarobin und bestätigt im allge¬ 
meinen die von demselben angegebenen Resultate. Charakteristisch für die 
verschiedene Wirksamkeit des Chrysarobin gegenüber dem Anthrarobin ist 
ein Fall, den Herr Guttmann demonstrirt. Der Kranke, der seit zwei 
Jahren an Psoriasis des ganzen Körpers leidet, hat auf dem rechten Arm 
seit 5 Tagen 10°/o Chrysarobinsalbe, auf dem linken Arm seit ebenfalls 5 
Tagen 20% Anthrarobinsalbe, auf dem linken Bein seit 4 Tagen 20% al¬ 
koholische Anthrarobinlösung eingerieben erhalten. Auf dem rechten Arm 
ist die Psoriasis fast geheilt, d. h. es besteht keine Schuppenbildung mehr,, 
die Efflorescenzen sind blass und nicht mehr'über die Haut hervorragend, 
während andererseits auf dem linken Arm freilich auch schon die Psoriasis 
zur Heilung tendirt, aber die Heilung noch nicht soweit vorgeschritten ist, 
wie auf dem rechten Arm. Das Gleiche gilt für das linke Bein. Das An¬ 
thrarobin hat, gegenüber dieser langsameren Wirkungsweise, dagegen den 
wichtigen Vorzug, dass es auch im Gesicht und auf dem Kopfe angewandt 
werden kann, wo das Chrysarobin der starken Reizerscheinungen wegen, die 
es hervorruft, nicht anwendbar ist. 

Herr 0. Rosenthal hat in einem Falle, den er mit Anthrarobin be¬ 
handelt hat, Rothfärbung des Haares beobachtet. 

3. Herr J. Wolff: Ueber Arthrektomie des Kniegelenks wegen 
Arthropathia tabldomm (mit Krankenvorstellung). Die bisherigen Re¬ 
sultate der operativen Behandlung neuropathischer Gelenkaffectionen waren 
keine sehr ermuthigenden. Dem gegenüber ist ein Fall von Interesse, den 
Herr Wolff mit recht befriedigendem Ergebniss operativ in Angriff ge¬ 
nommen hat. Patient, ein 43jähriger Schlosser, erlitt im November 1884 
bei einem Sturz aus grosser Höhe ein Trauma des linken Kniegelenks, konnte 
aber schon nach vier Tagen wieder gehen. Drei Monate später schwoll 
das Kniegelenk aufs Neue an und wurde wackelig. Pat. wurde längere Zeit 
behandelt und konnte dann wieder 179 Jahre lang seine Arbeit weiterführen. 
Im März v. J. fiel er aufs Neue auf das Knie; es trat wieder bedeutende 
Schwellung, Schmerzhaftigkeit und Haltlosigkeit des Knies auf. Ende Mai 
v. J. kam Patient in die Behandlung des Vortr. Es fand sich bedeutende 
Schwellung des Kniegelenkes, bedingt durch Flüssigkeitsansammlung, pralle 
Infiltration der Weichtheile und erhebliche Knochenauftreibung. Das Bein 
war um 5 cm verkürzt, vollkommen haltlos. Dabei ging Patient ganz gut 
und ziemlich schmerzlos umher, allerdings ermüdete er bald. 

Es konnte in diesem Falle auf den ersten Blick ohne vorherige Prüfung 
des Nervenapparate's die Diagnose auf neuropathische Gelenkaffection gestellt 
werden, die später durch die Herren Remak und Mendel bestätigt worden 
ist. Nach Mendel leidet. Pat. an circumscripter Myelitis der Hinter- und 
Seitenstränge des oberen Theils des Lendenmarks. Vortr. nahm Anfang 
Juni vor. J. die Arthrektomie des Kniegelenks vor. Es fanden sich im 
Gelenk 150 g einer blutig serösen Flüssigkeit, zahlreiche lose, knorpel¬ 
artige Körperchen und in der Fossa intercondylica posterior ein mit 
der Gelenkoberfläche nicht zusammenhängendes wallnussgrosses Knochen¬ 
stück. Die Synovialis war mit Granulationen und Gelenkzotten versehen. 
Das obere Ende der Tibia war in eine flache, nach oben concave, mit 


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15. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


218 


«allartigem Rande versehene Schale verwandelt, in der die Condylen des 
Oberschenkels schleiften. Die Oberfläche dieser Schale war nirgends mit 
Knorpel bedeckt. — Es wurden nun sämmtliche freien Körper entfernt, der 
«allartige Rand abgemeisselt, die Synovialis entfernt, die Gelenkoberfläche 
möglichst geebnet. Der Wundverlauf war ein aseptischer, in 5 Wochen 
konnte Pat. geheilt entlassen werden. 

Der weitere Verlauf war ein sehr günstiger. Das anfänglich noch etwas 
schlotterige Gelenk erhielt einen Stützapparat, den der Pat. aber schon nach 
14 Tagen fortlassen konnte. Bis November war das Knie sehr schön fest gewor¬ 
den. Pat. konnte weite Wege unternehmen und nahm seine Thätigkeit wieder 
anf. Durch Ueberanstrengung veranlasst, brach die Wunde wieder auf. 
Ende December wurde eine Auslöffelung vorgenommen, wonach der günstige 
Zustand, wie er im November bestand, wieder eingetreten ist. Der Patient 
kann das Knie bis zur Geraden strecken und dasselbe bis 140° activ beugen, 
cs besteht ferner nur noch eine ganz geringe seitliche Beweglichkeit. 

Der Fall zeigt nach der Auffassung des Vortr., dass es sich bei dieser 
Form der Arthropathie um eine durchaus eigenartige Erkrankung handelt, 
die klinisch mit der Arthritis traumatica oder deformans nichts zu thun hat 
Der Fall reiht sich denjenigen an, welche bei Patienten auftraten, die nicht 
an Tabes litten. Es dürfte sich demgemäss empfehlen, die Benennung 
Artbropathia tabidorum zu Gunsten der älteren Bezeichnung der neuropathi¬ 
schen Gelenkaffection fallen zu lassen. Was die Frage nach dem Wesen 
der Erkrankung anlangt, so dürfte der Umstand, dass im Laufe von 9 Mo¬ 
naten kein Recidiv, das irgend welche charakteristischen Erscheinungen einer 
neuropathischen Affection dargeboten hätte, aufgetreten ist, gegen die 
Charcot’sche Auffassung sprechen, der die Affection auf eine Atrophie der 
Ganglienzellen der grauen Vorderhömer des Rückenmarks zurückführen will, 
sowie gegen die Ansicht derer, welche eine Erkrankung der peripher das 
Gelenk versorgenden Nerven als Ursache der Affection annehmen. Wahr¬ 
scheinlicher ist es, dass die von Herrn Jürgens bei Erkrankungen des 
Centralnervenapparats nachgewiesenen Veränderungen an den Kapseln und 
Bindern der Gelenke bei der Entstehung der neuropathischen Gelenkaffec- 
lionen eine Rolle spielen. — Endlich zeigt der vorgestellte Fall, in welchem 
es möglich war, aus einem „Hampelmannsbein“ eine zu einem mehr als 
meilenweiten Marsche brauchbare Extremität zu schaffen, dass wir die neuro¬ 
pathischen Gelenkaffectionen, oder wenigstens doch eine geeignete Auswahl 
von Fällen dieser Affection operativ behandeln, und dass wir uns daher 
nicht bloss, wie meistens angenommen wird, auf Anlegung von Stützappa¬ 
raten oder auf die Amputation beschränken müssen. 


X. Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 7. Jauuar 1888. 

Vorsitzender: Herr Landois: Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Grawitz: Ueber die Diokdarmentsündtwg bei 
acuten Quecksilbervergiftungen. (Der Vortrag ist in dieser 
Wochenschrift, 1888, No. 3 zur Veröffentlichung gelangt.) 

Herr Poelchen: Die sogen. Quecksilberdysenterieen sind eigent¬ 
lich erst nach den tödtlichen Fällen von Sublimatintoxicationen 
der Chirurgie und Gynäkologie unter dem ärztlichen Publicum 
etwas populärer geworden; allgemein bekannt scheint es aber immer 
noch nicht zu sein, welch’ deletäre Wirkungen eine „Schmier- oder 
Spritzcur“ haben kann. In den Collegien über Syphilis scheint man 
noch imm er wenig davon zu hören, obgleich die Thatsachen, wie 
uns der Herr Vortragende ja mitgetbeilt hat, schon recht lange be¬ 
kannt sind. Ich glaube, dass lethale Ansgänge in Folge einer an¬ 
tisyphilitischen Quecksilbercur nicht gerade zu den grössten Selten¬ 
heiten gehören; mir sind 2 derartige Fälle bekannt, beide wurden 
secirt, der eine von Herrn Grawitz, der andere von mir. Ausser¬ 
dem habe ich noch 2 Mal bei Individuen, die geschmiert worden 
waren, auf dem Leichentisch Darmdiphtherie gesehen, ohne dass 
dieselbe als Todesursache anzuschuldigen gewesen wäre. Für den 
Praktiker wäre es nun ausserordentlich wichtig, die Maximaldose 
des bei einer antisyphilitischen Cur anzuwendenden Quecksilbers zu 
kennen, eine solche lässt sich aber gewiss nicht feststellen, da die 
einzelnen Individuen ja so ausserordentlich verschieden auf Queck¬ 
silber reagiren. Ich habe schon bei täglicher Einreibung von 3,0 g 
grauer Salbe Darmdiphtherie entstehen sehen; in Aachen werden ja 
sehr viel grössere Dosen und wohl meist ohne Nachtheil vertragen, 
wenn zu gleicher Zeit Schwefelbäder gebraucht werden. 

In Bezug auf die Therapie der Quecksilberdysenterie möchte 
ich Folgendes empfehlen, wie das auch von anderer Seite schon ge¬ 
schehen ist: Sobald sich die ersten Durchfälle zeigen, sofortiges Aus¬ 
setzen der H g-Medication, reichliche Gabe von Ricinnsöl mit stünd¬ 
lichen Dickdarmausspülungen, womöglich in Knieellenbogenlage, da¬ 
mit die Flüssigkeit — lauwarme physiologische Kochsalzlösung — 
möglichst bis an die Bauhin’sche Klappe gelange, dem Spülwasser 
wäre eventuell Opium hinzuzusetzen. Die Wirksamkeit dieser The¬ 
rapie habe ich übrigens zu erproben Gelegenheit gehabt. Zum Schluss 
will ich noch erwähnen, dass ich in keinem der von mir beobach¬ 
teten Fälle von Qneksilberwirkung auf den Darm Stomatitis oder 
Speichelfluss gesehen habe. 

2. Herr H. Schulz theilt mit, dass es ihm gelungen sei, 
die Ueberführung von. Cymol in Cnminsäure. ausserhalb 
des Thierkörpers möglich zu machen, ohne die Anwendung eines 
direkt und sehr kräftig wirkenden Oxydationsmittels, wie des bisher 


für diese Ueberführung benutzten Chromylchlorids. Die Einzelheiten 
werden in den Berichten der „Deutschen Chemischen Gesellschaft“ 
zu Berlin veröffentlicht werden. 

Sodann berichtet derselbe über eine Beobachtungsreihe über chro¬ 
nische Cocainvergiftung bei meist völlig gesunden Individuen. 
Es werden täglich nur sehr kleine Mengen des Alkaloids genommen 
von 1 mg bis 3 mg steigend, 4 Wochen hindurch. Die wesent¬ 
lichsten Veränderungen zeigten sich seitens des Darmtractus als 
andauernde Obstipation, in inehrereu Fällen wurde vermehrter 
Harndrang und Brennen in der Urethra constatirt. Die Puls¬ 
frequenz stieg in einzelnen Fällen nicht unbeträchtlich, plötzliche 
Anfelle von Herzpalpitation mit Präcordialangst wurden wieder¬ 
holt bemerkt, zumal beim Liegen. Bei weitaus den meisten Fällen 
machten die anfänglich kurzdauernden, dann tagelang anhaltenden 
Kopfschmerzen die weitere Untersuchung unmöglich, zumal auch die 
Nachtruhe mehrfach ungenügend wurde. Bei einzelnen der Beobach¬ 
teten trat ohne sonst nachweisbare äussere Ursache Nasenbluten ein. 


XI. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 10. Februar 1888. 

Vorsitzender: HerrBreisky. Schriftführer: Herr Kolisko. 

1. Herr Eiseisberg demonstrirt einen geheilten Fall von Caput 
obstipam traumaticum, der sowohl in ätiologischer als auch in therapeu¬ 
tischer Beziehung einiges Interesse bietet Die 21jährige Patientin war bis 
zum 12. Lebensjahre stets gesund, als sie einmal ein schweres Fass auf 
dem Kopfe trug, welches nach links auszurutschen drohte, was sie durch 
eine plötzliche Drehung des Kopfes nach rechts verhinderte, so dass sie 
das Fass noch zehn Minuten bis nach Hause tragen konnte. In Folge 
dieser Bewegung trat ein heftiger Schmerz im rechten Sternocleidomastoideus 
auf, am nächsten Tage eine Anschwellung an derselben Stelle, welche aber 
nach kurzer Zeit verschwand. Im Laufe der nächsten zwei Jahre ent¬ 
wickelte sich eine schiefe Stellung des Kopfes nach rechts. November 1886 
kam die Patientin auf die Billroth’sche Klinik mit einem typischen Caput 
obstipum nach rechts und einer auffallenden Assymmetrie des Gesichts. 
Hofrath Billroth machte am 9. November 1886 die subcutane Tenotomie 
des Sternocleidomastoideus, doch sah er nach wenigen Tagen, dass nicht 
sämmtliche Stränge durchschnitten waren, weshalb er am 17. November die 
offene Durchschneidung der Sehne in der Narcose vornahm. Acht Tage 
später war die Wunde per primam geheilt, und nach Anlegung eines Gyps- 
mieders erfolgte eine vollständige Heilung und ein Schwinden der Assymmetrie 
des Gesichts. 

1 2.- Herr v. Bamberger demonstrirt einen auf seiner Klinik be¬ 
findlichen Fall von reiner Dextrocardie. Das 22jährige schwächlich ge¬ 
baute Mädcheu überstand einmal eine Pneumonie, sonst soll sie keine Er¬ 
krankung der Brustorgane durchgemacht haben, wodurch eine Verschiebung 
oder eine Verzerrung des Herzens stattgefunden haben konnte. Die Menses 
traten im 16. Lebensjahre anf und waren unregelmässig; in Folge eines 
durch mehrere Jahre andauernden Gelenkrheumatismus trat eine Insuff, 
der Aorta ein. Die Gefasse am Halse sind normal gelagert, beim Auflegen 
der Hand fühlt man aber einen verstärkten Stoss and ein deutliches 
Schwirren. Der Puls zeigt erhöhte Spannung und den typischen Charakter 
der Celerität. Stauungserscheinungen sind nicht vorhanden. Die Percussion 
ergiebt auf der linken Seite überall bis zur 6. Rippe hellen Schall, der 
Spitzenstoss befindet sich auf der rechten Seite an der Papilla mammalis. 
Die Herzd&mpfung beginnt rechterseits am Sternum in der Höhe der zweiten 
Rippe und reicht nach links etwas über den Sternalrand; bei der Auscul- 
tation hört man im Gebiete der Aorta nahe dem Sternalrande einen dumpfen 
systolischen Ton und ein lautes gedehntes diastolisches Geräusch, welches 
längs der Aorta zu verfolgen ist. An den übrigen Steilen hört man die 
fortgeleiteten Aortentöne; in der Carotis ein systolisches Geräusch bei 
Fehlen des diastolischen Tones, ebenso in der Subclavia. Leber, Milz, Ma¬ 
gen etc. sind normal gelagert. Es handelt sich also um eine reine isolirte 
angeborene Dextrocardie. 

3. Herr Meynert: Ueber die Diagnose prämaturer Schädel- 
synostosen. Herr Meynert demonstrirt zunächst zwei Fälle von vorzei¬ 
tiger Verschliessung der Schädelnähte, von denen der eine einen 9 1 /«- 
jährigen Knaben betrifft, bei dem noch ausserdem ein Hydrocephalus be¬ 
steht. Der Schädel ist in Folge der Synostose der ganzen Pfeilnaht auf¬ 
fallend Jang, nach vom und hinten stark vorgewölbt und bietet die Form 
eines Kahnes (Scaphocephalus) mit nach oben gerichtetem Kiel. Ausserdem 
sind die Augen sehr tief gelagert, was wohl dadurch zu erklären ist, dass 
in Folge der starken Ausbildung des Längsdurchmessers des Stirnbeins die 
obere Orbitalwand ausserordentlich lang, dadurch die Orbita sehr tief wird, 
und da der Bulbus nicht so lang ist, um die tiefe Orbita auszufüllen, er¬ 
scheint er tief gelagert. — Der zweite Fall betrifft einen 35jährigen, seit 
seinem 12. Lebensjahre an Epilepsie leidenden Mann, der einen Thurmkopf 
hat. Der Schädel ist ungeheuer hoch, sehr schmal nach hinten, die Augen 
ziemlich flach. Es handelt sich hier um eine frühzeitige Synostose der 
Seitentheile der Kronennaht, wodurch eine Verkürzung des vorderen 
Schädelraumes und folglich auch der Orbita erfolgte; daher das Flachauge 
(Oxycephalus). — An der Hand dieser zwei Fälle versucht Herr Meynert 
die Diagnose der prämaturen Schädel synostosen in vivo zu erläutern. Was 
die Synostose der Kronennaht betrifft, so wird bei der halbseitigen Ver¬ 
knöcherung dieser Naht das Längswachsthum des Hirn- und Seitenwand- 
beines verkürzt; doch braucht sich dies nicht in einem namhaften Unter¬ 
schiede des geraden Schädeldurchmessers der einen gegen die andere 
Schädelhälfte auszudrücken, sondern es ist vor allem die Stirn- und Scheitel¬ 
gegend gemeinsam abgeflacht. Durch Verengerung des Gehimraumes wird 
die Gehirnsichel gedrückt, sie weicht aus, und der Druck wird auf die 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 11 


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ganze andere Hemisphäre übertragen, die andere Schädelhälfte erweitert 
sich in der Stirn-Scheitelgegend; die eine H&lfte erscheint daher abge¬ 
flacht, die andere aufgethürmt. Die Synostose des mittleren Theiles der 
Kronennaht drückt sich dadurch aus, dass die Wölbung der Stirn- und 
Vorderscheitelgegend gering ausfällt, das Gehirn wird nach hinten ge¬ 
drängt, daher das Hinterhaupt gewölbt erscheint. Aus der Stirüplätte 
allein lässt sich in vivo die Diagnose auf prämature Synostose der mittleren 
Kronennaht nicht stellen; anders verhält es sich mit der Diagnose auf 
prämature Synostose der seitlichen Tbeile der Kronennaht, welche am 
häufigsten mit prämaturer Synostose der hinteren Hälfte der Pfeilnaht com- 
binirt erscheint. Wenn die seitlichen Theile der Kronennaht synostosiren, 
ist das Wachsthum der Länge des Stirn- und Scheitelbeins verhindert; es 
tritt also eine Verkürzung des vorderen Schädelraumes, eine Verkürzung 
der Orbita und Flachauge ein. Durch Ossification des hinteren Theiles 
der Pfeilnaht wird das Wachsthum des Schädels in der Breite verhindert 
und der Kopf wird nach hinten sehr schmal; selbstverständlich bewegt sich 
die Bestimmung der Breite und Höbe in weiten Grenzen, und' kommt hier 
auch die ethnographische Verschiedenheit in Betracht. Am verlässlichsten 
ist für die Diagnose hier das Flachauge. Feste Anhaltspunkte, um mit 
Bestimmtheit sagen zu körnen, ein Hochschädel sei ein synostotischer 
(Oxycephalus), geben folgende Momente: 

1) Ist der horizontale Schädelumfang unter dem Normalmaass (Nanna- 
cephalus). 2) Ist der Höhendurchmesser grösser als der Breitendurch¬ 
messer* 3) Muss der Höhendurchmesser einen gewissen Charakter besitzen, 
d. h. der Höhenindex muss brachycephal sein. 4) Das Flachauge. — Wenn 
die Pfeilnaht synostotisch wird, dann ist das Breitenwachsthum eingeengt, 
der Schädel bekommt eine parabolische Form. Das Gehirn entwickelt sich 
in der Längendimension, der Längendurchmesser des Schädels wird ausser¬ 
ordentlich gross und noch mehr vergrössert durch die Wölbung des Stirn- 
und Hinterhauptbeines; die Orbita wird verlängert, daher das Tiefauge. 
Wenn die Synostose nicht die ganze Pfeilnaht, sondern nur den hinteren 
Theil betrifft (Sphenocephalus), so wird das Breitenwachsthum des Schädels 
auch beeinträchtigt, und es tritt ein compensatorisches Längenwachsthum, 
der Schädel wird verlängert, wie beim Dolicbocephalus, aber da die 
Fontanelle noch offen ist, wird er nach rückwärts abschüssig, nach vom 
hoch. Solche Schädel lassen sich diagnosticiren aus der Höhe und dem 
Tiefauge. 

Herr Toi dt bemerkt, dass die Ausführungen des Vortragenden eine 
Anregung zur Erklärung der mechanischen Vorgänge des Wacbsthums bei 
solchen Synostosen giebt. Viel mehr als bei Negern ist bei den Eskimos 
der Schädel schmal mit stark geneigter Scheitelfläche und Kahnform. Die 
Bildung des Kiels ist hier nicht die Folge der Synostose, sondern durch 
die Synostose werden Verhältnisse gesetzt, welche bei diesen Racen als 
normale betrachtet werden müssen. Bei den jugendlichen Eskimos ist die 
Einstellung der beiden Scheitelbeine von vornherein eine solche,- dass sie 
im spitzen Winkel nach oben gerichtet sind, und nun das Wachsthum tn 
schiefer Richtung nach oben erfolgt. 

Herr Breisky interpellirt den Vortragenden, ob Studien vorliegen 
über den Einfluss gewisser Geburtsvorgänge auf die spätere Bildung des 
Schädels bei den betreffenden Individuen; denn es ist ja nabeliegend 
daran zu denken, dass irgendwelche Einflüsse bei der Geburt auf die Nähte 
ausgeübt werden, in Folge deren dieselben frühzeitig synostosiren. Herr 
Meynert hat keine Kenntniss von solchen Studien. — Herr Toldt. be¬ 
merkt, dass ähnliche Untersuchungen von Zuckerkandl in der hiesigen 
Findelanstalt gemacht worden sind. Zuckerkandl hat nämlich nachge¬ 
forscht, ob gewisse Schädelassymmetrieen durch gewisse Positionen des 
Kindes im Uterus bedingt sind, und konnte in der That finden, dass ein 
ähnliches Verhältniss besteht, und dass diese Assymmetrieen noch nach langer 
Zeit zu beobachten waren. Bezüglich der Synostosen bestehen seines 
Wissens keine ähnlichen Untersuchungen. M. 


XII. Zehnte öffentliche Versammlung der 
Balneologischen Section der Gesellschaft für 
Heilkunde, Berlin 1888. 

Der Balneologencongress wurde am 10. d. Mts., Vormittags 11 Uhr, 
vom Vorsitzenden Herrn Liebreich mit einer Rede eröflhet, welche sich 
mit der Fruchtbarkeit der Arbeit früherer Congresse beschäftigte, das reiche 
Arbeitsfeld des heutigen Programms betonte, aber in Anerkennung der 
allgemeinen Trauer, an welcher die deutschen wie österreichischen Mit¬ 
glieder gleichen Antheil nehmen, dem allgemeinen Wunsche Ausdruck 
gebend, die Schliessung des officiellen Congresses proclamirte. 

In einer geselligen Vereinigung des vorhergehenden Abends war be¬ 
schlossen worden, am 10. d. Mts. Abends den ersten Theil des Programms 
in einer privaten Versammlung soweit zu erledigen, wie die Spannkraft der 
Anwesenden ausreichen würde. 

1. Es sprach dem entsprechend zuerst Herr Schott (Nauheim) Zur 
Pathologie und Therapie der Angina Pectoris. Sehr leicht verwechselt 
mit Cardialasthma ist sie von diesem gesondert durch den Schmerz, welcher in 
der Sternalgegend sitzt, sich leicht in den linken Arm, zuweilen in den 
Kopf, ja den ganzen Körper ausbreitet. Der Kranke hat kein Asthma, er 
fürchtet sich nur tief zu athmen, kann es aber. Dennoch sind Rasselge¬ 
räusche über die Brust verbreitet und zuweilen blutiges Sputum vorhanden. 
Zuweilen endet der Zustand nach wenigen Anfällen mit dem Tode. Es 
wird die Angina vasomotoria von Landois und Nothnagel als Abart 
erwähnt, welche mit allgemeinem Kältegefühl, schwerer und leichter Anästhesie 
der Glieder und langsamem Pulse einhergeht, im Gegensatz zu dem beschleu¬ 
nigten kleinen Pulse der anderen Form. 

Sie tritt auf als Folge von Excessen in Alkohol, Tabak, Thee, in 
venere und im Gefolge aller Arten von Herzkrankheiten, auch von Gemüths- 
bewegungen. Ihre Auffassung als einen Herzkrampf bekämpft Stokes-, 


weil ein noch so kurzer Tetanus des Herzens stets den Tod herbeiführen 
müsse. Traube sieht die Dehnung der Herzwand durch Dilatation als das 
Wesentliche an. 

Die Experimente von Panum, Bezold, Samuelson, Cohnheim, 
welche theils in Embolie, theils in Ligatur der Coronararterie bestanden, er¬ 
gaben alle nach einigen Minuten Dilatation, welche vom linken Vorhof auf 
die anderen Herzabschnitte fortschritt, und Stillstand, und wenn die Cir- 
culation nicht bald wieder bergestellt wurde, Herztod herbeiführte. Sie 
scheinen eine Analogie der fraglichen Krankheit zu ergeben. 

Schott hat mit der seinem verstorbenen Bruder eigentümlichen Per¬ 
cussion mit „seitlicher Abdämpfung“ die Herzgrenzen im Anfall bestimmt 
und eine mit dem linken Vorbof beginnende, je nach der Schwere des An¬ 
falles sich ausbreitende Dilatation des Herzens gefunden. 

Seine Therapie ist die im vorjährigen Vortrage des Breiteren ausge¬ 
führte, für das Cardialasthma verwendete. 

In der Discussion findet Jacob (Cudowa) in der Definition Schott’s 
einen Widerspruch. Nichtvorhandensein von Asthma, d. b. Athemnoth, und 
eine so schwere Circulationsstörung sind nicht zu vereinigen. Es giebt in 
der That nach ihm eine Angina, welche ohne Herzdilatation, mit vermehrter 
Athmung ohne Athemnoth, kleinem frequentem Pulse und heftigem Herz- 
bezw. Armschmerz einhergebt und bei nervösen Menschen mit gesundem 
Herzen vorkommt. Wenn derselbe Symptomencomplex zur acuten Dilata¬ 
tion sich hinzugesellt, so ist er noch durch Asthma vermehrt; der Schmerz 
ist dann eine Complication des Cardialasthma, welche von der besonderen 
nervösen Beanlagung des Individuums herrührt. Die bei Weitem grösste 
Anzahl von acuten Dilatationen verläuft aber ohne Schmerz, und auch wenn 
der Schmerz vorhanden ist, niemals ohne erhebliche Athemnoth. Die 
Angina ist eine Neuralgie des Herzens, welche mit geringerer Action des¬ 
selben verbunden ist, wobei bald die Neuralgie das Primäre, bald das 
Secundäre ist. 

2. Herr Schliep (Baden-Baden): Ueber Baineometeorologie. 
Es handelt sich hauptsächlich um die Bedeutung der Luftelektricität für 
die Biologie und Pathologie und um deren quantitativen Nachweis. Sein 
Apparat zur Messung besteht in einem Zinkblechcylinder von 60 cm Höhe, 
20 cm Durchmesser und einem Ausflussrohr von 1 m Länge und 8 mm 
Durchmesser. Ein Kupferdraht leitet die von dem Wasserstrahl, welcher 
nach Oeffnung des Hahnes zu Boden fallt, in der Höhe des Fensterbrettes, 
welches als Unterlage des Apparates dient, angesammelte Luftelektricität 
aus dem Gefäss in ein Goldblattelektrometer, welches mit dem Auge leicht 
die Abschätzung der Menge gestattet. Ebenso einfach ist die Bestimmung, 
ob positive oder negative Elektricität, mittels des positiv-elektrischen Glas¬ 
stabes oder der negativ-elektrisirten Siegellackstange, welche die Elektricität des 
Elektrometers bei Berührung desselben vermehren oder vermindern und so 
die Qualität anzeigen. Die Luft ist meist positiv elektrisch, selten sind Tage 
elektrischer Calmen, beim Anzug von Regen und Gewitter ist die Luft 
negativ elektrisch, ebenso beim Fön und Sirocco; beim Nordlicht positiv. 
Mit der Erdhöhe nimmt sie zu. 

Die positive wirkt auf den Menschen belebend, die negative erschlaffend. 
Der Ozongehalt, welcher parallel geht, mag mitwirken, jedoch ist hoher 
Ozongehalt, z. B. von mehr als 10 der Lender’schen Scala, auch depri- 
mirend. Mit negativer Elektricität gehen Entwickelung schlechter Gase, 
Anginen und anderen Epidemieen, Blutungen, Schlaganfälle einher. Die 
Pflanzen verhalten sich umgekehrt, wie Becquerel gezeigt hat, sie ge¬ 
deihen bei negativer Ladung der Luft. 

Ansteigen von Wärme und Feuchtigkeit der Luft geht parallel mit dem 
Entstehen der negativen Elektricität, und Fallen von Wärme und Feuchtig¬ 
keit ist mit Bildung positiver Elektricität verbunden. Man kann daher aus 
Beobachtung dieser Factoren, zu welchen der Barometerstand stets ent¬ 
gegengesetzt sich verhält, Aufschluss über die Luftelektricität und deren 
Einfluss auf die Gesundheit erlangen. 

3. Herr Schuster (Aachen) giebt einen Beitrag zur Wirkung der 
Bergeon’aehen Gasklystiere. (Der Vortrag des Herrn Schuster wird 
demnächst in dieser Wochenschrift in extenso mitgetheilt werden.) 

In der Discussion bemerkt Herr Brehmer (Görbersdorf), dass seine 
Versuche ebensowenig eine Tödtung oder Verminderung der Bacillen und 
des Fiebers, aber Verschlechterung des Appetites ergeben hätten. Ein 
Kranker wollte seine Schweisse dadurch verloren haben; als er die Klystiere 
nicht mehr erhielt, kehrten die Schweisse anfangs wieder, blieben aber nach 
Beseitigung der psychischen Neurose von selbst weg. 

4. Herr Hirsch (Teplitz) spricht über die letzte Katastrophe In 
Teplitz. Er theilt mit, dass das Wasser sein altes Niveau fast wieder 
erreicht habe, und es ganz gewiss bis zum Frühjahr die alte Höhe haben 
werde. Ebenso sei die ursprüngliche Wärme von 38° wiedergekehrt. Auf 
die Frage des Herrn Liebreich, ob der chemische Charakter des Wassers 
untersucht sei, bemerkt Herr Hirsch, dass mit der Rückkehr zum alten 
Stande und der früheren Temperatur eine Aenderung der Zusammensetzung 
des Wassers ausgeschlossen sei. 

Die übrigen Themata blieben unerledigt, zumal ein Theil der Vortra¬ 
genden wegen der Katastrophe des deutschen Reichs nicht erschienen oder 
abgereist waren. _ Jacob. 

XHI. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

3. 

E. Esmarch (Berlin). Ueber die Reincultur eines Spi- 
rillum. Centndbl. für Bacteriologie und Parasitenkunde. Bd. I. 
No. 8. 1887. 

In dem Körper einer an M&usesepticaemie verendeten Maus, 
I welcher zur Gewinnung von Fäulnissbacterien mit Leitungswasser 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


215 


15- M&rz. 


hingestellt und 3 Monate später vertrocknet gefunden wurde, be¬ 
merkte E. an Stelle der inneren Organe blassrothe, trockene krüme¬ 
lige Massen. Hieraus liess sich ein echtes Spirillum rein cultiviren, 
welches E. nach seiner Eigenschaft, rothes Pigment zu bilden, 
,, Spirillum rubrum“ nennt. Auf Nährgelatine, Agar, Blutserum, 
Kartoffeln und in Bouillon lässt sich dasselbe züchten. Es wächst am 
besten bei 37°. Bei Zimmertemperatur erscheinen die Colonien auf 
Gelatine für das blosse Auge erst nach etwa 8 Tagen; nach drei 
Wochen haben sie Stecknadelkopfgrösse noch nicht überschritten. Eine 
Verflüssigung der 'Gelatine tritt niemals ein. Auf festem Nährboden 
bilden sich nur kurze Spirillen mit 1—2 oder 3 Schraubenwindungen; 
diese sind lebhaft beweglich, ln Bouillon dagegen zeigen die Spirülen 
oft 30—40, ja bis über 50 Schraubenwindungen; diese sind dann ent¬ 
weder ganz bewegungslos oder bewegen sich nur sehr träge. — 
Durch 24ständige Einwirkung einer Temperatur von 42° C. wird 
die Entwickelnngsfähigkeit vernichtet. — In Bezug auf die Pigment- 
bildung unterscheidet sich das Spirillum rubrum von allen anderen 
bekannten pigmentbildenden Bacterien. Während die letzteren näm¬ 
lich nur bei Sauerstoffzutritt Pigment entwickeln, tritt die Farbstoff¬ 
bildung bei diesem Spirillum im Contact mit der Luft nicht ein. 
Dies beobachtet man besonders schön an ImpfRtichculturen, wo sich 
die rothe Farbe längs des ganzen Impfstiches bildet, nur nicht am 
Beginne desselben. — In alten Agar- und Kartoffelcolonien beobachtete 
E. im gefärbten Deckglaspräparat ungefärbte Stellen im Leibe der 
Spirillen, die wie Erbsen in der geöffneten Schote neben einander 
liegen. Diese glaubt E. für Dauersporen ansprechen zu sollen. 
Während nämlich am Seidenfaden angetrocknete blosse Spirillen 
nach 6—8 Tagen bereits abgestorben waren, zeigten sich angetrock¬ 
nete Spirillen mit diesen sporenähnlichen Gebilden noch nach 5 Wochen 
entwicklungsfähig. Durch „sporenfärbende“ Mittel waren diese Ge¬ 
bilde nicht zu färben; gegen höhere Temperaturen zeigten sie sich 
nicht widerstandsfähig. — Pathogene Eigenschaften scheinen dem 
beschriebenen Spirillum nicht zuzukommen. 

N. Sorokin. Eine neue Spirillum-Art. Centralbl. für 
Bacteriologie u. Parasitenkunde. Bd.-I. No. 16. 1887. 

S. fand in der mulmigen Stammhöhlung einer alten, faulenden 
Pappel eine zähe, weissliche, äusserst widrig riechende Flüssigkeit, 
die ihren Ursprung wahrscheinlich angesammeltem Regenwasser ver¬ 
dankte, und deren weisse Farbe durch ein Spirillum veranlasst 
wurde, welches sich in ihr in Reincultur vorfand. 

Unter den sich äusserst lebhaft bewegenden Spirillen fielen 
unbewegliche Exemplare auf; in diesen letzteren konnten immer 
glänzende Sporen bemerkt werden. Es wurde nun die höchst 
interessante Thatsache festgestellt, dass diese Sporen noch in der 
Mutterzelle auskeimen. Die jungen Spirillen trennen sich meist 
bald los, können aber auch in Verbindung mit der Mutterzelle 
bleiben, so dass dann verzweigte Formen entstehen. 



Spirillum endoparagogicum Sorok. A Ein Haufen von Spirillen. B Spirillen 
mit Sporen. C Zerfallene, ausgedehnte und mit Sporen versehene Exemplare. 
D Zwei Spirillen mit keimenden Sporen. E und F Spirillen mit jungen 

1875 

Exemplaren. Vergrösserung überall —j—• 

S. nennt diesen Organismus nach der eigenthümlichen Art seiner 
Entwickelung Spirillum endoparagogicum. — Die unserem Re¬ 
ferate beigegebene Figur ist mit Erlaubniss des Herrn Verlegers der 
Originalmittheilung entnommen. Carl Günther. 

Chirurgie. 

2 . 

W. Macewen. The osteogenic factors in the development 
and repair of bone. Annals of surgery, Vol. VI. No. 4. 
October 1887. 

Referent kann diese Arbeit eigentlich nur deshalb erwähnen, 
um zu zeigen, was für Dinge selbst Leute, wie Macewen, vor¬ 
zubringen im Stande sind. Erstens will er durch klinische Er¬ 
fahrungen beweisen, was längst bekannt ist, nämlich, dass vom 
gesunden erwachsenen Knochen weit abgelöstes und nach einigen 
Stunden wieder an die richtige Stelle gelegtes Periost ohne Anstand 


wieder anwachsen kann, — dass in beträchtlicher Ausdehnung durch 
entzündliche Producte abgehobenes Periost nach Entfernung der 
letzteren wieder anheilen kann, ohne dass der Knochen nekrotisirt 
wird», — dass man ein Stück Periost vom Knochen gänzlich ent¬ 
fernen könne und derselbe sich dann wiederum mit Granulationen 
und später mit einem bindegewebigen Ueberzuge bedecke, — dass 
vom Periost gänzlich entblösste Knochensplitter wieder einheilen 
können. Aus diesen Dingen schliesst er merkwürdiger Weise, dass 
das Periost für die Knochenbildung ganz unnöthig sei, dass dieselbe 
überhaupt hauptsächlich von den weichen Geweben innerhalb der 
Knochensubstanz ausgehe. Zum Beweise dafür wird dann noch die 
bekannte Geschichte des Kindes wiederholt, dem er ein Stück des 
fehlenden Humerus durch mehrfache Transplantationen von kleinen 
Stücken der Tibia anderer Kinder mit Erfolg ersetzte. Schliesslich 
berichtet Macewen noch über eine Knochennadel, welche durch den 
in eine Seqnesterhöhle eingelegten Schwamm abgebrochen, in dem¬ 
selben längere Zeit liegen geblieben war und nach Herausnehmen 
des mit Granulationen durchwachsenen Schwammes noch frisch 
aussehend etc. gefunden wurde. Für die wirkliche Lebendigkeit 
dieses Knochenstückchens fehlt aber der Beweis. — Die vielen sorg¬ 
fältigen experimentellen und klinischen Untersuchungen der letzten 
Jahrzehnte über Entwickelung (development), Bildung, Umbildung 
und Neubildung des Knochengewebes in verschiedenen Lebensaltern 
und unter verschiedenen Umständen scheinen an Macewen spurlos 
vorübergegangen zu sein und auf seinen rohen Empirismus nicht 
mildernd eingewirkt zu haben. 

Defontaine. Osteotomie trochleiforme. Nouvelle 
methode pour la eure des ankyloses osseusses du coude. 
Revue de Chirurgie; VII. Jahrg., September 1887. 

Ein 19 jähriger Arbeiter hatte in Folge einer vor 3 Jahren er¬ 
littenen complicirten Fractur des rechten Ellenbogengelenks eine 
knöcherne Ankylose desselben in völlig gestreckter Stellung des Ar¬ 
mes zurückbehalten. Verf. machte nun unter künstlicher Blutleere 
folgende Operation: durch einen äusseren Längsschnitt wurde der 
Knochen blossgelegt und die Weichtheile sammt Periost abgelöst; 
ein vorderer innerer Längsschnitt, über die Epitrochlea geführt, und 
ein hinterer innerer Schnitt neben dem Olecranon entblössten hier 
mittelst des Raspatoriums die Gelenkgegend unter Schonung der 
Nerven*.. Sodann wurden diese Weichtheile abgehoben, und mit der 
Faa - aboeuf sehen Säge durchtrennte Defontaine jetzt den Knochen 
in der Weise bogenförmig, dass am Humerus eine quere walzenförmige, 
an der Ulna eine hohle Fläche entstanden; er ahmte auf solche Weise 
die Form der Trocblea, resp. der Cavitas sigmoidea nach. Da nach 
der Durchtrennung der Arm wegen Knochenhemmung noch nicht 
bis zum rechten Winkel flectirt werden konnte, so nahm er noch 
eine krumme Knochenscheibe weg, worauf die Flexion besser gelang. 

Nach Lösung des Schlauches und Nachlassen der Blutung wur¬ 
den keine Nähte angelegt, sondern die Wunde nur mit kurzen Drain¬ 
röhren versehen und mit Jodoform und dichten Sublimatgazeschich¬ 
ten bedeckt. In rechtwinkliger Stellung geschah nun die Fixation 
des Armes in einer vorher präparirten articulirten Schiene, deren 
Stangen, bogenförmig über die Gelenkgegend laufend und diese für 
den Verband freilassend, Flexion und Extension erlaubten, seitliche 
Bewegungen ausschlossen. — Unter sehr geringem Fieber und an¬ 
fangs täglichem Verbandwechsel verlief die Heilung der Wunden 
und war nach 2 Monaten vollendet. Schon am 4. Tage nach der Ope¬ 
ration fing Defontaine mit einmal täglich ausgeführter Streckung des 
im Uebrigen rechtwinklig fixrrten Armes an. Das wurde ausgiebiger 
wiederholt; bei der Entlassung konnte Pat. den Arm activ bis zu 
80° flectiren und zu 155° extendiren. Noch nach einem Jahre 
hatte sich dies Resultat unverändert erhalten und Pat. solche Kraft 
im operirten Arme, dass er schwere Arbeiten verrichten konnte. 
Zwei Abbildungen zeigen den Arm in flectirter und extendirter Stel¬ 
lung. — Eine solche Osteotomie mit frühzeitigen Bewegungsübun¬ 
gen giebt offenbar ein besseres Resultat, als die üblichen Resec- 
tionen. 

Gangolphe. De la resection du poignet dans le traite- 
ment des osteo-arthrites fongueuses. (Fortsetzung des Ar¬ 
tikels vom Mai 1884.) Revue de Chirurgie, VII. Jahrg., Sep¬ 
tember 1887. 

Gangolphe giebt an, dass Ollier seine Behandlungsweise der 
Handgelenktuberculose nur insofern geändert habe, dass er dem 
Dorsoradialschnitt noch einen Längsschnitt an der Ulnarseite hinzu¬ 
fügt, weil auf solche Weise das Kranke besser entfernt werden kann. 
Im Uebrigen extrahirt er auch jetzt die kranken Handwurzelknochen, 
wenn nöthig, trägt das Krankhafte von den Metacarpalknochen resp. 
von Ülna und Radius ab, braucht zur Entfernung fungöser Massen 
den scharfen Löffel und ätzt die verdächtigen Stellen mit dem Glüh¬ 
eisen oder scharfen Agentien; das wird auch während der Nachbe¬ 
handlung wiederholt. Eine Propagation der Tuberculose in Folge 
der Operation hält Gangolphe nicht für möglich. Auch in einem 


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DEDT8CHE MED1CINISGHE WOCHENSCHRIFT. 


No. n 


21 « 


1882 operirteh Fäll Sei das nicht der Fall: hier handelte es sich 
nm einen Patienten, dem schon vorher die Tarsectomie gemacht war; 
nach Heilung des resecirten Handgelenkes trat Tuberculose des Knie¬ 
gelenkes ein, und 1885 starb Patient an tuberculöser Meningitis. Die 
Sectiön der operirten Hand (Entfernung aller Carpalknochen ausser 
dem Os pisiforme etc.) ergab eine Verkürzung des Raumes zwischen 
Metacarpalknochen und Radius und Ausfüllung desselben mit Binde¬ 
gewebe, ln dem sich einige kleine Knochenplättchen befanden; Streck¬ 
apparat gut. Im zweiten Metacarpalknochen und im Olecranon 
tuberculöse Heerde. Hier war die Hand ziemlich brauchbar gewesen; 
ebenso wie sie sehr gut brauchbar sein soll bei 3 anderen mitge- 
theilten, noch lebenden Fällen. Sieht man diese aber näher an, so 
findet man, dass es die gewöhnlichen und erreichbaren Resultate der 
Handgelenkresection sind, dass vor Allem die stets so sehr gepriesene 
Leistungsfähigkeit der operirten Hand doch eine relativ geringe ist 

Gerster. Exsection of the knee-joint for tubercu- 
losis. Annals of Surgery, Vol. VI. No. 4, October 1887. 

Das Bemerkenswertheste an der Gerster’schen Arbeit ist wohl 
der Umstand, dass er von der von Volkmann sogenannten Arth- 
rectomie (schlechte Bezeichnung für die unter vollständiger Schonung 
der Gelenkenden vorzunehmende Exstirpation der Synovialis und 
anderer Weichtheile der Gelenkhöhle, Ref.) keine gute Folgen ge¬ 
sehen hat, da sehr leicht nachträglich doch Knochenaffection ein- 
tritt, welche weitere Eingriffe, selbst Amputation nöthig macht. Im 
Uebrigen berichtet er über eine Reihe von totalen zum Theil von 
Lange in New-York ausgeführten Kniegelenkresectionen, bei welchen 
in der Regel der Hahn’sche Schnitt oberhalb der Patella und Na¬ 
gelung der aneinandergefügten Schnittflächen benutzt wurde. Drain¬ 
röhren und Nägel bleiben gewöhnlich 20 —30 Tage liegen in dem 
gleich nach der Operation angelegten Gypsverband. Dann Ent¬ 
fernung derselben und Anlegung eines neuen Verbandes, mit welchem 
die Patienten nmhergehen konnten. In den meisten Fällen soll Ankylose 
eingetreten sein. Doch sind die Beobachtungen viel zu kurze, um 
sichere Schlüsse zu ziehen. (Von Wichtigkeit wäre es, endlich ein 
Mal zu erfahren, welchen Einfluss das Eintreiben von Nägeln durch 
den Intermediärknorpel auf das spätere Wachsthum kindlicher 
Knochen äusübt und Genaueres in Bezug auf Endresultate über¬ 
haupt zu erfahren, je nachdem mehr oder weniger von den Epi¬ 
physen weggenommen wird etc. Nur im Hinblick auf diese und 
ähnliche Fragen hat die Technik der Operation, wie schon wieder¬ 
holt betont worden ist, Interesse. Ref.) 

Röchet. Des Dystrophies observees ä la suite des 
resections. Revue de Chirurgie, VII. Jahrg., October 1887. 

Mit Berücksichtigung der Arbeiten Wolff’s, Gurlt’s u. A. und 
auf Grundlage von GO Resectionsfällen Ollier’s bespricht Verf. die 
Ernährungsstörungen, welche an resecirten Extremitäten beobachtet 
wurden: Veränderungen der Haut, der Nägel, Haare, der Tem¬ 
peratur, die vermehrte subcutane Fettbildung, Atrophie der Mus¬ 
keln und die schwereren Störungen der Innervation und Circulation. 
Mit Recht macht er darauf aufmerksam, dass man wohl unterscheiden 
müsse zwischen sog. pathologischen Resectionen und traumatischen, 
d. h. solchen, die durch Verletzung veranlasst wurden. Nach er- 
steren würden, wenn die Operation regelrecht ausgeführt und die 
Nachbehandlung zweckmässig geleitet war, nur selten und dann 
geringe trophische “Störungen beobachtet. Nach letzteren seien 
schwere Störungen nicht selten, und zwar einerseits, weil oft schon 
durch das Trauma Nerven- und Gefässverletzungen gesetzt wurden, 
andererseits, weil manche örtliche, zeitliche und sociale Umstände etc. 
von grösstem Einfluss auf ein schlechtes Resultat seien. — Die 
Einzelheiten der lesenswerthen Arbeit müssen im Originale nachge- 
lesen werden. A. Bidder. 

XIV. Therapeutische Mittheilungen. 

Ueber die Einschränkungen der sogenannten 
W eir-Mi tchell-Cur. 

Von W. S. Play fair in London. 

(Lancet vom 7. Januar 1888.) 

Seit der ersten Empfehlung des Weir-Mitcheü’schen Verfahrens 
durch Playfair sind jetzt 6 Jahre verflossen. Es handelte sich dabei um 
eine systematische Behandlung schwerer functioneller Neurosen. Ehe der 
hervorragende Arzt, dessen Name durchaus verdientermaassen mit dieser 
Behandlung verknüpft ist, die Idee dazu fasste, diese bisher hoffnungslosen 
Fälle in einer regulären, systematischen und wissenschaftlichen Weise an¬ 
zugreifen, bildeten diese neurotischen Beschwerden die Verzweiflung aller Aerzte, 
einen Fluch für die Patienten und ihre ganze Umgebung. Es ist kein geringes 
Verdienst, führt Play fair aus, ein Mittel angegeben zu haben, durch das bei 
geeigneter Anwendung solche Fälle in der grössten Mehrzahl der Gesundheit 
wiedergegeben werden, und ich zögere nicht, diese Methode als den grössten 
Fortschritt der praktischen Medicin während der letzten 25 Jahre zu be¬ 
zeichnen. Im Anfang wurden meine Angaben von vielen Collegen ange- 


, zweifelt, meine Methoden erschienen als etwas Heterodoxes und von den alt¬ 
bewährten Behandlungsmethoden so Verschiedenes, dass sie in ihren Augen 
fast Tadel verdienten. Aber mit der steigenden Anerkennung, deren sich 
die glücklichen und oft überraschenden Erfolge in gut ausgewählten Fällen 
zu erfreuen hatten, ergab sich auch das unvermeidliche Resultat, dass diese 
Methode oft ohne Vortheil, unnöthiger Weise und unvollkommen ausgeführt 
wurde. Eins der angewendeten Heilagentien, die Massage, in England bis 
dahin unbekannt, ist so populär geworden, dass keine Zeitung mehr er¬ 
scheint, ohne ein halbes Dutzend Ankündigungen über Massage, Schulen 
für Massage etc. zu bringen Jedes Hospital hat eine oder zwei Wärterinnen 
oder Schwestern, die sie ausüben, und sie droht, die hervorstechendste medi- 
cinische Mode, wenn nicht gar medicinische Thorheit unserer Tage zu 
werden. Es ist aber auch sicher, dass sie von seiten der Aerzte eine aus¬ 
gedehnte Anwendung erfahren haben muss, und zwar in einer sehr grossen 
Anzahl von Fällen, die von denen, für welche ich sie zuerst empfahl, sehr 
verschieden sind. Ich schliesse das aus der erstaunlichen Anzahl von Frauen, 
die dadurch ihren Lebensunterhalt zu erwerben suchen. Es scheint das 
dafür zu sprechen, dass grosse Nachfrage nach ihnen besteht. Viele Fälle 
sind nun zu meiner Kenntniss gelangt, die dafür offenbar durchaus unge¬ 
eignet waren und natürlich zu nichts als zu Enttäuschung und Unzufrieden¬ 
heit führen konnten, oder die Methode wird auch in einer Weise ausgeübt, 
bei der sie keinen Erfolg haben kann. So wird eine Behandlung, die in 
geeigneten, gut ausgewählten Fällen gute und selbst wunderbare Erfolge 
liefert, discreditirt. Ich möchte daher auf Grund meiner Erfahrungen in 
dieser Art von Behandlung, die Aufmerksamkeit der Collegen auf die 
Grenzen dieser Methode und auf die Vorsichtsmaassregeln lenken, die man 
bei der Auswahl der Fälle ergreifen muss. Eine Warnung in dieser Hin¬ 
sicht ist durchaus zeitgemäss. 

1. Bei jeder Form von Organerkrankung ist die Methode nicht an¬ 
wendbar, diese Regel lässt nur wenige seltene Ausnahmen zu. Besonders 
in einigen dunkelen Fällen organischer Rückenmarkserkrankungen, wie loco- 
motorisCber Ataxie und Sclerose hat man sie missbräuchlich angewendet. 
Natürlich ist auch ein grober diagnostischer Irrthum dabei, aber nichts¬ 
destoweniger ist es ein beklagenswerther Umstand, dass die Patienten den 
Kosten und Enttäuschungen ausgesetzt werden sollen, die durch solchen 
Irrthum entstehen. Aber abgesehen von solchen vermeidlichen Irrthümern 
giebt es viele dunkle Fälle von Spinalerkrankung, in welchen die Diagnose 
äusserst schwierig ist. In manchen Fällen konnte ich selbst zu keinem 
Schluss kommen und recurrirte auf die Unterstützung mehrerer unserer 
hervorragendsten Neurologen, von denen die einen einen gegebenen Fall für 
organisch, die anderen für functionell hielten. Aber auch eine ursprünglich 
rein functioneile Krankheit, die durch Behandlung im Beginn hätte geheilt 
werden können, kann gelegentlich gewisse Structurveränderuugen in den die 
Bewegung beherrschenden Centren nach sich ziehen, wodurch dauernde 
Heilung unmöglich wird. Darum halte ich einen Irrthum in der Auswahl 
der Fälle, welche gewisse Formen von Nervenkrankheiten Vortäuschen, 
gelegentlich für unvermeidlich. Ja, es giebt gewisse dunkle Fälle, deren 
Natur nur durch die Probe der Behandlung aufgeklärt werden kann. 
Sind sie functionell, so wird eine systematische Behandlung, richtig an¬ 
gewendet , sie heilen, sind sie organisch, so wird das nicht der 
Fall sein. Aus dem Gesagten erhellt die Notwendigkeit äusserster Sorg¬ 
falt in der Diagnose derartiger Krankheiten. Ich habe es mir zur Regel 
gemacht, niemals einen Fall dieser Art zu übernehmen, über den ich den 
geringsten Zweifel hege, bis ich meine eigene Erfahrung durch das Urtheil 
eines Sachverständigen in dieser Art Krankheiten gestützt habe, oft konnte 
ich mir zu dieser Vorsicht nur gratuliren. 

2. Man hüte sich sorgfältig davor, bei irgend ausgesprochener Geistes¬ 
krankheit diese Methode anzuwenden. Irrthümer in dieser Hinsicht sind 
häufig. Man hat die Methode bei ausgesprochener Melancholie und anderen 
Arten chronischen Wahnsinns angewendet, bei denen sie unmöglich gut 
thun, aber viel schaden kann. Oft drängen Verwandte und Freunde dazu, 
einen Fall als Hysterie anzusprechen, weil sie es nicht fassen können, dass 
es sich um Geisteskrankheit handeln soll. Oft ist die Unterscheidung auch 
äusserst schwierig, und in einem Sinne gehören alle ausgesprochenen Fälle 
von Hysterie zur Geisteskrankheit und stehen dem Wahnsinn sehr nahe. 
Ferner wird man finden, dass im Allgemeinen in Fällen ausgesprochener 
Hysterie ein neurotischer Zug durch die Familie hindurchgeht, und dass 
selbst ausgesprochener Wahnsinn bei einigen Mitgliedern derselben existiren 
kann. Für die enge Verwandtschaft zwischen Hysterie und einer gewissen 
Art Wahnsinn kann ich einige seltene und lehrreiche Beispiele anführen. 
In einem Falle gelang es, eine hysterische junge Dame vollständig wieder¬ 
herzustellen; während sie früher jahrelang an’s Bett oder Sopba gefesselt 
war, wurde sie danach thätig und energisch, erfüllte alle gesellschaftlichen 
Pflichten. Nach einem Jahre schrieb sie und erzählte als Beweis ihrer 
trefflichen Gesundheit, sie hätte vor Kurzem auf der Jagd viele Stunden 
im Sattel zugebracht. Ara nächsten Tage beging sie Selbstmord. Bei 
einer anderen Hysterischen entwickelte sich 2 Jahre nach ihrer vollstän¬ 
digen Heilung plötzlich und ohne vorhergehende Symptome ein Anfall von 
acuter Manie, von dem sie sich aber erholte. Unzweifelhaft giebt es eine 
grosse Anzahl von Grenzfällen, die, um es vulgär auszudrücken, ein wenig 
„verdreht“ sind, die durch eine überlegte Behandlung vom Rande des Ab¬ 
grundes entfernt werden können. Die verbesserte Ernährung und wieder¬ 
hergestellte allgemeine Gesundheit, die daraus hervorgeht, neigt die Waage 
in die Richtung ebensogut besserer geistiger als körperlicher Gesundheit, 
und die Heilung kann dauernd sein. Ich bin ganz sicher, dass die einzigen 
Misserfolge und Enttäuschungen, denen ich begegnet bin, in zweifel¬ 
haften Fällen erfolgt sind, in denen ich mich überreden Hess, eine Cur 
gegen meine eigene bessere Ueberzeugung zu unternehmen. 

3^ Ich möchte Jeden, der daran geht, einen Fall in dieser Weise 
zu behandeln, dringend bitten, es entweder gut und gründlich oder 
es überhaupt nicht zu thun. Die Wichtigkeit dieses Grundsatzes 
kann nicht genug hervorgehoben werden. Man wird entmuthigt, wenn 


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15. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 217 


einem Fälle Vorkommen, die vorzüglich für die systematische Be¬ 

handlung geeignet sind, in denen der Erfolg so sieher war als 
irgend etwas, die aber verpfuscht sind, weil der Arzt die 
t'ur in „ modificirter “ Weise vornimmt. Die Modification besteht 
gewöhnlich darin, dass er die Patientin in ihrem eigenen Hause be¬ 

handelt oder die Besuche von Freunden erlaubt, sie aufstehen und während 
der Behandlung ausgehen lässt. Damit fehlt der Methode die Seele. Ohne 

Zweifel sind die Schwierigkeiten und Kosten bei der Durchführung einer 

systematischen Behandlung so gross, dass eine starke Versuchung besteht, 
einige Modificationen aufzunebmen, allein ich kann nur wiederholen, dass 
meine zunehmende Erfahrung mich in der Ansicht bestärkt, dass Gründlich¬ 
keit und Vollständigkeit des Verfahrens als conditio sine qua non gelten 
müssen. Vernachlässigt man dies, so ist der Misserfolg ganz sicher voraus¬ 
zusehen. _ 


— Nach Ott (Prager med. Wochenschr. 1887 No. 47) entfaltet das 
Aatifebrln (Acetanilid) eine äusserst prompte Wirkung bei Hemieranie, 
selbst in hartnäckigen, veralteten Fällen. Er giebt zu Beginn des Anfalls 
0,5 g. Die Erfolge sollen ausgezeichnet sein. Auch in je einem Falle von 
Trigeminus-, Occipital-Neuralgie und dysmenorrhoischen Beschwerden leistete 
das Mittel gute Dienste. S. W. 

— Dr. Jaroshevsky hat an Hunden Versuche über den Gegensatz 
zwischen Stryehnln and Alkohol angestellt und kommt zu folgenden 
Schlüssen: 1) Strychnin neutralisirt die narkotischen und toxischen Wir¬ 
kungen des Alkohols. 2) Bei Aufnahme von Strychnin können grosse Dosen 
Alkohol ziemlich lange Zeit genommen werden, ohne dass die sonst nach 
Alkoholgenuss auftretenden Organveränderungen sich zeigen. 8) Bei allen 
Formen von Alkoholismus sollte Strychnin therapeutisch angewandt werden. 
4) Strychnin kann auch als mächtiges prophylaktisches Mittel gegen den 
Alkohlismus betrachtet werden. R. 

— Dr. Blondel empfiehlt das von Chapiroff angegebene Trlmethyl- 
earhlaol als ein die Function des Centralnervensystems bedeutend depri- 
mirendes Mittel. In Dosen von 12—15 Tropfen täglich gereicht, setzt es 
den arteriellen Druck herab, bewirkt es Somnolenz uqd kann selbst tiefen 
Schlaf hervorrufen. Ausser diesem Mittel hat Verf. noch das Dimethyl* 
earbiaol angewendet und behauptet, dass dieses Mittel die Wirkungen des 
Trimetbylcarbinol in Bezug der erwähnten Eigenschaften auf die Functionen 
des Centralnervensystems übertrifft. Bo. 

— Dr. Whistler, Arzt am Londoner Kehlkopfhospital, meint, dass 
eine beschränkte Anwendung starker Cocainlösungen als locales Anästhe- 
tieaaa in der Nase nur sehr ausnahmsweise Allgemeinerscheinungen hervor¬ 
ruft. Stärkere als 4°/o Spraylösungen bewirken das eher, und man sollte 
deshalb von ihnen nicht mehr als 0,6 g anwenden, besonders wenn sie der 
Patient als örtliches Heilmittel bei acutem Nasenkatarrh benutzt, ferner soll 
diese Einwirkung nicht oft wiederholt werden. Mit diesen Einschränkungen 
im Gebrauch des Mittels fällt die Gefahr von Nachtheilen fort, wohl aber 
kann die ständige Gewohnheit von Patienten, stets gleich zum Cocainspray 
in der Nase zu greifen, schlimme Folgen haben. R. 

— C. Sanquirino (Siena) hat einige bemerkenswerthe pharmakolo¬ 
gische Untersuchungen ausgeführt. Er versuchte, ob es gelinge, durch An¬ 
regung der Nerventhätigkeit mittelst Einspritzung indifferenter Flüssig¬ 
keiten in die Blutbabn (0,75% Kochsalzlösung) bis zu 8% des Körper¬ 
gewichtes eine Ausscheidung des Giftes durch den Urin zu erzeugen. Er 
führte daher tödtliche Gaben von Giften gewissen Thieren ein und suchte 
durch eine Transfusion in die Vena jugul. die Thiere zu erhalten. Bei 
Alkohol, Strychnin, Chloralhydrat waren die Versuche günstig. Dagegen 
trat keine starke Urinabsonderung und keine Entgiftung auf bei Akonitin. 
Noch geringeren Einfluss hatte die Transfusion nach Vergiftung mit 
Morphin, Curarin, Hypnon, indem die Thiere alle zu Grunde gingen. 

Gr. 

— Bei der parenchymatösen Nephritis der Kinder, die Ferreira 
für eine garnicht seltene Krankheit hält, haben sich ihm folgende Mittel 
als die besten erwiesen: Tannin, Eisenchlorid, Jodstärke, salinische 
Diuretica, wodurch die Harnmenge vermehrt und die Albuminurie ver¬ 
mindert wird. Ebenso werden Eingiessungen von kaltem Wasser in’s 
Rectum mit Erfolg gebraucht Nach F. besteht ein Zusammenhang zwischen 
impetiginösen resp. ekthymatösen Hautkrankheiten von grosser Flächenaus¬ 
dehnung und parenchymatöser Nephritis. Jaccoud hat Sauerstoff-Inhala¬ 
tionen hierbei empfohlen. (Lancet, 5. November.) R. 

— Nicot, Vuillet und andere französische Autoreu empfehlen bei 
Verbreuangen folgende Mischung: 

Salol 2,5, 

Aq. Calcis 
01. Oliv ana 9,0 

als Pomade anf die afficirten Theile zu bringen. 

— Bei Verbrennungen empfiehlt Dr. Greene im British med. Journal 
vom September 1887 Hafermehl und Fett als einfaches, in allen Wirt¬ 
schaften leicht zu beschaffendes wirksames Hausmittel. Er bediente sich 
desselben in allen Stadien der Verbrennungen mit Erfolg, indem er salz¬ 
freies Fett mit Hafermehl mischte, eine Paste herstellte, sie auf Leinwand 
oder besser noch auf Calicot oder Leder strich und den Verband auf die 
verbrannten Theile aufbrachte. Dieser blieb 24 bis 48 Stunden liegen, je 
nachdem die Umstände es erheischten. Die Kranken befanden sich wohl, 
schmerzfrei, und solche, welche erfolglos mit anderen Mitteln behandelt wor¬ 
den waren, zogen diese Behandlung vor. Die Vortheile bestanden: 1) in der 
Geruchlosigkeit des Verbandes, 2) in der beruhigenden und antiseptischen 
Eigenschaft, 3) in der schnellen Heilwirkung, 4) darin, dass man den Ver¬ 
band nicht oft zu wechseln braucht, und endlich hauptsächlich in der Billig¬ 
keit und der Bequemlichkeit, mit welcher man das Mittel in allen Haus¬ 
haltungen schnell sich verschaffen kann, worauf es bei dem häufigen Vor¬ 
kommen von Verbrennungen hauptsächlich ankommt. Bo. 


XV. Ernst LeberecM Wagner. 

Von Prof. Dr. Birch-Hir schfeld in Leipzig. 

Am 10. Februar 1888 starb in Leipzig nach kurzem Kranken¬ 
lager Geh. Med.-Rath Dr. Ernst Leberecht Wagner, Professor der 
speciellen Pathologie und Therapie, Director der medicinischen 
Klinik und Oberarzt im Kr&nkenhause zu St. Jacob. Durch diesen 
Todesfall hat der medicinische Lehrkörper der Leipziger Hochschule 
eine schwere Wunde erlitten, er erregt aber auch aufrichtige Theil- 
nahme weit über Leipzig hinaus. Mit der Klage um den zu früh 
abgerufenen Meister der ärztlichen Kunst verbindet sich der Schmerz 
um das Scheiden des trefflichen Menschen. In den Kreisen der 
ärztlichen Berufsgenossen trauern um Wagner seine über alle Theile 
Deutschlands zerstreuten Schüler und die zahlreichen Aerzte, denen 
der Verstorbene ein bewährter, von wahrhaft collegialem Geiste 
durchdrungener Consiliarius war. In welchem Maasse er durch 
seine ärztliche Wirksamkeit Verehrung gewonnen, das trat in er¬ 
greifender Weise durch die vielseitige Theiluahme hervor, welche 
die Kunde seines Todes hervorrief. Ueberwältigend war bei den 
Begräbnissfeierlichkeiten die Betheiligung aller Stände, und deutlich 
zeigte sich in der Haltung der nach Tausenden zählenden Menge, 
dass sie in Wahrheit leidtragend zur letzten Ehre eines hochverehrten 
Mitbürgers erschienen war. 

So bedeutungsvoll aber auch Wagner’s Wirken als klinischer 
Lehrer und Arzt für weite Kreise gewesen ist, die volle Werth¬ 
schätzung seiner Lebensthätigkeit wird erst gewonnen durch die 
Würdigung seiner wissenschaftlichen Bedeutung. Wagner hat 
einen wesentlichen Antheil gehabt an der Entwickelung der medi¬ 
cinischen Wissenschaft im Verlauf der letzten 80 Jahre, vor allem 
durch seine rege Betheiligung an dem Ausbau des grundlegenden 
Faches der pathologischen Anatomie, aber auch in nicht geringem 
Maasse durch seine klinischen Arbeiten. 

Der Lebenslauf Wagner’s bietet weder in seiner äusseren 
noch in seiner inneren Entwickelung überraschende Wendungen, er 
bewegte sich gleichsam in allmählich, aber stetig aufsteigender 
Linie. Nach und nach, ohne besondere Gunst des Glückes hat sich 
Wagner in der praktischen Medicin zu seiner Stellung als Autorität 
ersten Ranges emporgearbeitet. Auch in der Wissenschaft gehörte 
er nicht zu jenen Gelehrten, die durch Eröffnung neuer Bahnen der 
Forschung, durch glänzende Entdeckungen Ruhm gewannen; auch 
seine Anerkennung als wissenschaftlicher Forscher hat Wagner in 
allmählich ansteigender Bahn erreicht. 

Wagner wurde am 12. März 1829 als der Sohn eines tüchtigen 
Landwirths, der sich aus kleinen Anfängen erfolgreich empor¬ 
gearbeitet hatte, in Dehlitz bei Weissenfels geboren. Im siebenten 
Lebensjahre fand er im Hause seines Oheims, des praktischen 
Arztes Dr. Bernhard in Borna Aufnahme, hier erwachte in dem 
Knaben zuerst die Neigung für den ärztlichen Beruf. Seine Gym¬ 
nasialbildung erhielt Wagner in Zeitz, im Jahre 1848 wurde er in 
Leipzig als Student der Medicin inscribirt Seine Lehrer in den 
Fächern der Anatomie und Physiologie waren die Brüder Ernst 
Heinrich und Eduard Weber. Während der klinischen Semester, 
von denen zwei in Leipzig, eins in Prag und zwei in Wien zuge¬ 
bracht wurden, waren, wie Wagner selbst stets anerkannt hat, 
von besonderem Einfluss auf seine Entwickelung die klinischen 
Lehrer Oppolzer, Skoda, Hamemjk und Wunderlich und 
die pathologischen Anatomen Rokitansky und Bock. In Wien 
traf Wagner mit Gräfe zusammen; bis in die letzten Lebensjahre 
des berühmten Ophthalmologen blieb das in gemeinsamer Studien¬ 
zeit geknüpfte Band freundschaftlicher Beziehungen zu Wagner 
erhalten. Im Jahre 1852 bestand Wagner die ärztliche Prüfuug in 
Leipzig und am 23. November desselben Jahres promovirte er an der¬ 
selben Hochschule, seine Dissertation: „Nonnulla de aneurysmate 
dissecante“, behandelte einen Fall aus Oppolzer’s Klinik, dessen pa¬ 
thologisch-anatomische Untersuchung von Rokitansky geleitet wurde. 

Wagner’s Anfänge als praktischer Arzt waren keineswegs von 
raschem Erfolge gekrönt. Er hat selbst später erzählt, wie spärlich 
in den ersten Jahren der Praxis die Zahl der Patienten gewesen 
sei, er war bereits entschlossen, Leipzig zu verlassen und in einem 
kleinen Orte des sächsischen Erzgebirges sich niederzulassen, aber 
ein zur Recognoscirung der in Aussicht genommenen Stätte neuen 
Wirkens unternommener Besuch liess ihn so lebhaft die Enge der 
dortigen Verhältnisse, den Mangel jeder Gelegenheit zu wissenschaft¬ 
licher Anregung empfinden, dass er nach Leipzig zurückkehrte mit 
dem Entschluss, trotz der augenblicklichen Ungunst seiner Lage 
auszuharren, und gerade seit jener Zeit trat allmählich eine günstigere 
Wendung ein. 

Im Jahre 1855 habilitirte sich Wagner an der Leipziger 
Universität, gleichzeitig mit seinen Freunden: dem früh verstorbenen 
Üble und Theodor Weber, dem gegenwärtigen Leiter der medi¬ 
cinischen Klinik der Universität Halle. Durch sein freundschaft¬ 
liches Verhältniss zu Professor Bock, der damals als Prosector am 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 11 


218 


Krankenhause zu St. Jacob wirkte, fand Wagner Gelegenheit, sein 
in Wien erwachtes Interesse für die pathologische Anatomie weiter 
zu bewähren. Während aber Bock, gleichfalls ein Schüler 
Rokitansky’s, sich wesentlich auf das Studium der krankhaften 
Veränderungen mit unbewaffnetem Auge beschränkte, ja mit einer 
gewissen Abneigung der mikroskopischen Forschungsmethode gegen¬ 
überstand, war Wagner unter den Docenten der Leipziger Hoch¬ 
schule der erste Vertreter der pathologischen Gewebelehre, und mit 
der wachsenden Bedeutung dieses Faches überflügelte er bald seinen 
Lehrer Bock, ohne dass jedoch das zwischen Beiden bestehende 
freundschaftliche Verhältniss getrübt wurde. Freilich waren auch 
die ersten Anfänge von Wagner’s Lehrthätigkeit in der bezeichneten 
Richtung bescheiden genug. Der damalige Stand der Methodik 
wird charakterisirt durch Wagner’s spätere Erzählung, er habe 
als erster die Verwendung des Rasirmessere zur Herstellung mikro¬ 
skopischer Schnitte aus Wien nach Leipzig gebracht. In Gemein¬ 
schaft mit dem Physiologen Otto Funke hielt Wagner mit einem 
kleinen Schülerkreis, mit mangelhaften Mikroskopen in ungenügend 
beleuchteter Räumlichkeit des alten Anatomiegebäudes Uebungen 
in der physiologischen und pathologischen Histologie ab. 

Von literarischen Früchten seiner Arbeit aus jener Zeit ist 
namentlich die pathologisch-anatomische Monographie über den 
Gebärmutterkrebs (Leipzig 1858) zu erwähnen. Wagner fasste 
in dieser Schrift die Resultate fünfjähriger, namentlich auf die pa¬ 
thologische Histologie dieses Leidens gerichteter Untersuchungen 
zusammen. Zwar stimmen seine Anschauungen über die Histogenese 
des Uteruscarcinoms (Hervorgehen der Krebszellen aus den Binde- 
gewebskörperchen, erste Entwickelung der Neubildung in der Mus- 
cularis) mit der heute fast allgemein angenommenen Lehre des 
epithelialen Ursprunges auch dieser Krebsform nicht überein, doch 
wird dadurch der bleibende Werth jener Monographie nicht in Frage 
gestellt, derselbe beruht auf der sehr sorgfältigen, bis dahin nirgends 
in gleicher Gründlichkeit durch geführten Schilderung sowohl des 
grob anatomischen als histologischen Verhaltens der verschiedenen 
Formen des Gebärmutterkrebses. 

Im Jahre 1860 wurde Wagner zum ausserordentlichen Pro¬ 
fessor ernannt. Bis 1862 erschienen aus seiner Feder zahlreiche 
grössere und kleinere pathologisch-anatomische Arbeiten, welche 
grßsstentheils in dem von Wunderlich, Griesinger und Roser 
geleiteten Archiv für physiologische Heilkunde und in dem seit 1860 
von Wagner redigirten Archiv der Heilkunde, welches nach dett 
Aufhören der ersterwähnten Zeitschrift als eine Fortsetzung der¬ 
selben herausgegeben wurde, enthalten sind. Man kann diese Auf¬ 
sätze, die sich eingehend mit wichtigen Capiteln aus der patho¬ 
logischen Histologie beschäftigten (Structur und Histogenese der 
verschiedenen Formen des Carcinoms und anderer Geschwülste, 
Colloidmetamorphose, Fettentartung, Amyloiddegeneration), als Vor¬ 
läufer der systematischen Darstellung der allgemeinen Patho¬ 
logie ansehen, welche auf Grund neunjähriger, gemeinsamer wissen¬ 
schaftlicher Thätigkeit von Wagner und Uhle gegeben wurde. 
Die Herausgabe des Handbuches wurde erst nach dem Tode Uhle’s 
möglich, die Arbeitsteilung war derartig, dass aus den hinterlassenen 
Manuscripten des letztgenannten Gelehrten die allgemeine Aetiologie, 
von Wagner selbst die allgemeine pathologische Anatomie be¬ 
arbeitet wurde. Der Erfolg des in erster Auflage 1862 (bei Otto 
Wigand in Leipzig) erschienenen Buches war ein glänzender, be¬ 
reits 1868 erschien die vierte und 1877 die siebente Auflage des 
Buches. Wenn das Werk seitdem nicht neu aufgelegt wurde, so 
lag das nicht an dem Aufhören der Nachfrage nach demselben, 
sondern wesentlich daran, dass Wagner seitdem sein Interesse in 
erster Linie der klinischen Medicin zuwendete. Die Vorzüge des 
Buches, das in klarer Anordnung und bei verhältuissmässig geringem 
Umfange einen reichen stofflichen Inhalt umfasste, der bei aller von 
Auflage zu Auflage sorgfältig durchgeführten Berücksichtigung der 
gesammten Fachliteratur, doch überall die sichere Grundlage eigener, 
an Umfang und Tiefe wachsender Erfahrung erkennen liess, sind so 
allgemein anerkaunt worden, dass hier ein näheres Eingehen auf 
den Inhalt überflüssig erscheint. 

Am 20. December 1862 wurde Wagner zum ordentlichen Pro¬ 
fessor der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie er¬ 
nannt, und damit erhielt zuerst an der Universität Leipzig das ge¬ 
nannte Lehrfach die ihm gebührende selbstständige Stellung. Es war 
bedeutungsvoll, dass Wagner, der von Anfang an das wärmste 
Interesse für die pathologische Anatomie mit mehr und mehr zu¬ 
nehmender ärztlicher Thätigkeit verbunden hatte, auch fernerhin 
durch seine officielle Stellung zur Erhaltung dieser Verbindung 
aufgefordert wurde. Iudem ihm neben dem Ordinariat für die patho¬ 
logische Anatomie die Leitung der medicinischen Poliklinik über¬ 
tragen wurde, war ihm nicht nur ein reiches Krankenmaterial an¬ 
vertraut, sondern auch die Gelegenheit zu klinischer Lehrthätigkeit 
gegeben. In Wagner’s pathologisch-anatomischen Arbeiten erkennt 
mau überall den Einfluss dieser Verbindung; er blieb bewahrt vor 


der Gefahr, die durch ausschliesslich pathologisch-anatomische 
Thätigkeit wohl entstehen mag, dass die Fühlung mit den Zielen 
der praktischen Heilkunde verloren geht. Wagner blieb als patho¬ 
logischer Anatom stets Arzt, wie er als Kliniker niemals die Ueber- 
zeugung verleugnete, dass in der Erkenntniss der den Krankheits- 
erscheiuungen zu Grunde liegenden materiellen Veränderungen die 
sicherste Grundlage der wissenschaftlichen Medicin gegeben ist. 

In den Jahren 1862 bis 1865 erschien im Archiv der Heil¬ 
kunde eine Reihe wichtiger Arbeiten Wagner’s. Hier mögen er¬ 
wähnt werden die Mittheilungen über die Fettembolie, die Bei¬ 
träge zur Kenntniss der Phosphorvergiftung, namentlich aber 
die eingehende, pathologisch-anatomische Bearbeitung der durch con- 
stitutiouelle Syphilis hervorgerufenen Neubildungen. Wagner kam 
auf Grund seiner Untersuchungen zu der Ueberzeugung, dass eine 
specifische syphilitische Neubildung existirt in derselben 
Weise wie es einen Tuberkel, ein Sarcom giebt. Es ist zuzugeben, 
dass Wagner zu weit ging, als er in der Anordnung der zeitigen 
Elemente jener Neubildung ein specifisches Kriterium derselben zu 
finden glaubte. In der Hauptsache hat er unzweifelhaft Recht be¬ 
halten, wenn er hervorhob, dass die syphilitische Neubildung als 
im Wesen verschieden von den in ihrer Structur ähnlichen Granu¬ 
lationsgeschwülsten anerkannt werden müsse, wenn er ferner dar¬ 
legte, dass sie in ihrer Localisation, in ihrer Structur, in ihrer Ent¬ 
wickelung und Rückbildung sehr beachtenswerthe Eigentümlich¬ 
keiten besitzt. So hat sich denn auch trotz mehrfacher Anfein¬ 
dungen der von Wagner zuerst vorgeschlagene Name „S y philo in“ 
erhalten, und seine anatomischen Schilderungen werden in allen 
späteren Arbeiten über viscerale Syphilis als grundlegend anerkannt. 

Aus der Zeit von 1866 bis 1874 verdienen Erwähnung von 
Wagner’s Arbeiten die Untersuchungen über Diphtheritis und 
Croup (fibrinoide Umwandlung der Epithelien), über Epithel- 
blutungen, über den Endothelkrebs der Pleura, besonders 
aber die 1870 und 1871 erschienenen Aufsätze über „das tuber¬ 
kelähnliche Lymphadeno m“, denen 1874 die auch in prak¬ 
tischer Hinsicht direkt wichtige Publication über Intestinalmykose 
und ihre Beziehung zum Milzbrand folgte. In der eben er¬ 
wähnten Arbeit über das tuberkelähnliche Lymphadenom kam 
Wagner durch eingehendste Erforschung eines mit bewunderns- 
werthem Fleisse benutzten grossen Erfahrungsmaterials zu dem 
Schlüsse, dass in zahlreichen Fällen, die klinisch und grob anato¬ 
misch von der Tuberculose nicht zu trennen waren, die Structur der 
Neubildung dem bisher für den Tuberkel als allgemein gültig ange¬ 
nommenen Bilde nicht entsprach. Es ist zuzugeben, dass Wagner 
die Uebereinstimmung des von ihm gefundenen Structurbildes mit 
dem Bau des physiologischen Lymphfollikels zu sehr betonte und 
dass er andererseits in der vorsichtigen Formulirung seiner Resultate 
zunächst den Eindruck erweckte, als halte er das tuberkeläh»liehe 
Adenom für ein von der wahren Tuberculose im Wesen verschie¬ 
denes Product. Gegenwärtig, wo die zahlreichen an die Entdeckung 
des Tuberkelbacillus sich anschliessenden Untersuchungen es über 
allen Zweifel erhärtet haben, dass die tuberculöse Neubildung in 
histologischer Hinsicht keineswegs in allen Fällen jenen einfachen 
und einförmigen Charakter hat, der den früheren Schilderungen zu 
Grunde gelegt wurde, muss anerkannt werden, dass die thatsäch- 
lichen Befunde Wagner’s in der Hauptsache richtig wiedergegeben 
waren. Die Consequenzen dieser Arbeit zeigten sich aber weiter auch 
darin, dass die Anschauungen über die Beziehung der Tuberculose 
zur Entzündung durch sie berichtigt wurden. In dieser Richtung 
sind die Untersuchungen Wagner’s neben denen von Buhl, 
Schüppel, Koester, Friedlaender u. A. von erheblichem Ein¬ 
fluss auf die Lehre von der Tuberculose gewesen. 

Bald nach dem Abschluss der zuletzt besprochenen Arbeiten 
trat eine wichtige Wendung in Wagner’s Leben ein. Nachdem 
er schon seit längerer Zeit während der Krankheit Wunderlich’s 
vertretungsweise die Leitung der medicinischen Klinik übernommen 
hatte, wurde er in Folge des 1877 eingetretenen Todes des ge¬ 
nannten Klinikers zu seinem Nachfolger in dem Lehrfache der 
speciellen Pathologie und Therapie ernannt. An Stelle Wagner’s, 
als Lehrer der pathologischen Anatomie, wurde Cohn heim berufen. 
Nach dem frühen, allgemein beklagten Tode seines berühmten 
Collegen hat Wagner seiner freundschaftlichen Verehrung für 
den Dahingeschiedenen ein schönes Denkmal gesetzt durch die von 
ihm geleitete Herausgabe der gesammelten Abhandlungen Cohn- 
heim’s. 

Auch den Aufgaben seines klinischen Lehramtes widmete sich 
Wagner mit der vollen Hingabe seiner pflichttreuen und arbeits¬ 
freudigen Natur. Wagner besass die Eigenschaften eines klinischen 
Lehrers in hervorragendem Maasse: seine Gründlichkeit bei der 
Krankenuntersuchung, die durch seine pathologisch-anatomischen 
Studien zu grosser Schärfe ausgebildete Beobachtungsgabe, die 
ebenfalls durch seinen ganzen Bildungsgang geförderte realistische 
Richtung seines Geistes, zu welchen Vorzügen ein ungewöhnlich 


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15. Mftrz. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 219 


gutes Gedächtniss kam, das die Resultate eines von Anfang seiner 
praktischen Berufsthätigkeit mit grosser Sorgfalt registrirten Beob¬ 
achtungsmateriales beherrschte. Solche Eigenschaften machen es 
begreiflich, dass Wagner’s „ärztlicher Blick“, dass seine Bedeutung 
als scharfer Diagnostiker längst allgemein anerkannt war. In the¬ 
rapeutischer Hinsicht hat man ihm wohl hier und da einen nihi¬ 
listischen Standpunkt vorgeworfen, man hat wohl gemeint, dass in 
dieser Richtung seine reiche nekroskopische Erfahrung ungünstig 
eingewirkt hätte. Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Wagner war, 
wie er allem Unsoliden abgeneigt war, kein Freund auf ungenügender 
Basis unternommener Heilexperimente, wo aber eine Indication für 
Anwendung bewährter Mittel und Heilmethoden vorlag, da griff 
er mit Energie ein und führte seinen Heilplan consequent durch. 

Der Lehrvortrag Wagner’s war schlicht, aber klar und gründ¬ 
lich, mit streng inductiver Methode aus den genau festgestellten 
Befunden der Einzelfälle das Allgemeine entwickelnd. Das grösste 
Gewicht wurde darauf gelegt, dass die Studirenden zu gründlicher 
Uebung der Krankenuntersuchung und streng logischer Verwerthung 
der Beobachtungsresultate angehalten wurden. Wagner hat es oft 
ausgesprochen, dass er Freude am Lehren hatte, und wenn er 
manchmal Lücken im Wissen und ungenügendes Können in strenger, 
nicht immer die empfindliche Eigenliebe der Lernenden sohonender 
Weise rügte, so haben doch seine Schüler immer gefühlt, dass 
solche Rügen nur aus seiner ernsten Auffassung des Lehrberufes 
bervorgingen. Aber noch eine Eigenschaft Wagner’s war es, die 
ihm mit dem Dank für erfolgreiche Förderung der Berufsbildung 
das Vertrauen und die Achtung seiner Schüler gewann und über 
die Studienzeit hinaus erhielt; das war seine unbestechliche Wahr¬ 
haftigkeit und seine edle Bescheidenheit. Immer wies er seine Zu¬ 
hörer hin auf die Grenzen auch des bestgebildeten ärztlichen Könnens, 
nie verhüllte er die Fehlbarkeit auch des erfahrensten Urtheils. In 
den Fällen, wo der Verlauf oder Sectionsbefund eine von ihm bei 
der klinischen Vorstellung begründete Diagnose widerlegte, da 
bat er stets mit voller Offenheit der Wahrheit die Ehre gegeben. 

Auch in seinen zahlreichen, während des Jahrzehntes seiner 
klinischen Lehrthätigkeit in dem von v. Ziemssen und v. Zenker re- 
digirten deutschen Archiv für klinische Medicin erschienenen 
Arbeiten geht Wagner immer von der eigenen Erfahrung aus, von 
einem in knapper aber gründlicher Weise dargestellten, oft durch 
seinen Umfang Staunen erregenden Beobachtungsmaterial, auch hier 
zeigt sich seine, nach dem Gefühl des Lesers manchmal zu weit 
gehende Scheu vor der Aufstellung allgemeiner Schlussfolgerungen, 
.seine Abneigung gegen alles Hypothetische und die schlichte, auf 
jeden Schmuck verzichtende Darstellung. Hierher gehören die 
Beiträge zur Kenntniss des acuten und des chronischen Morbus 
Brightii (XXIV. und XXV. Band gen. Zeitschrift), der Aufsatz 
über die durch Syphilis hervorgerufenen Nierenkrankheiten, über 
die Amyloidniere (XXVIII. 1. c.). Diese Arbeiten sind die Vor¬ 
läufer der systematischen Darstellung der Bright’schen Nieren¬ 
krankheit, welche Wagner für die dritte Auflage des von 
v. Ziemssen herausgegebenen grossen Sammelwerkes (IX. Band. 
Leipzig 1882) übernahm, nachdem Bartels, der für die ersten 
Auflagen diese Nierenkrankheiten bearbeitet hatte, gestorben war. 
Es ist bezeichnend für Wagner’s Art zu arbeiten, dass er sich 
nicht zu einer Umarbeitung der von ihm als trefflich anerkannten 
Darstellung von Bartels entschliessen konnte. So entstand ein 
durchaus originales Werk von bleibendem Werth. Zwar erhält der 
Leser fast auf jeder Seite dieses Buches den Eindruck, dass die 
Pathologie der Nierenentzündungen noch weit entfernt von befrie¬ 
digendem Abschluss ist, aber gerade in der vollen Objectivität. 
welche unabhängig von jedem Wechsel der Anschauungen über 
Pathogenese und systematische Stellung der Nierenentzündungen, 
das empirische, in seinen pathologisch-anatomischen und klinischen 
Unterlagen unbedingt zuverlässige Material ordnet, liegt die blei¬ 
bende Bedeutung dieser Arbeit. 

Von Wagner’s späteren Publicationen, die im XXXIII. bis 
XLI. Bande der genannten Zeitschrift abgedruckt sind, mögen hier 
nur die folgenden erwähnt werden: Beiträge zur Kenntniss der 
subacuten und chronischen Pneumonie, — Der sogenannte 
Pnenmotyphus, — Zur Kenntniss des Abdominaltyphus, 
— Zur Diagnostik und Therapie der perforativen Perito¬ 
nitis, — Purpura und Erythem, — Ein Fall acuter Poly¬ 
myositis, — Zwei Fälle von fieberhaftem Icterus (Weil’sche 
Krankheit), — Die sogenannte essentielle Wassersucht. — 
Schon diese einfache Herzählung der Titel lässt erkennen, wie 
Wagner bis zuletzt mit unermüdlicher Arbeitskraft an der Förde¬ 
rung der wissenschaftlichen Medicin arbeitete. Wahrlich, als am 
20. December des vorigen Jahres ein Kreis früherer Schüler um den 
verehrten Lehrer, der in seiner bescheidenen Art jede öffentliche 
Feier abgelehnt hatte, zur Erinnerung des 25 jährigen Jahrestages 
seiner Ernennung zum Ordinarius versammelt war, da dnrchdrang 
Alle das Bewusstsein, dass man zurückblicke auf eine Lebenszeit 


voll ernster Pflichterfüllung, auf eine Summe praktischer und 
wissenschaftlicher Leistungen, die nach Inhalt und Umfang Bewun¬ 
derung erregt und nur von einem Manne erreicht werden konnte, 
der jede Stunde seines Lebens ernster Arbeit widmete und für den 
das Wort „labor ipse voluptas“ in vollem Maasse Geltung hatte. 
Im Hinblick auf die geistige Frische und die unverminderte körper¬ 
liche Rüstigkeit des Gefeierten war aber auch bei allen Theil- 
nehmern die Hoffnung lebendig, er werde noch lange seine für 
weite Kreise bedeutungsvolle Berufsthätigkeit ausfiben können. 
Dieser Hoffnung war Erfiillung nicht beschieden. Bereits im An¬ 
fang des Februar wurde Wagner von einem Leiden befallen, das 
er selbst für eine rheumatische Muskelkrankheit hielt, wie sie ihn 
in früheren Jahren bereits wiederholt heimgesucht hatte. Einen 
bedenklichen Charakter schien diese fieberlose, wesentlich auf die 
rechte untere und hintere Thoraxgegend begrenzte schmerzhafte 
Affection nicht zu haben. Der Kranke selbst suchte mit grosser 
Willenskraft und mit jener bei Aersten nicht seltenen Nichtachtung 
eigener körperlicher Beschwerden, seine Berufsthätigkeit nach kurzer 
Unterbrechung fortzusetzen, er hat sich trotz seines leidenden Zu¬ 
standes nicht abhalteu lassen, seinen klinischen Unterricht fort¬ 
zusetzen, und wahrscheinlich hat er sich erst hierbei in Folge von 
Schädlichkeiten, denen er sich mit bereits verminderter Resistenz 
aussetzte, jene schwere Nierenkrankheit zugezogen, die im Verlauf 
weniger Tage durch Urämie seinen Tod herbeiführte. 

Wie die Obduction ergeben hat, handelte es sich nicht um ein 
acutes Endstadium einer bis dahin latenten älteren Nierenerkrankung, 
sondern um eine acute hämorrhagische Nephritis in den vorher ge¬ 
sunden Nieren. Im Uebrigen ist zu erwähnen, dass allseitige Ver¬ 
wachsung beider Pericardialblätter unter einander und straffe Ad¬ 
häsionen des äusseren Blattes des Herzbeutels mit der Pleura vis- 
ceralis und diaphragmatica dextra bestanden. Die Scheide des 
rechten N. phrenicus war mit diesen Pseudoligamenten in erheb¬ 
licher Ausdehnung verwachsen, geschwollen und geröthet In diesem 
Befunde liegt die Erklärung für das obenerwähnte schmerzhafte 
Leiden, das demnach als eine Neuralgia phrenica (Erb) zu be¬ 
zeichnen wäre. Es liegt eine eigentümliche und tragische Fügung 
in der Thatsache, dass Wagner einer jener seltenen Formen 
schwerster acuter Nierenentzündung erliegen musste, deren unge¬ 
nügende wissenschaftliche Erkenntniss, namentlich auch in ätiolo¬ 
gischer Richtung, von ihm selbst in seinem oben erwähnten Werke 
über den Morbus Brightii hervorgehoben wurde. 

Gross ist die Zahl der Menschen, denen der jähe Tod Wagner’s 
eine schmerzlich empfundene Lücke in ihrem Lebenskreis entstehen 
Hess, aber Allen, die zu ihm in persönlicher Beziehung standen, 
wird sein Wesen in treuer Erinnerung bleiben, als das Bild eines 
Mannes, der im Aeusseren einfach und schlicht, im Innern gediegeu 
und echt war, mit treuem, warmem Herzen und klarem Geist, eine 
durchaus wahrhafte und zuverlässige Natur. So war Wagner als 
Mensch, als Arzt, als Forscher, so wird er fortleben im Gedächtniss 
seiner Freunde und Schüler und an ehrenvoller Stelle in den An¬ 
nalen der medicinischen Wissenschaft. 

XVI. Kleine Mitteilungen. 

— Berl in. Der Vorstand der Aerztekammer der Provinz Branden 
bürg hat. bereits den Entwurf einer Geschäftsordnung ausgearbeitet., welcher der 
Aerztekammer demnächst vorgelegt werden wird. In einer Vorstandssitzuutg 
am 25. Februar wurde ferner beschlossen, als Termin für die nächs e 
Sitzung der Aerztekammer den 21. April vorläufig in Aussicht zu nehm e u 
und folgende Punkte auf die Tagesordnung zu setzen: I. Vorlage des Ent¬ 
wurfs einer Geschäftsordnung. — II. Vorschlag des Vorstandes zur Auf¬ 
bringung der Kosten der Aerztekammer. Der Referent in dieser Frage, 
Herr Braehmer, schlägt vor: Die Aerztekammer wolle beschliessen: 1) Das 
bisherige Berliner ärztliche Correspondenzblatt als Organ der Aerztekammer 
| und der Aerztevereine der Provinz Brandenburg zu übernehmen und das¬ 
selbe sämmtlichen wahlberechtigten Aerzten der Provinz zum Abonnement 
| anzubieten. 2) Den Abonnementspreis auf 3 M. festzusetzen, so dass durch 
denselben voraussichtlich ausser den Unkosten des Blattes die Kosten für 
die Aerztekammer gedeckt werden. — III. Antrag der gynäkologischen Ge¬ 
sellschaft Berlins auf Errichtung von Pflegestätten für Wöchnerinnen der 
arbeitenden Klassen. 

— Die am 7. d. M. tagende Versammlung der ärztlichen Mitglieder 
des Reichstages und Abgeordnetenhauses und der Berliner Mitglieder des 
Vorstandes der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadt¬ 
kreis Berlin (s. diese Wochenschr. No. 10, p. 200) hat beschlossen, mit 
Bezug auf die Chemnitzer Angelegenheit in der nächsten Reichstagssitzung 
im Herbst bei Gelegenheit der Revision des Krankenkassengesetzes dahin 
zu wirken, dass unter dem Begriff „ärztliche Hülfe“ nur die eines staatlich 
approbirten Arztes zu verstehen sei. Es sei anzustreben, dass zu der Com¬ 
mission zur Berathung des Krankenkassengesetzes und Emendirung desselben 
auch Aerzte zugezogen würden, was bisher nicht der Fall sei. — Weiter 
kam die Frage des Vorgehens gegen das Geheimmittelunwesen zur Sprache. 
Betont wurde vor Allem, dass wir hier in Berlin .das Verschwinden der 
Geheimmittel aus den Zeitungen namentlich dem energischen Vorgehen 
unseres Polizeipräsidiums, speciell unseres bei demselben amtirenden Col- 
legen zu danken hätten. Erwähnt wurde, dass der Herr Minister an 


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220 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 11 


sämmtliche Regierungspräsidenten Circulare geschickt hätte, mit der An¬ 
weisung, die betreffenden Polizeiverordnungen gegen das Geheiramittel- 
unwesen in Anwendung zu bringen. Die Frage des Geheimmittelunwesens 
findet übrigens auf dem diesjährigen Aerztetage wieder ihre Besprechung. — 
Ueber weitere Themata, üb,er welche die preussischen Aerztekammern ge¬ 
meinsam verhandeln sollen, wird Bestimmung im Mai getroffen werden, wo 
in Berlin die zur wissenschaftlichen Deputation entsendeten Mitglieder der 
Aerztekammern zusammentreten werden. 

— Als Assistenten der unter Leitung des Herrn Geh. Rath Sena- 
1 o r stehenden Universitäts - Poliklinik fungiren für das nächste Semester 
die Herren: DDr. H. Leo, Löwenthal, Gast und Th. Rosenheim 
(bisher Assistent der Professor Dr. Fürbringer’schenKlinik im städtischen 
Krankenhause Friedrichshain). Herr Dr. Grunmach verlässt zu Ostern 
die Poliklinik. 

— Dr. A. Hartmann’s „Krankheiten des Ohres und deren 
Behandlung“ sind iff einer italienischen Uebersetzung von Dr. A. Gu¬ 
ar neri erschienen. Im vorigen Jahre erschien bereits eine englische 
Uebersetzung des genannten Werkes. 

— Leipzig. Mit Bezug auf die Besetzung der durch den Tod 
Wagner’s erledigten Professur der medicinischen Klinik sind wir in der 
Lage mitzutheilen, dass Prof. Liebermeister, der bekanntlich primo loco 
von der Facultät vorgeschlagen war, definitiv den an ihn ergangenen Ruf 
abgelehnt hat. Auch Prof. Erb hat abgelehnt, da die Badische Regierung 
Alles aufgeboten hat, denselben der Universität Heidelberg zu erhalten. 

— Wiesbaden. Das chemische Laboratorium des Herrn Ge¬ 
heimen Hofraths Prof. Dr. R. Fresenius war während des Winterse¬ 
mesters 1887/88 von 75 Studirenden besucht, darunter 4 Hospitanten. Da¬ 
von waren 45 aus dem deutschen Reiche, 7 aus Nordamerika, 6 aus Oester¬ 
reich-Ungarn, 5 aus Schweden und Norwegen, 4 aus England, 4 aus Russ¬ 
land und je 1 aus Frankreich, aus Belgien, aus Italien und aus Ostindien. 
0 Studirende beschäftigten sich ausschliesslich in der hygienisch-bacteriolo- 
gischen Abtheilung, die übrigen sämmtlich im chemischen Laboratorium, 3 
arbeiteten gleichzeitig in beiden Abtheilungen. Assistenten waren im Unter¬ 
richtslaboratorium 2, in der landwirtschaftlichen Versuchsstation 3 und in 
den verschiedenen Abtheilungen des Privatlaboratoriums 17 thätig. Der 
Lehrkörper der Anstalt besteht ausser dem Direktor aus den Herren Prof. 
Dr. H. Fresenius, Dr. E. Borgmann, Dr. W. Fresenius, Dr. E. Hintz, 
Dr. med. F. Hueppe und Architekt J. Brahm. Ausser wissenschaftlichen 
Arbeiten wurden auch im verflossenen Wintersemester zahlreiche Unter¬ 
suchungen im Interesse des Handels, der Industrie, des Bergbaues, der 
Landwirtschaft und der Gesundheitspflege in den verschiedenen Abteilun¬ 
gen des Laboratoriums und in der Versuchsstation ausgeführt. 

— Basel. Der langjährige Redacteur des Correspondenzblattes für 
Schweizer Aerzte, Dr. A. Baader, der hingebende Vorkämpfer ärztlicher 
Standesinteressen, ist gestorben. 

— Im Januar 1889 wird in St. Petersburg der III. Congress 
Russischer Aerzte tagen. 

— In Madrid hat in den letzten Tagen des Februar ein nationaler 
Congress für Hydrologie und Hydrotherapie getagt. 

— Der nächste Congress der American medical Association wird 
im Mai d. J. in Cincinnati tagen. 

— Im Januar hat in Lima ein hygienischer Congress getagt, an dem 
sich Delegirte der Regierungen von Peru, Bolivia, Equador und Chile be¬ 
teiligt haben. 

— In Hongkong wurde am 8. October 18S7 eine medicinische Schule 
für Chinesen eröffnet. 

— Preisausschreiben. Ein Preis von 25000 Francs ist für die beste 
Arbeit über das Thema: „Art und Weise einer reichlichen und 
zugleich wohlfeilen Beschaffung des besten Trinkwassers für 
grosse Städte und im besonderen für die Bevölkerung der Stadt Brüssel 
unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Vermehrung der Einwohner¬ 
zahl“ ausgeschrieben worden. Die Preisbewerbung ist international. Die 
Arbeiten sind, gedruckt oder geschrieben, vor dem 1. Januar 1893 an das 
Ministers de l’Agriculture de PIndustrie et des Traveaux publics in Brüssel 
cinzusenden. 

— Dr. Lewtas in London (Brit. Med. Journal 25. Februar) berichtet 
einen Fall von Intestinaltumor, der eine Gallensteinkolik vor¬ 
täuschte. Er betraf einen englischen Officier, der lange Jahre in Indien 
gelebt hatte. Dieser bekam in der Nacht vom 4. Juni äusserst heftige 
Schmerzen in der rechten Seite des Abdomen, die in der folgenden Nacht 
mit vermehrter Intensität wiederkehrten, so dass Pat. chloroformirt werden 
musste. Augenscheinlich handelte es sich um Gallensteinkolik. Am 6. Juni 
entleerte er etwas, das er für ein »Stück Fleisch“ hielt, das sich aber als 
ein Lymphom von l l /> Zoll Länge und '/« Zoll Dicke erwies. Er hatte 
danach dumpfe Schmerzen im Abdomen, hauptsächlich rechterseits, die 
einige Tage andauerten, worauf er sich wieder völlig gesund fühlte. Bis 
dato sind die Erscheinungen nicht wiedergekehrt. 

— Cerebrospinalmeningitis. Die epidemische Genickstarre ist 
im Regierungsbezirk Oppeln im Jahre 1887 in 317 Fällen festgestellt 
worden, von denen 89, also 28%, den Tod der erkrankten Personen, 6 un¬ 
heilbare Taubheit, 2 Erblindung, 2 geistige Störung und Blödsinn und 2 
Lähmung der Extremitäten zur Folge hatten. Die meisten Erkrankungsfalle 
kamen im Hüttenbezirke und zwar in den Kreisen Beuthen, Gleiwitz, Katto- 
witz und Tamowitz, vor, die Kreise Kreuzburg, Oppeln, Pless, Ratibor, 
Rybnik, Gross-Strehlitz und Zabrze blieben dagegen ganz verschont, während 
in den übrigen Kreisen des Bezirks die Genickstarre nur vereinzelt auftrat 
Im Kreise Beuthen erkrankten im Jahre 1887 im Ganzen 98 Personen, von 
denen 22 starben. Im Kreise Gleiwitz starben von 145 erkrankten Per¬ 
sonen 30, im Kreise Kattowitz von 13 Erkrankten 10 und im Kreise Tar- 
nowitz von 31 Erkrankten 13. Unter den Erkrankten waren zwar alle 
Schichten der menschlichen Gesellschaft vertreten, hauptsächlich jedoch die 


ärmere Bevölkerung. Am häufigsten wurden die Altersclassen vom 6. bis 
20. Lebensjahre, und zwar vorwiegend das weibliche Geschlecht von der 
Krankheit ergriffen. 

— Universitäten. Berlin. An Stelle des nach Zürich berufenen 
Dr. Wyder ist Dr. Dührssen zum Assistenten und Hebeammenlehrer an 
der geburtshülflichen Klinik der Berliner Universität ernannt worden. — 
Kiel. Mit Bezug auf unsere Notiz in No. 9 theilt uns Herr Dr. Fischer, 
Marinestabsarzt in Kiel, mit, dass er sich bereits im März vorigen 
Jahres habilitirt und schon zwei Semester hindurch an der Kieler Univer¬ 
sität Unterricht in der Hygiene und Bacteriologie ertheilt hat. — Buda¬ 
pest. Dr. D. Szabö, früherer Assistent der Kezmärszky’schen Klinik 
wurde zur Habilitirung an der medicinischen Facultät zugelassen. 


XVn. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Kreis-Physikus Geheimen Sanitäts-Rath Dr. Gross in Oh lau 
und dem Kreis-Wundarzt Sanitäts-Rath Dr. Heiland in Uslar den Kgl. 
Kronen-Orden III. Classe, sowie dem ersten Assistenten der chirurgischen 
Klinik zu Berlin Dr. Bramann z. Zt. in San Remo das Kreuz der Kom- 
thure des Königl. Hausordens von Hohenzollem zu verleiben, dem Kreis- 
Physikus Dr. Jak. Wolff zu Loebau sowie den praktischen Aerzten Dr. 
v. Gluszczewski zu Bukowitz, Dr. Schmidt-Metzler in Frankfurt a./M., 
Dr. Will zu Homburg v. d. H. und Dr. Nie mann zu Magdeburg den Cha¬ 
rakter als Sanitätsrath und dem Direktor der Irrenheilanstalt, Prof. Dr. 
Cr am er zu Marburg den Rothen Adler-Orden IV. CI. zu verleihen. 

Ernennung: Der prakt. Arzt Dr. Max Elten zu Freienwalde a./0. 
ist zum Kreis-Physikus des Kreises Liebenwerda ernannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Ed. Jacobi, Glaeser und 
Dr. Altmann in Breslau, Kunze in Reichenbach i. Schl., Dr.Ebeling in 
Dittmannsdorf, Kirschstein in Görbersdorf, Dr. Eh ring in Aschenaorf, 
Dr. Albrecht in Schmitten, Dr. Herzog in Kortau, Dr. Haagen in Ger- 
dauen, Dr Kunz und Valentini in Königsberg i. Pr., Gervais in Dreng- 
furt, Dr. Paul Cohn, Dr. Luce, Dr. M. Rosenthal, Dr. Roenick, Dr. 
Karl Fränkel, Dr- Lewandowski, Dr. Fischer, Dr. Vogt, Dr. A. Gut¬ 
mann, Dr. Panienski in Berlin, Dr. Blieske in Stargard i. P., Vor- 
pahl in Grabow a./0., Kanz in Doelitz, Dr. Thümmel in Treptow a. T. 
Dr. Oba in Fraustadt, Krug in Ilversgehofen, Dr. Graumann in Wülfel, 
Georgens in Berkum, Dr. Moses ln Köln, Dr. Paschen in Elberfeld, 
Ass.-A Dr. Lütkenmüller in Stolp. 

Die Zahnärzte: Driesen in Breslau, Foerster in Berlin. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Gock von Eberswalde, Dr. Gross 
von Strausberg nach Loewen, Ass.-Arzt Dr. Wachsmann von Potsdam 
nach Thorn, Dr. Pahl von Charlottenburg nach Zerpenschleuse, Dr. Tewes 
von Paderborn nach Schlangen (Lippe-Detmold), Dr. Lammers von Somborn 
nach Beverungen. Dr. Freudenstein von Barmen nach Hamm i. W., 
Augenarzt Dr. Buch hol tz von Giessen nach Siegen, Dr. Holstein von 
Laasphe, Dr. Brenssell von Berlin nach Kassel, Dr. Gatz von Hochstüblau 
nach Tuchei, Apstein von Hohenstein nach Hammerstein, Dr. Vollmer 
von Lehrte nach Hannover, Dr. Koeben von Breslau nach Forst i. L., 
Dr. Berendes von Wesel nach Hildesheim, Dr. Zachariae von Göttingen 
nach Gittalde (Braunschweig), Dr. Wagner von Pforzheim nach Erben¬ 
heim, Weber von Westerburg, Weil von Weilburg nach Piseck in 
Böhmen, Dr. Rosenau von Kissingen nach Wiesbaden, Neubauer von 
Kreuzburg nach Pobethen, Dr. Simon von Palmnicken nach Elbing, Dr. 
Kalkschmidt von Arnsdorf nach Strelitz i. M., Ass.-A. Dr. Ewermann 
von Hammerstein nach Königsberg i. Pr. Dr. Melcher von Königsberg i. Pr. 
nach Wien, Dr. Vogt von Thora nach Hohenstein, K. Russ. Staatsrath Dr. 
Massmann von Liegnitz nach Berlin, Dr. Alex. Wolff von Berlin nach 
Oranienburg, Dr. Janicki von Berlin nach Inowrazlaw, Dr. Kirstein von 
Berlin nach Jena, Dr. Lober von Stettin nach Breslau, Dr. Gittermanu 
von Alexanderbad nach Hannover, Dr. Koerfgen von Berkum nach Eus¬ 
kirchen, Dr. Plehn von Krefeld nach Libockin, Langenfeld von Lüttring¬ 
hausen nach Dornap, Dr. Doesnig von Witzhelden nach Hamburg, Dr. 
Georg Schulz von Neustettin nach Driesen, Dr. Moser von Dresden nach 
Pasewalck, Dr. Gesenius von Krefeld, Loechner von Radewormwald und 
Dr. Josef Loewenstein von Stargard i. P. nach Berlin. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Alb. Schmidt in Ohlau, der 
Ober-Stabsarzt a. D. Dr. Stipanski in Zerbst, Dr. Lengner in Wanders¬ 
leben, Kr.-Phys. Sanitäts-Rath Dr. Hecht in Neidenburg, Prof. Dr. Bohn 
in Königsberg i. P., Dr. Völkel in Berleburg, Dr. Koering in Beve¬ 
rungen, Geh. Medicinal-Rath Prof. Dr. Wagner in Leipzig, Generalarzt a. D. 
Dr. Lotsch in Berlin, Dr. Baron in Breslau, der Privatdocent Dr. Schiff er 
in Berlin, Dr. Tschepke in Züllichau, Dr. Zimmermann in Wermels¬ 
kirchen, Kreis-Physikus Sanitätsrath Dr. Boss in Falkenberg Ob./Schl. 

Vacante Stellen: Das Pbysikat des Stadt- u. Landkreises Görlitz. 

2. Sachsen. 

(Corr.-Bl. d. ärztl. Kr.- u. Bez.-Ver. im Kgr. Sachsen.) 

Gestorben: Med. pr. C. J. Bernhard in Dresden, Dr. G. Götze iu 
Leipzig, Dr. A. Meyer in Kohren, Hofr. Dr. A. Krug in Chemnitz, Dr. 
E. v. Zenker in Leipzig. 

8. Württem berg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Landesver.) 

Ernennung: Ob.-A.-Wund-A. Dr. Büttner in Freudenstadt zum 
Armen- und Spital-A. daselbst. 

Ruhestandsversetzung: Ob. - Med.-Rath Dr. von Holder in 
Stuttgart. 

Gestorben: Dr. F. J. Köhler in Gmünd. Ob.-A.-Arzt a. D. 
Dr. G. Werner in Ulm. Ob.-A.-Arzt a. D. Dr. W. Köstlin in Backnang. 


Gedruckt bei Juli di Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag JW 1*. 22. März 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHKIET. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet yon Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Gattmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber eine häufige Ursache der Gallenstein- 
hildung heim weiblichen Geschlecht. 

Von Prof. F. Marchand in Marburg. 

Soviel auch bereits über die Entstehung der Gallensteine ge¬ 
schrieben worden ist, so ist doch, soviel mir bekannt, noch von 
Niemandem ein ursächliches Moment der Gallensteinbildung her¬ 
vorgehoben worden, welches nach meinem Dafürhalten ein sehr 
naheliegendes ist, nämlich das Schnüren. 

Man kann sich leicht genug davon überzeugen, dass Gallen¬ 
steine und Schnürfurche der Leber sehr häufig zusammen Vor¬ 
kommen, und wenn man sich das Lageverhältniss der Schnürfurche 
zu den Gallengängen au irgend einem derartigen Präparat zur An¬ 
schauung bringt, so ist es auch nicht schwer, eine muthmaassliche 
Erklärung für jenes Zusammentreffen zu geben. Bekanntlich ver¬ 
läuft die Schnürfurche in der Regel quer über den rechten Lappen 
der Leber, und zwar pflegt in der Gegend der Gallenblase die 
Atrophie auch bei den geringeren Graden am stärksten zu sein. 
In den höheren Graden, in welchen es zur Ausbildung eines eigent¬ 
lichen Schnürlappens kommt, bleibt die Gallenblase ganz an diesem 
Th eile des Leberlappens, so dass die verdünnte Stelle ungefähr 
mit der Gegend des Gallenblasenhalses und des Ductus cysticus zu¬ 
sammenfällt. Nicht selten findet man in solchen Fällen die Gallen¬ 
blase stärker ausgedehnt und weit über den Rand der Leber her¬ 
vorragend. Sehr häufig finden sich in der Blase Steine, einzeln 
oder in grösserer Zahl, locker oder fest, nebst allen ihren Folge¬ 
zuständen. 

Eine genauere statistische Zusammenstellung des Vorkommens 
von Gallensteinen bei gleichzeitiger Schnürfurche vermag ich z. Z. 
nicht zu geben, indess habe ich in jedem Semester mehrfach Ge¬ 
legenheit, meine Zuhörer auf dasselbe aufmerksam zu machen. Ich i 
bin überzeugt, dass jeder pathologische Anatom, welcher über ein 
grösseres Material verfügt, leicht in der Lage sein wird, die That- 
sache als solche zu bestätigen. 

Eine andere Frage ist die, ob cs sich nur um ein zufälliges 
Zusammentreffen, oder um eine wirkliche ursächliche Beziehung 
handelt. Ersteres wäre nicht unmöglich, denn sowohl Schnürfurche 
als Gallensteine sind häufige Vorkommnisse, und zwar beide beson¬ 
ders beim weiblichen Geschlecht. 

Von jeher ist Stagnation als eine der wichtigsten Ursachen 
der Gallensteinbildung angeschuldigt worden, wenn anch in der 
Regel noch eine ziemlich problematische chemische Umwandlung 
der Zusammensetzung der Galle als mitwirkend betrachtet worden 
ist. Alles, was zur Eindickung der Galle führen kann, Absperrung 
der Gallenwege, mangelhafte Entleerung, besonders natürlich, wenn 
die Galle an sich dickflüssig und reich an festen Bestandtheilen 
ist, führt zur Bildung körniger Niederschläge, aus welchen leicht 
grössere Concremente werden. 

Alles, was einen Druck auf die Gallenwege, besonders den 
Ductus cysticus auszuüben geeignet ist, kann demnach als förderlich 
für die Bildung der Gallensteine angesehen werden. Der Druck 
des Rippenbogens kann schon unter gewöhnlichen Verhältnissen 
einen solchen Einfluss haben. Es ist bekannt, dass Personen mit 
«sitzender Lebensweise^ relativ häufig von Gallensteinen heirage- 
sucht sind; wahrscheinlich spieltauch hier jenes mechanische Moment 
eine Rolle. 

Dass dasselbe bei jeder Einschnürung des Rippenbogens 
noch sehr viel stärker einzuwirken vermag, liegt auf der Hand, 


denn es trifft in der That der Druck in diesem Fall am stärksten 
den unteren Tlieil der Gallenblase und ihren Ausführungsgang an der 
hinteren, resp. unteren Fläche der Leber. Ein Ausweichen ist nur 
in sehr geringem Grade möglich. 

Der Druck des Rippenrandes pflegt aber nicht gleiehmässig 
einzuwirken; bei Tage wirkt er mehr oder weniger anhaltend, 
Nachts gar nicht, oder wenigstens geringer, und nur daun, wenn 
die Form des Thorax bereits durch anhaltende Einschnürung stark 
verändert ist. Aber gerade dieser wechselnde Druck dürfte die 
Stagnation der Galle in der Gallenblase besonders begünstigen; ge¬ 
rade am Tage pflegt sich die Gallenblase normaler Weise haupt¬ 
sächlich zu entleeren; wie und wann die Füllung der Blase zu 
Stande kommt, ist nicht ganz genau bekannt; es ist aber wohl als 
sicher anzunehmen, dass die Galle in die Gallenblase tritt, wenn 
sie in Folge des Verschlusses der Gallengangsmündung durch 
Muskelcontraction nicht, oder weniger reichlich in den Darm ab- 
fliesst (cfr. Schüppel 1 )), also in der Zeit der Verdauuugspauseu, 
besonders zur Nachtzeit, gegen Morgen. Ist nun aber die Gallen¬ 
blase gefüllt, und wirkt der Druck den Tag über hindernd auf 
ihre Entleerung ein, so bleibt sie eben den Tag über gefüllt, um sich 
bei Wegnahme des Druckes vielleicht nur unvollkommen zu ent¬ 
leeren. Bei täglicher Wiederkehr desselben Vorganges, unterstützt 
durch etwaige andere diätische Schädlichkeiten, wird am ehesten 
Gelegenheit zur Steinbildung eintreten. 

Da das weibliche Geschlecht vorwiegend häufig von der 
Schnürfurche betroffen ist, so ist einleuchtend, weshalb bei 
demselben auch die Gallensteinbildung so viel häufiger vorkommt, 
als beim männlichen. Man braucht dazu keinen hypothetischen 
Cholestearinreichthum oder besondere Aenderungen in der chemischen 
Zusammensetzung der Galle. Katarrh der Gallenblase n. s. w. 
anzunehmen, wenn diese Momente auch Einfluss auf die Entstehung 
der Gallensteine haben mögen. Die erste und wichtigste Ursache 
der Galleusteinbildung ist, meiner Ansicht nach, mechanischer 
Natur, und in Allem zu suchen, was Stagnation der Galle machen 
kann, und als solche Ursache steht das Schnüren obenan —ein 
Grund mehr, um gegen diese unnatürliche Verunstaltung zu Felde 
zu ziehen. 

Wenn man erwägt, in wie vielen Fällen Gallensteine die Ur¬ 
sache schwerer Erkrankung werden, wie viele Fälle von schweren 
Gallensteinkoliken, von Perforation der Gallenblase, Bildung von 
Gallenblasenfisteln mit ihren Folgen gerade beim weiblichen 
Geschlechte Vorkommen, so sollte mau mit aller Energie darauf 
hinwirken, ein so häufiges ursächliches Moment — wenn anders 
die Prüfung an einem grossen Material dasselbe als solches bestätigt — 
durch verständige Prophylaxe zu beseitigen, so günstige Resultate auch 
die operativen Eingriffe zur gründlichen Beseitigung der Gallensteine 
ergeben mögen. Hat doch neulich die medicinische Welt nicht 
ohne Erstaunen vernommen, dass Langenbuch soweit gegangen ist, 
an Stelle des vermutheten, aber nicht angetroffenen Gallenblasen- 
tumors gleich den ganzen Schnürlappen wegzuschneiden! Besser 
ist es jeden Falls, keinen zu haben. 

Zum Schluss möchte ich mir noch einen kurzen Hinweis auf 
eine Erkrankung gestatten, welche meiner Ueberzeugung nach zweifel¬ 
los als Folgezustand der Gallensteine, und somit indirekt ebenfalls 
als Folge der Einschnürung zu betrachten ist, nämlich der Gallen¬ 
blasenkrebs. Bekanntlich findet sich auch dieser auffallend häufig 


*) Krankheiten der Gallenwege, v. Ziemsseu's Handbuch. Bd. VIII. 
I. Anhang p. 11. 


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222 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


I 


No. 12 


beim weiblichen Geschlechte; ferner ist eine allgemein anerkannte 
Thatsache das so gut wie constante Zusammentreffen von Steinen mit 
Krebs der Gallenblase. Wenn auch gelegentlich behauptet worden 
ist, dass die Steine sich erst in der krebsig entarteten Gallenblase 
entwickeln, so ist es meiner Meinung nach nicht schwer, für die 
meisten Fälle wenigstens, das Gegentheil zu beweisen; 'man findet 
eben Steine immer, sei es, dass die Carcinomentwickelung erst 
einen kleinen Theil der Wandung einnimmt und noch kein Hinder¬ 
niss für die Entleeruug bedingt, sei es, dass der Krebs eine grosse 
Geschwulst bildet, in deren Centrum man öfter nach längerem Suchen 
erst Reste der Höhle der Gallenblase findet — stets wird man darin 
Steine antreffeu, oft ganz umschlossen von Krebsmassen. Seitdem 
ich auf das oben auseinandergesetzte Verhältniss aufmerksam ge¬ 
worden bin — schon seit einer Reihe von Jahren — ist mir eine 
ganze Anzahl von Gallenblasenkrebsen beim weiblichen Geschlecht 
durch die Hände gegangen, bei welchen sich gleichzeitig eine mehr 
oder weniger stark ausgesprochene Schnürfurche fand. 

Ich erlaube mir, 
hier zwei solche* 
Fälle in der Abbil¬ 
dung vorzuführen, 
aus welchen das 
Lageverhältniss der 
Schnürfurche und 
der Gallenwege hin¬ 
reichend deutlich 
ersichtlich sein 
dürfte. Der erste 
Fall (Präp. aus der 
Sammlung des path. 
Inst, in Marburg 
a. d. .1. 1880) ist 
besonders ,wegen 

der geringen Grösse 
des Carciuoms an 
der Innenfläche der 
stark verdickten 
Gallenblase von In¬ 
teresse. ln dem 
zweiten Falle (Priv. 



Kig. 2. Theil einer ilurcli metastatiscbe Krebsknotcu sehr vergrösserlen Leber mit tiefer 
Schnürfurche und Krebs der Gallenblase. Dieselben Bezeichnungen. */j der natürl. Grösse, 
c die aufgeschnittene Gallenblase mit höckrigen Krebswuchernngen (dd), c erweiterter 
Duct. cysticus, g V. hepatica, h carcinomatös inflltrirto Drüsen, i Duodenum, k schwie¬ 
liges Bindegewebe. 

8ect. a. d. .1.1H84. von einer Frau, welche früher wiederholt an Galleu- 
steinkoliken gelitteu hatte) war die Leber durch seeuudäre Carcinom- 
knoten bereits colossal vergrössert, die offenbar schon alte Schnür¬ 
furche tief einschneidend, ln solchen Fällen kann natürlich das ur¬ 
sprüngliche Lage verhältniss durch nachträgliche Wucherungen, Ver¬ 
wachsungen mit der Umgebung u. s. w. geändert werden; indess 
giebt es immerhin genug Fälle, welche sehr überzeugend sind. 

II. Ueber die nervösen Störungen bei der 
Pellagra (nach eigenen Beobachtungen). 1 ) 

Von Docent Dr. Franz Tuczek, 

II. Arzt der Irrenheiianstalt zu Marburg i. H. 

Wenn ich mir Ihre Aufmerksamkeit für einige Mittheilungen 
über eine Krankheit erbitte, die, wie es scheinen könnte, Ihrem 

*) Vortrag mit Demonstrationen, gehalten in der Section für Neuro¬ 
pathologie und Psychiatrie der 60. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte. 







I'ig. 1. Schiiüriober mit Galleublasenkrebs; Durchschnitt iu 
der Längsrichtung der Gallenblase. (Der Hals ist nicht mit¬ 
getroffen. _ *, der natürlichen Grösse, a Schnürfurche, 
b abgcschnürter Lappen, c verdickte Gallenblase, dd krebsige 
Wucherungen an der Innenfläche, e Dnct. choled., f. Vena 
portar. 



Interesse ferner liegt, so geschieht dies einmal, weil die Pellagra, 
jene fast allgemein mit dem Maisgenuss in Zusammenhang gebrachte 
Volkskrankheit, von grosser socialer Bedeutung für einige uns be¬ 
freundete Staaten ist, dann aber auch, weil die nervösen Störungen, 
welche jene Krankheit begleiten, ja ganz vorwiegend constituiren, 
das volle Interesse des Neuropathologen und Psychiaters heraus¬ 
fordern. 

Auf das Studium der Pellagra wurde ich durch meine Unter¬ 
suchungen über den Ergotismus geführt; die Aehnlichkeit der bei¬ 
den Krankheitsbilder war unverkennbar; hier wie dort traten mir 
bestimmte cerebrospinale Erscheinungen, Parästhesieen, psychische, 
motorische, trophische Störungen entgegen; hier wie dort wies Alles 
auf eine bestimmte toxische Schädlichkeit hin. Die Analogie und 
damit mein Interesse wuchs, als einige jüngere Forscher, besonders 
Seppilli und Tonnini, veranlasst, wie sie selbst angebeu, durch 
unsere Beobachtungen über die Hinterstraugserscheiuungen beim 
Ergotismus, das Verhalten der Sehnenreflexe bei der Pellagra einer 
Prüfung unterzogen und dieselben häufig und iu verschiedenem 
Sinne verändert fanden. 

Je mehr ich mich nun aber in die sehr umfangreiche Pellagra¬ 
literatur vertiefte, desto mehr wuchs meine Enttäuschung, zu finden, 
dass weder über das klinische Krankheitsbild, noch über die patho¬ 
logische Anatomie, noch auch über die Aetiologie irgend welche 
Uebereinstimmung unter den verschiedenen Autoren bestand. Zwar 
wurde die Pellagra ziemlich allgemein als ein chronisches, periodisch 
exacerbirendes schweres Leiden definirt, bei welchem Affectionen 
von Seiten des Magendarmcanales, der Haut und des Nervensystemes 
besonders in den Vordergrund träten. Wenn aber die Schilderung 
der nervösen Symptome bald der Hysterie, bald der Neurasthenie, 
der Paralysis flaccida oder spastica, der amyotrophischen Lateral- 
sclerose, gelegentlich auch wohl der Tabes dorsalis oder der allge¬ 
meinen progressiven Paralyse entsprach, dann musste ich mich 
fragen: existirt überhaupt die Pellagra als Krankheitseinheit? — Meine 
Hoffnung, Rath bei der pathologischen Anatomie zu finden, sank, 
als ich ganz heterogene und gewiss vielfach aecidentelle Dinge, Be¬ 
funde, wie sie das allgemeine Siechthum oder die senile Involution 
begleiten, wenn nicht gar als cadaverös anzusprechen waren, als 
das anatomische Substrat für all die geschilderten merkwürdigen 
und mannichfachen Störungen aufgeführt fand. 

Auch über die Aetiologie der Pellagra fand ich die Meinungen 
getheilt. Die älteste Ansicht freilich, dass es sich einfach um ein 
„Mal de la miseria“ handele, war ziemlich allgemein aufgegeben 
worden; sah man doch, dass fast ausschliesslich die Landbevölkerung 
der Krankheit zum Opfer fiel, während die wahrlich nicht minder 
nothleidende arme Stadtbevölkerung davon verschont blieb, und 
dass unter den Opfern sich auch gelegentlich kräftige Individuen 
befanden. Als dann durch gewissenhafte Forschung nachgewiesen 
wurde, dass das erste Auftreten der Krankheit in die Zeit fiel, wo 
der Maisbau im Grossen begonnen hatte, und dass ihre räumliche 
Verbreitung eine Zone umfasste, innerhalb derer der Mais das fast 
ausschliessliche Nahrungsmittel der Landbevölkerung darstellt — 
eine Zone, die etwa zwischen dem 43. und 47.° nördlicher Breite 
und zwischen dem 10.° westlicher und 25.° östlicher Länge von 
Paris liegt —, da schienen fast alle Stimmen darüber einig, dass 
der Mais Schuld an allem Elend sei. Alsbald aber theilten sich 
wiederum die „Zei'sten* in zwei Lager. Die Einen sagten, der Mais 
im Uebermaass und fast ausschlfesslich genossen, erzeuge durch 
seine Armuth an Protei'nsubstanzen die Krankheit; die Anderen 
wollten nur in dem verdorbenen Mais die Materia peccans er¬ 
kennen. Diese beiden Richtungen befehden sich auch heute noch 
mit einem Fanatismus, der denjenigen weit hinter sich lässt, mit 
welchem etwa bei uns die Beziehungen der Syphilis zur Tabes und 
progressiven Paralyse ventilirt werden. Es lässt sich kaum leugnen, 
dass die Anhänger der Intoxicationstheorie die besseren Argumente 
für sich haben. Dass die Maispolenta in den Pellagradistricten, be¬ 
sonders in den Wintermonaten, das fast ausschliessliche Nahrungs¬ 
mittel der Landbevölkerung darstellt, ist unbestritten. Ebenso 
sicher ist aber auch, dass der Mais sehr allgemein in verdorbenem 
Zustande zur Verwendung kommt. Die Ursachen dafür sind 
mannichfach. Der Landmann, der nur ein kleines Stückchen Erde 
sein eigen nennt, vielfach nur Pächter oder gar Afterpächter ist, 1 ) 
sucht seinen Boden nach Möglichkeit auszunützen; er baut daher 
nach der Kornernte noch einmal Mais an und wählt zur Aussaat 
eine geringe Sorte Mais, welche schnell aufgeht und reift (daher 
Quarantin- oder Ciuquantin-Mais genannt). Oft genug aber nöthigt 
ihn das Hereinbrecheu der Regenzeit (besonders in den nördlichen 
Breiten des vorhin umgrenzten Gebietes, wo Missernten nicht selten 


‘) Ueber die äusserst gedrückte Stellung des oberitalienischen Land¬ 
mannes giebt das Schriftchen von Eheberg „Agrarische Zustände in Italien* 
(Leipzig 1886) gute Aufschlüsse; er berechnet den Consuru an Fleisch für 
Italien überhaupt auf 12*/s kg pro Kopf und Jahr. 


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2*2. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 223 


siud), die Körner einzubringen, ehe sie vollkommen reif sind. 
Fehlen nun noch — und das ist ganz allgemein der Fall — 
trockene luftige Lagerstätten für den Mais, so ist er dem Verderben 
in hohem Grade ausgesetzt. Hierzu kommt, dass die aus dem 
Maismehl gekochte Polenta häufig für mehrere Tage voraus, mit 
wenig Salz, bereitet wird und leicht verdirbt. 

Die Anhänger der Intoxicationstheorie fragen nun mit Recht: 
warum erzeugt der Genuss von gesundem Mais, z. B. in den süd¬ 
lichen Provinzen Italiens, wo er stets zur vollkommenen Reife ge¬ 
langt, nie Pellagra? warum gehen die vorhandenen Krankheits¬ 
erscheinungen unter einem Regime, in welchem der gesunde Mais 
die Hauptrolle spielt, zurück? warum, wenn der Mais nur als un¬ 
zureichende Nahrung schadet, befällt die Pellagra auch kräftige In¬ 
dividuen ? 

Unter denen endlich, welche geneigt sind, den verdorbenen 
Mais in grossem Umfange als Krankheitserzeuger anzuerkennen, 
fehlt es nicht an Stimmen, welche die Schädlichkeit nur in dem 
geringen Nährwerth des verdorbenen Maises erblicken, welcher zu 
einer Ueberladung des Magendarmcanales nöthige, der dieser nicht 
gewachsen sei. Die bisherigen Versuche das Gift zu isoliren, sind 
nicht schlagend genug, um diese Anschauungsweise zu widerlegen. 

Es war natürlich, dass iu mir der Wunsch lebendig wurde, 
über eine weitverbreitete Krankheit, über deren Natur so viele Diffe¬ 
renzen herrschten, durch eigene Anschauung mir ein Urtheil zu 
bilden. Ich wählte zum Beobachtungsfeld ein Land, in welchem die 
Pellagra in einer Weise verbreitet ist, dass sie geradezu eine natio¬ 
nale Calamität genannt werden muss, nämlich Oberitalien. Die vom 
Ackerbauministerium veröffentlichte officielle Statistik 1 ) zählte im 
gesammteo Königreich Italien im Jahre 1881 104 607 Pellagröse, 
darunter in den Landschaften Lombardei 36 630 und Venetieu 55 881. 
Die Statistik wies weiter nach, dass im Jahre 1884 gegen 10 000 
Pellagröse in Hospitälern und Irrenanstalten behandelt wurden, und 
dass in den Jahren 1881—1884 durchschnittlich 2500 Kranke der 
Pellagra erlagen. Speciell in der Lombardei und in Venetien durfte 
ich erwarten, iu ausgiebiger Weise die Krankheit studiren zu können, 
die in manchen Provinzen 50/ 0 der Bevölkerung sich unterwerfen 
sollte. 

leb wählte als Reisezeit die Monate April und Mai, weil im 
Frühjahr alle Krankheitserscheinungen exacerbiren sollten, und begann 
meine Wanderung in Turin, um mir hier von einem der verdiente¬ 
sten Pellagrologeu, Prof. Lombroso, zugleich einem der eifrigsten 
Verfechter der Intoxicationslehre, Directiven zu holen, die ich später¬ 
hin bemüht war, nach dem Grundsatz: „audiatur et altera pars“ zu 
vervollständigen. An nach benannten Ol ten hatte ich Gelegenheit, 
die Pellagra zu studiren: Milano (Ospedale maggiore), Pa via 
(Manicomio), Voghera (Manicomio), Varese (Ospedale civile), 
Gavirate, MombeI lo (Manicomio), Brescia (Ospedale maggiore), 
Bergamo (Manicomio), Verona (Ospedale civile), Cremona (Ospe¬ 
dale civile und Manicomio), Mantova (Ospedale civile, innere und 
Irrenabtheilung), Reggio ne 11 'Ernilia (Manicomio), Imola (Mani¬ 
comio), Ferrara (Manicomio), Padova (Irrenabtheilung des Ospe¬ 
dale civile), Venezia (Irrenabtheilung des Ospedale maggiore, Ma- 
uicomio di S. Servolo und S. Clemente), Mogliano, Prov. Treviso 
(Pellagrosajo) und Treviso (innere und Irrenabtheilung des Ospe¬ 
dale civile). Ich freue mich, constatiren zu können, dass auch in 
deu Irrenanstalten Oberitalieus das Bestreben sich immer mehr 
geltend macht, den Kranken so viel Freiheit zu gewähren, als sie 
vertragen. Freilich fand ich vielfach, dass gerade diejenigen Kranken, 
welche der besten hygienischen Verhältnisse, des meisten Raumes, 
der sorgfältigsten Pflege bedürfen, nämlich die frischen Fälle, die 
Unruhigen und Unreinlichen, vernachlässigt wurden zu Gunsten der 
ruhigen und rüstigen chronisch Kranken, für die es von geringerem 
Belang und mehr eine Geldfrage ist, ob man sie so oder so unter¬ 
bringt; auch fand ich die mechanischen Zwangsmittel in einem Um¬ 
fange in Anwendung, welcher das Maass des nach unseren Begriffen 
Zulässigen weit überschreitet; ja ich musste mich überzeugen, dass 
das Kettengerassel angeschmiedeter Geisteskranker aus dem Dunkel 
psychiatrischer Mitternacht gelegentlich auch noch in die Neuzeit 
herübertönt (Treviso) — im Allgemeinen aber traf ich überall auf 
eifrige Bestrebungen, die Irrenversorgung in modernem Sinne quali¬ 
tativ und quantitativ zu gestalten; ja ich fand in Reggio und in 
Imola musterhaft eingerichtete und geleitete Anstalten, und in 
ersterer neben einer auf das Beste bedachten Centralanstalt eine 
Ackerbaucolonie für rüstige chronisch Kranke ganz ähnlich Alt- 
Scherbitz, aber schon seit 1872 in Function. 

Ich verliess Italien, nachdem ich über 300 Pellagrakranke, 
deren Anamnese und Krankheitsgeschichte mir fast stets zur Ver¬ 
fügung stand, untersucht hatte. Ich kann die Liebenswürdigkeit, 

‘) Annali di Agricultura 1885. La Pellagra in Italia. Roma 1885 
und: Resultati delP inchiesta sulle condizioni igieniche e sanitarie nei 
comuni del Regno. Roma 1886. 


mit der die Collegen überall meine Studien zu fördern bestrebt 
waren, nicht genug rühmen. 

Als ich in Mailand dem alten verdienten Pellagrologeu und 
Psychiater, dem ehrwürdigen Professor Andrea Verga, Senator 
des Königreiches, meine Aufwartung machte, gab er mir den wenig 
tröstlichen Bescheid: „Wenn Sie die Pellagra studiren wollen, so 
müssen Sie nicht einige Wochen, sondern einige Jahre in Italien 
bleiben.“ Und im Grunde hatte er recht; denn der Verlauf der 
Pellagra erstreckt sich unter alljährlichen Recidiven und Exacerba¬ 
tionen über 10, 15, 20 Jahre und darüber. Immerhin durfte ich 
hoffen, durch das Nebeneinander zahlreicher Beobachtungen von ver¬ 
schiedenen Graden und Stadien ein richtiges, gesammtes Krankheits¬ 
bild zu erhalten. Und da konnte ich, was den gewöhnlichen Gang 
der Dinge betrifft, nur bestätigen, was mich das Studium der Pellagra¬ 
literatur gelehrt hatte: dass in irgend einem Lebensalter, meist im 
Frühjahr zuerst Magendarmerscheinungen auftraten, verbunden mit 
allgemeiner Muskelschwäche und gemüthlicher Depression; dass da¬ 
mit häufig ein Erythem an den entblössten Körpertheilen mit nach¬ 
folgender Abschuppung einhergeht. Damit tritt Genesung ein, bis 
im nächsten Frühjahr alle Erscheinungen recidiviren und die vou 
Seiten des Nervensystems in den Vordergrund treten. Derselbe 
Turnus kann sich mehrmals wiederholen, der einzelne Anfall immer 
weitere Residuen hinterlassen, so dass es zu einer wirklichen „pella- 
grösen Geistesstörung“ mit gewissen spinalen Symptomen kommt, 
bis sich schliesslich ein chronisches Siechthum, die „pellagröse 
Kachexie“ ausbildet, die langsam zum Tode führt, ln ihren leich¬ 
teren Graden und jüngeren Stadien ist das Leiden heilbar; doch 
bekommt man wenig derartige frischere Fälle zu Gesicht. Die 
Familie sucht die Erkrankungen, welche in ihrem Schoosse statt¬ 
finden, zu verheimlichen; denn die Pellagra ist und bleibt unter 
allen Umständen ein „Mal de la miseria“; die Gemeinden nehmen 
meist keine Veranlassung, solche frisch Erkrankte in Krankenhäuser 
unterzubringen, da sie dort für sie zahlen müssen; erst wenn noto¬ 
rische Geisteskrankheit vorliegt, betreiben sie ihre Aufnahme in eine 
Irrenanstalt oder die Irrenabtheilung eines Krankenhauses, welche 
die Kranken, die „sich und Anderen gefährlich siud“, unentgeltlich 
aufzunehmeu verpflichtet ist; für einen Heil versuch ist es dann 
meistens zu spät. Erst neuerdings fängt man an, eigene Pellagra¬ 
häuser zu eröffneu, offene Curanstalten, in welchen frische Pellagra¬ 
kranke gegen einen geringeu Verpflegungssatz Behandlung, vortreff¬ 
liche Beköstigung und ausgiebige ländliche Beschäftigung finden. 
Diese Anstalten werden erst dann ihre volle Wirksamkeit entfalteu 
können, wenn sie unabhängig von der Privatwohlthätigkeit gestellt 
sein werden. Ich besuchte ein derartiges „Pellagrosajo“ in Mogliano 
(Treviso) und hatte hier Gelegenheit, höchst ausgeprägte, frische 
Fälle von Pellagra bei Kindern und Erwachsenen beiderlei Ge¬ 
schlechts zu untersuchen. Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen, 
Müdigkeit, Unlust zur Arbeit, traurige Verstimmuug, Reizbarkeit, 
Kopfschmerz, besonders im Occiput, Schwindelanfälle und das „pella¬ 
gröse Exanthem“, das waren die constanten Initialerscheiuungen, 
wie sie auch vou Anderen so vielfach geschildert worden sind. 
Unter den später anzuführenden Parästhesieen war in diesem ersten 
Stadium das Globusgefühl besonders häufig auzutreffen, welches die 
Aerzte vielfach zu der irrigen Diagnose der Hysterie bei frischeu 
Pellagrafällen veranlasst. 

Ich gehe nun zur Besprechung der überhaupt von mir im 
Verlauf der Pellagra beobachteten nervösen Störungen über und 
zwar zunächst der cerebralen. Die kaum jemals fehlenden psychi¬ 
schen Störungen tragen ganz vorwiegend den Charakter der Melan¬ 
cholie; einfache Vorstellungsverlangsamung mit Unfähigkeit zu 
denken, Abneigung gegen Bewegungen, gemüthlicbe Depression in 
leichteren Fällen; ausgeprägte Melancholie mit Angst und Er¬ 
klärungsversuchen im Sinne des Kleinheitswahns oder der Verfolgung 
(besonders, dem religiösen Standpunkt der Bevölkerung entsprechend, 
dämonomanischen Charakters), mit hypochondrischen Wahnideen 
und Selbstmordneigung; ganz besonders häufig aber einfache Ver¬ 
langsamung im Vorstellungsablauf bis zum vollständigen Stillstand 
unter dem Bilde des melancholischen Stupors. Ich lege Ihnen, 
meine Herren, hier recht gelungene photographische Typen vor, 
welche den Stupor und den forschenden, misstrauischen, ängstlich 
erwartenden und fast drohenden Gesichtsausdruek pellagröser 
Melancholiker wiedergeben. Viele Kranke machen lange Zeit hin¬ 
durch jedes Jahr eiuen derartigen Anfall von Melancholie stets mit 
Ausgang in Genesung durch, ehe sie dauernd geisteskrauk werden. 
Dieser Periodicität ist es wohl zuzuschreiben, dass, weun schliesslich 
die Intelligenz defect wird, doch nur selten so hohe Grade des 
Blödsinns sich ausbilden, wie wir sie sonst als Ausgänge der 
Stimmungsanomalieen zu sehen gewohnt sind. Manche der pella- 
grösen Melancholiker hatten die verlangte Gemeingefährlichkeit 
durch raptusartige Anfälle legitimirt, und wenn auch das Bewusst, 
sein in den meisten Fällen erhalten war, ja sogar mehr ode r 
weniger deutliches Krankheitsbewusstsein die Pellagrapsychos e 


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224 


kennzeichnet, so bestand doch häufig eine gewiss«! Benommenheit 
und bisweilen eine so tiefe Störung des Bewusstseins, dass ich den 
Eindruck gewann, mancher Fall des sogenannten „Typhus pella- 
grosus“ würde nach unserer Nomenclatur unter die melancholische 
Form des Delirium acutum zu rubriciren sein. 

Einige Male beobachtete ich bei Pellagrösen rein maniacalisehe 
Zustände, niemals Paranoia. Wenn bei schwachsinnig gewordenen 
pellagrösen Melancholikern eine gewisse Euphorie Platz gegriffen 
hatte, so konnte man flüchtig an die Dementia paralytica erinnert 
werden; nur flüchtig, denn es fehlte eben die Progressivität der 
geistigen Schwäche, und es fehlten die Sprachstörungen sowie über¬ 
haupt alle Erscheinungen von Seiten der Gehirnnerven. 

Unter den cerebralen Affectionen figurirten häufig Schwindel¬ 
anfälle, die „vertigini“ der Italiener; seltener Zuckungen in einzelnen 
Gliedern vom Charakter der corticalen Epilepsie, sogenannte „pella- 
gröse Anfälle“, während ausgeprägte epileptiforme Anfälle nie zur 
Beobachtung gelangten. 

Unter den Affectionen, muthmaasslich spinalen Ursprunges, 
nehmen die Parästhesieen eine hervorragende Rolle ein. Des Globus¬ 
gefühls wurde schon Erwähnung gethan; über Schmerzen im Hinter¬ 
haupt und Nacken wurde häufig geklagt; ungemein qualvoll aber wurde 
für die Mehrzahl der Kranken, besonders in früheren Kraukheits- 
perioden, ein überaus lästiges Hautbrennen, welches nach der An¬ 
sicht mancher Pellagrologen einen nicht unbeträchtlichen Theil der 
pellagrösen Selbstmörder in’s Wasser treibt. 

Motorische Reizerscheinungen wurden vielfach bemerkt, 
theils in der leichtesten Form des erhöhten Widerstandes gegen 
passive Bewegungen, theils in Form von Spasmen, schmerzhaften 
Crampi, übermässig starken Contractionen bei gewollten Bewegungen; 
in einigen vorgeschrittenen Fällen traf ich die Ober- und besonders 
die Unterextremitäten in halber Flexionsstellung contracturirt. In 
vielen Fällen bestand Muskelschwäche, dynamometrisch nachweisbar 
und wohl zu unterscheiden von dem subjectiven Gefühl der Muskel- 
insufficienz, wie wir es auch sonst bei Melancholikern finden. 

Eine besondere Aufmerksamkeit wandte ich begreiflicherweise 
den Sehnenreflexen zu; ich untersuchte dieselben etwa in 300 Fällen 
und fand ungefähr in 2 /:j derselben das Kniephänomen gesteigert bis 
zu lebhaftestem Patellarclonus; in 23 dieser Fälle bestand gleich¬ 
zeitig Fussclouus und lebhafte Steigerung der Sehnenphänomene an 
den Oberextremitäten; in 8 Fällen fehlte das Kniephänomen; in 
den übrigen war es theils abgeschwächt, theils normal. Differenzen 
in der Lebhaftigkeit des Kniephänomens zwischen beiden Seiten waren 
eine häufige Erscheinung. Die Untersuchung betraf zum grossen 
Theil alte chronische Fälle; bezüglich der frischen Fälle scheint es 
mir erwähnenswerth, dass ich Abweichungen von der Norm beson¬ 
ders auf der Höhe des Anfalles resp. zur Zeit der Exacerbation 
fand. Wo lebhafte Steigerung der Sehneureflexe sich mit Muskel¬ 
schwäche, Contracturen und deutlich spastischem Gang vergesell¬ 
schaftete, da war die Analogie mit der spastischen Spinalparalysc 
eine vollkommene. Es fiel mir auf, dass in keinem der Fälle, wo 
das Kniephanoraen fehlte, eine Spur von Ataxie nachweisbar war. 

Unter den vasomotorischen Störungen steht ein allge¬ 
meiner Contractionszustand der Hautgefässe mit Blässe der Haut, 
subjectivem und objectivera Kältegefühl, begleitet zuweilen von 
Cutis anserina, obenan, während locale Iscbämieen und Mydriasis 
nicht zu meiner Beobachtung gelangten. Zu den trophischen 
Störungen wird meistens jene Hautaffection gerechnet, welche der 
ganzen Krankheit den Namen gegeben hat (Pellis agra = rauhe 
Haut). Mit dieser Hautaffection hat es eine eigene Bewaudtniss. 
Man kann wochenlang Pellagragegenden bereisen, ohne ihrer an¬ 
sichtig zu werden, so dass, wenn man die Diagnose der Pellagra, 
wie es manchmal geschieht, von ihr abhängig machen wollte, man 
unter Umständen zweifelhaft werden könnte, ob es überhaupt eine 
Pellagra giebt. Mau muss, wie ich es that, in den Frühlingsmo¬ 
naten reisen, um das Exanthem in ausgiebiger Weise studiren zu 
können. Dasselbe tritt in den frischen Fällen gleichzeitig mit oder 
bald nach den Magendarmerscheinungen unter der Form eines 
Erythems an den von Kleidungsstücken nicht bedeckten Körper¬ 
teilen, ganz vorwiegend auf dem Handrücken und seiner Fort¬ 
setzung über das untere Drittel des Vorderarmes auf; Die Haut 
wird roth, schwillt an und schuppt sich nach einigen Wochen in 
grossen Lamellen ab („Handschuhhand“). Derselbe Vorgang wieder¬ 
holt sich im nächsten Frühjahr; nach jedem weiteren Recidiv 
bleiben nun aber Residuen zurück: Die Haut wird braun pigmen- 
tirt, verliert ihre Elasticität; das Unterhautzellgewebe schwindet; 
es entstehen weisse Narben, die an die Striae gravidarum erinnern; 
in extremen Graden wird die Haut wie dünnes Pergament und 
lässt sich in hohen stehenbleibenden Falten erheben. — Es wird 
kaum bestritten werden können, dass die Sonnenstrahlung als Ge¬ 
legenheitsursache für das Exanthem eine Rolle spielt; letzteres 
aber ausschliesslich als eine Iusolationserscheinung aufzufassen, ist 
entschieden zu weit gegangen. So lange es eine medicinische 


No. 12 

Literatur giebt, hat die Sonne immer in Italien gebrannt; eines 
derartigen Exantheines geschieht aber vor Auftreten der Pellagra 
nirgends Erwähnung. Das Exanthem exacerbirt immer mit den 
anderen Erscheinungen der Pellagra, gelegentlich auch einmal im 
Winter und in Lenzen, die wenig von Sonnenschein zu erzählen 
wissen. Mir sind Fälle vorgestellt worden, wo das Exanthem 
erst in der Anstalt mehrere Wochen nach der Aufnahme hervor¬ 
brach und wo dasselbe auch stets bedeckte Körpertheile befiel. 
Das Exanthem hilft auf die richtige diagnostische Spur: den 
Werth eines pathognomischen Symptoms, dessen Vorhandensein 
die Diagnose der Pellagra allein sicherte, dessen Abwesenheit 
sie ausschlösse, dürfte es indessen nicht beanspruchen können. 
Die Hautaffection kann fehlen, es giebt eine „Pellagra sim¬ 
pel lagra“. — 

Die Zunge zeigt häufig Veränderungen, die meist als trophische 
angesprochen werden: rissige, gefurchte Beschaffenheit, Entblössung 
von Epithel. 

Localisirte Myotrophieen habe ich niemals gefunden im Gegen¬ 
satz zu anderen Forschern, wie z. B. Neusser, 1 ) welchen das 
Krankheitsbild der Pellagra vielfach an die amyotrophisclie Lateral- 
sclerose erinnerte. Ich habe immer nur allgemeinen Muskelschwund 
als Theilerscheinung der oft hochgradigen Abmagerung gefunden. 

Unter den trophischen Störungen eine besondere Disposition zu 
Decubitus aufzuführen, scheint mir nicht berechtigt und als Deck¬ 
mantel für Unterlassungssünden in der Wartung der Kranken nicht 
unbedenklich. 

Als Gesammtergebniss aus meinen Wahrnehmungen befestigte 
sich in mir der Eindruck von einer weitgehenden Analogie zwischen 
der Pellagra und dem Ergotismus. In beiden Fällen sehen wir nach 
einem Stadium mit vorwiegenden Magendarmerscheinungen die cere¬ 
brospinalen Störungen ganz in den Vordergrund treten und ein 
langes Siechthum, eine Kachexie die Scene beschliessen. Die Art 
der Psychose, das Vorherrschen der stuporösen Form der Melan¬ 
cholie, das Krankheitsbewusstsein w-ar beiden Zuständen gemein. 
Hier wie dort traten uns mit grosser Häufigkeit spinale Störungen 
entgegen, die beim Ergotismus den Erscheinungen einer Hinter- 
strangaffectiou entsprachen, bei der Pellagra mehr, aber nicht aus¬ 
schliesslich, auf eine Seitenstrangaffection hinwiesen. Hier musste 
also eine Differenz bestehen, welche anatomisch zu fixiren mein 
weiteres Bestreben war. 

Die bisherigen anatomischen Untersuchungen des Nervensystems 
bei der Pellagra haben wenig Sicheres ergeben. Die Angaben be¬ 
schränken sich meist auf die makroskopische Betrachtung und die 
Untersuchung des frischen Organs häufig so lange Zeit nach dem 
Tode, dass, zumal bei der hohen Aussentemperatur, sehr bedeutende 
cadaveröse Veränderungen hatten Platz greifen müssen. Auch sind 
Befunde für charakteristisch erklärt w'orden, welche in das Gebiet 
der senilen Involution und des langen Siechthums fallen. Dejerine 
hat in 2 Fällen Degenerationsvorgänge in den Hautnerven des Hand¬ 
rückens gefunden; die Untersuchungen von Oppenheim und 
Siemerling nöthigen uns zu grosser Vorsicht in der Deutung der¬ 
artiger Degenerationen peripherischer Nerven. Abnorme Piginen- 
tirung der Ganglienzellen in den Vorderhörnern des Rückenmarks 
und in den Spinalganglien sind häufig angegebene Befunde. Das¬ 
selbe gilt für den Reichthum des Rückenmarks an Corpora amv- 
lacea. 

Speciell das Rückenmark scheint methodisch mit allen Hülfs- 
mitteln moderner Technik noch nicht untersucht worden zu sein. 
Tonnini, der hierzu den Anfang gemacht hat, theilt mit, dass er 
in 2 Fällen die Seitenstränge erkrankt fand; „auch in den Hinter¬ 
strängen beginnender Entartungsprocess“. 2 ) 

Durch die Gefälligkeit der italienischen Collegen steht mir das 
anatomische Untersuchungsmaterial von 8 Fällen von Pellagra zur 
Verfügung; ich wurde dabei derart vom Zufall begünstigt, dass ich 
4 der Sectionen selbst ausführen durfte. 

Das Material ist naturgemäss noch lange nicht durch untersucht, 
dagegen kann ich Ihnen heute die Befunde an den betreffenden 
Rückenmarken vorlegen. In allen 8 Fällen besteht eine Strang¬ 
erkrankung. und zwar in 2 Fällen bloss des Hinterstranges, in den 
übrigen 6 eine combinirte Erkrankung der Hinter- und Hinter¬ 
seitenstränge. Die Degeneration der Hinterstränge betrifft mehr die 
medialen Partieen und verschont fast durchgehends die Wurzel¬ 
eintrittszonen; die der Hinterseitenstränge scheint, unter constanter 
Freilassung der Kleinhirnseitenstrangbahn, vorwiegend die Pyra¬ 
midenseitenstrangbahnen befallen zu haben. Der Faserreichthuni 
in der grauen Substanz, auch in den Clarke’sehen Säulen war 
überall ein normaler. Die Ganglienzellen des Vorderhorns zeich¬ 
neten sich meist durch grossen Pigmentreichthum aus; in einem 


’) Neusser. Die Pellagra in Oesterreich und Rumänien. Wien 1887. 
a ) Tonnini. Disturbi spinali nei pa/.zi pellagrosi. (Rivista speritnen- 
tale di Reggio, IX und X.) 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


225 


22. März. 


Falle bestand eine sehr ausgesprochene Pigmentatrophie derselben 
mit Umwandlung der grauen Substanz im Cent mm beider Vorder¬ 
hörner in ein spinnenzellenhaltigcs, lockeres Gewebe. 

Die detaillirte Schilderung meiner Befunde im Zusammenhang 
mit den klinischen Beobachtungen muss ich mir für eine ausführ¬ 
lichere Arbeit aufsparen. 

Wenn nun auch der Nachweis der, wie es scheint, constanten | 
Erkrankung bestimmter Abschnitte des Markmantels des Rücken¬ 
markes das Wesen der Pellagra nicht aufklärt, so spricht er doch 
zu Gunsten der Iutöxicationstheorie. Er giebt einen weiteren Belebt 
für die Vulnerabilität eiuiger dieser Abschnitte: des Hinterstrauges, 
den wir beim Ergotismus und (Lichtheim) bei der peruiciösen 
Anämie erkrankt finden, und des Hinterseitenstranges, welcher bei 
den Fürstner’schen Drehversuchen gelitten hat. Es hat diese 
Thatsaclie nichts Auffallendes, da ja fast jedes Gift seinen speciti- 
schen Angriffspunkt hat. 

Welcher Art das supponirte Gift sein könnte, darüber habe 
ich kein eigenes Urtheil, bin aber geneigt, die Anschauung 
Neusser’s (1. c.) zu adoptiren, dass es sich um die Entwickelung 
einer giftigen Substanz (Glukosid?) im besonders dazu vorbereiteten 
Darmcanal aus einer im verdorbenen Mais enthaltenen ungiftigen 
Vorstufe handelt. Weder die Versuche, ein pellagrogenes Gift aus 
dem verdorbenen Mais zu isoliren, noch diejenigen, welche einen 
Mikroorganismus, das Bacterium Maidis, in Angriff nehmen, .haben 
bisher eine schärfere Kritik bestanden. 

Für die Prophylaxis der Pellagra ist natürlich die Frage nach 
ihrer Aetiologie von fundamentaler Bedeutung; die Praxis ist hier 
der Theorie vorausgeeilt; denn überall beginnt man, Anstalten 
grossen Styls zu treffen, um den Mais vor dem Verderben zu 
schützen. 

Bezüglich der Betheiligung des Rückenmarkes stände die 
Pellagra mit ihrer combinirteu Strangerkrankung zwischen dem Er¬ 
gotismus, welcher den Hinterstrang schädigt, und dem Lathyrismus, 
welcher unter dem Bilde der Lateralsclerose auftritt. 

Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass, wie 
beim Ergotismus, dem Aleoholismus und anderen Iutoxieations- 
zustanden, auch bei dem „Mai'dismus 1 * oder der „Psychoneurosis 
lnaldica“, wie man mitVerga jun. die Pellagra nennen könnte, die 
nervösen Störungen nicht eigentlich progressiv sind. 

Nach Abschluss meiner anatomischen Untersuchungen hoffe ich 
meine Beobachtungen in einer ausführlicheren Arbeit niederlegen 
zu können, möchte aber auch diesen leider noch lückenhaften 
Bericht nicht schliessen, ohne der hohen medicinischen Facultat zu 
Marburg, welche mir die Mittel zu meiner Studienreise in liberal¬ 
ster Weise gewährt hat, dafür meinen wärmsten Dank auch an 
dieser Stelle schon ausgesprochen zu haben. 


m. Ueber die Anwendung des Atropins 
in der Augentberapie.‘) 

Von Dr. Th. Gelpke, Augenarzt in Karlsruhe. 

Mit keiner Drogue unseres Arzneischatzes wird in der Oph- 
thalmotherapie, besonders von Seiten der praktischen Aerzte soviel 
gesündigt, ein oft so unverantwortlicher Missbrauch getrieben, wie 
mit dem Atropin. Dasselbe ist, wenn auch nicht für alle, so doch 
für sehr viele Nicht-Specialcollegen so innig in seiner Anwendung 
mit jeder Augenkrankheit verknüpft, für dieselben eine solche Pa- 
nace, dass es, gleichviel ob wirklich indicirt oder nicht, fast bei 
jedem Patienten, der mit Augenentzündungen sich vorsteilt, in An¬ 
wendung gezogen v wird. 

Es ist auf diese kritiklose Verwendung des Atropins schon oft 
von augenärztlicher Seite gelegentlich aufmerksam gemacht 
worden. So unterlässt es z. B. kein akademischer Lehrer — ich 
erinnere mich besonders lebhaft des meinigen, Herrn Professor Manz 
— in seinen Vorlesungen und klinischen Stunden seinen Schülern 
eine planmässige Application des Mittels an das Herz zu legen. 
Auch bat seiner Zeit (18<58) 2 ) Sichel in einer lesenswerthen 
Arbeit 3 ) auf die Gefahren und Uebelstände eines missbräuchlichen 
und unmässigen Atropingebrauchs aufmerksam gemacht. Wir lesen 
z. B. folgende Stelle bei ihm: 

„Kxcellent et pröfcrable ä celui de tous Ies autres topiques, quand il 
s'agit de dilater la pupille, son usage est aujourdhui irrationelleuient ctendu 
ä des maladies oculaires, dans lesquelles la dilatation de Fouverture pupillaire 
ne joue qu'un nde seeondaire ou nul et est non-sculement insuffisante comme 
inoyen de guerison, mais quelquefois inutile et meine nuisible comme au- 
xiliaire.“ 


') Vortrag, gehalten im Verein der Karlsruher Aerzte. 
*) Remarques pratiques sur Tabus de l’atropine. 

*) Gazette medicale de Paris 18ß8, No. Iß. 


Ferner wurde in englischen Zeitschriften hier und dort vor 
uunöthigem und namentlich umnössigem Gebrauch des Mittels ge¬ 
warnt. 

Es fehlt jedoch sowohl in der ausländischen, als insbesondere 
in unserer deutschen medicinischen Literatur eine auf sicherer Er¬ 
fahrung oder physiologischen Grundsätzen beruhende Zusammen¬ 
stellung der Iudicatiouen und Contraindicationen des Atropins für 
die einzelnen Krankheitstypen. Wohl liegt uns ein kurzes 
Resume über eine diesbezügliche Arbeit — einen Vortrag Horuer’s*) 
— vor, den derselbe 1879 im Verein der Züricher Aerzte hielt. In 
diesem Referat werden aber die Wirkungen des Atropins nur im 
Allgemeinen kurz zusammengestellt, dagegen die physiologischen 
Angriffspunkte des Mittels unerwähnt gelassen, uud speciell nicht 
die einzelnen Erkrankungen des Auges besprochen, bei denen der 
Gebrauch des Atropins indicirt ist oder nicht. In einer solchen 
speciellen genauen Präcisirung des Atropingebrauchs liegt aber 
meiner Ansicht nach gerade der Schwerpunkt, wenn es sich darum 
handelt, Für Nicht-Fachcollegen praktisch brauchbare Winke bezüg¬ 
lich des Atropingebrauchs zu geben. Allgemeine Warnungen er- 
! reichen einmal überhaupt das gewünschte Ziel nicht und schiessen 
! andererseits sehr oft über dasselbe hinaus. 

So ist es deun auch gekommen, dass trotz gelegentlicher münd- 
lieber Warnungen, trotz obiger Arbeiten nicht nur von den älteren 
praktischen Aerzten, denen, soviel ich höre, ein derart rationeller 
! Gebrauch des Atropins seiner Zeit nicht gelehrt wurde, sondern 
I auch von den jüngeren Collegen ein Gebrauch vom Atropin gemacht 
! wird, der auf der einen Seite an und für sich irrelevante 
i Augenleiden höchst uugiinstig in ihrem Verlauf beeinflusst und an- 
j dererseits ohnedies bedenkliche Leiden in sehr trauriger und 
I für das betreffende Auge deletärer Weise zum Abschluss briugt. 

Bei dem Mangel einer Unterweisung in diesem Sinne hielt ich 
es daher für angebracht, in kurzen Zügeu, soweit meine Erfahrung 
| reicht und physiologische Thatsachen uns zur Seite stellen, Einiges 
über eine ratioueIle Anwendung des Atropins Ihnen mitzutheilen. 

Zuvor möchte ich Sie, meine Herren, jedoch dringend bitten, 
' meinem Vortrage nicht die mir fernliegeude Absicht unterzuschieben, 
als ob ich mit einer gewissen Selbstüberhebung die Kenntnisse und 
Fertigkeiten des Augenarztes gegenüber etwaigen Missgriffen der 
Nicht-Specialcollegen in den Vordergrund drängen wollte. Dieses 
Motiv liegt mir, wie gesagt, völlig fern. Ich liess mich bei der Wahl 
des Thema's lediglich von der Voraussetzung leiten, dem einen oder 
anderen von Ihnen für die Zukunft, falls er in die Lage kommt, 
eine Augenalfection behandeln zu wollen oder zu müssen, einige 
praktische Winke bezüglich des Atropingebrauchs gegeben zu haben. 

Um meine Eingangs geäusserte Behauptung bezüglich des Abusus 
atropini zu legitimiren, möchte ich Ihnen zunächst über einige be¬ 
sonders prägnante Fälle kurz referiren, die ich während meiner 
oculistischen Thätigkeit zu beobachten Gelegenheit hatte, und die mir 
geeignet erscheinen, die Richtigkeit meiner Behauptung zu verifi- 
ciren. 

1. Dem Schlosser H. R. flog am 17. Mai v. J. bei seiner Arbeit ein 
Eisensplitter in das linke Auge. Massiger Schmerz, geringe conjunetivale 
Hyperämie waren die direkten Folgen. Das Corpus delicti — in die 
Hornhaut des liukeu Auges eingedrungen — wurde noch an demselben 
Tage von einem praktischen Arzte entfernt, zugleich aber — obschon 
Reizerscheinuugen bedenklicher Art nicht vorhanden waren — 
Atropin cingeträufelt. Das anfängliche Fremdkörpergefühl war nach Verlauf 
einer Stunde verschwunden. Dafür bemerkte aber Patient, dass er wegen 
eingetretener Sehstörung und Blendung (Mydria'sis und Accommodations- 
iähmung) seine Arbeit nicht fortsetzen konnte. Dieselbe wurde drei Tage 
unterbrochen, bis meinerseits Pilocarpin einige Male cingeträufelt und dadurch 
die Mydriasis beseitigt war. 

2. K..., Friedrich, Dreher, empfand nach beendigter Arbeit plötzlich 
heftige Schmerzen im rechten Auge. Der sofort consultirte Arzt fand einen 
völlig normalen Zustand des Auges: keine Entzündung, keinen 
Fremdkörper (nach einer schriftlichen Mittheilung des betr. Collegen), 
verordnete aber dennoch 1 % Atropintropfen. Da unter dieser Be¬ 
handlung die Schmerzen nicht nachliessen, und obendrein eine Sehstöruug 
auftrat (Mydriasis), wurde mir Patient zugesandt. Ich fand bei fokaler Be¬ 
leuchtung einen kleinen Eisen Splitt er nahe dem oberen Limbus 
corneae, nach dessen Beseitigung binnen kurzer Zeit jeglicher Schmerz 
sistirte. Atropin wurde sofort ausgesetzt, und die Mydriasis wieder durch 
Pilocarpin beseitigt, so dass Patient noch au demselben Tage seine Arbeit 
wieder aufnehmen konnte. 

3. K..., Adelheid, hat während einer Eisenbahnfahrt einen Fremd¬ 
körper in das rechte Auge bekommen. Heftiger Schmerz. Die landüblichcn 
Extractionsversuche sind vergeblich. Der zu Hülfe gezogene Arzt findet 
nichts, als die durch mechanische Insulte (Reiben etc.) hervorgerufene 
Hyperämie der Conjunctiva und instillirt daher Atropin, das Patientin 
zu Hause noch zweistündlich eintropfen sollte. Patientin fühlt aber keine 
Erleichterung und stellt sich daher ’/> Stunde später mir vor. Durch 
Eversion des oberen Lids lässt sich, ohne Mühe ein kleines Kohlenparti¬ 
kelchen entfernen. Vom Atropin wurde meinerseits sofort Abstand ge- 


*) Indicationen und Contraindicationen von Atropin und Calabar. Cen¬ 
tralblatt für Schweiz. Aerzte 1877. No. 17. 


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226 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 12 


uoiumen. Die Hyperämie der Conjuuctiva verschwindet unter Application 
von kalten Umschlägen im Verlauf einef halben Stunde. 

4. N. N. aus P. hat. nach starker körperlicher Erhitzung heim Tanzen 
sich schnell hei einer Temperatur von 10 0 in das Freie hegeben müssen. 
Während der folgenden Nacht heftige stechende Schmerzen in beiden 
Augen. Am Morgen typischer acuter Conjunetivalkatarrh. Der 
Hausarzt verordnet Atropin, stündlich einen Tropfen, und Stirusalbe. 
Da nach 5 Tagen daraufhin keine Besserung eintrat, im Gegentheil die 
Schwellung und Röthung der Lider zunahm, wurde ich consultirt. Ich 
liess zunächst wieder das Atropin aussetzen, da keine Indication dafür 
vorlag, verordnete Eisbeutel, Ableitung auf den Darm etc. und erreichte 
dadurch schon nach 4 Tagen eine völlige Restitutio ad integrum. 

5. Am 10. Juli 1886 kam der Drechslermeister N. N. von hier zu mir 
mit der Angabe, dass er seit 5 Tagen an einer auf Druck schmerzhaften 
Küthung und Schwellung des rechten oberen Lidrandes leide. Sein Hausarzt 
habe ihm Atropin verordnet und Umschläge mit Goulard’schem Wasser 
machen lassen. Bis zur Stunde sei auf diese Behandlung nicht nur keine 
Besserung, sondern noch obendrein eine Sehstörung eingetreten, die seine 
Berufsthätigkeit völlig unmöglich mache. Der Status praesens ergab ein 
beginnendes Hordeolum. Atropin wurde wieder, weil völlig unnöthig, 
bei Seite gestellt und lauwarme Umschläge verordnet, worauf nach fünf 
Tagen eine völlige Besserung eintrat. 

6. Frau S. aus 0. war wegen Symblepharon von mir operirt und 
geheilt entlassen. 14 Tage später bemerkte sie im rechten Auge unange¬ 
nehmes „Stechen“ und Fremdkörpergefühl, dabei eine geringe Röthung der 
(’onjunctiva bulbi. Sie consultirte dieserhalb zwei Aerzte in ihrer Nachbar¬ 
schaft. Keiner erkannte jedoch die Causa peccans, nämlich einige trichia- 
tische Cilien, die wegen geringen Entropiums des Unterlids mit der Cornea 
und Conjuuctiva bulbi in Berührung gekommen waren und dadurch eine 
mechanische Reizung derselben bedingt hatten. Der eine College rieth 
Umschläge mit Goulard’schem Wasser zu machen, der andere fleissig 
Atropin in das Auge zu träufeln. Patientin kam beiden Verordnungen 
nach. Dass daraufhin jedoch keine erwünschte Besserung eintrat, sondern 
erst als die betreffenden Cilien entfernt wurden, ist selbstverständlich. 

In diesen kur/, referirten sechs Fällen — die ich noch um 
mehrere vermehren könnte, müsste ich nicht fürchten, Ihre Auf¬ 
merksamkeit zu lange in Anspruch zu nehmen — wurde, wie Sie 
constatirt haben werden, Atropin instillirt, ohne dass eine 
zwingende Nothwendigkeit dafür vorlag. Durch die jeweils 
entstandene Mydriasis und Accommodationsparalyse ward eine Be¬ 
einträchtigung des Sehactes und damit eine meist mehrtägige Unter¬ 
brechung der Berufsthätigkeit ohne Grund bedingt, die Heilung des 
betreffenden Leidens selbst aber durch Unterlassung der für den 
speciellen Fall viel nothwendigeren sonstigen Maassnahmen in nutz¬ 
loser Weise mit Beschränkung auf Atropin hinausgeri'ickt. 

Man könnte mir hier folgenden Einwand machen: 

Wenn in Fällen, wie ich sie soeben erwähnte, das Atropin 
keinen direkten Schaden verursacht, wenn die den Patienten be¬ 
lästigende Mydriasis etc. durch Mvotica leicht beseitigt werden kann, 
warum ist dann der Gebrauch des Atropins so zu perhorrescireu, 
zumal es ja nicht ausgeschlossen ist, dass durch das Atropin der 
weitere Verlauf der oder jener Krankheit günstig beeinflusst wird? 

Ich würde hierauf erwidern, dass das Atropin durchaus nicht 
ein so irrelevantes, unschädliches Collyrium ist, wie es der obige 
Einwurf voraussetzeu müsste, und vielleicht auch der Eine oder 
Andere von Ihnen zu glauben geneigt ist. 

Das Atropin hat, wenn auch nicht immer, so doch hin und 
wieder recht unangenehme lokal reizende Nebenwirkungen und führt 
bisweilen zu recht störenden und selbst bedenklichen Intoxicationen. 

Zu den ersteren gehört das Entstehen einer eigenartigen 
Hyperämie der Conjuuctiva, die in typischer Weise bei Individuen 
auftritt, denen aus ein und derselben Atropinlösung Einträufelungen 
gemacht wurden und daher eben der Einwirkung des Atropins 
zuzuschreiben ist. Diese einfachen Hyperämieen der Conjunetiva 
können sich bei stärkerer und längerer Einwirkung des Agens zu 
eiuem typischen Follicularkatarrh entwickeln. Der letztere 
besteht bekanntlich darin, dass auf der stark geschwollenen und 
hyperämischen Bindehaut, namentlich im Fornix, kleine Erhaben¬ 
heiten, sogenannte Follikel entstehen, die bei oberflächlicher Be¬ 
trachtung und Sachkenntuiss leicht mit eiuem trachomatösen Leiden 
verwechselt werden können. Eine derartige Veränderung pflegt mit 
Vorliebe bei Verwendung von nicht mehr frischen neutralen 
Atropinlösungen, die längere Zeit verwendet wurden, aufzutreten, 
kann jedoch bei gewissen disponirten Individuen auch schon nach 
kurz dauerndem Gebrauch ganz neutraler Lösungen sich einstellen 
und ist dann mit grossen Beschwerden für den Patienten, die erst 
nach Application sogenannter urastimmender Adstringentien weichen, 
verknüpft. Ich will Ihnen zum Beleg hierfür einen Fall aus meiner 
Praxis auführen. 

7. Frau Wwe. Sch. aus Pf. erhielt seiner Zeit wegen zunehmender 
Sehschwäche des linken Auges (Catar. senil, incip.) eine schwache Atropin¬ 
lösung, die sie täglich einmal gebrauchte. Nach 5 wöchentlichem Gebrauch 
stellten sich eines Tages quälende, stechende Schmerzen im Auge ein. Die 
Lider wurden geschwollen und geröthet, desgleichen die Conjunct. palp. — 
Auf diese Veränderungen hin wurden auf Rath des Hausarztes die 
Atropineinträufelungen vermehrt, worauf eine Verschlimmerung des 


Zustandes ointrat. Als ich die Patientin am l.Juni v. J. zu Gesicht bekam, 
fand ich einen Follicularkatarrh, der raitsammt der ödematösen Lidschwellung 
und Dermatitis dos Lidrandes sofort den Verdacht einer localen Atropin- 
intoxication in mir wachrief. In der That wurde durch Aussct/.eu de» 
Atropins und mit Benutzung einer Natr. bcnzoic. Lösung schon nach 
6—8 Tagen ein Rückgang der entzündlichen Veränderungen, und nach 
etwa 14 Tagen ein allmähliches Verschwinden der Lymphfollikel der Binde¬ 
haut constatirt. 

Zu den localen Reizerscheinungen des Atropins gehört auch 
das Auftreten einer Blepharitis siraplex, die ich einige Male 
sicher constatiren konnte. Mit dem Beginn der Atropineinträufe¬ 
lungen zeigte sich z. B. bei einem mir seit längerer Zeit bekanntet! 
27jährigen Mann, der wegen Myopia spastica täglich zweimal 
Atropin (0,5%Lösung) erhielt und vorher nicht die geringsten 
Veränderungen au den Lidern darbot, eine mässig intensive 
Schwellung und Röthung der Lidränder, verbunden mit einer für 
Dermatitis resp. Blepharitis simplex typischen Schüppchenbildung 
am Grunde der Cilien, Veränderungen, die nach dem Aussetzen des 
Atropins spontan binnen kurzer Zeit wieder verschwanden. 

Auch Erytheme der Lider und Eczem des Gesichts uud 
Halses wurden von verschiedenen Autoren (Donath etc.) nach 
Atropineinträufelungeu beobachtet. 

Die allgemeinen toxischen Nebenwirkungen des Atropius 
treten infolge von direktem Eindringen einer relativ grossen Menge 
des Mittels durch den Thränenschlauch in den Verdauungscanal 
und nachfolgender Resorption in das Blut, auf. Die Resorption 
des Atropins direkt von den Blutgefässen der Bindehaut soll nach 
den diesbezüglichen Untersuchungen sehr minimal sein. 

Sie künden sich in den leichteren Fällen durch die bekannten 
Symptome, Kratzen uud Trockenheit im Pharynx, Appetitlosigkeit, iu 
schwereren Fällen durch Brechreiz, Schwindel, dumpfes Kopfweh, 
Schlaflosigkeit etc. an uud bedingen dadurch besonders bei Kindern 
ein gut Theil der bekannten Veränderungen im gcmüthlichen und 
leiblichen Befinden. Bei älteren Leuten sollen sich ferner nach 
Wecker als Ausdruck der Allgemeinintoxieation zuweilen mehr oder 
weniger ausgesprochener Teuesmus mit Harnverhaltung einstellen. 

Bei all' diesen localen und allgemeinen störenden Neben¬ 
wirkungen des Atropins spielen, wie beiläufig schon erwähnt wurde. 
Individualität, Quantität und Qualität des Atropins eine 
grosse Rolle. — Aber können Sie, m. H., voraussehen, dass dies 
oder jenes Individuum, dem Sie Atropin verordnen, zumal wenn 
Sie dasselbe nicht beständig unter Augen halten, unempfindlich 
gegen die Nebenwirkungen des Atropins ist? Können Sie sich 
immer darauf verlassen, dass die betreffende Atropinlösung, die 
Sie Ihren Patienten verwenden lassen, eine nicht reizende und 
nachtheilig wirkende ist? Und würden Sie endlich, offen gestanden, 
iu jedem sich darbietenden Falle im Staude sein, eine z. B. an 
Kindern sich manifestirende Allgemeinintoxieation, oder eine locale 
Reizung des Atropins bei Erwachsenen sofort zu erkennen und 
diesbezüglich zu behandeln? Ich fürchte, nicht immer, und glaube 
daher, dass es ein für alle Male besser ist, selbst in den Fällen, 
bei welchen Atropin keinen direkten Schaden bringt und wo es 
füglich gut entbehrt werden kann, dasselbe bei Seite zu lassen. 

In einer unverantwortlich unvorsichtigen Weise wird nun 
weiter das Atropin von manchen Aerzten bei Patienten gebraucht, 
die den Verdacht eines glaucomatösen Leidens erwecken, oder 
— was noch schlimmer ist — bereits objective Symptome desselben 
darbieten. 

Es sind mir besonders zwei derartige Fälle bekannt, deren 
Mittheilung ich Ihnen nicht vorenthalten will. 

8. Fl. . . , Margarethe, 56 Jahre alt, bemerkt seit 1881 eine Ver¬ 
dunkelung ihres linken Auges, die mit periodischen, sehr heftigen Schmerzen 
in der Stirn und Schläfe einherging. Dieselbe begab sich s. Z. zu einem 
Arzt in ihrem Dorfe und erhielt von demselben, — ohne einer genauen 
Augenuntersuchung unterzogen zu werden(!) — die Weisung, 
mehrere Male am Tage Tropfen, die er ihr verschrieb — Atropin (0 — 
einzuträufeln uud Nachts lauwarme Compressen auf das kranke Auge zu 
legen. Schon nach der ersten Atropineinträufelung traten auf dem Heim¬ 
wege heftige bohrende Schmerzen im linken Auge und eine bedeutende 
Abnahme des Sehvermögens ein. Patientin kam aber trotzdem getreulich 
der ihr vom Arzt gegebenen Verordnung nach, bis das Schicksal des Auges 
besiegelt, nämlich völlige Amaurose eingetreten war. 3 /* Jahr später ging 
dieserhalb die Patientin nochmals ihren früheren Arzt um Rath an und 
erhielt die tröstliche Versicherung, dass der „graue Staar“ sich im Auge 
gebildet habe und dieser operirt werden müsse. Hierzu konnte sieh 
Patientin jedoch nicht entschlossen. Anfang vorigen Jahres bemerkte dann 
Patientin plötzlich, dass auch ihr rechtes Auge bedeutend an Sehkraft ab¬ 
nahm und sie, wie vor 6 Jahren mit dem linken Auge, jetzt mit dem rechten 
farbige Ringe um die Kerzentlamme sah. Was thut die Patientin? Sie 
geht sofort zu ihrem früheren Arzt uud lässt sich von ihm die früheren 
Mittel, nämlich — Atropin und warme Umschläge — verordnen. Der Effect 
blieb natürlich nicht aus. Nach 14 Tagen war auch das rechte Auge un¬ 
rettbar verloren! Ein Status glaucomatosus, wie er typischer nicht gesehen 
werden kann, bot sich mir, als ich am 2. März v. .1. die Patientin zu Ge- 


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22. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 227 


siebt bekam und ihr die traurige Thatsache mittheilen musste, dass ihr 
durch kein Mittel der Welt mehr zu helfen wäre. 

Ein etwas weniger verhängnisvoller Fall ist folgender: 

9. Die 65 Jahre alte Frau E. L. aus D. litt im Frühjahr 1886 an 
heftigem Lungenkatarrh verknüpft mit erschöpfender Schlaflosigkeit und 
profuser Schweisssecretion. Patientin, die zur selben Zeit auch über Ob- 
scurationen in beiden Augen klagte und diesen Klagen ihrem behandelnden 
Arzt gegenüber Ausdruck verliehen haben will (?), erhielt zur Beseitigung 
der sie belästigenden Schweisssecretion am 8. Mai Atropinpillen (0,0005 
p. dosi Abends l Pille). Schon nach der ersten Pille trat in der folgenden 
Nacht ein ganz acuter Glaucomanfall auf dem rechten Auge mit sehr 
heftigen Schmerzen im Auge und dessen Nachbarschaft auf. Die letzteren 
wurden durch Eis etwas coupirt, das Sehvermögen blieb jedoch sehr re- 
ducirt Vom Hausarzt wurde dann eine weite starre Pupille und eine 
ziemlich beträchtliche Hyperämie der Conj. bulbi constatirt. Trotzdem ward 
der Gebrauch der Atropinpillen nicht intervenirt, auch ausser Eis und 
Belladonnasalbe äusserlich keine weitere Therapie bezüglich des Glaucoms 
eingeleitet. Erst 14 Tage später, als Patientin das Bett wieder verlassen 
konnte, fand eine augenärztlichc Untersuchung statt. Die Diagnose lag auf 
der Hand und wurde obendrein durch die Augenspiegeluntersuchung: totale 
Randexcavation mit Arterienpuls, unterstützt. Da Eserin eine nur geringe 
Wirkung hatte und auf dem anderen Auge die Bedingungen für einen 
Glaucomanfall vorhanden waren, wurde beiderseits von mir eine Iridectomie 
gemacht und auf diese Weise bis heute dem gänzlichen Verfall der Seh¬ 
kraft vorgebeugt. 

Wenn bei diesem Falle den behandelnden Arzt keine so grosse 
Schuld trifft wie beim ersteren, da Atropin nicht local, sondern 
intern in relativ geringer Dosis verabreicht wurde, so hätte doch 
nach Ausbruch des Glaucoms das Atropin sogleich ausgesetzt und 
sofort eine entprechende Behandlung eingeleitet werden müssen. 

Ein Fall anderer Art, bei dem das Atropin ebenfalls sehr 
uaehtheilig die Function des Auges beeinträchtigte, ist folgender: 

10. B . . . . , Johann, ein durch uud durch skrophulöser Knabe, 
kam am 28. April v. J. zu mir mit einem grossen tiefen Ulcus corn. 
marg. und Irisprolaps. Nach Angaben des behandelnden Arztes hatte 
seit dem 15. April das Ulcus corneae bestanden und trotz Atropin und 
B lei wasserumschläge (!) von Tag zu Tag sich vergrössert, bis es 
M-hliessiich am 20. April perforirtc und die entsprecheude Partie des durch 
Atropin retrahirten Pupillarrandes sich in den Hornhautdefeet einlegte. 
Meine Bemühungen, durch Abtragung des Irisprolapscs und Esoriueinträu- 
felungeu eine Retraction der Iris aus dem Hornhautdefeet zu bewirken, 
und damit die fernere Existenz der vorderen Synechie zu verhüten, blieben 
leider erfolglos, da die betreffende Irispartie schon zu fest in den Horn- 
hautdefect eingewachseu war. 

ZurZeit, d. h. mindestens unmittel bar nach der Perforation 
«»der schon vorher. Eserin und Doppel verband angewandt, hätten 
zweifelsohne dieses für die weitere Function des Auges nicht un¬ 
bedenkliche Endresultat vermieden. 

Sie sehen, m. H., aus diesen wenigen Beispielen, die jeder 
ältere uud über eine noch grössere Erfahrung gebietende Augenarzt 
gewiss zahlreich vermehren kann, dass ich meine obige Behauptung 
bez. des missbräuchlichen Atropingebrauchs nicht aus der Luft ge¬ 
griffen habe, dass in der That das Atropin nicht das unschuldige, 
für alle Fälle von Augenentzündungen wirksame Mittel ist, dessen 
Sie sich bei der Augentherapie bedienen. 

Nach dieser meiner Legitimation will ich Ihnen nunmehr die 
Bedingungen zu entwickeln versuchen, unter denen Sie Atropin mit 
gutem Gewissen in Anwendung ziehen können und müssen. — Ich 
muss dabei aber nochmals um eine gewisse Nachsicht Ihrerseits 
bitten. Denn ich fürchte, dass es mir bei der bekannten grossen 
Variabilität der einzelnen Augenerkrankungen kaum gelingen wird, 
für alle Fälle geltende Regeln bezüglich des Atropingebrauches 
zu geben. Wie bei jeder Krankheit des Körpers, müssen wir auch 
bei den Affectionen des Auges, je nach dem besonders hervortretenden 
Krankheitschafakter, bezüglich der Therapie individualisiren und hie 
und dort gewisse Einschränkungen mit dem Atropin eintreten lassen. 
Ich hoffe jedoch, Ihnen wenigstens für die einzelnen Krankheits¬ 
typen die Bedingungen für den Atropingebrauch mit möglichst 
whärfster Präcision entwickeln zu können. 

In der Mehrzahl der Fälle wird es sich ja wohl für den prak¬ 
tischen Arzt um die Behandlung sogenannter äusserer Augen- 
k rank beiten handeln. Ich rechne darunter die Affectionen der 
Adnexa oculi (Lider, Thräuenapparat, Orbita), der Conjunctiva, 
f'oniea und Iris. Zugleich werden Sie zu Untersuchungszwecken 
hin und wieder eines Mydriaticums bedürfen und hierzu das Atropin 
verwenden wollen. Ich will daher vorzugsweise den obigen Er¬ 
krankungen und Applicationen Rechnung tragen. 

Zuvor lassen Sie uns jedoch erwägen, was wir überhaupt von 
der localen physiologischen Wirkung des Atropins im 
Auge wissen. 

Mit kurzen Worten soviel: Das Atropin dringt, wenn es iu den 
Bindehautsack gebracht wird, direkt, d. h. ohne Vermittelung des 
Blntstromes, durch Diffusion in die Gebilde des Auges ein und 
afficirt hier in verschiedener Weise die verschiedenen nervösen 
Apparate des Auges. Aus dieser Eigenschaft resultiren folgende 
Effecte: 


1. Mydriasis, 

2. Accommodationslälimung. 

3. Verminderte Sensibilität der Conjunctiva, Cornea und Iris, 

4. Mässige Anämie der Conjunctiva und Iris, 

5. Erhöhung des intraoeularen Druckes. (?) 

Die prägnanteste Wirkung — die Iridoplegie — resultirt aus 
der durch Atropin bewirkten Lähmung der den Sphincter pupillae 
versorgenden motorischen Fasern und gleichzeitiger Reizung der 
den Dilatator pup. iuuervirenden Sympathicusfasem der Nn. ciliares. 

In eine Discussion für und gegen diese Theorie kann ich mich 
an dieser Stelle nicht einlassen, da dieselbe bis jetzt nicht spruch¬ 
reif ist. 

Die Accommodationsparalyse ist die Folge einer völligen 
Lähmung der den Muse, ciliaris innervirenden Ciliarnerven. 

Die SeusibilitätsVerminderung der Conjunctiva, Cor¬ 
nea und Iris würde durch diesbezügliche Einwirkung des Atropins 
auf die peripheren Trigeminusfasern erfolgen, die für die Conjunc¬ 
tiva und Lider direkt aus den Endzweigen des N. ophthalinicus, für 
die Cornea und Iris aus den mit sensiblen Fasern versehenen Ciliar¬ 
nerven entspringen. 

Die Anämie der Conjunctiva und Iris wäre das Resultat 
einer durch Reizung der Vasomotoren bedingten Gefässcontraction. 

Die beiden letztgenannten Wirkungen des Atropins sind relativ 
unbedeutend. Für ihre Existenz sprechen bezüglich der Sensibili¬ 
tätsverminderung die Erfahrungen, welche man bei starker Reizung 
der sensiblen Fasern, z. B. bei intensiv scrophulösen Ophthalmieen 
und in analoger Weise an anderen Körperstellen, z. B. bei schmerz¬ 
haften Fissuren mit Belladonnapflaster macht, ferner die Experi¬ 
mente, die z. B. von Meuriot 1 ) und Hoppe^) an Froschschwimm¬ 
häuten und menschlicher Schleimhaut angestellt wurden. 

Die supponirte Gefässcontraction in Folge direkter Atropinein¬ 
wirkung ist objectiv am Auge kaum nachweisbar. Theoretisch lässt 
sie sich jedoch, wenn wir eine durch Atropin erfolgende Reizung 
der Sympathicusfasem im Dilatator pupill. annehmen, leichter dedu- 
ciren. Daneben liegen ebenfalls diesbezügliche Experimente von 
Meuriot :J ) und Jones 4 ) vor,' die eine durch Atropin erfolgende 
Contraction der Arterien uud Beschleunigung des Blutstroms iu der 
Froschschwiramhaut mit Sicherheit beweisen. 

Jedenfalls aber ist der anästhesirende und gefässeontrahireude 
Einfluss des Atropins sehr gering gegenüber einem anderen Mydria- 
ticum, nämlich dem Cocain. 

Worin endlich die letztgenannte Eigenschaft des Atropins be¬ 
stellt, nämlich unter gewissen Umständen den intraoeularen 
Druck zu erhöhen, speciell ob die Hypertonie primär oder erst 
secundär durch die Mydriasis bedingt wird, lässt sich noch nicht 
mit Sicherheit nachweisen. Es genügt hier, die. sicher verbürgte 
Thatsache mitgetheilt zu haben, dass, besonders in Augen, deren 
Spannung sich an der Grenze des Normalen befindet, durch Atropin 
eine Hypertonie des Bulbus fast regelmässig herbeigeführt wird. 

(Schluss folgt.) 

IV. Ans der Abtheilung für venerische und Hautkrankheiten 
des Primararztes und Docenten Dr. Zarewicz in Krakau. 

Ein Beitrag zur Kenntniss der Wirkung des 
Quecksilbers auf den Darm. 

Von H. Kraus. 

In der Sitzung der Berliner mediciniseheu Gesellschaft vom 
23. November 1887 (s. Berl. klin. Wochenschr. 1887, No. 50) demoii- 
strirte Herr Prof. Vircliow drei Präparate des Darmes von Personen, 
bei denen in Folge der Anwendung des Sublimats sehr schwere 
Darmaffectionen eingetreten waren und zwar in solcher Weise, dass 
man objectiv Dysenterie diagnosticiren musste. Bereits im Jahre 
1879 zog Liebreich, nach eingehenderen Stadien über die Wir¬ 
kung des Sublimats auf Thiere, den Schluss, dass das Subli¬ 
mat an der hyperämischen und hämorrhagischen Colonschleimliaut 
eine Ansiedelung der im Darm vorhandenen Mikroorganismen 
begünstigt, und dass dadurch möglicherweise Ulcerationen hervor¬ 
gerufen werden. In der Discussion über diesen Gegenstand machte 
Herr Prof. Liebreich darauf aufmerksam, dass sich an Thicrcn 
beweisen lässt, dass die Ausscheidung des Sublimats durch den 
Darm erfolgt, und dass nicht nur Sublimat, sonderu auch eine 
Reihe anderer Quecksilberpräparate gleiche Veränderungen am Darin 
erzeugen. 

') Meuriot. De l’action phys. de la belladomie. These. 1868. 

*) Hoppe. Auf welche Weise wirkt Belladonna als Augenmittel? Med. 
Ztg. f. Heilk. 1859. 

*) cf. loc. cit. 

4 ) F. W. Jones. Nature of the actiun of Belladonna ou tlie system. 
Amer. 1 Journ. of med. Sc. 1881. April. 


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228 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 12 


Ich bin nun in der Lage, einen Fall aus der Abtheilung des Herrn 
Docenten Dr. Zarewicz veröffentlichen zu können, in welchem es 
nach zwei parenchymatösen Calomelinjectionen von 0,10 
pro dosi zu ähnlichen Erscheinungen wie bei den in der erwähnten 
Sitzung demonstrirten Fällen kahl. Bei der Seetion wurde eine 
schwere Dysenterie mit Perforation des Dickdarms constatirt, so dass 
auch dieser Fall einen Beweis dafür liefert, dass das (Quecksilber, 
gleichgiltig, von wo aus es dem Organismus einverleibt wurde, durch 
die Darmwand ausgeschieden wird. 

Am 7. Mai 1887. laut Aufnahmeprotocoll No. 631, kam auf die 
syphilitische Abtheilung M. B., 30 Jahre alt, Tagelöhner aus Neu- 
markt. Patient giebt an. seit 6 Wochen inficirt zu sein. In Neu¬ 
markt wurde er ambulatorisch behandelt. 

Status praesens: Patient gut genährt. Nackendrüsen rechts 
und Inguinaldrüsen beiderseits vergrössert. Auf der oberen Lip- 
pensehleimhaut uud unteren Zungenfläche befanden sich einige 
Condylomata lata. Am Körper ein syphilitisches, maculopapulöses 
Exanthem. Die Haut über dem Penis und Praeputium geröthet 
und angeschwollen; l'himosis. Auf der oberen Fläche des Penis 
sah man reichliche, flache, syphilitische Papeln, auf der unteren 
Fläche existirte noch eine exulcerirto Sclerose, in deren Umgebuug 
sich confluirctidc Condylomata lata fanden. Die ganze Scrotumliaut 
war stark angeschwollen, blaurotli, im Ganzen mit nässenden Papeln 
bedeckt. Patient hat ausserdem eine Laryngitis erythematosa und 
spricht mit heiserer Stimme. Die inneren Organe fand man normal, 
nur das Zahnfleisch in Folge schlecht erhaltener Zähne aufgelockert. 

Da in jener Zeit auf der Abtheilung des Herrn Primar¬ 
arztes Docenten Dr. Zarewicz syphilitische Kranke mit tiefen sub¬ 
cutanea Calomelinjectionen nach Prof. Ne iss er behandelt wurden, ver- 
ordnete man. ebenso wie anderen syphilitischen Kranken, die damals 
auf der Abtheilung sich befanden, auch dem M. B. diese Curmethode. 
Die erste Injection wurde am 15. Mai, die zweite am 22. Mai ge¬ 
macht, beide 0,10 pro dosi. Was die zweite Injection betrifft, so 
muss ich hervorheben, dass unser Patient in der Krankenreihe als der 
letzte zur Injection kam. Es ist also möglich, obwohl nicht sicher, 
dass er aus leicht erklärbaren Gründen, wenn man die speciflschen 
Eigenschaften des Calomeis berücksichtigt, eine grössere Calomel- 
dosis subcutnn erhielt, wie eigentlich beabsichtigt wurde; es ist auch 
ferner möglich, dass das Calomel bei unserem Patienten zufällig 
direkt in ein Blutgefäss injicirt wurde und schnell in die allgemeine 
Circulation gelangte. Jedenfalls aber muss man eine gewisse Em¬ 
pfindlichkeit des Kranken dem Quecksilber gegenüber annehmen, um 
sich das erklären zu können, was nach der Injection vorgefallen ist. 

Thatsaehe ist, dass bei keinem von den Patienten, denen mau 
gleichzeitig aus demselben Fläschchen die Injection machte, auch 
nur die geringsten Symptome einer Quecksilberintoxication aufge¬ 
treten sind; anders geschah es mit M. B. 

Der Kraukheitsverlauf war folgender: Am 23. Mai, also am 
Tage nach gemachter Injection, constatirten wir ziemlich starke 
Auflockerung des Zahnfleisches uud der Wangenschleimhaut. Am 
folgenden Tage (24. Mai) entstand an der Schleimhaut beider Lippen 
und an der Wangenschleimhaut, hier aber in geringerem Grade, ein 
dunkelgrauer Belag, das Zahnfleisch war stark aufgelockert, der 
Zahnrand desselben nahm eine graue Farbe an, die Zunge war be¬ 
legt, und eine profuse Salivation und Foetor ex ore stellten sich eiu. 
Dazu trat eine reichliche Diarrhoe, Erbrechen des gelbgefärbten 
Mageninhaltes und Anuric. — Körpertemperatur und Pulszahl 
blieben normal. — 

Es sind somit unzweifelhafte Symptome einer acuten Queck- 
•silbervergiftung aufgetreten. Wir verordneten Gurgelwasser aus 
Kali ehloricum und Kali hypermanganicum abwechselnd, gegen das 
Erbrechen Schlucken von Eisstückchen uud machten eine subcutane 
Morphiumiujection. 

Der Zustand der Mundhöhle blieb während der nachfolgenden 
Tage stationär, nur mit dem Unterschiede, dass das Exsudat auf 
der inneren unteren Lippen- und Wangenschleimhaut in Folge 
kleiner Blutextravasate eine chocoladengraue Farbe anuahm. Er¬ 
brechen wurde seltener, dafür aber hatte Patient öfters spär¬ 
liche, blutige Stühle. Anurie wie früher. Schmerzen in der 
Nierengegend waren nicht vorhanden. Patient hatte grosse Kopf¬ 
schmerzen. ln dem Dickdarm konnten wir keine Anhäufung von 
Fäces nach weisen; Körpertemperatur war normal; wir verordneten 
Opium 0,01 pro dosi, jede dritte Stunde ein Pulver, Schlucken 
von Eisstückchen, Thee mit Rum, Wein, Gurgelwasser wie oben, 
strictes diätetisches Regimen 

Am 27. Mai entleerte Patient unter grossem Harndrange sehr 
wenig Harn, die Quantität desselben reichte kaum für eine Eiweiss¬ 
probe aus; der Harn war etwas trübe und enthielt eine Spur von 
Eiweiss. Salivation, Foetor ex ore beträchtlich, von Zeit zu Zeit 
Singultus, Neiguug zum Erbrechen, Uebelkeiten. Ausserdem klagte 
Patient über halbseitige Kopfschmerzen, starken Harndrang, ohne 
Harn lassen zu können. Die Extremitäten waren kühl, Leber 


und Milz weder vergrössert noch schmerzhaft, der Bauch etwas 
schmerzhaft; Puls frequent und klein, Temperatur normal. 

Ara selben Tage, gegen Abend, fiel die Körpertemperatur unter 
Norm (35,50 C). Die Lippen wurden blass, Patient war somnolent 
aber bei Bewusstsein Erbrechen hat aufgehört. Die drei letzten 
Stühle enthielten kein Blut der Harn wurde gar nicht mehr ab¬ 
gegeben, Kopfschmerzen wie vorher. In den Lungen Symptome 
von Bronchitis. 

Die Therapie blieb wie oben, nur dass Analeptica in grösseren 
und öfteren Gaben verordnet wurden. 

Am 28. Mai Puls kaum fühlbar, Körpertemperatur 35° C. In 
der Nacht hatte Patient einige wässerigen, dunkelbraun gefärbten 
Stühle, Erbrechen war nicht mehr vorhanden, Singultus hielt an — 
Collapsus — der Harn war in der Menge von kaum 20 g abgegeben. 
An demselben Tage, Nachmittags um 1 Uhr, starb der Patient. — 
Die klinische Diagnose lautete: Acute Quecksilbervergiftung. 

Die nach der Seetion gestellte anatomische Diagnose lautete: 
Dysenteria profuuda, insignis subsequente perforatione 
flexurae sigmoideae, nec non exsudato peritonei septico, 
peritonitis incipiens partium superiorum, tumor lienis 
acutus, brouchitis diffusa, pneumonia hypostatica dextra 
incipiens, oedema pulmonum acutum, hydroceph alus ven- 
triculorum acutus, hyperaemia cerebri et meningum, 
syphilis primaria ad regionem praeputii nec non papulae 
syphilitieae per totum eorpus dispersac, nephritis parcu- 
chymatosa acuta, Stomatitis ulcerosa. 

Aus dem Sectiousprotocoll ist noch hervorzuheben, dass die 
Harnblase ganz leer gefunden wurde. Die einzelnen Organe wurden 
auf Quecksilber chemisch nicht untersucht. Kalkablagerungen in 
den Nieren, deren Herr Seliger in der genannten Sitzung Erwäh¬ 
nung that, und über welche neuerdings Jablonowski eine Ab¬ 
handlung veröffentlichte, wurden nicht bemerkt. 

Wenn man berücksichtigt, dass B. bei seiner Ankunft am 
7. Mai 1887 in der Abtheilung an keinen Verdauungsstörungen 
litt, dass er sich bei Beginn der Cur wohl fühlte, dass damals 
weder epidemisch noch sporadisch Dysenterie herrschte, dass die 
Krankheitssymptome plötzlich am Tage nach der zweiten Injection 
auftraten, und wenn man ferner den Verlauf der Krankheit näher 
betrachtet, so wird man zugeben müssen, dass wir vollkommen 
berechtigt waren, den Fall als eine acute Quecksilbervergiftung zu 
betrachten, obwohl wir in Anbetracht des Sectionsbefundes doch 
an der Richtigkeit der zu Lebzeiten gemachten Diagnose ein wenig 
zweifelten, was umsomehr als berechtigt erschien, da zu jener Zeit 
das anatomische Bild einer acuten Quecksilberintoxication noch 
nicht in allen Details genau bekannt war. Erst nach dem Vortrage 
des Herrn Prof. Virchow und den Aeusserungen der Herren Pro¬ 
fessoren Senator, Liebreich, der Herren Seliger und Jacu- 
siel ist mau gezwungen, im vorliegenden Falle die Dysenterie 
nicht als eine selbstständige, sondern als eiue mit dor Quecksilber¬ 
vergiftung im Zusammenhänge stehende Krankheit anzusehen. 

Der beschriebene Fall kann zur Bestätigung der Ansicht des 
Herrn Prof. Liebreich dienen, „dass, ebenso wie Sublimat, auch 
andere Quecksilberverbindungen ähnliche Veränderun¬ 
gen im Darm her vorrufen“, uud vergrössert zugleich die Zahl 
der schon von Overbeck und Lazarcwicz beobachteten (Queck¬ 
silbervergiftungen. bei welchen es zur completen Anurie kam. — 

Es sei mir schliesslich gestattet, dem hochgeehrten Herrn 
Primarar/t Docenten Dr. Zarewicz meinen besten Dank auszu¬ 
drücken für die gefällige Erlaubniss, diesen Fall veröffentlichen zu 
dürfen. — 

V. Zur Klärung in der Puerperalfieberfrage. 

Von Professor Dr. Heinrich Fritsch in Breslau. 

II. 

Die puerperale Infection in foro. 

Es war eine natürliche Folge der modernen Anschauungen von 
den accidentellen Wuud- und Puerperalkrankheiten, dass mau an¬ 
nahm. alle diese Krankheiten seien durch kunstgerechte Desinfection 
zu vermeiden. Ist die Infection in einem Falle allein am Tode 
schuldig, so ist Der schuldig am Tode, der inficirte. Ist es mög¬ 
lich. das Inficiren durch Desinfectiou zu verhüten, so ist Der 
schuldig, der sich nicht genügend und kunstgerecht desinficirte. 
Und ist die Folge der ungenügenden Desinfection der Tod eines 
Menschen, so muss also Der nach §§222 Str.G.B. bestraft werden, 
der sich nicht kunstgerecht desinficirt hat! 

Ohne dass die Vorfragen erledigt siud. was kunstgerechte Des¬ 
infection ist, resp. ohne dass wir in der medicioischen Erkenntniss 
soweit gelangt wären, um über diese Frageu in völliger Sicherheit 
zu sein, findet man den obigen Gedankengang namentlich bei 
jugendlich begeisterten Anhängern der modernen Lehren nicht sel- 


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*22. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


229 


ten. Ja es sind schon wegen „Nichtbefolgung der Lister’schen 
Principien der Wundbehandlung“ Bestrafungeu erfolgt. Man nannte 
das Ignoriren der Lister'schen Principien einen „Kunstfehler.“ 

Wiederholt ist von Juristen und Aerzten auf das Unhaltbare 
des Begriffes „Kunstfehler“ hingewiesen. Noch Niemand hat eine 
eenügende Definition gegeben. Ich erinnere nur daran, wie Casper 
seiner Zeit von L. Fraenkel, Dommes, Mittermaier, Horn 
und Anderen angegriffen ist. Die „allgemein anerkannten Grund¬ 
sätze der Heilkunde“ wechseln selbst in der kurzen Zeit eines 
Menschenlebens wiederholt; sie sind nicht dogmatisch zu fixiren. 
und deshalb wird es heute, wie früher, unmöglich sein, abstract 
die Frage zu beantworten, „was ist ein Kunstfehler?“ 

In dem concreten Falle dagegen sind die Schwierigkeiten 
durchaus nicht gross. Wenn z. B. Jemand eine fiebernde, blutende 
Wöchnerin behandelt und weiss, dass die Nachgeburt stückweise 
entfernt wurde, so wird er, falls er niemals uutersucht, einen Kunst¬ 
fehler durch eine Unterlassung begeheu. Jeder Sachverstän¬ 
dige wird in diesem Nicht-Untersuchen einen Kunstfehler erblicken. 
Und wenn ein Arzt eine Perforation des Uterus beim Curettement 
— die an sich Jedem passiren kann — völlig übersieht und nicht 
erkennt, wenn er dann Liquor ferri in den Uterus oder sogar direkt 
in die Bauchhöhle durch die Perforationsöffnung spritzt, so wird 
auch das als ein Kunstfehler, durch eine Handlung des Arztes 
begangen, zu betrachten sein. 

Da natürlich ein Kunstfehler an sich nicht strafbar ist, son¬ 
dern nur dann, wenn der Erfolg: Tod (§ 222) oder Körperverletzung 
(| 230) eintritt, so wird es darauf ankommen, den Causalzusammen- 
hang zwischen dem Tode (bezw. der Körperverletzung) und der 
Handlung oder der Unterlassung des Arztes festzustellen. Sodann 
werden die Sachverständigen auszuführen haben, ob diese Handlung 
oder Unterlassung ungerechtfertigt oder gerechtfertigt war, seil, ob 
ein Kunstfehler vorliegt oder nicht. Es ist also nicht möglich, den 
Begriff Kunstfehler, obwohl er im Strafgesetzbuch nicht vorkommt, 
sondern in dem allgemeineren „Fahrlässigkeit“ mit inbegriffen wird, 
gänzlich fallen zu lassen. 

Eine besonders praktische Bedeutung erlangen diese An¬ 
schauungen bei der Schuld der Hebammen. Ohne Zweifel herrscht 
hier augenblicklich eine gewisse Rechtsunsicherheit oder wenigstens 
eine verschiedene Beurtbeilung. 

Da das Str. G. B. in vielen Paragraphen eine mehrseitige Deu¬ 
tung zulässt, so wird für den Juristen die Unsicherheit durch die 
Entscheidung des Reichsgerichts in Strafsachen beseitigt oder 
wenigstens gemildert. Es ist sehr zu beklagen, dass unsere höchste 
medicinisch-technische Behörde nicht in derselben Weise ihre Ent¬ 
scheidungen kurz und praegnaut, nach Materien geordnet, 
bekannt giebt. Wir würden in dieser Entscheidung eine Norm 
haben, nach der wir einschlägige Fälle beurtheilen könnten. Sind 
derartige Entscheidungen auch nicht für jeden Arzt verbindlich, 
so hätte er doch dadurch eine Interpretation, die ihm den richtigen 
Weg zeigte. Wir würden, da wir wüssten, dass in höchster In¬ 
stanz diese und keine andere Meinung herrscht, darauf verweisen 
und nach diesen Normen begutachten. Falls aber diese Entschei¬ 
dungen von dem abwichen, was der Einzelne »nach bestem Wissen 
und Gewissen zu beschwören in der Lage wäre, so könnte sich 
daran eine wissenschaftliche, klärende Discussion knüpfen. Diese 
würde dann der Rechtsunsicherheit ein Ende machen. Jetzt aber 
kann es Vorkommen und kommt es factisch vor, dass z. B. Heb¬ 
ammen hier freigesprochen, dort verurtheilt wurden, obwohl das 
Verfahren und die Folgen des Verfahrens bei beiden völlig gleich 
waren. 

Der Umstand, dass die Mitglieder der wissenschaftlichen De¬ 
putation meist mit vielen Geschäften überhäuft sind, dass sie dies 
enorm wichtige Amt der höchsten medicinisch-technischen Behörde 
nur »m Nebenamt verwalten, ist vielleicht der äussere Grund des 
Nicht-Bekanntwerdens jener Entscheidungen. Ohne Zweifel würde 
es ein grosser Fortschritt sein, und würden nur alte segensreiche 
Traditionen wieder aufgenommen werden, wenn regelmässig 
principiell alle Entscheidungen deu Medicinalbeamten zugäng¬ 
lich gemacht würden. Die gelegentliche Veröffentlichung eines 
besonders interessanten Gutachtens in der Vierteljahresschrift ist 
nicht ausreichend. 

Die Unsicherheit in der Beurtheilung mancher medicinischer 
Dinge rührt auch daher, dass im Gesetze sich Lücken finden. Es 
ist dies mauchmal geradezu frappant. So ist eine nicht seltene 
therapeutische Maassregel, die alle Bücher beschreiben uud lehren, 
der künstliche Abort. Dieser Eingriff ist nach §218 Str.G.B 
untersagt. Nach § 218 sind dieselben Strafbestimmungen (Zucht¬ 
haus bis zu 5 Jahren, bei mildernden Umständen Gefängniss nicht 
unter 6 Monaten) auch bei dem anzuwenden, „welcher mit Ein¬ 
willigung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder 
Tödtung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat.“ Es giebt 
da gar keine Einschränkung. Wer also den künstlichen Abort 


macht, müsste, wenn der Fall zur Cognition käme resp. wenn ein 
i Staatsanwalt sich bereit fände, der die Sache anhängig machte, 
i ohne allen Zweifel mit mindestens 6 Monaten Gefängniss bestraft 
! werden. 

Doch kehren wir zum Puerperalfieber zurück. Eine Frage, 
welche der Richter den Sachverständigen vorlegt, ist die folgende: 

: Stehen die Handlungen oder Unterlassungen der Hebamme mit dem 
Tode der Wöchnerin im Causalzusaramenhange? Diese Frage wird 
sich natürlich in den meisten Fällen nicht mit uneingeschränktem 
„Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Man wird höchsteus seine 
l wissenschaftliche Ueberzeugung dahin aussprechen können, dass ein 
i Causalzusammenhang existirt. Niemals aber wird man zu beschwören 
[ im Stande sein, dass ohne die Handlungen oder Unterlassungen der 
Hebamme das Leben der Wöchnerin zweifellos erhalten wäre. 
Wir kennen Fälle von tödtlicher Peritonitis in Folge von Platzen 
einer Pyosalpinx bei der natürlichen Entbindung; wir müssen die 
Möglichkeit statuiren, dass eine ganz zufällige Infection, an der die 
Hebamme unschuldig ist, eintreten kann. Ist vollends das Sections- 
ergebniss kein so absolut klares, wie z. B. bei einer Uterusdurch- 
stossung beim criminellen Abort, wie soll man es da auf sein 
Gewissen nehmen, den Tod allein und zweifellos auf die durch die 
Hebamme hewirkte Infection zu beziehen? 

Ja es kommt vor, dass die begutachtenden Aerzte ganz ver¬ 
schiedener Meinung sind. Ich habe von alten Collegen gehört, dass 
sie in foro derartige tödtliche Krankheiten auf Diätfehler, zu zeitiges 
Aufstehen, Aerger oder Erkältung bezogen! Es ist dann Sache des 
Richters, welcher Ansicht er beitreten will. Sind aber diametral 
entgegengesetzte Ansichten in foro geäussert, sagen drei, vier oder 
mehr Sachverständige jeder etwas Anderes, so wird die Schuldfrage 
in ein zweifelhaftes Licht gesetzt, der Richter muss den Eindruck 
gewinnen, dass von „allgemein anerkannten Grundsätzen“ nicht die 
Rede ist, und nach dem Satze: in dubio pro reo, erfolgt Frei¬ 
sprechung. 

Nichts aber hat schädlichere Folgen, als derartige resultatlose 
Denunciationen und Verhandlungen. Die Hebamme ist tief beleidigt 
und gekränkt. Sie erkennt bald, dass „seraper aliquid haeret“. 
Sie wird in ihrer Praxis geschädigt. Sie w r irft Hass auf die Aerzte, 
sie versteht es absolut nicht, dass höhere, humanitäre Interessen den 
Aerzten ihr Handeln dictirten. Sie sieht die ganze Geschichte für 
eine Chicane an; denn sie ist ja freigesprochen! 

Leider ziehen sich die betreffenden Hebammen recht selten eine 
Lehre aus derartigen Erlebnissen, sie handeln nur heimlicher und 
schlauer und thun nach wie vor, was sie wollen. Der Dritte, der 
bei diesem Streite leidet, ist die Menschheit, für die eine Feind¬ 
schaft der ärztlichen Personen, bei der sich die Einen auf die 
Anderen nicht mehr verlassen können, zu allerlei Unzuträglich¬ 
keiten führt. 

Dies ist der häufigste Ausgaug solcher Verhandlungen! 

Trotz dieser Unsicherheit oder gerade deshalb, weil hier Un¬ 
sicherheit herrscht, muss es unser Bestreben sein, Klarheit zu 
schaffen. Man muss eine Norm finden, nach der sowohl im Ein¬ 
zelnen als im Allgemeinen geurtheilt werden kann. 

Die wissenschaftlichen Anschauungen aber müssen sich betreffs 
des Causalzusammenhanges mit deu forensischen Anschauungen 
völlig decken. Ein Unterschied ist hier nicht zu machen. Auch 
der Richter wird sich dem anschliessen. Sind sämmtliehe 
Sachverständige der. auf allgemein gültigen, wissenschaftlichen An¬ 
schauungen basirenden gleichen Ueberzeugung, dass der Causal- 
counex so oder so ist. dann wird auch der Richter keine Ver¬ 
anlassung haben, etwas Anderes anzunehmeu. Diese Gleichheit 
der Anschauungen herbeizuführeu, ist der Zweck der folgenden 
Zeilen. 

Meiuer Ansicht nach ist der Causalzusammenhang nur dann 
vorhanden, wenn die Modalität der Infection in einem Falle gauz 
klar gelegt ist. Kommt z. B. in der Praxis einer Hebamme ein 
tödtlicher Fall von Kindbettfieber vor, und kann die Hebamme 
beweisen, dass sie in den letzten Wochen vor der Geburt der Ent¬ 
bundenen weder kranke Wöchnerinnen pflegte, noch mit irgend 
welchen Krankheitsstoffen in Berührung kam, resp. kann ihr das 
Gegentheil nicht bewiesen werden, so würde ich den Beweis für 
einen Causalconnex nicht für erbracht halten. Käme dazu, dass 
die Hebamme zu gleicher Zeit, andere Geburten geleitet hätte, bei 
denen die Wöchnerinnen gesund geblieben, so würde diese That- 
sache ebenfalls zu Gunsten der Hebamme sprechen. Es würde 
nicht anzunehmeu sein, dass die Hebamme in einem von mehreren 
Fällen inficirt hätte, im anderen nicht. Ich würde es nicht wagen, 
bei der Verurtheilung einer Hebamme mitzuwirken, wenn der Fall 
so wenig durchsichtig wäre. 

Hätte die Hebamme sich bei diesem Falle uicht desinficirt, so 
würde sie wegen der Uebertretung der Desinfectionsvorschrift in 
Geld- bezw. Gefängnisstrafe zu nehmen sein, der fahrlässigen 
Tödtung wäre sie nicht zu überführen. 


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230 


Ich bemerke kurz, dass bei besonders eolatanten Fällen von 
Widerspenstigkeit der Hebammen gegen die Desinfectionsvorschriften, 
trotz der Freisprechung, eine Bestrafung möglich ist. Nach § 53 
der Gewerbeordnung kann die Bestallung zurückgenommen resp. 
das Prüfungszeugniss entzogen werden, „wenn aus einer Handlung 
oder Unterlassung des Inhabers der Mangel derjenigen E'geuschaf- [ 
ten, welche bei der Ertheilung der Genehmigung oder Bestallung | 
nach der Vorschrift dieses Gesetzes vorausgesetzt werden musste, ; 
klar erhellt.“ 

Die Vorschrift über Antisepsis und die Maassregeln der Des- j 
infection bilden einen so wesentlichen Theil der Hebamraenkunst, j 
dass der vorstehende Paragraph jedenfalls bei einer Hebamme zu¬ 
trifft, welche die Desinfection weder zu beschreiben versteht, noch 
praktisch auszuüben vermag. Ist sie noch dazu renitent und achtet 
sie die Lehren, die ihr vom Physicus oder Arzt zu Theil werden, 
überhaupt gar nicht, so ist es gewiss schon als warnendes Beispiel i 
nöthig, dass ihr im wahrsten Sinne des Wortes das Handwerk 
gelegt werde. Die Entscheidung darüber, ob ein solcher Fall bei 
der Polizeibehörde bezw. beim Bezirksausschuss anhängig zu machen 
ist, wird beim Physicus liegen. 

Ist es nun aber überhaupt möglich, einen Causalzusamiuenhaug, 
der die Verurtheilung wegen fahrlässiger Tödtung nach sich zieht. : 
aufzufinden? Meines Erachtens nur dann, wenn die direkte Ueber- j 
tragung des Kindbettfiebers von Fall zu Fall erwiesen ist. Lässt | 
es sich durch Zeugenaussagen feststellen, dass z. B. eine Hebamme 
in ihrer Praxis einen Kindbettfieberfall behandelte, dass sie von 
diesem Falle kommend, oder während der Zeit dieser Behandlung 
ohne Desinfection eine Gebärende untersuchte und inficirte, und 
dass diese Gebärende, ohne eine schwere instruracntelle Entbindung ; 
oder eine vorherige Allgemeinkrankheit, starb, so wird jeder ! 
Arzt den Zusammenhang statuiren und eine dahin gehende Aussage 
beschwören können. 

‘ Es' sind also drei Punkte, die nöthig sind: 

1. Die Quelle der Ansteckungsstoffe muss klargestellt sein. 

2. Die Unterlassung der Desinfection muss bewiesen werden, 

3. Eine andere Todesursache als die Puerperalkrankheit muss 
geleugnet werden können. 

Bei der Abmessung der Strafe käme sodann das Betragen und 
Benehmen der Hebamme in Betracht. 

Was den ersten Punkt anbelangt, so wird die Uebertragung 
puerperalen Giftes allein uicht bewiesen werden müssen. So 
wurde eine Hebamme verurtheilt, welche an einer sich oft acut 
entzündenden Dacryocystoblenorrhoe litt. Es war uachgewiesen, 
dass sie gegen den Befehl des Arztes Entbindungen vorge¬ 
nommen hatte, dass sie sich behufs der Desinfection nicht gereinigt 
und in Carbolsäurelösuug nicht gewaschen hatte, dass sie während 
der Entbindung wiederholt an dem Tbränensack gedrückt hatte und 
unmittelbar darnach in die Genitalien gefahren war. 

ln ähnlicher Weise würde die Quelle der Infection klar sein, 
wenn eine Hebamme an einem eiternden Panaritium litte, oder 
wenn sie — was ich auch erlebt habe — gleichzeitig Leichen¬ 
wäscherin war und ein an Scharlachdiphtherie gestorbenes Kind 
als Leiche abwusch oder zur Beerdigung ankleidete. Ja, nach 
unserer wissenschaftlichen Ueberzeugung von der zunehmenden 
Gefahr der Lochialflüssigkeit in den späteren Tagen des Wochen¬ 
bettes wird der C'ausalconnexus selbst dann klar sein, wenn eine 
Hebamme sofort nach der Säuberung der Genitalien einer Wöch¬ 
nerin, ohne jede Art von Desinfection, eine andere Geburt über¬ 
nimmt. Ich habe einen derartigen Fall erlebt, wo die Hebamme 
verurtheilt wurde. 

Der zweite Punkt, die Unterlassung der Desinfection, 
ist ebenfalls nicht schwierig zu beurtheilen. Freilich werden wir 
strengen Antiseptiker eine Hebamme, welche, sich nach der Vor¬ 
schrift des Lehrbuchs desiuficirte, nicht für richtig desinficirt er¬ 
klären können. Wenn aber eine Hebamme sich in Carbollösung 
wusch und Carbolöl anwendete, so wird nichts gegen sie zu machen 
sein. Man kann nicht mehr verlangen, als vorgeschrieben ist. 
Diese Ueberzeugung von der stets ungenügenden Desinfection führte 
ja zu dem Vorschläge, eineu Abstinenzbefehl für Hebammen, die 
kranke Wöchnerinnen haben, zu erlassen. Nothwendig aber muss 
man verlangen, dass Zeugenaussagen die stattgehabte Desinfection 
der Hebamme bestätigen. In einem Falle behauptete die Hebamme, 
sie desiuficire sich stets zu Hause, ehe sie zu einer Entbindung 
ginge. Gefragt, wie sie das mache, gab sie au, „ihr Dienstmädchen 
bereite die Carbollösung.“ Das Dienstmädchen aber sagte bei der 
Vernehmung aus, dass sie „Etwas“ aus „einer Flasche“ in ein 
Becken voll Wasser gösse. Von dem Sinn und der Bedeutung der 
Desinfection, sowie von der Kunst, eine Lösung von einem be¬ 
stimmten Prozentsätze zu bereiten, hatte keine von Beiden eine 
Ahnung. 

Der Sachverständige wird demnach jede Desinfection, die von 
Niemand gesehen und nicht am Gebärbett resp. in der Wohnung der 


No. 12 


Gebärenden vorgenommen ist, für keine Desinfection erklären. Die 
Hebamme wird sich über die Fähigkeit auszuweiseo haben, eine 
Lösung zu bereiten. Kanu sie auch das nicht, wirft sie — wie so 
häufig — nur mit dem Worte „Carbollösung“ um sich, ohne zu 
wissen, wie Carbolsäure aussieht und wie eine Lösung angefertigt 
wird, so ist auch nicht anzunehmen, dass sie sich desinficirt hat. 
Nieraaud kann eine Kunst ausüben oder etwas sachgemäss ausführen, 
was er nachweislich nicht versteht. 

Hat die Hebamme sogar nach positiven Zeugenaussagen jede 
Desinfection unterlassen, kann bewiesen werden, dass Carbolsäure 
oder ein anderes Desinficiens nicht in ihrem Besitze war, dass sie, 
ohne sich zu waschen, sofort die Finger in die Genitalien ein¬ 
führte, so ist auch dann das Nichtgeschehen der Desinfection 
erwiesen. 

Der dritte Punkt resp. Beweis gegen die Hebamme setzt sich 
zusammen aus der Anamnese, der Krankenbeobachtung und 
dem Sectionsergebniss. Wenn die Angehörigen resp. Zeugen 
angeben, dass an der Verstorbenen bis zur Geburt, auch vielleicht 
noch 1 bis 2 Tage nach der Geburt kein Zeichen irgend einer 
Krankheit beobachtet ist, oder dass die Schwangere bis zur tödt- 
lichen Erkrankung völlig gesund erschien, so spricht dies für die 
puerperale Infection als Todesursache. 

Sodann werden die Symptome der Krankheit, die auch dem 
Laien bemerklich waren, Schüttelfrost, hohes Fieber, Aufgetrieben¬ 
sein des Leibes, festgestellt werden müssen. 

Kommt der Fall, was natürlich nicht immer geschieht, zur 
gerichtlichen Section, so ist es wichtig, dass eine andere Todes¬ 
ursache, etwa Phthise, Pneumonie, Herz- oder Nierenkraukheit aus¬ 
geschlossen werde. 

Ist also die lnfect ions<| uelle, das Unterbleiben der 
Desinfection, das Fehlen einer anderen Todesursache 
als Kindbettfieber nachgewiesen, so ist der Fall jedenfalls so klar 
gelegt, dass die Frage nach dem Causaiconnexus zwischen den 
Handlungen und Unterlassungen der Hebamme und dem Tode der 
Wöchnerin bewiesen ist. Die Hebamme ist nach § 222 (1er 
fahrlässigen Tödtung schuldig! 

Das Benehmeu der Hebammen wird ja natürlich keinen Ein¬ 
fluss auf die Frage, ob schuldig oder nichtschuldig, haben; jeden¬ 
falls aber bei der Strafabmessung. Das Strafmaass geht von 1 Tag 
bis 3 Jahr resp. bei Hebammen bis 5 Jahr. Der Richter hat also 
einen weiten Spielraum. 

Handelt es sich z. B. um eine alte, in Ehren grau gewordene 
Hebamme, deren Schuld zwar klar gelegt ist, bei der aber Jeder 
die Ueberzeugung hat. dass sie vou der Notwendigkeit der Des¬ 
infection keinen Begriff hat und dass sie die Ausführung der Des¬ 
infection nie gelernt hat. dass andererseits ihr vom Staate die Mög¬ 
lichkeit der Erlernung uicht in richtiger uud genügender Weise 
geboten wurde so wird das Strafmaass gering sein. Ja wenn der 
Gerechtigkeit Genüge gethan ist, kann man selbst als Sachverstän¬ 
diger mit gutem Gewissen das Begnadigungsgesuch unterstützen. 
Eine Bestrafung aber ist nöthig. denn das Gesetz und das Wohl 
der Menschheit verlangt es. Die anderen Hebammen hören davon 
und sehen sich vor. Eine solche Verurtheilung wirkt reinigend, 
wie ein wohlthätiges Gewitter. 

Auch das Gegentheil ist der Fall. Ich habe erlebt, dass der 
gewissenhafte Hausarzt Carbolsäure und alle nothwendigeu Dingt; 
, anschaffen liess, um einen aseptischen Verlauf der Geburt sicher zu 
i stellen. Die Hebamme, obwohl von einer Wöchnerin kommend, 

| erklärte schimpfend Alles für Unsinu, warf die Carbolsäure zum 
I Fenster hinaus, desinficirte sich nicht. An» siebenten Tage erlag 
i die Wöchnerin dem Kindbettfieber. Würde eine solche Hebamme 
j nicht streng bestraft oder ginge sie gauz frei aus, so würden w'ir 
! Aerzte völlig machtlos sein, und das Unheil nähme seineu Lauf. 

Es käme hier auch in Betracht, ob in der Praxis einer Heb- 
, amme häufige Todesfälle im Wochenbette gemeldet wären. Gerade 
nach dieser Richtung hin wird die strenge Ausübung der Aozeige- 
i pflicht wohlthätig wirken. Den Physikern ist es sehr wohl bekannt, 
dass einigen Hebammen viele Wöchnerinnen sterben, anderen nicht. 
Der Physicus habe ein wachsames Auge auf diese Hebammen. 
Würde eine solche oft inficirende Hebamme endlich überführt und 
für schuldig befunden, so könnte man aus den Verhandlungen ent¬ 
nehmen. dass die Hebamme auch früher fahrlässig gehandelt hätte. 
Dies würde jedenfalls ein Grund sein, ein hohes Strafmaass in An¬ 
wendung zu ziehen. 

Ich glaube, dass mit Hülfe der auseinandergesetzten Grundsätze 
es wohl möglich ist, zu harte Strafen ebenso als Straflosigkeit zu 
vermeiden, und ich würde es dankbar anerkennen, wenn auch 
andere Geburtshelfer diesen Grundsätzen beipflichteten. Nicht 
weniger dankbar wäre ich, wenn ich auf Fehler aufmerksam ge¬ 
macht und widerlegt würde. Es ist jedenfalls an der Zeit, diese 
Angelegenheit zu besprechen. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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•22. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 231 


VI. Feuilleton. 

Aus London. 

Reginald Harrisou aus Liverpool, der durch seine gründ¬ 
lichen Studien über die Pathologie der Harnorgane wohlbekannt 
ist und auch als geschickter und erfolgreicher Operateur eines 
grossen Rufes geniesst, hielt unlängst vor der Medical Society of 
London einige interessante Vorlesungen über dies Capitel, worunter i 
ich besonders seine Untersuchungen über die Pathologie der Ver- j 
grösserung der Prostata hervorheben möchte, da dieselben 
eine Anzahl neuer Gesichtspunkte zu eröffnen scheinen. 

Nach Harrisou wäre es besser, anstatt von eiuer Vorsteher¬ 
drüse von einem Vorstehermuskel zu sprechen; denn was für eine 
Function dieses Organ auch intermittirend in Bezug auf den Zeugungs- 
process ausüben mag, so ist wenigstens beim Menschen die Haupt¬ 
aufgabe desselben, den Urin zu sammeln und zurückzuhalten. Wir 
haben uns zu sehr daran gewöhnt, die Prostata nach ihrem Aus¬ 
sehen post mortem zu betrachten, während sie wahrscheinlich nur 
dann so erscheint, weun die Blase vollständig leer ist. Für ge¬ 
wöhnlich sind ihre Muskelfasern ausgebreitet wie ein Trichter, mit 
der Spitze nach unten, um eine Stütze für die Blase und deren 
variirenden Inhalt zu bilden. Die Wirkung der Prostata ist daher 
ebenso continuirlich wie die des Herzens. Dies ergiebt sich nicht 
nur aus der Untersuchung der Prostata des gesunden Mannes, 
sondern besonders auch aus den Resultaten gewisser chirurgischer 
Operationen, wobei sich zeigt, dass Incontinenz entsteht, sowie das 
Messer in Berührung mit dem Organe kommt, wie bei der Sectio 
lateralis etc. Beim Manne fällt die senkrechte Axe des Urindrucks 
direkt auf den Ausfall der Blase, während bei der Frau, in Folge 
der Verschiedenheit der Beckenorgane, ein grosser Theil des Gewichtes 
der Blase, besonders wenn dieselbe stark ausgedehnt ist, vom 
Schambein getragen wird. Ausserdem ist beim weiblichen Geschlecht 
keine Vorkehrung für die Ejaculation des Samens nöthig, bei welcher 
Function die Muskelfasern der Prostata eine bedeutende obwohl nur I 
gelegentliche Rolle spielen. 

Bei den höheren Säugethieren ist die Prostata, mit Ausnahme 
des Hundes, nicht so stark entwickelt wie beim Menschen, und hat 
Bland Sutton bei tausenden von Sectionen nie eine vergrösserte 
Prostata gesehen. Dies erklärt Harri so n dadurch, dass bei diesen 
Thieren die senkrechte Axe des Urindruckes nicht auf den Ausfall 
der Blase, sondern auf die Theile fällt, welche die Blase unter¬ 
stützen. Diese Betrachtungen machen es leicht verständlich, warum 
die Prostata sich so leicht im vorgerückten Alter vergrössert. Dies 
letztere geschieht nicht in der Altersperiode, in welcher die grösste 
Tbätigkeit und Entwickelung der Muskeln stattfindet, sondern da. 
wo die Quantität die Qualität ersetzen muss. 

Gerade wie z. B. bei Herzkrankheiten entweder vollständige 
• ►der unvollständige Compensation eintreteu kann, so kann die 
Hypertrophie der Prostata entweder compensatorisch, oder übermässig 
und deswegen schädlich sein. Nach Thompson findet sich dieser 
Zustand bei etwa 34 Procent aller über 60 Jahre alten Männer, 
während es nur bei 15 bis 16 Procent zu Symptomen kommt. Dies i 
zeigt, dass der Zustand für die Mehrheit der damit Behafteten eher I 
einen Vortheil als einen Nachtheil darstellt. Nach Harrison ist 
der Procentsatz bei alten Leuten noch weit grösser, als der von j 
Thompson angegebene. Sehr häufig findet er z. B., dass Patieuten, j 
deren Rectum aus einem oder dem anderen Grunde untersucht ! 
wird, eine solche Vergrösserung zeigen, ohne dass die geringsten j 
Symptome darauf hingedeutet haben; er schliesst, dass dieselbe j 
zu einem entschieden conservativen Zwecke gebildet worden ist. In , 
anderen Fällen dagegen ist das betreffende Wachsthura übermässig, ' 
und die Hypertrophie ist dann mehr eine fibroide als muskuläre, 
woraus Symptome vou Reizung der Blase entstehen. Wo sich dies i 
dem untersuchenden Finger ergiebt, muss der Katheter gewöhnlich l 
permanent gebraucht werden, während, wenn die Drüse sich weich 
und nachgiebig anfühlt, also muskulär geblieben ist, eine vollstän¬ 
dige Wiederherstellung der Function sich erwarten lässt. 

Ein weiterer Umstand vou Wichtigkeit ist, dass mau post 
mortem sowohl wie während gewisser chirurgischer Operationen 
findet, dass sich das Verhältniss zwischen dem Körper und Halse 
der Prostata geändert hat. Bei jungen Leuten ist die Blase eher 
ein Bauch-, als ein Beckenorgan. Im vorgeschrittenen Alter da¬ 
gegen sinkt sie allmählich in’s Becken hinein und sinkt weiterhin 
noch immer tiefer. Der Boden der Prostata ragt dann mehr her¬ 
vor. nicht sowohl iu Folge der Entwickelung von Vorstehergewebe 
als durch Depression oder Prolaps der hinteren Blasenwand, und 
es kommt dann zu wahrer Hypertrophie der Prostata und der be¬ 
nachbarten Theile, um einen Structurmangel mehr oder minder zu- 
lälligen Ursprunges zu neutralisireu. Vergleicht man den Act des 
Urinirens beim Kinde und beim Erwachsenen, so sieht man einen be¬ 
deutenden Unterschied in dem Einfluss, welchen der Wille auf den 
mechanischen Act hat. Beim Kinde ist der Draug unwiderstehlich , 


und muss sofort befriedigt werden, während beim Erwachsenen der 
Wille immer mehr dabei eine Rolle spielt. Besonders bei Personen, 
welche, um nicht bei ihrer Beschäftigung gestört zu werden, den 
Urindrang häufig unterdrücken, kommt es auf diese Weise zu com- 
pensatorischer Hypertrophie der Prostata. 

Während eine solche also nicht selten eine gute Compensation 
abgiebt, wird sie in anderen Fällen excessiv und erfordert dann 
den Gebrauch des Katheters, welcher häufig hinreicht, um die 
unangenehmsten Symptome zu beseitigen. Manche Patienten je¬ 
doch leiden trotzdem entsetzlich, da, sowie ein bischen Urin 
in der Blase sich ansammelt, sie den Drang empfinden, 
ihn los zu werden, ln solchen Fällen empfiehlt Harrison 
die Punction der Blase vom Damm aus durch die vergrösserte 
Prostata, und lässt längere Zeit eine Caniile liegen, durch welche 
der Urin abfliessen kann. Er unternimmt diese Operation in Fällen, 
wo es ungewöhnlich schwer ist, den Katheter einzuführen; wo es 
gewöhnlich dabei zur Blutung kommt; wo das Ablassen des Urins keine 
Erleichterung gewährt, und wo die Blase, wegen der beständigen 
Anwesenheit von Eiter und zähem Schleim in derselben, schliesslich 
zu einem chronischen Abscesse wird, durch welchen Urin durch¬ 
sickert. Solche Fälle werden durch den Katheter nicht besser und 
führen nach sehr peinlichen Leiden zum Tode. Man hat Punction 
über dem Schambein, durch den Mastdarm und durch den Damm für 
solche Fälle angewandt, mit Beibehaltung einer Canüle. Diese Opera¬ 
tionen entfernen aber nicht die Ursache der Verstopfung. Harrison 
verfährt so, dass er die merabranöse Partie der Harnröhre vom Damm 
aus auf einer Leitsonde öffnet und den Finger in die prostatische 
Harnröhre einführt. Der obstruirende Theil der Prostata wird dann 
etwas zur Seite der Medianlinie getrennt, theilweise durch Incision 
mit einem geknöpften Bistouri von innen nach aussen und theilweise 
durch Divulsion mit dem Finger, wenn dies möglich ist; ein grosses 
Drainrohr wird dann in die Blase eingeführt. Die längere An¬ 
wendung der Drainage ist von grosser Wichtigkeit, insofern der 
Zweck ist, die Section der Prostata nicht zeitweilig, wie nach dem 
Steinschnitt, sondern permanent zu machen. Die Röhren werden 
daher sechs, acht oder zehu Wochen darin gelassen. Wenn nach 
dem Verlauf einer solchen Periode es sich bei der Entfernung der 
Röhre herausstellt, dass der Katheter sich leicht auf dem gewöhn¬ 
lichen Wege einführeu lässt, oder wenn, was auch mitunter vor¬ 
kommt, der Urin sich trotz des Drainrohrs durch den natürlichen 
Canal vorwärts drängt, so ist dies ein Zeichen, dass der Zweck er¬ 
reicht ist, und man lässt dann die Dammwunde zuheilen. 

Es giebt übrigens noch eine Reihe vou Fällen, in welchen die 
Symptome grösstentheils von der Reizung herrühren, welche die 
hervorstehenden Massen mehr oder weniger entarteten Prostata¬ 
gewebes in der Blase hervorrufen. Hier hat Harrison die Ent¬ 
fernung beträchtlicher Theile dieses Gewebes mit Nutzen für die 
sonst zu einem elenden Leben und baldigen Tode verdammten 
Patienten durch den Dammschnitt ausgeübt. Solche Fälle sind im 
Ganzen selten und kommen nur bei alten, abgelebten, decrepideu, 
kachektischen Subjecten vor, bei welchen in den früheren Perioden 
der operativen Chirurgie keine Operation eine Chance des Erfolges 
gehabt haben würde. Man kann eine vollständige Prostatektomie 
machen, doch dies führt zu lebenslänglicher Incontinenz, während 
diese letztere nicht zu folgen braucht, weun man uur lappenförmige 
Massen, welche von der hypertrophischen Prostata ausgehen, und 
isolirte Fibrome entfernt. 

VII. Referate und Kritiken. 

H. Fischer. Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie nach dem 
heutigen Standpunkt der Wissenschaft. 898 S. 101. Abbild. 
20 Mk. Stuttgart, Ferd. Enke, 1887. Ref. E. Hahn. 

Die Absicht, nicht nur dem Anfänger Belehrung und Anregung, 
sondern auch dem erfahrenen praktischen Arzt eine bequeme Hand¬ 
habe zum Nachschlagen und zur Orientirung in den verschiedensten 
Streitfragen in der Chirurgie zu liefern, hat den Yerf. geleitet, das 
vorliegende Werk über allgemeine Chirurgie zu verfassen, zumal 
nach seiner Ansicht einige der vorhandenen chirurgischen Lehrbücher 
zu ausführlich seien, und daher schwer zum Studium für den Au- 
fänger zu gebrauchen, wie das Billroth-Pitha'sche, einige zu sub- 
jectiv gehalten und zu wenig inhaltreich sind, um das Bedürfnis« 
des Lernbegierigen zu decken. — Jedes Capitel des Werkes soll 
eine Monographie für sich darstellen. — 

Verf. sagt iu der Vorrede, dass das Buch nicht aus seinem 
Kopf herausgeschrieben, sondern mit sorgfältiger Benutzung der 
Quellen und einschlägigen Arbeiten. Wie sehr dabei das Bemühen 
des Verf. hervortritt, auch selbst bei den weniger bedeutenden 
praktischen und wissenschaftlichen Arbeiten die Verdienste der 
Autoren durch Nennung der Namen in das richtige Licht zu stellen, 
geht aus dem sehr zahlreichen Autorenverzeichuiss hervor, so 
findet man auf einigen Seiten 30 und mehr Autoren citirt. — 


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232 


Was die Eintheilung anbelangt, so zerfällt das Buch in 11 Ca- 
pitel, von denen die drei ersten über die Verletzungen, Gefasskrank- 
heiten und Brandformen die nächstfolgenden über Verletzungen und 
Erkrankungen der Muskel, Knorpel, Knochen, Gelenke, Nerven, 
Lymphgefässe und Lymphdrüsen handeln. Dazwischen ist das 
VIII. Capitel, die allgemeine Orthopädie enthaltend, eingeschlosseu. 

Das Schlusscapitel bildet die Lehre von den Geschwülsten. - 
Casuistik zu bringen hat Verf. möglichst vermieden, dagegen 
häufigere Abschweifungen in das Gebiet der speciellen Chirurgie 
gemacht. — 

Den dritten Theil des ganzen Buches umfasst das erste Capitel 
über die mechanischen Verletzungen. Zunächst werden die offenen 
Wunden in Bezug auf Entstehung, Behandlung und Verlauf be¬ 
sprochen, wobei in kurzer, aber klarer Weise die Principien der 
antiseptischen Wundbehandlung die verschiedenen antiseptischen 
Verbandmittel erörtert werden. Hier hat auch die Lehre vom 
Shock und von der Narkose ihren Platz gefunden. Bei dem nun 
folgenden Abschnitt über die Wunden ohne Contiuuitätstreunung 
der Haut wird mit besonderer Vorliebe, Gründlichkeit und Klarheit 
das Gebiet über die Gehirnverletzungen und Lungencontusionen be¬ 
sprochen. — 

Bei der Behandlung des Hämothorax warnt Verf. vor der Er¬ 
öffnung der Thoraxhöhle und Ausräumung; denn mit der Druck¬ 
entlastung des Thorax kehrt die Blutung ^wieder, und die Quelle 
der Blutung ist nur selten zu finden. Dhs beste Verfahren ist nach 
des Verf.’s Meinung das von Larrey empfohlene: „Verschluss der 
Wunde, Lagerung des Patienten auf die kranke Seite, Eisblase auf 
den Thorax“. Wenn auch das Larrey’sche Verfahren oft gute 
Resultate aufweist, so giebt es doch eine grosse Anzahl von Fällen, 
bei welchen als indicatio vitalis unter allen Umständen ein opera¬ 
tiver Eingriff indicirt ist. 

(Zu diesem Zwecke habe ich mich seit langer Zeit einer Methode 
bedient, die immer eine Auffindung der blutenden Stelle ermöglicht 
hat. Es wird eiue lange Incision parallel einer der mittleren 
Rippen, am besten der 5. oder 6., womöglich über der Stelle, wo 
die Verletzung liegt, vom Brustbein bis in die Nähe der Wirbel¬ 
säule gemacht, die Pleura weit eröffnet und nun die Rippen stark 
auseinandergezogen. Man kann auf diese Weise den ganzen Thorax¬ 
raum überblicken, die blutende Stelle entdecken und die Blutung 
leicht zum Stehen bringen Ref.). 

Bei aseptischen Wunden giebt es keine unbedingte Contra- 
indication der Naht. — Zur permanenten Irrigation eignet sich be¬ 
sonders die essigsaure Thonerde 1—2% und eine 3procentige Lö¬ 
sung von Kali hypermanganicum. Die von Langenbeck und Es- 
march angewandten Transplantationen grösserer Hautlappen aus ent¬ 
fernteren Th eilen ohne Ernährungsbrücken kaun Verf. aus eigener Err 
fahrung empfehlen. — Bei der Besprechung der Lungenverletzuugen 
wird auch die operative Behandlung der serösen und eitrigen Pleural¬ 
exsudate ausführlich erörtert. — Unterden complicirten Wunden werden 
sämmtliche Hospital- und Wund-Infectionskrankheiten mit genauen 
Literaturangaben und unter Berücksichtigung der neuesten bacterio- 
logischen Forschungen besprochen. Mit derselben Ausführlichkeit 
wird der Milzbrand, der Rotz, die Hundswuth, die Klauenseuche 
und die Actinomycose behandelt. Tn dem Capitel über die Brand¬ 
formen finden auch die verschiedenen, durch Eiterung bedingten 
Erkrankungen ihren Platz; da der Eiter ein schnell dem Tode ver¬ 
fallenes Gewebe ist, so rechnet Verf. denselben zu den Brand¬ 
formen. Bei den Gefässkrankheiten wird uns die Lehre von der 
Thrombose und Embolie mit Erwähnung der experimentellen Ar¬ 
beiten; die von der Transfusion und Infusion mit ihrer historischen 
Entwickelung vorgeführt. Die venöse Transfusion ist die allein be¬ 
rechtigte und am meisten ausgeführte Methode. — Von den ver¬ 
schiedenen Erklärungen über die Todesursache nach Bluteintritt in 
die Venen ist die von Pannum abgegebene allein treffend: „Die 
Luft gelangt aus dem Herzen in die Lungenarterien und bildet hier 
einen grossen Luftpfropf, welcher die Circulation unterbricht und 
die Füllung des linken Ventrikels und des Gehirns mit frischem 
arteriellem Blut verhindert.“ Unter den Methoden die Dupuytren- 
sche Fingercontractur zu beseitigen, vermisste ich die von Kocher 
angegebene Methode, mit welcher man nach meinen Erfahrungen bei 
Weitem die besten Resultate erzielt. Mit ganz besonderer Ausführlich¬ 
keit werden die Erkrankungen der Knochen und Gelenke auf 262 Seiten 
besprochen, wobei als Hauptquellen vom Verf. die klassischen Ar¬ 
beiten von Volk mann auf diesem Gebiete benutzt siud. Bei der 
allgemeinen Orthopädie werden nicht uur die verschiedenen An¬ 
sichten über die Pathogenese der Scoliose und anderer angeborener 
und erworbener Difformitäten, sondern auch die chirurgische und 
orthopädische Behandlung der einzelnen Erkrankungen erwähnt. — 
Es ist natürlich und leicht verständlich, dass bei den häufigen 
Abschweifungen auf das specielle Gebiet der Chirurgie ausser¬ 
ordentlich viele Gebiete berührt werden, die nicht erschöpfend 
haben erörtert werden können, sodass man in Betracht einzelner 


No. 12 


erwähnter Thatsachen, andere, die uns ebenso wichtig erscheinen, 
nicht erwähnt findet. — Wenn man aber bedenkt, dass Verf. sein 
Buch eine allgemeine Chirurgie genaunt hat, so wird man finden, 
dass Alles, was zur allgemeinen Chirurgie gehört, in erschöpfender 
Weise abgehandelt ist. Mit besonderer Vorliebe werden alle ein¬ 
schlägigen physiologischen und pathologisch-experimentellen Arbeiten 
ausführlich besprochen. — Bei der Behandlung wäre vielleicht, be¬ 
sonders für den Anfänger, ein markirteres Hervortreten der sub- 
jectiven Ansichten des Verf. erwünscht gewesen. Das übermässig 
gewissenhafte Aufzählen der Autoren, selbst bei den unwichtigsten 
und gleichgültigsten, oft bereits verworfenen und verlassenen Aus¬ 
sprüchen und Angaben über Pathogenese und Behandlung der ver¬ 
schiedenen Erkrankungen, wirkt auf den Lehrer ermüdend und 
abspannend, obwohl man sich einer Bewunderung des eminenten 
Gedächtnisses und hervorragenden Talentes des Verf., die grosse 
und weite Materie in dieser Weise zu beherrschen, nicht ent- 
schlagen kann. 

Die übrigens im Verhältniss zu den anderen Capiteln etwas 
kurz abgefasste Lehre von den Geschwülsten dürfte zweckmässig in 
der nächsten Auflage mit einigen Holzschnitten versehen werden. 
Die anderen, dem Buche beigefügten Holzschnitte sind zweckmässig 
ausgewählt und gut ausgeführt. 

Trotz der vielen Lehrbücher die ,in den letzten Jahren über 
Chirurgie erschienen sind, wird dieses Buch nicht uur für deu 
praktischen Arzt, sondern auch für den Specialisten eine willkommene 
Erscheinung sein, und man kann wohl sagen, dass es dem Verf. 
gelungen ist, das hochgesteckte Ziel zu erreichen, in jedem Capitel 
eine Monographie zu schreiben, das Gebiet der allgemeinen Chirurgie 
für den Studirenden erschöpfend darzustellen und dem weiter Vor¬ 
geschrittenen Anregung und Anleitung zum Weiterarbeiten zu geben. 


J. E. Alberts. Das Carcinom in historisoher und experi¬ 
mentell-pathologischer Beziehung. 209 S. Jena, Gustav 
Fischer, 1887. Ref. E. Hahn. 

Das Buch zerfällt, wie schon der Titel andeutet, in 2 Theile. 
wovon der erste über das Carcinom in historischer Beziehung drei 
Viertel des ganzen Buches umfasst und mit ausserordentlicher 
Gründlichkeit und Sorgsamkeit bearbeitet ist. Obwohl es dem 
Verfasser, wie er in der Einleitung sagt, zweckmässig erschien, eine 
allgemeine pathologische Betrachtung der Ideen über Krankheits¬ 
wesen und Ursache, Disposition und Anlage einzuverleiben, kann 
man nicht sagen, dass zur Erleichterung des Verständnisses diese 
Abschweifungen der Arbeit zum Vortheil gereichen. In der Literatur 
konnte nichts aufgefunden werden, was annehmen lässt, dass vor 
Hippokrates das Carcinom bereits bekannt war. 

Nicht Ga len us, wie es vielfach unrichtig angegeben wird, 
sondern Hippokrates, diagnosticirte als Erster das Carcinom aus 
seiner Aehnlichkeit mit einem Krebse (xapxtwos). 

Nach Littre’s Forschungen hat Hippokrates davor gewarnt, 
die Kranken mit nicht aufgebrochenen (xpunroi xapxtvot ) überhaupt 
zu behandeln; „denn wenn man sie behandelt, dann sterben sie 
schnell, wenn mau sie nicht behandelt, verlängert man ihr Leben.“ 

Soranus von Ephesus und Celsus (38 v. Chr.) sind die Car- 
cinome schon sehr gut bekannt gewesen. Letzterer macht bereits 
den Unterschied zwischen den harten und weichen Formen und 
betont, dass, für den Fall nach einer Aetzung eine Heilung ein- 
tritt, es kein Carcinom, sondern ein anderes Ulcus gewesen sei. 

Galenus (200 n. Chr.) lässt den Krebs entstehen aus der 
Atra bilis, empfiehlt diätetische Cureu und ist der operativen Be¬ 
handlung nicht‘abgeneigt. Das Carcinom wird ausgeschnitten, und 
die Wurzeln durch Aetzmittel zerstört. Sehr interessant ist es, 
dass bereits 200 n. Chr. Leoni des von Alexandrien ein jetzt von 
Nussbaum mit Recht wieder warm empfohlenes Mittel — durch 
Umschneiden mit Ferrum candens die Jauchung und Blutung des 
offenen Carcinoms zu verringern — bereits gegen Blutungen aus 
Carcinomen angewandt hat. 

Bis zu Ambroise Pare folgten die meisten Aerzte den Vor¬ 
schriften von Galen. Wesentlich neue Gesichtspunkte traten nicht 
auf. Zu einzelnen Zeiten wird die Operation mehr, zu andereu 
weniger und zeitweise garnicht ausgeführt. — 

Pare beschränkt die Operation auf das nicht ulcerirte Car¬ 
cinom, empfiehlt breite Entfernung des gesunden Gewebes und 
Aetzung, ferner Entspannungsschnitte zur bessereu Heilung. — 
Dann kommen Zeiten, in denen die verschiedensten inneren und 
äussereu Mittel zur Heilung empfohlen werden, so die Compression 
von Hunter, der Arsenik, das Quecksilber und die Cicuta. — Nach¬ 
dem von Ledrau der zuerst locale Charakter des Carcinoms klar 
gelegt und die später auftretenden Lymphdrüsenerkrankungen er¬ 
kannt werden, empfiehlt Jean Louis Petit, bei der Operation die 
benachbarten Lymphdrüsen mit herauszunehmen. — Bis zur Anwen¬ 
dung des Mikroskopes blieb das klinische Verhalten der aUeiu 
sichere Maassstab für die Diagnose. — Die Forschungen der neueren 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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22. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


238 


bahnbrechenden Arbeiten von Johannes Müller, Savory, 
Virchow, Thiersch, Waldeyer und vielen Anderen werden 
ausführlich initgetheilt uud gewürdigt, Uebrigens mag au dieser 
Stelle hervorgehobeu werden, dass nicht Job. Müller, wie Verf. 
augiebt, sondern Virchow der erste Eutdecker der kernhaltigen 
Epithelzelleu im Carcinom gewesen ist. — Der eigentliche Fort¬ 
schritt in der genaueren Kenntniss des anatomischen Baues und 
der Genese der Carcinorne ist erst durch die Anwendung der 
mikroskopischen Untersuchung in den letzten 50 Jahren gemacht. 
Maassgebend allein ist uns jetzt zur Feststellung der Diagnose der 
anatomische Befund, d. h. das Vorhandensein einer atypischen regel¬ 
losen Epithelzellenwucherung in das gesunde Gewebe hinein, mit 
der Neiguug zur unregelmässigen Bindegewebsalveolenbildung. — 
Im zweiten Theile des Buches macht uns der Verf. mit Anderer uud 
seinen experimentellen Arbeiten auf dem Carcinomgebiete bekanut 
welche letztere einerseits darauf gerichtet sind, experimentell durch 
mechanische, chemische Reize und Injectionen von carcinomatösen 
Massen, sowohl in die Venen als auch in die Peritonealhöhle und 
unter die Haut bei prädisponirten und nicht prädisponirten Thieren 
Carcinom hervorzurufen; andererseits das Bestreben zeigen, die vom 
Verf. mit grosser Wahrscheinlichkeit angenommenen pathogenen 
Organismen im carcinomatösen Gewebe zu entdecken oder durch 
Impfungen auf die bekannten Nährsubstanzen isolirt herzustellen. 

Leider haben alle die sehr fleissigen und mit grosser Ueber- 
legung angestellten Versuche nur negative Resultate ergeben, und es 
bleibt der Zukunft überlassen, noch andere Kennzeichen für Carci- 
norae zu entdecken als die bis jetzt vorhandenen und hoffentlich 
gleichzeitig mit dieser supponirten erweiterten Kenntniss eine erfolg¬ 
reichere Behandlung zu ermöglichen, die leider seit Hippokrates 
und Galen wenig Fortschritte gemacht hat, wie ohne genauere 
Kenntniss der ätiologischen Momente auch kaum zu erwarten ist. 

Allen, die sich für die Carcinomfrage interessiren, kann die 
Lecture des Buches anempfohlen werden. 


F. A. Kehrer. Beiträge zur klinischen und experimentellen 
Geburtskunde und Gynäkologie. II. Band 3. Heft. Giessen, 
Emil Roth, 1887. Ref. Fl ai sch len. 

In diesen Beiträgen berichtet K. über eine Reihe von Ver¬ 
suchen und klinischen Beobachtungen, die er angestellt hat und 
welche zur Klärung verschiedener gynäkologischer Fragen dienen 
sollen. Schon früher hat K. darauf aufmerksam gemacht, dass es 
dringend nöthig sei, bei Beurtheilung der Sterilität nicht ein¬ 
seitig auf den Gesundheitszustand der Frau zu recurriren, sondern 
in demselben Maasse den des Mannes im Auge zu haben. Auf 
Grund von weiteren Untersuchungen betont er wieder den Satz, 
«lass ein Mann, welcher behauptet, nie sexuell excedirt zu haben 
und nie genitalleidend gewesen zu sein, dessen Genitalien keinerlei 
Anomalieen zeigen und der geschlechtlich vollkommen leistungs¬ 
fähig erscheint, doch Azoospermatiker sein kann. 

Eine Reihe von Versuchen an jungen Kaninchen hat K. in 
Betreff des Effectes der Castration und der Erzeugung von 
Hydrosalpinx gemacht. Es folgt aus denselben, dass man in 
den Eierstöcken einen das Wachsthum der gesammten Genitalsphäre 
bestimmenden Apparat zu erblicken hat, bei dessen wenn auch nur 
theilweisem Vorhandensein die Geuitalien weiterwachsen, bei dessen 
vollständigem Wegfall eine Wachsthumsunterbrechung oder eine Rück¬ 
bildung sich einstellt. Man muss sich ferner vorstellen, dass Nerven 
oder andere noch unbekannte Einflüsse die Beziehungen der Eierstöcke 
zu den Genitalien vermitteln. — Nach Tubentrennung runden die 
beiden Schnittenden sich ab und verschliessen sich, es kommt aber 
kein Hydrosalpinx, kein Verschluss des Ostium abdominale 
tubae zu Stande; zum Zustandekommen desselben ist neben dop¬ 
pelter Atresie unbedingt eine acute oder chronische Salpingitis 
nöthig. 

Im Capitel „Ueber Inversio uteri“ behauptet K., die übliche 
Unterscheidung in Tumoreninvasion und Puerperalinvasion genüge 
nicht, seiner Ansicht nach müsse man zwei Gruppen unterscheiden: 

1. Gruppe: Gebärmutter-Körper und Boden erhalten und an 
gewöhnlicher Stelle oder höher stehend, Endometrium, auch wohl 
innerste Muskelschicht divertikelartig umgestülpt. 

2. Gruppe: Körper oder Boden in ihrer ganzen Dicke ein¬ 
schliesslich des Bauchfells ein- und abwärts verschoben. 

Eine Reihe von Krankengeschichten bieten kein wesentliches 
luteresse bis auf einen Fall von supracervicaler Amputation des 
umgestülpten Uterus. Bezüglich der Behandlung macht K. fol¬ 
gende Bemerkungen: So gewiss man bei ganz frischer Inversion so¬ 
fort die Reposition versuchen soll, so zweifelhaft scheint dies dann, 
wenn die Umstülpung schon mehrere Tage besteht. Ist einmal 
die Inversion einige Tage alt, so thut man gut, das Organ vorläufig 
in Ruhe zu lassen und nur öfters den Tag antiseptisch zu bespülen, 
die Reposition aber erst 3—4 Wochen post partum zu versuchen. 

Ueber einige seltene Reflexe bei Rückwärtsneigung der Gebär¬ 


mutter handelt ein weiterer Abschnitt. K. theilt einige interessante 
Krankengeschichten mit, welche einige bisher wenig beachtete 
Folgezustände der Retroversio illustrireu, Aphonie, Krampf- 
husten und Paraplegie. In einem Falle von Aphonie folgt«* die 
Heilung prompt durch Reposition des Uterus. K. liebt besonders 
hervor, dass auch ein Descensu$ der Tuben uud Ovarien io dem 
Boden des Douglas, eiue Einklemmung des einen oder anderen 
Gebildes, Lagefehler, die sich au den der Gebärmutter unmittelbar 
anschliessen, der wahre Grund der Reizerscheinungen sein könuen. 
Für die Praxis ist dies gleichgültig, da mau in solchen Fällen 
durch ein Pessar mit dem Uterus auch dessen Adnexe heben muss. 

Beim Capitel „Ringbehandlung“ huldigt K. dem allgemein 
als richtig anerkannten Princip, eine Retroversion, die keine oder 
nur unbedeutende Beschwerden macht, nicht orthopädisch zu be¬ 
handeln. Die folgenden Bemerkungen in diesem Abschnitt bringen 
nichts Neues. 

K. hält es nicht für leicht, die Diagnose auf Haematocele 
retrouterina in allen Fällen sicher zu stellen, er warnt vor 
Ueberschätzung der diagnostischen Leistungen in dieser Hinsicht 
und bringt einige ausführliche Krankengeschichten, welche diese 
Ansicht erläutern sollen. 

Die Ausschneidung «les Warzenhofes bei Hohlwarzen hat 
K. dreimal ausgeführt. Die Berechtigung dazu ergiebt sich aus der 
Unmöglichkeit, die in engen Krateröffuungen versteckten Warzen 
in dem Puerperium durch irgend ein Mittel ganz sichtbar zu 
machen. Auch während der Schwangerschaft kann die Operation 
ohne Gefahr unternommen werden. Das Resultat der Operation, 
der Abtragung des überwallenden Hofes ist die Bildung einer 
flachen Warze. 

Seit 1881 hat K. in der Heidelberger Klinik nach einander 
Carbol, Sublimat und nach Crede 2°/o Höllensteinlösuugen zur 
prophylaktischen Behandlung der Blenorrhoea neonatorum be¬ 
nutzt. Seine Erfahrungen haben ihn veranlasst, dem Crede’sehen 
Verfahren dauernd zu huldigen. 

Vocke. Die Zuckerkrankheit. Berlin und Neuwied, Heuser. 

1887. 88 Seiten. Ref. Alexander. 

Der Verfasser, früher selbst Diabetiker, Besitzer einer Heil¬ 
anstalt und Pension für Kranke und Reconyalescenten in Baden- 
Baden, besitzt unzweifelhaft auf dem Gebiete der Diabetesbehaml- 
lung eiue reiche Erfahrung, welche er in dem vorliegenden Buche, 
unter Benutzung der vorhandenen Forschungsresultate, ganz be¬ 
sonders gebildeten Zuckerkranken in nutzbringender Weise zugäng¬ 
lich machen will. Diese Absicht zu erreichen dürfte dem Verfasser 
im Grossen uud Ganzen auch gelungen sein. Es werden nach ein¬ 
ander das Wesen und die Erscheinungen der Krankheit, darauf die 
Behandlung, ganz besonders die Diät, welche für den Diabetiker 
die geeignetste ist, kurz dargestellt. Diejenigen Abschnitte, welche 
der Behandlung des Diabetes gewidmet sind, scheinen uns besser 
gelungen, als diejenigen, welche von dem Wesen und den Erschei¬ 
nungen der Krankheit handeln. Manche Unklarheiten des Aus¬ 
drucks, welche sich in den letztgenannten Abschnitten finden, sind 
wohl dem Bestreben entsprungen, möglichst kurz und dabei doch 
populär zu schreiben. Eine besondere Abneigung bekundet der 
Verfasser gegen Carlsbader oder ähnliche Brunneuouren beim Dia¬ 
betes. Wenn es nun auch sicher ist, dass in Carlsbad der Diabetes 
nur ganz ausnahmsweise einmal geheilt wird, so stiftet eine Carls¬ 
bader oder ähnliche Brunnencur immerhin auf eine gewisse Zeit 
einen nicht zu unterschätzenden Nutzen, namentlich in solchen 
Fällen, in denen der Kranke aus socialen Gründen nicht im Stande 
ist, seiner Krankheit in seiner ganzen Lebensweise in der Heimath 
genügend Rechnung zu tragen oder für längere Zeit sich in eine 
Heilanstalt für Diabetiker zu begeben. Die schädlichen Folgen 
einer solchen Brunnencur bei Diabetes kommen in der Praxis nicht 
so häufig zur Beobachtung, als man dies nach der Darstellung des 
Verfassers erwarten sollte. Aber allerdings hat der Verfasser wohl 
recht, wenn er vor einer schematischen, unterschiedslosen oder 
übertriebenen Anwendung derartiger Brunnencuren warnt. Das In¬ 
dividualismen ist beim Diabetes ganz besonders wichtig, ein Grund¬ 
satz, von welchem der Verfasser sich in jedem Falle und in jeder 
Beziehung hüten lässt. Die hauptsächlichen Principien seiner Be¬ 
handlung sind Muskelbewegung, reine Luft, Hautoultur, eine ratio¬ 
nelle Diät. Dem Buche ist ein Prospect der von dem Verfasser 
geleiteten Heilaustalt am Ende beigefügt. 


E. Anderstem und G. Eckler. Hausgymnastik für Gesunde 
und Kranke. 102 S. Berlin, Th. Chr. Fr. Enslin, 1887. 

Die Verfasser der vorliegenden Hausgymnastik heben hervor, 
dass die Uebungen zunächst dazu dienen sollen, die Gesundheit zu 
erhalten und zu kräftigen und vor Erkrankung zu bewahren. Ge¬ 
wiss sind dieselben auch wohl berechtigt darauf hiuzuweisen, dass 
in vielen Fällen diese Uebungen geeignet sind, krankhafte Zustände, 


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234 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 12 


wie Schwäche der Athmungsorgane, Unterleibsstockungen, Fettleibig¬ 
keit etc. zu bessern und zu beseitigen. Ueber die Zulässigkeit der¬ 
selben bei ernsteren Störungen der Gesundheit sei der Rath der 
Aerzte einzuholen. Ueber den Nutzen der Hausgyronastik ist gewiss 
nicht zu rechten, und das vorliegende Werkchen verdient um so 
mehr Beachtung, als es sich in den Empfehlungen seiner Anwendung 
in den richtigen Grenzen hält und vor Allem durch klare Anwei¬ 
sungen, welche durch naturgetreue Bilder, wirklich ausgefflhrter 
Uebungen unterstützt werden, auszeichnet. Dem Buch ist eine über¬ 
sichtliche Zusammenstellung der in den Text eingedruckten Figuren, 
sowie ein vollständiges Verzeichniss der Uebungen als besondere 
Tafel beigegehen. 

Vni. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 20. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden; Schriftführer: Herr A. Fraenkel. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

Als Gäste anwesend: Herr Dr. Kuthe aus Breslau, Herr Dr. 
<). Israel (Berlin). 

Zur Tagesordnung erhält das Wort: 

Herr E. Senger (als Gast): Experimentelle und bacterio- 
logisohe Untersuchungen zur Aetiologie des Caroinoms. Man 

ist in der heutigen Zeit, welche man sehr gut die ätiologische Aera 
der Medicin nennen könnte, sehr leicht geneigt, das Carcinom als 
infectiös aufzufassen, nicht infectiös in dem epidemischen Sinne, wie 
man etwa von Infectiosität der Cholera, des Typhus spricht, sondern 
in dem Sinne, dass ein Agens von aussen in den Körper hinein- 
komrat und dort die typischen carcinösen Wucherungen anregt. Die 
Gründe für diese Ansicht möchte ich, da ich sie in keinem Lehr¬ 
buche und in keiner Abhandlung zusamraengestellt finde, mir aufzu¬ 
zählen erlauben: 

Wenn wir den Verlauf und die Verbreitungsweise eines Mamma- 
carcinoms betrachten, so fällt uns auf, dass die carcinomatöse In¬ 
filtration entlang den Lymphbahnen geht, dann in den Lymphdrüsen 
der Achselhöhle Halt macht, dort Knoten entwickelt, dann weiter 
geht und die Supraclaviculardrüsen ergreift. Wenn wir für die 
krebsige Infiltration eine Phlegmone oder, histologisch ausgedrückt, 
eine kleinzellige Infiltration setzen, so haben wir ziemlich dasselbe 
Bild der Verbreitung. Diese Constanz, diese Gleichmässigkeit in 
der Verbreitung, auf welche zuerst Virchow aufmerksam gemacht 
hat, ist für infectiöse Processe ziemlich charakteristisch. Ja, ebenso 
wie wir bei der Phlegmone Metastasen haben, so sehen wir auch 
beim Carcinom Metastasen, welche alle möglichen Orte des Körpers 
befallen, Leber, die Lungen, die Wirbelsäule u. s. w. Ich kann mir 
nicht vorstellen, wie das anders zu erklären sei, als dass das Krebs¬ 
gift oder Agens oder was sonst Sie wollen in dem Körper kreist 
und nach verschiedenen Stellen desselben abgelagert wird und 
weiter wuchert. 

Als zweiten Anhaltspunkt möchte ich diejenigen Fälle von all¬ 
gemeiner Carcinose anführeu, welche unter Fieber und unter Störun¬ 
gen der Digestions- und Respirationsorgane in kurzer Zeit tödtlich 
verlaufen. Bei der Section findet man ein Bild, welches so ähnlich 
dem der allgemeinen Miliartuberculose ist, dass mau leicht beide 
verwechselt und die Carcinose für Tuberculose hält. Ich bin in der 
Lage, Ihnen ein Präparat eines Darmdurchschnittes von einer allge¬ 
meinen Miliarcarcinose demonstriren zu können. Makroskopisch 
sehen Sie auf der Serosa ein Knötchen so gross wie ein Miliar¬ 
tuberkel. Unter dem Mikroskop werden Sie deutlich die Krebs¬ 
zellennester erkennen, so dass kein Zweifel an dem Carcinom auf- 
treten kann. Diese Tausende von Krebsknötchen in allen Organen 
des Körpers können wir nur begreifen, wenn wir annehmen, dass 
zu gleicher Zeit eine Menge des Krebsgiftes in den Blutstrom ge¬ 
langt und nach allen Orten embolisch verschleppt wird. Nun kennen 
wir ja aus der allgemeinen Pathologie seit Virchow’s klassischen 
Versuchen multiple Embolieen. Aber dieselben reizen höchstens das 
afficirte Gewebe zu reactiver Entzündung an. Hier, bei den carci- 
nüsen Embolis, wuchern dieselben weiter und ergreifen das innen 
liegende Gewebe. 

Ja, ich kann sogar noch etwas weiter gehen mit meinen Fol¬ 
gerungen, ohne zu hypothetisch zu werden. Wir könneu mit Be¬ 
stimmtheit sagen, dass das Krebsgift, das kein Bacillus zu sein 
braucht — wir kommen darauf noch zurück — kleiner seiu muss 
als der Durchschnitt der Lungencapillaren; denn wenn man an¬ 
nimmt, dass dasselbe nach verschiedenen Orten embolisch verschleppt 
wird, so muss es die Lungencapillaren passirt haben. 

Der dritte Grund liegt auf dem Gebiete der Chirurgie. Es sind 
die Fälle von Tlieer-, Paraffin- und Schornsteinfegerkrebs, auf welche 
Volk manu in richtiger Erkennung der ätiologischen Verhältnisse 


uns aufmerksam gemacht hat. In diese Fabriken kommen kräftige 
junge Leute hinein und bekommen bei der Arbeit Eezerae, die, 
wenn die Arbeit ausgesetzt wird, sofort wieder verschwinden, die 
aber, wenn die Arbeit weitergeführt wird, chronisch werden und iu 
verschiedenen Formen der Hautentzündung auftreten. Es entstehen 
so auch papilläre Wucherungen und dann mitunter multiple Carei- 
norae an Orteu, wo sonst der Krebs eine grosse Seltenheit ist, näm¬ 
lich an der Ober- und Unterextremität. Es muss etwas zu den 
chronisch-hyperplastischen Processen, welche diese Theerarbeiten 
verursachen, hinzukommen, damit der gutartige Charakter geändert 
wird. Dieses „Etwas“, wenn wir es Agens oder Bacillen nennen 
wollen, muss in einer gewissen Beziehung zum Theer und 
Paraffin stehen. Es muss mit anderen Worten dieses Agens von 
aussen in die entzündete Hautstelle hineinkommen. Wir könneu 
nicht annehmen, wie das früher geschah, dass die veränderte Con¬ 
stitution des Körpers oder der veränderte Chemismus der Zellen 
von innen nach aussen das Carcinom hervorruft, sondern dass das 
Gift von aussen nach innen dringt und unbegrenzt weiter wuchert: 
kurz, dass das Carcinom infectiös ist. 

Sie könnten mich an eine Reihe anderer Gründe erinnern, so 
z. B. an den sehr interessanten Fall von v. Bergmann, wo bei 
Carcinom der Unterlippe gleichsam durch Contactwirkuug auf der 
Oberlippe auch ein Carcinom entstand, ferner daran, dass nach 
Punction einer carcinomatösen Peritonitis die Wucherung dem Stich¬ 
canal entlang nach aussen ging, dann an die Fälle von James 
Israel, wo nach primärem Krebs der Zunge oder Waugeuschleim- 
haut ein secundäres Carcinom des Oesophagus und Magens sich ge¬ 
bildet hat. Ich will nicht sagen, dass diese Fälle nicht durch Iu- 
fection entstanden sein könnten, ich glaube aber, sie sind nicht 
recht beweiskräftig. Soll es uns wundern, dass die Wucherung bei 
der Punction dorthin erfolgt, wo die geringsten mechanischen Wider¬ 
stände vorhanden sind? d. h. ira Punctionscanal, und können die 
anderen Carciuome nicht zufällig entstanden sein, ohne Beziehung 
zu dem primären Krebs? 

Es ist nun eine eigentümliche Sache mit dem Carcinom. Wir 
können allein schon nach unseren histologischen Studien mit ziem¬ 
licher Sicherheit behaupten, dass der Erreger des Krebses kein 
Bacillus, kein Coccus, ja überhaupt kein Bacterium se in 
kann, wenigstens kein Bacterium von den Eigenschaften, 
welche wir bisher an diesen kennen gelernt haben. Denn 
alle pathogenen Pilze regen wohl exsudative, eitrige Processe an, ja 
auch Tumoren; aber alle diese pathologischen Störungen sind immer 
homologer oder homöoplastischer Natur. 

Ueberall, wo ein Tuberkelbacillus hingelaugt, kann sich im 
Körper ein Tuberkel bilden, denn Bindegewebe resp. fixe Zellen und 
Rundzellen sind überall vorhanden; und der Tuberkel besteht doch 
nur aus einer Menge von Rundzellen und epitheloiden Zellen, deren 
Histogenese allerdings noch nicht übereinstimmend beurteilt wird. 
Ein faustgrosser actinomycotischer Knoten ist nur eine Summe von 
Rundzellen neben colossal gewuchertem Bindegewebe, das immer 
schon vorhanden ist. 

Bei dem Carcinom ist dies ganz auders. Hier treten an Orten, 
wo Epithelien gar nicht vorhanden sind, nicht nur Epithelien, 
sondern eiu ganz typischer Epithelbau von Zellennestern und Strängen 
auf, und zwar oft von wunderbarer Gleichmässigkeit. Ich erlaube mir 
Ihnen ein Carcinom der Lymphdriise, welche bekanntlich keine 
Epithelien besitzt, zu demonstriren, in der Sie nicht nur die Epi¬ 
thelzellennester sehen, sondern, was sehr bedeutungsvoll ist, in 
ihnen die bekannten Verhornungspartieen, wie sie sonst nur in Horn- 
carcinomen der Haut und Hautgebilde beobachtet werden. 

Wir kennen nun, m. H., keinen Pilz, welcher im Stande wäre, 
so fundamental die Structurverhältnisse zu ändern, dass 
aus einer Bindegtwebszelle eine Epithelialzelle wird oder, wie 
Virchow das ausdrückt, eine so bedeutungsvolle Metaplasie zu be¬ 
wirken. Mit anderen Worten: es giebt bis jetzt kein Bacterium, 
welches heteroplastische Processe hervorzurnfen im 
Stande wäre. 

Und sollten wirklich spätere Untersuchungen, die natürlich 
richtig angestellt sein müssen, einen Bacillus als den Erreger des 
Carcinoms ergeben, dann muss dieser Bacillus nothwendig in eineui 
gewissen Verhältnis zur Zelle, oder sagen wir auf Grund der 
kariokinetischen Studien, zu dem Kern oder einem Kerntheilchen 
stehen. Nach dieser Theorie, w'elche ich mir auf Grund meiner 
Studien und Experimente gebildet habe, könuen Sie sich, m. H., 
sehr gut erklären, dass diese Kerntheilchen, die ja kleiner sein 
können, als die Lungencapillaren, eiubolische Metastasen setzen 
und dass sie heteroplastische Neubildungen aunehmen 
könneu. 

Jedenfalls müssen wir einen ganz complieirten Mechanismus 
in der Aetiologie des Carcinoms annehmen. 

Diese Ueberlegungen geben Ihnen ein Bild von den Schwierig¬ 
keiten, die sich einem bei der Erforschung der Aetiologie des Car- 


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2*2. Mürz. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


235 


rinoms entgegengestellen, sie geben uns aber auch eine Directive, I 
wohin wir unsere Bestrebungen richten sollen. I 

Oie Frage ist viel schwieriger als die Frage der Aetiologie der j 
Tuherculnse zur Zeit Salomonsen’s und Cohnheim’s vor Koch. 
Damals war durch exacte Versuche festgestellt, dass die Tuberculose 
von Thier auf Thier, von Mensch auf Thier übertragen werden 
könnte. Cohn hei in sagte in seiner Leipziger Antrittsrede, dass ein 
belebtes organisirtes Wesen der Infectionstriigcr sein müsse. 

ln der Carcinomätiologie ist die Uebertragungsfähigkeit noch 
gar nicht ernstlich geprüft worden. Ich kann behaupten, dass von 
allen angeblich positiven Impfungen keine einzige einer ernsten 
Kritik Stand hält. Ja es gibt nur sehr wenige Versuche, welche 
unanfechtbar angestellt sind, ganz abgesehen von dem Erfolg. Alle 
früheren Experimente sind daran gescheitert, dass sie nicht frei von 
Entartungen und Pyämie waren. 

Die Untersucher bekamen multiple Eiterherde, die sie als 
multiple Carcinose ansahen. Nun werden immer die Fälle von 
Langen heck in’s Feld geführt. Langen beck hatte unmittelbar 
nach der Opeiation eines Mamiuacarcinoms den Saft mit Kochsalz¬ 
lösung verrührt und einem Tliiere in eine Vene gespritzt. Er fand 
nach 2 Monaten, dass 2 nicht ganz linseugrosse Knötchen der Lunge 
und Milz sich gebildet hatten, die er als Carcinome ansprach. 
Studirt mau aber die Geschichte des Carcinoms. so weiss man, dass 
damals die Careinomfrage in eine Verwirrung und Dunkelheit ge- 
rathen war. wie kaum irgend ein Gebiet der Mediein. 1834 ver¬ 
öffentlichten Schwann und Schleiden ihre epochemachenden 
Entdeckungen. 1837 hat .loh. Müller erst die ersten Versuche 
zemacht, die sämintliehen Geschwülste histologisch zu gruppiren. 
Grade damals, als Langeubeck diese 2 Knötchen als Carcinome 
ansprach, bemühten sich die Heroen unserer Wissenschaft, Virchow. 
Henle. Remak. Hannover, einmal erst den histologischen Charak¬ 
ter des Carcinoms festzustellen. 

Mau träumte damals von geschwänzten Zellen, von specifischeu 
Krebszellen und anderem mehr, und es ist das Verdienst Virchow’s 
grade hier hinein Licht und Klarheit gebracht zu haben. 

Wenn wir erst angefaugen haben, unsere bacteriologischen 
Studien mehr physiologisch zu treiben, die Beziehungen der Zellen 
zu den Mikroben zu studiren, eine Forderung, welche Virchow 
kürzlich klar ausgesprochen, dann werden die Kämpfe, welche 
Virchow in dieser Sache geführt hat. noch mehr als jetzt an¬ 
erkannt werdeu. Dann treten mit einem Schlage die alten Streit¬ 
fragen wieder hervor: Ist es möglich, dass, durch einen Mikro¬ 
organismus veranlasst, aus einer Bindegewebszelle eine Epithelzelle 
werden kann, oder dass eine Endothelzelle des Blutgefässsystems 
dieselbe Umwandlung erfahren kann? 

Für den Fall, dass Langenbeck die erwähnten Carcinome 
also wirklich richtig diagnosticirt hat so steht mir wieder die 
Autorität eiues Virchow zur Seite, welcher sagt, er hätte die 
Langenbeck’schen Abbildungen gesehen, sie imponirteu ihm als 
Krebse, welche dem Hunde gehörten, aber nicht dem Menschen, 
d. h. also, dass sie nicht durch Embolie von Menschenkrebsstücken 
entstanden wären. Man muss sehr vorsichtig bei diesen Versuchen 
sein, weil die Hunde sehr häufig an Carcinomen leiden. Prof. 
Fröhner theilte mir privatim mit. dass 25O/o aller alten Hunde ein 
Maniraacareinom hätten. 

Meine Herren! Bei dieser Sachlage gestatten Sie mir. dass ich 
Ihnen von meinen eigenen Impfungen und Untersuchungen kurz be¬ 
richte. welche ich im Dr. Weigert’sehen Laboratorium angestellt 
habe. Für die Liberalität mit der Herr Dr. Weigert mir das 
sämmtliche lebendige und todte Impfmaterial zur Verfügung ge- 
stellt hat. sage ich ihm auch hier meinen besten Dank. Ich will 
Ihnen nur ein einziges Protokoll verlesen, weil die anderen ziemlich 
genau mit demselben nbereinstirainen. 

Am 14. Deeember wird ein kleinlinseugrosses Stück eines Carcinoms 
nach der Exstirpation einer weissen Maus unter die Rückenhaut gebracht, 
iiachdem die Haare abrasirt. die Stelle mit Sublimat desinficirt, das Sublimat 
mit Alkohol und dieser mit Aetber entfernt worden war. Am 18. Deeember 
beginnende Fixirung des Stückchens an der Oberhaut. Ich betone, dass 
keine Eiterung vorhanden war, weil alle früheren Autoren mit der Eiterung 
zu kämpfen hatten. Ain 3. Januar: das Carcinomstück ist etwas vergrössert, 
mit der Haut untrennbar verwachsen, locker mit den Unterhautbindegeweben, 
wo es si- h leicht verschieben lässt, Maus munter. Am 8. Januar ein bohnen- 
grossos Stück zu fühlen, hart, Maus durchaus munter. Am 11. Januar: das 
Stück ist unter der t'utis wieder kleiner zu fühlen, ist aber noch grösser 
al> das ursprünglich eingefügte Stück, wird herausgeschnitten. (Demon¬ 
stration,-. Sie werden mikroskopisch sehen, dass es so ziemlich abgekapselt 
ist. dass im Centrum eine homogene, structurlose Zone ist, dann kommt 
eine Zelle, in der hauptsächlich Rundzellen zu sehen sind, endlich eine 
Zone von kern- und saftreichem jungen Bindegewebe. Es dringen Gefässe 
und weisäe Blutkörperchen in’s Carcinom hinein und zerstören die Carcinom- 
zellen. Es degeneriren die Carcinomzellen, von der ursprünglichen Structur 
ist nichts mehr zu sehen. Schliesslich bleibt weiter nichts als eine feine 
Narbe an der Stelle der Impfung. 


Es kommt auch vor, dass nach Verwachsung mit der Haut und 
nach der Vergrösserung der Tumor immer weiter an die Oberfläche 
rückt, diese zur Ulceration bringt und endlich ansgestossen 
wird. Auch davon kann ich ein Präparat vorlegen. Dasselbe er¬ 
folgt bei Kaninchen und Hunden, ob man uun in Bauchhöhle oder 
sonst wo einimpft. Diese Vergrösserung der eingeimpften Stücke, 
spricht sie nicht dafür, dass das Careinoin doch den Willen hat zu 
wuchern, und dass nur die Energie der Zellen den Kampf erfolg¬ 
reich geführt hat? Das kann ich nicht bestätigen, denn dasselbe 
Bild finden wir, wenn wir physiologische Gewebe auf dieselbe Weise 
verpflanzen, also wie ich es gethan habe, eine Lymphdrüse oder 
ein Stück einer Brustdrüse. Ich möchte nun aber nicht den Glauben 
erwecken, als ob ich es für unmöglich halte, Carcinomstücke erfolg¬ 
reich zu impfen; ich fühle vielmehr, dass ich viel zu wenig Experi¬ 
mente angestellt habe, und ich möchte, dass viele Herren gleichzeitig 
diese Impfungen vornehmen; man muss dabei aber nicht schematisch 
zu Werke gehen. So viel kann ich sagen, dass wir nach der ge¬ 
wöhnlichen Art der Impfung kein Carcinom erzeugen können, son¬ 
dern, dass die Vergrösserung nur dadurch erfolgt, dass Rundzellen 
und Blutgefässe iu das ursprüngliche Carcinom eindringen, dass 
aber eine selbstständige Wucherung von Seiten des Carcinomstückes 
nicht stattfindet. 

Wir müssen also, um zu einem Ziel zu gelaugen, die Methode der 
Impfung ändern, z. B. eine andere Eingangspforte wählen — Koch 
konnte z. B. nur vom Duodenum der Thiere aus die Cholera er¬ 
zeugen —, oder wir müssen vielleicht das Carcinom in einem be¬ 
stimmten Stadium der Wucherung nehmen, oder ein histologisch 
bestimmtes Carcinom — vielleicht ist das Gift in anderen Formen 
abgeschwächt —, aber es muss uns gelingen, endlich in dieser Hin¬ 
sicht zum Ziel zu gelangen. Ich kann zu meinen Experimenten 
noch hinzufügen, dass, als die Thiere in ungünstige hygienische 
Verhältnisse gebracht wurden, der Erfolg auch nicht besser wurde. 
Der Diener liess gegen unseren Willen einmal die Thiere fast ver¬ 
hungern, sie starben in grosser Anzahl, aber die Ueberlebeuden be¬ 
kamen kein Carcinom. Solange wir aber diese erste Grund¬ 
frage bezüglich der Uebertragbarkeit des Carcinoms von 
Thier auf Thier oder Mensch auf Thier nicht gelöst 
haben, ist jede weitere Untersuchung fast aussichtslos. 
Und doch, m. H.! welcher Anatom oder Bacteriologe hätte noch 
nicht ein Stück Carcinom auf Bacillen durchforscht und Impfungen 
angestellt? 

Ich habe mich trotzdem lange gefragt, ob ich eine Arbeit von 
deren negativem Resultat ich von vornherein überzeugt sein musste, 
die aber doch viel Mühe und Zeit kostet, unternehmen sollte. Da 
aber von Stabsarzt Schill, von Prof. Domingos Freire, von Perrin 
und noch von zwei anderen Autoren ein Carcinombacillus gefunden 
wurde, da neulich weiter aus der Ziemssen’chen Klinik Dr. Franke 
für denselben Bacillus die Priorität in Anspruch nehmen wollte, und 
weiter sogar ein doch gewiss verdienter Forscher, Herr Direktor 
Guttmann, für den Scheurlen'schen Bacillus eintrat, da wollte 
ich selbst über denselben mir Klarheit verschaffen. 

Aber es war mir unmöglich, die Gesetze der Bacteriologie und 
unsere sonstigen Erfahrungen mit den Eigenschaften dieses Bacillus 
in Einklang zu bringen, und daher stellte ich mir von vornherein 
die Frage nicht also: Wir müssen jetzt die Biologie des Scheur- 
len’schen Bacillus studiren, sondern: Was ist das für ein Bacillus, 
gehört er zu den bekannten oder zu den unbekannten Bacterien? 
Ich will nun, M. H.! auf eine Kritik der Arbeit von Seheurlen 
nicht eingehen, weil ich Ihnen zeigen zu können hoffe, dass 
I Seheurlen nnr in der Benennung des Bacillus sich geirrt habe. 
Was zunächst die Deckglaspräparate betrifft, so habe ich eine ziem¬ 
liche Anzahl von diesen jetzt und früher untersucht; ich habe 
aber niemals irgend etwas entdeckt, ich habe nur ziemlich viel 
Fetttröpfchen gesehen, die in der That sehr schwer von Sporen 
zu unterscheiden sind. Ich habe mich aber vor diesem lrrthnm 
dadurch zu bewahren gesucht, dass ich das Fett durch Aether und 

j Chloroform extrahirte. Nur muss man das nicht unter dem Deck- 

; gläschen thnn, sondern in einem Reagenzgläschen ein Stückchen 
| energisch schütteln, oder dasselbe einige Tage in Aether und 

I Chloroform liegen lassen. Man kann sich dann überzeugen, dass 

die Fetttröpfchen versehwindeu. 

Bevor ich nun auf die eigentlichen bacteriologischen Unter¬ 
suchungen eingehe, komme ich einer angenehmen Pflicht nach, ver¬ 
schiedenen Herren meinen gehorsamsten Dank für die Ueberlassung 
des Carcinommaterials auszusprechen. Herrn Prof. Küster vom 
Augustahospital. Herrn Dr. Israel aus dem Jüdischen Kranken¬ 
hause, Herrn Direktor Hahn vom Friedrichshain, Herrn Prof. Rose 
aus Bethanien, den Herren Professoren Fürbringer und Senator, 
die mir Ascitesflüssigkeit überliessen, endlich Herrn Prof. Früh ner. 
von der thierärztlichen Hochschule. Feruer fühle ich mich den 
Herren DDr. Barth undSchwass für ihre oftmaligen Bemühungen 
zu grossem Danke verpflichtet. 


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236 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 12 


Ich arbeitete zunächst gerade so wie Scheurlen, zugleich habe 
ich aber fast alle anderen. Nährböden benutzt: Gelatine, Agar oder 
Coinbinationeu beider, Ascitesfl Ossigkeit flüssig oder erstarrt, Ham¬ 
mel- und Rinderblutserum, Kartoffel. 

Im Ganzen habe ich 10 Caro.inome erhalten und geimpft, davon 
waren 2 etwas alt in meine Hände gekommen und darum nicht sehr 
zweckmässig zu verwerthen. 

Ferner habe ich den Pilzen mehr Gelegenheit zum Wachsen 
gegeben als Scheurlen, indem ich immer Stücke von Careiuom 
mitunter so gross wie eine grosse Kirsche übertrug. Ich möchte 
mir erlauben, Ihnen eine Reihe solcher Impfungen zu demonstriren 
(Geschieht). Ich habe gleichzeitig die Bacterien darauf geprüft, ob 
sie anaerob oder aerob sind, ich verpflanzte sie in Gelatine und Hess 
diese darüber erstarren. Wenn ich Sie nun versichere, dass ich weit 
mehr als 200 Impfungen angestellt habe, so werden Sie mir wohl 
zustimmen, wenn ich folgenden Satz aufstelle: 

„Es gelingt mit allen unseren heutigen Nährböden 
und Methoden nicht, einen Bacillus oder überhaupt ein 
Bacterium aus einem Carcinom zu züchten, welches in 
einem ätiologischen Verhältnis zu dem Carcinom steht.“ 
Dabei ist natürlich die Möglichkeit, dass ich aus dem Carcinom 
Coccen oder Bacterien finde, nicht ausgeschlossen. Es brauchen 
diese auch gar nicht einmal durch Verunreinigung hineinzukommen. 
Es ist sehr leicht möglich — wir wissen das von anderen Untersuchun¬ 
gen her —, dass die Coccen in die Gänge der Brustdrüse eintreten und I 
dann natürlich gezüchtet werden können. So liegt aber die Sache 
bei Scheurlen nicht. Er hat angegeben, dass er in l /a der Fälle j 
eonstant den Bacillus findet. 

Die Beantwortung der Frage, was dieser Bacillus von Sch cur- i 
len ist, ist durchaus nicht so einfach, wie man a priori annehmen [ 
könnte; ich brauche Sie blos daran zu erinnern, dass Koch heute 
immer noch Anstand nimmt, die Bacillen der Hühnercholera und 
«ler Kaninchcnsepticämie als identisch zu erklären, obwohl beide 
bis in’s Geringste übereinstimmen, morphologisch und biologisch und 
auch in der Einwirkung auf Thiere. Ich weiss also, dass ich eine 
gewisse Verantwortung übernehme, wenn ich folgenden Satz aus¬ 
spreche: 

„Ich behaupte, dass der Bacillus, welchen Scheurlen ge¬ 
züchtet und uns beschrieben hat, zu den harmlosen Kartoffelbacillen 
gehört“. 

Meine Herren! Es wird Ihnen bekannt sein, dass diese Kar- 
loffelbacillen sehr vagabundirende und nutzlose Gesellen sind, die 
sich überall herumtreiben; man findet sie im Staub des Fuss- 
bodens, in der Gartenerde, sie fühlen sich auch in den Fäces ganz 
wohl, am liebsten gedeihen sie auf Kartoffeln. 

Wir nennen Kartoffelbacillen eine Gruppe von Bacillen, welche 
zufälligerweise auf der Kartoffel sich finden und nicht pathogen 
sind. Es sind über diese Bacillen noch keine grossen Unter¬ 
suchungen angestellt, doch wäre dies eine recht dankbare Arbeit. 

In dem grossen Lehrbuch von Flügge werden nur vier Kartoffel¬ 
bacillen aufgezählt. Davon scheint die Beschreibung des Bacillus 
inesentericus fuscus noch am besten mit dem Scheurlen’schen 
übereinzustimmen. 

Wenn wir diesen Collectivbegriff der Kartoffelbacillen beibe- 
lialten wollen, so wäre es vielleicht zweckmässig, alle jene Bacillen 
unter diese Rubrik zu bringen, welche 1) morphologisch, besonders 
iu der Sporenbildung, dem gewöhnlichen Kartoffelbacillus (B. me- 
senter. vulgär. [Flügge]) gleich sind; 2) nicht pathogen sind; 

3) auf der Kartoffel wellig und runzlich, mesenterialähnlich 
wachsen; 4) die Gelatine verflüssigen und vielleicht eine Haut auf 
derselben erkennen lassen. 

Alle diese Bedingungen erfüllt der Scheurlen’sche Bacillus. 
Ich habe einmal denselben Bacillus gezüchtet, als ich ein Carcinom- 
stück direkt auf Kartoffel übertrug. Er wucherte in 24 Stunden 
«licht neben dem Carcinomstück. so dass man leicht zu der Ver- 
muthung kommen konnte, dass derselbe aus dem Carcinom heraus¬ 
gewachsen sein möchte. Da ich ihn aber bei meinen sonstigen 
zahlreichen Impfungen nicht gefunden habe, so wollte ich die Frage 
garnicht untersuchen, ob der Bacillus nicht zufällig — natürlich 
als nebensächlich und nicht specifisch — einmal auch im Carcinom 
der Brustdrüse sich befinden könne, sondern ich verglich dieselben 
mit den Kartoffelbacillen und kam zu obigem Resultat. Nach 
Abschluss meiner Untersuchungen war College Scheurlen so 
liebenswürdig, mir eine Cultur zur Verfügung zu stellen, und ich 
konnte noch bis zum heutigen Vortrage Vergleiche damit anstellen. 
Ich habe 1) den gewöhnlichen Kartoffelbacillus, 2) den neben dem 
einen Carcinomstückchen gezüchteten Kartoffelbacillus, 3) eiuen 
gerade so wie der Sch eurlen’sche wachsenden Kartoffelbacillus 
und 4) den Scheur len'scheu originaliter, auf Kartoffeln gezüchtet, 
mitgebracht, die Herren können sich von der Aehnlichkeit resp. 
Identität überzeugen. Dieselben, sowie irgend ein Impfungsgläschen, 
stehen zur allgemeinen Verfügung. 


Meine bacteriologischen Resultate sind also gänzlich negativ 
ausgefallen. Ich glaube auch nicht, dass es möglich sein wird, in 
kürzester Zeit die Frage der Carcinomätiologie zu erledigen. Wenn 
wir zunächst die erste unabweisliche Forderung, welche in 
dieser Frage gestellt werden muss, nämlich die erfolgreiche Ueber- 
tragbarkeit, glücklich erfüllt haben, dann werden wir einen Mikro¬ 
organismus oder ein organisirtes Wesen nur daun finden, wenn 
wir die Züchtungsmethoden physiologisch geändert haben. Für 
uns Aerzte hat Koch doch darum nicht so Hervorragendes ge¬ 
schaffen, dass er einige Bacillen neu entdeckt hat, das haben auch 
Andere gethan, ich erinnere Sie z. B. an Bienstock, der die 
Eiweissbacillen aus den Fäces gezüchtet und ihre Beziehung zur 
Eiweissgährung klargelegt hat: wodurch aber Koch so unerreichbar 
dasteht und wodurch er so Hervorragendes geschaffen hat, ist 
seine geniale Fähigkeit, seine Züchtungsmethoden jedesmal den 
physiologischen Lebensbedingungen der einzelnen kleinsten Wesen 
anzupassen, dass er uns dadurch neue Bahnen angegeben hat, auf 
denen unzählige Andere erfolgreich weiter arbeiten können. Die 
Aetiologie des Carcinoms ist ein grosses, neues Ziel, dasselbe 
verlangt neue Methoden, neue Bahnen, die aber erst entdeckt 
werden müssen. (Schluss folgt.) 

IX. Aus dem allgemeinen ärztlichen Verein 

in Köln. 

Herr Leichtenstern: Ueber Darmversohliessung. 

a) Vortr. erwähnt in Kürze mehrere Fälle von Darrain vagi- 
nation, welche er in den letzten Jahren klinisch und anatomisch 
zu untersuchen Gelegenheit batte, darunter auch einen Fall, wo die 
von Herrn Professor Bardenheuer vorgenommene Laparatomi«* 
mit Desinvagination trotz sechswö«:hentlichem Bestände der Invagi- 
nation zur corapleten Heilung führte. 

An das vorgelegte Präparat einer anatomisch seltem-n, reinen 
„Invaginatio ileocolica*' knüpft sich ein besonderes klinisches Inter¬ 
esse. Der 3fijährige kräftige Patient, aufgenommen am 25. Sep¬ 
tember 1886, war 4 Tage vorher plötzlich mit intensiven Kolik¬ 
schmerzen erkrankt, seit 2 Tagen total obstipirt. Da Pat. angab, in 
den ersten beiden Tagen seiner Erkrankung blutige Ausleerungen 
gehabt zu haben, da in der Regio coecalis ein länglicher Tumor 
zu fühlen war, der bald hart und eminent deutlich palpabel, bald 
gänzlich verschwunden zu sein schien, da die Schmerzen nur zu 
gewissen Zeiten „paroxysmenweise“ auftraten, da in den schmerz¬ 
freien Intervallen der Druck auf die Regio coecalis ganz schmerz¬ 
los war etc. etc., so diagnosticirte Vortr. mit grösster Bestimmtheit eine 
Invagination des Darmes, wahrscheinlich eine I. „ileocoecalis“. 
Der Zustand des Kranken verschlimmerte sich; trotz Klysmata und 
energischen Lufteinblasungen erfolgte kein Stuhl, Meteorismus nahm 
immer mehr zu, das Erbrechen fing an übelriechend zu werden, 
so dass am 2. October beschlossen wurde, den Kranken zur Vor¬ 
nahme der Laparo- resp. Enterotomie der chirurgischen Klinik zu 
übergeben. Aber in der Nacht vom 2. zum 3. October öffnete sich 
plötzlich der Darm, massenhafte Fäces wurden entleert, und Patient 
befand sich aus einem höchst kritischen Zustand in den völliger 
Euphorie versetzt. Pat. erholte sich schnell, der Meteorismus war 
wie weggeblasen, täglich erfolgten normale Stühle, keinerlei 
Schmerzen mehr. Pat. verlangte seinen Austritt. Wiewohl noch 
eine deutliche „Härte“ in der Regio coecalis zu fühlen war, musste 
dem Verlangen des Patienten nachgegeben werden. Derselbe kehrte 
zu seiner Arbeit zurück. Diese rapide Besserung und „Heilung“ 
Hess Vortr. an der Richtigkeit seiner Diagnose Zweifel hegen, und iu 
der Krankengeschichte wurde die Diagnose: „Invaginatio ileocoecalis“ 
nachträglich mit einem kräftigen Fragezeichen versehen. Pat. be¬ 
fand sich volle 8 Mouate vollkommen wohl und arbeitete bis 
Eade Mai 1887. Um diese Zeit stellten sich wieder Leibschmerzen 
ein. Dieselben steigerten sich plötzlich am 2. Juni zu solcher . 
Höhe, dass Pat. von der Arbeit weg sich in’s Hospital fahren lassen 
musste, wo er bereits im schwersten Collapse mit enormem Meteo¬ 
rismus, pulslos, mit kaltem Schweisse bedeckt anlangte. Es wrarde 
die Diagnose: „Perforativperitonitis“ gestellt. Schon 36 Stunden 
später starb Patient. Die Section ergab: Perforativperitonitis, 
ferner eine alte Invaginatio ileocolica: Das unterste Ileum war 
durch das an seinem Platze gebliebene lleocoecalostium in das 
Colon invaginirt. Das 20 cm lange Intussusceptum stellte einen 
schwarzen derben Cylinder dar, dessen Canal nur von der wohl 
erhaltenen Spitze des Intussusceptum aus noch auf 8 cm durch¬ 
gängig war. Der übrige Canal war durch die Verquellung der 

invaginirten Häute und durch die der Necrose nachfolgende 
Verwachsung vollständig verschlossen. Am Halse der Invagi- 
uation befand sich eine 3 Finger durch lassende, mit soliden wohl 
vernarbten Rändern versehene, durch partielle nekrotische 
Abstossung des Intussusceptum hervorgerufene Oeffnung, durch 
welche der Kothlauf am Intussusceptum vorbei vom Ileum in^das 


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2*2. März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 237 


Coecura und Colon von Statten ging. Dieser Oeffnung entgegen¬ 
gesetzt fand sich dicht am Halse der Invagination, da wo das 
Intussusceptum noch festsass, eine kleine Perforation des Ileums, 
dadurch hervorgerufen, dass sich das Intussusceptum auch hier 
durch Nekrose abznstossen im Begriff war. Der Fall lehrt 1) dass 
sich durch eine partielle nekrotische Abstossung des Intus¬ 
susceptum am Halse der Invagination der Kothlauf wiederherstellen 
und dadurch der Anschein einer völligen Heilung eines Darm¬ 
verschlusses ergeben kann. 2) Dass ein nur partiell am Halse 
abgestossenes Intussusceptum noch 8 Monate lang adhäriren und 
persistiren kann, ohne krankhafte Erscheinungen hervorzurufen. 
3) Dass der von Schleimhautflächen gebildete Canal des Intus- 
susceptums nach nekrotischer Abstossung der Schleimhaut fest ver¬ 
wachsen kann. 

b) Das vorliegende Präparat von Knotenbildung zwischen 
einer 50 cm langen Dünndarmschlinge und einem über dem 
Po apart’sehen Bande breitbasig adhärentenjll cm langen Meckel- 
schen Divertikel ist besonders von anatomischem Interesse. Vor¬ 
tragender betont die Seltenheit von Einklemmungen durch Divertikel, 
wovon der vorliegende erst der dritte Fall seiner eigenen Erfah¬ 
rung ist. 

Der am 5. X. 1887 aufgeuommene 44jährige W. Wieland gab 
an, bereits zum dritten Mal an Kotherbrechen zu leiden, das erste 
Mal vor 9 Jahren, zum zweiten Male vor 4 Jahren. Vor 8 Tagen 
sei er plötzlich nach dem Mittagessen mit heftigen Leibschmerzen 
erkrankt und seitdem complet verstopft. Hochgradiger Meteorismus, 
Collaps, fäculentes Erbrechen. Wiederholte Anwendung der Magen¬ 
pumpe, welche bedeutende Mengen fäculenter Flüssigkeit entleert. 
Grosse Schmerzhaftigkeit des Abdomens. Diagnose: »Innere 
Darmver.Schliessung unbekannter Ursache, wahrschein¬ 
lich Pseudoligament (Baud, Spalte), da in grösseren Intervallen 
sich wiederholende Verschliessungen mit Ileus besonders gern in 
Pseudoligainenten ihren Grund haben, allgemeine Peritonitis“. Die 
wiederholt vorgeuommenen Ausspülungen des Magens hatten eine 
erhebliche Erleichterung des Kranken und die Möglichkeit der Auf¬ 
nahme von Nahrung und Wein erzielt. Auch der Meteorismus ver¬ 
minderte und der Puls hob sich, so dass von einem operativen 
Vorgehen Abstand genommen wurde, umsomehr, als Patient dem 
Vorschläge, auf die chirurgische Klinik verlegt zu werden, ein abso¬ 
lutes Veto entgegenstellte. Am 10. X. erfolgte der Tod. Die Section 
ergab einen äusserst complicirten Volvulus des untersten Ileums. 
Die Entwickelung und das geuauere Studium desselben erforderte 
ziemliche Mühe und Zeitaufwand, und es steht fest, dass im Falle 
der Laparotomie eine Entwickelung des Knotens kaum möglich 
gewesen wäre, so dass zur Enterectomie oder Anlegung eines 
künstlichen Afters hätte geschritten werden müssen. Die zwischen 
dem Coecnm und der Abgangsstelle des adhärenten Divertikels ge¬ 
legene unterste 50 cm lange Dünndarmschlinge hatte sich zunächst 
über das Divertikel gelegt und sodann durch die dadurch gebildete 
Lücke zwischen der Basis der Dünndarmschlinge und der Basis 
des Divertikels von unten nach oben fest durchgeschlungen. Das 
nun freie Ende der Schlinge hatte sich weiterhin durch eine läng¬ 
liche Spalte im Mesenteriolum des Divertikels hindurch begeben 
und mit dem freien Rande dieser Spalte einen zweiten festen Kno¬ 
ten geschürzt. Der eingeklemmte Dünndarm war an den betref¬ 
fenden . die circulare Einschnürung bildenden Theilen so fest an¬ 
gespannt, dass er bis auf Kleinfingerdicke verjüngt zunächst den 
Eindruck eines derben Bandes machte. Als solches würde er 
zweifellos auch im Falle der Laparotomie behandelt, d. h. durch¬ 
schnitten worden sein. Es handelt sich somit um eine doppelte 
Knotenbildung, 1) zwischen Divertikel und Ileum und 2) zwischen 
derselben lleumschlinge und dem freien, ligamentös verdickten 
Rande einer Spalte im Mesenteriolum des Divertikels. Vortr. erklärt 
die Art der Verknotung an schematischen Zeichnungen. 

Vortr. weistdarauf hin, dass Spalten und Lücken im Mesenteriolum 
von Divertikeln nicht selten sind; es handelt sich hierbei, wie Vortr. 
in seinem Artikel „Darmversohliessungen“ im v. Ziemssen’schen 
Handbuch (VII. Bd. 2. p. 443 ff.) ausführlich gezeigt hat, um 
embryonale Spaltbildungen. Es unterliegt wohl kaum einem 
Zweifel, dass die bei dem Kranken bereits zweimal in früherer 
Zeit beobachteten Anfälle von innerer Einklemmung mit Kothbrechen 
durch das Divertikel bedingt waren, freilich wohl kaum durch Knoten¬ 
bildung, als vielmehr durch Einklemmung in der Spalte des Mesen- 
teriolums des Divertikels. 

X. Journal-Revue. 

Augenheilkunde. . 

1 . 

W. Uhthoff. Untersuchungen über den Einfluss des 
chronischen Alkoholismus auf das menschliche Sehorgan, 
v. Graefe’s Arch. f. Ophthalm. XXXII, 4, p. 95 und XXXIII, 1, 
p. 257. 


Verf. giebt zunächst das Resultat der mikroskopischen Unter¬ 
suchung der Sehnerven von 6 Fällen von chronischem Alkoholisraus. 
Während des Lebens liess sich bei allen eine partielle Verfärbung 
der temporalen Papillenhälfte nachweisen, wie sie auf dem Gebiet© 
der Intoxicationsamblyopieeu und in Folge des chronischen Alkoho¬ 
lismus so häufig beobachtet wird, bei allen Fällen fanden sich ana¬ 
tomische Veränderungen der Sehnerven. Die früher constatirten 
Sehstörungen standen im Ganzen im Einklang mit der Intensität 
der pathologischen Veränderungen. Dieselben traten in Form einer 
interstitiellen Neuritis mit mehr oder weniger ausgesprochener 
Schrumpfung und secundärer Atrophie der Nervenfasern auf. Dieser 
Process liess sich in der ganzen Ausdehnung des Sehnervenstammes 
bis zum intracraniellen Theile nachweisen. Die interstitiellen Binde- 
gewebssepten zeigten eine ausgesprochene Verbreiterung und zum 
Theil geradezu eine enorme Mächtigkeit. Hierdurch kann es zu 
völliger Obliteration der Maschenräurae kommen, und an Stelle der¬ 
selben findet sich nur derbes sclerotisches Bindegewebe. Eine Kern¬ 
vermehrung im verdickten interstitiellen Biudegewebe war überall 
nachweisbar. Die Sehnervenscheiden und der Zwischenscheiden¬ 
raum zeigten sich im Wesentlichen normal, nur die innere Seh¬ 
nervenscheide war an einigen Stellen verdickt. Was die Lage der 
degenerirten Partie im Sehuerven anlangt, so hatte der Degenera- 
tionsheerd im vorderen Theile des Opticus eine Keilform. Die Spitze 
des Keils war nach den Centralgefässen zu gerichtet, um jedoch 
sehr bald und zwar schon bedeutend vor dem Eintritt der Central- 
gefässe in den Opticusstaram in die Sichel- und Halbmondform 
überzugehen. Alsdann nimmt der Degenerationsheerd eine aufrecht 
ovale Gestalt an und rückt mehr in das Centrum des Sehnerven- 
starames. In dem intracraniellen Theil des Opticus fand sich die 
degenerirte Partie im Centrum wieder in Form eines liegenden Oval, 
kurz vor dem Chiasma geht diese horizontale Lage in eine schief 
gestellte, diagonale von oben aussen nach unten innen über, im 
vorderen Theile des Chiasma liegen die Heerde zunächst noch und 
symmetrisch in jeder Hälfte, weiter nach hinten nähern sie sich 
mehr der Mittellinie und rücken mehr an die dorsale Fläche, sich 
durch communicirende atrophische Brücken immer mehr verbindend. 
Im hiuteren Theile des Chiasma findet sich ein oberer und unterer 
Degeneratiousheerd, welche durch eine dünne Lage nicht atrophischer 
Fasern getrennt sind; im Tractus fliessen beide Gruppen wieder zu¬ 
sammen und liegen central, sich mit ihrer Basis nach innen oben 
der Gehirnsubstanz zu erstreckend. 

Der zweite Theil der Arbeit enthält die Ergebnisse der Augen¬ 
untersuchung von 1000 mit schwerem Alkoholismus behafteten 
Individuen, sowie den ophthalmoskopischen Befund bei 100 Fällen 
von Intoxicationsamblyopie. Unter den Alkoholikern fand sich bei 
13,9% die erwähnte weissliche Verfärbung der temporalen Pupillen¬ 
hälfte. Etwa bei der Hälfte dieser Fälle liess sich keine wesent¬ 
liche Functionsstöruug nachweisen. Nur verhältnissmässig selten, 
bei 4 Fällen, zeigte sich ausser der ausgesprochenen Abblassung der 
temporalen Pupillenhälfte auch eine deutliche, wenn auch weniger 
ausgesprochene Entfärbung der inueren Pupillentheile. Sehstörungen 
ohne ophthalmoskopischen Befund fanden sich bei 9 Kranken, eine 
deutliche Hyperämie der Pupille bei 6 und Retinalhäjmorrhagieen 
7 Mal. 6 von den letzteren litten an Krampfanfällen, so dass die 
Annahme berechtigt ist, dass die Retinalblutungen mit dem 
Alkoholismus nichts zu thun haben. Eine leichte, aber deutliche 
pathologische Trübung der Pupille und auch der angrenzenden 
Retina liess sich bei 55 Fällen, 5,5%, constatiren. Sehstörungen 
waren dabei nicht vorhanden. 25 Mal zeigten sich die Pupillen 
verschieden weit, ebenso oft w r ar die Lichtreaction sehr gering und 
10 Mal ausgesprochene reflectorische Pupillenstarre auf Licht vor¬ 
handen, die Reaction auf Convergenz dagegen fast immer gut er¬ 
halten. Ausgesprochene Muskellähmungen fanden sich nur in 
3 Fällen und zwar immer doppelseitige Abchicensparese. 

Im dritten Theile wird zunächst der Alkoholismus in seiner 
ätiologischen Bedeutung auf dem Gebiete der Intoxicationsamblyopie 
bezw. der retrobulbären Neuritis abgehandelt. Unter 100 Fällen 
von Alkoholamblyopie fand sich bei 63 eine atrophische Abblassung 
der temporalen Pupillenhälfte, fast ausschliesslich Fälle, wo die 
Sehstörung länger als 6 Wochen bestand. Ohne Zweifel handelte 
es sich hier um eiue retrobulbäre Neuritis. In 8% zeigte sich eine 
leichte, aber deutliche Trübung der Pupille ohne Abblassung ihrer 
temporalen Hälfte, und 3 Mal coniplicirte sich dieser Befund mit 
einer ausgesprochenen Hyperämie derselben, ln diesen 8 Fällen 
handelte es sich 5 Mal um relativ frische Arablyopieen, nur 2 Mal 
hatte die Amblyopie schon eine längere Dauer, ln 28 Fällen (28%) 
war kein pathologischer Augenspiegelbefund zu constatiren. Es 
haudelte sich hier meist um frische Fälle, wo die Sehstörung nicht 
über 8 Wochen gedauert hatte. Dass auch in den beiden letzteren 
Gruppen der Grund der Sehstörung retrobulbäre neuritische Pro- 
cesse sind, ist ausser Zweifel. Die retrobulbäre Neuritis ist in der 
Mehrzahl der Fälle ein Symptom der Intoxicationsamblyopie. Unter 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 12 


23 « 


204 derartigen Fällen beruhten 138 auf Intoxication, und zwar fast 
ausschliesslich auf Alkohol- und Tabakmissbrauch. 

Weiter bespricht Verfasser das klinische Bild der Alkohol¬ 
amblyopie, sowie die Differentialdiagnose zwischen den Intoxications- 
amblyopieen und der nicht durch Intoxicatiou bedingten retro¬ 
bulbären Neuritis. Bei ersterer findet sich stets centrales Farben- 
scotom für Roth und Grün, manchmal auch für Blau, zuweilen 
■kommen auch absolute centrale Defecte vor. Die Erscheinuugen 
treten stets doppelseitig auf, die Sehschärfe ist immer herabgesetzt. 
Bei der nicht durch Intoxication bedingten retrobulbären Neuritis ; 
kommen derartige doppelseitige centrale Gesichtsfelddefecte nicht vor. t 

0. Beselin. Ein Fall von extrahirtem und mikrosko- j 
pisch untersuchtem Schichtstaar eines Erwachsenen. | 
Archiv für Augenheilkunde XVI11, p. 71. 

An dem linken einzigen Auge des 40jährigen Patienten war in 
<ler Jugend von v. Graefe wegen Schichtstaar Iridectomie, wegen 
Verschlechterung der Sehschärfe in dem letzten Jahre die Extraction 
der Linse von Schweigger ausgeführt. Das Sehvermögen war gut i 
nach Resorption und zweimaliger Discission der reichlich zurückge- i 
bliebeneuCorticalismassen. Mikroskopisch zeigten sich zwei kataraktöse ! 
Schichten, beide nicht ganz herumreichend; sie bestanden grüssten- 
theils aus Spalten zwischen den Linsenfasern und waren mit kör- [ 
nigen Massen angofüllt; an einzelnen Stellen bestand Degeneration ! 
der Linsenfasern selbst. Die Corticalis war normal: doch der Kern 
von zahlreichen kleinen ovalären Gebilden, anscheinend coagulirten 
Eiweisssubstanzen, durchsetzt, welche Beselin für wahrscheinlich 
postmortal hält, deren Auftreten ihm jedoch für eine schon intra 
vitam bestandene chemische Veränderung der Kernsubstanz im Ge¬ 
gensatz zur normalen Corticalis zu sprechen scheint. Beselin ist ! 
der Ansicht, dass man aus dem Befunde betreffs der Bildung des 
Schichtstaars — in Uebereinstimmuug mit der Becker'sehen Theo- j 
rie über die Entstehung des Altersstaares — anzunehmeu habe, ! 
dass die gesammte Linse, soweit sie in der betreffenden Periode 
schon gebildet ist, durch die rhachitische Ernährungsstörung chemisch < 
verändert werde. Die später noch sich um die vorhaudene Linse | 
herumlegende Substanz bleibe normal. Durch allmählich noch eine < 
gewisse Zeit lang fortschreitende Schrumpfung verkleinere sich der 
chemisch veränderte Kern und es komme zwischen ihm und der i 
Rindenschicht — wie beim Altersstaar — zur Bildung von Spalten, , 
welche durch Anfüllung mit moleeulären Massen die Entstehung ■ 
einer isolirten Kataraktzone zwischen Kern und Corticalis voran- ! 
lassen. Horstmann. 

Ohrenheilkunde. 

1 . 

Josef Pollak. Ueber die Function des Museulus 
tensor tympani. Medicinische Jahrbücher, N. F., Wien, 1886. 

Nach Stricker („Studium über Sprachvorstellungen, Wien 1880“ 
und „Du Langage et de la Musique, Paris 1885“) wird das Ver¬ 
ständnis der Töne durch eine vom acustischen Eindruck in uns 
ausgelöste Muskelinnervation vermittelt. Bringt man sich in un¬ 
hörbarer Weise eine Melodie zum Bewusstsein — gleichsam innerlich 
singend oder innerlich pfeifend — so machen sich die Vorgänge 
der Muskelinnervation als Gefühl im Kehlkopf oder in den Lippen 
bemerkbar. Wo keine dieser beiden Empfindungen wahrgenommen 
wird, da nimmt Stricker eiii vicariireudes Eintreten des M. teusor 
tympani an, welcher, wie Heusen und Bockendahl bereits durch 
Versuche an Hunden nachgewiesen haben, durch Töne in Bewegung 
gesetzt wird. 

Diese neue Auffassung Strickers veranlasste Pollak zur Vor¬ 
nahme weiterer Versuche, deren Ergebnisse in vorliegender Arbeit 
veröffentlicht werden. Nachdem Verfasser die bisherige anatomische 
und physiologische Erforschung auf diesem Gebiete historisch be¬ 
sprochen, die bekannt gewordenen pathologischen Beobachtungen 
angeführt und namentlich die oben erwähnten Experimente geschil¬ 
dert, theilt er seine eigenen, gleichfalls an Hunden vorgenommenen 
Versuche mit. Verfasser führt hierzu (das Operationsverfahren 
wird genau angegeben) durch die von unten her geöffnete Pauken¬ 
höhle eine 10 Centimeter lange Nadel so in den Muskel ein, dass 
sie sonst nirgends anzuliegen kommt. Werden jetzt in einer Ent¬ 
fernung von 1 bis 2 Meter Toureihen erzeugt — am einfachsten 
durch Lippenpfeifen, ebenso durch Singen, Stimmgabeln oder Streich¬ 
instrumente —, so zeigt das freie Ende der Nadel deutliche Be¬ 
wegungen, und zwar sind diese für die höheren Töne lebhafter als 
für die tieferen: ein gleiches Verhältniss für die Wirkung der ver¬ 
schiedenen Tonstärken liess sich nicht feststellen. Die Schwingungen 
der Nadel blieben jedoch aus, wenn die Schnecken zerstört, oder 
die Medulla oblongata durchschnitten wurde, womit nachgewiesen 
ist, dass die Zuckungen der Muskels nicht von den Schallwellen, 
auch nicht durch Erschütterung des Paukenfells, sondern lediglich 
vom Centralnerveusystem reflectorisch angeregt werden. Es ist dem¬ 
nach anzunehmen, dass die Hörwahruehmung der Muskelzuckung 


vorausgeht — entsprechend der Stricker'scheu Lehre. Nach 
Pollak contrahirt sich der M. tensor tympani vorwiegend auf re- 
flectorischem Wege, was jedoch nicht ausschHesse, dass der Muskel 
auch in seeuudärer Weise durch wachsende Spannung des Pauken¬ 
fells auf den Hörvorgang einen Einfluss übe. 

Den Schluss der Arbeit bildet eine Zusammenstellung aller bis 
dahin veröffentlichten subjeetiven Wahrnehmungen und der Trommel¬ 
felluntersuchungen bei Zuckungen des Muskels, sowie der am Ca- 
daver vorgenommenen Versuche. Hauptmann (Cassel). 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

— Ueber Bergeon’s Methode der Behandlung der Phthisis mittelst 
Klystleren von SchwefelwasserstoflTwasser and Kohlensäure stimmen 
die Ansichten der französischen, englischen und amerikanischen Aerzte mit 
einander nicht überein. Nachdem von Frankreich aus vielfach günstige Re¬ 
sultate berichtet wurden, haben die Kliniker au den verschiedensten Hospi¬ 
tälern der Vereinigten Staaten diese Methode vielfach angewendet und sind 
dahin gelangt, dass Heilung in keinem Falle erzielt werden könne. Dr. 
Bruen, der über 62 Fälle berichtet, welche er längere Zeit nach Bergeon’s 
Angaben behandelte, sah wohl einzelne Symptome sich bessern, die Tempe¬ 
ratur heruntergehen, die Nachtschweisse aufhören, den Husten gemildert, 
den Auswurf erleichtert, den Appetit und die Zunahme an Gewicht vermehrt, 
die Zahl der Itacillen, sowie die physikalischen Symptome an den Lungen 
durchaus nicht günstig verändert. Wenn auch in 40 Fällen das Allgemein¬ 
befinden sich gebessert hatte, so war das tuberculöse Leiden doch latent 
geblieben. Diarrhoeen und chronische Peritonitis hält er für Contraindica- 
tionen und spricht sich schliesslich dahin aus, dass es zur Zeit kein 
Specificum gegen Phthisis gebe, die Be rgeo nasche Methode alsumsländlich, 
wenig nützlich nur eine kurze Geltungszeit finden dürfte, die Hauptaufgabe 
der Phthisisbehandlung in der Schaffung gesunder Luft, kräftiger Nahrung. 
Hautkräftigung bestehen müsse, die erwähnte Methode als ein Adjuvans zur 
Beseitigung einzelner Symptome diene. Noch weniger günstig spricht 
sich Dr. Jackson, Leiter der inneren Klinik in Boston, aus. Derselbe hat 
zwar nur eine geringe Zahl von Fällen nach dieser Methode behandelt, 
konnte jedoch daraus folgende Schlüsse ziehen: 

1. Es können durch Einführung von Schwefelwasserstoff in’s Rectum 
Uebelkeit, Erbrechen, Collaps, Diarrhoe und Kopfschmerz entstehen. 

2. Concentrirte Schwefelwasserstofflösungen und Kohlensäure in s Rectum 
eingespritzt können Darmaffectionen hervorrufen, und muss, um diesen 
vorzubeugen, die Lösung erwärmt werden. 

3. Diese Methode ist keine specifisehe, dient höchstens als ein Uülfs- 
mittel neben anderen rationellen, bisher empfohlenen. 

4. Der einzige Nutzen dieser Behandlungsweise besteht in der Erleich¬ 
terung und Verminderung des Auswurfs. 

Im Uebrigeu ist Jackson der Ansicht, dass selbst hoi exactester Be¬ 
folgung der Bergeon’schen Methode nicht soviel Schwefelwasserstoff durch 
die Lungen passirt, um einen Einfluss auf die Bacillen und Tuberkel aus¬ 
zuüben, und dass die von den Kranken Bergeon’s und anderer Aerzte an¬ 
gegebenen Besserungen auf Rechnung psychischer Eindrücke zu setzen sind, 
welche meist bei chronischen Kranken nach dem Gebrauch neuer Mittel ein¬ 
zutreten pflegen. 

Pepper und Griffit h in Philadelphia, welche in ihren Krankenhäusern 
gleichfalls diese Methode versucht, resümiren als Resultate ihrer Beobach¬ 
tungen, dass die Fiebertemperaturen sich um einige Zehntelgrade erniedrigten, 
der Husten und die Expectoration sich nur wenig besserten, das Körper¬ 
gewicht selten zunahm, meist stationär blieb, manchmal selbst heruuterging, 
Nachtschweisse und Dyspnoe selten nachliessen, das Allgemeinbefinden und 
die physikalischen Symptofne nicht verändert wurden, bisweilen die ein¬ 
tretende Kolik als störendes und unangenehmes Symptom bei den Kranken 
sich einstellte. Diese Kliniker, welche beim Vergleich derartig behandelter 
Kranken mit solchen, die durch kräftige Diät und andere Mittel behandelt 
werden, zu Gunsten der letzteren sich entscheiden, sprechen die Ansicht 
aus, dass der Werth der Bergeon’schen Methode ein übertriebener, selten 
von gutem Erfolg begleiteter sei, und dass sie höchstens in einzelnen Fällen 
bei sehr reichlicher Schleimsecretion anzuwenden sei. 

Hingegen spricht sich Dr. Sinclair Gophill. Arzt auf der Insel 
Wight, zu Gunsten dieser Methode auf Grund der im Hospital und in der 
Privatpraxis gemachten Beobachtungen aus. Er hat in vielen Fällen nicht 
nur guten, sondern überraschenden Erfolg gesehen und hält dafür, dass in 
dieser Methode ein vorzügliches, die Lungenphthisis heilendes Mittel ge¬ 
funden ist. 

Zur Ergänzung dieser Mittheilung wollen wir noch folgende von Cornil 
und Bergeon der Societe anatomique de Paris berichteten Experimente 
hinzufügen. Sechs Kaninchen wurden an 5 Tagen hintereinander 20 Mi¬ 
nuten lang einer mit zerstäubtem tuberculösen Sputum erfüllten Atmosphäre 
ausgesetzt Zwei Thiere verendeten zu Paris innerhalb 10 Tagen an Broncho¬ 
pneumonie, ein drittes in Lyon nach etwa 14 Tagen an Fieber, schneller 
Abmagerung und kleinen Höhlen in der Lunge. Die anderen drei Thiere 
hatten innerhalb 13 Tagen, nachdem sie in der krankmachenden Atmo¬ 
sphäre geathmet, dreimal täglich Schwefelwasserstoffwasser als Einspritzung 
in’s Rectum bekommen. Da sie sich anscheinend wohl fühlten, wurde danu 
damit aufgehört. Nach 4 Monaten wurde eines der Thiere getödtet und 
zeigte dasselbe käsige Tuberkel in der Lunge, in welchen sich Bacillen be¬ 
fanden. Das zweite wurde 3 Monate später getödtet, hatte gleichfalls käsige 
Knötchen, viel weniger Tuberkel als das andere. Das dritte wurde wiederum 
drei Monate später getödtet und zeigte halb verkalkte Tuberkel. Diese 
drei Thiere waren stärker geworden, schienen während der ganzen Beob¬ 
achtungszeit des besten Wohlseins sich zu erfreuen. Man kann daraus 
schliessen, dass die Medication der Entstehung eines acuten Lungenleidens 
vorgebeugt hat, da es feststeht, dass Kaninchen, welche einer mit tuber- 


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22. M&rz. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


239 


culösem Sputum geschwängerten Atmosphäre ausgesetzt sind, innerhalb 
2 Monaten zu Grunde gehen. 

Diese Experimente regen zu weiteren Versuchen der Bergeon’schen 
Methode in dem frühen Stadium der Phthisis, natürlich unter Mitbenutzung 
»11er anderen auf die Kräftigung des Organismus hinzielenden Mittel, an, 
welche den Kampf des Organismus mit den Bacillen ermöglichen und die 
Widerstandskraft erhöhen sollen. Bo. . 

— In No. 17 des Bullet, med. erzählt Dr. Hadimiroff, dass ein 
russischer College, Namens Albitzky, das von Prof. Kremianski in 
Charkow empfohlene, im Wesentlichen antiparasitäre Verfahren gegen 
Phthisis pulmonum bei seiner eigenen Gattin mit ausgezeichnetem Erfolge 
angewendet habe. Das Verfahren besteht in der prolongirten und energi¬ 
schen Ordination von Antifebrin (0,6 4—5 mal tägl.), Inhalationeu von Ani¬ 
linöl. in der Ueberfütterung mit einem eigens präparirten Fleischpulver und 
in der Darreichung saurer Getränke. P. 


XII. Verein für innere Medicin. 

Sitzung am 19. März 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden. Schriftführer: Herr A. Fraenkel. 

H err Leyden: Meine Herren! Zwischen der heutigen und 
der letzten Sitzung unseres Vereins (die Anwesenden erheben sich) 
liegen jene welthistorischen Ereignisse, welche einen Abschnitt nicht 
nur in der Geschichte Deutschlands, sondern in der gesammten Welt¬ 
geschichte bilden. Kaiser Wilhelm ist nach einem reich gesegneten 
Leben aus der Mitte seines deutschen Volkes geschieden. Tief be¬ 
wegt hat jedes deutsche Herz diese Trauerbotschaft empfunden, aus 
allen Theilen der Welt kamen die Kundgebungen der innigsten 
Theilnahnie an diesem schmerzlichen Ereigniss. Mit goldenen Lettern 
wird der Name unseres verewigten Kaisers in der Geschichte Deutsch¬ 
lands verzeichnet sein, mit goldenen Lettern ist er in den Herzen 
seines deutschen Volkes eingeschrieben, die lebenden wie die kom¬ 
menden Generationen werden ihm ein Andenken unbegrenzter Liebe 
und Verehrung bewahren. 

' In Dankbarkeit gedenken wir, wie Kaiser Wilhelm durch eine 
beispielloseReihe siegreicher Kriege die Einigkeit und Grösse Deutsch¬ 
lands begründet hat, in Dankbarkeit und Verehrung gedenken wir, 
wie er alsdann das Deutsche Reich gefestigt und durch die Autorität 
und Ehrwürdigkeit seines Namens den Frieden Europas auf lange 
Zeit gesichert hat. In diesem Frieden hat sich Deutschlands Grösse 
entwickelt, Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft sind in 
nie geahnter Weise emporgeblüht. Eiu reich gesegnetes Leben 
war dem dahingeschiedenen Kaiser verliehen, nur in den letzten 
Tagen war die Sonne seines Lebens durch duukles Gewölk- 
verhüllt. 

Tiefbewegten und trauernden Herzens sahen wir den Leichen¬ 
zug au uns vorübergehen und sahen den einfachen Sarg, welcher die : 
irdische Hülle des grossen Kaisers barg, Vale Senex Imperator klang 
es in hunderttausend Herzen nach. 

Noch tiefbewegt wenden sich die Herzen der Deutschen voll 
Liebe und Vertrauen zu seinem Nachfolger, dem vielgeliebten 
Kaiser Friedrich III., wünschend und hoffend, dass ihm eine gleich 
gesegnete Regierung beschieden sei. — 

Meine Herren! Ich schliesse die Sitzung. 


XHI. Erklärung der medicinischen Facultät j 
ln Heidelberg betreffend den Dr. CarlUmbacb 
in Bietigheim. 

Im ärztlichen Vereinsblatt vom Februar 1S88 wird aus dem Bezirks- 
Verein Heilbronn vom 2 2. December 1887 berichtet, dass „im vergangenen 
Jahre einem Carl Umbach von Bietigheim von der Universität Heidelberg 
auf Grund einer Dissertation die Würde eines Dr. med. et chir. ertheilt 
wurde. Nach den Mittheilungen des Berichterstatters ist der neue Doctor 
ein Färber seines Zeichens und bat nie ein Gymnasium oder eine Real¬ 
schule. sondern nur die Volksschule besucht. Ein Staatsexamen hat er nie 
gemacht. Seit Jahren befasst er sich mit Curpfuscherei.“ 

Da die Nachricht, offenbar in der Absicht, das Ansehei* der medicini¬ 
schen Facultät in Heidelberg zu schädigen, auch in andere Blätter überge¬ 
gangen ist. sehen wir uns veranlasst, folgende Erklärung abzugeben: 

Carl Umbach wurde nach der bestehenden Promotionsordnung auf 
Grund einer Dissertation, welche sowohl von dem Referenten Herrn Geheim¬ 
rath Dr. Kühne, als auch von Herrn Prof. Nencki in Bern, in dessen 
Laboratorium die Arbeit ausgeführt worden ist, sehr günstig beurtheilt wurde, 

- zum mündlichen Examen zugelassen. Die Dissertation (Ueber den Einfluss 

85 des Äntipyrins auf die Stickstoffausscheidung) ist in Stuttgart 1887 (Metzler- 

r sehe Buchdruckerei) gedruckt. 

* Das mündliche Examen, welches von 6 Mitgliedern der medi- 

'*■ cinlschen Facultät abgenomraen wurde, hat Herr Umbach so gut überstan- 

85 den, dass ihm die Doctorwürde zuerkannt werden musste. Die medicinische 

? Facultät hat also von dem allen medicinischen Facultäten Deutschlands zu- 

ftehendeu Rechte Gebrauch gemacht, welches gestattet, auf Grundlage wissen- 
>>’ •ehaftlicher Leistungen, an welche gerade in Heidelberg recht hohe Anfor- 

■v derungen gemacht werden, zu promoviren, ebne Rücksicht darauf, ob der 

ty 


Candidat durch das Staatsexamen die Venia practicandi erlangt hat oder 
nicht. Dass Dr. Umbach Curpfuscherei treibt, müssen wir sehr bedauern, 
konnten es jedoch nicht vorher wissen. 

Heidelberg, den 14. März 1888. Dr. Czerny, z. Z. Dekan. 


XTV. Kleine Mittkeilungen. 

— Berlin. Die Gedächtnissfeier für Geheimrath Prof. v. Langen- 
beck, welche die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie und die Berliner me¬ 
dicinische Gesellschaft veranstalten, verspricht in jeder Weise eine dem Ver¬ 
storbenen würdige zu werden. Dieselbe wird am 3. April, Abends 7 Uhr, 
in dem entsprechend decorirten Saale der Philharmonie stattfinden. Ein 
Chorgesang a Capelia wird sie einleiten und schliessen. Die Rede hält Herr 
Geheimrath v. Bergmann. Derselbe nimmt nicht nur, was die Aemter 
anlangt, die Stellung ein, die Langenbeck inne hatte. Sein warmes Herz 
für die Interessen dos ärztlichen Standes hat ihm die Sympathieen der 
Collegen schon lange im höchsten Grade erworben. Seine ungewöhnliche 
Tüchtigkeit und sein unermüdlicher Eifer als lehrender und ausübender 
Chirurg sichern ihm das Vertrauen der Aerzte und des Puhlicums. Das 
über jedes Lob erhabene Tactgefühl, welches er in den überaus schwierigen 
Verhältnissen der letzten Zeit in bewundernswerther Weise bewiesen hat, 
hat die Hochachtung — wenn möglich — noch gesteigert, die alle Gesell- 
schaftsclassen, von den höchsten ab, für ihn empfinden. Es konnte kein 
Berufenerer gefunden werden, um das Andenken Langenbeck’s zu feiern. 
Die Einladungen zur Gedächtnissfeier sind in diesen Tagen an Behörden, 
Vereine und an die Mitglieder der beiden veranstaltenden Gesellschaften er¬ 
gangen. 

— Der Geheime Medicinalrath Prof. Dr. August Hirsch feierte 
gestern sein 25jähriges Jubiläum als Professor der Berliner Universität. 
Wir verfehlen nicht, dem hochverdienten Gelehrten unsere besten Glück¬ 
wünsche darzubringen. 

— Die Frage der Begründung eines Vereinshauses für die 
Wissenschaft!ichen Vereine Berlins ist neuerdings durch die Initiative 
der Deutschen chemischen Gesellschaft in Fluss gekommen. Ein von der 
genannten Gesellschaft gewähltes Consortium hat die Erwerbung eines 
Terrains zwischeu den Linden und der Leipzigerstrasse gesichert, die Bau¬ 
pläne entwerfen lassen, eine Rentabilitätsrecbnung aufgestellt und den ge¬ 
sammten Plan einer aus hervorragenden Vertretern der grösseren technischen 
und wissenschaftlichen Vereine und Finanzmännern bestehenden Versamm¬ 
lung zur Prüfung vorgelegt. Letztere hat die Durchführung des Projectes 
auf dem Wege der Bildung einer Actiengesellschaft innerhalb der Inter¬ 
essenten beschlossen. 

— Strass bürg. Die Abschiedsfeier zu Ehien des von Strassburg schei¬ 
denden Geh. Raths Prof. Dr. Kuss maul gestaltete sich zu einer Reihe von 
glänzenden Ovationen, die von der medicinischen Facultät dem berühmten 
Kliniker dargebracht wurden. Der von nahezu 40u Theilnehtnern besuchte 
Festcommers fand in der Reunion des Arts statt. Die Festrede hielt der 
Decan der medicinischen Facultät, Professor Goltz, dessen Worte be¬ 
geisterten Wiederhall fanden. Rector Prof. Dr. Zöpfel, von den Professoren 
Freund, v. Recklinghausen und Lücke feierten den Jubilar ebenfalls 
in zündenden Reden. Geh. Rath Prof. Kuss maul siedelt im Monat April 
nach Heidelberg über. Möge dem berühmten Gelehrten und menschenfreund¬ 
lichen Arzte ein schöner Lebensabend beschieden sein. 

— Frankfurt a. M. Dr. Maximilian Bresgen’s Grundzüge einer 
Pathologie und Therapie der Nasen-, Mundrachen- und Kehlkopfkrankheiten 
ist in italienischer Uebersetzung von Prof. Adolfo Fasauo in Neapel er¬ 
schienen. 

— Wien. Das von dem Professorencollegium gewählte Comite, welchem 
die Aufgabe gestellt war, dem Collegium Vorschläge für die erledigte Lehr¬ 
kanzel der Anatomie in Wien zu unterbreiten, hat in der Sitzung vom 
11. d. M. dem Collegium die Herren Schwalbe (Strassburg) primo loco, 
sodann die Herren Zuckerkau dl (Graz) und Rabl (Prag) in Vorschlag 
gebracht. 

— Die K. K. Gesellschaft der Aerzte hat in ihrer Jahres¬ 
sitzung zu Vorsitzenden der wissenschaftlichen Sitzungen die Professoren 
v. Dittl, Fuchs und Ludwig gewählt. 

— Im österreichischen Abgeordnetenhause beantwortete der Cultus- 
minister v. Gautsch eine Interpellation des Abgeordneten v. Gniewocz, 
wann Lehrkanzeln für Hygiene eingerichtet werden würden, dahin, dass diese 
Frage erst dann in Fluss kommen werde, wenn Stationen für Lebensmittel¬ 
untersuchung errichtet und mit den Lehrkanzeln und Instituten eventuell 
in Verbindung gebracht werden würden. 

— Paris. Dr. Hippolyte Blot, ausserordentlicher Professor der 
medicinischen Facultät, und Dr. Martineau, Secretär der Association 
generale des medecins de France, zwei in der medicinischen Welt hoch¬ 
angesehene Männer, sind gestorben. 

— Bei der Eröffnung des III. französischen Chirurgencon- 
gresses, über dessen Verhandlungen wir uns Vorbehalten, ausführlich zu 
berichten, vertheidigt Verneuil in einer lebhaft applaudirten Ansprache 
die französische Schule gegen den Vorwurf Billroth’s, dass dieselbe 
hinkenden Fusses den Fortschritten der deutschen und englischen Chirurgie 
folge. Verneuil weist darauf hin, dass, wenngleich die französische Chi- 
i rurgic vornehmlich eine conservative sei, diesolbe nichtsdestoweniger da kühn 
; vorgehe, wo es nothweudig sei, und dann nicht weniger als die Chirurgen 
jenseits des Canals und jenseits des Rheins. Der französischen Chirurgie 
komme die Initiative einer Reihe von Operationen zu, welche den Namen 
fremder Autoren tragen, und unter den von aussen gekommenen befinde 
sich keine, welche die französischen Chirurgen nicht anwenden, wenn deren 
Vorzüge ihnen einleuchten. Allein die operative Chirurgie bilde keineswegs 
die ganze Chirurgie, da die Operation nicht die prima, sondern vielmehr die 
ultima ratio sei, und die Therapie stets die acta minoris periculi vorzuziehen 
habe. Einzig das Interesse des Kranken stehe über jeder anderen Ueberlegung. 


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240 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .12 


Verneuil weist auf die schreiende Ungerechtigkeit in den internationale*» 
Berichten hin, eine Ungerechtigkeit, welche zum Theil „wir selbst“ verschul¬ 
den. „Ein jeder Franzose“, so führt Verneuil aus, „glaubt sich in der 
Fremde verpflichtet, Alles, was man ihm zeigt, herrlich zu finden und es mit 
lauter Stimme zu preisen. Unvollkommenes glaubt er nicht sehen zu dürfen, 
und von schlechtem Geschmack würde es sein, unsere Erfindungen und das, 
was wir besser gemacht haben, für uns zu reclamiren. Andererseits lesen 
die uns besuchenden Fremden unsere Bücher und kennen unsere Ideen, und 
ausser denen, die unsere Freunde sind und unsere Fortschritte verfolgen, 
citiren die Anderen uns wenig.“ Der Redner beglückwünschte des Weiteren 
das, was er die „Democratisation“ der Chirurgie nennt. Während vor vierzig 
Jahren die Provinz kaum ein Dutzend namhafter Chirurgen zählte, findet 
man jetzt nicht nur in den grösseren Centren, nein in kleinen Städten und 
selbst auf dem Lande die Kranken in guter chirurgischer Obhut. Bei 
den Berichten über die Verhandlungen des ersten und zweiten Chirurgen- 
Congresses kam unser fachmännischer Berichterstatter nicht darüber hinaus, 
als die Hoffnung auszusprechen, dass unsere französischen Mitarbeiter auf dem 
Gebiete der wissenschaftlichen Chirurgie für die Folgezeit die französische 
Chirurgie wieder zu dem Ansehen bringen werden, welches sie zu der noch 
nicht lange entschwundenen Zeit ihrer grossen Meister genoss. Wieweit Herr 
Verneuil für seine oben angedeuteten Ausführungen thatsächliche Stützen 
in den Ergebnissen des III. französischen Chirurgencongresses finden wird, 
bleibe dahingestellt. Keinesfalls dürfte er für manche seiner Behauptungen 
beweiskräftiges Material zu erbringen in der Lage sein, so namentlich für die, 
dass eine Reihe von Operationen, bei welchen der französischen Chirurgie 
die Initiative zukomme, den Namen ausländischer Autoren tragen. Anderer¬ 
seits dürfen wir dem genialen Chirurgen unsere Anerkennung für die aus¬ 
gesprochene Forderung nicht versagen, dass die Operation für den Chirurgen 
nicht die prima ratio, sondern die ultima ratio sein müsse, und dass er 
in seiner Therapie immer die acta minoris periculi vorzuziehen habe. 

— St Petersburg. Die Conferenz der Militärmedicinischen Akademie 
hat Professor Donders in Utrecht anlässlich seines 50jährigen Professoren¬ 
jubiläums zum Ehrenmitgliede erwählt. 

— Für den VII. Cougress für innere Medicin in Wiesbaden 
sind nunmehr folgende Vorträge angemeldet: Herr Rumpf (Bonn): Ueber 
das Wanderherz. — Herr Unverricht (Jena): Experimentelle Unter¬ 
suchungen über den Mechanismus der Atbembewegungen. — Herr Lieb¬ 
reich (Berlin): Thema Vorbehalten. — Herr Adamkiewicz (Krakau): 
Ueber combinirte Degeneration des Rückenmarkes. — Herr Jaworski 
(Krakau): Experimentelle Beiträge zur Diätetik der Verdauungsstörungen. 
— Derselbe: Thema Vorbehalten. —Herr Stiller (Budapest): Zur Therapie 
des Morbus BasedowiL — Derselbe: Zur Diagnostik der Nierentumoren. — 
Herr Emil Pfeiffer (Wiesbaden): Hamsäureausscheidung und Harnsäure¬ 
lösung. — Herr Binswanger (Jena): Zur Pathogenese des epileptischen 
Anfalles.— Herr Jürgensen (Tübingen): Ueber kryptogenetische Septico- 
Pyämie. — Herr Quincke (Kiel): Ueber Lungenabscess. — Herr Hans 
Leo (Berlin): Thema Vorbehalten. — Herr H. Büchner (München): Ueber 
die Aufnahme von Infectionserregem durch die Lungen. — Herr G. Cornet 
(Berlin-Reichenhall): Untersuchungen über die Verbreitung des Tuberkel¬ 
bacillus. — Herr Seifert (Würzburg): Ueber Masern. — Herr Dehio 
(Dorpat): Ueber die physikalische Diagnostik der mechanischen Insufficienz 
des Magens. — Herr August Pfeiffer (Wiesbaden): Demonstration von 
unter Glycerinzusatz gezüchteten Tuberculose-Bacillen. 

— Zur medicinischen Publicistik. Im Verlag von Leop. Voss 
in Hamburg erscheint seit Anfang des Jahres eine von Dr. Kotelmann 
redigirte Zeitschrift für Schulgesundheitspflege. 

— Die Archives de Neurologie reproduciren (1887, Bd. XIV, p. 167 ff.) 
die Berichte des Bucoldianus u. A. über die wunderbare Fasterin Mar¬ 
garethe aus Roed bei Speyer, welche Kaiser Ferdinand 1542 besuchte. 
Dieses 12jährige Mädchen genoss Jahre lang weder Speise noch Trank, und 
die Gelehrten erschöpften sich in scharfsinnigen Hypothesen über den Vor¬ 
gang. Bei dieser Gelegenheit sei einer Notiz in Hufeland’s Makrobiotik 
gedacht Der Verfasser citirt aus der Hist, de l’academie franc. vom Jahre 
1769 einen Fall, in welchem ein geisteskranker Officier 46 Tage nicht die 
geringste Speise genoss. Er trank nur Wasser mit einigen Tropfen Anis- 
branutwein darin, in den letzten 8 Tagen nahm er auch kein Wasser mehr. 
Von 36 Tagen an musste er liegen. Der Foetor ex ore des Hungernden 
wurde auch bemerkt. Er fing nach 46 Tagen plötzlich wieder an zu essen, 
als er ein Kind mit einem Butterbrode hereintreten sah, und erholte sich 
vollständig wieder. 

— In Marseille starb der Marinearzt Dr. J. Berthe an den Folgen 
des Bisses eines tollen Bundes. Der Verstorbene weigerte sich auf das 
Entschiedenste, sich der Schutzimpfung im Pasteur’schen Institut zu unter¬ 
ziehen. Die Incubationszeit dauerte in diesem Falle drei Monate. 

— Cholera. Nach einer Mittheilung des Reichskanzlers kann gegen¬ 
wärtig die Cholera sowohl auf dem italienischen Festlande, als auch auf den 
Inseln Sicilien und Malta als erloschen betrachtet werden, und bedarf es 
deshalb ferner der bisher angeordneten Ueberwachung der aus den bezüg¬ 
lichen Häfen einlaufenden Schiffe nicht mehr. Dagegen fordert in Chile 
und namentlich in Santiago und Valparaiso die Cholera gegenwärtig zahl¬ 
reiche Opfer. In Valparaiso sind auch unter der Besatzung eines deutschen 
Schiffes Erkrankungen mit tödtlichem Ausgange vorgekommen. Demgemäss 
sind diejenigen Anordnungen, welche zur Ueberwachung der aus den Häfen 
von Chile kommenden Schiffe früher ergangen und ausser Kraft getreten 
waren, jetzt wieder erneuert worden. 

— Universitäten. Giessen. Professor Wilbrand, Lehrer der 
Hygiene und gerichtlichen Medicin, ist anlässlich seines 50jährigen Professoren¬ 
jubiläums um seine Entlassung eingekommen, die ihm zum 1. April ge¬ 
währt ist. — München. Dr. E. Graeber, Assistenzarzt des medicinisch- 
klinischen Instituts hat sich als Privatdocent habilitirt. — Wien. Prof. 
Leidesdorf ist um Enthebung von seiner lehramtlichen Thätigkeit einge¬ 


kommen. Die Zulassung des Dr. v. Hacker als Privatdocent für Chirurgie 
ist vom Unterrichtsminister bestätigt. — Kasan. Dr. A. Ponormow hat 
sich als Privatdocent für innere Medicin habilitirt. 


XV. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Kreiswundarzt Dr. Fuckel zu Schmalkalden, sowie den prakt. 
Aerzten Dr. Lübbecke zu Brome, Dr. Isenhagen, Dr. Heidenheim zu 
Münster i./W. und Dr. Baum zu Köln den Charakter als Sanitätsrath zu 
verleihen. 

Ernennungen: Der prakt. Arzt Dr. Heinrich Schneider zu 
Schleusingen ist zum Kreis-Physikus des Kreises Schleusingen ernannt; 
die Ernennung des Kreiswundarztes des Unter-Taunus-Kreises Dr. Justi 
in Idstein zum Kreis-Physikus des Kreises Hünfeld ist zurückgenommen. 

Niederlassungen: Die Aerzte: de la Bruyere in Kraupisch- 
ken, Wilh. Heidenreich in Bagnit, Dr. Reichraann in Glogau, 
Dr. Schoenhoiz in Borgentreich, Dr. Staats in Herford, Dr. Zenger¬ 
ling in Driburg. 

Der Zahnarzt: Weihe in Herford. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Weiermiller von Drengfurt nach 
Insterburg, Stabsarzt Heineken von Metz nach Annaberg, Dr. Hamm von 
Osnabrück nach Herford. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Anders in Wittenberg, Sanitäts¬ 
rath I)r. Bamberger in Berlin, Kreis-Physikus Geheimer Sanitätsrath 
Dr. Gross in Ohlau, Kreiswundarzt Sanitätsrath Dr. Sterneberg in 
Bocholt. 

Vacante Stellen: Das Physikat des Kreises Ohlau, die Kreiswund¬ 
arztstellen der Kreise Löbau mit dem Wohnsitze daselbst oder in der 
Kreisstadt Ncumark, Templin, Tilsit mit dem Wohnsitz in Coadjuthen. 

2. Bayern. 

(Münch, raed. Wochenschr.) 

Niederlassungen: Prakt. A. F. v. Link in Mitwitz. Dr. F. Braune 
in Einersheim. Dr. G. Haass in Altdorf. 

Verzogen: Dr. H. Seuffert von Einersheim. Dr. L. Mahr von 
Rügland. 

3. Baden. 

(Aerztl. Mitth. a. Baden.) 

Niederlassungen: Dr. F. Schinzinger in Emmendingen. Dr. 
A. Schmid in Bräunlingen. Dr. Stuben rat h in Külsheim. Dr. E. Stege r 
in Immendingen. Dr. Th. Spiro in Altenheim. 

Verzogen: Dr. Fuchs von Freiburg nach Odenheim. Dr. Kienzier 
von Bräunlingen nach Käferthal. Dr. Schaller von Altenheim nach 
Heitersheim. Dr. v. Babo von Karlsruhe nach Weinheim. Dr. L. Turban 
von Karlsruhe. 

4. Hessen (Amtlich). 

Ernennungen: Med.-Rath Dr. Carl Neidhart zum vortr. Rath bei 
der Abth. d. Minister, d. Inn. u. d. Just. f. öffentl. Ges.-Pflege m. d. Amts¬ 
titel Obermedicinalrath. Der Kr.-Arzt des Kr.-Gesundheitsamts Bingen 
Dr. C. Spamer z. Kr.-A. d. Kr-Ges.-Amts Darmstadt. Der Kr.-Ass.-Arzt 
d- Kr.-Ges.-Amts Darmstadt, Med.-Rath Dr. A. v. Hesse z. Kr.-A. d. Kr.- 
Ges.-Amts Bingen. Der prakt. Arzt Dr. H. Birnbaum zu Darmstadt zum 
Kr.-Ass.-4. d. Kr.-Ges.-Amts Darmstadt. 

Auszeichnungen: Der prakt. A. Dr. L. Hauser zu Vilbel durch 
den Charakter als Medicinalrath. St.-A. Dr. W. W int her vom 2. Infant.- 
Reg. (Grossherzog) No. 116 zu Giessen durch Ritterkr. I. CI. des Verd.-Ord* 
Philipps des Grossmüthigen. 

Niederlassungen: Dr. H. Platz in Gross-Linden; Dr. C. A. F. Uhl 
in Mainz; Dr. H. B. Letz in Mainz; Dr. A. K. Heer mann in Darmstadt; 
Dr. B. Gutenberg, seither in Bendorf, in Darmstadt; Dr. A. Cahn in 
Kastei; Dr. B. Haas in Dudenhofen; Dr. H. Keilmann in Mainz; 
Dr. G. Festenberg in Mainz; Dr. H. 0. Dressier in Gross-Steinheim; 
Dr. G. 0. F. E. Suffert in Hungen; Dr. R. Feibusch in Offenbach; 
Dr. E. Schäfer in Offenbach; Dr. Th. Plagge in Darmstadt; Dr. L. Usin- 
ger in Bensheim; Dr. C. Eigenbrodt in Darmstadt; Dr. L. Bott in 
Höchst; Dr. G. Kratiss in Bessungen; Dr. W. Schäffer in Worms; 
Dr. H. Fink im Bechtheim; Dr. K. Kolb, seither in Berlin, in Mainz; 
Dr. F. Bieling in Gau-Algesheim; Dr. E. Knauf in Sprendlingen; St.-A. 
Dr. Pr öl ss, seither in Berlin, in Giessen; Dr. K. Briogleb in Giessen; 
Dr. R. Wittich in Giessen; Dr. K. F. W. Kopp in Rossdorf; Dr.'A. Fried¬ 
länder, seither in Hochheim a. M., in Bad-Nauheim; Dr. R. Koch in 
Dietzenbach; Dr. W. Lutz in Mainz; Dr. P. F. C. Steffeck in Giessen; 
Dr. A. Messner in Mainz; Dr. B. Blumenthal in Darmstadt; Dr. L. Trier 
in Schlitz: Dr. W. Weifenbach in Hessloch; Dr. K. Koch in Giessen; 
Dr. W. Giessen in Worms. 

Verzogen: Dr. Chr. M. Hirsch von Gross-Steinheim nach Limburg 
a. d. L.; Dr. F. W. Risse von Dudenhofen nach Bad Kosen; Dr. 0. Hoff- 
mann von Giessen nach Trier; Dr. 0. Stein von Offenbach nach Baireuth; 
Dr. A. K. Heermann von Darmstadt nach Wiesbaden; Dr. E. Sarde- 
mann von Giessen nach Marburg; Dr. S. Frenkel von Domheim nach 
Gross-Gerau; Ob.-St.-A. Dr. G. Rabenau von Giessen nach Parchim 
(Mecklenburg); Dr. M. Schwab von Arheilgen nach Darmstadt; Dr. 0. Dütt- 
mann von Dietzenbach nach Montabaur; Dr. J.- Braun von Münzenberg 
nach Dornhcim; Dr. A. Th. Buchholtz von Giessen nach Westfalen. 

Gestorben: Geh. Obermedicinalrath Dr. F. W. Reissner in Darm¬ 
stadt; die prakt. Aerzte Dr. J. Blum in Giessen; Dr. Ph. Dietz in Hess¬ 
loch, Hofrath Dr. G. Schäfer in Assenheim und Dr. K. Schuster in 
Dieburg. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag JW 1». 29. März 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Aus der med. Klinik des Herrn Geheimrath Professor 
Dr. Gerhardt. 

Ueber normale und pathologische Herz- 
stossformen. 1 ) 

Von Stabsarzt Dr. Martins. 

Privatdocent und Assistent der Klinik. 

Meine Herren! Im Begriff, die Resultate meiner graphischen 
Untersuchungen über normale und pathologische Herzstossformen 
Ihnen vorzulegen, kann ich das Gefühl eines gewissen Unbehagens 
nicht unterdrücken, kann ich die Empfindung nicht los werden, als 
müsse ich ausdrücklich um Entschuldigung und um Ihre Nachsicht 
bitten, wenn ich es wage, mit einem so „unzeitgemässeu* Gegen¬ 
stände Ihre Zeit und Ihre Geduld in Anspruch zu nehmen. Denn 
freilich handelt es sich nicht um eine der zahlreichen, das medi- 
rinische Tagesinteresse beherrschenden Fragen, weder um ein neues 
Heilmittel oder Heilverfahren, das ich Ihnen anzupreisen hätte, 
noch gar um einen neu entdeckten Bacillus, der des allgemeinen 
Interesses sicher wäre. Handelt es sich doch vielmehr nur um ein 
rein mechanisches Problem aus dem Gebiete der mensch¬ 
lichen Physiologie und Pathologie. Und wer hat heutzutage unter 
den Aerzten — natürlich mit Ausnahme der Fachphysiologen — 
noch Zeit und Lust, sich, lediglich um der Erkenntniss und um 
ihrer selbst willen, in die Betrachtung und Zergliederung vitaler 
Bewegungsvorgänge zu vertiefen, Probleme zu studiren, die besten 
Falls möglicherweise einige Ausbeute für die Diagnosenstellung, 
sonst aber keinerlei praktischen Nutzen zu versprechen scheinen. 
Die Traube'sche Aera der reiu physikalischen Diagnostik ist eben, 
so sagt man uns, vorbei, und unsere Zeit hat neue Aufgaben und 
ihre eigenen Ziele. 

Dazu noch eins. Wie kann man, so höre ich fragen, gerade 
über den Spitzenstoss etwas Neues sagen wollen, über ein Phänomen, 
das seit Harvey's Zeiten Gegenstand beinahe zahlloser Arbeiten 
gewesen ist, das nachgerade bis zum Ueberdruss von so vielen 
ausgezeichneten Forschergenerationen von allen Seiten beleuchtet, 
nach allen Richtungen hin durchgedacht und durchgearbeitet 
worden ist. 

Nun, meine Herren, ein vitales Problem bleibt so lange zu 
Recht bestehen, drängt sich so lange ganz von selbst immer wieder 
einmal an die Oberfläche, als ihm noch Unklarheiten und Dunkel¬ 
heiten anhaften, als es noch nicht gelungen ist, völlige Ueberein- 
stimmung über seine Genese und seine ursächlichen Beziehungen in 
der wissenschaftlichen Welt zu erzielen. Dass aber die Lehr- 
meinnngen über das Zustandekommen des Herzstosses auch heute 
noch nach allen Richtungen der Windrose hin auseinander gehen, 
davon überzeugt jeder Blick in die gangbaren Lehrbücher der Phy¬ 
siologie und klinischen Mediciu. 

Selbstverständlich kann es nicht meine Aufgabe sein, die ganze 
historische Entwickelung der Lehre vom Herzstoss, so interessant 
diese Geschichte der Irrungen an sich auch ist, heute kritisch zu 
besprechen. Lediglich der nötbigeu Orientirung wegen muss ich 
der Darstellung meiner eigenen Untersuchungen kurz folgende 
Punkte aus der Geschichte der Sache vorausschicken. 

So verschieden, wie gesagt, auch heute noch die Meinungen 
über das Zustandekommen des Herzstosses sind, über zwei Punkte 


herrscht' bereits völlige Uebereinstimmung, hat glücklicherweise 
jeder Zweifel aufgehört und zwar erstens, dass Harvey, der un¬ 
übertroffene Meister unvoreingenommener, klarer Beobachtung, 
recht gesehen hat, wenn er von vornherein den Herzstoss mit der 
Systole ventriculorura zusammen fallen lässt. Die noch bis in die 
fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein von Beau, Burdach, 
Stokes und Anderen vertheidigte Ansicht, dass die diastolische Auf¬ 
blähung der Kammern im Momente der Zusammenziehung der Vor¬ 
höfe für den Stoss verantwortlich zu machen sei, ist durch die be¬ 
kannten graphischen Untersuchungen Marey’s definitiv widerlegt. 
Marey liess gleichzeitig mit dem Spitzenstoss die endocardialen 
Druckcurven des Pferdes verzeichnen. Diese Curven zeigen mit 
aller Schärfe, dass der Spitzenstoss in dem Moment beginnt, wo 
die Vorhofscontraction aufhört. Der zweite, erst durch die verdienst¬ 
vollen Arbeiten von Kiwisch zur allgemeinen Geltung gebrachte 
Punkt betrifft die Unhaltbarkeit der alten, naiven Vorstellung, als 
ob das systolisch erhärtende Herz an die Brnstwand anklopfe, wie 
der Finger an die Thür. Das Herz liegt vielmehr, soweit es nicht 
von Lunge bedeckt ist, in allen Phasen seiner Thätigkeit luftdicht 
der Brustwand an, und nur um ein stärkeres Andrängen gegen die 
Brustwand, um ein stärkeres sich Eindräugen in den nachgiebigen 
Intercostalraum, nicht um ein eigentliches Anschlägen gegen die 
Brustwand kann es sich bei dem Herzstoss handeln. 

Soweit ist alles einig. Die Fülle der streitigen Theorieen be¬ 
ginnt mit der Frage nach der eigentlichen Ursache des systolischen 
Andrängens des Herzens gegen den V. Intercostalraum zwischen 
Maramillar- und Parasternallinie, das wir als Spitzenstoss be¬ 
zeichnen. 

Die sämmtlichen, noch bestehenden Ansichten und Lehrmei¬ 
nungen lassen sich am besten in drei grosse natürliche Gruppen 
zusamraenfassen. 

Die Theorieen der ersten Gruppe führen den Herzstoss auf 
die mit der systolischen Erhärtung einhergehende Forrn- 
veränderung der Ventrikel zurück. Der erste, der diese 
Ansicht vertrat, war Arnold im Jahre 1837. Ihre genauere 
wissenschaftliche Begründung fand sie durch Ludwig. Dieser her¬ 
vorragende Physiologe wies durch genaue Messungen in exacter 
Weise nach, dass die fragliche Formveränderung der Ventrikel 
durch zwei Momente bedingt, sei. Einmal wird die Basis des 
Herzens, die während der diastolischen Ruhe eine quer gelagerte 
Ellipse darstellt, zu einer mehr kreisförmigen Figur. Dadurch wird 
der grosse Durchmesser der Ellipse, der von rechts nach links 
ging, kleiner, der von vorn nach hinten gehende kleine Durch¬ 
messer dagegen vergrössert. Die Folge ist ein Andrängen der sich 
erhärtenden Ventrikel gegen die Brustwand. Dazu kommt zweitens, 
dass die Ventrikelachse, die mit dem Durchmesser der Herzbasis 
in der Ruhe einen nach vorn offenen stumpfen Winkel bildet, 
während der Systole sich senkrecht zur Basis stellt. Dadurch 
wird die Spitze in der Richtung von unten und hinten nach vorn 
und oben gehoben und in den Intercostalraum eingedrückt. 

Dieser Theorie traten von den Physiologen unter Anderen 
Donders, von den Klinikern die drei Verfasser der bekanntesten 
Lehrbücher der Herzkrankheiten, v. Bamberger, v. Dusch, 
Fried reich ausdrücklich bei. Auch die selbstständig entwickelte 
Auffassung Marey’s stimmt im Ganzen und Grossen mit ihr 
überein. 

Wenn sie sich trotzdem nicht zur Alleinherrschaft aufzuschwingeu 
vermochte, so hatte das wesentlich zwei Gründe. Einmal waren 
es einige Einwendungen, über die sie nicht recht hiuwegbelfen konnte. 


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') Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 





242 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Vor allem wirkte die Bemerkung Skoda’s nach, dass das sich con- 
trahirende Herz, welche Form es auch immer aunehme, deshalb 
keine Vorwölbung der Intercostalräurae verursachen könne, weil es 
sich ja während der Zusammenziehung stetig verkleinert. Es ist 
das dieselbe Erwägung, die Beau und seine Anhänger auf die 
Diastolentheorie des Herzstosses gebracht hatte. 

Ein weiterer Grund, der die Ludwig’sche Anschauung nicht 
allgemein zum Durchbruch kommen liess, lag in der so bestechenden 
Form, mit der die scheinbar streng physikalisch exacte Gegentheorie — 
die Gutbrod-Skoda’sche Rückstosstheorie auftrat. 

Damit kommen wir zu der zweiten grossen Gruppe der Herz- 
stosserklärungen. 

Das gemeinsame Moment derselben besteht darin, dass sie 
nicht sowohl eine Formveränderung der Ventrikel, als vielmehr 
eine Bewegung des Herzens en masse, eine Gesammt- 
bewegung des Herzens von hinten, oben und rechts, 
noch vorn unten und links für den Stoss verantwortlich 
machen. Dagegen unterscheiden sich diese Theorieen in Betreff 
der Ursache eben dieser Bewegung, in Betreff der selbstverständ¬ 
lich ausserhalb des Herzeus angreifenden systolischen causa movens. 

Der meisten Anhänger unter den Theorieen dieser Gruppe hat 
sich auch heute noch die eben erwähnte Gutbrod-Skoda’sche 
Rückstosstheorie zu erfreuen. Und das kann nicht Wunder nehmen. 
Hat doch wohl jeder einmal den Rückstoss des abgeschossenen 
Gewehrs an sich selbst gefühlt, hat einmal das Segner’sche 
Wasserrad munter sich drehen sehen. Das Allgemeinverständliche, 
Sinnfällige und dabei doch scheinbar so streng physikalisch Exacte 
dieser Theorie ist wohl das Hauptmoment, dem dieselbe ihre grosse 
Popularität verdankt. Und doch ist die Anwendbarkeit des Rück- 
stossprincips auf das Herz von vornherein keineswegs so sicherge¬ 
stellt und selbstverständlich, als man meinen sollte. Denn, um es 
kurz zu sagen, der physikalische Vergleich, auf den hier doch alles 
ankommt, hinkt. Wie Herr Kronecker vor 4 Jahren an dieser 
Stelle ausgeführt hat, liegen bei dem seinen Inhalt auspressenden 
Herzen die Verhältnisse eben ausdrücklich nicht so, wie beim 
abgefeuerten Geschütz oder beim Segner’schen Wasserrad. In 
diesen Fällen erfolgt die Bewegung dadurch, dass gespannte Flüssig¬ 
keiten (Pulvergase oder gedrücktes Wasser) auf alle Theile der 
Wandungen ihrer Gefässe gleich stark drücken; wenn sie nun an 
einer Stelle einen nahezu widerstandslosen Ausweg erhalten oder 
sich schaffen, so überwiegt der restirende Druck auf die gegenüber¬ 
liegende Wand und verschiebt sie und mit ihr das fest damit zu¬ 
sammenhängende Gefäss in einer dem Ausfluss entgegengesetzten 
Richtung. 

Bei der Herzaction nun fehlt gerade das wesentliche Moment 
dieses Vorganges: „der fast widerstandslose Ausweg“. Das Herz 
pumpt seinen Inhalt in die grossen Gefässe unter Ueberwindung 
des dort herrschenden Druckes. Die nach Kronecker nur wenige 
Millimeter betragende Differenz des systolischen Druckes auf die 
Wände des Herzens und auf die Blutsäule kann keinen Rückstoss 
erzeugen. 

So sehen sich denn die Anhänger der Lehre von der Gesammt- 
bewegung des Herzens als Ursache des Spitzenstosses nach einer 
anderen causa movens um. Aufrecht findet dieselbe, unter aus¬ 
drücklicher Verwerfung aller übrigen möglichen Momente, wie schon 
früher Senac, in der Streckung und Abflachung, die der Aorten¬ 
bogen durch das hineingeworfene Blut erleidet. 

In ähnlicher Weise hatten schon früher Kürschner und Kör¬ 
nitz er eine Achsendrehung des Herzens im Sinne der Pronation der 
linken Hand für den Herzstoss verantwortlich gemacht, der eine, 
indem er diese Achsendrehung durch die Druckdifferenz entstehen 
liess, mit der das Blut aus den beiden Ventrikeln ausströmt, der 
andere, indem er dieselbe auf die durch den Bluteinstrom hervor¬ 
gebrachte Abwickelung der spiralig um einander gewundenen grossen 
Gefässe zurückführte. 

In einer dritten grossen Gruppe lässt sich die nicht kleine Zahl 
der Compromisstheorieen unterbringen, d. h. alle diejenigen Theorieen, 
die mehrere der genannten Momente gleichzeitig in Wirksamkeit 
treten lassen. 

Bei diesem Stande der Dinge ist der Versuch, eine Einsicht in 
die Natur pathologischer Herzstossformen zu gewinnen, selbst¬ 
verständlich eine missliche Sache. Immer erst müssen wir uns für 
eine der physiologischen Auffassungen entschieden haben, aber für 
welche, das ist die Frage. Ich glaube nun, dass diese Frage nie¬ 
mals auf dem Wege blosser Kritik oder des rein theoretischen Raisonne- 
ments, sei dasselbe auch noch so scharfsinnig und folgerichtig, gelöst 
werden kann. Nur eine neue Methode der Untersuchung kann 
die Entscheidung bringen, denn es erfordert, um einen Satz von 
Maudsley, des bekannten englischen Psychiaters, auf unsere Ver¬ 
hältnisse anzuwenden, es erfordert einen nicht geringen Grad von 
Hochmuth, sich einzubilden, man könne, was Harvey und Skoda 


No. 13 


nicht fertig gebracht haben, mit derselben Methode zu Stande 
bringen, die diesen schon zu Gebote stand. 

Diese geforderte, bisher unversuchte Methode aber ist gegeben. 
Sie besteht in einer genaueren und schärferen zeitlichen Analyse 
der Herzbewegung, als sie der blossen Beobachtung oder den älteren 
Hülfsmitteln möglich war. 

Wenn sich beweisen lässt, dass der Herzstoss vorüber ist, ehe 
der Einstrom des Blutes in die grossen Gefässe beginnt, dann sind 
die sämmtlichen Theorieen der zweiten Gruppe unrettbar verloren, 
dann sind mit dieser einen Thatsache auch die scharfsinnigsten Er¬ 
örterungen für oder gegen die Anwendbarkeit des Rückstossprincips 
auf das Herz völlig gegenstandslos geworden. 

Und dieser Beweis lässt sich erbringen mit Hülfe der graphi¬ 
schen Methode. 

Ich komme damit auf das mit Hülfe sinnreicher Apparate auf¬ 
genommene graphische Bild des Spitzenstosses, das Cardiogramra. 
Ebenso unsicher und schwankend, wie die Auffassung jenes war 
bisher die Interpretation des letzteren. Ich muss in Betreff dieses 
Punktes auf meine bezüglichen Ausführungen in der Zeitschrift für 
klinische Medicin (Bd. XIII) verweisen. Nur auf die neue Methode, 
mit der es mir gelang, das normale Cardiogramm, wie ich hoffe, 
im wesentlichen einwandsfrei zu interpretiren, muss ich kurz ein- 
gehen, weil nur mit Hülfe derselben Methode es gelingen kann, 
auch die pathologischen Herzstossformen zu entziffern. 

Das Wesentliche der neuen Methode besteht darin, in jedem 
einzelnen Falle im Cardiogramra ganz genau die Punkte zu be¬ 
stimmen, die mit den jederzeit für uns erkennbaren Momenten der 
Herzbewegung, mit den Klappenschlüssen, zeitlich zusammenfallen. 
Die Klappenschlüsse raarkiren sich durch die Herztöne. Ich aus- 
cultire also während des graphischen Verzeichnens des Herzstosses 
die Herztöne und markire durch eine einfache Uebertraguug die 
Zeitmomente, während welcher der eine oder der andere Herzton 
erschallt, auf dieselbe berusste Tafel des Kymographions. 

Sehr zahlreiche Versuche derart haben nun ganz überein¬ 
stimmende Resultate ergeben. Die in Ihren Händen befindliche 
Figur 1 ist eine schematische Darstellung des normalen Cardiogramirfe. 


Fiitur l. 



Ausnahmslos fällt der Beginn des ersten Tones, also der Atrioventri- 
cularklappeuschluss, mit dem Punkte a, der kürzere, scharfe zweite 
Ton, also der Semilunarklappenschluss mit dem Punkte c zeitlich 
zusammen. Daraus folgt zunächst eins. Niemals beginnt, wie fast 
alle Interpretatoren bisher annehmen, die Diastole, die Erschlaffung 
der Ventrikel mit der Spitze der Curve. Die Descensionslinie von 
b bis c fällt vielmehr an allen normalen Curven noch in den Be¬ 
reich der Systole. Nun vollzieht sich diejenige Hervorwölbung des 
V. Intercostalraums zwischen Parasternal- und Mammillarlinie, die 
wir Spitzenstoss nennen, ersichtlicher Weise in der Zeit, während 
welcher der Hebel die Ascensionslinie a b beschreibt, und ist vor¬ 
über, wenn der Hebel bei b wieder zu sinken anfängt. Daraus 
folgt, dass die Systole ausnahmslos in zwei im Cardiogramm durch 
den Gipfelpunkt scharf gesonderte Abschnitte zerfällt, und dass nur der 
erste dieser beiden Abschnitte zeitlich genau mit dem Herzstosse 
coincidirt. Folglich muss die Ursache des Spitzenstosses in Be¬ 
wegungsvorgängen des Herzens gesucht werden, die nur die erste 
Hälfte der Systole durchdauern und mit dem durch die Spitze des 
Cardiogramms bezeichneten Zeitmoment ihr Ende erreichen. Es 
fragt sich demnach, welches Zeitmoment der Herzbewegung mit der 
Spitze des Cardiogramms zeitlich zijsammenfällt. 


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29. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


243 


Durch ein etwas umständliches, hier nicht zu reproducirendes, 
theils auf Experiment theils auf Rechnung beruhendes Verfahren, 
habe ich gefunden, dass b, der Gipfelpunkt des Cardio- 
gramms, den Augenblick bezeichnet, in welchem die Semi¬ 
lunarklappen sich öffnen, der Bluteinstrom in die grossen Ge- 
fässe also erst beginnt. 

Jetzt bin ich in der glücklichen Lage, einen unmittelbar über¬ 
zeugenden, direkten experimentellen Beweis für diese Auffassung 
erbringen zu können. Ich entnehme diesen Beweis deu Curven, 
die ich von einem Manne mit Aneurysma der Aorta ascendens 
gewann. Die Möglichkeit, diesen Kranken, der mir, wie Sie sehen 
werden, ein reines Experimentum crucis lieferte, zu dem gedachten 
Zwecke zu untersuchen, verdanke ich dem liebenswürdigen Ent¬ 
gegenkommen des Herrn Collegen Litten. 

Das Aneurysma des von Herrn Prof. Litten der Charite-Ge¬ 
sellschaft vorgestellten Kranken bildete im II. Intereostalraum rechts 
unmittelbar neben dem Sternum eine deutlich prominente, kräftig 
pdlsirende Geschwulst, so dass es ein Leichtes war, die Pulsationen 
des Aneurysma graphisch zu verzeichnen. Gleichzeitig mit der 
Aneurysma-Curve schrieb ich den Spitzenstoss im V. Intercostalraum 
links zwischen Parasternal- und Mamraillarlinie auf. Dies hatte folgen¬ 
den Zweck. Das Aneurysma hatte seinen Sitz unmittelbar über den 
völlig intacten und normal fuuctionirenden Serailunarklappen. Der 
Anfang der Pulswelle im Aneurysma musste also ohne Zeitverlust 
unmittelbar auf die Eröffnung der Semilunarklappen folgen. War 
nun meine Annahme richtig, dass der Gipfelpunkt der Spitzenstoss- 
curve mit der Eröffnung der Serailunarklappen zeitlich zusammen 
falle, so musste der Gipfel der Spitzenstosscurve mit dem Beginn 
der gleichzeitig geschriebenen Pulscurve des Aneurysma isochron 
sein. Die nebenstehenden Curven, Fig. 2, auf der die isochronen 
Punkte durch verticale Linien bezeichnet sind, beweisen, das diese 
Voraussetzung haarscharf zutrifft. 

Figur 2. 


Spitxeustoss 


Anearyma 

Damit ist aber der vorerwähnte Beweis geliefert. Der Spitzen¬ 
stoss ist vorüber in dem Augenblick, wo das Einströmen des Blütes 
in die grossen Gefässe erst beginnt. Da nun die sämmtlichen 
Theorieen der 2. Gruppe die den Spitzenstoss erzeugende Gesammt- 
bewegung des Herzens abhängig sein lassen von Factoren, die erst 
mit dem Aorteneinstrom in Wirksamkeit treten, so sind sie alle 
unhaltbar. Das trifft die älteren Theorieen von Kürschner und 
Kornitzer ebenso wie die jüngste von Aufrecht und die Rück- 
stosstheorie von Gutbrod, Skoda und Hiffelsheim. 

Welche Phase der Herzbewegung fällt nun aber mit der allein 
für den Herzstoss verantwortlichen Zeit a b zusammen? In a schliessen 
sich die Atrioventricularklappen, in b öffnen sich die Semilunar¬ 
klappen. a b ist also mit der schon von vielen Physiologen hervor¬ 
gehobenen Zeit identisch, während welcher beide Klappensysteme 
fest geschlossen sind. Dieser Zeit bedarf das sich contrahirende 
Herz, um seinen Inhalt unter einen Druck zu setzen, der den 
herrschenden Aorten- (resp. Pulmonalarterien-) Druck eben übersteigt. 
Erst wenn diese Druckhöhe erreicht ist, können die Serailunarklappen 
sich öffnen, kann der Blutausstrom beginnen. Ich habe, um kurze 
fassliche Namen einzuführen, die der Strecke a b entsprechende Zeit 
die Verschlusszeit der Systole, die mit der Strecke bc zu¬ 
sammenfallende Zeit die Austreibungszeit der Systole genannt. 

Diese genauere zeitliche Analyse ergiebt also, dass nur die 
Verechlus8zeit für den Herzstoss verantwortlich gemacht werden 
kann. Während der Verschlusszeit nun nimmt das Herz die von 
Ludwig beschriebene Form Veränderung an; aber, und das ist das 
die Ludwig’sehe Theorie ergänzende Moment, das bisher gefehlt 
hat, ohne sich schon verkleinern zn können, da ja der Blutausstrom 
erst mit der Eröffnung der Semilunarklappen, mit dem Ende der 
Ver sblusszeit beginnt. 

Also das systolisch sich erhärtende und gleichzeitig 
seine Form, aber noch nicht sein Volum verändernde 
Herz ist es, das den Herzstoss erzeugt. 

Zum Verständniss der übrigen Abschnitte des normalen Cardio- 
grarams will ich, unter Hinweis auf meine ausführliche Besprechung 



in der Zeitschrift für kl. Med. nur soviel anführen, dass die Zacke d, 
wie auch Landois annimmt, durch den Schluss der Semilunarklappen, 
die Zacke f durch einen Stoss des gegen das. Herz in den grossen 
art. Gefässen rückstauenden Blutes erzeugt wird. Darauf kommt 
die Vorhofszacke, und unmittelbar nach Beendigung derselben setzt 
die neue Systole ventriculorum ein. Ob die Diastole, d. h. die Er¬ 
schlaffung der Ventrikelmuskulatur unmittelbar mit c, dem Semi¬ 
lunarklappenschluss beginnt, oder ob nach dem letzteren die 
Muskulatur noch kurze Zeit im Zustande der Contraction verharrt, 
ist noch nicht sicher ausgemacht. Ich habe das. am Schema als 
„Verharrungszeit“ mit einem Fragezeichen zum Ausdruck 
gebracht. 

Dies ist die physiologische Basis, von der aus wir an die Be- 
urtheilung pathologischer Cardiogramme gehen können. 

Ich will unter möglichster Vermeidung alles rein theoretischen 
Raisonnements von vornherein hauptsächlich die Thatsachen selbst 
sprechen lassen. Nur eine Vorbemerkung kann ich nicht umgehen. Um 
mit Hülfe der geschilderten akustischen Markirmethode über¬ 
haupt zu einem befriedigenden Resultat gelangen zu können, erschien 
es durchaus nothwendig, zunächst nur ganz uncomplicirte, typische 
Fälle der gewöhnlichen Klappenfehler zum Ausgangspunkt der 
Untersuchung zu machen. Dies ist der Grund, weshalb nur in den 
wenigsten der Fälle, deren Herzstosscurven ich bis jetzt genauer 
analysirt habe, die Diagnose durch die Autopsie bestätigt — resp. 
widerlegt werden konnte. Kranke mit uncomplicirten gut Qompen- 
sirten Klappenfehlern sterben — wenn nicht zufällig an einer 
intercurrenten Krankheit — eben nicht so leicht. Hochgradige, 
complicirte Fälle im Stadium der Compensationsstörung nicht lange 
ante mortem entziehen sich aber der Natur der Sache nach der 
Analyse so lange, bis auf Grund der Untersuchung einfacher Fälle 
gewissermaassen die pathologischen Typen geschaffen sind. Vor allen 
Dingen liegt es in dem Wesen der von mir geübten akustischen 
Markirmethode begründet, dass dieselbe nur in den Fällen an¬ 
wendbar ist, bei denen neben den Aftergeräuschen noch unzwei¬ 
deutig orientirende Töne zu hören sind, und dass sie bei diesen nur 
so lange anwendbar bleibt, als die Schlagfolge des untersuchten 
Herzens vollkommen regelmässig ist. Beginnt die Herzaction un¬ 
regelmässig zu werden, dann versagt sie durchaus. 



Beginnen wir mit dem gewöhnlichsten aller Klappenfehler, der 
Mitralinsufficienz. Ich habe hier die Curveu einiger nicht sehr 
hochgradiger, aber typischer Fälle vor mir. Figur 3 mag als 
Beispiel dienen. Diese Curve lässt auf den ersten Blick erkenneu, 
dass sie in der Form keinerlei Abweichungen von der Norm dar¬ 
bietet. Auch die genauere Analyse mit Hülfe der akustischen Markir¬ 
methode ergiebt dasselbe Resultat. Die Zeitmomente der Klappen¬ 
schlüsse fallen durchaus und mit aller Schärfe mit den typischen 
Punkten der Curve zusammen. Wie ist dies auffallende Resultat 
zu erklären? Man sollte meinen, dass gerade die Mitralinsufficienz 
recht erhebliche Veränderungen im Cardiogramm erzeugen müsste. 
Ist sie doch derjenige Klappeufehler, bei dem gerade die den Stoss 
erzeugende Phase der Bewegung, d. h. die Verschlnsszeit wesent¬ 
liche Störungen erfahren muss. Denn im ersten Theil der Systole, 
längst bevor die Energie der Muskelzusammenziehung hoch genug 
gewachsen ist, um die Semilunarklappen zu sprengen, muss unter 
Ueberwindung des sehr viel geringeren Vorhofdruckes der Rück¬ 
strom durch die klaffenden Segelklappen beginnen, so dass von einer 
eigentlichen Verschlusszeit nicht wohl die Rede sein kann. Warum 
kommt das im Cardiogramm nicht zum Ausdruck? 


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244 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 13 


Nun die Erklärung ist einfach. Sie beruht auf einem Um¬ 
stande, der, so viel ich sehe, meinen Vorgängern in der Interpreta¬ 
tion pathologischer Cardiogramme so gut wie ganz entgangen ist. 
Es entsteht nämlich hier die Frage, welcher Theil des Herzens 
eigentlich das Cardiogramm verzeichnet oder, besser ausgedrückt, welche 
Stelle der Ventrikelwandungen direct unter der Pelotte des Zeichen¬ 
apparates liegt und ihre Bewegungen auf dieselbe überträgt. Auf¬ 
gesetzt wird die Pelotte der Aufnahmetrommel (resp. des Schreib¬ 
hebels) naturgemäss nicht sowohl auf den am meisten nach aussen 
und links gelegenen Punkt des Stesses, als vielmehr auf die Stelle 
des betreffenden Iutercostalraums, an der der Stoss am deutlichsten 
zu spüren ist, die Ausschlüge also am grössten werden. Das ist 
aber meist eine Stelle, die etwas weiter nach innen liegt. Nun ist 
bekannt, dass der linke Ventrikel nur mit einem ganz schmalen 
Streif nach vorn sieht, der überdies vom Lungenrand bedeckt ist. 
So kommt es, dass direkt unter der Pelotte wohl meist ein Waud- 
stück des rechten, nicht des linken Ventrikels zu liegen kommt. 
Das ist schon an sich insofern nicht ohne Interesse, als man sich 
gewöhnt hat, das graphische Beweguugsbild des Herzens ohne wei¬ 
teres stillschweigend immer auf den linken Ventrikel zu beziehen. 
Nun ist allerdings bei der Aufnahme normaler Cardiogramme wohl 
ziemlich gleichgültig, ob lediglich rechte Ventrikel wand, oder, wegen 
der systolischen Achsendrehung auch noch ein Streif linker Veutrikel- 
wand unter der Pelotte zu liegen kommt. 

Beide Herzhälften arbeiten eben völlig synchron und in dem¬ 
selben'Sinne. Und ob der stärker sich spannende und kräftiger 
sich wölbende und sich aufrichtende linke Ventrikel seine Bewegung 
direkt oder durch den gleichzeitig erhärtenden rechten Ventrikel auf 
den Hebel überträgt, das ändert am Gesanuntetfect im wesentlichen 
nichts. Anders dagegen in pathologischen Fällen. Hier hört die 
geschilderte Harmonie der beiden Hälften auf. Während bei der 
Mitralinsufficienz links die Verschlusszeit fehlt, ist sie rechts in nor¬ 
maler Weise ausgebildet. Und so ergiebt sich dann der Schluss von 
selbst. Wir haben in unserem Cardiogramm die durchaus nor¬ 
mal gebildete Clirve des rechten Ventrikels vor uns. Das 
wird um so einleuchtender, wenn wir bedeuken, dass der rechte 
Ventrikel hypertrophirt ist und entsprechend den durch den Mitral¬ 
fehler gesetzten grösseren Widerständen mit grösserer Kraft, arbeitet, 
als normal. Dass endlich gerade bei diesem Klappenfehler die ver¬ 
änderten Bewegungsverhältnisse des liuken Ventrikels nicht etwa, 
wie mau glauben könnte, durch den rechten Ventrikel hindurch sich 
geltend machen müssen, ist ebenfalls leicht einzusehen. Da dem 
linken Ventrikel die Verschlusszeit fehlt, so kann er sich überhaupt 
wenig an dem Zustandekommen des Spitzenstosses betheiligen. Dass 
in hochgradigen und mit anderen Klappenfehlern, z. B. Mitral¬ 
stenose oder der Tricuspidaliusufficienz sich complicirenden Mitral- 
insufficienzen die Sache sich anders gestalten kann und wird, ist 
selbstverständlich. Hier kam es zunächst nur auf die Erklärung 
der anfänglich befremdenden Thatsache an, dass bei einfacher Mi¬ 
tralinsufficienz eine von der Norm in keinem wesentlichen Punkte 
abweichende Curve erhalten werden kann. 

Anders liegen die Verhältnisse bei 
der Mitralstenose. Curve Fig. 4 giebt 
das Cardiogramm eines typischen Falles 
wieder. Die Curve stimmt in allen Ein¬ 
zelheiten mit der von Landois an 
einem typischen Falle gewonnenen über¬ 
ein. Durch die Markirmethode stellte 
ich zunächst fest, dass der Semilunarklappenschluss mit dem Punkte 
a zusammenfällt, während der über der Pulmonalis hörbare 2. Ton 
mit dem Punkte C 2 synchron ist. Die deutliche Zähnelung vor a 
muss also, wie Landois will, auf die unregelmässigen, das 
Katzenschnurren erzeugenden Reibungeu des Blutes au dem rauhen 
und verengten Ostium venosum sinistrum bezogen werden. Sie ist 
der graphische Ausdruck des sehr deutlich hör- und fühlbaren prä¬ 
systolischen Geräusches. Sehr ausgeprägt sind ferner die, dem 
doppelten zweiten Ton entsprechenden beiden Klappenschlusszacken 
(d 1 und d 2 ). Nach Ausweis der Markirmethode muss die erste dieser 
beiden Zacken (di) auf den Schluss der Aortenklappen, die zweite 
(do) auf den der Pulmonalklappen bezogen werden. Auf die Frage 
nach der Ursache des auffälligen zeitlichen Auseinanderfallens der 
beiden Klappenschlüsse kann ich heute nicht näher eingehen. Ich 
bemerke nur, mir genaueres vorbehaltend, dass dieser Punkt in den 
bisherigen Auffassungen nicht frei von inneren Widersprüchen ist. 

Gehen wir nuu zu den Fehlern des linken arteriellen Ostium 
über, so sehliesst sich am besten die Stenose an. 

Curve Fig. 5 giebt die Cardiogramme eines typischen Falles 
dieses seltenen Herzfehlers wieder. Wie die obere Reihe ergiebt, 
fällt der Atrioveutricularklappenverschluss, also der Beginn der Sy¬ 
stole, ganz wie bei normalen Curven mit dem Puukte a zusammen. 
Der systolische Anstieg a b ist der Ausdruck der wohlausgebildeten 
Verschlusszeit. (Auch wenn, wie so häufig, die Klappen au dem 


starren verengten Ostium nicht ganz sufticient sind, so muss doch 
das Aequivalent einer ausgebildeten r Verschlusszeit“ zu Stande 
kommen, d. h. der erste Theil der Systole wird verstreichen, ohne 
dass bereits Blut aus dem linken Ventrikel in die Aorta Übertritt. 
Denn auch in diesem Falle bedarf es einer steigenden Herzenergie, 
bis der Aortendruck überwunden ist). 


Figur 5. 



Aorteusteuose. 


Bis zum Gipfel der Curve verläuft also alles normal. Der 
Ausdruck des pathologischen Verhaltens beginnt an dieser Stelle; 
betrifft also bei diesem Herzfehler hauptsächlich die Austreibungs- 
periode. Anstatt dass nämlich von b an, während der mit der 
Entleerung der Ventrikel einhergehenden Verkleinerung des Herzens 
der Hebel bis zur Klappenschlussszacke glatt absinkt, findet eine 
neue Erhebung des Hebels statt, der zu einem zweiten, den ersten 
meist überragenden Gipfel führt. In den verhältnissmässig langen 
Zeitraum des zweiten Gipfels fällt nun, der zeitlichen Analyse mit 
Hülfe der Markirmethode zufolge, der Durchtritt des Blutes durch 
das verengte Ostium. Während bei der physiologischen Herzaction 
vom Augenblick der Eröffnung der Semilunarklappen an der Aus¬ 
fluss des Blutes glatt von Statten geht, stellt sich dem in unserm 
Falle in Form des verengten Ostiums ein starker Widerstand ent¬ 
gegen, der die schnelle und glatte Entleerung des Ventrikels und 
damit das Absinken des Hebels verhindert. Ob nun der zweite 
Gipfel lediglich mechanisch dadurch zu Stande kommt, dass das 
durch den hypertrophirten linken Ventrikel kräftig vorwärtsgetrie¬ 
bene Blut sich au dem verengten Ostium staut, und so das Herz 
gewissermassen einen Ruck bekommt, oder ob der zweite Gipfel 
als der Ausdruck einer erneuten, den erhöhten Widerständen in der 
Austreibungsperiode entsprechenden Kraftanstrengung des Ventrikels 
(absatzweise Contraction) anzusehen sei, das lasse ich zunächst 
dahin gestellt. 

Das Ende der Austreibungsperiode des linken Herzens, also 
der Semilunarklappenschluss der Aorta, fällt meines Erachtens mit 
dem zweiten Fusspunkt (c_>) zusammen. Wenn aulfälligerweise die 
Auscultationsmarke nicht mit diesem Punkte, sonderu mit der Mitte 
der systolischen Descensionslinie coiucidirt, so erklärt sich das aus dem 
Umstande, dass zur Markirung nur der zweite Pulmonalton beuutzt 
werden konnte. Dass die Austreibungsperiode am linken Herzen 
die des rechten überdauert, ist bei einer linksseitigen Stenose wohl 
verständlich. Eben so wenig aber darf es auffallen, dass bei der 
Beherrschung des Bewegungsbildes durch den hypertrophirten linken 
Ventrikel der schwache, durch den Schluss der Pulmonalklappen be¬ 
dingte Stoss sich nicht durch eine besondere Zacke bemerkbar macht. 

Die auffälligsten Veränderungen finden sich schliesslich bei der 
Aorteninsufficienz. Gerade dieser Klappenfehler liefert uns das 
beste Beispiel für die Gefahr, den gröbsten Irrthümern zu verfallen, 
wenn man die Cardiogramme lediglich nach ihrer Form zu zer¬ 
gliedern versucht. Nur die genaue Bestimmung der den Herztönen 
isochronen Punkte des Cardiogramms mit Hülfe der akustischen Mar¬ 
kirmethode kann vor solchen Irrthümern schützen. 


Figur 0. 


i 

1 /\ i 


1/ 1 ri \f\ 

1 a \ e a 

c 

c 


Aorteninsufflcienz. 

Figur fl ist das Cardiogramm eines Falles von hochgra¬ 
diger, aber uncomplicirter Aorteuinsufficienz im Stadium der Com- 
pensation. Die Markirmethode ergiebt, dass die Systole erst beginnt 
(bei a), nachdem die Curve nahezu ihren höchsten Punkt bereits 
erreicht hat. Der zweite Pulmonalton, also der Schluss der rechts¬ 
seitigen Semilunarklappen fällt scharf mit c, dem tiefsten Punkt 
der Curve zusammen. Der steile, oben nur von einigeu Zacken un¬ 
terbrochene Austieg c a ist also diastolisch. 

Wie ist diese scheinbar völlige Umkehr der normalen Verhält¬ 
nisse zu verstehen? 

Wir können die wichtigste Folge der Insufficienz der Aorten¬ 
klappen kurz in den Satz zusammen fassen? Die Füllung des 



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29- März. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 245 


diastolisch erschlaffenden und schlaff gewordenen Ven¬ 
trikels erfolgt unter Aortendruck. Die Folge muss eine fast 
explosive Aufblähung des linken Ventrikels sein, die stark genug 
ist, den Intercostalraum hervorzuwölben. 

So kommt hier in der That eine Art diastolischen Stosses zu 
Stande. 

Für den systolischen Theil des Cardiogramms dagegen ist es 
charakteristisch, dass trotz der Insufficienz der Klappen eine der 
Verschlusszeit äquivalente Phase der Herzbewegung (die Strecke a b) 
deutlich sich ausprägt. Denn wenn auch im Beginu der Systole 
die insufficienten Klappen bereits offen stehen, so kann doch nicht 
unmittelbar mit dem Einsetzen der Ventrikelcontraction die Aus¬ 
treibung des Blutes beginnen. Denn dasselbe steht bereits unter 
Aortendruck, und der sich zusammenziehende Ventrikel braucht eine 
gewisse Zeit, bis seine Energie so weit gestiegen ist, um diesen 
Druck zu überwinden uud die ganze auf ihm lastende Blutsäule 
mit einmal in Bewegung zu setzen. Die hierzu erforderliche Zeit 
ist repräsentirt durch die Strecke a b. Während dieser Zeit kann 
das Herz sich noch nicht verkleinern, da ja noch kein Blut aus- 
fliesst. Dagegen muss der bisher nur passiv prall angefüllte und 
gespannte Ventrikel während dieser Zeit seiner activen Gleichge¬ 
wichtslage, d. h. seiner systolischen Form zustreben. Diese Form- 
veränderung bewirkt den kleinen Anstieg der Strecke a b. Der¬ 
selbe würde viel prägnanter ausfalleu, weun nicht der Jntercostal- 
rauin bereits diastolisch stark vorgewölbt wäre. In b ist der Aorten¬ 
druck überwunden. Der hypertrophirte Ventrikel setzt mit grosser 
Kraft die ganze, auf seinem Innern lastende Blutsäule in Bewegung. 
Schnell und energisch erfolgt seine Entleerung und damit seine 
Verkleinerung in allen Durchmessern. Der Hebel sinkt von b bis c 
in schnellem Zuge ab. Dann beginnt das diastolische Spiel von 
neuem. 

Ich muss es mir versagen, auf die weiteren Consequenzen der 
entwickelten Anschauungen einzugehen. Lediglich die Haupttypen 
der pathologischen Cardiogramme wollte ich Ihnen an einigen 
wenigen genau aualvsirten Fälle vorführen, mir die genauere Dis- 
cussion der Einzelheiten für eine spätere, umfassendere Bearbeitung 
unseres Gegenstandes vorbehaltend. 

Freuen würde ich mich, meine Herren, wenn es mir gelungen wäre, 
Ihnen die Ueberzeugung zu erwecken, dass es mit Hülfe einer 
genaueren zeitlichen Analyse der Herzbewegung gelingt, über die 
physiologische und pathologische Mechanik dieses lebenswichtigsten 
aller Muskeln auch heute noch neue und interessante Aufschlüsse 
zu erlangen. 

Nachtrag I. Im Anschluss an meinen Vortrag hatte Herr 
P. Guttmann die Güte, mich auf eine von mir gänzlich übersehene 
und auch von Anderen bisher nicht genügend beachtete interessante 
Thatsache aus der Geschichte der Herzstosstbeorieen aufmerksam zu 
machen, ln Folge eines Hiuweises, den er Herrn Dr. A. Napier 
in Glasgow verdankte, hat nämlich Herr Guttmann (s. Historische 
Mittheilung zur Lehre von der Ursache des Herzstosses. Virchow’s 
Archiv 76 Band, 1879, und Verhandlungen des Vereins für innere 
Medicin, Sitzung vom 16. Juni 1884, Deutsche med. Wochenschrift 
1884) den Nachweis geführt, dass die Priorität der Rückstoss- 
theorie nicht Gutbrod und Skoda, mit deren Namen sie bei uns con- 
ventionell verknüpft ist, sondern dem euglischen Arzte James 
Alderson gebührt, der diese Theorie schon im Jahre 1825, also 
12 Jahre vor der ersten Publication Skoda’s in durchaus klarer 
nnd präciser Weise ausgesprochen hat. Da die ursprünglich von 
Alderson gegebene Erklärung mit der später durch Skoda ver¬ 
teidigten inhaltlich durchaus identisch ist, da von Gutbrod selbst 
keine Veröffentlichung über diesen Gegenstand existirt, sein Name 
vielmehr nur durch die Bemerkung Skoda’s, dass er Gutbrod 
die Kenntniss der Theorie verdanke, mit der Sache verknüpft ist, 
so vennuthet Herr Guttmann, dass Gutbrod die Theorie von 
Alderson gekannt und sie Skoda mündlich mitgetheilt hat, dass 
Skoda aber später an den ursprünglichen Autor Alderson nicht 
mehr gedacht und die Theorie Gutbrod zugeschrieben hat. Wie 
dem auch sei, soviel steht fest, dass, wenn die vielgenannte und 
besprochene Theorie ihre weite Verbreitung auch der unermüd¬ 
lichen Vertheidigung Skoda’s verdankt, ihr erster Urheber 
Alderson gewesen ist. Die wissenschaftliche Gerechtigkeit verlangt 
daher, dieselbe als A1 dersou’sche oder mindestens als Al der so n- 
Skoda'sche Rückstosstheorie zu bezeichnen. 

II. Leider erst, nachdem ich den vorstehenden Vortrag ge¬ 
halten, wurde ich auf eine denselben Gegenstand behandelnde Arbeit 
der Herren Byrom Bramwell und K. Milne Murray, Edinburgh, 
im British medical Journal vom 7. Januar 1888 aufmerksam ge¬ 
macht (A rnethod of graphically recording the exact time-relations 
nf cardiac sounds and murmurs). Die von den genannten Herren 
ersonnene Methode stimmt im Princip (wenu auch nicht in den 
Einzelheiten der experimentellen Anordnung) genau mit meiner 
.akustischen Markirmethode“ überein. Die Brauchbarkeit dieses 


Verfahrens hängt, wie ich in meiner ausführlichen Arbeit: Graphi¬ 
sche Untersuchungen über die Herzbewegung (Zeitschrift für klin. 
Med. Bd. XIII, H. 3—6) ausgeführt habe, von der vorherigen Be¬ 
stimmung der „Uebertragungszeit“, d. li. derjenigen Zeit ab, die 
vergeht von der Perception des akustischen Eindruckes bis zur Ver¬ 
zeichnung der entsprechenden Marke („Psychical Löss“ der Eng¬ 
länder). Specielle, daraufhin angestellte Versuche belehrten mich, 
dass bei der Markirung streng rhythmischer akustischer Eindrücke 
die Uebertragungszeit vollkommen fehlt. Auch die Erklärung dieser 
interessanten, psycho-physischerseits, soviel ich sehe, bisher nicht 
beachteten Erfahrungstatsache Hess sich ohne Weiteres geben 
(Sep.-Abdr. p. 9). Ich freue mich nun, zu lesen, dass die genannten 
euglischen Autoren in Betreff dieses für die Anwendbarkeit der 
akustischen Markirmethode entscheidenden Punktes zu genau dem¬ 
selben Resultate gekommen sind („The absence of any „psychical 
loss“ under such conditions is a raost important practical fact for 
the purposes of our present research“). Nur kann ich es iiu eige¬ 
nen Interesse nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass, während 
die genannten englischen Autoren die Resultate ihrer bezüglichen 
Untersuchungen der Royal Society of Edinburgh am 19. Deceraber 
1887 mitgetheilt haben, die entsprechenden Ergebnisse meiner 
eigenen Arbeit bereits in der Sitzung vom 1. Juli 1887 der Berliner 
physiologischen Gesellschaft von mir vorgelegt und in dem im Oc- 
tober 1887 zur Ausgabe gelangten Hefte der Zeitschrift für klinische 
Medicin ausführlich erschienen sind. 


II. Beitrag zur Frage von der Beurtheilung 
der nach heftigen Körpererschütterungen, in 
specie Eisenhahnunfällen, auftretenden 
nervösen Störungen. 1 ) 

Von Prof. Dr. M. Bernhardt. 

M. H.! Im Anschluss an das Referat, welches Herr Oppen¬ 
heim im Verein für innere Medicin (s. diese Wochenschr. No. 10, p. 194) 
gehalten hat, erlaube ich mir, Ihnen 2 Patienten zu demonstriren, von 
denen der erste dadurch ein ganz besonderes Interesse in Anspruch 
nimmt, dass es derselbe Mann ist, über welchen ich vor jetzt fast 
12 Jahren in der Berl. klin. Wochenschr. 1876 No. 20 eine Mit¬ 
theilung gemacht halte unter dem Titel: „Ueber die Folgen der 
Hirn- und Rückenmarkserschütterung nach Eisenbahnunfällen“. 

Pat., der Bodenmeister W., kam lö76 in meine Behandlung, nachdem 
er 1875 durch einen Kisenbahnzusammenstoss verunglückt war. Er hatte 
damals das Bewusstsein verloren, erbrochen und eine Fractur der linken 
Clavicula davongetragen. Nach dem Unfall war er noch einige Tage umher¬ 
gegangen, beklagte sich wenig und lachte über die von den Seinen ge- 
äusserte Besorgnis». Erst eine Woche nachher änderte sich sein Benehmen; 
sein Gedächtnis» nahm ab, er vergass, was er sagen wollte, seine Stimmung 
verdüsterte sich, er wurde leicht aufbrausend, hatte Schmerzen im Kreuz 
und Nacken, konnte schlecht gehen, hatte Ohnmächten, Schwindelanfälle 
und war in jeder Beziehung verändert. Ich verzichte hier auf eine ein¬ 
gehendere Schilderung des damals genau und wioderholt untersuchten und 
ausführlich beschriebenen Zustandes und verweise diejenigen, die sich mehr 
dafür interessiren, auf die oben angemerkte Darstellung in der Berl. klin. 
Wochenschr. Im Jahre 1877 besuchte er anscheinend mit Erfolg Teplitz, 
wurde dann von der Eisenbahndirektion pensionirt und trat als Portier und 
Aufseher in ein sehr grosses Speditionsgeschäft ein. Dort ging es ihm, wie ein 
Chef des Hauses mir mitzutheilen die Güte hatte, folgendermaassen: Er war 
treu, ehrlich, konnte seine Sachen ausführen, war kein Trinker, aber nach 
den Aussagen seiner Chefs stets „etwas dösig“; sein Gedächtniss war nicht 
berühmt, eine ernstliche Erkrankung indessen lag scheinbar nicht vor, ob¬ 
gleich er nach den Aussagen seiner (intelligenten) Frau nie wieder so 
rüstig und lebhaft war, wie vor dem Unfall. Fünf Jahre nach dem Unfall 
wurde ihm die bisher von der Bahn gezahlte volle Pension auf die Hälfte 
herabgesetzt. Von da ab wurde er unruhig, für seine Zukunft besorgt, in 
seiner Stimmung noch mehr verdüstert als früher, leicht weinerlich und sehr 
vergesslich. 

Vom Jahre 1886 habe ich nun über das Verhalten des Patienten 
Nachricht durch Herrn Collegen Kretschmer, der mir seine vom 
September 1886 an gemachten Beobachtungen gütigst zu benutzen 
gestattete. 

Dieser fand ihn eines Tages mit aufgehobenem Bewusstsein im Bette 
liegend, mit congestionirtem Gesicht, ungleichen Pupillen, paretische» Er¬ 
scheinungen im linken Facialisgebiet und schlaffen Extremitäten. Nach 
einigen Tagen gingen alle diese Erscheinungen ohne Hinterlassung aus¬ 
gesprochener Lähmungszustände zurück; es wiederholten sich indess der¬ 
artige Anfalle in 4 —6wöchentlichen Intervallen wohl im Ganzen 3—4mal. 
Das Gedächtniss nahm allmählich immer mehr ab, die Zunge wurde schwer 
und zitternd hervorgestreckt, die Sprache ward stotternd, häsitirend, unver¬ 
ständlich. Seine geschlechtliche Reizbarkeit war über die Maasscn erhöht. 

Anfang October 1887 sah ich selbst den Kranken nach langer Zeit 
wieder zum ersten Male: alle von Herrn C’ollegen Kretschmer beschrie¬ 
benen Erscheinungen, auch das von ihm schon hervorgehobene Vibriren der 
Gesichtsmuskulatur bei den schlecht ausfallenden Versuchen, articulirt zu 

*) Nach einem, im Verein f. innere Medicin gehaltenen, mit Kranken¬ 
demonstration verbundenen Vortrage 


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246 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 13 


sprechen, bestanden fort. Pat. ging mit kleinen, vorsichtigen Schritten, aber 
ohne besondere Ataxie, die Kniephänomene waren deutlich vorhanden, aber 
nicht besonders erhöht; kein Fussphänomen. Pupillen gleich, eher weit, 
leidlich gut auf Lichteinfall reagirend; kein Schielen, kein Doppeltsehen. 
Tremor manuum: er schreibt zitterig, Buchstaben auslassend oder fälschlich 
hinzufügend, er addirt sehr langsam, subtrahirt falsch, liest schlecht und 
behält nicht, was er gelesen. Als ich ihn Ende Januar 1888 in seiner Be¬ 
hausung besuchte, lag er (wie überhaupt den grössten Theil des Tages) auf 
dem Sopha, er erkannte mich nicht, hielt mich für den Collegen Kretschmer. 
Er ist ganz, unorientirt: in stammelnder, fast unverständlicher Sprache fragt 
er seine Frau fortwährend, wann sie nach „Hause“ fahren würden; verlässt 
die Frau nur auf Augenblicke das Zimmer, so weint er, sucht sie überall, 
ohne sich in der eigenen Wohnung zurecht zu finden; er verlässt dieselbe 
oft ohne Motiv und wurde vor nicht langer Zeit nur halb bekleidet vom 
Hofe, den er passiren wollte, um auf die Strasse zu gelangen, wieder in die 
Wohnung zurückgebracht. Schwerere Störungen in der Blasen- und Mast- 
darmfunction bestehen, wie es scheint, nicht; eine genauere Untersuchung 
der Sinnesorgane ist zur Zeit wegen der Demenz des Patienten mit Erfolg 
nicht ausführbar. 

Dass dieser Patient, wie Sie ihn hier vor sich sehen, meine 
Herren, schwer erkrankt ist, und dass man wohl ohne Fehlgriff 
eine schwerere Hirnläsion als Grundlage der beobachteten Erschei¬ 
nungen annehmen kann, scheint mir nicht zweifelhaft. Auch glaube 
ich nicht, dass mau der Annahme wird widersprechen können, dass 
der Zustand ungemein an das Kraukheitsbild der progressiven 
Paralyse mit Verblödung erinnert, und dass dieser Zustand langsam 
und allmählich sich bei dem früher bis zu seinem Unfall ganz ge¬ 
sunden Manne und wesentlich in Folge dieses Unfalles heraus¬ 
gebildet hat. Ob man die jetzt bestehende Krankheit als wirkliche 
Paralyse zu bezeichnen hat oder nur als eine der wahren Paralyse 
höchst ähnliche Affection, lasse ich um so mehr unentschieden, als 
ja auch bewährte Psychiater 1 ) (ich erinnere an die Aeusserungen 
NVestphal’s, Sander’s, Moeli’s, Wernicke’s, Mendel’s, 
Binswanger’s) in Bezug auf die Beurtheilung derartiger Krank¬ 
heitsbilder sich nicht definitiv ausgesprochen haben. Nur das 
glaube ich hier noch einmal betonen zu dürfen, wie dies von mir 

iu der oben citirten Arbeit schon vor 12 Jahren geschehen ist, 

dass es von hohem Interesse in Bezug auf die Beurtheilung der¬ 
artiger Zustände ist, die Patienten längere Zeit hindurch zu beob¬ 
achten und in ihrem späteren Leben zu verfolgen. Aber nicht nur 

die von einer etwaigen Läsion des Rückenmarkes abhängigen 
Symptome sind dabei in’s Auge zu fassen: das habe ich schon 
durch die meiner damaligen Arbeit gegebene Ueberschrift ausge¬ 
drückt, die nicht etwa lautete: Ueber Railway-spine, sondern: 
Ueber die Folgen der Hirn- und Rückenmarkserschütterung nach 
Eisenbahnuufallen. — Des Weiteren möchte ich ganz besonders 
darauf hinweiseu, dass ich ebenfalls schon vor vielen Jahren die 
Betheiligung des Hirns an dem nach Eisenbahnunfällen auftretenden 
Krankheitsbilde hervorgehoben und betont habe, dass der Werth 
derartiger Beobachtungen nicht darin liegt, jedes einzelne Symptom 
erklären und aus anatomischen Veränderungen ableiten zu können, 
sondern dass der GesammtsymptomeUcomplex aufzufassen 
und für die Prognose, sowie für das Urtheil über die Schwere 
des Falles zu verwerthen sei. Wir sehen, sagte ich, in solchen 
Individuen nicht die Repräsentanten dieser oder jener speciellen 
Hirn- oder Rückenmarkskrankheit; der Eindruck, den wir vielmehr 
haben, ist der einer allgemeinen Abschwächung, eines 
allgemeinen Darniederliegens der normal vom Hirn und vom 
Rückenmark ausgeübten Functionen, eine Verminderung der Denk¬ 
kraft, des Willensvermögens und eine Veränderung des gemüthlichen 
Verhaltens. 

Es liegen genug andere Fälle in der Literatur vor, aus denen 
ersehen werden kann, wie sich im Anschluss an Eisenbahuunfälle 
allmählich schwere und vorkommenden Falles auch pathologisch¬ 
anatomisch nachweisbare Störungen des Nervensystems herausbilden 
können: hier sei mir nur gestattet, ganz kurz auf einen von 
unserem Herrn Vorsitzenden (Leyden) 2 ) im Jahre 1878 veröffent¬ 
lichten Fall hinzuweisen. 

Es handelte sich da um eineu 40jährigen, früher gesunden Eisen- 
bahnbeamten, der durch eine Entgleisung an der linken Schulter 
und dem Kreuz durch starke Contusionen so verletzt worden war, 
dass er gezwungen wurde, den Dienst aufzugebeu. Fast nach drei 
Jahren, während welcher Patient nie gauz wohl war, bildete sich die 
anfangs vorhandene, später wieder verschwundene Schwäche der 
Beine innerhalb weniger Wochen zu einer schweren Paraplegie mit 
Blasenstörungen aus; dabei klagte er über bedeutende Schmerzen 
zwischen den Schulterblättern und auf der Höhe des 3. und 4. Brust¬ 
wirbels. Die Diagnose wurde intra vitam mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit auf eine Geschwulst gestellt, welche sich in Folge des Eisen- 

’) Vgl. Berl. Gesellscli. f. Psych. etc. Sitzung vom 13. Dec. 1880. — 
Rerl. klin. Wochenschr. 1881, No. 27. 

a ) K. Leydeu: Ein Fall von Rückenmarkserschütterung durch Eisen- 
bahnunfall (Railway-spine). Archiv für Psychiatrie etc. VIII, Heft I. 


balmuufalls langsam entwickelt uud eiue acute Rückenmarkser¬ 
weichung des oberen Brust- und unteren Halstheils bewirkt hätte. 
In der That zeigte die Obduction, dass die Dura vom 3. bis 10. Brust¬ 
wirbel vorn fest an den Wirbelkörpern adhärirte, und zwar durch 
eine geschwulstartige, markige, graue, mit gelben Flecken unter¬ 
mischte Masse, in einer Ausdehnung von 190 mm. In der Höhe 
des 6. Brustwirbels ragte die Geschwulst 20Pfennigstückgross in die 
Lichtuug des Durasackes hinein. Das Mark war durch einen acut 
myelitischen Process erweicht. 

Dieser Patient war während des Lebens von den Behörden als 
Simulant mit seinen Ansprüchen auf Entschädigung wiederholt ab¬ 
gewiesen worden. 

Dass auch Unfälle anderer Art (nicht nur Eisenbahnunfälle) zur 
Herausbildung derartiger Krankheitsbilder Veranlassung geben können, 
ist von Anderen und von mir (1. c.) schon hervorgehoben. Der 
zweite Patient, den ich mir Ihnen vorzustellen erlaube, und 
dessen Untersuchung ich der Liebenswürdigkeit meines Freundes 
und Collegen San.-Rath Blumenthal verdanke, ist ein Beispiel dafür. 
Er beweist durch seiu Leiden zunächst, dass auch Verletzungen 
anderer Organe als der innerhalb der Schädelkapsel und der Wirbel¬ 
säule gelegenen nervösen Ceutralorgane zu Erkrankungen des Nerven¬ 
systems führen können, wie wir sie speciell durch die Bemühungen 
der französischen Schule (C har cot) genauer kennen gelernt haben. 
Es sind das jene Fälle von Hysteria virilis oder von Hystero-trauma- 
tisme, wie sie sich nach Unfällen jeder Art herausbilden können, 
und wie sie in Deutschland speciell von unseren Collegen Thomse n *) 
und Oppenheim eingehender gewürdigt worden sind. Es ist hier 
nicht der Ort, auf die Differenzen einzugehen, die sich zwischen 
diesen Autoren und den Franzosen betreffs der Auffassung des Krank¬ 
heitsbildes, ob Hysterie, ob Neurose, speciell traumatische Neurose, 
herausgestellt haben: dass neben rein functionellen Störungen auch 
wirkliche pathologisch-anatomisch nachweisbare Läsionen sich finden 
können, habe ich sowohl schon früher behauptet, als auch, glaube 
ich, in dem ersten hier vorgestellteu Falle Ihnen ein derartiges Bei¬ 
spiel gezeigt. Uebrigens werde ich weiterhin noch auf diese Frage 
bei der Besprechung der „Simulation“ kurz eiuzugehen haben. 

Dieser zweite hier vor Ihnen stehende Patient, Fr. D., früher Postillon, 
wurde Anfang Mai des Jahres 1886 durch den Hufschlag eines Pferdes vorn 
links iu der unteren Rippen- und oberen Bauchgegend schwer getroffen. 
Nach einem kurz andauernden Zustand von Bewusstlosigkeit ging der Kranke 
allein zur Wohnung des Arztes, wozu eine sehr lange Zeit erforderlich war. 
Länger als ein Vierteljahr hatte der Kranke, dessen Leib angeschwollen war, 
und welcher wiederholt Blut erbrach und Blut auch durch den Stuhl und 
mit dem Urin verlor, zu Hause, meist im Bett, zuzubringen. — Ein Ver¬ 
such, nach etwa 3‘/j Monaten wieder Dienst zu thun, missglückte; Patient 
war andauernd schwach und dienstuntauglich und wurde im November des 
Jahres 1886 pensionirt. Anfang October 1887 sah ich den Kranken zum 
ersten Male. Um nicht in der Beschreibung des damals und wiederholt 
später untersuchten Symptomencomplexes zu lang zu werden, gebe ich nur 
das Wichtigste der Beobachtung wieder. 

Ausgesprochene Lähmungserscheinungen im Bereich der motorischen 
Hirn- und Rückenmarksnerven bestanden nicht: Patient geht ganz gut weite 
Strecken, zeigt kein Romberg’sches, kein WestphalV.hes Zeichen, ist im 
Gebrauch seiner oberen Extremitäten unbeschränkt, und objective Zeichen 
einer Erkrankung der linken Thorax- und Bauchgegend sind nicht zu con- 
statiren. Dagegen klagt er bei Druck auf die Magen- und Lebergegend 
über (auch spontan auftretende) Schmerzen, häufig träten abnorme Empfin¬ 
dungen in diesen Gegenden auf, die längs des Brustbeins bis zur Kehle 
aufsteigend sich dort festsetzten und ihn zum Würgen zwängen. Zeitweilig 
worden noch jetzt, wie ich mich überzeugt habe, blutig-schleimige Massen 
entleert. Dabei besteht andauernd ein Gefühl von Druck auf der Höhe des 
Scheitels: öfter traten Schwindelanfälle auf, durch die er mehr als einmal 
auf der Strasse zu Fall kam, ohne dass dabei das Bewusstsein ganz ge¬ 
schwunden wäre. Der Schlaf ist meist unruhig, unterbrochen, die Stimmung 
andauernd eine gedrückte. — Abgesehen hiervon ist seine Psyche frei, die 
Sprache unverändert, die Bewegungen der Zunge und der Gesichtsmuskulatur 
intact. 

Die Pupillen sind beiderseits gleich, eher weit, auf Lichtreiz gut rea¬ 
girend. Kein Schielen, kein Doppeltsehen; Pat. sieht mit jedem Auge (central) 
gut, erkennt auch Farben prompt, doch zeigt sich deutlich beiderseits eine 
nicht unbedeutende Einengung dos excentrischen Gesichtsfeldes; 
der Augenhintergrund, ophthalmoskopisch untersucht, erweist sich als normal. 
Die Hörprüfungen, die ich selbst anstellte, ergaben für die gröberen Unter¬ 
suchungsmethoden keine nennenswerthen Abweichungen von der Norm: eine 
genauere Exploration hat auf meinen Wunsch mein Freund und College- 
Schwabach vorgenommen, und werden wir anderen Orts die Ergebnisse, 
speciell auch im Hinblick auf die neuerdings von Herrn B. Baginsky 3 ) 
publicirten Untersuchungen, ausführlicher mittheilen. 

Besonders interessant waren nun die Ergebnisse der Sensibili¬ 
tätsprüfung, welche das Bestehen einer hochgradigen Anästhesie und 
Parästhesie vorwiegend an der linken Körperhälfte darlegten. An den 
Extremitäten und am Rumpf werden Berührungen, Lageveränderungen etc. 
ganz leidlich wahrgenommen: dagegen besteht links eine fast absolute, rechts 


*) Archiv f. Psychiatrie etc. Bd. XV Heft 2 und 3 und Bd. XVI p. 743. 
9 ) Berl. klin. Wochenschrift 1888, No. 3. 


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*29. März. _ DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 247 


eine weniger ausgeprägte Analgesie für Nadelstiche, den elektrischen Pinsel, 
so dass eine Schmerzempfindung selbst bei übereinander geschobenen Rollen 
eines kräftigen Inductionsapparatos kaum zu Stande kommt. Nasse, kalte 
Gegenstände werden links andauernd als warm empfunden, rechts dagegen 
kommt, wie Pat. sich ausdrückt, bei längerer Berührung allmählich das Ge¬ 
fühl der Kühle, des Schmerzes „durch“. Nadelstiche in die Zunge werden 
nicht schmerzhaft empfunden, Berührungen der Conjunctiva mit dem Knopf 
einer Nadel lösen keinen, Berührungen der Cornea dagegen (auch links) 
prompten Lidschluss aus. Salz wird auf der Zunge allein nicht geschmeckt, 
erst beim Hineinziehen und bei Bewegungen der Zunge im Munde kommt 
die betreffende Geschmacksempfindung zu Stande: Berührungen des Schlundes 
werden links entschieden besser, bezw. ohne Würgbewegungen hervorzurufen, 
ertragen, als rechts. 

Meine Bemühungen, den Kranken zu hypnotisiren, gelangen zwar relativ 
leicht, das Bestreben aber, ihn während der Hypnose durch Suggestion zu 
heilen, blieb ohne Erfolg. Trotzdem hat sich der Zustand des Kranken in 
neuester Zeit durch wiederholte Application eines mittelstarken galvanischen 
Stromes (grosse Platten) auf die linke Oberbauch- und Lendengegend, sowie 
durch Darreichung von Brorapräparaten und Regulirung der Diät etwas ge¬ 
bessert, und es scheint Aussicht vorhanden, dass die Besserung (die sich 
wuch durch Erhöhung des Empfindungsvermögens an den früher ganz an¬ 
ästhetischen Regionen documentirt) im Laufe der Zeit noch weitere Fort¬ 
schritte macht. 

In diesem Falle also bestehen von Seiten des Nervensystems 
diejenigen Symptome, welche die französische Schule mit dem Namen 
der hysterischen belegt hat, Symptome, welche nach dem, was wir 
heute wissen, in der That keine sicheren Schlüsse auf eine patholo¬ 
gisch-anatomisch nachweisbare Erkrankung des Centralnervensystems 
gestatten. Interessant aber ist die Beobachtung nicht allein dadurch, 
dass sich das Nervenleiden ohne eine direkte Erschütterung des 
Hirns oder Rückenmarks herausgebildet hat, sondern dass es mit 
vielleicht noch bestehender Erkrankung der Baucheingeweide, speciell 
des Magens, verbunden ist. Die Frage über Bestehen eines durch 
das Trauma hervorgerufeneu Ulcus ventriculi scheint mir mindestens 
discutirbar: wissen wir doch aus den Mittheiluugen anderer Beob¬ 
achter. dass auch nach Eisenbahnunfällen Quetschungen der Lungen, 
des Magens, des Darms, der Blase auftreten, welche sich durch 
Blutungen und später durch Entzündungen der betroffenen Organe 
deutlichst kennzeichnen und das spätere Krankheitsbild durchaus 
beherrschen. 

Abgesehen nun von denjenigen Fällen welche nach traumatischen 
Erschütterungen Krankheitserscheinungen darbieten, die eine auch 
pathologisch-anatomisch begründete Erkrankung des Nervensystems 
bekunden, abgesehen zweitens von den Fällen, die sich mit oder 
ohne nachweisbare Erkrankung des Nervensystems selbst oder anderer 
Organe als Neurosen darstellen, giebt es, glaube ich, noch eine dritte 
Kategorie von Kranken, bei denen auch eine genaue Untersuchung 
keine deutlichen Zeichen einer nervösen Erkrankung nachweist, 
deren Kopf klar bleibt, so dass sie, wie ich dies erst neuer¬ 
dings constatiren konnte, schwere Examina mit Auszeichnung be¬ 
stehen können, und bei denen sich auch sonst keine nachweis¬ 
baren Zeichen (Stigmata), eines „hysterischen“ Zustandes (Hemi- 
anästhesie, Gesichtsfeldbeschränkungen, Schwindel-, Ohnmachts- oder 
Krampfanfälle) nachweisen lassen. 

Sind solche Patienten mit ihren Klagen über Schmerzen im 
Rücken, über allgemeine Schwäche, mit ihrem steifen, langsamen 
Gange, ihrer trüben Stimmung etc. als Simulanten aufzufassen? 

Ich glaube, dass man hier mit Recht einen Unterschied wird 
machen müssen zwischen wirklichen Betrügern, die durch frühere 
Beispiele, durch verunglückte Kameraden, durch Lesen bezw. Bei¬ 
wohnen der Gerichtsverhandlungen darüber belehrt, was ange¬ 
geben, was geklagt, was gesagt und was verschwiegen werden 
muss, Arzt und Richter wohl irrezuleiten im Stande sein können, 
und zwischen solchen, bei denen neben oft höchst massigen, ja so¬ 
gar bedeutungslosen objeetiven Störungen die Psyche, das Gemüth 
von dem Unfall, dem erlittenen Schreck, zusammen mit der Ueber- 
legung, schwer erkrankt und für das künftige Leben arbeitsunfähig 
zu sein, so afficirt ist, dass sie selbst einem geübten Beobachter be¬ 
treffs des Urtheils über ihren Zustand grosse Schwierigkeiten be¬ 
reiten können. Ich erlaube mir hierbei kurz eine von Tweedy 
(Dublin Journ. of med. Sc. Sept. 1887) citirte Beobachtung anzu- 
führen, welche beweist, ein wie wichtiges Element die Einbildung 
bei derartigen Vorkommnissen in Bezug auf die Vergrösserung und 
Uebertreibung eines erlittenen Unfalls bilden kann. Beim Aufhängen 
eines schweren Stückes Fleisch an einen Haken gerieth ein robuster 
Fleischergeselle mit seinem Aermel in den spitzen Haken und spiesste 
sich so gleichsam auf. Der bleiche, fast pulslose Patient wurde so¬ 
fort aus seiner gefährlichen Lage befreit: nur unter grossen Schmerzen 
konnte der Arm von den bedeckenden Kleidungsstücken frei gemacht 
werden; aber auch die genaueste Untersuchung vermochte an dem Arm 
selbst absolut nichts Krankhaftes, keine Wunde zu entdecken. Die 
Furcht, die Angst vor einer schweren Verletzung allein war es, die 
einen vorher robusten Mann plötzlich mit schweren nervösen Sym¬ 
ptomen erkranken liess. 


Nun, m. H., ist es klar, dass jene verschiedenen Krankheits¬ 
bilder, wie ich sie zu schildern versucht habe (von den schweren 
Läsionen eines Wirbel- oder Schädelkapselbruchs, einer Wirbelluxa¬ 
tion mit Zerstörung des Rückenmarks, bezw. des Hirns, ist ja bei 
den hier in Betracht kommenden Fällen überhaupt nicht die Rede) 
nicht jedesmal in absoluter Reinheit zu beobachten sein werden. 
Oft genug handelt es sich um das Zusammenvorkommen von 
pathologisch-anatomisch zu begründenden und rein nervösen Störun¬ 
gen ohne eine solche Grundlage bei einem und demselben Indivi¬ 
duum, und es ist gegebenen Falles recht schwer, rein psychische 
Symptome von solchen zu trennen, denen wir eine materielle Grund¬ 
lage zuerkennen müssen. Mit Herrn Collegen Oppenheim bin 
ich der Meinung, dass nur eine längere Zeit fortgesetzte Kranken¬ 
hausbeobachtung über die manuichfachen in solchen Fällen sich er¬ 
hebenden Zweifel und Fragen, speciell auch der etwa vorhandener 
Simulation, eine befriedigende Antwort geben können wird, und dass 
ein längeres Hinzieheu der definitiven Entscheidung von Seiten der 
Vorgesetzten Behörden und Gerichte zumeist nur geeignet ist, 
den Zustand der zu beobachtenden Kranken zu verschlimmern. 

III. Ueber Reflexhusten. 

Von Dr. Edgar Kurz in Florenz. 

Die Beobachtung von Reflexneurosen mannichfacher Art bei Er¬ 
krankungen verschiedener Organe, sowie die noch häufigere Beobach¬ 
tung ihrer vollständigen Abwesenheit bei ganz denselben Erkrankun¬ 
gen hat mich längst zu der Ueberzeugung von der Richtigkeit des 
Rossbach’schen Satzes 1 ) geführt, welcher lautet: „Nur diejenigen 
Menschen bekommen bei Nasen- (oder anderen) Krankheiten Reflex¬ 
neurosen, deren Reflexbahnen im Gehirn und Rückenmark disponirt 
sind; diese Kranken müssen daher eine ähnliche Beschaffenheit 
des Nervensystems haben wie Neurastheniker und Hysterische“. 

Dass es dabei nicht als purer Zufall angesehen werden kann, 
welche Reflexneurose sich bei irgend einer Localerkrankung und 
bei bestehender Disposition der Reflexbahnen entwickelt, das ist ja 
ein naheliegender Gedanke, wenn auch gewiss die Ursache, warum 
gerade die oder jene Reflexneurose sich einstellt, im einzelnen Fall 
nicht immer leicht zu eruiren sein dürfte, und wohl aus letzterem 
Grunde man sich mit der vagen Vorstellung zu begnügen pflegte, 
dass eben bei verschiedenen Localaffectionen Reflexerscheinungen 
der mannichfachsten Art Vorkommen können, ohne dass man sich 
klar machte, dass der Eintritt dieser oder jener Erscheinung doch 
eine bestimmte Ursache haben müsse. 

Diesen Gedanken zuerst klar ausgesprochen und bestimmt for- 
mulirt zu haben, ist ein unbestreitbares Verdienst Strübing’s.' 2 ) 
welcher die Gesetzmässigkeit der pathologischen Reflexaction auf¬ 
stellt, indem er vom Reflexhusten sprechend ausführt, „dass auch 
die Diagnose einer Neurose die Erregung des Hustencentrums (oder 
irgend eines anderen Centrums) zu keiner zufälligen machen kann, 
und dass diese pathologische Reflexaction als solche sich durchaus 
gesetzmässig entwickeln muss, da ganz bestimmte Vorbedingungen 
gegeben sein müssen, die ihr Zustandekommen ermöglichen“. 

Dass pathologische wie auch physiologische Reflexactionen, 
seien sie nun veranlasst durch einen pathologischen oder durch 
einen physiologischen Reiz, mit Vorliebe sich in denjenigen Bahnen 
abspielen, welche sozusagen besonders ausgetreten sind, das 
können wir ja häufig genug am Kraukenbett wie im täglichen Leben 
beobachten. So ist es mir z. B. — um hier nur vom Husten zu 
sprechen — wiederholt aufgefallen, dass Leute, die einen Kehlkopf¬ 
katarrh gänzlich überstanden haben, noch längere Zeit hindurch auf 
leichte Reize, sowohl auf solche, die die Kehlkopfschleimhaut (z. B. 
Tabakrauch), als auf solche, die die äussere Haut (kalte Luft, kaltes 
Wasser) treffen, mit Husten reagiren, und zwar auf Reize von so 
geringer Intensität, dass dieselben im normalen Zustand nicht zur 
Auslösung dieses Reflexactes hinreichen würden. l)a.s Centrum, das 
durch einige Zeit in energische Thätigkeit versetzt war, verharrt 
eben auch nachher noch in einer erhöhten Erregbarkeit, wenn schon 
alle Spuren der localen Erkrankung geschwunden sind. 

Die Theorie von Strübing erscheint eigentlich nicht als 
eine Theorie, sondern als einfacher Erklärungsmodus für Vorgänge, 
die auch sonst durchaus nicht ohne Analoga sind. Ich werde auf diese 
Fragen bei einer anderen Gelegenheit, bei Besprechung eines Falles 
von sogenanntem Larynxscliwindel. zurückkommen, da auch hier sich 
nachweisen lässt, dass nicht das locale Leiden und nicht die be¬ 
stehende Neurasthenie oder Hysterie die frclyinj xivouftdvrj in dem 
Auftreten der Reflexneurose ist, sondern die Disposition, d. h. der 
offenbare oder auch latente Erregungszustand einer bestimmten 
Reflexbahn; dass also dieser letztere pathologische Zustand das 

') Rossbach, Vorwort zu Runge: Die Nase in ihren Beziehungen 
zum übrigen Körper. Jena 1885. 

2 ) Strübing, Zur Lehre vom Husten. Wiener med. Presse 1883. 


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248 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Maassgebende und die conditio sine qua non für die betreffende Re¬ 
flexerscheinung ist, dass die Localerkrankung dagegen die Gelegen¬ 
heitsursache, und die Neurasthenie oder Hysterie wie auch jede 
andere die Resistenzfahigkeit herabsetzende und die Erregbarkeit 
des Nervensystems steigernde Gesundheitstörung (Ueberarbeitung, 
Inanition, Anämie etc.) nur das prädisponirende Moment darstellt. 
Der Umstand, dass die Reflexneurose vorübergehend oder dauernd 
beseitigt werden kann, wenn Gelegenheitsursache und prädisponiren- 
des Moment weggeschafft werden und keine neue Schädlichkeit ein¬ 
wirkt, widerspricht selbstverständlich dieser Anschauung nicht. 

Da es sich in dem erwähnten Fall von sogenanntem Larynx- 
schwindel um einen seit Jahren latenten Erregungszustand der be¬ 
treffenden Reflexbahn handelt, und die Vorgänge bei dieser Affection 
überhaupt complicirtere sind, so will ich hier zunächst einen anderen 
Fall mittheilen, bei dem der unmittelbare Zusammenhang der Er¬ 
scheinungen sich meiner Ansicht nach in einfacher und klarerWeise, 
sozusagen von selbst, entwickelt. Und zwar theile ich ihn mit, wie 
ich ihn vor ca. 5 Jahren — hauptsächlich aus gynäkologischem 
Interesse — notirt habe. 

Eino 35 jährige, im vierten Monat der Schwangerschaft befindliche Frau 
(III para) consultirte mich wegen eines andauernden quälenden Hustens, 
durch den sie bis aufs äusserste erschöpft war, und gegen den sie eine 
Unzahl von Medicamenten ganz vergeblich angewaudt hatte. Zahlreich 
waren auch die von verschiedenen Aerzten gestellten Diagnosen: Bron¬ 
chitis, Magenhusten, hysterischer Husten, Lungenschwindsucht, beginnende 
Kehlkopftuberculose. Pat. erzählte, dass sie gleich im Anfang ihrer 
jetzigen Schwangerschaft sich viel schlechter gefühlt habe, als in den 
früheren, was sie hauptsächlich dem Auftreten einer starken Leukorrhoe 
zuschrieb. Der Appetit war gering, sie fühlte sich immer müde, und je 
mehr die Schwangerschaft vorschritt, desto schwächer und blässer wurde sie. 
An I'ebelkeit litt sie nicht viel, doch hatte sie manchmal Erbrechen in 
Folge der Hustenanfälle, die nun seit ca. 6 Wochen bestanden und die 
vorher schon heruntergekommene Frau immer elender machten. Dieser 
Husten hatte nach einer „Erkältung“ begonnen mit Kitzel im Halse und 
Heiserkeit. Nach mehreren Tagen heftigen trockenen Reizhustens war 
reichlicher, schleimig-eiteriger Auswurf eingetreten, den Pat. relativ leicht 
aushustete. Allmählich, in ca. 14 Tagen, verlor sich der Auswurf, nicht 
aber der Husten. Im Gegentheil, derselbe wurde immer schlimmer, „je 
trockener er wieder wurde.“ Pat. hustete in einem fort, so dass sie im 
Sprechen und auch im Essen stets von Hustenstössen unterbrochen wurde. 
Bei Nacht war der Husten viel weniger heftig, doch störte er manchmal 
den Schlaf. — Die Kranke ist sehr elend und anämisch, fast unaufhörlich 
quält sie ein trockener, rauher Husten, der durch einen kaum zu unter¬ 
drückenden Kitzel im Kehlkopf hervorgerufen wird. Keine Spur von den 
gewöhnlich als hysterisch bozeichneten Erscheinungen. Pat. hat den besten 
Willen, ihren Husten zu unterdrücken, was ihr manchmal auch, aber nur 
für kurze Zeit, gelingt. Temperatur normal. 

Die Untersuchung der Lunge ergiebt ein durchaus negatives Resultat. 
Das Laryngoskop zeigt eine leichte diffuse Hyperämie der Kehlkopfschleim¬ 
haut, auch die wahren Stimmbänder sind etwas geröthet (Erscheinungen, 
die gewiss eher als Folge, denn als Ursache des Hustens aufzufassen 
waren). Die gynäkologische Untersuchung ergiebt den Uterus als dem 
vierten Schwangerschaftsmonat entsprechend; sehr deutlicher Vagiualpuls. 
Dor Cervix ist stark vergrössert und aufgelockert. Der Zeigefinger lässt, 
sich eine Strecke weit in den offenen Cervicalcanal einführen, wobei er auf 
einen weichen beweglichen Gegenstand stösst. Diagnose: Ulcus und 
polypöse Wucherung. Diese Diagnose wird durch das Speculum bestätigt: 
An der Port. vag. eine grosse, sich in den Cervicalcanal erstreckende 
Erosion; im Cervicalcanal zwei ungefähr erbsengros.se, gestielte, beim Ab- 
tupfen leicht blutende Schleimpolypen. 

Diese Schleimpolypen nun trug ich einfach mit der Scheere ab und 
touchirte sodann mit Jodtinctur, und zwar ohne der Kranken etwas von 
dem zu sagen, was ich mit ihr vorgenommen, da ich ihr keine trügerische 
Hoffnung erwecken wollte, obwohl ich an die Möglichkeit eines Zusammen¬ 
hanges zwischen den Polypen und dem unerklärlichen Husten dachte. Ich 
bestellte sie zu einer weiteren Untersuchung auf den folgenden Tag, und 
da erschien sie äusserst vergnügt und erzählte, dass sie schon auf dem 
Heimweg weniger gehustet habe, dass sie heute ohne Husten erwacht sei, 
und dass derselbe bis jetzt zu ihrer grossen Verwunderung ganz ausgeblieben 
sei. Sie fühle auch gar keinen Reiz mehr im Halse und sei überzeugt, 
dass sie ganz geheilt sei. Die Frau blieb denn auch wirklich von dem 
Husten befreit und erholte sich bei roborirender Diät ziemlich rasch, nach¬ 
dem noch einige Male die Erosion touchirt worden war, und der Fluor albus 
sich mehr und mehr vermindert hatte. 

Das prädisponirende Moment für die Entstehung des Reflex¬ 
hustens war im vorliegenden Fall die Schwächung des Organismus 
durch die Schwangerschaft und die Leukorrhoe (hier ohne jeden 
„neurasthenischen“ oder „hysterischen“ Charakter). Als Gelegen- 
heitsursache wirkte die Entwickelung der Sohleimpolypen in dein 
nervenreichen Cervix, von dem die Reize ja mit Vorliebe auf an¬ 
dere Nervenbahnen übertragen werden. Die Ursache der Ueber- 
tragung gerade auf das Husteucentrum war die vorhergegangene 
Steigerung der Erregbarkeit desselben in Folge der acuten Laryn¬ 
gitis und Tracheitis. Der Reiz, den die Anwesenheit der Schleim¬ 
polypen auf die Nervenendigungen im Cervix ausübte, wurde bei 
der bestehenden Verminderung der Resisteuzfähigkeit des Organismus 
und der dadurch bedingten Störung des stabilen Gleichgewichts im 
gesaminten Nervensystem „zu demjenigen Centrum abgeleitet, dessen 


No .13 

Erregbarkeit auf Grund der gegebenen pathologischen Veränderungen 
abnorm gesteigert war“ (Striibing). 

Die Thatsache, dass die Kranke einen fortwährenden Kitzel 
im Kehlkopf empfand, ohne dass hier der Sitz des Leidens war. 
stimmt vollständig mit anderweitigen entsprechenden Beobachtungen 
überein und findet nach Strübing’s Ausführungen und nach Ana¬ 
logie des Gesetzes der „peripheren Wahrnehmung“ ihre Erklärung 
darin, dass ein Reiz, auch wenn er auf anderen als den gewöhnlichen 
Bahnen zum Centrum gelangt ist, doch die Empfindung hervorruft, 
als sei die Peripherie der normaler Weise der Leitung des Reizes 
dienenden Nervenbahn der Ausgangspunkt der Erregung, dass also 
der Ausgangspunkt der Erregung in diejenigen sensiblen Nerven¬ 
endigungen verlegt wird, von denen aus gewöhnlich der Reiz dem 
Centralorgan zugeleitet wird. 

Wenn solche Reflexneurosen genau verfolgt und beobachtet 
werden, so wird wahrscheinlich viel häufiger, als dies bisher ge¬ 
schehen, der Nachweis gelingen, warum im gegebenen Fall durch 
diese oder jene Localerkrankung gerade nur die und keine andere 
Reflexaction ausgelöst wird. Dass nicht immer die blosse Beseitigung 
der Gelegenheitsursache, d. h. der Localerkrankung (des Uterus, 
der Ovarien, des Magens, der Nase u. s. f.) zur Heilung der Reflex¬ 
neurose genügt, versteht sich von selbst. Es war ein besonders 
günstiger Umstand, dass im mitgetheilten Fall gleich nach Entfer¬ 
nung der die Cervixnerven irritirenden Polypen der Husten ausblieb. 
Andere Male wird zur definitiven Heilung ausser der Behandlung 
der Localaffection auf eine Behandlung des Gesammtorganismus. 
sowie eine solche der gesteigerten Erregbarkeit der betreffenden 
Reflexbahn nothwendig sein. Ueberhaupt hat es die Therapie ja ge¬ 
wöhnlich mit einem kranken Menschen zu thun, der nicht nur ein 
Appendix seines Kehlkopfs, seiner Nase oder sonst eines Organs ist; 
und der hier geschilderte Fall bietet ein schlagendes Beispiel dafür, 
dass die Specialfacher keine Separatexisteuz führen können, dass sie 
nie den Zusammenhang unter einander und ebensowenig den mit 
der allgemeinen Mediein verlieren dürfen, wenn sie nicht Gefahr 
laufen wollen, ihren innern und auch ihren praktischen Werth ein- 
zubüssen. 

IV. Ueber die Anwendung des Atropins 
in der Augentherapie. 

Von Dr. Th. Gelpke, Augenarzt in Karlsruhe. 

(Schluss aus No. 12.) 

Auf diese eben kurz geschilderten, theils sicheren, theils etwas 
hypothetischen Wirkungen des Atropins basirt nun dessen Anwen¬ 
dung in zweierlei Richtung: 

1. Zu Heilzwecken. 

2. Zu Untersuchungszwee.ken. 

Einen Heilzweck verfolgen wir mit dem Atropin in erster Linie 
bei allen Aflfectionen der Iris. Es kommen hier eigentliche 
Entzündungen und einfache Hyperämieen in Betracht. 

Bei der Entzündung der Iris erfüllt das Atropin bis zu einem 
gewissen Grade die bei jeder localen Entzündung wichtigsten Haupt- 
indicationen: 

1. Die Immobilisation. 

2. Die Antiphiogose. 

Die Immobilisation erfolgt, wie ja leicht verständlich, mit 
der Lähmung des Pupillenspiels und der Accommodationsbewegungen. 
Die antiphlogistische Wirkung beruht zum grössten Theil auf 
der durch Atropin erzielten Mydriasis. Durch die letztere wird 
nämlich der entzündliche Flächenraum der Iris, der bekanntlich 
zum Grade der Entzündung in direkter Proportion steht, auf das 
geringste Minimum beschränkt. Bis zu einem gewissen Grade 
wird aber auch durch die supponirte, vom Atropin bewirkte Cou- 
traction der Irisgefässe ein bestimmter Ueberschuss an Blut entfernt, 
und damit eine künstliche Anämie der Membran hervorgebracht. 

Da das Atropin bei der Iritis infolge der Mydriasis zugleich 
den Pupillarrand nach der Peripherie bringt, dorthin, wo dessen 
Berührung mit der vorderen Linsenkapsel keine so innige und 
flächenhafte ist, wie nahe dem vorderen Liusenpol, so verhütet es 
zugleich die Bildung von sog. hinteren Synechien, die für die 
Function und für die Ernährungsverhältnisse des Auges bekanntlich 
sehr erhebliche Nachtheile bringen. — Sind andererseits schon der¬ 
artige Verklebungen des Pupillarrandes mit der Linse vorhanden, 
so können dieselben durch die mydriatische Wirkung des Atropins 
zum Lösen gebracht, und dadurch das Pupillenspiel wieder frei ge¬ 
macht werden. 

Natürlich ist die Dosirung des Atropins und der Zeitpunkt 
seiner Anwendung bei Iritis unter gewissen Bedingungen eine 
verschiedene. So macht z. B. Mooren 1 ) darauf aufmerksam, dass. 


’) Mooren. 5 Lustren ophth. Wirks. p. 132. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


249 


29. März. 


wenn eine Iritis mit starker Chemosis oder einer sichtbaren Füllung 
der in der Iris verlaufenden Gefösse auftritt, zuerst die circulatorischen 
Hemmnisse durch Kataplasmen etc. beseitigt werden müssten, und 
erst dann eine energische Atropinisation eingeleitet werden dürfe. 
Was ferner das anzuwendende Atropinquantum anbelangt, so 
genügen 2—3stündliche Einträufelungen einer 0,5% Solution, wenn 
nach der ersten Application eine vollständige Mydriasis eintritt und 
noch keine Synechien sich gebildet haben. Ist letzteres jedoch der 
Fall und sind die Verlöthungen breit und resistent, so werden stär¬ 
kere, meist l°.'o Solutionen 1—2 stündlich zu appliciren sein. In 
jedem Falle von acuter Iritis liegt jedoch — ob gleich im Anfänge 
oder erst später — eine absolute Indication für Atropin vor. 

Ich kann bei dieser Gelegenheit die kurze Bemerkung nicht 
unterlassen, dass diese eben erwähnte absolute Indication des 
Atropins bei Iritis früher durchaus nicht als so selbstverständlich 
angesehen wurde, wie jetzt von uns. So liegt uns z. B. aus dem 
Jahre 1847 eine Abhandlung von Emmerich vor, betitelt: „Ketze¬ 
rische Ansichten über die Anwendung der Belladonna in der Iritis“ 
{Archiv f. phys. Heilk. 1847, Jahrg. VI), worin der Verfasser ganz 
ernstlich die These aufstellt, dass Belladonna bei Iritis nicht nur 
nichts nütze, sondern sogar sehr schädlich sei. Er meint nämlich, 
die Pupillenverengerung bei der Iritis sei mit der Contractur bei 
iJelenkentzündungen, die Pupillensperre mit der Ankylose zu ver¬ 
gleichen. Da es nun einem „rationellen“ Arzt nicht einfiele, die 
entzündliche Contractur durch Exteusion beseitigen, die Ankylose 
durch ständige Bewegungen verhüten zu wollen, so sei auch das 
Atropin, das diesen Effect ausübe, bei der Iritis durchaus ver¬ 
werflich. Diese „ketzerischen Angriffe auf das Atropin“ fanden erst 
im folgenden Jahre von Pickford 1 ) eine Widerlegung. Derselbe 
wies darauf hin, dass Emmerich die Wirkung der Belladonna 
völlig missverstanden habe und von falschen physiologischen Prä¬ 
missen ausgegangen sei. 

Aus ähnlichen Beweggründen, wie bei der Iritis machen wir 
vom Atropin bei einfachen Hyperämieen und sog. Imbibitionen 
der Iris Gebrauch. Die letzteren treten fast regelmässig bei aus¬ 
gedehnten subcoujunctivalen Blutungen (Sugillationen) auf und 
machen sich durch eine auffallende Farben Veränderung der Membran 
bemerkbar. Durch die Mydriasis erreichen wir hier ebenfalls eine 
mechanische Entleerung des überflüssigen Blutes und beugen damit 
einer entzündlichen Veränderung der Iris vor. 

Zur prophylaktischen Verhütung einer Iritis wenden 
wir ferner das Atropin bei allen Entzündungen in der Nachbar¬ 
schaft der Iris an, welche sehr in- und extensiv auftreten und er- 
fahrungsgemäss grosse Neigung haben, die Iris in Mitleidenschaft 
zu ziehen. 

Dies gilt von allen tiefen und ausgedehnten Hornhaut- 
proeessen. Besonders zu erwähnen ist unter denselben die 
Keratitis parenchymatosa, bei der fast immer die Iris in 
Gefahr schwebt, mit ergriffen zu werden. Aber auch die gewöhn¬ 
lichen, mehr oberflächlichen Infiltrate und ulcerösen Processe der 
Cornea geben unter gewissen — später noch näher zu erörternden 
Ausnahmebedingungen — eine Indication für Atropin. 

Ich will nochmals betonen, dass es hauptsächlich die Verhütung 
einer Iritis ist, die uns zum Atropin (bei Hornhautaffection) greifen 
lässt. Dass dabei das Atropin ausserdem auch als Narcoticum wirkt, | 
indem es die bei den Veränderungen obiger Art naturgemäss lädirten 
peripheren Trigeminusenden anästhesirt, und dass es vielleicht auch 
einen gewissen Einfluss auf die Resorption der entzündlichen Pro- i 
ducte ausübt, wie wir dies vom Eserin wissen, wäre ja denkbar, 
lässt sich aber schwer nachweisen. Ich für meine Person möchte 
die beiden letztgenannten Wirkungen weit eher den meist gleich¬ 
zeitig mit dem Atropin in Anwendung kommenden adstringirenden 
und narkotisirenden Collyrien zuschreiben. 

Zu den Erkrankungen in nächster Nähe der Iris gehören ferner 
die verschiedenen Formen der Episcleritis. Dieselben bedingen 
bei diffuser und intensiver Ausdehnung zuweilen eine bedenkliche 
Hyperämie der Iris und führen hin und wieder zu sog. inter¬ 
lamellaren Hornhauttrübungen — Veränderungen, die stets einen 
energischen Atropingebrauch verlangen. 

Auch gewöhnliche aoute, katarrhalische oder phlyetänuläre 
Entzündungen der Conjunctiva können, wenn sie sich in 
intensiver Weise über den Bulbus erstrecken, die Iris in 
Mitleidenschaft ziehen. Sie gehen dann meist mit starken sog. 
Reizerscheinungen (Lichtscheu, Thränenträufeln, Schmerzen etc.) 
einher. In solchen Fällen muss Atropin ebenfalls fleissig eingetfäufelt 
werden. Wir verhüten dadurch einmal eine gefahrbringende Hyperämie 
der Iris und beseitigen andererseits bis zu einem gewissen Grade 
die Ursache der lästigen Reizerscheinungen, nämlich die Hyperästhesie 


*) l’ickford. Vertheidigung der Belladonna gegen die ketzerischen 
Angriffe Emmcrich’s, Henle’s und Pfeufer’s. Zeitschr. f. rat. Medicin. 
1848. Band VI. 


der peripheren sensibeln Fasern in der Conjunctiva. — Eine gewisse 
Restriction verlangt aber auch hier das Atropin, da wegen der bei 
starker Reizung meist profusen Illacrimation überhaupt wenig vom 
Atropin resorbirt wird, und das Bestreben, durch desto häufigere 
Instillationen die beabsichtigte Wirkung zu forciren, hin und wieder 
von localen artificiellen Reizerscheinungen gefolgt sein kann. 

Der Gebrauch des Atropins bei Verletzungen des Auges — 
den unfreiwilligen und beabsichtigten (Operationen) — ist ein ver¬ 
schiedener. 

War die Läsion dbrart, dass die Bulbuskapsel nicht eröffnet 
wurde, handelt es sich also um Rupturen der Bindehaut, Erosionen 
der Hornhaut etc., so ist zur Verhütung tiefer greifender Ver¬ 
änderungen das Atropin wohl meistens indicirt. Wurde jedoch 
durch ein Trauma eine Perforation des Bulbus verursacht, so muss 
man schon eclectischer mit dem Atropin verfahren und oft zu 
einem Myoticum, Eserin etc., greifen. Es ist daher in solchen 
zweifelhaften Fällen für den praktischen Arzt besser, überhaupt nur 
peinliche Antisepsis und fleissige Antiphlogose (Occlusivverband — 
Eis) zu üben und die Entscheidung, ob Atropin oder Eserin, lieber 
dem Ermessen des Specialcollegen anheim zu stellen. 

Ueber die Verwendung des Atropins bei den verschiedenen 
Augenoperationen (Kataraktoperation, Iridectomie,Strabotomie etc.) 
lassen sich keine eiu für alle Mal geltenden Vorschriften bezüglich 
des Atropingebrauchs geben, da derselbe von gewissen Zufälligkeiten 
abhängig ist. Ausserdem wird die Verwendung des Atropins zum 
Theil selbst im specialärztlichen Lager verschieden beurtheilt. Ich 
kann daher, glaube ich, an dieser Stelle diese Application uner- 
örtert lassen. Das Gleiche gilt von der Anwendung des Atropins 
bei den verschiedenen sogenannten internen Augenkrankheiten 
(Cyclitis, Irido - Choreoiditis, Myopia progressiva etc.), die bald ein 
Mydriaticum bald ein Myoticum erfordern. 

Zu Untersuchungszwecken benutzen wir gegenwärtig das 
Atropin relativ selten. 

Es kann Vorkommen, dass Sie zur Untersuchuug der inneren 
Theile des Auges die Pupille durch Atropin erweitern müssen. 
Dies .ist z. B. erforderlich, wenn der Pupillenrand adhärent ist und 
auf die schwächer wirkenden Mydriatica nicht reagirt. — In der 
Mehrzahl der Fälle reichen jedoch Homatropin und selbst Cocain 
zu dem obigen Zweck aus. Dieselben besitzen ausserdem den 
Vorzug, dass ihre mydriatische Wirkung viel schneller — schon 
nach 12 Stundeu wieder vorüber ist. 

Relativ am häufigsten noch machen wir vom Atropin Gebrauch, 
wenn es sich darum handelt, die Refraction resp. Ametropie des 
Auges sicher zu constatiren. Bekanntlich beeinflusst im nicht 
atropinisirten Auge die Accommodation mehr oder weniger die dem 
Bau des Auges entsprechende Refraction, so dass z. B. bei der 
Brillenbestimmung, bei welcher sich die Accommodation selten 
ganz ausschalten lässt, die Hypermetropie kleiner, die Myopie 
grösser ausfällt, als sie in Wirklichkeit ist. Da nun von der 
Kenntniss der wahren Ametropie z. B. die Wahl einer richtigen 
Brille abhängt, so sehen wir uns iu vielen kritischen Fällen ge- 
nöthigt, das complicirende Moment auszuschliessen, mit anderen 
Worten die Accommodation zu lähmen. Dies erreichen wir aber 
in völlig zuverlässiger Weise nur durch Atropin. 

Soviel iu Kürze vou den verschiedenen Krankheitstypen und 
Zuständen des Auges, bei welchen Atropin in Anwendung gezogen 
werden muss. 

An die obigen Erörterungen möchte ich hier noch die sehr 
dringende Ermahnung anschliessen, nämlich in jedem Fall, in 
welchem Atropin verwandt wird, den betreffenden Patienten vor 
der Application über die Wirkung und Folgen des Mittels auf¬ 
merksam zu machen. Für den mit dem Atropin nicht vertrauteu 
Patienteu bringt die Mydriasis und Accommodationslähmung stets 
eine solche Beängstigung und gemüthliche Alteration mit sich, dass 
er sich nur allzu oft zu einem von seinem Laienstaudpunkt be¬ 
rechtigten Vorwurf hinreissen lässt, als ob sein Arzt, der im besteu 
Wissen Atropin verordnet«, das Augenleiden durch die Instillationen 
obendrein noch recht verschlimmert habe. — Gegen solche Nacken¬ 
schläge kann sich der Arzt nur durch rechtzeitige Unterrichtung 
vor dem Atropingebrauch schützen. 

Ich wende mich nun zu der Erörterung derjenigen Veränderungen 
des Auges, bei denen das Atropin contraindicirt ist. 

Es empfiehlt sich, die Erkrankungen in dieser Beziehung iu 
zwei Kategorieen zu sondern: 

1. Iu diejenigen, bei denen das Atropin überflüssig und 
entbehrlich ist, 

2. In diejenigen, bei denen das Atropin direkt schädlich 
wirkt. 

Zu der ersten Kategorie gehören: 

1. Alle Erkrankungen der Adnexa oculi, die allein für 
sich d. h. ohne Betheiligung des Bulbus existiren. 

Es bedarf mit Berücksichtigung der oben erwähnten Wirkungs- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 13 


weise des Atropins, denke ich, [keines Beweises, dass hierbei das 
Mittel völlig überflüssig ist.. Doch möchte ich eine Art von Lid- 
affection speciell hervorheben, bei der hin und wieder Zweifel be¬ 
züglich der Atropinverwenduug entstehen könnten, ich meine das 

Hordeolum. 

Sie wissen, dass das Hordeolum ein sehr variantes Aussehen 
und einen oft wechselnden Verlauf hat. Meist beschränken sich 
die entzündlichen Veränderungen auf das betreffende Lid, welches 
geröthet und geschwollen sowie auf Druck schmerzhaft ist. Nicht 
selten sind jedoch die entzündlichen Erscheinungen sehr fulminant, 
und das Hordeolum entwickelt sich mit ganz enormer Schwellung 
und Röthung des betreffenden Lides. In solchem Falle pflegt dann 
meist die Conj. bulbi sehr hyperämisch zu sein und sich sogar 
chemotisch um die Cornea herum abzuheben. Begreiflicher Weise 
sieht danu das Krankheitsbild bedenklicher aus, und wäre es dem 
Arzt nicht so sehr zu verdenken, wenn er zum Atropin greift. 
Aber auch hier, wie natürlich beim erst geschilderten Verlauf, 
reichen meistens die bekannten Heilmittel (Kataplasmen etc.) aus, 
durch welche nicht nur der Process selbst beschleunigt, sondern 
obendrein eine bedeutende Linderung der Schmerzen erzielt wird. 

2. Acute Bindehautkatarrhe, bei deuen die Cornea und 
Iris nicht betheiligt sind und die Reizerscheinungen 
keine abnorme Höhe erreichen. 

Eine derartige Affection der Conjunctiva ist vollkommen das 
Analogon zu jeder sonst am menschlichen Körper auftretenden 
acuten Schleimhautentzünduug und verlangt daher auch die Ihnen 
bekannte analoge Behandlung. Fällt es Ihnen nun wohl jemals 
ein, bei acuten Entzündungen dieser oder jener Körperschleimhaut 
Atropin zu verwenden? Schwerlich. Warum also beim acuten 
Bindehautkatarrh, wenn die oben genannten Nebenerscheinungen 
fehlen? Sie glauben doch wohl nicht, dass das Atropin lediglich 
ein Specificum für Augenkatarrhe ist? Oder versprechen Sie sich 
von der im übrigen doch etwas problematischen narkotisirenden 
und antiphlogistischen Wirkung des Atropins beim Auge soviel, 
dass Sie dafür die sonst üblichen Narcotica und Antiphlogistica 
(Kälte, Derivantien, Adstringentien) beim Auge erst in zweiter Linie 
für nothwendig erachten? Glauben Sie dies ja nicht! Der Patient 
ist Ihnen in solchen Fällen viel, viel dankbarer für kühlende, ad- 
stringirende Augenmittel, für Regulirung der Augendiät, als für 
das Atropin, das ihn durch seine unangenehmen Nebenwirkungen 
in seiner Sehfunction sehr belästigt und beängstigt. 

3. Chronische Bindehautkatarrhe. 

Was hierbei das Atropin nützen soll, ist noch schwerer ver¬ 
ständlich, als beim acuten Bindehautkatarrh. Sie wissen, dass 
beim chronischen Katarrh die Iris fast immer unbetheiligt ist, dass 
die Schmerzen und die Hyperämie der Conjunctiva relativ sehr 
irrelevant sind. Warum also, da keine Indication für das Atropin 
yorliegt, davon, wie es häufig genug geschieht, Gebrauch 
machen? Die den chronischen Katarrh vornehmlich cliarakterisirende 
Gewebswucherung verschwindet ganz gewiss nicht auf Atropin. 
Hierzu sind lediglich die bekannten Adstringentien am Platz. 

Dass hin und wieder acute und selbst chronische Bindehaut¬ 
katarrhe unter Atropingebrauch heilen, was ich durchaus nicht be¬ 
streiten will, ist kein Beweis gegen meine oben geäusserte Behaup¬ 
tung bezüglich der Entbehrlichkeit des Atropins, denn bekanntlich 
heilen auch sonst acute und selbst chronische Schleimhautentzün¬ 
dungen ohne jegliche medicamentöse Behandlung voll¬ 
ständig spontan bei der nöthigen Ruhe und Schonung! 

4. Fremdkörper, die in den Bindehautsack oder in die 
Lamellen der Hornhaut eingedrungen sind. 

Handelt es sich um einen Fremdkörper, der sich in eine Con- 
junctivaltasche verirrt hat, so genügt dessen einfache Entfernung — 
natürlich muss auch gründlich darnach gefahndet und insbesondere 
— wie im Fall II und III, nicht unterlassen werden, das Oberlid zu 
evertiren und damit den Lieblingssitz der Corpp. delicta aufzu¬ 
suchen. — In keinem Falle darf sich der Arzt jedoch durch die 
infolge vergeblicher Extractio ns versuche meist auftretende Reizung 
der Bindehaut und etwaige oberflächliche Erosion der Cornea 
verführen lassen, nachträglich obendrein noch Atropin zu instilliren. 
Fast immer genügen — was die obigen Fälle exemplificiren — zu 
diesem Zweck einfach kalte Umschläge. 

Bekommt der Arzt einen Patienten mit einem Hornhaut¬ 
fremdkörper kurz nach dem Unfall zu sehen, also zu einer Zeit, 
in der sich noch keine sichtbare reactive Entzündung um den 
Fremdkörper gebildet hat, und keine entzündliche Reizung des 
Uvealtractus — objectiv als sog. episclerale Injection erkennbar — 
aufgetreten ist, so genügt ebenfalls die Entfernung desselben. Der 
in der Regel zurückbleibende kleine Epitheldefect der Cornea heilt 
ganz reizlos unter Application kalter Umschläge. Uebrigens kann 
einer etwaigen secundären Infection des Epitheldefects mit Vortheil 
durch Einstreicheu von etwas Jodoform- oder Jodolvaselin in jedem 
Falle vorgebeugt werden. 


Ganz anders liegt natürlich der Fall, wenn der Fremdkörper 
durch längeres Verweilen in der Hornhaut bereits eine secundäre 
entzündliche Reaction der Cornea herbeigeführt und — falls es 
sich um einen Eisensplitter handelt — ein sog. „Rostkranz“ sich 
um denselben gebildet hat. In solchen Fällen hat man — worauf 
erst kürzlich Dr. Schinitz 1 ) aufmerksam machte, zwischen zwei 
Operationsverfahren zu wählen. Entweder man entfernt lediglich 
den Fremdkörper und überlässt es dem Reparationsbestreben der 
Cornea, den Rostkranz abzustossen, oder man entfernt den Fremd¬ 
körper und das entzündliche resp. eitrig infiltrirte Gewebe in der 
nächsten Nachbarschaft. — Im ersteren Fall empfiehlt es sich, die 
reactive Entzündung der Cornea durch Atropin möglichst zu be¬ 
schränken, d. h. eine Mitleidenschaft der Iris etc. zu verhüten, im 
letzteren Falle ist Atropin unnöthig und genügt irgend eine desin- 
ficirende, antiseptisch wirkende Substanz (Jodoform, Borsäure etc.), 
um jegliche secundäre Wundinfiltration zu verhüten. Beide Opera¬ 
tionsverfahren werden von den verschiedenen Fachcollegen geübt. 
Ich für meine Person ziehe auf Grund meiner gemachten Erfahrungeu 
entschieden das letztere Verfahren vor. Von 107 Patienten, die 
mich im Laufe vorigen Jahres wegen bereits längerer Zeit, der Cornea 
aufsitzender Fremdkörper consultirten, war ich nur bei dreien 
wegen secundärer Infiltration der Wunde genöthigt, Atropin anzu¬ 
wenden. Sämmtliche 104 Patienten bekam ich nach der ersten 
Consultation nicht wieder zu Gesicht, weil eben keine weitere Stö¬ 
rung sich eingestellt hatte. 

5. Acute oberflächliche Keratitiden, die mit relativ 
geringen Reizerscheinungen einhergehen. 

Das Prototyp derartiger Entzündungen ist die sog. Keratitis 
phlyctaenulosa. Sie wissen, dass dieselbe bei typischem 
Verlauf ungemein schnell in Form kleiner wasserheller Bläschen 
mit Vorliebe am Limbus corneae sich entwickelt. Die begleitende 
Reizung kann dabei relativ bedeutend sein, beschränkt sich jedoch 
hin und wieder auf einen gewissen Grad von Lichtscheu, geringen 
Schmerz und eine geringe Injection der Conjunctiva in der Nach¬ 
barschaft der Phlyctaene. Im letzteren Fall ist das Atropin völlig 
entbehrlich. Es genügen leichte adstringirende Collyrien oder Ein¬ 
bringen eines gelinden Resorbeus, um in kurzer Zeit ohne einen 
Tropfen Atropin der Affection Herr zu werden. Will man die 
Empfindlichkeit der verletzten Trigeminuseuden vermindern, so dient 
hierzu weit besser als das Atropin das Cocain. 

6. Anwendung zu Untersuchungszwecken. 

Es wurde oben bereits erwähnt, dass für die Mehrzahl der 
Fälle zur Erweiterung der Pupille der Gebrauch von Homatropin 
und Cocain aus den ebendaselbst erwähnten Gründen dem Atropin 
vorzuziehen ist. Wenn bislang trotzdem von den praktischen Aerzten 
das Atropin zu diesem Zweck verwandt wurde, so mag dies in dem 
uns angeborenen Hang zum Althergebrachten liegen, zum Theil 
aber auch vielleicht in der hier und dort bestehenden Unkenntniss 
von der mydriatisclieu Wirkung des Homatropins und Cocains 
beruhen. 

Die Erkrankungen, bei denen das Atropin schädlich für das 
Auge wirkt, müssen wir in solche scheiden, bei denen 

1. eine absolute, 

2. eine relative Contraindication besteht. 

Zu den ersteren gehören 

1. Die marginalen Homhautulcera. 

Bekanntlich entwickeln sich — mit Vorliebe bei skropliulösen 
Kindern — marginale Homhautulcera aus einfachen Randphlyctänen, 
die sich eitrig infiltriren, der Fläche nach und in die Tiefe des 
Hornhautparenchyms sich ausdehnen oder durch Confluenz mit be¬ 
nachbarten Phlyctänen eine bedrohliche Nekrose der betr. Hornhaut¬ 
partie bedingen. Meist sind dabei sehr heftige Schmerzen, Licht¬ 
scheu, Blepharospasmus und ausgebreitete Hyperämie der Conjunc¬ 
tiva und Iris vorhanden. Was Wunder, wenn in solchen Fällen 
der betr. Arzt sogleich zum Atropin greift! Dies ist jedoch stets 
ein Missgriff. Wohl wird durch Atropin die Iritis vortheilhaft beein¬ 
flusst — es retrahirt sich der Pupillarrand, die Schmerzen werdeu 
geringer — durch die entstandene Mydriasis kann jedoch der intra- 
oculare Druck wesentlich erhöht werden (wenigstens sieht man oft 
genug deutlich nach den Atropininstillationen den Geschwürsgrund 
sich vorwölben), und es kommt schliesslich zur Perforation. Damit 
nicht genug, legt sich dann der durch Atropin retrahirte Pupillar¬ 
rand in die Perforationsöffnung hinein, und die Erkrankung schliesst 
mit einer breiten vorderen Synechie und einem für immer gestörten 
Pupillenspiel ab. 

Eine absolute Contraindication giebt 

2. Das Glancom. 

Schon ein Tropfen einer schwachen Atropinlösung (selbst eine 
Lösung von 1:2500 nach Schnabel), selbst schwache interne 
Dosen genügen, um einen typischen Glaucomanfall hervorzurufen. 


') Klin. M onatsbl. von Zehender, 1887. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


251 


29. März. 


— Es versteht sich von selbst, dass »das Atropin nkiht im Stande 
ist, den gesammten Symptomencomplex des Glaucoiss zu erzeugen 

— daran wird Niemand denken, der «einen Begriff von dem Wesen 
des Giaucoms hat — aber -der ,, Sperrhaken“ kann es sein, der das 
schlummernde Räderwerk auslöst — wenn die Spannung des betr. 
Auges sich an der Grenze «der normalen befindet. 

.Rdi "Will mich an dieser Stelle micht über die Theorieen aus- 
lassen, die diese durch manche Beobachtung erhärtete Thatsache 
erklären — das läge ausserhalb «des Rahmens meines Thema’s — 
ich möchte Ihnen nur kurz die Symptome in der Erinnerung wach¬ 
rufen, an denen Sie ein Gtaucom .eikennen können. 

Was zunächst das Giaucoma Simplex betrifft, so sind ge¬ 
wisse -subjective Empfindungen des foetr. Patienten pafhognomonisch. 
Derselbe — manchmal noch im mittleren Lebensalter stehend — er¬ 
zählt auf Befragen, dass er hin und wieder, namentlich Morgens 
nüchtern oder nach irgend einer psychischen Depression (häusliche 
Sorgen, geschäftlicher Aerger etc.) einen eigenartigen Nebel, Wolken 
oder Rauch vor diesem oder Jenem Auge sähe, der daun im Laufe des 
Tages'wieder verschwände und heftigen Schmerzen im Kopf, Schläfe¬ 
oder Stirngegend Platz mache. Abends bemerkt unser Patient dann 
beim Blick in eine offene Kerzenfiamme die bekanntem Regenbogen- 
ringe. — Dem Patienten selbst fällt ferner hin und wieder eine ge¬ 
wisse .Unsicherheit im Gange auf. Er kann gewisse Hindernisse im 
.Zimmer oder auf der Strasse, die er früher stets umging, nicht ver¬ 
meiden und stolpert. 

Sehen Sie dann die Augen des betr. Patienten au. so werden 
fiie in der Regel keine objectiven Veränderungen eniiren. Legen 
Eie jedoch ihre Finger auf das oder jenes Auge des Patienten, so 
worden Sie eine in den meisten Fällen vorhandene und fühlbare 
erhöhte Spannung constatiren. 

Finden Sie nun ein einziges dieser subjectiven oder objectiven 
Symptome, so müssen Sie sofort dem Gedanken an Atropin auf¬ 
geben und .nicht etwa behufs Augenspiegeluntersuchung die Pupille 
durch Atropin erweitern wollen. Auch in dem Falle, dass Sie bei 
oimem Patienten obiger Art eine Katarakt sehen, dürfen Sie sich 
nicht «damit begnügen und glauben, die Ursache der Sehstörung ge¬ 
funden zu haben. Sehr oft verbirgt sich hinter der Katarakt das 
Giauomm und tritt erst nach Atropingebrauch an das Tageslicht. 

Viel leichter ist natürlich die Diagnose eines Glaucoma 
chronicum. Die venöse Stase in den Conjunctivalgefässen, die 
rauchige Trübung der Cornea, hochgradige Verengerung der vorderen 
Kammer, Erweiterung und Reactionsträgheit der Pupille, beträcht¬ 
liche Hypertonie des Bulbus etc. etc. geben auch dem Mindergeüb¬ 
ten ein Avis, dass Atropin contraindicirt ist. 

Passirt dem Arzt bei genauester Untersuchung auf subjective 
und objective Glauoomerscheinungen hin das Unglück, durch ein 
schwächeres Mydriaticum (Homatropin oder Cocain) einen 
acaten Glaucomanfall hervorgerufen zu haben, so mag er sich in 
diesem Falle damit trösten, dass auch uns Augenärzten dies passiren 
kann, dass auch wir manchmal vor zweifelhaften Diagnosen stehen. 

Unverzeihlich ist natürlich der Fehler, wenn der Arzt den 
Glancomanfall nicht erkennt und nicht sofort die geeigneten Maass¬ 
regeln trifft 

Zu der letzten Gruppe der Augenerkrankuugen, bei denen das 
Atropin unter Umständen, also relativ nachtheilig wirkt, 
gehören zunächst diejenigen ulcerösen Hornhautprocesse 
(mit nicht marginalem Sitz), bei denen die Gefahr der Perfora¬ 
tion droht, und gleichzeitig eine Hypertonie des Bulbus vorhanden 
ist. Durch Atropin wird in solchem Fall zu der bereits bestehen¬ 
den Druckerhöhung noch ein plus hinzu addirt, wodurch die Nekrose 
des ulcerirten Gewebes beschleunigt und auf diese Weise der Per¬ 
foration vorgearbeitet wird. Der einzige Vortheil, den in solchen 
Fällen das Atropin bringt, nämlich den Pupillarrand aus dem Bereich 
des geschwnrigen Processes nach der Peripherie zu entfernen, wiegt 
die obigen Nachtheile durchaus nicht auf. 

Zu erwähnen sind ferner unter den relativen Contraindicationen 
des Atropins gewisse Formen und Stadien des Pannus corneae, 
die intercurrent zu einer bedeutenden Druckerhöhung des Bulbus 
und secundärer Glaucombildung Veranlassung geben, und dann da¬ 
her den Gebrauch von Atropin verbieten. Auch bei chronischen 
Iritiden mit Pupillenverschluss und consecutiver Plustension kann 
der Angendruck durch Atropin so erhöht werden, dass daraus gleich¬ 
falls ein Secundärglaucom resultirt. 

Zn den relativen Contraindicationen sind dann schliesslich noch 
die Idiosynkrasieen bestimmter, disponirter Individuen zu rech¬ 
nen, die bereits im Eingang ihre Erwähnung gefunden haben. 

Soviel über das Atropin und dessen Anwendung bei den ver¬ 
schiedenen Augenkrankheiten. 

Ich bin mjr wohl bewusst, dass sich in meiner Auseinander¬ 
setzung hie und da eine Lücke eingeschlichen hat, dass noch man¬ 
ches pro und contra Atropin anznfiigen wäre, und auch manche 
meiner Cpllegen in einigen Punkten eine andere Ansicht über die 


Indication des Atropins hegen; ich glaube jedoch im grossen und 
ganzen meiner Aufgabe gerecht geworden zu sein und hoffe, die 
Mehrzahl meiner verehrteu Nicht-Specialcollegen zu der Ueber» 
Zeugung gebracht zu haben, dass einerseits bis zur Stunde ein 
grosser Abusus mit dem Atropin getrieben wurde, und es anderer¬ 
seits absolut für eine erfolgreiche Behandlung der Augenkranklieiteu 
nöthig ist, nicht schematisch, sondern mit reiflicher Leberlegung 
der Wirkungen das Atropin in Anwendung zu ziehen! 

V. Referate und Kritiken. 

Podwyssozki jun. Experimentelle Untersuchungen über die 
Regeneration der Drüsengewebe. Zweiter Theil, Die Re¬ 
generation des Niereuepithels, der Meibom’sehen Drüsen und 
der Speicheldrüsen. Beitr. zur pathol. Anat. u. Physiol. Her¬ 
ausgegeben von Ziegler und Nauwerck. II. Bd. p. 1. 

Coen. Ueber die pathologisch-anatomischen Veränderungen 
der Haut nach Einwirkung von Jodtinctur. Ib. p. 29. 
Coen. Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie 
der Milchdrüse. Ib. p. 83. 

Coen. Ueber Heilung von Stichwunden des Gehirns. II». 
p. 107. 

Podwyssozki jnn. Die Gesetze der Regeneration der Nieren- 
epithelien unter physiologischen und pathologischen Be¬ 
dingungen. Fortschr. d. Med. 14. 

Bizzozero und Vassale. Ueber die Erzeugung und die 
physiologische Regeneration der Drüsenzellen bei den 
Säugethieren. Virch. Arch. 110 p. 155. 

Ref. Ribbert. 

Podwyssozki, dessen Untersuchung zur Regeneration des 
Lebergewebes in No. 41, 1886, dieser Wochenschrift referirt wurde, 
hat die Regeneration des Niereugewebes nach Einstichen und Ein¬ 
schnitten, sowie nach Eutfernung kleiner Gewebstückchen bei Ka¬ 
ninchen, Meerschweinchen und Ratten untersucht und bei diesen 
Thieren zwar verschieden rasch ablaufend, im Wesentlichen aber 
übereinstimmend gefunden. In der Umgebung der Wunde finden 
sich in den ersten Tagen nach der Verletzung ausserordentlich 
viele Mitosen, vorwiegend in den Epithelien der gewundenen Ca¬ 
näle, weniger in den Schleifen, Sammelröhren und Glomerulis. 
Sie nehmen allmählich an Zahl, ab, sind aber in den Fällen, in 
denen ein grösserer Defect durch Narbengewebe geschlossen wurde, 
oft nach 20 Tagen noch in der Umgebung derselben nachzuweisen. 
In diesen Fällen kommt es auch in ausgedehnter Weise zu knospeu- 
und beerenförmigen Vorstülpungen der proliferirenden Harncanäl- 
chen in das zunächst noch weiche, nachgiebige junge Bindegewebe, 
sowie in späteren Stadien nicht selten durch Zusammenfluss zahl¬ 
reicher neugebildeter Epithelien zu riesenzellenähnlichen Con- 
glomeraten. 

In entsprechender Weise erfolgt die Regeneration an den 
Meibom’schen Drüsen. Sie tritt hier sehr rasch, schon 6—8 
Stunden nach der Schnittverletzung ein, dauert aber nicht lange. 
Sie ist ausgezeichnet durch das Auftreten vieler Mitosen in den 
peripheren Theilen der Alveolen. Erwähnung verdient, dass auch 
an den normalen Drüsen eine spärliche Neubildung von verbrauch¬ 
ten Epithelien an vereinzelten Mitosen sich nachweisen lässt. Im 
Gegensatz dazu ist von eiuem durch karyokinetische Processe er¬ 
folgendem physiologischen Ersatz in den Speicheldrüsen nichts 
zu sehen. In ihnen erfolgt aber die Regeneration nach Verletzun¬ 
gen gleichfalls hauptsächlich durch Neubildung von Epithelien auf 
mitotischem Wege. Ausserdem finden sich in den späteren Stadien 
Ausstülpungen der Endstücke der Drüsengänge, von denen die 
meisten wohl wieder zu Grunde gehen, ein anderer Theil aber 
zu neuen Drüsenalveolen sich umwandelt. 

Coen sah die Regeneration der Milchdrüse gleichfalls von 
den Epithelien der Alveolen ausgehen. In ihnen fanden sich in 
der Umgebung der Wunde zahlreiche Mitosen. Ausserdem schliesst 
sich an den traumatischen Eingriff eine lebhafte Entzündung in der Um¬ 
gebung der Alveolen an, bei welcher neben reichlicher Infiltration 
des Gewebes mit mehrkörnigen und einköruigen Lyraphkörperchen 
eine Neubildung von Bindegewebe durch mitotische Theilung der 
fixen Elemente und der Endothelzellen der Gefässe nachweisbar 
wird. 

Von Wichtigkeit ist es ferner, dass auch an der normalen 
ruhenden Milchdrüse einzelne karyokinetische Figureu im Epithel 
Vorkommen, dass diese aber sehr reichlich während der Lactations- 
periode zu finden sind. Diese Erscheinung steht im Einklang mit 
der Anschauung, nach welcher die zelligen Bestandteile der Milch 
vorwiegend abgefallene und degenerirte Epithelien sind. 

Podwyssozki fasst nun auf Grund der bei den verschiede¬ 
nen Drüsen gewonnenen Erfahrungen die Resultate über die Rege¬ 
neration derselben zusammen. Unter normalen Bedingungen ist in 
denjenigen Organen, in denen das Epithel die secernirten Stoffe nur 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 13 


252 


ausscheidet, aber nicht selbst dabei zu Grunde geht, keine Neu¬ 
bildung von Epithelzellen zu beobachten, in den Drüsen dagegen, 
In welchen beständig ein Theil der Zellen abfällt und degenerirt, 
wie den Hautdrüsen, den Milchdrüsen, oder durch mechanische Mo¬ 
mente entfernt wird, wie bei den Schlauchdrüsen des Darmcanals, 
wird der Wiederersatz der verloren gegangenen Epithelien auf 
mitotischem Wege geleistet. Nach Verletzungen der Organe wird 
die Regeneration stets durch Theilung der functionellen Elemente 
bewerkstelligt., in manchen unter Betheiligung der feineren Aus¬ 
führungsgänge. Die Wiederherstellung erfolgt um so rascher, je 
weniger die Epithelien differenzirt sind, am schnellsten also in den 
Hautdrüsen, deren Zellen den gewöhnlichen Epithelzellen am näch¬ 
sten stehen. 

Bei der physiologischen wie bei der pathologischen Regeneration 
ist aber der Hauptgrund für die Zellneubildung in der Störung des 
normalen Gleichgewichts der Gewebe zu suchen. Die schlummernde 
Entwicklungsfähigkeit der Epithelien wird durch die Entfernung 
des Gewebswiderstandes geweckt, und die entlasteten Zellen pro- 
lifcriren. Als wichtige Unterstützung der Neubildung ist die an 
die Verwundung sich anschliessende Hyperämie anzusehen. Sie 
allein regt jedoch nicht zur Proliferation an, wie daraus hervor¬ 
geht, dass sie weiter in die Umgebung reicht als die Kerntheilungs- 
processe. Eiterung verzögert resp. verhindert die Regeneration. 
Podwyssozki glaubt daraus schliessen zu müssen, dass zum Ein¬ 
tritt derselben noch besondere chemische Reize erforderlich seien, 
welche durch die pyogenen Substanzen zerstört würden. Weigert 
macht dagegen in einer Besprechung obiger Arbeiten (Fortscbr. d. 
Med. 18) darauf aufmerksam, dass dieser Schluss nicht zwingend 
sei, da es viel näher liege, anzunehmen, dass durch die Eiterung 
die Zellen an der Bethätigung der bis dahin in ihnen schlummern¬ 
den Entwickelungsfähigkeit in irgend einer Weise gehindert würden. 

In einer weiteren Arbeit untersucht Coen die Regeneration 
der Epidermis und des Bindegewebes nach Einpinselungen 
von Jodtinctur in die Haut. Er fand zahlreiche Mitosen im Epithel 
und lässt das nun sich bildende Bindegewebe durch Proliferation der 
fixen Zellen und der Blutgefässendothelien entstehen. Er hält es 
aber für möglich, dass ein Theil der Leukocvten, nämlich die 
einkernigen, sich an der Gewebsbildung betheiligt. 

Er prüfte ferner die Heilung von Stichwunden des Ge¬ 
hirns und sah, dass eine Regeneration der nervösen Elemente aus¬ 
bleibt, dass dagegen das Bindegewebe proliferirt und den Defect 
durch Narbcnbildung schliesst. 

Die Arbeit von Bizzozero und Vassale enthält die genaue 
Beschreibung ausgedehnter Untersuchungen, die über die Ver¬ 
mehrung der Drüsenepithelien in wachsenden Organen und über 
den physiologischen Wiederersatz bei ausgewachsenen Thieren an¬ 
gestellt und in einer vorläufigen Mittheilung (Centralbl. f. d. med. 
Wiss. 1885 No. 4) bereits veröffentlicht wurden, auf welche Pod¬ 
wyssozki in seinen vorstehend referirten Ausführungen Bezug 
nimmt. Die Beobachtungen basireu auf dem Nachweis der karyo- 
kinetisclien Vorgänge und betreffen die Mageudrüsen, das Pankreas, 
die Leber, Niere, Uterusdrüsen, Schweiss-, Schleim- und Speichel¬ 
drüsen, Prostata, Talg- und Milchdrüsen. Sie bringen in den 
Hauptpunkten dieselben Ergebnisse, die auch in den vorstehend an¬ 
geführten Arbeiten, soweit sie die physiologische Regeneration be¬ 
rühren, niedergelegt sind, lehren also einmal, dass in allen wachsen¬ 
den Drüsen sehr reichliche Mitosen in den Drüsenzellen vorhanden 
sind. Die auf die ausgewachsenen Organe bezüglichen Resultate 
bieten mehrere bemerkenswerthe Einzelheiten und weichen nur in 
einem wichtigeren Punkte von den oben besprochenen Mittheilungen 
ab. Sie stellen zunächst einmal fest, dass in solchen Drüsen keine 
oder nur äusserst spärliche Mitosen zu finden sind. Eine Ausnahme 
schienen anfänglich die Magendrüsen und das Pankreas zu machen, 
aber genau wiederholte Untersuchungen ergaben, dass die betreffen¬ 
den Thiere, in deren Lebern, Nieren und Speicheldrüsen sich schon 
keine Kerntlieilungen mehr fanden, noch nicht ganz erwachsen ge¬ 
wesen waren. Verff. schliessen daraus, dass die völlige Entwicke¬ 
lung von Magen und Pankreas später vollendet ist als die der an¬ 
deren uamhaft gemachten Drüsen. Ferner wird mitgetheilt, dass 
die Darmdrüsen beständig bis in ihre Endtheile hinein Mitosen 
enthalten entsprechend dem beständigen Verbrauch des an das 
Dannlumen anstossenden Epithels. Im Magen fiudeu sich in dem 
eigentlichen Oberflächenepithel niemals Kerntheilungen, ein Ersatz 
der hier abgestossenen Zellen wird offenbar durch die den Schleim- 
absondernden Anfangstheil der Magendrüsen auskleidenden Epi¬ 
thelien geleistet, in denen stets viele Mitosen vorhanden sind. 

Es sind also die Drüsenzellen der erwachsenen Thiere ausser¬ 
ordentlich coustante Gebilde, deren wichtigste Bestandtheile bei 
der Secretion dauernd erhalten bleiben. 

Die einzige oben erwähute Ausnahme bezieht sich auf die 
Milchdrüsen. Coen und Verff. stimmen darin überein, dass in der 
Zeit der Schwangerschaft das Epithel der Drüsen zahlreiche Mitosen 


aufweist. Während Jener jedoch bei einem Meerschweinchen 
während der Lactationsperiode gleichfalls Kerntheilungen nach weisen 
konnte, heben Verff. hervor, dass die Zellneubildung in der Milch¬ 
drüse mit der Geburt aufhört. Sie nehmen dementsprechend auch 
keine Abstossung der Drüsenzellen und keine Beimengung derselben 
zur Milch «an, wärend Coen die Colostrumkörperchen und Milch¬ 
kügelchen vorwiegend von abgelösten und fettig entarteten Epi¬ 
thelien ableitet. 

Verff. machen schliesslich aufmerksam auf das Vorkommen con- 
tractiler, fetthaltiger Zellen im Lumen der Milchdrüsenalveolen nach 
der Lactation, bringen sie in Zusammenhang mit der Resorption 
unverbrauchter Fetttröpfchen und vergleichen sie mit den blut¬ 
körperhaltigen Zellen der Milz etc. Ueber ihre Herkunft machen 
sie keine Angabe. 


P. Werner. Beobachtungen über Malaria insbesondere das 
typhöse Malariafleber. Berlin, Hirschwald, 1887. 70 S. Ref. 
0. Riedel. 

Verfasser liefert einen Beitrag zur Kenntniss der Malaria, der 
für Russland wichtigsten Infectionskrankheit, an der Hand der Er¬ 
fahrungen, welche er in den .Jahren 1875 und 1876 als Arzt der 
beim Bau der.Bahnlinie Saraara-Orenburg beschäftigten Arbeiter zu 
sammeln Gelegenheit hatte. Neben den häufigeren gewöhulichen 
Formen kamen in grosser Anzahl Fälle mit continuirlichem Fieber 
und typhösen Erscheinungen vor, bei welchen der Wechsel in dem 
Krankheitsbilde in Bezug auf Incubationsdauer und Kraukheits- 
verlauf, wie auf subjectives Befinden, Temperatur und Compli- 
cationen, ein wahrhaftes „Wechselfieber“ manifestirte. Die Incu- 
bation schwankte von wenigen Stunden bis zu vielen Monaten (?), 
sie liess sich besonders gut an einzelnen in Flussniederungen be¬ 
findlichen Infectionsherden erkennen, in welchen die neu hinzu- 
gekomraenen Arbeiter oft schon nach wenigen Stunden unter den 
heftigsten Kopfschmerzen erkrankten. Ein Prodromalstadium giebt 
es bei Malaria überhaupt nicht. 

Verfasser beschreibt ausführlicher die Symptomatologie der 
verschiedenen Formen der typhoiden Malaria, unter denen eine ge¬ 
wöhnliche, eine adynamisebe, eine comatöse und eine hämor¬ 
rhagische Form unterschieden werden. 

Bei der gewöhnlichen typhösen Form, deren constantes Symp¬ 
tom starke Kopfschmerzen, häufig auch Rückenschmerzen, starkes 
Hungergefühl bei andauerndem Widerwillen gegen das Essen ist, 
tritt, ohne dass sich ein bestimmter Zeitraum für die Krankheits¬ 
dauer aufstellen Messe, die Besserung ziemlich plötzlich ein, die 
Patienten werden wenige Tage darauf wieder arbeitsfähig, die 
Mortalität ist gleich Null. 

Bei der adynamischen Form ist der Uebergaug von Gesund¬ 
heit zur Krankheit ein mehr allmählicher, das Fieber bleibt ein 
mässiges, der Kranke zeigt eine gewisse Apathie und Somnolenz. 
Diese Form kommt namentlich bei Recidiven vor, als erste Er¬ 
krankung dagegen nur bei Leuten, welche schon heruntergekommen 
sind. Auch hier ist die Prognose eine gute, die Convalescenz eine 
ziemlich schnelle. 

Die comatöse Form wurde besonders auf der Höhe der Epi- 
demieen beobachtet. Die Kranken zeigen ein tiefes Coma, mit 
reactionslosen Pupillen. Die Haut ist blass, mit klebrigem Schweiss 
bedeckt, die Temperatur bleibt bis zuletzt eine andauernd hohe 
(40° C und darüber). Der Zustand kann unverändert bleiben bis 
zum 4. Tage, an welchem spätestens der Tod erfolgt. Die Wendung 
zur Besserung ist immer plötzlich, unter Wiedereintritt der Reac- 
tionen. Die comatöse Form erklärt sich durch die Schwere der 
Infection, meist handelte es sich um Individuen, welche schon er¬ 
krankt am Infectionsherde ausharrten, um weiter zu arbeiten. 

Die hämorrhagische Form wurde nur im Sommer 1876 in 
eiuer Gruppe von Arbeitern beobachtet, Litthauern. schwächlichen 
Leuten, welche'durch Noth und Entbehrung und durch die weite 
Reise gelitten, meist schon früher Intermittensanfälle gehabt hatten. 
Fast gleichzeitig erkrankten aus dieser Gruppe von 100 Menschen, 
unter denen sonst adynamische Fälle vorgekommen waren, vierzehn 
i im Verlaufe einer Woche. Gleich am 1. oder 2. Tage traten Be- 
j sinnungslosigkeit und Delirien, flüssige oft blutig gefärbte Ent- 
| leerungen, Schwinden der Harnsecretion, wiederholtes Nasenbluten 
1 ein. Bei allen entstanden vom 2. oder 3. Tage an über den ganzen 
j Körper verbreitet livide Blutextravasate von Flohstich- bis Hand- 
! tellergrösse. An Stellen, wo dieselben oonfluirten. trat leicht Druck¬ 
gangrän ein. Der Tod erfolgte zwischen dem 6. und 15. Tage 
| unter den Zeichen allmählich zunehmenden Collapses. Von den 
19 Erkrankten genasen nur 4; die Reconvalescenz war eine lang¬ 
same. 

Die typhoiden Formen zeigten gegenüber den intermittirenden 
eine grössere Sterblichkeitsziffer, andererseits blieben aber nach 
schweren Formen, wenigstens in derselben Saison, die Recidive aus. 


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29. März. 


DEDTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


253 


Niemals konnte eine Verschleppung der Krankheit durch in- 
ficirte Menschen constatirt werden, niemals kam eine Erkrankung 
unter dem Dienstpersonal des Krankenhauses vor. Ein kurzer Be¬ 
such der Infectionsherde brachte seltener eine Erkrankung hervor, 
als längeres Verweilen daselbst oder namentlich der Aufenthalt 
während der Nacht und in den frühen Morgenstunden. Die Auf¬ 
nahme des Gifts geschieht durch die Athemwege, für eine Aufnahme 
durch die Verdauungswege, für einen Zusammenhang der Malaria 
mit dem TrinkwasSer fehlt jeder Anhalt. Hinsichtlich des letzt¬ 
genannten Punktes unterwirft Verfasser die in der Literatur vor¬ 
handenen, bisher als beweiskräftig erachteten und weiter citirten 
Beispiele einer kritischen Durchsicht und ist in der Lage, bei 
mehreren derselben eine irrthümliche Auffassung bezw. eine unvoll¬ 
ständige, nicht sinngemässe Citation aus den ersten Quellen her 
nachzuweisen. 

Was die Zahl der überhaupt vorgekommenen Erkrankungen 
betrifft, so giebt Verfasser an, dass unter den durchschnittlich be¬ 
schäftigten 2 500 Arbeitern im Sommer 1875 noch eine Anzahl von 
freigebliebenen ermittelt werden konnte, dass im Sommer 1876 da¬ 
gegen nur noch einige Dutzend vorhanden gewesen seien, welche 
nur leichte Anfälle gehabt, nur ein einziger, ein Aufseher, welcher 
überhaupt niemals erkrankt war. Auf je drei Mann kam einer, 
welcher einen Anfall mit fortlaufendem Fieber gehabt. Die Listen 
des Krankenhauses enthielten 759 Fälle mit 41 Todesfällen an 
typhösen Formen, und zwar 16 an der comatösen, 6 an der adyna- 
mischen, 10 an der hämorrhagischen Form, 9 an Complicationen. 
Diese Complicationen (Pneumonie, Dysenterie und Nephritis) kamen ' 
auf die adynamische Form. Die comatöse Form mit continuirlichem 
Fieber hatte eine Mortalität von 50%, während sich für die Ge- 
sammtzahl von 759 eine solche von 5% ergiebt. Verfasser macht 
schliesslich darauf aufmerksam, dass diese Mortalität nur den Werth 
eines vorläufigen Abschlusses der Rechnung für die schwersten 
Formen besitze, deren weitere Folgen sich noch in späteren Zeit¬ 
perioden abspielen dürften. 


Albert Hoffe. Lehrbuch der Fraoturen und Luxationen für 
Aerzte und Studirende. Mit 200 Holzschnitten und 40 Tafeln. 
I. Lieferung. Würzburg, Stahel’sche Buchhandluug, 1888. Ref. 
Emil Senger. 

Trotzdem die chirurgische Literatur an Abhandlungen über 
Luxationen und Fracturen keinen Mangel leidet, so wird dennoch 
das Lehrbuch von Hoffa von Allen mit Freude begrüsst werden. 
Bei einer klaren, einfachen, äusserst übersichtlich geordneten Dar¬ 
stellung zeugt jedes Capitel von einer grossen Gründlichkeit und 
einem eingehenden Studium. Das letztere lässt sich besonders 
an den zahlreichen Abbildungen pathologischer Formen und thera¬ 
peutischer Manipulationen, sowie an den beigefügten Tafeln er¬ 
kennen. In diesen ist fast immer nebeneinander sowohl die äussere 
pathologische Körperform, als auch die entsprechende Topographie 
der die äussere Form bedingenden pathologischen Lageverände¬ 
rungen bei Verrenkungen und Brüchen (also die Knochen und die 
Muskeln etc.) bildlich dargestellt. Für den Lernenden wird gerade 
durch diese anschaulichen Bilder und Tafeln das Studium bedeu¬ 
tend erleichtert, und vielleicht wäre diesen die Bezeichnung der 
einzelnen Muskeln, sei es in ihnen, sei es neben ihnen, noch an¬ 
genehmer. 

In der ersten uns vorliegenden Lieferung sind die Fractureu 
des Schädels, der Gesichtsknochen, des Zungenbeins etc. bis zu 
denen des Oberarmes abgehandelt und gleich die Luxationen den 
entsprechenden einzelnen Fracturen angereiht. Die einzelnen Capitel 
werden mit anatomisch-physiologischen Vorbemerkungen eröffnet, 
worauf dann die Anatomie, Aetiologie, Diagnose, Verlauf, Prognose 
und die Therapie folgt. Bei der Therapie verdient hervorgehoben zu 
werden, dass fast immer auch die modernen operativen Eingriffe 
berücksichtigt sind. Von praktischer Wichtigkeit scheinen uns die 
mit grosser Sorgfalt angefertigten 15 Tabellen, in denen nach ein¬ 
ander die Symptome verschiedener Störungen am Schultergürtel 
zum Zwecke der Differentialdiagnose zwischen Contractur, Fractur 
und Luxation aufgezählt werden. 

Wenn man von der ersten Lieferung auf das ganze Werk schliessen 
darf, so kann dasselbe mit gutem Gewissen empfohlen werden. 
Es wird den Studenten gründlich in den Gegenstand einführen und 
dem Arzte ein zuverlässiger Führer sein. 


Budolf Guth. Statistischer Beitrag zur Eenntiiiss der Diph¬ 
therie und Tracheotomie über 1881 Fälle von Diphtherie 
und 1000 Traoheotomieen, aus dem Lazarus-Krankenhause 
zu Berlin. Inaugural-Dissert. Berlin, 1887. 23 S. Ref. A. Bidder. 

G. hat sich der dankenswerten Mühe unterzogen, alle in 
dem genannten Hospital von Anfang des Jahres 1874 bis zum Juli 
1886 zur Beobachtung gekommenen Fälle von Diphtherie des 
Rachens und Kehlkopfes — ein Theil derselben ist bereits früher 


statistisch verwertet worden — zu sichten und sie in üblicher 
Weise nach verschiedenen Kategorieen tabellarisch zu ordnen und 
zusammenzustellen. Es ergiebt sich daraus, dass die Zahl der auf- 
genommeuen, mit und ohne Tracheotomie behandelten Fälle, im 
Vergleich mit der Frequenz sonstiger Krankheiten bis zum Jahre 
1883 eine Steigerung, von da an eine Abnahme aufzuweisen hat. 
Die Bösartigkeit der Diphtherie hatte aber bereits im Jahre 1879 
ihren Höhepunkt erreicht, da von diesem Zeitpunkt an eine con- 
stante Abuahme der Mortalität zu verzeichnen ist. Dementsprechend 
bat die Zahl der nothwendigen Tracheotomieen relativ abgeuommen. 
Was die Tracheotomirten allein anlangt, so nahm die Mortalitäts- 
curve derselben bis zum Jahre 1881 zu, von da an aber bis jetzt 
ab. Während in dem genannten Jahre nur 16,5% Heilungen zu 
verzeichnen waren, betrug die Zahl der letzteren im Jahre 1885 
39,2%. G. ist nun geneigt, diese Besserung der Mortalitätsverhält- 
nisse nach Tracheotomie weniger der constatirten Abnahme der 
Bösartigkeit der Diphtherie überhaupt zuzuschreiben, als dem bei 
der Tracheotomie von Langenbuch seit Ende des Jahres 1882 
geübten Verfahren. Langenbuch nämlich, welcher in der Regel 
die Tracheotomia inferior macht, schob, in diesem Jahre zum ersten 
Mal, nach der Eröffnung der Luftröhre zunächst nach oben hin zum 
Kehlkopf ein an einem Faden befestigtes jodoformirtes Schwämm¬ 
chen, ehe er die Canüle einführte; da dieses Schwämmchen aber 
zu stark reizte (6 Trachealstenosen waren in Folge dessen ent¬ 
standen), so ersetzte er dasselbe vom Jahre 1883 an durch einen 
kleinen Bausch entfetteter, jodoformirter Watte. Dieser verhindert 
das Herabfliessen von Speisetheilen, Kehlkopfsecret etc. in die 
Trachea uud kann meist schon am 3. oder 4. Tage nach der 
Operation entfernt werden. 

Also dieses Verfahren soll nach der Meinung von G. den 
wesentlichsten Antheil an der Herabminderung der Mortalität haben! 
Referent kann — so sehr er auch geneigt ist, das Rationelle des 
genannten Vorgehens anzuerkennen — sich dieser Schlussfolgerung 
nicht anschliessen; und zwar stützt er sich dabei auf G.’s eigene 
Angaben. Man sollte doch meinen, dass der Bausch bereits im 
ersten Jahre seiner Anwendung einen erheblichen Einfluss im Sinne 
der Herabminderung der Mortalität hätte äussern müssen; doch 
ist das nicht der Fall; im Gegentheil, die Jahre 1874 und 1876 
zeigen bessere Heiluugsprocente (33,3%), als das Jahr 1883 mit 
30,9% Heilungen. — Wie G. selbst anführt, sind für den Ausgang 
der Tracheotomie noch eine ganze Reihe von Umständen maass¬ 
gebend, unter anderen auch das Alter der Operirten. In dieser 
Beziehung sind besonders belehrend die von G. nur noch ganz 
kurz am Schlüsse angeführten Angaben über die in der zweiten 
Hälfte des Jahres 1886 gewonnenen Resultate: „Wir haben bis 
zum Anfang December 60 Tracheotomieen bei Kindern über 2 1 /) 
Jahren gemacht, von denen 33 oder 55% genasen. Bei Kindern 
uuter 2% Jahren wurde die Tracheotomie in 30 Fällen gemacht, 
von denen jedoch nur 2 oder 6,7% geheilt wurden“. Angesichts 
dieser hohen Mortalität bei kleinen Kindern trotz des Wattetampons 
und im Hinblick auf das vorher Angeführte, kann Referent aus der 
G.’schen Arbeit nur folgern, dass die thatsächliche Abnahme der 
Mortalität nach Tracheotomie im Lazarus - Krankenhause wohl vor 
allen Dingen auf eine Abnahme der Bösartigkeit der Diphtherie — 
wenn nicht auf andere noch unbekannte Umstände — zu beziehen 
ist, und dass wir bisher leider noch immer nicht im Stande sind, 
den diphtheritiscben Process — sei es vor oder nach der 
Tracheotomie — nur mit einiger Sicherheit günstig zu beeinflussen. 

Zum Schluss kann Referent das Studium der interessanten 
Einzelheiten der Dissertation von G. nur aneglegentlichst empfehlen. 


A. Brückner. Die Aerzte in Russland bis zum Jahre 1800. 

80 S. 2.50 Mk. St. Petersburg, H. Schmitzdorff, 1887. 

Der Verfasser giebt in der genannten Schrift eine Geschichte 
der Aerzte in Russland in den drei Jahrhunderten von 1500 bis 
1800. Die Ausländer: Engländer, Holländer, Franzosen, Italiener, 
Griechen, Ungarn, Polen, Deutsche spielen unter den russischen 
Aerzten von jeher eine Hauptrolle. Erst um die Mitte des 18. 
Jahrhunderts nahmen die Russen selbst an der Ausübung der 
Heilkunde Theil. Demgemäss beschäftigt sich der grössere Theil 
der Schrift mit den in Russlaud eingewanderten fremden Aerzten, 
um in einem letzten Abschnitt sodann die Geschichte der eigentlich 
russischen Aerzte, welche kaum die letzten anderthalb Jahrzehnte 
umfasst, bis zur Wende des 19. Jahrhunderts zu verfolgen. 


C. Arnold. Repertorium der Chemie. II. Aufl. 572 S. Ham¬ 
burg und Leipzig, Leop. Voss, 1887. 

E. Haraack. Die Hauptthatsachen der Chemie. Für das Be- 
dürfniss des Mediciners, sowie als Leitfaden für den Uuterricht 
zusammengestellt. 106 S. ibidem. 

Die zweite Auflage des Arnold’schen Repertoriums der 
Chemie, als dessen Hauptvorzüge die übersichtliche Anordnung des 


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254 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 13 


umfangreichen Stoffes und die sorgfältige Bearbeitung aller physio¬ 
logisch und therapeutisch wichtigen Verbindungen bereits beim Er¬ 
scheinen der ersten Auflage volle Anerkennung gefunden haben, 
hat, entsprechend deu stetigen Fortschritten der Chemie, wesent¬ 
liche Bereicherungen erfahren und auch den wichtigsten neueren 
Heilmitteln die nöthige Berücksichtigung angedeihen lassen Ein 
ausführliches Register vermittelt eine schnelle Orientirung, und er¬ 
füllt das Repertorium nach jeder Richtung seinen Zweck, dem Stu- 
direnden wie dem Praktiker ein Hülfsbuch für das Studium, bezw. 
für die Praxis zu sein. 

Ein anderes Ziel verfolgt das in demselben Verlage wie das 
ebengenannte Repertorium erschieuene Harnack’sche Buch. Das¬ 
selbe will, gegenüber der Thatsache, dass einem grossen Theil der 
angehenden Mediciner die wichtigsten chemischen Grundbegriffe 
mangeln, diese Thatsachen und Begriffe derartig formulireu, dass 
sie sich leicht im Besitze des Studirenden festigen und womöglich 
unverlierbar darin erhalten bleiben. Der Verfasser hat daher, unter 
Beiseitelassung aller Details, nur die allerwichtigsten Vorstellungen 
und Begriffe, die fundamentalen Fragen aus dem Gesaramtgebiete 
der Chemie in systematischer Ordnung und möglichster Kürze be¬ 
handelt, ein Grundsatz, der für den vorliegenden Zweck berechtigt 
und in gelungenster Weise durchgeführt ist. 


Bealencyklopädie der gesammten Pharmacie. Handwörter¬ 
buch für Apotheker, Aerzte und Medicinalbeamte. Herausgegeben 
von B. Geissler und J. Moeller. Band III und IV (Lieferung 
31—60). Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg, 1887/88. 

Die vortreffliche Encyklopädie, der wir beim Erscheinen des 
ersten Bandes bereits eine kurze Besprechung gewidmet haben, ist 
nunmehr bis zum IV. Bande vollendet, der mit dem Buchstaben 
Gou abschliesst. Wir haben bereits damals die Vorzüge des Werkes 
hervorgehoben und können nur wiederholen, dass dasselbe, je 
weiter es seiner Vollendung entgegengeht, immer mehr sich zu 
einem Hülfsbuche gestaltet, das auch dem Arzte für viele Fragen 
ein unentbehrlicher Rathgeber sein wird. Was die Ausstattung an¬ 
langt, so hat die bekannte Verlagsbuchhandlung, der wir auch die 
Eulenburg’sehe Realencyklopädie verdanken, das Mögliche ge¬ 
leistet. 


VI. Verhandlungen des Vereins filr innere 

Medicin. 

Sitzung am 20. Februar 1888. 

(Schluss aus No. 12.) 

Discussion über den Vortrag des Herrn E. Senger: Experi¬ 
mentelle und bacteriologische Untersuchungen zur Aetiologie 
des Carcinoma. 

Herr Klemperer: Meine Herren! Ich möchte um die Erlaubniss 
bitten, Ihnen im Aufträge meines abwesenden Collegen Scheurlen einige 
Mittheilungen zu machen. Derselbe ist am Sonnabend in Familienangelegen¬ 
heiten verreist und bedauert sehr, an der heutigen Sitzung nicht theil- 
nehmen zu können, weil er gern die Gelegenheit benutzt hätte, gegenüber 
den vielfachen Angriffen, theils in Referaten und Kritiken, besonders aber 
gegenüber dem heutigen Vortrage von Herrn Senger Stellung zu nehmen. 
Ich möchte natürlich in dieser Beziehung Herrn Scheurlen nicht vor¬ 
greifen, indessen darf ich wohl meiner persönlichen Ueberzeugung Ausdruck 
geben, dass durch die wesentlich negativen Ergebnisse Senger’s 
an dem positiven Resultat Scheurlen’s absolut nichts geändert 
wird. Scheurlen hat seine Untersuchungen weiter fortgesetzt und 
fühlt das Bedürfnis, dieser Gesellschaft, der er seine ersten Mittheilungen 
gemacht hat, auch von seinen weiteren Resultaten Nachricht zu geben. Er 
hat diese weiteren Ergebnisse mir gegenüber in vier Sätzen zusammengefasst: 

1. „Ich habe drei weitere Fälle von aseptischem Carcinom untersucht, 
zwei von Herrn Prof. Küster, eins von Herrn Dr. Lapierre in Potsdam. 
Ich habe hierbei das Plattenculturverfahren angewandt und 40 Platten ange¬ 
legt. Im ersten Fall sind auf drei, im zweiten und dritten auf fünf Platten 
Culturen meines Carcinombacillus aufgegangen. 

2. „Untersuchung des Blutes von Lebenden, die an vor¬ 
geschrittener Carcinose litten, bei welchen die Diagnose durch 
Section bestätigt ist. Alle drei Fälle wurden auf der I. medicinischen 
Klinik des Herrn Geheirarath Leyden untersucht. 

„Ich habe von drei Patienten, welche zweifellos an Carcinom litten, 
intra vitam das Blut untersucht. In einfachen Deckglaspräparaten konnte 
ich gewöhnlich unter vieren einmal die charakteristischen Bacillen und 
Sporen nachweisen. Von dem intra vitam unter besonderen Cautelen ent¬ 
nommenen Blut wurden in jedem Fall je 20 Culturen angelegt, in einem 
Fall ging auf 16 Platten je ein Carcinomkeim auf, in den beiden anderen 
gingen auf drei resp. auf fünf Keime auf. 

3. „Ich habe 17 Fälle von nicht aseptischem Carcinom untersucht. 
In jedem Fall habe ich Carcinombacillen und Sporen gefunden, ungezählte 
Culturen' davon angelegt, es wuchsen mehrere Arten, stets aber auch der 
Carcinombacillus. 

4. „Ich habe aus dem durch Aspiration gewonnenen, blutig gefärbten 
Mageninhalt eines Patienten mit exulcerirtem Magencarcinom zweimal Cul¬ 
turen angelegt. Das erste Mal gingen auf 3 Platten 40 Keime auf, darunter 


4 Carcinomkeime, das zweite Mal auf 4 Platten 21, darunter 12 Carcinom- 
keime.“ 

Herr 0. Israel: Meine Herren! Ich benutze die Freiheit, die mir hier 
als Gast geboten wird, um an den ersten Vortrag anzuknüpfen und ich 
will mich wegen der vorgeschrittenen Zeit kurz fassen. Sie werden mich 
entschuldigen, wenn ich nicht an Herrn Senger’s Thatsachen anschliesse, 
weil darin Nichts ist, was nicht schon bekannt gewesen wäre. In histolo¬ 
gischer und bacteriologischer Beziehung ist das Thatsächliche bekannt ge¬ 
wesen, jedoch in seiner Einleitung hat Herr Senger einige wichtige That¬ 
sachen in einer Gruppirung angeführt, welche durchaus seiner Argumen¬ 
tation angepasst war, welche ganz richtige Grundlagen für ein weiteres 
Arbeiten darboten, aber diese sehr fruchtbaren Gedanken hat er nicht 
inductiv ausgeführt und ist nicht auf denjenigen Punkt gekommen, den der 
in’s Auge fassen muss, der naturwissenschaftlich arbeiten will. Er sagt, 
dass die Infectiosität des Carcinoms nicht bewiesen sei durch die be¬ 
kannten Experimente, andere müssten angestellt werden. Die Gründe, 
welche er hierfür anführt, waren zum Theil stichhaltige, aber er hat 
keine neue Methoden angegeben, welche zu erfolgreicheren Versuchen 
führen könnten. 

Die Infectiosität des Carcinoms begründet er mit dem Auftreten der 
disseminirten Herde im Körper. Fragen wir uns aber, weshalb die Seminien 
erst durch eine Lymphbahn, dann in eine Drüse gehen, dann weiter auf- 
treten, so hat das offenbar seinen Grund darin, dass die anatomische Ein¬ 
richtung des Körpers für ein Agens, das in ihm ist, diese Wege vor¬ 
schrieb, aber es ist keineswegs dadurch bewiesen, dass dies Agens von 
aussen hineingelangt sei, jedes aus seinem Zusammenhänge gelöste 
Theilchen des Körpers selbst kann gegebenen Falles denselben Weg 
machen. Zunächst muss der Beweis geliefert werden, dass die Krankheit 
übertragen wird von Individuum zu Individuum, oder von der Aussenwelt 
auf ein Individuum. Dieser Beweis kann nur durch Impfung geführt 
werden, Impfung im weitesten Sinne, von der Haut, durch das Blutgefäss¬ 
system, durch Einbringung der Noxe in die serösen Höhlen, kurz durch 
Einverleibung des Agens in den Körper. Nun giebt es einen Fehler, den 
bisher alle Uutersucher gemacht haben, die eine mikroorganische Entstehung 
des Carcinoms präjudicirten. Er liegt darin, dass sie die wichtigste Er¬ 
fahrung, welche Koch in seinen „Wundinfectionskrankheiten“ feststellte, 
nicht beachtet haben, nämlich, dass es durchaus nicht indifferent ist, 
welchem Versuchsthier man einen mikroorganischen Keim einverleibt. Ein 
Mikrobe, der pathogen ist für einen Hund, braucht es nicht für ein 
Kaninchen, Meerschweinchen etc. zu sein. Deshalb ist es ein Verlangen, 
welches aus Rücksicht auf die Bacterien ein sehr unbilliges ist, zu wünschen, 
dass ein Parasit des Menschen ohne Weiteres auf den Hund komme, wie 
es die meisten Experimentatoren erstrebten. Das adäquate Versuchsthier 
wäre nur der Mensch. Wir besitzen aber Carcinom beim Hunde, und es 
wäre richtig, von Hund auf Hund zu überimpfen, das müsste ein Parasit 
leisten können. Die Histologie der Hundecarcinome ist noch keine abgeschlos¬ 
sene, aber die Parallelen mit dem Menschen sind so grosse, dass Niemand An¬ 
stand genommen hat, diese Bildungen als den menschlichen gleichwertige 
anzunehmen. Ich habe derartige Versuche gemacht, von Hund auf Hund 
lebenswarme Theile geimpft, bisher ist es noch nicht gelungen, aber nur 
auf diesem Wege darf man hoffen, die Infectiosität des Carcinoms festzu¬ 
stellen, wenn sie vorhanden ist. Besondere Kautelen müssen natürlich 
dabei genommen werden; es liegt auf der Hand, dass ein Mikroorganismus, 
der ein Carcinom macht, ein ganz anderer sein müsste, als die bisher als 
pathogen bekannten, er würde also auch andere Rücksichten beanspruchen. 
Welche Eigenschaften müsste nun ein derartiger Carcinommikroorganismus 
haben? Da ergiebt sich, dass er gewissermaassen als Ferment wirken 
müsste, er müsste Zellen, welche nicht an der betreffenden Körperstelle 
entstehen und für gewöhnlich auch dort nicht ihre Wachsthumsbedingungen 
haben, befähigen, dort zu wachsen, entweder dadurch, dass er den Boden 
umformt, oder die Zellen mit einer grösseren Energie beseelt, sich dort an¬ 
zusiedeln; sonst wäre es nicht möglich, dass z. B. ein Epiderraoidalcarcii^om 
im Gehirn oder an einer Stelle, wo nichts von derartigem Epithel vor¬ 
handen ist, entstehen könnte. Mikroorganismen, welche in dieser Art 
ihre Lebensthätigkeil an den Tag legen, kennen wir bisher nicht. Nach 
dem, was wir heute von Histiogenese und Bacteriologie kennen, sehe ich 
keine Gründe, eine Infectiosität anzunehmen. Ich will mich nicht auf die 
negativen Versuche stützen, über die ich später berichten will. Wir 
kennen noch keine Thatsache, welche uns zwänge, eine parasitäre Aetiologie 
anzunehmen. Gelänge es, eine solche nachzuweisen, so müsste man zwar 
die Histologie von vorn anfangen, aber ich würde die Thatsache doch freudig 
begrüssen. Wir haben bisher immer gesehen, dass Fremdkörper irgend 
welcher Art eine Reaction von Seiten des Bindegewebssystems anregen, das 
Epithel spielt dabei eine wesentlich passive Rolle; wenn auch eine gewisse 
Activität an manchen Stellen hervortritt, wo seine Matrix gereizt wird, 
niemals sehen wir dadurch Bildungen zu Stande kommen, die einem Organ 
gleichkommen. Das ist eben das grosse Verdienst Virchow’s, welches 
Herr Senger hervorhob, die histologischen Charaktere der Carcinome fest- 
gestellt zu haben, der organoide Bau derselben ist von ihm hervorge¬ 
hoben. Er hat hervorgehoben, dass die epithelialen Geschwülste den 
organoiden Bau, wie die Geschwülste des Bindegewebes den histioiden 
haben. Gerade diese Grunddifferenz im Aufbau zwingt den Histologen, 
vorerst noch an der Aetiologie durch einen Mikroben von aussen zu 
zweifeln, respective die Versuche nicht ausschliesslich vom bacteriellen 
Standpunkte aus anzustellen, sondern erst den Beweis zu verlangen: ist 
das Carcinom infectiös, oder ist es nicht infectiös. Es wäre ja möglich, 
eine derartige Genese zu constatiren, in der Weise, wie ich vorher angab 
von Hund auf Hund und dabei die Frage nach der besonderen Disposition 
der Thiere zu lösen. Das Carcinom befällt vorzugsweise alte Individuen, 
viel kennen wir darüber nicht bei Hunden, und es macht viele Schwierig¬ 
keiten, das Material zu beschaffen. Sowie ich einen carcinomatösen Hund 
bekomme, werde ich versuchen, diesem ein Carcinom andeter Natur, als wie 


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29. M&rz. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


255 


er es hat, einzuimpfen. Bei ihm besteht jedenfalls eine solche Disposition, 
implantire ich einem Hunde, der ein Kankroid hat, ein melanotisches Car- 
cinom, so müsste sich die Disposition in dem Verhalten dem implantirten 
Stücke gegenüber Hussein. Ich will allerdings hier nun nicht behaupten, 
dass ich von der Identität aller Carcinome ihrem Wesen nach überzeugt 
bin, dass ich ein Kankroid und ein melanotisches Carciuom oder einen 
Darmkrebs als in ihren Beziehungen gleichwertige Elemente annehme, 
vorläufig wissen wir aber nichts Besseres, diesen Weg müssen wir zuerst 
beschreiten, und bis er zu Erfolgen führt, wird die Bacteriologie auch die 
erforderlichen Fortschritte gemacht haben. 

Herr 0. Lassar. Ein Tbeil meiner Ausführungen ist durch Herrn 
Israel schon erschöpft. Immerhin müsste die Fragestellung etwas genauer 
präcisirt werden. Hätte ich dem Herrn Vortragenden einen Rath anbieten 
dürfen, so hätte ich gebeten, den Vortrag nicht als einen Beitrag zur Krebs¬ 
frage, sondern als einen solchen zur Lehre von den Kartoffelbacillen zu 
halten. Man muss sich darüber klar werden, dass die morphologischen 
Eigenschaften der Bakterien, als Kriterien für ihre pathogenetische Bedeu¬ 
tung, nur auf Irrwege führen können, und ich erwähne, dass Coccen, wie 
die erst neulich von Herren Disse und Tagucha im Blut Syphilitischer 
gefundenen sich auch in anderen Culturen finden und in solchen, welche 
gröblich verunreinigt sein können. Der negative Theil der Ausführungen 
des Herrn Senger kann uns vielleicht durch Analogie gewinnen, aber 
nicht logisch überzeugen. Anders die positiven Erörterungen. Ich hatte Ge¬ 
legenheit, vor meinen Zuhörern sowohl, als auch privatissime einem nahezu 
gleichlautenden Gedankengange Ausdruck zu geben. Das Essentielle bleibt 
die heteroplastische Implantations- und Metastasenfrage, denn letztere allein 
ist, wie schon Ponfick’s Zinnoberversuche im Anfang der 70er Jahre 
darlegten, weder an Infection noch an besondere Tumoren gebunden. Auch 
sei nicht vergessen, dass Cohnheim, als er und Salomonsen sich mit 
der Erörterung der Geschwülste beschäftigten, durch viele negative Impf¬ 
versuche in Bezug auf das Carcinom indirekt beweisen konnte, dass anderer¬ 
seits die Tuberculose einfach überimpfbar sei. Es fehlt aber an Aufklärung, wie 
es kommt, dass ein so heteroplastisches Gebilde im Stande ist, metastatisch 
zu werden, dass nicht allein das epithelioide Gebilde einen perniciösen und 
malignen Charakter annimmt, sondern auch noch andere, an sich benigne, 
histologische Elemente diese Eigenschaft annchmen können. Ich nenne nur 
die Gener&lisirung von Enchondromen, die seltenen Fälle von Kropf¬ 
metastase. Der pathologische Specialcharakter kann also nicht an die Ge- 
websform geheftet sein, die Gewebsform muss ein besonderes Schicksal er¬ 
fahren. Dieses ist im Anfang gewiss oft traumatischer Natur. Wir können 
uns wohl vorstellen, dass dieselben schwächeren Punkte, welche Cohnheim 
so treffend hervorgehoben hat, bei traumatischen Verletzungen im Stande 
sind, diese unbekannten Reize in sich aufzunehmen und, durch dieselben 
möglicherweise befruchtet, eine Wucherungsenergie auf ganz heteroplastischer 
Basis zu erlangen. So lautet die Frage nach der Ursache des Krebses 
zwar präcise, aber ihre Beantwortung steht noch weit aus. 

Herr M. Wolff: Die Discussion hat sich, wie ich meine, durch die 
allgemeinen Betrachtungen etwas zu weit von dem entfernt, was wir eigent¬ 
lich wissen wollen. Der Thatbestand ist der, dass Herr Scheurlen be¬ 
hauptet, den Krebsbacillus gefunden zu haben, während Herr Senger 
sagt, dass dieses der Kartoffelbacillus ist. Ich bin weit entfernt, für die 
sehr fraglichen Untersuchungen des Herrn Scheurlen einzutreten, aber 
Herr Senger muss uns doch noch ausführlich die Gründe auseinander¬ 
setzen, was bisher nicht geschehen ist, weshalb er den Scheurlen’sehen 
Krebsbacillus für den gemeinen Kartoffelbacillus hält. Das ist das Punctum 
saliens. Ich wollte nur noch bemerken, in Bezug auf den Kartoffel bacillus 
oder besser die Kartoffelbacillen, da es mehrere Species giebt, dass die¬ 
selben in Bezug auf ihr mikroskopisches Aussebeu und ihre Culturen 
keineswegs so unbekannt sind, wie es Herr Senger Eingangs angegeben hat. 

Herr Leyden: Ich möchte eine Frage an Herrn Israel richten, sie 
knüpft an die Bemerkung von Herrn Lassar an, der die von Ponfick 
mit Zinnober angestellten Versuche mit den Metastasen verglichen hat. 
Diesen Vergleich finde ich nicht zutreffend, denn die Metastasen des 
Zinnobers sind nur Herumschleppungen, indem weisse Blutkörperchen den 
Farbstoff aufnehmen und in den Geweben anderer Körpertheile ablagern. 
Man kann dies allenfalls auch eine Metastase nennen, aber dieselbe hat 
keinerlei Analoges mit der Metastase, welche das Carcinom macht. Dort i 
handelt es sich um blosses Herumtragen von Partikeln, hier beim Carcinom 
werden höchsten minimale, unsichtbare Keime verpflanzt, welche sich an- 
siedeln, fortentwickeln und zu neuen, den ersten entsprechenden Neoplas¬ 
men führen. Nun hat Herr Israel und auch Herr Senger, soviel ich 
mich erinnere, gesagt, gegen die infectiöse resp. parasitäre Natur des Car¬ 
cinoma spräche es, dass sich heterologe, epithelioide Zellen in ganz ver¬ 
schiedenen Geweben, z. ß. im Gehirn, entwickeln. Ich gestatte mir die 
Frage an Herrn Israel, in wiefern seiner Meinung nach eine Differenz in 
diesem Verhalten liegt, je nachdem das Carcinom ein parasitäres Gebilde 
wird oder nicht. Ich kann — soweit ich mir im Augenblick die Sache 
überlege — keinen Unterschied finden. In jedem Falle müssen die 
epithelialen Zellen der im Gehirn gebildeten Geschwulst von Keimen her¬ 
rühren, welche aus der Primärgeschwulst dorthin gebracht sind. Entweder 
waren dies einfach Carcinomzellen, welche sich an dem neuen Orte ansie- 
delten und nun gleichartige Zellen erzeugten, oder die Carcinom¬ 
zellen waren gleichzeitig Träger eines organisirten Contagiums. Denn 1 
es ist leicht voranszusetzen, dass auch im Falle, dass das Carcinom sich I 
durch Bacillen fortpflanzen sollte, nicht deren Keim allein, sondern Zellen, 
welche diese Keime tragen, die Vermittler der Metastase sind. Ich sehe 
also im Verhalten der Metastasen keinen Unterschied für den einen oder 
anderen Fall, d. h. dies Verhalten kann nicht als Beweisgrund für die eine 
oder die andere Annahme gehend gemacht werden. Ich frage Herrn Israel, 
ob er diese Sache anders auffasst. 

Herr Israel: Zur Beantwortung möchte ich hinzufügen, dass ich 
nicht in der epithelialen Metastase im Gehirn einen Gegengrund gegen die 


infectiöse Entstehung sehe, sondern nur, dass, um epiderraoidale Zellen in 
den Stand zu setzen, auf einem so ungeeigneten Boden zu gedeihen, wo 
normal nie etwas Derartiges vorkommt, ein Mikrobe dazu gehört, welcher 
entweder den Boden fermentativ so umändert, dass sie dort wachsen 
können, oder die Zellen, losgelöst von ihrer Matrix, mit einer solchen 
Wachsthumsenergie begabt, dass sie dem Einfluss des umgebenden Gewebes 
widerstehen können. Wir kennen das Spermatozoon, welches derartig wirkt; 
wenn es in’s Ei gelangt, so regt es dort Processe an, welche nicht unähn¬ 
lich sind denjenigen Processen, welche bei der Bildung des Carcinoms zur 
Entstehung organähnlicher Theiie führen. Ich sagte, ein Parasit müsste 
ganz besondere Eigenschaften haben. Ich bin durchaus kein principieller 
Gegner einer mikroorganischen Aetiologie, aber vorläufig kennen wir noch 
keine Thatsache, die uns in den Stand setzte, eine solche zu postuliren. 

Herr Rosenheim. Um an die vierte These von Scheurlen anzu¬ 
knüpfen, wonach er Bacillen im Erbrochenen und Magensaft gefunden und 
daraus die Diagnose gestellt habe (Widerspruch), so bin ich in der Lage, 
mich über derartige Versuche kurz äussem zu können. Ich habe 3 Magen- 
carcinome untersucht, nie den Scheu rl e n’schen Bacillus, überhaupt 
keinen gefunden. In den Lymphsträngen der Nachbarschaft, die mit frischem 
Krebsmaterial angefüllt waren, habe ich auch nachgesehen, ebenso in ganz 
frischen Metastasen der Leber und des Peritoneum, ich habe keinen der¬ 
artigen Bacillus entdeken können. 

Herr Senger. Es wird mir recht schwer, eine Einigung in der Frage 
zu erlangen, weil Herr Scheurlen nicht anwesend ist; er hat uns ver¬ 
schiedene Thesen verlesen lassen und hält seinen Carcinom bacillus nicht 
nur aufrecht, sondern ist sogar soweit gekommen, ihn im Blut zu finden, 
ja ihn diagnostisch — ganz so wie Koch den Tuberkelbacillus — zu ver- 
werthen. Ich kann dagegen gar nichts sagen und nichts thun, ich möchte 
mir nur die Bemerkung erlauben, die ich vorher aus gewissen Gründen 
mir nicht gestattet habe, weil nämlich meine Gewährsleute mich beauftragt 
haben, von dieser Erlaubniss nur in dringenden Fällen Gebrauch zu machen. 
Die Ansicht, dass der Scheurlen’sche Bacillus nicht der Krebsbacillus ist, 
sondern viel eher zu den Kartoffelbacillen gehört, wird nicht von mir 
allein getheilt, sondern auch von zwei Herren Assistenten von Koch, mit 
denen ich darüber langes und breites gesprochen habe. Sie waren auch 
so gütig, meine Kartoffelculturen anzusehen, und kamen zu demselben 
Resultat. Ich will aber gleich nochmals ausdrücklich bemerken, dass viel¬ 
leicht ein anderer Bacteriologe den Bacillus anders nennen würde, weil das 
Gebiet der Kartoffelbacillen kein fest abgegrenztes und der Begriff ziemlich 
vage ist. Darauf kommt es aber gar nicht an: ich protestire nur 
gegen die Bezeichnung „Krebsbacillus“, weil dieser Pilz mit der Aetio¬ 
logie des Carcinoms gar nichts zu thun hat. Denn wenn College Scheurlen 
das Glück oder Unglück gehabt hat, den Bacillus öfter zu finden, so kann ich 
diesen Befund auf Grund meiner zahlreichen Impfungen nicht bestätigen. 
Hinsichtlich der neu eingeführten diagnostischen Bedeutung des Bacillus 
halte ich die Bemerkung nicht für überflüssig, dass ich Mäuse und Ka¬ 
ninchen mit dem Scheurlen’schen Bacillus ohne jede Spur von Reaction 
seitens der Gewebe in grossen Mengen geimpft habe. Ich kann hier eieich 
an Herrn Israel’s treffende Ausführungen anknüpfen und einen Punkt 
richtiger stellen. Es ist ganz richtig, dass man zunächst von Hund auf 
Hund, besser noch auch auf denselben Hund impfen müsste. Am besten 
wären vielleicht Affen. Ich kann aber nicht zugeben, dass nur bei Hunden 
die Impfungen Erfolg haben könnten. Auch andere Hausthiere leiden 
spontan an Krebs z. B. die Katze, ja sogar Pflanzenfresser und Vögel, 
allerdings viel seltener. Es dürfte also nicht zu den Unmöglichkeiten ge¬ 
hören, wenn wirklich der Krebs infectiös ist, auch bei diesen Thieren einen 
Impfkrebs zu erzeugen. Aber darüber lässt sich streiten. Von einem 
Krebsbacillus aber, diesem concentrirten Gift, musste man, gerade wie von 
dem Tuberkelbacillus, der auch diagnostisch wichtig ist, verlangen, dass er 
jedesmal constant bei allen obigen Thieren Carcinom erzeugt. Weil er das 
nicht thut, daraus allein schliesse ich schon, dass er der Krebsbacillus nicht 
ist. Meine Herren! Die Sanctionirung dieses Bacillus würde sämmtliche 
Gesetze der Bacteriologie über den Haufen werfen und würde derselben 
den Werth einer Wissenschaft rauben. Darum wollen wir einstweilen den 
Scheurl en’schen Bacillus zu den Kartoffel bacillen zählen. 


YII. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 21. März 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

Herr v. Bergmann eröffnet die Sitzung mit einer Ansprache, in der 
er des grossen Verlustes gedenkt, den das deutsche Volk erlitten bat. Die 
Gesellschaft hört die Rede stehend an und stimmt zum Schluss begeistert 
in ein Hoch ein, das der Redner dem Kaiser Friedrich ausbringt. 

Zur Tagesordnung erhält sodann das Wort: 

1. Herr P. Guttmann: Ueber eine reflectorische Beziehung der 
Corneaäste des Trigeminus zur Athniung. Herr Guttmann beobachtete 
einen Fall schwerer Atropinvergiftung, in welchem ein 4jähriger Knabe 
mindestens 1 cg, vielleicht 12 mg, also das 10—I2fache der für einen 
Erwachsenen bestimmten Maximaldose von schwefelsaurem Atropin ge¬ 
nommen hatte. Neben den anderen schweren Vergiftungserscheinungen 
zeigte sich die merkwürdige Thatsache, dass, als die Cornea zur Prüfung, 
ob reflectorischer Lidschluss vorhanden sei, mit dem Finger gereizt wurde, 
kein Lidschluss eintrat, dagegen bei jeder Berührung der Cornea die Ath- 
mung, welche bis dahin regelmässig, nur etwas beschleunigt gewesen war, 
Stillstand. Dieser Stillstand dauerte 5 — 9 Secunden, und die betreffende 
Beobachtung wurde während 5 Stunden etwa 20 Mal gemacht. Vortr. 
recapitulirt kurz, was bisher über Reflexwirkungen des Trigeminus auf die 
Athmung bekannt war, und constatirt, dass eine derartige Wirkung von der 
Cornea aus bislang noch nicht beobachtet wurde. 


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256 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 13 


Herr Schweigger macht auf die häufige Beobachtung aufmerksam, 
dass bei Kindern, die an Keratitis leiden, wenn man sie nöthigt, die Augen 
zu üffneu, sofort eine Reflexwirkung auf die Athmung eintritt, nämlich ein 
heftiges Niesen. Herr Schweigger lässt dabei die Frage offen, wie weit 
dabei etwa die Reizung des Opticus betheiligt sei. 

Herr Hirschberg weist auf eine andere Reflexwirkung vom Trigeminus 
aus auf die Athmung hin. Bei den früher üblichen Lapisätzungen bei 
Eiterung der Bindehaut beobachtete man häufig Auf hören der Athmung bei 
den betreffenden Kindern, die dann erst nach einiger Zeit in sehr verlang¬ 
samter Weise wieder zu athmen anfingen. 

Herr Sandmann berichtet über hierher gehörige experimentell beob¬ 
achtete Thatsachen. 

Herr E. Küster: Ueber die Sackniere. (Der Vortrag des Herrn 
Küster wird demnächst in extenso in dieser Wochenschrift veröffentlicht 
werden.) _ 

YIÜ. Journal-Revue. 

Physiologie und physiologische Chemie. 

3. 

E. Maragliano. Ueber die Resistenz der rothen Blut¬ 
körperchen. Zusammen fassender Bericht, der Königl. Akademie 
der Medicin zu Genua vorgelegt in der Sitzung vom 27. Juni 1887. 
La Riforma medica 1887, No. 159 — 161. 

Der Verfasser berichtet die Ergebnisse seiner Untersuchungen 
über das Verhalten der rothen Blutkörperchen nach der Entfernung 
des Blutes aus dem Körper: 

1. Veränderungen im Blute nach dem Einschluss desselben 
in Paraffin (bei 25 bis 260). a) Chromatische Verände¬ 
rungen: Die Mitte des Blutkörperchens entfärbt sich; es bleibt 
hier eine ungefärbte, Öfters fein granulirte Stelle zurück, an der 
Gestaltveränderungen und Bewegungen sichtbar sein können. Die 
Entfärbung des Blutkörperchens schreitet fort, während sich das 
Plasma färbt, b) Morphologische Veränderungen: Bei Be¬ 
handlung des Blutes mit einer alkalischen Methylviolettlösung von 
bestimmter Concentration sieht man die centrale Partie des Blut¬ 
körperchens sich färben. Diese Partie führt dann amöboide Be¬ 
wegungen aus, so dass man den Eindruck der von Marchiafava 
und Celli beschriebenen sog. Plasmodien erhält. Allmählich werden 
diese Erscheinungen undeutlicher, bis sich das ganze Blutkörperchen 
homogen färbt. 

2. Einwirkung der Wärme auf das Blut: Eine 20 Minuten 
lange Einwirkung einer Temperatur von 30° bringt in dem Blute 
gesunder Individuen Veränderungen nicht hervor; anders ist es 
bei kranken Individuen. 

3. Eintrocknen des Blutes: Bei 25 bis 26° auf dem Object¬ 
träger frei getrocknetes Blut gesunder Individuen zeigt keinerlei 
Abweichungen in der Form der rothen Blutkörperchen; dieselben 
erscheinen nur etwas weniger gefärbt, besonders im Centrum. 

4. In gleicher Weise vertragen die rothen Blutkörperchen 
gesunder Individuen einen starken Druck, der auf das Deckglas 
ausgeübt wird, ohne Veränderungen zu zeigen. Im Gegensatz dazu 
werden die Blutkörperchen unter pathologischen Bedingungen durch 
einen solchen Druck häufig zersprengt, besonders bei gleichzeitiger 
Einwirkung einer Temperatur von 35 bis 40°. 

5. Ebenso zeigen sich Unterschiede in dem Verhalten der rothen 
Blutkörperchen chemischen Reagentien gegenüber, je nachdem 
physiologische oder pathologische Zustände vorliegen. 

6. Farbstoffe (Methylviolett) werden von den rothen Blut¬ 
körperchen Unter normalen Verhältnissen viel weniger leicht auf¬ 
genommen als unter pathologischen. 

Der Autor hofft durch Fortsetzung dieser Untersuchungen und 
namentlich durch das Studium der Resistenz der rothen Blut¬ 
körperchen bei den verschiedenen Krankheiten für eine 
Semiotik der rothen Blutkörperchen die Grundlage zu schaffen. 
Bis jetzt hat sich soviel feststellen lassen, dass bei chronischen 
Infectionen, besonders bei Syphilis und Tuberculose, die 
Resistenz der rothen Blutkörperchen am tiefsten alterirt wird, 
dass dagegen z. B. das Fieber an sich wesentliche Veränderungen 
in der Resistenz nicht bedingt. Carl Günther. 

Laffont. Recherches sur l’action anesthesiante de 
la cocaine. Mittheilung an die Pariser Soc. de Biol. — Journal des 
Soc. scientifiques No. 52, 1887. 

Nach intravenöser Injection von Cocain (0,02 g : 1 kg Thier) 
fand Verf. im ersten Stadium Herabsetzung des arteriellen Druckes, 
dann aber bedeutende Steigerung desselben, Pupillenerweiterung, 
Contraction der peripherischen Blutgefässe sowie der gesammten 
glatten Körpermuskulatur (Magen, Darm, Blase u. s. w.), Analgesie 
der Peripherie. Hingegen war keinerlei Veränderung im Verhalten 
der sensibeln Nerven in ihrem Verlauf zu constatiren, ebenso¬ 
wenig an dem Nervus depressor cordis. Verf. schliesst daraus, dass 
die Wirkung des Cocain in vielen Stücken derjenigen des Curare 
verwandt sei. Beide wirken excitirend auf die Medulla oblongata 


und haben keinen Einfluss auf die Nervenbahnen. Während 
jedoch das Curare die motorischen Endplatten und die Vaso-Con- 
strictoren lähmt, werden durch das Cocain die peripherischen 
Enden der sensibeln und sensorischen Nerven gelähmt, die Vaso- 
Constrictoren und überhaupt die organische Muskulatur gereizt. 

C. Sanquirino. Organismuswaschung bei Vergiftun¬ 
gen. Centralbl. f. d. med. Wissenschaften. 1886, No. 51. 

Die Versuche des Verf. gehen darauf aus, durch Erhöhung des 
Blutdrucks die Ausscheidung von Giften mittelst der Nierensecretion 
zu beschleunigen. Dies gelang ihm bei Thieren, die er mit tödtlichen 
Dosen von Alkohol, Strychninum sulfuricum, Chloralhydrat oder 
salpetersaurem Akonitin vergiftet hatte, misslang jedoch bei der 
Anwendung einiger anderer Gifte, wie Morphin, Curariu, Hypnon. 
Die Erhöhung des Blutdrucks erzielte Verf. dadurch, dass er, sobald 
die ersten Vergiftungserscheinungen auftraten, den Thieren physio¬ 
logische Kochsalzlösung in der Menge von 8% ihres Körpergewichts 
in die Halsader injicirte. Bei denjenigen Vergiftungen, welche dieser 
Behandlungsweise zugänglich waren, erfolgte bald nach der Infusion 
Steigerung der Urinentleerung, Milderung der Vergiftungserschei¬ 
nungen, schliesslich Genesung. Verf. bezeichnet diese seine Me¬ 
thode mit dem Namen der „Orgauismuswaschung“. S. Weinbaum. 

Kinderheilkunde. 

2 . 

C. Longard. Ueber Folliculitis abscedens infantum. 
Arch. für Kinderhlkde. 1887. Bd. 8 Heft V. 

Unter Folliculitis abscedens infantum (Escherich) versteht 
Longard eine multipel auftretende, von den Schweissdrüsen aus¬ 
gehende infectiöse Entzündung des Unterhautzellgewebes, die mit 
geringen Entzündungserscheinungen einhergeht und sich gewöhnlich 
bei atrophischen Kindern in den ersten Lebensmonaten findet. 
Longard hatte Gelegenheit, 9 Fälle dieser Hautkrankheit zu be¬ 
obachten und dieselben einer mikroskopisch-bacteriologischen Unter¬ 
suchung zu unterwerfen. Die mikroskopische Untersuchung des den 
Abscessen entnommenen Eiters ergab, wie dies bereits Baginsky 
gefunden, stets Staphylococcen in sehr grosser Anzahl in jedem 
Deckglaspräparat. Dieselben hatten eine ungefähre Grösse von 0,8 /t 
und waren meist zu traubenförmigen Gruppen gelagert. Der mi¬ 
kroskopische Nachweis von anderen Bacterienformen, speciell von 
Tuberkelbacillen gelang in keinem Falle. Es ist dies insofern 
wichtig, als man früher und auch jetzt noch vielfach die Krankheit 
als Theilerscheinung der Tuberculose und nicht als selbstständiges 
Krankheitsbild aufzufassen geneigt ist. Die Impfungen mit unter 
antiseptischen Cautelen entnommenem und nach der Koch’schen 
Methode verwerthetem Material ergaben als Resultat: Staphylococcus 
pyogenes albus 4mal allein und Staphylococcus pyogenes albus und 
aureus 5 mal nebeueinander. Andere pyogene Bacterienarten Hessen 
sich in den 9 untersuchten Fällen nicht constatiren. Um die Identität 
der gefundenen Bacterien mit den bekannten pyogenen Staphylo¬ 
coccen sicher festzustellen, wurden dieselben auf den verschiedensten 
Nährböden cultivirt und ergaben stets das charakteristische Wachs¬ 
thum der von Rosenbach, Posset und Anderen gefundenen Arten. 
Die pyo- und pathogene Wirkung der cultivirten Arten wurden 
durch Injection derselben in die Jugularis von Kaninchen bewiesen. 
Die häufige Complication der multiplen Abscesse mit Darmkatarrhen 
veranlasste Longard, die Staphylococcen im Stuhle der Kinder 
zu suchen, jedoch ohne Erfolg. Dagegen gelang es, aus den Win¬ 
deln gesunder, aber unsauber gehaltener oder der an dieser 
Krankheit leidenden Kinder mittelst Plattenverfahren die pyogenen 
Staphylococcen zu züchten. Die Identität der gefundenen Coccen 
mit den pyogenen Staphylococcen wurde durch Culturversuche und 
Impfung von Cultureu auf Kaninchen erbracht. Um über den Aus¬ 
gangspunkt der Erkrankung, sowie über den Sitz der Eiterheerde 
Aufschluss zu erlangen, wurden von verschiedenen Abscessen sowohl 
Quer- als Flächenschnitte angelegt. Hierbei zeigte sich, dass die 
Schweissdrüsen den Ausgangspunkt der Erkrankung bildeten, und 
insofern der Name Folliculitis zutreffend ist. Die Eiterhöhle hat 
ihren Sitz im Unterhautzellgewebe und ist gegen das Gesunde hin 
durch Eiterkörperchen und derbe Bindegewebsstränge abgegrenzt. 
Der Furunkel entwickelt sich in der Weise, dass die Coccen durch 
die schmutzige Wäsche an die Hautoberfläche und in die Ausgänge 
der Schweissdrüsen, schliesslich aber (vielleicht durch Druckwirkung) 
in die letzteren selbst gelangen, diese zur Vereiterung bringen und 
damit eine Entzündung des Unterhauteellgewebes bewirken. Da bei 
atrophischen Kindern erwiesenermaassen die Ausstossung des Haut- 
secretes sehr herabgesetzt ist, so wird das Eindringen von Bacterien 
in die Ausmündungen der Drüse ausserordentlich befördert. Bei 
dieser Anschauung über die Genese der Folliculitis abscedens er- 
giebt sich für die Prophylaxe und Therapie dieser Krankheit sorg¬ 
fältige Reinlichkeit, öfteres Baden, häufiges Wäschewechseln, Des- 
infection der Wäschestücke mit SubUmat und Auskochung und 


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29. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


257 


Trennung der Windeln gesunder von denen kranker Kinder. Die 
locale Behandlung der einzelnen Abscesse besteht in frühzeitiger 
und ausgiebiger Spaltung derselben, in ihrer Bedeckung mit antisep¬ 
tischem Verbände und in Sublimatbädern (1,0 auf 1 Bad). Das 
Hauptresultat vorliegender Arbeit ist wohl dahin zusammenzufasseu, 
dass die Folliculitis abscedens infantum eine parasitäre Localaffection 
der Haut darstellt, die ihren Ausgang von den Schweissdrüsen 
nimmt, uud dass als Infectionserreger derselben die pyogenen Sta- 
phylococcen anzuseben sind. Silbermann (Breslau). 

E. Peiper. Zur Aetiologie des Trismus s. Tetanus 
neonatorum. Centralbl. für klin. Med. 1887, Nr. 42. 

Wie Beumer (B. Kl. W. 1887, No. 30), so ist es auch Ver¬ 
fasser gelungen, durch Ueberpflanznng von Gewebstheilen aus der 
Nabelwunde eines an Trismus s. Tetanus neonatorum verstorbenen 
Kindes an Versuchsthieren, Mäusen und Meerschweinchen das cha¬ 
rakteristische Bild des Impftetanus zu erzeugen. Somit ist die 
Identität des Trismus s. Tetanus neonatorum mit dem Impf- oder 
Wundtetanus erwiesen. Die mikroskopische Untersuchung von Streif¬ 
präparaten ergab neben verschiedenen Coccen die Anwesenheit 
kleiner, zierlicher Stäbchen, welche etwas länger und dicker als 
die Bacillen der Koch’sehen Mäusesepticämie erschienen. Bei der 
grossen ectogenen Verbreitung der Tetannsbacillen ist die aseptische 
Behandlung der Nabelwunde dringend geboten. 

Aron so hu (Berlin). 

IX. Oöffentliches Sanitätswesen. 

— Dichtigkeit der Bevölkerung ln Deutschland. Im deutschen 
Reiche kamen im Jahre 1887 auf den Quadratmeter: im deutschen 
Reich 86,7 Einwohner, in Preussen 81,3 (Ostpreussen 53,0, Westpreussen 
55,2, Brandenburg mit Berliu 91,7, Brandenburg ohne Berlin 58,8, 
Pommern 50,0, Posen 59,2, Schlesien 102,0. Sachsen 96,2, Schleswig- 
Holstein 61,1, Hannover 56,5, Westfalen 109,1, Hessen-Nassau 101,5, 
Rheinland 161,0 und Hohenzollern 58,4), Bayern 71,5, Sachsen 212,2, 
Württemberg 102,3, Baden 106,2, Hessen 124 5, Mecklenburg-Schwerin 43,2, 
Sachsen-Weimar 87,3, Mecklenburg-Strelitz 33,6, Oldenburg 53,2, Braun¬ 
schweig 100,9, Sachsen-Meiningen 87,1, Sachsen-Altenburg 122,0, Sachsen- 
Coburg-Gotha 101,6, Anhalt 105,7, Schwarzburg-Sondershausen 85,4, 
Schwarzburg-Rudolstadt 89,1, Waldeck 50,5, Reuss ältere Linie 176,7, 
Reuss jüngere Linie 133,9, Scbaumburg-Lippe 109,5, Lippe 101,4, Lübeck 
227,3, Bremen 648,0, Hamburg 1265,5 und Eisass-Lothringen 107,8. 

— Die Säuglingssterblichkeit im deutschen Reiche während der 
Jahre 1875/77 behandelt Dr. Arthur Würzburg im 111. Hefte der r Ar¬ 
beiten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes“. Der Verfasser hebt 
insbesondere hervor, dass es für Staat und Gesellschaft von hoher Bedeutung 
ist, zu ermitteln, wie viele von den neugeborenen Kindern am Leben 
bleiben, und durch welche Umstände die grosse Mortalität unter den Säug¬ 
lingen bedingt werde. Von wesentlichem Einflüsse sei immer die sociale 
Lage, in welcher die Kinder geboren und erzogen werden, namentlich ob 
sie ehelich oder ausserebelich geboren sind. Nach Dr. Würz bürg zeigte 
die Sterblichkeit der ehelich geborenen Säuglinge sowohl ihrer Höhe (22,02 
auf je 100 ehelich Lebendgeborene) nach, als in ihrer staatlichen Ver- 
tbeilung nahezu Uebereinstimmung mit der Mortalität der Säuglinge über¬ 
haupt (23,20 auf je 100 Lebendgeborene überhaupt), während die Sterb¬ 
lichkeit der aasserehelichen Säuglinge (36,03 auf je 100 ausserehelich 
Lebendgeborene) nicht unerheblich abweicht. Unter Berücksichtigung der 
einzelnen Gebietsteile wird nachgewiesen, dass die aussereheliche Abkunft 
an sich noch nicht nothwendig eine ungünstige Prognose für die Lebens¬ 
dauer, wenigstens innerhalb des besonders gefährdeten ersten Lebensjahres, 
bedingt. In den Städten war die Säuglingssterblichkeit naturgemäss grösser 
als auf dem Lande, da die Zahl der Geburten in den volkreichen Städten 
eine verhältnissmässig grosse ist. Die Mortalität der ausserehelich Ge¬ 
borenen spricht ganz auffällig zu Ungunsten der Städte, wohl eine Folge 
des hier sich anhäufenden Arbeiterproletariats, vornehmlich-des weiblichen. 
Von den Grossstädten (mit mindestens 100000 Einwohnern) zeichnen sich 
Frankfurt a. M. und Hannover durch eine verhältnissmässig geringe Säug¬ 
lingssterblichkeit aus, aber auch Köln, München, Stuttgart u. A. ragen bei 
einem Vergleich mit der Sterblichkeit der einschlägigen Regierungsbezirke 
entweder durch eine geringe Sterblichkeit aller oder doch der ehelichen 
oder unehelichen Säuglinge hervor. Die hohe Mortalität im branden- 
burgischen Centrum betrifft der Hauptsache nach die ausserehelichen Säug¬ 
linge, und zwar sowohl in den Städten, wie auf dem Lande, jedoch überragt 
meistens die in den Städten, wobei aber nicht zu vergessen ist, dass eine 
grosse Anzahl unehelich Geborener von den Städten (insbesondere Berlin) 
nach den ländlichen Orten als Haltekinder wandern, dort den „Engel¬ 
macherinnen“ vielfach zum Opfer fallen und so die ländliche Säuglings¬ 
sterblichkeit in ein schlimmeres Licht stellen. — Im sächsisch-schlesischen 
Centrain erreichte vielfach auch die Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge 
häufig einen hohen Grad. Die Mortalität der ausserehelichen Kinder war 
eine hohe oder gar sehr hohe im,Osten (Kreise Danzig, Elbing, Marienburg 
und die südlich nach Thorn zu liegenden Gebiete) und ferner im Westen, 
besonders der Rheinprovinz. _ P. , 

— Berlins Sterblichkeit Im Jahre 1887 entsprach bei 30 319 Todes¬ 
fällen einem Verhältnis von 22,4 auf 1000 Einwohner, gegen die Vorjahre 
eine nicht unwesentliche Besserung, denn das Herabsinken der Mortalität 
Berlins um 3 pro mille muss bei dem andauernden Anwachsen der Bevöl¬ 
kerung als ein günstiges Zeichen für die grossstädtischen Gesundheits¬ 


verhältnisse angesehen werden, das einen erneuten Beweis für die eifrige 
Fürsorge der städtischen Behörden für die Gesundheit seiner Einwohner 
liefert. Auch bezüglich der Kindersterblichkeit lässt sich eine Besserung 
constatiren, denn der Antheil der innerhalb ihres ersten Lebensjahres Ge¬ 
storbenen ist diesmal auf 35 % aller Gestorbenen herabgegangen. Die 
nachstehende Uebersicht giebt einen Ueberblick der Berliner Sterblichkeit 
während der letzten fünf Jahre unter Berücksichtigung derjenigen Factoren, 
welche in erster Linie die Höhe derselben beeinflussen, nämlich der 
Kindersterblichkeit und der Sterbefälle an Krankheiten des Verdauungs¬ 
apparates. 

1883 1884 1885 1886 1S87 

Gestorbene überhaupt . . . . 35 047 32 933 31 483 34 280 30 319 

Von 1000 Einwohnern starben . 29,03 26,06 24,06 25,06 22,04 

Im ersten Lebensjahre starben . 13 057 12 886 11582 13 739 11 589 

Proc. aller Sterbefalle .... 37,25 39,13 36,52 40,0 35,0 

Todesfälle an Brechdurchfall, 

Diarrhoe, Magen- und Darm¬ 
katarrh . 5 318 5 385 4 286 5 047 4 429 

Zur ferneren Charakteristik der Gesundheitsverhältnisse dieuen die 
Zahlen der an Infectionskrankheiten Gestorbenen. Aus denselben ergiebt 
sich, wie nachstehende Tabelle zeigt, dass, abgesehen von Lungenschwind¬ 
sucht und den acuten entzündlichen Affectionen der Athmungsorgane, die 
gleichfalls eine abnehmende Tendenz aufzuweisen hatten, sich, mit Ausnahme 
des Typhus, bei allen eine Verminderung der Todesfälle wahrnehmen lässt. 
Es starben während der letzten fünf Jahre an: 

1883 '1884 1885 1886 1887 

Masern .... 1 173 295 406 565 222 

Scharlach ... 867 395 409 271 237 

Diphtheritis . . 2 652 2 446 1 816 1535 1 477 

Unterleibstyphus 221 241 214 181 222 

Lungenschwindsucht 4695 4 915 4 329 4 318 4 120 

Diese nicht abzuleugnende Besserung der Berliner Mortalität dürfte 
wohl nicht zum Geringsten auch mit auf die Organisation der Krankenkassen 
zurückzuführen sein, denn es möchte doch unzweifelhaft damit im Zu¬ 
sammenhang stehen, dass jetzt eine erheblich grössere Anzahl der arbei¬ 
tenden Classen die ärztliche Hülfe in Anspruch nimmt, als vordem, wo die 
Kurkosten sich für den Einzelnen erheblich höher stellten. Gerade der 
Kostenpunkt bildete aber bisher für die Armen den Hauptgrund für eine 
häufig schon verspätete Inanspruchnahme ärztlicher Hülfe. P. 

— Die Deutsche Sterbetafel, welche vom Kaiserl. Statistischen Amt 
im Novemberheft v. J. veröffentlicht worden ist, erhebt auch Anspruch auf 
ein Interesse in ärztlichen Kreisen. Dieselbe gründet sich auf die Sterbe¬ 
fälle der Reichsbevölkerung in den Jahren 1871 bis 1881 und bietet neben 
eingehenden Erläuterungen auch die Sterbetafeln anderer Länder und sehr 
sauber ausgeführte graphische Darstellungen. Die wahrscheinliche 
Lebensdauer stellt sich für Deutschland beim männlichen Geschlecht 
auf 34,6, beim weiblichen auf 39,4; ein Vergleich mit den Sterbetafeln 
anderer Länder (der schweizerischen, französischen, englischen, niederländi¬ 
schen, dänischen, schwedischen und norwegischen) fällt für das deutsche 
Reich nicht günstig aus. Namentlich steht dieses in der Sterblichkeit der 
jüngsten Lebensjahre am ungünstigsten da, was hauptsächlich von der über¬ 
aus starken Kindersterblichkeit in einem grossen Theile von Süddeutschland 
herrührt. Andere deutsche Staaten und Landestheile, z. B. Schleswig-Hol¬ 
stein, Oldenburg u. A. haben im geraden Gegensatz dazu eine ausserordent¬ 
lich geringe Kindersterblichkeit, doch wiegt das die Höhe derselben in an¬ 
deren Gegenden des Reichs nicht auf. Besonders hervorgehoben wird, dass, 
wie ja bekannt, in Berlin die Sterblichkeit unter den Kindern eine sehr 
ungünstige ist; hier stellt sich die mittlere Lebensdauer der männlichen 
Neugeborenen auf nur 28,7, der weiblichen auf 33,6 Jahre (hingegen im. 
deutschen Reich auf 34,0 bezw. 37,1). In Berlin starben 34,7 u /o der 
neugeborenen Knaben und 30,2% der neugeborenen Mädchen schon im 
ersten Lebensjahre, und auch in den folgenden Altersjahren bleibt die Sterb¬ 
lichkeit noch gross. Ira Alter von 10—27 Jahren dagegen ist die Sterblich¬ 
keit beider Geschlechter, beim weiblichen sogar auch weiterhin, recht günstig 
zu nennen, während sie beim männlichen im höheren Alter wieder ungünsti¬ 
ger wird und es auch fast bis zum höchsten Alter bleibt. Nach der für die 
Reichsbevölkerung aufgestellten Absterbeordnung sterben (wenn man die 
Todtgeborenen einrechnet) im ersten Lebensjahre 28,50% der neuge¬ 
borenen Knaben und 24,50% der Mädchen, geht man aber von den 
Lebendgeborenen allein aus, so belaufen sich diese Ziffern auf 25,20 und 
21,75%. Diese Sterblichkeit ist so gross wie die der Greise um die 
Mitte der achtziger Jahre. Verfolgt man die Sterbetafel vom jüngsten bis 
zum höchsten Alter, so bemerkt man bei beiden Geschlechtern eine anfangs 
sehr rasche, dann sich immer mehr ermässigende Abnahme der Sterblichkeit, 
bis sie bei beiden Geschlechtern im Alter von 13 Jahren ein Minimum er¬ 
reicht. Von da ab aber steigt die Sterblichkeit, bei jedem Geschlecht mit 
einer kurzen Unterbrechung, zuerst langsam, dann immer rascher bis zum 
höchsten Alter. Diese Unterbrechung findet beim männlichen Geschlecht 
kurz vor der Mitte der zwanziger, beim weiblichen Geschlecht aber erst in 
der eisten Hälfte der vierziger Jahre statt. Das erstere zeigt nämlich beim 
Alter von 18 bis etwa 22 Jahren eine im Vergleich zu den vorhergehenden 
und nachfolgenden Altersklassen besonders starke Sterblichkeitszunahme, wo¬ 
nach bis zum Alter von 24 oder 25 Jahren eine allerdings nur sehr geringe 
Abnahme stattfindet, während das weibliche beim Alter von 41 bis 43 oder 
44 Jahren noch eine sich fast gleichbleibende Sterblichkeit aufweist. P. 

— Die Zahl der berufsmässigen Krankenpfleger, deren grosse 
Bedeutung für die Ausübung der Heilkunde man immer mehr schätzt, be¬ 
trug bei der letzten Erhebung der Medicinalpersonen am 1. April 1887 in 
Preussen 8271. Davon gehörten 289 barmherzige Brüder und 4 016 
(1876 3409) barmherzige Schwestern den katholischen Orden und Congre- 


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258 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 13 


gationen an: die evangelischen Genossenschaften zählten 227 Diakonen und 
2202 (1876 1063) Diakonissinnen. Den weltlichen Genossenschaften 
(Vaterländischen Frauen vereinen etc.) gehörten 257 Krankenpfleger und 
548 (1876 327) Krankenpflegerinnen an; endlich fanden sich noch 264 
männliche und 468 weibliche frei prakticirende polizeilich gemeldete 
Krankenpfleger. Die Vertheilung der Krankenpfleger auf die einzelnen Re¬ 
gierungsbezirke ist eine sehr verschiedene Der Reg.-Bez. Gumbinnen 
zählt nur 12, der Reg.-Bez. Stralsund 25 und Köslin 28 Krankenpfleger, 
dagegen der Reg.-Bez. Breslau 712 und der Reg.-Bez. Düsseldorf 1039. 
Der Stadtkreis Berlin enthält deren 884. 

— In England beschäftigt sich die öffentliche Wohlthätigkeitspflege 
augenblicklich sehr lebhaft mit der Besorgung von Mahlzeiten für arme 
Schulkinder in grossen Städten. Dabei sind auch die Vegetarier auf 
dem Plan erschienen und haben nicht versäumt, die Vorzüge der von ihnen 
protegirten Pflanzenkost als Kindernahrung gebührend hervorzuheben. So 
werden denn demnächst direkte Vergleiche angestellt werden, ob die Pflan¬ 
zennahrung oder gemischte Diät den Schulkindern zuträglicher ist. Uebrigeus 
hat sich ergeben, dass Kinder unter 7 Monaten in grossen Städten leicht 
rhachitisch werden, wenn sie die Muttermilch oder ihr Ersatzmittel, die Kuh¬ 
milch, entbehren müssen. In diesem Alter ist die vegetabilische Nahrung 
ihrem Wachsthum und ihrer Weiterentwickelung höchst schädlich. R. 

X. Therapeutische Mitteilungen. 

Ueber Abortivbehandlung der Syphilis. 

Von Jonathan Hutchinson. 

(Brit. Med. Journal 25. Febr. 1888.) 

Hutchinson’s Behandlung der Syphilis ist sehr gleichmässig, sie be¬ 
steht in Gaben von Merkur in Form des grauen Pulvers in Dosen von min¬ 
destens 0,06 dreimal täglich. Schwinden danach die Symptome nicht bald, 
so wird die Dosis vergrössert. Wenigstens 6 Monate müssen diese Pillen 
genommen werden. Lässt man nach dieser Zeit das Mittel aus, so folgt 
häufig nach 3—4 Wochen eine allgemeine erythematöse Eruption, die aber 
bei erneuter Hg-Anwendung binnen wenig Tagen wieder verschwindet. 
Wegen der Häufigkeit dieses Erythems bei 6 monatlicher Behandlung hat 
Hutchinson in neuester Zeit'dieselbe 9—12 Monate dauern lassen. Hut¬ 
chinson hält es für möglich, durch früh einsetzende und anhaltende Hg- 
Behandlung das Secundärstadiura zu unterdrücken, es abortiv zu machen. 
Damit soll nicht die Heilbarkeit der Syphilis behauptet werden, auf das 
tertiäre Stadium erstreckt sich die Behauptung nicht, aber trotzdem hält 
Hutchinson das Quecksilber für ein specifisches Antidot für das syphili¬ 
tische Virus, das auch er in einem Mikroben sieht. Auch für das tertiäre 
Stadium möchte sich vielleicht Hg als Abortivmittel erweisen, wenn wir es 
einmal früher und sodann längere Zeit, als es gegenwärtig geschieht, an¬ 
wendeten. Weiter könne man auch sagen, die tertiären Producte seien 
überhaupt nicht mehr Syphilis. Sie entwickeln sich nicht symmetrisch und 
sind nicht ansteckend, sie entstehen durch Entzündungsprocesse in Geweben, 
die frühec unter dem Einfluss von Syphilis gestanden haben und durch die¬ 
selbe modificirt sind. Eine auf Tödlung des Mikroben gerichtete Therapie 
könnte sie also nur verhindern, wenn sie vor dem ErgrifFenwerden des Ge- 
sammtorganismus einsetzt. Aber selbst eine späte merkurielle Behandlung 
macht die Tertiärerscheinungen milder und auch seltener. Welches Präparat 
man anwendet, ist ziemlich gleichgültig, doch glaubt Hutchinson das HgJ 
für weniger wirksam halten zu dürfen als das graue Pulver. Die Hauptsache 
bleibt, dass das gewählte Präparat lange Zeit ohne üble Nebenwirkung ge¬ 
geben werden kann. Grosse Dosen, kurze Zeit gegeben, sind zu verwerfen. 

_ R. 

— Lancereaux. Le traitenient des clrrhoses da fol. (Gaz. des 
Höp. No. 105.) Wenngleich schon von anderer Seite her gegen gewisse 
Krankheitsforraen der Leber der grosse Nutzen des internen Gebrauchs des 
Kalinm jodatum hervorgehoben ist, so glaubt doch Lancereaux hierauf, zu¬ 
mal in Verbindung mit einer ausschliesslichen Milchcur und kalten Ab¬ 
reibungen, wegen der von ihm erzielten äusserst günstigen Erfolge noch¬ 
mals die Aufmerksamkeit lenken zu müssen. Zunächst leistete diese Cur- 
methode gute Dienste bei syphilitischer Erkrankung jener Drüse und An¬ 
schwellung derselben in Folge von Intermittensprocess, in welch letzterem 
Falle eine Kaltwassercur jedoch das Mittel par excellence bleibt. Grössere 
Erfolge noch wies jene Encheirese bei aus Abusus spirituosorum entstandener 
Cirrhosis hepatis auf, wo sie dieselben in der Mehrzahl der Fälle nicht 
allein besserte, sondern auch dauernd heilte. Dies gelang selbst einige 
Male da, wo eine auf derselben Ursache beruhende hypertrophische Cirrhose 
der Leber mit fettiger Entartung und völligem Untergang ihrer Zellen in 
Frage kam, falls nicht dieselbe Icterus complicirte, eine Complication, die 
die Prognose dieser Krankheitsform immer zu einer infausten macht. P. 

Neuere Hämostatica. 

Hydrastis Canadensis, canadische Gelbwurzel, golden seal. Benutzt 
wird das Rhizom 1) bei Metrorrhagieen, 2) als Tonicum bei Dyspepsie, bei 
Icterus, chronischem Darmkatarrh, Hämorrhoiden, chronischer Metritis und 
Endometritis. Zur Verwendung kommen: das flüssige wässrige Extract (mit 
Glycerin), das flüssige alkoholische Extract, ferner zwei aus der Pflanze gewon¬ 
nene Alkaloide, Hydrastin und Berberin und deren Salze. 0,2—1,0 in Pulver¬ 
form, als Lösung, Infus 1:10. 

R. Extr. Hydrast. fluid. R. Extr. Hydrast. fluid. 

3,0—6,0 Mixtur oder Tropfen. Vin. Malacens. ää 30,0. 

Bei Metrorrhagie 3—4 Mal tägl. Syr. Cinnamomi 15,0. 

20 Tropfen oder 3 Mal 30 M. D. S. 2—4stündlich 1 Thee- 

Tropfen. löffel bis '/* Esslöffel voll zu 

nehmen. 


Cortex Gosyppil herbaceae, Wurzelrinde, Decoct von 60,0 : 300,0 
Colatur, davon alle 20—30 Minuten ein Weinglas. 

R. Emmenagogum an Stelle von Se- 

Extr. fluid 2,0—3,0. cale comutum in der Geburtshülfe 

2—3 Kaffeelöffel täglich. empfohlen. Auch bei klimakterischer 

Hämorrhagie, mitunter von sehr gutem 
Erfolg. 

Hamamelis virglnica, Witchhasel. Rinde wird benutzt. Man gieb 
1—2 Theelöffel des Extract. fluid, bei Blutungen aus Hämorrhoiden. 

Ein aus der Rinde bereitetes Destillat kommt im Handel vor unter 
dem Namen Haseline. 

Nenere Antihidrotica. 

Agariclnnm, Agaricinsäure (?), wirksames Princip des Lärchenschwam¬ 
mes. (0,1 g 10 Pfg.) Subcutan 0,05:4,5 Spir., 5,5 Glycerin, 1—2 Spritzen. 
Innerlich 0,005 — 0,01 in Pillen mit Pulv. Doweri, an Stelle des bereits 
früher angewendeten Agaricura alburn. 

Pikrotoxinnm, Bitterstoff der Coccelskörner (Anamirta Cocculus), lös¬ 
lich in 150- 160 Theilen Wasser. 0,0003—-0,001 in Pillen, Lösung 0,01: 
20,0 Aq. Davon 20 Tropfen. Gegen Nachtscfrweiss. 

Neuere Tonica. 

Bebeerinum snlf., Bebeerinsulfat, als Tonicum 0,05—0,1 mehrmals 
täglich, als Diaeteticum 0,5—2,0, in Pillen, Pulver, Solution an Stelle des 
Chinin. 

Syrap. ferrl albnm Brautlechtii , leicht verdaulich, wegen seines 
Wohlgeschmacks zumal in der Kinderpraxis zu verwenden. 

Neuere Drastica. 

Aloin, aus der Aloe dargestellt. 0,15 —0,2 in Pillen. Catharticum, 
Drasticum. 

Baptisin, Glycosid aus Baptisia tinctor. 0,1 —0,3 in Pillen, galletrei¬ 
bend, Abführmittel, grosse Dosen als Emeticum, dann kathartisch. 

Cascara Sagrada (Cortex Rhamni Purshiauae), Theelöffel 

des Extract. fluid. 2-3 Mal täglich. Bei Dysenterie 5—20 Tropfen mehrmals 
täglich in Zuckerwasser. Indication: Habituelle Verstopfung, bei Hämorrhoi¬ 
dariern, Dysenterie. 

Colocynthidin (Citrullin), Resinat aus Coloquinten, 0,005—0,01. 

Colocynthin, Glycosid der Coloquinten 0,1—0,4 ; subcutan 0,01—0,03. 
Abführmittel, soll frei sein von drastischen Wirkungen. 

Elateriom (Extr. Elaterii von Momordica Elaterium L.). Angewandt 
wird: Elaterium nigr. 0,01—0,05, 2—3 Mal täglich. Elat. angl. s. album 
0,005—0,03. Pillen. Drasticum bei Bleikolik, Hydrops. 

Enonymin, Extract aus Euonymus atropurpureus, gelbbrauner, harz¬ 
artiger Körper. Enonymin. pur. ist ein Glycosid der Pflanze (Merck), 
0,1 —0,2—0,4, in Pillen, zweckmässig mit Extr. Belladonn. oder Hyoscyami. 
E. pur. 0,1 in Pillen. Cholagogum, Catharticum, in grossen Dosen Drasticum, 
verursacht Leibschmerzen. 

Irldin (Irisin), Resinat aus Radix Iridis versicolor, pulverförmig 
0,05—0,3 in Pillen, auch mit Extr. Hyoscyami. Cholagogum, Purgans. 
Die galletreibende Wirkung des Mittels soll das Erbrechen der Schwangeren 
lindem. 

Phytolaccin , Extract von Phytolacca dicandra, 0,1—0,2 in Pillen. 
Abführmittel, welches ohne Beschwerden gallige Entleerungen hervorruft. 

Vinnm Frangulae, angenehm schmeckendes und gut wirkendes Ab¬ 
führmittel, Dosis Vs —1 Theelöffel. 

Neuere Antidiarrhoica. 

Co tot n, Glykosid aus Cortex Goto. 0,005—0,008 mehrmals täglich 
Pulver, Mixtur, zeigt nicht die unangenehmen Nebenwirkungen der Rinde. 

Paracotoln, Alkaloid der Goto-Rinde 0,1—0,2, Pulver. 

Naphthalinnm, Naphthalin, aus dem Steinkohlentheer. 0,1—0,5 mehr¬ 
mals täglich, 5,0 pro die, für Kinder 0,1—0,2 in Pulver, Pillen, Pastillen, 
bestes Corrigens 01. Bergamott. Clysma 1,0—5,0 mit 50,0 Aqu. gekocht, 
durch Rühren vertheilt, unter Umrühren in */»—l Liter kochenden Eibisch- 
thee gegossen, das Gemenge auf 37 0 C abgekühlt, bei verhaltenem Dünn- 
und Dickdarm-Katarrh, Brechdurchfall der Kinder, chronischem Blasenkatarrh. 
Die Ansichten über die Wirkung sind getheilt. 

Neuere Antiparasitica. 

Benzolnm (Benzol), aus Steinkohlentheer, 0,5—1,0 g. Anwendung: 
schleimig, Mixtur, Kapseln, Clysma 2,0—4,00 : 200,0 — 250,0 Aq. Bei Ein¬ 
geweidewürmern, Trichinen. 

Pelletierin. snlf. Aus der Granatwurzelrinde dargestellt. 0,3—0,4 mit 
Acid. tannic. 0,5 : 30,0 ’/> Stunde später Abführmittel aus Senna (Dujardin-B.). 
Bandwurmmittel. 

Pelletlerinnm tannic. 1,5 in Wasser zu nehmen, nach l /* Stunde 
Abführmittel geben. 

Neuere Adstringentia. 

Bismnth. peptonat. sicc. (3,5 °/o Wismuthoxyd). 5,0, 2—3 Mal täg¬ 
lich. Bei Gastralgie, Dyspepsie. 

Bismnth. salicyl. Wie Bi. subnitr. 

Neuere Nerfina. 

Cortex Calatropls giganteae. (Mudar-Bark). Man verschreibt 0,3 
2 Mal täglich in Pulver, gegen Epilepsie, Paralysis etc. (Von Indien emp¬ 
fohlen). Wirksames Princip: Mudarin. 

Ergo Unin um. Zur subcutanen Injection 10—20 Tropfen einer 0,001 
pro ccm enthaltenden Lösung. Alkaloid aus Secale corn., leicht zersetz- 
Iich. Bei vasomotorischen Neurosen, Cephalalgie, Neuralgie, herabgesetzter 
Leistungsfähigkeit des Sphincter vesicae. 


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29. März. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


259 


Natrium nitrosum, salpetrigs. Natron, Natriumnitrit, 0,5—20 :150 Aq. 
3—4 Mal täglich 1 Esslöffel. Bei Angina pectoris, Asthma, Epilepsie. 

Nitroglycerin. (Narcoticum). Trinitrin. Glycerylnitrat. Gefährlich- 
explosiver Körper, in alkoholischer oder öliger Lösung bringt es keiue 
Explosionsgefahr. Innerlich: 1% alkoholische Lösungen, Dosis: 2—10 
Tropfen in Wasser. 1 o/o ölige Lösungen 2 —1Ü Tropfen auf Zucker, mit 
kleinen Dosen beginnend. Zweckmässig Pastillen ä 0,0005 (Rossbach). Bei 
Angin. pect., Asthma, Hemicrania angiospastica, nervösen Störungen mit 
Hirnanämie vod guter Wirkung; bei Morb. Bright., Schrumpfniere zweifelhaft. 

Aethoxy-CaffSln (Narcot.) (Filehne). Bei solchen Personen sorg¬ 
fältig zu versuchen, bei welchen in früheren Anfällen das Coffein gute 
Dienste geleistet hat. In Dosen von 0,2—0,5 bewirkt es Zunahme der 
arteriellen Spannung, (Pulsfrequenz ungemindert oder Zunahme um 2 — 6 
Schläge), Röthung des Gesichts und etwas Schweiss während 1—4 Stunden, 
nachher subjectiv behagliches Gefühl, grosse Neigung zum Nichtsthun und 
zur Ruhe, oft sehr lange und sehr ausgesprochen, auch war der Schlaf 
in der folgenden Nacht etwas fester als normal, sowie Wohlbefinden am 
nächsten Tage. _ 


Elektrotherapeutische Neuheiten. 

Neuer Rheostatgriff zur Abschwächung galvanischer 
und faradischer Ströme von S. Simon. 

Eine Rheostatelektrode wurde schon vor mehreren Jahren angegeben; 
dieselbe bestand bekanntlich darin, dass durch Drehen einer, an dem 
Rheostatgriff ungefähr in der Gegend von a angebrachten runden cylin- 
drischen Skala verschiedene Widerstände in den Stromkreis eingeschaltet 
wurden. Jedoch musste man bei dieser Elektrode vor dem Gebrauche den 
Ring drehen, um die bestimmte Zahl von Widerständen einzuschalten, 
während dies bei dem vorliegenden Apparate während der Application durch 
Hin- und Herschieben des Knopfes d durch den freien Zeigefinger ge¬ 
schieht. Bei diesem Apparate, welcher von R. Blänsdorf Nachfolger 
in Frankfurt a. M. gefertigt wird, sind die Wider¬ 
stände einer feinen Neusilberdrahtrolle mit 14 
untereinander angebrachten Metallscheibchen von 
* bis k (Fig 2) verbunden, durch welche Einrich¬ 
tung bis zu 5000 Ohm Widerstand in den Strom¬ 
kreis gebracht werden können. Einen über den 
Enden der Widerstandsrollen-Drähte schleifenden 
Ring kann man mit Leichtigkeit an dem Knopfe d 
auf- und abbewegen. Der Nullpunkt des Rheosta- 
ten befindet sich bei *, während der höchste _ 

Punkt sich bei k mit 5000 Ohm Widerstand 
befindet, d. h. bei k befindet sich das Ende 
der Drahtrolle, während nach oben Plättchen von 
einzelnen Stellen der Drahtrolle, Drähtchen abge¬ 
hen, je nachdem an diesen Stellen der Wider¬ 
stand der Rolle im Verhältniss abgezweigt ist. 

Eine direkte Leitung geht von der Klemmschraube 
b nach dem Punkte », dem Nullpunkte, für den 
Fall, dass der ganze Strom benutzt werden und 
der Rheostat ausgeschaltet sein soll- Der Pol¬ 
draht wird bei b angebracht. Es geht demnach 
der von dem Griffende nach der für die Aufsatz¬ 
platte bestimmten Schraube c gehende Strom 
durch den Rheostaten e hindurch, nimmt von 
dem Rheostaten seinen Weg nach k und von da 
durch die verschiedenen weiteren Drahtwindun¬ 
gen hindurch bis zu derjenigen Plattenstelle, an 
welcher der mit dem Knopf d verbundene 
federnde Schieber S aufsitzt Vom Schieber S 
geht der Strom nach dem Metallstäbchen r, um 
von hier nach der Klemme C sich weiter zu be¬ 
geben. Steht der Schieber S auf Null bezw. auf der Platte so ist nichts von 
der Widerstandsrolle eingeschaltet, und der Strom geht glatt durch. Je 
nachdem nun der Schieber S zurückgeschoben wird, werden in der ge¬ 
schilderten Weise immer mehr Theilo der Widerstandsrolle e in den 
Stromkreis hereingebracht 

In Figur 3 sehen wir einen Graphit-Rheostaten, welcher von den 
seitherigen in sofern ab¬ 
weicht, als die Feder 
direkt auf dem Graphit, 
welcher in eine Rinne ge¬ 
presst ist, schleift. Hier¬ 
durch werden selbst die 
minimalsten Unterbrech¬ 
ungen vermieden, welche 
bei Drahtrhcostaten doch 
zuweilen Vorkommen 
können. 


Fi«. 3. 


f 

IFi*. 1. 


Fi«. 2. 



XL Ueber das Photographiren des Auges 
bei Magnesiumblitz. 1 ) 

Wie gross die Pupille des Menschen in völliger Dunkelheit sei, konnte 
man früher nur beim Licht von Blitzen oder des Leydeuer Funkens beob¬ 
achten, wobei Messungen natürlich nicht möglich waren. 

Jetzt ist durch die Erfindung der Magnesiumblitz-Photographie durch 
die Herren Miethe und Gädicke ein sehr einfaches Mittel hierzu gegeben. 

‘J Nach einem Vortrage in der Berliner Physiologischen Gesellschaft 


Das Blitzpulver, eine feinkörnige Mischung von Salpeter und Magnesium, 
verbrennt in so kurzer Zeit und mit solcher Lichtentwickelung, dass ein 
Photogramm des Auges im völlig dunklen Raume aufgenomraen werden kann, 
welches die Pupille noch in höchster Erweiterung zeigt. Der Beginn ihrer 
Lichtreaction fällt erst in die nachfolgende Dunkelheit. 

Den Erfindern war dies schon bei ihren ersten Aufnahmen von Men¬ 
schen aufgefallen; die Augen zeigten einen eigenthümlichen. etwas starren 
Ausdruck, weil der Zustand der Pupille nicht, wie wir ihn sonst zu sehen 
gewöhnt sind, der Helligkeit des übrigen Bildes entspricht. 

Als ich Herrn Astronom Miethe auf die Bedeutung des Gegenstandes 
aufmerksam machte, hatte er die Freundlichkeit, die vorliegenden Auf¬ 
nahmen für mich herzustellen. Sie zeigen sein eigenes Auge in Naturgrösse, 
nach */*ständiger Ruhe im Dunkeln. Die Iris erscheint als ein durch¬ 
schnittlich etwa 1,5 mm breiter Saum. Im horizontalen Meridian beträgt 
der Durchmesser der Pupille 10 mm, bei 13 mm Hornhautbreite Ich habe 
den Versuch auch selbst mit dem gleichen Erfolg angestellt, da aber Herrn 
Miethe’s Bilder technisch besser gelungen sind, Ihnen lieber diese vorgelegt. 

Das Verfahren hat aber noch eine höhere Bedeutung für die Photo¬ 
graphie des Auges. Meine früheren Versuche, Augen aufzunehmen, miss¬ 
langen immer mehr oder weniger durch folgendes Dilemma: Bei gewöhn¬ 
licher Beleuchtung bedarf man einer längeren Exposition, und die Unruhe 
des Objects verdirbt das Bild, zu Momentaufnahmen dagegen ist eine Hellig¬ 
keit erforderlich, bei der jeder Mensch die Lidspalte zu verengern genöthigt 
ist. Diese Schwierigkeit ist durch das neue Verfahren auf dio einfachste 
Weise gehoben. Endlich ist durch die Beseitigung der Pupillenenge und 
der Augenbewegungen, während die Beleuchtung doch fast unbegrenzte 
Steigerung zulässt, zur Lösung einer noch höheren Aufgabe, der ophthal¬ 
moskopischen Photopraphie, ein grosser Schritt gewonnen 

Dr. C. du Bois-Reyntfond. 


XII. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Dem Generalstabsarzt der Armee und Chef des Sanitäts¬ 
corps. Wirkl. Geh. Obermedicinalrath und Prof. Dr. v. Lauer ist das Kreuz 
der Grosscomthure des Königlichen Hausordens von Hohenzollern, dem 
Generalarzt zweiter Classe und Regimentsarzt Dr. Leuth old das Kreuz der 
Comthure desselben Ordens, sowie dem Stabs- und Bataillonsarzt Dr. Tie- 
mann das Kreuz der Ritter desselben Ordens verliehen worden. 

— Dem Oberstabsarzt I. Classe und Regimentsarzt Dr. Schräder ist 
der Charakter als Generalarzt II. Classe verliehen worden. 

— Dem Privatdoconten an der medicinischen Facultät Dr. Hermann 
Krause ist das Prädicat „Professor“ verliehen worden. Seine Majestät der 
Kaiser überreichte demselben das Patent eigenhändig, indem er ihn zugleich 
zu der neuen Würde beglückwünschte. 

— Regierungsrath Dr. F. Renk, Mitglied des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes, hat sich als Privatdocent in der medicinischen Falcultät der Universität 
Berlin habilitirt. 

— Cottbus. Der Geh. Sanitätsrath Dr. Leuschner beging am 25. 
d. M. sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum. Die medicinische Facultät der 
Universität Berlin hat dem Jubilar das ihm vor fünfzig Jahren verliehene 
Doctordiplom erneuert. 

— München. Am 19. d. M. starb nach längerem Leiden Geheimrath 
Professor Dr. Franz Xaver v. Gietl. Derselbe war am 27. August 1803 
zu Höchstädt a./D. geboren und wirkte seit 1838 als Professor der medi¬ 
cinischen Klinik in München. Seine wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen 
sich hauptsächlich mit der Cholera und dem Typhus. 

— Leipzig. Am 12. d. M. starb Dr. Karl H. Schildbach, im 
Alter von 64 Jahren. Seit dem Jahre 1859 war derselbe Direktor einer 
orthopädischen Heilanstalt, seit 1875 Privatdocent für Orthopädie und Leiter 
einer orthopädischen Poliklinik in Leipzig. Die wissenschaftlichen Arbeiten 
des Verstorbenen bewegen sich auf dem Gebiete der Orthopaedio und Heil¬ 
gymnastik. 

— Das Gerücht über die Berufung Leube’s als Nachfolger Wagner’s 
nach Leipzig entbehrt jeder Begründung, da, nachdem die Verhandlungen 
mit Liebermeister zu keinem Resultat geführt haben, bisher noch kein 
bestimmter Vorschlag gemacht ist. Die vertretungsweise Leitung der Klinik 
ist Herrn Staatsrath Prof. Dr. Hoffmann übertragen worden. 

— Der verstorbene Geheime Medicinalrath Prof. Dr. Wagner hat dem 
Leipziger Verein für Feriencolonieen testamentarisch die Summe von 30 000 
Mark vermacht mit der Bestimmung, dieselbe zur Gründung eines Heims 
für arme, kränkliche Schulkinder Leipzigs zu verwenden. 

— Wiesbaden. Der VII. Congress für innere Medicln wird vom 9. 
bis 12. April tagen. Die Themata der von berufenster Seite und zahlreich an¬ 
gemeldeten Vorträge, welche alle Gebiete der inneren Modicin umfassen, 
haben wir bereits in der vorigen Nummer dieser Wochenschrift wiedergegeben. 
Die für die Praxis wichtigen Referate haben übernommen 1) Oertel 
(München) und Licht heim (Bern): Ueber die chronischen Herzmuskeler¬ 
krankungen; 2) Binz (Bonn) und v. Jaksch (Graz): Der Weingeist als 
Heilmittel; 3) August Pfeiffer (Wiesbaden) und Cantani (Neapel): 
Die Verhütung und Behandlung der asiatischen Cholera. 

Die in den Verhandlungen der sechs vorangegangenen Congresse nieder¬ 
gelegten Ergebnisse geben das beste Zeugniss und zugleich den Lohn für 
das zielbewusste Vorgehen Leyden’s, des Begründers und des thatkräftigen 
Förderers des Congresses für innere Medicin. „Man entfernt sich immer mehr 
und mehr von der durch die innere Medicin vertretenen Einheitsidee des 
menschlichen Organismus, von den allgemeinen Sätzen, welche die Lebens¬ 
vorgänge des Individuums bestimmen, nach welchen deren Bestehen und 
Vergehen geregelt wird“ führte Fr erichs seiner Zeit aus. Die Stellung und 
Bedeutung der inneren Medicin für die Wissenschaft und für das Leben 
waren bedroht. Der Congress gab der inneren Medicin — und das wird ein 
bleibendes Verdienst seines Begründers bleiben — die Directive wieder, diese 
Einheitsidee, selbstverständlich unter Verwerthung der durch den gesonderten 


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260 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 13 


Ausbau der Einzelfacher gewonnenen Ergebnisse, allein ohne Duldung einer 
Fremdherrschaft, welche der inneren Medicin immer zum Schaden gereichte, 
festzuhalten und hat derselben damit die ihr gebührende Stellung wieder 
erworben. 

Das diesjährige, so überaus interessante und reichhaltige Programm wird 
gewiss dazu beitragen, dem Congress wieder eine grosse Betheiligung zu sichern. 

— Breslau. In Breslau wird binnen Kurzem ein Institut für 
schwedische Heilgymnastik, Massage und Orthopädie unter ärzt¬ 
licher Leitung des Dr. Kuznitzky eröffnet werden. 

— Wien. Der VIII. österreichische Aerztevereinstag wird dies¬ 
mal in Wiener-Neustadt abgehalten werden. 

— Budapest. Für die Besetzung der erledigten I. modiciniscben 
Klinik in Budapest wurden die Namen Bokai, Jendrassik, Ketli, 
Müller, Purjesz, Stiller, Takacs in einem dem Professorencollegium 
dargelegten Referate Prof. Koränyi’s genannt und ihre Würdigung be¬ 
leuchtet, und das Referat ohne speciellen Ternavorschlag vorgelegt. Letz¬ 
terer soll in geheimer Abstimmung festgestellt worden. 

— Paris. Im Höpital Cochin ist abermals ein von einem tollen 
Hunde gebissener und im Pasteur’sehen Institut behandelter Patient, ein 
Algerier, Sidi-ben-Isral, an den Folgen des Hundebisses gestorben. 

— Pasteur ist als Mitbewerber um den Preis von 25 000 £ (500 000 
Mark) in die Schranken getreten, den die Regierung von Neu-Süd-Wales 
für die Vertilgung der übergrossen Zahl von Kaninchen in der Colonie aus¬ 
gesetzt hat, und hat mit dem Orient-Steamer „Cuzeo“, der am 3. März 
Neapel verliess, drei Delegirte mit einem Vorrath von Mikroben der Hühner- 
cholera abgesandt, mit denen er den Preis zu gewinnen hofft. 

— St. Petersburg. Gestorben ist Leopold v. Holst am 6. d. Mts. 
Holst gehörte zu den angesehensten deutschen Aerzten und war einer der 
Herausgeber der Petersburger medicinischen Wochenschrift. 

— Moskau. Dr. Toropor, früher Professor an der medicinischen 
Facultät der Universität Moskau ist gestorben. 

— Madrid. Der Professor der Geburtshülfo an der medicinischen 
Facultät in Madrid, Dr. Tor res ist gestorben. 

— Preisausschreiben. Das „Realo Istituto Lombardo di scieuze 
e lettere“ in Mailand stellt folgende Preisaufgaben: 1) Geschichte des Hyp¬ 
notismus, kritische Studien mit eigenen Versuchen. Termin 30. April 1889. 
Preis: 1500 fr. — 2) Eine makro- oder mikroskopisch-anatomische Unter¬ 
suchung über einen Theil des menschlichen Gehirns. Termin: 1. Juni 1889. 
Preis 2000 fr. — 3), Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte des 
Nervensystems oder eines Theiles desselben bei den Säugethieren. Termin: 
30. April 1889. Preis: 2000 fr. — 4) Historisch-kritische Studie über die 
Veröffentlichungen des menschlichen Craniums seit Gail. Termin: 1. Juni 
1888. Preis: 2000 fr. (Neurolog. Centralblatt 1888 No. 6.) 

— Die belgischen Aerzte beklagen sich in der Presse über den Umfang 
der Curpfuscherei auf dem Lande, die von Leuten allerArt, besonders aber 
von den Landpfarrern betrieben wird, die aus der Behandlung von Kranken 
direkt ein Geschäft machen und stark wirkende Medicamente wie Ipecacuanha, 
Brechweinstein, Arsenik etc. flaschenweise verordnen, sich auch für jede 
Consultation bezahlen lassen. Die belgischen Bischöfe sind vergeblich auf¬ 
gefordert worden, gegen diese ungesetzliche Praxis ihrer „eures“ einzu¬ 
schreiten, und die localen Medicinalbehörden, die gewählt werden, haben 
eine solche Furcht vor dem Einfluss der Geistlichkeit bei den Wahlen, dass 
sie auf die Klagen niemals hören. Ein Correspondent des Blattes „Le 
Scalpel“ meint, ein einzelner Landarzt in Belgien, der gegen dieses Unwesen 
öffentlich protestiren wollte, würde höchst wahrscheinlich sehr bald ver¬ 
hungern müssen. 

— Iluchard hat in Jen Bulletins jde la Societe medicale des Höpi- 
taux de Paris No. 3 eine neue Abhandlung über „Primäre Coronaritis mit 
partieller Atrophie des Herzens“ veröffentlicht, die sich an seine 
früheren Arbeiten über den Gegenstand anschliesst. 

— Ist Leukocythäraie Krebs des Blutes? Diese Frage stellt eine 
geistreiche Hypothese dar, die durch die histologische Annahme unterstützt 
wird, dass das Blut — wenngleich flüssig — ebensogut ein Gewebe ist wie 
die allersolidesten Theile. Mr. Bard (Lyon medical No. 7) tritt dafür ein, 
dass die erwähnte Krankheit eine Neubildung darstellt und bemerkt, dass, 
wenn der Process nicht zu einem Tumor im ursprünglichen Sinne des Wortes 
führt, das deswegen geschieht, weil das neoplastische Gewebe einem patho¬ 
logischen Gesetz gehorcht und die entwickelungsgeschichtlichen Attribute 
beibehält, die für das Gewebe, in welchem es ontsteht — hier also für das 
Blut — wesentlich sind. 

— In der Sitzung der Londoner pathologischen Gesellschaft vom G. März 
stellte Mr.Shattock ein Epitheliom der Niere inVerbindung mit Stein¬ 
bildung vor. Die Neubildung hatte nicht den sonst bei malignen Nieren- 
turooren üblichen glandulären Charakter, war aber ein echtes Epitheliom, 
wahrscheinlich durch den Reiz des Steins entstanden. Der Stein hatte 
durch fortwährende Reibung eine Stelle bereitet, auf der das krebsige infec- 
tiöse Material sich angesiedelt habe. Diese Ansicht von seinem Ursprung 
vermehre die Wahrscheinlichkeit der Theorie von dem Entstehen des Carci- 
noms durch Keime, obwohl vor Kurzem in Berlin angestellte Untersuchungen 
die Beobachtung bestätigt hätten, dass es mit den bisherigen Methoden 
nicht möglich sei, irgend einen Organismus aus krebsigen Neubildungen zu 
züchten. Dass durch diesen negativen Befund nicht das Fehlen eines bac- 
teriellen Keims bewiesen werde, gehe aus dem Parallelbefund bei Actinomy- 
cose hervor, bei der auch noch Niemand einen Parasiten in künstlichen 
Nährböden habe züchten können, obwohl ein solcher zweifellos vorhauden 
sei. In der Discussion wurde noch angeführt, dass auch im Museum des 
Londoner Bartholomäushospitals zwei Präparate von Stein zusammen mit 
Carcinom sich befänden Diese Fälle seien ein mächtiges Argument für das 
frühe Eingreifen, wo Stein vermuthet werde. Reizung durch Steine solle in 
ähnlicher Weise Carcinom des Gallenganges verursachen. Dr. Wilks ist 


der Ansicht, dass bei dieser Combination sowohl in der Gallenblase wie in 
der Niere das Carcinom secundär sei, eine Ansicht, die auch Fr er ich s 
getheilt habe. 

— Der bekannte Hungerer Secci hat in Florenz unter strenger 
wissenschaftlicher Aufsicht eine Fastenzeit begonnen, die er 30 Tage fort¬ 
zusetzen gedenkt. Die getroffenen Anordnungen decken sich ziemlich genau 
mit den hier in Berlin bei dem Hungerversuch des Cetti getroffenen. 
Die italienischen Aerzte wollen hauptsächlich herausbringen, wie lange das 
chylopoetische System durch Nahrungsaufnahme unbelästigt gelassen werden 
kann, was für die Bauchchirurgie und Darmblutung nach Perforation äusserst 
wichtig ist. Secci erhält nur: 1) ein salinisches Abführmittel, 2) ein alka¬ 
lisches Getränk, 3) Wasser zum Trinken und Mundspülen, 4) ein wenig 
Olivenoel zum Einreiben. 

— Bei dem hohen Interesse, welches zur Zeit in allen civilisirten 
Ländern die Auffindung von Mitteln zur Beseitigung der Trunksucht 
erregt und bei den divergirenden Ansichten, welche in gesetzgebenden Ver¬ 
sammlungen über die Spiritussteuer und deren Einfluss auf die Trunksucht 
herrschen, verdient ein in der Gesellschaft zur Beseitigung der Trunksucht 
in New-York von Croothers gehaltener Vortrag über die zur Aufnahme 
Trunksüchtiger in den vereinigten Staaten errichteten Hospitäler in ärztlichen 
Kreisen volle Beachtung. Der Vortragende weist darauf hin, dass Benjamin 
Rush im Anfänge dieses Jahrhunderts die Trunksucht als Krankheit ange¬ 
sehen und ein Arzt in Maine Dr. Turner zur Aufnahme derartiger Kranken 
zuerst ein Hospital eingerichtet hat. Seitdem sind 50 solcher Krankenhäuser 
entstanden, in denen 100 Kranke behandelt und wo ausserdem noch 1000 
andere in der Umgegend der Hospitäler unter ärztlicher Aufsicht in ihren 
Familien bewacht werden. Die Unterbringung in den Hospitälern findet erst 
statt, nachdem andere Mittel erschöpft sind und bei manchen Kranken das 
Leiden schon seit 5 bis 30 Jahren datirt. Der Erfolg der rationell wissen¬ 
schaftlichen Behandlung war ein sehr ermuthigender. Unter 3000 Fällen 
wurden 35%, welche etwa 1 Jahr im Hospital in Behandlung waren, voll¬ 
kommen geheilt. Croothers hat in Amerika einen viel intensiveren Grad 
von Trunkenheit beobachtet als in England, aus dem Grunde, weil hier die 
nervösen Functionen mehr in Anspruch genommen werden. Entschieden 
spricht sich Croothers gegen den Gebrauch von Curen und Gegenmitteln 
gegen Trunksucht aus und besteht auf der Nothwendigkeit, jeden einzelnen 
Fall speciell wissenschaftlich ira Hospital oder in der Familie zu behandeln. 

— Sammelforschungen werden dem Brit. Med. Journal zufolge in 
England gegenwärtig über folgende Gegenstände angestellt: 1) Ueber 
den Zusammenhang von Krankheiten mit unmässigen Gewohnheiten. 2) Ueber 
Diphtherie. 3) Ueber die geographische Vertheilung gewisser Krankheiten. 
4) Ueber die Aetiologie der Phthise. 5) Ueber Ursprung und Fortpflan¬ 
zungsart der Diphtheritisepidemieen. 

— Cholera. Das Vorkommen von Cholerafällen im Hafen von New-York 
hat in den betheiligten Staaten eine Bewegung angeregt, die Controle der 
Quarantaine von den Staaten und städtischen Behörden auf die Bundes¬ 
regierung zu übertragen. Es soll ein dahingehender Antrag beim Congress 
gestellt werden. Man erhofft davon ein besseres System der ärztlichen Be¬ 
aufsichtigung und Assanirung der Schiffe. 

— Pocken. An mehreren Orten der Bretagne herrschen augenblick¬ 
lich Variolaepidemieen. Der Mittelpunkt des einen Herdes ist Brest. Eine 
zweite Epidemie herrscht in Douarnenez, Leuhan und Laz, an welchen drei 
Orten nach der Sem. möd. bereits über 200 Todesfälle an der Seuche vor- 
gokommen sein sollen. 

— Universitäten. Bonn. Der Privatdocent in der medicinischen 
Facultät und Assistent der Anatomie Dr. D. Barfurth ist zum Prosector 
an der Anatomie in Göttingen ernannt worden. — Kasan. Der Privatdocent 
Dr. Boldyrew ist zum a. o. Professor ernannt. Dr. Schtschepotjew hat 
sich als Priv.-Doc. für Epidemiologie h&bilitirt. — Moskau. Dr. Pospelow 
ist zum a. o. Professor für Dermatologie und Syphilidologie ernannt worden. 
— St. Peters-burg. Die DDr. Kohan und Grammatikati haben sich 
als Priv.-Docenten für allgemeine Pathologie bezw. Geburtshülfe und Gynä¬ 
kologie an der militär-medicinischen Akademie habilitirt. — Constantinopel. 
Dr. Os man Bey ist zum Professor der Chirurgie an der medicinischen Schule 
an Stelle des verstorbenen Professor Callias Effendi ernannt worden. 


XIII, Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Auszeichnung: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Kreis-Wundarzt Dr. Büttner zu Wünscheiburg den Königl. 
Kronen-Orden IV. CI. zu verleihen. 

Ernennung: Der prakt. Arzt Dr. Rieger zu Brieg ist zum Kreis- 
Wundarzt des Kreises Brieg ernannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Schwienhorst in Senden, 
Dr. Hidemann und Dr. Fischer in Bochum, Dr. Steilberger in 
Hoerde, Dr. Sommer in Soest, Dr. Oehlkers in Hannover, Dr. Seelig 
in Pattensen, Dr. Burger in Runkel, Dr. Wolff in Weilburg, Dr. Gott¬ 
fried und Dr. Neubürger in Frankfurt a./M., Dr. Riffert in Hadamar. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Simson von Stargard i. P. nach 
Coeslin, Feldmann von Bergquell Frauendorf nach Bollinchen, Dr. Lober 
von Stettin nach Bredow (nicht Breslau wie früher angezeigt), Stabs-A. a. D. 
Dr. Koll von Bonn nach Aachen, Ass.-A. Dr. Cunze von Jülich nach 
Engers, Dr. Osterbind von Fedderwarden nach Wilhelmshaven, Flick 
von Runkel nach Würzburg, Dr. Schellenberg von Runkel nach Wies¬ 
baden. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. K. R. Müller in Linden, 
San.-Rath Dr. Köhler in Soden, Dr. Josephsohn in Runkel. 

Vacante Stellen: Die Physikate der Kreise Johannisburg und Putzig 
und des Oberamts Gammertingen. 


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Gedruckt bei Julias Sittenfeld in Berlin W. 





Donnerstag 


JW 14 , 


5. April 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Yierzehnter Jahrgang. 

Redactenr SanitÄts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


L Ueher puerperale Mastitis. 

Von R. Olshausen. 1 ) 

Die parenchymatöse Entzündung der Brustdrüse ist im Wochen¬ 
bett keine seltene Krankheit. Ihr Beginn fällt häufiger in die zweite, 
auch dritte Woche des Wochenbettes, als noch in die erste. Vor 
dem 6. Tage kommt es selten zur Mastitis. 

Der Beginn der Erkrankung documentirt sich fast immer durch 
einen, oft heftigen Schüttelfrost, dem sogleich eine bedeutetfde 
Temperatursteigerung zu folgen pflegt. Die Wöchnerin hat um 
diese Zeit selten schon spontane Schmerzen in der Brustdrüse; doch 
findet man bei der Untersuchung meist schon jetzt eine circura- 
scripte, schmerzhafte Härte und darüber Hautröthe. 

In günstig verlaufenden Fällen hört das Fieber schon am 
2. Tage wieder auf; die Hautröthe, Schmerzhaftigkeit und Infiltration 
verschwinden fast ebenso schnell, und die Krankheit ist gehoben. 

Dauert aber das Fieber zwei volle Tage, so ist fast niemals 
auf Vertheilung der Entzündung zu hoffen. Es kommt zur Eiterung. 
Unter Zunahme der Härte und der Schmerzen kommt es in 
6 —10 Tagen zu einer oft noch tiefliegenden Fluctuation, und wenn 
man noch so frühzeitig incidirt, so ist es doch oft schon zur Bildung 
erheblicher Eitermengen gekommen. 

Tritt rechtzeitig eine zweckmässige chirurgische Behandlung 
ein, so bleibt es meist bei dem einen Eiterheerd, welcher nach 
längstens einigen Wochen sich schliesst. Wird aber anfänglich etwas 
versäumt oder die entzündete Brust durch ungeeignete Mittel mal- 
traitirt, so entzündet sich ein Drüsenlappen nach dem andern; 
jeder bildet einen Eiterheerd, der für sich aufbricht. Schliesslich 
ist der grösste Theil des Drüsengewebes zerstört und die Haut der 
Brust durch zahlreiche Fistelgänge durchlöchert. Solche durch 
Monate sich hinziehende, langwierige Mastitiden können die Wöchnerin 
im höchsten Grade herunterbringen und anämisch machen. 

Es muss hervorgehoben werden, dass in einzelnen Fällen 
Mastitiden im Beginn Temperaturen von 41,5 0 und mehr hervor¬ 
bringen können. Treten dann durch die excessive Temperatur- 
Steigerung Delirien auf, so kann man glauben, es mit einer septisch 
ioficirten Wöchnerin zu thun zu haben. Uebrigens kommen in 
seltenen Fällen auch septische Infectionen an Schrunden der Warzen 
zu Stande, die dann zu einer Mastitis mit acuter Veijauchung und 
zu Allgemeininfection führen können. Kaltenbach beobachtete 
Infection einer Rhagade der Mamma mit Erysipelgift. Eigentüm¬ 
lich ist in einzelnen Fällen folgender Verlauf einer Mastitis: Nach 
2—3tägigem Fieber tritt Fieberlosigkeit ein. Die örtlichen Er¬ 
scheinungen gehen nicht völlig zurück; doch sind die Schmerzen 
unerheblich. Erst nach 6—8 Tagen tritt neues Fieber auf. Alle 
Symptome steigern sich und es kommt zur Eiterung. Diese subacut 
verlaufenden Mastitiden sind diagnostisch und prognostisch oft 
schwer zu beurteilen. 

Die Aetiologie der Mastitis ist durch die bacteriologischen 
Forschungen ungleich klarer geworden, wenngleich noch Manches 
festzustellen übrig bleibt. Es kann keine Frage sein, dass die 
Mastitis stets auf einer Infection beruht. Diese kann, wie es nach 
den bisherigen Untersuchungen scheint, auf zwei Wegen in die 
Drüse eindringen, nämlich durch Schrunden der Warze und durch 
das Lumen der Milchcanäle. Dieser letztere Weg ist nach den 

*) Diese Mittheilung ist ein Abdruck aus der demnächst erscheinenden 
10. Auflage von Schroeder's Lehrbnch der Geburtshülfe, herausgegeben 
von Olshausen und J. Veit. 


Untersuchungen von Escherich und von Bumm ausser allen 
Zweifel gesetzt, nachdem diese Forscher den Nachweis von Bacte- 
rien in der Milch der noch nicht erkrankten Drüse geführt haben. 
Die in der Milch vorhandene Bacterienart war stets identisch mit 
der im Eiter der Schrunden nachweisbaren. Die Milch kann durch 
die Anwesenheit der Bacterien ihre alkalische Eigenschaft ver¬ 
lieren. Mit dem Ausheilen der Schrunden verschwanden gewöhn¬ 
lich die Bacterien auch schnell aus dem Secret. 

Die klinischen Erfahrungen sprechen mit grosser Entschieden¬ 
heit dafür, dass der gewöhnliche Weg derjenige durch die Milch¬ 
gänge ist, wodurch zuerst das Drüsengewebe selbst und zwar in 
einem einzelnen Lobus befallen wird. Meistens handelt es sich um 
eine Invasion von Staphylococcus. Cohn fand bei nicht abscediren- 
der, parenchymatöser Mastitis einen eigenthümlichen Streptococcus. 

Seltener ist die Infection direkt an den Wunden der Warze 
und durch Vermittelung der dort eröffneten Bindegewebsräume. 
Dann kommt es zur phlegmonösen Mastitis, deren Typus am 
reinsten auftritt, wenn die Entzündung durch den Streptococcus 
pyogenes hervorgerufen wird. 

Bei der phlegmonösen Mastitis ist die Entzündung von Anfang 
an diffuser, die ausgedehnte Betheiligung des subcutanen Binde¬ 
gewebes und die schnellere diffuse Hautröthe sind deutlich. Secun- 
där greift freilich auch hier die Entzündung auf die durch eitrige 
Schmelzung des periadenitischen Gewebes isolirten Drüsenlappen über. 

Es bleibt noch zu erörtern, welchen Einfluss auf Erzeugung 
einer Mastitis die Stauung der Milch in der Brust hat. Sie allein 
in manchen Fällen für die Entstehung der Krankheit verantwortlich 
zu machen, ist heute ein unmöglicher Standpunkt. Da aber er¬ 
wiesener Maassen das Eindringen der Mikroorganismen in die Milch¬ 
canäle die Milch zersetzt, und zwar unter Entwickelung freier 
Säuren (Milchsäure, Buttersäure) wahrscheinlich das Casein theil- 
weise ausfällt, so wird es begreiflich, dass Stauung der Milch die 
Ansiedelung der Bacterien begünstigen kann. Immerhin ist der 
ungünstige Einfluss der Galaktostase nicht hoch anzuschlagen, wie 
sich besonders aus der Therapie ergiebt. Wenn in einzelnen Fällen 
ohne jede Schrunden aber bei Galaktostase eine Mastitis auftritt, 
so ist zu bedenken, dass der Zusammenhang der Dinge täuschen 
kann. Die Schrunden, wegen deren das Kind abgesetzt wurde, sind 
oft schon verheilt, wenn bei nun eingetretener Galaktostase die 
Mastitis zum Ausbruch kommt. 

Mastitis tritt in der überwiegend grossen Zahl von Fällen bei 
Säugenden auf; doch sind Nichtstillende nicht absolut geschützt. 
Die grosse Mehrzahl der Fälle (67,6% nach Winckel) betrifft 
Erstwöchnerinnen, während nach den beiden ersten Wochenbetten 
die Krankheit nur noch sehr selten auftritt. Nach Winckel wurden 
fast 6 % aller Wöchnerinnen (NB. im Entbindungsinstitut, wo 
durchschnittlich 50% Primiparae sind) von Mastitis befallen. In 
der Hallenser Klinik wurden in 4 Jahren (1883—86) unter 972 
Wöchnerinnen 31 zweifellose Mastitiden beobachtet, unter welchen 
nur 6 Mal Eiterung auftrat. Diese geringe Procentzahl von Absce- 
dirungen beziehen wir auf die stricte Durchführung der sogleich zu 
beschreibenden therapeutischen Vorschriften. 

Die Therapie ist für den Verlauf der Mastitis meistens von 
entscheidendem Einfluss. Die Prophylaxe besteht in Reinhaltung 
der Warzen und zweckmässiger Desinfection der wunden Warzen, 
besonders nach jedem Anlegen des Kindes. Auch Reinhalten des 
kindlichen Mundes ist von Wichtigkeit. Kommt es dennoch zur 
Mastitis ; so kommt Alles darauf an, schleunig einzuschreiten, und 
zwar in allererster Linie durch Absetzen des Kindes. Wird 


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262 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 14 


dies versäumt, oder geschieht es nicht in den ersten 24 Stunden 
nach dem Frost, welcher fast immer den Beginn der Erkrankung 
kennzeichnet, so kommt es fast immer zur Eiterung. Wird das 
Kind sofort abgesetzt, so wird iu drei Viertel oder mehr der Fälle 
die Mastitis coupirt. Weil man früher die Mastitis von Milch¬ 
stauung ableitete und dementsprechend nun das Kind möglichst 
oft nach eingetretener Entzündung anlegte, erlebte man damals 
selten, dass eine Mastitis coupirt wurde. 

Neben dem Absetzen des Kindes ist auch ein Suspensorium 
Mammae nicht zu verabsäumen. Ein Abführmittel und, bei ober¬ 
flächlichem Sitz der Entzündung, eine Eisblase sind ebenfalls vou 
Nutzen. 

Dauert das Fieber länger als 36 Stunden, so ist fast mit 
Sicherheit auf Eintritt von Eiterung zu rechnen. Man incidirt dann, 
sobald man an einer weichen Stelle den Sitz des Eiters mit Sicher¬ 
heit ermittelt hat. Am Warzenhof muss der Schnitt radiäre 
Richtung haben, um nicht die grossen Sinus lactei quer zu durch- 
schneiden. Dann legt mau ein Drainrohr ein und behandelt den 
Abscess nach den Principien der Antisepsis. 

Bisweilen kommt es in dem unter dem Warzenhof gelegenen 
Bindegewebe zu einer circumscripten Phlegmone — subareoläre 
Mastitis — die Geschwulst erreicht dabei kaum jemals Walluuss- 
grösse. Das Parenchym der Drüse wird nicht betheiligt. Bei 
dieser Form allein braucht das Nähren des Kindes nicht aufgegeben 
zu werden. 

In seltenen Fällen bildet sich eine Phlegmone im retromammären 
Bindegewebe (Paramastitis), welches zwischen Drüse und Thorax¬ 
wand liegt. Die Mamma schwillt dabei an und giebt ein Gefühl, 
als ob sie auf einem Wasserkissen läge; die Basis der Brust wird 
ödematös. Incidirt man nicht frühzeitig am Rande der Drüse, so 
kann es zu langwierigen und gefährlichen Eitersenkungen kommen. 
Billroth will diese Retromammärabscesse stets auf Eiterung tief- 
gelegener Drüsenlappen zurückführen. 

n. Der moderne Hypnotismus. 

Ein kritischer Essay. 

Von Professor Seeligm&ller in Halle a. S. 

(Fortsetzung aus No. 2.) 
n. Die Suggestionserscheinungen. 

Das Wort „Suggestion“ von suggerere, etwas unter den 
Fuss geben, einreden, eine Vorstellung bei Jemand erwecken, ist in 
der Sprache des modernen Hypnotismus in viel umfassenderem 
Sinne gebraucht als früher. Wir verstehen jetzt darunter die Be¬ 
einflussung des ganzen Seelenlebens einer Person — des Fühlens, 
Vorstellens und Wollens — durch eine andere. Die hypnotisirte 
Person wird mit ihren seelischen Functionen durch den unwider¬ 
stehlichen Willen des Hypnotiseurs dahin gelenkt, wohin dieser will, 
und kann durch fortgesetzte Erziehung oder Abrichtung (training) zu 
diesem in einen derartigen „Rapport“ treten, dass sie der übrigen 
Aussenwelt vollständig abgestorben, von ihm vollständig abhängig 
ist. „Die durch Suggestion hervorgerufene Vorstellung oder Vor¬ 
stellungsreihe setzt sich wie ein Parasit im Geiste der Person fest, 
bleibt der Beeinflussung durch alle anderen Vorstellungen unzugäng¬ 
lich und kann sich durch entsprechende motorische Acte nach aussen 
kund geben“. (Cliarcot). 

Die Suggestibilität, d. h. die Eigenschaft auf Suggestionen zu 
reagiren, findet sich, wie die neue Nanziger Schule mit Bern¬ 
heim an der Spitze betont, keineswegs nur bei Hysterischen, 
sondern, wie diese behaupten, ebenfalls bei Gesunden. Immerhin 
steht aber wohl so viel fest, dass auch hier Hysterische die geeig¬ 
netsten Versuchspersonen darstellen, und ist es wohl mehr als 
wahrscheinlich, dass auch die sogenannten Gesunden die Disposition 
zu der „experimentelle'n Neurose“, wie Charcot die Hypnose nennt, 
in sich tragen. 

Beide Classen von Personen, Hysterische wie Gesunde, können 
nicht nur im hypnotischen, sondern auch im wachen Zustande 
zu Suggestionsversuchen benutzt werden (Fascination). 

Weiter findet die Suggestion ihre Realisirung durch die Ver¬ 
suchspersonen entweder während der Hypnose selbst oder nach der¬ 
selben. Demnach können wir von der gewöhnlichen hypnotischen 
Suggestion eine posthypnotische unterscheiden. 

Endlich bedarf es in vielen Fällen gar keiner Beeinflussung der 
Versuchsperson durch äussere, mit den Sinnen wahrzunehmende 
Mittel; alsdann hat man das sogenannte Gedankenlesen und die 
Gedankenübertragung, die man als mentale Suggestion 
bezeichnet. 

Wie gesagt, spielt die Suggestion in der Lehre vom modernen 
Hypnotismus eine grosse Rolle. Bernheim u. A. erklären dieselbe 
allein für hinreichend, um die ganze Reihe hypnotischer Phänomene 


hervorzubriugen. Aeusserliche Manipulationen, wie Bestreichen, 
sind daher durchaus entbehrlich; das einfache Einreden, dass der 
hypnotische Schlaf eine wohlthätige oder heilsame Einwirkung auf 
die Versuchsperson ausüben werde, genügt, um denselben hervor- 
zurufeu. 1 ) „Es ist die Vorstellung des Schlafs, welche ich erwecke 
und allmählich in das Gehirn hineinschiebe“. (Bernheim). 

Dem Grade der Hypnose nach lassen sich die Hypnotisirten 
in 6 Kategorieen bringen: 

1. Grad. Die geschlossenen Augenlider können nicht mehr 
geöffnet werden. Dieses Aufaugsstadium eignet sich nur zu wenig 
hervorragenden Versuchen. 

2. Grad. Die Augen bleiben geschlossen; die Glieder sind 
erschlafft. Die Person ist dem Willen des Hypnotiseurs unter¬ 
worfen. Bringt dieser beide Hände der Person in der bekannten 
Form der langen Nase an ihre Nase und sagt: „Sie können den 
Daumen nicht vou der Nase losreissen“, so vermag sie dieses in der 
That nicht. Ebensowenig bringt die Person es fertig, die Hand zu 
öffnen, welche von dem Hypnotiseur mit dem Wort „Sie können 
die Hand nicht aufraachen“ geschlossen wurde. Beim Erwachen 
ist die Erinnerung an das, was während der Hypnose vor sich ge¬ 
gangen ist, erhalten. 

3. Grad. Tiefer Schlaf, mehr oder weniger ausgesprochene 
Anästhesie. Ausser der suggestiven Katalepsie können jetzt auto¬ 
matische Bewegungen hervorgerufen werden, z. B. Drehen des einen 
Arms um den anderen, und zwar auf dem Wege des Befehls oder 
der Nachahmung. Das Gehör ist erhalten. 

4. Grad. Die genannten Erscheinungen bestehen fort. Die 
Beziehungen zur äusseren Welt hören auf: die Person steht nur 
noch in Rapport mit dem Hypnotiseur und hört nur noch auf ihn. 

5. und 6. Grad. Hier haben wir es mit eigentlichem Som¬ 
nambulismus zu thun, d. h. mit dem Stadium des hypno¬ 
tischen Schlafes, in welchem die Suggestionsversuche 
am besten und vollständigsten gelingen. Nach dem Er¬ 
wachen fehlt jede Erinnerung an das, was während des Schlafes 
vor sich gegangen ist. 

In diesen 6 Kategorieen Liebeault’s, welche Bernheim in 
der neuesten Auflage seines Buches 2 ) um 3 weitere vermehrt hat, 
lassen sich fast alle Fälle von Hypnose einrangiren. Indessen behält 
die Individualität der Versuchsperson im gegebenen Falle eine nicht 
zu verkennende Bedeutung, und Zwischenstufen zwischen den 
einzelnen Kategorieen wird man häufig begegnen. 

Ueber die Häufigkeit der einzelnen Stadien des hyp¬ 
notischen Zustandes hat Liebeault 1880 bei 1011 von ihm 
hypnotisirten Personen folgende Zusammenstellung gemacht: 


Ueberhaupt nicht hypnotisirbar.27 

Schläfrigkeit, Schwere der Glieder.33 

Leichter Schlaf.100 

Tiefer Schlaf .460 

Sehr tiefer Schlaf.232 

Leichter Somnambulismus.31 

Tiefer Somnambulismus.131 


Später hat Liebeault unter 100 Personen 15 18 Somnam¬ 
bulen gefunden. 

Auch die Erscheinungen der 3 ersten Kategorieen bringt Bern¬ 
heim, wie gesagt, durch Suggestion hervor; so die an den Be¬ 
wegungsorganen. Während man sonst bei der durch äussere Hülfs- 
mittel hypnotisirten Person ein Glied durch Streichen starr machte, 
macht er die künstliche Katalepsie durch die Suggestion, die 
Person könne den erlahmten Arm nicht senken u. dgl. In gleicher 
Weise bringt er durch Suggestion Trismus, Contractionen der Hals¬ 
muskeln u. s. w. zu Wege. 

Ebenso gelingt es durch Suggestion Lähmung hervorzubringen. 
Sagt er zu einer Person, deren Arme in horizontaler Stellung kata- 
leptisch versteift sind: „dieser Arm ist gelähmt!“, so fällt derselbe 
schlaff herunter, während der andere in seiner Starrheit verharrt. 
Bernheim sah diesen Zustand noch 40 Minuten nachher bestehen. 

Die Beeinflussung der Sinne durch Suggestion ist be¬ 
kannt. Ein Bleistift wird als Cigarre mit obligaten Folge¬ 
erscheinungen geraucht, Wasser oder eine andere Flüssigkeit als 
Champagner getrunken, und der danach eintretende Rausch nach 
dem Belieben des Hypnotiseurs zu einem heiteren oder traurigen 
gestaltet. Chinin und Coloquinten werden als Zucker, Papier als 
Kuchen genossen. In Betreff des Gehörs werden bald herrlicher 
Gesang von Vögeln, bald köstliche Musik oder Stimmen von be- 

*) Hier ist zu bemerken, dass Fernhoim bei dieser Behauptung 
vergessen hat, wie er selbst beim Einschläfern bestimmte Gesten anwendet, 
zwei Finger fixiren lässt, mit beiden Händen vor den Augen auf- und ab¬ 
streicht, seine eigenen Augen fixiren lässt, die Augenlider sanft und leise 
über den Augäpfeln ausbreitet — alles doch keine Suggestion, die sozusagen 
nur nebenherläuft. 

*) Bern Ijei m, De la Suggestion et de so? applications ä la thera- 
peutique. 2. Edition. Paris 1888. 


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DEUTSCHE MEDICINISOnE WOCHENSCITRIET. 


263 


,5. April. 


freundeten Personen suggestionirt; in Betreff des Gesichts bald 
angenehme, bald schreckliche Scenen. Selbst die Gemeingefühle 
unterliegen der Täuschung: die Versuchsperson, welche durch 
Fiction auf einen Thurm geführt ist, klagt über Schwindel. 

Auch können mehrere Sinne gleichzeitig captivirt werden. 
Man suggerirt der Person, sie habe eiue Rose in der Hand; sie sieht 
und riecht sie, und selbst wenn man ihr sagt, dass es sich um eine 
Suggestion, um eine Täuschung handelt, so bleibt sie dabei; sie 
kann sich von dem Glauben an die Wirklichkeit der Rose nicht 
losmacben. 

Auch die Vasomotoren stehen unter dem Einflüsse der Sug¬ 
gestion. Während des somnambulen Zustandes sagt Beaunis zu 
der Person: „Nach dem Erwachen werden Sie an der Stelle, die 
ich jetzt berühre, einen rothen Fleck haben“. Zehn Minuten nach 
dem Erwachen zeigt sich an besagter Stelle eine wenig aus¬ 
gesprochene Röthe, die allmählich zunimmt und nach 10—15 Minuten 
allmählich wieder verschwindet. In derselben Weise werden durch 
Postmarken, die unter dem Namen eines Vesicators auf den Rücken 
geklebt waren, Blasen hervorgebracht. . 

Dumontpallier hatte bei derartigen Versuchen nie einen 
Erfolg. Wohl aber vermochte er bei Hysterischen im hypnotischen 
Zustande durch Suggestion örtliche Steigerung der Körper¬ 
wärme um mehrere Grade an einer bestimmten Stelle hervor¬ 
zurufen, während die symmetrische Stelle der anderen Körperhälfte 
dann zu derselben Zeit eine Herabsetzung der Temperatur zeigte. 

Noch auffülliger ist die posthypnotische Erzeugung von 
Blutungen. Bourru und Burot sagten zu ihrem liystero- 
epileptischen Marinesoldaten während der Hypnose: „Heute 
Nachmittag 4 Uhr wirst Du einschlafen, Dich in das Cabinet be¬ 
geben, Dich in den Lehnstuhl setzen, die Arme über die Brust 
kreuzen und aus der Nase bluten“. Zur bestimmten Stunde that 
er das Befohlene und verlor aus dem linken Nasenloche einige 
Tropfen Blut 

Demselben Soldaten zeichneten sie am anderen Tage mit dem 
stumpfen Ende einer Sonde seinen eigenen Namen auf den linken 
Vorderarm und sagten: „Heute Nachmittag um 4 Uhr wirst Du ein¬ 
schlafen und auf den Linien, wie sie soeben gezeichnet sind, Blut 
schwitzen, so dass Dein Name in blutigen Lettern auf Deinen Armen 
geschrieben steht“. Um 4 Uhr sieht man ihn einschlafen und auf 
dem linken Arme die Buchstaben erhaben und lebhaft roth hervor¬ 
treten, dazu an mehreren Stellen einige Tropfen Blutes. Ein Viertel¬ 
jahr später waren die Buchstaben, obwohl allmählich bleicher ge¬ 
worden, doch noch sichtbar. 

Bei demselben Kranken konnte der Dr. Mabille durch Sug¬ 
gestion blutige Stigmata an einer beliebigen Körperstelle hervor- 
rufen nnd beobachtete, wie derselbe während eines spontan einge¬ 
tretenen Anfalls von Hypnose gewissermaassen seine Persönlichkeit 
verdoppelte, insofern er sich selbst die Stigmata laut suggerirte. 

Vor diesem Versuche verblasst der Heiligenschein einer Louise 
Lateau, insofern die bei ihr seiner Zeit an jedem Tage auftretenden 
blutigen Stigmata einfach als durch Autosuggestion entstanden an¬ 
zusehen sind. Uebrigens will ich nicht unterlassen zu erwähnen, 
dass Bern beim bei einer grossen Reihe von Personen sich vergeb¬ 
lich bemüht hat, diese Versuche nachzumachen. 

Aber nicht nur einzelne Körpertheile, nicht nur einzelne Sinnes¬ 
organe, nicht nur einzelne psychische Functionen, sondern der ganze 
Mensch, die ganze Persönlichkeit kann bei manchen 
Personen verwandelt und nach Belieben umgestaltet 
werden. Ch. Rieh et sagt zu einem Hypnotisirten: „Du bist 6 Jahre 
alt, Du-bist ein Kind, spiele mit den Strassenjungeu!“ und sofort 
macht jener alle möglichen Scbeiuhandlungen, als spiele er mit 
kleinen Kugeln, als übe er mit anderen Knaben Bocksprünge u. s. w. 
Danach sagt Richet: „Sie sind ein junges Mädchen.“ Jetzt neigt 
er verschämt den Kopf, öffnet die Schublade, zieht ein Tuch heraus 
und thut, als ob er nähte. 

Richet sagt: „Sie sind ein General an der Spitze Ihrer Armee!“ 
Jener wendet sich um, ruft laut: „en avant!“ und macht schaukelnde 
Bewegungen mit dem Körper, als ob er zu Pferde sässe. 

Riebet sagt: „Sie sind ein hochwürdiger Pfarrer!“ Jener 
sieht wie verklärt aus, schaut gen Himmel und geht, das Brevier 
lesend und Kreuz schlagend, auf und ab. 

Richet sagt: „Sie sind ein Hund!“ Jener lässt sich auf alle Viere 
nieder, bellt, beisst um sich und erhebt sich nicht eher aus dieser 
Stellung, als bis er in seine wahre Persönlichkeit oder in eine 
andere verwandelt ist. 

Richet bezeichnet diese Art der Suggestion als Obiecti- 
vation des types, also Objectivirung typischer Persönlichkeiten. 
Ihre volle Berechtigung gewinnt diese Bezeichnung dann, wenn die 
Versuchsperson auf Verlangen den Geizhals Moliere’s oder eine 
andere Theaterfigur oder eine bekannte typische Persönlichkeit zur 
Darstellung bringt. 


Die Analogie mit Traum- und Rauschzuständen, sowie mit 
Delirien von Typhus- und Geisteskranken liegt auf der Hand. 

Von längere Zeit trainirten Versuchspersonen können die 
Rollen ausserordentlich schnell gewechselt und die Situationen im 
Einzelnen ausgemalt werden. 

Manche Somnambulen haben übrigens spontane Traumgesichte 
aller Art, so Verfolgung durch eiueu Tiger (Bernheim). 

Besonders eigenthümlich und geradezu Staunen erregend sind 
die sogenannten posthypnotischen Suggestionen. 

Die während der Hvpuose suggerirten körperlichen Zustände, 
Hallucinationeu, Illusionen und Handlungen treten erst unmittelbar 
nach dem Erwachen oder auch nach Ablauf einer kürzeren oder 
längeren Frist in Erscheinung. Einige derartige Versuche haben 
wir schon oben mitgetheilt. Wasser als Bitterwasser oder Brot¬ 
kügelchen als Abführpillen während des somnambulen Zustandes 
genommen, äussern ihre abführende Wirkung nach dem Erwachen. 
Hunger uud Durst beim Erwachen lassen sich ebenso suggerireu 
und gleicherweise allerlei körperliche Empfindungen: Wadenkrarapf, 
Kribbeln in einem Gliede, Kratzen auf dem Kopfe u. dgl. Ein anderes 
Mal erblickt die Versuchsperson in Folge der während der Hypnose 
stattgehabten Suggestion nach dem Erwachen auf einem weissen 
Blatt Papier das Portrait einer ihr bekannten Person oder sie sieht 
das normale Gesicht eines Anwesenden nur znr Hälfte rasirt und 
mit einer riesig grossen silbernen Nase. 

In der Salpetriere l ) ist folgender Versuch wiederholt ausgeführt 
worden: 

Einer Hypnotisirten wird von 10 völlig gleichen weissen Blättern 
Papier eines, welches ohne Wissen derselben ein Zeichen erhalten 
hat, vorgezeigt und ihr gesagt: „Hier ist das Portrait von Herrn X. 
(welchen sie kennt); er ist so und so gekleidet; ich gebe es Ihnen, 
und wenn Sie erwacht sind, werden Sie es noch wiedererkennen“. 
Nun wird das betreffende Blatt unter die 9 anderen gemischt uud 
diese der geweckten Person vorgelegt. Sie findet immer das her¬ 
aus, welches für sie das Portrait des Herrn X. vorstellt. Sie drückt 
es an sich und sagt: „Das habe ich mir längst gewünscht, Sie 
schenken es mir doch, nicht wahr?“ 

Fügen wir sogleich hinzu, dass diese Illusion ohne Ende fort- 
dauern kann. Eiue sehr leicht hypnotisirbare Hysterische Charcot’s 
hat sich aus allen solchen weissen Blättern eine Portraitsaramlung 
hergestellt, welche sie von Zeit zu Zeit mit grossem Vergnügen 
wieder durchsieht. Ja, wenn man zwischen dem Auge der erstge¬ 
nannten Kranken und dem Papier ein Prisma einschiebt, so ver¬ 
doppelt sich das Bild. „Jetzt sehe ich zwei Portraits“, ruft sie 
aus. So objectivirt sie selbst ihre Illusion.' 2 ) 

In gleicher Weise vermag man das Portrait des Herrn X. 
durch diesen selbst zu ersetzen. Zu der einen Hypnotisirten sagt 
man: „Beim Erwachen werden Sie Herrn X. hier neben sich sehen; 
Sie können ihn anreden und wenn Sie hinausgehen, wird er Sie 
begleiten.“ Sie wird aufgeweckt. „Ach, sagt sie, da ist ja Herr X. 
Wie geht es Ihnen?“ Natürlich bleibt Herr X., der nicht da ist, 
die Antwort schuldig. „Warum antworten Sie mir nicht? Sonst 
sind Sie doch liebenswürdiger.“ Dasselbe Schweigen. „Aber ant¬ 
worten Sie mir doch!“ Ungeduldig sagt sie zu uns: „Was hat 
nur Herr X. heute? Er spricht nicht. Sollte er vielleicht stumm 
geworden sein? Na, meinetwegen, ich gehe; ich sehe nicht ein, 
warum ich gegen ihn zuvorkommend sein soll, wenn er so wenig 
rücksichtsvoll gegen mich ist.“ Sie will hinaus gehen. Natürlich 
wirkt die Suggestion weiter, und sie sieht Herrn X. sich an ihre 
Schritte heften. Sehr aufgeregt, wird sie grob gegen ihn, ihr Ge¬ 
sicht drückt Staunen und Schreck zugleich aus. Das Gesicht und 
die Person des Herrn X. sind für sie ein beständiger Alpdruck. — 
Um den Ausbruch eines hysterischen Anfalls zu vermeiden, wird 
sie durch Druck auf eine hypnogeue Zone in der Höhe des rechten 
Ohrläppchens in Somnambulismus versetzt und von der unange¬ 
nehmen Suggestion befreit. 

Besonders auffälliger Natur sind die posthypnotischen 
Handlungen, namentlich wenn dieselben zu einer durch die 
Suggestion festgesetzten Stunde, geraume Zeit nach dem Erwachen 
ausgeführt werden. Aus dem hypnotischen Schlaf erweckt, hat die 
Person keine blasse Erinnerung an das, was während der Hypnose 
ihr suggerirt ist. Kommt dann Tag und Stunde, wo sie die Handlung 
ausführen soll, so überfällt sie der Gedanke daran wie ein spontaner, 
und die Ausführung der Handlung vollzieht sich oft mehr oder weniger 
triebartig oder zwangsweise. So absonderlich, so abenteuerlich, 
so verrückt, so anstössig, so unsittlich die Handlung ihr erscheint, 
sie muss dieselbe ausführen. Bei Ausführung unerlaubter Handlungen 


') Gilles de la Tourette, L’hypnotisme et les 4tats analoguos au 
point de vue m^dico-ldgal. Paris 1887, p. 124 ff. 

*) A. ßinet, L'hallucination. Revue philosophique, Avril et Mai 1887, 
p. 487. 


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264 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


zögern die Personen; der innere Kampf spiegelt sich in Gesicht 
und Geberden wieder; aber schliesslich führen sie die suggerirte 
Handlung doch aus, manchmal freilich nicht vollständig. Eine 
Person, die einen silbernen Löffel heimlich einstecken soll, sagt 
wohl „Nein, das wäre Diebstahl“, aber schliesslich steckt sie ihn 
doch ein. 

Die Zeit zwischen Suggestion und Ausführung der¬ 
selben kann, wie es scheint, Jahr und Tag betragen. In einem 
Falle von Bernheim betrug sie 63 Tage, in einem anderen von 
Beaunis 172 und schliesslich in einem zweiten Falle von Liegeois 
gar 366 Tage, also ein ganzes Jahr. 

Wie Delboenf richtig bemerkt, hatten die Personen für den 
Termin der suggerirten Handlung nicht die Zahl der Tage, sondern 
andere Umstände als Anhaltspunkte (s. unten). 

Während der bestimmten Frist schlummert die Suggestion 
latent im Gehirn. Am bestimmten Tage aber erwacht sie zur 
rechten Zeit, so dass die Ausführung der suggerirten Handlung noch 
zur festgesetzten Stunde geschehen kann. Eine Dame kommt bei 
dem scheusslichsten Wetter zu der vor 14 Tagen suggerirten Stunde 
zum Hypnotiseur, ohne zu wissen, wie sie dazu kommt. Kein 
Wunder, dass die Personen gewöhnlich Entschuldigungen stammeln, 
um ihre bizarren Handlungen zu rechtfertigen. — Dr. Bottey 1 ) 
bestellt sich bei dem Dienstmädchen des Hauses, wo er alle 14 Tage 
als Gast einkehrt, durch Suggestion während der Hypnose für sein 
nächstes Wiederkommen eine Tracht Prügel als Willkomm und 
erhält sie am bezeichneten Tage richtig ausgezahlt. 

Endlich noch ein besonders charakteristisches Beispiel von 
Bernheim. Zu einem alten Sergeanten S. sagt Bernheim im 
August 1883 während des somnambulen Zustandes: „An welchem 
Tage der ersten Woche im October haben Sie frei?“ Er antwortet: 
„Am Mittwoch.“ — „Gut, passen Sie auf! am ersteu Mittwoch des 
October gehen Sie früh 10 Uhr zum Dr. Liebeault (dieser hatte 
den S. als Kranken an Bernheim gewiesen); dort werden Sie den 
Präsidenten der Republik finden, der Ihnen eine Medaille und eine 
Pension einhändigen wird.“ — „Ich werde hingehen“ antwortete S. 
— Damit gut. Beim Erwachen weiss er nichts von der Suggestion. 
Während der Zwischenzeit wird er von Bernheim wiederholt zu 
Suggestionszwecken benutzt, aber niemals an jene Suggestion erinnert. 

Am 3. October (63 Tage nach der Suggestion) erhält Bern- 
heim von Dr. Liebeault einen Brief folgenden Inhalts: „Der 
Somnambule S. ist soeben 10 Minuten vor 11 bei mir angekommen. 
Nachdem er beim Eintritt Herrn F., der ihm im Wege stand, ge- 
grüsst, ist er, ohne sich um Jemand zu kümmern, auf meine 
Bibliothek zugegangen. Dort habe ich gesehen, wie er respectvoll 
grösste und gehört, wie er das Wort „Excellenz“ aussprach, dann, 
indem er die rechte Hand ausstreckte, antwortete „Danke Excellenz“. 
Als ich ihn darauf fragte, mit wem er denn spräche, „Na, mit 
dem Präsidenten der Republik“, sagte er. Ich bemerke ausdrücklich, 
dass Niemand vor ihm stand. Darauf hat er sich wieder nach der 
Bibliothek gewandt und sich grüssend verneigt. Die Personen, die 
das mit ansahen, meinten, der Mann sei wohl verrückt. „Keines¬ 
wegs, sagte ich, sondern ein Anderer handelt in ihm“. 

Einige Tage später versicherte der Sergeant S. dem Professor 
Bernheim, dass ihm die Idee zu Liebeault zu gehen, erst am 
3. October Morgens 10 Uhr gekommen sei. Während der ganzen 
Zeit vorher hätte er nicht daran gedacht und hinterdrein hätte er 
keine blasse Idee von dem dort Vorgefallenen gehabt. 

Sehr eigenthümlich sind die sogenannten i nhibitori sehen 
Suggestionen, welche Bernheim weniger passend als nega¬ 
tive Hallucinationen bezeichnet. Wie man eine hypnotisirte 
Person mit totaler Blindheit oder Taubheit behaftet erwachen lassen 
kann, so auch partiell blind oder taub für eine bestimmte Person, 
bezw. für einen bestimmten Gegenstand. Diese Versuche gelingen 
aber nur im tiefen Somnambulismus. 

Binet und Fere 2 ) sagen einer Kranken im somnambulen Zu¬ 
stande, dass sie beim Erwachen den Herrn F. nicht mehr sehen, 
wohl aber seine Stimme hören solle. Nachdem sie geweckt ist, 
stellt F. sich vor sie hin: sie sieht ihn nicht an. Er streckt ihr 
seine Hand entgegen: sie rührt kein Glied .... Nach einiger 
Zeit spricht die Kranke ihre Verwunderung darüber aus, dass sie 
Herrn F. nicht mehr sehe, der doch soeben noch im Laboratorium 
war und fragt, wo er geblieben ist. Sie antworten ihr: „Er ist 
hinweggegangen und Sie können jetzt auch nach Ihrem Saal zurück¬ 
kehren.“ Herr F. geht nach der Thür und stellt sich davor. Die 
Kranke erhebt sich, verabschiedet sich und geht auf die Thür zu. 
Im Augenblick, wo sie die Klinke ergreifen will, stösst sie an den 
unsichtbaren Körper des Herrn F. Ob dieses unerwarteten Stosses 
fängt sie an zu zittern; sie versucht noch ein Mal vorwärts zu gehen, 
aber da sie auf denselben unsichtbaren und unerklärlichen Wider- 


*) Bottey, Magnetisme animal. Paris 1884. - 

*) Binet et FeW, Le magnetisme animal, Paris 1887, p. 228 ff. 


No.’14 


stand stösst, wird sie von Furcht ergriffen und weigert sich, noch 
ein Mal auf die Thür zu zu gehen. 

Jetzt wird ihr ein Hut hingehalten. Sie erkennt ihn mit Händen 
und Augen als einen wirklichen Gegenstand. Darauf setzen sie den 
Hut Herrn F. auf den Kopf. Die Kranke sieht den Hut gleichsam 
in der Luft schweben; ihr Erstaunen lässt sich mit Worten nicht 
ausdrücken. Den Höhepunkt erreicht aber ihre Ueberraschung, als 
Herr F. den Hut abnimmt und sie mehrere Male grösst. Sie sieht 
den Hut ohne jede Unterstützung Curven in der Luft beschreiben. 
Sie sagt, das sei Zauberei, und der Hut müsse an einem Faden auf¬ 
gehängt sein. Sie steigt auf einen Stuhl und sucht den Faden ver¬ 
geblich. 

Jetzt hängen sie Herrn F. einen Mantel um. Unverwandt 
heftet sie ihren Blick auf den Mantel, der sich bewegt und die 
Form eines Menschen angenommen hat. „Das ist, sagt sie, wie eine 
Puppe, die inwendig hohl ist.“ 

Auf lauten Befehl fangen die Möbel im Zimmer an, sich zu 
bewegen und mit Gepolter von einem Ende des • Zimmers zum 
andern zu rollen. (Es ist einfach der unsichtbare Herr F., der 
Tische und Stühle durcheinander wirft, dass sie Umfallen.) Dann 
stellt sich von selbst die alte Ordnung aus dem Chaos wieder her, 
die Gegenstände begeben sich wieder auf ihren Platz. Die über 
den Fussboden zerstreuten Knochen eines auseinander nehmbareu 
Todtenschädels vereinigen und trennen sich wieder. Ein Porte¬ 
monnaie öffnet sich von selbst, und Gold- und Silbermünzen kommen 
heraus gehüpft. 

Schliesslich reizt Herr F. auf verschiedene Weise die Hant der 
Kranken: sie erklärt alle Reize, auf welche sie durch Kratzen u. dgl. 
reagirt, für spontanes Jucken oder Schmerz. Herr F. packt sie fest 
am Arm: sie schiebt dies auf einen spontanen Krampf. 

Aehnliche Versuche haben auch Bern heim und Liebeault 
angestellt. Während der Hypnose sagt letzterer einer nichthysteri¬ 
schen Frau, Herr Bernheim sei verreist, und sie werde ihn daher 
beim Erwachen nicht mehr sehen, wohl aber seinen Hut, den er 
vergessen und den sie sich auf den Kopf setzen und in seine Woh¬ 
nung tragen solle. 

Als sie erwacht, stellt sich Bernheim ihr gegenüber. Man 
fragt sie: „Wo ist Herr B.“ — Sie antwortet: „„Er ist verreist, hier 
ist sein Hut.““ — B. sagt zu ihr: „Ich bin hier, Madame, ich bin 
nicht verreist. Sie erkennen mich doch wohl?“ Sie antwortet nicht 
und ebensowenig auf die anderen Fragen des Dr. Bernheim, 
während sie jede durch andere Personen an sie gerichtete Fragen 
sofort beantwortet. Bern heim ist einfach für sie abwesend und 
nicht vorhanden, so sehr er sich ihr gegenüber auch bemerklich 
macht. Schliesslich setzt sie Bernheim’s Hut auf ihren Kopf und 
läuft damit auf die Strasse, von wo sie zurückgeholt wird. 

Endlich gelingt es zuweilen, auch im wachen Zustande 
Suggestionen hervorzurufen. Dieses schon längst bekannte Phä¬ 
nomen bezeichnet man als Fascination oder Captation (Des- 
courtis). Bernheim hat im wachen Zustande wiederholt 
Lähmungen, Contracturen, sensible und sensorielle Anästhesie, 
Sinnestäuschungen, ja complicirte Hallucinationen durch einfache 
Suggestion hervorgebracht. Die Suggestion braucht keineswegs den 
Charakter einer Drohung an sich zu tragen; vielmehr kann die¬ 
selbe häufig in liebenswürdiger Weise und mit lächelnder Miene 
beigebracht werden. Auf diese Weise gelingt der Transfert der 
Hemianästhesie von einer Seite auf die andere in wenigen Minuten. 
Die suggestive Anästhesie bezw. Analgesie kommt im Allgemeinen 
schneller zu Stande, als die Aufhebung derselben. 

Bremand 1 ) in Brest hat die Fascination bei jungen Leuten 
von 14—26 Jahren durch einfaches Fixiren mit den Augen hervor¬ 
gebracht, besonders leicht, wenn sich bei diesen anästhetische 
Zonen wie bei hysterischen Frauen nachweisen Hessen. In Folge 
der Fascination werden die Bewegungen des Körpers augenblicklich 
sistirt; der zum Schlag erhobene Arm bleibt unbeweglich starr in 
der Luft; der zum Aufheben eines Gegenstandes gebückte Körper 
bleibt in dieser Stellung; lautes Zählen wird plötzlich unterbrochen. 
Während der Fascination kann die imitatorische Automatie ausser¬ 
ordentlich lebhaft sein; auch gelingt es mit der grössten Leichtig¬ 
keit, Suggestionserscheinungen der verschiedensten Art hervor¬ 
zubringen. ___ (Fortsetzung folgt.) 

III. Beiträge zur Lehre von den Arznei¬ 
exanthemen. 2 ) 

Von Dr. E. Lesser, Privatdocent in Leipzig. 

Die Arzneiexantheme sind erst in neuerer Zeit der Gegen¬ 
stand genauerer Beobachtungen geworden, und dieser Umstand so- 

') Cullerre, Magnetisme et hypnotisme. Paris 1887. 

*) Vortrag, gehalten in der Section für Dermatologie der 60. Versamm¬ 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


5. April. 


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wie die grosse Manuichfaltigkeit der hier in Betracht kommenden 
Krankheiteerscheinungen erklären es, dass die Kenntniss derselben 
noch manche Lücken aufweist. Die Mannichfaltigkeit der Arznei¬ 
exantheme wird einmal dadurch bedingt, dass die Form der nach 
Gebrauch eines und desselben Mittels bei verschiedenen Personen 
auftretenden Ausschläge eine nicht constante ist, andererseits da¬ 
durch, dass die allerverschiedensten Medicamente im Stande sind, 
derartige Ausschläge hervorznrufen, und so bei der jetzt herrschen¬ 
den Neigung, immer neue Mittel in die Therapie einzuführen, sich 
auch immer neue Gelegenheiten zur Entstehung von Arzneiexan¬ 
themen ergeben. 

Die Berücksichtigung dieser Umstände hat mich bewogen, ge¬ 
rade an dieser Stelle den Gegenstand zur Sprache zu bringen, da 
bei der relativen Seltenheit der Arzneiexantheme nur die Zusammen¬ 
stellung der Erfahrungen vieler Beobachter ein umfassendes Bild 
der ganzen Krankheitsgruppe zu geben im Stande ist, und ich 
möchte an der Hand zweier von mir beobachteter Fälle dann auf 
einige allgemeinere Fragen, besonders nach der Aetiologie der 
Arzneiexantheme, zurückkommen. 

Der erste Fall betrifft ein in Folge einer subcutanen Calomel- 
injection entstandenes Quecksilbererythem. 

Am 16. März 1887 consultirte mich Herr N. N., cand. med., 25 Jahre, 
wegen eines syphilitischen Primäraffectes an der Unterlippe, den Patient 
vor 14 Tagen zuerst bemerkt hatte und dem etwa 8 Tage später Drüsen¬ 
schwellungen sich angeschlossen hatten. — Auf dem Lippenroth der Unter¬ 
lippe links dicht neben der Mittellinie befand sich eine etwa fünfpfennig¬ 
stückgrosse Infiltration mit centraler, rother, glänzender Excoriation. 
Schwellung der Submaxillar- und Jugulardrüsen, besonders der linken 
Seite. 

Ich schlug dem Pat. die sofortige Einleitung einer energischen Mercurial- 
cur vor, worauf er erwiderte, dass er dieselbe wegen einer Idiosynkrasie 
gegen Quecksilber wohl nicht vertragen würde. Er habe bereits zweimal 
nach einer kurzdauernden Berührung der Hände mit einer '/a oder 1 °/oo 
Sublimatlösung eine heftige Dermatitis bekommen. Einige Stunden nach 
der Einwirkung des Sublimats hatten sich unter starkem Juckreiz rothe 
Striche zwischen den Fingern gezeigt, dann entwickelte sich rasch starke 
Schwellung und Röthung der ganzen Hände und der angrenzenden Tbeile 
der Vorderarme. An den Flachhänden entwickelten sich Blasen bis zu 
Taubeneigrösse. Am übrigen Körper war nichts Abnormes ausser einer ge¬ 
ringen Schwellung der Augenlider. Pat. gab an, dass er bei Erkältungen 
öfters Oedem der Augenlider und bei langen Märschen Anschwellungen der 
Inguinaldrüsen bekomme. 

Ich proponirte daraufhin dem Pat. eine Calomelinjectionscur, in der 
Meinung, dass bei dieser unangenehme Nebenerscheinungen nicht auftreten 
würden. Es sollte indess anders kommen, wie die folgende Kranken¬ 
geschichte zeigt. 

18. März, Vormittags 11 Uhr, Injection einer Calomelölemulsion (1:10) 
in eine Hinterbacke. Bei der Ausführung der Injection verstopfte sich die 
Canüle, so dass nur */a—*/3 des Spritzeninhaltes, also ca. 0,06 Calomel 
injicirt wurde. 

19. März. Scharlachartige Röthung der Haut über den ganzen Körper, 
welche gestern Abend um 10 Uhr, also 11 Stunden nach der Injection, am 
Halse begann. Geringe Empfindlichkeit der Inguinaldrüsen, die etwas an¬ 
geschwollen sind. Kein Fieber, keine Halsschmerzen. Nachts schlechter 
Schlaf, starkes Jucken. 

21. März. Keine wesentliche Veränderung. Die Röthung am Ober¬ 
körper etwas abgeblasst, die Unterextremitäten dagegen noch diffus geröthct, 
die Haut etwas geschwollen. Starkes Jucken, besonders in den Gelenk¬ 
beugen; beim Bewegen der Finger Gefühl von Spannung, wie wenn die 
Finger „klamm“ sind. Schlaf schlecht, sonst Wohlbefinden. 

23. März- Am Halse beginnt die Haut sich abzuschuppen. Die Unter¬ 
schenkel noch stark geröthet 

26. März. Alles abgeblasst bis auf die Umgebung der Fussgelenke. 
Allgemeine Abschuppung, die an den inneren Flächen der Nates sehr stark 
ist Etwas Oedem an den Malleolen; Urin frei von Eiweiss. — Mund¬ 
schleimhaut völlig intact 

28. März. An den Unterschenkeln sehr starke Abschuppung; an den 
Händen beginnt die Hornschicht sich in grossen Fetzen abzulösen und zwar 
in der Gegend zwischen Daumen und Zeigefinger. An den Oberschenkeln 
geringe Abschuppung. Oedem um die Malleolen verschwunden. — Am Halse 
dicht über dem Kehlkopf eine seit 5—6 Tagen bemerkte, etwa kirschgrosse 
Geschwulst, die mit der Haut verlöthet ist und sich hart anfühlt. Anfäng¬ 
lich war die Geschwulst etwas schmerzhaft, jetzt ist sie nicht mehr em¬ 
pfindlich. 

31. März. Jetzt die ganze Haut blass; die Abschuppung an den Händen 
schreitet weiter fort. Die Geschwulst am Halse etwas kleiner geworden. — 
Während der ganzen Zeit niemals die geringste Spur von Stomatitis be¬ 
merkt. — Patient schläft jetzt besser; das Jucken ist fast verschwunden. 

4 . April. Die Sclcrose an der Lippe überhäutet. 

7. April. Die Abschuppung der Hände ist beendet, ebenso die der 
Unterschenkel. Beginn der Abschuppung an den Füssen.’ — Keine weiteren 
Erscheinungen von Lues bemerkt. 

18. April. Eine Pille k 0,05 Hydr. tannic. genommen. 

19. April. An der Stelle der Sclerose noch eine etwa linsengrosse 
geröthete Papel. Die Anschwellung über dem Kehlkopf fast vollständig 
verschwunden. 2 Hg.-Pillen. 

20. April. Etwas Durchfall, sonst keine abnormen Erscheinungen. — 
An den Nägeln, dicht am Nagelbett eine Querfurche; Patient hat dieselbe 
Erscheinung bei den früheren Sublimatdermatitiden beobachtet. 


21. April. 3 Hg.-Pillen täglich. 

26. April. Patient hat wegen Durchfalls nicht immer 3 Pillen nehmen 
können. Jetzt Zusatz von etwas Extr. opii. Die Haut blättert sich hier 
und da noch immer etwas ab, sonst nichts Abnormes. 

3. Mai. Patient hat die letzten Tage 4 Pillen täglich genommen. 
Keine Erscheinungen. 

Leider entzog sich der Kranke meiner weiteren Beobachtung, vielleicht 
aus Furcht vor einigen noch in Aussicht genommenen Experimenten mit 
localer Application von Quecksilberpflaster. 

Dieser Fall ist in mehreren Beziehungen ein recht bemerkens- 
werther. Zunächst ist er eine weitere Bestätigung für das vor noch 
nicht langer Zeit von Vielen *) immer noch angezweifelte Vorkommen 
von Exanthemen in Folge interner Quecksilberwirkung. Dann aber 
ist besonders hervorzuheben, dass in diesem Falle das Exanthem 
nach subcutaner Einführung des Hg auftrat. Denn wenn auch 
von vornherein anzunehmen ist, dass der Weg, auf welchem das 
Hg in das Blut gelangt, für das Entstehen von Exanthemen ganz 
gleichgültig ist, dass also ebenso bei interner Darreichung, wie 
bei subcutaner Injection oder enderraatischer Einverleibung Queck¬ 
silbererytheme auftreten können, so scheint dieses Vorkommniss bei 
der subcutanen Anwendung doch äusserst selten zu sein. 

Lewin, der wohl über die grösste persönliche Erfahrung be¬ 
züglich der subcutanen Behandlung verfügt, erwähnt in seinem 
Werke über Syphilisbehandlung mit hypodermatischer Sublimat- 
injection über das Vorkommen von Ausschlägen nichts 2 ), und ich 
habe nur bei Stern 3 ) das Vorkommen von Urticaria an den Ober¬ 
schenkeln und bei A. Wolff 4 ) die Beobachtung eines lichenartigen 
Ausschlages und eines aus purpura-ähnlichen Efflorescenzen beste¬ 
henden Exanthems angeführt gefunden. 

Auch für die Schnelligkeit der Resorption des Hg bei sub¬ 
cutaner Anwendung liefert dieser Fall einen neuen Beweis, indem 
bereits 11 Stunden nach der Einspritzung die Allgemeinwirkung, 
das Erythem, auftrat. 

Von ganz besonderem Interesse scheint mir aber die Fest¬ 
stellung der Beziehungen zu sein, welche zwischen den durch 
locale Einwirkung auf die Haut hervorgerufenen Exanthemen 
und den durch Allgemeinwirkung, durch Aufnahme des Hg in 
den Organismus producirten Ausschlägen bestehen. 

Sehr einfach liegen die Verhältnisse bei den bekannten Pustel¬ 
eruptionen, die sich so häufig bei Einreibungen von grauer Salbe, 
besonders an stärker behaarten Stellen, bilden. Dieselben gehen 
stets von den Follikeln aus, überschreiten niemals das eingeriebene 
Gebiet und sind den durch Eindringen anderer irritirender Stoffe 
hervorgerufenen Follikelentzündungen, der Theeracne, der Paraffin- 
acne etc. als Mercurialacne an die Seite zu stellen. 

Viel schwieriger sind jene Fälle zu beurtheilen, in welchen 
kleinfleckige oder confluirende Erytheme, oft mit starker Schwellung 
der Haut und manchmal mit Blasenbildung combinirt, den mit Hg 
in Berührung gekommenen Hautbezirk mehr oder weniger über¬ 
schreiten und in gar nicht seltenen Fällen von einer ganz kleinen 
Applicatiousstelle ausgehend eine universelle Verbreitung über den 
Körper erlangen. Ich erinnere hier nur an den von Alexander 5 ) 
beschriebenen Fall (den ich übrigens auch selbst seiner Zeit ge¬ 
sehen habe), in welchem nach einmaliger Einreibung einer kleinen 
Menge von Präcipitatsalbe an beiden Augenlidern eine ganz euorme 
Quecksilberdermatitis über den ganzen Körper sich entwickelte. 

Für das Zustandekommen dieser Exantheme liegen drei Möglich¬ 
keiten vor. Entweder werden dieselben nur durch die locale 
Reizung der Haut hervorgerufen, und die weitere Verbreitung 
geschieht durch continuirliches Fortschreiten der Entzündung, 
oder es könnte zweitens das Exanthem durch interne 
Wirkung des von der Haut resorbirten Quecksilbers hervorgerufen 
werden. Diese Möglichkeit ist selbst bei Berücksichtigung der mini¬ 
malen Quantitäten von Hg, um welche es sich hier nur handeln 
könnte, keineswegs von der Hand zu weisen, denn andere Wirkun¬ 
gen des Hg sind selbst bei Aufnahme kleinster Mengen bei prä- 
disponirten Menschen — und um solche handelt es sich auch stets 
in unseren Fällen — auf das Sicherste bekannt. Ich erinnere Sie 


*) Unna, Vierteljahresschr. f. Derm. 1881, p. 530, hält es für möglich, 
dass bei den älteren Angaben über Quecksilbererytheme Verwechselungen 
mit den damals noch nicht so beachteten Opiumexanthemen vorliegen, da 
beide Mittel oft combinirt wurden. Indessen liegen eine ganze Reihe sicherer 
Beobachtungen von Erythemen nach Aufnahme von Hg per os vor, ausser 
der älteren, bei Kussmaul, Constitutioneller Mercurialismus, Würzb. 1861, 
angegebenen Literatur: Zeissl, Lehrbuch, 4. Aufl., p, 715, Bäumler, 
3. Aufl., p. 139, Engelmann, Borl. klin. Wochenschr. 1879, p. 647. 

а ) Mündlich theilte mir Herr Geheimrath Lewin mit, dass er einige 
wenige Fälle von Erythemen nach Sublimatinjection beobachtet habe. 

3 ) Ueber das Quecksilberchlorid-Chlornatrium und seine subcutane An¬ 
wendung. Berl. klin. Wochenschr. 1878, No. 5. 

4 ) Ueber die subcutane Anwendung des Glycocoll-, Asparagin- und 
Alaninquecksilbers. Strassbg. 1883, p. 52. 

б ) Ein Fall von acutem universellem Mercurialeczem. Vierteljahres¬ 
schrift f. Denn. 1884, p. 105. 


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an den Fall von Zeissl, 1 ) der nach einmaliger Eiustäubung des 
Coujuuctivalsackes mit Calomel Stomatitis auftreteu sah; ich selbst 
kenne einen Chemiker, der leichte Erscheinungen von Stomatitis 
bekommt, sowie er sich kurze Zeit in einem Raum aufhält, in 
welchem metallisches Quecksilber in unverschlossenen Gefässen sich 
befindet. Derselbe Kranke bekam die ihm von früher wohlbekannten 
Munderscheinungen, als er ein kleines Geschwür am Penis mit rother 
Präcipitatsalbe verband. Es besteht eben in diesen Fällen eine 
Idiosynkrasie .gegen das Mittel, welche bereits nach Aufnahme 
kleinster Mengen in das Blut zu Krankheitserscheinungen führt, das 
eine Mal am Zahnfleisch und an den Speicheldrüsen, das andere 
Mal an der Haut, und ich möchte noch bemerken, dass, wie es 
scheint, die Empfindlichkeit dieser verschiedenen Organe keineswegs 
eombinirt zu sein braucht, so zeigte der Eingangs erwähnte Kranke 
niemals die geringsten Erscheinungen einer Mercurialstomatitis. 

Schliesslich wäre es denkbar, dass diese beiden Entstehungs¬ 
weisen ueben einander Vorkommen können und dass sie gelegent¬ 
lich eombinirt auftreten, eine Anschauung, die ich, um dies gleich 
zu bemerken, für die wahrscheinlichste halte. 

Zunächst ist aber hier noch die Frage zu entscheiden, ob die 
durch äusserliche Quecksilberapplication entstandeneu Erytheme 
überhaupt mit den durch interne Quecksilberwirkung hervorgerufenen 
Exanthemen zu identificiren sind. Diese Frage ist meiner Ansicht 
nach zu bejahen, und vor Allem ist neben der Aehnlichkeit der Er¬ 
scheinungen die regelmässig auftretende, starke lamellöse Desqua¬ 
mation, die beiden eigentümlich ist, ein wesentlicher Beweis hier¬ 
für. Nur sind die durch äussere Application hervorgerufeuen Mer- 
curialerytheme gewöhnlich heftiger und verlaufeu unter einer viel hoch¬ 
gradigeren Schwellung als die Erytheme in Folge interner Wirkung. 
Stets sehen wir die heftigsten Erscheinungen am Orte der Appli¬ 
cation selbst auftreteu, ein Beweis dafür, dass die letztere auch an 
und für sich für die Hervorrufung des Exanthems nicht ohne Be¬ 
deutung ist. Ja. in dem zuerst erwähnten Falle sehen wir eine 
typische Mercurialdermatitis zweimal nach Application einer schwachen 
Subliraatlösung auftreten und auf den Applicationsort beschränkt 
bleiben bei einem Individuum, welches eine Idiosynkrasie gegen Hg 
besitzt und welches später ein universelles Erythem in Folge in¬ 
terner Mercurwirkuug bekommt. 

Um der Erklärung dieser Dinge etwas näher zu kommen, muss 
ich mit wenigen Worten auf die Ursachen der Arzneiexantheme iin 
Allgemeinen zurückkommen. Wenn wir berücksichtigen, dass die 
grosse Mehrzahl der Arzueiexantheme unter Ausschlagsforraen auf- 
tritt, die wir durch Störungen der Gefässinnervation erklären können, 
nämlich unter dem Bilde von Erythemen, Quaddeleruptionen, diffusen 
serösen Durchtränkungen, Bläschen- und Blasenbildungen und von 
Blutungen, so ist die wohl auch von der Mehrzahl der Autoren ge- 
theilte Ansicht gerechtfertigt, dass es sich bei den Arzneiexanthemen 
um Störungen der vasomotorischen Nerven, und zwar wahr¬ 
scheinlich der Centralorgane durch das im Blute circulirende Medi- 
cament handelt. 

Diese eigenthümliche Wirkung auf die Gefässnerven, welche die 
verschiedenen Medicameute bei den prädisponirten Individuen aus¬ 
üben, kann uun — ich möchte diese Ansicht zunächst nur als Hy¬ 
pothese aufgefasst wissen — auch local, durch direkte Appli¬ 
cation und Eindringen des Medicaments in die Haut zur Entfaltung 
kommen, und der vergleichsweise stärkeren Concentration, in welcher 
das Mittel in diesen Fällen zur Wirkung gelangt, entspricht auch 
der stärkere Effect. Es ist dieser Vorgang nicht ohne Analogieen, und 
ich erinnere hier nur an die Erweiterung der Pupille bei interner 
Atropinaufnahme und bei Einträufelung in den Conjunctivalsack. 
Aus den Beobachtungen über Arzneiexantheme ist vielleicht der von 
Comanos 2 ) beobachtete Fall auzuführen, bei welchem nach interner 
und subcutaner Morphiumanwendung ein universelles, nach Ein¬ 
reibung einer Morphiurasalbe ein auf die Applicationsstelle be¬ 
schränktes Erythem auftrat; allerdings ist die Beschreibung nicht so 
genau, dass ich diese Auffassung als ganz sichere hinstellen könnte. 

Ich habe versucht, bei einem Falle von Joderythem, den ich 
kürzlich beobachtet habe, auf experimentellem Wege etwas zur Ent¬ 
scheidung dieser Frage beizutragen, und wenn sich auch in dieser 
Hinsicht ein Erfolg nicht ergeben hat, so scheint mir eine kurze 
Anführung dieses Falles doch gerechtfertigt zu sein. 

1. Juni 1886. Auguste Kranaster, 54 J. — Infection wahrscheinlich 
vor 25 Jahren; vor 11 Jahren Erkrankung der Gesichtshaut, welche erst 
nach öjährigejn Bestände heilte. — Jetzt das ganze Gesicht und die linke 
Seite des Halses von Narben eingenommen. Starke Verdickung des oberen 
Theiles der linken Ulna, dicht am Ellenbogengelenk kleine, wenig secerni- 
rende Fistel, in der Umgebung die Haut mit dem Knochen verwachsen. 

Diagnose: Lues, Cicatrices faciei et colli, Periostitis ossificans et caries 
ulnae. 

Therapie : Kal. jod. 2 g pro die. 

') Lehrbuch, IV Aufl., p. 717. 

2 ) Ueber eine merkwürdige toxische Nebenwirkung des Morphium rau- 
riatioum. Berl. klin. Wochenschrift 1882, No. 46. 


5. Juni. An der Innenseite des linken Kniegelenks ein haselnussgrosser 
Knoten, über dem die Ilaut geröthet ist; iu der Mitte der Beugefläche des 
linken Oberschenkels ein ebensolcher pflaumengrosser Knoten. Rechts 
dicht über dem Kniegelenk zwei neben einander liegende Knoten, in der 
Mitte des Oberschenkels ein einzelner Knoten, alle etwa haselnussgross. Die 
Haut über den Knoten ist geröthet, in der Mitte nicht verschieblich. Am 
rechten Vorderarm an der Streckseite eine Anzahl kleinerer Knoten, ein 
Knoten am Oberarm, dicht über dem Ellenbogengelenk. Die Knoten an den 
Beinen auf Druck und bei Bewegungen schmerzhaft. — Die ersten Knoten 
sind in der Nacht vom 3. zum 4. Juni, also etwa 2 Tage nach dem Beginn 
der Jodkaliumeinuahme, aufgetreten. 

12. Juni. Am 7. Juni sind noch eine Reihe frischer Knoten aufge¬ 
treten, der grösste an der linken Hinterbacke von Faustgrösse. Eruption 
nicht symmetrisch. In den ersten Tagen geringe Fiebererscheinungen, All¬ 
gemeinbefinden sonst ungestört. Patientin liegt zu Bett, da sie wegen Em¬ 
pfindlichkeit der Knoten an den Beinen nicht gehen kann, sie kaun auch 
nicht auf der linken Seite liegen. Am 8. Juni ist das Jodkalium ausgesetzt, 
am 11. Juni wurde bereits eine erhebliche Verkleinerung der Knoten con- 
statirt, zum Theil ist über denselben die Haut blauroth gefärbt. Keine 
frischen Eruptionen. — Im Laufe etwa einer Woche verschwand das Exanthem 
vollständig. 

23. Juli. Seit einigen Wochen harte Auftreibung am rechten hori¬ 
zontalen Schambeinast bemerkt, wenig empfindlich. — Kal. jod. in Pillen, 

1 g pro die. 

26. Juli. Pat. hat bis jetzt 2,6 Kal. jod. genommen. In der Nacht 
„Zittern in den Gliedern“ und Schlaflosigkeit. Heute früh zwei Knoten 
bemerkt, ein reichlich kirschgrosser rother Knoten dicht über dem rechten 
Kniegelenk, ein zweiter kleinerer am linken Kniegelenk. Kal. jod. ausgesetzt. 

31. Juli. Knoten sehr zurückgegangen. — Einige Tage später ver¬ 
schwanden die Knoten vollständig. 

21. August. Jodnatrium (1U : 200), 3 mal täglich ein Esslöffel. 

31. August. Vor vier Tagen, also ca. 6 Tage nach dem Beginn der 
Medication, neue Knoteneruption bemerkt. Am linken Kniegelenk zwischen 
Condylus int. tibiae und Patella eine dreimarkstückgrosse, geröthete Haut¬ 
partie, die einen kirschgrossen Knoten bedeckt. Eine zweite, etwa mark¬ 
stückgrosse, etwas blässere Stelle an der Beugeseite des rechten Kniegelenks, 
unter welcher ebenfalls ein kirschgrosser Knoten zu fühlen ist. Ein dritter 
Knoten soll am rechten Unterschenkel bestanden haben, doch ist daselbst 
jetzt nichts mehr nachweisbar. Pat. hat vom 27.-29. August kein Jod¬ 
natrium genommen, vom 30. August nimmt sie jeden zweiten Tag einen Löffel. 

5. September. Von heute ab täglich ein Löffel. 

11. September. Vor einigen Tagen ein frischer Knoten an der Innen¬ 
seite des linken Oberschenkels bemerkt, die Haut über demselben geröthet, 
— Jodnatrium ausgesetzt, die Knoten verschwinden in kurzer Zeit; keine 
frischen Eruptionen. 

26. März 1887. Fistelöffnung mit einem kleinen Schorf bedeckt, hat 
seit längerer Zeit nicht geeitert, Knochenauftreibung etwas stärker geworden 
und zeitweise schmerzhaft. Subcutane Iujection einer Lösung von Kal. jod. 
0,2: 1,0 an der Streckseite des rechten Vorderarms. 

28. März. Injection derselben Lösung am Rücken. Die Injectionsstelle 
am Arm, die anfänglich etwas schmerzte, ist heute nur noch auf Druck em¬ 
pfindlich, zeigt geringe Schwellung, sonst keine Erscheinungen. 

31. März. Am Arm geringe Infiltration der Injectionsstelle, am Rücken 
nichts mehr zu fühlen. 

9. April. An der Injectionsstelle am Arm ein etwa kirschgrosser, nicht 
scharf abzugrenzender Knoten, der nicht empfindlich ist. — Seit 9 Tagen 
nimmt Pat. Hydr. tannic. 0,15 täglich. 

2. Mai. Der Knoten bildet eine etwa zehnpfennigslückgrosse halb¬ 
runde, ziemlich feste und umschriebene Geschwulst, die in der Mitte mit der 
Haut verlöthet ist, auf dem Unterhautgewebe leicht verschieblich ist und auf 
Druck nicht schmerzt. — Hydropathischer Umschlag. 

28. Mai. Der Knoten beträchtlich kleiner geworden. 

13. Juni. Der Knoten noch etwa kirschkerngross, sehr hart. — Leider 
habe ich die Patientin seitdem nicht wieder gesehen. 

Dass es sich in diesem Falle um ein Erythema nodosum nach 
Aufnahme von Jod handelte, beweist die dreimalige Wiederholung 
der Hauteruption, jedesmal kurz nach dem Beginn der Jodeinnahme, 
uud ich möchte noch hervorhebeu, dass auch beim Einnehmen von 
Joduatrium der Ausschlag auftrat, wenn auch anscheinend in etwas 
milderer Form als nach Jodkalium. Das Erythema nodosum ist 
jedenfalls eins der seltensten Jodexantheme, C. Pellizari 1 ) beob¬ 
achtete eineu Fall, Morrow 2 ) erwähnt in seinem jüngst erschie¬ 
nenen Werke über Arzneiexantbeme einige Fäll« von Valanur, 
Talamon und Hallopeau, ferner berichtet Hasl und 3 ) übereinen 
von ihm selbst beobachteten Fall. 

Ich hoffte nun, durch subcutane Injection von Jodkaliumlösung 
etwas zur Entscheidung der Frage beitragen zu können, ob die 
Arzueiexantheme durch centrale Wirkung oder durch locale Wirkung 
auf die Blutgefässe der Haut hervorgerufen werden, indem ich mir 
vorstellte, dass in diesem Fall bei der localen Einwirkung einer im 
Verhältniss sehr starken Lösung an dem Orte der Injection dem 
Erythema nodosum entsprechende Erscheinungen in besonderer 
Heftigkeit hervorgerufen werden müssten. Allein das Ergebniss des 
Versuches ist ein negatives gewesen, da an der einen Injectionsstelle 
sich gar keine Veränderungen zeigten, während der an der zweiten 
Stelle sich langsam entwickelnde und noch nach mehr als zwei Mo- 

') Annales de dermatologie 1880, p. 362. 

3 ) Prince A. Morrow, Drug Eruptions. New-York 1887, p. 138. 

3) Hosp.-Tid. III Itaekke, Bd. V, No. 7, 1887. 


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Daten bestehende Knoten sicher nicht mit den Erythemknoten zu 
identificiren, sondern vielleicht als syphilitisches Infiltrat aufzu¬ 
fassen ist, welches durch den Reiz der Injection auf die Gewebe an 
dieser Stelle zur Entwickelung kam . l ) Dieses negative Resultat be¬ 
weist natürlich nichts gegen meine oben ausgesprochene Vermuthung, 
dass Arzneiexantheme sowohl durch centrale wie durch lo¬ 
cale Einwirkung entstehen können. Jedenfalls für die Queck¬ 
silbererytheme glaube ich, dass das Nebeneinanderbestehen beider 
Entstehungsarten durch den zuerst angeführten Fall bewiesen ist. 


IV. Ueber das Oertel’sche Heilverfahren, dessen 
Begrenzung und richtige Anwendung 

von Sanitätsrath Dr. R. Hausmann in Meran-Mais 
mit casuistischen Beiträgen 
von Dr. Mazegger ebendaselbst. 2 ) 

Seitdem die Oertel’sche Methode Eingang gefunden, haben 
sich manche, wenn auch nicht immer gewichtige Stimmen erhoben, 
um Mängel an derselben nachzuweisen. 

Die eigenthümliche Art, dass sie nach mündlicher Ueberlieferung 
von einem Audereu als dem Urheber mit glänzendem Erfolge an¬ 
gewendet und weithin, zunächst in Laienkreisen verbreitet, aber nicht 
wissenschaftlich für die gesammte medicinische Welt dargelegt war, 
dass, wie Oertel selbst sagte, die Gefahr, die ganze Arbeit könne 
ihm aus den Händen genommen und auf den Namen eines Anderen 
übertragen werden, ihn veranlasst habe, das Werk früher, als er 
wollte, herauszugeben, das Alles musste beitragen, da und dort Be¬ 
denken zu erregen, Einwände und Missverständnisse zu erzeugen. 
War doch in dem erst erschienenen Werke „Die Therapie der Kreis¬ 
laufsstörungen“ das Alles, was die späteren Zusätze und Erläuterungen 
Oertel’8 brachten, noch nicht mitgetheilt, nichts war noch nachge¬ 
prüft. Es war das Herkömmliche stark mitgenommen, und während 
wir gewohnt waren, bei Behandlung von Kreislaufsstörungen das 
Grundleiden in’s Auge zu fassen, diesem direkt entgegenzutreten, 
um so den Ausgleich in den verschiedenen Stromgebieten des Kreis¬ 
laufes zu regeln, sollten wir mit einem Male „direkt an die in den 
Gefässen aufgestauten Blutmassen Hand anlegen, den Kreislauf me¬ 
chanisch corrigiren, ohne Rücksicht auf die Ursachen der Circula- 
tionsstörungen“. 

Wenn nun Oertel selbst endlich sagte, er halte es für über¬ 
flüssig, in einer eingehenden Kritik die Mittel zu besprechen, welche 
uns zur Verfügung stehen, der im kleinen Kreislauf und in deu 
Venen des grossen Kreislaufes angestauten wasserreichen Blutmasse 
und deren schädlicher Rückwirkung auf diese Gefässe und den 
Herzmuskel, ebenso wie der Fettleibigkeit und dem Fettherzen zu 
begegnen, wenn Oertel die pharmakologischen Mittel dabei für 
völlig machtlos erklärte, so hatte es den Anschein und gab zu der 
Auffassung Veranlassung, als müsse durchaus die bisher übliche 
Bebandlungsweise in allen Stücken der neuen Oertel'schen weichen. 

Die Beobachtungen nun, welche in Meran anfangs mit sehr 
grosser Skepsis vorgenommen und mit ungemeiner Vorsicht durch- 
gefnhrt wurden, lehrten, dass wir allerdings in einer Anzahl von 
Kreislaufsstörungen den alten Weg verlassen und die Oertel’sche 
Methode anwenden durften, doch wurde es uns klar und haben wir 
bereits in unserem ersten Bericht 3 ) dargelegt, dass es sicher Gegen¬ 
anzeigen gegen die Anwendung der neuen Methode gebe, und dass 
die medicamentöse Behandlung gewiss nicht in allen Fällen werde 
entbehrt werden können. Seitdem sind nun von Oertel selbst 
viele dieser Bedenken aus dem Wege geräumt und von 
ihm selbst Indicationen wie Contraindicationen genau 
erörtert. 

Was also zunächst die medicamentöse Behandlung betrifft, so 
erklärte 4 ) Oertel in jüngster Zeit, sein Heilverfahren erstrecke 
sich nicht auf jene acut verlaufenden, entzündlichen Processe in 
Krankheiten, deren unter schnell eintretenden Störungen im Blut¬ 
kreislauf erscheinende Symptome rasch und energisch wir¬ 
kende Mittel verlangen. Es ist also nunmehr offen ausge¬ 
sprochen und jenes bedrückende Missverständnis aus dem Wege 


') Allerdings erwähnt C. Pellizzari in einer zweiten Arbeit überJod- 
exantheme (Annales de dermat. 1885, p. 537) einen Fall, bei welchem sich 
in Folge der Joddarreichung ein langsam sich vergrössernder Knoten im 
Unterhautzellgewebe entwickelte, der zunächst für ein Gumma gehalten 
werden musste, sich aber als Joderuption erwies, da er bei Fortsetzung der 
Jodbehandlung sich vergrösserte, während er nach dem Aussetzen der Medi- 
cation in Resorption überging. 

a ) Die Krankengeschichten sind in besonderer Beilage zu dieser Nummer, 
p. 281—286, veröffentlicht. 

^ Deutsche med. Wochenschrift 1886, No. 42. 

4 ) Ueber die diätetisch-mechanische Behandlung der Kreislaufsstörungen. 
Separatabdruck der Therap. Monatshefte, 1887, p.-4. 


geräumt, als gäbe es keine Kreislaufsstörung, welche nicht in allen 
ihren Stadien der Oertel’schen Methode unterzuordnen wäre. 
Dabei kommen wir zunächst zu einer Gruppe von Herzkrankheiten, 
auf welche in neuester Zeit die Aufmerksamkeit wieder gelenkt 
zu haben, das Verdienst von Leyden ist, und bei deren Besprechung 
dieser Forscher mit Recht beansprucht, die ätiologische Frage 
genau in’s Auge zu fassen. Es handelt sich nach ihm hier um 
Fälle, bei denen Herzbeschwerden bisweilen höchst wahrscheinlich 
nach einer ganz bestimmten Ueberanstrengung des Herzmuskels 
entstehen, der Herzmuskel seine normale Form verliert, indem die 
Herzspitze kugelförmig wird und das Herz immer mehr und mehr 
unfähig wird, sich vollständig zu entleeren, oder, wenn die Uebcr- 
delinung nicht allzu gross war, die Möglichkeit zur Rückerlangung 
des früheren Volumens geboten ist. Leyden giebt eine Anzahl 
günstig und eine andere ungünstig verlaufener Fälle an, von denen 
ein jeder mahnt, die ätiologische Schädlichkeit, die dagewesene 
Ueberanstrengung nicht aus dem Auge zu lassen. Bei richtiger 
Behandlung und Vermeidung der ätiologischen Schädlichkeiten, 
z. B. fortgesetzter Ueberanstrengung beim Exerciren, kann der Pa¬ 
tient, wie Leyden’s Fälle erweisen, wieder hergestellt und 
leistungsfähig werden, wenigstens ist die Prognose ira ersten Sta¬ 
dium nicht ungünstig. Der Kranke hat schwere Ballen Waare mit 
zu grosser Gewaltanstrengung gehoben, es entwickeln sich die 
Zeichen der Herzüberanstrengung (nach Leyden) oder (nach Oertel) 
die Erscheinungen einer die Norm beträchtlich übersteigenden Er¬ 
höhung des intracardialen Blutdruckes. Kann hier z. B. mit einer 
diätetisch-mechanischen Methode begonnen, der überdehnte und zu 
ergiebigen Contractionen völlig unfähig gewordene Muskel ausser 
Acht gelassen werden? Wissen wir doch, dass es bei dergleichen 
Schädlichkeiten, welche nicht bloss plötzlich, sondern Jahre lang 
auf Menschen einwirken können, selbst zu Aneurysmen der grossen 
Arterien, zu Aortenfehlern, zu Ruptur der Aortenklappen kommen 
kann, „wenn bei übergrosser Muskelanstrengung der Athem zurück- 
gehalten, der Thorax gepresst, ein grosser Theil der peripheren 
Arterien durch Muskelcontraction comprimirt, der Blutdruck ausser¬ 
ordentlich gesteigert wird“ (Leyden). Es kann andererseits durch 
Ueberlastung der Muskelfasern eine bisweilen dauernde Dilatation 
des linken Ventrikels erzeugt werden. In solchen Fällen wird man 
wohl nicht anders können, man wird die ätiologische Behandlung, 
wie sie Leyden verlangt, in den Vordergrund bringen, man wird 
in den einen Fällen Verminderung des Insultes, z. B. Reduction 
der Arbeitslast, Entfernung der ursächlichen, den Schaden unter¬ 
haltenden Gemüthsaffecte empfehlen, in anderen Bettruhe, Digi¬ 
talis. Oertel selbst hat nun in gerechter Würdigung dieser Mo¬ 
mente in seinen späteren Arbeiten 1 ) die Notliwendigkeit der Ruhe 
und der Digitalis betont, wenigstens für so lange, bis das Herz die 
unmittelbaren Folgen des Insultes überwunden hat. 

Wie nothwendig es aber unter Umständen werden kann, dass 
bei derartigen, besonders chronischen Fällen zwischen medicamen- 
töser Behandlung, Ruhe und Oertel’scher Methode gewechselt 
werde, das bewies mir unter anderm ein höchst instructiver Krank¬ 
heitsverlauf. 

Herr X., ein durch übermässig geistige und ausscrgewöhnlich 
psychische Ereignisse sehr mitgenommener Mensch, erinnert sich, 
als 14jähriger Knabe bei einem Feuerwehrspiele sich übermässig 
im 8pringen angestrengt und gerade von der Zeit an sehr grosse 
Beschwerden am Herzen bekommen zu haben. Unter steter Sorg¬ 
falt wuchs der Kranke, oft auf grosse Ruhe und medicamentöse 
Behandlung angewiesen, heran, doch bei jeder Uebermüdung, bei 
Uebergriffen im Essen, besonders Trinken, später bei starkem 
Rauchen stellten sich Herzbeschwerden, Beklemmuug, oft in hohem 
Grade, ein. In solchen Perioden brachte es der Mann bis zum 
27. Jahre, wo ich ihn mit Herrn Professor Oertel sah. Er war 
raittelgross, mit gehörigem Fettpolster, das Gesicht war gedunsen, 
cyanotisch, der Puls beschleunigt, unregelmässig, die Lungen waren 
normal, das Herz nach beiden Seiten die normalen Grenzen über¬ 
schreitend, Herzstoss ungemein schwach, Töue rein. Pat. gesteht, 
Wein und Tabak in letzter Zeit in einer für ihn ungewohnten Höhe 
gebraucht zu haben. 

In Rücksicht auf die wahrscheinlich zu grosse Quantität der 
Flüssigkeitsaufnahme wird täglich ungefähr 1000 ccm Einnahme 
gestattet, Tabak wird auf das Minimum reducirt, Gehen und Steigen 
wird anfangs nur mit grosser Vorsicht, nicht etwa stundenlang aus¬ 
gedehnt, gestattet, und als der Patient Frühjahr 1886 Meran ver¬ 
lässt, ist die Herzdilatatinn nach links nicht geschwunden, aber die 
Verbreiterung nach rechts entschieden wesentlich geringer. Im 
Sommer 1886 lebte Herr X. zu Hause sehr mässig, arbeitete sehr 
viel; nach Meran zur Erholung im Herbst resp. Winter eingetroffen, 
lebt er sehr ruhig, isst und trinkt ohne wesentliche Einschränkung, 


*) Zusätze und Erläuterungen zur allgemeinen Therapie u. s. w., 
p. 52-55. 


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268 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 14 


darf aber keine Steigungen vornehmen, auch nicht zu lange in der 
Ebene gehen, denn sofort tritt Herzschwäche ein. Ruhe, womöglich 
Liegen, beseitigt das Uebel am besten. 

Die Dilatation ist nach links dieselbe, nicht mehr, nicht 
minder; rechts sehr unwesentlich. Im Herbst 1887 erscheint Herr X. 
wieder in Meran. Er hat ungemein schwer geistig zu Hause gear¬ 
beitet, wieder sehr grosse Aufregungen gehabt. Er giebt zu, mehr 
Alcohol getrunken zu haben, als er leicht vertrug, zuviel geraucht 
zu haben, will er nicht zugeben. Das Herz ist im selben Zustande 
wie voriges Jahr, Puls sehr schwach; Urin, wie immer, normal. Er 
macht trotz Warnung einen für ihn übermässigen, steil ansteigenden 
Spaziergang (Zenoburg), fällt auf die linke Seite, rafft sich mit 
Schnelligkeit und Aufbietung seiner ganzen Kräfte, auf den linken 
Arm gestützt empor, bekommt ein Unbehagen, das sich gegen 
Abend zu steigert, erbricht am Morgen des nächsten Tages, ohne 
dass der geringste Diätfehler vorgekommen wäre. Der eiligst her¬ 
beigerufene Arzt findet sehr grosse Herzschwäche, und ich constatire 
noch einige Stunden später kaum fühlbaren, mässig beschleunigten, 
zeitweilig aussetzenden Puls, das Herz unverändert; Patient klagt 
über Schmerz in der Herzgegend, Dyspnoe. Absolute Ruhe, Digi¬ 
talis, tiefe Athmungen beruhigen den Patienten langsam, und unter 
vorsichtiger, kräftigender Diät erholt er sich, wenn auch nur sehr schwer. 

Wir haben es also mit einem Individuum zu thun, welches 
in Folge eines in früher Jugend erlittenen Insultes ein überan¬ 
strengtes, dilatirtes Herz davonträgt. Durch Unmässigkeit beim 
Arbeiten, durch Alcohol und Tabak, Fettansatz, wird das Uebel 
beschönigt. Die rationelle Behandlung, absolute Ruhe, zeitweilig 
Digitalis lassen ihn bis zum 27. Jahre ohne allzugrosse pathologische 
Störungen kommen. Er geht der Gelegenheitsursache, der abnormen 
Arbeit und psychischen Aufregung durch den Besuch von Meran 
aus dem Wege, hier vermindert er die Flüssigkeitsaufnahme und 
zugleich den Alcoholgebrauch, wendet also theilweise die Oertel-Cur 
an, der Nutzeu ist nachhaltig. Endlich tritt durch einen Fall und 
gewaltsames Aufraffen des Körpers ein neuer Insult auf das ge¬ 
schwächte Herz ein, und durch Digitalis (Tinct. Strophanti), durch 
absolute Ruhe, roborirende Diät wird die Herzstärkung noch einmal 
erreicht. Bei einem und demselben Falle also je nach Bedürfniss die 
eine oder die andere Methode, von der Oertel’schen besonders 
die Flnssigkeitsreduction. Wir sehen demnach, dass wir wohl 
nicht unrecht hatten, anzunehmen, worauf Oertel selbst in jüng¬ 
ster Zeit aufmerksam macht, dass es recht wohl nicht uurfür 
seine gesammte Methode, 1 ) sondern auch für den einen 
oder den anderen Theil derselben Gegenanzeigen giebt, 
dass das eine Mal die diätetische, ein anderes Mal die mechanisch¬ 
gymnastische Steigbewegung des Bergsteigens nicht ausführbar ist. 
Auch in solchen Fällen wird der Arzt unmöglich nur ruhig zu¬ 
warten oder pharmakologische Mittel entbehren können. 

Das sind aber auch die Fälle, für welche Oertel in neuester 
Zeit selbst eine Contraindication gegen seine Methode erblickt, 
das sind ausser der bisher besprochenen Uebermüdung des Herzens, 
also auch ausser den acut einsetzenden Erkrankungen, die Klappen¬ 
fehler mit Insufficienz des Herzmuskels mit mangelnder oder noch 
nicht eingetretener Compensation, ferner die Herzerkrankungen, 
welche Folge anderer Erkrankungen sind, mit Zerfall und Dege¬ 
neration des Herzmuskels, Sclerose der Kranzarterien, Morbus 
Brightii. Ich muss noch hinzufügen, dass Neurastheniker, nicht 
Nervöse nach irrationeller Behandlung sind hier gemeint, sich bis¬ 
weilen schlecht bei dieser Methode befinden. Wenn nun von Laieu auf 
eigene Anschauung hin oder wenn überhaupt ohne Erwägung von 
Pro und Contra die Oertel-Cur unternommen oder trotz Indication 
eine medicamentöse Behandlung unterlassen wird, da ist die Schuld 
der Misserfolge deutlich zu verfolgen. Es giebt Fälle, wie oben 
erörtert, bei denen Digitalis unersetzlich bleibt, und wir sind froh, 
wenn dies versagt, ein Ersatzmittel zu haben, in anderen Fällen 
Calomel als Unterstützungsmittel der Digitalis zu wissen, Secale 
cornutumnoch zu besitzen, wenn Alles vergebens, weil das peripherische 
Gefässsystem allzu erweitert, gedehnt, die Arterien in ihrer Elasticität 
gelitten und darum eine Compensationsstörung z. B. bei Aorten- 
insufficienz eingetreten (Rosenbach), oder wenn bei Arteriosclerose 
durch Erhöhung der Thätigkeit der noch verliältnissmässig freien 
Bezirke der Ausfall in den erkrankten Gefässgebieteu ausgeglichen 
werden soll. 

Bei alledem bleibt jedoch von grosser Wichtigkeit, genau fest¬ 
zustellen, in wie weit ohne Schädigung der Herzernährung selbst, 
eine Reductiou der Flüssigkeitsaufnahme, welche in sehr vielen 
Fällen selbst die medicamentöse Behandlung wesentlich unterstützt, 
vorzunehmen ist. Dies aber geschieht durch eine eingehende Con- 
trole über die Einnahme der Flüssigkeiten und über den annähernden 
Verbleib derselben, über die Harnausscheidung. Noch vor Kurzem 
hatte sich lebhafter Widerspruch gegen die Oertel’sche Anschauung 

') 1. c. p. 17. 


erhoben, dass bei Kreislaufsstörungen in Folge von Herzfehlern, 
von Kraftabnahme des Herzmuskels, ungenügender Compensation, 
von Veränderungen des Lungenkreislaufes ein vermehrter Zufluss 
zum Herzen und ein verminderter Abfluss stattfinde. Während die 
Einen eine solche Störung des hydrostatischen Gleichgewichtes 
gleichbedeutend mit einer Vernichtung desselben betrachteten, 
machte Oertel auf das Vorkommen colossaler Missverhältnisse 
zwischen zuströmendem venösen und abströmendem arteriellen Blute 
aufmerksam, beständig darauf hinweisend, wie immens die Druck¬ 
veränderungen in beiden Blutsäulen sein könnten, ohne das Leben 
zu vernichten, und wie langsam überhaupt der anwachsende Druck 
auf das Herz und die Gefässe einwirke. In jüngster Zeit ist nun 
durch Professor Schatz 1 ) eine wesentliche Stütze der Oertel’schcu 
Anschauung gewonnen, indem er aus der Hypertrophie des linken 
Ventrikels beim Neugeborenen und besonders durch die Herzhyper¬ 
trophie bei eineiigen Zwillingen, also den physiologischen Nach¬ 
weis führt, dass beides sogar am normalen Herzen vom Venensystem 
erzeugt wird. Es war demnach geradezu eine Grossthat von 
Oertel, wenn er, die oben erwähnten Contraindicationen 
selbstredend als angenommen vorausgesetzt, wenn er es 
klar legte, dass die erwähnte Verrückung des hydrostatischen 
Gleichgewichtes auf Störungen und Beschädigungen des Circulations- 
apparates beruhe, die, rein physikalischer Natur, durch physikalische 
Mittel gehoben werden müsse. Hat sich im venösen Apparat die 
grosse Masse angestaut, vermag das Herz nicht mehr genügende 
Mengen in die Arterien hineinzuarbeiten — wir haben Beweise, wie 
bedeutend dabei das rechte Herz und der Pulmonalisuinfang ver- 
grössert sein kann im Gegensatz zum linken Ventrikel und dem 
Aortenumfang (Bubi)' 2 ) —, weshalb sollte man da nicht als richtig 
anerkennen, dass es zunächst darauf ankomme, eine Verminderung 
der zu verpumpenden Flüssigkeitsmenge herbeizuführen? 

Leyden hält es allerdings noch nicht für erwiesen, ob eine 
Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr auf die Blutmenge, wenn sie 
ohne Beschwerden von dem Kranken ertragen wird, auch von Be¬ 
deutung sein könne. Erwägen wir aber die Fälle, wie sie die ein¬ 
schlägige Praxis mitbringt, so sehen wir zunächst die Behauptung 
Oertel’s gerechtfertigt (cf. Fall 7, 8, 12, 14, 18) 3 ), je grösser die 
Beschädigung des Circulationsapparates, je grösser die Wasseran¬ 
sammlung (Morb. Brightii etc etc. sind, wie öfters erwähnt, immer 
auszuschliessen), um so stärker gestaltete sich nach der Reductiou 
der Flüssigkeitsaufnahme die Harnausscheidung und somit die Her¬ 
absetzung des nichLmehr anzuzweifelnden venösen Druckes. Diese 
im Plus ausgeschiedene Wassermenge können wir doch wohl vom 
Blut und aus den Geweben herrührend betrachten, wie auch der 
Umstand beweist, dass eine Wiederaufnahme vermehrter Getränke 
baldigst eine Verminderung der Harnausscheidung hervorbringt, und 
die früheren Beschwerden mit der Zunahme des venösen Druckes 
wieder erscheinen. 

Eine scheinbare Ausnahme von dieser Regel machen jene Fälle 
von Fettsucht, Fettherz, bei nicht gestörter Compensation oder bei 
beginnender Compensationsstörung, bei denen nach verringerter 
Flüssigkeitsaufnahrne in ganz physiologischer Weise auch verringerte 
Flüssigkeitsabgabe auftritt, worauf Oertel bald Anfangs die Auf¬ 
merksamkeit lenkte. Solche Patienten bieten ein sehr dankbares 
Publicum für Marienbad u. dgl., und ich selbst habe mich von dem 
günstigen Erfolge dieser Trinkeuren öfters überzeugt. Diese Kranken 
mögen auch die Veranlassung zu der Anschauung gegeben haben, 
dass Flüssigkeitsreduction nicht unbedingt vermehrte Harnausschei¬ 
dung bei Kreislaufsstörungen nach Fettsucht hervorbringe. Es 
wurde nämlich nicht beachtet, dass die Ausscheidung des Harnes 
nicht in derselben grossen Durchschnittsbreite bei Allen sich zeigt. 
Meistentheils entspricht aber in diesen Fällen vermehrte Harnaus¬ 
scheidung reducirter Aufnahme (Fall 8, 11, 12, 18, 25, 26, 22, 23). 

Die vielfach veröffentlichten güustigen Resultate der Milchcur ge¬ 
hören offenbar gleichfalls hierher. Ich habe in den siebenziger Jahren 
selbst öfters Gelegenheit genommen, genau nach der Karelischen 
Methode Hydrops und Anasarka zu behandeln, wobei Herr Dr. 
Ladurner hierselbst in einigen sehr desperaten Fällen, Herzleiden, 
Zeuge des sehr günstigen Erfolges war. Wie ich jetzt verstehe, 
hat dabei nicht die Milchcur, sondern zunächst die enorme Reduc- 
tion der Flüssigkeitseinnahme das vorzügliche Resultat hervorge¬ 
bracht. Die Milch wurde abgerahmt, und man begann mit 4 Tassen 
derselben in 24 Stunden, also mit höchstens 600 ccm Flüssigkeit 
pro Tag. Sehr langsam wurde die in vielfacher Hiusicht strenge 
Milchdiät unter Verbot anderer Nahrung oder Getränke gesteigert, 
immer in sehr mässiger Quantität bleibend, entgegen der anderen 
Methode, bei welcher viel mehr zu trinken erlaubt war. Höchst 


') Berlin. Klin. Wochenschr. 1887, No. 51. 

2 ) Oertel. Ueber Terrain-Curorte, p. 57. 

3 ) Siehe die tabellarisch geordneten Fälle in der Beilage zu dieser 
Nummer, p. 281 bis 286. 


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5^ April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


interessant war es mir, eine Arbeit von Dr. Sclinaubert 1 ) zu finden, 
worin er im Auszug den Inhalt seiner grossen bereits 1883 in 
russischer Sprache verfassten Arbeit dem deutschen Leserkreise zu¬ 
gänglich macht. Es ist eigentümlich, wie sehr seine empirischen 
Funde mit unseren theoretischen und praktischen Anschauungen 
Zusammentreffen. 

So sagt er zunächst: „Wir beginnen mit kleinen Doseu abge¬ 
rahmter Milch und richten uns bei der Bestimmung der- l 
selben nach der Quantit.lt des Urins. Die 24stündige 
Milchquantität darf die 24stündige Harnquantität nicht 
übersteigen“. Ferner schreibt er: „Es erscheint uns unzweifel¬ 
haft, dass die Wiederherstellung der Compensation von dem unge¬ 
nügenden Zufluss bei der Milch in direkter Abhängigkeit steht, 
wobei eine wichtige Rolle der verringerten Wasserzufuhr 
zu fallen dürfte. Diese Annahme wird durch die grosse Ueber- ' 
einstimmung vieler Erscheinungen bei strenger Milchdiät und bei j 
Trockendiät unterstützt“. Weiter unten: „Es ist unzweifelhaft, dass ! 
auch bei Compensationsstörungen des Herzens, Dank der ver- j 
minderten Wasserzufuhr, einige Bedingungen in’sLeben treten, , 
welche die Herzthätigkeit erleichtern können. Kleine Quantitäten ! 
Milch (Karell’sche Methode) vermehren die Harnquantität, bei 
allmählicher Vergrösserung der Milchdosis bleibt die Harnabsonde¬ 
rung reichlich, bei grossen Quantitäten kann die Haruquantität , 
sinken. Unter solchen Bedingungen vergrössert sich der i 
Wassergehalt im Blute und in den Geweben, und nehmen ! 
die Stockungen und der Hydrops zu“. Endlich sei der Satz j 
uoch angeführt: „Die StauungsVerminderung bängt offenbar in her¬ 
vorragendem Maasse von der Verminderung der allgemeinen Blut¬ 
quantität im Gefässsystem ab, welche ihrerseits die Folge der 
verminderten (Flüssigkeits-) Zufuhr bei gleicher oder vermehrter 
Ausscheidung ist“. 

Was hier also der strengen Milchdiät als Vortheil zuerkannt 
wird, bringe ich auf Rechnung der Oertel’schen Flüssigkeits- 
reduction, welche den Vorzug verdient, weil sie, mit genügender 
Nahrungszufuhr verbunden, den Organismus hinreichend zu erhalten 
vermag. 

So anerkannt Gutes die Flüssigkeitsreduction leistet, so nach¬ 
theilig muss sie werden, wenn sie unter das zulässige Maass herab¬ 
steigt, und ich selbst habe schon früher 2 ) darauf hingewieseu, dass 
die Quantität der erlaubten Flüssigkeit je nach der Grösse des ; 
Patienten, nach der Eigenart desselben, nach seiner Krankheit zu i 
berücksichtigen ist, dass sie anders ausfallen muss bei einem i 
grossen, colossal angelegten Manne, anders bei einem Patienten mit 
geringer Compensationsstörung, bei einem Gewohnheitstrinker, 
ferner, wie ich jetzt hinzufüge, bei einem Neurastheniker, und wie 
Oertel jüngst erwähnt, ist zu verhüten, dass etwa ein strenges j 
Regimen ohne Vermittelung eingeschlagen wird. 

Als Beispiel fuhren wir Fall 24 an, welcher einen übermässig 
trinkenden, sehr grossen, au bedeutender Fettleibigkeit, an Fett¬ 
herz mit Arhythmie des Herzens leidenden Mann betrifft. Er trank 
früher in 24 Stunden ungefähr sechs Liter Flüssigkeit. In Rücksicht 1 
auf seine Gewohnheit und auf seine Grösse wurde ihm nicht, wie ! 
dies leider oft geschieht, die Reduction plötzlich, ohne Vermitte¬ 
lung, unter 1 000 ccm pro die gebracht; es wurden ihm nur alle 
5 Tage 100 ccm reducirt, bis er schliesslich an 1 000 ccm ankam. 
Als (cf. Fall 24, Datum 15. März) endlich die Ausgaben beständig ! 
die Einnahmen überstiegen, wurde wiederum dauernd eine Flüssig¬ 
keitszulage eingeführt. Ein Anderer, Fall 26, Fettleibigkeit, Fett¬ 
herz, Insufficienz des Herzmuskels, gleichfalls ein grosser Mann, 
erträgt die Flüssigkeitsreduction sehr gut und macht bei einer 
constanten Flüssigkeitseinnahme unter 1 000 ccm ohne Beschwerden 
eine gute Cur. 

Endlich ist noch zu bemerken, dass die Tagestemperatur 
bei der Flüssigkeitsreduction eine nicht zu unterschätzende Rolle 
‘spielfc 

Die Befürchtung, es könne durch Flüssigkeitsreduction Eiweiss 
iin Urin auftreten, bat sich mir bis jetzt als ungerechtfertigt er¬ 
wiesen überall, wo es sich um Stauungserscheinungen handelte; bei 
vorhandener chronischer Nierenerkrankung resp. chronischer Nieren¬ 
entzündung dagegen, die also durchaus nicht in das Bereich der 
Oertel-Cur gehören, sah ich mit meinen hiesigen Collegen selten 
einen Vortheil, wenn nicht gar Nachtheil. 

Wie oben gelegentlich erwähnt, kanu der diätetische Theil 
der Oertel-Cur bisweilen nicht vollständig angewendet werden. 
Es muss genügend Kohlehydrate, Fett, Eiweiss, unbedingt in ge¬ 
höriger Quantität gegeben werden, wo es sich um magere, schlecht 
ernährte Individuen handelt. 

Wir sehen, wie Patient, Fall 2, an Gewicht zunimmt, während 


’) Ueber die Behandlung von Herzleiden mit Milch. St. Petersburger 
medic. Wochenschrift 1884, No. 5. 

9 ) Deutsche med. Wochenschr. 188G, No. 42. 


269 


er seine Beschwerden unter modificirter Oertel-Cur verliert. Es 
wird eben sehr oft dagegen gesündigt, dass ausser Acht gelassen 
wird, wie vom Fettbestande des Körpers auch der Eiweissbestand 
desselben abhängt. Oft wird viel zu viel entfettet, ohne wieder 
nach aufwärts mit Fett und Amyiuin neben Eiweiss zu gehen, 
daher auch die künstlich hervorgerufene Nervosität; oder die 
Flüssigkeitsreduction ist nicht vorsichtig genug behandelt worden; 
oder es ist ohne Uebergang Alles auf einmal vorwärts getrieben, 
oder endlich, es ist der mechanische Theil nicht richtig gehandhaht 
worden. 

Gerade der letzterwähnte Theil der Oertel-Cur, der mecha¬ 
nisch-gymnastische und die Steigbewegung haben, und vielleicht 
noch in viel höherem Grade, als der diätetische, eine grosse An¬ 
zahl von Gegnern hervorgerufeu, und das war zunächst bei der 
Neuheit des Gedankens und bei der bisherigen Auffassuug, Herz¬ 
kranke so viel als möglich in ihren Bewegungen zu beschränken, 
durchaus kein Wunder. Allerdings fand man in den verschiedenen 
Lehrbüchern auf Stokes verwiesen, in den wenigsten Fällen aber 
war von dessen Lehre etwas von dem ärztlichen Publicum in die 
Praxis gebracht worden. Dass aber Gegenanzeigen gegen das 
Bergsteigen vorhanden sind, ist ganz gewiss, und wenn wir oben 
das übermüdete Herz von diesem Theile der Oertel-Cur aus¬ 
schlossen, so können wir jetzt Oertel selbst anführeu, welcher 
die oben schon raitgetheilten Contraindicatiouen, 1 ) Klappenfehler 
mit Insufficienz der Herzmuskel, mangelnde oder noch nicht voll¬ 
ständig eingetretene compensatorische Hypertrophie nach erst kurz 
vorher überstandener Endocarditis, Folgekrankheiten nach Typhus 
(also bei direktem Zerfall der Muskeln), vorgeschrittene Scleros** 
der Strangarterien, als Verbot gegen das Steigen angiebt. Mit 
vollem Rechte schliesst er jetzt allgemeine Atherose der Arterien 
aus, denn diese können nicht mehr durch rasche Dilatation den 
durch das Steigen entstehenden Blutdruck compensireu, einer 
Apoplexie Vorbeugen, endlich Morbus Brightii, nicht Stauungs- 
Niere. 

Nun giebt es allerdings eine Anzahl Kranker, welche nicht in 
obige contraiindicirte Kategorieen gehören und dennoch nicht die 
mechanisch-gymnastische Cur vornehmen können, weil sie zunächst 
unfähig dazu sind. Das sind für mich die Fälle, in denen zuerst 
Flüssigkeitsreduction (Entfernung der Stauung, des Oedems) vor¬ 
ausgeschickt werden muss, ehe eine Bewegung möglich ist; in 
anderen Fällen besteht öfters zu Anfang der Cur grosse Schwäche, 
Magen-Darmkatarrh nach zu grosser medicamentöser Belastung oder 
ohne dieselbe, viele sind an absolute Ruhe gewöhnt und fürchten 
jeden Schritt. Ist die Compensation nicht gestört, so kann mit 
dem Steigen, strengste Erwägung aller Contraindicatiouen Vorbe¬ 
halten, bald begonnen werden. Ob die Annahme von Franz 
richtig sei, dass bei Compeusationsstörungen. schwedische oder 
Selbsthemmuugsgymnastik zu treiben sei, bedarf uoch weiterer Be¬ 
gründung, jedenfalls hat er aber recht, wenn er nur die ruhigsten 
Formen der Muskelarbeit gestattet und vorsichtiges Steigen, 
anfangs immer unter Aufsicht eines Arztes. 2 ) Dass die Gymnastik 
bei Herzkranken wirklich von Einfluss sei, hat Aug. Schott 3 ) 
allerdings behauptet, und es lohnte sich, seine Angaben noch ein¬ 
mal genau durch zu experimentireu. Es trat nämlich nach ihm als 
unmittelbare Wirkung der Gymnastik auf das Herz eine namhafte 
Veränderung der Dilatation ein, zuvörderst die Verbreiterungen 
des rechten Herzens zogen sich zusammen, es sei ihm keine Aus¬ 
nahme begegnet. Auch linksseitige Verbreiterungen sollen Ein¬ 
schränkungen erleiden. Gleichzeitig damit steige der Pulsdruck 
um 30—40 mm, Puls- und Athemzahl nehmen ab. Mit der Ver¬ 
engerung der Herzdilatation nimmt bisweilen die Stauungshyperämie 
der Leber ab. Dyspnoe verringere sich. G. Zander in Stockholm 
hält die Gymnastik für eine ununterbrochen fortdauernde Noth- 
wendigkeit für Herzkranke, wenigstens im Winter. 4 ) 

Die Methode Oertel’s, Bergsteigen bei Kreislaufsstörungen, 
ergiebt experimentell erwiesene Thatsachen von grosser Bedeutung. 
Zunächst besteht eine Zunahme des Blutdruckes, zugleich damit 
eine Erweiterung der GefÜsse, eine Abnahme der Arterienwand¬ 
spannung und Vermehrung der Blutmenge im arteriellen System. 
Durch Alles das wird der Druck compensirt, uud schliesslich durch 
reducirte Flüssigkeitseinnahme, durch Verdampfung durch Haut und 
Lunge der Blutdruck herabgesetzt. 5 ) 

Sehr richtig ist die Eigentümlichkeit, dass bei länger fort¬ 
gesetzter, öfter wiederholter Ausführung des Steigens der Geföss- 
tonus dauernd herabgesetzt wird, die Arterien mehr Blut auf- 
nehmen, also die immerbestehende grössere Belastung des Venen¬ 
systems annähernd ausgeglichen wird. So fand nach der ersten 

*) Therap. Monatshefte 1887, Separatabdruck p. ly. 

3 ) Centralblatt für klin. Medicin 1887, No. 24. 

3 ) Berliner klin. Wochenschrift 1885, No. 24. 

*) Leyden, Herzkrankheiten in Folge von Ueberanstreugung. p. 56. 

5 ) Oertel, Therapie der Kreislaufsstörungen. 2 Aufl., p. 57, 78, 180. 


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270 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 14 


Steigung auf die Spitzing-Höhe eine Blutdruckzunahme von 
43 mm Hg statt, bei der 10 Tage später erfolgten 12, bei der 
nach 14 Tagen 11, nach abermals 7 Tagen nur 4 mm Hg Blut¬ 
druckzunahme etc. 1 ) Das Gehen in der Ebene hat auf die Erhöhung 
des Blutdruckes einen nur geringen, aber durchaus nicht nachhal¬ 
tigen Einfluss. 

Es ist nun von grösster Wichtigkeit, zu wissen, wo die Grenze 
des Erlaubten im Steigen liegt, und dafür muss als Grundsatz 
gelten, was Oertel selbst schon angegeben, was aber leider oft 
unberücksichtigt bleibt, dass das Steigen eingestellt werden muss, 
wenn der Puls klein und leer bleibt, beschleunigt, unregelmässig 
oder noch matter wird, als er schon früher war, wenu die Dyspnoe 
zunimmt, Cyanose eintritt, also verstärkte Herzcontraction fehlt 
Zu der fehlerhaften Art des Steigens gehört ohne Zweifel das 
Treppensteigen, worauf ich schon früher aufmerksam machte; 2 ) 
denn während bei demselben eine Steigung bei ca. 45° vorgenommen 
wird, beträgt dieselbe auf Wegen in Terraincurorten 5—20°. Das 
nothwendige saccadirte Athmen ist beim Treppensteigen gleichfalls 
sehr erschwert, und die Last des eigenen Körpers wird viel zu gross. 

Dass nun die Oertel’sche Methode eine grosse Errungenschaft 
für die Therapie bleibt, ist sicher, und in diesem Sinne hat sich 
erst vor Kurzem Professor Stiller in Pest, einer unserer compe- 
tentesten Beobachter, ausgesprochen, 3 ) welcher als cardinales Object 
der Oertel-Cur die der eigentlichen Obesitas zukommenden Herz¬ 
verfettungen ansieht. Darin dass sie viel weniger bei der fettigen Dege¬ 
neration und der Arteriosclerose leiste, hat Stiller gewiss recht; 
wenn Stiller aber, wie viele Andere, auch bezweifelt, ob die Oertel- 
Cur im Incompensationsstadium der Klappenfehler etwas leisten 
könne, so muss ich trotz alledem behaupten, dass ich ganz un¬ 
zweifelhafte Fälle von Mitralinsufficienz resp. Stenose gesehen, 
deren Compensation viel zu wünschen übrig liess und welche durch 
die Oertel-Cur eine ausgezeichnete Besserung erlangten. Freilich 
wurde jeder Factor der Cur genau erwogen und jede Einzelheit, 
Flüssigkeitsreductiou, Steigen, sorgfältig überwacht und nach Bedarf 
modificirt. 

Nierendegeneration irgendwie erheblichen Grades, das muss 
ganz besonders wiederholt werden, vereitelt die Hebung der Com- 
pensationsstörung, und darin liegt wohl der Hauptgrund der Miss¬ 
erfolge. 

Im Grossen und Ganzen stellt sich die Sache nun folgender- 
maassen: 

1. Die Oertel-Cur hat sich für immer einen bedeutenden Platz in 
der Therapie der Kreislaufsstörungen, bei Kraftabnahme des Herz¬ 
muskels, Fettherz (Fettsucht), ungenügender Compensation bei Herz¬ 
fehlern und deren Folgeerscheinungen erworben. 

2. Die Oertel-Cur hat Grenzen (Contraindicationen), welche ihr 
gesteckt sind, und die übrigen Herzmittel, ferner Mineralwassercuren, 
Gymnastik, Bäder treten alsdann in ihre Rechte. 

3. Die einzelnen Factoren (Flüssigkeitsentziehung, Steigen) 
müssen genau dem Einzelfalle angepasst, wie ein anderes Medica- 
ment dosirt, von Zeit zu Zeit geändert und mit ungemein grosser 
Genauigkeit überwacht werden. 

4. Terraincurorte sind wegen der zur Oertel-Cur nöthigen Er¬ 
fordernisse, wegen der Einrichtung oder Instandhaltung und genauen 
Erkenntlichmachung der nöthigen verschieden ansteigenden Wege, 
wegen Beschaffung entsprechender Speisehäuser, wegen Auswahl 
günstig klimatisch gelegener Orte nöthig. 

Wie ersichtlich, gehört zur Oertel-Cur weit mehr, als schablonen¬ 
haft zu dursten und zu steigen. Allem, voraus aber muss die 
ernsteste Entscheidung gehen, ob der Patient überhaupt „örteln“ 
darf. Ist er aber dazu bestimmt, so muss unbedingt jeder Ueber- 
griff in den einzelnen Factoren der Cur vermieden werden. Das 
kann sehr oft in der Behausung des Kranken nicht geschehen. Oft 
braucht der Patient eine weithin gehende Beobachtung, wir haben 
das bei der Diät, bei der Flüssigkeitsentziehung, bei dem Steigen 
nur zu häufig zu bemerken Gelegenheit gehabt. 

5. Für einen Theil solcher, die weitgehendste Beobachtung ver¬ 
langender Fälle reichen bisweilen Terraincurorte trotz ihrer Vor¬ 
theile nicht aus, und es wäre dringend nothwendig, wenn Sanatorien 
errichtet würden, welche, ähnlich den geschlossenen Anstalten für 
andere Leiden, mit Umsicht an gut gelegenen, klimatisch begünstigten 
Orten zu leiten sind. 

V. Ueber einige wichtigere Arbeiten in der 
Ophthalmologie während des Jahres 1887. 

Von Prof. Dr. Hugo Magnus. 

Mit Beginn des Jahres 1887 erschien eine von Dor in der Revue 
generale d’oph thalmologie No. 1 veröffentlichte Arbeit, welche die höchst 

• 1. c. p. 183. 

*) Deutsche med. Wochenschr. 1886, No. 42. 

*) Wiener Klinik, 1887, Heft 8. 


interessante Thatsache mittheilte, dass unter dem Gebrauch von Naphthalin 
sich sehr eigentümliche Erscheinungen an den Augen geltend machen 
sollten. Bouchard hatte zuerst und zwar ganz zufällig diese Naphthalin¬ 
erkrankungen des Auges beobachtet, als er die Angaben, welche Ross¬ 
bach über die ausgezeichnete Desinfection des Verdauungstractus durch 
Naphthalin gemacht hatte, einer experimentellen Nachprüfung unterwarf. Dor 
und Panas (Semaine medicale 1887 No. 6) studirten alsdann diese Naph¬ 
thalinerkrankungen des Auges bei Kaninchen des Näheren und theilten auf 
dem im Mai 1887 in Paris tagenden französischen Opbthalmologen-Congress 
ihre einschlägigen Beobachtungen mit. Nach den Angaben von Panas 
entsteht nach länger fortgesetzten Naphthalininjectionen bei Kaninchen zu¬ 
vörderst Synchysis corporis vitrei, alsdann entwickeln sich in der Retina 
weisse rundliche Heerde, welche allmählich an Umfang wuchsen und im 
Centrum eine Vertiefung bekamen; darauf folgt eine Pigmentalteration in 
Form einer Retinitis pigmentosa, und im Anschluss an diese Retinaerkran¬ 
kungen soll dann kataraktöse Trübung beider Linsen nachfolgen und im Humor 
aqueus sich Eiweiss bilden. Mikroskopisch konnte Panas die weissen 
Plaques der Retina als Oedem nachweisen, sowie er auch zwischen den 
beiden Blättern, aus denen sich entwickelungsgeschichtlich die Retina auf¬ 
baut, also zwischen Epithelblatt und eigentlicher Retina, ein flüssiges Exsudat 
fand, in dem Leukocyten und Krystalle von oxalsaurem, schwefelsaurem 
und kohlensaurem Kalk vorhanden waren. Ein ähnliches Exsudat fand 
sich auch zwischen Retina und Corpus vitreum. Panas stellte nun auf 
Grund dieser seiner Beobachtungen die Behauptung auf, dass der Naphthalin- 
katarakt lediglich hervorgerufen würde durch die pathologischen Verände¬ 
rungen in der Retina, und dass also die Linse sowohl in ihrem physio¬ 
logischen wie pathologischen Leben auf das unmittelbarste von der Retina 
abhänge, dass die Retina die Ernährung der Linse in weitgehendster Weise 
beeinflusse. Man sieht hiernach also, dass Panas durch seine Naphthalin¬ 
untersuchungen zu Schlüssen gekommen war, welche wohl geeignet waren, in 
unsere Anschauungen von der Ernährung des Auges auf das Tiefste einzu¬ 
greifen, und welche demgemäss auch unsere Vorstellungen von den patho¬ 
logischen Vorgängen im Auge, speciell in der Linse, in weitgehendster Weise 
hätten beeinflussen müssen. 

Dor machte seine Erfahrungen über Naphthalinkatarakt nicht zum Aus¬ 
gangspunkt so weitgehender Schlüsse wie Panas, sondern glaubte viel¬ 
mehr, dass das Naphthalin eine Blutalteration und diese Bluterkrankung 
alsdann Katarakt erzeuge; der Naphthalinkatarakt sollte also genetisch etwa 
dem Diabetesstaar gleich zu achten sein. 

Angesichts dieser einander so widersprechenden Ansichten über das 
Wesen der Naphthalinerkrankungen des Auges, speciell der Linse, musste 
sich eine Weiterführung der Experimente als sehr wünschenswerth erweisen, 
und ihr unterzogen sich Magnus und Hess; ersterer, der Schreiber dieser 
Zeilen, berichtete über seine mit Naphthalinfütterung gewonnenen Beobach¬ 
tungen auf der 60. Naturforscherversammlung in Wiesbaden (Therapeutische 
Monatshefte 1887, October), während Hess seine Ergebnisse der 19. Ver¬ 
sammlung der Heidelberger opbthalmologischen Gesellschaft (Gesellschafts¬ 
bericht. Rostock, 1887 und Revue generale d’ophthalmologie 1887, Sep¬ 
tember) unterbreitete. Während Magnus mit seinen Untersuchungen vor 
der Hand nur die Veränderungen in der Linse anatomisch wie ätiologisch 
klarzustellen versuchte, war Hess auch in der Lage, über die pathologischen 
Vorgänge in der Retina, wie sie das Naphthalin einleitet, Bericht zu er¬ 
statten. Was zuvörderst die von Hess genau studirte Netzhauterkrankung 
anlangt, so konnte derselbe die von Panas behauptete Exsudatbildung 
zwischen Pigmentblatt und Stäbchenschicht niemals finden und glaubt 
vielmehr, das Wesen der Retinalveränderungen in Vacuolenbildung in den 
Körnerschichten und in eigenthümlichen Veränderungen im Pigmentepithel 
gefunden zu haben. Die einzelnen Zellen des Epithelblattes verlieren ihre 
polygonale Gestalt und gruppiren sich zu rundlichen Klumpen, in deren 
Gentrum sich häufig ein kleines Krystallchen nachweisen lässt. Klinisch 
stellten sich diese Retinalveränderungen als hellglänzende Fleckchen und 
grössere Plaques dar. Auch Magnus sah genau dasselbe klinische Bild, 
insofern er das Auftreten zahlreicher kleiner weisser glitzernder Fleckchen 
in allen Gebieten des Augengrundes wahrnehmen konnte neben Bildung 
grösserer weisser Heerde. Der Hintergrund des Naphthalinauges bietet in 
diesem Zustande etwa das Bild eines reichgestimten Himmels dar. Der Be¬ 
hauptung von Hess, dass diese weissen Sternchen auf Vacuolenbildung 
ausschliesslich zurückzuführen seien, möchte der Referent nicht unbedingt 
beistimmen, da er genau dieselben weissen glitzernden Pünktchen im Glas¬ 
körper flottiren und auch hier und da in der Linse auftreten sah ; diese 
Beobachtung spricht dafür, dass Vacuolenbildung in den Kömerschichten 
der Retina allein nicht die Ursache jener klinischen Erscheinung sein 
könne. Bezüglich der Kataraktbildung durch Naphthalin stimmen die Beob¬ 
achtungen von Hess und Magnus vollständig überein. Beide Forscher 
haben es ausser allen Zweifel gestellt, dass die Trübungen der Linse sehr 
oft eintreten, ohne dass in der Retina irgendwelche Veränderungen nach¬ 
weisbar sind, oder bei kaum beginnender Erkrankung der Netzhaut. Diese 
Beobachtung wirft natürlich die Theorie, von Panas, nach der die Linse 
in unmittelbarer Abhängigkeit von der Netzhaut stehen und sich nur trüben 
solle, wenn jene erkranke, vollständig über den Haufen. Als anatomischen 
Grund der Linsentrübung konnten Magnus und Hess spaltförmige Lücken 
zwischen den Linsenfasern, vornehmlich in der Corticalis, nachweisen; der 
Kern betheiligte sich dabei niemals. Ausserdem fand sich in der Aequa- 
torialgegend Zerfall der Linsenfasern selbst und lebhafte Zellvermehrung 
im Kapselepithel. Klinisch zeigten sich diese Veränderungen als eine an 
dem Aequator beginnende und sich schnell, hauptsächlich über die hintere 
Fläche der Linse erstreckende schalenförmige Corticalistrübung; auch der 
vordere Cortex betheiligto sich oft sehr früh, früher oder ebenso früh wie 
der hintere. Einen Beginn der Linsentrübung in den perinucleären 
Schichten, wie sie Dor für den Naphthalinkatarakt als charakteristisch 
glaubte annehmen zu müssen, konnten Hess und Magnus niemals beob¬ 
achten. Die Thatsache, dass die mikroskopischen Veränderungen im 


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5. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


271 


Naphthalinstaar, wie Hess sehr treffend hervorhebt, den von Becker für 
deu senilen Katarakt beschriebenen auffallend gleichen, veranlasste Hess noch 
zu einigen Parallelversuchen; und zwar erzeugte derselbe mittelst der 
Förster’schen Massage bei Kaninchen künstlich Katarakt und fand, dass im 
Beginn sich dieser Massagestaar vollständig klinisch wie mikroskopisch deckt 
mit dem Naphthalinstaar. Auf Grund dieser Thatsachen sprach Hess den Ge¬ 
danken an eine einheitliche Entstehungsweise aller Kataraktformen aus. Wie 
berechtigt diese Muthmaassung ist, beweist die vortreffliche Arbeit von 
Schlösser (Experimentelle Studie über traumatische Katarakt. 
M ünchen 1887). Dieser Autor macht auf Grund seiner umfassenden Ex¬ 
perimente auf die Thatsache aufmerksam, dass die Kataraktbildung in 
jugendlichen Linsen eine auffallende Aehnlichkeit habe mit dem Bilde, 
welches er experimentell von den Wundstaaren erhielt, und dass die gleiche 
Aehnlichkeit vorhanden sei zwischen den Anfangsstadien der Cataracta dia¬ 
betica und dem Wundstaar. Als besonders charakteristisches Aehnlich- 
keitsmoment zwischen den genannten Staarformen muss das Auftreten 
schalenförmiger Trübungen in den hinteren, der Hinterkapsel benachbarten 
Corticalisschichten gelten. Schlösser glaubt nun, gestützt auf diese auf¬ 
fallenden Aehnlichkeiten zwischen den verschiedensten Staarformen, dass in 
der Linse bestimmte Canäle vorhanden seien, in denen der normale, für die 
Ernährung der Linse bestimmte Lymphstrom fliesse. Dieser Lymphstrom 
soll die Linse im Aequator betreten, nahe der hinteren Kapsel nach dem 
Centrum der hinteren Corticales ziehen, von hier sich durch perinucleäre 
Canäle zu den Sternstrahlen der vorderen Corticalis bewegen und sodann 
entweder zu den Sternstrahlen selbst oder zunächst der Vorderkapsel in den 
capillaren Räumen zwischen den Linsenfaserenden nach Austrittspforten 
ziehen, welche in einer den Ansatzpunkten der Zonulafasem entsprechenden 
Kreislinie liegen. Wer mit der Anatomie der Linse ein wenig näher be¬ 
kannt ist, weiss, dass bereits vor Jahren v. Becker in Helsingfors ein 
um den Linsenkern sich erstreckendes Netzwerk interfibrillärer Canäle be¬ 
schrieben hat, dass aber die Existenz derselben von den späteren Forschern 
bezweifelt worden ist. Trotzdem also im Augenblick die Annahme eines 
interfibrillären Linsencanalsystems von den meisten Autoren abgelehnt wird, 
so stellen wir uns unbedingt auf die Seite Schlösse r’s 'und sprechen uns 
für die Existenz eines solchen Canalnetzes in der Linse aus. Hauptsächlich 
sind es klinische Rücksichten, welche uns zu einer Unterstützung der 
Schlösser’schen Annahme bewegen; vor Allem ist das klinische Bild des 
Naphthalinstaares ganz so beschaffen, dass es die Annahme eines Canal¬ 
netzes in der Linse stützen kann. Die Regelmässigkeit, mit welcher die 
Anfangsstadien des Naphthalinstaares verlaufen, der regelmässige Weg, den 
diese Trübungen einschlagen und welcher den Anfangstrübungen der ver¬ 
schiedensten anderen Staarformen auffallend gleicht, legt uns, glaube ich, 
doch die Annahme nahe, dass der Beginn des Staares stets in den prä- 
formirten Lymphräumen der Linse zu suchen sei. Eine allzu starke Füllung 
dieser Räume und eine dadurch bewirkte Stauung der Lymphe kann einmal 
zur Kataraktbildung führen, wie man sich auch vorstellen kann, dass eine 
pathologisch alterirte Lymphe von den Lymphräumen aus den Beginn der 
Trübung einzuleiten vermag. Diese Vorstellung, nach der die normalen 
Lymphwege in der Linse die Ausgangspunkte für die Staarbildung geben, 
unterscheidet sich von der Becker’schen Theorie der Staarbildung keines¬ 
wegs bedeutend. Becker hat in seinem klassischen Werke über die Ana¬ 
tomie der gesunden und kranken Linse bekanntlich die Ansicht aufgestellt, 
dass der Altersstaar entstände durch Schrumpfung des Linsenkernes und 
die durch diese Schrumpfung bedingten Spalträume in der Linse; die auf 
Grund der Kemschrumpfung entstandenen Spalträume in der Linse sind 
aber für die Beck er’sehe Theorie das Punctum saliens. Während also 
Becker in der Bildung der interfibrillären Spalträume der Linse schon 
etwas Pathologisches sieht, möchte ich mit Schlösser die Spalträume von 
Haus aus als etwas Normales ansehen und glaube, dass die Spalträume nur 
unter Umständen als pathologischer Factor wirken können; ganz gewiss 
kann durch Kern Schrumpfung eine Vergrösserung der normalen Lymphwege 
und damit eine zur Alteration der benachbarten Linsenfasem führende 
Lymphstauung erzeugt werden, aber ebenso kann durch eine anderweitige 
Ueberlastung der Lymphräume, wie sie durch Trauma entsteht, genau die¬ 
selbe Lymphstauung und Kataraktbildung erzeugt werden, wie diese letztere 
auch die Füllung der Lymphspalten mit chemisch differenter Lymphe 
(Diabetes, Naphthalinfütterung) zu bewirken vermag. 

Wie man übrigens die soeben ausgeführten Darlegungen auch auffassen 
mag, das muss man unbedingt zugeben, dass die neuesten Forschungen über 
das Wesen des Naphthalin-, Massage- und traumatischen Staares die einheit¬ 
liche Ursache aller Staarformen sehr wahrscheinlich gemacht haben. Für 
mich gelten die Lymphcanäle der Linse vor der Hand als der Ausgangspunkt 
der meisten Linsentrübungen. 

Einen Fortschritt in der Pathologie des Linsensystems bezeichnet die 
Arbeit von Schirmer (Experimentelle Studie über reine Linsen- 
eontusionen. Inaugural-Dissertation. Greifswald 1887.). Schirmer 
hat gefunden, dass durch Erschütterungen resp. Quetschungen der Linse 
ohne Eröffnung ihrer Kapsel sich Trübungen in der vorderen Corticalis ent¬ 
sprechend der Quetschungsstelle entwickeln; ausgezeichnet sind diese Trü¬ 
bungen durch die Neigung, innerhalb ziemlich kurzer Zeit spurlos zu ver¬ 
schwinden. Aehnliche Mittheilungen hatte vor Jahren schon Berlin ge¬ 
macht, doch waren dieselben, da ihnen eine genauere Untersuchung ihrer 
pathologischen Bedeutung mangelte, ziemlich unbeachtet geblieben, und das 
klinische Bild der Linsencontusionen war von keinem Autor des Näheren 
gezeichnet worden. Diese Lücke ist durch die Schirmer’sche Publication 
nunmehr aasgefüllt, und Referent war bereits im Stande, aus seiner eigenen 
Beobachtungssphäre den Lesern dieser Blätter einige klinische Fälle 
von Linsencontusionen mitzutheilen. Mikroskopisch erweisen sich die Con- 
tusionstrübungen als Zerfall der betroffenen Linsenfasern, Zerstörung des 
Kapselepithels und als interfibrilläre Flüssigkeitsansammlung. Da alle diese 
Veränderungen, sind die Contusionen nicht zu umfassend, stets der Rück¬ 
bildung fähig zu sein scheinen, so verschwinden die Erscheinungen der i 


Linsencontusionen, so bedrohlich sie anfangs vielleicht auch ausgesehen haben 
mögen, ohne jede üblen Folgen meist vollständig. 

Eine besonders lebhafte Bewegung machte sich im Jahre 1887 auf dem 
Gebiete der Staaroperation geltend. Schon im Laufe der früheren Jahre 
waren Stimmen laut geworden, welche eine Rückkehr zu der alten Lappen¬ 
operation ohne Iridectomie verlangten; und zwar waren es vornehmlich fran¬ 
zösische Operateure, von denen dieser Feldzug gegen die Graf e’sche Linear¬ 
operation eröffnet wurde. Im jüngst verflossenen Jahre ist nun auch einer 
der hervorragendsten deutschen Ophthalmologen, Schweigger, für die 
Lappenextraction eingetreten (Schweigger. Die Rückkehr zum Lappenschnitt. 
Archiv für Augenheilkunde XVHI, 2 und Bericht über die 19. Versammlung 
der ophthalmologischen Gesellschaft. Heidelberg 1887) „und einen ähnlichen 
Standpunkt sehen wir Schöler vertreten (Zur Staaroperation. Berl. klin. 
Wochenschrift 1887, No. 38.). Auf der Heidelberger Ophthalmologenversamm¬ 
lung trug Sch weigger die Gründe, welche ihn zur Rückkehr in das Lager der 
Lappenextraction veranlasst haben, vor, und wurde durch die Debatte, welche 
sich an diesen Schweigger’schen Vortrag anknüpfte, die voijährige Ophthal¬ 
mologenversammlung zu einer ganz besonders interessanten und wichtigen. Im 
Allgemeinen kann man sagen, dass das Ergebniss dieser Debatte nicht zu 
Gunsten der Lappenextraction ohne Iridectomie ausschlug; besonders war es 
Eduard Meyer aus Paris, welcher in geistvoller Weise für die Graf e’sche 
Extractionsmethode eintrat und, gestützt auf seine reichen praktischen Er¬ 
fahrungen und unter Hinweis auf die geschichtliche Entwickelung der Gräfe- 
schen peripheren Linearextraction, diese gegen die Lappenextraction verthei- 
digte. Eine sehr dankenswerthe Unterstützung fand er hierbei in Krüger 
aus Frankfurt a. M. Für die Lappenextraction trat ausser Schweigger nur 
noch Sattler aus Prag ein, doch vermochte derselbe das, was Schweigger 
gesagt hatte, durch keinerlei neue Gesichtspunkte zu stützen. 

Eine auffallende Thatsache ist es jedenfalls, dass gegen die Gräfe’sche 
Linearextraction, welche während eines Vierteljahrhunderts nicht allein die 
ophthalmologische Welt beherrschte, sondern als ein unverwelkliches Blatt 
in der Ruhmeskrone Gräfe’s galt, nunmehr eine kräftige Reaction sich 
geltend zu machen vermag, eine Reaction, welche so bedeutende Autoren wie 
Schweigger u. A. zu ihren Vertretern zu gewinnen im Stande ist. Die 
Erklärung für diese interessante Erscheinung dürfte wohl in dem Wandel 
zu suchen sein, welchen unsere Anschauungen über Wundbehandlung im 
Lauf des letzten Decenniums erlitten haben. Mit dem Augenblicke, wo man 
zu der Erkenntniss gelangt war, dass die a- und antiseptische Wundbe¬ 
handlung die Gefahren jeder Wunde auf ein Minimum reducirt hatte, 
konnte man sich nicht mehr verhehlen, dass auch so grosse Homhautwunden, 
wie die des Lappenschnittes, ihre früheren Schrecken verloren haben müssten. 
Und da die moderne Ophthalmologie zugleich im Besitz des Eserin auch 
den beim Lappenschnitt so gefürchteten Irisvorfall wirksamer wie früher zu 
bekämpfen verstand, so war mit diesen Factoren eine gewisse Aufforderung 
gegeben, die verlassene Lappenextraction wieder aufzunehmeu. Dass es 
Erwägungen, wie die eben erwähnten, waren, welche der Umkehr zur 
Lappenextraction den Weg bereiten, vermag man bei den verschiedenen 
modernen Vertretern der alten Lappenextraction zu lesen, so z. B. bei 
Abadie (Des procedes ’ actuels d’extraction de la cataracte. Rec. 
d’ophth. 1887, No. 3.) Gegenüber diesen, vornehmlich auf die Erfolge 
der modernen Wundbehandlung sich stützenden Angriffen gegen die Linsen¬ 
extraction machte Meyer mit vollem Recht geltend, dass die Gräfe’sche 
Extractionsmethode die Zahl der Verluste, welche die alte Lappenoperation 
hatte, sofort erheblich vermindert habe, und zwar zu einer Zeit, wo von 
antiseptischen Vorsichtsmaassregeln keine Rede sein konnte. Dieser gross- 
artige Fortschritt musste also, so calculirte Meyer sehr richtig, lediglich 
als ein Erfolg der Methode selbst gelten. Und mit dieser Bemerkung 
Meyer’s sind, so glauben wir, die Vertheidiger der alten Lappenoperation 
wenigstens zum Theil aus dem Felde geschlagen. Der Wegfall der Iridectomie 
wird der Lappenextraction von ihren Anhängern als ganz besonderer Vorzug 
nachgerühmt. Allein auch in diesem Punkt hat die alte Lappenextraction 
mehr wie einen wunden Punkt. Vor allen Dingen mag bei demjenigen, der 
die Lappenextraction ausführt, wohl in jedem einzelnen Fall die feste 
Absicht vorhanden sein, die Iridectomie nicht zu machen, allein es hängt 
keineswegs lediglich nur von dem Operateur ab, ob dieser sein guter Wille 
wird zur Ausführung gelangen können. Ist die Pupille nach vollendeter 
Extraction nicht absolut rund und central, so wird der Operateur, will er 
nicht hinterher Vorfall der Iris und Einklemmung der Iris in die Hornhaut¬ 
narbe riskiren, zur nachträglichen Iridectomie unbedingt genöthigt sein. 
Desgleichen wird der Operateur wider seinen Willen in allen den Fällen 
zur Iridectomie sich gezwungen sehen, in denen das Auge dem betastenden 
Finger eine stärkere Spannung darbietet. Denn gerade solche Augen er¬ 
leiden oft, wenn die durch das Cocain bedingte Druckherabsetzung ge¬ 
schwunden ist, eine Wundsprengung und nachträglichen Vorfall der Iris. 
Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, dass die Iridectomie bei 
der Lappenextraction doch nicht unter allen Verhältnissen zu umgehen ist. 
Ja wir können sogar noch weiter gehen und behaupten, dass auch in einer 
Reibe von Fällen die Lappenextraction durch Irisvorfall complicirt wird, 
in denen a priori ein solcher Vorfall vom Operateur bestimmt nicht er¬ 
wartet wurde. Wir haben also, mit einem Wort, noch nicht gelernt, in 
welchen Fällen wir bei der Staaroperation die Iridectomie unterlassen können 
und in welchen nicht. 

Wir sehen also, auch die Aussicht, bei der Lappenextraction ohne 
Iridectomie operiren zu können, ist vor der Hand noch nicht so gross, um 
ihr zu Liebe die Rückkehr zur Lappenextraction unbedingt empfehlen zu 
können. Uebrigens darf man schliesslich auch nicht übersehen, dass die 
Unterlassung der Iridectomie hinterher zwar eine schöne runde Pupille or- 
giebt, aber auch dafür gewisse Unbequemlichkeiten für den Operateur hat. 
So ist die Entfernung der getrübten Linse ohne Iridectomie ganz gewiss 
öfters eine weniger günstige; die Reinigung des Pupillengebietes von 
Corticalresten ist ohne Iridectomie unbedingt weniger erfolgreich als mit 
Irisausscheidung. Ob die Iridectomie wirklich in so umfangreicher Weise 


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272 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 14 


entzündliche Exsudation und Verzögerung der Resorption der zurückbleibenden 
Corticalmassen bedingt, wie dies angegeben wird, ist doch mindestens 
auch noch recht zweifelhaft. Operirt der Arzt ohne Iridectomie, so wird er 
ganz gewiss eine minimale Blutung haben und dem Patienten eine schöne 
runde Pupille verschaffen, leider bietet nur aber diese runde Pupille keinerlei 
optische Vortheile gegenüber der Colobompupille. 

Diese Darlegung wird genügen, um den Nachweis zu führen, dass die 
Rückkehr zur Lappeuextraction vor der Hand doch noch weit von allge¬ 
meiner Anerkennung entfernt ist, und dass die Anhänger der Gräfe’schen 
Operationsmethode im Augenblicke nicht der Abneigung gegen Neuerungen 
und Verbesserungen geziehen werden können, wenn sie an ihrer bewährten 
Operationstechnik festhalten. Das ist aber ganz gewiss nicht zu bezweifeln, 
dass der Streit um die beste Staaroperatiousmethode vor der Hand nicht 
geschlichtet werden dürfte, und dass die ophthalmologische Literatur für die 
nächste Zeit ganz besonders reich sein wird an polemischen (vergl. den 
neuesten Streit zwischen Jacobson und Schweigger in der deutschen 
Med. Ztg. 1887, No. 78 und 94) und kritischen Arbeiten über Staaroperation. 

Uebrigens scheint es fast so, als wäre die Rückhehr zu den An¬ 
schauungen früherer Geschlechter eiu charakteristisches Zeichen unserer 
heutigen Zeit; denn nicht bloss wandelt das moderne Kunstgewerbe auf Bahnen, 
welche in weit hinter uns liegende Epochen zurückführen, sondern auch 
die moderne Augenheilkunde coquettirt offenkundig mit geschichtlichen Re- 
miniscenzen. Der von uns soeben des Längeren besprochene Versuch, die 
Lappenextraction wieder zu beleben, ist nicht der einzige Beweis für diese 
unsere Behauptung, sondern wir sind in der Lage, sofort noch auf eine 
zweite Thatsache hinzuweisen, welche die Neigung der heutigen operativen 
Augenheilkunde in scheinbar längst überwundene operative Pfade wieder 
einzulenken, recht deutlich illustrirt. Es ist nämlich im Lauf der letzten 
fünf oder sechs Jahre zuerst schüchtern und dann immer dreister der Ver¬ 
such gewagt worden, die vordere Kammer durch Einspritzungen von den 
zurückbleibenden Staarresten zu reinigen. Auf der im Mai 1887 in Paris 
tagenden Versammlung französischer Ophthalmologen wurde diese Kammer¬ 
auswaschung von Vach er (Revue generale d’ophthalmologie 1887, 
No. 5, p. 217), allerdings mit einer bewunderungswürdigen historischen 
Unkenntniss, als seine eigene Erfindung zur Discussion gebracht. Uebrigens 
ist Vach er nicht der einzige moderne Erfinder der Kammerauswaschung, 
vielmehr giebt es augenblicklich eine ganze Menge derselben, und doch finden 
wir eine Erwähnung dieser Operation bereits im Anfang des 18. Jahrhunderts. 
Die Thatsache, dass gegenwärtig eine Reihe von Autoren sich als Erfinder 
einer operativen Maassnahme rühmen, welche schon vor fast 200 Jahren 
existirte, dürfte wohl doch dafür sprechen, dass die Geschichte der Medicin 
keineswegs nur Ballast sei, wie dies uns so oft von modernen Autoren ge¬ 
predigt wird. Was nun den Werth der Kammerauswaschungen selbst an- 
iangt, so gehen die Urtheile über denselben sehr auseinander. Während 
Wiche rkiewicz (Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1885) 
durch die Kammerauswaschung nicht allein eine Vervollkommnung der Ex¬ 
traction selbst gewonnen zu haben glaubt, sondern auch die frühe Operation 
unreifer Staare nunmehr für erfolgreich erklärt, und ihm verschiedene Autoren, 
so z. B. Chodin (Ueber Ausspülung der vorderen Kammer bei Staar- 
operationen. Wjestnik Ophth. 1887, Nb. 1), Grandelement (Indi- 
cations des lavages intra-oculaires apres l’extraction de la cataracte. 
Ann. d’Ocul. Bd. XCVII, p. 73) u. A. 'darin unbedingt beistimmen, 
haben andere Autoren mit Auswaschungen der Vorderkammer sehr 
üble Erfahrungen gemacht; so berichtet z. B. Sch öl er in seiner schon 
vorhin citirten Staararbeit, dass gleich das erste Auge, bei dem er die 
Kammerauswaschung versucht habe, durch Panophthalmitis zu Grunde ge¬ 
gangen und er durch diesen Misserfolg zur weiteren Anwendung der betreffenden 
Operation nicht ermuthigt worden sei. Eine allgemeine Einführung hat die 
Kammerauswaschung, wenigstens in der deutschen Ophthalmologie, vor der 
Hand noch nicht errungen, und es bleibt abzuwarten, in wieweit die Bestre¬ 
bungen von Wicherkiewicz u. A. von Erfolg sein werden. Jedenfalls ist 
man eifrig bemüht, sowohl die ludicationen der Operation genau zu be¬ 
grenzen, wie man auch auf das Sorgsamste die Technik der Auswaschung 
durch Verbesserung der Instrumente zu vervollständigen sucht; so hat z. B. 
Hoffmann auf der letzten Ophthalmologenversammlung in Heidelberg (Be¬ 
richt 1887, p. 208) einen von ihm verbesserten Eintröpfler vorgezeigt. 
Derjenige, welcher auch die Leistungen früherer Geschlechter kennt, vermag 
sich allerdings der Einsicht nicht zu verschliesseu, dass die Kammeraus- 
ivaschung eine ganz ähnliche Phase ihrer Entwickelung schon einmal durch¬ 
lebt hat. Es gab schon vor vielen Decennien eine Zeit, in der man eifrig 
darauf bedacht war, durch neue Instrumente und genaue Bestimmung der 
ludicationen die Auswaschungen der Vorderkammer in der Ophthalmologie 
einzubürgern. Allein die Koryphäen der damaligen Ophthalmologie lehnten 
zumeist diese Operation ab, und so wurde sie zur Seite geworfen, bis die 
neueste Zeit sie wieder zu Ehren zu bringen versuchte. 

Auch auf einem anderen Gebiet der Ophthalmochirurgie hat das Jahr 
1887 sehr werthvolle Beiträge geliefert, wir meinen auf dem der Evisceration 
des Bulbus. Nachdem Albert Gräfe in Halle vor kurzer Zeit den Vorschlag 
gemacht hatte, die Knucleation des Bulbus durch die Evisceration desselben 
zu ersetzen, war unter den Ophthalmologen über die Zweckmässigkeit dieser 
neuen Operation alsbald ein Streit ausgebrochen. Der Assistent Gräfe’s, 
Bunge (Mittheilungen rfus der Universitäts-Augenklinik zu Halle a. S. I. 
lieber Exenteration des Auges. Halle 1887). hat nun in einer sehr werth¬ 
vollen Monographie und gestützt auf eine Statistik von 200 Exenterationen 
die Ansichten Gräfe’s über diese Operation dargelegt. Begründet wird 
die Exenteration zuvörderst durch den chirurgischen Grundsatz, nur soviel 
des kranken Organes wegzunehmen, als eben krank ist, von dem gesunden 
aber möglichst Alles zu erhalten. 

Wendet mau diesen Grundsatz auf die Fälle an, in denen mau bisher 
die vollständige Entfernung des ganzen Augapfels auszuführen pflegte, so 
wird man in der That weitaus in der Mehrzahl der Fälle mit Entfernung 
der kranken Partieen des Bulbus, d. h. also mit der Exenteratmu auskommcn. 


Des Ferneren ergiebt der durch die Exenteration erzeugte Bulbusstumpf meist 
einen viel besseren Stumpf für das spätere Tragen eines künstlichen Auges, 
als dies der Enucleationsstumpf thut. Und schliesslich bietet bei der 
Exenteration die zurückbleibende Sclerotica eine Schutzwand gegen Infectiou 
resp. gegen Meningitis. Allerdings ist, so möchte der Referent hier be¬ 
merken, die Gefahr einer Meningitis nach der Enucleation keine besonders 
bemerkenswerthe; kennt man doch im Ganzen etwa nur 28 Fälle einer 
durch Enucleation bedingten septischen Meningitis, eine Zahl, welche gegen¬ 
über den vielen Tausenden von Euucleationen, welche im Lauf der letzten 
Jahre ausgeübt wurden, wirklich eine verschwindend kleine genannt werden 
darf; und dazu kommt noch, dass die meisten dieser Meningitisfalle in die 
vorantiseptische Zeit der Ophthalmochirurgie gehören. Durch die Exen¬ 
teration wird die Indication für die Neurectomie erheblich eingeschränkt und 
sollte die Durchschueiduug des Sehnerven eigentlich nur auf solche Fälle 
beschränkt werden, wo unerträgliche Schmerzen durch Augen bedingt werden, 
welche keine entzündungserregenden Keime beherbergen und weder zur 
Vergrösserung noch zur Verkleinerung tendiren und dabei ein gutes Aus¬ 
sehen zeigen, so z. ß. glaukomatös erblindete Bulbi. Bunge giebt sodann 
eine genaue Beschreibung der von Gräfe bei der Exenteration geübten 
Operationstechnik und Nachbehandlung; doch bieten diese Capitel, so 
interessant sie für jeden Operateur auch sind, doch im Grossen und Ganzen 
bereits Bekanntes: von hohem Interesse ist dann noch die genaue Statistik 
über 200 Exenterationeu. Nach diesen statistischen Erfahrungen Gräfe’s 
vermag die Exenteration auch einen bereits zum Ausbruch gelangten sym¬ 
pathischen Process im gesunden Auge zu beseitigen; dreimal vermochte 
Gräfe diese hochwichtige, für das gesummte weitere Schicksal der Exen¬ 
teration sehr bedeutsame Thatsache zu constatiren. Wir sind der Ansicht, 
dass durch die vorliegenden Mittheilungen aus der Halle’schen Augen¬ 
klinik für die Einbürgerung der Exenteration in die Ophthalmochirurgie 
ein wichtiger Schritt gethan ist. Ein grosser Theil der Fachcollegen, welcher 
bisher der Exenteration gegenüber sich vollständig passiv verhielt, dürfte 
I sich nunmehr doch wohl zur selbstständigen Prüfung dieser Methode verstehen. 

Auf einem anderen Gebiet der Ophthalmologie, welches aber gerade 
für den praktischen Arzt von hervorragendem Interesse ist, hat im Laufe 
des Jahres 1887 eine sehr bemerkenswerthe Bewegung stattgefunden, 
nämlich auf dem der Beziehungen zwischen den Erkrankungen der Seh¬ 
nerven und den Gehirnerkrankungen. Während man bisher annahm, dass 
die Entstehung der sogenannten Stauungspapille in Folge von Cerebral- 
affectioneu sich durch die Trausporttheorie von Schmidt-Rimpier 
— Manz sich erklären lasse, d. h. also durch die Ueberführung von 
| Cerebrospinalflüssigkeit in den Scheidenraum des Sehnerven Stauungen da 
; selbst bediugt würden, versucht Deutschmann (Ueber Neuritis optica, 
besonders die sogenannte Stauungspapille und deren Zusammenhang mit 
Gehimaffectionen. Jena 1887) diese mechanische Erklärungsweise der 
I Stauungspapille zu beseitigen. Auf Grund einer kritischen Analyse der 
bisher anatomisch untersuchten Fälle von Stauungspapille, sowie gestützt 
: auf eine Reihe sehr exacter Thierexperimente, giebt Deutschmann 
! folgende Erklärung des Wesens der Stauungspapille: Die entzündliche 
! Affection der Papille, die sich bis zur Stauungspapille steigert, hat mit 
einer Stauung durch Druck nichts zu thun; sie ist der Effect entzünduugs- 
: erregender Keime, die mit der Cerebrospinalflüssigkeit aus dem Cavum 
! Cranii in die Sehuervenscheideuräume hineingelangen, da, wo sie aufgehalten 
werden, am bulbären Ende haften bleiben und hier eine inficirende Wirkung 
entfalten. Eine reine Drucksteigerung in der Schädelhöhle soll niemals zu 
einer Erkrankung des intraoculären Sehnervenendes führen; der Hauptfactor, 
welcher die letztere hervorruft, ist eben nur in entzündungserregenden 
Stoffen zu suchen, welche von dem Cavum Cranii aus auf präformirten 
Wegen in die Sehnervenscheidenräume hinein gelangen. Dies ist in Kurzem 
der Kern der Deutschmann’scheu Arbeit und ist derselbe allen Denen, 
welche den wissenschaftlichen Bewegungen der letzten Jahre gefolgt sind, 

! keineswegs etwas Neues. Bereits 1881 hat Leber auf dem internationalen 
i medicinischen Congress in London ähnliche Gedanken über die Entstehung 
der Stauungspapille geäussert, wie sie jetzt Deutschmann experimentell 
zu beweisen versucht. Uebrigens hat die Deutschmann’sche Arbeit, wie 
dies ja von Haus aus auch zu erwarten war, alsbald von verschiedenen 
Seiten erheblichen Widerspruch erfahren, so hatSchmidt-Rimpler (Ein 
Fall von Ponsgliom., Beitrag zur Frage der Nuclearlähmungen und der Ent¬ 
stehung der Stauungspapille. Archiv für Augenheilkunde 1887 No. 2) unter an¬ 
deren Bedenken gegen die Deutschmann’sche Erklärung ein Moment hervor¬ 
gehoben, das, wio es uns scheinen will, von ganz besonderem Gewicht ist. Wenn 
wirklich die Stauungspapille, so sagt Schmidt-Rimpler, nur der Effect ent¬ 
zündungserregender Keime ist, welche mit der Cerebrospinalflüssigkeit aus 
dem Cavum Cranii in die Sehnervenscheidenräume gelangen, so ist es ■ab¬ 
solut unverständlich, warum nicht sämmtliche andere Hirnnerven und 
; sonstige Hirnpartieen, die doch im Cavum Cranii dauernd von der infi- 
I cirenden Cerebrospinalflüssigkeit umspült werden, entzündliche Verände- 
| rungen darbieten. Ja wir sind sogar der Meinung, dass die im Schädel 
liegenden Nerven viel eher und viel öfter sich entzünden müssten, wenn die 
Dentschmann’schen Ansichten richtig wären. Das ist nicht zu bestreiten, 
dass Schmidt-Rimpler mit dieser seiner neuesten Entgegnung der 
Deutschmann’schen‘Theorie einen schweren logischen Fehler uachge- 
wiesen hat. Uebrigens ist auch die statistische Seite der Deutschmann’¬ 
schen Arbeit von zwei englischen Forschern Edmunds und Lawford, 
Remarks on Prof. Deut sc hm ann’s views on optic neuritis (The ophthal- 
! mic review 1887. Mai) als keineswegs einwandsfrei erwiesen worden. So 
machen diese Autoren darauf aufmerksam, dass die Behauptung Deutsch - 
mann’s, Hirntumor ohne Stauungspapille sei etwas sehr Ungewöhnliches, 
| nicht zutreffe, da sie in 30% die Stauungspapille haben fehlen sehen. 
I Desgleichen sei es falsch, wenn Deutsch mann behaupte, dass der Sit/. 

des Tumors für die Entstehung der Stauungspapille gleichgültig sei, denn 
; sie hätten in 8G 0 o den Tumor in den basalen Ganglien oder im Kleinhirn 
I gefunden. 


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5. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


273 


Hervorzuheben ist sodann noch die Arbeit von Michel (Ueber 
Sehnervendegeneration und Sehnervenkreuzung. Wiesbaden 1877), in 
welcher dieser Autor aufs Neue die bisher wohl nur von ihm allein 
noch vertretene Ansicht der totalen Kreuzung der Sehnerven im Chiasma 
aufnimmt und durch neue experimentelle Untersuchungen zu beweisen 
trachtet Nach den klassischen, mit Recht preisgekrönten Untersuchun¬ 
gen v. Gudden’s war die unvollständige Kreuzung der Sehnerven im 
Chiasma, wir dürfen wohl sagen von allen Ophthalmologen, als über allen 
Zweifel erhaben angesehen worden und zwar umsomehr, als, wie 
Scbweigger sehr treffend seiner Zeit bemerkte, die klinischen Erfahrungen 
eigentlich dazu nöthigten, die Halbdurchkreuzung der Sehnerven im Chiasma, 
wäre dieselbe nicht bereits nachgewiesen, zu erfinden. Ob es Michel 
gelingen wird, seine isolirte Stellung in dieser Frage durch seine neuesten 
Untersuchungen zu verbessern und Anhänger für die Totalkreuzung zu 
gewinnen, muss eben abgewartet werden; wahrscheinlich will uns dies aber 
vor der Hand noch nicht erscheinen. 

Einen sehr lehrreichen Ueberblick über den heutigen Stand der 
bacteriologischen Befunde bei Conjunctivalerkrankungen bietet Fick 
fUeber Mikroorganismen im Conjunctivalsack. Wiesbaden 1887) in einer 
theils historischen, theils experimentellen Arbeit Von 57 Hospitaliten, 
welche Fick untersuchte, hatte nur einer keine Bacterien im Con- 
junctivalsack. Am häufigsten wurden Bacillen gefunden, nämlich 39 mal 
in 49 Fällen; 9 mal fanden sich Bacillen und Coccen; Coccen allein wurden 
nie gefunden. Von 36 pathologischen Bindehäuten beherbergten 36 Bacillen 
und 20 auch noch Coccen. Bei 26 Nichthospitaliten konnten nur in 18 
Bindehäuten Bacterien nachgewiesen werden, in 32 Bindehäuten fehlten 
Mikroorganismen völlig. Was nun den pathologischen Werth der Mikro¬ 
organismen anlangt, so lässt Fick als echte und specifische Krankheits¬ 
erreger nur den Gonococcus und den Trachomcoccus gelten. Es giebt eine 
Reihe von Mikroorganismen, welche auf Bindehäuten, kranken wie gesunden, 
Vorkommen, ohne aber eine specifische Wirkung auszuüben. Andere 
Mikroorganismen können nur bedingungsweise eine specifische Erkrankung 
hervorrufen, wenn nämlich die Epitheldecke der Conjunctiva beschädigt ist, 
so ist dies z. B. beim Bacillus tuberculosis der Fall. Uebrigens fand Fick, 
dass die Menge der Bacterien eines Secretes durchaus nicht einen Rück¬ 
schluss auf die Bösartigkeit' der Erkrankung zulässt; häufig kann man bei 
normalem Verhalten der Conjunctiva viele Mikroorganismen finden, während 
bei schwerer Blennorrhoe und Diphtheritis die Anzahl der Bacterien eine 
auffallend geringe ist. Angesichts dieser Thatsache muss man an der An¬ 
sicht festhalten, dass auf gesunden wie kranken Bindehäuten Mikro¬ 
organismen häufig nicht die Rolle von Krankheitserregern, sondern von 
pathologisch belanglosen Schmarotzern spielen. 


VI. Referate und Kritiken. 

v. Ziemssen. Handbuch der acuten Infectionskrankheiten. 

IV. Theil. 3. Auflage. 225 S., 17 Abbildungen. 5 Mark. 

Leipzig, F. C. W. Vogel, 1888. Ref. Fürbringer. 

Der vorliegende Abschnitt des 2. Bandes des Handbuchs der 
speciellen Pathologie und Therapie enthält die Darstellungen des 
Rückfall- und Fleckfiebers und der Pocken. An die Stelle von 
Lebert, welcher die beiden erstgenannten Krankheiten in der 1876 
ausgegebenen 2. Auflage bearbeitet hat, sind Rossbach und 
Curschmann getreten. Dementsprechend erscheinen die beiden 
Bearbeitungen in wesentlich anderem Gewände, während der 
dritte Artikel nach wie vor ein Produkt der Feder Curschmann’s 
geblieben ist. 

Rossbach behandelt nach der Zusammenstellung der Literatur 
des Rückfallfiebers bis October 1885 den Begriff und die Geschichte 
der Krankheit, giebt eine zum Theil kritische Uebersicht der näheren 
und entfernteren Ursachen (28 Seiten) und erörtert die Klinik der 
Krankheit und ihre Ausschreitungen im Grossen und Ganzen nach 
dem üblichen Schema auf 18 Seiten, während Leichenbefund, Dia¬ 
gnose, Prognose und Behandlung auf 16 Seiten Platz finden. Eine 
concinne und klare, mehrfach markige und aparte Schreibweise 
zeichnet die gesammte Darstellung aus, für welche aus nahen 
Gründen eigene Beobachtungen nicht zur Verfügung standen. Wohl- 
thnend berührt, dass der Autor die vollständige Nutzlosigkeit aller 
bislang zur Behandlung der Krankheit empfohlenen s. v. v. spi- 
rochäticiden Mittel, abgesehen allenfalls vom Calomel, offen ausspricht 
und zugleich zeigt, warum von einer specifisch-antiseptischen Wir¬ 
kung derselben keine Rede sein könne. Nichtsdestoweniger darf 
seiner Ansicht nach die Aufgabe der specifischen Behandlung als 
aussichtslose nicht fallen gelassen werden. „Es wäre ein Zeichen 
von Greisenhaftigkeit, zu rasch bei entgegenstehenden Hindernissen 
den Muth sinken zu lassen“. Die antipyretischen Maassnahmen 
anlangend, erkennt Rossbach ebenfalls die Erfolglosigkeit im Allge¬ 
meinen an, räth aber, für die nächsten Epidemieen die bislang noch 
nicht angewandten „Löwen“ der neuesten Antipyrese, das Thallin 
und Antipyrin, zu versuchen, umsomehr, als weder die Zweck¬ 
mässigkeit der hohen Temperaturen, noch die Gefahr ihrer künstlichen 
Herabsetzung zu den erwiesenen Thatsachen zählte. 

Die Curschmann’schen Abhandlungen verwerthen eine reiche 
eigene Erfahrung und weisen allenthalben ein durch die eigenartige, 
angenehme Diction des Verf. gefördertes specifisches Colorit auf. 
Die Darstellung des exanthematischen Typhus beansprucht 


63, diejenige der Pocken 82 Seiten und hält sich desgleichen an 
die altbewährte Gliederung des Materials. Charakteristisch für die 
Bedeutung der gegen die erstgenannte Krankheit gerichteten 
therapeutischen Bestrebungen ist es, dass die eigentliche Behand¬ 
lung auf 4 Seiten untergebracht wird und fast nur von fehlenden 
oder wenig günstigen Erfolgen der bisherigen antipyretischen 
Maassnahmen (Salicylsäure, Chinin, kühle Bäder) erzählt. Am 
ehesten lässt Curschmann die protrahirten, lauwarmen Bäder, 
die frische, bewegte Luft, das Wasserkissen und die Kühlkappe 
gelten, welcher wohlthätigen und beruhigenden Momente er nicht 
entbehren möchte. Ein Freund der kräftigen Excitation, aber zur 
rechten Zeit räth er, das Pulver nicht zu früh zu verechiessen. 

Der Artikel „Pocken“ erscheint der zweiten Auflage gegenüber 
beträchtlich, um 53 Seiten, gekürzt. Nichtsdestoweniger wird dem 
aufmerksamen Leser bald klar, dass dieser Umstand keineswegs die 
Thatsache einer Verbesserung und Vermehrung ausschliesst, wenn 
auch die Hauptsache der Darstellung dieselbe geblieben. Die 
neueste Literatur ist vernachlässigt; kaum dass das Jahr 1885 noch 
die genügende Berücksichtigung erfahren. Daher die etwas dürftige 
Abfertigung der Aetiologie der Krankheit in der bacteriologischen 
Richtung und des Capitels der Schutzpockenirapfung, welches 
letztere sich im Uebrigen als treffliche kurze Orientirungsskizze 
darbietet. 


v. Ziemssen. Zur Diagnostik der Lungentuberoulose. Leipzig, 
F. C. W. Vogel, 1888. 30 Seiten. Ref. Fürbringer. 

In diesem 9. klinischen Vortrage seiner Sammlung greift Verf. 
aus dem diagnostisch verwerthbaren Complex der Schwindsuchts¬ 
symptome einige zum Theil vom Gros der Aerzte wieder verlassene 
Gesichtspunkte heraus, rücksichtlich der sonstigen Grundlagen auf 
die neueren monographischen Bearbeitungen von Rühle und See 
verweisend. 

Zunächst wird der „paralytische“ Thorax kurz und treffend, 
auch durch einige Cyrtometerdurchschnitte charakterisirt. Die Ano¬ 
malie lässt „stets den Verdacht auf tuberculöse Anlage“ rege 
werden, da sie bei durchaus Gesunden eine Seltenheit darstellt. 

Die physikalische Untersuchung der Lungenspitzen anlangend, 
wird die Bestimmung der Höhe des Gipfels, welche, nachdem be¬ 
reits Seitz ihre Wichtigkeit angedeutet, vom Vortr. vor 2 Jahr¬ 
zehnten in die Diagnostik eingeführt worden, wieder hervorgeholt, da 
der „eminente Werth“ nicht hinreichend in das Bewusstsein der Aerzte 
eingedrungen sei. Verschiedene Abbildungen, selbst solche eines 
Thoraxausgusses von Gyps, illustriren die differenten Ergebnisse 
dieser Höhenmessungen, an welchen die verschiedenen Stadien der 
Rückbildung von Spitzeninfiltraten (Zerfall, Schrumpfung, vicarii- 
rende Blähung des benachbarten lufthaltigen Lungengewebes mit 
Ueberwallung der Narbe) Antheil haben. Insbesondere soll auf eine 
solche Naturheilung geschlossen werden können, wenn der Nachweis 
der Spitzenabflachung mit geringer Dämpfung, verschärftem oder ab¬ 
geschwächtem Vesiculärathmen, mit verlängertem, verschärftem oder 
schwach bronchialem Exspirium, aber ohne Rasseln einhergeht. 
Doch will es Ref. (der in früherer Zeit unter dem Einfluss der Lehren 
eines Schülers vonZiemssen jene Höhemessung methodisch geübt)be- 
dünken, als ob der oben genannte Befund des „wahrscheinlichen“ Man¬ 
gels eines progressiven Processes und einer offenen, Erweichungs- und 
Secretionsvorgänge unterhaltenden Caverne denn doch für die 
Zwecke des Praktikers au Eindeutigkeit zu wünschen übrig Hesse, 
ebenso auch dem geübten Diagnostiker, wie eine grössere Reihe jüngster 
Erfahrungen gelehrt, manche Schwierigkeit in der Interpretation be¬ 
reite, wie denn auch der Vortragende die beherzigenswerthe 
Warnung, niemals die Diagnose auf Grund einzelner Momente zu 
stellen, bald anfügt. Das gilt auch für die Bacillennachweise bei 
nicht völliger Vertrautheit mit den betreffenden Sputumuntersuchungs¬ 
methoden. Da, wo trotz häufiger sachverständiger Untersuchung 
keine Bacillen gefunden werden, kann — von der acuten miliaren 
Form abgesehen — Lungentuberculose ausgeschlossen werden. 

Des Weiteren folgen einige sachverständige Bemerkungen über 
den Nachweis elastischer Fasern — einzelne sind bedeutungslos — und 
von Pigment- und Myelinzellen im Auswurf, deren lugubre Bedeutung 
im Sinne Buhl’s bekanntlich Ziemssen und sein Schüler Pa- 
nizza gründlich widerlegt haben, über Hämoptoe — die immer 
aus bereits erkrankten Lungen stammt — und das Fieber der 
Phthisiker. 

Ausführlich und in anregender Darstellung wird das Vorkommen 
der sogenannten idiomuskulären Zuckung bei Phthisikern und son¬ 
stigen Kranken besprochen und gezeigt, dass es sich hierbei ledig¬ 
lich um ein Abmagerungsphänomen, nicht entfernt um ein patho- 
gnostisches Symptom der Lungentuberculose handelt. 

Auch der Spirometrie möchte der Vortragende wieder eine 
etwas regere Berücksichtigung seitens der Aerzte gegeben wissen 
und erörtert nicht ohne Zugrundelegung eigenster Erfahrungen den 
absoluten und relativen Werth der Resultate dieser Untersuchungs- 


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274 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 14 


raethode. Den Vortrag schließen Hinweise auf den Werth der 
Waage für die Diagnostik und Prognostik der Schwindsucht. 

Allen den genannten Punkten hat Ziemssen von der ihm 
eigenen schönen Darstellungsgabe genug gewährt, um sich das leben¬ 
digste Interesse des Lesers, des uneifahrenen Adepten, wie des ge¬ 
reiften Praktikers zu sichern. 


Walter J. Otis. Anatomische Untersuchungen am mensch¬ 
lichen Beotum und eine neue Methode der Mastdarminspection. 
Erster Theil. Die Sacculi des Rectum. Mit einem Holzschnitt 
im Text und acht Tafeln. (Aus dem anatomischen Institut der 
Universität Leipzig). Leipzig, Veit & Comp., 1887. Ref. Lothar 
Heidenhain (Berlin). 

Auf Grund sorgsamer und eingehender Untersuchungen, zu¬ 
nächst am Cadaver, wird in klarer und überzeugender Weise nach¬ 
gewiesen, dass, was bisher so verschiedenartig als „Valves of the 
rectum“ (Houston), „Sphincter superieur“ (Lisfranc, Nelaton), 
„Plica transversalis recti“ (Kohlrausch), „Die Falten des Mast¬ 
darms“ (Baur), „Detrusor faecium“ (Chadwig), „Sphincter ani 
tertius“ (Hyrtl) beschrieben worden ist, ein und dieselben Gebilde 
sind, und dass alle diese verschiedenen Beschreibungen und Be¬ 
nennungen dem Umstande ihr Dasein verdanken, dass das Rectum 
nicht ein glattes, cylindrisches Rohr darstellt, sondern ganz ebenso, 
wie das Colon, in seinem Verlaufe mit Einschnürungen, resp. sack¬ 
förmigen Erweiterungen ausgestattet ist. 

Führt man an dem Cadaver eines erwachsenen Mannes, nur 
auf diesen beziehen sich die nachfolgenden Angaben, einen Finger 
weit in das von Koth und Gas befreite Rectum ein, so fühlt man 
zunächst eine unregelmässige Masse lockerer, schlaffer Schleimhaut¬ 
falten. Sowie man aber erst die eine, dann die andere Seite des 
Darmes untersucht, ist es möglich, an diesen eine, vielleicht auch 
zwei Querfalten nachzuweisen, die sich von den übrigen wesentlich 
abheben und offenbar mehr als eine einfache Schleimhauterhebung 
darstellen. Stets findet man rechts eine grössere Falte, die etwa 
eine kurze Fingerlänge vom Anus entfernt liegt, sehr oft noch 
links eine kleinere näher dem After. Wird der Mastdarm mit Luft 
oder Flüssigkeit ausgedehnt, so bleiben diese ganz charakteristischen 
Querfalten bestehen, sie ragen weit hervor, während die lockeren 
Schleimhautfalten sich ausglätten. 

Stellt man die Leiche mit entleerter Blase in Knieellenbogen¬ 
lage so auf, dass die Unterleibsorgane von jedem Druck von vorn 
her möglichst befreit sind, und zieht man den Anus mit platten, 
stumpfen Haken auseinander, so tritt Luft in den Mastdarm ein 
und bläht ihn auf, ganz, wie dies bei der Scheide unter gleichen 
Verhältnissen der Fall ist. Das Rectum zeigt sich dann, beleuchtet 
mit dem Kehlkopfspiegel oder einem eingeführten elektrischen 
Glühlämpchen, in seiner natürlichen Ausdehnung; seine Formen 
sind bestimmt und fest; seine Hohlfläche ist ganz mit glatter 
Schleimhaut belegt, welche jetzt nicht mehr zu weit im Verhältnis 
zu seiner äusseren Umhüllung erscheint. Doch bildet seine Innen¬ 
fläche keinen glatten Cylinder, sondern besteht vielmehr aus einer 
Reihe von grossen, sackförmigen Erweiterungen, begrenzt durch 
dazwischen liegende, abwechselnd von rechts und links einander 
überragende Scheidewände oder 'Falten. Diese Scheidewände sind 
halbmondförmig von Gestalt, nehmen ein wenig mehr als die Hälfte 
des inneren Umfanges des Darmes ein und sind auf der vorderen 
Darmwand etwas länger als auf der hinteren. Sie bestehen zum 
grossen Theile aus Duplicaturen der Schleimhaut und ragen an 
ihrer Mitte, wo sie am höchsten sind, ca. 1—2,5 cm in die Darm¬ 
höhle hinein. Gewöhnlich sind 2 oder häufiger 3 Falten zu sehen, 
in seltenen Fällen 4 oder gar 5. Sind 2 Falten vorhanden, so be¬ 
findet sich die erste rechts ca. 6,5 cm vom Rande des Anus, die 
zweite liuks, ungefähr 2,5 cm höher. Sind 3 Falten vorhanden, 
so liegt die erste links, etwas näher (4,5—6 cm) dem After und 
ist in veränderlicher Deutlichkeit ausgeprägt, während die beiden 
folgenden stets deutlich ausgeprägt den eben beschriebenen voll¬ 
kommen entsprechen. Den Abstand zwischen den Falten fand 
Verf. nicht in allen Fällen gleich. Einmal waren die zwei 
unteren so nahe an einander gerückt, dass sie den Eindruck einer 
ringförmigen Einschnürung des Rectums an dem betreffenden Punkte 
hervorriefen. Bei genauer Untersuchung Hessen sich jedoch zwei 
Falten, die eine links, die andere rechts darüber nachweisen. 

Auch in Steinschnittlage der Leiche sind die beschriebenen 
Falten deutlich erkennbar. 

Eröffnet man den Leib, entfernt die Dünndärme und erfüllt den 
Mastdarm mit Luft oder Alkohol, ohne ihn jedoch zu überdehnen 
oder zu verzerren, so sieht man auch von aussen, dass das Rectum 
kein glattes, cylindrisches Rohr ist, sondern dass es durch gewisse 
Querfurchen oder halbkreisförmige Einschnürungen in mehr oder 
weniger regelmässige Abschnitte getheilt wird. Diese Einschnürungen, 
gewöhnlich 3—4, manchmal nicht weniger als 7 oder 8, liegen an 
den Seiten des Mastdarms, rechts und links abwechselnd über ein¬ 


ander. Eine besonders auffällige zeigt stets die obere Grenze der 
Ampulle des Rectums an. Führt mau nun einen Finger in das 
Rectum ein, so fühlt mau, dass die oben beschriebenen Falten den 
hier genannten Furchen entsprechen. 

Die Untersuchung des herausgenommenen isolirten Rectums 
zeigte dem Verf. bezüglich des Baues eine weitgehende Uebereio- 
stimraung mit dem Colon. Zunächst sind die Längsmuskelfasern 
nicht, wie bisher beschrieben, als eiu gleichmässiges Lager über 
die Aussenfläche des Mastdarms vertheilt, sondern das hintere 
Muskelläugsband des Colon zieht, nach unten an Breite und Stärke 
zunehmend, auch über die hintere Wand des Rectums hinweg, wäh¬ 
rend die beiden anderen Längsbänder des Dickdarmes am Beginne 
des Mastdarms an seiner vorderen Fläche sich vereinigen, um an 
dieser, gleichfalls nach unten an Breite und Stärke zunehmend, 
hinabzuziehen. Gleichwie am Colon die Längsmuskelbänder kürzer 
sind, wie die zwischen ihnen liegenden Theile des Darmrohrs, und 
dadurch die Aussackungen (Haustra) des Colon hervorgerufen werden, 
so auch am Rectum, Sacculi recti. Die an den Seiten des Mast¬ 
darms befindlichen Einschnürungen, die sich innen als Falten dar¬ 
stellen, sind die Grenzen jener Aussackungen. Die Schleimhaut des 
längs aufgeschnittenen Mastdarms zeigt zahlreiche Quer- und Schräg¬ 
falten, nur am analen Ende senkrechte. Nach Entfernung der 
Schleimhaut findet man, dass die Kreisfasern der Darmmuskulatur 
an den Scheidefurchen (Falten) zwischen den Sacculis sich in ziem¬ 
lich starken Bündeln von annähernd prismatischer Gestalt anhäufen. 
Diese Bündel sind am markantesten an den untersten 2—3 Ein¬ 
schnürungen, in den oberen Theilen des Rectums dünner und 
schwächer. Von einem Sphincter tertius oberhalb des 
Sphincter internus hat Verf. nichts nachweisen können. 
„Ausser jener Anhäufung der Kreisfasern an den Seiten des Rectums 
zu dicken Bündeln, welche ich der (Faser- Ref.) Anordnung durch 
das ganze Colon hindurch für analog halte, finde ich nichts vou 
einem dritten Sphincter“. Zum Schlüsse macht Verf. den Vor¬ 
schlag: „dass die an der vorderen und hinteren Wand des Rectums 
befindlichen longitudinalen Muskelfasern Ligamenta recti, anterior 
und posterior, benannt werden; dass die von Houston als „Valves 
of the rectum“, von Kohlrausch als „Plica transversalis recti“, von 
Baur als „Die Falten des Mastdarms“ beschriebenen Scheidefalten 
zwischen den Sacculi von jetzt an Plicae recti und, weil dieselben 
an den Seiten des Rectums liegen, rechte und linke Plicae genannt 
werden; und dass die unterste Plica rechts, die Plica transversalis 
von Kohlrausch, letztere Benennung stets tragen möge, da diese 
Plica die grösste und wichtigste von allen ist und im Allgemeinen den 
tiefsten Punkt anzeigt, den die recto-vesicale Bauchfelltasche erreicht“. 

Verf. behält sich die Beschreibung der Anwendung seiner Unter¬ 
suchungsmethode auf den Lebenden vor, eine gewiss sehr dankens¬ 
werte Aufgabe. 

Die Ausstattung der Monographie ist vortrefflich; speciell sind 
die beigegebenen Tafeln von einer seltenen Deutlichkeit und Schön¬ 
heit. Leider ist die dem englischen Text beigedruckte deutsche 
Uebersetzung recht mässig. Ganz abgesehen von undeutschen 
Worten und Wendungen hält sich die Uebersetzung nicht genau 
genug an das Original, und an zwei Stellen sind sogar kleine Zu¬ 
sätze und Auslassungen eingetreten. Hier und da ist der Sinn nicht 
vollkommen deutlich. Im Ganzen erleidet die schöne Arbeit, auf 
die allseitig die grösste Mühe verwendet worden, durch die Ueber¬ 
setzung entschieden Schaden, und es wäre der versprochenen Fort¬ 
setzung eine bessere Uebertragung nur zu wünschen. 


Stenglein. Mikrophotogramme zum Studium der angewandten 
Naturwissenschaften. 1 . Lieferung. 12 Nummern. 18 Mark. 
Berlin, Paul Parey. Ref. Miller. 

Der Zweck obiger Publication, — für mikroskopische Studien 
Bilder zu schaffen, welche eine vollkommen naturgetreue Repro- 
duction des Objectes darstellen, — bedarf keiner Apologie. Für 
Lehrer dürften die Mikrophotogramme besonders willkommen sein, 
und wird es hoffentlich mit der Zeit möglich sein, sic durch eine 
entsprechende Preisermässigung den Studirenden zugänglich zu 
machen. Die Ausführung ist eine gute, und die auf der Rückseite 
jedes Blattes stehenden Texte und Litteraturangaben dienen als 
nöthige Einleitung zum Studium des Objectes. 

Bei Lepthothrix buccalis und Oidium albicans hätten wir gern 
die neueste Litteratur berücksichtigt gesehen. 

Wir wünschen den Photogrammen eine freundliche Aufnahme. 


Faul Topinard. Anthropologie. Nach der dritten französ. 
Auflage übersetzt von Dr. B. Neuhauss. Lieferung 1—6. Leipzig, 
T. Froberg, 1887. 

Das Werk von Topinard giebt eine gedrängte Uebersicht 
über das ungeheure Gebiet, welches die wenngleich noch junge 
anthropologische Wissenschaft heute umfasst, wie eine solche 
nur ein Mann zu liefern im Stande war, der wie der Autor so 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


275 


5. A priL 

Herr des Gegenstandes ist, den er, wie die Akademie der 
Wissenschaften in Paris anerkannt hat, selbst so ungemein bereichert 
hat. Das Werk giebt die beste Gelegenheit sich mit den haupt¬ 
sächlichsten Grundlagen der Anthropologie vertraut zu machen, und 
bildet für den Laien, wie für den Gelehrten eine Fundgrube des 
werthen Wissen wie der Methoden. Es bildet einen Leitfaden 
für den Anfänger und hat gleichzeitig den Vorzug, ein gediegenes 
und verlässliches Nachschlagewerk zu sein. Dr. Neuhauss hat 
sich mit der Uebersetzung des ausgezeichneten Buches ein grosses 
Verdienst erworben. Die Ausstattung ist eine vortreffliche. 

VII. Ans dem allgemeinen ärztlichen Verein 

in Köln. 

Herr Georg Sticker: Die Diagnostik der chemisohen 
Function des Magens. Redner zeigt, dass von allen Methoden, 
welche der Diagnostik der Magenfunctionen, namentlich der chemi¬ 
schen Function, dienen, dem praktischen Arzt nur die genügen 
kann, bei welcher die Gesammtleistuug des Magens in qualitativer 
und quantitativer Hinsicht zum Ausgangspunkt der Untersuchung 
genommen wird. Von den empfohlenen kann Anspruch auf jenen 
praktischen Werth nur die Riegel’sche machen, deren Princip 
es ist, den Mageninhalt auf der Höhe seiner functionellen Leistung 
nach Darreichung einer an Zusammensetzung und Masse allen An¬ 
forderungen genügenden Mahlzeit zu gewinnen. Die Untersuchung 
des praktischen Arztes darf sich nicht darauf erstrecken, am we¬ 
nigsten damit begnügen, die Secretionsfähigkeit der Magenschleim¬ 
haut an sich und einen chemischen Vorgang der Proteolyse und 
Amylolyse überhaupt zu constatiren, ohne auf die Grösse dieser 
Vorgänge Rücksicht zu nehmen. Er hat vielmehr gerade an erster 
Stelle in . pathologischen Abweichungen das Plus oder Minus im 
Vergleich zu einer mittleren Norm zu ergründen. Deshalb ist 
es ihm z. B. nicht darum zu thun, zu wissen, ob in gewissen Zu¬ 
ständen durch feinere chemische Analysen Salzsäure im Mageninhalt 
nachgewiesen werden kann, sondern er orientirt sich durch gröbere 
Hülfsmittel, ob wie beim Gesunden sich Salzsäure in so grossem 
Ueberschuss 4—5 Stunden nach einem Leube’sehen Probemahle 
im Speisebrei vorfindet, dass die Acidität des Filtrates 0,15 bis 
0,2 % HCl beträgt. Ist dies nicht möglich, dann hat der Arzt das 
Recht zu sagen, hier fehlt Salzsäure; er hat das Recht um so mehr, 
wenn er auch ihre Wirkung vermisst, wenn er also im Ausgeheber¬ 
ten die Eiweissnahrung intact findet und die Speichelwirkung auf 
Kosten der Magensaftthätigkeit fortgeschritten sieht. — Wo der 
Arzt dagegen die Amylolyse behindert findet, worauf das un¬ 
versehrte makroskopische Aussehen der Stärkenabrung hinweist, 
und wo er trotzdem einen genügenden Speichelzufluss zum Magen 
anzunehmen berechtigt ist und zugleich die Acidität des Speise¬ 
breies erhöht sieht, da kann für ihn kein Zweifel bestehen, dass 
ein Plus von Salzsäure abgesondert worden, da er aus der Erfah¬ 
rung weiss, dass organische Säuren im Magen nie in solchem Con- 
centrationsgrad und unter so günstigen Bedingungen sich vorfinden, 
um jene Wirkung hervorzurufen. — — Unter Anführung der ein¬ 
zelnen hierher gehörigen Verdauungsagentien und Verdauungs- 
producte erläutert Redner die bekannten Lehrsätze Riegel’s, wie 
sie aus einer tausendfachen Erfahrung abgeleitet werden. Er weist 
darauf hin, dass alle abweichenden Angaben auf abweichende Me¬ 
thoden zurückzuführen sind, oder auf logischen Irrthümem und 
Missverständnissen beruhen und nur hie und da als wirkliche Aus¬ 
nahmen von der Regel sich herausstellen. — Die „natürliche“ 
Methode Riegel’s, die für den praktischen Arzt den Ausgangs¬ 
punkt seiner Untersuchungen in dunkelen Verdauungsstörungen sein 
soll, hat mit den Experimentalversuchen des Physiologen, der nur 
theoretische Zwecke ira Auge hat, zunächst gar nichts zu thun. — 
Der Arzt soll physiologische Kenntnisse im weitesten Maasse haben, 
aber keine physiologischen Methoden anwenden, die seine prakti¬ 
schen Gesichtspunkte hinausrücken oder verdunkeln. 

VIEL K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 9. März 1888. 

Vorsitzender Herr Breisky. Schriftführer Herr Kolisko. 

1. Herr Weinlechner stellt eine Frau vor, bei der er die rechte Niere 
wegen hochgradiger Pyonephrose entfernt bat. Die 51jährige Frau litt 
seit 10 Jahren an Schmerzen in der rechten Bauchgegend und bemerkte gleich 
nach Eintritt der Schmerzen unter dem Rippenbogen eine Geschwulst, die 
immer tiefer hinunterreichte und ein wechselndes Volum zeigte. In Perioden 
von dreiwöchentlicher Dauer bekam die Kranke Fieber und heftige Schmerzen 
in der Geschwulst, dabei war der Urin klar, und die Geschwulst wurde 
grösser; nach Ablauf der drei Wochen war der Urin mit Eiter gemengt, die 
Geschwulst wurde kleiner, und die Kranke fühlte sich wohler. Diese in den 
ersten 5 Jahren ziemlich seltenen Perioden wurden immer häufiger, so dass 
die Pat. im letzten Jahre nie mehr schmerzfrei war. Als Redner die Pat. 
sab, fand er in der Lumbalgegend eine längliche bis 4 Querfinger von der 
Symphyse reichende, deutlich fluctuirende, am unteren Ende leicht ver¬ 
schiebbare Geschwulst. Er diagnostierrte Pyonephrose und führte am 


18. October 1887 die Nephrectomie nach der extraperitonealen Methode aus. 
Er machte den Schnitt am äusseren Rande des Sacrolumbalis, legte die 
Geschwulst bloss und entfernte durch Punction fast V* 1 Eiter, welcher keinen 
an Harn mahnenden Geruch hatte. Nun wurde die Geschwulst extraperitoneal 
ausgeschält und nach Ligatur des Stieles entfernt. Der erste Verband blieb 
7 Tage liegen, die Wunde heilte per priraam bis auf den unteren Winkel, 
durch den die Jodoformstreifen herausgeleitet waren. Die Harnmenge stieg von 
600 auf 900 ccm und betrug am 20. Tage nach der Operation 1300 ccm täglich. 

2. Herr Hofmokl demonstrirt eine 29jährige Frau, bei welcher er eine 
Darmresectlon wegen Krebs des ansfsteigenden Dickdarats gemacht hat. 
Die Kranke spürte schon seit mehreren Jahren die Bildung einer Geschwulst 
in der rechten oberen Bauchhälfte, die sie jedoch für einen geblähten Darm 
hielt, da sie öfter an Unregelmässigkeit des Stuhles litt. Als die Darm¬ 
beschwerden nicht aufhören wollten, und die Geschwulst immer mehr an 
Volumen zunahm, kam die Kranke in die Abtheilung des Vortragenden 
nier fand man in der oberen Bauchgegend rechts von der Mittellinie eine, 
die Respirationsbewegungen mitmachende Geschwulst. Dieselbe fühlte sich 
als ein ziemlich derber, länglich-rundlicher, circa 10 cm im Durchmesser 
messender Tumor an, dessen Oberfläche einzelne Einkerbungen hatte und 
der ziemlich beweglich war. Die Percussion ergab unmittelbar über dem 
Tumor stark gedämpften Schall, in der unmittelbaren Umgebung des Tumors, 
ebenso gegen die rechte Nierengegend zu war der Schall deutlich gedämpft 
tympanitisch. Die Percussion neben der Wirbelsäule in der Gegend der 
Nieren ergab rechts unmittelbar unter dem Rippenbogen, woselbst die Stelle 
beim Betasten empfindlich war, deutlich hell tympanitischen Percussions¬ 
schall, links an der entsprechenden Stelle war der Schall mehr gedämpft 
tympanitisch. Die Diagnose schwankte zwischen einer degenerirten beweg¬ 
lichen Niere, einem Neoplasma des Netzes oder des Darmes, die letztere 
Diagnose schien am wenigsten wahrscheinlich. Vom 2G. October bis 14. No¬ 
vember, während welcher Zeit die Kranke beobachtet wurde, litt sie häufig 
an Diarrhoe und hatte stets am Abend höhere Temperaturen. Am 14. No¬ 
vember wurde die Operation vorgenommen. Es zeigte sich, dass die grosse 
Beweglichkeit, der Geschwulst durch ein "breites und unverhältnissmässig 
langes Mesocolon sowie durch ebenso lange, neugebildete, pseudoligamentöse 
Stränge bedingt war. Die Geschwulst selbst präsentirte sich als ein circa faust¬ 
grosses längliches, an der Oberfläche unebenes, ziemlich derb sich anfühlendes, 
vom aufsteigenden Dickdarm selbst ausgehendes Neugebilde. Der unterste Theil 
des Coecums und des Proc. vermiformis waren von der Geschwulst frei. 
Das in’s Coecum einmündende Ileum, sowie der über dem Neoplasma liegende 
Antheil des Colon ascendens waren nicht wesentlich ausgedehnt oder sonst 
verändert. Im Mesocolon, sowie im Mesenterium des lleums w'aren keine 
geschwellten Lymphdrüsen zu fühlen. Nach Durchtrennung des zur Ge¬ 
schwulst ziehenden Mesocolon sowie aller anderen Pseudomerabranen wurde 
die Geschwulst emporgehoben und einige Centimeter über der Neubildungs¬ 
grenze resecirt. Da das Jejunum etwas ausgedehnt, und das Colon ascendens 
eher leicht contrahirt erschien, konnten dieselben diesmal direkt ohne Aus¬ 
schneidung eines keilförmigen Darmstückes aus dem breiten Darmende vereinigt 
werden. Dreifache Seidennahtder resecirten Darmpartieen. Dreifache Naht, 
der Bauchwunden. Keine Drainage. Sublimatverband. Das Sublimat wurde 
während der Operation sowie zum Verband als 1:1000 in Combination mit 
7* % Weinsteinsäure verwendet. Der Wundverlauf war ein fast fieberfreier. 
Am 4. Tage erfolgten drei Stuhlentleerungen, welche sowie die weiteren 
täglich spontan entleerten Stühle einen aashaften Geruch hatten. Um die 
abnorme Zersetzung im Darme möglichst zu hindern, wurde versuchsweise 
1,5 Natr. salicyl., in 10 Dosen, davon 3—4 Pulver täglich, verabreicht. 
Schon am 3. Tage nach Gebrauch des Natr. salicyl. verschwand der Geruch 
des Stuhles und derselbe erschien zum ersten Male nah der Operation voll¬ 
kommen geformt. Die Wunde heilte per primam. Die Untersuchung der 
exstirpirten Geschwulst ergab exquisites Adenocarcinom des Darmes, aus¬ 
gehend von der Mucosa des Darmes. 

3. Herr v. Dittel berichtet über folgenden Fall: Eine 24 jährige, angeb¬ 
lich stets gesunde Frau, bekam vor zwei Jahren eine Cystitis, im September 
vorigen Jahres merkte sie zum ersten Male Blut im Urin und zwei Monate 
später machte sie die Wahrnehmung, dass sich eine Geschwulst oberhalb 
des rechten Poupart’sehen Bandes entwickelt habe. Als Pat. am 9. Fe¬ 
bruar d. J. auf die Abtheilung des Vortragenden aufgenomraen wurde, fand 
man folgenden Status: Pat. blass, abgemagert, Brustorgane normal, ebenso 
Leber, in der Gegend der Milz und linken Niere bei tiefem Druck etwas 
Empfindlichkeit, oberhalb des Poupart’schen Bandes war eine über manns- 
faustgrosse Geschwulst vorhanden, welche der Form nach einer etwas 
grösseren Niere entsprach und auf Druck kaum empfindlich war. Der Ham 
war blutig, reagirte sauer und hatte ein specifisches Gewicht von 1013, 
Formelemente fanden sich nicht, Coagula ebenfalls nicht. Die Untersuchung der 
Blase mit der Sonde war nicht besonders schmerzhaft. Redner nahm an, es 
handele sich nm eine veränderte Niere, und nahm auf Drängen der Kranken 
die Operation vor. Doch kaum wurde die fragliche Geschwulst blosgelegt, 
als die Pat. eine schwere Syncope bekam und trotz der einige Stunden fort¬ 
gesetzten Wiederbelebungsversuche starb. Die verbrauchte Chloroformmenge 
betrug kaum 10 g. 

Bei der Section fand Herr Zemann im linken Hypochondrium keine 
Milz, diese war dislocirt, wobei sie dreimal um das Lig. gastro-lienale ge¬ 
dreht war, und bildete den fraglichen Tumor. Ausserdem fand sich eine 
chronische Cysto-pyelo-nephritis mit nahezu vollständiger Zerstörung der 
rechten Niere und amyloide Degeneration der linken Niere, so dass die Pat. 
auch ohne die Operation nicht lange hätte leben können. 

Herr v. Dittel bemerkt schliesslieh, dass ihn die Angabe der Pat., 
sie wäre früher stets gesund gewesen, ferner die Häufigkeit der Nieren¬ 
wanderung und die Lage des Tumors (nach Rokitansky liegt die Wander¬ 
milz links) zur Annahme einer Wanderniere verleitet haben. 

Herr v. Bamberger bemerkt, dass der scharfe Rand, der für die 
Milz charakteristisch ist, allein schon die Diagnose machen lässt. In dem 
von Herrn v. Dittel erwähnten Falle hätte man bei noch so genauer Unter- 


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276 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 15 


suchung keine Wandermilz diagnosticiren können, und selbst das anatomische 
Präparat sieht wie eine Niere aus. 

3. Herr Zemann demonstrirt Präparate von 2 Fällen von Melanosarcom. 
In dem einen Falle war die primäre Geschwulst im Bulbus, im zweiten han¬ 
delte es sich um einen primären Naevus, ln beiden Fällen waren zahlreiche 
Pigmentgeschwülste in den inneren Organen und in den Kuochen. 

Herr Z emann zeigt ferner ein Präparat von acuter infectiöser Pharyn¬ 
gitis und bemerkt, dass diese von Senator als Neuheit beschriebene Krank¬ 
heit bereits früher bekannt gewesen sei. 

Herr Schrötter hat sogar in seinem Werke über Kehlkopfkrankheiten 
einen solchen Fall beschrieben und in vivo diagnosticirt. M. 


IX. Der dritte französische Chirurgencongress 

fand vom 12.—17. März 1888 unter dem Vorsitz von Verneuil statt. Auf 
demselben wurden einerseits grössere, vorher bestimmte Fragen verhandelt 
und andererseits kleinere Mittheilungen gemacht. Das Wesentliche dieser 
Verhandlungen soll hier nach den Berichten der Semaine medicale und des 
Bulletin medical kurz wiedergegeben werden. 

Eine längere Discussion fand zunächst über die Frage der Radical- 
operation der Hernien und die Leistungsfähigkeit derselben für wirklich 
definitive Heilung statt. 

So ein aus Basel hielt den einleitenden Vortrag, in welchem er aus¬ 
führte, dass er bis jetzt die Operation 75 mal bei freien, 85 mal bei iucar- 
cerirten Hernien gemacht habe, mit 2 Todesfällen der ersten und 11 der 
zweiten Kategorie; 133 der Fälle konnte er später Wiedersehen und eonsta- 
tiren, dass bei 83 vollständige Heilung eingetreten sei. Je jünger die Pa¬ 
tienten und je kleiner die Hernien sind, um so besser sind auch die Resul¬ 
tate: von Leuten unter 25 Jahren hatte er 62%, bei älteren nur 42% 
definitive Resultate, d. h. solche, bei denen das weitere Tragen eines Bruch¬ 
bandes nicht mehr nöthig war. 

Sorgfältige Antisepsis mache die Operation fast absolut gefahrlos; bei 
dieser selbst müsse man den Sack über dem Halse abschneiden; die Naht 
der Leistenpfeiler sei nur ausnahmsweise nöthig; einige Schwierigkeiten 
böten zuweilen die congenitalen Hernien; der untere Theil des Sackes müsse 
zur Deckung des Hodens conservirt werden, welcher letztere nur bei Ver¬ 
lagerung und Atrophie entfernt werden müsse. 

Thiriar, Routier, Molliere, welcher letztere sich durch Autopsie 
in einem Falle von der vollständigen Heilung überzeugen konnte, stimmen 
mit Socin im Ganzen überein. Trelat bemängelt den Ausdruck „Radical- 
operation“, da doch nur in 40% der Fälle das erstrebte Ziel erreicht 
werde. Lucas-Championniere meint, dass man in der 6. Woche nach 
der Operation mit Sicherheit sagen könne, ob sie eine radicale sei oder 
nicht; bei grossen Bruchpforten müsse auch später eine Pelotte ge¬ 
tragen werden. Dieselbe sei aber ein nothwendiges Uebel, da sie die 
Narbe zur Atrophie bringe und ihre Widerstandsfähigkeit herabsetze. Ebenso 
sind Segond, Richelot und Andere des Lobes über die Operation voll. 
Namentlich der letztere betont, dass er 150 Fälle ohne Todesfall operirt habe. 
Die Operationen bei freier Hernie erforderten durchaus eine ganz geson¬ 
derte Besprechung und dürften nicht mit der Radicalcur bei eingeklemmten 
Brüchen zusammengeworfen werden. Die ersteren seien in drei Kategorieen 
zu trennen: in Operationen bei einfachen Hernien, ferner bei complicirten 
und endlich bei Hernien an Greisen und kachectischen Personen. — Der 
deutsche Leser wird in diesen Verhandlungen kaum etwas Neues finden; 
nur wird er sich wundern die sogenannte .Methode von Lucas-Cham¬ 
pionniere“ fast von allen Rednern gelobt und hervorgehoben zu finden, 
da diese Methode nichts Neues ist, sondern von den deutschen Operateuren, 
welche die Radicalcur inaugurirten, herstammt. Der deutschen grundlegen¬ 
den Arbeiten auf diesem Gebiete geschieht aber mit keinem Worte Er¬ 
wähnung. 

Eine weitere Reihe von Vorträgen beschäftigte sich mit der operativen 
Behandlung der chronischen offenen Empyeme, welche consequent als 
.Operation von Letievant oder Estländer“ bezeichnet wird. Nach 
einigen einleitenden Worten von Le Fort bemerkt Thiriar, dass er die 
subperiostale Rippenresection zur Heilung von Pleuraeiterungen an 13 
Patienten ausgeführt habe; bei 2 Kranken mussten zu wiederholten Malen 
grosse Stücke von 5—6 Rippen entfernt werden (Heilung), in einem Falle 
resecirte er fast die ganze vordere und seitliche Thorax wand (nach Schede) 
mit Ausnahme der Haut. Von den 10 Geheilten wurden 7 nur ein Mal 
operirt. Wiederholte Injectionen in die Pleurahöhle vermeidet er; begün¬ 
stigt aber die Einziehung der Haut durch elastische Einwickelung. Boeckel 
hat unter 12 Fällen 9 Heilungen zu verzeichnen. Ein Patient starb in 
Folge von Albutdinurie, die beiden anderen an Tuberculose, durch welche 
auch das Empyem erzeugt worden war. Er warnt daher vor solchen Resec- 
tionen bei Tuberculösen (!!). Die Heilungen bleiben im UeBrigen nur dann 
aus, wenn man die Resection der Rippen nicht ausgedehnt genug mache. 

Wenn die Pleura sehr verdickt ist, resecirt er sie in gehöriger Aus¬ 
dehnung. 

Delorme meint, dass die Misserfolge öfters darin zu suchen 
sind, dass die Höhle zu tief ist; denn selbst bei Resection langer Rippen¬ 
stücke sinkt die Brustwand höchstens 3 cm tief ein; liege die geschrumpfte 
Lunge aber weiter zurück, so könne sie von der mobil gemachten Wand 
doch nicht erreicht werden. Hier müssten auch die Weichtheile resecirt 
und die Haut nöthigenfalls mit Catgut in der Tiefe angenäht werden. Zu¬ 
weilen sei es auch nöthig, die ganze Höhle mit dem scharfen Löffel auszu¬ 
schaben. Der Verlust selbst beinahe der ganzen einen Hälfte des knöchernen 
Thorax bringe keinen Nachtheil, falls nur die andere Lunge gesund und 
im Uebrigen die Patienten noch kräftig seien. Gerade die lange Eiterung, 
um deretwillen die Operation sehr nothwendig sei, schwäche aber den 
Körper sehr und veranlasse oft den Tod. Vieusse, Bonilly, Berger 
sind zu ähnlichen Resultaten gekommen. Letzterer schildert einen besonders 
schweren Fall bei einem Erwachsenen, dessen Empyem bereits 12 Jahre 


bestanden hatte und mit einer Bronchialfistel verbunden war. Trotz aus¬ 
gedehnter Rippenresection liess sich die Operation nicht genügend vollenden 
und einige Stunden später starb der Kranke. Bei der Section fand sich 
die Lunge ganz geschrumpft, die andere aber gesund und glaubt Berger 
keine andere Ursache des Todes annehmen zu müssen, als den Ausfall der 
mechanischen Stütze, welche die resecirten Rippen ( 7., 8. und 9.) dem 

Thorax gewährten. Nur jüngere Personen könnten solche und noch aus¬ 
gedehntere Resectionen überstehen. Kirmisson macht auf die Schwierig¬ 
keiten einer definitiven Heilung in den Fällen aufmerksam, wo die Höhle 
sich in der Höhe der Lungenspitze befinde; in solchen bleibe meist eine 
Fistel zurück. Es ist aber schon ein Gewinn, wenn die permanent eiternde 
Fläche wesentlich verkleinert wird. Olli er und Lev rat empfehlen, bei 
jungen Leuten das Periost der Rippen zu zerstören, damit im Laufe der 
Heilung nicht unliebsame Knochenneubildung eintrete. 

Duret oporirte eiu 4jähriges Kind, welches durch eine 18 Monate 
bestehende und viel Eiter absonderude Fistel schon sehr geschwächt war. 
Er resecirte von 5 Rippen 10—14 cm lange Stücke und erzielte nicht 
allein vortreffliche Heilung, sondern konnte später auch eine Wiederaus¬ 
dehnung der Lunge constatiren. — Endlich berichtet Lannelongue über 
die Resection des unteren Thoraxrandes, weiche zuweilen bei sub¬ 
phrenischen Abscesseu iudicirt erscheint, aber auch für andere Affectionen 
der oberen Leberfläche in Erwägung zu ziehen ist. Ein 12jähriger Knabe 
erkrankte zunächst mit den Erscheinungen einer tuberculösen Perityphlitis; 
diese verloren sich, um später einer Eiterausammlung über der Leber Platz 
zu machen, welche das rechte Hypochondrium vorwölbte. Nach voraus- 
gemachter Punktion incidirte L. den siebenten lntercostalraum und con- 
statirte mit dem eingeführten Finger, dass der Abscess mit dem unteren 
Rippenraud zusammenhiug. Bei llerauszieheu des Fingers trennten sich 
Rippen und Diaphragma unter lautem Einströmen von Luft. Nun wurde 
am unteren Rippenraud mit dem Thermocauter ein 9—10 cm langer Einschnitt 
gemacht bis zur unteren Grenze des Abscesses. Jetzt wurden durch einen 
von der Probeincision senkrecht herabsteigeuden Schnitt zwei Lappen ge¬ 
bildet und endlich die ganze Rippenwand in der Ausdehnung des Abscesses 
resecirt. Vorn wurden die Knorpel der sechsten und siebenten Rippe 
durchschnitten, hinten die Wand bis zur sechsten Rippe; der untere gelöste 
Rand war 8 cm lang. Das ganze Stück war dreieckig. Die Blutuug aus 
den lntercostalarterieu liess sich leicht stillen. Die Lungenfistel schloss 
sich bald und das Kind befindet sich in Recouvalesrenz. (War denn diese 
Resection nothwendig; konnte man nicht am Rippenrand einschneiden: das 
Peritoneum ablösen und auf solche einfachere Weise den Abscess öffnen? Ref.). 

Die Frage nach den Recidiven operirter Neoplasmen ihrer 
Ursache und Verhütung gab einer Reihe von Rednern Gelegenheit, ihre 
Erfahrungen mitzutheilen, welche indessen nur bereits Bekanntes enthalten 
und weniger au dem Uebelstand leiden, dass die Neoplasmen der ver¬ 
schiedensten Körperregioneu in die Debatte gezogen wurden, als dass nicht 
selten Carcinome, Sarcome etc., also Tumoren verschiedener Dignität, zu¬ 
sammengeworfen werden. Wenn Cazin auch "unter einer grossen Reihe 
von Mammacarcinomen und Poncet bei Carcinomen der Haut einige wenige 
dauernde Heilungen verzeichnen konnten, so war man doch darin einig, dass trotz 
frühzeitiger Operation, trotz radicalster Eingriffe mit regelmässiger Exstirpation 
der regionären Lymphdrüsen (auch wenn sie nicht afficirt scheinen) Recidive nur 
selten ausbleibeu, dass, sie oft noch nach 2 —3 Jahren oder noch später 
eintreten. Dasselbe konnte auch Richelot für die Uteruscarcinome bestäti¬ 
gen, wobei er für jedesmalige Totalexstirpation des Uterus plaidirte; wenn 
man auch die eben erst an der Portio beginnenden so operire, so werde 
man bessere Resultate haben und mindestens ebenso gute, wie sie Hof¬ 
meier für die supravaginale Amputation ausrechne. Mache man die Total- 
extirpation nur bei schweren Fällen, so seien die schlechten Resultate nur 
zu erklärlich. Verneuil redet einer consequenten Allgemeinbehandlung, für 
deren Güte und zu deren Begründung er aber etwas Beweisendes nicht vor¬ 
bringt, das Wort; sie soll darin bestehen, dass mau den Patienten täglich 
3 mg Arsenik giebt, sie Abends etwas Magnesia in einem Glase kalten Wassers 
nehmen und überhaupt eine mehr vegetarianische Lebensweise führen lässt. 
Labbe endlich empfiehlt wiederum den Cöndurangowein und giebt in Be¬ 
treff der örtlichen Behandlung kleiner Epitheliome des Gesichts der alten 
Paste von frere Cöme den Vorzug vor der Excision. 

Bei Besprechung der Technik der Hysterectomia vaginalis erklärt 
sich Demons gegen die neuerdings von Richelot empfohlenen Compres- 
sionszangen; sie seien zunächst schwer anzulegeu, wenn sich der Uterus 
nicht herunterziehen lasse, ferner könne man die Ureteren comprimiren, wie 
es ihm selbst, Richelot und Lannelongue passirt sei, auch den Darm 
quetschen; nicht immer sei die Blutstillung ganz sicher und die Gangrän 
der abgequetschteu Gewebetheile nicht ganz gleichgültig. Die Resection der 
Vagina könne er ebenfalls nicht empfehlen, da die Recidive doch meist in 
den Lig. latis aufträten. Pean reclamirt die Idee des „Pincement tempo- 
raire“ für sich und hat mit demselben ebenso gute Resultate wie mit der 
Ligatur erzielt. Terrier spricht sich für die Richelot’sche Methode aus: 
die vaginale Hysterectomie sei eine ernste Operation, da sie 20 % Mortalität 
aufweise, die Totalexstirpation in jedem Falle vorzuziehen; Recidive traten 
in 70% der Fälle ein; Heilung ist möglich in 3U% nach seinen Erfah¬ 
rungen. Richelot vertheidigt sein Vorgehen, indem er nachweist, dass die 
Blutstillung ganz sicher erreicht sei, wenn man die Klammern erst nach 
zweimal 24 Stunden abnimmt; das Fassen des Ureters komme jedenfalls 
seltener vor, als bei der Ligatur, und eine grosse Erleichterung der Ope¬ 
ration werde damit ohne Zweifel erzielt, was auch von deutschen Operateuren 
bestätigt sei. Pozzi bespricht die lndicationen und Contraindicationen der 
Hysterectomie. 

Terrillon theilt seine Erfahrungen über 60 abdominelle Amputationen 
des Uterus wegen fibromatöser Erkrankung mit. Er giebt der extraab¬ 
dominalen Stilbehandlung den Vorzug und hat damit gute Resultate erzielt, 
obgleich er nur- in schweren Fällen operirt; die leichteren, deren er eben¬ 
falls 60 erwähnt, Wurden theils mit Castration (nach Battey) behandelt, 


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5. April. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 277 


theils mit Ergotin, Salzbädern etc. und auch diese Methoden haben sich 
ihm bei richtiger Auswahl der Fälle meist gut bewährt. 

Mit Uebergehung einiger casuistischer Mittheilungen sei noch eines 
Vortrages von Guyon gedacht über die chirurgische Behandlung der 
Blasentuberculose, welcher eine Erweiterung unserer bisherigen Kennt¬ 
nisse in sofern bringt, als es ihm in 2 Fällen gelang, Heilung zu erzielen. 
Es handelte sich um erwachsene Männer, deren Urin von Tuberkelbaciilen 
wimmelte. Guyon machte die Sectio alta, erweiterte den Blasenhals und 
applicirte im ersten Falle Jodoformöl, wonach in 17 Tagen völlige Genesung 
erfolgte. Im zweiten Falle reinigte er die tuberculösen Geschwüre der 
Blasenschleimhaut mit dem scharfen Löffel und applicirte ein Glüheisen. 
Die Heilung trat hier soweit ein, dass die Bacillen aus dem Urin ver¬ 
schwanden, während allerdings ein geringer Blasenkatarrh noch zurückge¬ 
blieben ist. 

Zu ausführlichen Vorträgen gab die Behandlung der Schuss¬ 
verletzungen der Eingeweidehöhlen des Körpers Veranlassung. 
Ueber diese, sowie über zahlreiche kleinere Beiträge aus den verschieden¬ 
sten Gebieten der Chirurgie soll späterhin Bericht erstattet werden. 

_ A. Bidder. 

X. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die Cholera in Chile. 

Von Dr. phil. H. Polakowsky. 

Der chilenische Gesundheitsrath (Präs. Dr. Georg Asta-Buruaga) 
ersuchte die Vorstände der Krankenhäuser von Santiago und andere Aerzte, 
welche sich speciell mit der Behandlung von Cholerakranken beschäftigt 
hatten, um die Erfahrungen, welche dieselben während der letzten Cholera¬ 
epidemie (December 1886 bis Mai 1887) mit den verschiedenen Behandlungs¬ 
arten der Krankheit gemacht haben. Diese Berichte sind Mitte 1887 ge¬ 
druckt worden. *) Sie sollen in erster Linie den Aerzten in den Provinzen 
der Republik nützen, dieselben über die in der Hauptstadt gemachten Er¬ 
fahrungen informiren und ihnen die besten Methoden zur Bekämpfung dieser 
Seuche an die Hand geben. Wie nothwendig derartige Maassregeln sind, 
beweist die Thatsache, dass die Cholera asiatica von Neuem und zwar (Ende 
August 1887) im südlichen Theile des Landes, in Concepcion, aufgetreten 
ist. Neuere Daten über den Verlauf dieser zweiten Epidemie fehlen mir 
bis zur Stunde noch. 

Ehe ich auf die an den Gesundheitsrath gerichteten Berichte eingehe, 
wiU ich in grossen Zügen die Geschichte der Epidemie geben. — Die 
Cholera asiatica wurde in Buenos Aires im October 1886 durch ein italienisches 
Schiff eingeschleppt. Bald tauchte dieselbe auch in Rosario auf. Die 
argentinische Regierung Hess um beide Städte Sanitätscordons durch 
Militär ziehen. Auch andere, seuchefreie Städte im Centrum der Argentina 
errichteten Militärcordons, welche mit grosser Strenge ihres Amtes walteten. 
Als die Regierung sah, dass die Cholera trotz des Cordons ausserhalb 
Rosario und Buenos Aires auftrat, Hess sie alle Cordons im Lande auf- 
heben und schickte Truppen zur Vollstreckung dieses Befehles aus. Diese 
Truppen brachten die Cholera nach Mendoza, und von hier kam dieselbe 
Ende December 1886 über den Uspallata-Pass nack Chile, in das Thal des 
Rio Aconcagua. 

Sobald die Nachricht vom Auftreten der Cholera in Buenos Aires nach 
Chile kam, decretirte die Regierung die Sperrung der Häfen für alle Schiffe, 
welche Montevideo oder argentinische Häfen berührt hatten. Dasselbe that 
Peru, und bald folgten alle Staaten der Westküste Amerika’s. Auch die 
wichtigsten der zahlreichen Pässe über die Anden Hess Chile militärisch 
besetzen. Diese Wachen (Nationalgarden) müssen ihren Dienst schlecht 
versehen haben, da es einem Viehtreiber aus Argentinien gelang, über den 
Hauptpass von Uspallata einzudringen. Derselbe soll Kleidungsstücke von 
an der Cholera Gestorbenen mitgeführt haben. Am 25. December 1886 
erkrankte der Tags zuvor angekommene Viehtreiber und 2 andere Personen 
im Grenzdorfe Villa Maria (1000 E.) bei San Felipe (1200 E.) an Brechruhr. 
Am 26. starb der Argentiner, die beiden anderen Patienten genasen. Da die 
Bewohner von Villa Maria des Festes wegen nur an Trinken und Tanzen 
dachten, achteten sie auf diese Erkrankungen nicht. Aber bereits am 
27. erkrankten 8 Personen in Villa Maria und in San Felipe, und bald 
starben 20—50 pro Tag in beiden Orten. Langsam breitete sich die Seuche 
zu Anfang des Januar im Aconcaguathale aus. Jetzt Hess die Regierung 
durch reguläres Militär einep Cordon ziehen, durch welchen die Provinz 
Aconcagua von den südlichen Provinzen abgesperrt wurde. Es erkrankten 
und starben in der Provinz Aconcagua fast nur ärmere Leute, welche die 
hygienischen Vorschriften der Aerzte und Behörden: nur abgekochtes 
Wasser zu trinken, kein Obst zu essen, Wohnungen, Höfe, Aborte und 
Kleider sorgfältig zu desinficiren, nicht respectiren konnten oder wollten. 

In Folge des Cordons kam der erste Cholerafall in einer Vorstadt 
Santiago’s erst am 25. Januar vor. Bereits am 27. Januar waren 100 Er¬ 
krankungen und 7 Todesfälle in und um Santiago constatirt. Bis zum 
17. Januar waren (nach einem Briefe von Dr. C. Martin) im ganzen Lande 
1296 Personen erkrankt, 625 gestorben und 259 geheilt. 

In den Monaten Januar und Februar wütbete die Seuche in den 
Provinzen Aconcagua, Santiago und Valparaiso. Die grossen chilenischen 
Zeitungen brachten täglich Berichte über die Anzahl der Erkrankungen 
und Todesfälle in den verschiedenen Ortschaften und Lazarethen, es fehlen 
aber bis dato noch zuverlässige Angaben über die Gesammtzahl der Opfer. 
In einem Consulatsberichte wird die Anzahl derselben bis Mitte März auf 
mindestens 5000 angegeben. — Am 25. Januar wurde der erste Fall in 
Santiago constatirt, am 2. Februar starben bereits 60, am 11. Februar 136 
Menschen an der Cholera asiatica in Santiago; am 26, Februar nur noch 53. — 

l ) Informe de los medicos de lazaretos sobre el tratamiento del 
Cölera asiatico pres. & la Junta de salubridad. — Santiago de Ch. 1887. 
(Impr. Nacion.) 


Vom 24. Januar bis 26. Februar starben in der Hauptstadt in Summa 
2200 *) (Offic. Statist). Sehr gering war die Anzahl der Todesfälle in 
Valparaiso, wo die Krankheit erst Mitte Februar auftrat. Ende März war 
die Seuche in Aconcagua und Santiago fast erloschen, dagegen griff sie — 
wenn auch nicht mit so grosser Heftigkeit — in den weiter südlich be- 
legeDen Provinzen um sich. 

Ich komme jetzt zu der an den Gesundheitsrath Chile’s gerichteten 
.Denkschrift. Der erste, grösste Bericht datirt vom 19. März 1887 und ist 
unterzeichnet von den Herren Cornelio Guzman, Chefarzt des West- 
Hospitales, Max Franc. Aguirre, Chefarzt des Ost-Hospitales, Franc. 
Aguirre, Chefarzt des Süd - Hospitales, Aurel. Oyarzun, ehern. Chef¬ 
arzt der Hospitäler von San Felipe und Octavio Echegöyen, Chefarzt 
der Dispensiranstalten Santiago’s. — Der erste Abschnitt des Berichtes han¬ 
delt von den Lazarethen und Hospitälern selbst und wendet sich zunächst 
gegen einen Theil der politischen Presse Chile’s, welche die Nützlichkeit der 
Cholerahospitäler an sich bezweifelt oder verneint und dadurch die Anti¬ 
pathie der unwissenden Bevölkerung gegen diese Institute vergrössert habe. 
Der Bericht spricht sich dahin aus, dass, bei dem raschen Verlaufe der 
Cholera, diese wie keine andere Krankheit, die stete Hülfe des Arztes er¬ 
fordere. Auch fordert gerade diese Krankheit ein grosses, geübtes Personal 
von Krankenwärtern, zahlreiche Utensilien und Apparate, welche nur in 
Lazarethen geboten werden können. 

Hierzu kommen die speciellen Verhältnisse der ärmeren Classen in 
Chile. Die Leute wohnen in engen Räumen, ganze Familien (mit meist 4 
bis 8 Kindern) gewöhnlich in einem Zimmer mit oft nur einem oder keinem 
Bette. Daher erklärt sich auch die Heftigkeit, mit welcher die Seuche in 
Santiago und an verschiedenen anderen Orten auftrat. — Trotzdem war die 
Antipathie des Volkes gegen die Choleralazarethe so gross, dass gewöhnlich 
nur solche Patienten in dieselben geschickt wurden, welche schon im letzteu 
Stadium der Krankheit, oft in der Agonie waren. 

Was die Art der Lazaretbe selbst betrifft, so sprechen sich die Bericht¬ 
erstatter einstimmig für die Anlage von mehreren kleinen Lazarethen (50 
bis 60 Betten) und gegen die Errichtung weniger grossor von 300 und mehr 
Betten aus. Es werde so ein langer Transport, welcher für den Cholera¬ 
kranken sehr gefährlich, vermieden. Man legte deshalb in Aconcagua zahl¬ 
reiche, immer 2 Leguas (ä 5 km) von einander entfernte kleine Hospitäler 
an. In jedem Lazareth muss ein Beobachtungszimmer, möglichst von den 
Krankenzimmern der Cholerakranken getrennt, und ein ähnlich placirtes Zimmer 
für die Reconvalescenten vorhanden sein. Ein Lazareth mit 60 Betten er¬ 
forderte die Thätigkeit von 6 Aerzten, 6 Studenten der Medicin (Hilfsärzte), 
6 Praktikanten und 24 Krankenwärtern und Dienern. Je 2 Aerzte (mit 2 
Hilfsärzten, 2 Praktikanten etc.) waren immer im Lazareth und lösten sich 
alle 8 Stunden ab. 

Während der Dienststunden trug das ganze Personal lange Schürzen 
mit Aermeln und Kragen. Als Waschwasser für Hände, Stiefel, Kleider 
wurde eine Sublimatlösung (1:1000) gebraucht. Im Esszimmer wurde das 
Essgeräth und Geschirr vor dem Gebrauche durch Alkoholflammen gezogen, das 
Brod geröstet. Nur solche Mitglieder des Lazarethpersonales, welche gegen 
diese äusserste Vorsicht gefehlt haben, sind erkrankt. — Die geheilten Pa¬ 
tienten wurden vor ihrer Entlassung mit einer warmen Sublimatlösung 
(1:1000) abgerieben und dann mit in derselben Lösung gewaschenen Klei¬ 
dern bekleidet. Asphaltfussboden hat sich nicht bewährt, da derselbe sehr 
porös und kalt ist. Man hat daher die Krankensäle mit getheerten Fichten¬ 
bohlen, deren gefalzte Ränder ineinander greifen, gedielt. Diese Dielen 
wurden alle Tage mit einer starken Lösung von Kupfervitriol oder mit Kali 
hypermang. (1:1000) gewaschen. Bei der Räumung eines Lazareths wurden 
alle Theile desselben durch schwefelige Säure, deren Einwirkung 24 Stunden 
dauerte, desinficirt. 

Der Bericht spricht sich im Allgemeinen gegen die Sanitätscordohs 
und gegen die Quarantäne aus und erkennt diesen Maassregeln nur Werth 
zu, wenn es sich um Absperrung eines kleinen Gebietes handelt (wie bei 
dem von S. Felipe und Villa Maria), und wenn man Zeit gewinnen will, um 
in den angrenzenden Gebieten Vorkehrungen zur Bekämpfung der Seuche 
zu ergreifen. Dass die Beschaffenheit des Trinkwassers von der grössten 
Bedeutung ist, hat sich auch in Santiago gezeigt. Stadttheile, wo die Be¬ 
wohner ihr Trinkwasser dem Flusse unterhalb der Stadt entnahmen, haben 
am schwersten gelitten. Behörden und Zeitungen wurden nicht müde, die 
Leute zu ermahnen, nur abgekochtes Wasser zu trinken. Dass die in Chile 
beobachtete Cholera die wahre Asiatica gewesen, haben nicht nur die 
Symptome und der Verlauf der Krankheit, sondern auch die auf der Univer¬ 
sität wiederholt durchgeführten Culturen des Bacillus, den Auswürfeu der 
Kranken entnommen, erwiesen. 

Der Bericht geht nach dieser Einleitung specieller auf die Behandlung 
der Kranken über. Erste Periode: Diarrhoea praemonitoria. Leider kamen 
nur wenige Patienten in dieser Periode der Krankheit, in welcher dieselbe 
geheilt werden kann, in die Lazarethe. Aber die Aerzte der Dispensir¬ 
anstalten, in denen die Patienten gratis untersucht wurden und Arzneien erhiel¬ 
ten, hatten Gelegenheit viele dieser Fälle zu beobachten. Bei 90 °/o aller Fälle 
begann die Krankheit mit Diarrhoea praemonitoria. Zeigten sich die Ver¬ 
dauungswege überfüllt, so wurden dem Patienten 30—50 cg Colomel und 
eine Stunde darauf 25—30 g 01. Ricini gegeben. Diese Behandlung hat 
sich gut bewährt. 

Litt der Patient nicht an überfülltem Magen, oder hielt die Diarrhoe 
trotz der Wirkung des gen. Laxans an, so gab man demselben stimu- 
lirende und erwärmende Getränke mit Cognac oder Rum oder z. B. folgenden 
Trank : Rp. Inf. (oder Aq.) Menth, pip. 120,0 

Tinct. Opü croc. 3,0 

Acid. hydrochlor. gtt 3 

Glycerini 30,0 


') Bis zum 1. April = 2873. Au diesem Tage starben in Santiago und 
Valparaiso zusammen 6 Personen an der Cholera» 


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278 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 14 


MDS. Esslöffelweise. Daneben wurde Salzsäure-Limonade in grossen 
Quantitäten gereicht. Dauerte die Diarrhoe auch jetzt noch fort, so wurden 
warme Bäder und die Enteroclysis von Cantani, nach den Angaben von 
Semmola und Winternitz und der Praxis der italienischen Schule au¬ 
gewendet. ') — Die Bäder waren senfhaltig, hatten eine Temperatur von 
39—40° C und dauerten 10—15 Minuten. Der Kranke wurde gut abge¬ 
rieben und in warme Tücher gewickelt zu Bett gebracht. Diese Behand¬ 
lung hat bis zu diesem Stadium der Krankheit sehr gute Erfolge ergeben.- 
Dagegen hat die Anwendung von warmen Bädern im Stadium algidum oder 
in der Asphyxie stets geschadet, den Tod beschleunigt. Ueber die Entero¬ 
clysis und die Erfolge derselben wird an anderer Stelle gehandelt. Strengste 
Diät wurde in dieser Periode stets beobachtet. 

Zweite Periode. (Typisches Erbrechen und Diarrhoe, Krämpfe etc.). 
Gegen die Diarrhoe wurde die Enteroclysis, alle 3—4 Stunden wiederholt, 
angewendet. Es wurden, je nach der Stärke des Patienten, 3—5 1 einer 
Tanninlösung von 5 g per Liter und von einer Temperatur von 38—40 0 C 
eingespritzt. Gewöhnlich hörte die Diarrhoe nach 2 oder 8 derartigen 
Klystieren auf. In den wenigen Fällen wo dies nicht geschah, wurde eine 
Einspritzung von Ergotin, Dusart oder Ivon mit einigem Erfolge in An¬ 
wendung gebracht. Zuweilen gingen schon hier hartnäckige Diarrhöen in 
blutige über, was stets ein schlimmes Zeichen war. 

Das einzige Mittel, welches in diesem Falle einigen Erfolg zeigte, waren 
Injectionen von Ergotin und Dusart oder Ivon und die Enteroclysis (bei 40°) 
mit Maceration (1 Std.) von 2 g Rad. Ipecac. auf 1 Liter. Die Autopsie 
der blutige Diarrhoe zeigenden Cholerakranken ergab Geschwüre und sehr 
lebhafte Congestionen im aufsteigenden Grimmdarme und im Blinddärme. 
Charakteristisch für die chilenische Epidemie war die Häufigkeit dieser 
Variation der Cholera in gewissen Bezirken. — Gegen die Krämpfe wurden 
trockene Abreibungen und Senfteig mit Terebinth. und in schweren Fällen 
Eis-Abreibungen verordnet. Gegen das Erbrechen wurden Eisstückchen und 
in Eis gestellter Champagner oder Potio Riveri gegeben. Auch Tinct. Jodi 
in einem kleinen Glase Wasser öfter gereicht, erzielte gute Erfolge. Gegen 
das anrückende Stadium algidum wurden subcutane Injectionen von Aether cam- 
phorat. (0,1 auf 1,0 g), oder Coffein (15—25 cg) verordnet. Auch 
zu trockenen Abreibungen, Terebinth. mit Senfteig, Wärmflaschen und 
heissen Luftbädern nahm man seine Zuflucht, um die so gefährliche Kälte- 
starre zu verhindern. Auch in dieser Periode wurde strengste Diät befolgt. 
Höchstens wurde eiweisshaltiges Wasser gereicht. 

Dritte Periode. (Stadium algidum, Asphyxie). Innerlich wurde gewöhn¬ 
lich gegeben: Rp. Aq. Cinnamoni. 500,0 

Spir. aether. ... .... 10,0 

Tinct. Mosch i. 5,0 

Syr. Menthae.40,0 

MDS. halbstündlich einen Esslöffel voll. — Dauerte das Erbrechen 
fort, oder stellte es sich nach dieser Arznei wieder ein, so wurde Kaffee 
mit Eis oder Ingluvinum (0,5—1,0 g) in einem Esslöffel voll Eiswasser 
gegeben. Dieses Medicament hob das Erbrechen oft auf oder unterbrach 
es wenigstens für 1—2 Stunden, wenn sich alle anderen Mittel als wirkungs¬ 
los erwiesen hatten. Die Dosis kann 3—4 Mal in Zwischenpausen von 
1 Stunde erneuert werden. — Die Enteroclysis wurde als Stimulans und 
um die typhöse Complication im weiteren Verlaufe der Krankheit zu ver¬ 
meiden öfter und zwar mit gutem Erfolge, wie die specielle Statistik der 
Lazarethe beweisen wird, angewendet. Subcutane Injectionen von Aether 
camphor. und Coffein, citric. (höchstens 1 g pro die in Dosen von 0,15 
bis 0,25 g) wurden in jedem Zeiträume dieser Periode angewendet. 

Als wichtigstes Heilmittel wurde die Hypodermoclysis benutzt. Es 
wurden 500 — 2000 g je nach den Umständen und besonders nach dem 
Zustande des Pulses eingespritzt. Gleich nach der Einspritzung wurde ge¬ 
wöhnlich das Erscheinen des Pulsschlages und eine Steigerung der Tempe¬ 
ratur bemerkt, welche einige Stunden anhielt. Zur Einspritzung wurden 


benutzt: Rp. Natr. chlorat.4,0 

Natr. sulfur.3,0 

Aquae destill. I Liter 

oder: Rp. Natr. subsulfur.3,0 

Natr. carbon. neutr.3,0 

Natr. chlorat.4,0 

Aqiiae destill. 1 Liter. 


War auch die Hypodermoclysis wirkungslos, hielt das Stad, algidum 
an und begann die Asphyxie, so wurde zur Peritoneoclysis geschritten, 
welche einige Patienten gerettet und anderen das Leben verlängert hat. Die 
Absorption ist hier viel schneller als bei der Hypodermoclysis, auch hält die 
Reaction länger (4 Stunden) an und tritt Transpiration ein. Zu dieser 
Operation ist erst zu schreiten, wenn der Puls in der Arteria radialis nicht 
mehr zu fühlen, die Temperatur aber normal ist. Bei günstigerer Sachlage 
wurde zur Hypodermoclysis als einer weniger gefährlichen Operation geschritten. 

Diese Operation, welche vorher nie in Chile und — nach An¬ 
sicht der Unterzeichner des Berichtes — auch nicht in Europa ausge- 
fübrt wurde,*) erzeugte in keinem Falle die übelen Folgen (grosse 
lokale Schmerzen und starke Entzündung), welche man erwarten sollte. Es 
stellte sich höchstens eine etwas erhöhte Sensibilität und eine kleine Tym- 
panitis, aber mit einer Temperatur von nicht über 37,0 ein. Der Arzt muss 
den Puls bei dieser Operation in der Hand haben, und wenn sich die Wir¬ 
kung der Einspritzung vom ersten Augenblicke an bemerkbar macht, dürfen 
nicht mehr als 500 g, besonders bei jungen und kräftigen Individuen, 
eingeführt werden. Bleibt aber der Pulsschlag aus, so können bis 1000 g 
injicirt werden. Trat der Puls trotz Wiederholung der Operation nicht 
ein, so starb der Patient stets bald darauf. 


') Patienten in diesem Stadium fanden sich in den Lazarethen nicht, 
und sind die bez. Beobachtungen in der Privatpraxis gemacht worden. 

a ) Bekanntlich hat (üe Methode während der letzten Epidemieen in 
Italien ausgiebige Verwendung gefunden. 


In jedem Stadium dieser Periode wurden gegen den Kältezustand Eis¬ 
abreibungen angewendet. Auch Eisbeutel auf Kopf und Wirbelsäule wurden 
bei Beginn der Stockung des Blutumlaufes mit sehr gutem Erfolge gebraucht. 
Da es an der nothwendigen Anzahl von Kautschukmützen und -Röhren 
fehlte, und Ochsenblasen und Därme nicht zu gebrauchen sind (da sie leicht 
zerreissen und durchnässen), so konnten in dieser Beziehung keine Erfah¬ 
rungen in grösserem Umfange gesammelt werden. 

Sind alle bisher genannten Heilmittel wirkungslos, so tritt Asphyxie 
ein. Leider kamen viele Kranke erst in diesem Stadium in die Lazarethe 
und in die erste ärztliche Behandlung. Es wurde sofort zur Peritoneoclysis 
und zur Einspritzung in eine Vene geschritten. 

Gegen Herzbeklemmungen und präcordiale Schmerzen wurden Eisbeutel 
auf die Herzgegend und Einathmung von Aether verordnet. In einem ver¬ 
zweifelten Falle nahm man mit gutem Erfolge zum „grösseren Hammer“ *) 
seine Zuflucht. Bei Blutungen des (leeren) Uterus wurden Injectionen von 
Ergotin, Dusart oder Ivon angewendet. Der Abort trat bei Schwangeren fast 
stets ein. — Auch in dieser Periode wurde absolute Diät beobachtet und 
nur eiweisshaltiges Wasser gereicht. 

Zu Beginn der Epidemie ging die Krankheit so oft in Typhus über, 
dass einige Aerzte sagten und schrieben, es handele sich nicht um die 
Cholera asiatica, sondern um eine neue Krankheit: Cholera nostras typhic. 
von ihnen getauft. Bald aber wurden die wahren Ursachen dieser neuen 
Krankheit erkannt und dieselbe durch ein richtiges prophylaktisches Ver¬ 
fahren und durch Anwendung der Enteroclysis (mit Tannin) mit Glück be¬ 
kämpft. Fingen trotz dieser Behandlung die Wangen der Patienten an sich 
bläulich zu färben, wurde die Zunge trocken etc., welches die Indicien dieser 
Complication der Cholera sind, so wurde die Enteroclysis mit einer Lösung 
von 2 oder 3 g Natr. subsulfur. pro 1000 g Aq. oder von Chin. sulfur. 
(I : 1000) oder von Acid. salicyl. (1:1000) wiederholt und Eis auf Kopf und 
Rücken gelegt. Natr. subsulf. wurde bei Verminderung, die anderen zwei 
Mittel bei Zunahme der Temperatur des Kranken gegeben. 

Oft war diese typhöse Form der Krankheit mit einer Nierenaffection 
verbunden, und erwiesen viele Autopsieen die Anwesenheit von Nephritis. 
Auch trat gewöhnlich absoluter Urinmangel ein. Es wurden hiergegen diu- 
retische Getränke mit kleinen Dosen von Kali nitric., oder ein kaltes Digi- 
talis-Infusum (0,4 g pro die) und als Vehikel dieser Arzeneien ein Infus. 
Uvae Ursi gegeben. — Soweit der Hauptbericht der genannten Chefärzte der 
Choleralazarethe Chile’s. 

Es folgt im Anhänge ein Bericht des Dr. Cornelio Guzman über 
die Ausführung der Enteroclysis oder Ausspülung der Eingeweide und ein 
anderer über die Einspritzung in die Venen von Dr. Franc. Aguirre, 
welchem Berichte specielle Angaben über den Verlauf der Krankheit bei 4 
Individuen beigefügt sind. Gewöhnlich wurde folgende Lösung für diese 
Ipjectionen gebraucht: Rp. Aq. filtr. hervidae 2 litros, 

Natrii chlorati 5—10 g, 

Natr. sulfur. 10—20 g. 

Das filtrirte Wasser gab bessere Resultate wie das destillirte. Für die 
Operation wurde der Apparat von Potack verwandt und die hervorragendste 
Vene im Ellenbogengelenk zur Einspritzung benutzt. Eine kleine Abhand¬ 
lung von Dr. Aurelio Oyarzem: Beitrag zum Studium der pathologischen 
Anatomie der Cholera asiatica schliesst das interessante Buch ab. 

Einige officielle statistische Angaben über das Auftreten der Cholera 
während der ersten grösseren Hälfte der Dauer der ersten Epidemie (vom 
December 1886 bis Juli 1887) enthält der Bericht, welchen der Minister 
des Innern I). Carlos Autunez, z. Z. Gesandter Chile’s in Paris, dem 
Nationalcongresse am 1. Juni 1887 vorlegte. Ich entnehme demselben die 
folgende Tabelle. Der Minister selbst bemerkt zu derselben, dras die Zahlen 
nur einen relativen Werth haben, da es überaus schwierig ist^iie Zahl der 
ausserhalb der Lazarethe erkrankten Personen festzustellen. _ 


Name des 
Departements 

3 

H 

a 

3 

Ambulancen 

In den 

Lazarethen 

Kranke iGestorb. 

Ausserhalb 

des 

Lazareths 

Kranke jGestorb. 

* § 

■o g 

" <9 

11 
a $ 

CG O 

|iS 

Ui 

-■IB 

Andes. 

9 

1 

1676 

861 

_ 

340 

1201 

8y56 

San Felipe . . . 

6 

— 

1251 

628 

— 

403 

1031 

8,00 

Putaendo .... 

3 

— 

270 

136 

— 

33 

169 

0,11 

Valparaiso . . . 

2 

— 

899 

628' 

— 

— 

628 

0,54 

Quillota . . . 

8 

— 

1959 

1002 

— 

— 

1002 

2,05 

Santiago .... 

14 

3 

3082 

1691 

3324 

1026 

3481 

1,45 

Victoria .... 

9 

— 

534 

289 

370 

202 

491 

1,28 

Melipilla .... 

2 

— 

168 

90 

352 

183 

273 

0,49 

Rancagua .... 

6 

3 

1261 

436 

— 

— 

436 

K23 

Maipo. 

3 

1 

474 

242 

300 

140 

382 

1,21 

San Fernando . . 

2 

2 

33 

27 

34 

25 

52 

0,01 

Caupolican . . . 

2 

— 

777 

290 

— 

— 

290 

0,88 

Curicö. 

2 

2 

83 

46 

— 

— 

46 

0,07 

Talca. 

3 

3 

793 

291 

404 

85 

376 

0,53 

Lontue. 

— 

1 

26 

21 

— 

— 

21 

0,06 

Curepto .... 

— 

— 

— 

— 

14 

7 

7 

0,02 

Constitucion . . . 

1 

1 

192 

81 

— 

— 

81 

0,25 

Concepcion . . . 

2 

1 

158 

93 

250 

121 

214 

0,53 

Talcahuano . . . 

1 

— 

18 

8 

30 

1 

9 

0,11 

Coelenno .... 

— 

1 

— 

— 

13 

13 

13 

0,03 

Arauco . 

— 

— 

— 

— 

13 

13 

13 

0,05 

Summa 


• . 

. . 

. 

. . . 

. 

10236 



') MartillodeMayor. — Ein in siedendes Wasser getauchter schwerer 
Hammer, welcher auf die Herzgegend gelegt wird. 


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5. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


XI. Therapeutische Mitteilungen. 

— Zar Technik der DurmspUlung. Von Professor Quincke in 
Kiel. (111. Monatsschr. der arztl. Polytechnik). Statt der festen Spitzen 
aus Knochen oder Hartkautschuk lässt Quincke bei Application von 
Klystieren zur Einführung in den Anus schon seit Jahren weiche Kaut¬ 
schukrohre verwenden und glaubt dieselben zu allgemeinerem Gebrauch, 
als es bisher geschehen ist, empfehlen zu können. Ein solches Darmrohr 
ist 20—30 cm lang und hat einen äusseren Durchmesser von 7—10 mm 
bei einer Wanddicke von 2 — 3 mm; für Kinder passen Rohre von etwa 
15 cm Länge und 7 mm Dicke. Nahe dem vorderen, soliden (!) Ende hat 
das Rohr zwei seitliche Oeffnungen und ist in seinem unteren Ende leicht 
trichterförmig erweitert, ähnelt also einem weichen Schlundrohr in verjüngtem 
Maassstabe. Das Rohr muss an der Oberfläche vollkommen glatt und aus 
gutem Kautschuk verfertigt sein. 

Wenn auch die üblen Zufälle beim Klystiersetzen, welche Quincke 
ursprünglich zur Anwendung dieses Darmrohres veranlassten, mit der Ver¬ 
drängung der Spritze durch den Irrigator grösstentbeils fortgefallen sind, 
so hat das beschriebene Darmrohr doch auch jetzt noch erhebliche Vorzüge 
vor den harten oder aus Kethetermasse gefertigten Spitzen, da seine Ein¬ 
führung in den After viel weniger schmerzhaft und bei guter Oelung kaum 
schwieriger ist, als die der letzteren, und jede Verletzung, selbst leichter 
Art, so gut wie ausgeschlossen ist. 

Wenn auch für gewöhnlich die Einführung des Darmrohres 6—8 cm 
weit genügt, so kann es doch ohne Bedenken 10 — 15 cm tief eingeführt 
werden, um eventuell den Sphincter tertius zu passiren; sollte es sich auch 
in der Ampulla recti umlegen, so kann dies Schaden nicht veranlassen. 
Die Reinigung ist leicht ausführbar; da guter Kautschuk in Wasser und 
Seifenlösung gekocht werden kann und in Carbollösung liegen kann, ist 
auch vollkommene Desinfection möglich. 

Oelklystiere können leicht in der Weise gegeben werden, dass man 
das Oel direkt in den nach aufwärts gerichteten Trichter des Darmrohres 
eingiesst, und nun erst durch nachträgliches Ansetzen des Irrigator¬ 
schlauches Wasser einfliessen lässt. 

Bei Tympanie hat Quincke zur Ableitung der Gase den Schlauch 
oft stundenlang ohne erhebliche Beschwerde im Mastdarm liegen lassen. 

Nicht selten ist man in der Lage, Darmspülungen bei Kranken anzu¬ 
wenden, deren Sphincter ani gelähmt oder geschwächt ist, so dass das ein¬ 
gespritzte Wasser nicht die gehörige Zeit oder nicht in gehöriger Menge 
im Darm zurückgehalten werden kann. 

Der gewünschte Erfolg lässt sich dadurch erreichen, dass man mit 
dem Darmrohr einen darübergeschobenen weichen, durchbohrten Gurarai- 
ballon in zusammengefaltetem Zustand bis eben über den Sphincter in den 
Mastdarm einführt, ihn mittelst des abgehenden Schlauches aus einer kleinen 
Ballonspritze mit Wasser füllt und den Schlauch abklemmt. Lässt man 
uun Wasser durch das Darmrohr einlaufen, so schliesst der Ballon den 
Mastdarm wie ein Kugelventil ab. (Der von Quincke angewendete Ballon 
hat, aufgeblasen, einen Durchmesser von 5 cm; für einzelne Fälle wird man 
vielleicht eines etwas grösseren Ballons bedürfen.) 

Auf diese Weise gelingt es, grössere Wassermengen hoch in den 
Dickdarm hinauf zu bringen, auch wo wegen allgemeiner Schwäche, 
wegen Paraplegie, wegen voraufgegangener Ermüdung der Masdarmmusku- 
latur durch häufige Klystiere, z. B. bei Ileus, dies sonst nicht möglich 
wäre. Wahrscheinlich werden auch mässige Stricturen im oberen Tbeil 
des Mastdarmes auf diese Weise von der Flüssigkeit zu überwinden 
und massenhaftere Kothansammlung daselbst besser als sonst zu erweichen 
sein. ') 

— Ueber Creolln. Nachdem Attfield in England und Fröhner 
die antiseptische und antepizootische Wirksamkeit des Creolin geprüft 
hatten, hat Dr. v. Esmarch (Centralblatt für Bacteriologie und Parasiten¬ 
kunde 1887, 10) unternommen, die antiparasitären Eigenschaften des übrigens 
nach Liebreich (Therapeutische Monatsh. 11, p. 442) keineswegs chemisch 
und physikalisch genügend charakterisirten Körpers zu studiren. v. Esmarch 
fand, dass eine l°/oo Creolinlösung eine Cultur von Cholerabacillen in 
10 Minuten und eine l /*% eine Typhusbacillencultur in 4—7 Tagen, 
eine 1% eine Cultur von Staphylococcus aureus in 4 Tagen sterilisirt, 
während eine 1 %o Carboisäurelösung eine Choleravibrionencultur erst 
nach 4 Tagen, eine 1 °,'o eine Cultur von Staphylococcus aureus überhaupt 
nicht sterilisirt. Auf der anderen Seite erwies sich eine 5 % Carbol¬ 
lösung einer gleichprocentigen Creolinlösung Milzbrandsporen gegenüber 
überlegen. Verfasser erprobte weiter die Wirkung von Creolin und Carbol- 
säure derselben Concentration auf Gemische von Koth und Fleischwasser, 
welches längere Zeit gestanden hatte, und fand, dass letztere in *,' 9 % 
Lösung nach 15 Tagen das Gemenge sterilisirt, während bei Creolinlösung 
dies nicht erreicht wurde. Hieraus folgt, dass die antiparasitären Eigen¬ 
schaften des Creolin grösser als die des Carbol sind, während die desinfici- 
renden Eigenschaften des letzteren die des Creolius übertreffen. Ausgezeich¬ 
net fand v. Esmarch die desodorirende Kraft des Crcolins, indem schon 
1 °/ooige Lösungen stinkendeJFlüssigkeiten sofort geruchlos machen, was be¬ 
kanntlich von der Carbolsäure in diesem Grade nicht gilt. 

Von dem Creolinpulver kommen zwei Sorten vor, eine kirschrothe 
(No. 1) und eine braunrothe (No. 2). Nach den Angaben v. Esmarch’s 
desodoriren dieselben weit besser als Carbolpulver, doch stellt sich nach 
8 Tagen wieder Geruch ein. No. 1 wirkt übrigens erheblich stärker als 
No. 2. Die concentrirte Creolinseife ist an Wirksamkeit der 1 %o igen 
Sublimatseife überlegen. 

Danach empfiehlt v. Esmarch Creolin zur schnellen Beseitigung 
fauliger Gerüche. Es hat ausserdem den Vorzug völliger Ungiftigkeit. 

’) Darmrohre (zu 1,0 und 1,5 Mark), sowie Gummiballons sind zu be¬ 
ziehen durch die Gummiwaarenfabrik von Miersch, Berlin, Friedrich¬ 
strasse 66. 


279 


Eine zweite Mittheilung über die praktische Anwendung des Creolin in der 
Chirurgie liegt von Dr. Kortüm vor (Berl. klin. Wochenschr. 1887 No. 46). 
Verfasser hat Creolin bei den verschiedensten chirurgischen Erkrankungen 
angewendet. Zunächst bei einem Fall von Puerperalfieber mit eitriger 
Kniegelenksentzündung. Der penetrante Gestank, der allen Secretionen und 
Excretionen der Patienten anhaftete, verlor sich sofort bei Anwendung einer 
l°/oigen Lösung. Des Weiteren sah Kortüm günstige Erfolge vom 
Creolin bei der Behandlung von Unterschenkelgeschwüren. Das Aussehen 
der Wunden wurde hierbei besser und die Ueberhäutung geschah mit 
grosser Schnelligkeit. Auch die Secretion stark eiternder Wunden be¬ 
schränkt das Creolin. Die desinficirende Wirkung des Creolins erwies sich 
gleichfalls als eine äusserst zuverlässige. Nebenbei zeigt Creolin auch noch 
blutstillende Eigenschaften. Kortüm prognosticirt dem neuen Mittel 
eine hervorragende Stellung, da es die günstigen Wirkungen des Jodoforms 
mit denen des Sublimats verbindet, ohne aber wie diese giftig zu sein. 

Ha. 

— In einem sehr bemerkenswerthen Aufsatze der Januarnummer der 
Therapeut. Monatshefto über die Behandlung der Aneurysmen giebt 
Scheele folgende therapeutischen Rathschläge: Bald nach der Entstehung 
erkannt, erfordert die Behandlung der Aneurysmen bei tiefliegendem Sitze 
in erster Linie: 

a) Anhaltende absolute Ruhe nebst zweckmässiger Lagerung, 

b) Application des Eises, 

c) Einschränkung der Diät nach Tuffnell, namentlich auch Ein¬ 
schränkung des Flüssigkeitsgenusses. Tuffnell setzt den Pat. auf ein 
minimales Maass der Ernährung (170 g Flüssigkeit, Milch, Ei, Cacao und 
150—180 g feste Nahrung und hat dadurch die Pulsfrequenz von 104 auf 
60 Schläge pro Minute d. h. um ca. 50000 Schläge pro Tag herabgedrückt. 

In zweiter Linie kommen: 

a) Event, subcutane Ergotininjectionen, 

b) Innerlich der Gebrauch von Jodkali und bis zur Gewöhnung an 
dasselbe mit Opiumzusätzen. — Bei länger bestehenden und oberflächlichen 
Aneurysmen sind nicht nur erlaubt, sondern geboten: 

a) Die Galvanopunctur, 

b) Die Ligatu» nach Braidor-Wardrop. 

Für die qualvollen Druckneuralgieen sind die Narcotica nicht zu ent¬ 
behren. Gr. 

— Gegen Pediculi empfiehlt Vartanian in Constantinopel als vor¬ 
zügliches Heilmittel folgende Mischung: 

Acid. salicyl. 2—3,0 g 
Acet. vin. 25,0 g 
Alkohol 75,0 g. 

Sollte dieses Mittel auch anderen Collegen sich als erfolgreich be¬ 
währen, so wäre dasselbe entschieden der Quecksilbersalbe, die bisher im 
Gebrauche war, vorzuziehen, da diese bisweilen nach reichlichem Gebrauche 
Hautausschläge und Salivation hervorgerufen hat. Bo. 

— Für die intrastrumöse Injection empfiehlt v. Mosetig-Moorhof 
das Jodoform mit der Bemerkung, dass er recht günstige Erfolge damit 
erzielt hat. Er giebt es in folgender Composition: 

Jodoform 1,0 
Aether 5,0 
Oel 10,0. 

Die Einspritzung wird in mehrtägigen Zwischenräumen wiederholt, wo¬ 
bei man immer einen anderen Einstichpunkt wähle. Bei stärkerer Reaction 
wird Körperruhe und Bett wärme erforderlich, v. Mosetig erwähnt, dass 
er bei der Injection öfter einen intensiven spastischen Husten habe auftreten 
sehen, welcher längere Zeit bis *,'9 Stunde andauerte, sonst aber keine üblen 
Folgen hinterlassen hatte. Gr. 

— Zur Zerstörung tou Wunen, Condylomen etc. werden Lösungen 
von Sublimat mit gutem Erfolge angewendet. Grössere Flächen damit zu 
ätzen, wie z. B. Lupus des Gesichts, der Nase etc. ist nicht rathsam, weil 
sich herausgestellt hat, dass sehr leicht durch die concentrirten Lösungen in 
diesen Fällen eine Quecksilberintoxication eintritt. Man verordnet 
Sublimat 2,0 resp. 3,0 
Aether resp. Collodium 25,0 

DS. zum Bepinseln resp. Betupfen der kranken Fläche. 

— Dr. John Hedley in Middlesbrough (England) berichtet über selt¬ 
same Wirkungen, welche das Saccharin bei einem seiner Patienten hervorrief. 
In einem Fall von Glycosurie hatte er statt Zucker Saccharin mit anscheinend 
glänzendem Erfolge angewandt, aber nach 12—15 Dosen bekam Pat. eine 
solche Uebelkeit, dass das Mittel ausgesetzt werden musste. Er hatte stets 
„einen widerlich süssen Geschmack“ im Munde, und ohne Zusatz eines Süss¬ 
mittels schmeckte ihm Alles, was er auch anrührte, nach Saccharin. Das 
ging sogar so weit, dass seine Pfeife, die ihn sonst über Alles tröstete, ihm 
nicht mehr schmeckte, weil der Rauch einen solchen süsslichen Geruch an¬ 
nahm. Dieser intensiv süsse Geschmack trat am fünften Tage der Saccharin¬ 
anwendung auf. Eine plausible Erklärung für diese Erscheinung liegt darin, 
dass es durch den Organismus unverändert hindurchgeht und einen süssen 
Speichel erzeugt, wenn man es nicht gelegentlich aussetzt. R. 


XII. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Für die Besetzung der durch den Abgang des Geh. Rath 
Prof. Dr. Senator frei gewordenen Stelle des dirigirenden Arztes der 
inneren Abtbeilung des Augusta-Hospitals sind Ihrer Majestät der Kaiserin- 
Wittwe vorgeschlagen worden die Herren: Proff. Ehrlich, Ewald, 
A. Fraenkel, Docent Dr. Riess und Oberstabsarzt Stricker. 

— Berlin. Die Akademie der Wissenschaften hielt am 22. März 
eine Gedächtnisfeier für Kaiser Wilhelm ab, in welcher Professor 
Mommsen in grossen Zügen das Lebensbild des hohen Verstorbenen 
schilderte. Wir entnehmen dem Vortrage nachstehende, speciell für die 
medicinische Welt interessante Daten: Die unter dem hannoverschen Regi- 


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280 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT Nb. 14 


ment wahrlich nicht vernachlässigte Georgia Augusta hat unter preussischem 
eine neue Universitätsbibliothek, ein neues, naturhistorisches Museum und 
eine neue chirurgische Klinik erhalten; der Bau der medicinischen Klinik 
und des pathologischen Institutes ist beschlossen; die Anatomie, das physio¬ 
logische Institut, das physikalische sind sämmtlich ansehnlich vergrössert 
worden. Die Zahl der Studirenden hat denn auch unter der preussischen 
Herrschaft in Göttingen um den vierten Theil zugenommen, in Kiel sich 
verdoppelt, in Marburg sich vervierfacht. Vor vierzehn Jahren wurde es 
ausgesprochen, dass die Universität Berlin einen Rückgang und eine Schmä¬ 
lerung ihres Ansehens erlitten habe; und unbegründet war die Klage über 
lange Vernachlässigung nicht. Aber die Klagen verstummten bald und 
gern. Dem Jahre 1871 gehörte die Gründung des physikalischen Institutes 
an; dem Jahre 1875 die Neuordnung des pathologischen Institutes; dem 
Jahre 1877 die umfassende Reorganisation des physiologischen Institutes; 
dem Jahre 1878 die Einrichtung der Augen- und Ohrenklinik; dem Jahre 
1882 die des klinischen Institutes für Geburtshülfe; dem Jahre 1883 der 
Neubau des pharmakologischen Institutes: dem Jahre 1884 die des zoo¬ 
logischen; dem Jahre 1886 die des hygienischen; dem Jahre 1887 die der 
laryngologischen Poliklinik. — Die Aufwendung des Staates für die Uni¬ 
versitäten überhaupt betrug, als König Wilhelm die Regierung antrat, l'/s 
Millionen Mark; heute sind für diese allerdings um drei vermehrten Anlagen 
mehr als 7 Millionen ausgeworfen. Die Zahl der ordentlichen Professoren 
ist von 1868 bis 1888 von 407 auf 536 gestiegen. Die medicinischen Uni¬ 
versitätsanstalten haben unter diesem König und Kaiser sich von 54 auf 
88, die naturwissenschaftlichen von 79 auf 102 vermehrt. 

— In der letzten Sitzung der Berliner stadtverordnetenversammlung empfahl 
der Stadtverordnete Dr. Langerhans folgende Resolution: „Die Ver¬ 
sammlung ersucht den Magistrat, mit dem Königl. Polizeipräsidium darüber 
in Verbindung zu treten, dass bei ansteckenden Krankheiten mit 
der Desinfection der Sachen auch die der Wohnung bewirkt 
wird“. Stadtv. Vortmann wies darauf bin, dass die Versammlung zur 
Unterstützung der Sanitätswachen eine Summe von 10 000 Mark aus¬ 
gesetzt habe, und fragte an, was die bestehende kleine Commission bis jetzt 
auf diesen Fonds angewiesen habe. Stadtrath Wasserfuhr betonte, dass 
bekanntlich ein beklagenswerther Dualismus die Sanitätspflege in Berlin be¬ 
herrsche. Die Versammlung habe allerdings seiner Zeit es als einen Mangel 
anerkannt, dass für die Fälle dringender Gefahr die nöthigen Hülfsstätten 
nicht vorhanden seien, und sie habe deshalb zur Unterstützung der .Sanitäts¬ 
wachen, welche diesem Mangel abhelfen wollten, die Summe von 10 000 
Mark ausgesetzt. Diese Summe sei der kleinen Commission aber keines¬ 
wegs als bedingungslos zur Verfügung gestellt worden, sondern für solche 
Wachen, welche einfach und zweckmässig eingerichtet sind und sich nicht 
selbst erhalten können. Nun sind die Sanitäts wachen dem ursprünglichen 
Gedanken, zweckmässige Einrichtungen für Fälle augenblicklicher Gefahr 
und Unglucksfälle zu treffen, insofern nicht nachgekommen, als sie ihre 
Tbätigkeit viel zu weit ausgedehnt haben und Jedermann ausserhalb der 
Wache ihre Hülfe leihen. Die städtischen Behördeu können dies weder für 
einfach, noch für zweckmässig erachten, denn auf diese Weise werden die 
Sanitätswachen fast poliklinische Institute, und an solchen sei in Berlin kein 
Mangel. Im Uebrigen haben sich auch die Wachen selbst über die Unter¬ 
stützungsfrage nicht einigen können. Inzwischen seien acht Gesuche um 
Unterstützung eingegangen, die kleine Commission habe u. A. einer Sanitäts¬ 
wache die Mittel zur Beschaffung von Krankenwagen bewilligt unter der Be¬ 
dingung, dass die Wagen Eigenthum der Stadt bleiben. Es sind bis jetzt 
etwa 5500 Mark angewiesen. — Schliesslich wurde die Beschleunigung der An¬ 
stellung eines zweiten städtischen Medicinalbeamten dringend empfohlen. 

— Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege 
hält seine vierzehnte Versammlung zu Frankfurt a. M. in den Tagen vom 
13. bis 16. September 1888, unmittelbar vor dem am 17. September in 
Bonn stattfindenden Deutschen Aerztetage und der am 18. September be¬ 
ginnenden Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Köln, ab. 
Es kommen folgende Themata zur Verhandlung; Maassregeln zur Erreichung 
gesunden Wohnens. Referenten: Oberbürgermeister Dr. Miquel (Frank¬ 
furt a. M.) und Oberbaurath Professor Baumeister (Karlsruhe). — Oert- 
liche Lage der Fabriken in den Städten. In wie weit hat sich ein Be- 
dürfniss herausgestellt, von der Bestimmung des § 23 Abs. 3 der Deutschen 
Gewerbeordnung Gebrauch zu machen? Referenten: Sanitätsrath Dr. Lent 
(Köln) und Stadtrath Hendel (Dresden). — Welche Erfahrungen sind mit den 
in den letzten Jahren errichteten Klärvorrichtungen städtischer Abwässer 
gemacht worden? Referenten: Stadtbaurath Lindley (Frankfurt a. M.), Gus- 
und Wasserwerksdirektor Winter (Wiesbaden), Stadtbaumeister Wiebe 
(Essen a. R.), Stadtbaurath Lohausen (Halle a. S.). — Welchen Einfluss 
bat die heutige Gesundheitslehre, besonders die neuere Auffassung des 
Wesens und der Verbreitung der Infectionskrankheiten auf Bau, Einrichtung 
und Lage der Krankenhäuser? Referent: Krankenhausdirektor Dr. Cursch- 
mann (Hamburg). — Strassenbefestigung und Strassenreinigung. Re¬ 
ferenten: Regierungs- und Stadtbaumeister Heuser (Aachen), Dr. R. Bla¬ 
sius (Braunschweig). — Beitrittserklärungen und die Versammlung betreffende 
Anfragen sind zu richten an Herrn Sanitätsrath Dr. A. Spiess, Frank 
furt a. M. 

— Das Comite der „British Medical Association“ veröffentlicht die Re¬ 
sultate der Sammelforschung über „Acuten Rheumatismus“ von 
Thomas Whipham, Arzt am St. George’s Hospital, und über „Alte Leute“ 
von Prof. Humphry. Der ersterwähnte Bericht findet sich im Brit. Med. 
Journal vom 25. Februar d. J., der letztere in der Nummer vom 10. März. 
Der Bericht über „Acuten Rheumatismus“ erstreckt sich über Geschlecht, 
Alter (mit besonderer Berücksichtigung des Greisen- und Kindesalters), Be¬ 
schäftigung, sociale Stellung, Lebensgewohnheiten, Todesfälle und Heilungen, 
Ernährung und Wohnung der Betroffenen. Ferner über die vorher über¬ 
standenen Krankheiten (in näherer oder entfernter Zeit vom Rheumatismus 
gerechnet), die Stärke der Krankheit, den Einfluss und die Art der Behand¬ 
lung, die Arzneiintoxication, die Ausdehnung der Gelenkaffectionen, Compli- 


cationen, Recidive, Nebenklagen und besondere Beachtung verdienende Fälle. 
In ähnlich eingehender Weise berücksichtigt der zweite Bericht alle be- 
merkenswerthen Verhältnisse alter Leute. 

— Bei der Besprechung der Verdienste eines alten englischen Arztes 
Abernethy erhebt British Medical Journal lebhaft Klage über die 
Vergesslichkeit der Gegenwart in Bezug auf wissenschaftliche 
Verdienste der Männer früherer Perioden. Das Blatt sagt: „Das 
ist der eine grosso Verlust, den wir durch die modernen Beobachtungs- und 
Untersuchungsmethoden erlitten haben. Bis zur Zeit John Hunter’s war 
man verpflichtet, die Werke verstorbener Autoren zu lesen und zu citiren, 
und zwar bis in die frühesten Zeiten, um seinen eigenen Ansichten und 
Entdeckungen zur Annahme zu verhelfen. Dadurch wurde freilich jede Ori¬ 
ginalität zerstört, aber der Ruhm und Name der grossen Verstorbenen vor 
Vergessenheit geschützt. Heute vernachlässigen wir die Werke unserer 
Väter zu Gunsten derjenigen unserer Zeitgenossen und nnmittelbaren Vor¬ 
gänger. Unsere Studenten wachsen auf mit einer mitleidsvollen Verachtung 
für die im Finstern tappenden älteren Schriftsteller über Krankheiten. Für 
ihre Kenntniss und ihren Erfolg sind sie gewohnt, sich auf eigene Beob¬ 
achtungen zu verlassen. Und so gewinnt zwar die Wissenschaft, aber das 
Individuum verlieit, wenn wir sterben, werden unsere Entdeckungen ent¬ 
weder vergessen oder nachgemacht, und selbst unser Name sinkt in’s Meer 
der Vergessenheit.“ 

— Tracheale Ozäna. Nach M. Luc und Anderen giebt es eine 
besondere Tracheitis zusammen mit Ozäna der Nase, die sich aber, sobald 
sie einmal besteht, unabhängig von der letzteren entwickelt. Diese Tracheitis 
charakterisirt sich durch den stinkenden Geruch ihrer Secrete, in denen 
sich ähnliche Mikroorganismen finden wie in den Krusten bei nasaler 
Ozäna. Die Schorfe an der Trachealwand setzen sich nicht von der Nase 
aus fort, sondern sind autochthon. Der klinische Charakter der trachealen 
Ozäna besteht in Auswurf von grünlichen Sputis, besonders Morgens, die 
eine dicke, viscide Beschaffenheit zeigen, ferner in dem besonderen Geruch 
der Ozäna und der Persistenz des stinkenden Athems nach gründlicher 
Reinigung der Nasenhöhle. Die Krusten auf den Wänden der Trachea sind 
laryngoskopisch sichtbar. 

— Heute, wo man in allerhand Tumoren Bacillen findet, darf eine 
Mittheilung von Dr. A. Martin (Bericht über die gynäkologische Section 
des 1887 er Washingtoner Congresses, s. diese Wochenschrift 1887, p. 989) 
auf erneute Beachtung rechnen. Danach hat Marcy in Boston in einem 
Fibromyom einen eigenartig characterisirten Bacillus gefunden, 
dessen Cultur Dr. Nelson (Boston) durchgeführt hat, und auf dem Con- 
gresse demonstrirt. 

— Die fünfte Vereinigung der italienischen chirurgischen Gesellschaft 
ist am 26. März in Neapel zusammengetreten. Der Präsident Prof. d’Autona 
zu Neapel eröffnete die Vereinigung mit einer kurzen Begrüssungsrede. 

— In der Acaderoie des Sciences zu Paris theilte Dr. Edmond 
Weill am 27. Februar seine Erfahrungen über die Anwendung der 
Kohlensäure bei dyspnoischeu Zuständen mit. Die Sitzungen 
dauerten 2—5 Minuten 1—2 Mal täglich; inhalirt wurde reine Kohlen¬ 
säure; die Quantität des verbrauchten Gases betrug 2—4 1. Niemals wur¬ 
den unangenehme Nebenwirkungen beobachtet, während die Erfolge sehr 
ermuthigende waren. Behandelt wurden in dieser Weise Tuberculöse und 
Emphysematiker. Hustenparoxysmen wurden durch die Inhalationen coupirt, 
zugleich wurde ferneren Anfällen in wirksamer Weise vorgebeugt. 

— Dr. Eduard de Smet in Brüssel beobachtete kürzlich einen Fall, 
in welchem eine junge Frau von sehr nervösem Temperament in Folge 
eines heftigen Schrecks eine Eruption von Purpura hämor¬ 
rhagica bekam, obwohl sie nie vorher eine ähnliche Eruption gehabt hatte. 
Etwa vier Monate später bekam sie in Folge eines Falles eine ähnliche 
Eruption. Die Behandlung richtete sich hauptsächlich auf das "Nerven¬ 
system, das augenscheinlich tief afficirt war. M. Lenoir in Lille hat Fälle 
von verschiedenen Hauterkrankungen — Eczem, Psoriasis, Herpes, Pem¬ 
phigus und Vitiligo — nach psychischem Shock gesehen. 


XIII. Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Gen.-Stabsarzt der Armee, Wirkl. Geh. Ob.-Med.-Rath und 
Professor Dr. v. Lauer das Kreuz der Grosskomthure des Königl. Haus¬ 
ordens von Hohenzollern, dem Gen.-Arzt II. CI. Dr. Leuthold das Kreuz 
der Komthure desselben Ordens, sowie dem Stabs- und Bat.-Arzt v. Alex. 
Garde-Gren.-Reg. No. 1 Dr. Ti mann das Kreuz der Ritter desselben Ordens 
zu verleihen; dem Privat-Doc. in der med. Facultät der Frdr.-Wilh.-Univer- 
sität Dr. Herrn. Krause in Berlin ist das Prädicat Professor verliehen 
worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Birnbaum in Palmnicken, 
Krüger in Velten, Dr. Dietrich in Kalkberg-Rüdersdorf, Biesendahl in 
Neubrück, Rosenberg in Neustettin, Dr. Joachim in Bromberg, Dr. Neu- 
ber in Prausnitz, Dr. Hoffmann in Wüstewaltersdorf, Dr. Pirow in 
Schönberg, Eimen in Stade, Dr. Hass in Estebrügge. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Kürschner von Spandau nach 
Berlin, Dr. Gock von Eberswalde nach Landsberg a. W., Dr. Bochert 
von Berlin nach Stolp, Dr. Harttung von Breslau nach Frankfurt a. 0., 
Dr. Adler von Breslau, Dr. Damm von Breslau nach Dresden, Dr. Knauer 
von Prausnitz nach Pegau, Dr. Hagge von Hohn nach Schönberg, 
Ileusmann und Dr. Mencke von Burgdamm, letzterer nach Berlin, 
Weber von Westerburg nach Lesum, Dr. Kurella von Owiusk nach 
Ahrweiler, Freese von Hermeskeil nach Neuenkirchen. 

Verstorben sind: Die Aerzte: San.-Rath Dr. Menschig in 
Breslau, Dr. Castagne in Lütjenburg, Dr. Schreiber in Königs¬ 
berg i. Pr. 


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_■_ Beilage zu No. 14 de r De utschen medicinischen Woc hensc hrift. 

Krankengeschichten zu der Arbeit: 

Ueber das Oertel’sche Heilverfahren, dessen Begrenzung und richtige Anwendung, p. 267 dieser Nummer. 

Beobachtet von Dr. Mazegger in Meran-Mais. 


Namen, 

Beschäfti- 


aektang 


Dauer der 


i S « g 

•5 aS'o -a 

Erkrankung und 

Status praesens 

Diagnose Zeit : 

Anamnesis 


!*»j 

_ 


in ccm in ccm • 


Differenz 


veae?. No- Frau R. G. 1880 in Folge psychi-lMittelgross, zu Fett- Kettleibig-j'28. Oct. 1885 
'"vinber 89 Jahre scherAffecteheftiger ansatz neigend, mäs-; keit und :30. „ 

1885 bis ah Anfall von Herzklo-j sige Vergrösserung Fettherz 131. „ 

' 5. April pfen, 1885 Ende Juli des Herzdurchmes- 1. März 1886 

1886 den zweiten und von sers, Töne schwach 

(5 Monate) da an alle 8 Tage' hörbar, rein, Puls 

in der Dauer von 10, 88 leer. Urin spär- 

j bis 12 Stunden bei lieh, trübe, eiweiss- 

sehr unregelmässi- frei. Appetit gering, 

gern Herzschlage. Der Schlaf durch 

Die Anfälle beun- Unruhe und Auf- 

ruhigten die Kranke regung sehr gestört, 

sehr und Hessen eine 
grosse Schwäche zu¬ 
rück. 


1075 500 

3U. „ 750 : 612 

31. „ „ 750 i 642 

1. März 1886 800 1100 


2 vom 7. No- Herr L., Litt vor drei Jahren Abmagerung, Mattig- Insufficienz 8. Nov. 
vember Expeditor,' an Rachenkatarrh, 1 keit, Herzklopfen, und Atrophie 12. „ 

1885 bis ausWeiler,' konnte 8 Mona'e lang Neigung zu Schweiss, des Herz- 21. Dec. 

28. Febr. 33 Jahre nie flüssige Nahrung wenig Appetit, ste- muskels. 30. Jan. 

1886 aH zu sich nehmen; vor! nocardische Anfälle. Stenocardie. 21. Febr, 

(SVi Mon.) 4 Wochen Gelenk- Körpergewichts 1 kg. 29. „ 

rheumati8mus. | 


1885 I 1060 
„ ! 1010 
„ | 750 

1886' 800 

„ | 850! 

„ i 9001 


3jvom 18. Ja¬ 
guar 1886 
J mit theil- 
weisen 
Unter- 
brechun- 
igen bis Mai 
I 1887 


Frau H. S. Seit 2 Jahren Herz-Mittelgross , früher 
ausBran- klopfen, Kurzathmig- massige Fettbildung, 

nenburg, keit, Dyspepsie, Ma- nun abgemagert, 

74 Jahre genkrampf. leichte Vergrösse- 

alt rung des Herzens, 

Herztöne rein, 
schwach hörbar, Puls 
klein, 100 in d. M., 
regelmässig. Ham 
war eiweissfrei, j 
Bronchokatarrh in 1 
den unteren Lappen.j 


stossen, Brechreiz,! 
grosse Schwäche. 


Fettherz 

Dyspepsie. 


18. Jan. 1886 ! 
,14. Febr. „ I 
10. März „ I 
1. April „ 
31. Mai „ ' 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


Diätetische Ordination: Mor¬ 
gens 7 Uhr 150 ccm Kaffee, 
etwas Brod; Vormittags I0 l /i 
Uhr 1—2 weiche Eier; Mit¬ 
tags 1 Uhr 150 bis 200 g 
Fleisch verschiedener Art und 
Zubereitung, Salat oder grü¬ 
nes Gemüse, Compotte ohne 
Zucker oder rohes Obst, 
i 3 /i Stunden später 250 ccm 
Wein oder Wein mit Wasser; 
Nachmittags 4 Uhr 150 ccm 
Kaffee, etwas Brod; Abends 7 
Uhr Fleisch wie Mittag, Salat, 
Compotte oder Eierspeise, 
V» Stunde später 250 ccm 
Wein; Wasser 50 ccm Vormit¬ 
tag und 50 ccm Nachmittag. 
Die von Prof. 0 e r t e 1 einge¬ 
leitete Behandlung bezweckte 
durch Entziehung von Flüs¬ 
sigkeit erhöhte Zufuhr von 
Eiwerns, vermehrte Transpi¬ 
ration und erhöhte Muskel- 
thätigkeit, Anregung und 
Steigerung der Functions- 
thätigkeit des Herzens durch 
Bewegung, eine allgemeine 
Entfettung und Kräftigung 
des Herzmuskels. Gegen das 
Ende ihres Aufenthaltes und 
bei Fortsetzung der Kur 1887 
bewältigt die Kranke selbst 
steile Wege mit Leichtigkeit. 
Die Anfälle von Herzklopfen 
sehr selten und milde, der 
Schlaf ist sehr gut, ebenso der 
Appetit. Puls 80, voller. Ab¬ 
nahme d.Körpergewichtes 6 kg. 
Diät wio in No. 1. Hebung 
der Ernährung, Kräftigung 
des Herzmuskels durch all¬ 
mählich eingeleitetes, sehr 
mässige.s Bergsteigen. Stetige 
Besserung, nur einmal im 
Januar 1886 unterbrochen 
durch einen heftigen steno- 
cardischen Anfall bei grosser 
Dyspnoe. Von da an Wohl¬ 
befinden, Herzaction regel¬ 
mässig, 84 in d. M., steigt 
ohne Anstrengung. Appetit 
und Schlaf sehr gut. Zu¬ 
nahme des Körpergewichtes 
ca. 6 Kilo. Laut Brief vom 
Mai 1886 war die Besserung 
eine anhaltende. 

Professor Oertel verordnte 
reichliche eiweisshaltige Nah¬ 
rung, richtige Vertheilung der 
Nahrung, Beschränkung der 
Flüssigkeitsaufnahme, kräftige 
Weine (Portwein), mässige 
Bewegung, abwechselnd mit 
Ruhe und Erholung. Nach 
3 Monaten bedeutende Besse¬ 
rung der dyspeptischen Er¬ 
scheinungen, • Appetit und 
Verdauung gut; steigt täglich 
2 Stunden auf Wegen bis zu 
einer Steigung von 10°. Harn 
klar, eiweissfrei, Puls 90, 
kräftiger, Athembeschwerden 
geringer, Herzklopfen selten; 
derselbe relativ günstige Zu¬ 
stand des Allgemeinbefindens 
und der Kräfte wurde auch 
noch bis zum Mai 1887 be¬ 
obachtet. 


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Nummer 


282 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 14 


4 


Beob¬ 

achtung 

Namen, 

ieschäfti- 

g»mg, 

Alter 

Dauer der 

Erkrankung und 

Anamnesis 

Status praesens 

Diagnose Zeit 

5 a£-e 

2 c 
s*«~ = 
7 ° 

- = = 

- Z. a *r 
~ < - Ci 

in ccm | 

&*! 
g-aa 
e-22 

«ä C 

Ä--‘ 
in ccm , 

Differenz 

weniger mehr 

Harn 1 Harn 

Vom 20. 

i'reiherr v- 

873 erkrankt an 

Mittelgross, mangel¬ 

lorlms Brigh-21. Jan. 1886 

1975 

1355 

620 

Januar 1 

d. B. aus 

Morbus Brightii, seit 

hafte Ernährung, 

tii chron. 23. „ „ 

900 

750 

150 

1886 bis 

Metz. 64 

16 Jahren Bronchial- 

pleuritisches Exsu¬ 

Schrumpf- 4. Fcbr. „ 

850 

585 

265 

12. März 

Jahre alt- 

katarrhe, 1885 Pleu¬ 

dat. Links U. Herz¬ 

niere, hoch- 8. „ „ 

850 

550 

230 

1886. 


ritis sin. 

töne rein, hochgra¬ 

gradige Stau¬ 







dige Oedeme der| 

ungen und 







unteren Extremitä¬ 

Oedeme. Ex¬ 







ten und der Geni-1 

sudat um 







talien. Herztöne rein. 

plcurit. sin. 







Harn trübe, ei weiss¬ 








haltig. Kurzathmig- 








keit, Husten des 








Nachts, oft Stickan¬ 








fälle. 





Vom 12. 


Vor 10 Jahren an 

Lungen - Emphysem, 

Asthma, Ein- 25. Febr. 1886 

900 

895 

5 

Februar 


Dungon-Entzündung 

zeitweise bronchiti- 

physem. 7. März „ 

880 

890 

10 

1886 bis 


erkrankt und seit 

sche Erscheinungen. 

9. „ „ 

870 

1015 

145 

Mai 1886 


dieser Zeit leidet 

Herz normal, Puls 

l.Sepl. ,. 

1000 

980 

20 

und vom 


der Kranke mehr, 

72 in d. M., regel¬ 

1. Jan. 1887 

900 

920 

20 

Septemb. 


weniger an Asthma. 

mässig, wird von 





1886 bis 

Herr G. G. 


asthmatischen An¬ 





Mai 1884.] 

aus Bam¬ 


fällen, besonders des 






berg. 


Nachts, oft sehr ge¬ 








quält. Appetit ge¬ 








ring. Das Körper¬ 








gewicht im November 








1885 75 kg. Februar 








1886 62 kg. 





Vom 26. 

Herr B., 

Früher stets gesund, 

Sehr gross, gut ge¬ 

Fettherz, In- 19 Febr. 1886 

1-185 

1250 

225 

Februar 

Amtsrath 

in letzter Zeit häufig 

baut, starke Fetthil- 

sufficienz des in München 



513 

1886 bis 

aus Horn¬ 

Congestionen infolge 

dung, Herzdämpfung 

Herzmuskels. 20. Febr. 1886 

1845 

1332 

205 

8. April 

burg. 62 

geistiger Ueberan- 

vergrössert, Herztöne 

21- „ „ 

770 

975 

425 

1886. 

Jahre alt. 

strengung; vor sechs 

schwach, Puls 96, 

22. „ „ 

770 

1195 

120 



Wochen während 

klein, regelmässig. 

22. März „ 

900 

1020 

495 



einer Jagd Ohn- 

Harn saturirt, ei- 

6. April. 

900 

1395 




machtsanfall, der 2 

weissfrei, klagt über 







Stunden dauerte, bei 

Schwindel, Kurzath- 







vollständiger Be¬ 

migkeit beim Gehen. 





' 


wusstlosigkeit. 






Vom ersten 

Herr Gra 

Von Jugend an 

Grosser Körperbau, 

Insufficienz u. 3. März 1886 

1500 

650 

850 

März 1886 

Fr. v. G 

schwächlich und auf¬ 

Fettentwickelung ge¬ 

Atrophie des 4. „ „ 

1635 

690 

945 

bis 29 

aus Stutt¬ 

geregt, litt er an 

ring , bedeutende 

Herzmuskels. 5. „ „ 

725 

850 

125 

Mai 1886 

gart. 66 

Scharlach, häufige¬ 

Cyanose der Haut 

Hochgradige 6. - „ 

700 

810 

110 


Jahre alt 

ren Bronchialka¬ 

u. der Schleimhäute 

Arythmie. 28. „ ,, 

750 

1125 

375 



tarrhen, 1859 Lun¬ 

Herztöne schwach 

Oedeme und 30. - „ 

750 

1420 

670 



genentzündung, seit 

hörbar, rein, Herz- 

Stauungen. 15. April r 

750 

1005 

355 



dieser Zeit sehr un¬ 

contractionen seht 

17. Mai „ 

650 

760 

110 



regelmässiger Herz¬ 

unregelmässig, Puls 







schlag, 1884 noch¬ 

60 — 68, klein, sehi 







mals schwere Lun¬ 

unregelmässig, aus- 







genentzündung mit 

setzend. In beiden 







Nierenaflection, Al¬ 

Lungeu II. U., gross¬ 







buminurie, 1885 eine 

blasige Rhonchi. Le¬ 







leichtere Pneumonie, 

ber und Milz ver- 







1886 fieberhafte 

grössert, die Nieren 







Bronchial - Katarrhe 

unter dem Drucke 







und Oedem beider 

seröser Hyperaemie 







Unter - Extremitäten 

und Stauung, der 







und der Genitalien. 

Harn sehr spärlich, 




1 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


Diätetische Verordnung wie in 
den vorher angeführten Fäl¬ 
len. Bei so bedeutenden 
Storungen war an einer Aus* 

| gleichung der Störungen nicht 
mehr zu denken, wenngleich 
in den ersten Tagen eine 
vorübergehende Besserung 
eingetreten ist. Der Tod er¬ 
folgte unter Zunahme der 
bronchitischen Erscheinungen 
und völliger Sistirung der 
Diurese unter den Erschei¬ 
nungen des Ilirn-Oederas. 
Professor Oertel empfahl: 
Reduction der Flüssigkeit auf 
870—1000 ccm vorzüglich 
eiweisshaltige Nahrung, spä¬ 
ter auch etwas Mehlspeise, 
massige Bewegung, 2 bis 3 
•Striche auf den Kurwegen B 
(Steigung von ca. 10°), sac- 
cadirtes Ausathmen und im 
Winter die Benützung des 
Waldenburg’schen Appa¬ 
rates. Unter dieser combi- 
nirten Behandlung wurden 
die asthmatischen Anfälle im¬ 
mer seltener und schwächer. 
Appetit und Schlaf gut. 
Athemnoth beim Steigen ge¬ 
ringer. Körpergewicht im 
Mai 1887: 57 Kilo. Hustet 
wenig, Kräftezustand gut. Im 
Ganzen eine fortschreitende 
Besserung. 

Diät wie in No. 1. Es wird 
vor Allem Bewegung und 
Muskelthätigkeit empfohlen. 
Anfangs Vormittags und Nach¬ 
mittags ca. 1 Stunde, später 
l'/ a —2 Stunden täglich auf 
Kur wegen B und C (nach 
Gerte l’scher Terrain-Karte), 
inlt einer Steigung bis zu 
15°. Nach 4 wöchentlicher 
| Uebung bedeutende Bes¬ 
serung. Der Kranke mar- 
schirt 4 — 5 Stunden täglich 
| bei 2 Stunden Steigung ohne 
dyspnoische Erregung und 
Anstrengung. Herzschlag nor¬ 
mal, kräftig, Herztöne rein. 

I Puls 72, voller, kräftiger, 
regelmässig. Schlaf sehr gut, 
Appetit und Verdauung nor¬ 
mal, Harn klar, eiweissfrei. 
Das Körpergewicht, das bei 
Beginn der Kur 107,35 kg 
betrug, ging nach 6 Wochen 
auf 99,25 kg zurück, später 
nach Brief vom 14. Juli 1886 
auf 94 kg. Schwindelanfälle 
selten und sehr gering. An¬ 
dauernde Besserung. 
Eiweissreiche Kost gesottenes 
oder gebratenes Fleisch. Ge¬ 
flügel 300—400 Gr., täglich 
Salat, Gemüse, Compotte, 
Kaffee, Wein 600—750 ccm 
täglich, möglichst viel Auf¬ 
enthalt im Freien, Anfangs 
I auf dem Balcon oder im Roll¬ 
wagen fahrend,später */*stän¬ 
dige Bewegung in der Ebene, 
dieallmählichauf 1, 2, 3Stua- 
den auf Wegen mit massiger 
Steigung (Curwege B) aus¬ 
gedehnt worden. Nachts Mor- 
phium-Inj. oderChloralhydrat, 
die nach 3 Wochen wegge¬ 
lassen werden konnten. Nach 
4 wöchentlicher Kur war der 
Kranke sowohl am Tage als 
des Nachts asthmafrei, die 


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Nummer 


5. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 



Dauer der j 

Erkrankung und ] Status praesens Diagnose 
Anamnesis 


trübe, schwach ei¬ 
weisshaltig, keine 
Cylinder. Oedem 
beider Unterextre¬ 
mitäten und Genita¬ 
lien. Hochgradige 
Dyspuoe schon bei 
der geringsten Be¬ 
wegung im Zimmer. 
Schlaflose Nächte. 
Appetitlosigkeit. 


« aS« 

■X £3 ■ ° 

“-•es 


Differenz 


a gc n 

Ssj weniger mehr 


8 Vom 
März 1 
bis 1. 
1886. 


Herr P. (Seit 1880 
aus Walt-' nervosum. 


mor. 42 J. 
alt. 


•eit 1880 Asthma 
nervosum. Im Juni 
1885 Gelenkrheuma¬ 
tismus, Eiterung im 
linken Ellbogenge¬ 
lenk. Von dieser 
Zeit an Herzschwä¬ 
che und Oedem der 
Beine. Die Oertel- 
Cur von sehr gutem 
Erfolge. 


Mittelgross, mässiger Fettherz. In-15. März 1886 800 
Fettansatz, Gesichts- sufficienz des "28. „ „ 950 

färbe leicht cyano- Herzmuskels, 
tisch, Herzdämpfung Stauungen, 
massig vergrössert, Oedem. 

Herz - Contractionen 
kräftig, manchmal 
unregelmässig, Puls 
72 in d. M., meist 
zweimal aussetzend. 

Leichtes Emphysem. 

Appetit, Verdauung, 

Stuhlgang normal. 

Harn eiweissfrei. 

Körpergewicht 1885 
93 kg, Anfangs März: 

1886 82 kg. 


9;voml. 

1886 

16. 

1886 


Apr. FrauB.aus Vor 25 Jahren Pleu- 
bis Fraukfurt ritis, 5 Mal Recidi-( 
Mai a. M.45J. ven, die letzte 1880. 
alt. Von da an wurde die 

Kranke anämisch, es 
stellte sich schmerz¬ 
haftes Herzklopfen 
ein. Kurzathmigkeit, ! 
Krampf am Kehlkopf: 
durch 4—5 Minuten, 
der das Sprechen 
unmöglich machte. 
Die Nacht wurde 
durch Herzklopfen 
und unregelmässige 
Herzaction oft ge¬ 
stört. 


Schlanker, grosser Mässige Dila-31. März 
Körperwuchs. Herz- tation des 1. April 
dämpfung bis zum rechten Ven- 2. „ 
rechten Stemalrand, trikels.Insuf- 6. „ 

Herztöne schwach ficienz des! 3. Mai 
hörbar, rein, regel- Herzmuskels.! 10. „ 
inässig, Puls klein, 
leer, 72 in d. M. 

Körpergewicht 70 kg. | 


1886! 970 
U25 


785 185 

880 245 


10Vom4.Sep- Herr D., Der Vater starb an 
tember : Kaufmann Herzschlag mit 60 
1886 bis ans St. Jahren, die Mutter an 
18. Ort. ; Gallen. Wassersucht mit 73 
188£. 


Mittelgross, kräftig ge-! Insufficienz ! 6. Sept. 1886 
baut. Herzdämpfung' des Ilerzmus-j 7. „ „ 

nioht vergrössert, 1 kels. ! 8. „ „ 


Gallen. Wassersucht mit 73! 
47 Jahre Jahren. Der Kranke, 
alt. war sonst immer ge-! 

sund und spürt erst] 
j seit 2 Jahren starkes 
I nerzklopfen. Oefterej 
I Muskelrheumatismen,! 
I die wieder vergingen.; 


nioht vergrössert, kels. 
Herzspitze. Querfin¬ 
ger unter der Brust¬ 
warze, starkes An^ 
schlagen des Herzens 
an die Brustwand.j 
Herztöne 145 in d. 

M., regelmässig, rein, 1 
sehr deutlich hörbar.' 

Puls klein, leer,nicht 
zählbar. Leber etwas 
vergrössert. Ham 1 
eiweissfrei. Leichtes' 
Oedem an den Knö¬ 
cheln. i 


; 10 . „ 
.20. Oct. 
,27. „ 

' 4. „ 

12 . 


950 1325 

850 25 

845 155 

795 205 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


Oedema waren bis auf Spuren 
verschwunden, der Appetit 
befriedigend, später sehr gut, 
Puls 76,kräftiger und weniger 
arythmisch, Harn helleiweiss 
frei; die hier erzielte über¬ 
raschende Besserung 
hielt leider nicht lange an, 
denn Ende Juni trat zu Hause 
in Folge vehementer Magen- 
Blutungen der Tod durch 
Erschöpfung ein. 

Diaetet. Regimen wie in No. 1. 
Der schon 1885 eingeleitete 
gute Erfolg blieb fort¬ 
während ein sehr güns¬ 
tiger. Die Oedeme schwan¬ 
den gänzlich. Patient konnte 
4—5 Stunden auf Wegen 
mit grösserer Steigung (C.) 
und selbst steile Berghöhen 
(D) ohne Atbemnoth und Er- 
; müdung zurücklegen. Athem 
* frei, die Ernährung und 
] Kräftezustand vorzüglich. 

! Eine Unterbrechung dieses 
Wohlbefindens erlitt der 
Kranke in den erstenTagen des 
I April, wo sich in Folge von 
j Ueberanstrengung bei Touren 
1 instarkerSonnenhitzeSchwin- 
I delanfälle, Appetitlosigkeit, 

, unregelmässiger beschleunig- 
, ter Herzschlag einstellten. 
Zimmerruhe, Eisumschläge 
auf den Kopf und besonders 
kalte Begiessungen dessel¬ 
ben, stellten in 10 Tagen 
den früheren Zustand wieder 
her. Körpergewicht Ende Mai 
; 1886 79,100 Kilo, somit Ab¬ 
nahme um 13,900 Kilo seit 
Beginn der Oertel-Kur. 

Die mit grossem Eifer von 
Seite der Krauken durchge¬ 
führte 6 wöchentliche Behand¬ 
lung nach der Oertel’schen 
Methode hatte das gute Re¬ 
sultat, dass Herzklopfen selbst 
bei Ersteigung von etwas 
steileren Wegen gar nicht 
m< hr und nur manchmal beim 
raschen Treppensteigen in 
schwachem Grade und Nachts 
nie mehr sich einstellte, die 
Nächte ruhig wurden und der 
Krampf am Kehlkopfe ganz 
verschwand. Die Herzcon- 
tractionen wurden kräftiger, 
ausgiebiger, die Herztöne 
deutlicher hörbar, der Puls 
voller. Diese entschiedene 
Besserung war auch im 
Frühling 1887 zu constatiren. 
Dyspeptische Erscheinungen 
traten nie ein. 

Oertel’sche Diät. Besse¬ 
rung des Allgemeinbefindens. 
Der Kranke fühlt sich nie 
mehr so matt wie Anfangs, 
steigt leicht und ohne Athem- 
noth, Herzklopfen viel selte¬ 
ner, schläft und isst gut. 
Herzcontractionen 140, regel¬ 
mässig, Puls noch immer 
fadenförmig, kaum zu fühlen. 
Die früher bestandene Stuhl¬ 
verstopfung, ebenso das Durst¬ 
gefühl haben sich gebessert. 
Das Oedem der Knöchel hat 
sich verloren. Das Körper¬ 
gewicht, das früher 79 kg, 
war bei der Ankunft hier 
76,300 kg, nahm um 2 kg 
ab (74,300). 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 14 


achtung 


Namen, 

Beschäfti- 


11 Vom 14. 
Sept. 1886, 
bis 29. Oct. 
1886. i 


Herr C. P., 
Gutsin¬ 
spector aus 
Mannheim. 
48 Jahre 
alt. 


Dauer der 
Erkrankung und 
Anamnesis 


Hereditär nicht be¬ 
lastet,erkrankte 1881 
an Gelenkrheumatis¬ 
mus, Endocarditis, 
ging 6 Monate lang 
auf Krücken, ge¬ 
brauchte in Aachen 
mit Erfolg die elek¬ 
trischen Bäder. Oft 
trat ohne jede Ver¬ 
anlassung Schwel¬ 
lung der Gelenke 
ein. Oedeme an den 
Knöcheln. 


Status praesens 


Diagnose 


|3 2ä J £U>J 

'I|1J III 

a«i* l |a 

I in ccm in ccm 


Differenz 

weniger mehr 
Harn Harn 


dunsen, bläulich-roth tismus. 
gefärbt, starker Pan- 
niculus adiposus. 
Herzdämpfung bis 
zur Mitte des Ster¬ 
nums. Herztöne et¬ 
was schwach hörbar. 

Puls 88, kleiu, leer. 

Hoher Stand des 
Zwerchfells, Leber¬ 
dämpfung vergrös-j 
sert. Das linke Bein 
atrophisch. Herz¬ 
klopfen mit Schmerz 
verbunden. Athern- 
noth beim Treppen¬ 
steigen. Im Winter 
Katarrhe, Asthma. 


22. Sept. 1886 

2625 

1025 1 

23. „ 

jy 

945 

1115 

26. „ 

yy 

1100 

1135 

j 4. Oct. 

yy 

1000 

1195 

17. „ 

yy 

750 

1195 

20. „ 

yy 

750 

1510 

21. „ 

yy 

1100 

1805 

|26. „ 

yy 

1000 

1485 


12 Vom 12. 
Oct. 1886 
bis 6 Jan. 
: 1887. 


HerrCh.O., 
Seeoffi- 
cier aus 
London. 
49 Jahre 
alt, 


War immer gesund 
bis 1871, wo er 
Gicht in den Fuss- 
gelenken, in den 
Knieen und später 
in den Hüftgelenken 
bekam, 1876 wurden 
auch die Gelenke der 
Arme befallen, zu¬ 
letzt vor 2 Monaten 
auch die Gelenke der 
beiden Zeigefinger. 
Rheumatismen und 
Albuminurie. 


13j Vomö.Oct.l 
| 1886 bis' 
15. Dec. i 
1886 uudj 
vom 6. i 
: März 1887 
bis 20. j 
I Apr. 1887 


Herr J., 
Doctorand 
der Jur. 
prud. aus 
Odessa. 
23 Jahre 
alt. 


Von gesunden Eltern, 
hatte im 10. Jahre 
Wechselfieber, kam 
sehr herunter. Ner¬ 
vöse Zuckungen. 
1880 Muskel rheurna- 
tismus am Rücken, 
häufige Pollutionen, 
grosse Aufregung, 
Athembeschwerden, 
Herzklopfen beim 
Treppensteigen, 
1883 in Ischl unbe¬ 
deutende Besserung, 
zu Hause Verschlim¬ 
merung, bekam selbst 
beim Gehen in der 
Ebene Herzklopfen. 
1885 wieder in Ischl, 
gebrauchte Milch- 
und Molken - Curen 
ohne Erfolg, wurde 
kurzathmiger als 
früher, fühlte sich 
besonders bei Hitze 
und Regenwetter 
recht elend. Patient 
lebte stets sehr mäs- 
sig und regelmässig. 


Bedeutender Fettan-,Gicht, Fettlei¬ 
satz des mittelgrossen! higkeit, Fett- 
Kranken. Gesicht,' herz, Rheu- 
aufgedunsen, bläu- tismus, 
liehe Färbung der Oedem. 
Schleimhäute. Oede¬ 
me der Füsse. IIer/, 
nicht vergrössert, 

Töne rein, regel¬ 
mässig. Puls 60, 
klein, grössere Le¬ 
ber. Trockene Haut. 

Gichtknoten beider 
Zeigefinger, Steifheit 
derFussgelenke. Auf 
treibungen dersel¬ 
ben, im Harn Spuren 
von Eiweiss, 0,05 % 

(Esbach’s Albumi¬ 
nimeter). 

Die Untersuchung des Insufficicnz , 
kleinen schwächli- der Aorta und 
chenKranken ergab: Mitralis. 
Blasse, etwas cyano- 
tische Gesichtsfarbe, 
stark undulirende 
Bewegung des 3., 4 . 
und 5. Intercostal- 
raumes, ein stark 
sausendes u. schwir¬ 
rendes Geräusch er¬ 
setzte den ersten Ton 
am linken Ostium 
ven. und den zweiten 
Ton über der Aorta 
ascend., besonders 
über dem Arcus aor- 
tae. Herz imLängeu- 
durchmesser ver¬ 
grössert. Puls 72, 
eher voll, regelmäs¬ 
sig. Venen nicht auf¬ 
fallend ausgedehnt, 
keine Oedeme. Der 
Ham meist klar, ei¬ 
weissfrei. Körperge¬ 
wicht 51,600 kg. 


14. Oct. 

15. „ 

16. „ 
17. ., 
24. Nov. 
31. „ 
22. Dec. 
30. „ 


1800 1540 
2400 2115 
600 1295 
725 1245 
875 | 1630 
900 1315 
1030 i 1380 
900 1585 


9. Oct. 

10 . „ 
11 . „ 
22 . „ 

1. Nov. 

23. „ 
10. März 
15. „ 


1886; 1260 1 

1020 i 

240 j 

„| 680 i 

806 | 

I 126 

„ 750 j 

1110 

1 360 

„ i 750 i 

1160 j 

1 410 

„ i 800 ; 

1290 

740 

., 775 

1065 

290 

I887i 760 j 

1040 i 

280 

,, ! 760 ! 

1185 1 

1 425 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


Nach 6 wöchentlicher Oertel- 
Kur: Reduction des Kör¬ 
perfettes, Kräftigung 
des Herzmuskels. Das 
Körpergewicht, das vor l'/s 
Jahren 114 kg, am 17. Sep¬ 
tember 1886 92 kg betrug, 
war bei der Abreise 87 hg, 
nahm also um 5 kg ab. Der 
Kranke steigt täglich 9 bis 
10 Stunden (Wege B und C), 
bei 4—5 Stunden Steigung bis 
zu 15° ohne Anstrengung und 
Athemnoth; Herzklopfen nun¬ 
mehrselten, ohne die schmerz¬ 
haften Stiche. Die Beine frei 
von oedem. Schwellung; 
Herztöne kräftiger, Puls 80, 
voll, regelmässig; Husten ge¬ 
schwunden, die Stimmung 
heiter, ohne nervöse Aufre¬ 
gung, der Appetit sehr gut, 
ebenso der Schlaf, Verdauung 
und Stuhl normal. Laut 
brieflicher Nachricht vom 
August 1887 ausgezeichnetes 
Befinden. 

Nach fast 3 monatlicher Be 
band lang nach Oertel: Re¬ 
duction des Körperfet¬ 
tes, allgemeine Kräfti¬ 
gung, Aufsaugung des 
0 e d e m s. Das Körpergewicht 
im Juni 1886 90 kg, 9. Ja 
nuar 1887 82 kg, Abnahme 
um 8 kg. Es erfolgte kein 
Gichtanfall. Die Schwellung 
der Fingergelenke geringer. 
OedemeöerFüsse aufgesaugt; 
steigt viel leichter und ohne 
Kurzathmigkeit, was früher 
unmöglich war. Puls 72, 
kräftiger, voller, Ham eiweiss¬ 
frei, klar. Guter allgemeiner 
Zustand. 


Da die in den letzten Jahren 
empfohlenen und angewende¬ 
ten Milch- und Molkenkuren 
den Zustand verschlimmerten, 
so versuchte es Dr. Schütz 
in Ischl mit der Oertel- 
Kur, und von der Zeit, wo 
die Flüssigkeitsaufnahme be¬ 
schränkt wurde, fühlte sich 
der Kranke auffallend erleich¬ 
tert, die Athembeschwerden 
und Herzklopfen nahmen ab, 
so dass in kurzer Zeit schon 
kleine Anhöhen bestiegen 
werden konnten. Ende Sep¬ 
tember 1886 bei Oertel in 
München. Neben der be¬ 
kannten Diät war dem Kran¬ 
ken auch etwas Butter und 
Mehlspeise gestattet. Nach 
durch 7 Monate hier sehr ge¬ 
wissenhaft durchgeführter Kur 
bedeutende Besserung, 
Ausgleich zwischen ar¬ 
teriellem und venösem 
Gefässapparat. Der all¬ 
gemeine Zustand aus¬ 
gezeichnet. Die spontanen 
und durch geringe Körper¬ 
bewegung früher so häufig 
eingetretenen Herzerregun¬ 
gen und dyspnoischen Zu¬ 
stände und Cyanose der Haut 
vollständig verschwunden. J)ie 
Erschütterung des Torax hat 
sich links auf geringe Unda- 
lationsbewegung des vierten 
und fünften Intercostalraumes 


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Nummer 


5. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Beob¬ 

achtung 


I Namen, 
Beschäfti- 


Dauer der 
Erkrankung und 
Anamnesis 



14 Vom iFrau P. L. Der Vater starb an 
25.0ctoberj aus Bles- einem Herzleiden. 

1886 bis ! kau verh. 1857 Pleuritis, 1881 

25. März 37 Jahre nach der letzten 

• 1887. alt. J Schwangerschaft 

i ! | Bronchitis und Hae- 

! | moptoe. Asthma. 

( Professor Reicher 

! in Dorpat diagnosti- 

' cirte ein Herzleiden. 

1885 Hydrops der 
1 unteren Extremitä- 

| ten. Milchcur, Digi- 

1 talis, ohne Erfolg. 

Eiweiss im Harn. Dr. 

Franken häuser 
in Petersburg em¬ 
pfahl eine Oertel- 
: Cur. Im Oltober 

I 1886 eine Woche in 

! München in Beliand- 

i lung des Professors 

! OerteK 


Gross, stark abgema- Insufficienz d. 
gert; Gesicht liviri,[Mitralis, hoch- 
massige Vergrösse-' gradige Stau¬ 
rung des Herzens, ungen, 
nerzstoss verstärkt Oedein. 
und verbreitet, sys-; 
tolisches Geräusch 
an der Herzspitze. 

Puls 74, klein, un¬ 
regelmässig, katarrh. 

Rasseln II. R. U. 

Harn spärlich, trübe, 
weuig eiweisshaltig, 

0,02 °/ 0 (Esbach’s 
Albuminim-). Leber¬ 
anschwellung, teigi¬ 
ges Oedem bis zu 
den Hüften, Ascites, 
Schwindelgcfüld, 

Herzklopfen, Sch wer- 
athmigkeit, Schlaf 
oft gestört. Körper¬ 
gewicht 67 kg. 


10. Febr. 

1886 

900 

480 | 

420 


11. „ 

55 

900 

540 ! 

360 


8. „ 

55 

900 

580 

320 


22. April 

57 

900 

930 i 


30 

2. Juni 

5? 

900 

760 

140 


16. Sept. 

55 

900 

1020 


120 

20. Oct. 

54 

55 

900 

830 

70 


29. „ 

750 

900 


150 

14. Nov. 

55 

750 

1130 


380 

2. Dec. 

fy 

750 

1120 . 


370 

7. Febr. 1887 

750 

1040 


290 

1. März 

45 

750 

1000 


250 


15 Vom Frau Ti. St.Der Vater an Heiz-Mittel massige Ernäh- 
28. Novhr. aus Wies- krankheit, die Mutter nmg, zarter Körper- 

1886 bis baden. ; an Phthisis gestor- bau; geringe Ver- 

28. März : 45 Jahre j ben. In der Jugend grössemng des rech-| 
1887. alt. chlorotisch, nach dem ten Ventrikels, sys- 

sechsten Wochenbett tolisches Blasen, Puls 
Metritis, litt öfter 84, klein, leer, re- 
i an rheumatischen gelmässig; Uterinal- 
i Schmerzen in den katarrh, Harn klar, 
i Gelenken, und war frei von Albumen. 
i wegen Chloroanämie Seit den letzten 
undSchwächezustän- Jahren Herzklopfen,[ 
: den öfter in Schwal- Engathmigkeit, Gon¬ 
bach. Anämische gestion zum Kopfe, 

| Geräusche bei der grosse Erregbarkeit. 

| Systole waren immer Durch zu lange fort-, 
, vorhanden; die Kran- gesetzte Ent- J 
ke hatte früher reich- ziehungskur magerte, 
. liehen Fettansatz, die Kranke sehr ab. 
i Körper-Gewicht im Collapszustände, ’ 

i Jahre 1884 73 kg. wurde schlaf-, appe-j 
titlos und unfähig,! 

1 ! I zu gehen. Körper-1 

i gewicht (Novemberl 

; 1 1886) 59 kg. I 

16 Vom3.Nov. Frl. S. F. .Die Mutter starb an Klein, mager, stark 

1886 bis aus Stutt -1 Herz- und Lungen- scoliotisch. Gesicht 
3. Januar gart. leiden. Im 11., 27. cyanotisch, die uu- 
1887. 46 Jahre | und 28. Lebensjahre teren Extremitäten 

alt. , Gelenkrheumatismus, stark ödenjatös. Herz 
Mit 15 Jahren chlo- nicht vergrössert, 
i rotisch. Seit 1885 lautes systolisches 
! immer krank, Herz- Geräusch an der 
l klopfen, Oedem der Herzspitze und sau- 
Füsse und Unter- sendes Geräusch 
schenke!. über der Aorta, fein- 

blasiges Rasseln in 
1 den unteren Lungen¬ 

lappen, bedeutende 

i I j Vergrösserung der 

' ' j Leber; Ascites. Im 

j i j Harn Eiweiss, 0,05° o 

1 I j I (Esbach’s Album.), 

J | | hochgradiges Oedem 

I der unteren Extre- 

i | mitäten. 

17 Vom G. M. aus Früher sehr kräftig Mittelgross, sehr ma- 
12. Novbr. Ingolstadt, ( und gesund, erkrank- ger, blasse Gesichts- 

i 1886 bis Studiosus.i te vor 2 Jahren an färbe, leichte Scoli- 
I 12. März 16*/* Jahre Gelenkrheumatismus' ose, Herzstoss ver- 
1 1887. alt. ' mit Endocarditis, er-! stärkt, zwischen 5. 


Fettleibigkeit, 21. Oct. 1886 | 
Fettherz, In-1 in München j 
sufficienz des,24. Oct. 1886 
Herzmuskels. 25. „ ,, \ 

10. Nov. „ | 
26. Febr. I887| 
j 2. März „ | 

**• » V I 

1 8 . „ „ 


Insufficienz 29. Oct. 1886 1 
der Mitralis,! in München • 
hochgradige 30. Oct. 1886 
Stauungen, 31. „ „ ■ 

Oedem. ' 1. Nov. „ 

, 7 - „ „ 

10 . „ „ | 

25. Dec. „ 

! 1. Jan. 1887 


Insufficienz 28. Oct. 1886 
der Mitralis. ! in München 

29. Oct. 1886 

30. „ „ 

,17. Nov. „ 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


beschränkt; die Geräusche in 
der Aorta und Mitralis schwä- 

| eher; Puls 64, voller, kräfti¬ 
ger, regelmässig, Kranker hat 
keinMüdigkeitsgefühl,Schwer- 
athmen und Herzklopfen, auch 
wenn er 5—6 Stunden bei 

3 Stunden Steigung selbst 
steiler Wege (D) marschirt. 
Körpergewicht 48,400 kg. 

Nach 5 monatlicher Behand¬ 
lung nach Oert61*8 Methode 
Kräftigung des Herz¬ 
muskels, Ausgleichung 
der Stauungen, Aufsau¬ 
gung des Oedems. Leber¬ 
anschwellung gering, Ascites 
und Oedeme schwanden voll- 

! ständig, Puls 80, voller, kräf¬ 
tiger, regelmässig; Harn klar, 
ei weissfrei, spec. Gew. 1,021, 
Schlaf gut, Appetit, Verdau¬ 
ung regelmässig, Stuhlgang 
etwas retardirt; Körperge¬ 
wicht 62,850, die Gewichts 
abnahme von 4,150 kg war 
auf Rechnung des Wasser¬ 
verlustes zu setzen. Das 
Schwindelgefühl hat sich ver¬ 
loren; die Kranke kann ohne 
Beklemmung und Herzklopfen 
dreistündige Spazierwege bei 
7* Stunde Steigung unter¬ 
nehmen. 

Diät: Vorwiegend Fleischuali- 
rung. Weuig Milch, Brod mit 
etwas Butter, Eier, Gemüse, 
Compotte, Obst, Wein. An¬ 
fangs vorsichtige Bewegung, 
Wege A und B. In 5 Mo¬ 
naten entschiedene Bes¬ 
serung des allgemeinen 
Zustandes, der Kräfte 
und Ernährung. Der Herz¬ 
schlag ausgiebiger, das sys¬ 
tolische Blasen viel schwächer. 
Puls 72, kräftiger, regelmässig, 
Herzklopfen viel seltener und 
schwächer, kann täglich 3 bis 

4 Stunden ohne Beklemmun¬ 
gen gehen (Wege B und C), 
guter Appetit, Schlaf befrie¬ 
digend. Die früher constante 
Stuhlverstopfuug nur manch¬ 
mal vorhanden. Das Körper¬ 
gewicht 55,500 kg. 


Die im Sommer 1886 von Hof¬ 
rath Sucbier in Herrenalb 
eingeleitete Behandlung nach 
I Oertel’s System hatte den 
j überraschenden Erfolg, dass 
i die Oedeme schwanden und 
die Kranke 3 bis 4 Stunden 
ohne Mühe gehen konnte, aber 
nach Stuttgart zurückgekehrt, 
traten bald die früheren Be¬ 
schwerden und Kreislaufstö¬ 
rungen wieder ein, die all¬ 
mählich und durch hinzutre¬ 
tendes Hirn-Oedem den Tod 
, herbeiführten. 


580 520 , 

750 350 

740 10 

830 


Die Ernährung fand staft durch 
gemischte Kost, besonders 
eiweissreiche Nahrungsmittel 
neben entsprechenden Mengen 
von Fett und Kohlehydraten. 


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Google 











286 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 14. 


Beob¬ 

Namen, 

Beschäfti- 

Dauer der 

Erkrankung und 

Status praesens 

Diagnose 

Zeit 

a«.g 

uü 

J*S“ 

^ a 

© Ä 

II 

Differenz 

i 

achtung 

Alter 

Anamnesis 


|J* 

weulger 

Harn 

mehr 

Harn 





| 


Id ccm 

ln ccm 





holte sieh und be¬ 

bis 6. Rippe in der 


1. Dec. 1886 

750 

1090 


340 



kam im März 1886 

Mamiilarlinie starke 


11. „ „ 

750 

905 


155 



neuerdings Gelenk¬ 

Erschütterung des 


1, Jan. 1887 

600 

945 


345 



rheumatismus, hefti¬ 

Thorax, Herzdäm- 


10. Febr. „ 

750 

1690 


440 



ges Herzklopfeu, 

pfung bis zum rech¬ 


28. „ „ 

750 

810 


60 



Athemnoth, musste 

ten Sternalrand. Ein 









Nächte hindurch sit¬ 

lautes systolisches 









zend ausser Bette 

Geräusch an der 









zubringen. Oedein 
der Füsse, consul- 
tirte imOctober 1886 

Mitralis, zweiter Pul¬ 
monalton rein. Puls 
112, klein, leer und 
regelmässig. Ver- 









Prof. Oertel. 







grösserung derLeber, 
Bauch eingezogen. 
Zwerchfell - Athmen 



. 

bei geringer An¬ 
strengung, dyspno- 
ische Erregung und 
stürmische Herzac¬ 










tion. Appetit gering, 
viel Durst, Stuhl ver¬ 










stopft. Im Harn ge¬ 










ringe Mengen Ki- 
weiss, 0,01 % (Es¬ 










bach’s Albumin.). 
Körpergewicht 42 kg. 







Vom 

Herr M., 

In der Jugend immer 

Mittelgross, ziemlich 
corpulent. Herzer¬ 

Nephritis 

15. Nov. 1886 

1810 

1455 

355 


12. Novbr. 

Direktor 

gesund, später ein 

chron. Fett¬ 

16. „ „ 

1825 

1060 

765 


1886 bis 

aus Magde¬ 

rüstiger Bergsteiger, 

weiterung, erster Ton 

herz. 

17. ,, „ 

1270 

1380 


110 

25. Febr. 

burg, 

war seit 1878 wegen 

der Tricuspidalis 


18. „ „ 

1045 

1365 


320 

1887. 

56 Jahre 

Fettleber, Gallen¬ 

dumpf, zweite Töne 


3. Dec. „ 

1025 

2090 


1065 


alt 

steine, Gelbsucht in 

rein und schwach. 


18. „ „ 

1095 

2380 


1285 



Carlsbad. Im Juli 

PulslOO,von ungleich 


14. Jan. 1887 

1095 

1255 


160 



1886 apopleetiformer 

mässiger Spannung, 


5. Febr. „ 

975 

1710 


735 



Anfall, Morbus 

klein und leer, 


22. „ „ 

975 

1600 


625 



Brightii, Eiweiss im 
Harn, blieb oft wo¬ 
chenlang aus und 
kehrte daun wieder. 

manchmal ausset¬ 
zend. Harn spärlich, 
eiweisshaltig, 0,25 
(Esbach’s Album.), 









Doppelsehen seit dem 

grosse Athemnoth 









Anfalle. Körperge¬ 

beim Treppenstei¬ 









wicht früher 106 kg. 

gen. Doppelsehen. 
Schlaf, Appetit und 










Verdauung normal. 

Körpergewicht 
103,75 kg. 






\ 

Vom 

HerrFr.Pf. 

Von gesunden Eltern, 

Gross, von kräftigem 

Fettleibigkeit. 

2. Dec. 1886 





8. Decbr. 

Kaufmann 

war bis zum 24. Jahre 

Körperbau und star¬ 

Fettherz. 

in München: 

1620 

1160 

460 


1886 bis 

aus Jaluit 

immer gesund und 

ker Fettbildung, 
raässige Vergrösse- 


3. Dec. 1886 

1000 

780 

220 


27. Januar 

in Südsee. 

mager, ging nach 


4* „ », 

800 

400 

400 


1887. 

40 Jahre 

Calcutta, machte dort 

rung des Herzdurch¬ 


io. „ „ 

800 

675 

125 



alt. 

wenig Bewegung, 

messers, schwache 


17. ., „ 

800 

810 


10 



trank viel starkes 

Herztöne, leerer, klei¬ 


12. Jan. 1887 

800 

905 


105 



engl. Bier, wurde 

ner Puls, 80 in d. M. 









dabei sehr fett, trinkt 

Cyanose der Schleim¬ 









aber seit 10 Jahren 

häute, klagt seit 1 









keine Spirituosen 

Jahre an Kurzath- 








■ ■ 

mehr. 

migkeit, Herzklopfen, 
Blutandrang zum 

Kopf und grosser 
psychischer Erre¬ 
gung. Körpergewicht 

105 kg. 







Vom 

Frau S. 0. 

War in der Jugend 

Mittelgrosse, zarte, 

Insufficienz 

6. Dec. 1886 





9. Decbr. 

aus Nor¬ 

gesund,verheirathete 

schlank gebaute Da¬ 

und Atrophie 

in München: 

1250 

615 

635 


1886 bis 

wegen, 

sich sehr jung, hatte 

me mit schlaffer Mus¬ 

des Herzmus¬ 

7. Dec. 1886 

925 

675 

250 


4. März 

56 Jahre 

8 Kinder, bei dem 

kulatur, blasser,bläu¬ 

kels, hochgra¬ 

hier; 





1887. 

alt. 

letzten starke Blut¬ 

licher Haut; Herz¬ 

dige Arythmie. 

11. Dec. 1886 

725 

625 

100 




verluste vor 8Jahren. 

dämpfung etwas ver¬ 

18. „ „ 

1240 

614 

626 




1881 Lungenentzün¬ 

kleinert, Herztöne 


9. Jan. 1887 

650 

750 


100 



dung, behielt seit¬ 

schwach, Puls 100 


io. „ „ 

500 

740 


240 



dem Neigung zu 

bis 120, klein, leer, 


1. Febr. „ 

675 

870 


195 



chronischer Bronchi- 

sehr unregelmässig,! - 

3. „ ,, 

610 

740 


130 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


Trennung von festen und 
flüssigen Nahrungsmitteln und 
Darreichung kleinerer Portio¬ 
nen auf einmal. Sehr vor¬ 
sichtige Gehübungen auf ebe¬ 
nen und mässig ansteigenden 
Wegen (A und B). Nach 
vier Monaten Besserung, 
Kräftigung des Herz¬ 
muskels. Der Puls kräfti¬ 
ger, 100. Die Undulations- 
bewegung wieder heftig auf 
den 4. und 5. Intercostalraum 
• beschränkt, Herzklopfen sel¬ 
tener, ebenso die Dyspnoe, 
selbst beim Steigen mässiger 
Anhöhen keine wesentlichen 
Athembeschwerden, guter 
Schlaf und Appetit. Fett¬ 
polster und Muskulatur haben 
an Volumen zugenommen. 
Körpergewicht 48,800 kg. 

, (Zunahme um 6,800 kg.) 
: Ham eiweissfrei. Oedeme 
| sind nirgends vorhanden. 

Nachdem auf Vorschlag des 
Herrn Geh. Medicinal-Rathes 
Prof. Weber in Halle Dr. 
Kette in Magdeburg eine 
massige Flüssigkeitsentzie¬ 
hung nach 0 e r t e 1 'sehen Prin- 
cipien mit Erfolg durchge¬ 
führt hatte, wurde diese Kur 
durch 2Vs Monate hier fort¬ 
gesetzt und besonders auf 
Regelung der Diät (vorwie¬ 
gend ei weisshaltige Nahrung), 
regelmässige Bewegung, vor¬ 
sichtiges Bergsteigen Bedacht 
genommen und damit Kräf¬ 
tigung des Herzmuskels, 
Entfettung und Besse- 
i rung des Gesammtbefin- 
| dens erzielt. Puls 72, kräf- 
i tiger, regelmässig. Kein 
Schwindelgefühl mehr; der 
Kranke geht ohne Athem- 
notb 4—5 Stunden bei 2 bis 
3 Stunden Steigung (Wege 
B und C). Körpergewicht 
96,500 kg, Abnahme um fast 
7 kg. Sämmtliche Functionen 
geregelt. Eiweissoft8-14Tage 
verschwunden, zeigt sich in 
Spuren wieder. Patient fühlt 
sich im Allgemeinen sehr wohl. 
iDiätwie im Falle 18. Flüssig- 
I keitsentziehung und viel Be- 
j wegung, Bergsteigen, von 
Prof. Oertel angeordnet. 
Nach 2 Monaten Reduction 
des Körperfettes, Kräf¬ 
tigung des Herzmuskels. 
Herzthätigkeit kräftiger, der 
i Puls voller, 72, regelmässig. 
| Körpergewicht 97 kg, mithin 
Abnahme um 8 kg, geht täg¬ 
lich 4—5 Std., steigt ca. 3 Std., 
spürt keine Athemnoth, Herz¬ 
klopfen und Blutandrang zum 
Kopfe mehr. Abnahme derReiz- 
barkeit, Appetit, Verdauung, 
Stuhl regelmässig, Schlaf sehr 
gut,&llgemeinesWoblbefinden. 
Prof. Oertel verordnete eine 
kräftige Diät mit gemischter 
Nahrung, etwas Butter, Mehl¬ 
speise, starke Weine, Flüssig¬ 
keitsentziehung, Muskelthä- 
tigkeit durch Bewegung. Im 
Januar 1887 war bereits eine 
erfreuliche Besserung, 
Ausgleichung der Stauungen 
in den Lungen und Nieren 


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5. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


287 


Namen, 

** ( Beob- Besehäfti- 
| achtung gung, 

I Alter 


Dauer der 
Erkrankung und 
Anamnesis 


tis, v&r deshalb im 
Winter wiederholt in 
Pau, Biaritz. Seit 
zwei Jahren Herzbe¬ 
schwerden. 


21 Vom Herr 

10. Üecbr. W. v. C. 


Die Mutter litt an 
Asthma. Schwäch - 


1886 bis aus Russ-1 lichkeit in der Ju- 


6. April 
1887. 


(and, 
30 Jahre 
alt. 


gend, scrofulöse 
Exantheme in der 
Haut, wiederholt 
hartnäckige Bron- 
chial-Katarrhe. Seit 
1884 heftige lang- 
andauernde Asthma¬ 
anfälle. In den letz¬ 
ten 2 Monaten 2—3, 
die 3 Tage ein mal 
1 Woche dauerten 
und sehr vehementer 
Art waren. 


Status praesens 


aussetzend. In den 
Lungen, besonders 
den U nterlappen,weit 
verbreitete Rassel¬ 
geräusche. Bei der 
geringsten Bewegung 
verstärkte Herzacti¬ 
on, Athemnoth, fühlt 
sich sehr entkräftet. 
Appetitlosigkeit,sehr 
unruhiger Schlaf. 

Mittelgross und 
schlank, wenig aus¬ 
gebildete Muskula¬ 
tur. In beiden Lun¬ 
gen emphysematose 
Erweiterung der, 
Alveolen, verminder-! 
tes vesiculäres Ath-i 
men und weit ver-j 
breitete Rasselge¬ 
räusche. Herztöne 
rein, schwach, Puls! 
80, eher klein, regel¬ 
mässig. Gesichts¬ 
farbe blass, cyano- 
tisch perennirende 
Schwerathmigkeit, 
Husten, reichliche 
Sputa, Schlaf gestört, 
Appetit sehr gering. 
Körper-Gewicht 62; 
Kilo. 


Diagnose 


fl © © 

a i g’a'a Differenz 

.Sfg-SS; I-SB 

ägco I 

weniger j mehr 

* I * i Harn 1 Harn 
in rem ! In ccm : 


Emphysem, 10. Dec. 1886, 1260 030 330 

Asthma. 12. „ „ I 1035 785 250 

13. „ „ ' 750 875 

14. „ „ : 750 830 

22. „ „ ; 7.50 800 

5. Jau. I887i 750 850 


2. April 
1887. 


sr*rt, 
71'/»Ja 
alt. 


Litt öfter an Magen- Mittelgross untersetzt Fettsucht, 

14. Nov. 1886 





Katarrh (Aufstossen reichlicher Fettan- Fettherz. 

in München 1 

1615 

1130 

485 


seit 20 Jahren) 1864 satz, Herzdämpfung 1 

15. Nov. 1886 

1385 

1250 j 

135 


gastrisches Fieber, nach beiden Seiten 

16- 5» » 1 

780 

1020 

| 

240 

1886 gichtisch vergrössert, Puls 76,! 

17. „ „ 1 

760 

1074 


314 

rheum. Affection des schwach regelmässig 1 

28. „ „ 

1050 

675 ! 

375 ; 


linken Kniegelenks Unterleib ausgedehnt, 1 

29. ,, „ 

775 

1165 

i 

390 

im Sommer in Wild- Magenerweiterung, 

22. Dec. „ 

750 

920 


170 

bad, Massage von linkes Bein geschwol- 

19. Jan. 1887 

975 

1055 


80 

Erfolg. Im October len,schmerzhaft, heiss, 

20. Febr. ., j 

975 

1115 


140 

1886 bei Professor Congestionen zum 

| 





Oertel in Mönchen. Kopf-Schwindel, i 



• 



kann seit 3 Jahren 






nur mit Mühe Trep¬ 






pen steigen. Körper-: 






Gewicht 93 Kilo. 







23) Vom Herr E. K. Mit 13 Jahren Typhus 
*23. Decbr. Kaufmann 1884 Kehlkopf* Ka- 
1886 bis aus Neu- tarrh. Die. Aerzte 
‘ 5. April stadt, constatirten schon 
1S87. 53 Jahre vor Jahren Fettauf- 

alt. lagerung am Herzen, 
Pat. war früher sehr 
, stark, wog 90 Kilo. 

Im Nov. 1886 bei 
Dr. Schmidt in 

j Frankfurt wegen 

Asthma und Bron- 
chial-Katarrhen. An¬ 
fangs December in 
Mönchen bei Prof. 
Oertel. 


Klein und kräftig ge¬ 
baut, starker Panni- 
culus adiposus, Ge¬ 
sicht cyanotisch. 
Herzdämpfung bis 
zum linken Sternal-) 
rand, Herzstoss sehr 
schwach, Töne . 
schwach hörbar, rein J 
Puls 80 in d. M.‘ 
klein, regelmässig.! 
In den Lungen H. UJ 
Katarrh, Diurese ge-! 
ring, Asthma, hef-! 
tiger Husten. Kör¬ 
pergewicht 
83.400 kg. 


Fettsucht, 17. Dec. 1886 
Fettherz, in München 2290 1080 1210 

Stauungen. 18. Dec. 1886 2825 1140 1685 

19. „ „ ; 750 1170 ) 

20. „ „ i 750 • 755 | 

7. Jan. 1887 , 900 , 1170 

26. „ „ | 870 | 1030 

|16. Febr. „ ; 1050 i 1070 

16. März „ ! 1400 I 1400 


Therapie, Verlauf und 
Resultate 


eingetreten; die Kranke war 
von Katarrhen frei, konnte 
1—2 Stunden gehen, Herz¬ 
klopfen seltener, Puls 100, 
weniger unregelmässig, Schlaf 
und Appetit gut. Die Kur 
musste leider unterbrochen 
werden durch eine mit star¬ 
kem Fieber auftretende aus¬ 
gebreitete Bronchitis, die eine 
4 wöchentl. Bettruhe bedingte. 
Ausser der diätetischen Be¬ 
handlung (wie im Falle 5), 
Flüssigkeitsentziehung (750 
ccm), erhöhte Muskelthätig- 
keit durch Bewegung, wurde 
eine pneumatische Cur im 
Curhause in Anwendung ge¬ 
bracht. 30 Sitzungen in der 
Kammer, 4 /io Atmosphären 
Ueberdruck und 10—20 Mal 
Ausathmen im Walden- 
burg’schen Apparate in eine 
auf '/so Atmosphären verdünnte 
Luft. Durch unvorsichtiges 
Verhalten von Seite des Kran¬ 
ken trat anfangs Januar 1887 
ein sehr heftiger, Besorgniss 
erregender asthm. Anfall, der 
3 Tage dauerte und nur 
durch starke Morphium-Injec- 
tionen bekämpft werden konn¬ 
te, ein. Seit dieser Zeit 
aber fortschreitende Ab¬ 
nahme der objectiven 
Symptome der Krank¬ 
heit, keine dyspnoischen 
und Asthmaanfalle mehr, 
Heilung des Bronchial- 
katarrhes, das Allge¬ 
meinbefinden vorzüg¬ 
lich, die vitale Lungencapa- 
cität erhöhte sich auf 3000 
ccm. Das Athmen wieder frei, 
Bergsteigen (2 — 3 Stunden) 
ohne Beschwerden ermöglicht. 
Herztöne kräftiger, Puls 72, 
voll. Zunahme des Körper¬ 
gewichts um 2,300 kg (64,300 
kg- Blühendes Aussehen. 
Nach Brief vom Juli v. J. an¬ 
dauernd günstige Erfolge. 
Diät und Behandlung wie im 
Falle 1. Nach 5 monatlicher 
Cur Entfettung, Kräfti¬ 
gung des Herzmuskels. 
Abnahme des Körpergewichts 
um 10 kg (Körpergewicht 83 
kg). Diurese vermehrt. Der 
Umfang des Bauches verrin- 
I gert (Massage), Abnahme dec. 
1 Dyspnoe, macht täglich 20- 
; bis 21 000 Schritte (Wego 
B und C). Die Herzdämpfung 
I etwas abgenommen, Puls 72, 
kräftig, regelmässig. Appetit 
i sehr gut, Aufstossen seltener, 
also Erfolg günstig. 
Behandlung wie im Falle I. 

I Nach 3'/» Monaten Entfet¬ 
tung, Abnahme der Stau- 
. ungserscheinungen. Das 
Körpergewicht 78 kg, nahm 
mithin um 5,400 kg ab, Puls 
72, kräftiger, regelmässig, 
i geht täglich 5 Stunden (zwei 
Stunden Steigung, Wege C), 
ohne Asthma und llerzer- 
regung, Appetit sehr gut, 

! 8ämmtliche Functionen gere¬ 
gelt. — Erfolg günstig. 


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288 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 14 



Beob¬ 

achtung 

Namen, Dauer der 

Beschäfti- ,, , , 

Erkrankung und 

gung, 

Alter Anamnesis 

Status praesens 

Diagnose 

Zeit 

*s? 1 

yS. 

hn 

u, 

in ccm 

|a! 
s is 

s fc'Cß 

cä Q 

EC —^ 

in ccm 

Differenz 

weniger mehr 

Harn Harn 

Therapie, Verlauf und 
Resultate 

24 

Vom- 18. 

HerrC. K., In der Jugend immeriSehr gross, stattlich 

Bedeutende 

1. Juni 1886 





Die von Prof. Oertel auch in 


Febr. 1887 

Fabrikant gesund, wurde sehr 

mit starker Fett¬ 

Fettleibigkeit, 

in Offenbach. 

2000 

1600 

400 


Offenbach im Frühjahr 1886 


Dis 4. April 

aus Offen-' stark, wog 16) Kilo 

bildung. Cyanose 

Fettherz, 

2. Juni 1886 

2000 

1660 

340 


ungeordnete Diät (Fall 1) 


1887. 

bach a. M. bemerkte schon seit 

der Lippen und Arvthmie des 

7- * 

1900 

1600 

300 


find Flüssigkeitscutziehung 


Gebraucht 

42 Jahre Jahren aussetzenden 

Wangen; Herz im 

Herzens. 

'27. „ 

1500 

1530 

30 

— 2000 ccm in 24 Stunden 


die 

alt. Puls ohne das ge¬ 

Breitendurchmesser 

10. Juli „ 

1200 

1280 

80 

— (Patient trank früher 5- 


Oertel- 

ringste Unbehagen. 

vergrössert, Herz¬ 

15. Aug. „ 

1100 

1220 

120 

bis 6000 ccm, bes. Wasser 


Cur schon 

Angeblich in Folge 

stoss in 5. Intercos- 

6. Sept. „ 

j 1000 

1140 

140 

und Thee) führte rasch Besse¬ 


j seit Som¬ 

Ueberanstrengung 

tal-Raum kaum fühl¬ 

28. Febr. 1887 

I 800 

1070 

270 

rung herbei, die in Reichen¬ 


mer 1886. 

beim Turnen, Heben 

bar, Puls 92 in d. 

1. März „ 

800 

! 1230 


430 

hall noch mehr befestigt 



schwerer Gewichte 

M. sehr klein un¬ 

15. „ 

900 

1700 


800 

wurde. Alle 5 Tage wurden 



(50 Kilo) bekam Pat. 

regelmässig (schwer 

25. „ „ 

1325 

2150 


825 

100 ccm Flüssigkeit reducirt 



Muskelschmer/., 

zählbar) der mittlere 






bis zu 1000 ccm; erst mit 



Schwerathmigkeit, 

Theil derSchilddrüse 






1500 ccm kam ein Ueber- 



pfeifendes Athmen, 

ist vergrössert, hart. 






schuss an Harn — früher 



. selbst beim Reiten 

Pat. hat gegenwärtig 





300—400 ccm minus —. Pa¬ 



ging ihm der Athera 

keine Beschwerden 





tient befolgte mit Erfolg den 



aus. Oertel nach 

über Appetit, Schlaf. 





ganzen Winter hindurch die 



Offenbach berufen 

Lebt sehr regel¬ 





diätetischen und motorischen 



coustatirte sehr 

mässig, raucht nicht 





Verordnungen und hatte als 



kleinen, leeren, un¬ 

mehr (war früher 





Ergebniss der 10 monatlichen 



regelmässigen Puls 

starker Raucher 





Cur: Reduction des Kör¬ 



und sehr schwachen 

1 schwerer Cigarren). 





perfettes, Kräftigung 



Herzstoss. Körper¬ 








1 des Herzmuskels, Aus¬ 



gewicht 145 Kilo. 








gleichung der Stauun¬ 











gen. Gewichtsabnahme von 










27 kg, von 145 auf 118 kg. 










Aussehen frisch, die Cyanose 










hat sich verloren; Athmung 










selbst bei Ersteigen von An¬ 











höhen unbehindert, frei von 











Dyspnoe. Patient konnte zu¬ 











letzt 34 000 Schritte im Tage 



• 








machen; die nerztöne deutli¬ 











cher hörbar, rein, die Contrac- 











tiouen kräftiger, Puls viel 










wenigerarythmisch,72—80 in 










d. M. Harn frei von Eiweiss 










und Zucker. Allgemeinbefin¬ 










den vorzüglich. 

25 

i Vom 15. 

Herr R. L., Der Vater starb an 

Mittelgross, mager, 

Insufticicnz 

26. Nov. 1886 





Diät wie Fall No. 17. Be¬ 


Mär/. 1887 Kaufmann. Gelbsucht. Patient 

Herz von normaler 

des 

in München- 

2200 

ll(K) 

1100 


schränkung der Flüssigkeit 


bis 

aus Stutt- tiberstand vor 7 Jah- 

Grösse, Herzstoss im 

Herzmuskels. 

27. Nov. 1886 

1300 

1000 

300 


von 750 —1000 ccm in 24 


26. April 

gart. reu Typhus, vor 2 

6 Intercostalrauin, 

28. „ „ 

750 

780 

30 

Stunden. Gehübungen an¬ 


1887. 

32 Jahre I Jahren Magenka- 

Herztöne rein, etwas 

29. „ „ 

750 

935 

135 

fangs Vormittags und Nach¬ 



alt. tarrh, früher fettlei¬ 

schwach, Puls 72, 

1. Jan. 1887 

800 

905 

105 

mittags je 1 Stunde, später 



big magerte er nun 

aber klein, regcl 

20. Febr. „ 

900 

1140 

240 

je 1 */a —2—3 Stunden, An¬ 



plötzlich ab, litt an 

massig. Kranker 

28. März „ 

1000 

1125 

125 ! 

höhen B und C, selbst steile 



Schwindel und Be¬ 

klagt über Druck 

24. April „ 

900 

1000 

100 

Wege D ersteigen, was zu¬ 



klemmung, hatte im 

und theil weise 






letzt sehr leicht ausgeführt 



Herbst 1886 einen 

Schmerzen in der 







wurde, ohne Athemuoth. Herz¬ 



ohnmachtsähnlichen 

Herzgegend. 







klopfen, Schwindel, Beklem¬ 



Anfall und Athem- 

Functionen normal. 







mung, Ohnmachts - Anfälle 



noth, wandte sich 

Körpergew. 63,500 







stellten sich nicht wieder ein, 



im Nov. 1886 an 

Kilo. 







somit wurde eine zweifellose 



Prof. Oertel dessen 







Kräftigung des Herz¬ 



Heilmethode er seit¬ 







muskels erzielt. Puls 76, 



dem mit sehr guten 







voll, kräftig, eng. Körper¬ 



Erfolge anwendete. 








gewicht 64 kg. Allgemein¬ 











befinden sohr gut. 

26 

Vom 21. 

Herr A. S., ln der Jugend blut- 

Gross mit reichlichem 

Fettleibigkeit, 

10. März 1887 




Die Kost bestand aus ca. 400 g 


März. 1887) 

Juwelier arm, arbeitete viel 

Fettansatz im Unter 

Fettherz, 

in München. 

2065 

1885 

180 


Fleisch verschiedener Art und 


bis 

aus Frank- am Pulte (Zeichnen) 

hautzellgewcbe, 

Insuffieienz 

11. März 1887 

910 

1411 


501 

Zubereitung, und zwar acht U. 


29. April 

furt a. M. sitzende Lebens- 

blasse Gesichtsfarbe 

des 

12. „ 

753 

1528 


775 

V. M. kaltes Fleisch. Wein 


1887. 

49 Jahre weise, litt in letz¬ 

grosser Umfang des 

Herzmuskels. 

31. „ „ 

955 

1160 


205 

150 ccm, 11 V. M., Wein 



alt. terer Zeit an 

Bauches, normale 


14. April „ 

825 

1220 


395 

125 ccm, etwas Brod. Mittags 



Schwächezuständen, 

Herzdämpfung, 


28. „ „ 

885 

1095 


210 

Fleisch, 3 lt Stunde später 



Abspannung. 

Herztöne sohr 







Wein 250 ccm, 5 N. M-, Wein 




schwach hörbar; i 







125 ccm, etwas Brod, 7 ccra 




Puls 80 klein, leer, 







Fleisch, */a Stunde später 




regelmässig. 






> 

Wein 250 ccm, Wasser 50 




Der Kranke klagt 






ccm. Vorsichtiges Bergstei¬ 




. über allgemeine 






gen wie im Fall 25. Nach 




Schwäche, Herzklop¬ 






7 wöchentlicher Cur Entfet¬ 




fen, Krampf in den 






tung und Kräftigung dos 




Rippen und Beinen, 






Herzmuskels. Gewichts¬ 




unruhiger Schlaf. 






abnahme von 11,500 kg (von 




Körpergew. 111 kg. 







111 auf 99,500), Herztöne 


kräftiger, Puls 72, voller. 
Der Bauchumfang bedeutend 
abgenommen. Der Kranke 
fühlt sich sehr wohl und 
leistungsfähig, geht täglich 
6 Stunden bei 3 Stunden 
Steigung (Wege C und D). 


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Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 






Donnerstag JW 15 . 12. April 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Red&ctenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Th lerne, Leipzig-Berlin. 


I. Aus der I. medic. Klinik des Herrn Geh. Rath Prof. 

Dr. Leyden. 

Zur Behandlung der Oesophagusstricturen 
mittelst Dauercanülen. 

Von Stabsarzt Dr. Renvers und Dr. Waetzoldt, 

Assistenten der Klinik. 

ln dem 6. Heft des letzten Jahrganges der Zeitschrift für klinische 
Medicin hat der eine von uns, R., eine Behandlungsmethode der Oeso¬ 
phagusstricturen beschrieben, die darin besteht, dass mittelst geeigneter 
Instrumente kurze Hartgummiröhren — Dauercanälen — in die 
verengte Stelle der Speiseröhre eingeführt werden. Ein weiteres 
Eingehen auf die Einzelheiten der Methode und deren technische 
Ausführung würde hier nicht am Orte sein, wir wollen nur wieder¬ 
holen, dass durch die eingeführten Dauercanülen die verengte Stelle 
dauernd offen gehalten wird und demnach für flüssige und breiige 
Speisen durchgängig bleibt. Wie zwei der damals mitgetheilten 
Fälle bewiesen, waren die Resultate dieser Behandlungsmethode im 
Vergleich zu den bisher geübten Methoden, namentlich auch gegen¬ 
über der Gastrostomie ausserordentlich erfreuliche. Beide 1. c. an¬ 
geführten Patienten gingen der Klinik in einem Stadium der Krank¬ 
heit zu, wo sie nur noch mit Mühe geringe Mengen flüssiger Nahrung 
in den Magen bringen konnten, und der Hungertod in kurzer Zeit 
unvermeidlich schien. Mit der Einführung der Dauercanülen wurde 
die selbstständige Aufnahme der Nahrang wiedeT möglich. Die Pa¬ 
tienten blieben beide nicht nur am Leben, sondern erholten sich 
auch in überraschender Weise unter bedeutender Gewichtszunahme. 
Freilich musste damals bereits betont werden, dass die Ernährung 
keineswegs leicht und einfach ist. Es bedarf sowohl einer sorgfäl¬ 
tigen Auswahl und Zusammensetzung der Nahrung selbst, als auch 
grosser Ausdauer und Energie von 8eite des Pat., um die immerhin 
grossen Mengen der erforderlichen dünnbreiigen Nahrung anfzu- 
nehmen. Die eine dieser beiden Patt, ist nun ausserhalb der Klinik, 
nachdem dieselbe mehrere Monate im Schoosse der Familie zuge¬ 
bracht, am 24. März h. a. gestorben. Ehe wir aber das für die 
Bedeutung der Behandlungsmethode wichtige Obductionsergebniss 
besprechen, sei es gestattet, mit wenigen Worten auf die seit der 
damaligen Veröffentlichung von R. gesammelten weiteren Erfahrungen 
bezüglich der Behandlung der Oesophagusstricturen einzugehen. 

Was zunächst die weiteren Schicksale des damals beschriebenen 
Falles Sp. betrifft, so wurde derselbe seit October mit einer Dauer- 
canüle in vortrefflichem Ernährungszustände in die Heimath entlassen. 
Nach 5 wöchentlichem Aufenthalt in der Familie stellte Pat. sich 
behufs Revision in der Klinik vor. Sein Allgemeinbefinden war ein 
gutes, sein Körpergewicht hatte zwar um 4 Pfd. abgenommen, allein 
Pat. fühlte sich so kräftig, dass er mit Freude leichte Hausarbeit 
verrichtete. Die Canüle wurde gewechselt, und ohne dass Pat. in 
der Klinik blieb, wurde er wieder in die Heimath entlassen. Wie 
Pat. dann brieflich mitgetheilt, hat er vor Kurzem in dem Glauben, 
sein Leiden müsse wohl geheilt sein, die Canüle wieder selbst ent¬ 
fernt. 8cbon nach 8 Tagen stellten sich wieder die alten Schling¬ 
beschwerden ein. Pat. kann gegenwärtig nnr geringe Mengen flüssi¬ 
ger Nahrang schlucken, ist wieder abgemagert und hat bereits um 
Wiederaufnahme in die Klinik gebeten. Mit kurzen Unterbrechun¬ 
gen hat Pat. die Dauercanülen 7 Monate lang getragen, ohne dass 
üble Zufälle durch die Canüle verursacht worden sind. So lange 
die Canüle gelegen, war die Ernährung eine ausreichende, jedesmal 


nach Entfernung derselben traten die Symptome der Oesophagus- 
stenose in wenigen Tagen wieder ein mit rascher Abnahme der 
Körperkräfte. 

Seit dem October v. J. wurden auf der I. raedicinischen Klinik 
5 neue Fälle von Oesophaguscarcinom beobachtet, über welche 
R. sich noch einen genaueren Bericht vorbehält. In dem ersten 
Falle bestand bereits bei der Aufnahme ein in die rechte Lunge 
perforirte8 Oesophaguscarcinom mit Abscessbildung in der Lunge und 
rechtseitigem Empyem. Weder die Gastrostomie noch die Canülen- 
Behandlung hätte in diesem Falle auch nur lindernd wirken resp. 
das Ende aufhalten können. Ein zweiter Patient litt an einem 
für jede Sonde undurchgängigen Carcinom der Cardia mit grosser 
Dilatation des oberhalb der Strictur gelegenen Oesophagusabschnittes. 
Da alle Versuche, mit Sonden die Strictur zu passiren, vergeblich 
waren, so wurde auf der chirurgischen Ahtheilung der Charite die 
Gastrostomie bei dem noch guten Kräftezustand des Patienten gemacht 
mit tödtlichem Ausgange am 2. Tage p. op. Ein dritter Fall starb, 
bevor noch eine Canülenbehandlung instituirt werden konnte, an 
einem in den rechten Pleuraraum perforirten Cardiac&rcinom. Der 
vierte Fall betrifft einen 54 jährigen Arbeiter, der auf das äusserste 
abgemagert, nicht im Stande allein im Bett sich anfzurichten, mit 
vollständiger seit einigen Tagen bestehender Apbagie in Folge eines 
Cardiacarcinom8 zur Beobachtung kam. In diesem Falle gelang es, 
eine Hartgummicanüle in die feste Strictur eiDzulegen. Patient 
konnte sofort ohne Beschwerden flüssige Nahrung zu sich nehmen 
und hat sich unter Zunahme seines Körpergewichts um 1 */z kg 
schon so gekräftigt, dass er Stunden lang ausser Bett weilt und 
heramgeht, frei von subjectiven Beschwerden. Die Canüle liegt jetzt 
bereits 6 Wochen. Im fünften Falle handelt es sich ebenfalls um 
eine Cardiastrictur, in Folge deren Patient stark abgemagert, über 
Erbrechen und von Tag zu Tag steigende Abmagerung klagend in 
die Anstalt kam. Durch die Einlegung einer starren, 6 cm langen 
Canüle gelang es, die Ernährung wieder zu ermöglichen, und konnte 
Patient mit einer C&nüle arbeitsfähig entlassen werden. Patient 
stellt sich alle 8 Tage in der Klinik vor. Die Nahrangszunahme 
i>t nicht gestört. Trotzdem Patient regelmässig seiner Arbeit nach¬ 
geht, sind vorläufig keine Beschwerden aufgetreten. Nachdem die 
Canüle 6 l /a Wochen nach der Entlassung aus der Anstalt noch ge¬ 
lragen worden, ist dieselbe jetzt bereits seit 14 Tagen entfernt, ohne 
dass von neuem Schlingbeschwerden eingetreten wären. 

Die aus obigen Erfahrungen sich eigebenden Resultate for¬ 
dern in geeigneten Fällen jedenfalls zu weiteren Versuchen mit 
dieser Behandlungsmethode auf, znmal subjectiv oder objectiv auf- 
tretende Reizerscheinungen in keinem Falle beobachtet worden. Ja 
das Obductionsergebniss des anderen bereits erwähnten, sogleich zn 
besprechenden Falles Br. deutet darauf hin, dass eine günstige Ein¬ 
wirkung des permanenten Druckes auf die carcinomatöse Strictur 
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. 

College W. hat den weiteren Krankheitsverlauf der Frau Br. 
ausserhalb der Klinik beobachtet, und ist es ihm auch gelungen, 
die Obduction zu erreichen. Sowohl der Verlauf der Erkrankung 
als auch das Ergebniss der Obduction sind wichtig genug, um an 
dieser Stelle ausführlicher mitgetheilt zu werden. Um sogleich die 
wichtigsten Ergebnisse hervorzuheben, so ergab sich: 

1. dass die Patientin ohne Schaden und ohne nachtheiligen 
Einfluss auf die carcinomatöse Strictur volle 10 Monate eine starr- 
wandige, 6 cm lange, trichterförmige, oben 16, unten 6 mm breite 
Horn canüle getragen, 

2. dass die Durchgängigkeit der D&uercanflle und damit der 


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290 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 15 


Strictor noch ebenso vorhanden war, wie zur Zeit ihres Aufent¬ 
haltes im Krankenhause, 

3. dass der Tod nicht durch Verhungern, sondern in Folge 
einer Coinplication mit Nephritis calculosa eingetreten. 

Zur näheren Veranschaulichung des ganzen Krankheitsfalles 
und zum besseren Verständnis« des Obductionsergebnisses sei es ge¬ 
stattet, an dieser Stelle in ausführlicherer Weise auf die Kranken¬ 
geschichte der Patientin einzugehen, als das 1. c. geschehen, wo nur 
die anamestischen Daten bezüglich der Strictur mitgetheilt wurden. 

Patientin, Frau Br., 48 Jahre alt, deren Vater an Typhus, deren 
Mutter an Altersschwäche gestorben, hatte in ihrer Kindheit Masern und 
Scharlach durchgomacht und war dann bis vor 8 Jahren gesund. Damals, 
nachdem Patientin die Regel verloren, befiel dieselbe plötzlich eine Läh¬ 
mung der rechten unteren und oberen Extremität, die nach acht Wochen 
wieder vollständig verschwand. Dann erkrankte Patientin an acutem Gelenk¬ 
rheumatismus, daran anschliessend an Rippenfellentzündung und Nieren¬ 
entzündung, an welcher sie acht Monate lang behandelt wurde. — Im fol¬ 
genden Jahre wurde Patientin magenkrank. Sie musste häufig erbrechen, 
hatte heftige Schmerzen nach der Nahrungsaufnahme und will auch häufig 
Blut im Stuhlgang bemerkt haben. Diese Magenbeschwerden verschwanden 
bei entsprechender Behandlung in wenigen Wochen, kehrten aber gewöhn¬ 
lich im Frühjahr und Herbst wieder. Zuweilen soll auch Blut dem Er¬ 
brechen beigemengt gewesen sein. Im December 1886 stellten sich dann 
die ersten Schlingbeschwerden ein, die allmählich stärker werdend am 
18. April 1887 Patientin in die Klinik führten. Hier wurde durch Sondeu- 
untereuchung ein 27 cm von der oberen Zahnreihe entferntes Hinderniss 
im Oesophagus festgestellt, welches nach mehrfachen vergeblichen Versuchen 
von einer 5 mm starken Sonde passirt werden konnte. 3 cm unterhalb 
dieser Strictur, welche sich hart und höckerig anfühlte, bestand ein zweites, 
aber leichter zu überwindendes Hinderniss, welches für den etwas vorstehen¬ 
den Rand der Strictur gehalten werden musste. Die Diagnose wurde auf ein 
ulcerirtes Oesophaguscarcinom gestellt und die Behandlung mittelst Dauer- 
canülen eingeleitet. Eine am 13. Mai eingeführte 6 cm lange trichterförmige 
Horncauüle musste in der Strictur liegen gelassen werden, da beim Versuch, 
dieselbe behufs Reinigung zu entfernen, die daran befestigten schwachen 
Seidenfäden durchrissen. Die Canüle wurde von der Patientin gut ertragen, 
und die Ernährung ging ohne Beschwerden von Statten. Ab und an traten 
leichte Blasenbeschwerden ein, der Urin war vorübergehend trübe, enthielt 
spärliche Eitermengen, die bald wieder verschwanden, so dass eine be¬ 
stimmte Erkrankung der Hamwege nicht diagnosticirt werden konnte. Die 
bereits 1. c. mitgetheilten Einzelheiten des Verlaufs im Krankenhause wollen 
wir übergehen und betonen, dass Patientin am 19. November 1887 in gutem 
Ernährungszustände mit einer Gewichtszunahme von 20 Pfund in die Familie 
entlassen werden konnte. Schon I. c. wurde auf die Schwierigkeit einer 
ausschliesslich flüssigen Nahrungsaufnahme hingewiesen und die nothwendige 
Energie von Seiten der Patienten betont. Leider fehlte der Patientin im 
Schoosse der Familie die nöthige Aufmunterung, sie wurde bald energielos 
und vernachlässigte, trotzdem Bie schlucken konnte, ihre Ernährung, wohl 
zum Theil auch aus rein äusserlichen pecuniären Gründen. Dazu kamen 
aber auch anhaltende, als Unterleibskrämpfe geschilderte Schmerzen in der 
Rücken- und Lendengegend, zu denen in den letzten drei Wochen sich 
Schüttelfröste und Fieber hinzugesellten. Das Nahrungsbedürfniss wurde 
immer geringer, und so ging Patientin, fortwährend fiebernd, am 24. März 
zu Grunde. Die Obduction, am 26. März, Vormittags 12 Uhr, von Herrn 
Stabsarzt W. ausgeführt, ergab: 

Mittelgrosse, gracil gebaute weibliche Leiche. Hautdecken sehr blass, 
nicht ödematös. Fettpolster gering, am reichlichsten am Abdomen, von 
gelb bräunlicher Farbe. Muskulatur blassröthlich, sehr weich. Zwerchfell¬ 
stand: rechts entsprechend dem oberen, links dem unteren Rand der 
5. Rippe. Rippenknorpel nicht verknöchert. Beide Pleurahöhlen leer. 
Die rechte Lunge durch einige feste Stränge mit dem Zwerchfell ver- 
löthet. 

Bei der Betastung der Gebilde im hinteren Mediastinalraum fühlt man 
im Oesophagus eine starre Röhre, welche seitliche Verschiebung gestattet. 
Die Pleura mediastinalis in der Gegend dieser Rohre ebenso zart und 
glänzend wie die übrige Pleura. Herzbeutel leer. Das Herz nicht ver¬ 
grössert, ziemlich schlaff. Die Muskulatur ist braun gefärbt, die Klappen 
sowie das übrige Endocardium ohne Veränderung. Blut sehr dunkel, 
schwach geronnen. Beide Lungen sind durchweg lufthaltig, sehr blass, 
nicht ödematös. 

Die Trachea und die Speiseröhre werden jetzt in der Höhe des 
Jugulum quer durchschnitten und im Zusammenhang mit der Aorta, beiden 
Luugenwurzeln und Magen herausgenommen. (Das Duodenum war vorher 
in seinem oberen horizontalen Theile doppelt unterbunden und zwischen 
beiden Ligaturen durchschnitten worden.) 

Bei der Eröffnung des Oesophagus von seiner hinteren Wand aus 
fällt die. vorher gefühlte starre Röhre heraus. Dieselbe erweist sich als eine 
etwa 6 cm lange Horncanüle. Das Lumen derselben ist frei, die Innen¬ 
fläche erscheint nur von einem dünnen, gelblichen, schleimigen Ueberzuge 
bedeckt. 

An der Stelle, wo die Canüle gelegen hat, findet sich ein ringförmiges 
carcinomatöses Geschwür der Schleimhaut, das auch die Muscularis in Mit¬ 
leidenschaft gezogen hat. Der obere Rand desselben liegt unmittelbar unter 
der Bifiircation der Trachea, verläuft ann ähernd quer und zeigt etwas unter- 
minirten Rand. Die Speiseröhre erscheint oberhalb des Geschwüres mässig er¬ 
weitert. Der untere Rand verläuft nicht ganz quer, sondern reicht links weiter 
herab als rechts, so dass die grösste Höhe des Geschwüres 6 cm, die 
schmälste Stelle nur 4 cm beträgt. Der Grund des Geschwüres ist äusserst 
unregelmässig gestaltet, höckerig, von graugelblicher bis gelblichrother Farbe. 

Trachea und die beiden Bronchen enthalten etwas bräunlichen Schleim, 
ihre Wandung ist intact. 


Aorta mit unregelmässigen Ursprüngen der Intercostalarterien zeigt im 
Uebrigeu keine krankhaften Veränderungen. 

Im Bindegewebe des Mediastinum keine Infiltration. 

Die Bronchialdrüsen von blauschwarzer Farbe, nicht vergrüssert, weich. 

Milz sehr klein, Kapsel gerunzelt, Parenchym blassbraun. 

L. Niere etwas kleiner als normal. Die Kapsel sehr fest adhärent. Die 
Oberfläche zeigt einige tiefere Einsenkungen, im Uebrigen leicht höckerige 
Beschaffenheit. Rinde und Marksubstanz gfeiobmässig braunroth gefärbt, 
Rinde nicht verschmälert Nierenbecken leer, seine Schleimhaut blass. 

R. Niere vergrössert. Das Nierenbecken ist stark erweitert, 
bläulich durchschimmernd. Der Ureter verläuft gewunden und erscheint 
ebenfalls etwas erweitert, seine Wandung verdickt. Man fühlt im Nieren¬ 
becken und im Ureter deutlich zahlreiche kleine Concremente. Auf dem 
Durchschnitte erscheint die Niere stark geschwollen, die Rinde springt 
polsterartig vor. Sie ist im Allgemeinen braunroth gefärbt, doch zeigt sie 
sich durchsetzt von zahlreichen gelblichweissen Streifen, welche bis an die 
Oberfläche reichen. Die Papillen sind abgeplattet und zeigen ebenfalls 
feine gelblichweisse Strichelungen. Das Nierenbecken ist sehr weit, seine 
Schleimhaut ist sammetartig aufgelockert, aber nicht hämorrhagisch. Bei 
seiner Eröffnung entleeren sich mit einer urinösen Flüssigkeit ausser reich¬ 
lichem Sand etwa 12—14 grössere Concremente, von denen das grösste klein¬ 
bohnengross ist. Dieselben sind ziemlich hart, haben gelbliche Oberfläche und 
grauweisse, körnige, nicht geschichtete Schnittfläche. Der rechte Ureter ist 
nahe der Blase von einem ähnlichen Concremente obturirt. Seine Schleim¬ 
haut erscheint oberhalb dieser Verstopfung verdickt und von Hämorrhaghieen 
durchsetzt. 

Der Magen sehr weit, insbesondere der Fundus tief; enthält eine 
grosse Menge einer grünlich grauen, sauer riechenden Flüssigkeit, in 
welcher zahlreiche weisse Bröckel (coagulirte Milch) schwimmen. Die 
Schleimhaut, vielfach mit kleinen Hämorrhagieen durchsetzt, ist etwas 
trübe und erweicht. An der hinteren Wand, nahe der kleinen Curvatur, 
findet sich eine zehnpfennigstückgrosse Geschwürsnarbe mit strahligeu 
Ausläufern. 

Leber nicht vergrössert, auf dem Durchschnitte sehr blass. Acinus- 
zeichnung deutlich. 

Epikrise: Die Nachrichten über die letzten Lebenswochen 
der Pat. ergeben, dass dieselbe allerdings allmählich wieder herab¬ 
gekommen und abgemagert war. Allein nicht die carcinomatöse 
Strictur, welche ja durch die Canüle bis zuletzt durchgängig erhalten 
worden, war dazu die Veranlassung, sondern einmal der Mangel an 
Energie von Seiten der Pat., dann aber auch vorzugsweise die in 
den letzten Wochen aufgetretene fieberhafte Erkrankung, als deren 
Grund die Obduction eine Pyelonephritis calculosa mit Verstopfung 
des einen Ureters ergab. Es ist unschwer zu verstehen, dass diese 
Complication Appetit und Energie der Pat. immer mehr herabsetzte, 
die Entkräftung steigerte und deshalb den Exitus herbeiführte. Den¬ 
noch war Pat. nicht in dem Grade abgemagert, wie wir dieses bei 
denjenigen Fällen von Oesophagusstricturen, welche an Inanition zu 
Grunde gehen, zu sehen gewohnt sind. Das Unterhautfettgewebe war 
am Rumpf noch verhältnissmässig reichlich vorhanden, der Magen mit 
flüssiger Nahrung angefüllt, im Fundus sogar erweitert. Von grös¬ 
serer Bedeutung für die Beurtheilung der Dauercanülenbehandlung 
ist aber der Befund an der Strictur selbst. Die Canüle lag noch 
genau an derselben Stelle, an welche sie vor 10 Monaten eingeführt 
war. Die ulcerirte Strictur, welche intra vitam 27 cm von der oberen 
Zahnreihe entfernt constatirt worden und der Schätzung nach 3 bis 
4 cm lang war, erweist sich auch nach Verlauf von 10 Monaten 
nicht wesentlich vergrössert. Sie beginnt dicht unterhalb der 
Bifurcation und hat eine Länge von 6, bezüglich 4 cm. Die Ge¬ 
schwürsoberfläche sieht papillär aus, zeigt aber weder eine 
oberflächliche Nekrose noch Blutungen, welche auf einen Druck 
der Canüle hinwiese. Nirgends tiefgehende Ulceratiouen, uoch 
irgend eine Andeutung einer beginnenden Perforation. Auch in 
der Umgebung des Geschwürs keine Eiterung. Die benachbarten 
Organe, Aorta wie Lungen, nicht verändert. Die Canüle selbst liegt 
ziemlich locker in dem carcinomatösen Geschwür, ist vollständig 
durchgängig und auch äusserlich frei von Incrustationen oder sonstigen 
Veränderungen. 

1 Die vorstehende Beobachtung ergiebt den Beweis, 1) dass das 
Leben der Pat. durch die Behandlung mittelst der Dauercanüle um 
10 Monate verlängert worden, 2) ergiebt der Leichenbefund, 
dass bei günstigen sonstigen Verhältnissen eine noch längere Fort¬ 
dauer des Lebens möglich gewesen wäre. Die Ernährungsmöglich¬ 
keit war in diesem Falle durch die Canüle gegeben, und das Carcinom 
selbst bedrohte durch sein Fortschreiten noch nicht das Leben. 
Wie lange die Möglichkeit der Ernährung noch angedauert haben 
würde, ist nicht zu sagen, da eben genaue Beobachtungen in dieser 
Beziehung nicht vorliegen, allein man ist ebensowenig berechtigt, 
eine unbedingt nahe Grenze des Lebens anzunehmen. Es ist eben 
ein Problem für die ärztliche Kunst, zu zeigen, wie lange es unter 
Herbeiziehung aller uns zu Gebote stehenden Mittel in den günstig¬ 
sten Fällen möglich sein wird, das Leben solcher Kranken zu er¬ 
halten, welche nach den bisherigen Behandlungsmethoden rasch 
erliegen. 

Es unterliegt gegenwärtig wohl keinem Zweifel, dass die radicale 
operative Entfernung eines Carcinoms der sicherste Weg zur voll- 


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12. April. 


DEUTSCHE MKDICINI9CHE WOCHENSCHRIFT. 


291 


ständigen Genesung des Patienten ist Allein wenn das Carcinom sich 
an Stellen befindet, wo dasselbe dem Messer unzugänglich ist, da 
mässen wir eben die Methoden in Anspruch nehmen, welche zwar 
keine Heilung, aber doch eine Erleichterung und Verlängerung des 
Lebens herbeifahren können. Gerade diese Aufjgabe leistet die Dauer- 
canfilenbehandlung einfacher, leichter und gefahrloser wie die 
bisherigen Behandlungsmethoden. Wo diese nicht auszufuhren, da 
erst ist die Gastrostomie indicirt. 

Die mitgetheilten Beobachtungen bringen den Beweis, dass die 
wirksamen Behandlungsmethoden der Carcinome nicht allein auf 
chirurgische Maassnahmen oder auf die etwaige Anwendung noch 
zu entdeckender specifischer Mittel beschränkt sind. Gelingt es, die 
das Leben unmittelbar bedrohenden Hindernisse zu beseitigen, so 
vermag eine auf die Principien der Physiologie basirte, dem einzelnen 
Fall angepasste Ernährungstherapie das Leben in einem relativ be¬ 
friedigenden Zustande noch lange Zeit zu erhalten. 

Die Aufgabe der Medicin besteht, wie Francis Bacon von* 
Verulam sagt, nicht nur darin, die Krankheiten zu heilen uud die 
Gesundheit zu erhalten, sondern auch darin, das Leben zu verlän¬ 
gern. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, fordert er 
auch mit Recht als ein Desiderium für die Pathologie und Therapie 
die Beseitigung der Voraussetzung von der absoluten Unheilbarkeit 
der Krankheiten. 


II. Aus der medicinischen Abtheilung des Kölner 
Bürgerhospitales. 

Einige Falle von Ankylostomiasis nebst 
Sectionsbefimden. 

Von Dr. J. Ernst, Secundärarzt am Burgerhospital. 

Wie alljährlich kamen auch in diesem Sommer und Herbst 
zahlreiche Fälle von Ankylostomiasis im hiesigen Hospitale zur 
Beobachtung. Darunter sind besonders vier Sectionen von grösserem 
Interesse, da sie im Anschlüsse an die jüngsten Publicationen von 
Leichtenstern 1 ) über einzelne scheinbar streitige Punkte weitere 
Aufklärung zu verschaffen im Stande sind. Ich komme daher 
gern der Aufforderung meines verehrten Chefs, des Herrn Professor 
Dr. Leichtenstern, dem ich schon an dieser Stelle meinen 
besten Dank für seine freundliche Unterstützung ausspreche, nach, 
dieselben zu publiciren und schliesse sie numerisch an die von 
Leichtenstern veröffentlichten Fälle an. Bei Mittheilung der 
Krankengeschichten und Obductionsergebnisse werde ich mich auf 
kurze Auszüge aus den ausführlichen Protocollen beschränken. 

X. Section von Ankylostomiasis. 

Josef Huinblet, 41 Jahre alt, ein Wallone, kam am 25. Juni 1887 
mit allen Zeichen einer croopösen Pneumonie des r. Unterl. in’s 
hiesige Hospital. Patient ist ein sehr robuster, gesund aussehender, durch¬ 
aus nicht anämischer Mann. Er ist seit 12 Jahren jeden Sommer auf 
Kölner Ziegelfeldern als Lehmarbeiter th&tig und im hiesigen Hospital eine 
wohlbekannte Persönlichkeit Huinblet arbeitete im Winter 1888/84 sechs 
Monate lang in den Lütticher Bergwerken. Er wurde zum ersten Male am 
28. Mai 1884, damals Lehmarbeiter auf einem hiesigen Ziegelfelde, in’s 
Bürgerbospital aufgenommen wegen croupöser Pneumonie des r. Unterl. 
Schon damals wurden spärliche Ankylostomaeier in den Fäces nachge¬ 
wiesen. Von der Pneumonie genesen, widersetzte sich jedoch Pat. trotz 
alles Zuredens der Vornahme einer Abtreibungscur und eilte aufs Ziegel¬ 
feld zurück. 

Diezweite Aufnahme, wieder wegen croupöser Pneumonie, diesmal 
des linken Unter!., erfolgte am 17. Juni 1885. Den Winter hatte er wieder, 
wie das bei den wandernden wallonischen und vlamländischen Ziegel¬ 
arbeitern die Regel ist, in belgischen Bergwerken gearbeitet. Er überstand 
auch diesmal die schwere Pneumonie. Nach Ablauf derselben Hess er sich 
zu einer Ankylostoma-Abtreibungscur herbei. Entsprechend der sehr ge¬ 
ringen Anzahl der Eier in den Fäces wurden nur 28 Ankylostomen (1 <* 
und 27 '!) abgetrieben. 1 ) 

Zum dritten und letzten Male erfolgte, wie Eingangs erwähnt, die Auf¬ 
nahme des Huinblet in diesem Jahre am 25. Juni 1887, abermals wegen 
einer croupösen Pneumonie des rechten Unterl. Die Untersuchung 
der Fäces ergab eine mässige Zahl von Ankylostomaeiern. Die Pneumonie 
dehnte sich rasch ans und ergriff die ganze rechte Lunge; schon am 
38. Juni trat Exitus letalis ein. Bei der Section, welche als Todesursache 
graue Hepatisation der ganzen rechten Lunge und Fettherz ergab, inter- 
essirte besonders der Darminhalt. Derselbe wurde in der exacten Weise, 
wie sie Leichtenstern in seinen letzten Publicationen ausführlich ge¬ 
schildert hat, untersucht und fanden sich Ankylostomen in folgenden 
Zahlenverhältnissen vor: 


*) Deutsche med Wochenschrift 1887, No. 26—32. 

*) Conf. Tabelle von Leichtenstern. Deutsch, med. Wochenschr. 
1886, No. 12. 



Männchen 

fest | lose 

Weib 

fest 

eben 

lose 

Summa 

Magen und Duodenum .... 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

I. Meter Dünndarm .... 

— 

— 

— 

— 

— 

II. „ „ .... 

— 

22 

2 

42 

66 

III. 

— 

11 

— 

30 

41 

IV. „ „ . 

— i 

11 

— 

13 

24 

V. 

1 

6 

2 

4 

13 

VI. „ „ .... 

— 

1 

— 

— 

1 

VII. „ „ und 35 cm 

— 

— 

— 

— 

— 


1 

1 51 

4 

89 

145 


Hierzu kommen noch als Nachlese aus dem Darminhalt 1 5 und 1 ?, 
so dass die Gesammtzahl der Ankylostomen 147 (53 und 94 's) beträgt. 

Die meisten Ankylostomen waren todt, nur einige wenige zeigten noch 
Bewegungen, als sie in warmes Wasser gebracht wurden. 

Der Fall lehrt, übereinstimmend mit anderen hier gemachten 
Erfahrungen, dass eine geringe Anzahl von Ankylostomen lange 
Zeit ohne Anämie zu erzeugen ertragen werden kann. Da die 
Lebensdauer der Ankylostomen im menschlichen Darmcanale zwei¬ 
fellos Jahre betragen kann, kommt es bei den im Winter in den 
belgischen Bergwerken, im Sommer auf den Kölner Ziegelfeldern 
arbeitenden Wallonen und Vlamländern gewiss häufig vor, dass 
sich die Summe der Ankylostomen im Laufe der Jahre durch 
wiederholte Invasionen von Ankylostomalarven allmählich ver¬ 
mehrt. So wird es erklärlich, dass sich die Anämie mitunter 
sehr schleichend, erst im Laufe von Jahren entwickelt. 

Der folgende Fall ist in mehrfacher Hinsicht sehr interessant, 
und gebe ich daher die Krankheitsgescbichte in einem etwas aus¬ 
führlicheren Auszüge wieder. 

XI. Section von Ankylostomiasis. 

Theodor Blatzheim, 35 Jahre alt, wurde am 30. September 1887 in 
einem höchst desolaten Zustande auf der Landstrasse liegend aufgefunden 
und dem Bürgerhospital übergeben. Bei der grossen Schwäche und Schwer¬ 
besinnlichkeit des Kranken Hess sich anamnestisch nur eruiren, dass er seit 
7 Jahren Ziegelarbeiter (Lehmarbeiter) sei und im letzten Sommer mit 
Wallonen gemeinsam auf einem Ziegelfelde bei Köln gearbeitet habe. Schon 
den ganzen Sommer über war er krank und elend; nach Schluss des Ziegel¬ 
feldes im August arbeitete er bei der Stadtumwallung. Seit 3 Wochen ist 
er total arbeitsunfähig. 

Status bei der Aufnahme: Patient ist ein mittelgrosser, kräftig ge¬ 
bauter Mann von normalem Ernährungszustände, durchaus nicht abge¬ 
magert. Er befindet sich im Zustande änssersten Gollapses. Extremitäten 
sowie Nase und Ohren kalt; Exspirationsluft kalt; Pat. fröstelt Die Haut 
am ganzen Körper ist im höchsten Grade blutarm, alabasterweiss, im Gesicht 
mit einem Stich in’s Fahlgelbe. 

Ohren, Lippen, Zunge, Conjunctivae sind weiss. Radialpuls schwer zu 
fühlen, verschwindet oft ganz unter dem Finger. 

Herzspitzenstoss im V. J.C. R, 2 Finger breit nach aussen von der Mam- 
millarlinie. Herztöne rein, aber schwach. Herzdämpfung nicht verbreitert. 
Abdomen etwas aufgetrieben. Milzdämpfung nicht vergrössert. Milz nicht 
palpabel. 

Die Untersuchung der Lungen ergiebt nirgends Dämpfung oder Rasseln, 
überall scharfes Vesiculärathmen. 

Keine Oedeme. Die am folgenden Tage vorgenommene Blutkörper¬ 
chenzählung ergab die sehr geringe Zahl von 928571 im cmm. Keine 
positive Vermehrung der weissen Blutkörperchen. 

Kein Urin, Blase leer. Patient hatte keinen Stuhlgang: da auch das 
Rectum vollständig leer, keine Kothpartikel enthielt, konnte eine Unter¬ 
suchung der Faeces auf Ankylostomaeier nieht vorgenommen werden. Trotz¬ 
dem somit die Diagnose „Ankylostomiasis“ durch den Nachweis der Eier 
nicht erhärtet werden konnte, genügte doch der Umstand, dass Pat. Ziegel- 
arbeiter war und keine die schwere Anämie erklärende Organerkrankung 
darbot, um mit grösster Wahrscheinlichkeit die Diagnose zu stellen: „Anä- 
mia perniciosa latericia, id est ex Ankylostomiasi.“ Trotz An¬ 
wendung kräftigster Excitantia collabirte Patient mehr und mehr und am 
1. October Nachmittags 4 3 /« Uhr trat Exitus letalis ein. Pat. halte kurz vor 
dem Tode 2 mal Erbrechen. 

Die Leiche wird in stark geheiztem Raume aufbewahrt, und die Section 
am 2. October Morgens 7‘/s Uhr gemacht. 

Sectinnsprotocoli (Herr Leichtenstern): Mittelgrosser, kräftig 
gebauter Mann von ausserordentlich blasser, wachsgelber Farbe der Haut. 
Lippen und Conjunctivae ganz weiss. Keine Oedeme. Starke Starre. Panni- 
culus adiposus allenthalben, besonders an der Bauchwand kräftig ent¬ 
wickelt; das Fett von citronengelber Farbe. Die Muskulatur von hellrother 
Farbe. Netz und Gekröse ausserordentlich fettreich. Zwerchfellstand rechts 
4. Rippe, links 4. Intercostalraum. 

Vorderfläche des Herzbeutels mit einer dicken Fettschicht bedeckt. Das 
aus den grossen Gefässen der oberen Thoraxapertur sich ergiessende Blut 
ist von wässeriger, dünnflüssiger Beschaffenheit. Im Herzbeutel ein Esslöffel 
blassen Serums. Das Herz von kugeliger Gestalt. Das epicardiale Fettge¬ 
webe sehr stark entwickelt. Breite des Herzens 13 cm, Länge 10 cm. Herz¬ 
spitze abgerundet, wird von beiden Ventrikeln gebildet. Aus den bei Her¬ 
ausnahme des Herzens durchschnittenen Gefässen entleeren sich 140 ccm 
dünnen flüssigen Blutes. 

Im rechten Vorhof und Ventrikel weiche, gallertige, speckhäutige Ge¬ 
rinnsel; rechter Ventrikel mässig dilatirt. Valvula tricuspid. misst ausgespanut 
I4 '/j cm. Diese, wie die Pulmonalklappeu normal. Dicke der Waud normal. 


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292 DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRUT. No. 15 


Muskulatur blass, graubräunlich. Rechter Vorhof massig dilatirt. Linker 
Vorhof leer, deutlich dilatirt. Linker Ventrikel enthält spärliche, gallertige 
Gerinnsel; Valvula bicuspid. normal, das Ostium bequem für 2 Finger durch¬ 
gängig, misst ausgespannt 13 cm. Linker Ventrikel mässig dilatirt, Wand¬ 
dicke 17 mm. Aortenklappen sowie die Aorteniutima vollkommen normal. 
Die Aorta auffallend klein, Peripherie derselben misst 6 l /»cm, die der Pul- 
monalis ebenso viel. Muskulatur des linken Ventrikels ist ausserordentlich 
blass, hellgrau-bräunlich, von der Farbe trockenen Lehmes. Der Durch¬ 
schnitt durch die Muse, papilläres zeigt ein blass-gelbliches, geflecktes Bild 
Muskulatur sehr brüchig. 

Linke Lunge an der Spitze leicht verwachsen, gross, stark aufgebläht: 
Ober- und Unterl. überall lufthaltig, ersterer ungemein blutarm und mässig 
ödematös, letzterer etwas blutreicher und stärker ödematös. 

Rechte Lunge nirgends verwachsen, verhält sich wie die linke; nirgends 
tuberculöse Processe. 

Abdomen frei von Flüssigkeit. Peritoneum sehr anämisch. 

Sofort wird aus einem kleinen Einschnitt in's Coecum etwas Koth ent¬ 
nommen; in demselben sind zahlreiche Ankylostomaeier. 

Milz klein, flach, 13 cm lang, 7*/a breit, 37s dick, sehr blass und 
weich. Linke Niere 10 cm lang, 4 cm breit, Kapsel leicht abziehbar, Ober¬ 
fläche glatt; Organ sehr blutarm, von grau-gelblicher Farbe. Rinde gleich- 
raässig blass, giebt makroskopisch keine Amyloidreaction; im Nierenbecken 
sehr viel Fett. Rechte Niere etwas kleiner wie die linke, zeigt dieselben 
Verhältnisse. 

Der Darm wird in der bekannten sorgfältigen Weise meterweise auf 
Ankylostomen untersucht. Das Resultat lasse ich unten in tabellarischer 
Form folgen. 

Auf der Dünndarmschleimhaut eine ungewöhnlich grosse Menge zähen 
Schleimes, welcher schon im I. Meter da und dort eine rothbraune Färbung 
zeigt; diese wird in den folgenden Metern intensiver, so dass vom IV. Meter 
an der Darminhalt eine gleichmässig dunkle, zähflüssige, chocoladenbrauno 
Masse darstellt, welche Färbung evident von blutiger Beimischung herrührt 
Vom II. Meter Dünndarm bis zu den untersten sehr zahlreiche flohstich¬ 
ähnliche Ecchymoseu in der Schleimhaut; Duodenum und I. Meter Jejunum 
dagegen frei von Petechien. 

Nirgends finden sich makroskopisch erkennbare Cysten in der Darm 
Schleimhaut. 

Magen enorm dilatirt, misst vom Fundus bis zur Port, pylor. 34 cm. 
von oben nach unten in der Höhe der Cardia 17 cm, längs der grossen 
Curvatur 68 cm, längs der kleinen 26,5 cm. Derselbe fasst nach genauer 
Ausme8sung 3800 ccm. Schleimhaut sehr blass, glatt. 

Leber 26 cm breit, 15 cm lang, 9 cm hoch, ausserordentlich blass, von 
gelblich bräunlicher Farbe, Läppchenzeichnung ziemlich verwischt. In der 
Gallenblase 2 Esslöffel hellgrüner, wässeriger Galle. 

Gehirn ausserordentlich blutarm, sonst normal. 

In dem der Blase entnommenen Urin ist weder Eiweiss noch Zucker. 

Leber, Milz und Nieren auch mikroskopisch frei von Amyloid; des¬ 
gleichen bot, wie in sämmtlichen bisher hier gemachten Sec- 
tionen, die sorgfältigste mikroskopische Untersuchung der 
Darmschleimhaut nirgends Cysten oder unter der Schleimhaut 
verborgene Larven dar. 


Es fanden sich im Ganzen 2763 Ankylostomen vor. Die fol¬ 
gende Tabelle lehrt ihre Vertheilung nach Sitz, Geschlecht etc. 



Männchen 

fest | lose 

Weibchen j 
fest 1 lose | 

Summa 

Duodenum 








Dünndarm 

I. Meter.; 

1 

29 

1 

9 

40 


II. 


2 

271 

7 

197 

477 


III. 


30 

: 366 

21 

358 

775 

J9 

IV. 

. .1 

5 

! 115 

4 

164 

288 

rt 

V. 

!»••••• 

2 

197 

— 

356 

555 


VI. 


7 

219 

4 

352 

582 

» 

VII. 


— 

1 

— | 

3 

4 

_2_ 

50 cm. 

— 

6 

— 

11 1 

17 


47 

1204 

37 

1450 

2738 


Dazu kommen noch als Nachlese ans dem Darminhalt 16 5 und 
7 2; ferner fanden sich im Magen 2 ?, die aber wahrscheinlich durch 
die Brechbewegung — Pat. hatte kurz vor seinem Tode erbrochen 
— in den Magen gelangt sind. 

Es wurden also im Ganzen 2763 Ankylostomen (1269 ' 
und 1494 2) gefunden. 

Die Würmer zeigten verschiedene Grösse; neben vollkommen 
ausgewachsenen Exemplaren fand sich auch eine Menge kleinerer, die 
wahrscheinlich späteren Invasionen ihr Dasein verdankten. 

Wie in allen übrigen bisher im hiesigen Hospitale gemachten 
Obductionen von Ankylostomiasis, so finden wir auch in diesem, wie 
im vorhergehenden Falle, Männchen und Weibchen in schönster 
Harmonie in den verschiedenen Darmabschnitten beisammen. 

Dass die jüngst von einem Unerfahrenen aufgestellte Hypothese 
eines getrennten Aufenthaltsortes der beiden Geschlechter im 
Darmcanale hinfällig ist, lehrt ein Blick auf die vorhergehenden 
Tabellen und bedarf keines weiteren Commentars. 

Während der Fall X insofern eine kleine Abweichung von der 
bisher coustatirteu Regel aufweist, als die Zahl der an der Schleim¬ 
haut fest anhaftenden Weibchen — mit 4,3% — die der Männchen 


— ca. 2% — übertrifft, fügt sich Fall XI wieder der Regel, indem 
die Zahl der festsitzenden Männchen — 3,7% — grösser ist als die 
der Weibchen — 2,3%. 

Ein grosses Interesse beansprucht Fall XI dadurch, dass er die 
äusserst verderbliche hämatophage Wirkung der Ankylostomen auf s 
schönste illustrirt. 

Während in den bisher aus dem hiesigen Hospitale veröffent¬ 
lichten 9 letalen Fällen die Ankylostomenbesitzer entweder an inter¬ 
currenten Krankheiten (Pneumonie croup. etc.), oder an mittelbaren 
Folgezuständen der langdauernden Anämie (Phthisis pulm., Amyloid¬ 
degeneration verschiedener Organe etc.) zu Grunde gingen, ist im 
Falle XI die Ankylostomiasis, und nur diese ganz allein 
die unmittelbare und direkte Todesursache gewesen. 

Der robust gebaute Blatzheim ist 2763 Ankylostomen zum 
Opfer gefallen; 10,0 g Extr. fil. mar. zu einer Zeit gegeben, als 
Patient noch widerstandsfähig war, hätten denselben sicher gerettet 
Aehnlicher Fälle von schwerer Anämie bei Ziegelarbeitern be¬ 
finden sich zweifellos nicht wenige da und dort in der Rheinprovinz, 
nicht minder in Belgien und Holland. Trotz der persönlichen Be¬ 
mühungen von Leichtenstern auf den Ziegelfeldern selbst, trotz 
zahlreicher Vorträge und Publicationen desselben über diesen Gegen¬ 
stand bleibt die Ursache des allmählichen Hinsiechens solcher 
Kranken noch häufig unerkannt, so leicht und einfach auch die Dia¬ 
gnose ist. Vor einigen Jahren, als die Mittheilungen Leichten- 
stern’s einiges Aufsehen erregten, hat die politische Localpresse 
dadurch viel Gutes gestiftet, dass sie einige Artikel über den 
„Ziegetölderwurm“ brachte; die Folge davon war, dass sich zahl¬ 
reiche zum Theil schwerkranke Ziegelarbeiter im Hospital vorstellten, 
wo sie nach Abtreibung der Würmer binnen Kurzem von ihrem 
anämischen Siechthum befreit, zu gesunden Menschen gemacht wur¬ 
den. Die Untersuchungen von Leichtenstern im vergangenen 
Sommer (1887) haben ergeben, dass die Ankylostomiasis nach wie 
vor auf den hiesigen Ziegelfeldern nicht nur unter Wallonen und 
Vlamländern, sondern ganz besonders auch unter den daselbst be¬ 
schäftigten Holländern und Deutschen grosse Dimensionen an¬ 
genommen hat. Insbesondere ist nach unseren diesjährigen Beob¬ 
achtungen bestimmt vorauszusagen, dass in diesem Winter zahlreiche 
von den Kölner Ziegelfeldern nach Holland zurückgekehrte Ar¬ 
beiter dort an schwerer Anämie erkranken werden. Sollte dieser 
Aufruf auch eine gewisse Beachtung ausserhalb unseres Vaterlandes 
finden, so hätte er einen Zweck erfüllt, der höher ist, als das 
wissenschaftliche Interesse, das sich an die geschilderten Fälle 
knüpft. 

Noch einen Punkt möchte ich im vorliegenden Falle hervor¬ 
heben. Wir finden bei dem einzig und allein durch all¬ 
mähliches Verbluten in Folge der Ankylostomiasis verstor¬ 
benen Blatzheim eine ausserordentlich reiche Entwickeluug 
des Fettpolsters, des panniculus adiposus, des Fettgewebes des 
Herzens, des Gekröses, Netzes etc. Schon Griesinger 1 ) in seinem 
berühmten Artikel über die ägyptische Chlorose führt an, dass die 
Ankylostomakranken trotz extremer Anämie lange Zeit ihr Fett¬ 
polster behalten und sagt „es entspricht dies am allermeisten einer 
Anämie aus Blutungen, während anämische Zustände durch un¬ 
zureichende Ernährung (Malaria etc.) nicht eben in dieser Weise 
sich äussern“. Trotz dieser und anderer wichtigen, bereits von 
Griesinger 1854 geäussertenThatsachen, trotzdem Alle, welche reich¬ 
lich Gelegenheit hatten die Ankylostoma-Anämie zu beobachten, darüber 
einig sind, dass es sich hierbei nicht um eine Inanition, sondern 
um eine in ihren äusseren Erscheinungen mit der Chlorose, der 
Anämie nach Blutverlusten, der essentiellen Anämie überein¬ 
stimmenden Form schwerster Anämie handelt, für welche auch die 
Resultate der Blutkörperchenzählungen und Hämoglobinbestimmungen 
sprechen, trotzdem giebt es, wie Griesinger von den ägyptischen 
Aerzten seiner Zeit sagt, auch heute immer noch „Broussäisten“, 
d. h. Theoretiker, „welche die Krankheit als eine Art chron. Gastro- 
Enteritis betrachten“ (Griesinger), welche der Meinung sind, dass 
die Ankylostomen an und für sich harmlose Thiere seien, die nicht 
durch Blutentziehung schädlich wirkten, sondern vielmehr durch 
den chron. „Darmkatarrh“ den „Darmreiz“, welchen sie erzeugten. 

Diese alte 2 ) Auffassung, welche für die Bothriocephalus- 
Anämie seine Richtigkeit haben mag, hat Runeberg*) jüngst 
auch auf die „Ankylostoma-Anämie“ auszudehnen versucht, 
indem er sagt, „es scheint mir sogar wahrscheinlich, dass die an¬ 
erkannt eine bösartige Anämie erregenden Ankylostomen nicht nur 
durch den directen Blutverlust, sondern vielmehr durch die Darm¬ 
reizung wirken“. 

Wir können auf Grund einer reichen Erfahrung dem Moment, 

*) Arch. f. physiol. Heilk. v. Vierordt. 13. Jahrg-, 4. Hft. 1854. 
p. 555 ff. 

*) Ansicht von Sangalli, Capestrini, Bonuzzi (1881), Meguiu 
(1882). 

3 ) Deutsch. Arch. f. klin. Medicin. 41. Bd., 3. Hft., p. 307. 


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12. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


293 


auf welches Runeberg das Hauptgewicht legt, nämlich der 
„Dannreizung“ als Ursache der Anämie bei der Ankylostomiasis 
nicht die von Runeberg versuchte Bedeutung einräumen. Der 
Ankylo8tomiker wird hauptsächlich, ja unserer Ansicht nach aus¬ 
schliesslich in Folge des fortgesetzten Blutverlustes successive 
anämischer, ohne dabei abzumagern, da er bei vortrefflichem Appetit 
sogar reichlich Nahrung aufnimmt, verdaut, resorbirt und assimilirt. 
Die Anämie entwickelt sich, wie Leichtenstern zuerst 1 ) gezeigt 
hat, im Falle der plötzlichen Aufnahme zahlreicher Ankylostomeu 
(uno ictu) oft ausserord entlieh rasch, „unter wahren Enterorhagieen“. 

Die verminderte Sauerstoffaufnahme in Folge der Anämie 
schützt das Fett vor der Verbrennung, daher setzt der sich all¬ 
mählich verblutende Ankylostomiker, wie Griesinger schon fand, 
und unser eben geschilderter Fall wiederum lehrt, nicht selten un¬ 
gewöhnlich viel Fett an. Ganz anders verhält es sich bei 
einem Kranken mit chronischer Enteritis, mit chron. Darmkatarrh. 
Dieser magert ab und wird durch Inanition anämisch, weil die 
Verdauung und Resorption der Nährstoffe behindert ist. Die Blut- 
armuth ist hier TheUerscheinung der allgemeinen Inanition und 
erreicht dabei nur selten jenen prädominirenden Charakter, wie dies 
bei der Anämie der Ankylostomiker in Folge des Blutverlustes stets 
der Fall ist. 

Auch in dem eben erwähnten Falle lehrt die Section den 
hämophagen Charakter der Ankylostomen kennen. Im 
Duodenum, wo, wie gewöhnlich, keine Ankylostomen sassen, fehlten 
Ecchymosen der Schleimhaut, und war der Darminhalt einfach 
gallig gefärbt. In dem Maasse, als die Zahl der Ankylostomen in 
den folgenden Dünndarmabschnitten wächst, steigt auch die Zahl 
der vorhandenen Ecchymosen, der Darmschleim wird rothbraun 
gefärbt und stellt in den untersten Dünndarmabschnitten etwa von 
4. Meter ab eine dunkle, chocoladenbraune, evident blutige 
Masse dar. Dieser Blutgehalt mag zum Theil aus Nachblutungeu 
der, wenn auch kleinen, doch äusserst zahlreichen Bissstellen her¬ 
rühren, zum grösseren Theil ist er auf Rechnung der 
blutigen Ausleerungen der Ankylostomen zu setzen. 
Leichtenstern 2) beobachtete wiederholt an lebenden Anky¬ 
lostomen wie aus dem hinteren Leibesende derselben schubweise 
rothe Wolken ausgestossen wurden, die sich mikroskopisch als ans 
rothen Blutkörperchen bestehend ergaben. 

Nicht minder interessant ist eine Beobachtung, welche wir 
jüngst zu machen Gelegenheit hatten. Bei der mikroskopischen 
Untersuchung lebender, eben von der Darmschleimhaut abgelöster 
Ankylostomen beobachteten wir das Ausstossen rother Blutkörperchen¬ 
wolken nicht bloss durch das hintere, sondern besonders auch durch 
das vordere Darmende. Es gewährt einen hübschen Anblick, wenn das 
allmählich absterbende bewegliche Ankylostoma in beinahe regel¬ 
mässigen Intervallen Wolken, aus rothen Blutkörperchen bestehend, 
durch die bauchige Mundkapsel ausstösst, ähnlich den Rauchwolken, 
die durch den Schornstein einer Lokomotive stossweise entleert 
werden. 

XII. Section von Ankylostomiasis. 

In diesem Falle wurde erst intra sectionem die Diagnose „Anky¬ 
lostomiasis“ gestellt. 

Schlüter, Johann, 44. J. alt, ein robuster, gesund aussehender Erdarbei¬ 
ter, Potator, starb an einer ausgedehnten croup. Pneumonie. Bei der Sec¬ 
tion fiel die intensive Anthrakosis der Lungen auf und Hess vermuthen, dass 
Pat. früher in Kohlenbergwerken thätig gewesen war. Der Darmcanal wurde 
daher auf Ankylostomen untersucht und fanden sich in der That 19? u. 1 * 
im Ganzen also 20 Ankylostomen, alles sehr grosse, ausgewachsene Thiere. 

Bezüglich der Lebensdauer der Ankylostomen wäre im vor¬ 
liegenden Falle eine genaue Anamnese von Interesse gewesen. Nach¬ 
trägliche Erkundigungen ergaben mit Bestimmtheit, dass der Ver¬ 
storbene in den letzten 4 Jahren als Taglöhner (Handlanger) in 
Köln thätig und während der Zeit weder auf einem Ziegelfelde noch 
in einem 'Bergwerke beschäftigt gewesen war. Derselbe hat also 
die Ankylostomen höchst wahrscheinlich mindestens 4 Jahre be¬ 
herbergt Damit st imm t, auch das Zahlenmissverhältniss der beiden 
Geschlechter überein. Es kommt nämlich, wie zahlreiche Beob¬ 
achtungen im hiesigen Hospitale seit Jahren lehren, besonders in 
veralteten Fällen häufig vor, dass die Weibchen die Männchen au 
Zahl auffallend übertreffen. 

Dies lässt sich damit erklären, dass die Männchen eine kürzere 
Lebensdauer haben als die Weibchen, wie dies auch für andere 
Nematoden, so von Leichtenstern in Culturen verschiedener 
Rhabditiden, nachgewiesen ist; möglich aber auch, dass, wie 
Leichtenstern schon vor Jahren übereinstimmend mit Lutz er¬ 
wähnt hat, die Männchen häufiger die Weibchen zum Zwecke der 
Begattung aufsuchen und bei Gelegenheit dieses Ortswechsels von 
den Darmcontentis mitgerissen und per faeces entleert werden. 


*) Centralblatt f. klin. Medicin 1885. No. 12 und Deutsch, medicin 
Wochenschrift 1887. 

*) Deutsch, med. Wocheuschr. 1886, No. II. 


Letzteres ist freilich, wie schon Leichtenstern stets betont bat, 
eine noch lange nicht über allen Zweifel erhabene Hypothese. Die 
Ansicht von der geringeren Lebensdauer der männlichen Anky¬ 
lostomen hat meiner Ansicht nach mehr für sich, da sie durch die 
analoge Erfahrung in den Culturen anderer Nematoden gestützt ist. 
XHI. Section von Ankylostomiasis. 

Lütt gen, Ludwig, 30 Jahre alt, ursprünglich Fassbinder, arbeitete 
zuerst iAi Sommer 1885 auf einem Ziegelfelde bei Köln, und zwar mit Wal¬ 
lonen zusammen, zum zweiten Male im Sommer 1886, diesmal mit Deutschen. 
Früher immer gesund, kränkelt er seit dem Winter 1886/87, er wurde blass 
und „schwach in den Beinen“, später stellte sich Husten mit Auswurf und 
Heiserkeit ein. Appetit war immer gut. Die Schwäche steigerte sich all¬ 
mählich derartig, dass Patient im Sommer 1887 total arbeitsunfähig wurde 
und endlich am 22. October 1887 das Hospital aufsuchte. Patient bot das 
charakteristische Bild der Ziegelbrenneranämie dar: hochgradigste Blutleere 
bei gutem Ernährungszustände. Die Untersuchung ergab eine geringe In¬ 
filtration des linken Lungenoberlappens und ein flaches Geschwür an der 
vorderen Hälfte des rechten wahren Stimmbandes. Kein Fieber. Im Sputum 
Tuberkelbacillen in mässiger Zahl. In den Fäces Ankylostomaeier. 

Diagnosis: Ankylostomiasis, Infiltratio tuberculosa apic. pulm. 
sin. et Tuberculosis laryngis. 

Bei dem äusserst collabirten Zustande des Patienten wurde selbstver¬ 
ständlich von einer Ankylostomaabtreibungscur Abstand genommen. 

Unter zunehmender Schwäche und Athemnoth ging Pat- am 24. November 
zu Grunde. 

Die Section wurde 8 Stunden nach dem Tode gemacht, die Leiche 
bis dahin in einem stark geheizten Raume in der Nähe des Ofens aufbewahrt. 

Sectionsprotocoll (Herr Leichtenstern): Kräftig gebauter, nicht 
abgemagerter Leichnam Von ausserordentlich blasser Farbe der Haut. 

Das Unterhautfettpolster kräftig entwickelt, an der Bauch¬ 
wand bis zu 3 cm dick. Muskulatur sehr blass. Das aus den grosseu 
Gefässen der oberen Thoraxapertur sich ergiessende Blut ist von auffallend 
heller, dünnflüssiger Beschaffenheit. Zwerchfellstand rechts in der Höhe der 
5. Rippe, links ebenso. In der Bauchhöhle ca. '/* Liter klaren gelblichen 
Serums. Das Mediastinum, das Netz und die Gekröse ausser¬ 
ordentlich fettreich. In der rechten Pleurahöhle 1340 ccm klaren gelben 
Serums, in der linken 200 ccm, im Herzbeutel 100 ccm klaren Serums; das 
Herz von einer ungewöhnlich reichlichen Fettschicht bedeckt.“ 

Die Section ergab weiterhin in nuce zusammengefasst: Lobuläre käsige 
Pneumonie des linken Oberlappens mit Cavemenbildung: im linken Unter¬ 
lappen und im rechten Oberlappen nur einzelne wenige käsige Knoten; 
rechter Mittel- und Unterlappen frei davon. Flache Geschwüre an beiden 
wahren Stimmbändern. 

Herz, Milz, Nieren und Leber, abgesehen von der Anämie, ohne beson¬ 
dere Anomalieen. Keine Amyloidentartung. Magen nicht dilatirt. Darm¬ 
schleimhaut blass, mit einer mässigen Menge ziemlich zähen Schleimes be¬ 
deckt, letzterer ist im Duodenum sowie im I. Meter Dünndarm gelblich ge¬ 
färbt, nimmt jedoch in der unteren Hälfte des II. Meters eine röthlich-braune 
Tinction an, welche im III. und IV. Meter schwärzlich-braun wird (vergl. 
hiermit die nachfolgende Tabelle über den Sitz der Ankylostomen), in den 
folgenden Metern aber wieder allmählich abblasst. Duodenum frei von Ecchy¬ 
mosen, diese treten erst in den unteren Abschnitten des I. Meter Dünndarm, 
und zwar nur spärlich auf, sind im U., III. und IV. Meter ausserordent¬ 
lich zahlreich und nehmen in den folgenden Metern wieder rasch an Zahl 
ab; der Vn. und VIII. Meter frei von Petechien. In der Darmschleim¬ 
haut keine Cysten. 


Die folgende Tabelle lehrt die Anzahl der Ankylostomen nach Sitz und 
Geschlecht etc, geordnet: 



Männchen 

fest ] lose , 

Weibchen 

! fest i lose 

1 Summa 

Duodenum ... .... 


1 



I 

Dünndarm I. Meter .... 

— 

1 

— 

— 

1 

ir. 

22 

57 

18 

44 

141 

m. „ .... 

3 

50 

16 

62 

131 

n IV. „ .... 

— 

28 

1 

21 

50 

* v. „ .... 

— 

7 

— 

4 

11 

VI. „ .... 

— 

4 

— 

1 

5 

» VII.. 

— 

— 

— 

— 

— 

VIII. 

— 1 

— 

— 

— 

— 


25 | 

148 ! 

35 

132 

340 


Dazu kommen noch als Nachlese aus dem Darminhalt 1 und 1 9, 
so dass also die Gesammtzahl der Ankylostomen 342, und zwar 
174 $ und 168 9 beträgt. 

Die Würmer waren zumeist schon abgestorben, nur einzelne zeigten, 
als sie in warmes Wasser kamen, noch schwache Bewegungserscheinungen. 

Höchst auffallend ist, dass die Zahl der Männchen 
die der Weibchen übertrifft; es ist dies unter den 178 Fällen 
von Ankylostomiasis, welche bisher im hiesigen Hospitale zur Beob¬ 
achtung kamen, der zweite Fall — deu ersten werde ich weiter 
unten erwähnen — wo die Zahl der Männchen grösser war als die 
der Weibchen. Aus der Literatur ist mir kein ähnlicher Fall bekannt. 

Die Ankylostomen zeichneten sich insgesammt durch ihre ganz 
abnorme Grösse (Länge) aus; die Durchschnittsgrösse der 
Männchen betrug nach sehr zahlreichen Messungen: 12 mm, es 
waren aber auch einzelne * Exemplare von 15 mm Länge vor¬ 
handen, die Weibchen waren fast ausschliesslich 15 mm gross, 
einige weuige sogar 18 mm.! 


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294 


DEUTSCHE MBDICIWSCHB WOCHENSCHRIFT. 


Zum Schlüsse will ich noch kurz über drei Fülle von Anky- 
lostomiasis, ebenfalls aus der jüngsten Zeit, referiren. Der erste 
dieser Fälle ist dadurch bemerkenswerth, dass in demselben eben¬ 
falls die Männchen an Zahl die Weibchen übertrafen. 

Dieser Fall betrifft den ausserordentlich anämischen, 21jährigen 
Ziegelarbeiter Remigius Dister, einen Belgier, welchem im 
October 1887 durch Extr. fil. mar. 298 Männchen und 229 Weibchen 
(Summa 527 Ankylostomen) abgetrieben wurden. Auffallend war 
auch in diesem Falle die ungewöhnliche Länge der fadenförmigen 
Männchen, welche meist so lang oder selbst noch länger waren als 
die Weibchen. Es wurden zahlreiche Männchen von 12 mm Länge 
gemessen. 

Der zweite Fall giebt ein Beispiel dafür ab, wie wichtig es ist. 
die Untersuchung der Stühle nach Einleitung einer Abtreibungskur 
nicht bloss in den beiden ersten Tagen nach derselben, sondern, wie 
es hier üblich ist, mindestens 4—6 Tage lang aufs Genaueste vov- 
zunehmen, wenn man wahrheitsgetreue Resultate über die Zahl d( r 
Würmer und das Verhältniss der Geschlechter erhalten will. 

Der sehr anämische 35 jährige Ziegelarbeiter Qu adelig erhielt am 
19. und 20. September 1887 je 5,0 g Extr. fil. mar. In den zahlreichen 
Stühlen vom 19ten und 20ten fand sich kein Wurm vor. ln denen vom 
21ten waren 2 Ankylostomaweibchen. Durch ein Versehen wurden 
die Stühle vom 22ten weggegossen, ohDe untersucht zu sein; am 
23ten kein Stuhl. In den Stühlen vom 24ten keine Ankylostomen. Schon 
glaubten wir, dass die Cur in Folge der geringen Dosis von Extr. fil. mar.. 
welche wir bei dem ausserordentlich hinfälligen Kranken anzutoenden wagten, 
missglückt sei. Am 26. September erhielt Pat. abermals Extr. fil. mar., und 
zwar 10,0g auf einmal. In den Stühlen vom 26ten kein Wurm, in denen 
vom 27ten fanden sich 82 Männchen und nur 4 Weibchen. In den Stühlen 
vom 29ten noch 1 5. Aus diesem Verhalten, und da Pat. von nun ab an- 
kylostomafrei befunden wurde, geht mit Bestimmtheit hervor, dass die die 
Mehrzahl bildenden weiblichen Ankylostomen in den durch ein Versehen 
weggegossenen Stühlen vom 22ten enthalten waren. 

Dieser Fall lehrt wieder die bekannte Tbatsache, dass die Männ¬ 
chen den Abtreibungsmitteln einen grösseren Widerstand entgegen¬ 
setzen als die Weibchen, denn es bedurfte einer Wiederholung und 
Verschärfung der Cur (10,0 g Extr. auf einmal genommen), um 
schliesslich auch die noch restirenden 83 Mäunchen abzutreiben. 

Die genaue Zählung der beiden Geschlechter bei Abtreibungs- 
curen hat nicht allein wissenschaftliches spec. zoologisches Interesse, 
sondern ist auch von praktischem Werthe, indem das zahl¬ 
reichere Erscheinen der Männchen in den späteren Stühlen und 
das Ausbleiben der Weibchen in denselben mit grosser Sicherheit 
annehmen lässt, dass die Abtreibungscur vollständig geglückt ist. 

Ueberwiegen dagegen auch unter den zuletzt abgehendeu 
Würmern die Weibchen sehr erheblich über die Männchen, oder sind 
etwa gar nur oder fast nur Weibchen in den Stühlen aufgefundeu 
worden, was bei minder Erfahrenen freilich auch auf einem Ueber- 
sehen der Männchen beruhen kann, so hat man allen Grund anzu¬ 
nehmen, dass die Männchen der Austreibung widerstanden. Man 
hat in einem solchen Falle die Cur zu wiederholen, wenn man den 
Kranken ankylostomafrei machen und aus seinen Resultaten Schlüsse 
„von wissenschaftlichem Werthe“ auf das Zahlenverhältniss der 
beiden Geschlechter ziehen will. 

Der folgende kurz skizzirte Fall, der in vieler Hinsicht Interesse 
darbot, soll ein Beispiel dafür sein, wie die Ankylostomen der Zahl 
und dem Geschlechte nach in den einzelnen Stühlen nach Verab¬ 
reichung des Vermifugiums auftreten. 

Der 31jährige Ziegelarbeiter Kemmerling kam am 6. November 1887 
in höchst desolatem Zustande in’s Hospital. Der robust gebaute, gut ge¬ 
nährte Mann war von einer ausserordentlichen Blässe der Haut und so schwach, 
dass er beim Aufrichten zum Zwecke der Untersuchung ohnmächtig in die 
Kissen zurückfiel. Nachdem Pat. sich etwas erholt hatte, wurde die Abtrei¬ 
bungscur begonnen; er erhielt am 14. und 15. November Morgens je 5,0 g 
Extr. fil. mar. und im Anschluss daran jedesmal reichliche Dosen von Ricinusöl. 

Die folgende Tabelle lehrt die Reihenfolge, in welcher die Würmer in 
den successiven Stühlen erschienen: 


Tag 

Nummer der 
Stühle 

Zeit 

Ankylostomen 

6 i Q i Sa. 


I. 

5 Uhr Nachm. 

1 



14. November 

II. 

III. 

7 „ Abds. ! 
8*/« „ * ! 

— ! 

— 1 

_ 1 

— 


IV. 

10'/* „ 


— 

— 


V. 

IO 1 /» - - 

— ! 

— 

— 


VI. 

I 5 Uhr Morgens 

! — 1 

— 

— 


VII. 

5'/* „ Nachm. 

— I 

30 

30 

15. November 

VIII. 

5 Vs - 

1 1 

86 

87 


IX. 

| 6 , 

— 

10 

10 


X. 

18- 

II 

258 

269 

16. November i 

XI. 

l 9 Uhr Abds. 

: 67 

99 

166 

17. November 

XII. 

XIII. 

2 74 Uhr Nachts 

1 127» - Morgens 

10 

1 

10 

20 

l 


1 


yo 

49 ■« 

583 


No. 15 


Am 18. November kein Stuhl; in den Stühlen vom 19., 20. und 21. 
keine Ankylostomen. 

Diese Tabelle illustrirt ganz hübsch die bekannte Thataache, 
dass die Stühle des ersten Curtages gewöhnlich keine Ankylostomen 
enthalten, dass ferner die Weibchen zuerst erscheinen und die 
Männchen den Schluss bilden. 


m. Ueber congenitale Pulmonalstenose mit 
Kammerscheidewanddefect. l ) 

Von Dr. Scheele, 

Dirig. Arzte am Diakonissenkrankenhause in Danzig. 

Meine Herren! Das Präparat, das ich Ihnen hier mitgebracht 
habe, wird Sie hoffentlich einigermaassen interessiren. Das Be- 
merkenswerthe daran ist nicht so sehr seine Seltenheit, als vielmehr 
die glückliche Bestätigung, welche die Deutung und Rückbezüglich- 
keit des physikalischen Befundes intra vitam in diagnostischer Hin¬ 
sicht durch das klare und durchsichtige Ergebniss der Obduction 
erfahren haben. 

Bevor ich Ihnen aber das Präparat eingehender deraonstrire, 
wollen Sie mir erlauben, Ihnen in aller Kürze die wichtigsten 
Punkte der Krankengeschichte des betreffenden Falles referiren zu 
dürfen. 

Das Mädchen Marie Frey er, 15 Jahre alt, ans Tiefensee bei Carthans, 
wurde am 9. November 1886 in unsere Anstalt eingeliefert und meiner Ab¬ 
theilung überwiesen. 

Patientin giebt an, erst seit einigen Wochen krank zu sein. Sie will 
seither Luftmangel und Schmerzen in allen Gliedern sowie häufig Frost und 
Hitze gehabt haben. Genauere anamnestische Daten sind nicht recht 
von ihr zu erlangen, da sie schlecht deutsch spricht. Es lässt sich nur 
eruiren, dass sie, „so lange sie denken kann“, an zeitweiser Athemnoth 
gelitten und eine bläuliche Gesichtsfarbe und meistens kühle Extremitäten 
gezeigt habe. 

Der Status praes. am 10. November 1886 war kurz folgender: 

Kleine, schwächlich gebaute Person, wenig entwickelte Mammae, schwach 
ausgeprägter, geringer Haarwuchs an den Pubes, fehlender in den Achsel¬ 
höhlen. Enorm starke Cyanose des Gesichts, namentlich um die Lippen, an 
der Nasenspitze und den Ohren; Hände bis zur Hälfte der Vorderarme tief 
blau cyanotisch; desgleichen die Füsse und Unterschenkel. Fingerkuppen 
trommelschlägelartig verdickt. Die übrige Haut der Extremitäten und des 
Rumpfes bläulich marmorirt wie die einer Frierenden, mit einem reichlichen 
Kratzeczem und stellenweise ulcerösen Coriondefecten bedeckt. Leichte Hais¬ 
und Kopfdyspnoe; 40 Respirationen. Temperatur dem Gefühl nach leicht 
erhöht (38,7). Puls 120, regelmässig, mittelweit, wenig gespannt 

Klage unbestimmt. 

Am Halse deutliche Pulsationen der Carotiden und Undulationen der 
grossen Venenstämme. Im Jugulum schwach sicht-, deutlich fühlbarer Aorten¬ 
puls. Kein Schwirren der Carotiden. 

Unterer Theil des Sternum vorgewölbt, namentlich an den linken 
Rippenknorpeln. Daselbst deutlich sichtbarer Herz- und mässig resistenter 
Spitzenstoss. Letzterer im 5. ICR innerhalb der linken Papillarlinie mässig 
hoch, etwa 2 Fingerkuppen breit. Der Herzstoss selbst äusserst kräftig. 
Die aufgelegte Hand besonders in der Richtung des rechten Herzens ge¬ 
hoben. Kein Fremissement über der Herzgegend fühlbar. 

Percussion: Auf dem Manubrium stemi keine Dämpfung. Auf der 
Basis sterni sehr intensive Dämpfung. Dieselbe überragt den rechten Ster- 
nalrand um 2—3 cm. Nach links hin reicht die Dämpfung bis zum Spitzen¬ 
stoss, überschreitet nicht die linke Papillarlinie. Unterhalb der linken Cla- 
vicula beginnt die Herzdämpfung vom oberen Rande der 2. Rippe, wird 
bald intensiv und geht nach abwärts in der Höhe der 6. Rippe in die Leber¬ 
dämpfung über. Sonst am Thorax, vorn wie hinten, keine abnormen Per¬ 
cussionsverhältnisse. 

Auscultation: An der Herzspitze 2 reine Töne. Desgleichen auf 
der Basis sterni. Ueber den Aortenklappen neben dem lauten systolischen 
Ton ein kurzes, rauhes, ziemlich lautes Geräusch. Gegen die Pulmo- 
nalis hin verstärkt sich die Intensität dieses Geräusches und 
ist am lautesten hörbar dicht unterhalb der linken Articulatio 
sternoclavicularis im 1. ICR links. Hier verdeckt es in seiner Inten¬ 
sität fast den systolischen Ton. Die diastolischen Töne überall scharf accen- 
tuirt; der über den Aortenklappen lauter als der über der Pulmonalis- 
Das systolische Geräusch pflanzt sich weit in die Carotiden 
hinauf bis zum Unterkieferwinkel hin und in die Subclaviar- 
arterien, selbst die rechterseits fort In der linken Mohrenheim- 
schen Grube hört man es indess lauter als in der rechten. Ebenso ist die 
Intensität des Geräusches in der linken Carotis stärker als in der rechten. 
Comprimirt man die linke Carotis, so verschwindet das Geräusch 
nicht ganz; es verliert aber wesentlich an Intensität. Dasselbe 
findet an der rechten Carotis statt. An den Crural- und Brachialarterien 
keine abnormen akustischen Erscheinungen. Ueber der linken Lungenspitze 
das Athmungsgeräusch weniger laut als rechts. 

Leberdämpfung vergrössert, Milz desgleichen; ihr vorderer Rand fühlbar. 
Druck aufs Abdomen nirgends empfindlich. 

Zunge feucht, mässig belegt, blau gefärbt. Zwei breiige Stühle. 

Urin ca. 1100 ccm, starkes, harnsaures Sedimeut, spec. Gewicht 1021. 
kein Albumen. 

') Nach einem Vortrage, gehalten in der mediciniscben Seotion der na¬ 
turforschenden Gesellschaft zu Danzig. 


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12. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Auf Grund des obigen Status stellte ich die Diagnose auf conge¬ 
nitale Pulraonalsteuose mit Kammerscheidewauddefect, die fieber¬ 
hafte Affection zunächst in suspenso lassend. 

Folgende Momente hielt ich bei dieser Diagnose für be¬ 
stimmend : 

1. Die starke Cyanose und die anaranestische Angabe ihres 
langen Bestehens. 

2. Die Dilatation und Hypertrophie des gesammten Herzens, 
besonders des Pulmonal Ventrikels. 

3. Das systolische Geräusch und seine grösste Intensität über 
dem Ost. pulmonale. 

4. Die Fortpflanzung des systolischen Geräusches in die Caro- 
tiden bis zum Unterkieferwinkel hinauf. 

Während die ersten drei Momente für die Annahme einer 
congenitalen Stenose des Ost pulmonale durchaus ausreicheud sind, 
erhärtet das letztgenannte Symptom ungezwungen die Diagnose auf 
einen Kammerscheidewanddefect. Kur wenn innerhalb des linken 
Ventrikels Bedingungen zur Wirbelbildung und zugleich zur Fort- 
leitong der dadurch hervorgerufenen Geräusche vorhanden sind, 
kann diese akustische Erscheinung zur Wahrnehmung gelangen. 
Eine solche Eventualität aber liegt nur vor, wenn entweder an 
dem Ost. aorticum selbst Stenosirungen ausgebildet sind, oder aber, 
wenn während der Systole des Herzens Blutflüssigkeit aus der 
rechten in die linke Kammer durch eine mehr oder weniger enge 
Oeffnung des Kammerseptum gepresst wird. Gegen eine Stenose 
des Ost. aorticum indess sprach ausser dem exquisiten Morb. 
caeruleus namentlich der Umstand, dass an den peripheren 
Arterien jede Andeutung des charakteristischen Pulsus tardus fehlte. 

Der schon am 12. November unter plötzlichen Convulsionen 
eingetretene Tod und die am 13. November vorgenommene Section 
gestatteten in selten glücklicher Weise die Prüfung des diagnosti¬ 
schen Raisonnements. 

Es zeigte sieb, wie Sie hier sehen, meine Herren, das Herz in seinen 
Vorhofs- und Kammerabschnitten, besonders rechterseits excentrisch hyper- 
trophirt- Der rechte Vorhof besonders ist enorm gross. Das rechte Herz¬ 
ohr strotzte in situ von Blut, während das linse nur wenig gefüllt war. 
Es ist das rechte Herzohr mindestens 4 Mal so gross als das linke, auch 
jetzt noch nach seiner Entleerung. Die genaueren Maassverhältnisse der 
Wanddicken sind folgende: 

linker Ventrikel 18 mm, 
rechter Ventrikel 20 mm, 
linker Vorhof 2 mm, 

rechter Vorhof 4 mm. 

Die Aorta ist ca. mannsdaumenstark. Von der Pulmonalis ist zunächst 
nichts zu sehen, sie ist vom rechten Herzohr völlig bedeckt. So macht es 
den Eindruck, als ob überhaupt nur ein grosses Gefäss, die Aorta, vom 
Herzen abgehe. Hebt man das rechte Herzohr ab, so sieht man hier die 
dünnwandige, schlaffe und schon äusserlich sehr viel engere Pulmonal¬ 
arterie. Das Lumen der Aorta beträgt 7,5 cm, das der Pulmonalis 3 cm im 
Umfang. Bei der Betrachtung der Herzhöhlen fällt, wie Sie mir zugeben 
werden, die grössere Capacität der pulmonalen sofort auf. Demgemäss ist 
auch die Herzspitze vorwiegend vom rechten Ventrikel gebildet. Die 
Trabeculae caroeae sind beiderseits stark, rechts aber deutlich voluminöser. 
Am Endocard und an der Mitral- und Tricuspidalklappe ist nichts Auf¬ 
fälliges. Nur im Conus der Art. pulmonalis ist milchige Trübung und 
Verdickung des Endocards sichtbar. Während man in die Aorta äusserst 
leicht mit dem Finger bineingelangt, und zwar sowohl vom pulmonalen wie 
vom Aortenventrikel aus, gelingt dies bei der Pulmonalis nur mittelst 
einer Sonde. Dabei ist der Aortenursprung entschieden mehr nach rechts, 
nach dem Pulmonalventrikel hin gelagert. Dass man aber aus beiden Ven¬ 
trikeln mit dem Finger in die Aorta hineingelangt, liegt daran, dass 
dicht unterhalb des Annulus fibrocartilagineus eine halbmond¬ 
förmige Communicationsöffnung, ein Defect im Septum ventr. be¬ 
steht, durch welchen man bequem einen Zeigefinger aus dem rechten in 
den linken Ventrikel einföhren kann.. Die Aorta reitet gewisser- 
maassen auf dieser Lücke, jedoch so, dass der grösste Theil des Ost. 
aortic. aus dem rechten Ventrikel zu entspringen scheint Die Aorta ist 
somit nach rechts gelagert. 

Der Defect nimmt den vorderen Theil des Septum ventr. ein und wird 
nach hinten von dem scharfen Rande der Pars membr. begrenzt. Nach dem 
rechten Ventrikel zu befindet sich eine leichte, aber deutliche schwielige 
Rand verdick ung. 

Sieht man sieh die Oertlichkeit des Defectes genauer an, so beginnt 
derselbe vorn unter der vorderen Hälfte der linken Aortenklappe und endigt 
ziemlich unter der Mitte der hinteren. Dabei ist die rechte Aortenklappe 
wesentlich verbreitert (27 mm gegen 18 mm der beiden anderen) und am 
Rande zeigt sie ein ovales, der Breitenrichtung paralleles Fenster. Die 
Septumlücke ist 28 mm breit, 7 mm hoch. Der Conus art. pulmonalis ver¬ 
jüngt sich, wie ich wiederhole, gegen das Lumen der Lungenarterie zu einer 
äusserst geringen, kaum erbsengrossen Oeffnung. 

Um dies Verhiltniss besser übersehen zu können, schneide ich die 
Pulmonalis bis zu den Semilunarklappen hiermit auf. Sie sehen, meine 
Herren, dass kaum ein dünner Bleistift das Lumen passiren kann. Die Se¬ 
milunarklappen der Lungenarterie sind klein, scheinbar geschrumpft. Die 
Noduli Arantii wegen zum Theil frischer, zum Theil alter, adhärenter und 
schon or^anisirter Thromben nicht sichtbar. Der Unterschied der halb¬ 
mondförmigen Klappen in Aorta und Pulmonalis in Bezug auf die Grösse 
kann kaum augenfälliger sein. Tn Maassen ausgedrückt betrugen dieselben: 


29-’» 


an der Aorta 9 mm Höhe, 27 resp. 18 mm Breite; 

au der Pulmonalis 3 „ „4 mm Breite. 

Au dou Vorhöfen sind die Musculi pectinati rechterseits enorm ent¬ 
wickelt. Das Septum atriorum ist geschlossen. Dosgleichen der Duct. art. 
Botalli. 

Das Arrangement der grossen Halsgefasse sowie der Bronchialarterien 
bietet keine weitere Anomalie. 

In den Lungen war, das füge ich hier noch hinzu, ausser ausgebreitetem 
Oedem und Hypostase nur in der linken Lungenspitze eine kleine indurirte 
Partie und mässige Adhärenz daselbst nachweislich. 

Die weiteren Sectionsergebuisse übergehe ich als neben¬ 
sächlich. — 

Im Wesentlichen hat die Obductiou, wie die Herren mir zu¬ 
geben werden, die klinische Diagnose durchaus bestätigt. — An¬ 
knüpfend an die Demonstration des Präparates, meine Herren, möchte 
ich mir nun noch die Erlaubniss zu einigen epikritischen Bemer¬ 
kungen von Ihnen erbitten. Zunächst können Sie mir mit Recht 
die Frage vorlegen: „War denn die Pulmonalstenose auch ausge¬ 
sprochen angeboren?“ Darauf kann ich mit einem positiveu „Ja“ 
antworten. 

Zwei Charakteristica sind es namentlich, welche jeden Zweifel 
daran beseitigen müssen. Einmal der Kammerw&nddefect, sodann 
— und das noch mehr — die Abgangsstelle der Aorta, ihre Ver¬ 
schiebung nach rechts. — 

Nach den klassischen, lichtvollen Untersuchungen, die Roki¬ 
tansky (d. A.) 1 ) noch an seinem äussersten Lebensabend über 
die congenitalen Missbildungen des Herzens angestellt hat, kann 
eine normale Stellung der Aorta in Fällen, wie der vorliegende, 
kaum Vorkommen; ihr Ursprung ist stets nach rechts hin versetzt, 
und ebenso liegen die Defecte im vorderen wie hinteren Theil des 
vorderen Septum der Kammern stets nach vorn dicht unter dem 
Ostium der beiden Gefässstämme. Ebenso sagt Rauchfuss 2 ) in 
seiner Abhandlung in Gerhard t’s Handbuch der Kinderkrank¬ 
heiten. „Die differentiale Diagnose am Leichentisch wird da¬ 
durch erleichtert, dass die durch ulceröse Endo-Myocarditis erwor¬ 
benen Defecte ein Kammerseptum treffen, an welches sich normal 
gelagerte Arterienursprünge anschliessen“. Letzteres ist an un¬ 
serem vorliegenden Präparate aber nicht der Fall. Es ist also die 
Missbildung au diesem Herzen eine entschieden congenitale. 

ln der Häufigkeitsscala des Vorkommens nimmt die Pulmonal¬ 
stenose resp. Atresie die höchste Stufe unter den congenitalen 
Herzfehlern ein. Peacock 3 ) hat u. A. auch diesen Punkt zum 
Gegenstände seiner Studien gemacht. Er konnte in 65 % der Fälle, 
d. h. unter 181 Fällen 119 Mal diese Form der angeborenen Miss¬ 
bildung constatiren. Er ging demzufolge so weit, den Satz zu sta- 
tuiren, dass, wenn ein Individuum mit angeborenem Herzfehler das 
12. Lebensjahr erreicht resp. überschreite, es in der Regel an einer 
Stenose des Ost. pulmonale leide. Rokitansky schränkt diesen 
Satz dahin ein, dass er ihn nur gelten lässt für diejenigen Fälle, 
wo zugleich ein Kammerscheidewanddefect bestehe. Denn unter 
den Fällen ohne solchen wurde das älteste Individuum seinen 
Forschungen nach nur 13 Monate alt. Diese statistische Thatsache 
hat, wie Sie sehen, meine Herren, eine wichtige diagnostisch-hülf- 
reiche Bedeutung. 

Das männliche Geschlecht ist nach Rauchfuss u. A. häufiger 
von dieser Hemmungsbildung befallen als das weibliche. Mir bot 
sich während meiner ärztlichen Thätigkeit ein umgekehrtes Verbält- 
niss dar. Ich erinnere mich mit Bestimmtheit, 4 weibliche und 1 
männliches Individuum mit diesem Herzfehler gesehen zu haben. 
Genaueres konnte ich in der Literatur darüber nicht feststellen, 
weil in den bekannt gegebenen und referirten Krankengeschichten 
häufig die Angabe des Geschlechtes unterlassen worden ist. — 

Die Geschichte dieser Herzdeformität besitzt eiü schon würdiges 
Alter. Ihre Casuistik zählt bereits nach Hunderten. Auch an 
theoretischen Erklärungen über den Entstehungsmodus derselben ist 
kein Mangel. Ich will Sie nun nicht ermüden, meine Herren, mit 
einer langathmigen Aufzählung dieser Theorieen von Meckel und 
Buffon bis zu Geoffroy St. Hilaire, Förster und Roki¬ 
tansky. Wer sich dafür interessirt, findet in der äusserst sorg¬ 
fältigen, kritischen Bearbeitung dieses Gegenstandes von Kussmaul 4 ) 
das genügende Material. Auch Rauchfuss 5 ) in Petersburg hat 
eine sehr sorgfältige Arbeit darüber mitgetheilt. Endlich will ich es 
nicht unterlassen, Sie auf eine ungemein eingehende diesbezügliche 
Abhandlung von Assmuss 6 ) in Göttingen aufmerksam zu macheu. 
Es wird genügen, wenn ich Sie auf diese Arbeiten verweise, und 
andererseits wird es Ihnen längst bekannt sein, dass sich die Au- 

*) Rokitansky. Die Defecte der Scheidewand des Herzens. Wien, 1875. 

*) Gerhardt. Handbuch der Kinderkrankh. Baud IV. Abthlg.1. p. 41.— 

*) On malformation of the hearth. London, 1858. Deutsch. Archiv f. kliu. 
Med. Band XX. p. 26C. 

4 ) Zeitschrift f. rat. Med. 1865. p. 99. 

5 ) Rauchfuss. Handb. d. Kinderkrankh Bd. IV. Abthlg I. 

6 ) Ass muss. Deutsch. Archiv f. kl. Med. Bd. XX. p. 216. 


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296 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 15 


sichten über die genetischen Verhältnisse der cong. Pulmonalstenose 
in den letzten Decennien im Grossen nnd Ganzen auf zwei zugespitzt 
haben, nämlich auf die Auffassung von der sie bedingenden Hem¬ 
mungsbildung, und auf die von der ursächlichen, fötalen Endo- 
carditis. — 

Für die Letztere war besonders Rokitansky in seinem Hand¬ 
buche der pathol. Anatomie im Jahre 1844 eingetreten und be¬ 
herrschte seiner Autorität zufolge, wenn ich so sagen darf, lange 
Zeit hindurch den Markt der Meinungen. In seiner Schlussarbeit 
indessen vom Jahre 1875 hielt er den endocardit. Causalnexus nur 
für die reine Stenose der Pulmon. aufrecht, während er „die 
sonstigen Hemmungsbildungen am inneren Herzbau und namentlich 
die Defecte im Sept. ventricul. nicht auf Rechnung der durch sie 
gesetzten Stenose des Ost. art. dextr. bringen zu können“ vermeinte. 
Für diejenigen Fälle nämlich, wo es sich um Septumdefect mit 
Rechtslagerung der Aorta handelt, nimmt Rokitansky neuerdings 
vielmehr eine anomale Theilung des primitiven Truncus art. com¬ 
munis in Anspruch. Von dieser Anomalie ist denn auch die un¬ 
gleiche Weite der beiden Gefässstämme der Aorta und Pulmon. ab¬ 
hängig. 

Dieser neueren, auf entwickelungsgeschichtlicher Basis zuerst 
von Lindes 1 ) aufgestellten und sodann von Rokitansky weiter 
durchforschten und geläuterten Anschauung haben sich die späteren 
Autoren im Allgemeinen mehr oder weniger streng angeschlossen; 
so z. B. Assmuss, 2 ) Rauchfuss, 3 ) Schrötter, 4 ) Perls-Ne eisen 5 ) 
und Leo 6 ). 

Unter den Ergebnissen des vorliegenden Obductionsbefundes 
verdienen noch eine gewisse Beachtung: 

1. der Septumdefect, seine Oertlichkeit und seine Form, 

2. die Residuen der Endocarditis am Ostium pulmonale, 

3. die Induration und Synechie der linken Lungenspitze. 

Ad 1. Der Defect im Sept. ventricul. ist eine der häufigsten 
Complicationen der congenitalen Pulmonalstenose. Darauf haben 
bereits sämmtliche Autoren aufmerksam gemacht. Wie häufig sie 
ist, lehrt u. A. eine statistische Zusammenstellung von Rauchfuss. 
Unter 192 Fällen fand er 171 mit Kammerscheidewanddefect compli- 
cirte, gegen 21 uncomplicirte Stenosen resp. Atresieen des Ost. pulmo¬ 
nale. Unter den Referaten und ausführlichen Krankengeschichten, 
welche ich in Virchow-Hirsch’s Jahresberichte und den mir sonst 
zugänglichen, literarischen Quellen seit dem Jahre 1866 habe sammeln 
können, kommen auf 61 Pulmonalstenosen nur 8 .uncomplicirte. 
Bei den übrigen ist das Sept. ventr. allein perforirt 26 Mal; das 
Sept. atrior. gleichzeitig resp. der Duct Botalli offen geblieben 
28 Mal. 

Der Sitz des Kammerscheidewanddefects ist in der Regel, analog 
dem vorliegenden Präparate, in der Nähe der Atrioventriculargrenze, 
d. h. im vorderen Theil des Sept. angegeben. Wiederholentlich 
heisst es in den Beschreibungen: „Die Aorta entspringt aus beiden 
Ventrikeln“, oder „die Aorta reitet auf dem Septumdefect“. 

Der Form und Anlage nach schliesst sich die Missbildung in 
unserem Falle genau an die Kategorie an, welche Rokitansky 
bezeichnet als: „Defect im hinteren Theile des vorderen Septum“. 
Demgemäss ist auch die Aorta nach rechts gelagert. 

Die Oertlichkeit des Defectes dicht unter dem Aortenabgang 
scheint mir für die späterhin zu besprechenden physikalischen Sym¬ 
ptome von nicht zu unterschätzendem Werthe zu sein. 

Ad 2. Die theilweise älteren, theils frischeren, endocarditischen 
Auflagerungen an den Semilunarklappen der Lungenarterie unseres 
Präparates dienen als Belag für die Prädisposition der congenitalen 
Pulmonalstenose zu entzündlichen Processen am Endocard. Die 
frischeren Adhärenzen sind auch wohl die endlich tödtliche Veran¬ 
lassung gewesen. Der Grund zu dieser Disposition, entzündlich zu 
erkranken, liegt nach der Annahme sämmtlicher Autoren in den ver¬ 
mehrten Circulationswiderständen. Wie beim Erwachsenen das 
linke Herz vermuthlich aus gleicher Ursache zu endocarditischen 
Affectionen geneigt ist, so ist es beim Fötus das rechte, ent¬ 
sprechend dem embryonalen Kreislauf, und zwar ist das Ende des 
2. fötalen Lebensmonates für die Stenose der Pulmonalis sowohl, als 
auch für die event. sonstigen Hemmungsbildungen am Herzen nach 
den Untersuchungen der älteren wie neueren Forscher der ent¬ 
scheidende Zeitpunkt. 

Ad 3. Die Induration der linken Lungenspitze und die ziemlich 
ausgebreitete Verwachsung daselbst gehören gleichfalls zu den fast 
Tegelmässigen Folgezuständen der Stenose der Lungenarterie. Es 

1 ) Georg Lindes. Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des 
Herzens. Diss. Dorpat, 1865. 

s ) I. c. p. 262 ff. 

*) I. c. p. 38 ff. 

4 ) Handb. d. spec. Pathol. v. Ziemssen. Bd. VI. 

6 ) Perl8’ Lehrb. der Allgem. Pathol. von Neelsen, Stuttgart, 1886, 
p. 634 ff. 

*) Deutsche med. Wochenschrift, Jahrg. 1886, No. 15, p. 253—259. 


ist Ihnen längst bekannt, meine Herren, dass man diesem angeborenen 
Klappenfehler eine eminente Disposition zur Entwickelung von 
Lungentuberculose vindicirt. Nach Traube 1 ) soll dies bekanntlich 
auf dem Umstande beruhen, dass die seröse Transsudation des 
Lungenparenchyms bei der genannten Herzaffection am wenigsten 
begünstigt wird. Sie erinnern sich noch Alle, dass Traube die 
tuberculösen Processe bei Verengung der Pulmonalstenose mit denen, 
die sich bei Kaninchen in Folge von Wasserentziehung entwickeln, 
gewissermaassen in Parallele stellte. 

Gerhardt 2 ) wiederum hält es nicht für undenkbar, dass ca- 
pilläre Embolieen von der so häufig recidivirenden Endocarditis 
an den Serailunarklappen der Art. pulmonalis her das ätiologische 
Moment zur Genese der tuberculösen Phthisis derartiger Fälle ab¬ 
geben könnten. Positiv erwiesen ist dies bisher noch nicht. Auch 
wäre es auffallend, dass gerade die Lungenspitzen, in welchen 
embolische Processe viel seltener vorzukommen pflegen, als in den 
unteren Lungenlappen, in solcher Weise afficirt werden sollten. Eine 
genügende Erklärung, warum die Alveolarepithelien solcher Herz¬ 
kranken ihre Widerstandsfähigkeit gegen den Tuberkelbacillus ein- 
gebüsst haben, steht meines Erachtens bislang noch aus. — In unserem 
Falle fand sich freilich kein tuberculöser Heerd, sondern nur Ad¬ 
häsion und indurative Schrumpfung in der 1. Lungenspitze. Auch 
hier ist es, wie so häufig, die linke Seite, welche Zeichen von Er¬ 
krankung erkennen lässt. Auf die vorwiegende Neigung der linken 
Lunge zu diesen Krankheitsformen hat Lebert 6 ) schon im Jahre 
1866 in einer statistischen Arbeit aufmerksam gemacht. Unter 
den von mir revidirten 61 Fällen konnte ich 16 Mal die Lungen¬ 
tuberculose in den Sectionsberichten auffinden. In mehreren (3) 
Fällen war die linke Seite als die primär erkrankte bezeichnet; in 
den übrigen waren beide Lungen in mehr weniger grosser Aus¬ 
dehnung erkrankt. Hierbei war es auffallend, dass 13 Mal weib¬ 
liche Individuen davon befallen waren. Darunter hatten 8 ein 
Alter von 17—39 Jahren erreicht, und es drängt sich hier die Frage 
auf: „Ist dies vorzugsweise Befallenwerden der weiblichen Per¬ 
sonen, ist ihre längere Lebensdauer bei Pulmonalstenose ein Zufall?“ 
Ich glaube nein. Die geringeren Ansprüche, die beim Kampfe um’s 
Dasein an ein weibliches Wesen gestellt werden, lassen es wohl er¬ 
klärlich erscheinen, warum trotz der gewaltigen Circulationsbehin- 
derung ihr Ableben weiter hinausgeschoben wird. Andererseits ist 
das Gebundensein an’s Haus und die damit zusammenhängende 
geringere Ventilation der Lungen mit reichlicher, reinerer Luft aus¬ 
reichend, um den stärkeren Procentsatz in der Entwickelung der 
Tuberculose beim weiblichen Geschlecht zu erklären. — 

Aus dem Symptomencomplex möchte ich noch, als der Be¬ 
sprechung wohl werth, zuvörderst hervorheben die Cyanose. 

Man hat in früherer Zeit behauptet und gelehrt, dass die 
Mischung des arteriellen Blutes mit dem nicht decarbonisirten, 
venösen allein schon genügt, um das Krankheitsbild der sog. „Blau¬ 
sucht“ bei den Septendefecten des Herzens zu erklären. Man hatte 
auch in der That häufig bei hochgradig cyanotisch Geborenen oder 
bald nach der Geburt blausüchtig Gewordenen post mortem Septen- 
defecte constatirt und hielt somit die Cyanose für das untrüglichste 
pathognostische Symptom derartiger Missbildungen. 

Diese Anschauung ist indessen nur bedingt richtig, meine Herren! 

Einmal existiren in der Literatur Mittheilungen von abnormem 
Abgänge grosser, arterieller Körpergefässstämme von der Art. pul¬ 
monalis ohne cyanotische Färbung der betreffenden Körpertheile 
während des Lebens. Hierher gehört jener vielfach citirte Fall von 
Breschet, 4 ) in welchem die linke Subclaviararterie von der Art. 
pulmonal, entsprang, ohne eine Spur von Cyanose des linken Armes 
bei Lebzeiten des Patienten bewirkt zu haben. Ferner jene Mit¬ 
theilung von Rees, 5 ) nach welcher die Aort. descend. gleichfalls 
aus der Pulmonalis hervorging, und keine Cyanose der Unter¬ 
extremitäten bestanden hatte. 

Sodann haben zahlreiche und sorgfältige Untersuchungen und 
Krankenberichte gelehrt, dass weder bei dem sog. offenen Foramen 
ovale, noch selbst bei der Perforation der Kammerscheidewand die 
Cyanose eine conditio sine qua non ist. Im Gegentheil wurde für 
die Communication der Vorhöfe das Auftreten der Blausucht unter 
sonst normalen Verhältnissen des Herzens von mehreren Forschern 
als ein ausnahmsweises festgestellt. Kl ob und Wall mann 6 ) z. B. 
konnten unter 800 Leichen, die sie im Hinblick hierauf unter¬ 
suchten, nur in 44 °/ 0 der Fälle Cyanose constatiren. Und auch für die 
Communication derVentrikel sind in der Literatur hinsichtlich desMorb. 
caeruleus einzelne sorgfältig beobachtete Krankheitsfälle total negativ 


*) Traube. Gesammelte Beiträge Bd. II. p. 7 48—49. 

*) Gerhardt. Lehrb. d. Kinderkraukh. 1874 p. 252. 

®) Berl. Klin. Wochenschrift Jahrgang 1867 No. 22—24. 

4 ) and *) Friedreich. Krankheiten des Herzens. Erlangen, 1867, p. 279. 
•) Rauchfuss 1. c., p. 49. 


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1?. April. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 297 


ausgefallen. Ein solcher ist der von Gelau 1 ) in seine Dissertation 
niedergelegte, ein gleicher ferner der von Montault. 2 ) Beide 
Individuen wurden — ich citire nach Rauchfuss — über 20 Jahre 
alt und zeigten wahrend ihres Daseins niemals, resp. erst kurz yor 
dem Tode cyanotische Verfärbung trotz grosser Kammerwanddefecte. 
Der freie Verkehr der beiden Blutarten und ihr Austausch durch 
die offenen Septen bedingt an und für sich die Cyanose also durch¬ 
aus nicht. Nur wenn gleichzeitig andere Circulationswiderstände 
seitens des Herzens oder der Lungen hinzu kommen, tritt auch 
Cyanose in die Erscheinung. 

So erzählt Reisch 3 ) einen höchst bemerkenswertheu Fall von 
offenem Foramen ovale mit complicirender Insuff. valv. mitralis, bei 
welchem nicht allein hochgradige Cyanose, sondern auch das 
Phänomen des exquisitesten Jugularveuenpulses zu Stande kam. 
ln gleicher Weise wird auch die congenitale Verengerung der Lungen¬ 
arterie auf die Entstehung cyauotischer Verfärbung influiren müssen. 
Hierbei muss jedoch bemerkt werden, dass selbst bei dieser Form 
von cong. Klappenfehlern das Auftreten der Blausucht nicht constant 
ist, namentlich nicht, wenn nicht zugleich Septendefecte bestehen. 
Die Letzteren stellen sogar gewissermaassen einen Compensationsweg 
her. Der jedesmalige Ueberdruck kann je nach der Grösse der 
Communicationsöffnung in den Septen durch Abfluss zum linken 
Ventrikel resp. zum linken Vorhof eine Ausgleichung erfahren. Im 
nämlichen Sinne wirkt auch die Persistenz des Duct. art. Botalli. 
Auf diese Weise nur wird es verständb'ch, wie in einer Reihe von 
einschlägigen Publicationen die Cyanose als sehr gering resp. als 
ifanz fehlend vermerkt wurde. 

Stölcker 4 ) hat u. A. 57 derartige Fälle auf den Eintritt der 
eyanotisclien Verfärbung geprüft und darunter 4 Mal das vollständige 
Fehlen derselben aufgefunden. Ein Mal trat sie erst im 25., 3 Mal 
im 5. Lebensjahre auf. Eine einschlägige Mittheilung macht auch 
Rauchfuss.*) Es handelte sich um ein.Mädchen, das erst im 
11. Lebensjahre blausüchtig wurde. Auch ich verfüge über eine 
Patientin von 16 Jahren, die mir durch meinen Freund Tornwaldt 
liier vor ca. 10 Jahren überwiesen wurde, bei welcher nur nach j 
heftigen Körperactionen mässige Cyanose bemerklich wird, trotzdem 
sie alle Erscheinungen einer offenbar congenitalen Pulmonalstenose 
mit Kammerscheidewanddefect darbietet. 

In Anbetracht dieser Erfahrungen kann man also wohl den Satz 
formuliren: Das Vorhandensein der Blausucht bei conge¬ 
nitaler Pulmonalstenose berechtigt zu der Annahme 
eines gleichzeitigen Septumdefectes ebensowenig, wie 
ihr Fehlen einen solchen absolut äusschliesst. 

Es fragt sich nun noch, ist es überhaupt möglich, einen Septum- 
defect bei Lebzeiten, namentlich einen in der Verticalscheidewand zu 
diagnosticiren. Dies führt mich zu dem zweiten Punkte, den ich aus dem 
physicalischen Symptomfenbilde Ihrer Beachtung zu unterbreiten für 
nöthig halte, nämlich zu dem in die Carotiden fortgepflanzten, 
systol. Geräusch. — 

Sie wissen, meine Herren, dass die an den Herzostien ent¬ 
stehenden, akustischen Erscheinungen nicht nur auf dem Wege der 
grossen Brust- und Halsgefässe, sondern auch durch die Brust- und 
Halsbedeckungen gegen den Kopf hin fortgeleitet werden. Dass der 
letztere Weg thatsächlich möglich ist, beweist meines Erachtens mehr 
als alles Andere der Umstand, dass systol. Herzgeräusche in der 
Carotis noch hörbar sind, wenn man dieselben dicht oberhalb des 
Sternoclaviculargelenkes an dem Orte der Zang’sehen Ligatur 
eomprimirt. Die betreffenden Geräusche nehmen dann wohl an 
Stärke ab, verschwinden aber nicht ganz. Comprimirt man unvoll¬ 
ständig, so nehmen sie als Druckgeräusche natürlich zu. Von Weil 6 ) 
und später von Matterstock 7 ) sind über die Fortleitung der Töne 
vom Herzen her in die peripheren Arterien umfangreiche Studien 
angestellt und veröffentlicht. Weil hat unter 600 Fällen nur 
5 Mal eine Differenz in der Intensität der’ fortgeleiteten Geräusche 
zwischen rechter und linker Carotis resp. Körperarterien wahr¬ 
genommen. Matterstock dagegen fand, dass die Stärke der fort¬ 
gepflanzten Töne wie Geräusche an der rechten Carotis regelmässig 
deutlicher und lauter zu constatiren war. Nur für die Pulmonal¬ 
stenose giebt Matterstock an, nicht allein an der linken Carotis, 
sondern sogar an der 1. Axillaris und Brachialis das fortgeleitete, nach 
ihm systolische (diastolische) Geräusch lauter an der rechten Seite ge¬ 
hört zu haben. Dasselbe behauptet auch Thomas 8 ) in Freiburg. Beide 

') L. Gelau. Ein Fall von Offenbleiben der Sept. \entr. ohne Cyanose. 
Dissertat Berlin, 1873. 

*) Rauchfuss 1. c., p. 46. 

*) Rauchfuss I. c., p. 51. 

*) Stölcker. Ueber angeborene Stenose der Art. pulin. Dissertat. 
Bern. 1864. 

2 1. c., p. 89 fg. 

®) A. Weil. Die Auscultat. der Art. u. Venen. Leipzig, 1875. 

7 ) Deutsch. Archiv f. Kl. Med. Bd. XXII p. 506 ff. 

*) Deutsch. Archiv f. Kl. Med. Bd. XXIII p 622. 


[ haben nur je einen Kranken beobachtet, deren Sectionsbefunde aber 
I nicht beigebracht wurden. Auch Rosenstein 1 ) lehrt, dass die 
syst. Geräusche bei der genannten Herzaffection sich iu die Ca¬ 
rotiden fortpflanzen. Auf dem Wege der arteriellen Getassbahu 
kann diese Fortleitung jedoch schon aus anatomischen Gründen 
nicht stattfinden. Dementsprechend wollen gewichtige klinisch«- 
Lehrer für die Pulmonalstenose die Fortpflanzung der systol. Ge¬ 
räusche in die Halsgefässe nicht zugeben. So sagtz. B. Friedreich, 2 ) 
„dass im Jugulum und an den Halsgefässen keine Spur derselben 
vernehmbar ist“. Aehnliches behauptet auch Schrötter. 3 ) Auch 
Rauchfuss, 4 ) dessen Urt heil in dieser Beziehung sehr maassgebend 
ist, schreibt: „In die Carotiden wird das Geräusch nicht fortgeleitet; 
! es kann dies aber scheinen, wenn das Geräusch sehr intensiv ist“. 
In den Referaten und casuistischen Mittheilungen ist diesem Gegen¬ 
stände nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Es wird wohl von 
einem „weitverbreiteten“ systol. Geräusch, das mitunter „in die Phase 
| der Diastole hineinreicht“, mitunter auch nur „kurz und seitlich hin 
] sehr verbreitet ist“ gesprochen, allein die Rückbezüglichkeit der 
Fortleitung desselben in die Halsgefässbahnen auf einen gleichzeitig 
1 bestehenden Ventrikelscheidewanddefect finde ich nur in einem 
! Falle von Schrötter-Biedert : ’) ausdrücklich, wenn auch nur kur/, 
hervorgehobeu. Demzufolge ist auch die Zahl der bei Lebzeiten 
richtig erkannten Herzaffectionen eine verschwindend kleine. Ich 
konnte unter 61 Fällen dieses Factum nur 8 Mal constatiren. Und 
doch ist die Entstehung und Deutung dieses physikalischen Sym¬ 
ptoms an der Hand eines anatomischen Präparates, wie das vor¬ 
liegende es ist. eigentlich so einfach, dass es fast uunütliig erscheint, 
darüber noch Worte zu verlieren. Der Sitz des Septumdefectes dicht 
unterhalb des Aortenabgauges, so zu sagen im Ost. aorticum, ist 
zur Erzeugung von Wirbeln und Geräuschbildung so günstig, wi<- 
kaum sonst wo in der Herzpathologie, und die Bedingungen zur 
weiteren Fortleitung des Wirbelgeräusches iu die Halsgefässe hinauf, 
lassen auch nichts zu wünschen übrig. Dass in unserem Fall«* 
die linke Halsseite eine grössere Intensität des Geräusches zeigt, 
erklärt sich wohl ungezwungen aus dem Plus, welches die Schall¬ 
leitung durch die Thorax- und Halsdeckeu vou dem au dem 
; Ost. pulmonale entstehenden syst. Geräusch zur linken Hals- 
I seite vermittelt. Mit der Compression der linken Carotis 
I hört die Leitung durch das Gefässrohr selbstredend auf, es bleibt 
| nur die Schallleitung durch die Hautdecken etc. übrig, und das 
Geräusch verliert demgemäss an Intensität, verschwindet aber nicht 
vollständig, weil die letztere Leitung noch fortbesteht. Von der 
, Richtigkeit dieses Raisonnements kann man sich bei jedem Herz¬ 
klappenfehler mit systol. Geräusch an der Aorta und in den Caro¬ 
tiden überzeugen. In dem mir noch jetzt zur Disposition stehen¬ 
den, vorher schon erwähnten Falle von congenitaler Pulmonalstenose 
kann ich diese Beobachtung jeder Zeit wiederholen und bin darum 
geneigt, ganz abgesehen von der Häufigkeit des Vorkommens, allein 
aus diesem Grunde au«:h diese Stenose der Pulmonalarterie für 
eine mit Septumdefect complicirte zu halten. Ebenso möchte ich 
| auch kühn behaupten, dass die beiden Patienten von Matterstock 
und Thomas aus diesem Grunde die enorm weite Fortleitung ihres 
systol. Geräusches bis in die linke Axillaris hinein darboten. Weil 
der Defect im vorderen Ventrikelseptum bei der congenitalen Pul¬ 
monalstenose das gewöhnliche Ereigniss ist, leitet sich auch ge¬ 
wöhnlich das systol. Geräusch in die Halsgefässe fort, und deshalb 
möchte ich auf Grund der vorhergehenden Erwägungen folgende 
Schlussthese aufstellen: 

In jenen Fällen angeborener Herzfehler, in welchen 
die Summe der vorhandenen Symptome für eine Pul¬ 
monalstenose spricht, zwingt ein gleichzeitig bestehen¬ 
des, in die Carotiden hinauf sich fortpflanzendes systol. 
Geräusch zu der Annahme eines gleichzeitig bestehen - 
den Defects im vorderen Kammerseptum. 

TV. Die Bergeon’schen Kohlensäure-Schwefel- 
wasserstoflklystiere bei Erkrankungen der 
Lunge und des Kehlkopfes. 6 ) 

Von Dr. Schuster in Aachen. 

Mit der Entdeckung vou Mikroben als Krankheitsursachen war 
auch die Suche nach Mitteln gegeben, welche dieselben zu tödten 
im Stande wären. Gegen den so berechtigtes Aufsehen erregenden 
Koch’schen Tuberkelbacillus der Lungenphthise hoffte man Heil 

*) Ziemssen’s Hanilb. I. Auflage, Bd. VI. p. 182. 

*) Fried reich. Krankheiten d. Herzens. Erlangen, 1801 p. 271. 

*) Ziemsseu’s Handbuch. Bd. VI. p. 764. 

4 ) 1. c. p. 94. 

5 ) Jahrbuch der Kinderheilkunde Bd. XXVI p. 384. 

6 ) Nach einem für die balneol. Section 1888 bestimmten Vortrage. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 15 


29 8 


bringendes von der Einathmuug bacillenfeindlicher Gase. Als solche 
benutzt Bergeon neben der Kohlensäure den Schwefelwasserstoff. 
Aber deren Einathmung ist, weil leicht todtbringend, unannehmbar. 

Nun war aus den an Thiereu gemachten physiologischen Unter¬ 
suchungen Claude Bernard’s bekannt, dass die genannten Gase, 
in das Rectum injicirt. hier leicht resorbirt, durch die Vena portae 
zur Vena cava in die Arteria pulmonalis gelangen und so mit Um¬ 
gehung des arteriellen Kreislaufes an der ganzen Lungenober¬ 
fläche ohne irgend welche Schädigung zur Ausscheidung kommen 
und zwar in Mengen, welche eingeathmet toxisch wirken würden. 

Hierauf fassend hatte Bergeon die zwar leicht zu bespöttelnde, 
aber vielleicht sehr glückliche Idee, die genannten Gase mittelst der 
Darmresorption in und durch die Respirationsorgane zu führen, 
d. h. er wählte zu diesem Zwecke statt der lebensgefährlichen „In¬ 
halation“ die ungefährliche „Exhalationsmethode“ der Gase. 

Bei seinen Versuchen au gesunden und kranken Menschen fand 
er das in untadelhaft reinem Zustande in das Rectum eingefuhrte 
Kohlensäuregas fast total iu der ausgeathmeten Luft wieder vor 
und zwar innerhalb weniger Minuten. Da die im Organismus ge¬ 
bildete Kohlensäure auf dem Venenwege mit Excretionsstoffen be¬ 
laden der Lunge zueilt, so meint er, dass die künstlich eingetriebene 
und exhalirte Kohlensäure diese Waschung des Blutes und der 
Respiratiousorgane vermehre, dass damit eine wahre Ventilation der 
Lunge geschehe. 

Zu therapeutischen Zwecken kann mau nun die reine Kohlen¬ 
säure als solche benutzen oder aber als Vehikel, mittelst dessen 
man gewebsveräudernde oder bactericide, gasförmige Heilmittel in 
die Lunge einführt. 

Die in’s Rectum injicirte reine Kohlensäure bewirkt eine Er¬ 
leichterung und Vertiefung des Athmens. Hierdurch wird die in den 
Alveolen verbleibende Luft, die residual air Hutchiusou’s, leichter 
entfernt. Dies erklärt nach Bergeon die günstige Wirkung des 
Kohlensäureklystiers bei Luugenemphysem. Betreffs anderer Gas¬ 
arten fand er, dass das mit dem Kohlensäuregas eingeführte 
Schwefelwasserstoflfgas sowohl vom Kranken durch den Geschmack, 
als wie vom Beobachter durch den Geruch als Ausathmungsproduct 
constatirt wird. Dasselbe konnte sowohl von Anderen, als auch 
von mir bestätigt werden. 

Die Zahl der einzuführenden, wie die genannten, unschädlich 
auf den Darm wirkenden Gasarten ist eine sehr beschränkte. Sie 
kommen jedoch sehr rasch nach der Injection zur Exhalatiou; so 
konnte z. B. Pyridin fast unmittelbar nach der Injection in der 
Ausathmungslnft nachgewiesen werden. 

Die Frage, ob durch das Trinken des Schwefelmineralwassers, 
also vom Magen aus, der Schwefelwasserstoff nicht ebenso zur 
Wirkung komme, wie durch das Gasklystier, fiel durch Vergleichung 
beider Anwendungsarten in ihrer Wirkung auf dieselben Phthisiker 
zu entschiedenen Gunsten der Gasklystierc aus. Zu therapeutischen 
Zwecken verlangt Bergeon durchaus reine Kohlensäure; als 
Schwefelwasserstoff den aus dem natürlichen Schwefelmineral¬ 
wasser durch Durchstreichung der Kohlensäure durch dasselbe, 
resp. durch die hiermit gegebene Zersetzung des Schwefelnatriums 
gewonnenen. Er schreibt der mittelst Mineralsäureu gewonnenen 
oder in Kautschukbehältern aufbewahrteu Kohlensäure, sowie dem 
aus Schwefelpulver oder künstlichen Mischungen bereiteten Schwefel¬ 
wasserstoff eine geringe oder gar nachtheilige Wirkung auf den 
Darmtractus zu, theilweise wegen der dann beigemengten Verun¬ 
reinigungen; auch werde die Resorption der Gase dadurch behindert. 
Auch Fraentzel fand bei seinen wichtigen Versuchen der Gas- 
klystiere an Schwindsüchtigen den künstlich erzeugten Schwefel¬ 
wasserstoff dem natürlichen der Mineralwässer gegenüber unwirksam 
(Berl. raed. Ges. 4. Juli 1887). Wenn man eine Methode beur- 
theilen will, so muss mau sie genau nach den Vorschriften ihres Er¬ 
finders anstellen, sonst giebt man ihm das Recht, abfällige Urtbeile 
zurückzuweisen. 

Man kann nun noch einwerfen, dass der Darm im normalen 
Zustande ja schon die genannten Gase nebeu anderen enthält, und 
man sie demnach nicht zu injiciren brauche. Es ist gewiss richtig, 
dass unter Umständen Gase vom Darme resorbirt und durch den 
kleinen Kreislauf in die Lunge geführt und hier ausgeathmet werden. 
Hierauf beruht meiner Meinung nach für manche mit Verdauungs¬ 
störungen einhergehendc Fälle der „stinkende Athem“. Im gewöhn¬ 
lichen Zustande aber ist die Menge und auch die Spannung der 
Gase viel zu gering, als dass dieselben resorbirt werden könnten. 
P.ergeon hoffte nun mit seiner „Exhalationsmethode“ die Lungen- 
und Larynxphthise heilen zu können. Das war leider ein Irrthum, 
der der Methode schadete. Die von ihm in Gemeinschaft mit 
Gornil an tuberculisirten Kaninchen angestellten Versuche ergaben 
nun allerdings, dass die nicht behandelten aber wohl gepflegten 
Thiere verhältnissmässig rasch unter den Erscheinungen der Lungen¬ 
entzündung erlagen; dass dagegen die mit Gasklystieren behandelten 
während dreier Monate in gutem Ernährungszustände fortlebten. 


i daun wutdeu sie eines nach dem andern getödtet. und es fanden 
j sich in ihren Lungen Tuberkel bacillen, dagegen die Infiltrate resp. 

| Knoten in der Rückbildung begriffen. Auch die an verschiedenen 
j Kliniken mit den Gasklystieren wegen vorgeschrittener Phthise Be¬ 
handelten behielten trotz oft augenscheinlichster Besserung ihre 
Tuberkelbacilleu iu den Sputis. 

Wenn nun auch bis jetzt keine Heilung der Phthise mit den 
Gasklystieren erzielt wurde, so stellten sich aber manche andere 
therapeutisch schätzenswerthe Wirkungen, und zwar bei verschiedenen 
| Erkrankungen der Athniungsorgane, heraus. Es erging der neuen 
Methode ähnlich, wie verschiedenen neuen, bereits eingebürgerten 
Medicaraenten* die ihren beabsichtigten Zweck zwar verfehlten, aber 
durch ihre anderen, zufällig entdeckten günstigen Nebenwirkungen 
; sich behaupten konnten, wie z. B. dem Salicyl, dem Antipyrin, der 
! Condurango. 

i Bergeon behauptet nun, dass durch seine Methode Heilung 
j erzielt werde bei chronischer Bronchitis, Asthma und Keuchhusten, 

1 grosse Besserung bei Phthisis. Er hofft aber von der weiteren 
: Ausbildung der Methode noch Heilung der Tuberculose zu erzielen. 

Blachez erhielt damit bei Phthise sichtbare Besserung, Auf- 
I hören des Fiebers, Abnahme des Hustens, der Expectoration, der 
Athemfrequenz, also: Erleichterung; dagegen bei katarrhalischen 
Zuständen Heilung. 

Aus der Fraentzel’schen Charite-Abtheilung berichtete Statz 
als Resultat der an 10 schwer erkrankten Phthisikern gemachten 
Erfahrungen mit den Gasklystieren: Abnahme der Athemfrequenz 
und Erleichterung der Respiration, Zunahme des Körpergewichts. 
In 6 Fällen Rückgang der physikalischen Erscheinungen. 

Aehnüch lautet ein Bericht Burnev Yeo : s aus Guy’s 
! Hospital. 

Pavni-Vauja in Pressburg fand, dass die localen Erschei¬ 
nungen im ersten Stadium der Phthise schnell gebessert werden 
! (Centralblatt für Ther. Decbr. 1887); er fand entschiedene Wirkung 
i auf die Menge des Auswurfes, Stillung des Hustenreizes, Abnahme 
der Fiebertemperatur, Besserung des Appetites; dagegen nehme die 
| Infiltration der Lunge nicht ab, die Bacillen schwinden nicht, auch 
j finde keine Verminderung der Athemfrequenz statt. Es muss hier 
j bemerkt werden, dass V a n j a wie auch Andere mit einem aus Schwefel¬ 
leber in einem wenig Flüssigkeit enthaltenden modificirten Alt- 
i mann schen Apparate bereiteten Schwefelwasserstoffgas arbeitete. 

| Es ist aber nötnig, dass zur genauen Kritik einer Methode, wie 
bereits erwähnt, die Methode genau nach den Angaben des Erfinders 
gemacht werde. Babcook findet die Gasklystiere contraindicirt bei 
tuberculösen Geschwüren des Darmes wegen möglicher Ruptur des 
Darmes und bei erheblicher Beeinträchtigung des Respirationsver¬ 
mögens wegen der grosseu Ausdehnung der Intestina. Letztere 
i kann man aber vermeiden. 

Ich hielt es deshalb für erforderlich, eine Reihe der bereits 

• vorliegenden Erfahrungen über den physiologischen und therapeuti- 
1 sehen Werth der Gasklystiere anzuführeu, weil der Bergeo n’sehen 

• Methode der Vorwurf des Unwissenschaftlichen und der Wirkungs- 
i losigkeit gemacht wordeu ist. 

Soweit aber war sie ungefähr gestaltet, als ich im Herbste 
vergangenen Jahres von Herrn Bergeon wiederholt mit seinem 
Besuche beehrt wurde. Er war in Begleitung eines an vorgeschrit¬ 
tener Phthise Leidenden nach Aachen gekommen, um dort mit 
Hülfe des Aachener Mineralwassers seine Gasklystiere bei dem 
Kranken zu versuchen. Er äusserte sich sehr befriedigt über die 
| dort erzielte fortschreitende Besserung des Kranken und forderte 
' mich auf, indem er mich mit seiner Methode genauer bekannt 
machte, bei geeigneten Kranken sie doch ja zur Anwendung zu 
| bringen. 

Nun war gerade um dieselbe Zeit — Ende September — ein 
' Patient in meine Behandlung getreten, der an Perichondritis laryn¬ 
gis specifischer Natur litt und einige Wochen vor seiner Ankunft in 
Norderney wegen drohender Erstickung laryngotomirt worden war. 

Er trug seine Trachealcanüle, neben der beständig Eiter sich Entleerte. 

; Er sprach flüsternd, sah sehr elend und verfallen aus und hustete; h. 1. u. 
zeigte sich eine zweifingerbreite Dämpfung; kein Fieber. Laryugoskopiscb 
sah man nach wiederholter Cocain bepinselung die rechte hochrothe Larynx- 
wand gewölbt nach links vorgetrieben. Patient bewahrte einige kleine 
Knorpelstückchen, die er ausgehustet hatte. Diesen Patienten stellte ich 
Herrn Bergeon vor; er meinte, über solche mit Syphilis complicirte Fälle 
habe er keine Erfahrung. Dagegen finde er die Gasklystiere bei Oedema 
glottidis und SuffocationserscheinuDgen für indicirt. Immerhin seien auch 
in diesem Falle die Gasklystiere des Versuches werth. Daraufhin stand 
ich davon ab; denn es war in erster Reihe die Indication einer Mercur- 
behandlung mit Bädern nebeu der bis jetzt erfolglos gebrauchten 
I Jodkalibehandlung gegeben. Die 4 ersten Mercurinunctionen wirkten nun 
auch insofern sehr günstig, als Patient daraufhin wieder mit tönender, wenn 
auch rauher Stimme sprechen konnte. Leider aber nöthigten das bei dem 
geschwächten Organismus rasch schmerzhaft gewordene geschwellte Zahn¬ 
fleisch und der damit verbundene Appetitverlust zum Aussetzen der Mercur- 
behandlung während 14 Tage. Da trat, aufs Neue Dyspnoe auf; dieselbe 


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12. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


299 


ging aber dieses Mal nicht vom Kehlkopf aus, soudern von der Lunge. 
Das Athmen war mit stechenden linksseitigen Schmerzen verbunden. Als 
Grund ergab sich ein linksseitiges, vom Schulterblatt nach unten sich er¬ 
streckendes Lungeninfiltrat mit Pleuresie; denn es bestand hier sowohl wie 
in der linken Seite hohes bronchiales Athmen und Frcmitusverlust; 28 
Athemzüge in der Minute im Liegen; kein Fiober. Mercur wurde auch 
dieses Mal nur drei Tage lang ertragen; es hatte ebensowenig wie das 
Jodkali auf die neuen Erscheinungen Einfluss. War das Lungeninfiltrat ein 
specifisches? es wurde so aufgefasst. In dieser für die Wahl der Heilmittel 
fast trostlosen Lage entschloss ich mich zur Anwendung der Gasklystiere. 
Die Kohlensäure wurde aus Natron bicarbonicum und Acidum tartaricum in 
einer gusseisernen Sehet’schen Flasche bereitet und durch eine mehr als 
10 Liter frischen Schwefelthermalwassers haltende Flasche geleitet, so dass 
in der Secunde 4 Gasblasen aufstiegen. Die Gasinjection dauerte jedesmal 
eine halbp Stunde; es wurden vom zweiten Tage ab deren täglich zwei 
gemacht nach vorheriger Entleerung des Rectums. 

Schon das erste Gasklystier war von einer überraschend günstigen 
Wirkung. Noch während desselben sank dio Atbemfrequenz in den ersten 
25 Minuten zunächst auf 24, dann auf 16 mal in der Minute: zur grossen 
Verwunderung des Kranken geschieht die Athmung sehr tief und frei, das 
Husten ohne Schmerz." Den folgenden Tag verbleibt die Athemfrequenz 16 
in der Minute, trotzdem durch zu rasches Einströmen des Gases dieses Mal 
der Leib trommelartig gespannt war. Patient hebt besonders hervor, dass 
das Stechen in der linken Seite während der Gasinjection verschwunden, 
das Athmen frei ist. Die Trachealcanüle, die Patient zeitweise entfernt 
hatte, lässt derselbe jetzt Tag und Nscht weg. Den dritten Tag sank 
während des Gasklystiers die Athemfrequenz von 16 auf 12. Man hört 
das bronchiale Athmen nicht mehr so hoch und scharf, dagegen hört man 
seltenes Crepitiren, als ob ein Bläschen reibe. Den vierten Tag ist das 
bronchiale Athmen überall, auch in der Seite, verschwunden, aber auch die 
Schmerzen sind vollständig vergangen: der Fremitus ist wieder deutlich zu 
fühlen; nur ganz unten h. 1. ist noch geringe Dämpfung. Es werden noch 
2 Gasklystiere gemacht. Patient fühlt sich so frei auf der Brust, dass er 
auf die Fortsetzung der Gasklystiere als überflüssig geworden verzichtet 
nnd wieder ausgeht. Aber auch die Eiterung des Kehlkopfes ist bedeutend 
eingeschränkt, die TrachealÖffnung dem Verschlüsse nahe. Die Stimme ist 
wesentlich heller. Laryngoskopisch sieht man die rechtsseitige Kehlkopf¬ 
fläche noch hervorgewölbt, aber weniger als früher uud abgeblasst; man 
sieht auch das linke weisse Stimmband und flüchtig das rechte hyperemirt 
geschwellte. 

In diesem Falle ist der rasche günstige Einfluss der Gas¬ 
klystiere auf die Lungenaffection unabweislich. Es tritt in ausge¬ 
prägter Weise die schon von den erwähnten Beobachtern hervor¬ 
gehobene Einwirkung auf die Verminderung uud Tiefe der Athem¬ 
züge, Abnahme des Hustens uud Schmerzes, auf die Schmelzung 
des Exsudates gewissermaassen während der Gasinjectionen ein. — 
Dagegen kann man ja allerdings die auch später gebliebene Besse¬ 
rung des Kehlkopfes, da sie bereits vor der Anwendung der Gas¬ 
klystiere begonnen hatte, als unabhängig von diesen ausgeben. Ich 
selbst hatte allerdings den Eindruck, dass auch die Kehlkopfer¬ 
scheinungen sich unter den Gasklystieren mehr als vorher gebessert 
hätten. 

Nun erscheint es mir denn doch wichtig, mit Bezug auf die 
Einwirkung der „Exhalationstherapie“ auf den Larynx zunächst 
eines Falles von I.arynxphthise zu erwähnen, der von einem tüch¬ 
tigen Laryngologen, Herrn Garei, und Bergeon behandelt wurde, 
und den letzterer mit Abbildungen in der Wochenschrift Lyon 
medical No. 49 1887 veröffentlicht. 

Die Larynxulcerationen . waren zwar durch wiederholte Cauterisationen 
vernarbt, aber 2 Monate nach denselben verblieb die Kranke aphonisch. 
Die jetzt eingeleiteten Gasinjectionen bewirkten schon mit dem achten Male 
unter Besserung des Allgemeinbefindens die Rückkehr der Stimme, und nach 
weiterer 5 wöchentlicher Anwendung derselben ist der Larynx vollständig 
geheilt. 

Meine hierdurch bestärkte Vermuthung der günstigen Wirkung der 
Kxhalation mittelst Gasklystiere einverleibter Gase auf Larynxleiden veran- 
Iaaste mich, dieselben bei einem Heldentenor anzuweuden, dessen, wenn 
auch scheinbar unbedeutende so doch von den besten Laryngologen monate¬ 
lang vergeblich örtlich behandelte Larynxaffection ihm die Ausübung seines 
Berufes unmöglich machte?" Patient hat weisse Stimmbänder, dagegen ist 
am Eingang in den Larynx die vor und zwischen den Arytaenoidknorpeln 
befindliche Schleimhaut in Rautenform roth umgrenzt. Beim Singen, ins¬ 
besondere von Scalen, bleibt plötzlich ein Ton aus, die Ausdauer beim 
Singen ist verringert, auch verspürt Patient abends ein hohes Pfeifen in 
der Trachea und vermehrtes Athemhinderniss. Patient hat sich vor 1 */s Jahren 
inficirt, in den letzten Monaten vergeblich Jodkali und Inunctionen ge¬ 
braucht, beste laryngoskopische Behandlung hatte, wie erwähnt, nichts ge¬ 
fruchtet. Er wurde mir zur nochmaligen specifischon Behandlung zuge¬ 
schickt; diese hatte aber auch keine Aenderung der erwähnten Klagen 
— andere bestanden nicht — zur Folge. Ich schlug ihm daher die An¬ 
wendung der Gasklystiere vor. Schon nach den beiden ersten hat sich das 
Pfeifen vermindert, und das Singen geschieht sicherer. Nach dem fünften 
ist die umschriebene Röthe verschwunden; das Singen von Cadenzen geht 
wieder ohne den geringsten Anstoss vor sich. Patient behauptet, die Gas¬ 
klystiere vermehrten in ausserordentlicher Weise die Tiefe und Ausdauer 
»einer Athemzüge. Er hat im Ganzen dieselben 10 Tage lang angewandt 
und übt seinen Beruf nun wieder mit Erfolg aus. 

Es verdient auch bemerkt zu werden, dass dieser Patient nicht allein 
einen charakteristischen Schwefelgeschmack nach jeder Injection hatte, 


! sondern dass bei der Ausathmuug auch von mir der Schwefelvrasserstoff- 
: geruch deutlich wahrgenommen wurde. 

Hiernach glaube ich berechtigt zu sein, Herrn Bergeon in 
seinen Angaben aus letzterer Zeit über die günstige Wirkung der 
Gasklystiere auch auf deu erkrankten Larynx beizustimmen. Ich 
| halte demnach deren Anwendung bei hartnäckigen chronischen 
Larynxleiden gegenüber den hier so häufig monatelang und ohne 
besonderen Erfolg gebrauchten Inhalationen so vieler und deshalb 
I zweifelhafter Mittel um so mehr der weiteren Prüfung werth, als 
i nach neuerlicher, schriftlicher Mittheilung Bergeon der Ansicht 
ist, dass die Gasklystiere bei den consecutiven Erscheinungen, ins¬ 
besondere der Athemnoth, nach den verschiedenen pathologischen 
Larynxaffectionen von wesentlichem Nutzen sind. 

Vielleicht gehört hierher auch die Anwendung der Schwefel- 
| wasserstoff-Kohlensäuregasklystiere, die ich vor drei Monaten wegen 
, sich wieder in ihrer Zahl und Heftigkeit vermehrender Husten- 
; anfälle, welche nach einem überstandenen heftigen Keuchhusten 
1 zurückgeblieben waren, bei meinem jetzt 15 Monate alten Kinde 
i vornahm. 

Ein im September erfolgter Landaufenthalt hatte den Husten nicht 
verringert. Die Bronchien waren sozusagen frei, die Anfälle erinnerten 
durch ihren unerwarteten Eintritt und die kurzen Hustenstösse an die 
früheren Keuchhustenanfalle. Nun hatte mir Bergeon mitgetheilt, das» 
seine Gasklystiere geradezu heilend auf den Keuchhusten wirkten. Nach 
der von mir an dem tracheotomirten Kranken gemachten günstigen Er¬ 
fahrung konnte ich es nur bedauern, dass während des schweren floriden 
Keuchhustens ich die Gasklystiere von ihrer praktischen Seite noch nicht 
gekannt hatte. Da ich dem Kinde seinen Appetit auf die ihn so gut 
ernährende Soxhlet'sche Milch durch Opiate nicht stören wollte, so wandte 
ich bei ihm die Gasklystiere jedesmal 15 Minuten lang an. Ich lioss die 
Hustenanfälle vor und während der Behandlung durch in Papier gemachte 
Nadelstiche genau zählen. Es ergab sich innerhalb 8 Tagen eine so wesent¬ 
liche Abnahme der Anfalle, dass ich auf deren Verschwinden ohne weitere 
Anwendung der Klysticre rechnen durfte. Beschwerden hatte das Kind bei 
langsamem Durchlässen des Kohlensäuregases gar keine. 

Wenn man das Ungenügende der medicamentösen Therapie 
bei Keuchhusten bedenkt, sowie ferner den in neuester Zeit so 
übermüthig lautenden Vorschlag der Chirurgie, den Keuchhusten 
durch Tracheotomie als unschädliches Mittel zu heilen, so wird 
denn doch die Aufforderung, zunächst die Gasklystiere bei Keuch¬ 
husten zu versuchen, wohl eher Annahme Anden. 

Die günstige Wirkung der Gasklystiere beobachtete ich ferner 
bei einem Emphysematiker in der Praxis meines Collegen Kauf¬ 
mann. 

Vor deren Anwendung war dio Athemnoth bei der geringsten Be¬ 
wegung sehr gross; Husten und Auswurf bedeutend. Abends musste der 
bereits bejahrte Patient beim zubettegehen stundenlang auf der Bettkantn 
sitzen, ehe er sich legen oder vielmehr sich sitzend im Bette verhalten 
konnte. Seit .Anwendung der Gasklystiere kann er wieder leichter durch’» 
Zimmer gehen, abends sofort sich schlafen legen: er behauptet, eine sehr 
viel bessere, weniger mehr durch Husten gestörte Nachtruhe zu haben: 
auch ist der Auswurf viel geringer geworden. 

Auch thcilte mir Herr Dr. van Key, Assistenzarzt am Luisenhospital 
auf der Abtheilung des Herrn Geh. Rath Dr. Mayer, mit, dass ein mit 
Emphysem und Bronehiektasie behafteter 60jähriger Kranker, der sechs 
Wochen lang die Gasklystiere gebrauchte, schon nach dem sechsten sich so 
wohl wie lange vorher nicht mehr fühlte. Die früher auch für die Stuben¬ 
genossen gestörte Nachtruhe blieb jetzt ungestört. Während er früher die 
Treppe kaum hinaufgehen konnte, schleppt er jetzt Eimer Wasser hinauf 
und bedient die Heizung des Hospitals, was früher unmöglich war. Die 
Auscultation ergab grosse Besseruug. 

Nach diesen, wenn auch an Zahl geringen, so aber doch durch 
ihre sicheren günstigen Erfolge um so gewichtigeren, mit Gas¬ 
klystieren gemachten Beobachtungen, verbunden mit den aus be¬ 
währten klinischen Abtheilungen veröffentlichten Resultaten, muss 
man der Behandlung der erkrankten Respiratiousorgane mittelst 
Gasklystiere eine günstige, vielleicht grosse Zukunft verheissen. 
Ihr grosser, unabweisbarer Nutzen bei verschiedenen Lungen-, und, 
wie es scheint, auch Larynxleiden,-zu denen ich auch solche Syphi¬ 
litischer rechne, wird ihr bald Eingang in die allgemeine Praxis 
verschaffen. 

Ich denke hier auch an Larynxdiphtheritis, gegen die wir ja 
ziemlich machtlos sind. 

Natürlich wird die Methode der Gasklystiere zunächst an den 
Schwefelthermen am einfachsten vorgenomineu werden, und werden 
Aachen und Weilbach. Nenndorf u. a. zunächst den grössten 
Besuch geeigneter Kranken erwarten dürfen. Ich frage mich nach 
dem Grunde der Erfahrangsthatsache, warum der aus dem natür¬ 
lichen schwefelhaltigen Thermalwasser erzielte Schwefelwasserstoff 
dem aus Schwefelsurrogaten gewonnenen vorzuziehen ist? Wahr¬ 
scheinlich spielt hier das von Liebreich au dieser Stelle 1879 
so sehr hervorgehobeue, in den Schwefelthermeu enthaltene Kohlen- 
oxysulfid eine besondere Rolle. Es wird sich aber bei grosser 
auswärtiger Nachfrage das vielleicht im Vacuum concentrirte 
und dnreh Ausschluss der atmosphärischen Luft in natürlichem. 


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300 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 15 


unzersetztem Zustande gelieferte Schwefelwasser wohl geeignet ver¬ 
schicken, vielleicht aber auch ein geeigneter künstlicher Schwefel¬ 
zusatz, etwa der des Kohlenoxysulfids finden lassen, so dass dann 
allenthalben die Schwefelwasserstoff-Kohlensäure-Gasklystiere annä¬ 
hernd hach Vorschrift ihres Erfinders gemacht werden können. 
Es braucht dann nur dieses Wasser zuerst vorgewärmt zu werden, 
um, nach Entleerung des Rectums, sei es nun auf natürlichem 
Wege, oder mittelst gewöhnlichen Klystiers, das Gasklystier zur 
Anwendung zu bringen. 

Es gehören hierzu dann nur noch die geeigneten Apparate, von 
denen ausser dem durch seinen theuern Preis dem allgemeinen 
Gebrauche wenig zugängigen Sehet’sehen Apparate zwei billige 
geeignete Glasapparate bestehen. 

Der eine ist der von Bergeon adoptierte und beschriebene 
Glasapparat von E. Vlasto, zum Preise von ca. 10 Frcs. bei der 
Societe centrale de produits chimiques, 42 und 44 rue des ecoles, 
Paris, zu haben. 

Der andere ist der von Pavni-Vanja empfohlene und von 
Kob & Comp, in Stützerbach. Thüringen, zu 14 Mk. beziehbare 
Apparat, welche beide ich hier zum bessern Verständuiss ihrer An¬ 
wendung und Zusammensetzung vorzeige. 

Der Apparat von Vlasto besteht aus einer kleinen, einem 
Reagensglas gleichen, an ihrem untern Ende mehrfach durch¬ 
löcherten Eprouvette, in die man einen doppeltschwefelsauren 
Natronstab hineinführt. Auf diese Eprouvette passt mittelst Kautschuk¬ 
ringes ein ebenfalls an zwei Stellen durchlöchertes Glasrohr, das 
oben von einem Glaskolben umgeben ist und durch einen Kautschuk¬ 
pfropfen, den es perforirt, auf eine beliebige Flasche gesetzt werden 
kann. Diese Flasche enthält mit doppeltkohlensaurere Natron ver¬ 
setztes Wasser, das bis über die untere OefFnung der Eprouvette 
geht, welche das doppeltschwefelsaure Natron enthält. Hierdurch 
entsteht danu eine langsame eontinuirlicbe Kohlensäurebilduug, die 
nun den leeren Raum der Flaschö erfüllt und durch die untere 
Oeffnung des auf die Eprouvette aufgesetzten Glasrohres in letzteres 
ein-, und durch dessen obere in den es umgebenden Glasballon 
austritt. Die untere Oeffnung befindet sich nämlich in der Höhe 
des Halses der Flasche und muss frei liegen; die obere befindet 
sich am Fusse des das Rohr hermetisch umschliessenden Glas¬ 
kolbens. Letzterer kann durch eine oben verschliessbare Oeffnung 
entweder mit warmem Wasser oder einer medicamentösen Flüssig¬ 
keit gefüllt sein. Von dem Glaskolben kann nun mittelst eines oben 
angebrachten Seitenrohrs die Kohlensäure in eine zweite, das natür¬ 
liche Mineralwasser enthaltende Flasche geführt werden und zwar 
durch ein bis auf den Boden reichendes Glasrohr; sie steigt dann, 
das Schwefelnatrium zersetzend, auf und geht durch einen innen mit 
Leinengewebe bekleideten Kautschukschlauch in das Rectum. Der 
Apparat ist zierlich und leicht rein zu halten. 

Der andere, in seiner Handhabung auch einfache Apparat 
besteht aus einer Literflasche, auf die ein mit Schraubengewinde 
versehener Messingdeckel passt, durch dessen Mitte ein auf- und 
abschiebbarer Messingstab luftdicht geht, der an seinem in die 
Flasche ragenden Ende ein mit vielen Oeffnungen versehenes 
Porzellangefäss trägt, ln letzteres kommen Weinsteinsäurekrystalle, 
in die Flasche aber eine Natronbicarbonicumlösung nebst Schwefel¬ 
leber. Je nach dem Verschieben des Stabes kann die Kohlensäure¬ 
entwickelung gefördert oder gehemmt werden. An dem Metalldeckel 
befindet sich seitwärts ein mit einem Hahn versehenes Metallrohr 
als Ausflussrohr der Gase, die durch einen hier angebrachten 
Schlauch und Kautschukspitze in’s Rectum geführt werden. 

Während der Entwickelung der Kohlensäure müssen die Hähne 
stets offen sein, damit die Flasche nicht zerspringe. Dieser Apparat 
entwickelt aus 28,5 Weinsteinsäure und 38,5 doppeltkohlensaurem 
Natron in der ersten Viertelstunde 5,5 1. in der folgenden halben 
Stunde nur 2 nicht mehr in Betracht kommende Liter Kohlensäure. 
Die nöthige Wassermenge beträgt V‘> l, wozu noch 1,5 chemisch 
reine Schwefelleber kommen. Statt letzterer gebraucht man besser 
eine zweite, mit warmem, schwefelhaltigem Mineralwasser gefüllte 
grosse bis 10 1 enthaltende Flasche. Die Anwendung der Gas- 
klystiere kann sehr bald vom Patienten allein vorgenommen werden. 

V. Aus der Nervenheilanstalt Blankenburg in Thüringen. 

lieber Morphiumentwöhnung. 

Von Dr. med. Richard Wagner in Halle a/S. 

Zur Bekämpfung der Morphiumsucht ist bekanntlich eine grosse 
Zahl verschiedenartiger therapeutischer Methoden herangezogen wor¬ 
den, ohne dass man doch sagen könnte, dass irgend eine derselben 
zuverlässig in jedem Falle Heilung herbeiführt.. 

Erklärlich ist es ja, dass man, ganz abgesehen von dem wechsel¬ 
vollen Erfolge und der grossen Unzuverlässigkeit der einzelnen 
Therapieen gerade bei der Morphiumsucht so verschiedene thera¬ 


peutische Wege eingeschlageu hat. Denn die Morphiumsucht ist im 
Allgemeinen eine Krankheit der wohlhabenderen Stände, obschon 
I in einer Reihe von Fällen auch Individuen aus den ärmsten Classen 
| an diesem Uebel erkrankten und jeden auch noch so geringeu Er¬ 
werb dazu verwandten, sich in Besitz des Giftes zu setzen. 

ln den folgenden Zeilen nun will ich meine Erfahrungen über 
eine bestimmte Methode der Morphiumentwöhnung, die jetzt sehr 
viel, vornehmlich in den sogenannten offenen Heilanstalten in An¬ 
wendung gebracht wird, und die auch auf den ersten Blick sehr für 
sich eiunimmt, niederlegen, eine Methode, welche die allmähliche, 
ohne Vorwissen des Patienten vorzunehmende Entwöhnung bezweckt. 

Kam ein Patient wegen Morphinismus in die Anstalt zur Be¬ 
handlung, so suchte man zunächst möglichst genau das Morphium¬ 
quantum, welches Patient während 24 Stunden bisher zu ver¬ 
brauchen pflegte, zu bestimmen. So leicht dieses auch auf den 
ersteu Blick erscheint, so bietet es doch oft erhebliche Schwierig¬ 
keiten. Denn manche Patienten geben, wie die Erfahrung lehrte, 
den täglichen Morphiumgebrauch um ein Bedeutendes höher an. 
j als der Wahrheit entspricht, aus Furcht, es könnte ihnen das 
Morphium zu rapid entzogen werden; Andere wieder suchen 
ihr Uebel als ein geringeres darzustellen, dadurch, dass sie für 
den 24 ständigen Gebrauch ein bedeutend kleineres Morphium¬ 
quantum angeben, ln dieser Beziehung die Wahrheit zu ergründen 
und sich nicht täuschen zu lassen, ist die Sache des erfahrenen 
Arztes. Ferner wurde festgestellt, ob Patient ausser dem Morphium 
noch Chloral oder andere Hypnotica nimmt und in welcher Menge. 
Leider war es fast immer der Fall, dass die Patienten zur Herbei¬ 
führung des Schlafes gewöhnlich zum Chloralgenuss ihre Zu¬ 
flucht genommen hatten. Die Therapie schlug alsdann folgenden 
Weg eiu. Dem Patienten wurde täglich, uachdem man die Ueber- 
zeugung gewonnen hatte, dass derselbe kein Morphium mehr 
im Privatbesitz hatte, sein Morphiumquantum zur Selbstinjection 
verabreicht, und zwar in der Weise, dass das Flüssigkeitsquantum 
stets dasselbe blieb, der Morphiumgehalt der Lösung jedoch stetig 
| und zwar nach bestimmter Ordnung vermindert wurde, ohne dass 
| der Patient davon etwas erfuhr. Merkte Patient im späteren 
! Stadium der Cur, theils durch den weniger bitteren Geschmack 
; der Lösung, theils dadurch, dass sich Abstinenzerscheinungen ein¬ 
zustellen begannen, die Verringerung des Morphiumquantums, so 
wurde er über die Stärke der Lösung im Unklaren gelassen, 
i Meistentheils hielt der Patient die Lösung für stärker, als sie in 
Wahrheit war. Im Allgemeinen war es der Fall, wie ich oft zu 
beobachten Gelegenheit hatte, dass der Patient die Verminderung 
Anfangs nur wenig oder gar nicht empfand. Erst wenn die Ent¬ 
ziehung einen bestimmten Grad erreicht hatte, zumal wenn sich 
Abstinenzerscheinungen einzustellen begannen, wurde die Vermin¬ 
derung der Morphiumgaben lebhaft empfunden. Dass sich jedoch 
j bei dieser Methode der eigenthümliche, durch nichts zu stillende 
I Morphiumhunger eingestellt hätte, was bei der plötzlichen, 

| vollständigen Entziehung immer der Fall ist, habe ich nie 
beobachtet. Erst, wenn man mit der Entziehung so weit gekommen 
war, dass der Patient mindestens eine Woche lang mit 25 g einer 
Morphiumlösung vou 0,1: 100 ausgekommen war, wurde die Dar- 
i reichung des Morphiums gänzlich sistirt. Nur Aqua destillata oder 
Glycerin ohne jede Spur von Morphium wurde nicht verabreicht. 
Bei Beginn der Entziehung wurde sehr schnell vorgegangen, ge¬ 
wöhnlich wurde der Morphiumgehalt der Lösung alle 2 bis 3 Tage 
um l /2 bis 3 /4 g herabgesetzt, so dass Patient ungefähr in genannten 
I Zeiträumen 0,125 g Morphium weniger bekam. Injicirte Patient 
j zum Beispiel Anfangs täglich 25 g einer 4 % Morphiumlösung 
— also 1 g Morphium binnen 24 Stunden —, so wurde ihm nach 
i 3 Tagen 25 g einer nur 372 % Lösung — also 0,875 g Morphium 
j für 24 Stunden — verabreicht, und in der Weise wurde das Ver- 
| fahren fortgesetzt, bis eine 1 % Lösung — 0,25 g Morphium für 
24 Stunden — erreicht war. Von dem Zeitpunkte an wurde das 
Verfahren verlangsamt, indem man jeden dritten Tag den Morphium¬ 
gehalt der Lösung nur um 1 Decigramm verminderte, also dem 
Patienten nur noch 0,025 g Morphium entzog. War jedoch der 
Patient ausserdem noch dem Chloralgenuss ergeben, so war die 
1 Therapie zunächst darauf gerichtet, den Patienten des Chlorais zu 
| entwöhnen, und in Folge dessen wurde bei einer solchen Compli- 
cation mit der Morphiumentziehung nur langsam begonnen. Ge¬ 
wöhnlich betrug die Verminderung in diesem Falle jdle drei Tage 
i nur 1 Decigramm — dem Patienten wurde also jeden dritten 
: Tag 0,025 g Morphium entzogen. — Sobald jedoch Patient des 
I Chlorals entwöhnt war, wurde auch mit der Morphiumentziehung 
j energischer vorgegangen. 

Anfangs verlief nun die auf oben beschriebene Art vorge¬ 
nommene Entwöhnung meistens ganz nach Wunsch. Der Patient 
fühlte sich ira Allgemeinen wohl; auch der Schlaf stellte sich noch 
ohne künstliche Mittel ein. Bald jedoch trat, sobald die Entwöhnung 
einen bestimmten Grad erreicht hatte — gewöhnlich nach erfolgter 


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Verminderuug des Morphiumquantums der Lösung auf 1,0 0,6 g, 
sobald also Pat. binuen 24 Stunden nur noch 0,25 -0,15 g Morphium 
erhielt — als erste Abstinenzerscheinung Schlaflosigkeit auf, die den 
Patienten in Kurze körperlich und geistig der Art herunterbrachte, 
dass man wieder zu Hypnoticis seine Zuflucht nehmen musste. Zu¬ 
nächst wurde gewöhnlich Paraldehyd gegeben, und zwar gleich 5 g 
pro dosi Abends. Jedoch schon nach einigen Tageu blieb die ge¬ 
wünschte Wirkung des Paraldebyds aus, so dass, trotz der kürzlich 
erst erfolgten Entwöhnung, wieder Chloral in Anwendung gebracht 
werden musste. Meistentheils war der Erfolg der, dass man in 
kurzer Zeit bezüglich des Chloralgenusses auf demselben Standpunkt 
anlangte, wie Anfangs, während man mit der Morphiumentwöhnung 
noch keine bedeutenden Fortschritte gemacht hatte. Es dauerte 
dann auch nicht lange, so stellte sich noch der Uebelstand ein, dass 
zahlreiche Abscesse auftraten, veranlasst — zum Wenigsten indirekt 
— durch die verdünnten Lösungen. Denn während es bei starken 
Lösungen, wenn nur einigermaassen die nöthige Vorsicht beobachtet 
wird, sehr selten zur Bildung von Abscessen kommt, da derartige 
Lösungen durch ihre Concentration antiseptisch sind und auf eventuelle 
Fremdkörper auch autiseptisch wirken, ist bei den stark verdünnten 
Lösungen gerade das Gegentheil der Fall. So war ich zum Beispiel 
genöthigt, bei einem Morphinisten, dessen Morphiumgebrauch durch 
oben beschriebene Cur auf 25 g einer 0,5% Lösung — also 0,125 g 
Morphium für 24 Stunden — herabgesetzt war, in ? oder 8 Tagen 
29 Abscesse zu öffnen. Dieselben waren stets mit einem höchst 
übelriechenden, jauchigen Eiter gefüllt. Traten nun öfters bei dem 
Patienten derartige Abscesse auf, so musste man zum Wenigsten für 
den betreffenden Tag, an dem incidirt wurde, die Morphiuradosis 
steigern, so dass auch durch dieseu Umstand die Morphiumentziehung 
mindestens keinen Fortschritt machte, wenn nicht gar einen Rück¬ 
schritt, was leider sehr oft der Fall war. Ausserdem traten in 
Folge der verdünnten Lösungen auch noch ziemlich heftige subjec- 
tive Beschwerden auf. Bei Injection starker Lösungen wurde vom 
Pat. wenig oder auch gar kein nennenswerther Schmerz empfunden. 
Sobald man jedoch stark verdünnte Lösungen injicirte, klagten die 
Patienten stets über sehr heftiges Schmerzgefühl, die injicirte Lösung 
„brenne wie Feuer“. Auch merkten hierdurch die Patienten sehr 
bald, ganz abgesehen von den anderen Erscheinungen, die Vermin¬ 
derung der verabfolgten Morphiumdosis. 

War man nun endlich trotz aller angeführten Schwierigkeiten 
auf den Standpunkt angekommen, dass man meinte, dem Patienten 
das Morphium nun ganz entziehen zu könneu, nachdem er eine 
Zeit lang mit ziemlich minimalen Dosen ausgekommen war, so traten, 
sobald die Morphiumdarreichung gänzlich sistirt war, merkwürdiger¬ 
weise plötzlich ziemlich stürmische Abstinenzerscheinungen auf. vor 
allen Dingen heftiger Durchfall, der den Patienten gewöhnlich in 
Kürze so schwächte, dass man sich entschliessen musste, demselben 
Anfangs Opiumtinctur und, nachdem diese in kurzer Zeit ihre 
Wirkung versagte, wieder von Neuem Morphium zu verabreichen. 
Und dabei blieb es dann gewöhnlich, so dass der ganze Erfolg der 
Cur meistens nur der war, dass der Morphiumgebrauch bedeutend 
herabgedrückt war, eine vollständige Entwöhnung aber durchaus 
nicht erreicht war. 

Dass mit dieser Errungenschaft nicht allzuviel erzielt ist, wird 
wohl Jedem einleuchten, der Morphinisten öfters zu beobachten 
Gelegenheit hatte. Denn sobald die betreffenden Patienten aus der 
Anstalt entlassen waren und das Morphium wieder zu ihrer freien 
Verfügung hatten, steigerte sich der Morphium verbrauch binnen 
Kurzem wieder zu der früheren Höhe. 

Sehr entscheidend ist es bei Anwendung eben beschriebener 
Cur, ob Patient schon einmal des Morphiums entwöhnt war und dann 
rückfällig geworden, oder ob sich Patient zum ersten Male der Ent- 
wöhnungscur unterwirft. Bei Patienten, die zum ersten Male der 
Entwöhnungscur sich unterzogen, und deren Morphiumverbrauch 
kein zu bedeutender war, waren meist günstige Erfolge zu ver¬ 
zeichnen. Bei Patienten jedoch, die schon einmal entwöhnt und 
dann rückfällig geworden waren, habe ich nicht ein einziges Mal 
Gelegenheit gehabt, einen vollständig günstigen Erfolg dieser Cur 
zu sehen. Wenn also auch diese Cur so manchen Vortheil bietet 
vor anderen Entwöhnungscuren, sowohl für den Arzt als auch für 
den Patienten, so ist doch die Indication zu dieser Cur eine 
äusserst beschränkte. Entschieden unrichtig ist es, bei jedem Pat. 
diese Cur in Anwendung zu bringen, wie es jetzt leider häufig 
geschieht, da durch die Erfahrung bewiesen ist, dass man sich nur 
unter ganz bestimmten Voraussetzungen überhaupt von dieser Cur 
Erfolg versprechen kann. Nach meiner Erfahrung kann diese Cur 
nur dann in Anwendung gebracht werden, wenn folgende Bedin¬ 
gungen erfüllt sind: 

1. Patient darf in früherer Zeit des Morphiums noch nicht 
entwöhnt und danu rückfällig geworden sein. 

2. Der bisherige tägliche Morphiumgebrauch darf eine bestimmte 
Höhe — lg pro die — nicht überschritten haben. 


Sehr zu empfehlen ist jedoch diese Cur in dem Falle, wenn 
eine vollständige Entwöhnung nicht erzielt werden soll, sondern nur 
eine möglichst grosse Herabsetzung des täglichen Morphiumver¬ 
brauches. In diese Lage kommt man häufig bei Patienten, die 
ausser mit Morphinismus noch mit einem chronischeu, schmerzhaften 
Leiden behaftet sind, vornehmlich wenn die Schmerzen temporär 
anfallsweise auftreten, wie z. B. öfters bei Tabes dorsalis im Anfangs¬ 
stadium. Hier hatten wir immer den vorzüglichen Erfolg, dass 
wir, während wir in der schmerzfreien Zeit das Morphiumquantum 
nach Möglichkeit herabsetzten, bei schmerzhaften Anfällen den 
Morphiumverbrauch steigern und so die Schmerzen erfolgreich be¬ 
kämpfen konnten. 

VI. Zur Prophylaxe der Tuberculose. 

Von Dr. Marens in Pyrmont. 

Es ereignet sich nicht selten, dass in Familien, deren Mit¬ 
glieder weder hereditär belastet sind, noch ihrer Constitution nach 
irgendwie dazu disponirt erscheinen, jemand unvermutheter Weise 
von Tuberculose befallen wird, und dass das Zustandekommen 
dieser Krankheit ein Räthsel bleibt. Da wir nach den Entdeckungen 
von Robert Koch keinen Zweifel hegen dürfen, dass die Eiuver- 
leibung der Tuberkelbacillen in den Organismus die Causa efticiens 
der Erkrankung an Tuberculose bildet, so ist jede Erfahrung über 
das Vorkommen der Tuberkelbacillen ausserhalb des menschlichen 
Orgauismns für die Prophylaxe der Tuberculose von unzweifelhaft 
grosser Wichtigkeit und macht die Veröffentlichung derselben zur 
unabweislicben ärztlichen Pflicht 

Im vergangenen Winter bin ich im pathologischen Insti¬ 
tute der Königlichen thierärztlichen Hochschule zu Han¬ 
nover unter Leitung des Herrn Professor Dr. Rabe mit bacte- 
riologischen Studien beschäftigt gewesen und habe hierbei mehrfach 
Gelegenheit gehabt, Obductionen von Hunden beizuwohnen, auf 
Grund deren die Diagnose auf Tuberculose gestellt werden musste. 
In verschiedenen Organen, am meisten in der Lunge, wurden Tu¬ 
berkelbacillen gefunden. Meines Wissens sind Fälle von spontaner, 
d. h. nicht absichtlich und künstlich erzeugter Tuberculose bei 
Hunden noch nicht constatirt resp. publicirt worden. Es scheinen 
die Abweichungen, welche das grobe pathologisch-anatomische Bild 
der natürlichen Tuberculose bei Hunden von demjenigen der übrigen 
Hausthiere und des Menschen regelmässig darbot, der Grund dafür 
zu sein, dass das Vorkommen nnd die Häufigkeit der Tuberculose 
bei Hunden bisher unbekannt geblieben ist. Allein der Nachweis 
von Tuberkelbacillen ermöglichte und sicherte in unseren Fällen die 
Diagnose: Hunde-Tuberculose. Herr Professor Dr. Rabe wird 
die hier beobachteten Fälle demnächst in einem ausführlicheren 
pathologisch-anatomischen Berichte veröffentlichen und hat mir mit 
liebenswürdigster Bereitwilligkeit überlassen, die vom hygienischen 
Standpunkte uns Aerzte ungemein interessirende Tbatsache schon 
vorher mitzutheilen. 

Es ist einleuchtend, dass bei der bekannten Art und Weise, 
wie die meisten Menschen, welche aus Liebhaberei zur Jagd 
oder zu sonstigen Zwecken Hunde halten, mit denselben um¬ 
zugehen pflegen, es keiner gekünstelten Voraussetzung bedarf, 
um sich die Möglichkeit resp. den Weg der Ansteckung mit Tu¬ 
berkelbacillen vorzustellen, und es bedarf vor Fachgenossen weiter 
keiner Erläuterung, zumal für andere Parasiten die Uebertragung 
von Hunden auf Menschen längst wissenschaftlich als feststehend 
angesehen wird. 

Der Umstand, dass die Tuberculose bei Hunden eine Zeit lang 
ohne prägnante Symptome verlaufen kann, fordert auch beim Ver¬ 
kehr mit anscheinend gesunden Hunden zur Vorsicht dringend auf. 

VII. Referate und Kritiken. 

L. Unger. Ueber multiple inselfönnige Selerose des Central- 
nervensystems im Kindesalter. Eine paediatrisch-klinische 
Studie. Leipzig und Wien, Toeplitz & Deuticke. 1887. Ref. 
A. Baginski. 

Verf. giebt in der kleinen Schrift an der Hand eines eigen 
beobachteten Falles und einiger fremder Beobachtungen von Hirn- 
sclerose eine Symptomatologie der Krankheitsformen. In der Sym¬ 
ptomatologie sind Intentionszittern und spastisch paralytische 
Symptome im Vordergrund. Unter den rein cerebralen Symptomen 
werden psychische Verstimmung, Kopfschmerzen, Schwindel und 
apoplektiforme Anfälle, Sprachstörung, Nystagmus hervorgehoben. 
— Gelegentlich der pathologischen Anatomie betont Verfasser zu 
Unrecht, dass aus dem Kindesalter bisher von einem einzigen Falle 
von Selerose ein Sectionsbefund vorliegt. In Wernicke’s Lehrbuch 
der Gehirnkrankheiten konnte Verf. p. 445 einen anderen vom 
Ref. mit Wernicke gemeinschaftlich beobachteten Fall, der zur 
Section gekommen war, beschrieben finden. — In dem Capitel 


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302 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 15 


Diagnose wurden einzelne differentialdiagnostische Momente hervor¬ 
gehoben. Unter den ätiologischen Momenten wird die neuropathische 
Belastung der Eltern betont. — Ein ausführliches Literaturverzeich- 
niss ist angefügt. 


M. Schulz. Impfong, Impfgeschäft und Impftechnik. Ein 
kurzer Leitfaden für Studirende und Aerzte. 79 S. Berlin, 
Th. Chr. Fr. Enslin, 1888. Ref. 0. Riedel. 

Verf., welcher bekanntlich seit Jahren Vorsteher der Königl. 
Impfanstalt zu Berlin ist und in Vertretung des Geheirarath Koch 
den Studirenden den seit Jahresfrist obligatorisch gewordenen Un¬ 
terricht in der Impftechnik ertheilt, hat in seinem Werkchen in 
knapper und doch erschöpfender Weise das Nothwendige und 
Wissenswerthe über die wissenschaftliche Begründung der Impfung 
und der Impfgesetzgebung wie über die Ausübung der Impftechnik 
zusammengestellt. 

Der erste Theil der Arbeit behandelt in getrennten Capiteln 
die historische Entwickelung der Variolation und der Vaccination, 
die Impfgesetzgebung der anderen Staaten und das deutsche Reichs¬ 
impfgesetz, welohes sich vor den anderen durch die Forderung einer 
Revaccination auszeichnet. Es werden der Nutzen und die Dauer 
des Impfschutzes, die Definition der erfolgreichen Impfung, die Be¬ 
gründung des Impfzwanges unter Zugrundelegung der Thesen be¬ 
sprochen, welche von der im Jahre 1884 im Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte tagenden Sachverständigencommission aufgestellt worden 
sind. Die nachtheiligen Folgen der Impfung, insofern durch letztere 
zu Wundinfectionskrankheiten oder zur Hervorrufung resp. Ueber- 
tragung anderer Krankheiten Veranlassung gegeben werden kann, 
werden erörtert und zugleich die Mittel uud Wege angegeben, 
solche Impfschädigungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Es wird 
die mangelhafte Stichhaltigkeit der Einwände der Impfgeguer dar¬ 
gelegt, welche theils die Nachtheile der Impfung übertreiben, theils 
den Nutzen derselben überhaupt in Abrede stellen. — Schliesslich 
werden die Pockenkrankheiten verschiedener Thiergattungen erwähnt 
und die Frage nach der Unität oder Dualität des Variola- und des 
Vaccinegiftes nach der historischen Entwickelung und dem gegen¬ 
wärtigen Standpunkt unseres Wissens beleuchtet. 

Im zweiten Theile behandelt Verf. die Ausführung des deut¬ 
schen Impfgesetzes. Es wird im ersten Abschnitt das Impfgesetz 
und seine Ausführungsvorschriften wiedergegeben und im Anschluss 
daran einerseits die Thätigkeit der Behörden bezüglich der Auf¬ 
stellung der Impflisten, der Ansetzung von Impfterminen, anderer¬ 
seits das Arbeitsbereich des Impfarztes hinsichtlich seiner Vorberei¬ 
tungen, seiner Thätigkeit im Impftermin, im Nachschautermin uud 
hinsichtlich des Berichtwesens besprochen. Der zweite Abschnitt 
ist der Impftechnik gewidmet. Das Verfahren der Gewinnung und 
der Aufbewahrung der Menschenlymphe und der Thierlymphe, die 
gebräuchlichen Instrumente und die Arten der Schnittführung 
werden eingehend erläutert unter besonderer Hervorhebung der¬ 
jenigen Fehler, in welche die Anfänger nach Verfs. Erfahrung am 
häufigsten verfallen. 

In zwölf Anlagen sind dem Text zwei Tafeln mit graphischer 
Darstellung der Pocken-Mortalitätsstatistik von Deutschland und 
Oesterreich, sowie die Formulare der Impflisten und Impfscheine 
beigegeben. 

Das sauber ausgestattete Büchlein ist durch eine klare, an¬ 
regende Diction ausgezeichnet und dürfte dem vom Verf. vorge¬ 
zeichneten Zwecke in willkommenster Weise gerecht werden. 


VIII. Siebenzehnter Congress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. 

A. Die Nachniittagssitzungen in der Aula der Universität. 

1. Sitzung am 4. April 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

1. Herr König (Göttingen): Ueber die Prognose des Carcinoma. 
Die vorliegende Frage hat die Aerzte lange Zeit beschäftigt, allein seit der 
Antiseptik ist sie in ein neues Stadium getreten. Auch den Congress hat 
diese Frage seit seinem Bestehen immer beschäftigt. In den Jahren 1873 
bis 1878 sollte ein grosses Material dafür gemeinsam beschafft werden, aber 
es grenzt fast an’s Unmögliche, derartige Fragen durch gemeinsame Be- 
rathung der Lösung nahe zu bringen. Die Frage ist damals im Sande ver¬ 
laufen, allein diese Bestrebungen haben anregend gewirkt auf die Einzel¬ 
arbeit. An der Hand der Arbeiten der Congressmitglieder kommen wir in 
dieser Frage vorzüglich zu zwei Gesichtspunkten: 1) die allgemeine Pro¬ 
gnose, 2) Prognose für bestimmte Einzelfälle. Fortschritte sind gemacht in 
Beziehung auf die bessere Lebensprognose der an Carcinom Operirten, der 
Procentsatz ist immer mehr heruntergedrückt worden, bei der Operation des 
Mammacarcinoras gehört ein Todesfall zu den Unglücksfallen. Für alle 
Garcinomoperationen ist das gleiche nicht der Fall; nur da, wo die Anti¬ 
septik sich frei entfalten kann, nur da ist freies Feld, anders ist es für 
Operationen an den Schleimhäuten und für die Höhlenoperationen, vorläufig 
können wir hier die Nachtheile der Lage des Operationsfeldes nicht corrigiren. 


Wir müssen die Frage aufwerfen: Ist es überhaupt möglich durch Ent¬ 
fernung eines Krebses einen Menschen dauernd gesund zu erhalten? Dann 
müssen wir unterscheiden zwischen zeitlicher und definitiver Heilung. Zeit¬ 
lich ist eine solche, dass der betreffende Mensch auf eine Reihe von Jahren 
gesund bleibt. Definitiv, dass er später an der Stelle, wo er operirt ist, 
auch nicht an dem anschliessenden Drüsengebiet, noch in den Organen, die 
raetastatisch afficirt werden, jemals ein Carcinom auftritt, 2—3jährige Dauer 
der Heilung sollte berechtigen anzunehmen, dass der Mensch nun für alle 
Zeit gesund bleiben würde. Ich gebe hier nunmehr eine Uebersicht über 
66 Recidive der Göttinger Klinik. Von diesen sind im ersten halben Jahre 
die Hälfte an Recidiven zu Grunde gegangen, ein weiteres Drittel fällt aufs 
erste Jahr, 14 bleiben übrig. Bis zum vollendeten zweiten Jahre kamen 7 
Recidive vor, bis zum dritten 4, noch einmal drei sind recidiv geworden 
später als nach drei Jahren. 

Durch eine bestimmte Art des Recidivs wird aber unsere Rechnung 
mit dem dritten Jahr zu nichte gemacht, wir stehen also noch nicht auf 
dem gesicherten Boden. Von den dreien fallt einer auf das vierte, der andere 
aufs sechste, einer aufs elfte Jahr. Die Art, wie solche Recidiven auftreten, 
ist ausserordentlich charakteristisch. Sie werden in der Art recidiv, dass 
man vom Carcinom dasselbe annehmen muss, was von den Infections- 
krankheiten gilt, nämlich, dass es einen ruhenden Keim giebt. Gerade wie 
uns die Fälle räthselhaft waren, wo einer im siebenten Jahr eine Erkrankung 
im Sprunggelenk bekam, dann vielleicht nach 50 Jahren von derselben 
Stelle aus dieselbe Krankheit bekam, so auch beim Carcinom. In anderen 
Fällen ruht der Tuberkelbacillus, die Gründe des Neuauftretens sind unbe¬ 
kannt. Es giebt zwei Formen des ruhenden Keims: 1) Die erste ist die 
gewöhnlichste, sie geht von der Narbe aus, entweder von der Schnittnarbe 
oder einem Drainlocb. Ein Knötchen, das vielleicht '/* Jahr nachher schon 
aufgetreten war, kann Jahre lang absolut unverändert bleiben, dann wächst 
es vielleicht mächtig an. Ich kenne zwei charakteristische Fälle von Recidiv 
an der Narbe. Operation 10. October 1875, nach neun Jahren tritt das 
Recidiv in Form eines kleinen Knötchens in der Narbe ein, es wird exci- 
dirt, die Dame ist gesund. 2) Recidiv in der Narbe, 72jährige Dame, Ope¬ 
ration vor acht Jahren, es wird excidirt, die Kranke bleibt gesund. 

Diese Formen von ruhendem Keim sind kaum anders zu erklären als 
durch Impfung. Ich sah sie nur entweder in der Narbe oder im Drainloch. 
Das wirft vielleicht ein Licht auf die ganze Frage der Impfung. Wenn das 
so ist, so ist klar, dass die Uebertragung durch Impfung sehr schwer wer¬ 
den kann. 

2. Die andere Form ist die, wo es in Drüsen auftritt, so in einem 
Fall ein rasch wachsender Tumor in der Achselhöhle. Es war ein typisches 
Carcinom, die Drüse war bei der Operation nicht exstirpirt worden (Fall 
von Wilms). Die eine meiner Kranken war 11 Jahre gesund gewesen, 
4 Jahre nach der Untersuchung präsentirte sie sich mit einem riesigen 
Carcinom in der Supraclaviculargegend, das extreme Neuralgien im Arm 
machte. Das giebt doch zu denken. Wenn unter meiner kleinen Zahl schon 
drei Fälle waren (= 15 °/o), bei denen der ruhende Keim unsere Prognose 
verdorben hatte, so bin ich überzeugt, es ist noch mancher Kranke, von 
dem es heisst „an unbekannter Krankheit gestorben“, der derselben Krank¬ 
heit erlegen ist. 

Die meisten Operirten sind jenseits des 50. Lebensjahres, wer jenseits 
dieses Alters noch 3 Jahre gesund geblieben ist, hat der etwas gewonnen? 
Ich glaube colossal viel. Herr Küster hat sich in der Richtung ausser¬ 
ordentlich verdient gemacht, dadurch, dass er darauf hinwies, dass man 
methodisch die Drüsen wegschneiden solle. Mit dieser methodischen Aus¬ 
räumung ist die zeitliche Prognose ausserordentlich besser geworden. Auch 
für die Gesichtsoperationen, Lippen-, Zungen- etc. Krebse fange ich mit 
einem grossen Schnitt unter dem Kiefer an und räume alle Drüsen aus. 
Das Brustcarcinom ist gewissermaassen der Prüfstein für alle Formen des 
Krebses. 

Dagegen ist Exstirpatio oder Resectio recti eine Operation, die noch 
heute eine gefährliche ist, bei der man die Gefahr nicht ganz beherrschen 
kann, die Sepsis kann nicht eliminirt werden. Die fehlende Mamma wird 
durch etwas Watte ausgeglichen, mit dem Wegschneiden des Rectums ist 
der Mensch ein ewiger Krüppel. Die Verschlussfähigkeit des Darms hört 
auf, für die Majorität der gebildeten Operirten ist es ein entsetzlicher 
Zustand. Darum müssen wir diese Frage viel schwerer nehmen als 
die Exstirpatio mammae, bei der Maramaoperation stirbt selten Jemand, 
dem Anderen sage ich grundsätzlich vorher, er solle sein Testament machen. 

Ich kann nun mein Erstaunen nicht zurückhalten, wenn ich in einem 
Journal für praktische Aerzte folgende Sätze lese: 

Satz 1. Ich halte die Operation für nicht gefährlicher als jede andere 
Operation mit Eröffnung der Peritonealhöhle. 

Satz 2. Ich vermeide das Wort „Gefahr“ weil ich bei meinen Erfah¬ 
rungen über die vorkommenden Complicationen die Operation nicht für 
lebensgefährlich halte. 

Satz 3. Bezieht sich auf die Prognose Esmarch’s, dass es sich um 
20 °/ 0 Todesfälle handle, sie ist noch weit geringer als 10 °/o, nach Aus¬ 
scheidung der schlimmsten Fälle nur 5 u /o. 

Satz 4. Ich bin der Anschauung, dass die Operation bezüglich ihrer 
Leistung und geringen Lebensgefährlichkeit eine der angenehmsten ist. 
Was die Ergebnisse aus meiner Klinik anlangt, so sind dieselben vor 
*/a Jahr publicirt worden. Es sind 80 Rectalcarcinome durch Kolotomie in 
ihren schlimmsten Erscheinungen gemildert oder durch Rectalamputation 
behandelt worden. Sechzig Fälle sind operativ behandelt, entweder durch 
Exstirpation des Mastdarras oder durch Ausschneiden eines Stückes aus 
dem Darm, 44 Mal ist resecirt, 15 Mal der Anus mitgenommen, 15 Mal das 
Peritoneum eröffnet. 

Letzteres halte ich für die Prognose für irrelevant, nur einer von 
diesen fünfzehn ist an Peritonitis gestorben. Ich lege Gewicht auf die 
Diät, zum Theil waren sie 8—10 Tage mit vorbereitenden Curen zurecht 
gemacht, damit kein Ueberbleibsel von Koth vorhanden sei. In manchen 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


303 


12. A pril . 

Fällen kann man machen, was man will, die Wunde wird beschmutzt. Es 
wird in Rückenlage, wie üblich, operirt, oft auch das Steissbein wegge¬ 
schnitten, die Lösung wird stumpf Torgenommen, ich weiche von Barden- 
heuor ab, durchschneide die grossen Arterien nach doppelter Unterbindung 
(ielegentlich unterbindet man einmal zehn, an der elften verblutet sich der 
Mensch. Cardinalfrage ist die Behandlung der Drüsen. Ich behandle sie 
wie in der Axilla, nach der Exstirpation hole ich das ganze Fettpolster 
sammt den Lymphbahnen heraus, also die Drüsen ira Fettpolster aus der 
Kreuzdarmbeinaushöhlung, öfter ist es unausführbar, weil die Drüsen nach 
oben nicht aufhören. Frappirt hat mich einmal die anscheinend weuig be¬ 
kannte Thatsache — wenn man etwas bekannt machen will, so soll man 
es nicht in ein Lehrbuch schreiben, das liest kein Mensch —, dass man 
den unteren Theil der Flexur aus dem Peritoneum ziehen kann wie einen 
Finger aus dem Handschuh, es ist frappirend, wie weit das geht. Oft ist 
mir das von grossem Vortheil gewesen, namentlich, wo es sich um tiefe 
Verletzungen der Blase, Prostata oder Harnröhre handelte, dann konnte 
ich doch in vielen Fällen die Verletzung des Peritoneums durch diese 
Auslösung verhüten. Bardenheuer und Esmarch haben dies auch 
acceptirt. 

Wesentlich ist die Nachbehandlung. Etwas wankend bin ich noch in 
meiner Methode. Im Anfang habe ich immer genäht und zwar sehr gründ¬ 
lich, dann bin ich davon abgegangen, habe aber schlechte functioneile Re¬ 
sultate gesehen und bin wieder zur alten Methode zurückgekehrt. Die 
Lebensprognose wird dadurch allerdings etwas gestört, Incontinenz aber, 
oder was noch schlimmer ist, Incontinenz mit Strictur vermindert. 

Mit meinen Morlalitätsziffern dürfte ich mich eigentlich nicht sehen 
lassen, etwa 30% sind mir gestorben, doch kommt dies vorzugsweise auf 
die ersten sechs Jahre, unter 21% bin ich aber bis jetzt nicht gekommen. 

Was wird aus den Rectaloperirten? Die meisten Arbeiten über den 
Gegenstand schweigen sich über diesen Punkt aus. 21 meiner Kranken wurden 
auf die Function untersucht, bei vieren war Rectum und Sphincter exstirpirt, 
das Urtheil über Function war schlecht bei allen. Wird der Stuhl nur 
wenig weich, so können sie ihn nicht halten, einer hat dazu noch schwere 
Stenose. Ausserdem sind 15 Resecirte, bei 9 ist die Function eine schlechte, 
bei 6 gut. 

Prognose der Recidive: Bei 10% nach drei Jahren kein Recidiv, bei 
16% nach zwei Jahren, drei haben ihr Recidiv erst im vierten Jahr be¬ 
kommen. 

Eine Operation, die von den deutschen Chirurgen nicht so anerkannt 
wird, wie sie es verdient, ist die Kolotomie. Eine ganze Anzahl von 
Rectumcarcinomen ist inoperabel. Dann tritt die Frage an den Arzt 
heran, sollst du den Kranken unbehandelt lassen oder ein palliatives 
Mittel anwenden, um ihm das Leben erträglich zu machen oder wenigstens, 
um ihm den Tod zu erleichtern? Das ist die Kolotomie in einem Maasse, 
wie ich kaum eine Operatioü weiss, sie ist mit der Tracheotomie zu ver¬ 
gleichen. Ich habe sie öfter wegen Lues, dann wegen Tumoren gemacht, 
bei Rectalcarcinom 20 Mal, sechs sind nach der Operation gestorben; das 
hört sich schlimm an, ist aber sehr wenig; drei sind an dem Platzen des 
Carcinoms an der Stelle, wo es dem Peritoneum am nächsten liegt, ge¬ 
storben. Sie starben am meisten, wenn ich die Kolotomie in zwei Zeiten 
machte. Einer starb au Pneumonie, nur einer an Peritonitis von der 
Operationsstelle aus. Die Function war nach der Operation eine ausge¬ 
zeichnete. Eine Dame operirte ich fast in extremis, sie lebte noch drei 
Jahre, sie verkehrte an einem kleinen Hofe, konnte mit ihrem Anus präter- 
naturalis alle erforderlichen Visiten machen, wurde dick und fett, ihre Um¬ 
gebung behauptete, sie müsse geheilt sein. Ebenso ein Mann mit ver¬ 
jauchtem Carcinom der Beckenhöhle. Nach der Kolotomie nahm er sein 
Geschäft wieder auf und betrieb es noch zwei Jahre. Dann bekam er 
Lebercarcinom und ging zu Grunde. Dann kommt eine Anzahl, die 2 Jahre, 

1 Jahr, ’/a Jahr nach der Operation gestorben sind. Ich bin selbst er¬ 
staunt gewesen, wie regelmässig der Stuhl bei solchen Kranken ist und wie 
sie im Stande sind, ihren Stuhl zurückzuhalten und zwar umgekehrt wie 
ein Gesunder. Der Operirte schliesst den Spalt mit der Baucbpresse. Zwei 
haben entsetzlich gelitten unter dem Erfolge der Kolotomie. Bei diesen er¬ 
goss sich die Carcinomjauche über den Bauch, zum Glück gingen sie bald 
an Kachexie zu Grunde. Das Rectum zu durchschneiden und das untere 
Ende zu versenken, davon bin ich für eine Anzahl von Carcinomen zurück¬ 
gekommen, in einem Falle ist es passirt, dass sich Koth in dem zusammen¬ 
genähten Rectum anhäufte, dass er die Verwachsungen sprengte und nun 
der Erguss aus dem unteren versenkten Ende wieder zum Vorschein kam. 
Vielmehr ist es angezeigt, von dem offenen Ende das Rectum zu durch- 
spölen und dadurch der Jauchung und Kachexie entgegen zu wirken. Wo 
durch Exstirpation nichts iu bessern ist, kann ich die Anlegung eines 
künstlichen Afters nur aufs Wärmste empfehlen. 

In der Discussion nahmen das Wort die Herren: Hahn, Barden¬ 
heuer, König, Schede, Küster, Helferich, Gussenbauer, 
Lembcke, v. Bergmann. Sie gaben zum Theil Modificationen und 
Verbesserungen des Operationsverfahrens an, mit denen die Gefahren der 
Reetumoperation sich verringern lassen. Zum Theil bezog sich die Dis¬ 
cussion auf die verschiedenen Theorien der Recidivirung des Carcinoms. 
Herr v. Bergmann konnte durch Reinigung, verstopfende Mittel, ge¬ 
naue Blutstillung, Jodoformtamponade, sowie durch Schaffung einer breiten 
äusseren Wunde die Gefahr der Exstirpatio recti bedeutend verringern. 
Unter 46 Operirten sind ihm 3—4 gestorben. 

Aus der Discussion heben wir hervor: 

Herr E. Hahn (Berlin) stimmt dem Vortragenden mit Bezug auf seine 
Ansichten über die Colotomie zu und erinnert an die von ihm angegebene 
Methode, die er in 5 Fällen zur Anwendung gebracht hat. Er näht nämlich 
das periphere und das centrale Dannende gesondert ein, so dass es möglich 
ist, durch das periphere Ende Ausspülungen vorzunehmen. 

Herr Bardenheuer (K'dn) hat 13 Fälle von Rectalcarcinom operirt 
und nur 2 Fälle unmittelbar nach der Operation verloren, kann übrigens 


nicht umhin einzugestehen, dass er in seinem Enthusiasmus für die Ope¬ 
ration vielleicht etwas zu weit gegangen ist. 

Herr Schede (Hamburg) macht auf die von ihm empfohlene Methode 
zur Operation von Mastdarmkrebsen aufmerksam, die in den Verhandlungen 
des Hamburger ärztlichen Vereins (s. die Wochenschrift 1887, No, 48) mit- 
getheilt ist 

Herr E. Küster hat bereits, ehe ihm die Schede’sche Mittheilung be¬ 
kannt wurde, ein ähnliches Verfahren eingescblagen, hält es aber nicht für 
erforderlich, die Colotomie hinzuzufügen. 

Herr Gussenbauer (Prag) hält es nicht für unwahrscheinlich, dass 
es sich bei so spät auftretenden Recidiven, wie Herr König sie beobachtet 
bat, um Neuinfection handelt. 

2. Herr Petersen (Kiel): Ueber eiterige, durchlöchernde Haut* 
entzündung. Vortragender hat im Verlauf der letzten Monate 5 Fälle einer 
Krankheit beobachtet, die grosse Aehnlichkeit mit Herpes tonsurans hat, die 
er aber trotzdem als eine besondere Krankheitsform aufstellen zu sollen 
glaubt. Der klinische Verlauf der Krankheit stellt sich kurz in folgender 
Weise dar: An verschiedenen Theilen des Körpers, besonders ira Gesicht 
und auf der behaarten Kopfhaut entstehen zunächst kleine rothe, über die 
Umgebung etwas erhabene Flecke von unregelmässiger Gestalt. Dieselben 
bedecken sich, während sie an Umfang zunehmen, mit schmutzig-gelben 
Borken, welche ziemlich fest anhaften; bei gewaltsamer Entfernung hebt 
sich die oberflächliche Epidermisschicht mit ab. Wenn mau die Borken un¬ 
behelligt lässt, bilden sich subepidermoidale Eiterbläschen, nach deren Ent¬ 
fernung kleine Substanzverluste sichtbar werden. Der Grund dieser Ver¬ 
tiefungen ist roth, blutet aber nicht. Um diese Zeit hat gewöhnlich die er¬ 
krankte Stelle wieder eine derbere Beschaffenheit angenommen, die Borken 
haften nicht mehr so fest. Die Erkrankung bildet sich nun in derselben 
Weise in der Fläche aus, indem sich unregelmässige oder mehr oder weniger 
kreisförmige Infiltrationen und Röthungen unterschieben. Auf diese Weise 
werden grosse Theile der Haut, die ganze Wange, Stirn, im Verlaufe von 
1—3 Wochen befallen. Wird die Haargrenze erreicht, so kleben die Haare 
mit den Borken zu einer dichten Masse zusammen, hier und da bemerkt 
m&u die beschriebenen Eiterbläschen. Die Haare brechen nicht ab, wie bei 
Herpes tonsurans. Interessant ist das Verhalten der Kopfhaut unter den 
Eiterbläschen. Es kommt zu eiteriger Einschmelzung und einer feinen 
Durchlöcherung der Haut. Der Eiter breitet sich im Unterhautzellgewebe 
rasch aus und die ganze befallene Partie wird eiterig unterminirt. Drückt 
man darauf, so quillt unter derselben durch die Löcher Eiter hervor. Eine 
Sonde, die man in eins der Löcher einführt, kann man unter der Haut frei 
bewegen. Ausser diesen grösseren Heerden kommen kleinere vor mit nur 
einer Oeffnung. Die subjectiven Beschwerden der Kranken sind nur mässig, 
dass Allgemeinbefinden scheint nicht gestört, Fieber nicht vorhanden zu sein. 

Die bacteriologische Untersuchung der Krankheitsproducte fiel mit Be¬ 
zug auf Trichophyton tonsurans negativ aus, dagegen wurden zahlreich 
Eitercoccen gefunden. Vortr. vermuthet, dass es sich um eine Mischinfection 
handelt, bei der ein noch nicht festgestellter Pilz den Boden bereitet, auf 
dem sich der Staphylococcus ansiedelt, um den ursprünglich vorhandenen 
Pilz alsdann zu verdrängen. — Therapeutisch spielte in den vom Vortr. be¬ 
handelten Fällen ausgiebige Spaltung der Haut und Auslöffelung in der 
Narkose die Hauptrolle. 

3. Herr Leser (Halle): Ueber die histologischen Vorgänge an der 
Ossiflcationsgrenze (mit Demonstration von Abbildungen). Der Vortrag ist 
für ein kurzes Referat nicht geeignet. 

4. Der Vorfrag des Herrn Steinthal (Heidelberg): Ueber die chi¬ 
rurgische Behandlung ulceröser Perforatirperitonitis rief wieder eine 
lebhafte Discussion hervor. Vortr. berichtete über drei unglücklich ver¬ 
laufene Fälle operirter Perforativperitonitis der Heidelberger Klinik. In dem 
ersten Falle wurde die Perforationsöffnung nicht gefunden. Im zweiten Falle 
wurde die Perforation am Magen zwar gefunden, der Patient ging aber zu 
Grunde, weil er bereits in zu collabirtem Zustande zur Operation kam. Der 
dritte Fall ging zu Grunde, obwohl die Diagnose rasch gestellt werden 
konnte und Hülfe sofort zur Hand war. Vielleicht lag die Fehlerquelle in 
diesem Falle in der Nachbehandlung. Vortr. erörtert an der Hand dieser 
Fälle die Möglichkeit der Diagnose namentlich auch mit Bezug auf den Sitz 
der Perforation, was für die meist stark collabirten Patienten von hoher Be¬ 
deutung ist, weil davon die Dauer der Operation wesentlich abhängt. 

Herr Lauenstein (Hamburg) möchte im Hiubliek auf seine Erfahrun¬ 
gen, abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten, namentlich die Reinigung 
der eröffneten Bauchhöhle für ganz unmöglich erklären. Wenn man bedenkt, 
was für einen Apparat wir anwenden, um unsere Hände aseptisch zu machen, 
so leuchtet ein, dass, wenn wir nur eine dieser Maassregeln mit Bezug auf 
die Bauchhöhle anwenden wollten, der Kranke daran unfehlbar zu Grunde 
gehen würde. Es kann daher nach Herrn Lauenstein nur die ausgiebige 
Ausspülung in Betracht kommen, von einer wirklichen Reinigung im Sinne 
der Antisepsis ist keine Rede. * 

Casuistische Beiträge zu der Frage brachten die Herren Frank (Berlin) 
aus der Hahn’schen Abtheilung; es handelt sich um 2 Fälle von Perforation 
typhöser Geschwüre; Poelchen (Danzig) (die Fälle sind in dieser Wochen¬ 
schrift 1887, No. 14 veröffentlicht); Tillmanns (Leipzig); Wagner (Königs¬ 
hütte). 

Herr Sonnenburg (Berlin) macht auf eine Methode aufmerksam, die 
ihm iu einem Falle von Perforation des Processus vermiformis die Ent¬ 
scheidung ausserordentlich erleichterte, ob ein Abscess vorhanden war oder 
nicht. Er incidirto nämlich die Bauchdecke bis auf das Peritoneum und 
konnte sich nun durch Palpation leicht überzeugen, dass in diesem Falle 
eine Abscessbildung nicht vorhanden war. 


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304 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 15 


IX. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 23. März 1888. 

Vorsitzender: Herr Toi dt. 

1. Herr v. Frisch stellt einen Mann vor, bei dem er die linke Niere 
wogen eines Sarcoms exstirpirt hat. 

2. Herr Neudörfer demonstrirt einen Mann, der bereits im verflossenen 
Jahre zweimal wegen einer Geschwulst ln der Schultergegendoperirt worden 
war. Kurze Zeit nach der zweiten Operation fand Redner in der Gegend 
des linken Schulterblattes eine raannskopfgrosse, mit letzterem bewegliche 
Geschwulst. Nachdem sich bei der Eröffnung des Gelenks von rückwärts 
herausstellte, dass ein Theil der Scapula relativ gesund war, beliess Herr 
Neudörfer die Cavitas glenoidea, das Acromion und den Processus cora- 
coides und sägte den Knochen hart an der Pfanne durch. Es blieb eine 
80 qcm grosse Wunde zurück, die Redner absichtlich nicht durch Plastik 
gedeckt hat, weil er dio Erfahrung gemacht hat, dass dann die Neubildun¬ 
gen weniger rasch recidiviren. Obwohl das Gelenk eröffnet worden war und 
sich in der Nähe einer eiternden Wunde befand, ist die Beweglichkeit des¬ 
selben ziemlich frei geblieben. Zur Desinfection der Wunde, der Hände 
und der Instrumente verwendete Redner ausschliesslich das Creolin. Der 
exstirpirte Tumor erwies sich bei der mikroskopischen Untersuchung als 
ein an der Peripherie hartes, im Centrum medulläre erweichtes Sarcom. 

3. Herr Neudörfer stellt ferner zwei Knaben vor, bei denen er vor 
10 Jahren die Hfiftgelenksresection vorgenommen hat. Bei dem einen, 
der tuberculös belastet ist und im Alter von 2 Jahren eine Coxitis am 
rechten Bein hatte, führte er am 25. Juli 1878 die Resectio capit. femor. 
transtrochanterica aus. Es hat sich mit der Zeit ein verjüngtes Gelenk ge¬ 
bildet, und der Junge kann mit dem resecirten Bein gegenwärtig nicht nur 
gehen, laufen, Treppen steigen, sondern auch schwimmen, turnen und bock- 
springen. Die Verkürzung dieses Beines im Vergleich zum gesunden be¬ 
trägt 8—9 cm. 

Der zweite Patient litt durch 5 Jahre an einer linksseitigen Coxitis. 
Die Resection wurde am 17. April 1879 ausgeführt; der Ausgang erfolgte 
in Ankylose. Es ist der einzige Fall unter den zahlreichen Resectionen, die 
Redner ausgeführt hat, der in Ankylose ausging, aber auch der einzige, bei 
dem er die Extension angewendet hat. Diese Ankylose lässt sich durch 
eine neue Resection beheben, und Herr Neudörfer betrachtet die Ankylose 
z. B. im rechten Winkel als eine direkte Indication für die Resection. Diese 
Ansicht hat namentlich eine praktische Bedeutung für die Consequeuzen, die 
eine Ankylose im Hüftgelenke bei Frauen haben kann. Es tritt in solchen 
Fällen zuweilen absolute Unmöglichkeit der Cohabitation ein, uud die An¬ 
kylose giebt in diesen Fällen gewiss eine Indication für die Resection ab, 
wobei man auf die Abduction des Beines zu achten hat. Redner hat wegen 
dieser Indication 5 mal die Resection ausgeführt. 

Die Herren Weinlechner und Hofmokl haben nie ein ähnliches 
Resultat nach einer Resection wegen wirklicher tuberculöser Coxitis erzielt. 

4. Herr v. Dittel stellt einen Kranken vor, bei dem er den Cathetoris- 
mus ä la Brenard ausgeführt hat. Dieser besteht darin, dass man den 
Katheter nicht durch die Urethra in die Blase, sondern umgekehrt von der 
Blase aus, nach vorausgegangenem Blasenstich, in die Urethra einführt. M. 


X. Journal-Revue. 

Geburtshölfe und Gynaekologie. 

4. 

B. S. Schultze. Ueber Diagnose und Lösung peri- 
tonäaler Adhäsionen des retroflectirten Uterus und der 
entsprechend verlagerten Ovarien. Zeitschr. f. Geburtshülfe. 
Bd. 14, Heft 1. 

Unter den Hindernissen, welche der Reposition des retroflec¬ 
tirten Uterus entgegenstehen, nehmen die Pseudoligamente und peri- 
tonäalen Verlöthungen die erste Stelle ein. Dieselben sind meist 
die Resultate der durch die Retroflexion bei längerem Bestehen 
derselben veranlassten localen Peritonitiden und Oophoritiden. Als 
ein vortreffliches Mittel zur Dehnung und Lösung alter parametriti- 
scher Fixationen des Uterus bezeichnet Schultze die von Thure 
Brandt in Stockholm geübte Methode der Massage. Schultze 
hat schon früher mitgetheilt (Volkmann’s Sammlung No. 176, 
1879), dass er Verwachsungen des retroflectirten Uterus, die sich 
entweder als isolirte Stränge oder als flächenhafte Adhäsion dar¬ 
stellen, in Chloroforranarkose sorgfältig, aber mit fester Hand trennt. 
Da sein Verfahren, welches vor allem auf einer subtilen Diagnose 
des Repositionshindernisses fusst, noch wenig bekannt erscheint, so 
sieht sich Schultze veranlasst, dasselbe von neuem raitzutheilen 
und durch-einige Fälle zu illustriren. In keinem einzigen Falle, 
weder von versuchter noch von ausgeführter Trennung der Adhä¬ 
sionen hat Schultze die mindesten auch nur vorübergehenden 
Nachtheile gesehen, wohl aber die eclatantesten Heilerfolge. 

Zur Erkennung der Art des Repositionshindernisses ist jedes¬ 
mal genaue Digitaluntersuchung in Narkose durchaus erforderlich. 
Nur auf Grund genauer Erkenntniss desselben darf der Versuch 
gemacht werden, das Hinderniss zu beseitigen. Die Art der Trennung 
der Adhäsionen wird von Schultze ausführlich beschrieben. Ein 
sehr wichtiges und häufiges Repositions- und Retentionshinderniss 
gegenüber hartnäckiger Retroflexion ist die Fixation der Ovarien oder 
eines derselben in der der Retroflexion entsprechenden anomalen 
Lage. Diese Lageveränderung entzieht die Ovarien ihrer normalen 
Deckung durch die Ala vespertilionis und die Tuben, setzt sie der 


Reibung durch die Dannschlingen, dem Druck der das Rectum 
passirenden Kothballen aus. Sehr viele der durch Retroflexio uteri 
bedingten Symptome können von der gleichzeitigen Verlagerung der 
Ovarien abgeleitet werden. Die Lösung der Eierstöcke aus ihren 
Verwachsungen, wo sie mit der gebotenen Vorsicht ausgefiihrt werden 
kann, ist schon deshalb indicirt. Mehr noch ist sie es, wenn, wie 
sehr oft der Fall, die Verlöthung der Ovarien eiu Hiuderniss bietet 
für dauernde Reposition des retroflectirten Uterus. Die adhärenten 
Ovarien werden vom Rectum aus gelöst. Die Heilerfolge, welche 
durch Lösung der in retrovertirter Lage adhärenten Ovarien herbei¬ 
geführt wurden, waren oft ganz besonders erfreulich. Weder bei 
oder nach den Ablösungen festgelötheter Eierstöcke, noch bei der 
Lostrennung des in Retroflexion fixirten Uteruskörpers ist es Schultze 
begegnet, dass eine nennenswerthe Peritonitis, ein tastbares Exsudat 
oder ein diagnosticirbarer Bluterguss erfolgt wäre. Für die Praxis 
der Sprechstunde eignet sich natürlich diese Therapie nicht. Ab¬ 
solute Ruhe und Eisblase unmittelbar nach der Operation sind erfor¬ 
derlich. Eine gewaltsame Reposition des Uterus ist ver¬ 
werflich. Sorgfältige Trennung in situ der genau in 
allen Einzelheiten zuvor erkannteu Adhäsionen und da¬ 
nach Reposition des zuvor mobil gemachten Uterus ist 
es, was zum Ziele führt. 

Paul Rüge. Eine Modification des Fritsch’scheu 
Katheters. Aus dem Bericht der Verhandlungen der Gesellschaft 
für Geburtshülfe uud Gyn. zu Berlin. 

Rüge hat den uterinen, abschraubbaren Theil des Katheters 
mit 4 Längsöffnungen, die sich fast über dieses gauze Stück hinziehen, 
versehen, ausserdem an der Spitze eine Oeffnung anbringen lassen, 
wie sie sich schon in der Schröder’sehen Modification befindet. 
Es wird hierdurch die Comraunication der Spülflüssigkeit, nach dem 
Uterus hin eine vollkommenere und es wird, was sehr wesentlich 
ist, auch der Cervix ausgiebig bespült. Rüge hat ferner mit 
dem Fritsch’schen Katheter ein für die Scheide bestimmtes Rohr 
verbunden, das dicht unterhalb des Orific. exteruum uteri das zu¬ 
laufende Wasser in die Scheide ergiesst, und zwar fast 4 mal so 
viel, als in den Uterus hineingelaufen ist, so dass die aus dem 
Uterus in die Vagina zurücklaufende Flüssigkeit sofort in der Vagina 
um 80% verdünnt wird. Rüge benutzt hierzu einen Irrigator, 
der aus 2 völlig getheilten Hälften mit 2 Abflussöffnungen 2 Gummi¬ 
schläuchen etc. besteht. 

So kann man bequem ganz concentrirte Lösungen von Carbol- 
säure, liquor ferri etc. (im puerperium oder zur Nachbehandlung nach 
Ausschabungen) durch den Uterus literweise laufen lassen, ohne 
die Vagina anzuaetzen, da die starken Lösungen durch Wasser in 
der Vagina bereits verdünnt oder durch Carbolsäure bereits 
neutralisirt werden. Die Anwendung des Irrigators und des Katheters 
ist ausserordentlich praktisch und bequem und dieselbe kann 
den Fachgenossen nur auf das angelegentlichste empfohlen werden. 

Flaischlen. 


XI. Oeigentliches Sanitätswesen. 

Neuer© Arbeiten über Desinfection und Antisepsis. 

— W. Herttus. Sublimatdämpfe als Dcsinfectionsmlttel. Aus dem 

hygienischen Institut zu Berlin. Zeitschrift für Hygiene. Bd. I, 1886, p. 
235 bis 242. Ref. Carl Günther. 

H. stellte folgende Versuche an: Er verdampfte, theils im Sandbade, 
theils über der offenen Flamme, Sublimat und liess die Dämpfe auf Seiden¬ 
fäden einwirken, die mit sporenhaltigeu Milzbrand- und mit Typhuseulturen, 
mit Mikrococcus prodigiosus und Aspergillus niger impräguirt und dann bei 
30° C. getrocknet waren. Die Verdampfung geschah in einem allseitig gut 
verschlossenen Abzüge des Laboratoriums, der 3,7 cbm Inhalt besass. Oie 
Fäden wurden in diesem Raume in der verschiedenartigsten Weise vertheilt: 
sie wurden auf den Boden unbedeckt oder leicht bedeckt hingelegt, an der 
Decke, an den Wänden aufgehängt, in Ritzen eingebracht etc. Nach dein 
jedesmaligen Versuche wurden die Fäden in absolutem Alkohol 5 Minuten 
lang gewaschen (um sie von anhaftendem Sublimatstaub zu befreien) uud 
dann auf Nährgelatine gebracht, um festzustellen, ob sie noch keimfähig 
wären oder nicht. Zu der Alkoholbehandlung muss bemerkt werden, dass 
eine alkoholische Sublimatlösung selbst von der Stärke 1 g auf 500 ccm auch 
bei halbstündiger Einwirkung auf Milzbrandsporen die Keimfähigkeit der¬ 
selben nicht vernichtete. — Die Versuche hatten das Ergebniss, dass Subli¬ 
matdämpfe selbst unter den günstigsten Bedingungen durchaus nicht im 
Stande sind, Mikroorganismenkeime mit Sicherheit zu vernichten, dass die 
Sublimat räucherung also für die Desinfection von Krankenzimmern 
gar nicht in Frage kommen kann. 

— Kreibolim. Zur Desinfection der Wohnräume mit Subllmnt- 
dämpfen. Aus dem hygienischen Institut zu Göttingen. Zeitschrift für 
Hygiene. Bd. I, 1886, p. 363—368. Ref. Carl Günther. 

Aus den Versuchen des Verfassers, welche in einem besonderen, dazu 
hergerichteten Zimmer des hygienischeu Institutes zu Güttingen augestellt 
wurden, und bei denen die Wirkung von Sublimatdämpfen auf patho¬ 
gene Culturen, die im Zimmer vertheilt worden waren, studirt wurde, 
geht hervor, dass diejenigen Culturen vernichtet werden, auf welche das 
aus der Luft wieder herabfallende Sublimat ungehindert auffallen kann, 


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12. April. 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


305 


dass jedoch jede desinficireude Wirkung ausbleibt, sobald die Objecte gegen 
das herabfallende Sublimat durch irgend eine Bedeckung geschützt sind. 
„Eine zuverlässige Desinfection inficirter Wobnräume mit Hülfe 
von Sublimat dämpfen nach der von König angegebenen Methode ist 
somit nicht zu erreichen.“ 

— Behring. Uebcr Qaecksiibersublimat in ciweisslialtigcn 
Flüssigkeiten. Centralbl. f. ßacteriol. Bd. III. 1888. No. 1-2. Ref. 
CarlGünther. 

Der Autor fand, dass die von Laplace (diese Wochenschr. 18S7 
No. 40) zur Desinfection empfohlene Weinsäure-Quecksil bersublimat- 
lösung in Eiter befindliche Mikroorganismen (Staphyloeoccen und Strepto¬ 
coccen) schwerer zu tödten im Stande ist, als wenn diese Organismen sich 
in Blutserum befinden. Ferner fand er, dass einfache Sublimat¬ 
lösungen auf Mikroorganismen, die in Blutserum sich befinden, (bei 
Abschluss des Lichtes) kräftiger wirken als Weinsäuresublimatlösungon. 1 
Die Giftigkeit des Säuresublimats ist grösser als die des einfachen Sublimats. ! 

— M. T. Scbnlrer. Veber die antiseptische Wirkung des Jode- ; 
forms. (Aus dem bacteriologischen Laboratorium des Prof. v. Frisch) | 
Wiener med. Presse No. 36—38, 1887. Autoreferat. 

Verf. weist zunächst darauf hin, dass die Experimentatoren bezüglich 
der an ein Antisepticum zu stellenden Anforderungen nicht einig sind und 
bezeichnet als Antiseptica „Substanzen, welche die Wirkung der bei den 
Wundkrankheiten in Betracht kommenden Mikroorganismen auf den thie- 
rischen resp. menschlichen Körper zu verhüten im Stande sind“; ob dies 
nun dadurch geschieht, dass die Bacterien selbst vernichtet oder in ihrer 
Entwickelung gehemmt werden, oder dadurch, dass die Ptomainc unschädlich | 
gemacht werden, oder endlich dadurch, dass das Gewebe widerstandsfähiger 
gemacht wird, ist einerlei. Er fordert dementsprechend, dass bei der Prüfung 
eines antiseptischen Mittels diejenigen Mikroorganismen nicht ausser Acht ' 
gelassen werden sollen, gegen welche es überhaupt in praxi gebraucht 
werden soll, und das sind die bis nun bei den Wundkrankheiten gefundenen 
Bacteiien. 

Nach Besprechung der neueren Literatur über diesen Gegenstand ge¬ 
langt Verf. zu seinen eigenen Untersuchungen. Er verwendete den Sta- 
phylocoecus pyogenes aureus und albus, den Streptococcus pyogenes, den 
des Erysipels und den Milzbrandbacillus. Reinculturen der genannten Mi¬ 
kroorganismen wurden auf Gelatine- resp. Agar-Platten geimpft und der 
Impfstich mit Jodoform bedeckt. Die Culturen entwickelten sich unter dem j 
Jodoform ganz ungestört. Die unter Jodoform gewachsenen Mikroorganismen I 
konnten mit Erfolg auf andere Nährböden überimpft werden. Auch in Jodo¬ 
formgelatine resp. -Agar entwickelten sich die genannten Mikroorganismen 
ganz gut. 

Die auf Jodoformagar gewachsenen Culturen entwickelten sich, auf neue 
Nährböden übertragen, ganz munter weiter. Mit den erwähnten Mikroorga¬ 
nismen imprägnirte Fäden erlitten durch einen 5—30 Minuten langen Auf¬ 
enthalt in Jodoformpulver gar keine Einbusse in ihrer Entwickelungsfähigkeit. 
Hingegen zeigte sich, dass das aus dem Jodoformöl, bei Einwirkung des 
Lichtes, frei werdende Jod die Entwickelungsfähigkeit der genannten Bac¬ 
terien aufzuhebeu im Stande ist. 

Zu seinen Thierversuchen verwendete Verf. ausschliesslich Jodoform¬ 
pulver. In einer Versuchsreihe wurden Kaninchen in Hauttaschen geringe 
Quantitäten von Staphylococcus aureus albus, Streptococcus pyogenes und 
erysipelatis gebracht und hierauf die Hauttaschen mit Jodoform austapeziert, 
es trat, ebenso wie bei den nicht jodoformirten Controlthieren, jedesmal 
Eiterung resp. Erysipel auf. Dasselbe Resultat wurde erzielt, wenn die In- 
fection mittelst einer Mischung aus Jodoform und einer Cultur der genannten 
Mikroorganismen. 

Verfasser glaubte sich mit diesen Resultaten nicht . begnügen zu 
dürfen, sondern stellte eine neue Versuchsreihe an, in welcher es genau 
wie in der chirurgischen Praxis (es ist hier selbstverständlich vom reinen 
Jodoform verband die Rede) vorging, und zwar operirte er zunächst behufs 
rascher Orientirung mit Milzbrand. Es wurde Kaninchen mittelst Puquelin 
am Rücken ein Schorf gesetzt und durch Entfernung des Schorfes die 
Muskulatur biosgelegt; diese nicht blutende Wunde wurde mit Milzbrand 
inficirt, mit einem sanften Wasserstrahl abgespült und lege artis mit Jodo¬ 
form verbunden. Von sechs so behandelten Kaninchen, von den 5 Control- 
tbieren, deren ebenso angelegte Wunden theils nur mit Wasser abgespült, 
theils nur jodoformirt wurden, starben 4, eines, dessen Wunde blos ab- 
gespült und nicht jodoformirt wurde, blieb am Leben. Dieses Resultat i 
musste den Verdacht erregen, dass vielleicht doch durch das Abspülen die j 
soeben auf die Wunde gebrachten Milzbrandbacillen mechanisch entfernt 
wurden. Verfasser wiederholte daher diese Versuche an Meerschweinchen: 
von Ü Versuchsthieren starben 3 an typischem Milzbrand, von drei Control- 
thiereu starben 2. Ein ähnliches Resultat ergaben diese Versuche mit 
Eitercoccen ausgeführt. Es entstanden immer, trotz der Abspülung und 
Jodoformirung der inficirten Hauttaschen, ausgedehnte Eiterungen. Verf. 
schliesst daher, dass das Jodoform in derselben Weise wie in der Chirurgie 
angewendet, nicht im Stande ist, die Wirkung der bei den Wundkrank¬ 
beiten in Betracht kommenden Mikroorganismen auf den thierischen Körper 
zu verhüten, demnach kein Antisepticum ist. Dieses in Uebereinstimmung 
mit den meisten Autoren (mit Ausnahme de Ruyter’s, Sattler’s, deren 
Arbeiten vom Verfasser kritisch beleuchtet werden, und Senger’s, auf 
dessen Versuche Verfasser demnächst zurückzukommen verspricht) stehende i 
Resultat, steht scheinbar in Widerspruch mit der täglichen Erfahrung. 
Diese Frage kann jedoch von denjenigen Chirurgen nicht gelöst werden, die | 
gleichzeitig ein wirksames Desinficiens — wie Carbolsäure und Sublimat — i 
gebrauchen, weil diese das Jodoform auf eine sterile Wunde bringen. | 
Aber auch der exclusive Gebrauch des Jodoforms kann ebenso wenig für 
die antiseptische Wirksamkeit dieses Mittels beweisen, als der exclusive 
Gebrauch von Wasser bei Behandlung der Laparotomieen von Lawson 
Tait und Bantock, trotz der damit erzielten glänzenden Erfolge, für die , 
antiseptische Eigenschaft des Wassers spricht. Es muss daher genau | 


unterschieden'werden, wie viel auf Rechnung der' antiseptischen Wirküng 
des Jodoforms zu stehen kömmt, wie viel auf seine etwaigen anderen 
Eigenschaften, wie viel auf die subjcctivo Antisepsis, Reinlichkeit, Opera- 
tionsmethodeu etc. 

Obgleich das Jodoform keine antiseptischc Wirkung besitzt, bleibt cs 
doch für die Behandlung der Wunden wegen seiner schmerzstillenden 
und secretionsbeschrünkenden Eigenschaften, bei gleichzeitigem Gebrauch 
eines wirksamen Antisepticuras oder besser Desinficiens, ein werthvolles 
Mittel. (Fortsetzung folgt.) 

— Sclmllz-Heiicke. Generalverwaltuugsberlcht über das Medicinnl- 
und SanItAtswesen des Rgb. Minden für die Jahre 1883 — 1885. 

Minden 1887. 

Der umfangreiche Bericht giebt in 13 Capiteln zunächst Auskunft über 
die Ergebnisse der 1885er Volkszählung, wobei namentlich die Zahl der 
Wohnstätten und Haushaltungen berücksichtigt sind, ferner die Geburten, 
Eheschliessungen und Sterbefäile, hei letzteren ist die Zahl der Gestorbenen 
sogar bis auf die einzelnen Geburtsjahrsklassen ausgedehnt. Von der spe- 
ciellen Darstellung des Auftretens der Infectionskraakheiten im Bezirk sei 
nur erwähnt, dass 2 Fälle von Cholera auftraten, die mit der genuinen 
Cholera die grösste Aehnlichkeit zoigten. Von Typh usepideroieen sind 
nur diejenigen in der Stadt Höxter und im Kreise Paderborn hervorzuheben, 
sonst kamen nur sporadische Fälle vor. Die verbreitetste Infectionskrankheit 
waren die Masern. Die Tuberculose zeigte sich von Jahr zu Jahr im Zu- 
nehmen. Iu dem Abschnitt über die Regelung und Wirksamkeit der An¬ 
meldung von Infectionskrankheiton wird besonders hervorgehoben, dass die 
Anzeige auf dom Lande wesentlich durch die mangelnde Portofreiheit sehr 
erschwert wird. Bezüglich dos Impfwesens wird hervorgehoben, dass das 
Impfgeschäft einen guten ordnungsmässigen Verlauf gehabt hat. Bei der 
Darstellung der Kindersterblichkeit greift der Verfasser auf Vergleiche seit 
dem Jahre 1880 zurück, danach entfiel das Maximum auf das Jahr 1883, 
das Minimum auf 1881: hervorgehobeu wird namentlich die immer mehr sich 
einbürgernde künstliche Ernährung der Säuglinge, besonders in den ländlichen 
Bezirken. Hinsichtlich der Wohnungshygiene weist Verf. auf die schlechte 
Beschaffenheit, insbesondere der Wohnungen der Arbeiter und weniger be¬ 
mittelten Leute hin, hier herrschen häufig Zustände der ungeheuerlichsten 
Art. Aus dem reichhaltigen und trefflich durchgearbeiteten Material heben 
wir besonders noch die Capitel über Schulen, gewerbliche Anlagen und 
Krankenanstalten hervor. Im Grossen und Ganzen entbehrt der Bericht aber 
der nöthigen Uebersichtlichkoit. P« 

— Die Sterblichkeit des Hambnrgtsclien Staates betrug im Janro 
1886: 15 247 Todesfälle oder 29,4 von je 1000 Lebenden, gegen 26,1 im 
Vorjahre. Die Zunahme der Mortalität war bedingt durch die hohe Sterb¬ 
lichkeitsquote namentlich des Seplembermonats, dessen hohe Wärmeent¬ 
wickelung die Kindersterblichkeit stark begünstigte. Ein Vergleich der 
Sterblichkeit Hamburgs mit derjenigen Berlins zeigt, dass, während in 
; früheren Jahren die Berliner Ziffern sich wesentlich ungünstiger gestalteten, 

! im letzten Jahre Hamburg namentlich bei der Kindersterblichkeit sich 
: nicht unwesentlich verschlechterte, 1886 nämlich 30,1 im Alter bis zu einem 
! Jahr auf je 100 Lebendgeborene, gegen 28,8 im Vorjahr. Was die 
! Infectionskrankheiten anlangt, so wurden Erkrankungen an Pocken 
77 gemeldet, Todesfälle 17. Scharlach herrschte während des ganzen 
Jahres, von 3146 Erkrankten starben 358 oder 11,4 % (gegen 7,6 im Vor¬ 
jahr). Bei Masern war das Sterblichkeitsverhältniss mit 3,4% der Er¬ 
krankten nicht ungünstig. An Keuchhusten wurden 2678 Erkrankungen 
gemeldet, von denen 364 (13,6%) starben. Von den 3945 Erkrankungen 
an Unterleibstyphus kamen allein 1330 auf Kinder unter 15 Jahren; 
die Sterbequote stellt sich auf 9,7% der Erkrankungen. An Diphthoritis 
und Group stieg die Zahl der Erkrankungen ganz erheblich, auch die 
Sterblichkeit war nicht unbedeutend, 17,0% der Erkrankten. P. 

— E. Ball. Einige Bemerkungen über Flschpalver. (Kliuisk 
Arbog 1886.) Nordisk Med. Arkiv XIX. 

Verf. lenkt die Aufmerksamkeit auf ein neues norwegisches Ernährungs- 
Präparat, das Fischpulver; er giebt eine Analyse desselben, das ausschliess¬ 
lich aus dem Fleisch des gadus morrhua besteht. Verf. hat an zweien seiner 
Assistenten eine Reihe ausführlich mitgetheilter Ernährungsversuche gemacht 
mit Roussoau’s Fleischpulver und Fischpulver, aus denen hervorgeht, dass 
dieses dem Fleischpulver an Nährwerth nicht nachsteht. Verf. hat das 
Fischpulver auch bei einein Theile der Patienten im Hospitale angewandt. 
Seine Untersuchungen scheinen Verf. noch zu gering an Zahl, um sich näher 
über die Bedeutung auszusprechen, welche das neue Mittel haben kann, 
doch glaubt er, dass es in vielen Fällen das theurere Fleischpulver ersetzen 
kann, besonders bei neurasthenischen und hysterischen Individuen, wie cs 
auch auf Grund seines grossen Gehalts au Phosphorsäure möglicherweise für 
Rachitis von Bedeutung sein könnte. Buch (Willmanstraud, Finnland). 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

lieber Erythrophlnein. 

Schon weuige Wochen nach dem Vortrage Lewin’s über das genannte An- 
ästheticum ist die Literatur über diesen Gegenstand so angewachsen, dass es un¬ 
möglich ist, in einer kurzen Uebersicht, wie sie im Charakter der „Therapeuti¬ 
schen Notizen“ liegt, eine ausführliche Zusammenstellung der Erfahrungen der 
einzelnen Autoren zu bringen. Die wichtigsten Mittheilungen sind im Folgenden 
besprochen, einige weitere, nach Abschluss des vorliegenden Referates erschie¬ 
nene bestätigen im Wesentlichen die von den übrigen Autoren erzielten Resultate. 
Zwei Gesichtspunkte sind für die Bcurtheiluug dieses und jedes anderen 
Anästheticums von Wichtigkeit: seine auästhesirende Leistung und die Un¬ 
schädlichkeit resp. das Fehlen von Nebenerscheinungen ungünstiger Art. 


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306 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 15 


Ueber den letzten Punkt verbreitet sich Liebreich (s. d. Wochenschr. 
No. 4), indem er, auf eine Reihe von Versuchen an Thieren und Menschen 
gestützt, die reizende Wirkung betont, die sich bei Kaninchen in Trübun¬ 
gen der Hornhaut, in heftigem Brennen und Schmerzen sowie in Auftreten 
von Oedem, selbst Phlegmone äussert. In diesem Sinne sei Erythrophlaein 
ein Reiz- oder Aetzmittel, wie es deren sehr viele gäbe. In der That ge¬ 
lang es Bussenius auf Liebreich’s Anregung hin, 16 derartiger Sub¬ 
stanzen zu finden, denen sämmtlich eine gewisse analgetische, zugleich aber 
auch eine hohe irritirende Wirkung zukommt. (Bussenius, Locale An¬ 
ästhesie bei Thieren, Dissertation 1888.) Von praktischen Erfahrungen an 
Kranken liegen die folgenden vor: 

1. Karewski (cf. d. W. No. 8) kommt zu dem Resultat, dass für ope¬ 
rative Eingriffe die Brauchbarkeit der Erythrophlaeinanästhesie wegen der 
langen Dauer der Zeit, bis zu der sie eintritt, der Unsicherheit, ob sie über¬ 
haupt in allen Fällen ohne Blutleere (welche übrigens, wie Liebreich mit 
Recht betont, selbst etwas anästhesirend wirkt) erzielt werden kann, und vor 
Allem der intensiven Nebenerscheinungen eine sehr beschränkte ist. Da¬ 
gegen bewährte sich das Alkaloid bei Neuralgieen verschiedener Art, so dass 
es sich verlohnt, in dieser Richtung weitere Versuche anzustellen. 

2. Goldschmidt hat zunächst Versuche an Thieren angestellt, die 
folgendes Resultat ergaben: Träufelt man einem Kaninchen 1 Tropfen einer 
0,l°/oigen Lösung in den Bindehautsack, so entsteht nach 10—15 Minuten 
eine sich bis zu 3—4 Stunden erstreckende, dann allmählich abklingende 
aber noch bis nach 12 Stunden nachweisbare Anästhesie der Conjunctiva 
und Cornea. Die anästhetische Peiiode kann durch Vermehrung der 
Tropfenzahl oder bei Anwendung stärkerer Lösung noch verlängert werden. 
So bleibt mit einer l°/oigen Lösung das Auge mehr als 24 Stunden lang voll¬ 
ständig empfindungslos und man kann durch weitere Zufügung tagelange 
Anästhesie erzielen. Nach der Instillation der 0,1 %igen Lösung erfolgt eine 
leichte conjunctivale Reizung, die aber bald wieder zurückgeht, die Pupille 
erweitert sich nicht, der intraoeulare Druck ändert sich nicht und es 
tritt auch keine Hornhauttrübung auf (s. u.). Bei Anwendung stärkerer 
Lösungen oder grösserer Tropfenzahl wird auch die Empfindlichkeit der 
Iris herabgesetzt, indessen gelingt es nie, völlige Anästhesie derselben zu 
erzeugen. — Versuche am gesunden Menschen lehrten, dass Eintröpfeln 
von 1 Tropfen 0,l%iger Lösung in den Bindehautsack nach 15 Minuten zur 
Hervomifung einer 3—4 Stunden andauernden Anästhesie der Binde- und 
Hornhaut genügt. Mit Ausnahme einer leichten conjunctivalen Reizung und 
dem Gefühle von Brennen und Hitze keine unangenehmen Erscheinungen. Grad 
und Zeitdauer sind verschieden, ausnahmslos aber tritt Localanästhesie ein. 
Bei entzündlichen Processen an Augen wurde Anfangs über stärkeres 
Brennen geklagt, doch wich dasselbe bald nach dem Eintritt der Anästhesie. 
Die praktischen Erfahrungen Goldschmidt’s beziehen sich auf zwei Fälle 
von Extraction von Eisensplittem aus der Cornea und Spaltung eines 
Thränencanälcbens, beide Eingriffe wurden unter Erythrophläinanwendung 
mit bestem Erfolg vorgenommen. — Ob das Mittel auch bei schwereren 
Eingriffen (Iridectomieen, Staaroperationen, Enucleationen) ausreichen wird, 
wird erst noch festzustellen sein, für Operationen an der Binde- und Horn¬ 
haut ist es jedenfalls empfehlenswerth. Versuche, das neue Anästheticum 
in l%iger Lösung für die Mund- und Rachenschleimbaut zu gebrauchen, 
verliefen resultatlos, vielleicht ist hierzu eine stärkere Lösung nothwendig. 
(Centralbl. f. klin. Medicin 1888, No. 7). 

3. Die übrigen über den Gegenstand vorliegenden Mittheilungen lauten 

weniger günstig. Koller (Wiener med. Wochenschr. Nro. 6/88) beobachtete 
nach Instillation von 2 Tropfen einer frisch bereiteten 0,25%igen Lösung 
beim Hunde häufiges Zwinkern mit den Augenlidern, krampfhaften Verschluss 
des Auges, Röthung der Conjunctiva, Ciliarinjection. Erst */a Stunde nach 
der Einträufelung bleibt das Auge wieder offen. Prüfung der Cornea ergiebt 
nun vollkommene Unempfindlichkeit, welche einige Stunden anhält, die Pupille 
bleibt unverändert. Am folgenden Tage ist das Auge krampfhaft geschlossen, 
Conjunctiva stark geschwellt, der Limbus corneae aufgeworfen, die Cornea¬ 
oberfläche weisslich getrübt, so dass die Pupille kaum durchscheint. Nach 
48 Stunden Comealtrübung unverändert, nach 72 Stunden Trübung in Auf¬ 
hellung begriffen, jedoch noch nicht vollkommen verschwunden. Versuche 
mit einer 0,125°/oigen Lösung an sich selbst ergaben unmittelbar nach der 
Instillation von 2 Tropfen heftiges Brennen, gleichzeitig Injection der Con¬ 
junctiva und Thränen. Das Brennen steigert sich und unter gleichzeitiger 
Röthung der Haut strahlt der Schmerz in die ganze entsprechende Gesichts¬ 
hälfte aus, auch in das Ohr, aber vorwiegend in die Nase. Erst nach 35 
bis 40 Minuten waren die Schmerzen vollkommen verschwunden. Damit 

tritt Empfindungslosigkeit der Cornea ein, die schon früher bis zu einem 
gewissen Grade erscheint. Die Anästhesie hielt mehrere Stunden an und 
die Berührungsempfindlichkeit war auch noch am nächsten Tage herabgesetzt. 
Pupille und Accommodation ohne Aenderung. l'/s Std. nach Beginn des 
Versuches wird das Sehen trübe, als deren Ursache eine Trübung des Cor- 
nealepithels zu erkennen ist. Die Trübung nahm gegen Abend zu, verlor 
sich am nächsten Tage etwas, persistirte aber noch den ganzen Tag, um 

erst am folgenden Tage völlig zu weichen. Koller legt den Reizerschei¬ 
nungen und der Trübung des Hornhautepithels bei der Beurtheilung des 

therapeutischen Werthes des Erythrophläins für die Oculistik grosse Be¬ 
deutung bei und hält weitere Versuche in dieser Hinsicht für nothwendig. 

4. v. Reuss (Internationale klinische Rundschau, August Nro. 8, 1888) 
kam zu folgenden Resultaten: 0,05%-Lösungen bewirken in leicht trachomatöse 
Augen geträufelt nach 30 Minuten Herabsetzung der Sensibilität der Cornea 
und Conjunctiva bulbi, die aber nicht bis zur völligen Anästhesie sich er¬ 
streckte. Arzneimittel wurden wie auf dem anderen Auge gefühlt. Bei ab¬ 
gelaufener Iritis traten nach 30 Minuten fast complete Anästhesie der Cornea, 
nach 8 Stunden reissende Schmerzen im Auge ein, nach 24 Stunden noch 
Ciliarinjection bemerkbar. Eine 0,25 o/oLösung (2—4 Tropfen) erzeugten 
das Gefühl eines das Auge durchwandernden Fremdkörpers, der im inneren 
Winkel stecken blieb oder brennenden Schmerz, Verengerung der Lidspalte 
und Röthung der Bindehaut hervorrief. Die Kauterisation eines Hornhaut¬ 


geschwüres war eminent schmerzhaft, selbst nach mehrmaligem Einträufeln 
war die Unempfindlichkeit nach 15 Minuten nie so vollkommen wie beim 
Cocain, so dass die Anästhesie für die Tätowirung eines Leucoma corneae, 
für Touchiren oder direkte Galvanisation nicht ausreichend erschien. Stets 
trat nach 1—2 Stunden neben Thränenfluss. Hyperämie der Conjunctiva, 
Ciliarinjection, Hornhauttrübung ein. Das Epithel der Hornhaut war bei 
manchen Augen bläschenförmig abgehoben oder fehlte stellenweise. Zu¬ 
gleich waren tiefliegende Trübungen in Form langer, schmaler, gradliniger, 
grauer Streifen zu beobachten. Nach 24 Stunden waren die Augen normal. 
Die 0,25o/o-Lösung war demnach zu stark. Bei Anwendung einer 
0,125°/oigon Lösung trat keine vollkommene Anästhesie ein, die Cornea 
blieb klar. Eine zweite Einträufelung machte ähnliche, nur weniger starke 
Reizerscheinungen als die 0,25o/o-Lösung. Veränderungen der Pupille und 
Accommodation waren nicht zu constatiren. 

5. Königstein (Versuche mit Erythrophläin. Internationale klinische 
Rundschau p. 1888) erhielt folgende Resultate: 2 Tropfen einer 0,1 igen 
Lösung riefen am linken Auge eines Kaninchens Zwinkern, Hyperämie der 
Conjunctiva, nach 10 Minuten verminderte Empfindlichkeit der Cornea hervor, 
nach 30 Minuten ist letztere fast unempfindlich, dagegen die Conjunctiva gereizt, 
nach Einträufelung einer 0,05o/oigen Lösung, heftige Conjunctivitis, links 
schwache Hornhauttrübung, enge Pupille, Hyperämie der Iris, welche noch 
am nächsten Tage anhält. l /is— 7ao 0 ,o-Lösung ruft beim gesunden Auge 
des Menschen sofort Hyperämie, Conjunctivitis, Thränenträufelu hervor. 
Später tritt Schmerzhaftigkeit auf, keine Anästhesie, dagegen Schlafstörung, 
Trübung der Cornea, besonders ira Centrura. Bei einer Erosion der Cornea 
rief ein Tropfen einer 0,01% igen Lösung intensiven Schmerz hervor, so dass 
zur Cocainisirung geschritten werden musste. Verfasser schliesst aus den 
Versuchen, dass das Erythrophläin für die Ophthalmiatrie keine Anwendung 
finden dürfte. (Schlnss folgt.) 

— Dr. A. Caille in New-York trug in der Januarversammlung der 
„Academy of Medicine“ über Prophylaxe der Diphtherie Folgendes vor. 
Mitglieder bestimmter Familien, besonders Kinder, bekämen alle Herbst 
oder Frühjahr einen Anfall von Diphtherie; in solchen Fällen verblieben die 
Mikroben wahrscheinlich permanent im Organismus, gewissermaassen schla¬ 
fend, bis eine Hyperämie der Schleimhaut der Nase oder des Schlundes die 
Gelegenheit für einen frischen Ausbruch der Krankheit gewähre, also eine 
Art Autoinfection. Um dies zu beweisen, wählte er 8 Personen verschiedenen 
Alters aus, die alle vor dem 1. October 1885 mindestens zweimal Diphtherie 
gehabt hatten. Sie stammten alle aus Familien, die ihm seit langer Zeit 
bekannt waren und die dauernd dieselben Wohnungen inne hatten. Zuerst 
Hess er bei diesen 8 alle cariösen Zähne füllen oder extrahiren, dann Hess 
er dreimal täglich Mund, Nase, Schlund mit 3%iger Kaliumpermanganat¬ 
lösung oder einer schwachen Lösung von Natriumhypochlorid ausspülen, 
auch gesättigte Borsäurelösung wurde dazu verwandt und mit den Lösungen 
von Zeit zu Zeit gewechselt. Bei sehr jungen Kindern werden die Lösungen 
mit einer Pipette in die Nasenlöcher geträufelt. Dies wurde das ganze Jahr 
hindurch mit Ausnahme der Sommermonate fortgesetzt. Bis heute ist bei 
diesen Personen keine Diphtherie wieder aufgetreten, obwohl durch Er¬ 
krankung in der Familie mehrmals Anlass dazu gegeben war, was Dr. 
Caille freilich noch nicht als absoluten Beweis für seine Theorie oder für 
die prophylactische Kraft seines Verfahrens ansieht. Personen mit ver- 
grösserten Tonsillen seien ferner der Diphtherie mehr ausgesetzt, er em¬ 
pfiehlt deshalb Tonsillotomie, cariöse Zähne müssten gefüllt oder extrahirt 
werden. Ehe die Eltern die Kinder zur Schule schickten, sollten sie ihnen 
jeden Morgen in den Hals sehen, alle Kinder sollten früh gurgeln lernen. 
Heisere Kinder dürften überhaupt nicht zur Schule geschickt werden. 
Küssen auf di.e Lippen sollte nicht gestattet sein, die Eltern müssten die 
oberen Luftwege der Kinder stets so gesund als möglich erhalten. (Journ. 
of the Americ. Medic. Ass. No. 6.) R. 

— Die Kataraktoperation wird von Wicherkiewicz (Posen) mit 
dem peripheren Linearschnitt, mit und ohne Iridectomie, ausgeführt. Bei 
strengster Antiseptik hatte er auf diese Weise 1886 keinen Verlust durch 
Eiterung. Bei 78 Katarakten wurde das von Wicherkiewicz angegebene 
Ausspülungsverfahren mit gutem Erfolge angewandt. Als Verband bei 
Staaroperationen bevorzugt Wicherkiewicz den Dauerverband, der aus 
einer ziemlich starken Lage Jodoformgaze, einer entsprechenden Schicht 
Watte besteht, die mit einer Sublimatgazebinde befestigt werden. Der 
Verband bleibt, wenn möglich, 3—4 Tage Hegen. Wicherkiewicz warnt, 
das Cocain bei Staaroperationen zu concentrirt und zu oft zu benutzen, 
wegen Gefahr der Corneatrübung durch gestörte Ernährung ihres Gewebes. 

— Modiflcation der Handwarmen r von Dr. Bettelheim (Wien) 
(Centr.-BIatt f. klinische Medicin). In Fällen, in denen das Eingiessen des 
Grauatwurzelrindendecocts mittelst Gumraischlauches in den Magen wegen 
Erbrechen nicht möglich war, bediente sich Bettelheim keratinirter 
Pillen, die erst im Dünndarm, dem Sitz des Wurms, gelöst werden. 

Die Vorschrift lautet: 

Rp. Extr. filic. maris aeth. 

Extr. Punicis Granat, ana 10,0 

Pulv. Jalapae 3,0 

M. f. pilul. keratinisab 70. 

Davon erhalten Erwachsene an dem Fasttage vor dem Curtage 15—20, 
am Tage der Cur innerhalb 2—3 Stunden die'übrigen. Die Cur dauert 
7—9 Stunden ohne den Fasttag, an dem auch Abführmittel genommen 
werden müssen. Als solches giebt Verf. während der Cur meist ein 
Klystier von 100 - 200 Aqua Iaxat. Vienens. R. 

— Das mit grosser Emphase von Amerika aus empfohlene Stenocarptn 
hat sich, wie wir den Therap. Monatsh. pg. 464 No. 11 entnehmen, nach den 
Untersuchungen von Prof. F. G. Noog und Mohr als Gemisch von Atropin 
und Cocain entpuppt! In den Blättern von Gleditscha triacanthos., 
welche das neue Anästheticum enthalten sollten, war überhaupt ein Alkaloid 
nicht nachweisbar. Ba, 


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12. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


307 


Xin. Die GedäcMnissfeier für 
B. v. Langenbeck. 

Dienstag den 3. d. Mts. fand die von der Berliner medicinischen Ge¬ 
sellschaft gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie veran¬ 
staltete Gedächtnisfeier für den verstorbenen Altmeister der Chirurgie, 
Bernhard v. Langenbeck, im grossen Saale der Philharmonie statt. Die 
Marmorbüste des Verewigten befand sich auf der, der Bedeutung des Tages 
entsprechend hergerichteten Bühne des Saales. Im Vorderraum stand das 
schwarz umkleidete Rednerpult, zu dessen Seiten die Vorstandsmitglieder 
der beiden wissenschaftlichen Gesellschaften Platz genommen hatten. Der 
grosse Saal war von den Mitgliedern der beiden Gesellschaften gefüllt. Die 
Ehrenplätze waren zum Theil den Angehörigen der v. Langenbeck’ sehen 
Familie, sowie den hervorragenden Gästen, den Ministern v. Gossler, 
Friedberg, Maybach, Lucius, Bronsart v. Schellendorf, den 
Unterstaatssecretairen Lucanus, Greiff, den Generalen v. Rauch, v. Wal¬ 
de rsee, u. a. mehr eingeräumt. 

Nach Mendelsohn’s feierlichem Trauergesang: „Sahst Du ihn her¬ 
niederschweben“, betrat Herr v. Bergmann die Rednerbühne und gab in 
meisterhafter Rede ein Bild von dem Wirken und den Verdiensten des Ver¬ 
ewigten um die Wissenschaft und um die Menschheit. Wir geben im Fol¬ 
genden die Rede in ihren wesentlichen Zügen wieder: 

Von den beiden medicinischen Gesellschaften, welche heute das Andenken 
Bernhard v. Langenbeck’s • begehen, ist die eine, die deutsche 
Gesellschaft für Chirurgie, ganz und gar sein Werk und seine Schöpfung, 
von ihm gegründet und in’s Leben gerufen. Die andere aber, die Berliner 
medicinische Gesellschaft, hat in einer Folge von 12 Jahren ihn stets zu 
ihrem Vorsitzenden gewählt und unter seiner Leitung eine Grösse und Blüthe 
erreicht, wie keine der übrigen medicinischen Gesellschaften Deutschlands. 
Beide haben nicht anders von dem Manne, der ihr Stifter und so lange ihr 
Führer gewesen ist, scheiden können, als indem sie ihn bei seinem Abgänge 
von Berlin zu ihrem lebenslänglichen Ehrenpräsidenten wählten. Zeit- und 
Berufsgeuossen, Glieder derselben Corporation, der er zugezählt war, haben 
Grösseres vollbracht, haben nicht blos das von ihnen vertretene Gebiet des 
Wissens auf neue Eutwickelungsstufen gehoben, sondern haben mehr noch 
als einen Zweig der biologischen Disciplinen grundlegend und umgestaltend 
beeinflusst. Zu solchen Schöpfungen und Leistungen gehören die Langen¬ 
beck’s nicht. Uns aber, uns deutschen Chirurgen und Aerzten wurde er 
bestimmend und bahnbrechend, denn er hat unserer vaterländischen Chirurgie 
ein eigenartiges Gepräge aufgedrückt und eine besondere Richtung vorge¬ 
zeichnet. In die Zeit, da Langenbeck anfing, Chirurgie zu treiben, muss 
man sich versetzen, um seine Bedeutung für uns zu verstehen. Deutschlands 
Chirurgen standen damals hinter denen Frankreichs und Englands weit 
zurück. Dass sie das nicht mehr thun, dass sie mehr als ebenbürtig ihren 
westlichen Nachbarn geworden sind, dafür hat Langenbeck seines Lebens 
Kraft und Ringen eingesetzt. Die erste selbstständig denkende und arbei¬ 
tende Schule deutscher Chirurgen bat Vincenz v. Kern in Wien, die 
zweite v. Langeubeck in Berlin gegründet. Auf den naturwissenschaft¬ 
lichen Boden hat sich Langenbeck schou durch seinen akademischen 
Entwickelungsgang gestellt. Dadurch ist er zum Vorbilde einer Chirurgen¬ 
schule geworden, die von jedem ihrer Jünger verlangt, dass er im Mikro- 
skopiren wohl geschult und mit den experimentellen Untersuchungsmethoden 
des Physiologen vertraut sein muss, ehe er sich der chirurgischen Beobach¬ 
tung und der operativen Kunst zuwendet. 1838 von seiner Reise zurück- 
gekehrt, habilitirte er sich am 7. Mai auf Grund einer Vorlesung „Ueber die 
elementaren Formen, unter welchen die organische Materie in den verschie¬ 
denen krankhaften Productionen erscheint“, als Privatdocent für Physiologie 
und pathologische Anatomie. Auf Langenbeck’s Uebergang zum chirur¬ 
gischen Studium mögen drei Momente Einfluss gehabt haben. Vor allem 
die Uebemahine einer Assistentenstelle bei seinem in Göttingen hoch ge¬ 
feierten Oheim Conrad Johann Martin Langenbeck, Obermedicinalrath 
und Professor der Anatomie und Chirurgie in Göttingen, eine glänzende, 
von seinen Schülern bewunderte und hoch verehrte Persönlichkeit, gleich 
geschickt im Präpariren, wie im Operiren. Mehr noch als die Freude an der 
ärztlichen Arbeit, die er in seiner Heimath erfahren, förderte die Reise nach Eng¬ 
land seine Neigung zur Chirurgie und brachte sie zum endlichen Durchbruche. 
Von England zurückgekehrt, wurde für Langenbeck’s weitere Laufbahn 
eine zweite Reise entscheidend, welche er im Jahre seiner Verheirathung 
mit Arnoldine, der Tochter des Oberamtmanns Reinbold in Himmel¬ 
pforten bei Stade 1840, unternommen hatte. Er besuchte damals die Natur¬ 
forscherversammlung in Erlangen, wo er den dortigen Professor der Chirurgie, 
Stromeyer, mit dem ihn das Leben später so vielfach zusammenbringen 
sollte, zuerst sah und kennen lernte. Stromeyer fand sich in hohem 
Grade von seinem jüngeren Collegen angezogen. „Ich erkannte gleich“, 
schreibt er, „dass die Chirurgie das Hauptfach des Privatdocenten der Phy¬ 
siologie war, und freute mich der Gewandtheit, mit welcher er in meiner 
Klinik die Operation einer complicirten Hasenscharte bei einem 12jährigen 
Knaben verrichtete“. Eine Berufung nach Erlangen zerschlug sich, indessen 
war Langenbeck bekannt geworden und sah sich ein Jahr später schon 
auf dem Lehrstuhl der Chirurgie in Kiel. 

Als erstes und vornehmstes Merkmal der modernen deutschen Chirurgie sehe 
ich diejenige Entwickelung ihrer Schule an, welche der Privatdocent Langen¬ 
beck genommen hat: von der Physiologie zur Chirurgie, von dem Mikro¬ 
skope zum Resectionsmesser. Darin liegt die Bürgschaft für die Gründung 
und Erhaltung der Chirurgie auf wissenschaftlichem Boden, für ihre Förde¬ 
rung allein durch die Mittel und Methoden der Naturforschung, Beobachtung 
nämlich und Experiment. Die zweite Eigenthümlichkeit deutscher Chirurgie, 
die ich versucht habe auf Langenbeck zurückzuführen, ist die Eröffnung 
neuer Operationsgebiete, der Versuch, Krankheiten, die bis dahin operativ 
nicht behandelt worden waren, nun mit dem Messer und der Hand des Chi¬ 
rurgen zu heilen. Wer auch nur oberflächlich die neueste Geschichte der 
Chirurgie kennt, muss wissen, dass überall hier deutsche Arbeiter und vor¬ 


züglich wieder die Schüler Langenbeck’s vorangegangen sind. Die wissen¬ 
schaftliche, alles regulirende und den Uebergriff von vornherein aus- 
schliessende Basis, vereint mit der Kühnheit des Vorgehens und dem Streben, 
die Grenzen der Chirurgie immer weiter zu stecken, das sind die lang 
dauernden und lange nachwirkenden Impulse, welche Langenbeck der 
deutschen Chirurgie gegeben und hinterlassen hat Aber noch einen dritten 
Charakterzug verdankt sie dem Vorgehen Langenbeck’s: ihre Beziehungen 
zur Kriegschirurgie uud dem Sanitätswesen unserer Armee. Denu während 
Langenbeck mit der schleswig-holsteinscheu Armee im Felde lag, war er 
in Berlin zum Nachfolger Dieffenbach’s gewählt worden, und für den so 
beliebten klinischen Lehrer wurde am 13. Mai 1848 die Bestalluugsurkunde 
ausgefertigt. Zu Michaelis 1848 traf er in Berlin ein und begann unter 
dem lauten Beifalle seiner Zuhörer vor einem überfüllten Auditorium die 
klinischen Vorträge. Zum dritten Male kam Langenbeck nach Schleswig 
im Jahre 1864, dieses Mal in hervorragender Stellung, im Hauptquartiere 
der preussischen Armee, zu deren consultirendem Chirurgen und General¬ 
arzte ihn eine Ordre des Kriegsministers vom 4. April 1864 ernannt hatte. 
Schon am 9. Juli desselben Jahres erhob ihn des Königs Majestät, in An¬ 
erkennung der im Felde geleisteten, aufopfernden und erspriesslichen Dienste 
in den erblichen Adelstand und verfügte nach geschlossenem Frieden 
sein Verbleiben als Generalarzt in den Reihen des Sanitätscorps. In 
dieser Stellung hat Langenbeck seine Kräfte dem Sanitätswesen des 
preussischen und deutschen Heeres ununterbrochen gewidmet, und die 
eine grosse, aber echt deutsche Aufgabe erfüllt, das gesammte ärzt¬ 
liche Wissen im Frieden wie im Kriege den Lebensverhältnissen der 
Armee dienstbar zu machen. Germania annis pariter ac literis parata! 

Es würde mich hier zu weit führen, den Verdiensten Langenbeck’s in 
dem grossen Werke der Neugestaltung unseres Kriogs-Medicinalwesens nach¬ 
zugehen. An drei für dieselbe massgebenden Conferenzen, von denen er 
zweien präsidirte, hat er sich in hervorragender Weise betlieiligt und überall 
seine Erfahrung, sowie sein ganzes persönliches Gewicht in den Dienst der 
grossen, erfolgreichen Aibeit, die ihm recht eigentliche Herzenssache war, 
gestellt. Von der Gründung des Central-Comites der deutschen Vereine 
vom rothen Kreuz bis zu seinem Tode ist er eines seiner thätigsten Glieder, 
sein sicherster und treuester Berather gewesen. Auch nach seiner Ueber- 
siedelung nach Wiesbaden zog er von diesem Werke sich nicht zurück. 

Auf seine so grosse uud ernste Pflichttreue, auf den tiefen, idealen 
Sinn und das doch so schlicht und einfach angelegte Gemüth gründet sich 
Langenbeck’s Begabung zum akademischen Lehramt. Er wirkte nicht 
durch den Glanz, sondern durch den Ernst seiner Rede, denn das Alltägliche 
und Gemeine entweihte seine Lippen nicht. Wie er seinen Schülern nie 
allein die vollendete, sondern immer auch gleich die werdende Wissenschaft 
vortrug, so hat er sich allezeit auch nicht gescheut, neben seinen chirurgi¬ 
schen Grossthaten sie seine Fehler sehen zu lassen. Indem er sie anwies, 
dieselben zu verstehen und zu durchschauen, lehrte er sie am allerbesten. 
Für ihn gab es keine Schranke zwischen dem grossen Meister und dem 
eben erst anfangenden Schüler. 

In das letzte Quinquennium seiner akademischen und klinischen Thä- 
tigkeit fällt die Wiederherstellung seines Kaiserlichen Herrn von der Ver¬ 
wundung durch die Hand eines ruchlosen Verbrechers. Langenbeck hat 
durch diese Heilung von Preussens Volke die Schmach der Blutschuld am 
gesalbten Haupte seines Königs abgewandt und allein hierdurch schon seinen 
Namen jedem deutsch fühlenden Herzen unvergesslich und theuer gemacht. 

Im Jahre 1881, als sich zum zehnten Male der Congress deutscher 
Chirurgen versammelte, hatte Langenbeck die Freude, den Neubau der 
Königlichen Klinik einzuweihen. Diesen Tag, an welchem ihm der Lohn 
einer andauernden und langjährigen Mühe um die Stiftung der grossen 
und reichen Arbeitsstätte wurde, hatte Langenbeck noch abwarteu wollen, 
ehe er selbst seiner akademischen Wirksamkeit eiu Ziel setzte. Aber die 
Zeit, wo die Einsicht und der ruhige Ueberblick des Alters auch dieses 
mit Blüthen schmücken und mit Früchten bedecken, ist ihm nur kurz 
bemessen gewesen. Ihm war die Beschäftigung, die nie ermattet, die 
oberste Lebensmacht; nun ermüdete ihn die Müsse des Alters und ent¬ 
wöhnte ihn vom Leben. Noch am 4. August 1887 ist von ihm die 
alte Kunst an einer Lippenoperation geübt worden. Gestützt auf den Arm 
seiner jüngeren Collegen, hat er daun noch den Sitzungen der am 18. Sep¬ 
tember tagenden Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte bei¬ 
gewohnt, ja in deren chirurgischen Section sogar den Vorsitz geführt. 

„Ein kleiner Ring begrenzt unser Leben, uns hebt die Welle, verschlingt 
die Welle und wir versinken“. Aber aus dem Grabe der Wellen rettet ein 
treu Erinnern den Geist dessen, den das Menschenloos dahinriss, und sorgt 
dafür, dass er uns und den Ünsrigen für alle Zeit erhalten und bewahrt 
bleibt. 

Was recht geschafft, was freudig Du gethan, 

Was Edles Du gedacht, wird nie vergehen. 

Die Saat wird einst als Erndte auferstehen. 

Dem Reich der Ewigkeit gehört sie an. 


XTV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Wir bringen an anderer Stelle dieser Nummer den Be¬ 
richt über die Verhandlungen der ersten Sitzung des XVII. Congrcsses 
der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 

Herr v. Bergmann erüffnete die Sitzung mit einer Ansprache, in der 
er hervorhob, dass die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie die erste wissen¬ 
schaftliche Gesellschaft gewesen sei, die vor 17 Jahren nach der Wieder¬ 
errichtung des Deutschen Reiches gegründet worden. Das Vermächtniss, 
das Kaiser Wilhelm, unter dessen Friedensregiment die Gesellschaft zu 
ihrer Blüthe gelangte, zurückgelassen: die strenge Pflichttreue in der Be¬ 
rufserfüllung bleibe ihr dauerndes Erbe. Kaiser Friedrich habe diese 
Pflichttreue bewiesen, als er trotz eigener Krankheit die Regierung übernahm. 
Der Kaiser habe ihm gestattet, der Gesellschaft mitzutheilen, dass er das Be- 


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308 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 15 


streben derselben, das Andenken ihres verewigten Präsidenten Bernhard 
v. Langonbeck durch ein Denkmal zu sichern, gern fördern und ihm seine 
Hohe Protedion widmen wolle. Herr v. Bergmann konnte ferner mittheilen, 
dass die Kaiserin Augusta den (iedanken in Anregung gebracht habe, 
dem Andenken Langen beck’s ein dauerndes Denkmal zu setzen durch die 
Errichtung eines Hauses, das den Namen Langenbeck-Haus führen und 
zunächst ein Vereinshaus für die Gesellschaft für Chirurgie und weiter ein 
Centralpunkt wissenschaftlicher Bestrebungen worden solle. 

Aus den geschäftlichen Mittheilungen ist hervorzuheben, dass die Ge¬ 
sellschaft im letzten Jahre zwei Mitglieder durch den Tod verloren hat, ein 
Mitglied schied aus, wogegen 24 neu aufgenommen wurden. An Stelle des 
am Erscheinen verhinderten Prof. v. Volkmann (1101161 wurde Prof. König 
(Göttingen) zum Vizepräsidenten für die Dauer des diesjährigen Congresses 
gewählt. 

In der dritten Nachmittagssitzung konnte Herr v. Bergmann der Ver¬ 
sammlung bereits einen bestimmten Plan vorlegen, welcher der Errichtung 
des Langenbeekhauses als Basis dienen soll. Es handelt sich um die 
Errichtung eines Hauses im Centrum der Stadt, welches ein Auditorium für 
700—800 Personen, Räume für eine grössere Bibliothek etc. enthalten soll. 
Die hierfür erforderliche Summe beträgt 450 000 Mark; davon sind 200 000 
Mark auf dem Wege einer Sammlung aufzubringen, 100 000 Mark beträgt 
das Yeimögen der Gesellschaft; der Rest ist als Hypothek auf das Ge¬ 
bäude einzutragen und der Zins durch Miethe aufzubringon, welche zum 
grösseren Theil die Berliner medicinische Gesellschaft für Benutzung des 
Auditoriums und von Bibliothekräumen tragen wird. Während die Deutsche 
Gesellschaft für Chirurgie Eigenthümerin des Hauses ist, werden der Ber¬ 
liner medicinischen Gesellschaft gewisse Rechte an dasselbe abgetreten. — 
Um die nöthigen Schritte zur Realisirung dieses Planes in’s Werk zu setzen, 
wählte die Versammlung ein aus den Herren v. Bergmann, Barde¬ 
leben, Hahn und Langenbuch bestehendes Comite. Ferner ertheilte 
die Gesellschaft dem Ausschuss die erforderlichen Vollmachten, um die 
Rechte einer juristischen Person nachzusuchen. In derselben Sitzung wurde 
Herr v. Bergmann zum Vorsitzenden für das nächste Jahr wiedergewählt 
und beschlossen, als Gegenstand der Discussion für den nächsten Congress 
die Frage der Aetiologie und Diagnose des Carcinoms, insbesondere das der 
Zunge und Lippen, auf die Tagesordnung zu setzen. Als Referent für 
diese Frage wurde Herr Esmarch bestellt. 

— Professor August Wilhelm Hofmann, der erste Ordinarius der 
Chemie an der hiesigen Universität, der Mitbegründer der chemischen 
Wissenschaft in ihrer modernen Gestalt, hat in vollster körperlicher und 
geistiger Frische am 8. April seinen 70. Geburtstag gefeiert. Mögen dem 
hochverdienten Forscher und Lehrer, welcher sich unschätzbare Verdienste 
um die Wissenschaft und die Industrie erworben, noch ungezählte Jahre zu 
seinem segensreichen Wirken beschieden sein. 

— Der bisherige ordentl. Professor Dr. Ilertwig zu Jena ist zum 
ordentlichen Professor in der medicinischen Facultät der Universität Berlin 
ernannt worden. 

— Wiesbaden. Die erste Sitzung des Congresses für innere Medicin 
wurde am Montag, den 9. April, Vormittags 10 Uhr von Professor Leube 
(Würzburg) eröffnet. Die Betheiligung staud nicht hinter derjenigen an den 
früheren Congressen zurück, und unter den in der ersten Sitzung Anwesenden 
fanden sich die besten Namen auf dem Gebiete der inneren Mcdicin. 

Herr Leube skizzirte, nachdem er des Hinscheidens Kaiser Willi elm’s 
gedacht, in längerer Eröffnungsrede den Standpunkt, auf welchem heute die 
innere Medicin in der Lösung ihrer Aufgaben angelangt ist, und deutete 
ihre Ziele für die nächste Zukunft an. Er eröffnete sodann den Congress, 
zu dessen Viccpräsidenten die Herren Riegel (Giessen), Jürgensen 
(Tübingen) und Orthmann (Berlin) ernannt wurden. Als Schriftführer fun- 
giren die Herren Stintzing, v. Noorden und Aug. Pfeiffer. Sodann 
wurde unmittelbar in die Tagesordnung eingetreten und Herr Oertel 
(München) entwickelte in der Frage der chronischen Herzmuskel¬ 
erkrankungen und ihrer Behandlung als Referent die Grundsätze, 
welche seiner mechanisch-diätetischen Curmethode zu Grunde liegen. 
Die Ansichten des Correferenten Herrn Lichtheim (Bern) wichen in nicht 
unwesentlichen Punkten von denen Oertel’s ab. Die ausführlichen Be¬ 
richte bringen wir in den folgenden Nummern. 

— St. Petersburg. In ärztlichen Kreisen wird die Errichtung eines 
Denkmals für den grossen Arzt und Chirurgen Pirogow geplant. Zur 
Beschaffung der Mittel soll eine Sammlung im ganzen russischen Reich ver¬ 
anstaltet werden. Das Denkmal wird voraussichtlich in St. Petersburg oder 
Moskau aufgestellt werden. (St. Petersb. Medic. Wchsch.) 

— London. Zum Präsidenten des College of Physicians wurde 
an Stelle Sir William Jenner’s Sir Andrew Clark gewählt. 

— Paris. Dr. Hippolyte Brochin, bekannter französischer Pu- 
blicist auf medicinischem Gebiete, Chefredacteur der Gazette des höpitaux, 
ist gestorben. 

— Italien. Der Minister des Innern hat eine Commission ernannt zur 
Festsetzung der Preise der Arzneimittel, welche für die demnächst erschei¬ 
nende italienische Pharmacopöe maassgebend sein soll. Die Commission be¬ 
steht aus den Herren Moleschott, Corradi (Pavia), Guareschi (Turin), 
Vitalis (Bologna), de Cesaris (Rom) und Tacconis (Turin). (Rif. med.) 

— Anatomische Gesellschaft. Auf der Tagesordnung der zu 
Pfingsten d. J. in Würzburg stattfindenden zweiten Versammlung der 
Anatomischen Gesellschaft stehen bisher: a) Referate: Herr C. Gegenbaur: 
lieber Caenogenese, — Herr K. Bardoleben: lieber die Lage der weiblichen 
Beckenorgane, b) Vorträge: Herr W. IIis.: Heber den Ursprung der 
Nervenfasern, mit Demonstrationen. — Herr J. Kollmann: Ueber das 
Handskelett der Wirbelthiere. — Derselbe: Coelom und Nephridium der 
Wirbclthiere. — Herr v. Brunn: Membrana praeformativa und Cuticula 
dentis. — Herr H. Virchow: Das Rückenmark der Anthropoiden. — Herr 


Th. Kölliker: Ueber die einfache Anlage des Zwischenkiefers, mit Demon¬ 
strationen contra Biondi. 

— Der Deutsche Apotheker-Verein wird seine diesjährige Ge¬ 
neralversammlung, für welche ursprünglich Rostock in Aussicht ge¬ 
nommen war, in Berlin, und zwar vermuthlich in der ersten Hälfte des 
Septembers abhalten. 

— Im Juli dieses Jahres wird in Lemberg der V. Congress pol¬ 
nischer Aerzte und Naturforscher tagen, mit welchem eine hygie¬ 
nische, medicinische und didaktisch-naturwissenschaftliche Ausstellung ver¬ 
bunden sein wird. Die Anzahl der Theilnehmer wird voraussichtlich sehr 
ross sein, ebenso das zu verarbeitende Material. 

— Mit Bezug auf die in dieser Nummer gemachten Mittheilungen über 
die Tuberculose der Hunde dürfte die von Johne in Dresden 
(Fortsehr. d. Medicin No. 7) über eine Arbeit von Siedamgrotzky ge¬ 
machte Mittheilung: Heber die Zahl der im Königreich Sachsen gehaltenen 
Hunde, von Interesse sein. Die Zahl der Hunde in Sachsen (mit ca. 3 Mill. 
Eimv.) betrug, soweit sich aus der Zahl der abgegebenen llundesteucr- 
marken ermitteln Hess: 1882 = 89 869, 18S3 = 90051, 1884 = 91 427, 
1885 = 95 186 und 188G = 100 242, ist also der zu niedrigen Hunde¬ 
steuer halber fortwährend imSteigen, wenn auch immer noch etwas geringer 
wie in Bayern, wo auf ca. 5^3 Mill. Einw. 1884 nicht weniger als 
203 205 Hunde kamen, 

— Auf dem letzten französischen Chirurgencongress demon- 
strirte Herr.de Bäcker aus Roubaix einen sehr einfachen, ingeniös er¬ 
dachten transportabelen Sterilisationsapparat für Instrumente 
und Verbandstoffe. Derselbe besteht aus einem hermetisch verschlosse¬ 
nen Topf, in dessen Inneres ein Behälter mit dem zu sterilisirenden Material 
placirt wird. Ausserdem enthält derselbe \'a kg Paraffin, eine Substanz, 
welche erst bei 300 0 sich verflüchtigt, so dass die keimfrei zu machenden 
Gegenstände einer sehr grossen Hitze ausgesetzt werden köuneu. Die 
Wärmequelle ist eine einfache Spirituslarape. 

— Universitäten. München. Prof. Dr. A v. Rothmund feierte 
am 20 v. Mts. sein 25jähriges Doccntenjubiläura. — Prof. Fedele Fedeli, 
Dircclor der medicinischen Klinik in Pisa ist gestorben. 


XV. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Ernennungen: Der seitherige Kreis-Wundarzt Dr. Gottschalk zu 
Bomst ist zum Kreis-Physikus des Kreises Roseuberg Ob.-Schl., der seit¬ 
herige Kreis-Wundarzt Dr. Farne zum Kreis-Physikus des Kreises Danzig- 
Niederung und der Kreis-Wundarzt des Kreises Marienburg Dr. Wodtke 
in Neuteich zum Kreis-Physikus des Kreises Dirschau ernannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Caspar und Dr. Schuck 
in Berlin, Dr. Ollendorf in Hochneukirch, I)r. v. d. Thüsen und 
Dr- Lasius in Krefeld. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Schlegtendal von Rostock 
nach Lennep, Dr. Mantzel von Güstrow nach Radevormwald, Dr. Haber¬ 
mann von Radevormwald nach Münster, Dr. Rumler von Düsseldorf nach 
Bonn, Dr. Koerfer von Aachen und Dr. Rheindorf von Neuss nach 
Krefeld, Dr. Stadler von Elberfeld nach Straelen, Stabs- uud Bat.-Arzt 
Dr. Vüilers als Abth.-Arzt von Cleve nach Hannover, Ass.-Arzt Dr. Egger 
als Stabs- und Bat.-Arzt von Butzbach nach Cleve, Ass.-Arzt Dr. Ilüner- 
mann von Düsseldorf nach Hamburg, Dr. Roeth von Kassel nach Osna¬ 
brück, Dr. Kuester von Pankow nach Berlin, Stabsarzt Dr. Buch von 
Berlin nach Danzig. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Mosterts in Düsseldorf und 
Dr. Freusberg in Bonn. 

2. Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Auszeichnung: Dem prakt. Arzte Dr. J Diehl in München wurde 
der Titel eines K. Hofrathes verliehen. 

Ernennung: Der approbirte Arzt C. Gudden wurde zum II. Assistenz¬ 
arzt au der Kreisirrenanstalt München ernannt. 

Niederlassungen: Dr. 0. Grasemann, z. Z. Volontärarzt in der 
Frauenklinik, Dr. F. Hermann, appr. Arzt, R. Schmidt, Dr. J. Decker, 
sämmtlich in München. Prakt. A. Wild in Berneck. 

Verzogen: Dr. Jos. Hamacher von Untersteinach nach Mörfelden. 
Dr. C. Marzeil von Marktsteft nach Aschaffenburg. Dr. A. Rosenau von 
Vaihingen nach Wiesbaden. Dr. Th. Severin von Müggendorf nach 
Waischenfeld. Prakt. Arzt J. Graf von Berchnig nach Coburg. 

Verstorben sind: Königl. Bezirksarzt I. CI. Dr. Christian Merk in 
Landshut. Dr. Fr. Gietl, kgl. Geheimrath, Leibarzt und o. ö. Prof, der 
medicinischen Klinik etc. zu München. Dr. G. Müller, kgl. Generalarzt 
I. CI. z. D. in München. Dr. Ferd. Eschericb, kgl. bayer. ltegierungs- 
u. Kreismedicinalrath a. D. in Würzburg. Dr. G. A. Diehl, prakt. Arzt in 
Kirchheimbolanden. 

3. Sachsen. 

(Corr.-Bl. d. ärztl. Kr.- und Bez.-Ver. i. Kgr. Sachsen). 

Gestorben: Dr. R. Wolf in Naunhof. 

4. Württemberg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württerab. ärztl. Landesver.) 

Besetzung: Oberamtsarzt Dr. Liebe erhielt die Oberamtsarztstelle 
in Freudenstadt, Dr. Wunderlich die Stelle für das Amts-Oberamt Stuttgart. 


Berichtigung. 

Dr. Max Marekwald in Kreuznach macht uns darauf aufmerksam, 
dass er im Deutschen Rcichs-Mcdieinalkalender als Dr. Max Marwal.d auf¬ 
geführt ist. 


Gedruckt bei Julius Silleiifeld in Bciliu W. 


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Donnerstag J\S 1«. 19. April 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 


Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Aus dem chemischen Laboratorium des pathologischen 
Instituts zu Berlin. 

TJeber die antiseptische Wirkung des 
Chloroformwassers. 

Von Prof. E. Salkowski. 

Seit einigen Jahren bediene ich mich zu Conservirung von 
Harnen, die für den Zweck späterer Untersuchung aufgehoben 
werden sollen, des Zusatzes vou ein wenig Chloroform. Schüttelt man 
den Ham in einer verkorkten Flasche stark mit Chloroform durch, 
so sättigt er sich mit demselben nach Maassgabe der sehr geringeil 
Löslichkeit des Chloroforms in Wasser, der Ueberschuss von Chloro¬ 
form sammelt sich auf dem Boden der Flasche, und der Harn bleibt 
nun beliebig lange haltbar und für alle Untersuchungen verwendbar: 
ammoniakalische Gährung tritt in einem solchen Harn nicht ein, 
der Harn bewahrt dauernd seine saure Reaction. 

An diese Beobachtungen anknüpfend habe ich die Einwirkung 
des Chloroformwassers (5 ccm Chloroform oder etwa 7,5 g auf 1 1 
Wasser, stark durch geschüttelt, lösen sich bei Zimmertemperatur völlig 
auf) bezw. des Chloroforms auf geformte Fermente und einige pa¬ 
thogene Bakterienformen untersucht. Wiewohl es mir bisher an Zeit 
gemangelt hat, die Versuche über die Wirkungen des Chloroforms 
abzuschliessen, soweit die Verfolgung der Sache überhaupt in meiner 
Absicht liegt, dürfte doch die Mittheilung der bisher erhaltenen 
Resultate nicht ohne Interesse sein. 

Was zunächst die Wirkung auf Fermentvorgänge betrifft, so 
verhindert das Chloroform, soweit meine Beobachtungen reicheu, 
alle durch die Lebensthätigkeit vou Mikroorganismen 
bedingten FerraentationsVorgänge, so die alkoholische Gäh¬ 
rung, die ammoniakalische Harnstoffgährung, die fermentative Spaltung 
der Hippursäure, die Milchsfiuregäbrung, die baeteritische Eiweiss- 
fanlniss, während es die Wirkung der nicht organisirten, löslichen 
Fermente — Enzyme —, also z. B. die Wirkung des Speichel¬ 
fermentes, des Pepsins, des Trypsins, Invertins, der Diastase u. s. w. 
nicht stört; letzteres ist z. Th. schon bekannt. 

Zur Entfaltung dieser Wirkung ist natürlich stets vorausgesetzt» 
dass das Chloroform nicht durch Verdunstung aus der Mischung 
entweicht; ist aber diese Bedingung erfüllt, was .sich durch einen 
einfachen Korkstopfen oder gut schliessenden Glasstöpsel leicht er¬ 
reichen lässt, so kann man der angegebenen Wirkung mindestens 
auf viele Monate, wahrscheinlich unbegrenzt lange sicher sein. Die 
meisten meiner Beobachtungen hierüber erstrecken sich auf etwa 
9 Monate, einzelne aber auch auf ein, selbst mehrere Jahre. 

Auf die Besonderheiten, welche die verschiedenen Gährungs- 
vorgänge resp. die verschiedenen conservirten Substrate hierbei dar¬ 
bieten. gehe ich nicht näher ein, nur einige specielle Beobachtungen 
mögen hier Platz finden. 

1. Milch bewahrt, in einer verkorkten Flasche mit etwas Chloro¬ 
form durchgeschüttelt, ihre ursprüngliche neutrale resp. schwach 
alkalische Reaction dauernd. Nach einigen Monaten — ziemlich 
regelmässig 3 Monate — gesteht sie zu einer zitternden Gallerte, 
welche sich durch starkes Schütteln zerstören lässt: sie trennt sich 
dann in einen weissen Bodensatz von Casein -+- Fett und eine gelb¬ 
liche, klare, darüber stehende Flüssigkeit, welche sich albuminhaltig 
erweist. Die gleichen Erscheinungen hat auch Meissner bei steril 
anfbewahrter Milch beobachtet. Meissner hat die Ausscheidung 
des Caseins auf ein langsam wirkendes Labferment bezogen. Ob 


diese Erklärung zutreffend ist, mag hier dahingestellt bleiben. Ein 
solches lösliches Ferment würde von der Einwirkung des Chloro¬ 
forms allerdings unberührt bleiben. Jedenfalls ist das Chloroform 
ein Mittel, auch minimale Mengen von Fermenten nachzuweisen, 
deren Wirkungen sich erst im Laufe von Monaten entfalten, da man 
durch Anwendung desselben in den Stand gesetzt ist, die Beob¬ 
achtungen beliebig lange fortsetzen zu können, ohne durch die 
lntercurrenz vou Mikroorganismen gestört zu werden. Vor anderen 
ähnlich wirkenden Substanzen hat das Chloroform die Vorzüge, 
dass es auf die Substrate des Thierkörpers nicht verändernd ein¬ 
wirkt, und die Entfernung desselben zum Zweck der Untersuchung 
der entstandenen Producte keinerlei Schwierigkeiten macht. 

2. Rohrzucker- und Traubenzuckerlösungen mit Hefe und etwas 
Chloroform durchgeschüttelt, gäliren nicht. Dagegen ist schon am 
nächsten Tage der Rohrzucker in Invertzucker übergegangen. Der 
Grund der Invertirung liegt darin, dass das invertirende Ferment 
der Hefe, als lösliches Ferment, vom Chloroform nicht angegriffen 
wird. 

3. Eiweissreiche Transsudate, der so leicht faulende Fleisch¬ 
auszug etc., bleiben, mit einigen Tropfen Chloroform geschüttelt, 
selbst nach schwacher Alkalisirung ganz unverändert und erweisen 
sich beim Ueberimpfen auf Nährgelatine in Plattenculturen, sowie in 
geschlossenen Röhren vollkommen steril, während in demselben 
Fleischauszug, nicht mit Chloroform versetzt, nach 2 Tagen nach 
Ausweis der Culturen eine ungeheure Menge von Bakterien enthalten 
ist. Ja selbst gehacktes Fleisch lässt sich, mit Chloroform und 
Wasser durchgeschüttelt, in einer verschlossenen Flasche beliebig 
lange ohne wesentliche Aenderung conserviren. Allerdings treten 
gewisse Veränderungen, wenigstens häufig, ein, welche nicht auf die 
Wirkung von Mikroorganismen zu beziehen sind; so macht sich oft 
ein ranziger Geruch bemerkbar, welcher von der allmählichen Spal¬ 
tung und Oxydation eines Theiles der Fette abhängt. 

Das Chloroform ist aber nicht allein ein entwickelungshemmeu- 
des Mittel, sondern auch ein nicht zu unterschätzendes Desinfections- 
mittel und Vernichtungsmittel bereits entwickelter Bakterienformen. 

Intensiv stinkender, von Bakterien wimmelnder Fleischauszug 
erwies sich, mit einigen Tropfen Chloroform durchgcschüttelt, nach 
einstündigera Stehen steril* während von der Controlprobe reichliche 
Entwickelung auf Platten und im geschlossenen Reagensglas erhalten 
wurde. 

Was die Wirkung auf pathogeue Organismen anbetrifft, so habe 
ich bis jetzt nur Versuche mit Milzbrandbaeillen und Cholerabacillen 
angestellt, also mit Bacterienformen, welche der Einwirkung von 
antiseptischeu Mitteln am leichtesten unterliegen. Die Versuche 
wurden nach Koch’schen Methoden ausgeführt. 

1. Seidenfäden mit sporenfreien Milzbrandbacillen, entstammend 
der Milz eines eben an Milzbrand zu Grunde gegangenen Meer¬ 
schweinchens, wurden 24 Stuuden in Chloroformwasser gelegt, dann 
in Gelatine gebettet, theils auf Platten, theils in Reagensgläsero: sie 
erwiesen sich sämmtlich steril, während von den Controlfädeu, die 
ebenso lange in sterilisirtem Wasser gelegen hatten, eine reichliche 
Entwickelung ausging. Die gleiche Wirkung hatte ein mit dem 
gleichen Volum Wasser versetztes Chloroformwasser, während stärker 
(auf V 4 ) verdünntes Chloroformwasser keiue Wirkung mehr zeigte: 
die Bacillen blieben entwickelungsuUiig. 

Es zeigte sich weiterhin, dass ein Verbleiben der Fäden 
während einer halben Stunde genügt, um die Bacillen zu tödten. 

2. Von zerquetschter Milzbrandmilz wurden einige Tropfen auf 
sterilisirte Nährbouillon oder Wasser übertragen, ebenso auf Cliloro- 


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310 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


formwasser resp. solche Bouillon, die vorher mit Chloroform durch¬ 
geschüttelt worden war. Nach 30 resp. 2 Minuten wurden von dieseu 
Mischungen Plattenculturen hergestellt. Die Mischungen, welche 
30 Minuten gestanden hatten, erwiesen sich steril, die anderen nicht. 
Dasselbe gilt auch für auf die Hälfte verdünntes Chloroformwasser. 

3. Die desinficirende Wirkung ist ebenso an Thieren nach¬ 
weisbar. Von Milzbrandblut bezw. in anderen Fällen von zer¬ 
quetschter Milzbrandmilz wurde je 1 Tropfen in etwa 8 ccm steri- 
lisirtes Wasser gebracht (a), andererseits in ebensoviel Chloroform¬ 
wasser (b). Von beiden Flüssigkeiten wurde nach etwa 1 ständigem 
Stehen je einem Meerschweinchen etwa eine halbe Pravaz’sche 
Spritze injicirt. Ausnahmslos waren die Thiere, die a bekommen 
hatten, in längstens 48 Stunden todt an Milzbrand, die b bekommen 
hatten, blieben vollständig gesund. Entsprechende Resultate hatten die 
gleichzeitig ausgeführten Ueberimpfungen der zu der Iujection bei den 
Meerschweinchen benutzten Flüssigkeit auf Nährgelatine durch Stich. 

Die Ausführung dieser Versuche bietet übrigens, wie ich nicht 
versäumen will, hinzuzufügen, einige Schwierigkeiten wegen der 
Flüchtigkeit des Chloroforms. Es ist sorgfältig darauf zu achten, 
dass beim Mischen des Milzbrandblutes mit dem Chloroformwasser 
nicht einzelne Tropfen an die Wände des Glases geschleudert 
werden. Da das Chloroform leicht abdunstet, so würden die Ba¬ 
cillen in solchen Tröpfchen der Wirkung des Chloroforms nur unvoll¬ 
ständig unterliegen. Die Anwendung von Blut empfiehlt sich mehr, 
als die von zerriebener Milz, weil in letzterem Falle die Anwesen¬ 
heit von gröberen Gewebspartikeln den Erfolg in Frage stellen könnte. 

Dagegen erweisen sich Milzbrandsporen durchaus resistent 
gegen Chloroformwasser. Milzbrandsporen-haltige Seidenfäden, die 
24 Stunden in Chloroformwasser gelegen hatten, tödteten, unter die 
Haut gebracht, Meerschweinchen in 48 Stunden und gaben, in Ge¬ 
latine eingebettet, reichliche Eutwickelung von Milzbraudfäden. 
Fäden, die 3 Tage gelegen hatten, zeigten eine etwas geringere Ent¬ 
wickelung als die Controlfäden, die 3 Tage in sterilisirtem Wasser 
gelegen hatten. 

Ausserordentlich energisch ist die Wirkung des Chloroforra- 
wassers auf die Kommabacillen. 

Wenn man eine frische Cholerabacillencultur mit dem gleichen 
Volum Chloroformwasser mischt, so ist dieFlüssigkeit, wie ich mich 
durch zahlreiche, ausnahmslos in demselben Sinne ausgefallene Ver¬ 
suche überzeugt habe, schon nach einer Minute vollkommen des- 
inficirt. Impft man von dieser Flüssigkeit l%ige Peptonlösung, die 
für die Entwickelung der Cholerabacillen bekanntlich sehr geeignet 
ist, so bleibt dieselbe nach tagelanger Bebrütung absolut klar, 
während die Controllösung, mit derselben Choleracultur vor der 
Mischung mit Chloroformwasser geimpft, schon nach 24 Stunden 
intensiv getrübt ist. Dass es sich dabei wirklich um Entwickelung 
von Kommabacillen handelt, wird bewiesen einerseits durch Ueber- 
impfung der entwickelten Controllprobe auf Gelatine durch Stich: 
es tritt die charakteristische Entwickelung ein, andererseits durch 
den intensiven Ausfall d.r sog. Cholerareaction mit reiner Schwefel¬ 
säure. — Beides bleibt aus, wenn man zum Ueberirapfen auf Ge¬ 
latine resp. zur Anstellung der Cholerareaction die mit der desin- 
ficirten Probe geimpfte Peptonlösung nimmt. 

Die conservirendeu und desinficirenden Eigenschaften des Chloro¬ 
forms resp. des Chloroformwassers lassen sich in mannichfaltiger 
Weise verwertben. 

1. In der Laboratoriumstechnik zur Conservirung von Harn, 
von Harnstofflösung, die zur Titerstellung der Quecksilberlösung 
dienen, von titrirten Oxalsäurelösungen 1 ) etc., von wässerigen Fer¬ 
mentlösungen aller Art, von pathologischen, eiweisshaltigen Flüssig¬ 
keiten (mit Ausnahme von Blut, das allmählich gerinnt; eine 
geringe Eiweissausscheidung tritt auch bei Transsudaten ein), von 
Gewebsauszügen und Extracten, die man aus irgend einem Grunde 
.vor Eintrocknen resp. Fäulniss schützen will, zur Anstellung von 
Verdauungsversuchen, namentlich mit Trypsin u. s. w. Nach dieser 
Richtung hin wird von dem Chloroform in dem unter meiner Lei¬ 
tung stehenden Laboratorium seit längerer Zeit ein umfangreicher 
Gebrauch gemacht. Kein Antisepticum leistet hierbei auch nur an¬ 
nähernd dasselbe, bei keinem finden sich soviel günstige Eigen¬ 
schaften vereinigt, vor Allem die wichtige Eigenschaft der Flüchtig¬ 
keit, welche die Entfernung des Chloroforms, wenn sie erforderlich, 
durch Erhitzen oder einen Luftstrom resp. durch beides zugleich 
gestattet, und die grosse chemische Indifferenz des Chloroforms. 
Die Sterilisirung durch Erhitzen kann hier durchaus nicht an die 
Stelle treten, weil die Erhitzung Fermente vernichtet, Eiweiss zur 
Gerinnung bringt, ja selbst Harnstoff zersetzt und im Harn Aus¬ 
fällung von Phosphaten, somit für die Untersuchung sehr störende 
Veränderungen bedingt. — Die Vortheile, die man beispielsweise 


‘) Jedoch nicht für die Zwecke der Wasseranalyse; in diesem Falle 
gebe ich der Oxalsäurelösung einen Oehalt an Schwefelsäure von 50 ccin auf 
1 Liier; sie erhält ihren Titer dann ganz unverändert. 


No. 16 


durch Conserviren von Harn in Versuchsreihen erreicht, sind durch¬ 
aus nicht zu unterschätzen; man ist dadurch in den Stand gesetzt, 
auffallende Versuchsergebnisse, die sich oft erst beim Ueberblicketi 
der ganzen Versuchsreihe herausstellen, jederzeit aufs Neue zu con- 
trolliren. — Nur in den seltensten Fällen dürfte hier die Anwendung 
des Chloroforms contraindicirt sein. 

Um die Conservirung zu bewirken, braucht mau nur die be¬ 
treffende Flüssigkeit mit einem kleinen Ueberschuss von Chloroform 
zu schütteln (also etwas mehr als 5 ccm auf 1 1) und in einer ver¬ 
schlossenen Flasche aufzubewahren. Der Erfolg ist ganz sicher, 
wenn das betreffende Material nicht schon inficirt war; ist es schon 
iuficirt, so können gewisse Zersetzungen weitergehen. Haru z. B. 
kann eine weitere Zersetzung von Harnstoff zeigen, weil diese durch 
ein von den Bakterien producirtes, aber lösliches und daher der 
Wirkung des Chloroforms nicht unterliegendes Harnstoffferment be¬ 
wirkt wird. Selbstverständlich kanu das Chloroform die Erhitzung 
nicht ersetzen, wenn es sich um Zerstörung aller Fermente, auch der 
löslichen, handelt. 

An Stelle von Glycerin lässt sich ferner Chloroformwasser zur 
Darstellung vou absolut haltbaren Fermentlösungen (Pepsin, Trypsin, 
Invertin) benutzen. Die Gegenwart einer kleinen Quantität Chloro¬ 
form beeinträchtigt die Wirksamkeit durchaus nicht, es lässt sich 
aber auch vor der Anwendung mit leichter Mühe durch einen Luft¬ 
strom beseitigen. 

Auch in der pharmaceutischen Technik wird man vielfach von 
dem Chloroform wasser resp. dem Chloroform unter Schütteln vor- 
theilhafte Anwendung machen können. 

2. Sehr geeignet erscheint das Chloroformwasser auch zur Auf¬ 
bewahrung nicht zu umfangreicher anatomischer Präparate. Abge¬ 
sehen von dem Uebertritt von Blutfarbstoff in das Ch loroform wasser 
ist die Conservirung eine sehr gute, auch die Beweglichkeit der Ge¬ 
lenke (an Extremitäten von Kaninchen) bleibt erhalten. 

An die Stelle des Chloroformwassers kann in diesem Falle auch 
die freie Aufhängung in Chloroformdampf treten. Es genügt hier¬ 
zu, wenn man auf den Boden des Glases eine Anzahl mit Chloro¬ 
form gut getränkter, etwa wallnussgrosser Stücke Bimstein legt. 
Stücke Fleisch von etwa 7 2 Kilo Gewicht haben sich so seit dem 

3. October 1887 in gut verschlossenen Gläsern ohne Fäulniss ge¬ 
halten, nur eine bräunliche Farbe angenommen. Uebrigens sind 
diese Versuche nicht abgeschlossen, es liegt auch ganz ausserhalb 
meines Interessenkreises, sie weiter zu verfolgen. 

Bei einer weiteren Verfolgung der Sache wird es sich vor Allem 
darum handeln, den störenden Uebertritt von Blutfarbstoff in die 
Flüssigkeit zu vermeiden. Dies könnte vielleicht durch vorheriges 
kurzdauerndes Einlegen in starken Alkohol geschehen. Auch eine 
Combination der von Grawitz angegebenen Conservirungsflüssigkeit 
mit Chloroform möchte sich vortheilhaft erweisen, ebenso Mischungen 
von Alkohol und Chloroformwasser. 

3. Was die Anwendung zu Heilzwecken betrifft, so kann ich 
nur auf einzelne Möglichkeiten hinweisen. Man könnte an die Ste¬ 
rilisirung der zu subcutanen Iujectionen benutzten Lösungen denkeu, 
wiewohl dagegen spricht, dass das Chloroformwasser auf Sporen 
nicht einwirkt. Die irritirende Wirkung des Chloroformwassers scheint 
nicht zu stark zu sein, wenigstens wird es von Thieren subcutan 
gut vertragen. Auch die innerliche Anwendung des Chloroform¬ 
wassers wäre wohl des Versuches werth, da wir an wirklich wirk¬ 
samen und anwendbaren Mitteln zur Desinfection des Darmcanals 
bekanntlich keinen Ueberfluss haben. Wenn man von Versuchen 
an Thieren Rückschlüsse machen kann, so werden recht erhebliche 
Quantitäten Chloroformwasser ohne Schädigung vertragen; so erhielt 
ein Hund von 36,8 k Körpergewicht 4 Tage hintereinander je 200 ccm 
Chloroformwasser mit dem Futter, ohne dass sich seine Fresslust ver¬ 
minderte etc., ein Kaninchen von 2 k 20 ccm pro Tag. Selbstver¬ 
ständlich wären zu therapeutischen Zwecken zuerst kleine Dosen und 
Verdünnungen auf die Hälfte zu versuchen. Bei der energischen 
Einwirkung des Chloroformwassers auf die Cholerabacillen wäre ein 
solcher Versuch namentlich bei der Cholera wohl gerechtfertigt. 

Nur unter Ausnahmeverhältnissen wäre an eine Verwerthung 
des Chloroformwassers als äusserliches Antisepticum zu denken, in¬ 
dessen möchte es unter Ausnahmeverhältnissen von Werth sein, 
wenn man die Thatsache im Auge behält, dass man in dem fast 
stets zur Hand befindlichen Chloroform im Nothfall auch ein, wenn 
auch nicht hervorragend starkes, Antisepticum und Desinficiens be¬ 
sitzt. Die ausserordentliche Leichtigkeit der Herstellung des Chloro¬ 
formwassers durch einfaches Durchschütteln von Wasser mit etwas 
Chloroform begünstigt diese Anwendung, die Flüchtigkeit des Chloro¬ 
forms setzt ihr freilich eine Grenze. In sehr vielen Fällen ist auf 
den Verbleib einer gewissen Quantität des Desinficiens am Ort der 
Application Werth zu legen, davon ist beim Chloroform in der Regel 
nicht die Rede, weil es abdunstet. 

Als zweckmässig erscheinende Anwendung möchte ich noch die 
als Mundwasser erwähnen (mit dem gleichen Volum Wasser ver- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


311 


19. April. 

dünnt), im Uebrigeu kann cs natürlich nicht meine Aufgabe sein, 
die Fälle, in denen die Anwendung des Chloroformwassers zu Heil¬ 
zwecken innerlich oder äusserlich oder zu pharmaceutischen Zwecken etc. 
von Nutzen sein könnte, zu eruiren. Ebensowenig betrachte ich es 
als meine Aufgabe.' die Wirkung des Chloroform wassere auf eine 
grössere Zahl pathogener und nicht pathogener Bakterien zu er¬ 
forschen, meine Absicht war es, an der Hand der raitgetheilten 
Beobachtungen auf dieses übersehene Antisepticum hinzuweisen und 
zur Prüfung desselben nach den verschiedensten Richtungen anzu¬ 
regen. 

II. Die BefrucMungserscheinungen am Ei 
von Ascaris megalocephala.') 

Von Dr. Otto Zacharias zu Hirschberg i/Schl. 

In einer Epoche, die noch gar nicht weit hinter uns liegt, be¬ 
trachtete man den Vorgang der Befruchtung als einen chemisch- 
physikalischen Process. Und zwar dachte man sich die Sache so, 
dass das in die Dottermasse des Eies eindringende Samenkörperchen 
gewisse moleculare Veränderungen in derselben hervorbringe, die 
schliesslich zum Aufbau eines neuen Wesens mit derselben Noth- 
wendigkeit führen müssten, wie aus der Vermischung verschiedener 
Substanzen unter gewissen Umständen eine neue chemische Ver¬ 
bindung resultirt. Daneben gab es andere Forscher, die sich den 
Befruchtungsprocess nach Analogie der Ferraentwirkung vorstellten, 
die also in dem Spermatozoon eine Art von Gährungserreger er¬ 
blickten, der die übrigen Entwickelungserscheinungen einzuleiten 
vermöge. Die Anhänger der beiden Theorieen waren der Ansicht, 
dass das männliche Befruchtungselement als solches im Ei unter¬ 
gehe. dass es sich auflöse, mit dem Dotter vermische und als ge¬ 
formter Bestandteil keinerlei Rolle mehr spiele. 

Dieser Standpunkt entsprach genau der bis dahin erreichten 
Leistungsfähigkeit unserer optischen Hülfsmittel und der damaligen 
Unvollkommenheit der jetzt zu so hoher Ausbildung gelangten 
Färbungsmethoden. Mit den Fortschritten in jeder dieser beiden 
Beziehungen haben sich auch unsere wissenschaftlichen Ansichten 
über das Wesen des Befruchtungsvorganges umgestaltet Wir wissen 
heutzutage mit völliger Bestimmtheit, dass es sich bei der Befruchtung 
nicht bloss um eine chemisch-physikalische Einwirkung von Seiten 
des eingedrungenen Spermatozoons handelt, sondern gleichzeitig auch 
um einen morphologischen Vorgang, welcher darin seinen Ausdruck 
findet, dass sich geformte Bestandteile (Derivate) des Eikerns einer¬ 
seits und solche des Samenkörpers andererseits materiell miteinander 
verbinden. Hierdurch gelangt ein einheitliches kernartiges Gebilde 
zur Entstehung, welches hergebrachtermaassen als „Furchungskern“ 
bezeichnet wird. Letzterer ist also das Product einer innigen Ver¬ 
schmelzung von männlicher und weiblicher Kernsubstanz, woraus 
(wenn auch nur im allgemeinen!) begreiflich wird, dass der amphi- 
gonisch erzeugte Nachkomme von beiden Eltern gleich viel in körper¬ 
licher und geistiger Hinsicht zu ererben im Stande ist. 

Es hat der angestrengten Beobachtungsthätigkeit einer ganzen 
Auzahl von ausserordentlich befähigten Männern bedurft, um die 
Befruchtungslehre auf diese Grundlage zu stellen. Die Verdienste 
L. Auerbach’s, der in seinen „Organologischen Studien“ (1874) 
als einer der ersten den richtigen Weg betrat, können dabei nicht 
hoch genug angeschlagen werden. In der Folge sind es uebeu 
vielen anderen werthvollen Untersuchungen die ausgezeichneten Ar¬ 
beiten von Bütschli, Fol, van Beneden, Hertwig, Flemming, 
Stras.burger und Selenka gewesen, welche uns zu einer tieferen 
Einsicht in die feineren Vorgänge beim Befruchtungsacte verholfen 
haben. 

Die von Oskar Hertwig schon 1875 klar forraulirte Be¬ 
fruchtungslehre lässt sich ganz kurz in dem Satze aussprechen: 
dass es bei der Befruchtung auf die Verschmelzung, resp. die innige 
Vereinigung von materiellen Bestandteilen ankommt, welche in 
letzter Instanz auf die Kernsubstanzen der beiden copulirendeu 
Geschlechtszellen (Ei und Samenkörper) zurückzuführen sind. 
Flemming hat diese These später dahin präcisirt, dass es das 
Chromatin, die Nucleinkörper eines männlichen und weiblichen Kern¬ 
gebildes seien, welche sich im Befruchtungsacte zum Furchungskern 
miteinander verbinden. 

Wie der Leser sieht, wird in diesen Sätzen Nachdruck auf den 
Umstand gelegt, dass eine Fusion zwischen den chromatischen Sub¬ 
stanzen männlicher und weiblicher Provenienz stattfindet. Es ge¬ 
schieht dies darum, weil eine solche Verschmelzung am Echiniden- 

*) Obigen Aufsatz aus Nr. 2G des „Anatom. Anzeigers“ publiciren wir nach 
oingebolter Krlaubniss des Autors seines principiell wichtigen Inhalts wegen. 
Die von van Beneden, Carnoy, Nussbaura, Zacharias und Boveri 
neuerdings am Ei des Pferdespulwurms angestellten Beobachtungen sind ge¬ 
eignet, unsere bisherigen Begriffe vom Befruchtungsvorgange in bedeutsamer 
Weise zu erweitern, event. zu berichtigen. Die Redaction. 


und Asteriden-Ei thatsächlich beobachtet worden ist, uud weil, wie 
schon oben betont wurde, die Vererbungserscbeioungen sich besser 
verstehen lassen, wenn man den Embryo aus einer Initialzelle her¬ 
vorgehend sich denkt, welche in ihrem Kern die elterlichen Keim¬ 
substanzen in innigster Durchmischung enthält. 

Ausser der klar beobachteten Thatsache der Fusion selbst ist 
es also auch noch ein theoretisches Moment, welches uns die Hert- 
wig’sche Lehre annehmbar macht und als die Quintessenz dessen 
erscheinen lässt, was die Wissenschaft zur Zeit über das Wesen des 
Befruchtungsvorganges zu enthüllen vermag. 

Da trat (April 1884) Ed. van Beneden mit seinen Unter¬ 
suchungen über die Eireifung, die Befruchtung und die Zelltheilung 
hervor und unternahm es, durch seine Beobachtungen am Ei des 
Pferdespulwurms (Ascaris megalocephala) den Beweis zu führen, 
dass bei der Befruchtung desselben keine Verschmelzung der männ¬ 
lichen und weiblichen Kernbestandtheile im Sinne 0. Hertwig’s 
zu constatiren sei. 

Hat sich nach Ausstossung des ersten und zweiten Richtungs¬ 
körpere der weibliche Vorkern in der bekannten, aber schwierig zu 
schildernden Weise constituirt, und ist der chromatische Bestand¬ 
teil des Spermatozoons ebenfalls zu einem Pronucleus herangereift, 
so sind alle Bedingungen für den Eintritt des Furchungsprocesses 
erfüllt: die Eizelle schickt sich zur Theilung an, ohne dass zuvor 
eine Verschmelzung der beiden Vorkerne stattgefunden 
hat. Und zwar geht die Theilung — ich reproducire hier immer 
die Beschreibung van Beneden’s — dergestalt vor sich, dass jeder 
der beiden distinct gebliebenen Pronuclei für sich ein Faden¬ 
schleifen - Paar bildet, nach deren Anordnung zu einem einheit¬ 
lichen Mutteretern (Figure dicentrique) die Mitose des Eies genau 
nach demselben Schema abläuft, welches wir bei der Karyokinese 
von Gewebszellen zur Genüge beobachtet und in allen seinen Einzel¬ 
heiten kennen gelernt haben. 

Auf Grund dieser (nach van Beneden’s Ansicht) unbestreit¬ 
bar richtigen Thatsachen musste man nothwendig zu dem Schluss- 
ergebniss gelangen, dass 0. Hertwig etwas für den Befruchtungs¬ 
act ganz Unwesentliches, nämlich die materielle Vereinigung der 
beiden Geschlechtskerne, für die Hauptsache dabei gehalten habe, 
wogegen es sich nun (die van Beneden’schen Beobachtungen als 
vollkommen richtig vorausgesetzt) herausgestellt hätte, dass es ledig¬ 
lich die Heranreifung der Pronuclei innerhalb des Eies sei, was 
dieses letztere zur Mitose und damit zur Erfüllung seiner übrigen 
biogenetischen Aufgaben befähige. 

Es ist nicht zu leugnen, dass die ganze bisherige Befruchtungs¬ 
lehre und die sich daran knüpfende Vererbungstheorie in der Luft 
schwebt, solange wir nicht in der Lage sind, zu entscheiden: ob 
Prof. Ed. van Beneden mit seinen Wahrnehmungen am Ascaris- 
Ei Recht hat oder nicht. 

Von dem Wunsche beseelt, mir hierüber Klarheit zu verschaffen, 
entschloss ich mich zu eigenen Studien über das Ascaris-Ei. Ich 
habe diesem Object ein volles Jahr Zeit gewidmet und meine 
Beobachtungsresultate vor kurzem im 30. Bande des „Archivs für 
mikroskopische Anatomie“ unter dem Titel „Neue Untersuchungen 
über die Copulation der Geschlechtsproducte und den Befruchtungs¬ 
vorgang bei Ascaris megalocephala“ veröffentlicht. 

Ich bediente mich zur Präparation meines Untereuchungs- 
materials einer anderen Methode als der Lütticher Forscher. Mein 
Verfahren habe ich in No. 1 des „Anatom. Anzeigers“ (1888) aus¬ 
führlich publicirt; hier beschränke ich mich auf die Mittheilung, 
dass es ein Säurengemisch ist, welches in Verbindung mit starkem 
Alkohol und Chloroform zur Anwendung kommt. Ich erhielt damit 
unter Beihülfe der Karmiutinction sehr schöne und auch ziemlich 
dauerhafte Präparate. 

Auf Grund meiner eigenen Untersuchungen bin ich zu der 
Ueberzeugung gelangt, dass die am Ascaris-Ei zu beobachtenden 
Vorgänge die Hertwig’scbe Befruchtungslehre nicht zu erschüttern 
vermögen. Es ist lediglich der zwiefache Modus, nach welchem 
sich — meinen Beobachtungen zufolge — die männliche und weibliche 
Chroraatinsub8tanz bei Ascaris megalocephala miteinander verbinden 
kann, was zu der Meinung Anlass gegeben hat, dass in dem eineu 
der beiden Fälle überhaupt keine Verschmelzung im Sinne der 
Hertwig’sehen Theorie eintrete. 

Früher (1884) ist von Prof, van Beneden die Behauptung 
ausgesprochen worden (vergl. Recherches etc. p. 309), dass es 
höchstens zu einer Berührung (accolement), aber niemals zu einer 
Verschmelzung (fusion) der beiden Pronuclei bei Ascaris megaloce¬ 
phala komme. Und von jener oberflächlichen Vereinigung (union), 
welche das Wort accolement bezeichnet, sagt der Lütticher Forscher 
wörtlich: „eile n’entraine pas une fusion; on ne peut douc lui 
accorder aucune valeur principielle: les deux pronucleus ne se 
confondent jamais“. 

Klarer und bestimmter kanu das Vorkommen einer wirklichen 
Verschmelzung der Geschlechtskerue nicht in Abrede gestellt werden. 


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319 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 16 


Iu neuester Zeit scheint Herr van Beueden die unbeschränkte 
Gültigkeit jener obigen Behauptung nicht mehr aufrecht zu erhalten. 
Denn wir lesen in eiuer soeben erschienenen Abhandlung des ge¬ 
nannten Forschers (Nouvelles Recherches sur la Fecondatiou et la 
Division mitosique chez l’Ascaride megalocephale, Bruxelles 1887) 
auf p. 32 zu unserer Ueberraschung den Satz: „que dans certains 
oeufs les pronucleus s’accolent Tun ä l’autre, pour donner 
naissance ä un noyau unique“. Weiterhin veranschlagt Herr 
van Beneden das Vorkommen solcher conjugirter Kerne auf 2 
bis 3 pro Hundert Ascaris-Eier. Aus dieser Seltenheit ihres Auf¬ 
tretens schliesst der Verfasser der Nouvelles Recherches, dass es 
sich dabei um ganz bedeutungslose Ausnahmefälle handele. Bei 
der weitaus grössten Mehrzahl der Eier finde keine Fusion der 
Pronuclei statt. 

Hierauf habe ich Einiges zu erwidern. Zunächst urgire ich den 
Hauptpunkt, der im Hinblicke auf die Frage, welche wir hier discutiren, 
nicht aus den Augen verloren werden darf. Es ist dies der von seiten 
Prof, van Beneden’s'jetzt eingeräumte Umstand, dass eine Ver¬ 
schmelzung der Pronuclei bei Ascaris megalocephala 
nachweislich vorkoramt. Die Richtigkeit der obigen Statistik von 
3 Proceut bestreite ich auf Grund der Wahrnehmung, dass in 
manchen Präparaten sicher viel mehr, manchmal sogar die kleinere 
Hälfte der Eier wirkliche „Furchungskerne“, d. h. solche, die aus 
der Verschmelzung der beiden Pronuclei hervorgegangen sind, zeigt. 
Ich müsste bezüglich solcher Präparate den Procentsatz von 3 auf 
mindestens 30 erhöheu, um den Thatsachen gerecht zu werden. 
Indessen muss ich zugestehen, dass man häufig solche Ver¬ 
schmelzungsstadien vergeblich sucht. Es scheint dann wirklich so, 
als ob eine Fusion vollständig ausbleiben .könne, und als ob jeder 
Vorkeru für sich ein chromatisches Schleifenpaar ausbilde, um 
später mit seinem Partner zusammen die erste mitotische Figur zu 
constituiren, ohne dass vorher eine Verschmelzung (wie sie die 
Hertwig’sche Theorie postulirt) stattgefunden hat. 

Das ist der Befund, der von Prof, van Beneden gegen die 
herrschende Befruchtungslehre in’s Feld geführt wird, und in der 
That liegt hier eine Schwierigkeit ernster Art vor, deren Gewicht 
von Niemand verkannt werden kann. 

Meine Untersuchung, deren Resultate ich in der oben citirten 
Fachzeitschrift publicirt habe, war nun (der Hauptsache nach) da¬ 
rauf gerichtet, die Natur derjenigen „Vorkerne“ näher zu erforschen, 
zwischen denen in der Folge keine Conjugation eintritt. Es stiegen 
mir von vornherein Zweifel darüber auf, ob diese Kerngebilde — 
trotz ihrer frappanten Aehnlichkeit mit den notorischen Vorkernen 
— Pronuclei im gewöhnlichen Verstände dieses Wortes seien. Ich 
glaube jetzt auf Grund einer eingehenden Untersuchung behaupten 
zu können, dass ihnen eine andere Bedeutung zukoramt, nämlich 
die von bereits coujugirten Kernen. Ich erhielt durch meine Prä¬ 
parate den Eindruck, dass eine Verschmelzung der männlichen und 
weiblichen Chromatinsubstanz schon viel früher stattfinden kann, 
als bis das Vorkern-Stadium von seiten beider Geschlechtselemente 
erreicht ist. Eine Fusion kann, meinen Beobachtungen nach, schon 
gleich nach Ausstossung des 2. Richtungskörpers eintreten, wo in¬ 
folge eines eigenthümlichen Verhaltens, welches ich Keimdualis¬ 
mus genannt habe, die färbbare Substanz des Spermatozoons so¬ 
wohl als auch der im Ei zurückbleibende Rest des weiblichen 
Chromatins in zwei distincte Hälften zerfallen erscheint. Die Ver¬ 
schmelzung findet dann aber nicht zwischen den beiden halbirten 
Chromatinportionen in toto statt, sondern iu der Weise, dass sich 
je eine Hälfte des männlichen Antheils mit je eiuer Hälfte 
des weiblichen verbindet, wodurch zu gleicher Zeit zwei 
eonjugirte Kerne ihre Entstehung nehmen, die in ihrem 
äusserem Ansehen durch nichts von den gewöhnlichen Vorkernen 
zu unterscheiden sind. Von diesen Halbkernen wird es dann be¬ 
greiflich, dass sie zwar keine Verschmelzung miteinander eingehen, 
aber doch in allen übrigen Functionen sich so benehmen, dass sie 
eine physiologische Einheit bilden, die genau iu derselben Weise 
karyokinetisch wirksam ist wie ein gewöhnlicher Furchungskern. 

Die Tragweite dieses Beobachtungsergebnisses wird von jedem 
Biologen anerkannt werden müssen, der das Gewicht der van 
Beneden’sehen Einwände gegen die von Hertwig aufgestellte 
Befruchtungslehre vollständig gewürdigt hat. Zunächst erscheint 
diese Lehre noch vollkommen unerschüttert, und ich zweifle nicht 
daran, dass sie es ihrem Priucip nach auch bleiben wird. 

Herr Prof, van Beneden stellt die Richtigkeit meiner Gnter- 
xuchungsresultate iu seiner neuesten Abhandlung in Frage. Ich be¬ 
finde mich vor der Hand in derselben Lage betreffs der seiuigen, 
soweit dabei der Befruchtungsact vou Ascaris megalocephala in 
Betracht kommt. Ich werde bemüht sein, das, was ich gefunden 
zu haben glaube, nochmals aufs peinlichste uachzuprüfen, und 
nicht verfehlen, das Resultat dieser Nachprüfung seinerzeit zu ver¬ 
öffentlichen. 


III. Selbsthaltendes GlüMicM mit selbst¬ 
haltendem Speculum für gynäkologisch- 
diagnostische Zwecke. 

Von Dr. Livins Fürst, Docent au der Universität Leipzig. 

Die Versuche einer künstlichen Beleuchtung der inneren Geni¬ 
talien zu gynäkologisch-diagnostischen Zwecken sind schon über ein 
Vierteljahrhundert alt. Dennoch waren sie bis vor Kurzem nicht 
über das Stadium vereinzelter Vorschläge hinausgekommen, obgleich 
es auf der Hand lag, dass die Unabhängigkeit von der oft recht un¬ 
genügenden natürlichen Beleuchtung ein grosser Vortheil seiu 
musste. Hätte man immer und überall diffuses, helles Tageslicht 
zu seiner Verfügung, könnte man zu jeder Untersuchung einer Frau 
mittelst Speculum einen Untersuchungstisch oder -Stuhl von 
passender Höhe benutzen, welcher ein correctes Einfallen des 
Tageslichtes gestattet, so würde man überhaupt zu keinem Notb- 
behelf gedrängt sein. 

Thatsächlich aber liegen, wie jeder Fachkundige weiss, die 
Verhältnisse nicht so günstig. Oft genug muss man sich in klini¬ 
schen, noch häufiger in privaten Verhältnissen mit sehr ungünstiger 
Stellung und höchst unvollkommener natürlicher Beleuchtung be¬ 
gnügen. Ungenügende Untersuchungsmittel beeinträchtigen aber 
stets die Exactheit der Diagnose. Die Schärfe der letzteren hängt 
zwar zunächst vou der Feinheit des Fingergefühls und von der 
Sicherheit der Palpation ab, jedoch nicht weniger von den optischen 
Bedingungen, unter welchen die Besichtigung der dem Auge zugän¬ 
gigen Theile erfolgt. Ja manche Eigenschaften, wie die Farbe der 
Schleimhaut und Secretion, die feineren Veränderungen der Portio- 
Gewebe lassen sich überhaupt nur durch Inspection feststellen. Die 
für diese nothwendigen Vorbedingungen sind allerdings am Voll¬ 
kommensten in dem diffusen Tageslicht geboten, sobald dasselbe 
frei von Reflexen durch den Canal des Mutterspiegels direkt auf die 
zu uutersuchenden Organtheile fallen kann. Je heller und je 
weniger abgelenkt es das Gesichtsfeld trifft, desto unveränderter und 
schärfer erscheinen uns die kleinsten, klinisch wichtigen Nüauceu, 
die unbedeutendsten Niveauveränderungen, Wucherungen und Ero¬ 
sionen, die verschiedenen Abstufungen der Hyperämie und Exsu¬ 
dation u. s. w. So unersetzlich das Tageslicht ist, so werthvoll 
wird das künstliche, wenn es einen Grad von Vollkommenheit er¬ 
langt hat, für Ausnahmefälle sein. Man darf behaupten, dass die 
eingehende Besichtigung, die unter keinen Umständen unterbleiben 
soll, eine sehr nothwendige Ergänzung des gründlichen, eventuell 
durch Narkose erleichterten Austastens bildet, und dass Alles, was 
die Ocularinspection erleichtert, zu dem gynäkologischen Apparat 
herangezogen zu werden verdient. 

Die Vorzüge einer guten künstlichen Beleuchtung bestehen in 
der Hauptsache darin, dass der untersuchende Arzt von dem 
Sonnenlicht sich ebenso unabhängig macht, wie etwa der Photo¬ 
graph und der Demonstrator mit dem Projectionsapparat durch das 
Kalklächt. Trübes Tageslicht, das zumal im Winter oft so hinder¬ 
lich ist, spielt, wenn man über künstliche Beleuchtung verfügt, ebenso 
wenig eine Rolle, wie die Tageszeit überhaupt. Werden auch die 
Untersuchungen und therapeutischen Manipulationen meist bei Tage 
vorgenommen, so ist es doch unter Umständen sehr erwünscht, auch 
über andere Stunden zu solchem Zweck frei verfügen zu köunen. 

In den Strassen grösserer Städte muss man selbst nicht selten 
dem Tageslicht den freien Eintritt — der Bewohner gegenüber¬ 
liegender Häuser wegen — durch Vorhänge und dergleichen er¬ 
schweren. Hierdurch wird die Lichtmenge so abgeschwächt, dass 
man selbst bei Tage kein schönes Bild der Vaginalportion erhält. 
Auch in solchen Fällen gewährt eine künstliche Beleuchtung dem 
Gynäkologen grössere Unabhängigkeit. 

Zuweilen ist es die Situation des Zimmers oder die Stellung 
des Bettes, die überhaupt die Benutzung von Tageslicht unmöglich 
machen. Alle Eingriffe, bei denen man des Auges nicht gut ent¬ 
behren kann, sind dann bisweilen mit recht erheblichen Schwierig¬ 
keiten verbunden. Ich erinnere nur an das Tupfen, die Pinselungen 
und Aetzungeti, an das Abkratzen und Scarificiren, an die Benutzung 
der PIayfair’schen Sonde und dergleichen. Alles dies lässt sieh 
viel aceurater uud gründlicher vornehmen, wenn man das betreffende 
Gebiet ganz genau übersehen kann. Zweifellos ist es ein gewisser 
Vortheil für die Behandlung, zumal in ärmeren Volkskreisen, auch 
in einem vom Tageslichte spärlich versorgten Raume oder auf einem 
Lager, das sich nicht nach dem Fenster richten lässt, in der Aus¬ 
übung gynäkologischer Technicismen unbehindert zu sein. 

Die Frage, welchen Anforderungen überhaupt eine künstliche 
Beleuchtung der weiblichen Sexualorgane zu entsprechen, welche 
Bedingungen sie zu erfüllen hat, ist unschwer zu beantworten. Auf 
folgende Punkte kommt es dabei an: 

a) Das Licht muss intensiv hell, längere Zeit gleichmässig uud 
zuverlässig, sowie neutral (weiss), also möglichst dem Tageslicht 


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19. April. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 313 


ähnlich sein. Flackerndes, unregelmässiges, gelb oder röthlich ge¬ 
färbtes Licht und eine Beleuchtung, welche durch Reflexe beein¬ 
trächtigt ist, stört nicht nur die Beobachtung, anstatt sie zu fördern, 
sondern sie macht auch den Befund leicht zu einem unrichtigen. 

b) Die Lichtquelle muss sich zwischen dem Auge des Beobachters 
und dem Object befinden. Die ausserhalb dieser Gesichtslinie seit¬ 
lich einfallenden Lichtstrahlen kommen zum Theil nur reflectirt zur 
Portio, zum Theil treffen sie dieselbe schräg. Hierdurch aber ent¬ 
stehen Farbenveränderungen und Schatten, welche nicht der Wirk¬ 
lichkeit entsprechen. 

c) Die Lichtquelle muss in Verbindung mit den üblichen, 
überall vorhandenen röhrenförmigen Mutterspiegeln zu benutzen 
sein, wenn sie weitere Verbreitung finden soll. Eine Vermehrung 
und Complicirung des gynäkologischen Apparates durch etwaige 
neue Specula muss ausgeschlossen bleiben. Die Lichtquelle muss 
sich leicht an bringen und entfernen lassen. 

d) Innerhalb des Speculums darf die Lichtquelle nur einen 
ganz geringen Raum einnehmen. Würde sie einen grossen Theil 
dieses Lumens verdecken, so bliebe für Auge, Hand und Instrumente 
zu wenig Platz, und der Zweck wäre verfehlt. Dieser besteht aber 
gerade darin, dass das Gesichtsfeld frei gelassen und jede Art von 
Manipulationen unbehindert ist. Wegen der Richtung der Instru¬ 
mente, des Entfernens von Secret und des Abströmens von Blut 
ist es am besten, wenn die Lichtquelle sich dicht an der oberen 
Wand des Speculum befindet. 

e) Das Auge des Beobachters darf von der Lichtquelle nicht 
geblendet werden, damit es zur Beobachtung tauglich bleibt. Ein 
entsprechend kleiner Reflector zwischen Auge uud Lichtquelle, der 
ersterem Schutz gewährt und letztere verstärkt, ist unentbehrlich. 

f) Die Lichtquelle muss sich selbst halten, d. h. sich so be¬ 
festigen lassen, dass beide Hände des Arztes frei und verfügbar 
bleiben. Da eine Assistenz in vielen Fällen unthunlich, unerwünscht 
und entbehrlich ist, muss es entweder der Patientin möglich 
bleiben, das Speculum selbst zu halten, oder man wird sich gleich¬ 
zeitig eines selbsthaltenden Speculums zu bedienen haben. 

g) Die Lichtquelle darf keine zu hochgradige Erwärmuug des 
Speculums und der Genitalien bewirken. 

h) Die Lichtquelle muss leicht transportabel und deshalb von 
geringem Umfange sein. 

i) Etwa beschädigte oder versagende Theile müssen sich leicht 
durch gute ersetzen lassen. 

Die bisher übliche künstliche Beleuchtung hat diesen Anfor¬ 
derungen nicht oder nur unvollkommen entsprochen. Am aller¬ 
wenigsten brauchbar ist natürlich eine Lampe oder ein Licht, welche 
der Arzt sich selbst vor das Speculum hält oder sich hinhalten 
lässt, selbst w'enn es, wie die im Cataloge von Windler (Berlin) 
unter No. 1514 und 1516 angegebenen Vorrichtungen (letztere nach 
Burow) mit Reflector versehen ist. Ploss (Leipzig) scheint der 
erste gewesen zu sein, welcher (1859 u. 60) besonders für den 
Privatarzt eine künstliche Beleuchtung als „höchst wünschenswerth“ 
bezeichnet hat. 1 ) Er sprach in seinen Vorträgen in der Gesellschaft 
für Geburtshülfe nicht nur die Idee aus, sondern machte auch ganz 
bestimmte Vorschläge. Da ihm die früher benutzten, aber bald 
wieder verlassenen „Bozzini’schen Lichtleiter“ nicht genügten, 
modificirte er für die Genitalinspection Klaunig’s biconvexen, per- 
forirten, auf der Rückseite amalgamirten Ohrenspiegel, der seitliches 
Lampenlicht in das Speculum warf. Er schaffte sich hierdurch, 
zumal bei Einhaltung einer Brennweite von 7—10 Zoll „Licht auf 
dunklem Scheidengrunde“. Die Perforation dieses Spiegels hielt 
er, bei einiger Uebung, für entbehrlich. Freilich musste er zuge¬ 
stehen, dass, wenn auch das Licht scharf und intensiv war, die 
Farbe des beleuchteten Gegenstandes Modificationen erfuhr. 

Als vergrössernden Hülfsapparat versuchte Ploss eine verschieb¬ 
bare Loupe (nach Dawoski), aber ohne rechten Erfolg, da sich 
dieselbe nur für direktes Tageslicht verwenden liess, und eine ge¬ 
nügende Annäherung des Auges an die Loupe uicht möglich war. 
Hingegen verwies er auf Brücke’s Perspecti v-Loupe, mit dem 
an der Stirubiude in beweglichem Charnier zu trageudeu Be- 
leuchtungsspiogel, die sich auch bei künstlicher Beleuchtung ge¬ 
brauchen liess, und auf das Perspectiv von Ludwig Türck 
(gefertigt von Plössl). Diese Loupe .sollte hinter das excentrische 
Loch eines concaven Kehlkopfspiegels placirt werden. Er erzielte 
dadurch eine 3—8 fache Vergrösserung. Schliesslich glaubte Ploss, 
dass auch der Apparat für gynäkologische Zwecke verweudbar ge¬ 
macht werdeu könnte, den Fonssagrives (Cherbourg) sich durch 
Th. du Morel hatte anfertigen lassen und der geeiguet schien, „die 

') Ueber einige Hülfsmittel bei der Vaginalinspection. Vorgetragen 
den 20. December 1858, IG. Juli 1860 und 18. Februar 1861. (Monatsschr. 
f. Geburts- u. Frauenkr. 14. Bd. p. 271 und 19. Bd. p. 466.) 

3 ) Ueber einen Beleucbtungsapparat in speeie zu gynäkologischen 
Zwecken. (Yortr. in d. Ges. f. Geburtsh. u. Frauenkrankli. 18. Bd. 
Berlin 1861.) 


Theile aus nächster Nähe zu beleuchten, ohne sie zu erwärmen“. 
Ob das weisse Licht Geissler’scher Röhren, wie sieRuhmkorff 
(Paris) lieferte, für die Beleuchtung der inneren Genitalien wirklich 
Verwendung gefunden hat, ist aus der Abhandlung von Ploss nicht 
ersichtlich. 

Der Zweite, dem wir bei der Lösung der Frage von der künst¬ 
lichen Beleuchtung der Sexualorgane begegnen, ist Tob old (Berlin), 
welcher in Verbindung mit L. Mayer die Methode der Beleuchtung 
durch parabolische Spiegel vorschlug. Dieser Autor erkannte in 
gleicher Weise wie Ploss die Wichtigkeit einer grösseren Licht¬ 
menge behufs gynäkologischer Untersuchung. Er stellte für einen 
solchen Behuf als Bedingung auf, dass der Apparat einen zweck¬ 
mässigen Stand haben müsse, um weder den Arzt zu behiudern, 
noch zu bewirken, dass dieser mit seinem Kopf dem Licht im Wege 
sei. Auch müsse der Apparat mit einer Hand, je nach Stellung 
des Speculum, verstellbar sein. 

Helligkeit und Deutlichkeit sind nach ihm die Haupterforder- 
uisse künstlicher Beleuchtung; erstere sei abhängig von der Licht¬ 
menge, letztere von der exacten Vereinigung der Strahlen. Zur 
inteusiven Beleuchtung einer kleinen Fläche erklärt To bold den para¬ 
bolischen Spiegel für den geeignetsten, während er den bicon¬ 
vexen Spiegel von Ploss wegen seiner zu geringen Lichtmenge als 
unzulänglich bezeichuete. Sphärische Spiegel könnten kein deut¬ 
liches, scharfes Bild bewirken, da nur die nahe der Axe eiufalleu- 
den, parallelen Strahlen in den Brennpunkt reflectirt werden, 
während die Raudstrahlen durch sphärische Spiegel zerstreut würden. 
Anders der parabolische Spiegel, der fast alle vom Brennpunkte 
ausgehenden Lichtstrahlen parallel mit der Axe reflectirt und die 
Helligkeit so bedeutend vermehrt, dass eiu Reflexspiegel ent¬ 
behrlich wird. 

Eiu solcher parabolischer Spiegel hat, nach To bo 1 d, den Vortheil. 
dass er in grösseren Entfernungen (3—6 Fuss), selbst hinter dem 
Arzte, stehen kann. Er befiudet sich beweglich an einem Stativ. 
Als Lichtquelle schlug Tobold eine Rüböl-Moderateurlampe vor. ob¬ 
gleich auch Gas oder Photogen verwendbar seien. 

Diese Angaben erfolgten 2 ! /4 Jahre nach den ersten von Ploss, 
ziemlich gleichzeitig mit dessen 3. Vortrag über dies Thema, so 
dass die Priorität der Idee überhaupt zweifellos Ploss gebührt, 
während allerdings die Tob old’sehen Vorschläge eine nicht un¬ 
wesentliche technische Vervollkommnung darstellen. 

Trotz alledem sind die Vorschläge Beider niemals praktisch 
eingeführt worden. Ebensowenig bleibenden Erfolg scheinen ander¬ 
weite Angaben von Sedgwick, Matthieu und Bonnafond ge¬ 
habt zu haben. Auch dem Coli in’sehen — ursprünglich für 
laryngoskopische Zwecke bestimmten — Beleuchtungsapparat, den 
Win ekel in seinem Lehrbuch citirt, ist es nicht viel besser er¬ 
gangen. Dieser Apparat, von dem mir Herr Instrumentenmacher 
Deicke (Dresden, Johannisgasse) eiu Exemplar zur Verfügung zu 
stellen so gefällig war, ist — wie ziemlich bekannt — ein sehr 
sauber gearbeiteter Reflector, bestehend aus einem mit Schwamm 
gefüllten Benzinlämpchen, aus welchem ein feiner durch Schraube 
regulirbarer Docht in einem Dochtröhrchen emporsteigt. Die 
Flamme mündet in einen kleinen horizontalen Cylinder, welcher 
auf einer Seite durch einen Reflector, auf der anderen durch 
eine biconvexe Linse abgeschlossen ist, während eine oben an¬ 
gebrachte Oeffnung zu einem kleinen Schornsteinaufsatze führt. 
Wie sich ohne Weiteres ergiebt, concentrirt dieser Beleuch¬ 
tungsapparat die Lichtstrahlen in scharfer Weise auf einen be¬ 
stimmten Punkt, in unserem Falle auf die Portio vaginalis, uud da 
er die Lichtquelle in sich selbst trägt, der Beobachter also einer 
äusseren Lichtquelle nicht bedarf, die Beleuchtung auch nach dem 
Auge zu abgeblendet ist, so liegt darin schon eiu nicht geringer 
Fortschritt. Für gynäkologische Zwecke besteht eine Schattenseite 
der Vorrichtung darin, dass der Brennpunkt der nicht in einem 
Tubus verschiebbaren Linse unveränderlich ist, also ein scharfes 
Bild nur dann erreicht wird, wenn die Portio gerade in die Ebene 
des Couvergenzpunktes der Lichtstrahlen zu stehen kommt. Ein 
fernerer Uebelstand ist, dass das Lämpchen gehalten werden muss, 
demnach eine Hand nicht mehr verfügbar bleibt. 

Gerade die Umständlichkeit der künstlichen Beleuchtung und 
die Inanspruchnahme einer Hand des Arztes waren jedenfalls die 
Haupthindernisse für die praktische Einführung der geschilderten 
Beleuchtungsmethoden, und so kam es, dass etwa 25 Jahre dahin¬ 
gingen, ohne dass in dieser Frage eiu Fortschritt zu coostatiren war. 
Mau erkannte zwar den unter Umständen hohen Werth einer guten 
künstlichen Beleuchtung an, betonte aber zugleich, dass sich ihrer 
Einführung Schwierigkeiten cutgegeustellteu. „Alle Beleuchtuugs- 
apparate haben“, wie Schroeder in seinem Handbuche der 
Frauenkrankheiten sagt, „wenig Aussicht auf allgemeinen Gebrauch, 
werden aber in besonderen Fällen zweckmässig sein“. 

Erst der Elektrotechnik, speciell der Erfindung des Glühlichts, 
war es Vorbehalten, die Angelegenheit der künstlichen Beleuchtung 


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314 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 16 


wieder in Fluss zu bringen. Wir sahen, dass die kleinsten von 
Batterieeu oder Accuroulatoren gespeisten Glühlichter, getragen durch 
passende Halter, zur Beleuchtung der verschiedensten Körperhöhlen 
rasch Verwendung und Verbreitung fanden. Es lag sehr nahe, sie 
auch für die Beleuchtung der Portio zu verwenden und so kommt 
es, dass wir in Schroeder’s und Chrobak's Lehrbüchern das 
Glühlicht mit Reflector als den besten Ersatz für das Tageslicht be¬ 
zeichnet finden, ln der That hat das Glühlicht, welches man z. Z. 
bekauntlich in sehr kleinem Format herzustellen vermag, ganz 
ausserordentliche Vorzüge. Man kann es, ohne die Vagina zu er¬ 
hitzen oder sonst zu gefährden, den zu beobachtenden Parthieen 
nahe bringen und erhält, zumal bei gut geblasener Glocke des 
Glühlichts ein gleichmässiges, schön weisses, neutrales Licht von 
solcher Intensität, dass man feine Nüancen mindestens so gut wie 
bei bestem Tageslicht erkennt. 

Ein Missstand schien mir auch hierbei noch der Abhülfe zu 
bedürfen, nämlich die Nothwendigkeit, das Glühlicht selbst halten 
oder von einem Assistenten halten lassen zu müssen. Kann man 
ohne Assistenz untersuchen und arbeiten, so ist dies stets ein Vor¬ 
theil, da man mit der berechtigten Antipathie der Frauen gegen 
die Anwesenheit eines Dritten bei der Untersuchung und bei leichten 
Eingriffen rechnen muss. Wenn man selbst mit einer Hand das 
Glühlicht, mit der anderen das Speculum halten soll, so ist eben 
jede weitere Manipulation unmöglich. Selbst wenn die Frau, wie 
das häufig geschieht, mit eigener Hand das Speculum hält oder 
wenn dem Arzte ein selbsthaltendes Speculum zur Verfügung steht, 
ist doch, sobald er das Glühlicht halten soll, nur eine seiner Hände 
frei und damit eher ein Hinderniss als eine Förderung der gynä¬ 
kologischen Untersuchung gegeben. 

Es galt also 

1. ein selbsthaltendes Glühlicht zu construiren, 

2. es mit selbsthaltendem Speculum zu verbinden, 

um bei jederzeit verfügbarer tagheller Beleuchtung der Portio beide 
Hände zu allen nötbigen Eingriffen frei zu behalten. 

Die erste Aufgabe glaube ich s. Z. durch eine kleine Vor¬ 
richtung, die ich „Glüh lichthalter für Röhren-Speculum“ 
nennen möchte und die ich in der Sitzung der Gesellschaft für 
Geburtshülfe zu Leipzig vom 15. März .1886 demonstrirte, gelöst zu 
haben. 1 ) Dieser Glühlichthalter (Fig. 1) besteht aus einem Messing- 



Flg. 1. Glühllcht-Halter für Röhren-Speculum. 


bügel, welcher sich dem äusseren Rande der üblichen Röhrenspe- 
cula leicht aufsetzen und daran mittelst einer Schraube in wenigen 

') Ich erwähne dies Datum, obwohl ich auf eine etwaige Priorität in 
dieser kleinen Neuerung wenig Gewicht lege, nur deshalb, um darzuthun, 
dass ich meine Idee völlig unabhängig von denen Anderer, die mir unbe¬ 
kannt waren, verwirklicht habe. Erst wesentlich später ersah ich aus No. 40 
des Centralbl. f. Gynäkologie, 1886, dass in No. 1 (1886) der „Illustr. 
Monatsschr. f. ärztl. Polytechnik“ ein Speculum mit Glühlampe 
beschrieben war. Dasselbe ist ein Cylinderspeculum aus Metall oder 
Ebonit, in dessen Lumen eine Glühlampe angebracht ist, welche von der 
Wand des Spiegels durch eine schlecht leitende Substanz getrennt ist, da¬ 
mit die Wärme nicht stört“. Neuerdings ersehe ich aus einem iliustrirten 
Preisverzeichnisse von Chr. Erbe in Tübingen, dass Tcuffel ein 
„Speculum mit elektrischer Lampe für Scheide und Mastdarm“ an¬ 
gegeben hat. „Die Lampe kann“, wie es daselbst heisst, „an jedes Specu¬ 
lum von Hartgummi oder Metall mittelst Federklemme ohne Schraube be¬ 
festigt. werden“. Ebenso finde ich soeben im Ausstellungskatalog der 
Wiesbadener Naturforscher-Versammlung 1887 unter No. 276 ein von der 
Firma Reiniger, Gebbort und Schall ausgestelltes „Vaginoskop mit 
Glüh la mpe“ „zur Einführung der Specula in modificirter Constmction, mit 
Vorrichtung zur leichteren Befestigung und leichtem Entfernen aus dem 
Speculum Behufs Reinigung“. Alle drei Vorrichtungen, die offenbar ohne 
Kenntniss der meinigen entstanden sind, scheinen mit derselben viel Aehn- 
lichkeit zu haben und auf gleichem Princip zu beruhen. 


Augeublieken fixiren lässt, wozu ein Handgriff genügt. Der in das 
Lumen des Speculum hineinragende innere Schenkel des Bügels 
steht mit einem Glühlichthalter fest in Verbindung und zwar 
derart, dass das Glühlicht der oberen Wand des Speculum anliegt 
und sich ziemlich nahe der Portio befindet. Auf diese Weise bleibt 
der weitaus grösste Theil des Mutterspiegellumens frei, obgleich 
man die Lichtquelle dicht an der Portio hat. Der äussere Schenkel 
des Bügels trägt im rechten Winkel auf diesen, also parallel mit 
dem äusseren Rande des Speculum, ein horizontales Querstäbchen, 
theils aus Metall, theils aus Hartgummi, in dessen beide Enden die 
Leitungsdrähte eingeschraubt werden können. Ein mit Knöpfchen 
versehenes, drehbares und zugleich federndes Metallstäbchen ge¬ 
stattet, den Strom leicht zu schliessen oder zu unterbrechen. Der 
eigentliche Glühlichtträger besteht aus einem Metallstäbchen, an 
dessen Ende ein mit Reflector versehenes Glühlicht mittelst Bayonett- 
Schloss befestigt ist. Es lässt sich auf diese Weise, falls ein Glüh¬ 
licht unbrauchbar werden sollte, in wenigen Augenblicken ein Ersatz¬ 
glühlicht anbringen. 

Als Speculum halte ich für die Anbringung des Glühlichts 
das (abgeschrägte) Braun’sehe Hartgumini-Speculum, welches auch 
Martin in seiner „Pathol. u. Ther.d Frauenkr.“ neuerdings empfiehlt, 
für das geeignetste. Es verträgt den Druck der Klemmschraube 
am Besten, erwärmt sich nicht zu rasch und hat eine matte, von 
störenden Lichtreflexen freie Innenfläche. Uebrigens ist auch ein 
Holzspeculum oder ein innen mattes Metallspeculum verwendbar, 
während gläserne und porcellanene Specula den Druck der kleinen 
Schraube, sowie die unvermeidliche Erwärmung nicht vertragen 
würden. Der Vorschlag von Ploss, Specula aus Guttapercha zu 
verwenden, „die man durch Eintauchen in heisses Wasser biegen 
könne“, hat — meines Wissens — keine Annahme gefunden. Hin¬ 
gegen lässt sich der Glühlichthalter zur Noth auch am Cusco’schen 
Speculum befestigen, wenngleich nicht so fest und schön wie an 
dem Braun’scben. Die Speisung des kleinen Glühlichts kann, wie 
bei anderen endoskopischen Anwendungen, entweder durch eine der 
üblichen constanten Batterieen erfolgen (ich benutze hierzu die 
Stöhrer’sche), oder durch eine kleine portative Batterie oderauch 
durch einen (einfachen, resp. doppelten) Accumulator, den man 
bequem im Etui am Riemen mit sich führt. Erstere Elektricitäts- 
Quelle wird sich mehr für klinische Untersuchungen und für die 
Sprechstunde eignen, letztere vorwiegend für poliklinische Zwecke 
und für Untersuchungen in der Wohnung der Kranken. Von der 
constanten Batterie genügen 6—8 Elemente. Man steigt dabei vor¬ 
sichtig an, um das Durchbrennen des Platindrahts im Glühlicht zu 
verhüten und verstärkt ganz allmählich die Elementenzahl, bis man 
ein gleichmässiges helles Licht erreicht. 

Als Accumulator habe ich den von Gustav Ravene 
(Hamburg) hergestellten benutzt, der in kleiner Ledertasche Platz 
hat, 3—4 Wochen den Strom hält und sich langsam selbst ent¬ 
ladet, auch wenn er nur von Zeit zu Zeit gebraucht wird. Seine 
Füllung bedarf — nach Ravene — erst nach Monaten einer 
völligen Erneuerung; in der Zwischenzeit genügt es, sie zu ergänzen. 
Sollte der Accumulator längere Zeit ungeladen stehen bleiben, so 
empfiehlt es sich, die Flüssigkeit auszugiessen, da im nicht geladenen 
Zustande die Bleiplatten durch die Flüssigkeit leicht zerstört werden. 
Wie der Verfertiger mittheilt, wird der Accumulator angeladen aber 
ohne Flüssigkeit versendet. Bei der Ankunft ist er, damit die etwa 
zur Entwickelung gelangten Gase entweichen können, zu öffnen, 
d. h. der Gumraischlauch muss von den Hartgummiröhrchen ent¬ 
fernt werden. Die Polstifte sind gut abzuwischen. Man füllt nun 
den Accumulator mit einer aus 10 Raumtheilen Wasser und 
1 Raumtheil reiner englischer Schwefelsäure bestehenden Flüssigkeit 
und meist schon nach einigen Stunden ist er zum Gebrauch fertig. 
Zu diesem Behufe wird er durch den Gummischlauch geschlossen, 
nachher, wenn man ihn nicht mehr bei sich trägt, stets wieder ge¬ 
öffnet. Das Laden des Accumulators geschieht, nachdem er voll 
gefüllt ist, durch 2 (beim Doppel-Accumulator 3) Bunsenelemente. 
Um bei denselben die schädlichen und übelriechenden Dünste der 
Salpetersäure zu vermeiden, verwendet man zur Füllung besser 
50 g doppelt chromsaures Kali in 250 g Wasser gelöst, dem man 
langsam unter Urarühren 200 ccm reine englische Schwefelsäure 
zusetzt. Dies lässt man erkalten und mischt es mit 100 ccm 
Salpetersäure. Die Elemente sind auf Spannung verbunden, d. h. 
Kohle mit Zink, so dass der Kohlenpol des einen Elementes mit dem 
positiven Pol des Accumulators und der Zinkpol des anderen mit 
dem negativen Pol des Accumulators in Verbindung steht. Eine 
Verwechselung der Pole darf nicht stattfinden, weil der Accumulator 
dadurch leicht verdirbt. Man lässt den Strom der Elemente ca. 2 
bis 2‘/2 Stunde durch den Accumulator gehen, wenn er genug ent¬ 
laden ist, andernfalls kürzere Zeit. Der Accumulator bleibt während 
das Ladens geöffnet. 

Die Anwendung des Glühlichthalters für Röhren-Spe- 
cula geschieht am Besten so, dass nach Instandsetzung der Elek- 


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19. April. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 315 


tncitätsquelle und Anbringung der Leitungsschnüre an dieser zu¬ 
nächst die Frau passend gelagert wird. Sobald das Speculum ein¬ 
geführt und die Portio eingestellt ist, schiebt man den bereits mit 
Glühlicht versehenen Halter längs der obereu Wand des Speculum 
ein, schraubt den kleinen Bügel am Aussenrande des Speculum fest 
und lässt dies von der Patientin halten. Hierauf erst setzt man 
die beiden Elektroden mit dem Glühlichthalter in Verbindung und 
schliesst den Strom. Man erhält sofort die hellste Beleuchtung des 
Scheidengewölbes, bei der man jede Aufgabe der Ocularinspection 
und der kleineren gynäkologischen Manipulationen ausführen kann. 

Den oben aufgestellten Anforderungen an eine künstliche Be¬ 
leuchtung entspricht diese vollständig. Das Glühlicht bietet durch 
seine Qualität vollkommenen Ersatz für Tageslicht, an dessen Stelle 
es überall und jederzeit disponibel ist. Die Farben und Formen 
des Scheidentheils bringt es ohne Veränderung und störeude Re¬ 
flexe zur Ansicht, ja es lässt sogar feine Unterschiede schärfer her¬ 
vortreten, als mittelhelles Tageslicht. Eiu besonderes Speculum 
verlangt es nicht. Innerhalb des Röhrenspeculum nimmt es sehr 
wenig Platz weg. Es blendet, obgleich es zwischen Object und 
Auge liegt, letzteres in keiner Weise, bewirkt nur sehr allmählich 
eine Erwärmung des Speculum und gestattet bei Beschädigung ein 
rasches Auswechseln mit einem neuen Glühlicht. Da der Glüh¬ 
lichthalter am Speculum befestigt ist, so bleiben beide Hände des 
Arztes frei, zumal wenn er ein selbsthaltendes Speculum ver¬ 
wenden kann. 

Man wird, obgleich die meisten Frauen im Stande sind, den 
Mutterspiegel zu halten, immer den Wunsch haben, möglichst unab¬ 
hängig von jeder Assistenz zu sein. Wie unangenehm vielen Pa¬ 
tientinnen die .Anwesenheit einer Assistenz ist, weiss jeder 
Frauenarzt. Man muss Chrobak zustimmen, wenn er (I. c. p. 77) 
sich dahin ausspricht, dass jeder Anwendung eines Speculum 
(wie z. B. des Siras’schen), welches „die Gegenwart einer 
dritten Person verlangt“, besonders in der Privatpraxis „die Scheu 
der Kranken vor einem, wenn auch weiblichen Assistenten und die 
Schwierigkeit, immer einen solchen mit sich zu führen“, hindernd 
ira Wege steht. Auch Schroeder weist auf die in Deutschland 
herrschende Sitte hin), 1 dass der Arzt die kranke Frau ohne Beisein 
eines Dritten untersucht und dass man schon aus diesem Grunde 
entweder eines selbsthaltenden Speculum, wie des Cusco’schen, 
oder der manuellen Beihülfe der zu Untersuchenden bei Anwendung 
röhrenförmiger Specula nicht ganz entbehren kann. Hegar 2 ) be¬ 
zeichnet es als einen Vortheil der röhrenförmigen Specula, dass bei 
ihnen keine Assistenz nothwendig wird und WinckeP) hebt her¬ 
vor, dass sie von der Patientin gehalten werden müssen, falls Appli¬ 
cation von Medicamenten stattfinden soll. 

Man hat sich nun vielfach bemüht, dies Halten des Speculum 
durch die Patientin überflüssig zu machen, um nicht von deren 
mehr oder weniger grosser Geschicklichkeit und Sicherheit abzu¬ 
hängen. Auch ist es Damen von Embonpoint und solchen, die ein 
sehr tief herabreichendes Corset tragen, in der That schwer, das 
Speculum zu erreichen. 

Zahlreiche Versuche sind gemacht worden, um „selbsthaltende 
Specula zu construiren. Schroeder citirt solche von Emmet, 
Pallen, Nott, Thomas, Hunter, Souchon und Spencer 
Wells. Ausserdem nennt Chrobak noch Baxter und Byrne 
als die Urheber solcher Specula. Namentlich das Letztere hat 
ziemliche Verbreitung gefunden. Meist beruhen diese selbsthalten¬ 
den, durch Schrauben oder Federkraft sich dilatirenden Mutter¬ 
spiegel darauf, dass sie durch Auseinanderweichen mehrerer Blätter 
oder Drahtwindungen (wie z. B. das von G. F. French 4 ) in Port¬ 
land oder Blakley’s 5 ) resilient speculum) die Vaginalwände 
spannen. Chrobak’s Urtheil über die „selbsthaltenden Specula“ 
lautet nicht gerade günstig. Er fasst es in die Worte zusammen: 
„Meist sind sie so complicirt, dass sie sich keiner Verbreitung in 
weiteren Kreisen, als denen der Erfinder, erfreuen“. 

Im Gegensätze hierzu hat sich der Fritsch’sche Speculum- 
halter 6 ), eine an die Tischplatte geschraubte Speculumrinne, auch 
in weiteren Kreisen eingeführt und praktisch erwiesen, da es einen 
mit Zurückdrängung der hinteren Scheidenwand betrauten Assi¬ 
stenten ersetzt. 

Da zur Fixirung des Glühlichts nur ein röhrenförmiges Spe- 
colum gut verwendbar ist, so muss man, falls die Mithülfe der Pa¬ 
tientin oder einer Assistenz dabei entbehrlich werden soll, auf mög¬ 
lichst einfache Mittel sinnen, durch welche ein solches Speculum, 
nach erfolgter Einstellung der Portio, sich von selbst in situ erhält. 

') Handb. d. Krankh. d. weibl. Geschl.-Org. 6. Aufl. p. 30. 

*) Hegar u. Kaltenbach, Operative Gynäkologie. 3. Aufl. p. 65. 

*) Lehrb. d. Frauenkr. p. 181. 

4 ) Ulustr. Ztschr. f. ärztl. Polytechnik. 1. Jahrg. p. 29, nach New- 
York. Med. Record v. 1. Juni 1878. 

‘) Aus Tiemann’s Catalog. Briefl. Mitth. v. Dr. Beck (Bern). 

e ) Krankh. der Frauen. 2. Aufl. p. 149. 


Dies kann am Leichtesten geschehen, wenn der Druck, den für ge¬ 
wöhnlich die Hand des Arztes ausübt, durch einen mechanischen 
Zug in der Richtung der Yaginalaxe ersetzt wird. Dieser eine 
Zug lässt sich aber — da er unmöglich sein würde — durch Zer¬ 
legung in 3 Zugrichtungen ersetzeu, von denen 2 vorn (nach links 
und rechts aufwärts), 1 hinten (median aufwärts) wirken. In der 
That muss dieser dreifache Zug das Speculum sicher fixiren. 

Es galt also: 

a) 3 Punkte zu gewinnen, nach welchem bin ein solcher Zug 
erfolgen kann. 

b) 3 Ansatzpunkte am Speculum, an denen sich dies sicher 
fassen lässt. 

Hieraus ergab sich von selbst die für eiu selbsthaltendes Spe¬ 
culum wünschenswerthe, ziemlich einfache Vorrichtung. 

Was zunächst das Speculum (Fig. 2) anbetrifft, so werden 
— was bei dem Material des Hartgummi leicht ist — etwa 1 cm 
hinter dem Rande 3 mit diesem Parallele 1,5 cm lauge, 0,4 cm 
breite Ausschnitte angebracht, indem man deren Enden ausbohrt, 
dann die Stellen mit der Laubsäge aussägt und hierauf mit der 
Feile die Kanten ab rundet. Zwei dieser Ausschnitte (V und V 1 ). 
werden vorn, einer (H) hinten angebracht. Mehr als diese Kleinig¬ 
keit ist am Speculum selbst nicht zu ändern. 



Ul 

Fig. 2. Hartgumml-Spenilnm. 



Zum Halten des Speculum dient die in Fig. 3 schematisch 
dargestellte Gurt- und Riemen-Vorrichtung, welche über der 
Garderobe angelegt wird, so dass die Frau nicht genötbigt ist, sich 
ihrer Kleider zu entledigen. Ein 4 cm breiter, gewebter Gurt wird 
um die Taille geschnallt. Er trägt drei Ringe, die vorderen 2, seit¬ 
lich gelegen, verschiebbar, den hinteren, median gelegen, fest. 
Durch diese 3 Ringe gehen ca. 1,25 cm breite, 1 m lange 
Lederriemen mit Schnallen; dicht unter den Ringen sind sie mittelst 
eines durch 2 Schlitze gehenden Knöpfchens derart eingestellt, dass 
beide Enden jedes Riemens eine bestimmte Länge behalten. 

Das Anlegen geschieht folgeudermaassen. Weun die Frau 
auf dem Uutersuchungstisch die Rücken- oder Steissrückeulage ciu- 


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No. 16 


316 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


nimmt, wird der hintere Riemen unter den hinten in die Höhe ge¬ 
schlagenen Kleidern vorgezogen. Man führt hierauf das Speculum 
ein. zieht, sobald die Portio eingestellt ist, diesen Riemen durch 
den hinteren Schlitz des Speculum und schnallt ihn massig fest. 
Hierauf zieht man die beiden vorderen Riemen durch entsprechende 
vordere Ausschnitte des Speculum und schnallt sie fest. Dann erst 
zieht man auch den hinteren Riemen derber zu. Die ganze Mani¬ 
pulation geht sehr schnell, und das Speculum sitzt — wie in 
Fig. 4 dargestellt — unbeweglich sicher, ohne dass die ganze Vor¬ 
richtung die Frau auch nur im Mindesten belästigt. Der Vortheil 
dieser Art von „selbsthaltendem Speculum“ dürfte darin beruhen, 
dass (was zunächst für die Sprechstunde von Werth ist) die Kleider 
nicht sonderlich stören, dass es so, wie es eingestellt wurde, auch 
fest sitzen bleibt und jeder Körpergrösse adaptirt werden kann. 
Man braucht kein neues Speculum. Ein Vorhandenes aus Hart¬ 
gummi ist bald mit den Schlitzen versehen. Eine lästige Dehnung 
der Scheide ist völlig ausgeschlossen; keine Feder, keine Schraube 
übt einen Druck auf sie aus. Dass das Speculum ebenso für natür¬ 
liches wie für künstliches Licht verwendet werden kanu, sei nur 
beiläufig erwähnt. Ist es angelegt, so hat der Arzt beide Hände 
frei und kann nunmehr ohne Assistenz alles Nöthige vornehmen. 
Das Entfernen des Speculum geschieht nach Oeffnen der Schnallen 
und Herausziehen der Riemen aus den Schlitzen in wenigen Augen¬ 
blicken. 



Fig. 4. Das sclbsthaltcndc Speculum in situ. 

Diese Art von „selbsthaltendem Speculum“ hat wenigstens 
den Vorzug grosser Einfachheit und Sicherheit, ln Verbindung mit 
dem „selbsthaltenden Glühlicht“ dürfte es für bestimmte 
Fälle die gynäkologische Untersuchung erleichtern. Ob sich Beides 
in weiteren Kreisen der Fachgeuossen bewähren wird, müssen Ver¬ 
such und Erprobung lehreu. 

Nicht unerwähnt will ich lassen, dass dies „selbsthaltende 
Sp culum“ mit corapletem Zubehör von Alexander Schädel 
(I>eipi.'g, Löhes Hof), das „selbsthaltende Glühlicht“ von Dr. Stöhrer 
und S hn (Leipzig, Weststrasse) zu beziehen ist. 

IV. i-in Fall von Neuralgia phrenica ex 
traumate. 

Von Dr. A. Falkenberg in Moskau. 

Den 7. April 1887 wurde ich Abends zu Frl. 0. gerufen, 
welche an starken Schmerzen in Brust und Hals und Athem- 
beschwerden litt. Die Untersuchung der Kranken ergab Folgendes: 

Frl. 0., 18 Jahre alt, wohlgebaut, etwas chlorotisch, hatte in der 
Kindheit den Veitstanz, welcher spurlos vergangen war, ist sonst stets gesund 
gewesen, von gesunden Eltern stammend. Um 12 Uhr Mittags hatte sich 
Patientin, indem sie auf einen Stuhl stieg, um eine hochhängende Wand¬ 
uhr aufzuziehen, mit der Lehne des Stuhles, welche mit einem Knopf ver¬ 
sehen war, einen starken Schlag gegen die Herzgrube beigebracht (der Stuhl 
war nach vorn uragestürzt). Patientin empfand sogleich einen heftigen 
Schmerz, welcher von der Herzgrube aus längs des linken Randes des Brust¬ 
beins sich nach dem Halse zu verbreitete. Die Inspiration wurde sehr schmerz¬ 
haft. Sio war sehr blass geworden, was der Mutter gleich auffiel, sagte aber 
nichts von den Schmerzen und fuhr mit der Mutter aus, um ein paar Vi¬ 
siten zu machen. Die Schmerzen dauerten fort. Zu Hause angekommen, 
bekam sie ungefähr um 5 Uhr Abends einen Anfall von Schluchzen und 
musste sich in’s Bett legen. — Ich sah Patientin um 10 Uhr Abends. Sie 


war blass, lag auf der linken Seite und sprach mit schwacher, unterbrochener 
Stimme; sie klagte über Schmerzen in der Herzgrube und links in dor 
Supra- und Iufraclaviculargegend. Respiration oberflächlich, 35 in der Mi¬ 
nute; Puls 120; Temperatur normal. Druck aufs Zwerchfell von der Herz¬ 
grube aus, bewirkte Exacerbation des Schmerzes, welcher sich wiederum längs des 
linken Brustbeiurandes nach dem Halse zu ausbreitete. Druck auf denPhrenicus- 
stamm zwischen den beiden Ursprüngen des Kopfnickers — ebenfalls schmerzhaft. 
Druck auf die Dornfortsätze der Halswirbel und die oberen Intercostalräuiue (wo 
Patientin Schmerzen fühlte) erzeugt keine Schmorzou. Patientin wird durch 
die Untersuchung sehr aufgeregt und weint. Therapie: Bromkali 1,5 g. 
Sinapismen in der Herzgrube und über dem linken Schlüsselbein; ausser¬ 
dem: Vcratrin. 0,5, Chloroform. 4,0, Mixt, oleoso-bals. 30,0 zum Einreiben. 

Am folgenden Tage sah ich Patientin um 9 Uhr Morgens. Sie kam 
mir entgegen, hatte die Nacht geschlafen, konnte jetzt bei geringem Schmer/, 
tief athmen, fühlte aber noch immer Schmerzen in dor Brust und im Halse. 
Druck auf das Zwerchfell noch immer schmerzhaft, verstärkt auch die 
Schmerzen im Halse. Ich sah Patientin noch zweimal. Die Schmerzen 
nahmen allmählich ab und vorgingen gänzlich. 

Bekanntlich hat Prof. Peter im Jahre 1871 (Archiv geiler. 
Bd. 17) eine Reihe von Krankengeschichten veröffentlicht, welche be¬ 
weisen sollten, dass es eine Neuralgie des Phrenicus giebt. Bei 
den Kranken, welche über Schmerzen in der Herzgrube und in der 
Schulter klagen, aber bei Nachfragen auch Schmerzen im Halse 
und manchmal im Genick und in dem Unterkiefer angeben, findet 
man uach Peter folgende Druckpunkte: 1) die vorderen Ansätze 
des Zwerchfells an die 7.—10. Rippe, hauptsächlich aber deijenige 
der 9. Rippe; 2) die hinteren Ansätze, besonders derjenige an die 
letzte Rippe; 3) der Stamm des Phrenicus zwischen den beiden 
Ursprüngen des Kopfnickers; 4) eine Stelle auf dem Brustbein in der 
Höhe des 2. oder 3. Intercostalraumes, noch häufiger an der Ver¬ 
bindungsstelle des 3. linken Rippenknorpels mit dem Brustbein. Hierzu 
gesellen sich ausstrahlende Schmerzen in den Ausbreitungsgebieten 
des Cervieal- und Brachialplexus. Hierher gehören Schmerzen 
in der Schlüsselbeingrube und über dem inneren Theil des 
Schlüsselbeins, im Unterkiefer, der Schulter, an der inneren Seite 
des Oberarms, im Ellbogen und im kleinen Finger. Die Dornfort¬ 
sätze des 2.-5. Halswirbels, selten des 6., am häufigsten die des 
3. und 4., sind gewöhnlich auf Druck schmerzhaft. Ausserdem ist 
die Respiration gehemmt, mühsam, durch die Schmerzen gestört. 
In einigen Fällen endlich erzeugt der Druck auf den Phrenicus- 
stamm am Halse und derjenige auf das Zwerchfell einen Anfall 
von Husten (des quintes de toux). 

Hinsichtlich der Aetiologie theilt Peter seine Fälle in sieben 
Gruppen. Die Ursachen seien folgende: 1) Allgemeine Anämie, 
Chlorose, Nervosität; auch Erkältung. 2) Hysterie und Epilepsie. 
3) Angina pectoris bei Herz- und Aorta-Affectionen. 4) Herzleiden 
ohne Angina pectoris. 5) Basedow’sche Krankheit mit Herzleiden. 
6) Milz- und 7) Leberaffectionen. Der mechanischen Insulte wird 
nicht gedacht. 

Die späteren Autoren referiren meist Peters Arbeit in ihren 
Lehrbüchern, und äussern sich meist sehr skeptisch hinsichtlich der 
Möglichkeit einer solchen Neuralgie, weil physiologisch die sensible 
Natur des Phrenicus nicht nachgewiesen sei. Zur Aetiologie fügt 
nur Erb die Pericarditis hinzu, in deren Verlauf er Schmerzen 
ähnlicher Natur beobachtet hatte. 

Mein Fall, in welchem die Schmerzen offenbar durch Trauma her¬ 
vorgerufen waren, schien also ganz vereinzelt dazustehen. Die nähere 
Nachforschung ergab mir aber gänzlich andere Resultate. Wenn wir 
Peter's Fälle des Näheren betrachten, so finden wir, dass in vielen 
Fällen die mechanischen Einflüsse wohl mit im Spiele waren. In 
Fall I war die Entbindung etwa einen Monat vorangegangen, 
als die Patientin in Behandlung kam. Wann die Neuralgie ent¬ 
standen war, wird nicht angegeben. In Fall IV, V« und VI waren 
krampfhafte, hysterische und epileptische Anfälle vorangegangen: 
in Fall VI heisst es: „il y avait des spasmes de diaphragrae; le 
ventre devenait globuleux.“ ln Fall XIV und XV war das Herz, 
in Folge von Morbus Basedow, stark hypertrophisch und konnte 
auch mechanisch auf das Zwerchfell einwirken. In Fall XVI war 
die Milz sehr stark vergrössert und konnte auch zerrend auf das 
Zwerchfell wirken. Dasselbe gilt von den Lebervergrösserungen. 

Es wäre also der Schluss erlaubt, dass krampfhafte, sehr inten¬ 
sive Coutraction des Zwerchfells, die direkte Einwirkung eines 
Trauma und die Zerrung des Zwerchfelles durch voluminöse Or¬ 
gane, welche mit ihm in Verbindung stehen, eine Neuralgie des 
Phrenicus hervorrufen können. Hier muss noch auf den Umstand 
liingewieseu werden, dass in allen diesen Fällen (die Leberver¬ 
grösserungen ausgenommen) die Neuralgie stets nur links auftritt. 
Die Lebervergrösserungen hingegen erzeugen stets eine rechtsseitige 
Neuralgie. 

Wie gesagt, verhalten sich die meisten Autoren sehr skeptisch 
gegenüber der Aunahme einer Neuralgie, weil die gemischte Natur 
des Phrenicus nicht bewiesen sei. Darum will ich mir hier erlauben, 
die anatomischen und klinischen Facta, die für eine Neuralgie des 
Phrenicus sprechen, näher zu beleuchten. 


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19^ April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1. Die Spinalnerven sind meist gemischter Natur. Die rein 
motorische Natur des Phrenicus sollte daher erst vollkommen streng 
erwiesen werden und erscheint von vornherein zweifelhaft. 

2. In seiner vortrefflichen Monographie „Der Phrenicus des Men¬ 
schen*. Tübingen 1852, beschreibt Luschka folgende Aeste des 
Phrenicus, welche schon deswegen nicht motorischer Natur sein 
können, weil sie sich in Geweben verbreiten, welche weder Muskel¬ 
fasern. noch Drüsen enthalten: 

a) Aeste zur Costalpleura und den Mediastina. „Die Costalpleura, 
die Mediastina und die Pleura diaphragmatica erhalten ihre Nerven 
von dem Phrenicus und dem Sympathicus. Die Zweige des Phrenicus 
zur Pleura costalis und zu dem Mediastinum anticum treten vom Stamme 
des Phrenicus ab während seines Laufes über den oberen, abge¬ 
rundet zur Bildung des Pleuraconus tendirenden Rand des Rippen¬ 
felles, in der Höhe des internen Randes des Knorpels der ersten 
Rippe, und während seines Verlaufes zwischen Herzbeutel und Brust¬ 
fellüberzug desselben. Es sind gewöhnlich 3—4 sehr feine Fädchen.“ 
(Luschka, p. 47.) 

b) Ein Aestchen zur membranösen Hülle der Thymus beim Kinde 
oder beim Erwachsenen „in die aus ihrer Verdichtung hervorge¬ 
gangene Membran.“ 

c) 1—3—4 Zweigehen zum Pericardium. „In der Höhe des 
unteren Randes des Knorpels der dritten Rippe gehen ausnahmslos 
auf jeder Seite Zweigehen des Phrenicus zum Herzbeutel herab.“ 
(Eb. p. 57.) 

d) Aeste, welche sich im sehnigen Theil des Diaphragma ver¬ 
breiten. Solche Zweige giebt hauptsächlich der linke Phrenicus. 
Luschka konnte dieselben erst mit Hülfe des Mikroskops, und 
leichter beim Kaninchen als beim Menschen nachweisen. 

e) Aeste zur Pleura diaphragmatica. „An der Stelle, an wel¬ 
cher der Phrenicus zwischen Pericardium und der Pleura sich in 
seine strahlig auseinandergehenden Zweige zerspaltet, finde ich stets 
einzelne Fädchen. welche in den Zwerchfellüberzug der Pleura treten.“ 
(Ebd. p. 47.) 

f) Aeste für den Bauchfellüberzug des Zwerchfelles und für den 
der vorderen Bauchwand angehörigen Theil des Peritoneum. „An 
jener dreieckigen, einer muskulösen Grundlage entbehrenden Stelle 
zu beiden Seiten der Pars sternalis des Zwerchfells, an welcher sich 
dessen pleuraler und peritonealer Ueberzug unmittelbar berühren, 
sieht man jederzeit feinste Fädchen des vorderen Ramus diaphragma- 
tiens in das Bauchfell, und zwar in der Richtung nach abwärts ge¬ 
gen den Nabel in das Peritonealblatt der vorderen Bauchwand treten.“ 
(Ebd. p. 61.) 

g) Aeste für den Bauchfellüberzug der Leber und Milz. „Ohne 
Ausnahme gelangt ferner ein Nervchen vou der Bauchfläche des 
Diaphragma her aus einem Phrenicus-Zweige durch das Lig. Suspen¬ 
sorium herab; es liegt zwischen Blutgefässen und einem stärkeren 
Saugaderstämmcben. welches aus der Leber hinaufsteigt. Bei der 
Untersuchung mit der Loupe wird man finden, dass das bisher ein¬ 
fache Fädchen, in der Nähe der Leberfläche angekommen, sich 
theilt. und sowohl Fibrillen in den serösen Ueberzug der Leber, als 

in das parietale Bauchfell sendet“ (Ebd.).„Auf der linken 

Seite vermochte ich in dem Lig. phrenico-lienale aus Zwerchfellästen 
abgegangene Nervenfädchen bis gegen den serösen Ueberzug der 
Milz verfolgen und auch in diesem selbst durch das Mikroskop 
Nervenelemente zu entdecken.“ 

Diese anatomischen Facta, welche ich absichtlich so ausführlich 
und buchstäblich nach Luschka wiedergegeben, weil sie nirgends 
sonst vollständig und klar auseinandergelegt sind (vergl. Henle, 
Hyrtl. Aeby) beweisen, dass der Phrenicus ein gemischter Nerv 
ist; und alle Anatomen erkennen solches an. 

3. Die klinische Beobachtung lehrt nun, dass es Schmerzen 
neuralgischer Natur giebt, welche sich genau entsprechend der Lage 
des Phrenicus und seiner Verzweigungen localisiren. Die .Points 
douloureux“ dieser Neuralgie entsprechen vollkommen der Lage des 
Stammes und einiger Zweige. Z. B. giebt es einen schmerzhaften 
Punkt, welcher der Lage der Pericardialzweige entspricht. Den 
Schmerz im inneren Theil der Schlüsselbeingegend, welchen Peter 
als irradiirt auffasst, könnte man auch ebenso gut durch die Affec- 
tion der Costalpleurafiste erklären, falls die Schmerzen tief empfun¬ 
den werden und nicht durch oberflächlichen Druck auf die Haut 
verstärkt werden. Was die Schmerzhaftigkeit der Ansätze des 
Diaphragma anbelangt, so dünkt mich, dass überhaupt der 
Druck auf das Diaphragma zerrend wirkt, und vielleicht auch 
überhaupt eine ähnliche Schmerzhaftigkeit des Zwerchfelles dabei 
besteht, wie wir sie bei Lumbago in den Lendenmuskeln vorfinden. 

Es existirt also im Gebiet des Phrenicus eine Neuralgie — die 
Beobachtungen können nicht umgestossen werden. Einen anderen 
Nerven, welcher beschuldigt werden könnte, giebt es hier nicht. 
Also bleibt nichts übrig, als die gemischte Natur des Phrenicus 
anzuerkennen, und somit auch die Neuralgie gelten zu lassen. 

Hinsichtlich des Verlaufes der Neuralgie kann gesagt werden. 


317 


dass, wo die Ursachen nicht stationärer Natur sind, die Krankheit 
bald schwindet. Die Therapie hat dasselbe zu verrichten wie bei 
anderen Neuralgieen. 

Die Neuralgie tritt, wie wir oben schon bemerkt haben, be¬ 
deutend häufiger links, als rechts auf. Dieses könnte vielleicht da¬ 
durch erklärt werden, dass der linke Phrenicus 5 cm weiter nach 
vorn liegt, also den von aussen wirkenden Einflüssen leichter zu¬ 
gänglich ist, als der rechte. Ausserdem erklärt die Häufigkeit der 
Herz-, Herzbeutel- und Milzaffectiouen auch hinreichend das öftere 
Auftreten der Krankheit auf der linken Seite. 

Zum Schluss will ich noch erwähnen, dass Falet noch vor 
Peter im Jahre 1866 dieselbe Neuralgie, an welcher er selber litt, 
beschrieben hat. Als Ursache soll er hauptsächlich die Erkältung 
angesehen haben. Falet’s Arbeit konnte ich nicht finden. Erb, 
Dieulafoy u. A. citiren ihn, nicht aber Peter, welcher sich für 
den ersten hält, welcher die Neuralgie beschrieben hat. 

V. Feuilleton. 

Ueber die geschichtliche Entwickelung des Begriffes 
„Gegengift« 1 ) 

Von Dr. L. Lewin in Berlin. 

Kaum ein anderer therapeutischer Begriff hat seit Jahrtausenden 
solche weite Verbreitung auch bei Laien gefunden, wie der Begriff 
„Gegengift“. Kein anderer ist aber auch in seiner Bedeutung bis 
in die Neuzeit hinein so gleichmässig falsch von Laien und leider 
auch vielfach noch von Aerzten beurtheilt worden, wie dieser. 

Und doch ist ja gerade dieser Begriff von grosser Tragweite 
für die praktische Medicin; denn die Behandlung einer Vergiftung, 
d. h. einer künstlich erzeugten Krankheit, bei der in sinnfälligster 
Weise die Krankheitsursache erkannt werden kann, giebt in mancher 
Beziehung einen Maassstab für die Leistungsfähigkeit der Therapie, 
und man ist wohl im Stande, auch rückwärts die therapeutischen 
Bestrebungen vergangener Jahrhunderte zu beurtheilen, wenn man 
nachforscht, wie damals Vergiftungen behandelt wurden. 

Der Vortragende hat Herrn Dr. Heilmann veranlasst, mit seiner 
Unterstützung eine solche historische Studie zu unternehmen, deren 
Resultate er mittheilt. 

Es zeigte sich, dass die Anschauungen über die Bedeutung der 
Antidote in vielen Epochen der Medicin nur unwesentlich verändert, 
immer wieder zum Vorschein kamen. In dem Zeitraum von Hip- 
pokrates bis Galen (193 n. Ohr.), und ferner in dem von Galen bis 
Paracelsus (1526) herrschte die Anschauung vor. dass es Stoffe 
gäbe, die jedes dem Körper einverleibte Gift unwirksam zu machen 
im Stande seien. Diese als Bezoardica. Alexiphannaka, Alexiteria, 
Mithridatica, Theriaka bezeichneten Substanzen wurden innerlich 
gegeben oder auch als Amulette getragen. Als solche wurden z. B. 
gebraucht: die Terra sigillata (Bolus alba); der Bezoarstein. (eine 
Concretion aus dem Ziegenraagen, von dem je nach der Güte 
mehrere Arten unterschieden wurden, und der so schnell das Gift 
aus dem Körper treiben sollte: „quanto tempore ad svmbolum 
apostolicum bis recitandura necessariura opus fuisset“); Cornu et 
Ungula Alcis (Klaue des Elennthiers); Unicornu verum (vielleicht 
der Zahn des Narwals); Rubinus. Margaritae; viele Pflanzen, wie 
die Herba Calaminthae. Aristolochia longa, Folia Dictamni u. a. m. 
Besonders phantastisch sind die bezüglichen Angaben des Santes 
Ardoynus. Man verlangte von diesen Stoffen das, was Petrus 
Aponensis (1250—1320) speciell als die Wirkungsweise des Smaragd 
angiebt: „quae venenum fugat et attrahit usque in extremitates 
membrorum“. 

Es herrschte aber auch die bestimmte Vorstellung, dass es für 
die einzelnen Gifte specifische Gegengifte gäbe, wie z. B. die Wanzen 
gegen Schlangengift, und die Asche eines Hundskopfes gegen den 
Biss eines tollen Hundes; und es fehlt aus diesen Epochen, in 
denen der Aberglaube auch medicinisch in hoher Blüthe stand, 
nicht an durchaus rationellen Vorschlägen für eine symptomatische 
Behandlung der Vergiftungen. So lässt Dioscorides zweckmässige 
Brechmittel verabfolgen, beim Biss giftiger Thiere Schröpfköpfe an¬ 
setzen oder ätzen, und Avicenna. der die Forderung aufstellte, 
ein Gegengift müsse das Gift verhindern, zum Herzen zu dringen, 
empfiehlt u. A. noch: Ligamenta, Constrictiones extremitatum, Pro- 
hibitio somni und die Ambulatio. die sich also mit dem modernen 
„ambulatory treatment“ bei der Opiumvergiftung decken \vürde. 

In der Epoche von Paracelsus bis Harvey (1526—1619) 
beginnt die Kritik sich zu regen. Matthiolus stellte antidotarische 
Versuche am Menschen auf Befehl des Papstes Clemens VII. an. 
Er probirte Gegengifte gegen Aconit und Arsen. Das hauptsächliche 
Streben ging nunmehr dahin, nicht Alexipharmaka sondern Antidota 
specifica zu finden. Dies lässt sich auch noch in dem Beginn des 


*) Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 


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318 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 16 


Zeitraumes erkennen, der von Harvey bis auf die gegenwärtige 
Zeit reicht, und findet seinen besten Ausdruck in dem Satze des 
Chemiaters G. Wedel (1645—1721): „Utt diversa venena ita etiam 
diversa bezoardica.“ Gegen die Corrosivitas empfiehlt er Fett 
und Oele. 

Es erfolgte bald die Zeit, in der besonders auf Betreiben von 
Orfila die chemischen Antidota in deu Vordergrund traten. Er 
erkennt den Namen eines Gegengiftes nur denjenigen Substanzen 
zu, welche geeignet sind, bei der Körpertemperatur die Gifte zu 
zersetzen, oder sich mit ihnen so zu verbinden, dass das neue 
Product keiue zerstörende Thätigkeit auf die thierische Oekonomie ] 
ausühen kann. Eine grosse Reihe von Gegengiften (z. B. das Eisen- [ 
oxydhydrat bei Arsenvergiftungen), wurde von dieser Anschauung 
aus empfohlen, die z. Th. heute noch in Gebrauch sind, resp. iu 
den Lehrbüchern als solche figuriren. Aber die alte Meinung von 
der Möglichkeit der Bindung vieler Gifte durch ein Alexipharmakon, 
trat ebenfalls wieder hervor, wenngleich nunmehr durch das 1 
chemische Verhalten gewisser Gruppen von Stoffen zu einzelnen 
Substanzen gestützt. So wurde z. B. die Kohle wegen ihrer absor- 
birenden Fähigkeiten als Alexipharmakon für viele alkaloidische 
und andere Gifte empfohlen. Nebenher gingen die schon im 
17. Jahrhundert begonnenen Versuche, die Entleerung des 
Magens vermittelst Pumpen und anderer Apparate als 
Entgiftungsmittel zu gebrauchen. 

Dazu kam eine weitere Ausbildung jener Antidota, die 
man auch als Antagouistica bezeichnet. Schon gegen Ende 
des 16. Jahrhunderts war angegeben worden, dass bei gleichzeitiger 
Anwendung von Opium und Belladonna die Wirkung der letzteren 
geschwächt würde. Viele andere, in Bezug auf einander antagoni¬ 
stisch wirkender Stoffe förderten die experimentellen Arbeiten der 
Neuzeit, zumal nachdem Schmiedeberg und Koppe die anta¬ 
gonistische Wirkung des Atropin auf das Herz bei Muscarin Vergiftung 
erwiesen hatten. Auch die Transfusion und Infusion traten 
als Hülfsmittel bei Vergiftungen auf, und besonders die letztere hat 
viele Verfechter gefunden, so weit es sich um die Behandlung der 
Vergiftungen handelt, die mit einer Alteration des Blutes einher¬ 
gehen. 

Den Vortragenden interessirt hauptsächlich die Frage: leisten 
die chemischen Antidota etwas Wesentliches? Dies glaubt 
er auf Grund seiner langen Beschäftigung mit Giften verneinen zu 
müssen. Von vorn herein ist eine Wirkung derselben fast ausge¬ 
schlossen, bei Vergiftungen, die wie z. B. die Blausäurevergiftung 
schnell verlaufen. Was soll hier z. B. Ferrum sulfuratum cum 
Natro leisten, angesichts der schnellen Resorption der Blausäure? 
Aber auch bei anderen Intoxicationen ist wenig von solchen bin¬ 
denden oder zersetzenden Antidoten zu erwarten. Bei Vergiftungen 
mit starken S*äuren oder Aetzalkalien findet nicht nur Mortification 
des vom Gifte im ersten Anprall getroffenen Nahrungsschlauches 
statt, sondern diese Gifte penetriren durch die Magenwand hindurch 
auf benachbarte Organe (Leber, Därme etc.). Thierversuche zeigen, 
dass die entsprechenden Antidota hierbei nichts weiter leisten, als 
das etwa im Magen noch frei vorhandene Gift zu neutralisiren. 
Das mortificirte Gewebe können sie nicht restituiren, und selbst in 
zehnmal so starker Lösung, als man sie gewöhnlich beim Menschen 
verabfolgen darf, vermögen sie nicht dem Gifte nachzudringen und 
die ausserhalb des Bereiches der Mucosa verätzten Theile zu treffen. 

Ein weiterer Behinderungsgrund der Wirkung von chemischen 
Antidoten ist, dass die Möglichkeit des Aufeinaudertrelfens von Gift 
und Gegengift eine äusserst geringe ist. Wenn 0,1 g arsenige Säure 
genommen ist, — eine Menge, die irgendwo an der Magenwand 
haften kann — so wird, selbst wenn eine Unschädlichmachung des¬ 
selben durch das Antidotum Arsenici zu Stande kommen könnte, 
doch ein Ueberfluthen des Magens mit diesem Gegengift nothwendig 
sein, um die Sicherheit zu haben, dass ein Begegneu beider Stoffe 
Statt hat. 

Aber selbst wenn eine Bindung z. B. von Alkaloiden durch 
Jod oder von Metallen durch Eiweiss u. s. w. zu Stande kommt, 
so hat man hiermit nur eine zeitlich kurzdauernde Unschädlichkeit 
des Giftes erzeugt, weil diese Verbindungen bald wieder im Magen 
resp. im Darm in Lösung gehen und resorbirt werden. Fast niemals 
aber weiss man überhaupt, welche Dosen des chemischen Antidots 
zu geben sind, da die genommenen Giftdosen gewöhnlich unbekannt 
sind. Und schliesslich, aber nicht letztens, gleiten diese Gifte 
schnell iu deu Darm und sind dann vom Antidot gar nicht mehr 
zu treffen. 

So könnten viele andere Momente herbeigezogen werden, die 
darthun, dass die Hoffnung, mit chemischen Antidoten Hülfe zu 
leisten, eine winzige ist. 

Man wird sich nach der Anschauung des Vortragenden daran 
gewöhnen müssen, dem Antidot die einzig berechtigte Bedeutung 
einer zu erfüllenden Indicatio symptoiuatica beizumessen. Dann 
aber würden in erster Reihe die antagonistisch wirkenden 


Stoffe und ferner jene Mittel in Anwendung zu ziehen sein, die 
wir auch in anderen Krankheiten als symptomatische gebrauchen. 

Vor allem aber liegt die Zukunft einer rationellen Be¬ 
handlung innerlicher Vergiftungen in einer besseren 
Ausbildung der mechanischen Entleerungsmethoden von 
Magen und Darm. Die Instrumente, die hierfür vorhanden sind, 
leisten nicht das, was von ihnen verlangt wird. Die Mortalität der 
Vergiftungen würde, wenn diese Methoden, aber auch mit den vor¬ 
handenen Hülfsmittelu, häufiger iu der Praxis geübt würden, eine 
geringere, selbst in schweren Fällen sein, als sie jetzt ist. Mit 
dem Suchen nach Antidoten wird oft viel kostbare Zeit bei Intoxi¬ 
kationen verschwendet — es ist kein Kunstfehler, ein chemisches 
Antidot nicht zu verabfolgen. 


VI. Referate und Kritiken. 

F. Bruns. Beiträge zur klinischen Chirurgie. Mittheiluugen 
aus der chirurgischen Klinik zu Tübingen. III. Bd., 1. Heft. 
Tübingen, Laupp. Ref. Pauly. 

In rascher Aufeinanderfolge bietet uns der Tübinger Chirurg 
die Verwerthung eines reichen kliuischeu Materials meist durch 
seine Schüler. Der interessante Einzelfall wird die Basis der Dar¬ 
stellung des zeitigen Standes der betreffenden Frage, und es sind 
selbstverständlich die mannichfachsteu modernen Fragen, die bear¬ 
beitet werden. Ausserdem bietet uns der Meister selbst eine mit 
Prof. Nauwerck unternommene fundamental wichtige Arbeit über 
die antituberculöse Wirkung des Jodoforms. 

Die erste Arbeit von Dr. H. Bayha betrifft das Lupus- 
carcinom. 

Dass Epithelialcarcinome auf dem Boden lupöser Geschwüre 
oder Narben Vorkommen, ist allgemein bekannt, aber das Vor¬ 
kommen ist entschieden häufiger als bisher angenommen worden, 
mit den Fällen aus der Tübinger Klinik sind es bisher 42. Die 
Frage ist: Da bei dem differentiellen histologisch-klinischen Cha¬ 
rakter beider Affectionen von einer Verwandtschaft nicht die Rede 
sein kann, bieten die histologischen Verhältnisse des Lupus für 
die Entwickeluug eiues Carciuoms einen besonders günstigen 
Boden? 

Nun muss man zwei Formen von Lupuscarcinom unter¬ 
scheiden. 

1. Die Carciuombildung aus Lupusnarben. 

2. Die Carciuombildung aus floridein Lupus. 

Was die Carcinombildung aus Lupusnarben betrifft, so handelt 
es sich, da letztere sich um Nichts von anderen Narben unter¬ 
scheiden, einfach um Narben ca rcinome (beiläufig 11 Mal unter 
obigen 42 Fällen). 

Eigeuthümlich allerdings ist das Auftreten im frühen Lebens¬ 
alter und die weiche, tiefgreifende, maligne Form, aber 
beides kommt überhaupt den Narbencarcinomen zu. JDaher sich 
das Lupuscarcinom für Entscheidung obiger Frage nicht verwertheu 
lässt. Wir müssen uns also an die Eutwickeluug von Epithelial¬ 
krebs auf floridein Lupus halten. 

Wie kommt es, dass ein Process, der sich durch äusserst 
chronischen Verlauf, durch multiple Eruptionen, durch abwechselnde 
Nachschübe und Ausheilungen auszeichnet, der in der Regel das 
ganze Leben hindurch denselben Charakter Leibehält und schliess¬ 
lich in spontane Heilung zu endigen pflegt — wie kommt es, dass 
dieser Process sich plötzlich so ändert, dass an seiner Stelle eine 
rapid wachsende Krebsgeschwulst sich entwickelt, die sich unauf¬ 
haltsam ausbreitet und zu raschem tödtlicheu Ausgang führt? 

Es gab früher Autoren, welche behaupteten, dass der Lupus 
zuweilen die Structur des Krebses darbiete. Diese histolo¬ 
gischen Scheinbilder sind von v. Volkmann als vorgetäuscht 
scharf zurückge'wiesen worden. 

Wenn es sich nun darum handelt, dass ein rentabler Epithelial¬ 
krebs aus Lupus entsteht, so liegt die Annahme nahe, dass es sich 
um eine mehr oder weniger zufällige Complication durch 
Reizung der epithelialen Decke haudelt, wie bei dem Carciuom aus 
Ulcus cruris, aus Fisteln, Psoriasis buccalis, Schornsteinfeger- uud 
Paraffinkrebs. Aber es scheint doch das Moment der contiuuir- 
lichen Gewebsreizung nicht vollständig auszureichen, uud der 
Autor recurrirt auf die epithelialen Structureigenthümlichkeiten 
des lange bestehenden Lupus, die von Friedlaender, Waldeyer 
und Kaposi beschrieben worden sind, und zwar in zweierlei 
Formen: 

1. Als Lupus hypertrophicus papillaris, wo die Papillen 
enorm verlängert und von mächtigem hornhautartigem Epidermis- 
stratum bedeckt sind. 

2. Als Lupus epitheliomatodes, wo die Retezapfen nicht 
blos iu die Tiefe, sondern auch seitlich auswachseu und sich zu 
einem Netzwerk verbinden, das ganz aus Balken von Epithelzellen 
zusammengesetzt ist. Ausserdem finden sich, wie iu jedem Epi- 


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19 . April._DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 319 


dennislager, stellenweise zwiebeiscnaiig angeordnete Kugeln und Epi¬ 
thelzellen, so dass das histologische Bild durchaus au das des Epi- 
thelialcarcinoms erinnert. Der Verlauf bei diesem epitheliomartigen 
Lupus, den der verstorbene Busch im I. Chirurgencongress beson¬ 
ders anschaulich schilderte, ist aber keineswegs ein bösartiger, son¬ 
dern ein durchaus chronischer, der noch nach Decennien zur Heilung 
führt 

Indessen ist doch gerade dieser Punkt, das in die 
Tiefe Wuchern der Epithelzapfen, auch von Kaposi als 
histologische Grundlage für die Entwickelung von Epithelialkrebs 
in den Vordergrund gerückt worden. 

Unser Autor betont aber, dass bei der schwierigen Unterschei¬ 
dung des epitheliomartigen Lupus und des Lupuscarcinom auch die 
klinischen Erscheinungen und die Malignität des Ver¬ 
laufes für die Diagnose „Krebs“ entscheidend sind. 

Er streicht deshalb die von pathologischen Anatomen erwähnten 
Fälle von Thoma und Schultz, resümirt seine Ansicht dahin, 
dass ein direkter Uebergang von Lupusgewebe in Krebsgewebe 
nicht anzunehmen ist, sondern dass die Auswachsungen der 
interpapillären Einsenkungen in den Lupus hinein als 
Ausgangspunkt des Krebses anzusehen sind, und bringt 
einen von Prof. Nauwerck genau untersuchten, ein Lupuscarcinom 
betreffenden Fall der Tübinger Klinik (Fall 5), welcher alle Ueber- 
gänge zwischen Epithelwucherung und dem ausgebildeten Epithel¬ 
krebs erkennen lässt. 

Krebs und Lupus gehen also nicht gleichgültig neben einander, 
sondern Krebs greift den Lupus an und bringt ihm den Untergang. 
Was das klinische Verhalten des Lupuscarcinoms betrifft 
(31 Fälle), so tritt dasselbe sehr früh auf, während sonst die Ge¬ 
sichtskrebse in höherem Alter sich zeigeu. Sitz und Ausgangspunkt 
war vorwiegend die Wange, in zwei Fällen beiderseitig. Die Dauer 
des Lupus beim Auftreten des Carcinoms betrug mindestens ein 
Decenniura, meist mehr. Auffallend ist die frappante Bösartig¬ 
keit. Meist entwickelt sich im lupösen Gewebe eiue rasch wu¬ 
chernde, an ihrer Basis oft halsartig eingeschnürte, rund¬ 
liche, an der Oberfläche zerklüftete, Jauche secerni- 
rende Geschwulst, die zugleich tief iu das unterliegende Gewebe 
bis auf den Knochen eindringt. Damit verbunden ist eine bedeu¬ 
tende Störung des Allgemeinbefindens, unter Fieberbewegungen, 
Schlaflosigkeit und Abmagerung führt der Process rasch zum Tode, 
wenn nicht durch frühzeitige und gründliche Entfernung der Neu¬ 
bildung Hülfe geleistet wird. 

Der Grund für diese Bösartigkeit ist wohl in deu durch den 
Lupus bedingten anatomischen Verhältnissen zu suchen, in dem 
durch langjährige Zelleninfiltration aufgelockerten und zum Zerfall 
vorbereiteten Gewebe; daher die Misserfolge der Therapie. Von 10 
operirten Fällen recidivirten 7, nur ein von Volkmann operirter 
wurde dauernd geheilt, von 3 geätzten Fällen wurde nur einer 
von Hebra gerettet, weshalb nur von möglichst früher Exstirpation 
mit dem Messer, oder allenfalls mit dem Thermokauter Erfolg zu 
erwarten ist. 

Die hervorragendste Arbeit des Heftes ist die gemeinschaft¬ 
liche von Prof. P. Bruns und Prof. C. Nauwerck über die 
antituberoulöse Wirkung des Jodoform, klinische und histo¬ 
logische Untersuchung. Bekanntlich wurden von Billroth und 
Verneuil auffallend günstige Resultate von Jodoforminjectionen in 
kalte Abscesse mitgetheilt, welche übrigens noch lange nicht die 
gewünschte Beachtung gefunden haben. Aus Tübingen wurden 
schon 22 Fälle publicirt (cfr. Bd. I); jetzt liegen im Ganzen 50 vor. 
Im Interesse der praktischen Aerzte seien die Bruns’schen An¬ 
gaben wiederholt: Der Abscess wird mit einer Hohlnadel punctirt, 
der Inhalt aspirirt 1 ) und eine 10%ige Mischung von Jodoform 1, I 
Glycerin 5, Alkohol 5 injicirt und zwar 30—50—100 g. Jodoform- j 
äther ist wegen peinlicher Zwischenfälle (Aetherdämpfe) zu raeideu. 
Auf die Operation folgt keine (wesentliche A. d. R.) Reaction. (In 
den 3 Fällen, die Ref. behandelte, war stets abendliche Temperatur¬ 
steigerung vorhanden, die übrigens wie bei der Hydrocele-Iujection 
principiell wichtig zu sein scheint; der Urin ist stark jodhaltig ge- i 
wesen von hohem specif. Gew.). In der Regel waren 2—3 Injec- ! 
tionen in 3—4wöchentlichen Intervallen nöthig. Die Verkleinerung i 
des Tumors folgt erst 5—6 Wochen nach der Injection, so dass die \ 
Heilung 2—4 Monate in Anspruch nimmt. Verneuil sah in 1 1 /-_> I 
Jahren einen 8—9 1 haltenden Abscess nach 8 Injectionen heilen. 
Ausserdem kommt es nicht selten vor, dass die schon vorher stark 
verdünnten Hautdecken einige Zeit nach der ersten Injection durch¬ 
brechen, und sich eine Fistel etablirt; das ist jedoch kein Hinder- j 
niss für die Heilung. Von den 54 Fällen wurden 40 Fälle erfolg- I 
reich behandelt, darunter solche mit 500—1000 cbm Abscessinhalt. i 

*) Statt der Aspiration genügt wohl der Druck auf die Abscesswand. 

A. d. Ref. 


Zu den erfolglos behandelten gehören solche mit florider Gelenk - 
tnbercnlose. 

Diese interessanten klinischen Beobachtungen wurden zur Frage¬ 
stellung iu der Jodoformfrage verwandt: 

1. Vermag das Jodoform bei localer Anwendung tuberculöse 
| Processe zu heilen? 

2. Ist seine Wirkung eine antibacterielle? 

Was die erste Frage betrifft, so begann ja das Jodoform da¬ 
mit zu debütiren, ein Antituberculosum zu sein. Indessen stehen 
noch heute die Ansichten v. Mosetig’s und Koenig’s schroff 
gegenüber. Nur Marchand lieferte eine Arbeit in Virch. Arch. 93. 
dass man bei Anwendung von Jodoform keine mehrkörnigen und 
Riesenzellen sich entwickeln sieht. Die Schwierigkeit der Ent¬ 
scheidung liegt eben darin, dass bei der gewöhnlichen Anwendung 
des Jodoforms die klinische Beobachtung schwer zu verwerthen ist, 
denn es wird noch kauterisirt etc. etc. Gerade bei der Injections- 
methode erweist sich die Beobachtung rein, und die zahlreichen, 
jeden Zufall ausschliessenden constanten Erfolge beweisen, dass 
das Jodoform entschieden eine locale, antituberculöse Wirkung hat. 

Was die zweite Frage betrifft, ob diese Wirkung als eiue 
speciflsche zu betrachten ist, so steht so viel fest, dass die all¬ 
mähliche Ausheilung nur in der Weise zu Stande kommt, dass die 
tuberkelhaltige Schicht der Abscesswand schwindet und gesunde, 
vernarbungsfähige Granulationen an der Innenwand auftreten. Da 
von einer kaustischen Wirkung oder stark entzündlichen Reizung 
bei der vollkommenen Reizlosigkeit des Jodoforms nicht die Rede 
sein kann, vielmehr der innige uud anhaltende Contact desselben, 
welcher bekanntlich Monate lang dauern kann, vielleicht auch Ab¬ 
spaltung von Jod durch den stark fetthaltigen Eiter als das Wirk¬ 
same angesehen werden muss, so liegt die Vermuthung nahe, dass 
die Wirkung des Jodoforms gegen die Tuberkelbacillen ge¬ 
richtet ist, und dass durch Vernichtung derselben das tuberkel- 
haltige Gewebe zum Zerfall gebracht wird. 

Um nun über diesen wichtigen Punkt Aufschluss zu erhalten, 
wurde kürzere oder längere Zeit nach der Jodoforrainjection der 
Abscess eröffnet und die Wandung in ihrer ganzen Dicke theil- 
weise oder ganz exstirpirt. Mittelst der modernen Härtungs-, 
Schnitt- und Färbungsmethoden wurde der feinere Bau der Wan¬ 
dung studirt, und es ergaben sich an der 0,5 cm dicken Abscess¬ 
wand vier Gewebsschicliten: 

1. eine breite, derbe, dichte, sklerotische Bindegewebsschicht, 

2. eine zellig faserige, noch immer fast rein spindelzellige, 
gefässreiche, in ziemlich lebhafter Proliferation befindliche Schicht, 
an welche sich 

3. die eigentlichen tuberculösen Granulationen mit den cha¬ 
rakteristischen, riesenzellenhaltigen Knötchen anschliessen. Ausge¬ 
wanderte Leukocyten treten gegenüber den epitheloiden Zellen 

i durchaus in den Hintergrund. Die Granulationszone grenzt sich sehr 
i scharf durch einen Saum verfetteten Gewebes von der innersten 

4. fettig nekrotischen Zone ab, in welcher, ebenso wie in 
der dritten, spärlich Tuberkelbacillen nachzuweisen sind. 

Ein ganz wesentlich verändertes Bild liefert eine Abscess- 
wandung sechs Wochen nach zweimaliger Jodoforminjection: Ver¬ 
schwunden ist das, was die Abscesswand histologisch 
j als tuberculös kennzeichnet, der Tuberkel, die käsig 
nekrotische Zone, die abwischbare Granulationsschicht; 
vergebens sucht man nach Bacillen, nur die derbe Kapsel bleibt 
besteheu mit ausgedehnten arteriitischen Processen, innen begrenzt 
durch die mässig proliferirende, faserig spindelzellige Schicht. 

Durch weitere sehr genaue Untersuchungen während der 
verschiedenen Stadien der Heilung beantworten beide Autoren die 
Frage: „wie es kommt, dass das tuberculöse Granulationsgewebe 
dem Untergang verfällt“, bestimmt dahin, dass die Tuberkel¬ 
bacillen sich verändern und schliesslich verschwinden, dass 
mit ihrem Untergänge der Anstoss zu immer erneuter tuberculöser 
Wucherung, die mit dem käsig-nekrotischen Zerfall gleichen Schritt 
hält, fortfällt. 

Hand in Hand mit der Abnahme der tuberculösen Wucherung 
macht sich eiue starke Emigration von Leukocyten geltend, 
welche in die epitheloiden Tuberkeln eindringen und dieselben 
durch dichte Infiltration auf lockern; eine starke, zellenreiche, ent¬ 
zündliche Exsudation bringt die vorhandenen Knötchen zum Zerfall, 
und gesundes Granulationsgewebe bildet sich. 

Ausdrücklich betonen die Autoren aus dem Studium von 
periarticulären Abscessen bei noch florider Gelenktuberculose, dass 
die heilende Wirkung des Jodoforms nur eine räumlich be¬ 
schränkte ist, und dass von einer irgendwie erheblichen Feru- 
wirkung nicht die Rede sein kann. Nach Schwund der Tuberkel 
obliterirt das Gefasssystem, die Granulationen verschwinden oder 
gehen mitsammt der Spindelzellenschicht in Bindegewebe über, 
die Exsudation hört auf, der Abscessinhalt wird resorbirt, die 


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320 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 16 


Wandungen schrumpfen narbig zusammen. — Wir sind dem Tü¬ 
binger Chirurgen für die Bereicherung unserer Vorstellungen durch 
das feine Studium über die Heilungsvorgänge bei der Tuberculose 
zu grösstem Dank verpflichtet. 


G. Hünerfauth. Handbuch der Massage. Wiesbaden, J. F. 

Bergmann. Ref. H. Nebel. 

Dr. Hünerfauth hat seiner Geschichte nun auch ein Handbuch 
der Massage folgen lassen. Ohne Frage könnte eine derartige, übersichtliche 
Zusammenstellung des bisher auf dem Gebiete der Massage Versuchten und 
Geleisteten von hohem Werthe und Interesse sein, wenn sie von originellen, 
grundlegenden Ideen getragen und kritisch leuchtend, den Rahmen abgäbe, 
in welchem ein Mann von anerkanntem Rufe nach langjähriger und ausge¬ 
dehnter Thätigkeit auf diesem Felde, z. B. ein Dr. Mezger, oder einer 
seiner bekannteren, vielbeschäftigten Schüler, den reichen Schatz seiner 
Erfahrungen niederlegen wollte; — für Bekanntgebung der nicht eben 
zahlreichen Beobachtungen und der ersichtlich nicht ungewöhnlichen Er¬ 
fahrungen des Dr. H. dürfte der Rahmen etwas weit gewählt sein. Das 
Buch zeugt gewiss von dem Fleisse und der grossen Belesenheit des Ver¬ 
fassers, Titel und Inhaltsverzeichniss lassen aber mehr erwarten, als der 
Leser zur Befriedigung des in ihm erweckten Verlangens finden wird. Neues 
ist kaum geboten, und für das oft Behandelte lag ein dringendes Bedürfniss 
der Neueinkleidung noch kaum vor. Die Zeit für ein Handbuch der Massage 
dürfte vielleicht erst kommen, wenn einmal die Hochfluth der reproducirenden 
Publicationen sich verlaufen hat, wenn der übergrosse Lärm, welchen das 
Allheilmittel verursacht hat, verstummt; wenn das geheimnissvoll ver¬ 
schleierte Bild von Sais, leider zugleich des Schwindels Lieblingskind, von 
dem glänzenden Schilde der Mode herabsteigend, mehr wie bisher in den 
Werkstätten wissenschaftlicher Forschung eingekehrt sein wird, damit an 
Stelle übertriebener Anpreisungen und übereilter Schlüsse, eine reinigende 
Kritik und richtige Werthschätzung dem zuviel gepriesenen, wie zuviel ge¬ 
schmähten Mittel endlich und endgiltig denjenigen Platz unter den thera¬ 
peutischen Mitteln anweisen möge, der ihm gebührt. Der so oft schon und 
auch vom Verfasser des Handbuchs in seiner Vorrede ausgesprochene — 
«freundliche Wunsch, dass fürderhin der Arzt, wie auch der Jünger der 
Medicin sich neben den übrigen Disciplinen mehr mit der Massagetherapie 
beschäftigen möge, als dies bis jetzt geschah“, — wird trotz der quantitativ 
gewaltig anwachsenden Massageliteratur leider ein frommer Wunsch bleiben, 
solange das Gebäude nicht auf festerem Grunde ruht, und bevor die Aerzte 
nicht Gelegenheit finden, die Grundkenntnisse und das Interesse für die 
Massagebehandlung auf den Hochschulen zu erwerben; an schriftlicher An¬ 
regung hat es uns im letzten Decennium nicht gefehlt, es müsste aber vor 
Allem in Kliniken und grösseren Krankenhäusern von einem Mittel allge¬ 
meiner der richtige Gebrauch gemacht werden, mit welchem speculative 
Nichts- und Halbwisser nur deshalb so ergiebig wuchern konnten, weil man 
es an maassgebender Stelle zu stiefmütterlich behandelt hat. 

Das Handbuch bringt im I. Abschnitt eine Recapitulation jener bereits 
zweimal publicirten (kürzlich in dieser Zeitschrift gewürdigten) Geschichte 
der Gymnastik, welche eine Geschichte der Massage (lucus a non lucendo) 
sein sollte. Im II. Abschnitt versucht Verfasser eine Physiologie der Massage 
zu schreiben, indem er die Ergebnisse der wenigen einschlägigen Arbeiten 
bespricht. Die Armuth des betreffenden, durch Repetitionen aus der Er- 
nährungs-, Muskel- und Nervenphysiologie etwas ansehnlicher gestalteten 
Capitels, lässt nur zu deutlich empfinden, wie viel uns noch zu einer 
Physiologie der Massage fehlt. 

Der III. Abschnitt behandelt die uns aus der präcisen, übersichtlichen 
Darstellung Reibmayr’s, dem auch ein Theil der Abbildungen entlehnt ist, 
bekannte Technik der Massage, als deren Theil natürlich auch Widerstands¬ 
bewegungen (Heilgymnastik) herhalten müssen. 

Raibmayr’s »Technik der Massage“ bietet trotz ihrer anspruchsloseren 
Form soviel mehr, dass sie für den Praktiker von ungleich grösserem Werthe 
ist, wenn er nur über einige Schwächen des Werkchens hinwegsehen kann, 
nämlich: 

1. Einen oft recht fühlbaren Mangel an Kritik, 

2. Die wohl den interessanten Engelmann’schen Bildern zu Liebe 
hereingezerrten, schwerlich hierhergehörigen geburtshülflichen Acte, 

3. Die nicht correcten, den unbestreitbaren Verdiensten eines Mannes, 
der, obwohl eine abnorme Erscheinung, unsere Achtung verdient, nicht 
gerecht werdenden Angaben über die von dem schwedischen Major 
Thure Brandt erfundene Methode der Uterusmassage, 

4. Die, von einer bedauerlichen Unkenntniss des verketzerten Gegen¬ 
standes zeugenden, unrichtigen Angaben über die mechanische Gym¬ 
nastik des Dr. Zander, — die sog. »Maschinenmassage“. 

Dr. Hünerfauth beklagt mit Recht, am Schlüsse seines III. Ab¬ 
schnittes, die mit der Massage betriebene, vielfach von ärztlicher Seite be¬ 
günstigte Gurpfuscherei und wünscht, dass die Aerzte thunlichst die eigene 
Hand zum Massiren gebrauchteil. Warum aber der „Sanitätsrath und 
Professor“ in Wien (p. 81) nicht auch seiner Schwester Anweisung im 
Massiren gegen Entgelt (natürlich nicht zum Vergnügen!) geben soll; warum 
ein anderer Professor nicht seiner Schwägerin Massagen anvertrauen soll; 
warum Chirurgen nicht geeignete Specialwärter oder Wärterinnen für die 
einfacheren Fälle mit Massagemanipulationen betrauen sollen, vorausgesetzt 
natürlich, dass dies nie auf eigene Faust des Personals, ohne specielle 
Anweisung und Ueberwachung von Seiten des Arztes geschieht, ist nicht 
wohl einzusehen. Dem Gespenste der „Maschinenmassage“ gegenüber führt 
Verfasser die, sein Urtheil billigenden Worte „eines wohlbekannten Fach¬ 
genossen Sch.“ an, welcher sich gefreut hat. dass H. mit Ruhe und Schärfe 
über die Maschinentherapie (Sch. nennt es doch wenigstens nicht Maschinen¬ 
massage!) abgeurtheilt habe, und welcher meint: „Es handelt sich bei Me- 
chanotherapie nicht um die mechanische Einwirkung allein, die letztere muss 
durch das Gehirn des Arztes geleitet, modificirt. dem Falle angepasst. 


oder aber ganz und gar verweigert werden. Es wi rd leider viel Unfug 
getrieben.“ 

Jeder mit der, nach Dr. Zand er’ s Intentionen ausgeübten Methode 
Vertraute weiss, dass die mechanische Gymnastik, ebensogut wie die von 
Herrn Sch. und Dr. Hünerfauth vertretene Mechanotherapie „durch das 
Gehirn des Arztes geleitet, modificirt und dem Falle angepasst wird“, und 
bis jetzt ist wahrlich mehr Unfug mit der manuellen, überwiegend von 
Leuten, die Dr. Hünerfauth „Curpfuscher“ betitelt, ausgeübten Methode 
getrieben worden, als mit der, unter ärztlicher Anweisung und Ueberwachung 
gegebenen mechanischen Gymnastik, die leider vor dem Schicksale ihrer 
manuellen Schwester nicht ganz bewahrt bleiben mag. Welchen „Unfug“ 
Dr. Hünerfauth’s Anonymus gerade im Auge hatte, ist für den Leser 
leider nicht ersichtlich. Eine grössere Genugtuung aber, als die „Ruhe 
und Schärfe“ in dem Aburtheilen des Dr. H. dürfte Herrn Sch. durch das 
Verfahren des Dr. Podratzky in Wien bereitet worden sein, welcher sich 
nicht scheute, gelegentlich eines, vor Officieren gehaltenen Vortrages, den 
Namen eines hochgeachteten Arztes in den Schmutz zu ziehen, indem er 
dessen wissenschaftliche Bestrebungen mit bekannten, lächerlichen Schwin¬ 
deleien auf eine Stufe stellte. Dr. Zander erhielt das Schriftcheu anonym 
zugesandt und legte es, mitleidig lächelnd, zu dem Uebrigen, das er einer 
Erwiderung nicht für werth und würdig erachtete. 

Die Komik des Dr. Zabludowsky mochte ihn, ebenso wie die „nicht 
in den Himmel wachsenden Bäume“ des Dr. Reibmayr erheitern: zu der 
wissenschaftlichen Entrüstung des Dr. Averbeck und den „eingehenden 
Studien“ des Dr. Hünerfauth konnte er den Kopf schütteln; er ertrug 
sogar die Verachtung des Heilturners Klemm, in dessen Buch die 
„Philosophie des Unbewussten“ allerdings die Hauptrolle spielt. Nur einer 
Aeusserung gegenüber glaubte Dr. Zander nicht schweigen zu dürfen, weil 
sie ihn, in einem Werke von wissenschaftlicher Bedeutung, aus geistreicher 
Feder, frappiren musste. 

Dr. II. Schreiber hatte in seiner bekannten Monographie dem von 
Burlot „erzeugten“ Schranke — den, Dr. Zander’s „ärztlichem Gehirn“ 
entsprossenen Apparaten gegenüber wahrlich eine Spielerei! — mehrere Seiten 
gewidmet, während die Methode des Dr. Zander in wenigen Zeilen etwas leicht¬ 
hin abgeurtheilt wurde; auf die erstaunte Anfrage des Dr. Zander, ob und wo 
er seine Apparate gesehen und seine Methode kennen gelernt hätte, war 
Dr. Schreiber ehrlich genug, sich zu entschuldigen, weil er thatsächlich 
keinen Zander’schen Apparat gesehen, vielmehr durch wenig glückliche 
Imitationen zu einer falschen Ansicht über die Z.’sche Methode gekommen 
wäre. Herrn Dr. Schreiber wird man also kaum hinter der Initiale 
Sch. des „wohlbekannten Fachgenossen“ suchen dürfen. 

Wir kommen nun zum specielleö Theile des Hünerfauth’.sehen 
Handbuches; darin ist zwar von allem Möglichen die Rede, aber von 
Wenigem so, dass der Lernbegierige, von des Autors Erfahrung geleitet, 
ersehen könnte, wie er gegebenen Falles vorzugehen hätte. 

Der IV. Abschnitt bespricht die Anwendung der Massage in der inneren Me¬ 
dicin. Zu vieles von dem dort Gesagten mag dem Leser aus den Lehrbüchern 
über innere Krankheiten bekannt Vorkommen; bezüglich vieler therapeutischer 
Erfolge aber kann er sich kaum Rechenschaft geben, wieviel davon auf 
Kosten der Massage entfallen mag, gegenüber dem, was er den, ausserdem 
angewandten, heilgymnastischen Bewegungen, der Elektricität und Wasser¬ 
behandlung, zuschreiben muss. Andererseits dürfte er, wie gesagt, nur zu 
oft vergebens nach ausführlicheren, von praktischer Erfahrung eingegebenen 
Anleitungen suchen, wie er dieses und jenes Uebel anzugreifen hat, wodurch 
sich die Schreib er’sehe Monographie so vortheilhaft vor verwandten 
Büchern auszeichnet. Stellt sie auch den vielfach zweifelhaften Begriff 
Massage fettgedruckt voraus, so sagt die: „Praktische Anleitung zur Be¬ 
handlung durch Massage und methodische Muskelübung“ von Dr. 
J. Schreiber doch vor Allem klar und deutlich, um was es sich eigentlich 
handelt; ist Dr. Schreiber auch im Irrthum, wenn er glaubt, dass seine 
Methode der Ischiasbehandlung die allein richtige und unfehlbar sei, so 
wird doch Jeder zugeben, dass sie ebenso schön ausgedacht, wie gut und 
dem Zwecke, sie auch Anderen an die Hand zu geben, entsprechend, be¬ 
gründet und beschrieben wurde. Während Dr. Hünerfauth uns oft zu 
kurz abspeist oder ganz im Unklaren lässt, wo eingehender zu verweilen 
wäre, z. B. bei Behandlung der Chorea, der spinalen Kinderlähmung, der, 
bei Schreiber so sorgfältig ausgeführten Behandlung der Neuralgia 
ischiadica, cruralis und brachialis, u. a. qj., uns aber möglichst viele Leiden 
vorführt, die man und die er mit sogen. Massage angegriffen hat, giebt 
Schreiber uns stets genau die Mittel und Wege, wie dem Patienten zu 
helfen ist, an — „multum ne multa“! 

Den acuten und chronischen Muskelrheumatisraus hat Dr. Hünerfauth 
in den V. Abschnitt unter die chirurgischen Leiden versetzt, wo auch die 
Pleurodynia und die Cephalalgia rheumatica untergebracht sind. 

Der VI. Abschnitt behandelt Massage bei Augen- und Ohren¬ 
krankheiten. 

Im VII. Abschnitt folgen Angaben über die Massage in der Gynäkologie, 
worüber in letzter Zeit mehrere Arbeiten ans der Klinik des Herrn Professor 

S. Schultze bessere Auskunft ertheilt haben. 


G. Bunge. Lehrbuch der physiologischen und patholo¬ 
gischen Chemie. In zwanzig Vorlesungen für Aerzte. und 
Studirende. 380 S. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1887. 

In den ersten der zwanzig Vorlesungen, in welche sich das 
genannte Lehrbuch gliedert, legt der Autor seinen Standpunkt dar, 
von dem aus er die physiologische Forschung unserer Tage, ihre 
Ziele, ihre Aussichten für die Zukunft glaubt beurtheilen zu müssen. 
Den heutigen Anschauungen gegenüber bricht der Autor unter ge¬ 
wissen Einschränkungen eine Lanze für den Vitalismus, dessen Wesen 
darin bestehe, dass wir den allein richtigen Weg der Erkenntniss 


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19. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


321 


einschlagen und zwar, dass wir ausgehen von dem Bekannten, von 
der Innenwelt, um das Unbekannte zu erklären, die Aussenwelt. 
Den umgekehrten und verkehrten Weg schlägt der Mechanismus ein; 
er geht von dem Unbekannten aus, von der Aussenwelt, um das 
Bekannte zu erklären, die Innenwelt. Mit diesem Schlagbaum 
collidirt — und das wird man beim Studium dieses Lehrbuches 
bald inne — die Behandlung des Stoffes der anderen Vorlesungen 
in gar keiner Weise. In lichtvollster Darstellung findet sich in ihnen 
Alles das behandelt, was auf dem einschlägigen Gebiete nach dem 
heutigen Standpunkte unseres Wissens für eine zusammenhängende 
Darstellung reif ist. Zu den ferneren Vorzügen dieses, dem Arzte 
wie dem Studirenden auf das Wärmste zu empfehlenden Lehrbuches 
gehört, dass man in demselben einen reichhaltigen Quellennachweis 
findet, der auch ein eingehenderes Studium ermöglicht. 


Murri. Ueber einige Anomalieen des Herzstosses (Sa di al- 
oune anomalie delTimpulso cardiaco). „11 Morgagni“, August 
1887. Ref. A. del Torre. 

Die systolischen von der Verwachsung des Pericardiums un¬ 
abhängigen Einziehungen der Herzstossgegend bilden noch heute 
eine Thatsache dunklen Ursprungs und nicht gekannter Bedeutung. 
Prof. Murri hat Gelegenheit gehabt, bei zwei Kranken, welche 
dieses Phänomen iu deutlichster Weise boten, dasselbe zu beob¬ 
achten und cardiographiseh zu studiren. Beide Patienten litten an 
derselbenHerzerlrt-ankung, nämlich: leichter Stenose des Mitralostiums, 
doppelter hochgradiger Insufficienz der atrio-ventriculären Klappen 
und Erweiterung aller Herzhöhlen. 

Murri hat bei Aorteninsufficienz niemals ein Einsinken der 
Spitzenstossgegend beobachtet, wohl aber hat er bei derartigen Herz¬ 
fehlern ein Einsinken anderer Stellen der Präcordialgegend sehr oft 
gesehen. In den zwei besagten Fällen jedoch war die systolische 
Einziehung genau an dem Punkte vorhanden, welcher der Herz¬ 
spitze entspricht. Dies festgestellt wirft Murri zwei Fragen auf: 

1. Durch welchen Mechanismus erfolgt in so seltenen Fällen 
ein systolisches Einsinken statt einer systolischen Hervorwölbung 
der Brustw’and? 

2. Wie kann man eine systolische Einziehung infolge Verwach¬ 
sung des Pericardiums von einem Einsinken, welches einzig durch 
ein Vitium cordis bedingt ist, praktisch unterscheiden? 

Es ist klar, dass die Antwort auf die zweite Frage durch die 
Lösung des ersten Problems ganz besonders erleichtert werden 
könnte. In Bezug auf die Lösung dieses Problems ist aber die 
inedicinische Litteratur sehr dürftig. 

Murri schreibt der von ihm beobachteten Erscheinung folgende 
Ursachen zu: 

a) Elasticität und Dünnheit der Thoraxwände, Weite 
der Intercostalräume. 

b) Lage des Herzens. Diese Bedingung verdient nach der 
Auffassung Murri’s erläutert zu werden: Je grösser das Volumen 
des Herzens während der Diastole wird, um so mehr werden die 
Lungenränder nach aussen gedrängt. Ferner bringen die veränderte 
Richtung des Herzens zu den grossen Gefässen und die Ausdeh¬ 
nung der Leber das Organ in innigere Berührung mit der Thorax¬ 
wand. Ausserdem muss mau den Unterschied der Veränderungen 
berücksichtigen, die auf der Vorderfläche des Herzens vor sich gehen, 
je nachdem der linke oder der rechte Ventrikel dilatirt ist. Wenn 
der linke dilatirt ist, so verdickt sich seine Spitze immer mehr und 
drängt gegen die Wand; ist hingegen der rechte Ventrikel erweitert, 
so wird dieser an seiner Vorderfläche so stark convex, dass die Con- 
cavität der Brustwand dem nicht mehr genügend entspricht, und 
darum lässt die Spitze die Brustwand bei Seite und schiebt sich 
unter das Lungengewebe hinein. Die Folge von dem allen ist, dass 
die Basis des rechten Ventrikels stark gegen den Brustkasten ge- 
stossen wird, während die Spitze sich davon entfernt. 

c) Menge des im Herzen enthaltenen Blutes und 
Raschheit seines Austrittes. Es ist natürlich, dass, je grösser 
die Menge des Blutes ist, die aus dem Brustkasten austritt, und je 
rascher dieser Austritt sich vollzieht, desto bedeutender die Leere 
ist, die ausgefüllt werden muss, und desto schwieriger ist es, dass 
die nach aussen getriebene Lunge sich unmittelbar und genügend 
ausdehne. 

d) Reactionsstoss des Herzens nicht gegen die Spitze, 
sondern gegen die Basis des rechten Ventrikels. Um 
diesen Gegenstand klar zu legen, ist es nothwendig, in Kürze aus¬ 
einanderzusetzen, welches die Ansicht des Autors über die Theorie 
Gutbrod’s undSkoda’s sei. Nach Murri kann man die grossen 
Abwechselungen des Herzstosses bei cardio-vasculären Läsionen 
nicht verstehen, wofern man nicht den Coefficienten des Rückstosses 
des Herzens annimmt. Und dieser klinische Beweis, auf den wir 
hier nicht näher eingehen können, kann durch die Thierversuche 
nicht entkräftet werden, die alle (nicht einmal der vom leer pulsi- 
renden Herzen ausgenommen) nur beweisen, dass es ausser dem 


Rückstoss noch andere ursächliche Factoren giebt, aber nicht be¬ 
weisen können, dass nicht auch der Rückstoss des Herzens 
mit diesen mitwirke. Murri aber glaubt, dass man, bei der 
Untersuchung des Verhältnisses der Ventrikel zur Richtung der 
entsprechenden Arterien, wahrnimmt, dass die Rftckstossbewegung 
für beide nicht dieselbe sein kann, dass sie hingegen beiin linken 
Ventrikel in der Richtung der Spitze stattfindet, beim rechten gegen 
die dem Bulbus der Pulmonalarterie gegenüberliegende Ventrikel¬ 
wand. 

Der Vorgang, wie sich der Mechanismus der systolischen Ein¬ 
ziehung des Thorax in diesen Fällen vollzieht, ist also folgender: 
Das besonders rechts ausserordentlich ausgedehnte Herz ist an 
einer bedeutenden Fläche in Berührung mit der Thorax wand. In 
Folge einer doppelten Insufficienz der atrio-ventriculären Klappen 
nimmt das in den Vorhöfen und in den grossen Venen enthaltene 
Blut während der Systole der Herzkammern eine sehr hohe Span¬ 
nung an, so zwar, dass unmittelbar nach dem Erschlaffen der Ven¬ 
trikel das hereinstürzende Blut sie anschwellen macht und die 
Ventrikelwände mit Gewalt gegen die Rippen treibt (diastolischer 
Impuls). Indem sich nun diese stark erweiterten Höhlungen ent¬ 
leeren, muss innerhalb des Thorax sich ein grosses Vacuuni bilden, 
welches in der Norm die Lunge ausfüllen sollte. Aber dieser Auf¬ 
gabe kann hier die Lunge nicht ganz genügen, nicht blos weil die 
Leere eine übermässige ist, soudern auch weil diese sich sehr rasch 
bildet; in der That tritt das Blut aus den Ventrikeln nicht mehr 
durch zwei Oeffnungen, sondern durch vier aus. Und da die Lunge 
einem so raschen und grossen Bedürfnis nicht genügen kann, 
müssen ihr die dünnen und elastischen Thoraxwäude zu Hülfe 
kommen. 

Die Herzspitze bei den zwei Kranken lehnt sich nicht mehr 
an die Brustwand, sondern steckt an der concaven Lungenfläche; 
die Herzbasis drängt sich aber um so stärker gegen die Brustwand. 
Da nun die Dilatation des rechten Ventrikels grösser ist als die 
des linken, muss die systolische Rückstossbewegung rechts vor¬ 
herrschen, und demnach wird die Partie des Thorax, die die Effecte 
der internen Aspiration erleiden muss, diejenige sein, welche der 
Herzspitze entspricht, die, da sie von dieser Brustpartie absteht, 
unfähig ist, sie hervorzuwölben. 

Ist einmal dieser Mechanismus der systolischen Einziehung bei 
Nichtvorhandensein einer Synechia pericardii verständlich, dann 
sind auch die Anwendungen auf die Diagnose einleuchtend. Für 
die detaillirten Erläuterungen und die vielen Schlussfolgerungen, 
die Murri aus seinen werthvollen Studien zieht, müssen wir den 
Leser auf die Originalarbeit verweisen. 


VH. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 11. April 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

1. Herr Fritz Strassraann demonstrirt vor der Tagesordnung die 
Organe eines Falls von Oxalsfturevergiftung, die das charakteristische 
Bild dieser Vergiftung in seltener Deutlichkeit darboten. Die betreffende 
kam als Erhängte auf den Secirtisch, von Vergiftung war nichts bekannt. 
Bei der Eröffnung des Abdomens fiel sofort der Magen durch sein graues 
durchscheinendes Aussehen auf, ein Verhalten, auf das zuerst Li man auf¬ 
merksam gemacht hat und das eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Oxal¬ 
säurevergiftung gestattet. Die ersten Wege waren verätzt, im Magen fand 
sich eine grauschwarze schmierige Masse, die Magenschleimhaut fehlte fast 
völlig. Die Säure war diffundirt und hatte auch die Nachbarorgane verän¬ 
dert, wie gewöhnlich, wenn das Gift Zeit hat, einzuwirken. Selbst die Aorta 
war hier verätzt, das Blut in ihr zu einem harten, holzartigen Cylinder zu¬ 
sammengeklebt. Unter 24 Fällen von Oxalsäurevergiftung kann Vortiagendcr 
sich keines mit solcher Fernwirkung erinnern. In den Harncanälchen fanden 
sich reichliche Krystalle von oxalsanrem Kalk. 

2. Herr Mendel: Ueber Ilomiatrophia facialis. (Mit Demonstra¬ 
tionen). Die Kranke, um die es sich handelt, Frau Kulicke, ist bereits 
am 7. Juli 1880 von Virchow iu der Gesellschaft vorgestellt. Sie er¬ 
krankte im Alter von 25 Jahren im Verlaufe ihres ersten und lotzten 
Wochenbettes an linksseitiger Gesichtsrose, nach deren Ablauf heftige 
Schmerzen in der linken Gesichts- und Kopfhälftc zurückblieben. Daran 
knüpften sich Schmerzen im linken Arme und in der linken Schulter. Als 
Virchow sie hier vorstellte, zeigte sie das Krankhoitsbild der Ilemia- 
trophia facialis, vorzugsweise im Gebiete des 2. und 3. Quintusastes. Vortr. 
hat sio zuletzt behandelt, sie starb an Lungenphthiso, und hat dadurch 
Gelegenheit gehabt, ihre Autopsie zu beobachten. Die linke Zuugenhälfte, 
die vom Facialis und dem motorischen Theil des V. versorgten Muskeln 
waren atrophisch, im linken Radialisgebiet war die Haut wie linksseitig im 
Gesicht verdünnt, ebenso die Muskeln. Die Section hat im Krankenhause 
Moabit stattgefunden. Makroskopisch war an don Nerven nichts wahrzu¬ 
nehmen. Mikroskopisch ergab sich eine Reihe von interessanten Verände¬ 
rungen. 1) An peripheren Nerven. Ueberall waren die entsprechenden Nerven 
der gesunden Seite mit untersucht. Am stärksten war der linke 2. Quintusast 
betroffen, das Neurilemm war 3—4 Mal so dick als auf der gesunden Seite, von 
diesem ausgehend gingen Bindegewebsfasern quer durch das Nervenfaserbündel, 
zur Seite dieser Bündel bleiben durchaus normale Nervenquerschnittc zu- 


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322 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 16 


rück, andere verschwinden. Diese „Neuritis interstitialis proliferans“ ist 
zuerst von Virchow beschrieben. Von der Austrittsstelle im Gehirn an 
war sie im ganzen erkrankten V. nachzuweisen, die Intensität der Verände¬ 
rung der verschiedenen Stellen entsprach der Intensität der früheren Krank¬ 
heitserscheinungen, der III. Nerv und alle anderen Gehirnnerven waren voll¬ 
ständig normal, der linke Radialis zeigte gleichfalls die Zeichen der Neuritis. Im 
Gehirn fand sich nur die absteigende Quintuswurzel atrophisch, die linke Sub- 
stantia ferruginea zeigte ebenfalls Zeichen der Atrophie. Das Rückenmark 
zeigte nur in der Höhe des 4. und 5. Cervicalnerven partielle Atrophie in 
den Ganglienzellen der linken Vorderhörner. Die atrophische Haut wurde 
von Professor Köbncr untersucht, nur dio Cutis war von der Atrophie 
betroffen; Dicke rechts: 0,95 mm, links 0,3 mm. Die betroffenen Muskeln 
waren einfach atrophisch. 

Entstehung und pathologisch-anatomische Grundlage der Hcmiatrophia 
facialis lagen bisher im Dunkeln, die bisher angestelltcn Sectionen, zwei an 
Zahl, hatten nichts ergeben. Nach Aufzählung der bisherigen Theorieen 
über die Entstehung der Krankheit kommt Mendel zu dem Schlüsse, dass 
die Erscheinungen der Atrophie durch eine interstitielle Neuritis hervorge¬ 
rufen werden, die er mit der Neuritis nach Fracturen, acuten Krankheiten 
etc. in Parallele stellt. Dass nur die trophischen Fasern betroffen worden, 
erklärt Mendel aus der Analogie mit anderon Giften und Schädlichkeiten, 
die bald nur dio sensiblen, bald ausschliesslich die motorischen Fasern 
treffen. Von den fünf Quintuswurzeln war nur die absteigende verändert, 
Mendel schliesst daher, dass sie die trophischen Faseru führt. Die tro¬ 
phischen Zellen des V. sind danach sicher zum Theil enthalten in der 
Substantia ferruginea derselben Seite. Vortr. betrachtet dies als eine auf¬ 
steigende Neuritis. Der Radialis war verändert, diejenigen Theile des 
Vorderhornes des Rückenmarks, aus denen wir wissen, dass der Radialis 
entspringt, waren ebenfalls verändert, nicht aber waren verändert die vor¬ 
deren und hinteren Wurzeln des Rückenmarks. Nachdem eiu Theil der 
Fasern des Radialis in einem Lebenslaufe von etwa 25 Jahren zerstört war, 
mussten die Zellen in den Vorderhörnern des Rückenmarks, dio diesen den 
Ursprung gaben, ihre Arbeit einstellen und atrophisch werden. 

3. Discussion über den Vortrag des Herrn Küster. 

vm. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 6. April 1S88. 

Vorsitzender: Herr Meynert. Schriftführer: Herr Rergmeister. 

1. Herr Federn macht eine vorläufige Mittheilung Ober den Zusammen¬ 
hang der partiellen Darmatonie mit Morbus Basedowii. Unter par¬ 
tieller Darmatonie versteht Redner jenen Zustand, in welchem ein Theil des 
Darmes, genauer des Dickdarmes, nicht im Stande ist, seinen Inhalt voll¬ 
ständig zu entleeren. Sie kann für den Patienten spurlos verlaufen, selbst 
ungenügende Stuhlentlccrung scheint häufig nicht vorhanden zu sein. Die 
Folgezustände dieser Erkrankung können der verschiedensten Art sein: die 
hartnäckigsten Darmcatarrhe, Verdauungsstörungen, besonders sogenannte ner¬ 
vöse Magenleiden, hysterische Zustände, die verschiedensten Neuralgieen, 
anhaltende Kopfschmerzen, Kreuz- und Rückenschmerzen, Asthma, Anfälle 
von Lungenödem bei nicht ganz intactem Herzen. Die partielle Darmatonie 
ist ein wichtiges Vorkommniss bei der Tuberculoso in ihrem ganzen Ver¬ 
laufe, welches bei der Behandlung sehr berücksichtigt werden muss. Die 
Diaguose dieses Zustandes lässt sich aus der Percussion stellen; man findet 
nämlich im Verlaufe des Colon Stellen, welche einen hellen bis dumpfen 
Percussiousschall geben, der sich zu verschiedenen Zeiten des Tages stets 
an denselben Partieen des Darmes zeigt. Was die Therapie dieses Zu¬ 
standes betrifft, so besteht diese bei acutou Darmatonieen in Abführmitteln; 
bei chronischen Fällen, wie sie in der Regel Vorkommen, ist die bekannte 
mechanische Therapie und zwar Faradisation oder Massage anzuwenden. 

Herr Federn hat ferner gefunden, dass die partielle Darmatonie eine 
Begleiterscheinung, ja vielleicht eine der Ursachen des M. Basedowii ist 
und theilt einige Fälle mit, in welchen durch die Behandlung der atonischen 
Darmpartieen (durch Faradisation und Irrigationen) eine bedeutende Besse¬ 
rung des M. Basedowii erzielt wurde. Der Puls wurde seltener, das Herz¬ 
klopfen geringer, die Glotzaugen und das Struma nahmen bedeutend ab und 
das subjective Befinden hob sich. 

Was die Erklärung dieser Wirkung betrifft, so theilt Redner eine Be¬ 
obachtung mit, die geeignet ist, einiges Licht auf die Thatsache zu werfen. 
Bei einer Patientin machte er die Beobachtung, dass unmittelbar, nach¬ 
dem er die Elektroden am Halse ansetzte, ein Gurren im Leibe, von 
der Patientin verspürt und vom Redner gehört wurde. Bekanntlich wird die 
Richtigkeit des Ausdruckes Galvanisation des Sympathicus mit Recht, be¬ 
stritten; es wäre ebenso leicht möglich, dass dabei der Vagus gereizt würde, 
und nachdem, nach den neuesten Untersuchungen, der Vagus auch der Be¬ 
wegungsnerv des Darmes ist, so ist es nicht unmöglich, dass die Wirkung 
der sogenannten Galvauisation des Sympathicus und die Wirkung der Faradi- 
sation des Darmes eigentlich die gleiche ist. 

2. Herr Pal macht eine vorläufige Mittheilung über die Innervation der 
Leber: Seit der Entdeckung der Piqüre durch Claude Bernard besteht 
in der Physiologie die Hypothese von speciellen Lebernerven, die im Sym¬ 
pathicus verlaufen sollen. Es ist auch wiederholt von Vasoconstrictoren 
und Vasodilatatoren der Leber gesprochen worden, ohne dass ein tbatsäch- 
licher Beweis hierfür aufgebracht worden wäre. Um die Frage nach der 
Innervation der Lebergefässe zu klären, müssen vorerst alle Zuflüsse zur 
Leber gesperrt werden. Redner hat das ganze Splanchnicusgebiet aus dem 
Kreislauf ausgcschaltet, indem er die Aorta thoracica ligirte, dann die Cava 
ascendcns oberhalb des Eintrittes der Nierenvenen, schliesslich die Porta 
absperrto. In dieser Weise waren alle Zuflüsse der Leber gesperrt, die 
Abflüsse jedoch offen. Auf Reizung der peripheren Splanchnicusstümpfe trat 
eine beträchtliche Drucksteigerung ein, von der Redner anfangs glaubte 
annehmen zu müssen, dass dieselbe der Leber allein zuzuschreiben sei. 
Controlversuche jedoch, die Redner in der Weise ausführte, dass er die 


peripheren Splauchuicusstümpfe bei ligirter Cava im Thorax oberhalb der 
Lebernerven reizte, ergaben gleichfalls eine Drucksteigerung, die aber, wie 
vergleichende Versuche lehrten, hinter der bei offenen Lebervenen zurück¬ 
bleibt. Demnach war anzunehmen, dass die Leber während der Splanchni- 
cusreizung Blut auspressc. Um diese Deutung vollends sicher zu stellen, 
hat Redner einen Catheter durch die Jugularis externa in eine Lebervene 
bezw. in die Cava ascendens auf das Niveau des Zwerchfells cingeführt und 
bei ligirter Aorta, Cava unterhalb der Lebervenen und Porta, die Splanchniei 
gereizt. Es zeigte sich ein vermehrter Ausfluss aus den Lebervenen. 

Aus diesen Versuchen geht demnach hervor, dass der Splanchnicus 
einen direkten Einfluss auf die Leber ausübe, resp. dass im Splanchnicus 
Lobemerven verlaufen. 

3. Herr v. Hocker stellt eineu Kranken vor, bei dem er ein Verfahren der 
totalen Rhinoplastik angewendet hat, das darin besteht, dass mit dem 
in gewöhnlicher Weise der Stirn entnommenen Lappen ein schmaler Periost- 
Knochenlappen mittrausplantirt wurde. 

4. Herr v. Genser berichtet über einige Versuche, die er mit Insuffla* 
tionen in die Nase und mit Antipyrin bei Keuchhusten angestellt hat. 
Die erste Methode hat ihm durchaus nicht jene Resultate geliefert, die 
Michael durch dieses Verfahren erzielt hat. 

Redner hat 36 Fälle in dieser Weise behandelt, aber nie eine rasche 
Heilung in einigen Tagen erzielt, die Durchschnittsdauer der Behandlung 
war 43 Tage. Dabei hat die Methode die Unannehmlichkeit, dass durch 
die Insufflationen heftige Hustenanfälle hervorgerufen werden, so dass sich 
die Kinder dagegen sträuben. Mit Antipyrin wurden 120 Fälle behandelt. 
Als Dosis gab Redner so viele Decigramm pro dio, als das Kind Jahre zählt, 
in Lösung und stieg eventuell auch auf das l 1 /*fache dieser Dosis. Das 
Antipyrin wird von den Kindern gern genommen, vermindert rasch die In¬ 
tensität und Zahl der Anfälle und kürzt so die Krankheitsdauer ab. Die 
durchschnittliche Bohandlungsdauer beträgt 24*/a Tage. Die Wirkung des 
Autipyriu beim Keuchhusten führt Redner auf die reductive Wirkung des Mittels 
zurück. M. 


IX. Siebenter Congress für innere Medicin, 
Wiesbaden, 1888. 

A. Die Referate in den Vormittagssitzungen. 

1. Sitzung am 9. April 1888. 

Die chronischen Herzmuskelerkrankungen und ihre Behandlung. 

Der Referent, Herr Oertel (München), beschränkt sich in .seinem Re¬ 
ferat auf den Theil der Frage, der die diätetisch-mechanische Behandlung 
der in Rede stehenden Erkrankungen betrifft. Veränderungen an der 
Muskelmasse des Herzens durch krankhafte Vorgänge kommen in quanti¬ 
tativer und qualitativer Richtung vor. Erstere bestehen in einer Zunahme 
der Muskelmasse, absolut sowohl wie relativ, und erstrecken sich auf 
einzelne Abtheilungen oder auf das ganze Herz. Die Zunahme der Muskol¬ 
masse ist meistens hodiugt durch höhere Ansprüche an die Herzklappen 
durch pathologische Vorgänge und ist als eine compensatorische Hyper¬ 
trophie aufzufassen, sie ist daher nicht Gegenstand der Behandlung im 
Sinne einer Reduction dieser Hypertrophie, es ist vielmehr Aufgabe des 
Arztes, diese compensatorische Hypertrophie zu erhalteu oder, wo sie ver¬ 
loren gegangen" ist, wieder herzustcllen. Wo sich die compeusatorische 
Hypertrophie nicht vollständig entwickelt, werden Symptome der relativen 
Abnahme der Muskelmasse — Insufficieuz — in Erscheinung treten und 
die Indication für die Behandlung abgeben. Qualitative Veränderungen der 
Muskelmassc sind entweder die Folge von entzündlichen Processen, von 
Ernährungsstörungen, oder Degeuerationsvorgängen, welche durch verschie¬ 
dene Krankheiten hervorgerufen werden. Hierbei zeigen die Muskelfasern 
selbst Veränderungen ihrer morphologischen Zusammensetzung. Zu den 
schwersten Formen dieser Art gehören jene Formen, welche sich als fettige 
Degeneration der Muskelfasern kennzeichnen. Endlich ist noch eine Ver¬ 
änderung der Muskelsubstanz zu erwähnen, der Ersatz eines Theilcs des 
Muskelgewebes durch Bindegewebe. Die Erkrankungen des Herzens in 
Folge acuter Infcctionskrankhcitcn lässt Referent ausser Betracht. 

Das Wesen der chronischen Erkrankungen des Herzmuskels bilden die 
Kräfteabnahme und die Insufficieuz des Muskels. Die Krankheit verläuft 
unter dem Bilde der Circulationsstörung überall in gleicher Weise: Durch 
Abnahme der Herzkraft hervorgerufen bilden sich Anämie, Stauung im 
Venensysteme, Anhäufung von Blut und Wasser, Nierenaffectionen und ihre 
Folgen. Die prognostische Beurtheilung der Erkrankungen richtet sich nach 
der Art und Grösse der vorhandenen Ernährungsstörung und den Com- 
plicationen, welche neben der chronischen Erkrankung des Herzmuskels be¬ 
stehen. Was nun die Behandlung, speciell die mechanisch-diätetische Be¬ 
handlung der Erkrankung anlangt, so entwirft Referent zunächst in kurzen 
Zügen ein Bild von der Entwickelung der hierher gehörigen Heilbestrobungeu 
bis auf die neueste Zeit, um sodann auf seinen eigenen, im Ganzen be¬ 
kannten Standpunkt näher einzugehen. Die Methode gliedert sich in zwei 
Theile: dio diätetische und die mechanische Behandlung. Erstere richtet 
sich nach dem Ernährungszustände und dem Fettbestande des Körpers. 
Es bandelt sich dabei um folgende Zustände: 

1. Abnorm erhöhter Fettbestand, Plethora und beginnende Abnahme 
der Herzkraft. Der Ernährungsmodus besteht hier iu Erhöhung der Eiweiss¬ 
zufuhr, Verminderung fettbildender Stoffe, keine oder geringe Verminderung 
der Flüssigkeitsaufnabme. 

2. Fettsucht mit seröser Plethora: Erhöhung der Eiweisszufuhr, Ver¬ 
minderung fettbildender Stoffe und der Flüssigkeitsaufnahme. 

3. Fettsucht bei älteren Personen mit Hydrämie, wobei nicht nur der 
Eiweissbestand, sondern auch der Fettbestand in der Abnahme begriffen ist. 
Erhöhung der Eiweissaufnahme, genügende Darreichung von Fett un<t 
Kohlehydraten oder selbst Erhöhung derselben, dagegen Verminderung der 
Flüssigkeitszufuhr. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


323 


19. April. 


4. Bereits bestehende Inauition, Schwächezustand mit Abnahme der 
Herekraft, Blutarmuth und Hydrämie: Erhöhung des Eiweissbestandes des 
Herzens, Vermehrung seiner Muskelelemente bis zu einer Hyperplasie der 
Muskelmasse. 

Neben der diätetischen Behandlung geht die mechanische Behandlung 
einher. Oertel stellt hier das Steigen bei verschiedener Neigung der zu 
begehenden Wege in erste Linie. Andere haben im gleichen Sinno die 
Ausübung von activen, passiven und Widerstandsbewegungen (A. Schott) 
verwerthet. Die mechanische Behandlung soll einmal gewisse motorische 
Impulse auf das Here ausüben und ist zweitens auf die Erreichung eines 
Ausgleichs von Störungen im Circulationsapparat gerichtet. Man erreicht 
durch dieselbe, dadurch, dass die Herzthätigkeit allseitig erhöht wird, eine 
Steigerung auch der Aspirationskraft des Herzens, und da durch die Muskel¬ 
bewegung zugleich mehr venöses Blut in die grossen Venenstämme geschafft 
wird, strömt mehr Blut zum rechten Herzen als im Ruhezustände. Sobald 
aber eine längere Zeit hindurch eine gesteigerte Herzthätigkeit bestanden 
und der Blutdruck im arteriellen System sich erhöht hat, tritt auf reflec- 
torischem Wege eine compensatorische Erweiterung der Arterien und eine 
Abnahme ihrer Wandspannung ein. Der Abfluss des Blutes aus d.em linken 
Herzen wird erleichtert, die arterielle Blutmenge erhöht, die venöse ver¬ 
mindert. An letzterem Ausgleich nimmt die Lunge Antheil: es entsteht 
eine inspiratorische Ausdehnung des Thorax mit Vergrösserung der Lungen¬ 
oberfläche, eine ausgiebige Athmung. Diese sämmtlichen Momente treten 
bei jeder anderen mechanischen Behandlungsweise weniger zu Tage, als bei 
der Steigbewegung. 

Mit der Aufgabe, eine Erhöhung der gesunkenen Herzkraft zu erzielen, 
verbindet sich die weitere, womöglich eine Verminderung der Herzarbeit 
einzuleiten. Diese Aufgabe ist in der Weise zu lösen, dass man nicht die 
Blutmenge als solche zu vermindern, sondern die Wassermeuge des Körpers 
möglichst herabzusetzen sucht. Dies erreicht man durch Verminderung der 
Flüssigkeitsaufnahme in Speisen und Getränken und durch Erhöhung der 
Fiüssigkeitsausscheidung aus dem Körper. Letztere wird erreicht durch Stei¬ 
gerung der Schweisssecretion, bewirkt durch erhöhte Muskelthätigkeit etc., 
ferner durch Erhöhung der Harnsecretion, die sich schon unter dem Ein¬ 
fluss einer verminderten Flüssigkeitsaufnahme einstellt in den Fällen, wo 
noch genügende Kraft des Herzens vorhanden ist und sich die Nieren 
functionsfähig erhalten haben. 

Der Referent bespricht sodann die Contraindicationen der Methode. 
Die secuudäre oder compensatorische Hypertrophie bilden, wie bereits er¬ 
wähnt, keinen Gegenstand der Behandlung, ihre Erhaltung ist vielmehr Auf¬ 
gabe der Therapie. Eheuso bietet Selerose der Kranzarterien mit ihren 
Folgezuständen keinen Anhaltepunkt mehr für ein erfolgreiches mechanisch- 
diätetisches Eingreifen. Dagegen sind Regelung der Diät, und methodische 
Erregungen durch Wege etc. zweifellos im Stande, bei chronischem Verlauf 
letzterer Erkrankung mit nicht zu weit vorgeschrittenen Veränderungen 
günstig auf den Herzmuskel einzuwirken, doch wird deren Anwendung immer 
die grösste Vorsicht voraussetzen. Chronisch verlaufende und häufig recidi- 
virende Endocarditiden, Schwächezustände des Herzmuskels, unzulängliche 
Compensation von Klappenfehlern, Herzaneurysmen, allgemeine Atheroma- 
tose, chronische Nierenerkrankungen bei lange bestehenden Herzfehlern, 
bilden die hauptsächlichsten Contraindicationen oder die Indicatiou für eine 
Einschränkung des Verfahrens. In allen Fällen wird man zunächst langsam 
und versuchsweise vorgehou müssen, wenn es nicht von vornherein möglich 
ist, alle Momente zu übersehen, welche die Indicatiou oder Coutraindieation 
des Verfahrens abgeben. 

Soweit die eigenen Erfahrungen des Referenten reichen, und soweit 
Berichte Anderer vorliegen, wurden mit seiner Methode in den Terrain- 
curorten ausschliesslich günstige Resultate erhalten in späteren Stadien von 
Fettherz ohne erkennbare Selerose der Kranzarterien, bei an Jahren vor¬ 
geschrittenen Personen mit venöser Plethora und nicht selten auch bei sol¬ 
chen mit Oedemen. Bei diesen Fällen ergab sich Erhöhung oder Wieder¬ 
herstellung der Herekraft, Regulirung der Herzbewegungeu, Erhöhung des 
Kiweissbestandes und oft ganz beträchtliche Reductiou der Fettanhäufung, 
Erhöhung der allgemeinen Leistungsfähigkeit des Körpers. Es wurde ferner 
erreicht: Vermehrung der Muskelsubstanz des Herzens und secretorische 
Hypertrophie bei Klappenfehlern; Rückbildung ausgebreiteter Dilatationen 
infolge von Kraftabnahme des Herzmuskels und Erhöhung des intracardialen 
Druckes bei noch jugendlichen Personen und nicht zu lange bestehenden 
Klappenerkrankungen; Ausgleich zwischem dem arteriellen uud venösen 
Apparat; Abnahme der Cyanose und der Wasseransammlungen in den Ge¬ 
weben; Abnahme der Störungen des Respirationsapparates. 

Herr Lichtheim (Bern) als Correferent wendet sich zunächst gegen 
die theoretischen Voraussetzungen des Oertel’schen Verfahrens und be¬ 
richtet über eigene Versuche, welche ergeben haben, dass die Blutmenge 
bei nicht compensirten Herzleiden nicht unter der Norm steht, bei hydro- 
pischen Kranken vielmehr häufig gesteigert ist. Er befindet sich hierbei in 
Uebereinstimmung mit neuerlichen Ergebnissen, die Bamberg er veröffent¬ 
licht hat. Er konnte ferner nachweisen, dass eine streng durchgeführte Be¬ 
schränkung der Flüssigkeitszufuhr bei gesunden Individuen die Blutconcen- 
tralion nicht um 2% steigen liess, bei nicht compensirten Herzleiden war 
der Einfluss der Beschränkung der Flüssigkeit kein grösserer, ein viel ge¬ 
ringerer, wenn Hydrops vorhanden war. Das beweist, dass die Voraus¬ 
setzungen, auf denen Oertel sein Heilverfahren aufbaute, nicht zutreffen: 
es existirt nach Auffassung Lichtheim’s keine hydrämische Plethora. Der 
Effect der diätetischen Behandlung muss daher nothwendig hinter dem Zu¬ 
rückbleiben, was Oertel von derselben vorausgesetzt hat. Was weiter die 
gymnastische Behandlung anlangt, so lässt sich nicht bestreiten, dass die 
Mu8kelcontraclionen ein wesentliches Hülfsmittel für die Fortschaffung des 
Venenblutes darstellen, dass durch die Bewegung die Durchblutung der 
Lunge gefördert wird. Der Vortheil für den Kreislauf kann aber nur er¬ 
reicht werden dadurch, dass das Here selbst die zunehmende Blutmenge auch 
weiter befördern kann. Beim Gesunden geschieht dies durch Vermehrung der 


Frequenz des Herzschlages. Das hat aber schon für das gesunde Herz eine 
Gefahr, in erhöhtem Maasse für das kranke. Die Erfahrung hat bereits 
vielfach bestätigt, dass hier eine ernste Warnung am Platze ist. 

Was die eigenen Erfahrungen des Correferenten anlangt, so sind die¬ 
selben kurz in folgenden Sätzen zusararaenzufassen: 

1. Die Oertel’sche Methode ist ein souveränes Heilmittel gegen die¬ 
jenigen chronischen Herzkrankheiten, deren Genese auf Unmässigkeit und 
mangelhafte Körperbewegung zurückzuführen ist. 

2. Bei denjenigen Hereerkraukungen, die im Gegensatz hierzu auf den 
dehnenden Einfluss übermässiger Körperanstrengung zu beziehen siud, oder 
bei denen die gesteigerte Dehnbarkeit des Herzmuskels auderen Einflüssen 
entstammt, ist die Oertel’sche Methode an und für sich von keiner Wir¬ 
kung. Körperliche Anstrengungen sind nur in raässig abgestufter Weise 
und nur bei leidlicher Compensation zu gestatten. Uebermässige Dyspnoe 
darf durch dieselben nicht erzeugt werden. Derartige Kranke sind viel vor¬ 
sichtiger zu behandeln, als solche mit eigentlichen Klappenfehlern. 

3. Die medicamentöse Behandlung mit Digitalis, Strophanthus und 
Coffein ist und bleibt die wesentliche Behandlung der eigentlichen Coinpeu- 
sationsstörungen; wo sie versagt, nützt auch die mechanisch-diätetische Be¬ 
handlung nichts. Nur durch ihre Wirkung auf die Resorption des Hydrops 
kann die Oertel’sche Methode die medicamentöse Behandlung wesentlich 
unterstützen; ersetzen kann sie dieselbe nicht. 

4. Während der Periode der intacten Compensation ist jede medi¬ 
camentöse Behandlung, abgesehen von gelegentlichen symptomatischen Indi- 
cationen, überflüssig. Hier tritt die diätetisch-mechanische Behandlung in 
ihr Recht, und die Methode Oertel’s, mit Maass angewandt, kann derselben 
zur Grundlage dienen. 

In die Einzelheiten der Discussion hier näher einzugehen, verbietet 
sich durch Rücksichten auf den Raum. Wesentlich Neues brachte dieselbe 
nicht. Namentlich gewisse Prioritätsfragen, die bereits an anderen Orten 
wiederholt erörtert sind, können wir ganz übergehen. Herr Fraentzel 
(Berlin) wies darauf hin, dass der Grundsatz, gewissen Herzkranken nicht 
absolute Ruhe zu empfehlen, schon von Traube gelehrt worden sei. Ob allein 
das Bergsteigen empfohlen werden solle, stehe noch dahin; auch die z. B. 
von Nauheim aus berichteten, sowie die in den Instituten für schwedische 
Heilgymnastik erzielten Erfolge seien beachtenswerth. Herr Riegel (Giessen) 
fordert strengste Individualisirung; namentlich dürfe nicht von Klappen¬ 
fehlern im allgemeinen gesprochen werden, wenn es sich dämm handle, die 
Indication für eine Behandlungsmethode derselben zu finden; cs sei doch 
ein Unterschied zu machen z. B. zwischen einer Mitralinsufficienz und einer 
Stenose. Herr Edlefsen (Kiel) empfiehlt neben der diätetisch-mechanischen 
Behandlung die langdauernde Darreichung von Eisen und Oampher bei 
chronischen Heremuskelerkrankungen. 


X. Siebenzehnter Congress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. 

A. Die Nachmittagssitzungeil in der Anla der Universität. 

2. Sitzung am 5. April 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

1. Herr Lauenstein (Hamburg): Zur Heilung der Wunden unter 
dem feuchten Blutschorf. Seit Schede vor zwei Jahren dem C'hirurgcn- 
congress seine bekannte Mittheilung über die Heilung unter dem feuchten 
Blutschorf (s. diese Wochenschr. 1886, No. 23) machte, ist dem Verfahren 
— wohl zumeist in Folge der etwas ablehnenden Haltung, welche zwei so 
hervorragende Chirurgen wie v. Bergmann und v. Volkmann schon da¬ 
mals in der Discussion der Mittheilung gegenüber einnahmen — nicht die¬ 
jenige Beachtung zu Theil geworden, welche dasselbe nach der Auffassung 
des Vortr. verdient. Ausser einigen Mittheilungen über die Methode, die 
sich in den Handbüchern von Tillmanns und v. Nussbauin finden, sind 
es nur zwei Publicationen, die eines schwedischen Autors Bölling, uud 
eine andere von Siepmann aus dem Hagenauer Bürgerhospital (diese 
Wochenschr. 1887, No. 50), welche eigene Erfahrungen über den Gegen¬ 
stand beibringen. Ausserdem hat Neuber die Schede’sche Mittheilung 
einer eingehenderen Kritik unterzogen. Diesen spärlichen Mittheiluugeu 
gegenüber hält Herr Lauenstein es für an der Zeit, seine eigenen Er¬ 
fahrungen nach dieser Richtung bekannt zu machen, theils um von Neuem 
die Aufmerksamkeit auf ein Verfahren zu lenken, das entschieden einer 
weiteren Verbreitung werth zu sein scheint, theils um gewisse Abgrenzungen 
für die Indicationen desselben zu treffen. 

In den letzten 2 Jahren hat Herr Lauenstein unter 587 blutigen 
Operationen und Verletzungen in 74 Fällen Gelegenheit gehabt, das Schede- 
sche Verfahren durchzuführen, darunter in 64 Fällen mit vollkommenem 
Erfolg; in 10 Fällen war ein Misserfolg zu verzeichnen. Dass in so wenigen 
Fällen das Verfahren überhaupt in Anwendung gezogen wurde, hat darin 
seinen Grund, dass nach des Vortr. Erfahrungen die grösste Mehrzahl der 
zur Behandlung kommenden Verletzungen und Operationen für dasselbe 
nicht geeignet sind. Hierhin gehören in erster Linie alle diejenigen Wunden, 
bei denen von vornherein eiue prima iutentio angestrebt wird; ferner die 
Fälle, in denen man die Secundärnaht ausführt, entweder wie v. Borgmann, 
Kocher, Sprengel es vorgeschlagen haben, oder aber wie Helfe rieh es 
empfohlen hat, z. B. bei Amputationen in entzündetem Gewebe mit Be¬ 
nutzung einer nachherigen Drainage. Ferner gehören hierher alle diejenigen 
Operationen, bei welchen die antiseptische Tamponade mit Jodoform ihre 
Triumphe feiert, die Operationen in der Mundhöhle, am Kiefer, an der 
Trachea, die Empyemoperationen, Laparatomieeu wegen Operationen am 
Magendarmcanal, Operationen an den Nieren, der Blase, dem Rectum, den 
Genitalien, endlich die acuten Abscesse, Phlegmonen, Senkungsabscesse. 

Dagegen eignet sich für das Schede’sche Verfahren eine bestimmte 
kleinere Zahl von Verletzungen: einige kleinere Kopfverletzungen, von etwas 
ausgedehnteren Verletzungen die Maschinenverletzungen der Hand mit Haut- 


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324 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 16 


defecten, Fracturen in die Metacarpi und die Phalangen hinein mit Sehnen- 
zerreissungen und Durchschneidungen, ferner einzelne Fälle von complicirten 
Fracturen. Sodann von Operationen: die Aufmeisseiungen, Durchmeisseiungen, 
Resectionen grösserer Röhreuknochen, Ausräumungen tuberculöser Knochen¬ 
herde, Resectionen grösserer tuberculöser Gelenke, Auslöffelungen kleinerer 
tuberculöser Gelenke, die Operation des Hallux valgus, eine Reihe von Ge- 
sehwulstexstirpationen, die Itadicaloperation der Hydrocele, die plastischen 
Operationen wegen Syndactylie etc. 

Unter den genannten Fällen sind eine grosse Anzahl, welche nicht 
etwa allein unter dem Blutschorf heilen können; eine ganze Reihe, so z. B. 
die Mammaamputationen, Geschwulstexstirpationen, Gelenkresectionen u. dgl. 
gelangen ebenso gut unter einem Neuber’schen Dauerverbande zur Heilung. 
Dagegen giebt es wieder andere Fälle, die wir vor Einführung des Schede- 
schen Verfahrens nicht im Stande waren, unter einem Verbände zur 
Heilung zu bringen, das sind u. a. diejenigen Fälle, wo es sich um Gewebs- 
defecte, sei es der Knochen oder der Weichtheile, handelt. 

Was die Leistungen der Methode anlangt, so steht in erster Linie die 
ideale Heilung unter einem Verbände. Dank dem Verfahren wird man in 
Zukunft von einer prima intentio auch bei denjenigen Herden sprechen, bei 
denen ein Gewebedefect vorhanden war. Bei den Fällen von Phelps’scher 
Durchschneidung der Sehnen waren die Resultate nicht ganz so gute wie 
diejenigen, welche Schede mitgetheilt hat. Was die Resultate bei tuber- 
culösen Affectionen betrifft, so sah Vortragender zweimal Recidive auftreten, 
glaubt aber nicht, dass dieselben — wie ßramann in einer Veröffentlichung 
angedeutet hat — irgendwie mit der Methode in Zusammenhang stehen. 
Todesfälle hat Vortragender unter den Fällen, in denen er Blutschorfheilung 
anstrebto, nicht zu verzeichnen gehabt. In zwei Fällen beobachtete er ein 
kurzdauerndes Erysipel, das er aber ebenfalls nicht mit der Methode in 
Zusammenhang bringen möchte. Wo das Verfahren wegen mangelhafter 
Asepsis misslang, waren die Erscheinungen keineswegs stürmische; die 
Kranken fieberten einige Zeit, und es war nicht anders, als wenn eine 
prima intentio misslingt. In einem Falle wurde ein Flüssigbleiben des 
Blutes beobachtet. In drei Fällen von Necrotomieen blieb die Heilung aus; 
in einem dieser Fälle bildete sich wegen nachträglicher Sequesterbildung 
eine Fistel. Alle Fremdkörper, die in der Wunde bleiben, sind der Heilung 
hinderlich. Ein wichtiges Moment für das Gelingen der Heilung ist unbe¬ 
dingte Ruhe. — Alle diese Resultate zusammengefasst, hält Herr Lauen- 
stein die Methode bei der angedeuteten Auswahl der Fälle für eine sehr 
werthvolle Bereicherung des chirurgischen Könnens. 

Herr Ry dygier (Krakau) hat an der Krakauer Klinik ein combinirtes 
Schede-Neuber’sches Verfahren zur Anwendung gebracht, indem er unter 
Anwendung der Neuber’schen Compression möglichst wenig Blut in die 
Wunde cinlaufen liess, sich der antiseptischen Ausspülungen nicht ganz 
enthielt, dagegen weder Drainage noch Protectiv verwandte. Unter 40 
grösseren Operationen hatte er 6 Misserfolge; das stimmt ungefähr der Zahl 
nach mit einer Zusammenstellung von Mikulicz im Przeglad Iekarski über¬ 
ein, der bei streng nach Schede geübter Methode unter 45 Fällen 9 Miss¬ 
erfolge hatte. 

Herr Neu her (Kiel) nimmt, namentlich was die Heilung von Knochen¬ 
höhlen anlangt, einen anderen Standpunkt wie Schede ein. Wenn er nach 
Necrotomieen die Wunde mit Blut voll laufen liess, sah er häufig Ver¬ 
eiterungen eintreteu, und nicht viel besser erging es ihm nach Evidemeuts. 
Hinsichtlich der Behandlung von Wunden nach Resectionen stimmt er, wie 
in manchen anderen Punkten mit Schede überein, soweit das Fortlassen 
der Drainage in Betracht kommt, dagegen weicht er von dem Schede’schen 
Verfahren ab hinsichtlich des Grades der Compression und der Lage der 
Abzugsöffnungen. Er will nur so viel Blut in der Wunde haben, als gerade 
nöthig ist, um die Lücke zwischen den Weichtheilen auszufüllen, und glaubt 
damit stets bessere Heilungen zu erzielen, als bei dem grossen Coagulum 
Sch ede’s. 

Herr Schede (Hamburg) sieht sich nach seinen Erfahrungen in den 
letzten 2 Jahren nicht veranlasst, etwas Erhebliches von seinen früheren 
Angaben zurückzunehmen oder dieselben zu modificiren. Zahlreiche weitere 
Erfahrungen haben ihm nur das damals Mitgetheilte bestätigt. Misserfolge 
der Art, dass aus dem Verfahren irgend welche Gefahren für die Kranken 
hervorgegangen wären, hat er niemals gesehen. Die ungünstigeren Resultate 
Ncuber’s bezüglich der Necrotomieen sind vielleicht auf die Auswahl der 
Fälle zurückzuführen. Bediugung ist, dass alles Kranke entfernt worden ist. 
Herr Schede tritt dann noch der hier und da aufgetretenen irrigen An¬ 
schauung entgegen, als ob er verletzte Sehnen nicht nähen wolle. Letzteres 
geschieht nur da nicht, wo der Widerstand der Sehnen ausgeschaltet werden 
soll, wie bei der l’helps’schen Operation. Ebenso ist es eine irrige Auf¬ 
fassung, als ob er überhaupt jede Compressiou verwerfe. Er beabsichtigt 
durchaus keine übermässige Ansammlung von Blut in der Wunde und hat 
sich nur gegen eine zu weit gehende Compression gewandt. 

2. Herr Wölfler (Graz): Ueber die Technik und den Werth von 
Kchleinihautiibcrtragungen. Der Vortr. ist der von den Ophthalmologen 
bereits theilweise gelösten Aufgabe, Schleirahautdefecte durch Transplantation 
von Schleimhaut zu ersetzen, näher getreten, als es sich für ihn darum 
handelte, in drei Fällen von vollständig impermeablen Harnröhrenstricturen 
operativ vorzugehen, in denen ihm weder die Urethrotomia interna noch ex¬ 
terna einen radicalen Erfolg zu versprechen schien. Er schlug dabei den 
Weg ein, den Thiorsch mit Bezug auf die Transplantation von Epidermis 
vorgezeiebuet hat. Das nöthige Material an Schleimhaut bot sich reichlich 
dar bei zwei Krauen, welche an ausgedehntem Uterusprolaps litten. Der 
Narbencallus der Harnröhre wurde vollkommen excidirt, und nach dem Ver¬ 
fahren von Thiers ch die ganze granulirende Fläche mit Schleimhaut aus- 
tapezirt. Dieselbe durch die Naht zu fixiren, erwies sich nicht als nöthig, 
die Fläche wurde mit Jodoformgaze, die auf der Innenseite mit Vaseline be¬ 
strichen war, bedeckt. Wenn der Verband 3—4 Tage gelegen hatte, sah 
man nach Entfernung desselben eine graue schmierige Masse, nach weiteren 
3—4 Tagen sah die granulirende Fläche wie von einem feinen Schleim 


überzogen aus, nach abermals 4—5 Tagen war an Stelle der granulireuden 
Fläche eine glatte spiegelnde Fläche getreten, es hatte sich eine vollständige 
Schleimhaut gebildet. Einen der Kranken sah der Vortr. ein Jahr nach der 
Operation wieder, derselbe hatte sich während der Zeit nicht katheterisirt, 
er urinirte in dickem Strahl. Bei einem zweiten Kranken besteht ein ähn¬ 
liches Resultat, doch ist die Beobachtungszeit noch keine so lange. Der 
dritte Kranke ging nach einem halben Jahr an einer doppelseitigen Nephritis 
zu Grunde, und Vortr. hatte Gelegenheit, das Präparat zu untersuchen. Die 
Continuität der Harnröhre war vollständig hergestellt, so dass die Grenze, 
wo die alte und die neue Schleimhaut aneinandergrenzten, nicht mehr genau 
zu bestimmen war. 

Es lag nun nahe, dieses Transplantationsverfahren auch bei plastischen 
Operationen im Gesicht zu verwenden, und auch nach dieser Richtung hatte 
der Vortr. günstige Resultate. In zwei Fällen von Blepbaroplastik entnahm 
er das Schleimhautmaterial einem Prolapsus recti eines kleinen Kindes. 
Einer dieser Fälle zeigt noch nach einem Jahr eine ausserordentlich gute 
Leistungsfähigkeit beider Augenlider. In einem Falle von Rhinoplastik 
wurde das Material zur Auskleidung eines Stirnlappens aus dem Cervix eines 
amputirten Uterus entnommen. Auch die Uebertragung thierischer Schleim¬ 
häute ist dem Vortr. gelungen. Bei einem Kranken, bei dem wegen Carei- 
nora eine Wangenplastik gemacht worden, wurde zur inneren Auskleidung 
die Schleimhaut aus dem Oesophagus und dem Magen eines Kaninchens 
verwandt, und dieselbe haftete ausgezeichnet. Leider konnte das Resultat 
nicht lange, beobachtet werden, weil der Kranke bald nach der Operation an 
Krebsmetastase zu Grunde ging. 

Herr Thiersch (Leipzig) betrachtet die Ergebnisse des Vortr. als einen 
bedeutsamen Fortschritt der chirurgischen Technik. Sodann berichtet Herr 
Thiersch über die endgültigen Ergebnisse seiner früher mitgetheilten Ver¬ 
suche von Transplantation von schwarzer Haut auf Weisse und von weisser 
Haut auf Neger. Es hat sich herausgestellt, dass nach einigen Monaten die 
schwarze Haut weiss, und umgekehrt die weisse Haut schwarz wurde. Ferner 
berichtet Herr Thiersch über histologische Untersuchungen seines Assi¬ 
stenten Dr. Karg, die ergeben haben, dass das Pigment der Haut nicht, 
wie vielfach angenommen wird, von den Retezellen producirt wird, sondern 
durch Wanderzellen in dieselben gelangt. So lange bei den angeführten 
Transplantationen der Pigmentvorrath in den Retezellen reicht, bleibt die 
transplantirte schwarze Haut schwarz, findet keine neue Zufuhr mehr statt, 
so wird die Haut weiss. 

3. Sitzung am 6. April 1888. 

Vorsitzender Herr v. Bergmann, später Herr Thiersch. 

1. Herr Rosenbach (Güttingen): Ueber Eiterbildung durch che¬ 
mische Ageutien. Der Vortragende resumirt kurz die. früheren Arbeiten 
von Klemperer, Strauss, Scheurlen, Knapp u. a., welche die Eiter¬ 
bildung durch chemische Agentien in Abrede stellen. Diese Arbeiten haben 
Herrn Rosenbach zu einer Nachprüfung veranlasst, die er in Gemeinschaft 
mit seinem Assistenten Dr. Kreibohra ausführte. Ehe diese Arbeit abge¬ 
schlossen war, erschien die Veröffentlichung von Grawitz und de Bary, 
welche der Auffassung der genannten Autoren entgegentrat. Herr Rosen¬ 
bach hält es dennoch für angezeigt, seine Ergebnisse, welche mit denen 
von Grawitz und de Bary übereinstimmen, mitzutheilen, um letzteren eine 
Stütze zu verleihen gegenüber den vielen Autoren, welche die gegenteilige 
Ansicht vertreten. 

Der fundamentale Fehler, den nach der Ansicht des Vortragenden die 
früheren Autoren gemacht haben, besteht darin, dass dieselben ihre an einer 
bestimmten Klasse von Thieren gewonnenen Resultate auf die ganze Patho¬ 
logie ausdehnen wollen, während doch ein und derselbe Entzündungserreger 
bei verschiedenen Thierklassen sehr verschiedene Reactionen hervorrufen 
kann. Demgegenüber kamen Grawitz und de Bary zu dem Schluss, dass 
chemische Substanzen verschiedener Art, frei von Bacterien, im subcutanen 
Gewebe unter Umständen Eiter bedingen könnten und, in richtiger Menge 
bei richtigen Thieren angewandt, ausnahmslos bedingen müssten. Während 
jene Autoren an Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten experimentirten, be¬ 
nutzten Grawitz und de Bary Hunde als Versuchsthiere. Mit denselben 
Thieren experimentirte Rosenbach. Jene beiden Autoren wandten ver¬ 
schiedene chemische Agentieu an, Rosenbach nur Quecksilber, und er 
konnte in Bezug auf dieses vollständig die Mittheilungen von Grawitz und 
de Bary bestätigen. Wurden zur Controle Kaninchen gewählt, und diesen 
4—8 g Quecksilber subcutan injicirt, so fand sich, wenn nach 7 Tagen die 
Einstichstclle geheilt war, das Quecksilber, umgeben von hartem gelbem Ge¬ 
webe, welches keinen Eiter austreten liess; durch Culturen konnte die Al>- 
wesenheit von Mikroorganismen festgestellt werden. Bei Hunden dagegen 
reagirte das subcutane Gewebe der Thiere auf Berührung mit dem Metall 
sehr prompt durch eine Phlegmone mit rascher und ausgiebiger Eiterbildung. 
In Bezug auf die Methode der Einbringung des Quecksilbers in das subcu¬ 
tane Gewebe ist der Vortragende, um jedem Einwande zu begegnen, der 
Versuchsanordnung der Gegner seiner Auffassung gefolgt, indem er unter 
allen von Jenen angegebenen Cautelen das in ein Glasröhrchen einge- 
schlosseue Quecksilber in das Unterhautzellgewebe brachte und erst nach 
vollständiger Einheilung das Ende abbrach. 

Herr Roseubach hält demnach die Eiterung nicht für eine speeifische 
Wirkung einer bestimmten Mikroorganismeuart. Nach den neueren Ver¬ 
suchen über die Wirkungsweise gewisser Mikroorganismen ergiebt sich ja 
auch nicht einmal ein bedeutender principieller Unterschied zwischen Bac- 
terienwirkung und der Wirkung chemischer Substanzen, sind es doch bei 
ersterer nicht direkt die Bacterien, sondern indirekt die durch diese gebil¬ 
deten Ptomaine, welche die Eiterung erregen. 

2. Herr Graser (Erlangen): Wanderzelle und Wundheilung. Der 
Vortragende fixirt zunächst in kurzen Zügen den heutigen Standpunkt 
unserer Kenntniss über die Function der Wanderzelle, die infolge der 
neueren histologischen Untersuchungsmethoden (Flemming) eine durch¬ 
greifende Wandlung erfahren haben. Die eigenen Untersuchungen de< Vor¬ 
tragenden waren auf die nähere Beleuchtung der Vorgänge gerichtet, welche 


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2 9. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


325 


sich auf gewissen Gebieten der entzündlichen Bindegewebsneubildung be¬ 
ziehungsweise bei der Heilung von Wunden ergeben, speciell der Rolle, 
welche die Wanderzellen dabei spielen. Zu dem Ende wählte der Vor¬ 
tragende folgende Versuchsanordnung. Die Bauchdecke der Versuchstliiere 
Hunde, Meerschweinchen, Katzen, auch Frösche — wurden in der Linea 
alba gespalten, zu einem First erhoben und die beiden Flächen zwischen 
Bleiplatten fixirt. Nach mehreren Tagen wurden dann einzelne Stellen ex- 
cidirt und untersucht Praktisch wird man zwischen einer Wunde und den 
so aufeinander gebrachten Flächen des Peritoneums kaum einen Unterschied 
machen; histologisch ist beides allerdings nicht identisch. Aber in der 
grössten Zahl der Fälle geht das Endothel der Peritouealflächen in kurzer 
Zeit zu Grunde, und dann hat man es auch im histologischen Sinne mit 
einer wirklichen Wundfläche zu thun. 

Was nun das Ergebniss der mikroskopischen Untersuchung anlangt, so 
war in manchen Gesichtsfeldern der untersuchten Stellen nicht eine einzige 
Wanderzelle zu finden. Wo sie sich fanden, lagen sie meist vereinzelt in 
der Umgebung der Verwachsungsstelle zerstreut, aber nirgends konnte eine 
Veränderung derselben im progressiven Sinne, eine Theilung, ein Uebergang 
in epithelioide Zellen wahrgenommen werden. Wurden Wanderzellen ge¬ 
funden, so war gerade an den Stellen, wo sie sich häuften, keine Ver¬ 
wachsung eingetreten. Dagegen lagen in der Nähe der Vereinigungsstelle 
grosse Spindelzellen, von denen der Vortragende annimmt, dass sie von ent¬ 
fernter liegenden fixen Bindeuewebszellen herstammen. Diese Zellen waren 
in lebhafter Thätigkeit begriffen, fast durchgängig waren sie auffallend mit 
Chromatin gefüllt, sehr viele zeigten die Erscheinungen der indirecten 
Kemtheilung. Auch die Gefässe waren stark betheiligt. Es erscheint dem 
Vortragenden zweifellos, dass diese Gebilde die Verwachsung herbeiführen, 
dagegen lässt er es unentschieden, wie sie an Ort und Stelle gelangen. 

3. Herr de Iiuyter (Berlin): Verhalten des Blutfarbstoffs bei den 
Infeclionskrankheiten. Der Vortragende hat den Versuch gemacht, auf 
spectralanalytischem Wege die Veränderungen festzustellen, welche bei ver¬ 
schiedenen Infectionskrankheiten mit dem Blutfarbstoff vorgehen. Er fand, 
dass bei lebenden Thieren, welche an Milzbrand, Rotz, Tuberculose litten, 
sich solche V eränderungen nicht fanden, dagegen liess sich bei einigen 
Formen schwerer Sepsis eine Veränderung des Blutfarbstoffes sicher fest¬ 
stellen. Wurden die Tbiere mit dem Virus des maligneu Oedems geimpft, 
und wurde das Blut eine Zeit lang der Fäulniss überlassen, so konnte in 
dem Spectrum ein Streifen beobachtet werden, der mit dem des Methä- 
moglobin gewisse Berührungspunkte hat. Es lag nahe, daran zu denken, 
dass nur die Fäulniss die Ursache dieser Veränderung sei, dass aber diese 
nicht allein dafür verantwortlich zu machen ist, ging daraus hervor, dass, 
wenn man versuchte, das Blut durch Schwefelammonium zu reduciren, dieser 
Streifen bei besonderen Formen der Sepsis sofort auftrat, während er sich 
bei anderem Blute nicht nachweisen liess. Nächst diesen Thierexperimenten 
untersuchte Herr de ltuyter eine Reihe von Fällen schwerer menschlicher 
Diphtherie mit ausgesprochenen septischen Erscheinungen und konnte, ebenso 
wie bei den experimentell erzeugten Erkrankungen, die Veränderungen des 
Blutfarbstoffes nach der Reduction des Blutes erzielen, während es bei 
anderem Blut nie gelang, eine derartige Veränderung zu erzielen. Ob die 
Veränderung des Oxyhämoglobin durch die Wirkung von Ptomamen her¬ 
beigeführt wird, sollen weitere Versuche ergeben. 

4. Herr Schimmelbusch (Halle): Ueber die Thrombose. Herr 
Schimmelbusch giebt einen zusammenfassenden Ueberblick über seine in 
Gemeinschaft mit Eberth seit mehreren Jahren fortgesetzten Arbeiten über 
Thrombose (vgl. die Referate in dieser Wochenschr. 1886, No. 44 und 1888 
No. 3). Er weist zunächst die ältere Anschauung als irrig zurück, dass 
der Thrombus eine einfache Blutgerinnung sei. Der Thrombus unterscheidet 
sich schon durch seine weisse Farbe von einem gewöhnlichen Blutgerinnsel. 
Dass es sich dabei nicht um eine Entfärbung handele, hat Zahn nachge¬ 
wiesen, der gezeigt hat, dass der weisse Thrombus von der ersten Phase seiner 
Entstehung an weiss ist. Zahn hat die weisse Färbung des Thrombus 
durch seine Zusammensetzung aus Fibrin, in welches farblose Blutkörper¬ 
chen eingeschaltet seien, zu erklären gesucht. Dieser Ansicht gegenüber 
haben bekanntlich Eberth und Schimmelbusch die Theorie der Ent¬ 
stehung des Thrombus aus den weissen Blutplättchen aufgestellt. Sie 
studirten die Frage experimentell, indem sie auf die grösseren Gefässe von 
Hunden und Kaninchen Insulte applicirten, die zu Thrombose führten, und 
dann die Gefässe untersuchten. Dabei konnten sie sich überzeugen, dass 
bei der Thrombose und vor allem bei den ersten Stadien derselben die 
Blutplättchen die Hauptrolle spielten. Gerade in diesen ersten Stadien sind 
weisse Blutkörperchen in der Thrombose fast gar nicht enthalten, erst in 
älteren Pfropfen treten sie zahlreicher auf. Wesentlicher als die Betheiligung 
der weissen Blutkörperchen an dem Process scheint die des Fibrins zu 
sein. Auch dieses ist in den jungen Pfropfen spärlich oder garnicht vor¬ 
handen. Grössere Fibrinmassen treten erst am 2. bis 3. Tage auf, in älteren 
Thromben durchzieht es in Strängen und balkigen Formationen den Pfropf. 
Die weisse Farbe des Thrombus wird also durch eine dreifache Ursache 
bedingt, durch die Blutplättchen, durch Fibrin und endlich durch Leuko- 
cyteu, wobei nach der Ansicht von Eberth und Schimmel husch die letz¬ 
teren die am wenigsten wesentliche Rolle spielen. 

Was die Bildung des Thrombus anlangt, so muss zunächst die Auf¬ 
fassung als unhaltbar zurückgewiesen werden, als entstehe der Thrombus 
vorwiegend im ruhenden, stagnirenden Blut. Der Thrombus kann sich nur 
im strömenden Blute bilden, weil die Zuführung immer neuer Blutplättchen 
durch die Blutcirculation zu seiner Bildung erforderlich ist. Es kommt 
dabei aber wesentlich auf die Art der Circulation des Blutes an. Im nor¬ 
malen Blutstrom bewegen sich die corpusculären Elemente im Blute central, 
während sich längs der Wandungen des Gefässes eine protoplasmatische 
Randzone befindet, die dasselbe vor der Bildung eines Thrombus schützt. 
Erst wenn sich an einer Stelle ein Hinderuiss bildet, das sich dem Strom 
entgegenstellt, setzen sich die Blutplättchen an die Wandung an, oder wenn 
der Blutstrom sich verlangsamt, treten die Blutplättchen zunächst in die 


protoplasmatische ltaudzone ein, um sich bei noch grösserer Verlangsamung 
an die Wandung anzuheften und so die Ursache der Thrombose zu bilden. 

Der vorgerückten Zeit wegen musste von der weiteren Erledigung 
der noch ausstehenden Tagesordnung abgesehen werden. Herr Itydygier 
(Krakau) hatte nur noch Zeit, mit wenigen Worten ein Verfahren zu skizziren, 
das er bei denjenigen Fällen von Unterschenkelgeschwüren verwendet, 
in deneu die Amputation unumgänglich ist, weil von der Transplantation 
und anderen Verfahren keine Heilung mehr zu erwarten ist. Er führt eine 
Operation aus ähnlich der Pirogoff’schen, nur mit dem Unterschiede, dass, 
statt des senkrechten Schnittes, ein Fusssohlenlappen gebildet wird, der zur 
Bedeckung des Geschwürs dient. Es können auf diese Weise ausgedehnte 
Unterschenkelgeschwürc noch zur Deckung gebracht werden, ohne dass die 
Amputation dicht unter dem Knie erforderlich ist. 

Die weitereu noch angemebleten Vorträge der Herren Douglas (Edin¬ 
burgh) über Anatomie und Aetiologie der Hernien, Senger (Berlin) 
über Nebenwirkung einiger Antiseptica mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Nierenchirurgie, Nitze (Berlin) über Symptomato¬ 
logie und Therapie der Blasengeschwülste fanden keine Erledigung 
mehr. 

XI. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Neuere Arbeiten über Desinfection und Antisepsis. 

(Fortsetzung aus No. 15.) 

— Paul Liborius. Einige Untersuchungen über die desinfleirende 
Wirkung des Kalkes. Aus dem hygienischeu Institut zu Berlin. Zeit¬ 
schrift für Hygiene. Bd. 11. 1887. p. 15—51. Ref. Carl Günther. 

Der Aetzkalk ist bereits früher als Desinfectionsmittel empfohlen 
worden. Virchow und Hausmann hatten 1869 eine entschiedene Ein¬ 
wirkung desselben auf die im Canalwasser vorkommenden niederen Organis¬ 
men beobachtet; und 1873 wurde von der damals in Berlin tagenden Cho¬ 
leracommission der Aetzkalk zur Desinfection von Choleradejectionen etc. 
empfohlen. 

Auf R. Koch’s Vorschlag hat sich der Verfasser mit der systematischen 
Prüfung der desinficircnden Wirkung des Kalkes beschäftigt Es wurden 
zunächst Vorversuche angestellt mit faulender Bouillon und mit Canal¬ 
wasser. Diese Flüssigkeiten wurden mit Kalkwasser in verschiedenen 
Verhältnissen versetzt und dann nach verschiedenen Zeiten auf ihren Gehalt 
an entwickelungsfahigen Keimen geprüft. Die Resultate entsprachen im All¬ 
gemeinen den von Virchow und Hausmann erhaltenen. Eine vollstän¬ 
dige und dauernde Vernichtung aller vorhandenen Keime fand aber nirgends 
statt.— Es wurde ferner die Einwirkung des Kalkes auf Typhusbacillen- 
und auf Cholerabacillen-Aufschwemmungen, ferner auf künstliche, 
Choleradejectionen ähnliche Gemische geprüft; und zwar kam in 
dem letzteren Falle nicht Kalkwasser, sondern Kalkmilch, Actzkalk- 
pulver und roher gebrannter Kalk in Stücken zur Verwendung. 
Der Verfasser erhielt folgende Resultate: 

„l. Eine wässerige Kalklösung von 0,0074 boz. 0,0246% war schon 
im Stande, im Laufe einiger Stunden, die erstere Typhus-, die letztere 
Cholerabacillen dauernd zu vernichten. 

2. Cholerabouillonculturen, welche zahlreiche Eiweissgerinnsel enthielten 
und ihrer physikalischen Beschaffenheit nach für die Kalkwirkung ein wohl 
mindestens ebenso ungünstiges Terrain wie natürliche Choleradejectionen 
darboten, wurden gleichfalls im Laufe schon weniger Stunden durch Zusatz 
von 0,4% reinen Aetzkalkes bez. 2% rohen gebrannten Kalkes in Stücken 
dauernd und vollständig desinficirt. 

3. Diese auch unter erschwerenden Umständen nicht versagende Wir¬ 
kung des Kalkes kam am energischsten zur Geltung, wenn derselbe als 
pulverisirter reiner Aetzkalk oder als aus letzerem bereitete 20procentigo 
Kalkmilch angewandt wurde.“ 

— C. Langenbach. Ueber die Brauchbarkeit des Jodtrichlorids als 
Desin Adens und Antisepticum. Berl. klin. Wochenschr. 1887. No. 40. 
Ref. E. Senger. 

Die toxischen Nebenwirkungen, welche das Sublimat und die Carbol- 
säure bei ihren sonstigen trefflichen Eigenschaften für die Chirurgie besitzt, 
Hessen das Verlangen der Chirurgen nicht verschwinden, ein Antisepticum 
zu benutzen, welches bei derselben kräftigen antibacteriellen Wirkung 
nicht jene für den thierischen Organismus gefährlichen giftigen Erscheinungen 
zeigt. Trotz der vorsichtigen Dosirung der Sublimatlösung kommen auch 
heute noch fast jedem Operateur hin und wieder schwächere oder stärkere 
Intoxicationen vor, und vor Allem entbehrte man eines geeigneten energischen 
Mittels bei den Operationen der Abdominalhöhle. 

Aus diesen Gründen durchmusterte Langen buch die Chlorverbin¬ 
dungen und kam bald auf das Jodtrichlorid JCI3. Es wird durch Hindurch¬ 
leiten von Chlorgas durch Jod als glänzende gelbe Krystalle gewonnen, 
löst sich leicht in kaltem Wasser zu einer mahagonibraunen Farbe auf, riecht 
stechend und ist sehr flüchtig. Es enthält auf 100 Theile 54,39 Jod und 
45,61 Chlor. Die wässerige Lösung muss zur Verhütung der Zersetzung vor 
Licht bewahrt werden. Stabsarzt Dr. Riedel hat nun dieses JCIs einer 
experimentellen Prüfung unterzogen, aus der wir Folgendes hervorheben: 

Einverleibungen des Mittels bei Kaninchen in verschiedenster Art Hessen 
deutlich erkennen, dass dasselbe bei Weitem nicht die toxischen Schädlich¬ 
keiten besitze wie Sublimat und (Karbolsäure, so dass für die chirurgi¬ 
sche Praxis eine toxische Gefahr ausgeschlossen sei. 

Hinsichtlich der antibacteriellen Wirkung komme das Mittel in der 
Skala der bekannten Antiseptica gleich hinter dem Sublimat und übertreffe 
die Carbolsäure. In seinem Verhalten zu sporenfreien Bacillen und Coccen 
z. B. entspräche 1:1000 JCI 3 einer Carbollösung von 3:100,1“. 

Gestützt auf diese ermuthigenden Ergebnisse begann Langenbuch 
zuerst vorsichtig, dann ausgedehnter das Mittel auzuwenden und ist von dein 
Erfolge durchaus befriedigt. Es wurden die grössten Operationen, hohe 


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326 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 16 


Sehenkelamputationcu, liuscctiun, Nekrotomieen, Arlhrectoinicen eic. mit dem 
glänzendsten Erfolge ausgeführt. Auch hei Operationen in der Bauchhöhle, 
wo diese reichlich ausgewaschen wurde, ist niemals eine Intoxicationser- 
scheinung aufgetreten, und deshalb rühmt L. mit Recht die Zweckmässigkeit 
des J Cb- 

Die von L. angewandte Lösung war 0,1—0,15%. Dieselbe soll dasselbe 
leisten, wie eine 4°/o Carbol- oder eine 0,05—0,1% Sublimatlösung. In 
einer Lösung von 1:1200—1500 wird das Desinficiens endlich noch gegen 
Gonorrhoe empfohlen. 

Wenn sich die geringe Intoxicationsfähigkeit des Jodtrichlorids für den 
menschlichen Organismus bewahrheiten sollte, so ist es unzweifelhaft, dass 
sich das Mittel bald ein weites Feld erobern wird. Denn die antibacterielle 
Wirkung steht wohl ausser Frage. Da die wässerige Lösung aber immer 
freies Clilor und Jod enthält, so muss die Zukunft lehren, ob wirklich die 
Gefahren für die Vergiftung für den Menschen so geringe seien, wie die 
Versuche an Kaninchen anzunehmen berechtigen. 

— E. Samten Desinflcirende Eigenschaften der Salicylsaurr, 
des Thymols und einiger neueren Antiseptica. Inaug. - Dissert. Berlin 
1887. Ref. Weinbaum. 

Nach Analogie der Koch'sehen Versuche über die antiseptische Wirk¬ 
samkeit der Carbolsäure, des Sublimats, des Chlorzinks u. s. w. hat Verf. 
unter der Leitung von Fehleisen vier andere Mittel auf ihre desinficiren- 
den Eigenschaften hin geprüft, nämlich die Salicylsäure, das Thymol, das 
Aseptol (ein Phenol, in welchem das eine II durch den Schwefelsäurerest 
ersetzt ist. tb H* (OH) (HSO3)), die Aseptinsäure (Salicylaldehydwasser- 
stoffsuperoxyd) und das List er’sehe Serurasublimat. Er studirte das Ver¬ 
halten pathogener Mikrobien in trockenem und feuchtem Zustande gegen die 
genannten Medicamente und suchte die geringste Quantität derselben, in 
welcher, zu einem günstigen Nährboden zugesetzt, sie denselben für Bac- 
terien immun machen. Für letzteren Zustand führt Verf. die Bezeichnung 
„kolyseptisch“ ein (xwXüio hindern, faulen). Dabei zeigte sich, 

dass die keimtödtende Wirkuug der Salicylsäure selbst in wässriger Lösung 
eine sehr geringe ist, dass sie z. B. erst nach zweistündiger Einwirkung 
auf feuchte Culturen von Staphylococcus pyogenes aureus dieselben ent- 
wickclungsunfähig macht, während dasselbe von der Carbolsäure schon in 
8 Secunden geleistet wird. Hingegen ist bereits ein Zusatz von Salicyl¬ 
säure in Substanz zu einem Nährboden im Verhältnis von 1 : 1000 im 
Stande, denselben für Staphylococcus aureus und Milzbrandbacillus unem¬ 
pfänglich zu machen. Das Thymol ist in antiseptisehcr Beziehung noch 
weit miuderweithig der Salicylsäure gegenüber, zeigt jedoch absolut koly- 
septische Eigenschaften gegenüber Eitercocccn und Milzbrandbacillen bereits 
in einer Verdünnung von 1 : 3000. Das Aseptol zeigte nur sehr geringe 
anti- und kolyseptische Wirkungen, während die Aseptiusäure immerhin 
bessere antiseptische und ziemlich beträchtliche kolyseptische Eigenschaften 
aufwies. Das Serumsublimat entbehrt jeder keimtödtenden Fähigkeit; ver¬ 
hindert aber bereits in einer Verdünnung der Nährböden im Verhältniss 
von 1 : 150 das Wachsthum von Eiterstaphylococcen und Milzbrandsporen. 

— E. Esmarcli. Der Heuneberg’sclie Deslnfector. Aus dem hygieni¬ 
schen Institut zu Berlin. Zeitschrift für Hygiene. Bd. II, 1887, p. 342—368. 
Ref. Carl Günther. 

Der Autor hatte Gelegenheit, einen Henneberg’schen Desiufections- 
apparat auf seine Leistungsfähigkeit hin zu prüfen. Der Henneberg’sche 
Apparat unterscheidet sich von dem in der städtischen Desinfectionsanstalt 
zu Berlin benutzten Schimmel'sehen Apparate dadurch, dass die Des- 
infection bei dem ersteren mit uugespanutem Wasserdampf (also mit Dampf 
von 100 0 C, der fortwährend frei in die Atmosphäre ausströmt) geschieht, 
während der letztere mit gespannten Wasserdämpfen (also mit Dampf von 
einer Temperatur über 100° C) arbeitet. Irgend eine Gefahr ist also mit 
der Handhabung des Henneberg’schen Apparates nicht verbunden. — 
Die Prüfung wurde in der Weise vorgenommen, dass im Innern der ver¬ 
schiedensten in der Praxis zur Desinfection kommenden Gegenstände (Fla¬ 
nelldecken, Rollen Packlcinwand, Packete Broschüren und Zeitungen, Ross¬ 
haarkissen, Walte, Kleider), die sowohl lose wie auch fest zusammengepresst 
und -geschnürt in den Apparat eingebracht wurden, schwer zu tödtende 
Bacterienkeime (Milzbrandsporen an Seidenfäden, Proben von Gartenerde, 
in Papier eingeschlagen) vertheilt wurden. Durch gleichzeitig innerhalb der 
zu desinficirenden Ballen vertheilte elektrische Contactthermometer wurde 
dann bei jedem Versuche der Zeitpunkt ermittelt, wenn die Temperatur an 
den verschiedenen Stellen innerhalb des Ballens auf 100° gestiegen war. 
Dann wurde das Durchströraen des Dampfes noch eine Reihe von Minuten 
fortgesetzt, und nach der Unterbrechung des Versuches wurden dann die 
oingebrachten Bacterienproben in Nährgelatiue vertheilt, nach der Methode 
des Verfassers (cf. diese Wochenschrift 1887 No. 16, p. 335) im Reagens¬ 
glas aufgerollt und auf ihren Gehalt an entwickelungsfähigen Keimen geprüft. 
Die Milzbrandsporen zeigten sich hierbei stets sicher getödtet. Die Garten¬ 
erde sicher zu sterilisiren gelang jedoch nur dann, wenn die Stelle, au der 
die Erdprobe lag, volle 85 Minuten der Wirkung des strömenden Dampfes 
von 100° ausgesetzt gewesen war, was einer Gesammtdauer des Versuches 
von mindestens 1% Stunden entsprach; und zwar zeigte sich ein kleiner, 
grauweisse Colonien bildender, sehr langsam wachsender Bacillus (oder viel¬ 
mehr seine in den Erdproben vorhandenen Sporen, die es übrigens auf 
künstlichem Nährboden zur Entwickelung zu bringen nicht gelang) so re¬ 
sistent gegen die Einwirkung des strömenden Dampfes. Dieser Bacillus war 
übrigens für Versuchstiere in keiner Weise pathogen. — Der Verfasser 
kommt im Hinblick auf die prompte und schnelle Vernichtung der Milzbrand¬ 
sporen, die bekanntlich zu den allerresistentesten pathogene Bacterienkeimen 
gehören, zu dem Schlüsse, dass „der Henneberg’sche Desinfector den An¬ 
forderungen eines guten Desinfectionsapparates entspricht“, und fügt hinzu, 
«lass derselbe „auch in Bezug auf billigen und einfachen Betrieb als solcher 
zu empfehlen ist.“ — Bei einem Versuche übrigens, den der Verfasser in 
der städtischen Desinfectionsanstalt zu Berlin anzustellen Gelegenheit fand, 
zeigte es sich, dass auch in dem Schimmel'sehen Apparat die genannten 


Erdbacillensporeu bei der üblichen llaudhabung der Desinfection nicht vor 
nichtet werden. 

— E. Esmarcli. Der Kelmgehalt der Wände und Ihre Desinfection. 

Aus dem hygienischen Institut zu Berlin. Zeitschrift für Hygiene. Bd. II, 
1887. p. 491—520. Ref. Carl Günther. 

Der Verfasser hat sich mit dem Studium des Keimgehaltes der Wände 
der verschiedensten Localitäten beschäftigt und zu diesem Zwecke verschieden¬ 
artige Räumlichkeiten im hygienischen Institute (Laboratorium, Wohnzimmer, 
Thierstall u. s. w ), sowie andere bewohnte Räumlichkeiten in ihren ver¬ 
schiedenen Abtheiluugen untersucht. Als die beste Methode der Ablösung 
der Keime von der Wand zwecks der Prüfung erschien ihm folgende: Es 
wurden sehr kleinporige Schwämme in bohnengrosse Stücke zerschnitten 
und in kochendem Wasser sterilisirt. Mit solchen feuchten Schwamm¬ 
stückchen wurden dann je etwa 25 qcm der zu untersuchenden Wandfläche 
abgerieben, die Schwämmchen darauf in sterile Nährgelatine eingebracht 
und ihr Inhalt in der letzteren vertheilt. Schliesslich wurde die Gelatine 
nach des Verfassers Methode an der Wand des Reagensglases aufgerollt und 
dann die Entwickelung der Keime abgewartet. Es zeigte sich hierbei, dass 
der Keimgehalt der Wände in unseren Wohnräumen im Allgemeinen ein 
sehr beträchtlicher ist, und dass er um so grösser ist, je mehr Gelegenheit 
zur Staubentwickelung in den einzelnen Räumen gegeben ist. So war z. B. 
der Keimgehalt der Wände im Thierstall des hygienischen Instituts ausser¬ 
ordentlich gross; bei Untersuchung von Closetwänden ergab sich ein sehr 
niedriger Keimgehalt. Verflüssigende Keime an den Wänden gehörten zu 
den seltenen Ausnahmen; nur in einem Falle, in welchem 8 Tage vor der 
Untersuchung die aus Kacheln bestehende Wand (Entbindungssaal der 
Berliner Universitätsfrauenklinik) mit gewöhnlichem Seifenwasser abgewaschen 
worden war, fanden sich sehr reichliche Mengen verflüssigender Organismen, 
die hier jedenfalls aus dem zum Abwaschen benutzten Leitungswasser 
stammten. — Der Verfasser untersuchte ferner die verschiedenen zur Des¬ 
infection der Wände angegebenen Verfahren (Desinfection mit Wasser¬ 
dampf, der durch eine vor die Ausströmungsöffnung gesetzte Gasflamme auf 
hoher Temperatur erhalten wird; Abwaschen der Wände mit Sublimat- oder 
Carbollösung; Wandreinigung mit Sublimat- oder Oarbolspray; Abreiben 
mit frischem Brot) auf ihre Leistungsfähigkeit. Von allen diesen Methoden 
kam keine dem Abreiben der Wände mit Brot in ihrer Wirkung gleich. 
Der Verfasser giebt deshalb diesem letzteren Verfahren unbedingt den Vor¬ 
zug, wenn es sich darum handelt, Wände von den anhaftenden (pathogenen) 
Keimen zu befreien. „Das Verfahren ist absolut ungefährlich und macht 
ein sofortiges Wiederbewohnen des desinficirten Zimmers möglich, was beim 
Behaudeln der Wände mit Sublimat auch mit nachfolgendem Absprayen 
oder— Waschen mit kohlensaurem Natron nicht unbedenklich wird zugegeben 
werden dürfen, und schliesslich ist es leicht und ohne grosse Kosten auch 
von nicht geschulten Leuten auszuführen.“ (Schluss folgt.) 


— Wie (lenkt man in Japan Uber die Cholera? Zur Beantwortung 
dieser Frage muss ich vor Allem zwei neuerdings veröffentlichte Schrifteu 
in’s Auge fassen, einmal die von Herrn Prof. M. Ogata verfasste Antwort 
auf die von der Handelsgesellschaft der Stadt Osaka an die kaiserliche Uni¬ 
versität gerichtete Anfrage in Bezug auf die zur Verhütung der Cholera 
zweckdienlichen Maassregeln, (Iji Shinbun, No. 210 p. 7 u. ff. 1887) und 
dann den vom Direktor des Sanitätsbureau Herrn S. Nagayo in der Japa¬ 
nischen Gesellschaft für Gesundheitspflege gehaltenen Vortrag (Eiseikwai 
Zasshi No. 46. 1887). 

Aus der erstgenannten Quelle erkennt man den Standpunkt, den die 
Gelehrtenkreise Tokios in dieser Frage einnehmen, und aus der letzteren 
das leitende Princip, nach welchem wahrscheinlich der Regierungsmechaßis- 
mus auf diesem Gebiete arbeitet. 

Die beiden Ansichten stimmen mit einander insofern überein, als sie 
einen trausmissiblen CholerainfectionsstofT in Form eines Mikroorganismus an¬ 
nehmen, und dass sie eine autochtone Entstehung eines solchen ausserhalb 
Indiens leugnen. Die Möglichkeit einer Perennität dieses Mikroorganismus 
wird von Nagayo völlig negirt (p. 6), während Ogata sie unentschieden lässt. 
Der Boden spielt nach beiden Ansichten die Rolle des Nährsubstrates für 
den Cholera-Mikroorganismus. Eine Infection Gesunder durch Kranke findet 
nach Nagayo nicht statt (p. 15); sie ist zweifelhaft nach Ogata. Ob das 
Wasser Träger des Infectionsstoffes sei, wird von Ogata als eine noch 
offene Frage gekennzeichnet; während Nagayo es als Thatsache betrachtet, 
dass die Flussverunreinigung und Brunneniofection mit Choleradejectioncu 
oft Epidemieen hervorrufen (S. 15). 

Diese Skizzirung wird es begreiflich machen, warum unter Nagayo die 
prophylactischen Arbeiten gegen Cholera in dem Sinne angeordnet worden, 
dass die Quarantäne nebst anderen Sperrmaassregeln und Trink¬ 
wasserüberwachung mit der Assanirung des Bodens Hand in 
Hand gehen. 

Als choleraimmun gelten in Japan Shibasaki in Tokoy, Enoshiiua 
und Ikao (M. Ogata, Eiseikwai Zasshi No. 33, p. 15). Eine relative 
Immunität zeigt nach der Mittheilung des Herrn Generalarzt Nobuyuki 
Yokoi die Provinz Nagoya exclusive Chita. Die besonders in der Stadt 
Nagoya vom Bezirksvorsteher Yoshida gewissenhaft durchgeführte Draiuirung 
des Bodens soll hierzu beigetragen haben (ebendaselbst No. 40; nebenbei 
bemerkt tritt Yokoi nichtsdestoweniger für die Sperrmaassregeln auf). 

In der Richtung der örtlich-zeitlichen Disposition hat die Forschung in 
Japan, soweit mir bekannt, noch keine hinreichende Vertiefung gefunden. 
Zu erwähnen ist eine Zusammenstellung von Dr. Sakaye Furankawa 
(ebendaselbst No. 42, p. 13—24, 1886). Danach ergab sich in Tokio im 
Jahre 1886 eine successive Coincidenz der Cholerafrequenz mit der Aussen- 
temperatur, der relativen Feuchtigkeit und dem Luftdruck in dem Sinne, 
dass die grösste Frequenz mit der höchsten Temperatur, der grössten 
Feuchtigkeit und dem höchsten Luftdruck zusammenfiel. Freilich wird 
Furaukawa damit nicht behaupten wollen: cum hoc, ergo propter hoc; er 


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19. April. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 327 


seihst hält sogar seine Zusammenstellung überhaupt noch für unvollkommen. 
Doch hat er damit den ersten Versuch eiuer derartigen Untersuchung gemacht. 

Dom Schreiber dieser Zeilen fiel auch bereits ein gewisser Rhythmus 
auf, welchen die Cholera in Japan nach den Jahreszeiten zu zeigen pflegt. 
So sind z. B. in Tokio die Choleramonate August und September zugleich 
Regenraonate; bei einer graphischen Darstellung fallen die Gipfelpunkte so¬ 
wohl der Choleraeurve als auch der Regencurve in diese Monate. Es zeigt 
dies einen ähnlichen Parallelismus wie in Lahore. Sonderbar ist nur die grosse 
Regenmenge in Tokio (1661 mm pro Jahr), welche die in Calcutta (1590 mm) 
ein wenig übertrifft, wo man doch die Choleramonate gerade mit den regen- 
ärmsten Monaten zusammenfalleu sieht. Dieser scheinbare Widerspruch 
kanu nur durch eingehende Untersuchungen an Ort und Stelle gelöst werden, 
besonders in Bezug auf die physikalische Beschaffenheit des Bodens. R. M. 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

lieber Erythrophlaein. 

(Schluss aus No. 15.) 

6. Epstein (Beitrag zur Anwendung des Erythrophläins. Ccutralbl. 
f. klin. Med. 1888, No. 9) hat zunächst Versuche an sich selbst angestcllt, 
indem er subcutane Injectionen von 0,05—2 % an der Beugeseite des 
linken Vorderarmes applicirte. Bei den genannten schwachen Lösungen 
erwies sich die lnjeciion als vollkommen wirkungslos. Selbst bei Anwendung 
von 1 —2°/ 0 iger E.-Lösung war zwar die Schmerzempfindlichkeit an einer 
umschriebenen Stelle herabgesetzt, indess trat keine vollkommene Anästhesie 
ein: Die Tastempfindung war, wie es schien, ganz intact. Unangenehme 
Begleiterscheinungen der Injectionen waren lebhafte, 1—2 Stunden nach 
letzteren eintretendo Schmerzen, besonders bei Bewegung und Druck. 
Verfasser bat sich ferner des Erythrophlaeius als Zusatz zu Quecksilber¬ 
salzen bedient, um die subcutane Application derselben schmerzlos zu 
machen. Die Resultate waren nicht zufriedenstellend. In zwei Fällen trat 
zwar kurze Anästhesie ein, um aber bald von einer desto heftigeren 
.Schmerzattaque gefolgt, zu werden. Es steht demnach das Erythrophläiu 
für diese Zwecke weit hinter dem zu ähnlichen Zwecken verwendeten 
Cocain zurück. 

7. Löwenhardt (Berl. klin. Wochenschr. 1888, No. 10) hat zunächst 
Versuche am Kaninchen angestellt, indem er am Ohr 2—3 mg Erythro- 
phlaeiu (l°/oigc Lösung) injicirte. Nach einigen Minuten trat eine teigige 
.Schwellung um die Injectionsstclle, bis zur Grösse eines Zehnpfennigstücks, 
ein. Nach 25 Minuten trat in dem Inject ionsbezirk eine mehrere Stunden 
anhaltende Anästhesie ein. Ara nächsten Tage war die Epidermis in dem 
letzteren blasig abgehoben bei Fortdauer des Oedems. bei einigen Thieren 
trat später in dem (’eutrum dieses Bezirkes tiefere Nekrose ein. Einträufe¬ 
lungen in das Auge waren mit Reizerscheinungen, starker Injection der 
Conjunctiva und Verklebung der Lider, sowie Trübung der Uornea ver¬ 
bunden. Andererseits war lang andauernde Anästhesie der Cornea und 
Conjunctiva zu beobachten. Versuche, durch subcutane Injection von 
Erythrophläin in l°/ 0 iger Lösung, bei kleineren operativen Eingriffen 
Anästhesie zu erzeugen, hatten wenig Erfolg. Wie heim Gesunden, so 
zeigten sich auch bei den betr. Patienten um die Injectionsstclle ein öde- 
matüser Bezirk, dessen Empfindlichkeit zwar in geringem Maasse herab¬ 
gesetzt, der aber keineswegs anästhetisch war. Auch klagten die Patienten aus¬ 
nahmslos über Brennen an der Injectionsstclle. Bei Bopinselungen der 
Zunge mit l u /„iger E.-Lösung behufs Excision eines Papilloma linguae 
wurde Herabsetzung der Schmerzhaftigkeit nicht bemerkt. Schädliche 
Allgemeinwirkungen des Erythrophläins konnte. Verfasser nicht beobachten. 

8. Li pp in Graz (Wiener medio. Wochenschr. No. II). Li pp hat 
7*—1 % Lösungen meist subeutan angewandt, nur einige Male subepider- 
midal. 1 % Lösungen riefen Pulsverlangsamung hervor (Digitalinwirkung). 
Dosen von 0,006 aufwärts riefen meist secundäre Analgesie hervor. Bei 
einer Dosis von 0,1 trat unter 11 Fällen 9 Mal secundäre Analgesie auf, 
meist auch Parästhesie. Der Beginn der secundären Analgesie fallt im 
Allgemeinen auf eine spätere Zeit als jener der primären (Injections- 
analgesie), er tritt selten 5—15', meist 20— 40' aber auch erst 2 Stunden 
nach der Injection ein. Die secundäre Analgesie kann 15 cm entfernt von 
der primären auftreten, oft ist das analgetische Gebiet ziemlich gross 
(7—26 cm Längs-, 1—7 cm Breitenausdehnung), die Dauer der secundären 
Analgesie schwankt zwischen 3 und 48 Stunden. Subepidcrmidale Injec¬ 
tionen ergaben ähnliche Resultate, die Reizung an der Injectionsstelle war 
bei dieser Applicationsart immer eine bedeutende. Nach Li pp werden 
durch E. die Nervenästc alterirt, die Analgesie folgt den getroffenen 
Nervcnstämmen, bisweilen sieht man Flächcnbilder der analgesirten Haut. 
Will man ziemlich verlässlich die secundäre Wirkung der subcutanen In¬ 
jection hervorrufen, so muss eine passende Wahl des Platzes für dieselbe 
stattfinden, um die Hautnerven zu influenciren. 

9. T. Lauder Brunton schreibt im „Lancet“ (3. März 1888): Ich 
habe bereits 1875 (Angola and the River Congo, by I. Monteiro p. 96. 
llacmillan, London) darauf hingewiesen, dass die Erythrophlaeumrinde 
auf das Herz wie Digitalis wirke und darum ist interessant, dass das wirk¬ 
same Princip darin auf das Auge wirkt wie Digitalin. Homolle und 
Quevenne beobachteten, wie eine leichte Opalescenz durch Digitalis in 
der Linse hervorgerufen wurde mit geringer Erweiterung der Pupille und 
Verringerung ihrer Contractilität. Ich habe bei Versuchen an meinen 
eigenen Augen keine Pupillenerweiterung beobachten können. Digitalin 
in’s Auge gebracht, verursacht Schmerz und reichlichen Thränenfluss, der 
aber rasch vorübergeht, gelegentlich fühlt sich die Conjunctiva danach 
noch rauh an. Blickt man aber nach 4—5 Stunden auf ein Licht, so sieht 
man es von einem Hof umgeben, der die Farben des Prismas zeigt und 
dem Licht nicht eng anliegt, sondern noch einen dunklen Raum dazwischen 
lässt. Entfernt man sich vom Licht, so nimmt der Durchmesser dieses 
Hofes zu. Genau dasselbe beobachtete ich, wenn helle Cirruswolken den 


Mond passirten (Lauder Brunfon. On Digitalis. Churchill & Sons, 
London 1868). Wegen dieser Aehnliehkeit in der Wirkungsweise des 
Erythrophlaeins und Digitalins erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass 
alle zur Gruppe der „llcrzgifte“ gehörigen Mittel ähnlich auf das Auge 
wirken. Ich bemerkte keine Auästhesio, bin freilich auch danach nicht 
ausgewesen. Sie kann also vorhanden geweseu sein und all die andereu 
Mittel erzeugen sie womöglich auch. Schmiedeberg hat uachgewiesen, 
dass das von mir benutzte Digitalin ein Gemisch von vier verschiedenen 
Substanzen war, von denen das Digitalin in seiner Wirkung dem Saponin 
sehr ähnlich ist. Nun hat man vom Saponin gefunden, dass es sowohl 
local reizend wie local auästhesirend wirkt und wenn das Erythrophlaein 
wie Digitaliu ein Gemisch und keiuo chemisch reine Substanz ist, so be¬ 
ruhen die verschiedenen Resultate von Dr. Lewin und Mr. Tweody sehr 
wahrscheinlich auf einer verschiedenartigen Zusammensetzung der angewen¬ 
deten, nur dem Namen nach gleichen Substanzen. Unzweifelhaft ist die 
Zahl der mehr oder weniger local anästhesirend wirkenden Stoffo sehr be¬ 
trächtlich und wir können jeden Tag neue derartige kennen lernen. So 
hat Mays (Journal of Physiology vol. VII, p. 461) gezeigt, dass Brucin, 
llydrastiu, Thein und Guaraniu ausgesprochen local auästhesirend wirken 
und sehr viele Körper der aromatischen Reihe besitzen diese Eigenschaft. 
Carbolsäure ist ein mächtiges locales Anästhetieum, cbeuso Antipyriu. 
Von Dr. Sidney Martin darauf aufmerksam gemacht, versuchte ich eine 
50% Lösung auf der rasirten Haut, die nachher noch mit Jodtinctur be¬ 
strichen wurde. Eine solche Lösung kam in der Wirkung einer 20% 
Cocainsölution gleich, nur war Antipyrin schmerzhafter. Wegen der 
grösseren Wohlfeilheit dein Cocain gegenüber kann diese Eigenschaft des 
Antipyrins vielleicht praktisch benutzt werden. 

10. Panas in Paris (Semaine raedic. S. 78) kommt nach früheren oder 
jüngst erneuten Versuchen über das Erythrophlaein zu folgenden Resul¬ 
taten: Als lokales Anästhetieum für das Auge kommt das E. in seiner 
Wirkung nicht entfernt dem Cocain gleich. Wenngleich seine anästhesirende 
Wirkung länger anhält, so machen doch die Entzündung und die lebhaften 
Schmerzen bei seiner Anwendung das Mittel für jedwede Operation dem 
Auge ungeeignet. Schliesslich hindert nichts, auch die Cocainanästhesie 
wenn uöthig dauernd zu machen, indem man es so lange immer aufs neue 
einträufelt als erforderlich ist. 

— Kln neues Hypnoticum. Das in den Boldoblättcrn enthaltene 
Glykosid, ßoldin genannt, hat nach den Untersuchungen französischer 
Acrzto, welche sich viel mit dieser Drogue beschäftigt haben, hypnotische 
Eigenschaften. Aus der im Progrcs medical jüngst veröffentlichten ausführ¬ 
lichen Arbeit des Dr. Juranvillc erfahren wir, dass das Holdin in Bezug 
auf hypnotische und narkotische Wirkung das Opium, Chi oral 
und andere derartige Mittel hoi weitom übertreffen soll. Es 
ist leicht zu nehmen, hat gar keino übelen Nachwirkungen, vermehrt den 
Appetit und kräftigt zugleich den Kranken. Dosen bis zu 5 — 10 g sind 
verschiedenen Kranken ohne Nachtheil täglich gereicht worden. Der Schlaf 
der durch das Boldin hervorgebracht wird, ist dem natürlichen ähnlich, und 
die Athmung ist dabei regelmässig und ruhig. Aufgeregte Kranke, hyste¬ 
rische und andere Nervöse, welche lange Zeit an Schlaflosigkeit gelitten, 
sanken unter Anwendung dieses Mittels in einen erfrischenden, ruhigen 
Schlaf. Der Gehalt an Boldin in den Boldoblättcrn beträgt 3%. Man 
reicht das Mittel in Kapseln jede Dosis zu 0,2 oder als subcutane Injection 
0,5 auf 10 Wasser mittels Pravaz’scher Spritze. 

— Das Sulfonal empfiehlt Käst als neues Schlafmittel. Das Sulfo- 
nal gehört zu der Gruppe der Disulphone und ist ein Oxydationsprodukt 
einer Verbindung des Acthylinercaptans mit Aceton, crystallisirbar, ge- 
ruch- und geschmacklos. Das Sulfonal verändert nicht den Blutdruck. Die 
Einzcldose beträgt 1 — 2 gr in Oblaten. Bei erwachsenen Männern musste 
bis auf 3 gr gestiegen werden. Seine Angewöhnung scheint das Mittel nach 
den bisherigen Erfahrungen in seiner Wirksamkeit nicht, zu erschöpfen. 
(B. klin. Wochenschr. No. 16.) 

— Benzol gegen Keuchhusten wird von Dr. Lowe in British Med. 
Journal als sehr wirksames Mittel empfohlen in einer Mischung, welche den 
brennenden, brecheucrregenden Geschmack verdeckt. Er verordnet kleine 
Dosen 3—4 Tropfen 2 Mal zu nehmen Kindern von 4—5 Jahren, jüngeren 
Kindern noch weniger. Die Verordnung ist etwa folgende: 

Benzol, purissiroi gtt. XXXII 
Glycerin. 45,0 g 
01. menth. pip. gtt. X 
Syr. moror. 15,0 g. 

Bei den vielfachen Mitteln gegen diese die Kinder und deren Ange¬ 
hörige belästigende und mit mannichfachcn Nachkrankheiten verbundene 
Infectionskrankheit, welche zumeist sich unwirksam erweisen, dürfte es sich 
empfehlen, auch diesos Mittel zu versuchen, welches als sicher wirksames 
vom Verfasser gerühmt wird. Bo. 

— Saccharin als geschmackverbesserndes Mittel wird von C-huche 
in der Revue gen. de Clinique et de therap. vom 5. Januar 1888 in den 
verschiedensten Coinbinationen empfohlen. Er verordnet 

R. Chinini sulph. 0,5 R. Chloral. hydr. gtt. 75 

Acid. sulph. q. s. ad. sol. Sol. Saccharin, ana 

01. menth. pip. gtt. 5 Aq. destill. 100,0 g 

Sol. saccharini gtt. 10 R. Acid. tart. 

Aq. destill. gtt. 100 Natr. bicarb. ana 5,0 

R. Pulv. Rhei. Saccharin. 2,0 Brausopulvcr. 

Saccharin, ana 10,0 
Ol. foenic. gtt. 4 

Der den gewöhnlichen Zucker übertreffende süsse Geschmack des 
Saccharin macht diesen geeigneter, den schlechten Geschmack mancher Mc- 
dicamente zu verhüllen. Die angegebene Mischung des Saccharin ist eine 
saturirte. Bo. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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XIII. Nachtrag zu dem in dieser Nummer 
befindlichen Artikel von Prof. Salkowski: 
Ueber die antiseptische Wirkung des 
Chloroforms. 

Schliesslich mag noch erwähnt werden, dass eine grosse An¬ 
zahl anderer Chlorverbindungen der Aetbylreihc gleichfalls mehr 
oder weniger starke autiseptische Wirkungen äussert, sodass Methylen¬ 
chlorid, das Aethylenchlorid, Aethylidenchlorid, Chloräthylenchlorid, 
Chloräthylidenchlorid, weniger das Aethylchlorid, ohne dass eine 
dieser Verbindungen Vorzüge vor dem Chloroform zu besitzen 
scheint; allenfalls könnte die Verwendbarkeit der leichter als 
Chloroform flüchtigen als Antisepticum des Respirationsapparates in 
Frage kommen. Hierüber sollen noch Versuche angcstellt. werden. 

XIV. Erklärung. 

Durch ein bekanntes Vorkommniss in der ersten Sitzung des 
VII. Congresses für innere Mediein konnte ich mich leider 
nicht mehr zu einer eingehenden Entgegnung veranlasst sehen. Da 
mein Schweigen von ununterrichteter Seite als ein Einverständniss mit 
den Auseinandersetzungen meines Vorredners gehalten werden könnte, 
fühle ich mich zu der Erklärung gezwungen, dass ich im Gegentheil, 
sobald mir der Wortlaut des Correferates vorliegt, auf eine sachlich- 
kritische Besprechung desselben an geeigneter Stelle zurückkommen 
werde. Prof. Dr. Oertel. 


XV. 61. Versammlung Deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte in Köln. 

i. 

Die Vorbereitungen für die 61. Versammlung Deutscher Naturforscher 
und Aerzte sind soweit fortgeschritten, dass die Eintheilung in Sectionen 
und die Ernennung der Einführenden für dieselben vorgenommen werden 
konnte. Es sind abermals 30 Sectioneu in Aussicht genommen. Wir geben 
nachstehend ein Verzeichniss derselben mit Hiuzufügung des Namens des 
Einführenden: 

Section für Mathematik und Astronomie; T)r. Klein. — Physik; Prof. 
Dr. Schorn. — Chemie; Dr. Hiiburg, Lehrer am Realgymnasium.— Bo¬ 
tanik: Dr. Niepraschk. — Zoologie; Dr. Heck. — Entomologie; Dr. phil. 
Kalender. — Mineralogio und Geologie; Hof mann. — Anatomie; Dr. 
Dessauer. — Ethnologie und Anthropologie; Joost. — Physiologie; Dr. 
Auerbach. — Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie; Dr. 
Sticker jr. — Pharmakologie: Dr. Dumont. — Pharmacie; v. Gartzen. 
Innere Mediein; Prof. Dr. Leichtenstern.— Chirurgie; Prof. Dr. Barden¬ 
heuer. — Gynäkologie und Geburtshülfe; San.-Rath Dr. Rhoinstädter. — 
Pädiatrie; Dr. Haehner. — Neurologie und Psychiatrie; Dr. Laudahn.— 
Augenheilkunde; Dr. Samelsohn. — Otiatrio; Dr. Keller. — Laryngo- 
und Rhinologie; Dr. Michel. — Dermatologie und Syphilis; Dr. Wolfs. 
— Gerichtliche Mediein; Geh. Rath Dr. Schwartz. — Militärsanitätswesen; 
Dr. Neumann. — Veterinärmedicin; Dr. Sticker. — Zahnheilkunde; Dr. 
Baumeister. — Hygiene; San.-Rath Dr. Lent. — Landwirtschaftliches 
Versuchswesen; Walther Herstatt. — Naturwissenschaftlicher Unterricht; 
Prof. Dr. Thome. — Geographie; v. Yss eiste in. 

Als Einführender der Section für gerichtliche Mediciu und 
Medieinal-Polizci der vom 18. bis 23. September dieses Jahres in Köln 
tagenden Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte, er¬ 
laube ich mir, zur Theiluahme au den Beratungen der genannten Section 
frcundlichst einzuladen und hiermit die ergebenste Bitte zu verbinden, für 
die Section geeignete Vorträge bei mir anzumoldon. 

Dr. Schwartz, Geh. Med.- u. Reg.-Rath. 


XVI. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin, ln der letzten Sitzung der Berliner racdicinischen 
Gesellschaft sprach Herr Siegmund vor Eintritt in die Tagesordnung 
Herrn v. Bergmann die Anerkennung der Gesellschaft dafür aus, dass durch 
seine Bemühungen die Langeubeck-Feier einen so würdigou Verlauf ge¬ 
nommen habe, und dass er in so meisterhafter Weise durch seine Rede das 
Bild des Gefeierten in seinen wesentlichen Zügen voll zum Ausdruck ge¬ 
bracht habe. 

— Dom dirigirenden Arzt im Lazaruskrankenhaus, Sanitätsrath Dr. Carl 
Lau gen buch ist das Prädikat Professor verliehen worden. 

— Dr. Weinbaum aus Berlin ist die Assistentenstelle an der Augen¬ 
klinik des Prof. Schmidt-Rimpier in Marburg übertragen worden. 

— Erlangen. Dem Professor der Physiologie Dr. J. Rosenthal 
in Erlangen ist ein Ehrenpreis aus dem Elisabeth Thompson Science Fond 
(Boston) im Betrage von 500 Dollars für die Untersuchungen über die ani¬ 
malische Wärme im gesunden und kranken Körper zuerkannt worden. 

— Wien. Sonnabend den 14. d. M fand, wie die Wiener medic. 
Wochenschrift mittheilt, auf dem Währinger Fiicdhofe die Exhumirung der 
Gebeine von Johann Peter Frank und deren Ueberführung auf den Central¬ 
friedhof statt, woselbst sie in einem der „Ehrengräber“ zur Beisetzung gelangen. 
Das Doctorencollegium, welches eine Stiftung zur Erhaltung der Grube an¬ 
legt und welches die Uebertragung der Ueberresto Frank’s veranlasst hat, 
wird bei diesem Acte dankbarer Pietät durch sein Präsidium vertreten sein. 
(Es sei uns gestattet, in unserer schnelllebigen Zeit, daran zu erinnern, dass 


No. 16 


Frank ein Mann der Praxis war, der seiner Zeit mehr Werth auf das 
Heilen einer Krankheit, als auf sophistische Hypothesen über das Wesen 
der Krankheit im Allgemeinen legte. Sein medicinisehes Hauptwerk „Epi¬ 
tome“, ein instructiv classisches Werk nach Form und Inhalt, verdient, noch 
jetzt die Aufmerksamkeit der Aerzte in Anspruch zu nehmen.) 

— Teplitz. Den vielfach ausgesprochenen Gerüchten über ein theil- 
weises Versiegen der Heilquellen von Teplitz-Schönau tritt eine amt¬ 
liche Bekanntmachung der Bürgermeisterämter Teplitz und Schönau ent¬ 
gegen, der zufolge die chemische Beschaffenheit, Temperatur und Heilkraft 
des Thermalwassers unverändert geblieben und die Quellen in stetigem 
Steigen begriffen sind. Der ungestörte Bestand dos Badeortes ist vollständig 
gesichert. 

— Paris, ln der Academie de medecine (Sitz. v. 20. März d. J.) 
machte Dujardin-Boaumetz Mittheilungen über die Anzahl der im De¬ 
partement de la Seine im Jahre 1887 von tollwüthigen Hunden Gebissenen 
und über die Erfolge der Pasteur’schen Behandlungsmethode. In der 
Liste des Instituts Pasteur wurden geführt 306 Personen; 64 von ihnen 
waren von Hunden gebissen worden, bei denen die Hundswuth durch das 
Thierexperiment sicher gestellt wurde: in 199 Fällen wurde dio genannte 
Krankheit bei den Thicren durch thierärztliches Zcugniss erwiesen; in 
43 Fällen handelte es sich um Bisse von Thieren, über die nichts zu er¬ 
mitteln war. Bei den 306 Personen kamen 2 Todesfälle vor. Bei 44 an¬ 
deren Personen aus dem Seinedepartement, welche von tollen Hunden ge¬ 
bissen wurden und sich im Institut Pasteur nicht meldeten, wurden 
7 Todesfälle constatirt. Der Redner hob hervor, wie sehr diese Zahlen für 
den Werth der Pasteur’schen Methode sprächen. (Journ. des soc 

— Der Herausgeber der „Annales medico-chirurgicales“ und Arzt am 
Hüpital de Lourcine, Dr. Martineau, ist im 52. Lebensjahre gestorben. 

— Italien. Der Minister des Innern hat das Verbot der Einfuhr von 
Lumpen, Hadorn, alten Kleidern und Botten aus Oesterreich, Spanien, Frank¬ 
reich incl. C-orsiea, Algier und Tunis wieder aufgehoben. Das Verbot bleibt 
für die am Suezcanal gelegenen Länder bestehen und wird auch auf die 
Türkei ausgedehnt. (Rif. med.) 

— Variola. Am 17- März zählte man in Martinique seit dem Aus¬ 
bruch der Epidemie 2068 Fälle von Variola mit 354 Todesfällen. In 
St. Pierre allein sind 289 Todesfälle zu verzeichnen. 

— Neuerdings wird von der bekannten Firma „Fairbank“ in Chicago 
oin flüssiger Fleisch ex tract unter dem [Namen „Bouillon Morris“ in den 
Handel gebracht, welcher von Dr. Bi sc hoff hier eine sehr günstige Beur- 
theilung erfährt. Er soll sich durch nichts von frischer Fleischbrühe unter¬ 
scheiden, l*/a Theelöffel Extract sollen gestatten, sofort eine Tasse wohl¬ 
schmeckender Bouillon herzustellcn. 

— Universitäten. Bonn. Der ausserordentliche Profossor Dr. M. 
Nussbäum scheidet aus seiner Stellung als Prosector der Anatomie aus 
und übernimmt das Amt eines Custos am genannten Institute. Zum Pro¬ 
sector wurde an seiner Stelle der bisherige Privatdocent und Prosector in 
Göttingen, Dr. Schiefferdeckcr, ernannt. — Heidelberg. Profe sor 
Erb erhielt den Charakter als Geheimer Hofrath. — Marburg. Herr Ge¬ 
heimrath Prof. Dr. Roser hat am 31. März die chirurgische Klinik seinem 
Nachfolger Professor Dr. Braun aus Jena übergeben. Von Seiten der 
Stadt ist Roser zu Ehren die Strasse, an welcher seine Villa steht, mit 
dem Namen „ltoserstrasse“ belegt worden. Se. Majestät hat genanntem Herrn 
den rothen Adlerorden II. Classe mit Eichenlaub verliehen. — München. 
Der ausserordentliche Professor in der medicinischcn Facultät der Universität 
München Dr. Jos. Bauer wurde zum ordentlichen Professor der propädcutisch- 
mcdicinischen Klinik in der mediciuischen Facultät der genannten Universität 
befördert. — Charkow. Der a. o. Prof, der allgemeinen Pathologie an der 
Universität Charkow, Dr. S. Kostjurin, ist zum ordentl. Professor ernannt 
worden. 


XVH. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnung: Seine Majestät der König haben Allergnädigst 
geruht, dem Ober-Stabsarzt I. CI. Dr. Michel, Chefarzt des 2. Gamison- 
lazareths für Berlin, die Erlaubniss zur Anlegung des Commandeurkrouzcs 
II. CI. des Königl. Schwedischen Wasa-Ordens zu ertheilen. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Faehndrich in Ziclenzig 
und Dr. Weidner in Frankfurt a. 0. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Haas von Schwanebeck, Kuem- 
rael von Schocnewalde nach Colhitz, Delbrück von Alt-Scherbitz nach 
Hamburg, Flegcr von Dueren nach Alt-Scherbitz, Dr. Bluhme von Kolbra 
nach Nordhausen, Dr. Sch mutte von Charlottenburg nach Kelbra, 
Schwartz von Storchnest nach Scyda, Dr. Hamm von Herford nach 
Riemsloh. 

Der Arzt und Zahnarzt: Dr. Eichler von Driesen nach Frank¬ 
furt a. 0. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Der Stabsarzt a. D. Sanitäts-Rath 
Dr. Schlott in Halle a. S. und der Wundarzt Brauns in Erfurt. 

Vacante Stolle: Die Oberarats-Wundarztstclle des Obcramtsbozirkes 
Ilaigerloch. 

2. Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Ernennung: Der prakt. Arzt Dr. Georg Hold iu Isen zum Bezirks¬ 
arzte I. CI. in Roding. 

Niederlassungen: Dr. L. F. Hügel, Assistenzarzt der psychiatri¬ 
schen Klinik in Würzburg. Dr. Eugen Rüb (approb. 1886) zu Marktstett. 
Dr. Schäfer zu Neustadt. 

Verzogen: Dr. med. Proskauer von München nach Weruinghauseu 
in Thüringen. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag J\ff 17 . 26. April 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Red&ctenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thienie, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Sectio caesarea. 1 ) 

Von Dr. J. Veit. 

Die Erfolge, welche in neuerer Zeit mit dem Kaiserschnitt er¬ 
zielt worden sind, sind so erhebliche, die Verringerung der Morta¬ 
lität nach demselben ist eine so wesentliche, dass man allerdings sich 
die Frage vorlegen muss, wie weit die verbesserte Technik im Ope- 
riren oder die Antiseptik hierzu Veranlassung gewesen ist, und ferner 
den praktisch sehr wichtigen Punkt erörtern muss, iuwiefern unsere 
geburtshülfliche Therapie hierdurch in ihren Principien alterirt wird. 
In letzterer Beziehung schliesse ich mich dem Urtheil Wyder’s 2 ) 
aus voller Ueberzeugung an, dass, wenn erst ausserhalb gut gelei¬ 
teter Anstalten die Operation sehr viel häufiger vorgenoramen wird, 
bald die alte Mortalität wieder erreicht wird. Es scheint mir da¬ 
her immer noch eine dankenswerthe Aufgabe, auf Grund der er¬ 
reichten Erfolge für die Praxis die Indicationen so aufzustellen, wie 
sie entsprechend der verbesserten Prognose als berechtigt für jeden 
Arzt anerkannt werden sollten. Das zweite, was den operireuden 
Arzt vielleicht noch mehr interessirt, ist die Technik der Operation 
selber, und hierfür ist es gewiss berechtigt, wie Gusserow 3 ) noch 
kürzlich hervorgehoben hat, jeden einzelnen Fall von Kaiserschnitt 
zu veröffentlichen. 

Ich beginne meine Mittheilung mit dem auf die Technik Be¬ 
züglichen. Sie wissen, dass für die Verbesserung derselben Sänger 
das grösste Verdienst hat, im Hinblick auf die Prognose des Kaiser¬ 
schnittes. Seit seinen ersten Publicationen sind die Resultate bei 
Weitem günstiger geworden, und allgemein wird nunmehr jeder con- 
servative Kaiserschnitt als Sänger’scher Kaiserschnitt bezeichnet. 
Von den ursprünglichen Vorschriften, die Sänger gegeben hat, ist 
allerdings im Laufe der Zeit manches aufgegeben worden, aber man 
thnt wohl gut, mit Zweifel 4 ) die Sänger’sche Methode als solche 
noch aufrecht zu erhalten, so sehr sie auch im Laufe der Zeit mo- 
dificirt worden ist. 

Als Sänger seine Methode angab, waren die Resultate 
besonders der Naht des Uterus recht schlechte gewesen. Meist 
lag am 5. oder 6. Tage nach der Operation die Uteruswunde 
klaffend in der Bauchhöhle, indem die Knoten der Suturen sich ge¬ 
löst hatten, und die Fäden auf der einen oder anderen Seite der 
Wunde nur noch eben anlagen. Gegen diese schlechten Resultate 
ist die Nahtmethode von Sänger angegeben worden, welche von 
ihm als „sero-seröse Naht“ der Darmnaht nachgebildet wurde. 
Hierin hat man lange Zeit die Hauptsache der Sänger’schen Me¬ 
thode gesehen und daran festgehalten, wenn man auch die zuerst 
von ihm empfohlene Resection der Muskulatur aufgegeben hat. 
Gegen die sero-seröse Naht sind nun allerdings im Laufe der Zeit 
gewichtige Bedenken geltend gemacht worJen. Ich erinnere Sie 
nur an die mit der vollen Kraft seiner Ueberzeugung bei Gelegen¬ 
heit eines Vortrages über Myomotomie in unserer Gesellschaft ge¬ 
sprochenen Worte Schröder’s, 6 ) der auf das principiell Falsche 
der sero-serösen Naht hinwies; er hob hervor, dass Schnittwunden 
aneinandergelegt sicherer verheilen müssten als peritoneale Flächen. 
Sollten letztere sich vereinigen, so müsste immer ein neuer Reiz, 


*) Vortrag gehalten in der Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäko¬ 
logie am 10. Februar 1888. 

*) Arch. f. Gyn. Bd. 32, 5. H. i. 

3 ) Berl. klin. Woch. 1887, No. 20. 

*) Arch. f. Gyn. Bd. 31, S. 193. 

5 ) Zeitschr. d. Geb. und Gyn. Bd. 11, S- 395. 


der zu adhäsiver Entzündung führt, hinzukommen. Bei Gelegenheit 
einer neueren Veröffentlichung hat dann Zweifel einen mikrosko¬ 
pischen Schnitt veröffentlicht, den er durch die sero-serös vereinigte 
Wunde eines Uterus nach ausgeführtem Kaiserschnitt anlegen 
konnte. 

Es ergab sich die bemerkenswerthe Thatsache, dass der Schnitt 
so weit klaffte, wie die eigentlich vernähten Peritonealflächen ein¬ 
ander gegenüber lagen, während die Muskulatur in der Tiefe völlig 
vereinigt war. Die Folgerung, welche nun Zweifel hieraus in 
seiner neusten Mittheilung zieht, ist die, dass man die Resection 
der Muskulatur aufgeben und die sero-seröse Naht stets dann 
unterlassen müsse, wenn irgend wie das Peritoneum nicht leicht 
einfalzbar wäre. Die Begründung, die er in den anderen Fällen 
für das Festhalten an der symperitonealen Naht noch giebt, lautet 
nun bei weitem anders, als Sänger sie aussprach. Mit Recht hebt 
er hervor, dass wir dem letzteren auch die exacte Muskeluaht ver¬ 
danken und damit die grössere Sicherheit in der Vereinigung der 
Uteruswunde, aber er fürchtet bei einfacher Uterusnaht, dass die 
aus den Stichcanälen austretenden Blutströpfchen leicht zu Adhä¬ 
sionen mit der vorderen Bauchwand Veranlassung werden würden, 
und dass somit ein sicherer Schutz hiergegen durch die sero-seröse 
Naht geliefert würde. 

Nachdem ich im Sommer vorigen Jahres einen ohne sero-seröse 
Naht ausgeführten Kaiserschnitt ohne jeden Zwischenfall habe 
heilen seheu, begrüsste ich unter diesen Umständeu die Gelegenheit, 
die Heilung des Peritoneums am Uterus zu studireu, wie sie sich 
mir im Laufe des Winters bot, mit einer gewissen Freude. Es 
handelte sich um die Enucleation zweier Myome aus der Wand des 
Uterus, die ich nach dem von A. Martin 1 ) gemachten Vorschläge 
ausführte. Ich vernähte das Bett mit fortlaufender Catgutnaht und 
vereinigte etwa so, wie die äussere Haut lineär das Peritoneum. 
Pat. starb leider am 7. Tage nach der Operation unter den Er¬ 
scheinungen von Herzlähmung, wie sie Hofmeier neuerdings als 
Grundlage für die Shokerscheinungen geschildert hat. Die Section 
erstreckte sich nur auf die Bauchhöhle. In ihr war weder Ex¬ 
sudat, noch Adhäsion, noch irgend ein Zeichen von Entzündung in 
der Umgebung des Uterus vorhanden. Ich entnahm den Uterus 
der Leiche und habe an ihm die Heilungsvorgänge des Peritoneums 
untersucht. Bei dem Zerschneiden des Uterus senkrecht zur peri¬ 
tonealen Narbe war am auffallendsten eine Stelle, an der das 
Peritoneum lineär aneinanderlag, an der aber in Folge eines Zu¬ 
falles durch die Anlegung der Naht neben der Wunde des Peri¬ 
toneums eine Falte in dem Bauchfell gebildet worden war, die 
durch das Zusaramenziehen des Fadens so fest aneinandergebracht 
war, wie es nur irgend bei der sero-serösen Naht möglich ist. 
Die Untersuchung von mikroskopischen Schnitten liess die Stelle 
der peritonealen Wunde als wirklich getrennt von der Falte er¬ 
scheinen. Die Wunde war in der gleich zu schildernden Weise 
verheilt, die Falte zeigte auch da, wo der letzte Faden 
sie noch fest aneinanderhielt, keine Spur von Ver¬ 
klebung. Noch jetzt kann ich Ihnen an einem Theile des Prä¬ 
parates diese Verhältnisse demonstriren, uud ich bin daher in der 
Lage, die von Zweifel auf Grund seiner eigenen Beobachtung ge¬ 
machten Angaben, dass die peritonealen Flächen nicht mit einander 
verwachsen, durch diesen Befund vollständig zu bestätigen. 

Es scheint mir dies um so wichtiger, als Saenger nach pri¬ 
vaten Mittheilungen an der Beobachtung von Zweifel die Bedenken 


l ) Deutsche med. Wochenschr. 1880, No. 27. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


hat, dass die betr. Patientin an septischer Peritonitis starb, und 
dass es sich nur um einen einzelnen Schnitt bei vielleicht an 
dieser einen Stelle nicht exact ausgeführter sero-serösen Naht han¬ 
delte. Gerade unter den letzten Fäden, wie ich sie Ihnen hier 
noch vorlegen kann, also an den Stellen festesten Zusammeuziehens, 
ist ebenso wenig eine Verwachsung eingetreten wie an den dazwischen 
liegenden Stellen. 

Bevor ich weiter gehe, möchte ich aber kurz den Befund Ihnen 
schildern, den ich an der peritonealen Wunde im Gegensatz zu 
dieser peritonealen Falte erhoben habe. 

Die Untersuchungen über die feineren Vorgänge bei der li- 
neären Heilung des Peritoneums habe ich mit gütiger Unterstützung 
des Herrn Dr. Pyrkosch gemacht, und erweisen dieselben, dass 
der Vorgang ein verschiedener war. An einzelnen Stellen ist das 
Peritoneum einfach lineär mit einander geheilt, besonders dort, wo 
Catgutnähte in der Nähe der Wunde, aber nicht direkt in ihr 
lagen. Hier ist die Stelle, an der die Vereinigung des Peritoneums 
erfolgt ist, nur zu erkennen an der darunter liegenden Muskelnarbe. 
Nächstdem scheint mir die am häufigsten vorkommende Art die zu 
sein, dass unter der genauen lineären Vereinigung der peritonealen 
Oberfläche ein kleiner Trichter von kleinzelligem Material gebildet 
wurde, dessen Spitze eben in die Muskelnarbe hineinreichte. In 
noch anderen Fällen war das Peritoneum durch einen Catgutfadeu 
getrennt; alsdann kam es vor, dass dasselbe den Catgutfaden über¬ 
häutete, indem vom Rande her peritoneales Epithel auf ihn hinauf¬ 
wucherte. In anderen Fällen lag der Catgutfaden nur locker auf, 
und das Peritoneum klaffte ohne jede Spur einer weiteren Reizung, 
und trotzdem war die Muskulatur exact mit einander vereinigt. 
Ich gebe Ihnen hier schematisch die Skizzen dieser Verheilung, 
doch muss ich darauf hinweisen, dass es sich hierbei natürlich 
um mikroskopische Vorgänge handelt, dass z. B. das Klaffen des 
Peritoneums nur in der Breite eines Catgutfadens vorhanden war. 
Ich würde hiernach also glauben, dass bei der Heilung des 
Peritoneums ganz derselbe Vorgang sich • abspielt, wie an der 
äusseren Haut, zum Theil lineäre Vereinigung, zum Theil Ver¬ 
heilung mit Bildung einer kleinzelligen Infiltration unter der Ver¬ 
heilung, zum Theil ein langsames Ueberhäuten von den Rändern 
eines etwa vorhandenen kleinen Defectes aus. Das eine kann ich 
zweifellos folgern, dass die symperitoneale Naht nicht zur Ver¬ 
klebung führt, und dass wir auch ohne dieselbe eine peritoneale 
Vereinigung zu Stande kommen sehen. Sie werden mir einwenden, 
dass der Vorgang, bei dem kleinzellige Infiltration unter der lineären 
Vereinigung des Peritoneums vorkam, nicht das Ideal von Heilung 
darstellt, sondern dass dies nur ausschliesslich in der direkten 
lineären Vereinigung des Peritoneums gefunden werden kann, so 
dass man nach dieser Zeit überhaupt nichts mehr von Wunde oder 
Narbe an der peritonealen Oberfläche sieht. Dieser Vorgang ist 
auch an vielen Stellen an dem vorliegenden Uterus zu Stande ge¬ 
kommen. Es schien mir nur von einer gewissen Bedeutung, darauf 
hinzuweisen, dass auch bei geringer Abweichung von der prima 
intentio durch die mikroskopisch nachweisbare kleinzellige Infiltration 
unter der Peritonealnarbe eine volle Heilung erreicht wird. Auch 
muss ich betonen, dass trotz des mikroskopischen Klaffens der Peri¬ 
tonealwunde eine langsame Ueberhäutung vom Rande her zu Stande 
kommt. — Es ist ja schwierig, den Rückschluss von dieser Heilung 
auf die Verhältnisse beim Kaiserschnitt zu machen. Man wird mir 
immer die Fälle aus früherer Zeit entgegenhalten, in denen trotz 
Vernähung der Muskulatur die Heilung nicht zu Stande kam, die 
Wunde vielmehr klaffte. Man wird an die Contractions- 
verhältnisse des puerperalen Uterus erinnern und diese we¬ 
sentlich hiervon abweichend darstellen. Aber es mögen wohl 

leichter Zerrungen an der Muskelnarbe am puerperalen Uterus 
Vorkommen, die Verhältnisse des Peritoneums können keiuenfalls 
andere sein. Wenn sowohl in dem Zweifel’schen wie in meinem 
Falle die fest aneinander gezogenen Peritonealfalten vollkommen 
klaffen, so wird sich füglich nicht ein wenden lassen, dass die Ver¬ 
hältnisse des Peritoneums hierbei andere gewesen sind. Die Heilung 
des Peritoneums erfolgt, wenn die durchschnittenen Ränder des¬ 
selben aneinander liegen, sobald nur verhindert wird, dass diese 
Theile auseinander gezerrt werden oder infectiöse Substanzen sich ein¬ 
drängen. Hiergegen hat, wie auch Zweifel hervorhebt, Sänger in 
der guten Muskelnaht den besten Schutz angegeben. Bleibt jede Spur 
einer Infection von der Uteruswunde fern, so verkleben die aneinander 
gelegten Muskelschnitte direkt miteinander, und während der Zeit, 
in der die sich bildende Vereinigung noch nachgiebig ist, hindert 
die gut angelegte Naht, dass auf diese schwache Stelle ein Zug aus¬ 
geübt wird. Sobald aber unter dem Einfluss von Infection ein 
stärkeres Auswandern weisser Blutkörperchen zu Stande kommt, 
werden die Fäden lockerer im Gewebe liegen, wird sich zwischen 
den Muskelschnitten keine prima intentio einstellen und wird es da¬ 
her zum Klaffen kommen. Nach den bisher vorliegenden Erfahrun¬ 
gen kann ich in der symperitonealen Naht nur unter diesen Um¬ 


ständen einen Schutz der Muskelnath erblicken, nämlich dann, wenn 
die peritonealen Flächen durch ein Nahtmaterial, das aseptisch ist, 
bis über die Zeit hinüber zusammengehalten werden, während der 
die nicht ganz aseptische Muskelwunde aneinander heilt. Aber 
dasselbe Resultat wird sich ergeben, sobald man ohne jede Spur 
von Infection durch feste Nähte die Flächen des Muskelschnittes 
selbst aneinander gebracht hat. 

Man wird hiergegen immer die Analogie mit der Darmnaht an¬ 
führen, aber hier liegen die Verhältnisse vollkommen anders; bei 
der dünnen Wand, welche aneinander genäht werden soll, ist die 
lineäre Vereinigung sehr schwer, man wird viel leichter die Wund¬ 
fläche gut aneinander bringen, wenn man die Theile einfalzt. Er¬ 
folgt hierbei kein ganz geradliniges Aneinanderliegen des Peritoneums, 
so werden die Wundränder wenigstens einander sicher sehr genähert 
bleiben, und die am Uterus von mir beobachtete, jedenfalls auch 
hier vorkommende langsamere Vereinigung der Wunde wird während 
der Tage, während welcher die sero-seröse Naht noch hält, zu 
Stande kommen. Die Vorstellung, dass die Heilung hier mit Ver¬ 
klebung der aneinander genähten Flächen des Peritoneums zu Stande 
kommen muss, ist jedenfalls nicht für alle Fälle richtig; dass übri¬ 
gens gerade am Darm eine derartige Heilung Vorkommen kann, ist 
bei dem jedenfalls als Wundreiz geeigneten Inhalt des Darms gewiss 
recht häufig der Fall. 

Die weitere Sorge Zweifel’s, durch die symperitoneale Naht 
Verwachsungen mit der vorderen Bauch wand zu vermeiden, kann 
ich nicht recht theileu. Mir scheint diese Gefahr sehr geringfügig 
zu sein. Der Uterus sinkt mit jedem Tage tiefer in’s Becken hinein, 
bewegt sich bei jeder Füllung von Blase und Mastdarm an der vor¬ 
deren Bauchwand entlang, die für den Eintritt von Verwachsungen 
nöthige Ruhe ist gewiss nur selten vorhanden. Aber selbst wenn 
die Verwachsung mit der vorderen Bauchwand eintritt, sehe ich in 
ihr keinen so grossen Nachtheil, dass ich deswegen ein so compli- 
cirtes Verfahren anwenden möchte. 

Dass diese Verhältnisse in gewissem Sinne durch anderweite 
Beobachtungen noch studirt werden müssen, folgt aus der inter¬ 
essanten Arbeit von Graser sicher. Aus derselben hebe ich her¬ 
vor, dass ohne Eröffnung des Peritoneums durch durchgezogene 
Nähte fest aneinander gebrachte Flächen des Peritoneum parietale 
nach Verlauf von 5—7 Tagen einfach auseinanderweichen. Er 
hält daher eine gewisse Reizung der peritonealen Flächen dann 
für nothwendig, wenn man eine Verwachsung herbeiführen will, 
und findet dieselben vielleicht schon in den Einwirkungen, welche 
bei der Eröffnung des Peritoneums regelmässig stattfinden. Beeilte 
sich Graser, hielt er jeden Insult vom Bauchfell ab, so constatirte 
er eine Verzögerung der Verheilung der peritonealen Flächen. Worin 
dieser Reiz liegt, ob in dem Betupfen mit den Antisepticis oder in 
der Toilette, lässt er dahingestellt. Des weiteren schildert er dann 
die feinem Vorgänge, welche bei dieser Verwachsung sich abspielen; 
so interessant dieselben sind, so sicher wirklich Peritoneum flächen¬ 
haft mit einander verwachsen kann, so nothwendig scheint es mir, 
gerade für die Lehre vom Kaiserschnitt hervorzuheben, dass die 
Bedingungen, unter welchen es hierzu kommen muss, keineswegs 
festgestellt sind. 1 ) Ich sehe daher in der Sänger’schen symperi¬ 
tonealen Naht, falls man etwa viel von der Muskulatur resecirt, 
einen direkten Nachtheil, weil die Uteruswand durch die Einfalzung 
verdünnt wird. Ich sehe in derselben ohne Resection keinen Vor¬ 
theil, weil der Schluss aus den vorliegenden Untersuchungen jeden¬ 
falls gerechtfertigt ist, dass nicht regelmässig die aneinandergenähten 
Flächen verkleben: höchst wahrscheinlich wird sich auch hier 
Schröder’s Ansicht, dass ein weiterer Reiz zu der Vernähung, 
wenn sie zur Verklebung führen soll, hinzukommen muss, bestä¬ 
tigen. 

Von den sonstigen Vorschlägen der Technik möchte ich nur 
noch zwei Punkte berühren. Der erste betrifft die Entfernung 
der Deciduafetzen aus dem Uterus, zu der auch Zweifel neuer¬ 
dings mit nachfolgender Jodoformeinreibung der Uterusinnenfläche 
räth. Ich fürchte Deciduafetzen im Uterus sonst nicht. Die Pla- 
centa löst sich durch die eingeführte Hand ohne weiteres ab, und 
ebenso, wie ich die Berührung der Uterusinnenfläche nach einer 
normalen Geburt nur bei dringender Indication anrathe, würde ich 
auch bei jeder weiteren Manipulation in dem Kaiserschnittsuterus 
viel mehr die Infection fürchten, als Vortheil von der Entfernung 
der Reste sehen. Will man alles, was sich nach der Entbindung 
abstosseu muss, unmittelbar post partum entfernen, so muss man 
jedenfalls hiermit noch weiter gehen, als bis zu den Decidua¬ 
fetzen. 

Der zweite Punkt betrifft die Schnelligkeit der Operation. 
Gerade weil wir den Gummischlauch um den Cervix legen und auf 
diese Weise blutleer operiren, müssen wir stets die Atonie des 
Uterus um so mehr fürchten, je länger die glatte Muskulatur von 


') Siehe Graser, Habilitationsschrift, Erlangen 1886. 


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26. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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der Circulation abgeschnitten war. Man wird ja natürlich ebenso, 
wie bei jeder anderen Geburt auch nach dem Kaiserschnitt Atonie 
erleben können, aber man wird dies unangenehme Ereigniss um so 
häufiger eintreten sehen, je längere Zeit die Compression durch den 
Schlauch stattfand. Um dies zu erreichen, rathe ich, ebenso wie 
es auch Lebedeff 1 ) that, die Anwendung der fortlaufenden Naht 
an, und würde ich in drei Etagen die Vereinigung auszuführen 
rathen, zuerst Decidua und submucöse Uterusschicht, dann Musku¬ 
latur gewöhnlich in einer, seltener in zwei Etagen, endlich lineäre 
Vereinigung des Peritoneums. So kann man mit einem einzigen 
langen Faden und nur zweimaliger Knotung (am Anfang und am 
Ende) der Naht in überraschend kurzer Zeit die ganze Naht been¬ 
digen; in dem von mir operirten Falle lag der Gummischlauch nicht 
länger als 8—10 Minuten. Das Nahtmaterial wird wohl gleichgültig 
sein. Ich ziehe, besonders weil es sich hier um versenkte Nähte 
handelt, ein sicher antiseptisch bereitetes Catgut allem anderen vor. 
An dem vorliegenden Präparat von der Myomotomie können Sie 
sich auch von der guten Vereinigung der Muskulatur überzeugen, 
sowie die jetzt auch, am 7. Tage, vorhandene Festigkeit des Fadens 
feststellen. 

Praktisch bei weitem wichtiger als die Frage der Verbesserung 
der Technik ist die der Ausdehnung der relativen Indication 
zum Kaiserschnitt. 

Es kann hier keinem Zweifel unterliegen, dass durch die ver¬ 
besserten Resultate nach 2 Richtungen hin eine Ausdehnung ge¬ 
boten erscheinen kann: 

I. Für die Fälle, in denen man während der Geburt er¬ 
kennt, dass nur durch die Perforation des lebenden Kindes noch 
die Möglichkeit der Rettung der Mutter ohne Kaiserschnitt be¬ 
steht und 

II. für diejenigen Fälle, in denen die Erfahrung früherer Ge¬ 
burten die Gefahr für das Kind erwies, und in denen nunmehr 
während der Schwangerschaft die künstliche Frühgeburt nahe 
gelegt wird. 

Nach beiden Richtungen hin hat Wyder wichtige Anhalts¬ 
punkte für unser Handeln veröffentlicht. Jeder von uns wird mit 
ihm darin übereinstimmen, dass das Leben der Mutter bei weitem 
mehr geachtet werden muss, als das des Kindes, und wenn er er¬ 
weist, dass in gut geleiteten Anstalten die Resultate der Perforation 
und der künstlichen Frühgeburt für die Mutter besser sind als 
selbst die des modernen Kaiserschnittes, so ist damit bewiesen, dass 
man auch in der Praxis noch nicht berechtigt ist, unter allen Um¬ 
ständen den Kaiserschnitt aus relativer Indication vorzuziehen, denn 
man wird immer bei den schwierigen Geburten, wie wir sie alltäglich 
in der Stadt zu leiten haben, nicht so günstige sanitäre Bedingungen 
voraussetzen dürfen, wie in einer gut geleiteten Anstalt. 

Diesen Erwägungen stimme ich vollständig zu für diejenigen 
Fälle, in denen erst während der Geburt überhaupt die Frage des 
Kaiserschnittes aus relativer Indication ventilirt wird. Wenn ich die 
49 ersten Fälle, welche Crede 2 ) zusammengestellt hat, überblicke, 
so ergiebt sich, dass 14 Frauen gestorben sind. Unter diesen 
Todesfällen handelt es sich 11 Mal um Frauen, bei denen bei Be¬ 
ginn der Operation der Zustand der Mutter von Crede als un¬ 
günstig (fiebernd oder schlechter Puls, oder Zersetzung im Genital¬ 
canal) bezeichnet wurde. 2 Mal hatte die Geburt über 12 Stunden 
lang ausserhalb der Anstalt gedauert. Nur in dem 14. Fall, in dem 
es sich um absolute Indication zum Kaiserschnitt handelte, ist 
Genaueres über die Geburtsdauer oder den Zustand der Mutter bei 
der Operation nicht bekannt, sodass wir höchstens diesen, als durch 
die Operation tödtlich verlaufend ansehen können. 

Ganz ebenso werden sich meiner festen Ueberzeugung nach 
die Verhältnisse gestalten, wenn man nur die Resultate der¬ 
jenigen Fälle berücksichtigt, in denen während der Geburt jede 
Infection von Seiten des Genitalcanals aus unmöglich ist. Ich 
bin allerdings geneigt, hierzu erstens nur alle diejenigen Fälle zu 
rechnen, in denen wir heutzutage die Entbindungen von vorn¬ 
herein in aseptisch geleiteten Anstalten beobachten. Hier kann die 
Reinlichkeit bei der Untersuchung von der Scheide aus so penibel 
gewahrt bleiben, wie man es bei der Laparotomie v^langen muss. 
Man muss eben beim Kaiserschnitt gegenüber den anderen Lapa- 
rotomieen davon ausgehen, dass neben der Desinfection alles dessen, 
was mit der Incision der Bauchdecken in Verbindung steht, auch die 
Aseptik des ganzen Genitalcanals wesentlich ist. Neben den er¬ 
wähnten Geburten in gut geleiteten Anstalten wird man aber die 
Sicherheit der letzteren Vorbedingung zweitens nur dann haben, wenn 
während der Geburt garnicht von der Scheide untersucht 
ist. Sie wissen aber Alle, dass diese gewiss sehr wünschenswerten 
Vorbedingungen der vollkommensten Aseptik des Genitalcanals in 
der Praxis nicht sicher vorhanden sind. Die Desinfection der ge- 


*) Arch. f. Gyn. Bd. 31. S. 218. 

*) Arch. f. Gyn. Bd. 28 S. 144 u. Bd. 30 S. 322. 


wöhnlichen Hülfe bei der Geburt ist meist nicht so, dass man ohne 
Nachtheil derartige Hände in die Bauchhöhle bringen kann. Be¬ 
sonders ungünstig aber werden diese Verhältnisse, wenn mehrfach 
Entbindungsversuche vorangegangen sind. Ich würde daher es 
dringend widerrathen, dass man bei einer Geburt die Frage „Per¬ 
foration des lebenden Kindes oder Kaiserschnitt“ stellt, und stimme 
mit Wyder vollkommen überein, wenn während der Geburt die 
erstere Operation allein in Frage kommt. Es mag in Anstalten, in 
denen die Anforderungen an die Antiseptik in penibelster Weise 
erfüllt werden, richtig sein, dass man den Kaiserschnitt bevorzugt, 
ausserhalb der Anstalten aber sollte man sehr vorsichtig .sein. 

Ganz anders steht es bei der Fragestellung in der Schwanger¬ 
schaft. Hier kommt bisher alter Erfahrung entsprechend in den 
Fällen, in welchen vorausgegangene Geburten nur mit schwerer Be¬ 
drohung des mütterlichen Lebens und mit Perforation des Kindes 
geendigt haben, die künstliche Frühgeburt in Frage. Gerade diesem 
Eingriff gegenüber aber scheint mir die Ausdehnung der rela¬ 
tiven Indication des Kaiserschnittes berechtigt. Zwar 
sind alle unsere Methoden der künstlichen Frühgeburt bei strenger 
Wahrung der Antiseptik für die Mutter gefahrlos, aber die Resultate 
für die Kinder sind keineswegs günstige. Besonders ist diese An¬ 
schauung berechtigt, wenn man nicht nach dem Verlauf der ersten 
8 Tage allein urtheilt. Den mit Mühe lebend geborenen und 
während der ersten Wochen glücklich noch eben erhaltenen Kindern 
drohen in der späteren Zeit infolge ihres schwächlichen Zustandes 
so viele Gefahren, dass noch so günstige Resultate nach den ersten 
Wochen in das Gegentheil umgewandelt werden. Gerade hier liegen 
aber die Verhältnisse für die Prognose des Kaiserschnittes ganz be¬ 
sonders günstig. Man kann mit MusSe sich auf die Operation vor¬ 
bereiten, man braucht während der Geburt von der Scheide aus 
gar nicht zu untersuchen und kann so die Möglichkeit, dass 
Infectionskeirae im Genitalcanal sich befinden, auf ein Minimum re- 
duciren. Wenn dann bei schneller Ausführung der Operation und 
guter Uterusnaht die Laparotomieantiseptik streng gewahrt ist, wird 
das Resultat viel sicherer günstig werden müssen, als z. B. bei 
einer Myomotomie. Bei dieser Operation fürchten wir die Er¬ 
öffnung der Uterushöhle in gewissem Grade, aber wir haben es 
dann mit einem Genitalcanal zu thun, der nur selten sich in der 
Ruhe und Reinheit befindet, wie der einer Schwangeren in den 
letzten Monaten, welche durch besondere Sauberkeit vorbereitet 
wird. Die Secrete des puerperalen Uterus haben an sich schon in¬ 
folge der Schwere und der Uteruscontraction die Stromrichtung 
nach unten, während oft genug nach der Myomotomie der nur übrig 
bleibende Cervixstumpf seinem Inhalte keine Richtung angiebt. Es 
ist daher die Prognose des Kaiserschnittes, wenn man schon in der 
Schwangerschaft unter den Verhältnissen, unter denen man die 
künstliche Frühgeburt bisher vornehmen würde, die Operation be- 
schliesst, theoretisch besser als die der Myomotomie und nach den 
vorliegenden Resultaten so günstig, dass allerdings der Geburts¬ 
helfer gut thut, unter diesen Verhältnissen aus relativer Indication 
zum Kaiserschnitt zu rathen. Die Mutter — dies Resultat der bis¬ 
herigen Erfolge kann man wohl hinstellen — wird in derselben 
nicht mehr gefährdet, als bei der künstlichen Frühgeburt, und das 
Kind so gut wie sicher errettet. Hierdurch wird allerdings die 
Ausführung der Operation aus der Stadt in gut geleitete Anstalten 
verlegt werden, und hierin treffe ich mich abermals mit Wyder. 
Nur scheint es mir geboten, dass in der festen Ueberzeugung, 
dass von geschickter Hand ein aseptisch ausgeführter Kaiserschnitt 
an einer vollkommen intacten Kreissenden eine gute Prognose giebt, 
auch nun in weiteren Kreisen der von Sänger angebahnten Ver¬ 
besserung der Prognose Rechnung getragen wird. — 

Der von mir selbst im Juli 1887 ausgeführte Kaiserschnitt be¬ 
traf eine Frau, welche nach einem Abortus ein Mal von einer ge¬ 
burtshilflichen Klinik aus mittelst sehr schwerer Craniotomie ent¬ 
bunden war und hierbei eine tiefe Blasengebärmutterscheideu- 
fistel acquirirt hatte. Nachdem ich die letztere geschlossen hatte, 
concipirte die Frau sehr bald wieder, und im December 1885 ent¬ 
band ich sie mittelst künstlicher Frühgeburt von einem sehr kleinen 
Kinde, welches nach schwerer Wendung und Extraction mit löffel- 
förmigem Eindruck todt zur Welt kam. Bei der nächsten Schwanger¬ 
schaft wurde der Kaiserschnitt ausgeführt nach den oben be¬ 
sprochenen Grundsätzen. Die Operation dauerte nicht ganz 1 /j Stunde. 
Das Kind kam lebend, die Mutter verliess am 14. Tage geheilt die 
Anstalt. 

Dementsprechend scheint es mir also geboten, in den 
Wegen, die wir seit Säuger alle betreten haben, fort¬ 
fahrend sowohl der Uebung der Antiseptik bei der 
Operation und der guten Uterusnaht einen Hauptwerth 
beizulegen, dann aber für den Kaiserschnitt möglichst 
nur solche Fälle, wenigstens ausrelativer Indication, aus¬ 
zuwählen, in denen der Genitalcanal noch sicher asep- 
! tisch ist, also im Wesentlichen als Ersatz der künst- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


liehen Frühgeburt; nur dann werden die Resultate auch 
im Allgemeinen den von einzelnen Anstalten bisher 
publicirten entsprechen. 


II. Ans der I. medicinischen Klinik des Herrn Geheimrath 
Prof. Dr. Leyden. 

Zur Gehirnlocalisation. 1 ) 

Von Stabsarzt Dr. Benrers, Assistent der Klinik. 

M. H.l Ich erlaube mir, in aller Kürze Ihnen den klinischen 
Verlauf und das Obductionsergebniss eines auf der I. medic. Klinik 
beobachteten Falles von Gehirnerkrankung mitzutheilen, weil ich 
glaube, dass dieser Fall in gewisser Weise zur Illustration der hier 
gehaltenen Vorträge über Gehirnlocalisation dient. 

Es handelte sich um einen 55 Jahre alten Arbeiter, Wilhelm P .., welcher 
am 24. Januar h. a. in die Charite aufgenommen, daselbst am 8. Februar ver¬ 
starb. Aus gesunder Familie stammend, hatte Patient als Kind Masern und 
Scharlach überstanden und in seinem 12. Lebensjahre, angeblich ohne je 
Schmerzen empfunden zu haben, an beiderseitiger Ohreiterung gelitten. Eine 
geringe Schwerhörigkeit soll davon beiderseits zurückgeblieben sein. In 
seinem 19. Lebensjahre hat Pat. eine schwere Krankheit überstanden, von 
der nur angegeben wird, dass dieselbe mit Anschwellungen der Haut an 
beiden Füssen verbunden gewesen sein soll. Pat. erholte sich von dieser 
Krankheit vollständig und hat daun, in auskömmlichen Verhältnissen lebend, 
bis vor 3 Jahren sich stets gesund und arbeitstüchtig gefühlt. Er will stets 
mässig gewesen sein, auch niemals an Syphilis gelitten haben. Vor 3 Jahren 
bemerkte Pat. zuerst während der Arbeit eine anfallweise sich einstellende 
Schwäche im linken Arm, die anfangs nach einigen Minuten wieder ver¬ 
schwand, aber allmählich dauernd wurde, ohne dass äusserlich am Arm 
irgend eine sichtbare Veränderung sich eingestellt hätte. Zu der Schwäche 
gesellten sich ziehende Schmerzen im linken Arm, die als rheumatische Be¬ 
schwerden gedeutet, mit Einreibungen vorgeblich behandelt wurden; die Be¬ 
schwerden gingen dann auf die linke untere Extremität über, wobei ein 
Kribbeln und Taubsein der linken Fusssohle dem Pat. besonders lästig war. 
Gleichzeitig bemerkte Pat. eine Verschlechterung seines Sehvermögens, die 
ira Herbst 1886 besonders dadurch auffällig wurde, dass er nur noch bei 
bestimmter Haltung des Kopfes genau sehen konnte. Trotz seiner mannich- 
fachen Beschwerden arbeitete Pat., durch Noth gezwungen, noch bis zum 
October 1887, als ihm eines Abends, als er oben von der Arbeit zurückkebrte, 
der linke Arm plötzlich abstarb. Pat. verlor das Bewusstsein, und als er 
nach einer halben Stunde wieder zu sich kam, bestand eine vollständige 
Lähmung der linken Gliedmaassen sowie der linkon Gesichtshälfte. Zudem 
bemerkte sowohl Pat. als auch seine Umgebung, dass auf dem früher nur 
schwerhörigen linken Ohr eine Taubheit eingetreten. Die Lähmung der Ge¬ 
sichtshälfte sowie der linken unteren Extremität besserte sich in wenigen 
Wochen, während die Taubheit und die Unbeweglichkeit des linken Arms 
bestehen blieb. Letztere sowie allgemeine Schwäche veranlassten im Januar 
die Aufnahme des Pat. in die Charite. Die Untersuchung des schwächlich 
gebauten, stark abgemagerten Mannes ergab eine schlafTe Lähmung des linken 
Arms und Schultergürtels. Nur im Schultergelenk bestand eine Behinderung 
der passiven, übrigens schmerzhaften Bewegung. Die Armmuskulatur war 
abgemagert bei normalem elektrischen Verhalten. Keine EAR. Die linke 
untere Extremität war äusserlich nicht verändert, fühlte sich nur schlaffer 
an wie die rechte, auch waren die activen Bewegungen mühsamer und kraft¬ 
loser. Die Sehnenreflexe waren links leicht erhöht, Fusssohlen-, Cremasteren- 
und Bauchreflex beiderseits erhalten. Auch das Muskelgefübl war weder am 
linken Arm noch Bein verändert. Neben einem mässigen Taubheitsgefühl 
der Haut an den linken Gliedmaassen ergab die Untersuchung nur eine ge¬ 
ringe Abschwächung sämmtlicher Gefühlsqualitäten, das Sensorium des Pat. 
war vollkommen frei, sein Gedächtniss gut, nur ein weinerliches Wesen fiel 
bei der Untersuchung auf. Im Bereich der Gehirnnerven keine Lähmungen. 
Beide Augen gut beweglich. Pupillen gleich weit, reagiren auf Licht und 
Accommodation gut. Beiderseits beginnende Linsentrübung. Papillen wie 
Retina nicht verändert. Die Untersuchung des Gesichtsfeldes ergab eine bis 
zum Fixationspunkt reichende Hemianopsia homonyma sinistra. Die Be¬ 
leuchtung der nicht sehenden Retinahälften rief deutlichen Pupillarreflex 
hervor. Die Gehörsuntersuchung ergab eine linksseitige Taubheit für Schall 
und Knochenleitung, sowie eine Herabsetzung des Gehörs auf dem rechten 
Ohr. Rechts hörte Pat. den Schlag einer Taschenuhr noch in 10 cm Ent¬ 
fernung. Knochenlcitung rechts erhalten. Beide Trommelfelle zeigten fleck¬ 
weise Verkalkungen und narbige Veränderungen. Auf dem linken tauben 
Ohr war das Trommelfell ausserdem eiugezogen. Geschmacks- und Geruchs¬ 
sinn war erhalten. Die weitere Untersuchung ergab eine beiderseitige 
Spitzeninfiltration bei fehlendem Husten und Auswurf. Am Herzen keine 
nachweisbaren Veränderungen. Urin frei von Eiweiss und Zucker. 

Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal kurz die oben be¬ 
sprochenen Krankheitssymptome, so handelte es sich also bei einem 
bbjährigen Manne um eine im Verlauf von Jahren entstandene 
lähmungsartige Schwäche der linken Extremitäten sowie um eine 
linksseitige homonyme Hemianopsie bei erhaltenem Lichtreflex. 
Dazu tritt im October 1887 ein apoplectiformcr Insult mit nachfolgen¬ 
der Hemiplegia sinistra und Taubsein auf dem linken Ohr. Nach¬ 
dem die indirekten Lähmungserscheinuugen verschwunden, bleibt 
ausser der Taubheit noch eine Hemiplegie des rechten Arms bestehen. 

Bei der langsamen Entwickelung des Leidens war eine Hämor- 
rhagie auszuschHessen, bei dem normalen Verhalten des Augenhinter- 

') Vortrag, gehalten im Verein für innere Mcdicin. 


grundes und dem gänzlichen Fehlen von Allgemeinsymptomen, na¬ 
mentlich von Kopfschmerzen, auch ein Tumor unwahrscheinlich. Mit 
Rücksicht auf die früher vorhanden gewesene Ohreiterung musste 
ein etwaiger Zusammenhang mit dieser in Erwägung gezogen wer¬ 
den, allein das Fehlen des Fiebers sowie der Umstand, dass Jahr¬ 
zehnte seit der Ohreiterung verflossen, Hess auch diese Annahme 
nicht zu. Mit der langsamen Entstehung und dem vorgeschrittenen 
Alter des Patienten stimmte am meisten die Annahme einer Arterien¬ 
erkrankung überein, die zu einer multiplen Thrombose und secundären 
Erweichung in der rechten Hemisphäre geführt hatte. Bei dem 
langen Bestehen der Armlähmung, der Hemianopsie und linksseitigen 
Taubheit mussten diese Symptome als Ausfall- resp. Heerdsymptome 
gedeutet und demgemäss auf Veränderungen in der motorischen 
Region, bezüglich Hinterhauptsschläfenlappen bezogen werden. Mit 
Rücksicht auf die oben erwähnten anatomischen Veränderungen im 
Schallleitungsapparat des linken Ohrs wurde der Zusammenhang 
der linksseitigen Taubheit mit einer Erkrankung des rechten 
Schläfenlappens nur mit der grössten Reserve gemacht. 

Nach einigen Wochen trat bei dem Pat. ein neuer Insult mit 
tiefem Coma ein, in welchem derselbe am 8. Januar 1888 starb. 
Die Obduction ergab eine Bestätigung der intra vitam gestellten 
Diagnose. 

Wie Sie an dem vorliegenden Gehirn sehen, handelte es sich 
in der That um eine wesentlich auf die Gehirnrinde beschränkte 
gelbe Erweichung, die durch eine arteriosclerotische Thrombose ver¬ 
schiedener Endzweige der Art. foss. sylvii sowie der Art. cerebr. post, 
bedingt war. Schon bei der äusserlichen Betrachtung markirten sich 
auf der rechten Hemisphäre die unter dem Niveau des Normalen 
gelegenen gelb aussehenden Windungen. Es besteht an der rechten 
Hemisphäre eine Erweichung der Rinde der mittleren Hälfte der 
vorderen Centralwiudung, die nach vorn mit einer schmalen Brücke 
sich auf den hinteren Theil der ersten und % der 2. Stirnwindung 
ausdehnt. Die hintere Centralwiudung und der Lobus paracentralis 
sind normal. Von dem Scheitellappen ist der unterhalb des Sulcus 
interpariet. gelegene Gyrus pariet» II vollständig, von dem an die 
Fiss. long. anstossenden Gyrus pariet. I nur ein 2 cm breiter Streifen 
erweicht. Unterhalb des hinteren langen Schenkels des Foss. sylvii 
erstreckt sich die Erweichung vom Gyrus pariet. II bis in den mitt¬ 
leren Gyrus des Schläfenlappens, lässt aber die oberen und unteren 
Schläfenwindungen frei. Nach hinten geht die Erkrankung vom 
Scheitellappen über auf den Gyrus occip. II, verschont aber den der 
Fiss. long. anliegenden Gyrus occip. I und den dem Kleinhirn auf¬ 
liegenden Gyrus occip. III. Die medialen Theile der rechten Gross¬ 
hirnhälfte sind vollkommen intact. Die weitere vou Herrn Dr. Jür¬ 
gens gütigst vorgenommene Zerlegung des Gehirns ergab, dass die 
Erweichung in der motorischen und Stirnregion wesentlich auf die 
Rinde beschränkt war, wogegen am Schläfen- und Scheitellappen 
sich die Erweichung bis an die Markschicht noch erstreckte. Im 
Bereich des Gyrus occip. II. dehnt sich die Erweichung so weit in 
das Marklager aus, dass auf eine kurze Strecke auch die weisse 
Substanz, welche den Hinterhauptslappen mit dem Hirnstamm ver¬ 
bindet, theilweise zerstört ist. Im Gegensatz zu dieser, am Gehirn¬ 
mantel vor sich gegangenen Erweichung erwiesen sich der Gehirn- 
stamra und die basalen Ganglien, abgesehen von einer im Verlauf 
der Pyramidenbahn eingetretenen secundären absteigenden Degene¬ 
ration, intact. Die Aufmeisselung der Felsenbeine ergab weder im 
rechten noch im linken Ohr makroskopische Veränderungen. In den 
Lungen bestand eine beiderseitige alte tuberculöse Phthise, in den 
Nieren an der Oberfläche einzelne alte narbige Einziehungen. 

HI. Otitis externa ex infectione. 

Von Privatdocent Dr. Hessler in Halle a. S. 

Auf der vorjährigen Acrzte- und Naturforscherverjammluug in 
Wiesbaden (s. Tageblatt derselben p. 329) habe ich die erste Mit¬ 
theilung über diese neue Art und Entstehung von Ohrenentzündung 
gemacht. Seit Januar p. hatte ich unter 400 Fällen 8 Mal solche 
Otitis ex infectione constatirt; relativ häufig gegen früher, sofern 
ich unter 3 1 ^ tausend Fällen sie nur 9 Mal diagnosticiren zu dürfen 
geglaubt, ln allen Fällen war durch Kratzen im Ohr hauptsächlich 
auf Juckreiz hin eine Excoriation im Gehörgang gesetzt und durch 
letzteren hindurch Infectionsstoffe in den Lymphstrom hineinpracti- 
cirt worden. Es handelte sich danach um eine acute lufections- 
krankheit, die als solche auch durch acuten Anfang mit Frösteln 
oder Frost, mit Temperatursteigeruug bis 40°, mit starken Allge¬ 
meinerscheinungen bei nicht entsprechend bedeutenden localen Eut- 
zündungssymptoiuen im Ohre, durch acute Schwellung der nächst¬ 
gelegenen Lymphdrüse u. s. w. hinreichend charakterisirt war. 
8 Mal war die Verletzung links, 7 Mal rechts und 2 Mal beiderseits 
zugleich gesetzt worden und nur 3 Mal vorn im Gehörgang, in den 
übrigen 14 Fällen dagegen mehr nach hiuteu und nach dem Ein- 


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26. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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gange zu. 2 Mal hatte die Mutter ihr Kind mit der Nadel inficirt, 
und 2 mal Heilkundige ihre Patienten durch Instrumente. 10 Per¬ 
sonen waren männlich, 7 weiblich. 

Im ersten Falle war auf Anrathen eines homöopathischen Arztes 
ein Speckstückchen gegen Pruritus cutaneus in’s Ohr gelegt worden. 
Vorher war wohl durch Kratzen mit dem Fingernagel hinten am 
Ohreingang, wie so häufig, eine Hautabschürfung gemacht. Gleich 
darauf Frostschauer, Hitze, Phantasieen, Schlaflosigkeit, Anschwel¬ 
lung vor dem Ohre und am Warzenfortsatz, so dass eine schwere 
Knochenaffection desselben vorzuliegen schien. Locale Blutentziehung 
und Eisbeutel brachten Fieber uud Schwellung rasch zurück, so 
dass nach 2 Tagen hinter der entzündlich verengten Stelle auch das 
ausgelaugte Speckstückchen gefunden und extrahirt werden konnte. 

Im zweiten Falle hatte die Mutter ihr Kind beim Reinigen des 
Ohrs mit der Haarnadel leicht verletzt. Sehr auffällig und charak¬ 
teristisch war hier der acute Anfang der Allgemeinerscheinungen 
und der rasche Wechsel der localen Entzündungserscheinungen. Am 

1. Morgen war deutliches Oedem vor und über dem Ohre weithin 
reichend, am 2. Morgen war der Warzenfortsatz ödematös geschwollen 
und am 3. die Schwellung vor dem Ohre ganz fort, die am Warzen¬ 
fortsatz viel geringer, dafür aber neue Schwellung nach dem Hals 
hinunter gegangen, die am 4. Tage ohne jede Therapie sich fast 
ganz wieder gegeben hatte. 

Seit September bin ich wieder in der Lage gewesen, 3 neue, 
charakteristische Fälle zu beobachten. Ich möchte dieselben hier 
kurz mittheilen, da sich hierbei die Symptomatologie und der Ver¬ 
lauf der Otitis externa ex infectione ganz von selbst ergiebt. 

1. Dem 10 jährigen Curt M. hatte die Mutter vor 4 Tagen mit der Haar¬ 
nadel das Ohr gereinigt und zuletzt Schmerzen gemacht. Gleich darauf 
fühlte er sich unwohl und klagte über stechende Schmerzen im Ohr beim 
Berühren und Darauflegen. Im Gehörgang fand sich hinten, gleich am Ein¬ 
gang eine langgestreckte flache Erhebung, im Aussehen wie eine leichte 
Brandblase ohne viel Exsudation uni er der Haut,, welche denselben um ein 
Viertel verengte. Trommelfell nicht entzündet. Lymphdrüse am Unterkiefer 
deutlich geschwollen und druckempfindlich. Aussen am Ohr keine Schwel¬ 
lung. 2 Blutegel vor dem Ohre ohne wesentlichen Einfluss. Nach 2 Tagen 
begann rasch zunehmende Schwellung der Haut am Warzenfortsatz, so dass 
die Grube daselbst ganz ausgefüllt wurde und das Ohr vom Kopfe abstand. 
Auch war die Lymphdiüse grösser und schmerzhafter geworden und jetzt 
auch bei Druck durch die Halsmuskeln gelegentlich seitlicher Halsbewegungen 
empfindlich. Eisbeutel brachte weder locale noch allgemeine Erleichterung. 
Am 4. Tage zeigte sich ein rother fadendicker Strang von der Infections- 
stelle aus quer durch die Concavität der Ohrmuschel bis zum Rande der¬ 
selben verlaufend. Es handelte sich zweifellos um eine acute Lymphangitis, 
die an der Infectionsstelle begonnen hatte, da hier der Gefässstrang am 
stärksten gefüllt war. Nach weiteren 3 Tagen verlor sich die Röthung 
immer mehr, in der Richtung nach dem Infectionsheerde zu, auch nahm die 
Schwellung in und hinter dem Ohre nur langsam ab, ohne dass es also zur 
Abscedirung gekommen. Kalte oder warme Compressen thaten nicht so gut 
als ein einfacher Watteverband. Zuletzt ging auch die Lymphdrüsen- 
schwellting gleich langsam zurück. 

2. Kaufmann W. hat die Angewohnheit, sich mit dem Knopfe des Feder¬ 
halters im Ohre zu kratzen. Am 9. Oktober p. hatte er sich links gekratzt 
und gleich danach heftiges Ohrenstechen bekommen, das von einem von 
aussen schon sichtbaren rothen Flecke stammte. Das Ohr wurde immer 
dicker und schmerzhafter bei direkter Berührung. Bei der ersten Untersu¬ 
chung am 13. fand ich eine partielle ödematöse Anschwellung der hinteren 
Gehörgangswand dicht hinter dem Eingang, Schwellung und leichte Infiltration 
der Kopfhaut über der Ohrmuschel und eine sehr empfindliche Halslymph- 
drüsenschweliung. Am 14. hatte sich die Schwellung bis zum äusseren 
Augenlidwinkel erstreckt und war auch auf den Warzeufortsatz fortgegangen, 
so dass die Grube daselbst ganz ausgefüllt war uud die Ohrmuschel ganz 
vom Kopfe abstand. Am 15. ging die Schwellung der Kopfhaut wieder zu¬ 
rück, das untere Augenlid war ganz sackförmig geschwollen, die Hals- und 
Gesichtspartieen unter dem Ohre waren frisch geschwollen. 16. Schwellung 
über dem Ohre ganz fort, am Augenlide und Warzenfortsatz deutlich im 
Zurückgehen, am Halse nicht stärker geworden. Aber im Gehörgang bleibt 
die partielle Infiltration und Anschwellung ohne Aenderung. 18. Schwellung 
am Augenlid und hinter dem Ohr ganz fort, die am Halse und im Gesicht 
im Verschwinden. Im Gehörgang dünnes wässeriges Secret. Er lässt sich 
durch Wattetampons allmählich mehr erweitern. 20. Gehörgang erweitert sich 
spontan ohne Abscedirung aus der partiellen Anschwellung. Form und 
Empfindlichkeit der Lymphdrüse geht zurück. In diesem Falle war von 
Anfang an der Eisbeutel unangenehm trotz der starken localen Entzündung 
nnd zurückgewiesen worden. Die nächsten Tage waren mehr kalte, später 
mehr lauwarme Kataplasmen gewünscht, am liebsten war einfache Watte- 
einwickelung gewesen. 

3. Vom 3. Patienten wird zwar die Angewohnheit, sich das Ohr täglich 
und gründlich mit dem Handtuchszipfel zu reinigen zugestanden, jedoch die 
Möglichkeit einer Infection durch einen anderen Gegenstand entrüstet in 
Abrede gestellt. Schon vor 3 und 2 Wochen waren ähnliche Ohrschmerzen 
wie jetzt bei Berührung und später dagewesen, die mit dem Einsetzen einer 
2 tägigen wässerigen Otorrhoe sich gebessert hatten. Im Gehörgang zeigten 
sich vorn, unten und hinten flache, Furunkeln ganz ähnliche Erhebungen. 
Zugehörige Lymphdrüse stark geschwollen. Einfacher Watteverband. Als 
ich nach 5 Tagen Patientin wiedersah, zeigte sich im Gehörgang nur noch 
eine Stelle an seiner hinteren Wand, die infiltrirt, roth und druckempfind¬ 
lich war. Ich konnte an ihr auch eine leichte Hautabschürfung deutlich 


nachweisen, so dass die anatomische Möglichkeit einer Infection von dieser 
Stelle sichergestellt war. Und von dieser zog ein rother, infiltrirter Lymph- 
gefassstrang quer durch die Ohrmuschel bis zu ihrem Rande, allmählich 
dünner und weniger roth werdend. Sonst bot dieser Fall keine weiteren 
Eigenthümlichkeiten im Verlaufe gegen die beschriebenen Fälle. 

In meinem Vortrage hatte ich bereits betont, dass diese Otitis 
ex infectione bisher am meisten mit Furuncnlosis verwechselt wor¬ 
den wäre, weil bei beiden der locale Befund ein fast übereinstim¬ 
mender ist. Am wahrscheinlichsten erschien mir in jenen Fällen 
der gewesen zu sein, in welchen die angebliche Furunculosis durch 
irgend ein Mittel coupirt d. h. nicht zur eitrigen Erweichung 
und zum Durchbruch durch die Haut gekommen war. Dazu hatte ich 
in 2 Fällen tiefe Incisionen bis auf den Knochen gemacht und nur 
relativ wenig oder gar kein Blut und absolut keinen Eiter erhalten. 
Wir haben darnach eine Reihe differentiell-diagnostischer Momente, 
die auffällig genug sind, um eine richtige Diagnose zu sichern 
und zu ermöglichen. Diese wieder bestimmt die therapeutischen 
Maassnahmen. Im Folgenden erlaube ich mir nun, diese Unter¬ 
scheidungsmerkmale kurz zu bezeichnen: 

1. Bei der Otitis ext. ex infectione hängt die Schwere der 
localen und allgemeinen Erscheinungen nicht von der localen Ent¬ 
zündung, sondern von der Malignität der Infectionsstoffe ab, bei 
der Furunculosis entspricht sie im Allgemeinen der localen Schwellung 
und Infiltration im Ohr. 

2. Beim Furunkel erfolgt nach 3—7 Tagen ein Eiterdurch¬ 
bruch an einer immer deutlicher sich zuspitzenden und gelb ver¬ 
färbenden Papel. Bei der Otitis ext. ex infect. ist die ödematöse, 
papulöse Stelle der Infectionsheerd, die am deutlichsten gleich nach 
der Infection ist und langsam wieder abschwillt, je mehr die Ent¬ 
zündung nachlässt und ein seröses Transsudat sich in den Gehör¬ 
gang eigiesst. 

3. Beim Furunkel entleert die Incision deu sog. Eiterpfropf 
und frischen Eiter, bei der Otitis ex infectione nur wenig Blut und 
keinen Eiter. 

4. Beim Furunkel zeigen sich entsprechend der Tiefe und Grösse 
des nekrotischen Gewebsstnckes die benachbarten Weichtheile ent¬ 
zündet und infiltrirt, bei der Otitis ext. ex infectione breitet sich die 
Anschwellung, ohne dass es weiter zur Infiltration kommt, weit 
über die Kopfhaut, das Gesicht und bis auf den Hals aus, uud 
diese kommt rasch und geht rasch wieder zurück. 

5. Nach Politzer (Lehrbuch f. Ohrenheilkd. II. Auflg. p. 141) 
sind bei der Furunculosis consensuelle Drüsenschwellungen an der 
seitlichen Halsgegend im Ganzen selten, während ich dieselben bei 
der Otitis ext. ex infectione immer gefunden habe, seitdem ich 
darauf besonders geachtet. 

6. In den letzten Fällen habe ich zwei Mal deutlich eine 
Lymphangitis der Ohrmuschel beobachtet, ein Beweis, dass diese 
traumatische Otitis auf Infection beruht, während ein gleicher Be¬ 
fund bei der Furunculosis bisher noch nicht constatirt worden ist. 
Ich bin überzeugt, dass diese Lymphangitis bei der Otitis ext. ex 
infectione immer gefunden werden wird, wenn mehr daraufhin beob¬ 
achtet wird. In meinen Fällen war sie nach 2—3 Tagen wieder 
verschwunden, und da man Patienten mit solchen äusserlichen uud 
nicht gerade sehr störenden Ohraffectionen nur nach mehrtägigen 
Pausen gewöhnlich wiedersieht, ist wohl die Möglichkeit gegeben, 
eine solche rasch vorübergehende Erscheinung zu verpassen. 

7. Von wesentlichem Unterschiede ist der Erfolg der Therapie. 
Beim Furunkel bringt die Incision nach Ablauf des ersten Schnitt¬ 
schmerzes eine wesentliche locale und allgemeine Erleichterung, 
die zumal durch folgende warme hydropathische Umschläge auf¬ 
fällig erhöht wird, wenn nicht ein neuer Furunkel nach wächst. Bei 
der Otitis ex infectione aber nützt die Incision gar Nichts, ändert den 
Verlauf nicht auffällig, setzt vielmehr eine neue Verwundung, 
welche neue Schmerzen und Schwellung macht. Nach meinen bis¬ 
herigen Erfahrungen möchte ich sie eher für fehlerhaft halten, wo¬ 
bei ich mir wohl bewusst bin, dass die Chirurgie gegenwärtig in 
solchem Falle nur eine möglichst gründliche Incision und Desin- 
fection empfehlen kann. Im Allgemeinen hatte ich mich früher schou 
dahin ausgesprochen, dass die Wahl der Kataplasmen den Patienten 
selbst überlassen bleiben möchte, da eben bei der Otitis ex infectione 
die locale Entzündung so rasch wechselt. Gestern zogen sie noch 
den Eisbeutel vor, heute mehr eine lauwarme feuchte Compresse und 
morgen waren sie am liebsten ohne jeden Verband. 

Wenn man nun erwägt, wie oft und rücksichtslos im Ohre herum¬ 
gekratzt wird, so muss wohl erwartet werden, dass die Otitis ext. 
ex infectione recht oft vorkommt. Bei Kindern wird sie selten sein. 
Diese stecken sich zwar mit Vorliebe im Spiele, selbst oder ihren 
Kameraden Fremdkörper in Ohr und Nase, aber dass sie sich im 
Ohre jucken, wird man nur selten sehen. Häufig wird sie bei 
allen Denjenigen entstehen, die sich aus übertriebener Sorge, sich 
ja das Ohr recht reinlich halten zu sollen, viel darin kratzen, und 
nicht Wenige darunter werden sich nebenbei die sonst von selbst 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


herausfallenden Cerumenmassen bis über den Isthmus hinein- und. 
vollschieben. Bei Frauen ist der Pruritus cutaneus am häufigsten 
im Climacterium. Sie nehmen als zunächst zur Hand die Haarnadel 
zum Kratzen, an der oft zersetzte Fettpartikelchen trotz Abwischens 
noch festgesessen haben mögen. Aber Frauen sind hierin geschickter 
als Männer und verletzen sich nicht so häufig. Darnach würde 
weiter das linke Ohr mehr betheiligt als das rechte sein, sofern die 
meisten Menschen rechtshändig sind, und ich fand in 20 Fällen 
11 Mal das linke Ohr allein, 7 Mal das rechte allein und 2 Mal 
beide zugleich in- und afficirt. Bei Männern wird die Otitis ext. 
ex infectione hauptsächlich bei jenen Ohraffectionen entstehen, die 
sich mit Juckreiz verbunden zeigen, das sind die im ‘Herbst und 
Frühjahr so häufigen subacuten Tuben- und Mittelohrkatarrhe. 
Manche Patienten erzählen ja ganz unaufgefordert, dass sie erst 
dann mit Jucken aufgehört, nachdem das Ohr empfindlich geschmerzt 
hätte. Es ergiebt sich hieraus, dass alle diejenigen ursächlichen 
Momente, welche die Lehrbücher der Ohrenheilkunde in seltener 
Uebereinstimmung als für die Furunculosis charakteristisch auf¬ 
führen, ganz für die Otitis ext. ex infectione passen. Die Zahl der¬ 
jenigen Fälle von Furunculosis wird kleiner werden, die, behandelt 
oder nicht behandelt, nicht vereitern, und das klinische Bild der¬ 
selben wird enger und bestimmter sein, ohne die bisherigen Aus¬ 
nahmen. Wenn nun einmal beide Affectionen zugleich auftreten 
sollten, erscheint es mir — theoretisch gedacht, deun praktisch 
habe ich hierüber doch zu wenig Erfahrung — rathsam, von der 
allgemein acceptirten Therapie der Furunculosis, der baldigen 
Incision, Abstand zu nehmen und vorläufig einfache hydropathische 
Umschläge zu machen, bis man sich vergewissert hat, wo die In- 
fectionsstelle gelegen und wo der Furunkel durchkommen will. 
Hiermit gehe ich in das Lager derjenigen Therapeuten über, die, 
unzufrieden mit den Erfolgen der frühzeitigen Incision bei der 
Furunculosis, erst dann schneiden, wenn sich der Furunkel sicher 
als eiterig erweicht ergiebt. Zum Schluss darf ich nochmals meiner 
Ueberzeugung dahin Ausdruck geben, dass die Otitis externa ex 
infectione, nachdem einmal die Aufmerksamkeit der Herren Collegen 
auf sie gelenkt worden ist, viel häufiger beobachtet werden wird, 
als man jetzt glauben möchte. 

IV. Einige Bemerkungen zur Lachgas- 
Sauerstoff-Anästhesie bei Entbindungen. 

Von Dr. H. Kreutzmann in San Francisco, Cal. 

Trotz der Empfehlungen von Klikowitsch, Winckel und 
Zweifel scheint der Lachgas-Sauerstoff-Anästhesie bei Entbindungen 
doch nicht die Aufmerksamkeit geschenkt zu werden, die sie ver¬ 
dient — man liest wenigstens nichts von ihr. Aus eigener Er¬ 
fahrung weiss ich, dass durch sie auf eine ungefährliche, unschädliche 
und leichte Art Schmerzen gelindert werden können, unter welchen 
viele Frauen doch sehr zu leiden haben. In so manchen Fällen ist 
der Geburtshelfer darauf angewiesen, mit Zuspruch, Redensarten 
event. biblischen Citaten die Frauen zu trösten und zu stärken; der 
Herr Doctor leistet bei solcher Gelegenheit kein Titelchen mehr 
als die Hebamme, ja letztere „hilft“ vermeintlich mehr durch aller¬ 
lei Ziehen, Stemmen und Drücken, was wir Aerzte natürlich unter 
unserer Würde halten. Die Sache hat aber auch ihre recht ernsten 
Seiten; durch die Schmerzen wird die Gebärende und ihre Um¬ 
gebung alarmirt: der so flehentlich gebetene Doctor hilft; es wird 
die Zange angelegt ohne Berechtigung und Indication, aber weil 
etwas geschehen muss. Manches Kind ist schon geopfert, manche 
Frau in solchen Fällen zeitlebens geschädigt worden durch den 
„unschädlichen“ Forceps. Zum Chloroform entschliesst man sich 
doch seiner mancherlei Nachtheile wegen nur bei Operationen oder 
bei sehr starken Schmerzen. Nach meiner eigenen Erfahrung genügt 
es durchaus nicht, bei Begiun der Wehe Chloroform in der gewöhn¬ 
lichen Weise inhaliren zu lassen, sondern zur Erzielung einer Anästhe¬ 
sie ist ein dauernder leichter Schlaf erforderlich. Die NoO-O-Ein- 
athmung nun ist in ganz vorzüglicher Weise geeignet, die Schmerzen 
bei der normalen Entbindung, die von so vielen Frauen besonders 
der besseren Stände ungern ertragen werden, zu lindern, dieses Gas 
bietet dem Geburtshelfer die Möglichkeit, zur Erleichterung der Ge¬ 
burt etwas mehr zu thun, als die Hebamme oder sonst Jemand 
durch Zureden thun kann. 

Ueber die Wirksamkeit einerseits und die Harmlosigkeit der 
Gasmischung andererseits können keine berechtigten Zweifel mehr 
bestehen. Was der Einführung in die allgemeine geburtshilfliche 
Praxis entgegensteht, ist die Umständlichkeit der Selbstbereitung 
oder die Kostspieligkeit beim käuflichen Erwerb der Gase. Schon 
die Anschaffung der nöthigen Apparate zur Fabrikation der Gase, 
der Gasometer, des Gummisackes, der Inhalationsapparate etc. ist 
keine unwesentliche Ausgabe. In einer Entbindungsanstalt kann 
die Herstellung der Gase keiue Schwierigkeit haben, da das nöthige 


Personal zur Hand ist. Anders steht die Sache beim practiscben 
Arzte, dem kein geschulter Wärter auf Staatskosten zur Verfügung 
steht; entweder muss der practische Arzt seinen Gehilfen bezahlen 
oder er muss sich Zeit und Mühe nicht verdriessen lassen, die Gase 
selbst zu bereiten. Nach meinen persönlichen Erfahrungen schildert 
Döderlein (Strassb. Naturforscher-Vers. 85, Arch. f. Gyn. Bd. 27) 
diese Verhältnisse etwas zu sehr in rosigem Lichte. Zieht man 
Alles in Berechnung: das Füllen der Retorte, die Zeit, bis das 
Ammon, nitr. geschmolzen und die 200 1 N 2 O entwickelt sind, so 
vergehen jedesmal gut 2 Stunden, die in keineswegs amüsanter Weise 
verbracht werden. Es ist nicht möglich, etwas nebenbei zu treiben, 
da die Regulirung der Hitze, die Ueberwachung der Gasentwicke¬ 
lung eine beständige sein muss. Die Zeit des einigermaassen be¬ 
schäftigten Arztes ist aber Geld. Dazu kommt Ausgabe für Ammon, 
nitr., für Heizung, für Retorten, die man zerbricht, für Abnützung 
der Apparate, alles Dinge, welche wohl von der Kgl. Bayerischen 
Regierung der Erlanger Klinik geliefert werden, die aber der 
Arzt aus seiner Tasche bezahlen muss. So ist die Behauptung des 
Herrn Prof. Zweifel, dass 250 1 der Gasmischnng auf 5 Mark zu 
stehen kommen, stark optimistisch angehaucht. Der Geldwerth, der 
für 250 1 selbstgefertigter Mischung angesetzt werden muss, beträgt 
10—15 Mark. Kauft man N 2 O comprimirt, so stellt sich der Preis 
für ebensoviel Gas auf mindestens ebensoviel. C. Ash and Sons in 
Berlin liefern ab Berlin die Füllung einer leeren Flasche mit 100 
Gallonen (= ca. 400 1) comprimirten NoO zu 25 Mark; dazu kommt 
Porto; abgesehen von der einmaligen Ausgabe für die eiserne 
Flasche. 

Zu ähnlichen Resultaten (10—12 Mark pro Austreibungsperiode) 
kommt auch Dr. Cohn (Deut. med. Wochenschr. 1886, No. 16) bei 
käuflich erworbenen comprimirten N 2 O und 0. Ein eigenthümlicher 
Passus findet sich übrigens in dem Vortrage dieses Autors; Cohn 
sagt wörtlich: „Selbst angenommen nun, dass bei allgemeinerem 
Gebrauche desselben (des Gases) der Preis herabgehen würde, so 
dass die Berliner Geburtshelfer wohl leichter in die Lage kämen, 
sich dasselbe zu verschaffen, woher sollen es die Geburtshelfer in 
den kleinen Städten oder gar auf dem Lande beziehen?“ Nun, man 
sollte denken, die Quelle, welche den Berlinern zugänglich ist, steht 
auch anderen Leuten offen. Wenn es möglich ist, comprimirtes N*0 
von New York nach San Francisco zu schicken, welcher Weg be¬ 
kanntlich von den im Expresszuge Reiseuden in 5 Tagen und 6 Näch¬ 
ten zurückgelegt wird — so sollte es doch wohl auch möglich sein, 
dasselbe jederzeit nach einem beliebigen Orte im deutschen Vater¬ 
lande zu versenden. 

Es ist übrigens interessant, auf eine Vergleichung der Preise 
des Lachgases in Deutschland und hier einzugehen. Ab Berlin 
kostet die Füllung von 100 Gail. (= ca. 400 1) 25 Mark. Ebenso¬ 
viel Gas kostet loco San Francisco 5 Dollars. Nach dem Cours¬ 
werth sind 5 Dollars = ca. 20 Mark, allein thatsächlich entspricht 
der Werth von 5 Dollars vielleicht 10 Mark in Deutschland. Es 
ist also das comprimirte N 2 O hier ausserordentlich viel billiger, was 
wohl auf den kolossalen Verbrauch desselben zurückzuführen ist. Bei 
dem sich jetzt vollziehenden Aufschwung der Zahnheilkunde in Deutsch¬ 
land steht zu erwarten, dass auch der Verbrauch an N 2 O ein im¬ 
menser werden und der Preis desselben bedeutend sinken wird. Es 
ist mir nicht bekannt, ob in Deutschland z. Z. comprimirtes N 2 O 
hergestellt wird; „Ash and Sons“, ebenso die Bezeichnung des In¬ 
halts der Flaschen mit „Gallonen“ lässt vermuthen, dass es (wenig¬ 
stens theilweise) eingeführt wird. So gut aber Kohlensäure in 
Deutschland comprimirt wird, ebensogut Hesse sich comprimirtes 
N 2 O fabrikmässig herstellen; bei dem niederen Stande der Arbeits¬ 
löhne müsste es möglich sein, ein entsprechend billiges Product zu 
fabriciren. 

Was die Bereitung von N 2 O anbelangt, so kam ich zu der 
Wahrnehmung, dass es am besten geht in Glasretorte (ohne Lehm¬ 
beschlag) auf doppeltem Drahtnetze mit kranzförmigem Brenner. 
Bei einigen Dentists hier fand ich eine Kühlvorrichtung, bestehend 
in einem Convolut von Röhren, eingelegt in kaltes Wasser, durch 
welche zunächst das aus der Retorte strömende heisse Gas geleitet 
wird. Die zur Waschflüssigkeit führende Röhre ist am Ende unter 
der Flüssigkeit kolbig erweitert und mit vielen Oeffuungen versehen, 
um das Gas zu zwingen, in kleinen Blasen aufzusteigen und so eine 
grössere Fläche der Flüssigkeit auszusetzen. Bei der Aufbewahrung 
des N 2 O (ebenso des Gemisches) über Wasser beobachtete ich, dass 
nach einiger Zeit (ca. 3 Wochen) die anästhetische Wirkung nach- 
liess, eine Thatsache, die den Zahnärzten wohl bekannt ist; dasselbe 
war bei Aufbewahrung im Gummisack der Fall, hier entschwand 
übrigens viel Gas durch die Wände: der anfänglich prall gefüllte 
Gummisack ward allmählich leerer und leerer. 

Da die Selbstbereitung des N 2 O nach meinen Ausführungen 
keineswegs eine Ersparnis bedeutet; da diese Arbeit für mich 
keine Annehmlichkeit ist und ferner die frisch bereitete Mischung 
die meiste anästhetische Wirkung besitzt, so bin ich jetzt dazu ge- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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26 . April. 


kommen, N 2 O comprimirt zu kaufen und lediglich 0 selbst zu 
fabriciren. Auf diese Weise gestaltet sich die Sache wesentlich ein¬ 
facher; man braucht nur einen Gasometer von 100—200 1 Capacität 
zu besitzen, um jederzeit 0 im Vorrath zu haben. Benutzt man 
auch noch comprimirten 0, so könnte sogar der eine Gasometer 
auch noch in Wegfall kommen: die Herstellung der Mischung aber 
wird complicirter, das Gasgemisch jedentalls theurer als bei Selbst¬ 
bereitung des 0. Letztere ist nun eine recht eiufache Sache, sie 
geht schneller und gleichmässiger vor sich als die N 2 O-Entwicke¬ 
lung. Von Amerikanern wird eine horizontal gelagerte, cylindrische 
Messingretorte empfohlen, dieselbe wird zur Hälfte des Lumens ge¬ 
füllt, der Bunsenbrenner von hinten nach vorn gerückt, je nach¬ 
dem das Material im Cylinder verbraucht ist. Es wird dadurch 
ein stürmisches Entwickeln von 0 und ein unvollständiges Waschen 
desselben vermieden. Die unter die Waschflüssigkeit tauchende 
Röhre wird ebenfalls mit zahlreichen kleinen Oeffnungen versehen: 
so zu lesen bei Dr. Andrew H. Smith „Oxygen Gas as a Remedy 
in Disease“, Prize Essay of the Alumni Association of the College 
of Physicians and Surgeons, N. Y. 1870. 

Es wäre gewiss durchzuführen, die Bereitung des 0 dem Apo¬ 
theker zu überlassen. Wird der Arzt dann zur Entbindung gerufen, 
so nimmt er seine Flasche mit compr. N 2 O, den Inhalationsapparat 
und einen grösseren Gummisack mit; in letzterem befindet sich eine 
abgemessene Menge 0 oder er ist leer, wenn 0 aus der Apotheke 
bezogen wird. An Ort und Stelle wird 0 in den Gummisack 
übergefullt, was mit Hülfe eines Doppelgebläses leicht geschieht, 
und N 2 O zugelassen. Enthält z. B. der Guramisack 200 1, so wird 
man in denselben 40 1 0 einlassen; wird er dann mit N>0 völlig 
gefüllt, so erhält man die richtige Mischung im Verhältniss von 1 0 
zu 4 N 2 O. Nach Verbrauch der Mischung kann sofort dieselbe 
Procedur wiederholt werden. Der in der Flasche zurückbleibende 
Rest bleibt unverändert bis zum nächsten Gebrauche. 

Mag man nun die Gase selbst bereiten oder N 2 O kaufen, in 
jedem Falle wird ein Quantum der Gasmischung von 200—250 1 
dem Arzt auf 10—15 Mk. zu stehen kommen. Ich sollte nun denken, 
eine solche Summe könnte doch wohl keinen Hinderungsgrund für 
die Verwendbarkeit der Mischung in der geburtshülflichen Praxis 
der Aerzte abgeben. 

Cohn spricht wesentlich gegen die Anwendung des Gasge¬ 
misches aus rein practischen Bedenken, „so ungefährlich es für 
Mutter und Kind ist“ ... „so vortrefflich seine Erfolge auch iu 
der Klinik sein mögen“; mit „Kosten und Unbequemlichkeiten wird 
man es vielleicht einigen Bevorzugten zu Gute kommen lassen 
können“. Nun, die Unbequemlichkeiten sind nicht so gross; was 
die Kosten anbelangt, so ist das- doch nicht Sache des Arztes, son¬ 
dern des Publicums. Nach Cohn wäre es schliesslich auch zu ver¬ 
werfen, wenn in privater Praxis eine Dame sich von ihrem Arzt 
entbinden lässt, weil nur einige „Bevorzugte“ sich dieses Vortheils 
theilhaftig machen können; ist das aber eiu Grund, dass der Arzt 
nicht bereit sein soll, eine Entbinduug (für entsprechende Ent¬ 
schädigung) zu übernehmen? In Deutschland wird nur ein kleiner 
Procentsatz Geburten von Aerzten geleitet, selbstverständlich nur 
in besser situirten Familien; gewiss wird manche Frau gern eine 
Mehrausgabe von 20—30 Mk. und mehr machen, wenn ihr dadurch 
die Möglichkeit geboten wird, über die Entbindung wegzukommen 
ohne die obligaten, traditionellen Schmerzen und die durch die¬ 
selben hervorgerufene Aufregung und Erschütterung. Der Kosten¬ 
punkt kommt also meines Erachtens in der privaten Praxis erst 
recht nicht in Betracht. Es ist von Allen, auch von Cohn zu¬ 
gegeben, dass die Gasmischung ungefährlich ist, dass sic vortrefflich 
wirkt. Es wird Sache des Arztes sein, welcher sie anwenden will, 
sich mit der Mischung auf irgend eine Weise zu versehen. Nach 
Neigung und Gelegenheit wird dies verschiedentlich geschehen 
können. Practische Bedenken sind bei wirklich gutem Willen keine 
vorhanden; die practischen Schwierigkeiten sind theilweise pecuniärer 
Art und sämmtlich zu überwinden. 

Ein Umstand ist weder von Döderlein noch von Cohn be¬ 
rührt, der auch noch gegen die Durchführbarkeit der N 2 O + 0 
Anästhesie angeführt werden könnte, nämlich dass der Arzt unmög¬ 
lich gleichzeitig das Gas reichen und die Geburt leiten kann. Die¬ 
jenige Frau aber, welche einen Arzt zur Entbindung zuzieht, hat 
natürlich auch eine Wartefrau, und es geht recht gut, dass man 
derselben zeitweise das Vorhalten der Maske überlässt, ja die 
Frauen pressen sich das Mundstück selbst auf Mund und Nase! 
Die von Cohn beobachtete Aufregung, sowie das von Winckel 
erwähnte Auftreten je eines epileptischen und hystero-epileptischen 
Anfalls bei der N 2 O 4- 0-Anwendung wird uns aber bestimmen, 
das Gas entweder nur selbst zu geben oder nur unter unserer 
persönlichen Controle von Nichtärzten reichen zu lassen. 

Was den Modus der Darreichung betrifft, so hält Kliko- 
witsch die Einatbmung während der Wehe für genügend und 
führt eine Reihe vortrefflich beweisender Fälle an; Döderlein, 


Zweifel und Cohn rathen, nur in der Austreibungsperiode und 
zwar continuirlich zu anästhesiren, letzterer sagt sogar, dass „die 
Kreissende erst genügend anästhesirt sein muss, ehe sie den Weheu¬ 
schmerz nicht mehr empfindet.“ In mehreren (5) Fällen ist es nur 
möglich gewesen, ausserordentliche Erleichterung zu verschaffen in 
der Weise, dass die Betreffenden das Gas erst inhalirten, wenn sie 
den Eintritt der Wehe verspürten. Contraction des Uterus und 
Wehenschmerz ist eine Curvenbewegung: Anschwellen zur Acmc, 
Verharren in derselben, Abfall. Es ist nach meinen Beobachtungen 
sehr gut möglich, den heftigen Schmerz der Acrae völlig abzu- 
sturapfen, wenn die Kreissende sofort bei leisestem Anzeichen der 
kommenden*Wehe tief inhalirt. 

Selbstverständlich giebt es hier keine allgemein gültige Regel; 
hier wie überall muss der Arzt individualisiren nach Umständen, 
Art und Auftreten der Wehen etc. Folgt eine Wehe rasch der 
anderen, so ist natürlich eine continuirliche Darreichung des Gases 
unvermeidlich; ebenso kann der Arzt genöthigt sein, beide Arten 
der Administration bei derselben Frau nach einander in Anwendung 
zu bringen. 

Sehr'angenehm habe ich das Gas auch in der Nachgeburts¬ 
periode zur Ausführung des Crede’sehen Handgriffs gefunden. 
Prochownik hat darauf hingewiesen, dass viele Frauen die Aus¬ 
führung desselben sehr schmerzhaft finden und ihr vielfach leb¬ 
haften Widerstand entgegensetzen. Ich bin überzeugt, dass diese 
Bemerkung wohl allen Geburtshilfe treibenden Aerzten so zu sagen 
aus dem Munde genommen war. Lässt man nun den richtigen 
Zeitpunkt herankommen und giebt der Frau dann das Gas, so 
kann man mit sanftem Drucke in vorschriftsmässiger Weise bei der 
Nachwehe die Placenta entfernen, ohne irgend welche Schmerz¬ 
empfindung zu verursachen. 

Ich bin mir vollauf bewusst, dass selbst dann, wenn Lachgas 
comprimirt und Sauerstoff vom Apotheker bezogen wird, die An¬ 
ästhesie mit Lachgas und Sauerstoff durchaus nicht dem Arzte die 
praktische Bequemlichkeit bietet wie Chloroform, trotzdem aber 
hoffe ich, dass es mir gelungen sein möge, wenigstens theilweise die 
Bedenken zu zerstreuen, welche das Geruüth manches Arztes be¬ 
schwerten, der nur mit Schrecken daran dachte, einen grossen 
Gummisack gefüllt mitschleppen zu müssen. Wir müssen eingedenk 
sein, dass uns da, wo wir das Gas anwenden werden, allerlei Be¬ 
quemlichkeiten zur Verfügung stehen, die allerdings — sagen wir: 
leider! nicht im Bereiche aller Frauen sind. 

Y. Der Rheumatismus und seine Behandlung 
mittelst elektrischer Massage etc. in Ver¬ 
bindung mit einer Bade- und Trinkcur in 
Wiesbaden. 

Von Dr. med. Carl Mordhorst in Wiesbaden. 

Um bei einer bestimmten Krankheit eine rationelle Behaudlung 
in Anwendung bringen zu können, muss man sowohl die Ursache 
als die Entstehungsweise derselben möglichst genau kennen. Bei 
der Besprechung der Therapie der in Rede stehenden Affectionen 
wollen wir auch diesen Weg einschlagen. Die erste Frage, die wir 
zu beantworten haben, ist also die: Was ist die Ursache der rheu¬ 
matischen Affectionen der Gelenke, der Muskeln, der Sehnenscheiden 
und der Nerven? Die zweite: Warum haben diese Ursachen solche 
Wirkungen? Die erste Frage ist in unserem Falle leicht zu beant¬ 
worten. Es ist entweder eine locale Einwirkung der Kälte, die eine 
locale Erkrankung einzelner Gelenke, Muskeln etc. hervorruft, oder 
es sind Ablagerungen pathologischer Producte nach einem abge¬ 
laufenen entzündlichen, acuten oder chronischen Process, dessen Ur¬ 
sache wiederum eine Allgemeinkrankheit, z. B. acuter Gelenk¬ 
rheumatismus, oder eine locale, z. B. ein Trauma sein kann. Dass 
die nach acuter und chronischer Entzündung von Gelenken, Mus¬ 
keln etc. stattgefundenen pathologischen Ablagerungen die Function 
stören können, und dass der Druck derselben auf die Nerven 
Schmerzen hervorzurufen im Stande ist, bedarf keiner weiteren Er¬ 
läuterung. 

Bei Besprechung der Pathogenese des Rheumatismus drängt sich 
uns zuerst die Frage auf: Warum sind einige Menschen für Rheu¬ 
matismus empfänglich, während andere niemals von dieser Er¬ 
krankung ergriffen werden? Zunächst kann festgestellt werden, dass 
das reifere Alter mehr für diese Krankheit disponirt als die Jugend. 
Es gehört zu den Seltenheiten, dass junge Menschen unter 25 Jahren 
an chronischem Rheumatismus leiden. Weiter lehrt die Erfahrung, 
dass Menschen, die täglich angestrengt körperlich arbeiten (solche 
ausgenommen, die fortgesetzt intensiven Abkühlungen der Haut aus¬ 
gesetzt sind) und dabei eine reichliche Nahrung zu sich nehmen, meist 
von Rheumatismus verschont bleiben. Aus diesen beiden That- 
sachen und aus dem Wesen der Krankheit ist man berechtigt zu 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


dem Schlüsse, dass hauptsächlich diejenigen, die einen trägen Stoff¬ 
wechsel haben, für rheumatische Affectionen disponirt sind. Trotz 
dieser Disposition, die so viele Menschen besitzen, ist die rheumatische 
Erkrankung einzelner Gelenke oder Muskeln etc. ohne Fieber keine 
allgemeine, keine constitutionelle Krankheit, sondern eine locale, 
eine Ansicht, die alle bekannten Autoren mit mir theilen. Um Rheu¬ 
matismus zu bekommen, muss man sich einer localen Abkühlung 
der Haut aussetzen. Ohne diese Gelegenheitsursache wird man da¬ 
von verschont. Die Disposition zur rheumatischen Erkrankung ein¬ 
zelner Organe wächst mit der Häufigkeit des Befallenseins der¬ 
selben, so dass schliesslich nur eine unbedeutende Abkühlung ge¬ 
nügt, um die Erkrankung hervorzurufen. 

Um die Richtigkeit des eben Gesagten zu illustriren, nur zwei 
Beispiele. Einer meiner Patienten sass im heissen Sommer auf dem 
Balkon, wo ein leichter Wind so vorbeistrich, dass seine rechte 
Schulter sich in dem Luftzuge befand. Die Luft war so warm, 
dass er keine Abkühlung spürte. Nach ca. 2 Stunden stand er auf 
und hatte rheumatische Schmerzen in der rechten Schulter, die erst 
nach einer energischen Behandlung verschwanden. Ein anderer Patient 
leidet häufig an rheumatischen Schmerzen in seinem linken Fuss- 
gelenk. Sorgt er dafür, dass der Fnss Nacht und Tag gut warm 
gehalten wird, dann fühlt er nichts. Streift er aber Nachts im 
Schlafe seine wollene Unterhose, die er im Bette anbehält, um die 
Füsse warm zu halten, ab, und schliesst die Bettdecke am Fussende 
des Bettes nicht ganz, dann wacht er Morgens auf mit rheu¬ 
matischen Schmerzen, die erst dann verschwinden, wenn er in Be¬ 
wegung kommt und der Fuss warm wird. Auch wenn er gelegent¬ 
lich vergisst, seine Gamaschen anzulegen, bekommt er rheumatische 
Schmerzen in dem Fusse, die jedoch bald wieder durch Warm¬ 
halten verschwinden. Als dieser Herr in meine Behandlung kam, 
war das Fussgelenk geschwollen und bei Druck schmerzhaft, und es 
bedurfte einer Behandlungsdauer von 5 Wochen zur völligen Her¬ 
stellung. Die erwähnte Disposition ist zurückgeblieben. Kann man 
nun solche rheumatische Gelenkaffcctionen, bei welchen das Allge¬ 
meinbefinden in jeder Weise ungestört ist, eine allgemeine, consti- 
tutionello Krankheit nennen? 

Meiner Ansicht nach, nein! 

Um das Rationelle in der zur Anwendung kommenden Behand¬ 
lung der rheumatischen Affectionen zu zeigen, seien mir noch einige 
Worte über das eigentliche Wesen des Rheumatismus — so viel uns 
davon bekannt ist — gestattet. 

Ich werde dem, was ich schon früher über diesen Gegenstand 
gesagt habe 1 ) und hier wiederhole, nur wenig Neues hinzufügen. 

Jedes Organ in einem thierisehen Organismus functionirt normal, 
so lange genügende Nahrung demselben zugeführt wird und die ver¬ 
brauchten Stoffe abgefnhrt werden. Werden diese beiden Bedin¬ 
gungen nicht erfüllt, dann hört die normale Function des Organis¬ 
mus auf. Je energischer ein Organ arbeitet, desto mehr Blut wird 
demselben zugeführt und desto arbeitsfähiger wird es. Schlachtet man 
eiu Thier während der Verdauung, dann sieht man, wie die Ver¬ 
dauungsorgane mit ihren Drüsen von Blut strotzen. Im nicht func- 
tionirenden Zustande sind sie dagegen relativ blutleer. Es wird 
also einem jeden Organ während der Function mehr Blut zugeführt 
als im ruhenden Zustande. Die Blutgefässe desselben werden er¬ 
weitert, der Blutdruck erhöht, und das Blut wird schneller bewegt. 
Da alle Blutgefässe, also auch die Capillaren erweitert werden, wird 
auch dem Gewebe mehr Nahrung zugeführt. Wenn wir mit v. Voit 
und v. Pettenkofer das Blut als das Fahrzeug betrachten, welches 
das rohe Material (Sauerstoff- und Kohlenstoffverbindungen) an 
seinen Bestimmungsort führt, so ist es einleuchtend, dass dasselbe 
in einer bestimmten Zeit weniger Material befördert, wenn es lang¬ 
sam, als wenn es schnell fährt. Auch haben Experimente gelehrt, 
dass im lebenden Organismus nur die arbeitenden Organe Nahrungs- 
stoffc in sich aufnehmen, dass also das zugeführte Material nur 
diesen zu Gute kommt, und zwar im Verhältniss zu der von den¬ 
selben geleisteten Arbeit. 

Wie nun jedes einzelne Organ durch Thätigkeit besser ernährt, 
gekräftigt und leistungsfähiger wird, so auch der ganze Körper, der 
doch nur eine Combination der verschiedenen einzelnen Organe ist. 
Je lebhafter deshalb der Stoffwechsel, desto widerstandsfähiger ist 
der Körper gegen chronische Krankheiten der verschiedenen Organe, 
oder mit anderen Worten, je träger der Stoffwechsel, desto 
empfänglicher für dieselben ist er. 

Bei Menschen, die nur wenig körperliche Anstrengung haben 
und sich nur wenig im Freien bewegen, ist der Stoffwechsel träge. 
Da bei denselben nur wenig Spannkräfte in lebendige Kraft über¬ 
gehen, so bedarf der Körper verhältnissmässig immer nur geringer 
Zufuhr von Nahrungsstoffen; es findet eine sehr langsame Oxydation 
statt. Da das Blut in Folge dessen relativ wenig Sauerstoff bedarf, 


') Wiesbaden gegen chronischen Rheumatismus, Gicht, Ischias etc. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1885. 


so ist eine langsame und schwache Respiration hinreichend, um dem 
Körper das genügende Quantum Sauerstoff zuzuführen. Nun aber 
wissen wir, dass die Athembewegungen des Brustkastens den mäch¬ 
tigsten Factor für die Bewegung des Blutes abgeben. Der negative 
Luftdruck wirkt wie eine Säugpumpe auf das Blut in der Vena 
cava, welches hierdurch dem Herzen in reichlicher Menge zugeführt 
wird. Je oberflächlicher und je langsamer die Athmung ist, desto 
langsamer ist auch die Bewegung des Blutes, desto niedriger der 
Blutdruck in der Aorta 1 ) und in den Arterien. Da nun in Folge 
dessen alle Organe schlecht ernährt werden, so functioniren sie auch 
nicht so gut und können nur unter gewöhnlichen Verhältnissen die 
Arbeit, welche ihnen zukommt, vollbringen. Wird eine grössere 
Anforderung an sie gestellt, so übersteigt das ihre Kräfte, und es 
treten krankhafte Veränderungen in ihnen auf. Wir dürfen nicht 
vergessen, dass die durch den Stoffverbrauch erzeugten Zersetzungs- 
produete, „die Gewebsschlacken“ eine sehr energische Einwirkung 
auf die Organe selbst ausüben. Die Milchsäure, die freien Kalisalze, 
das Kreatinin, die Kohlensäure setzen nicht allein die Aufnahme¬ 
fähigkeit des Protoplasma und seiner Membranen für die Nährsäfte 
herab, sondern sie wirken auch als „ermüdende Stoffe“, sie ver¬ 
langsamen, in grosser Menge angehäuft, die Arbeitsleistung des 
Organs. Um demselben seine Arbeitsfähigkeit zu erhalten, müssen 
sie theils aus demselben entfernt, theils neutralisirt werden. In 
diesen beiden Richtungen entfaltet ein kräftiger Blutstrom seine 
Wirksamkeit. Theils spült er, wie das Experiment gezeigt hat, 
mechanisch verbrauchte und jetzt schädliche Zersetzungsproducte aus 
dem arbeitenden Organ heraus, theils neutralisirt sein Alkali die 
durch die Thätigkeit desselben entstehenden ermüdenden Säuren. 
Dies Alles ist selbstverständlich in viel geringerem Grade der Fall, 
wenn der Blutstrom im Organ schwach und langsam ist, und die 
Folge ist, wie schon erwähnt, dass, wenn ausnahmsweise grössere 
Ansprüche an das Arbeitsvermögen desselben gestellt werden, dies 
seine Kräfte übersteigt und die Function eine abnorme wird. 

Hiernach kann wohl kaum noch bezweifelt werden, dass 
Menschen, die im Besitze eines nur trägen Stoffwechsels sind, vor¬ 
zugsweise für rheumatische Affectionen disponiren. Eine 
starke, ja häufig genug sogar eine schwache Abkühlung der 
Haut, verursacht durch Zug oder Wind, giebt in den meisten 
Fällen die Gelegenheitsursache zur Entstehung der Kiank- 
heit ab. 

Dieses ist namentlich der Fall, wenn die Abkühlung nach einer 
starken körperlichen Anstrengung geschieht. Es ist eine oft ge¬ 
machte Erfahrung, dass eine starke Abkühlung am leichtesten 
kraukmachend einwirkt, gerade auf den durch körperliche Arbeit 
schwitzenden und ermüdeten Körper — nach dem allgemein-pa¬ 
thologischen Gesetz, wonach jedes Organ am meisten zu Krank¬ 
heiten disponirt ist, wenn es sich gerade in lebhafter Function be¬ 
findet oder nach derselben müde ist. 

Bei körperlicher Anstrengung sind ausser den thätigen 
Muskeln, gerade die Gelenke diejenigen Organe, welche hauptsäch¬ 
lich in Function treten, und deshalb auch am meisten empfänglich 
für Krankheiten. Man ist zwar gewohnt, den Gelenken keine active, 
mit den Veränderungen des Stoffwechsels verbundene Function zu¬ 
zuschreiben, sondern nur eine ganz passive Rolle; man hat aber 
das gewiss nur gethan aus Unkenntniss dieser zu sehr vernach¬ 
lässigten Organe, welche nach Hueter’s sehr treffender Bemerkung 
„nur ein Stiefkind der modernen Forschung auf dem Gebiete der 
Anatomie, der Physiologie und der Entwickelungsgeschichte ge¬ 
blieben sind“. 

Die einzige uns bekannte Thatsache betreffs physiologischer 
Veränderungen des Gelenkinhaltes ist die von Frerichs nachge¬ 
wiesene, dass durch körperliche Bewegung zunehmende Concentration 
der Gelenkssynovia, deren Mucin, Eiweiss und Extractionsstoffe fast 
um das Doppelte vermehrt werden. Aber diese einzige Thatsache 
beweist schon, dass auch die Gelenke der Sitz sehr lebhafter Stoff- 
wechselprocesse sein können, obgleich sie scheinbar so spärlich mit 
Gefässen versehen sind. In der neuesten Zeit hat man doch ein 
das Knorpelgewebe durchziehendes plasmatisches Gefässnetz gefunden, 
welches aus den feinsten Canälen besteht. — Werden nun diese 
während und nach anstrengender Bewegung auf reflectorisehem 
Wege durch die sensiblen Hautnerven stattfindenden Stoffwechsel- 
processe plötzlich unterbrochen, so können unzweifelhaft Stoffe in 
den einzelnen Bestandtheilen der Gelenke Zurückbleiben, die reizend 
wirken und gewiss im Stande sind, eine Entzündung hervorzurufen. 
Dass dieses nun in noch höherem Grade der Fall sein muss mit 
Gelenken, die selten gebraucht werden, hat seinen Grund in dem 
Umstande, dass dieselbe bei einer länger dauernden und starken 

*) 8. Zur Blutvertheilung des Lungenkreislaufs im gesunden und krank¬ 
haften Zustande, vom Verfasser. Deutsche mcd. Wochenschrift 1887, No. 29 
bis 30, und Ueber den Blutdruck im Aortensystem und die Vertheilung des 
Blutes im Lungenkreislauf während der In- und Exspiration, vom Verfasser. 
Archiv für Physiologie von E. du Bois-Reymond, 1879. 


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26. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


337 


Anstrengung sehr leicht ermüden und ihre Gefässe nicht im Stande 
sind, die gebildeten Zersetzungsproducte in hinreichender Menge 
fortzuführen. 

Die Entstehung des Muskelrheumatismus ist meistens 
die Folge einer direkten Einwirkung der Kälte auf die Haut und 
die Muskeln. Was ich über die Empfänglichkeit der Organe für 
Krankheiten während und gleich nach der Function derselben ge¬ 
sagt habe, gilt auch für die Muskeln. Durch die Muskelthätigkeit 
findet eine Bildung von Säuren und sauren Salzeu, Milchsäure und 
saurem phosphorsaurem Kali statt, und die sind es bekanntlich, 
welchen man die Ermüdung der Muskeln zuschreibt. Unter nor¬ 
malen Verhältnissen werden sie aus dem Körper ausgeschieden; 
wird aber diese Ausscheidung unterbrochen oder doch vermindert, 
was geschehen kann durch plötzliche, starke Abkühlung der 
Haut und der oberflächlich liegenden Muskeln, deren Blut- und 
Lymphcirculation durch Contraction ihrer Blut- und Lymphgefässe 
gehemmt wird und durch Unterdrückung des Schweisses, so ent¬ 
steht oft ein krankhafter Zustand der Muskeln, den wir Muskel¬ 
rheumatismus nennen. 

Durch ein sorgfältiges Streichen und Kneten der afficirten 
Muskeln fühlt man fast immer pathologische Veränderungen in den¬ 
selben. Diese objectiven Symptome sind entweder Verdickungen 
der Muskelbündel, oder es sind knotenartige Erhabenheiten von 
der verschiedensten Grösse, die durch starkes Drücken und Streichen 
sich sowohl dem Gefühl als oft auch dem Gehör durch ein deut¬ 
liches Knarren — ähnlich demjenigen, welches man bei Sehnen¬ 
scheidenentzündungen durch hartes Streichen wahrnimmt — kund¬ 
geben. Am häufigsten beobachtet man dies bei den rheumatischen 
Affectionen der Nackenmuskeln namentlich vieler Damen. Die 
Schmerzen bei diesem Leiden können so intensiv sein und so nach 
dem Hinterkopf ausstrahlen, dass sie oft für Occipitalneuralgieen 
gehalten werden, oft zu rheumatischen Kopfschmerzen, ja sogar zu 
Migräne Veranlassung geben können. Diese pathologischen Ver¬ 
änderungen müssen ihren Sitz an den Muskelscheiden oder zwischen 
den Muskelbündeln haben und wahrscheinlich in einer Ansammlung 
von geronnenem Fibrin mit oder ohne pathologische Ausscheidungen 
bestehen, weil man oft im Stande ist, durch eine einmalige ener¬ 
gische Massage die Knoten zum Schwinden zu bringen; sie kehren 
jedoch nach kurzer Zeit, oft nur einigen Stunden, wieder. Die 
subjectiven Symptome bestehen in Schmerzhaftigkeit und in einem 
Schwächegefühl, welches oft eine erhebliche Störung in der Function 
verursacht. Häufig scheint mir auch die Haut, am häufigsten die¬ 
jenige des Oberarms, namentlich bei Damen mit starkem Fett¬ 
polster, rheumatisch afficirt. Die Haut ist so empfindlich, dass 
schon ein leiser Druck als Schmerz empfunden wird; dabei ist sie 
oft bedeutend geschwollen. Ich nehme an, dass diese Anschwellung 
der Haut in einer Erweiterung der Lymphgefässe des Corium be¬ 
steht, durch die auch die Nerven in dem letzteren gedrückt werden 
und die so Veranlassung zu der erwähnten Schmerzhaftigkeit giebt. 
Auch die Muskeln des Oberarmes sind dabei meistens rheumatisch 
afficirt, und es kann sich im Arm eine solche Schwäche einstellen, 
dass die Function desselben ausserordentlich erschwert ist. 

Nach diesen meinen Erfahrungen kann ich dem nur vollständig 
beistimmen, was Dr. Leopold Ewer 1 ) über die sogenannte rheu¬ 
matische Muskelschwiele Froriep’s sagt: „Nicht nur in den 
Fällen von chronischem Rheumatismus lassen sich die charakteristi¬ 
schen Veränderungen in der Muskulatur nach weisen, sondern auch 
Krankheiten, die für Gelenkleiden, Neuralgieen u. a. gehalten werden, 
können auf eine Myositis chronica zurückgeführt werden. Man 
findet entweder den ganzen Muskel in einen derben consistenten 
Strang verwandelt, oder nur an einzelnen Stellen diese Eigenschaft 
durchweg, an anderen Stellen finden sich Verdickuugen von der 
Grösse einer halben Erbse bis zu der einer grossen Wallnuss“. 

Die Ansicht Rosenthal’s, wonach das in den peripherischen 
Theilen des Körpers plötzlich abgekühlte Blut in die tiefer liegenden 
Organe getrieben wird und hier Entzündung hervorruft, kann wohl 
dazu dienen die Entstehung von rheumatischen Affectionen der 
Muskeln und kleinerer Gelenke zu erklären, aber nicht die der 
grösseren. Hier müssen wir unsere Zuflucht zur Reflextheorie nehmen, 
um eine einigermaassen annehmbare Erklärung zu finden. Diese 
— die Reflextheorie — lautet ungefähr so: Die schädlich 
wirkende Abkühlung der Haut ruft einen Reiz der sen¬ 
sitiven Hautnerven hervor, welche diesen nach den Cen¬ 
tralorganen leiten. Hier springt er auf vasomotoriscli- 
trophische Centren über, welche nun hierauf ihrerseits 
mit einer Dilatation der die betreffenden Gelenke ver¬ 
sorgenden Blutgefässe reagiren, was durch häufige Wie¬ 
derholung zu einer leichten Entzündung der betroffenen 


’) Berl. klin. Wochenschrift No. 9, 1887: „Einige Bemerkungen über 
die rheumatische Schwiele - . 


Gewebe und schliesslich zu einer chronischen Gelenkent¬ 
zündung führt. 

Nach dieser hier besprochenen Theorie über die Entstehung 
der acquirirfen Disposition zum chronischen Rheumatismus erfordert 
also die Indicatio morbi vor Allem eine Beschleunigung des Stoff¬ 
wechsels, sowohl des ganzen Körpers als auch der einzelnen afficirten 
Organe. Das erste wird erreicht durch den Genuss reichlicher 
Mengeu des hiesigen „Kochbrunnens“, durch den Gebrauch der 
warmen, mineralischen Bäder und durch viel Bewegung in frischer 
Luft. Das letzte, einen lebhafteren Stoffwechsel der afficirteu Muskeln 
und Gelenke, erzielt man durch den Gebrauch der Douche, durch 
Massage, passive und active Bewegungen und durch die Anwendung 
der Elektricität, am energischsten jedoch durch die elektrische 
Massage. 

Das Wasser des „Kochbrunnens“ ist dasselbe, welches zu den 
Bädern verwandt wird, und enthält ungefähr 2 / 3 % Kochsalz, welches 
den Hauptbestandteil der festen Ingredienzen des Brunnens bildet. 
Dass Wasser und Kochsalz, jedes für sich, den Stoffwechsel befördert, 
lehrt die Physiologie. Das Wasser, von der Saftmasse aufgenommen, 
vergrössert die mechanische Kraftsumrae, welche für die Circulation 
derselben im Blut- und Lymphsystem und in dem intermediären Kreis¬ 
lauf durch die Organe notwendig ist, die Absonderung der Drüsen wird 
erhöht. Das Kochsalz übt wie die Milchsäure einen reflectorischen 
Reiz namentlich auf die Nerven des Magens, des Darms und der 
Drüsen des Verdauungsapparates aus, wodurch eine äusserst günstige 
Wirkung auf die Verdauung der gleichzeitig genossenen Nahrungs¬ 
stoffe erzielt wird. Da nun das Salz selbst keine Spannkräfte ent¬ 
hält, welche durch Zersetzung frei und benutzt werden können, so 
vermehrt es äquivalent den Stoffverbrauch durch die erhöhte Arbeit 
des Organismus. Dem entsprechend wissen wir durch die Beob¬ 
achtungen C. v. Voit’s, dass der Stoffwechsel durch den Genuss 
von Kochsalz beschleunigt wird. 

Die Erfahrung und genaue Untersuchungen haben gezeigt, dass 
der Stoffumsatz des Körpers durch allmähliche Steigerung des täg¬ 
lichen Quantums des „Kochbrunnens“ mehr erhöht wird, als wenn 
von vorn herein grosse Mengen genossen werden. Auch aus einem 
anderen Grunde ist es rathsam, mit kleinen Mengen zu beginnen. 
Es kommt nämlich nicht selten vor, dass unmittelbar nach dem 
Genuss des „Kochbrunnens“ sich ein dünner wässeriger Stuhlgang 
einstellt. Bei einigen Patienten wirkt der Genuss des „Kochbrunnens“ 
verstopfend, zumal wenn er warm genossen wird, was gewöhnlich 
der Fall ist. Diese Wirkung wird, wenn sie nicht erwünscht ist. 
am besten dadurch aufgehoben, dass man zum ersten Glase eineu 
Theelöffel voll Carlsbader Salz setzt. Es ist also nothwendig, dass 
beim Verordnen des „Kochbrunnens“ individnalisirt wird. 

Ausser der erwähnten Wirkung auf den Stoffwechsel hat der 
„Kochbrunnen“ einen sehr wohlthuenden Einfluss auf einen etwa 
vorhandenen Magen- oder Darmkatarrh, und da nicht allein nach 
meiner, sondern auch nach Professor Dr. Henschen’s 1 ) (Upsala) 
Erfahrung chronischer Rheumatismus oft mit chronischem Magen¬ 
katarrh complicirt ist, so ist der Genuss des „Kochbrunnens“ um so 
mehr indicirt. 

Die Bäder wende ich auf folgende Weise an: 

Hat der Patient eine längere Reise gemacht, so muss er, bevor 
er mit dem Baden anfängt, sich einen oder zwei Tage ausruhen. 
Im Sommer lasse ich den Kranken früh Morgens zwischen 6 bis 
7 Uhr aufstehen. Sobald er angekleidet ist, geht er zum „Koch¬ 
brunnen“ und trinkt das für ihn bestimmte Quantum desselben, 
promenirt darnach eine halbe Stunde im Park und geht dann nach 
Hause. Besitzt der Patient eine kräftige Constitution, und ist er 
nicht gewohnt so früh etwas zu gemessen, so kann er gleich das 
Bad nehmen. Fühlt er sich dagegen schwach und müde, so ist es 
ihm erlaubt, eine kleine Tasse Thee oder Caflfee mit einem 
| Brödchen zu geniessen. Die Temperatur des Wassers, die Dauer 
des Bades und die Häufigkeit der Wiederholung desselben hängt 
von der Individualität des Patienten ab. In der Regel wird ange¬ 
fangen mit 27 l /2 0 R, um nach kurzer Zeit auf 29 ja bisweilen 
sogar auf 30 0 zu steigen. Der Aufenthalt im Bade variirt zwischen 
l U und einer ganzen Stuude. Es wird meist täglich gebadet, 
höchstens ein Mal die Woche ausgesetzt. Doch giebt es Kranke, die 
nur jeden zweiten, ja einige sogar, die nur jeden dritten oder vierten 
Tag baden können. Gleich nach dem Bade geht der Patient zu 
Bett und bleibt da eine bis zwei Stunden, in welcher Zeit ein 
leichter Schweiss unterhalten wird. Aus diesem Grunde ist es 
absolut nothwendig, dass die Bäder und das Logis des Patienten 
sich in demselben Hause befinden. Dieses ist in Wiesbaden fast 
durchgehends der Fall, und das ist gewiss einer der Gründe, 
weshalb in Wiesbaden bessere Resultate erzielt werden als in 
anderen Badeorten, wo sich eine solche Einrichtung nicht vorfindet. 

o 

*) S. Ronneby Helsobrunnar och Bad 1880, Arsredogörelse af Dr. S. E. 
Henschen. 


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338 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Dass die Hautcapillaren durch die lange dauernden warmen 
Bäder und durch die Unterhaltung eines leichten Schweisses 
während des Aufenthaltes im Bette uach dem Bade leicht etwas 
von ihrer Contractilität verlieren und die Haut deshalb empfind¬ 
licher gegen Temperaturwechsel wird, ist leicht verständlich. Des¬ 
halb wird auch immer den Patienten anempfohlen, sehr vorsichtig 
zu sein und sich nicht dem Zuge und einer plötzlichen Abkühlung 
auszusetzen. Damit nun eine solche Schwächung der Hautcapillaren 
nicht eintreten soll, habe ich vor kurzer Zeit angefangen, die Pa¬ 
tienten nach dem Aufenthalt im Bette nach dem Bade kalt ab¬ 
reiben zu lassen. Anfangs wird hierzu Wasser genommen, welches 
die Nacht über im Zimmer gestanden hat, später so kalt, wie es 
vom Brunnen kommt. Hierdurch wird nicht allein eine Kräftigung 
der Muskeln der Capillaren, sondern auch eine Zunahme des Stoff¬ 
wechsels erreicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Recidive 
und Erkältungen, welche sonst so oft durch den Gebrauch der 
warmen Bäder acquirirt werden, hiernach viel selteuer auftreten, 
und dass die Patienten nicht nöthig haben, so peinlich vorsichtig 
zu sein. Nachdem diese Procedur beendet ist, nimmt der Patient 
sein zweites Frühstück ein, wonach er sich in’s Freie begiebt, um 
einen längeren Spaziergang zu machen. Es ist nämlich absolut 
nothwendig, wenn die Cur hier zu einem guten Resultat führen 
soll, dass der Patient den Tag über sich so viel wie nur irgend 
möglich im Freien bewege. 

Hierdurch wird nicht allein der Stoffwechsel beschleunigt, 
sondern auch die krankhaften, ausgeschiedenen Stoffe in den Ge¬ 
lenken und Muskeln werden leichter resorbirt, weil der Blutdruck 
in den Venen und in Folge dessen auch in den diesen am nächsten 
liegenden Capillaren niedriger ist. Endlich ist auch eine reich¬ 
lichere Ernährung der Bestandteile der Gelenke uud Muskeln eine 
Folge der Bewegung, weil der Blutdruck in den Arterien höher ist. 
Die vielen geschützten Spazierwege im Curpark mit seinen nächsten 
Umgebungen und die langen grossartigen Colonnaden und Trink¬ 
hallen bieten zur Bewegung im Freien reichliche Gelegenheit. — 
Sind die Hüft-, Knie- oder Fussgelenke so stark angegriffen und 
schmerzhaft, dass eine active Bewegung unmöglich ist, so muss der 
Kranke sich in einem Fahrstuhl im Parke herumfahren lassen, und 
zwar so viel und lange, wie der Zustand des Kranken und das 
Wetter es erlauben; der Aufenthalt im Freien befördert ja an und 
für sich den Stoffwechsel. Später, wenn Besserung eingetreten, 
geht und fährt er abwechselnd, bis der Wagen ganz entbehrt 
werden kann. 

Eine solche Behandlung ist hinreichend für leichte Fälle von 
Muskel- und Gelenkrheumatismus. Hat dagegen die Krankeit lange 
gedauert, finden sich Exsudate in den Gelenken und sind diese ge¬ 
schwollen uud steif in Folge von Hyperplasie der Synovialmem¬ 
branen, der Gelenkkapseln, Gelenkbänder etc., so ist es zweck¬ 
mässig auch die Douche anzuwenden. Hierbei muss man jedoch 
sehr vorsichtig sein und sie nicht gebrauchen, wenn die Gelenke 
sich in einem reizbaren Zustande befinden. Das Wasser der Douche 
hat gewöhnlich die Temperatur des Badewassers. Die Einwirkung 
der Douche dauert je nach der Zahl der afficirten Stellen 1 bis 
6 Minuten und kann, je nachdem der Zustand des Patienten es er¬ 
fordert, mit halber oder ganzer Kraft gebraucht werden. 

Die warmen salzigen Bäder haben eine doppelte Wirkung. 
Erstens wird der Haut mehr Nahrung (Sauerstoff-, Stickstoff- und 
Kohlenstoffverbindungen) zugeführt, und zwar in Folge der activen 
Hyperämie, welche durch einen längeren Aufenthalt in unseren 
Mineralbädern immer entsteht. Welche Bedeutung aber eine gute 
Ernährung und Pflege der Haut hat, geht aus der Thatsache her¬ 
vor, dass Menschen, welche durch kalte Waschungen und Abrei¬ 
bungen die Haut pflegen und abreiben, viel weniger zu Erkältungen 
und rheumatischen Affectionen disponiren. Dass die Haut sammt 
ihren Bestandteilen, also auch die Hautnerven und Capillaren, in 
Folge des niedrigen Blutdruckes in den Arterien und der langsamen 
Blutbewegung bei Menschen, die nur wenig körperliche Anstrengung 
und einen trägen Stoffwechsel haben, schlecht ernährt wird, geht 
deutlich aus dem schon früher Gesagten hervor. Hierzu kommt 
noch, dass eine Haut, welche fast immer von derselben gleich- 
mässig warmen Temperatur umgeben wird und selten Gelegenheit 
hat, auf die Weise zu functioniren, wozu die Natur sie bestimmt 
hat, leicht etwas von ihrem Functions vermögen verliert, das darin 
besteht, zur rechten Zeit ihre Capillaren und Hautmuskelu zu er¬ 
weitern resp. zusammenzuziehen und äussere durch die Hautnerven 
aufgenommene Eindrücke nach den Centralorganen zu leiten. Die 
Verhältnisse, unter welchen der Reiz der Kälte die Hautnerven 
trifft, sind ganz anders bei Leuten, die oft täglich und lange sich 
der Einwirkung der Kälte aussetzen, als bei Menschen, die nur 
wenig in die frische Luft kommen und sich selten starken Tempe- 
raturveränderuugen aussetzen. Bei ersteren, die mit ihrem Auf¬ 
enthalt in der Kälte eine mehr oder weniger starke körperliche 
Bewegung verbinden, welche Factoren beide den Stoffwechsel be- 


No. 17 


schleunigen, wird die Haut gut ernährt. Sobald die Kälte aufge¬ 
hört hat zu wirken, und die Hautmuskeln uud Capillaren, welche 
durch den Reiz der Kälte sich contrahiren (die sogenannte Gänse¬ 
haut ist eine bekannte Erscheinung), wieder erschlafft sind, so wird 
sie mit einer reichlichen Blutmenge durchströmt, welche unter 
starkem Druck und grosser Schnelligkeit die Organe mit Nahrungs¬ 
stoffen versieht, die in Folge dessen besser functioniren. Ausserdem 
wird die Empfänglichkeit für den Reiz durch öftere Wiederholung 
desselben sehr abgeschwächt. Endlich sind die Hautmuskeln und 
Blutcapillaren im Besitze einer solchen Kraft, dass sie im Stande 
sind, sich durch die Einwirkung der Kälte energisch contrahiren 
zu können, so dass das abgekühlte Blut in geringerer Menge in 
die am nächsten liegenden Organe, namentlich die oberflächlich 
liegenden Hautnerven und Muskeln, eindringt. Der Eindruck des 
Reizes der Kälte, besonders auf die Nerven, ist also aus verschie¬ 
denen Gründen viel stärker, und folglich auch die Reaction des 
Centralapparates und der dort befindlichen vasomotorisch-trophischen 
Centren viel grösser. (Schluss folgt.) 

VI. Ueber die Behandlung der Skoliose. 1 ) 

Von Dr. F. Staffel, 

Inhaber der Orthopädischen Heilanstalt in Wiesbaden. 

M. H.! Jede Verkrümmung besteht in Stellungsveränderung 
oder Formveräuderung, oder — meistens — in Stellungs- und Form¬ 
veränderung von Skelettheilen. Die Stellungsveränderung ist ge¬ 
wöhnlich das Primäre, die Form Veränderung das Secundäre, das 
durch erstere, durch die mit ihr verbundene Belastungsänderung, 
Hervorgerufeue. Die Verkrümmungen der Wirbelsäule folgen uoth- 
wendig denselben biologischen Gesetzen, wie alle anderen Ver¬ 
krümmungen. Wenn die Skoliose eine gewisse Ausnahmestellung 
unter den Verkrümmungen einzunehmen scheint, so liegt dies nicht 
an principiellen Unterschieden, sondern nur daran, dass die Wirbel¬ 
säule ein so ausserordentlich gegliederter, aus einzelnen, sehr kurzen 
Stücken bestehender Stab ist, der bei Weitem nicht so wirksame 
Hebel für eine beabsichtigte Stelluugsänderung in corrigirendem Sinne 
darbietet, wie wir sie etwa in den langen Röhrenknochen der Ex¬ 
tremitäten vorfinden, und dass dieser gegliederte Stab das Rücken¬ 
mark umschliesst und daher so gut wie inoperabel ist. 

Irgend eine Stellungsanomalie von Skelettheilen kann nur 
dadurch beseitigt werden, dass die abnorme Stellung aufgehoben, 
die normale Stellung gegeben, und die Wiederkehr der abnormen 
Stellung verhindert wird. Die Herbeiführung der normalen oder 
dieser möglichst nahe kommenden Stellung gelingt entweder in 
einem Acte oder, wenn bestehende Hindernisse nicht auf ein Mal 
überwunden werden können, nach und nach in wiederholten Acten. 

Auch auf eine Formanomalie — wenigstens der Wirbelsäule 
— corrigirend, zur Norm zurückbildend einzuwirken, haben wir kein 
anderes Mittel als die corrigirende Stellungsänderung. Nur durch 
diese, d. h. durch die mit ihr verbundene Belastungsänderung können 
wir umbildend auf den Knochen wirken. 

Es giebt demnach keine anderen Heilmittel der Sko¬ 
liose als solche, welche ihren Durchgangspunkt in dem 
mechanischen Momente der corrigirenden Stellungsände¬ 
rung der Wirbelsäule und ihrer Annexe finden. Es ist 
gut, diesen Gesichtspunkt für die Beurtheilung der sogenannten dy¬ 
namischen Mittel festzuhalten. 

Wenn eine Stellungsanomalie durch Stellungsänderung im corri¬ 
girenden Sinne beseitigt werden soll, und wenn letztere umbildend 
auf die Knochen wirken soll, so darf sie nicht nur für den Augen¬ 
blick geschehen, sondern sie muss andauernd sein. Hat das be¬ 
treffende Individuum immer wieder Gelegenheit, die alte abnorme 
Stellung einzunehmen, so wird mit den momentanen Stellungsände¬ 
rungen in der Regel nichts gewonnen. Man hat sich daher für die 
Behandlung der Skoliose — wie anderer Verkrümmungen — die 
Frage vorzulegen: 

1. Wie schaffst du eine möglichst gut corrigirende Stellungs¬ 
änderung? 

2. Wie machst du diese dauernd? 

Die Prognose wird wesentlich davon, wie man diesen beiden 
Forderungen gerecht werden kann, abhängig sein, so dass man, 
wenn nicht sofort, so doch meistens nach kurzer Behandlungszeit 
eine ziemlich sichere Prognose stellen kann. Die Grenzen der The¬ 
rapie entsprechen ziemlich genau dem Maasse, in welchem es mög¬ 
lich ist. eine corrigirende Stellungsänderung der Wirbelsäule und 
i ihrer Annexe herbeizuführen und zu fixiren. Da die Skoliosen 
i meistens erst in ärztliche Behandluug kommen, wenn die Formano- 
! malie der Knochen schon vorgeschritten ist, so belehren uns unsere 


') Vortrag, gehalten in der pädiatrischen Section der 60. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte. 


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"26. A pril. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Versuche, möglichst corrigirte Stellung zu geben, sofort, dass wir 
durchweg nur Theilresultate erzielen können. Das aber kann man 
prognostisch sagen: was sich redressiren und fixiren lässt, das lässt 
sich auch heilen, vorausgesetzt, dass die Fixation auch wirklich und 
in genügender Dauer stattfindet. Letzteres ist gerade der schwie¬ 
rigste Theil der Therapie, während das Redressiren, die momentane 
Herstellung eiuer möglichst corrigirten Stellung, verhältuissmässig 
leicht ist. 

Sehen wir nun zunächst zu, durch welche Mittel eine corrigi- 
rende Stellungsänderung der skoliotischen Wirbelsäule hauptsächlich 
herbeigeführt wird. 

Die Einwirkung, durch welche uns das Redressement vorge¬ 
schrittener Skoliosen erfahrungsmässig am besten gelingt, setzt sich 
wesentlich zusammen aus: Retroflexion, Extension (Distrac- 
tion) und Rippenhebelung. 

Die Retroflexion ist das mächtigste Correctionsmittel für die¬ 
jenigen Skoliosen, welche mit Anteflexionsstellung der Wirbelsäule, 
mit „schlechter Haltung“ verbunden sind. Kinder mit solcher Sko¬ 
liose — meistens ist es die C-fÖrmige — imponiren wegen ihrer 
scheusslichen Figur dem Unkundigen oft als hochgradig skoliotisch, 
während thatsächlich die Skoliose Nebensache, die „schlechte 
Haltung“ Hauptsache ist. Lässt man solche Individuen sich ordent¬ 
lich aufrichten, also eine Retroflexion ihrer Wirbelsäule ausführen, 
so ist von der Skoliose fast nichts mehr zu sehen. Das sind die¬ 
jenigen Skoliosen, die gelegentlich „spontan geheilt“ zu sein scheinen, 
dieselben, die in so manchen Anstaltsberichten von Turnlehrern, 
schwedischen Gymnasten und ähnlichen orthopädischen Heilkünstlern 
als „in kurzer Zeit geheilt“ paradiren. 

Eine Menge von sogenannten dynamischen Mitteln gegen Sko¬ 
liose beruhen in nichts anderem als in dem mechanischen Momente 
der bewusst oder unbewusst geschaffenen aufgerichteten, also retro- 
flectirten Stellung. Hierhin gehören alle diejenigen Mittel, welche 
constitutionsverbessernd und muskelstärkend wirken. 

Nur aus diesem Gesichtspunkte zu erklären sind die Erfolge, 
die gelegentlich absichtlich oder unabsichtlich durch bessere Er¬ 
nährung, durch ein Eisenpräparat, einen Landaufenthalt oder einen 
„Luftwechsel“, durch einen Exercier- und Turncursus, durch Massage 
u. dgl. erzielt werden. 

Auf der Retroflexionswirkung beruhen ferner die Erfolge, die 
durch die Gewöhnung an „bessere Haltung“ aus Furcht vor Tadel 
oder gar Strafe, aus erwachender Eitelkeit, mit oder ohne Beihülfe 
gutsitzender Kleidung oder eines modernen Corsetts, resultiren. 

Desgleichen besteht der Nutzen der allermeisten „Geradhalter“, 
wie sie so gang und gäbe sind, von der einfachen, die Schulter zu¬ 
rücknehmenden Bandage und dem Geradhalter-Corsett bis zu den 
complicirtesten „Rückenmaschinen“ — wenn überhaupt ein Nutzen 
gebracht ist — durchweg in nichts Anderem als darin, dass eine 
etwas mehr retroflectirte Stellung erzwungen, die verschlimmernden 
Anteflexions-Stellungen verhindert worden sind. Sieht man die 
meisten „Geradhalter“, wie sie dem skoliotischen Körper anliegen, 
näher an, so findet man, dass die mit ihnen verbundenen Pelotten, 
elastischen Züge und dgl. eine Wirkung gar nicht haben; meistens 
ist nämlich ihre Basis, der Ausgangspunkt der wirken sollenden 
Kraft in seiner Stellung so wenig gesichert, dass die Kraft, anstatt 
zu wirken, wo sie wirken soll, lediglich die Basis verschiebt und 
somit wirkungslos ist. Wenn solche Apparate gelegentlich doch 
einen Nutzen haben, so beruht er nur in der Sicherung einer mehr 
oder weniger aufgerichteten Stellung. 

So erklärt sich auch die Wirkung der Rückenlage, der Gebrauch 
guter, die aufrechte Rumpfstellung sichernder Sitzvorrichtungen, 
die Vermeidung schwerer Arbeit in gebückter (anteflectirter) Stellung, 
und anderer Momente. 

Nicht selten erlebt man, dass ein Dienstmädchen, welches aus 
schwerer Landarbeit und ärmlicher Nahrung in leichten Herrschafts¬ 
dienst und besseres Futter kommt, die besessene scheinbar schwere 
Skoliose fast vollständig verliert — einfach durch Verlassen der 
anteflectirten Stellung in Folge besserer Ernährung und leichterer 
Arbeit. 

In allen diesen Fallen pflegt keineswegs das, was von eigent¬ 
licher Skoliose vorhanden war, völlig verschwunden zu sein, aber 
durch die geschaffene besser retroflectirte Stellung ist die Skoliose 
so unauffällig geworden, dass Niemand mehr daran Anstoss nimmt. 

Die Retroflexion ist also da, wo gleichzeitig mit der Skoliose 
anteflectirte Stellung der Wirbelsäule besteht, das wirksamste 
Correctionsmittel. und wohl das wirksamste überhaupt, weil sich 
keine andere Stellung auch nur entfernt so dauernd machen, fixiren 
lässt als die retroflectirte. Ja, man kann für die grosse Masse der 
Skoliosen unter Berücksichtigung aller Verhältnisse wohl sagen: 
quod retroflexio non curat non curatur. 

Daher geben alle Skoliosen, welche nicht den „runden“ sondern 
den „hohlen“ Rücken zur Basis haben, w r o also nicht gleichzeitig 


339 


anteflektirte, sondern eher retroflectirte Stellung besteht von vorn¬ 
herein eine weit ungünstigere Prognose. 

Bei diesen Skoliosen tritt die Extension, (Distraction) als 
mächtigstes Correctionsmittel in ihre Rechte. Man überzeugt sich 
in der Praxis leicht dass es für die schlimmeren Formen der Skoliose 
kein besseres Mittel zur Herbeiführung einer möglichst gut corrigiren- 
den Stellungsänderung giebt als die Extension. Wenn sie trotzdem 
vielfach angefeindet wird, und wenn sie im ganzen nicht das leistet, 
was man von ihr erwarten könnte, so liegt das daran, dass es so 
ausserordentlich schwer durchführbar ist, die Stellung, welche die 
•Extension schafft, andauernd zu fixiren. Während die Retroflexions- 
stellung schon durch die eigenen Muskelkräfte verhältnissmässig leicht 
fixirt werden kann, versagen diese selbstverständlich für die Bewahrung 
der Extensionsstellung, welche ja vor allem in vollständiger Auf¬ 
hebung der Belastung der Wirbelsäule besteht. Die Belastung der 
Wirbelsäule ist aber in der aufrechten Stellung auch durch mechanische 
Hülfsmittel nur sehr unvollständig aufzuheben möglich. 

Voll und ganz kommt die Extension zur Wirkung, wenn man 
den Skoliotischen in die Glisson'sehe Schwebe bringt (verticale 
Suspension am Kopfe), wobei das ganze oder, wenn wie gewöhnlich 
<lie Hände des Skoliotischen das Seil des Flaschenzugs halten, 
doch der grösste Theil des Körpergewichts distrahirend auf die 
Wirbelsäule wirkt. Die Wirkung der verticalen Suspension auf 
hochgradige Skoliosen, die noch nicht zu steif sind, ist oft frappant 
und durch kein anderes Mittel zu erreichen; — leider ist die so 
geschaffene corrigirte Stellung so schwer zu fixiren. 

Während die durch verticale Suspension geschaffene Stellungs¬ 
änderung der skoliotischen Wirbelsäule immer nur mehr momentan 
unterhalten werden kann, lässt sich eine halbliegende Suspensions¬ 
stellung auf einer schiefen Ebene wenigstens stundenweise recht 
gut unterhalten. Ist die Wirkung auch nicht so mächtig, wie bei 
ersterer, so kommt sie ihr doch ziemlich nahe; daher ist die 
Extension auf der schiefen Ebene ein ausgezeichnetes Hülfsmittel 
bei der Behandlung schwierigerer Skoliosen: die geschaffene stark 
corrigirende Stellungsänderung kann hier schon längere Zeit fixirt 
werden. 

Weniger mächtig als die Extension vom Kopfe aus, aber 
meistens doch noch sehr vortheilhaft, wirkt die Suspension an den 
Händen, wie sie beim Hang an einer Reckstange, an Schweberingen, 
einer Leiter u. dgl. eintritt. Bleibt hier zwar die Halswirbelsäule 
und die obere Brustwirbelsäule unbeeinflusst von der distrahirenden 
Wirkung der Körperschwere, so ist die geschaffene Stellungs¬ 
änderung der skoliotischen Wirbelsäule doch durchweg eine recht 
günstige. Hang- und Schwingübungen sind daher fast stets mit 
grossem Nutzen bei der Behandlung der Skoliose verwendbar, nicht 
nur wegen der guten Wirkung der Suspensionsstellung, sondern 
auch deshalb, weil die Skoliotischen sich längere Zeit mit solchen 
Uebungen beschäftigen können, und sich meistens gern damit be¬ 
schäftigen, und weil solche Uebungen — wie ja überhaupt gymnastische 
Uebungen — constitutionsverbessernd und speciell muskelkräftigend 
zu wirken pflegen. 

Von einigen Seiten werden Nachtheile der Extensionsbehandlung 
behauptet. Wenn hierbei nicht an Unglücksfälle gedacht ist, die 
sich durch Achtsamkeit und Aufsicht in jedem Falle vermeiden 
lassen, so weiss ich nicht, wie ein Nachtheil entstehen soll. 
Wenigstens habe ich bei meiner sehr fleissigen Anwendung der 
Extension in allen Formen einen Nachtheil derselben nie beob¬ 
achten können. 

Was nun die Ripp enh ebelung, d. i. die Benutzung der Rippen 
als Hebel zur Stellungsänderung der Wirbelkörper — die wir ja nicht 
direkt angreifen können — betrifft, so ist sie durchweg eine schätzens- 
werthe Ergänzung der Retroflexion und Extension, während sie, allein 
geübt, meistens unzulänglich ist. Die Rippen sind nämlich unvoll¬ 
kommene Hebel für die Wirbelkörper; leicht biegen sie sich bei 
Druck auf dieselben, anstatt zu hebeln, in sich selbst zusammen, 
und dies um so mehr, je mehr der Druck auf die Rippe in der 
Frontalebene des Körpers erfolgt. Da die Rippen aber da, wo der 
hebelnde Druck benöthigt wird, an und für sich schon in Folge 
der Skoliose stärker als normal gebogen sind, so kann leichtfertiger 
Druck, anstatt die Skoliose zu bessern, sie durch Vermehrung des 
Rippenbuckels leicht verschlimmern. Bei gleichzeitiger Extensiou 
ist die Rippenhebelung erfolgreicher und unbedenklicher. 

Zur Fixation der durch Rippenhebelung geschaffenen 
Stellungsänderung der Wirbelsäule ist ebenfalls die Körpermuskulatur 
nicht befähigt; Apparate bezwecken vielfach diese Wirkung, aber 
selteu erfüllen sie ihren Zweck correct, wirksam und unbedenklich. 

Es wurde schon angedeutet, dass für die Fixation, die Dauernd- 
machung der durch die besprochenen Maassnahmen geschaffenen 
corrigirende Stellungsänderung der skoliotischen Wirbelsäule und 
ihrer Annexe zwei Möglichkeiten bestehen. 


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340 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


1. Die Muskeln werden befähigt, die corrigirte Stellung festzu¬ 
halten : 

2. Die Muskeln können dies nicht oder nur unvollkommen, und 
äussere mechanische Mittel müssen zu Hülfe genommen werden. 

Diese Erwägung theilt von Alters her die Orthopäden in zwei 
Lager. Die einen weisen den Muskeln ausschliesslich jene Rolle zu 
und halten die mechanischen Hülfsmittel für schädlich, weil die Mus¬ 
keln schwächend, die anderen können und wollen die mechanischen 
Hülfsmittel, die Stützapparate und dgl. nicht entbehren. Solche, die 
die Pflege der betheiligten Muskulatur von ihrem Programm aus- 
schliessen, sind mir nicht bekannt. 

Aber auch das Wie? der Muskelpflege ist verschieden. Es - 
giebt specifische und nicht specifische Muskelpfleger. Zu ersteren 
gehören die meisten schwedischen Gymnasten und Masseure. Sie 
halten an der alten Lehre fest, dass die Skoliose wesentlich be¬ 
ruhe auf einer Störung im Antagonismus der Rückenmuskeln: es 
sollen die in den Concavitäten der skoliotischen Krümmungen ge¬ 
legenen Rückenrauskeln die Üeberhand gewonnen haben über die 
geschwächten Muskeln der anderen Seite, und nun soll es Haupt¬ 
aufgabe der Therapie sein, diese geschwächten Muskeln durch iso- 
lirte Bethätigung derselben vermittelst fein ausgeklügelter Wider¬ 
standsbewegungen und Massagemanipulationen wieder ebenso stark- 
zu machen, als ihre Antagonisten sind. Der Beweis für die Richtig¬ 
keit dieser Lehre ist nie erbracht worden und wird auch nie er¬ 
bracht werden. Könnte man — von der Beweiserbringung abge¬ 
sehen — bei einer rein einseitigen Verkrümmung allenfalls es noch 
für möglich halten, dass die Muskeln der einen Seite stärker als 
die der anderen wären, so wird die Sache geradezu lächerlich, wenn 
man bei schlangenförmig angeordneten Verkrümmungen diesen ent¬ 
sprechend etwa: rechts schwache, links starke, darunter recht starke, 
links schwache, und darunter nochmals rechts schwache, links starke 
Muskeln annehmen wollte — namentlich wenn man bedenkt, dass 
der Erector trunci rechts und links ein vom Becken zum Kopfe 
aufsteigendes, einheitliches Muskelsystem bildet. 

Wenn die schwedische Heilgymnastik dessenungeachtet nicht 
arm an Erfolgen ist, so liegt das daran, dass die künstelnden Wider¬ 
standsbewegungen — wie dies auch oft direkt oder indirekt zuge¬ 
standen wird — schliesslich doch auf nichts anderes hinauslaufen, 
als auf correcte Stellungsänderungen im corrigirenden Sinne, und 
dass aus der ganzen Behandlung, die meistens viele Monate oder 
gar Jahre lang fortgesetzt wird, eine erhebliche Kräftigung der 
Gesammtmuskulatur resultirt, welche die Bewahrung der oft 
wiederholten Stellungen begünstigt. Wenn sich aber die schwedische 
Heilgymnastik die Extensionsbehandlung entgehen lässt, wenn sie 
sich gegen jede andere Behandlungsmethode abschliesst und infolge¬ 
dessen auf die Fixation der momentan geschaffenen Stellungs¬ 
änderungen nicht Bedacht nimmt, so kann sie, wie ich aus eigenster 
Erfahrung weiss, in den schwierigeren Fällen von Skoliose wenig 
oder gar nichts leisten, und in den leichteren Fällen leistet sie 
jedenfalls nicht mehr, meistens sogar weniger als jede andere, von 
richtigen Gesichtspunkten ausgehende Gymnastik. Dass gute, schwe¬ 
dische Gymnastik besser ist als schlechtes, ungeordnetes Turnen, ist 
ebenso richtig, als dass ein gescheidter Curpfuscher gelegentlich ein¬ 
mal mehr leistet als ein dummer Arzt; aber ich kann es nur be¬ 
dauern, dass sich selbst gewiegte Aerzte aus mangelndem Einblick 
in die Sache manchmal von den mit hochweiser Miene vorgenommenen 
Künsteleien der schwedischen Heilgymnastik mehr imponiren lassen 
als von den einfacheren, aber von richtigen Gesichtspunkten aus¬ 
gehenden Veranstaltungen unserer deutschen orthopädischen Gym¬ 
nastik. 

Der Massage allein kann unbedingt nur ein noch geringerer 
Werth beigemesseu werden als der schwedischen Heilgymnastik. 
Die Massage bei Skoliose, wie sie neuerdings von Länderer befür¬ 
wortet worden ist, wird von zwei Gesichtspunkten aus betrieben, 
aus dem Gesichtspunkte der corrigirenden Stellungsänderung und 
der Muskelkräftigung. Fasst man ersteren Gesichtspunkt in’s Auge, 
so wird man gewiss dem Patienten vortheilhaftere Ausgangsstellungen 
für das beabsichtigte „Redressement“ geben als die Bauchlage, in 
welcher das Redressement zu einer „harmlosen Spielerei“ herab¬ 
sinken muss. Und was den zweiten Gesichtspunkt betrifft, so liegt 
so lange keine Indication zur Massage vor, als man das vorgesteckte 
Ziel auf einfachere Weise, nämlich durch die Activgymnastik, er¬ 
zielen kann. 

Ich halte die Massage der Rückenmuskulatur (der gesamraten, 
nicht etwa einer Auslese derselben) bei Skoliose in den Fällen für 
werthvoll, wo die schwachen Muskeln bleichsüchtiger Geschöpfe zu¬ 
nächst eine neunenswerthe active Leistung nicht zu Stande bringen. 
Hier kann man durch eine einige Wochen — selten länger — fort¬ 
zusetzende tägliche Massage der Rückenmuskulatur die Kinder mei¬ 
stens bald so weit bringen, dass sie die Activiibungen mit aller 
wünschenswerthen Energie ausführen. Geschieht dies, so sehe ich 
in der Massage keinen Vortheil mehr. Ich beschränke daher die 


Anwendung der Massage auf die bezeicbneten Fälle, möchte sie 
allerdings in diesen nicht entbehren. 

Je weniger es nun im Bereiche der physiologischen Möglichkeit 
liegt, dass die Muskeln eine gegebene Stellungsänderung der Wirbel¬ 
säule und ihrer Annexe dauernd festhalteu können, um so mehr 
liegt das Bedürfniss vor, diese Fixation durch äussere, mechanische 
Mittel zu bewirken. Handelt es sich nur um Fixation der retro- 
flectirten Stellung, so ist die Aufgabe in der Regel leicht; — diese 
Aufgabe kann ja am ehesten noch von der eigenen Muskulatur allein 
besorgt werden. 

Viel schwieriger ist es, die durch Rippenhebelung oder durch 
Extension geschaffene Stellung festzuhalten. Gelingt dies bei lie¬ 
gendem Körper noch einigermaassen leicht, so ist es um so schwie¬ 
riger in der aufrechten Stellung, die auszuschalten doch nur in sehr 
seltenen Fällen möglich ist, abgesehen davon, dass diese Ausschal¬ 
tung leicht constitutionsverschlechternd wirkt, was die erhoffte 
gute Wirkung sehr in Frage stellt. 

Dass die meisten mechanischen Hülfsmittel, denen man in der 
Skoliosenpraxis begeguet, durchweg keine andere Wirkung haben, 
als eine mehr oder weniger retroflectirende, wurde schon erwähnt. 
Das ist ja recht oft besser als gar Nichts, aber es genügt doch nicht, 
irgend etwas Nützliches gegen die Skoliose zu thun; man sollte 
vielmehr in jedem Falle das Beste thun, w r enn es zu haben ist. 
Und das Beste ist durchaus nicht immer das Theuerere! Wie oft 
kann der sachverständige Arzt mit höchst einfachen Mitteln die 
besten Resultate erzielen, wo die kostspieligen Mittel des Pfuschers 
nutzlos waren! 

Es würde mich zu weit führen, wenn ich die mannigfachen 
gegen Skoliose in Gebrauch stehenden portativen Apparate einer 
näheren Kritik unterwerfen wollte. Es giebt viele derselben, welche 
ganz vortrefflich wirken können, wenn sie für den betreffenden 
Fall geeignet sind, wenn sie sachkundig für den Fall aptirt, und 
wenn sie namentlich mit sicheren Ausgangspunkten für die wirken 
sollenden Kräfte versehen werden. 

Eine besondere Beachtung verdienen die Verbände, welche, 
in Suspensionsstellung angelegt, diese Stellung zu fixiren bestimmt 
sind. Diese Beachtung verdienen sie vielleicht am meisten dadurch, 
dass sie den Arzt in höchst schätzenswerther Weise unabhängig 
machen vom Bandagisten. Wo dieser Gesichtspunkt wegfällt, wird 
der Werth der Verbände anders zu taxiren sein. Immer muss man 
bedenken, dass ein Verband, wenn er nicht mit dem schwer an¬ 
wendbaren „jury mast“ versehen ist, alles, was oberhalb des achten 
Brustwirbels liegt, in seiner Stellung nicht beeinflussen kann. Man 
täuscht sich also doch sehr, wenn man glaubt, der Verband könne 
die Suspensionsstellung des ganzen Thorax fixiren. Nimmt man 
hinzu, dass der Verband, auch der abnehmbare, von Zeit zu Zeit 
völlig erneuert werden muss, dass man also mit ihm den Verände¬ 
rungen, die man oft bei energischer Behandlung in kürzeren Pe¬ 
rioden an den Skoliosen hervorzubringen vermag, nicht folgen kann, 
dass er, wenn manchmal nicht recht gelungen, nicht mehr verändert 
werden kann, es sei denn, dass man ihn abnehme und neu her¬ 
stelle, dass er endlich gelegentlich Decubitus bewirkt, was zu einem 
bedenklichen Aussetzen der Behandlung nöthigt, so wird man die 
Skoliosenverbände zwar als einen schätzenswerthen Nothbehelf, nicht 
aber als das Non plus ultra der Portativ-Apparate ansehen dürfen. 
Wer wie ich und einige meiner Specialcollegen seine eigene mecha¬ 
nische Werkstätte besitzt, also unabhängig vom Bandagisten ist und 
alle mechanischen Hülfsmittel in der Hand hat, wird die Wirkung 
der Verbände in jedem Falle durch leicht abnehmbare und leicht 
nachstellbare Apparate, Corsetts u. dgl., die Jahr und Tag aushalten, 
zu ersetzen im Stande sein. 

Nicht unerwähnt lassen darf ich bei Besprechung der Behand¬ 
lungsarten der Skoliose die antistatische Behandlung, d. h. die 
Einwirkung auf die Skoliose von unten aus, durch Stellungsänderung 
des Beckens bei der aufrechten Rumpfstellung. 

Dass und warum durch Schiefstellung des Beckens Skoliose 
entstehen kann und sehr oft entsteht, ist bekannt. In einer früheren 
Veröffentlichung (Ueber die statische Ursache des Schiefwuchses, 
diese Wochenschrift 1885, No. 32) habe ich mitgetheilt, dass ich in 
230 Fällen von Skoliose 76 Mal die mitwirkende statische Ursache 
nachweisen konnte, und zwar lag unter diesen 76 Fällen 66 Mal die 
reine Wachsthumshemmung eines Beines (62 Mal des linken, nur 
4 Mal des rechten) vor. Schiefstellung des Kreuzbeins durch 
Beckenasymmetrie konnte ich in jener Zahl nur 4 Mal mit 
Sicherheit beobachten. Wenn ich nun auch glaube, dass, wenn ich 
alle jene Fälle nochmals zu untersuchen hätte, die Zahl der con- 
statirten realen Beckensenkungen etwas geringer ausfallen würde, 
so bleibt immerhin in einem grossen Procentsatz der Skoliosen die 
mitwirkende statische Ursache bestehen. Recht häufig dürfte diese 
gegeben sein durch habituelle Beckensenkungen in der bekannten 
und vielbeliebten Stellung „auf einem Bein“ (position hanchee), 
zu der schwächliche Mädchen desto mehr Veranlassung haben, je 


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26. April. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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mehr bei ihnen gleichzeitig ein Genu valgum besteht, welches es 
hnen durch das Aneinanderstossen der inneren Condylen der Ober¬ 
schenkel schwer macht, mit gleichen Beinen zu stehen. Diese ha¬ 
bituellen Beckensenkungen muss man nachdrücklich bekämpfen. 

Ich beschränke die antistatische Behandlung der Skoliose dar¬ 
auf, dass ich reale Beckensenkungen vermittelst erhöhter Sohle und 
eventuell „Sitzkissen“ ausgleiche. Im Uebrigen halte ich die Anti¬ 
statik für ein zweischneidiges Schwert. Handelt es sich um eine 
S-förmige Skoliose, und erhöht man ohne Weiteres die linke Schuh¬ 
sohle, so kann der Erfolg ein ganz anderer sein, als man erwartet. 
Ist nämlich die untere linksconvexe Curve steil, so dass sie durch 
die Gleichgewichtsbestrebungen des Körpers nicht umgebogen wer¬ 
den kann, so findet die beabsichtigte Umbiegung leicht in einem 
höheren, beweglicheren Theile des Rückens statt, und das heisst 
nichts anderes als Zunahme der rechtsconvexen oberen Curve. Man 
darf in keinem Falle versäumen, erst genau zuzusehen, wie die 
Wirkung antistatischer Maassregeln sich gestaltet, ehe man diese an¬ 
wendet. 

Erwähnenswerth scheint es mir an dieser Stelle zu sein, dass 
grössere Differenzen in der Länge der Beine weniger Disposition 
zur Skoliose schaffen als kleinere, ein Umstand, auf den eine Mit¬ 
theilung von Drachmann (Mechanik und Statik der Skoliose, 
Berl. klin. Wochenschr. 1885, No. 18) meine Aufmerksamkeit ge¬ 
lenkt hat. Kleinere Beinlängendifferenzen veranlassen kein Hinken, 
sondern eine permanente reale Beckensenkung nach einer Seite; 
grössere Differenzen dagegen, etwa von 3 cm an aufwärts, können 
nicht mehr so gut durch Beckensenkung verarbeitet werden, sondern 
hier tritt gewöhnlich Hinken ein. Dieses Hinken aber besteht nicht 
in einseitiger Beckensenkung, sondern in Senkung des Rumpfes und 
Beckens als Ganzes unter stärkerer Kniebeugung des längeren Beines. 
Solches Hinken ist also geradezu ein Schutz gegen Skoliose. 

Zur Erläuterung meiner eigenen Behandlungsmethode der Sko¬ 
liose erlaube ich mir nun, Ihnen einen 9jährigen Knaben mit hoch¬ 
gradiger rhachitischer Skoliose vorzustellen, den ich erst kurze Zeit 
in Behandlung habe und den ich mit Absicht bis heute einen Por¬ 
tativapparat noch nicht habe benutzen lassen. Sie sehen, dass die 
Skoliose die bekannte S-Form darbietet, von der die obere rechts¬ 
convexe Curve äUsserst stark, die untere linksconvexe nur sehr 
wenig ausgebildet ist. Für diese Form der Skoliose mit dem hohlen 
Rücken kann die Retroflexion, die bei anderen Formen das Wich¬ 
tigste ist, so gut wie nichts leisten. Auch die Rippenhebelung, die 
ich jetzt durch kräftigsten Druck auf die hervorstehenden Rippen 
mit Gegendruck von vorn in diagonaler Richtung auszuführen ver¬ 
suche, ergiebt keine nennenswerthe corrigirende Stellungsänderung. 
Ganz anders wird die Sache sich gestalten, wenn ich die Extension 
zu Hülfe nehme, welche für diese Form von Skoliose das mächtigste 
Correctionsmittel ist. 

Ich stelle zunächst fest, dass die Körperlänge des Knaben in 
aufrechter Stellung 110 cm beträgt. Ich bringe ihn nun in die 
Glisson’sche Schwebe, in der derselbe sich selbst soweit empor¬ 
zieht, dass die Füsse den Boden verlassen. Sie sehen, wie ausser¬ 
ordentlich mächtig diese verticale Suspension wirkt; trotzdem immer 
noch ein ziemlicher Rückenbuckel zurückbleibt, ist die gegebene 
Stellungsänderung eine sehr energische und gute; kein anderes 
Mittel würde in diesem Falle Gleiches leisten. Durch Messung stelle 
ich wieder fest, dass die Körperlänge des Knaben in der Kopf¬ 
schwebe 118 cm beträgt; seine Wirbelsäule ist also um volle 8 cm 
verlängert worden, und diese Verlängerung können wir ohne wesent¬ 
lichen Fehler als Maass für das geschehene Redressement betrachten. 
Auch jetzt kann ich durch Rippenhebelung die Stellung nicht 
wesentlich verbessern. 

Lasse ich nun den Knaben, nachdem ich ihn aus der Kopf¬ 
schwebe genommen, an der Strickleiter an den Händen sich in die 
Schwebe bringen, so sehen Sie, dass auch jetzt eine recht gute 
corrigirende Stellungsänderung eintritt, die aber bei weitem nicht 
so gut ist wie die in der Kopfschwebe gezeigte. Eine mit Vortheil 
zu verwendende Uebung an der Strickleiter oder einer ähnlichen Vor¬ 
richtung entsteht, wie Sie sehen, dadurch, dass man den Patienten 
mit der linken Hand eine Sprosse in Scheitelhöhe ergreifen lässt, 
mit der rechten Hand eine tiefere Sprosse in Schulterhöhe unter 
gleichzeitiger Beugung und starker Auswärtsrückwärtsführung des 
rechten Ellbogens, während die zurückgestellten Fussspitzen auf dem 
Boden bleiben, und der ganze Körper (mit gestreckten Knieen) in 
einen grossen nach vorn convexen Bogen niedergelassen wird. Man 
hat dann eine Verbindung von Retroflexion, Extension und Rippen¬ 
hebelung; letztere wird durch die stark contrahirte Muskulatur, 
welche von der rechten Schulter zum Stamme geht, bewerkstelligt 
und kann in dieser Stellung durch die Hände des Arztes leicht ver¬ 
vollständigt werden. 

Ich lege jetzt den Knaben auf die schiefe Ebene und bringe 
ihn durch die Kinn-Nacken-Bandage wieder in eine Suspensions¬ 
stellung. Das Fussbrett der schiefen Ebene stelle ich so, dass der 


Patient es mit den Füssen nicht erreicht. (Den meisten Patienten 
muss man bei längerem Liegen doch gestatten, das Fussbrett so zu 
stellen, dass es mit den Fussspitzen berührt werden kann). Stelle 
ich nun fest, dass die Körperlänge des Knaben in dieser Lage 
115 cm beträgt, so sehen Sie, dass die Suspension auf der schiefen 
Ebene zwar nicht so mächtig wirkt als die verticale, dass sie aber 
immerhin von sehr energischer Wirkung ist. Sie hat vor der ver- 
ticalen Suspension den Vorzug, dass sie recht wohl 1 bis 2 Stunden 
hintereinander unterhalten werden kann. Lässt man den Apparat 
Morgens 2 Stunden und Nachmittags 2 Stunden benutzen, wobei 
die Kinder sich mit Lesen und dgl. beschäftigen können — zu 
welchem Zwecke ich mit der schiefeu Ebene ein umlegbares Lese- 
pültchen verbinde — so ist für die Fixation der gegebenen Stellungs¬ 
änderung schon sehr viel geschehen. 

Mit der schiefen Ebene habe ich hier gleichzeitig eine Zug¬ 
bandage verbunden, die von links oben schräg nach rechts unten 
laufend die rechte Thoraxseite umgreift und an starker, gekrümmter 
Feder befestigt wird. Die Feder trägt eine Pelotte, welche sich 
links vorn auf die vorstehenden Rippen auflegt und einen Gegen¬ 
druck ausübt, ohne welchen die Bandage den Oberkörper einfach 
verschieben würde. Ich habe diese Einrichtung (in etwas anderer 
Anordnung) in dem Beely’sehen Centralblatt für orthopädische 
Chirurgie 1885 No. 10 beschrieben und habe sie früher ohne Ex¬ 
tension auch für die Nacht angewendet. Neuerdings bin ich von 
der Benutzung während der Nacht fast ganz zurückgekommen, weil 
trotz der besten Fixation im Schlafe doch Verschiebungen des Kör¬ 
pers Vorkommen, und weil es doch meistens gerechtfertigt ist, die 
Patienten während des Schlafes ohne solche Zwangsjacke zu lassen. 
Ich verwende deshalb den Apparat jetzt hauptsächlich tagsüber 
stundenweise in Verbindung mit der Suspension auf der schiefen 
Ebene. Sie sehen, dass durch diese Vorrichtung eine Stellungs¬ 
änderung geschaffen wird, an der wieder Extensiou, Retroflexion 
und Rippenhebelung betheiligt sind. 

Nunmehr nehme ich den Patienten von der schiefen Ebene weg 
und lege ihm einen portativen Apparat an, der mir die durch die 
mächtigeren Mittel gegebene corrigirende Stellungsänderung in der 
aufrechten Stellung einigermaassen fixireu soll. Der Apparat besteht 
aus einem Beckengurt mit Hüftbügeln, die den Beckengurt, die 
Basis der wirken sollenden Kräfte in seiner Stellung sichern sollen, 
in einer Rückenstange mit „Trägern“, welche die Last des Schulter¬ 
gürtels zum Theil auf sich laden und sie unter entsprechender Ent¬ 
lastung der Wirbelsäule direkt auf das Becken übertragen, endlich 
aus einer vom oberen Theile der Rückeustauge ausgehenden breiten 
Gummibandage, welche die hervorstehendeu Rippen rechts umgreift, 
spiralig vorn herum nach links läuft und hinten auf dem Becken¬ 
gurt wieder befestigt wird. Der Apparat ist also ein modificirter 
Hossard’scher Gürtel. Weit entfeint, ihn für alle Fälle geeignet 
zu finden oder ihn für das Ideal eines Portativapparates zu halten, 
ziehe ich ihn doch den meisten anderen Apparaten mit festen 
Pelotten vor, da die festen Pelotten alle auftragen, nur für eine 
einzige Stellung der Rippen passen, und der Bandagenzug sich mir 
wirksamer erwiesen hat. 

Der Patient ist jetzt, mit dem Portativapparat ausgerüstet, der, 
wie Sie sehen, gar nicht aufträgt, 113 cm lang, er besitzt also noch 
3 cm über seine ursprüngliche Körperlänge. Mehr würde, wie ich 
glaube, kein Portativapparat conserviren, es sei denn, dass er mit 
einem „jury mast“ ausgerüstet wäre, welchen man selbstverständlich 
auch an einem Apparate dieser Art leicht anbringen kann. Ich 
weiss aus Erfahrung, dass von den 113 cm augenblicklicher Körper¬ 
länge im Laufe mehrerer Stunden oder gar eines ganzen Tages etwa 
1 cm wieder verloren gehen wird, wie es auch iu dem besten Ver¬ 
bände zu geschehen pflegt, aber der Apparat sichert doch tagsüber 
eine erheblich corrigirte Stellung mit Sicherheit. Würde ich den 
Knaben, wie ich es in den ersten Behandlungswochen mit Absicht 
that, nach geschehener Extensionsbehandlung ohne Portativpparat 
herumlaufen lassen, so würde er sich mir jeden Tag ebenso krumm 
und klein zeigen, wie er es früher that, da er inzwischen reichlich 
Gelegenheit gefunden hätte, sich wieder zusammenzukrümmen und 
das Resultat der Extension gänzlich zu nichte zu machen. Dies 
ist mit dem Apparate, der das Zusammenkrümmen verhindert, un¬ 
möglich. 

Sie sehen also, m. H., wie sich im Grossen und Ganzen meine 
Behandlung der Skoliosen gestalten wird. Kann ich es durchführen, 
was leider durchaus nicht immer der Fall ist, so ist mein Programm 
in den schwierigeren Fällen folgendes: jeden Vormittag und jeden 
Nachmittag zunächst eine halbe Stunde gymnastische Uebungen ein¬ 
schliesslich der verticalen Suspension, wo sie nöthig erscheint; die 
Uebungen bezwecken möglichst energische Stellungsänderungen im 
corrigirenden Sinne (thunlichst übercorrigirend) und Muskelkräf¬ 
tigung. Bei den leichteren Skoliosen mit Anteflexionsstellung der 
Wirbelsäule treten Retroflexionsübungen, bei den schwierigeren Skolio¬ 
sen mit hohlem Rücken die extendirenden Hangübungen in den 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


Vordergrund; vielfach muss die Hand des Arztes oder Gehülfen 
durch Rippenhebelung nachhelfen. Nach den Uebungen folgt 1- bis 

2 ständiges Liegen auf der schiefen Ebene mit Kopfextension und 
eventuell seitlichem Bandagenzuge. Gleich nach dem Aufsteheu von 
der schiefen Ebene wird der Portativapparat angelegt und während 
der übungs- und liegefreien Zeit getragen. 

Je leichter die Skoliosen sind, desto mehr kann man an obigem 
grossen Programm Abstriche machen. Auch das grosse Programm 
ist meistens nur für die ersten 1 bis 3 Monate durchzuführen nöthig, 
später genügt das halbe Programm, so dass die Vormittagsbehandlung 
wegfällt, um wieder wenigstens den Vormittag für den Schulunter¬ 
richt frei zu machen. Ungünstig ist der Schulbesuch, wie über¬ 
haupt vieles Sitzen, für die Skoliosen in jedem Falle; man kann 
aber den Nachtheil durch einen guten Portativapparat auf ein ge¬ 
ringes Maass zurückführen und ihn durch die sonstige Behandlung 
mit Gymnastik und Liegen ausgleichen. 

Da die wenigsten Skoliotischen sich ganz in eine orthopädische 
Anstalt begeben können, so richte ich die Behandlung so ein, dass 
sie nach 1 bis 3 Monaten völlig correct zu Hause fortgesetzt werden 
kann; es sind dann nur Revisionen in Zwischenräumen von 1 bis 

3 Monaten wünschenswerth. Was von Gymnastik nöthig ist, lässt 
sich recht wohl an den in jedem Zimmer aufhängbaren bekannten 
Schweberingen nach kurzer Anleitung ausführen, und recht oft stellt 
das einfache, stets gern gemachte Schwingen an den Schweberingen 
die völlig ausreichende Universalübung dar. Eine schiefe Ebene, 
die in leichteren Fällen nicht einmal nöthig ist, ist leicht mit dem 
Zubehör zur Kopfextension zu beschaffen, und der Portativapparat 
kann meistens ohne fremde Hülfe richtig angelegt werden. 

Ohne irgend einen portativen Apparat, sei es ein Schienen- 
coreett oder sonstiger Stützapparat, komme ich nur sehr selten aus. 
Niemals vernachlässige ich die Ausbildung der Muskulatur, aber 
stets bin ich weiter gekommen, wenn ich nicht allzuviel Vertrauen, 
namentlich aber kein solches Vertrauen in die Muskulatur setzte, 
welches zu erfüllen ausserhalb ihrer physiologischen Möglichkeit 
liegt Wenn ich gefragt werde, wie lange der Portativapparat 
getragen werden soll, so pflege ich zu sagen: „so lange, als Sie mit 
dem Apparat gerader aussehen, als ohne denselben“. 

Die behauptete Schwächung der Muskulatur durch die Stütz¬ 
apparate lässt sich durch die täglichen gymnastischen Uebungen 
von nur halbstündiger Dauer nach meinen Erfahrungen völlig ab¬ 
wenden. 

Im Uebrigen muss man jeden Fall daraufhin ansehen, was man 
überhaupt erreichen kann, und ob das zu Erreichende im Verhält- 
niss zu den aufgewandten Mitteln steht. 


VIL Ueber die Femwirkung von 
Medicamenten. 

Nachtrag zum ersten Artikel meines Essay „Ueber modernen 
Hypnotismus.“ *) 

Von Professor Seeligmüller in Halle a. S. 

Vielleicht ist manchem Leser dieser Zeitschrift meine Kritik 
-über die in Frankreich vornehmlich von Bourru und Burot in 
Rochefort und Luys in Paris verherrlichten Distanzwirkungen von 
Medicamenten zu voreilig, zu hart und zu absprechend vorgekomraen. 
Ich war mir wohl bewusst, was ich zu verantworten hatte, wenn 
ich von einem Manne wie Luys behauptete, er sei das Opfer einer 
schlimmen Täuschung geworden. 

Ich hatte aber das Bewusstsein, sowohl das Buch von Bourru 
und Burot, wie das von Luys auf das Sorgfältigste studirt zu 
haben, bevor ich mich zu einem so abfälligen Urtheil bestimmen 
liess. Zu demselben Urtheil würden sicher auch andere deutsche 
Kritiker der genannten Bücher gekommen sein, wenn sie sich wie 
ich der wenig angenehmen Mühe unterzogen hätten, die darin be¬ 
haupteten Diuge etwas genauer anzusehen. Ich selbst hielt es aber, 
sobald ich meiner Sache gewiss war, für eine Ehrenpflicht, im Namen 
der deutschen Aerzte, diesem Hokuspokus unserer französischen Herren 
Collegen gegenüber entschiedene Stellung zu nehmen. Damit die 
Herren jenseits der Vogesen von meiner Kritik erfuhren, sandte ich 
einen Sonderabdruck derselben an Herrn Bourru, einen anderen an 
Herrn Luys und einen dritten an Herrn Berillon als Redacteur 
der Revue de l’hypnotisme. Herr Bourru hat mir darauf eine Vi¬ 
sitenkarte im offenen Couvert gesandt — das ist die einzige Ant¬ 
wort, die ich überhaupt erhalten. 

Natürlich erwartete ich eine solche in der besagten Revue; aber 
selbst in der mir jetzt vorliegenden Apriluummer derselben wird 
nicht einmal unter den „Ouvrages tcqus ä la revue“ meiner Kritik 
Erwähnung gethan. Wie ist das zu erklären? 


‘) Siehe No. 1 und 2 dieses Jahrgangs der Deutsch, med. Wchschr. 


Ich glaube die richtige Antwort zu geben, wenn ich sage, dass 
in Frankreich eine unangenehme Ernüchterung nach den leiden¬ 
schaftlichen Ausbrüchen über die grosse neue Entdeckung bei den 
verständigeren Herren Collegen und schliesslich auch bei den Herren 
Entdeckern Platz gegriffen hat, und dass diese sich jetzt schämen, 
tant de bruit pour une Omelette gemacht zu haben. Auf die Rich¬ 
tigkeit dieser Vermuthung wies schon das absolute Stillschweigen 
hin, welches in den letzten Nummern jener Revue über die ganze 
Sache beobachtet wurde. 

Nunmehr ist aber in der Aprilnummer der besagten Revue das 
Commissionsgutachten der Academie de Medecine über die Luys’scheu 
„Phenomenes emotifs chez les sujets en etat d’hypnotisme“ abge¬ 
druckt, welches mit folgender Conclusion schliesst: 

„Die Commission, welche in der Sitzung vom 30. August 1887 
durch die Academie de Medecine ernannt war, um die von Herrn 
Luys behaupteten Thatsachen in Betreff der Fernwirkung von Me¬ 
dicamenten auf hypnotisirbare Subjecte zu prüfen, giebt ihr Gut¬ 
achten dahin ab, 

dass keine von den durch die Commission constatirten 
Wirkungen in Beziehung steht zu der Natur der Sub¬ 
stanzen, die bei den Versuchen angewendet wurden, 
und dass dieselben folglich weder für die Therapie noch 
für die gerichtliche Medicin Werth haben.“ 

„Vielmehr schienen diese sogenannten Distanzwirkungen, wie 
Herr Dujardin-Beaumetz, der Vorsitzende jener Commission, sich 
kurz vorher auslässt, mehr von den Capricen der Phantasie und 
Erinnerung der Versuchsperson abzuhängen, als von den in den 
Glasröhren eingeschlossenen Substanzen.“ 

Dieses Gutachten, ebenso wie die nähere Begründung desselben, 
welche 1. c. zu finden ist, deckt sich also vollständig mit meiner 
Kritik. 

Vielleicht ist es nunmehr auch Herrn Sperling 1 ) möglich, „ein 
definitives zustimmendes oder abfälliges Urtheil über diese „Neuheit“ 
zu fällen“, und er hat nicht mehr nöthig abzuwarten, bis auf sein 
Anrufen „Altmeister Charcot sich zu einem Wort in dieser Sache 
herbeilässt.“ 


VIII. Referate und Kritiken. 

J. Gottstein. Die Krankheiten des Kehlkopfes. Mit Einschluss 
der Laryngoskopie und der local - therapeutischen Technik für 
praktische Aerzte und Studirende. Mit 39 Abbildungen. Zweite 
verbesserte und sehr vermehrte Auflage. 336 S. Wien und Leip¬ 
zig, Franz Deuticke, 1888. Ref. Rosenbach (Breslau). 

Die günstige Prognose, die dem Buche Gottstein’s bei seinem 
ersten Erscheinen von der gesammten Kritik gestellt wurde, hat 
sich in vollem Maasse bewahrheitet; denn dem Werke ist die Ehre 
einer Uebersetzung in’s Englische, Französische und Russische zu 
Theil geworden, und es hat bei Aerzten und Studirenden solchen An¬ 
klang gefunden, dass bereits nach wenigen Jahren eine neue Auf¬ 
lage nöthig erschien. Ein Werk, welches sich so bewährt hat, bedarf 
keiner weiteren Empfehlung mehr; es muss seinen Weg machen, 
wenn es nur die Fortschritte der Wissenschaft, die in der Zwischen¬ 
zeit erfolgt sind, berücksichtigt. Dass es dem Verf. aber nicht bloss 
darum zu thun war, diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen, 
sondern dass er darüber hinaus bestrebt war, etwas möglichst Voll¬ 
kommenes zu geben und auch die Berührungspunkte seines Special¬ 
gebietes mit dem Gesammtgebiet der Medicin in einiger Ausführlich¬ 
keit in den Kreis seiner Darlegungen zu ziehen, beweisen die zahl¬ 
reichen Veränderungen, die das Buch theils in Folge der durch die 
Kritik gegebenen Anregungen, theils aus eigenster Initiative des 
Verfassers erfahren hat. Diese Veränderungen, durch welche der 
Umfang des Werkes um mehr als 90 Seiten gewachsen ist, bestehen 
nicht bloss in Ergänzungen und kürzeren Einschaltungen, sondern 
es sind viele Capitel völlig umgearbeitet und zwei sehr wichtige 
Abschnitte, die bisher in den Werken über Laryngopathologie nur 
wenig berücksichtigt wurden, neu eingereiht worden. Namentlich 
durch die zusammenfassende, systematische Darstellung der mit ce¬ 
rebralen und spinalen Affectionen im Zusammenhänge stehenden Kehl¬ 
kopfleiden hat sich Verfasser ein wirkliches Verdienst erworben; 
denn er hat mit grossem Fleisse das an vielen Orten zerstreute ca- 
suistische Material fast vollständig zusammengetragen und, so weit 
es gewisse controverse Punkte zulassen, übersichtlich geordnet. 
Wenn er bei der Darstellung der bisherigen Ergebnisse unserer 
Auffassung nach sich allzusehr auf den bloss referirenden Stand¬ 
punkt gestellt hat und eine kritische Sichtung des Materials und 
bestimmte Stellung gegenüber den zahlreichen hier bestehenden 
Hypothesen vermissen lässt, so werden Andere ihm diese Objectivi- 
tät einem so spröden Material gegenüber vielleicht gerade als Ver¬ 
dienst anrechnen, wie es denn überhaupt fraglich erscheint, ob für 

*) Siehe dessen Besprechung des Buches von Bourru und Burot 
und des von Luys im Neurologischen Centralblatt 1888 No. 7 p. 206. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


343 


26. April. 

ein Lehrbuch die dogmatische oder referirende Tendenz nütz¬ 
licher ist. — Ein besonderes Verdienst des Gottstein’schen Buches 
scheint uns, wie wir noch hervorheben wollen, in der Darstellung 
der Therapie zu liegen; der Verf. giebt kurze, zweckmässige Vor¬ 
schriften fiir die Behandlung und hält sich gleich weit entfernt von 
local-therapeutischen Illusionen wie von Polypragmasie und Nihilis¬ 
mus. So wird sich das Werk auch in der neuen Gestalt die alten 
Freunde erhalten und neue erwerben, umsomehr, als die Abbil¬ 
dungen wohl gewählt und anschaulich und die Ausstattung von 
Seiten des Verlegers eine recht gute ist. 

Schliesslich möchten wir noch bemerken, dass die letzten Ca- 
pitel des Gottstein’schen Lehrbuches, die von den Kehlkopf- 
affectionen bei organischen Erkrankungen des Centralnervensystems 
handeln, auch als Separatabdruck erschienen sind. 


Carl Günther (Berlin.) Photogramme der pathogenen Mikro¬ 
organismen. Berlin, G. König, NW. Dorotheenstr. 29. Ref. S. G. 

Eine für den Praktiker äusserst willkommene Gabe bietet uns 
Dr. Carl Günther, der auf dem Gebiete der Bacteriologie den 
deutschen Aerzten nicht unbekannt geblieben ist, mit der Herausgabe 
von 20 photographischen Tafeln, welche die folgenden mikro¬ 
skopischen Präparate von pathogenen Mikroorganismen zur Dar¬ 
stellung bringen: Milzbrandbacillen, Milzbrandbacillen mit Sporen, 
Tuberculosebacillen (Schnitt), Tuberculosebacillen (Phthis. Sputum), 
Leprabacillen , Typhusbacillen , Diphtheriebacillen , Rotzbacillen, 
Bacillen des malignen Oedems, Mäusesepticämiebacillen (Schnitt), 
Hühnercholerabacillen (Schnitt), Kommabacillen der Cholera asiatica 
(Reincultur), Erysipelstreptococcen (Schnitt), Streptococcen in Eiter, 
Pyämiemicrococcen (Schnitt), Staphylococcus pyogenes aureus (Rein¬ 
cultur), Pneumoniemikrococcen (Schnitt), Gonorrhöecoccen (Eiter), 
Tetragenuscoccen (Schnitt), Actinomyces bovis s. hominis (Strahlen¬ 
pilz) Schnitt. 

Ein Blick auf diese ganz originelle Arbeit wird Jedermann von 
ihrer exacten Durchführung überzeugen. Die sämmtlichen Photo¬ 
gramme sind bei einer 500fachen Vergrösserung aufgenommen und 
bieten so die Gelegenheit zu einem Vergleich ihrer Grössenverhält- 
nisse und damit die nicht zu unterschätzenden Anhaltspunkte, nicht 
allein für das Erkennen der für die Aetiologie so vieler Krankheiten 
so wichtig gewordenen Mikroorganismen, sondern gleichzeitig auch 
für die Fixirung der Diagnose und der daraus erwachsenden Maass¬ 
nahmen für das ärztliche Vorgehen. Diese von Günther selbst 
angefertigten und aus einer grossen Zahl für den speciellen Zweck, 
dem Praktiker einen klaren Einblick zu verschaffen, ausgewählten 
Photogramme dürften wohl das Beste und Correcteste sein, was bis¬ 
her auf dem Gebiete der Bacterienphotographie erreicht ist. Sie 
machen sich ferner auch durch ihren minimalen Preis (15 Mark) 
bequem zugänglich, und wir dürfen erwarten, dass dieselben die wohl¬ 
verdiente weiteste Verbreitung unter den Praktikern erhalten werden. 


Biographisches Lexicon der hervorragenden Aerate aller 
Zeiten und Völker. Herausgegeben von Gurlt und Hirsch. 
Wien und Leipzig, Urban und Schwarzenberg, 1888. 

Dies umfassende, grossartige Werk ist bis zu seinem Ende ge¬ 
diehen und wird nunmehr durch Nachträge, welche bis zu dem 
Buchstaben D gelangt sind, ergänzt. Wir dürfen uns jeder weiteren 
Empfehlung des gemeinnützigen Werkes um so mehr enthalten, als wir 
dies in dieser Wochenschrift bereits zu wiederholten Malen zu thun 
Gelegenheit hatten. Nur glauben wir noch hervorheben zu dürfen, 
dass mit diesem biographischen Lexicon nicht allein ein Nach¬ 
schlagewerk gewonnen ist, sondern vielmehr auch ein Hausbuch für 
die Äerzte, dessen Lecture die mannichfachste Anregung und Be¬ 
lehrung bietet. 


Realencyklopädie der gesammten Heilkunde. Herausgegeben 
von A. Eulenburg. Wien und Leipzig, Urban u. Schwarzen¬ 
berg, 1888. 

Von der bereits mehrfach von uns in empfehlender Weise er¬ 
wähnten Realencyklopädie der gesammten Heilkunde ist 
soeben der XIII. Band erschienen. Er theilt die von uns hervor¬ 
gehobenen Vorzüge der früheren Bände und umfasst die Artikel 
Melissa bis Narcein. Ausser zahlreichen kleinen Artikeln sind hervor¬ 
zuheben : 

Melliturie (Loebisch, Innsbruck); Meniere’sche Krankheit 
(Lucae, Berlin); Menstrualausschläge (Behrend, Berlin); Men¬ 
struation (Greulich, Berlin); Metalloskopie und Metallotherapie 
(Rosenthal, Wien); Metastase (Samuel, Königsberg); Meta¬ 
statische Augengeschwülste (Hirschberg, Berlin); Migräne (Seelig- 
müller, Halle); Mikrocephalie (Scheuthauer, Budapest); Mikro- 
gyrie (Chiari, Prag); Milchsäuren (I. Munk, Berlin); Miliaria 
(Schwimmer, Budapest); Militärgesundheitsdienst (Frölich Leip¬ 
zig); Milz (Krankheiten) (Ewald, Berlin); Milzbrand (Zuelzer, 
Berlin); Mineralwässer (Kisch, Prag); Missbildungen (Marchand, 


Marburg); Mittelohraffectionen (B. Baginsky, Berlin); Molen¬ 
schwangerschaft (Kleinwächter, Czernowitz); Molluscum (G. Le¬ 
win, Berlin); Moral insanity (Mendel, Berlin); Morbiditäts- und 
Mortalitätsstatistik (Oldendorff, Berlin); Moschus (Hnsemann, 
Göttingen); Muskel (histologisch) (Rollett, Graz); Muskel (physio¬ 
logisch) (Rollett, Graz); Muskel (Krankheiten) (Löbker, Greifs¬ 
wald); Muskelatrophie, progressive (Pick, Prag); Muskelrheumatis¬ 
mus (Riess, Berlin); Myographie (Landois,. Greifswald); Myom 
(Birch-Hirschfeld, Leipzig); Nabelbruch (Englisch, Wien); 
Nagelkrankheiten (Schirmer, Budapest); Naht (Wolzendorff, 
Wiesbaden.) _ 


IX. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 18. April 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

1. Herr S. Rosenberg legt GaUonconcremento vor, die, 629 an 
der Zahl, von einer Patientin entleert wurden, welche er nach der neuer¬ 
dings von Amerika aus empfohlenen Methode der Darreichung von Oliven¬ 
öl in grossen Quantitäten behandelt hat. Es wurden Dosen von 100 bis 
180 g gegeben. Die Gallenblase, welche bei Beginn der Cur die Grösse 
einer kleinen Faust hatte, ist so zurück gegangen, dass sie kaum mehr zu 
palpiren ist, und die bis dahin sehr hochgradigen Beschwerden der Kranken 
sind erheblich geringer geworden. 

2. Herr Sonnenburg demonstrirt das Präparat eines Falles von 
Osteosarcom des Femur, welches sich wahrscheinlich im Knochen selbst 
entwickelt hat, allmählich perforirt und nach aussen gewuchert ist. Der 
betr. Patient hatte schon im Laufe des Winters Schmerzen im Beine, vor 
8 Wochen wurden dieselben so heftig, dass er nicht mehr auftreten konnte, 
vor 6 Wochen zeigte sich eine kleine circumscripte Geschwulst in der 
Mitte des Femur. Diese wuchs bis vor Kurzem zu Kleinapfelgrösse. Es 
bestand kaum ein Zweifel, dass es sich um eine Neubildung handle, Vortr. 
wollte sich jedoch durch eine Incision erst von der Bösartigkeit derselben 
überzeugen, ehe er zur Amputation bezw. Exarticulation schritt. Bei dem 
Versuch, das Bein zu heben, fracturirte der Femur in mehrere Stücke. Am 
Tage des Vortrages wurde das Bein im Hüftgelenk exarticulirt, und es 
zeigte sich, dass es sich um ein central vom Knochen ausgehendes Sarcom 
handelte. 

3. Herr L. Casper: Zur Therapie der Prostatahypertrophie und 
Prostatatumoren. Der Vortr. hat, ausgehend von den günstigen Erfahrun¬ 
gen, welche man in den letzten Jahren mit Bezug auf die Verkleinerung 
und Beseitigung von Tumoren vermittelst der Elektrolyse gemacht hat, 
den Versuch unternommen, dies Verfahren für die Therapie der Prostata- 
hypertrophie nutzbar zu machen. In den früheren Fällen lagen die zu zer¬ 
störenden Gewebe nach der Oberfläche hin, so dass das zerstörte Gewebe 
freien Abfluss nach aussen hatte, es kam daher zunächst darauf an, festzu¬ 
stellen, ob bei der Prostata, wo diese Verhältnisse anders liegen, daraus 
nicht etwa Hindernisse oder gar die Gefahr einer Embolie erwachsen. Vortr. 
begann daher mit Thierversuchen, die ihm den Beweis erbrachten, dass 
nicht allein Gewebe, die nicht an der Oberfläche liegen, durch Elektrolyse 
zum Schwinden gebracht werden können, sondern dass aus dem Verfahren 
keinerlei Schädigung für das Allgemeinbefinden der Thiere erwächst. Erst 
dann versuchte er das Verfahren am Menschen. Der Patient wird dabei auf 
die Seite gelegt und mit 100 g einer 0,l%igen Sublimatlösung der Mast¬ 
darm ausgespült. Die mit dem positiven Pol einer mehr- (12-) zelligen Batterie 
verbundene 400 qcm grosse Plattenelektrode wird über der Blasengegend 
befestigt, dann führt der Operateur den linken Zeigefinger in den Anus, 
glättet etwaige Schleimhautfalten und fixirt mit demselben den Punkt der 
Prostata, in welchen eingestochen werden soll; dann wird die Nadel ein¬ 
geführt und durch das Rectum in die Prostata eingestochen. Hierauf ver¬ 
bindet man die Nadel mit dem negativen Pol der Batterie und schickt den 
Strom hindurch, lässt denselben innerhalb 5 Minuten von 2 bis 10 oder 12 
Elementen steigen, um dann die Nadel etwas zurückzuziehen und sie durch 
dieselbe Stichöffnung aber in veränderter Richtung von Neuem vorzuschieben 
und sie abermals 5 Minuten einwirken zu lassen. Dies widerholt man noch 
einmal, so dass man in einer Sitzung, die 15 Minuten dauert, 3 Stellen der 
Wirkung der Elektrolyse aussetzt, während das Rectum nur einmal durch¬ 
stochen wird. Vortr. wandte Stromstärken von 10—25 M.-A. an. Das Ein¬ 
stechen der Nadel machte nur geringe Schmerzen, das Durchschicken des 
Stromes nur dann, wenn Stromstärken von mehr als 15 M.-A. angewandt 
wurden. Die Nadel ist bis auf die Spitze, welche in die Prostata eingestochen 
wird, mit einem Firnissüberzug versehen, damit nicht auch das Rectum an 
der Ein stichstelle zerstört wird. 

Der Vortr. ist nun in der Lage, vier Patienten vorzustellen, die mit 
dem geschilderten Verfahren behandelt wurden. Zwei derselben sind er¬ 
heblich, einer nur wenig gebessert, während der vierte Fall als unbeeinflusst 
von dem Verfahren angesehen werden muss. In einem Falle ging unglück¬ 
licherweise der Firnissüberzug von der Nadel ab, so dass das Rectum zer¬ 
stört wurde und sich damit eine Fistel bildete. In den gebesserten Fällen 
lässt sich objectiv eine Verkleinerung der Prostata nach weisen, und der 
Urinrückstand hat sich erheblich vermindert. Dementsprechend hat die Zahl 
der Harnentleerungen abgenommen, so dass sich die Patienten wieder der 
Nachtruhe erfreuen und über weniger Beschwerden zu klagen haben. 

Als ungeeignet für das Verfahren dürften sich einmal diejenigen 
Fälle ergeben, wo die Prostata ausserordentlich gross ist, so dass die Harn- 
blasenwand sehr stark infiltrirt ist und sich nicht gut contrahiren kann; 
ferner die Fälle, in denen eine ausserordentlich grosse Ausdehnung der 
Blase stattgefunden hat, dann die Fälle, welche hiervon das Gegentheil dar- 
stelleu, bei denen eine coucentrische Hypertrophie besteht, und endlich die 


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344 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


Fälle, wo der hypertrophische Theil der mittlere Lappen ist, der vom Mast¬ 
darm aus nicht erreicht werden kann. 

Herr Fürstenheim glaubt, dass man in Fällen, von Prostatahyper¬ 
trophie, die Jahre lang bestanden und zu vollkommener Retentio urinae 
geführt hat, durch Verkleinerung der Prostata die Urinretention kaum mehr 
zu beheben im Stande ist, weil der Grund derselben nicht mehr in der 
Vergrösserung der Prostata, sondern in einer functioneilen Störung der 
Blasenmuskulatur gelegen ist. Ferner meint Herr Fürstenheim, dass es 
an einer sicheren Methode fehlt, die wirklich erfolgte Verkleinerung der 
Prostata zu controlliren. Aus der Häufigkeit, mit welcher das Bedürfniss 
zu uriniren eintritt, könne man keine sicheren Schlüsse ziehen. Endlich 
berge das Verfahren selbst mannichfache Gefahren in sich, und Vorsicht bei 
Ausführung desselben sei dringend geboten. 

Herr v. Bergmann will eine Beurtheilung des Erfolges des Verfahrens 
nur aus der Verminderung des Urinrückstandes nicht gelten lassen. Eine 
solche ist stets die Folge, wenn ein Patient mit Prostatahypertrophie in 
einer Klinik behandelt, täglich mehrmals katheterisirt und mit regelmässigen 
Ausspülungen behandelt wird, und man kann daher ein solches Moment 
nicht als alleinige Folge der Operation auffassen. 

Herr Casper hält es allerdings für schwierig, die thatsächlich erfolgte 
Verkleinerung der Prostata sicher zu controlliren, aber nach den feststehen¬ 
den Ergebnissen der Wirkung der Elektrolyse auf Geschwülste dürfte wohl 
überhaupt an der Thatsache nicht mehr gezweifelt werden können, dass es 
möglich ist, die Prostata auf diesem Wege zur Schrumpfung zu bringen. 
Die eigentlichen Schwierigkeiten ergeben sich nicht hieraus, sondern aus 
der Bekämpfung der Veränderungen der Blasenmuskulatur in Folge der Hy¬ 
pertrophie, die, wie Herr Fürstenheim mit Recht betont hat, oft auch mit 
der Verkleinerung der Prostata nicht gehoben werden. Dagegen lassen sich 
die von Herrn Fürstenheim gefürchteten Gefahren der Methode bei einiger 
Uebung und Vorsicht leicht vermeiden. Was den Urinrückstand als Maass¬ 
stab für den Erfolg der Operation anlangt, so kann man denselben nach 
der Ansicht des Vortr., unter genügender Berücksichtigung aller'begleitenden 
Umstände und bei genügender ßeobachtungsdauer, immerhin in diesem 
Sinne recht gut verwerthen. 


X. Siebenter Congress für innere Medicin, 
Wiesbaden, 1888. 

A. Die Referate in den Vormittagssitznngen. 

2. Sitzung am Dienstag, den 10. April. 

Der Weingeist als Heilmittel. 

Referent Herr Binz (Bonn). Der Referent resumirt zunächst die älteren 
Anschauungen über den Heilwerth des Alkohols. Zur Beurtheilung des 
letzteren fragt es sich zuerst: Besteht die Auffassung des Alkohols als eines 
Erregungsmittels zu Recht? Claude Bernard brachte Hunden den 
Weingeist concentrirt in den Magen und gewahrte in Folge dessen eine 
starke Abnahme des Magen- und Pancreassaftes. Als er den Weingeist aber 
mit viel Wasser verdünnte, nahmen dagegen diese Secretionen zu. Parkes 
und Wollowicz fanden, dass der Weingeist stärkere und raschere Zu¬ 
sammenziehung des linken Ventrikels bewirkte; dieser arbeitete also mehr 
in einer gegebenen Zeit und hatte kürzere Ruhepausen. Das Blut bewegte 
sich freier als gewöhnlich durch die Capillaren. Die Versuche von Alber- 
toni und Lussana und von Fraser stimmen hiermit überein. Bei kleiner 
Dosis wurde der arterielle Druck erhöht, im anderen Falle erniedrigt. Eigene 
Versuche am Hunde ergaben dem Referenten, dass Einführung von 5 ccm 
absolutem Weingeist mit 8 ccm Wasser in den leeren Magen den Puls an 
der Cruralis für einige Zeit hob und voller machte. Was die Athmung 
anlangt, so hat Zuntz gezeigt, dass kleine Gaben Weingeist die Athem- 
grösse beim gesunden Menschen vergrössert; ebenso sah Geppert nach 
kleineren Gaben Alkohol Zunahme der Athemgrösse um durchschnittlich 7%. 

Zweitens kommt in Betracht die Frage nach dem Nährwerth des 
Alkohols, wobei es sich natürlich nur um den respiratorischen, nicht um 
den aufbauenden Nährwerth handelt. Bodländer fand, dass von mässigen 
Gaben Weingeist am meisten ausgeschieden wird durch Nieren und Lungen, 
eine viel geringere Menge durch die Haut und nichts durch den Darm. Im 
Ganzen erschienen wieder gegen 3o/ 0 . Der Weingeist kann nun nicht anders, 
als zu Kohlensäure und Wasser im Organismus verbrennen. Wird er aber 
verbrannt, so bildet er Wärme, und diese wird als lebendige Kraft nutzbar 
werden für das Aufrechterhalten der Bewegungen, ohne deren Ausdauer das 
Leben nicht bestehen kann. Dies wird gestützt durch Untersuchungen von 
Zuntz und Geppert: 20 bis 75 ccm absoluter Weingeist, aufgenommen 
in Wasser, als Cognac, Portwein, Schaumwein, von erwachsenen gesunden 
Männern, die an mässige oder keine Aufnahme von Weingeist gewöhnt 
waren, änderten die Menge des aufgenommenen Sauerstoffs nicht oder nur 
wenig nach oben und unten und Hessen auch die Ausscheidung der Kohlen¬ 
säure entweder unverändert oder verringerten sie etwas. Die Hauptsache 
bei diesem Resultat ist das Gleichbleiben des Sauerstoffconsums. Wir wissen, 
dass der aufgenommene Weingeist bis auf einen verschwindenden Bruchtheil 
im Organismus verbrannt wird. Der Weingeist hat also die Oxydationen 
nicht zu steigern vermocht, wie seine Gegner bis in die letzte Zeit be¬ 
haupteten, hat nicht zur rascheren Abnutzung des Organismus beigetragen, 
sondern ist selbst als Brennmaterial eingetreten zum Aufrechterhalten der 
normalen gleichmässigen Lebenswärme. Ein Theil des disponiblen Sauer¬ 
stoffes, der sonst zur Oxydation anderer Stoffe dienen würde, dient zur Ver¬ 
brennung des Weingeistes und erspart dem Organismus diese Stoffe. Vor 
Allem wird an Eiweiss gespart. Nun lässt sich einwenden, nur das sei ein 
Nährstoff, was ohne schädliche Nebenwirkungen im Körper als Ersatz- oder 
Wärmematerial diene. Vom Weingeist aber sei bekannt, dass er in grossen 
Gaben den Zerfall des Eiweisses geradezu steigere, damit also den hin¬ 
zehrenden Organismus in gefährlichen Krankheiten zu rascherer Abnutzung 
führe. Darauf ist zu erwidern: Die betreffenden Versuche wurden ange¬ 


stellt an gesunden Menschen und Hunden. Was für sie gilt, braucht nicht 
für Fiebernde zu gelten. Das zeigt sich klar unter Anderem bei der Tole¬ 
ranz des fiebernden Gehirns gegen den Weingeist. Es erträgt ohne eine 
andere Reaction als die behaglicher Erregung solche Gaben, die dasselbe 
nichtfiebemde Gehirn in feste Narkose versetzen. Was diesem also eine 
grosse Gabe heisst, das ist für jenes eine mässige. Eine solche aber 
schränkt den Eiweisszerfall des Körpers stets ein. Zudem wird Eiweiss 
durch das Fieber selbst in erhöhtem Maasse zerstört, während der Weingeist 
in kräftiger Gabe das Fieber einzuschränken vermag. Es kommt hier eben 
Alles auf äussere Umstände und die Dosirung an. Die nur zur Ernährung 
bestimmten Gaben sind relativ kleine und oft wiederholte, selbst für den 
Fiebernden, und darum allein schon kann von einem stärkeren Eiweisszerfall 
durch sie keine Rede sein. 

Eine dritte Haupteigenschaft des Weingeistes ist die unter Unständen 
wärmeerniedrigende. Beim gesunden erwachsenen Menschen zeigt sich nach 
Aufnahme kleiner Mengen, die, besonders in concentrirter Form, schon ein 
deutliches Gefühl von erhöhter Wärme im Magen und später in der Haut 
hervorrufen, keine ausserhalb der normalen Schwankungen liegende Ver¬ 
änderung des in’s Rectum eiugeführten Thermometers. Mittlere Gaben, 
etwa 30—80 g, die noch keine Spur von Trunkenheit zu bewirken brauchen, 
verursachen einen Abfall von 0,3—0,6° C; er erscheint auch dann, wenn 
die Temperatur zur Zeit des Experimentes im Ansteigen nach dem Tages¬ 
maximum hin begriffen ist. Gewöhnung an den Weingeist schwächt die 
wärmeherabsetzende Wirkung solcher Gaben bis auf ein Geringes ab. Narko - 
tisirende Mengen Weingeist drücken die Körperwärme um mehrere Grad 
und auf mehrere Stunden herab. Alle Ursachen des Wärmeabfalles liegen 
noch nicht klar zu Tage. Eine von ihnen ist sicher die Erweiterung der 
Hautgefässe, wodurch eine grössere Ausstrahlung stattfindet. 

Die im Vorstehenden erörterten Eigenschaften des Weingeistes machen 
ihn zu einem Stoff von grosser Bedeutung für die Heilkunde. Aber Alles, 
was damit Gutes vom Weingeist gesagt ist, geht nur den kranken Menschen 
an. Der Gesunde braucht kein Erregungsmittel für das Herz, den Kreislauf, 
das Athmungscentrum, den Magen und Darm; der genügend Ernährte braucht 
kein Sparmittel für seinen Körper, keinen Ersatz für dessen Eiweiss; der 
Nichtfiebemde braucht keine Dämpfung für die innere Wärme. Wenn der 
gesunde Mensch den Weingeist in irgend einer Form aufnimmt, so kann 
das nur unter dom Titel des Genusses geschehen, den gute Alkoholica ge¬ 
währen, oder unter dem Titel der Erfrischung für überstandene geistige 
oder körperliche anstrengende Arbeit. In beiden Fällen aber ist das Maass¬ 
halten die unerlässliche Bedingung. Und zwar gilt dies nicht nur vom 
Genuss des Branntweins. Der Gewohnheitsbiertrinker ist ein Alkoholist so 
gut wie der Gewohnheitsschnapstrinker. Von diesem Gesichtspunkte aus 
besteht für den Arzt die Pflicht, die Bestrebungen der Vereine wider den 
Missbrauch geistiger Getränke zu fördern, nur soll die Anti-Alkoholbewegung 
bei uns, wie es in England bereits in grossem Umfange geschehen ist, sich 
nicht gegen den Weingeist als Heilmittel kehren. 

Der Correferent Herr v. Jak sch (Graz) behandelt die klinische Seite 
der Frage. Auch klinisch ist der Nachweis zu erbringen, dass der Wein¬ 
geist erregende Eigenschaften besitzt. Herr v. Jaksch gab Kindern 
von 2—10 Jahren — natürlich in sehr vorsichtigen Dosen — Wein, Cognac 
und reinen Aethylalkohol. Die Folge war anfängliche Herabsetzung, nach 
10 Minuten nicht unbeträchtliche Erhitzung der Pulsfrequenz mit gleich¬ 
zeitigem Kräftigerwerden des Pulses. Wo von dieser thatsächlicheu erre¬ 
genden Wirkung Gebrauch zu machen ist, darüber kann nur strenges Indi¬ 
vidualismen im Einzelfall entscheiden. 

Zweitens ist der Weingeist ein Nährmittel. Auch hierfür suchte 
Herr v. Jaksch die Bestätigung durch eigene Erfahrung zu erbringen. Er 
bemühte sich, Kinder — also jedenfalls Individuen, die an den Genuss von 
Weingeist nicht gewöhnt sind — durch wochenlang gereichte Nahrung von 
gleicher Quantität und Zusammensetzung in Stickstoffgleichgewicht zu 
bringen. Es wurden sodann fortlaufend Harnstoff, Harnsäure, Schwefel¬ 
säure bestimmt und gefunden, dass in Perioden, wo Weingeist verabreicht 
werde, alle diese vier Stoffe erheblich abnahmen. Redner giebt jedoch zu, 
dass diese Versuche nicht ganz eindeutig sind. Im einzelnen hat Redner 
in Diphtheritisfällen ziemlich grosse Alkoholgaben gereicht und glaubt, 
dass, wenn diese Medication von Anfang der Erkrankung an instituirt 
wurde, Collapszustände, Cyanose etc. seltener auftreten. Bei der Typhus¬ 
behandlung hält er die Darreichung grosser Gaben Alkohol neben kalten 
Bädern für sehr bedeutungsvoll, namentlich mit Rücksicht auf die Er¬ 
nährung. Von hoher Bedeutung ist die Alkoholtherapie ferner in septischen 
Erkrankungen. 

Auf die antipyretische Wirkung des Alkohols legt Herr v. Jaksch 
nach seinen Erfahrungen nur geringen Werth. Seine Wirkung auf die 
Verdauung lässt sich unter Umständen nachweisen, will man aber nach 
dieser Richtung durch den Alkohol eine Wirkung erzielen, so dürfen keine 
schweren anatomischen Läsionen des Magens vorhanden sein, noch auch 
schwere Störungen in der Saftsecretion desselben, ln gewissen Fällen, 
namentlich bei Neurasthenie, kann man auch von der hypnotischen 
Wirkung grosser Alkoholgaben Gebrauch machen, namentlich eignet sich 
hier die Darreichung von Bier. Was im übrigen die Form der Darreichung 
anlangt, so hält Correferent, da wo die ernährende Wirkung erzielt werden 
soll, die Anwendung leichter Roth- oder Weissweine für angezeigt. Soll 
erregend eingewirkt werden, so empfehlen sich weingeisthaltige Getränke 
von hohem Alkoholgehalt. Den Genuss von alkoholischen Getränken bei 
Gesunden will Herr v. Jaksch, ebenso wieder Referent, eingeschränkt wissen. 

ln der Discussion, an der sich die Herren Erb (Heidelberg), Merkel 
(Nürnberg), Nothnagel (Wien), Jürgensen (Tübingen), Löwenthal 
(Lausanne), Rühle (Bonn), Finkler (Bonn) betheiligten, kamen noch eine 
Reihe von Contraindicationen des Alkohols zur Sprache, namentlich wurde 
aber auch vor gewissen Missbräuchen, die mit einer nicht streng iudividu&li- 
sirenden Alkoholtherapie getrieben worden sind, gewarnt. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


345 


26. April. 


XI. Siebenzehnter Congress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. 

B. Die Yorträge und Demonstrationen In der Königlichen Klinik. 

Sitzung am 7. April 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann. 

1. Herr Mikulicz (Königsberg): Ueber Darmresection bei Prolapsns 
reetl et coli inraginati. Mikulicz unterscheidet drei Arten von Prolaps 
der Darmschleimbaut: 1) den Prolapsus ani, 2) Prolapsus recti, 3) Prolapsus 
coli invaginati. Im letzten entschliesst man sich am häufigsten zur Re- 
section des Darmes, Mikulicz glaubt indess, dass man die Operation allzu 
selten vornimmt und ist der Ansicht, dass man in allen Fällen von Darm¬ 
vorfall, ob in Folge acuter oder chronischer Invagination, ob es sich um 
einfachen Prolaps der Rectalschleimhaut handelt, ob man die Reposition 
ausführen kann oder nicht, stets reseciren soll, denn darin erblickt er das 
einzige Mittel zur definitiven Heilung. Nicht blos der untere Theil des 
Rectums ist mit den umgebenden Organen verbunden, auch seine obere 
Partie steht durch mehrere aponeurotische Bänder mit diesen in Zusammen¬ 
hang. Sind diese Stränge so erschlafft, dass es zum Prolaps kommt, so 
muss man sie durch Narbengewebe ersetzen, das man nur durch die oben 
bezeichnete Operation erhalten kann, um das Organ wieder in seiner nor¬ 
malen Stellung zu befestigen. Mikulicz hat die Operation mit vollständigem 
Erfolge ausgeführt und weder Stenosen noch Recidive gesehen. Es handelte 
sich bald um Invagination, bald um einfachen Prolaps, bis 76 cm Darm 
wurde fortgenommen. 

2. Herr Petersen (Kiel): Ueber Operationen an den Zehen. Wenn 
die zweite Zehe vom grossen Zeh und der dritten Zehe seitlich zusammen- 
gedrückt wird, so ist sie häufig der Sitz sehr heftiger Schmerzen. Sie 
schiebt sich dann unter die beiden anderen, allein die Schmerzen werden 
unerträglich, und König entschliesst sich in solchen Fällen zur Amputation. 
Pet!ersen hat in solchen Fällen Heilung erzielt durch Entfernung der 
Weichtheile, Sehnen etc. unterhalb der zweiten Zehe. 

3. Herr Rosenberger (Würzburg): Ein Fall von Tumor des Condylus 
externa» femori». Eine junge Frau von 26 Jahren bekam nach einem 
Balle Schmerzen im Knie nebst Anschwellung desselben. Der Tumor wuchs 
allmählich, der Schmerz schien auf den Condylus exterhus femoris be¬ 
schränkt. Da die erste Therapie (Ruhe und Carboliujectionen ins Gelenk) 
erfolglos war, so hielt Rosenberger den Process für tuberculös und 
machte Arthrectomie. Dabei entschlüpfte eine sanguinolente Masse aus dem 
Gelenk, der äussere Condylus war mit Ausnahme des Knorpels vollkommeu 
zerstört. Der Condylus war in eine bis ans Knochenmark reichende Höhle 
verwandelt, die mit einer Masse erfüllt war ähnlich einem erweichten 
Thrombus. Die Wände der Höhlung wurden mit dem scharfen Löffel aus¬ 
gekratzt, die Höhlung mit Jodoformgaze tamponirt, und da Rosenberger 
überzeugt war, dass es sich um einen mehr oder weniger malignen Tumor 
handelte, so schlug er Amputation vor, die aber abgelehnt wurde. Rosen¬ 
berger fragt, welcher Natur dieser Tumor sei? 

Herr Esmarch und Herr v. Bergmann erklären den Tumor für ein 
centrales Riesenzellensarkom, das häufig eine gute Prognose gewähre. 

4. Herr Küster: Ueber blntreieheSarkome. K. hatte Gelegenheit, 
zwei derartige Fälle zu beobachten. 1) Im ersten Fall handelte es sich um 
einen 38jährigen Mann, der eines Tages beim Einsteigen in’s Coupe einen 
heftigen Schmerz in der Wade verspürte. Es fand sich dort ein fluctuiren- 
der Tumor. K. schnitt darauf, da er ein Sarkom vermuthete, fand aber ein 
Hämatom. Die Sache heilte gut, aber nach 6 Monaten trat in Folge eines 
Sturzes eine neue Schwellung auf. Diesmal handelte es sich gewiss um 
Sarkom und das Glied wurde amputirt; der Kranke starb an Lungen- 
metastasen. 

2) Im vergangenen Jahre bekam ein Mann Schmerzen in der Gefäss- 
gegend, K. constatirte einen Tumor in der Gegend der Adductoren, bei der 
Operation stiess er auf eine blutgefüllte Höhlung. Dem Kranken erging 
es indessen immer schlechter und K. fand nun einen vom Femur aus¬ 
gehenden Tumor, der ihn ringsherum einschloss. Der Kranke erlag bald 
seinen Leiden. Es handelt sich hier um einen grossen Tumor, der durch 
seine zahlreichen Blutgefässe ein röthliches Aussehen darbot. Vom Periost 
ausgehende Knochenbalken durchsetzten den Tumor. K. glaubt, dass es sich 
hierbei um eine Varietät das Angiosarkoms handelt, das von den Gefäss- 
wandungen ausgegangen sein könnte. 

5. Herr Bernays (St. Louis): Ueber die Ligatur der Art. vertebraiis 
bei 3 Epileptikern. Alexander in New-York hat diese Unterbindung 
bei 21 Epileptikern ausgeführt, in 3 Fällen erzielte er Heilung, in 9 Besse¬ 
rung, in weiteren 9 keinen Erfolg. B. hat die Operation dreimal gemacht, 
jedesmal schwanden die Anfälle auf einige Monate, kehrten dann aber 
ebenso häufig wie früher wieder. Die Operation ist schwierig wegen der 
tiefen Lage des Gefässes, gefährlich wegen der Nähe der grossen Venen¬ 
plexus zu Seiten der Wirbelsäule, wegen der Nähe der Pleura und der 
grossen Halsgefässe. Nach der Ligatur stieg die Pulsfrequenz constant auf 
140 Schläge und mehr, um nach 14 Tagen wieder normal zu werden. Ob 
es sich hierbei um Reizung des Halssympathicus bei der Operation oder 
um Ernährungsstörung der pneumogastrischen C-entren durch die Ligatur 
handelt, ist nicht zu entscheiden. B. erklärt, nach seinen Erfahrungen von 
der Operation nur abrathen zu können. 

6. Herr Graser (Erlangen): Ueber die Behandlung des Klnmpfusses. 
Da die Ansichten über die beste Methode der Klumpfussbehandlung noch 

* getheilt sind, möchte G. über die ausgezeichneten Erfolge berichten, die 
sein Chef, Prof. He in ecke, bei diesem Leid«b durch Redressement und 
nachfolgenden Gypsverband erzielt hat. Die Behandlung dauert allerdings 
sehr lange, mitunter 1 '/* Jahre, und man muss das Redressement je nach 
den Fällen mehr oder weniger oft wiederholen. 

Diese Methode ist für Kinder bis zu 12—15 Jahren anwendbar. Bei 
sehr hartnäckigen Klumpfüssen kann Resection des Talus versucht werden, 


im Allgemeinen aber kann man sagen, dass die Fälle, die durch Redresse¬ 
ment und Gypsverband nicht gebessert wurden, es auch durch die Operation 
nicht werden. 

Herr Julius Wolff (Berlin) stimmt bezüglich der Auffassung der Auf¬ 
gaben der Klumpfussbehandlung im Wesentlichen dem Vortragenden bei. 
Nur ist er der Meinung, die er durch Vorzeigung von Photographieen belegt, 
dass sich das, was in der Erlanger Klinik durch mehrere Verbände erreicht 
wird, von denen der eine dem anderen erst nach langer Zeit folgt, schon 
in der ersten Behandlungswoche durch immer neue Keilausschnitte aus dem 
ersten Verbände erreichen lässt. 

Herr Graser nimmt an, dass es bei der Anlegung des Verbandes 
einer besonders grossen Körperkraft des Operateurs bedarf. Dies ist um so 
mehr ein Irrthum, als bei der von Wolff geübten Methode der Operateur 
gar nicht selber redressiren darf, vielmehr nur die Controlle üben soll. Das 
Redressement wird durch mehrere Assistenten besorgt, von denen jeder 
eine eigene ganz bestimmte, vorher gut eingeübte Aufgabe im 
Sinn der Wiederherstellung richtiger statischer Verhältnisse 
zugewiesen erhält, während der controllirende Operateur nur dann mit 
Hand anlegt, wenn der eine oder der andere der Assistenten seine Aufgabe 
nicht zur Genüge erfüllt. 

Herr Petersen: Die Prognose sei nicht so günstig, wie Herr Wolff 
angiebt. Selbst nach zweifellosen Heilungen treten Recidive auf. So habe 
P. ein Individuum von seinem Klumpfuss so gut befreit, dass es danach 
einen Plattfuss bekam, allein nach einiger Zeit erschien der Klumpfuss 
wieder. 

Herr Beely: Man müsse den Fuss in den Gypsverbänden nicht zu lange 
immobilisiren, besser sei es, B.’s Apparat anzuwenden (Demonstration), 
der dem Kranken gestattet, während der ganzen Dauer der Behandlung Be¬ 
wegungen auszuführen. 

Herr Julius Wolff bemerkt Herrn Beely gegenüber, dass wir 
bei Behandlung des Klumpfusses ausschliesslich die Wiederher¬ 
stellung einer richtigen Function zu erzielen haben. Die Herstellung 
der richtigen Form besorgt die Natur nach dem von Wolff aufgestellten 
„Transformationsgesetz“ ganz von selber, indem sie die functionellc An¬ 
passung der Form an die wiederhergestellten richtigen statischen Verhält¬ 
nisse bewirkt. 

Ist einmal die Wiederherstellung der Function uud Form gelungen, so 
kann, wie dies auch aus Wolff’s Photographieen hervorgeht, unmöglich ein 
Klumpfussrecidiv eintreten. Das sogenannte Klumpfussrecidiv bedeutet 
nichts anderes als ein wegen noch fortbestehender fehlerhafter 
statischer Verhältnisse mangelhaft gebliebenes Behandlungs¬ 
resultat. 

Herr Graser glaubt, die Recidive seien häufig Folge der Verlängerung 
der Peroneen und Extensoren, die ihren Tonus noch nicht wiedergewounen 
haben. 

7. Herr Walzberg (Minden): Ueber Perineoplastik. Walzberg hat 
kürzlich Gelegenheit gehabt, in einem sehr schwierigen Falle eine Methode 
anzuwenden, die der von Fritsch vor Kurzem publicirten analog ist. Es 
handelte sich uin eine junge Frau, die bei der Entbindung einen bis in’s 
Rectum gehenden Dammriss erlitten hatte. Als sie zu Walzberg kam, war 
sie bereits 5 mal wegen des Dammrisses operirt worden. Ein erster Versuch 
mit der üblichen Methode misslang. W. kam dann darauf, von deu beiden 
Seiten der Oeffnung vorzugehen, durch welche Vagina und Rectum mit ein¬ 
ander communicirten, an den Rändern des durch den Riss getrennten Septum 
recto-vaginale. Durch Incision wurde das genannte Septum in ein vorderes 
und hinteres Blatt getheilt. Mittelst Vereinigung der beiden hinteren La¬ 
mellen durch einige Nähte, gelang es W., eine neue Vorderwand des Rectum 
zu bilden, durch Vernähung der beiden vorderen Blätter erhielt er sogar 
ein noch dickeres Septum recto-vaginale. Die Heilung ist eine vollständige, 
über das functioneile Resultat kann W. sich noch nicht definitiv aussprechen. 

XII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Neuere Arbeiten Ober Desinfection und Antisepsis. 

(Schluss aus No. 15.) 

— 8. E. Krapbi. Ueber Desinfection von Wohnräumen. Zeitschr. 
f. Hyg. Bd. III. 1887, p. 219—236. Ref. Carl Günther. 

Der Autor stellte im Alexander-Barackenhospital zu St. Petersburg 
experimentelle Untersuchungen über die Wirkung der lange Zeit dort zu 
Desinfectionszwecken geübten Chlorräucherungen an. In den betreffenden 
Räumen wurden Milzbrandsporen (an Seidenfäden) vertheilt. Die Resultate 
fielen sehr zu Ungunsten des Verfahrens aus. Als die beste, bequemste 
und billigste Methode der Desinfection von Kranken- und Wohnräumen 
empfiehlt der Verfasser nach weiteren Versuchen die Desinfection der 
Betten, Kleider etc. im strömenden Dampf und die Behandlung der Möbel, 
Wände etc. mit Bestäubungen mit einer l u /oo Sublimatlösung oder einer 
Flüssigkeit, die zur Hälfte aus l°/oo Sublimat, zur anderen Hälfte aus 5% 
Carbolsäure besteht. Die letztere Flüssigkeit soll entschieden besser wirken 
als l%o Sublimatlösung allein. Die Methode ist für die späteren Bewohner 
unschädlich. 

— N. P. Wasslljew. Pi« Desinfection der Choleradqjectlonen in 
Hospitälern. Zeitschr. f. Hyg. Bd. III. 1887, p. 237—241. Ref. Carl 
Günther. 

Der Autor beschreibt einen nach seinen Angaben construirten Apparat 
zur Desinfection von Choleradejectionen in Hospitälern. Die Dejectionen 
werden aus einem Reservoir in zwei doppelwandige festgeschlossene Kessel 
geleitet, in welchen sie mit Hülfe von Wasserdampf, der unter einer 
Spannung von mehreren Atmosphären in den Raum zwischen den beiden 
Wandungen geleitet wird, gekocht werden. Das Verfahren hat sich bei 
einer in St. Petersburg an Finkler-Prior’schen Bacillen, an Dysenterie- 
und Typhus-Excrementen damit augestellten Probe als vollkommen zweck¬ 
entsprechend erwiesen. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


346 


— 9. Leubuscher. lieber Desinfectioitsapparate. (Correspondenz- 
blatt des allg. ärztl. Vereins von Thüringen 1888, Heft 2). 

Eine Infectionskrankheit, führt Leubuscher aus, kann nur bekämpft 
werden durch Vernichtung der sie verursachenden Mikroorganismen. Diese 
Vernichtung der Mikroorganismen heisst Desinfection. Es kommt darauf 
an, wie von Wolffhügel nachgewiesen ist, die Bacterien in ihrer wider¬ 
standsfähigsten Form, als Sporen zu vernichten. An der Hand der experi¬ 
mentellen und praktischen Ergebnisse erörtert Leubuscher dann die 
bisher bekannten Methoden und Apparate zur Desinfection, namentlich von 
Betten, Kleidern, Wäsche. Durch die Desinfection sollen 1. die Krankheits¬ 
erreger in jeder Form völlig vernichtet werden, 2. die zu desinficirenden 
Gegenstände für den Gebrauch erhalten bleiben. Leubuscher theilt die 
Methoden folgendermaassen ein: 1. Desinfection mit chemischen Mitteln. 

2. Mit heisser trockener Luft. 3. Mit strömendem, gespannte, oder nicht 
gespanntem Wasserdampf. Von den chemischen Mitteln erfüllen die wirk¬ 
samen das zweite Postulat nicht und schädigen auch die Gesundheit der 
mit der Desinfection beauftragten Personen, sind also nicht verwendbar. 
Den Glauben an die desinficirende Kraft der Heisseluftmethode haben die 
Arbeiten von Koch, Wolffhügel und Max Wolff sehr erschüttert. 
Koch und Wolffhügel untersuchten mit gedeckten, in den Boden einge¬ 
lassenen eisernen oder gemauerten Kesseln von ca. 6 cbm Inhalt. Die 
heisse Luft circulirte in Röhren, die an der Innenwand emporstiegen. Die 
Innentemperatur wird durch ein Pyrometer angegeben. 1 Sie fassten ihre 
Resultate dahin zusammen: 

1. In heisser Luft überstehen sporenfreie Bacterien eine Temperatur 
von wenig über 100° bei l‘/a Stunden Dauer nicht. 

2. Sporen vou Schimmelpilzen erfordern zur Abtödtung ungefähr 
eine Inständige Temperatur von 110—115° C. 

3. Bacillensporen werden erst durch dreistündigen Aufenthalt in 140° C 
heisser Luft vernichtet. 

4. In heisser Luft dringt die Temperatur in die Objecte so langsam 
ein, dass z. B. ein kleines Kleiderbündel nach 3—4stündigem Erhitzen auf 
140° C noch nicht desinficirt ist. 

5. Dreistündiges Erhitzen auf 140° C, wie es zur Desinfection eines 
Gegenstandes erforderlich ist, beschädigt die meisten Stoffe mehr oder 
weniger. Ausserdem ist die Wärme in den Apparaten durchaus nicht 
gleichmässig vertheilt. 

Wolff, der seine Versuche an dem Rätke’schen Apparat, einem 
kleineren, transportablen Eisenblechkasten und dem Schimmel’schen 
Apparat (über diesen siehe später) anstellte, kam zu ähnlichen Ergebnissen. 
Ueber diese Methode der Desinfection ist also wohl das Urtheil gesprochen. 
Nachdem dann Koch durch seine Versuche die prompte und sichere 
desinficirende Wirkung strömender Wasserdämpfe, gespannter und nicht ge¬ 
spannter, dargethan hatte, verbesserte Merke die oben erwähnten Heisse¬ 
luftapparate dahin, dass nunmehr auch strömender Wasserdampf in die Be¬ 
hälter eintrat. Da aber auch mit dieser Methode noch Uebelstände ver¬ 
knüpft waren, so wendete er ein combinirtes Verfahren an, es wirkte 
gleichzeitig trockene Hitze und heisser strömender Wasserdampf. Hierbei 
werden Desinfectioflsobjecte und Apparate nicht übermässig durchfeuchtet 
wie vordem; zum Schluss wird nach Absperrung des direkten Dampfes unter 
vollem Einwirken der trockenen Hitze kräftig ventilirt. Merke stellt da¬ 
nach an einen in der Praxis zu verwerthenden Desinfectionsapparat folgende 
Anforderungen: 

1. Eine Grösse von 10 cbm Rauminhalt. 

2. Vorrichtungen, die zu desinficirenden Gegenstände ausserhalb des 
Apparates zu verpacken. 

3. Gute Isolirung der Wandungen. 

4. Heizung mittelst Dampfes, der von einem besonderen Kessel aus 
zugeführt, nicht etwa in oder unter ihm erzeugt wird. 

5. Ausreichende Ventilation des Innenraumes. 

6. Vorrichtungen zur gleichzeitigen Benutzung von heisser Luft und 
direktem Dampf. 

Nach diesen Principien haben Schimmel & Co. in Chemnitz einen 
eisernen Desinfectionsapparat hergestellt. Oberhalb des Dampfeinlassrohres 
befindet sich ein auf Schienen laufender Wagen, dieser kann auf den nach 
aussen verlängerten Schienen leicht herausgezogen werden. Weiter wird 
von J. L. Baron in Berlin ein transportabler Desinfectionsapparat zur 
gleichzeitigen Einwirkung von trockener Hitze und Wasserdampf vertrieben. 
Weitere Apparate dieser Gattung sind von Henneberg (Zeitschr. für 
Hygiene 1886), Gibier (Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1887, Heft I, p. 14), 
Käuffer & Co. (Mainz und Berlin W) und von Budenberg (W. Buden¬ 
berg in Dortmund) construirt worden. 

Ueber seine Erfahrungen mit dem Schimmel’schen und Baron’- 
schen Apparat berichtet Wolff Folgendes: 

1. Trockene Objecte bedürfen zur vollständigen Desinfection einer 
1 — l'/aständigen Einwirkung direkten, strömenden Wasserdampfes nicht 
unter 100° C. 

2. Nasse Objecte müssen einer solchen Einwirkung 2 Stunden ausge¬ 
setzt werden. 

3. Die Temperatur soll überall im Innern der Objecte mindestens 
100° C sein. 

Der strömende Wasserdampf beschädigt von Stoffen wesentlich nur 
das Leder und die Pelzsachen, sehr fest verpackte oder gar comprimirte 
Stoffe, Ballen etc., müssen vor der Desinfection aufgelockert werden. 
Nach Leubuscher sind die meisten der für strömenden Wasserdampf con- 
struirten, oben angeführten Apparate durchaus leistungsfähig. 

Endlich lässt sich auch mit geringeren Kosten für kleinere Kranken¬ 
häuser etc. eine ausreichende Desinfectionseinrichtung herstellen, wie sie 
z. B. das Garnisonlazareth Coburg besitzt. Ueber einen Kessel des Wasch¬ 
hauses von 78 cm Durchmesser, 47,5 cm Tiefe wird ein cylindrisches Fass 
aus Tannenholz gesetzt von 1,5 in Höhe, 87 cm Durchmesser, davon 80 im 
Lichten. Das Fass ist oben durch einen Deckel verschlossen, unten offen. 


In der Mitte des Deckels ist eine (2 cm Durchmesser) kreisrunde Oeffnung 
für das Ausströmen des Dampfes, in welche ein passend befestigtes Thermo¬ 
meter hineingehängt wird. An der Wand sind Haken für die Gegenstände. 
Auch diese Vorrichtung ist im Stande, Mikroorganismen zu vernichten. R. 

— Die Desinfectionsapparat« für Städte und Krankenhäuser, 
eine wissenschaftliche Erwiderung auf die persönlichen Angriffe der Herren 
DDr. Petri und Mittenzweig in der Versammlung der beamteten Aerzte 
in Berlin von Walz und Windscheid, Fabrik für Centralheizung und 
Ventilation in Düsseldorf. 

Ohne auf den polemischen Theil der vorliegenden Brochüre einzugehen, 
wollen wir nach dem Grundsatz „audiatur et altera pars“ eine kurze Dar¬ 
stellung der Prinzipien geben, welche von den genannten Technikern als 
maassgebend zur Erzielung wirksamer Desinfection und zweckmässig für 
den Bau von Desinfectionsapparaten aufgestellt werden. Sie stehen mit den 
in dem obigen Artikel gemachten Angaben zum Theil in diametralem 
Widerspruch. 

Nach der Ansicht der Herren Walz und Windscheid soll der Dampf 
und seine Wärme deshalb leichter wie heisse Luft in die Objecte eintreten, 
weil er leichter ist als die in den Objecten befindliche atmosphärische 
Luft, der Dampf komme nur hinein, wenn es gelingt, die Luft auszutreiben, 
das Strömen des Dampfes sei hierbei aber nicht das wirksame Agens. Das 
wichtigste sei, eine möglichst grosse Gewichtsdifferenz zwischen Dampf und 
Luft herzustellen, der Dampf müsste in die Apparate oben hinein-, und 
unten hinausgeleitet werden. Die Herren Walz und Windscheid glauben, 
dass in den leistungsfähigen Desinfectionsapparaten der Dampf nicht strömt, 
sondern möglichst in Ruhe gehalten wird, man wird am besten in Zukunft 
von dem strömenden Dampf gar nicht mehr sprechen. Wasser verschliesst 
die Poren der Gewebe und hält die Luft auf diese Weise fest, deswegen 
dringt der Dampf in nasse Objecte schwerer ein. Man heizt nur aus dem 
Grunde, um den Dampf ohne Spannung auf eine höhere Temperatur und 
damit auf ein geringeres specifisches Gewicht zu bringen, die Erwärmung 
des Apparates selbst vermindert den Wassergehalt des Dampfes nicht. In 
der Technik dient gerade am allermeisten zur Trocknung des Dampfes, die 
Strömung nach Möglichkeit aufzuheben. Durch Strömung wird das Condens- 
wasser direkt an die Objecte geschleudert. Den Dampf oben abzuführen, 
ergiebt einen unnützen Dampfverlust. An der Hand der Berichte über das 
Verfahren der Herren Dr. P. Guttmann und Merke suchen die Herren 
Walz und Windscheid den Nachweis zu führen, dass in den, von diesen 
Herren benutzten Apparaten die Bewegung und Strömung des Dampfes von 
allen Seiten gehemmt und unterbrochen sei, um den Dampf zu trocknen; 
auch in dem Budenberg’schen Apparat (Vgl. den vorigen Artikel) sei 
jede Strömung unmöglich gemacht.— DieHerren Walz und Windscheid 
wollen ihren Apparat oben schliessen und nur unten öffnen und ferner die 
Strömung und Bewegung des Dampfes nach Möglichkeit aufheben. Appa¬ 
rate ohne innere Spannung, mit innerer Ueberhitzung des Dampfes, halten 
sie für sicherer und besser. R. 

— Zur Ergänzung der vorstehenden Zusammenstellung seien hier 
noch einige Arbeiten über denselben Gegenstand genannt, die in der 
letzten Zeit in dieser Wochenschrift theils originaliter erschienen sind, 
theils referirt wurden. An Originalarbeiten brachten wir: Laplace: Saure 
Sublimatlösung als desinficirendes Mittel und ihre Verwendung in Verband¬ 
stoffen (1887 No. 40, p. 866); Dei selbe: Rohe Schwefelcarbolsäure als 
Desinfectionsmittel (1888 No. 7, p. 121); Behring: Der antiseptische 
Werth der Silberlösungen und Behandlung von Milzbraud mit Silberlösungen 
(1887 No. 37, p. 805); Grimm: Tribromphenol als Antisepticum (1887 
No. 52, p. 1121). Sodann gehört hierher die durch die Arbeit von Heyn 
und Rovsing: Das Jodoform als Antisepticum (Fortschr. d. Med. 1887 
No. 2, ref. diese Wochenschr. 1887 No. 6, p. 120), hervorgerufene Dis- 
cussion. Die hierher gehörigen Referate über die Arbeiten von Fried- 
länder, de Ruyter, Senger, v. Bruns etc. finden sich im vorigen 
Jahrgange dieser Wochenschrift p. 276, 387 referirt, ferner widmeten wir 
dieser Frage (1887 No. 20, p. 420) einen zusammenfassenden Artikel, und 
endlich brachten wir (1887, No. 33, p. 726) eine diesen Gegenstand be¬ 
handelnde Originalarbeit von Senger: Ueber die Einwirkung des Jodoforms 
auf das Wachsthum und die Virulenz der Milzbrandbacillen. Ein ein¬ 
gehendes Referat über die bedeutsame Arbeit Fürbringer’s: Unter¬ 
suchungen und Vorschriften über die Desinfection der Hände (Wiesbaden, 
J. F. Bergmann) findet sich im vorigen Jahrgange No. 47, p. 1022, 
ferner in No. 18, p. 383 und No. 35, p. 783 Referate über die Arbeiten 
von Koch und Gaffky: Versuche über die Desinfection des Koch- und 
Bilgeraumes von Schiffen (Arb. a. d. Kais. Gos.-A. Bd. I) und Wiltschur: 
Desinfection von Typhusstühlen mit kochendem Wasser (Wratsch 1887 
No. 26). _ 


Xni. Therapeutische Mitteilungen. 

lieber Cascara Sagrada und ihren Gebrauch bei Behandlung 
von habitueller Stuhlverstopfung. 

Auf keinem Gebiet der Krankenbehandlung haben die Curpfuscher 
und Geheimmittelkrämer so erhebliche materielle Erfolge erlangt, wie bei 
dem der habituellen Stuhlverstopfung. Morrison und Brandt den Pillen¬ 
fabrikanten, Daubitz und Oidtmann den Darreichern flüssiger Sub¬ 
stanzen, reiht sich eine Zahl mehr bekannter oder unbekannter, mehr 
oder weniger prosperirender Fabrikanten von Abführmitteln an, welche 
die Taschen und Eingeweide der Patienten in drastischer Weise leeren. 
Von dem Grundsatz ausgehend: qui bene purgat, bene curat kümmern* 
sie sich weniger um die Diagnose der Krankheiten, sondern berück¬ 
sichtigen vielmehr die bei der bäuerlichen Bevölkerung beliebte Methode, 
dass für’s Geld sichtliche Erfolge eintreten müssen. Gegenüber dem Tross 
der Curpfuscher gingen die Aerzte nicht nur bei der Wahl der Abführmittel 
behutsam vor, sondern bedienten sich auch bisher meist solcher Mittel, 
welche entweder durch schlechten Geschmack oder durch Verabreichung 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


347 


26. April. 


grosser Dosen den Kranken lästig wurden, sie gegenüber den illegitimen 
Concurrenten in Nachtheil brachten. Es ist darum von hoher Wichtig¬ 
keit, wenn die Aerzte in den Besitz einer sicher wirkenden 
Arznei gelangen, welche in kleinen Dosen, von angenehmem 
Geschmack, als Recept verordnet werden kann, ln der Cascara 
sagrada, welche von Dr. John Farlow jahrelang bei Hunderten von Pa¬ 
tienten geprüft worden, besitzt die ärztliche Welt jetzt ein solches Medica- 
ment, und sehen wir uns veranlasst, einen in Boston med. and surgical 
Journal vom 27. erschöpfend behandelten Vortrag ausführlicher mitzu- 
theilen 

Cascara sagrada, die Rinde eines Strauches, der 15 — 20 Fuss hoch 
wird, zu den Arten von Kreuzdorn zugehörig, wurde von Pur sch, einem 
Deutschen, im Jahre 1814 an den Westküsten Amerika’s entdeckt, der 
sie Rhamnus alnifolia nannte, die jedoch von Decandolle späterhin als 
Rhamnus Purschiana in die Botanik eingeführt wurde. Dr. Bundy, Arzt 
in Calausa, Californien, welcher diese Substanz von den Eingeborenen als 
Abführmittel gebrauchen sah, die ihr den Namen Cascara sagrada, heilige 
Rinde, gegeben hatten wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem Holze, aus welchem 
die heilige Lade für Aufbewahrung der Gesetzrolle nach den Mittheilungen 
der Bibel gefertigt war, machte zuerst mit diesem Medicaraente Versuche, 
welche ihm vollständig günstige Resultate lieferten. 

Die Rinde enthält braune, röthliche, leicht gelbliche Harze, eine 
krystallisirende Substanz, Gerbsäure, Apfelsäuro, Oxalsäure, ein fettes, ein 
flüssiges Oel, reichlich Wachs und Stärke. Die einzelnen Bestand!heile 
sind bisher noch nicht in ßezug auf ihre Wirkungen und ihren besonderen 
Werth geprüft und mit den Bestandtheilen der anderen Kreuzdornarten, 
der Rhamnus frangula, cathartica, verglichen worden. 

In der Praxis wurden bisher das trockene Extract als solches oder in 
Pulverform, das flüssige Extract und das Elixir angewendet und die 
Präparate unverfälscht in der Officin von Parke, Davis et Comp, dar¬ 
gestellt. 

Wenn von einem Abführmittel verlangt wird, dass es 
schmerzlos wirkt, nach dem Gebrauch keine Verstopfung zu- 
rücklässt, keine Erhöhung der Dosis behufs beabsichtigter 
Wirkung beansprucht, den Appetit und die Verdauung be¬ 
fördert, so erfüllt die Cascara sagrada diese Zwecke voll¬ 
kommen. Farlow hat in einem längeren Zeitraum bei einer grossen 
Zahl mit habitueller Stuhlverstopfung behandelter Kranken und bei Compli- 
cationen mit Leiden des Uterus, des Rectum, bei Schwangeren und Wöch¬ 
nerinnen exacte Beobachtungen angestellt und durch Darreichung des 
flüssigen Extracts stets günstige Resultate erlangt. 

In den Fällen, wo durch Diät, Bewegung, regelmässigen Versuch zur 
Stuhlentleerung und dann durch die verschiedenen Laxantia keine Regel¬ 
mässigkeit in der Stuhleutleerung bewirkt worden, bewährte sich das Mittel 
stets zuerst in grösserer, dann in verminderter Dosis gereicht 

Nur sehr selten, da wo eine Idiosynkrasie vorhanden war, oder wo die 
Kranken eine zu hohe Dosis gebrauchten, klagten sie über Leibschmerzen, 
hingegen hat Farlow niemals Schmerzempfindung beobachtet, wo er 
geeignete Dosen reichte, mit mässigen anfing und diese nach und nach 
reducirte, so dass nach einer Woche der Stuhlgang freiwillig erfolgte und 
eine Regelmässigkeit desselben eintrat. Es besteht darin ein Vorzug vor 
den anderen Laxantien, dass nicht nur keine Obstipation nachfolgt, sondern 
dass ein Dauererfolg erzielt wird. 

Die Wirkung des Mittels ist nicht nur eine abführende, sondern auch 
eine tonisirende, da beim Eintreten breiiger halbweicher Stühle der 
Appetit sich steigert und die Verdauung eine bessere wird. 

Als vortreffliches Mittel bewährt sich die Cascara sagrada bei Hämor¬ 
rhoiden und Fissuren des Anus, insofern beim Eintreten weicher breiiger 
Stuhlgänge die Congestionen und Schmerzen beseitigt werden. Nicht minder 
wirksam bewies sich das Mittel 4 Mal täglich zu 20 Tropfen des Extr. 
fluidum gereicht bei Endometritis, bei Fibroiden des Uterus, bei Flexionen 
und Versionen, bei vergrösserten schmerzhaften Ovarien, sowie bei anderen 
in der Beckenhöhle vorhandenen Tumoren. 

Bei geschwächten und atonischen Digestionsorganen bediente sich 
Farlow des Mittels mit dem besten Erfolge und sah viel promptere, weniger 
angreifende Wirkungen als durch alle anderen Laxantia. Bei acuten Krank¬ 
heiten, zumal der Digestionsorgane, räth er zur Vorsicht und zum Beginnen 
mit kleineren und öfteren Dosen. 

Den Vorzug vor allen Präparaten giebt er dem Fluidextract, weil 
dieses zuverlässig und sicher wirkt, tropfenweise gereicht werden und man 
dasselbe je nach Bedürfniss in vermehrter oder verminderter Dosis reichen 
kann. Für diejenigen Kranken, welche über den bitteren Geschmack 
klagen, kann man dasselbe mit Glycerin und Wasser oder mit Succ. liquir. 
mischen; die meisten können es ohne Beimischung nehmen. Ein aus 
Cascara bereiteter Liqueur ist deshalb nicht zu empfehlen, weil die Dosis 
des Mittels darin nicht bestimmt werden kann. Um Wirkung zu erzielen, 
kann man davon 2—3 Mal täglich einen Theelöffcl reichen. In Pillenform 
empfiehlt sich das Extr. casc. siccum zu 0,06 täglich 2—3 Pillen zu nehmen. 
Vom flüssigen Extract empfiehlt Farlow bei hartnäckiger Stuhlverstopfung 
vor jeder Mahlzeit 15 Tropfen in Wasser zu nehmen und dann nochmals 
vor dem Zubettgehen, worauf gewöhnlich am anderen Morgen ein reichlicher 
Stuhlgang erfolgt. Ist dies nicht der Fall, so wird die Dosis bis zu 20 bis 
25 Tropfen erhöht. Nach stattgehabter Wirkung kann man mit der Dosis 
bis zu 15 Tropfen heruntergehen selbst bis zu 10 und diese öfter am Tage 
nehmen lassen. Oft brauchten die Kranken dann Abends vor dem Zubett¬ 
gehen nur 5—10 Tropfen zu nehmen, um am folgenden Morgen eine 
Entleerung zu erlangen. Von Zeit zu Zeit muss mit der Medicin ausge¬ 
setzt und bei etwaigem Bedürfniss mit mässigen Dosen wieder begonnen 
werden. Die Kranken werden durch öfteren Gebrauch die für sie noth- 
wendige Dosis kennen lernen und nicht mehr zu Geheimmitteln ihre Zu¬ 
flucht zu nehmen brauchen. Bo. 


Ueber die Folgen des Tabakmissbrauchs. 

Mr. Descaine trug in der Sitzung der Academio de medecine iu 
Paris (17. April) über die Folgen des Tabakmissbrauchs Folgen¬ 
des vor: Mau weiss seit Claude Bernard, dass das Nicotin einen ausge¬ 
sprochenen Einfluss auf die Verdauungsorgano und Secretionen, auf Circu- 
lation und Respiration hat, besonders aber auf das centrale und periphere 
Nervensystem. Neue Versuche haben gezeigt, dass Nicotin Contraction der 
Gcfässinuskulatur veranlasst. Der Blutstrom dringt nur mit Schwierigkeit 
in die Muskeln ein, und die Fasern contrahiren sich unregelmässig. Der 
Schwindel der Raucher ist Folge einer Störung der Blutcirculation im Go- 
hirn. Descaine fasst seine Erfahrungen über 63 starke Raucher, die alle 
häufig an Schwindel litten, in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Die 63 Personen waren zwischen 29 und 66 Jahren alt, 49 waren 
zwischen 50 und 66 Jahren alt. 

2. Mehr als die Hälfte hatten ausserdem Verdauungsstörungen, Dyspnoe, 
mehr oder weniger reichliche Schweisse, Herzstörungen. 

3. Bei 37 jungen Leuten von diesen 63 trat der Schwindol fast immer 
des Morgens auf. 

4. Das Auftreten des Schwindels fiel in '/3 der Fälle mit Aufhören 
der profusen Schweisse und Verminderung der Harnsccrction zusammen. 

5. Mitunter werden die Symptome des Schwindels der Raucher mit. 
Erscheinungen der Gehirncongestion, selbst der Herzkrankheiten ver¬ 
wechselt. 

6. Die Allgemeinbehandlung des Schwindels der Raucher bestand in 
völliger Abstinenz vom Tabak, in einigen Fällen wurde der Tabakgebrauch 
nur eingeschränkt, dazu fast stets Laxantien, laue Bäder, Amara, 28 Mal 
wurden auf der Höhe des Schwindelanfalles subcutane Aetherinjectionen ge¬ 
macht, die in 6—7 Minuten den Anfall beseitigten. 

7. Bei 33 von den 37 jugendlichen Rauchern verschwand der Schwindel 

sofort, wenn sie nur nach dem Essen rauchten. R. 


— Unguentnm Kalii jodatl. Dr. W. H. Mielck in Hamburg 
(Monatsh. f. prakt. Derm.) wendet sich gegen die officiolle Jodkaliumsalbe, 
welche von allen Seiten als ungenügend getadelt wird und bereits zu vielen 
Aenderungsvorschlägen Anlass gegeben hat, und legt die geschichtliche 
Entstehung der Salbe dar. Nach den neueren Untersuchungen Unna’s 
würde eine aus Schmalz bereitete und sodann mit einem geringen Procent¬ 
satz überschüssigen Schmalzes versetzte Kalischmierseife in ihren Eigen¬ 
schaften allen Anforderungen an eine Salbengrundlage, also auch für das 
Jodkalium, am besten entsprechen. Zur Bereitung der Salbe wird das 
Jodkalium in concentrirtester Lösung einfach der Kalischmalzseife unter¬ 
mischt. Verf. hat eine so zubereitete Jodkaliumsalbe etwa ein halbes Jahr 
lang lose bedeckt vor Augen gehabt und keinerlei Veränderung an derselben 
bemerkt. Auch verrieb sie sich leicht und angenehm und verschwand in 
kleineren Mengen scheinbar nach kurzer Zeit beim Einreiben. Allerdings 
meint der Verf., dass augenblicklich das Lanolin kaum verdrängt werden 
dürfte; seine Salbe habe aber den Vorzug vor der mit Lanolin bereiteten, 
dass sie nicht rieche, nicht missfarbig, harzig und zäh sei und die Haare 
verklebe und endlich nicht stets wandelbare Mengen von Wasser enthalte. 
(Die Vorwürfe, welche Verf. dem Lanolin macht und die vermeintlichen 
Vorzüge seiner Salbe, sind neuerdings durch das jetzt in absoluter 
Reinheit hergestellte Lanolinum purissimum und Lanolinanhydrit vollkommen 
hinfällig geworden. Anm. des Refer.) Sollte jedoch das alte Schmalz auch 
bei einer neuen Pharmakopoe den Sieg davontragen, so räth Verf. ent¬ 
schieden, die Salbe von vorn herein mit einer Spur von J. zu färben. 
Eine solche Salbe würde allerdings eher ranzig worden; aber auf der Haut 
sei nach seiner Beobachtung beim Salben noch kein Fett zur Wirkung 
gekommen, ohne vorher ranzig geworden zu sein. Gs. 

— W. D. Hamaker räth in der Therap. Gaz. (1886 November) das 
Hyoscinnm hydrobromlcum zuerst in kleinsten Dosen zu verab¬ 
reichen und erst allmählich, wenn nöthig, zu steigern, wenn dasselbe gut 
vertragen wird. Es bewirkte ruhigen Schlaf, verlangsamten Puls und ruhi¬ 
gere Respiration bei ‘/u* g, während l ju g beunruhigende Symptorao von 
Seiten der Respiration und des Herzens hervorriefen; bei einem Phthisiker 
riefen sogar schon ’/ioo g heftige Delirien hervor. Gr. 


XIV. 61. Versammlung Deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte in Köln, 18.—23. Septbr. 

Als Einführender der Section für Hygiene der am 18.—23. Soptembei 
d. J. in Köln tagenden Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte erlaube ich mir zur Theilnahme an den Berathungen dieser Section 
freundlichst einzuladen mit der Bitte, Vorträge recht bald bei mir gefälligst 
anmelden zu wollen. Köln, 21. April 1888. Dr. Lcnt. 

XV. 2. Versammlung der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Gynaekologie in Halle, 24.-26. Mai. 

Bis heute sind folgende Vorträge angemeldet: Herr Dührssou 
(Berlin). Ueber Stoffaustausch zwischen Mutter und Frucht. — Herr 
Win ekel (München). Zur Beförderung der Geburt des nachfolgenden 
Kopfes mit Demonstration. — Herr Dohru (Königsberg). Zur Frage der 
Behandlung der Nachgeburtszeit mit Demonstration von Abbildungen. — 
Herr Schwarz (Halle a. S.). 1) Zur Therapie der Extrauterinschwanger¬ 

schaft. 2) Ueber Atonie des nicht puerperalen Uterus. 3) Demonstration 
von Präparaten. — Herr Werth (Kiel). 1) Ueber Entstehung von Psy¬ 
chosen im Gefolge von Operationen am weiblichen Genitalapparate. 
2) Ueber Laparotomie bei hochliegendem Becken. 3) Ueber die Anwendung 
versenkter Nähte bei plastischen Operationen an Damm und Scheide. — 
Herr Pott (Halle a. S.). Zur Aetiologie der Vulvovaginitis im Kindes- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 17 


alter. — Herr Döderlein (Leipzig). Ueber inneres Erysipelrecidiv nach 
monatelanger Latenz in Folge einer Frühgeburt. — Herr Zweifel (Leipzig). 
Thema Vorbehalten. — Herr Freund (Strassburg). Ueber angeborene 
und erworbene Tubenanomalien. — Herr Sänger (Leipzig). 1) Ueber 
Blasenverletzung bei Laparotomieen. 2) Ueber Leukämie bei Schwangeren. 
3) Demonstration von Operirten nach Lappen-Perineorrbaphie, nach Ventro- 
fixatio uteri retroflexi. — Herr Schultze (Jena). Kurze Mittheilung über 
Pessarieu. — Herr Schatz (Rostock). 1) Therapeutische Mittheilungen: 
a) bei Ischuria puerperarum. b) bei Schwangerschafts wehen, c) bei Wen¬ 
dung und Extraction wegen Beckenenge. 2) Ueber die Placenta circum- 
vallata. 3) Ueber die Sterblichkeit im Wochenbette im Grossherzogthum 
Mecklenburg-Schwerin. — Herr Baumgärtner (Baden-Baden). 1) Zur 
Operation parametritischer Abscesse. 2) Zur Operation des Cervixcarcinoms. 

— Herr Ahlfeld (Marburg). 1) Ueber Placenta praevia mit Benutzung 
eines Durchschnittes durch einen hochschwangeren Uterus. 2) Ueber bisher 
noch nicht beschriebene intrauterine Bewegungen des Kindes. 3) Berufs¬ 
oder Gelegenheitshebammen. — Herr Leopold (Dresden). Zur Behandlung 
der Utcrusruptur. — Herr ßumm (Würzburg). Erfahrungen über Achsen¬ 
zugzange. — Herr Skutsch (Jena). Zur Therapie der Retroflexio uteri. 

— Herr Keil (Halle a. S.). Ueber zweizeitige Eröffnung cystischor Ab¬ 
dominaltumoren. — Herr Olshausen (Berlin). Ueber Geburtsmechanismus 
bei Schädellagen. — Herr Schauta (Prag), lieber Diagnose der Früh¬ 
stadien der Salpingitis. — Herr Wiedow (Freiburg). Ueber Bauchfell¬ 
erschlaffung. — Herr Winter (Berlin). Demonstration von Präparaten. — 
Herr Stumpf (München). Pathologische Anatomie der Schwangerschaftsniere. 

R. Kaltenbach. 

XVI. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. In der am 23. d. M. unter dem Vorsitz des Herrn Prof. 
Fräntzel abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für innere Medicin 
wurde der bisherige Vorstand durch Zuruf wiedergewählt, ebenso die drei 
Schriftführer. Für die statutenmässig ausscheidenden Mitglieder der Go- 
schäftscommission wurden gewählt die Herren: Rothmann, S. Guttmanu, 
Flatow, Ebcrty, Riess. Der von Herrn Marcuse verlesene Kassen¬ 
bericht ergiebt einen sehr günstigen Vermögonsstand, der Verein verfügt 
über einen Uebersehuss von 3600 Mk., von dem Herr Markusc vorschlägt, 
einen Theil zur Vermehrung der Bibliothek zu vorwenden. Vor der Tages¬ 
ordnung deinonstrirtc Herr Leo den Gärtner'sehen Ergostat, einen zur 
systematischen Muskel Übung bestimmten neuen Apparat. Sodann hielt Herr 
Gerhardt den zweiten Theil seines mit grossem Beifall aufgenommenen 
Vortrags, in welchem er die Therapie des runden Magengeschwürs besprach. 

— Die Berliner modiciuische Gesellschaft wählte in ihrer 
Sitzung am 18. d. M. die Mitglieder ihres Vorstandes Herren Virchow, 
Henoch, Siegmund, B. Fraenkel, Abraham, Senator und Falk 
in das Comite, welches die vorbereitenden Schritte für die Errichtung eines 
Langenbeck-Hauses (s. diese Wochenschr. No. 15, p. 308) einleiten 
soll. Seitens der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sind die Herren 
v. Bergmann, Bardelobeu, Küster, E. Hahn, Langenbuch und 
Bartels in dieses Comite entsandt, so dass demselben der Gesammt- 
vorstand der Berliner medicinischen Gesellschaft angehört. Herr v. Berg¬ 
mann konnte mitthoilen, dass sich Se. Majestät der Kaiser an die Spitze 
der Sammlungen stellen wird, für die in allerkürzester Zeit die erforder¬ 
lichen Aufrufe ergehen sollen. 

— Aerztekammer der Provinz Brandenburg. In der unter 
Anwesenheit des Oberpräsidenten Excellenz von Achenbach und unter 
dem Vorsitz des Herrn Geheimrath Körte am 21. d. M. abgehaltenen Sitzung 
der Aerztekammer der Provinz Brandenburg und des Stadtkreises Berlin, 
kam der von dem Vorstande vorgelegte Entwurf der Geschäftsordnung als 
erstor Gegenstand der Tagesordnung zur Berathung und fand mit einigen 
Modificationen Annahme. Der zweite Gegenstand der Tagesordnung, betreffend 
die Aufbringung der Kosten der Kammer, wurde dahin erledigt, dass durch eine 
Umlage bei allen wahlberechtigten Aerzten und zwar in der Höhe von 3 Mark 
pro Jahr die Kosten gedeckt werden sollen. Den wahlberechtigten Aerzten 
wird das bisherige Berliner ärztliche Correspondenzblatt, welches zum Organ 
der Aerztekammer gemacht wurde und in welchem die Sitzungsberichte der 
Kammer zur öffentlichen Publication gelangen, kostenfrei zugestellt. Der dritte 
Gegenstand der Tagesordnung, betreffend die Eingabe der Gesellschaft für 
Geburtshülfe und Gynäkologie zu Berlin über die Beschaffung von 
Wöchnerinnenasylen, wurde nach dem Vorschläge des Referenten A. Martin, 
welcher in einem eingehenden und lichtvollen Vortrage die Nothwendigkeit 
derselben darlegte, dem Minister für die Medicinaiangelegenheiten zur Prü¬ 
fung und weiteren Veranlassung empfohlen. Wir behalten uns vor, bei der 
grossen Wichtigkeit des letztgenannten Gegenstandes auf die Darlegungen 
des Referenten in einer unserer nächsten Nummern des Näheren einzugehen. 

— Prof. Dr. Ewald ist zum dirigirenden Arzt der medicinischen Ab¬ 
theilung des Augusta-Hospitals ernannt worden. 

— Dem Vernehmen nach soll Prof. Dr. Licht heim in Bern einen 
Ruf nach Königsberg anstelle des nach Strassburg berufenen Prof. Naunyn 
erhalten und angenommen haben. 

— Professor Kundt, der von Strassburg nach Berlin übergesiedelt 
ist, wird an der hiesigen Universität über Experimentalphysik lesen und 
die praktischen Uebungen der physikalischen Anstalt der Universität leiten. 
Er übernimmt damit den Lehrauftrag, welcher bisher Prof. Helmholtz zu- 
stand. Letzterer wird fortan nur über theoretische Physik, welche bis dahin 
Professor Gustav Kirchhoff vorzutragen hatte, lesen. Die Vorträge über 
medicinische Physik, für welche Prof. Christiani bestellt war, wird im 
nächsten Halbjahre Prof. Gad halten. 

— Breslau. Privatdocent Dr. Rosenbach in Breslau, Primärarzt 
des Allerheiligen-Hospitals, ist zum ausserordentlichen Professor an der 
dortigen Universität ernannt worden. 


— Strassburg. Dem bisherigen ordentlichen Professor an der Uni¬ 
versität Strassburg Dr. Kuss maul ist der Stern zum Königlichen Kronen¬ 
orden II. CI. verliehen worden. 

— Von den Sitzungsberichten der Niederrheinischen Ge¬ 
sellschaft für Natur- und Heilkunde ist (Bonn, M. Cohen «fe S.) der 
Jahrgang 1887 erschienen. Aus dem reichen Inhalte des Bandes, der in 
die Abschnitte: Geographie, Geologie, Mineralogie und Paläontologie; 
Botanik; Anthropologie, Ethnologie, Zoologie und Anatomie; Chemie, Tech¬ 
nologie, Physik, Meteorologie und Astronomie; Physiologie, Gesundheits¬ 
pflege, Medicin und Chirurgie, zerfallt, wollen wir nur hervorheben, dass der¬ 
selbe Vorträge der Herren Ribbert, Finkelnburg, Rumpf, Finkler, 
Kooster, Doutrelepont, Binz, Trendelenburg etc. des verschieden¬ 
sten Inhaltes enthält. Den Vorsitz der medicinischen Section führte im 
Jahre 1887 Prof. Trendelenburg, Schriftführer derselben waren die 
DDr. Leo und Zartmann. 

— Für die II. Versammlung der anatomischen Gesellschaft sind 
nachträglich noch folgende Vorträge angemeldet worden. Herr Leboucq: 
Das Fingerskelett der Pinnipedier und der Cetaceen; Herr Bon net: 
Stummelschwänzige Hunde im Hinblick auf die Vererbung erworbener 
Eigenschaften; Herr Born: Ueber die Bildung der Klappen, Ostien und 
Scheidewände im Säugethierherzen. Ferner wird Herr Bonnet Präparate, 
betr. die Entwickelung des Schafes, demonstriren. 

— Das Hospital St Louis in Paris wird mit 27, im Umkreis bis 
8 km gelegenen Stationen (Apotheken, Polizeibureaus etc.) telephonisch 
verbunden werden. Bei Strassenunfällen kann alsdann mit Hülfe eines 
Krankenwagens, der stets angespannt bereit steht, auf das erste Signal 
binnen 3—10 Minuten ärztliche Hülfe zur Hand sein. 

— In der Medical Society in London legte Mr. Wilks am 26. März 
Photographieen der Finger eines 50jährigen Menschen vor, bei welchem ein 
Anfall von Seekrankheit zweimal die Bildung von Querfurchen 
auf den Nägeln zur Folge gehabt hat. Die Furchen sind durch einen 
Zwischenraum getrennt, der genau der Zeit zwischen den beiden Anfällen 
entspricht. Die Seekrankheit trat jedes Mal heftig auf und dauerte drei 
Tage. Mr. Wilks hat bereits vor 20 Jahren die Furchen beschrieben, die 
sich an den Nägeln in Folge gewisser Krankheiten bilden, allein es ist 
interessant, dass die einfache Ernährungsstörung durch die Seekrankheit sie 
hervorrufen kann. Sir James Paget hat an seinen eigenen Nägeln nach 
allen schworen Krankheiten, die er durchgemacht hat, die Bildung von 
Querfurchen beobachtet. 

— Sir Spencer Wells berichtete in der Königl. Gesellschaft für 
Medicin und Chirurgie in London vom 10. April über einen Fall von 
Milzexstirpation. Die 24jährige Kranke hatte einen Tumor im Abdomen, 
der allmählich Kindskopfgrösse erreichte, er befand sich in der Mitte des 
Abdomens und schien dem Uterus anzuhängen. Seit 9 Jahren hatte die 
Kranke häufige Anfalle von Icterus. Bei der Operation am 5. December 
1887 fand sich, dass der Tumor nichts war als die hypertrophische Milz. 
Sie wurde entfernt, ihr Gewicht betrug 1 kg. Am 24. Tage nach der 
Operation wurde die Kranke geheilt entlassen, sie hat sich seitdem wohl 
befunden und keinen Anfall von Icterus mehr gehabt. 

Sir Spencer Wells giebt' folgende Statistik der Milzexstirpationen: 

Zahl der Fälle Heilungen Todesfälle 
Leukämischer Milztumor . . 19 1 18 

Einfache Hypertrophie ... 14 1 13 

Malaria- „ ... 4 1 3 

Wandermilz.9 7 2 

Cysten der Milz.4 3 1 

Echinococcen der Milz . . . I 1 

Sarcom „ v . . . I 1 

— Cholera in Valparaiso. In Valparaiso (Chile) sind den amtlichen 
Angaben zufolge in dom 50tägigen Zeitraum vom 24. December vor. Jahres 
bis 12. Februar d. J. 2509 Erkrankungen an Cholera bekannt geworden, 
von welchen 970 oder ca. 39<>/ 0 einen tödtlichen Ausgang genommen haben. 
Am heftigsten ist die Epidemie in der letzten Woche des December (durch¬ 
schnittlich 91 Erkrankungen und 38 Todesfälle) und in den ersten beiden 
Wochen des Januar (durchschnittlich 68 Erkrankungen und 26 Todesfälle) 
aufgetreten, während in der Zeit vom 1. bis 12. Februar ein beträchtlicher 
Nachlass sich bemerklich gemacht hat (durchschnittlich täglich 17 Erkran¬ 
kungen und 6 bis 7 Todesfälle). Die deutsche Colonie hat verhältniss- 
mässig wenig gelitton (etwa 15 Todesfälle). Ueber die Zahl der Opfer, 
welche die fast über ganz Chile verbreitete Seuche in den anderen Pro¬ 
vinzen gefordert hat, sind auch nur annähernd zuverlässige Angaben nicht 
zu erlangen gewesen. (Veröff. d. K. Ges. A.) 

— Variola. Nachdem Fälle von Variola in New-York, Chicago 
und San-Francisco unter italienischen Einwanderern des Dampfers Cir- 
kassia vorgekommen sind, dem es gelungen war, die Wachsamkeit der 
Quarantänebehörden zu täuschen, hat der New-Yorker Gesundheitsrath be¬ 
stimmt, von Schiffen, bei denen auf der Reise ein Variolafall constatirt 
war, keinen Passagier landen zu lassen, ehe nicht jede Gefahr geschwunden 
ist. Ausserdem dürfen die Schiffe ihre Ladung erst nach sorgfältiger Des- 
infection entlöschen. — Nach weiteren Mittheilungen aus Martinique ist 
eine bemerkenswerthe Abnahme in der Zahl der neuen Variolafälle einge¬ 
treten, ebenso in der Zahl der Todesfälle. Das berechtigt zu der Hoffnung 
auf ein baldiges Erlöschen der Epidemie. 

— Universitäten. München. Der Priv.-Doc. Dr. Voit wurde unter 
Enthebung von der Function eines Privatdocenten an der Universität zum 
Professor der Physiologie und Diätetik der Hausthiere an der Central¬ 
thierarzneischule in München ernannt. — Würzburg. Dr. R. Geigel hat 
sich als Docent für innere Medicin habilitirt. — Wien. Die Habilitation 
der DDr. Kolisko für pathologische Anatomie, Hochstetter für Anatomie 
Neusse'r für innere Medicin, Ehrmann für Dermatologie und Syphilis 
wurde vom Unterrichtsministerium bestätigt. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 18 


3. Mai 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISGHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Yierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Zeichen und Behandlung des ein¬ 
fachen chronischen Magengeschwüres. 1 ) 

Von C. Gerhardt. 

An Stelle der starren anatomischen Diagnose tritt in unseren 
Tagen vielerseits die dehnbarere physiologische Erklärung. Man 
kommt damit in vielen Dingen zu einer richtigeren Auffassung der 
Sachlage und des Krankheitsprocesses. Hier liegt ein Kranker mit 
den ausgesprochenen physikalischen Erscheinungen des Lungen¬ 
emphysems. Wir würden seinen Zustand als unheilbar betrachten 
müssen. Aber thatsäcblich hat er nur durch eine Reihe asthmatischer 
Anfälle Lungenblähung solchen Grades erworben, dass sie Emphysem 
vortäuscht. Findet sich ein Angriffspunkt, von dem aus sein Asthma 
zu beseitigen ist, so wird auch seine Lunge annähernd in die rich¬ 
tigen Grenzen zurückkehren. So sind denn die Begriffe des Asthmas 
der Herzschwäche, der Nervenschwäche eingesetzt worden, wo früher 
Diagnosen fehlten oder ganz anders lauteten. An keinem Organe 
hat diese Wandelung der Auffassungsweise tiefer eingegriffen, als 
an dem Hauptorgane der Verdauungsthätigkeit. Der Magenkatarrh, 
mit dem als Nothhelfer zur Erklärung functioueller Störungen, wie 
bei mangelnder Diagnose so ausgiebiger Missbrauch getrieben worden 
war. ist auf dem besten Wege, eine seltene Krankheit zu werden. 
Der Magenkrampf, der früher eine einsame Stellung einnahm, hat 
eine ganze Reihe reiu functioneller Störungsformen zur Gesellschaft 
erhalten, die Incontinenz des Pylorus, peristaltische Unruhe, nervöse 
Dyspepsie, Gastroxynsis, Hyperacidität. Bei dieser Sachlage darf 
man sich fragen, ob die Diagnose des einfachen Magengeschwüres 
überhaupt noch einige Berechtigung habe. Einfache Substanzver- 
luste der Schleimhaut heilen am Magen von Thieren ausserordentlich 
leicht. Quincke musste Thiere anämisch machen, wenn er ein 
Geschwür von einiger Dauer erzielen wollte. Einzelne Therapeuten 
haben den Beweis geliefert, dass man auch aus der menschlichen 
Magenschleimhaut ein Stück wegreisssen kann ohne dauernden Nach¬ 
theil. Man kann deshalb auch nicht sagen, dass das Magengeschwür 
ein einfacher Substanzverlust der Magenschleimhaut sei, sondern 
man muss es als Substanzverlust von einer gewissen Dauerhaftigkeit 
oder Vergrösserungsbestreben bezeichnen. Es ist nicht nur ein ein¬ 
faches, es ist ein chronisches Geschwür. Nun liegen aber die Be¬ 
dingungen, die die Heilung verhindern und die Ausbreitung begün¬ 
stigen, abgesehen von sehr alten callöseu Geschwüren, nicht in der 
Natur des Geschwürsbodens, in der Structur der Gewebe, sondern in 
der Beschaffenheit des Mageninhaltes, wie er aus Genossenem und 
Abgesondertem unter Einfluss von Aufsaugung und Fortbewegung 
sich gestaltet und auf die Wand einwirkt. 

Der Genuss von Brechweinstein und Salicylsäure kann Magen¬ 
geschwüre erzeugen, also auch wohl unterhalten. Da die Entstehung 
des Geschwüres vorwiegend, die Vergrösserung ausschliesslich durch 
den Vorgang der Selbstverdauung geschieht, muss auch die Ab¬ 
sonderungsweise von Pepsin und namentlich Chlorwasserstoffsäure 
von entscheidender Bedeutung für das Bestehen und Wachsen des 
Geschwüres sein. In der That ist es Ewald gelungen, durch 
Herabsetzung des Blutdruckes und Uebersäuerung des Mageninhaltes 
typisches rundes Magengeschwür zu erzeugen. Das einfache chro¬ 
nische runde Magengeschwür, an sich eine anatomische Veränderung, 
stellt doch in vielen Fällen nur das greifbare Ergebniss verkehrter 
Ernährungsweise, krankhafter Absonderung dar. Hiernach könnte 
man sich getrost damit zufrieden geben, wenn auch am Kranken- 

')*_Vortrag,'gehalten im Verein für iunfere Mediciu. 


bette die reiu functioneilen Veränderungen vorwiegend berücksichtigt 
würden, und von anatomischer Diagnose wenig die Rede wäre. 
Indess die schweren Gefahren, die sich entwickeln aus dem Magen¬ 
geschwüre, Blutung in 30, Perforation in 13 und Pylorusstenose in 
10% der Fälle, lassen denn doch die anatomische Veränderung für 
Leben und Gesundheit ungleich bedrohlicher erscheinen als die 
functionelle Störung. Ein Blick auf die Bedeutung der einzelnen 
Symptome zeigt, dass jener bequeme und nicht unbeliebte Stand¬ 
punkt, der die Erkenntniss des Magengeschwürs abhängig macht 
von dem Eintritte jener schweren Erscheinungen, nicht einmal vom 
rein diagnostischen Standpunkte aus zu rechtfertigenMst, geschweige 
denn von dem ärztlicher Pflicht. 

Man muss sich klar machen, dass das Magengeschwür eine un- 
gemein häufige Erkrankung ist, die im Mittel bei 5%, hier in Berlin 
bei 2,70/o (Berthold), an anderen Orten bei 100/ 0 der secirten Per¬ 
sonen vorhanden war, nach einer Kieler Statistik von Greis mehr 
als dreimal häufiger Narben als Geschwüre, Carcinora in 2 0/ 0 der 
Secirten. 

Von Vielen wird das Blutbrechen als das eigentlich bewei¬ 
sende Symptom des Magengeschwüres angesehen. Indess unterliegt 
es keinem Zweifel, dass dieses Symptom auf anderem Wege zu 
Stande kommen und beim Magengeschwür auch fehlen kann. Es 
findet sich sowohl bei anderen corrosiven, tuberculösen, carcinoraatösen 
Geschwürsformen vor, als auch bei Lebercirrhose, hier namentlich 
als Anfangssymptom, und bei anderen Arten arterieller und venöser 
Kreislaufsstörungen, aufbrechenden Varicen, Aneurysmen u. dgl. Beim 
Magengeschwür findet es sich nach der Angabe von Br inton in 
29% der Fälle. Auch Witte in Kopenhagen fand in 339 Fällen 
100 Mal Blutbrechen, in meinen Fällen war es in 47% der Fälle vor¬ 
handen. Dieses Verhältniss dürfte eher noch zu hoch als zu niedrig 
sein. Entgegenstehende Angaben enthalten theilweise in sich selbst 
das Zeugniss ihrer Unzuverlässigkeit. So gab Lebert an, dass er 
bei 104 Magengeschwüren nur bei 22 Blutbrechen vermisst habe, 
aber unter 33 secirten Fällen von Magengeschwür fand er nur 10 
Mal erhebliches Bluterbrechen in der Anamnese aufgezeichnet, was 
genau der Angabe von B rin ton entspricht. Zu solchen Wider¬ 
sprüchen gelangt man, wenn man die Diagnose des Magengeschwüres 
von vorausgegangenem Blutbrechen abhängig machen will. Auch 
das Blutbrechen ist kein eindeutiges Symptom, und die mehr als 
2 ,3 der Fälle von Magengeschwür, die ohne Blutbrechen verlaufen, 
dürfen wir nicht von unserer Erkenntniss und von zweckmässiger Be¬ 
handlung ausschliessen. Es ist bekannt, dass diese Haeinatemesis 
keineswegs immer aus Magengeßssen herrührt. Alte Magengeschwüre 
haben gar oft ihren Boden in Nachbarorganen gefunden, und zwar, 
entsprechend dem häufigsten Sitze des Magengeschwüres, an Pylorus- 
theil, hinterer Wand, kleiner Curvatur in 75 der Fälle, am häufigsten 
im Pancreas oder in anderen Theilen, nächstdem in dem linken 
Leberlappen, am seltensten in der Milz. Gerade am Pancreas werden 
besonders oft die Arterien dieses Organs oder die Milzgeßsse von 
dem Geschwür blosgelegt, erweitert und eröffnet. Die geringe Zahl 
der Todesßlle durch Blutung (3—5%) beruht hauptsächlich auf 
diesen Vorgängen am Pancreas. 

Das Eintreten der Blutung wird bisweilen bei Magengeschwür¬ 
kranken hervorgerufen durch schwere acute Krankheiten, z. B. hä¬ 
morrhagische Diathese Typhöser, bisweilen durch die dunkeln Vor¬ 
gänge sog. vicariirender Menstruation. Was ich davon gesehen, be¬ 
zog sich immer nur auf periodische Blutungen bei bestehendem 
Magengeschwür, manchmal wurde unregelmässig periodische Haemat- 
emesis als Ausrede zur Vermeidung der Diagnose Ulcus benutzt. 


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350 

Als wichtigstes negatives Zeichen für die Sicherung der Diagnose 
wird zumeist die Abwesenheit der Geschwulst betrachtet. Für 
einen Theil der Geschwüre hat dieser Satz {inbedingt Geltung, für 
frische Geschwüre, welche Nichts als einen Substanzverlust der 
Magenschleimhaut darstellen. Unter allen Eintheilungen scheint 
mir die in das frische und alte Geschwür die wichtigste. Bei jenen 
langbestebenden Geschwüren, deren Grund und Boden in ein Nach¬ 
barorgan verlegt ist, deren Ränder verdickt und hart sind, kommen 
mehrere Formen von fühlbarer Geschwulst vor. 

1. Das Geschwür selbst, d. h. sein plattenartig verdickter Grund, 
seine harten Ränder werden gefühlt. Diese Form fühlbarer Ge¬ 
schwulst zeichnet sich durch flache plattenartige Beschaffenheit, 
Druckempfindlichkeit, Unveränderlichkeit aus. Sie wird am deut¬ 
lichsten gefühlt, wenn das Geschwür an jenem kleinen Theil der 
vorderen Wand seinen Sitz hat, der der Betastung zugängig ist. 
In vielen Fällen wird sie durch den linken Leberlappen hindurch 
gefühlt. Nach den Zahlen, die über den Sitz der Magengeschwüre 
vorliegen, kann es nur eiu kleiner Theil sein, in dem solche 
Härte fühlbar wird. Dennoch muss man den Satz, dass ein fühl¬ 
barer Tumor gegen einfaches Magengeschwür spreche, geradezu 
dahin umkehren: Bei mehr als dreijähriger, wenn auch 
unterbrochener Dauer des Magenlcidens spricht kleiner 
dünner Tumor stark zu Gunsten eines Geschwüres. 

2. Bei den verschiedensten mit Magenkrampf und Ucbersäue- 
rung des Mageninhaltes einhergehenden Magenleiden kaun durch 
functionelle Hypertrophie der Muskulatur die Pylorusgegend zur 
tastbaren Geschwulst werden. Ganz besonders oft geschieht dies 
beim Magengeschwür, sei es, dass dasselbe selbst am Pylorus seinen 
Sitz hat, sei es, dass in langjährigem Verlaufe häufige Cardialgieen 
erfolgten. Die Fühlbarkeit dieser Geschwulst wird ungemein be¬ 
günstigt durch Erweiterung und Herabsinken des Magens. Schon 
die ersten Magenausspülungen von Kussmaul zeigten, dass diese 
Geschwulst bei passender Behandlung leicht wieder zum Verschwin¬ 
den kommt. 

3. Bei Perforationsvorgängen kann sich in der Nähe, an der 
Aussenseite eines Geschwüres eine tumorartige Exsudatraasse oder 
ein abgekapselter Abscess bilden und fühlbar werden. Zu einem 
langjährigen Magenleiden tritt danu eine rasch wachsende Geschwulst 
unter sichtlichem Verfalle hinzu, und die Verlockung, ein Carciuom 
anzunehmen, ist gross. 

4. Alte grosse Geschwüre umfassen mit jhrem Grunde öfter 
Theile von Nachbarorganen (Pancreas, linker Leberlappen, Milz), 
die abgeschnürt oder zapfenartig in das Geschwür hereinragen, 
chronisch entzündet und hart anzufühlen sind. So entstehen schmerz¬ 
hafte massive Tumoren, die selbst einigen langsamen Wachsthums 
fähig sind. Gerade in diesen beiden letzteren Fällen ist es von be¬ 
sonderem Werthe, den Mageninhalt zu untersuchen, dessen C1H- 
Uebersäuerung die Diaguose von pessimistischen Abwegen fern hält. 

In der vielbesprochenen Salzsäurefrage lauten meine Erfah¬ 
rungen so, dass von 24 in letzter Zeit untersuchten Magengeschwürs¬ 
kranken 17 zu geeigneter Zeit mit den üblichen Farbenreactionen 
Salzsäure im Mageninhalte erkennen Hessen, 7 nicht. Unter letzteren 
befanden sich drei, bei welchen reichliches Bluterbrechen vorausge¬ 
gangen war, in welchen somit die Diagnose unzweifelhaft war, ferner 
zwei, bei welchen Anämie als Grund der mangelnden Salzsäure¬ 
absonderung aufgefasst werden konnte. Die peptische Entstehung 
des Magengeschwüres setzt Salzsäureeinwirkuug voraus. Im weiteren 
Verlaufe alter Magengeschwüre können aber offenbar Verhältnisse 
eintreten, die die Heilung des Geschwüres verhindern, obgleich pep¬ 
tische Einwirkungen der Heilung nun nicht mehr entgegenstehen 
würden. Manchmal mögeu dies Structurveränderuogcn, callüser 
Rand u. dgl. sein, andere Male mögen, wie in den Thierversuchen 
Quincke’s, anämische Zustände die Zuheilung der Geschwüre un¬ 
günstig beeinflussen, weitere chemische Einflüsse abnorm gährenden 
Mageninhaltes, die dahin wirken, müssen vermuthet werden und 
sind auch theilweise schon experimentell nachgewiesen worden. 
Wenn man etwa den Werth der Farbenreaction gering anschlägt, 
so ergiebt sich auch aus genauen quantitativen Untersuchungen, dass 
bei Ulcus ventriculi der Salzsäuregehalt gering sein kann, so fanden 
ihn Cahn und v. Mering einmal 0,055%, v. Sohlern 0,18%. 
Die Angaben über den normalen Salzsäuregehalt schwanken aller¬ 
dings zwischen 0,15—0,32%. Bei Ulcus wurde bis zu 0,47 (van 
den Velden) gefunden. Unter 16 Carcinomen des Magens zeigten 
nur 2 schwache Salzsäurereaction mit Farben, bei 14 fehlte sie. 
Man wird nicht die Carcinomdiagnose aufgeben müssen, weil Salz- 
säure-Farbenreaction vorhanden ist, und nicht die Ulcusdiagnose, 
weil solche fehlt. Dennoch lege ich für gewisse Fälle diesen Reac- 
tionen entscheidende Wichtigkeit bei, und zwar gerade für gewisse 
kritische Fälle, unbedingt für diejenigen, in welchen die Frage so 
steht: ist bedeutende Magenerweiterung und Pylorusstenose durch 
Carcinom oder Ulcus bedingt? Dies war auch der ursprüngliche 
Satz von van den Velden, und diesen halte ich für durchgehends 


No. 18 


richtig. Das Symptom ist so wenig ein pathognomonisches, wie 
irgend ein anderes. Auch bei notorischer Lungentuberculose können 
wochenlang Bacillen im Auswurfe fehlen. Es ist ein werthvoller 
Posten in dem diagnostischen Rechenexempel, aber es bedarf so gut 
wie jedes andere Zeichen vernünftiger Verwendung. 

Von entscheidender Bedeutung für die Möglichkeit der Diagnose 
sind Dauer und Sitz des Geschwüres. Bei alten Magengeschwüren 
werden ungemein häufig die Beschwerden als kürzlich entstanden 
geschildert, das ganze jahrelange Leiden wird in eine Reihe von 
Abschnitten zerlegt, die als eigene, besondere Krankheiten gelten 
sollen. Gelingt es, den Zusammenhang der Verschlimmerungen, die 
Fortdauer einzelner Beschwerden während der Intervalle nachzu¬ 
weisen, so giebt oft die Dauer dafür Sicherheit, dass kein Carcinom, 
und die Hartnäckigkeit, dass kein blosser Magenkatarrh vorliege. 
Auf dem Lande sieht man oft zur Frühjahrszeit, in grossen Städten 
zur Wintersaison die Beschwerden alter Magengeschwüre sich steigern. 
Ein Magenleiden, das über drei Jahre dauerte, die Er¬ 
nährung tüchtig herunterbrachte und keinen fühlbaren 
Tumor bewirkte, wird zumeist als altes Magengeschwür 
aufzufassen sein. 

Der Sitz des Geschwüres ist von vorwiegender Bedeutung für 
die Gestaltung der Symptome. Von ihm hängt namentlich der Sitz 
und das Verhalten des Schmerzes ab. Eine Summe unter sich gut 
übereinstimmender Eigenschaften des Magenschmerzes liefert in jenen 
70% der Fälle, in welchen kein Blutbrechen vorkam, am ersten 
noch den Nachweis des Magengeschwüres. Dahin gehört die Ab¬ 
hängigkeit von der Zeit und der Art der aufgenommenen Nahrung, 
von der Körperlage; die Uebereinstiramung des spontanen Schmerzes 
mit der druckempfindlichen Stelle in der Magengegend. Letztere 
wird häufig fehlen, wenu an der hinteren Wand oder kleinen Cur- 
vatur das Geschwür seinen Sitz hat, wird von geringerem Werthe 
sein, wenn sie in nächster Nähe des Schwertfortsatzes getroffen 
wird, wo ohnehin der neuralgische Schmerzpunkt des Magens 
gelegen ist. Sowohl continuirlicher, wie bei gewissen Lagen 
jedesmal hervortretender Schmerz kann von Adhäsionen des Ge¬ 
schwüres, oder der Narbe, oder auch von anderweit bedingten 
Adhäsionen abhängig sein. Aendern sich die Secretionsver- 
hältnisse im Sinne andauernder Salzsäureabsonderung, bleibt der 
Magen trotz Erbrechen mit saurem Speisebrei gefüllt, so kann der 
Schmerz andauernd sein und auch bei nüchternem Magen empfunden 
werden. Gerade bei andauernder Acidität des Mageninhaltes kommt 
auch öfter jene Schmerzform vor, die durch Nahrungsaufnahme oder 
durch Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel beschwichtigt wird auf 
kurze Zeit. Wo die Furcht vor dem Schmerz zur Beschrän¬ 
kung der Nahrungsaufnahme zwingt, hat man es schwer¬ 
lich mit Carcinom, weit eher mit Ulcus, vielleicht mit 
Cardialgie zu thun. 

Druckempfindlichkeit und Geschwulst sprechen mehr für Sitz 
des Geschwürs an der vorderen Wand, Rückenschmerz und Blutung 
mehr für Sitz an der hinteren Wand. Sitz des Schmerzes und Steige¬ 
rung durch eine Seitenlage lassen oft Ulcus der Fundus- oder Pylorus- 
gegend unterscheiden. Magenerweiterung spricht stets für Sitz am 
Pylorus oder Duodenum, Verengerung für die Cardia. Fundus¬ 
geschwür mit der Milz verlöthet, kann durch Splenitis zu Frösten 
führen, wie ich in 3 Fällen gesehen habe. Sanduhrform kann zu 
doppeltem, respiratorischem, grossblasigem Rasselgeräusch Veran¬ 
lassung geben. Solche Anhaltspunkte lassen in der Mehrzahl der 
Fälle Bestimmung des Sitzes des Geschwürs zu, und ich glaube, 
soll die Diagnose eine sichere sein, so muss sie auch 
den Sitz des Geschwürs bezeichnen. 

Frisches Magengeschwür besteht gewöhnlich, chronisches bis¬ 
weilen, ohne irgend auffällige Störung der Ernährung. Andererseits 
findet man die höchsten Grade von Abmagerung in Folge von 
Nahrungsverweigerung aus Furcht, von Hyperemesis und von Cardia- 
oder Pylorusstenose. Letztere wird viel häufiger lebensgefährlich 
als das Magengeschwür. Von Cardiastenose habe ich 3 Fälle durch 
die Schlundsonde gerettet, einen verloren. 

Auch hier zeigt sich in interessanter Weise der Zusammenhang 
zwischen Geschwür und functioneller Störung. Das Geschwür bildet 
den festen Punkt, an den sich bald stärkere Störungen wie Schmerz, 
Erbrechen, Abmagerung anreihen, bald wieder fast verlieren. Immer 
bleibt die Neigung zur Verschlimmerung durch das Geschwür bedingt. 
Wenn sich auch in 21% der Fälle mehrere Geschwüre finden, und 
die Neigung zur Bildung neuer Geschwüre in Betracht kommt, ist 
doch in der Mehrzahl der Fälle durch ein langdauerndes oft über 
30jähriges Geschwür die Kette an- und abschwellender Beschwerden 
bedingt. Dieser Wechsel der Erscheinungen ist so bezeichnend, dass 
man zeitweise Zunahme des Körpergewichtes (ohne Oedem) als 
wichtiges Zeichen des Geschwüres gegen Carcinom ansehen kann. 

ZumZwecke diätetischer Behandlung sind die verschiedenartigsten 
Versuche gemacht worden. Man hat öfter vorgeschlagen, die Kranken 
gar nichts essen zu lassen und nur durch Klystiere zu ernähren. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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3. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


351 


Warum dieser Vorschlag nicht zur allgemeinen Annahme gelangte, 
bedarf keiner Erklärung. 

Eine Hauptrolle in der diätetischen Behandlung spielt die Milch. 
Sie ist ohne Zweifel ein Heilmittel für das eiufache chronische Ge¬ 
schwür. Bei frischen Formen mag reiue Milchdiät von einigen 
Wochen genügen, um das Geschwür zur Heilung zu bringen, bei 
älteren wird man kaum hoffen dürfen, ganz ausschliessliche Milch¬ 
diät so lange ertragen zu sehen, wie zur Heilung nöthig wäre. Hier 
wird wenigstens reichlicher Milchgenuss förderlich sein. 

Von den Peptonen kann ich nicht viel rühmen. Seien sie 
wirklich grösseren Theiles Pepton, so wird nach Angabe Schiffs, 
Heidenhain’s, Herzen’s ihre Resorption die Magensaftse- 
cretion betheiligen, was für das Pepton unnütz, für das Magenge¬ 
schwür schädlich wäre. Immer wird ihr ekelhaft bitterer Geschmack 
den Appetit verderben. Sie scheinen von der Natur nicht für den 
Genuss durch den Mund gemacht zu sein. Dagegen können sie in 
schwierigen Lagen, wie Blutung, Durchbruch eines Geschwüres sie 
schaffen, als Klysma sehr werthvoll sein, um die Kräfte zu erhalten. 
In einem sicheren Falle von Perforation, den ich in Bamberg im 
Consilium mit Med.-R. Roth heilen sah, schienen Peptonklystiere 
wesentliche Dienste zu leisen. 

Von Aufrecht werden Ulcus-Kranke ausschliesslich mit solchen 
Speisen ernährt, zu deren Verdauung Magensaft nicht nöthig ist, 
besonders Buttersemmeln, Mehlspeisen, Apfelmuss, damit die Ab¬ 
sonderung des Magensaftes vermindert werde. Nun muss man ja 
von vornherein annehmen, dass bei vorwiegender Fleischnahruug 
auch beim Menschen mehr Salzsäure von der Magenwand geliefert 
werde, als bei gewohnheitsmässiger Pflanzennahrung. Auch spricht 
zu Gunsten derartiger Ernährung jene Angabe von Heidenhain, 
dass die Resorption verdauter Substanzen die Magenabsouderung, die 
durch mechanischen Reiz local angeregt wurde, zu einer ausge¬ 
breiteten mache. Dennoch muss der mechanische Reiz allein als 
Hauptursache der Saftabsonderung betrachtet werden, die selbst 
durch den Reiz des Federbartes und der Kieselsteine auch durch 
Kleister und Fleischbrühe erfolgt. Zudem ist die bei Magenge¬ 
schwür so häufige Uebersäuerung des Inhaltes und andauernde 
Säuresecretion zu berücksichtigen. 

Diese Verhältnisse erklären es, dass von den meisten Aerzten 
vorwiegend Milch- und Fleischdiät verordnet wird möglichst in 
flüssiger oder Breiform. Man geht dabei zumeist von der Leicht¬ 
verdaulichkeit aus, also von der Fähigkeit solcher Nahrungsstoffe, 
durch den Magensaft rasch und vollständig verdaut zu werden. 
Flüssige Form wird das Geschwür weniger in der Heilung behindern 
und weniger schmerzhaft berühren, auch weniger energisch die 
Magensaftabsonderuug anregen. Schon durch die Milchnahrung, 
auch durch jede zweckmässige Ernährungsweise muss eine gewisse 
Menge von Kohlehydraten neben der Fleischnahrung zugeführt 
werden. Die Erkenntniss andauernder Hyperacidität des Magen¬ 
saftes beim Magengeschwür rechtfertigt die Annahme vorwiegender 
Fleischdiät für diese Kranken. Indess müssen doch die Ver¬ 
hältnisse des Eiuzelfalles sehr berücksichtigt werden. 

Bei Milch- und Buttersäuregährung im Magen müssen Kohle¬ 
hydrate sorgfältiger vermieden werden. Grössere Mengen von Wein, 
auch von Kochsalz verlangsamen die Magenverdauung und sind 
deshalb wenig am Platze. Blut oder Serum würden vortreff¬ 
liche Nahrungsmittel sein, wenn sie in einladender und wohl¬ 
schmeckender Form beizubringen wären. Für die meisten Fälle 
bewährt sich vorwiegende Ernährung mit den leichtest verdaulichen 
Fleisch-, Milch- und Eierspeisen mit geringem Zusatze von Kohle¬ 
hydraten in leicht verdaulicher Form. 

Die arzneiliche Behandlung des Magengeschwüres geniesst nicht 
viel Vertrauen und erweist sich in manchem Sinne schwierig. In 
der That macht man mit Arzneimitteln bei Magengeschwüren nicht 
selten überraschend unangenehme Erfahrungen. Immer wird die 
Aetiologie für die Therapie der Leitstern.sein müssen, damit zu¬ 
sammenhängend die Beschaffenheit des Mageninhaltes. Die Indi- 
cationen des Einzelfalles sind oft schwerer zu finden, und wir sagen 
dann, die Wirkung der Mittel falle ungleich aus. Jedenfalls bildet 
zweckmässige und strenge diätetische Behandlung die Grundlage 
für den Erfolg irgend einer medicameutösen Therapie. Was ich 
früher schon über die Morphinbehandlung gesagt habe, halte 
ich aufrecht mit geringer Beschränkung. Morphin ist kein Heil¬ 
mittel für das Magengeschwür, es hindert eher die Heilung, indem 
es Diätfehler erleichtert. Wo es heftiger Magenschmerzen wegen 
gegeben werden muss, ist es ein nothwendiges Uebel. Vergleichende 
Versuche zeigen, dass in manchen Fällen Atropin auch in der 
Richtung besseres leistet als Morphin. Sofern auch an motorische 
Ursachen des Magengeschwüres zu denken ist (Blutstase durch krampf¬ 
hafte Zusammenschnürung von Theilen der Magenwand), lässt sich 
für heftig cardialgische Formen von Magengeschwüren auch einiger 
Nutzen des Morphingebrauches für die Sache einsehen. Mit diesen 
wenigen Beschränkungen bleibe ich bei dem Satze, dass es besser 


sei, narkotische Mittel nur ausnahmsweise bei dringendem Bedarfe 
auzuwenden, aber nicht zur eigentlichen, dauernden Behandlung zu 
verwenden. 

Von den übrigen Arzneimitteln seien zunächst die Säuren er¬ 
wähnt, vor Allem die Salzsäure. Auch Schwefel- und Phosphor¬ 
säure gehören dahin, sofern sie im Mageninhalte Salzsäure ab¬ 
spalten aus Chlornatrium. Kaum ist es nöthig, davor zu warnen, 
ein Magengeschwür, das in salzsäurereichem Mageninhalte ohnehin 
gebadet ist, auch noch aus der Arzneiflasche mit Salzsäure zu be- 
giessen. Das hiesse Oel in’s Feuer giessen. Wohl aber lassen sich 
am Mageninhalte alter Ulcera bisweilen Zustände von Salzsäure¬ 
mangel nachweisen, die mit Erfolg ausnahmsweise Salzsäurebehand¬ 
lung erfahren. Diese Iudication zum Säuregebrauch tritt haupt¬ 
sächlich bei anämischen Kranken ein. In diesen Fällen scheint mir 
das salzsäurereiche Eisenchlorid zwei Indicationen zugleich zu ent¬ 
sprechen. In zweifelhaften Fällen, ob Ulcus, ob Cardialgie Chloroti- 
scher, leistet es nach beiden Seiteu hin gleich gute Dienste. Meine 
Empfehlung dieses Mittels stützt sich vorzugsweise auf Erfahrungen 
in Thüringen, wo ich viel mit Magengeschwüren auf anämischer 
Basis zu thun hatte. Auch bei blutendem Magengeschwüre halte 
ich es für sehr nützlich. 

Die Untersuchungen des Mageninhaltes haben gelehrt, dass weit 
häufiger Antacida indicirt sind als Säuren. Die Alkalien selbst 
eignen sich ungemein wenig zur Neutralisirung des Magensaftes, 
da sie sofort wieder stärkere Säurebildung zur Folge haben. Nur 
unter besonderen Umständen ist es bisweilen von Vortheil, einige 
Stunden nach der Mahlzeit Natr. bicarbonicum, Kreide oder Magnesia 
in grösseren Dosen zu geben. Besonders Soda mit Wismutli ist 
viel im Gebrauch, wobei adstringirende und desinficirende Wirkun¬ 
gen des Wismuthpräparates mit in Betracht kommen mögeu. Vor- 
theilhafter erweisen sich Abspülungen mit schwach alkalischen Salz¬ 
lösungen. Dahin sind hauptsächlich Karlsbad, Ems, Tarasp als 
Typen zu rechneu. Unzweifelhaft hat sich unter diesen Karlsbad 
den grössten Ruf erworben. Es stellt eine 0,6%ige Salzsäure dar 
mit etwa 0,2%igem Soda. Die interessanteste Seite seiner Wirk¬ 
samkeit ist durch Versuche von Jaworski ausfindig gemacht wor¬ 
den, nämlich der Erfolg, dass längerer Gebrauch des Karlsbader 
Wassers die Salzsäureabsonderung herabsetzt, ja bis zum Verschwin¬ 
den mindert. Aber auch da ist als wohlerklärlich hervorzuheben, 
dass Karlsbad durchaus nicht allen Ulcuskranken gut bekommt, mit¬ 
unter gerade von Anämischen sehr schlecht ertragen wird. Auch 
mit physiologischer Kochsalzlösung, wie sie Kissingen bietet, 
werden schöne Erfolge erzielt. Bei Karlsbad wie Kissingen ist die 
abführende Wirkung des Mittels, die die Staguation verdorbenen 
Mageninhaltes mindert, von wesentlich unterstützender Wirkung. 

Auch ein anderes vielbesprochenes Mittel rechne ich zu den 
Salzsäure tilgeuden, nämlich den Höllenstein. Seine Empfeh¬ 
lung rührt von Johnson her, der gelegentlich bei Epilepsie¬ 
behandlung fand, dass auch Mageubeschwerden schwanden. Später 
wurde Höllenstein von Autenrieth, Brody, Glendinning und 
Anderen empfohlen, jetzt ist es üblich, ihn als unwirksam zu be¬ 
zeichnen. Ich kenne Dutzende von Fällen, in denen Magen¬ 
beschwerden, die sicher auf Ulcus beruhten, sofort auf Höllenstein 
schwanden; freilich auch viele andere Fälle, in denen das Mittel 
nutzlos war oder selbst die Beschwerden steigerte. Hauptsächlich 
wirkt Argent. nitricum dort, wo auch in nüchternem Zustande 
starke Magenschmerzen bestehen, und zwar wirkt es hier als 
Antacidura. Wenn man Mageninhalt von einer Pylorusstenose, der 
mit Congo und Methylviolett stark auf Salzsäure reagirte, mit 
Höllensteinlösung versetzt, bis eben kein Niederschlag mehr erfolgt, 
hört die Salzsäurereaction der Farben auf. Das Silber fallt als Chlor¬ 
silber, die Salpetersäure verbindet sich mit Eiweiss zu unlöslichem 
Niederschlage. Selbstverständlich kann man nicht grosse Mengen 
vom Mageninhalt mit Höllenstein neutralisiren. Auch ist diese 
Wirkung wahrscheinlich nicht die einzige des Mittels. Aber gerade 
für den Zweck, geringe Mengen saueren Mageninhalte? unwirksam zu 
machen, scheint es besonders brauchbar. Ich lasse nüchtern 1—3 
Mal täglich ein bis einige Centigramm Höllenstein in Lösung nehmen 
und dann die Körperstellung einhalten, die voraussichtlich das Mittel 
in Berührung mit dem Geschwüre bringt. 

Eine ganz eigentümliche Stellung nimmt in der Behandlung 
dieses Leidens Condurango ein. Während es den Magenkrebs 
nie heilt, heilt es oft bei passender Diät Magengeschwüre, und 
zwar besonders alte Magengeschwüre abgernagerter Menschen, dereu 
Züge den schmerzlichraüden Zug der Carcinomkranken zeigen, 
hauptsächlich dann, wenn keine der seither besonders hervorge¬ 
hobenen Indicationen hervortritt. — Auch dieses Mittel wird von 
Manchem sehr schlecht vertragen und steigert die Beschwerden. 
Solche Erfahrungen mit den verschiedensten Mitteln weisen immer 
wieder darauf hin, dass die Thatsache des Ulcus gar mancherlei 
functioncllcn Störungen ihren Ursprung verdanken kann. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 18 


852 


Schliesslich sei noch als eines wesentlichen Fortschrittes in 
der Therapie dieser Krankheiten der Magenausspülung gedacht. 
Sie ist für alte Magengeschwüre unbedenklich und sicher das werth¬ 
vollste Mittel. Sie hat sogar eine gewisse diagnostische Bedeutung, 
von Carcinornen wird sie fast immer schlecht vertragen. Stets 
wird um so ipehr Erfolg zu erwarten sein, je mehr Magenerweite¬ 
rung dabei mitspielt. Sie befreit den Magen von zersetzten Speise¬ 
resten, von Säureüberschuss und entlastet ihn sowohl in mechani¬ 
schem wie chemischem Sinne. Sie wirkt schmerzstillend, ähnlich 
und noch weit mehr als das Erbrechen auf der Höhe des Schmerz¬ 
anfalles, sie wirkt appetitsteigernd, sie regelt die Stuhlentleerung, 
bessert die Ernährung und wirkt thatsächlich heilend auf die Ge¬ 
schwürsfläche. Bisweilen entstehen während der Ausspülung Blasen¬ 
beschwerden durch Verminderung der Alkalescenz des Harnes, 
dreimal sah ich leichte Blutungen nach der Ausspülung. Sonst 
kommen bei vorsichtiger Ausführung keinerlei Nachtheile vor, 
gerade diese Kranken gewöhnen sich leicht daran und machen sich 
später gern selbst bei Bedarf Ausspülungen. 

Die Basis jeder erfolgreichen Behandlung ist zweckmässige 
Diät, ohne solche ist alles Andere, auch die Ausspülung, von ge¬ 
ringem Werthe. Bei frischem Magengeschwür wird man am meisten 
erwarten dürfen von Karlsbader und verwandten Cnren. Bei chro¬ 
nischem Magengeschwür wird man mit der Annahme der Heilung 
ungemein vorsichtig sein müssen. Nur Zunahme des Körper¬ 
gewichtes, Schwinden spontaner Schmerzen, wie der Druckempfind¬ 
lichkeit geben grosse Wahrscheinlichkeit der Heilung. Kaum je 
genügt eine vier- oder sechswöchentliche Badecur dazu, weun sie 
auch die Wendung des Verlaufes zum Besseren anbahnen kann. 
Hier sind von dauerndem Werthe die Ausspülungen, daneben eine 
Anzahl von Arzneimitteln, die nach bestimmten Indicationen ange¬ 
wendet durchaus nicht wirkungslos sind und die Ausspülung 
ersetzen oder unterstützen können. 

II. Ueber Morbilli adultorum. 

Von Professor Bohn in Königsberg. 

Biedert hat die Morbilli adultorum benutzt, um einige wich¬ 
tige Fragen über Immunität und Prophylaxe der Masern zu stellen. 1 ) 

Morbillen bei Erwachsenen häufen sich in der Praxis des ein¬ 
zelnen Arztes nicht so an, dass ihm ein abschliessendes Urtheil 
über dieselben freistände. Sie sind deshalb noch ungenügend ge¬ 
kannt, und die Lösung der Fragen, welche an sie zu knüpfen 
wären, kann nur durch vielseitige Betheiligung der Aerzte erreicht 
werden. Einen kleinen Beitrag dazu bietet das Nachstehende. 

Was die Immunität gegen Masern betrifft, so kennen wir 
mit Bestimmtheit eine zeitweise, vorübergehende. Dieselbe 
besteht in ausgedehntem Umfange für die ersten sechs Lebens¬ 
monate. In den späteren Kiuderjahren wird sie erheblich seltener; 
die Erfahrungen der einzelnen Beobachter werden über diesen Punkt 
wohl auseinandergehen, doch sicherlich nicht weit, wenn ganz ein¬ 
wurfsfreie Fälle in Rechnung kommen. Dagegen bedarf die zeit¬ 
weise Immunität der Erwachsenen noch einer gründlichen Auf¬ 
klärung, denn wir sind weit entfernt, ihre Häufigkeit und das Ver- 
hältuiss zu den zeitlich-immunen Kindern auch nur anuähernd be¬ 
stimmen zu können. 

Vollständige Ungewissheit herrscht über die absolute Un¬ 
empfänglichkeit gegen das Maserngift. Wenn auch hier mit der 
gleichen Sicherheit wie oben ausgesprochen wird, dass „dauernd“ 
immune Personen Vorkommen, so hat man sich entweder auf blosse 
Angaben einzelner Personen gestützt (was nicht geschehen durfte), 
oder mau macht, namentlich durch die Pocken und den Scharlach 
verführt, eine theoretische Folgerung, für welche thatsächliche und 
unantastbare Beweise zu gewinnen geradezu aussichtslos ist; denn 
welcher Mensch könnte behaupten, dass er niemals gemasert habe, 
und welcher Arzt wäre im Stande, auf diesen Punkt hin ein Indi¬ 
viduum von der Geburt an bis in die 70er oder 80er Jahre zu 
überwachen! Muss es doch mitunter zweifelhaft bleiben, ob ein 
älteres Kind gerade immun sei, oder ob frühere Masern bei dem¬ 
selben übersehen, oder der Erinnerung seiner Angehörigen ent¬ 
schwunden seien. Die gänzliche Immunität, kann ferner eine 
scheinbare sein, indem gewisse Individuen weder als Kinder, noch 
als Erwachsene in die Lage kommen, sich anzustecken. 

Hätte der Zufall die Masern auf die Färöer, anstatt im Jahre 
1846, zwanzig Jahre später gebracht, so wären zahlreiche Färinger 
lebenslang von der Krankheit verschont gebliebeu, aber nicht immun 
gewesen, wie die gewaltige Epidemie nun darthat. Wenn es jedoch 
eine absolute Unempfänglichkeit gegenüber dem Maserngifte wirk- 

') Verhandlungen der pädiatrischen Section auf den Versammlungen 
der Naturforscher und Aerzte in Strassburg 1885 und Berlin 1886. — 

Monatshefte für praktische Dermatologie 1887. 1. 


lieh giebt, so fällt dieselbe offenbar unter jene Ausnahmen, welche 
für eine praktische Verwerthung gleichgültig sind, 

Es erscheinen demnach die weiteren Fragen Biedert’s: wie 
viele dauernd immune Personen Vorkommen, und ob ihre Zahl 
mit dem Lebensalter zuniramt, ebenso unerforschbar wie be¬ 
langlos. 

Eine Erörterung über Morbilli adultorum kann ‘sich, meines 
Erachtens, nur auf die zwei Punkte beschränken, welche ihre 
Häufigkeit und ihren Charakter in den vorgeschrittenen Lebens¬ 
altern in’s Auge fassen. Von dem Charakter, d. h. von der fest¬ 
zustellenden Leichtigkeit oder Schwere der späten Maseruerkran¬ 
kungen, würde dann abhängen, ob wir dieselben durch gewisse 
Massregeln bei den Kindern zu verhüten, oder zu begünstigen 
hätten. 

Ich gehe von der immer weiter sich bahnbrechenden Annahme 
aus, dass eine allgemeine Empfänglichkeit für das Maserngift be¬ 
steht, und dass sich dasselbe nur durch Ansteckung fortpflanzt. 
Es unterliegen alle Menschen der Erkrankung, von den frühen 
Lebensmouateu bis in das höchste Alter, falls die Gelegenheit sich 
bietet, von dem Contagium ergriffen zu werden. Wo zeitweise 
Immunität bestanden hat, wird die Erkrankung später bei abermals 
vorhandener Gelegenheit zur Infection nachgeholt. Der Satz von 
der Unvermeidbarkeit der Masern erleidet durch etwaige vereinzelte 
Ausnahmen keinen Abbruch. Wenn die Masern ganz überwiegend 
als Kinderkrankheit erscheinen, so sind sie eine solche de facto, 
nicht de jure. 

Wie häufig erwachsene Masernkranke überhaupt Vorkommen 
können, darüber entscheiden in erster Linie Zufälligkeiten, welche 
in der Kindheit der betreffenden Individuen obgewaltet haben. Es 
sind wesentlich äussere, in keiner Verbindung mit der Krankheit 
stehende Verhältnisse gewesen, welche die Personen den Epidemieen 
ihrer Jugendzeit entrückt habeu. Diese Umstände, herbeigeführt 
durch den besonderen Lebensgang der Einzelnen, müssen zahlreich 
und sehr mannichfaltig sein und können unmöglich bis in’s Kleine 
erörtert werden. Nur einige Punkte allgemeiner Art heben sich 
deutlicher ab und können in ihrem Werthe durch Zahlen belegt 
werden (s. später). So bleiben Kinder eher verschont, welche nur 
Privatunterricht empfangen haben, oder deren näherer Umgang 
durch besondere Fügung fast immer auf bereits durch maserte Alters¬ 
genossen beschränkt war, oder sie haben mit ihren Eltern öfter den 
Wohnsitz gewechselt und stets in epidemiefreien Orten gelebt u. s. w. 
Solche durch Zufall von den Masern übersprungene Kinder sind, 
wie ich zu urtheileu Grund habe, häufiger als diejenigen, welche 
in Folge einer zeitweiligen Immunität bewahrt geblieben, oder 
welche mit Absicht und Erfolg vor der Krankheit geschützt worden 
sind. Mehrere dieser Umstände vereiut erklären wohl, warum in 
fürstlichen Familien so gern späte Masernerkrankungen vorfallen, 
wofür das letzte Jahrzehnt wiederholt Beispiele geliefert hat 

Das numerische Verhältniss zwischen maserkranken Kindern 
und Erwachsenen muss, nach dem eben Dargelegten, erheblichen 
Schwankungen unterworfen sein und in den verschiedenen Beobach- 
tuugskreisen stark wechseln. Im Allgemeinen wird die Häufigkeit 
der Morbilli adultorum unterschätzt. Dass sie jedoch nicht selten 
sind, geht aus den folgenden Zahlen hervor. Foerster in Dresden 
(400 Masernkrauke und 17 Erwachsene) hatte 1 Erwachsenen auf 
26—27 Kinder. Bartels in der Kinderepidemie 1860 (573 Fälle 
mit 10 Erwachsenen) 1: 56. Ich berechne 1: 30 bis 1 : 26. 

Ich zähle nämlich unter nahezu 800 Masernkranken verschie¬ 
dener Epidemieen 34 Kranke, welche das 15. Lebenjahr zurückgelegt 
hatten. 

Davon standen 13 im Alter von 15—20 Jahren 

11 7i 7i 7> 20-30 „ 

6 * „ „ 30-30 „ 

3 * * „ 40-50 * 

1 (55jähr.) „ 50-60 * 

Die Masern machten also ihr Versehen an den Kindern schnell, 
meist in den nächsten 15 Jahren wieder gut; für die Alter nach 
dem 30. Lebensjahre bleibt kaum Vs der Fälle übrig. 

Aber es besteht eine gewisse Verlegenheit, ob alle 15 und 
16 Jährigen zu den Erwachsenen gerechnet werden dürfen. Die 
meinigen in diesem Lebensjahre (7 an der Zahl) waren eigentlich 
grosse Kinder, und ich glaube richtiger zu verfahreu, wenn ich 
dieselben, mit einer einzigen Ausnahme, nicht zu den Erwachsenen 
stelle und die Zahl der letzteren auf 28 festsetze. 

Unter diesen 28 Erwachsenen waren 21 weiblichen und 7 männ¬ 
lichen Geschlechts. Für dieses auffällige Ueberwiegen des ersteren, 
das mehrfach auch von Anderen bemerkt worden ist, hat man die 
Ansteckung bei der Krankenpflege als naheliegende Erklärung 
herangezogen. Allein diese Erklärung ist nur eine naheliegende 
Vermuthung gewesen und nicht aus einer hinreichenden Menge 
thatsächlicher Erfahrungen entsprungen; auf meine Fälle passt die 


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3. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 353 


Erklärung garnicht. Denn von den 21 Frauen hatten 18 durchaus 
nichts mit Masernkranken zu thun gehabt und waren meist ira 
Unklaren über den Ursprung ihrer eigenen Erkrankung. Von den 
3 übrigen machte eiu 18 jähriges Mädchen die Masern ziemlich 
gleichzeitig mit ihren fünf jüngeren Geschwistern durch; ein 
18 jähriges Dienstmädchen hatte die Stube gereinigt, wo die masern¬ 
kranken Kinder der Herrschaft lagen. So bleibt nur eine 37 jährige 
Mutter übrig, welche ihren kranken Sohn, in Gemeinschaft mit dem 
Manne und dem Hausfräulein, gepflegt hatte. 

Ich verlege die Ursache für das viel häufigere Befallenwerden 
erwachsener weiblicher Personen weiter zurück und finde, dass 
mehr weibliche Erwachsene als Männer vorhanden sind, welche 
angesteckt werden können. Die Masern sind eine ausgesprochene 
Schulkrankheit und daher für Knaben leicht erreichbar, weil nur 
eine kleine Minderzahl derselben den öffentlichen Lehranstalten fern 
bleibt, während Mädchen in weit grösserer Anzahl zu Hause unter¬ 
richtet werden. Es findet ferner unter den Knaben ein viel ausge- 
breiteterer, viel lebhafterer und weniger zu überwachender Verkehr 
statt, als unter den Mädchen. Die Ansteckung dringt an diese 
letzteren nicht so bequem heran, und es überschreiten daher mehr 
Mädchen ungemasert die Grenze der Kindheit. 

Die beiden angeführten Umstände können allerdings wohl nur 
für die besseren Gesellschaftsclassen volle Gültigkeit beanspruchen, 
also von meinen 28 morbillöseu Erwachsenen für 12, für 11 Frauen 
und 1 Mann. In den niederen und untersten Ständen fällt der 
Einfluss der Schule fort, weil die Volks- und Bürgerschulen für 
Knaben und Mädchen obligatorisch sind. Bei den 16 meiner Kranken, 
welche diesen Ständen augehörten (dem kleinen Handwerk, den 
Ladenburschen, Dienstmädchen, Arbeitern), herrscht das weibliche 
Geschlecht schon nicht mehr so stark vor, auf 10 Frauen kommen 
6 Männer. Hier werden die Ursache der späten Masern wohl 
mancherlei, nicht weiter verfolgbare Zufälligkeiten oder zeitweise 
Immunität in der Jugend gewesen sein. Die dritte Möglichkeit, 
eine nach Jahren erfolgte zweite Masernerkrankung möchte ich 
wegeu ihrer Seltenheit ausschliessen, obgleich ich ein sicheres Bei¬ 
spiel dafür zu besitzen glaube. Ira Jahre 1884 hatte ich ein 
11 jähriges Mädchen (neben ihren zwei Geschwistern) an Masern be¬ 
handelt, die mit sehr reichlichem Ausschlage, aber geringen febrilen 
und katarrhalischen Erscheinungen verlaufen waren. Im Frühjahr 
1886, wo die Masern auf ihrem Gute stark epideraisirten uud ihre 
Stieftöchter befielen, hat sich die nun 23jährige Damj von einer 
derselben aufs Neue angesteckt; die Krankheit war iu allen Symp¬ 
tomen so leicht, dass sie im Herumgehen abgemacht wurde; sie 
ist diesmal von dem Gutsarzte festgestellt worden, und von einer 
längeren Conjunctivitis gefolgt gewesen. 

Verbürgte zweite Masernerkrankungen nach Ablauf von Jahren 
scheinen, obgleich sie im Publikum öfter behauptet werden, recht 
selten zu sein. Auch Pan um hat sie nicht beobachtet in der denk¬ 
würdigen Epidemie auf den Färöern, welche die Inseln nach 65jäh- 
riger Pause heimsuchte und von 7782 Einwohnern über 6000 er¬ 
griff. Kein Einziger der vielen im Jahre 1781 Durchmaserten (die 
Menschen werden auf diesen Inseln sehr alt) erkrankte aufs Neue, 
während alle die alten Leute, welche früher nicht gemasert hatten 
und sich der Ansteckung aussetzten, an die Epidemie den schuldigen 
Tribut zollten. 

Unter den 21 Personen weiblichen Geschlechtes, die mir vor¬ 
kamen, befanden sich 3 im siebenten Monate der Schwangerschaft. 
Bei 2 blieb die Schwangerschaft von der Erkrankung unberührt. 
Das Exanthem stand dicht und war sehr stark entwickelt, während 
das Fieber und die gewöhnlichen Katarrhe gering blieben. Doch 
zeigte die eine Kranke sich eigenthümlich aufgeregt, und die andere 
klagte über grosses Angstgefühl. Die letztere wurde am dritten 
Tage des Exanthems von einer lebhaften Angina faucium und 
von gastrointestinalen Störungen befallen, welche ziemlich bald 
wichen. Die dritte Schwangere, bei welcher ein ungewöhnlich 
stark-papulöses Exanthem sich entwickelt hatte, bot am dritten 
Tage desselben eine gleichfalls sehr intensive Stomatitis und 
Angina, wozu rasch eine Laryngo - Bronchitis mit geräusch¬ 
vollem , schnellem Athem hinzutrat. Die Erkrankung nahm 
sofort einen schweren Ausdruck an. Zwar ermässigten sich die 
vorhandenen Erscheinungen mit dem Abblassen des Exanthems, 
gewannen aber bald wieder die frühere Höhe und wurden vom 
fünften Tage ab durch einen spontanen, sehr heftigen Darmkatarrh 
(ohne dysenterische Färbung) verschlimmert. Nachdem schon einige 
Tage kein Leben der Frucht mehr verspürt worden war, wurde 
dieselbe am zehnten Tage ausgestossen. Doch änderte dies nichts 
im Zustande der Kranken, die tonlos blieb, über Halsschmerzen 
klagte und kaum schlucken konnte. Auch die eben unterdrückten 
Durchfälle kamen bald wieder zum Vorschein. Am 13. Tage das 
äussere Bild der Cholera, tiefste Apathie, am 14. Tod. Von Seiten 
der Genitalien und des Peritoneums fehlte jedes Symptom. Es 


war dies der einzige Todesfall unter meinen erwachsenen Masern¬ 
kranken. 1 ) 

Ziehe ich diese drei Fälle ab, und noch einen vierten, eigen¬ 
thümlich verlaufenden Fall, den ich ausführlich beschreiben werde, 
so boteu die übrigeu 24 Kranken nichts Besonderes, jedenfalls kei¬ 
nen Unterschied von der Mehrzahl masernkranker Kinder. Das 
Exanthem, zwar wechselnd in seiner Stärke, zeigte vorwiegend eine 
lebhafte Entwickelung und trug einmal den hämorrhagischen Cha¬ 
rakter. Alle Arten von Katarrhen und in den verschiedensten Gra¬ 
den, auch solche des Darmes mit blutiger Beimengung, waren vor¬ 
handen, doch hielten sich dieselben gewöhnlich auf mässiger Höhe. 
Wenn Erwachsene lebhaftere Klagen führeu als Kinder, so bedeutet 
dies an sich keine schwere Erkrankung. Die Krankheit erschien 
bei ihnen selbst in mehreren, für die Kinder gefahrvollen Epi- 
dernieen als eine meist leichte, zuweilen war sie uubedeutend und 
ging schnell vorüber. Als hartnäckiger Rest blieb mehrmals eine 
einfache Conjunctivitis zurück. Bei einer 30jährigen Frau blühte 
die bereits neunjährige allgemeine Psoriasis besonders schön neben 
dem Masernexanthem auf. 

Nur ein einziger Fall bildete sich zu einer recht schweren 
Krankheit mit ungewöhnlichen Erscheiuungen aus. 

Die 37jährige Dame, welche mit voller Bestimmtheit nie gemasert 
haben wollte, war von ihrem einzigen, 10jährigen Sohne angesteckt worden, 
spottete jedoch über die ihr in sichere Aussicht gestellte Kinderkrankheit 
und versuchte selbst dem Invasionsfieber ausser Bett zu trotzen. Erst am 
Morgen des 5. Tages war der Ausschlag im Gesicht bemerkbar, der nun 
volle 4 Tage, bei Temperaturen von 39—40° und 120 Pulsen, brauchte, um 
über den ganzen Körper sich zu verbreiten. Das Exanthem war stark ent¬ 
wickelt, quaddelartig, das Gesicht und die Nase vornehmlich dick angelaufen. 
Nach dem Abblassen traten die Katarrhe der Nase, des Rachens und Kehl¬ 
kopfes lebhafter in den Vordergrund, vor Allem quälte der paroxysmus- 
artige Husten, welcher den Unterleib schmerzhaft erschütterte. Auf den 
Lungen blieb der Katarrh gering, die Respiration ging wenig über 24 hinaus, 
das Herz war frei. Aber das Fieber dauerte an und erreichte, neben dem 
stets schnellen Pulse, noch einmal 40,2°. 

Am 13. Tage der Krankheit traten nervöse Anfälle hinzu, deren 
Charakter anfangs in der exaltirt-verworrenen Schilderung des Gatten nicht 
erkennbar, bald als zweifellos epileptoider anerkannt werden musste. Von 
Zufällen gleicher oder ähnlicher Art war die immerhin sensible Frau bisher 
stets frei gewesen. Die Anfälle wiederholten sich häufig und folgten stets 
einigen kurzen, mit keiner Anstrengung verbundenen, und einen schnellen 
Auswurf bringenden Hustenstössen. Kaum hat die Frau dann der Wärterin 
das Speiglas gereicht, so wird ihr schwarz vor den Augen, das Bewusstsein 
entflieht, die erhobenen fortgestreckten Arme und der rückwärts gezogene Kopf 
zittern; später werden Arme und Beine ruckweise vorgestossen, die Bulbi 
nach oben gedreht. Aufgerichtet und mit kaltem Wasser bespritzt kommt 
die Frau schnell zu sich und ruft: wo bin ich? was ist mir? Nach dem 
Anfalle fühlt sie sich sehr matt. In den Pausen herrscht vollständige Klar¬ 
heit, aber Apathie; flüssige Nahrungsmittel und Wein werden genossen. 

Die Anfälle dauerten bis in den nächsten Tag hinein, wurden aber 
seltener und schwächer. 

Die Temperatur maass an diesen beiden Tagen stets 38 und einige 
Zehntel, der Puls schlug lebhaft, 110 — 120 Mal in der Minute. Die Darm¬ 
entleerungen mussten in der vorangegangenen Zeit ungenügend gewesen 
sein, denn es folgten reichliche Stühle dem Abführmittel. Ueber den Tag 
wurde eine Arnica-Jodmixtur genommen, Abends je 4 g Bromkali, später 
mit Morphium. 

Der in genügender Menge gelassene Urin enthielt am 14., dem zweiten 
Krampftage sehr wenig Eiweiss, aber ziemlich zahlreiche, wohlerbaltene 
rothe, und eine grössere Menge weisser Blutzellen, ferner spärliche Platten- 
epithelien, vielfach von Mikrococcen durchsetzt, reichliches hamsaures 
Natron, aber keine Cylinder (mässige Pyelitis). 

Am 15. Tage heftiger rechtsseitiger Ohrschmerz mit stark herab¬ 
gesetzter Hörfähigkeit; kein Fluss. 

In den folgenden Tagen besserten sich langsam und schwanden alle 
vorhandenen krankhaften Erscheinungen. Am 28. Tage, vier Wochen nach 
Beginn der Krankheit, konnte die Dame das Bett verlassen. 

Meine 28 Beobachtungen an morbillöseu Erwachsenen ent¬ 
halten also einen recht schweren, und einen, mit Schwangerschaft 
verbundenen, tödtlich endenden Fall, der grosse Rest war von ge¬ 
wöhnlicher mittlerer Stärke oder bestand aus leichten Erkrankungen. 
Ich kann daraus nur den Schluss ziehen, dass wir keine Veran¬ 
lassung haben, die späten Masern besonders zu fürchten uud sie 
zu verhüten, indem wir den Epidemieen unbeschränkten Spielraum 
unter den älteren Kindern gewähren; und ebensowenig können wir 
die Aufforderung fühlen, die älteren Kinder nach Kräften vor der 


*) Die ausführlichste und eine sehr interessante Mittheilung über die 
Masern in der Schwangerschsft und im Wochenbett rührt von Dr. Gautier 
in Genf her (Annales de Gynecologie 1879). Zu seiner eigenen, in mehr¬ 
facher Hinsicht bemerkenswerthen Beobachtung hat er die mässige Zahl von 
11 fremden Fällen hinzugefügt, welche er mühsam in der Literatur gesammelt 
hatte. Die letzteren lauten ungünstig für die Schwangerschaft; Abort, Früh¬ 
geburt, todte Kinder, Gefahr für die Mutter finden sich öfters verzeichnet; 
dagegen erscheint die Prognose der Masern im W'ochenbett für Mutter und 
Kind weniger bedenklich. Leider sind die wenigen Fälle, welche Gautier 
diesen Schlüssen zu Grunde legen konnte, von ihren Urhebern sehr lücken¬ 
haft mitgetheilt worden. 


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354 DEUTSCHE MEDIdNISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 18 


Ansteckung zu schützen, um sie in einem vorgerückten Alter den 
Masern zu überliefern. 

In Gerhardt’s Handbuch der Kinderkrankheiten, Band II, 
habe ich 1876 bei der Prognose der Masern die Morbilli adultorum, 
freilich mit Vorsicht, ungünstig beurtheilt. Ich verfügte damals 
über wenige eigene Beobachtungen, und es waren mir kurz vorher 
mehrere recht schwere Fälle bei Erwachsenen in der Praxis anderer 
Aerzte vorübergegangen. Ich habe die letzteren jetzt nicht benutzen 
mögen, weil es in einer Mittheilung, wie der vorstehenden, nur 
Werth hat, des Verfassers Erfahrungen aus seinem ihm allein zu¬ 
gehörigen Beobachtungskreise zu vernehmen. 

HI. Die Bestimmung kleiner Zuckermengen 

im Harne. 

Von Dr. Arnold Pollatschek in Carlsbad (Böhmen). 

Ich lasse die bekannte Streitfrage, ob auch im physiologischen 
Zustande Zucker im Harne vorhanden sei, bei Seite. Zum Nach¬ 
weise so minimaler Zuckerspuren bedarf es anderer Hülfsmittel, als 
es diejenigen sind, von denen im Verfolge dieser Arbeit die Rede 
sein wird, und beschränke mich auf jene Fälle, wo wir zu diagno¬ 
stischen und therapeutischen Zwecken bemüssigt sind, kleine Zucker¬ 
mengen uroskopisch zu bestimmen. So leicht es nämlich ist, 
höhere Procentmengen, etwa von 0,2% angefangen, im Harne 
nachzuweisen, so schwierig wird es, kleinere Quantitäten mit Sicher¬ 
heit zu finden und eine aufgetretene chemische Reaction präcise zu 
deuten. Der Arzt ist dagegen nicht selten in die Nothwendigkeit 
versetzt, sich über das Vorhandensein solcher Zuckerausscheidungen 
Gewissheit zu verschaffen und zwar: 

1. Nach dem Genüsse grösserer Mengen von Kohlehydraten 
und namentlich gewisser Zuckerarten pflegt bei dazu Disponirten 
eine Glykosurie geringen Grades aufzutrtten. (Worm-Müller, 
Ebstein.) Diese Fälle bleiben zum Mindesten suspect, und es 
wird wenigstens für die Art der Ernährung solcher Individuen nicht 
gleichgültig sein, ob man diese Zuckerausscheidung, der man ge¬ 
wöhnlich zufällig begegnet, erkannt hat oder mit einer zucker¬ 
ähnlichen Reaction verwechselt. 

2. Im Verlaufe einer Reihe von Krankheiten treten Zucker¬ 
spuren in den Harn über, deren Nachweis ein praktisches Interesse 
hat, da vielleicht auch dieses symptomatische Vorkommen den 
Diabetes erzeugen kann; so beobachtete man eine derartige Glykos¬ 
urie nach geistiger Ueberaustrengung, Commotio cerebri, Apoplexie, 
im Gefolge von Magenkrankheiten, Pfortaderverschliessung, Cirrhosis 
cerebri und nach gewissen Vergiftungen. 

3. Bekanntlich hört bei der sogenannten leichten Form des 
Diabetes die Zuckerausscheidung auf, sobald die Kohlehydrate ent¬ 
zogen werden, und der Zucker ist erst daun wieder nachweisbar, 
nachdem mehr oder weniger Kohlehydrate genossen werden. 
Allein nicht nur die Quantität, sondern, wie ich mit Be¬ 
stimmtheit ermittelt habe, auch die Qualität der Genuss¬ 
mittel kommt hierbei in Betracht, und gewisse Zuckerarten 
werden noch assimilirt, während andere bereits dem Organismus be¬ 
trächtlichen Schaden zufügen. Dies kann in jedem einzelneu 
Falle durch sorgfältige Harnuntersuchungen ermittelt 
und für die diätetische Behandlung des Kranken ver- 
werthet werden. 

4. Gegenüber Versicherungsgesellschaften und, in einzelnen Fällen, 
auch gegenüber den Behörden kann der Arzt in die Lage kommen, 
pathologische Zuckerspuren nachzuweisen und, durch undeutliche 
Aussagen, zweifelhaft gewordene Fälle richtig zu beurtbeilen. 

Welche Harnproben eignen sich zu diesen Zwecken am besten, 
und welcher Art sind die Cautelen, die den Untersucher vor Irr- 
thümern schützen sollen? 

Von den meisten Aerzten wird zur Zuckerbestiramung die 
Trommer’sche Methode angewendet und wegen ihrer bequemen 
Ausführung und angeblichen Empfindlichkeit in den meisten Lehr¬ 
büchern an erster Stelle beschrieben. Zum Nachweise kleiner 
Zuckermengen ist sie aber ziemlich unbrauchbar, denn sie ist in 
solchen Fällen vieldeutig, und die Reaction tritt nicht scharf genug 
hervor. Man benöthigtzu ihrer Ausführung eines zu grossen Volumens 
Harn und ebenso vielen Kalihydrats, und dadurch sind mehrere Fehler¬ 
quellen gegeben. In dem Harne und namentlich in dem des Dia¬ 
betikers erscheinen Substanzen, welche das eventuell durch Zucker 
reducirte Kupferoxydul in Lösung erhalten und dessen Ausscheidung 
hemmen; die Zuckermenge ist gegenüber den grossen Mengen von 
Harnsäure, den Farbstoffen und Phosphaten (?) zu gering. Kali- 
und Natronlauge andererseits verfärben beim Erhitzen schon an und 
für sich den Harn, und derjenige Theil des Zuckers, welcher mit 
dem vorhandenen Kupferoxyd keine chemische Verbindung ein¬ 
gegangen ist, wird durch das Kali zersetzt. In solchen Fällen wird 
die Flüssigkeit braun. Wenn aber Kupfersulfat im Ueberschusse 


hinzugefügt wird, so wird der Niederschlag schwarz und undeutlich. 
Bekanntlich wird diesem Uebelstande abgeholfen, wenn man den 
Ueberschuss von Kupferoxyd, welcher eben durch den Zucker nicht 
mehr reducirt wird, durch eine andere Substanz in Lösung erhält. 
Eine solche ist die von Fehling angewendete alkalische Seignette- 
salzlösung. 

Allein auch bei der gewöhnlichen Methode nach Fehling 
kommen, wenn bloss kleine Zuckerraengen vorhanden sind, undeut¬ 
liche Reactionen vor, die man nicht genau deuten kann: a. Die 
mit Harn versetzte Fehliug’sche Flüssigkeit trübt sich beim 
Kochen, wird schmutzig grün oder schmutzig gelb. b. Die blaue 
Flüssigkeit ändert allmählich ihre Farbe, wird gelb oder lichtbraun, 
und es tritt erst nach längerem Stehen eine Trübung ein; es bildet 
sich ein Dichroismus, die Flüssigkeit ist schmutzig gelb bei auf¬ 
fallendem und sherrybraun bei durchtretendem Lichte, c. Die blaue 
Flüssigkeit wird weingelb, bleibt aber klar, und nur am Boden 
findet sich ein flockiger Niederschlag, der von eingebettetem Kupfer¬ 
oxydul leicht gelb oder braun ist (Seegen). 

Wesentlich deutlicher und schärfer wird die Probe, wenn sie 
in folgender Weise präcise ausgeführt und der Harn zuvor mit 
Thierkohle behandelt wird. (Bence Jone, Maly und Seegen.) 

Eine grosse Aufmerksamkeit muss vor Allem der Bereitung 
der Reagentien gewidmet werden. Ich verwende eine 5%ige 
Lösung von reinem schwefelsaurera Kupferoxyd in gut destillirtem 
Wasser; diese muss möglichst frisch sein, eventuell in eiuem 
dunkeln und kühlen Raume aufbewahrt werden. Die zweite 
Reagensflüssigkeit ist das weinsaure Kali-Natron (Seignettesalz), 
welches mit Natronlauge und Wasser in der von Fehling be¬ 
stimmten Menge versetzt wird, ohne dass man gerade auf die für 
die quantitative Analyse berechneten Bruchtheile zu achten hat. 
Beide Flüssigkeiten sollen getrennt aufbewahrt werden (Schnejder). 
Eine lange Uebung überzeugte mich, dass schon nach wenigeu 
Tagen die Erhitzung dieser mit einander vermischten Lösungen ein 
Rothwerden i. e. eine Reduction des Metalls bewirkt und dadurch 
die Harnuntersuchung gefälscht wird. Man erkennt sie an einer 
Anfangs ganz undeutlichen Farbenveränderung, die sich beim Er¬ 
wärmen und nachherigem Flrkalten allmählich vollzieht und die 
aufgehalten werden kann, wenn man viel Harnsäure ent¬ 
haltenden Urin hinzufügt, was aber ein direkter Beweis 
dafür ist, dass in dem Harne in derThat Stoffe enthalten 
sind, die den Ausfall des Kupferoxyduls oder Kupfer¬ 
oxydulhydrats zu hemmen im Stande sind. Diese wer¬ 
den aber durch Behandlung mit Thierkohle entfernt. Mau 
verschaffe sich gut gebrannte und mit etwas Salzsäure prä- 
parirte Thierkohle und versetze mit einer Messerspitze voll 
eine halbe Eprouvette des Probeharns, schüttle einige Male 
und lasse das Gemisch über einen kleinen Filter laufen, dessen 
Spitze ebenfalls mit Kohle angefüllt wurde. Der so filtrirte Harn 
ist wasserklar und von mehreren Stoffen befreit, die sonst eine 
reine Reaction behindern, so den Farbstoffen und der Harnsäure. 
Nun nimmt man eine zweite Eprouvette, schüttet in dieselbe einen 
Theil Kupferlösung, einen gleichen Theil Seignette-Natronlösung und 
ebenso viel destillirtes Wasser, erwärmt bis zur Siedehitze und be¬ 
trachtet eine Weile lang die Reagensflüssigkeit, ob keine Trübung 
oder Verfärbung eintritt, denn dann ist sie fehlerhaft. Im anderen 
Falle giesst mau langsam den filtrirten Harn dazu, und zwar wieder 
gerade so viel, als mau von jedem Reagens genommen hatte. Ist 
Zucker in mehr als minimaler Menge vorhanden, so sieht man jetzt 
schon an dem oberen Ende der Flüssigkeit eine verdächtige Farben- 
und Consisteuzveränderung, die beim Erhitzen der oberen Hälfte, 
oft aber, und zwar bei kleinen Mengen erst nach einiger Zeit und 
zwar während des Erkaltens, sich vermehrt und zur allmählichen 
Ausscheidung des gelben, nur selten rothen reducirten 
Metall es führt. Je weniger Zucker vorhanden ist, desto lang¬ 
samer vollzieht sich dieser Process, und bei noch zweifelhaften 
Fällen thut man gut, die Eprouvette bei Seite zu stellen und erst 
nach einigen Stunden nachzusehen, ob eine wirkliche charakteristische 
Ausscheidung eingetreteu ist. Die obere Hälfte der Flüssigkeit wird ge¬ 
wöhnlich schmutzig-smaragdgrün, aber auch gelb oder röthlichbraun, 
und zwar, wie ich glaube, je nach dem Säuregrade des Harus, bei 
sehr kleinen Mengen ist sie flaschengrün aber klar, oder sogar 
schwachblau gefärbt, während das Kupferoxydul sich iu Schollen 
oder Klumpen langsam auslöst. 

Diese Harnprobe, welche bei einiger Uebung in wenigeu Mi¬ 
nuten ausgeführt werden kann, leidet nur au einem Fehler, der 
übrigens in der Praxis seltener vorkommt, als im Allgemeinen an¬ 
genommen wird, dass nämlich das Kupferoxyd auch durch andere 
Stoffe reducirt werden kann, und dass eine der Zuckerreaction 
ähnliche Veränderung eintritt, so durch Kreatin, Kreatinin, Mucin. 
Alantoin, Brenzkatechin, Benzoin-und Salicylsäure, Glycerin und 
Chloralhydrat. Ob ausser den Kreatiustoffen die eine oder audere 
Beimengung vorhanden ist, kann iu anderen Fällen im Voraus 


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3. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


355 


beurtheilt werden. Sonst aber müssen bei undeutlichen Reactionen 
nach einer anderen, praktisch leicht ausführbaren Methode Control¬ 
versuche gemacht werden, und hierzu eignet sich vor Allem die 
Bismuthprobe. 

Man versetzt 5 ccm Harn mit dem halben Volumen Kalihydrat 
(Ultzmann), mischt und giebt eine kleine Messerspitze voll Bis- 
muthuin subnitricum hinzu. Sodann erwärmt man langsam, bis die 
Flüssigkeit zu kochen beginnt, was aber in sehr kurzer Zeit ein- 
tritt. Bei Anwesenheit von Zucker erhält man einen schwarzen 
Niederschlag, der sich entweder, und zwar bei grösseren Mengen, am 
Boden der Eprouvette zeigt oder bei geringeren als schwarzer Ring 
um den grau gewordenen, nicht reducirten Bismuthoxyd-Niederschlag 
ausscheidet. Ein Grau- oder Schwarzwerden des Bisrauths beweist 
nicht das Vorhandensein von Zucker. Diese Probe ist, wenn mau 
eben nicht, wie gewöhnlich, kohlensaures Natron, sondern Kalihydrat 
als Alkali verwendet, sehr empfindlich, dagegen nicht verlässlich, 
indem eiue ziemlich dunkle Verfärbung auch in zuckerfreien Harnen 
nicht selten nachgewiesen werden kann, besonders wenn man etwas 
länger und bei starker Flamme kocht. Dagegen hat sie insofern» 
einen Werth für den praktischen Arzt, als sie sehr bequem aus¬ 
führbar ist und zu Controlzwecken für die früher beschriebene 
modificirte Methode nach Fehling sich gut eignet, indem Harn¬ 
säure und Kreatinin eine Reduction des Bisrauthum subnitricum her¬ 
vorzurufen nicht im Stande sind. 

Auch für kleine Zuckermengen recht empfindlich ist eine 
neuere Methode nach v. Jak sch, die man in noch zweifelhaft 
gebliebenen Fällen anwenden kann. In eine Eprouvette werden 
zwei Messerspitzen voll salzsauren Phenylhydrozins und drei Messer¬ 
spitzen voll essigsauren Natrons gebracht, die Eprouvette zur Hälfte 
mit Wasser gefüllt, etwas erwärmt, daun das gleiche Volumen 
Harn hinzugefügt, das Gemisch in der Eprouvette in kochendes 
W T asser gesetzt und nach 15 bis 20 Minuten in ein mit kaltem 
W asser gefülltes Becherglas gebracht. Ich überzeugte mich des 
öfteren, dass, falls der Harn nur halbwegs grössere Mengen Zucker 
enthält, sofort ein gelber krystallinischer Niederschlag entsteht. 
Erscheint dieser makroskopisch amorph, so wird man bei mikro¬ 
skopischer Untersuchung sich von der Anwesenheit von Krystallen 
überzeugen können. Handelt es sich dabei um minimale Zucker¬ 
mengen, dann ist die Reaction insofern umständlicher, als man das 
im Spitzglase gesammelte Sediment durchsuchen muss, um die 
Krystalle zu finden; sie zeigen die Nadelformen und daraus gebil¬ 
dete Drusen. 

Zum Studium aller dieser Reactionen erscheint es zweckmässig, 
einen Diabetesharn von bestimmtem, und zwar höherem Procentge¬ 
halte Zuckers mit normalem aber specifisch schwerem Harne zu 
mischen und so den Zuckergehalt in bestimmter Weise zu verdünnen. 
Einen beliebigen Harn mit einer künstlichen Traubenzuckerlösung 
zu solchem Zwecke zu versetzen, erscheint mir nicht zweckdienlich; 
ein leichter Harn ist für Zuckerproben überhaupt empfindlicher, und 
man würde sich wenigstens bezüglich der Quantität des Zuckers 
täuschen, wenn man iu dem zu untersuchenden Diabetesharne so 
markante Reactionen vermissen würde. Dagegen treten die Reactionen, 
wenn man in obiger Weise vorgeht, deutlich genug hervor, um über 
das Vorhandensein von selbst sehr geringen Mengen Zuckers ein 
richtiges Urtheil abgeben zu können. 

IV. Der Rheumatismus und seine Behandlung 
mittelst elektrischer Massage etc. in Ver¬ 
bindung mit einer Bade- und Trinkcur in 
Wiesbaden. 

Von Dr. med. Carl Mordhorst in Wiesbaden. 

(Schluss aus No. 17.) 

Die zweite Wirkung der Bäder ist eine mehr oder weniger 
starke Anämie der inneren Organe und der Gelenke, welche ebenso 
lange anbält wie die Hyperämie der Haut. Dass eine solche Ver¬ 
minderung der Blutzufuhr zur Synovialmembran, zum Knorpel, Ge¬ 
lenkkapsel etc. der Gelenke, während einer Dauer von 2—3 Stunden 
eine sehr starke antiphlogistische Wirkung ausüben muss, ist ein¬ 
leuchtend. 

Die günstige Wirkung der Douche auf Gelenke, deren 
Theile in Folge einer chronischen Entzündung aufgeschwollen und 
steif sind, ist leicht verständlich. Durch Erzeugung einer starken 
fluxionären Hyperämie, hervorgerufen durch den Reiz der Wärme 
und des Druckes des Wasserstrahls auf die Blutgefässe der Gewebe 
in der Umgebung des Gelenkes wird die Aufsaugung der krank¬ 
haften Ausschwitzungen, die während des jetzt abgelaufenen chro¬ 
nischen Processes stattfanden, beschleunigt. 

Dass solche schweren chronischen Leiden oft lange Zeit zu ihrer 
Genesung bedürfen, und dass ein Aufenthalt von 3 —4 Wochen nur 


in den wenigsten Fällen genügend ist, um ein befriedigendes Re¬ 
sultat zu erlangen, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Um 
den Aufenthalt hier möglichst abzukürzen, wende ich ausser den 
erwähnten Curraitteln auch noch die Massage, verbunden mit 
passiven und activen Bewegungen, die Elektricität und 
in letzter Zeit immer die elektrische Massage an. Welchen 
günstigen Einfluss auf die meisten chronischen rheumatischen Leiden 
eine richtig ausgeführte Massage ausiibt, ist so allgemein bekannt, 
dass ich es hier unterlasse, die Vortheile derselben hervorzuheben. 
Die ersten Male überwache ich den Masseur bei der Ausführung 
der Massage, und erst, nachdem ich mich davon überzeugt habe, 
dass dieselbe ganz nach meiner Angabe ausgeführt wird, und der 
Masseur selbst die afficirten Stellen gefühlt hat, vertraue ich den 
Patienten seiner weiteren Behandlung an. Nur wenn die passiven 
Bewegungen, die ich immer mit der Massage verbinden lasse, mit 
grossen Schmerzen verbunden sind, halte ich meine Gegenwart für 
nothwendig, um die Ausführung derselben zu controliren resp. selbst 
auszuführen. 

Ist der Zweck der passiven Bewegungen, Adhäsionen, Narben¬ 
gewebe, Contractionen von Sehnen und Muskeln etc. zu zerreissen 
resp. zu strecken, so ist es jedenfalls besser, wenn der Arzt sie 
selbst so lange ausführt, bis es ohne grosse Schmerzen geschehen 
kann. Will man schneller seinen Zweck erreichen, oder sind die 
Adhäsionen etc. sehr fest und grossen Widerstand leistend, so ist 
es nothwendig, die Streckung (Brisement force) während der Chloro¬ 
formnarkose auszuführen. Sind die Adhäsionen etc. nicht zu alt 
und zahlreich, so kann der Zweck auch ohne Narkose erreicht 
werden. Nach Ausführung der passiven Bewegungen lasse ich immer 
fleissig massiren, zuweilen sogar zwei Mal täglich. 

Wie die Douche und Massage den Stoffwechsel in den be¬ 
treffenden Organen und dabei auch die Aufsaugung der ausge¬ 
schwitzten, krankhaften Stoffe beschleunigen, so auch die activen 
Bewegungen der Muskeln und Glieder. Der Hauptzweck der¬ 
selben ist, die durch die Massage erreichte schnellere Bewegung des 
Blut- und Lymphstroms und die begonnene Resorption der patho¬ 
logischen Producte zu unterstützen. 

Vor der Ausführung der activen Bewegungen lasse ich den 
Patienten massiren. Schmerzen, entstanden infolge einer passiven 
Hyperämie in den Venen und Lymphgefässen, verschwinden oder 
werden doch geringer nach der Massage, so dass die Bewegungen 
mit mehr Nachdruck und Kraft ausgeführt werden können. 

v. Mosengeil 1 ) hat durch lehrreiche Versuche nachgewiesen, 
dass die Muskelthätigkeit auf das innigste mit den Resorptions¬ 
verhältnissen in den Synovialmembranen der Gelenke zusammenhängt. 

Was die Ausführung der activen Bewegungen anbetrifft, so 
richte ich mich nach den Vorschriften Dr. Schreber’s. 2 ) 

Was nun endlich die Behandlung des chronischen Rheu¬ 
matismus mit Elektricität (constantera Strom) anbetrifft, so 
wende ich sie in den Fällen an, wo der Aufenthalt des Patienten 
aus irgend einem Grunde nur kurz sein kann, oder wo nach der 
Behandlung mit den genannten Mitteln die Besserung der Krankheit 
nur langsam oder gar keine Fortschritte zu machen scheint. Sehr 
oft äussert die Elektricität erst dann eine auffallende Wirkung, wenn 
sie gleichzeitig mit den Bädern und der Massage angewendet wird. 

Obgleich ich allen Grund hatte, mit den Erfolgeu, welche ich 
durch diese combinirte Behandlung des chronischen Rheumatismus 
erreicht habe, zufrieden zu sein, so hat die Umständlichkeit der 
Behandlung, das häufige An- und Auskleiden, das vielen Patienten sehr 
lästig ist, die Unannehmlichkeit für den Arzt, dass der Erfolg der 
Cur zum grossen Theil von der Geschicklichkeit und Gewissen¬ 
haftigkeit des Masseurs abhängig ist, mich veranlasst, eine andere Be¬ 
handlungsmethode, 

Die elektrische Massage, 

bei meinen Patienten einzuführen, eine Methode, durch 
welche auch in verzweifelten Fällen, wo jede andere 
Behandlung im Stiche lässt, noch glänzende Resultate 
erzielt werden können. 

Zur Ausführung der elektrischen Massage bediene ich mich 
einer „Massirelektrode“, die der Fabrikant Wagner 3 ) dahier nach 
meiner Angabe construirt hat. Dieselbe besteht aus einer Walze, 
welche mit einem Griff für die Hand verbunden ist. Die umseitig 
abgebildete Figur zeigt eine verkleinerte Profilansicht derselben. Die 
Walze hat eine Länge von 6 und einen Durchmesser von 3'/2 cm. 
Die Achse derselben besteht aus Nickel oder vernickeltem Messing 
und ist umwickelt mit einer 1 m langen Gummibinde. Eine Lage 

*) v. Moseugcil: Ueber Massage, deren Technik, Wirkuug und 
Indication nebst experimenteller Untersuchung darüber. Langenbeck’s 
Archiv für klinische Chirurgie. Bd. XIX, p. 428. 

a ) ,Aerztliche Zimmergymnastik“ von I)r. Schreber. 

®) Die genaue Adresse: Carl Theodor Wagner, Fabrikant elektrischer 
Signal- und Glockenapparate, Wiesbaden. 


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356 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 18 


von äusserst feinem, nachgiebigem Geflecht aus dem feinsten Messing¬ 
draht, welche mittelst eines Messingdrahts mit der metallenen Achse 
verbunden ist, bedeckt überall die Gumraibinde. Die Rolle ist mit 
Leinen überzogen. Der Griff a ist aus Holz, der Bügel b aus 
Messing und mit einem Stück Gummischlauch überzogen. Die 
ausseren Seiten der Theile d, in welchen sich die Walze dreht, ist 
mit Hartgummi bekleidet. 


b 



Die Vortheile dieser Massirelektrode vor den gewöhnlichen 
walzenförmigen Elektroden für die allgemeinen Faradisationen springt 
sofort in die Augen. Zunächst ist die Handhabung eine viel 
bequemere; man kann ohne Anstrengung viel grössere Kraft zur 
Wirkung kommen lassen, als beim Gebrauch der Elektroden mit 
geradem Handgriff. Zweitens ist die Walze elastisch, so dass man 
auf Knochen einen beliebig starken Druck ausüben kann, ohne 
Schmerzen zu verursachen. Drittens kann mau sie überall an¬ 
wenden; der Rand der Walze dringt bei zweckentsprechender An¬ 
setzung und gehörigem Druck bis tief in die Muskeln hinein. Auch 
die Sehnen, Muskeln und Nerven, die zwischen den Knochen, z. B. 
am Hand- und Fussrücken liegen, können damit erfolgreich be¬ 
handelt werden. 

Was nun die Anwendungsweise der elektrischen 
Massage anbetrifft, so befolge ich ganz genau die Vorschriften der 
gewöhnlichen Massage. Zuerst wird die central gelegene nächste 
gesunde Umgebung 1—2 Minuten behandelt. Erst wenn die Blut- 
und Lymphgefässe derselben für eine erhöhte Aufnahme von Blut 
und Lymphe durch die elektrische Massage mehr empfänglich ge¬ 
macht worden sind, gehe ich zur eigentlichen Behandlung des affi- 
cirten Organs selbst über. Ist dasselbe ein Gelenk, dann applicire 
ich die Kathode, in Form einer gewöhnlichen Plattenelektrode, an 
einer beliebigen Stelle des Gelenks, dem gegenüber setze ich die 
Massirelektrode, also die Anode an und bewege dieselbe zuerst 
unter leisem, allmählich immer stärkerem Drucke in centripetaler 
Richtung bis über das erkrankte Geleuk hinaus. Ohne einen 
nennenswerthen Druck auszuüben, gehe ich dann denselben Weg 
zurück. Auf diese Weise wird nach und nach das ganze Gelenk 
massirt und elektrisirt. Handelt es sich um eine rheumatische 
Affection von Muskeln, Sehnen oder Nerven an einer Extremität, 
so stelle ich auch die Elektroden einander gegenüber und verfahre 
in gleicher Weise wie bei Gelenkaffectionen. Bei Affectionen am 
Halse oder am Körper setze ich die Kathode des constauten Stromes 
auf das Sternum und behandle die afficirte Stelle mit der Massir¬ 
elektrode. Bei torpiden, chronischen Gelenk- und Muskelaffectionen 
benutze ich häufig die Pole in umgekehrter Weise; der Strom geht 
dann besser durch; die Stromdichte ist gewöhnlich hier Vio bis Vs- 
Bei Neuritis nehme ich den Strom bedeutend schwächer, nämlich 

Vis bis Vao- 

Welche Vortheile bietet nun diese Behandlungs¬ 
methode vor der mit getrennter Massage und Elektricität? 

1. Die Dauer der Cur wird bedeutend abgekürzt und somit auch 
die Kosten des Aufenthaltes am Curorte vermindert. 

2. Der Heilerfolg ist ein vollständigerer und dauerhafterer. 

3. Die Cur ist für den Patienten weniger umständlich und zeit¬ 
raubend. 

4. Die Unannehmlichkeit für den Patienten, sich ausser von dem 
Arzte auch noch von einem Masseur behandeln zu lassen, fällt weg. 

5. Die Massage mit der Massirelektrode ist bei Weitem nicht so 
ermüdend für den Arzt, wie die mit der Hand und dabei viel 
kräftiger und wirksamer. 

6. Die gleichzeitige Wirkung der Massage und der Elektricität 
scheint dem Heilungsprocess viel förderlicher zu sein, als die 
getrennte Application dieser Heilmittel. 


Casuistik. 

Um zu zeigen, welche Erfolge ich mit der elektrischen Massage, 
verbunden mit der Bade- und Trinkcur hier erreicht habe, will 
ich eine Reihe von Fällen anführen, welche im Laufe der letzten 
anderthalb Jahre von mir in der erwähnten Weise behandelt 
wurden. Ich führe nur diejenigen Fälle an, die mir von Collegen 
zur Behandlung überwiesen waren. Die Glaubwürdigkeit meiner 
Berichte wird dadurch unanfechtbar, dass ich auch die Namen dieser 
Herren Collegen mit anführe. 

Handgelenke: 

1. Herr Rector R., ca. 26 Jahre alt (Hausarzt: Herr Dr. Hagemann 
[Hannover]), hat vor */> Jahr subacuten Gelenkrheumatismus gehabt. Da 
das rechte Handgelenk und verschiedene Fiugergelenke noch angeschwollen, 
steif und schmerzhaft waren, wurde Patient nach Wiesbaden geschickt und 
mir zur Behandlung überwiesen. Eine Bade- und Trinkcur von ca. fünf 
Wochen Dauer, verbunden mit elektrischer Massage, genügten zur voll¬ 
ständigen Herstellung der afficirten Gelenke. 

2. Frau M. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. H. Berg) litt ver¬ 
schiedene Male an acutem Gelenkrheumatismus mit Insufficienz der Mitralis, 
'das letzte Mal vor 3 /i Jahr, und konnte sich von dem letzten Anfalle gar 
nicht erholen. Fast alle Gelenke stark geschwollen, steif und schmerzhaft. 
Handgelenke so angegriffen, dass sie nur unter grossen Schmerzen das 
Nothwendigste mit den Händen verrichten konnte. Eine Bade- und Trink¬ 
cur hier und elektrische Massage brachten in 5—6 Wochen vollständige 
Heilung. 

3. Herr Fabricius T. aus Lyngby, Dänemark, Chronischer Rheu¬ 
matismus der Knie-, Hand- und einiger Fingergelonke seit mehreren Jahren. 
St. p.: Die erwähnten Gelenke starkgeschwollen, steif, kraftlos und etwas 
schmerzhaft bei Bewegung. Bei meiner üblichen Behandlungsweise nach 
4 bis 5 Wochen vollständige Heilung. 

. Kniegelenke: 

4. Frau Pastor H. (Arzt: Herr Dr. Holm [Eckernförde]) litt seit 
Jahren an chronischem Rheumatismus der Kniegelenke, der Muskelu und 
der Haut des Oberarmes. St. pr.: Beide Kniegelenke geschwollen, schmerz¬ 
haft und kraftlos, die Oberarme sehr stark geschwollen, schwach und bei 
der leisesten Berührung schmerzhaft. Nach 6 Wochen reiste sie ganz 
gesund nach Hause. 

5. Frau P. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. Otto Lund). Rheu¬ 
matische Schmerzen im rechten Knie. Bäder und eine kurze Behandlung, 
ca. 14 Tage, genügten zur vollständigen Herstellung. 

6. Frau Langgärd aus Christiania (Hausarzt: Herr Dr. Otto Lund 
[Christiania]) litt seit Jahren an rheumatischen Schmerzen des linken Knies, 
welche das Gehen schmerzhaft und beschwerlich machten. Nach 6 Wochen 
vollkommene Genesung. 

7 Herr Kaufmann M. aus Leipzig (Hausarzt: Herr Dr. Neubert) 
hatte rheumatische Schmerzen in dem rechten Knie. Nach einer 3 bis 
4wöchentlichen Cur geheilt entlassen. 

8. Frau J. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. Djörup und Herr 
Professor Dr. Stad fei d). Fast alle grösseren Gelenke wie Knie-, Fuss- 
und Schultergelenke und viele Muskelu (Rücken und Kreuz) rheumatisch 
afficirt. In diesem Falle waren 8—9 Wochen zur völligen Herstellung 
nothwendig. 

9. Herr N. aus Göteborg (Hausarzt: Herr Dr. Nilsson). Die Kniee, 
die Handgelenke und einige kleinere Gelenke au den Händen rheumatisch 
afficirt. Nach 4 — 5 Wochen reiste Patient vollkommen hergestellt nach 
Hause. 

10. Herr S. aus Leipzig (Hausarzt: Herr Dr. Neubert). Das rechte 
Kniegelenk stark geschwollen, das Gehen sehr beschwerlich, unsicher. Eine 
Cur in Baden-Baden im Jahre 1884 ohne nennenswerthen Erfolg, im 
Sommer 1885 brachte eine Badecur hier, verbunden mit Massage und Elek¬ 
tricität, fast vollkommene Gebrauchsfähigkeit des Kniees, welche jedoch im 
Laufe des Winters in dem Grade abnahm, dass eine Wiederholung der Cur 
im Sommer 1886 nothwendig war. Das Knie war 3 cm dicker wie das ge¬ 
sunde, schmerzhaft bei Druck und Bewegung, kraftlos. Ausser den Bädern 
wandte ich die elektrische Massage an. Nach 3 Wochen war das Knie 
vollkommen abgeschwollen und ebenso kräftig wie das andere. Nach einem 
Jahr kein Recidiv eingetreten. 

11. Fräulein R. aus Leipzig (Hausarzt: Herr Dr. Neubert). Rheuma¬ 
tische Schmerzen in den Nacken- und Armmuskeln und ira linken Knie. 
Durch eine im Frühjahr hier durcbgemachte Badecur verbunden mit elek¬ 
trischer Massage wurde schon nach kurzer Zeit, 14 Tage bis 3 Wochen, 
das Knie so weit hergestellt, dass lange Fusstouren, bis zu zwei Stunden 
und mehr, keine Beschwerden hervorriefen, so dass ich mit der elektrischen 
Massage aufhören konnte. Die Nacken- und Armschmerzen nahmen be¬ 
deutend ab, verloren sich aber doch nicht ganz nach einem Curaufenthalt 
von 6 Wochen. Patientin kam zum Herbst wieder, um die Cur fortzusetzen. 
Es wurde ein befriedigendes Resultat erzielt. Pat. theilte mir vor Kurzem 
mit, dass es ihr relativ gut gehe, dass sie jedoch aller Wahrscheinlichkeit 
nach zum Frühjahr wieder hierher kommen würde, um ihre rheumatischen 
Schmerzen gänzlich los zu werden. 

12. Frau P. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Professor Dr. PI um). 
Das linke Knie stark angeschwollen, schmerzhaft bei Druck und Bewegung. 
Das Gehen beschwerlich. Nach 6 Wochen vollkommene Genesung, die nach 
einer brieflichen Mittheilung noch anhält. 

13. Frau H. aus Bremen (Hausarzt: Herr Dr. Luce). Wenig Schmerzen 
und Schwäche in den Knieen nach einem vor */* Jahr durchgemachten acuten 
Rheumatismus. Eine Badecur von 4 bis 5 Wochen neben einer 8tägigen 
Behandlung mit elektrischer Massage genügten zur völligen Herstellung. 

14. Frau E. aus Lübeck (Hausarzt: Herr Dr. Reuter jr.). Rheuma¬ 
tismus im linken Knie und im linken Fussgelenk. Gang äusserst beschwer- 


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3. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


357 


lieh, Treppensteigen sehr schmerzhaft. Nach 5 Wochen vollkommene 
Heilung. 

15. Herr W. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. J. P. Poulsen). 
Schmerzen und Schwäche in den Knieen und Fussgelenkeu. Ischias. Nach 
4—5 Wochen geheilt entlassen. 

16. Herr S. aus Berlin (Hausarzt: Herr Dr. Greulich). Das rechte 
Knie geschwollen, etwas Hydrops genu, schmerzhaft bei Druck und Bewe¬ 
gung. Nach ca. 4 Wochen vollkommen hergestellt. 

17. Frau Baronin L. aus Holland (Consultirter Arzt: Herr Professor 
Talma, Utrecht). Rheumatische Affection des linken Kniegelenks. Nach 
ca. 5 Wochen geheilt entlassen. Nach ca. 6 Wochen kam Pat. wieder und 
klagte über heftige Schmerzen im Verlaufe des Nervus ischiadicus. 6 bis 
S malige elektrische Massage brachte die Schmerzen zum Verschwinden. 

18. Herr Fabricius T. (s. Fall 3).' 

Fussgelenke. 

19. Frau N. aus Bremen (Hausarzt: Herr Dr. Loose). Nach einem 
acuten Gelenkrheumatismus stark geschwollene Fussgelenke, schmerzhaft bei 
Druck und Bewegung. Nach ca. 5 Wochen fast vollkommene Heilung. 

20. Frau J. aus Kopenhagen (s. Fall 8). 

21. Herr N. aus Göteborg (s. Fall 9). 

22. Herr T. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. Jacobsen). Beide 
Fussgelenke sehr geschwollen, bei Druck und Bewegung schmerzhaft. 
Schwerer Fall. Das Gehen kümmerlich. Nach 6 Wochen fast vollkommene 
Heilung. Pat. konnte nicht länger hier bleiben. 

25. Frau E. aus Lübeck (s. Fall 14). 

24. Herr W. aus. Kopenhagen (s. Fall 15). 

25. Frau M. aus Kopenhagen (s. Fall 2). 

26. Herr A. aus Aarbus, Dänemark (Hausarzt: Herr Dr. Juul). Mo¬ 
mentan wenig rheumatisch afficirte Fussgelenke. Nach ca. 4 Wochen ohne 
Schmerzen entlassen. 

Schultergelenke. 

27. Herr B. aus Lübeck (Hausarzt: Herr Dr. Reuter) litt an rheu¬ 
matischen Schmerzen in der rechten Schulter. Nach 3 Wochen gänzlich 
hergestellt entlassen. 

28. Herr B. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. Risom). Sehr 
lästige Rücken- und Kreuzschmerzen und so anhaltend, dass Pat. fürchtete, 
die Schmerzen stammten von den Nieren her. Nach einer 3 wöchentlichen 
<'ur, Bäder und elektrische Massage, waren die Schmerzen vollkommen ver¬ 
schwunden. Nach dieser eclatanten Wirkung ersuchte mich Pat., auch seine 
Schulter, die auch lange Zeit rheumatisch afficirt war, mit elektrischer 
Massage zu behandeln. Nach weiteren 3 Wochen konnte Pat. vollkommen 
geheilt entlassen werden. 

29. Herr Staatsrath P. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Professor Dr. 
Reisz) litt seit Jahren an rheumatischen Schmerzen des rechten Schulter¬ 
gelenks und der Oberarmmuskeln. Nach einer 3—4wöchentlichen Cur voll¬ 
ständige Genesung. 

30. Herr G. aus London (Arzt: Herr Dr. Roth, Bremen) hatte auch 
seit Jahren Schmerzen in der rechten Schulter. Nach 3—4 Wochen völlig 
hergestellt entlassen. 

31. Herr Baron v. 0. aus Schweden (Consultirter Arzt: Herr Prof. Dr. 
Engelsted [Kopenhagen]) hat seit Jahren an atypischen Gelenkschmerzen, 
namentlich im rechten Schultergelenk und am Oberarm, welche die Bewegung 
sehr erschwerten, gelitten. Als sich auch Schmerzen längs der Wirbelsäule 
und am Schulterblatt einstellten, wurde Pat. nach Wiesbaden geschickt und 
mir zur Behandlung überwiesen. 

Nach 4—5maliger Behandlung mit elektrischer Massage verschlimmerte 
sich ein chronisches Eczem am Arm und an der Schulter, so dass mit dieser 
Behandlung ausgesetzt werden musste. Da aber nach ca. 3 Wochen beim 
alleinigen Gebrauch der Bäder die Besserung der Schmerzen sich nur sehr 
langsam einstellte und Pat. nicht länger als 6 Wochen hier bleiben konnte, 
so entschloss er sich trotz des noch nicht ganz geheilten Eczems sich wieder 
der Behandlung mit elektrischer Massage zu unterwerfen. Nach kaum 
3 Wochen konnte er geheilt nach Hause reisen; das Eczem war bei der 
Abreise auch verschwunden. 

Halsmuskeln. 

32. Frau M. aus St. Petersburg (Hausarzt: Herr Dr. Möhlenfeld) litt 
seit Jahren an rheumatischen Schmerzen in den Nacken-, Schulter- und 
Oberarmmuskeln. Es waren hauptsächlich die Mm. cucullaris, sternocleido- 
rnastoideus, deltoideus und triceps angegriffen. Ausserdem war die Haut des 
Oberarms geschwollen und bei Druck schmerzhaft. Nach ca. 6 Wochen 
waren bei meiner gewöhnlichen Behandlung (Bäder und elektrische Massage) 
alle diese Erscheinungen vollständig verschwunden. 

33. Seine Excellenz Herr Baron H., Minister, aus Schweden (Arzt: Herr 
Dr. Malmsten [Stockholm]) litt seit Jahren an Rheumatismus in den Mm. cu¬ 
cullaris, deltoideus der rechten Seite und im M. rectus femoris des rechten 
Beines. In dem letzteren befand sich eine rheumatische Schwiele von der 
Grösse einer kleinen Wallnuss. Eine vierwöchentliche Cur brachte die 
Schmerzen in der Schulter und im Oberarm vollständig zum Schwinden; die 
rheumatische Schwiele im M. rectus femoris wurde kleiner und weniger 
schmerzhaft und würde imzweifelhaft nach einer länger fortgesetzten Cur der 
Behandlung gewichen sein. 

34. Frau Gräfin H. aus Schweden (Arzt: Herr Dr. Malmsten [Stock¬ 
holm]) hatte auch seit Jahren rheumatische Schmerzen in den Mm. cucullaris, 
deltoideus und triceps beider Arme. Nach 4 Wochen konnte Pat., von ihren 
Schmerzen befreit, nach Haus« reisen. 

35. Frau 0. aus Göteborg (Hausarzt: Herr Dr. Lindh). Rheumatische 
Schmerzen in den Nackenmuskeln. Heilung nach 5—6 Wochen. 

36. Fräulein II. aus Holland (Hausarzt: Herr Dr. J. Hanlo [Amster¬ 
dam] und Herr Dr. C. Sn eilen [Zeist]) leidet an rheumatischen Schmerzen 
in den Nacken- und Oberarmmuskeln und im Verlaufe des Nervus ischia¬ 
dicus. Pat. ist 3 Sommer nach einander hier gewesen und hat jedesmal 
nach einer 6—8wöchentlichen Cur so grosse Erleichterung erzielt, dass der 


grösste Theil des Winters ohne heftige Schmerzen verlief. Gegen Frühjahr 
wurden sie so heftig, dass sie wieder nach Wiesbaden musste. Als sie 
diesen Sommer Wiesbaden verliess, waren alle Schmerzen, auch die der Ischias, 
vollkommen verschwunden, so dass Pat. lange, 2—3 Stunden dauernde Fuss- 
touren machen konnte. Bis jetzt. Ende Februar, ist kein Recidiv eingetreten. 

37. Fräulein R. (s. Fall 11). 

38. Herr Staatsrath P. (s. Fall 29). 

39. Herr Forstmeister R. aus Hannover (Arzt: Herr Dr. Hagemann). 
Ausser rheumatischen Schmerzen in dem M. cucullaris auch Schmerzen in 
den Rückeumuskeln und im Kreuze. Nach 4 Wochen vollkommene Ge¬ 
nesung. 

40. Frau D. aus Dänemark (Hausarzt: Herr Dr. Braun) litt seit Jahren 
an rheumatischen Kopf- und Nackenschmerzen. Ausserdem waren die 
Muskeln der Oberarme und die Haut derselben stark rheumatisch afficirt. 
Die Haut geschwollen und bei leisem Druck schmerzhaft, der Arm kraftlos. 
Alle Erscheinungen nach 5 Wochen vollkommen beseitigt. 

41. HerrGeneralconsulB. aus New-York (Arzt: Herr Dr. Budde, Leibarzt 
Sr. Maj. des Königs [Christiania]) leidet an rheumatischen Nackenschmerzen 
mit deutlicher Verdickung der Muskeln und der Haut. Nach 3—4 Wochen 
sind die krankhaften Symptome verschwunden. 

42. Frau B. aus New-York (Arzt: Herr Dr. Budde [Christiania]). 
Rheumatische Nackenschraerzen mit einer haselnussgrossen rheumatischen 
Schwiele im linken M. cucullaris. Bedeutende Besserung nach 3 Wochen. 

Armmuskeln. 

43. Frau M. (s. Fall 32). 

44. Fräulein H. (s. Fall 36). 

45. Fräulein R. (s. Fall 11). 

46. Herr Staatsrath P. (s. Fall 29). 

47. Herr Rechtsanwalt II. (Arzt: Herr Professor Dr. IIeiberg 
[Christiania]) leidet ausser au einer allgemeinen Nervosität auch an rheu¬ 
matischen Schmerzen und Schwäche in den Armmuskeln. Nach 4 Wochen 
bedeutende Besserung seiner Nervosität und Zunahme der Muskelkraft, Ab¬ 
nahme der Schmerzen. 

48. Herr Baron v. 0. (s. Fall 31). 

49. Frau Baronin v. 0. aus Schweden (Arzt: Herr Prof. Dr. Engel¬ 

sted [Kopenhagen]). Rheumatische Schmerzen und Verdickung der 
Oberarmmuskeln und der Haut beider Arme. Nach 4 Wochen vollständige 
Genesung. . 

50. Frau D. aus Dänemark (s. Fall 40). 

Oberschenkelmusk-eln. 

51. Seine Excellenz Herr Baron H. (s. Fall 33). 

52. Herr Banquier B. (*Arzt: Herr Professor Dr. Senator [Berlin]). 
Schmerzen im M. rectus femoris. Eine achttägige Behandlung beseitigte 
die Schmerzen. 

Unterschenkelmuskeln. 

53. Herr Pächter M. aus Schonen (Arzt: Herr Professor Dr. llibbing 
[Lund]), 

54. Herr Fabrikbesitzer A. aus Bergen (Hausarzt: Herr Dr. Wiesener. 
Consultirter Arzt: Herr Professor Dr. Brüniche [Kopenhagen]) und 

55. Herr Fabrikbesitzer J. aus Christiania (Hausarzt: Herr Dr. Grön) 
litten an rheumatischen Schmerzen in den Mm. gastroenemii. Nach 4 bis 
6 Wochen im Falle 53 grosse Besserung, in 54 und 55 vollständige Her¬ 
stellung. 

Rücken- und Kreuzmuskeln. 

56. Frau J. (s. Fall 8), 

57. Herr B. (s. Fall 28), 

58. Herr R. (s. Fall 39), 

59. Herr W. aus Göteborg (Hausarzt: Herr Dr. Forssenius), 

60. Herr D. aus Dänemark (Hausarzt: Herr Dr. Braun) und 

61. Herr J. (s. Fall 55) litten alle an mehr oder weniger heftigen 
Rücken- und Kreuzschmerzen rheumatischen Ursprungs. Sie wurden 
sämmtlich nach 3—6 Wochen, vollkommen von ihren Schmerzen befreit, 
entlassen. 

Ischias. 

62. Herr Hauptmann K. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. Bon- 
nesen), 

63. Frau B. aus Crefeld (Hausarzt: Herr Dr. Wenselmann), 

64. Herr B. aus Crefeld (Hausarzt: Herr Dr. Wenselmann), 

65. Frau W. aus Finnland (Consultirter Arzt: Herr Prof. Dr. Rune- 
berg [Helsingfors]), 

66. Frau Staatsrath K. aus Dänemark (Hausarzt: Herr Dr. Petersen 
[Odense]; consultirter Arzt: Herr Professor Dr. Engelsted [Kopenhagen]) und 

67. Herr Pastor R. aus Leipzig (Hausarzt: Herr Dr. Hinze) hatten 
alle kürzere oder längere Zeit Ischias. Sie wurden nach 3—6 Wochen alle 
geheilt entlassen. 

68. Fräulein H. aus Holland (s. Fall 36). 

69. Frau Baronin L. aus Holland (s. Fall 17). 

Andere Neuralgieen. 

70. Herr Kaufmann P. aus Kopenhagen (Hausarzt: Herr Dr. Otto Lund) 
litt an einer Interoostalneuralgie und Schmerzen im Plexus brachialis des 
rechten Arms, die nach 4—5wöchentlicher Cur vollständig beseitigt wurden. 

71. Herr Fabrikant L. aus Fürth (Hausarzt: Herr Dr. Wollner; 
consultirter Arzt: Herr Professor Dr. Strümpell [Erlangen]) bekam vor 
2 Jahren in Folge eines leichten Trauma’s eiue acute Entzündung des ersten 
Fingergelenkes des Zeigefingers der linken Hand. „Nach vollständiger 
Heilung derselben stellten sich heftige neuralgische Schmerzen im Plexus 
brachialis ein, die eiue Amputation des Fingers als das Rationellste er¬ 
scheinen Hessen. Herr Professor Strümpell glaubte noch einen Versuch mit 
den Thermen Wiesbadens in Verbindung mit leichter, vorsichtiger Massage 
empfehlen zu können und verwies mich zu diesem Zwecke an Sie, die Be¬ 
handlung gefälligst übernehmen zu wollen. Patient ist sehr empfindlich 
und es empfiehlt sich, nur langsam vorzugehen. Mit colleg. Hochachtung etc.“ 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 18 


(Brief des Hausarztes au mich). Nach 6 wöchentlichem Gebrauch der Bäder, 
verbunden mit elektrischer Massage, konnte Patient vollständig geheilt 
nach Hause reisen. 

Sehnenscheiden am Fussrücken. 

72. Herr H. aus Holland (Consultirter Arzt: Herr Professor Talma 
[Utrecht]) klagte über zeitweise heftig auftretende Schmerzen im Fussrücken 
(in den Sehnenscheiden und Mm. interossei). Nach 5 Wochen vollständige 
Heilung. 

73. Herr tt., Kaiserlich Russ. Rath und Rittergutsbesitzer (Hausarzt: 
Herr Dr. Bocheniec) litt seit Jahren an so heftigen Schmerzen im Fuss¬ 
rücken, dass er im Winter oft lange Zeit im Bette zubringen musste. 
Nach 14 Tagen vollständige Beseitigung der Schmerzen. Schon nach 2 oder 
3maliger Anwendung der elektrischen Massage waren die Schmerzen auf ein 
Minimum reducirt. 

Es geht aus dieser Casuistik hervor, dass unter 73 Affec- 
tionen sich «keine einzige befindet, die durch meine Behand¬ 
lung nicht bedeutend gebessert wurde, und im Ganzen nur 5 Fälle 
(s. Fall 11, 22, 33, 42, 53), die nicht vollständig geheilt wurden. 
Es waren das sehr hartnäckige, langdauernde Fälle, die zu ihrer 
vollkommenen Genesung einer längeren Behandlung bedurften. 
Da die Besserung auch in diesen Fällen mit jeder Woche sehr in 
die Augen springend war. so zweifle ich nicht daran, dass eine voll¬ 
kommene Heilung hätte erzielt werden können. Ich weiss sehr 
wohl, dass die Heilung der kleinen Zahl von Neuralgieen, die 
ich hier angeführt habe, keinen so sehr grossen Werth hat; immer¬ 
hin regt aber doch der Erfolg zu neuen Versuchen an, und da ich 
auch in einer ebenso grossen Zahl von Fällen, die mir nicht durch 
Aerzte überwiesen wurden und die ich also nicht mitanführen 
wollte, ebenso gute Resultate erzielt habe, so glaube ich zu der 
Hoffnung berechtigt zu sein, dass die elektrische Massage bei der 
Behandlung der hier' in Rede stehenden und anderen ähnlichen 
Affectionen, namentlich in Verbindung mit einer Badecur in Wies¬ 
baden, sich allmählich einen hervorragenden Platz unter den hier 
in Anwendung kommenden Mitteln erringen wird. 


V. Feuilleton. 

Pariser Brief. 

In neuester Zeit hat eine der Akademie der Medicin gemachte 
Mittheilung der ärztlichen Welt und weiteren Kreisen Anlass gege¬ 
ben, die üblen Folgen, ja selbst Unglücksfälle zu erörtern, welche 
der Gebrauch des Antipyrins verursacht haben soll. Da jedoch 
im Grunde genommen dies Gerede, wenigstens was die von ärzt¬ 
licher Seite sorgfältig beobachteten Fälle anlangt, auf einige Fälle 
zurückzuführen ist, in denen geringe Magenschmerzen, etwas Er¬ 
brechen auftraten, oder der Gebrauch des Mittels ein mehr oder 
weniger erhebliches Exanthem herbeigeführt hat, würde ich die Sache 
garnicht erwähnen, wenn ich nicht dabei constatiren möchte, dass 
das Antipyrin augenblicklich das Modemittel ist, das alle Welt, 
auch ohne Verordnung des Arztes nimmt, sobald man eine Migräne 
oder einen leichten Rheumatismus verspürt. Es würde unter 
solchen Umständen garnicht erstaunlich sein, wenn sich hier uud 
da einmal ein Unglücksfall ereignete, ja man muss sich geradezu 
wundern, dass deren nicht mehr passiren. 

In No. 9 Ihrer Wochenschrift hat Dr. Carl Günther ein aus¬ 
gezeichnetes Resume der verschiedenen Mittheilungen Brown- 
Sequard’s und Arsonval’s über die Giftigkeit der Exspi¬ 
rationsluft gegeben. Ich kann mich daher darauf beschränken, 
Ihnen den allgemeinen Eindruck mitzutheilen, welchen die Dis- 
cussion hervorgerufen bat, die sich zwischen Brown-Sequard 
und Arsonval auf der einen, Dastre auf der anderen Seite erhoben 
hat. Man ist allgemein der Ansicht, dass, wenn Brown-Sequard 
und Arsonval im Laboratorium Dastre’s gearbeitet hätten, ihre 
Ergebnisse wahrscheinlich ganz andere gewesen wären. Was die 
Beobachtungen in Betreff jener Flüssigkeiten anlaugt, die in die 
Lunge von Menschen und Hunden eingebracht und wieder zurück¬ 
gezogen wurden, so beweisen dieselben nichts für die Giftigkeit der 
Exspirationsluft. Schon vor mehreren Jahren hat Mosso (Turin) 
uachgewiesen, dass derartige Flüssigkeiten, die mit der Lunge, der 
Leber, ja sogar mit dem Gehirn in Berührung gewesen, für Kanin¬ 
chen toxisch sind. 

Fere machte kürzlich in der Biologischen Gesellschaft Mitthei¬ 
lung über eine Frau, die eigenthümliche elektrische Erschei¬ 
nungen zeigte. Berührte dieselbe z. B. eine Gabel, so sah sie 
häufig einen Funken zwischen ihrer Hand und der Gabel über¬ 
springen, gab sie einer Freundin die Hand oder umarmte sie, so er¬ 
hielt dieselbe einen elektrischen Schlag. Fere konnte sich diese 
Erscheinungen nicht erklären uud wandte sich an Arsonval, 
der auf diesem Gebiete weitgehendes Wissen besitzt, und dieser 
stellte fest, dass die eigenartigen Erscheinungen einfach darauf zu¬ 
rückzuführen seien, dass die Patientin eine eigenthümlich trockene 
Haut besitzt. Mit Hülfe eines eigens für diesen Zweck construirten 
Hygrometers konnte ermittelt werden, dass die Haut der Patientin, 


besonders linkerseits, selbst bei feuchtem Wetter, fast absolut trocken 
sei. Unter diesen Umständen kann man die Haut der Frau mit 
einem Kautschukblatt vergleichen, das durch die Reibung der 
Kleider beständig mit Elektricität geladen wird. In der That ist 
die trockene menschliche Haut ein vorzüglicher Elektricitätserzeuger, 
und einstmals entwickelte man statische Elektricität, indem man 
die Hand auf eine rotirende Schwefelkugel legte, wie man in jedem 
Lehrbuche der Physik aus dem vorigen Jahrhundert nachlesen kann. 
Folgende Beobachtung, die leicht nachzuprüfen ist, erläutert 
dies sehr schön. Man entferne von einer Ra ms den’sehen Ma¬ 
schine die Kissen uud lege beide Hände auf die Glasscheibe, nach¬ 
dem man sie zuvor in eine schwache Lösung von Schwefelsäure ge¬ 
taucht hat, um sie zu trocknen und die Secretion der Schweiss- 
drüsen hintanzuhalten; in einigen Minuten sind die Conductoren ge¬ 
laden und man kann alle die bekannten Experimente anstellen. 

Bei der betreffenden Person erzeugt also die Reibung statische 
Elektricität, die in einer Art schlechtem Leiter für eine Zeitlang 
und in einem Verhältniss aufgespeichert wird, das mit der Feuchtig¬ 
keit der Hautoberfläche variirt. In diesem Falle erhebt sich die 
Spannungsdifferenz bis zu 1200 Volt. Nach Arsonval ist dieser 
elektrische Zustand nicht mit demjenigen zu vergleichen, den die 
Elektrophysiologie in Nerven und Muskeln kennt. Die Spannungs¬ 
differenz, welche man für Nerven und Muskeln bestimmt hat, be¬ 
läuft sich nur auf Hundertstel eines Volt und bleibt stets unter 
einem Volt. Arsonval hält es für physisch unmöglich, dass ein 
Individuum Spannungsdifferenzen von 1000 Volt erzeugt, da die 
anatomische Structur aller Gewebe des menschlichen Körpers etwas 
Gegebenes ist, so neuropathisch oder hysterisch das betreffende In¬ 
dividuum auch sein mag. Das Individuum müsste also eine be¬ 
sondere anatomische Structur und besondere Organe besitzen, wie 
diejenigen der elektrischen Fische. Wenn man der Person blaue 
Gläser vor die Augen brachte, oder sie Aether riechen liess, beob¬ 
achtete man grosse Unterschiede in der Leitungsfähigkeit. Manche 
haben in diesem Umstande eine physiologische Wirkung der Elek¬ 
tricität sehen wollen. Dies lässt Arsonval nicht gelten. Die er¬ 
zeugte Reibung modificirt deh Feuchtigkeitsgrad gewisser Partieen 
der Haut, wie sie die Circulation in derselben modificirt. Indem 
die Leitungsfähigkeit der Haut sich an gewissen Stellen ändert, 
bringt diese Aenderung entsprechende Aenderung in der Vertheilung 
der freien Elektricität hervor. So kann es z. B. kommen, dass nur 
die eine Hälfte des Körpers elektrisch bleibt, während die andere 
entladen wird. Hierzu reicht es hin, wenn die eine Hälfte durch 
Hautsecretion leitungsfähig wird. In der That kommt es vor, dass 
für dieselbe Menge Elektricität die Leitungsfähigkeit eines Körpers 
verschieden ist je nach der Oberfläche, über die sich die elektrische 
Ladung erstreckt. Folglich kann mau aus dem Grade, in dem 
man die Spannung am Elektrometer sich ändern sieht, nicht 
schliessen, dass die Person unter dem Einfluss der sensoriellen 
Reizung Elektricität erzeugt hat, weil diese Wirkung abhängt von 
einer einfachen Aenderung in der Vertheilung der Elektricität die 
ursprünglich durch die Reibung hervorgebracht ist. 

Wir lassen im Folgenden kurz die Krankengeschichte der 
Person folgen, an der Fere und Arsonval ihre interessanten Be¬ 
obachtungen gemacht haben: Frau X. stammt aus einer neuro- 
pathischen Familie. Sie zeigt u. a. eine nervöse Anorexie, die seit 
ihrer Kindheit mit wechselnder Heftigkeit besteht, ferner eine Hyper¬ 
ästhesie des linken Ovariums und eine sensitiv sensorielle Anäs¬ 
thesie derselben Seite. Im Alter von ungefähr 14 oder 15 Jahren 
nahm sie hin und wieder in den Haaren mehr oder weniger starke 
crepitirende Geräusche wahr, und denselben liessen sich im Dunkeln 
deutlich sichtbare Funken entziehen. Die Erscheinung erreichte um 
das Jahr 1883 den höchsten Grad. Sie war damals 27 Jahre alt. 
Zu derselben Zeit bemerkte sie, dass ihre Finger leichte Gegen¬ 
stände anzogen. Wenn die Kleider irgend einer Stelle des Körpers 
sich näherten, gab es ein mit crepitirendem Geräusch verbundenes 
Leuchten, und dann hafteten die Kleider dem Körper an, manch¬ 
mal so stark, dass dadurch die Bewegungen gehemmt wurden. 
Die sämmtlichen Erscheinungen wurden stärker durch Reibung, 
auch unter dem Einfluss moralischer Aufregung. Namentlich traten 
dieselben deutlich hervor bei trockenem Wetter, vor allem bei 
Frost. Für gewöhnlich sind die Erscheinungen links stärker aus¬ 
geprägt, z. B. auf der Seite, wo die sensoriellen Störungen be¬ 
stehen. Mit jeder Erhöhung der Spannung geht ein Zustand all¬ 
gemeiner Erregung einher, eine sehr deutliche Superactivität. Wenu 
sich im Gegentlieil unter dem Einfluss der Feuchtigkeit der Luft 
die Spannung vermindert, so entsteht ein Gefühl von Abspannung 
und Mattigkeit. Bringt man die Abnahme der Spannung durch 
wiederholte Entladungen hervor, so entsteht ebenfalls ein Gefühl 
der Ermüdung, das vor allem einen localen Charakter hat. Das 
einfache, secundeulange Reiben der Hände gegen einander erzeugt 
einen Erregungszustand, der hinreicht, um der Patientin den Schlaf 
zu rauben. Die Patientin hat einen Sohn von 11 Jahren, der in 


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3. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


359 


der ersten Kindheit, abgesehen von nächtlichen Hustenanföllen I 
spasmodischen Charakters, keine Störungen zeigte. Seit drei Jahren 
jedoch sind bei ihm ebenfalls nervöse Anorexie und hysterische 
Erscheinungen aufgetreten, und seit einigen Monateu zeigen sich 
Äuch bei ihm elektrische Erscheinungen, dasselbe mit Crepitation 
vorhandene Leuchten, wie bei seiner Mutter. 

Roux hat neuerdings seine im Verein mit Chamberland 
unternommenen Studien über die Impfwirkuug septischer Flüssig¬ 
keiten bezw. von Culturaiifschwemmungen fortgesetzt, in denen die 
Mikroorganismen abgetödtet sind. Er hat soeben eine Arbeit über 
den Rauschbrand veröffentlicht. Diese Erkrankung pflegt, wie aus 
den Beobachtungen von Arloing, Cornevin und Thomas her¬ 
vorgeht, nicht zu recidiviren. üm Meerschweinchen gegen Rauscb- 
brand immun zu machen, injicirte ihnen Roux grosse Quantitäten, 
einer Cultur von Milzbrandbacillen oder Bacterium Chauvaei in das 
Peritoneum, nachdem er in der Aufschwemmung alle lebenden 
Organismen durch Erhitzung auf 115° getödtet, oder aber alle 
Mikroben durch ein Thonfilter abgeschieden hatte; der erstere Weg 
erhielt als zuverlässiger den Vorzug, weil er die zu prüfende Sub¬ 
stanz nicht verändert. In der injicirten Aufschwemmung war das 
Bacterium Chauvaei 15 Täge lang gezüchtet Die injicirte Menge 
betrug 4 ccm dreimal mit zwei Tagen Zwischenraum. Die so ge¬ 
impften Thiere sind in den meisten Fällen immun gegen Impfungen 
mit 0,2 ccm Rauschbrandgift in Milchsäure 1:5 vertheilt, während 
gleichzeitig geimpfte Controlthiere bisweilen schon in weniger als 
vierandzwanzig Stunden eingehen. Der grösseren Sicherheit wegen 
und um jeden Umstand, der die Beobachtung trüben könnte, zu 
vermeiden, injicirte Roux den Controlthieren eine gleiche Quantität 
Fleischbrühe in das Abdomen. Es könnten sich nämlich unter 
den Substanzen, die durch Wasser den Muskeln entzogen werden, 
solche befinden, die den Thieren einen gewissen Grad von Immunität 
zu geben vermöchten. 

Die Aehnlichkeit, welche zwischen dem Vibrion septique und 
dem Bacterium Chauvaei besteht, veranlassten Roux, zu unter¬ 
suchen, ob Meerschweinchen, die er gegen die Septicaemie re- 
fractär gemacht hatte, gleichfalls gegen Rauschbrand immun sind, 
und umgekehrt, ob diejenigen, welche gegen Rauschbrand immun 
sind, sich auch gegen Septicaemie refractär erweisen. Nach dieser 
Richtung angestellte Versuche ergaben, dass Meerschweinchen, welche 
gegen Septicaemie geimpft waren, dem Rauschbrand nicht wider¬ 
stehen, dass jedoch Thiere, welche gegen Rauschbrand refractär 
gemacht waren, häufig der Impfung mit dem Gift der Septicaemie 
widerstehen. 

Bouchard hat gegen Ende des vorigen Jahres die Aufmerk¬ 
samkeit der Aerzte und Chirurgen auf die antiseptischen Eigen¬ 
schaften des /9-Naphthol gelenkt. Die antiseptische Wirksamkeit 
desselben steht der des Sublimat nach, dagegen ist es vollständig 
ungiftig. Eine Reihe von Chirurgen sind augenblicklich mit Ver¬ 
suchen über seine Wirkungsweise beschäftigt, doch sind diese Ver¬ 
suche noch nicht lange genug fortgesetzt, um jetzt schon einen 
sicheren Schluss in Bezug auf den Werth des Mittels zuzulassen. 
Ich hoffe demnächst Weiteres über die Ergebnisse berichten zu 
können. 

Die Stelle eines Professors der geburtshülflichen 
Klinik an der medicinischen Facultät ist noch nicht besetzt. Ver- J 
tretungsweise ist M. Budin, Prof, agrege der Chirnrgie mit der Wahr¬ 
nehmung der Functionen eines Leiters der Klinik betraut. Letzterer ist 
mit grosser Energie darangegangen, diesem Unterrichtszweige eine neue 
Organisation zu geben. Bekanntlich war es in Paris früher ausser¬ 
ordentlich schwer, in der Geburtshülfe einen entsprechenden Unter¬ 
richt zu erhalten, wenigstens für die Studenten der Medicin. Die 
Hebammen waren besser daran, denn die Maternite ist vollständig 
für diese reservirt; zwei „Interne“ waren die einzigen männlichen 
Schüler, die in diesem Hospital zugelassen wurden. Es blieb für 
die Studirenden also nur das Hospital der Klinik an der Facultät 
und einige Praktikantenstellen in den Hospitälern, wo die leitenden 
Aerzte die Studirenden aus freien Stücken unterwiesen. Früher 
hatten die Studenten das Recht, in der Maternite zu vier und 
vier den Entbindungen beizuwohnen, aber nur in den Stunden von 
8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends; nach diesen Stunden mussten 
sie den Hebammenschülerinnen das Feld räumen. Ausserdem 
mussten die Studenten, da keinerlei Räume für sie vorgesehen waren, 
in den Corridoren herum irren und warten, bis eine Kreissende in 
den Entbindungssaal gebracht wurde. — M. Budin, der vor 
einigen Jahren die deutschen und englischen Krankenhäuser be¬ 
sucht hat, hat nunmehr eine Einrichtung getroffen, die in ihrer Art 
ein Muster und von äusserster Einfachheit ist. Er hat fünf seiner 
früheren Schüler als Assistenten angestellt, die abwechselnd je vier¬ 
undzwanzig Stunden in der Klinik anwesend sind; in gleichem 
Turnus sind jedem dieser Assistenten immer zwei Studenten bei¬ 
gegeben. Der Assistent und die beiden Studenten leiten alle Ent- I 
bindungen, die innerhalb der vierandzwanzig Stunden Vorkommen, ! 


und wenn um die Zeit, wo sie abgelöst werden, eine Entbindung 
fast beendet ist, bleiben sie bis zur Beendigung derselben. Da in 
der Klinik ungefähr vier Kinder in vierandzwanzig Stunden geboren 
werden, ist der Dienst des Assistenten und der beiden Studenten 
gerade keine Sinecure. Die Assistenten dürfen allein nur die nor¬ 
mal verlaufenden Entbindungen vornehmen; sie müssen, selbst wo 
es sich um eine einfache Zangengeburt bandelt, M. Budin holen 
lassen, der dann, je nach dem Falle, selbst die Entbindung macht 
oder unter seiner Aufsicht dieselbe vornehmen lässt. Den Heb¬ 
aramenschülerinnen sind zwei Tage in der Woche reservirt, wo sie 
unter Leitung der Oberhebamme in der Entbindungstechnik unter¬ 
wiesen werden, während sie an den übrigen Tagen Anweisung in 
der Pflege der Neugeborenen erhalten. 


VI. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 5. März 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden. Schriftführer: Herr A. Fraeukel. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

Sodann erhält zur Tagesordnung das Wort: 

1. Herr Martius: Ueber normale und pathologische 
Herzstossformen. (Der Vortrag ist in No. 13 dieser Wochenschrift 
veröffentlicht.) 

2. Herr L. Lewin: Ueber die geschichtliche Entwioke- 
lung des Begriffes Gegengift. (Der Vortrag ist in No. 16 dieser 
Wochenschrift veröffentlicht.) 

Sitzung am 26. März 1888. 

Vorsitzender: HerrLeyden. Schriftführer: Herr A. Fraenkel. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

Zur Tagesordnung erhält das Wort: 

1. Herr Renvers: Zur Gehimlooalisation. (Der Vortrag ist 
in No. 17 dieser Wochenschrift veröffentlicht.) 

2. Discussion über den Vortrag des Herrn Martins: Ueber 
normale und pathologische Hersstossformen: 

Herr Auerbach: Ich möchte mir eine Frage an Herrn Martius er¬ 
lauben, welche sich auf die Methodik seiner Versuche bezieht. Herr Mar¬ 
tius suchte die Ursache des Zustandekommens des Herzstosses aufzuklären 
durch eine genaue und präcise zeitliche Analyse der Herzbewegung, — der 
Herzbewegung, wie sie das Herz selbst im Cardiogramm aufschreibt. Er 
hat zu diesem Zweck im Cardiogramm diejenigen Punkte zu bestimmen ge¬ 
sucht, welche mit den jederzeit controlirbaren Momenten der Herzbewegung 
zeitlich identisch sind. Jederzeit controlirbare Momente der Herzbewegung 
sind die Herztöne. Herr Martius ist nun so verfahren, dass er die In¬ 
dividuen, deren Herzen er ihre Bewegungen selbst cardiographisch ver¬ 
zeichnen liess, zugleich auscultirte und die wahrgenommenen Herztöne durch 
Uebertragung auf dieselbe Trommel des Kymographion, auf der das Cardio¬ 
gramm geschrieben wurde, markirte („akustische Markirmethode“). Die 
akustische Markirmethode schliesst nun meines Erachtens einen Fehler ein, 
über dessen Ausschaltung ich mir von Herrn Martius Auskunft habe er¬ 
bitten wollen. 

Die akustische Markirmethode würde ein ganz vollkommenes, zweck¬ 
entsprechendes Verfahren sein, wenn es möglich wäre, in demselben Augen¬ 
blick, in welchem der Reiz, in unserem Falle der Herzton, das Sinnesorgan 
(Ohr) trifft, — in demselben Augenblick auch die Muskelbewegung auszu¬ 
lösen, welche dazu bestimmt ist, den Reiz zu markiren. Dies ist indessen, 
wie wir wissen, nicht möglich. Es muss eine Zeit vergehen, wenn auf 
einen Sinnesreiz hin eine beabsichtigte Bewegung ausgeführt werden soll: 
Die Reactionszeit. Sie ist gemessen, ihre Dauer bestimmt worden zu l ho bis 
* io Sec. Ein einfaches Rechenexempel zeigt nun, dass, wenn in unserem 
Falle die Reactionszeit nicht berücksichtigt worden, die von Herrn Martius 
angegebene Identificirung gewisser Punkte des Cardiogramms mit den Herz¬ 
tönen und damit seine Deutung des Cardiogramms nicht zutreffen würde. 
Es kommen rund auf 1 Min. 75 Herzstösse; jeder Herzstoss repräsentirt 
2 Herzperioden: Systole und Diastole, von denen der Kürze halber ange¬ 
nommen sei, dass sie gleich lange dauern, was bekanntlich nicht der Fall 
ist (Systole: Diastole = 2:3). Dann kommen auf 60 Sec. 150 Herzperioden, 
auf 1 Herzperiode 6J /i5o = 4 /io Sec. 4 /io Sec. braucht also zu ihrem Ablauf 
eine Systole, derjenige Theil der Curve des Cardiogramms, welcher auf dem 
Schema des Herrn Martius zwischen a und c liegt. Wenn nun, wo es 
sich überhaupt nur um 4 /io Sec. Dauer handelt, ein Moment nicht berück¬ 
sichtigt wäre, welches Vio — */io Sec. in Anspruch nimmt, so ist klar, dass 
das factische Ergebniss sowohl wie die Deutung aus demselben ungenau und 
unsicher werden müssen. Es sei z. B. der 2. Ton gehört und markirt 
worden, und die Marke hätte sich auf der Trommel des Kymographion, wie 
Herr Martius annimmt, bei dem Punkte c gezeigt, so ist, immer ange¬ 
nommen, dass die Reactionszeit nicht berücksichtigt worden, der Punkt c 
gar nicht der Punkt, bei welchem der 2. Herzton gehört worden ist; dies 
ist vielmehr ein Punkt, der auf der Curve des Cardiogramms um ‘/io — *;'io 
Sec. weiter rückwärts liegt, also etwa der Punkt b. 

Dies ist die Fehlerquelle, die meines Erachtens in der Versuchsmethode 
des Herrn Martius selbst begründet ist, und über deren Eliminirung ich von 
ihm Auskunft erbitten wollte. Denn ich nehme natürlicht nicht an, dass 
dieselbe Herrn Martius unbekannt geblieben sein könnte; aber es wird 
von Interesse und für die Bedeutung, welche seinen mühevollen Versuchen 


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360 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 18 


beigelegt werden muss, von Wichtigkeit sein, zu erfahren, wie er die hier 
gegebene Schwierigkeit umgangen hat. Nur eines möchte ich noch be¬ 
merken, dass mir eine absolute Ausschaltung der geschilderten Fehler¬ 
quelle nicht möglich erscheint; denn die Reactionszeit, welche eine physio¬ 
logische Zeit ist, zu eliminiren, kann nach unseren bisherigen Erfahrungen 
wohl nicht gelingen. 

Herr A. Fraenkel: Ich möchte Herrn Martius fragen, in welcher 
Weise er bei seinen Curven die Eröffnung der Semilunarklappen verzeichnet 
hat und ob er gleichzeitige graphische Verzeichnung des Arterienpulses 
und Herzstosses vorgenommen hat. Darauf kommt ja das Wesentlichste an. 
Nach der Gutbrod-Skoda’schen Theorie soll der Spitzenstoss Rückstoss- 
phänomen sein. Trifft es zu, dass, wie Herr Martius uns demonstrirt hat, 
der Haupttheil der systolischen Elevation an der Brustwand, die wir Spitzen¬ 
stoss nennen, sich vollzogen hat, bevor das Blut in die grossen Gefässe 
einströmt, so muss diese Theorie fallen. Damit aber jeder Zweifel nach 
dieser Richtung hin beseitigt ist, muss vor Allem das Zeitverhältniss zwischen 
dem Spitzenstoss und der Eröffnung der Semilunarklappen durch eine ein¬ 
wandfreie Methode festgestellt werden. Dies ist nur möglich bei gleich¬ 
zeitiger graphischer Verzeichnung des Herzstosses und einer dem H erzen 
benachbarten grösseren Arterie. Der Puls an der Radialis kann hier¬ 
zu nicht benutzt werden, weil derselbe bekanntlich um ein nicht Unerheb¬ 
liches später erscheint, als der Spitzenstoss. 

Herr Martius: M. H.! Bei der Kürze der Zeit, die mir zu Gebote 
stand, bin ich — lediglich der Vereinfachung der Darstellung wegen — auf 
den Punkt, den Herr Auerbach erwähnt hat, in meinem Vortrage nicht 
besonders eingegangen. Selbstverständlich habe ich bei meinen Versuchen 
die Uebertragungszeit von vornherein in Rechnung gezogen. Ich habe mich, 
ehe ich an die Analyse der Herzthätigkeit selbst ging, gefragt: wie gross 
ist diejenige vom Moment eines Herzstosses bis zur vollendeten Markirung 
desselben verfliessende Zeit, um welche bei der von mir ausgebildeten akusti¬ 
schen Markirmethode die Marke des Tons jedesmal zurückgeschoben, resp. 
•/urückgerechnet werden muss: und um das für mich herauszubekommen, 
habe ich besondere Vorversuche angestellt. Ich will die Methode dieser 
Vorversuche nicht genauer schildern, um nicht zu lang zu werden; sie ist 
bereits in der Zeitschrift für klinische Medicin (Bd. XIII) veröffentlicht 
worden. Das Wesentliche bestand darin, dass ich einen Dritten möglichst 
rhythmisch in dem Tempo etwa, in dem die Herzaction vor sich geht, d. h. 
in dem ein Herzton erschallt, auf ein König’sches Stethoskop klopfen 
liess, dessen elastische Membran, mit einer Marey’schen Trommel in Ver¬ 
bindung gesetzt, die Zeitmomente des Klopfens auf eine rotirende Trommel 
übertrug. Jedes Anklopfen machte also auf die Trommel eine Marke. Nun 
auscultirte ich, ohne hinzusehen, dieses Anklopfen und suchte die Zeiten 
dieser Schallmomente durch denselben Uebertragungsapparat, den ich bei der 
zeitlichen Analyse der Herzaction benutzte, auf der Trommel zu markiren. 
Auf diese Weise wurden auf der Trommel zwei Marken untereinander ge¬ 
schrieben. Die erste — die des primären Schlages — fiel zeitlich genau 
zusammen mit dem zu auscultirenden und zu raarkirenden Schallmomente, 
die zweite Marke gab den Augenblick an, in dem die akustische Markirung 
erfolgte. Die zeitliche Differenz beider Marken entsprach also der Zeit, die 
zur Perception des Schalles und zur Uebertragung desselben verbraucht 
wurde, d. h. eben der Reactionszeit. Ich brauchte also nur gleichzeitig noch 
die Zeit in Hundertstel Secunden darunter schreiben zu lassen, um unmittel¬ 
bar die Dauer der Reactionszeit ablesen zu können. (Ich brauche nicht erst 
zu bemerken, dass die mechanischen Bedingungen der Uebertragung 
beider Marken — Länge des Luftschlauchs u. dgl. — durchaus gleich ge¬ 
macht wurden.) 

Diese Versuche ergaben nun das zunächst überraschende Resultat, dass 
unter den angegebenen Bedingungen, d. h. wenn der Auscultirende durch¬ 
aus rhythmisch erfolgende Schallmomente in der Weise markirt, dass er 
in dem gehörten Rhythmus möglichst genau mitzuklopfen sich bemüht, dass 
dann jede Reactionszeit fehlt. Die beiden Marken fielen ganz scharf 
zeitlich genau zusammen. Die Erklärung dieser von Seiten der Psycho- 
physiker, soviel ich sehe, bisher übersehenen Thatsache, ist nicht schwer. 
Anstatt jedoch auf theoretische Deductionen einzugehen, möchte ich die 
Herren bitten, sich durch einen einfachen Versuch unmittelbar von der 
Richtigkeit der Sache selbst zu überzeugen. Man lasse einen Dritten in 
ganz unregelmässigen Intervallen auf den Tisch klopfen und suche, ohne 
hinzusehen, den jedes Mal gehörten Schlag dadurch zu markiren, dass man 
so schnell wie irgend möglich hinterherklopft. (Geschieht.) Sie hören, dass 
zwischen den beiden Schallmomenten, dem des primären und dem des 
secundären (oder Markirungs-) Schlages ein deutlich auffassbares zeitliches 
Intervall liegt, eben die Reactionszeit, die sich aus den einzelnen Phasen 
zusammensetzt, welche Herr Auerbach Ihnen eben geschildert hat. Nun 
wollen wir den Versuch anders anstellen. Ich bitte den Herrn Collegen, 
der so freundlich ist, mir zu helfen, möglichst rhythmisch im Tempo der 
Herzaction, d. h. also so, dass etwa in jeder Secunde ein Schlag erfolgt, 
auf die Tafel zu klopfen. Ich werde, ohne hinzusehen, versuchen, nachdem 
ich den Rhythmus erfasst habe, in demselben Rhythmus mitzuklopfen. Sie 
hören sofort, dass die vorher so deutliche zeitliche Differenz zwischen beiden 
Schlägen verschwunden ist. Beide Schallmomente fallen für unser Ohr un¬ 
unterscheidbar zusammen. Dasselbe nun ergiebt der exacte graphische 
Versuch. Die beiden Marken fallen — wenigstens bei einiger Uebung — 
zeitlich so genau zusammen, dass die Differenz wenig mehr als ein Hundert¬ 
stel Secunde beträgt. Aber — und das ist wichtig — diese Ueberein- 
stimmung dauert nur so lange, als die primäre Schlagfolge rhythmisch ist. 
Sowie die zu markirenden Schallmomente anfangen, in unregelmässigen 
Zeitintervallen auf einander zu folgen, treten ganz unregelmässige zeitliche 
Differenzen zwischen ihnen und den acustischen Marken auf. Verzögert 
sich mitten in einem Rhythmus plötzlich einmal der primäre Schlag, dann 
klopfe ich unwillkürlich in dem einmal erfassten Rhythmus weiter und 
komme mit meiner Marke zu früh. Ist aber der Rhythmus überhaupt ge¬ 
stört, so dass jeder primäre Schlag besonders abgewartet werden muss, und 


die Markirung immer erst erfolgen kann, nachdem jedes Mal wieder von 
neuem die Thatsache zur Perception gekommen ist: „Jetzt ist der Schlag 
erfolgt“, dann verspäten sich die acustischen Marken stets, und zwar um die 
Zeit, die man Reactionszeit genannt hat. So war ich denn berechtigt, da 
die normale Herzaction rhythmisch ist, die akustischen Marken der Herztöne 
zeitlich unmittelbar — ohne Rückrechnung einer Uebertragungszeit — auf 
die Herzstosscurve zu beziehen. Und so erklärt sich auf der anderen Seite 
die Einschränkung, die ich in meinem Vortrage von vornherein für die 
Anwendbarkeit meiner Methode zum Zweck zeitlicher Analyse der Herz¬ 
thätigkeit machen musste. Ich sagte, dass sie ihrer Natur nach durchaus 
versage, sobald, wie bei Coropensationsstörungen so häufig, die Herzaction 
anfange, unregelmässig zu werden. 

Glücklicherweise bin ich in der Lage, heute eine wichtige Bestätigung 
meiner Versuche, die mir zwischendurch bekannt geworden ist, anzuführen, 
und zwar in Gestalt von Versuchen, die die Herren Byrom Bram well 
und Milne Murray im Brit. Med. J. vom 7. Januar 1888 veröffentlicht 
haben. Diese Herren sind nämlich zum Zweck der Analyse von Herzfehlern, 
speciell zur Feststellung der Bedeutung des sogenannten präsystolischen 
Geräusches bei der Mitralstenose auf eine Methode verfallen, die im Princip mit 
meiner acustischen Markirmethode vollkommen identisch ist und nur einige 
Unterschiede von derselben in der Anordnung der Apparate zeigt. (Die 
englischen Autoren benutzten die elektrische Uebertragung, während ich in 
wesentlich einfacherer Weise mit der mechanischen Luftübertragung Marey’s 
zum Ziele kam.) Auch diesen Experimentatoren ist natürlich die Frage 
nach der Reactionszeit, nach der Zeit, die die Engländer „psychical loss“ 
nennen, aufgestossen. Auch sie haben Controlversuche angestellt, die das¬ 
selbe Resultat ergaben, dass nämlich die Reactionszeit ducbaus fehlte, sowie 
die primäre Schl^folge rhythmisch war. Dies Ergebniss erschien den ge¬ 
nannten Autoren so überraschend und wunderbar, dass sie es zum Haupt¬ 
gegenstand ihrer ganzen Mittheilung machten und dass sie es für sehr 
schwer erklärten, eine Erklärung dafür zu finden. Nun, die Erklärung ist, 
wie gesagt, sehr einfach, wenn man überlegt, dass es sich nicht um ein 
Nachklopfen unregelmässig auftretender Schallmomente, sondern um ein 
Mitklopfen in einem einmal erfassten rhythmischen Tempo handelt. — Was die 
Anfrage des Herrn Fraenkel betrifft, so habe ich in meinem Vortrage 
diesen Punkt erwähnt und habe darüber gesprochen. Da es aber missver¬ 
standen zu sein scheint, will ich mit wenigen Worten auf die Sache zurück¬ 
kommen. Das Zeitmoment der Klappenöffnung habe ich durch ein um¬ 
ständliches, theils auf Rechnung, theils auf Experiment beruhendes Ver¬ 
fahren festzustellen gesucht und gefunden, dass mit dem Gipfel der Curve 
die Eröffnung der Semilunarklappen zusammenfällt. Der betreffende Beweis 
ist bereits veröffentlicht. Ich habe hinzugefügt, dass ich jetzt in der glück¬ 
lichen Lage sei, einen neuen, direkten experimentellen Beweis für diese, 
für meine ganze Auffassung allerdings fundamentale Thatsache beibringen zu 
können in Curven von einem Patienten, dessen Beobachtung ich der Güte 
des Herrn Collegen Litten verdanke, eines Patienten mit Aneurysma der 
Aorta ascendens. Dieses pulsirte im zweiten rechten Intercostalraum hart 
neben dem Sternum. Die Semilunarklappen waren intact. Es lag das 
Aneurysma unmittelbar über den Klappen. Die herzsystolische Erweiterung 
des Aneurysma musste also beginnen in demselben Zeitmoment, in dem das 
Blut in das Aneurysma einströmte, d. h. wo die Klappen sich öffneten. Der 
Zeitverlust, den man in Rechnung ziehen müsste, bei Vergleichung von Ra¬ 
dialis und Herz8toss oder Carotis und Herzstoss, fallt hier weg. Dem¬ 
entsprechend habe ich den Spitzenstoss und die Pulsationen dieses Aneu¬ 
rysma übereinander geschrieben. Der Spitzenstoss des Herzens gab die 
normale Curve, und die Pulsation des Aneurysma sah etwa so aus wie eine 
gewöhnliche sphygmographische Curve mit breitem Gipfel. Eine Verglei¬ 
chung dieser Curven zeigt nun, dass in der That der Beginn der Aneurysma- 
curve mit dem Gipfelpunkt der Herzstosscurve zeitlich zusammenfällt. Ich 
habe diese Curven zur Ansicht herumgegeben. Das ist der direkte und 
unmittelbare Beweis dafür, dass genau in dem Augenblick die Semilunar¬ 
klappen sich öffnen, wo der Schreibhebel der Herzstosscurve den höchsten 
Punkt erreicht. 

Herr A. Fraenkel: Ich hatte den Fall von Aneurysma, den Herr Martius 
erwähnt, auch im Gedächtniss und hätte [ihn vorher anführen können, möchte 
aber glauben, dass gerade ein Aneurysma für die Entscheidung der von mir 
aufgeworfenen Frage ein etwas zweifelhaftes Beweismoment abgiebt, weil 
speciell hier die Verhältnisse so liegen können, dass die Pulsationen des 
Aneurysma erheblich später zum Vorschein kommen als der Spitzenstoss. 
Ich habe seit vielen Jahren bei einer grossen Zahl von Kranken mittelst 
der Palpation, von der ich ohne Weiteres zugebe, dass sie nicht ganz so 
sichere Resultate giebt, wie die graphische Methode, vergleichend den zeit¬ 
lichen Verlauf des Spitzenstosses und Carotidenpulses untersucht und war 
meist nicht im Stande, ein deutliches Intervall zwischen beiden zu finden. 
Die interessanten Versuche des Herrn Martius würden an Werth gewinnen, 
wenn er gleichzeitig graphische Zeichnungen des Spitzenstosses und des 
Carotidenpulses vornäbme. Dadurch allein würde der Beweis geliefert 
werden können, dass der Spitzenstoss wirklich bereits der Hauptsache nach 
vorüber ist, bevor noch das Blut in die Arterien einströmt. 

Herr Thorner: Die Einwendungen des Herrn Auerbach betreffen 
den aus anderen Wissenschaften namentlich der Astronomie wohl gekannten 
Fall der sogenannten persönlichen Gleichung des Beobachters. Diese darf 
bei Untersuchungen wie die vorliegenden, wo auf das zeitliche Zusammen¬ 
fällen zweier Erscheinungen bis auf Hundertstel von Secunden Werth gelegt 
wird, unbedingt nicht vernachlässigt werden. Es scheint mir aber die an¬ 
gewandte Methode der angeblichen Elirainirung dieses Fehlers durch takt- 
mässige Markirung der Herzschläge seitens des Beobachters selbst bei an¬ 
nähernd gleichraässiger Herzaction (bei imregelmässiger kann ja davon nicht 
die Rede sein) nur eine neue Fehlerquelle in sich zu schliessen. Unbedingt 
wäre zu fordern, dass ein sich selbst fehlerfrei registrirender z. B. elek¬ 
trischer Umgang durch den Beobachter am selben Registrirapparat markirt, 
und die sich ergebende Zeitdifferenz, falls stets die gleiche, als Constante, 


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3. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 3 ßi 


falls ungleich, als Mittelwerth einer grossen Beobachtungszahl in die Rechnung 
eiugeführt würde. Ich habe nun aber au den Herrn Vortragenden noch 
eine zweite wichtige Frage zu stellen: Ergeben sich bei verschiedener 
Stellung des empfindlichen Contactes des Apparates zum Herzen der Ver¬ 
suchsperson Curven, die unter sich nur durch Ooordinatenverschiebung 
differiren, oder ändert sich, wie ich dies annehmen muss, auch die Glei¬ 
chung derselben, und wenn dies der Fall, welche Garantie bietet das Ver¬ 
fahren dafür, dass der empfindliche Contact zum Körper der Versuchsperson 
stets die gleiche Lage behält? 

Herr Marti us: Den Versuch, den Herr Fraenkel wünscht, habe ich an¬ 
gestellt. Es ist das gerade der von mir eben erwähnte, in der Zeitschrift für 
klinische Medicin bereits veröffentlichte Beweis, den ich wegen seiner Umständ¬ 
lichkeit in meinem Vortrage nicht glaubte noch einmal reproduciren zu sollen. 
Nun sehe ich mich genöthigt, doch auf denselben zurückzukommen. Ich habe bei 
einem durchaus gesunden jugendlichen Individuum gleichzeitig dieSpitzenstoss- 
uud die Carotiscurve aufgeschrieben. Um beide vergleichen zu können, 
musste ich wissen, welche Zeit vergeht vom Eintritt der Welle in’s Aorten¬ 
system, bis die Welle an der Stelle der Carotis angelangt ist, wo ich den 
Apparat aufgesetzt hatte. Zu dem Zwecke bestimmte ich bei demselben In¬ 
dividuum die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle von der Axillaris 
bis zur Radialis. Das Verspätungsiutervall betrug 7 Hundertstel Secunden. 
Die Weglänge zwischen den beiden Ansatzpunkten der Trommeln auf die 
Axillaris und die Radialis betrug 54 cm. Setzen wir nun die Entfernung 
vom Ansatztheil der Aorta bis zur Ansatzstelle des Schreibapparates auf der 
Carotis bei demselben Individuum gleich 25 cm, so lässt sich berechnen, 
welche Zeit die Welle gebraucht, um diese Strecke zu durchlaufen. Es sind 
das nahezu genau 3 Hundertstel Secunden. Um 3 Hundertstel Secunden muss 
sich also die Carotiscurve gegen die Spitzenstosscurve verspäten. Ver¬ 
gleichen wir nun diese beiden Curven, so ergiebt sich (Fig. 11 in meiner 
Arbeit über die Herzbewegung, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XIII), dass der 
Beginn der Carotiscurve sich gegen den Gipfel der Herzstosscurve verspätet, 
und zwar um 3 Hundertstel Secunden. Der Bluteinstrom in die Aorta, d. h. 
die Eröffnung der Semilunarklappen fällt also zeitlich genau mit dem Gipfel¬ 
punkt der Herzstosscurve zusammen. Dies ist der umständlichere, am ge¬ 
sunden Menschen gewonnene Beweis, der mit dem direkteren und unmittel¬ 
bar überzeugenden Beweis vom aneurysmatischen Manne durchaus überein¬ 
stimmt. 

Was den anderen Punkt von der persönlichen Gleichung betrifft, so 
haben die englischen Autoren sicher nicht „Fehler auf Fehler gehäuft“, in¬ 
sofern sie die primären Schallmomente nicht durch eine dritte Person, als 
vielmehr auf rein mechanischem Wege erzeugen Hessen (durch eine Uhr. 
die jede Secunde im Telephon durch Unterbrechung und Schliessung ein 
Geräusch hervorbrachte). Das Resultat war genau dasselbe wie in meinen 
Versuchen. Von einem Häufen von Fehler auf Fehler kann also nicht wohl 
die Rede sein. Thatsache ist eben, dass die persönliche Gleichung ver¬ 
schwindet, wenn es sich um die Markirung rhythmischer Schalleindrücke 
handelt, während die persönliche Gleichung der Astronomen sich stets auf 
nicht rhythmische Vorgänge bezieht. (Zuruf des Herrn Thorner.) Es 
kommt doch wohl nicht vor, dass ein Stern rhythmisch durch’s Fernrohr 
geht. Es handelt sich dabei vielmehr immer um die Feststellung des Zeit¬ 
moments, in dem der Stern im Kreuz erscheint, also immer um Einzelbeob¬ 
achtungen, mögen auch noch so viele derselben hintereinander liegen. So¬ 
wie es sich aber um Einzolbeobachtung handelt, sowie es sich darum handelt, 
einen einzelnen — gleichviel ob erwartet oder unerwartet eintretenden — 
Sinueseindruck zu markiren, d. h. eine Willkürbewegung zu machen, nach¬ 
dem die Seele zu der Ueberzeugung gekommen ist, jetzt ist der Eindruck 
da, dann tritt auch die Reactionszeit, the psychical loss, auf, lässt sich die 
persönliche Gleichung bestimmen. Alles das fällt eben weg, wenn es sich 
um rhythmische Vorgänge handelt. Uebrigens kommt es in der ganzen 
Frage hier, wie immer bei naturwissenschaftlichen Dingen, viel weniger auf 
anderswo hergeholle theoretische Anschauungen, als vielmehr ausschliesslich 
auf das Ergebniss des zielbewusst angestellten richtigen Experiments an. 
Das stimmt aber — völlig unabhängig — bei den englischen Autoren und 
mir durchaus überein. Es könnte sich also zum Zweck einer überzeugenden 
Kritik nur darum handeln, die betreffenden Experimente nachzumachen. 

Schliesslich will ich im eigenen Interesse nicht unterlassen, zu er¬ 
wähnen, dass die Engländer ihre Versuche im November vorigen Jahres ge¬ 
macht und zuerst vorgetragen haben, während ich meine Markirmethode und 
deren Resultate bereits im Juli der physiologischen Gesellschaft vorgelegt 
und im October veröffentlicht habe. 

Herr Leyden: Ehe Herr Gerhardt das Wort nimmt, ge¬ 
statte ich mir eine kurze Bemerkung. Sie werden bemerkt haben, 
dass auf unserer Tagesordnung der Vortrag des Herrn Gerhardt 
schon seit längerer Zeit angezeigt stand, uud dass derselbe mehrere 
Male zurückgetreten ist und anderen Rednern deu Vortritt gelassen 
hat. Ich bemerke ausdrücklich, um allen Missverständnissen vor¬ 
zubeugen, dass Herr Gerhardt in diesen Fällen auf die Bitte des 
Vorstandes die Güte hatte, zurückzutreten, und ich gestatte mir 
hiermit, ihm Namens des Vorstandes dafür zu danken. 

3. Herr Gerhardt: Zur Diagnose und Therapie des 
runden Magengeschwürs. (Der Vortrag ist in dieser Nummer 
p. 349 abgedruckt.) 

VII. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 6. December 1887. 

Vorsitzender: Herr Schede. Schriftführer: Herr Schraalfuss. 

1. Herr Nonne demonstrirt das Kleinhirn eines vor einigen 
Jahren zur Obduction gekommenen Falles. 


Der 59jährige Patient war nach keiner Richtung hin hereditär 
belastet; kein Potatorium; vor 34 Jahren Ulcus durum mit nach¬ 
folgender Angina; seine Frau war niemals gravida. Er war im 
Wesentlichen immer gesund; ungefähr 10 Wochen vor seinem Ein¬ 
tritt in’s Krankenhaus erkrankte er mit Ziehen und Müdigkeit in 
den Beinen, massigem Kopfschmerz, ab und au etwas Schwin¬ 
del; wegen Zunahme der allgemeinen Schwäche liess er sich auf¬ 
nehmen. 

Patient war ausserordentlich langsam im Denken, sein Gedächt¬ 
nis hatte stark gelitten; er konnte ohne Hülfe noch stehen und 
gehen; der Gang war eine Art von Reitbahngang, iusofern als er 
zwangsweise nach rechts hinüber drängte; ein gerade vor ihm lie¬ 
gendes Ziel vermochte er nicht zu erreichen. Die ophthalmosko¬ 
pische Untersuchung ergab eine doppelseitige Stauungspapille 
massigen Grades; sonst bestand kein einziges anderes nervöses 
Symptom; die inneren Organe waren sämmtlich ohne nachweisbare 
Anomalie. 

Die Diagnose wurde auf einen Tumor im Wurm des Kleinhirns 
stellt; ob derselbe ein luetischer, ein Tuberkel oder ein Gliom sei, 
wurde offen gelassen. 

In der Folgezeit trat eine allgemeine Apathie, Gedächtnisssch wache 
und Hinfälligkeit in den Vordergrund; zeitweilig bestanden leichte 
Gesichtshallucinationen; Patient ging schliesslich, ohne dass eine 
energische Jodcur Besserung brachte, an Decubitus zu Grunde; es 
hatte sich kein einziges weiteres zur Diagnose verwerthbares 
Symptom herausgestellt. 

Bei der Section fand sich ein ziemlich hochgradiger Hydroce- 
phalus internus mit seinen gewöhnlichen Folgezuständen für Form 
und Consistenz des Gehirns, die Gefösse desselben durchaus zart- 
wandig, die Gehirnsubstanz überall normal; in der vorderen Hälfte 
des Wurms des Kleinhirns ein etwas über haselnussgrosser gelblich- 
weisser, käsiger, runder, gegen die umgebende Substanz scharf ab¬ 
gesetzter Tumor, der auch bei der mikroskopischen Untersuchung 
sich als Tuberkel herausstellte. 

Der besonderen Betonung werth war, dass niemals heftigere 
Attaquen von Kopfschmerz oder Schwindel bcstauden hatten, wie 
sie sonst gerade die Tumoren des Kleinhirns zu kennzeichnen 
pflegen. 

2. Herr Curschmann. Statistisches und Klinisches über 
den Unterleibstyphus in Hamburg. Seit dem Jahre 1885 habe 
Hamburg mehr wie seit langer Zeit mit dem Vorkommen des Unter¬ 
leibstyphus zu rechnen. Während in früheren Jahren die Zahl 
der im Krankenhaus aufgenommenen Typhusfälle zwischen 200 und 
300 schwankte, sind während der letzten 3 Jahre 4120 Fälle der 
Anstalt übergeben worden. Bezüglich der Ursachen dieses epidemi¬ 
schen Anwachsens der Krankheit sei vollkommen Sicheres nicht zu 
sagen. Man könne nur mehr oder weniger bestimmte Vermuthungen 
hegen, müsse aber in diesen schon eine starke Aufforderung zu ener¬ 
gischen Untersuchungen nach ganz bestimmten Riehtuugen hin 
erblicken. 

Interessant sei vor Allem die örtliche Vertheilung der 
Krankheit. Während in früheren Jahren dieses Deceuniums der 
grösste Theil der Stadt sehr mässig und nur vereinzelte Theile stark 
befallen gewesen seien (vergl. die Berichte und Tafeln des Ham- 
burgischeu Medicinalinspectorats), seien schon im Jahre 1885 mehr 
als die Hälfte aller Stadttheile stärker und ziemlich gleichmässig be¬ 
troffen, uud im Jahre 1886 zeige sich die Krankheit über die ganze 
Stadt verbreitet, wenn auch nicht völlig gleichmässig, so doch mit 
relativ geringfügigen Schwankungen. Rechtfertigten die Verhältnisse 
der ersten Jahre des Decenniums wohl den Gedanken an eine örtliche 
Entstehung und örtliche Wirkung der Krankheitsursachen, so müsse 
mail doch sagen, dass während der letzten beiden Jahre das Krank¬ 
heitsgift Wege gefunden habe, welche es mit. gleicher Sicherheit 
nach fast allen Theilen der Stadt verbringen. Die Endemieen seien 
für Hamburg erloschen, überall kämen jetzt unter den un¬ 
gleichsten örtlichen und socialen Verhältnissen fast 
gleich viel Fälle vor. Es seien in den verschiedenen Bezirken 
weder einzelne Strassen, noch in diesen einzelne Häuser befallen. 
Aller Orten zeigten sich Erkrankungen, meist einer oder ganz wenige 
in einem Hause, wobei man tagtäglich sehen könne, dass unter dem¬ 
selben Dache, unter denselben Verhältnissen lebende Individuen 
gleichen Alters und ähnlicher Constitution (also a priori für gleich 
disponirt zu haltende) in durchaus ungleicher Weise ergriffen würden. 
Man sähe Dienstboten vereinzelt erkranken, während die in nächster 
Beziehung mit ihnen lebenden und im selben Zimmer mit ihnen 
schlafenden Mitarbeiterinnen verschont blieben. Es würden einzelne 
Mitglieder der Dienstherrschaft befallen bei völligem Freibleibeu der 
Dienstboten. Von Geschwistern, die in derselben Etage, in den¬ 
selben Zimmern lebten, erkrankten nur einzelne, die anderen blieben 
frei, trotz scheinbar gleicher Chance, ergriffen zu werden. 

Das Gleiche wiederhole sich unter allen möglichen anderen 
Lebensverhältnissen. Die bezeichnendsten Momeute für das Auf- 


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No. 18 


362 DEUTSGITE MEUIC1NISCIIB WOCHENSCHRIFT. 


treten des Typhus während der letzten Jahre seien: 1) die 
ziemlich gleich massige Vertheilung über alle Stadt¬ 
gegenden, 2) die verschwindend geringe Zahl von eigent¬ 
lichen Haus- oder Strassenendemieen, dagegen 3) das fast 
überall deutlich hervor treten de Be fallen werden Einzel uer 
unter im Uebrigen gleich oder ähnlich Disponirten und 
Gefährdeten. Man könne hieraus schliessen, dass das früher viel¬ 
leicht unter örtlichen Einflüssen entwickelte und vermehrte, in um¬ 
schriebenen Kreisen wirkende Gift jetzt auf allgemeinen Wegen der 
ganzen Stadt in gleichem Maasse zugänglich geworden sei. Alle 
Bewohner der Stadt seien jetzt in ziemlich gleicher Weise der Mög¬ 
lichkeit, befallen zu werden, ausgesetzt, das Befallenwerden hinge 
im Einzelnen unter gleich Disponirten von Ernährungs- und Lebens¬ 
gewohnheiten und hiermit verknüpften, vielfach unvermeidlichen 
Zufälligkeiten ab. 

Trete man an der Hand dieser Erfahrungen an die landläufigen 
Anschauungen von der Entstehung und Verbreitung des Typhus 
heran, so seien jene gerade den am häufigsteu und positivsten 
aufgestellten für Hamburg schwer anzupassen. 

Wohl möchten Grundwasserstand und Bodenverhältnisse für 
Epidemieen anderer Orte mit Recht beschuldigt worden sein, und 
Redner wolle durchaus dahingestellt sein lassen, ob nicht während 
der Jahre 1881 —1884 auch für einzelne stark befallene Gegenden 
Hamburgs solche Momente maassgebend gewesen seien. Für die 
jetzige regionär gleichmässige Verbreitung der Krankheit 
aber bei ganz ungleichmässigem Befallensein gleich 
Disponirter in denselben Häusern Hessen sie sich nicht 
heranzieheu. Oder solle man, fragt Redner, gerade in Hamburg 
den ganzen Boden für durchseucht, die Grundwasserverhältnisse 
für so besonders ungünstig halten, in einer Stadt, welche seit 
Langem ein Muster einer überall hin sich erstreckenden Canali- 
satiousanlage bietet? 

Warum würden — schlechte Boden- und Grundwasserverhält¬ 
nisse eineu Augenblick zugegeben — zusammenlebende, scheinbar 
gleich disponirte Individuen so ungleich befallen? 

Auch die vielfach ausgesprochene Behauptung, die Typhus¬ 
entstehung hinge mit den grossen Erdarbeiten und Bauten zu¬ 
sammen, wie sie hier durch den Zollanschluss und andere bedeutende 
Unternehmungen iu jüngster Zeit bedingt seien, entbehre der Be¬ 
gründung. Diese örtlichen Verhältnisse seien in keinen Zusammen¬ 
hang zu bringen mit der allgemeinen gleichmässigen Verbreitung. 
Es sei nicht einmal ein besonders verstärktes Auftreten der 
Krankheit in der Umgebung der Ausgrabungsgegenden constatirt. 

Solle man, fragt Redner, die Entstehung des Typhus für die 
Hamburger Verhältnisse nicht weit einfacher in Zusammenhang 
bringen mit einem für die Lebensbedürfnisse und Gewohnheiten 
allgemein wichtigen, überall hin gelangenden Träger? Die Luft als 
solcher sei aus den verschiedensten Gründen von der Hand zu 
weisen. Der Abdominaltyphus sei keine Krankheit, deren An¬ 
steckungsstoff vom Respirationsapparat aus in den Körper gelange. 
Mit grösster Wahrscheinlichkeit sei vielmehr anzunehmen, dass der¬ 
selbe durch die Verdauungswege in den Körper aufgenommen werde, 
so dass man ein besonderes Recht habe, Nahrungs- und Genuss¬ 
mittel auf ihren Zusammenhang mit der Verbreitung zu prüfen. 

Welches sei aber das verbreitetste und doch individuell als 
Genussmittel am ungleichsten gebrauchte Medium? Es sei das 
Wasser. 

Redner sei fern davon, dasselbe sicher zu beschuldigen. Die 
Beweise dafür seien bisher nicht prägnant genug, aber er halte 
für die Entstehung der Hamburger Epidemie das Wasser 
dringender wie alles Andere verdächtig. Dasselbe, aus der 
Elbe bezogen, käme unfiltrirt in die Häuser. Die hier gebrauchten 
Filtrationsvorrichtungen seien meist mangelhaft, ja es sei mehr als 
zweifelhaft, ob dieselben selbst bei besserer Construction im Stande 
sein würden, das im Wasser enthaltene Typhusgift auszuscheiden. 
Nach Anderer und Redners Beobachtungen gäbe es bisher kein 
Filter, welches die Typhusbacillen sicher zurückhielte, von den 
Ptomainen, auf welche nach Flügge’s Erfahrungen noch besonders 
zu achten sei, garnicht zu reden. Eine Infection unseres Trink- 
und Gebrauchswassers sei leicht möglich und wahrscheinlich in 
Folge gewisser Einrichtungen unserer Canalisation. In die Elbe, 
welche das Trinkwasser liefere, ergössen sich auch unsere Siele 
und die Behauptung von Simmonds, dass die Mündungen der 
letzteren in einer Entfernung vou den Wasserschöpfstellen sich be¬ 
fänden, welche ein Zurückgelangen von Canalinhalt während der 
Fluth nach der Schöpfstelle ermögliche, sei durchaus unwiderlegt. 
Positiv kämen dazu als äusserst auffallende und bezeichnender Er¬ 
scheinungen gewisse Immunitätsverhältnisse in unserer Stadt und 
deren Nachbarschaft. Die in belebtester, von Typhus nicht weniger 
wie die übrigen Stadttheile heimgesuchte Gegend (Grindel) ge¬ 
legene Kaserne des 76. Infanterie-Regiments sei während der 
Epidemie fast gänzlich frei geblieben. Hier sei doch in den jungen 


kräftigen Bewohnern ein für die Krankheit möglichst disponirtes 
Material geradezu gehäuft gewesen. Was die hygienischen Ver¬ 
hältnisse der Kaserne von denen der Umgebung auszeichne, sei 
ganz allein der Umstand, dass dieselbe, von der allgemeinen 
Wasserleitung ausgeschlossen, ihr gesammtes Trink- 
und Gebrauchswasser aus auf dem Grundstück gelegeuen 
Brunnen bezöge. 

Nicht minder bezeichnend seien die Verhältnisse unserer Nachbar¬ 
stadt Wandsbeck. Während die anstossenden Hamburgischen 
Stadttheile 1886 und 1887 gleich allen übrigen stark vom Typhus 
befallen gewesen seien, habe Wandsbeck nur ganz wenige als 
autochthon aufzufassende Fälle gehabt. Die dortige Bevölkerung lebe 
unter fast gleichen äusseren Verhältnissen wie die hamburgische, 
habe gleiche Boden-, gleiche klimatische, gleiche Witterungsverhält¬ 
nisse, das einzig Unterscheidende sei die Wasserversor¬ 
gung. Wandsbeck bezieht sein Wasser nicht aus der 
Hamburger Wasserleitung und überhaupt nicht aus der 
Elbe. 

Alles Angeführte sei im Sinne des Redners jedenfalls höchst 
verdächtig, und es könne in der Aetiologie des Hamburger Typhus 
kein Schritt vorwärts gethan werden ohne weitere Erörterung der 
Trinkwasserfrage. Es harre hier noch Vieles der Erklärung. Ein 
merkwürdiger Umstand Hesse sich bisher mit keiner Theorie in Zu¬ 
sammenhang bringen: das regelmässige und enorme Ansteigen der 
Seuche während der warmen Jahreszeit. (Demonstration der Curven 
der letzten 5 Jahre.) 


Vin. Siebenter Congress für innere Medicin, 
Wiesbaden 1888. 

A. Die Referate in den Yormittagssltznngen. 

3. Sitzung am 11. April 1888. 

Die Verhütung und Behandlung der asiatischen Cholera. 

Herr A. Pfeiffer (Wiesbaden) als Referent beschäftigt sich vorwiegend 
mit dem ersten Theil des zur Discussion gestellten Themas, der Prophy¬ 
laxe der Cholera asiatica und geht dabei von einem kurzen Resume der 
Anschauungen über die Aetiologie der Cholera aus. Herr Pfeiffer steht 
bekanntlich auf dem Boden der Koch’.sehen Lehre von der Entstehung der 
Cholera. Sein Standpunkt ist daher der, dass alle prophylaktischen Maass¬ 
regeln gegen die Seuche sich auf die exacte bacteriologische Erforschung 
der Eigenschaften des Kommabacillus zu stutzen haben. Alle praktischen 
Maassnahraen gegen die Cholera gliedern sich in folgende vier Gruppen: 
1) Maassnahmen gegen die Ausbreitung des Cholerakeims in seinem Mutter¬ 
lande Indien; 2) Maassnahmen gegen seine Verschleppung nach Europa; 
3) Maassnahmen, welche im Falle einer Cholerainvasion in ein Land Staat 
oder Gemeinde zu ergreifen haben; 4) Maassnahmen, welche es dem einzelnen 
Individuum ermöglichen sollen, sich gegen die Seuche zu schützen. Die 
unter 1) und 2) genannten, in das Gebiet der internationalen Seuchenprophy- 
laxe fallenden Maassregeln sind wiederholt Gegenstand der Erörterung der 
Internationalen Sauitätsconferenzen, sowie noch kürzlich des Internationalen 
hygienischen Congresses iu Wien gewesen. Man hat sich ziemlich allgemein 
für strenge Ueberwachung der Indien verlassenden Schiffe sowie für zweck¬ 
mässige Quarantaineu im rothen Meere als die wesentlichsten Maassnahmen 
ausgesprochen. Aber trotzdem müssen wir stets mit der Thatsache einer 
neuen Einschleppung der Cholera in Europa rechnen und daher vor allen 
Dingen für eine zweckmässige Prophylaxe im eigenen Lande sorgen. Ein¬ 
stimmig hat man sich gegen Landsanitätscordons ausgesprochen, dagegen 
dürfte die Ueberwachung der Küsten und der grossen Wasserstrassen im 
Innern eines Landes nicht zu verwerfen sein. In Deutschland werden durch 
ausreichende gesetzliche Bestimmungen alle diese Verhältnisse geregelt. Die¬ 
selben gehen alle von dem Grundsatz aus, dass die Cholera eine Infections- 
krankheit ist, und legen daher das Hauptgewicht auf rasche Erkennung und 
Isolirung der ersten Fälle, wirksame Desinfection und allgemeine sanitäre 
Maassnahmen, wie Versorgung mit gutem Trinkwasser, Ueberwachung des 
Lebensmittel Verkehrs, Verkehr der Menschen überhaupt, Leichen- und 
Beerdigungswesen. 

Was endlich die Maassnahmen der individuellen Prophylaxe aulangt, 
so ist in erster Linie, soweit es möglich ist, jeder Verkehr mit Personen 
oder Sachen aus Choleragegenden oder Cholerahäusern zu meiden, namentlich 
sollen aus denselben keine Nahrungs- und Genussmittel bezogon werden. 
Der Genuss von Speisen, die nicht unmittelbar vorher gehörig erhitzt 
wurden, ist zu meiden. Ist kein absolut sicheres Leitungswasser zu be¬ 
schaffen, so ist alles Trink- und Nutzwasser vor dem Gebrauch abzukochen. 
Zu empfehlen ist der ausschliessliche Gebrauch eines kohlensauren Mineral¬ 
wassers, das mindestens ein paar Tage in verschlossener Flasche gelagert 
hat. Sodann ist Alles zu meiden, was zu einer Verdauungsstörung führen 
kann. Kann man den unmittelbaren Verkehr mit Cholerakranken nicht ver¬ 
meiden, so soll man wenigstens in einem Cholerahause unter keinen Um¬ 
ständen etwas geniessen und sich der gewissenhaftesten Reinlichkeit be- 
fleissigen. Die Pflege eines Cholerakranken geschieht am besten in einem 
Krankenhause, da die Kranken unausgesetzter Pflege bedürfen, und bei einer 
grösseren Epidemie Wartepersonal und Aerzte für die Hauspflege nicht auf¬ 
zutreiben sein würden. Referent würde seinerseits selbst vor ZWangsmaass- 
regeln nach dieser Richtung nicht zurückschrecken. Für die Ortsfremden 
ist es angezeigt, einen Choleraort zu verlassen, für die Ortseingesessenen 
ist vor der Choleraflucht auf das Entschiedenste zu warnen. Der Cholera¬ 
flüchtling sollte bedenken, dass es immune Orte nicht giebt, und dass mit 


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3. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


363 


ihvn und seinen Mitflüchtlingen die Cholera verschleppt werden kann, dass 
aber andererseits jeder fremde Ort für ihn ungünstigere Bedingungen bietet, 
als seine geordnete Häuslichkeit. Für Aerzte, Lazarethbeamte, Leichen¬ 
träger etc. haben alle oben aufgeführten Maassnahmen doppelte Bedeutung. 

Der Correferent, Herr Cantaui (Neapel), bespricht den therapeu¬ 
tischen Theil der Frage. Die Indicationen, welche für eine rationelle 
Choleratherapie bestehen, sind dreierlei Art. Die Behandlung muss darauf 
gerichtet sein: 1) die Vermehrung der Cholerabacillen im Darmkanal zu 
beschränken; 2) die rasche Ausscheidung des durch die Bacillen erzeugten 
chemischen Giftes aus dem Blute zu befördern; 3) die im Verlaufe des 
Choleraprocesses eiutretende Bluteindickung zu beheben. Cantani hat 
bekanntlich diesen drei Indicationen durch die heisse gerbsaure Euteroklyse 
und durch die Hypodermoklyse gerecht zu werden versucht. Die Entero- 
klyse soll den beiden ersteren Indicationen entsprechen, und zwar besteht 
dieselbe in hohen Eingiessungen einer 38-40 0 heissen Lösung von 
5—20 g Acidum tannicum auf 1 l /a—2 1 Wasser oder Chamilleninfus, ge¬ 
wöhnlich mit einem Zusatz von 20—30 Tropfen Laudanum. Der dritten 
und theilweise der zweiten Indication dient die Hypodermoklyse, d. h. die 
subcutane Injection von V* —11 einer ebenfalls 33—40° heissen Lösung 
von 3 %o Natrium carbonicum und 4 %o Chlornatrium in sterilisirtem 
Wasser. Beide Methoden unterstützen sich gegenseitig und erfüllen daneben 
eine Reihe symptomatischer Indicationen. Die Enteroklyse ist namentlich 
von überraschender Wirkung im Stadium der praemonitorischen Diarrhoe, 
während die Hypodermoklyse auch noch im Stadium algidum der Cholera 
angezeigt ist. Wir können von einem detaillirteren Eingehen auf den 
mit grossem Beifall aufgenommenen Vortrag des berühmten italienischen 
Klinikers absehen, weil Herr Professor Cantani selbst in dieser Wochen¬ 
schrift (Jahrg. 1886, No. 45) eine eingehende Analyse seines Verfahrens 
und der mit demselben während der Neapeler Epidemieen der letzten Jahre 
erzielten Erfolge niedergelegt hat. 

Die Discussion über diesen Gegenstand bewegte sich hauptsächlich auf 
ätiologischem Gebiete und brachte nichts wesentlich Neues. 


IX. Fünfter Congress der Italienischen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie zu Neapel, 20. bis 
28. Marz 1888. 

Nach den ausführlichen Berichten der „Riforma medica“ referirt 

von Carl Günther. 

Der fünfte italienische Chirurgencougress, welcher unter dem Prä¬ 
sidium des Professor Durante (Rom) vom 26. bis 28. März d. J. in Neapel 
abgehalten wurde, zeichnet sich wie seine Vorgänger durch eine Fülle 
werthvollen wissenschaftlichen Materials aus. Ich muss mich darauf be¬ 
schränken, nur das Wesentlichste an dieser Stelle wiederzugeben. 

Ceccherelli (Parma) empfiehlt für die chirurgische Behandlung von 
Knochen- und Gelenkläsionen mit Wärme das Tannin; er hebt besonders 
die nach seinen Erfahrungen bestehende antituberculöse Wirkung des 
Mittels hervor und glaubt dasselbe stets dem Jodoform vorziehen zu sollen, 
besonders auch seiner ungiftigen Eigenschaften wegen. 

d’Antona (Neapel) stellte einen Kranken vor, bei dem er wegen 
eines Aneurysma, welches eine Verbindung der linken Carotis externa 
und der Jugularis herstellte und nach einer hinter dem Unterkieferwinkel 
eiDgedrungenen Stichverletzung sich entwickelt hatte, die Carotis externa 
und die Lingualis an mehrfachen Stellen unterbunden hatte. Es war nach 
der Operation vollständige Heilung erfolgt. 

Mugnai (Rom) berichtet über bacteriologische Untersuchungen des 
Nagelschmutzes und über Desinfection der Hände des Arztes. 

Durante (Rom) theilt Untersuchungen seines Assistenten Dr. Neri 
mit, welche die Bestimmung der in der Luft eines Saales der chirur¬ 
gischen Klinik zu Rom enthaltenen Mikroorganismen betreffen. Neri 
fand, dass der Maximalgehalt der Luft an Mikroorganismen 1 in über dem 
Niveau der Betten besteht. Nach oben sowohl wie nach unten hin nimmt 
die Anzahl der Keime in der Luft ab; mehrmals erwiesen sich die zur Auf- 
fangung der Keime unter den Betten auf dem Fussboden mehrere Stunden 
lang aufgestellten Gelatineplatten steril. Unter den mannigfachen Arten 
der gefundenen Mikroorganismen erwiesen sich mehrere für Thiere pathogen, 
darunter der Staphylococcus aureus, der Erysipelstreptococcus, 
der A. Fränkel’sche Pneumoniecoccus. 

Radice und Salvati (Neapel) setzten sich die Aufgabe, die Ver¬ 
änderungen der Leber zu studiren, die nach der Sistirung des Pfortader¬ 
kreislaufes zu Stande kommen. Sie begannen zu dem Zwecke damit, dass 
sie das Problem, den Blutstrom aus einem venösen Geiasse in ein anderes 
überzuleiten, in Angriff nahmen. Sie operirten an Ziegen und Hunden, und 
es gelang ihnen, nach vorgängiger Zusammenheilung der beiden Jugular- 
venen vermittels eines ingeniösen Instrumentes eine Coinmunication zwischen 
den Gelassen herzustellen. Die Autoren hoffen von ihren Erfolgen einen 
weiteren günstigen Fortgang ihrer Studien und Nutzen für die Chirurgie 
überhaupt. 

Ruggi (Bologna) berichtet zwei interessante klinische Fälle. Der 
eine betraf einen 20jährigen Bauer, welcher mit einer Heugabel einen 
Schlag auf die linke Scheitelbeingegend bekam. Es trat sofort Paralyse des 
rechten Armes ein; nach mehreren Tagen zeigten sich epileptiforme An¬ 
falle, welche Ruggi veranlassten, operativ einzugreifen. Die Haut wurde 
über der verletzten Stelle gespalten, der Knochen durchtreunt. Es zeigte 
sich nun, dass sich von der Lamina interna ein Splitter abgelöst und die 
Dura durchbohrt hatte. Das Gehirn war gequetscht; eine Quantität Blut 
und Eiter wurde entleert. Der Verlauf des Falles war fieberlos und endete 
mit relativer Heilung. — Der zweite Fall betraf einen praevertebralen 
Abscess in der Gegend des 9. und 10. Brustwirbels, bei welchem Ruggi 
nach vorhergehender Rippenresection und Abtragung des Querfortsatzes des 


Wirbels Eiter und ein kleines Knochenfragment aus dom Wirbelcanale ent¬ 
fernte. Auch dieser Fall gelangte zur Heilung. 

Beim Schlüsse des Congresses wurde Bologna für den nächsten Con¬ 
gress als Versammlungsort gewählt und Professor Loreta (Bologna) das 
Präsidium übertragen. _ 


X. Jouraal-Revue. 

Infectionskrankheiten und Zoonosen. 

3. 

Cadeac et Malet. Experimentelle Studie über die 
Uebertragung der Tuberculose durch die ausgeathinete 
Luft und durch die Atmosphäre. Revue de medecine 1887, 
No. 7. 

Um die Rolle der ausgeathmeten Luft bei der Uebertragung 
der Tuberculose zu studiren, haben die Verflf. die Thiere ein Gemisch 
von atmosphärischer mit von Tuberculösen ausgeatlnneter Luft in- 
haliren lassen. Weder gesunde Thiere (Kauinchen), noch solche, 
denen eine Entzündung der Schleimhaut der Respirationswege bei¬ 
gebracht wurde, konnten durch diese Inhalationen, die an mehrereu 
auf einander folgenden Tagen (in Summa 6—12 Stunden) vorge¬ 
nommen wurden, tuberculös gemacht werden. Diesen Versuchen 
gegenüber könnte der Einwand erhoben werden, dass die Inhalation 
nicht lange genug fortgesetzt wurde, oder dass die von den Thieren 
iuhalirte Luft keine Tuberkelbacillen enthalten hatte. Um diesem 
Ein wände zu begegnen, haben Verflf. Verhältnisse hergestellt, wie sie 
den natürlichen am nächsten stehen. Geschlossene Holzkästeu, die 
jedoch genügenden Luftzutritt hatten, wurden mittelst einer doppel¬ 
wandigen, breitraaschigen, metallischen Scheidewand in zwei Hälften 
getheilt. In die eine Hälfte wurden tuberculös inficirte Thiere (Ka¬ 
ninchen Und Meerschweinchen), in die andere gesuude oder mit 
Katarrhen der Respirationswege behaftete Thiere gebracht. Ausser¬ 
dem wurde zu den inficirteu Thieren je ein gesundes hinzugegeben, 
um den Einfluss des innigen Zusammenlebens von dem des blossen 
Gaswechsels unterscheiden zu können. Das Ergebniss dieser Ver¬ 
suche war, dass von 12 Thieren, die in derselben Atmosphäre 
(demselben Kasten) mit 19 tuberculösen Thieren 2—3 Monate hin¬ 
durch gelebt haben, kein einziges tuberculös wurde; hingegen be¬ 
kamen 2 (von 3) Kauinchen, die in innigem Contacte mit den tu¬ 
berculösen Thieren gelebt hatten, ausgesprocherte Tuberculose. Dass 
hier der Digestionstract der Weg, auf welchem die Infectiou erfolgte, 
war, braucht nicht weiter bewiesen zu w r erden. Um den Gehalt 
an Tuberkelbacillen der exspirirten Luft zu bestimmen, haben Vertf. 
die Wasserdämpfe der von Phthisikern im dritten Stadium exspi¬ 
rirten Luft condensirt und das Condensationswasser mehreren Thieren 
injicirt. Das Resultat war negativ, ebenso dasjenige der mikro¬ 
skopischen Untersuchung. 

Die Unschädlichkeit der ausgeathmeten Luft der Phthisiker 
schliesst indess nicht aus, dass eine Uebertragung durch die atmo¬ 
sphärische Luft stat.tfiuden könne, und .in der That haben die 
Untersuchungen von Cadeac und Malet ein positives Resultat in 
dieser Hinsicht ergeben. VerflF. haben zwischen zwei Betten, in denen 
Phthisiker lagen, ein von einer Kältemischung umgebenes Glasgefäss 
aufgestellt, in welchem die Wasserdämpfe der umgebenden Luft 
condensirt wurden. Die Einimpfung des Condensationswassers hat 
2 Mal (von 12 Versuchen) Tuberculose der Versuchstiere erzeugt. 
Diese Thatsache, zusammengenommen mit der Infection der mit 
tuberculösen Thieren zusammeu lebenden Thiere sind wohl genü¬ 
gender Grund für die Forderung wirksamer prophylaktischer Maass¬ 
regeln, denn wenn in gut gehaltenen, reinen Krankensälen der Tu¬ 
berkelbacillus zuweilen in der atmosphärischen Luft angetroffen 
wird, wie muss es in armen, von Phthisikern bewohnten Häuseru 
ausschauen, in denen die elementarsten Regelu der Hygiene unbe¬ 
rücksichtigt. bleiben? Es wäre nicht uninteressant, in solchen Räu¬ 
men ähnliche Untersuchungen vorzunehmen. Schnirer. 

L. Pfeiffer (Weimar). Das Vorkommen der Marchia- 
fava’schen Plasmodien im Blute von Vaccinirten und von 
Scharlachkranken. Zeitschrift für Hygiene. Bd. II. p. 397 
bis 400. 1887. 

Marchiafnva und Celli, sowie Golgi (siehe diese Wochen¬ 
schrift 1887, No. 16, p. 334), haben bekanntlich im Blute Malaria- 
kranker amöboide Gebilde, „Plasmodium Malariae“ genannt, 
gefunden. Die vorliegende Arbeit enthält nun die kurze Notiz, dass 
es dem Verfasser — mit Hülfe einer besonderen Einrichtung, bei 
der der untere Theil des Mikroskops mit dem Objecttisch in einem 
Thermostaten eingeschlossen ist — „bis jetzt fast in jedem Blute 
von Vaccinirten, von Scharlachkranken, Parotitiskranken die Mar¬ 
ch iafava’schen Formgestaltungen innerhalb der rothen Blutkör¬ 
perchen aufzufinden“ gelungen ist. „Im Blute Gesunder ist ihm 
dies bisher nicht gelungen“. Etwas der Spaltung des Malaria¬ 
plasmodiums zu Körnerhaufen Analoges, sowie ein Heraustreten der 
Formen aus der rothen Blutscheibe, wie dies von den italienischen 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 18 


384 • 


Autoreu gemeldet wurde, hat der Verfasser bei seineu Unter¬ 
suchungen nicht gesehen. Derselbe enthält sich vorläufig jeder 
Deutung seiner Befunde. 

B. Schiavuzzi. Untersuchungen über die Natur der 
Malaria. Rendiconti della R. Accad. dei Lincei. Dicembre 
1886. — Ref. in La Rifonna medica 1887, No. 36. 

Der Autor, welcher die Luft von Malariagegenden 
mittels Filtration untersuchte, fasst das Krgebniss seiner Studien in 
folgende Sätze zusammen: 

„1. ln der Malarialuft von Pola (Istrien) kommt constaut 
ein Bacillus vor, welcher morphologisch identisch ist mit dem von 
Klebs und Tommasi-Crudeli unter dem Namen Bacillus 
malariae beschriebenen; in der Luft von malariafreien Gegen¬ 
den fehlt dieser Bacillus. 

2. Die Reinculturen dieses Bacillus, auf Kaninchen ver- 
impft, bringen bei diesen Thieren Fiebererkra nkungen hervor, 
welche die anatomischen und klinischen Charaktere der Malaria¬ 
fiel) er haben. 

3. Bringt man das Blut, die Milz und die Lymphdrüsen der 
fiebernden Kaninchen in Bedingungen, welche der Entwickelung 
dieses Schizomyceten günstig sind, so beobachtet man eine mehr 
oder weniger reiche, mitunter sogar eine ausserordentlich reiche 
Entwickelung eines Bacillus, der morphologisch mit dem Bacillus, 
welcher die Infection hervorbrachte, identisch ist. 

4. In den mit Reinculturen dieses Bacillus inficirten Thieren 
gehen die rothen Blutkörperchen diejenigen Veränderungen 
ein, welche Marchiafava und Celli als für die Malariainfection 
charakteristisch beschrieben haben.“ 

Th. Kitt. Der Rauschbrand. Zusammenfassende 
Skizze über den gegenwärtigen Stand der Literatur und 
Pathologie. Centralbl. f. Bacteriologie u. Parasitenkuude. Bd. I. 
No. 23-25. 1887. 

Die kürzlich erschienene 2. Auflage des Werkes der drei fran¬ 
zösischen Forscher Arloing, Cornevin und Thomas über den 
Rauschbrand („Le charbon symptomatique du boeuf“) 
regte den Verfasser zu der vorliegenden Arbeit an. Die Fixirung 
des Begriffes „Rauschbrand“ zum Unterschiede vom eigentlichen 
Milzbrände geschah zuerst von Feser und Bollinger (1876). 
Diese Autoreu sahen auch zuerst eineu bestimmten Mikroorganis¬ 
mus, den jetzt allseitig anerkannten Rauschbrandbacillus, als 
den Erreger der Infection an. — Der Rauschbrand ist eine über 
die ganze Erde verbreitete, jedoch immer nur in bestimmten Ge- 
gendeu heimische, sehr häufig mit Milzbrand zusammen vorkom¬ 
mende Infectionskrankheit, die fast nur Rinder, und zwar haupt¬ 
sächlich junge (1—3 Jahre alte) Individuen, befällt und besonders 
in den Monaten Juni bis September auftritt, wo die Thiere auf die 
Weide getrieben werden. Der Krankheitsverlauf ist meist ein sehr 
stürmischer, fast stets tödtlicher. Die Thiere erkranken mit un¬ 
regelmässig begrenzten, beim Ueberstreiclien und Drücken deutlich 
knisternden Anschwellungen der Haut und Muskulatur, besonders 
der Schenkel und Brust; dabei bestehen Störungen des Allgemein¬ 
befindens und hohes Fieber, und 36 — 40 Stunden nach dem Be¬ 
ginn der Erkrankung erfolgt der Tod. Genesungsfälle sind äusserste 
Seltenheit; sie sind besonders in Algier beobachtet worden; viel¬ 
leicht liegt hier eine Infection mit (durch die höhere Sonnenwärme) 
schon abgeschwächtem Rauschbrandgifte vor. — Die Cadaver der 
gefallenen Thiere sind stark aufgetrieben. Das erkrankte Unter¬ 
hautgewebe stellt eine sulzige, gelblich oder blutig gefärbte Masse 
dar, welche die morsche, mit Gas durchsetzte, schwarzbraunrothe 
Muskulatur bedeckt. In dem Gase fanden sich in einem Versuche 
von Kitt 13% Kohlensäure, 76'/ 2 % Wasserstoff, 10 %% Stick¬ 
stoff. Weiterhin coustatirt man bei der Autopsie noch diffuse, 
blutige Imbibition des Bauchfelles und der anderen serösen Häute, 
ferner öfters Rüthuug und Schwellung der Dünndarmschleimhaut. 
Nieren und Leber sind inässig geschwollen, die Milz ist meist nor¬ 
mal, die Lunge hyperämisch. Die Lymphdrüsen in der Nähe der 
erkrankten Muskelgruppen sind geröthet und geschwellt Das 
Hauptmerkmal für die makroskopische Sectionsdiagnose bleibt für 
den Praktiker aber immer die typische Muskelerkrankung. — 
Die Krankheit wird veranlasst durch den „Rauschbrandba¬ 
cillus“, welcher sich in dem Safte des brandigen Unterhaut¬ 
gewebes und iu der erkrankten Muskulatur, sowie in dem blutigen 
Transsudate der serösen Höhlen stets in grosser Menge findet. Im 
Blute ist er sehr spärlich vorhanden. Der Rauschbrandbacillus 
bildet schon innerhalb des Körpers endständige Sporen. Er ist ein 
obligater Anaerobier, und seine Reinzüchtung macht die grössten 
Schwierigkeiten. Fast stets finden sich fremde Organismen, Coccen, 
Oedembacillen, in seiner Begleitung. Auf Menschen ist eine Ueber- 
tragung der Krankheit bisher noch nicht beobachtet worden. 
Auf Rinder, Schafe, Ziegen und Meerschweinchen lässt sich die 


Krankheit durch Impfung leicht übertragen; Pferde, Esel und 
weisse Ratten zeigen nur vorübergehende locale Störungen; Schweine, 
Hunde, Katzen, Kaninchen, gewöhnliche Ratten, Enten, Hühner, 
Tauben erscheinen nahezu immun. Frösche bleiben nach der 
Impfung gewöhnlich gesund, obgleich sich der Bacillus, wie die 
Eingangs genannten französischen Forscher gefunden haben, inner¬ 
halb des Froschkörpers vermehrt. Hält man die Frösche jedoch 
in Wasser von 22°, so sterben sie an der Infection. — Die 
Impfungen des Rauschbrandgiftes haben nur dann die typische, 
tödtliche Erkrankung im Gefolge, wenn das Gift in die Lymph¬ 
spalten gelangt, d. h. bei subcutaner Application. Intravenöse und 
intrabronchiale Einverleibung bewirkt nur vorübergehende Erkran¬ 
kung, und die Thiere werden durch dieselbe immun gegen Impf¬ 
rauschbrand. Die Immunität lässt sich jedoch auch, wie Arloing, 
Cornevin und Thomas gefunden haben, durch subcutane Ver¬ 
impfung von „Vaccins“ erzielen, die aus frischem Rauschbrandfleisch 
durch schnelles Trocknen desselben bei 32—35° C und nachheriges 
Erhitzen auf 100 — 104° (I. Vaccin) resp. 85—90° (II. Vacciu) her¬ 
gestellt werden. Sehr merkwürdig ist die von den genannten fran¬ 
zösischen Forschern entdeckte und von Kitt bestätigte Thatsache, 
dass abgeschwächtes Rauschbrandgift durch einfache Zufügung von 
Milchsäure in kürzester Zeit ungemein giftig gemacht werden kann. 

Th. Kitt. Impfrotz bei Waldmäusen. Centralbl. f. Bac¬ 
teriologie u. Parasitenkunde. Bd. II. No. 9. 1887. 

Löffler hatte bekanntlich in seiner grundlegenden Arbeit über 
die Aetiologie der Rotzkrankheit gefunden, dass Feldmäuse 
ganz besonders empfänglich für die Rotziufection sind, während sich 
Hausmäuse und weisse Mäuse immun verhalten (cf. diese Wochen¬ 
schrift 1887, No 12, p. 243). Kitt hat nun die weitere Entdeckung 
gemacht, dass die Waldmaus, inus silvaticus. sich wie die 
Feldmaus leicht und sicher mit Rotz inficiren lässt. Die subcutan 
geimpften Thiere gingen ausnahmslos an Rotz zu Grunde; jedoch 
tritt der Tod der Thiere, im Gegensatz zu deu Feldmäusen, welche 
bereits 3—4 Tage nach der Impfung eingehen, erheblich später, 
gewöhnlich erst 14 Tage bis 3 Wochen nach der Impfung, ein; eine 
von den Waldmäusen starb sogar erst nach 33 Tagen, die kürzeste 
Krankheitsdauer war 8 Tage. Die Milz war stets colossal ge¬ 
schwollen, dunkelroth, mit vielfachen kleinen hellen nekrotischen 
Herdchen durchsetzt. Durch mikroskopische Untersuchung sowie 
durch die Cultur wurden stets sowohl in der Milz wie im Herzblut 
Rotzbacillen uachgewiesen. An der Impfstelle war manchmal leichte 
Eiterung vorhanden. — Auch die grosse Wühlmaus oder sog. 
Schermaus, die der Feldmaus sonst vollkommen gleicht, nur 
doppelt so gross ist, lässt sich mit Rotz inficiren, an dem sie schon 
nach 3 bis 6 Tagen zu Grunde geht. . 

H. Krannhals (Riga). Zur Casuistik und Aetiologie der 
Hadernkrankheit. Zeitschrift für Hygiene. Bd. II, p. 297—336. 
1887. Mit einer photographischen Tafel. 

Die „Hadernkrankheit“ ist zuerst Anfangs der siebziger 
Jahre und überhaupt nicht häufig beobachtet worden. Man wurde 
zuerst auf dieselbe aufmerksam durch mehrfach sich wiederholende 
Sterbefälle bei Papierfabrikarbeitern in Nieder-Oesterreich. — Der 
Verfasser hatte nun Gelegenheit eiue Reihe von Fällen dieser 
Krankheit zu sehen, die sich plötzlich in der Rigaer Actienpapier- 
fabrik „Ligat“ (60 Kilometer von Riga) Ende April 1886 ereigneten. 
12 Arbeiterinnen eines und desselben Lumpensortirsaales erkrankten 
plötzlich inmitten völligen Wohlbefindens mit Frost, intensivem 
Kopfschmerz, schnellem Ansteigen der Temperatur, Athemnoth uud 
Husten, allgemeiner Schwäche und Hinfälligkeit. 6 der Kranken 
gingen zu Grunde, und zwar eine nach 27 Stunden, 3 nach “2 l /i 
Tagen, 2 nach 4V-2 Tagen, die übrigen 6 genasen. Das Sensorium 
war in keinem Falle betroffen, bei den letalen Fällen war es bis 
zum Tode vollständig frei. Bei der physikalischen Untersuchung 
wurde ausser kleinen circumscripten Verdichtungsherden iu der 
Lunge nichts Besonderes gefunden. Die Sectionen zeigten überein¬ 
stimmend stark vergrösserte weiche, auf dem Durchschnitt dunkel- 
rothe Bronchialdrüsen, Lungenhypostasen, klare röthliche Ergüsse 
im Herzbeutel und in den Pleurahöhlen, dunkele, weiche, zerreiss- 
liche Milz. 

In Trockenpräparaten des Blutes uud der Transsudate, ebenso 
wie in Schnitten der Bronchialdriisen, der Luugeupleura und der 
verdichteten Lungenstellen faudcn sich iu ausserordentlich reichlicher 
Menge schlanke, nach Gram nicht färbbare Stäbchen, welche mor¬ 
phologisch vollständig den Bacillen des malignen Oedems 
glichen. Daneben fanden sich noch andere, plumpere Stäbchen, die 
sich nach Gram färbten. Dieser letztere Befund konnte jedoch als 
cadaveröse Erscheinung gedeutet werden. — 10 Tage nach den 
Sectionen wurde einem Kaninchen eine Injection von dem bis dahin 
aufbewahrten Pleuratraussudate gemacht. Das Thier starb 3 Tage 
später und zeigte an der Infectiousstelle eine mit Gas und Eiter 


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3. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


erfüllte Höhle. Entfernter davon war das suhcutane Gewebe öde- 
matös durchtränkt; und es fanden sich hier die schlanken Stäbchen 
wieder. Durch Einbringung kleiner Stückchen des ödematösen 
Gewebes in Agar gelang es diese Stäbchen zur Entwickelung zu 
bringen; sie charakterisirten sich als Anaeroben. Mit Hadern¬ 
staub, den der Verfasser aus Ligat mitgebracht hatte, konnte bei 
Mäusen sicher malignes Oedem erzeugt werden. 

Nach alledem ist der Verfasser geneigt, „den Bacillus des 
malignen Oedeins für den der Hadernkrankheit eigentümlichen 
Pilz anzusehen“. Carl Günther. 

Innere Medicin. 

6 . 

R. Lepine. Sur 1’antipyrine eonsideree eomme medi- 
c aiu ent nerv in. Lyon medical. 

Die Untersuchungen des Verfassers über die Wirkungen des 
Antipyrins auf das Nervensystem haben durch spätere Arbeiten 
volle Bestätigung gefunden. Er fand, dass eine einmalige Dose 
von einigen Grammen Antipyrin gesunde Individuen in einen eigen¬ 
tümlichen Erregungszustand versetzt. Dieselben haben gerade 
keine wesentlichen Beschwerden davon, sind gleichsam berauscht, 
spüren wenig Neigung zum Schlafen und haben, wenn sie schlafen, 
lebhafte Träume. Verfasser gab dann das Mittel Tabikern, welche 
an heftigen, blitzartig durchschiessenden Schmerzen litten, gegen 
Morphium Bereits abgestumpft waren und Natrium salicylicum wegen 
Ohrensausens nicht vertrugen. In diesen Fällen sah Verfasser beim 
Gebrauch des Antipyrins erhebliche Linderung der Schmerzen ein- 
treten, daneben allerdings Schlaflosigkeit, gegen welche er Chloral 
gab, und vorübergehende Steigerung der Incoordination der Bewe¬ 
gungen. Auch bei einigen Hysterischen erwies sich das Antipyrin 
als ein nützliches Mittel. S. Weinbauin. 

Kartulis (Alexandrien). Ueber einen Fall von Auswan¬ 
derung einer grossen Zahl von Ascariden (Ascaris lum- 
bricoides) in die Gallengänge und die Leber. Centralblatt 
f. Bacteriologie und Parasitenkunde. Bd. 1. No. 3. 1887. 

Unter Hunderten von Leichen, bei welchen die (in Aegypten 
sehr häufigen) Ascariden angetroffen wurden, hat K. nur einen 
einzigen Fall gesehen, bei welchem diese Parasiten, und zwar in un¬ 
geheurer Anzahl, durch die Gallengänge in die Leber eiuge- 
wandert waren: Ein 30jähr. kräftiger Aegypter, sehr leidend und 
anämisch aussehend, wurde wegen gummöser Geschwüre an den 
Beinen in die chirurgische Abtheilung des Regierungshospitals zu 
Alexandrien aufgenommen, ln den nächsten Tagen fiel zunehmende 
Schwäche auf, Pat. klagte über Schmerzen und Prickeln in Magen- 
und Lebergegend. Die Leber war vergrössert und bei Druck 
schmerzhaft. Nach wenigen Tagen ging der Pat., nachdem er vor¬ 
übergehend einige Spulwürmer erbrochen und auf Calomel und San¬ 
tonin Stühle mit Spulwürmern entleert hatte, an einer profusen Diar¬ 
rhöe zu Grunde. — Die Section fand 120 Spulwürmer im Dünn¬ 
darm, über 20 im Dickdarm, im Magen ebenso viele, im Oesophagus 
und Pharynx bis 20 Stück. Ductus choledochus, Duct. hepaticus 
nnd Gallenblase waren enorm erweitert und mit Ascariden vollge¬ 
stopft (D. chol. 3, D. hep. 3, Gallenbl. 5 Stück). In allen Theilen 
der sehr vergrösserten Leber fanden sich in den erweiterten Leber¬ 
gängen Ascariden. Die Gänge waren bis 7 mm weit, von reich¬ 
lichem, 3 mm dicken Bindegewebe umkleidet; in der Umgebung 
fand man viele kleine Abscesse; die Leberzellen waren atrophisch. 
Im Ganzen wurden 80 Spulwürmer in der Leber gezählt. Eier 
fanden sich in der Leber nicht. Carl Günther. 

Martius. Ueber Accessorinslähmung bei Tabes dor- 
salis. (Aus der medicinischen Klinik des Herrn Geheimrath 
Gerhardt.) Berl. klin. Wochenschr. 1887 No. 8. 

Martius stellte am 9. December 1886 der Gesellschaft der 
Charite-Aerzte einen Fall von Tabes vor, in dem mit nachweisbaren 
Lähmuugen im Gebiete des Accessorius vagi (Laryuxkrisen) de- 
generativ-atrophische Vorgänge im Gebiete des Accessorius spinalis 
Hand in Hand gingeu. Ein solcher Fall ist in der Literatur noch 
nicht verzeichnet und ist andererseits von Werth zur Erklärung 
noch dunkler anatomischer Verhältnisse über den Ursprung der 
genannten Nerven. Die Diagnose erforderte ebenso eingehende wie 
scharfsinnige Begründung und wurde wesentlich aus folgendem Be¬ 
fund gestellt: Beide Schultern des Kranken sind so stark herunter 
und nach vorn gesunken, dass der Thorax abgeflacht und der 
Rücken mehr als normal gewölbt erscheint v beide Schlüsselbeine 
stark hervortreten und die Scapula nicht nur um 6—7 cm nach 
aussen getreten ist, sondern auch eine Drehung in der Weise er¬ 
litten hat, dass ihr unterer Winkel der Mittellinie beträchtlich näher 
steht als der innere obere. Zugleich ist der untere Winkel der 
Scapula in die Höhe gerückt. Durch Functionsprüfung wie genaue 
elektrische Exploration wird nun nachgewiesen, dass, während der 


365 


obere Theil des Cueullaris (Supraclävicularportion) sowie die Min. 
Rhomboidei, Levator anguli scapulae und Serratus ant. maj. intact 
sind, die untere Portiou des Cueullaris, welche nach Henie allein 
vom N. accessorius spinalis versorgt wird, der Lähmung und dem 
Schwunde anheimgefallen sind. Da an progressive Muskelatrophie 
hiei nicht zu denken ist, Erkrankungen im Bereich motorischer 
Hirnnerveu andererseits häufig bei Tabes Vorkommen, und der Ac¬ 
cessorius spinalis nach den neuesten, sehr exacten Untersuchungen 
aus einem und demselben Kern entspringt wie der Accessorius vagi, 
so kann dieser Fall, wo beide Portionen des N. Accessorius er¬ 
krankt sind, noch als weitere Stütze für diese anatomische Lehre 
dienen und somit klinisch in die Gruppe der isolirteu Erkrankungen 
motorischer Hirnnervenkerne bei Tabes eiugereiht werden. (Gleich 
jenem vor einigen Wochen in der Berl. klin. Woch. von J. Israel, 
E. Remak und B. Fraenkel beschriebenen Falle traumatischer 
Accessoriusparalyse liefert auch dieser Fall den unzweifelhaften 
Beweis, dass die Laryuxkriseu des Patienten, welche Landgraf in 
derselben Gesellschaft am 1. April 1886 geschildert hatte, durch 
eine primäre Lähmung der Glottiserweiterer mit secundärer Con- 
tractur der Antagonisten bedingt war. Ref.) Aronsohn. 


XI. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Aerzte als Mässigkeits-Beförderer. 

Bei der Unternehmung und Leitung des Deutschen Vereins gegen 
den Missbrauch geistiger Getränke erscheinen Aerzte ganz hervor¬ 
ragend betheiligt. In ihrem Präsidium sitzen unter bisher nur drei Per¬ 
sönlichkeiten zwei, nämlich neben dem so einflussreichen parlamentarischen 
Politiker Miquel als eigentlicher Präsident der frühere gleichzeitige Vor¬ 
sitzende des Vereins deutscher Irrenärzte Geh. Medicinalrath Prof. Nasse 
in Bonn, und als zweiter Vicepräsident Geh. Sanitätsrath Märklin (früher 
in Crefeld, dann Wiesbaden, jetzt Cronberg im Taunus), der ein oder 
mehrere Male der Jahresversammlung deutscher Gesundhcitspfleger vorge¬ 
sessen hat; im Vorstande ferner Prof. Leyden, der Stifter des alljährlichen 
deutschen Congresses für innere Medicin, der Präsident, des Aerztevereins- 
bundes Dr. Graf in Elberfeld, Professor Finkelnburg in Godesberg, der 
eines europäischen Rufes als Hygieniker geniesst, und Sanitätsrath Dr. 
Baer, der in Deutschland die Alkoholfrage wohl allseitiger übersieht und 
beherrscht als irgendwer, vielleicht sogar als sämmtliche Zeitgenossen. Von 
den Zweigvereinen werden drei durch Aerzte als Vorsitzende geleitet, der 
Schleswig-holsteinische Provinzialverein durch Geh. Medicinalrath Prof. 
Bockendahl in Kiel, der Rostocker Bezirksverein durch Dr. Dornblüth 
und der Frankfurter durch Sanitätsrath Dr. Spiess. 

Dieses nahe Verhältniss ist denn auch vom ersten Beginn an bis jetzt 
nicht ohne werthvolle Früchte geblieben. Dr. Nasse und Dr. Finkeln¬ 
burg eröffneten gleich die Stifterversammlung Ende März 1883 zu Kassel 
mit grundlegenden Vorträgen, die dann unter dem Namen .Aufgaben und 
Pläne“ Nachricht über die beabsichtigte vereinigte Thätigkeit in Deutsch¬ 
land verbreitet haben. Dr. Baer hat wiederholt, auf dem Berliner Rath¬ 
haus redend, seine lichtvollen Thatsachensammlungen bis zur jüngsten Zeit 
heruntergeführt, und ebenda sprach zuletzt Dr. Wasserfuhr über die 
versuchungsreiche Allgegenwart der Schenke, die er als Stadtrath der 
Reichshauptstadt besonders zu beklagen hatte. Auf der Hamburger Jahres¬ 
versammlung des Gesammtvereius nach Pfingsten 1886 wies Dr. Dorn¬ 
blüth den Schwindel der in den Zeitungen angepriesenen Heilmittel für 
Trunksucht schlagend nach. Dr. Bockendahl lehrte gleichzeitig etwa, wie 
sich die trockene Trunksuchtstatistik agitatorisch verwerthen lasse, und 
neuerdings weiter, wie man ländliche Ortsvereine belebe, u. a. nämlich 
durch das, was Landärzte auf ihren einsamen Wagenfahrten vom Kutscher 
und Knecht aus dem wechselvollen Volksleben erfahren. 

Diese Betheiligung hat der neuen Vereinsarbeit viel, ja das meiste 
von ihrem Charakter gegeben. Was in der ehemaligen Bewegung um 1840 
herum die Geistlichkeit tonangebend that, das thut nun der Stand der 
Aerzte. Man spricht gegenwärtig meistens von der Branntweinpest, nicht 
länger vom Branntweinteufel, — das deutet schon zur Genüge hierauf hin. 

Allein in Masse betheiligen sich die Aerzte darum doch noch keines¬ 
wegs. Hierin sind ihnen die Geistlichen, wenigstens mancher Landestheile, 
überlegen, ja selbst die communalen Verwaltungsbeamten, voran die 
Bürgermeister. 

Ein bald nach der Begründung des Vereins, d. h. allerdings vielleicht 
zu früh angestellter Versuch, in den Würdenträgern der deutschen Aerzte- 
vereine oder durch dieselben „Vertreter“ des Vereins und folglich seiner 
Sache zu gewinnen, ist trotz bester Beglaubigung beinahe gänzlich fehl- 
geschlagen. 

Und doch ist auf diesem Felde die Aussaat ärztlicher Einsicht so 
hundertfältig lohnend! Kein anderer Vortrag wirkt auf die Menge so sicher 
widerspruchslos und eindringend, wenn es sich um Alkoholfolgen für Leib 
und Seele handelt, wie der eines Arztes. Wir haben es beispielsweise an 
der andächtigen Empfänglichkeit gesehen, welche die Rede des Dr. Stark 
aus Stephansfeld im Eisass auf dem Karlsruher Congress für Innere Mission 
gedruckt wie mündlich fand, und jene andere des Dr. Scholz in Bremen, 
welche unter dem Titel „Die Trunksucht das Verderben des Volkes“ in 
tausenden und abertausenden von Abdrücken überallhin durch den Verein 
verstreut worden ist. 

Möge der Stand der Aerzte deshalb noch einmal an sein patriotisches 
und humanes Bewusstsein appelliren lassen! In seinen Vereinen sollte, 
dächte ich, allerorten dafür gesorgt werden, dass geeignete und bereite 
Kräfte die Aufgabe der Mitwirkung am Orte übernehmen. Schliesseu solche 
sich der besonderen Organisation an, die hierfür besteht, einem Orts- oder 


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366 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 18 


Bezirksverein als Vorstandsmitglieder, oder in Ermangelung dessen dem 
Gesammtverein als vermittelnde Vertreter für Werbung, Schriftenverbreitung 
und schaffendes Thun, zur Darbietung von Ersatz für Schnaps oder zur 
Heilung von Säufern oder was sich sonst ergiebt, so wird gerade der Arzt 
fast immer finden, dass man seinem Worte am gläubigsten traut, seiner 
Führung am willigsten nachgeht. Darin tritt seine gemeinnützige Ver¬ 
pflichtung, sein socialer Beruf möchte man sagen, zu Tage. Denn was er 
vermag, kann Keiner so ganz und so leicht. Er lasse sich von seinen ver¬ 
dienten und berühmten Staudesgenossen also nicht vergeblich auf diese 
Bahn der Ehren rufen! A. L. 


— Beilage 5 zur Kriegs-Sanitäts-Ordnniig voiu 10. Januar 1878. 
Neubearbeitung. Kef. Schill. 

Die Neubearbeitung der Beilage 5 zur Ivriegs-Sanitäts-Ordnung vom 
10 . Januar 1878 trägt dem antiseptischen Standpunkt vollkommen Rechnung. 
Als Normalverband gilt der Sublimatmullverband, neben dem sich auch 
Sublimat-Wundwatte sowie Jodoform findet. Abschnitt E der genannten 
Beilage giebt eino Anleitung zur Zubereitung und Verwendung 
des antiseptischon Verbandmaterials, deren hauptsächlichster Inhalt 
hier folgen mag. Die Zubereitung des antiseptischen Verbandmaterials, 
welches die Feld-Sanitäts-Formationen raitzuführen haben, erfolgt nach 
befohlener Mobilmachung und wird durch die Feldapotheker ausgeführt. 
Die Truppeutheile erhalten beim Ausrücken antiseptisch zubereitetcs Ver¬ 
bandmaterial. 

Sublimatmull wird hergestellt durch Imprägniren von je 400 m 
MulJ mit einer nach folgender Formel zusammengesetzten Flüssigkeit: 


Up. Hydrarg. bichlor. 50,0 
Spiritus 5000,0 

Aq. destill. 7500,0 

Glycerin 2500,0 

Fuchsin 0,5. 


Iu diese Flüssigkeit wird der Mull eingetaucht, gut durchgeknetet, 
nach ’/i Stündo stark abgepresst und nach Art der Wäsche auf einer Leine 
getrocknet. Das Trocknen darf nicht im Sonnenlicht stattfinden, da sonst 
das Fuchsin, welches nur zum Zweck der Unterscheidung imprägnirten 
Mulls von nicht imprägnirtem zugesetzt ist, ausbleicht. Zum Trocknen sind 
im ungeheizten Raum (8—10°lt) ca. 12, im geheizten (15° R) ca. 9 Stunden 
erforderlich. Ist eine Abkürzung dieser Zeit geboten, so wird das Wasser 
der Iroprägnirungsflüssigkeit durch Spiritus ersetzt. Nach dem Trocknen 
werden die Mullstücke (je 40 m) glatt zusammengelegt und durch Schrauben¬ 
pressen zu Würfeln von 11,5 cm Höhe zusammengedrückt, in dieser Form 
mit Bindfaden umschnürt, in rothes Packpapier eingeschlagen und signirt. 
Die für die antiseptische Flüssigkeit angegebene Formel kann für bestimmte 
Zwecke nach ärztlichem Ermessen modificirt werden. 

Sublimatwundwatte wird gleichfalls mit der angegebenen Sublimat¬ 
lösung bereitet. Beim Trocknen ist darauf zu achten, dass sie recht locker 
liegt. Getrocknet wird sie zu je 1 kg in Pressstücke von 11,5 cm Höhe 
gebracht, geschnürt, in rothes Papier geschlagen und signirt. In den 
Truppen - Medicinwagen elc. werden auch Pressstücke von 100 g mit¬ 
geführt. 

Sublimat-Catgut wird durch 8- bis 12stündiges Einlegen in 
5 %o wässerige Sublimatlösung bereitet und in Alkohol auf bewahrt. 

Sublimat-Seide. Seide wird ausgekocht, einige Stunden in 5%o 
wässerige Sublimatlösung mit 20 % Glycerinzusatz gelegt, getrocknet, 
in wasserdichten Verbandstoff eingeschlagcn aufbewahrt und vor dem 
Gebrauch in 3 °/o Carbol- oder 1 o/oo Sublimatwasser gelegt. 

Drains werden 6—12 Stunden in 5 o,o Carbollösung desinficirt und 
in 5 o/«. Carbol- oder 1 o/oo Sublimatwasser aufbewahrt. 

Waschschwämme werden von etwaigen Concremeuten befreit, 
wiederholt mit heissem Wasser übergossen und kräftig durchgeknetet, 
12 Stunden in 5%o Sublimatwasser mit 20 % Glycerinzusatz gelegt 
und trocken in leinenen Beuteln aufbewahrt. 

Als Beispiel eines antiseptischen Verbandes auf dem Ver¬ 
bandplatz wird ein Verband bei Verwundung des Unterschenkels wie 
folgt geschildert: 

1. Act. Vorbereitung: Dosinfection der Umgebung der Wunde mit 
l%o Sublimat- oder 3% Carbolwasser durch kräftiges Abreiben mit der 
Hand und Bürste. Ueberrieselung der Haut mit den genannten Flüssig¬ 
keiten. 

2. Act. Verband: Die Wunde wird mit Sublimat-Krüllmull bedeckt 
und sodann der ganze Unterschenkel mit Sublimatmull in mindestens 
achtfacher Lago umhüllt. Erfolgt die Umhüllung mittelst eines grossen 
Mullstücks (sog. Mantels), so wird zweckmässig ober- und unterhalb der 
Wunde ein das Glied umkreisender Sublimatwattestreifen als Randabschluss 
unter den Mull eingefügt. Dann wird der Verband mit einem das ganze 
Glied umgebenden Stück wasserdichten Verbandsstoff bedeckt und schliesslich 
das Ganze mittelst einer Gazebinde, welche vor dem Anlegen in Carbol¬ 
lösung getaucht worden ist, befestigt. 

Zu einem Dauerverband im Lazareth ist bei angemessener Vermehrung 
der Mulllagen der wasserdichte Verbandstoff nicht erforderlich. 

Der Sublimatmull kann in jedem Falle durch Sublimatwatte ersetzt 
werden. Ist mit der Verletzung des Unterschenkels ein Knochenbruch vor 
bunden, so erfolgt als 

3. Act die Immobilisirung: entweder a) durch Einlegen des 
Gliedes in eine Volkmann’sche Blechschiene oder b) durch Gypsverband 
über den antiseptischen Verband. Für den Gypsverband wird durch Her¬ 
stellung des Dockverbandes aus Snbliroatwatte eine besonders elastische 
Unterlage gewonnen: Natürlich muss der Iminobilisirungs-Verbnud Fuss- 
und Kniegelenk mit feststellen. 

Da9 Verbandpäckchen, mit dem jeder deutsche Soldat ausgerüstet 
in\s Feld rückt und welches nach Abänderung des § 25 der K. S.-O. von 


jedem Soldaten in dem linken Vorderschoss des Waffenrocks eingenäht 
getragen wird, besteht aus 2 antiseptischen Mullcompressen (40:20 cm) 
einer 3 cm langen, 5 cm breiten Cambricbinde, einer Sicherheitsnadel und 
einer 28 cm langen, 18 cm breiten Umhüllung aus wasserdichtem Verband¬ 
stoff. (Die Sicherheitsnadel muss zur Verhütung von Zersetzung des Metalls 
lackirt sein. Ref.) 

Bei Anlegung eines Nothverbandes mittelst des Verband¬ 
päckchens wird zunächst die Wunde mit den beiden Compressen (in 
achtfacher Mulllage') bedeckt, darüber der wasserdichte Verbandstoff gelegt, 
das Ganze mit der Cambricbinde befestigt und diese festgesteckt. Bei 
einfacher Schussverletzung mit Ein- und Ausgangsöffnung wird jedeOeffnung 
mit einer Mullcompresse und der Hälfte des wasserdichten Verbandstoffes 
bedeckt. 

Einen Jodoform-Deck verband können einfache, nicht ausgedehnte 
Verwundungen erhalten. Die Wunde wird mit Jodoform in dünner Schicht 
bestreut, dann mit einer Mullcompresse oder etwas Wundwatte und einem 
Stück wasserdichten Verbandstoffs bedeckt und das Ganze mittelst einer 
Binde oder eines dreieckigen Tuches befestigt. 

Neu und nicht unwichtig ist die Bestimmung, dass in den Arzenei- 
behältuissen der Truppen-Medicinwagen etc. Reservegefässe zur Mitnahme 
des einen oder anderen nicht etatsmässigen, aber dem Arzte wünschens¬ 
werten Arzeneimittels geführt werden. 

Durch die Abänderung der Beilage 5 ist die vortreffliche Kriegs- 
Sanitäts-Ordnung, welche das Muster für die gleichen Reglements anderer 
Nationen geworden ist, den heute in der Wissenschaft gültigen Anschauungen 
völlig gerecht geworden. 


XU. Therapeutische Mitteilungen. 

Phenacetin. 

Von Dr. B. Rohden (Treben, S. A.). 

Mit einiger Skepsis bin ich vor einiger Zeit an dies neue Antipyreticum 
herangetreten — doch möchte ich nach reiflicher Prüfung nunmehr be¬ 
haupten, dass Bayer & Co. in Elberfeld in dem Phenacetin ein Arznei¬ 
mittel hergestellt haben, welches ruhig an die Seite unserer modernen 
Antipyretica gestellt werden darf und damit unsere volle Aufmerksamkeit 
verdient. 

Phenacetin ist die Acetylverbindung des Phenetidins, d. h. des Aethyl- 
äthers des Paramidophenols. Seine Crystalle haben grosse Aehnlichkeit 
mit denen des Antipyrrhins, sie sind färb-, geruch- und geschmacklos. 
Ihre vollständige Geschmacklosigkeit erleichtert die Anwendung des Mittels 
natürlich sehr bedeutend. Gleich dem Antifebrin löst es sich schwer in 
Wasser — in heissem Wasser leichter —, um jedoch sofort beim Erkalten 
wieder auszufallen. In Glycerin ist es leichter löslich, am leichtesten in 
Alkohol. Sein Preis ist nicht hoch, das Gramm kostet 15 Pfennige. 

Nach erfolgter physiologischer Prüfung durch Professor Käst in Frei¬ 
burg ist Phenacetin zuerst von Professor v. BambergQr in Wien ange¬ 
wendet, und zwar mit gutem Erfolge. 

Phenacetin setzt schnell und zuverlässig die Körpertemperatur herab 
und bereitet nach erfolgter Entfieberuug dem Patienten eine wirkliche 
Euphorie. Ausschliesslich habe ich das Mittel iu den letzten Wochen in 
zahlreichen Fällen zur Anwendung gebracht und habe gefunden, dass die 
lästigen Nebenerscheinungen, welche sich beim Gebrauche anderer Anti¬ 
pyretica einstellen, hier gleich Null sind. Und das ist ein grosser Vorzug 
des Phenacetin. Die Behauptung, dass dieser Vorzug in gleicher Weise 
dem Antifebrin gebühre, möchte ich nach den von mir gemachten Beob¬ 
achtungen bestreiten. Ich habe seit einem Jahre Antifebrin stets als Anti¬ 
pyreticum zur Anwendung gezogen — aber gefunden, dass bei längerem 
Fortgebrauch in subacuten Krankheiten leicht Somnolenzzustände aufireten, 
die ziemlich anhaltend sind — und erst mit dem allmählichen Nachlassen 
des Mittels schwinden. Beim Phenacetin kommt das nicht vor nach meinen 
bisherigen Erfahrungen, obgleich ich dasselbe längere Zeit hindurch in 
dreisten Dosen täglich verabreicht habe. Ein Einfluss auf die Circulations- 
organe, insbesondere lästiges Herzklopfen, wie ich dies bei stärkeren Dosen 
Salicyl verschieden zu verzeichnen hatte — lässt sich bei der Anwendung 
des Phenacetins nicht constatiren. Collapszustände und Cyanose, sowie 
das heftige Erbrechen, das man bei grösseren Antipyrrhingaben oft, bei 
Antifebrin seltener zu beobachten Gelegenheit hat, fehlen bei dem Phen- 
acetingebrauch absolut. Eine diurelische Wirkung kommt dem Phenacetin 
nicht zu. — 

In einer ausgebreiteten Scharlach- und Masernepidemie fand ich in 
den letzten Wochen zuerst Gelegenheit, das neue Antipyreticum zu er¬ 
proben. Stets bin ich zufrieden gewesen; sichere prompte Wirkung auf 
nicht zu kleine Dosen, denen ich überhaupt abhold bin beim Gebrauche der 
Antipyretica. Ohne Zusatz von Saccharum gebe ich Phenacetin als Pulver 
im Esslöffel Wasser umgerührt. In der Dosirung schwanke ich je nach dem 
Alter und der Coustitution zwischen 0,15 — 1,0 g p. dos., bei kleinsten 
Kindern genügt 0,15—0,2 g, älteren Kindern von 5—10 Jahren gebe 
ich durchschnittlich 0,3—0,4 g uud steige bei Erwachsenen bis zu 0,7 g 
p. dos. Bei sehr hohem Fieber und kräftiger Constitution habe ich im 
Verlaufe einer Pneumonie mehrfach 1,0 g p. dos. mit gutem raschem Er¬ 
folge ohne irgend welche Nebenerscheinung zur Auwendung gebracht. Die 
Wirkung tritt nach einer halben Stunde gewöhnlich ein und ist am inten¬ 
sivsten auf der Fieberhöhe. 

Nicht unterlassen will ich, auf die Wichtigkeit des Phenacetin bei 
rheumatischen Affectionen aufmerksam zu machen, insbesondere auf seine 
Eigenschaft als Specificum gegen Polyarthritis rheumatica. Ich habe iu 
letzter Zeit eine grössere Anzahl Patienten, mit letzterer Krankheit be¬ 
haftet, in meiner Behandlung gehabt und habe ihnen fast nur Phenacetin 
gegeben. Ich bin nicht allein gerade so gut — ich möchte sagen, besser 
und schneller zum Ziele gekommen, als mit Salicyl und Antifebrin Starke 


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3. Mai. DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 367 


Tagesdosen von 3,0 g hielten das oft so tückische Fieber des Gelenk¬ 
rheumatismus in guten Schranken und wirkten lindernd auf die Entzündung 
in den Gelenken, so dass die Schwellung abnahra und dio Schmerzen erträg¬ 
licher wurden. Die Kranken, welche sich vor zwei Tagen kaum zu rühren 
vermochten, wussten ihren Pulvern nicht genug Dank. — Bei Migräne- 
zustäuden, argen Kopfbeschwerden empfehle ich Phenacetin zum Gebrauch. 
Nach stärkeren Dosen, 0,8 p. dos. bis 1,0 p. dos., Hessen Kopfschmerzen 
bald nach, die geplagten Kranken fühlten sich freier und wohler. Augen¬ 
blicklich beschäftigt mit Studien über den Gebrauch des Phenacetin in chi¬ 
rurgischer Beziehung habe ich dieselben noch nicht zum endgültigen Ab¬ 
schluss gebracht. Nach den bisherigen Beobachtungen habe ich dasselbe 
als ein gutes anliseptisches Streupulver kennen gelornt, das in hohem Maasse 
die Eiterung granulirender Wundflächen beschränkt. Messerrückendick auf¬ 
gestreut erzeugt es einen Schorf, unter welchem die Ueberhäutung der 
Wundflächen einen entschieden rascheren Fortschritt macht. — Soweit heute 
über das Phenacetin, das ich nach meinen Erfahrungen in seiner verschie¬ 
denen Anweudungsweise warm empfehlen darf. — 


Zur Therapie des Mastfettherzens. 

Gegen die vom Mastfetther/.en verursachten Beschwerden, welche 
durch massige Zunahme des normal am Herzen abgelagerten besonders 
subpericardialen Fettgewebes, durch Wucherung des letzteren in die Herz- 
rauskulatur, endlich durch eonsecutive Degeneration des Myocardiums ver¬ 
anlasst werden, empfiehlt Kisch (Internat, klin Rundschau No. 10, 1888) 
neben der allgemeinen, gegen die Stoffwechselerkrankung (Fettleibigkeit) 
gerichteten diätetischen Behandlung für manche Fälle noch ein symptoma¬ 
tisches medicamentüses Eingreifen. Gegen die Stauungserschei¬ 
nungen in den verschiedensten Gefässgebieten, namentlich gegen die 
Symptomengruppe der Plethora abdominalis mit den Erscheinungen der 
chronischen Hyperämie in den meisten Unterleibsorganen und anderweitigen 
Circulationsstörungen müssen zeitweilig Purgantien angewendet werden, 
welche reichliche und ausgiebige Stuhlentleerungen zu Wege bringen. Ein 
Caffeelöffel voll Karlsbader oder Marienbader Brunnensalz in einem Glase 
Wasser, des Morgens genommen, thut hierfür gute Dienste. Bei anhaltender 
Stuhl Verstopfung giebt Kisch folgende Pillen: 

Pulv. rad. Rh ei 
Extr. Aloes aq. 

Sap. Jalapp. ana 2,0 
Extr. Trifol. q. s. ut f. pilul. No. 30. 

DS. Abends 1 Pille zu nehmen, 
und bei der anämischen Form der Fettleibigkeit: 

Ferr. sulf. pur. 3,0 
Extr. Aloes aq. 2.0 
Extr. Trifol. q. s. ut f. pilul. No- 30 

DS. Morgens und Abends I Pille zu nehmen. 

Bei Zeichen von Herzschwäche, Anfällen von Athembeschwerde 
auch ohne stärkere Körperbewegung, Erscheinungen dauernder Stauung im 
Gebiete des Körpervenensystems, Oedem an den Füssen, hvdropischen 
Zuständen, Albumen im Harn, verordnet Kisch zur Anregung der 
Diurese : 

Inf. herb. Centaur, min e 4,0 
Inf. fol. Digit, purp. e 0,6 
ad 150,0 

Syr. cort. Aurant 10,0 

DS. Stündlich 1 Esslöffel voll zu nehmen. 

Wenn die Stauungserscheinungen hochgradig sind, die asthma¬ 
tischen Anfälle häufig wiederkehren, giebt Kisch Abführmittel in Ver¬ 
bindung mit Digitalis in folgender Verordnung: 

Pulv. rad. Rhei 
Extr. Aloes aq. 

Pulv. fol. Digit, purp, ana 2,0 
Extr. Trifol. q. s. ut. f. pilul. No. 30 
DS. 3stündlich 1 Pille zu nehmen. 

Den bedrohlichen Anfällen von cardialem Asthma gegenüber ist 
durch Herzreizmittel die Herzaction anzuregen. Die Alcoholica und 
Aether sind daher unentbehrliche Mittel. Wo die Herzschwäche be¬ 
deutend ist, müssen ausserdem die flüchtig auf die Herzthätigkeit ein¬ 
wirkenden Mittel, Valeriana, Campher, Castoreum, Aether, Moschus u. s. w. 
angewendet werden, daneben äusserliche Hautreize auf die Brust, 
Sinapismen, trockene Schröpf köpfe, kräftiges Reiben und Bürsten der 
Extremitäten, Einhüllen der Hände und Füsse in warme Tücher, Application 
von Kautschukbeuteln mit heissem Wasser auf die Herzgegend. Die An¬ 
wendung der Narcotica sowie der Digitalis im asthmatischen Anfalle er¬ 
fordert grosse Vorsicht, dagegen hat Kisch von der Anwendung des 
Nitroglycerins (1 bis 5 Milligramm) günstige Erfolge gesehen. Wo bei 
allgemeinem noch gutem Kräftezustande asthmatische Anfälle bei vorge¬ 
schrittener Arteriosklerose und starker Hypertrophie der linken Herz¬ 
kammer auftreten, leistet das Jodkalium zur Bekämpfung und Verhütung 
der Anfälle oft gute Dienste. Kisch lässt Kal. hydrojod. 1 Gramm in 
einem Glase Wasser früh und Abends nehmen und dies mehrere Wochen 
fortsetzen. 

Bei der anämischen Form der Fettleibigkeit empfiehlt Kisch, 
bereits in den ersten Stadien Eisenpräparate zu reichen, dabei für ge¬ 
nügende Stuhlentleerung und Förderung der Diurese zu sorgen. Er giebt 
zu dem Ende längere Zeit fortgesetzt: 

Pulv. rad. Rhei 4,0 
Extr. Scill. 2,0 

Extr. Ferr. pomat. 6,0 
M. f. pilul. No. 90 

DS. 3 Mal täglich 2 bis 3 Pillen zu nehmen. 


Gegen die quälenden Anfälle von Angina pectoris der Fettleibigen 
hat Kisch von dem Nitroglycerin die besten, zuweilen ganz vorzügliche 
Erfolge gesehen. Er verschreibt Trochisci Nitroglycerini, contin. 1 mg, 
und lässt I bis 2 solche Dosen nehmen, sobald der Anfall eiuzutreten 
pflegt. Dadurch gelingt es gewöhnlich, den Anfall zu coupiren. Im An¬ 
falle selbst ist die Anwendung von Reizmitteln, innerlich Aether, Valeriana, 
Castoreum, und äusserlich Sinapismen, trockene Schröpfköpfc, Kälteapplica- 
tion angezeigt. _ 

Guajakol bei der Behandlung; der Tuberculose. 

In No. 7 dieses Jahrgangs der D. med. Wochensrhrift. haben wir über 
I die Erfolge Fräntzel’s, die er mit Guajakol bei Tuberculose erzielt hat, 
j berichtet 

Weitere Erfahrungen über Guajakolwirkung bei Tuberculose bringt 
I)r. Horner, Primararzt des allgemeinen Krankenhauses an St. Georg in 
Zwickau in Böhmen (Prager Med. Wochenschr. No. 17), der Guajakol seit 
4 Jahren angewandt hat. Sämmtliche Kranke, bei denen es angewandt wurde, 
wurden vorher auf Tuberkelbacillen untersucht. In vielen Fällen war der 
; Erfolg gut, in einigen geradezu überraschend, in anderen wurde gar kein 
Erfolg gesehen, in einer vierten Kategorie endlich kehrte das Leiden uach 
[ anfänglicher günstiger Wendung durch Guajakol später mit erneuter Hoftig- 
• keit wieder. Drei Monate lang und länger wurden 0.5 g Guajakol genommen, 
] meist ohne Widerwillen seitens der Kranken. Mit 3 Pillen von 0,05 täglich 
i wird begonnen, von denen nach jeder Mahlzeit eine zu nehmen ist, nach 
| 3 Tagen 6, nach wieder 3 Tagen 10. Der Husten vermindert, der Appetit 
) steigert sich darnach, auch der üble Geruch des Spu'ums schwand darnach 
bei manchen Tuberculöseu mehr und mehr. Dio Kräfte nahmen in geeig¬ 
neten Fällen zu, die Nachtschweisse Hessen nach oder hörten auf, die Zahl 
j der Tuberkelbacillen im Auswurf verringerte sich. Selbst bei sehr herunter- 
; gekommenen Kranken stellte sich der Appetit langsam wieder ein, auch das 
: Fieber nahm ab. Mit dem längeren Gebrauche des Guajakols schwinden 
die Rasselgeräusche mehr und mehr und ziehen sich nach den Lungenspitzen 
zurück. Ist der Kräftezustand des Kranken noch ein guter, so kauu durch 
die Einwirkung des Guajakols noch Besserung erhofft werden. Weitere Ver- 
! suche mit dem Mittel hält Horner für angezeigt. R. 

l --- 

Xm 01. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln. 

In Verbindung mit der vom 18. bis 23. September dieses Jahres in 
Köln tagenden 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte soll 
gemäss Beschluss des Gesammtausschussos eine Fachausstellung aus 
den Gebieten sämmtlichor auf dor Versammlung vertretenen 
Disciplinen stattfinden. Die Ausstellung soll alles Neue und Vollendete 
an Instrumenten, Apparaten, Präparaten, Forschungs- und Lehrmitteln um¬ 
fassen und ist auf eine Dauer von etwa 14 Tagen berechnet. Folgende 
Gruppen sind in Aussicht genommen: I. Präcisionsmechauik (Physikalische 
Apparate). — II. Mikrologie und Photographie. — III. Chemie, Pharmacie, 
Geologie, Mineralogie. — IV. Naturwissenschaftlicher Unterricht. — V. Geo¬ 
graphie, wissenschaftliche Ausrüstung, Ethnologie. — VI. Biologie, Entomo¬ 
logie, Anthropologie. — VII. Laryngoskopie, Rhiuologio, Otiatrie, Ophthal¬ 
mologie. — VIII. Innere Medicin, Elektrotherapie. — IX. Chirurgie, 
Gynäkologie, Orthopädie. — X. Zahnheilkunde. — XI. Veterinärinedicin. — 
XII. Hygiene. — Die Unterzeichneten sind zu weiterer Auskunftcrtheiluug 
bereit. Anmeldebogen sind vom Schriftführer (Adresse: Unter Saehsen- 
hausen 9) zu beziehen. Der Vorstand:. J. van der Zypen (Deutz), Vor¬ 
sitzender; Dr. med. B. Auerbach (Köln), .stellvertretender Vorsitzender; 
I)r. phil. F. Eltzbacher (Köln), Schriftführer; Dr. med. Dum out (Köln); 
A. Hofmann, Chemiker (Köln); Dr. med. 0. Lassar (Berlin). 

XTV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Centralhilfskas.se für die Aerzte Deutschlands. 
Die diesjährige (siebente) ordentliche Delegirtenversaramlung (§ 29 des Statuts) 
findet am Donnerstag, den 31. Mai, Nachmittag 6 Uhr in Berlin, im „Restaurant 
Printz“ — Karlstrasse 29 — statt. Tagesordnung: 1. Rechenschaftsbericht 
des Dircctoriums; 2. Geschäftliche Mittheilungen; 3. Beschlussfassung über 
folgende, die temporäre Invaliditäts-(Kranken-) Kasse betreffenden Anträge: 
i a) Erhöhung des Krankengeldes; b) Zulässigkeit der Versicherung eines 
! mehrfachen Betrages des Krankengeldes durch Zahlung des entsprechenden 
mehrfachen jährlichen Beitrages: 4 . Wahl des Aufsiehtsrathes (nach §40 
des Statuts); 5. Wahl eines Directoriummitgliedes. Abarbanell. 

— Sanitätsrath Dr. Goltdammer, dirigirender Arzt am Krankenhause 
Bethanien, erhielt den Titel als Geh. Sanitätsrath. — Dem Direktor der chirur- 
j gischen Abtheiluug am städtischen Krankonhause Friedrichshain, Geh. Sanitäts¬ 
rath Dr. E. Hahn ist dor Rothe Adlerorden III. CI. verliehen worden. 

— Dor bisherige commissarische Lehrer Dr. Schmaltz an der königl. 

■ Hochschule für Thierarzneikunde, unser geschätzter Mitarbeiter, ist zum 
ordentlichen Lehrer an dieser Anstalt ernannt 

— Vom J. Mai ab ist Herr Dr. M. Joseph als Theilnobmer in die 
Poliklinik der Herren Prof. A. Fraenkel, Dr. Haftmann und Prof. H. 
Krause eingetreten. Derselbe wird daselbst, NW 7 ., Ziegelstrasso 2, täglich 
von 9 — 10 Uhr seine Poliklinik der Hautkrankheiten abhalten. 

— Jona. Privatdocent Dr. Engelhardt in Halle ist zum ausser¬ 
ordentlichen Professor der Gynäkologie an der Universität Jena an Stelle 
| des nach Dorpat berufenen Prof. Dr. Küstner ernannt worden. 

— Tübingen. Dr. Garrö, bis dahin Privatdocent in Basel, ist am 
j 1. April als Assistenzarzt der chirurgischen Klinik und Doccht für Chirurgie 
1 nach Tübingen übergesiedelt. 

— Aachen. In Aachen hat die Wahl eines Oberarztes des 
! Mariahilfhospitals an Stelle dos nach Jena berufenen Dr. Riedel zu 
! recht unerquicklichen Erörterungen geführt. In Kreisen der katholischen 


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368 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 18 


Bürgerschaft wurde Seitens des Vereins „Constantia“ eine lebhafte Agitation 
angezettelt, die ihre Spitze gegen einen protestantischen Bewerber um die 
OberarztsteHe richtete, und es kam in der Generalversammlung des ge¬ 
nannten Vereins sogar zu folgendem Beschluss, den man nicht nur den von 
der Constantia „unterstützten“ Mitgliedern des Stadtverordnetencöllegiums 
zugehen Hess, sondern auch dem Oberbürgermeister zustellte: „Die General¬ 
versammlung der Constantia zu Aachen spricht die Erwartung aus, dass 
die entscheidenden Factoren in der Frage der Besetzung der Oberarztstelle 
am Mariahilfspital eine Wahl treffen werden, durch welche sowohl die Wah¬ 
rung der grossen sanitären Aufgaben und Interessen des Institutes, eine ge¬ 
wissenhafte und erfolgreiche Behandlung der demselben anvcrtrauteu Kran¬ 
ken, thunlichst sichergestellt, wie auch den Gesinnungen der weitaus über¬ 
wiegenden Mehrheit der Bürgerschaft von Aachen Rechnung getragen, Ach¬ 
tung gezollt wird. Die Generalversammlung vertraut daher, dass ein durch 
seine bisherigen Leistungen und langjährigen Erfahrungen wie durch com- 
petente ärztliche Empfehlungen und seine Erfolge bestens empfohlener, 
durchaus qualificirter Arzt als Leiter der chirurgischen Abtheilung des 
Mariahilfspitals erwählt werde, ein Arzt, welcher im Leben und Wir¬ 
ken auf dem Boden der grossen Mehrheit der Bevölkerung der 
Stadt Aachen steht“. Das Verfahren der betreffenden Kreise erfuhr 
durch den Oberbürgermeister Pelzer die gebührende Zurückweisung, der 
Candidat der Constantia hatte aber trotzdem bei der Wahl die Majorität 
des Stadtverordnetencollegiums für sich. Wir wollen mit dieser Darstellung 
in keiner Weise der Person des Herrn Dr. Krabbe!, dem gewählten Ober¬ 
arzt, entgegentreten, wir wollen nur wünschen, dass er im Stando sein wird, 
die chirurgische Abtbeiluug des Hospitals auf der allgemein anerkannten 
Höhe zu erhalten, auf welche Riedel sie gebracht hat., und ferner dem 
Wunsche Ausdruck geben, dass endlich einmal die Zeit komme, wo nicht 
mehr das kirchliche Bekenntniss eines Arztes, sondern lediglich seine fach- 
wissenschaftliche Tüchtigkeit für seine Anstellung entscheidet. 

— Strassburg i. Eis. Der ärztliche wissenschaftliche Verein „Societe 
de medeciuo de Strassbourg“ ist laut Beschluss des Bezirkspräsidenten auf¬ 
gelöst. Vorsitzender ist Professor Boeckel, die Mitgliederzahl beträgt 84. 

— Basel. An Stelle des nach Tübingen übergesiedelten Dr. Gar re 
hat Dr. E. H afft er die Redaction des Corres pondenzblattes für 
Schweizer Aerzte übernommen. 

— Der bekannte Badearzt, Prof. Kisch in Marienbad, feiert am 6. Mai 
dieses Jahres sein 25 jähriges Jubiläum als Marienbader Brunnenarzt. Kisch 
war schon mit 21 Jahren während der Saison in Marienbad thätig; die Stadt 
Marienbad hat ihn wegen seiner Verdienste um die Hebung des Curortes 
zum Ehrenbürger ernannt. — Die Verdienste des Jubilars liegen nicht allein 
in seiner Zuverlässigkeit als Arzt und dem grossen Vertrauen, welches er 
sich bei seinen Patienten erworben hat, sondern auch in seinen wissenschaft¬ 
lichen Bestrebungen, die in einer Reihe werthvoller und anerkannter Publi- 
cationen zum Ausdruck gelangt sind. 

— Am 19. April starb zu Walchau in Böhmen Freiherr v. Löschner, 
Begründer des Franz Joseph-Kinderspitals in Prag. 

— Professor Dr. Francois de Chaumont, einer der hervorragendsten 
Hygieniker Englands, starb iu Netley (England). Das berühmte Handbuch 
der praktischen Hygiene von Parkes wurde von ihm in mehrfachen Auf¬ 
lagen neu herausgegeben. 

— Die Universität Bologna begeht am 12. Juni d. J. die Feier ihres 
800jährigen Bestehens. Die ganze gebildete Welt, besonders aber die 
deutsche, wird dem Verlauf der Feier mit Interesse folgen. Die Universität 
ist wohl die älteste der Welt. Sie soll aus der Rechtsschule des Kaisers 
Theodosius II. 425 n. Chr. entstanden sein und hat der Stadt, in der sie 
ihron Sitz hat, den ausgebreitetsten Ruf verschafft. 

— lieber Akromegalie. In der Sitzung der Klinischen Gesellschaft 
zu London vom 13. April beschrieb Mr. Godlee den Fall einer 41jährigen 
Dame, die ihn wegen Struma cysticum und dadurch entstandene Neuralgieen 
consultirt hatte. Sie hatte früher einmal einen Anfall von Rheumatismus 
gehabt, und die Menopause war mit 36 Jahren eingetreten. Von dieser Zeit 
an bemerkte sie einen Stimmwechsel, eine Schwellung der Gl. thyreoidea 
und verschiedener Knochen. Zur Zeit ist der Unterkiefer stark hyper¬ 
trophisch und seine Zähne entsprechen nicht mehr denen des Oberkiefers. 
Die kleinen Knochen der Hand und des Fusses haben an Volumen stark 
zugenommen. Ausserdem ist Kyphose und eine ziemlich ausgesprochene 
Hypertrophie der Clavikeln und aller Knochenvorsprünge der Extremitäten 
vorhanden, die langen Röhrenknochen scheinen normal zu sein. Die Ohr¬ 
knorpel, wahrscheinlich auch die Nasen- und Kehlkopfknorpel sind verdickt 
und indurirt. Die Kranke ist mager, schwitzt viel, die Kräfte nehmen ab. 
Die Zunge ist sehr volumiuös, die Stimme rauh, monoton. Geruch und Ge¬ 
schmack sind beeinträchtigt, die übrigen Sinnesfunctionen normal. Der Puls 
ist rasch, Temperatur normal. Im Urin weder Zucker noch Albumen. Die 
Herren Hadden und Bailance haben einen Fall von Akromegalie seit 
3 Jahren iu Beobachtung, die Symptome sind dieselben wie die von Godlee 
beschriebenen, nur ist die Thyreoidea atrophirt und keine Kyphose vor¬ 
handen, dagegen war das Sehvermögen rechts aufgehoben, der Opticus atro¬ 
phirt. Der iu mehreren Fällen von Akromegalie constatirte Verlust des 
Sehvermögens scheint von einer Hypertrophie der Zirbeldrüse herzukommen 
mit Compression der Tractus optici oder des Chiasma. In drei oder vier 
derartigen Fällen, die zur Sectiou tarnen, hat man Schwellung der Zirbel¬ 
drüse eon.itatirt. Auch Mr. Wilks hat einen ähnlichen Fall bei einer 
28jährigen Frau beobachtet, deren Symptome einen Zirbeldrüsentumor an¬ 
zudeuten scheinen. Virchow hat vor langer Zeit darauf, aufmerksam ge¬ 
macht, dass zwischen der Thyreoidea und Zirbeldrüse eine gewisse Analogie 
besteht. Sir W. Gull hat die gleiche Bemerkung in Bezug auf die Zirbel¬ 
drüse und die Nebennieren gemacht. Es ist von Interesse, dass die Störungen 
dieser drei Organe von verschiedenen Ernährungsstörungen begleitet sind. 
Auch Mr. Godlee hat bei drei Sectionen von Akromegaliekranken Volums- 
znnnhmc der Schilddrüse constatirt. 


— Eine ebenso eigenthümliche wie ergötzliche Frage wurde vor Kurzem 
in London vor dem Gerichte verhandelt, welche nach dem Bericht eines 
englischen Collegen im Boston med. and surgical Journal vom 22. März d. J. 
veröffentlicht wird. Ein Londoner Arzt hatte eine zwar reiche, aber wenig 
intelligente Dame vor 2 Jahren längere Zeit an einem hartnäckigen nervösen 
Leiden des Gesichts und Kiefers behandelt, ohne ihr zu helfen. Bei ihrem 
Abgänge von London nach der Provinz consultirte sie ihn öfter schriftlich, 
und als die Behandlung schliesslich erfolglos blieb, der Ar/.t das Leiden 
für Hypochondrie hielt, so antwortete er der Kranken, dass seine Hilfs¬ 
quellen erschöpft seien uud, dass seiner Meinung nach Tempus edax re rum 
als einziges Heilmittel übrig bleibe. Mit diesem Brief begab sie sich sofort 
zum Droguisten der Provinzialstadt und verlangte von dem auwesenden Ge¬ 
hilfen das darin enthaltene Mittel, das ihr für einen hohen Preis aus einer 
Flasche gereicht wurde. Auf derselben vermerkte der schlaue Betrüger den 
Namen der Käuferin, liess sie oft wiederkommen und längere Zeit dieses 
Mittel gebrauchen, gegen jedesmalige Bezahlung von 7 Shilling (etwa 15 Mk.). 
Dies dauerte 1‘/a Jahr, bis die Dame zur Jubiläumsfeier im vorigen Jahre 
nach London kam und mit ihrem Arzte zusammentraf, dem sie für das ihr 
zuletzt geratheno Mittel, welches sie hergestellt, dankte. Erstaunt über den 
Betrug und neugierig, was der Gehilfe gereicht haben mochte, wandte sich 
der Arzt an den Besitzer des Geschäfts, erfuhr von demselben nur, dass 
nach Eintreffen des Briefes der Gehilfe das Weite gesucht, dass er, der 
Droguist, keine Kenntniss von dieser Angelegenheit besitze. Die Klage ist 
eingeleitet, obzwar die Dame, welche mehrere Jahre leidend, für Medicin 
allein 40000 Mk. verausgabt, jetzt auf eigenthümliche Weise geheilt ist. 

— Cholera. In der Stadt Bombay sind in der Zeit vom 29. No¬ 
vember v. J. bis zum 22. März d. J. den amtlichen Nachweisen zufolge nur 
12 Choleratodesfälle bekannt geworden, während für die letzten fünf Jahre 
in demselben Zeitraum durchschnittlich 89 Choleratodesfälle nachgewiesen 
worden sind. (Veröff. d. K. Ges.-A.) 

— Variola. Die Pockenepidemie in Havana war einem Berichte vom 
15. März d. J. zufolge in stetigem Abnehmen begriffen. Immerhin betrug 
auch im Februar die Zahl der Todesfälle nach der von Dr. de la Guardia 
veröffentlichten Statistik noch 128, so dass von Anfang Mai v. J. bis Ende 
Februar d. J. im Ganzen 2056 Personen der Krankheit erlegen sind. — In 
der Stadt Santiago war die Epidemie gegen Mitte Februar erloschen. Auch 
in den ländlichen Bezirken von Santiago sind im Januar nur noch ganz ver¬ 
einzelte Erkrankungen vorgekommen. In Cienfuegos sind dagegen noch 
im Februar 504 Erkrankungen und 155 Todesfälle an Pocken bekannt ge 
worden. 

— Universitäten. Halle a./S. Der Kreisphysikus des Saalkreises, 
Sanitätsrath Dr. Otto Riesel, habilitirte sich als Docent für Staatsarznei¬ 
kunde. — Wien. Die Habilitation des Herrn Dr. R. Paltauf als Privat- 
docent für pathologische Anatomie, erhielt die Bestätigung des Unterrichts¬ 
ministeriums. — Lille. Dr. Trachet wurde zum Leiter der geburtshilf¬ 
lichen Klinik ernannt. — Warschau. Der ausserordentliche Professor der 
operativen Chirurgie au der Universität Warschau Dr. A. Tauber ist zum 
ordentlichen Professor ernannt worden. Dr. Al. Sadowen hat sich eben¬ 
daselbst als Privatdocent für allgemeine Pathologie habilitirt. 


XY. Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergaädigst 
geruht, dem Geh. Med.-Rath und ordentlichen Professor der Chirurgie Dr. 
Roser in Marburg den Rothen Adler-Orden II. CI. mit Eichenlaub, dem 
praktischen Arzt San.-Rath Dr. Moll zu Neumarkt den Rothon Adler-Orden 
IV. CI., dem bisherigen ordentlichen Professor an der Universität zu Strass¬ 
burg Dr. Kuss maul in Heidelberg den Stern zum Kgl. Kronen-Orden II. CI. 
und dem Ober-Stabsarzt I CI. a. D. Dr. Juzi, bisher Regts.-Arzt des Inf.- 
Regts No. 137 in Hagenau, den Kgl. Kronen-Orden III. CI. zu verleihen, 
sowie dem Ober-Stabsarzt II. CI, Regts.-Arzt des Westfäl. Kürassier-Regts. 
No. 4, Dr. Lindemann in Münster die Erlaubniss zur Anlegung des Ehren¬ 
ritterkreuzes H. CI. des Grossherzogi. Oldenburgischen Haus- und Verdienst¬ 
ordens Herzogs Peter Friedrich Ludwig zu ertheilen. 

Ernennungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht, 
den seitherigen ordentlichen Prof. Dr. Hertwig in Jena zum ordentlichen 
Professor in der medic. Facultät der Universität zu Berlin zu ernennen. 
Der Privatdocent Dr. Rosenbach in Breslau ist zum ausserordentlichen 
Professor der medicinischen Facultät der Universität zu Breslau ernannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Gottschalk in Golluow, 
Dr. Hennies in Göhren auf/Rg., Dr. Brewing und Dr. Burhenne iu 
Hannover, Dr. Schlueter in Hameln, Dr. Doruseifer in Büren, Hart- 
mann und Dr. Probeck in Runkel, Collischon uud Dr. Behagei von 
Flamerdinghe in Frankfurt am Main. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Fe Id manu von Frauendorf nach 
Bollinchen, Ass.-Arzt a. I). Dr. Sarganck von Gollnow nach Gülzow, Dr. 
Eschenhagen von Müncheberg nach Magdeburg, Dr. Dyes von Posen nach 
Hannover, Dr. Tewes von Sohlangen nach Paderborn, Stabsarzt a. D. Dr. 
Strippel von Wahlershausen nach Allendorf a./W., Dr. Hempel von Fels¬ 
berg nach Delmenhorst, Dr. Philippi von Hamburg nach Felsberg, Stabs¬ 
arzt Dr. Krause von Hanau nach Oranieustein, Ass.-Arzt Dr. Marsch von 
Potsdam als Stabsarzt nach Hanau, Stabsarzt Dr. Nagel von Greifswald als 
Ober-Stabsarzt nach Hofgeismar, San.-Rath Dr. Morschuetz von Coburg 
nach Wiesbaden, Dr. Becker von Freiburg i.'B. nach Homburg, Dr. Hoven 
von Falkenstein nach Schlebusch, Dr. Weinberg von Frankfurt &./M., Dr. 
de Bary von Greifswald nach Frankfurt u./M., Dr. Berliner von Dresden 
nach Biedenkopf, Dr. Riedel und Dr. Schultze von Aachen nach Jena. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Schroedter in Gollnow, Dr. 
Erdmann in Uersfeld, Geh. Sanitätsrath Dr. von Gustorf in Berlin. 

Vacante Stelle: Die Kreiswundarztstelle Merseburg. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld iu Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 19. 


10. Mai 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet Ton Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


L Ueber die Sackniere (Cystonephrosis) 1 ). 

Von Prof. Dr. E. Küster. 

M. H.! Der Name, welchen ich meinem Vortrage gegeben habe, 
wird Ihnen fremdartig klingen, so dass Sie vielleicht nicht ohne 
Weiteres vermuthen, dass darunter zwei Ihnen sehr wohlbekannte 
Namen verborgen sind, die Namen Hydro- und Pyonephrose. Man 
pflegt mit diesen Namen zwei als verschieden angesehene Krank¬ 
heiten der Nieren zu bezeichnen und in den Handbüchern für Nieren¬ 
krankheiten auch zuweilen getrennt zu besprechen, welche doch 
ihrer Entstehung und ihrem ganzen Wesen nach zusammengehören. 
Jeder, welcher mehrfach diese Leiden gesehen hat, wird wissen, 
wie selten es möglich ist, aus der Anamnese oder den Symptomen 
mit Sicherheit auf die Beschaffenheit des Inhaltes solcher Säcke zu 
schliessen. Gar häufig geschieht es, dass, wenn man aus dem guten 
Allgemeinbefinden des Patienten einen wässrigen Inhalt vermuthet 
hat, ein überraschend reicher Eitergehalt sich vorfindet; anderer¬ 
seits, wenn die Krankheit mit den Symptomen einer eitrigen Pyelitis 
begann, findet man gar keinen Eiter, sondern eine trübe wässrige 
Flüssigkeit. Schon G. Simon 2 ) bemerkt, dass höchst wahrschein¬ 
lich die Pyonephrose in die Hydronephrose übergeht, und ich muss 
mich dieser Ansicht durchaus anschliessen. Der ursprünglich eitrige 
Katarrh des Nierenbeckens wandelt sich in einen schleimigen Katarrh 
um, die Eiterkörperchen verfetten und zerfallen, so dass schliesslich 
nur noch eine trübe, schleim- und eiweisshaltige Flüssigkeit übrig 
bleibt, in welcher in seltenen Fällen grosse Klumpen sich finden, 
die aus Fibrin zusammengeballt sind und welche früheren Blutungen 
in den Sack ihren Ursprung verdanken (Fall 12). Umgekehrt kann 
unter Umstanden ein Sack mit wässrigem Inhalt sich in einen 
solchen mit eitrigem Inhalt umwandeln. Sind aber derartige Ueber- 
gänge möglich, so ist es ein unnöthiger Ballast, die Krankheit 
durch zwei verschiedene Bezeichnungen zu zerreissen. Das ist der i 
Grund, weshalb ich mir den Vorschlag erlaube, das Leiden mit dem 
zusamraenfassenden Namen der Sackniere oder Cystonepbrose zu be¬ 
zeichnen. 

Die Beschäftigung der Chirurgen mit dieser Krankheit ist ver- 
hältnissmässig neu; sie datirt, abgesehen von vereinzelten und meist 
in Folge unrichtiger Diagnosen angestellten Versuchen, in bewusster 
Weise erst von der Zeit au. als Gustav Simon im Jahre 1876 den 
zweiten Theil seiner klassischen „Chirurgie der Nieren“ herausgab. 
Seitdem sind allerdings ganz erhebliche Fortschritte, insbesondere 
in therapeutischer Hinsicht gemacht worden, so dass ich es wohl 
aussprechen darf, dass es nicht viele schwere Erkrankungen .des 
menschlichen Körpers giebt, welche sich dem Messer gegenüber 
so dankbar erweisen, als gerade die Sacknieren. Ein kurzer Ueber- 
blick über meine eigenen Resultate und Erfahrungen wird diese 
Behauptung rechtfertigen. Seit dem Jahre 1883 habe ich 13 Sack¬ 
nieren operativ behandelt (5 im Augusta-Hospital, 8 in der Privat¬ 
praxis), davon nicht weniger wie 8 nur im verflossenen Jahre. Von 
diesen 13 Fällen ist einer (Fall 8) an Urämie bei gleichzeitiger Er¬ 
krankung der anderen Niere gestorben, ein zweiter nach längerer 
Zeit an Tuberculose, welche nicht die Nephrotomie, sondern die 
Nephrectomie indicirt hatte; 2 sind unvollkommen geheilt, und 
zwar ist in einem Falle seit nunmehr 4 Jahren eine Fistel geblieben, 
in einem 2. Falle nach vollkommener Heilung der Wunde noch ein 
Nierenbeckeukatarrh vorhanden. Ein weiterer Fall ist noch in Be¬ 
handlung. 8 aber sind vollkommen und dauernd geheilt worden. 

*) Nach einem Vortrage in der Berliner medicinischen Gesellschaft. 

2 ) Simon, Chirurgie der Nieren II p. 178. 


Es liegt mir nun daran, zunächst zur Aufhellung eines Punktes 
in dem Krankheitsbilde dieser Schwellungen beizutragen: ich meine 
die Art der Entstehung der Sacknieren. Wir kennen gewisse Zu¬ 
stände, welche ziemlich häufig zur Entstehung einer Secretstauung 
in der Niere mit oder ohne gleichzeitige Eiterabsonderung führen. 
Das ist in erster Linie die Steinbildung im Nierenbecken. Unter 
meinen 13 Fällen sind 4 Mal Steine im Nierenbecken gefunden, in 
einem 5. und 6. Falle sind vor und selbst nach der Operation so 
häufig kleine Steine mit dem Harn entleert, dabei so häufig Nieren¬ 
koliken, selbst mit vollständiger Auurie vorhanden gewesen, dass 
auch hier die Steinbildung zweifellos in einem ursächlichen Zu¬ 
sammenhang mit dem Auftreten der Sackniere steht. Freilich sind 
wir nur selten im Stande, diesen Zustand sicher zu diagnosticiren. Wir 
können ihn vermuthen, wenu häufig Steine abgegangen sind, wenn 
neben Schmerzen in der Nierengegend sich Eiter und zuweilen Blut 
im Urin vorfinden; aber die zweifellose Diagnose konnte ich vor 
der Operation nur im Fall 8 stellen. Man fühlte in der linken 
Nierengegend eine Geschwulst, welche bei Druck auf einen lateral- 
wärts vom langen Rückenstrecker gelegenen Punkt ein deutliches 
Reiben erkennen liess, wie wenn man Sandsteinstücke an einander 
verschöbe. Eine an diesem Punkte von der Haut her eingestossene 
Hohlnadel entleerte trübe Flüssigkeit, liess aber zugleich mit grosser 
Deutlichkeit das Vorhandensein eines weichen Steines erkennen. 

In zweiter Linie sind es narbige Verengerungen in den Ure- 
teren, welche ein solches Leiden herbeiführen können. Diese Zu¬ 
stände sind offenbar sehr selten; doch liess sich in Fall 9 mit 
Sicherheit eine solche Narbe nachweisen. 

Ich übergehe diejenigen Harnstauungen, welche durch Neubil¬ 
dungen in der Blase oder durch Druck von aussen auf den Harn¬ 
leiter zu Stande kommen; nur eine Gruppe der letzteren muss ich 
erwähnen, nämlich diejenigen Harnstauungen, welche durch den 
Druck des schwängern Uterus zu Stande gebracht werden. Schon 
v. Bergmann 1 ) hat darauf hingewiesen, dass man bei Schwan¬ 
geren, welche eklamptisch sterben, wiederholt Erweiterungen der 
Harnleiter und der Nierenbecken gefunden hat; auch gehören Nieren¬ 
beckenkatarrhe in der Schwangerschaft zu den häufiger beobach¬ 
teten Erscheinungen. Unter meinen Fällen befindet sich einer 
(No. 11), in welchem die Sackniere sich, freilich nachdem vor Jahren 
allerlei Symptome auf Erkrankung des Nierenbeckens hingewiesen 
halten, uuter Fiebererscheinungen schon in den ersten Schwanger¬ 
schaftsmonaten entwickelte und noch während der Gravidität zur 
Operation zwang. Alles dies ist ohne Weiteres begreiflich, nicht 
aber, dass nach Ausstossung der Frucht die Sackniere sich nicht 
immer verliert, sondern ein dauernder Zustand wird. Dies führt 
uns unmittelbar zu dem Gegenstände, den ich zur Erörterung brin¬ 
gen möchte. 

Bei dem grössten Theil nämlich aller Fälle von sackiger Er¬ 
weiterung der Nierenbecken wird weder bei der Operation, noch 
auch bei einer etwaigen Section ein eigentliches Hinderniss gefun¬ 
den. Der Eingang in den Harnleiter kann freilich klein, zuweilen 
auch schlitzförmig sein, aber er ist offen nnd lässt Instrumente 
ohne jede Schwierigkeit von beiden Seiten her hindurchtreten. 

Dies Verhalten hat seit langer Zeit die Aufmerksamkeit der 
Beobachter erregt. Virchow' 2 ) war meines Wissens der erste, 
welcher darauf aufmerksam machte, dass hier eigenthümliche Klappen 


l ) v. Bergmann. Ueber Nierenexstirpationen. Verhandl. der ßerl. 
med. Ges. Bd. XVI, 2 Th. p. 256. 

8 ) Virchow. Geschwülste 1. p. 268. 


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vorhanden seien, bedingt durch eine Faltenbildung der Wand in 
Folge eines schiefen Ursprunges des Harnleiters aus dem Nieren¬ 
becken. Es würde sich dann also um angeborene Abweichungen in 
der Bildung dieser Organe handeln. Dieser Anschauung schliesst 
sich im Wesentlichen auch Cohnheim 1 ) an. Nach Virchow hat 
G. Simon 2 ) diese Verhältnisse besonders eingehend untersucht und 
besprochen. Er kommt zu dem Schluss, dass doch in den meisten 
Fällen dieser Art nicht ein angeborener Formfehler vorliege, sondern 
dass es sich um ein erworbenes Leiden handle: die spitzwinklige 
Einsenkung des Harnleiters sei erst eine Folge der Hydronephrose, 
nicht die Ursache derselben. Durch die Ausdehnung des Nieren¬ 
beckens, welche der entgegenstehenden Hindernisse wegen nur nach 
vorn und aussen stattfinden könne, erleide die Niere eine Drehung 
um ihre Längsachse in der Weise, dass der Ureter mehr an die 
Vorderseite des Sackes gelange; auf diese Weise werde die Ein¬ 
senkung eine schiefe und werde bei wachsender Geschwulst die 
Compression des Harnleiters immer vollständiger. Hier ist also die 
Ausdehnung das primäre, die Faltenbildung das secundäre Moment, 
und, um diese Ausdehnung zu erklären, greift Simon zu der An¬ 
nahme einer zeitweiligen Verstopfung des Harnleiters, etwa durch 
einen Stein. Diese beiden Erklärungen kann ich nicht umhin für 
die im späteren Leben auftretenden Sacknieren als ungenügend zu 
bezeichnen. Was zunächst die Virchow’sche Annahme betrifft, so 
steht sie mit meinen. Erfahrungen im unlösbaren Widerspruch. 
Handelte es sich um angeborene Abweichungen, so könnten dieselben 
nach der Eröffnung des Nierensackes nicht verschwinden, es müsste 
also eine permanente Fistel übrig bleiben. Das scheint allerdings 
eine ziemlich verbreitete Annahme zu sein; wenigstens spricht 
v. Bergmann (a. a. 0.) sich in diesem Sinne aus. Nun habe ich 
unter 11 Fällen, welche die Operation genügend lange überstanden, 
nur einmal eine Fistelbildung gesehen, abgesehen von einem noch 
in Behandlung befindlichen Fall, während die übrigen 9 in ver- 
hältnissmässig kurzer Zeit, gewöhnlich in etwa 6 Wochen, vollständig 
und dauernd heilten. Damit ist die erwähnte Annahme, meines 
Erachtens, zur Unmöglichkeit geworden. Mit der Erklärung Si¬ 
mon’ s dagegen würden meine Erfahrungen gut vereinbar sein; 
denn wenn bei aufgehobenem intrarenalem Druck die Niere in ihre 
alte Lage zurückkehrt und der Sack schrumpft, so hört damit die 
spitzwinklige und schlitzförmige Verziehung des Harnleiters auf, es 
sei denn, dass Verwachsungen mit der Kapsel das Organ in seiner 
Lage festhielten. Aber es muss doch überaus künstlich erscheinen, 
wenn man immer die Voraussetzung eines vorübergehenden Ver¬ 
schlusses des Harnleiters zu machen gezwungen ist, während in 
zahlreichen Fällen niemals Steine abgegangen sind, auch bei der 
Operation oder nach derselben solche nicht gefunden worden, oder 
wenn die von Cohnheim vorausgesetzten Knickungen und fehler¬ 
haften Insertionen sich, wie so häufig, erst im späteren Leben be¬ 
merkbar machen sollten. Alle diese Fälle haben nur eins ge¬ 
meinsam: das zeitweilige Auftreten von Eiter im Harn im Beginn 
der Krankheit, und in diesem Symptom müssen wir den Schlüssel 
der Entstehung suchen. Ein Nierenbeckenkatarrh ist nicht ohne 
erhebliche Schwellung der gesammten Schleimhaut denkbar, durch 
welche die Lichtung der Harnleitermündung verengert werden muss. 
Bei reichlicher Urinabsonderung, insbesondere nach der Aufnahme 
reichlicher Getränke, wird sich deshalb leicht ein Missverhältnis 
ausbilden können zwischen der Secretmenge und dem Umfange der 
abführenden Wege: es werden also Stauungen sich entwickeln 
müssen. Sobald aber der intrarenale Druck vermehrt ist, wird die 
geschwollene Schleimhaut, welche auf ihrer Unterlage beweglich 
ist, nach der Richtung des Abflusses verschoben werden in ähn¬ 
licher Weise, wie wir das bei dem Einklemmungsmechanismus der 
Hernien von der Darmschleimhaut annehmen, und es wird so direkt 
eine Falte gebildet, die ein immer wachsendes Hinderniss für den 
Urinabfluss darstellt. Erst wenn die Ausdehnung einen gewissen 
Grad erreicht hat, dann kann die von Simon vorausgesetzte Lage¬ 
veränderung des Organs den Abschluss vervollständigen, ja sogar 
eine unmittelbare Compression des Harnleiters durch die Geschwulst 
stattfinden. Ob dann ein ziemlich eiterfreies, oder mehr eiter¬ 
haltiges Secret sich ansammelt, das hängt einzig von dem Grade 
der Entzündung ab, in welchem die Schleimhaut des Nierenleiters 
und der Nierenkelche sich befindet. 

Soll bei einem so entstandenen Leiden die Behandlung keine 
Irrwege einschlagen, so muss vor allen Dingen die Diagnose voll¬ 
kommen sicher gestellt sein. Dieser Forderung ist in den aller¬ 
meisten Fällen unschwer zu genügen. Ich wiederhole allerdings nur 
meist Bekanntes, wenn ich die diagnostischen Hülfsmittel aufzähle, 
allein ich glaube doch, dass eine Zusammenstellung derselben nicht 
ganz ohne Werth ist. Die differentielle Diagnostik hat zwei Auf¬ 
gaben zu erfüllen: erstens den Nachweis 'zu liefern, dass die Ge- 


*) J. Cohnheim. Allgemeine Pathologie Btl. II. S. 400. 
2 ) Simon a. a. 0. 


schwulst, welche man fühlt, der Niere angehört und zweitens die 
Natur des Leidens sicher zu stellen. Was die erste Aufgabe an¬ 
langt, so ist dieselbe anfänglich, d. h. bei mässigem Umfange der 
Geschwulst in der Regel leicht zu lösen. Der Tumor liegt in der 
Nierengegend oder lässt sich, wenn er etwas vornüber gesunken ist, 
leicht dahin zurückschieben, so dass er mit der einen Hand von 
vorn, mit der andern von der Lumbalgegend aus, dicht unter der 
12. Rippe zu fühlen ist. Die Beweglichkeit ist aber in der Regel 
gering, er zeigt auch bei tiefer Inspiration keinerlei Mitbewegung. 
Von einem Leber- oder Gallenblasentumor unterscheidet ihn schon 
das letztgenannte Symptom, zugleich aber der Umstand, dass fast 
ausnahmslos eine, wenn auch schmale tympanitische Zone zwischen 
ihm und der Leber vorhanden ist. Diese Zone pflegt aber bei sehr 
starker Vergrösserung der Geschwulst zu verschwinden; zugleich 
rückt der Tumor so weit gegen das Becken vor, dass er bei ober¬ 
flächlicher Untersuchung aus demselben aufgestiegen erscheint, was 
insbesondere bei Frauen gegenüber den Geschwülsten der inneren 
Genitalorgane beachtenswerth ist. Allein es dürfte nicht leicht 
geschehen, dass eine Sackniere sich gegen das kleine Becken hin 
nicht noch durch eine tympanitische Zone abgrenzen Hesse, während 
alle aus dem Becken aufsteigenden Geschwülste eine solche Ab¬ 
grenzung nicht erkennen lassen. Ein fundamentaler Unterschied 
aber gegenüber fast allen in der Bauchhöhle entstandenen Ge¬ 
schwülsten besteht in dem Verhalten der Dämpfung. Erstere legen 
sich mit wenigen Ausnahmen sehr bald der vorderen Bauchwand 
an, so dass sie der fühlbaren Kuppe entsprechend Dämpfung zeigen; 
die Nierentumoren dagegen weisen, mindestens in ihrer medialen 
Hälfte tympanitischen Schall auf. Besonders wichtig aber ist 
das Verhalten des auf- oder absteigenden Dickdarras, auf welches 
bereits Simon besonderen Nachdruck legte. Da die Nierenge¬ 
schwülste vorwiegend nach aussen und vorn wachsen, so müssen 
sie mit seltener Ausnahme hinter das Colon gelangen und dasselbe 
nach vorn oder nach vorn und einwärts drängen, so dass das Darm¬ 
stück in der Regel an der Vorderseite der Geschwulst nach ab¬ 
wärts läuft. Demnach ist die Lumbalgegend bis über die Axillar¬ 
linie nach vorn gedämpft, während alle intraperitonealen Geschwülste 
nicht nur den Dickdarm, sondern auch Dünndarmschlingen nach 
hinten drängen und deshalb die Lumbalgegend tympanitisch er¬ 
scheinen lassen. Nun kann es allerdings Vorkommen, dass der 
Dickdarm durch die grosse Geschwulst zusammengedrückt wird, so 
dass er durch Percussion nicht nachweisbar erscheint. Hat man 
Grund, ein solches Verhalten zu vermuthen, so besitzt man in der 
Aufblähung des gesammten Colon mit Luft ein ausgezeichnetes 
Mittel, um sich über die Lage des Eingeweides zu unterrichten. 
Diese Aufblähung ist leicht und schmerzlos vorzunehmen. Man 
führt in das Rectum, soweit dies ohne Schwierigkeit möglich, ein 
Schlundrohr und verbindet dies entweder mit einem Blasebalg oder 
besser mit einem Gummirohr, an dessen Ende ein Gebläse mit 
Doppelballon sich befindet, wie beim Handspray. Entweicht aus 
dem After Luft, so kann man denselben mit den Fingern zusammen¬ 
drücken; gewöhnlich bediene ich mich aber eines runden Papp¬ 
stückes, welches in der Mitte durchbohrt vor der Einführung des 
Schlundrohres über dasselbe gestreift und nach derselben fest gegen 
den After angedrückt wird. Während des Aufblasens des Darmes 
muss man genau den Bauch beobachten, um die Blähung nicht zu 
stark werden zu lassen. Man pflegt dann sehr schnell über die 
Lage des Darmes in’s Klare zu kommen. Durch dieselbe wird das 
Vorhandensein einer hinter dem Dickdarm gelegenen Geschwulst 
vollkommen sichergestellt. 

Von anderen Nierengeschwülsten unterscheidet sich die Sack¬ 
niere durch eine mehr oder weniger deutliche Fluctuation. Nur 
eine einzige Geschwulst kann weiterhin zu Verwechselungen Anlass 
geben, nämlich der Nierenechinococcus. Hier giebt nun die Probe- 
punction des Sackes von der Lumbalgegend her den entscheidenden 
Ausschlag, welche für gewöhnlich durch die wasserklare, eiweissfreie 
Flüssigkeit ohne Formelemente für den lebenden Echinococcus sehr 
leicht gemacht wird. Dass aber dem abgestorbenen und nicht ver¬ 
eiterten Echinococcus gegenüber Irrthümer möglich sind, habe ich erst 
ganz vor Kurzem erfahren müssen. Am 5. November v. J. operirte 
ich ein löjähriges, kräftiges Bauernmädchen wegen einer Nierencyste, 
welche ich für eine Sackniere nahm. Freilich war mir die durch 
Punction entleerte Flüssigkeit etwas auffällig gewesen. Sie sah 
dunkelgelb, fast wie dunkle Erbsensuppe aus, enthielt aber bei 
mikroskopischer Untersuchung keine Eiterkörper, sondern massen¬ 
haft fettigen Detritus, zahlreiche Körnchenkugeln und verfettete Epi- 
thelien, sowie einzelne Cholestearinkrystalle; weitere Formelemente 
wurden nicht aufgefunden. An einen Echinococcus konnte ich hier¬ 
nach nicht denken. Bei der Eröffnung von der Lumbalgegend her 
fand sich ein colossaler Sack, in dessen Wänden nur an einer Stelle 
noch ein schwacher Rest von Nierensubstanz vorhanden zu sein 
schien. Die Höhle war vollkommen von jener braungelben Flüssig¬ 
keit erfüllt, in welcher halbhandgrosse, feste, grauUche Membranen 


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schwammen, welche auf mikroskopischen Schnitten die bekannte 
concentrische Zeichnung der Echinococcusblase erkennen Hessen. 
Hier war der Irrthum dadurch entstanden, dass die absterbende 
Mutterblase des Hülsenwurms geplatzt, ihr Inhalt mit dem um¬ 
hüllenden Sack, offenbar dem erweiterten Nierenbecken, in Be¬ 
rührung gekommen war und sich deshalb mit den verfettenden Epi- 
thelien der Schleimhaut gemischt hatte — ein offenbar sehr unge¬ 
wöhnliches Verhalten. Uebrigens hat ein solcher Irrthum nichts zu 
sagen, da der Operationsplan, auch bei sicherer Diagnose, kein an¬ 
derer gewesen sein würde. Die Patientin hat eine ungestörte Ge¬ 
nesung durchgemacht und ist am 10. December geheilt entlassen. 
— Nebenbei muss ich über die Probepunction bemerken, dass die¬ 
selbe nicht immer ganz gefahrlos ist. Im Fall 11 fand ich, als ich 
20 Stunden nach der Punction die Nephrotomie vornahm, die 
Nierenkapsel von Urin infiltrirt; doch gelang es durch Wegschneiden 
des ganzen infiltrirten Gewebes den Schaden auszugleichen. Es 
wird daher wohl rathsam sein, die Punction erst dann vorzunehmen, 
wenn man bald hinterher zu operiren beabsichtigt. 

Ein Symptom, auf welches v. Bergmann (a. a. 0.) aufmerk¬ 
sam gemacht hat, bezieht sich nur auf Niereneiterungen bei ganz 
durchgängigem Harnleiter: ich meine die Möglichkeit, durch Druck 
auf die Geschwulst den Harn stärker eiterhaltig zu machen, als er 
es vorher gewesen war. Mir ist es bei der Sackniere mit eitrigem 
Inhalt nur einmal (Fall 13) gelungen, etwas Aehnliches zu beob¬ 
achten; doch dürfte das Symptom vielleicht häufiger verwerthbar 
sein, da der Abschluss des Sackes gegen den Harnleiter nicht 
immer vollkommen zu sein braucht. Das beweisen die abwechseln¬ 
den Entleerungen und Füllungen, welche in einzelnen meiner 
Krankengeschichten erwähnt sind (vgl. Fall 6). 

Wenden wir uns nunmehr der Behandlung des Leidens zu, 
so liegt es auf der Hand, dass nur von einem operativen Vorgehen 
Hülfe erhofft werden kann. Es kommen dabei zwei verschiedene 
Verfahren in Betracht, über deren Indicationen die Anschauungen 
noch recht weit auseinandergehen: die einfache Eröffnung des 
Nierensackes (Nephrotomie) und die Auslösung der ganzen ent¬ 
arteten Niere (Nephrectomie). Wie stellen sich diese Verfahren zu 
unserer Idealforderung an jede chirurgische Operation, dass dieselbe 
möglichst geringe Lebensgefahr bringe und den Kranken so voll¬ 
kommen wie möglich heile? Was zunächst die Nephrectomie an¬ 
belangt, so erfüllt dieselbe die letztgenannte Forderung vollkommen; 
denn übersteht der Kranke die Operation, so ist er ohne weitere 
Nachtbeile dauernd von seinem Leiden befreit. Dies Resultat muss 
freilich mit einer noch immer hohen Gefährlichkeit der Operation 
erkauft werden. Von drei Seiten her droht Gefahr. Erstens handelt 
es sich, insbesondere bei eitriger Sackniere, zuweilen um sehr er¬ 
schöpfte, heruntergekommene Menschen, welche den unvermeidlichen 
Blutverlust und andere entkräftende Momente nicht ertragen: sie 
sterben bald nach der Operation am Shok. Zweitens enthält die 
Sackniere fast ausnahmslos noch erhebliche Schichten secernirenden 
Nierenparenchyms, deren Ausfall, selbst wenn die andere Niere noch 
gesund zu sein scheint, nicht immer gut ertragen wird; sind aber 
gar schon Veränderungen mässigen Grades in derselben vorhanden, 
so stirbt der Patient unter urämischen Erscheinungen. Drittens 
können Verwachsungen mit dem Bauchfell vorhanden sein, dessen 
Eröffnung natürlich gleichfalls gewisse Gefahren birgt. So sehen 
wir denn, dass die Nephrectomie wegen entzündlicher Processe in 
der That noch einen hohen Mortalitätssatz giebt. Nach der Zu¬ 
sammenstellung von Brodeur 1 ) sind wegen Tuberculose, Hydro- 
nephrose und allen Arten von Niereneiterungen 124 Nephrectomieen 
gemacht mit 68 Todesfällen =46,77%. Diese Zahl übersteigt noch 
etwas den bei v. Bergmann angegebenen Procentsatz von 43,9% 
(32 Todesfälle unter 73 Operationen), jedenfalls ein Beweis, dass in 
neuester Zeit die Heilungsziffer noch keineswegs günstiger geworden 
ist. Dagegen geben die Nephrotomieen bei den gleichen Affec- 
tionen, unter denen sich übrigens eine nicht ganz kleine Zahl von 
unzweckmässigen Operationen findet, 30,55% Mortalität (72 Ope¬ 
rationen mit 22 Todesfällen). Meine eigenen Erfahrungen beziehen 
sich auf 14 Fälle (der oben erwähnte Fall von Nierenechinococcus 
mit eingerechnet), von denen nur einer = 7,14% in Folge der Ope¬ 
ration tödtlich endete, während ein zweiter nach längerer Zeit der 
Tuberculose erlag. 

Es würde hiernach gar keinem Zweifel unterliegen können, 
welche Operationsmethode man zu wählen hätte, wenn nicht das 
Bedenken der unvollkommenen Heilung, des Zurückbleibens einer 
Nierenfistel vorhanden wäre. Diese Sorge tauchte schon bei den 
ersten Nierenoperationen auf und hat sich bis in die neueste Zeit 
erhalten. Im Jahre 1881 theilte Czerny 2 ) den ersten Fall einer 


*) Brodeur. De l’intervention chirurgicale dans les affections du rein. 
Paris 1886. 

*) V. Czerny. Zur Exstirpation retroperitonealer Geschwülste. Verhandl. 
der deutsch. Ges. f. Chirurgie Bd. IX. (1881) p. 128. 


gelungenen Nierenexstirpation wegen Steinniere mit und knüpfte an 
den Fall folgende Betrachtungen: „Während der Operation bedauerte 
ich es lebhaft, den Stein erst so spät entdeckt zu haben, weil in 
der Theorie die Entfernung des Steines mit Erhaltung der Niere 
als die vollkommenere gelten muss. — Für den Patienten war es 
aber sicher ein Glück, dass ich sogleich die ganze Niere mitnahm, 
weil er sonst höchst wahrscheinlich für lange Zeit eine Nierenfistel 
behalten hätte, wenn nicht die Mischung von Urin und Wundsecret 
überhaupt sein Leben in Gefahr gebracht hätte. Es dürfte nur 
sehr schwer gelingen, den Schnitt im Nierenbecken nach Entfernung 
des Steines mit Erfolg zuzunähen“. Auch v. Bergmann (a. a. 0.) 
hat noch etwas Scheu vor der Nierenbeckenfistel nach Nephrotomie, 
welche nach der Zusammenstellung von Gross 1 ) 29,5% aller Ueber- 
lebenden zu Theil wird. Dennoch redet ersterer der Nephrotomie 
bis zu einem gewissen Grade das Wort, indem er treffend bemerkt, 
dass eine vorausgeschickte Nephrotomie die Nephrectomie nicht nur 
nicht hindert, sondern die Mortalität der letztem sogar ba auf 
9,30/o herabdrückt. Da nach meinen Erfahrungen, wenn icr» von 
dem noch in Behandlung befindlichen absehe, nur in einem Falle 
von 11 (9%) eine Nierenfistel geblieben ist, in einem Falle ausser¬ 
dem, der nach etwas anderer Methode operirt ist als alle übrigen, 
so halte ich mich zu dem Schluss berechtigt, dass bei jeder Form 
von Sackniere die Nephrotomie die einzig erlaubte Operation 
ist, dass aber höchst wahrscheinlich die Operationsmethode für 
den Erfolg von wesentlicher Bedeutung ist. 

Wir besitzen zwei Wege, um zu der erkrankten Niere zu gelangen, 
von der Bauchhöhle her und von der Lumbalgegend aus. Die Er¬ 
öffnung der Bauchhöhle hat, abgesehen von der erheblich grossem 
Gefahr, für die Nephrotomie noch den Nachtheil, dass das Secret 
bei dem liegenden Patienten schwerer nach aussen gelangt, sich 
leichter zersetzt und dadurch den schon vorhandenen Nierenbecken¬ 
katarrh unterhält. Wenn ich also auch zugebe, dass für die Stein¬ 
niere ohne sackige Erweiterung, wie es Thornton 2 ) mit allem 
Nachdruck fordert, sowie für gewisse Neubildungen der Niere 
der Bauchschnitt nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten sein 
kann, so muss ich ihn doch für die Sack nie re durchaus ver¬ 
werfen. Die Operation von hintenher ist bei letzterer so überaus 
einfach und leicht, dass man gar keine Ursache hat, einen andern 
Weg aufzusuchen. 

Wir kennen nun für die lumbale Nephrotomie verschiedene 
Schnittführungen, die ich hier kurz aufzählen und kritisiren muss: 

1. Der Simon’sche Schnitt 8 ) verläuft von der 11. oder 12. Rippe 
am äussern Rande des Muse, sacrolumbalis gerade nach abwärts 
bis zum Beckenrande. Er giebt am wenigsten Raum, demnach 
auch die mangelhafteste Uebersicht, fällt auf die Gegend des Hilus 
und erschwert deshalb die Untersuchung der mehr nach aussen ge¬ 
legenen Geschwulst ganz erheblich. 

2. Der Czerny’sehe Lendenschnitt 4 ) beginnt von der Spitze 
der 12. Rippe und geht, zunächst deren Längsachse entsprechend, 
dann im flachen Bogen schräg nach vorn und unten. 

3. Der retroperitoneale Lendenbauchschnitt nach König 5 ) be¬ 
ginnt an der 12. Rippe, läuft am äussern Rande der Rückenstrecker 
bis einige Centimeter oberhalb des Darmbeins, wendet sich danu 
im Bogen nach vorn in der Richtung des Nabels und endet am 
äussern Rande des Rectus oder gar erst am Nabel. Die durch¬ 
schnittenen Muskeln werden sofort in Fadenschlingen gefasst, um sie 
später wieder richtig zusaramenbringen zu können. Nach Bedürf- 
niss kann auch das Bauchfell an der Umschlagsfalte eröffnet werden 
(retro-intraperitonealer Lendenbauchschnitt). 

4. Der v. Bergmann’sche Schnitt 6 ) beginnt etwas über der 
Spitze der 11. Rippe und dem lateralen Rande des Latissimus dorsi 
und geht schräg nach abwärts und vorn bis zur Grenze des äussern 
und mittlern Drittels des Poupart’schen Bandes. 

Ich will vorweg bemerken, dass die drei letztgenannten Schnitt¬ 
führungen sämmtlich für grosse Nierengeschwülste in Frage kommen 
können und dass man dabei bald den einen, bald den andern als 
den vortlieilhafteren mag führen können. Indessen habe ich bisher 
noch keinen von ihnen, auch nicht für die Nephrectomie, nöthig 
gehabt, sondern bin stets mit dem weiterhin zu beschreibendeu 
Schnitt vortrefflich ausgekoromen. Speciell aber für die Nephrotomie 
machen sie eine unnöthig grosse Verwundung, machen die Gegend 
des Harnleiters schwer zugänglich und durchtrennen die Bauch wand 
an Stellen, an welchen sich gar gern Brüche entwickeln. Zwar 


*) Samuel W. Gross. Nephrectomy. Tbe American Journal of the 
Medical Sciences. July, 1885. 

*) Knowsley Thornton. Clinical society of London. Discussion on 
nephrolithotomy. The Lancet. Febr. 19. 1887. 

3 ) Simon. Chirurgie der Nieren. 

4 ) Czerny, a. a. 0. 

6 ) König. Centralbl. f. Chirurgie, 1886 No. 35. 

8 ) v. Bergmann. Exstirpation eines Beckenenchondroms etc. Deutsche 
med. Wochenschr. 1885 No. 42 u. 43. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 19 


giebt König au, dass die Naht der Muskeln sicher vor diesem Er¬ 
eigniss schütze; allein meine Erfahrungen mit der Muskelnaht an 
andern Stellen der Bauchwand haben das uicht bestätigt, da ich 
immer von Zeit zu Zeit Brüche entstehen sehe. Mindestens aber 
ist König genöthigt, seine Patienten nur wegen der Furcht vor 
einem Bruch länger im Bett zu lassen, als es ohnedies nöthig sein 
würde. 

Schon seit meiner ersten Nephrotomie im Jahre 1883 verwende 
ich folgendes Verfahren: 

Der Kranke liegt in halber Gesichtslage, während eine starke 
Rolle oder ein zusammengerolltes Kissen unter der gesunden Seite 
die kranke Lumbalgegend möglichst hervordrängt. Der Schnitt be¬ 
ginnt genau in der Mitte zwischen der 12. Rippe und dem Darm¬ 
beinkamm am äussern Rande des M. sacrolumbalis und wird dem 
Beckenraude parallel 10—12 cm horizontal nach auswärts geführt. 
Man durchtrennt mit wenigen Schnitten den lateralen Rand des 
Latijlimns dorsi, weiter auswärts die 3 Bauchwandmuskeln, wobei 
mcdiälwärts auch die Fascia lumbo-dorsalis mit dem äussern Rande 
des Quadratus lumborum etwas eingeschnitten wird, trifft danu auf die 
hier bereits sehr düune Fascia transversa und befindet sich nach deren 
Trennung sofort in der Niereukapsel. Die Blutung ist meist sehr gering, 
in der Regel sind nur 1—2 kleine Gefässe zu fassen. Der hintere Ast 
des ersten oderzweiten Lendennerven kreuzt gewöhnlich das Operations¬ 
feld und kann ohne Schaden durchschnitten werden. Nunmehr wird 
die Nierenkapsel in genügender Breite eröffnet und stumpf auch 
seitlich ein wenig abgelöst. Meist habe ich sodann ohne Weiteres 
die Niere eingeschnitten und den Inhalt abfliessen lassen, so dass 
die Operation in circa zwei Minuten bis zur Eröffnung der Niere 
geführt werden kann; indessen halte ich es doch für besser, wenig¬ 
stens in allen den Fällen, in welchen ein eitriger Inhalt vorhanden 
ist. die frische Wunde vor der Berührung mit demselben zu schützen, 
indem man den Inhalt zunächst durch einen Troicart entleert, dann 
die Wand spaltet und nun die Sackwand in der Mitte jedes Schnittes, 
sowie in den beiden Ecken durch je einen Seidenfaden an die 
Haut näht. Während zwei Assistenten durch Anziehen dieser 
Schlingen die Wunde möglichst klaffend erhalten, gehe ich mit der 
halben Hand in den Sack ein, während die andere Hand vom 
Bauche her den Sack nach hinten drängt. Auf diese Weise gelingt 
es fast immer, sämmtliche Punkte des Sackes genau abzutasten. 
Finden sich Scheidewände als Reste der Nierenkelche zwischen ver¬ 
schiedenen Abtheilungen der grossen Höhle, so zerreisse ich die¬ 
selben mit den Fingern, oder ich zerschneide sie mittelst eines 
Knopfmessers. Die Blutung ist stets sehr gering, da, wie Cohn¬ 
heim und später v. Bergmann bemerken, diese Nierenreste 
keineswegs zu Blutungen neigen, sondern vielmehr blass und 
anämisch sind. Besonders genau ist die Gegend des Harnleiters 
nach Steinen zu durchtasten. Findet sich ein solcher, so wird er 
sofort unter Leitung des linken Zeigefingers mit einer langen, ge¬ 
bogenen Zange ausgezogen. Schwierigkeiten macht eine solche 
Steinextraction nur dann, wenn der Stein im Anfangstheil des 
Harnleiters eingekeilt ist, oder wie eine zackige Koralle das Nieren¬ 
becken nnd die Kelche erfüllt. Im ersteren Falle versucht man ihn 
mittelst eines Hebels aus seiner Lage zu bringen, im letzteren Falle 
muss man ihn zu zerbrechen suchen. Ist der Stein aber sehr 
weich, so zerbricht er schon unter den Fingern und sind dann die 
einzelnen Stücke in den verzogenen Kelchmündungen oft nicht 
leicht zu finden; es ist deshalb ein Auftrennen und Erweitern dieser 
Mündungen durchaus geboten. Zerbricht der Stein in lauter kleine 
Stücke, so geliugt es noch am besten mit dem grossen Simon’schen 
Löffel oder einem Blasensteinlöffel, natürlich ohne Anwendung von 
Gewalt, die Trümmer herauszubefördern. — Ist ein Stein nicht zu 
fühlen, so sucht man sich die Harnleitermündung auf, um dieselbe 
zu sondiren. Das ist indessen nicht immer möglich, da, wie oben 
auseinandergesetzt, die Mündung oft so verzogen und verdeckt 
liegt, dass es trotz aller Mühe nicht gelingt, sie zu fühlen. Findet 
mau sie aber auf, so ist es zweckmässig, sie zu sondiren, wofür die 
von J. Israel angebene elastische Sonde mit einem Metallknopf 
ein sehr brauchbares Instrument ist. Ueber die Möglichkeit, einen 
im Ureter steckenden Stein durch Ablösung des Canals mit den 
Fingern von hintenher nach aufwärts zu drängen, habe ich keine 
eigene Erfahrung. 

Sind in dieser Weise die Verhältnisse klar gestellt, so nähe 
ich mit fortlaufender Catgutnaht die Oeffnung des Nierensackes 
rings an die Haut, spüle den Sack aus, fülle ihn locker mit Jodo¬ 
form- oder Thymolmull und verbinde mit Auflegung einiger grosser 
Moossäckchen, welche eine Menge Secret aufzunehmen im Stande 
sind. — Der Verlauf pflegt nun so zu sein, dass zunächst sämmt- 
liches Secret durch die Wunde abfliesst, so dass der Verband öfter 
gewechselt werden muss; bald aber lässt dieser Ausfluss nach, in¬ 
dem ein Theil des Urins seinen Weg durch den Harnleiter sucht, 
was sich durch Trübung und Eitergehalt des bisher klaren Secrets 
der anderen Niere erkennen lässt. Diese Nierenfistel besteht längere 


Zeit; dann pflegt sie langsam zu versiegen, die Narbe zieht sich 
mehr und mehr ein, es bleibt noch eine granulirende Stelle, welche 
endlich auch vernarbt. Der Sack ist offenbar vollkommen ge¬ 
schrumpft, da die Niere späterhin nicht mehr durchzufühlen ist. 

Bei den ersten Fällen, welche ich operirte, hatte ich es als ein 
wünschenswerthes Ereigniss angesehen, wenn der Sack möglichst 
schnell schrumpfte und die Fistel sich schloss; späterhin indessen 
bin ich eines Besseren belehrt worden. Besteht zu der Zeit, wo 
der Urin seinen Weg wieder durch den Harnleiter gefunden hat, 
noch ein auch nur mässiger eitriger Nierenbeckenkatarrh, so 
bessert sich derselbe nicht nur nicht immer bei dem Schluss der 
der Fistel, sondern er nimmt zuweilen wieder zu uud die Kranken 
behalten, wenn sie auch von der lebensgefährlichen Krankheit einer 
Sackniere befreit sind, immerhin ein sehr lästiges, gelegentlich 
schmerzhaftes und ihren Körper langsam untergrabendes Uebel, auf 
welches fernerhin nur sehr schwer einzuwirken ist. Die einzig 
wirksame Behandlung der Pyelitis ist eben nur zu der Zeit möglich, 
wo das Nierenbecken von aussen zugänglich ist, und diesen Zeit¬ 
punkt darf man nicht verpassen. Daher empfehle ich, sobald die 
Wunde sich einzuziehen beginnt, Ausspülungen des Nierenbeckens 
nicht nur mit desinficirenden, sondern mit adstringirenden Mitteln; 
insbesondere werden schwache Höllensteinlösungen (0,2—0,5:100) 
gut ertragen. Zieht sich die äussere Wunde mehr zusammen, so 
muss man ein fingerdickes Drain einlegen, wobei nur darauf zu 
achten ist, dass dasselbe nicht die gegenüberliegende Wand berührt 
uud dieselbe reizt. Durch dies Rohr werden die Einspritzungen 
so lange fortgesetzt, bis der Blasenurin fast vollkommen klar ge¬ 
worden ist; ein leicht flockiger Chlorsilberniederschlag darf aller¬ 
dings nicht täuschen. Erst dann wird das Drain allmählich ver¬ 
engert uud endlich ganz fortgelassen; der Verschluss pflegt dann 
nicht lange auf sich warten zu lassen. Die Heilung dauert auf 
diese Weise allerdings etwas länger, aber sie ist entschieden sicherer. 
Ich möchte hieran die Frage knüpfen, ob die operative Eröffnung 
des Nierenbeckens nicht schon bei hartnäckiger eitriger Pyelitis 
anwendbar ist, einer Krankheit, welche gar häufig allen inneren 
Mitteln trotzt, ein langes Siechthum herbeiführt und in der Regel 
späterhin zur Bildung einer Sackniere Veranlassung giebt. Erfahrung 
habe ich über so frühzeitige Nephrotomieen freilich nicht; allein 
die relative Ungefährlichkeit des Eingriffes möchte doch in Zukunft 
ein solches Verfahren rechtfertigen. 

Wenn ich noch eiuraal mit einigen Worten auf die von mir 
gewählte Schnittführung zurückkommen darf, so möchte ich behaupten, 
dass dieselbe leichter, einfacher und weniger verletzend ist, wie 
jede andere, welche die Bauchwand bis aufs Peritoneum weiter 
nach vornhin durchtrennt. Das gilt nicht nur für die Nephrotomie, 
sondern auch für die Nephrectomie. Ein grosses Sarkom der linken 
Niere entfernte ich auf diese Weise und kann versichern, dass die 
Operation überraschend leicht und einfach sich gestaltete; dass der 
Schnitt aber auch den denkbar schwierigsten Verhältnissen ge¬ 
wachsen ist, zeigt nachfolgende Krankengeschichte, die ich hier mit¬ 
theile, da ich sowohl den Patienten vorzustellen, als das Präparat 
vorzulegen im Stande bin. 

Tuberculöse Abscesse der linken Niere. Vergebliche 
Nephrotomie an zwei Stellen. Nephrectomie. Heilung. Wal¬ 
demar W., 38 Jahre, Fabrikant aus Lodz in Polen, wurde mir am 1. Octo- 
ber 1887 durch Herrn Dr. Krusche in Lodz zugewiesen, welchem ich die 
nachfolgende Anamnese verdanke. Patient stammt von gesunden Eltern, 
hat vier Geschwister, von denen ein jüngerer Bruder zur Zeit lungenkrank 
ist, die übrigen sind gesund. Ausser an einer Gonorrhoe vor ca. zehn 
Jahren will Patient nie krank gewesen sein. Der früher sehr corpulente 
Mann magerte im vergangenen Jahre (1886) in sehr rapider Weise ab: er 
fieberte in Temperaturen zwischen 38—39° C., ohne dass die Ursache des 
Fiebers aufzufinden gewesen wäre. Erst im April d. J. wurde ein von der 
linken Niere ausgehender Tumor nachgewiesen, welcher medianwärts bis 
zum äusseren Rande des M. rectus abdominis, nach unten bis zwei Quer¬ 
finger breit über dem Poupart’schen Bande, nach oben bis zur achten 
Rippe reichte. Durch Probepunction wurde Eiter aus demselben entleert: 
auch war der Harn stark eiterhaltig und übelriechend. — Am 19. April 
wurde von einem Lumbalschnitt aus die Entleerung des Eiters versucht, 
wobei es sich aber zeigte, dass die ganze Niere von einer Unmenge von 
Abscessen verschiedener Grösse durchsetzt sei, die durch fingerdicke Wände 
von einander getrennt waren. Es gelang nur, einen kleinen Theil dieser 
Abscesse zu eröffnen, so dass auch späterhin noch mehrere indieirt werden 
mussten. Zu den am meisten medianwärts gelegenen Eiterhöhlen konnte 
man indessen von dem Lumbalschnitt aus nicht gelangen, weshalb von vom 
her eingegangen und so die letzten (?) Abscesse eröffnet wurden. Der 
entleerte Eiter roch überaus fötid. Die eröffneten Abscesshöhlen verklei¬ 
nerten sich allmählich, jedoch nicht viel. Sie entleerten sich auch unge¬ 
nügend, da eine ausreichende Drainage nicht durchzuführen war. Der Urin 
nahm langsam eine normale Beschaffenheit an, blieb jedoch in der Quantität 
hinter der Norm zurück. (1000—1300 ccm täglich.) 

Da eine Besserung des Zustandes nach monatelangcr Behandlung nicht 
zu erwarten schien, der Patient auch mehr und mehr abmagerte, so schickte 
Herr I)r. Krusche den Patienten nach Berlin. 


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10. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 373 


Am 3. October 1887 untersuchte ich den Kranken, einen ziemlich 
blass und elend aussehenden, mageren Mann. Zunge feucht. Puls leidlich 
kräftig; in den Lungen nichts Abnormes. Urin 1400 ccm, klar, goldgelb, 
enthält weder Eiweiss, noch andere abnorme Bestandteile. In der linken 
Niereugegend befindet sich eiu doppelt mannsfaustgrosser, undeutlich fluc- 
tuirender Tumor, in welchen zwei kleinfingerdicke Fisteln führen, aus denen 
sich auf Druck reichlich jauchiger Eiter entleert. Die eine Fistel Hegten 
der Mitte zwischen zwölfter Rippe und Beckenrand, handbreit vom äusseren 
Rande des linken Sacrolumbalis entfernt, die andere in der Mitte zwischen 
der ersten und dem Nabel. Durch Irrigator und Sonde lässt sich eine Ver¬ 
bindung beider Fisteln nachweisen. Fistelränder eingezogen und an der 
Geschwulst verhärtet. Nach vorn hin, medianwärts von der vorderen Fistel, 
ist der Percussionsschall über der Geschwulst tympanitisch. 

4. October Operation. Die hintere Fistel wird erweitert durch An¬ 
legung eines Flankenschnittes bis zum äusseren Rande des Sacrolumbalis. 
Nach Freilegung der Niere werden mehrfach Probepunctionen gemacht, 
allein mit negativem Erfolge. Der in die erweiterte Nierenfistel eingeführte 
Finger dringt in ein System von Höhlen, deren Scheidewände stumpf zer¬ 
rissen werden, und aus welchen sich ein sehr dicker, schmieriger, schwefel¬ 
gelber Eiter entleert. Sofort wurde der Verdacht laut, dass es sich um 
eine Nierentuberculose handele, und, da diese Abscesse die ganze Niere zu 
durchsetzen schienen, da ausserdem die andere Niere sicher ganz gesund 
war (der Blasenurin konnte zweifellos nur von der rechten Niere stammen), 
so entschloss ich mich unverweilt zur Nierenexstirpation. Der Schnitt wird 
bis zur vorderen Fistel erweitert, die Bauch wand durchtrennt und dabei, 
wie erwartet, das Bauchfell eröffnet. Die Oeffnung wird sofort mit einem 
Schwamm zugedrückt erhalten und nunmehr an die Ausschälung des Or¬ 
ganes gegangen. Dieselbe war ungemein schwierig wegen der massigen 
Narben um die beiden Fisteln herum, so dass das Bauchfell noch an zwei 
weiteren Stellen durchrissen wurde, welche ebenfalls durch Schwämme zu¬ 
gehalten werden mussten: die Blutung indessen war massig. Endlich war 
die Niere bis auf einen vier Fing. r breiten Strang aus ihrer Nische gelöst 
und hervorgezogen. Bei dem Versuche, diesen Strang vorsichtig bis auf 
die Gefässe zu durchtrennen, wurde die Arterie verletzt, aber augenblicklich 
in eine Klemme gefasst, darauf der Rest des Stieles mit einem Scheeren- 
schlage durchtrennt. Nun folgte die Naht der Einrisse in’s Bauchfell, von 
denen einer hart am Rande des Colon descendens herunterlief, mit fort¬ 
laufenden Catgutnähten, nachdem vorher die lleberzeugung gewonnen worden, 
dass weder Blut noch Eiter durch diese Risse in die Bauchhöhle einge¬ 
drungen, dann die isolirte Unterbindung der Nierenarterie und Vene. 
Die grosse Wunde wurde mit Jodoformmull tamponirt und bis auf einen 
breiten Wundwinkel mittelst der Naht geschlossen. Während der l 1 /*stän¬ 
digen Operation war der Radialpuls etwas gesunken, aber deutlich fühlbar 
geblieben; zum Schlüsse wurden einige Campherinjectionen verabreicht. 

5. October. Patient hat wenig erbrochen, ist völlig klar und hat 116, 
leicht unterdrnckbare, aber ziemlich volle Pulse. Leib weder aufgetrieben 
noch empfindlich. Urinsecretion sehr vermindert, 380 ccm in 24 Stunden. 
Abends Wechsel der äusseren Verbandstücke wegen starker Secretion; 
Wunde aseptisch. Leib unempfindlich, weich. Es sind Durchfälle einge¬ 
treten, von denen Patient nunmehr angiebt, dass er sie schon seit vier 
Wochen gehabt habe. Diese Durchfalle halten auch in den nächsten Tagen 
noch an; es erfolgen täglich etwa vier dünne Stühle, oft mit blutigen 
Streifen und Schleim vermischt. — Nach acht Tagen wird der Jodoform¬ 
mulltampon aus der völlig reactionslosen Wunde entfernt. Kräftezustand 
befriedigend, Appetit gut, doch wird der Durchfälle wegen strenge Diät ge¬ 
halten und Pulver von Plumb. acet., Acid. tannicum und Opium innerlich 
verabreicht. Die Durchfalle lassen dabei allmählich nach. Die Urinmenge 
war anfänglich sehr erheblich vermindert, am 6. und 7. October 450 ccm, 
am 10. October 480, am 11. 520, am 12. 805, dann 860, 990, endlich am 
15. 1400 und schwankte von da an zwischen 1300 und 1600 ccm. An¬ 
deutungen urämischer Erscheinungen sind niemals vorhanden gewesen. 

Seitdem hat Patient eine ununterbrochene Genesung durchgemacht, 
hat erheblich an Körperfülle gewonnen — ist seit der Operation um 20 kg 
schwerer geworden — und ist bis auf eine kleine Fistel vollkommen geheilt 
entlassen worden. 

Die in einen kindskopfgrossen, mit unregelmässigen Buckeln besetzten 
Tumor umgewandelte linke Niere stellt auf dem Querschnitt einen aus 
mehreren grösseren und kleineren Fächern bestehenden Eitersack dar. Die 
Renculi sind in den Fächern noch angedeutet, das Nierenbecken als solches 
kaum erkennbar. Von der Rindensubstanz sind nur noch geringe Spuren 
vorhanden, an ihrer Stelle befindet sich eine mehrere Millimeter dicke 
Schwarte. Ein dicker, zum Theil käsiger, zum Theil rahmiger Eiter erfüllt 
den ganzen Sack. In der von den Wandungen abgekratzten käsigen Masse 
finden sich zahlreiche Tuberkelbacillen, keine in dem freien Eiter. Schnitte 
durch die Wand des Eitersackes zeigen nach der Höhle zu ein zellenreiches 
Granulationsgewebe mit Riesenzellen, weiter nach aussen hin Rudimente 
von Harncanälcben in einem fibrösen, zellig infiltrirten Gewebe. 

(Schluss folgt.) 


n. Zur Genese der Gesichtsrose. 

Von Dr. Ziem in Danzig. 

Im Jahre 1880 hat Prof. Voltolini mitgetheilt, dass in ver¬ 
schiedenen Fällen seiner Beobachtung nach der Operation gutartiger 
Nasenpolypen Erysipel und bei einem, allerdings mit einem malignen 
Tumor behafteten Kranken daran anschliessend sogar der Tod ein¬ 
getreten sei. 1 ) Auch Zuelzer erwähnt das Auftreten des Erysipelas 

*) Ueber Nasenpolypen und die Operation derselben. Wien 1880, 

pag. 28 . 


nach der Extraction von Nasenrachenpolypen 1 ) und Schwartze 
hat nach Entfernung der hyperplastischen Rachentonsille mittelst 
des scharfen Löffels gleichfalls Rothlauf beobachtet. 2 ) Die Ursache 
dieser üblen Complication glaubte Voltolini in seinen Fällen in 
mangelhafter Sorgfalt der Kranken, besonders auch in baldiger Ab¬ 
reise derselben nach der Operation suchen zu müssen. Wenn ich 
früher nicht abgeneigt gewesen bin, anzunehmen, bei der Operation 
selbst könnte irgend eine Schädlichkeit, besonders die Benutzung 
eines nicht tadellos gereinigten Instrumentes oder dergl. eingewirkt 
haben, so ist es im Laufe der Zeit doch auch mir nicht erspart 
geblieben, Operationen in der Nasenhöhle oder ihrer Nebenhöhlen 
Gesichtserysipel nachfolgen zu sehen, und zwar das in mehreren 
Fällen, wo ich das Zustandekommen einer Iufection während der 
Operation selbst mit aller Bestimmtheit glaube ausschliessen zu 
können. Voltolini’s Mittheiluug hat bewirkt, dass ich seit dieser 
Zeit so gut wie niemals bei auswärts wohnenden Nasenkrankeu eine 
Operation unternommen habe, sofern dieselben noch am Tage der 
Operation wieder abreisen wollten, sie hat bewirkt, dass alle bei 
Operationen zur Benutzung kommenden Instrumente stets, sei es 
durch Auskochen, sei es durch längeres Einlegen in eine stärkere 
Carbollösung, zuvor aufs Sorgfältigste desinficirt worden sind und 
dass ich jeden Operirteu gegen eine nachträgliche Infection noch 
weiter dadurch zu schützen suchte, dass nach dem von mir schon 
im Jahre 1880 und dann auch von Anderen empfohlenen Verfahren 
die Nasenöffnung der operirten Seite durch einen Wattetampon ver¬ 
stopft wurde — aber dessenungeachtet sind, wie erwähnt, auch 
in meiner Praxis mehr oder weniger heftige, theils richtige erysipe- 
latöse, theils an Erysipel erinnernde Entzündungen der Gesichtshaut 
nach Operationen bei Nasenkrankeu aufgetreten. Da diese Beob¬ 
achtungen zur Aufklärung der Bedingungen, unter welchen die Ge¬ 
sichtsrose sich einstellt, vielleicht etwas beitragen und somit auch 
zu sachgemässer Beurtheilung jener Beobachtungen Voltolini’s 
Veranlassung geben können, sollen dieselben im Folgenden kurz 
mitgetheilt und besprochen werden. 

1. Fall. Im April 1885 consultirte mich ein 50jähriger Arbeiter der 
hiesigen Artilleriewerkstätte wegen plötzlich entstandener Herabsetzung des 
Hörvermögens seines linken Ohres. Die Untersuchung ergab ein Exsudat 
in der Trommelhöhle, weshalb die Paracentese des Trommelfells, und zwar 
mittelst des Galvanocauters sofort vorgenommen wurde. Da die ent¬ 
sprechende Nasenhälfto durch Polypenbildung und Anschwellung der, übri¬ 
gens mit Eiter bedeckten, Schleimhaut fast vollständig verstopft war, so 
wurden gleich bei der ersten Vorstellung noch mehrere umfängliche Po¬ 
lypen mittelst der Glühschlinge entfernt, was ohne Schwierigkeit vor sich 
ging. Erst nach etwa 14 Tagen stellte sich der Kranke wieder eiu, mit 
seinem Hörvermögen zufrieden, da dasselbe nach der Entleerung des Exsu¬ 
dates sich sehr gebessert hatte, darüber aber klagend, dass nach der Ope¬ 
ration die linke Gesichtshälfte mehr als 8 Tage lang in hohem Maasse an¬ 
geschwollen gewesen sei, so dass er das Zimmer habe hüten müssen und 
das linke Auge einige Tage lang nicht öffnen können. Die Eröffnung der 
linken Kieferhöhle, in welcher Eiter vermuthet wurde, Hess der Kranke 
nicht zu. 

2. Fall. Frau S.. 49 Jahre alt, von hier, stellte sich im Mai 1886 
wegen hochgradiger Kurz- und Schwachsichtigkeit vor. Die Sehschärfe be¬ 
trug rechts mit — 10,0 8 /öo, links mit —12,O*/«). Ophthalmoskopisch fanden 
sich die hochgradiger Myopie zukommenden Veränderungen des Augen¬ 
hintergrundes. Da ich bei letzterem Leiden in verschiedenen Fällen chro¬ 
nische Naseneiterungen gleichzeitig gefunden habe — ein Zusammentreffen, 
das schon vor Jahren durch v. Tröltsch 3 ) gelegentlich erwähnt worden 
und welches wohl dadurch zu erklären ist, dass durch heftiges und häufiges 
Schnäuzen zu oftmals wiederkehrender Hyperämie auch im Gebiete der 
Chorioidealvenen und schliesslich zu übermässiger Dehnung des hinteren 
ßulbusabschnittes eine Disposition gegeben werden mag —, als nun mit 
Rücksicht hierauf auch hier die Nasenhöhle untersucht wurde, fand sich bei 
Atrophie der Schleimhaut eine starke und übelriechende Eiterung beiderseits 
vor. Um von dem für das Auge in jedem Falle gefährlichen Bedürfnisse 
des häufigen Schnaubens, wenn möglich, befreit zu werden, entschloss sich 
die Kranke, die zur Behandlung der Naseneiterung von mir in Vorschlag 
gebrachte Eröffnung der Kieferhöhlen vornehmen zu lassen, welche denn am 
12. bezw. 13. Mai stattfand. Da nun die erste Operation nicht ohne Schwie¬ 
rigkeit vor sich gegangen war — es fand sich nämlich beiderseits eine 
Zahnlücke nur entsprechend dem Fache des 2. Bicuspidatus, an einer Stelle 
also, welche für die Vornahme dieser Operation bei Benutzung des Drill¬ 
bohrers meistens nicht recht geeignet ist, wie denn auch hier auf der erst- 
operirten, der linken Seite, eine ziemlich dicke Knochenschicht hatte durch¬ 
bohrt werden müssen — so wurde die Eröffnung der rechten Kieferhöhle 
medialwärts vom Fache des 2. Molaris aus versucht. Während ich aber von 
dieser Stelle aus späterhin bei anderen Kranken nicht nur mittelst der seit 
einem halben Jahre ausschliesslich von mir benutzten Bohrmaschine, 4 ) sondern 
auch mittelst des Drillbohrers ohne sonderliche Schwierigkeit in den Sinus 
eingedrungen bin, glitt hier der Bohrer plötzlich in medialer Richtung in den 
mucös-periostealen Ueberzug des Gaumens tief hinein, woraufhin denn, beim 
Zurückziehen des Bohrers, eine nicht ganz unbedeutende Blutung erfolgte. 

*) v. Ziemssen’s Handb. II. Bd., 3. Theil, 1886, p. 198. 

*) cit. von Trautmann, Hyperplasie d. Rachentonsille, p. 39. 

3 ) Lehrb. d. Ohrenheilkunde, 6. Aufl., 1877, p. 232. 

4 ) Vergl. meine Arbeit über das zweckmässigste Verfahren zur Er¬ 
öffnung der Kieferhöhle, Therapeut. Monatshefte 1888 No. 4 u. 5. 


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374 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 19 


Da ein weiterer Versuch, von einer benachbarten Stelle aus den Sinus zu 
eröffnen, denselben ungünstigen Erfolg hatte, musste schliesslich doch vom 
Fache des 2. Bicuspidatus aus die Operation vorgenommen werden, was 
denn endlich auch gelang. Am nächsten Tage war eine ziemlich starke An¬ 
schwellung und fleckige Röthung, bezw. eine ödematöse Aufquellung der 
Haut der rechten Gesichtsseite, besonders der rechten Nasenhälfte und des 
Unterlides eingetreten, Erscheinungen, welche in den folgenden Tagen noch 
Zunahmen, so dass die Kranke bei Frostgefühl, starkem Durst und Appetit¬ 
losigkeit bettlägerig wurde. Erst nach 8 Tagen konnte die Durchspülung 
der erkrankten und mit einer ungemein widerwärtig riechenden Absonderung 
behafteten Kiefer und Nasenhöhlen wieder aufgenommen werden. Vor etwa 
30 Jahren hatte die Kranke, wie sie nun angab, die Kopfrose durchgemacht 
unter denselben Erscheinungen, die jetzt aufgetreten waren. 

3. Fall. Der 16jährige H., aus Ohra, tritt Ende August 1886 wegen 
Trachom der Bindehaut in meine Behandlung. Wie so oft in derartigen 
Fällen, 1 ) war auch hier eine Eiterung der Nasenschleimhaut gleichzeitig 
vorhanden. Die Eröffnung der linken Kieferhöhle hatte bei der massiven 
Beschaffenheit der alveolaren Wandung einige Schwierigkeit, übrigens fand 
sich Eiter in dem Sinus vor. Als der Kranke mit einer blasigen Abhebung 
der Epidermis am linken Unterlide behaftet nach 10 Tagen wieder zum 
ersten Male sich einstellte, erfuhr ich, dass eine heftige, mit Röthung der 
Haut verbundene Anschwellung der linken Gesichtshälfte sowie die Unmög¬ 
lichkeit, das Auge zu öffnen, nach der Operation eingetreten seien. 

4. Fall. FrauR., aus Bojaren, tritt wegen acuter Entzündung des linken 
Mittelohres im September 1886 in meine Behandlung. Da zugleich eine 
starke Naseneiterung vorlag, wurde die linke Kieferhöhle, auf deren Er¬ 
krankung Verschiedenes hindeutete, sofort eröffnet und bei der nun folgen¬ 
den Irrigation ein widerwärtig süsslich riechender Eiter in ansehnlicher 
Menge aus dem Sinus entleert. Nach 14 Tagen reiste die Kranke nach 
Hause zurück, um die Ausspülungen dort fortzusetzen. Kaum dort ange¬ 
langt, wurde sie von einem heftigen, wie es scheint, mit starkem Fieber 
verbundenen Gesichtserysipel befallen, so dass sie einige Zeit lang bett¬ 
lägerig war. 

5- Fall. Die unverehelichte E., von hier, stellt sich wegen langjähriger, 
hochgradiger Schwerhörigkeit am 15. October 1886 bei mir ein. Beide 
Trommelfelle sind perforirt, die Schleimhaut des Mittelohres ist wenig ge¬ 
schwollen und massig secemirend, die der Nasenhöhle beiderseits, doch be¬ 
sonders rechts, gleichfalls etwas geschwollen und mit übelriechendem, z. Th. 
zu Krusten eingetrocknetem Secrete bedeckt. Eröffnung der rechten Kiefer¬ 
höhle am 15., der linken am 22. October, beiderseits ohne Schwierigkeit; 
aus der rechten wurde eine abscheulich stinkende Jauche in reichlicher 
Menge, aus der linken weniger, kaum übelriechender Eiter entleert. Vom 
24. ab blieb die Kranke aus und stellte sich erst am 1. November wieder 
ein, weil die seitherige Besserung in ihrem Befinden, die bedeutende Er¬ 
leichterung im Kopfe jetzt wieder geschwunden und die Nase wieder ver¬ 
stopft sei, insbesondere auch weil in den letzten Tagen eine beträchtliche 
Anschwellung der rechten Gesichtshälfte aufgetreten sei. Die rechte Wangen- 
und Unterlidgegeud zeigte sich jetzt von einer erysipelatösen Anschwellung 
befallen, welche der Haut eine stärkere Spannung und glänzende Beschaffen¬ 
heit verlieh und in abgeschwächtem Grade nach der Schläfengegend hin 
sich ausbreitete. Die Ausspülungen wurden nun wieder regelmässig vorge- 
noramen, wobei besonders aus dem rechten Sinus eine äusserst widerlich 
riechende Materie sich entleerte, doch hat es länger als eine Woche ge¬ 
dauert, bis die Beschaffenheit der betreffenden Hautpartieen wieder die nor¬ 
male geworden war. 

6. Fall. Fräulein R., aus Krockow, tritt wegen einer seit dem 5. Lebens¬ 
jahr stets recidivirenden Randkeratitis des rechten Aruges am 9. März v. J. 
in meine Behandlung. Auch hier, wie wahrscheinlich stets in derartigen 
Fällen, handelte es sich um die Folgen einer chronischen Naseneiterung. 
Nascnsecrct etwas übelriechend, Gesicht asymmetrisch zu Ungunsten der 
rechten Seite. Da der Versuch, medialwärts von einem Zahnfache mittelst 
des Drillbohrers in die Kieferhöhle einzudringen, nicht gelang, wurde ein 
gesunder Zahn extrahirt, woraufhin denn die Eröffnung des Sinus am 25. 
leicht von Statten ging. Es fand sich Eiter hier vor. Doch floss die inji- 
cirte Flüssigkeit gleich Anfangs nur schwierig und tropfenweise ab, so dass 
offenbar eine starke Anschwellung der das Ost. maxillare umgebenden 
Schleimhaut vorhanden sein musste. Am 29. März traten nach einer zudem 
nur kurz dauernden Durchspülung mittelst warmer lo/oiger Carbollösung 
äusserst heftige und Stunden lang anhaltende Schmerzen in der Schläfen- 
und Wangengegend auf. Am 30. war die Wangen- und Unteraugenlidgegeud 
stark geschwollen, gespannt und glänzend, es war das Bild eines beginnen¬ 
den Erysipels. Von einer Ausspülung der Kieferhöhle wurde abgesehen, 
dagegen den ganzen Tag über rohes Fleisch auf die ergriffene Hautpartie 
aufgelegt, wodurch eine andauernd gleichraässige Wärmeentziehung be¬ 
wirkt werden sollte und thatsächlich auch bewirkt wurde. Zwei Tage später 
war die Anschwellung zurückgegangen, so dass die Durchspülungen wieder 
vorgenommen werden konnten und das injicirte Wasser in breitem Strahle 
abfloss. 

7. Fall. Der 20jährige St., aus Ramkau, stellt sich wegen doppelseiti¬ 
gen Trachoms der Bindehaut am 4. Mai 1887 bei mir ein. Schleimhaut 
beider Nasenhälften geschwollen, links mit, rechts ohne Eiterbelag. Der 
1. untere Molaris rechterseits ist cariös und beim Sondiren schmerzhaft, 
er wird deshalb extrahirt, woraufhin die entsprechende Nasenhälfte frei 
durchgängig wird. Aus der linken entleert sich beim Ausspritzen nach wie 
vor viel Eiter. Da es nicht gelingen wollte, die linke Kieferhöhle medial¬ 
wärts vom 2. Molaris aus zu eröffnen, wurde der 2. obere, übrigens gesunde 
Bicuspidatus der linken Seite am 12. extrahirt und von dessen Fach aus 


*) Vergl. meine Arbeit über Trachom der Bindehaut bei Katarrhen der 
Nasenschleimhaut. Allg. med. Centralztg. 1886, No. 23, sowie die meine 
Angaben bestätigende Arbeit von Nieden, in Knapp und Schweigger’s 
Arch. f. Augenheilk. XVI. Bd., p. 389. 


die Operation vorgenommen. Bei Durchspülung des Sinus entleerte sich 
Eiter. Am 14. Nachmittags kehrte der Kranke gegen meine ausdrückliche 
Warnung nach Hause zurück, um dort den Sonntag zu verleben. Er fuhr 
hierbei 2 Stunden lang auf einem offenen Wagen und spürte schon während 
der Fahrt Schmerzen in der linken Wange. Am 16. Morgens traf er mit 
starker Schwellung der linken Kiefergegend, so dass er den Mund nur in 
geringem Maasse zu öffnen vermochte, wieder bei mir ein. Am 16. und 17. 
konnte daher nur die Nasenhöhle mit 2% Carbollösung tüchtig ausgespült 
werden, wobei übelriechendes Secret in grösserer Menge herausbefördert 
wurde; im Uebrigen wurde rohes Fleisch auf die geschwollene Partie auf¬ 
gelegt. Die Anschwellung wurde weicher, breitete sich aber doch bis nach 
der Schläfe hin aus und nahm eine fleckige, dunkel violette Färbung an. 
Am 18. gelang es, die Canüle in die Kieferhöhle einzuführen und nun eine 
geradezu pestilenzialisch stinkende Jauche in reichlicher Menge zu entleeren. 
Bei regelmässiger Durchspülung nahm der üble Geruch ab und am 22. war 
nichts mehr dav>n wahrzunehmen. Der Kranke blieb nur noch kurze Zeit 
in Behandlung, während welcher auch sein, ausserdem örtlich behandeltes, 
Augenleiden sich bedeutend gebessert hat. 

Diesen Beobachtungen gegenüber konnte die an und für sich 
ja naheliegende, in den vonVoltolini beschriebenen Fällen früher 
mir selbst nicht unabweisbar erscheinende Vermuthung ausgesprochen 
werden, dass eine Infection von aussen her, durch unsaubere In¬ 
strumente oder dergl. während der Operation oder Nachbehandlung 
stattgefunden habe. Diese Möglichkeit ist jedoch meiner Ueber- 
zeugung nach und zwar aus folgenden Gründen auszuschliessen. 
Vor Allem wird in meiner Praxis jedwedes Instrument, das mit Kran¬ 
ken in Berührung gekommen ist, vor neuer Benutzung aufs Sorg¬ 
fältigste desinficirt, es wird, sofern seine Beschaffenheit dies irgend¬ 
wie gestattet, in sodahaltigem Wasser ausgekocht (bes. also Bohrer, 
Sonden, Canülen, Mundspatel, Raspatorien u. dergl.), oder min¬ 
destens wird es doch in eine stärkere Carbollösung auf längere 
Zeit eingelegt (besonders die Messer, sofern dieselben nicht ganz aus 
Metall angefertigt sind). Die Sonden und Jrrigationscanülen werden 
ausserdem noch vor jedem Gebrauch mit Sand- oder Glaspapier ab¬ 
gerieben. Die zu der Ausspülung benutzte Carbol- oder Borax¬ 
lösung befindet sich in einem Glashafen, der öfters gewechselt und 
gereinigt wird. Der mit der Irrigationscanüle in Verbindung stehende 
Gummischlauch kann vermöge der Einfügung einer Verschraubung 
in seiner Mitte auseinandergenommen und mit anderen Ansatz¬ 
schläuchen in Verbindung gesetzt werden, so dass jeder Ansatz¬ 
schlauch nach seiner Benutzung in Seifenwasser eingelegt werden 
kann, und somit auch in dieser Beziehung dem Zustandekommen 
einer Infection möglichst vorgebeugt ist. Bei der Entfernung von 
Nasenpolypen, bei Cauterisation der Nasenschleimhaut u. dergl. 
suchte ich eine Infection vermittelst des Operationsinstruments früher 
noch dadurch auszuschliessen, dass dasselbe vor der Einführung in 
die Nase mit feinem Wachstaffet überzogen wurde, ein Hülfsmittel, 
das ich vor Jahren anderwärts kennen gelernt hatte. Uebrigens hätte 
eine Infection durch galvanocaustische Instrumente überhaupt ja nur 
im 1. Falle zu Stande kommen können. — Mit der Annahme einer 
Infection durch die benutzten Instrumente wäre es ferner kaum in 
Einklang zu bringen, dass innerhalb eines zweijährigen Zeitraums nur 
so verhältnissmässig wenige Personen meiner Praxis von Rothlauf 
befallen worden sind, innerhalb eines Zeitraums, in welchem ich 
zahlreiche Operationen bei Nasen- und Rachenkranken, Cauterisa- 
tionen der Schleimhaut, Entfernung von Geschwülsten, gegen 250 Er¬ 
öffnungen der Kieferhöhle u. A. vorgenommen habe, ohne Wochen 
oder Monate lang noch andere meiner Klienten an Gesichtsrose er¬ 
kranken zu sehen. Ein kettenförmig zusammenhängendes Auftreten 
des Erysipel, wie das bekanntlich sonst öfters stattzufinden pflegt, 
war hier nicht zu beobachten. — Weiter ist bei der Kranken E. 
(5. Fall), bei welcher die beiden Kieferhöhlen zu verschiedenen 
Zeiten eröffnet worden sind, das Erysipel frühestens am 10. Tage 
nach Eröffnung der rechten, zuerst operirten Kieferhöhle aufge¬ 
treten und hat sich auf die rechte Gesichtshälfte allein beschränkt 
Bei dem späten Auftreten kann hier eine Infection während der 
Operation selbst offenbar nicht stattgefunden haben. Ebensowenig 
kann für diesen Fall auch nur die Wahrscheinlichkeit einer Infection 
nach der Operation, gelegentlich der täglichen Durchspülung der 
Kieferhöhle zugegeben werden, weil dann das Verschontbleiben der 
anderen, der linken Gesichtshälfte nicht zu erklären wäre, indem 
nemlich beide Kieferhöhlen jedes Mal mittelst derselben Canüle 
durchgespült worden sind. Im 4. Falle ist der Rothlauf überhaupt 
nicht während des Aufenthalts der Kranken in Danzig, sondern erst 
dann aufgetreten, als dieselbe in Besserung begriffen nach Hause 
zurückgekehrt war. Aehnlich verhält es sich im 7. Falle. — End¬ 
lich stellte sich im 2. Falle die fleckige Röthung und Anschwellung 
nicht im Operationsgebiete selbst, nicht im Bereiche des Proc. alve¬ 
olar. und horizontalis des Oberkiefers, als vielmehr in der Gegend 
des Proc. nasalis des letzteren ein, um von da nach rück- und auf¬ 
wärts weiter fortzuschreiten. 

Ueberraässige Maltraitirung der betreffenden Gewebstheile wäh¬ 
rend der Operation könnte, wenn überhaupt, nur im 2., allenfalls 
auch noch im 3. Falle als Ursache einer sogenannten vasomoto- 


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10. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


rischen oder reflectorischen Dermatitis der Gesichtshallt angeschul¬ 
digt werden, während im 1., 4., 5., 6. und 7. Falle die Operation 
ohne sonderliche, beziehungsweise ohne jede Schwierigkeit von 
Statten gegangen ist. 

Auch im 2. und 3. Falle kann meines Erachtens von einer va¬ 
somotorischen oder reflectorischen Dermatitis die Rede nicht sein. 
An und für sich wird Mancher ja geneigt sein, im Hinblicke auf 
die Hack’sche Theorie eine sog. reflectorische Erkrankung auch 
hier anzunehraen. Je länger ich meinerseits jedoch mit Nasenkrank¬ 
heiten mich beschäftige, umsomehr finde ich meine schon im Jahre 
1883 ausgesprochene Ansicht begründet, dass diese an volltönen¬ 
den Umschreibungen überreiche Reflextheorie so gut wie voll¬ 
ständig in der Luft schwebt und klarer, sachlicher, auf feststehende 
Thatsachen der Anatomie und Physiologie sich stützender Erklä¬ 
rungen fast gänzlich entbehrt. In einer Reihe von Arbeiten habe 
ich zu zeigen gesucht und hoffentlich auch zu zeigen vermocht, dass 
die im Gefolge von Nasenkrankheiten auftretenden und auf eine 
übermässige Erregbarkeit besonderer, in die Nasenschleimhaut an¬ 
geblich eingebetteter Reflexorgane zurückgeführten Erscheinungen, 
die als „Reflexneurosen“ bezeichnet worden sind, in der bei Weitem 
überwiegenden Mehrzahl aller Fälle eine ganz andere Erklärung nicht 
nur zulassen, sondern auch erfordern und demgemäss auch einer an¬ 
deren Behandlung bedürfen, als sie von Hack und seinen Nach¬ 
folgern empfohlen worden ist. Die Worte eines der bewährtesten 
Kenner auf dem Gebiete der Hautkrankheiten, die Worte von 
H. Auspitz, dahin lautend, dass eine Fülle von klinischem Material, 
übel gesichtet und unrichtig gedeutet, in das Treffen geführt wird, 
um die neurotische Natur der Hautkrankheiten eigentlich ohne 
irgend eine Auswahl zu bekräftigen, so dass es von dem angebo¬ 
renen Naevus bis zum Eczem keine Dermatose mehr giebt, welche 
nicht, der Mode entsprechend, auf „fehlerhafte Innervation“ ge¬ 
schoben und laut scharfsinniger Beweisgründe als „Trophoneurose“ 
oder „Trophopathie“ bezeichnet werden müsste 1 ) — diese Worte 
können ohne viele Abänderungen auch auf den Missbrauch ange¬ 
wendet werden, welcher mit der Aufstellung der sog. Reflexneurosen 
auf dem Gebiete der Nasenkrankheiteu von einigen Autoren beliebt 
worden ist. 

Im Gegensätze zu einer derartigen, vollkommen haltlosen Ver- 
muthung, dass es auch hier um sog. reflectorische Vorgänge sich 
gehandelt habe, glaube ich, dass eine richtige Infection stattge¬ 
funden hat, allerdings nicht eine Infection in Folge äusserer, bei 
der Operation oder Nachbehandlung in den Kranken hineingetra¬ 
gener Momente, nicht eine exanthrope Infection, als vielmehr eine 
enanthrope (Zuelzer), eine Art Selbstinfection. Allen 7 Fällen ge¬ 
meinsam ist eine Eiterung der Nasenhöhle, 6 derselben, allen ausser 
dem ersten Falle, auch der Kieferhöhle. In 4 Fällen, im 2., 4., 5. 
und 6. Falle war die Eiterung übelriechend, im 2., 4. und 5. ge¬ 
radezu stinkend schon bei der ersten, unmittelbar an die Operation 
sich anschliessenden Ausspülung. Im 3. und 7. Falle zwar war 
eine übelriechende Beschaffenheit des aus der Kieferhöhle heraus¬ 
gespülten Secretes nicht von Anfang ab auffällig. Ob im 1. Falle 
eine Eiterung der Kieferhöhle thatsächlich vorhanden und ob eine 
solche von übelriechender Beschaffenheit gewesen, hätte in voll¬ 
kommen zweifelloser Weise nur die Eröffnung der Kieferhöhle 
zeigen können: an dem der Nasenschleimhaut aufgelagerten Secrete 
habe ich einen übelen Geruch nicht wahrgenommen, doch habe ich 
schon mehrere Fälle beobachtet, wo bei nicht auffällig fötidera Se¬ 
crete der Nasenschleimhaut nach Eröffnung der Kieferhöhle eine 
äusserst übelriechende Jauche sich entleert hat. So verhielt es sich 
z. B. in dem unlängst von mir beschriebenen, durch Bildung eines 
Orbitalabscesses und einer Thränensackfistel bei Eiterung der Kiefer¬ 
höhle ausgezeichneten Falle.* 2 ) Es ist daher an und für sich nicht 
unmöglich, dass auch im 1. Falle ein jauchiges Secret in der Kiefer¬ 
höhle vorhanden gewesen ist. Aber auch bei der Anwesenheit nur 
einer einfachen, nicht putriden Eiterung in der Kieferhöhle haben 
offenbar in diesem wie auch im 3. und 7. Falle günstige Bedin¬ 
gungen für Entstehung einer putriden Zersetzung Vorgelegen, da 
nämlich bei oder nach derartigen Operationen eine mehr oder 
weniger reichliche Blutung in die Nasen- oder Kieferhöhle erfolgen 
kann und da die Kranken im 1. und 3. Falle gleich nach der 
Operation, im 7. Falle bald nach derselben mehr oder weniger 
lange ausgeblieben sind. Das ergossene Blut hat daher Zeit und 
bei der nachweislich ja vorhandenen Eiterung natürlich auch Ge¬ 
legenheit zu fauliger Zersetzung finden können. Im 7. Falle ist noch 
eine weitere Schädlichkeit durch die längere Fahrt auf offenem 
Wagen hinzugekommen; offenbar muss hier durch die Einwirkung 
der Zugluft eine verstärkte Congestion zu der Nasen- und Kiefer¬ 
höhlenschleimhaut, als einem locus minoris resistentiae stattgefunden 
haben, wonach die Umgebung des Ost. maxillare noch stärker an- 


') v. Ziemssen’s Handb. 1883, XIV. 1. S. 260. 
*) Allg. medic. Centralztg. 1887 No. 37 u. ff. 


375 


geschwollen und ein Abfluss des angesammelten Secretes um so 
weniger möglich gewesen ist. Eine ähnliche Schädlichkeit hat wohl 
auch im 4. Falle eingewirkt; ob hier nicht allenfalls auch noch die 
Ausspülungen nach der Ankunft zu Hause auf so und so lange Zeit 
unterbrochen worden sind, ist mir nicht bekannt, jedenfalls wäre es 
hier doppelt nothwendig gewesen, dieselben regelmässig vorzunehmen. 
Auch im 5. und 6. Falle ist eine mehrtägige Pause in der Nach¬ 
behandlung gemacht worden. Im 2. Falle ist, wie ich hier noch 
nachzuholen habe, die erste Ausspülung der rechten Kieferhöhle nicht 
so lange uud so energisch durchgeführt worden, als ich sie in sol¬ 
chen Fällen sonst zu machen pflege, da die Kranke in Folge der 
langdauernden, theilweise verfehlten Operation und des nicht gerade 
unbeträchtichen Blutverlustes ohuedies schon etwas angegriffen war. 

Allen diesen Fällen gemeinsam ist also eine ungenügende Nach¬ 
behandlung, eine zu kurz dauernde oder unterbrochene Ausspülung 
und daher eine Anhäufung von fäulnissfahigen uud faulenden Sub¬ 
stanzen in der Kiefer- und Nasenhöhle. Auf diesen Umstand möchte 
ich das Zustandekommen des Erysipel zurückführen. Ich glaube 
das letztere also für ein enanthropes auffassen und in der Streit¬ 
frage, ob durch verhaltenes Wundsecret richtiges Erysipel entstehen 
könne oder nicht, was von Billroth bejaht, von Volkmann, 
Tillmanns u. A. verneint worden ist, 1 ) für die vorliegenden Fälle 
und bei der hier vorhandenen Fäulniss der Secrete in dem Sinne 
von Billroth mich aussprechen zu dürfen. Wenn in einzelnen 
Fällen durch die von schadhaften Closetröhren ausgehenden und 
auf frische Wunden einwirkenden Ausdünstungen richtiges Erysipel 
zu Stande gekommen ist,* 2 ) so ist wohl auch die Annahme nicht zu 
fernliegend, dass in den vielfachen Ausbuchtungen der Gesichts¬ 
höhlen, welche der Reinigung und Desinfection so schwer zugänglich 
sind, stagnirende und faulende Secrete zur Entstehung von Erysipel 
nicht nur eine Disposition, sondern selbst Veranlassung geben können. 
Bedeutungsvoll in dieser Hinsicht scheint auch der Umstand, dass 
im fünften der obigen Fälle nur auf der einen, auf derjenigen Seite 
Erysipel aufgetreten ist, wo die Eiterung der Kieferhöhle schon von 
vornherein, d. h. gleich nach Eröffnung derselben, eine putride Be¬ 
schaffenheit besessen hat. 

Die Einwendung, die hier sofort gemacht werden wird, dass 
zum Zustandekommen des richtigen Erysipel der von Feh leisen 
aufgefundene kettenförmige Coccns erforderlich sei, ist wohl nicht 
von ausschlaggebender Bedeutung. Wenigstens spricht auch Zuelzer 
in seiner sorgfältigen Monographie über Erysipel im Anschlüsse an 
neuere Experimentatoren, besonders anBiondi, sich dahin aus, dass 
morphologisch identische Streptococcen bei verschiedenen Affectionen 
sich finden, dass erysipelatöse Dermatitis durch Impfung von Cul- 
turen erzeugt wird, welche von wahrem Erysipel, von Phlegmone 
und von puerperaler Metritis stammen, während andererseits der 
Streptococcus in manchen Fällen Erysipel, in anderen aber andere 
Affectionen erzeugt, so dass man also an der früher auch von 
Zuelzer selbst vertretenen Specificität des Erysipelgiftes nicht mehr 
festhalten könne und der Meinung Derer beipflichten müsse, welche 
das Erysipel nicht durch ein einziges, specifisches, sondern durch 
verschiedenartige Krankheitsagentien entstehen lassen. 3 ) Auch die 
neuesten Experimente von Passet, sowie von v. Eiseisberg haben 
ja einen durchgreifenden Unterschied zwischen den Coccen der 
Pyämie und denen des Erysipel nicht erkennen lassen. Auch wäre 
es nicht schwer, der allerneuesten Zeit entstammenden Berichten 
aus mustergiltig geleiteten Kliniken Krankheitsfälle zu entnehmen, 
in welchen nach grossen Operationen im Gebiete der Höhlen des 
Kopfes Erysipel aufgetreten ist und wo bei Vornahme der Opera¬ 
tion eine Jauchung in einer der Nebenhöhlen der Nase entdeckt 
worden war. 

Während in den im Vorhergehenden mitgetheilten Fällen eine 
operative Verletzung 8tattgefunden hatte, welche man in Ueberein- 
stimmung mit einer Reihe von Autoren als den Ausgangspunkt des 
Erysipel ja anseheu könnte, existiren andererseits in der Literatur 
doch auch Beobachtungen, wo Erysipel im Anschlüsse an eine ein¬ 
fache, nicht mit einer Verletzung verbundene Eiterung der Nasen¬ 
höhle oder ihrer Nebenhöhlen aufgetreten ist. Hierher gehören die 
schon vor 34 Jahren mitgetheilten Beobachtungen von Zuccarini 
über das Vorkommen von Gesichtserysipel im Gefolge von Typhus, wo 
in den Keilbein-, Stirn- oder Oberkieferhöhlen eine Schleimhautent¬ 
zündung verschiedenen Grades, z. Th. mit Anhäufung von eitrigen 
jauchenden Massen, mit oder ohne Geschwürsbildung, nachgewiesen 
worden ist. Zuccarini konnte feststellen, dass das Erysipel über den 
am intensivsten erkrankten Stellen sich entwickelt hatte: so wurde bei 
einem Erysipel, welches auf der rechten Wange begonnen, die An¬ 
wesenheit stinkender Massen im antr. Highmor. an der Leiche nach¬ 
gewiesen. 1 ) Vogel, v. Gietl u. a. Autoren haben ähnliche Beob- 

*) Vergl. Tillmanns. Erysipel. Deutsche Chirurgie Lfg. 5 S. 94 1880, 

8 ) Vergl. Zuelzer 1. c. S. 220. 

3) I. c. S. 205, 271, 274. 

4 ) Tillmanns 1. c. S. 37; Zuelzer 1. c. S. 226 u. 245. 


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376 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 19 


achtungen gemacht und angenommen, dass das Gesichtserysipel bei 
Typhus durch die jauchige Beschaffenheit und Absperrung des 
Secretes in den Nebenhöhlen der Nase bedingt sei. Berger und 
Tyrman erklären allerdings die Haltbarkeit dieser Anschauung für 
zweifelhaft. An und für sich zwar wäre ja auch das Umgekehrte 
möglich, das Erysipel könnte das Primäre, die Schleimhautentzün¬ 
dung das Secundäre sein, und in dieser Weise scheint neuerdings 
besonders Weichselbaum mehrere von ihm beobachtete Fälle auf¬ 
gefasst zu haben. 1 ) Andererseits aber halten namhafte Autoren an 
der zuerst genannten Anschauung fest. So hat Lebert einen Fall 
beobachtet, wo seiner Auffassung nach ein mit Meningitis sich 
complicirendes Gesichtserysipel von einer jauchigen Eiterung der 
Stirnhöhle ausgegangen ist. Auch Volk mann glaubt, dass eine 
primäre Eiterung in den Gesichtshöhlen, in der nächsten Nähe der 
Schädelknochen, nicht nur zu Gesichtserysipel, sondern 'auch zu 
Meningitis Veranlassung geben kann. 2 ) Zuelzer schliesst sich die¬ 
ser Meinung an. 3 ) Zuckerkandl hat neuerdings einen Sections- 
befund bei Erysipel des Gesichts und Nackens mitgetheilt, wo ausser 
Schwellung und Ecchymosirung der Nasenschleimhaut eine eiterige 
Entzündung mehrerer Nebenhöhlen (einzelner Siebbeinzellen, je einer 
Kiefer- und Stirnhöhle, beider Paukenhöhlen und der Warzen¬ 
fortsatzzellen) gefunden worden und glaubt, dass die Eiterung 
der Nasen- und Nebenhöhlen in diesen Fällen die Ursache des 
Erysipel gewesen ist. 4 ) 

Im Hinblicke auf meine eigenen, oben mitgetheilten Beobach¬ 
tungen halte ich letztere Vermuthung für eine sehr wahrscheinliche. 
Bestand in meinen Fällen überhaupt ein Zusammenhang zwischen 
der Jauchung der Kieferhöhle und dem Gesichtserysipel, und ich 
wüsste nicht, aus welchen Gründen ein solcher geleugnet werden 
könnte, so ist offenbar das letztere von der ersteren abhängig 
gewesen. 

In manchen Fällen kann die Reihenfolge der pathologischen 
Erscheinungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen 
oder doch vermuthet werden. So war in einem kürzlich von mir 
mitgetheilten Falle das zu einer Abscedirung am Unterlid führende 
Gesichtserysipel offenbar erst secundär zu einer Eiterung der Kiefer¬ 
höhle hinzugekommen, 5 ) so war auch in jenem mit Orbitalabscess 
und Thränensackfistel complicirten Falle 6 ) das Jahre zuvor aufgetre¬ 
tene Gesichtserysipel vielleicht gleichfalls ein durch eine primäre Er¬ 
krankung der Kieferhöhle bedingtes, sofern hier nämlich die Abscess- 
bildung auf der Wange auf ein Fortschreiten des Entzündungs- 
processes von der Tiefe nach der Oberfläche hin bezogen werden 
darf. Auch für die zweite der oben mitgetheilten Beobachtungen 
ist die Annahme vielleicht zutreffend, dass das Erysipel, wie bei jenem 
unter meiner Beobachtung aufgetretenen Anfalle, so auch schon bei 
dem ersten, vor Jahren stattgehabten von der Nasen- beziehungsweise 
der Kieferhöhleneiterung ausgegaugen ist; denn es sind ja Fälle 
genug bekannt, wo die Gesichtsrose nach Jahre langer Latenz einen 
Kranken zu wiederholten Malen ergriffen hat. 

Was nun, eine soeben schon berührte Frage, den Weg betrifft, 
auf welchem ein aus einer Eiterung oder Jauchung in der Nasen¬ 
höhle und ihren Nebenhöhlen hervorgehendes Erysipel sich fort¬ 
pflanzen kann, so braucht das wohl durchaus nicht in der gewöhn¬ 
lich angenommenen Weise zu geschehen, nicht durch eine Fort¬ 
leitung in der (Kontinuität der Schleimhaut längs des unteren 
Nasenganges nach vorne oder durch den Thränennasencanal nach 
aufwärts und sodann auf die äussere Haut, 7 ) sondern es kann wohl 
auch ein direkter Uebergang der Entzündung von einem in der 
Tiefe, in den Nebenhöhlen gelegenen Krankheitsheerde nach den 
bedeckenden Weichtheilen und somit nach der äusseren Haut hin 
stattfinden. Tritt doch auch bei Eiterung des Sinus frontalis eine 
Anschwellung der umgebenden Weichtheile, der Stirnhaut, des 
Oberlides u. s. w., bei Eiterung der Kieferhöhle, besonders bei einer 
mehr acuten Erkrankung derselben, eine Anschwellung der Wange 
oft genug ein. Vom anatomischen Standpunkte aus ist das ja auch 
leicht erklärlich. Durch den Oberkieferknochen insbesondere treten 
zahlreiche Gefiisse uud Nervenästchen hindurch, welche in der 
Wange, der Schläfengegeud u. s. w. sich verbreiten, 8 ) wie das bezüg¬ 
lich der den Infraorbitalcanal durchziehenden Gefässe ja allgemein 
bekannt ist. Durch Vermittelung der den Kiefer durchsetzenden 


l ) Vorgl. Berger u. Tyrman, die Krankheiten der Keilbeinhöhle und 
des Siebheinlabyrinths, 1886, S. 18, 20 u. 21. 

a ) Tillmanns 1. c. S. 142. 

3 ) 1. c- S. 245. 

4 ) Normalo und patholog. Anatomie der Nasenhöhle, 1882, S. 186; 
Berger u. Tyrman 1. c. S. 13. 

5 ) Allg. medic. Centralztg. 1887 No. 48. 

c ) Allg. medic. Centralztg. 1887 No. 37 u. ff. 

7 ) Vergl. hierüber Gerhardt, Lehrb. der Kinderkrankheiten, 2. Aufl., 
1871, S. 621; Trendelenburg, Deutsche Chirurgie, 1886, Lfg. 33, S. 68. 

8 ) Merkel, Handb. der topogr. Anatomie, 1885, S. 169. 


Venen, beziehungsweise der dieselben begleitenden Lymphgefasse 
könnte also eine Erkrankung des Sinus maxillaris nach der Wangen¬ 
haut hin leicht fortgeleitet werden. Schon Zuccarini scheint eine 
derartige Auffassung gehabt zu haben, soweit das wenigstens aus 
seiner oben nach Till man ns wiedergegebenen Darstellung sich 
vermuthen lässt. 

Dass Erysipel und besonders das recidivirende Erysipel von 
chronischen Katarrhen der Nasenhöhle oftmals ausgeht, ist längst 
bekannt. Gerhardt, Billroth, 1 ) Zuelzer u. a. Autoren sprechen 
sich für diese Annahme aus und zwar selbst für solche Fälle, wo 
eine Contiuuitätstrennung der Schleimhaut mit aller Wahrscheinlich¬ 
keit oder selbst mit Bestimmtheit ausgeschlossen ist. Aber das ist 
bisher wohl noch nicht mit genügender Schärfe betont worden, dass 
wohl nicht selten auch eitrige Processe in den Nebenhöhlen es sind, 
die unter begünstigenden Umständen, besonders bei dem Hinzutreten 
eines acuteu, mit Verschwellung der Ostien der Nebenhöhlen ver¬ 
bundenen Schnupfens und bei putrider Zersetzung der abgesperrten 
Secrete zu dem Auftreten von Erysipel Veranlassung geben können. 

Sind • die im Vorhergehenden dargelegten Anschauungen zu¬ 
treffend, so müssen offenbar mehrere für die Praxis wichtige Fol¬ 
gerungen aus denselben sich ergeben. In vielen Fällen von Ge¬ 
sichtserysipel wird man es dann nicht mehr für ausreichend halten, 
eine Eisblase auf die ergriffene Hautpartie und auf den Kopf auf- 
legen zu lassen und ausserdem dieses oder jenes Antifebrile zu ver¬ 
ordnen, sondern man wird in jedem seiner Entstehung nach nicht 
ohne Weiteres vollkommen klaren Falle von Gesichtsrose auch dem 
Verhalten der Nase und ihrer Nebenhöhlen eine eingehende Be¬ 
achtung zu widmen haben. So mancher Fall von recidivirendem 
Erysipel dürfte erst durch Eröffnung und Durchspülung der Neben¬ 
höhlen, vornehmlich wohl der Kieferhöhlen zu endgiltiger Heilung 
gebracht werden können. Auch das Gebiet der auf dem Boden 
der sogenannten Scrophulose entstehenden Erysipele wird vermuth- 
lich dann sehr eingeschränkt oder selbst vollständig annectirt 
werden können. Eine stetige Bemühung in dieser Hinsicht wäre 
ferner auch für die praktische Augenheilkunde von Wichtigkeit, da 
die Fälle durchaus nicht selten sind, wo an ein Gesichtserysipel 
Atrophie der Sehnerven sich angeschlossen hat 2 ). Allerdings nur 
als eine Muthraaassung sei noch erwähnt, dass das Erysipel des 
Larynx und des Pharynx, welches letztere nach einer von Ger¬ 
hardt kürzlich ausgesprochenen Ansicht von einer Erkrankung der 
Tonsillen öfters ausgehen soll, wohl auch in einer erysipelatösen Er¬ 
krankung der Nase oder ihrer Nebenhöhlen seine Quelle manchmal 
haben kann. Freilich wird man in allen derartigen Fällen sich 
nicht damit begnügen dürfen, nur so einfach mittelst des Spiegels 
einen Blick in die Nasenhöhle zu werfen, sondern man wird vor 
Allem das Verfahren anwenden müssen, welches einzig und allein 
eine Naseneiterung mit Sicherheit zu erkennen gestattet, d. h. man 
wird eine gründliche Ausspülung der Nasenhöhle vornehmen, was 
ja am Besten mittelst einer einen kräftigen und continuirlichen 
Strahl ergebenden Druckpumpe, vornehmlich also mittelst der 
Mayer’schen Douche geschieht. Findet sich nun eine starke und 
zudem noch übelriechende Naseneiterung vor, so wird man zu ent¬ 
scheiden haben, ob eine mehrmals tagsüber wiederholte Durch¬ 
spülung der Nase genügen wird oder ob nicht gleich von vorn¬ 
herein eine mehr active, die Durchspülung auch der Nebenhöhlen 
bezweckende Behandlung Platz greifen soll. Hat man sich zur 
operativen Eröffnung einer Nebenhöhle, vornehmlich also der am 
häufigsten von einer Eiterung ergriffenen Kieferhöhle entschlossen, 
so ist darauf zu achten, dass besonders die erste Durchspülung eine 
sehr gründliche und genügend langdauernde ist. Bei mangelhaftem 
Abflüsse der injicirten Flüssigkeit aus dem natürlichen Ostium 
müsste die Operationsöffnung erweitert werden, sofern es nicht durch 
andere Mittel, besonders durch continuirliche Zuführung oder Ent¬ 
ziehung von Wärme gelingt, eine Ableitung auf die äussere Haut 
und somit eine Entlastung der hyperämischen Schleimhaut der 
Nebenhöhlen zu Wege zu bringen, welche das Gelingen der Durch¬ 
spülung dann in genügender Weise ermöglicht — Auch nach Ent¬ 
fernung von Geschwülsten aus Nase und Rachen muss, besonders 
bei gleichzeitiger Eiterung der Schleimhaut, das sich ansammelnde 
Secret regelmässig entleert werden, und überhaupt haben die Kranken 
nach allen operativen Eingriffen in den genannten Gebieten vor 
jedweder Scbädlichkeit, vornehmlich auch vor Abkühlung der 
äusseren Haut, sich sorgfältig zu hüten. 


*) Allg. Pathologie u. Therapie, 1871, 5. Aufl., S. 351. 
a ) In einem vor Kurzem von mir beobachteten Falle, wo im Anschlüsse 
an ein Gesichtserysipel Pauophthalmitis des einen Auges aufgetreten ist, hat 
sich bei Eröffnung der entsprechenden Kieferhöhle eine starke Eiterung vor¬ 
gefunden, und schon seit Jahren hatte die betreffende Kranke au Nasou- 
eiterung gelitten. 


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10. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


377 


m. CasuistischeMitteilungen aus der Nerven- 
Abtheilung des ersten Moskauer Stadtkran- 

kenkauses. 

Von Dr. M. Lunz, Ordinator am ersten Stadthospital zu Moskau. 

Paraplegie nach einem Schlage auf den Schädel. 

Folgender Fall dürfte einiges Interesse hinsichtlich der Aetiologie, 
des Verlaufes und der Behandlung darbieten. 

Am 10. März 1883 wurde in’s Moskau’sche Stadtkrankeuhaus der 
48jährige Kutscher Prochor Ossipoff gebracht, mit vollständig para- 
lysirten unteren Extremitäten. Patient war bei vollem Bewusstsein und 
theilte auf Anfragen Folgendes mit: er erfreute sich immer einer vorzüg¬ 
lichen Gesundheit, geht seinem Berufe als Kutscher schon 25 Jahre nach, 
hat nie spirituöse Getränke gebraucht, nie an Syphilis gelitten. Drei Tage 
vor seinem Eintritte in’s Spital, d. h. am 17. März, als er im Stalle das 
Pferd anspannen wollte, erhielt er einen heftigen Schlag auf den Kopf, 
welchen, wie er bemerkte, das Thier mittelst einer raschen Bewegung des 
Kopfes, wahrscheinlich mit den Zähnen hervorbrachte. Patient verlor sofort 
das Bewusstsein und fiel rücklings auf den Boden des Stalles, welcher 
reichlich mit Stroh bedeckt war. Nach 20—30 Minuten kam er zu sich, 
empfand starkes Kopfweh und bemerkte zu seinem Entsetzen eine vollstän¬ 
dige Paralyse der unteren Extremitäten. 

Status praesens: Patient ist klein gewachsen und kräftig gebaut; auf 
seinem Kahlkopfe, ganz an der Kopfspitze ist eine flache Einsenkung sicht¬ 
bar, welche durch den eingedrückten Schädelknochen gebildet wird, in der 
Grösse eines silbernen Markstückes und von regelmässig runder Form. 
Die Einsenkung ist auf der Sutura sagittalis gelagert, gerade an der Stelle, 
wo dieselbe durch eine horizontal, von einer Ohrmuschel zur anderen ge¬ 
führte Linie durchschnitten wird. Am Aequator dieser Einsenkung ist 
eine Schnittwunde mit zackigen Rändern sichtbar, 3 /* Zoll lang; die Ränder 
der Wunde sind zusammen geklebt. Die Haut, welche die Einsenkung be¬ 
deckt, ist unverändert, Druck verursacht dem Patienten ganz unbedeutenden 
Schmerz; die Einsenkung ist von einer unbedeutenden ödematösen An¬ 
schwellung umgeben. Das Bewusstsein des Patienten ist, wie schon er¬ 
wähnt, vollständig normal, er antwortet prompt und deutlich auf alle 
Fragen, erinnert sich vortrefflich Alles mit ihm Geschehenen, klagt über 
imbedeutenden Kopfschmerz in der wunden Gegend und bekommt 
Schwindel beim Drehen des Kopfes; der Schlaf ist schlecht; Bewegung der 
Augäpfel und Pupillen ist normal; die Gesichtsmuskulatur nicht paretisch. 
Die Bewegungen der oberen Extremitäten sind vollständig frei, die moto¬ 
rische Kraft nicht geschwächt: die Kraft der rechten Hand, mit Dynamometer 
geprüft, gleich 80, der linken gleich 70. Die unteren Extremitäten sind 
vollständig paralysirt, Patient kann mit denselben nicht die kleinste Bewegung 
vollbringen, ausserdem ist er weder im Stande sich selbst zu erheben, 
noch sich von einer Seite zur anderen umzuwenden, kann ohne Unterstüt¬ 
zung nicht sitzen. Die Sensibilität ist vollständig normal. Athem frei; 
patellare Reflexe sind etwas erhöht; Hautreflexe unverändert. Elektrische 
Erregbarkeit bietet nichts Besonderes dar. Urinabsonderung geht frei von 
Statten. Der Harn enthält keine pathologischen Bestandtheile. Stuhlentleerung 
ist zu Hause durch Abführmittel erzielt.. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass unser Patient gleich beim 
ersten Anblick Gelegenheit zum Nachdenken darbot: einerseits 
ist festgestellt, dass der Schlag auf den Kopf so stark war, 
dass er die Schädelknochen einzudrücken im Staude war, trotzdem 
haben wir eine Paraplegie vor uns, eine Affection, welche fast aus¬ 
schliesslich den Spinalverletzungen eigen ist, währeud die Cerebral¬ 
nerven bei ihm ganz unversehrt blieben. Es darf nicht unbeachtet 
bleiben, dass, obgleich Patient auf den Rücken fiel, doch eine 
Contusion nicht vorausgesetzt werden konnte, da der Boden des 
Stalles genügend mit Stroh bedeckt war, und keine anderen Gegen¬ 
stände vorhanden waren, an welchen eine Verletzung stattfinden 
konnte. Ausserdem ergab auch die genaueste Untersuchung keine 
Verletzung am Rückgrat, und letzteres war bei Druck vollständig 
schmerzlos. Natürlich musste die Frage erhoben werden, ob 
die Cerebralverletzung nicht die Paraplegie hervorrufen konnte? 
Bekanntlich kommen in seltenen Fällen bei Affectionen in Pons 
und Medulla ohlongata Paraplegieen vor, aber in solchen Fällen 
handelt es sich gewöhnlich um Geschwülste oder entzündliche 
Processe, wobei sich die beiderseitige Paralyse nicht plötzlich, sondern 
allmählich entwickelt. Wenn auch Hämorrhagieen in den oben 
erwähnten Partieen Vorkommen, so sind sie gewöhnlich von einem 
tiefen Coma begleitet, nach welchem auch bald der Exitus lethalis 
folgt. Aber was am meisten unsere Aufmerksamkeit auf sich 
lenken musste, war die Hirnrinde. Wie bekannt, ist in den letzten 
Jahren durch geistvolle experimentelle Untersuchungen und gediegene 
klinische Beobachtungen deutscher und französischer Forscher 
(Ferier, Hitzig, Nothnagel, Schiff, Charcot u. A.) bewiesen, 
dass ein gewisser Theil der Corticalsubstanz (Centralwindungen, 
Paracentraliäppchen und die anliegende Basis der Frontalwindungen) 
die Localisation der motorischen Centren darstellt. Iu diesen 
Gebieten besitzt jedes der Centren seinen Platz; in Folge dessen 
sehen wir bei unbedeutenden begrenzten Affectionen Krämpfe, 
welche sich auf einzelne Glieder beschränken, und Monople- 
gieen auftreten. Genaue klinische Beobachtungen von Charcot und 
Pitre zeigten, dass die corticalen Bewegungscentren für die beiden 


Extremitäten der entgegengesetzten Seite im Paracentraliäppchen 
und in den beiden oberen Dritteln der Centralwindungen liegen. 
Die Muskeln der unteren Hälfte des Gesichts haben ihre motorischen 
Centren in dem unteren Drittel der Centralwinduugen, in der Nähe 
der Fossae Sylvii; es ist wahrscheinlich, dass ein Centrum für iso- 
lirte Bewegungen der Oberextreraitäten im mittleren Drittel der 
Centralwindungen vorhanden ist. Was das Centrum für isolirte Be¬ 
wegungen der unteren Extremitäten anbetrifft, so ist darüber vorläufig 
wenig bekannt. — Es giebt aber einige Beobachtungen von Löffler, 1 ) 
citirt bei Charcot und Pitre, welche für die Existenz eines solchen 
Centruras im obersten Theile der Central Windungen sprechen: Die 
Verletzung der Spitze des rechten Parietalknochens durch eine Kugel, 
rief eine Paralyse des linken Beins hervor (Beob. 20). Ein Bruch 
beider Parietalknochen an ihrer Vereinigungslinie förderte eine Para- 
plegia inferior zu Tage, ohne irgend welche andere Paralysen. — 
Unser Fall, bei dem beide Spitzen der Parietalknochen in der 
Region der Centralwiudungen eingedrückt waren, bietet eine 
völlige Analogie mit der Löffler’schen Beobachtung. Die ein¬ 
gesunkenen Knochen üben einen Druck auf begrenzte Partieen 
der Hirnrinde am obersten Rande beider Hemisphären aus und 
hemmen die Function der motorischen Centren für die isolirten 
Bewegungen der Uuterextremitäten. War diese Voraussetzung 
richtig, so war auch ein Fingerzeig für die Therapie gegeben: 
Trepanation, um die motorischen Centren der Unterextremitäten 
vom Drucke zu befreien und ihre Function herzustellen. — Aber 
wie verlockend auch die erwähnte Hypothese schien, wie interessant 
sie auch war betreffs der Frage der Localisation der motorischen 
Centren in der Hirnrinde, konnte sie doch einer eingehenden Kritik 
nicht Stand halten. Bei einem Drucke auf die Ceutren der unteren 
Extremitäten, bei dem sie völlig ihre Function einbüssten, konnten 
doch die benachbarten Ceutren der oberen Extremitäten kaum unver¬ 
sehrt bleiben, man müsste doch mindestens einen Reiz derselben vor¬ 
aussetzen, und wenn auch keine Paralyse, so hätten doch Reiz- 
erscheinungen in Form von Krämpfen stattfinden müssen. Das Aus¬ 
bleiben jeglicher Symptome des Hirndruckes spricht ebenfalls gegen 
unsere Hypothese. Wir beschlossen mit der Trepanation zu warten 
und begnügten uns mit örtlichen Einreibungen einer Mercurialsalbe. 
Nach einigen Tagen tauchten Symptome auf, welche keinen Zweifel 
übrig Hessen, dass wir eine gewöhnliche Spinalparalyse vor uns 
hatten: es traten Urinverhaltungen ein, die Lumbal- und untersten 
Brustwirbel wurden empfindlich gegen Druck, die Unterextremitäten 
zeigten deutliche Spuren von Atrophie, die elektrische Erregbarkeit 
war vermindert. Da die spinale Herkunft der Paraplegie festgestellt 
war, blieb noch die Frage ungelöst, auf welche Weise die Spinal- 
affection hervorgerufen wurde, und welcher Natur sie sei? Da, wie 
erwähnt, keine unmittelbare Verletzung des Rückenmarks an¬ 
genommen werden konnte, da Patient auf ein weiches Lager fiel von 
unbedeutender Höhe, so musste man annehmen, dass der Schlag 
per distance wirkte, dass wir hier die Erscheinungen eines contre- 
coup vor uns hatten. Sehr wahrscheinlich war auch die Annahme 
richtig, dass in Folge des starken Schlages auf den Schädel eine 
rapide Fortbewegung der Cerebrospinalflüssigkeit aus der Schädel¬ 
höhle in die der Wirbelsäule stattfand und dadurch eine Affection 
des Lumbaltheiles des Rückenmarks bewirkte. Was den Charakter 
der Affection anbetrifft, so konnte anfangs das plötzliche Erscheinen 
der Paraplegie auf den Gedanken bringen, dass wir eine Hämorrhagie 
in die Meningen oder in die Substanz des Rückenmarks vor uns 
hatten, aber solch’ ein Bluterguss erscheint gewöhnlich in Begleitung 
starker Schmerzen und spastischer Krämpfe, während in unserem 
Falle weder Schmerz noch Störung der Sensibilität sichtbar waren. 
Viel wahrscheinlicher schien daher die Voraussetzung, dass wir es 
mit einer Rückenmarkerschütterung zu thun hatten. Unter diesem 
Namen wird, wie bekannt, ein Zustand verstandeu, bei dem infolge 
eines Trauma oder anderer heftiger Einwirkungen (Blitz oder 
plötzliches Anhalten des Eigenbahnzuges) eine bedeutende Functions¬ 
störung des Rückenmarkes stattfindet, ohne gleichzeitige anatomische 
Veränderung desselben. Bekanntlich kann solch’ ein Zustand erfolgen 
nach einem Falle von einer mässigen Höhe auf Füsse, Rücken, Steiss 
oder mit ausgestreckten oberen Extremitäten. Erb beobachtete eine 
Commotio medullae spinalis bei zwei Damen nach einem Falle auf 
dem Parquetboden und auf der Eisbahn. Der Schlag eines schweren, 
sich bewegenden Körpers, welcher Rückgrat oder Oberkörper trifft, 
kann auch eine Erschütterung des Rückenmarkes hervorrufen. In 
unserem Falle konnten zwei Voraussetzungen gemacht werden: die 
Rückenmarkerschütterung sei entweder durch den Fall auf den Rücken 
entstanden, oder der Schlag auf den Kopf, welcher eine unbedeutende 
Commotio cerebralis hervorrief, habe auch, und sogar in viel grösserem 
Maasse, das Rückenmark erschüttert. Die erste Annahme erscheint 
deshalb unwahrscheinlich, weil die Höhe des Falles gar zu un- 


*) General bericht über den Gesundheitsdienst im Feldzuge gegen Däne¬ 
mark 1864. — Berlin 1867. 


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378 


DEUTSCHE MEDICIN1SCUE WOCHENSCHRIFT. 


bedeutend und der Boden, auf welchen Patient fiel, sehr weich mit 
Stroh bedeckt war. Wir müssen folglich bei der zweiten Vor¬ 
aussetzung steheu bleiben. Der Umstand, dass der Hieb über den 
Kopf eine unbedeutende, rasch verschwindende Erschütterung des 
Gehirns, aber eine um so stärkere Beschädigung der unteren Theile 
des Rückenmarkes hervorrief, steht durchaus nicht im Widerspruche 
mit den aus der Literatur bekannten Fällen, wo Schläge auf ver¬ 
schiedene Theile des Körpers starke Verletzungen oder sogar Risse 
der entferntesten Organe (Leber, Milz etc.) nach sich zogen, indem 
sie gleichzeitig die nächst liegenden Theile ganz unbeschädigt Hessen. 
Was die Stelle der Affection anbetrifft, so müssen wir auf Grund 
der Verbreitung der Paralyse die unterste Gegend des Brusttheiles 
und den Lumbaltheil des Rückenmarkes annehmen. Der weitere 
Verlauf hat die Voraussetzung einer stattgefundenen Erschütterung 
bestätigt. - 

23. März. Eine sichtbare Atrophie der Muskeln der unteren Extre¬ 
mitäten; die elektrische Erregbarkeit geschwächt; Harnentleerung nur mit 
Hülfe eines Katheters; die Dornfortsätze des untersten Endes des Brust¬ 
theiles und des Lumbaltheiles der Wirbelsäule sind gegen Druck empfind¬ 
lich. Ich beschloss die Wirkung einer vorsichtigen Galvanisation zu ver¬ 
suchen: die gut durchfeuchtete Anode von sechs Elementen Stohrer’s 
wirkte auf den empfindlichen Theil des Rückgrates, indem sie leicht von 
oben nach unten gerückt wurde, die Kathode befand sich am Scrobiculum 
cordis, so dass der Strom quer durch den afficirten Theil des Rückenmarkes 
ging. Sitzungen täglich, Dauer 3—5 Minuten. 

28. März (nach 5 Sitzungen). Keine Reizungserscheinungen; in den 
Zehen der rechten Extremität zeigen sich einige Bewegungen. Urinverhal¬ 
tung vorhanden. Verstopfung. 

29. März. Die Zehen des linken Beines fangen an sich zu bewegen. 
Patient hat zweimal ohne Hülfe des Katheters Urin entleert. 

30. März. Die Bewegungen bessern sich; Urinentleerung frei. Die 
Galvanisationsbehandlung wurde fortgesetzt. Die Bewegungen besserten sich 
von Tag zu Tag, so dass Mitte Mai Patient sich schon auf zwei KrückeD 
bewegen konnte. Ictf verliess alsdann auf einige Zeit das Hospital, und 
gleich darauf kehrte auch der Kranke in sein Dorf zurück. 

Die schnelle Besserung infolge der Galvanisation sprach auch 
in unserem Falle zu Gunsten einer Commotio medullae spinalis, wo, 
wie bekannt, die Veränderungen der Nervenelemente rein molecu- 
läre sind. Aber im weiteren Verlaufe gehen diese Veränderungen 
nicht selten in viel ernstere, bleibende organische Veränderungen, 
myelitische Processe mit ihren Folgen über. In unserem Falle trat 
einige Zeit nach dem Trauma auch Verschlimmerung ein, die Dorn¬ 
fortsätze der Wirbelsäule wurden schmerzhaft, Urinverhalten etc., 
welche wahrscheinlich von leichten, entzündlichen Erscheinungen 
abhing. Die Galvanisation vermochte nur einen Theil der Nerven¬ 
elemente zu verbessern, welche noch im Zustande moleculärer Ver¬ 
änderung waren, infolge dessen traten auch schnell viele Krank¬ 
heitssymptome zurück. Im vorigen Jahre sah ich den Patienten 
in meiner Sprechstunde wieder, er ging auf eine Krücke gestützt. 
Urinentleerung w r ar ganz frei; die motorische Kraft der Beine erwies 
sich bei der Untersuchung fast normal, dagegen waren aber deutliche 
spastische Erscheinungen vorhanden. Steigerung der Sehnenreflexe 
und spastischer Gang. Diese Erscheinungen mussten auf die statt- 
gefuudene Myelitis und secundäre Degeneration der Seitenstränge 
zurückgeführt werden. 

Ein Fall von Gummata im Kleinhirn. 

Der folgende Fall ist nach zweifacher Richtung von Interesse: 

1. Verdienen die luetischen Affectionen des Nervensystems, 
speciell des Centralnervensystems unsere volle Aufmerksamkeit. 

2. Ist der Sitz einer Läsion im Cerebellum, dessen Function 
noch nicht vollständig aufgeklärt ist, von grossem Interesse. 

Die Lehre von dem Zusammenhang der Infection des Organismus 
mit Nervenkrankheiten im Allgemeinen, und luetischer Infection 
insbesondere, hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der Kliniker 
in hohem Maasse auf sich gezogen. Was die syphilitische Affection 
des Nervensystems anbetrifft, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, 
dass sie nicht nur in theoretischer, soqdern auch in praktischer 
Hinsicht grosses Interesse darbietet. Es wird wohl kaum in irgend 
einem anderen Falle ein so energisches Einschreiten seitens des 
praktischen Arztes erforderlich sein, wie bei einer luetischen Er¬ 
krankung des Central nervensystems, und bei keiner Affection des¬ 
selben erreicht die Therapie so glänzende Resultate wie bei der 
luetischen. 

Was die Affectionen des Cerebellums anbetrifft, so verdienen 
dieselben unbestreitbar die vollste Aufmerksamkeit des Klinikers. 
„Es giebt kaum einen anderen Hirntheil“, (sagt Nothnagel in 
seinem klassischen Werke: „Ucber die topische Diagnostik der Hirn¬ 
krankheiten), „über dessen Symptomatologie die Meinungen bis in die 
jüngste Zeit so entgegengesetzt gewesen wären, wie das Cerebellum“. 
Während einige Beobachter bei Läsionen des Kleinhirns gekreuzte 
und ungekreuzte Lähmungen, Empfiudungsstörungen, Amaurosen etc. 
gefunden haben, meinten andere, dass es keine einzige Functious- 
störung gebe, welche der Schädigung des Kleinhirns zugeschrieben 
werden konnte. Die Ursache eiuer solchen Meinungsverschiedenheit 


No. 19 


liegt darin, dass Symptome, welche vom Druck verschiedener im 
Cerebellum gelegener Herde auf die benachbarten Regionen: 
Pons, Medulla oblongata, Corpora quadrigemina etc. abhingen, dem 
Kleinhirne zugeschrieben worden sind. Nothnagel theilt alle in 
der Literatur gesammelten Beobachtungen in verschiedene Gruppen 
wie z. B. Atrophieen, Blutergiessungen, Geschwülste, Tuberkel etc. 
Es zeigt sich hieraus, dass gewisse Affectionen des Kleinhirns ganz 
symptomenlos verlaufen können, grösstentheils handelt es sich in 
solchen Fällen um Ausfallsherde, wo also keine entfernten Wirkungen, 
wie Druckerscheinung auf die benachbarten Organe, entfaltet werden 
konnten. Von allen in der Literatur beschriebenen Phänomenen, 
welche bei Kleinhirnläsionen beobachtet werden, kann nur eine 
einzige Erscheinung unmittelbar von der Erkrankung dieses Organs 
abhängig sein, nämlich die sogenannte cerebellare Coordinations- 
störung und der Schwindel. All’ die übrigen Phänomene müssen 
als unwesentliche, complicirende betrachtet werden. Der weitere 
Schluss, welchen Nothnagel aus den gesammelten Beobachtungen 
zieht, ist folgender: Coordinatiousstörungen treten nur dann auf, 
wenn die Erkrankung unmittelbar oder mittelbar den Wurm, den 
Mittellappen des Kleinhirns betheiligt. Wir gehen jetzt zu unserem 
Falle über. 

Alexander Seliwanoff, 32 Jahre alt, trat am 28. October 1886 in’s 
Stadthospilal ein, mit der Klage über Kopfschmerzen, Schwindel und Be¬ 
schwerden beim Gehen. 

Anamnese: Vater des Patienten ist an Schwindsucht gestorben, 
Mutter, Bruder und Schwester sind gesund. Vor 5 Jahren acquirirte Patient 
ein Ulcus penis, später traten Condylomata circa anum auf, von Ausschlag 
weiss Patient nichts zu sagen. Er wurde in die syphilitische Abtheilung 
des Arbeiter-Krankenhauses aufgenommen, wo er eine Schmiercur durch¬ 
machte. Nach 2 Jahren bekam Patient ein Ulcus auf der rechten Regio 
glutaea, welches vom Arzte für ein syphilitisches erklärt wurde. Seit 
8 Jahren ist Patient in hohem Maasse Alkoholist und ganz besonders 
stark in der letzten Zeit. Seit 3 Monaten stellten sich Kopfschmerzen ein, 
die ihren Hauptsitz in der Stirngegend hatten, zuweilen auch die Occipital- 
gegend einnahmen. Die Schmerzen waren am Tage stärker als in der Nacht, 
so dass der Schlaf ungestört verlief. Gedächtniss und Denkvermögen wurden 
in keiner Weise angegriffen. Nach einiger Zeit stellten sich merkbare Be¬ 
schwerden beim Gehen ein; der Gang wurde unsicher, taumelnd, die Beine 
knickten oft zusammen. Zugleich wurde Patient öfters von Schwindel be¬ 
fallen; trotz all’ dieser Erscheinungen konnte Patient seinem Tischlerberufe 
bis zum Eintritte in’s Spital nachgehen. 

Status praesens am 17. November: Psychische Thätigkeit vollständig 
intact, Schlaf gut, häufige Kopfschmerzen, wie erwähnt, hauptsächlich am 
Tage in der Stirn und mitunter in der Nackengegend. Gehirnnerven normal; 
Sehkraft vollständig unverändert, Patient kann ganz bequem lesen; ophthal¬ 
moskopisch nicht untersucht. Das Stehen breitbeinig, beim Zusammenrücken 
der Beine starkes Schwanken, welches beim Schliessen der Augen sich ver¬ 
stärkt, so dass Patient umzufallen droht. Der Gang breitbeinig, taumelnd, 
wie im trunkenen Zustande; Patient kann nicht geradeaus gehen, sondern geht 
im Zickzack, wobei häufig eine Neigung zum Umfallen bemerkbar wird, und 
zwar immer nach rechts. Bei geschlossenen Augen verschlimmert sich der 
Gang bedeutend. Patollarreflexe normal; hie und da ohne irgend welche 
Veranlassung Erbrechen. Nacken- und Halsdrüson etwas vergrössert; in 
der rechten Regio glutaea eine deutliche, strahlige, unebene Narbe, länglicher 
Form. Es wurde innerlich vom 17. November ab Jodkalium verabreicht, 
und zwar in Dosen von 3—4 g täglich, ausserdem Ungt. gris. 2,0 pro die 
eingerie.ben. 

23. November: Das Erbrechen hat aufgehört, Kopfschmerzen bedeutend 
geringer. Der Gang hat sich wesentlich gebessert. 

27. November: Plötzlich heftige Kopfschmerzen, Erbrechen, bald dar¬ 
nach Sopor und Exitus lethalis. 

Autopsie am 28. November: In den Brtist- und Bauchorgauen nichts 
Abnormes, ausgenommen zwei grosse eingezogene, strahlige Narben im 
rechten Leberlappen. Schädeldach leicht abnehmbar. Dura mater nor¬ 
mal; keine Verwachsung zwischen den Häuten und derselben mit dem Ge¬ 
hirn. Im Arachnoidalraum eine Ansammlung seröser Flüssigkeit, 
welche auch in ziemlicher Menge in den Ventrikeln vorhanden ist. Die 
Gehirnsubstanz blutarm, ödematös. An der Basis cranii nichts Abnormales zu 
bemerken, hauptsächlich zeigen die Blutgefässe makroskopisch eine normale 
Beschaffenheit. Im Kleinhirn zeigten sich auf der unteren Fläche zwei Ge¬ 
schwülste von grau-gelblicher Farbe, welche beide in der rechten Hemisphäre 
gelagert waren; eine von der Grösse einer Wallnuss lag im Lobulus cuuei- 
formis, ganz am vorderen Rand desselben und grenzte an dor einen Seite 
an die Tonsille, an der zweiten au den Sulcus magnus horizontalis. Die 
zweite Geschwulst von der Grösse einer Haselnuss, lag im Lobulus semicir- 
cularis posterior inferior dicht an dem Wurm. Beide Geschwülste stellten 
sich makroskopisch, wie auch bei den mikroskopischen Untersuchungen als 
Gummata heraus. (Die Obduction und mikroskopische Untersuchung wurde 
gütigst von Dr. Samgin ausgeführt.) 

Wenn wir unsern Fall in Kürze resuiniren, so sehen wir Fol¬ 
gendes: 5 Jahre nach einer luetischen Infection entwickelt sich hei 
einem jungen, 32jährigen Manne ein Krankheitsbild, welches fol¬ 
gende Symptome darstellt: Kopfschmerzen, ab und zu Erbrechen, 
Schwindel und Ataxie, sonst keine Störungen, weder seitens des 
Gehirnes noch Rückenmarkes, keine Paralysen, keine Sehstörungen etc. 
Bezüglich der Ataxie konnte kein Zweifel herrschen, dass sie nicht 
spinaler Natur sei, da überhaupt keine tabischen Erscheinungen (Fehlen 
der Sehnenreflexe, Seusibilitätsstörungen, Pupilleustarrc etc.) vor- 


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10. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


379 


banden waren, andererseits sprach der Verlauf und die übrigen Er¬ 
scheinungen (Erbrechen, Kopfschmerzen) für ein Gehirnleiden. Da 
der Mangel an Symptomen, weder eine Affection der Rinde noch des 
Pons und der Medulla oblongata vermutlien Hess, so konnte diese 
Ataxie also weder als Rindenataxie, noch als bulbäre Ataxie be¬ 
trachtet werden. Der Gedanke lag also nahe, eine Läsion des 
Kleinhirnes vorauszusetzen, dafür sprach auch der Schwindel und der 
Charakter des Ganges. Der letztere entsprach vollständig dem Bilde, 
welches hei Cerebellarerkrankungen beschrieben wird; er war dem 
Gange eines Betrunkenen ähnlich: taumelnd, weshalb der Kranke 
nicht geradeaus gehen konnte, sondern im Zickzack. „Einem meiner 
Kranken“, schreibt Nothnagel bei dieser Gelegenheit, „ist das 
Missgeschick begegnet, verschiedene Male wegen dieses seines Ganges 
von der Polizei als Betrunkener eingesteckt zu werden“. 

Was nun die Natur der Affection anbetrifft, so musste natürlich 
an eine luetische Infection in erster Reihe gedacht werden, da in 
der Anamnese zweifellos Lues fungirte, auch bei der Untersuchung 
manche Fingerzeige auf diese Infection hinwiesen (geschwollene 
Drüsen, charakteristische Narbe). 

Der Erfolg der antiluetischen Therapie entsprach Anfangs voll¬ 
ständig der gestellten Diagnose, doch nahm plötzlich die Sache eine 
ungünstige Wendung, und der Tod erfolgte, wie die Autopsie 
zeigte, infolge von Gehirnödem. Eine solche Wendung des Verlaufs 
und plötzliches Eintreten des Todes gehört bei Gehirntumoren, wie 
bekannt, keineswegs zu den seltenen Erscheinungen, und in unserem 
Falle kajnn eine solch’ plötzliche Wendung um so weniger befremden, 
wenn w r die Grösse der Geschwulst in’s Auge fassen, die Be¬ 
einträchtigung der Circulation und die Nähe der Medulla oblongata. 
Bei der geringsten Schwankung und Verschlimmerung in der schon 
ohnedies erschwerten Circulation konnte leicht Gehirnödem und 
Lähmung der Athmung hervortreten. — Wir gehen nun zu einer 
kurzen Analyse der Symptome über. Das Erbrechen, welches 
bei unserem Patienten zeitweise vorkam, ist zwar keine durchaus 
beständige, aber recht häufige Erscheinung bei Erkrankung des 
Kleinhirns, besonders wird es bei frischen Blutungen, wachsenden 
Abscessen und Tumoren beobachtet (Nothnagel). Es fehlt da¬ 
gegen manchmal bei einfachen Ausfallserkrankungen. Es unterliegt 
keinem Zweifel, dass dieses Symptom nicht unmittelbar von der 
Läsion des Cerebellums, sondern von einer ausgeübten Einwirkung 
auf benachbarte Theile, besonders auf die Medulla oblongata, ab¬ 
hängt. 

Die Kopfschmerzen concentrirten sich in unserem Falle in 
der Stirngegend, zuweilen auch im Hinterkopfe. Das widerspricht 
nicht den in der Literatur veröffentlichten Fällen: Hinterkopf¬ 
schmerzen werden am häufigsten beobachtet, aber hier und da löca- 
lisirt sich der Schmerz auch an der Stirn. Was die Coordinations- 
störung anbetrifft, so haben wir dieselbe genügend besprochen, nur 
eins möchte ich noch erwähnen, dass bei unserem Patienten immer 
eine Neigung nach rechts zu fallen entschieden bemerkbar war, wo¬ 
bei die Läsion auch in der rechten Seite gefunden wurde. Ueber 
diesen Punkt finden wir bei Nothnagel Folgendes: Aus der 
Richtung der Fallbewegungen lässt sich bezüglich der genaueren 
Localisation bis jetzt nichts Bestimmtes aussagen: Es scheint aller¬ 
dings, als ob dieselbe hauptsächlich nach der Richtung hin erfolgte, 
wo die Läsion im Kleinhirn ihren Sitz hat, doch kennt die Literatur 
eine Reihe entschiedener Ausnahmen davon. 

Das Resume ergiebt also Folgendes: Zwei ziemlich umfangreiche 
Geschwülste, von denen eine in der unmittelbaren Nachbarschaft des 
Wurms sich befand, riefen nur folgende Erscheinungen hervor: Kopf¬ 
schmerz, Erbrechen und Coordinationsstörungen. Dagegen riefen die¬ 
selben weder physische Störungen, noch irgend welche bemerkbaren 
Sebstörungen, keine Paralyse hervor; das Alles entspricht vollständig 
den Schlüssen Nothnagel’s. 

IV. Die therapeutische Verwendung der intra¬ 
trachealen Injection bei Thieren. 

Von Dr. Sclimaltz. 

Die Methode, Arzneimittel durch Einspritzung in die Trachea 
zu appliciren, ist in der Thierheilkunde nicht neu und schon vor 
einigen Jahrzehnten, besonders in Frankreich und Italien, versucht 
worden. Im Jahre 1883 hat Professor Levi zu Pisa ein Werk 
über „manuel pratique des injections tracheales dans le. cheval“ 
erscheinen lassen. Wenn auch nicht geleugnet werden kann, dass 
die darin beschriebenen eingehenden Versuche nach mancher Seite 
bin interessant sind und die bereits gemachten Erfahrungen we¬ 
sentlich erweitern, so geht doch der genannte Autor in seinen Vor¬ 
schlägen über die Anwendung seiner Methode viel zu weit, und die 
Angaben über ausserordentliche Heilerfolge bei einer grossen Zahl 
verschiedenster Krankheiten dürften mit grosser Vorsicht aufzunehmen 
sein. 


Dagegen sind in der Klinik für innere Krankheiten der hiesigen 
thierärztlichen Hochschule von dem Leiter derselben, Professor 
Dieckerhoff, bezüglich der Verwendbarkeit der intratrachealen In¬ 
jection Erfahrungen gesammelt worden, welche zu ebenso zuver¬ 
lässigen als beachtenswerten Resultaten geführt haben und dieser 
therapeutischen Methode in der Thierheilkunde ein zwar streng 
begrenztes, aber um so fruchtbareres Feld eröffnen. 

Sämmtliche, bisher von den verschiedenen Autoren angeführten 
Versuche haben unzweifelhaft dargethan, dass die Respirations¬ 
schleimhaut des Pferdes in hohem Grade die Fähigkeit besitzt, 
gelöste Stoffe schnell zu resorbiren, und dass sie sich, vielleicht 
eben deswegen, auch solchen Flüssigkeiten gegenüber indifferent 
verhält, welche auf anderen Schleimhäuten und in der Subcutis 
eine starke entzündliche Reizung hervorzurufen im Stande sind. 
Es ist ferner festgestellt, dass die Thiere durch Injection von 
Flüssigkeiten in die Trachea nicht wesentlich, höchstens durch eineu 
geringen vorübergehenden Hustenreiz, belästigt werden, und dass 
grössere Quantitäten wiederholt injicirt werden können. 

Abgesehen von denjenigen Arzneimitteln, welche bestimmt sind, 
local zu wirken, könnten aber für die intratracheale Injection von 
vornherein nur solche Stoffe in Betracht kommen, welche rasch in 
die Blutbahnen gelangen sollen, um so eine allgemeine Wirkung zu 
erzielen. 

Die für solche Stoffe vorliegenden Indicationen erfordern in¬ 
dessen im Allgemeinen kleine Mengen der Subcutis gegenüber völlig 
indifferenter Solutionen, für welche die subcutane Application nach 
wie vor empfehlenswerther, weil bequemer, bleibt. 

Einzig und allein dann, wenn es sich um ein Arzneimittel 
handelt, bei welchem die Flüssigkeitsmeuge oder vor Allem eine 
unausbleibliche, starke Reizung der Subcutis der subcutanen In¬ 
jection hindernd entgegensteht, wird nach dieser Richtung eine In- 
dication für die intratracheale Injection vorliegen. 

Die Anwendung der intratrachealen Injection wird in erster Linie 
auf die locale Behandlung der Respirationsorgane sich beziehen. 
Dass in diese Behandlung auch die acuten und chronischen Er¬ 
krankungen des Lungengewebes selbst erfolgreich miteinbegriffen 
werden könnten, weist Dieckerhoff in seinen Veröffentlichungen 
über den in Rede stehenden Gegenstand entschieden und unbedingt 
zurück. Es kann daher nur die Respirationsschleimhaut in ihrem 
oberen Theil in Betracht kommen. 

Katarrhe der Nasen- und Kopfhöhlenschleimhaut, sowie des 
Luftsackes (jener dem Pferde eigentümlichen blasigen Ausbuchtung 
der Schleimhaut der Tuba Eustachii, beiderseits zwischen dieser 
und dem Schlundkopf gelegen) sind beim Pferde sehr häufig. In 
Folge des buchtigen Baues der Kopfhöhlen, wodurch der leichte Ab¬ 
fluss des Secretes gehindert wird, neigen diese Katarrhe zu chro¬ 
nischem Verlauf, ihre Behandlung wird indessen in jedem Fall am 
besten direkt durch Trepanation der betreffenden Höhle in Angriff 
genommen; ebenso fordert die seltene Erkrankung des Luftsackes 
immer eine direkt-operative Behandlung. 

Somit geben im Ganzen nur die Erkrankungen des Kehl- und 
Schlundkopfes Gelegenheit für die Anwendung der intratrachealen 
Injectionen. 

Diese Erkrankungen sind beim Pferde sehr häufig und, da sie 
im Falle längeren Bestehens leicht schlimme Complicationen nach 
sich ziehen, vielfach dem Leben des Thieres gefährlich. Be¬ 
sonders im Verlauf der Druse — einem infectiösen eitrigen Ka¬ 
tarrh der Respirationsschleimhaut, mit Abscedirung der Lymph- 
drüsen des erkrankten Gebietes — drohen durch Abscedirung der 
retropharyngealen Lymphdrüsen, durch Uebergreifen der Schleim- 
bauterkrankuug auf die Submucosa des Pharynx, durch eventuelle 
Perforation des Larynx in Folge benachbarter Abscesse schwere 
Gefahren, wenn die Krankheit einen protrahirten Verlauf nimmt, so 
dass eine rasche, energische Behandlung hier dringend geboten ist. 

Inhalationen sind beim Pferde wirkungslos, Zugaug von der Maul¬ 
höhle aus zum Larynx und Pharynx ist der eigenthümlichen Gestalt 
des Gaumensegels wegen überhaupt nicht oder nur schwer zu er¬ 
langen. 

In Folge dessen hat Dieckerhoff hierbei intratracheale Injection 
von entsprechenden Arzneimitteln angewendet und sonst nicht zu 
erreichende Erfolge erzielt . Ganz besonders sind dieselben auch 
bei dem chronischen trocknen Kehlkopfskatarrh hervorgetreten, der 
sonst „allen bisher üblich gewesenen Curmethoden trotzte“. 

Bei letzterem Uebel kam zunächst 0,5% Alaunlösung uud 0,75 
bis 1,0% Kochsalzlösung, demnächst viele andere Präparate zur Ver¬ 
wendung. Dieckerhoff benützte dazu oine Metallspritze von ca. 
100 g Inhalt, an welche eine mehr oder weniger gekrümmte Hohl¬ 
nadel angeschraubt ist. Der Hals des Pferdes wird gestreckt, die 
Haut am Luftröhrenansatz etwas vorgeschoben und die Nadel in 
das Ligamentum crico-tracheale oder auch zwischen den ersten und 
zweiten Luftröhrenring eingestochen. Darauf wird sie so gedreht, 
dass die Spitze sich nach vorn, also iu den Larynx hineinkrümmt, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


380 


Die Entleerung der Spritze hat schnell zu erfolgen. Die Nadel 
kann auch durch einen Knorpelring gestossen werden, wobei die¬ 
selbe aber nur am vordersten Theil geschärft sein darf, weil sonst 
leicht Knorpelstückchen ausgeschnitten werden und die Nadel ver¬ 
stopfen. 

Zur Verwendung können alle gebräuchlichen Schleimhautmittel 
gelangen; ausser einigen Hustenstössen pflegen üble Nachwirkungen 
nicht einzutreten. 

Am interessantesten ist indessen die Einspritzung von Lu- 
gol’scher Jodlösung in die Trachea bei der Blutfleckenkrankheit 
(morbus maculosus) der Pferde, deren Heilwirkung ganz neuerdings 
von Dieckerhoff gefunden worden ist und welche eine der er¬ 
freulichsten Errungenschaften der Thiertherapie darstellt. 

Die Blutfleckenkrankheit der Pferde tritt in vielen Gegenden 
sehr häufig und vielfach mit letalem Ausgaug auf, allermeist wenig¬ 
stens erfordert die Reconvalescenz eine sehr lange Zeit. Charak¬ 
teristisch ist für dieselbe neben m. o. w. hohem Fieber das Auf¬ 
treten zahlreicher, circumscripter und diffuser blutiger Infiltrationen 
in der Nasenschleimhaut und Conjunctiva und die rasche Entstehung 
ausserordentlich umfangreicher Oedeme an Kopf, Bauch und den 
Gliedmaassen. Letztere werden häufig gänzlich bewegungsunfähig; 
besonders an den Beugeflächen der Gelenke beginnt eine Exsudation 
gelblichen Serums in der Haut, welche leicht in tiefgreifende Eite¬ 
rung ausartet. Die Schwellung des Kopfes wird oft so stark, dass 
die Nasenöffuungen verschwellen, und da das Pferd in Folge des 
langen Gaumensegels nicht durch die Maulhöhle athmen kaun, so 
ist die entstehende Erstickungsgefahr nur durch die Tracheotomie 
zu beseitigen; diese bedingt aber eine weitere schwere Coraplication, 
da alle Verletzungen während der Blutfleckeukrankheit Neigung zu 
Gangrän, mindestens sehr schlechte Heiltendenz zeigen. In Folge 
dessen ist auch, da die Thiere w'egen grosser Schwäche und 
schmerzhafter Beingeschwulst leicht zum Festliegen kommen, Decu- 
bitalgangrän und Tod nicht selten der Ausgang. 

Bezüglich der Aetiologie der Krankheit hat Dieckerhoff 
schon früher in seiner „speciellen Pathologie und Therapie“ die¬ 
selbe für ein „toxisches Allgemeinleiden“ erklärt, welches von einem 
localen Infectionslieerd, einer Wunde, einem Abscesse (bes. innerer 
Organe), meist indessen von einem kaum merkbaren geringfügigen 
localen Processe ausgehe. Im Verlauf der allgemeinen Infection 
scheinen schwere Veränderungen der Blutbeschaffenheit und damit der 
Gefässwände und der Circulation zu entstehen, welche die oben ge¬ 
schilderten Symptome liervorrufen. 

Die Behandlung des primären Heerdes wild in den relativ sel¬ 
tenen Fällen, wo derselbe erreichbar und bemerkbar ist, natürlich 
günstigen Einfluss ausüben, im Uebrigen waren specifische Mittel, um 
die weitere Ausbildung der Krankheit zu hindern, nicht bekannt. 

Dieckerhoff versuchte nun eine Behandlung mit Jod. Da 
dasselbe zur allgemeinen Wirkung gelangen, also in die Blutbahn 
aufgenommen werden sollte, eine subcutane Injection aber rück¬ 
sichtlich des Quantums und der unausbleiblichen Wirkung des Jods 
auf die Subcutis nicht wohl thunlich erschien, so war hier die An¬ 
wendung der intratrachealen Injection gegeben. 

Der Erfolg war ein überraschender. Die Ausbildung der cha¬ 
rakteristischen Symptome sistirte binnen Tagesfrist, und innerhalb 
weniger Tage gingen die Oedeme zurück, während die Blutflecken 
naturgemäss sich noch länger erhielten, aber ohne sich zu ver¬ 
mehren. Nur in einem Falle trat trotz Rückbildung der Symptome 
der Tod ein, weil die Infection von einem sehr grossen, in der 
Magenwand gelegenen Abscesse ausging, der an sich den Tod be¬ 
dingte. Die Dieckerhoffsche Behandlung ist sofort vielfach von 
Praktikern angewendet worden, und alle Veröffentlichungen darüber 
rühmen den sicheren und raschen Erfolg. Selbstverständlich hat 
daneben eine entsprechend diätetische, sowie eventuell eine locale 
Behandlung der Oedeme und ihrer Complicationen stattzufinden. 

Interessant ist dabei besonders, wie gut die Respirationsschleim¬ 
haut das Jod verträgt. Die Thiere husten einige Male leicht, viele 
überhaupt nicht, trotz der verhältnissmässig grossen injicirten Quan¬ 
titäten. Meist werden zur Injection je nach Bedarf 10—20 g einer 
Lösung von Jod 1, Kal. jodat. 5, Aqua dest. 100 g verwendet und die¬ 
selbe kann mehrmals, ja schon am selben Tage wiederholt werden. 
Locale Nebenwirkungen des Jods sind in keinem Falle beobachtet 
worden. 

Dem veränderten Zweck entsprechend wird hierbei der Einstich 
in die Trachea nicht dicht hinter dem Kehlkopf, sondern etwas tiefer, 
und zwar durch einen Knorpelring oder durch ein Zwischenband 
ansgeführt. Dieckerhoff benutzt hierzu einen nach seiner Angabe 
construirten kleinen Troioart mit konisch zulaufender Hülse, wodurch 
die Application wesentlich leichter und sicherer wird. Derselbe 
wird nachher ans der Hülse herausgezogen und an diese die Spritze 
angesetzt, welche also auch nach Belieben abgenommen und noch¬ 
mals gefüllt werden kann, ohne dass eine Wiederholung des Ein¬ 
stichs nöthig wird. 


No. 19 


Die Entleerung der Spritze hat vorsichtig und langsam zu ge¬ 
schehen, da hier ja keine Irrigation bezweckt wird, vielmehr dem 
Jod Zeit zur Resorption gelassen werden soll, die bei schneller Ein¬ 
spritzung des ganzen Quantums nicht augenblicklich erfolgen könnte. 


V. Referate und Kritiken. 

C. M. Brosius. Altes aus neuen Anstaltsberichten. Berlin, 
Heuser’s Verlag, 1887. 54 S. Ref. Pelm an. 

Eine dritte Adresse an die praktischen Aerzte nennt der Ver¬ 
fasser diese Aualekten, und da gewiss ein praktischer Arzt einen 
Anstaltsbericht nur selten in die Hände nehmen und ihn noch sel¬ 
tener durchleseu wird, so ist es dankbar auzuerkennen, wenn Bro¬ 
sius sich dieser Aufgabe unterzieht und den Vermittler zwischen 
Arzt und Anstalten macht. Obw r ohl diese Austaltsberichte im All¬ 
gemeinen nicht gerade zu der anziehendsten Lectüre zu rechnen 
sind, so sind sie doch keineswegs arm au interessanten Thatsacheu; 
im Gegentlieil, sie enthalten oft genug Mittheilungen und Erfahrungen, 
von denen es nur zu bedauern ist, dass sie meist unbemerkt bleiben 
und rasch der Vergessenheit anheimfallen. 

Dieses Wissenswerthe aufzulesen und zusammenzustellen, hat 
Brosius hier unternommen, und so behandelt er auf wenigen 
Seiten die wichtige Frage der rechtzeitigen Aufnahme von Geistes¬ 
kranken in die Anstalt und der Stellung des Hausarztes zu diesem 
Schritte, der Erblichkeit und Genesung, der Selbstmorde u. a. in., 
und er weist immer wieder auf die NothWendigkeit hin, dass die 
praktischen Aerzte sich eingehender mit der Psychiatrie beschäftigen. 

Ausser diesen mehr praktischen Fragen findet er auch Raum, 
auf wissenschaftliche Untersuchungen einzugehen und das sogenannte 
„inducirte Irresein“ einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Auch 
der Einfluss der Syphilis wird ebenso w'enig vergessen wie die 
Ueberbürdung der Jugend durch die Schule oder das moralische 
Irresein und andere Dinge, die zur Zeit auf der Tagesordnung der 
fachwissenschaftliclieu Vereine stehen und folglich auch in deu An¬ 
staltsberichten behandelt werden. 

Es ist nicht Brosius Art, mit seinem Urtlieile zurückzuhalten, 
und wir erfahren daher ganz genau, wie er über dies oder jenes 
denkt und wie er sich zu der jeweilig angeregten Frage stellt. 
Selbstverständlich wird er nicht überall auf unbedingte Zustimmung 
zu rechnen haben. Da er sich jedoch vor einer einseitigen Partei¬ 
nahme hütet und seine Ansicht in klarer und verständiger Weise 
entwickelt, so folgt man ihm gern und mau wird ihm ebenso gern 
zugestehen, dass er seiner Aufgabe, zur besseren Kenntniss der psy¬ 
chiatrischen Dinge bei den praktischen Aerzten beizutragen, vollauf 
gerecht geworden ist. 


L. J. A. Mdgevand. Contribution a I’dtude anatomo-patholo- 
gique des maladies de la voüte du pharynx. Memoire cou- 
ronne par la Faculte de medecine de Geneve. Avec 2 planches. 
Geneve, Rivera et Dubois, 1887. 190 Seiten. Ref. Maximilian 
Bresgen in Frankfurt a./Main. 

Die in den letzten zwei Jahren wieder besonders in den Vorder¬ 
grund getretenen Erkrankungen des Nasenrachenraumes sind vom 
Verf. eingehender Untersuchungen unterworfen worden. In dem 
ersten kleineren Theile der Arbeit wird der Nasenrachenraum mit 
seinen Organen in seiner normalen Beschaffenheit geschildert, während 
der zweite grössere Theil sich mit den Erkrankungen desselben be¬ 
schäftigt. Von der Bursa pharyngea sagt Verf., dass sie von der 
mittleren Furche der Tonsilla pharyngea wohl unterschieden werden 
müsse; diese sei bei etwas entwickeltem adenoiden Gewebe stets, 
jene häufig vorhanden; die Bursa liege rückwärts von der mittleren 
Furche. Die schon wiederholt widerlegte Luschka’sche Ansicht 
von der Beziehung der sog. Bursa zur Hypophysis hält Verf. für 
zutreffend. Wir bedauern, dass Verf. seiner im October 1886 voll¬ 
endeten Arbeit nicht noch einen Nachtrag beigefügt hat, in welchem 
er der vortrefflichen Arbeit von Schwabach (Ueber die Bursa 
pharygea. Archiv für mikroskop. Anatomie 1887. 29. Bd.), der 
zu ganz anderen, viel wahrscheinlicheren Ergebnissen gelangt ist, 
hätte Erwähnung thün und die Widerlegung derselben versuchen 
müssen. Wir vermissen auch auf den beigefügten zwei Tafeln eine 
Abbildung der sog. Bursa pharyngea, die in ihrer Lage hinter der 
mittleren Furche hätte gezeigt werden müssen. — Im zweiten Theile 
der Abhandlung werden unter Beifügung von Krankengeschichten 
besprochen: der acute und chronische Katarrh des Rachengewölbes, 
die Hypersecretion und Cystenbildung der Bursa, die Geschwüre des 
Rachengewölbes und der Bursa, die Hypertrophie und Atrophie der 
Rachenmandel bezw. des adenoiden Gewebes. Bezüglich der be¬ 
schriebenen Erkrankungen der sog. Bursa wird man wohl mit 
Schwabach der Meinung sein müssen, dass es sich dabei im 
Wesentlichen um nichts anderes als Erkrankungen des adenoiden 
Gewebes handelt, wenigstens so lange, bis durch gleichwerthige 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


381 


10. Mai. 


Untersuchungen die Sc hwabach'scheu Ergebnisse als irrige er¬ 
wiesen sind. 

O. Chiari. Erfahrungen auf dem Gebiete der Hals- und Nasen- 
Krankheiten nach den Ergebnissen des Ambulatoriums. Leipzig 
und Wien, Toeplitz und Deuticke, 1887. Ref. M. Br es gen (Frank¬ 
furt a. M.). 

Verf. berichtet über die im Laufe der letzten drei Jahre in 
seiuem Ambulatorium zur Untersuchung bezw. Behandlung ge¬ 
kommenen 2027 Fälle. — Die besten Erfolge bei der Behandlung 
der Kehlkopftuberculose erreichte Verf. mit der Milchsäure, in 
22 Fällen wurde 2 mal Vernarbung der Geschwüre erreicht, während 
in den anderen Fälleu Reinigung der Geschwüre und kräftige Gra¬ 
nulationsbildung erfolgte. — Neues bietet uns Verf. in seiner Zu¬ 
sammenstellung nicht; für Specialisten mag dieselbe immerhin eini¬ 
gen Werth besitzen, insofern man über einzelne Fälle längeren Be¬ 
richt findet. 


Die Heilquellen des Taunus (Wiesbaden, Weilbach, Sodeu, 
Homburg, Ems, Assmannshausen, Schwalbach, Schlangenbad, 
Selters, Fachingen, Geilnau, Cronthal). Dargestellt von einem 
Vereine von Aerzten. Herausgegeben von Hofr. Dr. Grossmann 
in Schlangenbad. Wiesbaden, Bergmann, 1887. 448 S. Ref. 

Reimer. 

Seit 1851, wo ein Verein von Aerzten die nassauischen Heil¬ 
quellen beschrieb, ist dieses hervorragende baineologische Beob¬ 
achtungsfeld nicht wieder Gegenstand gemeinsamer Arbeit geworden. 
In dem vorliegenden Buch beabsichtigt der Herausgeber den Wechsel 
der Anschauungen in der Medicin und ihren heutigen Standpunkt 
zum Ausdruck zu bringen, und hierzu hat er die berufensten Mit¬ 
arbeiter gewonnen. Für Wiesbaden darf E. Pfeiffer das Verdienst 
in Anspruch nehmen, der Trinkcur erst zu ihrem vollen Rechte 
verholfen und ihre Methode rationell festgestellt zu haben. Er 
schildert die Wirkung des Kochbrunnens auf die gastrischen Organe 
im Vergleich mit Carlsbad und Kissingen. Die wesentlichsten 
Untersuchungen E. Pfeiffer’serstrecken sich indessen auf den Ein¬ 
fluss der Bäder bei Gicht und auf das dabei veränderte Verhalten 
der Harnsäure, welche auf der Höhe der Krankheit in freiem Zu¬ 
stande im Urin auftritt, unter dem Einfluss der Bäder aber iu den 
gebundenen Zustand übergeht. Die Technik der Badecur wird so¬ 
dann im Einzelnen geschildert. Die Vereinigung von Bade- und 
Wohnräumen unter demselben Dach hat bekanntlich die Bettruhe 
nach dem Bade zu einer specifischen Eigentliümlichkeit Wiesbadens 
gemacht, wie sie in dieser Allgemeinheit nirgends sich wiederfindet. 
Als Wintercurort für Lungenschwindsüchtige möchten wir Wiesbaden 
(wo nach Am, Pagenstecher auf 1000 Lebende über 4 Todes¬ 
fälle an Phthise kommen) trotz der gerühmten Staub- und 
Windfreiheit nicht so unbedingt empfehlen, wie Verf. dies thut. — 
Die Darstellung Weilbach’s von Stifft ist im Wesentlichen ein 
Auszug aus der im vorigen Jahre von demselben Verf. herausge¬ 
gebenen Schrift: „Die physiologische uud therapeutische Wirkung 
des Schwefelwasserstoffs.“ Nach Verf. beruht die Wirkung der Schwefel¬ 
quellen und insbesondere Weilbach’s darauf, dass der HS auf die sen- 
siblenFaseru desLungenvagus erregend wirkt, und dass dadurch Reflexe 
auf die Centren der Athmung, der Herz- und Gefässbewegung zu Stande 
kommen. Die beim Gebrauch eintretende Vermehrung der Gallen- und 
Harnstoffausscheidung und die milde, niemals reizende, die Herz- 
thätigkeit herabsetzende Wirkung indiciren Weilbach einerseits bei 
vollsaftigen Personen mit Stauungen im Venensystem, bei Com- 
plicationen mit Hypertrophie und Dilatation des rechten Ventrikels, 
mit Leberhyperämie und Fettleber, andererseits bei Personen mit 
leicht erregbarem Gefiisssystem, mit Neigung zu Congestionen und 
Blutungen, wo die salinischen und kohlensäurereichen Quellen contra- 
indicirt sind. Auf dieser Basis erörtert Verfasser die therapeutischen 
Resultate bei den einzelnen Krankheiten der Respirations- und Di¬ 
gestionsorgane und schliesslich die Badewirkung bei Hautkrankheiten, 
Mercurialleiden und Syphilis. Die Hauptwirkung der Natron-Lithion- 
quelle ist wohl die eines erfrischenden Getränkes. — 

Haupt beleuchtet die klimatischen und baineologischen Vor¬ 
züge So den’s. Dass die officiell von April bis November reichende 
Curzeit Dank der auf Wärme und Windschutz beruhenden Güte 
des Klimas leicht bedeutend verlängert w'erden könnte, ist sicher, 
und wir glauben, dass nur die Nähe eines in socialer Beziehung so 
vorgeschrittenen Curortes wie Wiesbaden diesen Fortschritt ver¬ 
hindert. Bezüglich der Quelleuwirkung tritt Verfasser dem vielfach 
verbreiteten Irrthum entgegen, als ob Soden nur ein Curort für 
Lungenkranke sei, während die Trinkcur doch in vielen Fallen sich 
den Iudicationen für Kissingen oder Homburg anschliesst. — Deetz 
beschreibt des Genaueren die meteorologischen Verhältnisse Hom¬ 
burgs, welches der Mainebeue gegenüber kühler (mittlere Tem¬ 
peratur der drei Sommermonate 17,04° C) und weniger regenreich 
ist. In sanitärer Beziehung hat sich bekanntlich Homburg unter 


Mitwirkung seiner englischen Gäste ausserordentlich günstig ent¬ 
wickelt. Bacteriologische Untersuchungen ergaben das Mineralwasser 
als absolut, das Trinkwasser als fast ganz bacterienfrei. In Betreff 
der physiologischen und therapeutischen Wirkung der Quellen müssen 
wir auf das Original verweisen, in welchem die Stellung des Cur¬ 
ortes zwischen seinen Coneurrenten, Kissingen und Marienbad, ge¬ 
naustem präcisirt wird. — v. Ibell sucht die Wirkung von Ems 
möglichst auf dem von Leichtenstern eingeschlagenen Wege 
nüchterner physiologischer Anschauung zu erläutern. Er hat 
nach E. Pfeiffer’s Vorgang Untersuchungen über die harn¬ 
lösende Wirkung des Emser Wassers angestellt, welche be¬ 
weisen, dass die Lösungsfähigkeit desselben für Harnsä ure- 
concremente keine sehr hervorragende ist, dass sie aber nicht 
erst mit alkalischer Reaction des Urins eintritt. Als Beitrag 
zur Erklärung der die Schleimhautsecretiou beschränkenden Wirkung 
der Trinkcur von Ems citirt Verf. die Rossbach’schen, au Katzen 
angestellten Versuche. Die therapeutischen Erfolge behandelt er in 
4 Abschnitten: Krankheiten des Verdauungsapparates, der Athmungs- 
organe, des Harn- und weiblichen Geschlechtsapparates und allge¬ 
meine Ernährungsstörungen. — Sturm stützt sich auf die Analyse 
Assmannshausens von Fresenius und auf die Erfahrungen 
Mahr’s, der die Wirkungen des Lithioncarbonats auf arthritische 
Processe und auf harnsaure Concremente hervorhob. Trotzdem die 
Lithionmenge (0,028) noch sehr bescheiden ist, so übertrifft sie 
immerhin noch um mehr als das Doppelte die mit so viel Reclame 
angepriesene Salzbrunner Kronenquelle und hat überdies als Lau¬ 
quelle (Temp. 32,5° C) eine gewisse Bedeutung. Sturm verspricht 
sich auch etwas von der neutralisirenden Wirkung des Wassers bei 
krankhaften Zuständen der Magenschleimhaut. — Ueber Schwal¬ 
bach kann kaum etwas Neues gesagt werden. Frickhöffer j un. 
giebt eine vollständige Uebersicht über die Geschichte, die Cha- 
raktereigenthümlichkeiten und den therapeutischen Wirkungskreis 
des Curortes. — Grossmann schildert mit poetischer Wärme 
Schlangenbad und begründet die Bedeutung dieses Badeortes für 
die durch Ueberreizung entstandenen Neurosen. Er empfiehlt die 
Trinkcur bei grosser Reizbarkeit des Magens auf nervöser Basis und 
bei chronischen Katarrhen erethischer Subjecte. Die sedative und 
zugleich tonisirende Wirkuug der Bäder begünstigt die Heilung bei 
Neurasthenieeu, Neuralgieen, Migräne und manchen Uterinleiden. — 
Endlich lenkt Gross mann noch die Aufmerksamkeit auf eiuige 
durch starken Versandt bekannte Quellen. Selters, das weltbe¬ 
rühmte Niederselters, wird jetzt häufig mit dem an CO 2 ärmeren, 
in Actienbetrieb befindlichen Oberselters verwechselt. F’ür Fachin - 
geu (Natr. bic. 3,58%o) hat jüngst E. Pfeiffer die harnsäure¬ 
lösende Eigenschaft nachgewiesen. Geilnau, dem Giesshübler 
Brunnen sehr nahe stehend, ist noch zu wenig beachtet, während 
Cronthal, ein kohlensäurehaltiges Kochsalzwasser, in immer weite¬ 
ren Kreisen sich einbürgert. 


VI. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Generalversammlung am 23. April 1888. 

Vorsitzender: Herr Fräntzel; Schriftführer: Herr A. Fraenkel. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

1. Antrag auf Veränderung der Statuten. Es ist ein An¬ 
trag auf Abäuderung der Statuten, unterstützt von der genügenden 
Anzahl Mitglieder, eingegangen, an Stelle von § 3 zu setzen: 

„Die Leitung und Vertretung des Vereins geschieht durch den Vor¬ 
stand. Derselbe besteht aus einem Vorsitzenden, drei Stellvertretern des¬ 
selben, vier Schriftführern, einem Kassenführer, dem Vorsitzenden der 
Geschäftscommission und dem Bibliothekar.“ 

Herr Fraentzel berichtet, dass in der Geschäftscommissiou 
nur der Antrag angenommen sei, der Generalversammlung vorzu¬ 
schlagen, dass statt zwei Stellvertreter des Vorsitzenden deren drei 
gewählt würden. Schon in der Geschäftscomraission waren die An¬ 
sichten ziemlich getheilt. Wenn nachher mit neun Stimmen gegen 
sechs dafür gestimmt worden ist, dass der Antrag der Generalver¬ 
sammlung vorgelegt werden solle, so entsprang dies dem Wunsche, 
die Meinung der Generalversammlung zu hören und nicht ohne diese 
definitiv zu entscheiden. 

Herr A. Fraenkel: Ich kann nur anführen, was in der Vor¬ 
versammlung der Geschäftscommission zu Gunsten des Antrags an¬ 
geführt worden ist. Einzelne der Herren Vorsitzenden seien öfters 
verhindert, einmal war keiner von ihnen bei der Eröffnung der 
Sitzung anwesend, so dass der Schriftführer die Sitzung eröffnen 
musste. Es ist an der Gesellschaft, sich darüber zu äussern, inwie¬ 
weit diese Gründe für die Annahme des Antrages stichhaltig sind. 

HerrRothmann ist der Ansicht, es genüge vollkommen, einen 
Vorsitzenden und zwei Stellvertreter desselben zu wählen; weun ein- 


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382 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 19 


mal ein Fall vorkomme wie der erwähnte, so sei das kein Unglück, 
die Sitzung brauche nicht auszufallen. 

Herr Fraentzel fasst noch einmal die Gründe zusammen, 
welche innerhalb der Geschäftscommission für den Antrag geltend 
gemacht sind und stellt denselben zur Abstimmung. Derselbe wird 
gegen 17 Stimmen abgelehnt. 

2. Neuwahl des Vorstandes etc., Kassenbericht. Aus der 
Versammlung wird der Antrag gestellt, den ganzen Vorstand durch 
Zuruf wiederzuwähleu. Da sich kein Widerspruch erhebt, werden 
sowohl die drei Vorsitzenden, wie die übrigen Vorstandsmitglieder 
und die Rechnungsrevisoren einstimmig wiedergewählt. 

Demnach besteht der Vorstand für das laufende Jahr aus fol¬ 
genden Herren: 

Erster Vorsitzender: Herr Leyden. 

Stellvertretende Vorsitzende: Herr Fraentzel, Herr Gerhardt. 

Schriftführer: Herr A. Fraenkel, Herr P. Guttmann, Herr 
Jastro witz. 

Kassenführer: Herr M. Marcuse. 

Bibliothekar: Herr M. Meyer. 

Vorsitzender der Geschäftscommission: Herr Ohrtmanu. 

Rechnungsrevisoren: Herr Reich, Herr Werner. 

Von der Geschäftscommission scheidet statutenmässig ein Drittel 
der Mitglieder aus und zwar die Herren Fürbringer, Landau, 

H. Strassmann, Oldendorff, Remak. Für diese werden 
gewählt die Herren: Rothmann, S. Guttmann, Flatow, 
Eberty, Riess. 

Nach dem Bericht der Kassen- und Rechnungsrevisoren, die 
die Kasse und Rechnungen revidirt und in Ordnung befunden 
haben, wird dem Kassenführer Decharge ertheilt. 

Herr Marcuse verliest den Kassenbericht. Danach wurde am 

I. April in’s neue Vereinsjahr eingetreten mit einem Ueberschuss 
von 2 512 M. 90 Pfg., dazu kamen an Beiträgen der Mitglieder 
2630 M., sowie an Zinsen 87 M. Summa 5230 M., die Ausgaben 
betrugen 1600 M. 60 Pfg., somit verbleibt ein Ueberschuss von 
3629 M. 50 Pfg. Davon sind 629 M. 40 Pfg. baar vorhanden, 
der Rest in zinstragenden Papieren angelegt. Der Verein spricht 
dem Kassenführer zugleich mit der Decharge den Dank für die 
musterhafte Ordnung in der Kasse aus. 

Herr Marcuse stellt den Antrag, aus den Ueberschüssen zur 
Erweiterung der Bibliothek für das Jahr 1888/89 400 M. bewilligen 
zu wollen. Der Antrag wird auf die nächste Tagesordnung gesetzt 
werden. 

Herr M. Meyer erstattet einen kurzen Bericht über den Stand 
der Bibliothek und empfiehlt gleichfalls dringend, für die Vermeh¬ 
rung derselben eine Summe auszusetzen. 

Herr Fraentzel ersucht den Bibliothekar, ein Programm vor¬ 
zulegen, wonach die Gesellschaft bescliliessen kaun, was angeschafft 
werden soll. 

3. Herr H. Leo: Demonstration des Gärtner’schen 
„Ergostaten.“ Meine Herren! Ich entspreche einem Wunsche des 
Docenten Herrn Dr. Gärtner aus Wien, indem ich Ihnen den von 
ihm construirten und „Ergostat“ genannten Apparat 1 ) demonstrire. 
Herr Gärtner bezweckt mit seinem Apparat, Patienten, für welche 
eine vermehrte Muskelthätigkeit erforderlich ist, dieselbe in ratio¬ 
nellster Weise zu ermöglichen und zugleich eine genaue Dosirung 
der zu leistenden Arbeit herzustellen. 

Ich habe, zumal in dieser Gesellschaft, kaum nöthig, auf die viel¬ 
fachen hierher gehörigen Indicationen, zu denen besonders Fettsucht 
und gewisse Kreislaufsstörungen gehören, hinzuweisen. Diese Frage 
ist ja bekanntlich gerade in letzter Zeit so überaus häufig und auch 
in diesem Verein discutirt worden, und es sind sowohl hier, wie 
anderwärts z. B. auf dem letzten Wiesbadener Congress und in 
einer kürzlich erschienenen Arbeit von Baraberger die Grenzen 
fixirt worden, welche sich der Therapeut, besonders bei Erkran¬ 
kungen des Circulationsapparates resp. des Herzens zu stellen hat, 
damit nicht die in vielen Fällen zweifellos günstig wirkende Stei¬ 
gerung der Muskelthätigkeit übertrieben oder da angewandt werde, 
wo sie, anstatt heilkräftig zu wirken, die Erkrankung in der schlimm¬ 
sten Weise beeinflussen kann. 

Dass erhöhte Action der gesammten Musculatur, wo sie indicirt 
ist, durch die verschiedenartigsten Arbeiten und Körperübungen, am 
angenehmsten durch Bergsteigen, erzielt werden kann, ist zweifellos. 
Ebensow T euig soll der grosse Werth methodischer Ausbildung hierher 
gehöriger Heilverfahren geleugnet werden, wie sie die schwedische 
Heilgymnastik und das Oertel’sche Verfahren darbieten. Bekannt¬ 
lich ist jedoch häufig die Anwendung, und besonders die dauernde, 
dieser und ähnlicher Methoden aus den verschiedensten Gründen 
unthunlich. 

Der von Herrn Gärtner construirte Apparat nun, Welcher sich 
ausser anderem durch seine Einfachheit und dementsprechende 

') s. Allgemeine Wiener med. Zeitung 1887 No. 49 und 50. 


Billigkeit auszeichnet, scheint mir besonders für solche Fälle ge¬ 
eignet, wo die Erhöhung der Muskelthätigkeit lange Zeit geübt 
werden soll. Der Kranke arbeitet an dem Apparat, indem er mit 
beiden Händen eine Kurbel dreht, wodurch ein Eisenrad in Rotation 
versetzt wird. Dieses Eisenrad wird von einem mit Bremsklötzen um¬ 
gebenen Bremsbaud umspannt, dessen eines Ende an einem ein¬ 
armigen Hebel befestigt ist. Mit Hilfe eines Laufgewichtes, das auf 
dem Hebel verschoben werden kann, wird das Band gegen das Rad 
mehr oder weniger angedrückt und auf diese Weise die Reibung 
zwischen den Bremsklötzen und dem Rade verstärkt oder geschwächt 
und damit auch die Arbeitsgrösse, die bei einer Umdrehung geleistet 
wird, variirt. 

Der Apparat ist empirisch geaicht, und die Zahl der Kilo¬ 
grammeter, welche bei Einstellung des Laufgewichtes auf eine be¬ 
stimmte Stelle des Hebels in einer Umdrehung geleistet werden, an 
dem Hebel markirt. Ausserdem ist mit der Achse des Apparates 
ein Tourenzähler verbunden, auf dessen Zifferblatt die Zahl der er¬ 
folgten Umdrehungen jederzeit controllirt werden kann. Die Zahl 
der Umdrehuugen, multiplicirt mit der auf dem Hebel vermerkten 
Zahl an der Stelle des Laufgewichtes, giebt die geleistete Arbeit, 
in Kilogrammetern ausgedrückt, an. 

Der Vorzug des Apparates besteht zunächst darin, dass die 
Arbeitsleistung durch Kurbeldrehung bewirkt wird. Während bei 
den am meisten üblichen Bewegungen, wie Gehen, Hanteln etc. in 
vorwiegendem Maasse nur einzelne Muskelgruppen angestrengt 
werden, treten bei der Kurbeldrehung die grössten Muskelmassen 
des Körpers, besonders die des Rumpfes und der Hüften, aber auch 
die der Extremitäten gemeinsam in Action. In Folge dessen tritt 
auch, wie das allgemein bekannt ist, bei Kurbeldrehung viel weniger 
leicht Ermüdung ein, als wenn dieselbe Arbeit durch anderweitige 
Bewegung bewirkt wird. Zugleich wird durch die rhythmische 
Compressiou des Unterleibes der Pfortaderkreislauf angeregt. Ein 
weiterer Vorzug ist der, dass die Arbeit in einer sicheren Einheit, 
nämlich in Kilogrammmetern, zugemessen werden kann. Dieser 
Umstand macht den Apparat auch sehr brauchbar für wissenschaft¬ 
liche Zwecke, besonders Stoffwechseluntersuchungen. Zu diesem 
Zweck ist derselbe bereits in den letzten Wochen im Laboratorium 
des Herrn Professor Zuntz, und zwar mit gutem Erfolg, benutzt 
worden. 

Auf die specielleren Vorschriften für den therapeutischen Ge¬ 
brauch des Apparates gehe ich hier nicht ein und hebe noch her¬ 
vor, dass derselbe, nach der Mittheilung von Herrn Gärtner, be¬ 
reits in vielen Fällen mit Erfolg angewendet worden ist. Zu be¬ 
ziehen ist der Apparat bei A. Busch in Wien. 

4. Fortsetzung des Vortrages des Herrn Gerhardt: Ueber 
Zeichen und Behandlung des einfachen chronischen Magen¬ 
geschwürs. (Der Vortrag ist in No. 18, p. 349 veröffentlicht.) 
Die Discussion über den Vortrag wird vertagt. 


VII. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 2. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Siegmund. 

Der Vorsitzende bringt vor der Tagesordnung folgende Erklärung des 
Herrn v. Bergmann zur Verlesung: 

In der No. 1426 des British medical Journal vom 28. April 1888 wird 
mit folgenden Worten auf p. 933 „As Dr. v. Bergmann has not contra- 
dicted this Statement, it may be accepted as true“ die Behauptung ver¬ 
treten, dass, weil ich zu persönlichen und sachlichen Angriffen schweige, 
ich die Richtigkeit derselben zugebe. Wenn das British medical Journal 
nicht ein Blatt wäre, dessen wissenschaftlichen Werth ich ausserordentlich 
hochschätze, könnte ich zu diesem Schlüsse auch schweigen, so aber muss 
ich mich gegen denselben verwahren. Ich schweige nicht, weil ich Unrecht 
habe, sondern weil ich, wie jeder ehrenwerthe britische und deutsche Arzt, 
Vorgänge am Krankenbette meiner Patienten nicht öffentlich bespreche. 

Ernst v. Bergmann. 

1. Herr A. Rosenberg demonstrirt einen spindelförmigen Speie hei - 
stein von 3,5 cm Länge, 1 cm Breite und 0,5 cm Dicke. 

2. Herr A. Baginsky: Ueber G&hrimgävorgänge im kindlichen 
Darmcanal. (Der Vortrag wird in einer der nächsten Nummern in extenso 
mitgetheilt werden). 

3. Herr E. Senger: Ueber degeneratlve Einwirkungen unserer 
üblichen Antimycotica auf die Parenchymorgane mit besonderer Be* 
rUcksichtignng der Nierenchirurgie. Wenn nach einer einseitigen 
Nierenexstirpation der Operirte urämisch zu Grunde geht, so hat man das 
so erklärt, dass die bleibende Niere nicht intact und daher nicht im Stande 
gewesen sei, die Functionen der ausgeschalteten anderen Niere mit zu über¬ 
nehmen. Diese Erklärung genügt nicht gegenüber der Beobachtung, dass 
solche Patienten sterben, obwohl die übriggebliebene Niere sich bei der 
Section als vollkommen normal herausstellte. Selbst da, wo die Niere gar 
nicht exstirpirt, sondern nur das Nierenbecken wegen eines Steines, einer 
Eiteransammlung etc. geöffnet werde, hat man Todesfälle unter urämischen 
Erscheinungen beobachtet. J. Israel hat für solche Fälle angenommen, 
dass durch den Reiz, welchen man auf eine Niere oder auf einen Ureter 


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10. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 383 


ausübt, auf nervösor Basis die andere Niere ihro Function versagt. Herr 
Seuger hat sich von der Haltbarkeit dieser Hypothese nicht überzeugen 
können, möchte vielmehr annehmen, dass mau bisher bei der Beurthoilung 
solcher Fälle die Rollo nicht genügend gewürdigt hat, welche unsere ge¬ 
bräuchlichen Antimycotica dabei spielen. Er ist daher zunächst experi¬ 
mentell dieser Frage uähergetreten und hat Kaninchen und Mäusen nicht 
tödtliche Dosen der üblichen Antimycotica subeutan injicirt und, nachdem 
dieselben durch die Nieren hindurchgegaugen, letztere exstirpirt. Es zeigten 
sich dabei auffallende Degenerationserseheinungen in den Nieren, die Vor¬ 
tragender durch eine Serie von Zeichnungen und Präparaten demonstrirt. 
Bringt man die betreffenden Stoffe nach der Schwere der Veränderungen, 
welche sie hervorrufen, in eine Scala, so steht in erster Linie das Sublimat, 
dann kommt das Jodoform, die Carbolsäure, Salicylsäure, Borsäure. 

In zwei Fällen hatte IlerrSenger Gelegenheit, diese Verhältnisse auch 
an menschlichen Organen zu prüfen, der eine wurde ihm von Herrn J. Israol 
zur Untersuchung überlassen; es handelte sich um eine Frau, die nach Ex¬ 
stirpation einer Niere bei anscheinend gesunder anderer Niere gestorben 
war. Es zeigten sich hier sehr bcmerkenswerthe Störungen in der zurück¬ 
gebliebenen Niere, die das charakteristische Bild der Degcnaration darstellen. 

Auf Grund dieser Ergebnisse glaubt der Vortragende die praktische 
Forderung aufstellen zu sollen, dass man bei allen Operationen in der 
Bauchhöhle und Brusthöhle die Benutzung der Antimycotica als Spülmittel 
vermeiden soll. Will man nicht einfach sterilisirtes Wasser anweuden, so 
dürfte Kochsalzlösung ein geeigneter Ersatz sein, da letztere, wie Vortragender 
feststellen konnte, bei Thieren keine heftigen Degenerationserscheinungen, 
wie das Sublimat, Jodoform etc, hervorruft, andererseits aber Eitercoccen. 
wenn auch nicht tödtet, so doch in erheblichem Grade im Wachsthum 
hemmt. 


VIEL K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 13. April 1S88. 

Vorsitzender: Herr v. Dittel. Schriftführer: Herr Schustler. 

1. Herr Czermak stellt einen Knaben vor, der mit Symblepharon 
totale beider Augen in Folge von Pemphigus conjunctivae behaftet ist. 

2. Herr v. Basch: Ueber Lungenschwellung und Lungenstarrheit. 
Mit dem Namen Lungenschwellung und Lungenstarrheit bezeichnet der Vor¬ 
tragende zwei Zustände, in welche die Lunge geräth, wenn deren Gefässe 
sich unter hohem Druck stark anfüllen. Diese beiden Zustände bilden mit 
die Hauptursache der Dyspnoe bei Herzkrankheiten, die eine Ueberfülluug 
der Lunge mit Blut bedingen. Zur Erklärung der Entstehung der Dyspnoe 
durch Blutüberfüllung der Lunge hat man bisher als Hauptgrund das lang¬ 
same Fliessen des Blutes in den Lungen angesehen. Traube hat zuerst 
auch auf die höhere Spannung des Blutes iu der Pulmonalarterie hin¬ 
gewiesen und behauptet, dass mit der Ueberfüllung des Pulmonalgefäss- 
systems eine Verengerung der LungenaWeolen als ein störeudes Moment für 
den Gaswechsel in den Lungen gegeben ist. Traube hat aber die Verklei¬ 
nerung der Lungenalveolen nicht gesehen, sondern dieselbe nach dem Bilde, 
das die todte Lunge darbietet, eonstruirt. Man findet in der That in den 
Alveolen von Lungen, deren Gefässe im Leben unter hohem Drucke gefüllt 
waren, Gefassschlingen, die in das Lumen der Alveolen hinoinragen, woraus 
wohl Traube auf die Verkleinerung des Alveolarlumens geschlossen hat. 
Anders steht aber die Sache im Leben. Was geschieht mit den Alveolen, 
wenn die sie umspinnenden Gefässe durch einen hohen Flüssigkeitsdruck 
gespannt werden? Wenn man in ein leeres oder unter sehr niedrigem 
Druck gefülltes Rohr Flüssigkeit hineinpresst, so wird sich das Rohr sofort 
strecken. Redner hat sich nun ein Modell eonstruirt, welches aus einer 
breiten, weichen Kautschukröhre besteht, auf welcher in Spiralwindungen 
ein dünnwandiges, weiches Kautsehukrohr aufgcklebt ist. Um die Spirale 
in gefaltetem Zustande zu bekommen, wird das innerhalb der Spirale lie¬ 
gende breite Rohr an einem Ende verschlossen und am anderen auf¬ 
geblasen werden, und im aufgeblasenen Zustande wird die Umwickelung 
der Spirale vorgenommen. Ist der Klebestoff, der die Spirale an das cen¬ 
trale Rohr fixirt, erstarrt, dann lässt man das Rohr zusammenfallen, worauf 
die Spirale sich in Falten legt. Treibt man nun mit eiuem Ballon Flüssig¬ 
keit in diese Spirale ein, so strecken sich die Schlingen, der centrale Kaut- 
schukcylinder erweitert sich und saugt Wasser aus einem Manometer, mit 
welchem er in Verbindung steht. Es ergiebt sich also aus diesem Modell, 
welches einen Lungenalveolus darstellt, dass, wenn der Blutdruck in den 
Lungencapillaren steigt, die Alveolen grösser, nicht kleiner werden. Da ein 
solcher Vorgang sich auf die ganze Lunge erstreckt, so wird die ganze 
Lunge grösser, und dieser Zustand ist es, den Redner als Lungeuschwellung 
bezeichnet und der eine grosse pathologische Bedeutung besitzt. Eine 
Lunge, die sich im Zustande der Luugenschwellung befindet, athraet schlechter, 
trotzdem ihre Alveolen vergrössert sind. Die Güte der Athmung hängt ab 
von dem Verhältnisse zwischen der zur Regeneration der Lungenluft ver¬ 
wendeten, der bewegten Luft B und der in der Lunge verweilenden Residual¬ 
luft R. --- bezeichnet Grehant als Vcntilationscoefficienten. Je grösser 

dieser Coefficient, um so besser ist die Lungenventilation. Wenn die 
Alveolen grösser werden, wenn also das R in dem Coefficienten grösser 
wird, so muss er selbst kleiner werden, es muss die Lüftung eine schlechtere 
sein. Diese könnte nur dann gleich bleiben, wenn mit dem Volum des 
Alveolus auch dessen Excursionsfahigkeit zunehmen würde, dies ist aber 
nicht der Fall. Im Gegentheil, bei Füllung der Oapillaren unter hoher 
Spannung nimmt die Dehnbarkeit der Alveolarwand ab, diese wird starrer, 
und da dies die ganze Lunge betrifft, so tritt ein Zustand ein, den Redner 
als Lungenstarrheit bezeichnet. Bei Ueberfüllung der Lunge mit Blut ent¬ 
steht nun Dyspnoe nicht nur deshalb, weil das Blut in den Lungen langsam 
strömt, sondern weil es unter hohem Druck strömt. 

Im Lichte dieser Lehre gewinnen die dyspnoischen Athembewegungen 
der Herzkranken eine viel höhere Bedeutung als |man ihnen beimisst, sie 


bilden einen richtigen Componsationsvorgang, denn ohne die tieferen Inspi¬ 
rationen, welche die grosse und starre Lunge über ihr Maximutn erweitert, 
ohne die forcirte Exspiration, welcho die geschwellte Luuge, die nicht 
spontan zusammeufallen kaun, zusammendrückt, müssten die dyspnoischen 
Herzkranken in einem Sumpf von stagnireuder Luft ersticken. Hingegen gilt 
dies nicht für die Dyspnoe, die durch Blutarmuth bedingt ist, wie bei Ste¬ 
nose, Embolie der Pulmoalis. Hier fehlt es in der That au Blut iu den 
Lungencapillaren und nicht an Luft in den Alveolen. 

Sitzung am 20. April 1888. 

Vorsitzender: Herr Ludwig. Schriftführer: Herr Salzer. 

1. Herr Neumann stellt einen Kranken vor, bei dem er vor 5 Jahren 
eine am 31. Tage nach der Infection entstandene Sclerose und 6 ge¬ 
schwellte Drüsen exstirpirte. Trotzdem bekam Patient noch an der 
Klinik am 53. Tage oin maculöscs Syphilid und desquarairende Papeln an 
der unteren Hälfte der Bauchwand. Am IG. April dieses Jahres stellte er 
sich wieder vor, und es fand sich bei ihm eine gummöse Orchitis, ein Ge¬ 
schwür an der hinteren Rachenwand, dahinter ein Gumma und Periostitis 
der Tibia. Man vermag also selbst durch Exstirpation der Sclerose sammt 
den Drüsen der Syphilis nicht vorzubeugen, ja man kann dadurch nicht einmal 
einen milderen Verlauf erzielen. 

2. Discussiou über den Vortrag des Herrn v. Basch über Lungen- 
schwellnng. und Lungenstarrheit. 

3. Herr Nothnagel: Ueber die Entstehang des Collateralkreis- 

laufe». Um die Frage zu eutscheidcu, welches die Ursachen der Entstehung 
des Collateralkreislaufes sind, muss mau 2 Fälle in’s Auge fassen: 1. Fälle, 
in welchen sich der Collateralkreislauf entwickelt in Partieen, zu welchen 
keine oder nur ganz unbedeutende Anastomosen geführt haben und wo dann 
früher ganz unbekannte Aeste zu enormer Grösse sich entwickeln. 2. Fälle, 
wo ein Collateralkreislauf auf bereits präformirten grossen Bahnen entsteht, 
zu welchen eine grosse Reihe von Gefässbezirken gehören, wio die Anasto- 
mosen in der Pia, in den Gedärmen, in den Arcus volares und plantares. 
Das wesentliche Interesse bieten die Fälle der ersten Art. 

Nach einer kurzen Skizzirung der verschiedenen Theorieen über die Ent¬ 
stehung des Collateralkreislaufes geht der Vortragende zu soineu eigenen, 
an Kaninchen ausgeführten Versuchen über. 

Es wurde die linke Femoralis unterhalb des Abganges der Profunda 
und Circuraflexa medialis unterbunden. Iu den ersten Tagen nach der Unter¬ 
bindung sieht man nichts; erst am 6. Tage sieht man, wenn mau das Thier 
tödtet, dass der Collateralkreislauf angefaugeu hat sich zu entwickeln, und 
zwar sind es immer einige bestimmte Gefässe, die sich entwickeln, während 
alle übrigen ihr Calibor unverändert behalten. Bei genauer Untersuchung 
findet man, dass es schon normalor Weise bestehende Gefassvcrbindungen 
zwischen den Aesten der Femoralis sind, welche sich zu collatoralcu Acsteu 
umbildeu. 

Dieselben collateralen Aeste, nur stärker entwickelt, fanden sich in 
oiuer zweiten Versuchsreihe, in welcher die Femoralis unterbunden und der 
Nervus ischiadicus und cruralis durchschnitten wurde. 

Iu einer dritten Versuchsreihe wurde nach Unterbindung der Femoralis 
ein Schnitt durch dio Muskulatur des Unterschenkels gelegt. Schon am 
ersten Tage kam etwas Blut aus dem Querschnitte, am zweiten Tage war 
die Blutung eine stärkere und so von Tag zu Tag mehr. Aus einem Quer¬ 
schnitt am Oberschenkel, unterhalb der Ligatur, war schon 5 Minuton nach 
der Operation die Blutung eine stärkere, als auf der gesunden Seite. 

Schliesslich wurden die Gefässwände untersucht, wobei sich heraus- 
stellte, dass eine bedeutende Hypertrophie und Hyperplasie der Muscularis 
der collateral erweiterten Arterien erfolgt, und zwar findet man dio Anfänge 
der Hypertrophie vom 6. Tage an. 

Aus diesen Untersuchungen schliesst der Vortragende, dass die Druck¬ 
theorie für dio Entstehuug des Collateralkreislaufes unhaltbar ist. Es tritt 
wohl nach der Unterbindung ein erhöhter Druck oberhalb der Sperre ein, 
aber diese Druckerhöhung muss sich nach hydrodynamischen Gesetzen auf 
das ganze Gefässsystom verbreiten. Wenn ferner die Drurkthoorie richtig 
wäre, müsste die Erweiterung der Gefässe anfänglich am stärksten sein, was, 
wie früher erwähnt, nicht der Fall ist. 

Zur Erklärung der Entstehung des Collateralkreislaufes zieht der Vor¬ 
tragende die von Recklinghausen hervorgehobene gesteigerte Geschwindig¬ 
keit des Blutstromes heran. Wenn die Femoralis unterbunden wird, so tritt 
eine Anämie in dem von ihr versorgten Gebiete ein; der Druck in den 
Gefässen dieses Bezirkes siukt, das Gefalle wird daher ein grösseres, und 
dio Geschwindigkeit, mit. der das Blut in den präformirten Gefässen strömt, 
wird demnach eine grössere sein. Das Wachsen dieser Gefässe erklärt sich 
aus der gesteigerten Ernährungszufuhr. Je mehr Blut in der Zeiteinheit 
das Gefäss durchströmt, desto reichlicher wird die Aufnahme von Ernährungs¬ 
material seitens der Gefäss wand. 

Bezüglich der Bildung des Collateralkreislaufes in grossen präformirten 
Gefässen, hat sich bei den Versuchen des Vortragenden gezeigt, dass z. B. 
nach Ligatur einer Carotis keine Erweiterung der anderen oder der Vert.e- 
bralis eintritt. Das erklärt sich dadurch, dass die Carotis Vasa vasoruin be¬ 
sitzt, welche von dem oben erwähnten Momente der vormehrton Geschwindig¬ 
keit nicht getroffen werden. M. 


IX. Siebenzehnter Congress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. 

Die Vorträge in den Vormittagssitzungen in der Königlichen Klinik. 

Erster Tag. 

1. Herr Brie ge r (Berlin) demonstrirt an Kaniuchen die giftigen Eigen¬ 
schaften dreier Ptomaine, des Cadaverins, Neurins und Mytilotoxins. Die 
Giftwirkungen aller Ptomaine bestehen in Lähmungen, Couvulsiouen, gastro¬ 
intestinalen Störungen, Salivation etc., sie wirken völlig wie chemische Gifte, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 19 


sind nur haltbar in Verbindung mit Gold, Platin und Pikrinsäure. Auch 
das Tetanin hat B. in dieser Weise aus dem Arm eines Tetanikers dargo- 
stellt. Bis auf das Mytilotoxin, das Gift der Miesmuschel, gehören diese 
Toxine zu den Ammoniumbasen. Nach Injection ganz minimaler Quantitäten 
dieser furchtbaren Gifte gingen die Thiere vor den Augen der Versammlung 
unter den geschilderten Erscheinungen zu Grunde. 

2. Herr Fischer (Breslau) stellt drei mit gutem Erfolg trepanirte 
Kranke vor. Das eine Mal handelte es sich um traumatische Paralysen, nach 
der ersten Trepanation trat nur zeitweilige Besserung, später Epilepsie ein. 
Nach einer neuen Trepanation ist Pat. jetzt im Stande, sehr gut zu gehen, 
hat keine Anfälle mehr gehabt und ist nicht mehr gelähmt. Im zweiten 
Fall wurdo wegen eitriger Otitis mit sich daran schliessender Facialislähmung 
und Sprachstörung trepauirt, ein Gehimabscess wurde entleert und fast 
völlige Heilung erzielt. Im dritten Fall handelte es sich um Schädelfractur 
mit Depression, auch hier ist das Resultat ein vorzügliches. 

3. Herr Löbker (Greifswald). Bei einem metastatlsehen Sacrom des 
Unterkiefers wandte L., da noch keine Drüsensohwcllungen vorhanden waren, 
folgendes Opcrationsverfahren an. Er machte in der Längsrichtung des 
Kiefers eine Ineision, löste das Periost ab und theilte mit Meissei und 
Hammer den Knochen in zwei Theile, unterband die Arterien, entfernte den 
central gelegenen Tumor und kauterisirtc den umgebenden Knochen. Es 
trat nur geringe Nakro.se ein. Die Knocheuneuhildung war befriedigend, 
und es blieb keine functioneile Störung zurück. 

nerr v. Bergmann würde fürchten, bei diesem Verfahren Recidive 
zu bekommen. Der vor einigen Jahren mit so vorzüglicher Prothese vor¬ 
gestellte Kranke hatte im verflossenen Jahr ein Recidiv. Der Unterkiefer 
wurdo nun bis auf einen kleinen Rest linkerseits entfernt. In einem zweiten 
Fall wurde mit einem Sareom ein grosses Stück Unterkiefer entfernt. Der 
Kranke trägt eine Prothese, ist nicht entstellt und spricht sehr gut. 

4. Herr Thiem (Cottbus). Ueber die Luxation des Unterkiefers nach 
hinten. Th. glaubt, dass viele Fälle von Trismus und Pseudotrismus Luxa¬ 
tion nach hinten vorstellteu, ein noch wenig gekanntes Leiden. Th. hat 
an Frauenschädeln hinter der Gelenkfläche für den Proc. condyloideus eine 
Höhlung gefunden, die er vorschlägt „Fossa tympanicostylomastoidea“ zu 
nennen und die den Gelenkkopf bei der Luxation aufnimmt. Am männlichen 
Schädel ist sie nicht ausgebildet. Sie soll nach Th. genügen, um die 
Schädel beider Geschlechter zu unterscheiden. Zur Reposition genügt Oeff- 
nung des Mundes des Patienten. 

5. Herr Küster (Berlin). Ueber die Ankylose des Kiefergelenks. 

K. stellt vier, wegen dieser Ankylose operirte Patienten vor. 1. 18jähriges 
Mädchen, Ankylose nach Masern und Typhus. Es wurde an der linken 
.Seite mit gutem Erfolg resecirt. 2. 14 jähriger Knabe, sein Unterkiefer war 
stets wenig entwickelt. Das Resultat ist hier nicht so gut, er kann kaum 
den Mund öffnen; er hat cino Tracheotoraienarbe, während der Resection 
trat Asphyxie ein und Tracheotomie wurde erforderlich. 3. 13 jähriger Knabe, 
Otitis nach Diphtherie, Resection des Proc. condyloideus mit ziemlich gutem 
Erfolg, er trägt beständig eine Art Mundsperre. 4. Der vierte Knabe erkrankte 
nach Scarlatinaj, er wurde nach der Methode von König resecirt, das func- 
tionelle Resultat war nicht sehr gut. Die Aetiologie ist zurückzuführen 
1. Aflectionen des Gelenkfortsatzes, Fracturen und Ostromyeliten. 2. Ohrer¬ 
krankungen nach Infectionskrankheiten. 3. Rheumatismus, Arthritis deformans, 
Tuberculosc. K. thcilt wie folgt ein: 1. Wahre Ankylosen durch Knochen¬ 
gewebe. *2, Falsche Ankylosen, einige Beweglichkeit ist erhalten, der Knorpel 
ist geschwunden, die Kapsel geschrumpft. Die König’sche Methode befrie¬ 
digt K. nicht vollständig, man überblickt dabei das Operationsfeld nicht 
hinreichend. Er macht vor dem Kieferwinkel eine verticale Incision, prä- 
parirt die oberflächlichen Schichten sorgfältig, um die Facialisästo zu ver¬ 
meiden, incidirt das Periost und resecirt es von beiden Seiten, dann wird 
der Meissei auf den entblössten Knochen aufgesesetzt und in die ehemalige 
Cavitas sigiuoidea einzudringen gesucht. Ist keine echte Ankylose da, so 
kann man dann leicht den Gelenkfortsatz ergreifen und ihn entfernen, 
schliesslich gelangt man bei echter durch Hebelbcwegungen auch zum Ziele. 
Einmal hat K. dabei ein Stück vom Schädel mitentfernt, aber nie Perfo¬ 
ration gehabt. Diese Methode vermeidet die Facialisparalyse, bietet alle 
Vortheiie einer subperiostalen Operation und man kann so grosse Knochen¬ 
fragmente entfernen, sie verhindert Recidive sicherer als die Entfernung des 
ganzen Gelenkkopfes, die König vorschlägt. 

Herr König (Güttingen). Was die erwähnte Asphyxie bei der Opera¬ 
tion anbetrifft, so erwähne ich, dass einer meiner Kranken während derOperation 
gestorben ist. Seit 1878 habe ich meine Methode, die ich bei wahren An-- 
kylosen für sicherer und besser halte als die Küstcr’s, etwas geändert. 
Für Fälle ohne knöcherne Ankylose bietet die Küste r’schc grosse Vortheile. 
War gleich nach der Operation das functionelle Resultat gut, blieb es auch, 
wo das nicht der Fall war, blieb das Leiden stationär. In einem Fall, 
der zur Section kam, war das Muskelgewebe fast völlig in Bindegewebe 
verwandelt. Bei solchen wendet man, wie Küster berichtet hat, mit Vor¬ 
theil Dilatatoren an. Das Resultat ist trotzdem nie so gut wie bei den 
Patienten der ersten Kategorie. 

Herr Rose (Berlin). Es handelt sich bei dieser Operation mitunter 
um sehr complicirte Fälle, einmal musste ich das Jochbein entfernen, weil 
der Proc. coranideus übermässige Dimensionen angenommen hatte und an 
den Jochbogen stiess. 

Herr Küster. Mit der günstigen Prognose bald nach der Operation 
muss man vorsichtig sein. Seine Patienten konnten alle nach der Operation 
den Mund gut öffnen und leicht essen, was sie aber nicht vor Recidiven 
schützte. 

6. Herr v. Bergmann (Riga) stellt einen Patienten vor, bei dem vor 
3 Jahren die Exstirpation des ganzen Kehlkopfes wegen Larynxcarcinom 
gemacht worden war. Versuche mit künstlichen Kehlköpfen wurden wieder 
aufgegeben, weil diese die Athmung zu sohr hinderten. Der Mann trägt 
eine Canülc, er kann sich verständlich machen, aber mit völlig tonloser 
Stimme. 


7. Herr Hahn (Berlin): Larynxoperationen. Seit 1881 hat Hahn 
24 Larynxoperationen ausgeführt. Von denen er die Präparate vorlegt. Bei 
den Operationen wegen Stenose, vier an Zahl, ist kein Todesfall einge¬ 
treten. Die Operationen bestanden in Exstirpation des Narbengewebes, 
halbseitiger und totaler Excision, die Resultate waren im ganzen zufrieden¬ 
stellend. Die Laryngotomie wegen Carcinom wurde dreimal gemacht und 
die kranken Partieen entfernt, die halbseitige Resection wurde 6 mal ausge¬ 
führt, gleichfalls wegen Carcinom, Totalexstirpation 11 mal wegen Carcinom, 
Carcinomrecidiv oder Sarkom, 13 von den Operirten starben binnen 
längerer oder kürzerer Zeit nach der Operation, davon 7 an den Folgen 
der Operation (dazu rechnet H. diejenigen, die in den ersten 11 Tagen 
nach der Operation starben), die 6 übrigen gingen an Recidiven oder 
anderen intercurrenten Krankheiten zu Grunde. Einige von den anderen 
Oporirten sind noch recidivfrei. 

8. Herr Fischer (Breslau): Umfangreiche Mftgenresection. Vor einem 
Jahr operirte Fischer eine 52jährige Frau wegen eines carcinomatösen 
Tumors in der Magongegend, der sich bis in’s Innere des Abdomens er¬ 
streckte. Bei Eröffnung des Bauches ergab sich, dass die vordere Magen¬ 
wand perforirt und in ein grosses Krebsgeschwür verwandelt war, von wo 
aus man direkt in’s Kolon transversum gelangte. Die Kranke hatte nie 
Symptome von Seiten des Magens dargeboten. Die ganze vordere Wand 
des Magens und Kolons wurde entfernt und die Ränder der Gastro-intestinal- 
wunde vereinigt. Die Kranke erholte sich sehr gut von den Folgen der 
Operation, bekam dann aber Verdauungsstörungen und starb nach 5 Mo¬ 
naten. Am Magen war bei der Section keine Spur der Nähte und der Narbe 
wahrzunehmen, seine Form war zwar nicht normal, vielmehr etwas länglich, 
aber sein Umfang war grösser als zur Zeit der Operation. 

Herr Lauenstein: Bei der Magenresection kommt es vor allem auf 
rasches Operiren an. Lauenstein bedient sich zur Isolirung des Magens 
vom Darm während der Operation einer Art von Guttaperchasonde, die er 
um den Darm oder Magen legt, deren Enden durch eine Klemmpincette ge¬ 
halten werden. 

9. nerr Fischer (Breslau) demonstrirt einige sehr grosse Gallenstein© 
und einen Enterolithen mit rauher Oberfläche, welche Symptome von Darm¬ 
verschluss hervorgerufen hatten. 

10. Herr Bidder (Berlin) (Autoreferat) spricht über eine typische Missbil- 
dnng der Unterschenkel undFHsse, welche von v. Volk mann zuerst beob¬ 
achtet und als „congenitale hereditäre Sprunggolenkluxation“ gedeutet wurde. 
Spätere anatomische Untersuchung eines 13 monatlichen, mit derselben Miss¬ 
bildung behafteten Kindes Hess die Richtigkeit dieser Auffassung zweifelhaft 
erscheinen. Bidder ist jetzt in der Lage, nicht allein diese seltene Miss¬ 
bildung an einem 10jährigen Mädchen demonstriren, sondern auch au der 
Leiche eines in gleicher Weise missbildeten neugeborenen Kindes (welche 
ihm durch v. Volkmann überlassen wurde) nachweisen zu können, dass 
das Primäre dieser Deformität besteht: in einer Wachsthumshemmuug der 
Tibia, welche zu hochgradiger Schief- (Pronations-) Stellung der Sprung- 
gelenke und Füsse führt, und in rudimentärer Entwickelung der Fibulae. Se- 
cundär kann ira Laufe des späteren Lebens dazutreten: Subluxation resp. 
Pes valgus. Man könnte das Leiden nach seinem ersten Beobachter kurz 
als Volkmann’s Sprunggelenkmissbildung bezeichnen. 

Die Behandlung anlangend, so resecirte Volk mann in einem seiner 
Fälle die verlagerten Fussgelenko mit sehr gutem Erfolge. Bidder hat in 
seinem Falle dazu noch keine Veranlassung, da, abgesehen von anderen 
Contraindicationen, seine Patientin mit geeignetem Schuhwerk ohne Schmerz 
und Ermüdung umherlaufen kann. 

11. Herr Holferich (Greifswald): Fractur des oberen Hnmernsendes 
mit Epiphysentrennnng. H. stellt oinen Knaben vor, der sich im ver¬ 
gangenen Jahre durch Fall auf die rechte Schulter einen Bruch des oberen 
Humerusendes mit Verschiebung des unteren Bruchstückes zuzog, es lag in 
der Nähe des Proc. coracoideus eingekeilt. Da die Einrichtung der Bruch¬ 
enden selbst in Narcose nicht gelang, so wurde eine schräge Incision vom 
Proc. coracoideus bis zum vorderen oberen Theil des Armes gemacht, das 
untere Bruchstück fand sich am Proc. coracoideus und wurde mit Mühe an 
den richtigen Platz gebracht. Die Bruchenden wurden mit Hülfe einer 
grossen Stahlnadel, die langsam eingestossen wird und 14 Tage liegen 
bleibt, vereinigt. P. kann jetzt alle Bewegungen im Schultergolenk aus¬ 
führen. Man fürchte sich nicht, in Fällen von Fractur früh in dieser Weise 
einzugreifen, auch wenn aus irgend welchem Grunde die Fragmente sich 
schwer einrichten lassen. Die erwähnte Nadel kann auch subcutan ange¬ 
wandt werden. Nach der Operation befestigte H. den Arm durch Verband 
vertical am Rumpf, am Unterarme wurde ein Schienenverband angelegt, 
was gute Resultate orgab. Herr Bruns und HerrWölfler berichten über 
analoge Fälle. Herrn Wölfl er ist einmal nach Incision Reposition des 
Humeruskopfes gelungen. 

12. Herr Jul. Wolff (Berlin): Ueber einen Fall von angeborener Flug- 

hautbildung. Es handelt sich um ein 9jähriges Mädchen, bei welchem sich 
ein zwischen Ober- und Unterschenkel der linken Seite ausgebreitetes eigen¬ 
tümliches Gebilde zeigt, wie es nur in der Thierwelt, und zwar im Flügel 
der Vögel, zwischen Ober- und Vorderarm des Flügels als sogenanntes 
Patagium vorkommt, und welches Wolff daher als „Flughaut“ bezeichnet. 
Dieser Name liegt um so näher, als bei demselben Kinde an der rechten 
Hand Syndactylie vorhanden ist, für welche wir ja einen ähnlichen Namen, 
den der Schwimmhaut haben. 

Die Weichtheile der Beugeseite der linken unteren Extremität, die nur 
bis zu einem Winkel von circa 110o im Kniegelenk gebeugt, dagegen von 
da ab normal gebeugt werden kann, setzen sich in eine dreieckig, glatte, 
V*—lVa cm dicke, überall von normaler Haut bedeckte Masse fort, deren 
Höhe in der Gegend des Kniegelenkes 15 cm beträgt. In der Basis des 
Dreiecks fühlt man einen straffen, vom Calcaneus gegen Tuber ischii ver¬ 
laufenden Strang; ferner fühlt man Achillessehnen, Gastrocnemius, Semi- 
teudinosus und Semimembranosus, aber nicht den Biceps. Die Patolla fehlt. 


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10. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


385 


Es finden sich bei dem vorgestellten Kinde weiterhin noch folgende 
Missbildungen: am rechten Fuss ein Klumpfuss höchsten Grades; am linken 
Fuss fehlen zwei Zehen mit tiefer Spaltung des Mittelfusses zwischen der 
grossen und den beiden übrigen Zehen. Ara Rücken ein längliches Lipoma 
pendulum in Form eines menschlichen Schwanzes; ferner eine merkwürdige 
Hautbrücke, unter welcher man den Finger hindurchführen kann; ferner 
Syndactylie zwischen den drei mittleren Fingern der rechten Hand und zwar 
in der seltenen Form, bei welcher nur die Fingerspitzen verwachsen sind, 
während die hinteren Partieen der Finger gitterförmig von einander ge¬ 
trennt sind; zugleich mehrfache Phalangendefecte der verwachsenen Finger; 
endlich eine spitzwinkelige Rippenverbiegung nahe der unteren Thoraxapertur 
rechterseits. 

Der Fall, für den bezüglich der Flughaut die bisherige Litteratur nichts 
Analoges enthält, bietet ausser dem pathologisch-anatomischen auch ein 
chirurgisches Interesse dar. Die Patientin vermochte bisher nur auf den 
Knieen umherzurutschen, und es wird sich darum handeln, durch die Be¬ 
seitigung des rechtsseitigen Klumpfusses und die Durchtrennung der links¬ 
seitigen Flughaut die Möglichkeit aufrechten Gehens herbeizuführen. Die 
betreffende Durchtrennung wird sich, unter Berücksichtigung der von Prof. 
Eulenburg genau festgestellten Lage der Hauptnervenstämme voraussichtlich 
ohne besondere Schwierigkeiten ausführen lassen. 

13. Herr Petersen (Kiel): Fall von ischämischer Mnskellähmnng. 
Ein Kind von 4'/* Jahren war wegen complicirten Armbruches in Gipsver¬ 
band mit Mitelia gelegt worden. Nach sechs Wochen war der Vorderarm 
gegen den Oberarm flectirt, Extension der Finger nicht mehr möglich, auch 
die Sensibilität hatte gelitten. Bei einem Einschnitt in der Ellenbeuge 
fand sich, dass die Art. brachialis dort in einen dünnen, kaum durch¬ 
gängigen Strang auslief, die Muskeln waren fibrös umgewandelt, die Nerven 
nicht verändert. Elektrische Behandlung und gewaltsames Redressement 
haben einige Besserung zur Folge gehabt. 

Herr Kölliker (Leipzig) hat in seinen Fällen ischämischer Muskel¬ 
lähmung niemals Besserung erzielt. Er zweifelt daher, ob obiger Fall dahin 
gehört. 

Herr König stellt die Prognose für solche Fälle nicht so ungünstig, 
nur muss man sich nicht entmuthigen lassen und alles versuchen. 

Herr Wagner (Königshütte) möchte gewisse Muskellähmungen fläch 
Fracturen einer Neuritis einiger Nervenzweige zuschreiben. 

Herr Petersen glaubt an diese Neuritiden nicht, die von ihm be¬ 
sprochene Lähmung ist vor allem durch einen rapiden Verlauf charakterisirt. 

14. Herr v. Bergmann (Berlin): Darmresection wegen Carcinom. Es 
handelt sich um einen Patienten, bei dem vor vier Jahren ein carcinoma- 
töser Tumor des Darmes entfernt wurde, es musste dabei ein grosses Stück 
Darm resecirt werden. Dem Operirten geht es zur Zeit sehr gut, er hat 
keinen palpablen Tumor des Abdomens. 

X. Journal-Revue. 

Physiologie. 

4. 

D. Biondi. Eine neue Methode der mikroskopischen 
Blutnntersuchung. La Riforma medica, 1887. No. 264 u. 265. 

Mittels einer Pipette werden 2 Tropfen des zu untersuchenden 
Blutes zu 5 ccm einer 2procentigen Osmiumsäurelösung zugesetzt. 
Nach dem sofortigen energischen Umschütteln bleibt das Gemisch 
1 bis 4 Stunden stehen. Dann wird es wiederum umgeschüttelt, 
und es werden dann 4—5 Tropfen davon zu 5 ccm einer klaren, 
neutralen, verflüssigten, 35—370 C warmen 3 procentigen Agarlösung 
zugesetzt und sofort innig damit gemischt. Die Mischung wird in 
Papierkästchen ausgegossen, nach dem Erstarren in 85 procentigem 
Alkohol gehärtet und kann nun mit dem Mikrotom geschnitten 
werden. Die Bestandtheile des Blutes zeigen dann in den Schnitten, 
die sich übrigens färben etc. lassen, genau die Gestalt, die sie im 
lebenden Zustande besitzen. 

F. Spallitta. Untersuchungen über die Wirkung der 
Galle auf die Herzbewegungen. Aus dem physiologischen 
Institut (Prof. Fubini) zu Palermo. Archivio per le scienze 
mediche. XI, p. 107—121. 1887. 

Der Autor stellte folgende Versuche an: Das frisch ausge¬ 
schnittene Froschherz, welches bekanntlich noch Stunden und 
Tage lang pulsirt, wurde in eine indifferente Flüssigkeit 
gebracht. Als solche wurde entweder 0,75 proc. Kochsalzlösung 
oder eine Mischung von % solcher Kochsalzlösung mit Vs Kanin¬ 
chenblutserum angewendet. Nachdem die Anzahl der Contractionen 
des in der Flüssigkeit aufgehängten Froschherzens in der Minute 
bestimmt war, wurde das Herz in eine andere Flüssigkeit über¬ 
tragen, die sonst die gleiche Zusammensetzung zeigte wie die in¬ 
differente Flüssigkeit, der aber eine bestimmte Quantität (10%, 
5%, 2%) Ochsen- oder Schafgalle zugesetzt war. In allen 
Versuchen verminderte sich sehr bald die Anzahl der Contrac¬ 
tionen unter dem Einfluss der Galle, und es trat dann vollständiger 
Herzstillstand ein. Eine analoge Wirkung erzielte der Autor, 
wenn er statt der Galle Gallensäuren (Glycocholsäure oder 
Taurocholsäure) in einer Menge von 0,75 % der Flüssigkeit zusetzte. 
Wurde das Herz dann wieder in die erste indifferente Flüssigkeit 
zurückgebracht, so begannen bald die Contractionen von Neuem. 
Ein gleichzeitiger Zusatz weniger Tropfen einer 1 proc. Atropin¬ 


lösung zu der gallehaltigen Flüssigkeit paralysirte die Wirkung 
der Galle oder schwächte sie wenigstens bedeutend ab. — Aus 
diesen Beobachtungen schliesst Spallitta, dass die Verlangsamung 
der Herzcontractionen unter dem Einfluss der Galle (bei Jcterus) 
weder in einer durch Auflösung der Blutkörperchen bedingten 
Herabsetzung der Ernährung des Herzmuskels (Röhrig), noch in 
der Bilduug von Blutcoagulis in der Nähe des Herzens (Ranke) 
ihren Grund hat, sondern in der Einwirkung der Gallensäuren 
auf die Herzganglien, auf die Nervenfasern des Herzens 
selbst; und zwar geht aus dem Atropin versuch hervor, dass durch 
die Gallensäuren nicht etwa die beschleunigenden Fasern gelähmt, 
sondern die Hemmungsfasern gereizt*werden. Denn, wie Schiff 
nachgewiesen hat, beschleunigt Atropin die Herzcontractionen da¬ 
durch, dass es die Hemmungsfasern zerstört. Carl Günther. 

Mendes de Leon. Ueber den Gehalt der Milch an 
Eisen. Arch. f. Hygiene, Bd. VII, p. 286. 

Verf. hatte sich die Aufgabe gestellt, den Eisengehalt der beiden, 
für die Säuglingsernährung in Betracht kommenden Milcharten zu 
ermitteln, ferner in Erfahrung zu bringen, ob derselbe unter nor¬ 
malen Bedingungen erhebliche Schwankungen zeige, und ob schliess¬ 
lich durch Darreichung von Eisenpräparaten an die stillende Mutter 
der Eisengehalt ihrer Milch erhöht werden könne. 

Die von einander abweichenden Untersuchungsergebnisse früherer 
Arbeiten lassen sich durch die benutzten Untersuchungsmethoden 
erklären, bei denen zum Theil keine genügende Gewähr gegen eine 
Verunreinigung mit Eisen von den Reagentien, Gerätschaften, 
Filtern u. dgl. her gegeben war, Verf. hat sich deswegen bei der 
quantitativen Bestimmung eines Verfahrens bedient, bei welchem 
diese Fehlerquelle ausgeschlossen erscheint, da nur eisenfreie 
Schwefelsäure, kleine Mengen Essigsäure und einige Krystalle chlor- 
sauren Kalis zur Verwendung kamen. Die Bestimmung selbst ge¬ 
schah colorimetrisch durch Behandlung der schwefelsauren Milcli- 
aschelösung mit Rhodankalium unter Vergleich mit Eisenlösungen 
von bekanntem Gehalt. 

Als Mittel von 16 Bestimmungen, welche an 9 Individuen aus¬ 
geführt worden waren, ergab sich für Frauenmilch ein Gehalt von 
2,54 mg Fe in 1000 g Milch, also niedriger als bei den meisten bis¬ 
her bekannten Analysen. Bei 8 untersuchten, von verschiedenen 
Thieren stammenden Kuhmilchproben stellte sich der Durchschnitt 
auf 4,04 mg Fe in 1000 g Milch. 

Der grössere mittlere Eisengehalt der Kuhmilch entspricht somit 
ihrem höheren Aschegehalt. 

Ein bestimmter Zusammenhang dagegen zwischen dem Eisen¬ 
gehalt der Milch und dem Gehalt an Trockensubstanz, Fett oder 
fettfreier Trockensubstanz konnte nicht ermittelt werden. 

Der Eisengehalt in der Milch ein und derselben Frau war ein 
wechselnder, schwankte z. B. in einem zwischen dem 6. und 53. Tage 
nach der Entbindung 6 mal untersuchten Falle zwischen 1,51 und 
4,51 mg Fe in 1000 g Milch, zeigte aber immerhin nicht so grosse 
Differenzen, wie sie nach den früheren Analysen wahrscheinlich er¬ 
schienen. 

Die Frage nach der Steigerung des Eisengehaltes der Frauen¬ 
milch durch Zufuhr von Eisenpräparaten konnte nur in einem 
Falle, und zwar mit negativem Ergebniss, geprüft werden. 

0. Riedel. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

4. 

B. Fischer. Ueber einen lichtentwickelnden, im Meer¬ 
wasser gefundenen Spaltpilz. Habilitationsschrift, zur Er¬ 
langung der Venia legendi in der Hygiene der medicinischen Fa- 
cultät der Universität Kiel vorgelegt. Zeitschr. f. Hygiene. Bd. II. 
p. 54—95. 1887. 

Gelegentlich einer Reise nach Westindien auf S. M. Schiff 
„Moltke“ fand der Verfasser im Meerwasser, und zwar 5 See¬ 
meilen westlich von der dänischen Insel S. Croix, einen licht ent¬ 
wickelnden Spaltpilz, den er „Bacillus phosphorescens“ 
nennt, und den es mit Leichtigkeit gelang auf künstlichem Nähr¬ 
boden weiter zu züchten. Auf Platten von Nährgelatine, die koch¬ 
salzhaltig sein muss, erscheinen die Colonieen nach 36 Stunden als 
kleine grauweisse, im Dunkeln leuchtende Punkte; später liegt die 
Colonie auf dem Grunde eines napfförmigen Gelatinedefectes. Aehn- 
liche Erscheinungen der Verflüssigung und Verdunstung zeigen sich 
auch an den Stichculturen. Auf Agar, auf Blutserum und in 
Bouillon wächst der Bacillus ebenfalls, weniger gut auf Kartoffeln; 
den günstigsten Nährboden jedoch bilden gekochte Fische. Die 
in ein mit Wattepfropf verschlossenes Glasgefäss eingebrachten und 
dann im Dampftopf sterilisirten Fische werden nach der Impfung 
bei Zimmertemperatur in 2 bis 4 Tagen an ihrer ganzen Oberfläche 
prachtvoll leuchtend. Lebendige Thiere zu inficiren resp. leuchtend 
zu machen gelang nicht. — Der Bacillus phosphorescens stellt 


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386 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 19 


kleine dicke Stäbchen dar, die morphologisch und im Färbungsver¬ 
halten gewisse Aehnlichkeiten mit dem Bacillus der Kaninchensepti- 
cämie haben. Sie gehören zu den aeroben Bacterien. Das Tem¬ 
peraturoptimum für ihre Entwickelung liegt zwischen 20 und 
30° C. Unter 10° findet keine Entwickelung statt, aber es wird 
selbst durch mehrstündige Einwirkung einer Temperatur von 

— 15° C die Entwickelungsfähigkeit nicht vernichtet. Im Gegensatz 
dazu sterben die Stäbchen bei 15 Min. langer Einwirkung einer 
Temperatur von 55° C ab, und ebenso zeigen sie sich 30 Min. nach 
dem Eintrocknen abgestorben. Sporenbildung wurde nicht beob¬ 
achtet. Pathogene Eigenschaften kommen ihnen nicht zu. Die 
Culturen und inficirten Thiere leuchten mit mildem weissen, einen 
bläulichen Schimmer zeigenden Lichte, und zwar immer nur an der 
Oberfläche, im Contacte mit dem atmosphärischen Sauerstoff. 
Bouillonculturen zeigen sich anfangs im Ganzen leuchtend; später 
findet sich das Leuchten nur noch an der Oberfläche. Bei keim¬ 
freier Filtration leuchtender Bouillon zeigt das Filtrat keine Spur 
von Leuchten mehr. Das Leuchten geht also von den Stäbchen 
selbst aus. Eine Temperatur von 25—30° C erwies sich als die 
günstigste für das Leuchten. Erwärmung der Culturen auf 40° 
brachte dasselbe nach 5 Minuten fast vollständig zum Erlöschen. 
Bei der Prüfung des Einflusses chemischer Substanzen auf 
das Leuchten zeigten sich 0,3 bis öproc. Lösungen von Chlor¬ 
magnesium und Magnesiumsulfat in hohem Grade vortheil- 
haft für dasselbe. Dieser Umstand erklärt es auch, dass man See¬ 
wasser (welches diese Salze enthält) durch Zufügen relativ kleiner 
Mengen leuchtender Cultur prachtvoll leuchtend machen kann. 

In einem Nachtrage zu der Arbeit berichtet der Verfasser 
noch übereinen zweiten phosphorescirenden Bacillus. Der¬ 
selbe ist bis jetzt im Meerwasser direkt noch nicht aufgefunden 
worden. Er stammt von Seefischen aus der Ostsee, die nach ein¬ 
fachem Liegen von selbst leuchtend geworden waren. Der Bacillus 
nähert sich der Coccenform. Er wächst auf Gelatine ohne Ver¬ 
flüssigung. Das' Leuchten ist etwas stärker als bei dem erstbe¬ 
schriebenen Bacillus und zeigt einen grünlichen Schimmer. Das 
Temperaturoptimum für seine Entwickelung liegt erheblich niedriger 
als bei dem westindischen Bacillus. Fischer hält ihn mit dem 
zuerst von Pflüger gesehenen leuchtenden Organismus für identisch. 

P. Ernst (Heidelberg). Ueber einen neuen Bacillus des 
blauen Eiters (Bac. pyocyaneus /?), eine Spielart des Bac. 
pyocyan. der Autoren. Zeitschrift für Hygiene. Bd. II. p. 369 
bis 381. 1887. 

In vier Fällen, in denen sich auf der chirurgischen Klinik zu 
Heidelberg blauer (grüner) Eiter in Verbandstücken vorfand, gelang 
es dem Verfasser, einen Bacillus aus diesem Eiter zu isoliren, wel¬ 
cher zwar unter dem Mikroskope von dem bekannten Bacillus des 
blauen Eiters, den der Verfasser „Bac. pyocyaneus a“ nennt, nicht 
zu unterscheiden ist, sonst aber sich von demselben wesentlich 
unterscheidet. In Gelatineculturen producirt a einen gelbgrünen, 
ß einen blaugrünen Farbstoff; a verflüssigt die Gelatine langsam, 
ß schnell; a lässt die ganze, auch die unverflüssigte Gelatine grün 
fluoresciren, ß hat sehr wenig fluorescirende Kraft. Auf Kartoffeln 
wachsen beide Arten mit brauner Farbe. — Berührt man nun ein 
-Häufchen mit dem Platindraht, so nimmt in wenigen Minuten die 
berührte Stelle ein intensives dunkles Blattgrün an, welches nach 
etwa 72 Stunde wieder zu dem ursprünglichen Braun zurückkehrt. 
Diesen Farbenwechsel zeigen a-Culturen nie. Carl Günther. 

Innere Medicin. 

7 . 

P. E. Livierato. Ueber einen Fall von Paraplegie 
nach fibrinöser Pneumonie. Aus der medicinischen Klinik 
(Prof. Maragliano) zu Genua. La Riforma medica. 1887. 
No. 239—241. 

Es handelt sich um einen Patienten, welcher am 7. Mai 1887 
mit fibrinöser Pneunomie des rechten Mittel- und Unterlappens (am 
4. Krankheitstage) in die Klinik aufgenommen wurde. Am 14. Mai 
kritischer Temperaturabfall. Am nächsten Tage Schmerzen in <jen 
Beinen, die sich in den Tagen darauf wieder verlieren, aber einer 
wachsenden Schwäche in den Beinen Platz machen. Am 19. Mai 
Paraplegie der Beine, Schmerzen im Kreuz; der Urin wird mühsam, 
tropfenweise entleert; die Reflexe an den Beinen sind erloschen. 
Am 23. Mai intensive Kopfschmerzen. Tags darauf Tod im Coma. 

— Die Section ergab einen kleinen Eiterherd in der Lenden¬ 
anschwellung des Rückenmarkes mit umgebender Erweichung des j 
Markes, ferner fibrinöseitrige Meningitis spinalis und cerebralis; die 
meningitischen Erscheinungen waren am stärksten am Lendenmarke, j 
nahmen nach oben hin aD Intensität ab. In dem eitrigen Inhalte 
des Herdes im Lendenmark sowie in dem meningitischen Exsudate 
des Rückenmarkes und Gehirns wurde der A. Fränkel’sche 
Pneumoniecoccus nachgewiesen. Der Autor ist deshalb der Ansicht, 


dass die Pneumonie und die Erkrankung des Centralnervensystems 
in ätiologischem Zusammenhänge stehen. Carl Günther. 

J. Prior. Ueber den pulsirenden Milztumor (Gerhardt). 
(Aus der medicinischen Poliklinik der Universität Bonn.) Münch, 
med. W. 1887. 

Verfasser bespricht 2 Fälle von pulsirendem Milztumor; diese 
Kraukheitserscheinung, die bereits Tulpius kannte, ist in neuerer 
Zeit von Gerhardt beschrieben worden (C. Gerhardt: Pulsiren- 
der Milztumor. Zeitschrift für klinische Medicin, Band IV, Heft 3, 
1882); dieser beobachtete nämlich bei einem an Aorteninsufficienz 
leidenden Manne, der von einer fieberhaften Krankheit befallen 
wurde, dass der durch die Iufectionskrankheit hervorgerufene Milz¬ 
tumor bei jeder Systole stärker anschwoll und sich bei jeder Dia¬ 
stole verkleinerte. 

1. Fall: Patient, der au einer gut compensirten Aorteninsuffici¬ 
enz leidet, erkrankt am Typhus abdominalis. Die stark vergrösserte 
Milz zeigt bei der Palpation der Spitze, die man mit den Fingern 
umfassen konnte, eine deutliche systolische Vorwärtsbewegung und 
Anschwellung. Die Auscultation in der Milzgegend ergab ein 
„dumpfes Anschlägen“ der Milz. Die rhythmische Anschwellung 
derselben entsprach der Kraft des Herzmuskels; sie wurde nämlich 
geringer nach dem Eintritt einer Darmblutung und nahm wiederum 
nach jeder durch Analeptica hervorgerufeuen Steigerung der Energie 
des Herzens zu. Mit dem Fieberabfall und dem Abschwellen der 
Milz verschwand die Erscheinung. 

2. Fall: Patient, der eine Hypertrophie des linken Herzens in 
Folge von Ueberanstrengung hat, erkrankt an einer genuinen Pneu¬ 
monie. Die Milz ist so stark vergrössert, dass ihre Spitze den Rippen¬ 
bogen um 4 cm überschreitet, sie zeigt eine systolische Pulsation 
und rhythmische Anschwellung der Spitze. Auch in diesem Falle 
kann mau leicht beobachten, dass die Stärke der Erscheinung je 
nach dem Zustande der Herzkraft wechselt. Das Phänomen ver¬ 
schwindet nach dem Abfall des Fiebers. Auscultatorisch liess sich 
über diese Milz nichts nachweiseu. 

Verfasser führt in Uebereinstimmung mit Gerhardt die Pulsa¬ 
tion des Milztumors auf zwei Umstände zurück, nämlich auf den durch 
die Hypertrophie des linken Herzens gesteigerten Blutdruck und auf 
die bei der Iufectionskrankheit eintretende Gefässerechlaffung. 

B. Meyer. 

G. Sticker. Beitrag zur Pathologie und Therapie der 
Leukämie. (Aus der medicinischen Klinik iu Giessen.) Zeitschr. 
f. klin. Med., Bd. XIV. 

Bei einem 25jährigen Leukämiekranken, der ca. 3 /4 Jahr e * u_ 
gehend beobachtet wurde, wurde täglich Chlor-, Harnstoff- und 
Harnsäureausscheidung quantitativ bestimmt, und zwar bei genauer 
Controlirung der Nahrungsaufnahme. Es fand sich zu jeder Zeit 
der Stickstoffwechsel im Vergleich zur Norm gesteigert. Harnstoff, 
und besonders Harnsäure waren beträchtlich vermehrt. Mit Zu¬ 
nahme der Kachexie trat, mit der Vermehrung der weissen Blut¬ 
körperchen stets parallelgehend, eine excessive Ausscheidung der 
N-haltigen Substanzen im Harn auf: einmal wurden in 24 Stunden 
73,7 g Harnstoff ausgeschieden. Auf Grund der längeren Beob¬ 
achtung ist Verf. zu der Ueberzeugung gekommen, dass der Milz¬ 
tumor mit der Harnsäurevermehrung nichts zu thun habe: höchst 
wahrscheinlich ist, dass die gleichfalls vergrösserte, degenerirte Leber 
mit dieser Erscheinung in Zusammenhang steht. Während ein 
günstiger Erfolg von Sol. Fowleri bei der Behandlung nicht zu er¬ 
kennen war, zeigten die Sauerstoffinhalationen (30—40 Liter täglich) 
einen unzweifelhaften Einfluss, da der Patient während dieser The¬ 
rapie sich sehr erholte, an Gewicht zunahm, und eine beträcht¬ 
liche Verminderung der weissen und Vermehrung der rothen Blut¬ 
körperchen (auf das Doppelte) iu dieser Zeit constatirt wurde. 
Pat. entzog sich leider einer weiteren Behandlung, und als er wieder 
geschwächt zurückkehrte, war der üble Fortgang der Krankheit 
nicht mehr aufzuhalten. Rosenheim. 


XI. Therapeutische Mitteilungen. 

— Carl Berdach fasst in seinen Beiträgen zur Wirkung des Anti- 

pyrin (Wiener med. Wochenschr. No. 11) seine Resultate wie folgt zusammen: 

1. Die subcutane Antipyrininjection wirkt in allen schmerzhaften Krank¬ 
heitsfällen in der Mehrzahl derselben schon nach wenig Secunden; die Wir¬ 
kung hält wenigstens 6 Stunden an. 

2. Der Effect der Injection beruht wahrscheinlich auf einer localen Ein¬ 
wirkung auf die Nervenendigungen (analg. Zone, Functionsschwächung der 
peripheren Nerven — See) und auf der Hemmung oder Schwächung des 
Reflexvermögens (See-Demme.) 

3. Antipyrin hat eine kataphorische Wirkung, welche hinter der des 
Cocain weit zurücksteht. 

4. Auf das Allgemeinbefinden scheint die Antipyrininjection keinerlei 
ungünstige Einwirkung zu haben und in keinem Falle contraindicirt zu sein. 

Anwendung in 50o/o iger Lösung(Antipyrini, Aqu. destill. ana) die Injection 


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10. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


387 


geschieht am besten am Punkte und in der Richtung der grössten Schmerz¬ 
haftigkeit. 

— Für die Aligemeinbetuuidlnng der puerperalen Sepsis hat 

Runge eine Methode durchgeführt, welche er mehrfach dem Urtheil der 
Fachgenossen unterbreitet hat. Dieselbe bezweckt, die Resistenzfahigkeit 
des Organismus gegen das eingedrungene septische Gift zu erhöhen. Dem¬ 
gemäss bestand sein Verfahren in der Darreichung möglichst grosser Gaben 
von Alkohol, in der Anwendung von lauen Bädern, in der Zufuhr von 
reichlicher Nahrung und in der Vermeidung jedes antipyretischen Medica- 
mentes. Wenn auch der Grundgedanke dieser Methode kein neuer ist, so 
ist doch in der Therapie des Verfassers bemerkenswert!», dass er viel 
grössere Alkoholgabeu, als bisher üblich, verabreicht, und dass er die 
Kranken baden lässt, sobald sie die Nahrung verweigern, somnolent werden, 
deliriren. oder sobald der Puls bei hoher Temperatur frequent und schlecht 
wird. Er rühmt der mit Alkoholgaben verbundenen Bädertherapie nach, 
dass sie auf das Allgemeinbefinden, Schlaf, Athmung und Herzthätigkeit 
vortrefflich wirke. Auf die die Temperatur erniedrigende Wirkung der 
Bäder legt Runge wenig Gewicht. Contraindicirt hält er sie bei häufigem 
Erbrechen, nicht aber bei beginnendem Collaps oder Lungenmetastasen. 

— M. Stumpf empfiehlt (Münch, med. Wchschr. 1887, No. 35/36) für 
die Behandlung der puerperalen Eklampsie neben Berücksichtigung der 
Prophylaxe, indem bei Albuminurie und Oedemen in der Schwangerschaft 
und bei dem ersten Auftreten prodromaler Bewusstlosigkeit die Diaphorese 
mittelst heisser Bäder und nachfolgender Einpackungen vorgenommen werden 
muss, drastische Abführmittel. Zur Behandlung der Anfalle werden Narcotica 
insbesondere Chloralhydrat in Dosen von 1—2 g als Klysma empfohlen. 
Dass die künstliche Entleerung des Uterus bei Eklampsie indicirt sei, be¬ 
streitet Verfasser, doch spricht er sich dafür aus, bei bereits vorgeschrittener 
Wehenthätigkeit die Geburt schnell zu beenden, um die durch die Geburt 
unterhaltene Reizung der peripheren Nerven und somit deren Einfluss auf 
die eklamptischen Anfälle zu vermindern. 

— Die Behandlung der eklamptlsehen and urämischen Krämpfe 
der Kinder von Jules Simon am Kinderhospital in Paris. — Man infor- 
mire sich zunächst über die Urinsecretion; sie ist während der Dauer des 
Anfalles vermindert; eine reichliche Urinentleerung ist das kritische Zeichen 
für den beginnenden Nachlass des Anfalles. 

Da Dyspepsie die häufigste Ursache der Eklampsie ist, so entleere man 
den Digestionstractus durch Lavements (z. B. Glycerin) und Brechreize 
(Kitzeln des Pharynx, Ipecac.), lasse Chloroform oder Aether inhaliren, gebe 
per Klysma 

Chlorhydrat 1,0 

Tinct moret qtt. XX. 

Aqu. dest. 50,0—60,0, 

setze dann ev. noch das Kind in ein Senfbad von 38° und nehme schliess¬ 
lich, wenn der Anfall noch fortdauern sollte, zu Vesicatoren seine Zuflucht. 
Nach Nachlass der Krämpfe ist die Darreichung von Bromkali mit Moschus 
und Aqu. amygd. amarar. zu empfehlen. 

Bei urämischen Krämpfen sind ohne Zögern Blutentziehungen zu 
machen dureh .Ansetzen von Blutegeln an die Proc. mast. Aelteren Kindern 
setze man 5—6 Schröpfköpfe auf die Nierengegend und bereite ihnen ein 
warmes Luftbad. A. 

— Behandlung von Fissuren der Brustwarze. Monti empfiehlt 
den Gebrauch von Guttapercha, Chloroform q. s. zur Lösung. Excoria- 
tionen sollen mit einem Häutchen aus aufgelöster Guttapercha, das durch 
das Saugen nicht entfernt wird, bedeckt werden. (Les nouveaux remedes 
No. 4, 1888.) R. 

— Grisolle empfiehlt bei Incontinentia nrlni 
Rp. Extr. nucis. vom. 0,18 
Fern oxyd. 2,7 
Quassiae pulv. 2,7 
Syrupi simpl. q. s. 

Fiant. pil. No. XX, S. 1—3 Pillen täglich. 

(Les nouveaux remedes, 8. März 1888). R. 

— Atropininjectionen bei Gonorrhoe. Wenn die Gonorrhoe mit 
starker Blasenreizung, häufigem Uriniren und Urindrang einhergeht, hat 
Dr. Boone (The med. and surg. Rep.) durch eine Injection von 0,015 bis 
0,03 Atrop. sulf. in 4—8 g Wasser, die langsam durch die Urethra in die 
Blase injicirt wird, in allen Fällen Erleichterung, meist auch den glücklich¬ 
sten Erfolg gesehen. Er wendet es auch bei Patienten an, die eine zu 
grosse Dosis Canthariden genommen und nun Urindrang und Schmerzen 
beim Uriniren haben. Eine Injection macht sofortige Erleichterung. Er 
lässt die Injection in der Blase und hat nie üble Folgen davon gesehen. 
Er stellt das Atropin höher als die Cocainsalze, da die Wirkungen bleiben¬ 
der sind. (Wien. med. Wochenschr. 1888, No. 4.) 

— Das Glycorin als Abfährelysma. Im Geheimmittel „Purgativ 
Oidtmann“ batte schon Anacker als einzig möglichen wirksamen Bestand- 
theil Glycerin gefunden (Deut. med. Wochenschr. 1887, p. 823). v. Vämossy 
hat nun im Bezirkskrankenhause zu Sechshaus in 150 Fällen Glycerininjec- 
tionen in das Rectum vermittelst einer 2 ccm fassenden und mit einem 
5 ccm langen Ansatzrohre versehenen Spritze gemacht, und überraschende 
Erfolge erzielt Der Stuhlgang erfolgt schmerzlos und prompt in der Regel 
nach Ablauf von 1—2 Minuten nach erfolgter Injection, der Koth ist aus- 
giebig, geformt. Das Glycerin reizt nämlich durch die starke Wasserent¬ 
ziehung die Mastdarmschleimhaut und ruft auf reflectorischem Wege Peri¬ 
staltik „Kollern im Leibe“ hervor. (Wien. raed. Presse 1887, No. 48.) 

_ A. 

XTL 6L Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln. 

Als Einführender der Sectiou für Innere Medicin der vom 18. bis 
23. September d. J. in Köln tagenden Versammlung deutscher Natur¬ 


forscher und Aerzte beehre ich mich, zu den Sitzungen dieser Sectiou 
ergebenst einzuladen, und ersuche, Anmeldungen von Vorträgen an meine 
Adresse richten zu wollen. Dr. Leichtenstern in Köln. 

Als Einführender der Section für Neurologie und Psychiatrie der vom 
18. bis 23. September dieses Jahres in Köln tagenden 61. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte, erlaube ich mir, zu den Berathungen 
der genannten Section freundlichst einzuladen und hiermit die Bitte zu ver¬ 
binden, für die Section beabsichtigte Vorträge bei mir anmelden zu wollen. 

Anmeldebogen mit Bedingungen für eine auf die Dauer von 14 Tagen 
in Aussicht genommene Fachausstellung aus den Gebieten sämmtlicher auf 
der Versammlung vertretenen Disciplinen sind vom Schriftführer Dr. phil. 
F. Eltzbacher in Köln, Unter-Sachsenhausen 9, zu beziehen. 

Köln-Lindenburg. Dr. Laudahn, Sanitätsrath. 


Xm. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Der Geh. Medicinalrath und Vortragende Rath im Mini¬ 
sterium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, Prof. Dr. 
Skrzeczka, ist zum Geh. Obermedicinalrath ernannt worden. Den Cha¬ 
rakter als Geh. Medicinalrath erhielten: Medicinalrath Prof. Dr. Hasse in 
Breslau und Prof. Dr. Hensen in Kiel. Dem Generalarzt I. Classe und 
Corpsarzt des III. Armeecorps, Dr. v. Stuckrad, ist der rothe Adlerorden 
II. Classe verliehen. 

— In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 2. Mai gelangte der 
vom Abgeordneten v. Douglas gestellte Antrag, betreffend die Einrichtung 
von Vorlesungen über die erste Hülfeleistung bei plötzlichen 
Unglücksfällen zur Berathung. Der Antragsteller wies in der Begründung 
seines Antrages auf die ungeheure Anzahl von Unglücksfällen hin, welche 
sich alljährlich ereignen und die mit dem Fortschreiten von Industrie und Ver¬ 
kehr noch immer zahlreicher würden. In Preussen allein verunglückten im 
Laufe von 2 1 /* Jahren ebensoviel Leute wie der ganze letzte Krieg uns an 
Verwundungen gekostet hat. England sei uns auf diesem Gebiete schon 
sehr voraus, und die dort gesammelten Erfahrungen habe Prof. Esmarch für 
die deutschen Samaritervereine zu verwerthen gesucht. Redner hob ganz 
besonders die Bedeutung der Sache für den Krieg hervor und bat um ein¬ 
stimmige Annahme seines Antrages. Abg. Dr. Graf erklärte seine volle 
Zustimmung zu dem Anträge, wies aber darauf hin, dass nicht Jeder sich 
für die hier angestrebte Sache eigne. Es seien dazu eine Reihe von Körper- 
und Charaktereigenschaften erforderlich, wenn durch solche Einrichtungen 
nicht mehr Unheil als Segen gestiftet werden solle. Das sei auch der Grund 
gewesen, warum Esmarch von Seiten der Aerzte nicht diejenige Unter¬ 
stützung für seine Bestrebungen gefunden habe, wie man hätte erwarten 
sollen. Der Cultusminister v. Gossler begrüsste den Antrag mit grosser 
Sympathie und wies nach, dass die Unterrichtsverwaltung sich mit dieser 
Sache schon seit längerer Zeit beschäftigt habe. In den obersten Klassen 
der Seminarien werden seit 1872 von den Turnlehrern Vorlesungen über die 
erste Hülfeleistung bei Unglücksfällen gehalten. Diese Turnlehrer sollen auf 
der Tumlehrerbildungsanstalt in Berlin ausgebildet sein, wo eingehende 
hygienische Unterweisungen von einem Arzt ertheilt werden. Die Turnlehrer 
werden auch zum Besuch des Schwimmunterrichts angehalten, so dass sie 
die zahlreichen Unfälle beim Schwimmen beurtheilen lernen. Der Minister 
wies ferner auf die Betheiligung der Unterrichtsverwaltung an der Berliner 
Hygieneausstellung hin. Von den technischen Hochschulen und Fachschulen 
stehen nur fünf unter der Unterrichtsverwaltung; auch auf diesen findet ein 
ausgedehnter hygienischer Unterricht statt. Schliesslich versprach der Mi¬ 
nister unter dem Beifall des ganzen Hauses, aus dem Anträge eine neue 
Anregung entnehmen zu wollen, auf den betretenen Wegen fortzufahren. 
Nach kurzer weiterer Debatte, in der auch der Kriegsminister seine 
warme Zustimmung zu dem Anträge aussprach, wurde derselbe einstimmig 
angenommen. 

— Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegen- 
beiten hat entschieden, dass die ärztliche Vorprüfung im Falle des 
Misslingens unbegrenzt wiederholt werden kann. 

— Zum medicinischen Unterricht. Bei den Bestrebungen, 
welche allenthalben jetzt an den Tag treten, um den klinischen Unterricht 
von jenen Mängeln zu befreien, welche demselben anhaften, ist das Vor¬ 
gehen des bekannten Klinikers Mos ler in Greifswald als ein gewiss durch¬ 
greifendes und den Unterricht förderndes anzusehen. Es liegt uns eine 
bei Abel in Greifswald erschienene Brochüre, zusammengestellt von Dr. 
Erich Peiper, vor, die einen Auszug aus den Krankengeschichten der 
im Wintersemester 1887/1888 in der medicinischen Klinik von Geh. Rath 
Professor Dr. Mosler vorgestellten Fälle enthält. Als Ergänzung eigener 
Notizen soll dieser Auszug den Praktikanten, welchen er gewidmet ist, die 
Erinnerung an Alles, was sie in der Klinik während des Semesters 
gesehen und erfahren haben, erleichtern; in gedrängter Kürze sollen die 
individuellen Verhältnisse der einzelnen Patienten ins Gedächtniss ihnen 
zurückgerufen werden. Dieses neue Zeichen der Fürsorge für gründliche kli¬ 
nische Ausbildung hat bei den Zuhörern und wird sicher in weiteren Kreisen 
das grösste Interesse erwecken. Es muss dieser Erfolg als Aufforderung 
gelten, bei diesem ersten Versuche nicht stehen zu bleiben, sondern in 
folgenden Semestern das Gleiche zu thun. — Wir dürfen ferner auf den 
gewiss nicht zu unterschätzenden Umstand hinweisen, dass es, wie aus der 
im Anhang gemachten Zusammenstellung ersichtlich ist, bei der besonderen 
Art der Vertheilung der Kranken möglich gewesen ist, 8—10 Krankheitsfälle 
im Semester den einzelnen Praktikanten zu überweisen. 

— Breslau. Dem Direktor des pflanzenphysiologischen Instituts und 
ordentlichen Professor Dr. Ferdinand Cohn ist der Charakter als Ge¬ 
heimer Regierungsrath verliehen worden. 

— Leipzig. Direktor Dr. Curschmann in Hamburg erhielt den offi- 
ciellen Ruf zur Uebernahme der Professur für specielle Pathologie und Therapie 
sowie der Direktion der medicinischen Klinik nach Leipzig. Wie wir aus zuver- 


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388 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 19 


lässigster Quelle erfahren, sind Curschmann, welcher von der Facultät 
einstimmig vorgeschlagen worden ist, seitens des Ministers die glänzendsten 
Bedingungen geboten. Wir dürften wohl in der Annahme nicht fehl gehen, 
dass Curschmann diesem Rufe Folge geben wird. 

— Das Königlich sächsische Cultusministerium hat genehmigt, dass die 
seitherige „Irrenklinik“ der Universität Leipzig fernerhin als „Psychia¬ 
trische und Nervenklinik“ der Universität Leipzig bezeichnet wird. 

— In Giessen steht, wie wir hören, die Errichtung eines Lehr¬ 
stuhls für Hygiene bevor, für dessen Besetzung Dr. Löffler in Berlin 
in Aussicht genommen ist. 

— Für die II. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für 
Gynäkologie sind ausser den in No. 17 p. 348 bereits aufgeführten noch 
folgende Vorträge angemeldet: Herr v. Preuschen (Greifswald): 1) Ueber 
Melaena neonatorum; 2) Demonstration einer Kranken. — Herr A. Martin 
(Berlin): Ueber Myome. — Herr C. Rüge (Berlin): Ueber Adenom des 
Uterus, die malignen und benignen Formen desselben. — Herr Fehling 
(Basel): 1) Ueber den Mechanismus der Placeritarlösung; 2) Ueber 
Castration bei Osteomalacie. 

— Der Allgemeine ärztliche Verein von Thüringen hält am 
24. Mai seine XX. Generalversammlung in Erfurt ab. Auf der Tages¬ 
ordnung stehen ausser geschäftlichen Angelegenheiten folgende wissen¬ 
schaftliche Vorträge: Herr Riedel: Ueber den zungenförmigen Fortsatz 
des rechten Leberlappens und seine pathognostische Bedeutung für die Er¬ 
krankung der Gallenblase.— Herr Tenholt (Nordhausen): Demonstrationen, 
betreffend die Pebrineseuche in den Seidenraupenzüchtereien zu Nordhausen. 

— Herr Pfeiffer (Weimar): Cercomonas gallinae und dessen Betheiligung 
au der Hübnerdiphtherie in Preussen. — Herr Lübben (Waltershausen): 
Mittheilung über den Stand der Zoster-Zählkartensammlung. 

— Die diesjährige Frühjahrsversammlung des Vereins der Aerzte 
des Regierungsbezirks Stettin findet am Donnerstag, den 7. Juni, in 
Caramin statt. Auf der Tagesordnung der Sitzung stehen ausser geschäft¬ 
lichen Mittheilungen und Anträgen folgende wissenschaftliche Vorträge: 
Dr. Hans Schmid (Stettin): Ueber Nierenchirurgie. — Dr. Roth holz 
(Stettin): Ueber die adenoiden Wucherungen im Nasenrachenraum und ihre 
operative Behandlung. — Dr. Zenker (BergquelD: Ueber Morphiumsucht 

— Dr. Freyer (Stettin): Die Bandwurmmittel und ihre Freigebung für den 
Handverkauf in den Apotheken. — Dr. Raabe-Cammin: Ueber die Ge¬ 
schichte und Heilwirkung der Camminer Soolquellen. — Professor Dr. 
Mosler (Greifswald): Ueber Alkoholmissbrauch. Demonstration eines Falles 
von Myxoedem. 

— Gustav Fock’s „Centralstelle für Dissertationen und Programme“ 
hat ein systematisches Verzeichniss von Abhandlungen aus dem 
Gesammtgebiete der Medicin (Dissertationen, Gelegenheitsschriften etc.) 
veröffentlicht (Preis 50 Pfg.). Der von sachkundigster Seite zusammen¬ 
gestellte Catalog ermöglicht dem wissenschaftlich arbeitenden Mediciner die 
leichte Beschaffung einer oft unentbehrlichen, früher schwer zugänglichen 
Literatur und dürfte daher Manchem in hohem Grade willkommen sein. 

— Der ärztliche Bezirksverein München beschloss auf Antrag des 
Vorstandes, einen Neudruck der Brochüre: „Der ärztliche Stand und 
das Publikum“ (eine auf Veranlassung desselben Vereins bearbeitete 
Uebersetzung des amerikanischen Code of medical ethics) zu veranstalten 
und ein Exemplar derselben jedem in München zur Praxis sich anmeldenden 
Arzte einzuhändigen (Münch, med. Wochenschr.). 

— In „The Epoch“ sagt Dr. W. M. Butler über das Rauchen: Zu 
viel Rauchen röthet und reizt den Magen, die Schleimhaut secemirt un¬ 
regelmässig und producirt nicht genug Magensaft. So entstehen Verdauungs¬ 
störungen; das ist das erste Stadium. Nach einiger Zeit erträgt der Magen 
diesen Zustand dauernd, so dass sich die Uebelkeit des Anfängers im 
Rauchen nicht wieder einstellt. Ob das Rauchen Jemand zuträglich ist, 
hängt ganz von seiner Organisation ab, für nervöse Personen ist es gewiss 
nicht vortheilhaft. Sehr viel hängt ferner auch davon ab, wie viel und 
wann man raucht. Vielen dienen 1—2 Cigarren nach starken Anstren¬ 
gungen der Nerven zur Beruhigung, nervöse Naturen sollten dagegen das 
Rauchen ganz lassen, am wenigsten schadet es noch bei phlegmatischem 
Temparament. -(Boston medic. and surgic. Journal.) 

— Dr. von Millingen hat nach einem Vortrage in der Londoner 
ophthalmologischen Gesellschaft im Laufe einer 15jährigen Erfahrung in der 
Türkei und der Levante nie einen Fall von alkoholischer oder Tabaks¬ 
amblyopie bei einem Türken oder einer Türkin gesehen. Der Tabak¬ 
sorte, die dort geraucht werde, könne man diese Erscheinung nicht zu¬ 
schreiben, denn Frauen und Männer rauchten dort so grosse Mengen, dass 
darin wohl eben so viel Nicotin enthalten sei wie in den kleineren Mengen 
stärkeren Tabaks, wie er in Nordeuropa geraucht werde. Vielmehr bewirke 
die Art des Rauchens das Fehlen derartiger Erscheinungen, und die Ver¬ 
giftung rühre daher, dass man den Tabakssaft in Berührung mit der feuchten 
Mundschleimhaut kommen lasse. Dass türkische Frauen trinken, kommt 
überhaupt nicht vor, von den Männern gemessen manche Raki (Reisbrannt¬ 
wein) im Uebermaass, doch sei ihm kein Fall von alkoholischer Amblyopie 
in Folge dieses Getränkes bekannt geworden. Dagegen seien ihm acht 
Fälle von alkoholischer und zwei von Tabaksamblyopie bei Fremden, die 
sich in der Türkei aufhielten, vorgekommen. 

— Die Herren Mairet und Combemale haben in der Academ. des 
scienc. in Paris sehr interessante Resultate ihrer Untersuchungen über 
den degenerativen Einfluss des Alkohols auf die Nachkommen¬ 
schaft von Thieren mitgetheilt. Ein chronisch mit Alkohol vergifteter 
Hund zeugte mit einer gesunden Hündin 12 Junge, von deneh 2 todt ge¬ 
boren wurden, und von denen die übrigen 10 innerhalb 65 Tagen sämmtlich 
zu Grunde gingen. Bei allen fanden sich unzweifelhaft Zeichen alkoholischer 
Entartung: Verdickung der Schädelknochen, Auflagerungen der Dura mater, i 
Leberverfettung etc. — Eine kräftige, intelligente Hündin wurde während j 
der 3 letzten Wochen ihrer Schwangerschaft acut vergiftet: sie gebar 3 


todte und 3 lebende Junge. Von den letzteren waren 2 körperlich gut 
entwickelt, jedoch wenig intelligent, während das dritte, eine Hündin, sehr 
deutliche körperliche und intellectuelle Defecte zeigte. Um den Einfluss des 
Alkohols auch auf die dritte Generation zu prüfen, wurde die letztbeschrie¬ 
bene Hündin wiederum mit einem kräftigen Hunde zusammengebracht und 
gebar 3 lebendige Junge, von denen eins sehr zahlreiche Hemmungsbildungen 
darbot, das zweite an Offenbleiben des Ductus Botalli zu Grunde ging, und 
das dritte von Atrophie der Hinterstränge befallen wurde. 

— P. Regnard et P. Loye. Recherches faites ä Amiens sur 
les restes d’un Supplicie 1) Bis zu seinem letzten Augenblick zeigte das 
Individuum den grössten Muth. Das Antlitz erblasste nicht, wie es hei Hinrich¬ 
tungen gewöhnlich vorkommt, sobald der Verbrecher auf dem Brett festgeschnürt 
wird, sondern blieb bis eine Minute nach der Enthauptung röthlich gefärbt. 
2) Zwei Secunden nach der Enthauptung wurde nicht mehr das mindeste 
Zeichen von Bewusstsein im Kopfe wahrgenommen. 3) Bis sechs Secunden 
nach der Enthauptung konnte der Cornealreflex hervorgerufen werden. Die 
Herzkammern schlugen noch 25 Minuten weiter fort und die Vorkammern 
eine ganze Stunde lang. 4) Die überdauernden Bewegungen der Augen, 
der starke Schluss des Unterkiefers und das Spritzen aus den Carotiden 
waren die einzigen Zeichen, dass man wirklich einen lebendigen Mann und 
nicht einen Kadaver geköpft hatte. 5) Dieser sanfte Tod, frei von organi- 
stischen Erscheinungen, erinnert an den Hemmungstod, welchen Brown- 
Sequard durch gewisse Reizungen des Centralnervensystems bei Thieren 
hervorgerufen hat. 6) Die Anwesenheit von Luftblasen in den Piagefässen 
und in den Subarachnoidalräumen erklärt sich nach einfachen physikalischen 
Betrachtungen. Die Luftblasen sind nach der Enthauptung aus der Atmo¬ 
sphäre aufgesogen worden, um das in Folge von Arteriencontraction abge¬ 
laufene Blut in der starren Schädelkapsel zu ersetzen. 

— Universitäten. Wien. Für die Besetzung der Abtheilung für 
Syphilis und Hautkranke im Rudolfspital sind Seitens der Krankenhaus¬ 
direktoren, wie die Int. klin. Rundsch. berichtet, primo loco Dr. v. Hebra, 
secundo loco Dr. Finger, tertio und aequo loco Dr. Riehl und Dr. 
v. Zeissl vorgeschlagen. — Kiew. Privatdocent Dr. W. Podwyssotzky 
wurde zum ausserordentlichen Professor der allgemeinen Pathologie ernannt. 

XIV. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben AJlergnädigst 
geruht, dem dirigird. Arzt der Chirurg. Abtheilung des städt. Krankenhauses 
im Friedrichshain, Geh. San.-Rath Dr. Hahn den Rothen Adler-Orden 
ni. CI. zu verleihen. 

Ernennungen: Der seitherige Kreis-Wundarzt des Kreises Kottbus, 
San.-Rath Dr. Liersch ist zum Kreis-Physikus des Landkreises Kottbus, 
der seitherige Kreis-Wundarzt des Stadt- und Landkreises Posen, San.-Rath 
Dr. Hirschberg ist zum Kreis-Physikus des östl. Landkreises Posen, der 
prakt. Arzt Dr. Kleine zu Schweidnitz zum Kreis-Physikus des Kreises 
Gostyn und der prakt. Arzt Dr. Le Blanc zu Opladen unter Belassung 
in seinem Wohnsitz zum Kreis-Wundarzt des Kreises Solingen ernannt 
worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Loesener in Potsdam, 
Dr. Gumbinner in Mariendorf bei Berlin, Dr. Wichmann in Ebers¬ 
walde, Dr. Moebius in Strausberg, Dr. Scheller in Neu-Ruppin, Dr. Linde¬ 
mann in Kletzke,- Dr. Jacoby in Polzin, Dr. Witting in Otoblitz, 
Dr. Hahn in Schivelbein, Hedinger in Dyhemfurth, Di erlich in Namslau, 
Dr. Hauschild in Esens. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Kroeger von Zerpenschleuse 
nach Lanke, Dr. Dalmer von Greifswald nach Rixdorf, Ass.-A. Dr. Grass¬ 
mann von Rastatt nach Potsdam, Ass.-A. Dr. Brecht von Hagenau nach 
Potsdam, Dr. Wachsmann von Thorn nach Potsdam, Ass.-Arzt Dr. Fritz 
von Potsdam als Stabsarzt nach Naumburg. Ass.-A. Dr. Lang hoff als 
Stabsarzt von Berlin nach Cöln, Dr. Schwerdtfeger von Garnsee nach 
Schivelbein, Hörich von Schivelbein nach Leitzkau, -Dr. Heinze von 
Solau nach Glogau, Dr. Seheyer von Neisse nach Namslau, Dr. Pohle 
von Eiterfeld nach Rheinböllen, Ob.-Stabsarzt a. D. Dr. Richter von 
Hannover nach Boppard. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Mahler in Adelebsen, Dr. Hell¬ 
mers in Esens, Ob.-Stabsarzt Dr. Berg in Neu-Ruppin. 

Vacante Stelle: Die Kreis-Wundarztstelle des Kreises Oletzko. 

2. Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Ruhestandsversetzung: Geh. Rath Professor Dr. Fr. Scanzoni 
v. Lichtenfels in Würzburg. 

Niederlassungen: Dr. L. Süssmann, Dr. J. Grünebaum und 
Dr. A. Lang in Bamberg; Dr. P. Wölfert in Langenaltheim; Dr. A. Gutten- 
berg zu Neustadt; Dr. J. Weismann in Kirchheimbolanden. 

Verzogen: Die appr. Aerzte L. Mahr von Rügland nach Flachslanden, 
W. Oppenrieder von Bruckberg nach Rügland, Dr. Fr. Marschall 
von München nach Frankfurt a. M., Dr. F. Römer von Ludwigshafen 
nach Landau, Dr. A. Krempl von Altmannstein nach Schnaittach, Dr. 
Steichele von Illertissen nach Weissenborn, Dr. M. Kuisl von Zorneding 
nach Buchbach. 

Gestorben: Dr. A. Liedergr von Liederscron in Obermoschel. 

3. Württemberg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Landesver.) 

Auszeichnungen: Ob.-A.-A. Med.-R. Dr. Christmann in Lud¬ 
wigsburg, Ob.-A.-A. Dr. Buck in Ehingen, Dr. Röchling in Stuttgart 
durch Ritterkreuz I. €1.. des Friedrichsordens. Ob.-St.-A. a. D. Hofrath 
Dr. v. Höring in Ludwigsburg durch Titel eines Geh. Hofraths. 

Gestorben: Cand. med. A. Liebermeister in Tübingen. Dr. A. 
Har pp recht in Stuttgart. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


jv *© 


17. Mai 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet Ton Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttraann in Berlin W. Verlag von Georg Thierae, Leipzig-Berlin. 


I. Mittheilung aus der Königlichen Frauenklinik in Dresden. 

Weiterer Beitrag zur Verhütung des 
Kindbettfiebers. 

Rückblick auf die 1388 klinischen Geburten des Jahres 1887. 
Von Prof. Leopold. 

Vor ungefähr einem Jahre gab ich iu dieser Wochenschrift (1887, 
No. 25)') eine Uebersicht über die Vorgänge des Jahres 1886 auf 
der geburtshilflichen Abtheilung der Königlichen Frauenklinik in 
Dresden und knüpfte zunächst an die Thatsache an, dass es unter 
Anwendung der grössten Reinlichkeit und strengsten Handhabung 
der Antisepsis in der Zeit vom 1. Mai 1884 bis zum 1. September 
1886, also in 2 V 3 Jahren gelungen war, 3196 Entbindungen 
aneinanderzureihen mit nur 4 lnfectionstodesfällen = 0,12°/ 0 , welche 
der Klinik zur Last gelegt werden mussten. 

Wenn es berechtigt erschien, dieses Ergebniss als eiu günstiges 
zu bezeichnen, so fiel hierbei noch der Umstand in die Waagschale, 
dass sich in dem Institut jedes Jahr ein ungewöhnlich umfang¬ 
reiches Material zusammendrängt, und, wie es grosse Anstalten 
mit sich bringen, sich im buntesten Durcheinander normale und 
pathologische, schwere operative, draussen vielfach untersuchte 
und oft in einem ganz verwahrlosten Zustande befindliche, mit 
allen Zeichen der Infection behaftete Fälle, gruppen- und tage¬ 
weise zusammenfinden. Dass ein einziger zweifelhafter oder sicher 
inficirter Fall für eine Reihe gleichzeitig oder später zu entbindender 
Frauen verhängnissvoll werden kann, wenn nicht eine ganz scharf 
getrennte Arbeitseintheilung stattfindet, bedarf keiner Erwähnung. 

Zwei Einrichtungen glaube ich es zuschreiben zu müssen, dass 
es möglich war, die Infection von grösseren Reihen nacheinander 
Entbundener fernzuhalten, erstens dieser eben erwähnten scharfen 
Trennung der einzelnen Gebiete der Klinik: der Trennung 
der Geburtshülfe von der Gynäkologie, der geburtshülflich nor¬ 
malen Fälle von allen zweifelhaften oder sicher inficirten, der Be¬ 
schäftigung mit mikroskopischen oder Präparatenuntersuchungen 
von jedweder geburtshülflichen Thätigkeit, vor Allem der strengen 
Trennung des Dienstes auf dem Gebärsaal von dem auf der 
Wöchnerinnenstatiou, mit einem Worte, einer ganz systemati¬ 
schen Arbeitseintheilung für die Assistenten, externen Hülfs- 
ärzte, Hebammen und Hebammenschülerinnen, welche in bestimmten 
Zeitabschnitten wechselt, — und zweitens unserer Desinfections- 
ordnung, welche seit dem 1. Mai 1886 von mir eingeführt wor¬ 
den ist und sich bisher bewährt hat. 

Mit Hülfe dieser Einrichtungen liess es sich durchführen, zu¬ 
nächst eine Reihe von 1686 Entbindungen aufeinander folgen zu 
lassen in der Zeit vom 1. Mai 1884 bis Ende Juli 1885 und eine 
zweite Reihe von 1403 Entbindungen in der Zeit vom 1. Mai 1886 
bis 1. Mai 1887, beide Male ohne einen einzigen Infections- 
todesfall, welcher der Anstalt zur Last fiele. 

Wenden wir uns nun zu dem Ueberblick über das Jahr 1887, 
so wird sich zeigen, dass es nach vielen Richtungen hin, was die 
Zahl der pathologischen und operativen Fälle, namentlich der in 
fast sterbendem Zustande hereingebrachten Halbentbundenen, ferner 
was den Reichthum an engen Becken betrifft, mit dem Vorjahre 
übereinstiramt; gleichwohl war es aber möglich, die Infection 
noch mehr als früher in Schranken zu halten, nament- 


*) Zur Verhütung des Kindbettfiebers. Rückblick auf einen Jahrgang 
von 1400 klinischen Geburten von Prof. Dr. Leopold. 


lieh die infectiösen Wochenbettkrankheiten zu einer 
ausserordentlich niedrigen Zahl herabzudrücken. 

Und hierbei muss darauf hingewiesen werden, dass das geburts- 
hülfliche Material zu Unterrichtszwecken ergiebig ausgenützt wird, 
da es fortwährend eine Reihe externer Hülfsärzte, welche in Fort- 
bildungscursen von je 4 Monaten und zeitweilig bis zu 12 an Zahl 
hier thätig sind, und von Hebammenschülerinnen (in jedem Cursus 
ungefähr 30) zu den äusseren und inneren Untersuchungen zur 
Verfügung steht. 

Im Jahre 1887 wurden 1388 Frauen entbunden. An ihnen 
machten sich 189 = 13,6% Operationen nothwendig, nämlich: 

27 Zangenentbindungen (1886: 52 Zangen), 

33 Wendungen und Extractionen, 

32 Extractionen bez. Arm- und Kopflösungen, 

8 manuelle Placentarlösungen, 

16 Enthirnungen, 

5 Kaiserschnitte, 

24 künstliche Frühgeburten, 

21 Abortausräumungeu, 

6 Vernähungen schwerer Cervicalrissc, 

17 Vernähungen schwerer Dammrisse, 

Summa 189. (1886: 207 = 14,9%). 

Hierzu kommen noch 17 Eclampsieen (1886: 10) 

und 18 Placentae praeviae (1886: 5), 

346 enge Becken mit Cj. vera bis 9 cm = 24,9% 

und 126 enge Becken mit Cj. vera unter 9 cm = 9,0. 

Von diesen 1388 Frauen sind im Ganzen gestorben 14 = 1,0% 
(1886 von 1387 ebenfalls 14=1,0%), und zwar: 

2 an Eclampsie, 

4 an Placenta praevia (theils an Verblutung, theils an Infec¬ 
tion, welche nach langer, ausserhalb erfolgter Tamponade mit 
hereingebracht worden war), 

1 an Granularatrophie der Nieren, 

1 an perforirendem Magengeschwür, 

1 an acuter Meningitis nach Otitis media, 

1 an Uterusruptur (ausserhalb war die Zange an eine hoch¬ 
stehende Gesichtslage mit dem Kinne nach hinten angelegt worden), 

2 an Erschöpfung (die eine kam mit zerrissenen äusseren und 
inneren Geschlechtstheilen und fast ganz ausgeblutet, nach wieder¬ 
holten Wendungsversucheu ausserhalb, zur Klinik. Bei der anderen 
hatte die Geburt wegen eines enorm grossen Kindes 5 Tage lang 
gedauert. Inficirt, mit bedeutenden Zerquetschungen kam die Ge¬ 
bärende zu uns, nachdem ausserhalb die Zange wiederholt an den 
Steiss angelegt worden war!). 

1 an septischer Peritonitis, welche sie, mit Tetanus und Tym- 
pania Uteri behaftet, hereingebracht hatte und 

1 nach künstlicher Frühgeburt an Sepsis, welche in der Klinik 
selbst entstanden ist. 

Dies ist der einzige Infectionstodesfall des Jahres 1887, welchen 
die Anstalt verschuldet = 0,07%. 

Denn ordnet man die Todesfälle nach den klinischen und Sec- 
tionsprotokollen und fragt allein nach den Frauen, bei denen sich 
zweifellos die Zeichen der Infection vorfanden, so sind unter den 
14 Gestorbenen 4 anzuführen, von denen aber drei sicher mit weit 
vorgeschrittener Infection in die Anstalt aufgenommen wurden. 

Diese sind: die eine mit Placenta praevia, welche draussen 
lange tamponirt worden war. 

Die zweite war die Kreissende mit dem enorm grossen Kind 
und fünftägiger Geburtsdauer, 


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390 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 20 


Die dritte jene mit Tetanus und Tympania uteri, an welcher 
ausserhalb mannichfache Entbindungsversuche vorgenommen worden 
waren. 

Sonach bleibt nur die Eine übrig, welche in der Anstalt inficirt 
wurde und in Folge dessen gestorben ist. Nach Einleitung der 
Frühgeburt schleppte sich ihre Entbindung fast 8 Tilge lang hin, 
und obwohl auf die Reinigung der Geschlechtsorgane möglichste 
Sorgfalt gelegt worden war, müssen doch durch Bougie oder Finger 
Infectionskeime aus dem engen Collum der Erstgebärenden in die 
Blut- und Lymphbahnen eingeffilirt worden sein. 

Vergleicht man nun die vier Jahre 1884—1887 nach den Todes¬ 
fällen an Infection, deren Entstehung ganz sicher in der Anstalt er¬ 
folgt ist, so crgiebt sich, dass auch im letzten Jahre, bei gleich 
zahlreichen und schweren Fällen, wiederum ein Fortschritt zu ver¬ 
zeichnen ist: 

Denn 1884 kommen auf 1368 Entbindungen 12 Todesfälle au Infection = 0,8% 

(Epidemie) 

1885 - „ 1365 . 2 Todesfälle „ „ =0,14% 

1886 „ „ 1387 „ 2 =0,14% 

1887 * „ 1388 „ 1 =0,07% 

Gleichen Schritt halten damit die immer besser gewordenen 
Wochenbettverhältnisse. Denn 

179 = 12,8% hatten nur eine kurze vorübergehende Tempera¬ 
tursteigerung über 38° C. Sie konnten alle bis 
zum 12. Tage entlassen werden; 

42 = 3,0% hatten mehrtägiges Fieber in Folge von übel¬ 
riechenden Lochien, Eclampsie, Dammwunden, 
Schrunden etc. und konnten insgesammt bis zum 
28. Tage entlassen werden; 

0 = 0,4% boten infectiöse Erkrankungen dar, vorwiegend 
param et r irische Exsudate, welche bis zum 39. Tage 
so weit abgeheilt waren, dass die Frauen die 
Klinik verlassen konnten. 

Rechnet man nun zu diesen letzteren beiden Gruppen noch 4 
nach dem Krankenhause Verlegte (Phthisis, Syphilis etc.), von denen 
keine gestorben ist, und die 14 Verstorbenen, in Summa 66, so 
sieht man, dass von den 1388 entbundenen Frauen 1322 = 95,2% 
ein so normales Wochenbett durchmachten, dass sie bis zum 12. Tage 
entlassen werden konnten. 

Ein Vergleich mit dem Jahre 1886 lehrt, dass damals 10,9% 
nur eine einmalige Steigerung über 38° C darboten. 7,8% hatten 
mehrtägiges Fieber, und 1,9% infectiöse Erkrankungen; Procent¬ 
sätze, welche im letzten Jahrgang zu Gunsten der Wöchnerinnen 
bemerkenswert.h abgemiudert worden sind. 

Die Sterblichkeits- und Erkrankuugsziffer einer geburtshülflichen 
Anstalt ist wesentlich mit von der Zahl der Gebärenden abhängig, 
welche aufgenommen werden, nachdem an ihnen ausserhalb von 
Aerzten und Hebammen hier und da mit sehr zweifelhaften Fingern 
und Einfettungsmasseu innere Untersuchungen bezw. Entbindungs¬ 
versuche vorgenommen worden sind. 

Um der Gefahr, welche in derartigen Fällen liegt, vorzubeugen, 
wird jede neu Eintretende genau befragt, ob sie vor ihrem Eintritt 
innerlich schon untersucht worden ist. Die betreffende Antwort hat 
der diensthabende Arzt in das Journal einzutragen. War eine solche 
Untersuchung erfolgt, so werden, namentlich bei allen operativen 
Fällen, die Scheide und die Gebärmutterhöhle, vor Allem der Hals, 
vor und nach der künstlichen Entbindung mit 5% Carbollösung 
auf das Sorgfältigste mittelst Wattetupfern gereinigt, ausgewaschen 
bezw. ausgewischt, und es ist jedenfalls dieser consequenten Reini¬ 
gung des Operationsfeldes zu verdanken, dass eine so grosse Zahl 
Operirter ein fast fieberloses Wochenbett gehabt hat. 

So kamen im Jahre 1887 nach schon ausserhalb erfolgten 
Untersuchungen bezw. Entbindungsversuchen 121= 8,7% 
der Gebärenden zu uns. Von ihnen sind nur elf kürzere oder län¬ 
gere Zeit krank gewesen, und zwar fanden sich bei zwei Frauen 
schwere Zerreissungen des ganzen Scheidengewölbes, theils durch 
criminellen Abort, theils durch Wendungsversuche von fremder 
Hand; eine lag 28 Tage an den Folgen der Eclampsie, drei hatten 
Parametritis und fünf starben bald unter dem Einfluss der ausser¬ 
halb begonnenen, aber unvollendet gebliebenen Operationen an Iu- 
fection, Verblutung oder Erschöpfung (s. oben Todesfälle). In 
diesen letzten acht Fällen war es uns demnach nicht gelungen, so¬ 
wohl die Zerstörungen, welche die Frauen hereinbrachten, als auch 
die Infectionskeime durch energische Auswaschungen mit Carbol¬ 
oder Sublimatlösung unschädlich zu machen. Sie waren im Körper 
der Entbundenen schon viel zu weit vorgedrungen. 

Die auffallende Belastung unserer Klinik mit solcheu Fällen 
lehrt, wie die Gesammtmortalitüt eines Jahrganges bei ihr von 
einem ganz anderen Standpunkt aufgefasst werden muss, als bei 
Anstalten mit kleinerem Material und bei solchen, neben welchen 
noch eine Poliklinik besteht. Verbleibt in der letzteren so mancher 
Fall, bei dem noch einige Aussicht auf Besserung vorliegt, so wird 


selbstvcrstäudlicli der Klinik überwiesen, was rettungs- und hoff¬ 
nungslos verloren erscheint. 

Endlich ist noch Derer zu gedenken, bei welchen 
innerhalb der Klinik Untersuchungen der inneren Ge¬ 
burtswege nicht vorgenommen worden sind. Schon bei 
dem Bericht über das Jahr 1886 führte ich an, dass von 1387 
Gebärenden 78 = 5,6% theils wegen schnell erfolgender Geburt, 
theils wegen Anwesenheit pathologischer Fälle auf dem Gebär¬ 
saal oder Mangels einer bestimmten Veranlassung innerlich 
nicht untersucht wurden. Dem entsprechend — da von unserer 
Seite sicherlich keiu Infectionsträger, weder Finger noch Mutter¬ 
rohr oder dergl. in die Scheide gelangt war, mit einem Worte 
die Frauen innerlich von uns nicht berührt waren — wurde bei 
diesen Gebärenden weder während, noch nach der Ent¬ 
bindung die Scheide ausgespült. Von diesen 78 Entbundenen 
hatten 77 ein absolut fieberloses Wochenbett und konnten am 
11. Tage entlassen werden. Eine nur — die also nie berührt war 
— bekam schon unter der Geburt eiu Hämatom der linken grossen 
Schamlippe und konnte erst in der dritten Woche das Institut ver¬ 
lassen. 

Um über den Vorgang der viel besprochenen Selbstinfectiou, 
welche erst vor wenigen Jahren aus den geburtshülflichen An¬ 
schauungen glücklich ausgetilgt worden war und welche jetzt wieder 
neuen Boden zu gewinnen scheint, eigene Erfahrungen zu sammeln, 
wurden die Beobachtungen im Jahre 1887 nach dieser Richtung hin 
fortgesetzt, und bei allen denjenigen Gebärenden, welche aus oben 
angedeuteten Grüuden innerlich nicht untersucht wurden, dem ent¬ 
sprechend auch die Scheide weder während, noch nach der Ent¬ 
bindung ausgespült. 

‘Derartige Entbindungen sind 170 = 12,2% verzeichnet. Von 
ihnen hatten 166 ein so normales Wochenbett, dass sie am elften 
Tage entlassen werden konnten; und nur 5 von ihnen = 2,9% 
hatten mässige Fieberbewegungen: zwei nach der Geburt faul- 
todter Früchte (entlassen am 18. und 22. Tage); eine dritte hatte 
2 Tage laug Fieber, ihr Kind bekam vom 6. Tage an gonorrhoische 
Augenentzündung, beide verKessen am 13. Tage die Anstalt; eine 
vierte und fünfte hatten, bei übelriechenden Lochien, so geringe 
Fiebererscheinungen, dass sie am 17. Tage als geheilt fortgehen 
konnten. 

Nach alledem haben in den beiden Jahren 1886 und 1887 von 
248 innerlich nicht untersuchten und nicht ausgespülten Gebärenden 
sicherlich 248 = 98 % ein normales und nur 5 = 2% ein massig 
fieberhaftes Wochenbett überstanden, und es verdient von den 
letzteren besonders hervorgehoben zu werden, dass unter ihnen eine 
Parametritis nicht vorgekommen ist. 

Es erscheint mir zweckmässig, diese Thatsachen mit Rücksicht 
auf eine Kritik der Lehre von der Selbstinfectiou hier niederzu¬ 
legen, ohne schon bestimmte Schlüsse daraus ziehen zu wollen. 
Auch in diesem Jahre halten wir, um weitere Beobachtungen zu 
sammeln, an dem Grundsätze fest, dass die Gebärenden, welche 
von uns innerlich nicht berührt worden sind, auch nicht ausgespült 
werden. Erst wenn ein weit grösseres Material nach dieser Rich¬ 
tung hin vorliegt, wird sich erkennen lassen, ob und wie viel 
Wahres an der Lehre von der Selbstinfection ist. 

Der Umstand, dass diese bedenkliche Lehre, welche eine 
Menge Hinterthüren öffnet, schon wieder auftaucht, beweist, dass 
die Erkrankungen im Wochenbette nach ihren klinischen Erschei¬ 
nungen noch lange nicht genug gesichtet und auf einer möglichst 
grossen Basis geordnet sind, und dass es andererseits in den Ent¬ 
bindungsanstalten noch nicht recht gelingen will, dass es zum min¬ 
desten jedenfalls sehr schwer hält, die Infection auf das aller¬ 
niedrigste Maass einzuschränken oder besser noch, es aus den An¬ 
stalten gauz zu verbannen. 

Meines Erachtens ist es zunächst Sache der Eutbindungsinstitute, 
Alles daran zu setzen, dass jedwede Infection ferngehalteu, oder 
wenn sie aufgetreten, im Keime erstickt werde. Dies ist sehr 
schwer, namentlich für Anstalten mit grossem Material, aber gewiss 
erreichbar. 

In der strengsten Gliederung der Arbeitseintheilung 
und in der peinlichsten Reinigung der Hände. Instrumente, 
Geschlechtstheile etc. haben wir hier die immer besseren Erfolge 
erreicht. 

Aerzte, Studirende und Hebammen müssen in diesen Instituten 
den Grundsatz durchgeführt sehen und müssen ihn als Ideal mit 
hinausnehmen, dass eine Infection überhaupt nicht Vor¬ 
kommen darf. Leider sind wir hiervon noch ziemlich entfernt, 
und in der geburtshülflichen Praxis in Stadt und Land sieht es noch 
sehr bedenklich und traurig aus. 

Macht sich die Lehre von der Selbstiufection schon wieder 
geltend, so ist für die Fernhaltung der Infection in der Privatpraxis 
eher ein Rückschritt als ein Fortschritt zu erwarten. 

Die Grundsätze der geburtshiilflicheu Antisepsis sind bei den 


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17. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 391 


Aerzten und Hebammen noch lange nicht eingebürgert. Erst wenn 
der Sinn für die allergrösste Reinlichkeit bei dem Arzte und bei 
der Hebamme sowohl an sich selbst wie an der Gebärenden und 
dem Kinde immer mehr anerzogen und ausgebildet sein wird, danu 
erst wird es gelingen, auch die jetzt noch recht hohen Sterblich¬ 
keitsziffern an Kindbettfieber in der Privatpraxis herabzudrücken 
und sie den immer kleiner gewordenen Zahlen sich nähern zu sehen, 
mit denen die Entbindungsanstalten unter einander wetteifern. — 

n. Ueber Gährungsvorgänge im kindlichen 
Darmcanal und die Gährungstherapie der 
Verdauungskrankheiten.*) 

Von Dr. Adolf Bogiosky. 

Meine Herren! Die Untersuchungen, über welche ich die Ehre 
haben werde. Ihnen heute einige Mittheilungen zu machen, fügen 
sich in die Reihe jener von mir systematisch geführten Untersuchun¬ 
gen eiu. welche ich im Jahre 1875 <2 ) begonnen habe, welche weiter¬ 
hin in Virchow’s Archiv 3 ) und in meiner monographischen Bear¬ 
beitung der Verdauuugskrankheiten 4 ) veröffentlicht worden sind. 
Dieselben verfolgten das Endziel, soweit dies einem einzelnen Ar¬ 
beiter überhaupt möglich ist, eine der wichtigsten Krankheitsgruppen 
des kindlichen Alters betreffs ihrer ätiologischen Factoren aufzuklären, 
in den pathologischen Veränderungen und in ihrem klinischen Ver¬ 
laufe und Ausgange zu verfolgen, um so an der Hand der gewonnenen 
theoretischen und praktischen Erfahrungen sichere Wege für die 
Therapie aufzufinden. Ich werde im Verlaufe der heutigen Ausein¬ 
andersetzungen in der Lage sein, auf einzelne in diesen Arbeiten 
niedergelegte Thatsachen zurückgreifen zu müssen, und betone des¬ 
halb den in denselben vorhandenen Zusammenhang. 

Die Auffassung, dass die krankhaften Vorgänge ira kindlichen 
Darintractus, welche als dyspeptische bezeichnet werden, und deren 
wichtigstes Symptom die Diarrhoeen sind, von Gährungsvorgängen 
ihren Ausgang nehmen, welche im Darintractus vor sich gehen, ist 
ziemlich alten Datums. Soweit es mir möglich war, zu ermitteln, 
war Bednar 5 ) der Autor, welcher derselben in so klarer Weise 
Ausdruck gab, dass man im Stande ist, jeden seiner Sätze auch 
heute noch abzudrucken, ohne damit den modernen Anschauungen 
gegenüber etwas Veraltetes zu Tage zu fördern. Nach Anführung 
der krankmachendeu Anlässe, unter denen er schlechte Ammenmilch, 
unzweckmässige künstliche Ernährung, mangelhafte Reinlichkeit in 
der Mundpflege und Uebermaass der Nahrung aufzählt, fährt er 
fort: „Die genannten Schädlichkeiten tragen das Gemeinsame an sich, 
dass sie die normale Verdauung und hiermit auch die Assimilation 
stören, und zwar auf eine direkte Weise, wenn eine schon gährende 
Substanz in den Magen gelangt, oder auf eine indirekte Weise, 
wenn die verabreichte Nahrung im Missverhältnis zu den Ver¬ 
dauungssäften im Magen eine selbstständige abnorme Zersetzung 
eingeht, welche sich in beiden Fällen auf den Inhalt des Darm¬ 
canals fortpflanzt. Wieviel hierzu die unmittelbare Erkrankung der 
Magen- und Darmschleimhaut und ihrer Secrete, wenn sie über¬ 
haupt primär stattfindet, beizutragen im Stande ist, bleibt uns aus 
Mangel an anatomischen, chemischen und mikroskopischen Belegen 
unbekannt. Die in dem Vorhergehenden enthaltenen Belege sprechen 
eher für eine primäre abnorme Zersetzung des Magen- und Darm¬ 
inhalts, welche secundär die übrigen Erscheinungen im lebenden 
Organismus und die Veränderungen an der Leiche hervorbringt“. 

Dieser Auffassung schloss sichHenoch 0 ) an, indem er wieder¬ 
holt hervorhob, dass „ein grosser Theil der kindlichen Diarrhoeen, 
zumal bei Säuglingen, gepäppelten und vor Kurzem entwöhnten 
Kindern lediglich auf einem Gährungs- und Zersetzungsprocess der 
Magen- und Darmcontenta, ohne materielle Veränderung der Ali- 
mentarsehleimhaut beruht“. — Meine ersten, der Pathologie der 
Diarrhoeen gewidmeten Untersuchungen führten mich ebenfalls zu 
dem Schlüsse, dass die durch Mikroorganismen eingeleitete Gährung 
der primäre Vorgang bei den kindlichen Diarrhoeen sei, nur legte 
ich, wie ich weiterhin noch Gelegenheit haben werde zu betonen, 
schon damals einen sehr grossen Werth auf die anatomische Läsion 
der Darmschleimhaut, welche bei einiger Andauer der dyspeptischen 

*) Nach einem in der Berliner medicinischen Gesellschaft gehaltenen 
Vorträge- 

*) l'eber den Durchfall und Brechdurchfall der Kinder. Jahrb. für 
Kinderheilk. Bd. 8. 

3 ) Untersuchungen über den Darincanal des menschlichen Kindes. 
Virchow’s Archiv Bd. 89. 

4 ) Praktische Beiträge zur Kinderheilkunde. Heft 3. Tübingen, Laupp- 
sche Buchhandlung. 

5 ) Bednar. Krankheiten der Neugeborenen und Säuglinge, Wien 
1830, p. 54 ff. 

G ) He noch. Klinik der Unterleibskrankheiten, p. 589, und Beiträge 
zur Kinderheilkunde, I, p. 111, II, p. 309. 


Krankheitsvorgänge eintritt. — Mir war selbstverständlich bei ver¬ 
gleichsweisen Untersuchungen diarrhoischer und normaler Säuglings¬ 
faeces nicht entgangen, dass auch in letzteren ungeheure Massen von 
Bacterien Vorkommen, indess muss hervorgehoben werden, dass der 
Erste, der diese allerdings wohl jedem Untersucher bekannte That- 
sache zur Publieatiou brachte, Uf fei mann 1 ) war, indem er zugleich 
mit anderen interessanten Mittheilungen über die normalen Säug¬ 
lingsfaeces auf das Vorkommen verschiedener Formen von Mikro¬ 
organismen in denselben hinwies. Leider war es mir, wie ich schou 
in meiner Monographie der Verdauuugskrankheiten hervorgehobeu 
habe, durch äussere Umstände nicht vergönnt, die auf der Hand lie¬ 
gende Aufgabe der bacteriologischen Durchforschung dieser Mikro¬ 
organismen nach den bekannt gewordenen Koch’schen Methoden zur 
Ausführung zu bringen. Die Aufgabe wurde von Escherich-) in 
einer vortrefflichen Weise gelöst, indem dieser Autor neben verschie¬ 
denen, wechselnden in den normalen Milchfaeces der Säuglinge vor¬ 
kommenden Mikroorganismen zwei constante Formen auffaud, die er 
unter der Bezeichnung der obligaten Milchkothbacterien als B. lactis 
aürogenes und als B. coli commune beschrieb. — Escherich be¬ 
gnügte sich indess nicht mit der einfachen bacteriologischen Unter¬ 
suchung, sondern, indem er auf die Erforschung der biologischen 
Eigenschaften der beschriebenen zwei Hauptformen einging, fand er, 
dass dem B. lactis aerogenes ein ganz ausserordentlich intensives 
Gährungsvermögen gegenüber den Kohlehydraten, speciell auch 
gegenüber dem Milchzucker zukommt, dass diese Gährung als typische 
Milchsäuregährung unter gleichzeitiger Bildung von Milchsäure, Koh¬ 
lensäure und Wasserstoff verläuft und auch ohne Sauerstoffzufuhr 
möglich ist. Die Einwirkung auf die Eiweisskörper fand er gering, 
speciell kommt eine eigentliche Eiweissspaltung durch das B. lactis 
nicht zu Stande. — B. coli hat im Ganzen weit geringere gährungs- 
erregende Eigenschaften. 

Meine Herren! Meine Untersuchungen waren zunächst eine bac- 
teriologische Nachuntersuchung der Escherich’schen und im We¬ 
sentlichen kann ich die Angaben dieses Autors über die Constanz 
des Vorkommens der genannten beiden Bacterienformen bestätigen; 
auch den angeführten bacteriologischen Eigenschaften der beiden 
Formen habe ich nichts Besonderes hinzuzufügen. Dieselben lassen 
sich besonders durch die Culturen auf jungen Kartoffeln, auf welche 
B. lactis, oft unter Entwickelung von Gasblaseu mit weisslicher Farbe 
üppig wächst, leicht von dem mehr trocken, in der Fläche mit 
bräunlicher Farbe wachsenden B. coli unterscheiden. Da übrigens 
Escherich in dankenswerthester Weise die Güte hatte, mir Cultur- 
proben zukommen zu lassen, so war ich im Stande, meine Befunde 
mit den seinigen zu vergleichen. — Es ist diese Thatsache von 
Wichtigkeit, weil ich in allem Weiteren, was ich von B. lactis 
(Escherich) mitzutheilen haben werde, zu Ergebnissen gelaugt bin, 
welche sehr wesentlich von Escherich’s ab weichen. Es kann aber 
nicht der geringste Zweifel bestehen, dass meine abweichenden Er¬ 
gebnisse mit demselben Bacterium gewonnen sind, welches Esche¬ 
rich als B. lactis beschrieben hat. — Ueber B. coli commune werde 
ich heute noch keine Mittheilungen machen, weil meine Unter¬ 
suchungen über dasselbe noch nicht völlig abgeschlossen sind. 

Ueber die Methoden, welche ich bei der Erforschung der bio¬ 
logischen Eigenschafteu von B. lactis aerogenes (Escherich) ange¬ 
wandt habe, werde ich in der Zeitschr. f. physiolog. Chemie Ge¬ 
naueres angeben, ebenso über die Details der gewonnenen Ergeb¬ 
nisse. Hier, wo ich rein praktische Gesichtspunkte im Auge 
habe, möge es genügen, kurz die Resultate der Untersuchung mitzu¬ 
theilen, welche in der chemischen Abtheilung des hiesigen physio¬ 
logischen Instituts geführt wurde. 

Es hat sich herausgestellt: 

1. Escherich’s Bacterium lactis vergährt den Milchzucker unter 
Bildung nur miuimaler Mengen von Milchsäure mit gleichzeitigem 
Auftreten von Aceton. 

2. Die grösste Masse der gebildeten Säure ist nachweislich Essig¬ 
säure. 

3. Die Essigsäurebilduug geht ebensowohl unter Sauerstoffaus¬ 
schluss vor sich, wie bei Zufuhr von atmosphärischer Luft. 

4. Die Gallenbestandtheile hindern die Essigsäuregühruug nicht. 
Aus diesen Thatsachen kann man mit Sicherheit den Schluss 

ziehen, dass auch im Darintractus, wo Sauerstoffmangel herrscht 
und Gallenbestandtheile vorhanden sind, dieselbe Art der Vergähruug 
des Milchzuckers Statt hat. 

5. Das Bacterium verwandelt neutrales milchsaures Salz in butter- 
saures. 

fi. Auf Amylum übt es saccharificirende Wirkungen überhaupt nicht. 

7. Essigsäure entsteht bei der Einwirkung auf Amylum nur bei 
Gegenwart von Sauerstoff. 


’) Uffelinann. Archiv f. klinische Medicin Bd. 28, 1881, p. 447. 

3 ) Escherich. Die Darmbacterien des Säuglings. Fortschritte der 
Medicin Bd. 3, 1885 und Monographie, Stuttgart, Ferdinand Enke, 188G. 


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392 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 20 


8. Das Bacterium bringt Casein nicht zur Fäulnis«; sein Eiweiss¬ 
bedarf ist sehr gering. 

9. Die die Essigsäurebildung begleitenden Gase sind Kohlensäure, 
Mtethan und Wasserstoff 1 . Es handelt sich also nicht um Milch- 
säuregährung, sondern um Methangährung der Essigsäure, wie 
dieselbe schon seit Langem von Hoppe-Seyler und dessen 
Schülern studirt ist. 

10. Das Bacterium entfärbt Methylenblau langsam, bildet also in 
mässigen Mengen reducirende Stoffe, welche, wie schon an an¬ 
derem Orte 1 ) von mir gezeigt ist, durch Diffusion auch Fern¬ 
wirkung ausüben. 

Alle diese Eigenschaften des in Rede stehenden Bacterium geben 
mir den Anlass dazu, dasselbe nicht wie bisher B. lactis aerogenes, 
sondern Bacterium aceticum zu nennen, und ich halte diesen 
Namen umsomehr für geeignet, als unter dem Namen B. lactis schon 
mehrere Bacterien verschiedener Art geführt werden. 

Meine Herren! Bis hierher könnten die mitgetheilten Ergeb¬ 
nisse in Ihren Augen vielleicht von naturwissenschaftlichem Interesse 
erscheinen, ohne doch für praktische Fragen wesentliche Bedeutung 
zu haben. Pflegen nun aber auch derartige theoretische Studien 
an sich schon nicht für die Praxis ergebnisslos zu sein, so hoffe 
ich, dass die weiteren mit B. aceticum gemachten Erfahrungen sehr 
wohl im Stande sind, das lebhafteste Interesse der praktischen Aerzte 
anzuregen. 

Es war mir bei Versuchen, die mit 6inem Casein angestellt 
waren, welches nicht ganz frei von Milchzucker war, aufgefallen, 
dass, als ich nach beendetem Gährversuch auf Gelatine aus der 
Gährmasse impfte und Platten anlegte, in der Absicht, mich von 
der Reincultur zu überzeugen, die Gelatine steril blieb. Im Ver¬ 
laufe des Gährversuches waren die Bacterien zu Grunde gegangen. 
Schon Naegeli war dieses Absterben der Bacterien in den Nähr¬ 
lösungen im Verlaufe der selbst geschaffenen Gährungsproducte 
bekannt, und Es che rieh versäumt ebenfalls nicht, auf diese That- 
sache Werth zu legen. Es lag nach den oben angegebenen Re¬ 
sultaten nahe, die Vorstellung zu gewinnen, dass die von den 
Bacterien gebildete Essigsäure die Ursache ihres Absterbens 
sei. Ein direkt dahin gerichteter Versuch bestätigte diese Ver- 
rnuthung. — Wenn ich Nährgelatine mit einer kleinen Menge von 
quantitativ bestimmter Essigsäure — ich nahm unter Anderem 
0,5 ccm einer l jo Normalnatronlauge entsprecheuden Essigsäure auf 
10 ccm Nährgelatine — vermischte, diese saure Gelatiue mit B. aceti¬ 
cum impfte, so blieb jedes Wachsthum aus, womit der Beweis er¬ 
bracht war, dass die von dem Bacterium gebildete organische Säure 
demselben direkt tödtlich wird. Aber nicht genug damit. Als ich 
im Verlaufe vorigen Jahres die Stuhlgänge einiger Kinder, welche 
an Sauerdiarrhoeen erkrankt waren, bacteriologisch nach der Koch- 
sehen Methode untersuchte, gelang es mir, zwei Bacterienformen zu 
isoliren, welche die Gelatine verflüssigen. Das eine von beiden 
sondert einen grünlichen Farbstoff ab, kommt, wie es scheint, sehr 
verbreitet auch im Wasser vor und scheint mit demjenigen Bacterium 
identisch zu sein, welches die französischen Autoren Hayem 2 ) und 
Lesage 3 ) in jüngster Zeit in einer, wie mich deucht, sehr wenig 
kritischen Weise für die grünen Diarrhoeen der Kinder verantwort¬ 
lich gemacht haben. — Dasselbe verflüssigt die Gelatine. Das 
Andere wirkt auf die Gelatine langsamer verflüssigend, die Ver¬ 
flüssigung schreitet nicht vom Stichcanal aus, sondern von der 
Oberfläche vor, unter Bildung eines weissen Häutchens und einer 
weisslichen, krümlichen Masse am Boden der verflüssigten Gelatine. 

Dieses Bacterium ist in diarrhoischen Stühlen der Kinder, soweit 
bis jetzt meine Erfahrungen reichen, ein constanter Befund. Das¬ 
selbewirkt aufThiere rasch tödtlich, und es ist nicht unwahrscheinlich, 
dass dasselbe in der Pathogenese der Diarrhoeen eine wesentliche Rolle 
spielt. Bei diesen Eigenschaften schien es mir von grossem Werth, 
sein Verhalten gegenüber dem in normalen Fäces lebenden B. aceti¬ 
cum unter den für das letztere günstigsten Lebensbedingungen zu 
prüfen. Impft man zu diesem Zwecke B. aceticum und das weisse 
verflüssigende Bacterium gleichzeitig auf eine mit Milchzucker ver¬ 
setzte Fleischpeptongelatine, so macht man die überraschende Wahr¬ 
nehmung, dass B. aceticum unter Entwickelung von Gasblasen zur 
stattlichen Entwickelung kommt, während die Verflüssigung der Ge¬ 
latine ausbleibt, als augenscheinlicher Beweis, dass das weisse 
verflüssigende Bacterium nicht zur Entwickelung gekommen ist. 
Allerdings gelingt dieser Versuch nicht immer in der gleichen Weise, 
vielmehr sieht man in einzelnen Röhrchen Verflüssigung eintreten. 
Indessen ist das doch nur ausnahmsweise. Man sieht also, dass 
B. aceticum im Stande ist, unter den ihm günstigen Ernähruugs- 
bedingungen, welche die Anwesenheit des Milchzuckers in der Ge- 

*) Verhandlungen der physiolog. Gesellschaft in Berlin 1887. 

3 ) Hayem, Bulletin de th^rapeutique 1887. 

3 ) Lesage. De la Dyspepsie et de Diarrhee verte des enfants du 
Premier age. Revue de medecine 1887/1888. 


latine schafft, ein zur Ansiedelung bereites pathogenes Bacterium zu 
vernichten. — Schon bei dieser Erfahrung angelangt, werden Sie, 
meine Herren, begreifen, dass die in der neueren Zeit so gern iu 
Scene gesetzte antibacterielle Behandlung der Darmkrankheiten 
einen schlimmen Fehler enthält. Wir erkennen, dass die ge¬ 
waltsame antibacterielle Behandlung, selbst wenn sie so 
erfolgreich in der Abtödtung von Keimen wäre, wie sie 
es nicht ist, unter Umständen schaden kann, weil sie in 
den selbstthätigen Vernichtungskampf der verschiedenen 
Bacterienformen eingreift. 

Man würde einen schweren Fehler begehen, wollte man glau¬ 
ben, auf Grund der bisher angeführten Thatsachen und auf Grund 
bacteriologischer Befunde allein zu einem klaren Verständniss der 
dyspeptischen Verdauungsstörungen der Kinder zu gelangen. Noch 
ist die Frage über Vorkommen und Einwirkung echt pathogener 
Bacterien nicht definitiv gelöst, aber selbst wenn dies der Fall 
wäre, hat man im Darmcanal mehr noch als an anderen Organen, 
wo Bacterien auf lebendiges Gewebe einzuwirken begonnen haben, 
mit sehr verwickelten Verhältnissen zu thun. Die ausserordentliche 
Complicirtheit der Vorgänge und der statthabenden Veränderungen 
im Darmtractus hat einer grossen Reihe von Autoren ein ausgiebiges 
Arbeitsfeld geschaffen, und gerade die Einseitigkeit, mit welcher 
sich fast jeder der Autoren in das von ihm ergriffene Arbeitsstück 
vertieft hat und mit welcher er gerade von denjenigen Punkten 
aus, die ihm am besten bekannt geworden sind, das ganze compli- 
cirte pathologische Gebiet sich glaubte erschlossen zu können, 
haben in diesem Augenblicke zu Unklarheiten und Missverständnissen 
geführt, wie sie schlimmer kaum mehr gedacht werden können. 
Jeder Autor spricht gleichsam in seiner, dem Anderen fremden 
Sprache, und je weniger man sich gegenseitig zu verstehen scheint, 
um so wichtiger erscheint es, den vorgebrachten, zum Theil sehr 
schätzenswertheu Thatsachen die ihnen gebührende Stelle anzu¬ 
weisen. — Während von der einen Seite der Schwerpunkt darauf 
gelegt wird, dass das Casein der Kuhmilch, wegen seiner schweren 
Verdaulichkeit und wegen der im Darm unaufgenommenen Reste, 
als der wichtigste ätiologische Factor für die Dyspepsie und die 
dyspeptischen Diarrhoeen zu betrachten ist, wird von anderer Seite 
dieser Factor als unwesentlich geschildert, die Schwerverdaulichkeit 
und schwierige Assimilirbarkeit völlig bestritten und betont, dass die 
Massenhaftigkeit der mit der Kuhmilch eingeführten Gährungs- 
erreger das eigentlich verderbliche Element sei, welche zur Dyspepsie 
und der Diarrhoe führen. Es musste, und nicht mit Unrecht, betont 
werden, dass schon die Thatsache, dass Kinder im Winter sehr 
gut und ohne je an dyspeptischen Diarrhoeen zu erkranken, mit 
Kuhmilch ernährt werden können, den Beweiss erbringe, dass in 
der Schwerverdaulichkeit der Kuhmilch das pathogene Agens uicbt 
liegen könne. Wenn bei der hohen Temperatur der Sommerzeit 
die Krankheitsform entsteht, so geschieht dies gerade weil dieselbe der 
Bacterienkeimung ganz besonders günstig sei. Während man so die 
Kuhmilchnahrung auf der einen Seite nur unter der Beschränkung 
besonderer chemischer und physikalischer Abänderungen, welche sie 
der Frauenmilch in ihren Eigenschaften ähnlich machen sollen, als 
geeignetes Kindernahrungsmittel betrachten will, wird auf der an¬ 
deren Seite die absolut sichere Fernhaltung der Keime als voll¬ 
kommen ausreichend betrachtet, den dyspeptischeu Störungen vor¬ 
zubeugen. — Auf der eiuen Seite wird feruer der sauren Gäbrung im 
Darmtractus der Kinder, auf der anderen der alkalischen die Schuld 
an dem Entstehen der dyspeptischen Diarrhoeen zugeschoben. 
Dieser Kampf der Meinungen ist auf der letzten Naturforscher¬ 
versammlung zum regen Ausdruck gekommen, und auch die grossen 
Unbekannten, giftige Ptomaine, Tyrotoxine u. a., welche durch 
pathogene (unbekannte) Keime erzeugt werden sollen, wurden als 
ätiologische Factoren in den Kampf geführt. 

Meine Herren! Wäre der kindliche Darmcanal mit den Eigen¬ 
schaften eiues Glaskolbens oder einer Retorte ausgestattet, so würde 
es nicht schwer halten, die Werthschätzung der hervorgehobenen 
chemischen Vorgänge und der Producte der Gähruug und Verdauung 
genau abzugrenzen. Leider sind die Processe im Darmtractus 
so einfach nicht, wie sie im künstlichen Gährungs- oder Ver- 
dauuugsversuch ablaufen. Wir haben es im Darmtractus mit einem 
ausserordentlich lebendigen und reactionsfäbigen Organ zu thun, 
wir haben bei der Verdauung mit der Wirkung von Secreten zu 
thun, welche vom Pancreas, von der Leber und wahrscheinlich 
auch von dem Drüsenapparat der Darmschleimhaut geliefert wer¬ 
den. Jedes dieser Secrete ist mit specifischen Eigenwirkungen aus¬ 
gestattet. Wir haben es in dem Darmcanal überdies mit der ener¬ 
gischen Leistung resorbirender Lymphapparate, mit einem ausser¬ 
ordentlich reich entwickelten Gefässnetz zu thun, mit einer an 
keinem Organ sonst ebenso lebhaft beobachteten Leistung der 
Wanderzellen, mit einer regen, stattlich entwickelten Muskulatur 
und einem ganz überaus complicirten Nervenapparat. Gährungsvor- 
gänge, welche an der Oberfläche dieses Organes vor sich gehen, 


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17. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 393 


werden selbst dann, wenn ihre Producte nichts specifisch Giftiges 
haben und nicht zu den Toxinen oder Ptomainen zählen, nicht 
umhin können, die Drüsensecrete und die Functionen der resor- 
birenden, bewegenden und empfindenden Organe der Darmwand in 
energischer Weise zu beeinflussen. Es kanu gar nicht ausbleibeu, 
dass auch die gesammte Darmwand durch dieselben in Mitleiden¬ 
schaft gezogen wird, ja, es lässt sich sicher erwarten, dass selbst 
die grossen Uuterleibsdrüsen, wie Leber und Pancreas in kürzester 
Frist in Mitleidenschaft gezogen werden und bei längerer Dauer 
intensiver Gährungen Schädigungen davontragen. Es war ein ganz 
verhängnissvoller Irrthum, der, wie ich aus der Literatur ersehen 
kann, trotz der damals bei den Kinderdiarrhoeen zum Th eil 
schon bekannten anatomischen Veränderungen der Darmwand, vor 
Allem von Legendre 1 ) in die Pathologie der Darmkrankheiten 
hineingetragen wurde, und der darin gipfelt, „dass der Durchfall 
der Kinder nicht unbedingt mit wahrnehmbaren Veränderungen der 
Gewebe verbunden sein müsse, dass es vernunftgemäss ist, diese 
Veränderungen, wo sie sich wirklich finden, uicht für die Ursache, 
sondern für die Wirkung des langwierigen Bauchflusses zu halten“. 
Dieser Irrthum beherrscht seither die gesammte Pathologie der dys¬ 
peptischen Krankheiten bis in die jüngste Zeit. Ich selbst glaubte, 
so lange ich mich nicht eingehend mit der pathologischen Anatomie 
der dyspeptischen Processe beschäftigt hatte und nur auf Grund 
von Fäcaluntersuchungen urtheilte, dass „es sich bei dem acuten 
Brechdurchfall im ersten Anfalle um nichts weiter handle, als um 
einen intensiven Fäulnissvorgang im Dann“. 2 ) Gleichwohl betonte 
ich damals schon, dass die Darraschleimhaut im weiteren Verlaufe 
des Uebels in Mitleidenschaft gezogen werde, und „dass mir keine 
länger dauernde Diarrhoe zur Beobachtung gekommen sei, bei wel¬ 
cher nicht neben dem Fäulnissprocesse des Darminhaltes die Er¬ 
krankung der Darmschleimhaut sicher nachweisbar war“. Nachdem 
ich die normalen anatomischen Verhältnisse des kindlichen Darm¬ 
canals kennen gelernt hatte und auf Grund der gewonnenen Kennt- 
niss an eingehende pathologisch-anatomische Studien über die dys¬ 
peptischen Krankheitsvorgänge geheu konnte, wurde ich belehrt, 
dass schon in früher Zeit der dyspeptischen Erscheinungen recht 
ernste und wesentliche anatomische Laesionen der Darmschleimhaut 
vorhanden^ sind, die ich wegen der reichlichen Ansammlung und 
Abstossung von Rundzellen an der Oberfläche der Mucosa als 
katarrhalische bezeichnen musste. Ich sprach seither auch nur noch 
von dem dyspeptischen Katarrh und ich konnte mich überzeugen, 
dass von diesem bis zur allmählichen Vernichtung der Mucosa, wie 
sie der Atrophie entspricht, eine ununterbrochene Kette von Ver¬ 
änderungen besteht, die iu einer ebenso ununterbrochenen Kette 
klinischer Krankheitsbilder ihren Ausdruck findet. In meiner mono¬ 
graphischen Bearbeitung der Verdauungskrankheiten habe ich in 
absolut naturgetreuer Schilderung die anatomischen Veränderungen 
und die aus diesen hervorgehenden Krankheitsbilder wiedergegeben. 
— Mögen vielleicht im Einzelnen noch discutirbare Punkte vor¬ 
handen sein, mit dem unbestreitbaren Factor der anatomi¬ 
schen Laesion der Darmwand bei deu dyspeptischen 
Krankheitsvorgängen muss Jeder rechnen, welcher eine 
Erklärung derselben zu geben gewillt ist und ein Ver- 
ständniss für dieselben gewinnen will. Unter solchen 
Verhältnissen kann man die Gährungsvorgänge wohl 
als das Primäre, als einen Anlass, bei den dyspepti¬ 
schen Störungen betrachten, für das Ausschlaggebende 
im weiteren Verlaufe sicher nicht. (Schluss folgt.) 


III. Aus der chirurgischen Klinik zu Greifswald. 

Zur Casuistik der secundären Trepanation 
bei neuropathisclien Störungen nach Kopf¬ 
verletzungen. 3 ) 

Von Dr. Eg. Hofimann, Assistenzarzt. 

Im letzten Sommer hatte ich Gelegenheit, auf hiesiger chirur¬ 
gischer Klinik in zwei Fällen von neuropathischen Störungen nach 
Kopfverletzungen die Trepanation mit Erfolg auszuführen. 

Der erste Fall betraf einen jüdischen Handelsmann von 36 Jahren, der 
ungefähr 8 Tage vor seiner am 9. September erfolgten Aufnahme in die 
Klinikjdurch einen wuchtigen Schlag, anscheinend mit einem Hammer, am 
Kopfe verletzt worden war. Ob Bewusstlosigkeit nach der Verletzung ein¬ 
getreten War, lässt sich uicht mit Sicherheit angeben. Patient hatte den 
Weg vom Ort der Verletzung nach hierher, 4 Meilen, zu Fuss zurückgelegt. 

Status praesens bei der Aufnahme: Kleiner, robuster Mann. In der 
linken Mammillargegeud ist ein apfelgrosses Lipom vorhanden, das infolge 

') Legendre. Klinische und patholog.-anatom. Untersuchungen etc. 
Deutsch von M. W. Oppermann. 1847. p. 192 ff. 

s ) I. c. Jahrb. f. Kinderheilk. p. 324. 

3 ) Nach einem Vortrage, gehalten im medicinischen Verein zu Greifs¬ 
wald. 


eines Traumas (Pferdebiss) entstanden sein soll. Leichter Strabismus con- 
vergens sin., der aber schon 4 Wochen vor der Verletzung, als sich der 
Kranke wegen seines etwas schmerzhaften Lipoms in der Poliklinik vor¬ 
gestellt hatte, in derselben Stärke vorhanden war. 

Die Gegend des linken Planum temporale zeigt eine fühlbare, unregel¬ 
mässig gestaltete Depression des Schädelgewölbes. Die Haut ist an dieser 
Stelle exeoriirt. Druck auf die Depression erregt Schmerzen, keine Hirn¬ 
erscheinungen. Pulsfrequenz 60, Respiration normal. Am Auffallendsten 
sind Störungen des Sprachvermögons. Abgesehen von der Unfähigkeit des 
Patienten, sich geläufig deutsch auszudrücken, stösst er bei jedem Wort nach 
Art eines- Stotterers an. Die Articulation geschieht mit einer gewissen 
Anstrengung, auch spricht er augenscheinlich häufig andere Worte aus als 
er intendirt. Ueber seine Verletzung, seine Reise hierher, seinen jetzigen 
Aufenthalt macht er unklare Angaben. 

Sonstige motorische oder sensorielle Störungen fehlen. Fieber ist nicht 
vorhanden. 

Operation am 10. September. Durch einen ausgedehnten Krouzschnitt 
wird die Gegend der Depression freigelegt, die vier entstehenden, möglichst 
Haut, Muskel und Periost enthaltenden Hautlappen zurückgelagert. An ein¬ 
zelnen Stellen gelingt dies nicht gut, da der M. temporalis, an den Knochen¬ 
fragmenten festhaftend, mit diesen eingekeilt ist. Es zeigt sich nun, dass 
ein ungefähr zweimarkstückgrosses Stück des Schädels 9—10 mm tiefer 
steht als das intacte Schädeldach. Von diesem Stück gehen radienartig 3 
Sprünge aus, welche 3 halbmondförmige Stücke von einander scheiden, die 
mit ihren äusseren Rändern unter das lochförmig durchbrochene Schädel¬ 
dach geschoben sind. Der ganze Defect ist über fünfmarkstückgross. Es 
gelingt nicht, mittelst des Elevatoriums ein Fragment zu lockern, da durch¬ 
weg die innere Lamelle in grösserer Ausdehnung gesprungen ist als die 
äussere. Erst nach Erweiterung der Schädelöffnung mittelst Meissei und 
Luer’scher Hohlmeisselzauge gelingt es, die die Elevation des mittleren 
Stückes hindernden Fragmente zu entfernen. Das mittlere Stück muss 
schliesslich bis auf einen Theil der inneren Lamelle, welcher auf der Dura 
fest aufsitzt, da es von den umgebenden Theilen gelöst ist, entfernt werden. 
Es zeigen sich nur geringe Blutgerinnsel, ungefähr einem Esslöffel Blut ent¬ 
sprechend, auf der ziemlich unveränderten Dura. Die unverletzte A. meningea 
m. geht mitten durch das Gesichtsfeld. Sie ist zum Theil von dem zurück¬ 
bleibenden Stück der Tabula interna bedeckt. Primärer Schluss der Wunde 
durch die Naht. Einlegen zweier kleiner Drains. Das Lipom wird exstir- 
pirt. Fieberloser Verlauf. Die Sprachstörungen bessern sich schnell. 
Schon am Tage nach der Operation kann der Kranke Näheres über seine 
Verletzung angebeu. Das Anstossen beim Sprechen verliert sich in den 
nächsten Tagen immer mehr, die paraphasischen Erscheinungen sind ganz 
verschwunden. 

Am 17. September Verbandwechsel, reizloser Zustand der Wunde, 
Entfernen der Drains. 

Am 27. September wird Patient völlig geheilt mit einer Hartgummi¬ 
platte zum Schutze des Schädeldachdefectes entlassen. Keine Sprach¬ 
störungen mehr. Der Strabismus ist unverändert geblieben. Dem Defect 
im Schädeldach entsprechend fühlt man in einer Ausdehnung von Mark¬ 
stückgrösse Gehirnpulsation. Im Uebrigen ist der Defect mit einer ziemlich 
rigiden Weichtheilsschicht bedeckt, wohl als Zeichen eines beginnenden 
knöchernen Verschlusses. 

Zweiter Fall. 50 Jahre alter Ackerbürger aus Wolgast. Nach An¬ 
gabe der Angehörigen des Patienten war demselben vor 4 Wochen ein 
schweres Brett aus einer Höhe von 30 Fuss auf den Kopf gefallen. Nach 
der Verletzung sei zunächst Bewusstlosigkeit aufgetreten, nach dem Er¬ 
wachen aus derselben habe der Kranke irre geredet, während er sonst stets 
vernünftig gewesen sei. Zuweilen sei er in Tobsucht verfallen, wobei er 
grosse Zerstörungen im Hause angerichtet habe. Diese Anfälle bewogen die 
Angehörigen, den Kranken hiesiger Irrenklinik zuzuschicken, von der er uns 
überwiesen wurde. 

Status praesens zur Zeit seiner am 7. September erfolgten Aufnahme: 
Patient ist von kräftigem Körperbau und gutem Ernährungszustände. Er 
stöhnt beständig und klagt über Schmerzen im Kopfe. Seine Angaben über 
die Ursache seines Leidens, über seinen jetzigen Aufenthalt sind völlig 
confus. Auf Fragen antwortet er unzusammenhängend, wobei er entschieden 
für viele Begriffe falsche Worte verwendet. Im Ganzen macht er den Ein¬ 
druck eines hülf- und willenlosen Menschen. Lähmungen oder Krampf¬ 
zustände fehlen. Bei der Palpation des Schädels findet sich auf der rech¬ 
ten Kopfseite ein schmerzhafter Druckpunkt, und zwar ungefähr in der Mitte 
einer Linie, die auf einer Verbindungslinie zwischen Meat. auditor. ext. und 
Canthus ext. senkrecht errichtet wird und bis an die Mitte des Scheitels reicht. 
Man fühlt daselbst eine Delle, in die eine Fingerspitze hineinpasst. Sie ent¬ 
spricht entweder einer kleinen rundlichen Depression oder ist vielleicht nur 
durch wiederholtes Palpiren einer ödematösen Stelle entstanden (auch der 
Kranke fasst öfters hin), da sich die Umgebung etwas teigig anfühlt. Boi 
Druck auf diese Stelle äussert der Kranke intensiven Schmerz. Krämpfe 
oder sonstige Hirnsymptome werden dadurch nicht ausgelöst, sind auch 
sonst nicht vorhanden. Puls- und Athemfrequenz sind normal. 

Es wird angenommen, dass an der Stelle des schmerzhaften Druck¬ 
punktes eine Hirnquetschung stattgefunden hat, sei es durch ein deprimirtes 
oder abgesprengtes Knochenstück oder durch ein Blutextravasat, und deshalb 
zur Operation geschritten, welche am 9. September ausgeführt wird. Mittelst 
zweier Schnitte von 8 cm Länge, die sich an der Stelle des schmerzhaften 
Druckpunktes schneiden und bis durch das Periost geführt werden, wird 
der Knochen freigelegt. An demselben findet sich ausser einer leichten 
Abhebbarkeit des Periostes nichts Abnormes, vor Allem keine Fractur. Mit 
dem Meissei und der Luer’schen Hohlmeisselzange wird nun ein ungefähr 
dreimarkstückgrosses Stück aus dem Schädeldach resecirt. In der rund¬ 
lichen Oeffnung wölbt sich die sichtbar nicht pulsirende Dura stark hervor. 
Bei der Palpation derselben fühlt man ganz schwache Pulsation, zugleich 
bietet sie das Gefühl einer mit Flüssigkeit gefüllten Blase. Auf eineu 


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394 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 20 


kleinen Einschnitt in dieselbe entleert sich im Strahl Corebrospinalflüssig- 
keit. Im ganzen fliesscu gut vier Esslöffel davon ab. Die Dura wird nun 
mittelst Kreuzschnitt gespalten, die vier entstehenden Zipfel werden nach 
den Seiten zurückgelagert. Sic zeigt sich deutlich verdickt. Die nun frei¬ 
liegenden weichen Hirnhäute werden pulsatorisch gehoben, sie zeigen an 
einer fünfzigpfennigstückgrossen Stelle eine deutliche Trübung, und ihre 
Gewebsraaschen sind mit Flüssigkeit durchtränkt. Beim Anritzen derselben 
entleert sich auch aus ihnen Flüssigkeit. Während noch immer Flüssigkeit 
nachsickert, werden die Durazipfel auf die Pia zurückgelagert, die Wunde 
mit Jodoformgaze tamponirt, darüber ein Occlusivverband gelegt. Schon 
am Abend des Operationstages, wie noch mehr am nächsten Tage ist der 
Patient entschieden etwas freier im Sensorium. Er vermag einige Details 
über die Zeit vor seiner Verletzung anzugeben, doch ist er unklar über den 
Ort seines jetzigen Aufenthaltes. Am zweiten Tage nach der Operation ist 
er wieder etwas confuser. Er behauptet, zu Hause gewesen zu sein und in 
seiner Wirthschaft nichts in Ordnung gefunden zu haben. Er jammert und 
klagt wieder mehr. Paraphasie ist nicht mehr vorhanden. Am nächsten 
Tage sind die Erscheinungen ähnliche, die Verschlimmerung hat eher noch 
etwas zugenommen. Am 13. October, also am vierten Tage nach der Ope¬ 
ration, Verbandwechsel. Die Wunde ist ganz reizlos. Beim Entfernen der 
Jodoformgaze sickert noch etwas klare Flüssigkeit unter der Dura hervor. 
Secundärnaht. Einlegung eines kleinen Drains. 

Von diesem Tage an tritt eine stetig zunehmende Besserung ein, das 
Klagen und Jammern wird allmählich selten, die falsche Vorstellung des 
Patienten, dass er zu Hause gewesen, verschwindet. Er urtheilt richtig 
über seine Verletzung, seine Verhältnisse, seine jetzige Lage, seine Zukunft. 

Die Wunde heilt ohne Störung, Fieber war nicht aufgetreten. Am 
31. October, bei seiner Entlassung, kann man keine psychischen Abnormitäten 
bei ihm mehr nachweisen. Zum Schutze der pulsirenden Trepauationsstelle 
erhält er eine Hartgummiplatte. Ich hatte die Absicht, ihn heute hier vor¬ 
zustellen, durch sein Geschäft, das er nach seiner Entlassung aus dem 
Krankenhause wieder übernommen, ist er daran verhindert; er theilte mir 
aber mit, dass es ihm (jetzt fünf Wochen nach der Entlassung) ganz 
gut gehe. Auch im März diesen Jahres machte er mir von seinem guten 
Befinden Mittheilung. 

Der erste der eben geschilderten Fälle ist eine typische De- 
pressionsfractur. Wie gewöhnlich ist die innere Lamelle in weiterer 
Ausdehnung gebrochen als die äussere. Daher ist eine Aufrichtung 
der Fragmente ohne Erweiterung der Knochenwunde nicht möglich. 
Zugleich werden dadurch die Splitter von aller Verbindung mit 
Weichtheilen gelöst, sind so ohne Ernährung und müssen entfernt 
werden. Nur ein Theil der inneren Lamelle, der der Dura fest 
aufsitzt, kann zurückgelassen werden. Die Grösse des am meisten 
deprimirten mittleren Theiles entspricht wahrscheinlich der Grösse 
des Gegenstandes, mit dem die Verletzung beigebracht wurde, 
welcher also wohl ein Hammer gewesen sein kann. Die A. inening. 
med. ist zum Glück für den Kranken nicht gerissen. So ist auch 
das Hämatom ein geringes. Die Erklärung der Sprachstörungen,♦ 
welche atactischer und aphasischer Art waren, fällt nicht schwer. 
Die beinahe 1 cm tiefe Depression des Knochens bestand links und 
betraf den vorderen unteren Winkel des Seitenwandbeines, da, wo 
man den Sitz des Sprachcentrums annimmt. Erfreulich ist die 
rasche Besserung nach beseitigter Depression, wodurch zugleich er¬ 
wiesen wurde, dass die Sprachstörung nur durch Druck auf das 
Sprachcentrum, nicht durch gröbere Läsion desselben bedingt war. 

Der zweite Fall ist seiner Deutung nach entschieden unklarer. 
Von einem Schädelbruch findet sich nichts, demnach auch keine 
Depression, keine Absprengung von Knochensplittern, ferner nichts 
von Hämatom. Dagegen ist eine chronische Entzündung der Hirn¬ 
häute vorhanden, was sich durch die Verdickung der Dura, den 
Hydrocephalus ext., die Trübung der weichen Hirnhäute zu erkennen 
giebt. Die psychischen Störungen deuten auf eine Betheiligung der 
Hirnrinde an dem entzündlichen Processe. Psychosen nach Kopfver¬ 
letzungen sind ziemlich häufig beobachtet worden, und zwar treten 
dieselben entweder sofort nach der Verletzung auf oder entwickeln 
sich erst später. In manchen Fällen bessern sich die Erscheinungen 
allmählich, es tritt Heilung ein, in anderen geht die Krankheit in De¬ 
mentia über. Der locale Befund in unserem Falle entsprach unge¬ 
fähr dem, wie man ihn in ausgesprochener Weise bei Dementia 
paralytica findet. Ich weiss nicht, ob ein ähnlicher, wie der unserige, 
je bei einem Lebenden beobachtet wurde. Man kann annehmen, 
dass wir bei unserem Falle durch Entlastung der Hirnhäute und 
des Hirns selbst einen Stillstand der entzündlichen oder degenera- 
tiven Processe erzielt und so den Kranken vor einem elenden Schick¬ 
sale bewahrt haben. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eines Falles von Tre¬ 
panation wegen Epilepsie nach Kopfverletzung erwähnen, den ich 
vor 4 Jahren operirte. 

Ein 46 Jahre alter Fischer hatte ungefähr 2 Jahre vor seiner Aufnahme 
in die Klinik eine complicirte Schädelfractur erlitten, die ohne ärztliche Be¬ 
handlung mit geringer Eiterung geheilt war. Nach Heilung der Wunde 
waren allmählich stärker werdende, mit Bewusstlosigkeit einhergeheude, epi¬ 
leptische Anfälle aufgetreten, die den Patienten zwangen, sein Gewerbe auf¬ 
zugeben, da er befürchten musste, bei einem Krampfanfalle im Wasser zu 
verunglücken. Vor seiner Verletzung hatte er nie au Krämpfen gelitten. 
Kr wünschte auf den Rath eines Arztes hin, dass der Versuch gemacht 


würde, ihn durch eine Revision der narbig verheilten Verletzung von den 
Krämpfen zu befreien. Auf der rechten Kopfseite fand sich, ungefähr der 
Mitte zwischen Schläfenbeiuschuppeuwand und Linea semicircularis ent¬ 
sprechend, eine von vorn nach hinten bogenförmig verlaufende, vertiefte, 
adhärente Narbe. Auf Druck entstehen Schmerzen, jedoch keine Krämpfe. 
Beim Blosslegen dieser Stelle findet sich ein klaffender Spalt im Knochen, 
in welchem Haut und Dura verwachsen ist. Die Knochenränder sind innen 
und aussen mit exostosenartigen Wucherungen versehen. Beim Abkneifen 
derselben kommt es zu einer starken Blutung aus der A. meningea media 
unter dem Knochen hervor, welche nur dadurch gestillt werden kann, dass 
mittelst einer liegenbleibenden Klemmpincette etwas Jodoformgaze innen 
gegen den Knochen angedrückt erhalten wird. Durch dieses Malheur wurde 
leider der primäre Schluss der Wunde verhindert. Den Vorschlag zu einer 
zweiten Operation, durch welche mittelst Lappenbildung der Defect gedeckt 
werden sollte, lehnte der Patient ab. Die Wunde heilte durch Granulations¬ 
bildung. Zunächst war der Erfolg der Operation ein günstiger. 6 Wochen 
lang blieb der Kranke von Krämpfen befreit, während sich dieselben sonst 
alle 2—3 Wochen wiederholt hatten. Da trat, als die Operationswunde un¬ 
gefähr vernarbt war, ein leichter Krampfanfall auf, ohne dass jedoch der 
Kranke dabei das Bewusstsein verlor. Diese Aufälle wiederholten sich, wie 
der inzwischen entlassene Patient brieflich mittheilte, in unregelmässigen 
Zwischenräumen von 4—8 Wochen, ohne dass jemals Bewusstlosigkeit auf¬ 
trat. Ein Jahr nach der Operation, wo ich das letzte Mal den Kranken sah, 
war der Zustand unverändert. 

Es scheint in diesem Falle, wie es häufig beobachtet worden 
ist, die Adhärenz der Narbe die Epilepsie verursacht zu haben. 
Leider war nach der Operation wieder eine Verwachsung zu Stande 
gekommen. Eine neue Operation, die diesen Zustand hätte ver¬ 
hindern und dadurch wahrscheinlich Heilung der Epilepsie hätte 
herbeiführen können, verweigerte der Patient auch späterhin. 

IV. Aus der chirurgischen Klinik in Zürich. 

Ueber functionelle Anpassung und ana¬ 
tomischen Befund bei alten Kniescheiben¬ 
brüchen mit breiter Diastase der Fragmente. 

Von Dr. Conrad Brunner, Secundararzt. 

Die Thatsache, dass bei Querfracturen der Patella, die mit 
hochgradiger Abweichung der Fragmente geheilt sind, eine an¬ 
nähernd normale, ja vollkommene Function der betreffenden Ex¬ 
tremität Vorkommen kann, wird durch eine genügende Anzahl 
zuverlässiger Beobachtungen verbürgt. Schon Velpeau 1 ) versichert, 
er habe die Gebrauchsfähigkeit des Beines bei einer Diastase von 
2—3 Zoll wieder hergestellt gesehen. Hamilton 2 ), Kirkbride, 
Watson berichten von Patienten, die bei einer Abweichung von 
2 l / 2 —37 2 Zoll ohne merkliches Hinken zu gehen im Staude waren. 
Le fort 3 ) hat einen Mann gesehen, bei dem das obere Bruchstück bis 
zur Mitte des Oberschenkels hinaufgestiegen war, welcher trotzdem 
seinen Beruf als Pferdeknecht ungehindert ausüben konnte. Schede 4 ) 
sah bei 4 cm Zwischensubstanz nicht die geringste Functionsstörung 
L arger 6 ) stellt in der chirurgischen Gesellschaft zu Paris einen 
Patienten vor, der schon 4mal dieselbe Kniescheibe gebrochen 
hatte. Das oberste der drei vorhandenen Fragmente war bis zur 
Mitte des Oberschenkels gestiegen, während das unterste der Tu- 
berositas tibiae aufsass, und trotzdem konnte der Mann seinen 
Beruf als Schlächter versehen. Picque 6 ) verfügt über 3 Beobach¬ 
tungen, wo die Bruchstücke um 2—4 Fingerbreiten klafften, und 
gleichwohl die Gebrauchsfähigkeit wenig gestört w T ar. So ein 7 ) zeigt 
in der Versammlung des schweizerischen AerzteVereins einen Pa¬ 
tienten, welcher vor Jahren in Ostindien einen queren Kniescheibeu- 
bruch erlitten hatte und nie daran behandelt worden war. Trotz 
einer Diastase von reichlich 9 ein sind die Bewegungen des Knies 
in keinerlei Weise behindert, und die Function ist in jeder Beziehung 
eine normale. 8 ) 

Diesen Beispielen reihen sich drei weitere Beobachtungen aus der 
Züricher Klinik an, die ich in meiner Arbeit über Endresultate der 
Querbrüche der Patella ausführlich beschrieb 9 ) und die ich hier 
kurz zu referiren mir erlaube. 

Der erste Fall betrifft einen 63jährigen Landwirth, welcher im Ja¬ 
nuar 1884 durch die Hörner eines Stieres zu Boden geschleudert wurde 
und dabei eine Querfractur der linken Kniescheibe sich ztizog, welche im 

*) Malgaigne. Knochenbrüche, p. 734. 

*) Hamilton. Knocheubrüche und Verrenkungen, p. 450. 

3 ) Jalaguier. Archives generales. 1884. p. 467. 

*) Schede. Centralblatt f. Chirurgie. IV. p. 662. 

5 ) Larger. Bulletin de la soeiete de Chirurg. T. IX. 

6 ) Picque. Laboue, des suites des fractures de la rotule. These. Paris 
1884 p. 43. 

') Correspondenzblatt f. Schweizer Aerzte 1887 No. 12. 

8 ) Weitere Fälle citirt P. Bruns in einem Aufsatze über schlecht 
geheilte Kniescheibenbrüche, der mir erst zu Gesicht, kam, als meine Arbeit 
bereits an den Verleger abgeschickt war. (Mittheilungei; aus der chirur¬ 
gischen Klinik in Tübingen. Bd. 111., p. 303.) 

tt ) Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie XX111. Bd. 


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17. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 395 


hiesigen Spital von Herrn Prof. Krön lein mittelst des Malgaigne- 
Trelat’schen Verfahrens behandelt wurde. Patient wurde mit straffer liga- 
mentöser Bindemasse entlassen. — Im März des darauffolgenden Jahres 
untersuchte ich den Mann, um das endgültige Resultat der Behandlung fest¬ 
zustellen. Ich fand zu dieser Zeit, dass nunmehr die Kniescheibe in drei 
Stücko getheilt war, die unter sich ligamentös vereinigt waren, so dass die 
Distanz am oberen Rande des oberen Fragmentes bis zum unteren Rande 
des unteren Fragmentes bei Streckung des Knies gemessen 12*/a cm be¬ 
trug, während die andere Patella 7 cm muss. 

Diese in einem ursprünglichen Bruchstücke aufgetretene Refractur 
hatte sich Patient zehn Wochen nach der Entlassung aus dem Spital durch 
Kall auf dasselbe Knie zugezogen. Er liess sich damals von einem Arzte 
nicht behandeln, sondern legte sich ruhig zu Bette, bis die Schwellung weg 
war, und fing dann allmählich wieder an seino Beine zu gebrauchen. Die 
weitere Untersuchung ergab: der Umfang der beiden Oberschenkel 20 cm 
unter der Spina ant. sup. gemessen, zeigt eine Differenz von 5 cm zu Un- 
gunsten des mit. der Fractur behafteten Beines. Dio Contouren der Knie- 
strccker sind bei der Contraction etwas weniger scharf ausgeprägt, als dies 
am gesunden Oberschenkel der Fall ist, gleichwohl zieht sich der Triceps 
prompt und kräftig zusammen, so dass das oberste Fragment rasch dem 
Zuge folgt, während das unterste Bruchstück dicht an der Tibia angeheftet 
sitzen bleibt. Patient kann, in horizontaler Rückenlage sich befindend, das 
linke Bein ohne Mühe in die Höhe strecken. Active Extension ist. bis zu 
160° möglich, während die active Flexion von 160—90<> reicht. Am Gang 
auf ebener Erde fallt Demjenigen, der von einer vorausgegangeneu Läsion 
der betreffenden Extremität nichts weiss, kaum etwas Abnormes auf. Pa¬ 
tient stützt sich auf das kranke Bein so gut wie auf das gesunde, geht 
die Treppen auf und ab, dabei selten beide Beine auf denselben Tritt ab¬ 
setzend. Auf dem linken Fuss steht er allein und kann in dieser Stellung 
niederknieen: er arbeitet den ganzen Tag auf dem Felde und vermag stun¬ 
denweit zu gehen, ohne stark zu ermüden. 

Bei der zweiten unserer Beobachtungen handelt es sich um 
einen 40jährigen Landwirth, der im Mai 1881 durch Fall mit dem Knie 
auf Holzboden eine Querfractur der liuken Kniescheibe acquirirtc. Kr 
wurde nach Kocher’s Methode von Herrn Prof. Krön lein mit Sehnennaht 
behandelt und im August desselben Jahres mit kaum fingerbreiter, straffer, 
fibröser Vereinigung der Bruchstücke entlassen. — 4 Jahre später, im 
Januar 1885, untersuchte ich den Patienten wieder und fand Folgendes: 

Die linke Kniescheibe besteht aus 3 Fragmenten; das oberste hat eine 
Länge von 3 cm und ist durch eine schmale, straffe Bindegewebsbrücke mit 
einem zweiten, halbmondförmigen Bruchstücke verbunden; dieses wiederum 
ist von einem dritten durch eine breite Furche getrennt, und an dieser Stelle 
kann durch die Haut hindurch eine Zwischenmasse nicht mit Sicherheit 
nachgewiesen werden. Die Distanz vom oberen Rande des obersten bis zum 
unteren Rande des untersten Fragmentes beträgt bei Extension gemessen 
12 cm; die gesunde Kniescheibe misst 67a cm. Diese Refractur des ur¬ 
sprünglich oberen Bruchstückes entstand, nachdem seit Entlassung des 
Kranken aus dem Spital ein Jahr verstrichen war, auf folgende Weise: der 
Mann ging auf steiler Strasse bergab, glitt aus, balancirte und fiel dann 
seitwärts zur Erde, ohne bei dem Fall mit dem Knie den Boden zu be¬ 
rühren. Er wurde in seine Wohnung gebracht und blieb hier 4 Wochen 
lang ruhig liegen, das geschwollene Knie mit kalten Umschlägen behandelnd. 
Die Hilfe des Arztes verschmähte er gänzlich und 6 Wochen nach dem Unfall 
ging er wieder seiner Arbeit nach. Die Prüfung der Function bei Fest¬ 
stellung des Endresultates ergab: Der Unterschenkel wird bei horizontaler 
Lage ohne Anstrengung von der Unterlage abgehoben. Active Extension 
ist bis zu 170° möglich. Die Flexion reicht activ und passiv von 170—90°. 
Die Streckrauskulatur hat sich deutlich sichtbar retrahirt, so dass das Femur 
über dem hoch nach oben gezogenen obersten Fragment nur von Haut be¬ 
deckt zu sein scheint. Der Umfang des Oberschenkels auf Seite der Fractur 
ist an der nämlichen Stelle gemessen um 47s cm geringer als am gesunden 
Bein. Der Mann geht zu ebener Erde ohne zu hinken, so dass ein Unterschied 
in den Bewegungen beider Beine kaum zu constatiren ist. Seinen Beruf 
als Landwirth übt er ungehindert aus; er geht stundenlang, kann schwere 
Lasten tragen, hat nie Schmerzen im Knie und fühlt sich nur gehemmt, 
wenn er bergab geht oder Treppen steigt. 

Wie nun ist in solchen Fällen die gute Function, insbesondere 
das annähernd oder völlig normale Streckvermögen zu erklären? 
Diese Frage ist bis zur Stunde noch keineswegs in befriedigender 
Weise beantwortet worden und zwar hauptsächlich deshalb nicht, 
weil wir, wie v. Bergmann 1 ) vor nicht langer Zeit in einem Auf¬ 
sätze in dieser Zeitschrift betont hat, über die anatomischen Ver¬ 
hältnisse bei weit auseinander klaffenden, alten Patellarfracturen zu 
mangelhaft unterrichtet sind. Es existiren wohl Zeichnungen und 
Beschreibungen einzelner Museumspräparate, aber es fehlen uns 
dazu die zur Beurtheilung des Falles nothwendigen genauen Kranken¬ 
notizen. üeber ein Präparat, welches ein Voneinanderweichen der 
Fragmente um 21 Linien zeigt, berichtet beispielsweise Malgaigne, 
ohne über die Gebrauchsfähigkeit des betreffenden Beines uns Aus¬ 
kunft geben zu können. Die Einrichtung des fibrösen Callus an 
diesem Falle studirend. fand er zunächst, eine starke Verdickung 
der Fascia superficialis; ferner constatirte er, dass der fibröse Callus 
nahe dem oberen Fragmente in 3 Schichten sich trennen liess: 
1. In tendinöse Fasern, welche im normalen Zustande die Knie¬ 
scheibe decken, von denen ein Theil in den Callus sich fortsetzt, 
während die tieferen nach hinten unter dem Knochenfragmente in 

‘) E. v. Bergmann. Ein Vorschlag zur Behandlung veralteter Quer¬ 
brüche der Patella. Deutsch, med. Wochenschrift 1887 No. 1. 


einer starken fibrösen Ausbuchtung sich verlieren. 2. In die dem 
Perioste angehörenden Fasern, welche in dieselbe Ausbuchtung ver¬ 
laufen. 3. In kurze, verdickte, mit Fett vermischte Fasern, welche 
auf der ganzen Bruchfläche hervorkommen und die Masse dieser 
Ausbuchtung bilden. Im Ganzen war also der Callus unter dieser 
Ausbuchtung nur von der Fascia superficialis und der Verlängerung 
der oberflächlichsten tendinösen Fasern gebildet. An den Seiten 
jedoch begeben sich die im Mittelpunkt in der Ausbauchung ver¬ 
lorenen Fasern ganz von einem Fragment zum andern, was dem 
Callus mehr Dicke und Festigkeit gab. 

Dem Verfasser liegen andere Beschreibungen ähnlicher Präpa¬ 
rate nicht vor; wo solche beschrieben sind, steht es nach 
v. Bergmann fest, dass beim Auseinanderklaffen von 
4 cm und mehr eine die Bruchflächen verbindende, fi¬ 
bröse, in der Art eines Ligamentes geformte Masse nicht 
existirt. So wurde dieses Fehlen jeder ligamentösen Zwischen¬ 
substanz bei einer genauen und ausführlichen Präparation von Ssa- 
lischschew constatirt, welcher Autor seinen anatomischen Befund 
in einer mir leider nicht zugänglichen Zeitschrift bekannt gemacht 
hat. Was vor Jahren schon Gouget 1 ) behauptete, wird durch das 
Ergebniss dieser Untersuchung bestätigt. Es kommen, wenn in 
einem solchen Falle Streckbewegungen möglich sind, dieselben 
durch Verdickung der seitlich von der Patella gelegenen Kapsel- 
partieen zu Stande. Bei eingetretener lnsufficienz des grossen Streck¬ 
apparates gelangt auf der Innenseite die extendirende Wirkung der 
Tibialaponeurosen des Vastus internus hauptsächlich zur Geltung, 
während aussen das mit der Sehne des Tensor fasciae latae ver¬ 
schmolzene Lig. ileo-tibiale, als wirksamer Ersatz in Kraft tritt. 

Diese interessanten anatomischen Verhältnisse selbst zu studiren 
und ein auf anatomische Untersuchung basirendes Urtheil über die 
functionelle Anpassung der zum Streckapparate des Unterschenkels 
gehörenden Muskeln und Sehnen an solche Diastasen von grosser 
Breite mir bilden zu können, bot sich jüngst eine günstige Gelegen¬ 
heit dar. 

Am 28. October dieses Jahres starb im hiesigen Spital an Lun- 
gentuberculose ein Mann, der als zufälligen Befand beim Eintritt 
in die Klinik einen alten Kniescheibenbruch zeigte. Es war dies 
der dritte der oben erwähnten, selbst beobachteten Fälle von guter 
Function bei breiter Diastase, den ich bei Prüfung der Endresultate 
seiner Zeit vorgefunden hatte. Es sei mir gestattet, die Kranken¬ 
geschichte dieses Patienten ausführlicher wiederzugeben. 

A. Schulthess, 40 Jahre alt, Landwirth, wurde am 20. Januar 1871 
in die chirurgische Abtheilung des Kantonsspitals zu Zürich von Herrn 
Prof. Rose aufgenommen. Der im Uebrigen damals vollkommen gesunde 
Mann gab an, dass er am Tage vor Ankunft in’s Spital beim Gehen auf 
mit Eis überfrorener Landstrasse ausgeglitten und niedergestürzt sei, wobei 
er das rechte Knie direkt aufgeschlagen habe. Unter den heftigsten 
Schmerzen stand er auf, ging drei Schritte weit und fiel dann nochmals zur 
Erde. Er wurde aufgehoben, auf einen Schlitten geladen und nach Hause 
transportirt. Hier machte er die Nacht hindurch kalte Umschläge und liess 
sich am folgenden Morgen in’s Spital überführen. Der hier aufgenoramene 
Befund lautete: Grosses, hageres Individuum. Querfractur der rechten 
Patella mit 1 Zoll Diastase. Keine Sugillationen. Sohr starker Erguss im 
Gelenk bei geringem Schmerz. 

Das Bein wurde auf eine Schiene gelagert und das Knie mit. Eisblasen 
bodeckt. 

8. Februar. Die Schwellung des Gelenkes ist zurückgegangen. Die 
rechte Extremität wird von den Zehen bis zur Hüfte mit einem Gyps- 
verband umgeben, bei dessen Application die beiden Fragmente der Patella 
durch Fingerdruck einander möglichst nahe gebracht und in dieser Lage 
bis zur Erhärtung des Verbandes gehalten werden. 

7. März. Zweiter Gypsverband. 

14. April. Entfernung des Verbandes. Das Bein wird frei gelagert. * 
Keine Schwellung mehr. Zwischen den Bruchstücken eine fingerbreite liga- 
mentüse Verbindung. 

28. April. Pat. geht ordentlich und wird mit Kuieschiene entlassen. 

(Herr Prof. Rose gab sämmtlichen Patellabrüchen bei der Entlassung 
aus der Behandlung eine auf die hintere Seite des Gelenkes aufgeschnalltc 
Schiene mit, welche jede Flexion des Knies beim Gehen verhindern sollte. 
Diese Schiene ein Jahr lang zu tragen, wurden die Patienten strengstens 
angehalten. Es war dies eine Vorsichtsmaassregel, die als Prophylaxe gegen 
das Entstehen von Refracturen gute Dienste leistete.) 

Am 24. December 1884, 13 Jahre nach Entstehung der Fractur unter¬ 
suchte ich den Patienten und constatirte folgenden Befund: 

Länge der normalen Patella 7 cm. 

Länge der fracturirten Patella mit Bindemasse 137* cm bei Streckung, 
14 cm bei Flexion gemessen. Distanz von Spina ant. sup. bis zum oberen 
Rande der gesunden Kniescheibe 40 cm. Dieselbe Distanz bis zum unteren 
Rande des oberen Fragmentes auf Seite der Fractur 36 cm. 

Die Zwischensubstanz ist sehr dünn und biegsam, so dass man durch 
dieselbe hindurch die Fossa intercondylica durchfühlen kann. Die beiden 
Bruchstücke lassen sich seitlich auffallend leicht und weit verschieben. Dio 
Länge der Diastase beträgt bei Extension gemessen 5 cm, bei maximaler 
Flexion 5‘/9 cm. Im Gelerdc ist kein Erguss nachzuweisen. Beim Hin- und 
Herschieben der Fragmente ist ein schabendes Geräusch wahrzunehraen. 


*) Scbmidt’s Jahrbücher 129 p. 210. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


396 


Das Bein kann activ bis zu 170° gestreckt werden. Die active Flexion 
reicht von 170—45°. Auf den ersten Blick ist eine erhebliche Atrophie 
und Rctraction der Streckmuskeln auf Seiten der Fractur zu constatiren. 
Der Umfang in der Mitte des Oberschenkels der gesunden Seite beträgt 41 l /*cm, 
auf Seite der Fractur an der nämlichen Stelle gemessen 37 cm. Das Femur 
liegt über dem oberen Bruchstück eine Strecke weit von Weichtheileu 
scheinbar unbedeckt unter der Haut. Der Quadriceps selbst aber zieht sich 
rasch und fest zusammen. Patient hinkt in ganz geringem Grade; seinen 
Beruf als Knecht und Landwirth versieht er so gut wie vor der Verletzung; 
er kann schwere Lasten tragen und ermüdet nicht schnell. Die Treppen 
hinauf geht er gut, beim hinabsteigen fühlt er sich gehemmt und unsicher. 
Der Mann giebt an, dass er seine Knieschiene ein Jahr lang getragen habe; 
von einem Trauma, das sein Knie nach Entlassung aus dem Spital ge¬ 
troffen, weiss er nichts anzugeben. 

Am 12. August 1887, fast 3 Jahre nach Feststellung dieses End¬ 
resultates, wird der mittlerweile tuberculös gewordene und mit einer Hydrocele 
behaftete Patient wieder in’s Spital gebracht. Der Kranke ist abgemagert 
und in hohem Grade kachektisch, und trotzdem ist auch jetzt noch die 
Function des rechten Beines eine relativ gute. Es kann bei dem miserablen 
Kräftezustand das Bein auch jetzt noch bis zu 170° gestreckt und von 170 
bis 65« fiectirt werden. Eine nochmalige Aufnahme verschiedener 
Maasse ergiebt zu dieser Zeit eine Länge der Bindemasse von 
6 cm bei Extension und von 9 '/* cm bei stärkster Flexion ge¬ 
messen. Die Zwischensubstanz ist namentlich in der Mitte zwischen den 
Bruchstücken sehr dünn und stellenweise durch harte Einlagerungen verdickt. 
Beim Uebergang von Flexion in Extension verbleibt das untere Fragment an 
seiner Anhaftungsstelle dicht über der Tuberositas tibiae sitzen, das obere hin¬ 
gegen wird ziemlich energisch durch den Zug des Triceps aufwärts gezogen, 
wobei die Zwischenmasso in toto sich anspannt. Wird das von der Unterlage 
abgehobene und gestreckte Bein von der Aussenseite betrachtet, so fällt dem 
unbefangenen Beobachter alsbald ein stark vorspringender durch die welke 
Haut hindurch scharf abgezeichneter Strang auf, welcher, an der Spina ant. 
sup. breit entspringend, gegen die Mitte des Oberschenkels hin wie eine 
dicke Schnur sich vordrängt, dann nach unten flacher wird und an der 
Aussenseite des Knies vorbeizieht, um in der Gegend des äussern Condylus 
der Tibia zu endigen (s. Figur 1). Ein Blick auf die Aussenseite der an¬ 
dern extendirten und elevirten Extremität lässt eine Andeutung dieses 
Stranges bei dem starken Schwund des Fettpolsters ebenfalls leicht erkennen, 
doch ist derselbe bei weitem nicht so scharf ausgeprägt. 

Flg. 1. 



Anatomischer Befand. Bei der Präparation am Cadaver, die ich 
mit Erlaubnis von Herrn Prof. Klebs im hiosigen pathologischen Institut 
vornahm, war es mir vor Allem daran gelegen, eine vergleichende Unter¬ 
suchung der zum Streckapparat des Unterschenkels gehörenden Muskeln, 
Sehnen und Fascien beider Extremitäten anstellen zu können. — Beim Ab¬ 
lösen der Haut von der rechten Kniegogend zeigt dieselbe in der Gegend 
der Fractur eine innige Verwachsung mit den unter ihr gelegenen Geweben. 
Es fehlt das subcutane Zellgewebe, und von einer Bursa mucosa subcutanea 
ist keine Spur zu finden. Die überall an Oberschenkel und Knie links und 
rechts frei gelegte Fascia lata zeigt rechts entsprechend dem am Lebenden 
constatirten Befund eine abnorm starke Entwickelung der vom Lab. 
oxt.crist. oss. ilei als Ligamentum ileo-tibiale zum Condylus ext. 
tibiae und an den Seitenrand des untern Fragmentes hinziehen¬ 
den Fasern- Die über das obere Bruchstück sich ausbreitende Fortsetzung 
der Fascie ist dicker als auf der gesunden Seite und lässt sich im Bereiche des 
oberen Bruchstückes noch leicht von der Unterlage ablösen, während sie im 
Niveau des die Fragmente verbindenden Zwischengewebes untrennbar mit der 
Substanz der letzteren verschmolzen ist. Seitlich innen von der Patella lässt 
die fasciale Fortsetzung sich eine kleine Strecke weit mit dem Messer isoliren, 
daun verwächst sio mit der Tibialoponeurose des Vastus internus. Lenken 
wir unser Augenmerk auf die einzelnen Muskeln und werfen wir zuerst einen 
Blick auf den vom fascialen Ueberzug befreiten und beiderseits durch einen 
Längsschnitt in seiner ganzen Tiefe getheilten M. tensor. fasciae latae, so 
finden wir beide Muskeln kräftig entwickelt, ohne merkbaren Unterschied 
im Volumen. Die Untersuchung des M. extensor. cruris lassen wir nach Ab¬ 
lösung der Fascie mit dem Perimysium, beginnen mit der Betrachtung der 
ganzen Configuration des bei dem schlechten Ernährungszustände stark redu- 
cirten Muskels. Es fällt dabei sofort auf, dass die Hauptmasse der 
ganzen Muskulatur rechts am Femur weiter nach oben gerückt 
ist als links, und eine einfache Messung überzeugt uns, dass keine Täuschung 
vorliegt. Die Distanz von der Spina ilei ant. inf., dem Ansatzpunkte des Rectus 
femoris Ins zur Uebergangsstelle der Rectusfasern in ihre an der Patella sich 
inserirende Sehne misst links 40 und rechts 36 cm. Eine deutliche Differenz 
ergiebt sich ferner zu Ungunsten der rechten Seite, wenn wir die Entfernung 
von Spina ant. sup. bis zur Spitze der am weitesten in die Aponeurose 
hineinragenden Muskelfasern des Vastus messen. Messen wir hingegen und 
vergleichen wir die Distanz von jener Uebergangsstelle der Rectusfasern in 
ihre Sehne bis zum oberen Rande der Patella, beziehungsweise zum oberen 
Patellarfragmente (wir setzen dabei die Spitzen des Zirkels auf die äusserste 
Spitze der am weitesten nach unten ragenden Faser und auf die äusserste 
Kante des Knochens auf), so zeigt dieses Maass keinen Unterschied. Das 
Volumen der Muskelmasse des Triceps erscheint namentlich in der Gegend 


No. 20 


des untersten Dritttheils des Oberschenkels auf Seite der Fractur bedeutend 
geringer als am gesunden Bein; vergleichende Maasse des Umfanges über die 
Muskulatur hinweg gemessen ergeben in dieser Gegend eine Differenz von 
3 cm. Vergleichen wir den Faserverlauf der einzelnen Abtheilungen des 
M. extensor., so finden wir am Rectus keine Abweichung vom gewöhnlichen 
Befund; am Vastus int. jedoch, sowie am externus fällt rechts 
sofort auf, dass die Fasern viel weniger longitudinal verlaufen 
als links; es krümmen sich dieselben mit ihren Enden mehr nach oben um 
und reichen nicht so weit in die seitliche Kniegegend hinab, sondern endigen 
fast alle in der Höhe der unteren Kante des unteren Fragmentes. Was die 
Farbe betrifft, so zeigt auch der linke M. extensor. fast überall dasselbe schön 
dunkelrothe Aussehen wie der rechte; nur in jener Linie, wo die Muskel¬ 
bündel des Vastus externus fibrös werden und medianwärts mit der Sehne des 
Rectus verschmelzen, beginnt diese fibröse Partie der einzelnen Fasern rechts 
früher als links, und es hebt sich diese Uebergangsstelle als eine ca. */* cm 
breite grauröthlich gefärbte Zone ab. — Die Sehne des Triceps lässt am 
Vastus int. eine kräftige Entwickelung der Tibialaponeurose erkennen, welche 
am inneren Condylus mit dem dicken Fascienblatt und mit der Gelenk¬ 
kapsel verschmilzt. Die Aponeurosis praepatellaris geht an der unteren 
Grenze des oberen Fragmentes, mit dem aus der Ausbreitung der Fascia lata 
bestehenden Ueberzug verschmolzen, in die fibröse Zwischensubstanz über. 
Eine Bursa mucosa profunda ist nicht vorhanden. Ein durch die Mitte der 
beiden Fragmente und durch ihre Bindesubstanz, sowie durch das Ligament, 
patellae medium geführter Längsschnitt (s. Figur 2) verschafft uns Einblick 


Fig. 2. 



in die nach allen Richtungen, hauptsächlich aber nach oben und vorn ver- 
grösserte Gelonkshöhle. Der knorpelige Ueberzug der Condylen des Femur 
ist mit Ausnahme einiger ganz kleiner Stellen gut erhalten; von Arthritis 
deformans sind geringe Spuren vorhanden. Die Bursa subcruralis erstreckt 
sich um 2 cm weiter aufwärts als links. Die Synovialhaut zeigt durchweg 
eine glänzende, glatte Innenfläche. Die vordere Fläche des Femur oberhalb der 
Knorpelgänge ist mit zottigen Plicae adiposae überzogen; dieser Ueberzug 
lässt gegen die Diaphyse hin durch eine Lücke den vom Periost theilweise 
entblössten, mit längsgerichteten wenig vorragenden Leisten versehenen 
Knochen durchblicken; es ist die Stelle, wo das obere, in jeder Richtung 
leicht verschiebbare Fragment bei gestrecktem Knie der Diaphyse des Femur 
aufruht, so dass die untere knöcherne Kante dieses Fragmentes 8 cm vom 
Kniegelenksspalt entfernt ist Die dem Knochen zugekehrte Seite des 
Bruchstückes zeigt einen glatten, knorpeligen Ueberzug. Das untere Bruch¬ 
stück ist nur ganz wenig seitlich verschiebbar und ungefähr von derselben 
Grösse wie das obere; 73 seiner Gelenkfläche besitzt Knorpelüberzug, und 
dieser Theil ruht bei gestrecktem Bein der Fossa intercondylica auf, während 
der untere Rand des Fragmentes der Tibia aufliegt. Bei der Beugung folgt 
das Bruchstück den Bewegungen des Oberschenkels, wie wenn es mit dem¬ 
selben ein Stück bilden würde. Die ganze Länge der Zwischensub¬ 
stanz misst mit dem Zirkel gemessen bei Extension 7 1 /a cm. Durch 
maximale Flexion lässt sie sich um 2 cm verlängern. An der Sägefläche 
der Fragmente grenzt sich ein poröser, stark vascularisirter Theil von einer 
gegen die Bindemasse zu liegenden, aus dichtem, weissem Knochengewebe 
bestehenden Zone ab, aus welcher die weiss atlasglänzenden, fibrösen Fasern 
als ein 3 /* cm dickes Band entspringen. Gegen die Mitte der Diastase hin 
wird dieses Band immer dünner, und sein Durchmesser misst an der dünnsten 
Stelle nur 4 mm. Oben verschmilzt diese sehnige Bindemasse kaum sichtbar 
mit dem graulich gefärbten, aponeurotischen Ueberzug. Von jener weiss 
gefärbten knöchernen Begrenzung des Fragmentes aus gehen an beiden 
Bruchstücken spitz endigende, knorpelige Einlagerungen eine kleine 
Strecke weit in die fibröse Bandmasse hinein. Die letztere geht im Niveau 
der Seitenkanten der Fragmente in die Synovialkapsel über, welche an 
dieser Stelle durchschnittlich 7 mm dick ist. Vergleichen wir die 
beiden frei präparirten Ligament, patellae media, so über¬ 
rascht uns die sofort in die Augen fallende Verkürzung dieses 
Bandes auf der Seite der Fractur. Wir messen und finden links eine 
dem grossen Individuum entsprechende normale Länge von 5 l /a cm, während 
rechts die Länge kaum l'/a cm beträgt. Dabei ist das Ligament sehr dick 
und derb, es setzt sich breit an und fixirt das untere Bruchstück beinahe 
unbeweglich an die Tibia. Während links eine geräumige Bursa mucosa 
subpatellaris sich vorfindet, ist rechts keine Andeutung einer solchen wahr¬ 
zunehmen. 

Fassen wir die Hauptergebnisse unserer anatomischen Unter¬ 
suchung in’s Auge und vergegenwärtigen wir uns alle jene einzelnen 
Momente, die bei der Untersuchung am Lebenden zur Beurtheilung 
des Falles, speciell für die Firklärung des wenig reducirten Streck¬ 
vermögens werthvoll erscheinen, so gelaugen wir zu folgenden 
Schlüssen: 


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17. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 397 


Entgegen den Resultaten der bisherigen anatomischen 
Untersuchungen ähnlicher Fälle geht aus unserem Be¬ 
fund der Beweis dafür hervor, dass auch bei Diastasen 
von weit über 4 cm Länge eine fibröse Bindemasse vor¬ 
handen sein kann. 

Die in unserem Falle 7 1 /-» cm lange Zwischensubstanz muss im 
Verlauf von 16 Jahren durch allmähliche Dehnung des ursprüng¬ 
lichen fingerbreiten Gallus zu dieser Länge sich entwickelt haben. 
Durch dieses Ligament konnte ohne Zweifel die Transmission eines 
am oberen Fragmente ausgeübten Zuges auf das untere Bruchstück 
vermittelt werden, vorausgesetzt, dass dieser Zug ausgiebig genug 
wirkte, d. h. vorausgesetzt, dass der Triceps kräftig genug sich con- 
trahirte. Dass diese letztere Voraussetzung aber zutraf, geht daraus 
hervor, dass wir am Lebenden constatiren konnten, dass beim Ueber- 
gang von Flexion in Extension das obere Fragment energisch auf¬ 
wärts gezogen, und dabei die Zwischeusubstanz nicht nur an den 
Seiten der Bruchstücke, sondern auch in der Mitte in toto ange¬ 
spannt wurde, und dass die Muskulatur des Triceps sich sichtbar 
und fühlbar fest contrahirte. Die Fähigkeit des M. extensor cruris, 
den bis zu 170° reichenden StreckefFect durch seine Contraction 
zum grossen Theil allein zu Stande gebracht zu haben, nachdem 
eine Verlängerung seiner Sehne um das Doppelte der Länge einer 
normalen Kniescheibe stattgefunden hatte, erklären wir uns dadurch, 
dass, wie in unserer früheren Arbeit dies angenommen wurde, ge¬ 
mäss dem Gesetze der Selbstregulation der Muskellänge so lange 
eine Schrumpfung der Muskelfasern des Quadriceps stattfand, bis 
jener Defect der Streckbewegung, welcher aus der Verlängerung der 
Sehne durch Einschalten der langen Zwischensubstanz hervorgehen 
musste, durch Verkürzung des Muskels wenigstens t.heilweise com- 
pensirt wurde. Dass eine solche Retraction mit Verkürzung des 
Muskels in unserem Falle vorliegt, geht aus der Differenz der Mus¬ 
kellängen hervor, die wir bei der allerdings groben Messung des 
ganzen Muskelbauches am Rectus feraoris und an den Vasti con¬ 
statiren konnten. Exacte vergleichende Messungen zahlreicher ein¬ 
zelner Muskelfasern würden dies Resultat wohl bestätigt habeu. 
Leider fehlte es uns an Zeit und an der nöthigen Technik, um 
solche Untersuchungen durchführen zu können; wir erlauben uns des¬ 
halb auch kein Urtheil darüber abzugebeu, ob die Muskelschrum¬ 
pfung mit Vergrösserung der Sehne Hand in Hand ging, oder nicht. 
Die Gleichheit der so genau als möglich gemessenen Längen der 
Rectussehne würde gegen sehnige Verkürzung sprechen. 

Nehmen wir an, es seien in unserem Fall die Anforderungen 
an die Anpassungsfähigkeit des Muskels zu hoch gestellt gewesen, 
als dass durch die ira Laufe von Jahren mit der allmählich zu¬ 
nehmenden Länge des fibrösen Callus Hand in Hand gehende Re¬ 
traction der Muskelfasern die völlige Compensation der Bewegungs¬ 
störung hätte allein bewirkt werden können, so geht aus un¬ 
serem anatomischen Befund ein weiteres wichtiges Moment hervor, 
welches bei diesem Vorgänge der Compensation der Muskelanpas¬ 
sung zu Hülfe kam; es ist die Schrumpfung des Ligamentum 
patellae. Während die Sehne des Triceps durch die Bindemasse 
um 7V 2 cm verlängert wurde, kam hier an ihrer Insertiousstelle 
eine Verkürzung um 4 cm zu Stande. Das Auftreten dieser 
Schrumpfung wird in jene erste Zeit nach Entstehung der Fractur 
zurückzuführen sein, als die Resorption des Blutergusses abgewartet 
wurde, als das untere Fragment gegen die Tibia gesunken war, und 
die Fasern des Ligamentes längere Zeit unthätig und entspannt 
blieben. 

Als dritter bedeutsamer Factor ergibt sich aus unserer Prä¬ 
paration, zur Bestätigung des am Lebenden constatirten Befundes, 
jene abnorme Entwickelung des Ligament, ileo-tihiale und der seit¬ 
lichen Kapselpartieen, welche, wie wir gesehen haben, nach der An¬ 
nahme anderer Autoren bei völliger oder partieller Insuffieienz des 
Quadriceps die Streckbewegung ermöglicht. 

Kurz formulirt lautet die Erklärung des in unserem Falle Vor¬ 
gefundenen guten functioneilen Resultates folgenderinaassen: 

Durch die Schrumpfung des Ligament, patellae ist 
die, durch Einschalten der Zwischensubstanz entstandene 
Verlängerung der Tricepssehne zum grossen Theil corri- 
girt worden. Die kräftig functionirende Muskulatur des 
Quadriceps hat durch Retraction ihrer Fasern die nach 
dieser Correction noch resultirendc Verlängerung ihrer 
Sehne compeusirt und hat unter Zuhülfenahme jener 
hypertrophischen, seitlichen Reserven des Streckappa¬ 
rates ein annähernd normales Extensionsvermögen zu 
Stande gebracht. 

Diese für unseren speeiellen Fall gegebene Erklärung wird auf 
alle derartigen Beobachtungen auszudehnen sein, wo bei breiter 
Diastase eine wenn auch dünne, so'doch zähe, fibröse Masse die 
Transmission des Muskelzuges vermittelt. Dass die Schrumpfung 
des Ligament, patellae, auf die wir ein Hauptgewicht legen, auch 
bei der ersten unserer oben eitirten eigenen Beobachtungen cinge- 


j treten ist, schliessen wir. wenn auch der anatomische Nachweis 
uns fehlt, aus der am Lebenden constatirten Thatsache, dass das 
i dritte der vorhandenen Fragmente der Tibia fest und kaum beweg- 
I lieh aufruht. Denselben Schluss glauben wir aus der Schilderung 
I des analogen Falles von Ti arger ziehen zu dürfen; auch hier war 
i das unterste der drei Bruchstücke ganz gegen die Tuberositas tibiae 
! herabgesunken und blieb hier bei der Extension sitzen. 

Wir haben damit jene Fälle mit guter Function nicht erklärt, 
von denen berichtet wird, dass sie bei breiter Diastase eine fibröse 
Bindemasse nicht besitzen. Dass hier die extendirende Wirkung 
; des M. tensor fasciae latae und Glutaeus maximus, sowie aller ge¬ 
nannten Reserve-Streckapparate hauptsächlich zur Geltung kommt, 
leuchtet ein; doch scheint es uns wahrscheinlich, dass auch in 
solchen Fällen, wo nur eine Verdickung der die Fragmente über¬ 
ziehenden Apoueurose den Zusammenhang vermittelt, ein gut func- 
tionirender Triceps die Extension zum guten Theil besorgen kann. 
Inwiefern auch hier die obeu betonten regulirenden Factoreu zur 
Wirkung gelangen, darüber enthalten wir uns des Urtheils, so lauge 
keine derartige Beobachtung uns zur Verfügung steht, bei der nebst, 
dem anatomischen Befund auch eine genaue Schilderung der Func¬ 
tion vorliegt. 

V. Herzaffectionen bei Tabes dorsalis. 

Von Dr. Groedel in Bad-Nauheim. 

Im Jahrgang 1879 der Berl. klin. Wochenschr. veröffentlichten 
Berger und Roseubach eine kurze Notiz über das häufige Zu¬ 
sammentreffen von Insuffieienz der Aortenklappen mit Tabes dor¬ 
salis. Sie berichteten über 7 Fälle, bei welchen sie die fragliche 
Beobachtung gemacht hatten, enthielten sich aber jeden Commentars 
I dazu. Im folgenden Jahre brachte dieselbe Zeitschrift einen Auf- 
! satz von Anjel „Zur Coincidenz der Herzfehler mit Tabes.“ Er 
wollte bei 5 von 12 Tabeskrauken Zeichen von Insuffieienz der 
Aortenklappen gefunden haben, eiu diastolisches Geräusch, das aber 
nur nach Muskelaction vorhanden war, in der Ruhe dagegen, z. B. 
Morgens, bevor der Kranke das Bett verlassen hatte, vollständig 
fehlte. Zur Erklärung dieser Erscheinung glaubte er ein abnormes 
Verhalten des Herzmuskels annehmen zu müssen. 

Diese beiden Abhandlungen gaben mir Veranlassung, den er- 
j wähnten Sachverhalt zum Gegenstand fortgesetzter Beobachtungen 
| zu machen, wozu mir ja durch den Umstand, dass in Bad-Nauheim 
! sowohl Tabes- als auch Herzkranke zahlreich zur Behandlung 
[ kommen, ungewöhnlich günstige Gelegenheit geboten war. Das 
1 Resultat dieser Beobachtungen will ich nun in Kürze mittheilen. 

Von 1875—1879, also zu einer Zeit, während welcher ich mein 
Augenmerk noch nicht besonders auf das Herz meiner Tabeskranken 
i richtete, kamen mir 43 Patienten mit Tabes dors. zur Behandlung. 

1 Von diesen hatte einer, ein Mann von 43 Jahren, gleichzeitig 
i Insuff. valv. mitral, et Stenos. ost. venös, sinistr., als deren l’r- 
i sache ein im 13. Jahre überstandener schwerer Gelenkrheumatismus 
i gelten mochte. Ein Patient, 61 Jahre alt, hatte gleichzeitig chro- 
! nische Nephritis mit mässiger Hypertrophia cordis und eigenthiim- 
! liehe Anfälle von Angina pectoris, von welchen später die Rede 
sein soll. Weitere Notizen aus jener Zeit über etwaige Herzcom- 
plicationen fand ich nicht, abgesehen von Bemerkungen über be¬ 
schleunigten Puls und über Beklemmungen oder Druck auf der 
Brust. 

Von 1880 bis einschliesslich 1887 behandelte ich 108 Patienten 
I mit Tabes dorsalis, von welchen ich eine Anzahl alljährlich wieder 
, zu sehen Gelegenheit hatte. 

Unter diesen waren 2 mit ausgesprochener Insuff. valv. semilun. 

1 aort., für deren Zustandekommen viel mehr die in beiden Fällen 
stattgehabte syphilitische Infectiou, als der tabische Process als 
solcher in Betracht gezogen weiden dürfte. In einem Falle bestand 
; Insuffieienz der Mitralis, von einem acuten Gelenkrheumatismus her- 
j rührend, in einem anderen Insuff. valv. mitral, cum Stenos. ost. 

! venös sin., ohne dass anamnestisch eine bestimmte Ursache nach- 
gewiesen werden konnte. 

Auf diese Zahlen gestützt, glaube ich wohl der Ansicht Ley- 
i den’s beipflichten zu müssen, welcher in dem Artikel „Tabes 
dorsalis“ in Eulen hu rg‘s Realeucyclopädie das Vorkommen von 
; Herzklappenfehlern bei Tabes dorsalis für ein rein zufälliges hält. 

' Auch Erb erwähnt nichts von einem ursächlichen Zusammenhang 
beider Affectionen. 

Was nun die Angabe AnjeTs betrifft, so habe ich mich nie- 
1 mals davon überzeugen können, dass bei Tabeskranken zuweilen 
■ durch Muskelactiou ein diastolisches Geräusch am Aortenostium 
entsteht. 

Was ich dagegen sehr oft bei meinen Tabeskranken beobachtet 
habe, das war eine Schwäche der Herzaction, gesteigerte Frequenz 
der Herzcontractionen, kleiner Puls, schwach hörbare Herztöne — 
und das nicht nur etwa bei den schon sehr geschwächten, sondern 


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398 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 20 


auch hei noch recht kräftigen Patienten. Solche klagen dann oft 
über Herzklopfen, Atherabeschwerden beim Gehen, Treppensteigen 
etc., auch zuweilen über Anfälle von Herzklopfen bei gänzlicher 
Ruhe oder nach Aufregungen. Nur zweimal fand ich neben den 
angegebenen Zeichen eine Dilatatio cord. dext. et sinist. 

Auch die angeführten Momente finde ich nicht als für die 
Tabes dorsalis charakteristisch. Das Gleiche finden wir bei allen 
möglichen chronischen Krankheiten, wenn sie, was ja oft genug der 
Fall ist, mit Anämie oder Neurasthenie verbunden sind. 

In neuerer Zeit hat Leyden (Centralblatt für klin. Med. 1887, 
No. 1) vier Fälle von Tabes mitgetheilt, in welchen eigenthüinliche, 
dem Bilde der Angina pectoris entsprechende Anfälle von ihm 
beobachtet wurden. Einen ähnlichen Fall hat Vulpian in der 
Revue de medecine, V. 1, 1885, veröffentlicht. 

Ueber Beklemmung und Druck in der Herzgegend, mehr we¬ 
niger anfallsweise auftretend, wird von verhältnissmässig vielen 
Tabeskranken geklagt. Es handelt sich jedoch dabei wahrscheinlich 
nur um eine nicht ganz reguläre Form des Gürtelgefühls. Anfälle 
der Art, wie sie Leyden schildert, sind hingegen sehr selten, 
weshalb ich es für thunlich erachte, zwei von mir beobachtete Fälle 
mitzutheilen. 

1. Herr B., Kaufmann aus Hamburg, 49 Jahre alt, kam im Sommer 
1884 nach Nauheim zur Cur. Seit einem Jahre ist er krank, und zwar be¬ 
gann sein Leiden mit leichten ziehenden Schmerzen in beiden Beinen, die 
er für rheumatische hielt und ohne ärztliche Verordnung mit Einreibungen 
zu lindern suchte. Erst als er eines Tages plötzlich mit heftiger Beklemmung, 
Angstgefühl und Schmerz auf der Brust mitten in der Nacht aus dem 
Schlaf erwachte, ging er zu seinem Hausarzt Dr. Arning, dem er über 
den Anfall berichtete und auch von den Schmerzen in den Beinen sprach. 
Derselbe fand am Herzen nichts, constatirte dagegen leichte atactische Er¬ 
scheinungen, sowie Fehlen des Sehnenreflexes und stellte die Diagnose 
Tabes dorsalis. Auf seinen Rath ging er nach Nauheim. Meine Unter¬ 
suchung ergab dasselbe Resultat, wie diejenige des Hamburger Collegen. 
18 Tage nach seiner Ankunft machte er, da es ihm recht gut ging, einen 
Ausflug nach dem benachbarten Frankfurt. Am Abend dieses Tages wurde 
ich zu ihm gebeten. Er batte sich eben zur Ruhe begeben, als ihn plötz¬ 
lich wieder jenes Angstgefühl, verbunden mit Beengung und Schmerz in der 
Herzgegend bis zur Schulter hinauf befiel. Ich fand ihn, das Gesicht blass, 
mit Angstschweiss bedeckt, den Puls klein und rasch, stöhnende aber 
eigentlich nicht erschwerte Respiration. Durch Sinapismen, Frottiron der 
Extremitäten und Einathmen von Amylnitrit ging der Anfall bald vorüber. 
Herr B. vollendete seine Cur ohne weiteren Zwischenfall. Im nächsten 
Jahre kehrte er wieder. Er hatte noch einige gleiche Anfälle gehabt, seit 
4 Monaten aber nichts mehr davon gespürt. Sein Arzt hatte ihm Kal. jod. 
verordnet. Die Tabes dors. hatte sich nicht verschlimmert Nach Absol- 
virung einer vierwöchentlichen Cur reiste er ab, und ich habe seitdem nichts 
mehr von ihm gehört. 

2. Herr L., 50 Jahre alt, Kaufmann aus New-York, leidet seit einigen 
Jahren an ausgesprochener Tabes dorsalis. Seit mehreren Monaten hat er 
ohne jegliche Veranlassung Anfälle von Druck und Schmerz in der Herz¬ 
gegend, das Gefühl als ob ihm der Ha's zugeschnürt wäre und er nicht 
athmen könne. Die Anfälle dauerten nicht lange. Brausepulver und Senf¬ 
teig halfen stets rasch. Ich sah während seiner Cur (1885) einen solchen 
Anfall, der in jeder Hinsicht den Eindruck der Angina pectoris machte. 
Auch von diesem Patienten habe ich leider nichts mehr gehört. 

Ich füge hier noch den, Eingangs dieses erwähnten Fall bei, 
der zwar das Bild der reinsten Angina pectoris bot, aber nebenbei 
eine Nephritis mit leichter Hypertr. Cordis hatte: 

Herr H., 61 Jahre alt, Kaufmann aus Frankfurt a. M., wurde 1879 zum 
ersten Male von seinem Hausarzt Dr. Stern nach Nauheim geschickt. Schon 
mehrere Jahre lang bestand eine Tabes dors., deren quälendste Symptome 
lancinirende Schmerzen, Schwindelanfälle und Flimmern vor den Augen 
waren. Durch eine mehrwöchentliche Badecur wurde wesentliche Milderung 
dieser Beschwerden erzielt. Im Juni 1880 kam Herr H. zum zweiten Male. 
Eine Nephritis mit leichter Herzhypertrophie hatte sich noch eingestellt und 
den Patienten sehr beruntergebracht. Seinen alten Leiden hatten sich 
gastrische Krisen zugesellt; namentlich aber klagte er über häufige Anfälle 
von Athemnoth mit Angstgefühl und Schmerzen, welche von der Herzgegend 
aus bis in den linken Arm ausstrahlten. Einen solchen Anfall als Folge 
einer starken Aufregung hatte ich Gelegenheit zu sehen. Der Patient war 
nicht im Stande sich zu bewegen und musste auf einem Tragstuhl in seine 
Wohnung verbracht werden. Der Puls war sehr klein und unregelmässig, 
Gesicht und Hände eiskalt, der Athem ab und zu von Hustenstössen unter¬ 
brochen. Chloralhydrat, das ihm schon öfter geholfen hatte, brachte auch 
diesen Anfall zum Schwinden. Der Patient starb im darauffolgenden Winter. 

Leyden hält es recht wohl für möglich, dass diese, als Angina 
pect, nervosa aufzufassenden Anfälle in einem direkten Zusammen¬ 
hang mit der Tabes dors. stehen, dass es sich um neuralgische 
Anfälle im Bereiche der Herzuerven des Vagus handelt, in gleicher 
Weise, wie wir es bei den gastrischen, den Laryngo- und Broncho- 
krisen mit neuralgischen Anfällen im Bereiche der entsprechenden 
Vagusäste zu thun haben. Es liegt kein Grund vor, die Möglichkeit 
dieses Zusammenhangs zu bestreiten. 


VI. Ueber die Sackniere (Cystonephrosis). 

Von Prof. Dr. E. Küster. 

(Fortsetzung aus No. 19.) 

Zum Schluss gebe ich nunmehr die genauen Krankengeschichten 
säramtlicher Fälle, in welchen von mir die lumbare Nephrotomie 
ausgeführt worden ist. 

Fall 1. 

Linksseitige Sackniere. Nephrotomie. Tod an Tuberculose. 
Blättermann, Hermann, 32 Jahre, Arbeiter, wurde am 20. März 1883 
in’s Augusta-Hospital aufgenommen. Vor 5 /* Jahren wurde Patient ohne 
nachweisbare Veranlassung von Schmerzen im Kreuz befallen, welche nach 
der linken Seite hin ausstrahlten; er musste deshalb die Arbeit aussetzen, 
da er nicht mehr im Stande war, sich zu bücken. Die Beschwerden dauerten 
fort bis gegen Weihnachten 1882. Am 4. Januar 1883 bekam Pat., als er 
Nachmittags im Bette ruhen wollte, plötzlich so heftige Schmerzen links im 
Unterleibe, dass er sofort zum Arzte schickte; derselbe stellte die Diagnose 
auf Nierenentzündung. Die Schmerzen hielten mehrere Stunden an, Hessen 
dann nach, kehrten aber mit mehrfachen Unterbrechungen wieder und 
fesselten den Pat. 5 Tage an’s Bett. Er konnte dann wieder arbeiten, be¬ 
merkte aber Anfangs März, dass seine Kräfte sehr abnahmen, und dass er 
auffallend mager wurde. Er hatte Schmerzen beim Urinlassen, hatte häu¬ 
figen Drang, entleerte aber jedes Mal nur geringe Quantitäten; Stuhlgang 
regelmässig, aber mit vielen Blähungen verbunden. Urin ziemlich trübe, 
ohne Eiweiss. 

21. März 1883. Pat. ist elend und abgeraagert. Die Inspection des 
Leibes ergiebt nichts Auffallendes. Bei der Palpation fühlt man in der 
linken Seite eine stärkere Resistenz, die aber dem Fingerdruck nicht 
gleichmässig Stand hält, sondern auszuweichen scheint. Da die Bauch¬ 
decken sehr gespannt sind, so wird Pat. narkotisirt. Man fühlt nun deut¬ 
lich eine Geschwulst, welche von der linken Regio iliaca aufsteigt bis nahe 
an die unterste Rippe, sich auch von der Lumbalgegend aus deutlich 
palpiren lässt, au der Basis unbeweglich ist und Fluctuation zeigt. Unge¬ 
fähr in den genannten Grenzen findet sich gedämpfter Pwcussionsschall; 
doch ist über dem medialen Theil der fühlbaren Geschwulst tympanitischer 
Schall. Die Percussion beider Lumbalgegenden zeigt rechts tympanitischen 
Schall, links Dämpfung, das Colon descend. ist demnach nach vorn ver¬ 
drängt. Bei der Probepunction entleert sich eine ganz helle Flüssigkeit 
mit milchigem Bodensatz, welcher mikroskopisch runde, granulirte Eiter¬ 
zellen, dazwischen einzelne sehr grosse, platte, verfettete Zellen und 
Körnchenkugeln enthält. 

3. April 1883 Incision, ca. 20 cm lang, in der Mitte zwischen Becken¬ 
rand und unterer Rippe vom äusseren Rande des Sacrolumbalis bis zur 
Axillarlinie. Durchtrennung der Muskulatur, dann noch einmal Probe¬ 
punction und Incision. Entleerung einer grossen Menge flockiger, trüber 
Flüssigkeit. Man gelangt nun mit dem Finger in eine grosse, glattwandigc, 
vielbuchtige Höhle, welche von Strängen und Balken durchzogen ist; die¬ 
selben werden durchschnitten, darauf die Sackwand mit der äusseren Haut 
vernäht; endlich Einlegung eines dicken Drains, antiseptischer Verband. 
9. April erster Verbandwechsel, geringe geruchlose Secretion, keine Urin- 
secretion, gutes Aussehen der Wunde. 

4. Juni. Urin sehr eiweissreich. 

5. Juni. Pat. ist sehr heruntergekommen. Mässiges Fieber und 
Appetitlosigkeit. Heiserkeit, Husten mit geringem, blutigem Auswurf. 
Dämpfung auf beiden Spitzen. 

21. Juni. Rapid zunehmender Kräfteverfall bei mässigem Fieber. Die 
alte Incisionsstelle bis auf 2 kleine Fisteln geheilt. Tod. 

Die Section ergab eine sehr ausgedehnte tuberculöse Zerstörung der 
linken Niere mit weit verbreiteter Miliartuberculose in verschiedenen Organen. 
Das genaue Sectionsprotocoll ist leider verloren gegangen. 

Fall 2. 

Linksseitige Sackniere. Nephrotomie weit nach vorn. 
Später zweiter Einschnitt in der Lumbalgegend. Heilung mit 
dauernder Nierenbeckenfistel. A. L., stud. med., 23 Jahre alt, aus 
Berlin, wurde mir im Jahre 1883 behufs Operation von meinem Collegen 
Senator zugewiesen. Der junge Mann fiel vor 4 Jahren beim Turnen 
heftig auf den Rücken, was ihm so bedeutende Schmerzen verursachte, dass 
er vom Turnunterricht befreit werden musste. Nach einiger Zeit liesseu 
diese Schmerzen nach, kehrten aber jedes Mal dann wieder, wenn Pat. an 
Verstopfung litt, und verschwanden nach Anwendung von Klystieren oder 
Abführmitteln. Der Sitz derselben war stets in der linken Seite dicht 
unter dem Rippenrande. Wiederholte Untersuchungen durch den Vater, 
der selber Arzt ist, sowie durch andere Aerzte, vermochten die Ursache 
der Schmerzen nicht aufzuklären. Im Jahre 1882 zog er sich eine 
Gonorrhoe zu, welche indessen bald beseitigt wurde. Nachdem der Zustand 
in der geschilderten Weise mehrere Jahre gedauert hatte, traten am 
13. Juni 1883 die Schmerzen in besonders heftiger Weise auf, Hessen sich 
auch durch Abführmittel nicht beseitigen. Die Temperatur stieg am 
nächsten Morgen bis 39,5 C, die linke Seite wurde gegen Berührung 
äusserit empfindlich. Die Diagnose lautete auf umschriebene Peritonitis, 
es wurden Eisuraschläge und Opium verordnet und bald, bei Fortdauer 
der heftigen Schmerzen, der Verdacht rege, dass ein Abscess in Bildung 
begriffen sei. Indessen erst nach 3 Wochen konnte Fluctuation nachge¬ 
wiesen werden, und nun entleerte sich auch unerwarteterWeise eine grosse 
Menge Eiter durch den Urin. Die vorhergehenden Tage war die Urinsecre- 
tion auf ein ganz geringes Maass herabgedrückt gewesen. 

Am 4. Juli 1883 sah ich den Pat. zum ersten Mal. Er fieberte noch 
immer und hatte einen trüben, eiterhaltigen Urin. Unter dem linken 
Rippenrande bis nach der Lumbalgegend hin fand sich eine grosse, deutlich 
fluctuirende Geschwulst von grosser Empfindlichkeit, welche den Dickdurra 
nach vorn verdrängt hatte. War hiermit auch der Zusammenhang mit 


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17. Mai. 


DEüTSCnE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


der linken Niere klargestellt, so musste es doch zweifelhaft bleiben, ob 
nicht neben einer Eiteransammlung in der Niere eine solche auch im Bereich 
der Nierenkapsel vorhanden sei. ln dieser Voraussetzung beschloss ich, den 
Schnitt am Punkte der deutlichsten Fluctuation, d. h. entsprechend der 
Axillarlinie zu führen. Beim Einschnitt an dieser Stelle, in der Mitte 
zwischen Rippenrand und Becken, eröffnete ich die Umschlagsfalte des 
Bauchfelles, welche sofort durch einige Nähte wieder geschlossen wurde. 
Es ergab sich nun, dass kein Eiter ausserhalb der Niere lag, sondern dass 
das Organ in einen schwappenden Sack umgewandelt war. Bei dem Ein¬ 
schnitt musste noch eine ziemlich starke Schicht Nierengewebes getrennt 
werden, ehe der eiterhaltige Sack eröffnet wurde. Das Innere desselben 
war durch Scheidewände mit glatter Oberfläche in verschiedene Fächer 
getheilt, welche aber alle miteinander in Verbindung standen. Ein Stein 
war nicht zu finden, die Sondirung des Harnleiters gelang nicht. Der 
Sack wurde rings an die Bauchwunde genäht; darauf Drainage und anti¬ 
septischer Verband. Die Heilung ging ohne Zwischenfall vor sich, der 
Urin wurde von Zeit zu Zeit stark eiterhaltig als Ausdruck dafür, dass der 
Harnleiter durchgängig geblieben war; aber ein grosser Theil des Urins 
floss doch nach aussen ab und machte täglich 2 Mal Verbandwechsel nöthig. 
Nachdem dieser Zustand mehrere Wochen gedauert hatte, stellten sich 
zeitweise Fieberbewegungen ein, welche auf Eiterverhaltungen zurück¬ 
zuführen waren. Es wurde daher die Fistel mit Laminaria erweitert, der 
Finger eingeführt und festgestellt, dass durch eine breite Scheidewand ein 
Abschnitt der Höhle soweit isolirt war, dass das Secret aus demselben nur 
schwer und auf Umwegen nach aussen gelangen konnte. Demnach ent¬ 
schloss ich mich, diesem Recessus gegenüber in der Lumbalgegeud einen 
zweiten Einschnitt zu machen, was am 26. October 1883 zur Ausführung 
kam. Aus dieser Oeffuung entleerte sich nach einigen Monaten alles 
Secret, so dass die vordere Oeffnung entbehrlich erschien; nach Entfernung 
des Drains schloss sich dieselbe ziemlich bald. Dagegen dauerte die Urin¬ 
entleerung aus der hinteren Fistel au, und es bedurfte erst zahlreicher 
Versuche, um einen Apparat zu coustruiren, welcher nicht belästigte und 
nicht durch hineinwachsende Granulationen unbrauchbar gemacht wurde. 
(S. die Beschreibung dieses sehr brauchbaren Apparates bei Lilienfeld: 
Demonstration eines Apparates für Nierenfistel. Sitzung der Berliner medi- 
cinischen Gesellschaft vom 17. März 1886). 

l’at. trägt nunmehr seit Jahren seinen Apparat, hat seine Studien 
vollendet, ist aber doch gelegentlich noch durch eine Eiterverhaltung be¬ 
lästigt. Davon abgesehen, ist sein Gesundheitszustand vorzüglich. Der 
Apparat belästigt ihn so wenig, dass Pat. vorläufig von einer Nieren¬ 
exstirpation absieht. 

Fall 3. 

Sackniere rechts. Nephrotomie. Heilung. Dietz,August,26 Jahr, 
Schlächter, aufgenommen in’s Augusta-Hospital am 7. April 1885. Der bis 
dahin ganz gesunde Patient hob am 2. April eine schwere Last und wurde 
dabei von sehr heftigen Schmerzen im rechten Epigastrium befallen. Seit¬ 
dem dauern diese Schmerzen unausgesetzt fort. Die Regio epi- und hypo- 
chondriaca d. ist etwas aufgetrieben und auf Druck sehr schmerzhaft, Leber¬ 
gegend sehr stark geschwollen und druckempfindlich. Fieber. Urin normal. 
Opium und Eis. 15. April. Patient hatte am 4. Tage spontanen Stuhlgang ohne 
Beschwerden, fiebert aber noch und zeigt eine umfangreiche Dämpfung der 
rechten Regio hypochondriaca. Dieselbe reicht nach unten bis in die Höhe 
der Spina ant. sup. d. und geht nach hinten bis in die Nierengegend. 
Ueber dem Dämpfungsbezirk fühlt man deutliche Fluctuation, ebenso bei 
bimanueller Untersuchung von vom nach hinten. Eine Abgrenzung von der 
Leber ist nicht deutlich nachweisbar. Die Probepunction ergiebt eine mässig 
eitrige Flüssigkeit, welche mikroskopisch massenhafte Eiterkörperchen, aber 
auch zahlreiche hyaline Cylinder aufweist. Urin stets klar, eiweissfrei, sehr 
reichlich (1900 ccm). 

Da das Fieber fortwährend anhält, so wird am 22. Mai zur Operation 
geschritten. Durch einen circa 12 cm langen Schnitt in der Lumbalgegend 
wird die Niere blossgelegt und eingeschnitten. Entleerung einer ungeheuren 
Quantität eitriger, flockiger Flüssigkeit, welche keinen urinösen Geruch dar¬ 
bietet. Der sondirende Finger kann das Ende der Höhle, welche von Balken 
und Spangen durchzogen ist, nicht abtasten. 2 Gummidrains, antiseptischer 
Verband. 23. Mai. Urin zeigt Spuren von Eiweiss, 1900 ccm. Am 24. Mai 
sinkt die Quantität auf 1200 ccm, um dann allmählich wieder die normale 
Höhe zu erreichen. Nach 14 Tagen steht Patient auf, und die Heilung geht, 
abgesehen von vorübergehender Verhaltung nach zu früher Weglassung der 
Drains, fortan ohne Störung vor sich. 13. Juli. Mit wenig secemirender 
Fistel zur Poliklinik entlassen und bald darauf geheilt. 

Fall 4. 

Sackniere links. Nephrotomie. Heilung. B., Hermann, 31 Jahr 
alt, zog sich im Jahre 1878 eine Gonorrhoe zu mit nachfolgender Cystitis. 
Seitdem hat er fortdauernd Nierengries mit dem Urin entleert. Im Mai 
1885 ging er nach Wildungen, wo er plötzlich die heftigsten, krampfartigen 
Schmerzen in der linken Nierengegend bekam, die sich in Intervallen von 
mehreren Stunden, dann von Tagen, wiederholten. Patient kehrt deshalb 
nach Berlin zurück, und ich wurde am 8. Juni 1885 von dem behandelnden 
Arzte, Herrn Dr. Bormann, zur Untersuchung des Kranken hinzugezogen. 
Es fand sich ein Tumor der linken Nierengegend, welcher empfindlich war 
und undeutlich fluctuirte; die Untersuchung der Blase ergab kein Resultat, 
wohl aber wurde durch Probepunction eine Flüssigkeit entleert, deren Be¬ 
schaffenheit indessen nicht notirt ist. Am 31. Juni wurde Patient in das 
Augusta-Hospital aufgenommen. Der kräftig entwickelte Mann sah elend 
aus, ohne aber zu fiebern. Der Urin war trübe, eiweissfrei, mit zahl¬ 
reichen grossen Epithelien. Linke Nierengegend stark aufgetrieben durch 
einen ziemlich mannskopfgrossen Tumor, welcher sich bei bimanueller Unter¬ 
suchung etwas hin- und herbewegen Hess. Die Probepunction ergab eiweiss¬ 
haltige Flüssigkeit. 

Operation an demselben Tage durch Lumbalschnitt und Annähung der 
Niere an die Haut. Entleerung von circa 4 Litern Flüssigkeit. Drains, 


399 


Jodoformmull, antiseptischer Verband. Nach 10 Tagen steht Patient auf, 
4 Tage später fliesst aus dem einen Drain Urin, so dass der Verband für 
einige Zeit täglich gewechselt werden muss. Urinmenge schwankt zwischen 
12—1800 g. Mit einer kaum secernirenden Fistel entlassen am 20. August. 
Er klagte noch über Schmerzen in der Nierengegend und wurde mehrmals 
von urämischen Anfällen heimgesucht, von denen einer, im November, so 
schwer war, dass bei tagelanger Anurie und vollständiger Bewusstlosigkeit 
stündlich der Tod erwartet wurde. Indessen stellte sich der Urinabgang 
wieder her, und seitdem blieben ähnliche Anfälle vollkommen aus. Die 
Fistel heilte bald. — Stellt sich im Frühling 1887 vollkommen geheilt 
wieder vor. (Fortsetzung folgt) 


VIL Neuere Arbeiten über das Absterben 
pathogener Mikroorganismen im Körper. 

Von Prof. Dr. Ribbert in Bonn. 

Die bekannten ausgedehnten Untersuchungen Metschnikoff’s 
über die intracellulare Vernichtung pathogener Organismen haben 
den Anstoss zu sehr zahlreichen Besprechungen und Arbeiten ge¬ 
geben, von denen einzelne in dieser Wochenschrift 1887, p. 775, re- 
ferirt wurden. Sie kommen der Phagocytose gegenüber nicht alle 
zu dem gleichen Resultat, sie stellen sie theils ganz in Frage, sie 
lassen sie theils nur mit Modificationen, theils aber auch in allen 
wesentlichen Punkten gelten. 

ln entschiedener Weise ist Baumgarten ausser bei früheren 
Gelegenheiten auch neuerdings in seinem Lehrbuche der patholo¬ 
gischen Mykologie (vgl. Referat dies. Wochensclir. No. 11) der Phago¬ 
cytose entgegengetreteu. Er benutzt jede bei Besprechung der ein¬ 
zelnen Arten von Mikroorganismen sich ihm bietende Gelegenheit, 
um zu betonen, dass die Bacterien keineswegs constant, dass sie 
auch nicht immer der Mehrzahl nach in Zellen gefunden werden, 
dass sie auch ausserhalb derselben zu Grunde gehen, dass dagegen 
ihr Untergang innerhalb der Zellen sich nicht nachweisen lasse, 
diese vielmehr sehr häufig durch die eingeschlossenen Parasiten 
vernichtet werden. Nun ist es freilich gewiss, dass der Einfluss 
der Phagocytose nicht überschätzt werden darf. Wenn sie regel¬ 
mässig zur Geltung käme, wenn die Aufnahme der Mikroben in 
Zellen stets gleichbedeutend mit ihrem Untergange wäre, so sollte 
man voraussetzen, dass überhaupt keine Infection eine weitere Ver¬ 
breitung im Körper finden könnte, da ja doch mindesteus anfänglich 
ausreichende Mengen von Leukocvten und Zellen aller Art zur Ver¬ 
fügung stehen, um die Bacterien in sich aufzunehmen und eventuell 
zu tödten. Aber es hängt einmal eben sehr wesentlich von der 
nach den einzelnen Arten sehr wechselnden Energie der Mikroben 
ab, ob sie dem Einfluss der Zellen erliegen, oder ob der umgekehrte 
Ausgang des Kampfes erfolgt. Es ist ferner gewiss möglich, dass 
auch extracellular in den chemischen und sonstigen Verhältnissen 
des Nährbodens die Bedingungen für den Untergang der Pilze ge¬ 
geben sein können. Indessen, wenn man sich die Frage vorlegt, 
ob die Bacterien sich leichter ausserhalb der Zellen, oder ob sie 
sich besser im Inneren des lebenden, um die Existenzbedingungen 
mit ihnen kämpfenden Protoplasmas vermehren können, so wird man 
es wahrscheinlicher finden, dass die günstigeren Entwickelungs¬ 
bedingungen im ersteren Falle gegeben sind, und dass somit der 
Einschluss in Zellen, so lange sie lebend sind, zum mindesten eine 
Verlangsamung des Wachsthums, je nach der Lebensenergie auch 
eine Vernichtung der Mikroben mit sich bringen muss. Wenn dann, 
wie es thatsächlich geschieht, die Beobachtungen sich mehren, dass 
die Phagocytose in vielen Fällen constant zusammeufällt mit dem 
Absterben der Bacterien, dass ihr Einschluss in Zellen ausnahmslos 
erfolgt und ihr Untergang iu denselben sich auch aus ihren Ver¬ 
änderungen erschlossen lässt, so dürfte die völlige Verwerfung der 
Phagocytose wohl zu weit gegangen sein. Es darf auch nicht ver¬ 
gessen werden, dass die intracellulare Vernichtung sich sehr wohl 
mit anderweitigen Einflüssen combiniren, an dieselben sich au- 
schHessen kann. 

In dieser Beziehung sind die Untersuchungen von Bedeutung, 
welche über die Wirkung einer dichten und abseitigen zeitigen 
Umhüllung der Pilze und die dadurch bedingte Entziehung der 
nothwendigen Entwickelungsbedingungen angestellt worden sind. 
Für die Schimmelpilze habe ich ausgeführt (Der Untergang 
pathogener Schimmelpilze im Organismus. Bonn, Max Cohen, 
1887), dass der Einschluss der Sporen durch grosse Mengen von 
Leukocyten das Wachsthum derselben hemmt und sie sehr bald 
zum Absterben bringt. Ich konnte zeigen, dass nach intravenöser 
Injection geringer Mengen der Sporen des Aspergillus flavescens 
die einzelnen Keime in Leber und Lunge schon nach wenigen 
Stunden von einem dichten Mantel mehrkerniger weisser Blut¬ 
körperchen umgeben gefunden werden, dass sie unter diesen Um¬ 
ständen nur zu einem unvollkommenen Wachsthum gelangen, 
welches in einer Quellung und einer allseitigen Aussendung strah- 
liger zarter Fortsätze besteht ohne Entwickelung der normalen 


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400 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 20 


Sprossen, dass sie ferner so sehr schnell zu Grunde gehen und 
durchschnittlich schon nach 24 Stunden als abgestorben zu be- J 
trachten sind. Die ganz oder nahezu getödteten Sporen werden 
dann von fixen Gewebselementen, die zu Rieseuzellen heranwachsen, 
aufgenommen und völlig vernichtet. Durch Zerfall der auf diese 
Weise gebildeten Knötchen kommt die völlige Ausheilung des 1 
Processes zu Stande. In der Niere verläuft die Infection etwas j 
anders. Hier sind einmal wegen des sauerstoffreichen Blutes die 
Entwickelungsbedingungen besser als in jenen Organen, und ferner 
sehen wir, dass die Ansammlung der Leukocyten nicht so schnell 
und nicht so ausgiebig erfolgt wie dort. Das Wachsthum der 
Sporen unterliegt daher nicht den gleichen Beschränkungen wie iu 
Leber und Lunge, und so kommt es zur Bildung eiues ausgedehnten 
Mycels. Sehr schön ist wiederum die Wirkung des Zellmantels in 
der vorderen Augenkammer zu verfolgen, in welcher nach Ein¬ 
spritzung sehr geringer Sporenmengen eine diffuse Trübung der : 
Pupille und Iris entsteht, in welcher durch Anhäufung von Leuko- j 
cyten um die einzelnen Sporen kleinste weissliclie Knötchen eut- . 
stehen. Die von ihnen eingeschlossenen Keime quellen, bilden jene ! 
Strahlenkränze und gehen sehr rasch zu Grunde, wie hier und iu 
Leber und Lunge durch Culturen nachgewiesen wurde. 

Die Beobachtungen konnte ich ergänzen durch Versuche über ; 
die Bedeutung der einmaligen Iujection geringer Sporenmengen für 
eine nochmalige Infection. Wie schon von anderen Seiten beob¬ 
achtet war, constatirte auch ich eine Zunahme der im Blut circu- 
lirenden Leukocyten als Folge der Einführung der Sporen in den 
Körper. Ich dachte nun daran, dass die grössere Menge der Leu¬ 
kocyten insofern wichtig sein könne, als bei wiederholter Infection 1 
die eingespritzten Sporen rascher und allseitiger umhüllt und da¬ 
durch energischer beeinflusst würden, als das erste Mal. In der 
That bestätigten meine weiteren Versuche diese Vermuthung. Ich 
habe die Experimente seitdem mit vielfachen Modificationen fort¬ 
gesetzt und bin noch damit beschäftigt. Ich will hier nur er¬ 
wähnen, dass sie mir eine Bestätigung und Ergänzung der damaligen 
Ergebnisse nach verschiedenen Richtungen gebracht haben. Es ist 
einleuchtend, dass die Resultate für die Frage der Schutzimpfung 
nicht unwichtig sind, und wenn auch keine Anhaltspunkte dafür 
vorliegen, dass bei den durch Spaltpilze hervorgerufenen Infections- 
krankheiten eine Vermehrung der Phagocyten die Immunisirung 
bedinge, so darf doch an dieser Stelle an die Untersuchungen von ' 
Dirckinck-Holmfeld erinnert werden, der fand, dass bei immunen i 
und wenig empfänglichen Thieren nach subcutaner Verimpfung sich 
Eiter bildete, in welchem die Milzbrandbacillen abstarben, während 
die Eiterung bei empfänglichen Thieren ausblieb. 

Bei den Spaltpilzen kommt die Wirkung des zelligeu Mantels 
weniger klar zum Ausdruck, jedoch liegen auch hier eine Reihe von 
Beobachtungen vor. So theilte Muskatbliith (Centralbl. f. Bacter. 

1, No. 11) mit, dass bei Einspritzung von Milzbrandbacillen durch 
die Trachea in die Lungen, falls eine sehr heftige Entzündung sich 
einstellt, die Stäbchen in den zelligen Herden der Lungen zu Grunde 
gehen können, und zwar nicht sowohl durch Phagocytose, als viel¬ 
mehr dadurch, dass sie, eingebettet iu Haufen von Leukocyten in 
den Alveolen oder Bronchen, in Folge des Mangels an Nahrung und 
Sauerstoff absterben. Lubarsch (Fortschr. d. Med. 88, No. 4 s. u.) 
beobachtete, dass iu einem Falle ein Stückchen Milzbrandmilz, 
welches er in einen Lymphsack des Frosches eingebracht hatte, 
allseitig fest von Leukocyten eingesohlossen wurde, und dass die in 
ihm enthaltenen Milzbrandbacillen schon nach zwei Tagen völlig ab¬ 
gestorben waren, während in den übrigen Versuchen (s. u.) die Ab¬ 
schwächung resp. Vernichtung der Stäbchen viel läugere Zeit in 
Anspruch nahm. v. Christmas Dirckinck-Holmfeld (ref. dies. 
Wocli. 1. c.) sah iu seinen eben berührten Versuchen die Aufnahme 
der Bacillen in Leukocyten ausbleiben und führt den Untergang 
derselben darauf zurück, dass sie durch chemische Umsetzungen des 
Eiters, vielleicht auch durch Mangel an Sauerstoff vernichtet werden. 
Freilich hat hiergegen Metschnikoff (Fortschr. d. Med. 87, No. 17) 
Einspruch erhoben, aber es würde zu weit führen, hier die von ihm 
und die wiederum gegen ihn von Dirckinck-Holmfeld (ib. No. 18) 
erhobenen Einwände zu besprechen. Aber auch Lubarsch führt 
an, dass er bei seinen Untersuchungen am Frosch und an Warm¬ 
blütern zwar auch viele Milzbrandbacillen extracellular, die unter- 
gehenden, körnig zerfallenden dagegen fast ausschliesslich intra¬ 
cellulär gefunden habe. 

Der Einfluss der entzündlich-zeiligen Infiltration auf die Spalt¬ 
pilze lässt sich auch für die pyogenen Coccen darthun. Ich habe 
die Entstehung der durch den Staphylococcus aureus erzeugten Ab- 
scesse in den Nieren und dem Myocard genauer verfolgt uud ge¬ 
funden. dass das anfänglich lebhafte Wachsthum der Coceencolonieen 
eine Einschränkung erfährt, sobald sich an die primäre Nekrose des 
umgebenden Gewebes eine dichte zellige Infiltration angeschlossen 
hat und durch das nekrotische Gewebe hindurch bis zu dem Pilz¬ 
haufen vorgedrungen ist. 


Auch Baumgarten, der sich so energisch gegen die Phago¬ 
cytose wendet, betont in seinem Lehrbuch bei Besprechung der 
Milzbrandbacillen, dass bei ihnen eher als bei den übrigen Spalt¬ 
pilzen die von mir hervorgehobene Sauerstoffentziehung durch die 
Eiterung in Betracht zu ziehen sei. 

Man ist also, wie diese Beobachtungen zeigen, durchaus be¬ 
rechtigt, der Ansammlung von Leukocyten um die pathogenen Pilze, 
iu erster Linie die Schimmelpilze, eine Wirkung zuzuschreiben, die 
allerdings in den einzelnen Fällen sehr verschieden energisch sein 
wird, uud die mau darin suchen kaun, dass der zellige Mantel den 
Sauerstoff und sonstige Ernährungsbedingungen abschneidet, oder 
dass die Leukocyten entwickelungshemmende Stoffe produciren, oder 
dass die von den Pilzen selbst gebildeten Stoffwechselproducte sich 
wegeu mangelnder Diffusion im Innern des Herdes ansammeln und, 
wie im Reagensglas, die Vermehrung der Mikroben hindern. Daran 
kann sich dann weiterhin sehr wohl eine Aufnahme der gehemmten 
und eventuell abgeschwächten Bacterieu durch die Phagocyten an- 
scli Hessen. 

Ausser an die Wirkung der Zellansammlung denkt man nun 
auch an andere Einflüsse, welche die Organismen extracellular ver¬ 
nichten resp. abschwächen. So sollen sie „von selbst“ absterben 
können (Baumgarten). Die zum Verständnis dieser Anschauung 
herangezogene Analogie mit dem nach einiger Zeit erfolgenden Ab¬ 
sterben der Mikroben in den Culturen ist aber nicht ganz maass¬ 
gebend, da der Untergang derselben in den Krankheitsprocessen des 
Körpers durchschnittlich viel rascher erfolgt, als ausserhalb der¬ 
selben, dass also iu ihm bestimmte Einflüsse einwirken müssen, 
welche das schnellere Absterben veranlassen. Indessen soll die 
Wirksamkeit jenes Momentes nicht unter allen Umständen in Abrede 
gestellt werden. Ferner soll für die Vernichtung der Mikroben auch 
das Fieber von Wichtigkeit sein. Dass unter günstigen Bedingungen 
auch durch Einführung von Medicamenten eine Wachsthurasbehin- 
derung und eventuelle Vernichtung herbeigeführt werden kann, liegt 
auf der Hand. Nach dieser Richtung sind die von Behriug (dies. 
Woch. 87, No. 37) mitgetheilten Resultate von Interesse. 

Bedeutungsvoller sind aber die mehrfach angestellten Versuche, 
die eiue Infectionskrankheit durch eine andere zu heilen, die eine 
Form pathogener Mikroorganismen durch Einführung einer anderen 
zu vernichten. Die ersten Mitteilungen hierüber stammen von 
Emmerich (Naturf.-Vers. Berlin), der mit Milzbrand und Ery¬ 
sipel experiraentirte. Ueber ähnliche Versuche von Pawlowsky 
mit Milzbrand einerseits, Erysipel-Pneumouiecoccen und anderen 
pathogenen Mikroben andererseits wurde (1. c.) schon berichtet. 
Neuerdings haben Emmerich uud Mattei deu von ersterem in 
dem Archiv für Hygiene, Bd. VI, ausführlich beschriebenen Ver¬ 
suchen neue Ergebnisse angefügt. Sie inficirten ein Kaninchen 
mit sehr grossen Meugen von Erysipelcoccen uud am folgenden 
Tage subcutan mit gleichfalls beträchtlichen Quantitäten von Milz¬ 
brandbacillen. Das Thier erkrankte nicht an Milzbrand, vielmehr 
wurde durch Cultur und mikroskopische Untersuchung festgestellt, 
dass schon 17 Stunden nach der Infection au der Injectionsstelle 
ebensowenig wie im Blut des Thieres noch lebende Milzbrandbacillen 
vorhanden waren. In den Culturen gingen nur Erysipelcoccen an. 
Aehnlich verliefen noch drei weitere Experimente, während die 
gleichzeitig lediglich mit Milzbrand geimpften Controllthiere zu 
Grunde gingen. Verfasser untersuchten ira vierten Falle die Injec- 
tiousstelle schon nach 6 Stunden, sahen io den Culturen Coccen 
und Bacillen wachsen und fanden mikroskopisch verschiedene 
Zeichen einer Degeneration der letzteren. 12 Stunden nach der 
Infection wuchsen aus dem Gewebe der Impfstelle nur noch ganz 
vereinzelte Milzbrandcolonicen, dagegen aus Blut und Organen nur 
Erysipelcoccen. Verfasser beobachteten nun keine Eiterung, die 
somit bei der Vernichtung der Bacillen im Sinne von Dirckinck- 
Holmfeld keine Rolle spielen könne. Sie führen den Untergang 
der Stäbchen zurück auf eine Aenderung der chemischen Beschaffen¬ 
heit des Körpers durch die Zellen desselben und sind der Ansicht, 
dass die Phagocytose nicht in Betracht komme, dass vielmehr nur 
die todten Bacillen von den Zellen aufgenommeu und fortgeschafft 
; würden. In der That wird die intracellulare Vernichtung unter 
| diesen Verhältnissen auch von den Anhängern der Phagocytose viel- 
1 leicht entbehrt werden können. Denn so gut wie durch Medica- 
mente könnte auch durch eine allerdings noch hypothetische cellular- 
j chemische Aenderung der Lebensbedingungen eiu Absterben der 
; Bacillen bedingt werdeu. Indessen darf im Auge behalten werden, 
dass durch jene Einflüsse auch zunächst nur eine Abschwächung 
der Virulenz zu Stande kommen kann, durch welche den Zellen 
die Bewältigung der Organismen erleichtert wird. Auch Paw¬ 
lowsky denkt daran, dass die Phagocytose in jenen Versuchen 
leichter erfolgt, aber nach seiner Ansicht allerdings auf Grund einer 
gesteigerten functionellen Energie der Zellen. 

Wie bei dieser doppelten so kann auch bei einer einfachen 
, Infection daran gedacht werden, dass vor der Aufnahme in die 


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17. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


401 


Zellen eine Abschwächung der Virulenz der Bacterien stattfindet. 
Darauf weist auch Weigert (Fortschr. d. Med. 87 No. 22) bei Bespre¬ 
chung der Untersuchungen Metschnikoff’s über die Recurreus- 
spirochaeten hin. Er findet den Umstand, dass die Spirillen erst, 
nachdem sie sich ungeheuer vermehrt haben, im vorkritischen Sta¬ 
dium und während der Krisis von deti Leukocyten der Mil/, ge¬ 
fressen werden, nur vereinbar mit der Annahme, dass inzwischen 
eine Aenderung entweder der Phagocyten, oder wahrscheinlicher 
der Spirillen vor sich gegangen sei, die iu einer Abschwächuug der¬ 
selben bestehe, durch welche es den Leukocvten leicht werde, sie 
aufzunehmen. In der That ist es Met sch nik off (ib. No. 3) nicht 
gelungen, in seiner Entgegnung gegen Weigert’s Referat diesen 
Einwand ganz zu entkräften. 

Man mag also immerhin für viele Fälle annehmen, dass die 
extracellulare Abschwächuug der Mikroben eine Vorbedingung für 
die Wirksamkeit der Phagocytose darstellt. Aber mau wird kaum so 
weit gehen können, dieselbe unter allen Umständen als unbedingt 
erforderlich anzusehen und damit die Bedeutuug der intracellularen 
Vernichtung beträchtlich einzuschränken. Eine Reihe von neueren 
Untersuchungen spricht für die volle Wichtigkeit der Thätigkeit 
der Phagocyten. 

Hess stellte seine Experimente mit Milzbrand an bei immunen 
und bei empfänglichen Thiereu (Virchow’s Archiv 109, p. 365). Er | 
benutzte zunächst den Frosch, dem er grosse Mengen der Bacillen 
intravenös injicirte. Es zeigte sich, dass dieselben schon im Ver¬ 
laufe des ersten halben Tages grösstentheils von Zellen aufgeuommen 
worden wareu, und zwar im Blut von den an Menge beträchtlich 
zunehmenden Leukocyten, in der Leber von den bekannten Stern¬ 
zellen, in der Milz von den Zellen der Pulpa. Die Vernichtung der 
Bacillen ging nun nicht so rasch vor sich, wie es von Metschnikoff 
bei seinen Versuchen gesehen wurde. Noch nach einer Reihe von 
Tagen konnten unveränderte Formen gefunden werdeu, daneben 
allerdings sehr reichlich degenerireude. Der Untergang der Bacillen 
scheint hauptsächlich in den fixen Zellen der Leber und Milz zu 
erfolgen, weniger in den Leukocyten, die beim Frosch hauptsächlich 
als Träger der Mikroben zu fungiren scheinen. Bei Warmblütern 
gestalteten sich die Versuche etwas anders. Verf. machte sie in 
der Weise, dass er zwischen Glasplättchen platte, an drei Seiten 
verschlossene Kammern herstellte, dieselben mit Milzbrandculturen 
füllte und unter die Haut der Thiere schob. Hier entwickelt sich 
nun eine lebhafte Ansammlung von Leukocyten. die in die Kammer 
einwandern, aber während sie bei den empfänglichen Kaninchen 
nur ausnahmsweise die lebhaft wuchernden Bacillen fressen, nehmen 
sie dieselben bei immunen Thieren, zu denen Hund. Hahn und 
Taube gehören, sehr eifrig auf, so dass schon wenige Stunden nach 
der Infeotion nur äusserst wenige Stäbchen noch frei gefunden 
werden. Weiterhin beobachtet man dann auch ausgedehnte Dege- 
nerationsprocesse der intracellularen Bacillen, auch noch, was im 
Gegensatz zu Direkinck-Holmfeld wichtig ist, nachdem die 
Kammer aus dem Körper entfernt und bei gleicher Temperatur auf¬ 
bewahrt wurde. Hier behielten die einzelnen freigebliebenen Bacillen 
ihr unverändertes Aussehen, während die intracellulären verschwan¬ 
den. Hess sieht in seineu Ergebnissen eine Bestätigung der An¬ 
schauungen Metschnikoff’s und insofern auch eine Ergänzung der¬ 
selben, als ausser den Leukocyten auch die Gefässwandzellen in 
Leber und Milz, die Wyssokowitsch allein zur Phagocytose 
für fähig hielt, betheiligt sind. 

Hess studirte nun weiterhin das Verhalten der Leukocyten 
gegenüber dem Staphylococcus aureus (Virchow’s Arc.h. 110, p. 113) 
an Impfwunden der Cornea, die erfahrungsgemäss fast ausnahmslos 
heilen. Die eingeimpfteu Coccen vermehren sich zunächst rapid, 
dann aber werden die entstandenen Colonieen wieder kleiner, und 
man findet nun iu der Umgebung derselben zahlreiche coccengefüllte 
Leukocyten, deren Menge bald so zunimmt, dass vom dritten Tage 
ab nur noch w r enige freiliegende Coccen anzutreffen sind. Da nun 
nach dem sechsten Tage überhaupt keine Mikroben mehr aufgefun¬ 
den werden können, so ist keine andere Möglichkeit, als dass sie 
eben in den Zellen zu Grunde gehen. Allerdings Hess sich dieser 
Untergang nicht mit derselben Schärfe mikroskopisch nachweisen, 
wie bei den stäbchenförmigen Milzbrandbacilleu. In Fällen, in 
denen es nicht zur Heilung kam, blieb auch die Phagocytose nur 
minimal. 

Gleichfalls mit Staphylococcus aureus stellte unter meiner Lei¬ 
tung Lähr eine Reihe von Versuchen an (Ueber den Untergang 
des Staphylococcus aureus in den durch ihn hervorgerufenen Ent¬ 
zündungsprocessen der Lungen. Dissertation, Bonn). Die in Wasser 
aufgeschwemmten Culturen werden in die Trachea durch Einstich 
injicirt. Es entstehen in Folge dessen lobuläre Entzündungsprocesse 
von verschiedener Ausdehnung je nach der Menge der injicirteu 
Coccen. Die Thiere wurden nun in wechselnden Intervallen ge- 
tßdtet: und die Lungen durch Culturen und mikroskopisch auf die 
Gegenwart der Coccen geprüft. Es ergab sich, dass schon wenige 


Stunden nach der Injection die Coccen ausnahmslos in Zellen lagen, 
und zwar in zwei Formen derselben, in Epithelien und Leukocyten. 
Besonders dicht und, der Grösse der Zellen entsprechend, in oft 
kolossalen Mengen fänden sie sich- in jenen, während sie in diesen 
etwas weniger reichlich und mehr gleichmässig im Protoplasma zer¬ 
streut waren. Im Verlauf der nächsten Tage verschwanden nun die 
ooccenhaltigen Leukocyten allmählich, während meist nur spärliche, 
hier und da aber in grösserer Menge vorhandene nicht mit Coccen 
versehene Rundzellen zwischen den Epithelien übrig blieben. Dieses 
Verschwinden der ooccenhaltigen Leukocyten ist zum Theil jeden¬ 
falls auf ein Vorrücken derselben aus den Alveolen in die Bronchen 
und auf eine auf diesem Wege erfolgende Entfernung nach aussen 
zurückzuführen. Inwieweit, auch ein intracellulärer Untergang der 
Coccen in den Leukocyten stattfindet, konnte nicht mit Sicherheit 
eruirt werden, doch wird dieser Vorgang aus der Analogie mit den 
Epithelien wahrscheinlich, ln diesen nämlich findet zweifellos eine 
Vernichtung der Coccen statt. Sie finden sich in den Alveolen stets 
in grosser Menge und füllen dieselben vom 3.—4. Tage ab fast 
allein noch aus, während die Leukocyten in der Zeit meist nur 
noch spärlich sind. Sie proliferiren innerhalb der Alveolen, indem 
sie sich zu mehrkernigen umfangreichen Zellen umwandeln, die 
allerdings gewöhnlich nicht die Grösse der Riesenzellen erreichen, 
wie ich sie bei Untersuchung der Schimmelpilzmykosen der Lunge 
gefuuden habe, ln ihnen trifft man nun während der ersten Woche 
nach der lnfection stets reichliche Coccen, die aber während dieser 
Zeit an Menge mehr und mehr abuehmen und schliesslich ganz 
verschwinden. Sie gehen offenbar in den Zellen zu Grunde, man sieht 
vom Ende der ersten Woche ab nur noch wenig deutliche, verschieden 
grosse, vielfach etwas eckig geformte, aber noch ziemlich gut sich 
Färbende Coccen, die als untergehende angesprochen werden müssen. 
Im Verlauf der zweiten Woche verschwinden sie ganz. Diese mi¬ 
kroskopischen Beobachtungen werdeu ergänzt durch die Culturen. 
ln den ersten drei Tagen gehen stets noch viele dicht gedrängte 
Colonieen im Impfstiche auf. dann aber nimmt ihre Zahl rasch ab, 
und durchschnittlich gelingt es vom vierten Tage ab nicht mehr, 
noch lebende Coccen nachzuweisen. Da man sie nun mikroskopisch 
noch sehr leicht auffinden kann, so müssen sie zu dieser Zeit schon 
als ganz oder nahezu abgestorben betrachtet werden. 

In den durch Staphylococcus aureus hervorgerufenen Processen 
der Lungen werden also die Coccen durch Leukocyten und Epi¬ 
thelien aufgenommen und wahrscheinlich in beiden Zellformen, mit 
Sicherheit aber in den Epithelien, vernichtet. 

Diese Beobachtungen sind auch für die lnfection von der Lunge 
aus von Interesse, insofern sie zeigen, dass die Mikroorganismen, 
welche heftige Entzündungsprocesse erregen, sehr rasch von den 
zelligen Elementen aufgenommen und dadurch verhindert werden 
können, in das Innere des Körpers zu gelangen. Es konnte denn 
auch festgestellt werden, dass die Bronchialdrüsen stets frei von 
Coccen waren, und dass sich in inneren Organen, vor Allem in den 
Nieren, niemals seeundäre Erkrankungen einstellten. In ähnlicher 
Weise sah Muskatblüth eine allgemeine Milzbranderkrankung 
ausbleiben, wenn in den Lungen hochgradige Entzündung zur Aus¬ 
bildung gelangte. 

Die Untersuchungen zeigen, dass die Phagocytose nicht an be¬ 
stimmte Zellformen gebunden ist, wie das ja auch Metschnikoff 
betont hat, sondern dass neben den Leukocyten, den Makrophagen, 
den Gefässwandzellen, auch Zellen epithelialer Natur an der Ver¬ 
nichtung der Pilze theilnehmen können. 

Eine weitere Mittheilung über die Phagocytose machte Lubarsch 
(1. c.). Er brachte Milz- und Luugenstückchen von an Milzbrand 
verstorbenen Mäusen in den Lymphsack von Fröschen, tödtete die 
Thiere nach verschiedenen Intervallen und prüfte die eingebrachten 
Stücke auf die Gegenwart von Bacillen und ihre Virulenz. Er 
fand die Organtheile stets von Leukocyten eingehüllt (s. o.) und 
sah nun, dass die Bacillen auch noch am zehnten Tage lebens¬ 
fähig. aber in ihrer Wirkung beträchtlich abgeschwächt waren. 
Später verloren sie auch ihre Wachsthurasfähigkeit. Es fragte sich 
nun, wodurch die Abschwächung erreicht wird. Sie kommt zweifel¬ 
los hauptsächlich durch die Aufnahme der Bacillen in den Leuko- 
cytenkörper zu Stande. Denn Coutrollversuche mit intravenöser 
Injection von Culturen ergaben, dass die Bacillen schon 16—17 
Stunden später fast alle intracellulär lagen, trotzdem aber virulent 
waren, dass sie aber in den ersten Experimenten nicht deshalb ge¬ 
fressen wurden, weil sie schon extracellulär abgeschwächt gewesen 
waren, wenn auch eine geringe Ahnahme ihrer Virulenz ausserhalb 
der Zellen vor der Aufnahme in dieselben nicht in Abrede gestellt 
werden kann. Dass sie dagegen nicht sehr bedeutend ist, erhellte 
auch aus weiteren, mit abgetödteten Bacillen angestellten Experi¬ 
menten, aus denen hervorging, dass diese nicht nur nicht leichter, 
sondern im Gegentheil langsamer von den Zellen aufgenommen 
wurden, als die lebenden, denen deshalb vielleicht auch eine active 
Theilnahme an dem Eindringen in das Protoplasma zukoraint. 


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402 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 20 


Wenn nun auch Verfasser die extracellulare Entwickelungshemmung 
auf Grund des einen oben schon erwähnten Versuches als möglich 
anerkennt, und wenn er ferner auch eine extracellulare Abschwächung 
in geringem Umfange vor der Aufnahme in die Zellen nicht in 
Abrede .stellt, so weist er doch der Phagocytose die wichtigste Rolle 
bei der Hemmung und schliesslichen Vernichtung der Bacillen zu. 

Die neuesten Untersuchungen über Phagocytose rühren von 
Banti her (Sulla distruzione dei Batterii, Torino). Er führte ein¬ 
mal, wie Lähr, Bacterien durch die Trachea in die Lunge ein, und 
zwar nichtpathogene und pathogene. Erstere (Bacillus subtilis. 
Finkler-Prior’scher Bacillus, Mikrococcus tetragenus) werden alle, 
letztere (Bacillus pneumoniae, Bacillus anthracis) zum grösseren 
Theile von Zellen, Epithelien und Leukocyten aufgenommen. Die 
eingesehlosseneu Organismen zeigten Degeuerationserseheinungen und 
gingen intracellular zu Grunde. Die nicht pathogenen traten nie¬ 
mals, die pathogenen gewöhnlich in den Blutkreislauf über, nur 
dann nicht, wenn hochgradige Entziindungsprocesse der Lungen ent¬ 
standen waren (s. o.). Weiterhin injicirte Verf. Bacterien (Mikro¬ 
coccus tetragnus, Fiukler-Prior’sche Bacillen, Staphylococcus 
aureus) in die Peritonealhöhle und sah sie von hier aus in das Blut 
übertreten durch Vermittelung der Lymphgefässe, in denen er sie in 
grossen Mengen theils extracellular, theils in Leukocyten wiederfand. 
Er ist der Ansicht, dass sie in diesen zu Grunde gehen. Drittens 
machte er intravenöse Injectionen und constatirte, dass die Bacterien 
zum grossen Theil von den weissen Blutzellen aufgenommen werden, 
zum kleineren Theil von den Endothelien der Leber, Milz etc., 
deneu Wyssokowitsch im Gegensatz zu den Leukocyten allein 
die Fähigkeit zur Aufnahme und Vernichtung derselben zugeschrieben 
hatte. Die eingeschlossenen Orgauismen zeigten Degeuerations- 
erscheinungen. Verf. sieht in seinen Untersuchungen eine Stütze der 
Lehre von der Phagocytose und spricht sich dagegen aus, dass die 
Bacterien erst dann von den Zellen gefressen würden, nachdem sie 
ausserhalb derselben zu Grunde gegangen seien. 

VIII. Zur Fleischlichen Percussionstheorie. 

Von Dr. P. Grützner in Tübingen. 

In No. 8 dieser Zeitschrift haben wir des Genaueren über die 
Arbeiten von E. Fl ei sc hl v. Marxow berichtet, welche die oben 
genannte Percussionstheorie zum Gegenstände hatten. Das Wesent¬ 
liche dieser, unserer Meinung nach, überaus originellen und geist¬ 
vollen Anschauung liegt bekanntlich darin, dass der kurze Stoss, 
den das schnell sich zusammenziehende Herz auf seinen Inhalt aus¬ 
übt, wesentlich zur Befreiung der in ihm befindlichen Gase beiträgt, 
so dass das im rechten Herzen percutirte Blut leicht seine Kohlen¬ 
säure an die Lungenluft und das im linken Herzen percutirte Blut 
eben so leicht seinen Sauerstoff an die Gewebe abgiebt. Beide Gase 
befinden sich nach v. Fleischl in dem Blut in Folge der Per¬ 
cussion in molecularer Lösung, natürlich nicht in grösseren, zu¬ 
sammenhängenden Massen oder Blasen. Denn in dieser Form würden 
sie tödtlich wirken. 

Gegen diese, vorläufig leider noch nicht durch besondere Ver¬ 
suche begründete Anschauung ist kürzlich von berufenster Seite Ein¬ 
wand erhoben worden, den wir, obwohl uns nach wie vor die Idee 
der Percussionstheorie als geistvoll imponirt, hiermit berichten. 
N. Zuntz (Pfliiger’s Archiv Bd. 42, p. 408), dem die Physiologie 
bekanntlich ebenso sorgfältige, wie wichtige und grundlegende Ar¬ 
beiten auf dem Gebiete der Athmung verdankt, spricht sich zunächst 
dahin aus, dass dieser Schüttelstoss für die Abdunstung der Kohlen¬ 
säure in der Lunge unnöthig ist. Berücksichtigt man nämlich die 
ungemein grosse Oberfläche der mit Luft gefüllten Lunge auf der 
einen Seite, sowie die nur wenige Bruchtheile eines Millimeters be¬ 
tragende Schicht der die Capillaren ausfüllenden Blutsäulchen auf 
der anderen Seite, so ergiebt eine ungefähre Berechnung, dass durch 
den Quadratcentimeter Lungenoberfläche in der Minute nur die ver¬ 
schwindend kleine Menge von 0,0003 ccm Gas hindurchzutreten hat. 
Hierzu genügt nach Zuntz eine Spannungsdifferenz von l /- 2 ooo At¬ 
mosphäre = 0.3 mm Hg, die aber, da es sich hier um die Ab¬ 
dunstung der leicht diffundirenden Kohlensäure handelt, noch viel 
kleiner sein kann. Es genügen also nach ihm die einfachen Ge¬ 
setze der Gasdiffusion, um den respiratorischen Gasaustausch zu er¬ 
klären, womit natürlich nicht gesagt ist, dass die Natur nicht doch 
noch ein Uebriges für diesen lebenswichtigen Process gethan hat. 

Ilidess Zuntz bestreitet die Bedeutung des Schüttelstosses voll¬ 
ständig; denn wenn man kohlensäurereiche Gasgemische athmen 
lässt, so kehrt sich der Process der Athmung um, es wird — wie 
bekannt — Kohlensäure in’s Blut aufgenoramen, und zwar ent¬ 
sprechend der Menge der in der Athemluft vorhandenen Kohlen¬ 
säure um so mehr, je mehr in dieser vorhanden ist. Gerade so wie 
auch umgekehrt die Abdunstung der Kohlensäure erfolgt, lediglich 
auf Grund und nach Maassgabe der verschiedenen Gasspannungen 
ohne Zuthun oder Zuhülfenahme irgend eines Schüttelstosses. 


Während ferner v. Fleischl aus den Arbeiten von Strass¬ 
burg Schlüsse zog, die zu Gunsten seiner Theorie sprachen, thut 
Zuntz das Entgegengesetzte. Vornehmlich zeigt er, dass das Blut 
aus peripheren Venen, welches nicht percutirt ist, sowie das Blut 
aus dem fechten Herzen, welches schwach, und arterielles Blut, 
welches stark percutirt ist, sich betreffs der Abgabe (und der Auf¬ 
nahme) von Kohlensäure durchaus nicht so verhalten, wie es nach 
v. Fleischl sein müsste; vielmehr verhalten sie sich vollkommen 
gleich; das percutirte Blut giebt seine Kohlensäure nicht besser ab 
und nimmt sie nicht schlechter auf, als das nicht percutirte. Maass¬ 
gebend sind immer nur die Spannungsdifferenzen zwischen den 
Gasen im Blut und in der über ihm befindlichen Luft. 

Zudem findet Zuntz die verschiedene Farbe der Blutarten un¬ 
vereinbar mit den Anschauungen von v. Fleischl. Dieser unter¬ 
scheidet bekanntlich zwischen oxydirtem und arterialisirtem Blute, 
im ersteren ist der Sauerstoff an das Hämoglobin chemisch gebun¬ 
den, im zweiten molecular .beigemischt. „In den Capillaren be¬ 
ginnend, in den Venen bis zum rechten Herzen sich vollendend, 
soll dann allmählich die Wiederverbindung des durch die Percussion 
frei gewordenen Sauerstoffs mit dem Hämoglobin sich vollziehen. 
Diese Wiederverbindung soll mit der Dunkelung der Farbe Hand 
in Hand gehen; also nicht der Austritt von Sauerstoff aus dem 
Blute, nicht die Umwandlung eines Theiles des Oxyhämoglobins in 
Hämoglobin, sonderu die Bildung von Oxyhämoglobin aus Hämo¬ 
globin und freiem Sauerstoff bedingt die Dunkelung des Venenblutes 
nach v. Fleischl.“ Wenn nun bloss percutirtes Blut hellroth aus- 
sehen darf, arguinentirt Zuntz weiter, warum sehen wir dann keinen 
Farbenunterschied zwischen dem nicht percutirten der Lungenvenen 
und dem stark percutirten der Aorta? Wie kommt es ferner, dass 
venöses Blut seine Farbe nicht im Mindesten ändert, wenn wir es 
in einem Glasrohre über Quecksilber abgesperrt auf's Heftigste 
schütteln? 

Es sei mir hier die Bemerkung gestattet, dass ich das eben 
Mitgetheilte aus der Arbeit von v. Fleischl nicht herausgelesen 
habe. Vielmehr glaube ich, dass nach v. Fleischl hellroth ist 
sowohl das Hämoglobin, mit welchem der Sauerstoff chemisch ge¬ 
bunden, als auch dasjenige, dem er nur molecular beigemischt ist. 
Dann kann natürlich kein Farbenunterschied zwischen dem Blute 
der Aorta und dem der Lungenvenen vorhanden sein und die Farbe 
im venösen Blute sich durch Schütteln bei Luftabschluss nicht 
ändern. 

Schliesslich sieht Zuntz in der sichergestellten Thatsache, 
dass, wenn man sauerstoffhaltiges, nicht percutirtes Blut bei gleich- 
mässigem Druck durch „überlebende Organe“ treibt, auch dieses 
unter Dunkelung seinen Sauerstoff verliert, eine mit der Fleischl- 
schen Theorie absolut unvereinbare Erscheinung. 

Diese Thatsache ist so allbekannt, dass ich mir nicht denken 
kann, v. Fleischl habe sie gänzlich übersehen und ausser Acht 
gelassen, oder wenn er dies wirklich anfänglich gethan haben sollte, 
so ist er doch sicherlich von befreundeter Seite darauf aufmerksam 
gemacht worden, da er diese Arbeit nicht auf einer einsamen Insel 
im Weltmeer concipirt und angefertigt hat. Er wird sie daher, wie 
ich glaube, wohl aus ganz besonderen Grüuden nicht berührt haben. 

Endlich glaubt Pflüger, wie er Zuntz mittheilt, dass, wenn 
wirklich der heftige Schüttelstoss des linken Ventrikels den grössten 
Theil des Sauerstoffs und der Kohlensäure frei machte, unvermeid¬ 
lich freies Gas in Blasen auftreten müsste, nicht bloss molecular ge¬ 
löstes, wie v. Fleischl annimmt. Dieses aber würde einen augen¬ 
blicklichen Tod durch Gasembolie nach sich ziehen. 

Nach v. Fleischl würde also ohne diesen Stoss, nach 
Pflüger durch denselben unser Leben in kürzester Zeit zu Ende 
gehen, falls er jene oben geschilderten Wirkungen entfaltete. Vor¬ 
läufig freuen wir uns, dass er unser Leben erhält und hoffen, in 
nicht allzu langer Zeit mit Sicherheit zu erfahren, wie er das 
macht. 

IX. Referate und Kritiken. 

J. L. A. Koch. Kurzgefasster Leitfaden der Psychiatrie. 

Mit besonderer Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Studi- 
renden, der praktischen Aerzte und der Gerichtsärzte. 151 S. 
Ravensburg, 1888. Ref. Pelm an. 

• Zu den grossen Lehrbüchern der Psychiatrie von Krafft- 
Ebing und Schülc ist neuerdings der vorstehende Leitfaden 
hinzugekoramen, den ich hiermit der Beachtung der Gollegen 
empfehlen möchte. 

Koch ist auf dem Gebiete der psychiatrischen Literatur kein 
Neuling, und seine Schriften zeichnen sich durch ernstes, wissen¬ 
schaftliches Streben, verbunden mit einer klaren und allgemeinfass- 
licheu Darstellung aus, Vorzüge, denen wir auch in dem vorliegenden 
Werke begeguen. 

Ich halte es nicht für leicht, einen Leitfaden der Psychiatrie zu 


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17. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


403 


schreiben, da eine gewisse Breite zum Verständnisse der Formen 
oft unvermeidlich ist, und die ausführliche Mittheilung von Fällen 
jedenfalls sehr zur Aufklärung des Anfängers beiträgt. Auf beides 
musste Koch verzichten, und wenn die Darstellung trotzdem klar 
und anziehend geblieben ist, so ist dies in der That kein geringes 
Verdienst. ♦ 

Koch legt mit Recht einen grossen Werth auf die psychischen 
„Minderwertigkeiten“, d. h. auf eine Constitution des Gehirns, die 
nicht im Vollbesitze geistiger Normalität und Leistungsfähigkeit 
steht. Meist wird diese Minderwerthigkeit durch die Geburt über¬ 
tragen, sie kann aber auch im späteren Leben durch allerhand 
Schädlichkeiten, wie überstandene körperliche oder geistige Krank¬ 
heit, Kopfverletzungen, Trunksucht und dgl. mehr erworben sein. 
Je stärker sie hervortritt, einer um so geringeren Gelegenheits¬ 
ursache bedarf es zum Ausbruch einer wirklichen Geistesstörung, 
die alsdann auch in der Souderart ihres Auftreteus und Verlaufes 
den Charakter der vorangegangenen Minderwerthigkeit aufweist. 
Eine ganze Reihe von Formen der Geistesstörung treten nur unter 
dem Einflüsse und auf demBodeneiner minderwerthigen Beschaffenheit 
des Gehirnes auf, während sie bei „rüstigen“ Gehirnen nicht Vor¬ 
kommen können. Allerdings können auch derartig rüstige Gehirue 
erkranken, doch wird es hierzu stets stärker einwirkender Ursachen 
bedürfen, und die Formen sind ebenfalls andere, der Verlauf ein¬ 
facher und gesetzmässiger. 

Diesen beiden grundverschiedenen Classeu von Psychosen, den 
idiopathischen und den constitutioneilen, stellt Koch als dritte Gruppe 
die der organischen gegenüber, nicht als ob die anderen Arten des 
Irrsinns nicht auch ihren organischen Grund hätten, wohl aber sind 
hier solche Leiden zusammengestellt, wo bei gröberen, fassbaren 
Organerkrankuugen zwar die psychische Anomalie im Vordergründe 
steht, doch aber nur als Tbeilerscheinuug einer schweren Hirn¬ 
erkrankung überhaupt. 

Den Schluss des Buches macht die gerichtsärztliche Begut¬ 
achtung der abnormen psychischen Zustände und eine kurze Ueber- 
sicht über die Behandlung der Geisteskranken. Ueberall ist dem 
praktischen Bedürfnisse und dem Verständnisse des Anfängers die 
vollste Rechnung getragen, und das Buch dürfte so ziemlich alles 
enthalten, was dem Praktiker zu wissen nöthig ist, während es dem 
weiter Verlangenden eiue gute Vorbildung zum ferneren Studium 
der Psychiatrie mit auf den Weg geben wird. 

Dentschmann. Ueber Neuritis optica besonders die soge¬ 
nannte StauungspapiUe und deren Zusammenhang mit Ge¬ 
hirn aöeotionen. Jena, G. Fischer, 1887. Ref. Magnus. 

Dass die rein mechauische Erklärung der Stauungspapille durch 
Anhäufung von Flüssigkeiten in der Sehnervenscheide nicht allein die 
Erscheinungen der Stauungspapille genügend zu erklären vermöge, 
ist eine Thatsache, welche schon wiederholt von deu verschiedensten 
Autoren hervorgelioben worden ist. Besonders hat Mauthner 
(Gehirn und Auge. Wiesbaden 1881. p. 551 u. ff.) in der ihm 
eigenen klaren Weise die Bedenken, welche gegeu die sogenannte 
Transporttheorie erhoben werdeu müssen, dargelegt. Mauthner 
hat bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die anatomischen Be¬ 
funde, welche au der Stauungspapille selbst gemacht worden sind, 
nicht lediglich durch die in Folge des Hydrops vaginae nervi optici 
entstandene Compression des Nerven bedingt sein können, und er 
hat des Ferneren nachgewieseu, dass in vielen Fällen von Stauungs¬ 
papille der Hydrops vaginae überhaupt nicht gefunden werde, resp. 
so geringgradig sei, dass er auf mechanischem Wege allein, d. h. le¬ 
diglich durch Compression die Erscheinungen der Stauungspapille 
nicht erzeugen könne. Mauthner’s kritische Beleuchtung der 
Transporttheorie der Stauungspapille gipfelt daher schliesslich auch 
in dem Satz: die mechanische Theorie der Stauungspapille müsse 
als wenig wahrscheinlich erachtet werden. Während nun Mauthner 
seinen kritischen Auseinandersetzungen keine neue Erklärung der 
Stauungspapille anschliesst, vielmehr hier lediglich auf die von 
Benedikt und Leber gegebenen Bemerkungen über die Aetiologie 
der Stauungspapille hinweist, hat Leber im Jahre 1881 auf dem 
internationalen Congress in London folgende Erklärung der Stauungs¬ 
papille gegeben: „Intracranielle Tumoren, ebenso Tuberculose sind 
mit Gefässcongestion, Veutrikelhydrops und Druckerhöhuug ver¬ 
bunden. Die Stoffumsatzproducte dieser Neubildungen, die sich 
mit deu entzündlichen Transsudationeu vermengen, wirkeu als Ent¬ 
zünd ungsreiz und geben, indem sie mit der Cerebrospinalflüssigkeit 
in den Intervaginalraum des Opticus bis au das hulbäre Ende ge¬ 
langen, die Veranlassung zu Neuritis und Papillitis“. Deutsch- 
maun hat in seiner Arbeit nun diese, wie erwähnt, bereits von den 
verschiedensten Autoreu geäusserteu Bedenken zum Ausgangspunkt 
neuer Experimente gemacht, und diese Experimente habeu, wie wir 
dies sofort bemerkeu wollen, die Berechtigung der in Londou von 
Leber vorgetrageneu Ansicht über die Aetiologie der Stauungs¬ 
papille dargethau. Weuu sonach auch der leitende Gedauke in der 


Deutschmann’schen Arbeit nicht sein eigenstes geistiges Besitz¬ 
thum ist, sondern die Priorität unbedingt Leber gebührt, so hat 
Deutsch mann doch jedenfalls das Verdienst, durch sehr exacte 
Versuche dem Leb er’schen Gedanken zum Leben verholfen zu haben. 

Zuerst unterwirft Deutsch maun in seiner Arbeit die bisher 
mitgetheilten Sectioneu von Stauungspapille einer Kritik, welche ihn 
zu folgenden Ergebnissen führt: 1) Die sogenannte Stauungspapille 
repräsentirt von Anfang an eine Entzündung, eine wirkliche Neuro- 
retinitis. Diese Entzündung ist gleich der bei Morbus Brightii und 
anderen Constitutiousauomalieen und erstreckt sich auf Retina uud 
Chorioidea. 2) Zeichen einer Compression sind weder an den Cen- 
tralgefässen, noch am Opticusstamm nachzuweisen. 3) Anatomische 
Beweise für die zwingende Annahme der Einwirkung einer Stauung 
am bulbären Sehnervenende lassen sich nicht nur nicht erbringen, 
vielmehr sprechen die anatomischen Befunde sogar gegen eine solche 
stauende Druckursache. Nach dieser Kritik der anatomischen That- 
sachen tritt D. in eiue Kritik der verschiedensten Ansichten ein. 
welche bisher über das Wesen der Stauungspapille geäussert worden 
sind. Die Theorieen von Jackson, Brown-Sequard und Bene¬ 
dikt, welche in einer vasomotorischen Reflexneurose das Wesen 
der Stauungspapille suchten, werden ohne weitere Begründung dieses 
Ausspruches als mit unseren heutigen pathologischen Anschauungen 
nicht mehr übereinstimmend bei Seite geschoben. Ganz ebenso er¬ 
geht es der Hypothese von Kuh nt, nach welcher die Stauung von 
Lymphe in der Vagina nervi optici zu einer Quellung der nervösen 
Elemente des Sehnerven führen sollte; wir können Deutsch mann 
nur vollkommen Recht geben, wenn er meint, dass die Kuhut’schc 
Ansicht weder anatomisch noch physiologisch, noch auch pathologisch 
sich rechtfertigen lasse. Nach dieser Kritik, welche sich noch mit 
den Arbeiten von Parinand, Ulrich, Schulten beschäftigt, geht 
Deutsch mann zur Schilderung seiner Experimente über. 

Zuvörderst studirte unser Autor durch Injection von Agar-Agar 
in den am Canalis opticus durchschnittenen Sehnerven die Erschei¬ 
nungen, welche die Anfüllung des Scheidenraumes des Sehnerven 
mit einer comprimirenden Masse bedingt. Füllt man deu Scheiden¬ 
raum so prall an, dass inan jeden Augenblick ein Platzen der 
äusseren Scheide gewärtigen kann, so wird sofort nach vollendeter 
Einspritzung die Papille rein weiss, die Gefasse, Arterien und Venen 
werdeu vollkommen blutleer, so dass sie nahezu unsichtbar werden. 
Wenige Stunden darauf stellt sich Schwellung der Papille mit starker 
Trübung ihrer Grenzen ein, auch von den Gefässen fangt man 
wieder etwas zu bemerken an. Nach 18 Stunden sieht man strotzend ge¬ 
füllte uud geschlängelte Venen, feine Arterien, den Sehnerven stark 
geschwollen und ab und zu retinale Blutungen. Es prävalirt in diesem 
Bilde also ausschliesslich die Erscheinung der passiven venösen 
Stauung. Es handelt sich also um eine wirklich reine, entzündungs¬ 
freie Stauungspapille. Dieses Ergebniss spricht aber vollständig 
gegen die Anwendung der Stauungstheorie auf die menschliche 
Stauungspapille, denn bei dieser handelt es sich uiemals um ein 
reines Oedem, sondern stets um entzündliche Erscheinungen im 
Opticus. 

Deutschmann versuchte sodann den Sehnervenscheidenraum 
vom Schädel aus unter Hirndrucksteigerung zu erreichen. Dies ge¬ 
lang bei jungen Kaninchen, denen Agar-Agar mit Beimischung chi¬ 
nesischer Tusche in die Schädelkapsel eingespritzt wurde, voll¬ 
ständig; der Scheidenraum wurde stark gefüllt, allein der Nervus 
opticus, seine Scheiden und die Papille blieben entzündungsfrei, 
absolut normal. 

Es genügen also die Steigerung des Hirndrucks resp. die An¬ 
füllung der Sehnervenscheidenräume nicht, um bleibende anatomische 
Veränderungen an den Papillen zu setzen oder gar um das ophthal¬ 
moskopische Bild der Stauungspapille zu erzeugen. Zur Erzeugung 
der Stauungspapille ist es vielmehr erforderlich, dass die in den 
Scheidenraum des Opticus eingednmgene Flüssigkeit entzündungs¬ 
erregende Elemente in sich trägt. Auch für diese Thatsache liefert 
das Experiment den Beweis, denn machte Deutsch mann die in 
den Schädel iujicirte Masse durch tuberculösen Eiter infectiös, so 
entwickelte sich das typische Bild der Stauungspapille. Man kann 
auf Grund der soeben geschilderten Experimente das Wesen der 
Stauungspapille folgendermassen detiniren: „Die Stauungspapille hat 
mit einer Stauung durch Druck nichts zu thun, sie ist vielmehr der 
Effect entzündungserregender Keime, welche mit der Oerebrospinal¬ 
flüssigkeit aus dem Cavum Crauii in die Sehnervenscheidenräume 
hineingelangen, da wo sie aufgehalten werden, d. h. also am bul¬ 
bären Ende des Sehnerveu haften bleiben und hier eine inficirende 
Wirkung entfalten“. Wir müssen von diesem Standpunkte aus also 
behaupten, dass reine Drucksteigerung in der Schädelhöhle zu einer 
Erkrankung des intraocularen Sehnervenendes nicht führt, dass viel¬ 
mehr der Hauptfactor, welcher die letztere hervorruft, in ent¬ 
zündungserregenden Stoffen zu suchen ist. 

Deutschmann unterwirft sodann die Frage einer Betrachtung: 
aus welcher Ursache Stauuugspapille bei Gehirntumoren so häufig 


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404 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 20 


angetroffen werde. Die Beantwortung dieser Frage geschieht durch 
die von Leber geausserte Ansicht, nach welcher durch den Gehirn¬ 
tumor eine seeretorische Entzündung mit Hydroeephalus internus 
ausgelöst werde. Mit dem entzündlichen Transsudate mengen sich 
die Stoffwechselproducte der Neubildung und gelangen mit der 
Cerebrospinalflüssigkeit in den lntervaginalraum des Sehnerven, wo 
sie alsdann zu der Neuritis und Papillitis Veranlassung geben. 
Uebrigens können unter Umständen auch parasitäre Elemente die 
Stauungspapille erzeugen, indem sich gelegentlich in das Blut ge¬ 
langte Mikroorganismen um den Tumor als um eine Prädilections- 
stelle ansammeln und dann in den lntervaginalraum des Sehnerven 
gelangen sollen. Wenn wir dieser Annahme Deutsch mann’s 
gegenüber eines bedeutenden Zweifels uns vor der Hand wenigstens 
nicht zu entschlagen vermögen, so werden wir um so bereitwilliger 
einräumen können, dass Gummata und Tuberkeln des Gehirns ganz 
gewiss eine Stauungspapille lediglich durch Transport von Ent¬ 
zündungserregern aus dem Schädelraum in die Sehuervenscheide zu 
erzeugen vermögen. Die Möglichkeit, dass Gehirnapoplexieen durch 
Einströmen des Blutes in den Scheidenraum des Opticus Stauungs¬ 
papille erzeugen könne, bekämpft Deutschmann. 


Bad St. Moritz im Oberengadin. Eine klimato-balneologische 

Studie von Dr. C. Veraguth (Arzt des Curhauses). 161 S. 

Zürich, Orell, Füssli & Co., 1887. Ref. Reimer. 

Die vorliegende, recht gründliche und vollständige Monographie 
bildet eine zweckmässige Ergänzung der 1874 erschienenen Schrift 
von Huseraann über St. Moritz. Sie zerfällt in 3 Abschnitte: 
I. Land und Leute; II. Die Curmittel; III. Wirkungen und Indica- 
tionen, von denen der letzte ausschliesslich für den Arzt bestimmt 
ist. Unter 1000 vom Verfasser beobachteten Krankheitsfällen zeigten 
sich Chlorose 108, Anämie 104, Neurasthenie 81, Dyspepsie 54, 
Tuberculose 51, Menstruationsstörungen 41, Malaria 28, Hysterie 
27 mal. Phthisiker gehören nach Verfasser nur nach St. Moritz, wenn 
sie weder husten noch fiebern. Beim Emphysem (15 mal) machte 
er die Bemerkung, dass die Entscheidung darüber, ob der Fall für 
die Höhe passe oder nicht, nicht lediglich davon abhängig zu 
machen sei, welchen Umfang das Emphysem besitze. Bisweilen trat 
auch bei hochgradigem Emphysem die günstige antispasraodische 
Wirkung der Höhe ein. Das vorzüglich ausgestattete Buch kann 
als guter Rathgeber empfohlen werden. 


E. Fischer. Zwei Fälle multipler reoidivirender Knochenent- 
zündung der Perlmutterdrechsler. Inaugural-Dissertation. 
Berlin 1888. Ref. Ru bin st ein. 

Verf. hat Gelegenheit gehabt, zwei Fälle dieser seltenen, von Englisch 
in Wien 1870 zuerst beschriebenen und als Osteomyelitis subacuta pro¬ 
gressiva recidiva bezeichneten Knochenerkrankung hier in Berlin zu studiren. 
Sie befällt ausschliesslich Personen in den Pubertätsjahren und localisirt 
sich in den Diaphysenenden der Knochen, vorzugsweise der Clavicula und 
des Unterkiefers. Sie zeichnet sich aus durch Schwellung und Schmerz¬ 
haftigkeit der befallenen Theile und verläuft nach der Beobachtung des Ver¬ 
fassers fieberlos. Sie kann mit Periostitis, luetischer Knochenerkrankung, 
Phosphomecrose, Actinomycose, in frischen Fällen auch mit Gelenkrheuma¬ 
tismus verwechselt werden. Die Therapie besteht vor Allem in der Be¬ 
seitigung der die Krankheit verursachenden Schädlichkeit, des Perlmutter¬ 
staubes, dann in Umschlägen, Anwendung von Jodkali und grauer Salbe. 

Gegenüber der von Englisch aufgestellten Hypothese der Entstehung 
dieser Krankheit verhält Verf. sich ablehnend. Es ist nach seiner Ansicht 
nicht einzusehen, wie die Inhalation der Perlmutterstaubpartikelchen, welche 
den organischen Stoff Conchiolin enthalten, zu der Knochenerkrankung führen 
soll. Auch die Gussenbauer’sche Theorie, die in König’s Lehrbuch der 
ullg. Chirurgie bereits als erwiesen hingestellt wird, wonach das Conchiolin 
das ursächliche Moment ist, das sich an einem Punctum minoris resistentiae, 
dem Diaphysenende festsetzt, vermag Verf. noch nicht anzunehmen, die 
Krankheit macht ihm vielmehr den Eindruck einer bacteriellen. Weiteren 
physiologischen und zoologischen Untersuchungen bleibt es Vorbehalten, die 
Krankheit in allen Punkten aufzuklären, womit gleichzeitig die Kenntniss 
der Aetiologie vieler Knochenerkrankungen eine wesentliche Förderung er¬ 
fahren dürfte. _ 

X. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

5. 

E. Coen. Ueber die Blutgefässe der Herzklappen. 
Arch. f. mikr. Anatomie XXVII, p. 397. 

L. v. Langer. Ueber die Blutgefässe in den Herz¬ 
klappen bei Endocarditis valvularis. Virch. Archiv 109, 
p. 465. 

Die Frage, ob die Herzklappen unter normalen Verhältnissen 
blutgefässhaltig sind, ist von jeher verschieden beurtheilt worden. 
Während von einzelnen Seiten die Gegenwart sehr reichlicher Ge- 
fässe behauptet wird, giebt man ihr Vorkommen von anderen Seiten 
nur in geringem Umfange zu. Wenn die letztere Ansicht die richtige 


ist, so wird damit natürlich einer Entstehung der Endocarditis durch 
embolisehe Verschleppung infcctiösen Materials in die Klappen, wie 
Köster annimmt, eine enge Grenze gezogen. Im Jahre 1880 hatte 
v. Langer schon über Iujectionsversuche berichtet, denen zufolge 
er die Klappen beim Schwein, Hund und Rind mit einem reichen 
Geflecht von Gefässen versehen, die menschlichen Semilunarklappen 
dagegen niemals und die Atrioventricularklappen nur, soweit sie 
Muskeln enthalten, gefässhaltig antraf. Coen hat auf Rath von 
Waldeyer die Injectionsversuche bei menschlichen Embryonen und 
Kindern aus dem ersten Lebensjahre vorgenommen und gleichfalls 
die Semilunarklappen immer frei von Gefässen gefunden. In den 
Zipfelklappen erstreckt sich dagegen eine von mehreren arteriellen 
Stämmen ausgehende reiche Vascularisation von der Anheftungsliuie 
gegen den freien Rand, in dessen Nähe die Gefässe zum Theil 
schlingenförmig umbiegen. Auch von den Papillarmuskeln reichen 
Gefässe eine Strecke weit in die Sehnenfäden hinein, ohne dieselben 
indess in ganzer Länge zu durchbohren, v. Langer betont diesen 
Befunden gegenüber, dass sie nur für jugendliche Gefässe Geltung 
haben, die noch ausgedehnt muskelhaltig seien, während sie später 
immer sehniger würden und damit ihre Gefässe mehr und mehr 
verlören, so dass nur ausnahmsweise einzelne Schlingen über die 
muskulöse Zone weiter gegen den freien Rand hinabreichten. Er 
hat aber nun bei lange bestandener Endocarditis gewöhnlich ausser¬ 
ordentlich entwickelte Gefässnetze injiciren können, von denen er 
klare, einen besonders schönen Fall betreffende Abbildungen giebt. 
Er fand bei chronischer Endocarditis mit Verdickung und geringer 
Retraction die Aorten- und Mitralklappen sehr dicht bis zum freien 
Rande vascularisirt und viele Sehnenfäden von relativ weiten und 
etwas verzweigten Gefässen der Länge nach durchsetzt. Er glaubt, 
dass alle diese Gefässe sich im Anschluss an die entzündlichen 
Processe neugebildet hätten, und zwar stützt er diese Ansicht darauf, 
dass er in normalen und mit frischer Endocarditis versehenen 
Herzen die Klappen nicht vascularisirt fand, dass die Anordnuug 
der Gefässe eine eigenartig schlingenförraige ist, und dass sie be¬ 
sonders die erkrankten Klappeustellen betreffen, während andere 
normale Abschnitte gleichzeitig nicht injicirt waren. So sah er ein¬ 
mal die Injection nur um eine kleine endocarditische Excrescenz der 
Pulmonalklappen zu Stande gekommen, ähnlich wie Köster mit¬ 
theilte (Virch. Arch. 72), dass er bei einem Iujeetionsversuch nur 
eine mit einer verrucösen Neubildung versehene Verdickung der 
Aortenklappen mit gefüllten Gefässen durchzogen fand. Köster 
nimmt aber an, dass in Folge des entzündlichen Processes die be¬ 
treffenden Gefässe besonders leicht durchgängig geworden seien, 
während die normal gleichfalls vorhandenen nur sehr schwer zu in¬ 
jiciren seien. Diese Auffassung kanu man auch v. Langer ent¬ 
gegenhalten, zumal seine Abbildungen eine so regelmässige und 
schöne und mit Ausnahme der Sehnenfäden so gut mit den Bildern 
von Coen übereinstimmende Vascularisirung erkennen lasseu, dass 
man sich des Eindrucks kaum erwehren kann, diese Gefässe müssten 
auch in der Norm vorhanden gewesen sein. Ribbert. 

C. Frankel (Berlin). Untersuchungen über den Keim¬ 
gehalt des Lanolins. Centralbl. f. Bacteriologie und Parasiten- 
kuude. Bd. I. No. 5. 1887. 

Burshinski (Petersburg) hatte die Frage aufgeworfen, „ob man 
sicher sein könne vor einer Uebertragung des Milzbrandgiftes durch 
Lanolin“. Wie bekannt, wird das Lanolin ans den Wollhaaren der 
Schafe gewonnen; und die Schafwolle vermittelt nicht gerade selten 
Milzbrandinfectionen. — C. Frä*nkel hat (schon vor dem Bekannt¬ 
werden der Burshinski'sehen Bedenken) das Lanolin durch Ver¬ 
mischen mit Nährgelatine und Ausgiessen derselben auf Platten auf 
seinen Keimgehalt geprüft und dasselbe stets völlig keimfrei ge¬ 
funden. Diese Keirafreiheit erklärt sich aus der Art der Herstellung 
des Lanolins, bei der des öfteren die Siedehitze des kochenden 
Wassers längere Zeit auf das Material einwirkt. Die Gefahr der 
etwaigen Uebertragung des Milzbrandgiftes oder anderer In- 
fectionserreger durch das Lanolin darf daher als ausgeschlossen 
angesehen werden. 

Th. Escherich. Ueber Darmbacterien im Allgemeinen 
und diejenigen der Säuglinge im Besonderen, sowie die 
Beziehungen der letzteren zur Aetiologie der Darm¬ 
erkrankungen. Centralbl. für Bacteriologie und Parasitenkunde. 
Bd. I. No. 24. 18fc7. 

Die Arbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit den Darm¬ 
bacterien des Säuglingsalters und kommt zu dem Facit, dass 
nur mit Zuhülfenahme der neuen bacteriologischen Methoden 
die Darmerkrankungen der Säuglinge, namentlich die sogen. 
Sommerdiarrhöe (Cholera infantum), welche höchst wahrscheinlich 
nur einen Sammelbegriff für verschiedene einzelne Krankheitsforrnen 
darstellt, ätiologisch zu erforschen sind. Mit blossen mikroskopischen 
Untersuchungen des Darminhaltes ist natürlich nichts Entscheiden- 


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IT. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


405 


des gethan. Sehr wichtig ist für derartige Forschungen die Kennt- 
niss der normalen Darm harterien des Säuglings. Escherieh 
hat hekanntlieh zwei scharf definirte Arten unterschieden (obli¬ 
gate Milchkothbacterien): erstens das Bacteriuin lactis 
aerogenes; dasselbe ist ein plumpes Kurzstäbchen, welches dieobereu 
Darmpartien bewohnt und den Milchzucker der Milch unter Bildung 
von Milchsäure und Entwickelung von Kohlensäure und Wasserstoff 
zerlegt (Darmmilchsäurebacillus). Weiter nach unten im Darme wird 
diese Spaltpilzart immer seltener und macht der zweiten Art, dem 
b-ucterium coli commune, Platz, schlanken Stäbchen, die in 
ihrer Meuge im Darme von oben nach unten continuirlich zunehmen 
und höchstwahrscheinlich auf Kosten eines in den Darmsecreten 
enthaltenen gährungsfahigen Körpers leben. Diese beideu („obli¬ 
gaten“) Arten gehören zur gesunden Verdauung des Säuglings. Es 
können im gesunden Säuglingsdarme auch noch andere („facul- 
tative“) Bacterien vorhanden sein. Gewöhnlich sind sie jedoch iu 
verschwindender Minorität da und auf das Rectum beschränkt. — 
Weiteren Untersuchungen muss die Isolirung der specifischeu patho¬ 
genen Bacterienarten des Säuglingsdarmes überlassen bleiben. 

G. Bordoni-Uffreduzzi. Ueber einen neueu pathoge¬ 
nen Mikrophyteu am Menschen und an den Thieren. Vor¬ 
läufige Mittheilung aus dem anatomisch-pathologischen Institut zu 
Turin. Centralbl. für Bacteriologie. Bd. 11. No. 2 u. 3. 1887. 

Aus den Mesenterialdrüsen und anderen Organen eines Sections- 
falles, der in seinen Erscheinungen den von den Autoren beschrie¬ 
benen Fällen von Inhalationsmilzbrand ähnelte, liess sich ein Mikro¬ 
organismus isoliren, den der Verfasser für die Ursache der in Frage 
stehenden Krankheit ansieht, und der sich für Hunde, Kaninchen, 
Meerschweinchen und weisse Mäuse als pathogen herausstellte, in¬ 
dem er bei diesen Thieren ein dem Milzbrand ähnliches pathologisches 
Bild erzeugte. Der neue, bisher unbekannte Organismus scheint sich 
den unter dem Namen „Proteus“ beschriebenen Organismen anzu¬ 
reihen; der Verfasser schlägt den Namen „Proteus hominis“ für 
denselben vor. Die ausführliche Publication der ganzen Angelegen¬ 
heit wird in Aussicht gestellt. Carl Günther. 

Innere Medicin. 

8 . 

G. Klemperer. Zur chemischen Diagnostik der Magen¬ 
krankheiten. (Aus der I. med. Klinik zu Berlin). Zeitschr. f. 
klin. Med., Bd. XIV. 

Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, durch exacte chemische 
Analyse den Werth der bereits vorhandenen verschiedenen Methoden 
zum Nachweis freier Salzsäure zu controliren, im Speciellen zu 
untersuchen: giebt das Cahn- und v. Mering’sche Verfahren 
freie Salzsäure an, wo die Farbenreactionen im Stich lassen? Vor¬ 
erst erhalten wir vom Verf. einige interessante Aufschlüsse über 
das Verhalten der Säureu und Salze im Magensaft; es wird darauf 
hingewiesen, dass in jedem Magensaft, der Salze organischer Säuren 
enthält, durch hinzutreteude Salzsäure organische Säuren freigemaclit 
werden, wobei natürlich ein Verlust an HCl eintritt. Es wird aber 
zugleich bewiesen, dass, da diese Salze, selbst bei Carcinoma ven- 
triculi. nur in kleinen Mengen vorhanden sind, ein Verschwinden 
von HCl auf diese Weise nur in geringem Maasse möglich ist. 

Alsdann wird der zwingende Beweis erbracht, dass weder das 
Titrationsverfahren, noch besonders die Cahn-v. Mering’sche 
Cinchoninmethode die freie Salzsäure anzeigen; bei der letzteren 
geht nicht bloss das Cinchoninchlorhydrat, sondern auch die an 
andere organische Basen, z. B. Leucin, Betain, Peptotoxin gebun¬ 
dene HCl in’s Chloroform über und imponirt so als freie Säure. 
Alle organischen Basen nun, die im Magensaft Vorkommen 
können (insbesondere Eiweisskörper. Ptomaine), haben eine grössere 
Affinität zur Salzsäure als das Methylviolett; es wird deshalb die 
Bläuung des Reagens nur dann eintreten, wenn die Salzsäure nicht 
durch derartige Basen in Beschlag genommen ist. Das Ausbleiben 
der Methylviolettreaction ist mithin ein Beweis, dass entweder gar 
keine Salzsäure vorhanden, oder die vorhandene an derartige 
Basen gebunden ist. 

Für die klinische Diagnostik ergiebt sich dem Verf. auf Grund 
zahlreicher Beobachtungen an Kranken, dass das Ausbleiben der 
Methylreaction. so sehr es die Diagnose „Carciuom“ zu unterstützen 
vermag, doch kein ausschlaggebendes Moment, namentlich gegenüber 
der motorischen Insnfficienz des Magens (mit und ohne Ectasie) und 
gewissen Formen chronischer Katarrhe ist. 

N. Reichmann. Experimentelle Untersuchungen über 
den Einfluss der bitteren Mittel auf die Function des ge¬ 
sunden und kranken Magens. Zeitschrift für klin. Medicin, 
Bd. XIV. 

Die Untersuchungen des Verfassers erstrecken sich nur auf den 
menschlichen Magen. Zur Prüfung wurden von Bittermitteln ver¬ 


wandt: Herb. Centaiiri, Fol. Trifol. fibr., Radix Gent., Lign. Quassiac 
und Herb. Absinthii. ln Form von kalten Infusen (12:200) wurden 
diese Mittel nüchtern vor oder während einer Probemahlzeit (Aqu. 
dest. und Eiweislösung) verabreicht. 

Es zeigte sich, dass nach Einführung dieser Medicamente, die 
sich alle gleich verhalten, die Secretionsthätigkeit des Magens ge¬ 
ringer ist als uach Genuss von Aqu. dest. Sowie aber das Mittel 
aus dem Magen eliminirt ist, wird der secretorisehe Apparat zu ge¬ 
steigerter Thätigkeit angeregt. Wurden Speisen und das Infus zu 
gleicher Zeit genossen, so war nicht bloss die secretorisehe, sondern 
auch die motorische Function des Organs beeinträchtigt. 

Für die praktische Anwendung der bitteren Mittel ergiebt sich 
hieraus der Grundsatz: dieselben dürfen nur in den Fällen ver¬ 
ordnet werden, in denen die Magensaftsecretion vermindert ist, 
und zwar müssen sie dann ungefähr eine halbe Stunde vor dem 
Essen eingenommen werden. 

N. Reichmann. Experimentelle Untersuchungen über 
den localen Einfluss des Chlornatrium auf die Magen- 
secretion. Archiv f. experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 
Bd. XXIV. 

Bei gleicher Versuchsanordnung, wie oben, zeigte sich, dass 
Na01 bei localer Einwirkung die Magensaftsecretion nicht nur nicht 
steigert, sondern sogar hemmt. Die Herabsetzung der Acidität des 
Magensaftes, wie sie stets bei NaCl-Einführung constatirt wurde, 
entsteht hauptsächlich durch die Transsudation aus den Gefassen 
der Schleimhaut, die durch Kochsalz angeregt wird: Das Trans¬ 
sudat aber ist alkalisch und neulralisirt die Salzsäure. 

L. Gluzinski. Ueber das Verhalten des Magensaftes 
in fieberhaften Krankheiten. (Medicinische Klinik des Prof. 
Korezynski, Krakau.) D. Arch. f. klin. Med., Bd. XLI. 

Welche Veränderung die Function des Magens während des 
Fiebers erleidet, und was der Grund dieser Dyspepsie sei, diese 
Fragen wurden vom Verf. an 15 fieberudeu Patienten zu entscheiden 
gesucht. Die Versuchsanordnuug war so, dass ','2 Stunde nach Dar¬ 
reichung eines Eiereiweisses der Mageninhalt aspirirt und geprüft 
wurde. Es ergab sich nun bei Typhus exanth., Pneumonie, Typhus 
abdom. das folgende Verhalten des Magensecretes: 

1. Während der ganzeu Dauer des Fiebers (mit Aus¬ 
nahme des Endstadiums des Typli. abdom.) enthielt der Magensaft 
keine HCl. 

2. Der Saft verdaute weder im Organismus noch ausserhalb 
desselben (enthielt kein Pepton). 

3. Nach Zusatz von HCl verdaute er künstlich ganz gut, was 
beweist, dass genügend Pepsin darin war. 

4. Mit dem Aufhören des Fiebers wurde ein verdauungsfähiges 
Secret geliefert. 

Bei chronisch fieberhaften Processen (Phthise, Pleuritis) wurde 
dagegen auch während des Fiebers ein normaler Magensaft gefunden. 
Es scheint also, dass unter gleichen Umständen das Verhalten des 
Magensaftes in fieberhaften Krankheiten nicht so sehr durch die 
erhöhte Temperatur, als durch die Art der Infection beeinflusst wird. 

Rosenheim. 

A. F. Rasmussen. Eine neue Theorie für das Ent¬ 
stehen des Ulcus chronicum ventriculi. (Hospitals-Tidende, 
Tredie Raekke, Bd. IV.) Nordisk Med. Arkiv, Bd. XIX. 

Verf. hat bei Obductionen gewöhnlich eine Einschnürung auf 
dem Magen gefunden, welche er Druck von aussen zuschreiben will 
und mit den Schnürfurchen auf der Leber parallelisirt. In einigen 
Fällen hat. Verf. eine solche Schnürfurche von der Leber aus sich 
quer über den Mageu fortpflanzen und auf das Colon desceudens 
übergehen sehen. Längs der eingekerbten Partie des Magens fand 
Rasmussen die Serosa verdickt, die Mucosa dagegen atrophirt. 
Verf. stellt die Hypothese auf, dass Druck auf den Magen in allen 
oder vielen Fällen den Grund zur Bildung des Ulcus ventriculi ab¬ 
geben könnte. Er stützt diese Hypothese auf die Beobachtung, 
dass die Narben nach Ulcus ventriculi sich oft symmetrisch auf der 
vorderen und hinteren Magenwand finden, und dass sie ihren Sitz 
meist bei der kleinen Curvatur und häufiger auf der hinteren als 
auf der vorderen Wand haben; Stellen, welche besonders dem 
Drucke ausgesetzt seien, während die Curvatura major beweg¬ 
licher sei. Buch (Willinaustrand, Finland). 

P. W. Burschinsky. Zur Frage von den Säureschwan¬ 
kungen während des Schlafes und im Wachen. Wratscb, 
1887, No. 47. 

An vollkommen gesunden Menschen hat Verf. in folgendar 
Weise experimentirt: Um 9 Uhr Morgens erhielten sie Thee mit 
Weissbrod. um 2 Uhr Mittags dann hartgekochtes Hühnereiweiss. 
Eine Stunde danach wurde ein genügender Theil des Mageninhalts 
aspirirt und die Säurebestimmung gemacht. Dann kam das Mittag- 


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406 

essen und uni 9 Uhr wieder Thee mit Weissbrod. Um 11 Uhr 
legten sie sich schlafen, wurden um 2 Uhr geweckt und erhielten 
wieder das gleiche Hühnereiweiss. Eine Stunde darauf wurden sie 
wieder geweckt und der Mageninhalt aspirirt. Zur Bestimmung der 
freien Säure benutzte Verf. das Günzburg’sche Reagens, eine Spi¬ 
ritusse Lösung von Floroglycin mit Vanillin, von dessen Zweck¬ 
mässigkeit er sich durch vielfache Versuche vorher überzeugt hatte. 
Seine Resultate sind folgende: 

1. Der Säuregehalt des Magensaftes ist in der Nacht geringer 
als am Tage. 

2. Die Abschwächung der sauren Reaction des Saftes geht 
parallel mit der Abschwächung der Reaction auf freie Salzsäure. 

3. Floroglyciu-Vanillin ist ein ungewöhnlich genaues Reagens 
auf die freie Salzsäure des Magensaftes. 

K. Dehio. Ein Fall von Ruminatio humana. St. Peters¬ 
burger med. Wochenschrift, 1888, No. 1. 

Ein 21 jähriger, blasser, magerer, hypochondrischer Apotbeker- 
gehülfe, der von gesunden Eltern stammt, hat im 12. Jahre Keuch¬ 
husten acquirirt, dessen Anfälle stets von Erbrechen gefolgt waren. 
Bis zum 16. Jahre hat er dann regelmässig nach jeder Mahlzeit 
ruminirt, ohne Ekelgefühl, Schmerz oder Uebelkeit, die Rumination 
begann Stunde nach der Mahlzeit und dauerte ‘/s Stunde lang. 
Die aufgestossenen Speisen schmeckten nicht sauer, die Milch war 
geronnen. Jetzt erfolgt nur noch gelegentlich Rumination, nach 
Mehlspeisen, nach Grützbrei. Der Chemismus der Verdauungs- 
thätigkeit ist vollkommen normal, die motorische Thätigkeit des 
Pylorus und der Cardia intact. Dehio kommt zu dem Schluss, 
dass die Ruminatio humana nicht, wie Poensgen und Oeser be¬ 
haupten, das Symptom einer Parese oder Atouie der Cardia ist, 
sondern als eine functionelle motorische Reflexneurose an¬ 
gesehen werden muss, die sich in den für das Erbrechen vorhan¬ 
denen Nervenbahnen und Nervencentren localisirt uud durch die 
Speiseaufnahme vom Magen aus hervorgerufen und ausgelöst wird, 
bei vollkommen normalen peptisehen und motorischen Functionen 
des Magens und der Cardia. M. Schmidt (Riga). 

XI. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die Desinfection in der Praxis. 

Wir haben fortlaufend die bis in die jüngste Zeit erschienenen Ar¬ 
beiten über Desinfection in den voraufgegangenen Nummern dieser Wochen¬ 
schrift gesammelt, um an der Hand derselben einen treuen Ausdruck dafür 
zu gewinnen, ob die von dem Königlichen Polizeipräsidium in Berlin unter 
dem 7. Februar 1887 erlassene Anweisung zum Desinfectionsverfahren bei 
Volkskrankheiten den heutigen Anschauungen der Wissenschaft entspricht 
und bezüglich der empfohlenen Desinfectionsmittel den gemachten Unter¬ 
suchungen und Erfahrungen möglichst gerecht geworden ist. Wenngleich 
für die bereits im August 1885 vom Polizeipräsidium begonnene Revision der 
bis dahin geltenden Desinfectionsanleitung unter der bewährten Hand des 
Geh. Rath Pistor sich vollzog und demgemäss alle Bürgschaften für die 
sachgeraässe und den Forderungen der fortschreitenden Wissenschaft ent¬ 
sprechende Ausführung bot, und auch nach Ausweis der einschlägigen Ar¬ 
beiten, wie zu erwarten, kein Gesichtspunkt in der Anweisung fehlt, der 
nicht mit den heute zu stellenden Fordeningen im Einklang steht, so sehen 
wir, dass trotz alledem eine Reihe von Aerzten noch immer anderen Grund¬ 
sätzen folgt. Dieser für die Praxis so überaus wichtigen Thatsache gegen¬ 
über halten wir es für geboten, einen Appell an die Collegen zu richten und j 
ihnen an's Herz zu legen, sich mit den auf die Ergebnisse unserer bewähr¬ 
testen und ersteu Forscher sich stützenden Vorschriften der Verordnung 
vom 7. Februar vor. Jahres nicht in Widerspruch zu setzen. Der Werth 
der einzelnen jetzt zur Desinfection empfohlenen Mittel ist von keinem Ge¬ 
ringeren als Koch und seinen .Schülern klargelegt, und mit scharfer Kritik 
das Brauchbare von dem Unbrauchbaren gesondert. 

Wir haben bereits früher einen Rückblick von dem auf die fort¬ 
schreitenden Untersuchungen und Erfahrungen sich stützenden Entwickelungs¬ 
gange der Pesinfectionslehre gegeben und recapituliren in Kürze, dass 
unter dom 15. August 1883 die nach eingehenden Beratl.ungen im Jahre 
1882 und 1883 festgestellte Anleitung zum Desinfectionsverfahren angesicht« 
der von Egypten her drohenden Cholera veröffentlicht wurde, obwohl . 
noch keine öffentlichen Anstalten zur Anwendung überhitzter Dämpfe vor¬ 
handen waren, uud man von betheiligter Seite sich sagte, dass weitere 
wissenschaftliche Untersuchungen vielleicht in wenigen Jahren eine Um¬ 
arbeitung der bezüglichen Vorschriften erforderlich machen würden. Im 
Laufe der folgenden Jahre stellte es sich je länger um so mehr heraus, dass 
die Forderungen der in Rede stehenden Anleitung zum Desinfectionsverfahren 
selbst in wohlhabenden Familien nur mit der grössten Aufmerksamkeit und 
Energie ausführbar seien, dass aber unter gewöhnlichen Lebensverhältnissen 
und gar in den Hütten der Armuth die Ausführung auf die grössten 
Schwierigkeiten stossen und beziehungsweise unmöglich werde. Dazu kamen 
die sich mehrenden Bedenken gegen die Verwendung des Sublimats zur Des- 
infection. Schon in der erwähnten ersten Arbeit „lieber Desinfection“ hatte 
Robert Koch darauf aufmerksam gemacht, dass Sublimat mit Rücksicht ' 
darauf, dass dasselbe mit Schwefelwasserstoff, Ammoniak und Eiweiss un- j 
lösliche Verbindungen eingehe, nur mit Vorsicht und in solcher Menge im j 
gegebenen Falle verwendet werden könne, dass eine zur Abtödtung der 


No.JJO 

j vorhandenen Mikroorganismen genügende Menge in Lösung bleibe; das 

j Sublimat eignet sich daher nicht für einen fortlaufenden Desinfectionsbedarf, 

1 welches häutige Wiederholung in der Anwendung des Desinfectionsmittcls 
erfordert, ln den von Koch und Gaffky gemeinschaftlich in dem ersteu 
Bande der Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte veröffentlichten 
„Versuchen über die Desinfection des Kiel- und Bilgeraumes der Schiffe“ 
werden die vorerwähnten Bedenken wieder hervorgehoben. Dass Sublimat 
die Tuberkelbacillen nicht unschädlich macht, hatten Schill und Fischer 
im zweiten Bande der Mittheilungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 
nachgewiesen. Die unter dem 14. Juli 1884 für Preussen erlassene An¬ 
weisung zur Vornahme der Desinfection bei Cholera empfahl neben der 
Verwendung des überhitzten Wasserdampfes lediglich Carbolsäure als Des- 
infectionsmittel; von Sublimat ist keine Rede mehr. 'Im Mai 1885 trat 
in Rom die internationale Conferenz zur Berathung von Maassregeln ge¬ 
gen die Verbreitung der Cholera zusammen und vereinbarte auch Grund- 
züge zu einem Desinfectionsverfahren, Welche sich in No. 30 dieser Wochen¬ 
schrift vom 23. Juli 1885 abgedruckt finden. Als einzige chemische Des- 
infectionsrnittel werden dort verschiedene Verdünnungen von Carbolsäure 
und Chlorkalk in verschiedenen Lösungen aufgeführt und unter No. 70 zur 
Benutzung bei allen epidemischen Krankheiten empfohlen, welche be¬ 
sonders auf schlechte Lebensbedingungen zurückzuführen sind. 

Die neueste Verordnung vom 7. Februar 1887 und die dazu unter dem¬ 
selben Tage ergangene Anweisung zur Ausführung der Desinfection macht 
die dort vorgeschriebenen Bestimmungen für eine Anzahl von Krankheiten 
(Diphtherie, Fleck-, Rückfalltyphus, Pocken, Cholera) verbindlich. Wie schon 
gesagt, sind die Einzelheiten der Anweisung, welche zwischen Polizeipräsidium 
und Gemeindebehörden vereinbart und von dem Herrn Medicinalminister 
genehmigt sind, wiederholt und von berufenster Seite (Robert Koch und 
seine Schüler) und, wie aus unserer Zusammenstellung der neuesten Arbeiten 
über Desinfection zur Evidenz hervorgeht, als einzig zeit- und zweckent¬ 
sprechend zu bezeichnen. So haben sich die unter § 13 der Anweisung zur 
Ausführung der Desinfection vorgeschriebenen Abreibungen tapezierter und 
gestrichener Wäende mittels Brod durch die Versuche von Esmarch als 
das sicherste Verfahren erwiesen, die Wände keimfrei zu machen. Sublimat 
und Chlor ist als Desinfectionsmittel gestrichen und lediglich sind als Des- 
infectionsraittel überhitzter Wasserdampf und Carbolsäure zugelassen. Die An¬ 
weisung zur Ausführung der Desinfection ist eine klare, eine kurze und gemein¬ 
verständliche und nicht minder erschöpfende. Alle Vorschriften derselben 
sind auch unter ärmlichen Verhältnissen im allgemeinen ausführbar. Theore¬ 
tische Auseinandersetzungen sind thunlichst vermieden worden. 

Dank der möglich gewordenen Vereinfachung des Desinfectionsverfahrens 
sind wir nunmehr in der Lage, in den weitesten Kreisen das Verständniss 
für diese, das öffentliche Wohl in einschneidendster Weise angehenden Maass¬ 
regeln zu wecken, und an den Aerzten liegt es, die Behörden im Interesse 
der öffentlichen Gesundheitspflege zu unterstützen, um die strikte Durch¬ 
führung zu fördern und zu sichern. Gleicherzeit wollen wir ‘auch an die im 
November 1886 in Berlin in der Reichenbergerstrasse eröffnete Desinfections- 
anstalt erinnern. Freilich beklagt auch der jüngst herausgekommene Magistrats¬ 
bericht, und gewiss mit Recht, dass diese so nothwendige Anstalt ihren Zweck 
nur in geringem Maas.se erfüllt, weil ihr das grosse Publikum nicht das 
nöthige Verständniss entgegenbringt. Auch hier liegt es den Aerzten als 
dringende Pflicht ob, Wandel zu schaffen und auf die Ansteckungsgefahr, 
welche alle mit dem Kranken in Berührung gekommenen Gegenstände in 
sich bergen, und auf die nothwendige Desinfection solcher Gegenstände 
hinzuweisen. S. G. 

XII. Therapeutische Mittheilungen. 

Die Technik snbentaner Injectionen. 

Von Dr. A. Günther, deutscher Curarzt in Montreux. 

Die nachfolgenden Zeileu sind zwkr ausser Stande, wesentlich Neues 
zu bringen; sie versuchen vielmehr nur, das Hauptgewicht bei dieser Mani¬ 
pulation auf eine Seite zu verschieben, die nach den Erfahrungen des 
Schreibers dieses einen sichereren Effect garantirt, als er bisher erreicht 
wurde. Es ist ganz auffällig, in welchem Missverhältnis dieser kleine chi¬ 
rurgische Eingriff steht im Vergleich zu grösseren chirurgischen Operationen, 
liier sind die primae intentiones an der Tagesordnung; die „reactionslose 
Zeit“ ist zur Regel geworden. Dort wimmelt es von Mittheilungen über 
Abscessbildungen, und in Folge dessen wird ein Mittel über das andere 
versucht. Ja man möchte beinahe glauben, dass die subcutane Injection 
überhaupt beherrscht wird von dem Renomm4 des Stoffes bezüglich seiner 
abscedirenden Fähigkeiten. Und in beiden Fällen, bei diesem kleinen Ein¬ 
griffe wie bei den grossen chirurgischen Operationen wird Antiseptik ge¬ 
trieben; doch nicht mit gleicher Genauigkeit. Es liegt in der Natur des 
Menschen, — auch der Arzt ist Mensch, — dass er geringfügigen Dingen 
nicht die Aufmerksamkeit schenkt wie solchen, die ihn voll beanspruchen. 
Diese falsche Auffassung rächt sich noch fortwährend bei den subentanen 
Injectionen. Der Chirurg, der eine Operation vorzunehroen im Begriffe 
steht, säubert aufs Minutiöseste das Operationsfeld mit Seife, Bürste, des- 
inficirendem Spülwasser, ehe er mit seinem steriliairten Messer schneidet. 
Bei einer subentanen Injection wird der Aermel umgestrippt und, wenn es 
hoch kommt, die — vorher desinficirte — Spritze mit dem Medicament 
unter die Haut geschoben. Abscedirt die Stelle, so ist das Mittel schuld. 
Und welcher von Beiden hätte es nöthiger, die Haut zu desinficireu, der 
Chirurg oder der Arzt mit seinem Pravaz? Jener nicht, denn er macht 
Schnitte, die einen Abfluss gewähren; er bespült so wie so nach voll¬ 
endeter Arbeit vor der Anlegung des Verbandes die Wunde, zu der er 
nach Belieben Zutritt hat. Die Spritze dagegen setzt einen minutiösen 
Stichcaual. Was die Spitze, wenn auch desinficirt, von Zersetzungs- 
pruducten auf der nicht desinficirteu Haut vorfiudet, wird durch den Vor- 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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17. Mai. 


gang des Stechens in den Stichcanal eingestülpt. Da sitzt es fest: ein 
Abfluss oder eine Möglichkeit, nachträglich zu desinficireu, ist ausgeschlossen, 
und das Natürlichste von der Welt ist, dass, wenn infectiöse Stoffe ein¬ 
gestülpt werden, auch eine Abscedirung eintritt. Die injicirte Flüssigkeit 
selbst, ihre Sterilität vorausgesetzt, kann nur insofern in Betracht kommen, 
als sie an und für sich entzündungshemmende Eigenschaften, oder mehr die 
Qualitäten eines günstigen Nährbodens für die eingeimpften Coccen besitzt. 
Natürlich leistet auch die physikalische Eigenschaft der eingebrachten Flüssig¬ 
keitsquantität, die Dilatation in Folge der Auseinandersperrung der Lymph 
bahnen, der Entwickelung der Entzündung günstigen Vorschub. 

Es soll durchaus nicht behauptet werden, dass eine verdorbene ln- 
jectionsflüssigkeit nicht im Stande sei, trotz minutiöser Reinlichkeit von 
sich aus selbstständig einen Abscess hervorzurufen. Man hat aber meines 
Erachtens genügend Werth darauf gelegt, haltbare Injectionsflüssigkeit zu 
führen; ebenso ist wiederholt die Mahnung, reine Instrumente zu ge¬ 
brauchen, gehört worden, trotzdem hat die Literatur über Abscessbildung 
nach subcutanen lnjectionen nicht abgenoramen. Es muss also noch ein 
Drittes im Bunde fehlen, um die Sicherheit der Reactionslosigkeit der 
offenen Wunde des Chirurgen auch heim Stichcanal zu erreichen. Dieses 
Dritte ist nach meinen Erfahrungen die vorherige Reinigung der 
Haut. Man wird mir die Schilderung der verschiedenen Infectionsstoffe, 
die in den Falten der Haut sitzen und sich mit den Zersetzungsproducton 
des Hauttalges mischen, gern ersparen. Eine kurze Ucberlegung lässt hier 
dem Zufall Thür und Thor offen, falls keine vorherige gründliche Reinigung 
getroffen wurde. Wenn es gestattet ist, die Principien, um ihre Augen¬ 
fälligkeit hervorzuheben, in einem kurzen Satze zusammenzufassen, so müsste 
er etwa lauten: .Je unzugänglicher die späterhin zu setzende Wunde, 
desto scrupulöser muss die ihr als Eingangsöffnung dienende Stelle 
vorher gereinigt werden.” 

Die Richtigkeit dieser Anschauungen, welche ja theoretisch populär 
sind, kann nur durch die praktische Erfahrung bewiesen werden. Ich habe 
in einer 15jährigen Praxis unzählige subcutane lnjectionen gemacht, man¬ 
chen Abscess gesehen. Das geschilderte Raisonnement hat mich im Laufe 
der Zeit dazu gebracht, nach den genannten Grundsätzen zu verfahren, und 
ich kann heute, nachdem ich ihnen seit einigen Jahren treu geblieben hin, 
ihre Richtigkeit durch den Mangel jeder schlimmen Erfahrung bestätigen. 
Ich will resumirend Vorgehen bezüglich meiner Erfahrungen. Die lnjections- 
behandlung der Syphilis an Stelle der Inunctionscur, sei es mit Calomel. 
Sublimat, Oxyden oder Peptonen, welche alle bezüglich ihrer Ahscesstüchtig- 
keit auf einer Stufe standen, habe ich zu Dunsten der alleinigen Sublimat - 
injectionen verlassen. Es stehen mir über 400 Sublimatinjectionen in die 
Glutäen bei Syphilitikern zur Verfügung, sämmtliche in die Muskeln, bei 
denen die ersten Tage der Behandlung keine üblen Erscheinungen auftraten. 
(Sublimat 1. Natr. chlor. 3, Aq. destill. 100: 2 volle Spritzen täglich.) 
Auch die viel verpönten Ualomelinjectionen, deren ich circa 50 gemacht habe 
(nach Neisser’scher Vorschrift), waren sämmtlich ohne Folgen. 

In neuerer Zeit hat das Antipyrin, subcutan verwendet, von der einen 
Seite Lob, von der anderen Tadel gefunden. Ich verwende dasselbe als 
Anästheticum in ausgiebigster Weise und fürchte mich nicht, bei uncompli- 
cirten Fracturen eine Spritze einer 30—50 u /oigen Lösung mitten in die 
Schwellung zu appliciren, um bei dem sofortigen Nachlass der Schmerzen den 
ersten Verband ohne die geringsten Spannungen anzulegen. Auch bei 
phthisischen Larynxgescbwüren, welche durch ihre Schmerzhaftigkeit Husten 
und Schlaflosigkeit verursachen, habe ich von Antipyriniujectionen ohne den 
geringsten Schaden den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Es sind mir im 
Laufe der letzten Jahre von mehreren Collegen, welche wegen der Begleit¬ 
erscheinungen hauptsächlich den Quecksilber - und Antipyrininjectionen 
feindlich gesinnt waren, Berichte über ihre Pauluswerdung zugekommen, 
seitdem sie der Desinfection der Haut die gehörige Aufmerksamkeit schenken. 
Die Stoße, die im Allgemeinen zur subcutanen Injection Verwendung finden, 
sind indifferenter Natur bezüglich Pyogenese, und wenn es erst zum Be¬ 
wusstsein gelangt ist, dass die Schuld an all der Casuistik von Abscessen 
meistens die Autoren selbst trifft, so wird sie rasch sich vermindern. Zum 
Schlüsse füge ich nur noch bei, wie ich die Desinfection vornehme. Ich 
bediene mich dabei der von Heyne in Charlottenburg hergestellten neu¬ 
tralen, centrifugirten Sublimatseife, mit welcher ich die zur Injection be¬ 
stimmte Hautstelle tüchtig einseife und mit einer gewöhnlichen Nagelbürste 
oder einem rauhen Lappen, die überall zu haben sind, bis zu reichlicher 
Schaumbildung bürste und reibe. Eine Abspülung mit reinem Wasser ge¬ 
nügt darauf, allerdings ist eine 1 %o Sublimatlösuug noch zweckmässiger. 

Wenn cs mir hiermit gelungen sein sollte, die Aufmerksamkeit auf 
diese Seite der Technik bei subcutanen lnjectionen zu leiten, so glaube ich, 
werden einestheils die üblen Folgeerscheinungen rasch in’s Abnehmen 
kommen, andererseits wird es aber auch leichter sein, zu einer reineren Be- 
urtheilung der verwendeten Stoffe bezüglich ihrer specifischen Wirkungen 
zu gelangen; denn es ist klar, dass bei der Vergesellschaftung mit einem 
Entzündungsreiz, bei welch’ letzteren unter allen Umständen die Resorption 
gestört ist, leicht Täuschungen in der Beurtheilung unterlaufen können. 


Das Hyoscin. 

l'ebcr die Wirkung des Hyoscins hat Dr. Buddee an Patienten der 
inneren Abtheilung des Krankenhauses „Friedrichshain“, unter Leitung von 
Fürbringer, kürzlich Beobachtungen angestellt, die er in seiner Dissertation 
(Zur Würdigung der Wirkungsweise des Hyoscins am Krankenbette. Ber¬ 
lin 1888) veröffentlicht. Die erhaltenen Resultate stirameu ira wesentlichen 
mit denjenigen Erb’s überein. 

Das Hyoscin wirkt nach Buddee stärker als das Hyoscyarain. Bei den 
Versuchen Buddee’s wurde Hyoscinum jodicum subcutan in Lösungen von 
1:1000 Wasser angewendet. Bei Erwachsenen wurde mit 0,2 rag, bei Kin¬ 
dern mit 0,1 mg oder noch weniger begonnen. Als Resultat ergab sich 
folgendes: Das Mittel war ohne jede direkte Wirkung gegen Muskelspasmen, 


gegen die Bewegungen bei Chorea minor und Athetose und gegen Keuch¬ 
husten, die hypnotische Wirkung in Fällen von Tabes war auch nur gering. 
Theilweise Erfolge wurden erzielt bei den Nachtschweissen dor Phthisiker und 
bei Bleikolik, die Wirkung auf Schweiss- und Spcichelsecretion ist ebenso 
schwankend wie bei Atropin. Am promptesten wirkte das Hyoscin auf das 
Zittern bei Paralysis agitans, Tremor senilis und alkoholicus. In diesen 
Fällen wirkte Hyoscin auch günstig auf den Schlaf der Patienten, öfters in 
Fällen, wo alle anderen Hypnotica ganz im Stich Hessen oder nur theilweisen 
Erfolg hatten. Dio Wirkung auf das Zittern ist jedoch nicht nachhaltig. 
Eine Hauptwirkung des Hyoscins ist Müdigkeit, die constant. beobachtet 
wurde, an Nebenwirkungen sah Buddee Flimmern vor den Augen,Schwindel, 
Trockenheit im Munde und Hals, Durst, Pupillenerweiterung und Delirien. 
Bei einer Erwachsenen wurden bereits nach 0,2 mg Hyoscin unangenehme 
Nebenerscheinungen bemerkt, während bei einigen Kindern diese Dosis ohne 
dieselben vertragen wurde. Die grösste, einem Erwachsenen verabfolgte 
Dosis betrug 0,7 mg, sie führte zu ganz bedenklichen Nebenerscheinungen. 
Wird Hyosciu längere Zeit gegeben, so tritt Gewöhnung an das Mittel ein, 
und die Dosen müssen, um die gleiche Wirkung wie vordem hervorzubringeu, 
gesteigert werden. 

Xm Preussischer Medicinalbeamten-Verein. 

Die VI. Hauptversammlung des Preussischen Medicinalbeamtenvereins 
, wird am 26. und 27. September in Berlin tagen. An Vorträgen sind bis 
, jetzt angemeldet um! für dio diesjährige Tagesordnung angenommen: Die 
Erwerbsunfähigkeit mit Rücksicht auf die jetzige Unfallsgesetzgebung. Herr 
Bezirksphysikus Dr. Becker in Berliu. — Der Entwickelungsgaug im 
! preussischen Medicinalwesen. — Apothekenwesen und Apothekeugesetz- 
gebung. Herr Regierungs- und Medicinalrath Dr. Wcrnich in (’öslin. — 
Die Constatirung ansteckender Krankheiten mit Bezug auf die §§ 9 und 10 
; des Regulativs vom 8. August 1835. Herr Regierungs- und Medicinalrath 
' Dr. Peters in Bromberg. — Ucber einige den Mediciualbeamteu abzu- 
1 nehmende Geschäfte. Herr Kreisphysikus Professor Dr. Falk in Berlin. 

— Bemerkungen über die Lage der fremden Erntearbeiter (Schnitter) in 
| einzelnen Theilcn der Provinzen Brandenburg und Schlesien. Herr Kreis- 
I physikus Dr. Schmidt in Steinau a. 0. — Ucber einzelne Bestimmungen 
j des Gesetzes vom 9. März 1872, betreffend die Gebühren der Modicinal- 
beamten. Herr Kreisphysikus Sanitätsrath Dr. Wallichs in Altona. — 

. Zur Besichtigung sind in Aussicht, genommen: Die Königl. Strafanstalt in 
Plötzensee und das modico-tcchnische Institut in Berlin. Anderweitige Vor- 
i träge oder Discussionsgegenstände, sowie etwaige die diesjährige Versamm¬ 
lung betreffende Wünsche bittet der Vorstand bei dem Schriftführer des 
Vereins, Herrn Regierungs- und Medicinalrath Dr. 0. Rapmund in Aurich, 
bis spätestens zum 15. Juni anzumelden. 


XTV. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Von den Auszeichnungen, welche anlässlich der Thron- 
! besteigung Kaiser Friedrichs verliehen worden sind, sind ausser den von 
uns bereits in der vorigen Nummer mitgetheilteu u. a. noch folgende zu 
verzeichnen: Der Unterstaatssecretär im Ministerium der geistlichen, Unter¬ 
richts- und Medicinalangelegenheiten, Wirk!. Geh. Rath Dr. Lucanus ist 
in den Adelstand erhoben, dem Vortragenden Rath in demselben Ministerium, 
j Geh. Reg.-Rath Dr. Althoff der Charakter als Geh. Ober-Reg.-Rath ver- 

■ liehen. Dem Direktor des Kaiserl. Gesundheitsamtes Geh. Reg.-Rath Dr. 
j Köhler ist der Kronenorden II. OL, dem Mitglied desselben Amtes Reg.- 
I Rath Dr. Seil der Charakter als Geh. Reg.-Rath verliehen. Der Verwaltungs- 
j direktor des Cbaritekrankenhauses Geh. Reg.-Rath Dr. Spinola erhielt den 
1 Charakter als Geh. Ober-Reg.-Ratb. Von Reg.-Medicinalräthen wurden dem 
| Geh. Med.-Rath Dr. Kanzow in Potsdam und Dr. Nath in Königsberg 

Ordensauszeichnungon, Dr. Weiss in Düsseldorf der Charakter als Geh. 

; Med.-Rath zu Theil. Der Leibarzt des Kaisers, Gen.-Arzt Dr. Weg euer 
• wurde in den Adelstand erhoben. Von Vertretern der Universitäten erhielten 
! die Geh. Med.-Räthe Prof. Dr. Fritsch in Breslau, Prof. Dr. Hermann in 

■ Königsberg, Prof. Dr. Mannkopf in Marburg Ordensauszeichnungen. Dem 
| Vorsitzenden des Deutschen Aerztevereinsbundes San.-Rath Dr. Graf in 

Elberfeld wurde der Charakter als Geh. San.-Rath verliehen. 

— Prof. Dr. Virchow ist von seiner egyptischen Reise zurückgekehrt 
i und hat seine Vorlesungen in vollem Umfange wieder aufgenommen. 

— Der Geh. Sanitätsrath Dr. Paul Gumbinner feierte am 16. Mai 
I sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum. Wir behalten uns vor, über die Ova- 
I tioneu, welche dem verdienten und hochangesehenen Arzte dargebracht 
j wurden, noch näher zu berichten. 

— Der Acrzteverein des Reg.-Bez. Potsdam hält am 27. Mai 
I in Berlin seine V. Hauptversammlung ab. Neben internen Vereinsauge- 
. legenheiteu kommen die Vorlagen für den nächsten Aerztetagzur Besprechung 
und wird Bericht über die Aerztekammer der Provinz Brandenburg erstattet. 

1 — Der Verband der deutschen Berufsgeuossenschaften 

wird einem auf dem letzten Berufsgenossenschaftstage gefassten Beschluss 
i zufolge demnächst mit dem deutschen Aerztetage Verhandlungen über eine 
i sach gemässore Form der ärztlichen Gutachten betreffs dor durch 
Unfälle hervorgerufenen Verletzungen einleiten. In berufsgenossensrhaft- 
liehen Kreisen überwiegt die Ansicht, dass der Arzt sich darauf zu be¬ 
schränken habe, lediglich den körperlichen Befund festzustellen, die Beant¬ 
wortung der Frage nach dem Grade der in Folge des Unfalls eingetretencu 
Erwerbsunfähigkeit aber, die bisher häufig ärztlicherseits in dem Gutachten 
mit vorgenommen wird, lediglich den Organen der Benifsgenossenschaften zu 
überlassen habe- 

— Königsberg. Durch die Berufung Lichtheim’s aus Bern an 
Naunyn’s Stelle ist die Vacanz der inneren Klinik auf das Beste wieder 
besetzt worden, nur kann Lichtheim der späten Ernennung wegen erst 
zum Wintersemester seine Stelle antreten. Die beiden Lücken, die binnen 


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DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 20 


Jahre-fri»» in d»r Chirurgie hen un«l inneren Klinik. al-o in den ■ öhtig-ten 
Färbern, entstanden waren. sind durch Mikulicz. und Lieht he im in er- 
frenlnhster Weis»- »j^der ausgefüllt norden. Die Pas-uf’ät hat Giü-k ge 
habt, D'-n klini*ehen Fächern eröffnet -ich aber auch hi-r ein .v» großer 
VVirkiinjrskreis in Madt und Fr»«in/, und über sie hinaus, da«» '/ross..- ,\n- 
• firü' he an ihre Vertreter dur'hau« g*-re--htf«-rtigt sind. Oh .-in glei-he» 
Glu«k der hiesigen phil«»v>phiv h«-n Faouliät hei ihren Berufung«»» für ihre, 
an« h zum 'I heil für nie Medi«:in wichtigen .Stell*-« gelä« heit hat, muss die 
Zuk»j»ft lehren. — Unser Vereinslehen ist -ehr rege. Den mediciniseh- 
naturwi-seris« haftliehen Aufgaben dient von Alters her d»r Verein für 
P h y siologi «ehe Heilkunde und die p h rsikal isch-ökonomische 
Ocscllftchaft, neuerdings auch die geographische Gesellschaft und 
die hiologisehe, letztere eine »Schöpfung Hermann’-. die -ich ganz gut 
bewährt hat. Doch ruht die l,a»t der Arbeit in all' diesen Vereinen auf we¬ 
nigen und meist auf denselben .Schultern, da einzelne Fachvertreter, besonder» 
der Naturwissenschaften, ausserhalb ihrer Auditorien kaum je zu hören sind. 

— Bonn. Arn Dienstag, den 15. Mai, fand in Bonn die 53. ordent¬ 
liche Generalversammlung des Vereins der Aerzte des Reg.-Bez. Köln 
statt. Neben internen Vereinsangelegenheiten stand auf der Tagesordnung 
ein Antrag an die Aer/.tekammer, die Interessen der praktischen Aerzte in 
Bezug auf die Verordnung vom 19. Januar d. J. über Aufnahme von 
Geisteskranken in Privatirrenanstalten zu wahren ‘Ref.: Herr Oebeke). 
Ferner hielten Vorträge die Herren: Geh. Rath Doutrelepont: (Jeher 
Behandlung der .Syphilis mit Calomelinjectionen. Prof. Finkler: Ueber die 
Behandlung eitriger Erkrankungen der Respirationsorgane. Prof. Rumpf: 
(Jeher da» Phenacetin. 

— Giessen. Der von uns in der vorigen Nummer gebrachten Mit- 
thcilung mit Bezug auf die Errichtung eines Lehrstuhles für Hygiene 
haben wir ergänzend hinzuzufügen, dass ausser dem von uns genannten 
Dr. Löffler noch ferner in Vorschlag gebracht sind: Reg.-Rath Renk 
(Berlin) und die Professoren Gr über (Wien) und Lehmann (Würzburg). i 
Jena. Wie in früheren Jahren, werden auch in diesem Jahre die 
stets von einer grossen Zahl von Aerztcn frequentirten Forthihluugseur.se au 
der Universität Jena während der grossen Ferien abgehalten weiden. Bczüg- 
lich <les Näheren verweisen wir auf das Inserat in dieser Nummer. 

— Prag. Am 29. April starb /.u Prag Dr. Herrn. Haas, Doccnt au 
der Prager Deutschen Universität und Primärarzt des Spitals der Bann¬ 
herzigen Brüder im 42. Lebensjahre an Flecktyphus, den er sich in seinem 
eigenen Spitale zugozogon hatte. Durch eine Reihe wissenschaftlicher Publi- 
cHtioncn, hauptsächlich aus dem Gebiete der inneren Medicin, hat er sich 
unter seinen Benifsgonos.se» einen Namen gemacht. Seine VcröfTentlichungen 
waren ein musterhaftes Beispiel von Krankenhaiisheobachtungen. 

— Christiania Professor .1. IIeiberg, der angesehenste Augenarzt 
Norwegens, ist im Alfer von 43 Jahren zu Christiania gestorben. Nach Be¬ 
endigung seiner medieinischen Studien ging er im Jahre 1870 bei Ausbruch 
de» deutsch-französischen Krieges auf Staatskosten nach Berlin, machte den 
ganzen Feldzug als freiwilliger Ar/t mit und studirte später wieder Anatomie 
in Berlin. 

— London. Die „Croonian Lccture“ der Royal Society in London wird 
in diesem Jahre von Dr. Kühne, Professor der physiologischen Chemie in 
Heidelberg, am 28. Mai im Auditorium der .Royal Institution“, Albemarlestrect, 
gehalten werden. Professor Kühne wird in deutscher Sprache über „Die 
Entstehung der vitalen Bewegung“ Vortrag halten. 

— Italien. Vom 1. bis 3. September 1888 wird die Italienische 
(icscllschaft für Hygiene ihren zweiten Congrcss, und zwar in 
Brescia, ahhaltcn. Mit dem Congrcss wird eine allgemeine italie¬ 
nische hygienische Ausstellung verbunden sein. Dieselbe währt 
vom I. bis 10. September und umfasst Zeichnungen und statistische Pläne 
hygienischer Natur, Apparate und Instrumente, die sich auf Hygiene und j 
verwandte Gebiete beziehen, endlich chemische und pharmazeutische Pro- 
duete, soweit sie mit der Hygiene in Beziehung stehen. — Das Ministerium 
des Innern beabsichtigt die Einrichtung einer Pensionskassc für Com- 
miinalärzto und deren Familien. Ein Fragebogen wird gegenwärtig von 
den in Betracht kommenden Aerztcn ausgofüllt; derselbe soll dem Ministerium 
als Grundlage dienon für die dem Parlamente in der Angelegenheit zu machende 
Vortage. - Seit dem Jahre 1876, in welchem die erste Leichenverbren- 
ii iing in Italion, und zwar in Muiland stattfand, sind bis zum Schlüsse des 
Jahres 1887 im Ganzen 952 Lcichonvcrbrcunungen im gesummten König¬ 
reiche vorgeiiominon worden. Dieso vortheilen si’h auf 17 Städte: auf 
Mailand kommen 518, auf Rom 155. Im Jahre 1887 sind im Ganzen 
1 <55 Leichenverbronnungen in Italion zur Ausführung gekommen gegen 181 
im Jahre 1886. Im laufenden Jahre sollen in Turin, San. Rerao, Ve¬ 
rona, Bolognu, Pavia und zwoi oder droi weiteren Städten Verhreunuugs- - 
Öfen errichtet werden. Neapel besitzt seit 1883 ein Loichenverbronnungs- j 
eoinite, hat es aber bis zu eiuein Ofen noch uicht gebracht. (Riforma I 
uiodiru). 

— Zur medieinischen Publicistik. Ein neues modicinisches 
Journal „Revue specialo de 1 ’ant iscp sie mödicalo ot chirurgicale“ 
unter Leitung von I)r. Dobacker in Roubaix erscheint von jetzt an monatlich. 

— In dom bekannten Nordsee bade Sy lt sind für die Bequemlichkeit 
der GiLsto inannichfache Verbesserungen eingerichtet worden. Die Ver¬ 
bindung mit dom Festlunde ist erleichtert, auch die Verkehrsmittel auf der 


-phäre zubring», -oll man v-*r I.uiigeiiaffeetionen geschützt -ein. und der Fort¬ 
schritt der Phthi-e »oll dadurch gehemmt werden. Sieben Personen, welche 
der arnt-nkani-« he Doctor die-er wohlriechenden Behandlung unterwarf, haben 
ihre Gesundheit ziemlich rav h wi-dererlangt. obwohl ihnen jeder vorher die 
allerv blechte-te Pnv/no-e ge-teilt hätte. Zur Stütze seiner Behauptung 
citirt Ungerer «lie Stadt <»ras.se in Südfrankreich, diesen Blumengarten 
Europa-, wo die Schwind-ucht sehr selten ist. Diese fast völlige Immunität 
i-t nach ihm »len wohlriechenden Dämpfen zuzuschreiben, die den zahl- 
reichen Fabriken ätherischer Oele entströmen. Wie auch immer der wirk¬ 
liche Werth der Behandlungsmethode des amerikanischen Professors be¬ 
schaffen sein mag. mau muss zugeben, dass sie nicht ohne Reiz und jeden¬ 
falls »lie angenehmste ist, die einem geboten werden kann. 

— Cholera. Nach einer aus Singapore eingegangeneu Nachricht 
vom 24. April war daselbst seit einigen Tagen die Cholera epidemisch 
aufgetreten. Die Zahl der Erkrankungsfälle betrug täglich etwa 35. Die 
Reichsregierung hat dieser Thatsache bereits ihre besondere Aufmerksam¬ 
keit geschenkt und sofort Vorkehrungen getroffen, um Gefahren der Ein¬ 
schleppung durch den .Schifffahrtsverkehr vorzubeugen. 

— Meningitis cerebrospinalis. Während des Monats Februar 
wüthete in der 12 00C Einwohner zählenden Stadt Nikosia auf Oypern 
eine heftige Epidemie von Meningitis cerebrospinalis. Besonders ist die 
arbeitende Classe davon betroffen worden: meistens erkraukten Kinder uud 
junge Leute, selten Personen über 30 Jahre. 

— Typhus. Im Januar und Februar des Jahres ist Liegnitz von 
einer heftigen Typhusepidemie heimgesucht gewesen. Zwischen dem 10. 
und 13. Januar suchten über 200 Erkrankte ärztliche Hülfe nach, vom 
1. Januar bis 4. Februar wurden bei der Polizeiverwaltung 986 Fälle, davon 
59 mit tödtlichem Ausgang gemeldet, in das Garnisonlazaretli waren bis 
zum 4. Februar 63 erkrankte Soldaten aufgenommen und davon zwei ge¬ 
storben. Vom 4 Februar an nahm die Zahl der Erkrankungen stetig ab. 
In Berücksichtigung der Thatsache, dass der Unterleibstyphus in der Stadt 
Liegnitz alljährlich vorkommt, hat die Sanitätscommission folgende Maass¬ 
regeln empfohlen, die zur Verbesserung der Gesundheitsverhältnissc der 
Stadt seitens der städtischen Behörden bereits in Aussicht genommen sind: 
1) Zuleitung von gutem, unverdächtigem Trinkwasser aus einem ca. 17 kin 
entfernten Quellengebiet; 2) Einrichtung eines Schwemmcanalsystems; 

3) Regulirung des in die Katzbach einströmenden, starken Verunreinigungen 
ausgesetzten Schwarzwassers. (Veröff. d. K. Ges.-A.) 

— Universitäten. St. Petersburg. Der Priv.-Doc. Dr. E. l’aw- 
low ist zum a. o. Professor der operativen Chirurgie au der militärmcdi- 
cinischeu Akademie gewählt worden. — In Clermont-Ferrand starb 
Dr. Bourgade de la Dardye, Professor an der Eeole de medecine, 68 Jahre 
alt. — In New-York starb Cornelius Rea Agnew, Professor der Ophthal¬ 
mologie und Otologie. _ 

XV. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allerguädigst 
geruht, dem Gcu.-Arzt II. CI. und Regim.-Arzt des Regiments der Gardes- 
Corps Dr. Kuhu zu Potsdam den Rothen Adler-Orden 11. CI. mit Eichen¬ 
laub, sowie den Aerztcn Dr. Lax in Hildesheim, Dr. Zimmler in Sarstädt. 
Dr. Schlichthorst in Lüchow, Dr. Holzapfel in Oldendorf, Dr. Sainel- 
soii in Cöln den Charakter als Sanitäts-Rath zu verleihen, sowie dem 
Stabsarzt im 7. Thüring. Infant.-Reg. No. 96 Dr. Brodführer zu Rudol¬ 
stadt zur Anlegung des ihm verliehenen Fürstl. Waldeck’schen Militär- 
Verdienstkreuzes III. CI. die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen. 

Eruennungen: Der seitherige Kreis-Wundarzt des Kreises Labian, 
Dr. Herr mann in Mehlankcn ist zum Kreis-Physikus des Kreises Neideu- 
burg, und der seitherige Kreis-Wundarzt des Kreises Görlitz Dr. Mey- 
höfer in Görlitz zum Kreis-Physikus dieses Kreises ernannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. v. Mach in Friedland O./Pr., 
Dr. Kalmus in Liebstadt, Goldstein iu Neidenburg, Hahn in Marien¬ 
burg, Ass.-A. Dr. Grüning in Kulm, Dr. Aye, Dr. Schweitzer, 
Dr. Joachimsthal, Zepler und Dr. Nagel in Berlin, Dr. Katz iu 
Scharley, l)r. Planer in Erfurt, Dr. Rechtmann in Cöln, Ass.-Arzt 
Dr. Heins in Trier. 

Die Zahnärzte: Dr. v. Tempski in Berlin und Noack iu Cöln. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Steine rt von Kortan nach Halle a. S., 
I)r. Dietrich von Frauenburg nach Elbing, Dr. Thiel von Berlin nach 
Marienburg, Dr. Joachim von Tennstädt nach Berlin, Dr. A. Strass- 
mann von Berlin nach Tegel, Dr. Wiedoburg von Erfurt, Dr. Spriuge 
von Wittingen nach Hannover, Dr. Stoll von Marburg nach Glodenbach, 
Dr. Pietz er von Bonn nach Bremen, Dr. Brandenburg von Giessen 
nach Trier. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Geh. Med.-Rath I)r. Gocden in 
Stettin, Gen.-Arzt a. D. Dr. Pfrenger in Berlin, Sau.-Rath Dr. Ganze) 
in Perleberg, Dr. Br. Heer in Beuthen Ü./Schl., Kr.-Wundarzt Dr. Plicu 
in Süchteln. 

Vacante Stellen: Die Physikate der Kreise Schmiegel, Schildberg 
und Neutomischel, die Kreis-Wundarztstellen der Kreise Recklinghausen 
und Labian. 


Insel sind vermehrt worden. Das Warinbadohaus ist den Ansprüchen der 
Neuzeit entsprechend hergeriehtet, neue Wohnhäuser, Pensionen etc. er¬ 
baut. so dass zu den natürlichen Vorzügen des Aufenthalts auch äusserer 
Comfort und Bequemlichkeit sich hinzugescllcn. 

— Nach Prof. W. I*. Ungerer (Medical Science uews) üben die- Parfüms 
einen heilsamen Einfluss auf den menschlichen Organismus aus, wie aus 
einer Reihe von ihm «»gestellter Experimente klar hervorgeht. Die Parfüms 
uud die Blumen, von denen sie herstammen, bilden oin therapeutisches 
Apen» ersten Ranges, und wenn man sein Lehen in einer parfümirten Atmo- 


2. Bayern. 

(Münch, med. Wochensohr.) 

Ernennung: Der prakt. und Knappschaftsarzt l)r. A. Burkhurt iu 
Uuterpeissenberg zum Bez.-A. I. CI. in Schongan. 

Versetzung: Der K. Bez.-A. I. CI. Dr. F. Hermann in Aichaeh 
in gleicher Eigenschaft nach Landshut. 

Verzogen: Dr. Butz von Obergünzburg nach Isen. 

Gestorben: Dr. M. Schneider, K. Hofr., Badearzt in Reicheuhall. 
Dr. J. Engel mann, K. Hofr., Direktor der Kr.-Irren-Anst zu Bayreuth. 


Gedruckt bei Julius Sitteufeld ln Berlin W. 


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Donnerstag JW 21 . 24. Mai 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanit&ts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Die pathogenen Bedingungen der Albu¬ 
minurie. 

(Neue klinische: und experimentelle Studien.) 

Von Prof. M. Semmplu. 

Die Bedingungen, welche geeignet sind, den Ucbergaug des Ei- 
weisses in den Harn zu bewirken, liefern den Grundbegriff, um 
«len mechanischen Vorgang dieser Erscheinung bei den verschiede¬ 
nen Krankheiten zu erklären, bei deueu die Albuminurie in natura 
sieb zeigt. Dieser Gegenstand hat folglich die Aerzte vielfach be¬ 
schäftigt. Aber obgleich die mediciuische Literatur eine grosse An¬ 
zahl mehr oder weniger experimenteller Forschungen hierüber auf¬ 
weist, so siud die Ergebnisse nichtsdestoweniger nicht sehr befriedigend, 
weil, wie ich schon oft Gelegenheit hatte zu bemerken, vorgefasste 
Meinungen das Vorgehen der verschiedenen Forscher beherrscht 
haben. Und um eine genaue Erklärung der verschiedenen Formen 
der Albuminurie noch schwieriger zu machen, ist vor einer Reihe 
vou Jahren der Begriff der sogenannten physiologischen Albu¬ 
minurie aufgetaucht, die man als mehr oder weniger dauerhaft 
aunahm, und deren Mechanismus man trotz der verschiedenen auf- 
gestellten Theorien noch als duukel bezeichnen muss. 

Obwohl ich der erste geweseu bin, der diese Art von Albuminurie 
iui Jahre 1875 beobachtet hat, 1 ) war ich doch immer, aus physiologi¬ 
schen Gründen natürlich, der Meinung, dass es an und für sich ungenau 
sei, zu behaupten, es gebe eine physiologische Albuminurie. Man köunte 
diese Begriffsbestimmung höchstens in dem Sinne auffasseu, dass 
alle Fälle sogenannter physiologischer Albuminurie an Individueu 
Beobachtet werden, bei deuen man einen wirklichen Krankheitszu- 
stand im wahren Sinne des Wortes nicht uachweisen kann, weil 
die Betreffenden thatsächlich ausser Bett sind, herumgeheu, essen 
und trinken u. s. w. wie andere gesunde Leute. Ich habe seit 
dem oben angegebenen Zeitpunkte bis heute Hunderte verzeichnet, 
und nicht wenige Fälle habe ich näher verfolgen können, die mir seit 
mehreren Jahren die Erscheinung beständiger oder intermittirender 
Albuminurie boten, ohne dass ihre Gesundheit sich merklich ge¬ 
stört gezeigt hätte. Aber nichtsdestoweniger wäre es absurd, diese 
Albuminurieen als physiologische zu bezeichnen, d. h. es wäre 
thöricht, wollte man nicht erkennen, dass bei diesen Personen wirk¬ 
lich eine kleine Störung im Getriebe des Organismus besteht, 
welche dauernde oder vorübergehende Störung in der That die 
Ursache der Albuminurie ist, und daher kann es nicht gestattet 
sein, von wirklicher physiologischer Albuminurie zu sprechen. 

Mag es sich nun um eine gesteigerte Muskelthätigkeit handeln 
oder um eine zu eiweissreiche Diät etc., es unterliegt keinem 
Zweifel, dass iu allen Fällen vou Albuminurie, die man physiolo¬ 
gische nennt, ein krankhafter Zustand bestehen muss, welcher die 
functioneile Störung der Niere hervorruft, und den man folglich 
nicht als einen normalen Zustand betrachten kann. Ich habe 
immer geglaubt, wobei ich mich auf die Grundlehren der Physio¬ 
logie stützte, dass das Albumen kein Stoff sei, der dazu bestimmt 
ist, bei dem normalen Zustand der Lebensfunctionen aus dem leben¬ 
den Organismus auszutreten, und alle meine Forschungen über 
diesen Gegenstand seit 35 Jahren haben mich in dieser Anschauung 
bestärkt. Irn Allgemeinen verhält es sich mit der Gegenwart von 
Eiweiss im Urin (ausgenommen die nephrogene Albuminurie) 

*) S. Sitzungsbericht des Cougresses zu Brussel (1875) und Charcot: 
.Devons sur les conditious pathogeniques de ralbuminurie“. — Paris 1875. 


ebenso wie mit der Gegenwart von Zucker. Eiweiss und Zucker 
cireuliren im normalen Zustande beide im Blute und sind bestimmt, 
die Functionen und die Orgauc in ihrem Zustaude zu erhalten, ob¬ 
wohl der Mechanismus dabei und der Zweck ein verschiedener ist. 
Eben deshalb ist bei einem wahrhaft normalen und typischen Zu¬ 
stand der Lebensöconomie der Zucker und das Eiweiss nieht dazu 
bestimmt, ausgeschieden zu werden, weil ihre Verrichtung ganz und 
gar eine innerorganische ist; dies scheinen mir unbestreitbare phy¬ 
siologische Wahrheiten. Sobald aber Menge und Beschaffenheit 
dieser zwei circulirenden Körper dieselben zur Aufrechthaltung ihrer 
physiologischen Aufgabe ungeeiguet machen, werdeu sic alsbald 
als fremdartige und für den mechanischen Vorgang der Ernährung 
ungeeignete Substanzen ausgeschieden. Diesen fundamentalen 
Process beobachtet man alle Tage bei eiuer grossen Anzahl vou 
Krankheiten, welche das physiologische Gleichgewicht zwischen Ein¬ 
nahme und Verbrauch dieser von der Alimeutation herrührenden 
Substanzen stören, und ich kanu mich noch nicht überzeugen, wie 
ein so einfacher und von der täglichen Beobachtung so genau con- 
trollirter Vorgang so oft von allen denen vergessen wurde, die, sich 
mit diesem Gegenstände und vor allem mit der Albuminurie be¬ 
schäftigt haben. Ein charakteristischer Umstand lässt meine 
Ansicht begründet erscheinen. Bei allen Beobachtungen der 
sogenannten physiologischen Albuminurie findet sich nämlich nicht, 
ein Fall, bei welchem die mit dem Harn binuen 24 Stunden aus¬ 
geschiedene Eiweissmeuge Bruchtheile eines Gramms bis höchstens 
1 Gramm überstiegen hätte, und zwar für eine mehr oder weniger 
beschränkte oder intermittirende Dauer. 

Eine beträchtliche und dauernde Albuminurie (vou 2, 3, bis 10 
oder 15 gr ausgeschiedenen Eiweisses innerhalb 24 Stunden) wurde 
noch niemals unter Verhältnissen des Organismus beobachtet, die 
man als normal ansehen könnte; daraus folgt, dass der mechanische 
Vorgang dieser sogenannten physiologischen Albumiuurieen in Wirk¬ 
lichkeit nothwendigerweise bei den mechanischen Vorgängen patho¬ 
logischer Zustände eintreten muss. Es mag eiu unbedeutender pa¬ 
thologischer Zustand sein, unfähig nennenswerthe Folgen für das 
Iudividuum, bei welchem die Albuminurie auftritt, hervorzurufen: 
aber die Gegenwart von Eiweiss im Urin, d. h. das Austreten von 
Eiweiss aus dem Organismus, welches immer dessen Menge sein 
mag, stellt nach meinem Dafürhalten immer eiu krankhaftes Zeichen 
dar, setzt eine functioneile Störung voraus, deren Ursprung otfcr 
deren Existenzbedingungen man ergründen muss, welche iu der 
Mehrzahl der Fälle ohne irgend welche Nierenerkrankung, wie ich 
seit dem Jahre 1861 gezeigt habe, bestehen können 1 ). 

Indem ich die schon seit langem beinahe von der Gesammtheit 
der Physiologen angenommenen Theorieen verfolgte, begann ich seit 
dem Jahre 1879 2 ) die Grundbedingungen des Uebertretens von Ei¬ 
weiss iu den Haru zu untersuchen bezüglich der drei Factoreu. 
welche im normalen Zustande die Absonderung des Harns beherrschen, 
nämlich: 

‘) Eine der Schlussfolgerungen meiner, vor der Pariser „Academic de 
mederine“ im Jahre 1861 vorgetrageneu Arbeit war: „Der Uebertritt von 
Eiweiss in den Harn involvirt ganz und gar nicht einen krankhaften Zu¬ 
stand der Nieren, und darum hat nicht jede Albuminurie eine renale Alte¬ 
ration zu ihrem Ausgangspunkte. Die Albuminurie bei den einfachen 
Nephritiden scheint hiervon eine Ausnahme zu bilden. (S. Gazette des 
Hopitaux No. 101, 1869). 

*) Internat, med. Congress zu Amsterdam»! und „Revue mensuelle de 
imhleeiue*. Paris 1880. 


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410 


DEUTSCHE MKLHC1NISCHK WOCHENSCHRIFT 


1. Mechauiisrhe Bedingungen des Blutkreislaufs. 

2. Physikalisch-chemische Zusammensetzung des Blutes. 

3. Histologische Beschaffenheit der Nieren. 

Um den mechanischen Vorgang der Albuminurie, der man 
bei verschiedenen Krankheiten begegnet, recht begreifen zu können, 
war der einzuschlagende Weg ein doppelter, nämlich: 

Erstens durch Versuche im Laboratorium genau lestzustellcn, 
inwieweit die Störungen der obengenannten drei Factoren fähig 
seien, die Ausscheidung von Eiweiss in den Harn zu veranlassen. 

Zweitens die daraus gewonnene Keuntniss auf jeden pathologi¬ 
schen Fall anzuwenden, um festzustellen, welcher dieser Factoren 
im specielleu Falle herbeigezogen werden müsse, um die spontane 
krankhafte Erscheinung der Albuminurie zu erklären. 

In allen meinen früheren Arbeiten vom Jahre I8f>0 bis 1886 1 ) 
habe ich mich hauptsächlich damit befasst, die pathogenetische Be¬ 
ziehung zwischen der Albuminurie und den chemisch - molecu- 
laren Zuständen der Eiweisskörper des Blutes zu zeigen, weil mich 
meine ersten experimentellen Untersuchungen zur Entdeckung des 
classischen Einflusses geführt hatten, welchen eiue mehr oder 
weniger stiekstoffreiehe Alimeutation auf die grössere oder geringere 
von den mit Bright’scher Krankheit behafteten Individuen inner¬ 
halb 24 Stunden ausgeschiedene Eiweissmenge ausübte. So wurde 
ich denn nothwendigerweise zu dem Schlüsse gebracht, dass bei dieser 
Krankheit als Ursache der Albuminurie der krankhafte Process der 
Nieren nicht angesehen werden kann, oder mit anderen Worten, dass 
sie vom Beginn der Krankheit an mit einer besonderen Verände¬ 
rung der Eiweisskörper des Blutes in Beziehung stand, welche wegen 
dieser veränderten chemiseh-iuolecularen Beschaffenheit dialysirbar 
und unassimilirbar und eben deswegen als fremde und für die phy¬ 
siologischen Nährfunctioncu schädliche Substanzen nothwendig aus 
dem Organismus ausgeschieden werden müssen. Diese Ausscheidung 
von Eiweiss bei der Bright’sc.heu Krankheit ist als provideuticll zu 
betrachten uud sic bekräftigt in Wirklichkeit nichts anderes als die 
wichtige Bestimmung, welche dein Nierenapparat im Gleichgewichte 
des Organismus als Reiniguugsapparat zukommt. Ob es sich 
um eine eiweissartige, aus der Nahrung herrührende Substanz 
handelt, welche aus was immer für einer Ursache nicht jene Reihe 
cheiniseh-molecularer Veränderungen hat erleiden können, die sie 
geeignet macht in die Gewebe aufgenommen zu werden, oder 
um eiueu Ueberschuss von circulirendem Chloruatrium, oder auch 
um einen einfachen in s Blut gelaugten Ueberschuss an Wasser, oder 
um irgend ein, sei es von der Aussenwelt in den Organismus eiu- 
gedrungenes oder in demselben bereitetes Gift, für den Nierenapparat 
ist dies gleichgültig, d. h. er bleibt immer der vorzugsweise dazu 
bestimmte Apparat, den Organismus von allen unnützen oder schäd¬ 
lichen Substanzen zu säubern, uud durch diese seine unablässige 
säubernde Thatigkeit befreit sich der Organismus von tausenderlei 
Feinden und erhält sein normales Gleichgewicht. 

Schon viele andere Male habe ich meine Aufmerksamkeit lange 
Zeit hindurch diesem wichtigen Punkte der pathologischen Physiologie 
zugewandt, um zu zeigen, dass der Uebertritt von Eiweiss durch 
die Nieren zu seiner Bewerkstelligung keiner neuen besonderen 
Veränderung dieses Roinigungsapparates bedarf, da er zu dieser 
seiner Fuuction stets bereit ist, nur dass er dann die Folgen spürt, 
wie dies bei allen Organen der Fall ist, wenn sie übermässig in 
einem gewissen Thätigkeitskreise functioniren. der sich vom normalen 
Gleichgewicht zwischen dem Organismus und äusseren Agentien 
entfernt. Als ich seit dem Jahre 1850, mich auf verschiedene Ver¬ 
suche und auf meine klinischen Beobachtungen stützend, stets be¬ 
hauptete, dass Albuminurie ohne irgend eine histologische Ver¬ 
änderung der Nieren Vorkommen köuue, musste ich lange Jahre 
hindurch dem lebhaftesten Widerstande Jener begegnen, die meine 
Ansicht für wissenschaftliche Ketzerei erklärten. Aber nach und 
nach habe ich zu meiner lebhaftesten Freude gesehen, wie die 
Thatsacheu und die neuen Untersuchungen mir vollkommen Recht 
gaben, und heute giebt es Niemand mehr, der nicht das Vorhanden¬ 
sein einer hämatogenen Albuminurie ohne einen besonderen Ein¬ 
fluss des Zustandes der Nieren anerkennt. Und doch fehlt es. an¬ 
gesichts einer so einfachen, so natürlichen und mit den Gesetzen 
der Physiologie so gut harmonirenden Thatsache. die so wahr ist 
und die man tagtäglich durch tausend normale und pathologische 
Erscheinungen beweisen kann, noch immer nicht an gewiegten 
Pathologen, die überklug sein wollen und geradezu das Bedürfnis 
fühlen, noch fortwährend in den Nieren etwas Geheimnissvolles zu¬ 
zulassen, um die Albuminurie zu erklären, auch die sogenannte 
physiologische Albuminurie. Vor nicht gar zu langer Zeit galt im 
Capitol der Albuminurie gleichsam als Axiom die Hypothese. 

') Kecht'uschiift.slicriulit. der ineriic. «hirurg. Akademie in Neapel 1850; 
der Aeadömie de Medecinc in Paris 1881, 1887, 1883, 1886; Congress zu 
Brüssel 1875: Congress zu Amsterdam 1879; Archive« de Physiologie, 
Paris 1881. 


No. 21 

dass ohne epitheliale Abschuppung das Eiweiss des Blutes nicht 
durch die Niere hindiirchsickern könne, und wer sich nur erlaubte, 
an diesem wohlfeilen Gesetze der physiologischen Pathologie zu 
zweifeln, wurde für einen Ruchlosen gehalten. Heute hingegen 
sucht Leube den Grund für das Durchpassiren des Eiweisses 
in der grösseren oder geringeren Porosität der Membran der Glo- 
meruli und in dem grösseren oder geringeren Widerstande ihres 
Epithels. 

Ich kann in der Thal nicht, begreifen, wie man in einer 
Epoche, in der die Pathologie von allen Seiten den Anspruch er¬ 
hebt, sich als experimentelle Wissenschaft zu behaupteu, so wohl¬ 
feile und einer gesunden Physiologie so widersprechende Hypothesen 
aufstellen kann. Was soll es denn heissen, wissenschaftlich ge¬ 
sprochen, die gesteigerte oder verminderte Porosität, eines Gewebes 
auzurufeu? Und wenn auch diese so gröblich aus der Physik her¬ 
geholte Vorstellung vom histologischen Gesichtspunkte aus eine con- 
crete Bedeutung haben könnte, wie sollte sie ihre nothwendige 
Controle in der unmittelbaren Beobachtung eines organischen Ge¬ 
webes finden, das uns in dem Augenblicke entgeht, in welchem 
sich die Functionsstörung kund giebt? Aber ohne in dieser Be¬ 
trachtung weiter gehen zu wolleu, die es nicht eiurnal gestattet, sich 
bei einer ähnlichen Hypothese aufzuhalten, habe ich schon oben 
gesagt, dass sie der Physiologie widerspricht. Diese sagt uns klar 
und deutlich, die Nieren seien vor Allein anderen ein Ausschei¬ 
dungsorgan von alledem, was unserem Organismus heterogen ist. 
Die Pathologie, die Pharmakologie, die Toxikologie bestätigen uns 
diese wohlthätige Bestimmung der Niere auf das Evidenteste. Die 
verschiedenartigsten Substanzen werden in Folge der besonderen 
anatomischen Beschaffenheit dieses Apparates ausgeschieden, und 
kein Grund der Welt zwingt uns, eine Veränderung in der Porosität 
der Membranen uud der Epithclialgebilde in s Feld zu führen, je 
nachdem die zuführende arterielle Strömung mehr Harnstoff als 
alkalische harnsaure Salze, mehr Galleupigmente als Zuckerstoff, 
mehr Ptomaine als Eiweiss selbst etc. mit sich führt.. Die Niere 
ist immer bereit, und der einfache gesunde Menschenverstand kann 
nicht zugeben, dass die Porosität ihrer Filtrationsgewebe von einem 
Momente zum anderen sich ändere, da die verschiedenen auszuschei¬ 
denden Stoffe rasch aufeinander folgen können, und da sich, was 
die Hauptsache ist. Stoffe von ganz verschiedener Beschaffenheit 
meistens gleichzeitig vorfinden, um ausgeschieden zu werden. 
Es kann sich in solchen Fällen ereignen, und die experimentellen 
und klinischen Thatsacheu erweisen es tausendfältig, dass die Niere, 
wenn sie zu einer nach Grad und Qualität übermässigen func¬ 
tioneilen Anstrengung gezwungen wird, an Hyperämie erkrankt, 
die bis zur Nephritis fortschreitet aber man kann nicht zugeben, 
dass ihre Porosität oder Durchlässigkeit bei eiuer Substanz mehr 
als bei einer anderen sich ändere und modificire. 

Und darum, was die Filtration des Eiweisses anbelangt, zeigt 
die experimentelle und klinische Erfahrung ganz unzweideutig, dass 
die Albuminurie in der Mehrzahl der Fälle von der Ausscheidung 
der circulirendeu Eiweisskörper herrührt, welche wegen ihrer be¬ 
sonderen chemisch-molecularen Bedingungen uuassimilirbar ge¬ 
worden sind. 

ln der That während die Filtrationsgewebe der Niere un¬ 
versehrt bleiben, zeigt sich Albuminurie, sobald eine gewisse Menge 
unassimilirbarer Eiweisskörper in den arteriellen Strom gelangt. 
Zu diesem fundamentalen Principe der pathologischen Physiologie 
gelangte ich schon bei meinen ersten bezüglichen Forschungen im 
Jahre 1850, und wenn dieses die einzige Frucht meiner experimen¬ 
tellen Studien gewesen wäre, hielte ich mich reichlich belohnt für 
die wissenschaftlichen Kämpfe, die ich auszustehen hatte. Ich habe 
seit dein Jahre 1850 gezeigt, dass, wenn der Ar/t die Eiweiss- 
verluste, welche die Brightiker durch die Niere erleiden, zu ersetzen 
glaubt, indem er eine stickstoffreichere Nahrung nehmen lässt, das 
hierbei erzielte Resultat die Steigerung der durch den Harn 
innerhalb 24 Stunden ausgeschiedenen Eiweissmenge ist, ohne die 
geringste Besserung der Ilydrämie, oder der mehr oder weniger 
relativen Verarmung an Eiweisskörpern, die das Blut der an Bright - 
scher Albuminurie Erkrankteu in der ausgesprochenen Periode der 
Affection auszeichnet. Dieses experimentelle Ergebuiss, auf das ich 
als Erster seit dem Jahre 1850 hingewieseu, und welches später 
von allen anderen Experimentatoren bestätigt wurde, würde an sich 
genügen, um auch die hartnäckigsten Zweifler von der dyskrasischen 
Natur des Morbus Brightii zu überzeugen. 

Es ist nicht meine Absicht hier auf diese pathogenetische Be¬ 
dingung der meisten Albuminurieeu näher einzugehen, da ich mich 
damit in allen meinen früheren Arbeiten genügend beschäftigt habe 
und da ich übrigens im Begriffe bin, eine längere klinische und 
therapeutische Arbeit über dieseu Gegenstand abzufassen. 

Hauptsächlichster Zweck gegenwärtiger Abhandlung ist der, die 
Pathogenese der Albuminurie hinsichtlich der beiden anderen 
die physiologische Function der Urinausscheidung beherrschenden 


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24. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 411 


Faetoren zu studiren, nämlich des Blutdruckes und der histolo- ! 
gischen Veränderungen der Niere, die als häutige Ursache der Albu¬ 
minurie angesehen werden. (Fortsetzung folgt.) \ 


II. Ueber Myxoedem. 1 ) 

Von Fr. Mosler. 

Vermuthlich ist es Ihnen schon ergangen wie mir, dass Sie in | 
früheren Zeiten einen Fall von Myxoedem beobachtet haben, ohne \ 
ihm die richtige Deutung geben zu können. 

Im Anschluss an einen Vortrag über Kropfexstirpation, 
Cachexia strumipri va, Myxoedem, von Herrn Uollegen Schmid 
aus Stettin in der Sitzung der Frühjalirsversammlung des Vereins ; 
der Aerzte des Regierungsbezirkes Stettin am 20. Mai 1887 in 
Pasewalk gehalten, habe ich erwähnt, dass ich schon 1855 als 
Assistenzarzt der raedicinischen Klinik in Giessen eine solche < 
C'achexie beobachtet habe, die auf eigenthümliche Weise zur Ent¬ 
stehung gekommen war. ! 

Ks handelte sich um ein 19jähriges Mädchen aus Annerod, dein wegen , 
Struma parenchymatosa eine Jodkaliumsalhe (Ungt. Kalii jodati 25,0, 
Jodi puri 0,15) in der Poliklinik verordnet, worden war mit der Weisung, 
nach 14 Tagen über den Erfolg zu berichten. Sie stattete keinen Bericht j 
ab, gebrauchte vielmehr während eines halben Jahres die Salbe fort, ob- j 
gleich eine Anätzung der Haut und tieferer Theile dadurch veranlasst i 
worden war. I 

Als sie nach Verlauf von 6 Monaten zum ersten Male in der Klinik 
sicli wieder vorstellte, war an der vorderen Halsgegend weitverbreitete Ver- ^ 
schorfung der Haut, tiefergreifende Eiterung zu constatireu. Letztere hatte 
den gänzlichen Schwund der Schilddrüsengeschwulst, aber auch Anätzuug j 
des zweiten Tracheulknorpels herbeigeführt, so dass wir es nun mit einer 
ziemlich weiten Trachealfistel zu thun hatten. Die Ernährung der Patientin j 
war dadurch sehr heruntergekommen. 

Ich schickte sie zu Verwandten nach dem Bade Homburg, woselbst 
zu meinem Erstaunen nicht nur die spontane Heilung der Trachealfistel, j 
sondern auch der Hautwunde erfolgte. I 

Die Struma war total verschwunden, von der Schilddrüse keine : 
•Spur röehr zu fühlen: sie war gänzlich in der Narbe untergegangeu. 
Das Allgemeinbefinden hatte sich dagegen nicht gehoben. Patientin sah i 
sehr blass aus, war hinfällig, verdriesslich, apathisch, Oedeme zeigten sich j 
au den verschiedensten Körpertheilen. Unter den Symptomen von allge- ' 
meinem Marasmus erfolgte der Tod nach Verlauf eines halben Jahres, wie ! 
ich damals annahm in Folge von Hirnanämie. Es ist mir nunmehr sehr 1 
wahrscheinlich, dass es sich um Cachexia strumipriva, um Myxoedem, { 
gehandelt hat. 

Der allgemeine Weckruf, den Virchow durch seinen am 
2. Februar 1887 in der Berliner medicinischen Gesellschaft 
gehaltenen Vortrag über Myxoedem hat ergehen lassen, wird dem¬ 
selben auch Ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben. Diesem klassi- , 
sehen Vortrage verdanke ich mein Interesse für diesen wichtigen i 
Krankheitsprocess, so dass ich im Stande war, einen meiner Klinik 
zugeführten Fall alsbald zu erkennen. 

Die klinische Untersuchung desselben scheint eine Bestätigung . 
der Virchow’sehen Ansicht über das Wesen der Hauterkrankung 1 
zu liefern. 

Auf Grund der von ihm aufgefuudeuen Wucherung des Binde¬ 
gewebes der Haut — er fand reichliche Kern- und Zelltheiliiugeu. | 
so stark, dass in manchen Fällen dadurch grosse Anhäufungen von 
rein zeitiger Natur, fast Granulationsgewebe, hervorgebracht wur¬ 
den — hat Virchow den Vorgang aus der Reihe der passiven 
oder rein atrophischen Zustände ausgeschieden, ihn als Vorgang i 
von irritativem Charakter betrachtet, der sich den activeu, den 
mit positiven Neubildungen verbundenen ansehliesst, den entzünd¬ 
lichen Processen sich nähert. 

* lin Hinblick auf diese anatomischen Befunde ist es für die ; 
Symptomatologie des Myxoedems vou Werth, dass die Kranke zu ; 
einer Zeit von mir beobachtet wurde, in der Schmerzensäusxe- 
rungeii, Zeichen vou grosser Empfindlichkeit an den ver¬ 
schiedensten Stellen der angeschwollenen, porzellanartig 
ausseheuden Haut vorhanden waren. Auch nach anderer Rich¬ 
tung bietet die Kranke so viele bemerkenswerthe Symptome, dass 
es mir lohnend erscheint, eine ausführliche Beschreibung derselben 
demnächst in dem Virchow’schen Archive zu gehen, auf das ich j 
deshalb verweise. 

Für heute gestatten Sie mir, zwei Photographieen Ihnen zu de- 
moustriren. Die eine, welche vor Beginn des Myxoedemes aufge- i 
nominell ist, zeigt Ihnen eine völlig gesunde, wohlgenährte Frau. 
Kaum werden Sie glauben, dass die andere Photographie dieselbe | 
Persönlichkeit wiedergiebt. Sie erkennen daran als charakteristische j 
Kigenthümlichkeiten den blöden apathischen Gesichtsaus- ! 
druck, die gesell wollenen, halhgeschlossenen Augenlider, 
die über Gesicht, Hals, Rumpf, Extremitäten verbreitete 


') Vorgetragen in der Versammlung der Aerzte des Regierungsbezirkes 
Stralsund zu Greifswald am 29. April 1888. 


Hautgeschwulst, an der man seihst von der durchscheinen¬ 
den, prallen, porzellanartigen Beschaffenheit etwas heraus¬ 
zufinden vermag. 

Möge die Erinnerung an den Contrast der beiden Abbildungen 
in vorkommenden Fällen Ihnen die Diagnose des Myxoedems 
erleichtern, damit Virchow'’s Mahnruf an die deutschen Aerzte, 
diesem merkwürdigen, bis jetzt noch nicht ganz aufgeklärten Leiden 
ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, auch von den Mit¬ 
gliedern unseres Vereins entsprochen werde. Dann wird mein hier 
beabsichtigter Zweck erfüllt. 

Schliesslich will ich es nicht unterlassen, mein Bedauern aus- 
znsprechen, dass es mir äusserer Umstände wegen nicht möglich 
war. die Kranke seihst Ihnen heute vorzustellen. 


in. Beiträge zur Sublimatfrage. 

Von Dr. Gulllery, Stabsarzt in Saarlouis. 

1. Verhalten des Sublimats in eiweisshaltigen Flüssigkeiten. 

Ueber dieses Thema ist schon so viel und noch dazu von 
competeutester Seite geschrieben worden, dass es beinahe über¬ 
flüssig erscheinen könnte, von Neuem darauf einzugehen. Es ist 
genügend festgestellt, dass das Sublimat bei Gegenwart von Eiweiss- 
körpern seine Wirksamkeit zum grossen Theile einbüsst, und es 
ist sogar mit hinreichender Genauigkeit ermittelt, in welchem Grade 
dies der Fall ist. Es ist ferner bekannt, dass von den Gegnern 
der Sublimatbebandluug aus dieser Thatsache einer'der schwersten 
Einwände gegen die Anwendung dieses sonst so vorzüglichen Anti- 
septicums bei der Wundbehandlung hergeleitet ist, dass dagegen 
von anderer Seite Versuche gemacht sind, diesen Nachtheil eiuiger- 
mnassen abzuschwächen. Namentlich war es Mikulicz, 1 ) welcher, 
gestützt auf seine den Koch’sehen analogen Versuche die Anwen¬ 
dung des Sublimats nur zu den sogenannten prophylaktischen 
Maassregeln (i. e. Reinigung der Hände, der Umgebung der 
Wunde etc.) zulassen, hei allem Uebrigen, namentlich aber als 
eigentliches Verbandmittel, dasselbe gänzlich ausgeschlossen wissen 
wollte. Man müsse nämlich, um mit Sicherheit eine antiseptische 
Wirkung gegenüber den Wundsecreten zu erzielen, das Sublimat 
in Quantitäten verwenden, welche leicht toxisch wirken können. 
Er fand, dass zur Verhinderung der Fäulniss in einer Flüssigkeit 
vom Eiweissgehalte der Wundsecrete ein Zusatz von Sublimat im 
Verhältnisse 1:400— 500 erforderlich sei. Verbandstoffe, welche 
das 5 —lOfache ihres Gewichtes an Secret aufsaugen (es siud be¬ 
sonders die Verbände mit Sägespähnen und Torfmoos gemeint) 
müssten demnach einen Sublimatgehalt von 1—2% haben. Nun 
erlebte er aber schon durch einen 1 %igen Verbandstoff eine t.ödt- 
liche Intoxication nach Amputation einer carcinomatösen Mamma 
mit Ausräumung der Achselhöhle. Der Unfall konnte nur auf 
Rechnung des Verbandmaterials (Sägespähnekisseu mit 1 % Sublimat¬ 
gehalt) gesetzt werden, da während der Operation selbst kein Su¬ 
blimat zur Verwendung kam. Auf Grund dieser Erfahrung hielt 
sich Mikulicz zu seinem absprechenden Urtheile über die Sublimat- 
behandlnng berechtigt und fand eine Stütze sowohl in den bereits 
erwähnten Versuchen von Koch und Gaffky, 2 ) als auch in den 
von Schill und Fischer 3 ) angestellten, welche letzteren hei der 
Vernichtung der Tuberkelbacillen im Sputum ebenfalls eine erheb¬ 
liche Beeinträchtigung der Sublimatwirkling constatirten. 2 °/ooige 
Sublimatlösung zu gleichen Theilen mit Sputum gemischt, tödteten 
die Bacillen nicht, wie durch Impfversuche festgestellt wurde. 

Die Erfahrung hat ja nun längst gelehrt, dass man mit anderen 
Verbandstoffen von geringerem Sublimatgehalte vollkommen aus¬ 
kommt, und giebt es wohl heut zu Tage keinen Chirurgen, welcher 
Verbände in der von Mikulicz für nothwendig erachteten Coucen- 
tration verwendete. Ausserdem hat Letzterer selbst ein sehr ein¬ 
faches Mittel zur Erhöhung der antiseptischen Wirkung angegeben, 
nämlich die Austrocknung der Verbände durch Weglassen der 
wasserdichten Umhüllung. Bei Irrigation von Wundflächen und 
Körperhöhlen gestalten sich die Verhältnisse ohnedies anders als 
bei den erwähnten Versuchen. Hier handelt es sich ja in den 
meisten Fällen nicht um die Desinfection grösserer Secretmengen, 
da dieselben grösstentheils durch den Irrigationsstrahl mechanisch 
entfernt werden. Die Coagulatiou der Eiweisskörper könnte hier 
nur insofern vou Nachtheil werden, als sich auf den zu desinfi- 
cirenden Oberflächen kleine Gerinnsel bilden, welche septische 
Keime einxehliessen könnten und der Flüssigkeit den Zugang zu 
denselben verwehrten (Ziegen speck). 

•) Wiener med. Wochensehr. 1884. No. 35—47 und Langen heck ’s Areli. 
Bd. 31, Heft 3. 

,J ) Mittheilungeu aus dein Reichstres-Amt Bd. I. 3—5. 

:t ) ibid. Bd. II.. 


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412 


DEUTSCHE MEDICiNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 21 


Nichts destoweniger wurde vou verschiedenen Seiten mit liecht 
danach gestrebt, die Abschwächung der Sublimatwirkung möglichst 
zu vermeiden, und namentlich glaubte man durch Zusätze, welche 
den Niederschlag von Quecksilberalbuminat verhindern sollten, dieses 
Ziel erreichen zu können. Es lag nahe, dass sich die Aufmerksam¬ 
keit hierbei zunächst auf das Kochsalz richtete, von dem diese 
Eigenschaft ja längst bekannt ist und bei der subcutanen Sublimat- 
injectiou entsprechend verwertliet wird. Ziegenspeck l ) dürfte 
wohl der Erste gewesen sein, welcher die Vermuthung aussprach, 
dass durch einen Kochsalzzusatz sich die antiseptische Wirkung der 
Sublimatlösuugen erhöhen Hesse. In demselben Sinne glaubte er 
die Citronensäure empfehlen zu können, ohne aber eine experi¬ 
mentelle Bestätigung dieser Ansicht zu versuchen. Eine solche ist 
theilweise erfolgt durch Löffler, 2 ) welcher fand, dass in Blutserum 
schon ein Sublimatgehalt von 0,00033 pro Cubikcentimeter genügte, 
um jede Bacterienentwickelung zu verhindern, und dass in solchen 
Proben in Folge des NaCI- Gehaltes erst bei etwa dem zehnfachen 
Sublimatzusatze eine Fällung einträte. Neuerdings sind unter K och’s 
Leitung weitere Versuche hierüber angestellt worden durch La- 
place. :i ) Derselbe benutzte einen Zusatz von Weinsäure, um den 
Niederschlag von Quecksilberalbuminat zu verhindern, und behauptet, 
dass hierdurch die volle Wirksamkeit des Sublimats zur Geltung 
käme. Dass durch die Anwesenheit dieser Säure die Fällung ver¬ 
hindert wird, ist allerdings richtig, und hat sie dieses mit vielen 

anderen organischen, wie auch anorganischen Säuren gemein. 

Es fragt sich nun, wie man sich den chemischen Vorgang dabei 

denken soll. Auf den ersten Blick erscheint es keineswegs ver¬ 

ständlich, wieso-durch Lösung des Niederschlages von Quecksilber¬ 
albuminat die Sublimatwirknng gesteigert werden soll. Die 
Wirkung dieser Lösungsmittel, sei es, dass sie gleichzeitig mit dem 
Sublimat oder nachträglich zugesetzt werden, besteht doch nicht 
etwa dariu, dass die Verbindung des Eiweisses mit Quecksilber 
verhindert, bezw. getrennt und letzteres dadurch frei würde. Im 
Gegentheil ist bekannt, dass diese Verbindung eine äusserst feste 
ist, und dass es weder durch Schwefelwasserstoff, noch durch viele 
andere Reagentien gelingt, derselben das Quecksilber zu entziehen. 
Es kann also, wenn der Niederschlag verhindert wird, sich nicht 
mehr Sublimat in der Flüssigkeit befiuden, als wenn derselbe zu 
Stande kommt; es wird vielmehr beide Male gleich viel Queck¬ 
silberalbuminat vorhanden sein, nur ebeu in dem einen Falle ge¬ 
löst. Wenn also wirklich durch die Lösung eine Erhöhung der 
antibacteriellen Wirkung stattfindet, so kann dies unmöglich als 
eine Sublimat Wirkung aufgefasst werden. 

Die Erklärung ergiebt sich bei genauerer Prüfung des grund¬ 
legenden Versuches von Koch und Gaffky. Derselbe stellt sich 
folgendermaassen dar: Zur gänzlichen Vernichtung aller entwicke¬ 
lungsfähigen Keime in faulendem Blute war ein Sublimatzusatz 
1 : 400 erforderlich. Bei früheren Experimenten nun hatte Koch 
gefunden, dass eine Flüssigkeit einen Subliraatgehalt von 1 : 5000 
haben müsse, wenn man der Vernichtung aller Mikroorganismen 
sicher sein will, und daraus schloss er, dass auch jene Blutproben 
das Desinficiens iu dem genannten Verhältnisse enthalten müssten. 
Bestärkt wurde er in dieser Ansicht durch das Verhalten der soge¬ 
nannten Kupferreaction. Wenn man nämlich ein blank geriebenes 
Kupferblech in eine Flüssigkeit eintaucht, welche 1 : 5000 Sublimat 
enthält, so zeigt nach Ablauf von etwa einer halben Stunde das 
Blech einen Amalgambeschlag, und es fand sich, dass auch in dem 
faulenden Blute nach dem betreifenden Sublimatzusatze die lieaction 
in derselben Zeit eintrat. Es war aber ein Irrthum, daraus auf die 
Anwesenheit von freiem Sublimat zu schliessen. Diese lieaction 
beweist nur die Gegenwart einer gelösten Quecksilberverbindung 
überhaupt, ohne gerade für Sublimat charakteristisch zu sein. 

lieber das Verhältniss, in welchem sich Eiweiss und Queck¬ 
silber verbinden, sind von Elsner Versuche angestcllt, wonach in 
100 Theileu Quecksilberalbuminat enthalten sind 88,8—89,7 Eiweiss 
und 11,2—10,3 Quecksilberoxyd. Nimmt man nun die in 400 Theilen 
Blut enthaltene Eiweissmenge auf rund 30 an (welche Zahl wohl 
eher zu niedrig gegriffen ist), so ist klar, dass nach einem Subli¬ 
matzusatze von 0,25% noch ein grosser Ueberschuss von Eiweiss 
vorhanden seiu muss, also von freiem Sublimat keine Rede sein 
kann. 

Mau kann sich hiervon leicht überzeugen, wenn man sich eine 
künstliche, klar filtrirte Eiweisslösung darstellt, 1 ) welche, ent¬ 
sprechend der Blntalkalescenz, durch secundäres Natriumphosphat 
schwach alkalisch gemacht ist. Setzt man zu dieser je nach dem 
Eiweissgehalte Sublimat, so findet sich, dass bei dem iu den Koch- 


') Centralbl. f. Gynäkologie. 1886. No. 34. 

3 ) Milit. ärztl. Zeitschr. 1887. H. 7. 

3 ) Deutsche medic. Wochenschr. 1887. No. 40. 

*) Es wurde hierzu von Merk bezogenes Serumalbumin benutzt, welches 
sich in Wasser reichlich, mit geringem Rückstände loste. 


scheu Experimenten angegebenen Verhältnisse nach Abfiltriren des 
Niederschlages kein freies Sublimat in der Flüssigkeit chemisch 
nachweisbar ist. Setzt man dagegen dem Filtrate abermals Subli¬ 
matlösung zu, so entsteht ein erneuter Niederschlag, zum Beweise 
also, dass noch nicht alles Eiweiss ausgefällt war. Ebenso wenig 
ist natürlich auch nach Lösung des Niederschlages die Anwesenheit 
von freiem Sublimat zu constatiren. 

Woher denn nun aber die Vernichtung der Keime und woher 
die Kupferreaction? Die Antwort auf diese Frage ist einfach die: 
die Blutproben enthielten keine andere Quecksilberverbindung, als 
Quecksilberalbuminat, abgesehen von den durch etwaige Zersetzungs- 
producte entstandenen. Dieses Quecksilberalbuminat wurde durch 
den Kochsalzgehalt des Blutes sowie durch das überschüssige Ei¬ 
weiss in Lösung gehalten, und es kann also, da keine andere Er¬ 
klärung möglich ist, auch nur dieser Verbindung die antifermenta¬ 
tive Wirkung zuzuschreiben sein. Dasselbe gilt von der Kupfer¬ 
reaction. Man kann dieselbe in derartigen Flüssigkeiten noch viel 
schneller eintretcn lassen, ohne den Sublimatgehalt irgendwie zu 
vermehren. Zu dem Zwecke braucht man nur den Niederschlag iu 
Lösung zu bringen, welcher ja bis dahin auf das Zustandekommen 
der Reaction ohne Einfluss war, uud kann dieselbe alsdann schon 
nach wenigen Minuten wahrnehmen. 

Das Quecksilberalbuminat ist bereits von Boillat 1 ) in Bezug 
auf seine fäulnisswidrigen Eigenschaften geprüft worden, und hat 
sich dabei herausgestellt, dass demselben eine nicht zu unter¬ 
schätzende antiseptische Kraft innewohnt. Der genannte Autor hat 
verschiedene Verbindungen von Metallsalzen bezw. Phenol mit Ei¬ 
weiss daraufhin untersucht, und zwar in der Weise, dass Lösungen 
von Chlorzink, Kupfervitriol, Sublimat etc. im Ueberschusse zu Ei¬ 
weisslösungen zugesetzt, der entstandene Niederschlag nach Filtri- 
rung sorgfältig ausgewaschen, zu einem Brei verrührt und, mit eiuer 
Glasglocke bedeckt, bei Zimmertemperatur aufbewahrt wurde. Es 
zeigte sich nun, dass die autiseptische Wirkung dieser Verbindungen 
sich genau so verhielt, wie die der betreffenden Metallsalze selbst. 
Am längsten widerstand der Fäulniss demzufolge das Quecksilber¬ 
albuminat. Nach 42—45 Tagen trat die erste Bacterienentwickelung 
in demselben auf, und zwar nach Boillat’s Ansicht auch nur des¬ 
halb, weil mit der Zeit eine Zersetzung der Substanz durch das 
vorhandene Wasser und den Sauerstoff der Luft erfolgte. Wenn 
dies verhindert werden könnte, so würde es, wie er glaubt, unbe¬ 
grenzt lange widerstehen. Milzbrandsporen an Seidenfädeu darauf¬ 
gelegt, zeigten noch nach 4 Wochen keine Spur von Entwickelung. 
Dies beweist allerdings lediglich, dass das Quecksilberalbuminat 
selbst kein günstiger Nährboden für Bacterien ist, was für ein 
Antisepticum immerhin nur ein mässiges Lob bedeutet. Dass es 
aber auch durch seine Anwesenheit, andere zersetzungsfähige Sub¬ 
stanzen keimfrei erhalten kann, beweisen eben die Versuche von 
Koch und Gaffky. 

Uebrigens hat die antiseptische Wirkung des Quecksilber- 
albuminats bereits eine praktische Bestätigung gefunden, und zwar 
durch keinen Geringeren als Lister 2 ). Derselbe hat bekanntlich 
das Serumsublimat als Verbandmittel empfohlen, welches in der 
Weise hergestellt wird, dass zu 150 Th. Pferdeblutserum, 1 Th. 
Quecksilberchlorid zugesetzt und diese Mischung von Holzwolle auf¬ 
gesogen wird. In ähnlicher Weise wird eine. Gaze dargestellt. Da 
Lister selbst mit diesem Präparate sehr zufrieden ist, so lässt sich 
wohl annehmen, dass es allen Anforderungen genügt, die man an 
eine strenge Antisepsis stellen kann. Neuerdings ist dasselbe zwar 
wiederum discreditirt worden durch Sainter, :! ) welcher seine keim- 
tödtende Wirkung gegenüber gewissen Mikrococcenarten gleich Null 
bezeichnet. Es ist aber schwer verständlich, wie in eiuer nach der 
Li st er’sehen Vorschrift dargestellten Flüssigkeit Keime lebensfähig 
bleiben sollten, wenn dieselben in den Koch’sehen Proben bei viel 
geringerem Gehalte an Quecksilberalbuminat vernichtet waren. Da 
mir indessen augenblicklich nur ein Referat der Arbeit zur Ver¬ 
fügung steht, kann ich nicht beurtheilen, worin dieser Unterschied 
beruht. Vielleicht könnte man auch bei diesem Präparate die anti¬ 
septische Wirkung durch Zusatz eines Lösungsmittels erhöhen, da 
der Kochsalzgehalt des Pferdeserums gegenüber der angewandten 
Sublimatmenge zu gering erscheint. Bekanntlich ist ja zur Lösung 
des durch Sublimat gefällten Eiweiss etwa die lÖfache Menge 
Kochsalz erforderlich. 

Aus dieser letzteren Thatsache würde man bei dem bekannten 
Kochsalzgehalte des Blutes die Menge des in den Koch 1 sehen 
Proben gelösten Quecksilberalbuminats berechnen und daraus einen 
ungefähren Rückschluss aufseine keimtödtende Kraft machen können. 
Es wirkt aber nicht nur das Kochsalz lösend, sondern auch das 


’) Journ. f. prakt. Chemie Bd. 25. 

’ J ) Brit. med. journ. Oct. 25 1884, ref. im Centralbl. f. Chirurg. 1884, 
No. 50. 

3 ) Inaugur.-Pissertat. Berl. 1887. 


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24 . Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 418 


überschüssige Eiweiss; in welchem Grade dies bei jeneu Versuchen 
in Betracht kommt, ist nicht zu schätzen, da jedenfalls ein grosser 
Theil des Albumens durch die Fäulniss verändert war. 

Aus dem Gesagten erklärt sich auch ein Widerspruch in den 
Versuchen von Koch und Mikulicz. Beide fanden nämlich, dass 
in den Flüssigkeiten, welche sie der Untersuchung unterwarfen, ein 
.Sublimatgehalt von etwa 1:400 erforderlich war. Nun arbeitete aber 
Koch mit (faulendem) Blut. Mikulicz dagegen mit einer Mischung, 
welche aus Blut und Brunnenwasser zu gleichen Theilen bestand. Wäre 
cs nun richtig, dass die keimtödtende Wirkung dann eintritt, wenn 
alles Eiweiss ausgefällt ist, und die Probe 0,2°/oo Sublimat enthält, 
so ist klar, dass M. bei einer Flüssigkeit, welche nur halb so viel 
Eiweiss enthielt, auch nur halb so viel Quecksilberchlorid hätte an¬ 
wenden müsseu. Betrachtet man dagegen die Menge des gelüsten 
Quecksilberalbuminats als maassgebend. so verschwindet dieser 
Widerspruch. Als Lösungsmittel sind bei diesen Versuchen, wie 
gesagt, anzusehen das vorhandene Kochsalz und der Eiweissüber¬ 
schuss. Da nun von letzterem bei Koch ein grosser Theil durch 
die Fäulniss unwirksam wurde, anderntheils ein 'Theil des Queck¬ 
silbers durch Fäulnissproducte gebunden war, so ist es sehr wohl 
denkbar, dass eine Compensation in dem Sinne eintrat, dass in bei¬ 
den Versuchen die Menge des gelösten Quecksilberalbuminats unge¬ 
fähr gleich war. 

I 

Es braucht wohl kaum hinzugefügt zu werden, dass in dem 
nach Lister’s Angabe angefertigten Serumsublimat, falls mau 
Koch’s Erklärung acceptirte, ein bedeutender Ueberschuss von , 
Sublimat enthalten sein müsste. 

Dass es in der That nur auf die Anwesenheit von Lösungs¬ 
mitteln ankommt, ist leicht durch Versuche zu beweisen. Ich stellte ! 
dieselben in der Weise an, dass ich bestimmte Mengen von faulen¬ 
der Eiweisslösung tropfenweise mit 2%iger Sublimatlösung versetzte 
und als Parallel versuch ebensolche Proben mit derselben Quantität 
Sublimat bei gleichzeitiger Anwesenheit einer Substanz, welche die 
Goagulation verhinderte. Als solche benutzte ich Chlorammonium, 
welches sich hierzu sehr gut eignet. Es zeigte sich nun, dass bei 
der zweiten Versuchsreihe auf 1 ccm Eiweisslösung 1 mg erforder¬ 
lich war, um nach etwa fistündiger Einwirkung alle Keime zu ver¬ 
nichten, was durch Ueberimpfung mittels einer Platinnadel auf 
Nährgelatine constatirt wurde. In dem Impfstiche aber, welcher 
der entsprechenden Probe der ersten Leihe entnommen war. fand 
die Entwickelung unbehindert statt. Um bei Abwesenheit jedes 
Lösungsmittels eine vollständige Desinfection zu erreichen, brauchte 1 
ich «‘inen weit stärkeren Zusatz als den von Koch angegebenen, 
was ja nunmehr leicht verständlich ist. Hier war in der That ein j 
Sublimatüberschuss erforderlich. Noch klarer wird der Versuch, 
wenn man geringe Mengen Sublimat nimmt, welche nur die 
Bacterienenlwickelung« hemmen, oder, um einen neuen Ausdruck 
zu gebrauchen, „kolyseptisch“ wirken sollen. Um nämlich eine 
frische Eiweisslösung vor Fäulniss zu bewahren, waren bei Zusatz 
von Salmiak schon ganz geringe Mengen von Sublimat ausreichend, 

(I Tropfen obiger Lösung auf 5 ccm), während bei nicht Vorhanden- | 
sein des Lösungsmittels selbst grössere Mengen Quecksilberchlorid j 
dies nicht verhindern konnten. Es setzt sich eben der Niederschlag j 
ab, und die über demselben stehende Flüssigkeit geht ungehindert i 
in Zersetzung über. 

Es ist daher theoretisch vollkommen berechtigt, zur Erhöhung j 
der antiseptischen Wirkung des Sublimats in eiweisshaltigen Elfis- ; 
sigkeiten eine Verhinderung des Niederschlages anzustreben. Wel¬ 
ches Mittel hierzu am geeignetsten ist, kann erst die Erfahrung ! 
lehren. In Bezug auf ihre Lösungsfähigkeit scheinen zwar viele ! 
gleichberechtigt, allein es fragt sich, welche für die Wunden am 
indifferentesten sind. Laplace empfiehlt als Irrigationsflüssigkeit: i 
1 Sublimat, 5 Ao.id. tartar. 1000 Aq. destillat. und für Verband- l 
gaze: 5 Sublimat, 20 Acid. tartar., 1000 Aq. destill. Bei den auf i 
der v. Bergmaun’schen Klinik damit angestellten Versuchen sollen I 
niemals Reizungserscheinungen an den Wunden aufgetreten sein. 
Liebreich 1 ) macht mit Recht darauf aufmerksam, dass ein Zusatz j 
von Kochsalz oder Salmiak die an sich saure Reaction der Sub- ! 
limatlüsungen neutralisirt. Von diesen beiden Salzen empfiehlt sich 1 
wohl am meisten der Salmiak, da er den Niederschlag besser und ! 
schon in geringeren Quantitäten löst. Es ist ungefähr dreimal so 
viel Chlorammonium erforderlich, als Sublimat zngesetzt. ist. Da in 
Bezog auf die Antisepsis mit einer solchen Lösung zweifelsohne 
dasselbe zu erreichen ist, wie bei Säurezusatz, so dürfte sie wohl 
vor den sauren den Vorzug verdienen. Im Uebrigen bieten ja diese 
Zusätze zugleich den Vortheil, dass sie gestatten, die Sublimat¬ 
lösung mit gewöhnlichem Brunnenwasser anzufertigen.-) 


‘) Therapeut. Monatshefte 1887. H. 1. 
a ) Conf. Ziegenspeck 1. c. 


2. Ist Sublimat flüchtig P 

Diese Frage, welche für die Beurtheilung der Haltbarkeit und 
die Aufbewahrung der Subliraatverbandstoffe von höchster Wichtig¬ 
keit erscheint, ist eine Zeit lang von den Chirurgen lebhaft discutirt, 
worden, ohne dass sie eine endgültige Entscheidung gefunden hätte. 
Die Ansichten, welche darüber laut wurden, stehen sich so diametral 
gegenüber, dass eine Vermittelung garnicht möglich erscheint. 
Eine ältere, hierher gehörige Beobachtung findet sich bei Hager. 1 ) 
welcher behauptet, alle Körper, welche ihren Siedepunkt unter 
400° hätten, seien auch bei gewöhnlicher Temperatur flüchtig. 
Letzteres ist ja vom Quecksilber, welches bei 860 o siedet, schon 
länger bekannt, um wie viel mehr müsse es also beim Sublimat 
der Fall sein, welches schon bei 295 0 siedet. Zum Beweise führt 
er folgende Erzählung an: Ein Apotheker hatte zur Vernichtung 
von Hausschwamm seine Treppe mit einer Sublimatlösung an¬ 
streichen lassen. Einige Zeit darnach zeigten sich bei ihm die Er¬ 
scheinungen der Queeksilberintoxication, obgleich er selbst niemals 
Quecksilber gebraucht hatte und auch seit lange mit solchen Prä¬ 
paraten nicht iu Berührung gekommen war. Da jede andere Mög¬ 
lichkeit ausgeschlossen schien, blieb ihm nichts anderes übrig, als 
in jenem Anstriche die Ursache zu suchen. Freilich ist nicht 
angegeben, ob nach Entfernung desselben der Zustand sich 
änderte. 

Sonst findet man in den meisten chemischen und pharmako¬ 
logischen Handbüchern von dieser Eigenschaft des Sublimats nichts 
erwähnt. Um so lebhafter wurde aber die Frage erörtert, als das 
Sublimat in der Wundbehandlung Verwendung gefunden hatte. 
Während hier von der einen Seite die Flüchtigkeit desselben gänz¬ 
lich in Abrede gestellt wurde, wurde sie. von der anderen als sehr 
beträchtlich dargestellt, v. Bergmann z. B. behauptet, dass seine 
Gaze noch nach einem halben Jahre ihren vollen Sublimatgehalt 
habe. Kretschmer-') dagegen will gefunden haben, dass schon 
bei Bereitung derselben ein Verlust von 4 g Sublimat auf 200 m 
stattfinde, und, in einer verschlossenen Büchse aufbewahrt, hätten 
sich nach 3 Monaten nur noch Spuren gefunden. Nach Lazarski ") 
verlor mit ätherischer Sublimatlösung getränkte Gaze, offen aufbe¬ 
wahrt, in 51 Tagen ein Drittel, in einer Cartonschachtel verpackt 
ein Sechstel ihres Sublimatgehaltes. 

Wie diese widersprechenden Ergebnisse zu erklären sind, geht 
aus den bezüglichen Angaben nicht hervor. Es ist auffallend, dass 
Lazarski die Umwandlung in Calomel nicht erwähnt, welche 
jedenfalls iu einem so präparirten Verbandstoffe sehr beträchtlich 
ist, und bleibt es darum fraglich, ob er dieselbe berücksichtigt, 
oder lediglich den Sublimatgehalt festgestellt hat. Bewahrt mau 
ein Stück mit ätherischer Sublimatlösung getränkter Gaze iu einem 
Schälchen offen auf, so kann man sich von dieser Umwandlung in 
Calomel sehr leicht überzeugen. Man braucht nur nach 4 bis 
6 Wochen einen Tropfen Ammoniak mittelst einer Pipette auf den 
Boden des Schälchens zu bringen, so wird die Gaze alsbald allent¬ 
halben eine graubraune Färbung annehmen. Den Grad dieser 
Umwandlung zu bestimmen, schien mir von keinem besonderen 
Interesse, da ein solcher Verbandstoff praktisch in jeder Beziehung 
unbrauchbar ist. Möglich übrigens, dass bei v. Bergmann der 
Glycerinzusatz für den Bestand des Sublimatgehaltes eine wesent¬ 
liche Bedeutung hat. 

Jedenfalls giebt es einen viel einfacheren Weg, um sich über 
die Frage der Flüchtigkeit des Quecksilberchlorids Aufklärung zu 
verschaffen. Ich nahm dazu ein Glasgefäss, dessen Boden mit 
chemisch reinem Sublimat bedeckt war. In demselben wurden 
einige Goldplättchen aufgehängt, und es darauf verschlossen und 
vor Licht geschützt bei gewöhnlicher Zimmertemperatur aufbewahrt. 
Entwickelten sich nun in diesem Gefässe Quecksilberdämpfe, so 
mussten sich die Plättchen nach einiger Zeit mit einem entsprechen¬ 
den Beschläge überziehen. Dies war denn auch in der That der 
Fall. Nach Ablauf eines Monats war der erste graue Anflug zu 
bemerken, und nach 2 Monaten hat sich ein vollständiger Ueberzug 
gebildet. Der chemische Nachweis, dass es sich um einen Queck- 
silberbeschlag handelte, war in der bekannten Weise leicht zu 
führen. Die Goldplätteheu wurden iu einem an beiden Enden 
ausgezogenen Glasrohre erhitzt, und nach Durchleiten von Jod- 
dämpfeu zeigte sich der charakteristische rothe Ring in der Ca- 
pillare. Ebenfalls ein positives Resultat ergab die Merget’sche 4 ) 
Probe, welche im Allgemeinen nicht die Verbreitung gefunden zu 
haben scheint, welche sie schon ihrer Einfachheit wegen verdiente. 
Sie besteht darin, dass das betreffende Metallplättchen zunächst iu 
Seidenpapier und dann in ein mit ammoniakaliseher Silberlösung 


‘) Pharmaceut. Praxis. Supplementbd. 

J ) Erwähnt bei Fillenbaum. Wiener med. Wochensehr. 1884, 
Heft 15-16. 

3 ) Erwähnt bei.Mikulicz 1. c. 

4 ) Jouru. de m^deciue de Bordeaux 1881, p. 239. 


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414 

imprägnirtes, trockenes Fliesspapier eingeschlagen wird. Das Ganze 
wird darauf mit einem Buche beschwert, und, falls die Probe positiv 
ausfällt, zeigt sich nach wenigen Minuten an der inneren Fläche des 
Fliesspapiers eine bräunliche Färbung. | 

Nach diesem Resultate kann also füglich nicht bezweifelt ! 
werden, dass Sublimat flüchtig ist. Dies sollte auch bei anderen 1 
Verwendungen desselben zu Zwecken der Desinfection mehr berück- j 
sichtigt werden, als bisher geschehen. In diesem Sinne erscheinen 
die Snhlimaträucherungen von Koenig 1 ) gar nicht so unbedenklich, j 
und kann auch die nachfolgende Schwefelräucherung daran nichts 
ändern. Dass der Autor selbst, trotz mannichfacher Anwendung des 
Verfahrens keine Nachtheile bemerkt hat, ist kein Beweis für die 
Gefahrlosigkeit, da die Empfindlichkeit gegen (Quecksilber bekannt¬ 
lich bei verschiedenen Personen eine sehr verschiedene ist. Dem 
Patienten von Zeissl,-') welcher schon nach einer Calomeleinpude- 
rung ins Auge Intoxicationserscheinungen bekam, mochte ich 
jedenfalls den Aufenthalt in einem solchen Raume nicht anrathen. 
Es ist überhaupt chemisch nicht verständlich, was die Schwefel¬ 
räucherung bezwecken soll. Man kann in ein Gefass, dessen Wände 
mit Sublimat beschlagen sind, tagelang Schwefeldämpfe einleiten, 
ohne dass das Sublimat sich veränderte. Besser noch wären Am¬ 
moniakdämpfe zu verwenden, da diese einen solchen Beschlag fast 
vollständig in Präcipitat umwandeln. Es würde darum wohl ra¬ 
tioneller sein, Schalen mit Ammoniak aufzustellen — wenn bewiesen 
wäre, dass das Präcipitat unschädlich ist. Dazu kommt, dass durch 
die Versuche von Kreibohm 3 ) und Heraeus 3 ) die Zuverlässigkeit 
einer solchen Desinfection überhaupt sehr zweifelhaft geworden ist, 
da diese fanden, dass die in dem betreffenden Raume aufgestellteu 
Gnlturen nur da vernichtet wurden, wo der Sublimatstaub direkt 
auf sie niederfiel. Es dürfte daher wohl besser sein, dies Ver¬ 
fahren gänzlich zu verlassen. 

Neuerdings *) ist statt dessen das Zerstäuben von flüssigem 
Sublimat auf den Wänden und Nachwaschen mit Sodalösung em¬ 
pfohlen worden. Eine energischere Desinfection dürfte allerdings 
auf diese Weise zu erreichen sein, aber in Bezug auf die 
Unschädlichkeit ist doch auch ein gewisses Misstrauen am Platze. 
Selbst wenn alles Sublimat in Oxyd und Oxychloride umgewandelt 
sein sollte, so ist es doch immer eine Quecksilberverbindung, welche 
wohl schwerlich ganz zu entfernen ist, und sind in Bezug auf 
deren Harmlosigkeit erst weitere Erfahrungen abzuwarten. 

IV. Ueber Galvanopunctur der Prostata. 

Von Dr. Biedert, Oberarzt am Bürgerspital in Hagenau. 

In No 17 dieses Blattes ist ein Bericht über die Sitzung der 
Berliner mediciuischen Gesellschaft vom 18. April d. .1. enthalten, 
in welcher Herr L Casper einen Vortrag über Behandlung der 
Prostatahypertrophie mittelst Elektrolyse hielt. In dem Vortrage, 
wie in der darauf folgenden Discussion ist die Sache wie eine ganz 
neue behandelt. Ich erlaube mir deshalb darauf aufmerksam zu 
machen, dass ich ganz dieselbe Behandlungsweise mit auffallend 
übereinstimmenden Einzelheiten und gleich viel versprechenden 
Erfolgen schon vor längerer Zeit geübt und puldicirt habe und 
heute noch übe. In meinen frühereu Erfolgen im Verein mit den 
jetzigen des Herrn Casper, die ganz unabhängig erzielt wurden, 
dürfte ein um so grösserer Nachdruck für die Empfehlung der 
Methode erblickt werden. 

Da offenbar der Ort, an dem meine frühere Veröffentlichung 
geschah, die Schuld daran trägt, dass sie Herrn Casper entging, 
so erscheint es zweckmässig, hier kurz auf dieselbe zurückzukommen. 
Meine Mittheilung ist in der fünften Sitzung der Seetion für innere 
Medicin und pathologische Anatomie der Naturforscherversammlung j 
zu Eisenach am 21. September 1882 unter dem Vorsitz des Herrn 
Professor Thomas gemacht und auf p. 259/GO des Tageblatts ab¬ 
gedruckt. Von hier ist sie auch in einige andere Publicationen. 1 
so in die unter Lücke geschriebene Dissertation: „Ueber Jod- j 
iujeetiouen bei Prostatakrankheiten von C. Mayer. Strasshurg. 1889“. 
p. 31, übergegangen. 

Im Beginu meiner Mittheiluug sprach ich meine Verwunderung ! 
darüber aus, dass trotz der bereits sonst gut eingeführten Elektro¬ 
lyse diese Behandlungsweise für ein anderen Eingriffen so schwer 
zugängliches Organ, wie die Prostata, in der deutschen Literatur 
noch nicht erwähnt sei. Ich hatte damals in 2 1 /> Jahren fünf Fälle 
mit dem Verfahren behandelt. Zwei von diesen Kranken hatten 
trotz regelmässiger Katheterisation und Faradisation nicht zu irgend 
genügendem spontanen Uriniren gebracht werden können, was aber 
von der Galvanopunctur ab mehr oder minder rasch gelang. Be- 

*) Oentralb. f. Chirurg. 1885. No. 12. 

a ) Allgemeine Wien. ined. Zeit. 1879. p. 31. 

:I ) Zeitschr. f. Hygiene. Bd. I. H. 2. Refer. in d. Wehsebr. 1888, No. 15. 

*) Virch. And,. CVIl. 3. 1887. 


No. 21 

sonders beweisend war aber die dritte Beobachtung bei einem 
31jährigen Manne mit chronischer Prostatitis und so bedeutender 
einseitiger Schwellung, dass der Katheter beim Einfuhren 
stark seitlich abwich, uud zwar unverändert trotz sechswöchentliehem 
Katheterisiren. Nach zweimaliger Galvanopunctur des vergrösserten 
Lappens verschwand unter gleichzeitig fühlbarem Rückgang dieser 
Vergrößerung jene Abweichung des Katheters binnen neun Tagen. 
In den zwei letzten Fällen mit sehr grosser Hypertrophie wurde 
die Wirksamkeit des Verfahrens dadurch nachgewiesen, dass längere 
Zeit nur die eine, etwas grössere Hälfte punctirt und dadurch zur 
kleineren gemacht wurde, ln dem einen Falle, wo eine colossalc 
Prostata den Mastdarm zu einem queren Spalt zusammendrückte, 
wurde wieder eine freie Mastdarmhöhle erzielt. 

Die Messungen der Prostata nahm ich derart vor. dass ich 
quer abzählte, wie viel Fingerbreiten ich auf die Circumferenz, die 
man vom Mastdarm aus fühlen konnte, von einer bis zur anderen 
Seite legen konnte; die Länge des Tumors von oben nach unten 
maass ich analog durch Hintereinauderaufsetzen der Fingerkuppe. 
Versuche mit Bleidrähten und zirkelartigen Instrumenten waren mir 
nicht recht gelungen, doch halte ich jene für Längsmessungen 
tauglich, ln neueren, nach meiner damaligen Mittheilung behan¬ 
delten Fällen habe ich gerade, wie das auch jetzt Herr Casper 
angiebt, die nach der Spontanuriniruug mit dem Katheter noch 
entleerbaren Urinrückstände und deren Abnahme nach der Galvano¬ 
punctur gemessen. Dem von Herrn v. Bergmann gegen das 
gleichartige Verfahren des Herrn Casper erhobenen Einwando, 
dass das Katheterisiren allein schon eine Besserung herbeiführe, 
die dann irrthümlich der Elektrolyse augerechnet werden könne, 
bin ich selbst in meinen Versuchen dadurch begegnet, dass ich 
so lange nur katheterisirte, bis die Urinreste, die Anfangs dabei 
stets mächtig abnahinen. auf gleicher Höhe (öfter 300 — 400 ccm) 
blieben, nachher erst galvanopunctirte. 

ln deu meiner ersten Mittheilung zu Grunde, liegenden Fällen 
wurden 2—(5—10—20Puncturen in Zwischenräumen von 3—8 Tagen 
gemacht, einmal fast einen Monat lang pausirt, weil durch zahl¬ 
reiche Operationen die Prostata so weich und blutreich geworden 
war, dass eine kleine Blutung nach einer Punctnr. ca. 1 Esslöffel 
voll, eintrat — das einzige und gänzlich belanglose üble Neben¬ 
ereign iss bis jetzt. 

Die Ausführung der Operation geschah mit einer, am besten 
gebogenen (Platin-) Nadel, die bis auf 1cm von der Spitze mit 
einem Seidenfaden umwickelt und mit Lack überzogen ist und 
unter Deckung der Fingerspitze durch den After an die Drüse ge¬ 
führt wird. Sie wird 1 '/•> cm tief eingestochen, der andere Pul 
auf den Leib gesetzt und nun der, je nach der Empfindlichkeit des 
Patienten von 12—18 Elementen gelieferte Strom geschlossen. 
Nach zwei Minuten wird an einer zweiten und dann noch an einer 
dritten Stelle, jedesmal unter vorübergehender Unterbrechung des 
Stromes, neu eingestochen. Die eingestochene Nadel entspricht 
dem negativen Pol, weil sie so keinen Schorf erzeugt, wie es die 
Anode tliun würde, der durch Losstossen mittelst Eiterung in der 
Tiefe Gefahr drohen könnte. Diese Vorsicht wurde von mir auch 
in der Discussion Herrn Lippert aus Nizza entgegengehalten, 
welcher mittheilte, vor zehn Jahren sei in Paris bei ähnlichen Ver¬ 
suchen häutig Abscessbildung entstanden. Da dort auf die Auswahl 
des Pols keine Rücksicht genommen worden war, so mag die Be¬ 
nutzung der Anode die Schuld gehabt haben, während mir bei 
Beschränkung auf die Kathode damals nie etwas Aehnliches passirt 
war und auch bis jetzt nicht passirt ist. 

Mein hier angezogener Vortrag scheint nicht viel Nachfolge 
angeregt zu haben, um so mehr freue ich mich, dass die die mei- 
nigeu völlig bestätigenden Resultate des Herrn Casper einige wohl¬ 
wollende Aufmerksamkeit in der Berliner mediciuischen Gesellschaft 
erregt haben, und dadurch die Sache vielleicht mehr in Fluss kommt. 

V. Ueber Gährungsvorgänge im kindlichen 
Darmcanal und die Gährungstherapie der 
V erdauungskrankheiten. 

Von Dr. Adolf Baginsky. 

(Schluss aus No. 20.) 

Wenn wir an der Hand dieser Thatsaeheu, welche völlig 
im Sinne der Yirchow’schen Uellularpathologie die Reaetion der 
Gewebe gegenüber den Gährungsreizen wiederspiegeln, zu den aus 
den Gährungs Vorgängen uns bekannt gewordenen Erfahrungen 
jetzt zurückkehreu, so fallt es uns auch gar nicht schwer, Beides 
miteinander in Einklang zu bringen. Wir haben in der Essig- 
säuregährung des B. aceticum das Mittel erkannt, dessen sich 
der kindliche Organismus bedienen kanu, pathogene Bacterien von 
der Darmwaud fern zu halten, aber so wie es in der Wirkungs¬ 
sphäre des B. aceticum liegt, sich den eigenen Uutergang zu be- 


DBUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCÜK WOCHENSCHRIFT. 


41 r> 


24. Mai. 


reiten, wenn die Gälirung ein gewisses Maiiss überschreitet, so ist 
darin auch der Grund für pathologische Processe der mannig¬ 
fachsten Art gelegt, welche sich zunächst aus der anomalen Beein¬ 
flussung der Verdauung, sodann aus dem deletären Einfluss auf die 
lebendigen Bestandteile der Darm wand herleiten lassen. Die 
Gäbrung. welche durch B. aceticum eingeleitet wird, steht eben, so 
günstig sie zeitweilig auch von baeterinlogisrhen Gesichtspunkten 
betrachtet erscheinen mag, jeden Augenblick an der Grenze des 
Pathologischen, an derjenigen Grenze, wo das Nutzbringende in das 
Schädigende Umschlägen kann. — Es wird leicht zu verstehen sein, 
dass unter dem Einfluss der reichlich, gerade in den obersten Darm- 
abschuitten gebildeten Essigsäure zunächst das Panereassecret. wel¬ 
ches ausschliesslich bei alkalischer Reaction zur Wirkung kommt, 
in seiner verdauenden Kraft geschädigt wird. Es wird die Pepto- 
nisirung der eingeführten Eiweisskörper behindert, die Fettemulsion 
gehemmt, auch die amylolytische Wirkung gestört. Alle Nahrungs- 
Bestandteile kommen in wenig assimilirbarem und der Resorption 
wenig zugängigem Zustande mit der Darmwand auf längere Strecken 
hin in Berührung und gelangen so in die unteren Darmabschuittc 
als schwierig zu verarbeitender uud wenig aufuahmsfähiger 
Ballast. Die reichlich gebildete Essigsäure wird weiterhin un¬ 
fehlbar zunächst einen Reiz auf die Darmwand ausiibeu, welcher 
sich in gesteigerter Peristaltik kund giebt und zur raschen Abwärts- 
beförderung der unverdauten lugesta beiträgt. Nicht selten wird 
überdies die bis zur Methanbildung fortgesetzte Gälirung der Essig¬ 
säure. bei der reichlichen Ansammlung von Gasen zu kolikartigen 
Zufällen Anlass geben. Fortgesetzte Störungen dieser Art führen 
allmählich katarrhalische Veränderungen der Mucosa herbei, unter 
deren Einfluss zuuächst nur die Resorptionsfahigkeit der Darin- 
sehleimhaut wesentlich alterirt wird, alter weiterhin auch die Um¬ 
kehr der Saftströmung, die Exsudation mit Abstossung von Epithel 
und reichlicher Ausfuhr Ivinphoider Zellen Statt hat. — Es ist leicht 
zu verstehen, wie dann, weun unter der Masse der gebildeten Essig¬ 
säure das als Wächter und Schutz gegeu pathogene Bacterieu die¬ 
nende B. aceticum selbst abstirbt, die nunmehr aufgelockerte und 
katarrhalisch afficirte Schleimhaut einen gut vorbereiteten Nährbodeu 
für andere, in den Darmcanal mit der Nahrung eingedrungene Keime 
abgiebt, welche in dem Augenblick zu wuchern beginnen, wo ent¬ 
weder die reichlich aus der Mucosa exsudirte alkalische Flüssigkeit 
oder die lebhafter ergossene Galle alkalische Reaction im oberen 
Darmabschnitt wieder hergestellt hat. — Escherich hat. da von 
ihm ja die Thatsache, dass B. aceticum den Milchzucker unter 
Säurebilduug vergährt, wenn er gleichwohl die Säure für Milchsäure 
uuspricht, sehr richtig weiter erkannt dass der primären sauren 
Gährung eine secundäre alkalische, durch eiweisslösende Baeterien 
bedingte folgt, dass also zwei Phasen der Gährung im Darmtractus 
vorhanden sind. 1 ) Auf Grund dieser Anschauungen ist er bestrebt 
gewesen, Vorschläge für eine Art diätetischer Therapie der dyspep- 
tischen Darmaffectionen zu machen. Er hat für die erste Phase (die 
saure) die Anwendung der Eiweisskörper bei Entziehung der Kohle¬ 
hydrate, für letztere (die alkalische) die Zufuhr von Kohlehydraten 
bei Beschränkung der Eiweisszufuhr empfohlen. Wie sehätzens- 
werth mir auch Escherich's Gedankengaug erscheinen mag, so 
kann ich doch nicht umhin, dagegen manches einzuwenden. — Man 
darf hei derartigen Verordnungen nicht vergessen, dass auch noch 
der Darmcaual vorhanden ist, in welchem sich die Gährung ab¬ 
spielt, dass iu dem Darmtractus die organischen vitalen Leistungen 
liiitsprechei), die Reaction des Organes gegenüber den chemischen 
Processen. Wer jemals auch nur für kurze Zeit Peptone, welche 
Escherich für die saure Gährungsphase als Nährmittel für .Säug¬ 
linge vorgeschlagen hat, zur Auwendung gebracht hat. der weiss, 
wie schlecht Peptoue vou Kindern an sich schon vertragen werden, 
wie sehr dieselben die Diarrhoe, möglicherweise auch nur durch 
Anregung die Peristaltik steigern, und nun gar die verfehlte Em- 

') Ueber die Anwesenheit saurer und alkalischer Gährung im kindlichen 
Darmcaual lesen wir seltsamer Weise schon in van Swietcti (Coinmentaria 
in Boerhave Aphorismen Bd. II, p. 722) Folgendes (übersetzt): Allo diese 
Mittel dienen zur Milderung fast allor Schärfen. Wenn man aber die be¬ 
sondere Art der scharfen reizenden Materie kennt, so sind auch diejenigen 
Mittel heilsam, welche eiue entgogenstehende Kraft haben. Also weun sich 
bei jüngeren Personen ein Durchfall einstellt, und saures Aufstosscn und 
grüne, sauer stinkende Entleerungen durch den Unterleib lehren, dass die 
scharfe Materie etwas saures sei, so sind erdeuartige ab- 
sorbirende Mittel, wie Krebsmägen, torallen, Kalk von ver¬ 
brannten Thierknochen nützlich, und zwar iu dem Maasse, dass 
diese Mittel von Vielen allgemein als gegen den Durchfall nütz¬ 
lich an gewendet wurden. Dies ist falsch, vielmehr thun diese 
Mittel nicht die geringste Wirkung, wenn eiue alkalische faule 
.Schärfe den Durchfall veranlasst hat, dor sieh durch saure 
Mittel sehr wohl heben lässt. . . . Doch sieht man. dass dabei grosse 
Vorsicht nüthig sei, dass mau die eigentliche Natur der Schärfematerie vorher 
genau erfahren muss, weil es leicht ist, hier in gefährlichen Irrthum zu 
verfallen. 


-i 

! pfehlung von Dextrinpräparatcn als Vertreter der Kohlehydrate, 
j mit welcher Escherich gegen seinen Willen der uuerhörten Reclame 
eines Industriellen eine gut zu missbrauchende Unterstützung geboten 
! hat. Die von Escherich iu’s Auge gefassten Dextrimnehle sind nicht 
amylumfrei uud enthalten überdies ganz erhebliche Mengen von stic.k- 
j stoffhaltigen Substanzen. Sie sind ganz dazu geeignet, Gähruugs- 
| erregern der bösesten Art den geeigneten Nährboden zu bereiten, wenn 
| sie als unverdauter und unverdaulicher Ballast den oberen Darmcaual 
passirt haben und in den unteren Dannabschnitten augelangt sind. 
— Es ist eiue schon seit langer Zeit bekannte Thatsache, dass 
Zucker bei gewissen Fällen von Diarrhoe von Kindern gut vertragen 
wird, so dass schon im Jahre 1857 Behrend und Silber 1 ) über 
I deu Nutzen der Zuckercur bei Darmkrankheiten und anderen Krank- 
j beiten der Kinder eiueu längeren Aufsatz publieirten. 

Neuerdings hat Raspe-) auf den Werth des Milchzuckers bei 
Verdauungsstörungen der Kinder aufmerksam gemacht, uud endlich 
hat Hirschler :i ) in der auch von Escherich citirten expcriineii- 
1 teilen Studie den Beweis erbracht, dass die Zuführung von Kohle¬ 
hydraten die Eiweissfäulniss zu hemmen vermag. Nur darf man 
bei Processen, die im Darmcanal des Kindes vor sich gehen, Dextrin 
nicht äquivalent dem Milchzucker setzen wollen, und noch weniger 
, die complicirt zusammengesetzten Kiudermehle. 

Die Praxis belehrt uns. dass seihst da. wo man sich anscheinend 
ohne Lücke rationell therapeutische Maassnahmeu zurecht legt, die 
i Dinge oft anders sich gestalten, als man sich dieselben ausgedacht 
; hat. Die Escherich’schen Vorschläge zeigen bei aller sehr 
.schätzenswerthell Ueberlegung die Lücke, dass an den Darmtractus 
als das direkt betrotfene Organ zu wenig gedacht worden ist. dass 
vor Allem die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen den Vor¬ 
schlägen vielfache Widerlegungen bringeu, und es ist letzteres wohl 
i zu verstehen, da cs sich ja in der Praxis gar nicht bloss darum han- 
! delt, eine begonnene Gährung zu unterbrechen, sondern eine 
dyspeptische Störung zu bekämpfen und zu behandeln. 

: Ich will nicht weiter darauf eiugehen, dass mau, selbst wenn man 
Escherich's Vorschläge billigen könnte, gar nicht in der Läge ist, 
t in der Praxis zu entscheiden, wanu die saure, waun die alkalische Gäh- 
i ruug (Eiweissfäuluiss) vorhanden ist, welche die Diarrhoe veranlasst. 

Die Entscheidung darüber kann die Reaction der Stuhlgänge nicht 
1 geben, sie würde eher nach den vorliegenden Erfahrungen, auf die 
ich alsbald eiugehen werde, durch Harnaualysen zu gewinnen 
sein. Man ist also gar nicht im Staude, ohne Weiteres zu 
| beurtheilcn, wann man Kohlehydrate, wanu man Eiweisskörper 
, eiuzutuhren habe, um die dyspeptische Diarrhoe zu bekämpfen, 
j Noch mehr: ich bin überzeugt, dass bei der Länge des Darmtractus 
! im Verlaufe eines dyspeptisch gestörten Verdauungsactes an den ver- 
I schiedeusten Stellen desselben verschiedene Reaction herrscht hier die 
I saure, dort, die alkalische Gährung stattfindet, hier Kohlehydrate, dort 
j Eiweisskörper zum Zerfall durch Fäuluiss gebracht werden. Man 
ist sonach überhaupt nicht in der Lage, deu künstlich geschaffenen, 

I zwar geistvoll erfundenen, aber mit der Natur der Dinge im Wider- 
! sprucli stehenden Indicationen Escherich’s zu genügen. 

In allen therapeutischen Fragen spricht ein Stück Empirie 
I mit, und weun man zu einer möglichst wahrheitsentsprechenden 
! Kenntniss der Dinge gelangen will, thut man immer gut, sich 
I an die durch die Erfahrung gegebenen Thahsachen zu halten. 

! Natürlich muss hierbei vorausgesetzt werden, dass die Erfahrung 
j aus richtigen und übereinstimmenden, hinreichend langen Beob- 
' achtungeil gewonnen ist. Dann dienen diese Beobachtungen aber 
als sicherer Leitstern für die Fortführung rationeller, die Wahr¬ 
heit mehr und mehr euthülleuder Anschauungen. — Es ist eine 
j Thatsache, dass Calomel schon in kleinen Gaben im Staude ist, 

| rasch und plötzlich eintretende dyspeptische Diarrhoeen kleiner 
| Kinder sistiren und die Beschaffenheit der Stuhlgänge zur Norm 
| zurückzuführen; allerdings bleibt diese Wirkung hei läugerdauern- 
I den Diarrhoeen aus. — Man hat sieh oft die Frage vorgelegt, 

! welcher Art die Wirkung des Calomel sei. Ich will auf alle gege- 
j beneu Erklärungen nicht eingehen, sondern nur hervorheben, dass 
| eine Anzahl von Autoren auf die antifermeutative, oder, wie man 
! sich jetzt wohl ausdrückeu darf, antibaeterielle Wirkung des Calomel 
i den Ton gelegt haben. Es kam mir darauf an, die Wirkung des 
Mittels gegenüber dem B. aceticum zu prüfen. Bringt inan 
' 0,05 Calomel in 10 g flüssig gemachte Nährgelatine ein. sterilisirt 
! neuerdings uud lässt unter langsamem Umschütteln erkalten, so 
1 dass möglichst viel von dem Calomel in der erstarrenden Gelatine 
suspendirt bleibt, impft darauf mit B. aceticum, so nimmt inan 
j wahr, dass das Wachsthum eiu sehr langsames ist und vorzugs¬ 
weise an der Oberfläche Statt hat, wo augenscheinlich die geringste 


') Journal für Kinderkrankheiten von Behrend uud Hildchraud, 
! Bd. 28, p. 52. 

a ) Raspe. Archiv f. Hygiene Bd. 5. 

J ) Hirschler. Zeitschr. f. physiolog. Chemie Bd. 10, 


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416 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 21 


.Menge des Mittels sich erhalten hat. Im Stichcanal findet sich 
lange Zeit hindurch keine Spur von Wachsthum; erst ganz allmäh¬ 
lich sieht mau auch hier das Wachsthuin vorschreiten, wobei die 
Oolonieen eiu eigenthümlich braunschwarzes Ansehen annehmen. 
— Man kann aus dieser Beobachtung den Schluss ziehen, dass 
Calomel eiu wesentliches Hinderniss für die Entwickelung der Bar- 
terien abgiebt, und dass dementsprechend die Gährwirkung der 
Bacterien behindert sein dürfte. Diese Thatsache giebt uns eine 
Erklärung für die Beobachtung, dass Calomel bei den rasch auf¬ 
tretenden dyspeptisehen Diarrhoeen für kurze Zeit von so günstiger 
Wirkung ist. Dieselben sind, wie ex juvantibus geschlossen werden 
kann, wahrscheinlich durch intensive Vergährnng des Milchzuckers 
der Milch bedingte. Dieser mit Calomel gemachten praktischen 
Erfahrung, für welche also eine theoretische Begründung möglich 
wird, steht eine andere höchst befremdliche gegenüber, welche vor 
einiger Zeit Morax 1 ) iu einer experimentellen Studie entwickelt 
hat. Bekanntlich treten bei der Eiweissfäulniss gewisse Stoffe auf. 
welche von Baumann, Brieger, Salkowski u. A. studirt als 
Phenole, Kresole, Scatol, Indol etc. beschrieben worden sind. Diese 
Stoffe gehen in den Harn über und werden in den Verbindungen 
mit Schwefelsäure als sogenannte Aethersehwefelsauren ausgeschieden. 
Bau mann-) hat den Nachweis erbracht, dass, ausschliesslich im 
Darm und nur durch Fäulnissprocesse in demselben, diejenigen 
Stoffe im normalen Organismus gebildet werden. welche mit 
Schwefelsäure gepaart im Harn auftreten, und dass dieselben „bei 
völliger Unterdrückung der Eiweissfäulniss im Darm (und dem Harn) ( 
verschwinden“. Die Aethersehwefelsauren können sonach quanti¬ 
tativ als das Maass der im Darm statt habenden Eiweissfäulniss an- 
genommen werden, die Eiweissfäulniss kann durch dieselben quan¬ 
titativ bestimmt werden. 

Morax hat nun gefunden, dass Calomel eine Wirkung auf die 
Eiweissfäulniss bei den kleinen Mengen, welche der Mensch ein- ' 
nehmen kann, gar nicht ausübt. Ich habe auf Grund dieser Tliat- 
sachen, bevor ich mit den biologischen Eigenschaften des B. aceti- 
cum bekannt geworden war, dem Zweifel Ausdruck gegeben 3 ), «ob 
überhaupt das causale Moment bei den dyspeptisehen Diarrhoeen : 
der Kinder die Eermentwirkung der Bacterien im Darmcanal sei“, j 
Diesen Zweifel kann ich nunmehr in Uebereinstinimung mit I 
Esc her ich 4 ) wohl fallen lassen, ich muss aber hervorheben, dass ! 
wir im Calomel ein Mittel haben, welches, soweit die hier in Hede i 
stehenden Gährnngsvorgäuge in Frage kommen, ausschliesslich auf 
die Vergährnng der Kohlehydrate durch B. aeeticum und etwa 
ähnlich wirkender Bacterieuformen eine Wirkung ausübt. Wir er¬ 
kennen sonach, dass einzelnen Mitteln eine gewisse specitische | 
Wirkungssphäre den Gährungserregern gegenüber zukommt, und es 
wird interessant und wichtig werden, wie dies Escherich eben¬ 
falls schon betonte, die antiseptischen Mittel nach dieser Richtung 
hin derReihe nach weiteren Prüfungen zu unterwerfen. In jüngster Zeit 
hat Macfadyen 5 ) eine derartige Prüfung schon unternommen und 
gelangt aus einer grossen Reihe von Untersuchungen zu dem Schluss, 
dass im Darmtractus sich die organischen Säuren als das wich¬ 
tigste und wirksamste antifermentative Agens erwiesen haben. So 
lässt sich verstehen, wie neuerdings französische Autoren zur Em¬ 
pfehlung der Milchsäure kommen, und wie Kefir, Kurnis und saure 
Milch erst in jüngster Zeit als diätetische Mittel bei den Kinder- 
diarrhoeen zur Empfehlung gelangt sind. Es wird sicher Fälle geben, 
wo diese Mittel erspriesslteh wirken. Das wirksame Princip ist in 
allen die organische Säure. — Ich selbst habe mit Naphthalin. 
Benzoesäure, Borsäure, Resorcin,Jodoform Prüfungen gegenüber B. 
aeeticum vorgenommen. Es stellt sich hierbei heraus, dass Naph¬ 
thalin das Bacterium nicht beeinflusst, dasselbe wächst vielmehr in 
eiuer zuckerhaltigen Nährgelatine bei Anwesenheit von Naph¬ 
thalin (0,05 g: 10 ccm Gelatine) ganz ausserordentlich üppig; da¬ 
gegen hindern Benzoesäure, Borsäure und Resorcin das Wachs¬ 
thuin vollständig. Jodoform scheint das Wachsthum nur aufzu¬ 
halten. Sehr üppig wächst B. aeeticum bei Anwesenheit von nicht 
zu grosser Menge von Natron in der Gelatine, also auf alkalischem 
Nährboden, allerdings auch nur bis zu einer- gewissen Grenze. — 
Es ist aus diesen, nur in den Anfängen stehenden Unter¬ 
suchungen zu ersehen, dass man bei dem Versuche der anti- 
bacteriellen Behandlung des Darmtractus nicht mehr, wie bisher 
mit dem ersten besten Mittel wird darein fahren dürfen, sondern 
dass man nach deu bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen die 
Wirkungssphäre der Mittel gegenüber den verschiedenen Formen 
der Gälirung wird festzustellen haben. Man wird sonst unter Um¬ 
ständen gerade mit solchen Mitteln vorzugehen Gefahr laufen, 

') Morax. Zeitvhr. f. physiologische Chemie, Bd. 10. 

") Zeitschr. für physiolog. Chemie, Bd. 10. 

Deutsche medio. Wochcnschr. 1887, p. 267. 

*) Centralbl. f. Bacteriologie, Bd. 2, p. 11. 

Journal of Auatomy and Physiology, Bd. 21, 1887. 


welche solche Bacterien in der Entw ickelung hemmen, deren Gedeihen 
im Darmtractus bis zu einem gewissen Grade dem Arzte in dem ein¬ 
zelnen Fall angelegen sein muss, weil sie dazu dienen, im Kampfe 
der Gährungen die schlimmeren Gährungserreger nieder zu halten. 
Ich stimme hier durchaus mit Escherich überein. Nicht 
miuder wichtig aber als die Aufgabe, die specifische Wirksamkeit 
der antifermentativ wirkenden Mittel kennen zu lernen, wird 
die andere sein, klaren Einblick iu die Art der im einzelnen Falle 
Statt habenden Gährungsvorgänge zu gewinueu. Die saure oder al- 
I kalische Reaction der Fäces und ihre Farbe giebt darüber keinen 
Aufschluss, weil beide von wechselnden und mehr zufälligen Ver¬ 
hältnissen abhängig siud. Nach den vorliegenden Untersuchungen von 
Müller 1 ) Baumann uud seinen Schülern kann es aber keinem 
Zweifel unterliegen, dass mau im Stande sein wird, aus der Be¬ 
schaffenheit des Harnes Rückschlüsse auf die Gährungsvorgänge zu 
machen. Die quantitative Ermittelung der Aetherschwefelsäuren, der 
lndoxylausscheidung im Harn uud vielleicht auch Aciditätsbestim¬ 
mungen werden, wie man mit einiger Sicherheit Vorhersagen kann, 
auf dem in Rede stehenden Gebiete neue und inaassgebeude Auf¬ 
schlüsse verschaffen. Ich behalte mir vor, demnächst derartige 
Untersuchungen, die nur in der Schwierigkeit der Beschaffung des 
Materials (des Kinderhamcs) auf Widerstände stossen, auszuführen 
oder durch einen meiner Schüler ausführen zu lassen. 

Wenn nun auf solche Weise der antibacterielleu Therapie 
oder der Gährungstherapie der Dyspepsieen auch ein gewisses 
Feld der Wirksamkeit eingeräumt werden kann, wird man doch 
niemals vergessen dürfen, dass dasselbe nur sehr beschränkt 
und eng abgegrenzt ist. Im ersten Anfänge der dyspeptischeu 
Erkrankung vielleicht von Bedeutung, wird diese Therapie um 
•so unwirksamer werden müssen, je mehr die pathologischen 
Veränderungen der Darmwand uud der nach dem Darmcanal hin 
secernirenden Drüsen die Erkrankungsforra uud den klinischen Ver¬ 
lauf zu beherrschen begonnen haben. Es wird .dann immer mehr 
darauf ankommen müssen, den Sitz des Krankheitsheerdes zu er¬ 
mitteln; es wird festzustellen sein, ob mehr aufwärts oder abwärts 
gelegene Abschnitte des Verdauungstractus erkrankt sind, welcher 
Art die pathologischen Veränderungen siud, ob rein katarrhalischer 
Natur oder unter Mitbctheiliguug der Follikelapparate; die Verände¬ 
rungen der Muskulatur und, so weit man dies im Stande ist, auch 
des Nervenapparates werden zu ermitteln sein. Ich habe in meiner 
mehrfach erwähnten Abhandlung „ Verdauungskrankheiten der 
Kinder“, (Practische Beiträge etc. Th. 111) wie ich glaube, sorgfältig auf 
diese Verhältnisse Rücksicht genommen und diejenigen Thatsachen 
angeführt, welche im Stande sind, zu diagnostischen Aufschlüssen 
nach den bezeichneten Richtungen hin zu führen. Das Gleiche 
hatte auch Nothnagel 2 ) gethan, und neuere Untersuchungen von 
Müller 3 ) habeu ebenfalls dazu gedient, für die Veränderungen des 
Darmcanals wichtige kliuisch-diagnostische Thatsachen kennen zu 
lehren. Freilich bedarf es bei der Ausmittelung derselben einer 
eingehenden mikroskopischen und oft auch chemischen Studie und 
Analyse der Entleerungen und einer Berücksichtiguug des gesummten 
klinischen Verlaufes. Ist man mit Hülfe dieser zu einer möglichst 
genauen Kenutniss des pathologischen Vorganges gelangt, daun 
wird man mit denjenigen Mitteln uud Methoden, welche sich direkt 
gegen denselben zu wenden habeu, und welche uns theilweise seit 
Langem her die Praxis an die Hand gegeben hat, sicher mehr aus- 
richteu, als mit der auf die Fermentzerstörung hin gerichteten 
Therapie. Natürlich wird man letztere nicht ausschliessen, nament¬ 
lich nicht im Anfänge, nur wird man darüber klar sein, dass sie 
bald im Stiche lässt und später die erstere nur allenfalls zu unter¬ 
stützen vermag, gegen den Krankheitsprocess als solchen aber 
durchaus uuwirksam ist. Im weiteren Verlaufe kommen also die Mittel 
zur Anwendung, von welchen man eine direkte Wirkung auf die 
Darmschleimhaut erwartet, die Adstringentien, wie Arg. nitrieuin. Bis- 
muth, Creosot, tanninhaltige Mittel, wie Cascarilla, Lig. Campech., Goto 
u. s. w., oder solche, welche die Secretion und Wirksamkeit der 
Verdauungssäfte beeinflussen, wie Acid. hydrochloratuin. Pepsin 
u. s. w., ferner Mittel, welche auf die Nervenfunctionen Einfluss 
haben, wie Eis, Opium, Chloral, Moschus. Aetlier u. s. w. Die 
sich ergebenden Indioationen sind sehr mannigfach, und wer je 
in der Praxis aufmerksam thätig gewesen ist, wird wissen, wie 
schwierig es werden kauu, denselben in geeigneter Weise zu ge- 
J nügen. Vielfach lassen die Mittel nur deshalb im Stich, weil wir 
I bei aller Mühe und Aufopferung nicht im Staude sind, zur volleu 
Klarheit über die pathologischen Veränderungen vorzudringen, viel¬ 
fach auch, weil der Darmtractus der Kinder in der mannigfachsten 
Weise reagirt. — Dazu kommt uoch, dass wir denselben selbst bei 

') Müller. Miltheilungen der Würzburger med. Klinik II. 

'-) Nothnagel. Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 7 und Sep.-Abdr. 
Berliu, Hirschwald. 

*) Müller. Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. XII. Untersuchungen 
über deu Icterus. 


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24. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


417 


bester ärztlicher Ueberwachuug nur schwierig von neuen Noxen 
frei halten können. Wir sind gezwungen, unsere Kranken zu er¬ 
nähren, und die Auswahl und Bereitung der Nahrung bietet man¬ 
nigfache, oft schwer überwindliche Schwierigkeiten. Die auf 
diesem Gebiete der Therapie erwachsenden Aufgaben zwingen also 
zur strengsten Regulirung der Diät, so hier zur Anwendung der 
Frauenmilch, dort zur vorsichtigsten Darreichung der Kuhmilch, 
welche man in geeigneter Weise von Gährungserregern und schäd¬ 
lichen Bestandtheilen anderer Art befreit hat, und die man wo- , 
möglich eisgekühlt verabreicht. Oft wird die Beschränkung des 
dargereichten Nährmaterials auf ein Minimum, ja die zeitweilige, 
wenn auch nur kurze Entziehung jeglicher Nahrungszufuhr überhaupt 
nothwendig. Wo wir Grund haben anznnehmen, dass Reste 
früher dargereichter Nahrung den Darmtractus belasten, und dass 
die auch vorsichtig gereichte und sorgfältig ausgewählte Nahrung 
nicht in geeigneter Weise assimilirt wird, dass die Reste der- I 
selbeu mit den, von der pathologisch veränderten Darmschleim¬ 
haut gelieferten Secreten und den übrigen Verdauungssecreten 
gemeinsam zur neuen Schädlichkeit sich gestalten, müssen wir 
obenein Bedacht darauf haben, diese Massen stets rechtzeitig zu 
entfernen. Wenn in früherer Zeit zur Erfüllung dieser Indication 
die Anwendung von Laxantien und Brechmitteln gäng und gäbe 
war. haben wir in neuerer Zeit auf Grund der verbesserten Einsicht 
und der erleichterten Methoden zu Magen- und Darmausspülungen 
unsere Zuflucht genommen. Niemand wird leugnen wollen, dass wir 
mit allen diesen genannten Behandlungsmethoden zwar auch den 1 
Gährungserregungen Einhalt thun, aber die Wirkung derselben ist, ! 
weil sie, wie namentlich die der letztgenannten, eine locale, die i 
afficirte Schleimhaut in direktester Weise beeinflussende ist, eine i 
weitaus bessere, als wir mit der Darreichung der eigentlichen : 
antifermentativen Mittel je zu erreichen hoffen können. Immerhin 
werden aber, wie schon hervorgehoben wurde, auch diese an geeig- ! 
ueter Stelle als Unterstützungsmittel mit zur Anwendung gezogen I 
werden können. 

Mir lag die Absicht fern, in eine detaillirte Schilderung 
«ler Therapie der dyspeptischen Krankheitsformen hier einzu- i 
treten. Worauf es mir ankam, das war, die Greuzen für eine 
in der jüngsten Zeit in übertriebener Weise in den Vordergrund 
geschobene Art der Therapie abzustecken und den Nachweis zu 
fuhren, wie wenig die von so vielen früheren Arbeitern mühsam i 
errungenen Erfahrungen es verdienen, von der antibacteriellen Be- j 
handlungsmethode in den Hintergrund gestellt und verdrängt zu 
werden. Es giebt keine Krankheitsform überhaupt, welche einen 
solchen Aufwand von Beobachtung und Scharfsinn seitens des 
Arztes in Anspruch nimmt, wie gerade die dyspeptischen Krank- j 
heiten der Kinder, aber auch keine Erkrankungsform, welche die ver- i 
mehrte und geläuterte Kenutniss durch die zu erringenden Erfolge ! 
besser lohnt, als diese. Nur dessen muss man eingedenk bleiben, 1 
«lass die Verhältnisse ausserordentlich complicirt sind, und dass es 
eine vergebliche Mühe ist, von einem Gesichtspunkte aus die ganze 
Frage der Therapie derselben lösen zu wollen. Die als functioneile 
Störungen bezeichneten Erkrankungsformen gehen mit den anato- 
rnischen Läsionen dauernd Hand in Hand; iu dem Maasse als die 
crsteren auftreten, erzeugen sie die letzteren, und die mit den 
letzteren gegebenen Störungen in der Assimilation und Resorption 
der eingeführten Nahrung erzeugen von Neuem die nur als func- 
tionelle Anomalieen bezeichneten Gährungserscheinungen. Es ent¬ 
steht so jener Cercle vitieux, dem das erkrankte Kind zu eut- 
reissen nur derjenige Arzt vermag, welcher es versteht, sich zwar aller 
Mittel der modernen diagnostischen Technik zu bedienen, welcher 
sich aber durch die modern gewordenen Schlagwörter nicht beirren 
lässt, weder in der klaren Beobachtung der Krankheitserscheinungen 
noch auch in der wohl angepassten Anwendung lang erprobter the¬ 
rapeutischer Erfahrungen Dies hindert selbstverständlich nicht, dass : 
wir uns bewusst bleiben müssen, wie vermehrungsfähig und verbesse- j 
rungsfähig unsere Erfahrungen auf dem Gebiete der Darmkrank¬ 
heiten noch sind, und dass wir bemüht bleiben, die neu gewonnenen | 
Thatsachen nach reiflicher Prüfung aufzunehmen und iu den Schatz 
«ler früher erworbenen Kenntnisse einzureihen. 

VI. Ueber die Sackniere (Cystonephrosis). 

Von Prof. Dr. E. Küster. 

(Fortsetzung aus No. 20.) 

Fall 5. 

Linksseitige .Sackniere. Nephrolithotomie. Heilung. Frau 
Agnes P., Kaufmannsfrau aus Berlin, überstand im Alter von 22 Jahren im 
Februar 1882 das erste Wochenbett ohne Störungen. Am 13. August 1883 
erkrankte sie plötzlich ohne voraufgegangene Symptome an einer Nieren¬ 
kolik; die Schmerzen verschwanden aber auf eine subcutane Morphium- 
injection in gleicher Weise, wie die an jenem Tage reichliche Eiweissaus¬ 
scheidung. Eine bald darauf nach Wildungen unternommene Reise mit 


6 wöchentlichem Aufenthalt schien den besten Erfolg zu haben, da Frau P. 
während des ganzen Jahres gesund, und der Urin eiweissfrei blieb. Auch 
das zweite Wochenbett im Mai 1885 verlief normal; indessen zeigten sich 
am 4. August desselben Jahres Zeichen eines Blasenkatarrhs, und am 13. 
wurde eine reichliche Eiweissausscheidung festgestellt. Patientin fieberte 
vom 14. bis zum 20. August sehr heftig unter Ausscheidung wechselnder 
Eiweissmengen; die Abendtemperaturen stiegen bis 40,5, wurden aber er- 
| folgreich mit Antipyrin bekämpft. Sie blieb dessenungeachtet dauernd 
ohne Appetit, magerte ab und hatte häufig Schmerzen bei der Urinentleerung, 
sowie in der linken Nierengegend. Gegen Ende September steigerte sich 
das Fieber sehr, und der Zustand wurde besorgnisserregend. Herr Sanitäts¬ 
rath Dr. Steinbrück, dem ich vorstehende Angaben verdanke, zog deshalb 
Professor Senator zu, welcher eine Pyelitis diagnosticirte und am 8. Octo- 
ber mittelst einer Pravaz’schen Spritze am schmerzhaftesten Punkte, in der 
Nähe der 11. Rippe, eine Probepunction machte, durch welche übelriechen¬ 
der Eiter entleert wurde. Am 9. October 1885 wurde ich von beiden Herren 
behufs Ausführung der Operation hinzugezogen. Ich fand eine gut gebaute, 
aber magere und elende Frau, mit Fieber und erheblicher Schmerzhaftigkeit 
der linken Nierengegend. Eine genaue Untersuchung war bei der grossen 
Empfindlichkeit der Patientin nicht zu machen. In der Narkose liess sich 
indessen feststellen, dass eine, wenn auch nicht auffallend grosse Geschwulst 
die Nierengegend ausfülle; eine Probepunction ergab wiederum Eiter. Es 
wurde daher von der Lumbalgegend aus eingeschnitten und die nun deut¬ 
lich fluctuirende Niere eröffnet. Nachdem der das Nierenbecken erfüllende 
Eiter abgeflossen war, fühlte der Finger einen kaum erbsengrossen Stein im 
Uebergange zum Harnleiter, welcher leicht ausgezogen werden konnte. Be¬ 
handlung der Wunde wie gewöhnlich. Sofort fiel die Temperatur auf die 
Norm und blieb so während des ganzen Heilungsverlaufes; dagegen waren 
in den ersten 14 Tagen noch heftige Schmerzen bei der Urinentleerung vor¬ 
handen und wurde bei der Filtration des Urins häufig Gries gefunden. Das 
Drainrohr wurde 7'/9 Wochen nach der Operation, am 24. November, entfernt, 
Anfangs December war die Fistel vollständig geschlossen. Patientin ist seit¬ 
dem aufgeblüht und erfreut sich bis jetzt vollkommener Gesundheit. 

Fall 6. 

Rechtsseitige Sackniere. Nephrotomie. Heilung. Dr. M. S., 
Professor, 44 Jahre alt, war früher stets gesund bis auf eine Perityphlitis, 
welche er im 11. Lebensjahre überstand, und in Folge deren er wiederholt 
an Kothstauuugen gelitten hat. Als junger Mensch litt er kurze Zeit an 
Gonorrhoe. Ende Januar 1887 stellte sich häufiger, schmerzhafter Harn¬ 
drang ein, dessentwegen sich Patient Anfangs Februar einen Nelaton’schen 
Katheter einführte. Die Erscheinungen wurden danach heftiger, es ent¬ 
wickelte sich hohes Fieber mit wiederholten Frösten. Der am 5. Februar 
hinzugerufeno Arzt, Herr Dr. .Seidel, fand eine Temperatur von 40° G, 
hochgradige Schmerzhaftigkeit der rechten Nierengegend, trüben, blutig¬ 
eitrigen, eiweisshaltigen Urin. Am nächsten Tage schon war in der rechten 
.Nierengegend eine deutliche Dämpfung vorhanden, welche weiterhin nach¬ 
weislich zunahm. Der Eiweissgehalt des filtrirten Urins stieg enorm, so 
dass mehr als die Hälfte des letzteren beim Kochen gerann; das Blut war 
indessen aus dem Urin verschwunden, im mikroskopischen Bilde zeigten sich 
nur zahlreiche Eiterkörperchen und einige Plattenepithelien; die Reaction 
blieb stets sauer. Am 9. Februar wurde Professor Senator zugezogen, 
welcher gleichfalls einen sehr erheblichen rechtsseitigen Nierentumor nach¬ 
wies, der sich indessen in den nächsten Tagen nicht unwesentlich ver¬ 
kleinerte unter dem Gebrauch diuretischer Mittel (Natron benzoicüm, 
Wildunger Wasser, Naphthalin). Da trotzdem die Fieberbewegungen fort¬ 
dauerten, dieselben sich sogar steigerten, und die Kräfte sanken, so wurde 
ich am 24. Februar zugezogeu. Damals war der Tumor so klein geworden, 
dass ich ihn nicht deutlich nachzuweisen vermochte, wuchs aber in den 
nächsten Tagen wieder so, dass ich am 27. Februar eine Probepunction 
vornehmen konnte, welche eine urinös-eitrige Flüssigkeit lieferte. Als dann 
weiterhin eine 13ständige Anurie eintrat und 14 Tage lang fast sämrat- 
liche Nahrung erbrochen wurde, entschloss ich mich zur Operation, obwohl 
am 3. März früh die Urinausscheidung wieder in Gang gekommen war. 

3. März. Nephrotomie durch Lumbalschnitt. 4 Uhr Nachm. Temp. 39,5, 
Puls gut, aber schnell. Etwas Somnolenz. Die Niere wurde leicht frei¬ 
gelegt und eröffnet; es entleerten sich mindestens 1 ’/a L. eines stark ge¬ 
trübten eiterhaltigen Urins. Katbeterismus des Harnleiters gelingt nicht. 
Annähung des Sackes an die Haut, Ausspülung, Drainage mit Thymolmull. 
Abends war die Temperatur auf die Norm gesunken. Ara 5. März bereits 
secernirte die Wunde nur wenig. Am 6. März wurden auf natürlichem Wege 
über 2 L. fast klaren Urins entleert. Am 10. März war der Urin ganz klar, 
enthielt, nur noch Spuren von Eiweiss. Patient hatte vortrefflichen Appetit 
und erholte sich so schnell, dass er bereits am 20- März fast den ganzen 
Tag ausser Bett sein konnte. Der Verband musste noch täglich gewechselt 
werden. Am 22. März konute Patient seine erste Ausfahrt machen. Vom 
7. April an floss nichts mehr durch die Wunde, dafür wurde aber der Urin 
wieder stark eiterhaltig. Am 6. Mai war die Wunde vernarbt, die Pyurie 
aber dauerte ungeachtet aller angewandten Mittel fort, verlor sich auch nach 
einer Milchcur auf dem Lande nicht vollständig. Nach mancherlei Ver¬ 
schlimmerungen und Besserungen trat erst im November wieder fast voll¬ 
kommen klarer Urin auf. Patient sieht sehr wohl aus und hat mehr, als 
seine frühere Körperfülle wiedergewonnen. Während er früher 153—158 Pfd. 
wog, kam er im August 1887 auf 175 Pfd. und wiegt jetzt (in Kleidern) 
190 Pfd. Der Urin ist (December 1887) nahezu klar mit einer schleier- 
artigen Trübung, welche sich sehr langsam senkt und ein Sediment bildet. 
Dasselbe besteht vorzugsweise aus' stäbchenförmigen Bacterien, einzeln und 
in Klumpen, vereinzelten Eiterkörperchen und wenigen aufgequollenen 
plattenförmigen Epithelien. Ham sauer, spec. Gewicht 1020. Zuweilen ist 
der Urin vollkommen klar. 

Fall 7. 

Linksseitige Sackniere. Nephrolithotomie. Heilung. Reese, 
Franz, 29 Jahr, wurde am 7. März 1887 in’s Augusta-Hospital aufgenommen. 


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418 


DEUTSCHE MED1CINISCHE WOCHENSCHRIPT. 


No. 21 


Der sonst stets gesunde Mann stürzte vor 13 Jahren Ton einer Leiter, hatte 
in Folge dessen Blntspeien, Schmerzen im Rücken und wurde 8 Tage später ■ 
bewusstlos. Darauf stellten sich Schmerzen in der rechten Thoraxhälfte ein, ' 
woselbst nach 6 Wochen ein Abscess incidirt wurde. Patient kränkelte 
seitdem, litt an Husten und Auswurf. Im Jahre 1886 zog sich Patient eine j 
Gonorrhoe zu und bekam nach derselben im September 1886 Schmerzen in J 
der linken Nierengegend, welche seither angedauert haben; der Urin war i 
stets trübe. Im Januar 1887 entwickelte sich starker Lungenkatarrh, nach 1 
dessen Beseitigung wieder stärkere Nierenschmerzen sich zeigten. 

Der Patient war ein zart gebauter, elender Mann. In der linken Lungen¬ 
spitze Rasselgeräusche. In der linken Nierengegend fand sich ein mehr als 
mannsfaustgrosser, platter, fluctuirender Tumor, dessen Punction Eiter ergab. 

8. März. Nephrotomie durch Flankenschnitt. Bei der lncision des 
Nierenbeckens entleert sich fast reiner Eiter. Der eingeführte Finger ent¬ 
deckt einen flachen, zehnpfennigstückgrossen, rauhen Stein in einem der 
Kelche, welcher leicht entfernt wird. Nierensubstanz bis auf eine schmale 
Zone geschwunden. Annähung des Sackes an die Haut, Drainage, Verband. 
Es trat nach einigen Tagen Eiterrerhaltung ein, welche zur' Einführung 
eines zweiten Drains nöthigte. Seitdem glatter Verlauf. Am 29. März ver¬ 
lässt Patient das Bett. Die Secretion aus der Wunde ist noch reichlich, 
der Urin völlig klar, enthält etwas Eiweiss. 

30. April. Noch immer findet Secretion aus einer Fistel statt, der Urin 
aber ist vollkommen klar. Patient ist viel stärker geworden, sieht gut aus. 
In der Lunge finden sich noch Rasselgeräusche. Patient wird auf dringenden 
Wunsch zur Poliklinik entlassen, wurde im September noch einmal auf¬ 
genommen, da die Fistel sich noch nicht geschlossen hatte. Dies geschah 
erst in Folge energischer Cauterisation mit dem Thermocauter im October d. J. 

Fall 8. 

Doppelseitige Sackniere, linke Steinniore. Nephrolitho¬ 
tomie sin. Tod an Urämie. Frau Ida S., 28 Jahr, Bankiersfräu aus 
Gotha, wurde mir am 27. März 1887 von Herrn Dr. Max Hofmeier mit 
der Diagnose einer doppelseitigen Hydronephrose bei Steinniere linkerseits 
zugewiesen und in meine Privatklinik aufgenommen. Patientin hat mit 18 
Jahren Abdominaltyphus, der mit starker Darmblutung verbunden war, 
überstanden. Die Periode trat regelmässig alle 26 Tage ein, die ersten 
2 Tage sehr stark, mit geringen Kreuzschmerzen verbunden. Pat. hat ein 
Kind gehabt, ist nie unterleibskrank gewesen. Seit 5 Jahren empfand sie 
hier und da dumpfe Schmerzen in der linken Unterbauchgegend, sowie, 
wenn auch selten, rheumatische Schmerzen in der linken Lendengegend, 
welche von da nach vorn ausstrahlten. Seit 2 */* Jahren bemerkt Pat. eine 
Trübung des Urins; im August v. J. trat in Wildungen ein heftiger, 5 Tage 
dauernder Schmerzanfall in der linken Unterbauchgegend auf. Seitdem war 
die Trübung des Urins viel stärker, es fanden sich Fetzen in demselben 
und leicht blutige Streifen, während stärkere Blutung nie vorhanden war. 

Der frisch gelassene Urin ist trübe, es schwimmen in ihm grössere 
und kleinere Fetzen; filtrirt lässt er beim Kochen eine deutliche, wenn 
auch durchsichtige weisse Trübung erkennen, die auf Salpetersäurezusatz 
nicht verschwindet. Kein Zucker. Mikroskopisch enthält er neben zahl¬ 
reichen weissen Blutkörperchen eine ziemliche Menge grosser, unregelmässig 
geformter, durchsichtiger Plattenepitbelien, zum Theil mit einem langen 
Fortsatz versehen. Keine Hamcylinder. Die oben erwähnten Fetzen be¬ 
stehen aus Schleim, weissen Blutkörperchen und Epithelien. 

28. März. Untersuchung in der Narkose. Die Vaginaluntersuchung 
ergiebt eine Retroflexio uteri mit Lateroflexion nach rechts. Uterus leicht 
aufzurichten. Linkes Ovarium normal, rechtes nicht zu fühlen. 

Die rechte Niere, an normaler Stelle liegend, ist etwas vergrössert und 
zeigt dunkle Fluctuation; indessen fallt eine Probepunction von der Lumbal¬ 
gegend her negativ aus. Die linke Nierengegend wird eingenommen von 
einem deutlich fluctuirenden Tumor etwa von der Grösse dreier Fäuste, 
welcher bis etwas unterhalb der Spina ant. sup. nach abwärts reicht und 
über welchem nach vorn hin überall Darmton. zu hören ist. Bei bimanueller 
Betastung fühlt man hinten deutlich ein Crepitiren, wie wenn sandige Steine 
aneinander verschoben würden. Die an dieser Stelle eingesenkte Hohlnadel 
stösst sofort auf harte, sandige Steine, welche fast das ganze Nierenbecken 
auszufüllen scheinen; es werden einige kbem einer weisslichen, dünnen, stark 
schleimigen Flüssigkeit ausgesogen, welche unter dem Mikroskop neben 
Schleim vereinzelte Kürachenkugeln und stark verfettete, grosse und platte 
Epithelien erkennen lässt. 

29. März. Nephrolithotomie durch Flankenschnitt. Nach Eröffnung 
des Nierenbeckens ergiesst sich eine grosse Menge trüben Urins. Der 
Finger fühlt sofort einen grossen, weichen, sehr zerbrechlichen Stein im 
Nierenbecken, der mit Finger und Kornzange in Stücken entfernt wird, 
wobei es sich als nöthig erweist, den Zugang zu einzelnen Nierenkelchen, 
in welchen Steinreste lagern, durch Erweiterungen mit dem geknöpften 
Messer zu erzwingen; dennoch bleibt eine Menge von Steintrümmern übrig, 
welche mit dem grossen Simon’sehen scharfen Löffel unter sanfter Führung 
desselben ausgelöffelt werden. Zum Schluss wird die Niere ausgespült. Von 
der Substanz des Organs war nur eine wenige Millimeter dicke Schicht übrig 
geblieben, welche in gewohnter Weise an die Ränder des Hautschnittes ge¬ 
näht wird. 

Patientin ist nach der Operation wenig angegriffen, hat Abends eine 
Temp. von 37,8, ist aber etwas somnolent, was 7 Stunden nach der Operation 
auffällig erscheint 

30. März früh 39,8, Somnolenz dauert fort, es ist nur eino ganz geringe 
Menge blutigen Urins entleert. Verbandwechsel. Wunde ganz reizlos, wird 
noch einmal mit Sublimat ausgespült. Abends 39,0, Sopor, sehr geringe 
Urinentleerung. 

31. März. Ueber Nacht etwas mehr Urin entleert, Temp. 38,6, Be¬ 
wusstsein klarer. Verbandwechsel. Abends 39,5, fast comatös, Urinmenge 
wiederum sehr gering. Strabismus divergens. 

1. April. Patientin ist den ganzen Tag über soporös und stirbt im 
Sopor am 2. April früh. Die Section wurde loider nicht gestattet. 


Der Stein, welcher in Bruchstücken gewonnen wurde, zeigt einen deutlich 
krystallinischen, harten, grauweissen Kern und eine dünne, amorphe, gelblich 
weisse Rinde. Beide Abschnitte setzten sich zusammen aus kohlensaurem 
und phosphorsaurem Kalk, sowie aus Tripelphosphaten. 

Der vorstehende Fall bietet nach manchen Seiten hin beson¬ 
deres Interesse. Zunächst liefert er den Beweis, dass Steiue im 
Nierenbecken unter Umständen direkt gefühlt und durch Einstossen 
einer Nadel von der Haut her mit voller Sicherheit nachgewiesen 
werden können. I)ann aber ist die Todesursache von grosser Wich¬ 
tigkeit. Ungeachtet der fehlenden Section ist es wohl kaum zweifel¬ 
haft, dass als Todesursache Urämie zu betrachten ist. Woher kommt 
dieselbe? Es war vorher diagnosticirt worden, dass die rechte 
Niere nicht gesund sei; da aber vorher noch niemals Andeutungen 
ähnlicher Zustände stattgefunden hatten, so müssen nothwendiger 
Weise durch die Operation Verhältnisse geschaffen sein, welche die 
Uriuabsonderung eiuschränkten und hinderten. Man spricht nun 
freilich von reflektorischer oder sympathischer Einwirkung einer 
Niere auf die andere; allein es wäre sehr auffallend, wenn diese 
Einwirkung so selten stattfände, wie die Krankengeschichten lehren, 
und wenn dieselbe nach einfacher Nephrotomie, freilich verbunden 
mit allerlei Manipulationen im Nierenbecken, einträte, während man 
übrigens mit dem besten Erfolge beide Nieren eröffnet hat (Lange, 
New-York). Da liegt es denn viel näher, an ein auderes Ver¬ 
hältnis zu deuken, nämlich an die neuerdiugs nachgewiesene un¬ 
günstige Einwirkung des Sublimats auf das Nierenepithel, durch 
welches dasselbe verkalkt (Senger.) Sind beide Nieren so ge¬ 
schädigt. wie es hier der Fall war, so bedarf es offenbar nur des 
Verlustes der Epithelauskleiduug in wahrscheinlich geringem Um¬ 
fange, um die Urämie zum Ausbruch zu bringen. Ich weiss, dass 
ich damit nur eine Hypothese ausspreche, allein eine Hypothese, 
welche mir begründet genug erscheint, um zur grössten Vorsicht 
in der Anwendung des Sublimats bei Nierenoperationen, falls mau 
der Gesundheit der anderen Niere nicht volkommen sicher ist, auf¬ 
zufordern. (Schluss folgt) 


VII. Referate und Kritiken. 

Leyden. Die Entzündung der peripheren Nerven (Polyneu- 
ritia — Neuritis multiplex), deren Pathologie und Behand¬ 
lung. Zwei Vorträge, gehalten in der militärärztlichen Gesell¬ 
schaft zu Berlin. Mit einer Tafel. Sonderabdruck aus der 
deutschen militärärztlichen Zeitschrift 1888. Ref. Oppenheim. 

Der Autor, dem die Lehre von der multiplen Neuritis ihre 
feste Begründung verdankt, hat in diesen Vorträgen, die sich unter 
voller Berücksichtigung der vorliegenden Untersuchungen und Beob¬ 
achtungen auf die eigene Erfahrung stützen, eine zusammenfassende 
Darstellung der Krankheit gegeben. 

Der geschichtlichen Entwickelung, der Symptomatologie und 
der pathologischen Anatomie ist der erste Vortrag gewidmet. Es 
wird besonders hervorgehoben, dass diejenigen Krankheitsformen 
bei Erwachsenen, die man früher als acute und subacute Polio¬ 
myelitis aufgefasst wissen wollte, fast durchweg zur Polyneuritis 
gehören. Absolute Schranken in der Verbreitung pathologischer 
Processe bestehen aber nicht — es kann sich mit der Neuritis 
multiplex die Poliomyelitis anterior verbinden, wie es zuerst 
durch Leyden’s eigene Beobachtungen sichergestellt wurde. — 
Der Nachweis der peripherischen Grundlage eröffnet auch ein Ver- 
ständniss für die günstige Prognose dieser Krankheitszustände, da 
die Regenerationskraft der peripherischen Nerven eine ausserordent¬ 
lich energische ist im Gegensatz zu der des Rückenmarkes. 

Der pathologisch-anatomische Process stellt sich bald als echt¬ 
entzündlicher, bald als atrophisch-degenerativer dar. Da indessen 
beiderlei Processe weder anatomisch noch klinisch-symptomatologisoh 
scharf zu trennen sind, so dürfen wir auch die multiple Neuritis 
und Degeneration nicht dogmatisch von einander trennen, sondern 
müssen sie unter ein und denselben Krankheitstypus zusammenfassen. 

Ein hervorragendes Interesse verdient die Classificirung. 

Leyden hebt hervor, dass die multiple Neuritis nach dem 
gegenwärtigen Stande der Kenntnisse nicht eine einzige Krankheit, 
sondern eine Gruppe von Krankheiten darstellt, deren einzelne 
Formen in ihrem Typus zwar übereinstimmen, jedoch im Einzelnen 
grosse Verschiedenheiten darbieten. 

Er unterscheidet folgende Formen: 

1. Die infectiöse Form: Lähmungen nach Diphtherie, Typhus 
und auderen infectiösen Krankheiten. Primäre infectiöse multiple 
Neuritis, Beri-Beri, mult. Neuritis nach Syphilis und Tuberculose. 

2. Die toxische Form der mult. Neuritis: Bleilähmung, Arsen- 
lähinung, Phosphorlähmung, Lähmungen nach CO- und CS- Ver¬ 
giftung, Ergotismus, mercurielle Lähmungen, Alkohol-Neuritis. 

3. Die spontane multiple Neuritis nach Ueberanstrenguug, 
nach ungewöhnlichen Erkältungen. 

4. Die atrophische (dyskrasische, kachektische) Form nach 


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24. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 419 


Anämieen (perniciöse Anämie) Chlorose, Marasmus, Krebskachexie. 
Diabetes. (Tuberculose, Kak-ke.) 

5. Die sensible Neuritis: Pseudotabes, Nervotabes peripherica. 

a. Die sensible Form der multiplen Neuritis. 

b. Die sensible Neuritis bei Tabes. 

Die einzelnen Formen werden einer gesonderten Besprechung 
unterzogen. In Bezug auf die Pathogenese der infectiösen Gruppe 
vertritt Leyden die Anschauung, dass gewisse, durch die Infections- 
krankheit gebildete giftige Substanzen (Ptomaine) die Ursache 
der Polyneuritis sind, und ist geneigt, diese Vorstellung auf alle 
Formen der mult. Neuritis auszudehnen. 

Von den toxischen Formen wird die auf Alkoholismus be¬ 
ruhende eingehend erörtert. Der Autor unterscheidet: die alkoholische 
Paraplegie, die Ataxie der Säufer und die hyperästhetische Form 
des chronischen Alkoholismus (Leudet). 

Dass jedoch nicht alle Erscheinungen auf das peripherische 
Nervensystem zu beziehen sind, wird unter Hinweis auf die Thomsen- 
schen Beobachtungen von Leyden genügend betont. 

Die Besprechung der „atrophischen (dystrophischen), anämischen, 
kacbektischen Form der multiplen Neuritis“ bringt neue Gesichts¬ 
punkte. Der Autor rechnet hierher die anämischen, chlorotischen 
Lähmungen, die Lähmungsformen in der Reconvalescenz von schweren 
Erschöpfungsneurosen, die Greisenlähmung etc., indem er sich auf 
die anatomischen Untersuchungen von Oppenheim und Siemer- 
liug stützt. Endlich zählt er zu dieser Kategorie die lähmungs¬ 
artigen Zustände, die im Verlauf des Diabetes auftreten können, 
und unterscheidet eine hyperästhetische oder neuralgische, eine 
motorisch-paralytische und eine ataktische. 

Die Mittheilungen über die sensible oder ataktische Form der 
multiplen Neuritis lehnen sich eng an die Dejerine’schen Beob¬ 
achtungen über die Nervo-tabes peripherica oder Pseudo-tabes an. 
Ferner wird an dieser Stelle die Lehre von der peripherischeu 
Nervendegeneration bei Tabes abgehandelt und die schon früher 
vom Verfasser angeregte Frage erörtert, ob die Tabes dorsalis einen 
peripherischen Ursprung haben könne, und ob sie zu einer gewissen 
Zeit ihrer Entwickelung auf eine peripherische Erkrankung beschränkt 
sein könne, frei von jeder Läsion des Rückenmarkes. Für einzelne 
Fälle, wo die blitzartigen Schmerzen lange bestanden und erst 
nach Jahren zu den ersten Symptomen der entschiedenen Tabes 
führten, sei der Gedanke kaum abzuweisen, dass der Process Jahre 
lang nur in der Peripherie bestanden habe. 

Die Ansicht, dass die acute aufsteigende Paralyse zur Gruppe 
der Erkrankungen durch mult. Neuritis gehört, hält Leyden für 
wahrscheinlich, aber noch keineswegs für erwiesen. — 

Zum Schluss sei noch auf das lehrreiche Capitol, welches der 
Therapie der mult. Neuritis gewidmet ist, hingewiesen. 


Ahlf eld. Berichte und Arbeiten ans der geburtshülflich- 
gynäkologischen Klinik zu Marburg. 1886—1886. 111. Band. 
Leipzig, F. W. Grunow. Ref. Flaischien. 

Wie in den beiden ersten Bänden seiner Berichte hat A. hier 
denselben Eintheilungsmodus bei behalten. Einem allgemeinen kurzen 
Bericht über die Vorgänge in der Klinik folgt der Haupttheil des 
Buches: Die Erörterung einer Reihe von wichtigen geburtshülf- 
lichen Fragen auf Grund von Beobachtungen und Versuchen. Die 
Mittheilungen aus der gynäkologischen Abtheilung beschränken sich 
auf wenige casuistische Mittheilungen. 

In dem Capitel I „Zur Anatomie und Physiologie der 
Schwangerschaft“ theilt A. einen Fall von Placenta bipartita mit und 
versucht, die Aetiologie dieser seltenen Anomalie zu ergründen. 
Nach ihm ist dieselbe wahrscheinlich durch eine Einsenkung des 
Eies im äussersten Winkel des Corpus uteri zu erklären. Die 
Zotten senken sich an den beiden gegenüberstehenden Flächen der 
Gebärmutterwand ein und finden guten Boden, während zwischen 
den Eiusenkungsstellen eine Zone bleibt, in denen die Zotten nicht 
weiter wuchern. 

Die eingehendsten Untersuchungen hat A. wieder über die 
Physiologie und Pathologie der Nachgeburtsperiode angestellt, 
und eine Reihe von Fragen, welche dieses Gebiet betreffen, 
werden im II. Th eile abgehandelt. Die Blutraenge, welche 
in der Nachgeburtsperiode verloren geht, ist bei der Crede’schen 
Expressionsmethode grösser als bei der von A. hauptsächlich befür¬ 
worteten abwartenden Methode (Expression der Placenta nach 
mindestens IV 2 Stunden). Durch genaue Zahlenreihen weist A. 
uach, dass die Blutung um so grösser ist, je kürzer die Aus¬ 
treibungszeit der Placenta dauert. 

Erstgebäreude verlieren in der Regel etwas mehr Blut als 
Mehrgebärende. Die Dauer der Austreibungsperiode hat keinen be¬ 
deutenden Einfluss auf die Dauer der Nachgeburtszeit. 

Der zu späte Blasensprung hat einen eutschiedeneu Einfluss 
auf die Höhe des Blutverlustes in der Placeutarperiode. Die spon¬ 


tane Geburt der Placenta in der ersten Viertelstunde nach Geburt 
des Kindes ist ein nicht physiologischer Vorgang. DieseT Satz 
wird nach Ansicht A.’s dadurch bewiesen, dass dieses Ereigniss nur 
in 11,4% der Fälle eintrat. Die Grösse des Kindes hat einen nicht 
zu verkennenden Einfluss auf die Blutmenge in der Nachgeburts¬ 
periode. Letztere wird in evidentem Masse beeinflusst von der 
Grösse der Placenta. 

Unter den einzelnen Ergebnissen der Untersuchungen, die A. 
über die Höhe und die Ursachen des Blutverlustes bei abnormen 
Geburten angestellt hat, sind folgende besonders zu verzeichnen: 
Das enge Becken als solches giebt keine Contraindication ab, die 
abwartende Methode zu verlassen, im Gegentheil, die Blutverluste 
bei engem Becken sind geringer als sonst, ein Umstand, der hier 
zurückzuführen war auf den frühen Blasensprung, welcher in einer 
grossen Zahl dieser Geburten, um den Kopf zu fixiren, zur Aus¬ 
führung kam. — Die Zange giebt die grössten Blutverluste von 
allen Operationen, welche zur Entbindung der Frau nothwendig 
werden. Die Blutungen kommen in der Hauptsache aus Verletzun¬ 
gen der weichen Geburtswege. Bei macerirten Früchten wird 
eine auffallend geringe Blutmenge in der Nachgeburtsperiode be¬ 
obachtet, ein Umstand, der ohne Zweifel auf die Veränderung dev 
Deciduagefässe hinzuführen ist, welche, je länger der Tod der 
Frucht erfolgt ist, desto intensivere Folgen hervorbringt. 

Pathologische Blutungen in direktem Anschlüsse an die Pla- 
centarperiode kommen bei der von A. ausgebildeten abwartendeu 
Methode seltener vor, als bei irgend einer anderen Methode. Bei 
Anwendung des Crede’schen Verfahrens, selbst des modificirten, 
sind schwere Blutuugen häufiger. 

Die Beobachtung lehrt, dass Frauen grosse Blutverluste in der 
Geburt ohne wesentlichen Einfluss auf den Gesammtorganismus er¬ 
leiden können. Unter gewöhnlichen Umständen gilt ein Blutverlust 
von 2500 g bei Erwachsenen schon für absolut tödtlich, nicht selten 
tritt der Tod auch schon ein bei Verlust von 2000 g. A. citirt 
nun 2 Fälle, in denen Frauen in der Geburt 2000 und 2500 g 
Blut verloren, ohne dass dieser Verlust Symptome von schwererer 
Anämie hervorbrachte. Ein Blutverlust von 1500—2000 g kann 
von einer Wöchnerin ertragen werden, ohne wesentliche Erschei¬ 
nungen hervorzurufen. Wesentlich in Bezug auf die Stärke der 
letzteren ist es jedenfalls, ob die Blutung mit einem Male erfolgte 
oder ob erst in mehreren Stunden eine grosse Summe erreicht 
wurde. — Den am meisten in die Augen fallenden Erfolg bietet 
das abwartende Verfahren in Bezug auf Spätblutungen, d. h. 
Blutungen, die Stunden und Tage nach Beendigung der Placenta- 
ausstossung beobachtet werden. Unter circa 900 Wochenbetten ist 
kein Fall zur Beobachtung gekommen, in welchem ärztliche Hülfe 
wegen einer Blutung hat geleistet werden müssen. Placentarperiode 
und Wochenbett verlaufen am günstigsten, wenn man die Zeit von 
IV 2 bis 2 Stunden abwarten kann. A. empfiehlt für die Praxis die 
abwartende Methode auf das Dringendste und verzichtet auf die¬ 
selbe nur bei Placenta praevia, bei Tympania uteri, infectiösem 
Fieber der Mutter. 

Der III. Th eil „Pathologie der Schwangerschaft und Geburt“ 
enthält wesentlich casuistische Mittheilungen. Eingehender berichtet 
A. über 22 Fälle, bei denen er die künstliche Frühgeburt eingeleitet 
hat. Als Methode wurde das Bougie und Douchen gewählt. 14 
Mütter machten ein fieberloses Wochenbett durch. 13 Kinder wur¬ 
den lebend geboren. — Von Interesse ist eine weitere Mittheilung 
über einen Fall von Conception bei gänzlichem Mangel menstrueller 
Erscheinungen. Die 38jährige Gravida hatte nie in ihrem Leben 
menstruirt. Sie machte eine normale Entbindung durch. — 

Ueber eine Reihe von Untersuchungen über die Ursachen der 
Temperatursteigerungen im Wochenbett berichtet A. im 
IV. Abschnitt „Physiologie und Pathologie des Wochenbettes“. 
Seiner Ansicht nach sind die Mikroorganismen, welche die leich¬ 
teren Formen des Puerperalfiebers hervorbringen, ubiquistische. — 
Seine Morbiditätsstatistik bestätigt den alten Satz, dass Erstgebärende 
Erkrankungen leichter unterworfen sind, als Mehrgebärende. Die 
Ursachen dieser häufigeren Erkrankungen sind in den häufigeren 
Verletzungen bei Erstgebärenden zu suchen. Als Eingangspforteu 
für infectiöse Stoffe haben besonders die Wunden des Portio, ferner 
die der Vagina eine grosse Wichtigkeit; durch die Placentarstelle 
und die äusseren Genitalien wird das Gift seltener aufgenommeu. 

Die Dauer der Eröffnungsperiode hat keinen Einfluss auf die 
Zuuahme der Wochenbettserkrankungen, wohl aber die Dauer der 
Austreibuugsperiode. Bleibt die Placenta länger in den Geburts- 
tlieilen zurück, so nimmt die Zahl der Wochenbettserkrankuugen*ab. 

Besonders lebhaft tritt A. wieder für die von ihm besonders 
vertheidigte Möglichkeit der Sei bstinfecti on im Puerperium ein. — 
Von neuem veranlassen ihn seine Untersuchungen ferner, die Gefähr¬ 
lichkeit des Crede’schen Handgriffes zu betonen. Er hielt den¬ 
selben für einen mindestens unnützen Eingriff in eiuen natürlichen 
Vorgang, eiuen Eingriff, der von geübter Hand und unter vorsichtigem 


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420 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 21 


Gebrauch der Antisepsis ausgeführt, nur wenig Schaden anrichtet, 
iu der Hand von Hebammen und nicht geübten Aerzten aber grosses 
Unheil anzurichten im Stande ist. 

Dem Sublimat als Desinficieus in der Geburtshülfe redet 
auch A. das Wort. Contraindicirt hält er dasselbe nur bei sehr 
anämischeu Personen, bei Placenta praevia, bei solchen, die bereits 
früher Quecksilbercuren durchgemacht haben und bei an Nephritis 
leidenden. 

Ein sehr interessanter Fall von Infection durch Milzbrand 
vor der Geburt wird am Schlüsse des IV. Abschnittes mitgetheilt.. 
Die Entbindung verlief normal. Die Puerpera starb plötzlich post 
partum. Die Section ergab Milzbrand. Das Kind lebend geboren, 
starb am 4. Tage an Milzbrand. Leider kann die Beobachtung nichts 
zur Lösung der wichtigen Frage beitragen, ob der Milzbrandbacillus 
durch die Placenta hindurchgehen kann. 

Einige Bemerkungen widmet A. der Methodik des Veit’sehen 
Handgriffes im V. Theile der Arbeit. Die Anlegung der Zange an 
den nachfolgenden Kopf verwirft A. gleich den meisten modernen 
Autoren. Er spricht sich jedoch dagegen aus, die manuelle 
Extraction des nachfolgenden Kopfes durch Druck von aussen zu 
unterstützen, da er diesen Druck für eine schädigende Beihülfe hält 
(im Gegensatz zu den Erfahrungen auf der Schroeder’schen 
Klinik, in welcher gerade dieser Handgriff Jahre hindurch mit den 
besten Erfolgen ausgeführt wurde. D. Rf.) A. will bei schwierigen 
Fällen sich durch einen Assistenten so helfen lassen, dass letzterer 
einen Zug gleichzeitig mit dem Operateur von der Schulter aus 
oder von dem Beckenende des Kindes ausübt. — Versuche, die A. 
ausgeführt hat, haben ihn zu dem durch die Erfahrung schon längst 
bestätigten Schlüsse geführt, dass, um den nachfolgenden Kopf 
durch ein plattes Becken zu entwickeln, eine volle Manneskraft 
ohne Schaden für das Kind in Anwendung kommen kann. — Eine 
Reihe von Missbildungen, durch schöne Abbildungen illustrirt, wird 
im VI. Abschnitt besprochen. 

Ophthalmoblennorrhoea neonatorum ist iu den Jahreu 
1885 und 1886 auf der Marburger Klinik nicht beobachtet worden. 

Die prophylaktischen Sublimateinträufeluugen (1:3000) wurden 
noch bis Ende 1886 fortgesetzt. Seit Anfang 1887 jedoch sind 
auch diese unterblieben, und es wird, sobald der Kopf geboren ist, 
die Gegend der Augen und die äussere Fläche der Lider mit 
Watte und Wasser einfach gereinigt. 

Den Schluss der Monographie Ahlfeld’s bilden einige casui- 
stische Mittheiluugen aus der gynäkologischen Abtheilung der 
Marburger Klinik. 


löeinwächter. Die Amputationen nnd Exarticulationen im 
Augustahospital in den Jahren 1871—1886. Ein Bild der 
Entwickelung der Wundbehandlungsmethoden mit einem Vorwort 
von Prof. Dr. E. Küster. Leipzig, Georg Thieme, 1887. Ref. 
Emil Senger. 

Das vorliegende, Herrn Prof. Küster gewidmete kleine Werk 
kann Fachleuten und Aerzten angelegentlichst empfohlen werden. 
Es hat den hohen Vorzug, dass ein grosses Material vor und während 
der Entwickelung der modernen Chirurgie unter derselben Leitung 
geblieben ist, und so geben die Resultate einen direkten Maassstab 
für den Werth der einzelnen Wundbehandlungsmethoden, besonders 
da sich der Autor erfolgreich bestrebt hat, möglichst gleichartiges 
Material zur Vergleichung heranzuziehen. 

Bei Abfassung einer gleichartigen Statistik ist so vorgegangen, 
dass immer die nicht complicirten und die complicirten Fälle in 
2 grossen Gruppen berücksichtigt sind. Denn es leuchtet ein, dass 
z. B. ein schon septisch zur Amputation kommender Patient ein 
schlechteres Resultat bei unserer modernen Behandlung geben 
kann, als ein nicht complicirter Fall, z. B. Amputation wegen 
einer Geschwulst bei der früher nicht antiseptischen Behand¬ 
lung. Auch die Beurtheilung der erlangten Resultate kann Schwierig¬ 
keiten bereiten, indem es sich z. B. fragt, ob man eine bis auf 
einen kleinen Stich eiternde, sonst zugeheilte Wunde als p. prim, 
betrachten solle oder nicht. Kleinwächter fügt nur diejenigen 
Fälle zu den p. p. geheilten, welche in 10— 12 Tagen völlig ohne 
Eiterung verklebt sind, die anderen zu den theilweise p. p. oder zu 
den p. secundam geheilten. 

Das reizvollste Kapitel ist das über die verschiedenen Formen 
der Wundbehandlung und ihre Resultate. Wir wollen in Kürze den 
Hauptinhalt wiedergeben. 

I. Die Amputationen aus den Jahren 1871—1874, unter dem 
vorantiseptischen Charpie-Deckverband oder bei der offenen Wund¬ 
behandlung. Die letztere hält Küster nächst der modernen für 
die beste; die erstere Charpiemethode hingegen gab so lange gute 
Resultate, als die hygienischen Hospitalverhältnisse günstig waren 
und das Krankenmaterial klein und gut versehen. Aenderteu sich 
diese Verhältnisse, so trat bald Erysipel, Phlegmone, ja Hospitalbrand 
auf. Es wurden nach obigen Methoden behandelt: 


23 nicht complicirte, davon starben 3, d. h. 13%, 3 heilten 
p. p., 11 complicirte, davon starben 8 = 72,7%, 6 davon aber, un¬ 
abhängig von der Behandlungsmethode, an Delirium, Verbrennung etc. 

II. Die Jahre von 1875—1878, die Zeit des Experimentirens 
in der Wundbehandlung. Die ersten Versuche mit Lister i. J. 1874 
missglückten, und Küster kehrte zu der offenen Wundbehandlung 
zurück. Vom Jahre 1876 typischer Lister; im Jahre 1878 ein 
3% monatlicher ungünstiger Versuch mit der Thymolgazebehandlung. 

28 nicht complicirte Fälle, davon 1 Tpdesfall = 3,57% Mortali¬ 
tät. 19 complicirte, davon 8 gestorben = 41,1 o/o. 

III. 1879—1882. Blüthezeit des typischenListerverbandes. Die 
Misserfolge der anderen Chirurgen gegenüber den vorzüglichen Re¬ 
sultaten V olkmann’s wurden darin gefunden, dass Volkmann die 
Verbandstoffe in der Klinik anfertigen liess und frisch verwandte. 
1880 wurde der Spray abgeschafft. 

37 nicht complicirte mit 2 = 5,40/ 0 Todesfällen und 24 p. p. 
geheilten; 16 complicirte mit 5 = 31,2% Todesfällen. 

IV. 1883—1885. Jetzige Methode. Die Kostspieligkeit des 
Verbandes, die hohe Iutoxicationsgefahr des Carbois und seine 
reizenden Eigenschaften veranlassten 1882 die Jodoformbehandlung, 
dann 1883 die Sublimatbehandlung mit Sumpfmoos, Jodoformbe¬ 
stäubung, Neuber’s Knochendrains, kurz die jetzt im Augustahos¬ 
pital geübte und genau beschriebene Methode. 

29 nicht complicirte mit 0% Mortalität; 14 complicirte mit 
6 = 42,85% Mortalität. 

Es folgt nun ein Vergleich der Resultate vor und nach Lister 
und der verschiedenen Kliniken. Die Störungen im Wundverlauf 
sind Gangrän der Haut, Sägeflächennekrose, Erysipele, Nachblutun¬ 
gen, Fieber und Neuralgieen. Hinsichtlich des Alters geht aus der 
Zusammenstellung hervor, dass durch dasselbe weder die Mortalität 
noch die Heilungsdauer ungünstiger gestaltet wird. Ferner ver¬ 
schlechtert auch die Grösse der Wundfläche die Heilung nicht, da 
die Oberschenkelamputationen ein besseres Resultat lieferten als 
z. B. die Unterschenkelamputationen, wogegen freilich die Verhütung 
des Blutverlustes bei ersteren schwieriger wird. 

Bemerkenswerth sind die Resultate bei der Tuberculose. 
Das constitutioneile Leiden, der allgemeine Kräftezustand haben 
keinen ungünstigen Einfluss auf den Erfolg der Amputation. Es 
kommt nur darauf an, dass alles Krankhafte, alles Infectiöse entfernt 
ist. Die Grundkrankheit selbst (Phthise) wird durch den Eingriff 
keineswegs beschleunigt, im Gegentheil hatte derselbe zunächst eine 
günstige Einwirkung, dagegen ist der definitive Erfolg des localen 
operativen Leidens ein sehr zweifelhafter. — Hinsichtlich der fort¬ 
schreitenden senilen Gangrän hält Küster eine conservative Be¬ 
handlung für fehlerhaft, sondern räth, möglichst hoch zu amputiren, 
z. B. bei Gangrän der Zehe im Kniegelenk. Die Resultate bei 
diesem Vorgehen sind relativ sehr günstige. — Die Geschwülste der 
Extremitäten anlangend sind die Carcinome günstig, da alle 3 ope- 
rirten bis jetzt recidivfrei geblieben sind, dagegen sind die peri- 
ostealen Tumoren sehr gefährlich; alle bis auf einen im Jahre 1885 
Operirten sind an Recidiven gestorben; die schaligen centralen 
Knochengeschwülste (Osteosarcome) sind günstig, wenn die Schale 
noch nicht durchbrochen ist, metastasirend, wenn der Durchbruch 
erfolgt ist. 

Im Text finden sich Tabellen und Schemata zur leichteren 
Orientirung der Heilresultate; augefügt sind auf 50 Seiten die 
sämmtlichen 177 Operationsfälle mit kurzer Krankengeschichte, dem 
Verlauf und dem Resultat Dieselben werden dem Fachmann eiue 
willkommene Beigabe sein, das Studium derselben eine grosse Be¬ 
lehrung gewähren. 

Wie man schon aus Obigem sieht, ist das Werk mit grosser 
Sorgfalt und Umsicht angefertigt und verdient fleissig gelesen zu 
werden. 


W. Bode. Bad Nanheim, seine Curmittel, Indikationen und Er¬ 
folge. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1888. Ref. K. 

Die vorliegende Schrift hat den Zweck, die Collegen (sie wendet 
sich nur an ärztliche Kreise) über die seit dem Erscheinen der 
früheren Arbeiten über Nauheim erweiterten Curmittel und Heil¬ 
anzeigen Nauheims zu orientiren, da die neueren Mittheilungen 
darüber in Journalartikeln zerstreut sind. — 

Verfasser, der seit 21 Jahren dort thätig ist und über reiche 
eigene Erfahrungen gebietet, befleissigt sich einer streng objectiven 
und sachgemässen Betrachtungsweise, hält sich nur an das, was er 
und andere zuverlässige Beobachter gesehen haben, und tritt mehr¬ 
fach zu sanguinischen Auffassungen entgegen, so u. A. der Auf¬ 
fassung, als sei Nauheim ein „Specialbad gegen Herz- uud Rücken¬ 
markskrankheiten.“ Bei Herzleiden hat er in ganz frischen Fällen 
von Endocarditis günstige, resorbirende Wirkungen gesehen, und 
hält die Nauheimer Bäder bei chronischen Herzfehlern für ein Herz- 
touicum ersten Ranges. — Die Verbindung der Badecur mit Gym¬ 
nastik und eventuell mit der OerteEschen Cur wird kritisch be- 


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24. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 421 


sprochen. Verfasser betont besonders die in letzter Zeit unverdienter 
Weise mehr in den Hintergrund getretene Wirkung des Bades gegen 
die scrophulösen Leiden in ihren verschiedenen Formen und gegen 
die chronisch entzündlichen Exsudate in Bauch-, Brustraum und an 
anderen Orten. — Die Art und Verwendungsweise der Bade- und 
Trinkquellen wird ihrer Entwickelung nach eingehend besprochen. 

Die Schrift bietet jedem Arzte, welcher sich über die Nau- 
heirner Bäder unterrichten will, eine sachgemässe und ungeschminkte 
Zusammenfassung dessen, was für ihn und seine Patienten wissens- 
werth ist. 

VUL Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 20. December 1887. 

Vorsitzender: Herr Schede. Schriftführer: Herr Schmalfuss. 

1. Herr Müller berichtet, dass im Seemannskrankenhause 
schon längere Zeit die PateUarfr&otnren nach der von Schede an¬ 
gegebenen Methode behandelt werden. Die Fragmente werden je¬ 
doch nicht mehr durch Heftpflasterstreifen in Contact gebracht, 
sondern dadurch, dass ein Assistent dieselben mit Daumen, Zeige- 
und Mittelfinger beider Hände auf der äusseren und inneren Seite 
von oben und unten her umgreift, sie gegeneinander schiebt und 
so lange in gegenseitiger Berührung hält, bis der um die Kniege¬ 
lenksgegend herumgelegte Gypsverband erhärtet ist. Die durch den 
Fingerdruck im Verbände entstandenen Impressionen genügen schon 
allein zur Fixation der Fragmente. Zur Abkürzung des ermüden¬ 
den Haltens empfiehlt er, das Kniegelenk zuletzt einzugypsen. 
Vorn in dem Verband werden zwei Drahtschlingen angebracht, 
wodurch das Bein in Schwebe gehängt wird, um den M. quadriceps 
zu erschlaffen. Nach erfolgter Abschwellung in etwa 14 Tagen 
wird der erste Verband abgenommen, weil dann die Vertiefungen 
nicht mehr hinreichend fixiren, und durch einen zweiten, ganz in 
derselben Weise angelegten, ersetzt, welcher noch gut 3 Wochen 
liegen bleibt, entweder ist dann knöcherne Vereinigung erfolgt, 
oder ist solche nur ligamentös geworden, so sind die Bandmassen 
hinreichend straff und fest. Zur Nachbehandlung empfiehlt er 
Massage und Faradisirung der Muskulatur des Oberschenkels und 
für die erste Zeit das Tragen einer Hohlschiene in der Kniekehle 
oder eines abnehmbaren Gypsverbandes, um eine Dehnung der 
frischen Zwischensubstanz zu verhüten. 

Auch er hält es für sehr wesentlich, den intracapsulären Bluterguss 
durch Punction und nachfolgende Auswaschung zu entleeren, um 
einestheils die Fragmente besser aneinander bringen zu können und 
anderenteils das Gelenk vor arthritischen Veränderungen zu be¬ 
wahren. Solche gelang immer noch am sechsten Tage nach der 
Verletzung. 

In allen Fällen eine knöcherne Vereinigung der Fragmente 
mit dieser Behandlungsweise zu erzielen, kann und wird nicht mög¬ 
lich sein, da solche durch Interposition des aponeurotischen Ueber- 
zuges der Patella verhindert werden kann, aber immerhin hält er 
sie von allen unblutigen Methoden der Patellarfracturbehaudlung für 
die einfachste und an Erfolg sicherste. 

Es folgt die Demonstration dreier geheilter Fälle. 

Der 1. Patient hat die rechte Patella einfach, die linke mehr¬ 
fach fracturirt; Heilung innerhalb 6 Wochen nach Punction am 
0. Tage nach der Verletzung und Anlegen zweier Gypsverbände. 
Rechts knöcherne, links ligamentöse Vereinigung.. In beiden Knieen 
normale Beugung und Streckung möglich. 

Von den beiden anderen Patienten hatte der eine die rechte 
Patella mehrfach gebrochen, ein kleines Fragment auf die Kante 
gestellt. Feste, ligamentöse Vereinigung nach 6 Wochen, Beugung 
bis über einen Rechten; der andere hatte einen einfachen Querbruch 
der rechten Patella; auch hier hatte nur ligamentöse Vereinigung 
stattgefunden, doch kann Patient, obwohl erst 7 Wochen nach der 
Verletzung verflossen sind, sein Bein bis fast 1 R beugen. 

2. Herr Curschmann: Fortsetzung des Vortrages: Statisti¬ 
sches und Klinisches über den Unterleibstyphus in Hamburg. 

Den nun folgenden statistischen und klinischen Erörte¬ 
rungen legt der Vortragende 1445 Fälle aus dem Allgemeinen 
Krankenhause (die im Jahre 1886 geheilt entlassenen und gestor¬ 
benen) zu Grunde. 

Die Zahl sei an sich für die Beurtheiluug der Krankheit be¬ 
deutend genug und für diejenige der Hamburger Epidemie insofern 
maassgebend, als sie nahezu die Hälfte aller vorgekommenen Fälle 
umfasse. 

Die Alters- und Geschlechtsverhältnisse der Befalleuen 
berechtigten aus bekannten Gründen nicht zu absoluten Schlüssen, 
seien doch aber bemerkenswerth. Es seien unter den 1445 Kranken 
815 Männer uud 630 Weiber und Kinder (204 Kinder). 

Unter den Erwachsenen seien 82% zwischen 15 und 40 Jahren. 

Von 6 : 5 Jahren gerechnet, ergab sich das folgende Alters- 
verhältniss: 


15- 

-20 

Jahre . 

.... 408 = 

28,2 

70 

21- 

-25 

n 

.... 369 = 

25,5 

Ü /0 

26- 

-30 

7) 

.... 246 = 

17 

0 /0 

31- 

-35 

7) 

.... 112 = 

7,8 

% 

36- 

-40 

V 

.... 50 = 

3,5 

°/o 

41- 

-45 

n 

.... 26 = 

1,8 

% 

46- 

-50 

Ti 

. . . . 11 = 

0,8 

% 

51- 

-55 

7) 

. . . . 2= 

0,1 

% 

56- 

-60 

Ti 

. . . . 3= 

0,2 

% 

61- 

-65 

Ti 

.... 1 = 

0,07%. 


Der Verlauf der Epidemie sei ein im Gauzen recht schwerer 
gewesen. Die beiden für die Beurtheilung derselben maassgebenden 
Hauptmomente waren: 

1. Die Mortalität. 

2. Die durchschnittliche Behandlungsdauer. 

Die Behandlnngsdauer war eine sehr grosse, wenu man 
bedenkt, dass die Ueberfüllung des Krankenhauses zu einer be¬ 
sonders prompten Entlassung der Geheilten drängte. Sie betrug 
im Durchschnitt 55—65 Tage. Die Extreme repräsentiren 3 Fälle 
von 180 Tagen und 3 sicher constatirte von kaum 10 Tagen. 

Die Dauer des fieberhaften Stadiums (excl. Recidiv), 
welche bei 1412 Fällen berechnet werden konnte, betrug: 

bis zu 21 Tagen bei 900 Fällen = 63,5 % 
zwischen 22—33 „ „ 387 „ = 37,4 % 

zwischen 33 und mehr „ „ 125 „ = 9,0%. 

Die Mortalität war entsprechend der durch die auffallend 
lange Krankheitsdauer gekennzeichneten Schwere der Epidemie 
eine recht bedeutende: 11,5%. 

Von den 204 Kindern starben 15 = 7,3%. 

Zieht man die Kinder von den Erwachseneu» ab, so starben 
von diesen (1241 Fälle) 149 = 12%, und zwar 
105 Männer = 8,5 % 

44 Weiber = 3,5 %. 

Man sieht also die grossen Schwankungen der Sterblichkeit 
je nach Geschlecht und Lebensalter. 

Selbstverständlich gelten diese Verhältnisse, wie alles Folgende, 
nur für die zur Erörterung stehende Hamburger Epidemie. 

Ganz anders und wiederum unter sich sehr verschieden seien 
die Resultate anderwärts gewesen, wie die Baseler, Dresdener und 
französischen Statistiken, sowie die Arbeit von Murchison zeigten. 

Redner geht nun dazu über, die Ursachen der langen 
Krankheitsdauer und der beträchtlichen Mortalität zu er¬ 
örtern. 

Für die Krankheitsdauer kämen 3 wesentliche Momente 
in Betracht: 

a) Die auffallende Neigung der Epidemie zu protra- 
hirtem Verlauf des Fieberstadiums bei nicht sehr hohen 
Temperaturen und oft stark remittirender und inter- 
inittirender Temperaturcurve. 

b) Die recht grosse Häufigkeit der Recidive. 

c) Die durch die beiden vorhergehenden Momente 
wohlmotivirte Verlängerung der Reconvalescenz. 

In Betreff der Recidive sei zu erwähnen, dass in 14 , /*»°/o aller 
Fälle solche zu verzeichnen gewesen wären. Das Auftreten der¬ 
selben mache die betreffenden Krankheitsfälle von vornherein unbe¬ 
rechenbar, es wären hierdurch Erkrankungen von geradezu mon¬ 
ströser Dauer zur Beobachtung gekommen (Demonstration solcher 
Curven). 

Die Zahl von 14’/2% sei bedeutend bei Vergleich mit anderen 
Epidemieen. Nach einer kleinen Tabelle von Liebermeister 
kamen Recidive vor: 

in Kiel 1881-1885 8,7% 
in Basel „ 8,6%. 

Nach einer Zusammenstellung von Gerhardt 6,3%. 

Die Häufigkeit der Recidive variire bei dem Hamburger Ma¬ 
terial nicht unbeträchtlich je nach Alter und Geschlecht. Kinder 
seien mit 19%, die Erwachsenen mit 13% bezeichnet. Unter den 
Erwachsenen wiederum seien die Weiber stärker befallen als die 
Männer. Diese Beobachtungen stimmten mit Griesin ge r’s An¬ 
gaben. Grössere Erfahrungen in dieser Richtung seien sonst in der 
Literatur nicht niedergelegt. 

Die Aetiologie der Recidive im allgemeinen, wie im spe- 
ciellen Fall sei bisher gänzlich unklar. Die Frage, ob die Schwere 
der Krankheit resp. der Infection dazu in Beziehung 
stünde, sei zu verneinen. Die letzte Epidemie hätte im Gegen- 
theil nicht wenige Fälle gebracht, wo gerade an ganz leicht ein¬ 
setzende, selbst eine Weile ambulant verlaufende Fälle sich lange, 
heftige, z. Th. wiederholte Recidive augeschlossen hätten. Solche 
Fälle seien während der Epidemie geradezu typisch geworden. 

Auch die Behandlungsart sei ohne Einfluss auf die Ent¬ 
stehung der Recidive. Wenn man früher versucht habe, die Bäder 
zu beschuldigen, so widerlegte sich dies durch die Hamburger Er- 


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422 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 21 


fahruugen, welche an einem nur in geringem Maasse der Badebe¬ 
handlung unterworfenen Material gewonnen seien. 

Auch für den gewöhnlich beschuldigten Einfluss der Diät¬ 
fehler auf die Entstehung der Recidive habe Redner keinen An¬ 
haltspunkt gefunden. Die Annahme sei auch mit der modernen 
Anschauung über das Wesen des Typhusgiftes schwer vereinbar. 

Die Zahl der Recidive anlangend, so seien mehr als eins 
bei demselben Krankheitsfall relativ selten gewesen. Von den 
207 Kranken mit Recidiv hätten nur 18 zwei, und nur 3 drei Reci¬ 
dive gehabt. 

Die meisten Recidive (85%) seien vor dem 17. Tage nach der 
ersten Entfieberung aufgetreten. Aber auch von da au bis zum 
30. Tage seien immer noch 120/ 0 zu verzeichnen, und selbst nach 
dem 30. fieberfreien Tage seien noch vereinzelt Rückfälle vorge¬ 
kommen. 

Die Dauer der Recidive habe weitaus am häufigsten 6—15 Tage 
betragen. Bei 12,6% seien 16—20 Tage verzeichnet, in zwei 
Fällen 36, bezw. 40 Tage. 

Die Prognose des Recidivs an sich habe sich nicht beson¬ 
ders schlimm erwiesen. Von allen einschlägigen Fällen seien nur 
9 = 4,3°/o gestorben. Unter allen überhaupt Behandelten betrüge 
die Recidivsterblichkeitsziffer nur 0,6% äusserst gering jedenfalls 
im Verhältniss zur Gefährlichkeit gewisser nachher zu erörternder 
Complicationen. 

Ueber den Verlauf des Hamburger Typhus in sympto- 
raatologischer Beziehung verzichte Redner ausführlich zu sprechen. 
Einer so viel nnd trefflich bearbeiteten Krankheit seien hier wesent¬ 
lich neue Gesichtspunkte nicht abzugewinnen. Er wolle nur nach 
zwei Richtungen hin Mittheilungeu machen: 

1. Ueber den Typhus levis, levissimus und den sogenannten 
Abortivtyphus. 

2. Ueber den Verlauf im Kindes- uud Greisenalter. 

Die leichten Typhusformen bildeten ein besonders diagno¬ 
stisch schwieriges Capitel. Redner mache die Diagnose nur danu, 
wenn Roseolen, Milztumor und charakteristische Stühle beziehungs¬ 
weise zwei dieser Erscheinungen gleichzeitig vorhanden seien, oder 
an einen leichten zunächst undefinirbaren Krankheitszustand sich 
Recidive mit den obengenannten charakteristischen Zeichen an- 
schlössen. Gerade die letzteren Fälle seien die schlagendsten Be¬ 
weise für die Existenz eines Typhus levissimus, ja Typhus afebrilis. 
Eine Febris gastrica kenne Redner nicht, es sei dies eine Verlegeu- 
heitsdiaguose. Man habe nur zu fragen, ist der vorliegende Fall 
ätiologisch ein Typhus? ist er ein nicht specifischer fieberhafter 
Magendarmkatarrh? Lasse sich hier keine Entscheidung treffen, so 
mache man am besten keine Diagnose. Der Verlauf der leichten 
Typhusfälle sei ihrer Ausnahmestellung entsprechend unregelmässig. 
Die Hauptsymptome seien ganz verschieden ausgebildet, die Roseolen 
im Ganzen sparsam, nur in einzelnen Fällen stärker, ja enorm dicht 
aufgeschossen. Starke Milztumoren seien häufig, durchschnittlich 
geringer dagegen Darmerscheinungen und Bronchitis. 

Was den Fieberverlauf beträfe, so seien die leichteren (nicht 
leichtesten) Fälle oft recht protrahirt. Die Kranken fieberten viele 
Wochen lang, ohne selbst in den Abendstunden viel über 39° zu 
kommen. Dabei seien die Temperaturen vielfach ganz unregel¬ 
mässig gestaltet. Andere, meist kürzer verlaufende Fälle hätten 
zwar hohe Abendtemperaturen, seien aber regelmässig am Morgen 
fast oder vollkommen fieberlos, so dass daraus in den charak¬ 
teristischsten Fällen rein intermittirende Fiebercurven mit Quotidian- 
typus sich entwickelten, während bei einem anderen Theil der Fälle 
wenigstens eine starke fast reguläre Febris remittens zu Stande 
käme. Der Intermittens- resp. Remittenstypus sei bei diesen 
Formen der Krankheit so stark ausgeprägt, dass er sich selbst auf 
etwaige Recidive und Nachschübe erstrecice. 

Seltener, wenigstens in unserer Epidemie, seien die Fälle von 
1 bis 1% Wochen dauernder mittelhoher oder hoher Febris con- 
tiuua gewesen mit darauf folgendem raschem Temperaturniedergang 
zur Norm. Häufiger sei hier der Niedergang der Curve gewesen 
unter starken Remissionen resp. Intermissionen mit beginnender 
zweiter Woche. 

Für den Verlauf des Typhus bei Kindern sei eine gewisse 
Unregelmässigkeit der Fiebercurve charakteristisch. Schon während 
der ersten Woche oder nach Ablauf derselben beginnende starke 
Intermissioneu oder Remissionen der Temperaturcurve seien hier 
geradezu bezeichnend. Recht grosse diagnostische Schwierigkeiten 
machten diejenigen Fälle, bei denen die Temperaturcurve von Anfang 
an oder auf lauge Strecken gauz unregelmässig mit scheinbar un- 
motivirten starken Remissionen, ja Sinken unter die Norm, und 
dauu wieder brüskem Ansteigen verliefe, besonders noch da, wo 
andere positive Symptome undeutlich ausgebildet seien. Träten hier, 
wie nicht so selten, gewisse Reizerscheinungen vom Centraluerven- 
systein aus iu den Vordergrund, so läge die Gefahr der Verwechse¬ 
lung mit Cerebrospinalmeniugitis besonders nahe. 


Der Typhus der Greise zeige meist unregelmässigen Fieber¬ 
verlauf, durchschnittlich nicht sehr hohe, zuweilen sogar im Ver¬ 
hältniss zu den übrigen Erscheinungen auffallend niedrige Tempera¬ 
turen, sehr selten rapide Anstiege der Temperatur, häufiger dagegen 
vorübergehendes collapsartiges Sinken derselben. 

Den Greisen ähnlich verhielten sich vorher schon durch 
Krankheit, Entbehrungen u. s. w. heruntergekommene Individuen. 
(Demonstration einschlägiger Curven.) 

Fortfahrend, stellt Redner den besprochenen leichten Fällen die 
tödtlichen gegenüber. 

Als Todesursachen hatten sich, wie allerwärts, so auch in 
den hamburger Fällen 4 Momente besonders geltend gemacht. 

1. Die Schwere der Infection: 

Ihr sind 81 vou allen Gestorbenen zuzurechnen, also 49 % 
derselben. 

2. Perforationsperitouitis, welcher 27 = 16,5% der Ge¬ 
storbenen (1,9 der Behandelten) erlagen. 

3. Pneumonie: 

Mit 25 = 14 % Todesfälle (1,7 % der Behandelten). 

4. Darmblutungen: 

Mit 14 Fällen = 8,5 der Gestorbenen (etwa 1 o/ 0 aller Be¬ 
handelten). 

Alle übrigen Todesursachen seien diesen gegenüber vereinzelt. 

Es sei noch verzeichnet: 

Oedema pulmonum.3 Mal 

Pyelonephritis.3 „ 

Pleuritis exsudativa et Empyem . 3 „ 

Tuberculosis pulmonum . . . . 2 „ 

Perichondritis et Stenosis laryngis 2 „ 

Endocarditis ulcerosa.1 „ 

Apoplexia meningealis .... 1 „ 

Noma.1 „ 

Ervsipelas.1 n 

17 

Den erwähnten Hauptursachen entspreche durchschnittlich auch 
der Termin des Eintritts des Todes. 

Es seien erfolgt: 

76,6 % Todesfälle vom 10.—30. Tag 
4,2 „ „ n 31.-33. * 

3,5 „ * 34.-36. „ 

Aber auch darnach, noch bis zum 82. Tage und später seieu 
17 Todesfälle verzeichnet. Nur 9 Patienten sind vor dem 10. Tage 
erlegen. 

Redner reiht hier eine nähere Erörterung seiner Erfahrungen 
über Darmgeschwüre, Perforationen nnd Blutungen an. 

Charakteristische Darmgeschwüre oder deren Spuren 
seien natürlich in allen secirten Fällen nachgewiesen. Ohne sie 
keine Diagnose. Von 145 Sectionen stünden genaue Aufzeichnungen 
zu Gebote. 

Man könne im Allgemeinen sagen, dass die Zahl und Aus¬ 
breitung der Darmgeschwüre in dieser Epidemie eine mässige ge¬ 
wesen sei. Es hätten sich gefunden: 

wenige resp. vereinzelte Geschwüre in 48 Fällen 
mässig zahlreiche „ „ 59 „ 

grössere und sehr grosse Mengen „ 38 „ 

Also 107 von 145 Leichen mit vereinzelten oder 
mässig zahlreichen Geschwüren. 

Was den Hauptsitz der Geschwüre und ihre Verbreitung über 
die Darrafläche beträfe, so sei das Ileum nur 9 mal frei, 136 mal 
dagegen der Hauptsitz der Geschwüre gewesen. 

85 mal habe sich von da der geschwürige Process bis iu’s 
Coecum erstreckt, 54 mal darüber hinaus bis in’s Colon, und 3 mal 
seien sogar im Rectum typhöse Geschwüre gefunden worden. 

Dem gegenüber falle die geringe Betheiligung der höher 
gelegenen Darmpartieeu auf. Nur 16 mal hätten sich Ge¬ 
schwüre noch im Jejunum gezeigt, während das Duodenum über¬ 
haupt stets frei gewesen sei. 

Ein Unterschied in Bezug auf Zahl und Vertheilung der Ge¬ 
schwüre je nach Geschlecht uud Alter habe sich kaum gefuudcu. 
Bemerkenswerth scheine nur das Fehlen der Colougeschwüre bei 
Kiudern unter 14 Jahren, eiu Verhalten, aus welchem Redner, vor¬ 
läufig wenigstens, keinen Schluss ziehen wolle. 

Was den Ausgang der Geschwürsbildung iu Perfora¬ 
tion beträfe, so sei vor Allem die geringe Betheiligung der Kinder her¬ 
vorzuheben. Nur zwei uuter den 27 hierhergehörigen Todesfällen 
beträfen Kinder, während 21 Verstorbene zwischeu 15 und 35 Jahren 
gestanden hätten. Die Zeit des Eintritts der Perforation falle na¬ 
türlich ineist mit der Periode der Schorfabstossung zusauuueu. 

Hier sei aber ein weiter Spielraum gegeben, da Schorfbilduug 
uud Abstossung sich ja oft über eine lange Zeit hinzögen. Der ex- 


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24. Mai. DEUTSCHK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 423 


tremste vom Redner beobachtete Fall sei eine am 71. Krankheitstage 
eingetretene Perforation. 

Was den Sitz der Perforationsstellen beträfe, so ent- | 
spräche dieser seiner Häufigkeit nach im Allgemeinen derjenigen : 
des Vorkommens der Geschwüre in den einzelnen Darmtheilen. 

Die Perforation habe sich gefunden im unteren Theile des j 
lleums 16 mal (57,1% der Perforationen), Coecalklappe und Colon j 
je 5 mal (17,8%), Ileum nur 1 mal. 

Darmblutungen seien im Ganzen 67 mal zur Beobachtung ; 
gekommen, mithin bei 4,6% aller Behandelten. Verglichen mit an¬ 
deren Statistiken, sei diese Zahl keine ungünstige. Bemerkenswert!« 
sei nur die sehr ungleiche Häufigkeit des Ereignisses zu verschie¬ 
denen Zeiten. Während einzelner Monate hätten sich die Blutungen 
in einer geradezu beängstigenden Weise gehäuft. 

Was den Termin des Eintritts der Blutungen beträfe, so 
sei derselbe in dieser Epidemie durchschnittlich ein auffal¬ 
lend früher gewesen. Ueberwiegend sei der 10. bis 21. Tag ver¬ 
zeichnet mit 43 Fällen, weit seltener der 22. bis 30. mit 14 Fällen; 
je einmal seien am 34. resp. 36. Tage Blutungen gekommen und 
zweimal sogar noch zwischen dem 40. und 45. Krankheitstage. 

Sähe mau die erst erwähnten 43 Fälle noch genauer an, so 
zeige sich das merkwürdige Ergebniss, dass 26 derselben schon 
zwischen dem 10. und 15. Tage geblutet hätten. Ein nicht 
kleiner Theil dieser letzteren lasse sich nur in die Zeit vor Ab- 
stossung der Schorfe verlegen, und die Blutungen dürften dann 
wohl, wie dies auch die Baseler anatomischen Untersuchungen 
zeigten, auf Gefasszerreissuugen in den auffallend gelockerten, mar¬ 
kigen Infiltrationen der Plaques zurückzuführen sein. 

Fast alle Blutungen seien während der ersten Fieber¬ 
zeit erfolgt; nur einmal sei eine solche während eiues Recidivs 
aufgetreten. 

In den weitaus meisten Fällen hätte sich die einmal aufge¬ 
tretene Blutung nicht sehr oft wiederholt. 

Es hätten gehabt: 

1—3 Blutstuhlgänge.48 Pat. 

.4-6 „ .9 „ 

Von da bis zum Maximum von 20 seien nur noch einzelne ver¬ 
zeichnet. 

Dass Weiber und Kinder selteuer von Blutungen be¬ 
fallen und auch relativ seltener von denselben hiugerafft worden 
wären, sei vielleicht eine Eigentümlichkeit der Hamburger Epidemie. 
Von anderen Orten seien gerade die Frauen als stärker heimgesucht 
bezeichnet. 

Ueber die Behandlung des Typhus will Redner nur 
einige aphoristische Bemerkungen machen. Sie sei im Ganzen keine 
so aggressive gewesen, wie anderwärts noch vielfach üblich. Redner 
steht noch heute auf seinem schon vor Jahren ausgesprochenem 
Standpunkt, 1 ) dass ein leichter oder inittelschwerer Fall 
von Typhus bei einem vordem gesunden, nicht zu alten 
Individuum unter passender Regelung der äusseren Ver¬ 
hältnisse von selber heilt. 

Die bisher gemachten Versuche, den Typhus abzu¬ 
kürzen. hätten zum Mindesten unsichere Erfolge gehabt. Ein Ein¬ 
fluss auf die Schwere des Verlaufs sei nur innerhalb bescheidener 
Grenzen zu gewinnen. 

Er könne sich besonders auch über die Coupiruugsver¬ 
suche des Typhus mit Calomel nicht so begeistert wie An¬ 
dere aussprechen. Mau begegne gewiss nicht selten Fällen, wo in 
den ersten Tagen Calomel gereicht und schon nach kurzer Zeit das 
Fieber zurückgegangen sei. Hier sei aber zwischen propter und 
post hoc die Wahl schwer. Von keinem Typhusfall könne man 
im Beginn sicher wissen, ob er schwer oder leicht, ob er abortiv 
verlaufen werde. Jeder Erfahrene müsse zugeben: ein Typhus kann 
schwer mit höchsten Temperaturen einsetzen und abgekürzt und 
leicht verlaufen und umgekehrt mit geringem Fieber, ja ambulant 
beginnen und dann unter schweren Erscheinungen mit Nachschüben 
und Recidiven sich lange hinziehen, weit über die gewöhnliche 
Zeit (Demonstration einschlägiger Curven. Zahlenrnässig wolle er 
nur anführen, dass über 300 von den dieser Arbeit zu Grunde lie¬ 
genden 1445 Fällen mit dem 12. Tage und früher ohne thera¬ 
peutisches Eingreifen speciell ohne Calomel entfiebert 
waren. 

Was die antipyretischen Behandlungsmethoden be¬ 
treffe, diejenige mit den hierher gehörigen Medicamenten und die 
Bäderbehandlung, so sei er ein Gegner der noch vielfach geübten 
und verfochtenen, allzu schematischen Anwendung derselben, welche 
eiuem Standpunkt entsprungen sei, der mit der modernen Auf¬ 
fassung der Natur der Infectionskrankheiten schwer vereinbar wäre. 
Die mehr und mehr sich erweiternden Kenntnisse der 
Natur und Lebensverhältnisse der pathogenen Mikro- 


*) Verband!, des I. Congr. für Innere Medicin zu Wiesbaden, p. 104. 


Organismen müsse die rein symptoraatologischc Behand¬ 
lung der gesteigerten Körperwärme resp. des Fiebers als 
nicht mehr entsprechend bezeichnen und energisch auf 
solche Wege hindrängen, welche zu einer specifischen 
Bekämpfung der ersteren führen. Von diesem Standpunkte 
aus betrachte Verfasser das überhastet wachsende Bestreben, Tem¬ 
peratur herabdrückende Mittel zu finden und zu erproben als ver- 
hältnissmässig steril. So wie man für die Syphilis, für die Malaria- 
processe und gewisse Formen des Gelenkrheumatismus bereits spe- 
eifisch wirkende Mittel besitze, so sei auch eine Hauptaufgabe, dem 
Typhus gegenüber nach solchen zu suchen. In diesem Sinne 
könne Redner sich für Salicylsäure, Kairin, Thallin und Anti- 
febrin nicht besonders begeistern. Es möchte wohl im Einzelfalle 
ihre Verwendung am Platze sein, eine generelle Bedeutung für die 
Typhustherapie könne er ihnen nicht beimessen. 

Häufig mache er dagegen von Chinin und am häufigsten von 
Antipyrin Gebrauch. Beide Mittel, besonders das letztere, schienen, 
wenn sie auch idealen Anforderungen durchaus noch nicht voll 
entsprächen, doch eine Art specifischer Wirkung zu entfalten. 

Nach rechtzeitigen passenden Dosen derselben beobachte man 
nicht allein ein Sinken der Temperatur, sondern eine Verminderung 
der Pulsfrequenz und eine Aufhellung des Sensoriums. 

Was die Kaltwasserbehandlung aulange, so sei Vortragender 
ebensowenig ein principieller Gegner derselben wie ein Enthusiast 
nach Brand’scher Art. Er verzichte durchaus nicht auf eine Wasser¬ 
behandlung, welche er dann meist in Form der allmählich abge¬ 
kühlten Ziemssen’schen Bäder zur Anwendung bringe. Er sei 
aber für eine streng individuelle und gegen jede schematische An¬ 
wendung derselben. * Er müsse es für einen Windmühlenkampf er¬ 
klären, wenn man noch heute vielfach sähe, dass ein Typhuskranker 
ohne Rücksicht auf die übrigen Verhältnisse nur darum in ein 
kaltes Bad gesteckt werde, weil er 39,5 oder darüber habe. Die 
Gefahr des Typhus sei im Grossen und Ganzen absolut nicht pro¬ 
portional der Temperaturhöhe, wie dies die Jedem bekannten For¬ 
men von fast afebril verlaufendem schwerem Typhus bewiesen. 

Die scheinbar schroffe Verschiedenheit der Anschauungen be¬ 
wege sich für ihn nicht zwischen Kaltwasserbehandlung und Ent¬ 
haltung von derselben, sondern zwischen schematischer und indi¬ 
vidueller Antipyrese. 

IX. Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 11. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Laudois; Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Grawitz demonstrirt zwei seltene Fälle von Caroi- 
nomen mit papillärer Oberfläche: 

a) Im Magen eines 60jähr. Mannes, welcher unter dem Krank¬ 
heitsbilde der zunehmenden Anämie zu Grunde gegangen war, fand 
sich eine allgemeine interstitielle Gastritis mit Verdickung der Sub¬ 
raucosa, welche an zwei Stellen zur Bildung von 1 resp. 2cm langen 
Polypen geführt hatte. Ausser diesen „einfachen“ kleinen Neubil¬ 
dungen mit glatter Oberfläche und dünnem bindegewebigem Stiel 
enthielt nun der Magen noch 4 weitere Auswüchse, welche räumlich 
weit von einander getrennt, am Pylorus, an der kleinen Curvatur 
und der hinteren Magenwand ihren Sitz hatten. Diese vier Ge¬ 
schwülste variirten in ihrer Grösse vom Umfang einer Himbeere bis zur 
Grösse eines halb durchschnittenen Gänseeies; sie hatten eine zottige, 
weiche, rothe Oberfläche, bei dem umfangreichsten Gewächs von 
blumenkohlähnlicher zerklüfteter Aussenfläche. Mikroskopisch er¬ 
wiesen sich diese 4 Tumoren als echte Cylinderzellenkrebse 
mit papillärer Oberfläche. Metastasen waren nirgends vorhanden. 
Die Subraucosa, von welcher aus die Neubildungen sich mit breiter 
Basis erhoben, liess nirgend ausserhalb der Tumoren selbst eine 
krebsige Infiltration erkennen, so dass die 4 Zottenkrebse den An¬ 
schein unabhängig von einander entstandener Bildungen erwecken 
mussten. 

b) Papilläres Carcinom der Achselgegend. Das von Herrn 
Stabsarzt Dr. Brunhoff aus Wilhelmshaven dem pathologischen 
Institut übersandte Präparat entstammt einem Marinesoldaten, der 
bisher Fischer gewesen, und soeben eingestellt worden ist. Es be¬ 
steht aus einem Hautstück, aus welchem mit breiter Basis ein rund¬ 
licher, 3 bezw. 4 cm messender, 1 cm hoher Schwamm hervorge¬ 
wachsen ist, welcher eine höckerige, schleimhautartig weiche, rothe 
Oberfläche besitzt. Um diesen Hauptheerd gruppirt sich an 2 Seiten 
in der Ausdehnung von 2 bezw. 4 cm grösster Entfernung eine dicht¬ 
stehende Menge von rothen Knötchen, welche sich zu einer flachen. 
3—4 mm hohen höckerigen Ausbreitung von himbeerartiger Ober¬ 
fläche vereinigen. In der Peripherie lässt sich erkennen, dass diese 
Geschwulstbildung durch Zusammenfliessen vieler anfangs einzeln 
und getrennt stehender miliarer rother Knötchen sich vergrössert. 
Diese letzteren liegen gewissermaassen in kleinen Grübchen, welche 
von bläulich-weissen Rändern, aus gewucherter Epidermis bestehend, 


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424 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 21 


überragt werden. Auch der Haupttumor hat eine zackige Be¬ 
grenzung, überall von einem bläulichen Saum verdickter Epidermis 
umgeben. Beim Einschneiden ist unter dem fungösen Tumor noch 
eine dünne, der bindegewebigen Cutis entsprechende fibröse Schicht 
zu erkennen, welche ihn von dem subcutanen Fettgewebe trennt. 
Auf Druck quellen aus der Schnittfläche weisse milchartige Tröpfchen 
hervor (Cylinderzellen). 

Mikroskopisch zeigt ein senkrechter Schnitt durch die erwähnten 
rothen, weichen Knöpfehen und ihren wallartig erhabenen Rand, 
dass schon das kleine, scheinbar einfache Knöpfehen aus einer An¬ 
zahl von Papillen zusammengesetzt ist, welche nach Grösse und 
Form den Darmzotten ähneln. Sie bestehen aus einem sehr zellen¬ 
reichen Grundgewebe, dem Bau eines Ruudzellensarkoms auf den 
ersten Blick analog; eine reiche Bildung von Gefässschlingen bedingt 
die rothe Farbe. Ueberzogen sind die Papillen von sehr schönem 
einfachem oder geschichtetem Epithel, dessen oberste Lage aus langen 
Cylinderzellen besteht, ln dem angrenzenden Wall erkennt man in 
einiger Entfernung von der papillären Wucherung die normalen 
Papillen; die tiefsten Zellen des Rete sind braun pigraentirt. Als- 
daun setzt die Zellenwucherung der Neubildung ein, erfüllt die Cutis 
und ihre Papillen und treibt aus der Tiefe neue, an der freien Ober¬ 
fläche mit Cylinderzellen besetzte Zotten hervor. In der Tiefe 
wechselt auf Schnitten das sehr zellen- und gefässhaltige Stroma¬ 
gewebe mit Cylinder-Epithelzellennestern ab. 

An manchen Stellen enthalten die Zellenhaufen nur cubische oder 
polygonale Epithelien mit Uebergang in grosse, auf Pikrolitliion- 
carminfärbung gelb werdende, anscheinend verhornte Schollen. Der 
Anfang der Krebsbildung lässt sich bis in die Subcutis verfolgen, 
wo um die Schweissdrüsen herum die erste kleinzellige 
Wucherung beginnt, aus welcher sich, je weiter nach der 
Oberfläche um so reichlicher, die epithelialen Zelleu- 
haufen entwickeln. Die Papillen der normalen Cutis verhalten 
sich passiv, der blumenkohlähnliche Charakter wird vielmehr von 
deu aus der Tiefe kommenden Gefäss- und Zellenwucherungen ge¬ 
bildet, welche die normale Haut durchbrechen. Anfangs tragen die 
jungen Pupillen schönes Cylinderepithel, au den älteren Zotten des 
Haupttumors Anden sich allerlei Uebergangsforraen sowie geschichtetes 
Plattenepithel. 

2. Herr v. Preusehen: Ueber die mechanische Behand¬ 
lungsmethode in der Gynäkologie. (Der Vortrag wird anderweit 
veröffentlicht werden.) 

3. Herr Helferich bespricht die operativen Eingriffe bei 
Hypertrophie prostatae, soweit sie eine radicale Hülfe bezwecken. 
Er berichtet über einen Fall dieser Art, in welchem vor etwa 
:, /.i Jahr durch eine Operation eine wesentliche und anhaltende 
Besserung erzielt wurde. Die Operation bestand nach Vornahme 
der Sectio alta in der Abtragung des in der Grösse einer Wallnuss 
in die Blase vorragenden mittleren Prostatalappens und in einer 
Ustion dieser Stelle mit dem Thermocauter tief in das Prostatage¬ 
webe hinein. Ueber die Details der Operation, die Nachbehandlung 
und die Indication wird Herr Helferich au anderer Stelle Mit¬ 
theilung machen. 

4. Herr Solger demonstrirt das Dursy’sche Labyrinth- 
modell, das neuerdings Prof. Froriep, veranlasst durch eine An¬ 
frage des Vortragenden, in dankeuswerther Weise weiteren Kreisen 
zugänglich machte. In der Anzeige dieses sehr erapfehlenswerthen 
Unterrichtsmittels (Anatom. Anz. II. Jahrg., No. 25) wird das Modell, 
wohl in Folge eines Druckfehlers, als Nachbildung eines „Aus¬ 
gusses“ bezeichnet. Die vielleicht etwas zu gracile Form der 
Bogengänge erinnert allerdings an einen solchen, aber ein Blick auf 
das Vestibulum zeigt, dass es sich um eine (etwa um das 35fache) 
vergrö8sertc Nachbildung einer knöchernen Labyrinthkapsel handelt. 

Vortragender bespricht sodann, unter Vorlage von mikroskopi¬ 
schen Präparaten, die sog. Klebemethoden, die es erlauben, grosse 
Reihen feinster Schnitte behufs weiterer Behandlung auf dem Ob¬ 
jectträger festzulegen, ferner im Anschluss hieran Born’s Platten- 
modellirraethode und das von Strasser und Kastschenko geübte 
Anbringen von farbigen Definirflächen. 


X. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 27. April 1888. 

Vorsitzender: Herr Fuchs: Schriftführer: Herr A. Pal tauf. 

I. Herr Riehl demonstrirt einen Fall von Xeroderma pigmentosum. 
Kn ist dies das älteste Individuum (61 Jahre), an welchem diese Krankheit 
beobachtet worden ist. Das Leiden begann vor 18 Jahren mit Pigment- 
Hecken und einer warzenartigen Geschwulst an der Nase, welche mehrmals 
exstirpirt wurde, aber immer wieder recidivirte. Seit 3—4 Jahren sind auch 
au anderen Stellen des Gesichts Warzen entstanden. Gegenwärtig zeigt die 
Pat. Pigment flecke am ganzen Körper; Angiome oder Teleangiectasieen sind 
nur wenige vorhanden, hingegen ist die Atrophie der Haut sehr bedeutend. 
Im Gesicht finden sich die für diese Affection charakteristischen Neoplasmen: 


ein zerfallenes Epitheliom der Nase uud mehrere Epitheliome an den Wangen 
und der Stirn. Bezüglich der Entstehung der Krankheit bemerkt Redner, 
dass die Eigentümlichkeiten des Processes, besonders das Vorkommen des¬ 
selben bei Geschwistern, es sehr wahrscheinlich machen, dass eine ange¬ 
borene Anomalie in der Structur der Haut den Anstoss für die späteren 
Veränderungen giebt. 

Herr Kaposi macht darauf aufmerksam, dass diese Fälle nicht mit ge¬ 
wöhnlichen Pigmentationen confundirt werden dürfen. Das Wesentliche bei 
dieser Krankheit ist die fortschreitende Entwickelung der Melanose, die 
Atrophie der Haut, die Bildung von malignen Neoplasmen in einem Alter 
und in einer Anzahl, wie dies sonst nie beobachtet wird. Es seien die Be¬ 
zeichnungen Angiom oder Melanose nicht zutreffend, und die Hinzufügung 
verschiedener Adjective hat eben keinen anderen Zweck, als dio Nomenclatur 
unnützer Weise zu vermehren. 

2. Herr Rosenfeld stellt einen Kranken vor, bei dem eine reife 
Katarakte mittelst Lappensehnlttes ohne vorausgegangene Iridectomie ex- 
trahirt wurde. 

Herr Fuchs möchte die sichere Methode mit Iridectomie nicht ver¬ 
lassen, da die andere Methode keine bessere Sehschärfe liefert. 

Herr v. Reuss ist derselben Ansicht, zumal auch subjectiv keine 
bessere Sehschärfe von den Patienteu, die ohne Iridectomie operirt wurden, 
angegeben wird. 

Herr Königstein bemerkt, dass bei der Kataraktextraction ohne Iri¬ 
dectomie die Entbindung der Linse eine schwierigere ist, ihm selbst ist bei 
einer solchen Gelegenheit die Linse luxirt. 

Herr Adler hat seit einigen Jahren die Linearextraction aufgegeben 
und die Lappenextraction in mehr als 100 Fällen ohne einen einzigen Ver¬ 
lust ausgeführt. Er theilt ebenfalls die Bedenken gegen die Unterlassung 
der Iridectomie. 

Herr Bergmeister hält die Iridectomie für ein nothwendiges Uebel, 
weil sie vor Complicationen schützt. 

3. Herr Lorenz: Ueber das secretorische Nierenepithel. Redner 
hält den sogenannten Bürstenbesatz au den Epithelien der gewundenen 
Nierencanälchen für einen normalen Bestandtheil der Socretionszelle der 
Niere. Derselbe stellt ein Schutzgebilde für die secernireude Zelle dar und 
verhindert, dass mit der Secretion der specifischen Flüssigkeit auch Eiweiss 
die Zolle verlässt. 

Von pathologischen Nieren untersuchte Redner hauptsächlich solche, 
die in vivo Albuminurie zeigten. Bei den Stauungsnieren sind die gewun¬ 
denen Canälchen etwas erweitert, ihr Epithel bildet nicht den continuirlichen, 
nur leicht welligen Saum, wie er in der Norm besteht, sondern zeigt geschwellte 
und in’s Lumen hineinragende Zellen, deren Bürstenbesatz grösstentheils 
verloren gegangen ist. Interessant ist der Befund, dass an Schnitten, die 
nur fleckweise eine Blutüberfüllung in den Oapillaren zeigten, in diesen 
Partieen auch die Schwellung des Epithelsaumes eine stärkere war als dort, 
wo die Blutfülle der Oapillaren sich der Norm näherte. Es spricht dies für 
eiuen direkten Zusammenhang der Epithelveränderung mit den Stauungs¬ 
erscheinungen. Indem der Zellleib hydropisch wird und seines Bürstenbe¬ 
satzes verlustig wird, ist ein Austritt von Eiweiss ermöglicht; doch ist hier 
die Albuminurie nicht diesem Momente allein zuzuschreiben. 

Bei den febrilen Nierenaffectioncn ist, nach den Untersuchungen dos 
Vortragenden, die Albuminurie auf das Fehlen des Bürstenbesatzes zurück- 
zuführen. 

Bei der acuten iufectiöseu Nephritis waren in den schwereren Fällen 
die Epithelien der gewundenon Canälchen geschwellt und vollständig dos 
Bürstenbesatzes beraubt. Hier ist die Albuminurie nur theilwcisc von der 
Epitholveränderung abhängig, da bedeutende Veränderungen der Glomeruli 
vorhanden sind. 

Auch bei den selbstständigen Formen der diffusen, vorwiegend paren¬ 
chymatösen Nephritis kann die Albuminurie nur zum Theil auf die Epithel¬ 
veränderungen (Schwellung und Verfettung des Epithels, Verlust des Bürsten¬ 
besatzes) zurückgeführt werden, da auch hier Veränderungen an den GIo- 
merulis vorhanden sind. Bei der chronischen Nephritis ist der Bürstenbesatz 
zumeist erhalten, und daraus erklärt sich auch die genüge Albuminurie bei 
diesen Formen. M. 


XI. Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 13. Januar 1888. 

Nach Erledigung interner Angelegenheiten, Verlesung des Jahres- und 
Oassaberichtes wurde die Neuwahl des Vorstandes für das Jahr 1888 vor- 
genomroen. Dieselbe ergab folgendes Resultat: 

Präsident: Prof. Dr. Filipp Jos. Pick. 

Vicepräsident: Prof. Dr. Friedrich Ganghofner. 

Secretär: Doceut Dr. Joh. Habermann. 

Schriftführer: DDr. Piering, Sobotka, Glaser. 

Hierauf sprach: 

1. Herr Prof. Kahler. Ueber dio Diagnose der Syringomyelie. 
Vortr. stellt einen Patienten vor, bei welchem er die Diagnose einer cen¬ 
tralen Höhlenbildung im Rückenmarke zu stellen sich für berechtigt hält, 
und weist darauf hin, dass eine von ihm im Jahre 1887 gestellte derartige 
Diagnose durch die Section Bestätigung gefunden hat. Daraus ergiebt sich 
die Möglichkeit der Diagnose einer Syringomyelie, was der Vottr. gegen¬ 
teiligen Stimmen gegenüber neuerdings betonen will. Der vorgestellte 
Kranke zeigt ausser einer seit 3 Jahren entwickelten progressiven Muskel¬ 
atrophie an beiden oberen Extremitäten eine auf die Schultergegenden und 
Arme beschränkte Hauterkrankung, welche in dem Auftreten zahlreicher 
umschriebener Hautnekrosen mit folgender Geschwürsbildung und keloider 
Vernarbung besteht. Ausserdem finden sich noch Defecte des' Temperatur¬ 
sinnes an beiden Händen und am linken Vorderarme, und beiderseits die 
oculopupillären Symptome einer Lähmung der Halssympathicus. Dem vor- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


425 


24. Mai. 


liegenden Symptomencomplexe können zwei Processe zu Grunde liegen, die 
von einer Erweiterung des Centraleanales abhängige Höhlenbildung und das 
zentrale Gliom des Rückenmarkes, letzteres mit oder ohne Höhlen- und 
.Spaltbildung. Die genannten beiden Processe sind zur Zeit einer Differen¬ 
tialdiagnose noch unzugänglich. Beideu gemeinsam ist der centrale Sitz 
der Veränderungen und die Vorliebe, mit welcher zuerst das Cervicalmark 
befallen wird. Der Vortr. unterwirft hierauf die bisher bei den nachge¬ 
wiesenen Fällen von Syringomyelie beobachteten Symptomencomplexe einer 
■eingehenden Analyse und hebt als Erscheinungsweisen, welche durch ihre 
Eigenthümlichkeiten oder durch ihre Combination diagnostische Bedeutung 
für die Syringomyelie gewinnen, besonders hervor: die progressive Muskel¬ 
atrophie, eigenartige Sensibilitätsstörungen, besonders Analgesie und Defecte 
<ler Temperaturempfindungen, endlich trophische Störungen der Haut und 
■der tieferen Theile. 

Diese letzteren können als Panaritien, welche zu Verlust oder Diffor- 
Tnität einzelner Fingerglieder führen, oder als tiefgreifende phlegmonöse 
Entzündungen auftreten. Oder sie zeigen sich, wie bei dem vorgestellten 
Kranken, an der Haut in Gestalt von Blasen, die mit hellem oder eitrigem 
Inhalt gefüllt erscheinen und sich zu lange eiternden Geschwüren umwan¬ 
deln, an denen häufig eine schwielige Narbenbildung zu beobachten ist. 
Oder endlich finden sich bei solchen Kranken spontane oder vielmehr bei 
ganz unbedeutenden Veranlassungen aufgetretene Knochenbrüche — sogen. 
Spontanfracturen. Bemerkenswerth ist, dass jede der aufgezählten Krank¬ 
heitserscheinungen die Reihe der Symptome eröffnen und eine Zeit lang 
isolirt bestehen kann, im späteren Verlaufe finden sich dann regelmässig 
Kombinationen derselben verschiedener Art und endlich gesellt sich, ab¬ 
hängig von der Weiterverbreitung des Processes in der weichen Substanz 
des Rückenmarkes, spastische Parese und Paraplegie der unteren Extremi¬ 
täten hinzu. Auch die oculopupillaren Symptome sind von der Erkrankung 
der Halsmuskeln abhängig und können gegebenen Falles diagnostische Be¬ 
deutung gewinnen. 

2. Herr Prof. Ghiari spricht über die pathologische Anatomie der 
Syringomyelie, mit welchem Namen gegenwärtig ganz allgemein jede lang¬ 
gestreckte Höhlenbildung im Rückenmarke Erwachsener bezeichnet zu 
werden pflegt. Sicherlich sind aber die einzelnen Fälle, wie eine genaue 
Analyse der bezüglichen Publicationen erweist, genetisch sehr verschieden, 
indem Höhlenbildungen im Rückenmarke Erwachsener aus Gliomzerfall, aus 
Persistenz und Weiterentwickelung angeborener Anomalieen des Central- 
eauales, aus Circulationsstörungen im Rückenmarke, aus myelitischer Er¬ 
weichung und auch, wie Chiari in einem neuen Falle zu constatiren Ge¬ 
legenheit hatte, aus Hyperplasie des centralen Stützgewebes mit Transsu¬ 
dation in den früher normal gewesenen Centralcanal resultiren können. 
■Chiari möchte daher Vorschlägen, alle wie immer gearteten, aus dem 
Centralcanal hervorgegangeneu langgestreckten Höhlen im Rückenmarke als 
Hydromyelie zu benennen und den Terminus „Syringomyelie 1 “ nur für die 
■bestimmt nicht mit dem Centcalcanal zusammenhängenden Höhlenbildungen 
zu reserviren. Der betreffende neu untersuchte Fall wird hierauf ausführ¬ 
lich erörtert. 


XH. Siebenter Congress für innere Medicin, 
Wiesbaden 1888. 

(Originalbericht.) 

B. Die Vorträge in den Nachmittagssitzungen. 

Wenn wir im Folgenden noch in aller Kürze über die in grosser Zahl 
rgehaltenen Vorträge und Demonstrationen berichten, so halten wir uns dabei 
nicht an die Reihenfolge, in welcher dieselben in den Sitzungen zur Er¬ 
ledigung kamen, sondern geben dieselben in der Weise wieder, wie sich 
■dieselben ihrem Inhalte nach aneinanderreihen. 

1. Eng an die Referate der ersten Vormittagssitzung schliesst sich der 
Vortrag des Herrn Rumpf (Bonn) über das Wanderherz an. Herr Rumpf 
beobachtete in fünf Fällen, von denen sich drei an intensive Entfettungs- 
■curen anschlossen, eine abnörme Beweglichkeit des Herzens. Bei Lagerung 
•des Pat. auf die linke Seite rückt die Herzspitze bis in die linke Axil¬ 
larlinie; die Herzdämpfung entfernt sich vom Rande des Sternums, und 
zwischen Herzdämpfung und Sternum besteht eine Stelle, die vollen Lungen¬ 
schall zeigt. Bei Rechtslagerung des Pat. verschwindet die absolute Herz¬ 
dämpfung. In allen Fällen Hess sich eine organische Erkrankung ausschliessen. 
Die Patienten klagten über Unfähigkeit zur Arbeit, Unmöglichkeit, längere 
Wege zurückzulegen und auf der Seite zu liegen. Die Pulszahl war ge¬ 
steigert. Vortr. nimmt keinen Anstand, die voraufgegangene Entfettungscur 
als Ursache der Abnormität anzuschuldigen. 

2. Herr v. Liebig (München): lieber die Anwendung der pneu¬ 
matischen Kammer bei Herzleiden. (Der Vortrag wird demnächst in j 
extenso in dieser Wochenschrift erscheinen.) 

3. Herr Ziegler (Tübingen): Ueber den Bau und die Entstehung 
der endocarditisohen Efflorescenzen. Man kann diese Bildungen in 
drei Gruppen eintbeilen: Einmal bestehen dieselben wesentlich aus einer 
körnigen Substanz, zwischen welchen sich Spalträume finden. Auf diesen 
körnigen Massen liegen häufig noch fädige Gebilde und, in diese einge- 
lagert, rothe Blutkörperchen und Leukocyten. Die zweite Gruppe ist da¬ 
durch ausgezeichnet, dass die Bildungen nur zum Theil aus diesen körnigen 
Massen bestehen, und zwar sind es die äusseren Partieen, während die 
inneren Theile in mehr oder minder grosser Ausdehnung aus faserigem 
Bindegewebe bestehen, das aus dem Endocard herausgewachsen zu sein 
scheint und meistens reichliche Zellen enthält. Endlich drittens besteht 
das ganze Gebilde aus Bindegewebe. Es unterliegt keinem Zweifel, dass 
diese letztere Form die jüngsten Stadien der Bildung darstellt, während 
die beiden anderen die weiteren Entwickelungsstufen siud. Des weiteren 
geht Herr Ziegler auf die Aetiologie dieser endocarditischen Efflores¬ 
cenzen ein- 


. 4. Herr Leube demonstrirt das Präparat eines der ausserordentlich 

seltenen Fälle von Xanthelasma cordis. Der Fall betraf ein Kind, 
welches Xanthelasma über den ganzen Körper verbreitet zeigte. Bei der 
Untersuchung zeigte sich ein systolisch blasendes Geräusch am Herzen, 
für dessen Entstehung die Anamnese keinen Anhalt gab, und so wurde bei 
der Stellung der Diagnose wenigstens daran gedacht, dass auch auf dem 
Endocard Xanthelasmaflecke vorhanden sein möchten. Die Section be¬ 
stätigte in der That diese Vermuthung. 

5. Auf ein Referat über den Vortrag des Herrn Leyden über Be¬ 
handlung ton Oesophaguästrlcturen können wir hier unter Hinweis 
auf die Publicationen in No. 50, 1887, p. 1077 und No. 15, p. 289 dieser 
Wochenschrift verzichten. 

6. Herr Dehio (Dorpat): Ueber die physikalische Diagnostik der 
mechanischen Insuffizienz des Magens. Der Vortr. giebt ein Verfahren 
an, bei welchem die Percussion des Magens brauchbare Anhaltspunkte für 
die Lagerung und Ausdehnung des Magens ergiebt. Er lässt die Versuchs¬ 
person nach und nach ‘/«literweise Wasser trinken und konnte so, bei 
aufrechtstehender Haltung der Versuchsperson, durch die Percussion deut¬ 
lich die Vergrösseruug der Magendämpfung nach unten verfolgen, bis der 
Magen allmählich bis einige Centimeter oberhalb des Nabels herabtrat; ein 
Ilerabtreten unterhalb des Nabels wurde bei gesunden Versuchspersonen 
nicht beobachtet. Bei Individuen mit chronischer Dyspepsie, chronischem 

; Magenkatarrh, die aber noch keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein 
j einer Magenektasie boten, konnte bei demselben Untersuchungsverfahren 
I constatirt werden, dass die Dämpfung weiter herabreichte, als in der Norm. 

Herr Dehio glaubt hieraus den Schluss ziehen zu dürfen, dass iu den 
■ Fällen, welche dieses Verhalten zeigen, die Magenwand einen Theil ihrer 
j normalen Contractionsfahigkeit eingebüsst hat, dass also sein Verfahren iu 
I gewissen pathologischen Fällen Aufschlüsse über die motorische und mecha- 
; nische Kraft des Magens zu geben vermag. 

7. Herr Jaworski (Krakau): a) Zur klinischen Diagnose des atro¬ 
phischen Magenkatarrhs. Vortr. unterscheidet drei Formen des chroni¬ 
schen Magenkatarrhs: Fälle ohne HCl-Reaction, Fälle ohne HCl-und Pepsin- 
reaction, Fälle ohne HCl-, Pepsin- und Labfermentreaction. Bei Anstellung 
von Verdauungsproben in Fällen der ersteren Art (schleimiger Katarrh) 
genügt es nicht, einen Tropfen HCl zuzusetzen; die Flüssigkeit zeigt näm¬ 
lich eine erhöhte Acidität, giebt aber keine Farbstoffreaction und erscheint 
auch verdauungsunfähig. Die Verdauungsfähigkeit ergiebt sich erst, nachdem 
man noch weitere HCl-Tropfen zugegeben hat, bis die Tropaeolinpapiere 
sich rothbraun gefärbt haben. Wenn auch jetzt die Flüssigkeit verdauungs¬ 
fähig ist, so ist sie auch nicht pepsinhaltig. Die Physiologie lehrt, dass das 
Pepsin in der Magenschleimhaut als Propepsin vorhanden ist; die klinische 
Erfahrung ergiebt, dass die Pepsinbildung der HCl-Secretion parallel geht. 
Nach Jaworski wird die Pepsinbildung durch Einführung von HCl stark 
angeregt, mithin ist Pepsin bei schleimigem Magenkatarrh als Propepsiu ent¬ 
halten. Herr Jaworski beschreibt im Einzelnen das Verfahren für die 
Anregung der Pepsinbildung, und den entsprechenden Fall von atrophischem 
Magenkatarrh. 

b) Ueber die Verschiedenheit im Verbalten der nBehternen 
Magenfltlsslgkeit beim eontinnirlichen Magensaftflusse. Ein solcher 
Magensaft ist verschieden in Bezug auf das Verhalten. gegen die Farbstoff- 
' reagentien. HCl ist entweder ganz frei, oder latent, oder theils frei, theils 
I latent. Auch der mikroskopische Befund ist sehr charakteristisch. Herr 
; Jaworski unterscheidet zwei Formen dieser Gastrorrhoea acida, die das 
Ulcus rotundum oft begleitet. 

8. Herr Leo (Berlin): Ueber den Fermentgehalt des Urins unter 
pathologischen Verhältnissen. Vortr. hat die Frage zu entscheiden ver¬ 
sucht, ob bestimmte Beziehungen zwischen dem Gehalt des Urins an Pepsin 
und Dinstase und bestimmten Krankheitsformen bestehen. Anhaltspunkte 
für die diagnostische Verwerthbarkeit des Gehalts an Urin fand Herr Leo 

| nicht. Dagegen waren gewisse regelmässige Schwankungen des Diastasege- 
I halts zu constatiren, namentlich fand sich in Fällen von Diabetes mellitus 
| eine constante Zunahme der Diastase. 

9. Herr Edlefsen (Kiel) giebt einige charakteristische Reactionen 

des Harns nach Naphthalingebranch an. Nach innerlicher Darreichung 
von 0,4—0,6 g Naphthalin beobachtete er nach Zusatz einiger Tropfen 
Ammoniak oder Natronlauge zu dem Naphthalinharn blaue Fluorescenz, 
Nach Zusatz einiger Tropfen Chlorkalklösung und einiger Tropfen HCl tritt 
citronengelbe Färbung ein. Filtrirpapier mit Naphthalinharn befeuchtet 
giebt Rothfärbung. . . 

10. Herr E. Pfeiffer (Wiesbaden): Harnsäareaosscheldang und 
Harnsäarel&snng. Vortr. knüpft an seine eigenen früheren sowie an die 
Untersuchungen von Posner und Goldenberg an, die alle noch an einer 
gewissen Einseitigkeit leiden, weil sie an. gesunden Individuen angestellt 
waren. Aber nicht einmal der Urin aller gesunden Individuen vermehrt 
die Harnsäure im Harnsäurefilter, schon der Urin von vielen Kindern, 
Frauen, Greisen, zeigt Harnsäure-lösende Eigenschaften. Die weiteren Unter¬ 
suchungen! des Herrn Pfeiffer beziehen sich nun auf Personen, die an 
harnsauren Steinen, Gicht etc. litten. In allen diesen Fällen wird alle 
Harnsäure an den Harnsäurefilter abgegeben, jedenfalls aber viel mehr als 
bei gesunden Individuen. Dieser Umstand ist für die Theorie der Bildung 
von harnsaureu Steinen von Bedeutung, Man kann sich vorstellen, dass ein 
Urin, welcher Farnsäure in solchem leicht ausscheidbaren Zustande ent¬ 
hält, leicht Harnsäureconcretionen bildet. Gerade in der leichten Aus- 
scheidbarkeit der Harnsäure liegt vielleicht auch ein wichtiger Fingerzeig 
für die Auffassung des Wesens der Gicht. 

11. Herr Fileh ne (Breslau): Ueber die Umwandlung des Blutfarb¬ 
stoffes in Gallenfarbstoff. Itn normalen kreisenden Blut geht innerhalb 
der rothen Blutkörperchen stets ein Theil des Blutfarbstoffes in einen 
neuen Farbstoff über, den Herr Filehae Violastrin nennt. Dieses Vio¬ 
lastria ist im Blutplasma unlöslich, kann also nicht ohne weiteres aus den 
rothen Blutkörperchen austreten, dagegen kann man es durch galleusaure 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 21 


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Salze aus denselben auslaugen und in Lösung bringen, und dieser Process 
findet in der Leber offenbar normaler Weise statt. Künstlich kann man 
das Hämoglobin ebenfalls in Violastrin überführen. Verschiedene aus dem 
Violastrin durch Reduction gewonnene Substanzen geben mit dem Gmelin’- 
schen Reagens prachtvolle Farbreactionen; mit verdünnter Natronlauge 
färben sich dieselben meist intensiv scharlachroth. Eine Reihe von Stoffen, 
welche mit diesen Stoffen identisch sind, erhielt Herr Fi lehne, als er auf 
Bilirubin die reducirende Substanz einwirken liess. Damit wird die chemi¬ 
sche Zusammengehörigkeit des Bilirubin und Violastrin und damit auch 
des Hämoglobin augenscheinlich. (Schluss folgt.) 


Xm. Therapeutische Mittheilungen. 

Die Psendoegyptische Augenentzfindung. 

Geh. Rath Dr. Förster in Breslau bemüht sich in einem Vortrage, die 
beim Publicum und bei Behörden noch vielfach vorhandene panische Furcht vor 
dem Namen „Egyptische Augenentzündung“ zu zerstreuen. Worin die 
Augenkrankheit, durch welche der Name entstanden ist und die 1798 
binnen Jahresfrist fast das ganze Napoleonische Heer in Egypten 
(32 000 Mann) ergriff, eigentlich bestanden habe, sei heute nicht mehr 
festzustellen wegen der ungenügenden Berichte der französischen Aerzte 
und ihrer mangelhaften Beobachtung, am meisten Aehnlichkeit habe diese 
angebliche „Ophthalmia egyptiaca“ nach den Beschreibungen noch mit der 
gonorrhoischen Bindehautentzündung. Die in den anderen europäischen 
Heeren im Anfänge dieses Jahrhunderts grassirenden Augenkrankheiten 
haben einen anderen Charakter gehabt als die in Egypten unter den fran¬ 
zösischen Truppen herrschende. Jedenfalls existire heute eine der Larrey¬ 
sehen Beschreibung entsprechende „egyptische“ Augenentzündung in 
Deutschland nicht mehr. Grund der Furcht vor der Krankheit sei der von 
Rust und Carl Ferd. von Gräfe festgehaltene Name, während andere 
die Krankheit als Ophthalmia militaris, bellica, contagidoa, catarrhalis, 
granulosa bezeichneten. Epidemische Augenkrankheiten kämen in Deutsch¬ 
land überhaupt nicht mehr vor, was als „egyptische“ Augenentzündung 
heute gelte, seien katarrhalische Entzündungen: Trachom und folliculöser 
Katarrh, die aber eine so panische Angst nicht rechtfertigten. Das Trachom 
werde erst bei jahrelanger Vernachlässigung der Sehkraft gefährlich, ver¬ 
laufe äusserst chronisch und die Möglichkeit der Uebertragung auf Andere 
sei sehr gering, da es selbst bei jahrelangem ungestörten Bestand das andere 
Auge nicht untergreife. Der oft mit Trachom verwechselte folliculäre 
Katarrh sei ganz ungefährlich. 

Referent bespricht dann eingehend die Differentialdiagnose und 
Therapie beider Krankheiten. Das Trachom sitze mit Vorliebe am hinteren 
Rand des oberen Lidknorpels und in der oberen Uebergaugsfalte. Die Prädilec- 
tionsstelle des folliculären Katarrhs sei dagegen die untere Uebergaugsfalte. 
Das Trachomkom sei grösser als die folliculäre Schwellung und ende mit 
Schrumpfung der Bindehaut, die folliculären Schwellungen werden wieder 
resorbirt. Verlauf, Ausgänge, Folgezustände seien bei beiden verschieden. 
Bildung eines Pannus oder eitrige Keratitis seien beim folliculären Katarrh 
ausgeschlossen. Früher möge es Epidemieen von Trachom gegeben haben, 
jetzt sei die Krankheit endemisch, an gewisse Orte geknüpft. Was endlich 
die Therapie anlangt, so wirke beim folliculären Katarrh am besten eine 
4 o/o Boraxlösung, 1—3 Monate andauernd und mit Sorgfalt 2—3 Mal 
täglich angewandt, alle Aetzmittel werden verworfen. Beim Trachom ist 
Cuprum sulf. jedem anderen Mittel vorzuziehen, vor dieser ätzenden Behand¬ 
lung muss eine etwa vorhandene Keratitis erst beseitigt sein, am besten 
ist der Cuprumstift, in den ersten Wochen bei empfindlichen Patienten 
auch ein Stift aus Cupr. sulf. und Alaun zu gleichen Theilen. Sind die Er¬ 
scheinungen im Rückgang, dann noch einige Monate lang täglich Einträufe¬ 
lung einer 1 — 1 Vs % Lösung von Cu. sulf. in Glycerin, etwa 8- bis 
10 Tropfen. _____ R. 

— Medicinische flberfettete Kaliseifen (Salbenseifen). P. G. 

Unna (Monatsch. f. prakt. Derm.) ist es nach mehrjährigen, vergeblichen 
Anläufen gelungen, die Fabrikation von Stückseifen zu inauguriren, die sich 
in der Praxis bewährten. Während bei den festen, natronhaltigen Stückseifen 
die Darstellung immer im grossen fabrikmässig betrieben, und daher die Seife 
meist nach unveränderten Formeln verfertigt werden muss, ist die Schmierseife 
auch im kleinen, in der Apotheke, herzustellen und gewährt so die Mög¬ 
lichkeit, den medicamentösen Inhalt je nach den augenblicklichen Indicationen 
zu modificiren. Trotzdem wurde bei der conservativen Richtung der Der- 
matotherapie nicht daran gedacht, die K&liseife zum Träger anderer, stark 
wirkender Medicamente zu machen, bis durch Oberländer (1883) die 
allgemeine Aufmerksamkeit auf dieses Thema gelenkt wurde, und der Verf. 
jetzt seit zwei Jahren über vier solche medicinische Seifen, nämlich mit 
Quecksilber, Jod, Ichthyol und Ichthyol Theer bereitete, grosse und günstige 
Erfahrungen sammelte. Bei der Construction dieser Seifen legte Verf. das 
Hauptgewicht auf eine Mischung der Seife mit überschüssigem Fett, da die 
Oberhaut nach alter Erfahrung die fortgesetzte Imbibition mit Kaliseife nur 
bei Zusatz von unverseiftem Fett verträgt. Er stellte demnach zuerst eine 
neutrale Kaliseife her, welcher dann erst das Fett einverleibt wurde. 
Längere Versuche mit verschiedenen Fetten etc. schlugen fehl, bis Dr. 
Mielck in derselben Weise, wie aus Oel die gewöhnliche Schmierseife 
gekocht wird, sich eine Seife aus Schmalz herstellte und auf diese einfache 
Weise eine gute, haltbare Kaliseife erzeugte, welche, mit 5% benzoinirtem 
Schmalz versetzt, die Grundlage der überfetteten Kalischmierseifen darstellt, 
für welche Verf. den Namen Salbenseife vorschlägt. Diese Salbenseife wird 
nun entweder mehr weniger lange (5—10—15 Minuten) mit weicheren 
(nasser Watte) oder härteren (einem oft in heisses Wasser getauchten 
Borstenpinsel) Instrumenten unter Schaumbildung verrieben und dann 
gründlich mit reinem Wasser abgespült, oder verschäumt und trocken abge¬ 
wischt, oder endlich verschäumt und ihr Schaum als eintrocknende Decke 


auf der Haut gelassen. Statt bei den Salbenseifen die Menge überschüssigen 
Fettes auf 5% zu norrairen, kann man natürlich auch den Zusatz einer 
grösseren Menge von Fetten und ähnlichen Verdünnungsmitteln (Glycerin,. 
Vaselin etc.) verordnen und so die Wirkung abstufen. Die erste Seife, die 
Quecksilbersalbenseife, wird einfach so hergestellt, dass 1 Theil Hg mit 
Ve Theil vorräthigem Ung. Hydrarg. ein. extingirt wird und darauf 2 Theile 
Schmalzseife lege artis hinzugerieben werden. Nur bei unselbständigen oder 
unordentlichen Patienten lässt Verf. die Salbenseife in Päckchen (zu 2,0, 
4,0 etc.) abtheilen, sonst verordnet er die ganze, präsumptive Masse auf 
einmal und lässt die Quantität nach der einzureibenden Hautfläche be¬ 
messen. Die Vortheile bestehen nach dem Verf. darin, dass die graue 
Salbenseife bei gewissen Individuen, welche eine abnorm fettige Haut 
besitzen, die einzige Möglichkeit bietet, eine grössere Menge reguliniseben 
Quecksilbers zu incorporiren; dass sie es zu einer leichten Aufgabe macht, 
theils durch verschiedene Formen der Verwendung, theils durch beliebig 
zu erhöhende Ueberfettung jeder Körperregion und jeder geforderten Quan¬ 
tität des Medicaments gerecht zu werden; und endlich, dass sie den 
Vorzug der grösseren Reinlichkeit und Sparsamkeit bietet. Wie Verf. 
noch speciell hervorhebt, entscheiden sich die Patienten ausnahmslos für die 
Cur mit der Salbenseife, wenn ihnen beide Behandlungsformen der Hg- 
Einreibung bekannt sind. Ganz unbedingt zieht Verf. diese Salbenseife 
vor, wo es sich um die örtliche Behandlung von Drüsenturaoren handelt. 
In Betreff der Jodkaliumsalbenseife lautet die Formel: Salbenseife 9,0, Jod 
kalium 1,0, Aq. pauxill. raisee. Auch die Ichthyolsalbenseife ist dem Verf. 
unentbehrlich geworden. Sie wirkt besonders gut bei allen intertriginösen 
Erkrankungen, bei allen Formen der Furunculose, Acne und Rosacea und 
bei den seborrhoischen Erkrankungen. Bei den letzteren werden die Salben 
am besten lange mittels des Borstenpinsels bearbeitet, worauf der Schaum 
liegen bleibt; bei den ersteren schäumt man am zweckmässigsten ein und 
wischt den Rückstand trocken ab. Ausserdem eignen sich Einpinselungen 
dieser Seife bei acuten Ekzemeruptionen im Verlaufe chronischer Ekzeme, 
bei Urticaria und Lichen urticatus, bei Pernionen etc. Die Formel ist: 
Salbenseife 10 Theile, Ammon, sulfoichthyol. '/a—5 Theile, Misce. 

Die Ichthyoltheersalbenseife eignet sich am meisten für Sycosis vulgaris 
und gewisse Ekzemformen, überhaupt manche umschriebene Infiltrations- 
processe von grosser Hartnäckigkeit. Die Formel ist: Rp.: Salbenseife 
7 Theile, 01. Cadin. 2 Theile, Ammon, sulfoichthyol. 1 Theil, Misce. 

Diese vom Verf. angewandten fundamentösen Salbenseifen sind bei den 
Herren Bei ersdorf (Altona. Wohlers-Allee 40) und Dr. Mielck (Schwanen- 
apotheke, Hamburg) vorräthig; Herr Th. Douglas (Seifenfabrikant, Eims¬ 
büttel) stellt die Salbenseifengrundlage (unüberfettet) dar. (Bei allen diesen 
Vorschlägen ist jedoch zu berücksichtigen, dass man es immer mit 
hautreizenden Mitteln zu thun hat. Die Ueberfettung mildert nicht ge¬ 
nügend die Schärfe der Seife. Wir müssen besonderen Werth darauf legen, 
als Salbengrundlage neutrale, nicht reizende Substanzen zu benutzen. Anm. 
d. Refer.) _ Gs. 


— ElektricitSt als Galactagognm. Die von Dr. Aubert in Ma^on 
vor 30 Jahren angeregte, aber in Vergessenheit gerathene Idee, mittelst An¬ 
wendung der Elektricität die verminderte oder auch gänzlich sistirte Thäiig- 
keit der Mamma beim Nähren wieder in Function zu setzen, wird neuerdings 
von Dr. Misrachi vielfach verwerthet. Er bedient sich hierzu des faradi- 
schen Stromes und hat bei Ammen, bei denen die Milchsecretion bisweilen 
Tage lang aufgehört, ein reichliches Zuströmen nach Anwendung des Stromes 
wieder eintreten sehen. Jedenfalls verdient dieses rationelle Mittel eine 
grössere Beachtung als die bisher meist nutzlos verabreichten, innerlich dar¬ 
gereichten und angepriesenen. 

— Litholein, ein Product der Destillation von Petroleum, wird von 
Noel in der Gazette medicale de Paris vom 31. Januar 1888 als »ntlsep- 
tisches und antiparasitfires Mittel bei Behandlung von Eczemen und 
parasitären Hautkrankheiten empfohlen. Es ist eine ölige, gelbliche 
Flüssigkeit, frei von Fett und Harzen, von neutraler Reaction, geruch- und 
geschmacklos, enthält Spuren von Kalk und kann mit Nutzen statt des 
festen und flüssigen Vaselin Anwendung finden. Bo. 

— Kinnosuke Miura hat gefunden, dass das von Prof. W. N. Nagai 
isolirte Ephedrin, der wirksame Stoff von Ephedra vulgaris Rieh. var. 
helvetica Hook, et Thomps., in lOprocentiger Losung Mydriasis von einer 
5—20stündigen Dauer hervorruft, die keine üble Folgen hat (Chügai Iji 
Shinpö, No. 174, 1887). R. M. 

— In der Revue gen. de Clinique et de Ther. vom I. März 1888 
werden folgende Mittel zum üogserllchen Gebrauch beim Keuchhusten 
empfohlen: 

Chinii sulph. 1,0 Bismuth. salicyl. 

Acid. benzoic. 3,0 Benzoes ana 5,0 

- Chinii sulph. 1,0 


Acid. boric. - 

Coffeae subtil, pulv. ana p. acq. Natr. salicyl. 

- Benzoes pulv. ana 5,0 

Bismuth subnitr. 2,0 Chinii sulph. 1,0. 

Acid. benzoic. pulv. 1,0. 

Möglichst fein gepulvert mittelst Gummischlauch in die Nase zu blasen. 

Bo. 


— Von der Ansicht ausgehend, dass Hirnanämie die letzte Ursache 
eklamptischer Krämpfe ist, kommt Dr. Schmey in Beuthen (Therap. 
Monatshefte, April 1888) zu dem Schluss, dass bei der Eklampsie die An¬ 
wendung von Chloroform eigentlich contraindicirt ist uiul vielmehr Cbloral- 
hydrat, Aether oder Amylnitrit anzuwenden sind, da nach den experimen¬ 
tellen Untersuchungen mehrerer Autoren in der Chloroformnarcose das 
Gehirn auffallend anämisch, im Chloral- und Aetherschlaf dagegen mehr als 
normal bluthaltig ist. R. 

— Zur Beseitigung des Singnltus empfiehlt Dresch, die äusseren 
Gehörgänge mit den Fingern zu verschliessen und auf dieselben einen kleinen 


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24. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Druck auszuüben. Gleichzeitig ist irgend eine (von einer anderen Person 
gereichte) Flüssigkeit schluckweise zu trinken. (Ther. Monatsh. nach Bull, 
gen., 30. Jan. 1888.) R. 


XIV. Franciscus Cornelia Donders. 

Unter die Namen, welche stets genannt zu werden verdienen, 
weon von dem Aufblühen der biologischen Wissenschaft in unserem 
Jahrhundert die Rede ist, gehört zweifellos der des niederländischen 
Forschers F. C. Donders. 

In der Zeit, in welcher die unbefangene Untersuchung der 
lebendigen sowohl wie der todten Natur die graue Theorie der Na¬ 
turphilosophie zu verdrängen anfing, stand Donders mit Männern, 
wie Helmholtz, Du Bois Reymond, Brücke, Claude Bernard 
in den ersten Reihen des von Joliannnes Müller angeführten 
Heeres der Physiologen. 

Am 13. October 1840 erlangte er den Doctortitel. Zwei Jahre 
später wurde er Lehrer der Anatomie und der Physiologie an der 
Schule für Militärärzte in Utrecht, und im Jahre 1847 ward er 
zum Professor in der medicinischen Facultät der dortigen Hoch¬ 
schule ernannt. Stets hat er den bald erworbenen Ruhm zu ver¬ 
mehren gewusst, der sich weit über die Grenzen seines Vaterlandes 
hinaus erstreckte. Kein Wunder, dass von allen Seiten Zeichen des 
Beifalles sich kundgaben, als der Plan laut wurde, dem ge¬ 
feierten Forscher bei Gelegenheit seines 70. Geburtstages eiue be¬ 
sondere Huldigung zu bringen. 

Das Alter von 70 Jahren ist verhängnissvoll für den Professor 
an einer niederländischen Universität. Das Gesetz fordert, dass der 
Professor, sobald er dieses Alter erreicht hat, seine Stelle verlässt. 
Wiewohl gut im Allgemeinen, macht diese Forderung, angewendet 
auf einen Mann wie Donders, einen schmerzlichen Eindruck. 

„Obgleich ich sein Alter kannte und auch das niederländische 
Gesetz, es klang mir wie eine unbegreifliche Botschaft in den 
Ohren: Donders wird am 27. Mai 1888 70 Jahre alt, und dem¬ 
zufolge Professor in Ruhe“, so schreibt Moleschott in der nieder¬ 
ländischen Monatsschrift „De Gids“, irn Anfänge eines seinem 
Freunde und Landesgenossen gewidmeten Artikels. Und wahrlich, 
wer die kräftige Gestalt Donders’ sieht, von seinem klaren Blick 
getroffen wird, gefesselt wird von seinem allezeit beredten Worte, 
dem wird es, gerade wie Moleschott, unbegreiflich klingen, 
dass ein solcher Mann als emeritus, ausgedient, bei Seite gestellt 
werden kann. Der Gesetzgeber aber hat zu rechnen mit den 
Menschen, wie sie im Durchschnitte sind — und Donders wird 
seine ehrenvolle Stellung in der Gesellschaft und in der Wissen¬ 
schaft zu erhalten wissen, auch wenn er nicht mehr in officieller 
Weise mit einer Universität verbunden ist. 

Am meisten bekannt ist Donders wohl als Ophthalmologe. 
Wer aber vielleicht meinte, in Donders in erster Linie den Augen¬ 
arzt sehen zu müssen, der würde sich irren. Vor Allem ist Don¬ 
ders Physiologe gewesen und geblieben. 

„Es klingt,“ so spricht Moleschott in dem oben erwähnten 
Artikel, „und es ist allzu bescheiden, wenn er von sich selbst 
schrieb, er blieb in stetigem Contact mit dem breiten Gebiete der 
Physiologie. Die Wahrheit ist, dass er niemals aufgehört hat, dieses 
breite Gebiet als Meister zu betreten. In Jahren, in denen das 
mehr als heutigen Tages zu den Ausnahmen gehörte, war er gründ¬ 
lich bewandert in der mikroskopischen Forschung, in Physik und 
Chemie zugleich. Er zählt noch unter jene glücklichen Vertreter 
der Vergangenheit, welche eine Zeit lang auch Anatomie gelehrt 
haben und darin tiefer eingedrungen sind, als die meisten, welche 
sich mit der Rolle des Schülers zufrieden geben mussten. Die Form, 
der Stoff, die Kraft, er war mit allen dreien vertraut. Er spürte 
nicht nur dem Umlauf des Blutes, sondern auch dem Nerveneinflusse 
nach und den Factoren, durch die derselbe regulirt wird. Er unter¬ 
suchte nicht nur die Gesetze der Strahlenbrechung, welche die von 
Cr am er erklärte Anpassung des Auges vervollkommneten, er hat 
auch die Geschwindigkeit gemessen, mit der wir sehen und hören, 
urtheilen, wählen und wollen. Er hat das Saugen des Säuglings 
und die Sprache des Erwachsenen zergliedert. Viele Dinge, welche 
Donders gehören, gelten in der Wissenschaft als gute Münze, ohne 
dass sein Name darauf geprägt steht.“ 

Schon Donders’ Handbuch der Physiologie, von dem eine 
deutsche Uebersetzung von der Hand des Herrn Prof. Th eile er¬ 
schienen ist, zeichnet den Meister. Schade nur, dass es unvollendet 
geblieben ist. Donders war niemals der Mann, welcher mangel¬ 
hafte Arbeit der Oeffentlichkeit übergab, und das Handbuch seiner 
würdig zu vollenden, das wurde unmöglich gemacht durch die For¬ 
derungen der wissenschaftlichen Forschung, der Lehrthätigkeit und 
einer sich schnell vergrössernden augenärztlichen Praxis. Auf welche 
Weise er allen diesen Forderungen Genüge leistete, ist jedem be¬ 
kannt, der kein Fremder auf physiologischem und ophthalmologischem 
Gebiete ist, seinen zahlreichen Schülern aus früherer und aus späterer 


Zeit, welche aus allen Gegenden der gebildeten Welt ihm zu- 
strömten, sowie seinen zahllosen Patienten. — 

Der Geburtstag Donders’ ist der 27. Mai. die festliche Be¬ 
gehung desselben aber ist auf Montag, den 28. Mai, anberaumt. 
Dann wird ihm die Urkunde der Donders-Stiftung überreicht 
werden, ein Fonds zusammengebracht von Donders’ früheren und 
jetzigen Schülern, Freunden und Verehrern in Niederland und seinen 
Colonieen und allenthalben im Auslande. Die Bestimmung über 
diesen Fonds wird am Festtage durch den Jubilar getroffen werden. 
Am Nachmittage wird ihm zu Ehren ein Festessen stattfinden. 

Einem kleinen Lande, wie Niederland, das vor Allem seine 
Selbstständigkeit hüten will und dazu viel mehr in intellectueller als 
in materieller Kraft seine Stütze suchen muss, ist der Besitz eines 
Mannes wie Donders von überaus hohem Werth. Darum hat man 
gern die Gelegenheit ergriffen, ihm die Huldigung zu bringen, 
welche ihm gebührt, und sieht mit Stolz, dass wissenschaftliche 
Männer aller Nationalitäten gewünscht haben, diesen Ehrenbezeu¬ 
gungen sich anschliessen zu dürfen. 


XV. Internationaler Ophthalmologen- 
Congress in Heidelberg. 

Das vorbereitende Comite hat für die Arbeiten des diesjährigen inter¬ 
nationalen Ophthalmologencongresses das nachfolgende vorläufige Programm 
festgestellt: Für Donnerstag, den 9. August: Referat über Glaucom. Refe¬ 
rent: Herr Priestley Smith (Birmingham). Correferent: Herr Snellen 
(Utrecht). — Für Freitag, den 10. August: Referat über Cataract. Referent: 
Herr Gay et (Lyon). Correferent: Herr Schweigger (Berlin). — Für 
Sonnabend, den 11. August: Referat über Bacteriologie. Referent: Herr 
Lebe r (Göttingen). Correferent: Herr Sattler (Prag). — Angemeldet 
sind bis jetzt folgende Vorträge: Herr Nieden: Ueber Drusenbildung im 
Nervus opticus. — Herr Knapp: a) Die Meridianbezeichnung beim Ver¬ 
schreiben von Cylindergläsern. b) Ueber Staarextraction ohne Iridectomie.— 
Herr Singer (Prag): Demonstrationen zur Sehnervenkreuzung im Chiasma.— 
Herr Cohn (Breslau): a) Ueber das Photographiren des Augenhintergrundes, 
b) Ueber die hohen Grade der Kurzsichtigkeit. — Herr Knies: Objective 
Demonstration der Farbengrundempfindungen. — Herr Manz: Ueber ein 
Thema aus der Teratologie. — Herr de Wecker: Eine neue Behandluugs- 
weise der Hornhautstaphylome. — Herr Landolt: Ueber Ursachen und 
Behandlung des Schielens. — Herr Bessel-Hagen: Fall von Exostosis 
eburnea in der Orbita. — Herr Kipp: Ueber Keratitis dendritica exulcerans 
und deren Zusammenhang mit Malariavergiftung. — Herr Mul es (Man¬ 
chester): On Lymph-Naevi of the eye and its appendages. — Herr Grand 
Clement (Lyon): Bons eflets de la pilocarpine dans ces etats mal definis, 
comme sous le nom d’asthenopie de la retine. — Herr Bernheimer: 
Ueber Chiasma nerv, optic. des Menschen. — Herr B. Alex Birndale: 
The statistic of the refraction of the eye. — Herr Pagenstecher: Ueber 
Cataractoperation in der Kapsel. — Herr Stilling: Schädelbau und Re¬ 
fraction. — Herr K. Grossmann (Liverpool): Neue Prüfung auf Farben¬ 
blindheit. — Herr Zehen der: Zwei Bemerkungen zur Brillenfrage. — 
Herr C. Hess: Weitere Mittheilungen über künstliche Hervorrufung von 
Linsentrübungen ohne Kapsel Verletzung. — Herr Chibret (Clermont- 
Ferrand): Ktudes de bacteriologie pour la determination d’une antisepsie 
exacte en ophtalmologie. _ 


XVI. 01. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln. 

Als Einführender der Section für Allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie der vom 18. bis 23. September dieses Jahres 
in Köln tagenden Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte lade 
ich zu den Sitzungen dieser Section ein und bitte um die gefällige An¬ 
meldung von Vorträgen an meine Adresse. 

Dr. Georg Sticker, Arzt in Köln. 


XVII. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Den *27. Mai d. J. um 12 Uhr wird in der hiesigen Uni¬ 
versitätsfrauenklinik die Marmorbüste des verewigten Professor Dr. 
Carl Schroeder feierlich enthüllt werden. 

— Seitens der Schriftführer der freien Vereinigung der Chi¬ 
rurgen Berlins, der Herren Professor Dr. Sonnenburg, Dr. Israel 
und Professor Dr. Langenbuch wird folgendes Schreiben verbreitet: „In 
der am 7. Mai stattgefundenen Sitzung des Vorstandes der freien Ver¬ 
einigung der Chirurgen Berlins sind behufs engerer Organisation folgende 
Beschlüsse gefasst worden, die wir Ihnen hierdurch mitzutheilen uns er¬ 
lauben: 1) Die bisher zu den Sitzungen eingeladenen Theilnehmer werden 
aufgefordert, durch Zahlung eines Jahresbeitrages von 5 M. die Mitglied¬ 
schaft zu erwerben. Die Beitrittserklärung ist bis zum 15. Juni an den 
ersten Schriftführer, Herrn Professor Dr. Sonnenburg, NW. Kronprinzen¬ 
ufer 4, anzumelden. Der Beitrag wird durch einen Boten der freien Ver¬ 
einigung gegen Quittung eingezogen. — 2) Das Präsidium sowie die Tages¬ 
ordnung für jede Sitzung wird den Mitgliedern zeitig mitgetheilt. — 3) An¬ 
meldungen neuer Mitglieder sind schriftlich an die Unterzeichneten Schrift¬ 
führer einzureichen. Ueber die Aufnahme entscheidet der Vorstand. — 
4) Anmeldungen von Vorträgen und Demonstrationen sind spätestens 14 Tage 
vor der Sitzung Herrn Sonnen bürg einzureichen. Krankenvorstellungen 
und Demonstrationen frischer Präparate können zu Anfang jeder Sitxung 


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No. 21 


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angemeldot weiden. — 5) Officielle Berichte der Sitzungen werden von den 
Schriftführern veröffentlicht. Die Vortragenden haben zu dem Zweck den 
Schriftführern ein Autoreferat ihrer Vorträge, womöglich noch in derselben 
Sitzung, im Interesse einer sofortigen authentischen Publication einzuhän¬ 
digen. — 6) Die Sitzungen finden alle vier Wochen am Montag, Abends 
8 Uhr, statt und zwar für gewöhnlich im Königlichen Klinikum. Den Vor¬ 
sitz übernehmen wie bisher die 13 Mitglieder des Vorstandes in bestimmter 
Reihenfolge.“ — Mit Bezug auf die unter 5) getroffene Anordnung boraerkeh 
wir, dass uns die Publication dieser authentischen Berichte übergeben worden 
ist, so dass wir in promptester Weise über die Verhandlungen der Vereini¬ 
gung zu berichten in der Lage sein werden. 

— Die Aerztekammer der Provinz Brandenburg und des 
Stadtkreises Berlin hat, wie wir bereits raittheilten, in ihrer Sitzung 
vom 21. April d. J. den Beschluss gefasst, die sämmtlicheu Aerzte in 
Berlin und in der Provinz Brandenburg durch Circular aufzufordern, 3 Mark 
zur Bestreitung der Kosten der Aerztekammer cinzuschicken, sowie das 
bisherige Berliner ärztliche Correspondenzblatt als Org^u der 
Aerztekammer zu erklären, aus den Mitteln der Aerztekammer zu erhalten 
und unentgeltlich den sämmtlichen Aerzten zu übersenden. Die erste 
Nummer des Blattes gelangt soeben mit dem Ersuchen in die Hände der 
Aerzte, 3 Mark baldmöglichst an den Kassenführer der Aerztekammer, Herrn 
Dr. Selberg, Berlin N., Iuvalidenstrasse 111, senden zu wollen. Wir 
glauben voraussetzen zu dürfen, dass diejenigen Aerzte, denen die Interessen 
des Standes am Herzen liegen, diese kleine Steuer gern auf sich nehmen. 

— Der Schriftführer des Vereins für Volksbäder, Herr Dr. 
Lassar, wendet sich in einem Schreiben an die Aerzte mit der gewiss ge¬ 
rechtfertigten Bitte, die Bestrebungen des Vereins unterstützen zu wollen. 
In erster Linie sei durch ihren weit reichenden Einfluss eine Förderung der 
Bestrebungen des Vereins zu erwarten. Die Badeanstalten befinden sich: 
Gartenstrasse 5—8, Wallstrasse 50, Höchste Strasse No. 15. 

— Der Geh. Sauitätsrath Dr. Fried berg beging die Feier des sechzig¬ 
jährigen Doctorjubiläums. 

— Würzburg. Für die Versammlung der Anatomischen Ge¬ 
sellschaft sind ferner angemeldet worden von Herrn Hubert (Utrecht) 
ein Vortrag; Demonstrationen von den Herren: van Bcnedcn, Platner, 
Klaatsch, v. Ebner, Pal, Strahl, Stöhr, Picrsol, Bardeleben 
Marchand. 

— Freiburg. Am 9. und 10. Juni findet in Freiburg i. B. die 
XIII. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen 
und Irrenärzte statt. Geschäftsführer sind Professor Emminghaus in 
Freiburg und Dr. Fischer in lllenau. 

— Paris. Dr. F. Lejars, Prosector au der raedicinischcn Facultät, 
ist mit einer Reise nach Deutschland, Oesterreich und Russland beauftragt, 
um eine Reihe von Fragen bezüglich der Organisation der Hospitäler dieser 
Länder zu studiren. 

— Wir wiosen in No» 2 dieses Jahrgangs auf ein Unternehmen hin, 
welches in hohem Maassc geeignet ist, jeden literarisch arbeitenden Arzt zu 
interessiren, die in Vandeuhoeck und Ruprecht’s Verlag in Göttingen er¬ 
scheinende, von Gustav Ruprecht herausgegebene Bibliotheca medico- 
chirurgica, eine Bibliographie, welche in übersichtlicher Weise die gc- 
sammtc medicinische und verwandte Literatur zusammenstellt. Von derselben 
ist jetzt das IV. Heft des Jahrganges 1887, welches dicr Monate October bis 
December umfasst, erschienen, wieder mit einer Promptheit, welche allein 
einem derartigen Unternehmen Werth verleiht. Dem Heft ist ein alpha¬ 
betisches Verzeichniss des ganzen Jahrganges beigegeben, der das Nach- 
schlagen ungemein erleichtert. Der Jahrgang ist auf 460 Seiten gegenüber 
400 Seiteu des vorigen Jahrganges gewachsen. Wir wünschen dem Werke, 
damit sein Bestehen gesichert wird, die erforderliche Unterstützung durch 
ein recht zahlreiches Abonnement. 

— Ueber die gcrinnungserregende Wirkung gewisser Blut¬ 
gifte macht 0. Silbermann (Breslau) (Centralbl. für med. Wiss. 1888, 
No. 16) folgende vorläufige Mittheilung: Das defibrinirte Blut eines ver¬ 
gifteten Thieres wurde in ein zweites gesundes oder ebenfalls vergiftetes 
Thier transfundirt; es fanden sich ausgedehnte tödtliche Thrombosen. Da¬ 
gegen zeigten sich diese uicht bei direkter Ueberlcitung des Blutes von 
Gcfäss zu Gefass. Die einzelnen Organe der vergifteten Thiero wurden noch 
während des Lebens auf Gerinnungen untersucht; wir beobachteten solche 
in dom Herzen, der Lungenarterie, den Nieren, dem Magen, der Leber, dom 
Darm und der Haut. Behufs Nachweisung der capillären Gefässverstopfuugeu 
wurden Indigcarminlösungen den lebenden Thieren infundirt. Aehnliche 
Eigenschaften wie Natrium chlor., Glycerin etc., zeigten Arsen und Phosphor, 
welche demnach auch in die Reihe der Blutgifte gehören. 

— Einfluss der Vagi auf die Urinsecretion. Untersuchungen 
der Herren Arthaud und Butte haben ergeben, dass ein direkter vaso¬ 
motorischer Einfluss der Vagi auf die Urinsecretion und vielleicht noch auf 
andere Abscheidungen besteht. Bei Reizung des peripheren Vagusendes 
beobachteten sie eine ziemlich deutliche Verminderung der Gallensecretion, 
um Magen eine Verengerung der tiefen Blutgefässe während der Reizung. 
Bei Roizung des peripheren Vagusendes am Halse, nach Excision aller vom 
Ganglion cervicale infimum ausgehenden Zweige traten bemerkeuswerthe 
Blutdruckschwankungen auf, obwohl das Herz seinen Rhythmus bewahrte. 
Was die Urinsecretion anlangt, so bemerkt man bei Vagusreizung nicht das 
gleiche Resultat in beidou Nieren. Bei Reizung im Thorax wurde dasselbo 
beobachtet. Aus diesem asymmetrischen Verhalten schliessen die Herren 
Arthaud und Butte, dass die Variationen des Rhythmus des Herzens das 
1’hänomeu nicht beeinflussen, ein indirekter Beweis für die specielle vaso¬ 
motorische Action des Vagus auf die Nieren. Sodann wurde beobachtet, 
dass bei Reizung des rechten Vagus aus der rechten Niere sich nichts, aus 
der linken 12 ccm Harn entleerten, uragokehrt rechts 11 ccm, links 8 ccm. 
Daraus wurde geschlossen, dass die Vagi iu individuell verschiedener Weise 
sich Grenzen. 


— Guignard und C har rin haben kürzlich in der Pariser Academie 
dos Sciences die Ergebnisse ihrer Experimente in Bezug auf morpholo¬ 
gische Variation von Mikroben, besonders des Bacillus pyocyaneus 
veröffentlicht. In Bouillonculturen erscheint dieser Mikrobe als activer Bacillus, 
er ist etwa doppelt so lang als breit. Im Brütofen bedeckt sich bei 35® 
die Cultur mit einem Häutchen, unter welchem man einen grünlich blauen 
Farbstoff beobachtet, der allmählich gelb wird. Die Bacillen sammeln ihren 
Inhalt in ein oder zwei Körperchen, die Membran um diese Körperchen 
schwillt, sie stellen encystirte Zellen oder Arthrosporen dar. Setzt man 
der Bouillon verschiedene organische oder Mineralsäuren zu, so kann mäa 
jedesmal Formveränuerungen des Bacillus beobachten, beim Zusatz kleiner 
Carbolsäure- oder Kreosotmengen erscheint er als Bacterium. Durch Naph- 
thol (0,25:1000), Thymol (0,50:1000) oder Alcohol (40:1000) erhält man 
Bacillen von verschiedener Länge. Diese sind entweder einzeln oder durch 
Pseudofilamente verbunden und bilden ein Netzwerk auf der Oberfläche der 
Cultur. Diese verschiedenen Formen sind transitorisch, bald erscheint der 
normale Bacillus wieder. Setzt mau Kaliumbichlorat (0,10:1000) der Bouillon 
zu, so stellt die Cultur 5—6 Tage lang eine Sammlung verschlungener 
Filamente dar, die daun durch den normalen Bacillus ersetzt werden. Ein 
Zusatz von 3:1000 Borsäure verlangsamt die Entwickelung des Bacillus, 
aber er producirt weiter Pyocyanin, bei 5:1000 Borsäure erhält man kurze 
Filamente, bei 6—7:1000 gerade oder krumme Stäbchen, letztere halb- 
raond- oder ringförmig. Theilen sich diese Stäbchen nicht, so nehmen sie 
spiralige Form an. Alsdann hört der Bacillus auf, Pyocyanin zu produciren, 
uud nimmt allmählich seine normale Form wieder an. Bacillen, die in 
Bouillon mit 0.75 g Kreosot- oder 2 g Salicylsäurezusatz cultivirt werden, 
bilden eine Sammlung dauerhafter, sphärischer Zellen, die Mikrococcen 
ähnlich sehen. Diese Zellen sind ein Mittel zur Reproduction, denn bringt 
man sie in reine Bouillonculturen, so erscheinen sie als normale Bacillen 
und erzeugen Pyocyanin. Stets erscheint der normale, Pyocyanin erzeugende 
Bacillus wieder. (Diese Mittheilungen sind nicht blos in Bezug auf Metamorphose 
und Generationswechsel bei niederen Thieren interessant, sondern auch in Bezug 
auf eine Aeusserung Virchow’s in seiuem Vortrag über Transformisums 
auf dor letzten Naturforscherversammlung, sie lautet: „Wer uns lehrt, aus 
einem Spaltpilz einen Schimmelpilz zu züchten, der wird mehr gethan haben 
als alle Heraldiker des Stammbaumes der Menschen.“ Damit soll freilich 
keineswegs gesagt sein, dass den oben genannten Forschern diese Umwand¬ 
lung gelungen ist. Anmerkung des Referenten.) 

— ln einer am 21. November 1887 der Pariser Academie des Sciences 
durch Brown - Sequard vorgelegteu Mittheilung von H. Peyraud 
(Bordeaux) wird über eine neue Methode der präventiven Tollwuth- 
impfung berichtet. Danach wäre es gelungen, Kaninchen durch subcutane 
Injectioh weniger Tropfen von Oleum Tanaceti, dem ätherischen Oele des 
Rainfarrn, Tanacotum vulgare, immun zu machen gegen eine Tage oder 
Wochen später erfolgende Einspritzung von Rabiesgift. Peyraud ging 
dabei von dem Gedanken aus, dass Thiere, welche man mit Oleum Tanaceti 
vergiftet hat, ganz ähnliche Erscheinungen darbieten, wie solche, die an 
Tollwuth erkrankt sind; demnach sei eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür 
vorhanden, dass das Lyssaptomain chemisch dem Raiufarrnöl ähnele; 
möglich also, dass geringe Dosen dieses Präparates, ähnlich wie die Ein¬ 
spritzungen abgeschwächten Lyssagiftes in den Pasteur’schen Versuchen, 
einen Schutz gegen spätere Tollwuthimpfung gewähren. 

— Aus den Bädern. Das altbewährte jodhaltige Soolbad Kreuznach, 
das unter den Soolbädern seine hervorragende Stellung stets behauptet hat 
und mit allen Einrichtungen versehen ist, wie sie den Forderungen der Hy¬ 
giene entsprechen, trifft alle Vorkehrungen, um auch für den Winter dort 
weilenden Curgästen allen Comfort zu bieten, den man heute von einem 
Wintcrcurort verlangt. — Auf Norderney sei hier als auf den vorzüg¬ 
lichsten Aufenthalt für stärkungsbedürftige Kinder hingewiesen, denen der 
feste, weit ausgedehnte Strand als unübertroffener Tummelplatz dient Die 
Zahl der Curgäste, welche Norderney im Jahre 1887 besuchten, beträgt 
14800. — Gleichenberg hat seine bekannten Curmittel durch besonders 
sorgfältige Einrichtungen für Milch-, Kefir-, Ziegenmolkecuren, für Inhalations-, 
pneumatische und hydrotherapeutische Curen erweitert. 

— Universitäten. Kasan. Der Professor der Chirurgie an der 
Facultät in Kasan, Dr. Jelatschitsch, ist gestorben. 


XVm. Personalien. 

Preussen (Amtlich). 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Peyser in Woldenberg, 
Dr. Steinhardt in Wronke, Dr. Elkeles, Dr. Röther, Dr. Caro und 
Dr. Kronthal. sämmtlich in Posen, Dr. Rehfisch in Saabor, Dr. Grätzer 
iu Sprottau, Dr. Poppinga in Dornum, Dr. Halm in Crefeld, Dr. Voigt 
in Barmen. 

Der Zahnarzt: Rosemann in Liegnitz. 

Vorzogen sind: Die Aerzte: Dr. Kantorowicz von Goldenberg, 
Ober-Stabsarzt a. D. Dr. Busse von Frankfurt a./O. nach Falkenhagen, 
Dr. Kleinschmidt von Berlin und Dr. Lischke von Hamburg, beide 
nach Frankfurt a./O., Dr. Dumstrey von Buckow nach Müncheberg, 
Dr. Karasiewicz von Kosten nach Tuchei, Dr. Manasse von Sprottau 
nach Borast, Dr. Kays er von Cery bei Lausanne als Direktor der Prov.- 
lrrenanstalt nach Owinsk, Dr. Sperling von Posen, Dr. Ehrhardt von 
Homberg a. d. 0. nach Landsberg a/U. (Kreis Delitzsch), Löchner von 
Berlin nach Prettin, Stabsarzt Dr. Kretzschmar von Karlsruhe in Baden 
nach Annaburg, Dr. Goissler von Neuenrade, Dr. Cordes von Lingen 
und Dr. Kuhlmann von Rheinböllen, sämmtl. nach Dorsten, Dr. Lauffs 
von Berlin nach Barmen, Dr. Wachendorf von Cornelymünster nach 
M. Gladbach, Dr. Voss von Cleve nach Rindern, Dr. Jürgensmeyer von, 
Borbeck nach Berlin, Dr. Hülthoff von Elberfeld. 


Gedruckt bei Julius Sittcnfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 




31. Mai 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet ron Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thioino, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber plötzliche Todesfälle im Säuglings¬ 
alter. 1 ) 

Von P. Grawitz in Greifswald. 

Meine Herren! Die heutige kleine Mittheilung hat den Zweck, 
die Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Todesfällen im Säuglings¬ 
alter zu richten, welche dadurch bemerkenswert!! ist, dass ohne 
vorhergehende Krankheitserscheinungen plötzlich unter dem Bilde 
der Erstickung die vorher völlig munteren Kinder zu Grunde gehen. 
Ich habe zwei solche Fälle beobachtet, welche sich in gewisser Be¬ 
ziehung ergänzen und daher geeignet sind, einiges Licht über diese 
Todesart zu verbreiten. Nach meiner Auffassung ist in beiden eine 
stark vergrösserte Thymusdrüse als wesentliches Erklärungsmoraent 
für die plötzliche Asphyxie herbeizuziehen. 

Der erste Fall ereignete sich vor ca. 4 Jahren in Berlin. Ein 
etwa 8 monatliches Kind, dessen Eltern den Tag über ausserhalb 
ihrer Wohnung beschäftigt waren, war der Wartung eines Dienst¬ 
mädchens anvertraut, welche auch während der Nacht die Wiege 
des Kindes neben ihrem eigenen Bette aufgestellt hatte, um nöthigen- 
falls für das Kind zu sorgen. Eines Morgens wurde das bis dahin 
vollkommen gesunde Kind in seinem Bette todt aufgefunden. An¬ 
geblich sollte die Federdecke, mit welcher die Kleine zugedeckt 
war, etwas hoch über den Mund in die Höhe gezogen sein, und 
ans diesem Umstande wurde von den Eltern ein schwerer Vorwurf 
für das bew-achende Dienstmädchen hergeleitet, es wurde gegen das¬ 
selbe ein Strafverfahren wegen Fahrlässigkeit angestrengt. Infolge¬ 
dessen wurde die gerichtliche Obduction der Leiche verfügt, welche 
ich vertretungsweise in Gemeinschaft mit Herrn Geheimrath Li man 
auszuführen Gelegenheit hatte. 

Der kleine Körper war gut entwickelt, wohlgenährt, Spuren äusserer 
Verletzung Hessen sich nirgends auffinden. In der Kopfhöhle fand sich 
nichts Abnormes. Bei Eröffnung der Brusthöhle fiel eine Thymusdrüse von 
ungewöhnlicher Grösse auf, welche wie eine platte Geschwulst den grösseren 
Theil des Herzbeutels überdeckte und beiderseits ziemlich hoch gegen die 
Schilddrüse hin am Halse hinaufragte. Die Drüse hatte einen gelappten 
Bau, ihre Oberfläche war von hellrosa Farbe, überall von dichten kleinen 
punktförmigen Blutuugen durchsetzt; auch das interlobuläre Gewebe Hess 
auf dem Durchschnitt eben solche kleinen miliaren Petechien erkennen. Im 
Pericard und hier und da auf der Pleura fauden sich gleichfalls kleine Extra¬ 
vasate; das Herz war sonst von normaler Beschaffenheit, die Lungen luft¬ 
haltig, durchaus normal, in den Bronchien und grossen Luftwegen kein 
fremder Inhalt. Die Organe der Bauchhöhle boten keinerlei nennenswerthe 
Veränderungen dar. 

Das vorläufige Gutachten beider Obducenten lautete dahiu, dass 
das Kind an Erstickung zu Grunde gegangen sei; die näheren Um¬ 
stände, unter welchen der Tod erfolgt sei, Hessen wir dahinge¬ 
stellt. 

Bei der späteren mündlichen Verhandlung hatte sich ergeben, 
dass das Deckbett keineswegs in ungewöhnlicher Weise das Gesicht 
des Kindes belastet hatte, und es entstand nun für uns beide Sach¬ 
verständigen die Nothwendigkeit, uns über den Hergang der Er¬ 
stickung näher auszulassen. Bei dieser Gelegenheit gingen unsere 
Gutachten auseinander, denn während Herr Geheimrath Liman auf 
das Verhalten der Thymusdrüse kein besonderes Gewicht legte, so 
glaubte ich doch, den Befund hervorheben zu müssen, wenngleich 
ich aus eigener Kenutniss an ähnlichen Fällen nicht behaupten 
konnte, dass die Tbymusvergrösserung allein positiv die Todesur- 


') Vortrag, gehalten im „ Aerzteveroin des Regierungsbezirks Stralsund“. 


sache gewesen sein müsse. Ich gab also vor den Richtern meinen 
Bedenken in Bezug auf den ungewöhnlichen Befund Ausdruck und 
erklärte, dass ich die ganz abnorme Grösse der Drüse für be¬ 
deutungsvoll halten müsse, da sie ihrer anatomischen Lage 1 ) nach 
nothwendig einen erheblichen Druck auf die dahinter liegenden 
Hauptbronchien und Gefässe habe ausüben müssen, und dass m. E. 
eine fremde Schuld am Tode des Kindes nicht nothwendig ange¬ 
nommen werden könnte. 

Die Richter entschieden sich für Freisprechung des angeklagten 
Mädchens, erklärten aber ausdrücklich, dass das Urtheil unabhängig 
von dem Gutachten der Sachverständigen aus Mangel an positiven 
Beweisen erfolgt sei, dass dagegen im Falle eines begründeten Ver¬ 
dachtes über die Frage der Todesursache eiu Obergutachten hätte 
eingeholt werden müssen. 

Seitdem habe ich niemals wieder bei den Sectionen kleiner 
Kinder einen Fall erlebt, bei welchem ich in die Lage gekommen 
wäre, der Thymusdrüse einen Antheil an der Todesursache zuzu¬ 
schreiben, obwohl ich die damals angeregte Aufmerksamkeit nie 
aus dem Gedächtniss verloren habe. 

Erst jetzt bin ich einem zweiten Falle begegnet, welcher an 
Klarheit den ersteren in mancher Hinsicht übertrifft: 

Das sechs Monate alte Töchtereben des Schneiders .1. in 
Greifswald war ein kräftiges, gut genährtes, munteres Kind, welches 
weder an Husten noch an einer anderen Krankheit litt, seine 
Nahrung mit grossem Appetit zu sich nahm. Am 20. April d. J. 
erfreuten sich die Eltern des kleinen munteren Wesens, der Vater 
hielt es auf dem Arm, und scherzte mit ihm im Beisein von einigen 
Bekannten. Da bekam das Kind ganz plötzlich einen Anfall vou 
Athemnoth, es wurde bläulich im Gesicht, ballte die Fäuste, und 
war in wenigen Minuten todt. Einer der Anwesenden, ein ge¬ 
prüfter Krankenwärter, machte sofort Versuche, das Kind durch 
künstliche Atbmung zum Leben zurückzurufen, aber vergeblich. 

Es wurde nun Herr Professor Krabler ersucht, den Todten- 
schein auszustellen, da das Kind „an Krämpfen“ verschieden sei. 

Dieses Ausinnen wurde abgelehnt, uud die Ausfertigung des 
Scheines von dem Ergebniss der Section abhängig gemacht, welche 
ich alsdann am 21. April ausführte. 

Sectionsbericht: Die Leiche des Kindes zeigt äusserlich keine Spuren 
stattgehabter Verletzung. Die Haut im Gesicht, am Rumpf, Bauch und 
Armen ist weiss, am Rücken und den Beinen livide. Das Fettpolster ist 
reichlich stark, am Thorax ist ein deutlicher rachitischer Rosenkranz zu 
fühlen, der Thorax ist breit, das Abdomen etwas aufgetrieben. Die Muskeln 
in Todtenstarre. 

Bei Eröffaung der Bauchhöhle drängen sich die mit Gas aufgetriebenen 
Dünndärme hervor, die Serosa ist grauweiss, zart, man sieht an mehreren 
Stellen deutlich die leicht rosa gefärbten Peyer’schen Drüsenhaufen durch - 
schimmern. In der Bauchhöhle kein fremder Inhalt. Zwerchfell beiderseits 
in der Mamillarlinie am unteren Rand der vierten Rippe. Bei Wegnahme 
des Brustbeins tritt auch innen die rachitische Verdickung an der Knorpel¬ 
grenze der Rippen deutlich hervor, beim Einschneiden zeigt sich eine sehr 
unregelmässige Ossificationsgrenze, reichliche Schicht gewucherten bläulichen 
Knorpels. Unter dem Brustbein liegt eine Thymusdrüse von 
ungewöhnlicher Grösse. Sie überdeckt den grösseren Theil des Herz¬ 
beutels mit zwei in der Mittellinie durch Bindegewebe zusammengehalteuen 
Lappen. Dieselben bilden eine dicke, nach inuen gewölbte Kappe über 
dem Herzen; nach oben setzt sich der linke in allmählicher Verjüngung 

') Bei einem Skelett eines 8monatlichen Kindes finde ich den Abstand 
vom Manubrium stemi zur Wirbelsäule 2 cm; hier ist also der gefährliche 
Punkt, an welchem ein hochreichender Thymusfortsatz von 1 — 1,5 cm Dicke 
schon ganz wesentlich raambeengend wirken muss. 


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430 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 


direkt, der rechte durch eine Einschnürung unterbrochen in je einen läng¬ 
lichen Processus fort, welcher links an, rechts neben dem unteren Rande 
der Schilddrüse zugespitzt endigt. Die grösste Längenausdehnung von 
dieser Endigung zur Basis der Thymus beträgt 7,5 cm, die grösste Breite 
über dem Herzbeutel 6 cm. Die Dicke, ca. 1,5 cm, ist schwer zu bestimmen, 
da sich in der Höhe der Luftröhrentheilung dem linken Lappen ein ziem¬ 
lich dicker Nebenlappen anlegt, welcher von dem Hauptlappen durch eine 
Einschnürung getrennt ist, aber denselben theilweise überdeckt und dadurch 
verdicken hilft. Der dorsoventrale Durchmesser in der Höhe 
dicht unter dem Manubrium sterni misst 1,8 cm. Die Farbe ist 
graurosa, durch sehr zahlreiche oberflächlich gelegene Pe¬ 
techien von frisch rother Farbe gesprenkelt. Goasistenz 
ziemlich derb. Das Herz ist relativ gross und kräftig, im Pericardium 
viscerale sieht man zahlreiche stecknadelkopfgrosse, rothe Extravasate, Herz¬ 
muskeln, Klappenapparat, Foramen ovale normal, iu den Höhlen reichliches 
flüssiges Blut, ebenso in den Hohlvenen und den Venen des Halses. 

Die Halsorgane werden im Zusammenhang mit den Lungen heraus¬ 
genommen; Mund und Rachenhöhle sind leer, ebenso der Eingang zum Kehl¬ 
kopf, die Luftröhre und die grossen Bronchien. Der Kehldeckel zeigt ex¬ 
quisite seitliche Compression [asphyktische Stellung (Virchow)], seine 
Schleimhaut, sowie die des Pharynx ist geröthet. Die Innenfläche des 
Kehlkopfes und der obere Theil der Luftröhre sind erheblich heller roth, 
eine stärkere Injection beginnt dicht über der Bifurcation, die letztere ent¬ 
spricht der engsten Stelle zwischen Brustbein und Wirbelsäule. In den 
grösseren und mittleren Bronchien findet sich etwas klarer röthlicher Schaum. 
Die Lungen sind mässig collabirt, durchweg lufthaltig, hellroth, hier und da 
an der Oberfläche kleine Bläschen von interstitiellem Emphysem. Speise¬ 
röhre ist leer, im Magen etwas milchiger Inhalt und reichliche Gasbildung, 
Schleimhaut blassgrauweiss. Im Darm ebenfalls dünner Speisebrei, Gas, die 
Schleimhaut zart hellgrau mit etwas deutlichen rosa gefärbten, aber nicht 
geschwollenen Peyersehen Haufen. Die Milz ist gross und blutreich, mit 
sehr deutlichen kleinen Follikeln. Leber ist blutreich, sonst ganz intact, 
ebenso die Nieren. Die Mesenterialdrüsen sind etwas vergrössert, grau- 
röthlich, Chylusgefässe vielfach mit weissem Inhalt gefüllt. 

Diagnose: Erstickungstod durch Hyperplasie der Thymusdrüse. 

Epikrise. Beide mitgetheilten Fälle haben das Gemeinsame, 
dass eine eigentliche Krankheit, etwa ein Asthma oder dergleichen, 
nicht voraufgegangen ist, sondern dass die Säuglinge bis zum Tode 
durchaus gesund gewesen sind. Bei beiden hat dieSection als 
Todesursache die beim Erstickungstode gewöhnlich 
vorkommenden Befunde ergeben, und bei beiden ist 
anatomisch als Erklärung für diese Erstickung nur die 
vergrösserte Thymus gefunden worden. Die kleinen Hä- 
morrhagieen, welche sich in beiden Thymusdrüsen in grosser Anzahl 
vorfanden, sind wohl während des Erstickungsanfalles entstanden 
und den punktförmigen Blutungen im Herzbeutel und in der Pleura 
gleichzusetzen. 

Während nun aber im ersten Falle der Verdacht nicht absolut 
abzulehnen ist, dass etwa doch das Mädchen das Kind neben sich 
zu weit zugedeckt und dadurch den Tod mitverschuldet hat, so ist 
im zweiten Fall das Kind wach gewesen, als die Athemnoth ein¬ 
trat, die Eltern und mehrere Personen sind zugegen gewesen, und 
jede fremde Einwirkung ist zuverlässig ausgeschlossen. 

Soweit das Thatsächliche. 

Fragt man nun, ob denn über Todesfälle dieser Art nichts 
Genaues bekannt sei, so muss man annehmen, dass die Gerichts¬ 
ärzte allgemein keinen Werth auf die Thymushyperplasieen legen, 
da wenigstens in den casuistischen Angaben der bekannten Lehr¬ 
bücher von Liman und v. Hofmann nichts davon enthalten ist 
Im Uebrigen ist eine überaus lebhafte Debatte in den 40er bis 
50er Jahren über die Bedeutung der Thymus geführt worden. Man 
findet in dem Buche von Alexander Friedleben „Die Physiologie 
der Thymusdrüse in Gesundheit und Krankheit etc. 1858“ einen 
sehr ausgiebigen Literaturnachweis aus älteren Schriftstellern, und 
in einem Anhang p. 248 ff. „einige Fälle plötzlichen Todes im 
ersten Acte des Laryngismus“, mit welchen die beiden von mir vor¬ 
aufgeschickten Beobachtungen in auffallender Weise übereinstiramen. 
Dennoch ist es wahrscheinlich dies Werk, welches an der späteren 
Vernachlässigung solcher Fälle den Hauptantheil hat, da Fried¬ 
leben nach einer langen Kritik zu dem Schlüsse gelangt, dass die 
Thymu8vergrösserungen ganz ohne Bedeutung seien, dass man ihre 
Wichtigkeit selbst bei solchen plötzlichen Todesfällen überschätzt 
habe. Offenbar hatte man damals die Häufigkeit wirklicher Thyinus- 
vergrÖ88erungeu überschätzt, und mau hatte als Asthma thymicum 
eine bestimmte Krankheit aufgestellt, welcher stets eine solche 
Hyperplasie zu Grunde liegen sollte. Nun ergab sich natürlich, 
dass Anfälle von Athemnoth bei Kindern unendlich viel häufiger 
beobachtet wurden, als sich bei Sectionen Thyrausvergrösserungen 
fanden, dass man vielmehr allerlei Erkrankungen der Luftwege und 
der Lungen in den grossen Topf des Asthma thymicum zusammen¬ 
geworfen hatte. Andererseits kamen Fälle zur Beobachtung, bei 
welchen, wie in den obenstehenden beiden, keinerlei Krankheits¬ 
erscheinungen bestanden hatten, und bei denen dennoch eine Thymus¬ 
drüse gefunden wurde, welche gelegentlich noch grösser war, als sie 
bei den an Asthma thymicum gestorbenen Säuglingen angetroffen 


war. Was war natürlicher, als dass Fried leben den Schluss 
machte, dass diese Grössenverhältnisse noch zur Norm zu rechnen 
seien, da die Drüse ja vor dem ersten tödtlichen Anfälle keinerlei 
Beschwerden verursacht habe, und dass er am Ende nicht nur das 
Asthma thymicum, sondern auch die Möglichkeit einer gefahrdrohen¬ 
den Hyperplasie der Drüse überhaupt in Abrede stellte. 

Ich bin nun ganz und gar nicht in der Lage, mit meinen beiden 
Fällen die Autorität von Friedleben, welcher über eine erstaun¬ 
liche Fülle von Einzelerfahrungen gebietet, zu erschüttern, allein 
ich glaube doch zwei Punkte anführen zu können, welche den 
Werth seines negativen Standpunktes zweifelhaft machen. Erstens 
nämlich verfährt Friedleben ebenso radical wie mit der Tbymus- 
hyperplasie auch mit den Thymusgeschwülsten. Die Angaben der 
älteren Literatur über einen Krebs der Thymusdrüse, darunter einen 
Fall von Astley Cooper, behandelt Friedleben mit einer unver¬ 
kennbaren Geringschätzung, obwohl schwerlich heute ein erfahrener 
pathologischer Anatom darüber im Zweifel sein dürfte, dass diese 
bei etwa 19jährigen Personen beobachteten Tumoren des vorderen 
Mediastinums, welche den Herzbeutel überlagern, die Stelle der 
Thymus einnebmen und im Bau derselben einigermaassen ähnlich 
sehen, dem Gebiete des Virchow’sehen Lymphosarcoma thymicum 
angehören. Der Vorwurf, dass die älteren Literaturangaben an 
Genauigkeit zu wünschen übrig lassen, mag gewiss gerechtfertigt 
sein, allein die daraufhin gegebenen Deutungen Friedleben’s sind 
ganz sicher unrichtig, denn, wenn man jene Tumoren heute auch 
nicht mehr als Carcinome bezeichnet, so gehört doch das Vor¬ 
kommen der malignen Lymphosarcome zu dem am besten Be¬ 
kannten , was wir heute von der pathologischen Anatomie der 
Thymus wissen, und eine Ableugnung der malignen Thymus¬ 
geschwülste überhaupt muss allerdings die Zuverlässigkeit von 
Friedleben’s Kritik in Frage stellen. 

Mein zweiter Punkt ist eine Bemerkung, welche sich bei 
Virchow im 2. Bande der Geschwülste, 1865, findet. Virchow 
sagt bei dem Capitel der Lymphdrüsenhyperplasieen über das 
Asthma thymicum Folgendes: 

„Man hat dieses Asthma in der neueren Zeit vielfach bezweifelt 
und es ganz aus der Classe der Krankheiten herausgestrichen. Ich 
halte es mit Hasse 1 ) für möglich, doch ist es schwer, die Frage 
sicher zu entscheiden, da in der Regel andere krankhafte Zustände 
gleichzeitig vorhanden sind, welche die Gefahr der Krankheit hin¬ 
reichend erklären, z. B. krampfhafte Katarrhe. Trotzdem ist ge¬ 
wiss eine beträchtliche Hyperplasie nicht ohne Einfluss auf die 
Respiration und Circulation, aber auch ich habe nur wenige Fälle 
gesehen, wo in der That die Hyperplasie beträchtlich war. Indess 
habe ich sie doch gesehen. Ich besitze in der Sammlung 
ein Präparat, wo das Kind durch Asthma zu Grunde ge¬ 
gangen ist, und wo die Thymus so bedeutend vergrössert 
war, dass ich nicht einsehe, wie man die Möglichkeit 
leugnen sollte, dass durch ihren Druck die Dyspnoe 
entstanden sei. Die Drüse wog & l /j Drachme, war 3 5 /s Zoll 
hoch, 3 /8 Zoll dick, 2*/2 Zoll in der grössten, 1^4 in der durch¬ 
schnittlichen Breite. In einem neueren Falle (Aumerkung) maass 
die Thymus 6 cm in der grössten Breite, 7,5 in der grössten, 6,5 
in der durchschnittlichen Höhe, 1,5 in der Dicke.“ 

Man sieht daraus, dass die Maasse, welche Virchow als aus¬ 
reichend zur Erklärung des Erstickungstodes angegeben hat, mit 
den Zahlen meines zweiten Falles nahezu vollkommen überein- 
stimroen, und andererseits, dass diese Fälle recht selten sein müssen, 
wenn sich bei dem reichen Material des Berliner Institutes damals 
nicht mehr als zwei solche Präparate vorgefunden hatten. 

Unter diesen Umständen lässt sich natürlich über die Ursachen 
der Thymushyperplasie nichts Bestimmtes aussagen, denn wenn 
auch Rokitansky auf das Vorkommen derselben bei Rachitis und 
allgemeinen Lymphdrüsenschwellungen bis auf die Peyer’schen 
Haufen hinab aufmerksam macht, so sind doch Rachitis und Drüsen¬ 
schwellungen bei Kindern zu häufige Befunde, als dass irgend 
welche regelmässige Wirkung jener Allgemeinstörungen auf die 
Thymusdrüse daraus bcrgeleitet werden könnte. 

Ebensowenig vermag ich eine befriedigende Auskunft zu 
geben, weshalb ein Zustand, welcher doch offenbar von längerer 
Dauer ist, einen so plötzlichen Tod bedingen kann. Ich kann hier 
nur aus meiner Erfahrung anführen, dass ich sehr häufig bei der 
Section kleiner Kinder zwar einen vollbefriedigenden anatomischen 
Grund für die Todesursache aufgefunden habe, aber jede Erklärung 
schuldig geblieben bin für die Frage, weshalb das Kind bis un¬ 
mittelbar vor dem Eintritt des Todes so völlig munter gewesen und 
so ganz unerwartet und plötzlich zu Grunde gegangen sei. 

l ) Das Buch von K. Ew. Hasse: Spec. pathol. Anatomie, stammt aus 
dem Jahre 1841, stützt sich betreffs der Thymus auf Becker, Hang- 
stedt, Kopp u. A. und legt bei Thymushyperplasie das Gewicht nur in 
besonderen Fällen auf Compression der Luftröhre, vielmehr auf solche der 
Oberen Hohlvene und des rechten Vorhofes. 


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31. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


431 


Jedenfalls erscheint mir die gerichtsärztliche Seite der Frage 
wichtig genug, um dieselbe hier anzuregen; es ist erwiesen, dass 
gesunde Säuglinge eines plötzlichen Todes an Erstickung sterben 
können, ohne dass man dabei an die Schuld einer fremden Person, 
Erstickung durch die Mutter und dergleichen zu denken braucht, 
und es bietet diese Mittheilung vielleicht die Gelegenheit, eine 
Lücke in der pathologischen Anatomie durch weitere Beobachtungen 
bei gerichtlichen Obductionen auszufüllen. 


II. Dampf-Sterilisirunsgapparat für Labora¬ 
torium und Küche, insbesondere zur Sterili- 
sirung von Kindermilch und zur Herstellung 
von Conserven. 

Von Bezirksarzt Dr. W. Hesse in Schwarzenberg. 

Wie bekannt, wird in Laboratorien und Desinfectionsanstalten 
mit bestem Erfolge strömender Wasserdampf zu Steril isirungs- 
zwecken verwendet. 

Es dürfte an der Zeit sein, das 
Verfahren — denn ein anderes kommt, 
wohl kaum in Frage — weiteren 
Schichten der Bevölkerung zugängig 
und die grossen Vorzüge desselben 
in Küche und Haus nutzbar zu 
machen. Hierzu drängt, wie nicht 
weiter erörtert zu werden braucht, 
unbestritten in erster Linie das Be- 
dürfniss nach Conservirung der in’s 
Haus gelieferten Kindermilch, welches 
trotz vielfacher mehr oder weniger 
glücklicher Vorschläge anerkannter- 
maassen noch keineswegs befriedigt 
ist. 

Bei meinen Versuchen, die zu¬ 
nächst der Sterilisirung von Kinder¬ 
milch galten, ging ich davon aus, 
dass 

1. jede Portion Milch für sich 
in einem geeigneten handlichen ver¬ 
sandfähigen Glasgefässe zu sterili- 
siren, und dass 

2. eine möglichst grosse Zahl 
Portionen in kleinstem Raume unter¬ 
zubringen sei. 

Die einzelne Portion war auf 
höchstens 300 ccm zu bemessen. 

Dieselbe aufzunehmen, boten sich 
die gewöhnlichen im Handel be¬ 
findlichen X U 1-Conservengläser von 
etwa 7 — 7 l /*2 cm äusserem Durch¬ 
messer und 12 —14 cm Höhe dar. 

Um eine Anzahl gleich grosser 
runder Gläser in kleinstem Raum 
unterzubringen, hat man deren sechs 
um ein siebentes herumzustellen. 

Es bedurfte demnach in unserem Falle eines Gefässes von etwa 
22*/2 cm Durchmesser und 14 cm Höhe zur Aufnahme eines Satzes 
von 7 Conservengläsern, welche zusammen etwa 2 1 Milch, den 
täglichen Meistbedarf für 1 Kind zu fassen vermögen. 

Ich habe ans später zu erörternden Gründen den Durchmesser 
des Gefässes 24 cm gewählt. 

Der Apparat zur Herstellung conservirter Milch sollte sich 
ferner zur Verwendung in der Küche, namentlich auf dem Heerde, 
eignen, die zu einmaligem Sterilisiren erforderliche Wassermenge 
fassen und die gleichzeitige Inangriffnahme einer möglichst grossen 
Zahl von Conservengläsern gestatten, ausserdem eine Anzahl Be¬ 
quemlichkeiten gewähren, welche ohne Weiteres aus der folgenden 
Beschreibung erhellen werden. 

Der Apparat 1 ) besteht aus einem Kochtopfe, einer Anzahl 
Aufsätze und einem Deckel. 

Der Kochtopf ist von Gusseisen, innen und aussen emaillirt; 
er besitzt 30 l /2 cm lichte Höhe und in der Mitte 22 l /2 cm lichte 
Weite, fasst demnach rund 12 1; 3 cm oberhalb des Bodens trägt 
er aussen einen 4 cm breiten Ring zum Einhängen in den Heerd; 
er ist mit Wasserstandsglasrohr versehen, in welchem das Wasser 


') Die Kochtöpfe werden von der Firma Nestler & Breitfeld im 
Eisenhüttenwerk Erla bei Schwarzenberg (Sachsen), die Blechaufsätze und 
Deckel von Herrn Klempner W. H. Lenk in Niederscblema (Sachsen) au¬ 
gefertigt; letzterer liefert einen ganzen Apparat (Kochtopf, 3 Aufsätze und 
Deckel) für 30 Mk. 


sichtbar bleibt, so lange dessen Menge nicht unter 3 1 sinkt. Das 
Wasserstandsrohr ist gegen Beschädigung durch starke Drahtstäbe 
geschützt, und kann, wenn nöthig, sofort ausgewechselt werden. 
Eine zweite Sorte von Kochtöpfen besitzt anstatt gläserner Wasser¬ 
staudsrohre gusseiserne von nahezu 4 cm lichtem Durchmesser; 
der Wasserstand wird bei diesen, besonders für den Küchengebrauch 
geeigneten Töpfen durch einen Schwimmer angezeigt. 

Der obere Rand des Topfes stellt eine Rinne von 1 cm lichter 
Weite dar. Der innere Rand derselben ist 1 cm, der äussere 2 cm hoch. 

Diese Rinne dient zum Einstellen eines der zur Aufnahme von 
7 Conservengläsern bestimmten Aufsätze, sowie zur Herstellung eines 
Wasserverechlusses zwischen beiden Gefässen. Ein Ueberschuss von 
Wasser in derselben fliesst über den niedrigeren inneren Rand in den 
Koch topf ab. 

Die Aufsätze sind einander völlig gleich und lassen sich 
beliebig übereinander stellen; jeder derselben fasst sieben */< 1-Con- 
servengläser; sie sind von Weissblech, 24 cm weit, 16 1 /* cm 
hoch und besitzen 2 cm oberhalb des unteren Randes eine reichlich 
1 cm lange Ausbiegung, um in die Rinne des Kochtopfes eingestellt 
werden zu können. 

Der obere Rand jeden Aufsatzes ist behufs Aufnahme eines 
anderen Aufsatzes oder des Deckels und behufs Herstellung eines 
Wasserverschlusses genau so eingerichtet, wie der obere Rand des 
Kochtopfes. Die Aufsätze sind mit Ausnahme der untersten 2 cm 
in Filz gehüllt. In ihrem Innern befinden sich unmittelbar über 
der Ausbiegung in gleichen Abständen von einander 3 kurze Stücke 
Draht als Lager für einen aus starkem Draht bestehenden Rost. 

Diese Anordnung des Lagers hat den Zweck, die Verengerung 
des Durchmessers der Aufsätze auf ein thunlichst geringes Maass 
zu beschränken, bequemes Einlegeu und Herausnehmen der Roste 
zu gestatten und den Abfluss des Condensationswassers in die 
Rinnen zur Erhaltung des Wasserverschlusses während des Sterili- 
sirens zu ermöglichen. 

Die Entfernung von Rost zu Rost zweier übereinander gestellter 
Aufsätze beträgt 14 cm. 

Der Deckel, ebenfalls von Weissblech und mit Filz belegt, 
passt lose in die Rinne der Aufsätze wie des Kochtopfes; er ist 
trichterförmig und besitzt in der Mitte eine Oeffuung. 

Es liegt auf der Hand, dass die vorbeschriebene Anordnung 
gestattet, beliebig viele Blechaufsätze überereinander zu stellen und 
gleichzeitig soviel Mal 2 1 Milch zu sterilisiren, als Aufsätze über¬ 
einander gebaut werden. 

Soll der Apparat in Gebrauch genommen werden, so giebt 
man zunächst in den Kochtopf nur 9 bis 10 1 Wasser, um Ueber- 
wallen^rtes kochenden Wassers zu verhüten. Dann wird seine Rinne 
mit Wasser gefüllt, ein mit sieben gefüllten Conservengläsern ver¬ 
sehener Blechaufsatz hineingesetzt, die Rinne des letzteren ebenfalls 
mit Wasser gefüllt, in diese ein zweiter Blechaufsatz gesetzt u. s. w.; 
zuletzt kommt der Deckelverschluss. Die Conservengläser werden 
von vornherein thunlichst fest verschraubt. 

Ich habe wiederholt 5 Aufsätze übereinandergestellt und deren 
Inhalt binnen 2 Stunden sterilisirt, ohne irgend welche weitere 
Mühe gehabt zu haben, als für Erhaltung des Heerdfeuers zu sorgen. 

Wenn die Sterilisirung zur Zeit der Zubereitung des Mittags¬ 
mahles vorgenommen wird, ist der Mehrgebrauch an Heizmaterial 
verhältnissmässig gering. Es ist aber unter allen Umständen ge¬ 
wissenhaft darauf zu achten, dass der Dampf unaiterbrochen 2 
Stunden lang lebhaft aus der Deckelöftiung strömt. Daher ist 
es unbedingt erforderlich, dass dieser wichtigste Theil der Arbeit 
von ganz zuverlässiger Hand besorgt wird. 

Die Temperatur des Dampfes zu messen, hat keinen Zweck, 
weil der lebhaft herausströmende Dampf die örtlich und zeitlich 
erreichbare Hitze besitzt. 

Es versteht sich von selbst, dass anstatt Milch jedes andere 
Nahrungsmittel sterilisirt werden kann, dass sich also jede Haus¬ 
frau auch die Conserven, deren sie in ihrem Hausstand bedarf, 
selbst hersteilen kann, und zwar weit schneller und sicherer, als 
dies mit dem bis jetzt üblichen Verfahren möglich war. 

Es ist klar, dass der aus einzelnen, lose aufeinander stehenden 
Aufsätzen hergestellte Cylinder eine beliebige Verstellung der ein¬ 
zelnen Abtheilungen, sowie am Schluss der Sterilisirung die Ent¬ 
fernung des Apparates vom Heerd in bequemster Weise zulässt, 
letzteres zumal die mit Filz umkleideten Aufsätze sich mit blosser 
Hand angreifen lassen, und das in den Rinnen enthaltene heisse 
Wasser nicht über den äusseren Rand auf die Hände abfliessen 
kann. 

Durch Entfernung der Roste lassen sich bequem 2 und mehr 
Aufsätze zu einem einzigen 24 cm weiten Rohre verbinden, in wel¬ 
chem natürlich allerhand Gegenstände anderer Grösse und Form 
sterilisirt werden können. 

Unter allen Umständen empfiehlt es sich, wenigstens bei Sterili- 
siruug vou Milch, die Gläser in offene Blechbüchsen zu stellen. 



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432 


DEÜT8CHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


No. 22 


Hierzu eignen sich gebrauchte, gewöhnliche 1 Pfund-Blechconserven- 
hüchsen, deren Deckel man abgeschmolzen hat; dieselben haben 
nahezu 8 cm Durchmesser, weshalb auch der Durchmesser der Auf¬ 
sätze auf 24 cm festzusetzen war. 

Unterlässt man diese Vorsicht, so fliesst leicht aus einem uu- 
dicliten oder zersprungenen Glase Milch in das kochende Wasser, 
welches nun hoch aufwallt und auf den Heerd strömt 

Sollten im Kochtopf vor Beendigung der Sterilisiruug, also vor 
Ablauf von 2 Stunden, mehr als 6 1 verdampft sein, so wird der 
Wasserstand einfach in der Weise wieder erhöht, dass in Vorrath 
gehaltenes kochendes Wasser in die Rinne des Kochtopfes oder eines 
Aufsatzes gegossen wird, über deren niedrigeren inneren Rand es un¬ 
verzüglich nach innen abfliesst. Zu dem Zwecke befindet sich am 
unteren Ende der Filzumhüllung ein kleiner Ausschnitt, der auch 
gestattet, den Wasserverschluss zu beobachten und nöthigenfalls 
durch Nachgiessen von Wasser zu erneuern. 

Auch das Wasserstandsrobr lässt sich zum Nachfüllen von 
Wasser verwenden. 

Zahlreiche von mir angestellte Versuche lassen es rathsam er¬ 
scheinen, den Dampf nicht weniger als zwei Stunden lang strömen 
zu lassen. Ich habe zwar nach l s /4 Stunden langer Einwirkung 
keinen Misserfolg gehabt, wohl aber war nach l'^stündiger ab 
und zu eine Portion noch nicht sterilisirt. Dies bezieht sich nur 
auf */4 1-Gläser; grössere Gläser muss man natürlich noch länger 
dem Dampfstrome aussetzen. Die zur Sterilisirung erforderliche 
Zeit hängt selbstverständlich bis zu einem gewissen Grade auch 
von der Lebhaftigkeit des Dampfstromes ab, ebenso von dem 
Barometerstände, der z. B. in meinem Wohnorte durchschnittlich 
nahezu 4 cm niedriger ist als am Meere. Unmittelbar nach voll¬ 
endeter Sterilisirung werden die Gläser satzweise dem Apparat ent¬ 
nommen und deren Verschraubungen nachgezogen. Wenngleich mir 
bei Anwendung dieser Vorsicht bisher keine Verunreinigung des 
Gläserinhaltes durch Luftkeime begegnet ist, so muss es doch 
als ein dringendes Erforderniss bezeichnet werden, Gläser 
zu verwenden, welche unter allen Umständen unfehlbar luft¬ 
dicht schliessen. Nur die Hälfte der käuflichen Conservengläser er¬ 
füllt diese Forderung; bei der anderen Hälfte lockert sich in Folge der 
ungleichen Ausdehnung des Metallringes und des Glases in der 
Hitze der Verschluss, so dass ein Theil der über der Milch 
stehenden Luft, mitunter selbst ein wenig Milch, aus den Gläsern 
getrieben wird. In dieser Beziehung verhalten sich Gläser mit 
Zinn- und Britanniametallverschraubung gleich, während letztere 
wegen ihrer grösseren Widerstandsfähigkeit im übrigen entschieden 
vorzuziehen sind. 

Glücklicherweise stellt sich der luftdichte Abschluss lauge vor 
erfolgter Abkühlung der Gläser wieder her, so dass bei weitem 
weniger Luft in dieselben zurücktritt, als Inhalt austrat; auch findet 
der Eintritt von Luft in Folge der äusserst allmählich vor sich 
gehenden Abkühlung der Gläser so langsam statt, dass in der 
Regel Infection ihres Inhaltes ausbleibt, selbst wenn man nach 
beendeter Sterilisirung die Verschraubung der Gläser nicht nach¬ 
gezogen hat. Ein anderer, etwas umständlicherer, aber ganz sicherer 
Weg ist der, dass man den ganzen Apparat nach dem Sterilisiren 
auf dem Heerde erkalten lässt. Diesfalls muss man aber unmittel¬ 
bar nach Beendigung der Sterilisirung (Unterbrechung der Dampf¬ 
entwickelung durch Zurückschieben der glühenden Kohlen) die 
Oeffnung des Deckels mit einem sterilisirten Wattepfropf ver¬ 
stopfen und fortwährend (stundenlang) durch wiederholtes Nach¬ 
füllen von Wasser in die Rinnen für dauernde Erhaltung der 
WasserverscMüsse sorgen. Auch die Verschraubungen der in dieser 
Weise abgekühlten Gläser müsseu nach Entfernung aus dem Ap¬ 
parate sofort angezogen werden. 

Die Farbe der Milch ist nach 2stündiger beständiger Einwir¬ 
kung des Dampfes mehr oder weniger bräunlich. 

Vor dem Gebrauche ist die Milch zu schütteln oder zu quirlen, 
wodurch der Rahm sich so fein und vollständig vertheilt, dass Ver¬ 
stopfung der Oeffnung der gebräuchlichen Gummihütchen nicht 
eintritt. *) 

Unvollkommene Sterilisirung macht sich zwar in der Regel 
früher oder später, oft erst in der 2. Woche, durch Auftreteu einer 
wässrigen gelblichen Schicht unter dem Rahme kenntlich. Es ge¬ 
schieht aber nicht selten, dass die Milch flüssig bleibt und äusser- 
lieh alle Anzeichen gut eonservirter beibehält. In solchen Fällen 
hat mich der abweichende Geruch der Milch, der am deutlichsten 
unmittelbar nach Eröffnen des Glases wahrgenomraen wird, auf die 
vorgegangene Veränderung aufmerksam gemacht. 

Ich habe bei meinen Versuchen die Milch stets mindestens 
14 Tage lang an warmem Orte anfbewahrt, bevor ich zur mikro¬ 
skopischen und bacteriologischen Untersuchung schritt. 


’) Vgl. meinen Aufsatz in No. 19 dies. Wochenschrift vom Jahre 1886: 
,hin neuer Apparat zur Sterilisirung der Milch für den Hausgebrauch“. 


Da es bei Vornahmen, wie die von mir io Vorschlag gebrachte, 
mitunter auf Kleinigkeiten ankommt, die aber für den Erfolg von 
grösster Wichtigkeit sein können, so sei es mir erlaubt, noch ein 
Wort über die Behandlung des Heerdfeuers hinzuzufügen: 

Sehr oft bemerkt man, dass die frischen Kohlen einfach in 
das Feuer geworfen werden. Dies bedingt nicht nur eine Ver¬ 
schwendung des Heizmaterials, sondern auch zeitweises Nachlassen 
der Gluth, des Kochens und des Dampfstromes. Letzteres muss 
aber, wie schon betont, unbedingt vermieden werden, und dies ist 
nur möglich, wenn mau richtig heizt, d. h. vor dem Nachlegen die 
glühenden Kohlen eiu wenig nach hinten schiebt und die frischen 
davor legt. Bei so sachgemässer Beschickung des Ofens mit 
Zwickauer Steinkohlen erhitzten sich bei meinen Versuchen 9 I 
Wasser innerhalb */* Stunde von 0° G bis zum Siedepunkt. 

Vor den gegenwärtig in Gebrauch befindlichen Methoden der 
Milchconservirung hat die raeiue die Sicherheit des Erfolges und die 
dauernde mannichfache Verwendbarkeit des Apparates voraus. 

Die einmaligen Anschaffungskosten werden sich allmählich da¬ 
durch decken, dass der mehrtägige Milchbedarf für ein Kind auf 
einmal bezogen, bequem in 2 Stunden sterilisirt und zu beliebigem 
Gebrauch fertig gestellt werden kaun, und dass sich der Apparat 
zur Herstellung aller möglichen anderen Conserven, gelegentlich 
auch zur Desinfection inficirter Gegenstände benutzen lässt. 

Es bleibt dahingestellt, ob nicht der Produceut berufen sein 
wird, dereinst die Lieferung sterilisirter Milch in Couserveugläsern 
in die Hand zu nehmen. 

III. Ueber einen Fall von Melaena 
neonatorum. 1 ) 

Von Dr. med. Otto Tross, prakt. Arzt iu Karlsruhe (Baden). 

Die Seltenheit des Krankheitsbildes der Melaena neona¬ 
torum mag es rechtfertigen, wenn ich mir erlaube, über einen Fall 
der Art Mittheilung zu machen, den ich in meiner Praxis zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte. Selbst Henoch giebt in der neuesten 
Ausgabe seiner klassischen „Vorlesungen über Kinderkrankheiten“ 
an, dass ihm selbst nur ganz vereinzelte Fälle der Art zur Beob¬ 
achtung gekommen sind. Nach einer Statistik von Hecker soll 
auf 500 Geburten eiu Fall von Melaena ueonatorum kommen, nach 
der von Genrich aus den Berliner Gebäranstalten auf 1000 Ge¬ 
burten ein Fall. 

Hierbei sind natürlich alle Fälle von sogenannter Melaena 
spuria auszuschliessen, d. li. Blutausleerungen per os oder anum, 
bedingt dadurch, dass von verletzten Brustwarzeu der Stillenden 
oder vou Wunden an den Lippen oder solchen in der Mund-, 
Racheu-oder Nasenhöhle der Neugeborenen Blutraassen verschluckt und 
dann wieder nach oben oder unten entleert werden. Auch eine 
frühzeitige Lösung der Placenta und in Folge davon intrauterin 
verschlucktes Blut ist als Ursache eines Falles von Melaena spuria 
beschrieben wordeu. 

Abgesehen von solchen Ursachen kommt es nun in einer sel¬ 
tenen Reihe von Fällen zu Blutentleerungen bei Neugeborenen, die 
als Melaena vera oder Apoplexia intestinalis neonatorum 
bislang bezeichnet werden, und über deren Pathogenese wir noch 
sehr im Dunkeln sind. Seit der ersten derartigen Beobachtung 
durch Ebart im Jahre 1723 giebt es bis heute nur sehr wenige 
Fälle, in denen die Krankheitserscheinungen durch den Obductions- 
befund annähernd genau aufgeklärt sind, und wir müssen gestehen, 
dass wir bezüglich der Aetiologie dieser Krankheit so gut 
wie nichts Sicheres wissen. Indem ich die Hypothesen bezüglich 
der Aetiologie dieser Krankheit übergehe und diesbezüglich auf die 
trefflichen Angaben bei Henoch 2 ) verweise, möchte ich nur einen 
dort nicht erwähnten Fall in ätiologischer Hinsicht hervorheben, 
einen der wenigen, wo der Sectionsbefund ein positives Resultat 
zur Erklärung der intra vitam aufgetretenen Melaena ergab. Ritter 3 ) 
beobachtete einen Fall, wo bei einem in Beckenendlage unter sehr 
schwerem Verlaufe geborenen Mädchen, wobei nach Entwickelung 
der unteren Extremitäten das Kind etwa sechs Minuten im Becken- 
ausgauge stecken blieb — der Arzt kam erst später, nachdem die 
Geburt spontan zu Ende gegaugen war, zur Stelle — 12 Stunden 
post partum eine heftige Melaena auftrat, die zum Tode führte. 
Die Obduction ergab als interessantesten und wichtigsten Punkt, 
dass „der mit Blut angefüllte Magen an der vorderen Wand, etwa 
in der Mitte, drei pfenniggrosse Erhöhungen von schwärzlicher 
Farbe zeigt. Die eine dieser Erhöhungen ist mehr flach und hat 


*) Nach einem Vortrage, gehalten in der Versammlung der Karlsruher 
Aerzte. * 

a ) v. c. p. 62 ff. 

*) Zur Casuistik der Melaena vera neonatorum. Aerztliche Mittheilungeu 
aus Baden. 1882. No. 3, p. 15 ff. 


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31. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


433 


in der Mitte einen 3 mm langen, scharfrandigen Riss, aus welchem 
ein Fibringerinnsel hervorragt. Die geuaue Untersuchung dieses 
Befundes zeigt, dass au diesen drei Stellen die Magenschleim¬ 
haut von der Muscularis abgehoben ist, und iu den Zwischen¬ 
räumen sich Blut findet. Au der einen Stelle ist die Schleimhaut 
rissartig durchbrochen. Auf der übrigen Magenschleimhaut sind ausser 
einigen Ecchymosen keine Veränderungen bemerkbar“. Dieser Be¬ 
fund ira Zusammenhänge mit der erschwerten Geburt, insbesondere 
der Thatsache, dass das Kind etwa 6 Minuten im Beckenausgange 
stecken blieb, „wobei der Brustkorb und vor Allem der Unterleib 
mit der Nabelschnur zusaramengedrückt wurde“, lässt Ritter zu 
der Ansicht kommen, dass in Folge der hierdurch bedingten Blut¬ 
stauung und des hohen Blutdruckes es zu Blutungen in der Magen¬ 
schleimhaut, Loslösung derselben von der Muscularis, starker 
Spannung, Riss und Verblutung in den Magen gekommen sei, eine 
Ansicht, die nach den Versuchen von Epstein 1 ) der physiologischen 
Unterlage nicht entbehrt. 

Das Krankheitsbild der Melaena vera tritt in die Erscheinung 
durch Blutungen, und zwar gewöhnlich durch blutiges Erbrechen, 
dem dann bald darauf blutige Stühle folgen. Diese Blutungen 
stellen sich ein iu der Zeit vom 1.—7. Tage post partum, be¬ 
sonders häufig am 2. Tage; nur einmal hat Genrich 2 ) das Auf¬ 
treten am 18. Tage p. p. beobachtet. Entweder ganz plötzlich 
oder nach vorangegangenen Erscheinungen, die sich als Collaps- 
erscheinungen in Folge innerer Blutung durch einen kleinen oder 
unfühlbaren Puls, kühle Extremitäten, eingesunkene Fontanelle etc.- 
documentireu, kommt cs zu Blutungen aus Mund oder After oder 
aus beiden zugleich. Die Hämatemesis hört gewöhnlich bald, 
nachdem sie die Scene eröffnet hat, wieder auf, und die weiteren 
Entleerungen finden per anum statt, bald so, dass permanent Blut 
aus der Analöffnung hervorrieselt, bald so, dass das Blut in 
kleinerer oder grösserer Menge, häufiger oder weniger oft, entleert 
wird und in der Zwischenzeit die Entleerungen sistiren. In der 
einen Reihe der Fälle handelt es sich nur um geringe ßlutquanti- 
täten, die als streifige blutige Beimischungen ira Meconium oder 
später im sonst normalen Stuhle sich zeigen; in einer anderen 
Reihe von Fällen wird reiues Blut, flüssig oder geronnen, dann in 
theerartig schwarzen Massen entleert. 

Alle übrigen Erscheinungen, welche diese Krankheit bietet, 
sind bedingt durch den Blutverlust, es sind Collapserscheinungen, 
die natürlich nur hier beim zarten Alter der Betroffenen relativ 
früh und schnell gefahrdrohend auftreten. Bei jeder irgend erheb¬ 
lichen Blutung kommt es sehr schnell zu Pulslosigkeit, die Extre¬ 
mitäten werden kühl, die kleinen Patienten werden leichenblass, 
athmen fliegend, es kommt zu Apathie, Somnolenz, Coma, ge¬ 
legentlich zu Convulsionen, und dann tritt rasch der Exitus 
letalis ein. 

Die Prognose ist in allen Fällen sehr ernst zu stellen, 
denn an sich unbedeutende initiale Blutungen aus Mund oder After 
können plötzlich in verstärktem Maasse auftreten und schon in 
wenigen Stunden zum Tode führen. Aber auch wenn die Blutungen 
sistiren und der erste Collaps glücklich überwunden ist, sind die 
Kinder wegen der Anämie noch nicht ausser aller Gefahr und 
können noch einige Tage nach dem Verschwinden der Blutungen 
an deren Folgezuständen ihr Leben einbüssen. Von manchen 
Autoren wird auch behauptet, dass mitunter für das ganze Leben 
schädliche Folgen Zurückbleiben, die sich durch eine zarte Constitu¬ 
tion und durch Neigung zu Darmkrankheiten verrathen. Was die 
Mortalität betrifft, so schwankt sie nach den verschiedenen Autoren 
von 35 % bis zu 60 °/ 0 . Die Fälle, wo es zu bedeutenderen blu¬ 
tigen Ausleerungen gekommen ist, in denen schon hochgradige 
Collapserscheinungen aufgetreten sind, enden nach Angabe aller 
Autoren weitaus iu ihrer Mehrzahl mit dem Tode. Aber es sind 
in der Literatur auch einige wenige Fälle der Art bekannt ge¬ 
worden, wo es gelungen ist, nach Sistiren der Blutungen auch der 
hochgradigsten Collapserscheinungen Herr zu werden und die 
Kinder am Leben zu erhalten. Im Hinblick hierauf räth Henoch, 
auch in den schwersten, scheinbar verlorenen Fällen nie die Hände 
müssig in den Schooss zu legen, sondern energisch mit der Therapie 
vorzugehen. 

Auch der vorliegende Fall, den ich mitzutheilen mir erlaube, 
ist ein Beweis für die Richtigkeit dieser Worte und die Zweck¬ 
mässigkeit der empfohlenen Therapie. Was diese letztere be¬ 
trifft, so sei es mir gestattet, dieselbe im Zusammenhänge mit 
meinem Falle mitzutheilen. 

Am 12. August v. J. Vormittags suchte mich die Hebamme Frau R. 
auf, um mir mitzutheilen, dass sie am 10. August, Abends 10 3 /* Uhr, die 
Frau des Schutzmannes K. dahier entbunden habe. Alles sei normal ge¬ 
gangen, das Kind in 2. Schädellage von der III. -Para leicht geboren worden. 
Gestern Abend sei sie gerufen worden, weil das Kind kleine Mengen 

*) Archiv für experim. Pathol. Bd. II. 

Genrich. Inaug.-Dissert., Berlin 1877. 


flüssigen Blutes erbrochen habe. Das Kind sei aber dabei ganz munter 
gewesen, so dass sie den Arzt nicht habe rufen wollen, zumal das Erbrechen 
bald sistirt habe. Heute Morgen nun sei sie wieder gerufen worden, und 
sie habe jetzt das Kind leichenblass, wie todt, in seinem blutüberströmten 
Tragkissen gefunden. Ihr Schrecken, das Kind hätte sich vielleicht aus 
dem nicht richtig unterbundenen Nabelstrange verblutet, sei alsbald ver¬ 
schwunden, als sie beim Nachsehen den Nabel völlig in Ordnung gefunden 
habe. Jetzt aber habe sie bemerkt, dass das Blut aus dem Anus entleert 
worden sei, und, als sie das Kind heruradrehte, habe es auch per os kleine 
Mengen flüssigen Blutes mittelst Brechens entleert. Das Kind sei so elend, 
dass sie ihm rasch die Notbtaufe gegeben habe, denn sie glaube nicht, 
dass es bis zu ihrer Rückkehr noch lebe. 

Wenige Minuten später war ich bei dem Kinde. Dieses, ein Mädchen, 
lag leichenblass, mit völlig entfärbten Lippen, geschlossenen Augen, einge¬ 
sunkener Fontanelle, kühlen Extremitäten, pulslos iu seinem mit Blut über 
und über befleckten Tragkissen. Alles Leben schien dem Körper entflohen 
zu sein, nur der kurze, ganz oberflächliche, sehr frequente Athem verrieth, 
dass noch Leben im Körper steckte. Der Herzschlag betrug 144—150, 
war schwach und kaum hörbar; die Körpertemperatur wurde, da Eingreifen 
Noth that, nicht gemessen. Die Haut war schlaff, welk, ohne eine Spur 
Turgor; erhoben, fielen die Glieder wie bei tiefster Narcose schlaff nieder; 
ganz apathisch, somnolent lag das Kind da und reagirte weder auf Kneifen, 
noch auch später auf den Einstich der I'ravaz’schen Spritze. Der Cornea¬ 
reflex war erhalten, ebenso contrahirten sich, als die Augenlider geöffnet . 
wurden, die Pupillen gut und gleichmässig. Hände und Füsse, abschreckend 
kühl, zeigten an den Nägeln eine völlige Leichenblässe; kein Tropfen Blut 
schien iu ihnen zu kreisen. Subcoujunctivale Blutungen oder Blutungen 
in den sichtbaren Schleimhäuten des Mundes und Rachens fehlten; auch 
die lnspeclkm des übrigen Körpers ergab nichts Besonderes. Der Nabel 
war gut unterbunden. Der Anblick war ein sehr gefahrdrohender; das 
Kind schien verloren, und die Worte der Umstehenden, das Kind doch nicht 
mehr zu quälen, es sei ja schon fast todt, waren für einen Laienmund sehr 
begreiflich; mir aber fielen llenoch’s Worte ein, und, ihnen folgend, 
machto ich mich sofort daran, das fliehende Leben aufzuhalten. 

Zunächst wurde das Kind auf ein Keilkissen so gelegt, dass der Kopf 
den tiefstgelegenen Punkt des Körpers bildete und dann in den einen Nates 
Va Spritze einer Campherbenzoelösung (= 0,05) eingespritzt. Die Extremi¬ 
täten, mit Watte umgeben, wurden von der Peripherie her gewickelt, um 
die Autotransfusion zu vervollkommnen. Dann bekam das Kind eine 
Ergotineinspritzung von 0,05 in den anderen Nates und, während verschie¬ 
dene Wärmkrüge neben das Kind gelegt wurden, wurde auf das Abdomen 
eine Eisblase gepackt mit der Weisung, dieselbe immer zwei Stunden 
liegen zu lassen und dann für eine Stunde zu entfernen. Es wurde noch 
Liquor ferri sesquichlorati verordnet; davon sollte das Kind zweistündlich 
einen Tropfen iu richtig verdünnter Eismilch bekommen. Nach einer 
Stunde wurden die Glieder wieder von den Binden befreit; sie waren, wie 
vorauszusehen war, immer noch kühl und wurden jetzt nur lose mit Watte 
und in Ermangelung von Flanellbinden mit erwärmten wollenen Strümpfen 
umgeben. Erst nach etwa vier Stunden, als die Lippen und auch die 
Wangen sich etwas geröthet hatten, der Carotidenpuls wieder besser fühlbar 
geworden, und der Herzschlag zwar noch 144 betrug, aber kräftiger ge¬ 
worden war, wurde das Kind, das noch völlig apathisch, fast somnolent 
dalag, in horizontale Lage gebracht; die Extremitäten waren wieder warm, 
aber immer noch pulslos. — Der weitere Verlauf war folgender: 

Den 12. August 1887: Im Laufe des Mittags noch 2 Mal wenig Blut 
per anum entleert; meistens theerartig, nur Spuren flüssigen rotheu Blutes. 
Abends nochmals 0,05 Ergotin und 0,03 Campher. Temp. (im Anus) 36,7. 
An dem immer noch apathischen Kinde fallt auf, dass es an dem in die 
Mundhöhle eingeführten Finger lebhafte Saugbewegungen macht, und zwar 
so intensiv, als ob es starken Durst verspüre. Da eine Flüssigkeitszufuhr 
nach dem grossen Blutverluste dringend wünschenswerth war, wird dem 
Kinde theelöffelweise abgekühltes Eiweisswasser (1 Eiweiss auf */* 1 ab- 
gekochten Wassers) gereicht. Das Kind nimmt das gebotene Getränk gierig 
und bekommt daher die Saugflasche, die es zu meinem Erstaunen fast völlig 
leert. Von jetzt an soll dem Kinde recht oft kalte Milch und Eiweisswasser 
gegeben werden. 

Den 13. August 1887: Nacht ruhig; kein Blut entleert. Hämatemesis 
hat sich seit dem ersten Tage überhaupt nicht mehr eingestellt. T. 36,8. 
Morgens 10 Uhr ein klein wenig Melaena; 0,05 Ergotin, 0,05 Campher. Zum 
ersten Male schreit das Kind bei den Injectionen, sonst ist es noch ziemlich 
apathisch, trinkt aber, angelegt, gut an der Mutter, die reichlich Milch hat. 
Die Extremitäten warm; Nägel an Händen und Füssen noch völlig blutleer. 
Mittags und Abends wieder je 0,05 Ergotin. Abends wieder etwa 1 Esslöffel 
voll dicken schwarzen Blutes durch den Anus entleert Radialpuls auch 
Abends noch nicht zu fühlen; Herzschlag 132. Campher 0,03. 

Den 14. August 1887: Nacht gut; in der Frühe ganz wenig Melaena; 
Radialpuls noch nicht zu fühlen; Extremitäten warm, aber völlige Blutleere 
an den Nägeln. Den Tag über kein Blut mehr verloren. Ord. wie seither: 

2 Mal Campher 0,03—0,05, 3 mal Ergotin 0,05; 2 stündlich l Tropfen Liqu. 
ferr. sesquichlor. Die Eisblase ist gestern Abend weggelassen worden. 

T. 37,3. 

Den 15. August 1887: Nacht gut, Kind etwas lebhafter, trinkt viel 
und hat im Laufe des Tages 2 normale Stühle. Füsse und Hände, 
die immer noch ganz blasse Nägel zeigen, schälen sich auffallend in 
Fetzen. Ergotin wird weggelassen; Liqu. ferr. sesquichlor. den Tag über 
noch gegeben. T. 37,2. 

Den 16. August 1887: Nacht gut; Kind erholt sich langsam, aber 
sichtlich. Appetit gut, Stuhl normal. Puls in der Radialis heute zu fühlen, 
aber nicht zu zählen; Herzschlag 120. Hände und Füsse schäleu sich wie 
gestern. 

Von jetzt an schreitet die Genesung ohne irgend welche Ordination 
ausser Tokayer und den noch in der ersten Zeit beibehaltenen Wärmkrügen 


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434 DEUTSCHE HEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. No. 22 


bei gutem Appetit und normalem Stuhle langsam vorwärts, und am 23. August 
1887 ist bis auf eine immer noch auffallende Blässe der Fingernägel, die 
erst vom 26. August 1887 an eine leichte rosa Injection zeigen, das Befinden 
des Kindes ganz normal. Das Kind ist z. Z. (October) so gut entwickelt, 
wie es seinem Alter entsprechend sein soll. 

Wenn ich auch über die Aetiologie dieses Falles nicht ein¬ 
mal eine Vermuthung aussprechen kann und nur hervorheben 
möchte, dass die Anamnese betreffs der Mutter und deren beider 
früheren Geburten, sowie die Besichtigung des abgebundenen Nabels 
gar nichts Bemerkenswertbes ergab — nur um nichts zu ver¬ 
schweigen, will ich anfügen, dass mir und Allen, die das Kind 
sahen, die ausserordentlich starke, einem etwa 2—3 Monate alten 
Kinde entsprechende Behaarung des Kopfes auffiel —, so scheint 
mir doch der Fall, ganz abgesehen von seiner Seltenheit, eine 
Reihe interessanter Punkte zu bieten und auch von dieser Seite 
eine Publicatiou zu rechtfertigen. 

Nicht uninteressant scheint mir zunächst die aus dem Verlaufe 
hervorgehende Thatsache zu sein, dass ein Kind, selbst in so 
zartem Alter, einen so bedeutenden Blutverlust, der schon die 
drohendsten Collapserscheinungen geboten hat, doch überleben kann, 
wenn es gelingt, ferneren Blutungen vorzubeugen. 

Wie gross die Menge des verlorenen Blutes im vorliegenden 
Falle gewesen ist, kann ich mit Bestimmtheit ziffernmässig nicht an¬ 
geben; bedeutend war sie, dies geht schon aus der mir von der 
Mutter angegebenen und von der Hebamme bestätigten Thatsache 
hervor, dass das Blut unten aus dem Tragkisseu herausgelaufen 
sei; dies bewies auch die Menge der mit Blut besudelten Wäsche, 
dafür sprachen endlich auch die hochgradigen Collapserscheinungen. 
Gewiss war bei den ersten Ausleerungen noch Meconium dabei, 
und daraus erklärt sich die Schätzung der Mutter auf ’/4 1 
verlorenen Blutes. Denn soviel kann ein Neugeborenes ohne letalen 
Ausgang gewiss nicht verlieren, ist es doch, den Blutgehalt zu Vis 
des Gewichtes berechnet, wie die Physiologie lehrt, etwa seine 
gesammte Blutmenge. Die späteren Entleerungen, die ich persön¬ 
lich sah, waren allerdings reines Blut, zum Theil geronnen, zum 
Tbeil flüssig, und ich schätze den Blutverlust auf etwa 130—150 ccm 
Blut: eine für ein Neugeborenes gewiss beträchtliche Menge. 

Einen weiteren, der Beachtung werthen Punkt finde ich in dem 
Umstande, den ich schon in der Krankengeschichte hervorgehoben 
habe, nämlich in der Beobachtung, dass das Kind, das sonst völlig 
regungs- und reactionslos dalag, mit einer gewissen Gier das ge¬ 
botene kühle Getränk annahm, und ich meine, man solle in allen 
derartigen Fällen, auch wenn das Kind somnolent und apathisch 
daliegt, hieran denken und den Versuch machen, ihm auf diesem 
Wege Flüssigkeit vorsichtig einzuflössen. Reagirt das Kind auch 
auf das gebotene Getränk nicht mehr, dann dürft*, um den Säfte¬ 
verlust durch zugeführte Flüssigkeit zu compensiren, es angezeigt 
sein, ihm subcutan, wohl am besten in die vordere ßrustmuskulatur, 
eine Quantität einer 7 %o Salzlösung mittelst einer grösseren Spritze, 
.oder 1 dieser Flüssigkeit, etwa mittelst Irrigator durch einen 
Probetroicar beizubringen. Hervorheben möchte ich, dass trotz der 
ziemlich bedeutenden Quantität Eiweisswassers, welches in meinem 
Falle das Kind per os ohne abzusetzen zu sich nahm — etwa 
V 4 I —, kein Erbrechen erfolgte. Gewiss haben Henoch und andere 
Autoreu Recht, wenn sie die von mancher Seite empfohlenen Kly- 
stiere wegen der Gefahr einer dadurch angeregten Peristaltik und 
dadurch von Neuem drohender Blutungen von der Hand weisen. 

Der interessanteste Punkt aber, den mir dieser mitgetheilte Fall 
bietet, scheint mir auf dem Gebiete der Therapie zu liegen und 
wird am besten ausgedrückt durch die Frage, die ich mir nach dem 
erreichten glücklichen Ausgange vorlegte: Ist die Blutung zum 
Stillstände gekommen wegen oder trotz der angewandten 
Therapie? Und ich glaube, diese Frage ist im vorliegenden Falle 
eine ganz berechtigte. Denn es sind nur Mittel zur Anwendung ge¬ 
kommen, deren Wirksamkeit bei Darmblutungen nicht über allen 
Zweifel erhaben ist. Wir wissen, dass Eis, local angewandt, ein 
vorzüglich blutstillendes Mittel ist und packen deshalb bei allen 
Blutungen aus dem Darme eine Eisblase auf den Unterleib; aber es 
fehlt nicht an Stimmen, die einer Einwirkung der Kälte durch die 
Bauchmuskulatur bis auf die blutenden Gefässe im Darmlumen jede 
Wirksamkeit absprechen. Auch fehlt es nicht an Autoren, die, bei 
aller Anerkennung der styptischen Wirkung des Liqu. ferri sesquichlor. 
bei localer Anwendung dieses Mittels, jede Einwirkung auf Darm¬ 
blutungen negiren, wenn es per os eingefuhrt wird. Und eine ähn¬ 
liche Unsicherheit besteht bezügl. des Ergotin bei inneren Blutungen. 
Weil wir dessen gefässverengernde und dadurch blutstillende Wir¬ 
kung, seine Einwirkung auf die glatte Muskulatur, namentlich bei 
gewissen Blutungen • aus dem glattmuskulären Organ xar i&xfjv, 
dem Uterus, in eklatanter Weise eintreten sehen, wenden wir dieses 
Mittel auch gern bei allen inneren Blutungen an, sind aber, falls 
eine Blutstillung wirklich eintritt, nie oder nur selten in der Lage, 
mit anuähernder Bestimmtheit den Erfolg diesem Medicamente zu 


vindiciren. Um so interessanter scheint es mir deshalb zu sein, 
wenn sich Fälle finden, wo wir mit einer gewissen Wahrscheinlich¬ 
keit aus auffallenden Symptomen zur Annahme gelangen dürfen, 
dass das Ergotin wirklich die innere Blutung zum Stehen gebracht 
hat, und der vorliegende Fall scheint mir eine solche Annahme zu 
rechtfertigen. Allerdings sind es nur Muthmaassungen, die micb 
zu dieser Ansicht kommen Hessen, aber Muthmaassungen, die sieb 
gründen auf auffällige, genau beobachtete und verfolgte Symptome. 
Sie entsinnen sich, dass ich in der Krankengeschichte mittheilte, 
dass mir am 4. Tage auffiel, dass sich die Hände und Fasse der 
kleinen Patientin schälten; auch der Mutter war dieses aufgefallen, 
und die Erscheinung war um so deutlicher und hervorstechender, 
als sonst am ganzen Körper keine Spur einer Losstossung der Epi¬ 
dermis sich zeigte. Die Losstossung geschah in Fetzen, larnellös, 
ähnlich wie bei Scarlatina, und hatte, als ich zum ersten Male es 
bemerkte, Hände und Füsse schon total ergriffen, so dass ich 
nicht sagen kann, ob sie etwa von der Peripherie her, den Finger¬ 
spitzen aus, begonnen hat und sich dann erst rückwärts fortsetzte. 
Die Grenze der Schälung ging au den Händen bis in die Nähe 
des Handgelenks, an den Füssen bis über die Hälfte des Fuss- 
rückens. Der Gedanke, ob es sich um intrauterinen Scharlach ge¬ 
handelt habe, fand anamnestisch gar keinen Anhaltspunkt. Nahe 
lag nun der Gedanke, dass die Losstossung der Epidermis eine Folge 
sein könnte der in den Extremitäten vorhandenen Blutleere, in deren 
Folge die obersten Schichten abgestorben und losgestossen worden 
seien, und in Verfolgung dieses Gedankens kam ich zu der Meinung, 
es könne diese Blutleere, der Umstand, dass die Zehen- und 
Fingernägel immer noch leichenblass, ohne jede Spur von Blutge¬ 
halt waren, bedingt sein durch eine Contraction der kleinen 
Gefässe in Folge der ErgotineinWirkung, und ich staud da¬ 
her auch sofort von weiteren Ergotingaben ab. Im Ganzen waren 
am ersten Tage 2 Mal je 0,05, die beiden anderen Tage je 3 Mal 
je 0,05, also in Summa 0.4 Ergotin angewandt worden, und ich 
muss betonen, dass ich die Lösung zufällig wenige Tage vorher für 
meine geburtshilfliche Tasche frisch hatte bereiten lassen. Wir 
wissen ja, dass bei Ergotingebrauch resp. -Missbrauch manchmal 
eine Gangrän an Händen und Füssen auftreten kann, und ich konnte 
mich des Gedankens nicht erwehren, als ob im vorliegenden Falle 
diese Schälung das erste Zeichen sein könnte einer be¬ 
ginnenden Intoxication. Dagegen spricht allerdings das relativ 
frühzeitige Auftreten, und ich bedaure nur, zu spät von meinem 
Specialcollegen Herrn Dr. Gelpke hier darauf aufmerksam gemacht 
worden zu sein, dass der Befund des Augenhintergrundes — es soll 
sich schon bei beginnender Ergotinintoxication eine Verengerung der 
Retinalgefässe constatiren lassen — nicht festgestellt wurde, um die 
Muthmaassungsdiagnose vielleicht dadurch zu sichern. Für die Mög¬ 
lichkeit aber, dass eine Ergotinwirkung diese Losschälung der Epi¬ 
dermis bedingte, spricht auch Manches, und ich habe schon in der 
Krankengeschichte constatirt, dass die Blässe der Finger- und 
Zehennägel auffallend lange anhielt. Noch am 23. August 
1887, also 11 Tage nach dem Beginn der Blutung, konnte ich con¬ 
statiren, dass beim Niederdrücken und Wiederloslassen des Nagels 
kaum eine Farbenveränderung sich zeigte, und erst am 26. August 
1887 machte ich zum ersten Male diese Beobachtung. Die Leichen- 
blässe der Finger- und Zehennägel hielt so lange und so gleich- 
mässig Stand, dass ich allmählich besorgt wurde und bis zur end¬ 
lichen Wiederkehr einer sichtbaren Circulation in den Finger- und 
Zehenspitzen permanent warme Tücher um die Extremitäten schla¬ 
gen liess. 

Vielleicht ist meine Muthmaassung, dass die langdauernde Blut¬ 
leere in den Extremitäten und die Schälung derselben durch Ergotin¬ 
wirkung bedingt war, eine irrige; aber ich glaubte doch, dieselbe 
hervorheben zu sollen. Vielleicht unterstützen Mittheilungen von 
anderer Seite diese Hypothese, oder berichtigen sie. Die Richtigkeit 
aber vorausgesetzt, würden wir gewiss berechtigt sein zu der An¬ 
nahme, dass in gleicher Weise wie an den kleinsten Gefässen der 
Extremitäten, so auch an denen des Darmtractus das Ergotin zur 
Wirkung gekommen ist, und dass die Blutung djurch diese Einwirkung 
zum Stillstände gebracht wurde. Dann wäre dieser Fall von Neuem 
eine Bestätigung der von Henoch empfohlenen Therapie, speciell 
ein Beweis für die Zweckmässigkeit der von ihm empfohlenen Ergo- 
tininjectionen. 

IV. Die pathogenen Bedingungen der Albu¬ 
minurie. 

(Neue klinische und experimentelle Studien.) 

Von Prof. M. Semmola. 

(Fortsetzung aus No. 21.) 

I. Von der Steigerung des Blutdruckes. 

Aus den bis jetzt angestellten Versuchen, durch Aenderung des 
Mechanismus des Bluturnlaufs, glaubte man schliessen zu könneu. 


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31. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


435 


dass die Steigerung des Blutdruckes in den Glomeruli hinreichend 
sei, den Uebergang von Eiweiss in den Harn zu bewirken. Aber 
die widersprechenden Ergebnisse sind nicht ausgeblieben, und es 
genügt, die medicinische Literatur über diesen Gegeustand durch¬ 
zugehen, um daraus berechtigte Zweifel herzuleiten, dass die Ex¬ 
perimente zu Gunsten der Steigerung des Blutdruckes als 
Ursache der Albuminurie beweiskräftig sind, schon deshalb, 
weil bei denselben einige für die einfache Drucksteigerung fremde 
Störungen nicht in Rechnung gezogen sind. Ueberhaupt hat 
sich dieser Irrthum des experimentellen Kriteriums gar oft in 
die heutigen Untersuchungen der experimentellen Pathologie ein¬ 
geschlichen, und ich glaube nicht oft genug wiederholen zu können, 
dass es, wenn bei erheblichen experimentellen Versuchen 
Störungen in den Beziehungen der verschiedenen Func¬ 
tionen sich einstellen, unmöglich ist, zu einer strengen 
Schlussfolgerung zu gelangen über den wahren mecha¬ 
nischen Vorgang des Symptoms, welches man aufhellen 
will. So würde z. B. die Unterbindung der Aorta unterhalb der 
Nierenarterie (Robinson, Meyer, Munk, Senator u. s. w.), sei 
es allein, sei es neben der gleichzeitigen Unterbindung der Art. 
coeliaca (Litten) und der Art. mesenterica super., Albuminurie im 
ersten Falle erzeugt haben, während Litten im zweiten Falle keine 
Albuminurie beobachtet hätte. Auch scheinen die Experimente, bei 
welchen Albuminurie in Folge gesteigerten Druckes im ganzen 
Gefässsystem mittels einfacher Wassereinspritzung beobachtet wurde 
(Mosler, Kierulf, Golle), nicht beweiskräftiger, weil es keinem 
Zweifel unterliegt, dass in diesem Falle ein anderer mächtiger 
Factor mitwirkt, nämlich die Veränderung der physikalisch-chemischen 
Zusammensetzung des Blutes, und hauptsächlich was die chemisch- 
moleculare Constitution der Bluteiweisskörper betrifft, welche, wie 
die Chemie unwiderleglich darthut, ob der geringsten Ursache sehr 
leicht veränderlich sind, welche Veränderlichkeit dann ihrerseits 
ihre biologische Function mächtig beeinflussen muss. 

So kann man schliesslich behaupten, dass für den Moment 
kein einziger Versuch als beweiskräftig für die hypothetische An¬ 
nahme angenommen werden kann, dass die Vermehrung des Blut¬ 
druckes ein Grund des Uebertrittes von Eiweiss in den Harn sei. 
Und das ist um so bemerkenswerther, da diese Hypothese abgeleitet 
und angenommen wurde, indem man sich auf rein physikalische 
Experimente stützte, die man mit eiweisshaltigen Flüssigkeiten und 
thierischen Membranen unter verschiedenem Drucke anstellte. 

Da ich mich seit langer Zeit mit Untersuchungen über die 
Albuminurie befasse, war ich nicht selten auf der Klinik überrascht, 
im Harn einer grossen Anzahl Herzkranker vollständige Abwesen¬ 
heit von Eiweiss zu constatiren, ungeachtet dieselben alle die gün¬ 
stigsten Vorbedingungen für passive Hyperämie der Nieren und 
folglich für eine mehr oder minder beträchtliche Steigerung des 
Blutdruckes in diesen Organen boten. 

Meine Ueberraschung wurde aber noch grösser, als ich bei 
der Autopsie bei vielen dieser Herzkranken das Vorhandensein der 
cyanotischen Niere und manchmal auch einer interstitiellen Nephritis 
vorfand, ohne dass ich jemals während ihres Lebens im Harn die 
geringste Spur von Eiweiss hatte beobachten können. Indessen 
waren andere Patienten mit denselben Klappenläsionen, mit venösen 
Stauungen, Hydrops etc., kurz Kranke, welche allem Anscheine 
nach dieselben klinischen Verhältnisse wie die ersteren darboten, 
albnminnrisch. 

Jeder erfahrene Kliniker muss übrigens meiner Ansicht nach 
die gleiche Beobachtung gemacht haben, die ich bezüglich der 
Wandelbarkeit der Albuminurie bei Herzkranken mittheile. Aber 
ich muss eine Thatsache hinzufügen, die mir bemerkenswerth er¬ 
scheint, dass man nämlich bei den an Albuminurie leiden¬ 
den Herzkranken, wenn man durch eine geeignete Behandlung dahin¬ 
gelangt, das Gleichgewicht der Circulation herzustellen, und wenn 
die Dyssystolie, die venösen Stauungen, der Hydrops etc. ver¬ 
schwunden sind, eine mehr oder weniger beträchtliche Abnahme 
der binnen 24 Stunden mit dem Urin ausgeschiedenen Eiweiss¬ 
menge beobachtet, jedoch niemals das vollständige Ver¬ 
schwinden der Albuminurie. 

Aus dem Gesagten geht deutlich hervor, dass ein anderer 
Factor hinzutre^pn muss, um in allen diesen Fällen den Uebertritt 
des Eiweisses in den Harn zu veranlassen, und eben diesen mit¬ 
wirkenden Factor habe ich, ohne vorgefasste Meinungen, erforschen 
wollen. 

Es giebt ausgezeichnete Kliniker, welche diese Variabilität der 
Albuminurie bei Herzkranken durch die Annahme zu erklären 
geglaubt haben, dass zu gleicher Zeit mit der Circulationsstörung 
in der Niere eine Alteration der Epithelialzellen dieses Organes be¬ 
stehen müsse. 1 ) Diese Erklärung scheint mir aber aus mehrfachen 


') „La Riforma Medica“ vom 9., 10. und 11. Juli 1887; Med. Klinik 
des Prof. Maragliano. 


Gründen nicht zulässig, und der hauptsächlichste dieser Gründe ist, 
dass diese Erklärung den Beweis voraussetzt, diese oder jene 
nutritive Veränderung des Nierenepithels habe eine Wahlverwandt¬ 
schaft zu dem Albumen; denn ohne diesen Nachweis wäre sie wohl 
eine schöne und geistreiche Hypothese, aber immerhin eine Hypo¬ 
these, und, was am meisten in’s Gewicht fällt, nicht nachweisbar, 
wie die der von Leube behaupteten Porosität. Ich möchte noch 
eine andere Erwägung hier hinzufügen. Es unterliegt keinem Zweifel, 
dass die verschiedenen Epithelien des Niereufiltrirapparats einen 
bemerkenswerthen Einfluss auf die Beschaffenheit der Harnsecretion 
üben; aber man muss zugeben, dass wir bezüglich dieses Ein¬ 
flusses keine genauen Kenntnisse besitzen und überhaupt gar nichts 
als erwiesen ansehen können hinsichtlich der Auswahl, welche die 
verschiedenen Epithelialzellen des Nierenapparates für die ver¬ 
schiedenen vom Blute herangeführten chemischen Stoffe treffen. 

Ja, ich möchte sagen, über diesen Punkt kommen auch in der 
Physiologie noch unreife Schlussfolgerungen vor. Wenn man aber 
irgend etwas für die experimentelle Logik zugestehen muss, so 
könnte man höchstens die Hypothese aufstellen, dass nämlich, 
wenn die Epithelzellen der verschiedenen Abschnitte des Nieren- 
filtrirapparates verändert oder zerstört sind, selbe nicht mehr zum 
Dienste der Auswahl tauglich sein können. Ich könnte es be¬ 
greifen, dass, wenn die Umwandlung eines Epithels in ein anderes 
stattgefunden hätte, eine neue Auswahl bei der Filtration der Blut- 
bestandtheile sich eiustellt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass 
dieses der Fall wäre bei einem Epithel, das nicht mehr unversehrt 
ist. Aber für den Augenblick lasse ich diese Frage bei Seite, denn 
in Sachen von mehr oder weniger zulässigen Hypothesen kann und 
darf die einfache Schlussfolgerung, so logisch und fein sie auch 
angelegt sein mag, nicht die Stelle von Tbatsachen einnehmen. 

Da sich die Sache so verhält, so nahm ich mir vor, wie 
ich oben gesagt, durch neue Experimente dieGründe dieser anscheinen¬ 
den Widersprüche, die man in der Klinik und experimentellen Pathologie 
beobachtet, aufzuhellen, d. h. festzustellen, ob wirklich die Steige¬ 
rung des Blutdruckes allein den Uebergang von Eiweiss in den Harn 
bewirken kann. 

Um die Steigerung des Blutdruckes hervorzurufen, habe ich 
mich eines sehr einfachen und bisher von Niemandem angewandten 
Mittels bedient, nämlich der Transfusion einer gewissen Blutinenge 
von einem Thiere auf ein anderes von derselben Art, indem ich da¬ 
bei bestrebt war, den Blutdruck vor und nach der Operation zu 
messen. Es ist einleuchtend, dass man mittelst dieses Experimentes 
eine Drucksteigerung im ganzen Circulationssystem bewirkt, d. h. 
man ruft einen Zustand hervor, der am ehesten jenem vergleichbar 
ist, den man in der Natur bei verschiedenen Krankheiten beobachtet, 
ohne das Experiment mit anderen Factoreu zu compliciren, als 
welche man z. B. die schweren Störungen verschiedener Funktionen 
betrachten muss, die in Folge von Unterbindung der Aorta, der Art. 
coeliaca, mesenterica u. s. w. eintreten. 

Ich gebrauchte die Vorsicht, Blut von einem grösseren auf ein 
kleineres Thier überzuleiten, um die Transfusion zu erleichtern. 
Folgendes ist das Ergebniss meiner Versuche: 

Erster Versuch, am 12. April 1887. 

Ich nehme zwei Hunde, einen stärkeren, der 9,3 kg wiegt, und 
einen kleineren von 4,55 kg Gewicht. 

Bevor ich das Experiment beginne, unterwerfe ich die beiden 
Thiere in zwei getrennten Cabinen 1 ) einer Fütterung mit Brod, 
Fleischbrühe, Fleisch und Milch, jeden Tag für jedes Thier gleich- 
mässig. Während dreier Tage zeigt der Urin nicht die geringste 
Spur von Eiweiss und auch nicht irgend welches morphologische 
Element. Am vierten Tage setze ich mittelst eines Transfusious- 
apparates die Carotis des grossen Hundes mit der Vena femoralis 
des kleinen Hundes in Verbindung. Vor Eröffnung der Coramunication 
der beiden Blutströme messe ich den Blutdruck beim kleinen Hunde 
mittelst des Hämodynamometers Franck’s. 

Anfangsdruck: 29 cm. 

Man öffnet die Communication und die Transfusion beginnt, 
die 10 Min. lang dauert. Der Blutdruck steigt progressiv bis 36 
und 37 cm. 

Fünfzehn Minuten nach beendigter Transfusion zeigt das Hämo¬ 
dynamometer 33 cm. Der kleine Hund wiegt 5 kg, er hat also 450 g 
Blut zugeführt bekommen. Nach Schliessung der Wunde wird das 
Thier in seine Cabine zurückgebracht, und man sorgt dafür, dass 
sämmtlicher Harn von 6 zu 6 Stunden anfgefangen wird. Man 
füttert es in derselben Weise wie vor der Transfusion. Während 

') Ks sind das jene Cabinen, die ich seit vielen Jahren in meinem La¬ 
boratorium im Gebrauch habe, und die derart construirt sind, dass der Huud 
sich darin bequem bewegen und dass man leicht den Urin auffangen kann; 
eine ausführlichere Beschreibung dieser Cabinen habe ich in einer anderen 
Arbeit gegeben. 


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436 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 22 


der ersten 12 Stunden scheidet es 300 ccm Harn aus. Der Urin 
ist röthlich tiugirt; bei der mikroskopischen Untersuchung beob¬ 
achtet man eine grosse Anzahl von rothen Blutkörperchen; Spuren 
von Eiweiss sind nachweisbar, die der ausgetretenen Blutmenge ent- j 
sprechen. 

Zweiter Versuch, am 18. April 1887, 10 Uhr Vorm. 

Grosser Hund — 15,4 kg. 

Kleiner Hund — 5,3 „ 

Es wird dieselbe Vorsicht wie bei dem ersten Versuch gebraucht. 
Harn ohne Eiweiss. Anfangsdruck bei dem kleinen Hunde zwischen 
29 und 30 cm. 

Man nimmt die Transfusion wie bei dem ersten Versuch vor. 
Während der 12 Min. dauernden Transfusion steigt der Blutdruck 
und erhält sich auf 41 — 42 cm. Zwanzig Minuten nach beendigter 
Transfusion sinkt der Druck und erhält sich auf 35. Das Thier 
wiegt jetzt 5,85 kg; man hat also in sein Gefässsystem 550 g Blut 
transfundirt. 

Eine halbe Stunde nach vollfübrtem Experiment hat der kleine 
Hund eine dichte, schleimig-blutige Flüssigkeit erbrochen. Bei einer 
zweiten Wägung hat er um 105 g Körpergewicht abgenommen. 
Will kein Futter zu sich nehmen. Der während der ersten 
24 Stunden ausgeschiedene Harn beträgt 550, ist blutig tiugirt; 
Spec. Gewicht 1007; Eiweiss 1,0 pro mille. Unter dem Mikroskop 
bemerkt man eine grosse Menge von rothen Blutkörperchen. Es 
handelt sich also unzweifelhaft um Polyurie und Hämaturie. 

19. und 20. April. 

Das Thier ist abgemattet; es wiegt 5,2 kg, trinkt nur wenig 
Bouillon; Harnraenge während der folgenden 24 Stunden bis zum 
20. April Morgens nur 90 ccm. Der Urin zeigt sich stärker blutig 
und weist bei der mikroskopischen Untersuchung viele granulirte 
Cylinder auf. Spec. Gew. 1032; Albuinen 3,0 pro mille, welches 
ohne Zweifel, wie das des vorhergehenden Tages, von der Hämaturie 
herrührt. 

20. April, 10 Uhr Vorm., d. i. 48 Stunden nach der Trans¬ 
fusion. 

Körpergewicht 4,92 kg, 20ständige Urinmenge (am 21. April 
6 h. a. ist das Thier gestorben) 110 ccm, Spec. Gew. 1030, Farbe 
schwach röthlich. Bei der mikroskopischen Untersuchung nimmt 
man wenige Blutkörperchen aber eine grosse Zahl von granulirten 
und Epitbelcylindern wahr; Spuren von Eiweiss. In den letzten 
20 Stunden wies das Thier jede Art Nahrung und Getränk von 
sich. — Die Autopsie ergiebt folgendes: 

Nieren ziemlich stark geschwollen; auf der Schnittfläche bieten 
sie eine dunkelrothe Färbung. Die Corticalsubstanz zeigt sich mit Blut 
überfüllt und bietet lebhaft rothe und einige mehr gelbliche 
Stellen. 

Auch die Leber ist von Blut überfüllt; deren Schnittfläche ist 
dunkler als normal; Consistenz etwas unter der Norm. Am Herzen 
ist eine leichte Hypertrophie des linken Ventrikels vorhanden. 

Mikroskopische Untersuchung: 

Hämorrhagieen in verschiedenen Punkten der Medullär- und 
Corticalsubstanz, sei es zwischen deu Tubuli, sei es im Innern der 
Bowman’schen Kapseln. 

In manchen Glomeruli beobachtet man nur eine Dilatation der 
Gefässschlingen. In einigen Kapseln finden sich kleine Mengen 
einer granulirten Substanz. Das Epithel der Tubuli ist im Allge¬ 
meinen normal. Nur hie und da trifft man im Innern manchen 
Kanälchens auf den Mangel von Epithel und das Vorhandensein 
einer granulirten Masse. — Ich habe dasselbe Experiment successive 
bei vier anderen Hunden wiederholt, und das Ergebniss war stets 
identisch. 

Bei zwei Versuchen betrug die transfundirte Blutmenge nur 
250 und 280 g. Im ersten Fall war die Differenz des Blutdrucks 
3 cm bei einem Hunde, der 4,85 kg wog; im zweiten Falle, bei 
einem Hunde von 5,3 kg, hatte die Steigerung des Blutdruckes 
nur 2 cm betragen. Bei diesen beiden Versuchen Hess das Mi¬ 
kroskop nur spärliche Blutkörperchen erkennen; die Farbe des 
Urins war normal; er enthielt kein Eiweiss, und die mikroskopische 
Untersuchung der Nieren ergab nur eine leichtgradige Hyperämie. 

Die aus den erwähnten Versuchen sich ergebende Schlussfolgerung 
ist die, dass die Steigerung des allgemeinen Blutdrucks und folglich 
des Druckes in der Nierencirculation vor allem Polyurie erzeugt, 
wie schon C har cot nachgewiesen hat, ohne die eigentliche Albu¬ 
minurie zu veranlassen, und dann eine mehr oder weniger beträcht¬ 
liche Hämaturie, dementsprechend sich im Urin eine gewisse Menge 
Eiweiss vorfindet. Die Nieren sind immer mehr oder weniger hy- 
peräraisch, ohne Veränderung des Epithels der Tubuli. Die granu¬ 
löse Substanz, die sich im Innern einiger Kapseln und einiger 
weniger Kanälchen findet, muss von extravasirtem und nach ungefähr 
drei Tagen verändertem Blute herrühren. 

Um diese Experimente noch zuverlässiger zu machen, habe ich 
selbe wiederholt, indem ich einerseits die Transfusion, wie oben an¬ 


gegeben, vornahm, andererseits bei einem anderen Hunde die intra¬ 
venöse Injection einer gewissen Menge defibrinirten Blutes, die 
ich demselben grösseren Hunde entnommen hatte, der zur Trans¬ 
fusion gedient, unmittelbar nachdem diese beendet war. 

Es ist einleuchtend, dass man bei diesem Vorgänge bei zwei 
kleineren Hunden denselben mechanischen Vorgang hervorrief, 
d. i. eine allgemeine Steigerung des Blutdrucks, indem man in dem 
einen Fall lebendes Blut verwendete, das nicht aus seiuem circuli- 
renden Strome herausgetreten war, und im anderen Fall todtes 
Blut, das aus der Arterie herausgetreten, und, um es zu defibriniren, 
einer Peitschung unterzogen worden war. In beiden Fällen war, 
wie ich schon gesagt habe, der mechanische Zustand derselbe, aber 
die physisch-chemische Beschaffenheit des Blutes war durchaus ver¬ 
schieden, wie man leicht einsieht. 

Erster Versuch, am 1. Mai 1887. 

Ich nehme drei Hunde, und zwar einen von 22,6 kg behufs 
Transfusion und zwei kleinere, die ich mit A. (5,95 kg) und B. 
(5,9 kg) bezeichnen werde. 

Sie werden in der gleichen Weise wie die Thiere der früheren 
Experimente durch vier Tage einer gleichmässigen Fütterung unter¬ 
zogen. 

Der Urin ist normal, ausgenommen bei A, wo ganz geringe 
Spuren Eiweiss vorhanden sind (leichte Opalescenz). 

Die Analyse des innerhalb 24 Stunden ausgeschiedenen Harns, 
vor Beginn des Versuches, ergiebt: 


Hund A. Hund B. 

Menge 500 ccm 350 ccm 

Spec. Gew. 1015 1011 

Reaction: sauer sauer 

Farbe: strohgelb gelblich 


Aussehen: schwach getrübt klar 

Eiweiss: Spuren — 

Harnstoff: 12,78 g pro mille, 10,232 g pro mille. 

Man transfundirt das Blut von der Carotis des grossen Hundes 
in die Vena femoralis des Hundes A. Anfangsdruck in der Carotis 
von A vor der Transfusion zwischen 27 und 28 cm. Fünf Minuten 
nach der Transfusion schwankt der Druck zwischen 34 und 35. 
Das Thier hat um 400 g zugenommen; es wiegt also 6,35 kg. 

Eine Stunde nach der Operation entleert der Hund 85 ccm Harn, 
Spec. Gew. 1013, grössere Spuren Eiweiss als vorher. Drei Stunden 
später werden 100 ccm Urin entleert, der diesmal röthlich gefärbt 
ist, Spec. Gew. 1011. Leichte Hämaturie; mehr Eiweiss. 

Indessen hatte man aus der Carotis desselben grossen Hundes, 
der zur Transfusion gedient, circa x /-i kg Blut entleert, defibrinirt, 
und 350 g davon in die Saphena externa des Hundes B injicirt. 
Anfangsdruck schwankt zwischen 27 und 28 cm Nach vollendeter 
! Injection zeigt das Hämodynamometer 31 bis 32. Das Thier wiegt 
6,25 kg. Eine Stunde nach der Operation entleert es 70 ccm 
Urin, in welchem 0,50 Albumen enthalten ist. Farbe fast normal. 
Unter dem Mikroskop nimmt man einige wenige rothe Blutkörper- 
! chen wahr. Während der zwei auf die Injection folgenden Stunden 
hat das Thier in drei Malen die Milch- und Brodsuppe erbrochen, 
die es vorher gefressen hatte. Um die vergleichende Beurtheilung 
leichter zu machen, verzeichne ich in der folgenden Tabelle die 
Resultate der Analysen des während 48 Stunden nach dem Expe¬ 
rimente entleerten Harns: 

'Hund A. (Transfu- Hund B. (Injection.) 
sion.) 

(Nahm binnen 24 Stun- (Frass nichts und trank 
! 2. und 3. Mai 1887*) den fast die Hälfte nur etwas Bouillon) 

! der ihm vorgelegten 
Nahrung zu sich.) 

Gewicht des Versuchs- 

thieres. 5,820 kg 5,500 

24 ständige Urinmenge: 390 ccm 180 

Spec. Gew.' 1014 1023 

Farbe. röthlich intensiv gelb 

; Reaction. neutral alkalisch 

Aussehen . . . ., schwach trübe ; do. 

Harnstoff (pro 1000) i 14,881 g 15,431 

Zucker. — • — 

Eiweiss (pro 1000) . 0,50 g 8,10 

Mikroskopische Unter¬ 
suchung .... grosse Menge von einige selteue rothe 
, rothen Blutkörpern, Blutkörperchen, Epi- 
Epitbelzellen, kein Cy-1 thelzellcn, keine Cv- 
, liuder. j linder. 

') Die hier angeführten Analysen, sowie alle anderen chemischen Un- 
i tersuchungen sind von Dr. Gauthicr, Assistent in meinem Experimental- 
! laboratorium, ausgeführt worden. 


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31. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


437 


3. und 4. Mai. 
Gewicht des Thieres . 
24 ständige Urinmenge 

Spec. Gew. 

Farbe. 

Reaction. 

Aussehen . . . . 

Harnstoff (°.'oo) • • • 

Zucker. 

Eiweiss (%o) . • . 

Gallenpigmente . . 

Unter dem Mikroskop 


frass sehr wenig. 
5,330 kg 
255 ccm 
1029 

röthlich gelb 
sauer 

leicht trübe 
22,190 g 

0,65 g 
Spuren 
zahlreiche rothe Blut¬ 
körperchen, Epitliel- 
zellen, hyaline Cy- 
linder. 


frass und trank nichts. 
5,065 
190 
1020 

dunkelgelb 
neutral 
sehr trübe 
14,260 

12,50 

beträchtliche Menge. 
Hyaline und granu- 
lirte Cylinder, gelbge¬ 
färbte Epithelzellen, 
grosse Zahl von Bac- 
terien. 


Ara 4. Mai Morgens wird der Hund A, der trotz seiner Schwäche 
auf den Beinen stehen kann, getödtet. Der Hund B, welcher 
während der letzten 48 Stunden stets sehr ermattet war, wurde um 
7 Uhr früh todt aufgefunden. 

Die mikroskopische Untersuchung der Nieren des Hundes A 
bot dieselben Ergebnisse wie der erste Versuch, aber in viel ge¬ 
ringerem und beschränkterem Grade. 

Die mikroskopische Untersuchung der Nieren des Hundes B 
lässt allerseits ausgebreitete Hämmorrhagieen erkennen. In den 
Tubuli sei es der Marksubstanz, sei es der Rindensubstanz, sieht 
man echte Cylinder, deren einige sehr gross sind. In anderen 
Kanälchen sieht man Nekrosen des Epithels. In den Glomeruli be¬ 
findet sich das Epithel in ziemlich gutem Zustande; man beobachtet 
aber die Anhäufung einer granulirten Masse, hauptsächlich nach 
der Abkochung. Der Anblick dieser Substanz und ihre Art gegen 
Essigsäure und Pikrocarmin zu reagiren, lässt den Schluss zu, dass 
es eine eiweissartige Substanz sei, welche, nachdem sie den Glo- 
merulus, ohne nenneuswerthe Veränderungen darin hervorgerufen 
zu haben, passirt hat, in die Tubuli übergegangen ist, wo sie ge¬ 
ronnen und zur Bildung von Cylindern Veranlassung gegeben hat. 
Bei einigen Tubuli war das Epithel mehr oder weniger verändert. 

Die Schlüsse aus diesen Versuchen ergeben sich von selbst. 
Einerseits zeigen sie, dass in Folge der Transfusion und der ein¬ 
fachen Steigerung des Blutdruckes kein Uebertritt von Eiweiss in 
den Ham stattgefunden hat, dass hingegen die Einspritzung von 
todtem Blute genügte, eine auffallende Elimination von Eiweiss 
hervorzurufen, während die Steigerung des Blutdruckes weniger be¬ 
merkbar war als bei den Versuchen mittels der Transfusion. 

Es ist klar, dass die physikalisch-chemische Beschaffenheit der 
Eiweisskörper des Blutes, welches aus dem Organismus ausgetreten 
und mittels Peitschung defibrinirt worden, sich derartig ändert, dass 
diese Eiweisskörper eine heterogene Substanz werden, welche, in 
den Blutkreislauf eingespritzt, mit Gewalt ausgeschieden werden muss. 

Eine andere Schlussfolgerung bietet sich natürlicherweise, näm¬ 
lich die, dass die functiouelle Anstrengung, welche die Niere 
machen muss, um die heterogenen und nutzlosen Eiweisskörper aus¬ 
zuscheiden, in den Nieren eiuen secundären Reizungsprocess hervor¬ 
ruft, welchen die einfache Hyperämie mit Blutaustritt nicht 
veranlasst. 

Das entnimmt man deutlich aus den histologischen Veränderungen 
der Niere des Hundes B, verglichen mit dem fast normalen Zu¬ 
stande der Nieren des Hundes A, mit Ausnahme der mechanischen 
Hyperämie und der allseitigen Gegenwart von rothen Blutkör¬ 
perchen. 

In Wirklichkeit sind diese secundären Reizeffecte, in den 
Nierengeweben durch die Wirkung der Filtration von heterogenem 
und dem Organismus nutzlosem Eiweiss hervorgerufen, nichts anderes 
als die Bestätigung dessen, was ich zuerst vor vielen Jahren als 
unerlässliche Ergänzung meiner hämatogenen oder dyskrasischen 
Lehre von der B right’sehen Krankheit experimentell nach¬ 
gewiesen habe. 

Diese Experimente wurden schon mit demselben Resultate von 
verschiedenen bedeutenden Forschern wiederholt, und ich nehme 
sehr gern diese Gelegenheit wahr, um deren Wichtigkeit zu be¬ 
stätigen, und zwar um auf einige jüngst in Brüssel angestellten 
Versuche zu antworten, welche meine Ergebnisse nicht vollständig 
zu erhärten schienen. (Schluss folgt.) 


Y. Ueber die Sackniere (Cystonephrosis). 

Von Prof. Dr. E. Küster. 

(Schluss aus No. 21.) 

Fall 9. 

Pyelitis sin. und Sackniere, wahrscheinlich.in Folge ent¬ 
zündlicher Processe am linken Ureter. Nephrotomie. Vor¬ 


übergehende Besserung. Sophie D., 22 Jahre, unverheirathet, aus Nor¬ 
wegen, wurde mir am 14. April 1887 von Professor Hjort in Christiania 
zugewiesen und in meine Privatklinik aufgenommen. Sie stammt aus einer 
etwas belasteten Familie; der Vater starb an Krebs, 2 Geschwister an 
Phthisis, 4 weitere Geschwister sind gesund. Vor 4 l /a bis 5 Jahren er¬ 
krankte sie mit häufigem Drang zum Urinlassen, der sich insbesondere Nachts 
eiustellte; ab und zu trat starker Tenesmus mit Blasenschmerzen auf. Die 
Anwendung von Kali chlor, innerlich besserte den Zustand auf einige Zeit, 
doch kehrte derselbe immer wieder. Vor 4 Jahren trat nach längerem Gehen 
eine starke Blutung aus den Hamwegen auf, und schliesst sich daran eine 
auffallende Abmagerung, während Patientin bis dahin wohlgenährt gewesen 
war, ferner Blässe, Cardialgieen, allgemeines Unbehagen. Im Seebade er¬ 
folgte Besserung, doch verschwanden die Blasensymptome keineswegs voll¬ 
kommen. Vor 3 Jahren erkrankte Patientin auf einer anstrengenden Ge- 
birgstour plötzlich an Durchfall und reichlichem Blutharnen; auch hatte sie 
zum ersten Male heftige Rückenschmerzen; am nächsten Tage war sie 
wieder wohl und frisch. Nach 8 Tagen kehrten die gleichen Erscheinungen, 
Blutharnen, Tenesmus, Rückenschmerzen wieder; der nunmehr zum ersten 
Male hinzugezogene Arzt diagnosticirte eine Cystitis und verordnete Bett¬ 
ruhe, sowie Blasenausspülungen mit Carbol- und Borsäure. Es trat zwar 
Besserung ein, aber Patientin wurde nicht wieder recht frisch. Seitdem 
blieb der Zustand wechselnd, aber mit allmählicher Verschlimmerung. Bald 
war der Urin ganz klar, bald wieder sehr trübe, oft eitrig, zuweilen blut¬ 
haltig mit mehr oder weniger starken Tenesmen und Rückenschmerzen, 
insbesondere beim Fahren. Im Februar 1886 consultirte sie die Professoren 
Hjort und E. Bull in Christiania. Ersterer schrieb mir über die damalige 
Untersuchung Folgendes: 

„Der Harn enthielt ziemlich viel Eiter, keinen Schleim, reagirte neutral, 
enthielt keine krystallinischen Elemente, filtrirt 0,1% Eiweiss; einmal 
wurden einige Cylinder aufgefunden. Fremdkörper wurden in der Blase 
nicht entdeckt. Es wurde die Möglichkeit einer einseitigen Pyelitis mit 
secundärer Betheiligung der Nierensubstanz angenommen und neben an¬ 
gemessenem diätetischem Verhalten Contrexevillewasser verordnet. Als nach 
einem Jahre sich keine Besserung, eher eine Verschlimmerung eingestellt 
hatte, nur die Schmerzen einigermaassen durch Cocaineinspritzungen gelindert 
waren, wurden Urin und Blase noch einmal einer genauen Untersuchung 
unterworfen. Weder Blase noch Niere erwiesen sich druckempfindlich; der 
filtrirte Urin enthielt Spuren von Albumen, keine Sedimente oder Krystalle. 
Eine dreimalige Untersuchung auf Tuberkelbacillen fiel negativ aus. Eine 
weitere Untersuchung wurde in der Narkose vorgenommen. Geringer 
weisslicher Ausfluss aus der Vagina, der jungfräuliche Uterus beweglich, 
der linke Theil der Blase fühlt sich bei bimanueller Betastung etwas fester 
und dichter an. Nach Erweiterung der Harnröhre fühlte der eingeführte 
Zeigefinger eine rauhe und feste Fläche am ganzen Fundus und mitten in 
derselben, mehr nach links unten, eine scharfe, hahnenkammförmige Her- 
vorragung, welche nach rechts hin einen flachen, grösseren Sinus begrenzte. 
Die Schleimhaut blutete bei der leisesten Berührung. Der vordere Theil 
der Blasenschleimhaut dagegen fühlte sich glatt und weich an. — Nach 
diesem Eingriffe blieben die krampfhaften Schmerzen eine Woche lang fort, 
um dann wiederzukehren. Patientin erlernte die Blasenausspülungen und hat 
längere Zeit Höllensteinlösung, später Salzwasserlösung eingespritzt. Trotz¬ 
dem verschlimmerte sich der Zustand von neuem“. 

Ich sah die Patientin zuerst am 14. April 1887. Sie war eine mittel- 
grosse, schlanke, zart gebaute Dame von blasser Gesichtsfarbe. Der Urin 
war trübe, enthielt zahlreiche Eiterkörper, keine rothen Blutkörperchen, 
keine Epithelien, kein Eiweiss. Die rechte Niere war beweglich, die linke 
Niere schien fixirt zu sein. Die Untersuchung der Blase nach Erweiterung der 
Harnröhre zeigt durch den Spiegel nach hinten eine geröthete und ge¬ 
schwellte Schleimhaut, nach links hinüber einen weissen, anscheinend nar¬ 
bigen Fleck, welcher mit einzelnen Gefässen durchzogen ist. Der Finger 
fühlt eine Aufwulstung der Schleimhaut, darin nach links eine Vertiefung 
mit glatter Wand. — Es werden Ausspülungen der Blase verordnet und 
innerlich Thallin, doch bleibt der Zustand unverändert. 

28. April. Endoskopische Untersuchung der Blase durch Dr. Nitze. 
Man erhält den Eindruck, als ob das Blasenepithel in Metaplasie begriffen 
sei. Hinter dem Ligam. interuretericum ein mit Schleim erfüllter Divertikel. 
Neue Aufschlüsse werden also nicht gewonnen. Die nunmehr eingeleitete 
regelmässige Ausspülung jenes Divertikels, um jede Eiterstagnation zu hin¬ 
dern, bringt gleichfalls keine Besserung. 

Wiederholte Untersuchung des Urins auf Tuberkelbacillen ergab ein 
negatives Resultat. 

Vom 25. an stellte sich mässiges Fieber ein mit starken Schmerzen in 
der linken Nierengegend, die nach vorn ausstrahlen. Die Niere war ver- 
grössert und sehr empfindlich, der Urin sehr trübe und eitrig. Die 
24ständige Urinmenge betrug während der ganzen Krankheit selten mehr 
wie 5—600 ccm. Das Fieber verschwand nach wenigen Tagen, doch blieb 
die linke Niere geschwollen. Eine am 6. Mai vorgenommene Probepunction 
ergab einen trüben Urin, welcher zum Theil spontan gerann, indem sich 
eine Faserstoffausscheidung bildete. Mikroskopisch fanden sich Eiter¬ 
körperchen und vereinzelte grosse Epithelien. Nach zweimaliger Filtration 
blieb der Urin noch immer trübe und wurde beim Kochen undurchsichtig. 
Eine Aenderung des Befindens trat nicht ein; nur wurde die Niere all¬ 
mählich wieder unempfindlich und schwoll ab. 

Es war klar, dass eine Pyelitis und Urinstauung in der linken 
Niere stattfand, und beschloss ich daher, die Nephrotomie zu machen, um 
diesen Zuständen besser beikommen zu können, bezw. die Ursache des 
Leidens, einen Stein im Nierenbecken u. dergl. aufzufinden. 

16. Mai. Nephrotomie durch Lendenschnitt. Aus der Niere ent¬ 
leeren sich einige Esslöffel voll trüben Urins. Ein Stein wird nicht ge¬ 
funden, die Sondirung der Harnleiter gelingt nicht. — Der Verlauf war 
völlig reactionslos. Die Blasenschmerzen verschwinden vollkommen und 
stellt sich absolutes Wohlbefinden ein bis zum 26. Mai, also zehn Tage 


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438 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 22 


nach der Operation. An diesem Tage beginnen die Schmerzen von neuem, 
und zwar sowohl in der Blase, als im Rücken, verbunden mit der Aus¬ 
scheidung von blutigem Harn. Es zeigte sich übrigens bei weiterer Beob¬ 
achtung, dass die heftigen Blasen- und Rückenschmerzen immer mit einer 
verringerten Diurese zusammenfielen, dann auch gelegentlich massiges 
Fieber auftrat. Eine nochmalige Abtastung der Wunde und beider Nieren 
ergab nichts Neues. Am 6. Juni wird das Drain fortgelassen, um die 
Nierenbeckenfistel zur Heilung zu bringen. Bis zum 12. Juli ist dieselbe 
bis auf eine ganz feine Fistel vollendet. 

Indessen wurde gegenüber den fortdauernden Schmerzen der Gedanke 
einer Nephrectomie erwogen, freilich unter der Bedingung, dass die rechte 
Niere vollkommen gesund sei, wogegen sich schon vielfach Zweifel geregt 
hatten, obwohl der Urin an manchen Tagen ganz klar und ohne patho¬ 
logische Beimischung gewesen war. Da mir der Katheterismus der Harn¬ 
leiter von der Blase her nicht gelingen wollte, so ertheilte ich der Patientin 
den Rath, Professor Pawlick in Wien aufzusuchen, um diese Untersuchung 
vornehmen zu lassen. Professor Pawlick schrieb mir über seine Unter¬ 
suchung Folgendes: 

„Der rechte Ureter ist ganz normal, wurde sehr leicht sondirt und die 
in zehn Minuten gewonnene Hammenge von Professor Ultzmann unter¬ 
sucht. Dieser Urin enthielt Eiweiss. — Den linken Ureter dagegen gelang 
es nicht zu sondiren; man fühlte mit der Sonde zahlreiche Unebenheiten, 
und unterzog ich deshalb das Innere der Blase einer eingehenden Unter¬ 
suchung. Die Gegend gegenüber der inneren Harnröhrenmündung, ent¬ 
sprechend der Anlagerung des Uterus, lebhaft injicirt, geschwellt. Von der 
geschwellten Stelle nach verschiedenen Richtungen sternförmig verlaufend 
resistente Stränge, von denen sich einer nach links bis gegen den linkeu Ham- 
leiterwulst fortsetzt Dieser letztere ist gerade entsprechend der Stelle, 
wo die Harnleitermündung sein muss, bedeutend geschwellt, so dass er 
einen ganz prominenten, länglichen Höcker an der Blasenwand bildet. 
Trotz fleissigen Suchens war es mir auch bei der Inspection nicht möglich, 
die Mündung zu finden, die möglicher Weise an der Hinterfläche des 
Höckers liegt. — Beim Hineinsehen in die Vagina bemerkt man eine un¬ 
vollkommene Entwickelung ihrer linken Hälfte. Die trigonale Furchen¬ 
entwickelung ist rechts vollkommen deutlich ausgesprochen und kann man 
nach derselben sehr leicht die rechte Harnleitermündung auffinden. Links 
dagegen ist der äussere Winkel wie abgestutzt, wie es scheint, durch nar¬ 
bige Einziehungen. Darnach schliesse ich, dass an dieser Seite chronisch¬ 
entzündliche Vorgänge in der Blase und dem Zellgewebe stattgefunden und 
auch an dem linken Ureter noch vorhanden sind; ob sie tuberculöser Natur, 
lässt sich nach dem, was ich gesehen habe, nicht sagen. 

Die rechte Niere ist vollständig beweglich, etwas vergrössert, un¬ 
empfindlich, sinkt bei aufrechter Stellung bis an die Crista ilei herab, geht 
bei Rückenlage spontan zurück. Auch die linke Niere ist herabgestiegen, 
in dieser Lage fixirt und vergrössert“. 

Da hiernach auch die rechte Niere zweifellos nicht ganz gesund war, 
so musste von einer Nephrectomie, wohl dem einzigen Mittel, um das un¬ 
glückliche junge Mädchen zu heilen, abgesehen werden. Sie kehrte Ende 
Juli zunächst in ihre Heimath zurück, begab sich aber im Herbst nach dem 
südlichen Spanien, zuerst nach Almeria, dann nach Malaga. Von ersterem 
Orte schrieb sie mir vom 24. October, dass sie zwar den ganzen Tag im 
Freien sich aufhalte, im Uebrigen aber ihr Zustand unverändert sei. 

Die im Vorstehenden des Breiteren erzählte Krankheits- und 
Leidensgeschichte ist, ungeachtet zahlreicher Untersuchungen, nicht 
aufgehellt worden. Zweifellos ist wohl der Ausgang der Nieren¬ 
beckeneiterung und der darauffolgenden Stauung vön einem ver¬ 
narbten Ulcerations- und Entzündungsprocess in der Blase um 
die linke Harnleitermündung herum. Welcher Natur aber dieser 
ProcesB ist, kann nicht entschieden werden; denn dass es sich 
nicht um einen tuberculösen Vorgang handelt, scheint durch die 
zahlreichen Untersuchungen auf Tuberkelbacillen mit stets negativem 
Befund sichergestellt. 

Fall 10. 

Linksseitige Sackniere. Nephrotomie. Heilung. Clara M., 
50 Jahre, unverheirathet, aus Berlin, nahm am 16. Juli 1887 auf Ver¬ 
anlassung des behandelnden Arztes, des Herrn Dr. Bracht, meine Hülfe in 
Anspruch. Patientin hat seit Jahren an der Gicht gelitten. Vor mehreren 
Wochen erkrankte sie am Durchfall, dem Verstopfung folgte. Seit 3 Wochen 
ist sie sehr elend geworden, da sie so gut wie nichts genoss und stets hef¬ 
tige Schmerzen in der linken Seite hatte, welche bis in das linke Bein aus¬ 
strahlten. — Nachdem ich eine grosse Geschwulst in der linken Bauchseite 
als Sackniere erkannt hatte, veranlasste ich am 18. Juni die Aufnahme der 
Patientin in das Augusta-Hospital. 

21. Juni. Der Bauch erscheint ungleicbmässig, linkerseits aufgetrieben. 
Man fühlt an dieser Stelle eine oben die Mittellinie überschreitende, unten 
bis zum Nabel reichende Geschwulst, welche sich bis zur Lumbalgegend 
verfolgen lässt und deutliche Fluctuation zeigt. Das Colon descend. ist 
nach vorn gedrängt und verläuft mitten über die Geschwulst von oben nach 
unten. Die Probepunction ergiebt eine eitrige Flüssigkeit. — Nephro¬ 
tomie. Bei Eröffnung der Niere entleert sich circa l 1 /* Liter Eiter. Ein¬ 
zelne Trabekel werden mit dem Finger zerrissen, die ganze Höhle ab¬ 
getastet. Steine finden sich nicht, weder im Nierenbecken noch im Harn¬ 
leiter, dessen oberer Theil sondirt werden kann. Annäbung des Sackes an 
die naut. Verband. 

Der anfänglich trübe und eiweisshaltige Urin wurde in wenigen Tagen 
klar und eiweissfrei. Die Heilung wurde einige Tage durch Einklemmung 
eines Netzknollens in einen linksseitigen Schenkelbruch unterbrochen. Sonst 
ganz reactionsloser Verlauf. Entlassen am 23. August mit oberflächlich 
granulirender Wunde. Stellt sich am 6. October völlig geheilt und mit 
klarem Urin wieder vor. 


Fall 11. 

Sackniere bei Schwangerschaft. Nephrotomie. Heilung 
bis auf eine Fistel. Frühgeburt. Dann Schluss der Fistel. 
Marie F., 22 Jahre, Kaufmannsfrau aus Berlin, nahm am 27. Juni 1887 
auf Veranlassung ihres Hausarztes, des Herrn Dr. Gras nick, meine Hülfe in 
Anspruch. Patientin war mit 14 Jahren menstruirt, ist seit dem 22. Januar 
1887 verheirathet, gegenwärtig im vierten Monate der Schwangerschaft. Vom 
10. bis 18. Jahre litt Patientin an Epilepsie. Im August 1881 überstand 
sie eine Pleuritis d. mit Exsudat, hohem Fieber und Schmerzen; seitdem 
blieb sie angegriffen und klagte hier und da über Stiche in der rechten 
Seite. Vor drei Jahren trat zum ersten Mal heftige Schmerzhaftigkeit in 
der Lebergegend mit Gelbsucht auf. Der Anfall ging schnell vorüber, 
hinterliess aber leichte Empfindlichkeit der rechten Seite. Weihnachten 
1885 erkrankte Patientin wiederum ganz plötzlich ohne nachweisbare Ursache 
mit sehr heftigen Schmerzen in der rechten Seite und hohem Fieber. Zu¬ 
gleich war etwas Gelbsucht vorhanden, der Urin sehr dunkel, der Stuhl von 
gewöhnlicher Farbe. Nach 17 Tagen stand Patientin auf, da es ihr besser 
ging; am 21. Tage erschien plötzlich eine sehr grosse Eitermenge im Urin, 
deren Entleerung 3—4 Tage andauerte. Hiermit verschwanden alle Be¬ 
schwerden, Patientin blühte auf und fühlte sich sehr wohl. Indessen soll 
doch hin und wieder der Urin einen Satz gezeigt haben. 

Die jetzige Erkrankung begann am 21. Juni Abends wieder sehr plötz¬ 
lich mit Schmerzen in der rechten Seite. Der hinzugerufene Arzt stellte 
fest, dass die Leber den Rippenbogen um drei Finger breit überrage. Am 
folgenden Tage stellte sich sehr hartnäckiges, galliges Erbrechen ein, welches 
bis zum 25. Juni dauerte; daneben anfallsweise so unerträgliche Schmerzen, 
dass Patientin laut schrie. In den letzten Tagen sind diese Schmerzen ge¬ 
ringer geworden. Am 24. Juni war die letzte Stuhlentleerung, seitdem sind 
nur Spuren von Darminhalt nach Darreichung von Klystieren abgegangen. 

— Nachdem ich am 27. Juni die Kranke untersucht und mit Wahrscheinlich- ^ 
keit die Diagnose auf Sackniere gestellt hatte, wurde die Frau am 28. Juni 
in meine Privatklinik übergeführt. 

Am 29. Juni ist folgender Status aufgenommen: Kleine, leidend und 
verfallen aussehende Frau mit schmerzerfüllten Zügen, klagt über häufige, 
starke Schmerzanfälle in der rechten Seite. Puls 120, weich. Leib ziemlich 
erheblich aufgetrieben. Leberdämpfung beginnt in der Parasternallinie am 
unteren Rande der vierten Rippe, steigt lateralwärts bis nahe an die Mamilla 
heran, um in der Axillarlinie wieder etwas zu sinken. Nach unten verfolgt 
die Dämpfungslinie ziemlich genau den Rippenrand. Unterhalb derselben 
findet sich in der Axillarlinie ein kindskopfgrosser, deutlich fluctuirender 
Tumor, über welchem überall tympanitischer Schall vorhanden ist, und der 
sich bis in die Lumbalgegend verfolgen lässt. Das Colon ascend. liegt an 
normaler Stelle. Uterus vergrössert, dem vierten Monate der Schwangerschaft 
entsprechend. Probepunction von hintenher ergiebt Eiter. Urin normal. 

Es musste nach diesem Befunde etwas zweifelhaft bleiben, ob man es 
mit einem intraperitonealen Tumor, etwa einer Gallenblaseneiterung, oder 
einer Pyonephrose zu thun habe. Die Lage des Colon sprach gegen letztere, 
doch lag der Tumor für einen Gallenblasentumor zu weit nach aussen. Es 
wurde beschlossen, mit dem Lumbalschnitt vorzugeben. 

30. Juni. Operation. Nach Durchtrennung der Muskulatur zeigt sich 
das pararenale Bindegewebe stark eitrig infiltrirt (Urininfiltration in Folge 
der Probepunction). Dasselbe wird vollständig exstirpirt, und dann erst der 
fluctuirende Sack der Niere eröffnet. Es entleeren sich ca. 2 1 stinkenden 
Eiters. Die Niere ist in einen weiten Sack mit nur 2 mm dicken Wan¬ 
dungen verwandelt. Ein Stein wird nicht gefunden, Sondirung des Harn¬ 
leiters gelingt nicht. Wogen der vorangegangenen Harninfiltration wird der 
Sack nicht an die Haut genäht, sondern die ganze Wunde mit Jodoformmull 
tamponirt. 

Der Erfolg war ganz ausgezeichnet. Pat. war fieberfrei, hatte freilich 
am ersten Tage einen schnellen Puls von 144, befand sich aber vollkommen 
wohl, hatte spontanen Stuhlgang, ass mit gutem Appetit. Störungen traten 
nur insofern ein, als der Urin eine Zeit lang trübe und sparsam war, einen 
Tag lang Durchfall sich einstellte, von dem nekrotischen Bindegewebe her 
nach oben und nach vorn Eitergänge sich bildeten, welche Spaltung und 
Drainage erforderten. Am 30. Januar bereits konnte sie mit einem finger¬ 
breiten Granulationsstreifen und einem in’s Nierenbecken führenden dünnen 
Drain entlassen werden. Da diese Fistel auch im September noch bestand, 
so wurde am 20. September ein Lilienfeld’scher Harnrecipient angelegt, 
mit dem Pat. sich sehr wohl befand. Vielleicht in Folge dessen trat 8 Tage 
später Frühgeburt im 8. Monate ein. Das Kind blieb indessen am Leben. 
Nach Beendigung des Wochenbettes wurde der Apparat entfernt, und er¬ 
folgte nun überraschend schneller Schluss der Fistel. Stellt sich Mitte No¬ 
vember mit fast vernarbter Wunde und vollständig klarem Urin wieder vor. 
Eine Vergrösserung der Niere ist nicht mehr nachzuweisen. 

Fall 12. 

Rechtsseitige Sackniere. Nephrolithotomie. Heilung. 
Carl H., 27 Jahr, Fabrikant aus Lodz in Polen, wurde am 31. August 1887 
.von Herrn Dr. Bartkiewicz aus Lodz meiner Privatklinik überwiesen. 
Patient stammt aus einer phthisisch belasteten Familie; sowohl sein Vater, 
wie Geschwister des Vaters und einige Geschwister waren tuberculös. Gicht 
ist in der Familie nicht vorgekommen. Im Alter von 14 Jahren erkrankte 
Patient an Magenkrämpfen, Milzvergrösserung, Leberschwellung, Magen- und 
Darmkatarrhen. Dazwischen litt er an äusserst hartnäckiger Obstruction, 
die auch heute noch vorhanden ist. Wegen derselben hat er zahlreiche 
Brunnencuren durchgemacht. 1878 wurde er syphilitisch, machte mehrere 
Schmiercuren durch und war in verschiedenen Schwefelbädern. 1880 er¬ 
krankte er an Gelenkrheumatismus; nach Ablauf desselben stellte sich eine 
schwere Gelbsucht, anfänglich mit Unbesinnlichkeit verbunden ein, welche 
nahezu ein Jahr anhielt. Nach einer Cur in Carlsbad, im nächsten Sommer 
in Marienbad war Pat. 2 Sommer hindurch, seiner Obstruction wegen, in 
Kissingen. Zwischendurch war er wieder arbeitsfähig. 1882 zog er sich 
eine Gonorrhoe zu. Im Jahre 1884 begann der Urin einen Niederschlag 


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31. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


439 


abzusetzen, der mit der Zeit immer stärker wurde. Gleichzeitig machte die 
Entleerung des Urins Beschwerden, ein Mal trat sogar vollständige Retentio 
urinae auf. Pat. ging auf den Rath des Geheimrath Leyden noch einmal 
nach Kissingen, um Soole zu trinken. Trotzdem wurde der Bodensatz 
immer stärker, und erwiesen sich auch längere Zeit fortgesetzte Blasen¬ 
ausspülungen als erfolglos. Vor ca. 1 V* Jahren zeigte sich zuerst Blut im 
Urin in inniger Mischung, zuweilen in grosser Menge; Schmerzen gingen 
diesen Blutungen nicht vorauf. Sie sollen ziemlich ein Jahr angehalten 
haben. Prof. Ultzmann in Wien soll im vorigen Jahre Tuberkelbacillen 
im Urin nachgewiesen haben; er schickte den Pat. nach Egyplen, wo der¬ 
selbe sich den letzten Winter aufhielt. Zwar ging es ihm im Allgemeinen 
ziemlich gut, doch entleerte er mehrfach phosphatische Harnsedimente bei 
alkalischem Urin. Anscheinend gesund kehrte er aus Egypten in seine 
Heimath zurück. Hier erkrankte er vor 7 Wochen von neuem mit hohem 
abendlichem Fieber bis 40,5 und Schüttelfrösten; vor ca. 14 Tagen bekam 
er sehr heftige Schmerzen in der rechten Nierengegend, die von einem 
anderthalbstündigen Schüttelfrost eingeleitet wurden. Bald darauf bemerkte 
er eine Schwellung in der rechten Seite, während der Eitergehalt des Urins 
abnahm. Da der behandelnde Arzt eine langsame Vergrösserung des Tumors, 
den er für einen perinephritischen Abscess ansah, eonstatiren konnte, so 
schickte er ihn behufs operativer Behandlung nach Berlin. 

Untersuchung am 1. September. Blasser, magerer, zierlich ge¬ 
bauter Mann, etwas unter Mittelgrösse. Lunge und Herz gesund. Der frisch 
gelassene Urin ist von dunkler Farbe und saurer Reaction mit leichter, 
wolkiger Trübung; Eiweiss ist nur in Spuren vorhanden. Mikroskopisch 
enthält er eine geringe Anzahl von Eiterkörperchen, vereinzelte Nierenepithelien 
und Epitbelien der Harnwege. Fibrincylindcr wurden nicht mit Sicherheit 
gesehen. Hat der Urin aber wenige Stunden gestanden, so reagirt er alka¬ 
lisch, stinkt und lässt ein gelblich-weisses, schleimiges, fadenziehendes Sedi¬ 
ment fallen. Mikroskopisch zeigt dasselbe zahlreiche Mikroben, reichliche 
Krystalle von Tripelphosphat, etwas hamsaures Ammoniak, vereinzelte weisse 
Blutkörperchen und ganz selten Epithelien, letztere beide gequollen und im 
Zerfall begriffen. — Die Leberdämpfung ist etwas verschmälert, unterhalb 
derselben ein mehr als kindskopfgrosser Tumor, der bei der Palpation ziem¬ 
lich empfindlich ist, bei bimanueller Untersuchung dunkle Fluctuation zeigt 
und sich bis in die rechte Lumbargegend verfolgen lässt Die Punction 
von hintenber liefert dicken Eiter, der ausser Leukocyten keine Form- 
bestandtheile enthält. In der Blase nichts Abnormes zu finden. Die 
Diagnose lautete demnach auf eiterhaltige Sackniere. 

3. September. Nephrotomie mit Flankenschnitt. Aus dem er- 
öffneten Nierenbecken entleert sich ca. I 1 dicken Eiters, aus welchem Gas¬ 
blasen aufsteigen, untermischt mit zahlreichen, bis pflaumengrossen Klumpen, 
den speckhäutigen Gerinnseln im Herzen ähnlich, welche sich mikroskopisch 
als Fibringerinnsel und fest miteinander verbackene Eiterkörperchen erwiesen. 
Die Schleimhaut des Nierenbeckens fühlte sich glatt und gesund an; im 
hintern Wundwinkel erschienen Partieen noch erhaltener Nierensubstanz. 
Im Eingang des Harnleiters lag ein wallnussgrosser Stein, der mit der 
Kornzange ausgezogen wurde. In den Harnleiter Hess sich ca. 10 cm weit 
eine Sonde einschieben, ohne dass weitere Steine zu entdecken gewesen 
wären. Annähung der Sackwand an die Haut, Drainage, Verband mit 
Thymolmull und Mooskissen. 

Der ausgezogene Stein war grauweiss von Farbe, weich und bröckelig. 
Er bestand aus kohlensaurem Kalk, Tripelphosphat und Cystin. 

Die Wirkung der Operation war zauberhaft. Das Fieber verschwand 
sofort, doch wurde der bis dahin klare Urin nunmehr sehr trübe und alka¬ 
lisch. Die Wunde blieb ganz reactionslos. Am 5. September war der Urin 
vorübergehend sauer und fast klar; sonst blieb er undurchsichtig, enthielt 
□lässige Eiweissmengen und ein reichliches Sediment aus Tripelphosphat- 
krystallen und glänzenden, amorphen Körnchen, welche aus phosphorsaurem 
und kohlensaurem Kalk und Magnesia bestanden. Vom 7.—10. September 
klagt Pat. über dauernde, namentlich bei Bewegungen heftige Blasen¬ 
schmerzen. Ausspülungen der Blase mit Salicylsäure, innerlich Vichy-Wasser. 
Der Urin fliesst schon nach 8 Tagen zum grössten Tbeil in die Blase, 
Verband wenig durchnässt. Vom 10. September an wird der Blasenurin 
schwach sauer und allmählich ganz klar; beim Stehen aber wird er immer 
noch sehr schnell alkalisch. 

Von nun an trat unter mächtiger Belebung des Appetits schnelle Re- 
convalescenz ein. Am 14. September verliess Pat. das Bett. Da aber die 
Erscheinung fortdauerte, dass der erstentleerte Urin sauer, die nächste 
Portion alkalisch war, so wurde innerlich Salzsäure verabreicht. Am 22. 
September wurde das Drain fortgelassen. Sofort war Abends der Urin 
wieder sehr trübe, Morgens aber ganz klar. Die Fistel schloss sich sehr 
schnell, so dass Pat. am 3. October mit völlig vernarbter Wunde entlassen 
werden konnte. Er hatte bei enormem Appetit ausserordentlich an Körper¬ 
kräften und Umfang gewonnen, wird aber Vorsichtshalber den Winter noch 
in Egypten zubringen. 

Fall 13. 

Linksseitige Sackniere. Nephrotomie. Heilung; dann Re- 
cidiv. Frau v. B., 42 Jahre, Rittergutsbesitzersfrau aus Pommern, wurde 
am 23. November 1887 von Herrn Dr. W. Körte meiner Privatklinik zuge¬ 
wiesen. Patientin machte im Jahre 1866 nach ihrer ersten Entbindung eine 
schwere Unterleibsentzündung durch, zu welcher sich ein Blasenkatarrh 
hinzugesellte; sie genas erst nach langem Krankenlager. 1873 treten links¬ 
seitige Nierenkoliken auf mit blutigem Urin und gelegentlichem Abgänge 
kleiner Steine. Eine Carlsbader Cur beseitigte dieselben nicht, wohl aber 
blieben die Koliken nach einer Cur in Kissingen im Jahre 1880 aus. Seit 
«lern Sommer 1886 hat Patientin fortgesetzt Schmerzen in der linken Seite 
des Kreuzes, welche sich von Zeit zu Zeit verschlimmern. Der Urin hat 
eine trübe, eiterartige Beschaffenheit angenommen, ist übelriechend. Pa¬ 
tientin ist elend und matt geworden. 

Die am 11. Februar 1887 von Herrn Dr. Körte vorgenommene Unter¬ 
suchung ergab eine leichte Vergrösserung der Leber, rechts sehr bewegliche, 


druckempfindliche Wanderniere. Linke Niere vergrössert, ebenfalls empfind¬ 
lich; vor derselben verläuft das Colon descendens. Wird die Blase entleert 
und dann ein Druck auf den Nierentumor ausgeübt, so wird dicker, trüber, 
stark eiterhaltiger Urin entleert. Reaction sauer, geringer Eiweissgehalt. 
Mikroskopisch finden sich in derselben zahlreiche Eiterkörper, Schleimfäden 
und Epithelien. — Die Darreichung von Biliner Wasser und Nat. benzoicum 
rief keine wesentliche Aenderung hervor; wohl aber brachte eine Cur in 
Wildungen während der Monate Juni und Juli Besserung. Im September 
dagegen verschlimmerte sich der Zustand von neuem nach mehrfachen 
körperlichen Anstrengungen; unter quälenden Schmerzen nahm der Urin 
einen fauligen Geruch an und wurde wieder stark eiterhaltig. Im November 
erfolgte deshalb die Aufnahme in meine Privatklinik. 

23. November 1887. Die Untersuchung in der Narkose ergiebt eine 
deutliche Vergrösserung der linken Niere und undeutliche Fluctuation vom 
Rücken her. Nach Entleerung und Ausspülung der Blase tropft bei Druck 
auf die linke Niere dicker Eiter aus dem Katheter; bei Druck auf die 
rechte Niere bleibt der Urin klar. Eine Probepunction in der linken Lum¬ 
balgegend ergiebt gleichfalls dicken Eiter. Eine Untersuchung auf Tu¬ 
berkelbacillen fällt negativ aus. 

16. December 1887. Operation. Die Niere wird in gewöhnlicher 
Weise von hinten her freigelegt und eingeschnitten. Entleerung einer er¬ 
heblichen Eitermenge; ein Stein wird nicht gefunden. Befestigung der 
Schnittränder des Nierenbeckens an die äussere Haut. Drainage, Verband. 
— Völlig reactionsloser Verlauf. Die auf natürlichem Wege abgehende 
Urinmenge sank in den nächsten Tagen sehr erheblich, auf 500, einmal 
selbst auf 400 ccm in 24 Stunden, um sich vom 26. December an dann 
langsam zu heben und gegen Mitte Januar der Norm nahezukommen. Zu¬ 
gleich nahm der Urinausfluss aus der Wunde immer mehr ab und ver¬ 
siegte endlich ganz, so dass am 13. Januar 1888 das Drain entfernt werden 
konnte. Die Wunde verheilte schnell. Allein der weitere Verlauf war 
nicht befriedigend. Der Urin wurde wieder stark eiterhaltig, es stellten 
sich Schmerzen ein, so dass Herr Dr. Körte sich bald genöthigt sah, die 
Wunde wieder zu eröffnen. Trotzdem gelang es nicht, die Eiterabsonderung, 
auch durch die Wunde, zu beseitigen. Am 15. März wurde daher die 
Narbe noch einmal breit eröffnet und einige Recessus im Nierenbecken 
theils stumpf, theils durch das gekröpfte Messer mit der grossen Höhle 
vereinigt. Patientin bekam in Folge des Eingriffes eine linksseitige Pleuritis, 
welche gegenwärtig. (Ende April) ziemlich abgelaufen ist; die Wunde aber 
ist, bis auf eine durch ein dünnes Drain offen gehaltene Fistel, inzwischen 
geheilt. Die Heilung dieser Fistel wird absichtlich verzögert, weil der Urin 
noch immer geringe Trübung aufweist. 


VI. Referate und Kritiken. 

Bechterew (Kasan). Die Bedeutung der Sehhügel auf Grund 
von experimentellen und pathologischen Daten. V i r c b o w ’ s 
Archiv Bd. 110. Ref. Ed. Aronsohn (Berlin). 

Ueber die specielle Function der Sehhügel haben wir bisher noch 
gar keine Vorstellung, da Zwangsbewegungen und Gleichgewichts¬ 
störungen ebensowenig nothwendige Folge von Sehhügelzerstörungen 
bilden, wie Störungen der Hautsensibilität, des Geschmacks, Geruchs, 
Gehörs und Gesichts, und auch Nothnagel’s Auffassung, dass in den 
Sehhügeln diejenigen Bewegungsacte zu Stande kommen, die durch 
peripherische sensible Erregungen angeregt werden, nicht als be¬ 
gründet angesehen werden kann. Nach Bechterew’s Forschungen 
liegen vielmehr in den Sehhügeln die Centren für die Mani¬ 
festation der Stimme und andere Ausdrucksbewegungen, 
für Gefühle und Affecte, welche von anderen Autoren in die 
Streifenhügel, Zweihügel, Vierhügel (Holtz und Ferrier) und 
Varolsbrücke (Longet und Vulpian) verlegt wurden. Wenn 
nämlich Thieren die Grosshirnhemisphären allein bis zu den Seh¬ 
hügeln abgetragen werden, so können sie von selbst weder will¬ 
kürliche noch Ausdrucksbewegungen ausführen, es gelingt aber, 
letztere vermittelst verschiedener äusserer Reize, also auf rein reflec- 
torischem Wege, auszulösen, und zwar mit einer solchen Beständig¬ 
keit, wie sie an normalen Thieren nicht beobachtet wird. Werden 
die Hemisphären raitsammt den Sehhügeln zerstört, so können die 
Thiere nicht nur von selbst keine willkürlichen oder complicirten 
Ausdrucksbewegungen ausführen, sondern letztere lassen sich über¬ 
haupt unter keinen Bedingungen mehr, also auch nicht auf reflec- 
torischem Wege hervorrufen. Elektrische und mechanische Reizung 
der Sehhügel bringt ein langandauemdes Lautwerden der Stimme 
hervor in Begleitung von exspiratorischen Bewegungen und Bewe¬ 
gungen des Gesichts, des Rumpfes und der Extremitäten, die be¬ 
sonders bei höheren Thieren an verschiedene Ausdrucksbewegungen 
erinnern. Die beobachteten Bewegungen können nicht durch 
Reizung der Leitungsbahnen erklärt werden, welche durch die 
Capsula interna von der motorischen Zone der Rinde aus zum ver¬ 
längerten- und Rückenmarke gehen, weil die erwähnten Bewegungen 
bei Reizung der Sehhügel sogar in denjenigen Fällen sich äussern, 
in welchen durch vorläufige Zerstörung der motorischen Zone 
secundäre Degeneration der Pyramidenfasern hervorgerufen war. 
Bei Zerstörung eines Sehhügels mit Erhaltung der Grosshirnhe¬ 
misphären ohne Mitverletzung benachbarter Theile wurde nur Ver¬ 
lust der mimischen Bewegungen in der contralateralen Gesichtshälfte 
beobachtet. Störungen des Sehvermögens traten auf, wenn die 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 


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Zerstörung die am meisten nach hinten gelegenen Abschnitte des 
Thalam. opt. betroffen hatte, und werden von Bechterew auf 
Mitverletzung der Endstätten der Sehnervenfasern bezogen. 

Weiterhin sucht Verfasser es als wahrscheinlich hinzustellen, 
dass die Sehhügel nicht ein einzelnes Centrum für die Ausdrucks¬ 
bewegungen repräsentiren, sondern ein Aggregat einzelner Centren 
bilden, die die Herzthätigkeit, Blutfüllung der Gefässe, Athmungs- 
rhythmus, excretorische Functionen und die Secretiou der Darm¬ 
drüsen beeinflussen. 

Mit diesen Ergebnissen des Experimentes werden zahlreiche 
klinische Beobachtungen in Parallele gebracht. Idioten, Irre mit 
progressiver Paralyse und andere Kranke mit Verlust der psycho¬ 
motorischen Rindenregion zeigen Lähmung der willkürlichen Moti¬ 
lität des Gesichts ohne Lähmung der mimischen Bewegungen 
(Ch. Bell, Romberg, Nothnagel u. A.); unwillkürlich, bei Ein¬ 
wirkung psychischer Impulse können solche Kranke lachen, weinen 
und schreien, ja sie bieten oft die Erscheinung des unaufhaltsamen 
Lachens und Weinens dar, da sie der Willenskraft beraubt sind, 
die mimischen Bewegungen zu hemmen. Andererseits sind auch 
Fälle bekannt, wo intra vitam auffällige Abnahme der mimischen 
Bewegungen wahrgenommen wurde, während die willkürliche Moti¬ 
lität des Gesichts fast ganz erhalten war, und post mortem Zer¬ 
störung der Sehhügel gefunden wurde. Mit Nothnagel ist Ver¬ 
fasser der Ansicht, dass dem klinischen Bilde der Hemichorea 
als anatomisches Substrat eine Affection entweder des Sehhügels 
selbst oder des zu demselben gehörigen Fasersystems zu Grunde 
liegt. 


Francis Henry Champneys. Experimental researches in ar¬ 
tificial respiration in stillborn children and allied subjects. 
London, H. K. Lewis, 1887. Ref. A. Baginsky. 

Das 153 Seiten lange Schriftchen enthält eine Zusammenstel¬ 
lung sehr bemerkenswerther experimenteller Studien über die 
Zweckmässigkeit der Wiederbelebungsmethoden durch künstliche 
Respiration bei asphyktisch geborenen Kindern. Verf. beschreibt 
zunächst die v von Marshall Hall, Howard, Silvester, Pa- 
cini, Bain, Schücking, Schüller, Schroeder, Schultze 
empfohlenen Methoden und geht nun, indem er die Leistungs¬ 
fähigkeit der einzelnen Methoden durch manometrische Versuche 
an todten Kindern prüft, daran, ein präcises Urtlieil über dieselben 
abzugeben. Es stellt sich dabei heraus, dass sich die Methoden 
vou Marshall Hall und Howard unfähig erweisen; direkt Luft 
in die Lungen asphyktisch geborener Kinder einzuführen, dem 
gegenüber erweisen sich die Methoden von Silvester und Pa¬ 
ri ni als diejenigen, welche am ausgiebigsten den kindlichen Lungen 
Luft zuzuführen vermögen, die Sil vester’sehe Methode dann, wenn 
die Arme beim Erheben nach auswärts gekehrt werden. Schücking’s 
Methode ist keine Verbesserung der Methode von Silvester; 
Schüller’s und Schroeder’s Methoden erweisen sich als nutzlos, 
Schultze’s Methode ist sehr wirksam, indessen kann in der 
Heftigkeit bei ihrer Ausführung eine gewisse Gefahr für die Kinder 
liegen. Weiterhin entwickelt Verf., dass bei den künstlichen Respi- 
ratiousmethoden den rechten Lungen vorzugsweise Luft zugeführt 
werde, während die Atelektase vorzugsweise in Streifenform in der 
Nähe der Rippenwinkel und zu beiden Seiten der Wirbelsäule 
Platz greift; für die Entwickelung derselben ist die Art und Weise 
der Beweglichkeit des Thorax maassgebend. In einem dritten Ca- 
pitel wird die Frage der Entstehung des Mediastinalemphysems 
und des Pneumothorax bei Tracheotomie erörtert und der experi¬ 
mentellen Prüfung unterworfen. Verf. kommt zu dem sehr bemer- 
kenswerthen Resultat, dass das Mediastinalemphysem als eine 
sehr häufige Todesursache tracheotomirter Kinder betrachtet 
werden muss. Dasselbe ist zuweilen mit Pneumothorax verknüpft, 
zuweilen auch mit Emphysem des Nackens, indess sind die Ursachen 
des letztgenannten Emphysems andere als diejenigen des mediasti- 
nalen; dieses entsteht durch Luftaspiration in die freigelegte und 
bei der Operation der Tracheotomie eröffnete tiefe cervicale Fascie, 
wenn die Laryngostenose den Luftzutritt in die Lungen verhindert. 
Dieser Zeitpunkt der Tracheotomie ist deshalb für den Operateur 
der allergefährlichste, aber auch bei Schultze’s künstlicher 
Athmungsmethode asphyktisch geborener Kinder ist die Entstehung 
des mediastinalen Emphysems nicht selten. Im fünften Capitel kommen 
einzelne Fragen zur Entscheidung, die zur künstlichen Respiration 
asphyktisch Geborener in Beziehung stehen; Verf. stellt fest, dass 
Gasauftreibung des Abdomen kein Hinderniss ist für die Luft¬ 
zuführung zu den Lungen; das Einblasen von Luft in den Magen 
bei Lufteinblasung von Mund zu Mund kann durch Rückwärts¬ 
biegung des kindlichen Kopfes und durch leichten Druck in die 
Cricoidgegend verhindert werden, schwierig erscheint es, die Luft¬ 
wege in dem obersten Theile des Respirationstractus für den Luft¬ 
zutritt offen zu halten, da Hervorziehen der Zunge, Rückwärts- 
beugung des Kopfes u. s. w. nicht ohne Weiteres den beabsichtig¬ 


ten Zweck herbeiführen. Verf. macht einige genaue Angaben über 
die vorzunehmenden Proceduren. Ein weiteres Capitel behandelt 
die Frage des Emphysems der Nackengegeud in Folge starker 
Exspirationsbewegungen, so beimPressen während der Geburt etc. Verf. 
erörtert auch hier an der Hand experimenteller Prüfuug die ein¬ 
schlägigen Verhältnisse, aus denen unter Anderem hervorgeht, dass 
der stärkste exspiratorische Druck nicht im Stande ist, die gesunde 
Trachea und Bronchien zur Zerreissung zu bringen; das Emphysem 
entsteht vielmehr durch Einreissen des Lungengewebes und Fort¬ 
leitung der Luft durch die Pulmonalpleura nach dem anderen Me¬ 
diastinum und von hier nach der tiefen Cervicalfascie. Das letzte, 
siebente Capitel enthält eine Reihe sehr bemerkenswerther praktischer 
Fingerzeige für die Behandlung asphyktisch geborener Kinder. — 
Literaturangaben und Register machen das Schriftchen für den 
Praktiker sehr handlich und gebrauchsfähig, während die wissen¬ 
schaftlichen und experimentellen Erörterungen für den Physiologen 
und wissenschaftlichen Fachmann vielfach Anregung zu bieten ver¬ 
mögen. 

VII. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 1. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden. Schriftführer: Herr Jastrowitz. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

1. Discussion über d«*y Vortrag des Herrn Gerhardt: Zur 
Diagnose und Therapie des Magengeschwürs. 

Herr P. Guttmann: In dem ersten Theile seines Vortrages hatte 
Herr Gerhardt mit vollkommenem Hecht die Schwierigkeit der differen¬ 
tiellen Diagnose zwischen Magengeschwür und Magenkrebs hervorgehoben 
und auch das neue Untersuchungsraittel, die quantitative Bestimmung der 
Salzsäure im Magen, erwähnt, um diese Schwierigkeit zu vermindern. Von 
verschiedenen Autoren war nämlich angeführt, dass beim Magengeschwür 
die IICl-Menge erhöht sei, beim Magenkrebs hingegen vermindert. Auf der 
Klinik des Herrn Gerhardt aber war eine Erhöhung der HCl-Menge beim 
Magengeschwür nicht gefunden. Trotzdem glaube ich, dass die quantitative 
Untersuchung des HCl-Gehaltes des Magens dazu führen kann, in zweifel¬ 
haften Fällen zwischen Magengeschwür und Magenkrebs die diagnostische 
Entscheidung zu Gunsten des Magengeschwürs zu treffen, wenn nämlich die 
eine Thatsache constatirt werden kann, dass in dem betreffenden Unter¬ 
suchungsfall der HCl-Gehalt nicht unter das Mittel der Norm herabgeht. 
Und das ist der Fall. Es ist ein solches Untersuchungsergebniss deshalb 
so wichtig, weil erfahrungsgemäss beim Magencarcinom der HCl-Gehalt des 
Magens stets unter das normale Mittel sinkt und in vorgeschrittenen Fällen 
sogar meistens ganz fehlt. Letzteres kann ich bestätigen, auf Grund einer 
nicht unerheblichen Anzahl von Untersuchungen, die im städtischen Kranken¬ 
hause Moabit beim Magencarcinom angestellt worden sind. Wie verhält sich 
nun der HCl-Gehalt beim Magengeschwür? Darüber kann ich Untersuchungen 
mittheilen, die mein Assistent Herr I)r. Schäffer an 10 Fällen von Magen¬ 
geschwür ausgeführt hat. Es ist Ihnen bekannt, dass der normale HCl- 
Gehalt des Magens (es ist natürlich wasserfreie Salzsäure gemeint) nach 
früheren Angaben zwischen 0,1—0,25% schwankt, nach neueren Angaben 
sollen selbst 0,3 % bis 0,35 % in maximo normal Vorkommen. Bei den 
quantitativen Salzsäurebestimmungen in den 10 Fällen von Magengeschwür 
wurde der Mageninhalt mittelst Schlundsonde ausgehebert, resp. ausgepresst 
nach Einnahme des bekannten Probefrühstücks aus 500 g Kaffee oder Thee 
und einer Semmel. Die Untersuchungen wurden l'/a— 1% Stunden nach 
diesem Frühstück ausgeführt. Bei allen Kranken wurde mehrmals unter¬ 
sucht an verschiedenen Tagen, so dass die Gesammtzahl der Einzelunter¬ 
suchungen etwa 40 beträgt. Vor der quantitativen Untersuchung des Salz- 
säuregehaltes wurde auf Milchsäure untersucht, sie fand sich aber niemals 
(Probe mit Carbolsäure und Eisenchlorid). Die Titrirung bei den quanti¬ 
tativen Salzsäurebestimmungen geschah mit lOfach verdünnter normaler 
Kalilauge. Die nachfolgenden Zahlenwerthe des Salzsäuregehaltes in den 
10 Fällen von Magengeschwür stellen das Mittel aus den Einzelunter¬ 
suchungen, deren Ergebnisse meistens nur wenig schwankten, dar; wo die 
Schwankungen grösser waren, ist das Mittel nicht gezogen; sondern es sind 
die unteren und oberen Grenzwerthe genannt. Es war also der Salzsäure¬ 
gehalt in den 10 Fällen folgender: 

Das Mittel der 10 Fälle beträgt: 

1. 0,26 %, 2. 0,28 %, 3. 0,26 %, 4. 0,26%, 5. 0,3%, G. 0,20-0,22 %, 
7. 0,45-0,93%, 8. 0,32%, 9. 0,18%, 10. 0,3-0,23%. 

Diese Zahlen erheben sich nicht unbeträchtlich über das Mittel des 
Normalen, übersteigen in einzelnen Fällen sogar das Maximum. Ich will 
aber auf diese Erhebungen über das Maximum kein besonderes Gewicht, 
legen, es könnte ja sein, dass bei späteren Untersuchungen etwas geringere 
Zahlen sich ergeben, das Gewicht lege ich darauf, dass diese 10 Fälle sich 
über der Grenze des normalen Mittels halten beziehungsweise an der Grenze 
des normalen Maximum stehen. Das kommt beim Carcinom niemals vor. 
Da sinkt der Gehalt so bedeutend, dass man ihn oft mittelst der bekannten 
Farbstoffreactionen überliaupt nicht nachweisen kann. Wo er aber vorhanden, 
da, wie gesagt, ist er unterhalb des normalen Mittels, nicht darüber. — 
Was den therapeutischen Theil des Vortrages anlangt, so hat Herr Ger¬ 
hardt mit Recht erwähnt, dass man bei der Therapie des Magengeschwürs 
auch säureabschwächende Mittel anwendeu soll. Gewiss giebt es nichts 
Rationelleres, neben der sonstigen üblichen Therapie, wenn man weiss, dass 
der Säuregehalt des Magens an der Aetielogic des Magengeschwürs be- 


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13. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


441 


theiligt ist. Denn die Auffassung ist die, dass, wenn durch Circulations- 
störungen partieller Natur im Magen gewissermaassen eine Abschnürung 
dieses kleinen Theils des Magens von der Circulation erfolgt, durch diese 
Abschnürung unter dem gleichzeitigen Einfluss der verdauenden Wirkung 
der Salzsäure eine Nekrobiose entsteht, also ein Magengeschwür. Bei dieser 
Auffassung ist es also rationell, den Säuregehalt des Magens zu erniedrigen, 
resp. zu neutralisiren. Dies geschieht natürlich am einfachsten durch 
Natron bicarbonicum, Magnesia usta etc. Herr Gerhardt hat auch das 
Argentum nitr. betreffs dieser säureabschwächenden Wirkung hervorgehoben, 
weil das CI der HCl sich zu AgCl umsetzt. Ich möchte jedoch dieses Mittel 
hierzu nicht für zweckmässig halten, denn ein Versuch im Krankenhause 
Moabit hat ergeben, dass zur Neutralisation resp. Abschwächung des HCl 
des Magens eine erhebliche Menge Ag erforderlich ist. Zur Neutralisirung 
von 10 g einer 0,2 % HCl-Lösung sind 0,105 g AgNOs nöthig, also für 
nur 10 g Magenflüssigkeit schon die dreifache Maximaldose, geschweige 
denn, wo im Magen ein grösserer Inhalt mit 0,2 % Säuregehalt vorhanden 
ist. Ferner wird ja, wenn die Salzsäure in Chlorsilber übergeführt ist, 
die Salpetersäure aus dem Silbernitrat frei. Die Salpetersäure ist zwar eine 
verdünnte, immerhin aber ist die saure Reaction, wie man sich bei An¬ 
stellung des Versuches überzeugt, eine sehr starke. Bei Zusatz von 
wässeriger Brucinlösung mit conceutrirter HaSO«, einem bekannten feinen 
Reagens auf Salpetersäure, erhält man schön rosenrothe Färbung. Mit allen 
übrigen Ausführungen des Herrn Gerhardt bin ich durchaus einver¬ 
standen. 

Herr Schaeffer: Ich glaube noch andere Gründe zu besitzen, die mir 
zu beweisen scheinen, dass in der That bei Ulcus ventriculi eine erhöhte 
HCl-Production vorliegt. Einmal der Ausfall der Jodreaction. Die amylum- 
haltigen Substanzen gehen bekanntlich durch Ptyalin durch mehrere Zwischen¬ 
stufen in Zucker über. Setzt man zum gesunden Magensaft Jodjodkalium¬ 
lösung, so entsteht entweder keine Reaction, oder das Jod bildet mit der 
letzten Verdauuugsstufe der Stärke, dem Achroodextrin, eine braune Reaction. 
ln einem stark HCl-haltigen Magensaft dagegen kann sich die amylolytische 
Kraft des Ptyalins nicht bethätigen, man findet hier auf Jodzusatz die tief¬ 
violette Färbung des Erythrodextrins. In 10 von den 12 Fällen hatte ich 
regelmässig tief violette Erythrode.xtrinreaction erhalten, ein Beweis dafür, 
dass entweder schon im nüchternen Magen HCl vorhanden war, welche von 
vornherein das Eintreten der Stärkeverdauung hinderte, oder dass so früh¬ 
zeitig HCl abgesondert wurde, dass die weiteren Verdauungsstufen der Stärke 
nicht mehr entstehen konnten. Ein zweiter Grund für meine Annahme ist 
der, dass in sämmtlichen 10 Fällen bei mehr als 100 Einzeluntersuchungen 
sich nie eine Spur von Eiweiss im Magensaft fand; sämmtliches Eiweiss war 
in Pepton übergeführt. Wenn man gesunden Magensaft 5 /* Stunden nach 
dem Probefrühstück aushebert, so findet mau fast ausnahmslos Spuren von 
Eiweiss; der gesunde Magen kann eben in dieser Zeit nicht alles Eiweiss 
in Pepton überführen. Da dies aber in unseren Fällen eingetreten war, so 
ist dies ein Beweis, dass die verdauende Kraft bei Ulcus ventriculi eine sehr 
lebhafte war, und diese lässt sich wohl nur auf eine vermehrte Bildung von 
HCl beziehen. Ein dritter Grund ist der, dass ebenfalls fast ausnahmslos 
(in 9 Fällen) keine Spur von Milchsäure in den Magensäften vorhanden war. 
Ewald hat nachgewiesen, dass die Milchsäurebildung im Magen aufhört, 
wenn eine lebhafte HCl-Production eintritt; letztere soll eben die weitere 
Bildung von Milchsäure verhindern. Das Fehlen der Milchsäure in den 
9 Fällen beweist also eine sehr frühzeitige HCl-Production. Als letzter Grund 
mag die Wirkung der Therapie angeführt werden. So ist es bekannt, wie 
die Schmerzen bei diesen Kranken oft überraschend schnell aufhören, wenn 
sie einen Löffel Natr. bicarbonicum bekommen, dessen Wirkung ja doch nur 
aus seiner neutralisirenden Kraft zu erklären ist. Gerade diese Wirkung 
der Alkalien lässt sich aus folgendem interessanten Fall erhärten. Es han¬ 
delte sich um ein Ulcus ventriculi, das durch Oxalsäurevergiftung entstanden 
war. Der Mageninhalt enthielt keine Spur von HCl und war vollständig 
neutral. Der Kranke war aber ein langjähriger Potator und litt seit langer 
Zeit an chronischem Magenkatarrh. Da bei diesen die Salzsäure oft völlig 
schwindet, so ist das Zusammentreffen dieses Fehlens der HCl mit dem 
Ulcus wohl kein ursächliches, sondern ein rein zufälliges, und die Wirkungs¬ 
losigkeit des Natron lag daher auf der Hand. Ich glaube daher zu dem 
Schlüsse berechtigt zu sein, dass in sehr vielen Fällen von Ulcus ventriculi 
eine gesteigerte HCl-Production stattfindet. 

Herr Fr. Müller: Bei gleichmässiger Untersuchung aller Fälle von 
Ulcus ventriculi auf der Gerhardt’schen Klinik ist keineswegs in allen 
Hyperacidität gefunden. Trotzdem das reguläre Probefrühstück gegeben 
wurde, hat sich, besonders bei chlorotischen Kranken, auch wenn die Diagnose 
durch Blutbrechen sicher gestellt war, sehr häufig nicht blos keine Hyper¬ 
acidität gefunden, sondern sogar ein sehr geringer Säuregehalt, einige Male 
neutraler Mageninhalt. In vielen Fällen blieb die Methylviolettreaction voll¬ 
ständig aus. Es soll nicht gesagt werden, dass nicht in vielen, ja in den 
meisten starke Production vorhanden ist, aber, wenn man alle untersucht, 
so findet sich in einer grossen Zahl geringe oder gar keine Reaction. Die 
Probe auf Milchsäure mit Eisenchlorid und Carbolsäure lässt sich weder 
positiv noch negativ sicher verwenden, auch in neutralem Mageninhalt kann 
man öfter die Gelbfärbung bekommen, und es giebt auch noch andere 
Stoffe ausser der Milchsäure, welche die angeblich charakteristische Reaction 
geben. Geringe Milchsäuregrade lassen sich mit dieser Probe in Gemischen 
nicht mehr sicher nachweisen. Zur Differentialdiagnose zwischen Ulcus und 
Carcinoma ventriculi ist man übrigens nicht allein auf die Farbenreactionen 
angewiesen; es lassen sich noch andere Symptome verwerthen, so z. B. das 
Körpergewicht, auf welches schon Herr öeheimrath Gerhardt kurz hin¬ 
gewiesen hat. Bei Durchsicht von 26 Krankengeschichten von Ulcus ven¬ 
triculi hat sich ergeben, dass nur in 3 mit anderen Krankheiten (z. B. Peri¬ 
tonitis) complicirten Fällen das Körpergewicht abnahm, in 2 Fällen blieb es 
gleich, in allen anderen nahm es während der Behandlung zu, und zwar 
ergab die Durchschnittsberechnung aller 26 Fälle, dass das Körpergewicht 
in durchschnittlich 32 Behandlungstagen um 3,2 kg zugenommen hat. Da¬ 


mit stehen im Gegensatz die Verhältnisse bei Carcinom, wo das Körper¬ 
gewicht fast ausnahmslos zu sinken pflegt. Diese Abnahme ist oft, wenn 
man von den Fällen absieht, in welchen sich Oedem entwickelt, eine ganz 
rapide, und bei Durchsicht der Carcinomfälle aus der Würzburger Klinik 
konnte ich mehrmals eine tägliche Abnahme von 500 bis 600 g constatiren, 
also Zahlen, wie sie Leyden bei Fiebernden gefundon hat, und sogar höher 
als bei manchen ganz abstinirenden Geisteskranken. — Ferner ist von Be¬ 
lang das Verhalten des Blutes. Bei Ulcus ist mit Ausnahme einiger 
seltener Fälle von gleichzeitiger Chlorose und Anämie das Blut vollständig 
normal. Bei Carcinom dagegen habe ich in einer grösseren Anzahl von 
Fällen eine oft sehr bedeutende Verminderung der Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen (bis auf I 300 000) und eine Vermehrung der Leukocyten gefunden. 
Das Verhältniss der weissen zu den rothen Blutzellen kann bis auf 1 : 90, ja 1: 60 
steigen. Diese Thatsachen lassen sich meist schon bei einfacher mikro¬ 
skopischer Betrachtung eines Blutpräparats erkennen, und es ist keineswegs 
immer eine umständliche Zählung nothwendig. Eine Ausnahme von dieser 
Regel findet sich in jenen Fällen, bei welchen in Folge hochgradiger Stenose 
des Oesophagus oder des Pylorus die Wasserresorption nothleidet; bei 
diesen kommt es zu einer Eindickung des Blutes und zu einer Vermehrung 
der Blutkörperchen auf 4 800 000 bis 5 Millionen. — Albuminurie, 
welche sich bei Ulcus ventriculi nur ganz ausnahmsweise findet, ist bei 
Carcinom viel häufiger als man gewöhnlich annimmt. Auf der Gerhardt- 
schen Klinik fand sich dieselbe in etwa der Hälfte aller Carcinomfälle wenig¬ 
stens vorübergehend verzeichnet. Schliesslich kommt bei Ulcus fast nie 
Diarrhoe vor, während dieselbe bei Carcinom des Magens hauptsächlich in 
den späteren Stadien ein sehr häufiges Vorkommniss bildet, dieselbe dürfte 
wohl meistens als septische Diarrhoe aufzufassen sein. 

Herr Rosenheim: Die Zahlen, die hier vorgebracht sind, möchte 
ich als einen Beweis für eine vermehrte HCl-Secretion des Magens doch 
nur bedingt gelten lassen, da der Milchsäurewerth gar nicht festgestellt 
worden ist! Dass aber nicht unbeträchtliche Mengen von Milchsäure gerade 
in den späteren Verdauungsstadien sich ganz dem Nachweis durch Farben¬ 
reactionen entziehen, ist genugsam bekannt. Will man also einwurfsfreie 
Zahlen erhalten, so muss man nach dem Cahn-v. Mering’schen Verfahren 
die Säuren trennen und einzeln bestimmen. Diese Methode habe ich selbst 
gewählt. Da ferner die Art der eingeführten Ingesta die Secretionsenergie 
mitbestimmt, so ist es nicht gleichgiltig, was für eine Probemahlzeit man 
anwendet. Mir schien es am empfehlenswerthesten, eine combinirte Kost, wie sie 
Riegel empfiehlt, und wie sie ja auch sonst der Magen gewöhnlich zu bewäl¬ 
tigen hat, zu verabreichen: Dieselbe bestand aus CO—80 g Beefsteak, 50 g 
Weissbrod, 300 g Suppe. Nach ca. vier Stunden wurde dann ausgehebert. 
Endlich halte ich es nicht für unwesentlich, wenn man vergleichbare Re¬ 
sultate erhalten will, dass man durch Durchspülen mit etwas warmem 
Wasser sich vor der Probemahlzeit vergewissert, ob der Magen auch leer 
ist. Ich fand nun bei gesunden Individuen, die in dieser Weise untersucht 
worden waren, die HCl-Menge auf der Höhe der Verdauung zwischen 2,4 
und 3,3 p. m. schwankend. Unter gleichen Cautelen wurde bei acht Pa¬ 
tientinnen mit unzweifelhaftem Ulcus gefunden: 2 Mal bei jeder Analyse 
ein Werth über 3,3 p. m., 4 Mal Werthe, die in den oben bezeichneten, 
wie ich meine, normalen Grenzen schwankten, 2 Mal Verminderung des 
HCl-Gehaltes bis 1,8 resp. 1,6 p mille. Ich kann also nicht die von anderer 
Seite, insbesondere von Riegel behauptete Constanz der Hyperacidität 
bei Ulcus bestätigen und nähere mich den Resultaten, die die Herren 
Gerhardt und Müller gewonnen haben. 

Die beiden Patientinnen mit ausgesprochener Hyperacidität waren 
äusserst sensible Individuen, die eine stark anämisch. Bei beiden war 
Argent. nitr. in capsul. gelat. 0,06 2 Mal pro die angewendet worden, und 
war bei der einen ein deutlicher Erfolg zu verzeichnen, indem Schmerzen 
und Brechreiz nachliessen; ich hatte dabei den Eindruck, als wirke das 
Arg. nitr. durch oberflächliche Anätzung der Schleimhaut, in Folge deren 
die Reizbarkeit herabgesetzt wird. Was die beiden Patientinnen betrifft, 
bei denen HCl vermindert war, so handelte es sich um chlorotische Indi¬ 
viduen (15 und 22 Jahre alt), deren Magenbeschwerden durch Regelung der 
Diät und Eisen erheblich gebessert wurde. 

Uebrigens sind ähnliche Befunde, wie ich sie hier vorbringe, bereits 
vor einem Jahre von Ritter und Hirsch in einer ausführlichen Arbeit 
aus der Leube’schen Klinik mitgetheilt worden. Auch diese Autoren 
fanden durchaus nicht die Hyperacidität als constantes Symptom des Ulcus 
rot., auch constatirten sie bei Chlorose und Anämie, Zuständen, die er- 
fahrungsgemäss am meisten zu Geschwürsbildung prädisponiren, Verminde- 
iung von HCl. Es erscheint ihnen danach die Hypothese Riegel’s, dass 
die Hyperacidität ein steter Begleiter, ja sogar Vorläufer des Ulcus sei, mit 
gutem Grunde nicht haltbar. 

Herr Schäffer: Ich möchte meine Methode vertheidigen. Ausser der 
von Herrn Guttmann angegebenen Methode der Milchsäureprüfung wurde 
noch eine zweite verwendet, die noch etwas feiner ist. Die erste ist die 
Uffelmann’sche, die zweite die Liquor ferri-Probe, sie ist erheblich feiner 
und giebt auch nicht den Fehler, dass Rohr- oder Traubenzucker auch die 
Reaction hervorrufen soll; */ao pro Mille ist damit noch deutlich nachweisbar. 
Selbst wenn man diese Fehler in Betracht zieht, würden sich die Zahleu 
erst in den vierten Decimalen ändern. Der negative Ausfall der Milch- 
säurereactionen beweist daher wohl das Fehlen von irgendwie in Betracht 
kommenden Mengen von Milchsäure. 

Herr Rothmann: Ich möchte auf die Bemerkung des Herrn Ger¬ 
hardt, dass erhebliche Zunahme des Körpergewichtes auf eingetretene 
Heilung schliessen lasse, auführen, dass ich viele Patienten gehabt habe, 
die nach vollendeter Cur lange Zeit sich wohlbefanden, blühend aussahen. 
Dann trat doch durch Diätfehler etc. wieder Blutbrechen auf. Sodann 
würde ich Herrn Gerhardt sehr dankbar sein, wenn er auch über die 
Differentialdiagnose zwischen Ulcus ventriculi und Ulcus duodenale einiges 
ausführen wollte. 

Herr Gerhardt: Zunächst freue ich mich sehr, mit Herrn Guttmann 


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442 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 


iu den meisten Punkten übereinzustimmen. Was die Bedeutung des HC1- 
Gehalts für die Diagnose betrifft, so sagte ich ja auch: Gerade iu diesen 

Fällen.schützt die Feststellung des Säuregehalts vor pessimistischen 

Deutungen, also in gewissen Fällen, das sind die Fälle von grösseren Tu¬ 
moren, die von benachbarten Organen gebildet sind, und die Fälle von Ge¬ 
schwulstbildung durch Exsudate, die an der Aussenseite des Magens ange¬ 
lagert sind. In diesen Fällen habe ich gesehen, dass in der That die 
Untersuchung des Mageninhalts eine falsche Deutung verhüten kann, die 
des Carcinoms. Dann habe ich gesehen, dass bei Pylorusstenose, das ist 
der ursprüngliche Satz von van der Velden, allerdings ein reichlicher 
Gehalt an Säure für das Magengeschwür spricht. Ich möchte die neueren 
Untersuchungen nicht gänzlich unterschätzen, nur vor zu grosser Sicherheit 
in ihrer Verwerthung möchte ich warnen. Seitdem ich diesen Vortrag ge¬ 
halten habe, sind von mehreren Seiten einzelne Fälle veröffentlicht, in denen 
bei ausgesprochenem Ulcus der HCl-Gehalt nicht erhöht, sogar vermindert 
war. Jedenfalls darf ich mich auf die Analyse von Cahn-v. Me ring stützen. 
Die Uebereinstimmung zwischen mir und Herrn Guttmannn wird auch 
dadurch hergestellt, dass HerrSchäffer 10 Fälle erwähnt hat, die ich nicht 
anzweifeln will, in einem Falle war in Folge von Oxalsäurevergiftung Magen¬ 
geschwür entstanden, bei einem Manne, der vorher Trinker war, und der 
HCl-Gehalt war vermindert, also haben Sie auch eine solche Erfahrung. 
Diese Ausnahmen werden aber bei dem diagnostischen Calcul immerhin zu 
berücksichtigen sein. Was das Arg. nitr. betrifft, so habe ich ja auch nur 
sagen können und gewiss auch gesagt, dass, wenn man HCl an Arg. bindet, 
dass dann HNO 3 frei wird und dass diese in gewissen Fällen durch den 
Eiweissgehalt des Mageninhalts gebunden werde, und habe den Beweis dafür 
durch einen Versuch beigebracht und werde sehr gern bereit sein, wenn 
dieser Versuch mit andereu Resultaten angestellt wird, zuzugestehen, dass er 
nicht richtig sei; vorläufig möchte ich aber noch das Wegfallen der Farb- 
reaction nach Ag-Zusatz als beweiskräftig ansehen, ich habe auch gesagt, 
dass nicht blos Ag diese Wirkung habe, sondern auch noch andere Mittel. 
Hier muss ich also von meinen Herren Collegen etwas differiren. Die Be¬ 
deutung des Körpergewichts ist gewiss für die Diagnose eine sehr wichtige, 
auch für die Diagnose der erfolgten Heilung, allein auf diese Zunahme 
würde ich wohl die Diagnose der Heilung nicht stützen. Ich darf auch in 
der Beziehung auf meinen Vortrag verweisen. In Bezug auf die Differential¬ 
diagnose von Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni sind schon die ätiologischen 
Verhältnisse von Bedeutung, in vielen Fällen trat Ulcus duodeni nach aus¬ 
gedehnten Hautverbrennungen auf. Wenn also Beschwerden wie nach 
Magengeschwür nach solchen Zuständen sich entwickeln, so wird das von 
vornherein für Ulcus duodeni sprechen. Der Zeitpunkt des Eintretens der 
Schmerzen ist ferner in manchen Fällen entscheidend, in manchen Fällen 
beginnen die Schmerzen 4 — 6 Stunden nach der Mahlzeit, dann ist Ulcus 
duodenale anzunehmen. Der Sitz ist mitunter auch von Bedeutung, bei 
Duodenalgeschwür finden sich öfter Rückenschmerzen, öfter auschliesslich 
diese. Sehr heftige, längere Zeit nach der Nahrungsaufnahme auftretende 
Rückenschmerzen glaube ich so verwcrthen zu können. Ferner kommt in 
Betracht die Nichtabhängigkeit des Schmerzes von der Körperlage. Aus¬ 
nahmen giebt es auch da. Es giebt auch Fälle von Ulcus ventriculi, wo 
dies so ist, z. B. in der Nähe der Cardia. Ich würde aber die Nichtunab¬ 
hängigkeit von der Körperlage doch eher zu Gunsten von Ulcus duodeni 
verwerthen. Endlich das Verhalten der Blutung. Blutung, die nur in den 
Fäces zum Vorschein kommt, die gar nicht als Blutbrechen erscheint, spricht 
eher für Ulcus duodeni. Das ist wichtig für ein Ulcus, das entweder auf 
dem Pylorusring sitzt, da kommt dies Verhalten oft vor, oder bereits im 
Duodenum. In manchen Fällen wird die Unterscheidung keine sichere sein, 
ich besinne mich aber auf ziemlich viel Fälle, in welchen auf die erwähnten 
Kennzeichen ein Ulcus duodeni angenommen werden konnte und die An¬ 
nahme auch gerechtfertigt wurde. 

2. Herr Senator: Uober multiple Neuritis und Myositis. 
(Der Vortrag wird demnächst in extenso mitgetheilt werden.) 


vm. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 16. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

Herr Ilenoch begrüsst mit kurzen Worten Herrn Virchow, der, von 
seiner Reise nach Egypten und Griechenland zurückgekehrt, den Vorsitz in 
der Gesellschaft wieder übernommen hat. Die Gesellschaft ehrt ihren Vor¬ 
sitzenden durch Erheben von den Sitzen. 

1. Discussion über den Vortrag des Herrn Senger: Ueber degene- 
ratlve Einwirkungen unserer üblichen Antimycotica auf die Parenchym- 
organe mit besonderer Berücksichtigung der Nierenchirurgie. 

Herr J. Israel hält die Resultate des Herrn Senger, namentlich so¬ 
weit dieselben sich auf das Jodoform beziehen, für beachtenswerth, insofern 
dieselben mit den früher publicirten experimentellen und klinischen That- 
sachen übereinstimmen. Alle früheren Untersucher konnten durch Einver¬ 
leibung von Jodoform degenerative Processe in den inneren Organen bei 
Tliieren erzeugen. Ebenso zahlreich sind die Sectionsbefunde, welche die 
anatomische Grundlage für die Erscheinungen der Vergiftung mit Jodoform 
abgeben. Auch klinisch sind bereits vielfach die Einwirkungen des Jodo¬ 
forms auf die Nierenthätigkeit erkannt worden, theils als Albuminurie, theils 
als der Syroptomencomplex der diffusen Nephritis. Standen somit auch die 
Thatsachen bereits fest, so hält Herr Israel es doch für nicht minder 
dankenswert!), dass von neuem einmal auf Grund genauer Experimente ein 
Warnruf ergangen ist, diese Stoffe vorsichtig anzuwenden. Allerdings 
möchte Herr Israel nicht ganz soweit in den Consequenzen gehen, wie Herr 
Senger, wenn er auch andererseits der Ansicht ist, dass die antiseptischen 
Maassnahmen mit der Zeit eine erhebliche Milderung erfahren dürften. 
Praktische Schritte sind bereits in dieser Richtung von Neuber gethan, 


und die Resultate von Koeberlö und Lawson Tait lehren, dass man in 
der That von einer Application der Antiseptica auf frische Wunden Abstand 
nehmen kann. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass man bei frischen Wunden 
in nicht inficirten Geweben einer direkten Desinfection nicht bedarf, sofern 
nur dafür Sorge getragen wird, dass die Haut, die Hände, Instrumente, 
kurz Alles, was mit der Wunde in Berührung kommt, sorgfältig desinfleirt 
wird. Anders aber ist es, wenn es sich um die Verhinderung des Fort- 
schreitens bereits stattgehabter Infectionen oder um Wunden handelt, die 
z. B. in einem Zusammenhang mit dem Rectum oder mit anderen Orten 
stehen, von wo aus eine Infection zu befürchten ist. — Seine Hypothese 
der reflectorischen Anurie hält Herr Israel dem Vortragenden gegenüber 
aufrecht. Was Herr Senger in Bezug auf diese gesagt hat,^sei als irrtbüm- 
liche Auffassung von I.’s Anschauungen zu bezeichnen. Denn I. habe sich 
gerade in Beziehung auf die Unterdrückung der Hamsecretion nach der 
Nierenexstirpation dahin geäussert, dass es sich bei diesen Fällen um ein 
zu complicirtes Zusammenwirken verschiedener Factoren handele, um sie 
mit Sicherheit für den Beweis einer Reflexanurie zu verwerthen. Diejenigen 
Fälle, für welche I. eine reflectoriscbe Entstehung der Anurie behauptet 
und wahrscheinlich gemacht hat, haben nicht die geringste Beziehung zu 
dem von Herrn Senger behandelten Thema der giftigen Einwirkung anti¬ 
septischer Stoffe, denn sie betreffen die Sistirung der Hamsecretion in Folge 
von einseitiger Nierensteineinklemmung bei Individuen, welche nie operirt 
worden sind und niemals irgend welche Berührung mit antimycotiscben 
Mitteln gehabt haben. 

Herr E. Küster. Die Ausführungen des Herrn Senger könnten fast 
den Eindruck hervorrufen, als ob die Chirurgie eine Reihe von antiseptischen 
Mitteln in Anwendung zöge, ohne die Gefahren zu beachten, welche mit 
denselben verknüpft sind. Bis zu einem gewissen Grade ist das allerdings 
früher geschehen, und es wird dies erklärlich, wenn man berücksichtigt, 
dass die Einführung dieser Mittel in eine Zeit fiel, in welcher alle Chirurgen 
unter dein Eindruck der schlechten Resultate der vorantiseptischen Periode 
standen in welcher sie gleichsam geblendet waren durch die Erfolge der anti¬ 
septischen Wundbehandlung, so dass sie über manche ungünstigen Eigen¬ 
schaften der Antiseptica hinwegsahen. Aber man darf andererseits auch nicht 
das Kind mit dem Bade ausschüttcn. Es würde ein gefährliches Unternehmen 
sein, die Vortheile, die grosse Sicherheit, welche die antiseptische Wund¬ 
behandlung gewährt, in einem nicht unwesentlichen Theil ihres Bestandes 
aufzugeben, um dafür eine unsichere Behandlungsmethode einzutauschen. Zwei¬ 
fellos sind wir ausserdem in der Lage, bis zu einem gewissen Grade die Gefahren 
zu vermeiden, welche mit der Anwendung der Antimycotica verknüpft sind. Die 
Art der Anwendung der antiseptischen Spülflüssigkeiten in der Chirurgie 
ist eine andere, wie Herr Senger sie geschildert hat. Es dürfte wenige 
Chirurgen geben, welche während der Operation das Operationsfeld massen¬ 
haft mit Sublimatlösung überschwemmen. Die meisten Chirurgen dürften 
vielmehr so wie der Redner verfahren, dass nämlich, nachdem der erste 
Schnitt gemacht, das Sublimat nur noch einmal zum Schluss der Operation 
angewandt wird in einer Form, dass ein längeres Verweilen in der Wunde 
gänzlich ausgeschlossen ist und von einer wesentlichen Resorption gar keine 
Rede sein kann. Mit ähnlicher Vorsicht verfährt Reduer bei der Anwen¬ 
dung des Jodoforms. Wäre dies Verfahren so gefährlich, wie Herr Senger 
meint, dann müssten die Erfahrungen der Chirurgen mehr Anhaltspunkte 
dafür ergeben. Herr Küster hat seit sechs oder sieben Jahren keine schwere 
Jodoformintoxicationen mehr gesehen, und wenn einmal eine leichtere Form 
derselben auftreten sollte, so ist man bei rechtzeitiger Beachtung der 
Symptome im Stande, dieselbe zu eliminiren, indem man jede Art von Jodoform¬ 
behandlung aussetzt. Ebenso ist Herrn Küster eine das Leben des Pa¬ 
tienten gefährdende Sublimatintoxication seit Jahren nicht mehr vorgekommen. 
Selbst bei Anwendung der neuerdings von v. Bergmann empfohlenen sauren 
Sublimatlösungen dürften bei der nöthigen Vorsicht die Gefahren, die sich 
hier allerdings steigerten, zu vermeiden sein. 

Herr Senger hat die reflectoriscbe Anurie nicht geleugnet, sondern 
nur davor gewarnt, dieselbe bei Operirten, die an Urämie gestorben sind, 
anzunehmen, bevor man alle Möglichkeiten erschöpft habe. Eine solche Möglich¬ 
keit, die Degenerationen der Nierenepithelien nach Anwendung unserer Anti¬ 
mycotica habe Senger angegeben. Durch diese Degenerationen lassen sich 
manche dunkle Todesfälle der Chirurgie erklären. Freilich sei die Unter¬ 
suchung solcher Nieren nicht gerade leicht, und daher sei nicht genug die 
Mahnung Virchow’s zu beherzigen, die Präparate frisch zu untersuchen- 
— Die Klinischen Symptome dieser von Senger sog. Degenerations - 
urämie im Gegensatz zu Israel’s reflectorischer Anurie lassen sich 
dadurch erklären, dass durch das Passiren der Gifte durch die Nieren, dieses 
Entgiftungsorgan, die Epithelien in den höchsten Graden abgetödtet und 
functionsunfähig werden. Dadurch bleiben im Körper zurück 1) die physio¬ 
logischen Endproducte der Eiweissverbrennung, 2) die Antimycotica, welche 
für sich schon eine Einwirkung auf das Gehirn ausüben. Daraus resultirt 
klinisch also ein Bild, das an Urämie erinnert, aber doch von ihm unter¬ 
schieden ist, d. i. eine modificirte Urämie. Auch bei vielen anderen 
Mitteln, welche durch Krämpfe den Tod herbeiführen, stellt die Niere immer 
das Verbindungsglied zwischen Vergiftung und Krämpfen dar. Die Richtig¬ 
keit dieser Erklärung erhellt aus folgenden Experimenten: Ein Thier, dem 
eine Niere exstirpirt ist, stirbt durch viel geringere Dosen der Antimycotica, 
als ein Thier mit zwei Nieren. 

Was die Beschränkung der Antimycotica betrifft, so ist Herr Senger er¬ 
freut, dass Herr Israel fast völlig mit ihm übereinstimme. Auf die Bemerkungen 
des Herrn Israel, wie viel durch seine Untersuchungen Neues geschaffen und 
wie viel Altes sei, will Herr Senger hier nicht eingehen, sondern in einer spä¬ 
teren grösseren Arbeit. Bis jetzt aber hat noch Niemand die Antimycotica vom 
anatomisch-chirurgischen Standpunkt im Zusammenhang geprüft, und insbe¬ 
sondere kaum die Veränderungen auf minimale Dosen an lebenden Thieren 
naebgewiesen, und das sei die wichtigste Thatsache. Indess sei die ganze 
Frage der reflectorischen Anurie nur von secundärem Interesse für die Frage 
der Antimycotica. Herr Senger bleibt trotz der Ausführungen Küster’s 


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31. Mai. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


443 


principiell auf seinem Standpunkte stehen: Er theilt die gesammten Opera¬ 
tionen in 2 Gruppen: 1) diejenigeu, hei denen starke Antimycotica, 2) die, 
bei denen schwache Mittel (Borsäure) angewandt wurden. Zu der ersten 
Gruppe gehören die minder gefährlichen Operationen, zu der zweiten die 
gefährlichen der Bauch- und Brusthöhle. Eine Prüfung dieser Lösungen 
auf die Eitercoccen ergiebt, dass die starken Lösungen die Bedingungen, 
auf Grund deren sie eingeführt sind, nach einer gewissen Einwirkang er¬ 
füllen, dass dagegen die schwachen dies nicht thun, d. h. die Eitercoccen 
nicht tödten. Trotzdem würde gerade ein Fehler iu der Antiseptik bei 
dieser zweiten Gruppe leicht den Tod herbeiführen. „Hier, wo wir die 
starken Lösungen anwenden müssten, da können wir es wegen der hohen 
Degenerationsgefahr nicht thun, und dort, wo sie nicht so nöthig sind, da 
wenden wir sie an.“ Um einen Eiterpilz in der Bauchhöhle zu vernichten, 
genüge keineswegs die Ausspülung mit Borsäure 4%, sondern man könnte 
den Menschen vier Tage lang in diese Lösung legen, ohne Erfolg. Da trotz¬ 
dem gerade in der Bauchchirurgie unsere Erfolge die besten seien, so schliesst 
Herr Senger, dass man auch mit sterilisirtem Wasser dieselben Re¬ 
sultate erreichen werde. Einerseits habe man sich fälschlicher Weise 
vorgestellt, man könne ein menschliches, lebendes Gewebe desinficiren, was 
nach Senger eine Unmöglichkeit ist, und andererseits habe man die vitale 
Energie der Zellen, den zuerst von Virchow urgirten Kampf der 
Zellen mit den Bacterien, zu gering angeschlagen. Diese vitale Energie 
erhelle am besten aus den Misserfolgen bei Diabetes, Tabes, Syphilis und 
anderen erschöpfenden Krankheiten, wo es trotz der schärfsten Antimycotica 
oft nicht gelinge, die Eiterung zu verhüten. — Da wir nur todte Gegen¬ 
stände desinficiren können, so sei die strengste Desinfection der In¬ 
strumente, des Saales, alles dessen, was mit dem Patienten in C'ontact 
komme, besonders der Haut des Patienten, die fast nichts resorbire, geboten, 
sobald aber bei reinen Wunden der erste Schnitt durch die 
Haut gemacht sei, müssen die Mittel fern bleiben. 

Diese Forderungen, principiell wichtig, haben bis jetzt gleichsam nur 
theoretischen Werth. Die Praxis müsse entscheiden, ob und wie weit die¬ 
selben zu verwerthen seien. Herr Senger würde z. B. heute eiue Zungen¬ 
amputation nicht ohne Jodoformgazetamponade behandeln, weil durch dieselbe 
die Mortalität von 50 bis etwa 5°/ 0 herabgedrückt sei, und so werde die 
Praxis eine Reibe von Fällen ergeben, bei denen nicht ohne Antimycotica 
auszukommen sei, doch das seien Ausnahmen. Die Regel sei, dass unsere 
antimycotischen Mittel gefährlich und zu vermeiden seien. 

Herr Th. W e y 1: Zir Kenntnis« der erlaubten Farben. Seit der ersten 
Mittbeilung des Herrn Weyl über die Giftigkeit des Dinitrokresol (s. d. 
Wochenschr. 1887 No. 45) erschien eine Notiz eines Dinitrokresol-Fabri- 
kanten, welche die Resultate des Herrn Weyl zu bestreiten versucht. Herr 
Weyl nimmt deshalb Gelegenheit, an der Hand neuer Thierversuche seinen 
früheren Standpunkt zu vertreten, und zwar hat er neuerdings den fraglichen 
Farbstoff nicht nur per os einverleibt, sondern denselben auch zu subcutanen 
Injectionen verwandt, wobei sich von neuem das Resultat ergab, dass 60 mg 
pro Kilo Thier, unter die Haut gebracht, ganz analoge Vergiftungserschei¬ 
nungen beim Hunde hervorbrachten, wie Herr Weyl sie früher beim Ka¬ 
ninchen beschrieben hat. Von weit erheblicherem Gewicht ist aber der von 
Bremerhaven aus mitgetheilte Vergiftungsfall einer Frau, die für 15 Pfennige 
Safran aus der Apotheke holen liess — ein Mittel, das in vielen Gegenden 
zum Abtreiben der Leibesfrucht benutzt wird —, statt dessen aber Safran¬ 
surrogat erhielt und einnahm. Die Dosis dürfte nach der Berechnung des 
Herrn Weyl etwa 3,25 g betragen haben. Die Frau ging unter Vergiftungs- 
erscheinungen zu Grunde, und die chemische Untersuchung, welche Herr 
Weyl vorzunehmen Gelegenheit hatte, ergab eine Substanz, die genau iden¬ 
tisch war mit einem der verschiedenen Dinitrokresolpräparate, welches sich 
in der Sammlung des Herrn Weyl befindet. Thier versuche lehrten, dass 
die in der Leiche aufgefundene Substanz gleiche toxische Eigenschaften zeigte, 
wie das Dinitrokresol, welches Herr Weyl zu seinen früheren Versuchen ver¬ 
wandt hat. Es dürfte somit feststehen, dass jener Vergiftungsfall in der 
That durch Dinitrokresol veranlasst ist. 

3. Herr Jensen demonstrirt Gehirnpräparate von einem epileptischen 
Idioten mit enormem Hydrops des unteren und hinteren linken 
Hornes. 


IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

SitzuDg am 10. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Schede. Schriftführer: Herr Schraal- 
fuss, später Herr Sick. 

1. Wahl des Vorstandes für das erste Halbjahr 1888. 

Zu Vorsitzenden werden Herr Schede und Herr Cur sc h- 
ra'ann, zu Schriftführern Herr Sick und Herr Nonne erwählt. 

2. Herr Fraenkel: a. Ueber Sublimat-Enteritis. M. H.! Den 
Anlass zu meiner ersten heutigen Mittheilung bietet eine Demon¬ 
stration Virchow’s in der letzten vorjährigen Novembersitzung der 
Berl. med. Gesellsch. über „Sublimat-Enteritis* 4 und die sich an¬ 
schliessende Discussion, soweit sich an derselben ein früherer Assistent 
Ponfick’s, Herr Senger, betheiligt hat. 

Es ist einem Theil von Ihnen wohl noch erinnerlich, dass ich 
vor jetzt 2 Jahren den gleichen Gegenstand hier zur Sprache ge¬ 
bracht habe, und ich kann mich daher, unter Hinweis auf meinen 
damaligen, zudem in Virch. Arch. XIC, p. 276 ff. publicirten Vor¬ 
trag, heute darauf beschränken, das Wesentlichste zu resumiren. — 
Ich batte darauf hingewiesen, dass die äussere Sublimatau¬ 
wendung (bei der Wundbehandlung), namentlich bei in derEr- 
nährnng heruntergekommenen Individuen und besonders 
wenn grössere KörperflächeB mit dem Medicament in Be¬ 


rührung kommen, zu oft schweren diphtheritischen Er¬ 
krankungen des Dickdarms Anlass giebt; diese treten um 
so dichter auf, je grösser das Resorptionsverraögen des 
betr. Körperabschnitts ist, wie z. B. des Peritoneum (bei 
Laparotomieen) oder der Innenfläche des puerperalen Uterus 
(bei Ausspülungen desselben). Die auftretende Entzünduug betrifft 
zuerst den Dickdarm, nur ausnahmsweise wird auch das 
lleum, jedoch nie ohne gleichzeitiges Befallenwerden 
des Dickdarms ergriffen. Die auatomischen Veränderungen am 
Darm decken sich mit den von der Darmdiphtherie auf dysen¬ 
terischer Basis her bekannten. 

Virchow hat, ohne auf diese Mittheilungen Bezug zu nehmen, 
bei seiner Demonstration alle diese Punkte bestätigt und insbeson¬ 
dere auf die Schwierigkeit resp. Unmöglichkeit einer differentiell¬ 
diagnostischen Unterscheidung der Sublimatenteritis von den dys¬ 
enterischen Veränderungen hingewiesen. 

Im Anschluss daran machte Senger auf einen seiner Ansicht 
nach im Sinne einer Sublimatvergiftung zu verwerthenden Befund 
aufmerksam, dessen ursprüngliche Erwähnung er irrthümlicher 
Weise mir zuschrieb, ein Befund, der sich bezieht auf das Vor¬ 
kommen von Kalkablagerungen in den Nieren. Virchow 
warnte, iu Erwiderung aufSenger, davor, diesem auch sonst häufigen 
Befund Bedeutung beizulegen, und sprach damit das aus, was auch 
ich in meinem Vortrage gegenüber Dahl, welcher zuerst auf diese 
Kalkablagerungen hingewiesen hat, betont habe, dass „man diesen 
Zuständen auch sonst keineswegs selten begegnet, ohne dass man 
jedesmal in der Lage wäre, eine genügende Erklärung für ihr Er¬ 
scheinen abzugeben.“ (1. c. 278.) 

In der auf die Virchow’sche Demonstration folgenden Sitzung 
kam Senger auf den Nierenbefund nochmals zurück, legte mikro¬ 
skopische Schnitte einer kalkhaltigen, von einer localen Sublimat¬ 
vergiftung stammenden Niere vor und erklärte, dass die von mir 
aufgestellte Behauptung in Betreff des häufigen Vorkommens solcher 
Kalkinfarkte bei den verschiedenartigsten Zuständen thatsächlich 
unrichtig sei. Ich halte es für meine Pflicht, diese Aeusserung 
auf’s allerentschiedenste zurückzuweisen und will Ihnen 
zum Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung nur 2 Nieren 
vorlegen, von denen sich namentlich die eine durch ausserordentlich 
massige Kalkinfarkte auszeichnet; sie stammt von einem Phthisiker, 
dessen Nieren übrigens absolut gesund waren. Die 2. Niere fand 
ich bei einem an Abdomiualtyphus verstorbenen jugendlichen Indi¬ 
viduum mit ganz gesunden Nieren, eine 3. gleichfalls bei einem 
auf der Höhe des Typhus zu Grunde gegangenen Manne, eine 4. 
endlich heute bei der Section eines nach complicirter Unterschenkel 
fractur an Sepsis (ausserhalb des Hospitals) zu Grunde gegangenen 
Mannes. 

In allen diesen Fällen handelte es sich um sonst 
völlig gesunde Nieren bei Individuen, die weder inner¬ 
lich noch äusserlich mit Sublimat oder irgend einem 
anderep Hg-Präparat behandelt worden waren. Wenn 
das aber zutrifft, und ich hoffe, Herr Senger wird auch noch Ge¬ 
legenheit haben, ähnliche Beobachtungen zu machen, dann be¬ 
rechtigt der Befund von Kalkablagerungen in den Nieren 
nicht dazu, ihn im Sinne einer vorangegangenen Subli- 
matintoxication zu verwerthen, um so weniger, als, wie 
ich aufs Bestimmteste versichern kann, ich in keinem der von 
mir obducirten Fälle von typischer Sublimatenteritis 
Kalkinfarkte in den Nieren angetroffen habe. (Beiläufig 
bemerkt sind seit Februar 1886 keine derartigen Fälle im hiesigen 
allgemeinen Krankenhause zur Section gelangt.) Ich möchte diese 
Gelegenheit benutzen, um auf eine seit lange bekannte, in jener 
Discussion von Liebreich mit Recht wieder betonte Thatsache 
hinzuweisen, dass nämlich nicht dem Sublimat allein, sondern auch 
allen anderen Hg-Präparaten eine ähnliche Wirkung auf den Darm 
zukommt, und lege Ihnen zum Beweis den Darm eines 6jährigen 
Knaben vor, welcher wegen Meningit. cerebro-spin. epidem. mit Ca- 
lomel und Einreibungen von grauer Salbe behandelt war und nach 
4 wöchentlicher Erkrankung der Meningitis erlag; es waren in einem 
Zeitraum von 16 Tagen 2,1 Calomel und 24,0 graue Salbe ver¬ 
braucht worden. Sie werden sich überzeugen, dass auch hier der 
Process sich als ein schwer diphtherischer darstellt, auf den Dick¬ 
darm beschränkt ist, so dass Rectum c. Flexur. sigm. am iuteusivsten 
ergriffen sind, während die Affection gegen das Coecum hin ab- 
nimrat. Auch in diesem Falle erwiesen sich die Nieren völlig frei 
von Kalk. — 

In zweiter Linie erlaube ich mir, Ihnen eineu, wie ich glaube 
nach mehrfacher Richtung interessanten Befund zu unterbreiten, 
der sich auf das 

b. Vorkommen von Typhusbacillen in der Zungensohleim- 
haut bezieht Es ist mir schon seit geraumer Zeit aufgefallen, dass 
bei einem grossen Theil der Typhusleichen eiue mehr oder weniger 
hochgradige Anschwellung der Zungenbalgdrüsen besteht, und es 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 


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lag nahe, bei der Analogie im histologischen Bau dieser Gebilde 
mit dem des Follikelapparates im Darm auf die Anwesenheit von 
Typhusbacillen in der bezeichneten Zungengegend zu fahnden. 

Das vorliegende mit alkalischer Methylenblaulösung geffirbte 
Präparat wird Ihnen beweisen, dass in der That Typhusbacillen in 
der ihnen eigenthümlichen Anordnung, wie sie sie namentlich in 
Milzschnitten zeigen, auch in der Zunge Vorkommen, und zwar ohne 
dass sonst irgend welche schwerere, makroskopisch wahrnehmbare 
Veränderungen an der Zungenschleimhaut auffallen. Der betreffende, 
in der Submucosa gelegene Herd erscheint bei Betrachtung mit 
schwacher Vergrösserung, ganz analog wie die Bacillenherde in 
Typhusmilzschnitten, als dunkelblauer Fleck und löst sich bei 
Untersuchung mit Oelimmersion in eine grosse Zahl im Centrum 
dicht zusammenliegender Bacillen auf. Es handelte sich in dem 
betr. Falle um einen frischen Typhus, die Peyer’schen plaques im 
Stadium der Verschorfung. In drei anderen Fällen, wo bereits ge¬ 
reinigte Darmgeschwüre bestanden, gelang der Bacillennachweis in 
der Zunge nicht (weder durch Mikroskop noch durch Culturver- 
fahren). Ich beschränke mich für heute auf diese kurze Notiz und 
nehme, so verlockend dies auch ist, davon Abstand, Schlussfolge¬ 
rungen an diesen Befund zu knüpfen. (Schluss folgt.) 


X. Siebenzehnter Congress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie. 

Die Vorträge und Demonstrationen in den Vormittagssitznngen. 

Sitzung am 6. April. 

1. Herr Israel (Berlin) stellt zwei vor längerer Zeit operirte, vorzüglich 
geheilte Fälle von Rhinoplastik vor, einmal handelte es sich um Bildung 
einer Nasenspitze, die durch einen Hautlappen, aus dem oberen Theil der 
Nase beschafft wurde, dieser Defect wurde dann wieder durch einen Stirn¬ 
lappen mit Haut und Periost gedeckt. 

Herr Helferich (Greifswald) stellt gleichfalls einen Fall von Rhinoplastik 
mit Bildung der Nasenspitze vor, den er nach dem Verfahren von Thiersch 
operirt hat. 

Herr König (Göttingen) bespricht sein Verfahren bei totaler Rhinoplastik. 
Vor allen Dingen muss ein neues Knochengerüst geschaffen werden, alsdann 
muss der Hautlappen zur Bedeckung des Gerüstes in der richtigen Länge 
genommen werden, was nicht immer leicht zu treffen ist. Auf die Bildung 
einer Scheidewand muss man verzichten. 

3. Herr Wehr (Lemberg) hat Hunden stecknadelkopfgrosse Stücke von 
Carclnom in’s subcutane Gewebe Injiclrt. Vom 8. Tage an entwickelten 
sich kleine Knoten, die sich allmählich vergrösserten und carcinomatöse 
Structur darboten. Nach 8 Wochen waren sie verschwunden. Wehr legt 
Präparate von diesen Tumoren vor. 

Herr Bardeleben (Berlin) wundert sich, dass die angeblichen Carci- 
nome so spurlos verschwunden sind. 

Herr v. Bergmann (Berlin) hält gleichfalls erhebliche Zweifel in dieser 
Sache für berechtigt. 

3. Her^Thiersch (Leipzig): Intubation des Larynx nach O’Dwyer. 

Nach einem Ueberblick über die Geschichte dieses Verfahrens berichtet 
Thiersch über seine eigenen Erfahrungen mit der Methode in 32 Fällen 
von Diphtherie. Unter Intubation versteht man die Einführung einer Canüle 
in den Larynx vom Munde aus, die an den oberen Stimmbändern aufsitzt. 
In 14 der Fälle wurde nachträglich noch Tracheotomie nöthig, 3 heilten 
ohne dieselbe. Die Intubation kann die Tracheotomie ersetzen in Croup¬ 
fallen mit geringer Membranbildung, in denen das Vestibulum laryngis nicht 
geschwollen ist. Dagegen verschlucken die intubirten Kinder sich leicht, 
die Gefahr der Schluckpneumonie ist grösser, auch klagen sie öfter über 
Schmerzen, die auf die Canüle zu beziehen sind. Sodann ist bei diesem 
Verfahren ein Nachtheil, dass fortwährend ärztliche Aufsicht nöthig ist, 
während die Nachbehandlung Tracheotomirter einem geübten Wartepersonal 
überlassen werden kann. Die bei Weitem günstigeren Resultate der Intu¬ 
bation in Amerika sind auf die grössere Milde der dortigen Diphtheritisepi- 
demieen zu beziehen. 

Herr Rehn (Frankfurt a. M.) hat in 14 Fällen, die intubirt wurden, 4 
Heilungen erzielt, die Schluckbeschwerden waren bedeutend, Verschlucken 
der Canüle kam mehrfach vor, es besteht bei der Intubation die Gefahr, 
die Membranen in die Trachea hinabzustossen. Bei gangränöser Diphtherie 
widerräth Rehn das Verfahren. 

Herr Rose (Berlin) berichtet, dass man sich auch in Deutschland mit 
dem Katheterismus des Larynx beschäftigt habe. Der Procentsatz der Hei¬ 
lungen, die in Amerika mit der Intubation erzielt worden seien, betrage 
21 “/o, während er bei 2000 Tracheotomieen 27,8 ü /o sichere und complete 
Heilungen erzielt habe. 

4. Herr Thiersch (Leipzig). Ueber Transplantation. Thiersch stellt 
eine 62 jährige Frau, bei der er die Haut eines jungen Mannes auf einen grossen 
Defect an der Stirn mit Erfolg transplantirt hatte, der durch Entfernung 
eines Carcinoms entstanden war- Es hatte bereits an einer Stelle das 
Schädeldach perforirt. In einem zweiten vorgestellten Falle war die aus¬ 
gedehnte Wundfläche, die nach Entfernung eines Carcinoms der Lider, der 
Naso und der Wange entstanden war, durch Bildung eines Hautlappens von 
der Schläfe her in 8 Tagen geheilt. 

Herr So ein (Basel) wendet bei seinen Transplantationen 20 cm lange 
und 4 cm breite Hautstücke an, die er mit dem Mikrotomesser aus¬ 
schneidet, die Ränder der Stücke werden leicht übereinander geschoben. 

5. Herr Helferich (Greifswald). Partielle Resection der Symphyse. 
Helferich hat diese Operation bisher dreimal gemacht: 1) Wegen tuber- 


culöser Caries der Symphyse; 2) zur Exstirpation eines Blasenkrebses. Im 
dritten Falle han delte es sich um einen Patienten mit sehr starker Hyper¬ 
trophie des Mittellappens der Prostata. Patient starb 8 Tage post. op. 
Die übrigen Operirten konnten nachher sehr gut gehen. 

6. Herr Salzer (Wien). Resection des dritten Trigemlnusastes im 
Niveau des Foramen orale. Referent beschreibt die Methode nach derer 
in 2 Fällen von Trigeminus neuralgie operirte und für einige Monate Hei¬ 
lung erzielte. Nach der Operation blieben die Kaumuskeln gelähmt. 

Herr Schlange (Berlin) stellt zwei von Herrn v. Bergmann operirte 
Fälle vor, in denen die Neuralgieen nach der Operation völlig verschwun¬ 
den sind. 

Herr Mikulicz (Krakau) resecirt bei dieser Operation die obere Partie des 
Unterkiefers temporär und dringt daun leicht in eine trichterförmige Höhle, 
deren tiefste Stelle das Foramen ovale ist. Mau kann bei dieser Methode 
die einzelnen Zweige des Quintus unterscheiden und die Muskeläste 
schonen. 

Herr Krönlein (Zürich) macht die temporäre Resection des Proc. 
coronoides, unterbindet die Maxillaris interna und schont stets sorgfältig die 
Meningea media. Er hat nach der Operation nur geringfügige functionellc 
Störungen beobachtet. 

Herr Langenbuch (Berlin) bemerkt, dass man zur Resection des 
dritten Trigeminusastes auch dio Trepanation anwenden kann. 

7. Herr Lauenstein (Hamburg). Behandlung der Fraeturen des Eli* 
bogens. Lauenstein hat bei der Untersuchung einer Fractur des Proc. 
cubitalis humeri, die in Flectionsstellung behandelt und bei der das Ell¬ 
bogengelenk ankylosirt war post mortem gefunden, dass die Flection in 
der Höhe der Fractur, statt in der Höhe des Gelenks stattgefunden hatte. 
Seitdem wendet Lauenstein stets Extensionsstellung an. Bei den Schräg¬ 
brüchen der Trochlea hat die Flectionsstellung grosse Nachtheile, denn als¬ 
dann entsteht leicht ein Oubitus varus oder valgus, ebenso bei den 
Brüchen in T-Form. 

Herr König (Göttingen) hat seit Jahren schon die Extension bei 
Fraeturen des Ellbogens häutig angewendet, es ist indessen gefährlich, am¬ 
bulante Kranke mit dem Arm in dieser Stellung gehen zu lassen, oft ist 
man genöthigt, den Arm in Beugestellung zu immobilisiren. 

Herr Wagner (Königshütte) ist der Ansicht, dass man rein individuell 
verfahren müsse, z. B. bei Luxation des oberen Bruchstückes nach vorne 
kann allein die Hyperflexion die Verschiebung ausgleichen. 

Herr Bardenheuor (Cöln) meint, dass man bei der Extension auch 
die häufigen seitlichen Verschiebungen in Betracht ziehen und zu corrigircn 
suchen müsse. 

Sitzung am 7. April. 

1. Herr v. Wahl (Dorpat): Ueber Schädelfracturen. Wird auf eine 
elastische Kugel, wie sie der Schädel darstellt, ein Druck ausgeübt, so wird 
der Durchmesser, in welchem der Druck erfolgt, kleiner, der darauf senk¬ 
rechte grösser. In einem von diesen Durchmessern findet der Bruch statt. 
Ein im horizontalen Durchmesser stattfindender Bruch erfolgt durch über¬ 
mässige Verlängerung dieses Durchmessers von innen nach aussen. Darum 
ist bei diesen Brüchen die Tabula interna stärker verletzt als die externa. 
Diese bezeichnet v. Wahl als „Berstungsbrüche“. Die Brüche, welche im 
Meridian der Kugel erfolgen, entstehen durch Verkürzung des Durchmessers, 
durch Abplattung von aussen nach innen. Bei diesen entstehen Depressio¬ 
nen und beträchtlichere Verletzungen aussen. Das sind die „Beugungs¬ 
brüche“. Drittens kämen die Combinationen beider Formen. Ein lang¬ 
samer Druck comprirairt einen Durchmesser des Schädels und verlängert 
den auf ihm senkrechten, bis die schwächsten Punkte des letzteren nach¬ 
geben und bersten. So entsteht ein Berstungsbruch der Basis. Ist dagegen 
der Druck nicht sehr beträchtlich, aber rasch einwirkend, so kommt nur 
die Elasticität in der Nähe der Stelle der Einwirkung zur Geltung. So 
entsteht ein Depressions- oder Impressionsbruch oder auch eine Lochfractur, 
meist wirken Druck und Stoss zusammen. Die Eintheilung in direkte und 
indirekte Brüche verwirft v. Wahl. Die direkten entstehen durch Ver¬ 
kürzung, die indirekten durch Verlängerung eines Durchmessers, v. Wahl 
schlägt dafür die Namen „Beugungs- und „Berstungsbrüche“ vor. 

2. Herr Schlange (Berlin): Anatomische Veränderungen bei Prosta¬ 
tikern. Referent demonstrirt gefrorene Medianschnitte von Leichen mit 
Prostatahypertrophie. Der Mittellappen der Proslata theilt die Blase von 
vorn nach hinten in 2 Theile, dadurch liegt das Orificium int. urethrae 
höher als normal, ausserdem ist die Pars prostatica urethrae stark verlängert 
und stärker gekrümmt. Endlich räth Ref.- dringend vom Gebrauch metalle¬ 
ner Sonden bei Prostatahypertropbie ab. 

Herr König (Göttingen). Viele alte Leute haben ähnliche Blasenstörungeu 
wie die Prostatiker, aber ohne Prostatahypertrophie, bei der Section findet man 
den hinteren Blindsack der Blase stark ausgebildet trotz normaler Prostata. 
Das Bestehen dieses Blindsacks erklärt die Erscheinungen bei beiden Kate- 
gorieen. König nimmt die Metallsonden in Schutz, nur müssen sie sehr 
lang, stark gekrümmt und dick genug sein. König nimmt stets den 
möglichst stärksten Kaliber und schneidet zu dem Zweck oft das Orific. ext. ein. 

Herr Küster (Berlin) zieht dio Motallsonden vor, weil sie leichter zu 
desinficiren seien, selbst auf die Gefahr einer kleinen Wunde. 

Herr v. Bergmann (Berlin) empfiehlt die weichen Sonden, die sich 
sehr wohl ausreichend desinficiren lassen. Die Metallsonden führen oft zu 
schlimmen Zufällen. 

Herr So ein (Basel) bedient sich am liebsten weicher Sonden vom 
stärksten Kaliber (Charriere 30) und incidirt oft das Orific. ext. Das Becken 
muss zum Katheterismus erhöht gelagert werden. 

Herr Thiersch (Leipzig) weiss, dass die Kranken stets dio weiche 
Sonde voriehen. 

3. Herr Waldeycr (Berlin): Ueber die Anatomie der Region des 
Arcus pubis und der vorderen Blasen wand. Herr Waldeyer weist am 
Cadavernach, dass die von Langenbuch vorgeschlagene Sectio alta subpubica 
möglich ist, ohne die Vena dorsalis penis und dep Plexus Santorini zu ver- 


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31. Mai. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 445 


letzen, da die Beckenfascie sich mit einer ziemlich starken Lamelle fort¬ 
setzt und so die Penisgefässe schützt, ebenso den zu beiden Seiten der 
Blase gelegenen Plexus pudendalis. Auch er ist mit einem ziemlich dicken 
fibrösen Blatt bedeckt. 

4. Herr Neuber (Kiel): Modifteation der Seetlo alt*. Um die Ge¬ 
fahren der gewöhnlichen Methode zu vermeiden, schlägt Neuber vor, in 
2 Zeiten zu operiren. Zuerst wird der Medianschnitt durch Haut und sub¬ 
kutanes Gewebe bis auf die vordere Blasenwand geführt, dann Seidenfaden 
durch diese gelegt, deren Enden beiderseits mit Heftpflasterstreifen auf der 
Haut befestigt werden. Nach 6—8 Tagen wird die Blasenwand median 
incidirt, der Stein entfernt, die Sutur der Blase mit den Seidenfäden 
ausgeführt. Die Bauchwunde wird nach einigen Tagen durch Secundärnaht 
geschlossen. Die Operation in dieser Weise ist bisher sechsmal mit bestem 
Erfolg ausgeführt. 

Herr König (.Göttingen) hat die partielle Symphysenresection einmal 
wegen Blasenscheidenfistcl gemacht, der er nach dem Misslingen verschie¬ 
dener anderer Methoden von der Blase her beikommen wollte. Sie empfiehlt 
sich auch in einigen schwierigen Fällen von Sectio alta. 

Herr Rosenbach (Göttingen) hat die Methode gleichfalls zur Entfer¬ 
nung eines sehr grossen Blasensteins einmal mit Erfolg benutzt. 

Herr Trendelenburg (Bonn) glaubt, dass das Verfahren von Hel¬ 
fer ich, das er auch einmal wegen Blasenscheidenfistel anwandte, eine Zu¬ 
kunft hat, nur sind die geeigneten Fälle selten. 

Herr Helferich (Greifswald). Crede hat zuerst die Symphysenresection 
als ersten Act der Freund’schen Operation, die nach einigen Tagen nach¬ 
folgte, ausgeführt. 

Herr Flesch (Würzburg) macht auf gewisse Ausnahmen im anatomi¬ 
schen Verhalten der Blase aufmerksam, die die Gefahr, bei der Sectio alta 
die Bauchhöhle zu eröffnen, vermehren. Verkleinert sich das Volumen der 
Blase, so hebt sie bei der Füllung uas Peritoneum vorne nicht mehr auf, 
bleibt vielmehr von ihm in der ganzen Ausdehnung bedeckt. Alsdann em¬ 
pfiehlt sich das Verfahren von Langenbuch. 

Herr Trendelenburg (Bonn) verwirft das Verfahren von Langen¬ 
buch wie das von Neuber als complicirt. Er hat die Sectio alta in der 
üblichen Weise 40 mal ausgeführt, ohne Eröffnung der Bauchhöhle und ohne 
l T rininfiltration. 

Herr Langenbuch (Berlin) hält das Aufsuchen einer neuen Methode 
darum für berechtigt, weil die meisten Chirurgen die Sectio alta für eine 
gefährliche Operation halten. 

Herr v. Bergmann (Berlin) hält die Sectio alta für einfach und gefahr¬ 
los. den Versuchen von Langenbuch zollt er seine Anerkennung, die 
Methode von Neuber scheint ihm keine Vortheile zu bieten. 

5. Herr Alberti (Potsdam) stellt ein Kind vor, das er an Meningoeele 
der Beglo oceipit&lis operirt hat, nach vorheriger Punction. Der gleichzeitig 
vorhandene Hydrocepbalus verschwand nach der Operation, trat aber nach 
drei Wochen wieder auf. 

Herr v. Bergmann (Berlin) hat 2 Kinder mit Encephalocele, ohne 
gleichzeitigen Hydrocephalus operirt. Der eine Tumor, an der Nasenwurzel 
gelegen, enthielt einige Hirnwindungen, dem Kinde geht es gut, im zweiten 
Fall sass der Tumor am Hinterhaupt und enthielt keine Gehimsubstanz. 

I »ie Heilung erfolgte sehr rasch. 

6. Herr Köhler (Berlin): Verwundung des Nervus opticus durch 

einen Bevolverschuss. Herr Köhler stellt einen jungen Mann vor, dessen 
rechtes Auge nach einem Schuss in die Schläfe vollständig erblindete, der 
rechte Rectus int. und sup. sind gelähmt. Zu Anfang war der ophthalmo¬ 
skopische Befund normal, seitdem ist Opticusatrophie eingetreten. 

7. Herr Jul. Wolff (Berlin): Vorstellung eines Falles von operativer 
Vereinigung einer linksseitig durchgehenden Lippen« und Gaumen« 
spalte bei einem 5 Monate alten Kinde. 

Das vorgestellte Kind ist jetzt 9 Monate alt. Die Spalte ging in der 
gewöhnlichen Weise in die nach unten offene Nasenhöhle hinein; die Hälften 
der Oberlippe waren mehr als 1 cm von einander entfernt. Einige Tage 
uach der Geburt hat der Vortragende die Hasenscharte nach seiner Me¬ 
thode der Lippensaumverziehung operirt und später die Trans¬ 
plantation des in der bekannten Weise weit nach der linken Wange hin 
verzogenen Nasenflügels nach der Mittellinie hin hinzugefügt. Diese beiden 
Operationen haben zu dem schönen kosmetischen Resultat geführt, dass 
das Kind jetzt eine lange, in der Mittellinie durch einen kleinen 
Vorsprung nach unten markirte und dadurch in ihren beiden 
Hälften symmetrisch erscheinende Lippe bekommen hat, die 
zugleich in ihrer ganzen Breite mit einem regulären Lippen¬ 
saum versehen ist, und dass ausserdem die beiden Nasenlöcher 
und Nasenflügel eine fast vollkommen gleiche Form und Lage 
erhalten haben. 

Anfangs December 1887 hat der Vortragende, obwohl es sich um ein 
sehr schwächliches, damals im Alter von 5 Monaten noch nicht volle 4 kg 
wiegendes Kind handelte, die Uranoplastik und Staphylorrhapsie mit sehr 
erwünschtem Erfolge ausgeführt. Nur vorn, wo wegen des damals noch 
sehr weiten Abstandes der Hälften des Alveolarfortsatzes von einander eine 
vollkommene Vereinigung durch die Naht unmöglich gewesen war, blieb 
zunächst eine Fistel, die sich nachträglich spontan fast spurlos geschlossen 
hat, und hinten an der Uvula trennte sich auf die geringe Strecke von 8 mm 
die Naht, ein Uebelstand, der durch eine kleine Nachoperation leicht be¬ 
seitigt wurde. So hat denn das Kind jetzt bis zur Uvula einen schö¬ 
nen, dem normalen vollkommen entsprechenden, harten und 
weichen Gaumen. Das Kind hat sich nach der Operation immer mehr 
erholt und befindet sich jetzt in einem sehr erfreulichen Ernährungs¬ 
zustände. 

Mit diesem Resultate sind wir der Erreichung unseres Hauptzieles in 
der Gaumennahtfrage sehr nahe gerückt, dem Ziele nämlich, die Technik 
so zu gestalten, dass die Operation in den ersten Lebensmonaten 
ausführbar wird, um so die bekanntlich höchst traurigen Mor¬ 


talitätsverhältnisse der Gaumenspaltkinder durch Herstellung 
normaler Athmungs- und ErnährungsVerhältnisse zu verbessern. 

Um aber die Operation in einem so frühen Lebensalter zu einer ge¬ 
fahrlosen und im Erfolge sicheren zu machen, sind radicale Abänderungen 
des bisherigen Operationsverfahrens, mit welchem man niemals zum Ziele 
gelangte, nothwendig. Die Abänderungen des Vortragenden bestehen 
hauptsächlich in viererlei Dingen: 1) in der den Blutverlust auf ein Minimum 
beschränkenden Anwendung der methodischen Compression; 2) in 
den eine radikale Mundreinigung bewirkenden Ausspülungen bei 
Rose’scher invertirter Kopfhaltung des Patienten; 3) in dem mehr¬ 
zeitigen Operationsverfahren, bei welchem die Naht 5—8 Tage später 
vorgenommen wird, als die Mobilisirung der Lappen, zu einer Zeit also, in 
welcher die losgelösten Lappen gute Circulations- und Ernährungsverhält¬ 
nisse gewonnen haben und in welcher das subjective Befinden des Pa¬ 
tienten wieder ein vollkommen gutes geworden ist; endlich 4) in der Zu- 
hülfenahme einer Stütz- oder Seitenschnittsnaht aus Silberdraht, bei 
welcher der durch die Seitenincisionen herausgeführte Draht die seitlichen 
Partieen der Lappen nach innen umkrämpt, ohne zugleich .nach der Mittel¬ 
linie hin durchschneiden zu können. 

8. Herr Sonnenburg (Berlin): Knochennaht bei Patellarfractnr. 
Bei einem Patienten mit alter, mit Diastase der Bruchenden geheilter 
Patellarfractur war der Abstand beider Bruchstücke so gross, dass die 
Tuberositas tibiae abgemeisselt und höher oben angebracht werden musste, 
nach der Methode von Bergmann. Die Bruchenden sind vereinigt, die 
Tuberositas angeheilt und der Quadriceps hat sein normales Volumen wieder 
angenommen. 

9. Herr Küster (Berlin): AnenryBma der Arteria poplitea trauma¬ 
tischen Ursprungs. Ein junger Mensch von 18 Jahren klagte eines Tages 
über heftige Schmerzen im Knie, es fand sich ein fluctuirender Tumor in 
der Kniekehle, die Haut darüber war normal, keine Pulsation, Explorativ- 
punction ergab schwärzliches Blut, Küster hielt es für eine tiefe Phlegmone. 
Bei der Incision stellte es sich als Aneurysma heraus, das nach Unterbindung 
oberhalb des Sackes excidirt wurde. Als Ursache des Aneurysmas ergab 
sich ein Osteophyt der Hinterfläche der Tibia, der auch entfernt wurde. In 
der Literatur finden sich nur 3 analoge Fälle. 

XI. 47. Generalversammlung der Aerzte des 
Reg.-Bez. Aachen. 

Am 3. Mai er. fand die zahlreich besuchte Generalversammlung statt. 
Nach Erledigung mehrerer localer Fragen beschliesst die Versammlung auf 
Anregung von Dr. Capellmann einstimmig ein motivirtes Schreiben an die 
Aerztekammer, in welchem Protest niedergelegt ist gegen die Ministerial- 
verfügung vom 19. Januar 1888, betreffend Aufnahme von Geisteskranken 
in Privatirrenanstalten, Abtheilung I, Aerztliche Aufnahmeatteste. Die 
Aerztekammer wird gebeten, diesen Protest entgegenzunehmen und behufs 
Abwendung der aus der Verfügung vom 19. Januar 1888 folgenden Schädi¬ 
gungen für die nicht beamteten Aerzte, für die Geisteskranken und für das 
collegiale Verhältniss zwischen den beamteten und nicht beamteten Aerzten 
dahin wirken zu wollen, dass die qu. Verfügung zurückgenommen oder ab¬ 
geändert werde. 

Der wissenschaftliche Theil der Sitzung bestand in einem Vortrage, den 
die DDr. d’Asse und Goldstein über „Praktische Verwerthung der Lo¬ 
cal isationsfrage im Grosshim“ angekündigt hatten. 

Nachdem Dr. d’Asse einleitend die Krankengeschichte eines 33jährigen 
Mannes, dessen Leiden mit intensiven Kopfschmerzen seit Mitte December 
1887 begonnen hatte, geschildert und auseinandergesetzt hatte, wie er zur 
Diagnose „Tumor cerebri“ gekommen war, theilte Dr. Gold st ein den 
weiteren Verlauf seit der am 21. Januar d. J. von Prof. Riedel vollzogenen 
Trepanation mit. Es fand sich in der Gegend der motorischen Region der 
Rinde rechts ein Abscess. Der in physiologischer, pathologischer und chi¬ 
rurgischer Beziehung gleich interessante Fall, der heute nur noch Ausfalls¬ 
erscheinungen sensibler Natur darbietet, wird später in extenso veröffentlicht 
werden. 

Daran anschliessend ßpricht Goldstein ferner über eine Schädelver¬ 
letzung bei einem 23jährigen Mädchen, welches im hiesigen Mariahilfhospital 
gelegen und s. Z. von Prof. Riedel behandelt und vom Redner eingehend 
untersucht war. Die bedeutende Verletzung in der Schläfenbeinschuppe der 
linken Seite, die bis in’s Scheitelbein hinaufragte, liess eine sensorische 
Aphasie (Wernicke) vermuthen. Es fand sich aber eine fast complete 
motorische Aphasie, die in 4 Wochen geheilt war. Vortragender stellt die 
jetzt Hergestellte vor, bei welcher der Knochendefect deutlich zu sehen ist; 
es hat sich eine dichte Membran darüber gezogen, durch welche man das 
Hirn pulsiren sieht Auch dieser Fall wird später ausführlicher mitgetheilt 
werden. _ Schumacher (Aachen). 

XII. Journal-Revue. 

Physiologie. 

5 . 

Bokai. Experimentelle Beiträge zur Kenutniss der 
Darmbewegungen. * III. Mitth. Arch. f. exper. Pathologie und 
Pharmakologie, Bd. 24, p. 153. 

In Verfolg seiner früheren Mittheilungen 1 ) berichtet Bokai über 
die Wirkung einiger Bestandtheile der Fäces auf die Darmbewe¬ 
gungen. Es handelt sich hierbei zunächst um die verschiedenen 
organischen Säuren, welche im Magen und an verschiedenen Stellen 
des Darminhalte gefunden wurden und als Produkte der dort herr- 


‘) s. d. Referat in dieser Wochenschrift No. 1, p. 16. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 


446 


scheuden Gährungs- und Fäulnissprocesse zu betrachten sind, und 
von denen es zum Theil schon bekannt ist, dass sie die Peristaltik 
befördern. Die Untersuchung wurde in der Weise vorgenommen, 
dass in der Regel 1 ccm einer l%igen Lösung lauwarm in den 
blossgelegten Darm injicirt wurde. Auf diese Weise wurden geprüft 
die einbasischen Fettsäuren bis zur Caprylsäure (incl.), sowie Milch¬ 
säure und Bernsteinsäure. Sie alle charakterisiren sich als darm- 
reizende Mittel, und zwar in schwächstem Maasse die Milchsäure, 
in stärkstem die Caprylsäure. Als Folge dieses Reizes ist nicht nur 
Diarrhoe, sondern auch Katarrh resp. Entzündung der Darmschleim¬ 
haut zu beobachten. 

Von sonstigen Fäcesbestandtheilen zeigte Phenol und Indol 
keine Wirkung auf die Darmbewegungen. Dagegen erwies sich das 
Skatol schon in Quantitäten von 2 mg bei Kaninchen als ein die 
Peristaltik ungemein heftig anregendes Mittel, während katarrhali¬ 
sche Erscheinungen der Darmschleimhaut hiernach nicht auftraten. 

J. Cahn. Beiträge zur Kenntniss der Wirkung der 
chlorsauren Salze. Arch. f. exp. Pathologie und Pharmakologie, 
Bd. 24, p. 180. 

Cahn suchte zunächst zu constatiren, ob die Umwandlung des 
Hämoglobins in Methämoglobin, welche nach Eingabe von chlor¬ 
sauren Salzen bei sonst normalen Kaninchen nicht auftritt, vielleicht 
in die Erscheinung treten würde, wenn man die Kaninchen vorher 
in abnorme Bedingungen versetzte. Zu dem Zwecke wurde bei 
mehreren Thieren die Alkalescenz des Blutes herabgesetzt durch 
Eingabe von Salzsäure, bei anderen durch Vermehrung der Kohlen¬ 
säurespannung. Die so präparirten Thiere zeigten jedoch nach Dar¬ 
reichung des Chlorates keine Methämoglobinbildung. Dasselbe ne¬ 
gative Resultat wurde bei fiebernden Thieren sowie bei Kaninchen 
beobachtet, denen beide Nieren vor Darreichung des chlorsauren 
Salzes exstipirt waren. Im Gegensätze hierzu konnte Cahn, ent¬ 
sprechend den Angaben von Marchand, bei Hunden nach Appli¬ 
cation von 1—2 g pro Kilo Thier das Auftreten von Methämoglobin 
im Blut nach weisen. Zugleich wurde eine bedeutende diuretische 
Wirkung des Salzes beobachtet sowie eine sehr bedeutende Melli- 
turie (bis zu 3,6°/o). Letztere betrachtet Cahn als eine Folge der 
durch das Chlorat bewirkten Blutzersetzung. 

G. Hoppe-Seyler. Ueberdie Ausscheidung derAether- 
schwefelsäuren im Urin bei Krankheiten. Zeitschr. f. phys. 
Chemie, Bd. 12, p. 1. 

Ausgehend von der bekannten Thatsache, dass der grösste Theil 
der Produkte der Fäulnissvorgänge im Organismus in Verbindung 
mit Schwefelsäure als Aetherschwefelsäuren im Urin auftritt und 
dass die Menge der Aetherschwefelsäuren im Urin unter Berück¬ 
sichtigung der Nahrungs- und sonstigen Verhältnisse daher einen 
Schluss auf die Intensität der sich abspielenden Fäulnissvorgänge 
zulässt, bestimmmte Hoppe-Seyler bei verschiedenen Krankheiten 
die Quantität der im Urin ausgeschiedenen Aetherschwefelsäuren. 
Im Ganzen wurde bei 21 der Kieler Klinik angehörenden Patienten 
verschiedenster Art, zum Theil zu wiederholten Malen, der Urin in 
dieser Richtung untersucht. 

Die sich hieraus ergebenden Resultate sind folgende: 

Bei mangelnder oder aufgehobener Resorption der Verdauungs¬ 
produkte, wie sie bei Ileus, Peritonitis, tuberculöser Darmerkrankung 
etc. auftritt, ist Vermehrung der Aetherschwefelsäuren zu beobachten. 
Dieselbe fehlt dagegen bei einfacher Koprostase und bei Typhus 
abdominalis, auch bei Magenerkrankungen, auch wenn die Ernährung 
darniederliegt und gährende Massen im Magen reichlich vorhanden 
sind, ist sie nicht immer zu beobachten. Fäulnissvorgänge im Or¬ 
ganismus ausserhalb des Darmcanals haben eine vermehrte Aus¬ 
scheidung der Aetherschwefelsäuren zur Folge, welche ungefähr im 
Verhältniss zur Stärke dieser Vorgänge steht. Bei Peritonitis tritt 
an Stelle des im normalen Urin meist vorwiegenden Skatoxyls In- 
doxyl auf. Leo. 

Hautkrankheiten und Syphilis. 

1 . 

Fournier. Document statistique sur les sources de 
la syphilis chez la femme. La Semaine medicale. 26. Oc- 
tober, 1887. 

Fournier sucht an der Hand eines umfangreichen Materials 
von 887 syphilitischen Frauen, welche er seit 27 Jahren in seiner 
Privatpraxis behandelt hat, zu beweisen, in wie grossem Maassstabe 
die sog. Syphilis innocentium, welche Frauen und Kinder betrifft, 
und die Infection verheiratheter Frauen durch ihre Männer um sich 
greift. Die erstere beträgt nach seiner Statistik ungefähr 5O/o, von 
den letzteren kamen auf 100 syphilitische Frauen 19 verheirathete, 
also eine verheirathete Frau auf 5 syphilitische, sicher ein enormes 
Verhältniss. Aus Fournier’s Statistik erhellt also, dass die Syphilis 
innocentium etwa 24% beträgt. Eine öffeutliclie Prophylaxe dieser 


Erkrankung müsse sonach für die Allgemeinheit von grösstem 
Nutzen sein. Joseph. 

A. Ja min. Tr a item ent mecauique de l’erection dou- 
loureuse. Lyon medical. 1887, p. 392. 

Nach einer langen Auseinandersetzung der verschiedenen the¬ 
rapeutischen Maassnahmen, welche zur Bekämpfung der quälenden 
nächtlichen Erectionen im akuten Stadium der Gonorrhoe seit einer 
langen Reihe von Jahren bekannt sind, beschreibt Ja min einen von 
ihm raodificirten Bindenapparat, welcher auf mechanischem Wege die 
schmerzhaften Erectionen zu verhüten im Staude ist, und mit wel¬ 
chem er sehr gute Erfolge erzielt hat. Der betreffende Apparat 
besteht aus einem Leibgurt, an welchem nach hinten ein Riemen 
befestigt ist, welcher in 2 etwa 30 cm lange Bänder ausläuft. Letz¬ 
tere stehen mit einem dicken, 15 cm breiteu Bande in Verbindung, 
welches das gegen den Damm gesenkte Glied in dieser Lage erhält, 
und mit 3 Schnallen vorn an dem Leibgurt angeheftet wird. Tritt 
das Bedürfnis zur Urinentleerung ein, so braucht nur eine der 
Schnallen gelöst zu werden, um den Penis aus der Binde heraustreteu 
zu lassen. Durch die Verhinderung der Erectionen wird übrigens 
dieses Bedürfniss sehr verringert. Verfasser empfiehlt zum Schlüsse, 
diese von ihm angegebene Binde auch bei anderen krankhaften Erec¬ 
tionen zu versuchen. George Meyer (Berlin). 

Beissel. Zur Aetiologie der Psoriasis. Monatsh. für 
prakt. Dermatologie. 

Verfasser wurde besonders durch Lang’s Arbeiten augeregt, die 
epithelialen Auflagerungen mit Psoriasis behafteter Personen auf 
mykotische Krankheitserreger zu untersuchen, und benutzte dazu die 
Psoriasisschuppen eines 15jähr. Mädchens, welches seit 3 Jahren au 
verschieden heftigen Psoriasiseruptionen litt. 

Verfasser fand nun bei seinen Untersuchungen einen Pilz, der 
dem aus den Lang’schen Zeichnungen entspricht. 

Brachte er die zerzupften Epidermisschuppen in Koch'sehe 
Nährgelatine, so entwickelte sich aus manchen Schuppen ein Pilz, 
der aus einem farblosen, undeutlich gegliederten, nur selten sparrig 
verästelten, mit körnigem Inhalt stellenweise erfüllten Mycel be¬ 
stand, welches an den Gabelstellen zuweilen aufleuchtende, perl¬ 
artige Körnchen enthält, in der Regel vollständig fructificirt, indem 
nach einzelnen, von einander deutlich durch Zwischenwände ge¬ 
trennten Gliedern ein flaschenförmiger Körper ausgebildet wird. Im 
Gelatiuerohr entwickelt sich zuerst ein zartes, weisses Mycel, dann 
ohne Verflüssigung der Gelatine gelbe Rasen an der Oberfläche und 
schliesslich nach Wochen braune, borkenartige Massen unter gänz¬ 
licher Verflüssigung der Gelatine. 

Ausser dieser Pilzart, welche sehr grosse Aehnlichkeit mit dem 
der Herpespilze hat, entwickelten sich noch verschiedene andere 
Pilze, die sonst bekannte Merkmale zeigten. Der zweite vom Ver¬ 
fasser zur Untersuchung benutzte Fall betraf eine 42 Jahre alte Frau, 
Wirthin und Fruchthändlerin, von robustem Körperbau, welche das 
Entstehen der Psoriasis mit einem vor drei Jahren erfolgten Abort 
in Verbindung brachte. 

Auch hier fand Verfasser und züchtete nachher denselben oben be¬ 
schriebenen Pilz. Verfasser stellte nun mit den einzelnen, zur Ent¬ 
wickelung gekommenen Organismen Impfversuche auf gesunder, nor¬ 
maler Haut seines Arms an. Alle Coccenarteu zeigten keine Reiz¬ 
wirkung; in das tiefere Gewebe der Cutis beim Kaninchen gebracht, 
riefen sie Entzündung hervor. Wurden jedoch die braunen Gonidien 
des obigen Pilzes eingeimpft, so entstand schon nach einigen Stunden 
eine intensive Röthung. Sodann bildete sich um die Infectionsstelle 
ein kleiner, gerötheter, kreisrunder Hof, auf welchem sich eine deut¬ 
liche Abschilferung der Epidermis einstellte, die sechs Wochen be¬ 
stand, um nach wiederholten Seifenwaschungen langsam zu ver¬ 
schwinden. Verfasser hält diesen Pilz mit dem Lang’schen für iden¬ 
tisch und reiht ihn der Klasse der von Grawitz als Mykodermen 
beschriebenen Pilze ein. Dass er ein gewichtiges Moment bei der 
Aetiologie der Psoriasis spielt, ist dem Verfasser ausser allem Zweifel. 
Jedoch spielen anscheinend hereditäre Belastung und auf dieser be¬ 
ruhende Schwäche des die Hauternährung regulirenden nervösen 
Centruins wahrscheinlich eine Rolle, so dass späteren Untersuchungen 
die nähere Entscheidung Vorbehalten bleiben muss. 

Görges (Berlin). 

Xm, Therapeutische Mitteilungen. 

Leber die Behandlung der Pnenmonie mit 
Tartarus stibiatns. 

Indem wir auf die in No. 47, p. 1031 des vor. Jahrganges dieser 
Wochenschrift veröffentlichten Mittheilungen von Mosler über die Behand¬ 
lung der genuinen fibrinösen Lungenentzündung verweisen, sind wir in der 
Lage, im Nachstehenden ein Schreiben des Herrn Dr. Brückner in Neu- 
brandenburg zu publiciren, welches die Beobachtungen Mosler’s über die 
Wirkung des Tartarus stibiatus in der Behandlung der Pneumonie voll- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


447 


inhaltlich bestätigt. Auch von anderer Seite haben diese Beobachtungen 
inzwischen vielfache Bestätigung gefunden. Herr Dr. Brückner lässt sich 
in ausführlicher Weise folgendermassen aus: 

»Meiner vollen Ueberzeugung nach giebt es bei der Behandlung der 
Pneumonie bei jungen kräftigen Individuen sicher kein besseres 
Mittel, als dieses; fast möchte man es ein Specificum antipneumonicum 
mit Canstatt nennen und ganz gewiss Hufeland beipflichten, der in 
seinem Enchiridion medicum sagt, dass es kein sichereres, geschwinderes und 
vollständigeres Heilmittel für Lungenentzündung giebt, als den Brech¬ 
weinstein. 

Ich frage mich immer wieder, wie es möglich gewesen ist, dass ein so 
übereinstimmend gelobtes und gepriesenes Heilmittel so ganz aus dem 
Arzneirüstzeug gegen diese Krankheit verschwinden konnte, und dass nun 
schon seit Decennien keiner der Medicin Studirenden über die genauere 
Wirkungsweise dieses Mittels iuformirt wird; kaum, dass man es noch 
historisch, allenfalls in Verbindung mit Rasori, erwähnt findet! 

Ich selbst wurde aufmerksam auf diese Behandlungsweise gelegentlich 
einer Consultation, bei der mir ein College mittheilte, dass er trotz aller anderen 
gepriesenen und empfohlenen Behandlungsmethoden und -Principien immer 
wieder zu dem Brechweinstein zurückgegangen sei, weil er von keinem 
Mittel ähnliche Erfolge gesehen habe, wie bei dieser Medication. Da ich 
den Collegen als einen sehr klaren und nüchternen Beobachter schätze, 
nahm ich mir vor, wenigstens einen Versuch mit dieser ßehandlungsweise 
zu machen. Ich bin mit grosser Vorsicht und mit grossem Vorurtheil an 
diese Behandlung herangegangen, bin aber von der Wirkung dieses Mittels 
ganz überrascht, ja geradezu verblüfft worden, und habe es von Fall zu Fall 
mehr schätzen gelernt. 

Der erste Fall, den ich so behandelte, betraf einen jungen kräftigen 
Müllergesellen, der am 2. Tage der Erkrankung mit einer rechtsseitigen 
acuten croupöseu oder fibrinösen Pneumonie am 18. Januar 1881 in meine 
Behandlung kam. Am 17. war Schüttelfrost und Beginn der Pneumonie 
gewesen; am 18. Mittags 1 Uhr hatte er 40°, um 4 Uhr 40,1 und um 
7 Uhr 40°. Nun bekam er den ersten Löffel einer Mixtur von Tartar, 
stibiat. 0,3 auf 160 Aq., stündlich 1 Esslöffel, bis das erste Erbrechen 
oder Durchfall erfolgte, dann zweistündlich. 

Bald nach dem ersten Löffel erbrach Patient, und schon um 9 Uhr 
Abends hatte er bei bedeutender subjectiver Euphorie, ohne allen Collaps, 
38,4, Abends 11 Uhr 38,6! Die Zunge hatte sich bedeutend gereinigt! 

Bis zum 19. Morgens hatte Pat. viermal gebrochen, fühlte sich sehr 
wohl bei einer Temperatur von 38,6, die allmählich bis Abends 10 Uhr — 
nachdem einige Male Diarrhoe gewesen war — auf 38,2 fiel, um am 20. 
Morgens nur 37,0 zu betragen; die Pneumonie verlief bis dahin normal, 
der Puls war von 108—100 auf 92 in der Minute heruntergegangen. 

Am 20. Abends trat unter Frösteln ein Fortschreiten des örtlichen Pro- 
cesses ein, es infiltrirte sich eine neue Partie neben der bisher ergriffenen 
Stelle, die Temperatur stieg auf 38,4» bei weiterer Darreichung der Tartarus 
emeticus-Mixtur. 

Am 21. Morgens 38,2, 5 Uhr Nachmittags 39, Abends 10 Uhr 38,6°. 

Am 22. Morgens 38,0, 5 Uhr Nachmittags 38,6, Abends 10 Uhr 38°. 

Am 23. Morgens 37,2; stieg nun nicht mehr über 87,6 ü ; Allgemeinbe¬ 
finden und Puls stets gut, der locale Verlauf der pneumonischen Infiltration 
der normale. 

Solche Fälle, mit eclatantem Einfluss des Mittels auf die Temperatur, 
ohne allen Collaps, habe ich öfter beobachtet, leider nicht immer, (auch nicht 
mal in der Mehrzahl der Fälle) und ich kann nicht sagen, warum diese 
Wirkung zu Zeiten eintritt, zu Zeiten nicht. 

Aufgefallen ist mir in erster Reihe, dass alle Kranken ohne Ausnahme 
nach dem ersten Brechact sich ganz ausserordentlich erleichtert fühlen; und 
ist es nicht auffallend, gewissermaassen ein signum naturae sanandae, dass 
wohl alle an Pneumonie erkrankten Kinder bald nach Beginn der Krankheit 
brechen, ebenfalls viele Erwachsene, alle mit dem Gefühle grosser Erleichte¬ 
rung, und dass zu den fast constanten Symptomen der Pneumonie auch 
Uebelkeit gehört? 

Es würde zu weit führen, einzelne Krankheitsfälle noch besonders her¬ 
vorzuheben; ich möchte aber noch erwähnen, dass ich in der ersten Zeit stets 
0,3 Tartar, stibiat. auf 160 Aq. gegeben habe; ich bin von dieser Dosis 
zurückgegangen, obwohl ältere Beobachter 0,36 bis 0,6 auf 180 Aq. als 
nützlich empfehlen. Meine Behandlungsweise ist jetzt die, dass ich je nach 
Constitution des Befallenen 0,1—0.2—0,3 auf 200 Aq. gebe, davon stündlich 
einen Esslöffel, bis Erbrechen oder Durchfall eingetreten ist, dann zweistünd¬ 
lich weiter esslöffelweise, bis 2—3 Flaschen voll verbraucht sind. Dabei ist 
mir aufgefallen, wie verschieden die einzelnen Individuen auf die Brechen 
erregende Wirkung des Mittels reagiren; einzelne erbrechen nach auffallend 
geringer Dosis, andere erst nach kräftigen Gaben, manche, wenn auch wenige, 
überhaupt nicht; bei letzteren kommt dann gewöhnlich gleich die Wirkung 
auf den Darm. 

Natürlich verfahre ich nicht schematisch; ich lasse unter Umständen 
bei Herzschwäche dreiste Gaben von Excitantien reichen, gebe Opium bei 
starkem Hustenreiz, lasse schröpfen bei starken pleuritischen Stichen und 
mache bei sehr starker Anschoppung und dadurch bedingter Oppression auf 
der Brust einen Aderlass, bis jetzt dreimal in meiner praktischen Thätig- 
keit, d. h. seit 17 Jahren. 

Im Allgemeinen finde ich die Wirkung des Mittels folgendermaassen: 
nach dem ersten oder zweiten Löffel tritt gewöhnlich Erbrechen auf, ein, 
auch mehrere Male, dann vier- bis achtmal wässeriger Stuhlgang, dann 
Schweiss und beförderte Expectoration; man muss die Angehörigen darauf 
aufmerksam machen, dass trotz mehrmaligen Erbrechens oder Durchfalls das 
Mittel weiter zu geben sei, da dies trotz Fortbrauchens der Mixtur von selbst 
aufböre; nur wenn nach jedem Esslöffel Erbrechen eintritt oder zu starke 
Diarrhoeen erfolgen, die nach etwas Opium nicht sistiren — welche Even¬ 
tualitäten aber äusserst selten eintreteu — habe ich aus Furcht vor Collaps- 
zuständen das Mittel aussetzen lassen. 


In der weitaus grössten Zahl der Fälle tolerirt der Kranke bei fortge¬ 
setztem Gebrauch das Mittel vollständig, während bei einem stundenlangen 
Aussetzen desselben und bei erneuter Gabe immer wieder Erbrechen und 
Durchfall auftreten. 

Bei diesen relativ kleineren Gaben war allerdings die Wirkung auf die 
Temperatur nicht so hervortretend. Immerhin mildert das Mittel subjectiv 
und objectiv den Verlauf der Erkrankung. 

Sehr interessant ist mir auch gewesen, was Dr. C. H. Wunderlich 
in seinem Handbuch der Pathologie und Therapie, erschienen 1846, 

| gelegentlich der Behandlung der Pneumonie sagt; Wort für Wort möchte 
I ich dessen Ansichten in Betreff des Tartar, emetic. unterschreiben, nachdem 
i ich nun gewiss schon 70 — 80 Fälle in dieser Weise behandelt habe. 

Er sagt, nachdem er das Mittel bei Beginn der Pneumonie gepriesen, 
über die Behandlung bei drohendem üblem Ausgang, wo starke Infiltration, 

; kleiner Puls, stärkeres Röcheln, cerebrale Symptome und Collapserscheinun- 
gen vorhanden sind, dass auch für diese Periode bei kräftigen Individuen 
der Tartar, emetic. das Hauptmittel sei, dessen Dosis man bis auf 0,6 pro 
die steigern könne. Habe ich zu solchen Beobachtungen bisher auch noch 
nicht Gelegenheit gehabt, so ist es doch sehr bemerkenswerth, dass einer 
] solchen Behandlungsweise von Jemand das Wort geredet wird, dem vielfache 
1 Erfahrungen über dies Mittel zu Gebote standen, und ich würde mich nicht 
| scheuen, nachdem ich mit dem Mittel von Fall zu Fall mehr umgehen ge- 
' lernt habe, dasselbe vorkommenden Falls in dieser Weise anzuwenden.* 


i , . , . 

— In der Academie de medecine (Sitzung vom 13. März d. J.) theilte 
Queirel (Marseille) seine Erfahrungen über die Anwendung des Antipyrlns 
«Is Anästhetieum bei schmerzhaften Gebarten mit. Der Autor giebt 
das Mittel in subcutanen Injectionen, und zwar in Dosen von 0,25. Die 
Wirkungen sollen, besonders während der Eröffnungsperiode, geradezu 
| wunderbare sein. (Joum. des soc. scient.) C. G. 

1 — Gymnema sylvestra, ein neues Heilmittel. Der bittere Geschmack 

J mancher Medicamente, insbesondere des Chinins, bot vielfach ein Hinderniss 
j für ihre Darreichung bei Kindern, so dass die Aerzte stets darauf bedacht 
j waren, ein wohlschmeckendes Mittel aufzufinden, um diesem Uebelstand ab- 
| zuhelfen. Man glaubte, mit dem Saccharin diesen Zweck erreichen zu können, 
doch bewährte sich diese Substanz nicht, wie auch Ref. jüngst in einem 
Falle bei Chinindarreichung sich zu überzeugen Gelegenheit hatte. Gymnema 
sylvestra, eine indische Pflanze, liefert die Gymnemicsäure, von der einige 
Tropfen in einer grösseren Quantität Wasser verdünnt in den Mund gebracht 
sowohl den bitteren als auch zu süssen Geschmack zu entfernen im Stande 
sind. Der Ingwergeschmack verliert sich z. B. ganz und man hat nur das 
Gefühl der Wärme und nach Chinin den Eindruck, als ob man Kreide im 
| Munde hätte. Der Entdecker Dr. Hooper giebt an, dass diese Säure manche 
Aehnlichkeit mit der Chrysophansäure hat und dass sie auch geeignet ist, 

| den nauseosen Geschmack anderer Arzeneien zu verdecken. (Med. News, 
j March 31 1888.) _ Bo. 

XIV. Kleine Mitteilungen. 

; — Dr. Max Meyerhoff f. Eine zahlreiche und hochansehn- 

! liehe Trauerversammlung umstand heute das offene Grab eines 
; theuren Collegen: der praktische Arzt, Ritter des eisernen Kreuzes, 

, Dr. Max Meyerhoff, ist uns am 22. Mai im blühendsten Mannes- 
} alter von 44 Jahren nach kurzem Krankenlager durch eine Lungen¬ 
entzündung entrissen worden. 

Hervorgegangen aus einer alten hiesigen Apothekerfamilie, er¬ 
wählte er den ärztlichen Beruf und trat vor 20 Jahren in eine bald 
| umfangreiche praktische Thätigkeit und wurde in weiten Kreisen 
| Berlins bekannt und beliebt. Offen und wahrheitsliebend, begabt 
mit Lebensfrische und Lebensfreudigkeit, mit unermüdlichem Pflicht¬ 
gefühl seinem Berufe nachgehend, fesselte er durch sein heiteres, 
joviales Wesen seine zahlreichen Patienten in seltener Treue an sich; 
wussten sie doch, dass dem Dahingeschiedenen ein reicher Schatz 
| von Wissen und Können zur Seite stand. Neben seiner anstren- 
| genden Praxis fand er noch Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten, 

; deren Veröffentlichung er dieser Wochenschrift zuwandte. 

Auch dem Vereinsleben, zuletzt als stellvertretender Vorsitzender 
j des Neunten Berliner Aerztevereins, widmete er ein reges Interesse, 
und noch bis in die letzten Tage vor seinem Hinscheiden ist er be- 
j strebt gewesen, mitzuarbeiten an den Ideen der Alters- und Kranken¬ 
versorgung weniger günstig gestellter Collegen. Selbst von äusseren 
Sorgen des Lebens frei, waren seine letzten Worte auf dem Kranken- 
i lager an den Schreiber dieser Zeilen gerade diesen Zielen ge- 
i weiht. 

i Heraus aus seinem Berufe, den er in höchstem Maasse ideal 
I auffasste, heraus aus einem glücklichen Familienleben, aus einem 
grossen Freundeskreise, der zum Theil schon von den Kriegen her 
| mit ihm aufs Engste verbunden war, entriss ihn uns ein jäher Tod. 
Wer je ihm im Leben nahegetreten ist, wird ihm ein ehrendes uud 
liebevolles Andenken bewahren. Tischmann. 

— Berlin. Dem Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Rud. Virchow ist der 
Rothe Adlerorden 2. Classe mit dem Stern und Eichenlaub verliehen worden. 

— Die feierliche Enthüllung der Büste des Professor Dr. 
Karl Schroeder fand Sonntag Mittag 12 Uhr in der Universitätsfrauen- 
klinik in der Artilleriestrasse statt. Von Seite der Regierung befanden 
sich uuter den bei der Feier Anwesenden der Unterstaatssecretär v. Lucanus, 
Geh. Rath Dr. Greiff und Geh. Rath Dr. Althoff. Minister v. Gossler 
hatte sich entschuldigen lassen. Der Vorsitzende des Comites, Dr. Veit, 


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448 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 22 


hielt sodann die Festrede und übergab das Denkmal der Obhut des der¬ 
zeitigen Leiters der Anstalt, Professor Dr. Olshausen. 

— Am Sonntag, den 27. Mai, hat in Berlin eine Sitzung des Aus¬ 
schusses des Deutschen AerzteVereinsbundes stattgefunden, die 
sich mit der Vorbereitung des Aerztetages beschäftigt hat. Es ist be¬ 
schlossen worden, folgende Gegenstände auf dem Aerztetage zur Verhandlung 
zu bringen: 1) Kunstfehler der Aorzte. — 2) Die wichtigsten Punkte bei 
der reichsgesetzlichen Regelung des Geheimmittelwesens (von der zur Vor¬ 
bereitung dieser Frage gewählten, aus den Herren Aub, Wallichs und 
Becher bestehenden Commission wird der letztere das Referat erstatten). 
— 3) Abänderungsvorschläge zum Krankenkassengesetz. — 4) Referat über 
das dermalige Verhältniss der Deutschen Aerzte zu den Aerztekammern 
(Ref. Herr Aub). — 5) Referat über die Stellung der Aerzte zum Unfall¬ 
versicherungsgesetz. 

— Unter dem 21. d. Mts. ging uns die folgende Zuschrift zu: „Die 
löbliche Redaction bittet der ärztliche Berufsverein Berlin ergebenst um 
Aufnahme folgender Notiz in Ihr Blatt: Der ärztliche Berufs verein Berlin 
empfiehlt den nicht den ärztlichen Bezirksvereinen angehörenden Aerzten 
des Stadtkreises Berlin und der Provinz Brandenburg — in Voraussetzung, 
dass das Correspondenzblatt der Aerztekammer etc. allen zu der Kammer 
wahlberechtigten Aerzten zur Geltendmachung ihrer Anschauungen offen 
stehen werde —, den Betrag von 3 M. zur Bestreitung der Kosten der 
Aerztekammer an den Kassirer derselben, Herrn Dr. Selberg, Berlin N., 
Invalidenstrasse 111, einsenden zu wollen. I. A.: Der Schriftführer Dr. Löwe, 
Kaiser Wilhelmstrasse 25.“ 

— Greifswald. Den medicinisch - naturwissenschaftlichen Aufgaben 
im Vereinsleben unserer Universitätsstadt dienen seit vielen Jahren der 
naturwissenschaftliche und der medicinische Verein. Neuerdings ist dazu 
die geographische Gesellschaft gekommen, welche unter ihrem, die Interessen 
seines Vereines mit warmer Begeisterung und wissenschaftlichem Eifer för¬ 
dernden Vorsitzenden, Herrn Rudolph Credener, die Geographie binnen 
kurzer Zeit hier populär gemacht hat. Voll Dankes gedenken wir der 
vielen interessanten Vorträge berühmter Afrikareisender und einheimischer 
Forscher. Seit lange ist hier wohl kein Vortrag mit so allgemeinem Beifall 
aufgenomroen worden, als der des Missionsinspectors Büttner, den der¬ 
selbe in der letzten Vereinssitzung auf Grund eigener langjähriger Erfah¬ 
rungen über Leben und Gewohnheiten der Bewohner von Ostafrika gehalten 
hat Am 9. und 10. Juni soll die diesjährige gemeinschaftliche Excursion 
der Mitglieder unserer geographischen Gesellschaft mittelst des Dampfers 
Rügen nach der Insel Wollin unternommen werden. Ist es nicht ein 
löbliches Unternehmen, mit den Eigenthümlichkeiten und Schönheiten der 
eigenen Provinz die Vereinsmitglieder näher bekannt zu machen? 
Der Besuch des Jordansees und seiner herrlichen Umgebung, eine Wan¬ 
derung über den Gosanberg auf der Höhe des Steilufers nach Misdroy, und 
am folgenden Tage eine Wanderung durch die Misdroyer Forsten nach dem 
Aussichtsthurm auf dem Brandberg und über Stempow nach Lebbin mit 
seinen Kreidebrüchen und herrlichen Aussicht auf das Stettiner Haff gehören 
zu den schönsten Ausflügen, welche in Norddeutschland gemacht werden 
können. Wünschen wir frohes Gelingen, vor Allem die Gunst der Witterung! 
Unser naturwissenschaftlicher Verein gedeiht unter dem Vorsitze unseres 
erst vor wenig Jahren aus Halle hierher berufenen Physikers Herrn Over¬ 
beck. Welche Leistungen dieser Verein aufzuweisen hat, erfahren wir all¬ 
jährlich durch einen Band von Mittheilungen aus dem naturwissenschaftlichen 
Verein für Neuvorpominem und Rügen in Greifswald unter der umsichtigen 
Redaction unseres Botanikers Herrn Fr. Schmitz. Es wird geplant, wie es 
in anderen Universitätsstädten geschehen ist, zur Förderung beiderseitiger Inter¬ 
essen alljährlich 1—2 mal eine gemeinsame Sitzung von Mitgliedern des natur¬ 
wissenschaftlichen und medicinischen Vereins abzuhalteu. Der hiesige medicini¬ 
sche Verein kann in diesem Jahre auf ein 25jähriges Bestehen zurückblicken. 
Wissenschaftliches Streben, collegialisches Leben hat er in diesem Zeiträume 
genugsam gefördert. Da er in engster Beziehung zur medicinischen Facultät 
gestanden, ist das rasche Emporblühen derselben nicht ohne Rückwirkung 
auf seine gedeihliche Entwickelung gewesen, und hoffen wir, dass es auch 
fernerhin so bleibe. Während die Leitung desselben bisher dem zeitigen 
Decan als Vorsitzenden und dem jüngsten Privatdocenten als Schriftführer 
anvertraut war, ist in der letzten Vereinssitzung ein weiterer Vorstand ge¬ 
wählt worden, bestehend aus den Herren Schirmer (zeitiger Decan), 
Mosler, Landois als Vorsitzende, Herrn Grawitz als Cassirer und den 
Herren Peiper, Poggendorf, Hesse als Schriftführer. Weiteres Empor¬ 
blühen und Gedeihen des Vereines dürfen wir unter dieser Leitung voraus¬ 
setzen. Für die auf den 2. Juni angesetzte Sitzung sind Vorträge ange¬ 
meldet von Herrn Pomorski: Ueber Melaena neonatorum; Herrn Hugo 
Schulz: Altes über neue Arzneimittel; Herrn Schoemann: Ueber die 
durch Imitation entstandene Chorea minor; Herrn Vogt: Ueber Behand¬ 
lung der Aortenaneurysmen; Herrn Mosler: Demonstration eines durch 
Thermokauter völlig geheilten Falles von Lungenechinococcus; Herrn Helfe- 
rich: Zur chirurgischen Behandlung des Ileus; Herrn Niesei: Ueber 
locale Milzmittel. 

— Halle. Der in Halle abgehaltene II. Congress der deutschen 
Gesellschaft für Gynäkologie beschloss, mit Rücksicht auf den im 
Jahre 1890 in Berlin stattfindenden internationalen Aerztecongress, den 
III. Gynäkologencongress bereits nächstes Jahr abzuhalten. Als Oit der 
Versammlung wurde Freiburg i. B. bestimmt, lieber die Verhandlungen 
des C’ongresse8 werden wir demnächst berichten. 

— Wien. Prof. Dr. L. M. Politzer, einer der ältesten und ange¬ 
sehensten Kinderärzte Wiens, ist, 74 Jahre alt, gestorben. 

— Graz. Prof. Dr. R. v. Jaksch ist zum Primarius des Anna-Kinder- 
spitales in Graz ernannt worden. 

— Paris. Im August nächsten Jahres wird in Paris ein inter¬ 
nationaler Congress für Dermatologie und Syphiligraphie statt¬ 
finden. Derselbe wird eine Woche dauern und unter dem Präsidium der 


Herren Ricord und Hardy stehen. Meldungen sind zu richten an Herrn 
Feulard, Höpital St. Louis, Paris. 

— In Rostock ist das neue dem Direktor Professor Dr. Uffelmann 
unterstellte hygienische Institut eröffnet worden. Die getroffenen Ein¬ 
richtungen desselben entsprechen nach jeder Richtung den Forderungen, 
welche die Neuzeit stellt, und dieselben werden im Verein mit der bewährten 
Leitung Uffelmann’8 gewiss dazu beitragen, das bisher in Rostock, soweit 
es möglich war, gepflegte Gebiet des hygienischen Unterrichts und der 
hygienischen Forschung weiter auszubauen und zu vervollkommnen. 

— Die Arbeiten für die im September in Verbindung mit der 61. Ver¬ 
sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Köln statt¬ 
findende wissenschaftliche Ausstellung auf dem Gebiete der Mediein 
und Naturwissenschaften nehmen einen raschen Fortgang. Bereits 100 Firmen 
und darunter sehr bedeutende des Inlandes und Auslandes, besonders Oester¬ 
reichs und Englands, ferner mehrere wissenschaftliche Institute haben eine 
Beschreibung der auszustellenden Gegenstände eingesandt, so dass, zumal 
unter den entgegenkommenden Bedingungen, die den Ausstellern gestellt 
sind, auch die diesjährige Ausstellung wie ihre Vorgängerinnen in Wies¬ 
baden und Berlin viel des Interessanten bieten und den Besuchern der 
Naturforscherversammlung eine reiche Quelle des Genusses und der Be¬ 
lehrung sein wird. Die Neuerung, dass auch den Besuchern Gelegenheit 
zum Ankauf der ausgestellten Gegenstände geboten ist, wird Vielen will¬ 
kommen sein. 

— Der von John S. Billings und R. Fletcher herausgegebene, im 
Verlag von Geo. S. Davis in Detroit erscheinende Index medicus, jene 
einzig dastehende medicinische Bibliographie, die zehn Jahrgänge hindurch 
bestanden hat und jedem literarisch beschäftigten Arzt ein unentbehrlicher 
Rathgeber gewesen ist, droht aus Mangel an der nöthigen materiellen Unter¬ 
stützung einzugehen. Es wäre ausserordentlich zu bedauern, wenn dieses 
vortrefflich geleitete amerikanische Unternehmen, dem kein anderes Land 
etwas gleich Gutes an die Seite zu stellen hat, in der That aufhörte zu er¬ 
scheinen. Wir glauben, es ist die Pflicht aller Derer, die oft genug den 
Index medicus als unentbehrliches Nachschlagebuch benutzt haben, denselben 
durch ihr Abonnement zu unterstützen, namentlich dürfte derselbe in keiner 
grösseren Bibliothek fehlen — schon damit würde dem Werke eine nicht 
unwesentliche Zahl von Abnehmern Zuwachsen und das Fortbestehen des¬ 
selben vielleicht garantirt werden können. 

— Universitäten. Krakau. Dr. Kopernicki wurde als Professor 
für Anthropologie an die Universität Krakau berufen. — Budapest. Die 
DDr. E. Frank, M. Lenhossök und D. Szabö haben ihre Habilitations¬ 
vorträge für Epidemiologie bezw. Anatomie des Centralnervensystems und 
geburtshülflicbe und gynäkologische Propädeutik gehalten. — Kiew. 
Dr. E. J. Afanassjew ist zum a. o. Professor der speciellen Pathologie 
und Therapie ernannt worden. — Bologna. Dr. Mazzarini, ehemaliger 
Assistent an der chirurgischen Klinik Prof. Loreta’s, ist an einer Milzbrand- 
infection gestorben. — Bahia. Der Professor der Pathologie Dr. Touchino 
ist gestorben. — Lissabon. Dr. Peter Adrian van der Laan, der 
bedeutendste Ophthalmologe Portugals, in Holland 1811 geboren, Schüler 
Gräfe’s und Arlt’s, ist am 20. April gestorben. 


XV. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Ernennungen: Se. Majestät der König haben den ordentlicheu 
Professor Dr. Lichtheim in Bern zum ordentlichen Professor in der medi¬ 
cinischen Facultät der Universität Königsberg Allergnädigst zu ernennen 
geruht, der seitherige Kreis-Wundarzt Dr. Meyer in Hoyerswerda ist zum 
Kreis-Physikus des Kreises Liebenwerda, der seitherige Kreis- Wundarzt 
Dr. Roth er zu Falkeuberg O./Schl. ist zum Kreis-Physikus des Kreises 
Falkenberg und der seitherige commiss. Verwalter der Kreis-Wundarzt¬ 
stelle des Kreises Lauenburg i. Pom. Dr. Seligmann in Leba definitiv 
zum Kreis-Wundarzt dieses Kreises ernannt worden. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Eckerlein u. Wagner in 
Königsberg i. Pr., Dr. Brill als Ass.-Arzt der Provinz.-Irren-Anstalt in 
Landsberg a./W., Dr. Oe nicke in Lipke, Dr. Pauli ch in Stettin, Dr. 
Jordan in Gnesen, Graevinghoff in Stroebeck, Dr. Weicht in Dahlen¬ 
burg, Dr. Bahu in Neuenrade, Dunkel in Herscheid, Dr. Krabbel in 
Witten, Dr. I.ueder in Luenen, Dr. Dünninghaus in Neubrücke, Hoff¬ 
meister in Laasphe, Dr. Schaede in Nassau. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Melcher von Wien nach Königs¬ 
berg i. Pr., Dr. Karl Cohn von Königsberg i. Pr. nach Berlin, Priv.-Doc. 
Dr. Minkowski von Königsberg i. Pr. nach Strassburg i. E., Dr. Kurr 
von Schleswig als Ass.-Arzt der Prov.-Irren-Anstalt nach Landsberg a./W., 
Dr. Freytag von Grabow a./O. nach Stettin, Dr. Garsztka von Tuchei 
nach Bromberg, Dr. Fürbringer von Halberstadt u. Dr. Buch holz von 
Gr. Wanzleben, Gen.-Arzt Dr. Schilling, Stabsarzt Dr. Leu beide von 
Halberstadt nach Berlin, Dr. Hollstein von Laasphe nach Gr. Wanzleben, 
Dr. Robert von Lüdenscheid nach Neuenahr, Dr. Fischer von Hagen, 
Prof. Dr. Flesch von Bern nach Frankfurt a./M., Weber von Westerburg 
nach Heddernheim, Dr. Rosengart von Heddernheim nach Frankfurt a./M. 

Die Zahnärzte: Thörmer von Hannover nach Merseburg, Behrendt 
von Bromberg nach Berlin. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Beudel in Czempin, Rudolphi 
in Sprottau, Becker in Beigem, Kr.-Wundarzt San.-Rath Dr. v. Raesfeld 
in Dorsten, Dr. Leun in Duisburg, Dr. Müller in Burscheid, Dr. Trull 
in Arendsee, Rabitz in Stettin, Nebel in Gehrde. 

2. Bayern. 

(Münch, med. Wochenschr.) 

Niederlassung: Prakt. Arzt A. Cohn in Neunburg a./W. 

Verzogen: Dr. A. Theilhaber von Bamberg nach München. 

Gestorben: Ass.-A. II. CI. F. Traeger in Kehlheim. 


Gedruckt bei Julias Sitienfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 88 . 7. Juni 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet yon Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gattmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber acute multiple Myositis bei Neuritis. 1 ) 

Von Prof. Dr. Senator. 

M. H.! Wie Sie wissen, hat Leyden die acute und subacute 
multiple Neuritis zuerst als selbstständige Krankheit in die Patho¬ 
logie eingeführt und sie beschrieben als eine Krankheit, die, mit 
mehr oder weniger Fieber einsetzend, motorische und sensible Stö¬ 
rungen in den Extremitäten, meist symmetrisch, hervorruft und 
schnell zu atrophischen Lähmungen fuhrt. Anatomisch charak- 
terisirt sich die Krankheit als eine degenerativ-entzüudlicbe Neu¬ 
ritis. uud in diagnostischer Beziehung gegenüber anderen atro¬ 
phischen Lähmungeu ist besonders auf die Sensibilitätsstörungeu 
Gewicht zu legen. • In der verhältnissmässig kurzen Zeit seit 
Leyden’s ersten Mittheilungen ist die Casuistik sehr bereichert 
worden und hat im Allgemeinen seine Angaben nur bestätigt. Es 
sind aber einzelne Fälle mitgetheilt, in denen Neuritis ganz zweifel¬ 
los gefunden wurde, jedoch von Sensibilitätsstörungeu während des 
Lebens kaum eine Spur vorhanden gewesen sein soll. Sodann sind 
Fälle mitgetheilt worden, in welchen neben der Neuritis im Rücken¬ 
mark (vordere graue Substanz) mehr oder weniger erhebliche 
Veränderungen sich fanden. So ist man zu der Auffassung ge¬ 
kommen, dass die multiple Neuritis nur eine Theilerscheinung sei 
einer grösseren Reihe von Krankheiten, die durch die gleichen Ur¬ 
sachen hervorgebracht werden können, das eine Mal mehr das 
Rückenmark, das andere Mal mehr die peripherischen Organe, die 
Nerven und Muskeln ergreifend. Diese Auffassung ist nicht ohne 
Berechtigung. Wenn man aber weiter gehend gemeint hat, die mul¬ 
tiple Neuritis sei ein Theil einer bestimmten Systemerkrankuug, 
eine Erkrankung des cortico-musculären (Vorderhorn-, Nerven-, 
Muskel-) Systems, das nur motorischen Functionen dient, so kann 
man das für die Mehrzahl der typischen Neuritisfälle nicht gelten 
lassen. Denn dabei bleiben' gerade die charakteristischen Sen¬ 
sibilitätsstörungen unerklärt und namentlich die in typischen 
Fällen so ausgesprochene Druckschmerzhaftigkeit der Nervenstämme. 
Bei wirklichen Erkrankungen des genannten motorischen Systems 
fehlt diese ganz und gar, wie nach physiologischen Grundsätzen 
nicht anders zu erwarten ist. 

Uebrigens müssten nach dieser Ansicht auch die Muskeln primär 
ergriffen werden können. Diesen hat man bisher aber weniger Auf¬ 
merksamkeit geschenkt, als den Veränderungen der Nerven und des 
Rückenmarks. Es könnten sich aber manche, von dem gewöhnlichen 
Bilde abweichende Fälle vielleicht durch eine Primäraffection der 
Muskeln erklären lassen. 

In zwei Fällen, die zu beobachten ich Gelegenheit hatte, ergab 
in der That die Untersuchung der Muskeln sehr überraschende Re¬ 
sultate. 

I. Vor zwei Jahren kam ein 27jähriger Kaufmann in’s Augusta- 
liospital, der früher nicht erheblich krank gewesen sein will, nur 
vor zwei Jahren Gonorrhoe gehabt hatte. In dem vorhergegangenen 
Winter 1885/86 fühlte er sich angegriffen, um Neujahr machte sich 
leichte Ermüdbarkeit bemerkbar, es trat Husten und Kurzathmig- 
keit ein, dann konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. 


*) Vortrag, gehalten am 7. Mai im Verein für innere Medicin. Hei der 
Discussion über diesen Vortrag wurde die Meinung geäussert, dass eino Ver¬ 
wechselung mit der von Wagner, He pp u. A. neuerdings beschriebenen 
„Polymyositis* * geschehen könnte, weshalb ich den ursprünglichen Titel 
„multiple Neuritis und Myositis“ geändert habe. Die ausführliche Miltheilung 
erfolgt in der Zeitschrift f. klin. Medicin Bd. 14. 


will auch gefiebert haben. Er war ein grosser kräftiger Mann mit 
Zeichen beginnender Phthise, sonst war au den inneren Organen 
nichts Abnormes. Er fieberte in den ersten Tagen, dann nicht 
wieder. Er kann sich ohne Hülfe nicht aus dem Bett aufrichten, 
beide Extremitäten sind regungslos, die Füsse in paralytischer Con- 
tractur, die Zehen hyperextendirt, die Muskulatur der Beine durch¬ 
weg atrophisch und schlaff. Keine fibrillären Zuckungen. Nadelstiche, 
starker Druck werden zwar empfunden, aber schlecht localisirt. 
Leise Berührung wird gar nicht wahrgenommen, Lageveränderung 
der Beine auch nicht. Patellarreflex ist beiderseits ganz aufgehoben, 
die mechanische Erregbarkeit der Muskeln nur schwach vorhanden, 
die Beine sind in allen Gelenken leicht beweglich. Eine Extensiou 
der Hände ist ganz unmöglich, die Finger können nicht gespreizt 
werden. Die Muskeln der Arme sind ganz leicht atrophisch, die 
Sensibilität zeigt nur an den Händen leichte Störungen. Die 
Sehnenreflexe an den Armen sind anscheinend normal. Die Mus¬ 
kulatur des Rumpfes nicht atrophisch, der Cremasterreflex schwächer 
als normal. Druck auf die Muskeln der Beine, namentlich auf die 
Waden, ist äusserst schmerzhaft, ebenso Druck auf die Nerven¬ 
stämme. Die Pupillen normal, keine Darm- und Blasenstörungen. 
Urin normal. Pulsfrequenz immer sehr gesteigert (130—140). 
Starke Herabsetzung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit 
von Muskeln und Nerven im Bereich der unteren Extremität. 
Entartungsreaction nur vereinzelt angedeutet. Während des vier¬ 
wöchentlichen Aufenthaltes im Spital bildete sich ein Pleura¬ 
exsudat, das punctirt wurde, dann starb Patient in äusserstem 
Marasmus. Die Section ergab käsige Phthise, Pleuritis, Hyper¬ 
plasie der Milz, der Niere, fettige Infiltration der Leber. Das 
Rückenmark erwies sich bei genauer Untersuchung normal. In den 
j Nerven der Unterextremität fand sich parenchymatöse und inter- 

i stitielle Neuritis. 

Von den Muskeln zeigte sich der Biceps brachii wenig ver¬ 
ändert, namentlich alle Muskelfasern wohl erhalten, die Quer¬ 
streifung sehr deutlich, die Interstitien hier und da mit stark ge¬ 
füllten Capillaren und Keruwucherung, viele Fibrillen zeigen 
ausgesprochene Kernvermehrung, so als ob streckenweise Haufen 
von Kernen auf die Muskeln gestreut wären. Die Kerne waren von 
dreierlei Art: 1) die gewöhnlichen Stäbchen artigen Muskelkerne, 
die auch an inauchen Muskeln reichlicher vorhanden waren als 
normal; 2) grosse ovale Kerne mit grobkörnigem Protoplasma und 
deutlichem Kern; 3) kleine Kerne, so gross wie rothe Blutkörperchen, 
kreisrund, sehr dunkel nnd mit kaum erkennbarem Kern. Im 
Gastrocnemius ausserordentliche Hyperämie, die allerkleinsteu Ca¬ 
pillaren dicht gefüllt, wie injicirt, alle Interstitien stark verbreitert, 
mit hyperämischen, stark geschlängelten Gefössen, von denen reich¬ 
liche Kernwucherung ausgeht. Die Muskelfasern zum Theil ganz 
verschmälert, zusammengedrückt, stellenweise ist die contractile 
Substanz ganz verloren, sodass spindelförmige, rosenkranzähnliche 
Figuren entstanden sind. 

Die Muskelkerne selbst wieder sehr reichlich gewuchert uud 
an zahlreichen Stellen starke Pigmentablagerungen in Folge voran¬ 
gegangener Extravasationen. Also acute Myositis iuterstitialis. 
Tuberkelbacillen in Nerven und Muskeln nicht zu finden. 

II. Der zweite Fall, welcher nach etwa einem Jahre zur Be¬ 
obachtung kam, betraf einen 33jährigen Landwirth, der am 5. Sep¬ 
tember 1887 aufgenommen wurde. Seinen Angaben nach ist er 
als Kind skropliulös gewesen, hatte vor 5 Jahren Gelenkrheumatis¬ 
mus. danach Herzvergrösserung, musste eine Schieioperation am 
Auge vornehmen lassen und hat seitdem öfters Doppeltsehen. Er 


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450 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


war bis vor 3 Wochen gesund, dann nach einer heftigen Gemöths- 
bewegung trat Erbrechen, Durchfall, Fieber, Abgeschlagenheit auf. j 
Der Patient kann sich im Bett allein nicht aufrichten. Bewegungen j 
im Hüftgelenk sind schwach, etwas besser im Kniegelenk ausführbar. 
Die Muskulatur der Beine erscheint schlaff und abgemagert, die 
Pätellarreflexe fehlen, die mechanische Erregbarkeit ist etwas erhöht. 
Druck auf die Muskeln ist überall äusserst schmerzhaft, so dass er 
oft aufschreit. Besonders empfindlich sind die Wadenmuskeln und 
der linke Glutäus, weniger der rechte Glutäus. Druck auf die 
Xervenstäinme ist nicht empfindlich, die Sensibilität der Haut an 
den Beinen ist nicht nachweislich gestört, Stiche, Berührungen 
werden richtig localisirt, gröbere Temperaturunterschiede auch er¬ 
kannt, ebenso Stellungsänderungen bei geschlossenem Auge. Die Haut¬ 
reflexe sind vorhanden. An den Armen sind die activen Bewegungen 
etwas schwächer als normal, der Händedruck schwach, Druck auf 
die Muskeln ungemein empfindlich, Druck auf die Nerveustämme 
dagegen nicht schmerzhaft. Die Sensibilität der Haut ist nicht ge¬ 
stört. Schmerz- und Tastgefühl, Gefühl für Lageveränderung weisen 
keine Abweichung auf. Am Rumpf: Pectoralis und andere Mus¬ 
keln schmerzhaft, vou Blase und Mastdarm keiue Störung, auch 
nicht von Seiten der Hirnuerveu. Das Fieber war nur genug in 
den ersten Tagen. Vom o. Tage an war er fieberfrei. Der Puls 
war immer sehr beschleunigt (120--150). Die Hauptklage bilden 
immer die Muskelschmerzen, ausserdem die Schlaflosigkeit. Elek¬ 
trische Untersuchungen ergaben auch hier starke Herabsetzung der 
Erregbarkeit für beide Stromarten in den unteren Extremitäten, auch 
hier ist eiue Andeutung von Entartungsreaction. In den oberen 
findet sich eine geringere Herabsetzung der faradischen Erreg¬ 
barkeit in einzelnen Muskeln bei direkter Reizung und auch eine 
Andeutung von Entartungsreaction. Im weiteren Verlauf änderten 
sich die Erscheinungen insofern, als die Empfindlichkeit der Muskeln 
abnahra und nunmehr eine Empfiudlichkeit der Xervenstämme 
auf Druck eintrat. Eine Untersuchung am 13. October z. B. ergab 
die Sensibilität jetzt nachweisbar gestört, die Schmerzempfindungcu 
an den unteren Extremitäten verlangsamt, leise Berührungen werden 
gar nicht empfunden. Nach 3 Monaten, als Pat. auf seinen Wunsch 
entlassen wurde, war das Befinden etwas gebessert, er konnte die 
Beine etwas bew’egen, die Schmerzhaftigkeit hatte abgenommen, 
einzelne sensible Störungen bestanden noch fort. 

In einem Zwischenräume von 7 Wochen war eiue Exeision aus 
den M. gastrocuemii vorgenommen, zuerst rechts, dann links. Die 
Stückchen wurden theils frisch untersucht, dann das erste Mal 
sofort in Flemming’scher Lösung, das andere Mal in Müller’scher 
Flüssigkeit gehärtet. Es zeigte sich in vieler Beziehung Aelmlich- 
keit mit dem Befunde des 1. Falles: sehr starke Verbreituug der 
lnterstitien theils durch Kernwucherung um die Gefässe, die auch 
sehr hyperämisch waren, theils waren die lnterstitien einfach 
verbreitet, indem man helle Räume zwischen den Muskelfibrillen 
sah, wie durch Oedeme bedingt, starke Wucherung der Muskel¬ 
kerne, viele Muskelfasern atrophisch, stellenweise die muskuläre 
Substanz zu Grunde gegangen, schliesslich war nur ein Häufchen 
Kerne mit einer Spur contractiler Substanz noch vorhanden. Hier 
und da auch wieder viel braungelbes Pigment als Ueberbleibsel 
von stattgefundenen kleinen Blutungen. Bei dem 7 Wochen später 
ausgeschnittenen Stückchen des linken Gastrocnemius war die Hy¬ 
perämie nicht mehr so ausgesprochen, dagegen die hellen (öde- 
matösen) Räume mehr augedeutet als im Anfang und schon deut¬ 
liches fibrilläres Bindegewebe um die Fibrillen sichtbar. 

Als besonders bemerkenswert!) ist zu erwähnen der Befund von 
Mastzellen. Im Fall I. fanden sie sich in dem Endoneurium der 
Nerven und zwar in dem Ischiadicus in geringer Zahl, sehr spärlich 
in dem Mediauus, ein Befund, den Dr. Th. Rosenheim vor Kur¬ 
zem in einem Fall acuter Neuritis schou erhoben hat. Im zweiten 
Fall fanden sich in der Muskulatur, namentlich in dem erst aus¬ 
geschnittenen Stück, sehr reichliche Mastzellen, theils in den 
interstitiellen Geweben, theils der Muskelsubstanz selbst dicht an¬ 
liegend. In dem 7 Wochen später entnommenen Muskelstückchen 
fanden sie sich nur noch sehr vereinzelt und zeigte der Kern ein 
metachromatisches Verhalten. 

Epikritisch ist zu bemerken, dass in Fall I. die Diagnose von 
vornherein nicht zweifelhaft sein konnte, da der Fall sich typisch 
verhielt. Bei dem zweiten Fall war man anfänglich zweifelhaft; 
denn die sensiblen Störungen, namentlich die Empfindlichkeit der 
Nervenstämme auf Druck fehlten da ganz, während die Muskulatur 
auf Druck äusserst empfindlich war, so dass eine gewisse Aehnlich- 
keit mit Trichinose vorhanden war. 

Erst weiterhin traten jene sensiblen Störungen und damit das 
charakteristische Bild der Neuritis hervor. 

Die Muskeln nahmen deshalb ein besonderes Interesse in An¬ 
spruch. In den meisten Fällen von Neuritis, wo man auf die Mus¬ 
keln geachtet hat. faud mau uur degenerative Atrophie, allenfalls 


auch Kernvermehrung der Fasern, iuterstitielle Wucherung wurde 
in acuten und subacuten Fällen gar nicht oder uur in ganz geringem 
Grade beobachtet. Anders bei der chronischen Form von Neuritis. 
Bei Alkohol-, Blei- und anderen chronischen Neuritiden sind von 
verschiedenen Beobachtern interstitielle Veränderungen mehr schlei¬ 
chender Natur, ohne die starke Hyperämie gefunden worden. Mast- 
zellen sind bisher in den Muskeln des Menschen, soviel ich weiss, 
nicht beschrieben worden. Sie sind zweifellos nach Ehrlich als 
Begleit- und Folgeerscheinung gesteigerter Saftzufuhr anzusehen. 

Ist nun die von uns gefundene frische Myositis eine primäre 
Affectiou mit oder ohne gleichzeitige Neuritis, oder ist sic secuu- 
där, abhängig von Veränderungen im Nervensystem? 

Erb hat die Ansicht aufgestellt und vertheidigt, dass in vielen 
als multiple Neuritis beschriebenen und durch die Section als solche 
bestätigten Fällen die Nerven Veränderungen als secundäre, in Folge 
vou bloss functionellen Veränderungen des Rückenmarks einge¬ 
treten angesehen werden könnten. Die degenerative Atrophie 
der Nerven und Muskeln soll die Folge des aufgehobenen 
trophischen Einflusses von Seiten der Centren im Rückenmark sein. 
Nur die Fälle mit deutlich entzündlichen Veränderungen 
im Bindegewebe, zelliger Infiltration etc. will Erb als echte multiple 
Neuritis gelteu lassen. 

Allein man braucht vielleicht auch diese Einschränkung nicht 
einmal, wenn man sich auf Erb’s Standpunkt stellt, und könnte 
auch die entzündlichen Veränderungen als secundäre, durch bloss 
functioneile Störungen im Rückenmark bedingte ansehen. Denn 
Erb selbst hat vor Jahren in einer Arbeit über den Einfluss der 
Quetschung der Nerven auf die peripheren Theile derselben und 
die zugehörigen Muskeln als Folge der Aufhebung des tro¬ 
phischen Einflusses Veränderungen beschrieben, welche den 
unserigen ganz ähnlich sind, und die er selbst als entzündlich 
bezeichnet. 

Die betreffenden Untersuchungen Erb’s sind allerdings in der 
vorantiseptischen Zeit gemacht, und ich weiss nicht, ob man sie 
heute, soweit diese entzündlichen Veränderungen in Frage 
kommen, als beweiskräftig ansehen wird, ebönso die Untersuchung 
Mantegazza’s aus derselben Zeit und mit ähnlichen Ergebnissen. 
Erb selbst scheint ja nicht geneigt, eine wirkliche Entzündung der 
Nerven und Muskeln als Folge vou bloss functionellen Störungen 
in den Nerveucentraltheilen anzunehmen, und ich glaube auch nicht, 
dass Andere dazu geneigt sein werden. 

Es köuute sich also nur um die Frage handeln, ob die von 
uns gefundene echte acute Myositis vielleicht Folge der pri¬ 
mären Neuritis sei, indem die Entzündung, von dcu Nerven fort¬ 
kriechend, sich auf die Muskeln ausgebreitet habe, oder ob umge¬ 
kehrt die Entzündung primär in den Muskeln begonnen 
und centralwärts auf die Nerven sich ausgedehnt habe, oder 
endlich ob Neuritis und Myositis gleichstehende Affectionen, 
coordinirte Folgen einer und derselben Ursache seien. Ich möchte 
diese Fragen nicht auf Grund der beiden mitgetheilten Fälle ent¬ 
scheiden, glaube auch nicht, dass alle Fälle in gleicher Weise auf¬ 
zufassen sind, wie schon aus den Verschiedenheiten des klinischen 
Verlaufs hervorgeht. Es scheint mir, dass in vielen Fällen die 
peripheren Nerven primär erkranken, und zwar die ge¬ 
mischten Nerven mit sensiblen und motorischen Fasern, 
während die Muskeln nur secundär betheiligt werden mit de- 
generativer Atrophie, wofür auch die anatomische Untersuchung 
vieler solcher Fälle spricht. In anderen Fällen durften die Muskeln 
primär erkranken und die Nerven gleichzeitig, oder später, 
oder auch gar nicht. 

Für diese Ansicht scheint mir besonders der klinische Verlauf 
des zweiten Falles zu sprechen, und manche anderen Fälle, die, wie 
dieser, eine gewisse Aehnlichkeit mit Trichinose, wenigstens im 
Beginu zeigten. Auf diese Aehnlichkeit hat auch Eisenlohr schon 
hiugewiesen, und sie legt gerade den Gedanken an primäre Myositis 
nahe. Aber auch anatomisch scheint Manches diese Auffassung zu 
unterstützen, nämlich die in unserem ersten Fall in einzelnen Muskeln 
des Arms gefundene Veränderung, die interstitielle Hyperämie und 
das ausserordentliche, ganz auffallende Verhalten der Kerne, wäbreud 
die Nerven keine Abnormität zeigten. Allerdings sind die feinsten 
intramusculären Nervenendigungen nicht untersucht, aber selbst, 
wenn sich in ihnen Veränderungen entzündlicher Natur gefunden 
hätten, so würde dies uicht gegen die Ansicht einer primären Myo¬ 
sitis sprechen. 

Jedenfalls glaubte ich, auf Grund meiner Befunde die Auf¬ 
merksamkeit künftiger Forscher auf diesen Punkt lenken zu sollen. 


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DEUTSCHE MKDTCINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


451 


7. Jnni. 

II. Aus der Medirini scheu Klinik des Herrn 
Geheimen Medicinalrathes Prof. I)r. Biermer in Breslau. 

Die Diagnose des Diabetes. 1 ) 

Von Dr. Georg Rosenfeld, 

Assistenten am chemischen Laboratorium der Klinik. 

Es ist eine alltägliche Erscheinung, dass eine undeutlicli aus¬ 
fallende Zuckerreaction den Zweifel veranlasst, ob Zucker in dem 
untersuchten Harn vorhanden ist. Genau betrachtet, entsteht aber 
zugleich die Frage, ob, wenn wirklich geringe Spuren von Zucker 
entdeckt worden sind, damit etwas Pathologisches gefunden sei. 
Die erstere Frage zu entscheiden, steht die grosse Zahl der Proben 
zur Verfügung, die, von ihren Erfindern warm empfohlen als scharfe 
und sichere Reactionen, sich doch in der grossen Mehrzahl weder als 
besonders empfindlich noch als wirklich verlässlich schliesslich er¬ 
wiesen haben. Und andererseits spielt die Frage von der Bedeutung 
des Nachweises von Zuckerspuren als pathologisches Symptom auf 
das Gebiet der normalen Glykosurie über, auf welchem, wie selten 
auf einem Gebiete, der Kampf der Meinungen für uud wider wogt. 
Vielleicht gelingt es im Folgenden, zur Schlichtung dieses Streites 
beizutragen, und vielleicht erreichen wir durch Kritik der ange¬ 
gebenen Proben eine verwendbare Methodik' für das erstgenannte 
Problem, für den Nachweis von Zucker in kleinen Mengen. 

Dieser Nachweis ist von je her auf jede der drei charakteristi¬ 
schen Eigenschaften des Traubenzuckers, seine Reductionskraft, seine 
rechts drehende Kraft und seine Vergährbarkeit gegründet worden. 

Wenn auch a priori den Proben, welche sich nur auf eine 
dieser Eigenschaften stützen, keine absolute Beweiskraft zuerkannt 
werden kann, so haben doch alle Reductionsreactionen. w-enn wir 
diese zunächst betrachten, bei höherem Procentgehalt des Harnes 
einen so klassischen Ausfall, dass, wenn auch theoretisch immer 
noch Zweifel bleiben, doch der in praxi notlnvendige Grad von 
Sicherheit erreicht werden kann. Anders bei geringen Zucker¬ 
mengen. So ist, wenn ein Harn 3 % Zucker hat, der Ausfall 
der Kaliprobe nach Heller zwar ein eindeutiger und ganz 
charakteristischer — die tiefe Braun- oder Schwarzrothfarbung 
des Harnes ist nur dem Zucker eigenthümlich — aber diese 
Empfindlichkeit besitzt die Kaliprobe höchstens bis 1 °, 0 und 
ein wenig darunter; i /> 0 /oige Zuckerharne geben nur gelbe 
Färbung, wie sie normale Harue aufweisen. Da es in praxi aber 
recht oft darauf ankommt» Zucker bei V>, X U und. weniger Procent 
nachzuweiseu, so ergiebt sich die grosse Zahl zweifelhafter Reactionen 
bei dieser Probe von selbst. Um von vornherein diese Zahl zu 
vermindern, ist es nothwendig, diejenigen Proben zu kennen, welche, 
mit höherer Empfindlichkeit ausgestattet, jene zweifelhaften Reac¬ 
tionen möglichst selten auftreten lassen. Zugleich ist erforderlich, 
dass die Reaction nicht auch von jeder beliebigen reducirenden 
Substanz des Harnes hervorgerufen werden kann, von denen sich 
eine nicht geringe. Menge — die beachtenswerthesten sind Harn¬ 
säure, Kreatinin und Glykuronsäuren — im Harn vorfindet. 

Es sei gestattet, die raitgetheilten Zuckerproben mit Rücksicht 
auf diese beiden Punkte, Schärfe und Sicherheit, zu kritisiren. 

Die gebräuchlichsten aller Proben, die Trommer’sehe Kupfer¬ 
probe 2 ), ist an und für sich beweisend für das Vorhandensein 
des Zuckers, wie allgemein angenommen wird, nur dann, wenn 
noch vor dem Kochen oder höchstens beim Beginn des Kochens 
eine Ausfällung von Kupferoxydul oder Oxydulhydrat über 
die ganze Flüssigkeit hin plötzlich erfolgt. Diese Form zeigt 
die Probe aber meist bis 0,25%, höchstens bis 0,2%, und auch da 
tritt die Reaction oft erst bei Beginn des Kochens ein. 

Urin B. 

Ham mit 1% Zucker — Oxydulausfullung sofort 
. . 0,5% - — desgl. 

. 0,25% . — desgl. 

_ 0,125% - — desgl. nach etwa 20 Secunden. 

„ 0,0625% r — desgl. nach etwa 1 Minute. 

„ _ 0,05 % » — keine Ausfüllung. 

Da diese Reduction durch die grösste Zahl der reducirenden 
Substanzen im Harn hervorgerufen wird, so ist es sehr häufig, dass 
ganz zuckerfreie Harne nach kurzem Stehenlassen eine Reduction 


*) Nach einem, in der medicinischen Section der Schles. Gesellschaft 
für vaterländische Cultur gehaltenen Vortrage. 

Einen grossen Theil der Untersuchungen habe ich mit Herrn Dr. Kobrak, 
Volontärarzt an der inneren Abtheilung des Allerheiligenhospitals zusam¬ 
men angestellt, und es sind genauere Resultate in dessen Inauguraldisser¬ 
tation: Zum Nachweis kleiner Zuckermengen im Ham, Breslau, Juni 1887. 
niedergelegt. 

Salkowski’s Anweisung (Berl. klin. Wochenschr. 1879 No. 24) 
ist unbedingt, zu befolgen: es muss zu dem stark alkalisch gemachten 
Ham soviel Kupfersulfat gesetzt werden, bis sich kein Kupferoxydhydrat 
mehr löst. 


| ergeben, die durch ihr plötzliches Auftreten immer und immer 
I wieder die Frage wachruft, ob sie nicht doch von Zucker hervor¬ 
gerufen sei. Derartige. Nachreductiouen ergeben ca. 60% aller Harne, 
und gerade die Trommer’sche Reaction ist es, die am allermeisten 
jene zweifelhaften Reactionen liefert. Wenn man aber jene allein 
charakteristische Form der Oxydulausscheidung betrachtet, so wird 
man mit leidlicher Sicherheit 0,25% noch nachweisen können. 

Die Modification der Trommer’schen Probe mit derFehling- 
j sehen Lösung giebt seltener so auffallende Nachreductionen. wie 
I sie der Tromm er’schen Probe eigenthümlich sind, aber auch sie 
I erreicht keine höhere Empfindlichkeit, als die Trommer’sche 
Probe. Es ist also mit diesen Proben unmöglich, in einem Harn 
kleinste Zuckermengen auszuschliessen. Wir haben die Modification 
j geprüft, welche von Neubaur und Vogel 1 ) angegeben ist, die 
Pehling’sche Lösung in der Kälte wirken zu lassen. Abgesehen 
davon, dass das Verfahren durch seine lange Dauer umständlich 
ist, so ergiebt diese Probe keine besseren Resultate, wie die Er- 
wärmungsreaction, sie ist. bis 0,25% empfindlich. 

Harn mit I % Zucker 1 
„ . 0,5% _ ) Deutliche Reaction. 

- . 0,25% . | 

V Gelbgrünlicher Niederschlag. 

} Keine Reaction. 

ganzen Bedenken der Unsicherheit einer 
Reductionsprobe an, welche ja bei der Fehling’scheu und der 
i Trommer’schen Probe nur schwinden, wenn man jene plötzliche 
I und charakteristische Ausfällung des Kupferoxyduls sieht. 

Den Uebelstand, mit den reducirenden Substanzen des Harnes 
rechnen zu müssen, sollte die von Seegen angegebene Methode 
des Kohlenverfahrens heben. Der Harn wird auf gut wirksame 
Knochenkohle gegossen und filtrirt,. Das Filtrat fängt man auf und, 
; da die Kohle einen Theil des Zuckers zurückhält, wäscht man 
nachträglich die Kohle noch mit Wasser aus. Jedes der Wasch¬ 
wässer fängt man auf und untersucht es gesondert. Der Theorie 
i nach soll das Filtrat von dem hauptreducirenden Körper, der Harn¬ 
säure, befreit sein, sollen die Waschwässer sogar eine wässerige 
I Zuckerlösung darstellen, in der ja die volle Empfindlichkeit der 
1 Tromm ersehen Probe zum vorscheiu kommen würde. Die hohe 
j Verdünnung aber, welche das Waschwasser erfährt, macht es er¬ 
klärlich, dass von der theoretisch gewünschten Schärfe der Reaction 
vieles fehlt. Ausserdem ist das Filtrat durchaus nicht immer von 
reducirenden Substanzen befreit. 

Urin C. 

1. Wasch- 2. Wasch- 3.Wach- 


Harn mit 0,25% 

Filtrat. 

Reaction während Sehr deut-. 

wasser. 

Deutlich. 

wasser. 
Ziemlich ■ 

wasser. 

Spuren 



0,166% 

des Kochens, 
do. 

lieh 

do. 

do. 

deutlich, i 
do. 

0 


* 

0.125% 

Reaction fast un¬ 

Deutlich 

Ziemlich 

V 

0 



0,1% 

mittelbar nach 
dem Kochen, 
do. 

do. 

deutlich. 

do. 

Spuren. 

0 



0,0625% 

! j Reaction mehrere 

do. 

? 

Spuren. 

0 

* 

* 

0,05% 

11 Secunden nach 

do. 

0 

0 

0 



0,04% 

;( dem Kochen 

do. 

0 

0 

0 



0,033% 


0 

0 

0 

0 


*4 

0,025% 

! 0 

0 

0 

0 

0 

- 

- 

0,02o,o 

0 

0 

0 

0 


Wir können der Reaction keinen grösseren Werth zuerkennen, 
als dass sie hier und da bis zu 0,1% Zucker allenfalls nachweist, 
keineswegs mit grosser Sicherheit, und wenn sie überhaupt einen 
Vortheil hat, so ist sie höchstens eine kleine Ergänzung der 
Trommer'scheu Probe. 

Die nächste Reaction, welche wir prüften, die Wismuthprobe 
nach Böttcher, bei welcher der Harn mit kohlensaurem Na- 
1 tri um alkalisch gemacht und mit einer Messerspitze salpeter¬ 
sauren Wismuthoxyds versetzt wird, ist im Allgemeinen nur 
sehr zweifelhaft renommirt. Es werden ihr verschiedentliche Schäden 
nachgesagt, welche aber unsere Erfahrungen nicht bestätigen können. 

; Die Probe wird durch Harnsäure und Kreatinin nicht beeinflusst, 
wird durch Eiweiss, selbst wenn es in den grössten Mengen vor¬ 
handen ist, kaum gestört. Als beweisend ist dann nur eine totale 
i Schwarzfärbung des ausfallenden Wismuthpulvers anzusehen, wie 
wir sie gewöhnlich bei 0,1%, hie und da aber erst bei 0,125% 
wahrgenoramen haben. 

Urin mit 0,5% Wismuth fallt schwarz zu Boileu. 


- 0,25 o/„ 

. 

. 

do. 



. 0,125o/o 


. 

do. 

. 


- 0,1 o/o 

- 

„ 

do. 

_ 



„ . 0,065% - „ bräunlich r „ 

Es empfiehlt sich, die Probe mit kohlensaurem Natrium in 
Substanz anznstellen, damit man von selbst genöthigt sei. etwas 

*) Neubaur uud Vogel. Lehre vom Ham. 1872. p. 161. 


. .. 0,125% „ 

. . 0,0625% . 

- . 0,05 "o 

Uud es haften ihr die 


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452 


DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


länger zu kochen, denn man muss die Probe 2—3 Minuten iiu 
Kochen erhalten, wenn sie mit Sicherheit eintreten soll. Eiu 
schwarzer Ring um das weisse Wismuth ist nicht beweisend. Somit 
ist diese Reaction ausgezeichnet durch eine Empfindlichkeit bis 
ca. 0,1%, bei welcher Concentration die Ausfüllung des schwarzen 
Pulvers eine scharfe Abgrenzung bildet gegenüber den höchstens in einer 
geringen Bräunung bestehenden Reactionen des zuckerfreien Harnes. 1 ) 

Die von Rubner 2 ) angegebene Probe, wonach 10 ccm Harn 
mit 3 g Bleiacetat versetzt werden, dann filtrirt und mit Ammo¬ 
niak versetzt erwärmt wird, zeigt 

bei zuckerfreiem Ham — weissen Niederschlag, 

bei Harn mit 0,05% Zucker — do. 

. 0,1% - — röthlichen Niederschlag, der 

langsam in Gelb übergeht, 

, „ 0.25% - — rosa Niederschlag. 

Die Probe ist bis 0,1% empfindlich und von ziemlicher 
Sicherheit. 

Die von Johnson-' 1 ) angegebene Probe mit Pikrinsäure 
und Kalilauge kann nach folgender Tabelle beurtheilt werden: 

Pikrinsäure mit Kalilauge und Wasser . . lichte Rüthung, 

. mit mehr Kalilauge u. Wasser . gleiche Röthung. 

Harn mit 0.1%.dunklere Röthung. 

- O,1250/ 0 . do. 

„ 0,25%.tiefdunkle Röthung, 

ti 0,5 %. do. 

- - 3,0%.: . . do. 

Die Probe ist, wenu nicht eine tiefduukle Rüthung eintritt, schwer 
abzugrenzen gegen normalen Harn und dessen Röthung, auch spielt 
der Zusatz der Menge Kalilauge ein wenig mit. Sie ist also nicht 
sonderlich empfindlich und etwas schwer zu beurtheilen. 

Von anderen Proben haben wir geprüft die von Moli sch 4 ) 
angegebene Zuckerreaction mit Alphanaphtol und Schwefel¬ 
säure und Thymol und Schwefelsäure. So gefällig die 
Reaction ist, so ist sie von ziemlicher Unsicherheit und höchstens 
bis 0,050/o anzuwenden. 

Die Probe mit Diazobenzolsulfosäure, welche von 
Pentzoldt 5 ) angegeben worden ist, ist derart anzustelleu, dass die 
frisch bereitete Diazobenzollösung 0 ) ziun Harn zugegossen und der 
Ham alkalisch gemacht wird. Es tritr alsdann eine tiefrotlie Fär¬ 
bung von der Farbe der schwarzen Kirschen auf. welcher ein 
Schüttelschaum von tiefblutrother Farbe entspricht. Die Reaction 
ist bis 0,05% empfindlich, es haftet ihr aber das Bedenken an. 
dass sicherlich Aceton und Brenzkatechin ähnliche Erscheinungen 
geben, und dass ihre Grenze sehr schwer erkennbar ist. Vielleicht 
sind noch manche andere Substanzen vorhanden, welche bei dieser 
Reaction störend wirken. 

In neuester Zeit hat Agertini eine Reactiou angegeben mit 
Goldchlorid und Kalilauge. Zu 5 Tropfen Harn werden 
5 Tropfen 72% Goldchloridlösung und 3 Tropfen 20% Kali¬ 
lauge zugesetzt. Auf Erwärmen soll alsdann eine weinrothe Fär¬ 
bung eintreten. Bis zu 7 m% zeigt diese Probe einen deutlichen 
Ausfall. Leider tritt die Reaction aber auch ein — und das ist 
bei der leichten Zersetzlichkeit des Goldchlorids von vornherein 
wahrscheinlich — bei Harnen, welche durch Gährung absolut 
zuckerfrei gemacht worden sind, so dass sie keineswegs als ein ver¬ 
lässliches Zuckerreagens aufgefasst werden kann. 

Fassen wir die bisherigen Proben, die wir als Reductions- 
proben anführen könnten, in einem Resume zusammen, so ergiebt 
sich, dass die Trommer’sche Probe und die Fehling’sche Probe 
bei 0,25% schon das Ende ihrer Wirksamkeit erreicht haben, dass 
die anderen Proben hier und da eine Wirksamkeit bis zu Hundertsteln 
von Procenten geben, aber einer grossen Unsicherheit immer noch 
unterworfen sind. 

Die beste dieser Proben ist die echte Böttchersehe Wismuth- 
probe, welche am wenigsten zweifelhaft ist und eine leidlich aus¬ 
reichende Sicherheit bis zu 0,1% liefert. Gleichwohl wird Jedem, 
der derartige Grenzreactionen beurtheilen soll, der Gedanke der 
nächstliegende sein, dass alle diese Proben einzeln genommen nicht 
im Stande sind, mit voller Sicherheit den Zucker als solchen er¬ 
kennen zu lassen. 

Ganz anders steht es mit der Polarisationsprobe hinsicht¬ 
lich ihrer Sicherheit. Die Rechtsdrehung im Harn gehört aus- 

*) Salkowski (Centralblatt für die raedic. Wiss. 1885. Nr. 25) macht 
darauf aufmerksam, dass Rhabarberharne die Wismuthreaction Vortäuschen 
können. 

*) Rubner. Zeitschrift für Biologie, Bd. XX, p. 397. 

*) Johnson’s Medic. Times and Gazette No. 1708 citirt nach Vir- 
chow-Hirsch Jahresber. 1883. 

4 ) Moli sch. Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften 1887, 
No. 8 und 4. 

5 ) Pentzoldt. Berl. klin. Wochenschr. 1883, No. 14. 

6 ) Es genügt meistens auch — nach Korach — Diazobenzolsulfo¬ 
säure in Substanz zuzusetzen. 


schliesslich dem Zucker zu. Es könnte höchstens noch Rohrzucker 
in Betracht kommen, welcher nach ineineu Erfahrungen wohl fast 
nur bei Simulanten im Harn gefunden werden kann. Leider ist 
aber die Polarisationsprobe nicht empfindlich genug, um weniger als 
0,2% mit voller Sicherheit nachweisen zu lassen. Wenn es schon 
gelingt, auch 0,1% damit zu erkennen, so ist die Beobachtung 
immerhin derart in den Fehlergrenzen, dass auch ihr eine Unsicher¬ 
heit anhaftet. 

Wie wir gesehen haben, erreichen wir so weder mit der Eigen- 
thümlichkeit des Zuckers, Metalloxyde zu reduciren, eine ausreichend 
sichere Reaction für die Grenzwerthe des Zuckers, noch mit Be¬ 
nutzung seiuer rechtsdrehenden Kraft, und so ist denn die Zuflucht 
zu der Vergährbarkeit des Zuckers eine sehr natürliche, und gerade 
die Gährungsprobe hat von je her das Renomme, sicher und em¬ 
pfindlich zu sein. 

Zur Anstellung der Gährungsprobe wird der Harn mit einem 
erbsengrossen Stück Presshefe geschüttelt und alsdann in ein 
Gährungskölbchen gefüllt. Zugleich wird eine ebenso behandelte 
Zuckerlösung iu einem Kölbchen angestellt, und ein drittes Control¬ 
kölbchen wird lediglich mit Wasser und Hefe versetzt stehen ge¬ 
lassen. Die Zuckerlösung mit Hefe soll uns orientiren, ob die Hefe 
überhaupt gährungsfähig ist (diese Vorsicht ist bei frischer Hefe 
natürlich ganz überflüssig). Das Kölbchen mit Wasser und Hefe 
dagegen hat den Zweck, die Hefe in ihrer Selbstvergährung zu be¬ 
obachten. Der ideale Ausfall der Probe würde eine Luftblase, aus 
Kohlensäure bestehend in der Kuppe des Harngährungskölbchens 
zeigen, eine grosse Luftblase in der Zuckerlösung und keine Luft¬ 
blase über der Wasserhefelösung. Für die wirkliche Ausführung 
der Gährungsprobe sind zwei Fehler zu beseitigen. Auf den 
einen derselben hat Einhorn 1 ) aufmerksam gemacht, indem er 
zeigte, dass Wasser im Kölbchen allein ohne jede Hefe nach 
einigen Stunden eine fast die ganze Kuppel erfüllende Luft¬ 
blase aufweist. Er war im Stande, die Quelle dieser Luftblase in 
der ursprünglich vom Wasser absorbirten atmosphärischen 
Luft nachzuweisen, welche beim Stehen im Gährungskölbchen im 
Wasser frei wurde und sich in der Kuppel des Gährungskölbcheus 
ansammelte. Dasselbe Bläschen muss natürlich bei jeder Gährung. 
die in solcher Weise vorgeuommen wird, eo ipso entstehen. Dieser 
Fehler lässt sich leicht beseitigen, wenn man nach Einhorn die 
Flüssigkeit mehrere Minuten lang kocht. Die so modificirte 
Gährungsprobe wird nun derart angestellt, dass man den Harn erst 
durch etwa 10 Miuuten kocht, ihn dann erkalten lässt 
und nun mit Hefe versetzt in das Reagensglas hineinfüllt. Der 
zweite Fehler beruht darin, dass man die Selbstvergährung der 
Hefe als einen Factor betrachtet, der durch richtige Auswahl der 
Hefe vermieden werden kann. Diese Thatsache kann ich mit 
unseren Beobachtungen nicht bestätigen. Wir haben die vorzüg¬ 
lichsten Hefen aus mehreren Presshefefabriken bezogen und haben 
als eine unausbleibliche Thatsache gefunden, dass Hefe mit ge¬ 
kochtem Wasser versetzt sofort selbst vergährt. Diese 
Selbstvergährung ist bei grossen Mengen Hefe, wie man in einem 
kleinen Glasgasometer, in welchen man ca. 100 g Hefe mit ge¬ 
kochtem Wasser hineinfüllen kann, verfolgen kann, schon nach 
höchstens 2 Stunden im vollen Gange, bei den geringen Mengen 
Hefe aber, welche zur Gährungsprobe verwandt werden, tritt wie 
wir durch Versuche festgestellt haben, eine nennenswerthe Luftblase 
erst nach sechsstündiger Gährung bei Brütofentemperatur 
ein, während bei Zimmertemperatur nach 15stiindigem 
Stehen gekochte Urine mit Hefe keine Luftblase aufwiesen. 

l2l : hrMittags. 6 Uhr Nachmittags ! 8'/a Uhr Vormittags 

Gekochtes 
Wasser 


-1- Hefe 
Gefäss A und B. 

0.1% Zucker¬ 
lösung 

-f- Hefe , P . . 

Getos A und B. T i". 


Gefäss A und 
Gefäss B 
werden im 
Brütofen einer 


losung 
+ Hefe 

Gefäss A und B.( 
Urin mit Zucker 

0,1 o/o + Hefe 
0,05% ilto. 
0,04% dto. 
0,03% dto. 
0,025% dto. 
0,02% dto. 

GekochterU rin 
4- Hefe 


ausgesetzt. 


Abends 6 Uhr 


bei Zimmer¬ 
temperatur 
angestellt. 


t Gefäss A 

! Gefäss B 

Gefäss A 

Gefäss B 

0 

0 

Kirsch 1 

Erbsen¬ 



kemgrosse 

grosse 

1 


Blase. 

Blase. 

Stecknadel- 

Linsen¬ 

Reichlich 

Kuppel 

. kopfgrosse 

grosse 

die Kuppel 

erfüllende 

Blase. 

Blase. 

erfüllende 

Blase. 



Blase. 


.Hirsekorn-: 

Blase, 



grosse 

Hälfte derj 

do. 

do. 

Blase. 

Kuppel er-, 


füllend. 



r. Morgens 9 Uhr. 

Mittags 

1 Uhr. 


Hirsekomgrosse Blase. Linsengrosse Blase, 
do. do. 

Hirsekomgrosse Blase, 
dto. 

0 

Kleine Stecknadel* 
kopfgrosse Blase. 
Stecknadelkopfgrosse 
Blase. 


Keine Blase. 


*) Einhorn. Virchow's Archiv Bd. 102, p. 263. 


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7. Juni 


Alsdann haben wir stecknadelkopfgrosso. linsengrosse Bläschen ! 
iu der Kuppel des Reagensgläschens wahrzunehinen. Vorher bis I 
6 Stunden ist eine gute, nicht riechende Hefe, welche keiue Stärke I 
enthält, erfahrungsgemäss nicht vergohren. Mit dieser Controle, : 
d. h. nicht über 6 Stunden ausgedehnt, angestellt, erlangt die | 
Gährungsprobe eine gewisse Sicherheit und sie erreicht eine Ein- ; 
ptindlichkeit bis 0,05°/ n . Da aber immerhin eventuell die Selbst- ! 
vergährung der Hefe eiu etwas unsicherer Factor ist, mit dem schwer i 
zu rechnen ist, so könnte es doch wohl einmal kommen, etwa bei 
etwas reichlicherem Hefezusatz oder bei wärmerer Zimmertemperatur, 
dass das kleine Bläschen in dem mit Hefe versetzten Urin doch 
der Seibstvergährang der Hefe angehört, und so suchte ich jenes 
merkwürdige Factum der Selbstvergährung der Hefe auszuschalten. ! 
Dazu war es erforderlich, eben jenes räthselhafte Wesen der . 
Selbstvergährung aufzuklären. Da # die Presshefe nur aus drei 
Substanzen sich zusammensetzt, aus den Hefezellen, aus den Bac- 
terien und aus den chemische!) Beimischungen der Hefe, so waren i 
a priori nur drei Möglichkeiten für die vergohrene Substanz ge- I 
geben. Entweder sind die chemischen Beimischungen, welche J 
die Presshefe enthalt, dasjenige, was eben vergohren wird, oder ; 
die Hefen fressen todte Zellen oder überhaupt irgend welche 
Zellen auf und vergähren diese, oder die Bacterien, welche in der 
Hefe enthalten sind, fressen die Hefe oder die Grundsubstanz auf. I 
Ob das Vergohrene die chemischen Beimischungen seien. ! 
suchte ich dadurch zu eutscheideu, dass ich Hefe auf das Filter I 
brachte und mit grossen Mengen Wassers möglichst sorgfältig aus- j 
wusch. Fielen diese chemischen Beimischungen der Vergährung 1 
durch die Hefe anheim, so mussten sie ja zu den überhaupt durch 
die Hefe angreifbaren Substanzen, i. e. Zuckerartcu gehören. Aber 
weder Traubenzucker noch Rohrzucker noch Laevulose liess sich im 
Waschwasser nachweisen. Nun wurde untersucht, wie die ausge¬ 
waschenen Hefen sich bezüglich der Selbstvergährung verhielten; 
diese trat aber ein, wie bei den nicht ausgewaschenen Hefen. So 
war es mir unwahrscheinlich geworden, dass die chemischen Bei¬ 
mischungen der Hefe von der Hefe vergohren würden. Um dem 
Einwurf zu begegnen, dass die ausgewaschenen Hefen nicht voll¬ 
ständig ausgewaschen waren und etwa noch vergährbare Substanzen 
enthielten, trocknete ich die ausgewaschene Hefe und zerstampfte 
sie zu feinstem Pulver, welches ich nachher zum grössten Theil iu 
warmem Wasser auflöste. Auch dieses Hefepulver, die gesammten ! 
nicht auswaschbaren Bestaudtheile der Hefe enthaltend, wies keine j 
Stärke, keinen Rohrzucker, keinen Traubenzucker auf. Somit | 
konnten wir keinen Körper, den die Hefen zu vergähren im Stande 
wären, weder in den chemischen Beimischungen, noch in der Hefe 
selbst entdecken. Es spitzte sich somit immer mehr der Verdacht 
daraufhin zu, dass die Hefen in der Presshefe nicht die vergähren- 
den Agentien sein konnten. Für die Betheiligung der einzig übrig 
bleibenden Bacterien war nun sehr in\s Gewicht fallend der Umstand, 
dass offenbar eine Eiweissspaltung, von der man doch anzunehmen , 
berechtigt ist, dass sie der Hefe nicht möglich ist, wahrscheinlich 
gemacht wird durch die starke Schwefelwasserstoffentwicke- 
lung bei der Vergährung der Hefe. In der lange stehenden Hefe 
entwickelte sich ein mephitischer Gestank nach Schwefelwasserstoff, 
den man ja als Begleiter der Eiweissfäulniss kennt. Die Mengen 
von Schwefelwasserstoff, welche dabei entstehen, sind beträchtliche, j 
und von diesem musste man doch annehmen, dass er aus einer 
schwefelhaltigen Substanz entwickelt wurde, als welche das Eiweiss 
anzusehen recht nahe lag. 

Unterstützt wurde diese Anschauung durch das Verhalten vou 
Reinculturen der Hefen. Ich habe drei Arten von Hefe cultivirt, welche 
durch eine Reihe von Unterscheidungsmerkmalen sich auseinanderhal¬ 
ten lassen. Ihre genaue Beschreibung ist in der Dissertation des Herrn 
Dr. Kobrak zu finden. Da eine derselben hauptsächlich zu diesen 
Versuchen verwandt worden ist, so will ich mich darauf beschrän¬ 
ken. nur diese zu schildern. Sie zeigt eine auf saurem Zucker¬ 
agar auffallend trockene, mit grosser Wachsthumskraft sich ent¬ 
wickelnde Cultur. Die Energie des Wachsthums ist so bedeutend, 
dass nach zwei Tagen häufig die ganze Agarfläche überwuchert ist, 
und sich die Hefe sogar an den nackten Glaswänden in die Höhe 
zieht. Trotz dieses ausgezeichneten Wachsthums auf Zuckeragar 
hat, auf demselben cultivirt, die Hefe eiue äusserst geringe 
Gährungskraft, die sich erst steigern lässt, wenn man 
die Hefe auf Kartoffeln überimpft. Um nun aber der Ge¬ 
fahr, Kartoffelstückchen mit in den zu untersuchenden Harn zu 
bringen, zu vermeiden, haben wir nicht die gewöhnlichen weichen 
Kartoffeln benutzt, sondern haben quadratische Säulen von Kar¬ 
toffelstückchen in Reagensgläser hineingefüllt, diese an drei auf 
einander folgenden Tagen durch dreistündiges Kochen sterilisirt, 
und dadurch eine sehr feste tiefbraune Masse gewonnen, welche 
allmählich immer schwärzer und trockener wurde, ohne dass das 
Wachsthum der Hefe sich dadurch beeinträchtigt zeigte. Die weiss 
und etwas erhaben wachsenden Hefeculturen sehen auf dem 


453 

schwarzen Untergründe wie Zuckerguss aus. Von diesen Kartoffel - 
Stückchen liess sich leicht mit einem Platinspatel eine Reihe von 
Schuppen von Hefe abstossen; diese wurden gesammelt und zur 
Gährung benutzt. Es wurde natürlich mit allen bacteriologischen 
Cautelen gearbeitet, die Hefe in steriles Wasser in dem sterilisirten 
Gährungskölbchen verpflanzt und ebenso in Zuckerlösungeu und in 
zuckerhaltigem Harn. Nach der eventuellen Gährung wurde durch 
ein neues Plattengiessen die Reinheit der Cultur festgestellt. Auf 
diese Weise haben wir beobachtet, dass niemals eine Luftblase 
der Selbstvergährung eintrat. Doch wollen wir dies nicht 
mit absoluter Bestimmtheit behaupten, nicht unser vielfach wieder¬ 
holtes Experiment als durchaus beweisend betrachten, denn es 
konnte wohl sein, dass die Hefen, trotzdem sie auf Kartoffeln ge¬ 
impft waren, doch nicht eine intensive Gährungskraft entwickelten. 
Daran krankten vor allen Dingen unsere Versuche. Wenn wir auch 
so eine immerhin recht eindeutige Gährung bis zu 0,05 % erreichen 
konnten, so konnte man selbst bei 1 % Zucker nicht unbedingt 
darauf rechnen, dass die Hefe den Zucker vergohr, da sie iu ihrer 
Gährungskraft unsicher war. So ist weder die nach Einhorn 
modificirte Gährungsprobe von ganz besonderer Sicherheit, noch 
auch unsere Gährung mit reiner Hefe, die sich schon durch ihre 
ungeheuere Schwierigkeit von selbst verbietet, für den Zuckernach¬ 
weis verwerthhar. (Schluss folgt.) 

III. Aus dem pathologischen Institut zu Strassburg. 

Untersuchungen über die Entstehung der 
Cysten der Scheide. 

Von Dr. S. Takahasi. 

Obwohl zahlreiche Untersuchungen über die Entstehung der 
Scheidencysten von verschiedenen Autoren gemacht worden sind, 
gehen die Ansichten hierüber noch sehr auseinander. In Folge 
ihrer Aehnlichkeit mit den in anderen Organen vorkommenden Re¬ 
tentionscysten sind einige Autoren [v. Preuschen, 1 ) Hennig,-) 
Hückel*)] anzunehraen geneigt, dass sich die Scheidencysten aus 
den Drüsen der Vaginalschleiinhaut bilden. Da aber das Vorkommen 
von Drüsen in der Scheide anatomisch noch nicht sicher nachge¬ 
wiesen worden ist, wird diese Ansicht von anderer Seite bestritten 
[Kaltenbach, 4 ) Eppinger 5 )], um so mehr, als die Frage, ob die 
Schleimhaut der Vagina seoernirende Drüsen besitze, noch gänzlich 
offen ist. 

v. Preuschen 0 ') beschreibt Drüsen, welche in doppelter 
Form raässig tiefe, breite Krypten und sclilauchartige Einstülpungen 
darstellen. In den anatomischen Lehrbüchern spricht zunächst 
Henle") von nur ausnahmsweise vorkommenden conglobirten Drüseu, 
während er das Vorhandensein secernirender Drüsen ganz in Abrede 
stellt. Nach Hyrtl 8 ) besitzt dagegen die Scheidenschleimhaut rich¬ 
tige Drüsen, wenn auch nur wenige und einfache Schleimdrüsen. 
Luschka 9 ) beschreibt sogar kleinste, orduungslos zerstreute acinöse 
Drüschen, besonders am Fornix vaginae sowie zu beiden Seiten des 
Scheideneinganges. 

Andererseits sprechen sich Levdig. 10 ) Köl liker 11 ) und 
Eppinger 12 ) entschieden für die Drüsenlosigkeit der menschlichen 
Vagina aus. Auch Foldt ia ) sah niemals Drüsen, sondern nur 
follikelähnliche Einlagerungen in höchst wechselnder Anordnung. 
Auch soll nach der Angabe von Chiari 14 ) schon Haller runde 
bläuliche Flecke, die wie Vertiefungen aussahen und welchen 
Man dt 15 ) die Bezeichnung der Haller’schen Flecke beilegte, auf 
der dem Uterus zunächst liegenden glatten Scheidenschleimhaut er¬ 
wähnt haben. Mannigfaltige Untersuchungen, welche von Löwen- 


*) v. Preuschen. lieber Cystenbildung in der Vagina. Yirchow's 
Archiv Bd. LXX, p. 111, 1877. 

*) Hennig. Ueber Drüsen in der Vagina. Archiv für Gynäkologie. 
Bd. XII, 1877, p. 488. 

®) Hückel. Anatomische Untersuchungen über Colpohyperplasia evstiea. 
Virchow’s Archiv, Bd. XCIII, p. 204, 1883. 

4 ) Kaltenbach. Zusammengesetzte Cyste der Scheide. Archiv für 
Gynäkologie, Bd. V, p. 138, 1873. 

s ) Eppinger. Emphysema vaginae. Zeitschrift für Heilkunde. Bd. I, 
p. 369, 1880. 

8 ) v. Preuschen, I. c. 

7 ) Henle. Eingeweidelehre, p. 469, 1875. 

8 ) Hyrtl. Topographische Anatomie. Bd. II, 7. Auflage, 1882, 
p. 204. 

®) Luschka. Anatomie. 

,u ) Leydig , 

n ) Kölliker > Citat von '•*) Eppinge r, 1. c. 

») Foldt ’ 

M ) Chiari. Ueber die Gascysten der menschlichen Scheide. Zeitschrift 
für Heilkunde, Bd. VI, p. 81, 1885, Prag. 

,5 ) Mandt, Citat von Chiari. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICTNTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


454 

stein*) angestellt wurden. ergaben ferner, dass die Schleimhaut 
der Vagina sowohl beim Menschen als bei verschiedenen Haus- 
süugethiercn Lymphfollikel enthält. Diese solitär stehenden Follikel 
haben in der Mehrzahl der Fälle ihren Sitz im oberen glatten Theil 
der Vaginalschleimhaut, sie kommen aber auch im unteren falten¬ 
reichen Theile vor, und zwar entweder auf der Höhe oder zwischen 
den Falten. Der Gehalt der Mucosa vaginae an solchen Follikeln 
erscheint aber individuellen Schwankungen unterworfen, so dass sie 
sogar mitunter ganz fehlen können, v. Freu sehen konnte wiederum 
aus seinen mikroskopischen Präparaten niemals wirklich geschlossene 
Follikel auffinden, wohl aber makroskopische Bilder, welche mit 
Henle\schen Drüsen übereinstimraen; er gelangte daher mit 
Eppinger zu der Annahme, dass es sich bei den Henle'schen 
eonglobirten Drüsen um einen pathologischen Befund gehandelt 
habe. 

Unter den von mir im pathologischen Institut untersuchten 
sechs menschlichen Vaginen konnte ich nur zweimal follikelartige 
Bildungen constatiren. niemals aber Drusen oder drüsenartige Ge¬ 
bilde in irgend einem Präparate. 

In einer Vagina, wo keine Cysteubildung vorhanden, werden 
solche lymphatischen Follikel in ziemlicher Anzahl im Bereiche, 
des hinteren Scheidengewölbes vorgefunden, während in den 
Schnitten, die aus dem vou der Portio entfernten Theile gefertigt, 
wurden, nur einmal ein Follikel beobachtet wird. Auch an der 
hinteren Lippe der Portio vaginalis zeigen sich gauz ähnliche Ge¬ 
bilde. Sie liegen unmittelbar unter dem Epithel, welches sich 
über ihnen keineswegs gegen die übrige Oberfläche erhebt, und sie 
bestehen aus Zellen, die mit den die Mucosa infiltrirenden Rund¬ 
zellen gleiche Form und Grösse haben. Die Follikel sind ferner 
von dem umliegenden Gewebe ziemlich abgegrenzt und von un¬ 
regelmässiger Gestalt; sie zeigen in einigen Fällen mit der Scheide 
communicirende oder abgeschlossene centrale Höhlungen. Man 
kann die Follikel bei durchfallendem Lichte schon mit freiem Auge 
als Pünktchen deutlich erkennen. Die Schleimhaut der Vagina ist 
im Uebrigen stark zeitig infiltrirt, ihr Epithel ziemlich gut er¬ 
halten und besitzt in der untersten Schicht eine Cylinderzellen- 
reihe, wie dies schon v. Preuschen beschreibt, die Papillen sind 
hypertrophisch. 

ln einer anderen Vagina (IV. Fall s. u.) finden sich, und zwar 
in der unteren Hälfte der Scheide, ebenfalls derartige Gebilde, in 
welchen die Zellen ganz dicht gedrängt sind. Sie kommen hier 
in einer zellig infilt.rirten Schleimhaut in Gemeinschaft mit mul¬ 
tiplen kleinen Cystchen vor. 

Wir haben also im ersten Falle dasselbe Verhältniss vor uns. 
wie es Löwen stein beschrieben hat. Die Annahme aber, dass 
die gefundenen Gebilde normale Lymphfollikel sind, scheint in 
diesem Falle wegen des gleichzeitig bestehenden entzündlichen Zu¬ 
standes der Schleimhaut nicht gerechtfertigt, zu sein. Chiari' 2 ) 
sagt, dass ihm die lymphfollikelartigen Gebilde, welche er als 
einen ziemlich häufigen Befund sowohl bei jüngeren, als bei älteren 
Individuen constatiren konnte, fast immer mit Katarrh der Vagina 
combinirt zu sein schienen und daher stets den Eindruck patholo¬ 
gischer Neubildungen gemacht hätten. 

Wenn auch das Vorkommen mit Epithel versehener Drüsen, 
wie es durch v. Preusehen 3 ) constatirt wurde, nicht geläugnet 
werden soll, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass dieser 
Befund bis jetzt keine weitere bemerkenswerthe Bestätigung er¬ 
fahren hat. Eppinger 4 ) äussert sich dahin, dass die an Falten 
so reiche Schleimhaut bisweilen den Drüsen ganz ähnliche Ein¬ 
buchtungen darstelle, dass sich diese jedoch in keinem Falle als 
richtige Drüsen erweisen lassen. Auch ich bin eher geneigt, mich 
der Eppiuger'schen Anschauung anzuschliessen, da ich jene von 
v. Preuschen beschriebenen Drüsen niemals zu constatiren ver¬ 
mochte. Sehr oft trifft man in der Schleimhaut kleine sackartige 
Einbuchtungen oder tiefe verzweigte Spalten, die mit Epithel über¬ 
kleidet sind; zuweilen gehen zwischen den Papillen Epithelzell¬ 
haufen in die Mucosa hinein. In den faltenreichen Regionen der 
Scheidenschleimhaut, namentlich am Ausgangstheile, setzen sich 
manchmal grosse spaltähnliche Hohlräume tief in die Mucosa 
hinein fort, welche bisweilen kleine Nebenräume besitzen und an 
der Innenseite, gleich der freien Schleimhautoberfläche, von Epithel 
bekleidet sind. An anderen Orten finden sich sehr complicirte 
Einbuchtungen, deren Innenfläche ebenfalls mit Epithel überzogen 
und deren tiefer gelegene Theile ganz mit Epithelzellen angefüllt 
sind. An keiner dieser Buchten sind aber als richtige Ausführungs- 


*) Löwenstein. Die Lymphfollikel der Schleimhaut der Vagina. 
(Vorläufige Mittheilung.) Centralblatt für medicinische Wissenschaften. 1871, 

p. 546. 

'*) C.hiari, 1. c. 

3 ) v. Preuschen, 1. c. 

4 ) Eppinger, 1. c. 


gängc zu bezeichnende Canäle vorhanden, auch ist ihre Auskleidung 
mil Epithel keineswegs eine überall gleichinässige. 

Wie mm die Untersuchungen der Autoren über die Follikel 
und Drüsen gauz entgegengesetzte Aufstellungen ergeben, so 
herrschen auch analoge Meinungsverschiedenheiten über die Ent¬ 
stehung der Scheidencysteu. v. Preuschen und Hückel 1 ) führen 
die Cystenbildung auf die Retention des Drüseninhaltes zurück, 
während Schroeder-) die Möglichkeit hinstellt, dass die Luft- 
cvsten der Scheide aus den von Luschka und He nie zuerst be¬ 
schriebenen Follikeln so entständen, dass der klare seröse Inhalt 
sich später in einen gasförmigen uinwandle. Eine andere Ent¬ 
stehungsart der Luftcysten, nämlich diejenige aus den Lymph- 
gefässen. wird von Spiegelberg, 3 ) Klebs 4 ) und Chiari 0 ) ange¬ 
nommen. Chiari behauptet, dass sich die Gascysten in präfor- 
mirteu, aber pathologisch dilatirten Räumen des Lymphsystems ent¬ 
wickeln, und dass diese Räume sich als Lymphcapiliaren erweisen 
lassen, welche mit gewucherten und zum Theil zu Riesenzellen um¬ 
gewandelten Endothelien erfüllt sind. Rüge 6 ) und Eppinger 7 ) 
fanden an den Luftcysten keine selbstständige Wandung und nehmen 
demnach einen interstitiellen Sitz derselben an. Tschudowskv 8 ) 
erklärte eine elastische Geschwulst, welche drei Centimeter vom 
Introitus vaginae an der linken Seite sass, als eine extraperitoneale 
apoplectische Cyste. 

Win ekel**) stellt für die Vaginalcysten mit Rücksicht auf ihre 
Entstehung drei Arten auf: a) die Schleimhautcysten der Scheide. 
Cystides mucosae, die aus offenen oder geschlossenen Follikeln 
hervorgingen; b) die interstitiellen, submucösen oder in der Fibro¬ 
muskulärschicht gelegenen, und c) die subserösen, oben in dem 
perivagiualen Bindegewebe unter dem Peritoneum, unten zwischen 
Vagina und Rectum gelegenen. 

Im Folgenden will ich nun die Ergebnisse meiner Unter¬ 
suchungen berichten, welche an fünf im pathologischen Institut von 
Herrn Professor v. Recklinghausen beobachteten Fällen von 
Scheidencysten unter seiner Aufsicht und Leitung, wofür ich mich 
ihm zum besten Danke verpflichtet fühle, vorgenommen wurden. 
Diese Präparate waren, bevor ich sie bekam, längere Zeit in 
Müller'scher Flüssigkeit und hierauf in Alkohol aufbewahrt worden. 

I. Fall. Das Präparat ist schon drei Jahre alt, besteht aus den 
äusseren Genitalien, der Scheide, dem sehr grossen puerperalen Uterus und 
der Harnröhre mit einem kleinen Stück der Harnblase. Die Etiquette des 
ilas Präparat enthaltenden Gefilsses lautet: Metrophlebitis. Lymphangioitis. 
Thrombose der Vena spermatica interna. 

An der vorderen Wand der Scheide, und zwar 8,5 cm vom Introitus, 
sitzt eine runde, etwa wallnussgrosse Cyste. Die dem Scheidenrohr zuge¬ 
kehrte freie Wand der Cyste ist kaum I mm dick: die Schleimhaut der 
Vagina ist im Ganzen glatt und bietet sonst nichts Besonderes dar. 

Die dem Vagiualrohr zugekehrte Wand der Cyste besteht aus Schleim¬ 
haut mit einem kleinen Theile der Muscularis; das Epithel ist hier gut 
erhalten, die Papillen sehen wie abgeplattet aus. Die Wand ist im Ver¬ 
hältniss zur übrigen Schleimhaut bedeutend dünner. Die übrigen Theile 
der Cyste haben keine besondere Wandung, sondern sind einfach durch 
Muskelfaserstränge begrenzt. 

Die Innenfläche der Cyste ist überall glatt; sowohl an der oberen 
(freien) Wand, als an den übrigen Stellen findet man epitheliale Auskleidung, 
das Epithel ist aber nicht überall von gleicher Form: bald findet man ge¬ 
schichtetes Pflasteropithel, welches in der untersten Schicht Cylinderzellen 
besitzt, bald ein einschichtiges Cylinderepithel. Stellenweise liegt eine 
homogene Masse auf dem Epitheliura, welches dann immer geschichtet ist, 
fehlt aber auf dem einfachen Cylinderepithel. Im Grunde der Cyste zeigt 
die Innenfläche verschiedene Formen der Einstülpungen, welche ebenfall> 
mit dem genannten Epithel überkleidet sind, zuweilen haben sie die Ge¬ 
stalt eines Canals, welcher parallel der Cysteninnenfläche verläuft und mit 
einfachem Cylinderepithel ausgekleidet ist. 

An einer Stelle der Schleimhaut zeigen sich unter dem Mikroskop 
cystöse Räume, deren grösster sich unterhalb des Epithels bis in die Sub- 
mucosa erstreckt, indem er sich in der Tiefe allmählich erweitert. Seine 
Höhle ist mit anscheinend schleimiger Masse gefüllt; eine epitheliale Aus¬ 
kleidung, sowie eine selbstständige Wand fehlt aber sowohl dieser, wie den 
anderen kleineren Cysten. 

Das Epithel der bedeckenden Schleimhaut besitzt in der untersten 
Schicht eine Cylinderzellenreihe: die Oefässe zeigen sich stark erweitert. 

II. Fall. Eine schrotkorngrosse, runde Cyste sitzt an der hinteren 
Wand nahe dem Introitus. Sie liegt ganz oberflächlich in der Mucosa, die 

') Hückel, 1. c. 

2 ) Schroeder. Luftcysten in der Scheidenschleimhaut. Archiv für 
klinische Medicin, Bd. XIII, p. 538, 1874. 

:r, Sniecrplhertr) Citat von Cbineviere. Einige Fälle von Colpo- 
° J hyperplasia cystica. Archiv f. Gynäkologie, Bd. XI, 

jlvleDs j p. 351. 1877.' 

5 ) Chiari, 1. c. 

6 ) Rüge. Zum Bau der Luftcysten der Scheide. Zeitschr. f. Geburts¬ 
hülfe und Gynäkologie, Bd. II, 1878. 

T ) Eppinger, 1. c. 

8 ) Tschudowsky. Zur Lehre von den Cysten der Scheide. Central¬ 
blatt für Gynäkologie, No. 16, 1879. p. 408. 

*) Winckel. Ueber die Cysten der Scheide etc Archiv für Gynä¬ 
kologie. Bd. II, 1871, p. 402. 


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7. Juni. 


DEUTSCHK MED1CINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


455 


sehr dünne obere Wand besteht aus der Schleimhaut, die Papillen sind hier 
von normaler Grösse. Die Innenfläche der Cyste ist mit einer aus platten ; 
Zellen gebildeten Zellenschicht überkleidet, welche ziemlich scharf von dein j 
umgebenden Bindegewebe abgegrenzt ist. Cylinderzellen konnten in dieser 
Schicht nicht aufgefunden werden. In der Cyste ist ein fester Körper ent¬ 
halten, welcher concenirische Schichtungen und radiär verlaufende Strei¬ 
fungen zeigt, offenbar eine geronnene Colloidmasse. I 

III. Fall. Auf der linken Seite der Scheide nahe dem Introitus tiudet 
>ich eine bobuengrosse, mit einer centralen Depression versehene Cyste. 
Auf dem Durchschnitt ist die Cyste durch eiue Scheidewand in zwei Höhlen 
getheilt; das Septum besteht aus elastischen Faserzügen der Mucosa, in 
deren Oberfläche die Cysten ihren Sitz nehmen. Die obere Wand derselben 
ist dünn und zeigt ein ähnliches Verhältniss wie im vorigeu Falle. Die 
Innenfläche der Cyste ist nicht gleichmässig mit einem Epithel überzogen, j 
man findet vielmehr nur stellenweise Zollhaufen, welche mit dem ge¬ 
schichteten Pflasterepithel Aehnlichkeit besitzen. Epitheliale Zellen sind da¬ 
gegen zuweilen in einer homogenen Masse, welche auf der Innenfläche an¬ 
getroffen wird, eingeschlosseu. Als Inhalt der Cyste findet sich eine klare 
Flüssigkeit, die beim Einschneiden herausfliesst. 

IV. Fall. Die Schleimhaut der Seheido ist glatt, an der lauteren Wand 
der unteren Hälfte sieht mau zahlreiche stecknadelkopfgrossc graue Punkte, 
welche entweder einzeln stehen oder zu mehreren gruppirt sind, und deren 
Oberfläche eine centrale Depression zeigt. Auf den Schnitten erwiesen sie 
sich als Bläschen ohne Inhalt und mit äusserst dünner selbstständiger Wand. 
Ausser diesen Gebilden kommen noch kleinere, und zwar verschieden grosse 
cystöse Räume in der Mucosa vor, welcho aber ktine Prominenzen auf der 
Schleimhaut verursachen. Ferner findet man in der Oberfläche der Mucosa 
im Vergleich mit den vorigen noch kleinere Heerde von Zellanhäufuugcn, ; 
welche den Lymphfollikeln ähnlich sind. Die Schleimhautpartie über den- j 
selben erscheint bisweilen etwas erhaben. Die bindegewebigen Fasern sind j 
um dio Cysten herum dicht aneinander gelagert, so dass sie anscheinend i 
eine wandartige Begrenzung darstellen. Die Höhlen der Cysten sind mit j 
platten Zellen in sehr verschiedener Weise gefüllt; je grösser die Cysten j 
sind, desto mehr nähert sich die Anordnung der Zellen dem geschichteten 
Pflasterepithel, wobei dasselbe an der ganzen Peripherie der Höhlung fast 
die gleiche Dicke hat. Die kleineren, nur mikroskopisch erkennbaren Cystchen 
sind beinahe ganz von Zellen angefüllt, ja man findet in einzelnen nur einen 
spaltförmigen Raum inmitten der zeitigen Gebilde. Die Zellen sind im 
Ganzen ungleich gross, aber stets mit deutlichem Kern versehen. Die 
Schleimhaut der Scheide ist zelhg iufiltrirt, diese ruudzclligc Infiltration ist 
in der Umgebung der Cysten und der Follikel besonders stark ausgeprägt; 
die Papillen sind sehr hypertropbirt, an vielen Stellen fehlt das Epithelium. 

V. Fall. Scheide und Uterus von einem Neugeborenen. An der linken 
Seite des hinteren Scheidengewölbes findet sich eine erbseugrusse Cyste, die 
zum Theil über die seitliche Wand zum vorderen Gewölbe hinüborreicht. 
Die Cyste zeigte Fluctuation, beim Einschneiden entleerte sich ein klarer 
flüssiger Inhalt: auf der freien Wand macht sich eine centrale Depression 
bemerkbar. Die Cysto hat ihren Sitz in der Mucosa, ist durch ziemlich 
regelmässig gelagerte elastische Faserzüge, welcho aber hierbei keine eigene 
Wandung hersteilen, von dem umliegenden Gewebe abgegreuzt. An der 
Übergangsstelle der .Scheidenschleimhaut in die die freie Wand der Cyste 
bildende Sch leim hautpartie finden sich Faserzüge der Muscularis mucosa. 
Die Innenfläche der Cyste zeigt überall warzenartige Erhebungen, die ent¬ 
weder einzeln stehen oder zu zweien gruppirt sind und schon makroskopisch 
beim durchfallenden Licht eine feine, sarametähnliche Anordnung erkennen 
lassen. Sie bestehen einfach aus elastischen Fasern der Mucosa. Sowohl 
die Spitzen, als auch die Zwischenräume sind mit Epithelium überzogen, 
welches je nach der Lage bald ein geschichtetes Pflasterepithel, bald ein 
einfaches Cyliuderzellenepithel darstelTt. Es gelingt hier aber nicht, in der J 
untersten Schicht jenes Pflasterepithels eine Cylinderzellenreihe zu erkennen. 
Die Structur der Schleimhaut ist im Vergleich mit den anderen Fällen viel 
feiner, das Epithel ist stellenweise sehr hoch geschichtet, die Papillen sind 
bisweilen sehr gestreckt und nicht deutlich erkennbar. 

Ueberblicken wir die oben citirten Befunde der fünf Falle, so j 
haben wir es mit Cysten zu thun, welche keine eigentliche Wand ■ 
besitzen, entweder ganz in der Mucosa (II, III, IV. V) oder schon ( 
in der Muscularis (I) gelegen und an der Innenfläche mit Schichten ’ 
von Epithelzellen überzogen sind. Die Cysten kamen mit einer | 
einzigen Ausnahme (IV) nur einzeln vor, und zwar ausser dem j 
Fall V nur in der unteren Hälfte der Scheide; ihre Grösse variirt ! 
von der eines Stecknadelkopfs (IV) bis zu der einer Wallnuss (I). j 
Die in grosser Anzahl auftretenden kleinen Cysten im IV. Falle j 
stimmen ihres oberflächlichen Sitzes, ihrer Grösse und der Gruppi- , 
rung wegen mit der von Win ekel 1 ) beschriebenen Colpohyperplasia ! 
cystica überein. Ein kleiner Unterschied liegt aber darin, dass wir j 
in den Cysten keine eigenartige Wand, auch kein regelmässig klein- ) 
/eiliges Pflasterepithel oder Endothel mit glatter Fläche nachweisen j 
konnten, wie dieses Winckel in seinen Fällen gefunden hat. Das 
Vorkommen einer angeborenen Cyste, wovon wir hier ein Beispiel j 
(V. Fall) besitzen, hat Winckel ebenfalls beobachtet; die Cyste 
befand sich an dem linken Theile der vorderen und seitlichen I 
Scheiden wand und hatte die Harnentleerung erheblich gehindert; i 
sie enthielt milchig-käsige Flüssigkeit, in welcher sich mikroskopisch 
zahlreiche Plattenepithelien, sehr reichliches Fett, aber kein Chole- 
stearin nachweisen Hessen. Breisky 2 ) erwähnt eine haselnuss- j 


*) Winckel. I. c. 

*) Breisky. Correspom lenzblatt für Schweizer Aerzle. 1875. No. 14, 15. 
Juli, p. 430. 


grosse Cyste bei einem 7 monatlichen Kinde unmittelbar hinter dem 
Hymen. Rüge 1 ) hat eine gut erbsengrosse Cyste dicht an der Portio 
beim Neugeborenen beobachtet. Bezüglich der Aehnlichkeit seines 
Falles mit dem unserigen sei noch erwähnt, dass die Cyste im Innern 
mit einem einschichtigen Cylinderepithel besetzt war. 

Das die Innenfläche der Cyste überkleidende Epithel hat in 
zwei (I und V) unserer Fälle eine grosse Aehnlichkeit mit dem der 
Scheidenschleimhaut gezeigt. Es ist hierbei bemerkenswert!), dass 
sich im I. Falle eine Schicht von Cylinderzellen, so wie sie als die 
unterste Schicht des gewöhnlichen Schleimhautepithels auftritt (vergl. 
Fall I, ferner v. Preuschen’s Befund 1. c.), in gleicher Beschaffenheit 
unter dem geschichteten Epithel der Cysteuinnenfläche wieder findet, 
bisweilen sogar als ein einziger Ueberzug der letzteren vorkommt. 
Bei dem Fall V kann allerdings keine Cyliuderzelleuschicht in dem 
Schleimhautepithel naebgewieseu werden, aber der epitheliale Ueber¬ 
zug sowohl auf der Mucosa als auf der Cysteniunenflächc bietet 
sonst eine vollkommene Uebereiustimmuug dar. In den übrigen 
Fällen ist das Verhältniss etwas anders. 

Wenn wir auch über die Herkunft des Cystenepithels keinen 
bestimmten Ausspruch geben wolleu, so erscheint doch in den 
Fällen I und V die Annahme vollkommen gerechtfertigt, dass das 
die Innenfläche der Cysten überkleideude Epithel aus 
dem Epithel der Scheidenschleimhaut hervorgegangen 
ist. Dass ein Theil des Schleimhautepithels in eiueu Hohlraum 
gelangt, welcher abgeschlossen wird, lässt sich nur begreifen, wenn 
ein Verkleben der in der Vagina stets vorhandenen Schleimhautfalten 
stattfindet. Winckel hebt für eine solche Möglichkeit die Be¬ 
schreibung von Langer hervor, dass die Cysten durch die Ver¬ 
klebung der Oeffnung einzelner Buchten und Säcke, welche durch 
die zahlreichen, ziemlich dicht stehenden, hyperplastischen Schleim- 
hautpartiecn gebildet werden, und durch darauf folgende Ansamm¬ 
lung des Secretes entstehen könuen — ein Vorgang, der bei acuter 
Schwellung der hyperplaatischen Stellen und starker Secretiou, 
d. h. bei acutem Vaginalkatarrh, wohl möglich ist. Jedoch spricht 
der tiefe Sitz der Cyste in der Muscularis im Falle II gegen diese 
Annahme, da die Falten oder Krypten auf die Mucosa beschränkt 
sind. Wäre diese Cyste nach der obigen Art entstanden, so müsste 
dieselbe allseitig vou dem Gewebe der Mucosa begrenzt sein; alleiu 
die Untersuchung zeigte, dass die Cyste zwischen den Muskelfasern 
sich gebildet hatte. Winckel giebt ferner au, dass auch solche 
Cysten Vorkommen, deren Wand aus der ganzen Dicke der Schleim¬ 
haut und wenigstens einem Theile der fibromuskulären Schicht der 
Scheide besteht. Diese hätten gar keine besondere Kapsel, sondern 
wären uur durch eine Dehiscenz der Vaginalwand in Folge eines 
Ergusses zu Stande gekommen au einer Stelle, wo der diffusen 
Ausbreitung desselben rings umher Hindernisse erwachsen. Er 
bringt solche Cysten uuter die Rubrik der interstitiellen. 2 ) Nuu 
spricht unser Fall wohl für die interstitielle Entstehung, aber dabei 
ist die Herkunft des die Innenfläche der Cyste überkleidendeu 
Epithels schwer zu deuten. Kaltenbach 3 ) hat ein geschichtetes 
kleiuzelliges Pflasterepithel an der Innenfläche einer auf der hinteren 
Vaginal wand sitzenden Cyste beobachtet, welche nach seiner An¬ 
gabe aus Zelleuanhäufungen in der Submucosa entstanden war. 
Bezüglich der Frage, wie diese Epithelbildung zu Stande gekommen 
ist, giebt der Autor keine nähere Auskunft. 

Hennig 4 ) erwähnt den Befund einer der Loealität und der 
Grösse nach mit unserem Falle (I) ganz übereinstimmenden Cyste, 
welche innen mit eiuer feiu gesticheiten (?) Schleimhaut ausge¬ 
kleidet war; die obere Wand der Cyste war innig mit der Harn¬ 
röhre verwachsen. Hennig fuhrt die Entstehung der Cyste auf 
die im vorderen Drittel der Scheide vorkomraeuden Schleimbälge 
zurück. 

So lange aber der sichere Nachweis der secernirenden Drüsen 
in der Vagina anatomisch noch nicht festgestellt ist, wird die An¬ 
nahme über die Entstehung der Cysten aus diesen nicht ganz be¬ 
gründet erscheinen. Noch unwahrscheinlicher aber wäre die Ent¬ 
stehung der Cysten von den Ausführungsgängen der Wolff'schen 
Körper [G. Veit, 5 ) Baumgarten 0 )] wegen der fast gleichen Häu¬ 
figkeit des Vorkommens sowohl an der vorderen als an der hinteren 
Wand (nach Winckel 57,5 : 42,4o/o). Schliesslich giebt es noch 
die eiue Möglichkeit, ^dass die Verklebung einer Faltenöffuung der 
Schleimhaut eine Secretansammlung in dem abgeschlosseneu Raume 
herbeiführe. und in dieser Weise eine Cystenbildung veranlasse 4 *. 
Für die angeborene Cyste (Fall V) scheint eine solche Entstehuugs- 

*) Rüge. 1. c. 

3 ) Siehe seine Eintbeilung I. c. 

3 ) Kaltenbach. 1. c. 

4 ) Hennig. 1. c. 

5 ) G. Veit. Citat von Schroeder (Handb. d. Krankheiten der weibl. 
Geschlechtsorgane 1887, p. 499). 

*’) Bauingarten. Ueber Vaginalrysten. Virchow’s Archiv, Bd. 107, 

1887. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


456 


weise noch leichter vorhanden zu sein, wiewohl Win ekel seinen 
Fall als Follikelcyste ansieht. Die massenhaften Wucherungen der 
Epithelzellen in der fötalen Vagina und in der des Neugeborenen 
können wohl die Verklebung der Falteu verursachen; ich selbst 
hatte einmal, als ich mich gerade mit dieser Arbeit beschäftigte, 
im anatomischen Laboratorium des Herrn Professor Schwalbe 
die Gelegenheit, in einem Sagittalschnitt eines Neugeborenen die 
Vagina zu untersuchen, deren oberer Theil um die Portio herum 
sehr stark erweitert war, während die übrige Scheide einen ver- 
hältnissmässig engen Canal darstellte. Herr Professor Schwalbe 
hatte die Gute, mir mitzutheilen, dass der erweiterte Theil vor der 
Anfertigung des Präparates mit einer flüssig breiigen Masse an¬ 
gefüllt war. Als ich später diesen Inhalt mikroskopisch unter¬ 
suchte, fand ich darin nur Zellmassen. Es kann in diesem Falle 
eine Verengerung des Scheidenrohres wohl durch die Verklebung 
einiger Schleimhautfalteu im mittleren Drittel der Scheide ent¬ 
standen sein, sodass sich die abgestossenen Epithelzellen haupt¬ 
sächlich im oberen Drittel angehäuft und dadurch die Erweiterung 
dieses Theiles hervorgerufen hatten. 

Was die anderen Cysten betrifft, so liegt die Verinuthung nahe, 
dass sie in gauz anderer Weise als die schon beschriebenen ent¬ 
standen sind. Wie schon erwähnt, konnte man an der Cysten¬ 
innenfläche keinen regelmässigen Epithelialüberzug nachweisen, es 
waren entweder beliebige Zellhaufen oder solche, die eiue Zell¬ 
schicht darstellend auf dem Höblenrande gelagert waren und in 
keiner Weise eine epitheliale Anordnung zeigten. Ausser den 
Cystchen fanden sich im IV. Falle noch zahlreiche verschieden 
grosse, circumscripte Zellanhäufuugen, welche jedoch in der Ge- 
sammtheit viel kleiner als die vorhandenen Cysten siud. Wir 
können hier das Wachsthuni der Follikel und schliesslich die Um¬ 
wandlung derselben in die Cysten deutlich verfolgen; denn wir 
finden zunächst ganz kleine Heerde von Zellen, dann grössere vou 
gleicher Beschaffenheit, endlich noch grössere, die im Innern schon 
Höhlenbildung zeigen. Dass diese follikelartigen Gebilde wesentlich 
von pathologischen Zuständen abhängig sind, beweist die gleich¬ 
zeitig vorhandene Zelleniufiltration der übrigen Mucosa, besonders 
um die circurascripten Zellheerde. Die Cysten bildeten sich 
also wohl aus den beschriebenen Zellenanhäufungen in 
der Mucosa der Scheide. Ob solche Cysten in ihrem späteren 
Stadium einen regelmässigen Epithelüberzug an der Innenfläche 
erhalten können, bleibt vor der Hand dahingestellt. 

Man darf nach den obigen Betrachtungen wohl nicht eine und 
dieselbe Ursache für die Entstehung aller Scheidencysten hinstellen, 
es ist verständlich geworden, dass die beiden oben genannten ur¬ 
sächlichen Momente in einer und derselben Vagina zu Cysteu- 
bildungen die Veranlassung geben, wie dies aus dem I. Falle er¬ 
sichtlich ist. Man fand hier nämlich mikroskopische cystöse Räume, 
welche aber eine ganz andere Structur als die grosse Cyste zeigten, 
deren Entstehung wohl eiuer Zerspaltuug von Zellhaufen zuge¬ 
schrieben werden musste. 

IV. Der Kehlkopfskrebs 
und die Resultate seiner Behandlung. 

Vou Max Scheier, pr. Arzt in Berlin. 

Bei der Verschiedenheit der Ansichten über die Indicationen 
und den Erfolg eines operativen Vorgehens gegen den Kehlkopfskrebs 
schien es mir zweckmässig, die vorhandenen Statistiken bis auf die 
jetzige Zeit weiter zu führen, um so mehr, als die Möglichkeit vor¬ 
liegt, dass durch die Verbesserung der operativen Technik und ein 
früheres operatives Eingreifen, durch eine bessere Art der Nachbe¬ 
handlung und eine sorgfältigere Auswahl der Fälle die Gefahren 
des chirurgischen Eingriffes sich verringert haben und die Prognose 
eine bessere geworden sein könnte. 

In den beiliegenden Tabellen 1 ) habe ich die Fälle von Larynx- 
earcinom zusammengestellt, die seit dem Jahre 1880 beobachtet und 
in der mir zugänglichen Literatur veröffentlicht worden sind. Von 
jedem einzelnen Falle habe ich, soweit es mir möglich war, die 
literarische Quelle, aus der ich geschöpt habe, Alter und Geschlecht 
des Patienten, den Status praesens, die Operation und deren Er- 
gebniss und schliesslich eventuell den Sectionsbefund aufzuzeichnen 
gesucht. Leider ist mir dies nicht in allen Fällen mit wünschens- 
werther Vollständigkeit gelungen. Namentlich fehlt bei einzelnen 
Krankengeschichten ein genauer laryngoskopischer Befund. Es erklärt 
sich dies theils aus der Unvollständigkeit der betreffenden Original- 
mittheilungen, theils auch aus dem Umstande, dass ich bei mehreren 
Fällen, die mir in der Originalarbeit nicht zugänglich gewesen sind, 
genöthigt war, gekürzte Referate zu benutzen. 

') Die Tabellen befinden sich in einer besonderen Beilage am Schluss 
dieser Nummer. 


Besonderes Gewicht habe ich auch darauf gelegt, ob eine 
mikroskopische Untersuchung der Neubildung angestellt worden ist, 
sei es schon bei Lebzeiten des Patienten, sei es erst bei der Sectioni 
und habe das Ergebnis in den betreffenden Fällen mitgetheilt. Ebenso 
suchte ich auch festzustellen, in welchen Fällen eine Drüseninfiltra¬ 
tion vorhanden war und in welchen nicht. 

Als Nachschlagebücher bediente ich mich des Internationalen 
Centralblatts fürLaryngologie undRhinologie, herausgegeben von Felix 
Semon, vom ersten Jahrgang an bis April d. J., dann des Central¬ 
blatts für Chirurgie und des Jahresberichts von Virchow-Hirsch. 
Aus diesem Material resp. den zugehörigen Quellen habe ich 
125 Fälle von Carcinoma laryngis gesammelt und dieselben so ge- 
orduet, dass ich in die Tabelle I die Fälle brachte, die keinem 
operativen Eingriff unterzogen worden sind; in die Tabelle II die 
Fälle, bei denen nur die Tracheotomie gemacht wurde; in die 
Tabelle 111 die Fälle, bei denen die Laryngotomie und die darauf 
folgende Exstirpation des Tumors aus dem Kehlkopfinueren vorge¬ 
nommen, in die Tabelle IV die, bei welchen die partielle Kehlkopf¬ 
exstirpation, in die Tabelle V die, bei welchendie totale Exstirpation 
des Larynx ausgeführt wurde; und endlich in Tabelle VI die Fälle, 
in denen die Neubildung per vias naturales entfernt wurde. 

Ausserdem habe ich noch bei den Tabellen 111, IV, V einige 
Unterabtheilungen zur besseren Uebersiclit gemacht, und zwar habe 
ich diejenigen Fälle gesondert: 

1. die innerhalb der ersten 14 Tage nach der Operation ge¬ 
storben sind; 

2. die von der 3. bis 6. Woche p. op. zu Grunde gingen; 

3. die die Operation Überstunden haben, später aber Recidiv 
bekamen; 

4. die geheilten Fälle, die an intercurrirenden Krankheiten ohne 
erfolgtes Recidiv starben; 

5. die geheilten Fälle, die zu kurze Zeit beobachtet worden 
sind, um mit Bestimmtheit auf eine dauernde Heiluug rechnen zu 
können; 

6. die dauernd geheilten Fälle. 

Ich habe nur solche als definitiv g'eheilt betrachtet, die länger 
als 16 Monate unter Beobachtung standen, ohne eine Spur von 
Recidiv zu zeigen. 

Diejenigen wenigen Fälle, bei denen der Ausgang nicht angegeben 
war, und die, bei welchen ich nicht ganz sicher war, dass es sich um 
Carcinom gehandelt hat, habe ich in die Statistik nicht einbezogen. 

A. Aus der Tabelle I erfahren wir, dass in 4 Fällen kein 
o perativer Eingriff vorgenommen, mithin in 3% der Gesammt- 
fälle. Der Exitus letalis trat in einem Falle 12 Monate, im zweiten 
14 Monate und im dritten Falle erst 2 Jahre nach dem Beginn der 
ersten Erscheinungen von Seiten des Larynx ein. ln einem Falle 
ist nicht angegebeu, waun das Leiden begann. 

B. Die Tracheotomie wurde ausgeführt in 17 Fälleu, also in 
14°/ 0 . Von diesen siud 14 letal verlaufen, und zwar ist der Tod 
eiugetreten innerhalb der ersten 8 Tage in 7 Fällen, nach 2 Monaten 
in 1, nach 3 Monaten in 1, nach 4 Monaten in 1, nach 5 Monaten 
in 1, nach mehreren in 2, und nach 9 Monaten in 1 Falle. 

Au den unmittelbaren Folgen der Operation sind also 7 gestorben 
= 41%. Die Todesursache ist nicht überall angegeben, meist finden 
wir Pneumonie und Marasmus notirt. 

Einer der Fälle, der überhaupt viele Abweichungen bietet, ist 
der Fall (Beschörner) No. 21, der, wenn auch nicht definitiv, so 
doch, und zwar ohne weiteres Zuthun so geheilt ist, dass das Wachs¬ 
thum der Neubildung nach der Tracheotomie aufgehalten worden ist, 
und die Patientin 4 Jahre nach der Operation keine Beschwerden 
seitens des Kehlkopfs hat. Die beiden Fälle No. 12 (Tillaux) und 
No. 18 (Semon) können wir nicht als geheilt betrachten, da die¬ 
selben zu geringe Zeit beobachtet sind. 

Bemerkenswert!) ist die grosse Mortalität an der 
Tracheotomie. Zu ähnlichen Resultaten ist auch Butlin ge¬ 
kommen, wie Lublinski in seiner Arbeit (Berl. klin. Wochenschrift 
1886, No. 10) erwähnt, nach welchem von 15 Tracheotomirten 1 an 
Collaps nach der Operation, 3 an Apnoe bei der Operation, 4 an 
Lungenentzündung (w r ann?) zu Grunde gingen. 

Diese ungünstigeu Ergebnisse erklären sich wahrscheinlich da¬ 
durch, dass die Tracheotomie meistens spät und erst bei 
eintretender Indicatio vitalis gemacht wird. 

Die Zahl der tracheotomirten Fälle ist jedoch eine zu geringe, 
um daraus sichere Schlüsse ziehen zu können. lu dieser 
Rubrik habe ich selbstverständlich die Fälle nicht aufgeführt, in 
welchen die Tracheotomie als Prälimiuaroperation zu einem bald 
darauf folgenden grösseren operativen Eingriff ausgeführt worden ist. 

C. Die Laryngotomie zum Zwecke der Exstirpation 
von Carcinomen aus dem Innern des Kehlkopfes ist neunmal 
zur Ausführung gekommen, d. h. in 7 %. Drei von . diesen sind 
innerhalb der ersten 14 Tage zu Grunde gegangen, d. h. 33V3%- 
Einmal trat der Exitus ein 18 Stunden nach der Operation unter 


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7. Juni. 


DBÜT8CHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


457 


Erscheinungen des acuten Lungenödems, einmal 10 Tage p. op. an 
Pyämie und einmal 11 Tage p. op. an Herzinsufficienz und Throm¬ 
bose der Art. pulmonalis. 

Recidiv wurde in drei Fällen constatirt, und zwar in einem 
Falle schon 3 Monate p. op., im zweiten 10 Monate, in 
welchem Falle der Tod erst 9 Monate später an Cachexie eintrat, 
und im dritten Falle 13 Monate p. op. 

Mithin bleiben drei geheilte Fälle übrig. Da jedoch in zwei 
Fällen die Beobachtung nach einigen Wochen abgeschlossen ist, 
so kann nur der Fall Salzer (No. 30) als dauernd geheilt betrachtet 
werden. Nach 2 Jahr 9 Monaten war noch kein Recidiv einge¬ 
treten. 

D. Die partielle Kehlkopfsexstirpation ist in 23 Fällen 
vorgenommen worden, mithin in 1872% aller Fälle. 

Von diesen endigten innerhalb der ersten 14 Tage nach der 
Operation 2 tödtlicb. Ein Patient starb am 12. Tage plötzlich nach 
vorhergegangenem vorzüglichen Befinden, und der andere am 11. Tage. 

Von der 3.—6. Woche p. op. gingen 3 zu Grunde, also an den 
Folgen der Nachbehandlung, und zwar 2 an Pneumonie und einer 
au Mediastinitis ant. et Bronchitis putrid. 

Das Eintreten von Recidiv ist 5 Mal notirt. In 4 Fällen trat 
es schon in den ersten 3 Monaten ein und in einem, No. 40 (Hahn), 
erst nach 16 Monaten. 

Es bleiben also 13 Fälle, die zur Zeit der Veröffentlichung 
ohne Rückfall leben. Doch müssen einzelne von diesen Heilungen 
mit Vorsicht beurtheilt werden, da die Zeit der Beobachtung bei 
denselben eine verhältnissmässig zu kurze war, als dass man von 
einer dauernden Heilung sprechen könnte. Da ja im Falle Hahn 
No. 40 noch nach 16 Monaten ein regionäres Recidiv erfolgte, so 
muss man eine Beobachtungsdauer von mindestens 16 Monaten ver- i 
langen. Es müssen daher 8 Fälle ausgeschaltet werden. Von j 
diesen sind 

1—3 Monate 4 Fälle beobachtet 

3-6 * 2 „ 

7 „ 1 * 

14 , 1 „ 

Die dauernd geheilten Fälle sind 

Fall No. 49 (Semou) nach 19 Monaten kein Recidiv 

„ „ 50 (Schede) „ 18 „ „ „ 

- „ öl (Störk) „ 274 Jahr „ „ 

* n 52 (Fraenkel) „ 3 „ „ „ 

, „ 53 (Hahn) „ 7 „ 

In letzteren 5 Fällen ist die krebsige Natur des Tumors auch 
durch die mikroskopische Untersuchung beglaubigt, die in 3 Fällen 
ein Carcinoma keratodes ergab. 

Drückt man die Endresultate der 23 partiellen Exstirpationen 
in Procenten aus, so findet man, dass 9% Todesfälle in den ersten 
14 Tagen, 13% Todesfälle von der 3.-6. Woche eintraten, dass 
Recidiv in 2172% und schliesslich in 5672% Heilung erfolgte, von 
denen wegen zu früher Publication* 35% subtrahirt werden müssen. 

Es geht hieraus hervor, dass die partielle Kehlkopfs¬ 
exstirpation als Operation an sich weniger gefährlich 
ist als die einfache allerdings spät ausgeführte Trache¬ 
otomie, und dass sie als Endresultat 5672% Heilungen 
erzielt, von denen die Kritik jedoch als zu früh ver¬ 
öffentlicht noch 35% abziehen muss. 

Was die Recidive anbelangt, so muss hervorgehoben werden, 
dass in diesen Fällen die Operation das Leben bis zum Eintritt des 
Recidivs, also in einem Falle bis 16 Monate verlängert hat. Hinsicht¬ 
lich der functionellen Ergebnisse ist in den 5 dauernd geheilten Fällen 
mindestens eine zwar heisere, aber deutlich vernehmbare Stimme er¬ 
zielt worden. 

E. Die totale Exstirpation des Larynx wurde iu 68 
Fällen ausgeführt, d. h. in 5472% der Gesammtfölle. Von diesen 
sind 18 notirt, bei denen der tödtliche Ausgang als unmittelbare 
Folge des operativen Eingriffs erfolgt ist. Der Tod erfolgte an: 
Pneumonie in 9 Fällen von 4—14 Tagen, an Collaps in 2, (ein Mal 
einige Stunden nach der Operation und ein Mal am 8. Tage nach 
einer bedeutenden Hämorrbagie aus der Vena jugul. int. dextr.), an 
Shock in 1 Falle 40 Stunden p. op., an Lungenödem in 1 Falle 
12 Stunden p. op., an Septicämie in einem 5 Tage p. op., an Hä- 
matemesis einmal 4 Tage p. op., an Inanition einmal 7 Tage p. op., 
und schliesslich in einem Falle an Nachblutung am 8. Tage. 
Einmal ist die Todesursache nicht notirt. 

Von der 3. bis 6. Woche trat der Exitus letalis ein bei 5 Pa¬ 
tienten, von denen 2 an Pneumonie und 2 an putrider Bronchitis 
erlagen. Bei einem ist die Todesursache nicht angegeben. 

Es ist wohl anzunehmen, dass die Totalexstirpation meist immer 
in einem schon weit vorgeschrittenen Stadium der Erkrankung er¬ 
folgt, und es zeigt sich auch hier, wie bei der Tracheotomie, dass 
eine verhältnissmässig grosse Sterblichkeit in Folge der Operation 
zur Erscheinung gelangt. 


Recidiv ist in 17 Fällen beobachtet. In den ersten 3 Monaten 
erfolgte ein Rückfall nur bei einem, von 3 bis 6 Monaten bei 11, 
und von 6 bis 9 Monaten bei 3. Bei Fall Maurer, No. 92, war 
nach 1 Jahr noch kein Recidiv constatirt; dasselbe soll jedoch 
später eingetreten sein. Ebenso w'urde bei Fall Chiarella No. 93 
nach 272 Jahren erst ein Recidiv gefunden, wenn die Angabe in 
dem kurzen Referate, das mir zur Verfügung stand, eine richtige ist. 

An intercurrenten Erkrankungen starben 6. Bei diesen war 
zur Zeit des Todes kein Recidiv zu erkennen. 4 sind an croupöser 
Pneumonie zu Grunde gegangen, einer an Apoplexie 8 Monate p. op. 
und einer an Asphyxie 1372 Monate p. op. Es bleiben mithin 
übrig nur 22 Geheilte. Von dieseu müssen noch wegen zu kurzer 
Beobachtungszeit 13 abgezogen werden, so dass schliesslich 9 definitiv 
Geheilte sind, die länger als 16 Monate unter genauer Beobachtung 
standen. 

Seit der Operation waren zur Zeit der Veröffentlichung verflosseu: 

2— 8 Wochen in 5 Fällen 

3— 6 Monate „5 „ 

8-10 w * 3 „ 

Die dauernd geheilten hülle sind: 

Fall No. 113 (Maydl) nach 1 Jahr 4 Mon. kein Recidiv, 

„ „ 114 (Kocher) 1 „ 4 „ „ 

« „ 115 (Länderer) „ 1 „ 5 „ - 

„ „ 116 (Länderer) „ 1 * 6 „ „ „ 

„ , 117 (Gussenbauer) „ 1 „ 9 „ - - 

„ ., 118 (Gusseubauer) . 2 „ 2 „ r „ 

n 120 (Winiwarter) „ 2 „ 6 „ „ „ 

A fl 119 (v. Bergmann) „ 3 „ — « - * 

A „ 121 (Gottstein) - 3 „ 6 * 

Drücken wir die Ergebnisse der 68 Totalexstirpatiouen in Pro¬ 
centen aus, so ergiebt sich, dass 2672% Todesfälle durch die Operation, 
772 % Todesfälle durch die Nachbehandlung eintrateu, dass Recidiv 
in 25% und der Tod an anderweitigen Erkrankungen in 9% er¬ 
folgte, und dass 3272°’o Heilungen eintraten, von denen wiederum 
wegen einer zu frühen Veröffentlichung 19% abezogen werden müssen. 

Aus diesen Zahlen ergiebt sich, dass bei der Totalexstir¬ 
pation die unmittelbare Gefahr der Operation eine be¬ 
deutend grössere ist als bei der partiellen Resection, dass hin¬ 
sichtlich der Sicherheit vor Recidiven die partielle Entfernung gün¬ 
stigere Chancen gewährt als die totale, und dass endlich die Zahl 
der geheilten Patienten auch eine viel grössere bei der partiellen 
ist, als bei der totalen Larynxexstirpation. 

F. Die Beseitigung des Carcinoms per vias naturales ist nur 
4 mal zur Ausführung gekommen. Nur in einem Falle No. 125 
(Fraenkel) gelang es, eine dauernde Heilung mit Erhaltung der 
Function des Kehlkopfs herbeizuführen. Patient erfreut sich nach 
4 Jahren p. op. eines guten Wohlbefindens und zeigt kein Recidiv. 

I Die Diagnose ist durch genaue mehrmalige mikroskopische Unter¬ 
suchung bestätigt. Im Fall No. 123 (Chiari) ist das Leben durch 
mehrere cndolaryngeale Operationen um 5 Monate verlängert worden, 
obgleich vou vornherein von einer vollständigen Ausrottung der 
malignen Geschwulst Abstand genommen war und man dem Patienten 
zur totalen Exstirpation des Larynx gerathen hatte. 

Der Fall No.l22(Myles), in welchem ein Epitheliom der Epiglottis 
intralaryngeal entfernt wurde, ist zu kurze Zeit beobachtet, um 
ihn als wirklich geheilt betrachten zu können. Im Fall Schnitzler 
ist die Angabe der Zeit, wann die Operation gemacht worden, nicht 
angegeben. 

: 

V. Ueber den Einfluss des Krankenheiler 
Quellsalzes (Lauge) auf den Stoffwechsel. 

Von Dr. M. Hoefler in Krankenheil-Tölz. 

Schon im Jahrgänge 1881, No. 11, dieser Wochenschrift war 
das Ergebniss einer Stoffwechseluntersuchnug raitgetheilt worden, 
welche die den Umsatz der Albuminate steigernde Wirkung des mit 
Quellsalz (Lauge) versetzten Krankenheiler Mineralwassers darlegen 
sollte. Diese Untersuchung, die durch analoge über das Friedrichs¬ 
haller Bitterwasser*) und den Wiesbadener Kochbruunen* 2 ) eine 
Bestätigung erfahren hatte, konnte durch später zur Kenutniss ge¬ 
langte Ausnützuugsversuche Rubner’s 3 ) bezüglich der Berechnung 
des Stickstoffverlustes im Kothe ergänzt werden, wonach das damals 
angenommene und berechnete Stickstoffgleichgewicht zwischen Ein¬ 
nahme und Ausfuhr noch mehr begründet wurde. 

Der Eiweissgehalt der Nahrung war damals 137,9 mit 21,18 

*) Berliner klin. Wochenuchr. 1880. No. II, p. 153: Dr. J. v. Mering. 

■ Ueber den Einfluss des Friedrichshaller Bitterwassers auf den Stoffwechsel. 

*) Dr. E. Pfeiffer. Die Trinkcur in Wiesbaden (1881). 

7 M. Rubner. Ueber die Ausnützung einiger Nahrungsmittel im 
Darmcanal des Menschen. 1880. Inaug. Dissert. 


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458 


DEÜT8CHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


Stickstoff. Mittelst der Rubner’schen Zahlen berechnete sich der 
Stickstoffverlust im Kothe auf 1,75; 

21,18 N in der Nahrung 
1,75 N im Kothe 

es bleiben für den Harn: 19,43 N (nach 4 Tagen, 1. 2. 3. u. 4). 

Thatsächlich gefunden wurden im Harn: 19,7 N; die Differenz 
0,27 war so gering, dass man sie innerhalb der Berechnungsfehler¬ 
grenze liegend annehmen durfte, womit der Zustand des Stickstoff¬ 
gleichgewichtes angenommen werden konnte. Die am 5., 6 . und 
7. Tage vorgenommene Einverleibung von 705 ccm Krankenheiler 
Mineralwasser —j—45 ccm 6 % Quellsalzlösung (Lauge) bei selbstver¬ 
ständlich gleicher Kostordnung ergab für diese Tage einen Unter¬ 
schied von: 

Harnmenge Spec. Gew. Harnstoff Kochsalz P 2 O 5 1 ) SO 3 
+ 541 —3,3 +4,2 +1,63 -0,13 —0,01. 

Eigentümlich und kaum verständlich war die im „Berichte 
über die neueren Leistungen auf dem Gebiete der Balneologie“ 2 ) 
erschienene Recension dieser Untersuchung: 

„Da aber Controlversuche fehlen, welche die Einnahmen und 
Ausgaben des betr. Individuums ausser (!) der Versuchszeit fest¬ 
stellen, und nicht angegeben ist, wie viel mebr(?) bei Zunahme 
des Appetites genossen wurde, so bleibt es noch unentschieden, ob 
die vermehrte Harnstoffausscheidung das Product gesteigerten Stoff¬ 
wechsels oder vermehrter (?) Zufuhr von Nahrungsmitteln ist“. 

Die Grundbedingung eiuer Stoffwechseluntersuchung, das Stick¬ 
stoffgleichgewicht in der Nahrung, scheint der geehrte Herr Recensent 
nicht zu kennen, und damitkenuzeichnetsich jene Recension allein schon. 

Um aber Controle zu üben und um die Richtigkeit obigen Re¬ 
sultates zu bestätigen, wurde nun zu einem neuen Versuche ge¬ 
schritten, und zwar wurde vor Allem eine möglichst fettfreie Kost 
gewählt, die auch noch so bestimmt wurde, dass ein möglichst ge¬ 
ringer Stickstoffverlust im Kothe zu erwarten war, also, wie die 
Rubner’schen Versuche 3 ) lehrten, Fleisch, Ei, Weissbrod und Kar¬ 
toffel; ferner wurde der diuretisch wirkende Kaffee weggelassen; 
endlich wurde bei diesem neuen Versuche das Stickstoffgleichgewicht 
nicht durch Eiweissausatz erzielt, sondern durch Eiweissabgabe, 
was nach 6 Tagen erreicht war, wie nachfolgende Zahlen lehren. 

Der neue Versuch erstreckte sich nämlich auf 11 Tage, inner¬ 
halb welcher Zeit von dem gleichen Individuum wie bei dem ersten 
Versuche (40 jähriger, gesunder, gut genährter 70,75 kg schwerer 
Mann) pro die genossen wurde: 


Nahrung pro die: 

Gehalt der Nahrung 
an 

Eiweiss Stickstoff 

Stickstoff-Verlust 
im Kothe 
nach Rubner’s 
Zahlen l0 ) berechnet. 

11 Uhr früh 1 Semmel 

4,1 D 

0,63 

0,11 

12 Uhr 1 Ei. 

6,3°) 

0,98 

0,02 

salzfreie 250 ccm leere 

- 6 ) 

— 


Fleischbrühe, wovon etwas 
verwendet wurde zum 
Dämpfen des Fleisches: 
250 g fett- und faser- 



freies Ochsenfilet . . . 

47,5 7 ) 

7,36 

0,19 

100 g abgeschälte Kartoffelu 
in der Casserole mit dem 


Fleisch gedämpft . . . 

2,0») 

0,37 

0,11 

1 Semmel. 

4,1 

0,63 

0,11 

,7 Uhr 150 g fett- und faser- 


l freies Ochsenfilet . . . 

28,7 

4,44 

0,37 

0,11 

/100 g Kartoffeln .... 

2,0 

0,11 

) 1 Semmel. 

4,1 

0,63 

0.11 

(.1 1 Bier. 

4,0 9 ) 

0,67 

— 

die Kochsalzmenge war 100 g 


— 

— 

Summa: 

102,8 

16,08 

0,87 


Nach Abzug des berechneten Stickstoffverlustes im Kothe (0,87) vom 
Stickstoffe der Nahrung (16,08) war demnach das Stickstoffgleichgewicht bei 
15,21 N im Harne nach dieser Berechnung zu erwarten. 

Das betreffende Individuum brauchte dazu, wie erwähnt, sechs Tage. 

') ln der betr. Abhamlluug war irrthniulich die P 3 O 5 mit +0,13 an¬ 
gegeben. 

s ) Schmidt. Jahrb. 1881. 2. p. 290. 

^ Rubner. 1. c. p. 50. 

4 ) Förster. Die Kost in Armenhäusern, p. 192. 

5 ) Renk. Die Kost in Krankenhäusern, p. 113. 

*) 1. eod. p. 88. 

D Nach Siegert enthält das Lendenstück eines Mastochsen 18,8°/o 
stickstoffhaltige Substanzen. 

J*) Nach Voit: Die Kost in den Volksküchen, p. 31. 

,r ) Nach H. v. Bo eck. Untersuchung über die Zersetzung des Ei- 
weisse» unter dem Einflüsse von Quecksilber, 1869. 

"’) Rubner. 1. c. p. 51. 


Am vierten Tage Abends war bei demselben durch eine leichte trau¬ 
matische Laesion ein Irritationsfieber (38,3“) aufgetreten, wodurch die Stick¬ 
stoffausscheidung im Harne vorübergehend erhöht, bei gleichbleibender 
Stickstoffzufuhr aber das Stickstoffgleichgewicht durch Eiweiss (N) -Abgabe 
nur noch rascher erzielt wurde. 

Der Harnstoff wurde nach Kuop-Hüfner, die Harnsäure nach 
Heintz bestimmt; das Kochsalz nach Mohr durch Titrirung, ebenso die 
P 2 O 5 durch Titrirung mit essigsaurem Uran ermittelt, die Kothmengeu 
wurden sofort gewogen; ein gemischter kleiner Theil davon rasch abge¬ 
wogen und bis zum Verschwinden des Gewichtsverlustes getrocknet; das 
Gewicht auf Gesammtgewicht berechnet. Das Körpergewicht wurde täglich 
zur bestimmten Stunde (9 Uhr Abends) ermittelt. Die durch diese Methode 
gefundenen Zahlen sind nun: 


Tag 

Urin¬ 

menge 

ccm 

Specif. 

Gew. 

bei 

15° R 

+ 

Ur. 

Harn¬ 

säure 

CI Na 

Pa Os 

K 

feucht 

)th 

trocken 

Kör- 

per- 

g*- 

wicht 

kg 

1 . 

Uebergangstag 

1124 

5,3 

44,3 

1,50 

12,13 

3,64 

151,9 

19,0 

70,75 

2. 


1104 

5,0 

35.9 

1,28 

12,47 

3,75 

— 

— 

70,35 

3. 


1130 

4,9 

38,6 

0,79 

14,01 

3,60 

74 

17,9 

69,80 

4. 


1313 

4,6 

41,0 

1,32 

16,41 

3,28 

84 

37,9 

69,90 

5. 


1025 

4,95 

30,2 

1,21 

7,89 

3,0 

43 

8,7 

7000 

6. 

n 

1222 

4,65 

31,1 

0,83 

13,19 

3,72 

100 

26,7 

69,90 


— 14,76 N im Harne. 

Die noch innerhalb der Fehlerquellen liegende Differenz zwischen 
berechnetem Stickstoffgleichgewicht bei ... 15,21 N 

und der am 6. Tage gefundenen, also direkt 

im Harne bestimmten Stickstoffmenge . . 14,76 N 

0,45 N = 0,98 Harnstoff 

ist nicht so bedeutend, dass sie nicht noch innerhalb der unvermeidlichen 
Berechnungsfehler liegend angenommen werden könnte, weshalb auch am 
7. Tage, selbstverständlich bei absolut gleicher Kostordnung, zur Einver¬ 
leibung von: 

750 ccm gewöhnlichem Wasser mit Quellsalzlauge (1,09 01 Na 0,9 CChNaO), 
am 8. Tage von 1000 ccm gewöhnlichem Wasser mit Quellsalzlauge 
(1,30 01 Na 1,08 COaNaO), 

am 9. Tage von 1000 ccm gewöhnlichem Wasser ohne Quellsalzlauge, 
am 10. Tage von 750 ccm gewöhnlichem Wasser (37° R) mit Quellsalzlauge 
(0,98 01 Na 0,82 COaNaO) 
übergegangen wurde. 

Am 11. Tage wurde weder Wasser noch Quellsalz zugeführt. 

Die Zeit der Einverleibung dieser Wassermengen und Salzquantitäteu 
war Morgens */a9 Uhr, also 12 —12 V 2 Stunden nach der letzten Nahrung 
und 3 Stunden vor der Frühstückssemmel. 

Die vom 7. bis 11. Tage gefundenen Zahlen sind nun: 


Tag 

Eingefüh 
Mineral wa 

HO | 

ccm jciNa 

rtes 

sser 

COa 

NaO 

&> i 

S :®“: + 

E i TT 

c MS 0 Ur - 

Harnsäure i 

cS 

>5 

5 

%n 

O 

£ 

Ko 

.£ 

3 

£ 

th 

§ 

>1 

| 

t 

JL 

7. 

750 1 1,09 

0,9 

1392 4,35 j 46,2 

1,83 

16,0 

3,74 

68,7 

14,7 

69,60 


10° R 









8. 

1000 i 1,30 

1,08 

1642 3,6 83,1 

1,53 

16,91 

3,77;121,5 

17,3 

69,70 


10° R| 









9. 

10001 — 

— 

1625 3,3 ! 27,6 

0,95 

14,12 

3,78'114 

17,7 

69,55 


10° r! 






49,4 

8,2 


10. 

750 1 0,98 

0,82 

1410 3,9 183,3 

1,18 

14,11 

3,28 

92,7 

12,9 

6800 


37° Ri 


1 | 







11. 

| 


1092| 4,35 | 27,1 

1,19; 14,19 

2,40 

— 

— 

— 


Den zwei Tagen (9. 11.) ohne Quellsalzeiunahme mit durchschnittlich 

+ 

Urinmenge Spec. Gew. Ur Harnsäure CI Na P 3 O 5 

1358 3,67 27,3 1,07 14,15 3,09 

stehen gegenüber drei Tage (7. 8. 10) mit Quellsalzeinnahme und durch 
schnittlich: 

1481 3,95 37,5 1,51 15,67 3,59 

Differenz: + 123 +0,28 +10,2 +0,44 + 1,52 +0,50. 

Dem Tage mit Stickstoffgleichgewicht mit: 

1222 4,65 31,1 0,83 13,19 3,72 

stehen gegenüber drei Tage mit Krankenheiler Quellsalzzufuhr und durch¬ 
schnittlich : 


1481 

3,95 

37,5 

1,51 

15,67 

3,59 

Differenz bei die¬ 
sem Versuche: +259 

-0,70 

+ 6,4 

+ 0,68 

+ 2,48 

— 0,13 

Differenz bei dem 

früher. Vers.: +541 

—0,33 

+ 4,2 

+ ? 

+ 1,63 

-0,13. 


Nach diesen Zahlenreihen dürfte es keinem Zweifel mehr unter¬ 
liegen, dass das Krankenheiler Quellsalz (Lauge) diuretisch wirkt 
(vermehrter und spec. leichterer Urin), 

dass der Umsatz der Albuminate im Körper durch dasselbe 
gesteigert wird (vermehrte Harnstoff-, Harnsäure- und Kochsalzaus¬ 
scheidung), 


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7 . Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 459 


dass die Magenfunction durch die Einverleibung des Quell- 
salzes nicht gestört wird (gesteigerter Appetit), 

dass das Körpergewicht sich vermindert unter dem Gebrauche 
des Quellsalzes bei gleicher Nahrungsmenge. 

Die festen Bestandteile des Kothes vermindern sich. Der Koth 
wird breiiger und wasserreicher nach den Tageu mit Quellsalzeinver¬ 
leibung. 

Die in beiden Untersuchungen übereinstimmend gefundene Ver¬ 
minderung der Phosphorsäure wird wohl mehr einer Zurückhaltung 
derselben in den Fäces bei vermehrter Kalkzufuhr im eingenommenen 
Mineralwasser zuzuschreiben sein als einer Veränderung des Ortes 
der Zersetzung (Muskelnerveusystem). 

Der an den ersten 6 Tagen an sauren, harnsauren Salzen un- 
gemein reiche Urin wurde stets an den Tagen der Einnahme von 
Krankenheiler Quellsalz hellgelb, klar, sedimentfrei; der Salzsäure¬ 
zusatz trübte den Urin nicht sofort, wie an den Tagen ohne 
salzeinnahme, d. h., das alkalische Mineralwasser hielt die Quell- 
relativ grossen Mengen von) Harnsäure länger in Lösung; es hatte 
auch ausserdem eine vermehrte Harnsäureausscheidung zur Folge. 

Nach dem Aussetzen des Mineralwassers sank die Hamstoff- 
ausscheidung unter die Norm (compensatorischer Eiweissansatz): 
27 : 30. 

VI. Die pathogenen Bedingungen der Albu¬ 
minurie. 

(Neue klinische und experimentelle Studien.) 

Von Prof. M. Semmola. 

(Schluss aus No. 22.) 

Sehen wir nun, wie diese experimentellen Ergebnisse ihre An¬ 
wendung finden können, um klinische Thatsachen aufzuhellen. 

Aus den gemachten Experimenten geht klar hervor, dass es 
nicht Wunder nehmen kann, wenn bei vielen Herzkranken, trotz 
der Nierenstauung, kein Eiweiss in dem Urin sich vorfindet, weil 
die blosse Steigerung des Blutdruckes nicht hinreichen kann, um 
Albuminurie hervorzurufen. Da es aber doch auch Herzkranke 
giebt, bei welchen Albuminurie vorhanden ist, und nach Wieder¬ 
herstellung der Blutcirculatiou selbe nur an Intensität abnimrat, ohne 
gänzlich zu verschwinden, so bleibt uns noch übrig, uachzuforscheu, 
warum das so geschieht, und in welcher Weise die Drucksteigerung 
manchmal zur Erzeugung von Albuminurie Aulass geben kann. 

Die experimentelle Logik zwingt uns anzunehraeu, dass in alleu 
diesen Fällen, wo die Steigerung des Blutdruckes die Albuminurie 
erzeugen kann, eine andere pathogene Ursache vorhanden sein muss. 
Und da man, wie ich schon erwähnt habe, als ein Grundgesetz der 
pathologischen Physiologie anerkennen muss, dass der lebende 
thierische Organismus das Eiweiss stets ausscheidet, wenn sich im 
Blutstrome eine gewisse Menge, dialysirbarer und darum heterogener 
Eiweisskörper vorfindet, konnte ich voranssetzen, dass dies eben der 
andere pathogene Factor wäre, welcher bei jenen Herzkranken, die 
an Albuminurie leiden, sich vorfand. Mit anderen Worten, die An¬ 
nahme schien mir zulässig, dass die Herzkranken, bei denen Albu¬ 
minurie in ihrem schwersten Stadium von Stauungen, Oedemen 
u. s. w. vorkommt, schon bevor sie in dieses Stadium eintraten, 
albuminurisch sein mussten, d. i., dass schon ein gewisser Grad von 
Albuminurie dyskrasischen Ursprungs bei ihnen vorhanden war, be¬ 
vor sich schwere Circulationsstörungen und Steigerung des Blut¬ 
druckes in den Nieren einstellten. Um diese Annahme zu erhärten, 
giebt es zwei Beweise, den klinischen und den experimentellen. Was 
den klinischen Beweis anbelangt, so habe ich seit einigen Jahren 
45 klinische Fälle von Herzkranken wegen Mitral- oder Aorten- 
insufficienz gesammelt, bei denen Albuminurie verschiedenen Grades 
vorhanden war, ungeachtet bei diesen Kranken die Compensation 
eine vollständige, und nicht die geringste Circulationsstörung im 
Capillarnetze bemerkbar war. 

Bei allen diesen Kranken war Albuminurie vorhanden, ohne 
irgend welche Erscheinung einer Nierenaffection, und bei der Mehr¬ 
zahl war die Compensation des Herzfehlers so vollständig, dass der 
Zweck der ärztlichen Consultation auf etwas ganz anderes, als auf 
eine Herzaffection gerichtet war. 

Kurz und gut die Schlussfolgerung ist, dass es Herzkranke 
giebt, welche noch vor der nicht compensirten Periode der Krankheit 
albuminurisch sind, und darum ist es ganz natürlich, dass solche 
Patienten albuminurisch bleiben, nachdem die den Blutkreislauf 
ordnende Behandlung sie von den schweren Folgen der fehlenden 
Compensation erlöst hat. 

Es erübrigt nun noch der experimentelle Beweis, der mir sehr 
bündig und leicht zu erbringen scheint. 

Ich nehme einen Hund, der 8,3 kg wiegt. Ich unterwerfe ihn 
einer Fütterung, die sich täglich gleich bleibt: Suppe, Fleisch, 
Milchsuppe —, und ich constatire, dass der Harn ganz normal ist. 


Ich mache dann subcutane Injectionen von 60,0 mit 20.0 Aq. ver¬ 
dünntem Hühnereiweiss, wie ich in meiner Arbeit von 1883 an¬ 
gegeben, und wiederhole diese Injectionen durch eine Reihe von 
Tagen. Die Albuminurie beginnt schon eiuige Stunden nach der 
i ersten Einspritzung und erhält sich langsam fortschreitend. Nach 
10 Tagen scheidet der Hund binnen 24 Stunden 3V> g Eiweiss 
durch den Harn aus. 

Zu diesem Zeitpunkte vollführe ich die Bluttransfusion, unter 
denselben Verhältnissen, wie ich schon vorhin angedeutet habe. 
Der Urin des grösseren Hundes, der das Blut für die Transfusion 
geliefert, war ganz normal und ohne Eiweiss. 

Anfangsdruck in der Carotis bei dem kleinen Hunde (der albu¬ 
minurisch gemacht war) vor der Transfusion 28,29 cm. Die Trans¬ 
fusion dauert 8 Minuten. Der Druck schwankt zwischen 35 und 
36 cm, um auf 34 stehen zu bleiben. Das Thier wiegt nach der 
Transfusion 8,850 kg, d. h. es sind ihm 550 g Blut transfundirt 
worden. In dem innerhalb 24 Stunden nach der Operation aufge¬ 
fangenen Harn finden sich 6,20 g Eiweiss, d. i. also fast die 
j doppelte Menge Eiweiss, die er vor der Transfusion ausgeschieden. 
Natürlich wurde die Injeetion auch an dem Tage der Transfusion 
vorgenommen. 

Dieser Versuch zeigt deutlich, dass, wenn schon im Blute eine 
gewisse Menge albuininoider Stoffe vorhanden ist, die wegen ihrer 
physikalisch-chemischen Beschaffenheit nicht assimilirbar sind, die 
| Steigerung des Blutdruckes gleichsam mechanisch deren Filtration 
durch die Niere ebenso erhöht, wie dies mit der Filtration des 
! Wassers, bei Erzeugung von Polyurie, der Fall ist. — 

So scheint es mir ,kanu man das erklären, was bei den albu- 
minurischen Herzkranken nach der Wiederherstellung des Gleich¬ 
gewichts im Blutkreislauf vorgeht. Es hört dann eben der mecha¬ 
nische Factor auf zu wirken, nämlich die Steigerung des Blutdrucks, 
aber der dyskrasische Einfluss bleibt bestehen, da er schon früher 
jexistirte darum hört die Vermehrung der Eiweissfiltration auf, w elche 
von der Drucksteigerung abhängig war, und es wirkt nur der dys¬ 
krasische Factor, indem er jenen Grad von Albuminurie hevorruft, der 
auf ihn zu beziehen war. Als ich während meines Aufenthaltes in 
i Paris diese meine Ansichten mehreren Collegen mitgetheilt hatte, nahm 
einer von ihnen, Prof. Doleris, ein ausgezeichneter Geburtshelfer, 
| diese meine Deutung mit wahrem Enthusiasmus auf, indem er aus¬ 
sprach, er habe die Bestätigung davon schon bei der Albuminurie 
I der Schwangeren gefunden, bei welcher der mechanische Factor 
allein nicht hinreiche, Albuminurie zu veranlassen, sondern noch 
j eine besondere, in der Zusammensetzung der Eiw'eisskörper schon 
vorher bestehende Beschaffenheit erfordere mit entsprechender Albu¬ 
minurie schon vor der Schwangerschaft. 

Endlich gestatten mir meine klinischen Erfahrungen, diese Deu- 
; tung durch eine therapeutische Probe zu ergänzen, die ich hinsicht¬ 
lich der albuminurischen Herzkranken unternommen habe. 

ln einer nächstens zu veröffentlichenden Arbeit über thera- 
i peutische Klinik werde ich mittels genauer Analyse vieler klinischen 
Fälle beweisen, dass die Anwendung von Milch, als ausschliess¬ 
liche Nahrung der Albuminuriker, allein genügt, das Eiweias aus 
I dem Urin vollkommen verschwinden zu machen, mit einziger Aus¬ 
nahme jener Albuminurieen, die mit gewissen Nierenläsionen in di- 
i rectem Zusammenhänge stehen. 

Mit anderen Worten, ich werde zeigen, dass ebenso, wie eine 
der häufigsten pathogenen Bedingungen des Uebertrittes von Eiweiss 
in den Harn die dyskrasische Beschaffenheit der Eiweisskörper des 
Blutes ist, die strenge Milchdiät die therapeutische Grundbedingung 
bildet, um diese hämatogenen Albuminurieen verschwinden zu machen. 
Das heisst, die Milch bleibt immer das kostbarste Nahrungsmittel 
und wirkt als wahres Heilmittel bei allen Ernährungsstörungen, 
eben weil sie, meines Erachtens, einen wahren Typus unter den 
Nahrungsstoffen bildet von der grössten Homogenität und Assimilir- 
barkeit. 

Folgendes ist nun der Vorgang bei den albuminurischen Herz¬ 
kranken. Sind ihre Corapensationsstörungen erst im Beginn, und 
vermochte der Gebrauch von Herzmitteln die Circulationsstörungen 
wieder in’s Gleichgewicht zu bringen, indem mau die gewöhnliche 
Ernährungsweise mit besonderer Stundeneintheilung fortsetzt, so 
ergiebt sich, dass nach der tonischen Behandlung des Herzens 
die Albuminurie wohl nachlässt, aber nicht ganz verschwindet. 

Hingegen bei Herzkrankheiten, die so schwer sind, dass man, um 
ein rasches und vollkommenes Heilresultat zu erlangen, unbedingt zur 
Milchdiät seine Zuflucht nehmen muss, verschwindet die Albumi¬ 
nurie, wenn sie bestand, nach der Cur vollständig; d. h. unter dem 
doppelten Einflüsse der Milchdiät und der tonischen Herzmittel er¬ 
reicht man das vollständige Verschwinden der mechanischen Circu¬ 
lationsstörungen und der vorausgegangenen dyskrasischen Verän¬ 
derungen, die sich unter der Einwirkung des neuen pathogenen 
Factors, der durch den nicht compensirten Herzfehler gebildet 
wird, verschlimmert hatten. 


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460 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W00HEN8CHRIET. 


No. 23 


Es erübrigt nun noch der zweite experimentelle Theil, nämlich 
die Untersuchung der Albuminurie in Bezug auf die histologischen 
Alterationen des Niereufiltrums. 

II. 

Von der Albnmiuurie in Beziehung zu dem histologischen 
Zustand der Nieren. 

Damit das Studium der Pathogenese der Albuminurie in klini¬ 
scher Beziehung wirklichen Nutzen bringt, muss man es vergleichs¬ 
weise bezüglich aller drei Factoren, welche die normale Function 
der Harnausscheidung beherrschen, und ohne vorgefasste oder syste¬ 
matische Anschauungen betreiben, welches auch der mehr oder 
weniger vorherrschende Gesichtspunkt in der Pathologie sein mag. 

Bisher habe ich die Bedingungen besprochen, welche die Be¬ 
schaffenheit des Blutes, sowie der mechanische Zustand der Nieren- 
circulation mit sich bringt; es erübrigt nun, den dritten Punkt 
zu besprechen, nämlich den Einfluss, welchen histologische Verän¬ 
derungen des Nierentiltrums auf die Erzeugung von Albuminurie 
ausüben können. Dieser Punkt ist für die Klinik um so wichtiger, 
als in der Wissenschaft, sowohl wie in der Praxis übertriebene oder 
ganz irrige Vorstellungen herrschen, welche die Therapie unzweifelhaft 
vom rechten Wege abgelenkt haben und noch heutzutage ablenken, 
es ist kaum zu sagen, mit wie grossem Nachtheil für die armen 
Kranken. In der That, die zu starke Betonung des anatomischen 
Gesichtspunktes führte zu der Annahme, dass eine Läsion des 
Nierengewebes stets die conditio sine qua non des Ueber- 
trittes von Eiweiss aus dem Organismus sei, und seit langer 
Zeit berief man sich, und einige thun es noch, auf die Abschuppung 
des Epithels der Tubuli, oder auf irgend eine, sei es auch hypothe¬ 
tische Veränderung, um sich in vielen Fällen von der Eiweissdurch¬ 
sickerung Rechenschaft zu geben. 

In der Praxis begegnet man täglich einem sehr wohlfeilen 
Schlüsse auf das Vorhandensein eines gewissen Grades von 
Nephritis, sobald man im Verlaufe einer acuten oder chronischen 
Krankheit Albuminurie auftreten siebt. Kurz und gut, wie ich 
schon wiederholt in meinen früheren Arbeiten betont habe, die 
pathologische Histologie führte, um die krankhaften Vorgänge zu er¬ 
klären, eine Gleichstellung, und fast möchte ich sagen, eine Art von 
Synonimie zwischen den Worten: Albuminurie und Nephritis her¬ 
bei, und kein Praktiker kann, wenigstens bei uns, wenige Gramm 
Eiweiss im Urin oder auch nur Bruchtheile eines Grammes sehen, 
ohne pflichtschuldigst die Existenz einer Nephritis festzustellen, 
und, um diese Art stereotyper Diagnose noch lächerlicher zu 
machen, giebt es keinen praktischen Arzt, der nicht in diesen 
Fällen ebenso pflichtschuldigst Gallussäure verschriebe: eine Ver¬ 
ordnung, die beim heutigen Stande der Wissenschaft für den wahr¬ 
haft gebildeten Arzt wirklich demüthigend ist und beweist, wie 
langsam und schwer Aberglaube und allerhand Irrthümer aus dem 
Geiste der Aerzte auszurotten sind, die, unter dem Einflüsse hypo¬ 
thetischer Ideen und Systeme, ihnen zur anderen Natur ge¬ 
worden sind. 

Diese systematische Uebertreibung des anatomischen Gesichts¬ 
punktes vermochte selbst die Grundanschauungen des berühmten 
englischen Arztes zu verunstalten, welcher dem classischen patho¬ 
logischen Typus der Albuminurieen den Namen gab, und Sie mögen 
mir als kleine persönliche Genngthuung gestatten, daran zu er¬ 
innern. dass ich zuerst mit experimentellen Thatsachen schon seit 
dem Jahre 1850 den Satz verfocht: die Albuminurie könne von 
Zuständen des Blutes abhängen, ohne dass dazu die geringste Ver¬ 
änderung in den Nieren erforderlich sei. 

Dass ich constatirt habe, dass bei den Brightikem die 
Menge des innerhalb 24 Stunden ausgeschiedenen Eiweisses 
je nach der Beschaffenheit der Ernährungsweise wechsele, und 
dass sie sich uuter dem Einflüsse einer stickstoffreichen Alimen¬ 
tation verdoppele oder verdreifache, um dann unter dem Ein¬ 
flüsse einer stickstoffarmen Nahrung beträchtlich abzunehmen, darin 
bestand der unwiderlegliche Beweis der innigen Beziehung, wie 
zwischen Ursache und Wirkung, zwischen der Vermehrung der Ei¬ 
weisskörper im Blute und der Steigerung der Albuminurie, da man 
nicht annehmen konnte, dass von einem Tage zum anderen und 
oft im Verlaufe weniger Stunden ein anatomischer Process in der 
Niere habe wachsen oder abnehmen können. 

Diese meine so beweiskräftigen und von Parkes, Gubler i 
und anderen gewiegten Experimentatoren bestätigten Beobachtungen i 
blieben in Italien fast unbekannt, bis Jaccoud 1871, Charcot 
und die ganze französische und englische medicinische Schule in 
ihren classischen Werken über Pathologie mir mein Recht zuer¬ 
kannten. 

Wie ich also gesagt habe, ist es ein Irrthum anzunehmen, die 
Gegenwart von Eiweiss im Harn verlange zwingend das Vorhan¬ 
densein einer Nephritis. Aber, der Wahrheit zur Ehre, giebt es 
heutzutage nur wenige Kliniker, die noch an dieser Verirrung hän¬ 


gen, und unter der grossen Mehrheit der Pathologen giebt es bei¬ 
nahe keinen mehr, der nicht das Vorhandensein einer dyskrasi- 
schen, d. h. von der Beschaffenheit der Nieren unab¬ 
hängigen Albuminurie anerkennen würde. 

Wenn ich durch alle meine Arbeiten nichts anderes erreicht 
hätte, als diesem von mir im Widerspruch mit allen anatomischen 
Lehren, die seit dem Jahre 1850 unbestritten Geltung gehabt, ex¬ 
perimentell verfochtenen Grundsätze der pathologischen Physiologie 
in der Wissenschaft Anerkennung verschafft zu haben, so dass er 
durch den Mund ihrer berühmtesten Vertreter, Charcot 1 ) an der 
Spitze, verkündet wurde, so würde ich mich für die wissenschaft¬ 
lichen Kämpfe, die ich deshalb zu bestehen hatte, reichlich belohnt 
erachten. 

Die mir durch die gegenwärtige Arbeit gesetzten Grenzen er¬ 
lauben mir nicht, bei diesem Punkte mich länger aufzuhalten, aber 
ich will nicht ermangeln, daran zu erinnern, dass ausser den experi¬ 
mentellen und klinischen Thatsachen, welche das absolute Fehlen 
einer nothwendigen Causalbeziehung zwischen der Gegenwart des 
Eiweisses im Harn und irgend einer Veränderung der Nieren dar- 
thun, ein sehr beredtes Zeugniss für dieses Grundgesetz der patho¬ 
logischen Physiologie auch die nicht so seltenen Beobachtungen ab¬ 
geben, die gewiss jeder Kliniker bei der Autopsie von Fällen nephri- 
tischer Processe Gelegenheit hatte zu registriren, dass nämlich ein¬ 
fache Epithelialläsion bis zu einer interstitiellen Nephritis bestand, 
ohne dass während des Lebens je im Harn die geringste Spur von 
Eiweiss beobachtet werden konnte. Ich wiederhole es daher noch 
einmal, dass man heutzutage die Zahl der Fälle für sehr beschränkt 
ansehen muss, wo als einziger Grund für den Uebertritt von Eiweiss 
in den Harn das Vorhandensein einer histologischen Veränderung des 
Nierenfiltruras betrachtet werden muss. 

Der Zweck nun dieser meiner neuen Untersuchungen war eben 
der, durch das Experiment die Beziehung zwischen dem Grade der 
histologischen Nierenveränderung und der Menge des ausgeschiede¬ 
nen Eiweisses festzustellen. Es ist klar, dass die Untersuchung 
dieser Beziehung dahin führen muss, festzustellen, inwieweit die 
beiden Thatsachen, Albuminurie und histologische Alteration der 
Niere, wie Ursache und nothwendige Wirkung mit einander ver¬ 
knüpft sind. 

Ich habe keine neuen Experimente darüber angestellt, ich habe 
einfach die über diesen Punkt von anderen Experimentatoren, be¬ 
sonders von Cornil gemachten Versuche wiederholt; aber die 
übrigens sehr klare Deutung dieser Versuche hat mich doch veran¬ 
lasst, einen etwas abweichenden Gesichtspunkt hervorzuheben. 

Um experimentell Nephritis hervorzurufen, bediente ich midi 
des Cantharidin. Ich führte zuerst acute Vergiftung herbei und 
dann wiederholte ich die Versuche mit chronischer Vergiftung. 
Behufs acuter Vergiftung machte ich einem Hunde, der 4,5 kg wog. 
eine hypodermatische Einspritzung von in Glycerin gelöstem Can¬ 
tharidin (4,00 Glycerin, 0,05 Cantharidin). Nach einer Stunde ist 
der Harn blutig und enthält in 1000 Tbeilen 0,55 Albumen. Das 
Thier stirbt nach drei Stunden. Bei der Autopsie findet sich die 
Rindensubstanz angeschwollen und congestionirt; die Glomeruli sind 
stark verändert. In manchen derselben ist der Epithelüberzug zum 
Theil zerstört, so dass eine Hälfte des Glomerulus noch mit Epi¬ 
thelialkernen versehen ist, während die andere Hälfte gleichsam in 
eine faserige Masse ohne Kerne umgewandelt ist. Lymphatische 
Zellen finden sich in der Höhlung der Glomeruli zusammen mit 
einer körnigen Substanz, sowie rothe Blutkörperchen in grosser An¬ 
zahl angehäuft. Was die Tubuli betrifft, so befindet sich in ihrem 
Innern eine amorphe Substanz (die nach Einigen das Product einer 
Exsudation sein soll), und an einigen Stellen zeigt sich Epithel¬ 
nekrose in einem nicht vorgerückten Zustande. Wenn man diesen 
Versuch unter den verschiedensten Verhältnissen wiederholt, so er¬ 
hält man immer dieselben Ergebnisse in verschiedenem Grade. 

Die langsame Vergiftung durch Cantharidin ist noch weit be¬ 
weiskräftiger. Es wurden drei Wochen hindurch an Hunden von unge¬ 
fähr derselben Grösse, wie der frühere, subcutane Cantharidininjec- 
tionen gemacht. Die tägliche Cantharidinmenge betrug 0,004. Der, 
insbesondere in den ersten Tagen, leicht mit Blut vermischte Harn 
zeigte bis zum Ende des Versuchs nie eine grössere Menge Eiweiss 
als 0,70—0,85 pro mille, welches ohne Zweifel mit dem von dem 
Entzündungsprocess herrührenden Exsudat in Verbindung zu bringen 
war. Nach drei Wochen waren die Veränderungen an den Nieren 
ganz beträchtliche. 

Abgesehen von den schon erwähnten Veränderungen der Glo¬ 
meruli, die sich auf den an gewissen Stellen sehr auffallenden Ent¬ 
zündungsprocess bezogen, war auch die Alteration der Tubuli be¬ 
trächtlich. Das Epithel findet sich zerquetscht, und im Lumen des 
.Tubulus sitzt eine hyaline Substanz (Exsudat). An vielen Stellen 


*) Charcot. Ueber die pathogenen Bedingungen der Albuminurie. 
Paris 1880-81. 


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7. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


461 


ist das Epithel der Tubuli zerstört mit granulösem Aussehen; an 
anderen Stellen zeigen die Tubuli contorti Zellen mit fettig-granu¬ 
löser Degeneration. 

Was vor allem bei dieser vergleichenden Untersuchung am 
meisten auffällt, ist das grosse Missverhältnis zwischen der Schwere 
der histologischen Niereuveränderungeu und der geringen Menge 
Eiweiss, die im Harn enthalten ist. Man findet bei diesen Ver¬ 
suchen nie einen solchen Grad von Albuminurie', welcher an 
die Menge von Eiweiss erinnerte, die gleich vom Beginn der Krank¬ 
heit die Albuminurie des Morbus Brightii kennzeichnet, denn 
es ist bekannt, dass dieselbe vom Anbeginne der Krankheit an nie 
geringer als 5,00—6,00 pro iuille ist. Ich spreche, wohl gemerkt, 
von der wahren Bright’sehen Krankheit und nicht von den 
Pseudo-Brightikern, die man seit einigen Jahren, bei der clas- 
sischen Verwirrung, welche hinsichtlich dieses Capitels bei den 
in’s Kleinliche gehenden histologischen Untersuchungen herrscht, so 
leichthin verwechselt, ohne dass man den wahren klinischen Typus 
in Rechnung zieht. Und dieses Missverhältniss findet eine weitere 
Beglaubigung in der einfachen experimentellen Thatsache, dass die 
subcutane Injection von 20,0 Hühnereiweiss täglich, wie ich wieder¬ 
holt gezeigt habe, hinreicht, um den Uebertritt von Eiweiss in 
den Harn zu veranlassen, ohne dass dabei irgend eine Veränderung 
der Glomeruli oder des Epithels von Nöthen wäre. 

Zu diesem vollständigen Mangel einer ursächlichen Beziehung 
zwischen Albuminurie und den Veränderungen in deu Nieren in 
beiden vorerwähnten Fällen muss man noch den Unterschied der 
Beschaffenheit des sich ausscheidenden Eiweisses hinzufögen, ein 
Unterschied, der allein genügt, um die Albuminurieen in zwei Kate- 
gorieen zu scheiden, nämlich hämatogene und nephrogene Al¬ 
buminurieen. 

Der Unterschied in deu physikalisch-chemischen Merkmalen des 
Eiweisses bei jeder dieser Kategorieeu wurde von mir im Jahre 1861 
in einer Abhandlung aufgezeigt, welche ich in der Akademie der 
Medicin zu Paris vortrug 1 ), und die dann der Gegenstand der 
Untersuchungen vieler anderer Beobachter und Kliniker (Bouchard, 
Jaccoud etc.) gewesen ist. 

Die Sache ist wirklich sehr natürlich, denn in einem Falle, und 
zwar bei den hämatogenen Formen der Albuminurie, ist das durch 
den Harn austretende Eiweiss das dialysirbare Eiweiss des Blutes, 
und es handelt sich hier um eine einfache und wirkliche Filtration, 
während hingegen das Eiweiss, welches sich im Harn infolge von 
Entzündungsprocesseu der Niere vorfindet, zu jenen gehört, welche 
mit den entzündlichen Exsudaten auftreten. 

Deshalb unterscheiden sich diese zwei grossen Kategorieeu der 
hämatogenen und nephrogenen Albuminurie durch folgende drei 
Merkmale: 

1. Die Menge des innerhalb 24 Stunden ausgeschiedenen Ei¬ 
weisses, welche stets bei den hämatogenen Albuminurieen mehr 
oder weniger beträchtlich, hingegen bei den nephrogenen sehr ge¬ 
ring ist. 

2. Die Beschaffenheit, welche bei den hämatogeneu Albuminurieen 
an die physikalisch-chemischen Merkmale und Reactiouen des Blut¬ 
ei weisses erinnert, während das Eiweiss der nephrogenen Albumi¬ 
nurieen keine dieser Reactiouen zeigt und vor allem im kalten Zu¬ 
stande nicht die schöne violettrothe Färbung annimmt, welche das 
Eiweiss des Blutserums und das der wahren Bright’sehen Krank¬ 
heit bei Versetzung mit in Aetzkali aufgelöstem Kupferoxyd zeigen; 
ausserdem haben sie nicht denselben Löslichkeitsgrad, wenn sie nach 
der Denis’sehen Methode mit den verschiedenen Salzlösungen be¬ 
handelt werden 2 ). 

3. Die Gegenwart von morphologischen Elementen im Urin, 
welche bei den ursprünglich nephrogenen Albuminurieen constant sind, 
während sie bei den hämatogenen Albuminurieen entweder geradezu 
fehlen oder sich nicht im Verhältnisse zu der Menge ausgeschiedenen 
Eiweisses vorfinden, wenn man den Kranken nach und nach ver¬ 
schiedener Ernährungsweise unterzieht; denn, wie ich in der Arbeit, 
welche ich vorhin erwähnt habe, auseinandersetzen werde, die Diät¬ 
probe muss man als wahren Prüfstein betrachten, um die ver¬ 
schiedenen Albuminurieen unterscheiden zu können. 

Die Schlussfolgerungen aus diesen Untersuchungen sind: 

Der Austritt von Eiweiss durch den Harn aus dem Organismus 
hat zur Grundbedingung die dyskrasische Beschaffenheit der Ei¬ 
weisskörper des Blutes, d. i. eine besondere Veränderung in ihrer 
chemisch-physikalischen Constitution, die sie ungeeignet macht, assi- 
milirt zu werden, und welche deshalb nothwendigerweise durch alle 


*) S. Gazette des Hopitaux 1861. 

*) In einer nächsten Arbeit über die differentiellen physikalisch-che¬ 
mischen Merkmale des Eiweisses, welche die verschiedenen Albuminurieen 
kennzeichnen, werde ich dieses Thema ausführlicher besprechen, um zu 
zeigen, welche nützliche Anwendungen es in der Klinik als differential¬ 
diagnostisches Mittel finden kann. 


Ausscheidungswege eliminirt werden müssen und vor allem andern 
mittels des Harns. 

In diese Kategorie der hämatogenen Albuminurieen muss mau 
alle jene Fälle der sogenannten physiologischen Albu¬ 
minurie einreihen, welche man in Wirklichkeit stets als ein 
Symptom pathologischen Ausgleichs ansehen muss, da nicht zuge¬ 
geben werden kann, dass im wirklich physiologischen Zustande das 
Eiweiss dazu bestimmt sei, aus dem Organismus ausgeschieden zu 
werden. 

Die Steigerung des Blutdrucks allein ist nicht im Stande, den 
Uebertritt des Eiweisses durch das Nierenfiltrum in den Harn zu 
bewirkeu; diese Drucksteigeruug ist aber im Stande, deu Grad der 
in Folge der dyskrasischen Beschaffenheit der Eiweisskörper schon 
vorhandenen Albuminurie zu erhöhen. 

Die histologischen Veränderungen der Nieren erzeugen nur 
dann Albuminurie, wenn sie die Folge eines entzündlichen acuten 
oder chronischen Processes sind, während hingegen bei den ein¬ 
fachen Ernährungsfehlern der Niere (Amyloidniere etc.) die Albu- 
miuurie in keiner Beziehung zu der Nierenläsiou steht und viel¬ 
mehr von der fehlerhaften Allgemeinernährung abhängt, wovon die 
Nutritionsveränderung der Niere eine Wirkung ist. Die Klinik 
zeigt nns tagtäglich diese Grundwahrheit, vor allem bei dem ver¬ 
gleichenden Studium der Albuminurieen, die mit der Nierensyphilis, 
den urischen Nephritiden, dem Alcoholismus, der Gicht, den chro¬ 
nischen Metallvergiftungen etc. Zusammenhängen 

Gleichsam als praktisches Ergebniss dieser Schlüsse, glaube ich 
mich berechtigt, im Folgenden das zusammeuzufassen, was ich schon 
in meinen früheren Arbeiten niedergelegt habe: 

1. Es ist nicht richtig, in der Praxis immer noch bei der 
Albuminurie das Vorhandensein einer Nephritis behaupten zu wollen, 
und wenn auch in dem Urin die morphologischen Zeichen eines 
anatomischen Nierenprocesses vorhanden sind, ist es immer Pflicht 
des praktischen Arztes zu untersuchen, bis zu welchem Punkte eine 
allgemeine Ernährungsstörung mit mangelnder Assimilation der Ei¬ 
weisskörper vorausging oder zugleich mit dem Nierenprocesse 
auftrat. 

2. Welches immer die pathogene Bedingung der Albuminurie 
sein mag, so muss man doch einen Irrthum beseitigen, der noch 
immer in der Behauptung einiger Kliniker eine Stütze findet, dass 
man nämlich durch eine vorherrschend stickstoffreiche Nahrung die 
Eiweissverluste ersetzen könne, denn eine solche macht in Wirk¬ 
lichkeit die Eiweissverluste nur noch grösser. Im Gegentheil, so¬ 
bald Eiweiss im Urin auftritt, muss man als Grundsatz festhalten, 
dass die Grundlage jeder Cur die Milchdiät bildet, die schon nach 
wenigen Tagen bewirkt, dass das Eiweiss aus dem Harn ganz ver¬ 
schwindet, oder dass wenigstens die binnen 24 Stunden aus¬ 
geschiedene Menge dieses Körpers beträchtlich herabgesetzt wird. 

3. Es ist uothwendig, die adstringirenden Mittel aus der Be¬ 
handlung der Albuminurie und vor allem der Bright’scheu Albu¬ 
minurie für immer zu verbannen. 

Ich kann nicht begreifen, wie dieser Irrthum bei einigen hervor¬ 
ragenden Aerzten, wie Jaccoud u. A., welche die Eisen- und Blei¬ 
präparate empfehlen, noch Unterstützung finden kann. 

Bei den nephrogenen Albuminurieen liegt kein Grund vor, diese 
Mittel anzuerapfehlen, da sie niemals eine Heilindication für die Natur 
des Krankheitsprocesses bieten können (Gicht, Syphilis etc.), da an¬ 
dererseits bei dieser Art von Albuminurieen die durch deu Urin eli- 
minirte 24stündige Eiweissmenge eine so geringe ist (Bruchtlieile 
eines Gramms bis zu 1 Gramm oder nur wenig darüber), dass es 
lächerlich wäre, sie vermindern zu wollen^ ohne sich um die mehr 
oder weniger schädigende Allgemeinwirkung der Medieamente, die 
man verordnet, zu bekümmern. Handelt es sich aber um grössere 
Eiweissverluste, die als Ursache der Hydräraie (5.0, 6.0, 10.0 und 
noch mehr Gramm innerhalb 24 Stunden) zu befürchten sind, dann 
ist die adstringirende Indication für die Nierencapillaren, die durch 
eine styptische Mineralmedication zu erreichen wäre, als verderblich 
für den Kranken anzusehen, da durch sie die providentielle 
Function der Niere, aus dem Organismus eine heterogene und für 
die Allgemeinernfihrung unnütz gewordene Substanz wegzuschaffen, 
verhindert würde. In diesen Fällen stehen die Eiweissverluste im 
Verhältnisse zu den Störungen der allgemeinen Ernährung, und 
gegen dieselben muss der Arzt alle seine Bemühungen richten, sei 
es durch den Gebrauch von Medicamenten, sei es durch An¬ 
wendung einer geeigneten Diät. 

Der Gebrauch und Missbrauch, den man in der ärztlichen 
Praxis mit der Gallussäure noch immer treibt, unter dem Vorwände, 
den Eiweissverlusten vorzubeugen, bringt ausser den Störungen in 
den Digestionsvorgängen keine günstige Wirkung hervor, da sie auf 
einem pharmakologischen Irrthum beruhen, denn die Gallus¬ 
säure kann nicht als Adstringens betrachtet werden. 


tL. 


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462 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 23 


VH. Rückblicke auf die Chirurgie des letzten 

Jahres. 1 ) 

Von Dr. Emil Senger in Berlin. 

Wenn man vor die Aufgabe gestellt ist, die Arbeiten der gesamm- 
ten Chirurgie während eines Zeitraumes zusammenfassend zu betrachten, 
so darf man nicht den kleinen Maassstab wie für die ßeurtheilung einer 
einzelnen Arbeit oder einer neuen Methode aulegen, sondern muss von einem 
allgemeineren Gesichtspunkte aus die Leistungen prüfen und vor allem Zu¬ 
sehen, in wie weit sich die einzelnen Disciplinen der Medicin zu Gunsten 
oder Ungunsten der Chirurgie verschoben haben. 

Bei einer derartigen Betrachtung aber fühlt man, wie kurz doch trotz 
der angestrengtesten Thätigkeit und der ausgedehntesten „Theilung der 
Arbeit*“ ein oder zwei Jahre sind, wie wenig wirklich allgemein Förderndes 
geschaffen ist, wie vieles Alte vielmehr nur mit einer modernen Form be¬ 
kleidet hervortritt. 

Trotzdem ist im Einzelnen recht Erhebliches, ja sogar Bedeutendes 
geschaffen, und unsere Aufgabe ist es, diese Einzelheiten zu einem Bilde 
aneinander zu reihen. Freilich kann es dabei nicht unsere Absicht sein, 
alles Publicirte aufzunehmen, so z. B. eine alle zwanzig Jahre vorkommende 
Missbildung oder einen neuesten 26. Gelenkresectionsschnitt und dergleichen 
mehr, sondern wir wollen bestrebt sein, in grossen Zügen ein Bild von 
den mannigfachen geistigen Bestrebungen und den technischen Fortschritten 
der Chirurgie zu zeichnen. 

In diesem Bilde muss naturgemäss voranstehen dieAetiologie der 
chirurgischen Krankheiten, welche ja immer die Anschauungen und 
therapeutischen Maassnahmen ändert und erweitert; neben ihr stehen die 
allgemeine Chirurgie mit Einschluss der Antiseptik, und um die¬ 
selben sollen sich systematisch die einzelnen Capitel der specieilen Chi¬ 
rurgie gruppiren. 

Aetiologle der chirurgischen Krankheiten. 

Wenn wir mit der Tuberculose beginnen wollen, so hat Koch zwar 
überzeugend am Thiere die Infectiosität derselben nachgewiesen; allein es 
giebt noch viele Punkte in der Medicin, welche heute ebenso dunkel 
sind als vor der Kenntniss des Tuberkelbacillus, und manche Kliniker 
halten eine einfache Uebertragung der Tuberculose vom Menschen auf den 
Menschen für unmöglich, vielleicht weil sie den Begriff der Tuberculose nur 
in einem wechselvollen klinischen Symptomencomplexo anerkennen, nicht 
aber denselben einzig und allein von dem Vorhandensein des Bacillus ab¬ 
hängig sein lassen wollen. Es musste daher als ein Fortschritt bezeichnet 
werden, als es bei der chirurgischen Wundbehandlung gelang nachzuweisen, 
dass eine reine Wunde, zufällig mit tuberculösen Massen (Sputum eines 
Phthisikers, Lupussecret, Secret tuberculöser Fisteln etc.) in Berührung ge¬ 
bracht, nach einem Incubationsstadium von 11 bis 24 Tagen einen ausge¬ 
sprochenen tuberculösen Charakter annimmt, welcher sowohl durch die 
histologische Tuberkelstructur als auch durch den Bacillennachweis und die 
erfolgreiche Uebertragung auf Thiere bewiesen werden konnte. Tscher- 
uing theilte uns den ersten sicheren Fall mit, es folgten dann die Beob¬ 
achtungen von Lehmann, Czerny, Wahl, Lesser u. A. Diese locale 
Impftuberculose kann sich auch, wie ich selbst in einem Falle beobachtet 
habe, auf die Pleura, die Lunge etc. verallgemeinern, wobei eine Heilung 
nicht ausgeschlossen ist. — Auch die Frage, ob der Lupus zur Tuberculose 
gehöre, dürfte durch die Chirurgie ihre Entscheidung finden. Man hat 
nämlich mitunter Gelegenheit zu sehen, dass sich in oder in der Umgebung 
einer tuberculösen Fistel oder einer durch einen tuberculösen Heerd ent¬ 
standenen Narbe Lupusknötchen entwickeln, welche offenbar durch die tu- 
berculöse Autoinfectiou entstanden sind. — 

Aus der Beobachtung von Koch, dass die Tuberkelbacillen nur bis 
30°, nicht aber mehr bei 28° sich entwickeln, konnte der langsame Ver¬ 
lauf des Lupus wegen der niedrig temperirten Haut und das spärliche Vor¬ 
handensein der Bacillen in Lupusknoten von Gerhardt erklärt werden, es 
konnte aber auch von diesem Forscher versucht werden, durch Eisblasen 
(2 Mal täglich 3 Stunden) den Lupus zur Heilung zu bringen. Ob eine 
völlige Heilung dadurch erreicht werden wird, ist fraglich, da man wohl 
auch mit den viel widerstandsfähigeren Sporen zu kämpfen haben dürfte. 
Die Idee der Heilung fusst aber auf wissenschaftlich bewiesenen Thatsachen.— 

Anders scheint es mit der Kalkbehandlung der tuberculösen 
Gelenkerkrankungen zu sein, welche besonders in Oesterreich viel 
versucht und gerühmt wurde. Kolischer ging von dem Gedanken aus, 
dass man eine den verkalkten Lungentuberkeln ähnliche Verkalkung der 
fungösen Entzündungen bewirken konnte, wenn man dieselben mit saurem, 
phosphorsaurem Kalk stark imbibirte. Professor Albert bestätigte die 
glänzenden Resultate dieser Behandlung. Trotzdem muss der Gedanke 
Kolischer’s als ein irriger bezeichnet werden, da bei der Phthise doch 
nicht der Kalk eine Heilung bewirkt, sondern nur eine relative Heilung 
anzeigt. Nicht nur tuberculose, sondern viele andere Producte können ver¬ 
kalken, und zwar, wie das schon Virchow in seiner überzeugenden 
Art bewiesen, wenn sie durch Entzündung oder auf andere Weise zu 
leben aufgehört haben und eine todte Masse im lebenden Körper bilden. 
Aber auch der Methode, abgesehen von dem leitenden Gedanken, kann 
keine so grosse Bedeutung, wie Albert meinte, beigelegt werden. Ich habe 
dafür schon im Mai (No. 31 d. Woch.) meine Gründe angegeben und finde 
mein Urtheil in den jüngsten Veröffentlichungen von Kolischer und Dittel 
bestätigt, dass die Hauptsache der Methode nicht der Kalk sei. — Bis jetzt 
kennen wir kein Mittel, welches die Tuberculose ohne Gewebszerstörung 
heilen könnte, wenn auch wieder das letzte Jahr uns gezeigt hat, wie schnelle 
und schöne Resultate man mit dem Jodoformglycerin bei kalten Abscessen 
erreichen kann. Bruns will sogar, freilich nur auf histologische Unter- 

') Dieser Artikel war uns bereits vor dem Chirurgen - Congress über¬ 
geben. D. R. 


sucliuugen der Abscesswanduugeu gestützt, wio es schon v. Mosetig ge- 
tliau, eine autituberculöse Wirkung des Jodoforms annehmeu, wogegen aber 
die experimentellen Untersuchungen Thorkild Ro vsing’s zu sprecheu scheinen. 

Gehen wir nun zu den acuten Wundinfectionskrankheiteu 
über. Die Osteomyelitis soll nicht blos durch einen Coccus, den gelben 
Eitercoccus, sondern zuweilen auch noch durch den weissen und den Strepto¬ 
coccus zusammen hervorgorufen werden, und zwar so, dass der Krankheits¬ 
verlauf, wo sich allo 3 Coccenarten zugleich finden, ein viel schwererer sei 
(Kraske.) Ich kann das Vorkommen mehrerer Arten in demselben Osteo¬ 
myelitisfall bestätigen und gleich die klinisch nicht unwichtige, von der Osteo¬ 
myelitis bisher unbekannte Thatsache hinzufügen, dass ich den gelben und 
den weissen Coccus im fiebernden Blute gefunden habe. Nach diesen bac- 
toriologischen Befunden kann ich also aussprechen, dass die Osteomyelitis 
keino specifische Krankheit, sondern eine pyämische sei, oder besser eine 
Pyämie mit localisirtom Herde. 

Warum aber das eine Mal der Aureus eine Osteomyelitis, das andere 
Mal eine Pyämie, dann wieder ein Panaritium etc. verursacht, während 
doch immer der Weg zum Blute frei liegen muss, darüber haben uns 
auch die biologischen Studien Lübbert’s keinen Aufschluss geben können. 
Giebt es im normalen Meuschenblute niemals kreisende Pilze? und welche 
Bedingungen gehören zur Erzeugung einer Eiterung bei der Gegenwart von 
Coccen? diese und ähnliche Fragen harren noch der Lösung. Die Beobachtung, 
dass subcutanc Fracturon verjauchen können (Volkmann, Czerny etc.), 
dass ein intermusculär eingeheiltes Stück Tuch erst nach 15 Jahren in Folge 
eines leichten Traumas einen jauchigen Abscess hervorrufen könne (v. Berg¬ 
mann), dass eine Osteomyelitis ohne eiteriges Exsudat, nur mit serösem 
(albuminösem) entstehen könne (Schlange, Roser), und viele andere 
Thatsachen beweisen uns die Lücken unserer ätiologischen Kenntnisse. Was 
Jahrhunderte laug getrennt war, sucht die rastlose Forschung zu einen: 
Der Kettencoccus bei Erysipel und der bei der Phlegmone hat bis jetzt 
keinen Unterschied erkennen lassen. Aber daran ist nicht zu zweifeln, 
dass die Rose durch einen bestimmten Pilz künstlich bei Menschen erzeugt 
werden kann, welcher sogar, in der Luft, im Krankenzimmer umher schwärmend, 
auf Kranke zufällig übertragen werden kann (Emmerich, Eiseisberg). 
Eiseisberg verlangt sogar deshalb für Erysipelkranke ganz isolirte Abthei¬ 
lungen mit eigenem Wartepersonul! 

Im letzten Jahre ist auch das Erysipeloid der Fleischer, Dienst¬ 
mädchen etc. näher erkannt. Rosenbach hat uns einen kleinen Mikroben 
als Erreger dieser Krankheit kennen gelehrt. 

Grosses Interesse mussten die Untersuchungen über den Wundstarr¬ 
krampf erregen. Carle und Battoni zeigten, dass von einer einen tüdt- 
lichen Tetanus bewirkenden Aknepustel 11 Kaninchen erfolgreich infieirt 
werden konnten, und dass eine weitere Uebertragung vom Kaninchen auf 
Kaninchen möglich sei. Nikolaier fand dann in der Erde aus Flügge’s 
Laboratorium einen feinen, Tetanus erzeugenden Bacillus. Ein gleich wirken¬ 
der Bacillus findet sich übrigens auch in der Hoferde beim Reichsgesundheits¬ 
amt. Rosenbach hat weiter diesen Bacillus bei einem Menschen nach¬ 
gewiesen, welcher mit erfrorenen Füssen längere Zeit im Freien cainpirt 
hatte und an Tetanus starb. Der Pilz erzeugt bei Kaninchen, Meer¬ 
schweinchen und Mäusen das typische Bild des Tetanus. Bonome hat 
endlich sich bemüht, eine Reincultur zu erhalten, allein vergeblich. Da¬ 
gegen konnte auch er constatiren, dass der Tetanus eine specifische Infec- 
tionskrankheit darstellt, dessen Ursache ein feiner borstenförraiger Bacillus mit 
einer Endspore ist, und dass dieser Bacillus sich im Erdbodenstaub. 
Kalkstaub alter Gebäude findet. Das Vorhandensein desselben in 
den Wunden erzeugt die verschiedensten Formen des trauma¬ 
tischen Tetanus. — Während man also iu Deutschland und Italien die 
Beziehung des Erdstaubes zu dem Wundstarrkrampf klar zu legen sucht, 
hat man in Frankreich ira letzten Jahre sich vielfach bemüht, die Ent¬ 
stehung desselben beim Menschen von dem Tetanus der Pferde abzuleiten. 
Besonders verdanken wir Verneuil eine sorgfältige Arbeit über den 
equinen Ursprung des Tetanus, worin statistisch erhoben ist, dass bei 
dor Cavallerie dreimal soviel Tetanuserkrankungen Vorkommen als bei der 
Infanterie, während sie bei der Marine gänzlich zu fehlen scheinen. Der 
Tetanus lasse sich leicht von einem Pferd auf das andere übertragen, und 
in einer Reihe von Fällen seien Menschen, vom Pferdeschweiss oder Pferde ¬ 
speichel tetanischcr Pferde an wunden Stellen benetzt oder von tetanischen 
Pferden gebissen, selbst an Tetanus erkrankt. Ebenso seien Menschen, 
welche sich in Ställen tetanuskranker Pferde sonst verletzt hatten, kürzere 
oder längere Zeit nachher dem Starrkrampf zum Opfer gefallen. — Es ist 
klar, dass diese Beobachtungen keineswegs den bacteriologischen Kenntnissen 
widerstreiten, sondern sie zeigen uns nur als Mittelglied zwischen dem In- 
fectionserreger und der Krankheit das Pferd und die Pferdeställe. — 

In der Frage der Actinomycose liegen einige sehr interessante Mit¬ 
theilungen vor. Es zeigt sich aus casuistischen Veröffentlichungen aus alleii 
Theilen Deutschlands und Oesterreichs, dass diese Krankheit doch viel häu¬ 
figer ist, als man früher annahm, und dass nur die Uukenntniss des Strahlen¬ 
pilzes so manche hierher gehörige Affection falsch gedeutet hat, wie esjetzl 
noch in Frankreich zu geschehen scheint. Die Anschauungen James. 
Israel’s, welcher für die Invasion der Pilze drei Wege angegeben hat, 
nämlich die Mundhöhle, den Respirations- und endlich den Verdauungs- 
tractus (Klin. Beiträge zur Akt. d. Mensch., Berlin 1885) haben sich wohl, 
im Grossen allgemeine Geltung verschafft. Für die Prophylaxe haben uns 
Israel und Soltmann sehr wichtige Krankheitsfälle mitgetheilt. Israel 
fand in einer actinomycotischen Lungencaveme ein Zahnfragment, welches; 
die ganze ausgedehnte Erkrankung der Lunge, des Mediastinum, der Brust 
wand etc. hervorgerufen hatte. Es kann also eine Actinomycose der 
Lunge durch Aspiration von Keimen aus der Mundhöhle ent¬ 
stehen, und es können cariöse Zähne die Brutstätte für der 
Strahlenpilz abgeben. In den cariösen Zahn ist in diesem Falle der 
Pilz wohl dadurch gekommen, dass der Patient aus demselben Trog seii 
Wasser trank, aus dem die Pferde ihr Futter frassen. Es ist wabrsclißin- 


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7. Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 463 


lieh, dass von einer Aehre vom Heu oder Stroh der Pilz in das Trogwasser 
gebracht wurde. Wenigstens lässt sich die Beobachtung Soltmann’s da¬ 
mit gut vereinen, dass eine Actinomycose der Lunge und des Mediastinum 
post. etc. durch eine in einem Rückenabscess gefundene Aehre verursacht 
wurde. Die Wichtigkeit dieser Thatsachen für die Prophylaxe leuchtet von 
selbst ein. Von dem zahlreichen casuistischen Material will ich hier bloss 
die schönen Fälle Rotte r’s anführen und diejenigen von Roser und 
Capper, wonach eine Actinomycose in ganz acuter Weise innerhalb 8 Tagen 
verlaufen kann. 

Von der ätiologisch bestgekannten Krankheit, dem Milzbrand, 
möchte ich einige Beobachtungen anführeu, die einstweilen allerdings nur 
theoretisches Interesse haben können. Ich selbst habe vom Jodoform 
zuerst an zahlreichen Versuchen gezeigt, dass durch die Einwirkung dieses 
Mittels das Wachsthum der Milzbrandbacilleu gehemmt, dass die Virulenz 
abgeschwächt, und dass innerhalb des thierischen Körpers das Jodoform, 
passend angewandt, einen Milzbrandtod verhüten könne, und dass sogar ge¬ 
rettete Thiere, später mit Milzbrand inficirt, zwar sterben aber doch eine viel 
grössere Widerstandsfähigkeit gegen den Anthrax erlangt haben. Ich freue 
mich, dass Professor Sattler in Prag und Professor Neisser in Breslau 
meinen Befund in den wesentlichen Punkten bestätigt haben. Sattler 
stellt den Satz auf, „dass das Jodoform im Stande ist, das Wachsthum ver¬ 
schiedener Mikroorganismen zu hemmen resp. zu verzögern. * 

Behring theilte dann die wichtige Beobachtung mit, dass es sogar 
gelinge, bei milzbrandkranken Thieren durch genügend grosse, irgendwie 
eingeflösste Silbermengen (Silberoxydlösungen) die Entwickelung der Bacillen 
im lebenden Thierkörper zu hemmen, ja manches Thier am Leben zu er¬ 
halten, d. h. Behring fand in dem Silber ein kräftiges Gegenmittel gegen 
den Milzbrand. — Emmerich hat uns mitgetheilt, dass die Milzbrandba¬ 
cillen im thierischen Körper durch nachträglich eingespritzte Erysipelcocceu 
vernichtet und die Thiere gerettet wurden. Virchow hat dann durch 
Pawlowski die allgemeine Frage prüfen lassen, ob der Milzbrand über¬ 
haupt durch Bacterien vernichtet würde, und er fand die Resultate mit dem 
Erysipel nicht so günstig wie Emmerich, aber dass die Pneumoniococcen die 
Giftigkeit des Anthrax vernichten können. Emmerich will die Erklärung 
für die verschiedenen Befunde in der Menge der angewandten Pilze sehen. 

Zum Schluss möchte ich noch an die angegebene Auffindung der Aetio- 
Jogie des Carcinoms und auch des Sarcoms erinnern, welche nicht nur von 
Südamerika und Frankreich, sondern von Deutschland (Scheurlen und 
Schill) ausging.*) (Fortsetzug folgt.) 


Vm. Referate und Kritiken. 

V. Merley. De l’albummurie intermittente oyolique oa 
maladle de Pavy. 120 S. Paris, Bailiiere et fils, 1887. Ref. 
E. Fraenkel (Hamburg). 

Unter Analysirung 3 Pavy’scher und 15 von Teissier rüh¬ 
render bezüglicher Krankheitsfälle und sorgfältiger Berücksichtigung 
der sonstigen Literatur über den Gegenstand entwirft der Verfasser 
ein dem jetzigen Stande unseres Wissens entsprechendes Bild der in 
Rede stehenden Krankheit und kommt dabei zu folgenden Resultaten. 

Die cyklische intermittirende Albuminurie ist ein wohl charakte- 
risirtes Krankeitsbild, das im Wesentlichen unter 4 Variationen auf- 
tritt. Entweder der Cyklus läuft innerhalb 12 Stunden ab. oder er 
tritt innerhalb 12 Stunden 2mal auf, oder er erstreckt sich über 
24 resp. 36 Stunden, oder endlich er tritt (bei jungen Mädchen) 
12 bis 15 Tage vor den Menses auf, um nach letzteren zu ver¬ 
schwinden. Innerhalb des einzelnen Cyklus lassen sich folgende 
Phasen unterscheiden: zunächst wird ein an Harnfarbstoffen reicher 
Urin entleert, darauf folgt die Ausscheidung von Eiweiss, woran 
sich die gesteigerte Elimination von Uraten und eudlich von Harn¬ 
stoff anschliesst. 

Die Krankheit, deren mittlere Dauer bei entsprechender Be¬ 
handlung zwischen 1 und 3 Jahren schwanken kann, entwickelt 
sich unter den verschiedensten Verhältnissen, giebt übrigens eine 
günstige Prognose. Sie befällt meist jugendliche Individuen zwischen 
15 und 25 Jahren; hereditäre Verhältnisse, Nervosität, Neigung zu 
Gicht scheinen als prädisponirende Momente zu wirken. 

In Bezug quf die Pathogenese des Leidens theilt Verfasser die 
Hypothese Teissier’s, welcher die cyklische Albuminurie für eine 
constitutionelle Erkrankung hält, die nahe Beziehungen zur „diathfcse 
urique“ aufweist. 

Die Diagnose der Erkrankung ist leicht und durch die Unter¬ 
suchung des Eiweiss, dagegen fast nie Formeleraente, speciell nie 
Cylinder enthaltenden Urins stets zu stellen. Für die Behandlung 
des Leidens sind, abgesehen von Ruhe und einer die Constitution 
der betr. Individuen berücksichtigenden (also z. B. antarthritischen) 
Diät, der innerliche Gebrauch von Arseu, Eisen, sowie Inhalationen 
von Sauerstoff zu empfehlen. 

Dies in aller Kürze der wesentlichste Inhalt des Buches. Zur 
genaueren Orientirung namentlich in Betreff der einzelnen ausführlich 


*) Inzwischen ist von mir gezeigt worden, dass der sog. Krebs- 
bacillus nur ein (nicht-pathogener) Kartoffel bacillus ist. Unabhängig 
von mir ist später der verdienstvolle Pathologe Baumgarten (Königsberg) 
(Centr.-Bl. f. Bact. 1888) zu dem gleichen Resultat über den Scbeurlen’- 
schen Bacillus gelangt. 


mitgetheilteu Krankengeschichten, sowie der über die Affection 
existirenden Literatur muss das Original eingesehen werden. 


Demme. Vier und zwanzigster medioinisoher Bericht über 
die Thätigkeit des Jenner’sehen Kinderspitals in Bern 
im Jahre 1886 . Bern, Schmidt, Franck & Co., 1887. Ref. Silber¬ 
mann. 

Nachdem Ref. in der Einleitung seines Berichtes eine Anzahl 
von Fragen, die Charles West an ihn bezüglich der Errichtung. 
Aufnahmebedingungen, Krankenvertheilung, je nach der Art der 
Erkrankung, Schutzvorrichtungen gegenüber der Verbreitung an¬ 
steckender Krankheiten, Sterblichkeitsziffer etc. etc. an dem seiner 
Leitung unterstellten Spitale gerichtet, beantwortet hat, kommt er 
sodann (p. 17) zur Betrachtung des speciellen Krankenstandes des 
Kinderspitals und der damit zusammenhängenden Poliklinik wäh¬ 
rend des Jahres 1886. Es wurden klinisch 318 und poliklinisch 
4382 Kinder behandelt, die Spitalssterblichkeit betrug S,! 0 '^ die in 
der Poliklinik 2%. Unter den Todesfällen stellte wie immer die 
Tuberculose mit ihren verschiedenen Localisationen das grösste Con- 
tingent. Es sind 17 Fälle von Meningitis tuberculosa, 11 Fälle von 
Lungen tuberculose und 7 Fälle von primärer Darm- und Mesen¬ 
terialdrüsen-Tuberculose zur Beobachtung gelangt. Bei einem 
achten, der letzten Localisationsreihe angehörenden Falle, einem 
4 Monate alten Knaben, wurde die Tuberculose durch den Genuss 
von Milch, welche von einer perlsüchtigen Kuh stammte, acquirirf. 
An diese Beobachtung reiht Ref. einen interessanten Fall von pri¬ 
märer Tuberculose des Herzfleisches bei einem 5jährigen Knaben, 
der oft an starken Dyspnoeanfällen litt und au einem solchen ge¬ 
storben war. Die nächstfolgenden Mittheilungen des Berichts bilden 
drei genau uutersuchte und in ihrem Verlaufe überwachte Fälle 
von tuberculöser Erkrankung der Vulva und der Vaginalschleimhaut. 
Beobachtungen, die wegen ihrer Seltenheit ganz besonders interessant 
sind. Von Hauterkrankungen berichtet Demme über einen Fall von 
Pemphigus acutus, sowie über einen solchen von schwerem, als In- 
fectionskrankheit auftretendem Erythema nodosum, von denen zwei 
multiple Hautgangraen im Gefolge hatten. An diese Mittheilungen 
schliessen sich Beobachtungen über die Wirksamkeit einzelner 
neuerer Arzneikörper, so über das Salol, welches sich bei Gelenk¬ 
rheumatismus und Blasenkatarrhen recht brauchbar zeigte, ferner 
über den antipyretischen Effect des Acetanilins, über die schlaf¬ 
erzeugende Wirkung des Urethans und über die Verwendung des 
Coniinbromats bei traumatischem Tetanus. Den Schluss des an 
Krankenbeobachtungen sehr reichen Jahresberichtes bilden Mitthei¬ 
lungen über einen Fall von halbseitigem, chronischem Hydrocephalus 
und über einen solchen von acuter Osteomyelitis im Anschlüsse an 
Masern. 


W. Kirchner. Handbuch der Ohrenheilkunde. Für Acrzte und 
Studirende. II. Auflage. Mit 41 Abbildungen in Holzschnitt. 
218 S. (Wreden’s Sammlung kurzer medicinischer Lehrbücher. 
Band XI.) Berlin, 1888. Ref. Schwabach. 

Der Umstand, dass bereits nach zwei Jahren eine zweite Auflage 
des vorliegenden Handbuches nöthig wurde, spricht am besten für 
die Brauchbarkeit desselben. Die Kürze des Zeitraumes, der 
zwischen dem Erscheinen der beiden Auflagen verstrichen ist, 
macht es erklärlich, dass wesentliche Veränderungen nicht zu ver¬ 
zeichnen sind, doch hat Verfasser in anerkenneuswerther Weise die 
kleinen Ausstellungen berücksichtigt, die wir bei Besprechung der 
ersten Auflage zu machen hatten, und sich bemüht, die Ergebnisse 
neuer Beobachtungen, soweit sie in den Rahmen eines kurzgefassten 
Handbuches passen, zu verwerthen. In der Anordnung des Stoffes 
ist durch die neue Eintheilung der verschiedenen Abschnitte eine 
bessere Uebersichtlichkeit erzielt worden. Die Ausstattung des 
Buches ist, wie die der ersten Auflage, eine recht gute. 


IX. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 30. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1. Herr G. Behrend stellt ein 8 Monate altes Kind vor mit post- 
▼acclnaler Hauteruption. Dasselbe wurde am 16. Mai mit animalem Stoff 
geimpft und am 23. Mai zur Revision vorgestellt. Bis zu letzterem Tage 
war keine Störung des Allgemeinbefindens aufgetreten, nur hatte die Mutter 
in den letzten Tagen am Unterschenkel kleine Pünktchen bemerkt, die sic 
für Flohstiche hielt. Am Tage nach der Revision schossen, zunächst an den 
Unterschenkeln, dann an den Oberschenkeln und in rascher Reihenfolge 
über den Stamm, endlich an den Armen und zuletzt im Gesicht Knötchen 
auf, die sehr heftig juckten. Dieselben bildeten sich zu flachen Scheiben 
um. Am Abdomen waren sie stellenweise so dicht, dass sie confluirten. In 
diesem Zustande sah Vortr. das Kind zuerst am 9. Tage nach der Vacci- 
nation. Auch die Schleimhaut des Mundes und der Vagina nahmen au dem 
Krankheitsprocesse Theil, indem sich hier flache Erosionen mit einem schmierig 


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464 


DEUTSCHE MEDIC1NI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


grauweisscn Belage entwickelten. Dass es sich nicht um Syphilis handelte, 
ging daraus hervor, dass die Eruption mit grosser Rapidität über den ganzen 
Körper statthatte, dass dieselbe stark juckte, und dass die Knötchen sich, 
wie das bei Syphiliden nie der Fall ist, in flache Scheiben umwandelten, 
genau in derselben Weise, wie wir es bei dem Erythema exsudativum multi- : 
forme sehen. Von diesem unterschied sich der vorliegende Ausschlag aber 1 
durch seine Farbe, die viel heller war als die des letzteren sowie durch 
das unerträgliche .Jucken, welches das Kind veranlasste, sich fortwährend zu 
scheuern und zu reiben. Der Fall bestätigt die vom Vortragenden schon 
früher ausgesprochene Erfahrung, dass postvaccinale Hauteruptionen ontweder 
im Laufe der ersten drei Tage oder vom 7.—9. Tage nach der Impfung auf¬ 
zutreten pflegen, so dass man postvaccinale Früheruptionen und post- 
vaccinalo Späteruptionen zu unterscheiden hat. Im vorliegenden Falle handelt 
es sich also um letztere Form. Interessant ist ferner, dass es sich nicht um 
eine reine, typische Erkrankungsform, sondern um eine Mischform handelte. 

2. Herr He noch: Uober SchftdeUUckcn im frühen Kindesalter. 
Der Vortr. geht von zwei Fällen aus, die kurz hintereinander in der Kinder¬ 
klinik der Charite zur Behandlung kamen. Der erste Fall kam am 25. Fe¬ 
bruar 1886 in die Klinik, nachdem derselbe bereits einige Tage vorher in 
der Poliklinik vorgestellt war. Es handelte sich um ein 5 Monate altes 
Kind, das bis zum Alter von 4 Wochen gesund gewesen war; dann traten , 
Oonvulsionen ein und es entwickelte sich am Schädel eine Geschwulst! Bei 
der Aufnahme am 25. Februar fand sich auf der rechten Seite über dem 
Ohr ein etwa nierengrosser, praller, elastischer Tumor, ziemlich flach, der 
sich durch Druck verkleinerte, bei Schreien des Kindes aber zunahm; er war 
durchscheinend, die Haut über demselben verschiebbar. Rings um die j 
Geschwulst fühlte man scharfe Knochenränder. Im Uebrigen war der j 
Schädel normal. Schon in der Poliklinik, am 22. Februar, war durch 
Punetion oine halbe Spritze voll Flüssigkeit entleert, die von bernsteingelber 
Farl)c war, klar, und eine ziemliche Quantität Eiweiss, sonst aber keine ab¬ 
normen Bestandteile enthielt. Am 27. wurden durch eine zweite Punetion 
10 g Flüssigkeit entleert und 1 g Jodlösung injicirt. Am 28. hatte sich der 
Tumor bereits wieder gefüllt und war am 1. Mär/, wieder so prall geworden, 
dass eine dritte Punetion vorgenommen werden musste. Am nächsten Tage 
trat ein paar Mal Erbrechen ein; kein Fieber. Ara 8. März zeigte sich der 
Tumor auffallend verkleinert und sehr schlaff. Einige Tage später, am 11., 
war derselbe in den vorderen Theilen fast verschwunden, eine kleine hin¬ 
tere Partie war sehr schlaff geworden. Das Kind war sehr collabirt und 
ging zu Grunde. 

Die Section ergab am Scheitelbein einen l*/a cm breiten, von unten 
vorn nach oben hinten verlaufenden Defect des Knochens; 2 cm oberhalb 
«ler Lücke zeigte sich eine parallel mit derselben laufende Impression des 
Knochens von 4 cm Länge, dieser parallel verlief auf der anderen Seite 
ebenfalls eine Impression. Die Dura mater zeigte auf der rechten Seite 
frische pseudomembranöse Auflagerungen. Pia und Dura waren mit einer 
schwieligen Membran, welche den Defect ausfüllte, fest verwachsen, von da 
gingen feste Stränge in die Himsubstanz hinein. Die Hirnsubstanz war an 
dieser Stelle gelb, w^eich, au der Grenze des Occipital- und Scheitellappens, 
weiter hinten sehr derb und sklerosirt. Die anatomische Diagnose lautete: 
Fractur des Scheitelbeins, adhäsive Meningitis, Meuingocele traumatica 
spuria, Pachymeningitis chronica und Encephalitis chronica interstitialis. 

Der zweite Fall, der am 11. März desselben Jahres zuging, betraf ein 
Kind von 3 Monaten, welches seit 2 Monaten Convulsionen hatte und ausser¬ 
dem an einer Bronchopneumonie litt. Bei der Untersuchung fand sich am 
rechten Scheitelbein eine flache, weiche, elastische Geschwulst, welche beim 
Husten ebenfalls stärker wurde. Dieselbe war 6 cm lang, 3 cm breit, un¬ 
regelmässig geformt, von scharf aufgeworfenen Knochenräudern umsäumt, 
ln der Tiefe war eine dreieckige Knochenlücke zu fühlen. Eine Punetion 
entleerte nur Blut. Das Kind ging am 27. März zu Grunde. 

Die Section ergab ebenfalls am rechten Scheitelbein einen Defect von 
6 cm Länge und 3 cm Breite, der abwärts bis zur Schläfenbeinschuppe 
reichte. Die Ränder waren stark verdickt, der Defect ausgefüllt mit einer 
derben faserigen Membran, welche nach innen fest adhärent war an der 
Dura und Pia; beide Häute waren narbig degenerirt und pigmentirt. Un¬ 
mittelbar darunter lag, ebenfalls adhärent, das Gehirn. Derbe Bindegewebe¬ 
züge gingen bis in die Tiefe desselben. Anatomische Diagnose: Fractur 
des Scheitelbeins mit Ruptur der Dura, adhäsive Meningitis, Encephalitis, 
strangförmige Sklerose bis zum Corpus striatum dextrum. 

Wenn man von Schädellücken absieht, die angeboren sind oder 
sich in den ersten Lebensjahren durch einen dem rhachitischen nahe¬ 
stehenden Process entwickeln, so können Impressionen des Schädels schon 
bei oder vor der Geburt entstehen; diese Fälle sind selten. Zweitens 
können traumatische Impressionen und Fracturen nach der Geburt entstehen, 
wobei es sich meistens um einen Fall des Kindes — selten um einen 
Schlag — handelt. Hierher dürften die beiden mitgetheilten Fälle ge¬ 
hören, wenngleich in beiden die Anamnese dafür keinen Anhalt ergab. 
Anfangs pflegt in solchen Fällen nur eine Fissur zu bestehen, die allmählich 
durch Resorption des Knochengewebes von den Rändern aus sich erweitert, 
so dass sie zu einer breiten Lücke wird: wahrscheinlich hindert auch der 
Druck des Gehirns von innen die Callusbildung. Nachdem das Trauma 
erfolgt ist, entsteht ein Bluterguss über der Knochenspalte, und wenn die 
Lücke gross genug ist, bildet sich ein Tumor, denn Dura und Pia reissen 
gewöhnlich mit ein, und es ergiesst sich aus dem Raum zwischen Dura und 
Gehirn Cerebrospinalflüssigkeit durch die Lücke durch unter die Schädel¬ 
decke. In manchen Fällen setzt sich der Riss bis in das Gehirn fort. 
Die Encephalitis, welche sich von der Fracturstelle aus bildet und bis tief 
in die Gehirnsubstanz hiueingreifen kann, ist es, die den Tod des Kindes 
unabwendbar zur Folge hat. Es sind Fälle mitgetheilt, in denen die Section 
sogar eiterige Infiltrationen im Gehirn ergab. 

Herr Liman hat bei sehr zahlreichen Sectionen von Kinderleichen nie 
gesehen, dass eine ursprünglich vorhandene Fissur in der von dem Vortr. 
geschilderten Weise zu Defecten geführt habe. Er möchte die Defecte 


nicht ohne weiteres als durch ein Trauma entstanden ansehen. Namentlich 
die Impressionen, die im ersten Falle vorhanden waren, lassen viel eher auf 
eine Entstehung bei der Geburt schliessen, wobei der Knochendefect bereits 
congenital vorhanden gewesen sein kann. 

Herr Henoch. Die Form, in welcher congenitale Defecte auftreten, 
ist eine ganz andere. Namentlich von Erscheinungen einer Blutung oder einer 
Entzündung, wie sie hier vorhanden waren, findet man bei einer congeni¬ 
talen Lücke nichts. Uebrigens behält sich Herr Henoch vor, die be¬ 
treffenden Präparate, die im Pathologischen Institut aufbewahrt sind, noch 
zu demonstriren. 

3. Herr M. Reichert: Ueber die locale Anwendung derKampher- 
sänre. Vortr. hat die Kamphersäure seit 1 */a Jahren bei der localen Be¬ 
handlung acuter und chronischer Erkrankungen der Schleimhaut des 
Mundes, Rachens, Kehlkopfes, der Nase und Luftröhre, ferner bei 
chronischen Erkrankungen der Bronchien und Lunge, und endlich 
bei einzelnen acuten und chronischen Affectionen der äusseren 
Haut mit gutem Erfolge angewandt. Man erhält Lösungen 
von hinreichender Concentration, wenn man dem Wasser, aus dem sich die 
Kamphersäure bei gewöhnlichen Temperaturen bis auf einen geringen Pro¬ 
centsatz ausscheidet, weun man Alkohol bis 11% zusetzt. Die örtliche 
Wirkung des Mittels combinirt sich aus der adstringirenden Eigenschaft der 
Säure mit einer an die Wirkung des Kamphers erinnernden Reizung. Ausser¬ 
dem besitzt die Kamphersäure hervorragend antiparasitäre Eigenschaften. 
Vortr. bat z. B. 2—6°/oige Lösungen mit Nutzen bei der Behandlung tuber- 
culöser Kehlkopfgeschwüre angewandt. 

Die Discussion über diesen letzten Vortrag wird vertagt. 

X. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 10. Januar 1888. 

(Schluss aus No. 22.) 

3. Discussion üher den Vortrag des Herrn Curschraann: 
Statistisches und Klinisches über Abdominaltyphus. 

Herr Reineke: Wir haben Nachrichten über den Typhus in Ham¬ 
burg seit -1838. Damals hatten wir 15,3 Todesfälle auf 10000 Einwohner. 
Er steigt bis 1842 auf 18,7; darnach fallt er in unregelmässigen Schwan¬ 
kungen, in denen 2 grössere Epidemieen 1857 und 1865 hervortraten, auf 
5,3 1871, 2,5 1879 und hält sich in anuähernd der gleichen Höhe bis 1884. 
Seitdem ist er gestiegen auf 4,2 1885 und 7,0 1886. Diese Steigerung der 
letzten Jahre wird noch deutlicher in den Erkrankungszahlen und bei Be¬ 
rechnung nach Epidemiejahren vom 1. Juni bis 30. Juni des folgenden 
Jahres. Darnach hatten wir 1883/84 892 Erkrankungen, = 18,3 auf 10000 
Einwohner, 1884/85 1334, -= 26,8 °/ooo, 1885/86 3015, = 58,1 o/o«, 1886/87 
5330 = lOOo/ooo. 

Die Höhe der Epidemieen liegt in deu letzten Jahresmonaten, doch 
haben wir auch Sommerepidemieen gehabt (1880, 1881, 1882). Die Ver¬ 
breitung der Erkrankungen im Gebiete der Stadt ist keine gleichmässige, 
die innere Stadt und der Bilhvärder Ausschlag ist in den letzten Jahren 
besonders schwer befallen, viel leichter einzelne Vororte namentlich Eppen¬ 
dorf, Winterhude, Barmbeck, Eilheck, Horn. 

Besonders betroffen wurden die Kinder und jungen Leute und die 
Altersclassen, in denen die Zugereisten stark vertreten sind. Es scheint, dass 
das Freibleiben der höheren Altersclassen z. Th. auf Durchseuchung zu¬ 
rückzuführen ist. Wenigstens werden im Hamburger Landgebiet und in 
Schleswig-Holstein die höheren Altersclassen im Verhältnisse viel stärker 
befallen als in der Stadt Hamburg. 

Herr Curschraann hat unter Bezugnahme auf Simmonds (die Ty¬ 
phusepidemie in Hamburg im Jahre 1885. Deutsche Vierteljahresschrift für 
öffentliche Gesundheitspflege Bd. XVIII. Heft 4) das Leitungswasser be¬ 
schuldigt, welches durch städtische Sielabflüsse verunreinigt sein soll. Als 
Einleitung hat er den Typhus als Schluckkrankheit bezeichnet, und feste 
Speisen ausgeschlossen. Wir schlucken aber auch Luft. Auch haben 
Simmonds und Fraeukol uns Darmgeschwüre von Thieren vorgelegt, die 
durch Injection in die Ohrvene inficirt waren. 

Die Besielung Hamburgs hat begonnen seit dem Brande 1842. Die 
eisten Auslässe in die Elbe mündeten neben der Schöpfstelle der Bieber¬ 
schen Wasserkunst, die bis 1853 in Thätigkoit war. Später kam die 
Smith’sche Wasserkunst auf dem Grasbrook, 1843 —1871, welche circa 
3 km oberhalb der Sielausflüsse lag. Seit 1S49 fungirt die jetzige Stadt¬ 
wasserkunst bei Rothenburgsort, circa 6 km oberhalb der Sielausflüsse ge¬ 
legen. Doch wurden bis 1880 nur circa 2 km unterhalb derselben die 
Sielabflüsse des bevölkerten Hammerbrook und Bilhvärder-Ausschlages in die 
Elbe gepumpt. Seit 1880 sind keine Aenderungen eingetreten, auch das 
grosse Gecststammsiel ist schon seit 1875 im Betriebe. Wodurch soll jetzt, 
seit 1884, plötzlich das Wasser zum Träger des Virus geworden sein und 
das Ansteigen des Typhus verschuldet haben, nachdem die Krankheit unter 
den früheren sehr viel ungünstigeren Verhältnissen fortdauernd' 
abgenommen? 

Allerdings ist es nach den Versuchen von Gill und Fölsch möglich, 
dass bisweilen Wasser von den Sielausmündungen am Ende der Fluth auf 
kurze Zeit in den Bereich der Schöpfstelle kommt. Doch besteht diese Ge¬ 
fahr fast nur in den Sommermonaten bei geringem Oberwasser, wenn wir 
; gerade wenig Typhus haben. Ueberdies sind die Verdünnungen so 
; colossal, dass ein Kranker auf einem Elbschiffe oberhalb Hamburg, wel¬ 
cher seine Stuhlgänge in’s Wasser gehen lässt, viel gefährlicher ist, als alle 
Kranken der Stadt zusammengenommen. Selbst in den Sommermonaten hat 
Wibcl chemisch eine Beimischung des Unterwassers zu dem Leitungs¬ 
wasser nicht nach weisen können. Für eine wesentliche Vermehrung der 
Bacillen im Wasser fehlt die Zeit, denn der Kreislauf vollzieht sich in 10 
bis 12 Stunden, und die Gelegenheit sowohl in dem von Fäulnisspilzen er¬ 
füllten Siel wie in dem raschen Strom des Flusses und der Leitung. Die 


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7. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


465 


zur Fortpflanzung günstige Temperatur von 15—16° C ist in den Epidemie- 
monaten nicht vorhanden. Herr Simmonds hat daher die Fortpflanzung 
in die Wasserreservoire der Wohnungen verlegt. Aber wir hatten noch 
1885/86 viele Wohnungshöfe mit Typhuserkrankungen aber ohne Reservoire. 
Unsere Schiffe, die Elbwasser in ihren Tanks mitnehmen, haben unterwegs 
keinen Typhus. Herr Simmonds ist auch mit einem Typhusbacillus zu¬ 
frieden, um die ganze Stadt zu durchseuchen. Er pflanzt sich nach seiner 
Meinung nachher durch mit Leitungswasser gewaschene Milcheimer und 
durch viele andere Möglichkeiten weiter fort. Warum muss dazu der erste 
Bacillus den weiten Wasserweg machen. Den haben wir in der Stadt schon 
seit Menschengedenken. 

Gegen das Wasser spricht ferner die schon erwähnte ungleiche Ver- 
theilung der Erkrankungen in der Stadt. Die nur mit Brunnenwasser ver¬ 
sehene Kaserne ist nicht frei gewesen. Wenn dort weniger Erkrankungen 
vorkamen als in der Altonaer Kaserne, so kommt das daher, dass das 
76. Regiment ausschliesslich Ersatz aus Hamburg hat, das 31. Regiment aber 
ausschliesslich nicht durchseuchten Ersatz vom Lande aus Holstein. Die 
Irrenanstalt Friedrichsberg, die nur Leitungswasser hat, war bis 1886 völlig 
frei und hat erst seit 1887 dort entstandene Erkrankungen. Wandsbeck 
scheint früher allerdings nur von Hamburg erworbene Typhusfalle gehabt 
zu haben, jetzt kommen dort auch Erkrankungen vor, ohne alle Beziehungen 
zu Hamburg. 

Gegenüber dem Grundwasser hat Herr Curschmann sich durchaus 
ablehnend verhalten, während Herr Simmonds anerkennt, dass 1885/86 
der Stand desselben ein niedriger gewesen. Nach den vorgelegten Tabellen 
besteht aber offenbar auch in Hamburg ein Zusammenhang. Leider sind 
nur unsere bezüglichen Beobachtungen auf eine Stelle beschränkt. Jeden¬ 
falls wissen wir Alle, dass wir ein Paar höchst trockener Jahre gehabt haben, 
dass noch jetzt in der Nachbarschaft alle Teiche leer sind, und dass das 
Wasser für das Vieh fehlt. Auch 1857 und 1865 waren aussergewöhnlich 
trockeue Jahre. Die Zweifel von Herrn Simmonds an der günstigen Wir¬ 
kung der Siele kann ich nicht theileu. Dass in einigen Districteu (Uhlen¬ 
horst) nach Anlage der Siele zunächst der Typhus gestiegen, erklärt sich 
daraus, dass dort Senkgruben vorhanden waren, die beim Sielanschluss nicht 
gereinigt, wurden. Die Vororte am linken Elbufer, in denen in den letzten 
Jahren die Zahlen stetig herabgegangen sind, und die Herr Simmonds 
für unbesielt hält, bieten zu kleine Zahlen um überhaupt statistisch ver¬ 
wertet werden zu können. Uebrigens haben auch sie vor mehreren Jahren 
oberhalb des gewöhnlichen Grundwasserstaudes liegende Siele erhalten und 
— Leitungswasser 1 

Wegen der stark dominirenden und die Grundwasserschwankungeu 
ausgleichenden Wirkung der Siele muss aber Zweifel entstehen, ob das 
Sinken des Grundwassers allein dio Epidemie erklären kann. Herr Sim¬ 
monds hat nun auf die Ausgrabungen für den Zollanschluss hingowiesen, 
deren Einfluss Herr Curschmann nicht anerkennen will. Sie haben gerade 
1884 begonnen und betreffen ein der Elbe abgenommenes Marschterrain, auf 
dem seit Jahrhunderten Menschen gewohnt haben. Gegen eine Verbreitung 
der Bacillen von dort durch das Wasser, obgleich jene Gegend der Schöpf¬ 
stelle näher liegt, als die Sielausmündungen, spricht die oben erwähnte 
ungleiche Verbreitung. Ich konnte aber auch nicht nach weisen, dass die 
Erkrankungen in der Nähe der Ausgrabungen zeitlich früher liegen, als in 
den entfernten Districten, oder dass aus den entfernten Districten vorwiegend 
die Männer, welche Geschäfte halber in die Stadt kommen, inficirt werden. 
Die Bedeutung der Ausgrabungen wird daher erst nach Vollendung der 
Bauten ganz zu übersehen sein. 

Wir halten alle den Typhusbacillus für einen facultativen Parasiten. 
Es liegt daher die Vermuthung nahe, die zeitlichen und örtlichen Schwan¬ 
kungen im Auftreten der Krankheit auf die Existenzbedingungen des Bacillus 
als Saprophyt zu beziehen. Doch können die Schwankungen auch an den 
Trägern im w eitesten Sinne liegen, wie z. B. die Ergotismusepidemieen im 
Herbst und Winter auftreten, wenn das im Sommer gewachsene Mutterkorn 
verbacken und gegessen wird. Ehe wir nicht näher über die Biologie des 
Typhusbacillus unterrichtet sind und nicht den Ort und die Bedingungen 
seines Fortkommens als Saprophyt kennen, müssen wir uns bescheiden. 
Jedenfalls sind weder das Auftreten der letzten grossen Epidemie, noch der 
regelmässige Verlauf der jährlichen Typhuscurve aus der Annahme einer 
Infection durch das Leitungswasser zu erklären, ln seiner neusten Arbeit 
über „den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über die Aetiologie des 
Typhus - (Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 1887) hat Sim¬ 
monds sich den Ausführungen Zicmssen’s zustimmend erklärt, dass bei 
der Mannigfaltigkeit der Wege, auf dem sich das Typhusgift verbreiten 
kann, dasselbe nicht durch einseitige Vorkehrungen, sondern durch Assa- 
nirungsmaassregeln nach jeder Beziehung hin zu bekämpfen sei. Dem kann 
ich mich nur anschliessen. Zu diesen Assanirungsmaassregeln gehört auch 
die Verbesserung unseres sehr schlechten Trinkwassers. Es kann keinen 
grösseren Eiferer in dieser Sache geben, als mich, aber als Ursache unserer 
gegenwärtigen Typhusepidemieen kann ich das Leitungswasser nicht aner¬ 
kennen. (Während des Vortrages wurden zahlreiche Tabellen und Curven 
herurogereicht.) 

Herr Körting: In den Plänen des Herrn Curschmann stellte sich 
die Vertheilung der Typhusfalle auf die einzelnen Stadttheile ziemlich gleich¬ 
artig dar. Vergleicht man aber den Zugang, wie dies in der vorgelegten 
Curve geschehen ist, so zeigt sich, dass die innere Stadt denn doch den 
übrigen Gebieten gegenüber so hervorragend betheiligt ist, dass ihre Zu- 
gangscurve für die des Gesammtzuganges bestimmend wird. 

Den Typhusfällen in der Garnison bin ich bis 1880 nachgegangen. 
Unser Jahr ist allerdings ein anderes als das der Medicinalbehörde von Ham¬ 
burg, wir rechnen vom 1. April bis 31. März. Hiernach hat die Bewohner¬ 
zahl der Hamburger Kasernen an wohlcharakterisirten Typhen gehabt: 

1880—1881 1 

1881—1882 — 

1882—1883 2 


1883— 1884 — 

1884— 1885 3 

1885— 1886 3 

1886— 1887 8 

1. April 1887 bis 15. Januar 1888 8. 

Diese Zahlen sind gleichzeitig Promillwerthe, da die Kaserne mit rund 
1000 Mann belegt ist. Der Ursprung unserer Fälle ist bis jetzt ausserhalb 
der Kaserne zu suchen; das Trinkwasser spielt keine Rolle, es wird aus 
Pumpbrunnen geschöpft und ist gut. Seit 1886 habe ich die Aetiologie fest 
stellen können und gefunden, dass die 8 Fälle des Jahres 1886/1887 sämmt 
lieh, von den 7 des Jahres 1887 2 auf Infection in der Stadt zurückzuführen 
sein dürften, während von letzteren 2 andere vom Urlaub mitgebracht sind, 
einer im Lazareth acquirirt ist. Hinsichtlich der von dem Herrn Vorredner 
angenommenen grösseren Empfänglichkeit des stets stärker heimgesuchten 
Altonaer Ersatzes gegenüber dem Hamburger möchte ich nur bemerken, dass 
das Altonaer Regiment frei war, so lange die Mannschaften in oft mangel¬ 
haften Bürger quartieren lagen. Erst mit dem Beziehen der neuen Kasernen 
entwickelte sich der jetzt noch dort bestehende Typhusherd. 

XI. Zweiter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Gynäkologie, Halle a. S. 1888. 

Ref. Dr. F. Eberhart (Halle). 

Herr Olshausen (Berlin) eröffnet die Sitzung. Das Präsidium über¬ 
nimmt Herr Kaltenbach (Halle). Derselbe ehrt das Andenken Kaiser 
Wilhelms, unter dessen glorreicher Regierung die Deutsche Gesellschaft 
für Gynäkologie gegründet wurde. Weiter hebt er den Nutzen und die 
Wichtigkeit eines gynäkologischen Specialcongresses hervor, an dessen 
Nothwendigkeit heute Niemand mehr zweifelt. Die eigenthümliche Ent¬ 
wickelungsrichtung der deutschen Gynäkologie sieht er in dem Zusammen¬ 
fassen von Geburtshülfe und Gynäkologie, das sich sehr fruchtbar für die 
Gewinnung umfassender und einheitlicher Gesichtspunkte erwiesen habe. 
Beide Gebiete dürfen nicht getrennt behandelt werden. Neben der Geburts¬ 
hülfe, die in unserem Zeitalter erst ihren Namen wieder verdient habe, ver¬ 
folge auch die Gynäkologie sehr wichtige humanitäre Ziele. Wohl und 
Gedeihen von Familie und Staat hänge nicht nur davon ab, dass das Leben 
von Mutter und Frucht unter der Geburt geschützt werde, sondern auch 
davon, dass die volle Leistungsfähigkeit der Frau in Erziehung und Haus¬ 
halt durch Beseitigung aller im Wochenbett acquirirten Läsionen und Er¬ 
krankungen der Sexualorgane überhaupt erhalten werde. 

1. Sitzung am 24. Mai. 

Vorsitzender: Herr Kaltenbach (Halle); Schriftführer: Herr Schwarz 
(Halle) und Herr Gräfe (Halle). 

1. Herr Dührssen (Berlin): Ueber Stoffiaustausch zwischen Mutter 
und Frucht. Vortr. hat Kreissenden Benzoesäure verabreicht, die er als 
Benzoesäure in der Placenta, als Hippursäure im kindlichen Urin und im 
Fruchtwasser wiederfand. Das Auffinden der Benzoesäure in der Placenta 
ergänzt die betreffenden Versuche von Gusserow und beweist, dass die 
Hippursäure im kindlichen Urin nur durch die fötale Niere gebildet worden 
sein kann. Es ist hierdurch die Urinsecretion des Fötus am Ende der 
Schwangerschaft sichergestellt. Das Fruchtwasser muss aber auch in der 
ganzen zweiten Hälfte der Schwangerschaft ein Excret der Frucht sein, weil 
der Vortr. constatirte, dass auch während der Schwangerschaft das Frucht¬ 
wasser kein Transsudat aus den mütterlichen Deciduagefässen ist. Er fand 
nämlich, ebenso wie früher auch Gusserow, im Fruchtwasser niemals Ben¬ 
zoesäure. Somit findet also in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft die 
Ernährung des Fötus ausschliesslich durch die Placenta und nicht durch das 
Fruchtwasser statt. Der placentare Uebergang der Bensoesäure ist deswegen 
für die Ernährungsfrage von besonderer Bedeutung, weil die Benzoesäure 
einen normalen Bestandteil des mütterlichen Blutes darstellt. Somit ist 
durch die Versuche von Dührssen zum ersten Male der sichere Nachweis 
geliefert, dass ausser dem Sauerstoff auch andere normale Blutbestandtheile 
in der Placenta auf den Fötus übergehen. Die Meüge der übertretenden 
Benzoesäure ist eine recht beträchtliche. Es geht ca. der hundertste Theil 
der der Mutter einverleibten Benzoesäure auf den Fötus über. Falls dasselbe 
Uebergangsverhältniss auch für das Eiweiss besteht, so würden innerhalb 
24 Stunden 5,4% Eiweiss in der Placenta von der Mutter zur Frucht über¬ 
gehen. Jedenfalls zeigen die Versuche, dass der fötale Stoffwechsel ein recht 
reger ist. 

Herr Wiener (Breslau) führt die Versuche von Zuntz und Cohu- 
stein an, die jedoch nicht genügend beweisend seien, da durch die viel¬ 
fache Maltraitirung eine Störung im Placentarkreislaufe herbeigeführt werde. 
Er constatirt das rasche Uebergehen von allerhand Stoffen. Der Uebertritt von 
mütterlichen Bestandteilen sei jedoch langsamer, so dass man das Frucht¬ 
wasser als Nährmaterial ansehen müsse. 

Herr Ahlfeld (Marburg) will die Versuche erst nachmachen. Das 
Schlucken des Fötus sei nicht zufällig, dies beweise, dass man immer Woll- 
haare im Darm finde. 

Herr Fehling (Basel) theilt die Zweifel an den Gusserow’schen Ver¬ 
suchen. Es sei nicht bewiesen, wieviel der Foetus secernire. Er fragt, wie¬ 
viel Hippursäure nachzuweisen war, wendet sich auch gegen die Ansicht, 
dass die fötale Niere ebenso secernire, wie die des Neugeborenen. Wie oft, 
wie viel die Niere secernire, sei nicht nachgewiesen. Dass das Frucht¬ 
wasser fötales Secret sei, sei nicht anzuerkennen. 

Herr Dührssen (Berlin) bemerkt, dass er in 10,0 Urin 0,06—0,07 
Hippursäure gefunden. Eine Zunahme der Hippursäure sei nicht zu con- 
statiren, dieselbe verschwinde sehr rasch aus dem Fruchtwasser. Das Eiweiss 
im Fruchtwasser kann schon in der ersten Hälfte der Schwangerschaft pro- 
ducirt sein, wo es ein Transsudat aus den Jungblut’schen Gefässen dar¬ 
stellt. Die Fehling’sche Hypothese, dass das Fruchtwasser ein Transsudat 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


466 


der Nabelgefasse sei, sei durch seine Untersuchungen aufgehoben. In der ' 
zweiten Hälfte der Schwangerschaft sei das Fruchtwasser kein Transsudat. 

2. Herr Win ekel (München): Zur Beförderung der Geburt des 
nachfolgenden Kopfes mit Demonstrationen. Vortragender hat in der ! 
Literatur 21 verschiedene Methoden, den nachfolgenden Kopf zu entwickeln, 
zusammengestellt. Als beste Methode empfiehlt er Eingehen zweier Finger 
in don Mund bei gleichzeitigem Druck der anderen Hand von aussen auf 
den Kopf. Es soll nicht ein Zug, vielmehr eine Rechtstellung des Kopfes 
durch Drehen in der Weise ausgeführt werden, dass die Keilform des 
Kopfes zur Geltung kommt. Es sei ihm am Phantom möglich gewesen, auf 
diese Weise bis zu einer Conjugata vera von 6,6 cm den nachfolgenden 
Kopf in höchstens bis zu 70 Secunden zu entwickeln, nicht einen Schädel 
kleinen Kalibers, sondern den eines ausgetragenen Kindes! Es sei das die 
schonendste Methode, sowohl für Mutter und Kind. 

Herr Olshausen (Berlin) empfiehlt, den Mechanismus des voran- | 
gehenden Kopfes beim platten Becken nachzuahmen, indem man die 
Sagittalis in die Nähe des Promontoriums zu bringen sucht. 

Herr Schultze (Jena): Man solle mit der Hand hoch in die Höhe 
gehen, um die Stirn zu umfassen, und so die richtige Kopfstellung herbei¬ 
führen, nicht aber in den Mund eingehen. 

Herr Martin (Berlin): Das Eingehen mit dem Finger in den Mund 
sei vorzuziehen, anstatt hoch in die Höhe zu gehen und die Stirn zu er¬ 
fassen, wie dies Schultze meint. Hierzu sei meist kein Platz und die 
Ausführung deshalb unmöglich. 

Herr Breisky (Wien) glaubt, dass durch Druck von aussen durch 
Hyperextension des unteren Uterinsegmentes eine Ruptur erfolgen könne. 
Auch widerräth er das Eingehen der Finger in die Mundhöhle der Frucht. 

Er glaubt, dass viele Mundkrankheiten der Kinder auf derartige Insulte 
zurückzuführen seien. Man solle deshalb am Kinn oder Oberkiefer seinen 
Angriffspunkt nehmen. 

Herr Veit (Berlin) stellt ebenfalls die Möglichkeit einer Uterusruptur 
durch Druck von aussen hin und verweist auf zwei Schroeder’sche Fälle. | 

3. Herr Dohm (Königsberg): Zur Frage der Behandlung der 
Nachgeburtszeit (mit Demonstration von Abbildungen). Vortragender : 
zeigt an der Hand einer Reihe von Abbildungen die bisher beschriebenen ; 
Möglichkeiten des Austrittes der Placenta, kommt darauf zu dem Schluss, 
dass der von Schultze beschriebene Austritt der Placenta der häufigste 
sei. Der retroplacentare Bluterguss wirke günstig auf die Lösung der Eihäute. 
Bei der Dune an'sehen Lösung sei der Zug auf die Eihäute ein ungleich- 
massiger. Er weist auf die Nachtheile des Crede’schen Handgriffes hin 
und bezeichnet die exspectative Behandlung als die der Zukunft. 

4. Herr Fehling (Basel): Heber den Mechanismus der Placentar- 
lösung. Bei seinen Versuchen ging Vortragender darauf aus, den Zug [ 
an der Nabelschnur auszuschalten, indem er dieselbe nach dem Durchtritt. I 
des Kopfes, falls sie umschlungen, durchschnitt und durch Klemmpincetten ■ 
comprimirte. Auch ging er darauf hinaus, ein Abtasten des Uterus möglichst j 
zu vermeiden. Er berichtet über 100 Fälle. Davon sind 19 auszuschalten, j 
wo bald wegen Blutung exprimirt werden musste. In 5 Fällen fand er je¬ 
doch nur die Lösung nach Schultze (die Placenta hatte hier eine kurze 
Nabelschnur); bei 19 Fällen fand ein gemischter Mechanismus statt; in 57 
Fällen fand er den Dune an’sehen Mechanismus der Lösung (hier waren 
lange Schnüre vorhanden.) Beim Schultze’schen Mechanismus fand er die 
Eihäutc über die uterine Fläche der Placenta zurückgeschlagen, während 
beim Duncan’schen Mechanismus dieselben über die fötale Fläche geschla¬ 
gen waren. Nach ihm hat die Uterushöhle nach der Geburt die Form eines 
Wetzsteins. Der retroplacentare Bluterguss hat auf die Lösung der Pla¬ 
centa keinen Einfluss, während er auf die der Eihaut wohl Bezug bat. — 
Vortr. liess bei den letzten Wehen Kreissende einige Züge Chloroform ein- 
athmen und wies dasselbe dann in der Nabelvene nach; gab er jedoch das 
Chloroform nach der Geburt des Kindes, so konnte er es nicht mehr uach- 
weisen. Hieraus zieht er den Schluss, dass mit der letzten Ausstossungs- 
wehe auch die Placenta zum grössten Theil losgelöst wird. Er hält den 
Duncan’schen Mechanismus für den häufigsten der Lösung. Dem retro- 
placeutareu Bluterguss ist nicht so viel Werth beizulegen, er ist vielleicht 
insofern von Bedeutung, als er das Eindringen von Keimen verhindert. — 
Die Nachwehen dauern länger an, als man sie nachweisen kann. 

Herr Schatz (Rostock): Die abwartendo Methode sei für die Hebammen 
nicht zu empfehlen. Die Lösung der Placenta sei unmöglich, ohne die 
Peristaltik des Uterus zu berücksichtigen. Der retroplacentare Bluterguss 
sei für die Loslösung ganz überflüssig. Wir finden häufig keinen solchen , 
Bluterguss. 

Herr Winckel (München) bestreitet die Versuche Feliling’s. Nach 
seinen Beobachtungen sei in 79 % der Fälle die fötale Fläche vorausge¬ 
gangen, die Eihäute waren über die uterine Fläche zurückgeschlagen. Es 
wurde immer nach 2 Stunden exprimirt, falls die Placenta nicht spontan 
kam. Er hält nur die Schultze’sche Lösung für die reguläre, auch i 
glaubt Winckel, dass die Placenta nicht ohne Blutabgang ausgestossen 
werden könne. In '/♦ aller Fälle sei Zerrung der Nabelschnur unver¬ 
meidlich. 

Herr Lahs (Marburg) tritt für die Lösung nach Dun can ein auf Grund 
persönlicher Mitthoilungen Lemser’s. 

Herr Ahlfeld (Marburg) hält die Schultze’sche Lösung für die 
häufigste. Das exspectative Verhalten sei nur dann anzuwenden, wenn ! 
keine Blutung vorhanden; diese fordere natürlich zum activeu Eingreifen | 
auf. Placentarlösungen kommen in Folge der abwartenden Methode sehr . 
selten vor, höchstens in 0,3 % der Fälle. Ahlfeld hat fast nie Blutungen 
beobachtot und hat die Menge des abgegangenen Blutes auf einem Trichter- j 
becken gemessen. ' 

Herr Dohrn (Königsberg) ist nicht der Meinung, dass die erste Ab- i 
lösung der Placenta durch Blut geschehe, sondern durch Contraction i 
(Lemser). Er hat bei seiner abwartenden Methode nur in 10 o/o der Fälle 
Crede gemacht. Der Sch u I tze'sehe Modus der Lösung sei die Norm. 


5. Herr Werth (Kiel): Ueber Entstehung von Psychosen ln Folge 
von Operationen am weiblichen Genitalapparate. Herr Werth theilt 
auf Grund statistischer Beobachtungen mit, dass relativ häufig nach Opera¬ 
tionen der Sexualorgane Psychosen auftreten. Er bittet die Fachgenossen, 
Material in dieser Beziehung zu sammeln. Aus der Literatur hat er 24 Fälle 
zusammengestellt und fügt 6 eigene hinzu. Er hat das Jodoform damit in Be¬ 
ziehung gebracht. 1 Mal wurde jedoch kein Jodoform angewandt, bei 3 Fällen 
nur in geringer Menge, nur in 2 Fällen von Totalexstirpation, wurde es 
etwas reichlicher angewandt. 

Herr Sänger (Leipzig) glaubt, dass die Psychosen eine grössere Rolle 
spielen als man annimmt, jedoch ist er der Ansicht, dass die Psychose meist 
vorher schon latent besteht. Er hat schwere Gehirnerkrankungen, epileptische 
Krämpfe auftreten sehen, diese sind jedoch zufällig gewesen. Man sollte 
den geistigen Zustand sehr in Rechnung ziehen. 

Herr Martin (Berlin). Psychisch kranke Frauen sind mit Vorsicht 
einer Operation zu unterziehen. Auf eine genaue Anamnese ist der grösste 
Werth zu legen. 

Herr Ahlfeld (Marburg) hat beobachtet, dass Wöchnerinnen geistes¬ 
krank geworden sind, auch hat er dies bei gynäkologischen Fällen beobachtet. 

Herr Frommei (Erlangen) erwähnt einen Fall von Psychose, die nach 
einer Laparotomie bei einer Alkoholistin auftrat. 

6. Herr Schwarz (Halle): Zur Therapie der Extrauterinschwanger¬ 
schaft. Die Extrauterinschwangerschaft nimmt an Häufigkeit zu, insbeson¬ 
dere in Folge gonorrhoischer Affectionen (Tubenerkrankung etc.). Sie kann 
sich zurück bilden. Die Ruptur des Sackes könne sich ohne die geringsten 
Symptome einstellen. Vortr. erwähnt einen Fall, den er beobachtet, wo die 
Extrauterinschwangerschaft durch einen Uterus bicomis mit tief herabreichen¬ 
dem Septum, dessen eines Horn gravid war, vorgetäuscht wurde. Von 
Einigen sei der Vorschlag gemacht worden, den extrauterinen Fruchtsack zu 
zerdrücken. Bezüglich der Behandlung der Extrauterinschwangerschaft stellt 
sich Schwarz auf den Standpunkt Werth's, der den Fruchtsack sobald als 
möglich entfernen will. Derselbe soll als maligne Neubildung angesehen 
werden. Er erwähnt einen Fall, der von Frommei wegen innerer Blutung 
operirt sei ferner einen von Veit, der 48 Stunden später gestorben ist. Einen 
eigenen Fall von Ruptur der linken Tube erwähnt er, den er durch Laparo¬ 
tomie geheilt hat. Fleischwasserähulicher Ausfluss bestand schon längere Zeit. 
Der betreffende Arzt consultirte Schwarz wegen angeblicher Perforations¬ 
peritonitis. Schwarz constatirte tiefen Collaps und machte die Laparotomie. 
Etwa 2 kg Blut konnte er aus der Bauchhöhle entleeren, die Blutung stand, 
trat jedoch nach Entfernung eines frischen Gerinnsels aus dem Sacke wieder 
ein. Er vernähte den Sack, jetzt erst gab er Analeptica, machte jedoch keine 
Transfusion. Die Entfernung der Blutmasse hält Schwarz für das beste 
Analepticum, da, solange der Collaps anhält, keine Resorption derselben 
stattfindet. Man könne die Laparotomie auch draussen machen, die Gefahr 
der Luftinfection hält er für gering, sie ist vielleicht gar nicht in Betracht 
zu ziehen. Zum Schluss meint Schwarz, es läge vielleicht nahe, die zwei¬ 
zeitige Operation vorzunehmen, wenn der Fruchtsack leicht zu erreichen sei. 

Herr Winckel (München) hat unter 7 Fällen 5 gerettet durch Mor- 
phiuminjectionen von den Bauchdecken aus, während er nur 2 verlor. 
Er hält dies Verfahren für ungefährlicher als die Laparotomie. Zwei Injec- 
tionen reichten aus, jedesmal 0,03 Morphium. Den Sack lässt er sich da¬ 
bei von der Scheide entgegen drücken. 

Herr Veit (Berlin) ist nur für einzeitige Operation, nicht für zwei¬ 
zeitige. 

Herr Wiedow (Freiburg) erwähnt 10 Fälle, wo er die Blutung nicht 
stillen konnte. 

Herr Battlehner (Karlsruhe) ist der Ansicht, Schwarz hätte bei 
seinem Falle die Transfusion machen müssen. 

Herr Martin (Berlin) macht darauf aufmerksam, dass die differentielle 
Diagnose häufig schwierig sei. Er verwirft die Morphiuminjectionen, da 
häufig Darmschlingen über dem Fruchtsack liegen. 

Herr Frommei (Erlangen) will die Laparotomie immer machen, falls 
Blutung dazu auffordert. 

Herr Ziegenspeck (München) hält wie Winckel die Injectioneu für 
ungefährlich, da die Därme ausweichen. Man müsse nur eine lange Nadel 
nehmen. 

Herr Winckel (München) hält die Gegenbeweise gegen seine Methode 
nur für theoretische. 

Herr Schwarz (Halle) wiederholt seine Empfehlung der Laparotomie. 

7. Herr Zweifel (Leipzig): Ueber Perineoplastik. Vortragender 
empfiehlt das Lawson-Tait’sche Verfahren nicht nur bei completen, son¬ 
dern auch bei incompleten Dammrissen. Dasselbe weist gute Erfolge auf, 
ausserdem geht es schneller, wie andere Plastiken. Ein Hauptvortheil sei 
darin zu suchen, dass kein Gewebe weggenommen wird. 

An der Discussion betheiligten sich die Herren Sänger (Leipzig), 
Frank (Cöln), Olshausen (Berlin.) 

8. Herr Sänger (Leipzig): Demonstration von 5 Frauen, an 
welchen die Lappenperineorraphie n-.jh Talt ausgeführt wurde. Nach 
Sänger sind die Resultate ebenso gut wie bei der Kolpoperineorraphie nach 
He gar. Ferner demonstrirt Herr Sänger 2 Fälle von reiner Ventro- 
fixatio uteri retroflexi, von denen der erste im Centralblatt für Gynä¬ 
kologie, 1888, No. 3 als No. 6 beschrieben wurde. Vollständige Heilung. 
Der zweite ist Ende Februar operirt worden wegen hochgradiger Retroflexio 
uteri. Der Uterus liegt der vorderen Bauchwand an, lässt aber nach rück¬ 
wärts Krümmung des Fundus erkennen. Vortr. theilt auch im Aufträge 
E. Fränkel’s einen weiteren Fall von Heilung einer Retroflexio mit schweren 
Symptomen durch Ventrofixatio mit. 

9. Herr Sänger (Leipzig): ßlasenverletzung bei Laparotomieen. 
Die Blase werde manchmal zufällig bei Laparotomieen verletzt. Meist han¬ 
delt es sich um atypische Verletzungen. Vortr. erlebte kürzlich bei einer 
Laparotomie einen solchen Fall, wie er bisher noch nicht beschrieben. Bei 


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7. Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 467 


Abtragung eines grossen Kibrosarcoma rysticmn ovarii dextri mit grossen 
Verwachsungen wurde der dünne ausgezogene wahre Stiel für eine Adhäsion 
und die hochgezogeue, in Adhäsionen cingehüllte Blase für den Stiel gehal¬ 
ten. Nach Abbindung dieses vermeintlichen Stieles in drei Partieen wurde 
er abgeschnitten, und es zeigte sich, dass die Blase etwa handtellergross 
resecirt worden war. Unterhalb der Abtrennungsstelle war die Blase noch 
von 6 Stichlüehem durchbohrt. Trotzdem Heilung ohne Fistelbildung. Der 
Blasenstumpf wird dann von den Ligaturseidenfaden in den unteren Winkel 
der Bauchwunde gezogen, das Peritoneum parietale von zwei Seiten her 
hinter ihm vernäht, so dass er völlig extraperitoneal gelagert war, ferner 
wurde er noch durch einige quer verlaufende Seidensuturen befestigt. Glas¬ 
drain hinter das vereinigte Peritoneum parietale eingeschoben. Haut auf den 
Blaseustumpf aufgenäht etc. Katheterisation anfangs 3 stündlich, dann 
Drainage der Blase 8 Tage lang. Heilung vollständig. Vortr. empfiehlt 
sein Verfahren der extraperitonealen Lagerung des Blasenstumpfes mit Haut¬ 
transplantation, an Stelle der Einnähung der Ränder der Blasenwunde in 
die Bauchwunde mit nachherigem Schluss der Fistel durch die Naht oder 
der späteren Transplantation, nicht nur für gleiche Fälle, sondern empfiehlt 
auch in solchen Fällen, wo die Blase intraperitoueal verletzt und genäht 
wurde bei der Unsicherheit der primären Blasennaht, die Wunde intraperi¬ 
toneal abzukapseln, ähnlich wie oben beschrieben, und wie es Vortr. auch 
für die Versorgung des Stumpfes nach Amputatio uteri myomatosi ange¬ 
geben hat. 

Herr Leopold (Dresden) berichtet ebenfalls über einen Fall von Blasen¬ 
verletzung, der bei einer Myomotomie entstand. Bei Anlegung des elasti¬ 
schen Schlauches gelang es ihm nicht, das betreffende Blasenstück aus der 
elastischen Ligatur zu bekommen, es drängte sich vielmehr immer wieder 
hinein. Nähte angelegt. Heilung. 

10. Herr Sänger (Leipzig) schildert dann einen Fall von Urachus- 
flstel, der 8 Tage nach einer Laparotomie entstand, und zwar dadurch, 
dass der Urachus, dessen Durchgängigkeit nicht zu vermuthen war, in eine 
Bauchwandsutur gefasst und durch Drucknekrose eröffnet wurde. Schluss 
durch die Naht durch eingetretene Schwangerschaft vorläufig hinausge¬ 
schoben. Herr Sänger empfiehlt deshalb, sich die Mühe zu nehmen, in 
Fällen des Antreffens eines Urachusstieles bei Lapaiotomieen seitlich von 
demselben einzuschneiden und die Peritonealsutnren nach aussen von ihm 
durchzulegen. 

XII. Journal-Revue. 

Chirurgie. 

3. 

E. Küster. Die Wundbehandlung unter dem trocknen 
aseptischen Schorfe. Centralbl. f. Chirurg. 1888. No. 11. 

In der „freien Vereinigung Berliner Chirurgen* wurde unrich¬ 
tiger Weise die in den Verhandlungen der Gesellsch. f. Chir. XII, 
XIII u. XV von Küster öfter geschilderte Methode der Wundbehand¬ 
lung als offene Wundbehandlung bezeichnet; und dieses giebt dem 
verdienten Operateur Veranlassung, auf seine Methode in Kürze zu¬ 
rückzukommen, welche hauptsächlich bei Herniotomieen Anwendung 
gefunden hat. Die Bruchpforte — das sind die Grundzüge der 
Methode — wird durch Nähte vereinigt, die übrig bleibende 
Höhle wird durch mehrreihige fortlaufende Catgutnähte so ge¬ 
schlossen, dass die gegenüberliegenden Schichten der Wundflächen 
in engste Berührung kommen and eine Blutansammlung unmöglich 
ist, die Hautwunde wird durch fortlaufende Seidennaht vereinigt, 
das Ganze mit Jodoformcollodium so lange bestrichen, bis kein 
Blut mehr durchsickert. Selbstverständlich darf man ein solches 
Verfahren nicht als offene Wundbehandlung bezeichnen, bei der, 
bekanntlich im Gegensatz hierzu, Nähte möglichst ganz ver¬ 
mieden werden. — Die Vortheile der Methode liegen also in dem 
Umstande, dass ein Verband ganz gespart wird und Blut und Se- 
cret, diese vortrefflichen Nährböden für pathogene Pilze, sich nicht 
ansammeln können, denn die Höhlenwunde wird durch die Naht¬ 
vereinigung fast zu einer kleinen oberflächlichen, in der die Ränder 
eng an einander liegen. Freilich gehört zur Ausführung des Ver¬ 
fahrens eine volle antibacterielle Beherrschung des Operations¬ 
feldes, ohne welche man üble Coinplicationen zu gewärtigen hat, 
wie bei jeder anderen Methode. — Küster hat bis jetzt nach seiner 
Methode 33 Fälle operirt. Nimmt man 2 Patienten, die an zufälli¬ 
gen, anderweitigen Krankheiten (Herzatrophie, Lungencarcinom) ge¬ 
storben sind, aus, so sind alle geheilt. Ein Mal trat eine leichte 
Phlegmone ein, zwei Mal blutige Verhaltungen; ein Fall war höchst 
interessant dadurch, dass bei völlig aseptischem Verlauf eine trockene 
Nekrose des einen Hodens eintrat, vielleicht weil der sehr dünne 
Samenstrang verletzt wurde; nach Fortnahme des Hodens trat Hei¬ 
lung ein. Aus diesen statistischen Daten erhellt zur Genüge die 
Leistungsfähigkeit der Küster’schen Methode, welche — immer 
die Keimfreiheit vorausgesetzt — an Einfachheit, Sicherheit und 
Nachhaltigkeit von keiner andern übertroffen werden dürfte. — Mit 
besonderer Freude müssen wir den Vorschlag des verehrten Autors 
begrüssen, den Ausdruck antiseptisch durch antiparasitär 
zu ersetzen, denn die heutige Chirurgie hat es in den alierseltesten 
Fällen mit wirklich septischen Wunden zu thun, sondern meist 
mit Spaltpilzen, speciell mit den Eitercoccen. Ohne die bemerkens- 
werthe Abhandlung Küster’s in der Eulenburg’schen Encyklopädie 


i zu kennen, habe ich ganz im Sinne Küster s in meiner Jodoform¬ 
arbeit (dies. Wochenschr. 1887 No. 33) von antibacterieller, anti- 
j mykotischer oder antipurulenter Wundbehandlung an Stelle der 
I antiseptischen gesprochen. Emil Senger. 

J. Israel. Ueber einige plastische Operationen, v. Lan- 
genbeck’s Archiv, Bd. XXXVI, Heft 2. 

a) Eine Methode zur Wiederaufrichtung eingesun- 
, kener Nasen. Israel stellte dem XVI. Deutschen Chirurgen- 

congress 2 Patienten vor, bei denen er eine Modification der von 
Koenig zur Hebung eingesunkener Nasen ersonnenen Operations- 
- methode mit gutem Erfolge angewandt hatte. Ganz so. wie das 
! König angiebt, entnimmt. Israel zunächst zur Bildung des Nasen 
rückens aus der Stirn einen schmalen Streifen, welcher aus Haut. 
Periost und einer dünnen Knochenschicht des Stirnbeins besteht: 
die Basis desselben liegt an der Nasenwurzel, die kurze Kante an 
der Haargrenze. Diesen Lappen klappt er nach abwärts um, so 
dass seiue Knochenfläche nach vorn sieht, und näht ihn an den 
knorpeligen Theil der Nase, der vorher mit einem Querschnitte 
abgetrennt und nach abwärts gezogen worden, fest. Den Stirn- 
defect verschliesst er sogleich durch Naht. Statt nun, wie das 
. Koenig thut, die Knochenfläche des Stimlappens durch einen zweiten 
Hautlappen aus der Stirn sofort zu bedecken, wartet Israel die 
! Granulationsbildung und Vernarbung desselben ab, dabei verziehen 
sich die Hautränder des Stirnlappens von der Seite her nach vorn 
. herum über die Knochenfläche. Es fehlen dieser Nase also noch 
j die Seitenwände: sie werden bei einer zweiten Operation aus den 
Resten der alten Nase in der Weise gewonnen, dass aus ihnen durch 
einen medianen Längs- und einen oberen Querschnitt zwei thür- 
fliigelartige Lappen gebildet und derart an dem neuen Nasenrücken 
aufgerichtet werden, dass sie au der Knochenspange und ihren theil- 
weise abgeschälten und nach hinten geschlagenen Hauträndern Stütze 
finden. Siehe die Figuren! 

b) Ueber eine neue Methode der Wangenplastik. Bei 
einem 71jährigen Manne mit Schleimhautkrebs der Wange . giug 
durch die Exstirpatiou ein beträchtliches Stück der Wange vom 
Mundwinkel bis nahe au den Unterkieferwinkel verloren. Israel 
deckte den Defect, indem er einen langen Hautstreifen der unbe¬ 
haarten seitlichen Halsgegend entnahm, dessen Spitze dicht bei der 

i Clavicula, dessen Basis nahe am Unterkieferwinkel lag, und ihn, mit 
der Hautseite der Mundhöhle zugewandt, in den Defect eiunähte. 
Um nun dessen Aussenfläche mit Oberhaut zu versehen, säuberte 
Israel dieselbe nach 17 Tagen zunächst von ihren Granulationen, 
durchschnitt den Hautlappen an seiner Basis, schlug die Wund- 
: flächen zusammen und deckte so mit dem Stiele die Oberfläche des 
j früher eingenähten Lappens. Mit einigen Nachoperationen am Mund- 
j winkel und dem Kieferende der neuen Wange gelang die Schliessung 
des Defectes durch den Doppellappen, ohne dass die Kieferbewe- 
j gangen eine Beschränkung erfahren hätten. Moriau (Essen). 

i 

E. Rose. Ueber die Anlage einer Harnröhre im Mast- 
| darm und die Schwierigkeiten dieser Operation. (Vortrag, 
gehalten in der chirurgischen Seetion der 60. Naturforscherversamm- 
| lung zu Wiesbaden.) 

Dass die Obliteratio vulvae rectalis, d. h. die Operation, welche 
bezweckt, bei inoperabeln Vesicovaginalfisteln die Vulva zu ver- 
schliessen und den Urin durch eine Scheidenmastdarmfistel dauernd 
in das Rectum zu weisen, keine chirurgische Ungeheuerlichkeit ist, 
i wie das von anderer Seite behauptet worden, vielmehr recht gute 
Resultate liefern kann, erweist Rose aus der Geschichte dreier bis 
] jetzt von ihm operirter Frauen, von denen eine, seit nunmehr 
3 Jahren geheilt, als Dienstmädchen alle häuslichen Arbeiten zu 
verrichteu im Stande ist. Indicirt ist diese von Rose ersonneue 
1 Operatiousmethode bei inoperabeln Vesicovaginalfisteln. besonders 
! mit grossem Defecte des Sphincter vesicae. Der Sphincter ani muss 
unbedingt functionstüchtig sein, dann kommt es hauptsächlich auf 
, die Herstellung eiuer dauernden Communieation zwischen Vagina 
j und Rectum an. 

G. Kühnast (Freiburg i. Br.). Zur Behandlung des Erv- 
i sipels. 

Haberkorn. Zur Behandlung des Erysipels. Central- 
! blatt f. Chirurgie 1886 No. 9 und No. 19. 

Hueter’s Carbolinjectionen haben sich nicht bewährt. Bereits 
in die Gewebe eingedrungene und wirkende Entzündungserreger 
sind durch Injectioneu antiseptischer Mittel nicht unschädlich zu 
| machen. Die erste Aufgabe besteht darin, den Entzündungs- 
producten Abfluss zu schaffen und die Spannung der 
J Gewebe zu beseitigen. Die von v. Volkmann geübte Behand- 
i lung bei progredient septischen Phlegmonen mit multiplen Incisionen 
I und Scarificationen beweist, dass es möglich ist, der Eutzündung 
ihren progredieuten Charakter zu nehmen; es lag nahe, das Ery- 
; sipel ähnlich zu behandeln. Nach gründlicher Reinigung wurden 


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468 


DEUTSCHE MEDICINISCHE "vVOCHENSO hRUTT. 


mit spitzem Messerchen zahlreiche punktförmige Scarificationen und 
kleinere bis 1 cm lange Incisionen (15—20 auf einen Quadratzoll) 
gemacht, von denen die meisten nur durch die oberflächliche Schicht 
des Coriums, viele aber auch, etwa eine pro Quadratcentimeter 
durch die ganze Cutis hindurchgingen. Wo das Erysipel im Fort- ; 
schreiten zu sein schien, wurden die kleinen Incisionen besonders 
zahlreich gemacht; ausserdem wurden dieselben auch über die Grenzen 
der Röthung auf die benachbarte 1 —2 cm breite Haulparthie ausge¬ 
dehnt. Unter Berieselung von 5% Carbollösung wurde aus der in 
Falten emporgehobenen Haut noch möglichst viel Gewebeflüssigkeit 
entfernt und die Carbollösung kräftig in die Haut eingerieben. Iu 
den 3 Fällen erfolgte nach kurzer Temperatursteigerung rascher 
Abfall. Nicht in allen Fällen ist diese Behandlung zu empfehlen. 
Abgesehen von leichten Fällen ist dieselbe beim Gesichtserysipel 
nicht wohl zu gebrauchen; wohl aber bei schweren Kopferysipelen 
nach Rasirung der Kopfhaut. Bei heruntergekommenen Personen 
sind die Schnitte auf die Randzonen zu beschränken; bei Kindern, ! 
schwachen Leuten und Nierenreizung ist Carbol durch Salicyl zu 
ersetzen. i 

Haberkorn empfiehlt Natr. benzoic. bei Erysipel in Dosen von 15— 
20 g pro die in schleimiger Lösung oder in Selterwasser, — analog 
der Salicylbehandlung des acuten Gelenkrheumatismus. Fast regel¬ 
mässig erfolgte nach zweimal 24 Stunden Temperaturabfall mit | 
raschem Schwund der localen Krankheitszeichen und auffallend rasch 
beendeter Desquamation. Die Zahl der behandelten Fälle ist 50; I 
kein Todesfall. Pauly (Posen). 


XIII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Bericht über die Vorgänge in der gebnrtshfilfliehen 
Klinik und Poliklinik zu Marburg während der Zeit vom 
1. April 1887 bis 31. März 1888. 

Von F. Ahlfeld. 

Vorgänge in der Entbindungsanstalt. 

Am 1. April 1887 waren 40 Schwangere in der Anstalt, zu denen 
im Laufe des Etatsjahres, bis 31. März 1888. noch 332 aufgenommen 
wurden. 

Von diesen gingen unentbunden ab 23, entbunden wurden 308; 
als Bestand blieben am 31. März 1888 41 Schwangere im Hause. 

Unter den Anomalieen der Schwangerschaft hebe ich besonders j 
zwei Erkrankungsformen hervor, von denen lehrreiche Beispiele zur Beob- '■ 
achtung kamen: 

Hyperemesis gravidarum mit Ptyalismus complicirt. kam in 1 
zwei Fällen vor, welche beide für die Pathogenese dieser Erkrankung von 
Wichtigkeit sind: 

Frau R., 25 Jahre alt, die schon in ihrer ersten Schwangerschaft bis ' 
zum 7. Monate gebrochen hatte, bekam bald nach Beginn der zweiten ! 
Schwangerschaft wiederum sogenanntes „unstillbares Erbrechen“, nachdem j 
vorher ein Duodenalkatarrh mit Icterus abgelaufen war. Am 4. October ! 
brachte man uns die Patientin in schon ziemlich desolaten Verhältnissen. 
Temperatur 38,0, Puls 120. 

Während das Erbrechen und der Speichelfluss bei passender Behand¬ 
lung bald nachliessen, nahmen die Anfangs leicht auftretenden hysterischen 
Erscheinungen zu. Puls und Kräftezustand besserten sich trotz leidlicher 
Nahrungszufuhr nicht. Puls schwankte stets zwischen 110 und 130, bei 
normaler Temperatur. 

Die hysterischen Erscheinungen nahmen einen maniakalischen Charakter , 
an und es bildete sich eine ausgesprochene Psychose aus, welche die : 
Ueberführung der Patientin in die Irrenanstalt nöthig machte. 

Alle Versuche, den hohen Grad der Anämie zu heben, blieben ohne i 
Erfolg und damit nahm auch das psychische Leiden zu. Eine Bronchitis, 
welche diesen Zustand noch verschlimmerte, gab vielleicht den Anlass zum 
letalen Ausgange; doch erfolgte der Tod unter den Erscheinungen acutester 
Sepsis, während der Uterus gerade im Begriff war, die in der 22. bis 
23. Woche der Entwickelung stehende Frucht abortiv auszustossen. Gerade 
dieser Vorgang ging unter höchst eigenthümlichen Erscheinungen vor sich: 

Eine geburtshilfliche Untersuchung der Patientin hatte seit Wochen 
nicht stattgefunden, die Temperatur war vom 5.—21. November vollständig 
uormal gewesen, während der Puls, wie stets in der letzten Zeit, zwischen ■ 
125 und 140 schwankte. Am 21. November trat plötzlich, wahrscheinlich 
mit Beginn der Wehen, eine Pulssteigerung ein (155), während die Tempe- . 
ratur noch normal (37,1) war. Bald darauf erfolgte ein Ansteigen der 
Temperatur bis 39,5, des Pulses bis 168. Hinzugerufen konnte ich nur 
den Beginn der Geburt unter ausgesprochensten septischen Erscheinungen 
constatiren. Der Geruch aus den Genitalien war penetrant. Wenige 
Stunden darauf erlag die Patientin der Sepsis, ohne dass die Geburt er- J 
folgte. Section wurde, was sehr zu bedauern war, nicht gestattet. 

Der Verlauf im anderen Falle war folgender: ■ 

Frau M., 1887, No. 92, 29 Jahre alt, hereditär tuberculös belastet, 
gebar 3 Mal vor der 28. Woche, ein Mal nach dieser Zeit; doch auch dieses i 
Kind starb einen Tag alt. ln allen Schwangerschaften Speichelfluss. 

Aufnahme 12. März in der 32. Woche der Schwangerschaft. Auch dies 
Mal war der Speichelfluss sehr stark gewesen und dauerte noch in unver- : 
minderten! Maasse fort. Vom 21. März bis 5. Mai wurden die 24stündigen 
Speichelmengen aufgefangen. Es schwankte die Menge zwischen 280 und ! 


No. 23 


1 200 g. Von Mitte April ab gesellte sich häufig wiederkehrendes Er¬ 
brechen zum Speichelfluss hinzu. 

Die Kräfte nehmen, trotz leidlicher Nahrungsaufnahme, immer mehr ah. 
Die Kranke fiebert mässig. Des Ptyalismus und des engen Beckens (Conj. 
diag. 10,0, vera 8,5) halber Einleitung der künstlichen Frühgeburt 
mit Erfolg für Mutter und Kind (2 520 g, 46,5 cm). Ptyalismus hört vom 
ersten Wochenbettstage auf, kehrt am 6. Tage des Wochenbetts nochmals 
wieder, dauert aber nicht länger als 24 Stunden. Das Kind gedieh gut. 

Während die Rückbildung der Genitalien ihren normalen Gang nahm, 
steigerten sich die von der Allgemeinerkrankung ausgehenden Erscheinungen. 
Am 6. Juni, vier Wochen nach der Entbindung, transferirten wir die Pa¬ 
tientin in die innere Klinik, wo sie am 30. Juni der Tuberculose erlag. 

Section (Prof. Marchand): Tuberculose der Lungen und des 
Bauchfelles. Abgekapselte Eiterheerde in der Bauchhöhle. 

Durch diese beiden Fälle wird die Zahl der von mir längere Zeit 
hiudurch beobachteten Erkrankungsfalle auf fünf erhöht. Ueber drei be¬ 
richtete ich im Archiv für Gynäkologie, Band 18, p. 310 u. ff. 

Zwei Mal handelte es sich um schwere Störungen des Peritonäums 
(Carcinom, Tuberculose), zwei Mal wurden anämische hysterische Personen 
von dieser seltenen Erkrankung betroffen. 

Ich halte die Hyperemesis und Ptyalismus gravidarum für nichts 
anderes, als eine Steigerung einer bei vielen Frauen in der Schwangerschaft 
bestehenden, durch die Schwangerschaft hervorgerufenen Reflexneurose. Bei 
sensitiv reizbaren Frauen und bei chronischen Erkrankungen des Magen- 
darmtractus steigern sich die Erscheinungen krankhaft und können zum 
unstillbaren Erbrechen führen. 

Dass, wie Schroeder') annimmt, eine excessive passive Aus¬ 
dehnung des Uterus, wie bei Zwillingen, den von den Genitalien aus¬ 
gehenden Reiz, welcher zu diesen Reflexerscheinungen führt, steigert, ist 
sehr wohl möglich, und es würde eine recht dankenswerthe Aufgabe sein, 
festzustellen, ob bei Zwillingen übermässiges Erbrechen häufiger vorkommt. 

Hingegen möchte ich gegen die Theorie von Rheinstädter und 
Zweifel, 3 ) wonach der Brechreiz durch „die Bewegungen der schwanger 
gewordenen Gebärmutter“ hervorgerufen würde, anführeu, dass in unserem 
zweiten Falle auch bei andauernd ruhiger Bettlage das Brechen fortdauerte. 
Ueberhaupt sind die passiven Bewegungen in den ersten Monaten der 
Schwangerschaft so geringfügige, dass kaum anzunehmen ist, es würden so 
bedeutende Reflexe durch sie ausgelöst werden. 

Als wirksamste Therapie bei uncomplicirten Fällen stelle ich die 
Ernährung in horizontaler Lage obenan. Freilich darf sich der Arzt 
nicht mit einer einfachen -Beschreibung des Verfahrens zufrieden geben. 
Auf diese Weise wird er nicht viel Erfolg zu verzeichnen haben. Er selbst 
oder eine gewissenhafte Wärterin muss, wenigstens eine Zeit hindurch, die 
Ernährungsweise leiten. Die Patientin muss horizontal liegen; nur der 
Kopf darf ein wenig erhöht sein. Leicht verdauliche, meist flüssige Kost 
wird löffelweise eingeflösst. Nach eingenommener Mahlzeit darf in der 
ersten und zweiten Stunde ein Aufrichteu nicht .stattfinden. Wird auch bei 
diesem streng überwachten Verfahren noch gebrochen, so schicke ich den. 
Mahlzeiten eine kleine Gabe Opium (0,01), eine Eispille, einen Schluck 
kräftigen Portwein voraus, ln den extremsten Fällen wepde man nährende 
Klysmata an und suche die Frau wenigstens so weit in der Schwanger¬ 
schaft zu bringen, dass das Kind mit einiger Aussicht ausserhalb des Utern> 
weiterleben kann. 

Schwangerschaftsniere wurde zwei Mal beobachtet: 

Frau M-, 1887, No. 150, 4. Geschwängerte zeigt bei ihrem Eintritte in 
die Anstalt am 13. Juli starke Oedeme und reichlichen Eiweissgehalt des 
Urins. Ruhige Bettlage bessert die Verhältnisse wesentlich. 

Geburtsbericht: 20. Juli Abends 10 Uhr Beginn der Wehen: 21. Juli 
früh 3,50 Blasensprung, zehn Minuten später vollständige Eröffnung des 
Muttermundes. Nach zweistündiger Austreibuugsperiode Geburt des reifen 
Kindes (3800*g, 54,5 cm) in Schädellage. Nabelschnur um den Hals ge¬ 
schlungen, musste vor Geburt des Rumpfes durchschnitten werden. Das 
Kind, tief asphyktisch, konnte nicht zum Leben zurückgebracht werden. 

15 Minuten nach Geburt des Kindes gingen plötzlich 760 g Blut ab, 
zum grossen Theile geronnen. Auch blutete es weiter fort, so dass die 
Expression der Placenta angeschlossen wurde. Trotzdem die Massage aus¬ 
geübt wurde, floss Blut weiter ab, und es wurden aus der Gebärmutter ge¬ 
ronnene Blutmassen herausgenommen, iu denen keine Gewebsfetzen, weder 
Placentareste noch Decidua gefunden wurden. Jetzt stand die Blutung, 
doch wurde der Uterus noch zwei Stunden überwacht. Gesammtblut- 
verlust 1390 g. Besondere Eigenthümlichkeiten der Placenta sind im 
Protocolle nicht erwähnt. 

H. ledig, 1887, No. 252, 1. Geschwängerte wurde wegen zweimaliger 
starker Blutung in der Schwangerschaft vom Arzte am *21. September ge¬ 
schickt. Extremitäten stark ödematös. Urin enthält sehr reichlich Eiweiss. — 
Vollbad, danach feuchtwarme Einwickelungen und horizontale Lage ver¬ 
mindern das Oedem sehr bedeutend. Eiweiss verschwindet gänzlich im 
Urin. Dasselbe zeigt sich aber in den nächsten Tagen wieder, obwohl die 
erwähnte Therapie fortgesetzt wird. Anregung der Geburt durch Douchen. 

Gehurtsbericht: Der während der Geburt abgenommene Ham ge¬ 
rann vollständig. Schon vor Durchtrift des Kopfes durch die Schamspalte 
blutete ein Schleimhautriss sehr heftig und blutete auch fort, als das Kind 
(3320 g, 52 cm) ausgetreten war. Ebenso bluteten die seitlichen Incisionen 
erheblich. Nachdem die verletzten Partieen mittelst Naht geschlossen waren, 
dauerte die Blutung aus der Gebärmutterhöhle fort, weshalb Massage ange¬ 
wendet werden musste, und als auch dies nicht genügend half, wurde die 
frühzeitige Expression angeschlossen. Wegen Weichbleiben des l’terus 
Ueberwachung durch drei Stunden. Gesammtblutverlust 920 g. 

Die Eiweissmenge ging iu den ersten Tagen auf 0 herab. Als am 

*) Lehrbuch der Geburtshülfe, IX. Auflage, p. 381. 

3 ) Lehrbuch der Geburtshülfe, p. 269. 


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7. Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 4fif) 


6. und 7. Wochenbettstagc sehr übelriechender Ausfluss eintrat, wurde eine 
J°/o Carbol wasserausspülung der Scheide vorgenommeu. wodurch der Urin 
•«chwar/graue Färbung erhielt, ohne dass Eiweiss in ihm nachgewiesen 
wurde. Als dann zur Schcidenausspülung 7a%oige Sublimatlösung ge¬ 
nommen wurde, erfolgte ein Schüttelfrost, und zwei Stunden später war 
Eiweiss im Harn, das nach einem halben Tage wieder schwand. Nun benutzten 
wir nur lauwarmes Wasser zur Ausspülung. An der Placenta ist nichts be¬ 
sonderes anfgefallen. (Fortsetzung folgt.) 


— 0. Richter. Zweiter Generalbericht Uber das Medicinal* und 
Sanitütswesen im Rgb. Erfurt fflr die Jahre 1881 — 1885. Correspon- 
denzblätter des allgem. ärztlichen Vereins von Thüringen, Jahrgang 1888, 
No. 1. 

Der vorliegende Jahresbericht schliesst sich dein für die Jahre 1875/8C 
erstatteten unmittelbar an und giebt in seinem ersten Theil die auf die Be¬ 
wegung der Bevölkerung bezüglichen statistischen Tabellen vorzugsweise in 
Durchschnittszahlen der letzten fünfjährigen Berichtsperiode; es bietet sich 
hiermit für frühere und weitere Vergleiche auf dem Gebiete der biologischen 
Statistik eine um so sicherere Grundlage, als sich die Beobachtungszeiten 
an die beiden letzten Volkszählungen anreihen. Besonders die Gruppirung 
und Behandlung der auf die Geburten und Sterbefalle bezüglichen Zahlen 
zeigen von einem verständnissvollen Eindringen in das Zahlengewirre, aus 
dem Verfasser namentlich für die Stadt- und Landgemeinden die durch¬ 
schnittlich tägliche Geburtenzahl und Sterblichkeit ausgeschieden 
hat. Leider vermissen wir bei dieser mühsamen Arbeit einen Vergleich mit 
den entsprechenden Ziffern für das deutsche Reich (s. Statistisches Jahr¬ 
buch des deutschen Reichs, Jahrgang 1886, p. 14). Auch über die Kindes¬ 
lage bei den durch die Hebeammen verrichteten Entbindungen verbreitet sich 
der Rericht des Näheren (hier wären Vergleiche mit der Hamburger Stati¬ 
stik angebracht). Die übersichtliche Behandlung der im Capitel der Bevöl¬ 
kerungsbewegung gebotenen Daten empfiehlt sich den Herren Collegen ganz 
besonders, und wir müssen es dem Verfasser danken, dass er sich der un¬ 
erquicklichen Aufgabe vieler Zahlenoperationen mit solch' trefflichem Erfolge 
unterzogen hat. Der Abschnitt über die Gesnndheitsverhältnissc 
würde sicher ebenso reiches Material zur Bearbeitung geboten haben, wenn 
die Grundlagen hierfür ebenso zuverlässige wären, wie bei den Geborenen 
und Gestorbenen. Leider fehlen zur Zeit namentlich für die ländlichen 
Bezirke noch alle gesetzlichen Grundlagen für eine umfassende Erkrankungs¬ 
statistik und eine amtliche Leichenschau, deren Einführung der Verfasser 
als dringendes Bedürfniss bezeichnet. Den allgemeinen Gesundheitszustand 
betreffend sei nur hervorgehoben, dass, während in dem vorhergegangenen 
Zeitraum keine besonders verheerenden Epidemieen zu verzeichnen gewesen 
sind, in der letzten ßerichtsperiode einzelne lnfecfionskrankhciten mehr in 
den Vordergrund traten. So zeigte sich 1881 an mehreren Orten des Re¬ 
gierungsbezirkes noch der Fleckentyphus verbeitet durch Vagabunden, wäh¬ 
rend der Unterleibstyphus mit 723 Sferbefällen oder 18,70 pro Mille aller 
Gestorbenen weniger Opfer forderte als in der Periode 1875/80. wo der Antheil 
23,83 pro Mille betrug. Besonders aber waren es Masern (1169), Scharlach 
'876) und Diphtheritis (2867), welche rtiit erheblich zahlreicheren Krank- 
heits- und Sterbefällen auftraten als in der früheren Periode, namentlich 
verbreitete sich die letztere Krankheit immer verderblicher und gewann an 
In- und Extensität in den letzten Jahren, 1885 sogar bis zu einer von 1081 
oder 100,2 pro Mille. Die Uebertragung des Kindbettfiebers, insgesammt 
1881/85 sind 430 Frauen als im Kindbett gestorben gemeldet, das ist 17.27 
pro Mille der Gesammtmortalität weiblicher Personen, zeigt nur geringe Ab¬ 
nahme. Aus dem reichen textlichen wie tabellarischen Stoffe mögen noch 
hervorgehoben werden die Abschnitte über Impfwesen und Schulwesen, aber 
auch in seiner Gesammtheit legt dieser Bericht beredtes Zeugniss ab von 
der Gewandtheit des Verfassers in der Behandlung der medicinalstatistischen 
Materialien, so dass eine Nachahmung in der Art dieser inustergiltigen Ab¬ 
fassung nur zu wünschen bleibt. P. 

— 0. Schwarz. Fünfter General bericht über das Öffentliche 
Gesundheitswesen des Rgb. Köln für die Jahre 1884 und 1885. 

Köln, 1887. 

In kurzgefasster, übersichtlicher Weise giebt der Verfasser auf 50 
Seiten die wichtigsten Daten über Gesundheitsverhältnisse. Bevölkerungs¬ 
bewegung, Wohnstätten, Schulen, Gefängnisse etc. In beiden Jahren war 
der allgemeine Gesundheitszustand bezüglich der Zahl der zur ärztlichen 
Behandlung gelangten acuten Erkrankungen ein günstiger, theilweise sogar 
sehr günstiger zu nennen. Aus der speciellen Darstellung heben wir nur 
hervor, dass Fälle von Cholera nostras 3 im August 1884 tödtlich verliefen: 
auch Pocken (Variolois) traten nur im October, November 1884 epidemisch 
auf und befielen im Ganzen 83 Personen im Alter von 7 Monaten bis 46 
Jahren, worunter 11,4°/ 0 Sterbefälle, mehrere von schwarzen Blattern, 
Variola vera, Confluens und Haemorrhagica. Unterleibstyphus erlangte keine 
grössere Verbreitung. Diphtheritis kam sporadisch in fast allen Kreisen 
vor, nur in einzelnen Gemeinden zeigte sie sich mit mehr epidemischem und 
bösartigem Charakter. Tuberculose kam in gleicher Häufigkeit vor und 
führte durchgehends den siebenten Theil der Todesfälle herbei, im Stadt¬ 
kreise Köln fast I5o/o aller Gestorbenen. Syphilis hat namentlich im 
Stadtkreise Köln bei der Civil- wie bei der Militärbevölkerung in sehr be¬ 
denklichem Grade zugenommen und werden die Erkrankungen als bösartiger 
geworden bezeichnet. Zum Schluss wird noch der Ziegelbrenneranämie ge¬ 
dacht. Der Bericht hebt auch die hohe Kindersterblichkeit hervor, von 100 
Todesfällen entfallen 37 auf das erste Lebensjahr. P. 

— A. Weiss. Das öffentliche Gesundheitswesen des Rgb. Düssei« 

dorf in den Jahren 1888—1886. Dritter Verwaltungsbericht. Sch wann'sehe 
Hofbuchhandlung, 1888. 

Im Gegensatz zu dem trefflichen Bericht des Erfurter Regierungs- 
medicinalrathes entbehrt derjenige über den Düsseldorfer Regierungsbezirk 


jeglicher Uebersichtlichkeit, wenn der Inhalt desselben auch inauches Worth- 
volle bringt. Die Behandlung des Stoffes ist. nur nach den einzelnen 
Kreisen gruppirt und fällt es deshalb sehr schwer, sieh ein Bild \ 1.11 dem 
gesummten Bezirke nach der mannigfaltigen Gliederung des Stoffes zu ent¬ 
werfen, Es wäre wohl für den nächstfolgenden Bericht eine dankbare Auf¬ 
gabe, wenn den einzelnen Hauptabschnitten die wichtigsten Daten für den 
Regierungsbezirk vorausgeschickt würden, damit es dem Leser erspart bleibt, 
sich aus 15 Kreisen die Zahl aller im Jahre 1883 oder 1884 am Typhus Gestor¬ 
benen zusammenzutragen. Der vorliegende Bericht behandelt iu ein¬ 
gehendster Weise die Witterungsverhältnisse, die Bewegung der Bevölkerung, 
die Gesundheitsverhältnisse in allgemeiner und specieller Sehilderung der 
Infectionskrankheifen, ferner die Kindersterblichkeit (diese leider -ehr ober¬ 
flächlich). Hervorgehoben mögen noch werden die Abschnitte über Wohn¬ 
stätten, Nahrung«- und Genussmittel, Gewerbliche Anlagen. Schulen. Den 
.Schluss bildet eine Uebersicht der wichtigsten amtlichen Verordnungen und 
Verfügungen. P. 

XIV. Therapeutische Mittheilungen. 

1. Mnstdarnirohr mit Ballonverschlnss. 

In No. 14 dieser Wochenschrift befindet sich unter der Rubrik .The¬ 
rapeutische Mittheilungen“ der Abdruck eines von Professor Quincke in 
Kiel herrührenden Artikels aus der Monatsschrift der ärztlichen Poivteehnik 
(December 1887, Heft 12). Tn dem genannten, mir erst durch obiges Re¬ 
ferat bekannt gewordenen Artikel tritt Herr Professor Quincke für die 
Anwendung eines weichen Kautschukrohres bei Darmspülungen ein und 
giebt gleichzeitig einen äusserst einfachen und zweckmässigen Apparat zum 
Verschluss des Mastdarmes in Fällen von Sphincterschwäche. bei Paraplegie. 
Ermüdung der Mastdarmmuskulatur u. A. an. 

Seit mehr als Jahresfrist bediene ich mich eines im Prim ip ähnlichen, 
im Detail ein weuig abweichenden Instrumentes, das sich mir, und wie mir 
bekannt, auch anderen Collegen, ausserordentlich bewährt hat. 

Der Apparat (s. Abbildung) besteht aus einem im Ganzen 25 cm langen 
und 10 mm weiten, Draiurohr, an das man bequem in der üblichen Weise 
einen Irrigator oder Trichter mit Schlauch anbringen kann. 10 cm von dem 
unteren Ende befindet sich ein — letzterem anliegender — von a durch¬ 
bohrter Gummiballon (B), welcher durch ein neben dem zuführende» Kohr 
laufendes, engeres Drainröhrchen mittelst eines kleinen Gummiballons (C 
aufgeblasen werden kann. Die Einführung geschieht in der Weise, dass 
man das gut geölte Drainrohr a incl. des Gummiballons B bis über den 
Sphincter hinaus leitet und dann bei Offenstellung des Halmes den ersteien 
aufbläst. Es kann der Mastdarm hierdurch, ohne Tenesmus zu verursachen, 
stundenlang abgeschlossen bleiben. 



Ausser den von Quincke bereits angegebenen ludicatioiien scheint 
mir das Quincke’sche oder von mir eben beschriebene Mastdurinrolir. *) 
namentlich für Ernährungszwecke vom Rectum aus ganz besonders 
geeignet. In einem Falle von Magencarcinom, in welchem z. B Milch selbst 
in allen möglichen Modificationen nicht vertragen wurde, und auch die 
Fleischverdauung, wie die Untersuchung des Mageninhaltes lehrte, stark da¬ 
niederlag, gelang es mir, den Kräftezustand des Kranken durch Ernährung 
mittelst des Mastdarmrohres einigermaassen zu erhalten. Ebenso in einem 
Falle von Ileus, wo der Magen sich ira Zustande völliger lusufticiciiz !•■• 
faud, und selbst geringe Flüssigkeitsmengen erbrochen wurden 

Eine weitere Anwendung scheint mir das Mastdarmrohr mit Ballon¬ 
verschluss in der Kinderpraxis zu verdienen, wo es sich oft um die Appli¬ 
cation differenter Arzneisubstauzen per Clysma handelt, /.. B. Chinin. 
Chloralhydrat, Antipyrin u. A. In diesen Fällen, in welchen nie Gewissheit 
über die Menge des im Mastdarm verbliebenen Arzneimittels besteht, dürfte 
, die Application desselben unter Mastdarmverschluss überaus erwünscht sein. 

Ob die Aufblähung des im Mastdarm befindlichen Ballons mittels 
Wasser, wie bei Quincke, oder durch Luft, wie bei meinem Apparat, ge¬ 
schieht, scheint mir nebensächlich. Der Effect dürfte wohl der gleiche sein. 
Indessen hat sich mir die Aufblähung mittelst Luft als so einfach und 
I zweckdienlich erwiesen, dass ich dies Verfahren iu geeigneten Fällen, na 
• mentlich für künstliche Ernährung vom Rectum aus, unbedingt empfehlen 
kann. 

II. Die Anwendung von Glycerinsuppositorien bei habitueller 
Obstipation. 

Nachdem zuerst Anacker 3 ) und noch vor Kurzem Seifert 5 das Gly¬ 
cerin per rectum als Purgans mit gutem Erfolge in Anwendung gezogen 
hatten, habe ich in jüngster Zeit mich gleichfalls dieses Mittels in einer 
1 grossen Reihe von Fällen bedient und bin zu denselben günstigen Resultaten, 
wie die oben genannten Autoren, gelangt. Leider ist aber der mit der An¬ 
wendung des Glycerins per rectum in Verbindung stehende Gebrauch der 

*) Der Apparat ist bei Herrn Instrumentenmacher Wilhelm Tusch 
hier, Oranienburgerstrasse 27, zum Preise von Mk. 7 50 käuflich. 

a ) Dies. Wochenschr. 1887, No. 37. 

3 ) Münch, med. Wochenschr. 1888, No. 9. 


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470 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 23 


sogen. Oidt mann ‘sehen Spritze in manchen Fällen, namentlich bei Hämor¬ 
rhoidariern oder bei Individuen mit irritabler, leicht, blutender Mastdarm- 
schlcimhaut ein nicht geringes Ilindcrniss, so dass in einigen Fällen raeiuer 
Beobachtungen die Glycerinapplication Tage lang ausgesetzt bezw. ganz auf¬ 
gegeben werden musste. Hierzu kommt noch, dass die Handhabung und 
der Gebrauch der Spritze für den Patienten immerhin eine umständliche 
Manipulation darstellt, welche der Anwendung des Mittels zumal in der Pri¬ 
vatpraxis Abbruch thut. 

Durch diese Missstände bewogen, habe ich seit den letzten Monaten 
das Glycerin in Suppositorien eingeschlossen appliciren lassen und hiermit 
in etwa 20 Fällen die vortrefflichsten Resultate erzielt. Die Suppositorien 
sind die von Saut er in Genf fabrikmüssig hergestellten Deckelzäpfchen, 
von denen die grössten die von mir als völlig hinreichend gefundene Dosis 
von l g Glycerinum purissimum bequem aufnehmen. Wie weitere Versuche 
lehrten, bewahren die genannten Suppositorien nach wochenlangem Liegen 
ihre Form und Wirksamkeit. 1 ) 15—20 Minuten nach Application eines 
Glycerinsuppositoriums entsteht ein lebhafter, aber nicht vonTenesmus oder 
sonstigen Beschwerden begleiteter Stuhldrang, dem in der Regel schnell eine 
ausgiebige Entleerung folgt. Mehr als ein Glycerinsuppositorium zu ge¬ 
brauchen, sah ich mich nie veranlasst, in hartnäckigen Fällen steht natürlich 
einer Verdoppelung der Zahl nichts im Wege. 

Die Anwendung des Glycerins per rectum erscheint mir besonders da 
angezeigt, wo gleichzeitig mit der Obstipation Magenbeschwerden vorliegen, 
und der Chemismus sich als insufficicnt erweist. In diesen Fällen ist die 
Anwendung von Glycerinsuppositorien als das einfachste und praktisch wirk¬ 
samste Mittel warm zu empfehlen und jedem anderen Mittel vorzuziehen. 

_ Dr. .1. Boas (Berlin). 


— In einer sehr gründlichen Studie „lieber die Wirkung des Anilin, 
Acotanilid (Antifebrin) und Kampheranllin“ (Wiener med. Wochenschr. 
1887, No. 31—83) macht E. Herczel sowohl durch Mittheilungen über 
Thierversuche, wie auch über medicamentöse Darreichuug sehr wahrschein¬ 
lich, dass die Wirkung des Antifebrin hauptsächlich durch die Abspaltung 
von Anilin im Körper verursacht wird. Die Thierversuche ergeben, dass 
die Antifebrinanwendung zwei Reihen von Erscheinungen hervorruft: 
1) solche, die auf der Veränderung der Blutmischung beruhen, 2) solche, 
die durch die Einwirkung des Präparates auf die Medulla oblongata zu er¬ 
klären sind. Bei der Verabreichung grosser Dosen wird das Blut missfarbig, 
methämoglobinhaltig, sauerstoffarm. Der Hämoglobingehalt nimmt ab, die 
rothen Blutzellen verlieren die Fähigkeit, sich in Geldrollenform anzuordnen. 
Hämoglobinämie, zuweilen auch Hämoglobinurie schliessen sich an. Die 
Reflexe werden anfangs herabgesetzt, erlöschen später ganz, die Temperatur 
sinkt rapide. Bei eintretendem Tode steht das Herz still in Diastole. 
Ganz ähnlich ist die Wirkung des Anilins, nur viel intensiver: Noch be¬ 
deutend stärkere Herabsetzung des Hämoglobingehaltes, Zerstörung der 
rothen Blutzellen, lähmende Einwirkung auf die Nervencudigungen. 

Ebenso ergiebt sich aus der Vergleichung der medicamentösen Wirkung 
des Aeetanilid und des Anilin, dass auch das Anilin fieberhafte Tempera¬ 
turen bedeutend herabsetzt. In kleinen bis zu höchstens 0,12 g steigenden 
Dosen verabreicht, erniedrigte es die Temperatur bei Phlegmone, Erysipelas, 
Sepsis um 2—3°. Natürlich ist im Allgemeinen in all diesen Fällen das 
ganz sicher wirkende und viel ungefährlichere Antifebrin vorzuziehen. Die 
isehmerzstillende Wirkung dieses Mittels wurde in vielen Fällen von 
Neuralgieen, irradiirenden Schmerzen, schmerzhaften Knochenkrankheiten, 
Hemicranie erprobt. Die individuelle Dose muss für jeden Pat. durch 
Probiren gefunden w'erden, wobei natürlich mit kleinen Gaben (0,3—0,4) 
zu beginnen ist. Im Allgemeinen genügen bei geschwächten und blutarmen 
Patienten bedeutend geringere Doseu als für vollblütige. lieber 2,0—2,5 g 
pro die zu gehen, ist nicht räthlich, da sich sonst leicht die blutzersetzende 
Wirkung des Medicamentes geltend macht. S. W. 

— E. G. Dutton hat Strophanthns (Tinctur) während der letzten 6 Mo¬ 
nate mit grossem Vortheil bei Herzleiden angewandt, besonders in Fällen, 
wo Digitalis mehr Schaden als Nutzen zu stiften schien. Dagegen wird 
Digitalis oft mit Erfolg gegeben, wo Strophanthus nichts hilft, die Wirkung 
beider Mittel ist also nicht die gleiche. In mehreren der von Dutton be¬ 
handelten Fälle machte Strophanthus die Herzaction intermittirend, was stets 
durch Vergrösserung der Dose ausgeglichen werden konnte. Salicylsäure 
und ihre Salze können mit Strophanthus combinirt werden, wenn sie wegen 
der Depression der Herzthätigkeit, die sie verursachen, allein nicht ge¬ 
geben werden können. Bei nicht organischen Herzfehlern ist Strophanthus 
von unschätzbar wohlthätiger Wirkung. (Br. Med. Journ. 1888 S. 132.) 

— Nach Haig (Brit Med. Journ. Jan. 14. 1888) ist eine Form der 
Migritaft mit starker Zunahme der Harnsäureausscheidung verbunden. 
Diese Ausscheidung kann durch Verabreichung eines hinreichenden Quantums 
von Sfinren vermindert, durch Alkalien beliebig vermehrt werden. Haig 
glaubt, dass der Ueberschuss an Harnsäure im Blut die Ursache dieser 
Formen von Migräne ist, und empfiehlt demnach die Säuren ohne Unter¬ 
schied zur Behandlung derselben. Die Dose von Acid. hydrochl. dil. beträgt 
2,5—3,75 g in Wasser, in zwei Theilen getrunken; war der Urin vorher 
alkalisch, oder hat Patient vorher Alkalien genommen, so giebt man noch 
eine dritte Dosis von 1 g. Eine starke Citronenlimonade thut dieselben 
Dienste. Nützen die Säuren nicht, so beruht die Migräne nicht auf Harn¬ 
säureüberschuss im Blut. 

— Nach Dr. Ogilvey (Brit. Med. Journ. Jan. 14. 1888) sind in 
manchen Fällen von Migräne grössere Dosen von Antipyrin als 0,5 g 
stündlich erforderlich bis zu 1,0 g. Bei Manchen bewirkt das Mittel geringe 
Verstopfung, nimmt man es jedoch zusammen mit einer wirksamen Dose 
eines Abführmittels, so wirkt dies im Laufe des Migräneanfalls sicher, 
während ohne dasselbe jede Nahrung oder Medicin die Sache nur schlimmer 

') In Dr. Kade’s Oranienapotheke sind Glycerinsuppositorien mit 1 g 
Glycerin vorrätbig. 


macht. Sobald der Kopfschmerz sich zerstreut, sollte stets etwas leicht 
verdauliche Nahrung genommen werden. Bei Personen, die nach jedem 
Ausflug, jeder Gesellschaft etc. am nächsten Morgen ihren Kopfschmerz be¬ 
kommen, kann Antipyrin vorbeugend wirken. Auch bei rheumatischen und 
krampfhaften Affectionen und den oft recht schmerzhaften Nachwehen sollte 
es weitgehende Verwendung finden. R. 


XV. Ueber Galvanopunctur der Prostata. 

Zu dem Artikel des Herrn Dr. Biedert in No. 21 dieser Wochen- 
: Schrift geht uns folgendes Schreiben des Herrn Dr. L. Casper zu: 

„Herr Biedert glaubt, dass ich seiner in meinem die Electrolyse be¬ 
handelnden Vortrage nicht erwähnt habe. Es erklärt sich das daraus, dass 
Herr Biedert seinen Artikel geschrieben hat, ehe mein Vortrag im Original 
1 publieirt war. Herr Biedert hatte nur Referate gelesen, die die gemachten 
' Literaturangaben nicht vollkommen wiederzugeben pflegen. Mein inzwischen 
[ in den Protokollen der Berliner medicinischen Gesellschaft (Berl. kliu. 

Wochenschrift No. 23) erschienener Vortrag besagt, dass ich durch die 
I Angaben des Herrn Biedert, die ich allerdings erst nach Anstellung der 
Vor- und Thierversuche fand, wesentlich ermutliigt wurde, das beregte 
i Verfahren auch beim Menschen zu versuchen. 

In der debattirten Frage von der Bedeutung des Residualharns Herrn 
Biedert auf meiner Seite zu wissen, gereicht mir zur Genugthuung. — 

Leopold Casper (Berlin). 

XVI. Kleine Mittbeilnngen. 

. — Berlin. Geh. Rath Prof. Dr. v. Bergmann ist von der Peters¬ 
burger chirurgischen Gesellschaft zum Ehrenmitgliede ernannt worden. 

— Die DDr. L. Jacobson, langjähriger Assistent an der Universit&ts- 
Ohrenklinik, und Krönig, früher Assistent der Frerichs’schen Klinik, 
haben sich als Privatdocenten an der Berliner medicinischen Facultät 
liabilitirt. 

— Soeben sind die Verhandlungen des Vereins für innere Me¬ 
dicin erschienen. Der 380 Seiten zählende Band legt beredtes Zeugniss 
ab für die Ausdauer und den Fleiss, mit welchem im Verein auch im ab¬ 
gelaufenen Vereinsjahre gearbeitet worden ist. Zu keinem geringen Theil 
( gebührt dem Vorsitzenden und Begründer des Vereins, Geh. Rath Leyden, 
das Verdienst, dass der Verein in den wenigen Jahren seines Bestehen* 

I eine unverkennbare Bedeutung für den Ausbau und die Weiterentwicklung 
I der inneren Medicin erlangt hat, wie dies aus den werthvollen Arbeiten, die 
die bis jetzt erschienenen Bände der Verhandlungen enthalten, hervorgeht. 

— Nachdem durch die Bekanntmachung, betreffend die ärztliche 
I Prüfung vom 2. Juni 1888 §.18 Abs. 1., für diese Prüfung die Censuren 
-sehr gut (1)“, „gut (2)“ und „genügend (3)“ an Stelle der früheren „vor- 
: züglich gut (1)“, „sehr gut (2)“ und „gut (3)“ getreten sind, erfolgt, einer 
| neueren Bekanntmachung des Cultusministers zufolge, auch die Zulassung 
zur Physikatsprüfung zwei Jahre nach der Approbation als Arzt, wenn 
J die ärztliche Prüfung sehr gut (1) oder gut (2) bestanden ist, in den übrigen 
i Fällen nach drei Jahren. 

— In Ergänzung unserer Mittheilung über die Tagesordnung des 
nächsten Aerztetages (c. No. 22, p. 448) können wir berichten, dass 
die Thesen der vom Geschäftsausschuss eingesetzten Commission für die Vor- 
berathung der Frage der gesetzlichen Regelung des Geheimmittel- 
; Unwesens folgendermaassen lauten: 1) Das öffentliche Ankündigen und 
j Anpreisen von Geheimmitteln ist, auch wenn deren Zusammensetzung be- 
1 kannt ist, zu verbieten. — 2) Der Verkauf sogenannter Geheimmittel ausser- 
! halb der Apotheken sollte noch vollständiger eingeschränkt werden, als es 
bis jetzt durch die kaiserliche Verordnung vom 4. Januar 1875 geschehen 
i ist. — 3. Es sind unzweideutige Bestimmungen zu erlassen, dahin gehend. 

I dass der Geheimmittelhandel in gesetzlichen Schranken gehalten werde. — 
| 4. Es ist nothwendig, diese Bestimmungen auch auf den Grosshandel mii 
Geheimraitteln auszudehnen. 

■ — Bacteriologische Monatscurse im Berliner hygienischen 

Institut werden voraussichtlich im Laufe dieses Jahres noch in den Monaten 
| August und November abgehalten werden. Meldungen zur Theilnahme sind, 

| thunlichst schriftlich, an den Assistenten des Instituts Dr. C. Fraenkel zi 
I richten. 

— Der Herbstcyklus der Feriencurse für praktische Aerztf 
| wird am 26. September d. J. beginnen und bis gegen Ende October dauern. 

I Ein genauer Lectionscatalog wird demnächst in dieser Wochenschrift zur 
, Veröffentlichung gelangen. 

— Dr. E. Aronsohu, unser geschätzter Mitarbeiter, hat sich in Bad 
I Ems niedergelassen. 

— Jena. Für die Wiederbesetzung der durch die Berufung Hert- 
; wig's nach Berlin freigewordenen Lehrkanzel für Anatomie hat die Facultät 
j folgende Vorschläge gemacht: primo loco: Prof. Fürbringer (Amsterdam): 

secundo loco: Prof. Bardeleben (Jena) und Prof. Stöhr (Würzburg): 

, tertio loco: Prof. Born (Breslau), Prof. Rüge (Heidelberg) und Prof. Roux 
i (Breslau). Für den Fall der Berufung Fürbringer’s hat die Facultät be¬ 
antragt, Prof. Bardeleben einen Lehrauftrag für topographische und einen 
I Theil der systematischen Anatomie zu ertheilen. 

— Breslau. Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren, hat Herr 
| Geh. Rath Prof. Dr. Fritsch sich definitiv entschlossen, in Breslau zu 
| bleiben. 

— Leipzig. Am Sonntag, den 3. Juni, wurde auf dem Johannis¬ 
friedhofe in Leipzig das von Siemering ausgeführte Denkmal Cohnheim's 
enthüllt. 

— Agram. Der Gemeinderath der Stadt Agram hat beschlossen, aus 
j Anlass des Regierungsjubiläums des Kaisers den Betrag von 50000 Gulden 
I zur Errichtung einer medicinischen Facultät in Agram zu widmen 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


471 


7. Juni. 


— Paris. Dr. Hannosset, Director des Beaujon- und Hötel-Dieu- 
Hospitals, ist gestorben. 

— In Lausanne fand am 26. Mai die 2. allgemeine Versammlung der 
Schweizer Aerzte statt. Von den gehaltenen Vorträgen sind folgende her¬ 
vorzuheben: Secretan (Lausanne) „Behandlung der chronischen serösen 
Pleuritis.“ Berdez (Lausanne), „Behandlung des Lungenemephysems.“ 
Ladame (Genf), „Behandlung der Impotenz durch Elektricität.“ Secretan, 
-Zwei Fälle von LarynxVerengerung.“ De Corenville und Sonderegger, 
-lieber Organisation des schweizerischen Sanitätswesens.“ Kocher (Bern), 
-Resultate der Behandlung der Gelenktuberculose.“ 

— Zur medicinischen Publicistik. An Stelle der „Archive* 
slaves de Biologie“, welche der westeuropäischen Wissenschaft die in 
slaviscben Sprachen veröffentlichten Arbeiten zugänglich machen sollten, 
wird Dr. M. Mendelsohn in St. Petersburg nach dem „Wratsch“ ein neues 
Blatt in französischer Sprache nach dem Muster der deutschen Centralblättter 
herausgeben. Er wird „Revue slave des Sciences medicales“ betitelt 
sein und 1 — 2 Mal monatlich erscheinen. 

— Professor Neumann in Wien hat kürzlich ein Hautstück mit 
Erythem, das nach dem Gebrauch von Copaivaebalsam entstanden war, 
mikroskopisch untersucht. Das Stratum papillare war normal, die AfFection 
hatte ihren Sitz hauptsächlich in der Umgebung der Blutgefässe, der 
Talgdrüsen, Haarfollikel und Schweissdrüsen, ganz in derselben Weise wie 
bei Masern. 

— Gegenüber den Betrachtungen Dr. Milnes Fothergill’s im 
National Record October 1887 „über Degeneration der Bevölkerung 
in den grossen Städten“, welche sich durch die schwächlichere 
physische Beschaffenheit der Recruten, durch Vermehrung nervöser Krank¬ 
heiten, Verdauungsstörungen, durch grössere Zahl von Phthisikern und 
insbesondere auch durch schwächere Constitution der Jugend in Folge 
geistiger Ueberanstrengung in den Schulen kund giebt, tritt der Anthropologe 
Ludwig Roberts im Octoberheft 1887 der Fortnightly Review mit ent¬ 
gegengesetzten Ansichten hervor. Zuvörderst bemerkt derselbe, dass in 
Bezug auf die Recrutirung Fothergill von falschen Voraussetzungen und 
Berechnungen ausgegangen, dass die Zahl der Recruten aus der arbeitenden 
Klasse um 9,78 u /o kräftiger und gesunder befunden worden als vor 25 Jahren, 
dass die Sterblichkeit in den letzten Jahren in London auf 19,9, in 
Hampstead auf 12,2 °/o zurückgegangen, dass die Lebensdauer in Folge 
sanitärer und gesetzlicher hygienischer Maassregeln zugenommen habe. 
Gestützt auf die Arbeit Griffith’s „über die Fortschritte der arbeitenden 
Klassen“ weist Roberts nach, dass die Löhne in den letzten 30 Jahren 
um das dreifache gestiegen sind, dass der Verbrauch von Nahrungsmitteln, 
Speck, Butter, Käse, Korinthen, Kartoffeln, Reis, Cacao, Kaffee, Mehl, Zucker, 
Thee von 65,25 Pfund auf den Kopf im Jahre 1840 im Jahre 1881 sich 
auf 351,04 Pfund vermehrt hat, dass ausserdem in Folge der Lohnerhöhung 
seit jener Zeit nicht nur in Bezug auf die Nahrung, sondern auch in 
Bezug auf Kleidung und Zurücklegung in Geldersparnissen eine Erhöhung 
um das Doppelte eingetreten ist, dass die Bankdepositen seit 1851 von 
13 3 /* Millionen im Jahre 1881 auf 80V 3 Millionen gestiegen sind. Roberts 
macht darauf aufmerksam, dass die falschen Schlüsse davon herrühren, dass 
in der Industrie ein Theil schwacher Leute verwendet wird und dieser 
keinen Vergleich mit der arbeitenden Landbevölkerung aushält. Er findet 
zu einer Befürchtung einer Degeneration des Volkes keine Veranlassung, 
da die bessere Ernährung, die gymnastischen Uebungen, bessere Wohnungs¬ 
verhältnisse, Volksbäder, das Schulturnen, Verhältnisse, die bisher nur den 
besseren Klassen zu statten kamen, jetzt dem gesaramten Volke Vortheile 
gewähren. Gewiss bleibt noch viel für die physische Erziehung der Jugend, 
für Verbesserung des Looses der arbeitenden Klassen, für Spielplätze, 
öffentliche Gärten, für geringere Arbeitszeit, für Verhütungsmaassregeln 
gegen Schädlichkeiten in Gewerben zu thun übrig. Die Behauptung 
dürfte wohl gerechtfertigt sein, dass, ebenso wenig wie in 
England, auch bei uns eine physische Degeneration des Volkes 
eingetreten ist. Die Klage über die früheren guten alten 
Zeiten wird von Seiten der Feinde des Fortschrittes immer die 
alte bleiben. Die Wahrheit liegt nach dem Sprüchwort: „in medio tutissi- 
raus ibis“ in der Mitte. Man kann weder zu dem Pessimismus Fothergill’s 
noch zu dem Optimismus Roberts’ sich hinneigen, sondern muss stets be¬ 
müht sein, gegenüber den Nachtheilen, welche das Leben der Grossstadt und 
andererseits die Arbeit in den Fabriken bietet, alle Maassregeln anzuwenden, 
welche dieselben einzuschränken und zu verhüten geeignet sind. Tausende 
von Volksfreunden sind bei dieser edelen Arbeit, und werden diese von der 
Gesetzgebung unterstützt, dann wird am Ende dieses Jahrhunderts die Klage 
über Degeneration des menschlichen Geschlechts im alten Erdtheil ver¬ 
stummt sein. 

— Universitäten. Palermo. Prof. Silvcstrini in Parma ist 
zum Professor der Medicin an der Universität Palermo ernannt worden. — 
St. Petersburg. Prof. Botkin, Leibarzt des Czaren, hat den Alexander 
Newski-Orden erhalten. — Innsbruck. Der bisherige supplirende Professor 
der pathologischen Anatomie Dr. Pommer wurde zum ordentlichen Professor 
ernannt _ 


XVn. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). 

Auszeichnungen: Seine Majestät der König haben Allergnädigat 
geruht, den Charakter als Geheimer Sanitäts-Rath dem Kreis-Phys. 
.San.-Rath Dr. Tietze in Frankfurt a./O., als Sanitäts-Rath dem prak¬ 
tischen Arzt Dr. Ziegner in Neuteich zu verleihen, ferner folgende Ordens- 
auszeichnungeu :denRothenAdler-OrdenIII. Classe mitderSchleife 
dem Reg.- und Geh. Med.-Rath Dr. Kanzow in Potsdam, dem ordentl. 
Prof. Geh. Med.-Rath Dr. Mannkopff in Marburg, den Ober-Stabsärzten 
I. CI. Dr. Becker in Erfurt und Dr. Neu bau r in Frankfurt a./'O., dem 
Kreis-Physikus Geh. San.-Rath Dr. Leuschner in Kottbus; den Rothen 
Adler-Orden IV. Classe den Ober-Stabsärzten l. CI. Dr. Gross in 


, Düsseldorf, Dr. Jahn in Bromberg, Dr. Varenhorst in Celle, Dr. Vater 
in Spandau und Dr. Wilckens in Thorn, den Ober-Stabsärzten II. CI. 
Dr. Kley in Lüneburg, Dr. Köhler in Berlin und Dr. Meyeren in 
Mühlhausen i./Th., den Marine-Ober-Stabsärzten II. CI. Dr. Diehl, Dr. Glo- 
' big und Dr. Kuntzen, den ordentlichen Professoren Geh. Med.-Rath 
Dr. Hermann in Königsberg i./Pr. und Geh. Med.-Rath Dr. Fritsch in 
Breslau, dem Reg.- und Med.-Rath Dr. Nath in Königsberg i./Pr.. den 
Kreis-Physikern und San.-Räthen Dr. Al sch er in Leobschütz, Dr. Wichen 
iu Hildesheim und Dr. Ritter in Kaukehmen, den prakt. Aerzten San.- 
Räthen Dr. Beuster, Dr. Julius Blumenthal und Hofarzt Dr. Nolte 
in Berlin, Dr. Risch in Bromberg und dem Apothekenbesitzer Birklotz 
in Waldenburg i./Schl.; den Königlichen Kronenorden II. Classe 
! dem Direktor des Kaiserlichen Gesundheits-Amtes Ko eh ler in Berlin und 
dem General-Arzt II. CI. und Corps-Arzt Dr. Löwer in Cassel; den 
Königlichen Kronenorden III. Classe den Ober-Stabsärzten I. CI. 
Dr. Bocker in Altona, Dr. Bocker in Cöln, Dr. Gutschon in Kiel, 
Dr. Müller in Berlin, Dr. Steinhausen in Frankfurt a./M. und Dr. Viede- 
bantt in Colberg; ferner dem prakt. Arzt Sanitäts-Rath Dr. Dettweiler, Diri¬ 
genten der Heilanstalt zu Falkenstein im Taunus den Charakter als Geheimer 
I Sanitätsrath, dem Bezirksphysikus und Priv.-Doc. an der Universität Dr. 
Jacobi und dem prakt. Arzt Dr. Ruegner zu Breslau den Charakter als 
Sanitäts-Rath, sowie dem seitherigen Kreis-Physikus Geheimen Sanitäts-Rath 
I)r. Leuschner zu Kottbus den Rothen Adler-Orden III. CI. mit der 
Schleife, dem Geheimen Sanitäts-Rath Dr. Friedberg zu Berlin den 
Rothen Adler-Orden III. CI. und dem prakt. Arzt Geheimen Sanitäts-Rath 
j Dr. Gumbinner zu Berlin den Rothen Adler-Orden IV. CI., dem ordent¬ 
lichen Professor, Geheimen Medicinalrath Dr. Virchow in Berlin den 
Rothen Adler-Ordeu II. CI. mit dem Stern und Eichenlaub, sowie dem 
praktischen Arzt Dr. Ko eilig in Barmen den Rothen Adler-Orden IV. CI. 
zu verleihen. 

Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Koerner in Brandenburga./II., 

, Dr. Siegel in Britz, Dr. Kruse in Grossbeeren, Dr. Ziege in Wriezen, 
Dr. Schreiber, Dr. Heilbrun, Drechsler, Dr. Koch und Dr. Fried- 
; heim, sämmtlich in Breslau, Dr. Stein in Schweidnitz, Dr. Bleich iu 
; Gr. Naedlitz, Siebelt in Rothsürben, Dr. Halbrock in Hannover, 
Dr. Zain in Dudeldorf, Dr. Burkart h in Burladingen, Dr. Ni essen in 
j Neuenahr, Dr. Massen in Münstermaifeld. 

Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Brohmann von Rheinsberg 
nach Stützerbach in Thür., Dr. Gu ent her von Berlin nach Rbeinsberg, 
Dr. Sartig und Dr. Mertsching, beide von Oderberg i./M. nach [Berlin, 

: Dr. Morgenstern von Berlin nach Schmargendorf, Stabsarzt a. D. 

1 Dr. Campe von Lyck nach Brandenburg a./H., Hetschko von Bremer¬ 
haven und Dr. Tietze von Gleiwitz beide nach Breslau, Rothenberg 
l von Breslau nach Rawitsch, Dr. Münchmeyer von Breslau nach Dresden, 

1 Dr. Mannaberg von Breslau nach Hirsingen, Stabsarzt Dr. Weitz von 
Brieg nach Breslau, Hoehne von Striegau nach Prausnitz, Dr. Jaenel 
von Goerlitz nach Nimkau, Dr. Schinke von Greifswald nach Stroppen, 
Dr. Adler von Breslau nach Wohlau, Dr. Beckmann von Blankeuburg 
a./H. nach Hannover, Privatdocent Dr. Müller von Goettingen nach 
i Aachen, Dr. Mühlebach von Empfingen nach Besigheim (Württemberg), 
' Dr. Bilfinger von Horb nach Empfingen, Dr. Hartstein von Altenahr 
nach Koenigswinter. 

Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Max Meyerhoff in Berlin, 
Dr. Lemek in Burladingen. 

Vacante Stelle: Kreisphysikat Gramm. 

2. Sachsen. 

(Corr.-Bl. d. ärztl. Kr.- und Bez.-Ver. i. Kgr. Sachsen). 

Auszeichnung: Hofrath Dr. Schramm, Oberarzt am Carolahause 
in Dresden durch den russ. St. Annenorden III. CI. — Durch Ritterkr. I. CI. 
des Verdienstordens: Ob.-Med.-R. Dr. C. A. Köhler, in Hubertusburg; 
Ob.-St.-A. II. CI. Dr. A. R. H. Brause: Ob.-St.-A. II. CI. Dr. C. I. E. Fischer. 
— Durch Ritterkr. I. C-1. des Albrechtsordens: Dr. R. J. Melchior in Pausa: 
I St-A. Dr. H. E. E. Graefe; St.-A. Dr. E. E. H. Mutze-Wobst; St.-A. Dr. 
R. M. Schaffrath; St.-A. Dr. H. C. J. Sussdorf. — Durch Ritterkr. II. CI. 
des Albrechtsordens: Ass.-A. II. CI. F. Th. Goesmann; Ass.-A. I. CI Dr. 
I A. L. E. Kockel; St.-A. Dr. M. F. F. Trautschold; Ass.-A. II. CI. Dr. 
| A. A. Wagner; — Durch Character eines Ober-Medicinalraths: Der Med.- 
! Beis- b. d. Kreishauptmannsch. zu Zwickau Med.-R. Dr. Butter; der Ob.-A. 
am Stadtkrkh. in Dresden Hofr. Dr. Stelzner. 

Gestorben: Sanitätsrath, Bezirksarzt a. D. Dr. Liebe in Borna; 
; Dr. E. A. Kötteritzsch in Niederrabenstein; Oberstabsarzt a. D. Dr. Klein- 
paul in Meissen, Med.-R. Dr. Schottin in Dresden; Dr. E. R. Satlow in 
Neustadt; Hofr. Dr. Brauer in Dresden; Dr. 0. Schöne in Zittau; Ob.-St.-A. 
Dr. G. Weise in Blasewitz; 0.-St.-A. a. I). Dr. Fr. L. Hennicke in 
Dresdnn. 

Berichtigung: Stabsarzt der Landwehr Dr. Wolf in Naunhof ist 
nicht gestorben. 

3. Württemberg. 

(Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Landesver.) 

Niederlassungen: Ortsarzt H. Bally in Gerstetteu (Ob.-Amt 
Heidenheim). 

Verzogen: Dr. Ed. Lampe von Besigheim nach Grossumstadt, 
Dr. F. Mühlebach von Sigmaringen nach Besigheim. 

4. Baden. 

! (Aerztl. Mitth. a. Baden.) 

Niederlassungen: Dr. Aug. Schuberg und Dr. Alfons Ben- 
kiser in Carlsruhe; Arzt Jul. Ehrmann in Seckenheim, Amt Schwetzingen. 

Verzogen: Oberstabsarzt a. D. Dr. Rietschler von Lichtenthal, 
Dr. Burkarth von Zell a. H., Dr. Adolf Henrich von Sinzheim nach 
Aglasterhausen, Dr. H. Donner von Baden nach Sinzheim, Arzt Maschle 
i von Odenheim nach Bruchsal. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


Tabelle zu: Der Kehlkopfskrebs und die Resultate seiner Behandlung, von Dr. M. Scheier, diese Nr., p. 457. 

Tabelle I. 

Fälle, iu welchen kein chirurgischer Eingriff geschehen. 



~ 

Mikro- | 


= Quelle und Beobachter 2 ; 

-ri. 

Status praesens 

skopisch 1 
untersucht 

Ausgang und Bemerkungen 


1. lud. Med. Gaz. Mai 1887. 60 J. Wallnussgrosser Tumor der Kpiglottis. | f 2 Monate nach ihrer Aufnahme. 

Birch. F. 1 1 

2. Berl. Kl. Wochenschr. No. 9 60 J. Der rechte Aryknorpel geschwollen und cxuleerirt. f 12 Monate nach dem Auftreten der ersten Kr- 

1886. Lublinski. M. ebenso die rechte plica ary-epiglot. seheinungen. 

3. In.-Dissert. München 1883. 56 J. Am hinteren Ende des rechten Stimmbandes eine I Platten- + 14 Monate nach d. Auftr. der ersten Erscheinungen 

A. Franke. M. IJlcoration. epithel- | au Larynxstenose. 

carcinom. 

j 

4. Berl. Kl. Wochenschr. Nr. 9 51 J. Ulceration des linken Aryknorpels und des linken 1 t - Jahre nach Beginn der ersten Symptome an 

1886. Lublinski. : M. Taschenbandes. lnanitiou. 

/ Drüseuinfiltratiou war iintirl iu No. 2, 3, 4. 

Tabelle II. 

Fälle, in denen die Tracheotomie gemacht wurde. 

5., The Throat Depart. of St. 82 J. Ulcerirter Tumor der Epiglottis. + 24 Std. nach der Tracheotomie, 

i Thom.-Hospit. 1882. Sc- 1 M. 


6.1 Monatschr. für Ohrenheilk. Ulcerirter pflaumengrosser Tumor. f 2 Tage p. op. untf 

j 1887. Schlesinger. 

7.1 Gazeta lekarska No. 17 60 J. Rechtes wahres Stimmband cxuleerirt mit Kxcrescen- Carcinoma + einige Tage p. op. 

I 1886. Sokotowski. M. ' zen besetzt. kera- 

' todes. 


f 2 Tage p. op. unter furibunden Delirien. 


8. El Sigl. Medico 28. Juni Carcinoma laryngis, das nicht mehr operirbar ist. 

1885. Ariza. 

9. Academ. de Med. Paris. {Carcinoma laryngis. 

6. Oct. 1887. Monod. i 


f 5 Tage p. op. an Pneumonie. 
T 2 Tage p. op. an Pneumonie. 


10. Brit. Med. Journ. 11. Dez. 43 J. Enormer Tumor auf das Innere des Larynx beschränkt. Epithe- T bald (shortly) p. op. 

1886. West. M. : . lioma. 

11. Brit. Med. Journ. 8. März 52 J. Bedeutende Schwellung der Taschcnbäuder und I ja. f 5 Tage p. op. an plötzlicher Hämorrhagie aus 

looi n.. 11 ‘ ir ! _ i; _ __:~i J * m... .u . » 


1884. Butlin. ! M. i plicae ary-epigl. 

12. Semaiue med. No. 47 1887. 59 J. Tumor unterhalb des rechten wahren Stimmbandes. 

Tillaux. M. 

13. Weekly Med. Chicago 1885. Epithelioma laryngis. 

Mulhall. 

14. Centralbl. f. Chir. 1881. 43 J. Carcinoma laryngis. 

No. 26. Koch. M. 

15. Deutsche Med.-Zeitung 1888. Carcinom der rechten Larynxhälfte. 

No. 4. Wagner. 

16. Deutsche Med. Zeitung 1888. Carcinoma laryngis. 

No. 4. Wagner. 

17. Med. Press aud Circular 45 J. Grosser Tumor ulcerirt und leicht blutend, ausgehend 

8. Juni 1887. De Ha- M. , von der Stimmritze, 
villand Hall. 

18. The Throat Depart. of St. 60 J. Ulcerirter Tumor des rechten Taschen- und Stiinm- 

Thomas Hospit. 1882. M. bandes. 

Semon. 

19. Monatsschrift f. Ohrenheil. 50 J. Links und hinten im Larynx eine grauwcissliche 

1886. No. 6. Woltering. M. höckerige Geschwulst. 

20. Revue inensuelle de Laryng. 40 J. Ulceration, die die Epiglottis und Aryknorpel betrifft 

1885 p. 406. Delavan. M. und sich in die Trachea ausdehnt. 


der Tracheotomiewunde. 

14 Tage p. op. ist Patient wohl. 

+ 2 Monate p. op. an Marasmus. 

T 4 Monate p. op. Die Schlingboschwerden hörten 
nach der Op. nicht auf. 

f mehrere Monate p. op. 

T mehrere Monate p. op. 

T 3 Monate p. op. au Blutung. 

5 Monate p. op. lebt Patient noch. 


f 5 Monate p. op. in Folge von Schwäche. Das 
Carcinom hat die hintere Wand des Larynx durch¬ 
löchert. 

t 9 Monate p. op. 


21. Mouatsschr. f. Ohrenheil. 76 J. Ein aus einem Papillom hervorgegangenes Carcinom. ja. 4 Jahre p. op. gutes Befinden. Die Geschwulst 
1887 No.9. Beschorner. F. 1 wuchs nach der Tracheotomie nicht weiter. Keine 

I Beschwerden von Seiten des Kehlkopfs. Trachea- 

i canüle. Verständliche Lispelsprache. 

Drüseninfiltration war notirt in No. 11, 14, 18, 19. Keine Drüseuinfiltratiou war bemerkt in No. 5, 7, 10, 21. 


Tabelle III. 

Fälle, bei deneu die Laryugotomie und die Exstirpation des Tumors ausgefulirt wurde. 

A. Fälle, die innerhalb der ereten 14 Tage p. op. zu Grunde gingen. 

22. Arch. f. Chirurg. 1885. 66 J. Beide Stimmbänder eingenommen von einer papillären t 18 Stund, p. op.‘ unter Erscheinungen des acuten 

Bd. XXXI. F. Salzer. M. weichen Neubildung. Lungenödems. 

23. Arch. f. Chir. 1885. Bd. 40 J. Das rechte Stimmband von einer grauweissen bohnen- Epithelial- f 10 Tage p. op. an Pyämie. 

XXXI. F. Salzer. ; M. grossen Geschwulst eingenommen. carcinom. 

24. 'Berl. Kliu. Woch. 1888. |64 J., Carcinoma laryngis. | + 11 Tage p. op. durch Herzinsufficienz. Thrombose 

No. 21. Hahn. ' | ; der Art. pulm. und Infarct. 


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7. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


473 


Quelle umi Beobachter \2 


Je 

, u 

U 


Mikro- 


Status praesens 

skopisch 

^ a3 
'O 


untersucht 


25.; Deutsche 31ed. Wochenschr. 
I 1887 No. 22. Cohn. 

26.1 luaug. - Dissert. 3Iünchen 
I 1884 v. Franke. S. Cohen. 

27. ; Arch. f. Chir. Bd. XXXI 
i 1885. F. Salzer. 


28. Arch. f. Chir. 1885. Bd. 

XXXI. F. Salzer. 

29. Lancet 21. Mai 1887. 
, Stewart. 


Ausgang und Bemerkungen 


B. Fälle, die die Operation Überstunden, aber später Reoidiv bekamen. 

r.l l'lcerirter Tumor, der das rechte Stimmband, die I ja. 13 3Ionate p. op. Recidiv an der nämlichen Stelle. 


[37 J. L’lcerirter Tumor, der das rechte Stimmband, die 
| 31. rechte Gart. thyr. und rechte Oart. aryt. umfasst. 

i63 J. Gewächs am vorderen Kehlkopfsventrikel, 
i M. I 


63 J. Gewächs am vorderen Kehlkopfsventrikel. tubulös | 10 3Ionate p. op. Recidiv. 

M. Epithelioml t 19 Monate p. op. an Oachexie. 

63 J. Ein das rechte wahre und falsche Stimmband sub- Plattenepi- 13 Monate p. op. Recidiv. 

M. stituirendes Ulcus mit Prominenzen besetzt. thelkrebs. 


C. Geheilte Fälle, die zu kurze Zeit beobachtet sind. 

41 J.; Recidivcarcinom, ausgegangen von einer Granulations-[ ja. 3 Wochen p. op. kein Recidiv. Flüsterstimme. 

M. ' Wucherung an der Vorderwand der Trachea. Im 
Larynx-Inneren links papilläre Wucherungen. 

45 J. : Breite, irreguläre Geschwulst, die unterhalb des Epitheliom 4 Wochen p. op. kein Recidiv. Stimme noch nicht 
31. i rechten Stimmbandes entspringt. wiedergekehrt. 


30. Arch. f. Chir. 1885. Bd. 
XXXI. F. Salzer. 


D. Dauernd geheilter Fall. 

41 J.| Carcinoma epithel chordae vocal. dextr. ja. 2 Jahr 9 Monat p. op. kein Recidiv. Keine Canüle. 

! F. Sprache sehr deutlich, doch wenig tönend. 

Athraung frei. 

Drüseninfiltration war nirgends uotirt. Keine Drüseninfiltration war in No. 22, 25, 30. 


Tabelle IV. 

Fälle, bei deuen die partielle Kehlkopfsexstirpation vorgenommen wnrde. 

A. Fälle, die innerhalb der ersten 14 Tage p. op. starben. 

Berl. Klin. Wochenschr. ,68 J. Carcinoma laryngis. Emphysema und Bronchitis, j t 11 Tage p. op. 

1888, No. 21. E. Hahn 

Arch. of Laryngol. 1883, ” Epithelioma laryngis. j t 12 Tage p. op. nacl 

April. Wagner. | liehen Befinden. 


f 12 Tage p. op. nach vorhergegangenem vorzüg¬ 
lichen Befinden. 


B. Fälle, die in der 3. bis 6. Woche p. op. starben. 


Arch. f. Chir. 1885. Bd. [65 J. Ulcerirter Tumor, der die ganze fossa pyr. dextr., 
XXXI. F. Salzer. | M. den rechten Aryknorpel, das r. wahre und falsche 

Stimmband in sich fasst. 


Ein Theil der rechten Pharynx wand, die rechte 
Schild- und Ringknorpelhälfte wurde exstirpirt. f 
5’/j Wochen p. op. an Septicämie und Pneumonie. 

t 15 Tage p. op. an Mediastinitis ant., Bronchitis putr. 


34. Berl. Klin. Wochenschr. 43 J. Carcinoma laryngis. + 15 Tage p. op. an Mediastinitis ant., Bronchitis putr. 

1888, No. 21. E. Hahn. * 

35.1 Arch. f. Chir. 1885. Bd. 60J.[An der rechten Hälfte der Epiglottis ein höckriger Epithelial- + 6 Wochen an Pneumonie. Kein locales Recidiv, 
! XXXI. F. Salzer. j M. ! Tumor. carcinom. dagegen Carcinora in den Lymphdrüsen. 


carcinom. | dagegen Carcinom in den Lymphdrüsen. 


C. Fälle, dis die Operation fiberstanden, aber später Reoidiv bekamen. 


Verhandl. d. Berl. Med. |36 J. 
Ges. 1887. E. Hahn. I M. 

Arch. f. Chir. 1885. Bd. 46 J. 
XXXI. F. Salzer. M. 

Med. Press and Circular. 61J. 
22. Dez. 1886. Browne. M. 


Berl. Klin. Wochenschr. 42 J. 
1888. No. 21. E. Hahn. 

Arch. f. Chir. Bd. XXXI. 60 J. 
1885. F. Salzer. M. 

Internat. Centralb. f.Laryng. 50 J. 
Bd. UI, p. 456. Butlin. M. 

DeutscheMed.-Zeitung. No.2. 44 J. 
1888. Demons. M. 

Nach der Tabelle von Dr. 57 J. 
Foulis. Reyher. M. 


7 Wochen p. op. locales Recidiv am oberen Ende 
der Pharynxnarbe. 

2 Monate p. op. Recidiv ausgehend von einer 
Granulationswuchening an der Vorderwand der 
Trachea. 

2 Monate p. op. Recidiv. 

v 

3 Monate p. op. Recidiv. 

16 Monate p. op. Recidiv im oberen Winkel der 
Trachealwunde. + 17 Monat p. op. 


D. Geheilte Fälle, die zu kurze Zeit beobaohtet sind. 

Carcinoma laryngis. I ja 15 Wochen p. op. kein Recidiv und geheilt entlassen. 


36.1 Arch. f. Chir. 1885. Bd. 

58 J. 

Neubildung am rechten Stimmband, die bis an die 


i XXXI. F. Salzer. 

M. 

rechte Pharynxwand geht. 

■ 

37.| Arch. f. Chir. 1885. Bd. 

41 J. 

Eine Reihe breit aufsitzender Knötchen über dem 

Epithe- ; 

XXXI. F. Salzer. 

M. 

linken Stimmband. 

liora. 

38. Brit. Med. Journ. 19. Nov. 

39 J. 

Epitheliom der linken Seite des Larynx. 

i 

1887. Parker. 

M. 



39. Central bl. f. Chir. 1882 

47 J. 

Carcinoma laryngis. 


p. 421. Multanowski. 

M. 



40.i Sammlg. klin. Vorträge v. 

54 J. 

Rechts, entsprechend der plica ary-epigl., höckeriger 

ja 

| Volkmann, No. 260. 

M. 

Tumor. 


j E. Hahn. 





Der rechte Aryknorpel, das rechte Taschenbaud und 
rechte Stimm band substituirt durch haselnuss¬ 
grossen, oberflächlich exulcerirten Tumor. 

Das linke Stimmband an seiner hinteren Partie ulcerirt 
und unbeweglich. 

Carcinoma laryngis. 

Am vorderen Drittel des rechten Stimmbandes ein 
halbbohnengrosses exulcerirtes Infiltrat. 

Auswuchs am linken Stimmband. 

Carcinoma laryngis. 

Carcinoma laryngis. 


7 Wochen p. op. kein Recidiv. Er kann gut athmen. 
Spricht mit tönender, aber sehr heiserer Stimme. 

10 Wochen p. op kein Recidiv. Sprache leidlich 
gut. Patient nimmt seine alte Beschäftigung wieder 
auf. 

5 Wochen p. op. geheilt entlassen. Leichte Stenosen¬ 
erscheinungen. 

4 Monate p. op. kein Recidiv. Patient athmet durch 
Canäle, spricht mit Flüsterstimme, schluckt gut. 

4'/a 3Ionate p. op. kein Recidiv. Spricht mit ver¬ 
nehmlicher heiserer Flüsterstimme. 

7 Monate p. op. kein Recidiv. 

14 Monate p. op. kein Recidiv. 


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474 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


u 

a> 


- 

„O 

1 

Mikro- 


a 

a 

Quelle und Beobachter 

■2 2 

Status praesens 

skopisch 

Ausgang und Bemerkungen 

a 

SB 


< s 

O 


untersucht 



49. 


50. 


E. Geheilte Fälle, die länger als 16 Monate unter Beobachtung standen. 

'Carcinoma I 19 Monate p. op. kein Recidiv 
I Keratodes.! liehe und kräftige Sprache. 


Brit. Med. Journ. 20. Nov. 
1886. F. Semon. 

52 J. 
M. 

Papillomähnliche, das linke Stimmband betreffende 
Geschwulst. 

Verhandl. d. Deutsch. Ges. 
t Chir. XIII. Congr. p. 90. 
Schede. 

46 J. 
M. 

Infiltrirtes Cancroid des rechten Stimrabandes und 
seiner nächsten Umgebung. 

| Anzeiger d. Ges. d. Aerzte 
in Wien 24. April 1885, 

) u. Wiener Med. Wochenschr. 

1 1887. No. 49. Störk. 

57 J. 
M. 

Ein aus einem Papilloma laryngis hervorgegangenes 
epitheliales Carcinom. 

.Langenbeck’s Archiv. Bd. 
XXXIV. B. Fraenkel. 

38 J. 
M. 

Am rechten Stimmband vorn ein halbbohnengrosser 
Tumor. 

. Samml. klin.Vortr. v.Volk- 
mann. No-260. E. Hahn. 

68 J. 
M. 

Dicht über dem lig ary-epigl.-sin. ein über haselnuss¬ 
grosser Tumor. 

1 


Carcinoma, 18 Monate p. op. kein Recidiv. Spricht mit voll- 
Keratodes.i kommen lauter Stimme. Eine Schleimhautfalte 
scheint als Ersatz des rechten fehlenden Stimm¬ 
bandes zu functioniren. 

ja j Entfernung des Schildknorpels. Durch Vernähung 
der Schleimhaut der Ary.-epigl.-Falte mit der 
Schleimhaut der Arytaenoidei wird eine künstliche 
glottis gebildet. 

2*/4 Jahr p. op. kein Recidiv. Spricht und isst ohne 
Schwierigkeit, und trägt die Schomsteincanüle 
immer verschlossen. 

52.|L angenbeck’s Archiv. Bd. |38 J.j Am rechten Stimmband vorn ein halbbohnengrosser | ja I 3 Jahre p. op. kein Recidiv. Er athmet und schluckt 

gut und spricht in recht vernehmlicher Weise (nach 
persönlicher Beobachtung in der kgl. laryng. Poli¬ 
klinik Berlin). 

53.1 Samml. klin.Vortr. v.Volk-168 J.| Dicht über dem lig ary-epigl.-sin. ein über haselnuss-! Carcinoma! Die linke Hälfte der cart. thyr., ein Theil der rechten, 

die linke Hälfte des Ringknorpels und eines Theiles 
des Zungenbeins wurde entfernt. 

7 Jahre p. op. kein Recidiv. Gutes Befinden. Deut¬ 
liche Flüstersprache. 

Bei Fall No. 53 (Hahn), der in allen Statistiken unter den totalen Exstirpationen aufgeführt wird, ist nur eine partielle Resection ausgeführt worden. 
Für Letzteres spricht auch die in den letzten Tagen noch vorgenommene laryngoskopische Untersuchung. Man sieht deutlich das ganze rechte Stimmband 

sich gut bei der Respiration bewegen, sowie den ganzen rechten Aryknorpel. 

Drüseninfiltration war notirt in No. 33, 35, 42, 47, 52; keine Drüseninfiltration in No. 43. 

Tabelle V. 

Fälle, in denen die totale Exstirpation des Larynx vorgenommen wurde. 

A. Fäll«, die innerhalb der ersten 14 Tage naeh der Operation starben.] 


Carcinoma 

Karatodes 


54. 

Internat. Centralbl. f. La- 
ryngol. Bd. IV, p. 373. 
Böhmer. 


55. 

Gaz. medic. de Paris 1886, 

65 J. 


No. 16. Pean. 

M. 

56. 

Centralbl. f. Chir. 1882, 

51 J. 


No. 34. Tilanus. 

M. 

57. 

Brit. Med. Joum. 25. Oct. 
1884. F. Holmes. 

63 J. 

58. 

Samml. klin. Vorträge v. 

53 J. 


Volk mann, No. 260. 
E. Hahn. 

M. 

59. 

Med. Record. 6. Aug. 1881. 
T oro. 


60. 

Wiener Med. Presse 1884, 

45 J. 


No. 12. Maydl. 

M. 

61. 

Lancet April 1881, p. 541. 

39 J. 


Pick. 

M. 

62. 

Internat. Centralbl. f. La- 

58 J. 


ryngol. IV, p.280. Agnew. 

M. 

63. 

Centralbl. f. Chir. 1882, 

60 J. 


p. 421. Multanowski. 

M. 

64. 

Ann. of Surg. Vol. II, 1886, 

30 J. 


Lange. 

F. 

65. 

Nach der Tab. v. Zesas. 

57 J. 


R e y h e r. 

M. 

66. 

Wiener Med. Presse 1881, 

45 J. 


No. 44. Zeissl. 

M. 

67. 

Centralbl. f. Chir. 1882, 

57 J. 


No. 37. Thiersch. 

F. 

68 

Arch. f. Chir. Bd. XXXI, 

26 J. 


1885. F. Salzer. 

M. 

69 

Mitth. aus d. chir. Klinik 

29 J. 


Greifswald 1884. Schmidt. 

F. 

70 

Wolner’s Med. Journ. 1880. 

48 J. 


R e y h e r. 

1 M. 

71 

Deutsch. Med. Wochenschr. 

60 J. 


1887, No. 22. Cohn. 

! M. 


Ein aus einem Papillom hervorgegangenes Carcinom. 


Lobuläres Carcinom des Larynx. 


ja 


ja 


Epithelial- 
I carcinom 


Epithelioma laryngis. 

Geschwulst der Epiglottis u. anstossenden Theile des 
larynx u. Pharynx. 

Bronchitis. Wallnussgrosser Tumor mit zerfallener 
Oberfläche an der Epiglottis. 

Epithelioma laryngis. 

/ 

Am rechten Stimmbande warzenförmige Excrescenzen. 

Epithelioma laryngis. 

Carcinoma laryngis 
Carcinoma laryngis. 

Die Glottis beinahe ganz durch eine ulcerirende 
Neubildung verschlossen. 

Carcinoma laryngis. 

Eine vom rechten Stimmbande ausgehende nussgrosse 
Geschwulst. 

Aryknorpel u. sin. pyr. Sitz einer ulcerirenden Neu¬ 
bildung. 

Das linke wahre Stimmband eingenommen von einer {Epitheliom 
höckerigen Neubildung. 

Eine kleinbohnengrosse Geschwulst in der Gegend 
der Cart. Sautor. 

Carcinoma laryngis. 

Unter der Epiglottis ein graugelber Tumor. j ja 


Cylinder 

epitheliom 


ja 

Epitheliom 
ja 


t 12 Std. p. op. wahrscheinlich au Lungenödem. 

t 1 Tag p. op. au Fremdkörperpneumonie in Folge 
unvorsichtiger Handhabung der Oesophagussonde. 
Bei der Operation Zerstückelungsverfahreu. 

t 36 Std. p. op. an Collaps. 
t 40 Std. p. op. an Shock. 


t 4 Tage p. op. an Pneumonie u. Mediastinitis. 
Einschieben der Canüle in’s Mediastinum. 


t 4 Tage p. op. an Pneumonie. 

f 4 Tage p. op. an Hämatemesis u. Pneumonie. 

t 5 Tage p. op. an Pneumonie. 

f 5 Tage p. op. an (?) 

f 5 Tage p. op. an consecutiver Pneumonie. 

f 5 Tage p. op. unter Erscheinungen der Septicaemie. 

t 5 Tage p. op. an Pneumonie. 

f 8 Tage p. op. an Collaps in Folge einer Hämor- 
rhagie aus der rechten vena jugularis int. dextr. 

f 7 Tage p. op. an Pneumonie. 

t 8 Tage p. op. an der Nachblutung aus der Art. 
thyr. sup. dextr. 

t 7 Tage p. op. an den Folgen der seit Monaten 
bestehenden Inanition. 

t 7 Tage p. op. an Bronchopneumonie. 

t 14 Tage p. op. au Pneumonie u. Erysipel. Decu¬ 
bitus der Trachea. 


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7. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


475 






Mikro- 


a 

a 

Quelle und Beobachter 


Status praesens 

skopisch 

Ausgang und Bemerkungen 

z 

i 

^ sj 

o 1 


untersucht 




B. Fälle, die in der 3. bis 6. Woohe p. op. zu 

Grunde gegangen sind. 

72. 

Trans, int. med. Cougress 

49 J.| 

Scirrhus des larynx und der gland. thyr. 


t 16 Tage p. op. an Pneumonie- 


1881. Bircher. 

F. 




73. 

Samml. klin. Vorträge, No. 

46 J. 

Geschwulst links im Larynx, die sich über das lig. 

Sehr zel- 

t 25 Tage p. op. au putrid. Bronchitis. 


260. v. Volkmann. E. 

M. 

ary-epigl. sin. erstreckt. 

lenreiches 


Hahn. 


Carcinom 


74. 

Archiv, ital. di Laryngol. 

54 J. 

Carcinoma laryngis 


f 4 Wochen p. op. an Pneumonie. Kein Recidiv. 


Fasc.IV1887. Chiarella. 

M. 


75. 

Samml. klin. Vorträge No. 

58 J. 

Ein von der hinteren Wand des Kehlkopfs aus- 


t 5 Wochen p. op. an eitriger Bronchitis und 


260. v. Volkmann. E. 
Hahn. 

M. 

gehender ulcerirter Tumor. 


Tracheitis. 

76. 

Berl. Klin. Wochenschr. 

37 J. 

Carcinomrecidiv des Larynx. 


f 4 Wochen p. op. Kein Recidiv. Lungen intact. 


1888, No. 21. E. Hahn. 

M. 



C. Fälle, die die Operation überetanden haben, aber später Recidiv bekamen. 

77. 

Central bl. f. Chir. 1882, 

47 J. 

Carcinoma laryngis. 


Recidiv und Tod nach 2 Monaten. 


No. 25. Multanowski. 

M. 



78. 

Cohens Statistik. Völker. 

44 J. 
F. 

Carcinoma laryngis. 


Recidiv und Tod nach 5 Monaten. 

79. 

Archiv, ital. di Laryngol 

36 J. 

Epithelioma laryngis. 


37a Monate p. op. erste Anzeichen eines Recidivs. 


Napoli 1882. Margary. 

F. 



80. 

Lancet 7. Mai 1887. G a r d - 

60 J. 

Die echten Stimmbänder ulcerirt und fast ganz zer- 

verhorntes 

3‘/9 Monate p. op. Recidiv im vorderen Gaumenbogen. 


ner. 

M. 

stört. Unterhalb der Glottis ragen papulöse weisse 

Epithe- 





Flecken in’s Lumen hinein. 

liom. 


81. 

Samml. klin. Vortr. Volk- 

43 J. 

Die linke Hälfte des Larynx eingenommen von einem 

ja- 

4 Monate p. op. regionäres Recidiv. 9 Nach- 


mann, No. 260. E. Hahn. 

M. 

wallnussgrossen nicht ulcerirten Tumor. 

Operationen wegen Recidiven, werden gut über¬ 
standen. Tod 14 Monat nach der ersten Operation 







an Marasmus. 

82. 

Internat. Centralbl. f. Lary ng. 

41 J. 

Carcinoma laryngis. 


4 Monate p. op. verdächtige Härten. 


IV p. 372. Chiarella. 

M. 



83. Hospital Tidende 1883, 

63 J. 

Geschwulstmassen mit Eiter bedeckt im Larynx 


4 Monate p. op. Recidiv und Tod. 


Kopenhagen. H o 1 m e r. 

M. 

sichtbar. 



84. 

Zeitschr. f. Chir. Bd. XVI 

45 J. 

Rechte Kehlkopfhälfte und sin. pyr. eingenommen 

Drüsen- 

f 4 Monate p. op. an Recidiv. Metastasen in den 


p. 154. Länderer. 

*■ 

von einem lappigen Tumor. 

Carcinom. 

Lungen. Carcinomatöse Durchwachsung des Körpers 
des 5. und 6. Halswirbels. 

85. Hospital Tidende 1883. 

57 J. 

Geschwulst, die unten vom lig. vocale dextr. hervor- 

ja- 

5 Monate p. op. Recidiv. Tod 8 Monate p. op. an 


H o 1 m e r. 

M. 

kommt. 

Pneumonie. 

86. 

Petersb. Med. Wochenschr. 

73 J. 

Carcinoma laryngis. 


9 Monate p. op. Recidiv und Tod. 


1882 No. 28. Reyher. 

M. 


87. 

Giorn. di med. di Torino 

63 J. 

Carcinoma laryngis. 


4 Monate p. op. Recidiv und Tod. 


XXXIX 1881 p. 39. 
Novaro. 

M. 




S8. 

Centralbl. f. Chir. 1882, 

47 J. 

Die Kehlkopfhöhle ausgefüllt von einer klein- 

Epithelial- 

f 5 Monate p. op. an heftigen Blutungen aus dem 


No. 37. Maurer. 

M. 

höckerigen Geschwulstmasse. 

carcinom. 

Recidiv. 

89. 

Samml. klin. Vorträge v. 

52 J. 

Schnell wachsendes Carcinom, das vom Oesophagus 

ja- 

f 57s Monate p. op. an Recidiv. 


Volkmann, No. 260. 
E. Hahn. * 

F. 

auf den Larynx übergegangen ist. 



90.! Deutsche Med. Wochenschr. 

51 J. 

Unterhalb der Epiglottis links ein grauweisser Tumor. 

ja. 

6 Monate p. op. Recidiv. Schluckbeschwerden u 


1887, No. 22. Cohn. 

M. 

Speichelfluss treten ein. 

91. 

Deutsche Med. Wochenschr. 

54 J. 

Ein weit verbreitetes, ganz zerfallenes Cancroid. 


8V* Monate p. op. Recidiv und Exitus durch Selbst- 


1882. No. 33. Schede. 

M. 


mord. Keine Metastasen. 

92. 

Berl.Klin.Wochenschr.1882. 

47 J. 

Starke Verdickung des linken wahren Stimmmbandes 

Epithe- 

1 Jahr p. op. recidivfrei. Nach einer Mittheilung 


No. 27. Maurer. 

M. 

mit diffuser Ulceration. 

lioma. 

von Czerny auf dem Chinirgencongress 1884 an 
Recidiv gestorben. 

93. 

Internat- Centralbl. f. Laryng. 

52 J. 

Carcinoma laryngis. 


27* Jahr (?) p. op. Recidiv. 


IV, p. 372. Chiarella. 

M. 





0. Gehellte Fälle, die an Interourrenten Krankheiten starben. 

94. 

Internat. Centralbl. f. Laryng. 

62 J. 

Schwellung des rechten Aryknorpels mit fast totaler 

Carcinoma 

f 8 Wochen p. op. an Pneumonie cachecticorum ohne 


III, p. 448. Sokotowski. 

M. 

Unbeweglichkeit der linken Hälfte der hinteren 
Larynxwand. 

Keratodes. 

Recidiv im larynx. 

95. 

Centralbl. f. Chir. 1882, No. 

59 J. 

Carcinoma laryngis. 


f 3 Monate p. op. an croupöser Pneumonie. 


25. Multanowski. 

M. 


96. 

Berl. Kl. Wochenschr. 1884, 

72 J. 

Ein das ganze Lumen ausfüllender Tumor mit ulce- 


t 4 Monate p. op. an croupöser Pneumonie. (Kein 


No. 5. Leisrink. 

M. 

rirter Oberfläche. 


Recidiv.) 

97. 

Internat. Centralbl. f. Laryng. 

72 J. 

Carcinoma laryngis. 


f 8 Monate p. op. durch Apoplexie in Folge Ein- 


IV, p. 372. Chiarella. 

M. 


dringens einer Feder, mit der Pat. die Tracheal- 
canüle hatte reinigen wollen. 


98. 

Internat. Centralbl. f. Laryng. 

65 J 

Carcinoma laryngis. 


f 13 l /'s Monate p. op. an Asphyxie. 


IV, p. 372. Chiarella. 

M. 



99. 

Arch. f. Laryngol. April 

44 J 

Carcinoma laryngis. 


t 47a Monate p. op. an plötzlicher Erstickung. 


1883. Burow. 





Digitized by L.OOQle 












DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23 


(Quelle und Beobachter -g , 




< 3 
c 

100 

Internat. < 'entralbl. f. Laryng. 

,72 J. 


IV, p. 372. Chiarella. 

1 M. 

101. 

Monatsschr. f. Ohrenheilk. 
1887, No. 9. Ktelzner. 

M. 

102. 

Zeitschr. f. Chir. Bd. XIX. 

54 J. 


Preetorius. 

F. 

103. 

Lancet 2. August 1884. 

44 J. 


Jones. 

M. 

104. 

Gazette med. de Paris 1886, 

35 J. 


No. 16. Pean. 

M. 

105. 

Brit. med. Journ. 7. Mai 

50 J. 


1881. Foulis. 

M. 

106. 

Lancet 24.Juli 1886. New- 

37 J. 


mann. 

M. 

107. 

Revue mensuelle de Laryng. 

63 J. 


1886, No. 11. Roswell. 

M. 

108. 

Lancet No.4. 1882. White- 

46 J. 


head. 

M. 

109. 

Prager Med. Wochenschr. 

63 J. 


1883, No. 34. Gussen¬ 
bauer. 

M. 

110. 

Ann. of Surgery Vol. IU, 

64 J. 


1886. Park. 

M. 

111. 

Centralbl. f. Laryng. II, 

48 J. 


p. 47. Schmiegelow. 

F. 



Mikro¬ 

skopisch 

untersucht 


Ausgang und Bemerkungen 


E. Geheilte F&lle von zu kurzer Beobachtungszeit. 

ia laryngis. 1 [17 Tage p. op. befindet sich Patient wohl. 


und die Trachea mitergriffen. 


epithelial- 4 Wochen p. on. gutes Befinden. Spricht mit 
carcinom. Gussenbauer schein Kehlkopf. 

ja. 7 Wochen p. op. kein Recidiv. Sprache flüsternd. 

Epithe- 7 Wochen p. op. kein Recidiv. 
liom. 


verfahren. 8 Wochen p. op. recidivfrei. Spricht 
mit künstlichem Kehlkopf. 

3 Monate p. op. recidivfrei. Gesund und kräftig. 

I 

4 Monat p. op. kein Recidiv. Patient trägt die Ir- 
vin’sche Modification des Gussenbauer’schen 
Kehlkopfes. Spricht deutlich, aber monoton. 

Epithe- 6 Monate p. op. kein Recidiv. Spricht deutlich mit 
liom. Gusse nbauer’schem Kehlkopf. 

8 Monate p. op. recidivfrei (nach Tabelle von Zesas). 


ales-Carci-j Gussenbauer’chem Kehlkopf, 
nom. 


9 l /* Monate p. op. kein Recidiv. Gutes Befinden. 


112. Arch.de Laryng. 15. April 57 J.| Carcinoma laryngis. Lobuläres! 10 Monate p. op. kein Recidiv. Gutes Befinden. 

1888. Demo ns. j | iEpitheliom| 

F. Gehellte Fälle, die länger als Iti Monate unter Beobachtung standen. 

113. Wiener Med. Presse 1882, 50 J. Die laryngeale Fläche der Epiglottis zeigt einen | Cylinder- 16 Monate p. op. kein Recidiv. Keine Schlingbe- 

No. 53. May dl. M. Tumor, der Va der Stimmbänder verdeckt. ! zellen schwerden, nur bei grösserer Anstrengung Athem- 

carcinom. noth. Die Stimme mittelst Sprechcanüle gut ver¬ 
nehmbar. 


114. Arch. of Laryngol. April 59 J. Carcinoma laryngis. 

1883. Kocher. , M. | 

115. Zeitschr. f. Chir. Bd. XVI. 52 J., Wahre und falsche Stimmbänder mit einem papillom- 

Landerer. M. artigen Epithelialcancroid besetzt. 

116. Zeitschr. f. Chir. Bd. XVI. 36 J. Knotige Anschwellung der Taschenbänder. 

Länderer. ■> M. 


16 Monate p. op. recidivfrei. 

17 Monate p. op. recidivfrei. Gutes Befinden. 

Adeno- 18 Monate p. op. kein Recidiv. 
carcinom. 


117. Prager Med. Wochenschr. 62 J. Die rechte Hälfte der Epiglottis von einem mit kno- Epithelial- 1 Jahr 9 Monate p. op. kein Recidiv. Trägt einen 
1883, No. 33. Güssen- M. tigen Wucherungen umgebenen Geschwür zerstört, carcinom. künstl. Kehlkopf, 
bauer. 


118. Prager Med. Wochenschr. 48 J. Das Innere der Larynx. ausgefüllt von einer stark 2 Jahr 2 Monate p. op. kein Recidiv. Spricht mit 

1883, No. 32. Güssen-, M. wuchernden Geschwulst. lauter Stimme mittelst Gussenbauer’schen Kehl¬ 
bauer. j kopfs. 

119. Petersburger Med. Wochen- 46 J. Von der rechten Larynxhälfte prominirt ein Tumor Epitheli- 3 Jahr p. op. kein Recidiv. Spricht vernehmlich 

sehr. No. 27, 1885. v. j M. ; mit zerklüfteter Oberfläche. j om. mit Flüsterstimme (nach dem letzten Chirurgen- 

Bergmann (Riga). ! Congress). 

120. Central bl. f. Chir. 1882, 55 J. Carcinoma laryngis, 2*/a Jahr p. op. kein Recidiv, vollkommen wohl 

No. 33. Winiwarter. F. (nach Tabelle von Zesas). 

121. Krankheiten des Kehlkopfes 49 J. Die linke Larynxwand mit einer knotigen Geschwulst ja. 3*/a Jahr p. op. kein Recidiv. 

von Dr. Gottstein 1888, M. bedeckt, 
p. 169. Gottstein. 

Drüseninfiltration war notirt in No. 60, 66, 71, 84, 88, 103, 113, 121. Keine Drüseninfiltration in No.-56, 64, 67, 68, 73, 80, 81, 90, 94, 96, 104, 106, 
112, 115, 116, 118, 119. 

Tabelle VI. 

Fälle, ln denen die endolaryngeale Operation gemacht wurde. 


122. Revue mensuelle de Laryng. 54 J.! Epitheliom der Epiglottis. ! ja. 

Mai 1885. Myles. M. \ 

123. Erfahrungen auf d. Gebiete 65J.}aus dem rechten Ventrikel ragt ein bohnengrosser ja. 

der nals- u. Nasenkrankh. M. ; Tumor hervor. 

Dr. Chiari 1887. i 

124. ; Deutsche Med.-Zeitung 1888, 28 J. 1 Epitheliom des Stimmbandes. ja. 

i No. 4. Schnitzler. F. 

125. v. Langen beck’s Archiv 70 J. Am rechten Stimmband bohnengrosse Geschwulst. ja. 

Bd. XXXIV. B.Fraenkel. M. 1 


8 Tage p. op. schmerzloses Schlucken. 

Der grösste Theil der Neubildung wird entfernt, t 
5 Monate p. op. an einem heftigen epileptischen 
Anfall. 

Operation wann? lebt noch am 12. November 1887. 

Nach der Operation mehrere Nachoperationen wegen 
Recidiv. 4 Jahre nach der letzten Operation kein 
Recidiv. Gutes Befinden. Laute u. klare Stimme. 


Die Herren Beobachter werden höfliehst gebeten, über das weitere Schicksal der betreffenden Patienten Nachricht zu geben. D. V. 

Gedruckt bei Julius Sittenfeld ln Berlin W. 


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Donnerstag JW »4. 14. Juni 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttraann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Bonn. 

Zur Kenntniss der physiologischen und der 
(choleraähnlich) toxischen "Wirkungen 
des Pentamethylendiamins (Cadaverin 
L. Brieger). 

Von Stabsarzt Dr. Behring. 

Unter den Ptomainen, welche L. Brieger als Producte der 
Lebensthätigkeit von Bacterien gewonnen und rein dargestellt hat. 
nimmt ein hervorragendes Interesse das Cadaverin (Pentamethylen¬ 
diamin Ladenburg) in Anspruch. 

Es ist eins der wenigen Bacterien producte, von dem die che¬ 
mische Constitution geuau bekannt ist, und das ausserdem auch 
synthetisch hergestellt werden kann. Seine Beständigkeit, seine 
Beziehungen zum Piperidin und zum Pyridin sind weitere Eigen¬ 
schaften, welche für Chemiker und für Mediciner diesen Körper 
wichtig machen. 

Eine theoretische Bedeutung hat ferner die eitererregende 
Fähigkeit des Cadaverins gewonnen, welche von Scheurlen ge¬ 
funden und von mir zuerst mitgetheilt wurde. 1 ) 

Noch wichtiger aber ist die im Folgenden zu erörternde 
Fähigkeit des Cadaverins, die wesentlichsten Kennzeichen der Cho¬ 
lera asiatica bei Meerschweinchen hervorzurufen, wenn man berück¬ 
sichtigt, dass nach L. Brieger „der Cholerabacillus neben anderen 
Ptomainen auf durch Soda stark alkalisirtem Fleischbrei gezüchtet 
recht erhebliche Mengen von Pentamethylendiamin .... produ- 
cirt.“* 2 ) Nur die bisher unbestritten geltende Annahme von der 
Ungiftigkeit des Cadaverins hat wohl davon abgehalten, genauer 
zu untersuchen, oh nicht dieses Product der Kommabacillen iu ur¬ 
sächlicher Beziehung zum Symptomenbilde der Cholera steht. 

Dass der Annahme von einem Choleratoxin — wenn der 
Ausdruck gestattet ist — oder von Choleratoxinen eine Berechtigung 
nicht abzusprechen ist. mag u. A. aus folgender Antwort ersehen 
werdeD. welche R. Koch während der ersten Choleracouferenz 
R. Vircbow ertlieilte, als letzterer auf die von Koch selbst mit- 
getheilte Thatsache hinwies, dass es Richards gelang, „bei Schwei¬ 
nen durch Verfiitterung von Inhaltsmassen des Choleradarms schwere 
Zufälle und zuletzt den Tod herbeizuführen“. 

„Ich möchte nur betonen, dass die Versuche von 
Richards nicht im geringsten etwas gegen die Bedeutung 
der Kommabacillen beweisen; im Gegentheil, mir sind 
sie mehr als eine Bestätigung meiner Auffassung der 
Choleraätiologie erschienen, weil man auf diese Weise 
erfährt, dass sich im Darminhalt unter dem Einfluss der 
Kommabacillen eine toxische Substanz bildet“. 

Eine ausnahmslos zu beobachtende Wirkung des Pentamethylen¬ 
diamins nach subcutaner Injection in nicht zu kleiner Dosis besteht 
in der Herabsetzung der Körpertemperatur beim Meerschweinchen, 
Kaninchen und Hunde und in der tödtlichen Wirkung grösserer 
Dosen hei Mäusen (0.03 - 0,045), Meerschweinchen (0.3—0.5 je nach 
dem Körpergewicht der Thiere) und Kaninchen (0,4—0,6 g). Die 
vergiftende Dosis bei Hunden habe ich nicht festgestellt, da ich mit 
meinem massigen Vorrath sparsam umgehen muss. 

*) Ptsrh. medic. Wocbenschr. 1887, No. 20 und „Arbeiten aus der 
t-hirurg. Klinik der Universität Berlin“. III. Theil. 

*) Dtsch. medic. Wocbenschr. 1887, No. 15 (p. 805). 


Der Tod erfolgt bei ulleu Thieren uuter eigenthümlichen toni- 
scheu Krämpfen der Extremitäten und in der Regel unter deu Erschei¬ 
nungen gestörter Athmung in wenigen Stunden oder nach 2 — 3 Tageu, 
je nachdem man die vergiftende Dosis auf einmal oder in längeren 
Intervallen gegeben hat; in letzterem Falle ist die Gesammtdosis, 
welche zur Tödtung der Thiere erforderlich ist, grösser, da das 
Gift ausserordentlich schnell durch den Urin ausgeschieden wird. 

Diese Giftwirkungen kommen sowohl dem reinen Pentamethylen¬ 
diamin wie seinem salzsauren Salz zu; letzteres wird schneller und 
glatter resorbirt, und demgemäss treten auch die Giftwirkungen 
prompter ein als beim reineu Peutamethylendiarain. Beide Körper 
lösen sich in jedem Verhältnis im Wasser, und man kann sich daher 
mit Leichtigkeit die für verschieden schwere Thiere geeigneten Lö¬ 
sungen zur subcutanen Injection hersteilen. 

Als typisches Beispiel für die Wirkung des salzsauren Penta¬ 
methylendiamins lasse ich hierunter ein Versuchsprotocoll über ein 
Meerschweinchen folgen, welches 400 g wog. 


Subcutaue Injection 
vonPentam. hydrochl. 


T emperaturmessung 


Bemerkungen. 


Erster Versuchstag. 
•8* 's Uhr Vorm. 0,121 



in 12% 

Lösung 


7s Uhr 





10 

36,2 




11 

/s Uhr 

37,6 




2 

/* Uhr Nachm 

38 9 

2 

'/* Uhr Na 

:hm. 0,12 

2 

Uhr 35 Min. 

38,2 




4 

Uhr 

36,4 




6 

Uhr 40 Min. 

37,6 

6 

% Uhr 

0,1 

7 

Uhr 30 Min. 

34,1 




7 

Uhr 50 Min. 

34,0 




9 

Uhr 

34,6 




10 

Uhr 

34,8 


Zw 

e i t e r V 

*rs 

uchstag. 


8 

3 /« Uhr 

0,3 

8 

Uhr 30 Min. 

38,7 




8 

Uhr 50 Min. 

36,5 




9 

Uhr 45 Min. 

34,1 

11 

V* Uhr 

0,05 

1> 

Uhr 20 Min. 

31,4 




12 

Uhr 

30,4 




8 

Uhr Abends 

28.0 


Während das Thermometer 6 Mi¬ 
nuten im Rectum gehalten wird, 
fällt die Temperatur bis auf 37,7. 


Es sind dem Thier keinerlei 
Krankheitserscheinungen anzu- 
merken. 


Das Thier sitzt ruhig und zu¬ 
sammengekauert im Käfig. Heraus¬ 
genommen und angestossen läuft 
es aber in der Stube umher, ohne 
dass man sehr auffallende Ver¬ 
änderungen an ihm wahrnehmen 
kann. 


Knirscht mit den Zähneu und 
macht Kaubewegungen (ein 
Zeichen der Athemnoth bei Meer¬ 
schweinchen). 


Während des ganzen Nachmittags und Abends am 2. Versuchs- 
tage hielt sich die Körpertemperatur unter 30° C ohne auffällige 
Krankheitserscheinungen, wenn mau von den zeitweiligen zähue- 
knirschenden und kauenden Bewegungen des Unterkiefers absieht 
und von dem sehr ruhigen Verhalten des Thieres, so dass es mir 
ganz begreiflich ist, dass die Wirkungen des Pentamethylendiamins 
bei mittleren Dosen ganz übersehen werden konnten. 

Am folgenden Morgen wurde das Meerschweinchen todt ge¬ 
funden mit ganz ausserordentlich starker Todtenstarre sowohl an 


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478 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 24 


den Extremitäten, wie am Nacken und am Kiefergelenk. Noch 
Nachmittags, 6 Stunden nach der Section des auf einem Brett aus- 
gespannten Thieres, konnte ich die Starre der Kniegelenke demon- 
striren. Diese auffallende Erscheinung konnte ich bei allen Thieren 
beobachten, welche an Pentamethylendiamin Vergiftung gestorben 
waren. Dagegen bleibt sie aus, wenn in Folge von entzündlichen 
und phlegmonösen Processen im Anschluss au die Iujection der 
ätzenden reinen Cadaverinlösungen der Tod der Versuchstiere er¬ 
folgte. Regelmässig waren dann auch Mikroorganismen in den er¬ 
krankten Geweben nachzuweisen, und zwar bei Mäusen ganz auf¬ 
fallend häufig ein grosser Coccus, welcher, aus Reincultur auf Mäuse 
verimpft, dieselben tödtet. 

Das salzsaure Pentamethylendiamin wird glatt resorbirt und hat 
nie in meinen zahlreichen Versuchen Entzündungserscheinungen 
verursacht. 

Die Sectionsbefunde bei Mäusen, Meerschweinchen und Kanin¬ 
chen weichen nicht unwesentlich von einander ab, haben aber das 
Gemeinsame, dass in acut verlaufenden Fällen in Folge einmaliger 
grosser Dosis Blutaustretungen in verschiedenen Organen sich vor¬ 
finden, und dass in den subacut verlaufenden Fällen in Folge von 
mehrmaligen mittleren Gaben die krankhaften Erscheinungen von 
Seiteu des Magendarmcanals iu den Vordergrund treten. 

Bei Mäusen verdient noch hervorgehoben zu werden, dass ich 
vor Eintritt des Todes das Blut von auffallend hellrother (ziegel- 
rother) Farbe fand, wenn die Vergiftung durch das salzsaure Salz 
erfolgt war, dagegen dunkelroth nach subcutaner Iujection von 
reinem Pentamethylendiamin. 

Sehr bald concentrirte sich meine Aufmerksamkeit auf die 
Sectionsergebnisse bei Meerschweinchen, weil dieselben mich auf’s 
lebhafteste an das Bild erinnerten, welches ich nach kunstgerechter 
Eröffnung der Bauchhöhle bei Meerschweinchen, die an echter Cho¬ 
lera asiatica zu Grunde gegangen w r aren, mehrmals im hygienischen 
Institut in Berlin gesehen habe. Wie weit in den Einzelheiten 
die Befunde übereinstimmen, bleibt allerdings noch durch ver¬ 
gleichende Untersuchung festzustellen. 

Durch Vergiftung mit mehrmaliger Dosis einer salzsauren 
10°,o Pentamethylendiaminlösuug, welcher, um dieselbe alkalisch zu 
machen, 1% reines Pentamethylendiamin zugesetzt war, starb ein 
Meerschweinchen nach 36 Stunden. — Die alsbald nach dem 
Tode ausgeführte Section ergab folgenden Befund: 

Flüssiges Blut um die Afteröffnung. Sehr starke Todteustarre. 
Während der Eröffnung und Freilegung der Bauchhöhle fliesst aus 
dem Magen wässerige Flüssigkeit aus einer kleinen Oeffnung. die 
inmitten einer linsengrossen, ziemlich scharf demarkirteu und schwarz¬ 
braun aussehendeu Stelle liegt. Die aufgefangene Flüssigkeit be¬ 
trägt 15 ccm; sie reagirt schwach alkalisch und erweist sich bei der 
Untersuchung als eiweisshaltig. Die Magenwand ist sehr leicht zer- 
reisslich. 

Die Dünndärme sind in ihrer ganzen Ausdehnung sehr er¬ 
weitert. ihre Wanduug mit reichlichem Gefässuetz überzogen. Die 
Meseuterialgefässe sind stark erweitert. Der Blinddarm und der 
grösste Theil des Dickdarms sind mit weichem, breiigem, grünem 
Koth (frisches Gras) gefüllt. 

Das Thier ist trächtig, und bei der Untersuchung zeigt sich, 
dass das Blut um die Afteröffnuug in Folge Ausstossung einer un¬ 
reifen Frucht dorthin aus der Scheide gelangt war. 

Harnblase leer und ganz zusammengezogen. Leber und Nieren 
blass. Gallenblase mit ganz heller Galle gefüllt. Milz geschrumpft. 

Der Inhalt des Dünndarms besteht aus ganz geringeu Resten 
von frischem Gras, eingehüllt in haferschleimähnlich aussehende 
Flüssigkeit, die sich bei der mikroskopischen Untersuchung als aus 
zelligem Material bestehend erweist. 

Lungen blutreich mit einzelnen kleinen Blutaustretungen. 

Die Herzhöhlen mit weichen Blutgerinnseln stark gefüllt. — 

Hatte ich ausschliesslich Salzlösungen angewendet, so war der 
Befund namentlich dadurch von dem eben beschriebenen abweichend, 
dass die Erweiterung die Dünndärme nicht in ihrer ganzen Ausdehnung 
betroffen hatte, sondern nur an einzelnen Darmschliugen hervortrat. 
Auch war die haferschleimähnliche Beschaffenheit des Dünndarm¬ 
inhalts nicht iu so ausgesprochenerWeise vorhanden, und der flüssige 
Inhalt des Magens zeigte saure Reaction und gab keine Eiweiss- 
reaction. 

In den acut verlaufenen Fällen nach einmaliger grosser Dosis 
fiel fast ausnahmslos auf. dass die Harnblase mit hellem Uriu sehr 
stark gefüllt war. Die Galle wurde von goldgelber Farbe gefunden. 
Blutaustretungen in den Lungen fanden sich häufig, und das Blut 
im Herzen und in den grossen Gefässen war meist flüssig. 

Die Mittheilung des Thatsächlichen bezüglich der Cadaverin- 
wirkung wird, wie ich hoffe, auch ohne weiteren Commentar ge¬ 
nügen, um das von Brieger gewonnene Pentamethylendiamin aus 


Culturen vou Kommabacillen einer erneuten Prüfung auf die Allge- 
raeinwirkung zu unterziehen; und wenn, wie ich nicht bezweifle, 
die Wirkung desselben gleich ist der an meinem synthetisch her¬ 
gestellten Präparat gefundenen, so fragt es sich nicht mehr, ob dem 
Pentamethylendiamin an dem Symptomenbild der Cholera asiatica 
ein Antheil zukommt, sondern nur noch wie gross derselbe ist. 


II. Zur Behandlung des atonischen Unter¬ 
schenkelgeschwürs. 

Von Dr. Appenrodt in Clausthal. 

Wer häufiger Gelegenheit hatte, sich mit der Behandlung chro¬ 
nischer Unterschenkelgeschwüre befassen zu müssen, wird die Erfah¬ 
rung gemacht haben, dass die veralteten atonischen Geschwüre auch 
der zweckmässigsten Methode oft einen unbegreiflichen Widerstand 
entgegensetzen. Im Allgemeinen ist man allzusehr geneigt zu glauben, 
dass auch das hartnäckigste Geschwür heilen müsse, sobald es nur 
aseptisch erhalten, die venöse Stauung verhindert, im Nothfalle 
Ränder und Grund ausgiebig zerstört werden; wie viele aber in der 
That uugeheilt bleiben, das erfahren wir am besten in der Privat¬ 
praxis, wenn wir sehen, wie die bedauernswerthen Kranken, nachdem 
sie bald hier, bald dort erfolglos oder mit vorübergehendem Erfolg 
behandelt sind, endlich die Geduld verlieren und der ärztlichen 
Kunst zum Spectakel mit durchlöcherten Beineu umherlaufen und 
sich mit ihrem Zustand als einem unabänderlichen abfinden. 

Hat ein anfänglich gutartiges, etwa aus einer Excoriation ent¬ 
standenes Geschwür durch Vernachlässigung oder unzweckmässige 
Behandlung den atonischen Charakter angenommen, d. h. ist der 
Grund granulationslos, spiegelnd glatt, die Ränder scharf oder wulstig, 
die Umgebung ödematös und gereizt, so ist die schiefe Bahn be¬ 
treten, welche iu kurzer Zeit zu einem Zustand führt, bei welchem 
eine gesunde Granulationserzeugung überhaupt nicht mehr möglich 
ist. Iu deu schlimmsten Fällen haben wir es in Folge der steten 
Reizung des Geschwürs und ekzematösen und erysipelatösen Ent¬ 
zündungen der umgebenden Haut mit einer derartigen Bindegewebs¬ 
wucherung und -Induration zu thun, dass Haut, subcutanes Gewebe, 
Fascien und Periost der Tibiakaute eine eiuzige starre, gefösslose. 
lymphdurchtränkte, elephantiastische Masse bilden. 

Dass es in erster Linie, die Aufgabe sein muss, die Circulations- 
verhältnisse des ganzen Unterschenkels zu bessern, ehe man mit Er¬ 
folg das Geschwür selbst behandeln kann, ist ja immer das Bestreben 
gewesen, doch sind die Methoden nur selten wirklich durchführbar, 
besonders für die schweren Fälle, uud zwar aus folgenden Gründen: 
Von der Suspension müsseu wir schon aus äussern Rücksichten ab- 
sehen, weil die Patienten kaum je in der Lage siud, wocheu- und 
monatelang sich ihren Geschäften zu entziehen, dann aber auch. 

I weil mit dem Aufstehen sofort die alten Stauungen wieder eintreten 
und die Bedingungen für Recidive sich von Neuem geltend machen: 
noch häufiger wird man die Beobachtung machen, dass der Zustand 
trotz laugeu Liegens überhaupt nicht merklich gebessert wird. Die 
Einwickelungen mit Martin’schen Binden oder Heftpflasterstreifeu 
leiden beide an dem Uebelstaude, dass sie durch die Behinderung 
der Perspiration die an und für sich so empfindliche Haut derart 
macerireu und reizen, dass die dadurch hervorgerufenen Ekzeme 
die lymphatische Stauung nur vermehreu und verschlimmern. Diese 
ausserordentliche Reizbarkeit der Haut ist es auch, die in sehr vielen 
Fällen die Anwendung der aseptischen Verbände in feuchter oder 
trockener Form nicht gestattet, abgesehen davon, dass sich mit den¬ 
selben eine wirksame Compressiou, wie sie zur Beseitigung des massi¬ 
gen Infiltrats durchaus nothwendig erscheint, uicht verbinden lässt. 

Die Inangriffnahme des Geschwürs selbst kann ich nicht für 
rationell halten, ehe nicht die Verhältnisse des ganzen Unterschen¬ 
kels gebessert sind. Lässt man sich verleiten, die Ränder und den 
Grund des Geschwürs zu zerstören oder Circumcisionen zu machen, 
so wird man nur den Defect vergrössern, denn gesunde Granula¬ 
tionsbildung erzielt man niemals aus einem derartig veränderten 
Gewebe. 

Nach allen dieseu Erfahrungen und Erwägungen schien es mir 
der Mühe werth zu sein, bei einer Anzahl schwerer Fälle von ato¬ 
nischen Geschwüren mit elephantiastiscben Veränderungen am Unter¬ 
schenkel, die Jahre lang von mir und von Andern erfolglos behan¬ 
delt waren, die methodische Anwendung der Massage zu versuchen, 
und stehe ich nicht au. nachdem die Heilung, allerdings unter 
grossen Mühen gelungen ist, dieselbe dringend zu empfehlen. 

Ehe man mit der Massage beginnt, ist es nothwendig, mehrere 
Tage lang das Geschwür, sowie auch den ganzen Uuterscheukel zu 
desinficiren und aseptisch zu verbinden, weil man sonst die im 
Geschwür haftenden und das Gewebe gewiss bis zu einiger Tiefe 
durchsetzenden infectiösen Stoffe in die Lymphbahuen hineiudrückt 
und dadurch zahlreiche Abscesse uud Furunkel erzeugt, die die 
Heilung in unangenehmer Weise verzögern. Man beginnt mit leichter 


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14. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


479 


Effleurage unter dem Kuie und geht allmählich immer weiter rück¬ 
wärts; jeder stärkere Druck ist Anfangs zu meiden. Das Austreten 
von Lymphe aus den excoriirten Stellen und die Ueberschwemmung 
des Geschwürs mit derselben beweist uns vorläufig den Erfolg der 
Manipulation. Zum Einfetten benutzt mau am Besten das Lanolin 
(Jaffe u Darmstädter), weil es am wenigsten reizt und wegen 
seiner Zähigkeit die Haut vor dem Aufreiben am Besten schützt. Nach 
dem Massiren wird, w'ie vor demselben, gründlich abgeseift und des- 
inficirt und das Geschwür, sowie alle wunden Stellen mit Lanolin- 
Mullläppchen bedeckt, darüber kommt Seidenpapier und schliesslich 
eine Gambricbinde. Zusatz von desinfieirenden Stoffen zum Lanolin 
ist unnöthig, in den rneisteu Fällen wegen der reizenden Eigenschaften 
derselben geradezu schädlich; bei weniger empfindlicher Haut kann 
man das Geschwür mit Jodoformgaze bedecken, meistens macht das 
Jodoform jedoch Erythem. Impermeable Stoffe zum Deckeu sind 
aus den schon oben angeführten Gründen ganz zu meiden. 

Unter dieser einfachen Behandlung pflegt in Kurzem das Glied 
erheblich abzuschwellen, das Nässen der ekcematösen Stellen aufzu¬ 
hören, und die ersten Granulationen im Geschwür tauchen auf. 
Selten wird man nüthig haben, das Ekcem mit Zusatz von Zinkoxyd 
und Amylum zum Lanoliu zu bekämpfen, oder die Granulationsbil¬ 
dung durch eine schwache Argeutumsalbe zu befördern. Immerhin 
geht trotz lebhafter Grauulatiou die Ueberhäutung wegen der Callo- 
sität der Ränder und der Unverschieblichkeit der Haut recht lang¬ 
sam vor sich, und man kann nun die Reverdin sche Transplantation 
machen, obwohl man bei einiger Geduld auch ohne dieselbe aus- 



Harn mit V2 0 0 in, r . 

1 n , 1 ‘Trommer sofort. 

n , \4% I 

„ 7 *°.0 IlTrommer wenige Se- 

- - Yi6°/o !f cuiulen nach d. Kochen. 

Mj.UnsftHung erst lauge 
” " iini 11 nach dem Kochen. 

.. „ /35% ' 1 


Ist nach 6 Stunden vergob- 
ren und zeigt keine Reduction. 

Nach vierstündiger Gährung 
erfolgt keine Reduction mehr. 


Aus obiger Tabelle ersieht man, dass es längstens einer Zeit 
von 6 Stunden bedarf, um den Zucker vollständig durch Gährung ent¬ 
fernt zu haben. Untersuchen wir nun die Harne gesunder Personen 
nach dieser Methode, so finden wir folgendes Verhältnis: 


Tromraer: 

Vor der Gährung: 

1 234 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 
+ + 0+ + 000+ + +0-M-+0++-I-0 + 0 0 
Nach der Gährung: 

12345 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 

+ 0 0 0 + + + + + 0 + 0 + 0 0 0 + 0 0 0 0 + + 

Fehiing: 

Vor der Gährung: 

123456 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 
OH—h + + + + + + 4- 0 -+- -+- H— H- -+- -+- -1- -f- 0 0 

Nach der Gährung: 

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 II 15 16 17 18 19 20 21 22 23 

0000 + 00 + 00 0 0 0 0 0 + 0 0 0 0 0 0 0 


kommt. Dass die Massage auch nach der Geschwürsheilung noch 
länger fortgesetzt werden muss, um Recidive zu verhüten und na¬ 
mentlich die versteiften Sehnen und Gelenke völlig zu lockern, ist- 
selbstverständlich. Ich halte es deshalb auch für nothweudig, von 
vorn hereiu das Glied recht ausgiebig gebrauchen zu lassen, zumal 
die Tendenz zu ödematöser Schwellung sehr bald aufhört und die 
Patienten schmerzfrei werden. 


Diese Tabelle enthält die Untersuchung des Harns von 23 ge¬ 
sunden Studenten. 

Wenn wir diese Resultate und die an noch weiteren 19 nor¬ 
malen Harneu gefundenen analvsiren, so ergeben sich im Ganzen 
14 Urine, bei denen die Trommer’sche Reduction vor der 
Gährung bestand und nach der Gährung aufgehoben war. 
Bei der Fehling’schen Lösung ist die Zahl noch höher. Es 
müssten also 3373% der Harne Zucker enthalten haben. Dieser 


TTT . , | 7 ,. , TT Thatsache skeptisch gegenüberzustehen, wäre an und für sich noch 

ILL. Aus (1er Medicinischen lvlinik des Herrn keine Veranlassung. Sehr auffallend ist aber die Thatsache, dass 

Geheimen Medicinalratbes Prof. Dr. Biermer in Breslau. bei den Harnen f>, 7, 8, 22 und 23 vor dem Hefezusatz keine 


Die Diagnose des Diabetes. 

Von Dr. Georg Rosenfeld, 

Assistenten am chemischen Laboratorium der Klinik. 

(Schluss aus No. 23.) 

Fassen wir unsere Anschauungen über die Bedeutung der 
Gährungsprobe zusammen, so sehen wir, dass durch die Ein- 
horn’sche Methode der Luftaustreibung und durch die Beschrän¬ 
kung der Gährung auf 6 Stunden die Gährungsprobe eine Empfind¬ 
lichkeit bis 0,05 % gewonnen hat. Ein sicheres Zutrauen zu der 
kleinen Gährungsblase, die bei 0,05% innerhalb 6 Stunden ent¬ 
steht, wird aber trotzdem sieb nicht entwickeln können. Wir 
werden uns immer in einer gewissen Unsicherheit befinden, ob die 
Selbstvergährung nicht die Hand im Spiele habe. 

Gegenüber dieser Reizlosigkeit der bisher erwähnten Proben 
liegt etwas sehr Verlockendes in jener von Worin-Müller 1 ) und 
Rosenbach 2 ) angewandten Combination der Gährungsprobe und 
einer der Reductiousproben. Der Gedankengang derselben ist der: 
ist bei der Probe mit der Feh ling’schen Lösung eine Reactiou 
aufgetreten, von der man zweifelt, ob sie durch Traubenzucker oder 
eine andere Substanz erzeugt worden ist, so wird, wenn man 
diesen Harn gähren lässt und dadurch den Trauben¬ 
zucker zerstört, die Reduction nun weggefallen sein, 
sofern sie von Traubenzucker hervorgerufen ist, iudem 
ja der Traubenzucker durch die Gährung vernichtet ist. Ist da¬ 
gegen die Reaction z. B. durch Harnsäure bedingt, so wird diese 
durch die Gährung nicht angreifbare Substanz nachher ebenso 
reducirend wirken, wie vorher. Man versetzt also einen Harn, 
welcher eine zweifelhafte Reaction ergeben bat, einfach mit einem 
gehörigen Quantum Hefe und untersucht nach einiger Zeit, ob die 
Reduction noch vorhanden ist. Die praktische Verwerthbarkeit der 
Probe verlangt natürlich die Feststellung, wie lange Zeit bei 
verschiedenem Procentgehalt der Zucker braucht, um 
gänzlich zerstört zu sein. Natürlich hängt die Zeit ab von 
der Menge des Zuckers. Da es sich aber uur um weuige zehntel 
Procente handeln kann — wir stellen diese Probe ja nur bei 
zweifelhaften Harnen an, und wenn man z. B. mit der Trommer- 
schen Probe untersucht hat, so beginnt ein derartiger Zweifel doch 
höchstens bei 0,5 % —, so ist nur uöthig, nachzusehen, wie lange 
diese maximale Menge von 0,5% braucht, um vergohren zu sein. 

') Worm-Müller. Pflüger’s Arch. Bd. 27, p. 123. 

2 ) Rosenbach. Brest, ärztl. Zeitschr. 1884, No. 19. 


Reduction bestand, die nach dem Hefezusatz auftrat. Es 
muss die Hefe also entweder dem Haru reducireude Substanzen bei¬ 
fügen, in einzelnen Fällen wenigstens, oder aber sie ist im Stande. 
Substanzen, welche im hefefreien Harn die Ausfällung des Kupfer¬ 
oxyduls gehindert haben, so zu verändern, dass nun die Ausfüllung 
des Kupferoxyduls möglich ist. Gerade dieser verkehrte Ausfall 
dieser combinirten Gährungs- und Reductionsprobe macht den Werth 
der ganzen Reaction als qualitative Reaction zweifelhaft. 

Nun stünden wir dem Nachweis kleiner Zuckermengen gegen¬ 
über auf demselben Standpunkt wie früher, wenn nicht E. Fischer 1 ) 
in dem Phenylhydrazin eine Substanz gefunden hätte, welche 
mit Zucker auch in kleinsten Mengen Pheny lglykosazonkrystalle 
zu bilden im Stande ist. Das Phenylglykosazou zeigt mikroskopisch 
gelb gefärbte Nadeln, die sich zu schönen Aehren- oder Garbeu- 
büscheln Zusammenlegen, bei geringerem Zuckergehalt als einzelne 
Nadeln oder sternförmig angeordnet auftreteu. v. Jak sch 2 ) hat 
dieses Reagens für den Harn angewendet, indem er zwei Messer¬ 
spitzen Phenylhydrazin mit drei Messerspitzen Natrium¬ 
acetat in ein Reagensglas schüttelt, das Glas zur Hälfte mit Wasser 
füllt, leicht erwärmt, alsdann bis zum Rande den zu untersuchenden 
Urin zugiesst und l /t — % Stunde im Wasserbade kocht. Das 
Reagensglas wird dann in ein Gefäss mit kaltem Wasser gestellt 
und der nun gebildete gelbe Niederschlag mikroskopisch untersucht. 
Ueber die Feinheit der Reaction unterrichtet folgende Tabelle: 

Urin C und D und E. 

Harn mit 0,l u o . . . . + + + 

, 0,05° ö . . . . + + + 

- 0,i >4° o . . . . + + + 

„ 0,033% .... 0 + + 

* * 0,025% .... 0 0 0 

* 0,02% .... 0 0 0 

Die Empfindlichkeit der Probe hat ihre Grenze also bei 
ungefähr 0,033%, eine Empfindlichkeit, die sicherlich für alle 
Verhältnisse ausreichen wird. Zugleich ist es von grösstem Werth, 
dass diese Probe nicht mit der Unsicherheit der Reductionsproben 
behaftet ist, sondern ein mikrokrystallinisches Product bietet von so 
charakteristischem Aussehen, dass dasselbe wohl auch ohne Schmelz¬ 
punktbestimmung unzweideutig genannt werden kaum Es ist nicht 
zu leugnen, dass sowohl Laevulose, wie Rohrzucker mit Phenylhy¬ 
drazin ähnliche Krystalle bilden, aber an und für sich ist das Vor¬ 
kommen dieser Substanzen im Harn selten und zweifelhaft. Wenn 
wir nun dieses Reagens anwenden, so werden wir in sehr zahl- 

') Fischer. Berichte der Deutschen chemischen Gesellschaft, Bd. 17, 
p. 579. 

*) v. Jak sch. Wiener Doctorencolleg. 


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480 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 24 


reichen Harnen Zucker erkennen können. In den von uus unter¬ 
suchten 42 normalen Harnen liess sich sechsmal Zucker nach- 
weisen, d. h. also in 16,66°/o der Fälle. 1 ) 

Jetzt entsteht nun die zweite, schon oben gestellte Frage, ob 
denn dieser Nachweis von Zucker etwas Pathologisches 
sein kann. Dass er es sein kann, ist, glaube ich, unzweifelhaft; 
denn demjenigen, welcher mit diesem Reagens arbeitet, werden 
Diabetesfälle Vorkommen, bei denen einzelne Harne Zuckermengen 
aufweisen, welche jedem Reagens versagen und die sich nur mit 
Phenylhydrazin scharf erkennen lassen. Weun das nun bei un¬ 
zweifelhaften Diabetikern Vorkommen kann, so wird jede auch der 
normalen Personen, bei welchen Phenylglykosazonkrystalle im Harn 
auftreten, auf Diabetes verdächtig, vielleicht nicht auf einen be¬ 
stehenden Diabetes, sondern auf einen, welcher sich im Laufe der 
Jahre entwickeln wird. Diese Frage könnte bloss entschieden wer- 
deu, wenn man endlich einen Abschluss finden würde in dem 
Streite für und gegen normale Glykosurie. Brücke’s Dar¬ 
stellung des Zuckerkalis ist angefeindet worden, ebenso wie ! 
seine Darstellung des Bleisaccharats. Auf der einen Seite streiten i 
Autoritäten wie Brücke, Bence Jones, Kühne gegen Külz, 
Seegen, Meissner, Babo für physiologische Glykosurie. Claude 
Bernard selbst hält es nicht für unwahrscheinlich, dass Spuren 
von Zucker im Harn Vorkommen könnten, ohne dafür Stellung zu • 
nehmen. Einen sehr wesentlichen Beitrag zur normalen Glykosurie | 
könnte nun der Nachweis des Phenylglykosazons bei einer grösseren 
Zahl gesunder Menschen vorstellen, wenn es möglich gewesen wäre, ; 
durch Schmelzpunktbestimmung die Pbenyglykosazonkrystalle als | 
solche unbedingt sicher zu identificiren. Dazu waren leider die i 
Mengen nicht ausreichend; und wenn wir nun auch als im höchsten i 
Grade wahrscheinlich betrachten, dass wirklich normale Men- ; 
sehen Spuren von Zucker im Harn aufweisen, so bliebe uns 
noch die Aufgabe, festzustellen, dass jene glykosurischen Menschen < 
sich qualitativ vom Diabetiker unterschieden. Diesen Nachweis 
brauchte man ja nur zu basiren auf der Thatsache, dass jeder ! 
Diabetiker gegen grosse Mengen von Kohlehydraten eine Insufficienz j 
seines Organismus zeigt. Mit Ausnahme der Zeit unmittelbar nach I 
einer lang durchgeführten, reinen Fleischkost kann der Diabetiker 
grosse Meugen Kohlehydrate nicht vollständig verbrauchen, sondern 
scheidet immer einen, wenn auch noch so kleinen Procentsatz da¬ 
von aus. Nicht jedes Kohlehydrat aber ist geeignet, einen qualita¬ 
tiven Unterschied zwischen Diabetiker und gesundem Menschen zu 
begründen. Nach Worm-Müller-) scheidet von eingegebenem 
Traubenzucker auch der gesunde Mensch einen nicht ganz un¬ 
beträchtlichen Theil aus. Somit ist der Traubenzucker nicht j 
das geeignete qualitative Reagens. Von Rohrzucker dagegen ; 
fand er, dass der gesunde Mensch einen nicht unbeträcht- ' 
liehen Theil davon als Rohrzucker ausschiede, während 
der Diabetiker auf Rohrzuckergenuss Traubenzucker im , 
Harn aufwiese. Und ebenso wies er nach, dass von noch so 
grossen Quantitäten Stärke, roh, gekocht oder als Weissbrod ge- | 
nossen beim gesuuden Menschen nichts in den Harn überging, j 
während ja, wie bekannt, der Diabetiker darauf Trauben- I 
zucker ausscheidet. 

Diese Experimente habe ich nachgeprüft, und zwar an zwei 
Gruppen von gesuuden Menschen, an solchen, welche niemals, 
selbst nicht mit Phenylhydrazin nachweisbare Spuren von Zucker 
im Harn aufwiesen, wie auch an jener Gruppe, welche Phenyl- ] 
glykosazonkrystalle ab und zu im Harn entdecken liess. Um es ! 
uochmals hervorzuheben, gehörten beiden Gruppen nur solche i 
Leute au, welche auf das genaueste Exameu hin auch nicht die 
geringsten Zeichen von Diabetes aufwiesen, welche in jeder Be¬ 
ziehung sich als normal erwiesen. i. 

Gruppe I. Stets zuckerfreie Personen. 

1. Versuch mit Stärke. 

H. S., Wärterin, nimmt am 19. Mai 1887 nüchtern früh 7 Uhr 1 
50 g gekochte Stärke. 1 

Nach drei Stunden Urin. Keine Reduction, auch nicht nach Kochen 1 
mit Hs SO*. Keine Phenylglykosazonkrystalle. , 

H. H., Cand. raed., nimmt 22. Mai 1887 nüchtern früh 8 Uhr lfiOg 
Weissbrod. 

Urin 8 Uhr frei. 3 ) 

Urin 9 Uhr frei. 

Urin 11 Uhr frei. 

M. W., Cand. med., nimmt 21. Mai 1887 8 Uhr früh nüchtern 160 g 
Weissbrod , 

*) Betrachten wir nun die Harnuntersuchung mit der 0 äh rungsred uc- ! 
tionsprobe nach Rosenbach, so zeigt das Verhalten des Harns 16, bei 
welchem besonders viele Phenylglykosazonkrystalle vorhanden waren, ebenso 
wie das des Harns 13, den noch unzweifelhaft vorhandenen Zucker ganz und 
gar nicht an. Dies ist wiederum ein Einwand gegen die Güte der Combi- 
nation von Gährungs- und Reductionsprobe. 

*) Worm-Müller. Pflüger’s Arch. Bd. 34. 

®) Bezieht sich immer auf Prüfung mit Phenylhydrazin. 


Urin 8 Uhr frei. 

Urin 10 Va Uhr frei. 

C. H., Cand. med., nimmt 21. Mai 1887 7 Uhr früh nüchtern I60g 
•Semmel. 

Urin 6'/s Uhr frei. 

Urin 9 Uhr frei. 

2. Versuche mit Rohr- resp. Rübenzucker. 

Dr. G. K., Arzt, nimmt am 17. Mai 1887 Morgens 8 Uhr 100 g 
i Rohrzucker in Wasser. 

, Ca II Uhr Urin; geringe Reduction, die auf Kochen mit Hs SO* 

! nicht zunimmt. 

I Der Urin war sonst immer zuckerfrei. 

J. F., Cand. med., nimmt 21. Mai 1887 früh 9 Uhr nüchtern 100 g 
I Rohrzucker und 80 g Weissbrod. 

11 Vs Uhr l'rin; starke Reduction, die auf Kochen mit HaSO* nicht 
stärker wird. Wismuth schwarz, Polarisation undeutlich. Die Menge muss 
auf ca. 0,15—0,2% taxirt werden. Phenylglykosazonkrystalle. 

Das Resume dieser Serie von Versuchen an, wie gesagt, völlig ge¬ 
sunden Personen, deren Harn bei mehreren Untersuchungen niemals 
zuckerhaltig gefunden worden ist, wäre dahin zusammenzufassen, dass 
Stärke, sowohl als solche, wie als Weissbrod genossen, sich in 
keiner Form im Harn nach weisen lässt, dass dagegen von 
Rohrzucker ein kleiner Procentsatz deutlich in den Harn über¬ 
geht, und zwar kann das Kohlehydrat des Harns gemäss der Re¬ 
ductionsprobe, welche auf Kochen mit Schwefelsäure nicht verändert 
wmrde, nur Traubenzucker gewesen sein. Hier widersprechen 
meine Versuche denen von Worm-Müller, welcher bei seinen 
beiden Versuchspersonen nach Rohrzuckergenuss Rohrzucker und 
nicht Traubenzucker in dem Harn fand. 

Leider bin ich ausser Stande, den Unterschied der Resultate 
bei Worm-Müller’s und bei meinen Versuchspersonen, welche 
dem gleichen Stande angehörten, zu erklären. 

Berichten wir jetzt über die Versuche, welche an drei Stu¬ 
denten der Medicin gemacht worden sind, die gelegentlich 
Phenylglykosazonkrystalle im Harn zeigten. Alle Drei 
sind körperlich vollständig gesund, ohne jede subjective Beschwerde. 
Da die Thatsache, dass nach Rohzuckergenuss Traubenzucker in 
dem Harn erschien, sich schon an unzweifelhaft zuckerfreien Per¬ 
sonen offenbarte, so wurde hier nur geprüft, ob bei diesen Ver¬ 
suchspersonen etwa auch nach Stärkegenuss reichlicher Zucker 
nachzuweisen sein würde. 

Gruppe II. Versuche an Personen, die Spuren von Zucker gezeigt 

haben. 

F., Cand. med., hat am 16. Mai 1887 Phenylglykosazonkry¬ 
stalle im Ham, nimmt 20. Mui Morgens 8 Uhr nüchtern 160 g Weiss¬ 
brod. 

Urin 8 Uhr: frei von Zucker. 

Urin 11 Uhr: frei von Zucker. 

H., Cand. raed., bat am 16. Mai 1887 ziemlich zahlreiche 
Phenylglykosazonkrystalle im Harn, nimmt am 20. Mai 8 Uhr Mor¬ 
gens nüchtern 160 g Weissbrod. 

Urin 8 Uhr: wenige Phenylglykosazonkrystalle. 

Urin 11 Uhr: wenige Phenylglykosazonkrystalle. Keine Re 
duction des Wismuth und des Kupferoxyds: 

N., Cand. med., hat am 16. Mai 1887 wenige Phenylglyko¬ 
sazonkrystalle; nimmt am 22. Mai Morgens 8 Uhr nüchtern 160 $; 
Weissbrod. 

Urin 7Vs Uhr frei. 

Urin 11 Uhr frei. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, dass bei F. und N. auf 
reichlichen Kohlehydratgenuss überhaupt kein Zucker im Hart 
erschien; bei H. verhielt sich der Harn so, dass höchstens eben 
soviel, anscheinend aber weniger Zucker im Harn auftrat. H 
wurde jedenfalls weiter beobachtet. Er ist ein blühender, mehr 
corpulenter als magerer Mensch, der auf eingehendes Befragen aucl 
nicht die mindesten diätetischen Beschwerden angiebt und bei den: 
der Urin bei vielfacher nachfolgender Untersuchung stets zuckerfre 
befunden wurde. Und auch jetzt nach % Jahren ist bei keinei 
der Versuchspersonen das geringste Zeichen von Diabete: 
nachweisbar. 

Wir können es also als ein Gesetz betrachten, dass gesund« 
Menschen auf Genuss von 160 g Weissbrod niemals di« 
geringste Steigerung ihrer Zuckerausscheidung, wem 
solche überhaupt bestand, aufweisen. Dass dagegen das Ver 
halten des Diabetikers scharf contrastirt, ist ja eine längs' 
festgestellte Thatsache, und es hiesse Eulen nach Athen tragen 
wollte ich die Diabetesliteratur um ein derartiges Protocoll be 
reichern. Es scheint bloss angezeigt, hier einen jener occulten Fäll« 
von Diabetes aufzuführen, wo der Harn, mehrfach untersucht, ent 
weder gar keine oder nur mit Phenylhydrazin nachweisbare Spurei 
von Zucker aufwies. 

Dr. R., Arzt, welcher keines der subjectiven Diabetessymptom' 
aufweist, producirt am 16. November 1887, Morgens 9 Uhr 
60 ccm Urin ohne deutliche Reduction und Polarisation 


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14. Jnni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


481 


wenig Phenylglv kosazonkry stall«*. F.r ireniesst 160 g Wciss- 
brod. 

Urin 10 Uhr Morgens, ca. *20 ccm. starke Rcductiou des 
Kupferoxyds. 

Urin 11% Uhr Morgens, ca. 20 ccm, starke Reduction 
des Kupferoxyds. 

Beide Urinö, ca. 40 ccm, zusammengegossen, zeigen eine Ab¬ 
lenkung der Polarisationsebene entsprechend 2,76%= 1,104 g. 

Urin IV2 Uhr Nachmittags, 50 ccm, mit 0.26 g Zucker. 

Urin 4 Uhr Nachmittags. 50 ccm, mit 1,3 % Zucker = 1, 506 g. 
Dazwischen liegt das Mittagsmahl, welches die Erhöhung des 
Zuckergehaltes unzweifelhaft hervorgerufeu hat. 

Am 16. November 1887, 9 Uhr Vormittags, 142 ccm Urin 
ohne deutliche Reaction, Polarisation negativ. 

Dieser Fall weist deutlich nach, wie durch den Genuss von 
160 g Weissbrod der in den Grenzen normaler Glykosurie sich be¬ 
wegende Zuckergehalt des Harnes so gesteigert wird, dass kein 
Zweifel über das Bestehen eines pathologischen Symptoms vor¬ 
walten kann. In einer Reihe von Fällen ausserdem, wo irgend ein 
diabetisches Symptom verdächtig erschien und wo der Haru ent¬ 
weder spurenhaft Zucker zeigte oder ganz zuckerfrei war, liess sich 
durch die obige Probe der Diabetes sowohl ausschliesseu, als nach- 
weisen. Ebenso konnte man mit dieser Methode die wenigstens 
vorläufige Heilung eines Patienten, welcher unter vielen diabetischen 
Symptomen, Schwäche, Abmagerung. Polyurie, eine Zuckeraus¬ 
scheidung bis 0,5% aufgewiesen hatte, sicherstelleu. Durch mehrere 
Monate gelang es nicht, wenn dieses Experiment mit 160 g Weiss¬ 
brod angestellt wurde, eine pathologische Ausscheidung hervor¬ 
zurufen. 

Auch muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass man die 
Menge von 160 g Weissbrod nicht verringern darf, denn, wie wir 
eben sehen, schied der diabetische Arzt darauf nur ca. 1,3 g Zucker 
ans. Wäre eine geringere Menge Weissbrod verabreicht worden, 
so konnte die ausgeschiedene Menge so unbedeutend sein, dass sie 
dem Nachweis entging. 

So kommen wir denn zu dem Resultat, dass wir zwar in dem 
Phenylhydrazin das verlässlichste und schärfste Rea¬ 
gens auf Zucker haben, dass es aber einerseits nicht ge¬ 
nügt, auch mit Phenylhydrazin die Zuckerfreiheit eines 
Harnes nachgewieseu zu haben, um den Diabetes auszu- 
schliessen, denn auch ein Diabetiker kann ganz zuckerfreie 
Harne entleeren, sondern dass ein sicheres Ausschliessen') 
der Zuckerkrankheit nur nach dem oben angegebenen 
Experiment mit 160 g Weissbrod möglich ist, andererseits 
jeder Diabetes durch eben jenes Experiment mit voller Sicherheit 
nachzuweisen ist. 

IV. Die Gährungsvorgänge im kindlichen 
Darmkanal. 

Erwiderung von Dr. Theodor Escliericli. 

Der in No. 20 und 21 d. Wochenschr. veröffentlichte Vortrag 
Baginsky’s gleichen Titels, der im Wesentlichen eine Kritik meiner 
Untersuchungen und Anschauungen über die Gährungsvorgänge im 
Darmkanal des Säuglings unter normalen und pathologischen Zu¬ 
ständen vorstellt, veranlasst mich zu nachfolgenden Bemerkungen, 
umsomehr, da dieselben die Gegensätze uicht zu verschärfen, sondern 
auszugleichen bestimmt sind. 

Die Nachprüfung der Zersetzungsvorgänge im normalen Darm¬ 
kanal hat eine Bestätigung meiner früheren Resultate ergeben, und 
auch die von Baginsky neu gefundenen Thatsaclieu: die Ent¬ 
stehung von .Essigsäure und Methan durch die Thätigkeit des Bao- 
terium lactis aerogenes fügen den von mir entwickelten Anschauungen 
nichts Wesentliches hinzu, so interessant und beachtenswerth sie für 
das biologische Studium der Spaltpilzarteu und die Physiologie der 
Milchverdauung sind. Ich erkenne dies um so bereitwilliger an, als 
ich in denselben nicht so sehr eine Widerlegung, als vielmehr eine 
weitere Fortführung meiner eigenen Untersuchungen zu erblicken 
vermag. Bei der Abfassung meiner Arbeit handelte es sich in erster 
Linie darum, die Entstehung jener Verbindungen durch die Thätig¬ 
keit meiner Bacterien nachzuweisen, die man als durch Mikroorga¬ 
nismen entstandene Spaltungsproducte der Milchbestandtheile be¬ 
trachtete. Als solche galten nach damaliger Anschauuug Milchsäure, 
C0 2 und H*. Mit dem Nachweis der Entstehung dieser Verbin¬ 
dungen betrachtete ich meine Aufgabe vorläufig als gelöst und 
behielt das Weitere späteren Untersuchungen vor. Dagegen muss 
ich mit aller Entschiedenheit gegen die von Baginsky vorge- 

‘) Natürlich kann der Diabetes nur die nächstgelegene Zeit ausge¬ 
schlossen werden. Es kann ein Diabetes ja doch wenige Wochen nachher 
entstehen. 


schlagene Aenderung des Namens protestiren, indem, abgeseheu von 
dem Rechte der Priorität, der Name Baeterium lactis aerogenes 
(nicht lactis oder acidi lactici) auch nach dem gegeuwärtigen 
Stande unserer Kenntnisse durchaus zutreffend ist und die charak¬ 
teristische, biologisch wie physiologisch wichtigste Eigenschaft des 
Spaltpilzes: die Fähigkeit, bei Luftabschluss aus der Milch Gase zu 
erzeugen, hervorhebt. Dagegen ist gerade der von Baginsky vor¬ 
geschlagene Name des Baeterium aceticum. abgesehen davon, dass 
auch andere Spaltpilze diese Eigenschaft mit ihm theilen. schon 
längst an das bekannte Essigsäureferment vergeben. 

Der zweite Punkt, gegen den Baginsky sich wendet, ist die 
vou mir vorgeschlagene diätetische Behandlung, welche durch Ent¬ 
ziehung des gährenden Stoffes resp. durch Einleitung besonderer 
Gährungsvorgänge die zu pathologischen Erscheinungen Veranlassung 
gebende Baeterieuvegetation zu beeinflussen sucht. Sachliche Gründe 
gegen das darin ausgesprochene Prineip bringt Baginsky nicht vor. 
bestätigt vielmehr durch seine eigenen Untersuchungen die zu 
Grunde liegenden experimentellen Thatsaclieu. Nichtsdestoweniger 
wird dieselbe als eine zwar „geistvoll erfundene, aber mit der Natur 
der Dinge im Widerspruch stehende 1 “ oder höchstens am Studien¬ 
tisch ersonnene, praktisch nicht durchführbare Hypothese hingestellt. 
Ich muss dem gegenüber wiederholt darauf hiuweisen, dass es sich 
bei meinen Vorschlägen nicht um die Einführung durchaus neuer 
therapeutischer Prineipien, als vielmehr um die theoretische Be¬ 
gründung und weitere Ausbildung längst gekannter und von den 
hervorragendsten Klinikern geübter Maassuahmen handelt, und dass 
dieselben die Feuerprobe der Praxis längst bestanden haben. Ich 
habe es aus diesem Grunde auch bisher für unnöthig gehalten, 
weitere praktische Erfahrungen dafür in’s Feld zu führen, obgleich 
es mir an solchen in dem reichen Material der Poliklinik des 
Dr. v. Hauner’schen Kiuderspitals sicherlich nicht gefehlt hat. Als 
ein kleiner Beitrag iu dieser Richtung kauu übrigens die im Jahr¬ 
buch für Kinderheilkunde erschienene Arbeit von Eh ring: Ueber 
die mechanische Behandlung der Verdauungsstörungen des Säuglings, 
gelten, dessen Fälle, wie aus den angefügteu Krankengeschichten 
hervorgeht, ausschliesslich nach diesen diätetischen Grundsätzen be¬ 
handelt wurden. Die Frage, ob Pepton resp. Dextrin oder etwas 
ähnlich Wirkendes, halte ich für untergeordnet und will hier nicht 
darauf eingelien. Dagegen ist mir die Angabe Baginsky’s, dass 
man nicht im Stande sei zu beurtheilen, wann saure, wann alka¬ 
lische Gährung im Darmkanal vorherrscht, unverständlich, nachdem 
schon lange vor jeder theoretischen Speculation die Neigung zur 
Säurebildung als Ursache der Kinderdiarrhöen klinisch erkannt 
und gewürdigt worden ist. Ich gebe zu, dass dies nicht in jedem 
Falle möglich, allein acuten Verdauungsstörungen gegenüber, die 
ich dabei vorzugsweise im Auge hatte, war ich selten im Zweifel. 

Der wesentlichste Vorwurf jedoch, der an allen Stellen wieder¬ 
kehrt und den Kernpunkt der Ausfüliruug Baginsky’s bildet, 
richtet sich gegen die heute übliche antiseptische oder antibacterielle 
Behandlungsmethode überhaupt, welche ohne Rücksicht auf das Ver¬ 
halten der Darmwandungen nur gegen die im Inhalt hausenden 
Mikroorganismen wiithe und nicht die Dyspepsie, sondern die 
Gährung behandle. Ich halte diese Mahnung gegenüber den über 
das Ziel hinausschiessenden Bestrebungen mancher neuerer Autoren 
für durchaus gerechtfertigt, wie ich ja selbst schon vor der kritik¬ 
losen Anwendung der autiseptischeu Methoden warnte. Wenn ich 
iu meinem Vortrage: Beiträge zur antiseptischen Behandlungs¬ 
methode etc., mich auf die Besprechung der letzteren beschränkte, 
so geschah dies nicht, weil ich darin das Alpha und das Omega der 
Therapie der Darmerkrankungen erblicke, sondern in Rücksicht 
darauf, dass gerade in dieser Richtung neue und therapeutisch ver- 
werthbare Gesichtspunkte aufgetaucht sind. In Bezug auf letztere 
freue ich mich. Herrn Baginsky durchaus auf dem Boden der von 
mir vertretenen Anschauungen und Vorschläge zu finden uud hoffe, 
dass die Mittheilung meiner praktischen Erfahrungen ihn auch noch 
von der Durchführbarkeit und dem Werthe der Gährungstherapie 
überzeugen wird. 

V. Rückblicke auf die Chirurgie des letzten 

Jahres. 

Von Di*. Emil SeDger in Berlin. 

(Fortsetzung aus No. 2.'5.) 

Allgemeine chirurgische Pathologie und Autiseplik. 

Wir möchten hier zuerst das anziehende Kapitel über die Function der 
Schilddrüse und ihre allgemeinen Beziehungen zum Körper berühren. Schiff 
hatte schon 1859 angegeben, dass Hunde nach Exstirpation der Schilddrüse 
unter nervösen Depressionserscheinungen zu Grunde gehen, und hat auch 
später nach Kochers Aufstellung der Kachexia strumipriva seine Angaben 
festgehalten. Ihm schlossen sich Wagner, Canalis, Colzi an, während 
Andere wieder eine Einwirkung der Exstirpation der Drüse auf das Allge¬ 
meinbefinden und das Nervensystem nicht hervorrufen konnten. Die Chi- 


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482 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. * No. 24 


mrgic glaubte daher eine Zeit laug, dass die lhat.sachlich beim Menschen 
beobachteten schwereu Folgeerscheinungen nach der Totalexstirpation von 
zufälligen Nervenverletzungen oder einer Art „Septicämie“ herrührten, und 
suchten durch andere Opera! ionsinet hoden diese Verletzungen zu ver¬ 
meiden. 

Heute nun zweifelt, durch die sorgsamen Experimente llorsley s und 
Fuhr's gestützt, keiner mehr daran, dass die Fortnahme der Drüse bei 
Hunden und Affen den Tod unter schweren Erscheinungen zur Folge habe. 
Tizzoni konnte allerdings bei Kaninchen kein Myxödem hervorrufen. 
Dagegen zeigte Horsley, dass bei Affen die Wunde gut heile, dass aber 
uacli 5 Tagen Krämpfe, Muskelzittern, Apathie und ein allgemeines Aufge¬ 
dunsensein (Myxödem) eiutrete: Alle Gewebe würden mit mucinöser Flüssig¬ 
keit imbibirt, die Speicheldrüsen haben einen enormen Mucingehalt, das 
Blut wird mucinhaltig, die rothen Blutkörperchen nehmen an Zahl ab, die 
Temperatur sinkt tief, und der Tod tritt nach Wochen im Coma ein. Die 
Schilddrüse muss also nach Horsloy die Function haben, dieses giftige 
Mucin zu zerstören resp. unschädlich zu machen, welches seinerseits in einer 
Art von Wahlverwandtschaft auf das Gehirn wirke und die Erregbarkeit der 
Grossbirnrinde alterire. Ob diese Erklärung richtig ist, oder die, dass die 
Blutbildung und die Sauerstoffmengo im Körper Störungen erleidet, oder 
eine andere — soll noch die Zukunft lehren. Aber so viel steht heute fest, 
dass die Fortnahme der ganzen Schilddrüse, sei es in einem oder mehreren 
Acten, jenes traurige Krankheitsbild erzeugt, und dass es nur dann ausbleibt, 
wenn die bei Hunden z. B. ziemlich häufige Nebenschilddrüse zurückbleibt 
(Fuhr und Kocher). Es macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied, ob 
man die gesunde oder die kranke vergrösserte Drüse fortnimmt, weshalb 
Kocher jetzt die Kachexia sfrumipriva in die K. thyreopriva umgewandelt 
wissen will. 

Es wäre heute also ein therapeutisches schweres Vergehen, einem 
Menschen die gauze Struma zu entfernen, will man ihn nicht zu einem dem 
Tode geweihten Schwachsinnigen machen. Deshalb muss der Vorschlag 
So ein’s doppelt freudig begrüsst werden, nur die prominirenden, härteren, 
durch eine Bindegewebskapsel abgeschlossenen, strumös entarteten Knoten 
auszuschälen, also nur innerhalb der Drüse, intraglandulär, zu operiren. 
Man sollte diese Methode jedesmal versuchen, da sie, wenn sie überhaupt 
gelingt, auch sehr schnell und leicht von Statten geht. 

Während also die obige Frage einen gewissen Abschluss erreicht hat, 
ist man bei der sog. Arthropathia tabidoruin erst in den Anfängen 
der Erkenntniss; die Arthropathie kennzeichnet sich durch ihre plötzliche 
Entstehung z. B. über Nacht, durch colossale Schwellung, Crepitation und 
Deformation bis zum höchsten Schlottergelenk und dabei durch einen 
absolut schmerzlosen und reactionslosen Verlauf. Die ana¬ 
tomischen, von Rotter fleissig studirten Erscheinungen liefern ein mannig¬ 
faltiges Bild. Man findet bald eine Arthritis deformans, bald ein Schwinden 
der Gelenkenden, ja sogar der ganzen Epiphysenknochen bis ausserhalb der 
Kapsel ohne Schwellung, bald Gelenkfracturen. Wenn schon diese rein 
anatomischen Verhältnisse keineswegs aufgeklärt und widerspruchslos sind, 
so steht es noch viel übler mit der Aetiologie. Die Arbeiten von Sonnen- 
burg und Weizsäcker haben uns in dieser Beziehung nicht viel weiter 
gebracht. Am hervorragendsten scheint mir immer noch das geistvolle Wort 
Volkmann’s: „Diese Leute laufen sich ihre eigenen Knochen 
weg, gerade so, wie sie sich beim Mal perforant du pied die 
Fusssohlen durchlaufen.“ Wenn wir in dieser complicirten Sache ganz 
absehen von der Frage, inwieweit die Tabes und mithin die Arthropathie 
von der Syphilis abhängig sind, so giebt es nur zwei Möglichkeiten. Ist 
die Arthropathie eine mit der Tabes in causalem Connex stehende, also 
specifische Krankheit, wie z. B. die Sehstörung, die Ataxie bei Tabes, oder 
entsteht das Gelenkleideu einfach dadurch, dass die Analgesie, die Ataxie 
die Prädisposition schafft, wobei natürlich das Gelenkleiden mit der Tabes 
als solcher nichts zu thun hat, sondern auch bei jeder anderen eine Anal¬ 
gesie bewirkenden Krankheit Vorkommen kann? Der ersteren Anschauung 
huldigt Charcot, welcher eine Atrophie der vorderen Ganglienzellen hypo¬ 
thetisch annahm. Sie wird in etwas gestützt durch die Untersuchungen von 
Oppenheim und Siemerling, welche eine Degeneration der peripheren 
Geleuknerven nachgewiesen haben. Virchow nimmt eine vermittelnde 
Stellung ein: Er nimmt ganz wie Volkmann an, dass die Analgesie zwar 
die Prädispositiou für den eigentümlichen Verlauf der Gelenkkrankheit 
schaffe, dass aber durch nervös-trophische Knochenernährungsstörungen die 
Knochen viel leichter, als sonst, kleinen Traumen unterliegen. Vielleicht 
löst sich diese verwickelte Frage zwanglos auf, wenn wir erst die Be¬ 
ziehungen zwischen Syphilis und Tabes klargestellt haben werden. 

An diese Gelenkkrankheit möchten wir gleich die uns durch v. Berg¬ 
mann diagnostisch und klinisch erschlossenenen Echinococcen der langen 
Röhrenknochen schliessen. In den Handbüchern wird das Krankheitsbild 
etwas unrichtig so geschildert, wie etwa ein centraler Knochentumor es 
liefert. Danach soll der Echinococcus der Diaphyse zuerst langsam wachsen, 
zuerst knochenharte, dann weichere, grössere den Knochen blasig auf¬ 
treibende Tumoren bilden. Aus früheren Fällen von Küster, Virchow etc. 
und besonders aus seinen eigenen Erfahrungen, spricht v. Bergmann den 
Satz aus: -Das erste Zeichen der Krankheit ist die Fractur“ (aus 
unbedeutenden Anlässen, bei Mangel jeder Auftreibung oder Difformität). 
Wie v. Bergmann in seiner grossen Erfahrung unter Ausschluss anderer 
Tumoren und Knochenkrankheiten auf die Diagnose des Echinococcus ge¬ 
kommen ist, kann ich hier leider nicht näher ausführen, sondern nur auf 
die für die Diagnose der Knochentumoren überhaupt äusserst lerreiche Ar¬ 
beit verweisen. Man wird bei frühzeitiger Erkennung der Krankheit viel¬ 
leicht eine Heilung ohne Aufopferung des Gliedes, wie es bisher geschah, 
sondern einfach durch Aufmeisselung und Ausschälung der Blasen erzielen 
können. 

Wenden wir uns jetzt zur Wundbehandlung und deren Technik. 

Führten die Bestrebungen der Chirurgie bisher dahin, möglichst abac- 
teriell zu arbeiten, so wollte Schede eine viel kürzere Zeitdauer 


der Heilung für grosse Kuoehenhöhlen nach Necrotomiecn, Resectioneu, bei 
manchen Weichtheilhöhlenwuudeu etc. durch seine „Heilung unter dem 
feuchten Blutschorf“ zu erreichen suchen. Früher verlangte man als 
eine Vorbedingung für die Primärheiluug eiue gute Blutstillung, Schede 
aber Hess die Höhlen voll Blut laufen, schloss sie durch Protectif silk 
passend ab und recurrirte auf die Organisationsfahigkeit und das vorzügliche 
.plastische Material des Blutes." Die Ilauptbedingung für diese Methode ist 
eine absolute Reinheit (Aseptik), anderenfalls schnell und leicht eine Ver¬ 
jauchung und Allgemeininfection eintreten kann, da die Drainage fehlt. Aus 
dieser hohen Gefahr lässt es sich vielleicht erklären, dass bis jetzt von an¬ 
derer Seite über diese Methode Nichts berichtet ist, was erst ein Urtheil über 
dieselbe erlaubte. — Nach Abschluss dieses Berichtes lese ich eben die 
Veröffentlichung aus dem Hagenauer Bürgerhospital von Siepmann. Darin 
rühmt zwar Biedert die Methode sehr und ist mit dem Erfolge derselben 
sehr zufrieden; aber seine Resultate sind, was die Heildauer betrifft, nicht 
günstiger als die mit der üblichen Methode; was aber die Mortalität be¬ 
trifft, so sind sie betrübend. Es muss deshalb hier eindringlich davor ge¬ 
warnt werden, die Methode bei complicirten Fracturen und noch dazu solchen, 
die erst nach 24 Stunden in die ärztliche Behandlung kommen, anzu wenden, 
wie Biedert es gethan hat; das wäre eine gefährliche Verkennung des 
Zweckes der Methode. Ueberall da, wo wir die Herstellung einer Wunde 
nicht selbst in der Hand haben, wo erst eine Patientin mit einer offenen 
Ivnocheuwunde zu uns transportirt wird, da kann von der Schede’schen 
Maassnahme gar keine Rede sein, weil die Bedingung, die ja auch Biedert 
gestellt wissen will, nämlich, dass der ganze Krankheitsherd sicher des- 
inficirt werden könne, nicht sicher erfüllt werden kann. Die Sache liegt 
doch so: Unsere gewöhnlichen Methoden sind unzweifelhaft leistungsfähig, 
aber viel weniger gefährlich als die Schede’scho. Ob nun bei der an¬ 
erkannt grösseren Gefahr die Heilungsdauor viel kürzer ist, und ob 
man für den zweiten noch erst zu bestätigenden Vortheil die grössere Ge¬ 
fahr dem Patienten aufbürden solle, das soll eben die Zukunft lehren. 
Wenn man nach histologischem Vorbilde urtheilen soll, so steht die Idee 
der Methode den bisherigen Erfahrungen über die Organisatiousfäbigkeit des 
Blutes entgegen. Sie ist doch nichts anderes, als was der lange studirten 
Organisation des rothen Thrombus zu Grunde liegt. Die llistologen halten 
aber die rothen Blutkörperchen eher für hinderlich als förderlich, jedenfalls 
für einflusslos bei der Organisation und sie discutirten nur darüber, ob von 
den weissen Blutkörperchen oder den Endothelien die Organisation aus- 
giuge. Im Einklang mit diesen, durch zahlreiche unanfechtbare Unter¬ 
suchungen begründeten Thatsachen müsste also bei der .Schede’schen Me¬ 
thode die überraschend schnelle Heilung durch die in dem Blut enthaltenen 
weissen Blutkörperchen bewirkt werden, da bei der gewöhnlichen Wund¬ 
heilung die übrigen Gewebe ohne die Blutmenge vorhanden sind. Die 
meisten Pathologen aber sprechen gerade den Leucocythen die obige Be¬ 
deutung ab. Ich bin auf diese Sache ausführlicher eingegangen, einmal in 
Rücksicht auf die zu weitgehende Anwendung Biedert’s und dann, weil 
die bisher nirgends gemachten histologischen Bemerkungen mir von Wich¬ 
tigkeit für die Beurtheilung der Methode überhaupt erscheinen. — Die Art 
der Blutstillung spielt auch bei J. Wolff eine Rolle, welcher grössere Ope¬ 
rationen (Struma) ohne Klemmen nur durch genügend langes Aufhalten von 
Tupfern auf ein blutendes Gefäss („methodische Compression“) ausführen 
will. Beraerkenswerth erscheint die 24ständige Anlegung von Pean’s Klemme 
an eiue verletzte grosse Vene (femor., jugul.), welche in dieser Zeit durch 
eine sichere Thrombose geschützt ist. — Wie vorsichtig man bei der Blut¬ 
stillung sein muss, zeigen die tuberculösen und septischen Abscesse. Durch 
Arrosion eines Gefässes, vermittelt durch den untersuchenden Finger, hat 
Kraske eine recht schwere, durch spontane Arrosion hat Güterbock eine 
tödtliche Blutung erlebt. 

Segensreiche Fortschritte hat die Lehre von der Hautplastik zu ver¬ 
zeichnen. Die durch Thiersch eingeführte Modification der Reverdin’schen 
Methode, nicht kleine Hautstückchen, sondern grössere Stücke bis zu 10 cm 
Länge und 2 cm Breite zu nehmen, hat sich nach Veröffentlichungen aus 
Hamburg (Jaeschke) etc. aus dem letzten Jahre durchaus bewährt. Sie 
giebt bei grossen Defecten nach Verbrennungen, Erfrierungen (v. Berg¬ 
mann), ja sogar bei den allerdings leicht recidivirenden Schenkelgeschwüren, 
bei Defecten der Lider (Eversbusch) wunderschöne Resultate. Die Haut¬ 
stücke sollen noch nach 6 Stunden, in 0,6% Kochsalzlösung gehalten, 
lebensfähig bleiben. — Höhlenwunden zu schliessen, nahm man früher nach 
dem Vorbilde von Thiersch (Ectopia vesicae etc.) 2 Lappen und aus 
verschiedenen Stellen, welche mit ihren Wundflächen aufeinander gelegt 
wurden, so dass auf beiden Seiten Epidermis war. Israel und Hahn 
vereinfachten die Methode dahin, dass sie, statt zwei, einen grösse¬ 
ren Lappen Umschnitten, von dem sie nach Anheilung mit der Epi¬ 
dermis nach der Höhle zu die Ernährungsbrücke durchschnitten und um¬ 
klappten, so dass Epidermis unten wie oben war (Wangenplastik). Plessing 
kam dann auf den guten Gedanken, einen kleinen Lappen zu nehmen, 
indem er vor der Anhaftung des Lappens die Wundfläche des Lappens mit 
Hautstückchen überpflanzte und sich dadurch eine doppelseitige Epidermis 
schaffte. Man spart so den zweiten oder Doppellappen. Rotter hat diese 
Methode mit trefflichem Erfolg verwerthet. — Die durch Maas aufgenommene 
alte Methode, einen grossen Lappen vom Arm, Bein, von der Brust etc. auf 
fernere Körperregionen zu überpflanzen, mit Fixirung der Glieder, hat 
Wagner angewandt und dadurch einen Menschen, dessen Arm bis fast auf 
die Knochen entblösst war, vor der Amputation bewahrt. 

Wenn wir noch kurz erwähnen, dass Helfe rieh empfohlen hat, bei 
schlecht consolidirten Knochenbrüchen durch leichte Gummischlauchcom- 
pression eine venöse Hyperämie und dadurch ein gesteigertes Knochenwachs¬ 
thum zu erzielen, und dass Tiling für die Resectionen der Gelenke den 
bemerkenswerthen Gedanken ausgesprochen hat, die Tubercula der Knochen 
(Trochanter major, Malleolen etc.) mit möglichster Schonung der Bänder ab- 
zumeisseln und dadurch das Gelenk freizulegen (Petersb. med. Woch. 1887, 
Sept.), so wäre das das Wichtigste auf dem Gebiete der allgemeinen Chirurgie. 


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14. Juni. 


Wenden wir uus jetzt zu den Wmulinittelu. — Die Rührigkeit auf 
diesem Gebiete zeigt deutlich, dass wir in unserer Wiuidbehandlungsmethode 
noch keineswegs abgeschlossen haben, sondern dass Vieles noch schwankt 
und Vieles unbefriedigend ist. Noch in Aller Erinnerung steht die Meinungs¬ 
verschiedenheit in Bezug auf das Jodoform. 

Rovsing und Heyn behaupteten, dass dasselbe nicht nur chirurgisch j 
werthlos, sondern sogar gefährlich sei, da es selbst viele pathogene Bacterien ! 
enthalten könne. Dagegen erklärten sich vom klinischen Standpunkte j 
König, Poten u. A., während Lubbert und ich selber zwar die Ver¬ 
suche von Rovsing bestätigen konnten, aber nicht die Schlüsse daraus 
zogen. Durch subtilere Experimente wurde daun von de Ruyter, mir. 
Behring gezeigt, dass das Jodoform dennoch antibacterieil wirke. Beson¬ 
deren Beifall ernteten die schönen Untersuchungen de Ruyter's, welche 
u A. zeigten, dass der Aureus oder sein Ptomain das Jodoform zersetzen 
und Jod daraus frei machen. Diese Zersetzung beruht nach Behring wahr¬ 
scheinlich auf einer Reduction, indem aus dem Jodoform Acetylen gebildet 
wurde. Freilich ist diese Zersetzung des Jodoforms durch den Pilz zu 
gering, als dass erhebliche antibacterielle Wirkung erklärt würde. Ich selber 
konnte nicht nur ausserhalb des Thierkörpers eine Einwirkung des Jodo¬ 
forms auf die Milzbrandbacillen nachweisen, wie sie z. B. in der von mir 
sog. -Protoplasmatischen Degeneration der Milzbrandbacillen“ | 
sich zeigt, welche letzthin von Prof. Xe iss er bestätigt ist, sondern j 
ich vermochte auch zu zeigen, dass das Jodoform im Körper eine locale 
und allmähliche antibacterielle Wirkung ausübe. welche aber end nach 
’.'a Std. beginnt und dann zunimmt. Ich stellte daher, wenn mau nicht die 
viel kräftiger wirkende v. Bergiuann’sch e äther-alkoholische 
Jodoformlösung benutzen wollte, sondern reines Jodoform, die Be¬ 
dingung auf, dass man vorher die Wunde durch ein sofort wirkendes Des- 
inficiens (Sublimat) sterilisiren müsse. — Das Jodoform kann also mit. gutem 
Gewissen von den Aerzten angewandt werden. 

Ja, man ist in der letzten Zeit sogar in der Anwendung desselben 
weiter als früher gegangen. Ich habe dabei die so beliebt gewordene Jodo¬ 
formtamponade ohne Drainage im Sinne. — Der Gedanke der Tampo¬ 
nade rührt von Kocher her, nur wandte er nicht Jodoform, sondern 
Wismuthgaze an. Er legte sogleich bei der Operation die Nähte, knüpfte 
sie aber nicht sofort, sondern erst dann, wenn er nach Entfernung der Tam¬ 
ponade die Wunde reactionslos sah. Heute wird die Jodoformtamponade, 
in sehr vielen Kliniken angewandt, lleberall da, wo man nicht ganz sicher 
ist, mit absoluter Keimfreiheit gearbeitet zu haben, ist diese Methode ausser¬ 
ordentlich segenbringend. Helferich stellt 4 Gruppen von Krankheiten 
auf, bei denen er die Tamponade empfiehlt, darunter tuberculöse, alle sep¬ 
tischen Wunden, Blutungen, Krankheiten des Intestinal- und Genitaltractus. 
Der Segen dieser Tamponade erhellt am besten bei den früher so trostlosen 
Zungencarcinomoperationen, deren tödtliche Gefahr jetzt bis auf ein Minimum 
herabgesetzt ist (Wölfler, Billroth). 

Indess das Jodoform ist doch nur ein trockenes Pulver, welches zur 
Desinfection von Gegenständen und der Hände unbrauchbar ist. Bei uns in 
Deutschland ist nun das Car bol fast ganz von dem Sublimat verdrängt ; 
worden, während in England und Frankreich noch sehr viel mit Car bol, mit- ' 
unter streng nach List er, gearbeitet wird. Unsere bacterienbegeisterte ! 
Zeit hatte aber ganz vergessen, das chemische Verhalten des Sublimats in i 
den menschlichen Geweben zu beobachten. Erst in den letzten Jahren hat 1 
Fürbringer, Liebreich u. A (Therap. Monatshefte 1887) sich damit be- ! 
fasst. Sublimat, welchos nach Keaction und Verhalten als Säure zu be- i 
trachten ist, giebt mit Brunnenwasser gemischt Oxydniederschläge ver¬ 
schiedenster Art und zersetzt sich bald in sich selbst, indem sich unlösliches 
Calomel zu Boden schlägt. Für Wundzwecke ist nun die Säure recht un¬ 
angenehm und reizend. Deshalb wird das Sublimat mit 1 o/o Kochsalz oder 
Salmiak neutralisirt, was auf die Wunde reizmildernd wirkt. 

• Der Kochsalzzusatz hat aber noch den weiteren Vortheil, dass das Ei- 
weiss nicht durch die Lösung, wie durch Sublimat, coagulirt wird, dass keine 
Oxydniederschläge erfolgen, und dass die Lösung sich daher viel länger hält. 
All’ dies hat schon im Jahre 184. r > Mialhe gelehrt. Angerer hat für 
praktische Zwecke Sublimat-Kochsalzpastillen ä 10 Pf. anfertigen lassen, 
welche die Herstellung einer Sublimatlösung durch Brunnenwasser sehr 
bequem machen, und Liebreich redete der Sublimatseife das Wort, welche 
aber frei von überschüssigem Alkali sein muss, wodurch eine Fällung des 
Hg bewirkt würde. — Laplace setzt zum Sublimat Weinsäure hinzu. Die 
Desinfectionskraft des Sublimat wird dadurch eine viel grössere, Eiweiss 
wird nicht zu Hg-Albuminat coagulirt. 

Die Gefahren, welche aber das Sublimat trotz aller Mischungen be¬ 
sonders in den serösen Höhlen bringt, Hessen viele Chirurgen auf ein gleich 
kräftiges, aber weniger gefährliches Mittel sinnen, und Langenbuch sieht 
ein solches in dem Jodtrichlorid, von dem der Autor selbst und nach 
bacteriologischen Studien Fischer sehr befriedigende Resultate mittheilt, 
das aber von anderer Seite noch nicht genugsam geprüft ist. Es soll das 
Mittel besonders in der Bauchhöhle in grösseren Mengen ohne Nachtheil 
angewandt werden können. 

Noch ein Wort über das Terpentinöl. Mau hält dasselbe gemeinig¬ 
lich für ein sehr energisches Antiparasiticum und benutzt es chirurgisch 
zum Reinigen der Haut. Die Untersuchungen von Koch (Milzbrandsporen) 
und von v. Holmfeld (Aureus blieb, 3 Stunden in dem Del gelassen, noch 
lebensfähig und war nach 5 Std. erst abgetödtet) zeigen uns, dass das Ter¬ 
pentinöl kein keimtödtendes Mittel I. Ranges ist. Ich möchte hier nicht 
auch auf die Grawitz’sehen Versuche eingeheu, nach welchen man 
durch keimfreies Terpentinöl Eiterungen zu erzeugen im Stande ist, da uns 
das zu weit führen würde, sondern wende mich sofort zu den Verband¬ 
stoffen. Wenn Maas seinen Sublimat-Kochsalz-Glycerin-Gazeverband, 
Morisani (Italien) seinen sublimirten Sägespäneverband empfiehlt, wenn 
wir die obigen Bestrebungen betrachten, so sehen wir schon, wie schwankend 
noch die Art der Wundbehandlung ist. wie geringe Uebereinstimmung 
in ihrer Anwendung herrscht. 


483 

v. Bergmann ging einen Schritt weiter: er versah die Stoffe nicht 
mit einem Desinficiens, sondern begnügte sich mit dem einfachen Ste- 
rilisireu derselben iu einem Hennobcrg'schen Dcsinfector, und in 
der That wäre diese Methode die idcal>to, wenn nur die Verbandstoffe von 
der gleich starken hygroskopischen Beschaffenheit wären, wie die von 
Leisrinek, Hagedorn etc. eiugeführteu Moospräparate. Vor einigen 
Jahren nun hätte Niemand gewagt, sich von der früher gestellten Grund¬ 
bedingung für jeden Verbandstoff loszusagCD: Hagedorn aber wendet seit 
ca. vier Jahren das Sumpfmoos an, wie es uns die Natur schenkt, stark 
von Bacterien aller Art — wie ich mich überzeugt habe — wimmelnd. Er 
verzichtet auf jede Desinfection und legt seine Kissen etc. nach den grössten 
Operationen, wie Laparotomie. Amputationen, Herniotomieen etc. etc., auf 
die Wunde, welche vorher nur mit einem Sublimatgazeläppchen belegt wird, 
v. Volk mann hat diese Methode, welche an Einfachheit und Billigkeit 
wohl von keiner übertroffen wird (ein Verband nach einer Obersehenkel- 
amputation kostet noch nicht 50 Pf.), ebenfalls in seine Klinik eingeführt, 
und die Wunden heilen so schnell und gut wie bei völlig aseptischem 
Material. Trotzdem würde man — im Sinne unserer heutigen 
Zeit — besser das Moos in grossen Dampfapparaten sterili¬ 
siren. obgleich dadurch eiue Besserung der Resultate nicht garantirt. wird. 
Denn wir müssen es gestehen: Wenn der eine mit Antiparasiiicis, der andere 
rein abacteriell, der dritte ohne Rücksicht auf die Keime verbindet, wenn 
in England prächtige Resultate ohne jedes Wundmittel bei Operationen 
erreicht werden, wenn andererseits früher bei ausgedehnterer Anwendung 
von Desinticientien schlechtere Resultate erreicht wurden —. so kann die 
Wundbehandlung noch lange nicht zu einem Abschlüsse gelangt sein. Wir 
können heute nur sagen: Der Schwerpunkt für eine gute Wundheiluug liegt, 
nicht in der Art des Verbandes, nicht darin, ob man „Watte. Gaze 
Sägespäne, Holz oder Waldwolle, Moos, Zucker oderjiaffee“, wie Hagedorn 
trefflich bemerkt, anwendet, sondern sie liegt iu noch nicht völlig erkannten 
Verhältnissen, während der Operation, welche man heute unter dem 
Collectivnamen „Aseptik" zusammenfasst. Wie viel wirklich auf die Art 
der Keime, wie viel auf ein. Freisein \on denselben, wie viel auf die 
Reactivität der Gewebe, wie viel auf das hygroskopische Verhalten der Ver¬ 
bandstoffe für eine glatte Wundheiluug zu geben ist. soll die Zukunft 
lehren. — 

Zum Schlu>s noch ein kurzer Hinweis auf die Leistungsfähigkeit des 
Hagedoi u scheu Operationstisches. Für den praktischen Arzt, ja 
auch für eine Klinik giebt es bis jetzt nichts zweekiuässigeres und ange¬ 
nehmeres, als die Verwirklichung des Gedankens, den Abfluss in der Median¬ 
linie des Tisches bei schief gestellten Tischplatten nach einem unter dem 
Tische stehenden Eimer hin anzubriugen. Ich kann diesen auch von 
Völker uud Kranke benutzten Tisch aus eigener Erfahiung mit vollem 
Herzen empfehlen, nur müsste der Preis viel niedriger bemessen sein- 

(Fortsetzung folgt.) 

VI. Feuilleton. 

Pariser Brief. 

Dejerine, einer der hervorragendsten Schüler Vulpian's uud 
augenblicklich Arzt am Bieetre, machte vor Kurzem der Biologischen 
Gesellschaft eine äusserst interessante .Mittheilung über Anatomie 
und Pathologie der Tabes. Die namhaftesten Forscher, u. a. 
Charcot, Pierret. Leyden, Westphal haben festgestellt, dass 
die Muskelatrophie der Extremitäten und des Stammes von einer 
Atrophie der motorischen Zellen abhängt. Nach Dejerine verhält 
es sich nicht immer so. Nach ihm hängt die Amyotrophie der 
Tabiker von einer Veränderung der peripherischen motorischen 
Nerven ab, ohne Betheiligung der vorderen grauen Substanz und 
der motorischen Zellen. Er hat fünf Tabiker auf das sorg- 
i faltigste beobachtet und nach dem Tode derselben peripherische 
i Nerven, Ganglien uud Rückenmark untersucht. Drei von den 
) Kranken boten den Aran-Duchenne’schen (Typus dar, der 
vierte hatte die seapulo-humerale Form, bei dem fünften Kranken 
endlich, bei dem die Atrophie wenig ausgesprochen war, waren nur 
j die Adductores digitorum der oberen Extremitäten betroffen. Alle 
. zeigten ausserdem eine mehr oder weniger ausgesprochene Atrophie 
| der unteren Extremitäten. Keiner von den Patienten hatte intra 
i vitam fibrilläre Zuckungen. Die idiomuskuläre Contractiou war 
l vermindert oder fehlte. Die faradische Reizbarkeit stand im Ver- 
hältniss zu dem Umfang der atrophirten Muskeln: einmal war 
partielle EaR notirt. Bei sämratlichen Patienten war die Muskel¬ 
atrophie sehr langsam fortgeschritten. Vier derselben waren Tabiker 
in sehr vorgeschrittenen Stadien der Erkrankuug, der fünfte hatte 
Pseudotabes. 

Die histologische Untersuchung ergab folgende Resultate: Von 
! Seiten der Muskeln: Atrophie mit ausgesprochener Pigmentation 
• der Primitivbündel uud interstitieller Verfettung. Von Seiten der 
Nerven: Aeusserst intensive Neuritis der intramuskulären Nerven 
und der entsprechenden Nervenstämnie. Die genannten Nerven 
bestehen fast nur noch aus den leeren Scheiden; man findet nur 
wenige vereinzelte normale Nervencylinder in jedem Präparat und 
keine oder fast keine Cylinder im Stadium der Veränderung, eine 
1 Eigenthümlichkeit. die der langsamen Entwickelung der Atrophie 
; entspricht. Man kann die Läsionen der motorischen Nerven in 
j diesen Fällen am besten mit denjenigen in den hinteren Wurzeln 
! in vorgeschrittenen Tabesfällen vergleichen. Das histologische Bild 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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484 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 24 


ist dasselbe. Diese Veränderung der intramuskulären Nerven und 
der entsprechenden Stämme ist proportional dem Grade der Atrophie 
und wird geringer in dem Maasse, als man entferntere Parti een des 
Nervenstamines untersucht; die von den Plexus ausgehenden grossen 
Stämme sind immer normal oder fast normal. Die vorderen Wur¬ 
zeln wurden stets intact gefunden und waren nicht von anderen 
Wurzeln von Individuen zu unterscheiden, die an beliebigen anderen 
Affectionen gestorben waren. Die Zellen der Vorderhörner waren, 
was Form. Zahl. Grösse etc. anlangt, immer normal. Dasselbe 
gilt von den vorderen Wurzelbündelu, und das Lumen der Vorder¬ 
hörner zeigte in allen Fällen, bei Auwendung des Weigert'schen 
Färbeverfahrens, ebenso zahlreiche Markstrahlen, Axencylinder und 
Gefässe wie in der Norm. Mit andereu Worten, die Vorderhörner 
des Rückenmarks der fünf von Dejerine untersuchten Tabiker 
zeigten ein vollständig normales Verhalten. 

Dejerine glaubt sich zu dem Schlüsse berechtigt, dass iu der 
weitaus grössten Zahl der Fälle die Muskelatrophie der Tabiker 
von einer Neuritis der peripherischen motorischen Nerven abhängt-. 
Es besteht also nach ihm bei diesen Kranken neben der sensiblen 
Neuritis der Haut, welche er bereits im Jahre 1882 beschrieben 
hat, eine motorische Neuritis, welche mit der erstereu grosse Ana¬ 
logie besitzt. Alle beide sind um so ausgesprochener, je entfernter 
die untersuchten Nerveostämme von den Centren liegen, alle beide 
sind peripherischer Natur, denu in den Fällen von cutaner Neuritis 
sind, wie Dejerine gezeigt hat, die spinalen Ganglien ohne jede 
Veränderung, ebenso wie. nach den vorstehend geschilderten histo¬ 
logischen Befunden, hei der motorischen Neuritis die Zellen der 
Vorderkörner intact sind. Dejerine kommt endlich zu dem 
Schluss, dass im Verlaufe der Tabes die motorische Neuritis, weniger 
häufig als die eutane Neuritis, als zugehörig zu der Sklerose der 
Hinterstränge betrachtet werden muss, deren Symptomatologie sie 
in gewissen Fällen so eigenthümlich zu modificiren vermag. 

Pitres und Vaillard haben sich ebenfalls mit den Ver¬ 
änderungen der peripherischen Nerven beschäftigt, sie haben jedoch 
ihre Untersuchungen an drei Individuen gemacht, die an trauma¬ 
tischem Tetanus zu Grunde gegangen waren. Ihre Untersuchung 
bezweckt die Prüfung der Ansicht jener Chirurgen, welche die 
fragliche Complication von Wunden auf die Entstehung einer Neu¬ 
ritis und auf das Fortschreiten der zuerst in den Nerven iu den 
verletzten Partieen zur Entwickelung gelangten Entzündung zu den 
Centren zurückführen wollen. Sie kommen zu dem Schluss, dass, 
selbst wenn solche Läsionen bestehen, nichts beweist, dass sie die 
Ursache des Tetanus sind, denn häufig fehlen dieselben. Man muss 
also nach der Ansicht der genannten Autoren die neurotische Theorie 
des traumatischen Tetanus aufgeben. 

Cornil hat vor einigen Wochen der Akademie der Medicin 
eine Mittheilung von Chantcmesse und Widal vorgelegt, nach 
der dieselben den pathogenen Mikroorganismus der epi¬ 
demischen Dysenterie gefunden haben wollen, die in den Tropen 
so viele Europäer dahinrafft. Sie haben denselben aus den Organen 
eines Menschen gezüchtet der in Algier an der Dysenterie du 
Tonkin starb, ferner von vier weiteren Individuen, die, aus Fran- 
zösisch-Guvana zurückgekehrt, in Paris starben. Der Mikrobe soll 
ein wenig bewegliches Stäbchen mit abgerundeten Enden darstellen 
und findet sich im Dickdarm, im Netz und in der Leber. Thiere, 
die damit geimpft wurden, starben an Dysenterie und zeigten immer 
Läsionen in der Muscularis des Dickdarms, besonders in der Um¬ 
gebung der Ganglien. — Roy doMericourt, Chefarzt der Marine, 
erhob Einwäude gegen diese Beobachtungen und führte eine leb¬ 
hafte Polemik mit Cornil. auf die wir hier nicht eingehen wollen, 
wir erwähnen sic nur. um zu zeigen, dass es im Lande Pasteurs 
noch viele Gelehrte giebt. die nicht zugeben wollen, dass eine Reihe 
von Krankheiten durch die Invasiou vou Mikroorganismen hervor¬ 
gerufen werden, oder wenigstens, ehe sie sich überzeugen lasseu, 
Beweise verlangen, welche die Wissenschaft nicht liefern kann, so 
etwa: ob die Mikroben gleichzeitig mit den Menschen entstanden 
sind? oder ob sie ihnen der Zeit nach vorausgehen? Cornil schloss 
diese Discussion denn auch mit der geistreichen Wendung: .Man 
wirft meinen Schülern vor, dass sie sich auf dem Gebiete des Ro¬ 
manhaften bewegen, und man verlangt von ihnen, dass sie Mytho¬ 
logie treiben.“ 

In der letzten Sitzung der Akademie der Wissenschaften legte 
Berthelot eine Mittheilung von Professor 0. Liebreieh überdas 
Lanolin vor, deren Schlussfolgerungen, die ich, weil ich für deutsche 
Leser schreibe, welche die Arbeiten Liebreiehs kennen, hier nicht 
wiederzugeben brauche, und die das lebhafteste Interess ehervorriefen. 
Am Sonnabend vorher las Liebreich auf Einladung von Brown- 
Se<|uard, Vorsitzenden der Biologischen Gesellschaft, vor dieser 
Vereinigung seine Abhandlung über locale Anästhesie, die er eiuige 
Tage vorher auf dem Congress in Wiesbaden vorgetragen hatte. 

Im vorigen Jahre, etwa um dieselbe Zeit wie heute, berichtete 
ich Ihnen in einem meiner Briefe über Vulpian und seine Ar¬ 


beiten; Vulpiau s Lehrstuhl an der Ecole de Medectne ist soeben 
durch die Ernennung von Straus wieder besetzt worden. Man 
kann wohl sagen, dass diese Ernennuug die officielle Anerkennung 
der hohen Bedeutung der bacteriologischen Forschung durch die 
medicinische Facultät bedeutet, und für denjenigen, der den Geist 
kennt, der innerhalb der Facultät herrscht, ist diese Ernennung 
von höchstem Gewicht. Straus ist „ Pastorien “ — so nennt man 
hier diejenigen, welche sich mit dem Studium der Mikroorganismen 
beschäftigen —. ein . Pastorien “ im wahren Sinne des Wortes, denn 
er hat nicht nur im Laboratorium der Rue d'Ulm gearbeitet, son¬ 
dern er war auch der Leiter der französischen Choleracommission 
in Egypten, und im letzten Jahre hat er, mit dem Lehrauftrag für 
experimentelle Pathologie betraut, sich mit dem Studium der In- 
fectionskrankheiten, in erster Liuie des Milzbrand, beschäftigt. Die 
Richtung seiner Studien lag also vollkommen klar, und die Facultät 
hat ihn gewählt mit voller Kenntuiss seiner Anschauungsweise und 
der Richtung, die er seinem Unterricht geben würde. — Wenn es 
übrigens bei uns noch Leute giebt, welche die Gefahren der An¬ 
steckung durch pathogene Keime leugnen, so sind es, von ein oder 
zwei Ausnahmen abgesehen, uicht die Chirurgen, auf die sich dies 
bezieht. Ich will zum Beweis nur die Thatsacbe anführen, dass die 
Fabrikanten von chirurgischen Iustrumenten grosse Sorgfalt darauf 
verwenden, ihre Instrumente in der Weise zu vereinfachen, dass 
nach Möglichkeit alle Ecken und Winkel vermieden werden, in 
denen sich Staub oder Eiterreste ansammeln köunen. Fast kein 
Instrumentenmacher verfertigt jetzt noch das gewöhulicbe Bistouri 
mit Holz- oder Elfeubeinlieft, sondern nnr noch vollständig metallene 
Bistouris. Die Klinge ist gewöhnlich an das Heft angeschweisst. 
doch habe ich auch bereits solche Bistouris gesehen, bei denen das 
Heft mit einem Federmechanismus eiuen Ansatz der Klinge um¬ 
greift, so dass man zu Reinigungszwecken die Klinge von dem Heft 
trennen kann. 

Rouvier machte der Akademie der Wissenschaften kürzlich 
eine Mittheilung, wonach die Enden der Venen in den sympa¬ 
thischen Ganglien sich zu einer Art Ampulle erweitern sollen, 
so dass das Blut sich in ihnen aufstauen könne. In den Venen des 
cerebrospinalen Systems finde sich diese Anordnung nicht. 

Die Akademie der Medicin beschäftigt sich noch immer mit der 
Vorbereitung eines Gesetzentwurfes, betreffend die Prophylaxe der 
Syphilis. Die Discussiou hat sich namentlich auf die Maassregeln 
erstreckt, die zu ergreifen sein würden, um die Prostitution einzu- 
schränken, uud darauf, wem — Gericht oder Verwaltungsbehörde 
— die Entscheidung über Fragen der Prostitution, so also auch über 
die Anordnung einer obligatorischen ärztlichen Untersuchung zu¬ 
stehen soll. Die Akademie hat lauge Reden über diesen Gegenstand 
augehört und hat zuletzt dahin entschieden, dass ihr in dieser 
Frage, die ausserhalb ihres Bereiches liege, kein Votum zustehe. 

Straus und S. Toledo haben der Biologischen Gesellschaft 
eine Mittheilung unterbreitet, wonach sie bei weiblichen Thieren in 
einer Zeit von drei Stunden bis zu drei Tagen niemals die An¬ 
wesenheit von Mikroorganismen in den Hörnern des Uterus und im 
Uteruskörper constatiren konnten, dass vielmehr die Einführung des 
Anthraxbacillus, des Bacillus der Septicämie, des Staphylococcus pyo¬ 
genes aureus in die Uterushöhle niemals irgend welche Wirkung 
hatte. Dieselben schienen auf der Stelle zerstört oder ausgeschie¬ 
den zu werden. Diese Resultate näheru sich also denen, welche 
D öder lein im vorigen Jahre erhoben hat, und noch mehr den¬ 
jenigen. welche Bumm kürzlich veröffentlichte. 

Im vorigen Jahr hat Auvrard unter dem Namen „ Tuterelle “ 
ein kleines Instrument bekannt gemacht, welches die Ernährung 
von Säuglingen erleichtern soll, die zu schwach siud, um zu saugen. 
Das Instrument hatte die Form eines Trichters, der in zwei An¬ 
sätze auslief. An dem einen war ein Kautschukrohr angebracht, 
welches die Mutter auf die Brust setzte und daran sog, um die 
Milch austreten zu lassen. Auf den anderen wurde ein Sauger ge¬ 
setzt. so dass, wenn sich eine gew isse Quantität Milch in dem Ap¬ 
parat befand, das Kind dieselbe mit leichter Mühe aussaugen 
konnte. Das Instrument hatte jedoch den grossen Fehler, dass, 
wenn es ein wenig zu viel Milch enthielt, oder w r enn man es nicht 
in ganz richtiger Stellung hielt, ein Theil der Milch der Mutter in 
den Mund floss. Budin hat dieses Instrument in sehr glücklicher 
Weise modificirt, so dass dasselbe vielleicht dazu dienen könnte, 
ohne Gefahr für die Amme, syphilitische Kiuder zu ernähren. Der 
Apparat, der auf die Brustwarze gesetzt wird, hat die Form eines 
Schröpfkopfs mit breitem Rand. Da wo die Ampulle den grössten 
Umfang hat. befinden sich zwei Ansätze. Der obere dient für die 
Anbringung des Kautschukrohrs, an dem die Mutter saugt, der an¬ 
dere für die des Saugers für das Rind, ln Folge dieser Anordnung 
wird sich jede noch so kleine Quantität Milch da ansainmclu, wo 
sich der Ansatz für das Kind befindet, das Saugen der Amme hin 
dort das des Kiudes nicht, weil ersteres seinen Angriffspunkt an der 
Luftschicht über der Milch, letzteres an der Milch selbst hat. Ist 


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14. Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 485 


das Kind kräftiger, so sticht man in das Hütchen des Saugers 
Löcher ein, die keinen Substanzverlust machen, ist das Kind sehr 
schwach, so macht man die Löcher grösser. 


VII. Referate und Kritiken. 

A. E. Vogl. Anatomischer Atlas zur Pharmakognosie. 60 Tafeln 
in Holzschnitt. II — IV. Heft. Wien und Leipzig, Urban und 
Schwarzenberg, 1887. Holzschnitte aus dem xylographischen 
Atelier von F. X. Matoloni iu Wien. Ref. Buchwald. 

Das zweite bis vierte Heft umfasst die Tafeln 16—60 uud bildet 
den Schluss des Werkes. Es enthält unter auderrn die Abbildungen 
von Folia Sennae, Flores Cinae, Fructus Anisi stellati, Fructus Cubebae, 
Semen Strvchni, Semen Colchici, Cortex Ohinae, Condurango, Rhizoma 
Filicis, Bulbus Scillae, Rad.Ipecacuanhae, Rad.Rhei. AmylumMarantae. 
Lycopodium und dessen Verwechselungen resp. Verunreinigungen. 
Wir haben bereits bei Besprechung des ersten Theiles die Güte der 
Abbildungen, die wahrhaft prachtvolle Ausstattung rühmend hervor¬ 
gehoben und können nur bemerken, dass der zweite vorliegende 
Theil ganz dieselben Vorzüge besitzt. Allen denjenigen, welche 
sich mit der Anatomie der Droguen näher bekannt machen wollen, 
oder gediegene Abbildungen zu Unterrichtszwecken gebrauchen, kann 
das Werk nur angelegentlichst empfohlen werden. 


Spengler. Die Veränderungen des Radialpulses während und 
nach Aenderung der Körperstellung, untersucht an Ge¬ 
sunden und Kranken. (Ein Beitrag zur Diagnose der Herz¬ 
schwäche.) Inaugural - Dissertation. Zürich, 1887. Referent 
Alexander, Breslau. 

Die vorliegende Arbeit zeichnet sich ebenso sehr durch den Fleiss und 
die Sorgfalt aus. mit welcher der Verfasser eine grosse Anzahl zum Theil 
recht schwieriger Untersuchungen an Gesunden und Kranken anstellte, als 
auch durch die gesunde Kritik, welche er an die erhaltenen Resultate an¬ 
legt Die letzteren stimmen mit dem, was frühere Autoren über denselben 
Gegenstand, aber mit anderen Instrumenten festgestellt haben, im Wesent¬ 
lichen überein. Der Verfasser bediente sich zu seinen Untersuchungen aus¬ 
schliesslich des Dudgeon’sehen Sphyginographen, welcher sich bei Beob¬ 
achtung gewisser genauer mitgetheilter Vorsichtsmaassregeln sehr gut be¬ 
währte. Spengler fand beim Gesunden wie beim Kranken den Blutdruck 
am niedrigsten, im Stehen, höher im Sitzen und am höchsten im Liegen. 
Beim Gesunden ist der Blutdruck, gemessen durch die Höhe der primären 
Ascension der Pulswelle, um 10 bis 12% beim Liegen höher als beim 
Sitzen und um ungefähr ebensoviel höher beim Sitzen als beim Stehen. Diese 
Differenzen sind um so grösser, je grösser das Individuum ist. Beim Pneu- 
moniereconvalescenten steigt die Differenz beim Uebergang aus der liegenden 
in die sitzende Stellung auf 40 bis 60 %• Beim Vitium cordis und bei 
der chronischen Nephritis sind die Differenzen umso geringer, je mächtiger 
die Hypertrophie des Herzens und je vollkommener die Compensation der 
Kreislaufstörung ist. Bei Erkrankungen des Herzmuskels sind die Diffe¬ 
renzen umso grösser, je weiter vorgeschritten die Degeneration des Herz¬ 
muskels ist. Gewisse unvorhergesehene Todesfälle, welche bei Pneumonie- 
reconvalescenten beim Aufsitzen beobachtet worden sind, glaubt Verfasser 
durch das oben Mitgetheilte erklären zu können. Bezüglich der übrigen 
aus diesen Untersuchungen sich ergebenden praktischen Schlussfolgerungen 
muss auf die Arbeit selbst verwiesen werden. Letztere ist mit einer grossen 
Anzahl von Pulscurven ausgestattet. 


Graeber. Zur klinischen Diagnostik der Blutkrankheiten. 

67 S. Leipzig, Hirschfeld 1888. Ref. Fürbringer. 

Einem z. Th. kritischen historischen Expose lässt Verfasser die 
Darstellung seiner eigenen „hämatologischen Studien“ in 20 Kapiteln 
folgen. Als Zweck derselben kündigt er das unverblümte Programm 
an, „an einem grösseren Materiale zu zeigen, was eine Vereinigung 
der vollkommensten Untersuchungsmethoden des Blutes im Gebiete 
der pathologischen Diagnostik zu leisten im Stande ist“. 

Als beachtenswerthe Resultate, gewonnen insbesondere an 
Chlorotischen durch anscheinend einwandsfreie (im Originale ein¬ 
zusehende) Methoden der mikroskopischen Untersuchung, der 
Laache’sehen trockenen Messung der Blutkörperchen, Bestimmung 
ihrer Zahl (nach Thoma) und des Hämoglobingehaltes (nach 
Vierordt) unter Mitberücksichtigung der Leukocyten, Uebergangs- 
formen und Blutplättchen einerseits, der Prüfung der Reaction des 
Blutes nach dem Verfahren von Landois andererseits heben wir 
folgende heraus: 

Im circulirenden Blute existiren weder Mikro- noch Poikilo- 
cyten; vielmehr kommt es zu diesen postmortalen Gestaltver¬ 
änderungen in Folge von Wasserentziehung, vermehrtem Wasser¬ 
gehalt, mechanischer Läsion durch Druck, gegenseitiger Berührung, 
Wechsel der Erwärmung etc. „Riesenblutkörperchen“ (von 10 ^auf¬ 
wärts) hat Graeber in keinem normalen Blute, die gekörnten 
Ehrlich’schen Megaloblasten überhaupt nicht gesehen. 

Bei der Chlorose (die Verfasser mit eigenartiger Strenge von 
den Anämieen als oligocythämischen und hydrämischen Zuständen 
scheidet) bewegt sich die Blutkörperchenzahl unter Herabsetzung 


des Hämoglobingehalts im Bereich des Normalen; die Leukocyten 
verhalten sich normal, die rothen Blutkörperchen zeigen eineu 
mässig verkleinerten Durchmesser. Hingegen ist bei der acuten 
und chronischen Anämie die Blutkörperchenzahl und dement¬ 
sprechend der Hämoglobingehalt herabgesetzt. Chlorotische In¬ 
dividuen können secundär anämisch werden, es kann Chlorose uach 
Anämie bezw. „nach Ueberwindung der anämisirendeu Störung“ fest¬ 
gestellt werden. 

Auch rücksichtlich der Therapie steht Graeber nicht an, eine 
sehr scharfe Grenze zwischen Chlorose und Anämie zu ziehen, in¬ 
sofern bei ersterer von einer rein diätetischen Behandlung nicht viel 
zu erwarten ist, hingegen grosse Dosen Eisen unbedingt (?) zum 
Ziele der Besserung (nicht Heilung) führen. 

Mit Rücksicht auf die oben angeführte Blutbeschaffenheit bei 
Chlorose lehnt es Verfasser ab, dass Knochenmark, Milz und Lymph- 
drüsen Sitz der Erkrankung siud. Die Formveränderuugen der 
rothen Blutkörperchen deuten auf eine Alteration des Blutplasmas, 
uud zwar beruht letztere vorwiegend auf einer abnorm starken 
Alkalescenz. Graeber hält es für möglich, dass die Heilwirkung 
des Eisens in einer Alkalientziehung besteht. 

Wer mit Aufmerksamkeit die Arbeitsweise des Verfasser verfolgt, 
wird sich von der Redlichkeit und Gediegenheit seines Strebens 
überzeugen müssen. Nichtsdestoweniger darf man gespannt sein, ob 
Nacharbeiten zu einer Bestätigung der z. Th. recht auffallenden 
Resultate gelangen werden. Derjenige, welcher an einem sehr 
grossen Materiale Bleichsüchtiger, Blutarmer, pernieiös Anämischer etc. 
unbefangene mikroskopische Untersuchungeu angestellt, wird sich 
gewisser Bedenken namentlich bezüglich der scharfen Trennung 
von „Chlorose“ und „Anämie“ nicht erwehren können. 


A. E. Fick Ueber Erkältung. Habilitationsrede. Zürich, 1887. 
28 S. Ref. Für bring er. 

Verf. ist weise und bescheiden genug, diese seine Habilitationsrede 
mit der Anerkennung des „Wagnisses - , über Erkältung zu sprechen, zu 
beginnen und sie mit dem Wunsche zu schliesseu, dass seine Erörterungen 
für den einen oder anderen Collegen eine „Anregung“ zu weiterer For¬ 
schung sein mögen. Immerhin bietet die kleine Schrift manches Wissens- 
werthe, entbehrt vor Allem nicht einer gesunden Kritik der einschlägigen 
Literatur. Die eigene Statistik weist 96 Fälle auf, von denen 44 mit dem 
Begriff der allgemeinen bis zum Frösteln und subjectiven Unbehagen ge¬ 
steigerten Wärmeentziehung rechnen, 43 Erkältung durch Contra st (plötz¬ 
liche Abkühlung des erhitzten Körpers) repräsentiren und 9 sich durch 
dauernde Abkühlung eines Körpertheilos erkältet hatten (nasse Füsse etc.). 
Die Beobachtung lehrte nun (gewiss in Uebereinstimmung mit den Voten 
der meisten unbefangen und objectiv urtheilenden Aerzte. Ref.), dass in 
der „überwiegenden Mehrzahl“ der Fälle der erwartete Katarrh oder Rheu¬ 
matismus nicht eintrat. In dem kleinen Bruchtheil, wo leichter Schnupfen, 
Husten oder rheumatische Beschwerden der Erkältung folgten, handelt es 
sich nach des Autors Meinung entweder um rein zufällige Coincidenz oder 
eine latent bereits vorhandene Krankheit, welche durch die 
Erkältung in eine manifeste verwandelt wird. Die von zahllosen 
Menschen unabhängig von einander gewonnene Ueberzeugung von der hohen 
Bedeutung der Erkältung parallelisirt Fick mit dem Hexenglauben, der 
Jahrhunderte lang ganze Völker bis hinauf zu den gebildetsten Classen 
seuchenartig befallen hatte. 

Ref. kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die Aufmerksamkeit auf 
ein unfreiwilliges Experiment grossartigen Massstabes mit bemerkenswerthem 
Resultat zu lenken: Am Tage der Beisetzung von Kaiser Wilhelm haben sich 
mehrere Hunderttausende von Menschen einem riesigen Nordost bei durch¬ 
schnittlich — 4 0 eine Reihe von Stunden vorwiegond unter den denkbar 
ungünstigsten Verhältnissen ausgesetzt. Die für die nächsten Tage erwartete 
Steigerung der Krankenaufnahme in die grossen Anstalten Berlins blieb aus, 
desgleichen ein bemerkenswerther Zuwachs der Privatklientel der Aerzte. 


E. Nordenson. Die Netshautablösung. Untersuchungen über 
deren pathologische Anatomie und Pathogenese Mit einem Vor¬ 
wort von Th. Leber. 255 S. Mit 27 Tafeln. 27 Mark. Wies¬ 
baden, J. F. Bergmann, 1887. Ref. Horstmann. 

Zunächst giebt Nordenson eine Uebersicht über die Kennt¬ 
nisse der anatomischen Veränderungen und der Pathogenese der 
Netzhautablösung, indem er besonders das Verhältoiss der Myopie 
zur Netzhautablösung bespricht, und theilt alsdann in ausführlicher 
Weise die anatomische Untersuchung von 4 Augen, darunter 3 
myopischen und 1 emmetropischen, mit spontaner ophthalmoskopisch 
diagnosticirter Netzhautablösung, von einem Auge mit ophthalmo¬ 
skopisch diagnosticirter Netzhautablösung bei Retinitis albuminurica 
und von 2 Augen mit ophthalmoskopisch diagnosticirter Netzhaut¬ 
ablösung bei Chorioidealtumor mit. Ein weiterer Theil der Arbeit 
enthält die statistische Uebersicht über 126 Augen mit spontaner 
ophthalmoskopisch festgestellter Reraotio retinae aus der Göttinger 
Klinik. 

Auf Grund dieser Untersuchungen sucht Nordenson die 
Ursache der Netzhautablösung in einer vorausgehenden Veränderung 
des Glaskörpers, welche darin besteht, dass derselbe, schon in nor¬ 
malem Zustande von feinfaseriger Beschaffenheit, dichtfaseriger 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 24 


wird. In Folge dessen schrumpft derselbe, und die Schrumpfung 
führt zunächst zu einer Ablösung des Glaskörpers, dann aber auch 
der Netzhaut. Ob eine Netzhautablösung entsteht oder ausbleibt, 
hängt davon ab, ob der Glaskörper mit der Netzhaut innig zu- 
samraenhängt oder nicht. Wenn der Glaskörper durch seine 
Schrumpfung bis zu einer bestimmten Grenze abgehoben ist und j 
immer weiter schrumpft, so übt er einen Zug auf den mit ihm zu- j 
sammenhängenden Theil der Netzhaut, wodurch eine Zerreissung ! 
der letzteren bewirkt wird. Wahrscheinlich ist dies der Grund der 
rasch sich entwickelnden Ablösungen. Die Schrumpfung des Glas- j 
körpers kann auch einen Zug auf Linse, Zonula Zinnii. Processus j 
ciliares und Iris ausüben, wodurch eine Vertiefung der vorderen | 
Kammer zu Stande kommen kann. Die Ursache einer Umwandlung 
des noch durchsichtigen Glaskörpers in dichtfaserige Masse und | 
eine Schrumpfung derselben ist wohl in einer Ernährungsstörung zu j 
suchen, hervorgerufen durch entzündliche Vorgänge besonders in j 
der Chorioidea, welche man bei den bisherigen Untersuchungen 
stets gefunden hat. Dass die Netzhautablösung häufiger myopische , 
Augen befällt, dürfte wohl darauf beruhen, dass Chorioiditis in 
myopischen Augen besonders häufig auftritt, und dass es eine hoch- | 
gradige Form von Myopie gieht, die aller Wahrscheinlichkeit nach 
durch Chorioiditis veranlasst wird. Die Schrumpfung des noch [ 
durchsichtigen Glaskörpers macht sich mitunter bei intraocularen j 
Tumoren geltend und kann zur Entstehung der Netzhautablösung | 
beitragen, ebenso auch in Augen mit chronischem Glaucora. 

Die äusseret fleissige Arbeit von Nordenson ist ein werth¬ 
voller Beitrag zur Pathogenese der Netzhautablösung. Wenn auch 
nicht alle Symptome dieser Krankheit hier eine ausreichende Er¬ 
klärung finden, so sind doch eine grosse Reihe von Punkten klar 
gestellt worden, auf denen fussend die Möglichkeit gegeben ist, die 
noch fraglichen zur Erledigung zu bringen. 

Die Ausstattung ist eine vorzügliche, 27 Tafeln in trefflicher 
Ausführung sind dem Werke beigegeben, so dass der Preis von 
27 Mark ein durchaus angemessener ist. 

F. Dimmer. Der Augenspiegel und die ophthalmoskopische 
Diagnostik. 175 S. Leipzig und Wien, Toeplitz & Deuticke, 
1887. Ref. Horstmann. 

Vorliegendes Werk ist in erster Linie für den Praktiker und 
den Anfänger bestimmt. Es enthält in gedrängter Form Alles das, 
was für denselben erforderlich ist, um den Augenspiegel zur 
Diagnose der Refractionsanomalieen und der intraocularen Er¬ 
krankungen mit Erfolg verwenden zu können. 

Jsidor Neumann. Atlas der Hautkrankheiten. Lief. VI und 
VII. gr. 4°. Wien, W. Braumüller, 1887. Ref. H. Köbner 
(Berlin). 

Mit diesen zwei, rasch nach einander erschienenen Lieferungen 
bat. der Verfasser werthvolle Fortsetzungen seines höchst instructiven 
Tafelwerkes geliefert. Die VI. Lieferung enthält sehr schön gelungene 
Tafeln von Erythema et Herpes Iris, Psoriasis nigra, Pur¬ 
pura scorbutica, Lupus vulg., Elephantiasis Graecorum 
(= Lepra), Favus; die VII. Erythema annnlare et gyrat., 
Herpes zoster gangraenos., Pemphigus foliac., Purpura 
variolosa II, Rhinosclerom und Sarcomatosis cutis trunci. 
Es wäre schwer zu sagen, welcher unter diesen Tafeln man den 
ersten Preis zuerkennen wollte. Auf der letzten ist ein sehr typischer 
Fall von bereits ulcerirten, verbreiteten Sarcomen in sofort erkenn¬ 
barem, nach Zeichnung und Farben vorzüglichem Bilde vorgeführt, 
welches zweckmässiger Weise das auch „Sarcoma cutis“ betitelt 
gewesene Bild desselben Falles in einer der früheren, sonst gleichfalls 
vortrefflichen Lieferungen ergänzt, das viel eher einer Urticaria 
(gyrata) ähnelte und erst durch den jetzt beigefügten Text sich 
legitimirt. 

Bezüglich des Textes wäre es vielleicht angezeigt gewesen, der 
blossen Beschreibung dieses concreten Falles, welchem der Verfasser 
allerdings gelegentlich der bezüglichen Tafel in der V. Lieferung (so 
wie bei den anderen Tafeln) den seinem bewährten Lehrbuch entlehnten 
Text über die mannichfachen Arten und Formen der Hautsarcome, 
aber mit etwas zu knappen Strichen vorausgeschickt hat, einige 
diagnostische Angaben beizufügen. Gerade über die Sarcome der 
Haut herrscht, wie noch unlängst die Monographie Leon Perrin’s 
dargethan hat, bei Vielen Unklarheit, und wer auch nur wie Referent 
in einer grösseren ärztlichen Gesellschaft multiple Hautgeschwülste 
als „Sarcome“ demonstriren, einige Jahre später aber, nach statt¬ 
gefundener anatomischer Untersuchung, als gewöhnliche Fibrome (im 
Arch. f. path. Anat.) wieder erscheinen gesehen hat, dem muss eine 
möglichst präcisirte Darstellung dessen, was allein den Anspruch auf 
jene Dia- und Prognose hat, als ein sehr erwünschtes Postulat er¬ 
scheinen. — Ebenso wären dem Text zu dem schönen Bilde von 
»Favus“, so weit er die Culturen betrifft, statt der von Neu mann im 
Anschluss an die im Anfang der 60er Jahre von dem Referenten, 


Karsten u. A. auf flüssigen Nährmedien gemachten und von 
ihm abgebildeten Aussaaten, besser die neueren auf festen Nähr¬ 
böden zu Grunde zu legen und auch als deren von allen Kennern 
derselben übereinstimmend gefundenes Resultat, die gegen Hebra’s 
Identitätshypothese von dem Referenten schon 1864 in seinen 
„klinischen und experimentellen Mittheilungen“ sicher gestellte 
Verschiedenheit des Achorion Schönlein vom Triohophyt. tonsur. 
und dem Mikrosporon furfur. kurz anzuführen gewesen. Die Citate 
der vielen botanischen Irrungen oder nebensächlichen Angaben von 
Hallier bis auf Grawitz (1877), welche letzterer, wesentlich auch 
auf Grund späterer Impfungen mit Favus-Reinculturen, nach unserer 
„epidermoidalen“ Impfmethode der pflanzlichen Hantparasiten und 
an einem von uns instruirten Zuhörer ja längst (1886) zurückge¬ 
nommen und dagegen unsere, an uns selbst und an Thieren ge¬ 
wonnenen experimentellen Ergebnisse völlig bestätigt hat, erscheinen 
überflüssig, zumal Neu mann die letzteren gänzlich acceptirt hat. 

Allein diese Ausstellungen an nur wenigen Textstellen berühren 
nicht im Geringsten den hohen Werth des Bilderwerkes, welches 
wir für das Selbststudium sowie für den akademisch-klinischen 
Unterricht auf Grund der musterhaften, von dieser Verlagshandluug 
seit Decennien betätigten Ausstattung und als eine notwendig ge¬ 
wesene Ergänzung neben den viel kostspieligeren grossen dermato¬ 
logischen Atlanten nur wärmstens empfehlen können. 


VIII. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. 

Sitzung am 4. Juni 1888. 

Vorsitzender Herr v. Adel mann; Schriftführer Herr Lang e n b ucli. 

1. Herr Professor Adelmann leitete die Sitzung ein mit einem statisti¬ 
schen Vortrage über die operative Entfernung des knöchernen Brust- 
gflrtelsy eine Operation, die bislang entweder gelegentlich der Entfernung 
des Schulterblattes oder der Exarticulation des Armes aus dem Schulter¬ 
gelenke in den Lehrbüchern abgehandelt wurde. Erst im Jahre 1887 hat 
Prof. Paul Berger in Paris die in Rede stehende Operation monographisch 
behandelt und sie dadurch als eine specielle der operativen Chirurgie ange¬ 
reiht. Redner giebt eine kurze Analyse dieser verdienstvollen Arbeit, 
welche auf 51 mehr oder weniger ausführlich mitgetheilten Fällen beruht: 
da Berger jedoch eine Anzahl veröffentlichter Fälle entgangen sind, und 
andere erst nach dem Erscheinen seines Buches operirt sind, hat sich 
Redner veranlasst gesehen, eine vervollständigte Tabelle, aus 67 Fällen be¬ 
stehend, auszuarbeiten, die er den Anwesenden vorlegt 

Um die Erfolge der Operation statistisch darzustellen, theilt Redner 
diese 67 Fälle in drei Hauptkategorieen, je nach den Krankheiten, welche 
die Indication für dieselbe abgaben: Traumata, Ernährungsstörungen der 
Gewebe und recidivirende Neubildungen. 

Die erste Kategorie umfasst 14 Fälle, von denen 9 in Heilung, 5 in 
Tod übergingen. Hinsichtlich des letzteren muss der Unterschied festgehalten 
werden, ob der Tod von der Operation unmittelbar abhängig war oder aus 
gleichzeitiger Verletzung anderer Organe erfolgte. 

Die zweite Kategorie (Caries etc.) enthält drei Fälle mit ebenso 
vielen Heilungen, bei einem durch mehrere aufeinander folgende kleinere 
Operationen. 

Die dritte Kategorie begreift 50 Fälle von recidivirenden Neu¬ 
bildungen, unter denen die Sarcome die erste Stelle einnehmen. Zu ihrer 
Beurtheilung hat Redner die Berger’sehe Unterscheidung, ob die Weg¬ 
nahme der Knochen auf einmal oder in verschiedenen Zeiträumen aus¬ 
geführt wurde, beibehalten, denn sie ist sowohl in operativer als patholo¬ 
gischer Beziehung begründet. 

Bei Beurtheilung der Erfolge müssen ausserdem die Todesfälle wieder 
gesondert werden in solche, welche von der Operation in Abhängigkeit 
stehen und die durch Metastasen des Uebels entstanden. 

Das Allgemeinresultat der Operation bei Neubildungen ist kein glän¬ 
zendes. Unter 25 in einer Sitzung Operirten wurden 10 geheilt und starben 
15, unter 19 zweimal Operirten starben 10, von 4 dreimal Operirten wurden 
3 geheilt, von den 2 sechsmal Operirten wird einer als genesen angegeben, 
bei dem zweiten trat 4 Jahre nach der sechsten Operation dennoch Tod 
durch Recidiv ein — im Ganzen also 24 Heilungen und 26 Todesfälle. 
Die Heilungszahl ist leider wahrscheinlich noch zu optimistisch aufgefasst, 
weil manche Berichte zu kurze Zeit nach der Operation veröffentlicht wur¬ 
den, und wir bis jetzt aus den Erfahrungen keine Frist festzutellen ver¬ 
mögen, vor Ablauf welcher definitive Heilung angenommen werden darf. 
Die Metastasen zeigen sich freilich meistens bald, doch sind auch deren erst 
nach 1V» Jahren und später beobachtet worden. Vor 4 Jahren sollte man 
nach Würdigung des pathologisch-anatomischen Charakters der Neubildung 
die Prognose für das Leben nicht günstig stellen. 

Ausser den mangelhaften Berichten über die Zeit derRecidive, entweder in 
loco oderinder Brust- oder Unterleibs- oder anderen Organen, fehlt in den meisten 
Krankheitsgeschichten der genaue Befund der Athraungswerkzeuge vor der 
Operation; denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die Metastasen dieser Neu¬ 
bildungen schon bestanden, als die Schulterschwellung die Anzeige zur 
Operation gab. Leider ist indessen die Geschwulst selbst oft ein unüber- 
steigliches Hinderniss für Auscultation und Percussion, sollten aber krank¬ 
hafte Erscheinungen entdeckt werden, so wären sie Gegenauzeigen der Ope¬ 
ration, deren Unterlassung die Statistik derselben bessern würde. Mit diesem 
Grundsätze Hand in Hand geht derjenige der möglichst frühzeitigen 
Entfernung alles Erkrankten, um diese Operation als eine wirklich lebens¬ 
rettende erscheinen zu lassen. 


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14. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


487 


Ein versöhnender Puukt in dem trüben Gemälde ist der Umstand, dass 
bei den recidivirenden Geschwülsten der Operationstod gegen den Recidivtod 
zurücktritt 10 zu 16. Shock ereignete sich nur 3 Mal, darunter einmal 
wegen zu zarten Alters, ein zweites Mal wegen Ueberausdehnung der Ope¬ 
ration mit gleichzeitigen Rippenresectiouen. Ferner trat Tod ein durch 
starken Blutverlust während der Operation, durch Nachblutung aus Ab¬ 
gleiten der Ligatur der Art. subclavia —, durch Entkräftung! —, durch 
folgende Gangrän der Wunde —, durch Eitervergiftung (noch in vorautisep- 
tischer Zeit). In einem Falle litt die Operirte bereits an Lungenmetastasen 
und Empyen, in einem anderen Falle an Herzverfettung. In manchen der 
Fälle wäre die Operation besser unterblieben, in anderen traten unglückliche 
Ereignisse ein, die mit dem Traumatismus nicht in Verbindung standen. 

Die procentischen Berechnungen scheinen bei der bis jetzt zu geringen 
Zahl erschöpfender Berichte noch nicht am Platze zu sein. 

2. Herr Bardelebeu stellte einen Mann mit gehellter Schädel wunde 
vor. Patient wurde Nachts bewusstlos und stark nach Alkohol riechend, 
anscheinend tief trunken, in die Königl. (’haritee gebracht. Derselbe war 
von einem Nachtwächter durch einen Säbelhieb am Kopf verletzt worden. 
Ausser einigen unbedeutenden Wunden fand sich am Kopfe eine 10 cm 
lange, in der Gegend der Pfeilnaht beginnende, etwa in der Mitte des linken 
Scheitelbeins nach vorn, aussen, und abwärts verlaufende, klaffende Wunde 
der Kopfschwarte mit glatten Rändern, ln dieser Wunde sah man eine fast 
ebenso lauge Knochenwunde verlaufen, ebenfalls mit glatten Rändern. 
Impressionen des Schädels wareu nicht zu constatiren. Das in der 
Knocheuwunde befindliche Blut zeigte deutliche pulsatorische Bewe¬ 
gungen. 

Nach gründlicher Reinigung der Wunde und Extractiou von 2 kleinen 
Knochensplittern, Naht und Verband. 

Sechs Stunden später ergab sich freies Sensorium, aber starke 
articulatorische Sprachstörung. Patient bringt die Worte nur mit Mühe und 
unvollständig heraus. Urin wird spontan entleert. 

Patient klagt über Kopfschmerzen. Keine l'ebelkeit, kein 
Erbrechen, kein Schwindelgefühl. Pupillen zeigen keine Differenz. 
Puls 108, regelmässig. Deutliche Parese der Muskulatur des rechten 
Vorderarmes. Bewegungen im rechten Handgelenk unvollkommen. Hände¬ 
druck sehr schwach, Bewegungen der Finger eingeschränkt Bewegungen 
im Schalter- und Ellenbogengelenk vollkommen frei. Leichte Parese des 
Facialis. An den unteren Extremitäten keine Abnormitäten. Nirgends 
Sensi bilitätsstörungen. 

Am 2. Tage haben Sprachstörung und Facialisparese zugenommen. 
Ebenso die Parese des rechten Armes. Puls 84, regelmässig. Ophthal¬ 
moskopische Untersuchung: links enge Arterien, weite geschlängelte Venen. 
An einzelnen Stellen der Peripherie weissliche Trübungen Temperatur 
Morgens 38,1, Abends 38,9. 

Am 3. Tage ausser Zunahme der Sprachstörung keine Aenderuug. 
Baucbhaut-, Cremasteren- und Fusssohlenreflex rechts (gegen links) bedeutend 
herabgesetzt. Temperatur Morgens 38,0. Abends 9 Uhr treten plötzlich 
Krämpfe iro rechten Arme und Beine auf. Dauer 5 Minuten. Sensorium 
während des Anfalls frei. Starke Schweisssecretion. 

Am 4. Tage kann Patient die Zunge herausstrecken, was soust nicht 
möglich war. Die Zunge weicht stark nach rechts ab. Urin frei von Eiweiss 
und Zucker, Puls 70, Temp. 37,5. 

Nachmittags ein zweiter Anfall von 5 Minuten Dauer. Beginn der 
Zuckungen gleichzeitig im Facialisgebiet und im rechten Arm; die rechte 
untere Extremität wurde erst später befallen. Sensorium frei, Abends 
abermals ein Anfall. 

Am 5. Tage Morgens ein Anfall, Puls 86, Temp. normal. Im Laufe 
des Tages nochmals ein Anfall. 

Am 6. Tage Morgens ein Anfall. Zuckungen blieben auf die rechte 
obere Extremität beschränkt. Allgemeinbefinden gut. Stuhlgang. Facialis¬ 
parese im Abnehmen. Parese des rechten Armes vermehrt. Puls 72. 
Temp. normal. 

Am 7. Tage Facialisparese geringer. Bewegungen des rechten 
Armes freier. Puls 80, Temp. normal. Nachmittags ein Anfall ohne Be¬ 
theiligung des rechten Beines. 

Am 8. Tage Facialisparese geringer. Sprachstörung hat nachgelassen. 
Nachmittags eiu leichter Anfall von klonischem Krampf im Facialisgebiet. 
Kein Fieber. 

Am 9. Tage Sprachstörung geringer. Sonst keine Veränderung. 
Wunde per primam geheilt. Kein Anfall. 

Am 10. Tage sämmtliclie Symptome in Rückbild mg begriffen. 

Am 16. Tage Parästhesieen im rechten Arm. 

Am 28. Tage rechte Hand noch etwas schwach. 

Im Uebrigen Wohlbefinden und keine motorischen Störungen. 

Dieser Fall ist nicht nur als eine unter antiseptischer Behandlung voll¬ 
ständig geheilte penetrirende Schädelwunde vod Interesse, sondern besonders 
auch als ein zufällig ausgeführtes physiologisches Experiment. In der That 
waren hier gerade diejenigen Theile der Hirnrinde getroffen, in denen sich 
die motorischen Centralorgane für die Sprache, für den Facialis (mit Aus¬ 
schluss des Augentheils) und für den Vorderarm gelegen finden. Es er- 
giebt sich dies sehr leicht, wenn man die Richtung der Wunde auf einen 
Schädel zeichnet, auf welchem die Lage der oben angeführten Centralorgane 
vorher angedeutet ist. Dieselbe entspricht fast ganz genau der Central¬ 
furche und weicht von dieser nur in ihrem unteren Theile etwas nach 
hinten ab, so dass sie im Ganzen etwas mehr vertical liegt. 

3. Herr Fehleisen stellt zwei Fälle von Echinococcm* der Milz vor, 
deren einer von Herrn Geheimrath v. Bergmann, der andere in Ver¬ 
tretung des Letzteren vom Vortragenden operirt wurde. 

Im ersteren Falle, welcher am 22. November 1886 operirt wurde, han¬ 
delte es sich um eine grosse und sehr .bewegliche Cyste, um eine Wander- 
milz, weshalb sich Herr Geheimrath v. Bergmann zur Exstirpation des 
ganzen Organs entschloss. Die Kranke überstand die Operation sehr gut, 


sie ist heute vollständig gesund und arbeitsfähige Veränderungen des 
' Blutes waren zu keiner Zeit nachweisbar, ebenso wenig hat sich eine An- 
Schwellung der Lymphdrüsen oder der Schilddrüse eingestellt. 

Der zweite Kranke wurde am 25. Februar dieses Jahres nach Volk- 
mann operirt. Der Verlauf war fieberfrei, die Wunde ist seit einer Woche 
| vernarbt. (Beide Krankengeschichten werden ausführlich veröffentlicht 
1 werden ) 

4. Herr v. Bergmann deraoustrirt das Präparat eines Fibroins, wel- 
' ches er vor 6 Stunden aus der Zunge eines 59 jährigen Mannes entfernt 

hatte. Patient 'bemerkte schon vor 20 Jahren, dass seine Zunge dicker 
wurde. In letzterer Zeit bildeten sich auf ihrem hinteren Abschnitte und 
j Rücken etwa in der Höhe der Arcus palato-glossi zwei Höcker, deren einer, 

! und zwar der grössere, rechts nahe der Mittellinie sass, während der kleinere 
dem linken Rande angehörte. Dort, wo sich der erstere vom ZuDgenrücken 
erhob, besass er eine halsförmige Einschnürung, so dass man ihn für eine 
i gestielte Geschwulst hätte halten können, wenn nicht die ganze Wurzel der 
! Zunge sich hart und fest angefühlt hätte, eine Härte, welche den ganzen 
mittleren Theil der Basis einnahra und ebenso in der Mulde eine Strecke 
weit noch gegen die Spitze des Organs sich forterstreckte. Die Operation 
zeigte, dass mitten und dicht im Fleische der Zunge eingelagert ein mehr als 
I gänseeigrosses gelapptes Fibrom steckte Die Höcker, welche die Oberfläche 
I der Zunge überragten, entsprachen zwei Knollen der Neubildung. Das Fibrom 
1 konnte nicht durch einfache Spaltung der Zunge in der Mitte ihres Rückens 
! entfernt werden, da es zu fest mit dem Septum linguae verbunden war, es 
j musste noch ein Schnitt aussen am Halse in der Regio suprahyoidea hinzu- 
i gefügt werden. Eiue stumpfe Ausschälung war unmöglich, die Muskelfasern 
mussten von dem Tumor Zug für Zug abpräparirt werden. Es kann kaum 
i ein Zweifel darüber bestehen, dass er seinen Ursprung von der derben La¬ 
melle geformten Bindegewebes genommen hat, welche die Mitte der Zunge 
wie eine Scheidewand durchsetzt. So erklärt sich auch, dass die Auslösung 
ohne Verletzung einer der beiden Lingualarterien möglich war. 

Der Vortragende weist auf die Seltenheit der lipomatösen und fibroma- 
tösen Geschwülste in der Zunge hiu und möchte die Grösse des vorgezeigten 
Präparats als ein Unicum anseheu. 

5. Weiter stellt Herr v. Bergmann eine 50 Jahr alte Patientin V. vor, 
die am 18. Januar von ihm wegen eines Darmkrebses operirt wurde. Das 
absteigende Colon war ergriffen am Uebergang in’s S. romanum, und der 
höckerige Tumor in inniger Verbindung mit der Darmbeinschaufel. Nach 
der Laparotomie und Bioslegung der kranken Stelle, fand sich eine zweite 
Darmschlinge so innig mit ihr verwachsen, dass die Resection des Colon 
descendens nicht genügte; es musste auch noch diese zweite Schlinge, welche 
zunächst für Dünndarm gehalten wurde, resecirt werden. Hierbei musste ein 
grosses Stück des Mesocolons, das theils mit den Fortsätzen der primären 
Geschwulst, theils mit krebsig erkrankten Lymphdrüsen durchsetzt war, ent¬ 
fernt werden, wobei selbstverständlich zahlreiche Ligaturen, auch um grössere 
Arterien und Venen angelegt wurden. Die bloss angewachsene und in ihrer 

I Schleimhaut unveränderte zuletzt resecirte Darmschlinge wurde durch eiuc 
j circulare Darmnaht vereinigt, die beiden Enden des den Krebs tragenden 
[ und mit diesem entfernten Abschnittes vom Colon descendens aber in die 
i Wunde eingenäht und sp ein künstlicher After angelegt. Das vorgezeigte 
Präparat dient zur Erläuterung der Verhältnisse an den resecirten Dann- 
schlingen und dem mitexstirpirten Colon. 

Ara zweiten Tage nach der Operation liess die höhere Körpertemperatur, 
i der aufgetriebene Leib, die Schmerzhaftigkeit desselben, sowie die Brech¬ 
neigung der Patientin die Entwickelung einer Peritonitis fürchten. Die 
Wunde wurde deswegen wieder aufgemacht und die zusammengenähte Darm¬ 
partie herausgezogen. In der That war das eine Ende in der Nähe der 
Naht missfarbig und offenbar gangräuös. so dass jetzt auch diese Schlinge 
nach Auftrennung der Naht in die Bauchwunde eingenäht wurde. So wareu 
vier Darmlumina in der letztem befestigt worden. Das Allgemeinbefinden 
der Patientin besserte sich, Auftreibung und Schmerzen Hessen nach. Die 
Wunde eiterte. Fast vier Wochen später, am 15. Februar, stiess sich ein 
fast Fuss langes gangränöses Darmstück ab. Die Suppuration nahm alsdann 
immer mehr ab, und es hinterblieb eine den Koth so gut wie ausschliesslich 
abscheidende Wunde von dem Umfange eines 5 Markstücks, aus der sich 
Falten prolabirender Darmschleimhaut drängten. Als dieser Trichter behufs 
! weiterer Operation des Anus praeternaturalis im März näher untersucht 
wurde, glaubte der Vortragende vier Darmöffnungen in ihm finden zu müssen, 
war aber nicht wenig erstaunt, nur zwei durch eiue derbe Scheidewand von 
einander getrennte Rohre anzutreffen. Leicht konnte durch lujectioueu vom 
Mastdarm aus das eiue als das untere Darmende, das andere als ein oberes 
erkannt werden. Patientin hatte sich gut erholt und ernährt. Eine nähere 
Untersuchung des aufbewahrten durch die Operation gewonnenen Präparats 
ergab, dass beide resecirten Schlingen dem Dickdarm angehörten. Mithin 
ist nur eines denkbar, dass das ganze Dickdarmstück, welches zwischen dem 
obern Ende des carcinomatösen Darmsegmeuts und der untern zu zweit rese- 
; cirten Schlinge lag, gangränös und ausgestossen worden ist. An die Haut 
I wuchsen dann nur an das obere Ende der zweiten Schlinge und das untere 
| Ende vom erst resecirten Stücke. Die Ligaturen am Mesocolon dürften wohl 
, der Grund für diese ausgedehnte, aber sich so glücklich begrenzende Darm- 
j gangrän gewesen sein. 

Die vorgestellte Patientin, au welcher die Verwachsungsverhältnisse der 
Darraenden demonstrirt werden, ist während des April zahlreichen und jetzt 
endlich geglückten Versuchen zur Beseitigung des die ausmündendeu Darm¬ 
enden trennenden Sporns unterworfen worden. Demnächst soll durch Darm¬ 
naht und plastische Operation der Anus praeternaturalis beseitigt werden. 

I 6. Herr v. Bergmann stellt noch zwei Kinder vor. Das eine 11 Mo¬ 
nate alte trägt neben einer grossen Hydromeningocele am Krensbein- 
segment der Wirbelsäule einen Wasserkopf mit breit offener Fontanelle. 
Der Vortragende erzählt, wie durch Druck auf den Sack über den gespalto- 
nen oberen Kreuzbeinwirbeln die grosse Fontanelle stärker gespannt werden 


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488 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 24 


kann, und zugleich der Puls des Kindes sich verlangsamt und dieses in tiefen 
Sopor verfallt. 

Das zweite 5 Monate alte Kind hat keinen Wasserkopf. Die grosse 
Fontanelle scheint vielmehr schon geschlossen. Allein am Hinterhaupt 
sitzt eine Geschwulst von nahezu der gleichen Grösse, wie sie der Kopf 
des Kindes zeigt. Dieselbe findet sich über einem mediau gelegenen Spalt 
der Hinterhauptsschuppe, welche von der Protuberantia occipitalis bis in den 
hintern Umfang des Foramen magnum zieht. Auch die oberen Halswirbel 
sind, wie man deutlich fühlen kann, gespalten. Die kugliche Geschwulst 
ist dort, wo sie an Schädel und Halswirbelsäule grenzt, gestielt. Der Stiel 
ist schmal und gestattet daher gut die erwähnten Verhältnisse an der Hinter¬ 
hauptsschuppe und den Halswirbeln zu durchtasten. Der Vortragende ver¬ 
breitet sich mit Hinweis auf seine Demonstration auf dem Chirurgencongress 
dieses Jahres über die Möglichkeit der Operation dieser occipitalen Meningo- 
und Kncephalocysten. 

7. Herr L. Heideuhain machte auf die von Salkowski (Deutsche 
ined. Wochenschr. No. 16, 1888) angegebene Methode der Anfbewahrang 
frischer anatomischer Präparate in Chloroformwasser aufmerksam. 
Heidenhain zeigte ein fast faustgrosses Sarconi von mittlerer Consistenz, 
das er am 2. Mai, also vor nahezu 5 Wochen in nach Gutdünken bereitetes 
Chloroformwasser eingelegt hat, ohne sich seitdem um das Präparat weiter 
zu kümmern, insbesondere die Conservirungsflüssigkeit zu wechseln. Ein 
Tbeil des in dem Präparat enthaltenen Blutes ist in die Flüssigkeit über- ! 
gegaugen und dort durch das Chloroform zersetzt worden: die Flüssigkeit 
hat eine trübe, schmutzig braunrothe Farbe angenommen. Das Präparat 
selbst hat sich vollkommen frisch erhalten, zeigt nicht die mindesten Spuren 
von Zersetzung; der Tumor ist weder gequollen noch geschrumpft, seine 
Farbe fast rein weiss, wie sie es im frischen Zustande war; vielleicht ist 
er ein wenig mit gelöstem Blutfarbstoff imbibirt. Das Unterhautzellgewebe 
ist etwas aufgequollen, die Haut ein wenig bräunlich gefärbt, das sind alle 
Veränderungen. Im Ganzen bietet das Präparat ein treues Bild dessen, wie 
es unmittelbar nach der Operation ausgesehen hat. 

Chloroform verhindert nach Salkowski alle durch die Lebensthätigkeit 
von Mikroorganismen bedingten Fermentationsvorgänge, so die alkoholische, 
die ammoniakalische Harnstoff- und die Milchsäuregährung, ebenso die bac- 
teritische Eiweissfäulniss. Harn, Milch, Zuckerlösungen, Fleischaufguss halten 
sich, mit wenig Chloroform durchschüttelt, in geschlossenem Gefiisse Monate 
lang unverändert- Intensiv stinkender, von Bacterien wimmelnder Fleisch¬ 
auszug war, mit einigen Tropfen Chloroform durchgeschüttelt, nach einer 
Stunde steril. Anatomische Präparate von nicht zu grossem Umfang halten 
sich in Chloroformwasser (es lösen sich 5 ccm Chi. in 1 1 Wasser, doch 
muss Chloroform im Ueberschusse vorhanden sein) vollkommen frisch, ebenso 
in Chloroformdämpfen. Weitere Angaben über desinficirende Eigenschaften 
des Chloroforms a. a. 0. 

Das Salkowski’sche Verfahren erscheint beachtenswertb wegen der 
Billigkeit und der leichten Bereitung der Conservirungsflüssigkeit an jedem 
beliebigen Orte; es dürfte sich insbesondere zu Deraonstrationszw ecken, 
für Präparate, die bei Operationen gewonnen werden und in einigen Tagen 
oder Wochen vorgezeigt werden sollen, empfehlen. Das einzig unangenehme, 
der Uebergang des Blutfarbstoffes in das Chloroformwasser, lässt sich viel¬ 
leicht durch vorheriges starkes Auswässern oder durch Wechsel der Con¬ 
servirungsflüssigkeit nach einiger Zeit beseitigen. 

Herr Bardeleben macht in der Discussion auf die antiferraentative 
Wirkung des Chloroforms aufmerksam in seiner Anwendung als Zusatz zur 
Schreibtinte, Klebelösungen und Gummi arabicum, um die Schimmelung zu 
verhüten. Auch hat Herr Bardelebeu schon in früheren Jahren kleine 
Mengen Chloroforms dem Wasser, in welchem er frische anatomische Prä¬ 
parate kurze Zeit aufbewahren wollte, hinzugesetzt. 

Herr Adel mann fragt, ob bereits mikroskopische Untersuchungen be¬ 
züglich der durch das Chloroformwasser bedingten Texturveränderungen in 
den Präparaten angestellt seien. 

Herr Heidenhain verneint dies. 

Herr Bardelebeu bemerkt, dass die feinere Textur in allen wasser¬ 
haltigen Flüssigkeiten afficirt würde. 

Herr Mehlbausen erklärt, dass Nahrungsmittel wegen des anhaftenden 
Geschmacks nach Chloroform in Chloroform nicht conservirt werden könnten. 

Herr Bardeleben bemerkt hierzu, dass der Chloroformgeschmack auch 
nicht durch Kochen beseitigt werden könne. 

Nächste Sitzuug unter Vorsitz des Herrn Bardeleben am 2. Juli in 
der Königl. Charite (Sommerlazareth). 


IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 24. Januar 1888. 

Vorsitzender: Herr Ourscbmann, später Herr Schede. 
Schriftführer: Herr Sick. 

1. Herr Körn mell stellt einige Patienten vor, bei welchen er 
vor mehr oder weniger langer Zeit Kropfexstirpationen vorge¬ 
nommen hat, und glaubt, dass die Fälle einiges Interesse bean¬ 
spruchen, da im Allgemeinen das Vorkommen von Kröpfen in 
Hamburg und Umgegend ein relativ seltenes zu nennen ist. K. be¬ 
tont, dass ein operativer Eingriff niemals aus kosmetischen Gründen, 
sondern nur in denjenigen Fällen vorgenommen wurde, in denen 
trotz Anwendung anderer Mittel eine Besserung der bestehenden 
bedrohlichen Symptome nicht eintrat. Es ist, wie K. meint, vor 
allem die Lage der Strumen zur Trachea mit allen ihren Consequenzen, 
die bekannte säbelscheidenförmige Abplattung, das dadurch be¬ 
dingte immer enger werdende Lumen der Luftröhre, der sich 


mehr und mehr steigernde Stridor, die Druckatrophie der Nn. recur- 
rentes, schliesslich die Venenstauung am Halse, die allmähliche 
Dilatation des rechten Herzens mit folgender Atrophie oder fettiger 
Degeneration u. a. mehr, was die von Rose betonten grossen Gefahren 
der Strumen veranlasst. Eine grosse pendelnde Struma bereitet 
ausser den kosmetischen Nachtheilen dem Träger weit weniger 
Gefahren als die tiefer sitzenden, oft kaum sichtbaren substemalen 
Formen. Ein weiteres Moment, welches den Kropf als ein nicht 
gering zu achtendes Leiden erscheinen lässt, besteht in dem eben¬ 
falls von Rose zuerst betonten sog. Kropftod. Es ist nicht selten 
beobachtet, dass mit Struma Behaftete ohne vorherige besonders 
hochgradige Beschwerden, plötzlich in Folge von Asphyxie, ver¬ 
bunden mit Herzparalyse, zu Grunde gingen; auch eine sofort aus¬ 
geführte Tracheotomie vermochte nur selten den Tod abzuwenden. 
Dieser Ausgang wurde nach Rose durch eine plötzliche Abknickung 
der durch eine bindegewebige Atrophie der Trachealknorpel er¬ 
weichten und schliesslich in einen „Luftschlauch“ verwandelten 
Luftröhre veranlasst. Diese bisher allgemein acceptirte Anschauung 
wurde durch zahlreiche laryngoskopische Untersuchungen, welche 
Bruns bei Kropfkranken vornahra und bei denen er stets das Vor¬ 
handensein der Säbelscheidenform der Trachea constatirte, sowie 
durch den positiven Befund nach Kropfexstirpationeu und endlich 
durch die mikroskopischen Untersuchungen als unhaltbar anerkannt. 
Durch letztere wurde constatirt, dass es sich niemals um eine Er¬ 
weichung oder bindegewebige Atrophie der Knorpelringe handelt, 
und dass die seitliche Abplattung und winklige Knickung der 
Knorpelringe allein genügt, um die leichte Umknickung der Trachea 
und die dadurch bedingte schwere Asphyxie oder Tod zu erklären. 
Auch K. konnte in allen zur Operation gelangten Fällen die seit¬ 
liche Abplattung, die Säbelscheidenform constatiren. Von dem 
plötzlichen Eintreten des Kropftodes konnte sich K. vor zwei Jahren 
an einem zur Operation in das Marienkrankenhaus aufgenommenen 
ca. 45 Jahre alten Patienten überzeugen. Derselbe hatte eine-etwa 
zw'ei Faust grosse Struma, welche bereits ausserhalb zu häufigen 
Athemstörungen Veranlassung gegeben hatte. Trotz täglichen Zu¬ 
redens konnte sich der ängstliche Patient nicht zur Operation ent¬ 
schlossen; es wurde daher mit Jodkali innerlich und mit Injectionen 
von Sol. Fowleri in den Pareuchymkropf eine Rückbildung des¬ 
selben angestrebt. Nachdem nach 3wöchentlicher Fortsetzung dieser 
Behandlung die Beschwerden mehr und mehr Zunahmen, und sich 
Patient endlich zur Operation entschlossen hatte, trat plötzlich in 
der Nacht, welche dem Operationstage vorausging, ein asphyctischer 
Anfall und innerhalb weniger Minuten der Tod ein. Die Autopsie 
ergab eine hochgradige seitliche Abplattung und winklige Knickung 
der Trachealknorpel, sowie eine deutliche Atrophie beider Nn. recur- 
j rentes. 

Was die sonstigen zur Beseitigung des Kropfes angegebenen 
Mittel, speciell die von Lücke empfohlenen parenchymatösen .Tod- 
injectionen anbetrifft, so hat sich K. niemals entschliessen können, 
dieselben anzuwenden, denn einmal ist der Erfolg ein immerhin 
unsicherer und wohl nur bei Parenchyrakröpfen im jugendlichen 
Alter beobachtet, während Colloidkröpfe und fibröse Strumen wenig 
beeinflusst werden, und dann ist die mit einer Jodinjection verbun¬ 
dene Gefahr eine nicht unerhebliche; wurden doch Rose z. B. 
6 Fälle bekannt, in denen nach diesem anscheinend geringfügigen 
Eingriff die Patienten entweder direct starben oder nach wenigen 
Stunden zu Grunde gingen, mag nun der Tod durch eine Embolie 
oder nach Bruns Ansicht durch eine directe Nervenläsion des 
Vagus oder Recurrens durch die Jodtinctur und dadurch bedingte 
Stimmbandlähmung mit Glottisverschluss u. a. veranlasst sein. Bei 
allen Strumen versucht K., mit Jodkali oder Arsenik innerlich dar¬ 
gereicht und gleichzeitigen parenchymatösen Injectionen von Sol. 

I Fowleri eine Rückbildung des Kropfes anzustreben. Bei jugend- 
! liehen Individuen waren die Erfolge zuweilen recht auffallend, bei 
denen, welche mit bereits bestehenden Beschwerden zur Behandlung 
und später zur Operation kamen, wurde eine nennenswerthe Wirkung 
i niemals erzielt. 

In Anbetracht des zweifelhaften Erfolges parenchymtöser In¬ 
jectionen ist als das radicale Mittel zur Beseitigung der das Leben 
gefährdenden Kröpfe die Exstirpation derselben anzusehen. Bei Cysten¬ 
kröpfen giebt K. derlncision oder der Exstirpation den Vorzug vor der 
nicht ungefährlichen Punction und Jodinjection. Kropfexstirpationen 
hat K. in den letzten Jahren 8 (sämmtlich geheilt) vorgenommen: 
der Wundverlauf war in allen Fällen, abgesehen von Unbehagen 
während der ersten Tage, ein ungestörter, fast stets mit primärer 
Heilung endigender. Von den 8 Patienten können nur 4 vorgestellt 
werden, da zwei nicht in Hamburg anwesend, die beiden anderen 
nicht erschienen sind, sämmtliche Patienten sind zur Zeit gesund 
und ohne Beschwerden. In 6 Fällen handelte es sich um stärker 
entwickelte nach Aussen vortretende Parenchymkröpfe, in einem 
Falle um eine retrosternale Struma, in einem Falle um einen in 
Folge von Typhus central entwickelten Kropf: in allen Fällen wurde 


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14. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


489 


eine partielle Exstirpation vorgenommen, also ein Theil der Drüse 
zurückgelassen, während in einem Falle die totale Entfernung der 
Struma ausgeführt wurde. Bekanntlich hat die totale Entfernung 
der Schilddrüse nach den Beobachtungen einiger Schweizer Chirurgen 
Reverdin, Juillard und besonders Kocher in vielen Fällen 
schwere Störungen des Allgemeinbefindens im Gefolge, welche unter 
fast demselben Bilde wie das Myxoedem einhergehen und von ; 
Kocher als typisches Krankeitsbild unter dem Namen Cachexia ! 
strumipriva zusammen gefasst wurden. Bruns konnte bereits über 
32 Beobachtungen von Cachexia strumipriva berichten; Kocher sah I 
von 18 Patienten, bei denen die Totalexstirpation ausgeführt war, j 
nur 2 frei von der Cachexie, und bei diesen war ein Kropfrecidiv vor- J 
banden, welches von einem zurückgelasseuen Rest oder einer acces- i 
sorischen Schilddrüse ausgegangen war. Das Leiden beginnt gewöhnlich j 
1—2, zuweilen erst 3—6 Monate nach der Operation. Es handelt sich ' 
bei demselben, wie es Bruns sehr charakteristisch zusammengefasst, | 
um eine schwere progressive Cachexie unter dem Bilde eines kretiuoiden 
Zustandes, verbunden mit einer charakteristischen Gedunsenheit des ; 
Gesichtes, Alteration der Haut, Schwäche und Schwerfälligkeit der | 
körperlichen Bewegungen bei erhaltener Muskelkraft, sowie endlich I 
Abnahme der geistigen Regsamkeit. Auf die verschiedenen zur j 
Erklärung dieser sonderbaren Erkrankung aufgestellten Hypothesen 
einzugehen, ist hier nicht der Ort. Was die Ausführung der 
Operation anbetrifft, so ist K. im Allgemeinen der von Kocher 
angegebenen typischen Operationsform gefolgt. Durch einen am 
äussern Rande der Struma verlaufenden Bogenschnitt lässt sich ein 
genügend grosser Hautlappen zurückpräpariren. Die über den 
Tumor ausgebreiteten Muskeln werden in der Längsrichtung ge- j 
spalten und bei Seite gezogen, wenn nöthig quer durchschnitten, | 
und die Kapsel freigelegt. Es werden nun nach Unterbindung der 1 
blutenden kleinen Gefösse die Art. thyreoidea inf. und dann die j 
superior mit Ligaturen versehen und durchschnitten, und zuletzt ; 
die Lösung des Kropfes von der Trachea vorgenommeu. Nach Ent- ( 
fernung des Isthmus wurde wo nöthig von dem Drüsenlappen der 
anderen Seite soviel entfernt, als zur Entlastung der comprimirten 
Trachea nothwendig erschien, und zwar wurde zur Stillung der 
Blutung eine keilförmige Excisiou vorgenommen und die beiden 
Wundflächen durch Nähte vereinigt. Auf diese Weise gelang es 
ohne Mühe die Blutung zu beherrschen. Der Blutverlust während 
der in obiger Weise ausgeführten Operation war stets ein geringer. 
Bei sehr stark eomprimirter Trachea wandte K. öfter mit Vortheil 
das von Kocher angegebene Verfahren an, seitlich durch die Tra- 
chealknorpel Seidenligaturen zu legen, ohne jedoch die Trachea zu 
perforiren, die Wäude der Luftröhre mit dem Faden ausein¬ 
anderzuziehen und dieselben zu beiden Seiten in der Muskulatur zu 
befestigen. Die anfangs während der Operation noch erschwerte 
Athmung wurde nach dieser Erweiterung des Luftcanals sofort freier, 
und der Wundverlauf auch während der ersten Tage nicht durch 
Athmungsbehinderung gestört. Nach der Exstirpation wurde die 
Wunde entweder vollständig durch die Naht geschlossen mit Offen¬ 
lassen eines kleinen Wundspaltes an geeigneter Stelle, oder die 
Secundärnaht angelegt. Wir sind dabei so verfahren, dass wir nach 
Ausfällen der Wundhöhle mit Jodoformgaze sogleich die nothwendige 
Anzahl Seidennähte durchlegten und dieselben nach 48 Stunden 
nach Beseitigung der Gazetampons knoteten. Es wird dies stets auch 
in anderen Fällen ohne grosse Schmerzen ohne Anwendung von 
Chloroform ausgeführt. 

In dem ersten der vorgestellten Fälle handelte es sich uin 
einen 22 Jahre alten jungen Mann, dessen Kropf in den letzten 
Wochen rasch gewachsen war und wesentliche Athmungsbeschwer- 
den verursachte. Jodkali innerlich und Arseninjection waren er¬ 
folglos. Bei der Operation zeigte sich, dass die Trachea im höch¬ 
sten Grade coraprimirt war, so dassKümmell nach Entfernung des 
rechten Lappens und des Isthmus auch den hochgradig entwickelten 
linken entfernen zu müssen glaubte. Der Wundverlauf war ein un¬ 
gestörter, Patieut ist vollständig von seinen Beschwerden befreit 
und jetzt, nachdem fast l l /a Jahr seit der Operation verflossen, noch 
ein gesunder blühender junger Mann im Besitz seiner vollen körper¬ 
lichen und geistigen Kraft. Kümmell hatte nicht ohne Sorge das 
weitere Befinden des Patienten verfolgt und glaubt, dass vielleicht 
eine accessorische Schilddrüse vorhanden gewesen sei, da die be¬ 
stehende Struma vollständig entfernt wurde. Iu den übrigen Fällen 
wurde stets ein Theil der Struma nicht entfernt. Der zweite Fall 
betrifft eine 45 Jahre alte Patientin, welche seit Monaten über mehr 
und mehr zunehmende Schling- und Atherabeschwerden klagte; 
die augewandte Behandlung blieb ohne Erfolg. Am Halse äusser- 
lich nur wenig von einem Kropf zu erkennen, dagegen fühlte man 
einen anscheinend kleinen der Trachea aufliegenden Tumor hinter 
dem Sternum aus der Fossa jugul. hervorragen. Bei der Exstirpa- ; 
tion zeigte sich, dass es sich um eine ziemlich tiefgehende apfel- j 
grosse retrosternale Struma handelte. Die Wunde wurde mit Jodo- j 
formgaze austamponirt und die Secundärnähte nach 48 Stunden ge¬ 


schlossen. Reactionsloser glatter Heilungsverlauf. Der dritte Fall 
betrifft eine ca. 20 Jahre alte Amme, welche mit mässig entwickel¬ 
tem, keine Beschwerden verursachendem Kropf wegen Typhus Auf¬ 
nahme im Marienkrankenhause fand. Während desselben abscedirte 
die Struma und bildete sich allmählich eine mannsfaustgrosse, deutlich 
fluctuirende Geschwulst. Nach Incision und Entleerung des Eiters 
Hess sich ohne grosse Mühe und ohne nennenswerthe Blutung der 
strumöse Sack mit zum Theil kaum noch fingerdicken Wänden 
ausschälen, und es wäre leicht gewesen, denselben vollständig zu 
entfernen. Ein Theil des linken Lappens wurde zurückgelasseu. 
Die Wundhöhle wurde mit Jodoformgaze austamponirt und heilte 
per granulationem. In dem vierten vorgestellten Falle handelte es 
sich um einen über faustgrossen Kropf, der hochgradigen Stridor 
verursachte. Operation und Wundverlauf ohne Besonderheiten. 
Eine kleine in die Tiefe führende Fistel wurde durch einen der die 
Trachea auseinanderhaltenden, bei der Lösung abgerissenen Seiden¬ 
faden gebildet. Nach Entfernung des Fremdkörpers schloss sich 
die Fistel bald. Die übrigen vier Fälle betreffen weibliche Indivi¬ 
duen im Alter von 15, 18, 35 und 40 Jahren. Operation und 
Wundverlauf boten keine von dem Gewöhnlichen abweichenden Er¬ 
scheinungen dar. Soviel Vortr. erfahren konnte, befanden sich säinmt- 
liche wohl und ohne Beschwerden. Kümmell glaubt, dass nach 
anderen und seinen eigenen Erfahrungen die frühzeitig genug aus¬ 
geführten Strumaexstirpationen nach dem heutigen Stand der Auti- 
septik und Technik als eine uugefährUche Operation anzuseheu 
und stets als partielle Exstirpation anzuführen seien, sobald zuneh¬ 
mende Beschwerden nach Erfolglosigkeit anderer Medicationen dazu 
nöthigten. (Schluss folgt.) 

X. K. K. Gesellschaft der Aerzte in "Wien. 

Sitzung am 4. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Bamberger. Schriftführer: Herr.-Bergmeiste r. 

1. Herr v. Eiseisberg demonstrirt ein Kauiuchen, welchem er einen 
aus der Hohlhand einer au Tetanns leidenden Frau extrahirten Holzsplitter 
unter die Haut gebracht hat, und welches die Symptome des Impfstarr¬ 
krampfes darbietet. 

2. Herr Gustav Braun berichtet über folgenden, auf seiner Klinik 
beobachteten Fall: Ara 17. März 1888 wurde auf seine Klinik eine 28jährige 
Frau gebracht, welche seit August 1887 zum dritten Male schwanger war. 
Schon vor der Gravidität sollen Anfälle mit Bewusstseinsstörung aufge¬ 
treten sein, und auch am Tage ihrer Aufnahme in’s Spital ist die während 
der ganzen Gravidität gesund gewesene Patientin von einem solchen Anfalle 
befallen worden. Die Patientin war soporös und reagirte nur sehr schwach 
auf Hautreize, die Pupillen reactionslos. Um die Lippen etwas eingetrock¬ 
neter blutiger Schaum, an der Unterlippe und an den Zungenränderu Biss¬ 
verletzungen. Harn spärlich, reichliche Mengen von Eiweiss und wenig 
granulirte Cylinder enthaltend. Gravidität im 7. Lunarmonate, keine Herz¬ 
töne hörbar, Orificium für zwei Finger durchgängig, sehr schwache Wehen. 
Um 5 Uhr Abends wurde die Blase künstlich gesprengt und der Schädel 
in den Beckeneingang eingeleitet. Da um 6*/j Uhr der Puls fadenförmig wurde 
und Patientin sehr collabirt war, führte Redner die Wendung nach Braxtou 
Hicks aus und extrahirte eine 1500 g schwere, 35 cm lange, todte Frucht. 
Schon während der Extraction musste, wegen unregelmässiger Athmung und 
Herzthätigkeit, die künstliche Respiration eingeleitet werden, die noch eine 
Stunde nach der Entbindung fortgesetzt wurde. Trotzdem trat Lungen¬ 
ödem ein, und Patientin starb. 

Die von Herrn Pal tauf ausgeführte Section ergab: die Leberkapsel 
durch eine Blutschicht abgehoben und in Folge der künstlichen Respiration 
eingerissen; Blutung in die Bauchhöhle; die Leber vergrössert, von kleinen 
Blutextravasaten durchsetzt (Hepatitis hämorrhagica, nach Virchow); inter¬ 
stitielle Nephritis, Himödem, das Blut cigenthüinlich flüssig, allgemeine 
Anämie. Die bacteriologische Untersuchung ergab ein negatives Resultat. 
Dieser Befund, den Professor Hofmann in analogen Fällen ebenfalls äu¬ 
get roffeu hat, und der dem von Virchow bei der Vergiftung mit Mies¬ 
muscheln gemachten ähnlich ist, lässt Herrn Pal tauf annehmen, dass es 
sich in diesem Falle um eine Intoxication handle. Herr v. Bamberger 
schliesst sich dieser Ansicht an. 

3. Herr Pal tauf zeigt die Präparate eines neugeborenen Kindes, bei 
dem der Ductus venosns Arantii fehlt. Bei der Section fand sich blutige 
Flüssigkeit im Abdomen, starke Röthung des Bauchfelles, kleine Leber, 
eine sehr lange Nabelschnur und sehr grosse Placenta. Nach Koelliker, 
der den Ductus Arantii für denjenigen Theil des gemeinschaftlichen Stammes 
der Omphalomesaraica und V. umbilicalis hält, welcher zwischen den Venae 
advehentes und revehentes der Leber liegt, lässt sich diese Anomalie nicht 
erklären, wohl aber nach His, der den Ductus Arantii für eine secundäre 
Bildung erklärt, so dass es in der fötalen Periode eine Zeit giebt, in welcher 
zwischen dem Sinus annularis der Omphalomesaraica und der V. umbilicalis 
einerseits und dem Herzen andererseits keine andere Verbindung existirt, als 
durch die Lebercapillareu. 

Herr Peters berichtet über den Geburtsverlauf dieses Falles: Fuss- 
lage, wegen Verzögerung der Geburt Extraction, doch trat in Folge der 
starken Ausdehnung des Abdomens ein Hinderniss ein, welches erst be¬ 
seitigt wurde, nachdem durch Punction 2‘/s 1 Ascitesflüssigkeit entleert 
worden sind. 

4. Herr Peters demonstrirt ein Präparat von Atresia recto-urethralig. 
Nachdem durch Proctotomie das Rectum nicht aufgefunden werden konnte, 
machte Redner die Colotomic. Die Operation ging gut von Statten, der 


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490 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 24 


Verlauf war eiu -ehr günstiger, leider aber starb das Kind vier Wochen 
nach der Operation an Darmkatarrh. 

5. Herr Zinsmeister stellt zwei Kranke vor, au welchen er wegen 
Kchlottergelenk resp. wegen paralytischer Deformität die Arthrodese 

mit Erfolg ausgeführt hat. Die Vortheile der Arthrodese bestehen dariu, 
dass man den Patienten das Tragen von schweren Apparaten erspart, dass 
die vor der Operation bestandenen Deformitäten behoben werden und dem 
Entstehen solcher in der Zukunft vorgebeugt werden kann. Die Operation, 
die von Albert vorwiegend gegen eventuelle Paralysen eingeführt wurde, 
kann mit Erfolg auch bei myopathiseben Affectioneu, die mit Luxation 
eiuhergeheu, bei habitueller Schulter- und congenitaler Hüftgelenksluxation, 
ferner bei Talusexstirpation wegen Pes equinovarus paralyticus und im 
Talocruralgelenk nach der Chopart’scheu Amputation, um die Deviation 
d»*r Ferse nach rückwärts zu verhüten, augewendet werden. 

fi. Herr .Schustler demonstrirt ein mit multiplen Sarcomen der 
Vagina behaftetes vierjähriges Mädchen. 

Sitzung am 11. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Dittel. Schriftführer: Herr Schustler. 

1. Herr Wei nlechner berichtet über 2 Fälle von Hydrops antri High* 
inori, die er nach dem M ikulicz’schen Verfahren operirt hat. Mit einer 
nach der Kante gekrümmten Scheere durchstiess er die an den unteren 
Nasengang grenzende Wand, führte durch die gemachte Oeffnuug einen 
elastischen (’atheter ein und spritzte die Höhle mit desinficirenden Flüssig¬ 
keiten fleissig aus. 

2. Herr Nothnagel demonstrirt einen Fall von Hemianopgia superior. 
Der 4b jährige stets gesunde Mann verlor plötzlich vor 2 Monaten, unter 
nicht näher zu bestimmenden äusseren Umständen, das Augenlicht. Gegen¬ 
wärtig ist er vollständig blind, etwas dement und klagt über Kopfschmerz. 
Die Bulbi sind normal, ihre Beweglichkeit ist nach allen Richtungen frei, 
die Pupillen reagiren, wenn auch nicht sehr energisch. Die ophthalmosko¬ 
pische Untersuchung ergiebt einen völlig negativen Befund. Bei genauerer 
Untersuchung zeigt sich, dass die obere Hälfte des Gesichtsfeldes keine 
Lichtempfindung bekommt, dass aber die untere Hälfte des Gesichtsfeldes 
Lichteindrücke aufzunehmen vermag. Patient ist total farbenblind und hat 
keine richtige Vorstellung von der Grösse der Objecte. 

Bezüglich der Localisation glaubt Redner, dass es sich hier um eine 
Erkrankung des Sehfeldes in der Rinde des Occipitallapens handelt. Gegen 
den Sitz an der Basis spricht der Verlauf und der Mangel anderer Hiru- 
erscheinungen. Für den Sitz in der Rinde spricht das plötzliche Auftreten 
und die Demenz. In einem, vom Redner an seiner Klinik beobachteten Falle 
trat ebenfalls plötzliche Erblindung über Nacht ein, bei einem wegen einer 
Lungenaffection behandelten Manne. Die Section ergab beiderseitige Er¬ 
weichung der Rinde des Occipitallappens in Folge einer doppelseitigen Throm¬ 
bose. Ob auch hier eine Thrombose vorliegt, lässt sich nicht bestimmen, 
denken muss man aber daran, da in dem Alter, in welchem der Kranke 
steht, die Arterien bereits atheromatös sind. Für den Sitz in der Rinde des 
Occipitallapens spricht hier auch die Erhaltung der Pupillarreflexe. Sollte 
die Nekropsie diese Diagnose bestätigen, so wäre dadurch eine Illustration 
geliefert zu den Versuchen Munk’s, nach welchen die Retina gewisser- 
maassen auf der Oberfläche des Hinterhauptlappens projicirt ist. 

Herr Nothnagel stellt ferner ein I8jähriges Mädchen vor, welches 
nach einem Säbelhieb über den Scheitel bewusstlos zusammenstürzte. Beim 
Erwachen bestand eine Lähmung der rechten oberen und unteren Extremität, 
die jedoch nach einigen Tagen verschwand. 14 Tage, nachdem die Wunde 
verheilt war, traten Krampfanfälle im rechten Beine auf, von 1—2 Minuten 
langer Dauer. Gegenwärtig besteht nur eine Parese der rechten unteren 
Extremität, die oft von Krampfanfällen betroffen wird. Am Scheitel befindet 
sich eine Narbe, die genau der Stelle entspricht, die im Gehirn lädirt sein 
muss, und das sind die Contralwindungen. Die Parese sowie die Krämpfe 
erklärt Redner durch die Annahme einer vom Periost ausgehenden Knochen¬ 
wucherung und wirft die Frage auf/ ob hier eine Trepanation angezeigt ist, 
wobei zu überlegen wäre, ob die Operation nicht zu grosse Gefahren in sich 
birgt, welche den verhältnissmässig geringen Nachtheil, den Patientin jetzt be¬ 
sitzt, überwiegen. 

Herr Maydl weist auf die guten Resultate hin, die Horsley in 
mehreren ähnlichen Fällen mit der chirurgischen Behandlung erzielt hat, 
und spricht die Ansicht aus, dass man die Operation auch in diesem Falle 
wohl unternehmen dürfe. Mit dieser Ansicht erklärt sich auch Herr 
v. Dittl einverstanden. 

3. Herr Brenner seilt einen 1'/jährigen Mann vor, bei welchem er 
wegen eines Perityphlitis die Laparotomie and Kesection des Wurm¬ 
fortsatzes ausgeführt hat. Diese Behandlung hat den grossen Vorzug, 
dass mau bei frühzeitigem Eingreifen den laedirten Darm aus der Bauch¬ 
höhle entfernt. Der Schnitt wurde am äusseren Baude des Rectus ange¬ 
legt; bei der Eröffnung der Bauchhöhle entleerte sich ziemlich viel Eiter, 
der Darm war noch wenig verändert, der Proc. vermiformis war perforirt 
und lag in einer Eiterhöhle, umgeben von einer derben Schwiele. Es wurde 
nuu der Wurmfortsatz an seiner Einmündung in das Cöcum ligirt und ab¬ 
getragen, die an die hintere (Jöcalwand adhäreute .Schwiele entfernt, das 
Cöcum in die Ebene der Bauchhöhle vorgezogen und etwas nach iuneu ge¬ 
dreht, so dass die durch das Abpräparircn der Schwiele entstandene Wunde 
in die Bauchwunde zu liegen kam. Letztere wurde bis auf die runde 
Fläche des eingenähten Darmes geschlossen und heilte per primam, die 
Wundflächc am Darme granuliric rasch und schloss sich 5 Wochen nach 
der Operation. Stuhl normal, Patient befindet sich wohl. 

4. Herr Lorenz demonstrirt 2 Fälle, bei denen er beiderseits die 
Osteoklasie mit dem Kobin’schen Osteoklasten ausgeführt hat. Der erste 
betrifft einen 17jährigeu Menschen, bei dem wegen beiderseitigem statischem 
Genu valgum die Osteoklase beider Oberschenkel, etwa handbreit über den 
(Jondylen des Femur, in einer Sitzung vorgenommen wurde. Nach 6 
Wochen konnte Patient die Klinik verlassen und ohne jeden Stützapparat 
seiner Beschäftigung nachgehen. 


Der zweite Fall betrifft ein 15jähriges mit linksseitigem Genu valgum 
und rechtsseitigem Genu varum behaftetes Mädchen. 

Am linken Bein wurde die Osteoklase des Femur in seinem unteren 
Drittel, am icchteu die des Unterschenkels in einer Sitzung vorgenoinmen. 
Die Heilung erfolgte unter einem einzigen Redressionsverbande. Das Re¬ 
sultat war eiu ausgezeichnetes. 

Aus diesen und mehreren anderen mitgetheilten Fällen scbliesst 
Redner, dass die Osteoklasie jenseits der zwanziger Jahre ein unsicheres 
Verfahren ist, welches der Osteotomie nachsteht, dass aber diesseits der 
zwanziger Jahre und während des kindlichen Alters die Osteoklasie der 
Osteotomie überlegen ist. Ihre Vorzüge bestehen in absoluter Gefahrlosig¬ 
keit, in der Schnelligkeit ihrer Ausführung und dem Wegfall jeder weiteren 
Nachbehandlung. 

5. Herr Lorenz demonstrirt ferner eiu lOjähriges Mädchen, bei welchem 
er wegeu eines muskulären Schiefhalses die offene Durchtrennung des 
verkürzten Kopfuickers gemacht hat. Durch Fixirung des Kopfes in ent¬ 
gegengesetzter Stellung, eine zweckmässige Halsgymnastik wurde ein vor¬ 
zügliches Resultat erzielt. Redner tritt für die offene Durchschneidung des 
Muskels ein, dessen einziger Nachtheil, die restirende Narbe, durch An¬ 
legung des Schnittes au der Halsbasis vermindert wird. 

Herr Weinlechuer zieht, zumal bei Mädchen, die subcutane Myomo- 
tomie der offenen vor und hält die offene für nur ausnahmsweise gestattet. 

6. Herr Lewandowski demonstrirt eine neue Influenzmaschine und 
das Gesammtinstrumentarium zur Franklinisation. 

7. Herr Salzer zeigt mehrere Mixolipome, die sich aus dem die Nieren¬ 
kapsel umgebenden Fett entwickelt haben, und die Professor Billroth 
durch Laparotomie sammt der in den Geschwülsten eingebetteten Niere ex- 
stirpirt hat. Die exstirpirten Geschwülste wogen 29 kg. 

Sitzung am 18. Mai 1887. 

Vorsitzender: Herr Ludwig. Schriftführer: Herr Salzer. 

1. Herr Riehl demonstrirt ein mit Ringelhaaren behaftetes Mädcheu. 
An fast allen Haaren des Kopfes zeigen sich */*—1 mm lange weisse 
Stellen, an welchen das Haarmark Luft enthält. Die übrigen dunklen Haar- 
theile zeigen normale Structur. 

2. Herr Lang: lieber die Verwendung des grauen Oeles lu der 
Syplillistüeraple. Unter dem Namen „graues Oel“, Ung. cinereum, ver¬ 
steht Redner oin aus extinguirtem Quecksilber und aus starren, flüssigen 
Fetten bestehendes Präparat. Er verreibt gleiche Theile Quecksilber und 
Lanolin zu einer Salbe in einer für 4 Wochen ausreichenden Menge, von wel¬ 
cher jede Woche so viel, als zur Darstellung des grauen Oeles nothwendig 
ist, entnommen wird. Das von Herrn Lang benützte 01. cinereum enthält 
30 u /o metallisches Quecksilber und besteht aus: 

Hydrarg. 

Lanolin, aa pari. 3 

01. olivar. pari. 4. 

Es genügen für mittelschwere Syphilisformen 0,3 ccm dieses Oeles iu 
der Woche, um nach 2—3 Wochen die Symptome zum grössten Theil zum 
Schwinden zu bringen. Im Allgemeinen injicirt er an zwei Stellen — Rücken 
oder ad Nates — alle 5—8 Tage 0,1—0,15 ccm 01. cinereum. Nach 2 bis 
3 Wochen haben sich die Syphilissymptome grösstentheils rückgebildet, und 
da das injicirte Quecksilber längere Zeit nachwirkt, kann man eine Pause 
von 2—3 Wochen machen, worauf man entweder dieselben Mengen in 
grösseren Zeiträumen oder in derselben Zeit geringere Quantitäten injicirt 
bis 1 */a — 2 ccm verbraucht sind. In einem Cubikcentimeter des 30°;o 01. 
cinereum sind ungefähr 0,39 g metallischen Quecksilbers enthalten; rechnet 
man diese in Sublimat um, so erhält man 0,52 Sublimat. Da man nun bei 
der Allgemeinbehandlung der Lues mit Sublimatinjectionen gewöhnlich l°/o 
Lösungen gebraucht und die Pravaz’sche Spritze in der Regel 1 ccm fasst, 
so ergiebt sich, dass man 52 Spritzen Sublimat injiciren muss, bis man dem 
Körper so viel Quecksilber zuführt, als in 1 ccm 01. cinereum enthalten ist. 

Die Vorzüge der Behandlung der Syphilis mit subcutanen Injectionen 
mit 01. cinereum bestehen darin, dass das Quecksilber gleichmässig vertheilt 
und somit genau dosirbar ist, dass die Behandlung eine bequeme und — 
bei Einhaltung der antiseptischen Maassregeln — ganz gefahrlose ist. Weder 
Redner noch seine Subalternärzte haben je eine Vereiterung einer Injections- 
stelle beobachtet. Der wesentlichste Vortheil des grauen Oeles besteht aber 
darin, dass hier das Quecksilber in derselben Form wie iu der grauen Salbe 
enthalten ist. Diese Methode ist. iudicirt in allen Fällen, in welchen eine 
Allgemeinbehandluug mit Quecksilber angezeigt ist. Als Beweis für die 
Wirksamkeit seiner Methode erwähnt Rcducr einige verzweifelte Fälle vou 
Syphilis des Gehirns und Rückenmarks, bei welchen er mit dem 01. ci¬ 
nereum sehr gute Erfolge erzielte. 

Das graue Oel kann mit Erfolg an Stellen angewendet worden, au 
welchen man die graue Salbe und das graue Pflaster nicht verwenden kann. 
So hat Redner eine gummöse Höhle in der Tibia, die nur mit einer sonden¬ 
knopfgrossen Lücke nach aussen mündete, dadurch zur Heilung brachte, 
dass er mehrere Male Oleum cinereum in dio Höhle, injicirte. Schliesslich 
empfiehlt Redner das Oleum cinereum für syphilitische Affectioneu des Kehl¬ 
kopfes, der Nase, des Ohres und des Auges. 

Herr Mracek fragt, ob die Injectionen von grauem Oel bedeutende 
Schmerzen verursachen, und ob der Vortragende Untersuchungen über die 
Dauer der Ausscheidung des Quecksilbers augestcllt hat. 

Herr Eisenschitz fragt Herrn Laug, oh er das graue Oel bei Lucs 
hereditaria angewendet hat. 

Herr Teleky hat das im Lehrbucho des Professor Lang empfohlene 
graue Oel vor zwei Jahren versucht und Anfangs keine sehr zufriedenstellenden 
Resultate damit erzielt, was an der Zusammensetzung des Präparates lag, 
denn sowie dasselbe genau nach der Vorschrift des Vortragenden bereitet 
wurde, waren die Erfolge viel bessere. Keiner der Kranken klagte über 
bedeutende Schmerzen. Die Resorption der Knoten dauerte etwas lange, 
eine Vereiterung ist seit der genauen Zubereitung des Präparates nicht 
vorgekommen. 


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14. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


491 


Herr Lang hat die Beobachtung gemacht, dass von allen antisyphili¬ 
tischen Mitteln das graue Oel die geringste Reaction macht. Unmittelbar 
nach der Injection verspürt der Kranke gar keinen Schmerz; erst am 
nächsten oder nach zwei Tagen tritt ein geringes Infiltrat und geringe 
Empfindlichkeit an der Injectionsstelle auf Nach fünf Tagen bildet sich 
dieses Infiltrat zurück, und nach acht Tagen ist oft die Injectionsstelle nicht 
mehr zu erkennen, lieber die Dauer der Ausscheidung des Quecksilbers 
hat Redner keine Versuche angestellt- Was die Syphilis hereditaria be¬ 
trifft, so lässt sich das graue Oel wohl bei Erwachsenen ganz gut anwenden: , 
Kinder vertragen suhcutane Inject innen überhaupt nicht gut. 

3. Herr May dl beschreibt eine neue Methode der Stiel Versorgung i 
Htteh snpravaginaler Amputation des Uterus. Dieselbe besteht darin, I 
dass der nach Schröder vernähte Stumpf über das Niveau der Bauch- | 
wunde hervorgehoben und durch eine quer durchgestochone Acupressur- 
nadel daselbst fixirt wird. Die Bauchwunde wird bis knapp an «len Stiel 
vernäht, der in derselben förmlich eingeklemmt ist. Um den Stumpf wird 
Subliinatgaze gewickelt und ein Suhlimatgazeverband angelegt. Die Nadel 
wird erst dann ans dem Stumpf herausgezogen, wenn man sich überzeugt | 
hat, dass keine Neurose am Stumpf aufgetreten ist. Auf diese Weise wird ; 
eine Infection der Peritonealhöhle vermieden, und mau verbindet somit die j 
Vortheile der Schröder’schen mit der Sicherheit der !'»'• arischen extra¬ 
peritonealen Methode. M. 

XI. Oeffentliches Sanitätswagen. 

Untersuchungen über den Einfluss der Lufttemperatur auf ! 
die Kindersterblichkeit an Durehfallskrankheiten. 1 ) 

Von Dr. Meinert in Dresden. ; 

Meine Herren! Es ist ebenso allgemein anerkannt, dass die Erkrankun¬ 
gen des Darmcanals in der Sterblichkeitsstatistik des Säuglingsalters die j 
erste Stelle einnehmen, als es anerkannt ist, dass die jährliche Hochfluth | 
der infantilen Durchfallssterblichkeit mit der Erhebung der Lufttemperatur . 
in den Sommermonaten zusammenfällt. 

Man weiss, dass die epidemische Sommerdiarrhoe nur au Orten auftritt, 
deren mittlere Tagesteraperaturen in der heissen Jahreszeit etwa 15° C über¬ 
steigen, dass vorwiegend grosse Städte heimgesucht werden, dass Kinder an 
der Mutter- und Ammenbrust weniger gefährdet sind, als künstlich genährte; 
man hat auch eine gewisse Gesetzmässigkeit im gegenseitigen Verhalten von 
Lufttemperatur und Durchfallssterblichkeit an manchen Orten herausgefunden; 
es mangelt auch nicht an Hypothesen über den Ursprung dieser Darmer¬ 
krankungen; — aber es liegen keine Beobachtungen vor, welche über das 
eigentliche Wesen dieser in so ausserordentlichen Dimensionen auftretenden 
Erscheinung einiges Licht zu verbreiten im Stande wären. 

Die Sterblichkeitsstatistik, zur Lösung medicinischer Probleme 
schon oft mit Erfolg herangezogen, lässt hier im Stich. Die gerade für die 
Sommerzeit in den statistischen Berichten angegebenen Todesursachen von 
Kindern unter 1 Jahre sind denkbarst unzuverlässig. Denn es fehlt nicht 
nur einem wesentlichen Bruchtheil derselben (oft mehr als der Hälfte) die i 
Beglaubigung durch einen Arzt, sondern man vermisst auch bei den ärzt- I 
lieh beglaubigten Fällen die Uebereinstimmung in der Nomenclatur. 

Ein hervorragender Antheil an der herrschenden Verwirrung ist den j 
„Krämpfen“ („Gichtern“, „Fraisen“) beizumessen, deren in den officiellen j 
Sterbeberichten sich überall vordrängende Zahlen nicht nur der Ausdruck ! 
sind für zahlreiche, ohne ärztliche Behandlung abgelaufene Erkrankungen, j 
sondern nicht minder der Ausdruck für die thatsächliche Häufigkeit compli- 
catorischer Convulsionen im Bilde der infantilen Sommerdiarrhoe. 

(Das Ihnen vorgelegte Diagramm, welches die Betheiligung der einzelnen 
Todesursachen an der Kindersterblichkeit Dresden’s nach Jahresmonaten ver¬ 
anschaulicht, zeigt, wie die Zunahme der Todesfälle im Hochsommer jeden 
Jahres immer nur auf einer Zunahme der Krämpfe und Durchfalle beruht.) 

Unternimmt man es nun, gewisse Einflüsse auf ihre ätiologischen Be¬ 
ziehungen zu der Krankheit zu prüfen, so wird man nicht umhin können, 
für jeden Todesfall nicht nur an angeblicher Diarrhoe („Brechdurchfall“, 
„Cholera infantum", „Cholera nostras“ etc.), sondern auch für jeden Fall 
von angeblichen Krämpfen festzustellen, um welche Krankheit es sich in | 
Wirklichkeit gehandelt habe. Das ist nur auf dem Wege direkter Befragung 
der von Todesfällen betroffenen Familien möglich. 

Die mir vom städtischen statistischen Amt laufend übermittelten Daten j 
der einzelnen Sterbefälle bezogen sich in dem 11 wöchentlichen Bericbtszeit- j 
raum vom 11. Juli bis 25. September 1886 (mit insgesammt 796 Sterbe¬ 
fellen im Säuglingsalter) 281 mal auf „Krämpfe“ und 382 mal auf Durch¬ 
fallskrankheiten untet verschiedenen Benennungen. Von diesen 
663 Fällen waren 59°/o ärztlich beglaubigt. In 90*/>% sämmtlicher Fälle 
gelang die Feststellung der Todesursache im Wesentlichen durch die Mit¬ 
arbeit der Herren Collegen Dr. Hecker, Dr. Schottin jun. und Cand. med. 
Gilbert. Fast sämmtliche Aerzte aber, in deren Behandlung die gestor¬ 
benen Kinder sich befunden hatten, unterstützten mich durch die Erlaubniss 
zu anamnestischen Erhebungen. 

Dieselben ergaben, dass es sich 36 mal um genuine (reine) Krämpfe 
und 580 mal um Durchfallskrankheiten gehandelt hatte. 519 Frage- j 
bogen (mit je 30 Fragen, durch welche die Feststellung der klinischen 
Bilder erstrebt wurde), kamen wohlausgefüllt zurück. Die Diarrhoeen ver¬ 
liefen theils ohne, häufiger mit Erbrechen, sehr häufig mit Krämpfen, 
von denen aber natürlich nur über die klonischen Formen (in mehr als 
20% der Fälle vorhanden) Näheres eruirt werden konnte. Wir zählten 
35 chronische (Magen-) Darmkatarrhe und 444 acute (Brech-) Durch¬ 
fälle, von denen 71 °/o Kinder mit bis dahin gesunden Verdauungsorganen, 
und 54% sogar völlig gesunde und blühende Kinder betrafen. 

') Vortrag, gehalten in der Section für Hygiene der 60. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte. 


Ich habe auf dieser Tafel jeden Fall mit seiner Nummer eingetragen, 
und zwar in dem unteren Diagramm auf den Tag der Erkrankung, in dem 
oberen auf den Tag des letalen Ablaufes. Gleichlautende Nummern (also 
auf denselben Fall bezüglich) sind durch eine Linie verbunden, durch welche 
Sie schnell über die Dauer jeder einzelnen Erkrankung orientirt werden. 
Die über den Diagrammen der Fälle hinstreichenden Gurven veranschaulichen 
»len Gang der mittleren Tagestemperaturen im Freien, der Barometerstände 
und der mittleren Luftfeuchtigkeit, darüber sind Windstärke und Wind¬ 
richtung, Regenmenge und Gewitter eingetragen. 

Sie erkennen, meine Herren, wie gesteigerte Lufthitze sowohl die 
Zahl der Erkrankungsfälle, als die Zahl »ler Sterbefälle vermehrt, wie Luft¬ 
druck und Luftfeuchtigkeit, Regenfall und Windrichtung in diesen 
Parallelismus zwischen Krankheitshäufigkeit und Lufttemperatur weniger eiu- 
greifen, als man bisweilen angenommen hat, in welcher markanten Weise 
aber das Maass der Luftbewegung ihn moditicirt. Hohe Temperaturen 
bei lebhaftem Wind sind verhältnissmässig ungefährlich, während schon ein»* 
mässig hohe Temperatur, gepaart mit Windstille, eine beträchtliche Zunahme 
der Erkrankungs- und Sterbeziffern veranlasst. Das höchste Anwachsen 
dieser Ziffern trifft auf heisse Tage mit minimaler Luftbewegung. Die Tage 
mit den höchsten Erkrankungsziffern fallen stets mit einer derartigen un¬ 
günstigen Witterungsconstellation zusammen oder folgen ihr auf dem Kusse, 
während Tage mit gehäuften .Sterbefellen zwar zum Theil gleichfalls mit der 
klimatischen Exacerbation coincidiren, vielfach aber auch in gritsseren Ab¬ 
ständen (von etwa 1 Woche) ihr folgen. Diese Erscheinung erklärt sich 
sehr leicht aus dem Studium der die Krankheitsdauer darstellenden 
Linien, ltn Durchschnitt starben nämlich die Kinder 7'/a Tage nach ihrer 
Erkrankung, und zwar 26 bereits vor Ablauf von 24 Stunden, 49 am 
2. Krankheitstage, 54 am 3. Krankheitstage etc. lieber 14 Tage krank 
waren nur 27 der 444 gestorbenen Kinder mit sicher emirter Krankheits¬ 
dauer. 

Je heisser und ruhiger die Luft, desto schneller der Verlauf. Sie sehen, 
dass die vertical ansteigenden Linien, welche solchen Fällen angehören, die 
bereits am Tage ihrer Entstehung tödtlich verliefen, nur an heissesten und 
schwülsten Tagen Vorkommen. 

Bei gleichem Witterungscharakter ist die Sterblichkeit gegen Ende der 
Epidemie höher als zu deren Anfang. Dies erklärt sich theils aus den von 
Woche zu Woche grösseren Wärmemengen, welche die Wände unserer 
Häuser während des Hochsommers in sich aufspeichern, theils, wie mein 
Diagramm Ihnen zeigt, aus dem mit jeder Woche wachsenden (Kontingent 
erkrankter Kinder. Tage wie der 3., 14. und 16. September, mit den in 
der ganzen Epidemie höchsten Zahlen an Durchfallstod (19, 18 und 21 Fälle), 
rekrutirlen ihre Opfer aus den Erkrankten sämmtlicher vorausgegangener 
Berichtswochen. Es handelte sich zum Theil um Kinder, die, wie unsere 
anamnestischen Erhebungen ergaben, sich auf dem Wege der Genesung be¬ 
fanden und wahrscheinlich nicht gestorben sein würden, wenn die heissen 
Tage, die ihnen im Juli den (Brech-) Durchfall brachten, nicht im September 
wiedergekehrt wären. 

Die Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Deceraber 1885 ermöglichten 
es, den Voraussetzungen nachzuforschen, unter welchen die im Säuglings- 
alter stehende Kinderbevölkerung Dresdens von der Durchfallsterblichkeit 
der 11 Berichtswochen tangirt wurde. 

Unter den (einschliesslich Militär) 246 088 Einwohnern Dresden’s am 
1. December 1895 befanden sich 5873 (= 23,87 %) Kinder unter 1 Jahre. 
Von diesen starben (zweifelhafte Fälle nicht gerechnet) zwischen 11. Juli 
und 25. September 1886 an (Brech-)Durchfall mit oder ohne Convul¬ 
sionen 580 d. i. 9,8%, und zwar 10,5% der lebenden Knaben, 9,1 % der 
lebenden Mädchen (ungefähr das gleiche Verhältnis der Geschlechter, wie 
in den übrigen Monaten des Jahres). 15,7 % der Kinder waren unehelich, 
60,8 % gehörten dem Arbeiterstand au, 23,0 % dem Mittelstand, */a °/o den 
höheren und gebildeten Ständen. In Dresden rechts der Elbe starben 
10,22 % der lebenden Kinder unter 1 Jahre, in Dresden links der Elbe 
(obgleich mit durchschnittlich 2,13° C höherer Lufttemperatur in den 
Berichtswochen, als Dresden rechts der Elbe) nur 9,59%. In den 11 Po¬ 
lizeibezirken schwankte die Sterblichkeit zwischen 4,6 % und 13,0 % der 
lebenden Kinder unter 1 Jahre, und zwar erwies sich der relative Reich¬ 
thum der Bevölkerung an Kindern im Säuglingsalter nicht als allein maass¬ 
gebend, denn es gab kinderreiche Stadttheile mit hoher und kinderreiche 
Stadttheile mit verhältnissmässig niedererer Sterblichkeit. Uneheliche Kinder, 
wie überall, so auch in Dresden einer höheren Sterblichkeit (aufs Jahr be¬ 
rechnet) unterworfen, wurden von der Durchfallssterblichkeit der Berichts¬ 
wochen weniger betroffen, als eheliche. Die procentuale Absterbeordnung 
der einzelnen Altersclassen innerhalb des 1. Lebensjahres und die Ver- 
theilung der Todesfälle an (Magen-) Darmaffectionen auf die einzelnen Stock¬ 
werke war in den Berichtsfellen eine verschiedene von der während der 
kühleren Jahreszeiten beobachteten. 

Alle diese für den ersten Blick zum Theil paradoxen Besonderheiten 
des Verhaltens wurden bestätigt durch die in 4 abnorm heissen Wochen 
des Jahres 1887 wieder aufgeuommenen Untersuchungen (beschränkt auf 
die in Dresden links der Elbe und ausgedehnt auf die im 2. Lebensjahre 
Gestorbenen). Nur war 1887 (141 Fälle) die durchschnittliche Krankheits¬ 
dauer eine kürzere (3 l /9 Tag), die Zahl der rapid verlaufenen Fälle eine 
grössere (z. B. tödtlicher Ausgang am 1. Tage in 14 % sämmtlicher Fälle 
gegen 6 % im Vorjahr), die Betheiligung des Mittelstandes eine stärkere 
(32%) und die des Arbeiterstandes eine entsprechend geringere (53,19%), 
als 1886. Auch complicirten sich 1887 die Fälle häufiger mit Krämpfen. 

Die bei den weiteren Untersuchungen einznschlagende Richtung war 
vorgezeichnet. Es mussten vor Allem die Wohnungsverhältnisse der Ge¬ 
storbenen festgestellt werden. 

Da fand sich denn, dass im Allgemeinen die Sterblichkeit an 
Sommerdiarrhoe nur in solchen Wohnungen zu finden war, 
in denen unter dem Einfluss erhöhter Aussentempe ratur eine 
noch höhere Wohnungstemperatur bei gleichzeitig erschwerter 


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492 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 24 


natürlicher Ventilation sich entwickelt hatte. Schon nach Stock¬ 
werken betrachtet, entstammten die meisten Sterbefällc denjenigen Woh¬ 
nungen, welche am meisten den Sonnenstrahlen und am wenigsten dem 
Winde exponirt waren. Erdgeschoss und 1. Stockwerk (von der Sonnen¬ 
wirkung nicht nur direkt, sondern gleichzeitig durch Reflex vom Erdboden 
her betroffen), hatten die höchste, das (der Sonne am weitesten entrückte) 
Kellergeschoss die niedrigste Sterblichkeit. Verglichen mit. dem Gesammt- 
eontingent. der in jeder Wohnungslage am 1. December 1885 ortsauwesend 
gefundenen Kindern unter 1 Jahr starben an Durchfallskrankheiten während 
der Berichtswochen: 



1886 

1887 


v 580 Fälle) 

(134 Fälle) 

iui Kellergeschoss 

. 3,98 % 

2,44 % 

„ Erdgeschoss . . 

. 12,78% 

4,48 % 

. 1. Obergeschoss 

. 10,70 o/o 

3,03 % 

- 1 

. 9,13 % 

3,36 °/o 

n «*• 

. 8,18 o/o 

2,70 % 

„ 4. 

. 9,18% 

3,69 % 

- 5. 

. 11,27% 

1,61 % 


Um einen genaueren Einblick in das Wesen des Wohnungs¬ 
einflusses zu gewinnen, wurden die an der Durchfallssterblichkeit (1886) 
betheiligten Wohnungen des I. Obergeschosses auf ihre wichtigsten 
Charaktere untersucht. (Bei dem 1. Obergeschoss, als der bevorzugten 
Wohnungslage der besser situirten Stände, liess sich am ehesten ein durch 
den Einfluss des Pauperismus nicht gefälschtes Ergebniss erwarten.) 

Die Temperatur dieser Wohnungen, 1 Meter über dem Fussboden und 
im Juli und August 1887 gemessen, überschritt das Tagesmittel der 
Aussentemperatur im Schatten um 3,60 bis 14,40° C, durchschnittlich um 
8,59" C. Meist fanden sich ganz evidente Hindernisse, welche der atmo¬ 
sphärischen Luft den unmittelbaren Zutritt zu diesen Wohnungen erschwerten. 
Ein einziges der Kinder war in einem wirklich freistehenden Hause 
gestorben, die übrigen betheiligten Häuser standen entweder in ge¬ 
schlossener Reihe oder in sie umgebende Gebäude eingeschachtelt. 
Direkte Durchlüftung des Quartiers von einer Seite des Hauses nach 
der gegenüberliegenden war nur in 10 Fällen möglich. Die Wohndichtig- 
keit erwies sich als ein Factor von nur bedingungsweiser Bedeutung, 
welcher (abgesehen von excessiver Uebervölkerung) nur dann die Sterblich¬ 
keit erhöhte, wenn es sich um ventilationsarme Wohnungen handelte, 
ln unseren von Todesfällen heimgesuchten Wohnungen erster Stockwerke 
standen durchschnittlich pro Kopf 12,72 ccm Schlafraum zur Verfügung, 
während ein Kind in den vom Sommertod gänzlich verschont gebliebenen, 
in städtischer Regie erbauten, Arbeiterhäusern der Johaun-Meyer-Strassc 
sich mit durchschnittlich 4,57 ccm Schlafraum begnügen musste. Dafür 
stehen diese Arbeitshäuser frei, und ihre Wohn- wie Schlafräume können in 
der denkbarst vortheil haften Weise unter den wohlthätigen Einfluss eines 
das Haus direkt durchstreichenden Luftstroms versetzt werden. 

Im ganzen Villenviertel der Antonstadt (11 Strassen mit 2 921 Einw., 
darunter 50 Kinder unter 1 Jahr) kamen nur 3 Todesfälle vor und sämmt- 
liche 3 in einem einzigen Grundstück (Schillerstrasse 63), das, mit Seiten¬ 
flügeln und Nebengebäuden mehrere enge Höfe bildend, von allen übrigen 
Häusern des Viertels aufs Unvorteilhafteste absticht. 

Unter Räumen von gleichem Cubikinhalt hatten — ceteris paribus — 
diejenigen von geringerer Höhe die grössere Sterblichkeit. (Grössere Wand¬ 
flächen vermitteln eine ausgiebigere Porenventilation.) So betrug die Durch- 
schnittshöhe der Wohnungen mit Todesfällen in 1. Stockwerken 2,78 m 
gegenüber den 3,23 m hohen Räumen in den erwähnten verschont geblie¬ 
benen Arbeiterhäusern. 

Sie werden, meine Herren, auf diesem Stadtplan, welcher die relative 
Betheiligung jeder einzelnen Strasse an der Durchfallssterblichkeit (auf die 
Gesammtzahl der auf jeder dieser Strassen lebenden Kinder und 1 J. be¬ 
rechnet) durch Farbenunterschiede verdeutlicht, nirgends Sterbeantheile ent¬ 
decken, die sich nicht aus den gleichzeitig analysirten Wohn- und Bevölke¬ 
rungsverhältnissen erklären Hessen. 

Einige Male zweifelte ich selbst auf den ersten Blick, ob die gefun¬ 
denen Beziehungen wirklich durchgehends vorhanden wären. Eingehende 
Erhebungen aber ergaben immer wieder die Uebereinstimmung mit dem ge¬ 
fundenen gesetzmässigen Verhalten. Die hohe Mortalitätsziffer z. B. der 
vornehmen, einem Garten gleichenden Schillerstrasse (15,78%) erklärte sich 
aus jenen 3 im Grundstück No. 63 vorgekommenen Todesfällen. In der 
Oppelvorstadt bemerken Sie dicht bei einander 3 Strassen mit höchst diffe¬ 
renter Sterblichkeit: die Hechtstrasse mit 18,49%, die Kiefernstrasse mit 
2,50% die Johann-Meyerstrasse mit 0,00% — obwohl in allen 3 Strassen 
eine durchaus gleichartige Arbeiterbevölkerung wohnt. Aber die Hechtstrasse 
liegt tief und hat geschlossene Bauweise mit vielen Seiten- und Hinterge¬ 
bäuden, die Kiefernstrasse liegt hoch und hat halb offene Bauweise und auf 
der Johann-Meyerstrasse (nebenbei mit sehr ungünstigen Beschleusungsver- 
hältnissen) stehen mustergültige, rings von der freien Luft umflutbete Ar¬ 
beiterhäuser. 

Die nächste Frage war, ob sich innerhalb des Contingents der nach 
den gekennzeichneten Beziehungen ungünstig wohnenden Kinder individuelle 
Verhältnisse herausfinden Hessen, aus denen das Befallenwerden eines ge¬ 
wissen Theiles derselben von tödtlichem (Brech-) Durchfall und die Immu¬ 
nität der übrigen gegen diese Krankheit erklärt werden konnte. 

Wir Aerzte haben uns gewöhnt, bei derartigen Untersuchungen vor 
Allem eine Scheidung nach ehelich und unehelich vorzunehmen; und mit 
gutem Recht, weil die uugünstigeren Ernährungsverhältnisse der unehelichen 
Kinder die Erkrankungsgefahr derselben an Magen-Dannaffectionen präsumtiv 
steigern. Merkwürdigerweise aber, wie schon erwähnt, starben 1886 unter 
unseren Berichtskindem relativ weniger uneheliche als eheliche, 
nämlich 6,82% uneheliche Kinder von 1834 lebenden unehelichen und 
8,82% eheliche Kinder von 5534 lebenden ehelichen. In allen Jahreszeiten 
zusammengenommen starben auch in Dresden mehr uneheliche als eheliche 


Kinder im Säuglingsalter (ca. 21% der lebenden unehelichen und 16% der 
lebenden ehelichen). Ich glaubte an eine Zufälligkeit, aber unter den Be¬ 
richtskindern des Jahres 1887 war das Verhältniss ein ähnliches. 10 Jahre 
zurückgehend und die relativen Sterblichkeitsziffern jedes 3. Quartals mit 
denen der übrigen Quartale desselben Jahres vergleichend, stellte sich, wie 
Sie aus diesem Diagramm erkennen, heraus, dass dieses auffallende Ver¬ 
halten erst mit 1883, und zwar ganz plötzlich beginnt. In diesem Jahre 
nämlich fing man an, sich für die Unterkunftsverhältnisse der unehelichen, 
damals noch unter staatspolizeilicher Controle stehenden Kinder erhöht zu 
interessiren. Durch Landtagsbeschluss ging das Aufsichtsrecht an die Stadt 
über, welche es seitdem in vorzüglichster Weise ausübt. Uneheliche Kinder, 
aber nicht mehr als 2, in Pflege zu nehmen, ist nur solchen Ziehmüttern 
gestattet, welche eine vom Bezirksinspector für gesund befundene Wohnung 
innehaben. Der entscheidende Einfluss der Wohnung also ist es, welcher 
im Hochsommer den unehelichen Kindern in Dresden zu Gute kommt und, 
was Sterblichkeit, betrifft, sie besser stellt, als die ehelichen Kinder der ja 
I vorzugsweise von der infantilen Sommersterldichkeit betroffenen und minder 
gesund wohnenden arbeitenden ('lassen. 

Ein aber überall, wo die excessive Durchfallssterblichkeit iiu Sommer 
herrscht, beobachteter Unterschied besteht zwischen natürlich ernährten 
und künstlich ernährten Kindern. 

In Dresden befanden sich unter 479 Berichtskindem des Jahres 1886 
nur 19 Brustkinder und keines über 3 Monate alt, 1887 unter 123 Berichts- 
kindern nur 5 Brustkinder und keines über 4 Monate alt. Die alleinige 
Nahrung oder die Hauptnahrung fast aller übrigen Kinder war Kuhmilch 
! gewesen. (Nach einer von uns ad hoc angestellten Enquete erhalten in 
j Dresden’s Arbeiterfamilien von den im 1., 2., 3., 4., 5. etc. Lebensmouat 
, stehenden Kindern 65,07, 60,26, 49,78, 38,94,35,75 etc. % die Mutterbrust.) 

Dass eine Schädlichkeit existirt, aus welcher sich ebensowohl die Be¬ 
vorzugung von Wohnungen einer gewissen Beschaffenheit, als die hervor¬ 
ragende Gefährdung der Flaschenkinder erklärt, ist für die Aetiologie der 
Cholera infantum von höchstem Belang. Fehlte es doch seither an zuver¬ 
lässigen Kriterien für den Werth der Hypotheseu, welche sich mit dem Ur¬ 
sprung unserer Krankeit beschäftigen. 

Weshalb also erwiesen sich Brustkinder selbst in den bedenklichsten 
Wohnungen als verhältnissinässig immun, und weshalb wurden die sonst so 
hochgradig disponirten, künstlich ernährten Kinder in günstigen Wohnungen 
nur äusserst selten von der Sterblichkeit an Sommerdiarrhoe betroffen? 

Wenn ich die den Wohnungen der gestorbenen Kinder ein specifisches 
Gepräge verleihenden Schädlichkeiten bezeichnen soll, so handelte es sich 
einmal um constante Verunreinigung der Wohnungsluft mit mensch¬ 
lichen Ausdünstungsstoffen. Diesen jedoch darf ein allzu grosses Ge¬ 
wicht nicht beigeinessen werden, da sie gleicher Weise, oder wenigstens 
unter Umständeu, auch eine Calamität des Winters sind, ohne jemals die 
charakteristische Kinderkrankheit des Sommers hervorzurufen. 

Weit wichtiger scheint mir die Erwägung, dass die Beschaffenheit des 
von uns in den Wohnungen gestorbener Kinder nachgewiesenen Klimas 
selbst da, wo es sich um relativ mässige Temperaturen handelte, durch 
ausserordentlich herabgesetzte Ventilationsgrösse überall zum mächti¬ 
gen Hemmniss für die erfolgreiche Function der wärmeregulatorischen Ein¬ 
richtungen des menschlichen Körpers werden musste. Auf diese Gefahr 
hat schon Flügge in seinen werthvollen und noch zu wenig gekannten 
Untersuchungen über „das Wohnungsklima zur Zeit des Hochsommers“ auf¬ 
merksam gemacht. 

Wenn alle Hülfsmittel, auf welche die Wärmeregulatoren zu Zeiten ihrer 
höchsten Beanspruchung angewiesen sind, sich vorfinden, dann droht wohl 
der Wärmebilanz unseres Organismus auch unter den schlimmsten Con- 
juncturen, welche die Sonne unserer Breiten innerhalb der Wohnungen zu 
erzeugeu vermag, keine ernstliche Gefahr. Das wichtigste dieser Hülfsmittel 
ist der vermehrte und durch instinctive Mehreinfuhr sich deckende Wasser¬ 
verbrauch der Organe. Derjenige des wahren Säuglings regulirt sich unter 
allen Umständen in der denkbarst zweckmässigen Weise auf der Basis ge¬ 
steigerter Wasseraufnahme durch die Stillende (den Modus dieser Selbst- 
regulirung habe ich zum Gegenstand einer besonderen Untersuchungsreihe 
gemacht). Anders beim Flaschenkinde. Es trinkt, wenn nicht die Intelligenz 
seiner Mutter regulirend eingreift, zur Löschung seines gesteigerten Durstes 
gesteigerte Mengen derselben Milch, deren Concentration ihm bei der ge¬ 
wohnten kühleu Umgebungsluft zusagte, und führt sich mit denselben ein 
Uebermaass fester Bestandteile zu. Dadurch erfahrt — und um so leichter, 
je normaler die Verdauungsorgane functioniren — seine Wärmeproduction 
gerade zu solchen Zeiten eine Steigerung, in denen sie, nach dem Vorbilde 
des Brustkindes, durch verminderte Einfuhr substantieller Nahrungstheile 
herabgesetzt werden müsste. Oder die Herabsetzung der Nahrungsaufnahme 
erfolgt endlich mit dem Eintritt dyspeptischer Magenverstimmung (in Folge 
Uebereruähruug): in diesem Falle werden die aufgenommenen Wassermengeu 
leicht hinter den Ansprüchen einer hochtemperirten Umgebungsluft Zurück¬ 
bleiben. 

Der eine wie der andere Fall bedingt unter gewisseu, die Wärmeab¬ 
gabe erschwerendeu wohnungsklimatischen Verhältnissen eiu Ansteigen der 
Körpertemperatur. 

In der That ergaben thermometrische Aftermessuugen, welche wir im 
Juli und August 1887 in gefährdeten Wohnungen an einer grösseren An¬ 
zahl kleiner Kinder anstellten, dass febrile Steigerungen der Körper¬ 
wärme ausserordentlich häufig vorkamen. 

Ich zeige Ihnen hier einige Curveu von Kindern, die wochenlang 3 mal 
täglich gemessen worden sind. Ueber dieseu Curven erkennen Sie den Gang 
der Aussentemperatur und den der wesentlich höheren Wohnungstemperatur. 
Aber 2 der graphischen Tafeln beanspruchen besonderes Interesse. Auf 
beiden setzt, unter sichtlichem Einfluss einer Exacerbation der Wohnungs¬ 
temperatur, nach prodromalem Fieber weniger Tage bei 38,8° C (in ano) 
typischer Brechdurchfall ein — das eine Mal complicirt mit Convulsiouen 
und tödtlich endend. 


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14. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


493 


Wir sind, meine Herren, an dem Punkte angelangt, wo meines Erachtens 
das Problem liegt. 

Handelt es sich ira fieberhaften Prodromalstadium der peruiciösen in¬ 
fantilen Sommerdiarrhoe nur um Wärmestauung, und in welcher Beziehung 
zu ihr steht alsdann die typische Affection der Verdauungsorgane? Oder 
haben wir es gleich von Anfang an mit dem Invasionsfieber einer 
zymotischen Krankheit zu thun, deren Erreger nur da sich zu entwickeln 
oder nur da einen pathogenen Charakter anzunehmen vermag, wo gerade 
diejenigen Gefahren der Wohnung und Ernährung sich zusammen finden, 
welche wir als genetische Voraussetzung für die Cholera infantum kennen 
gelernt haben? 

Die bescheidenen Beiträge, mit denen ich mich auf Grund meines 
Materials an der Discussion dieser wichtigen Fragen zu betheiligen vermag, 
gliedern sich naturgomäss einer Beschreibung der klinischen Erschei¬ 
nungsformen, wie unsere Fälle sie boten, an. 

Auf diese aber einzugehen, würde eine Abschweifung vom Arbeitsgebiet 
der hygienischen Section bedeuten, und ich gedenke deshalb nach dieser 
Seite hin meinen Bericht in der Section für Pädiatrie zu Ende zu 
führen. 1 ) 

Der Einfluss eines den Entwärmungsvorgängen hinderlichen Wolinungs- 
klimas drückte sich bei den Berichtskindern auch an der verschiedenen Be¬ 
theiligung der einzelnen Altersklassen aus. 3 ) 

Am schlimmsten grassirte der Sommertod unter den im ersten Halbjahr 
ihres Lebens stehenden Kindern. Ihre hohe relative Gefährdung erklärt 
sich theils aus der erst im 2. Quartal zur allmählichen Entwickelung ge¬ 
langenden und für die Wärmeregulation so wichtigen Schweissabsonderung, 
theils aus der landesüblichen Unsitte, die Kinder dieser Altersstufe selbst 
bei der grössten Hitze unter dichten Bedeckungen zu halten, die durch an¬ 
gebrachte Schnürvorrichtungen („Steckbett“, „Steckkissen“, „Einbund“) noch 
obendrein die Bewegungen der Gliedmaassen gewaltsam beschränken. Etwa 
vom 6. Monat an fallt die Mortalität rapid, um im 2. Lebensjahr, in welchem 
die Kinder die als Kampfmittel gegen Ueberhitzung wichtigsten Fähigkeiten 
der freien Fortbewegung und der Sprache erwerben, so gut wie vollständig 
zu verschwinden. 

Nun, meine Herren, bitte ich Sie, noch einen kurzen Blick auf meine 
graphischen Darstellungen der monatlichen Kindersterblichkeit in den¬ 
jenigen grösseren Städten des europäischen Contineuts und Nord¬ 
amerikas zu werfen, aus welchen mir Berichte über die procentualen Ziffern 
(Berechnung auf 100 Lebendgeborene) und über die Temperaturverhältnisse 
zugänglich gewesen sind. Sie sehen, wie — Berlin als Ausgangspunkt ge¬ 
nommen — nach Süden, bis nach Rom, trotz der immer höheren Sommer¬ 
steigerungen der Lufttemperatur die Sommersterblichkeit des Säuglingsalters 
stetig abuimmt. Das hängt ohne Zweifel damit zusammen, dass nach dem 
Süden hin das Selbstnähren der Mütter immer mehr zur Regel wird, und 
die bei uns mehr auf den Schutz gegen die Unbilden der kühleren Jahres¬ 
zeit berechneten Wohnungen ebenso, wie die Gebräuche der Kinderhaltung, 
sich immer mehr den Erfordernissen eines heissen Klimas aupassen. 

Die im Hochsommer (verglichen mit den übrigen Jahreszeiten) so auf¬ 
fallend gesteigerte Kindersterblichkeit ist nicht, wie mau häufig annimmt, 
nur eine in den grossen Städten wahrnehmbare Erscheinung. Die (bis 
jetzt allerdings nur in geringer Anzahl vorhandenen) vergleichenden Dar¬ 
stellungen ergeben, dass, wo in Stadtgemeindeu der Sommer zahlreiche 
Opfer fordert, die Landgemeinden eine durchaus analoge Steigerung 
der Sterbefälle aufweisen. Es handelt sich nur um graduelle Unter¬ 
schiede. So tritt Ihnen auch die Gleichartigkeit des Typus in der Curvc 
entgegen, die ich für die Kindersterblichkeit in den ländlichen Bezirken 
Pirna, Grossenhain und Meissen (mit ungefähr denselben Temperaturver¬ 
hältnissen, wie Dresden) entworfen und unter der C'urve für Dresden an¬ 
gebracht habe. 

Ich hoffe, meine Herren, recht bald im Stande zu sein, die Lücken, 
die meine Ausführungen Sie empfinden Hessen, durch eine vollständige 
Veröffentlichung meines Materials und meiner Untersuchungen auszufüllen. 
Bis dahin gestatte - ich mir auch, den Dank hinauszuschieben, der jedem der 
zahlreichen Herren Collegen und übrigen Gönner gebührt, durch deren 
liebenswürdige Unterstützung diese Arbeit überhaupt erst möglich ge¬ 
worden ist. 


Bericht über die Vorgänge in der gebnrtshülfliehen 
Klinik und Poliklinik zn Harburg während der Zeit vom 
1. April 1887 bis 31. März 1888. 

Von F. Ahlfeld. 

(Fortsetzung aus No. 23.) 

Die Nierenaffectionen Schwangerer haben in den letzten Jahren 
das lebhafteste Interesse nicht nur der Geburtshelfer wach erhalten. Noch 
immer ist es eine viel umstrittene Frage, in wie weit ätiologisch die Eklampsie 
mit Erkrankungen der Niere zusammenhängt. Neben dieser Frage ist aber 
neuerdings lebhaft ventilirt worden der eigenthümliche Zusammenhang zwi¬ 
schen der Nephritis Schwangerer und Placentarveränderungen, welch’ letztere 
nicht selten zu frühzeitiger Ablösung dieses Organs und zum intrauterinen 
Tode der Frucht geführt haben. 

Wenn ich zu den beiden eben berichteten Fällen von Schwangerschafts¬ 
niere noch zwei andere, aus den Jahren 1883 und 1885 beobachtet, hinzu- 

*) Vgl. Verhandlungen der 5. Versammlung der Ges. f- Kinderheilkunde 
in der pädiatrischen Section auf d. 60. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte. 

*) Es starben von Kindern, welche standen im 
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Lebensmonat 

14,40 13,10 13,07 12,41 12,42 8,63 6,06 6,09 4,05 3,52 3,32 4,12 Procent der 
in jedem einzelnen Altersmonat lebenden. 


nehme, so drängt sich mir eine neue, bisher noch nicht hervorgehobene 
Anomalie als Folgezustand dieser Complieation der Schwangerschaft auf, auf 
die aufmerksam zu machen ich für meine Pflicht halte, wenn auch mein 
kleines Material keine Entscheidung bringen kann. 

Zunächst muss ich mittheilen, dass in jenen beiden Fällen ebenfalls 
ein grosser Blutverlust in der Nachgeburtsperiode stattfand. Die ledige S., 
1883, No. 37, l. Gebärende verlor, sofort nach Austritt des Kindes 200 g, 
dem bald ein Blutcoagulum von 400 g folgte. Massage; frühzeitige Expression. 
Blutung dauert fort. Ausräumen des Uterus, ohne dass etwas anderes als 
geronnenes Blut gefunden wurde. Gesammtblutverlust bis 1 1 4 Stunde 
nach Geburt des Kindes 1180 g. 

Kind lebend, frühreif, 2360 g, 48 cm. 

Die ledige B., 1885, No. 159, 1. Gebärende, wurde mit der Zange ent¬ 
bunden. Dem Kinde, welches reif war und intravagiual geathmet hatte, 
folgten sofort ca. 1000 g Blut. Blutung dauert fort. C-rede’sches Ver¬ 
fahren ohne Erfolg. Herausnahme der Placenta aus der Uterushöhle. Ge¬ 
sammtblutverlust bis zur beendeten Ausräumung der Uterushöhle ca. 

2100 g. 

Es ist wohl nicht als ein reiner Zufall zu deuten, dass in den vier 
Fällen von ausgeprägter Schwangerschaftsniere vier Mal starke oder sehr 
starke Nachgeburtsblutungen auftraten, ein Mal die Placenta manuell 
entfernt werden musste. Dass nephritische Schwangere in der Geburt leicht 
bluten, ist aus den verschiedenen Berichten von frühzeitiger Lösung der 
Placenta bei derart erkrankten Frauen zu entnehmen. Besonders Winter 1 ) 
in seinen in der Universitätsklinik beobachteten Fällen und in dem neuer¬ 
dings 3 ) beschriebenen Präparate einer unentbunden an Eklampsie gestorbenen 
Frau meldet, wie grosse Blutmengen selbst bei noch ungeborstenem Ei 
zwischen Placenta und Gebärrautterwand sich angesammelt haben. Gleiches 
berichten auch Andere. • 

Dass aber auch bei lebend geborenen Früchten in der Nachgeburts¬ 
periode sich diese Anomalie in so erheblicher Weise geltend macht, finde 
ich bisher nirgends hervorgehoben. 

Der Streit, woher diese Neigung zu Blutungen, ist noch nicht ausge- 
kämpft. Während Einige den Hauptwerth auf die Herzhypertrophie bei 
Nephritis legen, nehmen Andere an, dass Gefässerkrankungen im Spiele 
seien, wieder Andere betonen die geringere Gerinnungsfähigkeit des Blutes. 

Vorgänge bei der Geburt. 


Von den 308 entbundenen Personen waren: 


1. 

Gebärende 

. 157 

7. Gebärende . 

. 2 

2. 

y> 

. . 92 

8- 

. 1 

3. 

T> 

. . 27 

9. 

. 1 

4. 

*> 

. 11 

10. 

2 

5. 


. 7 

11. 

. 2 

6. 


. 6 




Die jüngsten Mütter waren 17 Jahre alt, die älteste 48 Jahre. Letztere 
gebar etwas später, als sie berechnet, ein Kind von 3580 g und 53 cm. 

Diese 308 Frauen gebaren 314 Früchte, indem 6 derselben mit Zwillin¬ 
gen niederkamen. 

Dem Geschlecht nach wurden 155 Knaben und 158 Mädchen geboren, 
bei einem Aborte war die Frucht nicht mehr zu finden. Die Früchte stellten 
sich zur Geburt in 

1. Schädellage.197 Mal 

2. „ 83 „ 

Schädellage. 5 „ 

1. Gesichtslage. 2 „ 

2. Stirulage. 1 „ 

1. Steisslage. 4 _ 

2 . „ . 6 „ 


1. Fusslage 


2 „ 


2. , .• 3 - 

1- Querlage a. 1 „ 

2. „ a. 3 „ 

„ b. 1 „ 

unbestimmt. 6 „ 


Artificieile Eingriffe bei der Geburt: 


Einleitung der künstlichen Frühgeburt .... 19 Mal 

Anregung der Geburt am normalen Ende der 

Schwangerschaft. 4 „ 

Kaiserschnitt. 1 „ 

Anwendung der Zange. 3 „ 

Wendung auf den Kopf. 3 „ 

Wendung auf den Fuss. 3 . 

Combinirte Wendung auf den Fuss. 2 „ 

Lösen der Arme und Entwickelung des Kopfes 

bei Beckenendlagen. 8 „ 

Anwendung des Geburtsstuhles.21 „ 

Reposition der Nabelschnur. 2 „ 

Reposition des Armes. 2 „ 

Crede’s Handgriff. 3 „ 

Manuelle Entfernung der Placenta. 1 „ 


Es wird dem Leser die Vertheilung der Operationen auffallen. Einer¬ 
seits das Zurücktreten der Zangenoperationen, dem gegenüber die Zunahme 
der Anwendung des Geburtsstuhles; dann das Fehlen der Perforation und 
die grosse Zahl von Einleitungen der künstlichen Frühgeburt. 

Ehe ich etwas genauer auf die Ursachen dieser Verschiebungen der 
Indicationen eingehe, muss ich über das Vorkommniss des engen Beckens 
berichten, als der wichtigsten Complieation, welche zu besagten Operationen 
Anlass zu geben pflegt. 


*) Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie Bd. 11, pag. 398 
und ff. 

*) Centralblatt für Gynäkologie 1888, No. 14, p. 227. 


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494 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 24 


Becken, bei denen man mit einem Finger den Vorberg erreichen ! 
konnte, oder bei welchen ein anderer Durchmesser in auffallender Weise ; 
verkürzt war, fanden sich 56= 18,2%. Wir registrirten sie unter 


das allgemeine verengte Becken.26 Mal, 

das rhachitisch allgemein verengte Becken ... 8 „ 

das rhachitisch platte Becken.6 „ 

das einfach platte Becken.11 . 

das Trichterbecken.3 „ 

das schräg verschobene, zugleich allg. v. Becken 1 

das spondylolisthetische Becken.1 . 


Einleitung der künstlichen Frühgeburt, und Anregung der 
Geburt am normalen Schwangerschaftsende. 

Die Indication zu diesem 23 Mal ausgefnhrten geburtshülflichen Ver¬ 
fahren gab 22 Mal das enge Becken, 1 Mal Schwangerschaftsniere. 

Dass wir bei engem Becken besonders diese Operation begünstigen, 
liegt in dem Umstande, dass wir die weitaus meisten Schwangeren schon | 
längere Zeit vor der Geburt in die Anstalt aufnehmen. So kommen Ge- ; 
bürten, in denen das enge Becken erst am Ende der Schwangerschaft oder j 
in der Geburt selbst entdeckt wird, nur ganz vereinzelt vor und deshalb j 
sind wir so selten zur Perforation des Kindes genöthigt. j 

Die Erfolge dieses Verfahrens waren für die Mütter sehr günstige. I 
Ausser einer phthisischen Mutter (1887, No. 92) bei der wegen engen 
Beckens und nicht zu beseitigenden Ptyalismus (siehe No. 23 p. 468) die künst¬ 
liche Frühgeburt eingeleitet wurde, erkrankte keine. 17 fieberlose Wochen¬ 
betten gegen 6 mit Fiebersteigerungen. 20 Mütter wurden bis zum 12. Tage 
entlassen. 2 mussten der Kinder halber bis zum 20. und 24. Tage bleiben, 
die eine Kranke wurde am 32. Tage transferirt. 

Von den Kindern (24. da ein Mal Zwillinge geboren wurden), ver- 
liessen 16 gesund die Anstalt, 2 starben am 6. und 7. Tage, 6 starben > 
während oder gleich nach der Geburt. 

Die Beckenenge schwankte zwischen Conj. diagonalis 11.0 und 8,5. , 
Bei dem spondylolisthetischen Becken betrug die Beckenausgangsenge 5,7. | 
Conj. diagon. maass . . 11,0 cm 2 Mal, 

10,8 , l . 

10.5 . 4 . 

10,0 „ 6 . 

9.4 „ 2 r 

9,0 . 2 . 

8.5 * 1 . 

Prora, leicht zu erreichen _ 2 „ 

Bei den Frauen mit 8.5 cm Diagonalis und dem Beckenausgangsdurch- ' 
messer von 5,7 cm müsste bei einer event. nächsten Geburt die Sectio 
caesarea gemacht werden. 

Mit der Methode haben wir je nach der Sachlage variirt. Am häufig- 1 
steil haben wir mittelst Bougie die Geburt angeregt. Ich erlaube mir hier 
nochmals auf einige C aut eien beim Einführen des Bougie aufmerksam 
zu machen, durch welche der Blasensprung mit ziemlicher Gewissheit ver¬ 
mieden werden kann. Man nehme ein nicht zu dünnes Bougie, mache es 
durch Eintauchen in heisses Carbolwasser mässig geschmeidig, führe zwei 
Finger bis über den inneren Muttermund und schiebe das Instrument 
an der vorderen Gebärmutterwand in die Höhe. Es ist dies der einzige • 
Weg, auf dem das Stäbchen nicht in Berührung mit der Linea innominata 
kommt und deshalb fast ausnahmslos bis zum Knopfe eingeschoben werden 
kann, ohne sich zu biegen und die Blase zu sprengen. In circa 100 Fällen, ■ 
in denen das Bougie eingeschoben wurde, fand nur 4 Mal der Blasensprung 
statt. Hält man dagegen die Resultate von Leopold,') der bei 45 Fällen j 
von Einleitung der Frühgeburt mittelst Bougie 16 Mal die Blase sprengte, 
so tritt der Vortheil der von mir im I. Bande meiner Berichte und Ar- 1 
beiten p. 122 zuerst beschriebenen Methode am deutlichsten hervor. 

Blutungen bei Einführung des Bougie kamen 2Mal vor. 1 Mal J 
traf das lustrument die tief sitzende Placenta, 1 Mal erfolgte bei Einführung 
der Finger in den sehr engen Beckeneingang die Blutung aus Schleimhaut¬ 
rissen des Introitus, zu deren Schliessung sechs Nähte nothwendig wurden, 
ln beiden Fällen wurde eine andere Methode der Einleitung gewählt. 

Um die Blutungen der ersteren Art zu vermeiden, giebt Leopold 3 ) 
ein Verfahren an, den Sitz der Placenta voraus zu bestimmen, um dement¬ 
sprechend das Bougie an der placentafreien Wand in die Höhe schieben ! 
zu können. Diese Methode, den Sitz der Placenta voraus zu bestimmen, j 
sehe ich noch etwas skeptisch an. Bewährte sie sich, so wäre mit ihr viel 
für die Praxis gewonnen. Da Leopold das Bougie nicht ausnahmlos an 
der vorderen Wand in die Höhe schob und nicht mit den von mir ange- ; 
gebenen Vorsichtsmaassregeln, so wird es ihm oft wie Anderen auch ge¬ 
gangen sein, das Bougie bog sich an der Linea innominata um und kam 
gamicht in die Uterushöhle hinein. Dadurch erklärt sich vielleicht das 
Nichtvorkommen einer Placentarblutung bei der immerhin schon bedeutenden i 
Zahl von 45 Einleitungen der künstlichen Frühgeburt. 3 ) 

Neben dieser Methode haben wir in dem Berichtsjahre Versuche ge¬ 
macht, die Einleitung der Frühgeburt durch feste trockene Wattetampo- [ 
nade zu machen. Das Verfahren hat uns einige Mal recht gute Dienste ge¬ 
leistet, andere Male hat es uns im Stiche gelassen. 

Nach einer gründlichen Darm- und Blasenentleeruug und gehöriger Des- , 
infection der Scheide wird in der Rücken- oder Seitenlage unter Anwendung 1 
des Siins’schen Speculums zunächst ein Bausch Jodoformmull gegen den i 
Muttermund gebracht und dann die Scheide mit Salicyl- oder Carbolwatte J 
durch Einführen kleiner lockerer, nicht mit Fäden versehener Bäuschchen | 
auf das Vollkommenste ausgestopft. Zeigt das Thermometer keine Steige- j 


') Der Kaiserschnitt und seine Stellung zur künstlichen Frühgeburt, , 
Wendung und Perforation, 1888, p. 5, Tabelle. 

3 ) In derselben Monographie, p. 27. 

3 > Siehe hierüber: Ahlfeld, Berichte und Arbeiten. Band 11., p. 105 1 
und ff 


rung, so haben wir bis 24 Stunden die Tampons liegen lassen, den Harn 
durch Katheter abgenommen. Bei der Herausnahme ist zu bedenken, dass 
die trockene Watte fest mit der Schleimhaut verbunden ist. Zieht man die 
Tampons unvorsichtig heraus, so entstehen Epitheldefecte. Dies zu ver¬ 
meiden, nässt man vor dem Herausnehmen die Watte mittelst Spülapparat 
an und fügt, ist alle Watte entfernt, eine desinficirende Scheidenaus¬ 
spülung an. 

In einem Falle, in dem Einführen des Bougie und Wattetamponade im 
Stich liess, bewährte sich die Wechseldouche.') Aus zwei Spülkannen 
mit Wasser von 35° R. und 12° R. wird durch gemeinschaftlichen Schlauch 
vermittelst eines Dreiwegehahns abwechselnd kalte und warme Douche gegen 
den Cervix gerichtet. Dieser Wechsel der Temperatur bildet einen inten¬ 
siveren Reiz, als die einfache warme oder heisse Douche. 

(Fortsetzuug folgt) 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

Zar Elektrotherapie and medicinisehen Elektrotechnik. 

(Vgl. Deutsche med. Wochenschrift 1886 No. 26; 1887 No. 22.) 

Von Prof. A. Eulenburg, Berlin. 

Im Folgenden mögen einige, von der Firma W. A. Hirschmauu 
in Berlin gelieferte neue Elektroden Erwähnung finden. 

1. Fiiirbare Elektroden. Dieselben bestehen aus einem 3 cm breiten, 
10—12 cm langen federnden Metallstreifen, welcher die Zuleitungsklemme, 
Gewinde für Befestigung beliebiger Metallplatten, und Vorrichtung zur 
Fixirung eines 2cm breiten, hinreichend langen Baudstreifeus 
trägt (vgl. den beigegebenen Holzschnitt, Figur 1). Soll beispielsweise die 

Elektrode am Arm 
(Hand, Carpalgegeud. 
Vorderarm) fixirt wer¬ 
den, so wird der Arm 
zwiseken das entspre¬ 
chend geloekerte Band 
und die Elektrode ge¬ 
bracht und das Band 
durch die mit dem 
Knopfe a verbun¬ 
dene Klammer 
h indurchgezogeu, 
welche letztere sodann 
das Band in der ge¬ 
gebenen Stellung selbstthätig fixirt, uud dadurch die Elektrode andauernd 
und mit gleichmässigem Druck festhält. Um die Fixirung zu lösen, hat 
man nur den Knopf a ein wenig herunterzudrücken und so fest¬ 
zuhalten, worauf das Band wieder gelockert uud die Elektrode mit Leichtig¬ 
keit entfernt wird. 

Diese Elektroden sind als einfach, praktisch uud bequem, zumal für 
manche Zwecke localer Elektrisation an den Extremitäten etc. zu empfehlen, 
da sie iu den für ihre Anwendung geeigneten Fällen die Thätigkeit des 
elektrisirenden Arztes erheblich entlasten resp. demselben den Gebrauch 
einer Hand gänzlich freigeben. 

2. Rheostatelektrode. Besteht aus einer an dem gewöhnlichen 
Elektrodenheft anschraubbaren, mit Torfmoospolster und Leinwandüberzug 
versehenen Metallplatte, deren 6 cm lange und 5 cm breite Basis (e) bei o 

in einen noch b spitz zulaufendeu 
Fortsatz übergeht, welcher letztere 
nach unten etwas kreisförmig ab¬ 
biegt. Der Fortsatz b ist bis a 
noch mit einer dünnen Gummilage 
bedeckt, über welche der Torfmoos- 
nnd Leinwandüberzug zu liegen 
kommt, während derselbe bei c der 
Metallplatte direkt aufliegt. Ist die 
ganze Elektrode mit warmem Wasser 
gehörig durchfeuchtet, so bildet die 
Fläche c für sich beim Aufdrücken 
ein in der gewöhnlichen Weise gut leitendes Ansatzstück. Um dieselbe 
nun bei beabsichtigten „Ausschleichen“ des Stromes zu verwerthen, 
wird mittelst entsprechender Bewegung des Griffes die mit c 
aufgelegte Elektrode langsam über a hinaus wiegenförmig ge¬ 
dreht, bis endlich nur noch die zungenförmige Spitze b den Körper an 
der betreffenden Hautstolle berührt. Die in dem Torfmoospolster auf¬ 
gesogene reichliche Wassermenge wirkt, da sie auf der Fläche b von dem 
Metall isolirt ist, als ein in den Stromkreis selbst eingeschalteter, succes- 
siv anwachsender Widerstand, dessen Grösse nicht nur durch 
die Länge des Fortsatzes b, sondern auch durch die nach der 
Spitze zu abnehmende Breite desselben bedingt wird, und der 
in Folge dieser Configuration gegen die Spitze zu langsam 
und stetig anschwillt; so dass, zahlreichen Versuchen zufolge, die 
galvanometrisch gemessene Stromstärke in der Regel auf — der ur¬ 
sprünglich vorhandenen oder selbst noch weiter herabgedrückt wird. Iu 
ganz gleicher Weise lässt sich die Elektrode natürlich auch bei Beginn 
der Sitzung zu allmählichem .Einschleichen“ des Stromes verwerthen. 
Selbstverständlich wird durch dieselbe der zur Completirung grösserer 
Stationärbatterien gehörige Metall-(Kurbel-)Rheostat keineswegs ersetzt; wohl 
aber kanu die einfache, leicht und sicher fungirende Elektrode dem einer 
solchen kostspieligen Vorrichtung entbehrenden oder überhaupt nur mit 
einer kleinen Tauchbatterie arbeitenden Arzte eine vielfach willkommene 
Aushülfe gewähren. 

') Ahlfeld, Berichte und Arbeiten, Band IIL, p. 94. 


Figur 2. 



Figur 1. 



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14. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


8. Nene Ohrelektrode de» Referenten. Die mit einem Unter¬ 
brecher (17) versehene Ohrelektrode trägt an ihrem rechtwinkelig ab¬ 
gebogenen Theile eine Platin- Pi gar 3. 

schlinge S, die mit einem Messing¬ 
stab fest verbunden ist. Auf diesem 
Stab ist eine Gummihülse b mit Hülfe 
der Metallfassung o leicht verschieb¬ 
bar. Um die Elektrode mit einem 
feuchten Leiter zu umgeben, wird ein 
kleines Quantum Watte — wie es die 
Abbildung (Fig. 3) bei W andeutet — 
an einerStelle spitz zusammengedreht 
und durch die Platinschlinge hin¬ 
durchgezogen, bis sich auf beiden 
Seiten der Schlinge eine ungefähr 
gleiche Menge Watte befindet. Letz¬ 
tere wird dann mit Wasser be¬ 
feuchtet, die Hülse über die 
Schlinge so weit herübergezogen, 
bis diese ganz bedeckt ist und aus 
der Hülse nur noch ein Theil der 
befeuchteten Watte hervorragt, die 
mit der Scheere nöthigenfalls ver¬ 
kleinert und zu einer ebenen Fläche 
zurechtgestutzt wird. Nach dem 
Gebrauch ist die Hülse zurück¬ 
zuschieben, die Watte aus der 
Platinschlinge zu entfernen und 
selbstverständlich bei jeder weiteren 
Verwendung durch neue zu er¬ 
setzen. — Die Untersuchungsvor¬ 
richtung sch lies st (wie bei der 
Augenelektrode des Ref .)') den Strom 
durch Niederdrücken des von einer 
Spiralfeder abgedrückt erhaltenen 
Elfenbeinknopfes. — Die aus demselben Holzschnitt ersichtliche Kehl¬ 
kopfelektrode ist in gleicher Art hergestellt, nur ist die Gummihülse 1 
b erheblich länger und zugleich ein wenig stärker. 

— Die Behandlung des aenten Gelenkrhenmatlsnins. Nach den ‘ 
Beobachtungen des Referenten ist man in Berlin mit der Darreichung von i 

Natrium salicylicnm bei acutem Gelenkrheumatismus sehr vorsichtig 
und verabfolgt gewöhnlich 3—5 g pro die. Schon in No. 8 dieses Blattes ' 
machte ich darauf aufmerksam, dass Ziemssen in Wiesbaden selbst beim 
chronischen Gelenkrheumatismus 5—7 g täglich und lange Zeit hindurch 
giebt. Welch’ grosse Dosen man aber von Natr. salicyl. beim acuten Ge- j 
lenkrheumatismus ohne Bedenken geben kann, lehren die Erfahrungen j 
von Prof. v. Jaksch in Graz. .Falls es sich“ schreibt er in der Wiener 
med. Preise No. 1, 1888, „um einen schweren Fall von Gelenkrheumatismus 
bei einem sonst gesunden Individuum handelt, so verabfolge ich in den 
ersten 24 Stunden der Behandlung mindestens 10, ja 15, 20 bis 24 g 
salicylsauren Natrons. Treten beidieser Therapie Intoxicationserscheinungen 
auf — was aber, wie ich bemerken will, im Ganzen sich selten ereignet — 
so setze ich das Mittel nicht aus, sondern vermindere nur die Dosis, so ' 
«lass z. B. statt I g nur Ls g oder nur *.* g stündlich verabreicht wird; ; 
das Mittel ganz wegzulassen, halte ich nicht für zweckmässig. Gewöhnlich 1 
sind bei einer solchen Therapie die Hauptsymptome der Krankheit, als ' 
Fieber, die Gelenkaffection, bereits nach wenigen Stunden geschwunden, die I 
Kranken haben stark geschwitzt und fühlen sich relativ wohl. In den zweiten 
24 Stunden wird und muss die Salicylsäure weiter gegeben werden, jedoch 
in kleinerer Dose; hat man in den ersten 24 Stunden 20 g gegeben, so giebt 
man jetzt blos 18 oder 16 g, je nachdem der Kranke Intoxicationserschei- 
nungen zeigt oder nicht; doch auch dann ist es unzweckmässig, sofort die 
Salicylmedication ganz zu sistiren; thut man dies, so kann man sicher sein, 
dass ein Recidiv der Krankheit kaum stundenlang auf sich warten lassen 1 
wird: will man den Eintritt eines solchen Recidivs vermeiden, so muss der | 
Kranke noch tagelang in der Salicylbehandluug bleiben — als Minimum | 
möchte ich 8 Tage bezeichnen — „wobei man Tag für Tag in der Menge 
des verabreichten Salicylpräparates herabgeht.“ 

Tritt nach den ersten 24 Stunden, nachdem also 15, 20 oder 24 g sali- 
cylsauren Natrons verabfolgt wurden, keine wesentliche Besserung auf, so 
gehört dieser Casus zu den nicht allzu seltenen Fällen von acutem Gelenk¬ 
rheumatismus, die der Behandlung mit Salicylpräparaten widerstehen. In | 
diesen Fällen wird besonders das Natrium benzoicum bis 30 g pro die 
empfohlen. A. 

— ln Anbetracht dessen, dass das Lelmbrudt oft w /so% zutkerbildende . 
Substanzen enthält, hat Bovet in Paris (Societe Therapeutique, Sitzung vom 
25. April) aus Legumin, das viel eiweissreicher ist als der Leim, und aus 
llordein, einer aus Gerste von Roust dargestellten Substanz, ein neues Brot > 
hersteilen lassen. Dazu kommt noch Eiereiweiss, Milch und etwas Saccharin, I 
was ein sehr nahrhaftes und haltbares Präparat giebt. 

— Ilrodt au» Sojabohne, einer jetzt auch in Deutschland angepflanz¬ 
ten Hülsenfrucht, empfiehlt Dujardin-Beaumetz (Acad. de Medecine ' 
29. Mai) wegen des hohen Eiweiss- und sehr niedrigen Stärke- und Zucker- [ 
gehalts bei Diabetes. 

— Graues Oel. Zur subcutanen Injection verwendet Lang (vgl. diese 
Nummer p. 490) folgendes Quecksilberöl: Hydrargyri et Lanolini aa 3,0, 
Ol. oliv. 4,0. Alle 5—8 Tage werden an zwei Stellen des Rückens oder 
der Nates 0,1—0,15 ccm 01. cinereum injicirt. Die Symptome bilden sich i 
nach 2—3 Wochen zurück. Dann Pause von 14—20 Tagen. Dann neue 1 



495 


Injectionen gleicher Mengen in grösseren Zwischenräumen oder kleineren Gaben 
in denselben, bis 1 */*—2,0 ccm injicirt sind. Auf die Zeichen der even¬ 
tuellen Hydrargyrose ist zu achten. 

— Mr. Ossian-Bonnet, der die Seekrankheit 12 Jahre an Bord 
eines Schiffes studirt hat, empfiehlt als bestes Mittel gegen dieses leidige 
Uebel das Antipyrin. 1,0—1,5 g reichen öfter aus, um einen Patienten, 
dem nur übel ist, bei nicht allzu rauher See wieder herzustellen. Ist die 
Krankheit aber schon ausgebildet da, so sind hierzu 2,0 g erforderlich. 
Wirkt die erste Dosis nicht, so gebe man nach V» Stunde noch 1,0 g und 
diese Dose kann wiederholt werden, wenn nach zeitweiliger Besserung das 
Erbrechen sich wieder einstellt. Dosen bis zu 5,0 pro die werden kaum 
jemals nöthig werden. Nimmt der Magen nichts au, so injicire man 1,0 g 
in Lösung in 2 Portionen. Ossian-Bonnet hält die Seekrankheit im 
Wesentlichen für eine Nervenkrankheit und die gastrischen Erscheinungen 
für nebensächlich oder zufällig. R. 

— Schwefelkohlenstoff bewährte sich nach einem Bericht des 
Dr. Anthonisz aus Ceylon im British med. Journal vom 24. Dec. 1887 
in seiner und seiner Collegen Praxis sowohl bei acuter Als auch bei 
chronischer Elephantiasis. Bei acuter Krankheit war die Abnahme der 
Geschwulst schnell und vollständig, bisweilen langsam und erfolgreich. 
In einem Falle, wo die Füsse den Umfang hatten wie die Taille eines 
Mannes, nahmen dieselben nach einer ein Jahr hindurch mit dem Mittel 
fortgesetzten Behandlung ihre natürliche Form an. Verfasser reichte das 
Mittel in Pillenform pro die 0,12, setzte es längere Zeit fort, unterbrach 
die Behandlung jedoch, wenn Reizerscheinungen im Magen eintraten. 
Anthonisz theilt die Ansicht von Dr. Manson in Amoy, dass die Elephan¬ 
tiasis ihre Entstehung dem Vorhandensein von Filaria sanguinis hominis im 
Blute verdankt, und dass das Mittel eine Vermehrung der Parasiten im 
Körper verhindert. Bo. 

— Von russischer Seite wird neuerdings das Ichthyol lebhaft gegen 
Erysipel empfohlen. Man hat dasselbe theils als Collodium (Ichthyol. — 
Aether. sulfur. — ana 10,0 — Collod. 150,0), theils mit Vaselin ana mit 
augeblich überraschendem Erfolge angewandt. Es wird hervorgehoben, dass 
die Application sich auch auf das gesunde Gewebe der Nachbarschaft zu er¬ 
strecken habe. P. 

— N. Lun in: Naphthalin beim Dnrchfall der Kinder. (Wratsch 
1887). Im Ambulatorium des klinischen Elisabeth-Kinderhospitals in Peters¬ 
burg hat Verf. ausgedehnte Anwendung von Naphthalin gemacht und ist 
zu der Ueberzeugung gekommen, dass dasselbe bei chronischen Diarrhöen, 
besonders wo keine Brechneigung vorhanden ist, in der überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle von ganz vortrefflicher Wirkung ist. Das Mittel wird 
auch sehr gut von den kleinen Patienten vertragen. Die Dosis beträgt je 
nach dem Lebensalter 0,5—2,0 g pro die. In einzelnen Fällen wurde die 
gewünschte Wirkung auch nicht beobachtet, und es musste zu anderen 
Mitteln gegriffen werden. Das Naphthalin füllt eine Lücke im Arzneischatz, 
denn bisher hatte man kein, den Darminhalt desinficirendes Mittel, welches 
längere Zeit, also in chronischen Fällen, gebraucht werden konnte. M. S. 

— Erfolgreiche Exclsion eines Rflckenmarkstnmors. Die Operation 
ist von Dr. Gowers und Victor Horsley in London kürzlich ausgeführt 
worden. Es bestanden bei dem Patienten seit 3 Jahren heftige Schmerzen 
gerade unterhalb des linken Angulus scapulae und nach innen von ihm, 
unterhalb dieser Stelle bestand an Rumpf und Gliedern motorische und 
sensible Lähmung. Die obere Grenze der Anästhesie war deutlich in der 
Gegend des 5. linken Intercostalnerven, rechts war die Grenze weniger 
deutlich, reichte aber auch nicht höher. Die intensiven Schmerzen veran- 
lassteu Horsley zu einem Excisionsversuch. Nach Entfernung der Dornen 
und Bögen des 3.—5. Dorsalwirbels präsentirte sich der Tumor als kleines 
ovales Myxom, das eine tiefe Impression an der linken Seite des Rücken¬ 
marks unterhalb des dritten Rückenwirbels hervorgebracht hatte. Es Hess 
sich leicht herausschälen, der Heilungsprocess war bei sorgfältigster Anti¬ 
sepsis fast ohne Temperatursteigerung. Nur der obere Theil der Wunde, 
in welchen ein Drain eingelegt war, durch das wenig cerebrospinale Flüssig¬ 
keit langsam absickerte, blieb offen. Drei bis vier Wochen dauerten die 
früheren intensiven Schmerzen noch an, alsdann nahmen sie allmählich und 
mit Intermissionen ab und sind jetzt, nach 7 Monaten, völlig verschwunden. 
Sensibilität und Motilität von Rumpf und Gliedern sind fast völlig wieder¬ 
gekehrt. Diese Operation ist nach der Meinung des Brit. Medic. J. hier 
zum ersten Mal versucht worden. R. 

Xm. 01. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln. 

Der Vorstand der wissenschaftlichen Ausstellung der vom 18. 
bis 23. September zu Köln tagenden 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte hat folgende Gruppen in Aussicht genommen: Prä- 
cisionsmechanik (Physikalische Apparate). Mikrologie und Photographie. 
Chemie, Pharmacie, Geologie, Mineralogie. Naturwissenschaftlicher Unter¬ 
richt. Geographie, wissenschaftliche Ausrüstung, Ethnologie. Biologie, 
Entomologie, Anthropologie. Laryugoscopie, Rhinologie, Otiatrie, Ophthal¬ 
mologie. Innere Medicin, Elektrotherapie. Chirurgie, Gynäkologie, Ortho¬ 
pädie. Zahnheilkunde. Veterinärmedicin. Hygiene. — Anmeldebogen sind 
vom Schriftführer: Dr. phil. F. Eitzbacher (Köln), Unter Sachsenhausend, 
zu beziehen. Wie bei der Berliner und der vorjährigen Ausstellung in 
Wiesbaden ist auch für die diesjährige Ausstellung in Köln ein 
Berliner Localeomitö zusammengetreteu, welches an die Inter¬ 
essenten eine Einladung zur Betheiligung an der wissenschaftlichen 
Ausstellung erlässt unter Hinweis darauf, dass Berlin nicht Zurück¬ 
bleiben darf, wo es gilt, für die Berliner Präcisions- und Instruraenten- 
technik, für die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Reichshaupt¬ 
stadt einzutreten. Das Comide setzt sich zusammen aus den Herren: 
Prof. Bardeleben, Dr. F. Beely, Dr. Bertram, P. Dörffel, 
Prof. Eulenburg, Prof. Ewald, Prof. Fraenkel, Prof. Fritsch, Dr. 


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’) Vgl. Centralblatt f. pract. Augenheilk- März 1887. 









496 


Grün mach, Dr. S. Guttroann, Ingenieur IIartmann, Dr. Hellmann’ 
Prof. Hirschberg, Dr. W. Jost, Dr. A. Kalischer, C. Könne, Prof. 
Küster, Dr. 0. Lassar, Dr. L. Loewenherz, Dr. 0. Lohse, Stadt¬ 
rath A. Marggraff, Prof. Marthe, Prof. Paalzow, Dr. W. Reiss, 
Kranz Schmidt & Haensch, Dr. Schultz-Hencke, Prof. Schwalbe, 
Dr. J. Veit, Ingenieur Veitmeyer, Dr. H. W. Vogel, Dr. Vogler, 
Prof. Dr. Julius Wolff, Dr. W. Zenker. 

Als Einführender der Section für Chirurgie der vom 18. bis 
‘ 23 . September dieses Jahres in Köln tagenden Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte erlaube ich mir, zur Theilnahme an den Be¬ 
rathungen unserer Section freundlichst einzuladen, und verbinde hiermit die 
ergebene Bitte, Vorträge gütigst recht bald bei mir anmelden zu wollen. 

Köln, den 8. Juni 1888. Dr. Julius Schmidt. 


XIV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Der Stabsarzt und Privatdocent Dr. Fr. Loeffler ist für 
die in der Greifswald er medicibischen Facultät neu zu errichtende ordent¬ 
liche Professur der Hygiene designirt und wird am 1. October d. J. sein 
Lehramt in Greifswald an treten. 

— Der bisherige commissarische Hülfsarbeiter beim kaiserlichen Ge¬ 
sundheitsamte, Stabsarzt Dr. Rahts vom 1. ostpreussischen Grenadier- 
Regiment No. 1, ist zum Regierungsrath und ordentlichen Mitglied des 
Kaiserlichen Gesundheitsamtes ernannt worden. Demselben ist die 
neu begründete fünfte Mitgliedsstelle für Statistik, welche bisher keine beson¬ 
dere Vertretung im Gesundheitsamte hatte, übertragen worden. 

— In der Sitzung der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 
vom 8. Juni berichtete Herr Prof. Kossel über eine neue, von ihm im 
Theeextract aufgefundene Base. Bekanntlich war das Caffem bisher 
der einzige chemisch definirte Stoff, welcher für einen Theil der Wirkungen 
iles Theeinfuses verantwortlich gemacht werden konnte. Der Vortragende 
hat constatirt, dass neben dem Caffem in geringerer Menge eine Base vor- 
komrat, welche die Zusammensetzung C7H8N4O3 besitzt und der K. den Namen 
Theophyllin beilegte. Das Theophyllin ist isomer mit dem im Cacao 
enthaltenen Theobromin und dem aus dem Harn dargestellten Paraxanthin 
(Salomon), unterscheidet sich aber von diesen Stoffen durch seine Re- 
actionen. K. stellte die Constitution dieser Base fest, indem er dieselbe 
durch Einfügung einer Methylgruppe in Caffeln überführte. Da das Caffem 
nach E. Fischer’s Untersuchungen als ein Trimethylxanthin aufzufassen 
ist, so beweist dieser Versuch, dass das Theophyllin ein Dimethylxanthin 
ist. Untersuchungen über die physiologische Wirkung dieser Base werden 
in Aussicht gestellt. — Herr W. Will führte ferner über Hyoscyamin und 
Atropin folgendes aus: Hyoscyamin lässt sich durch Erhitzen auf seinen 
Schmelzpunkt nahezu quantitativ in Atropin überführen. Noch glatter gelingt 
die Umwandlung von einigen Tropfen Natronlauge zu einer Hyoscyaminlösung. 
Versuche, welche in der chemischen Fabrik auf Actien vorm. E. Schering 
ausgeführt wurden, zeigen, dass nur Hyoscyamin in der Belladonnawurzel 
enthalten ist, und dass das aus der Wurzel erhaltene Atropin erst während 
der Extraction aus dem Hyoscyamin gebildet ist. Das optische Drehungs¬ 
vermögen des reinen Hyoscyamins ist grösser als bisher angenommen wurde 
nämlich “d = 20.7. 

— Das unter der Leitung der Herren DDr. Oppenheim und Pulver¬ 
macher stehende in der Bülowstrasse 21 befindliche Sanatorium, welches 
im Jahre 1885 begründet wurde und — worauf wir s. Zeit hinwiesen — 
einem zwingenden Bedürfniss insofern entsprach, als sich dieses Institut 
mit allen nur erdenkbaren der Hygiene und Krankenpflege zu Gute kommen¬ 
den Mitteln ausgestattet hatte, hat unter thätiger Mitwirkung unserer be¬ 
währtesten Autoritäten einen derartigen Aufschwung genommen, dass eine 
Verlegung desselben in ein eigens dazu eingerichtetes und erweitertes Haus 
in Aussicht genommen ist. Wir dürfen das junge Institut zu diesem schönen 
und vollen Erfolge beglückwünschen und die Hoffnung aussprechen, dass 
die nicht zum geringsten Theile der strebsamen Leitung zu dankenden 
Erfolge auch dem neu entstehenden Sanatorium nicht fehlen werden. 

— Die Commission der Aerztekammer der Provinz Sachsen, 
bestehend aus den Herren San.-R. Dr. R. Bette, San-R. Dr. Leo Schulz, 
Dr. Brennecke, versendet an die übrigen preussischen Aerztekammem eine 
Denkschrift zur Begründung ihres, an das Cultusministerium gerichteten 
Antrags, betreffend die Geburts- und Wochenbettshygiene, des Inhalts, „dass 
die Geburtshülfe, um zu befriedigenden Resultaten gelangen 
zu können, einen der Krankenpflege völlig analogen Weg in 
ihrer socialen Ausgestaltung beschreiten müsse, dass wie in 
der Krankenpflege die Krankenhäuser, so in der Geburts- und 
Wochenbettshygiene öffentliche Entbindungshäuser ein noth- 
wendiges Erforderniss seien.“ Die Aerztekammer der Provinz Sachsen 
richtet die Bitte an sämmtliche Mitglieder der preussischen Aerztekammem, 
diesen Antrag zu prüfen und in gleichem Sinne vorstellig zu werden. Wir 
glauben in der Annahme nicht fehlzugehen, dass die sämmtlichen preussischen 
Aerztekammem diesem Anträge ihre Unterstützung nach der gegebenen 
Anregung nicht versagen werden. 

— Greifswald. Die am Abend des 2. Juni im P. Ihlenfeld’schen 
Locale unter Vorsitz des Herrn Schirmer abgehaltene Sitzung des medi- 
cinisehen Vereins war sehr stark besucht und bot eine reichhaltige 
Tagesordnung. Herr MosIer stellte ein zweijähriges Mädchen vor mit 
hochgradigem Wasserkopf, aus dem ein Theil der Flüssigkeit mittelst Aspi¬ 
ration entfernt war. Herr Schoemann zeigte eine siebzehnjährige, mit 
Veitstanz behaftete Kranke. Das Leiden war bei ihr dadurch zum Ausbruch 
gekommen, dass dieselbe die Bewegungen einer ihr zufällig sichtbar ge¬ 
wordenen, an Veitstanz leidenden Person des Spasses wegen nachahmte und 
dadurch in dasselbe Leiden verfiel. Herr Hugo Schulz hielt seinen an¬ 


No. 24 


gekündigten Vortrag: Altes über neue Mittel. Er wies darin geschichtlich 
nach, dass viele der in jüngster Zeit theilweise als neu angepriesenen 
Mittel schon den alten Aerzten bekannt waren und mit gutem Erfolge von 
ihnen angewandt worden sind. Herr P ei per demonstrirte Impfutensilien, 
welche speciell für die Impfung mit Thierlymphe verwandt werden. Zum 
Schluss hielt Herr Helferich seinen angekündigten Vortrag über die chi¬ 
rurgische Behandlung der Darmverschlingung mit Anführung zweier mit 
gutem Erfolge von ihm operirten Fälle. An sämmtliche Vorträge knüpfte 
sich eine längere Discussion. Ausserdem wurde in dieser Sitzung endgültig 
beschlossen, am 1. August d. J., an dem vor 25 Jahren die erste Sitzung 
des medicinischen Vereins abgehalten worden ist, eine Feier zu veran¬ 
stalten. Für den Nachmittag des 1. August sind in Aussicht genommen 
eine im neuen physiologischen Institut durch verschiedene Professoren und 
Docenten in’s Werk zu setzende, öffentliche Ausstellung von wissenschaft¬ 
lichen Apparaten und Präparaten, ferner Besichtigung der anderen medici¬ 
nischen Institute, Abends Medicinercommers im Vogler’schen Locale. 
Am 2. August soll Vormittags eine Festsitzung mit wissenschaftlichen Vor¬ 
trägen in der grossen Aula des Universitätsgebäudes, Nachmittags gemein¬ 
same Dampferfahrt nach Eldena, Abends Medicinerball im Hotel zum 
Greif stattfinden. 

— Marburg. Als Professor extraordinarius für die medicinische 
Poliklinik wurde Professor Rumpf aus Bonn ernannt. Vorgeschlagen 
waren noch Professor Käst in Freiburg und Professor Unverricht in 
Jena. 

— München. Die epidemiologische Gesellschaft von London hat in 
ihrer Sitzung am 24. Mai d. J. den Geh. Rath Dr. M. v. Pettenkofer in 
München zum Ehrenmitgliede gewählt. 

— Würzburg. Hofrath Dr. J. Rosenthal feierte am 6. Juni das 
50jährige Jubiläum seiner Doctorpromotion. 

— Utrecht. Donders hat die von seinen Freunden und Verehrern 
zusammengebrachte Summe von ca. 57 000 Mark dazu bestimmt, vielver¬ 
sprechenden Zöglingen einer niederländischen Universität die Mittel zu ver¬ 
schaffen, ihre Studien in der Ophthalmologie und Physiologie fortzusetzen. 

— Die ungarische Naturforscherversammlung findet vom 
23. bis 28. August in Schmecks statt. 

— Zur medicinischen Publicistik. Wie der soeben ausgegebene 
Prospect der von uns bereits angezeigten, von Fürbringer und Hahn 
herausgegebenen neuen „Berliner Klinik“ besagt, wird dieselbe durch 
zwei Vorträge des Herrn Geh. Rath Professor Senator über „Wege und 
Ziele der ärztlichen Thätigkeit“ und über „Icterus, seine Entstehung und 
seine Behandlung“ inaugurirt werden. Die „Klinik“ wird in zwanglosen 
Heften von ca. 1 Bogen zu dem Preise von 60 Pfennigen für den Vortrag 
im Verlage von Fischer’s medicinischer Buchhandlung (H. Kornfeld) erscheinen. 
— The Ceylon Medical Journal, eine neue Vierteljahrsschrift, ist kürzlich 
erschienen, Herausgeber ist Dr. Henry Keegel, vermuthlich ein Deutscher. 

— Universitäten. Budapest. Dr. S. Stern, Assistent Koranyi’s, 
hat sich als Docent für physikalische Untersuchungsmethoden an der Fester 
Universität habilitirt. — Dr. F. Torday, Docent für Kinderkrankheiten, 
starb im Alter von 47 Jahren. — Klausenburg. Am 4. Juni starb der 
Professor der physiologischen und pathologischen Chemie Dr. Josef Ossi- 
kovszki im Alter von 44 Jahren. — St Petersburg. Dr. N. D. 
Monastyrski, Professor der Chirurgie am klinischen Institut der Gross¬ 
fürstin Helene Pawlowna zur Fortbildung von Aerzten, ist, erst 41 Jahre 
alt, in Königsberg an einem Nierenleiden gestorben. — Dr. Th. Paster- 
nazki hat sich als Docent für innere Medicin an der militär-medicinischen 
Akademie habilitirt — Moskau. Dr. P. Smolenski hat sich als Priv.-Doc. 
für Hygiene an der Moskauer Universität habilitirt. — Gent. Der Professor 
der pathologischen Anatomie Dr. Boddaert ist gestorben. — Ann Arbor. 
Der Professor der Gynäkologie, Geburtshülfe und Pädiatrie an der University 
of Michigan Dr. Edw. S. Dunster ist gestorben. 


XV. Personalien. 

Preussen (Amtlich). Auszeichnungen: Seine Majestät der 
König haben Allergnädigst geruht, dem praktischen Arzt Sanitätsrath 
Dr. Bühring in Berlin den Charakter als Geheimer Sanitätsrath, sowie den 
praktischen Aerzten Dr. Jul. Hirschfeld und Dr. Brock, ebenfalls in 
Berlin, Dr. Adams in Koblenz und Kreis-Physikus Dr. Faikenbach in 
Mayen den Sanitätsrathstitel und dem Kreiswundarzt Noack in Saarlouis 
den Königl. Kronen-Orden IV. CI. zu verleihen. Ernennung: Der mit der 
commissarischen Verwaltung des Physikats des Kreises Isenhagen beauftragte 
praktische Arzt, Dr. Langerhans in Hankensbüttel, ist zum Kreis-Physikus 
des Kreises Isenhagen ernannt worden. Niederlassungen: Die Aerzte: 
Wallenberg, Dr. Heimann, Dr. Nithack, Dr. Ed. Manche, Dr. Goe- 
dicke, Dr. Karger, I)r. Eug. Birnbaum, Dr. Bruck, Gust. Müller, 
Dr. Eckmann, Dr. Koenig, Hentschel, Rieh. Krause, Dr. Koster- 
rlitz, Dr. Iffert und Dr. Witkowski, säramtlicb in Berlin, Dr. Koch 
in Nordhausen, Dr. Grossmann in Kindelbrück, Dr. Vögeding und 
Dr. Schenck, beide in Bonn, Dr. Heerlein in Beuel, Dr. Bayer in Esch, 
Dr. Curt in Nippes, Dr. Lichtinghagen in Marienheide, Dr. Strunden 
in Bensberg. Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Jahn von Steinau 
(Sachs.-Mcin.) und Dr. Pielke von Hamburg beide nach Berlin, von Berlin 
Geh. Sanitäts-Rath Dr. Heim nach Charlottenburg, Dr. Elsner nach Koesen 
! und Dr. Falk Laser nach Marggrabowa, Dr. Kaemmerer von Tennstaedt 
! nach Erfurt, Dr. Knapst ein von Beuel nach Duisburg, Dr. W ilh. M ü Iler II. 
von Siegburg und Dr. Jacobs von Waldbroel; Augenarzt Dr. Schmelzer 
von Trier nach New-York. Die Zahnärzte: Waldemar Schmidt von 
j Steglitz nach Berlin und Medenwaldt von Trier nach Frankfurt a./O. 
Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Büsch in Esch, Dr. Schütte in 
Nordhausen, Dr. Ludw. Schneider in Volmarstein. 


Gedruckt bet Julias Sittenfeld in Berlin W. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Donnerstag 


JW 25 . 


21. Juni 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der 
öffentlichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 


Vierzehnter Jahrgang. 


Redaetenr Sanitäts-Rath Dr. 8. Guttmann in Berlin W. 


Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber speciflscbe Hornhaut¬ 
entzündung. l ) 

Von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. 

Meine Herren! Die sternkundigen Araber nannten einen 
Stern fünfter Grösse im Schwanz des grossen Bären den Prü¬ 
fer, weil sie ihn zur Prüfung der Sehkraft benutzten. Ich 
habe auf meinem kleinen Gebiete hierzu seit langer Zeit 
die neugebildeten Blutgefässe verwendet, welche nach der 
sogenannten diffusen Hornhautentzündung Zurückbleiben. Aber 
fast Niemand sieht dieselben, da sie für das unbewaffnete 
Auge meist unter der Grenze des Sichtbaren liegen. Und die 
Vergrösserung der Bilder durch Mikroskope und Lupen 
wird zwar in der Lehre der Heilkunde gepriesen, aber in der 
Uebung doch nicht regelmässig auf die lebende Hornhaut 
angewendet. Allerdings finden von Zeit zu Zeit Erörterungen 
statt über die beste Art der Lupe. Diese sind von geringer 
Wichtigkeit. Mit einer gewöhnlichen botanischen Lupe kann 
man so ziemlich Alles sehen, was die Kranken uns in den 
vorderen Theilen des Auges zu zeigen belieben. Besser ist 
freilich die von mir seit Jahren eingeführte und auch kurz 
beschriebene Hartnack’sche Kugellupe, die von Farben¬ 
zerstreuung und Strahlenabirrung frei ist und bei genügender 
(etwa zehnfacher) Vergrösserung uns bis in die Linse, selbst 
in den vorderen Theil des Glaskörpers einzudringen gestattet. 2 ) 
Hiermit untersuchen wir bei auffallendem Licht, erkennen 
vorher unsichtbare Zustände und sehen die sichtbaren schärfer 
und richtiger. Aber Jedermann weiss, wie viel mehr an einem 
feinen Schnitt bei durch fallendem Licht Zusehen ist, als 
bei auffallendem an undurchsichtigen Theilen desselben Gegen¬ 
standes. Der Augapfel bietet uns nun von Natur den Vor¬ 
theil der Durchsichtigkeit. Wir haben nur hinter unserem 
Augenspiegel starke Sammelgläser anzubringen. Man braucht 
eine passend abgestufte Reihe bis zur Brennweite von 2 Zoll 
oder, wie der gelahrte Ausdruck der Neuzeit lautet, bis zu 
20 Dioptrien. Gewöhnlich wird dieses Glas von den Beobach¬ 
tern nicht benutzt; es ist aber das nützlichste. 3 ) Noch viel 
stärkere zu nehmen verbietet sich wegen der Schwierigkeit 
der Beleuchtung, da wir bei der Annäherung unseres Kopfes 
an das untersuchte Auge das Licht von der seitlich stehenden 
Lampe abschneiden. Mikroskope, ebenso wie feststehende 

l ) Vortrag in der Gesellschaft der Charite-Aerzte am 26. April 1888. 

*) Vgl. Eulenburg’s Realencycl. 1. Aufl., X, 134; 1882. — 
Ihre Länge beträgt 3 /«"> der Abstand des Gegenstandes von ihrer 
Vorderfläche die Linearvergrösserung fiude ich gleich 10. — 

Also nicht erst durch die Westieu’sche (binoculare) Lupe, wie 
Prof. Laqueur in seiner vortrefflichen Arbeit (Zehender’s Mtsbl. 
1887, 466) annehmen möchte, haben wir statt dreifacher zehnfache 
Vergrösserung erhalten. 

*) Dieses Glas, das in den von mir coDstruirten bez. empfoh¬ 
lenen Augenspiegeln sich findet, kostet etwa 50 Pf.: die botanische 
Lupe 2Mk.; die Kugellupe 20 Mk.; die Westien’scho 130 —160 Mk. 


Augenspiegel eignen sich weniger zur Kranken Untersuchung. 
Die -geprüften Augen halten meistens nicht ganz still, 
und wir müssen rasch ihren Bewegungen folgen. 

Diejenige Krankheit, welche ich als Beispiel wähle, um 
die Nützlichkeit der geschilderten Untersuchungsmethoden Ihnen 
vor Augen zu führen, ist in allen Lehrbüchern beschrieben, 
aber keineswegs in allen richtig. Schon der Name, der aller¬ 
dings ja nicht so wichtig wie das Wesen, erregt gerechte 
Bedenken: wie bereits Arlt 1 ) hervorgehoben und ich selber 2 ) 
ausgeführt. Der Ausdruck Keratitis profunda und diffusa ist 
nichtssagend; K. interstitialis und parenchymatosa sogar un¬ 
richtig. 8 ) Den Liebhabern solcher Namen möchte ich schon 
Mesokeratitis oder K. raedia diffusa vorschlagen, wenn wir uns 
nicht klar machen müssten, erstlich, dass neben der Horn¬ 
haut noch regelmässig die Gefässhaut, ja öfters der Glas¬ 
körper und die Netzhaut, gelegentlich selbst der Sehnerv er¬ 
krankt ist; 4 ) zweitens dass die ganz eigenartige Krankheit eine 
Folge der angeborenen Syphilis darstellt. 

Es ist dies eine 30 Jahre alte Entdeckung von Jona¬ 
than Hutchinson, 5 ) die merkwürdiger Weise noch heute 
nicht die allgemeine Billigung der deutschen Fachgenossen 
gefunden. Ich selber habe die Regelmässigkeit dieses Zu¬ 
sammenhangs nicht bei meinem Lehrer v. Graefe 1 ’) gelernt, 
sondern erst 1877 in London dem Entdecker zögernd zuge¬ 
standen 7 )r bis endlich die lange fortgesetzte Beobachtung 
meines eigenen Krankenmaterials meine Ueberzeugungen be¬ 
festigt hat. 

Der Nachweis ist schwieriger als man glauben sollte, ob¬ 
wohl die Krankheit ja nicht zu selten ist, sondern etwa V2% 
sämmtlicher Augenkranken ausmacht. 

In Moorfields zu London zählten 1875 die 7 Aerzte 127 
Fälle auf 20677 Kranke, d. i. 6 auf das Tausend; ich selber 
zählte von 1870 bis 1877 auf 21440 Kranke 95 Fälle, d. i. 
4'/s auf das Tausend. Dass aber die angeborene Lues in 
London häufiger sei als bei uns, soll man nicht zu rasch 


’) Krankheiten des Auges 1881, S. 109. Aehnlich Sch weigger, V, 
S. 287, 1885. 

*) Wörterbuch der Augenhcilk. 1887, S. 48, 78. 

3 ) Denn Interstitium heisst nicht die Zwischensu bstanz, sondern 
der(kleine) Zwischenraum; Sichel d. V. hat als interstitielle Horn¬ 
hautentzündung die punctirte beschrieben: Parenchyma heisst heut¬ 
zutage das eigentümliche (Drüseu)Gewebe im Gegensatz zu der 
Zwischen (Binde)Substanz, den Gelassen und Nerven, und wird in der 
Hornhaut schwer nachzuweisen sein: Schindler hat 1838 als par¬ 
enchymatöse Entzündung der Hornhaut eine solche der eigentlichen 
Homhautsubstanz im Gegensatz zu der des oberflächlichen Bindehaut - 
blättchens wie des hinteren Grenzhäutchens beschrieben. 

*) Die Krankheit wird nach ihrem auffallendsten Symptom Kera¬ 
titis diffusa genannt, ist oft aber eine Ophthalmia totalis. Horner 
in Gerhardt’s Handbuch der Kinderkr. 

s ) Ophth. Hosp R. 1858, p. 229. — Syph. diseases of eye and ear. 

B ) Vorlesungen, p. 237: „Fünf Procent zeigen angeborene Lues“. 

7 ) D. Zeitschr. f. pr. M. 1877, No. 27-31. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


behaupten. Denn unter 16800 Augenkranken meines Beobachtungs- 
niateriales vom 3. Juli 1883 bis October 1885 fand (bei liberaler 
Anwendung des Krankheitsnaraens) mein damaliger Assistent Herr 
Dr. Ancke 100 Fälle, d. i. genau wie in London 6 auf das Tausend. 1 ) 

Die Gesammtzahl meiner eigenen Beobachtungen umfasst 
etwa 500 Fälle der diffusen Hornhautentzündung. 

Befallen werden nicht die ganz jungen, elenden, schnüffeln¬ 
den. mit charakteristischen Schwären behafteten Kinder, denen man 
die Ursache auf den ersten Blick ansieht, sondern grössere, 
vom 5. bis 15. Jahre, oder jugendliche Erwachsene bis zum 20. 
oder 25. Jahre, selten darüber. 3 ) Die meisten Kranken (80%) 
sind blass und blutleer, aber nicht alle. 

Die Umstände, welche die Erkenntniss der Krankheitsursache 
begründen, ergeben sich 

I. aus der Vorgeschichte, 

II. aus den begleitenden Erscheinungen, 

III. aus der Augenkrankheit selber. 

I. Die Vorgeschichte umfasst einmal das Schicksal der Eltern 
und der Geschwister des Kranken, sodann die erste Lebenszeit des 
letzteren. 

1. Gelegentlich kennt man die Geschichte der Eltern. 
Von drei nicht so lange nacheinander beobachteten Fällen hatte 
ich einmal, was besonders selten und eigentümlich ist, auch den Vater 
an diffuser Hornhautentzündung durch erworbene Syphilis behan¬ 
delt, einmal den Vater an gummöser Hirnhautentzündung mit Läh¬ 
mung des Bewegungsnerven vom Auge, einmal die Mutter an 
gummösem Leiden des einen Sehnerven, specifischer Entzündung 
beider Netzhäute und gummösen Hautgeschwüren. Meist ist man 
aber auf das Befragen der Eltern angewiesen und geräth in 
Verlegenheit, wenn dieselben nicht zur Stelle zu schaffen sind oder 
nicht reden wollen. Oft war die erste Verhandlung ganz fruchtlos, 
während die spätere, die ich selber vornahm, oder durch eine er¬ 
fahrene Krankenpflegerin vornehmen liess, ein vollständiges Er¬ 
gebnis lieferte. 

Ich will mich begnügen, zwei klassische Beispiele beizubringen, 
welche mit den sonstigen Erfahrungen der vorzüglichen Forscher 
auf dem Gebiete dieser Allgemeinkrankheit übereinstimmen: 

a) Familie F. Der Vater starb an Geisteskrankheit, die 
Mutter war immer gesund. Sie hatte 15 Kinder. 

Das 1., sonst gesund, endete im 25. Jahre durch Selbstmord; 
das 2. ist gesund; das 3. bis 11. starben alle ungefähr 1 Jahr alt; 
das 12., 13., 14. wurden von diffuser Hornhautentzündung 
befallen, und zwar das letzte am schwersten; das 15. starb 
22 Tage alt. Zwischen dem 11. und 15. erfolgten 5 Fehlgeburten. 

No. 12. Paul F., 1870 geboren, erkrankte, Fig. l. 

8 Jahre alt, auf dem rechten Auge, das V* Jahr 
lang blind war. Das linke Auge ist normal, das 
rechte zeigt s Y.a, die charakteristische Hornhaut¬ 
trübung, hintere Verwachsung der Iris, Pigment¬ 
punkte auf der Vorderkapsel und sehr zahlreiche 
helle Herde im Augengrund, wie bei erworbener 
Lues. G. F. frei. Vom blossen Auge sieht man 
gar nichts von den Gefässen der Hornhaut, bei 
seitlicher Beleuchtung eine zarte graublaue Trübung 
der Hornhautmitte. Mit der Lupe hinter dem 
Spiegel erkennt man die ganze Gefässver- 
astclung; mit seitlicher Beleuchtung und Hart- r.P upillengebietnachkünstl. 
uack’scher Lupe sieht man, dass in einzelnen Erweiterung, etwa 8 J. nach 
Gelassen Blut circulirt. der Entzündung. 

No. 13. Georg F., 1871 geboren, erkrankte im 10. Jahr auf dem linken 
Auge; nach 6 Jahren, am 1. November 1887, erkrankte auch das rechte Auge 
in der typischen Weise und wurde mit Atropin und Hg behandelt. Jetzt 
ist es schon besser, aber noch Trübung und Gefassbildung recht deutlich, 
auch hintere Verwachsung des Pupillenrandes. 

No. 14. Clara F., 12 Jahre, litt seit October 1885 an diffuser Horn¬ 
hautentzündung beider Augen, auch an Fussgelenksentzündung, und kam in 
meine Behandlung, nachdem sie durch ganz dichte Trübung der Hornhaut 
und durch Pupillensperre bis auf Lichtschein erblindet war. Ich holte die 
constitutionelle Behandlung gründlich nach und verrichtete beiderseits die 
lridectomie. Der Fall war als hoffnungslos betrachtet worden; aber sie 
kann jetzt ganz gut allein gehen, zählt Finger auf 6' mindestens: es ist nach 
der lridectomie Klärung der Hornhaut eingetreten. 

b) Anna H., 8V2 *L alt, kam am 27. Mai 1885 in meine Beobach¬ 
tung, bald darauf auch ihr 35 Jahre alter Vater. 

Im Kriege 1871 „venere saucius“, durch Einreibungscur geheilt, wurde 
er 2 Jahre später von Halsleiden heimgesucht und ist seit 4 Jahren mit 
Nasonleiden behaftet, das zwar durch Jodkali geheilt wird, aber immer wieder- 


’) Horner in ücrhardt’s Handb. der Kinderkr. giebt l /3 ,, /o an. 

5 ) Unter 100 Fällen meiner Beobachtung standen in der 
ersten Lebensdekade 81, 
zweiten * 37, 

dritten , 16. 

Wo die obere Altersgrenze der angeborenen Spätsyphilis liegt, wage ich 
nicht zu entscheiden; jedenfalls höher, als man nach den gebräuchlichen 
Lehrbüchern annehmen möchte. 


kehrt. Vor 3 Jahren war das rechte Auge entzündet, seit 10 Tagen das 
linke. Am Eingang des einen Nasenloches besteht eine Narbe, die von der 
Schleimhaut auf die Haut übergreift; ein Geschwür ist an der unteren Nasen¬ 
muschel nachweisbar. Das rechte Auge zeigt bei normaler Sehkraft und 
gutem Gesichtsfeld deutliche scheckige Herde in der Peripherie, das linke 
eine ziemlich reizlose (entzündliche) Trübung des mittleren Hornbautbezirks, 
so dass die Pupille verdeckt und die Sehkraft auf 7» herabgesetzt ist 
(Finger auf 7’.) Der Kranke gebrauchte bereits Jodkali, bekam Atropin¬ 
einträufelungen und Einreibungen von Quecksilbersalbe. Die Hornhautent¬ 
zündung wurde geheilt. Am Ende des Jahres las das linke Auge Sn XL: 15’ 
(S = 7s statt 7so). 

Die vor dem Kriege geborenen Kinder waren gesund; nach dem 
Kriege erfolgte 2 mal Frühgeburt. Das erste Kind kam todt, das 
zweite starb nach 6 Wochen. 

Das dritte ist unsere Patientin, welche von der 6. bis 25. Woche 
des Lebens an Hautausschlägen litt. Im 5. Jahre machte sie die 
Entzündung beider Augen durch. Jetzt zeigt sie Hutchinson’sche 
Zähne und frische Irisreizung. 

Das rechte Auge hat Sehkraft 7s» das linke 7s; U. F. frei, soweit es 
mit Fingerzählen geprüft werden kann. Beiderseits besteht feine Hornhaut¬ 
trübung mit charakteristischer Gefassbildung, die Pupille lässt sich nicht 
über mittlere Weite bringen und zeigt hintere Verwachsungen. Die Peri¬ 
pherie des Augengrundes ist wie gepflastert mit schwarzen und scheckigen 
Herden. Heute, über 5 Jahre nach der Entzündung, ist die Hornhaut noch 
durchaus vascularisirt, die Augen reizlos, S 7s. 



2. Bezüglich der ersten Lebensschicksale der Kranken 
selber bestätigen meine Beobachtungen die Ansicht vieler Forscher, 
dass der angeborenen Spätsyphilis meist eine Erkran¬ 
kung in den ersten Lebensmonaten voraufgegangen ist 
Doch stösst die nachträgliche Ermittelung bezüglich der Hautaus¬ 
schläge und anderer Erscheinungen auf erhebliche Schwierigkeiten. 

II. Von den begleitenden Erscheinungen sind die 
schweren und an sich deutlichen, wie z. B. gummöse Zer¬ 
störung des harten Gaumens, recht selten. Ich habe sie aber 
beobachtet, ebenso die eingesunkene Nase, die von den Mundwinkeln 
und Nasenflügeln ausstrahlenden Narben; die hartnäckige Entzün¬ 
dung des Nagelbettes (Paronychia multiplex). Meist sind aber die 
Begleiterscheinungen leichterer Art und haben zu vielen Zweifeln 
und Erörterungen Veranlassung gegeben. 

Zunächst möchte ich eines Umstandes gedenken, der bisher noch 
wenig besprochen ist: das ist die Zwerghaftigkeit des Körpers, 
welche mit der bekannten Knochenerkrankung zusammenhängt. Zwei 
Beispiele dieser Art werde ich Ihnen vorstellen. 

Sodann die Einkerbung in der ganzen Substanz der 
mittleren oberen Schneidezähne oder wenigstens die 
Keilgestalt der letzteren. 

Diese von Hutchinson beschriebene Form findet sich nur bei 
den bleibenden Zähnen, was manche seiner Gegner übersehen 
haben. Sie ist nach meinen Beobachtungen durchaus charakte¬ 
ristisch für die angeborene Lues, kommt sicher nicht in allen 
Fällen vor, aber in mehr als 10% der diffusen Hornhautentzündung. 
Ich habe gesehen, wie solch’ ein Zahn aus dem Zahnfleisch hervor- 
spriesst; zuerst sieht man die beiden Seitenzacken, als ob zwei 
spitze Zähne kommen wollten. 1 ) 

Eine andere Erkrankung der Art ist die chronische Gelenks¬ 
wassersucht, besonders am Knie oder auch am Fuss. Von den 
Augenärzten, so namentlich von Hutchinson, von Förster und 
Horner in ihren vorzüglichen Bearbeitungen, auch von mir selber 
seit Jahren beobachtet und betont, wurde sie vielfach in Zweifel 
gezogen, scheint aber neuerdings sich ihr Bürgerrecht zu erwerben. 
Aehnliches gilt von der Knochenhautentzündung und von der Schwer¬ 
hörigkeit oder Taubheit. 

III. Die Erkrankung der Hornhaut ist bekanntermaassen 
eiue unter stärkeren oder schwächeren Reizerscbeinungen entstehende 


l ) Unrichtig ist es, ,dass der mittlere der Vorsprünge, welchen gut 
entwickelte Schneidezähne jugendlicher Individuen zeigen, abbröckelt“, viel¬ 
mehr ist der mittlere Lappen des Zahnes mangelhaft entwickelt. In manchen 
Fällen werden die oberen Schneidezähne der ersten Schichtung über¬ 
haupt nicht gebildet (Aplasie). 



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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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21. Juni. 


graublaue Trübung des gauzen Hornhautgewebes, das wie 
mattgeschliffenes (jlas aussieht, ohne Geschwürsbildung, aber mit Ge- 
fässentwickelung vom Rande her, welche einem breiten Randstreifen 
oder einem Abschnitt der Hornhaut gedämpft rothe Farbe verleiht. 
Die Dauer der Erkrankung erstreckt sich über Monate. Im Ver- 
h&ltniss zu der starken Trübung tritt wohl wieder Klärung der 
Hornhaut auf. Wenn aber in einigen Lehrbüchern steht, dass die 
Trübung fast immer sich vollständig auflöst; so würde ich rathen, 
— fast nie dafür zu setzen. Allerdings werden Augen, die längere 
Zeit kaum die Finger zählen konnten, wieder lesefähig. 

Es werden fast immer beide Augen befallen, aber nicht ganz 
gleichzeitig; meist beträgt der Zwischenraum einige Wochen, sel¬ 
tener einige Monate, ausnahmsweise selbst 5 bis 6 Jahre. Rücktalle der 
Erkrankung auf demselben Auge (aber nicht immer als Hornhaut-, 
sondern auch als Regenbogen- oder Lederhautentzündung) sind häu¬ 
figer, als man nach den Beschreibungen vermuthen möchte. Die Iris 
ist so gut wie immer betheiligt; der Augengrund häufiger als mau 
ahnt: nämlich in 16 Fällen von 100 meiner Beobachtung. Aber erst 
nach längerer Dauer der Erkrankung wird der Augengrund wieder ge¬ 
nügend sichtbar: viele Patienten haben sich schon vorher der Beob¬ 
achtung entzogen. Die rosafarbenen oder weisslichen, scheckigen oder 
schwarzen Herde sind sehr ähnlich denen der Netzhautentzündung 
bei erworbener und auch bei angeborener Syphilis. Uebrigens fehlen 
auch nicht jene bräunlichen Punkte in der Hornhaut, die wir von 
der specifiscben Iritis her kennen. Dass ein constitutioneiles Leideu 
der Erkrankung zu Grunde liegt, kann nicht bezweifelt werden. 

Es fragt sich nur, ob es immer Syphilis ist. Hier hat sich 
etwas Aehnliches herausgestellt, wie in der Geschichte der Tabes. 
Der Procentsatz ist bei aufmerksamen Beobachtern immer grösser 
geworden. Er ist bei Nettleship 68, bei Saemisch 62, Horner 62 
(früher 57), bei der Zählung meines Assistenten 61, bei Michel 55%. 

Ich glaube, dass er noch grösser sein würde, wenn es erst ge¬ 
länge, von der typischen Form ähnliche mit Sicherheit zu trennen. 

In dieser Hinsicht bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, dass 
die zurückbleibenden typischen Netzhautherde und Horn- 
hautgefässe nur bei Syphilitischen Vorkommen und zur 
Diagnose der angeborenen Lues benutzt werden können. 

Die diffuse Hornhautentzündung durch angeborene Lues verläuft 
immer mit Gefässneubildung, und die neugebildeten Gefässe 
schwinden niemals wieder. Wenigstens habe ich sie ebensowohl 
nach 6 Monaten (im Anfang ist die Differenzirung der Gefässe wegen 
der gesättigten Trübung, der Lichtscheu, des Thränens schwieriger!), 
nach 1 Jahr, nach 2, 3, 4 Jahren, ja selbst 6, 8, 13 Jahre nach 
dem Beginn der Hornhautentzündung beobachtet und niemals vermisst, 
wenn ich nach künstlicher Pupillenerweiterung mit der Lupe hinter 
dem Augenspiegel eine genaue Prüfung vornahm. Mag die Hornhaut 
auch dem unbewaffneten Auge vollkommen durchsichtig er¬ 
scheinen 1 ); die Lupe enthüllt uns, dass viele Dutzende von besen- 
förmigen tiefen Geftsschen aus dem Randtheil gegen die Mitte der 
Hornhaut Vordringen und hier mit den von der entgegengesetzten 
Seite kommenden sich vereinigen. 

Wenn die Hornhaut eine hauchartige Trübung zurückbehalten 
hat, die bei seitlicher Beleuchtung wie aus kleinen grauen Wolken 
zusammengeballt erscheint, so enthüllt uns die Lupe, dass jene 
Trübung ganz und gar aus neugebildeten Blutgefässen*) besteht, die 
allerdings von bindegewebigen Scheiden umgeben sein dürften. 

Also diese optische Untersuchung ist dazu berufen, 
in manchen Fällen das Bestehen von angeborener Lues 
festzustellen. 

So mancher jugendliche Patient, der angiebt, V 2 oder 1 Jahr 
lang auf einem oder beiden Augen blind gewesen zu sein, und zarte 
Hornhautflecke zeigt, wird für scrophulös erklärt, während er 
syphilitisch gewesen oder noch ist. (Schluss folgt.) 

II. Aus dem städt. allgem. Krankenhause Friedrichshain, 
Abtheilung des Herrn Prof. Fürbringer. 

Zur klinischen Würdigung der Sulfonal- 

wirkung. 

Von Dr. Julius Schwalbe, Assistenzarzt. 

Dem lebhaften Bedürfhiss des praktischen Arztes, für seine 
therapeutischen Bestrebungen unter den Heilmitteln der Arznei¬ 
wissenschaft eine reichere Auswahl zu gewinnen, seinem Verlangen, 
das Waffenarsenal im Kampfe gegen das Krankheitsheer möglichst 
zu vergrössern, ist in neuester Zeit auf keinem Gebiete mehr ent- 

') Das ist eben das Merkwürdige. Beiläufig will ich erwähnen, dass 
auch bei Geschwürsnarben noch nach 25 Jahren und bei ausgeheiltem 
Pannus noch nach 7 und mehr Jahren feine Gefässe in der Hornhaut vor¬ 
handen sind. 

*) Daneben kommen auch einzelne Lymphspalten, Striche und 
Punkte vor. 


sprochen worden, als auf dem der Narcotica und Hypnotica. In 
fast ununterbrochener Reihenfolge hat die Chemie in den letzten 
Jahren Arzneien geliefert, die alle mit dem Vorzug ausgestattet 
sein sollten, schmerzlindernd und schlafbringend zu wirken. Sie 
fanden ihre Lobredner, die ihnen das beste Zeugniss ausstellten, 
und wenn wirklich dieser Einzelruhm sich bei allen Mitteln ver¬ 
allgemeinert hätte, so wären wir in der glücklichen Lage, gegen 
den allerorts beklagten Schlafmangel, auf welcher Basis er auch 
immer beruhe, mit einer reichen Auslese von Medicamenten zu 
Felde ziehen zu können. Allein leider hat das Gros der Mittel die 
Hoffnungen der Praktiker getäuscht, leider haben die meisten nach 
ihrer ersten allgemeinen Prüfung nur noch in der nächsten Um¬ 
gebung ihrer Entdecker fortgelebt, und heute sind viele aus dem 
Arzneischatz der Aerzte fast ganz verschwunden. Vom Cannabinon 
bis zum Hypnon, Paraldehyd, Methylal, Urethan finden alle nur 
relativ selten noch eine praktische Verwendung. Und doch fühlt 
man immer aufs neue den Mangel an Mitteln, die den Pauaceeu. 
Morphium und Chloral, wenn auch nicht als ebenbürtig, so doch 
als hülfreich zur Seite gestellt werden könnten. Uus begegnen eben 
nicht selten Fälle, in denen wir mit diesen sonst so unschützbaren 
Arzneien schlechterdings nicht ausreichen. Ich will ganz absehen 
von den unangenehmen subjectiven Nebenwirkungen derselben, die 
häufig ihre Anwendung verbieten. Einmal gelingt es in vieleu 
Fällen gar nicht, mit den gewöhnlichen, normalen Dosen einen Schlaf 
zu erzielen. Andere Male wendet man sie schon gegen bestimmte 
chronische Störungen, wie gegen Schmerzen, Erbrechen, Husten etc. 
an — allein die Dosis, welche diese Erscheinungen mehr oder we¬ 
niger vollkommen bekämpft, reicht nicht aus, um den Patienteu 
zugleich Schlaf finden zu lassen. Die Dose aber hier zu steigern, 
verbieten gefürchtete Intoxicationserscheinungen. 

Als wesentlichster Mangel jedoch wird bei Morphium und Chloral 
immer die Möglichkeit ihrer schädlichen Einwirkung auf das Herz 
hervorzuheben sein, ein Mangel, der ihre Verwendung häufig gerade 
da einschränkt, wo Hülfe am meisten Noth thut. Herzfehler, fieber¬ 
hafte Krankheiten — überhaupt alle Affectionen, bei denen Gefahr 
für das Cor vorhanden ist, lassen ja den Arzt beide Mittel nur mit 
der grössten Vorsicht gebrauchen, nicht selten perhorresciren. 
Gerade mit Rücksicht auf diese bekannte Thatsache ist es einem 
der jüngsten Narcotica, dem Amylenhydrat, am besten gelungen, 
sich eine gewisse Existenz zu sichern, und die Resultate, die über 
dieses Medicament gesammelt sind, gehören zu den relativ günstigsten. 

Dem Amylenhydrat ist nun in der allerjüngsten Zeit ein neuer 
Arzeneistoff an die Seite getreten, der dasselbe nicht nur an Wirk¬ 
samkeit und Güte zu erreichen, sondern sogar zu übertreffen scheint. 

In No. 16 der Berl. klin. Wochenschrift d. J. hat Prof. 
Käst in Freiburg eine Publication über ein neues Schlafmittel 
„Sulfonal“ gemacht, von dessen günstiger Wirkung er sich in 
mehr als 120 Einzelbeobachtungen an über 30 Kranken überzeugt 
haben will. Als die wesentlichste und Haupteigenschaft desselben 
bezeichnet er die Fähigkeit, „das normale periodische Schlafbedürf- 
niss zu unterstützen und da, wo es fehlt, hervorzurufen“. Dabei 
habe das Mittel nicht die geringste üble Einwirkung auf das Herz 
und das Gefässsystem, der Blutdruck werde — nach experimen¬ 
tellen Untersuchungen an Thieren und Menschen — gar nicht be¬ 
einflusst, es wirke weder bei Herzkrankheiten noch bei febriler Schlaf¬ 
losigkeit schädlich, sondern nur im günstigsten Sinne, der Magen¬ 
darmcanal werde nicht alterirt — in summa: es zeige bei der Er¬ 
zielung des Schlafeffects keine unangehmen Neben- und Folge¬ 
erscheinungen. Dazu komme als eine nicht zu unterschätzende 
Eigenschaft seine völlige Geruch- und Geschmacklosigkeit. 

Die günstigen Angaben Kast’s sind nun von den Beobachtern, 
die bisher ihre Erfahrungen veröffentlicht haben (von Rabbas in 
No. 17 der Berl. klin. Wochenschrift und Langgaard-Rabow in 
der Mainummer der therapeut. Monatshefte), fast in vollem Um¬ 
fange bestätigt worden. 1 ) 

Es erschien daher Herrn Professor Fürbringer lohnend, an 
dem so reichen und mannichfaltigen Material der inneren Station 
unseres Krankenhauses behufs thunlichster Erschliessung des Wir¬ 
kungsumfanges und der Indicationeu weitere einschlägige Versuche 
mit dem Sulfonal anzustellen. 

Für die Güte, mit der mein hochverehrter Chef mir die Bear¬ 
beitung der Frage übertragen, statte ich demselben auch an dieser 
Stelle meinen herzlichsten Dank ab. 

Das Sulfonal, mit dem chemischen Namen Diäthylsulfou- 
dimethylmethan, wurde von der Firma Bayer & Co. selbst 
bezogen und so den Anforderungen an Reinheit des Präparats in 
möglichst vollkommener Weise genügt. Ueber die Eigenschaften 
sei an dieser Stelle nur soviel bemerkt, dass das weissglänzende, 
krystallinische Pulver vollkommen geruch- und geschmacklos ist 

*) Als die Abhandlungen von Rosenbach-Rosin, Oestreicher 
(Berl. klin. Wchschr. No. 24 u. 25) erschienen, befand sich diese Arbeit 
bereits im Druck. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


und von Reageutien in der Kälte nicht augegriffeu wird. Dagegen 
wird es in der Siedehitze u. a. von Gallussäure zersetzt und schei¬ 
det das so unangenehm nach Knoblauch riecheude Mercaptau in 
Üampfform ab. 1 ) 

Ueber die Darstellung und sonstigen chemischen Eigenschaften 
des Sulfouals vgl. mau: 

Ritsert 1. c. 

Scholvien, Pharmazeut. Ztg. pag. 320. 

Fischer, „ „ 235. 

Langgaard-Rabow 1. e. 

Das Mittel wurde theils ohue, meisteus mit Oblaten in Wasser 
verabfolgt, und niemals wurde bei einem Putieuteu eine Klage über 
schlechten Geschmack desselben laut. In den meisten Fällen wuss¬ 
ten die Kranken nicht, dass sie ein Schlafpulver erhielten, so dass 
eine psychische Beeinflussung, die ja immer berücksichtigt werden 
muss, ausgeschlossen werden kann. Die Zeit der Verabreichung war 
am häutigsten 9 Uhr Abends (die Schlafenszeit erstreckt sich in 
unserem Krankenhause von 9 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens), 
einige Male gab ich den Patienten das Pulver im Laufe des Tages 
oder mitten in der Nacht, um seine Wirksamkeit auch ausserhalb 
der gewöhnlichen Schlafenszeit und der gewöhnlichen Stunde des 
Einschlafens zu erproben. 

Bei fast sämmtlichen Kranken wurde vor der Einverleibung 
des Sulfouals und 2- bis 3mal in halb- bis einstündigen Intervallen 
nach derselben Temperatur, Puls und Respiration notirt; terner wurde 
bei den Patienten, die das Medicament für die Nacht nahmen, das 
spec. Gewicht des Urins Abends und Morgens genau bestimmt und 
auf die Menge geachtet. Natürlich wird die Störung des Schlafes, 
die bei etlichen Personen in Folge der Bestimmung von Temperatur 
etc. eintrat, als künstlich hervorgerufen in der Beurtheilung des 
Effects nicht berücksichtigt. 

Im Ganzen wurde nun das Sulfonal bei 60 Kranken ange¬ 
wandt. Zur Prüfung wurde, um eine möglichst grosse Vielseitigkeit 
der Untersuchungen zu erzielen, jede Alters- und Geschlechtsclasse 
herangezogen und das verschiedenartigste Kraukheitsmaterial benutzt. 
Bei allen aber bedingte Schlaflosigkeit seine Anwendung (nur der 
Fall von Tetanus 8. III, 9 ist in gewissem Sinne auszuuehmen), 
und zwar war dieselbe in einigeu Fällen eine continuirliche, habi¬ 
tuelle, bei anderen Patienten bestand sie nur einige Nächte, seit 
Beginn ihres Grundleidens, in den wenigsten Fällen endlich wurde 
das Mittel nur gegen die zufällige, für diese Nacht bestehende Agrypnie 
gegeben. Besonders brücksichtigt wurden diejenigen Individuen, die 
früher mit oder ohne Erfolg schon andere Narcotica gebraucht 
hatten, und in demselben Sinne erhielteu einige in den folgenden 
Nächten gegen die wieder auftretende Schlaflosigkeit andere Mittel. 

Um nun das Endresultat der Untersuchungen an dieser Stelle 
vorwegzunehmen, so möchte ich nicht anstehen, dasselbe im ganzen 
als ein günstiges zu bezeichnen. In den meisten Fällen wurde 
der beabsichtigte Zweck erreicht: die Patienten fanden den mehr 
oder weniger lange entbehrten Schlaf und äusserten ihre Freude 
über das neue Pulver. In der kleineren Anzahl war der Effect nur 
theilweise und mangelhaft, in anderen Fällen endlich liess das 
Mittel relativ vollkommen im Stich. 

Bevor ich jedoch zur näheren Charakterisirung der Wirkungs¬ 
weise schreite und versuche, auf der Basis der gewonnenen Erfah¬ 
rungen einige Indicationen für die Anwendung des Sulfonals auf¬ 
zustellen, will ich die wesentlichen Versuchsprotokolle wiedergeben, 
damit der Leser Gelegenheit erhalte, sich selbst ein Urtheil zu 
bilden und meine Schlussfolgerungen auf ihre Richtigkeit hin zu 
prüfen. 

I. Fälle mit vollkommener Wirkung. 

1. E. Albrecht, 33jähriger Mann, Diabetes m&llitus. Leidet an 
Schlaflosigkeit. Keine Schmerzen. 

30. Mai. Abends 9 Uhr 1,5 Sulfonal. Pat. wird bald müde, schläft 
aber erst um 1 Uhr ein, dann sehr fest, kann nur mit Mühe geweckt werden. 

31. Mai. Ist am heutigen Tage noch sehr schläfrig. Hat keine 
Schmerzen, doch eine gewisse Stumpfheit im Kopfe. Kein Medicament. 
Schläft Nachts und 

1. Juni, heute Vormittag noch sehr fest. 

2. Juknies, Arthritis tuberculosa, 27 Jahre, hat Qelenkschmerzen. 
Früher nach Morph. 0,01 in Pulver und subcutan nicht geschlafen. Nach 
('h)oral 1,0 Katzenjammergefühl. 

30. Mai. 9 Uhr Abends 37,0, P. 108, R. 28. 

Urin spec. Gew. 1013. Sulfonal 1,0. 

10 Uhr P. 96 R. 26 

11 „ P. 88 R. 24 

11 V» n P- 92 R. 16. Morgen-Urin spec. Gew. 1020. 

Schläft von 10 Uhr bis 6 Uhr Morgens, hat wenige, verwaschene 

Träume (im Gegensatz zu sonstigen lebhaften und unruhigen Träumen). Ist 
am nächsten Vormittag noch schläfrig. Keine Nebenerscheinungen. Zieht 
Sulf. allen anderen Schlafpulvern vor. 

31. Mai. 1,0 Amylenhydrat. Schlechter, unruhiger Schlaf. 

*) s. Ritsert. Nachweis von Sulfonal. Pbarmaceut. Ztg. p. 312. 


3. Stärke, 51 Jahre. Cirrhosis hepatis mit beträchtlichem Ascites. 
Mässige Dyspnoe. Keine Schmerzen. Schlaflosigkeit habituell. 

30. Mai. 9‘A Uhr Abends 37,8 P. 104 R. 28 Sulfonal 2,0. 

10 „ „ P. 104 R. 16 Urin vor S. 1015, 

nach S. 1014. 

Pat. schläft um 9 3 /a Uhr ein. Um IO 1 /* Uhr geht Pat. zum Closet, 
fest, ohne zu schwanken. Um 10 1 /* Uhr schläft er wieder ein bis 
4 '/a Uhr, dann von 9 Uhr ab am ganzen Vormittag. 

1. Juni. Pat. hat auch die verflossene Nacht besser als sonst ge¬ 
schlafen. 

4. Müller, 44 Jahre. Tabes im vorgerückten Stadium. Habituelle 
Schlaflosigkeit. 

30. Mai. Keine Schmerzen in den Beinen. 


9 

Uhr 

Abends 36,6 

P. 

60 

R. 18 

Sulfonal 1,0 

9 3 A 

ft 

n 

P. 

72 

R. 16 


10‘/ a 

tt 


P. 

72 

R. 16/ 

’ Urin vor 1 015 

11 

rt 

w 

P. 

72 

R. 16\ 

nach 1 021 

11 Vs 



P. 

68 

R. 20 



Pat. schläft um 9'/s Uhr ein. Um 12 Uhr geweckt, ist er sofort 
bei Bewusstsein, antwortet auf Fragen klar. Schläft alsbald wieder 
ein — bis 5 1 /* Uhr mit einmaliger kurzer Unterbrechung. 

31. Mai. Ist am Vormittag noch schläfrig. Nachmittags mässige 
Schmerzen im Kreuz und den Fersen. 

Um 9 Uhr 1,0 Sulfonal. Hat wesentlich schlechter als die vorige 
Nacht geschlafen. 

1. Juni. Geringe Schmerzen. 1,0 Amylenhydrat Abends. Kein Schlaf. 

3. Juni. Schmerzen in den Hacken. Um 11 l /a Uhr Morph. 0,01 
(Pulver). Guter, nicht sehr fester Schlaf. 

4. Juni. Am Vormittag nicht müde. Abends Schmerzen in beiden 
Beinen. Um 11 Uhr 2,0 Sulfonal. Guter, fester Schlaf. 

5. Juni. Keine Müdigkeit. 

5. Th ei ler, 40 Jahre. Tumor cerebri? Neuritis optica. Zeitweise Kopf¬ 
schmerz. In unregelmässigen Perioden Schlaflosigkeit. 

30. Mai 9 Uhr 37,0 P. 84 R. 20 Sulfonal 1,0 

10 3 /i „ P. 84 R. 22 

11 „ P. 80 R. 20. 

Fester Schlaf von 10 1 /*—5 Uhr. Um 12 1 /» Uhr: leichter Steck¬ 

nadelstich in die Fusssoble erregt starken Hautreflex, ohne 
Pat. zu erwecken. 

31. Mai. Keine Schläfrigkeit. 

1. Mai. Hat auch die verflossene Nacht gut geschlafen. 

6. Mai. Pat. schläft nach 1,0 Amylenhydrat fest und gut. 

6. Bär, 32 Jahre. Arthritis chron. deformans. Schmerzen. Schlaf¬ 
losigkeit. 

25. Mai. 3 mal Antifebrin 0,5. Morph. 0,01 (Pulver): kein Schlaf. 

26. Mai. Antipyrin 0,5 subcutan. Abends 1,0 Sulfonal: mehrstündiger, 
guter Schlaf. 

31. Mai. 1,5 Sulfonal 9 Uhr 87,7 P. 96 R. 24 

10 „ 37,5 P. 84 R. 22 

11 „ 37,0 P. 84 R. 22. 

Schläft von 9%—11 Uhr unruhig, dann aber fest bis zum Morgen. 
Geringer Schweiss. 

1. Juni. Ist am Vormittag noch schläfrig. 

7. Schütz, 65 Jahre. Dementia nach Apoplexie. Grosse Unruhe. Pat. 
spricht fortwährend, zeigt Bettflucht, auch Nachts. 

3. Juni. 9 Uhr Abends Sulfonal 1,0 36,9 P. 100 R. 20 

10 „ „ 36,8 P. 88 R. 20 

11 „ „ 36,2 P. 80 R. 20. 

Pat. schläft um 11 Uhr ein, dauernd fest bis Morgens 6 Uhr. 

4. Juni. Ist am Vormittag viel ruhiger. Nachmittags wieder Aufge¬ 
regtheit. Um 2 Uhr Nachmittags Sulfonal 1,0 ohne jede Wirkung. 9 Uhr 
Abends Morphium 0,01 (Pulver) — ohne Effect. 

8. Zinuow, 36 Jahre. Gelenkrheumatismus. Mässige Schmerzen. Schlaf¬ 
losigkeit. 

1. Juni. 9 Uhr Abends Sulfonal 1,0. 

Schläft bald ein, bis 5 Uhr Morgen^. 

9 Uhr P. 68 R. 20 

10 „ P. 56 R. 16 Urin vor 1011 

11 „ P. 52 R. 14 nach 1015. 

9. Rabe, 35 Jahre. Alcoholismus chron. Cor adiposum. Nervöse 
Schlaflosigkeit. 

5. Juni 9 Uhr Abends Sulfonal 1,0 T. 37,6 P. 100 R. 22 

10 „ T. 37,4 P. 84 R. 18 

11 „ T. 37,1 P. 80 R. 16. 

Guter Schlaf von 10—l s /a Uhr, später leichte Unterbrechungen. 

6. Juni. Pat. fühlt sich sehr wohl. Keine Nebenwirkungen. 

10. Fräulein E. G., 36 Jahre. Cystitis. Oophoritis. Hysterie. Schmer¬ 
zen im Unterleib und Kopf. 

Bisher ausserhalb der Anstalt mit Chloral behandelt, schlief nur nach 
2,0 wenig; nachfolgendes Katergefühl. 

22. Mai. 9 Uhr Sulfonal 1,0. Kein Schlaf. 

23. Mai. Sulfonal 2,0. Guter, fester Schlaf von 10—5 Uhr. 

24. Mai. Sulfonal 2,0. Guter, fester Schlaf. 

25. Mai. Noch heute den ganzen Tag über schläfrig. Sulfonal 1,0. 
Guter Schlaf. 

26. Mai bis 2. Juni. Sulfonal 1,0. 

Fortdauernd guter Schlaf. Pat. zieht das Pulver allen übrigen Schlaf¬ 
mitteln vor. Kopfschmerzen sind nach den ersten Pulvern verschwunden. 

2. Juni. Sulfonal ausgesetzt. Schlaf gut. 

3. Juni. Schlaflosigkeit. Um 3 Uhr Nachts deshalb Sulfon. 1,0. Da¬ 
rauf guter Schlaf. 


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21. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


501 


11. Frau R., 44 Jahre. Arthritis chronica. Hat Gelenkschmerzen. Lei¬ 
det schon lange an Schlaflosigkeit. 

1. Juni. 9 Uhr 37,0 P. 84 R. 20 Sulfonal 1.0 

10 „ 37,3 P. 70 R. 22 

11 „ 37,0 P. 80 R. 22. 

Schläft fest von 11 l /a—5 Uhr. 

2. Juni. Ist noch am Vormittag schläfrig. Fühlt sich sehr wohl. 

12. Frau Meyer, 46 Jahre. Endometritis. 

Mässige Schmerzen im Unterleib. Leidet seit Monaten an Schlaflosig¬ 
keit wegen Schmerzen und nervöser Unruhe. Nach Chloral 2,0 und Morph. 
0,01. Kein Schlaf. 

31. Mai. 9 Uhr 36,0 P. 68 R. 26 Sulfonal 1,0 
10 ff 36,0 P. 56 R. 26. 

Von 11 Uhr an mit geringfügiger Unterbrechung ruhiger Schlaf. 

1. Juni. Patientin ist heute noch schläfrig. Die vorher bestehenden 
Kopfschmerzen sind verschwunden. Nach Einnahme des Pulvers vorüber¬ 
gehende Uebelkeit. 

2. Juni. Patientin erhält Abends heimlich ein Kreidepulver in Oblate. 
Schlaf bis 2 Uhr, dann geringes Erbrechen und Schlaflosigkeit. 

13. FrauSemond, 70 Jahre. Marasmus. Senile Demenz. Crosse Un¬ 
ruhe fortwährend, auch Nachts. 

31. Maii. Sulfonal 1,0 um 8 Uhr. Pat. war bis 12 Uhr Nachts sehr 
unruhig, hat dann bis 6*/a Uhr Morgens, (1. Juni) fest geschlafen, ist am 
nächsten Vormittag viel ruhiger. 

8 Uhr P. 84 R. 24 

9 „ P. 76 R. 20 Urin vor 1013 

* 10 * P. 72 R. 20 nach 1011. 

14. Frau Trommann, 28 Jahre. Phthisis pulmonum. Leidet an 
Schlaflosigkeit wegen nervöser Unruhe. 

1. Juni. 9 Uhr Abends 1,0 Sulfonal. Pat. schläft bald ein, bis zum 
Morgen. 

2. Juni. Ist heute nicht müde. 

15. Frau Böttcher, 58 Jahre. Carcinoma ventriculi. Hat Magen¬ 
schmerzen. 

23. Mai. 9 Uhr Sulfonal 1,0. Pat. schläft nach 12 Uhr ein, ist am 
nächsten Tage noch schläfrig. 

24. Mai. Sulfonal 1,0 \ r , c ., . 

25. Mai. Sulfonal 1,0 / Guter bchlaf ‘ 

16. Frau Ehlke, 29 Jahre. Phthisis pulmonum. Schlaflosigkeit. 

2. Juni. Sulfonal 1,0. Hat gut geschlafen. 

T. 37,1 K 84 R. 32 Urin vor 1 006, 

P. 76 R. 28 nach 1 016. 

17. Helwig, 13 Jahre, Knabe. Pneumonia crouposa. 6. Krank¬ 
heitstag. Schlaflosigkeit 

4. Juni. T. 38,5 P. 116 5. Juni. T. 40,6 P. 124 
T. 89,4 T. 40,7 

T. 39,6 P. 124 T. 40,3 

T. 40 5 T. 40 0 

9 Uhr T. 39,9 P. 136 9 Uhr T. 40,2 P. 136 Sulfonal 0,75 

T. 39,5 10 „ T. 39,9 P. 124 

T. 39,0 11 „ T. 39,4 P. 124 

1 „ T. 89,9 

5 „ T. 40,1 

9 T. 40,8 P. 104. 

Pat. schläft sofort ein, mit Unterbrechungen bis zum Morgen. In der 
Nacht etwas Kopfschmerzen. 

18. Biroth, 23 Jahre. Typhus abdominalis. 16. Krankheitstag. 
Schlaflosigkeit 

4. Juni. T. 39,8 5. Juni. T. 39,7 

T. 39,9 P. 104 T. 39,9 P. 100 

T. 40,0 P. 92 T. 39,9 

T. 40,3 T. 40,3 

9 Uhr T. 40,5 P. 112 9 Uhr T. 40,1 P. 120 Sulfonal 1,25 

T. 40,3 10 „ T. 89,9 P. 116 

T. 40,1 11 „ T. 39,8 P. 116 

1 „ T. 39,5 

5 „ T. 39,1. 

Pat schläft erst um 127* Uhr ein, dann aber fest bis zum Morgen. 
Heute etwas mehr benommen, phantasirt zum ersten Male. 

Kinder. 

I. Ernst Butterling, 1 Jahr. Rhachitis. Bronchitis. 

Klägliches, mageres Kind. Nachts sehr unruhig, stört die anderen 
Kinder durch Rufen und Weinen, wird daher in der letzten Zeit isolirt 
31. Mai. Abends 9 Uhr Sulfonal C,25. Hat die ganze Nacht ruhig 
geschlafen. 

1. Juni. Ist auch noch am Vonnittag viel ruhiger als sonst 

2. Frieda Müller, 3‘/a Jahre. Ueberstandene Masern, jetzt Abscesse. 
Ist Nachts sehr unruhig und schreit viel. 

1. Juni. 9 Uhr 0,25 Sulfonal. T. 38,6 P. 100 R. 38 

10 „ T. 38,1 P. 100 R. 38 

11 „ T. 37,8 P. 106 R. 34. 

Schläft von 9 Vs—6 Uhr und ist am nächsten Tage noch sehr schläfrig. 

3. Otto Baumann, 3 Jahre. Pertussis. Nachts sehr unruhig, weint 
viel, schläft wenig. 

2. Juni. 9 Uhr Sulfonal 0,25 

T. 36,6 P. 112 R. 34 

10 „ T. 37,6 P. 114 R. 30 

11 „ T. 37,2 P. 118 R. 38 

Urin vor 1 023, 
nach 1023. 

Schläft mit den Unterbrechungen, die durch die Hustenanfälle bedingt 
sind, von 9 bis 6 Uhr Morgens. 


II. Fälle mit mittelmässiger Schlafwirkung. 

1. 0. K., 48jähriger Restaurateur, Girrbosis hepatis. Neuritis alcoho¬ 
lica. Keine wesentlichen Schmerzen. Leidet an habitueller Agrypnie. Oefter 
Narcotica; dabei Morphium 0,01 subcutan wiederholt ohne Effect. 

21. Mai. Hat nach mehreren schlaflosen Nächten heute Kopfschmerzen. 

Um 9 Uhr Abends 1,0 Sulfonal. 

Dauernder fester, ruhiger Schlaf. 

22. Mai. Keine Neben- oder Folgewirkungen. Kopfschmerzen ver¬ 
schwunden. 

Abends 9 Uhr Morphium 0,01 subcutan: kein Schlaf. 

23. Mai. Abends 1,0 Sulfonal. Weniger fester, kürzerer Schlaf. 

24. Mai, Kein Medicament, kein Schlaf. 

25. Mai. Abends 1,0 Sulfonal. Noch weniger Schlaf als am 23. Mai. 
Keine Nebenerscheinungen. 

26. Mai. 2,0 Sulfonal, vierstündiger nihiger Schlaf, doch weniger und 
leiser als am 21. Mai nach 1,0. 

2. F. L., 85 Jahre. Tumor cerebri. Grosse Kopfschmerzen. Crises 
encdphaliques. Dauernde Schlaflosigkeit.. 

20. Mai. 36,8. Sulfonal 1,0. Keine Wirkung. 

23. Mai. 37,2. Sulfonal 2,0. Im Ganzen ca. dreistündlicher ruhiger 

Schlaf. 

25. Mai. 37,4. Sulfonal 3,0. Schlaf von 9—10 und früh von 
4-7 Uhr.. 

26. Mai. 86,8. Sulfonal 1,0 -f- Chloral 1,0. Wenig Effect. 

27. Mai. 36,8. Sulfoual 1,5 4- Chloral 1,5. Unterbrochener, ca. fünf 

Stunden währender Schlaf. 

28. Mai. 37,2. Morphium 0,012 subcutan: fester, dauernder Schlaf 
während der ganzen Nacht. 

31. Mai. 10 Uhr 3,0 Sulfoual. Schlaf von 1—3 Uhr Nachts. 

T. 37,1. P. 104 R. 20 

11 Uhr P. 100 R. 16 

12 Uhr P. 100 R. 16. 

l.Juni. 10 Uhr Morphium 0,01 (Pulver) 4- Sulfonal 1,0. Hat 2 Stunden 
geschlafen. 

3. Zobel, 23 Jahre. Pneumonia crouposa mit verzögerter Resolution. 
Schlaflosigkeit. 

1. Juni. Um 9 Uhr Sulfonal 1,0. 

T. 37,8. P. 72 R. 42 

10 Uhr T. 37,7. P. 60 R. 40 

T. 37,5. P. 72 R. 38. 

Hat sehr wenig geschlafen, ist auch am anderen Vormittag nicht müde. 

2. Juni. 9 Uhr: Sulfonal 1,5. Mässig fester Schlaf mit Unter¬ 
brechungen. 

III. Fälle ohne Schlafwirkung. 

1. Grohtc, 54 Jahre, Myocarditis, Pleuritis fibrosa dextra. Starke 
cardiale Orthopnoe. Delirien. 

30. Mai. 9*/a Uhr Abends Sulfonal 1,5. Keine Wirkung, auch keine 
Beruhigung. 127* Uhr Amylenhydrat 1,5: keine Wirkung. 5 Uhr Morgens 
exitus letalis. 

2. Neumeyer, 38 Jahre. Uncompensirte Insuff. valv. Aortae. Starker 
Hydrops. Cardiale Dyspnoe. Leichte Delirien. 

30. Mai. 6 Uhr Abends Sulfonal 1,0. Keine Wirkung. 9Vi Uhr 
Sulfonal 2,0. Keine Wirkung. 12*/* Uhr Amylenhydrat 1,5. Keine 
Wirkung. 

31. Mai. Abends 8 Uhr 2,0 Sulfonal. Pat schläft zwar die Nacht, ist 
aber sehr unruhig, wirft sich viel umher, spricht aus dem Schlaf. 

10 Uhr T. 87,0 P. 112 R. 36 

11 „ T. 36,9 P. 116 R. 44 

ll 1 /* „ P- 112 R. 44 

P. 108 R. 42. 

1.—5. Juni. Pat. schläft ohne Narcoticum. Die Nächte sehr unruhig, 
mit grossen Unterbrechungen- 

5. Juni. Pat. schläft sehr unruhig. 

Um 2 Uhr Nachts Sulfonal 2,5; T. 36,8 P. 104 R. 30 
um 27* Uhr T. 87,1 P. 108 R. 30 

„ 3 „ T. 37,3 P. 102 R- 30. 

Schlaf erfolgt um 2 l /t Uhr, dauert nur */* Stunde. Von ^4—4 Uhr 
wieder Schlaf. 

3. Hönisch, 62 Jahre. Myocarditis. Emphysem. Beträchtliche 
Dyspnoe. Wenig Schlaf des Nachts. 

1. Juni. Um 9 Uhr Sulfonal 1,0 P. 100 R. 36 
„ 10 „ P. 100 R. 32 

„11 „ P. 100 R. 28. 

Keine Einwirkung. 

4. Frau Baumann, 59 Jahre. Insuff. valv. mitralis im Stadium der 
Incompensation. Cardiale Dyspnoe. Schlaflosigkeit. 

26. Mai. 85,6 2stdlch. 1 Campherinjection. 9 Uhr Sulfonal 1,0. Keine 
Wirkung. 

28. Mai. 34,8 2 stdlch. 1 Campherinjection. 9 Uhr 2,0 Sulfonal Kein 
Effect 

5. Frau Wiesner, 66 Jahre. Schrumpfniere. Myocarditis. Starke 
cardiale Orthopnoe. 

25. Mai. 37,0. 9 Uhr Sulfonal 1,0. Keine Wirkung. 

26. Mai. 36,5. Sulfonal 1,0. Keine Wirkung. Morph. 0,01. 

28. Mai. 2 stdlch. 1 Campherinjection. 9 Uhr 2,0 Sulfonal. Schlaf 
von 97*— 107 *. 

6. Frau Dolata, 65 Jahre. Nephritis. Myocarditis. Asthma cardiale. 

5. Mai. 8 Uhr Abends P. 48 R. 14 Sulfonal 8,0 

10 „ „ P. 48 R. 14 

11 „ „ P. 56 R. 18. 

Kein Schlaf. Stärkere Unruhe. Um 127* Uhr Morphium 0,01 subcutan. 

Schlaf von 1 Uhr bis zum Morgen. 


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502 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


7. Frau Schröder, 39 Jahre. Carcinoma ventriculi. Stenosis et 
Insuff- valv. Mitralis. Keine Oedeme. Beträchtliche Schmerzen. 

31. Mai. 8 Uhr Sulfonal 1,0. Kein Schlaf. 9 1 /* Uhr Sulfonal 1,0. 
Kein Schlaf. 

P. 88 R. *28 

Urin vor 1013 P. 84 R. 28 

nach 1003 P. 76 R. 24. 

Um 1 */« Uhr Nachts Morph. 0,02 subcutan: fester Schlaf bis zum 
Morgen. 

8. Frau Blasig, 40 Jahre. Phthisis pulmonum. Heftige Schmerzen 
im Rücken. An Morphium gewöhnt. 

21. Mai. 38,3 T. 9 Uhr 1,0 Sulfonal. Kein Schlaf. 

22. Mai. 39,2 T. 9 Uhr 2,0 Sulfonal: 1 Stunde Schlaf. 2 Uhr Nachts 
1,0 Sulfonal: 5'/a Stunde Schlaf. 

23- Mai. 37,7. 9 Uhr 3,0 Sulfonal. Kein Schlaf. 12 3 /* Uhr Morph. 
0,01 subcutan. Schlaf bis 7 Uhr. 

9. Eisholz, 31 Jahre. Tetanus. Massig häufige und wenig intensive 
Krampfanfälle. Schläft am besten in Chloroformnarkose, weniger gut nach 
Chloral oder Morphium. 

5. Juni. 2stündlich 1 Campherinjection. 

7 Uhr Morgens Sulfonal 2,0 P. 82 R. 24 

P. 60 R. 16 
P. 76 R. 22 
P. 96 R. 24. 

Keine Wirkung. 10 Uhr Vormittags Sulfonal 3,0. Sehr leichter, kurz¬ 
dauernder Schlaf. 

10. Wendt, 21 Jahre. Chron. Peritonitis. Beträchtliche Schmerzen. 
Schläft nach Morphium 0,01 in Pulver und Injection. 

5. Juni. 9 Uhr Abends T. 36,2 P. 88 R. 24 Sulfonal 2,0 


10 „ 

11 

T. 

36,8 

P. 

88 

R. 

24 

11 „ 

15 

T. 

37,4 

P. 

80 

R. 

24 

12 „ 

11 

T. 

36,7 

P. 

80 

R. 

24. 


Pat. schläft erst um 2*/j Uhr ein, ziemlich fest bis 4 Uhr. Weiterhin 
viel unterbrochener Schlaf. 

11. Oesche, 52 Jahre. Carcinoma ventriculi. Viel Magenschmerzen. 

5. Juni. 9 Uhr P. 72 R. 16 Sulfonal 2,0 

10 „ P. 72 R. 16 

11 „ P. 60 R. 16 

Gar kein Schlaf. Schläft auch nach Morphium 0,01 in Pulver nicht, 
dagegen nach Morph. 0,01 in Injection ziemlich gut 

13. Bertha Mader, 1 */a Jahre. Brechdurchfall. Sehr unruhig, schläft 
sehr wenig. 

1. Juni. Vormittags 10 Uhr 0,25 Sulfonal. Keine Wirkung. 

2. Juni. Abends 9 Uhr 0,25 Sulfonal. Kein Schlaf. 

5. Juni. 9 Uhr T. 38,0 P. 120 Sulfonal 0,5 

11 „ T. 37,7 P. 110 

Kein Schlaf. 

12. Härtel, Phthisis pulmonum in vorgeschrittenem Stadium. Kann 
Nachts nicht schlafen wegen Athemnoth und Husten. 

2. Juni. 9 Uhr T. 37,9 P. 104 R. 24 Sulfonal 1,0 

10 „ T. 37,7 P. 96 R. 34 

T. 37,5 P. 96 R. 28 

T. 37,6 P. 112 R. 32. 

Um 11 Uhr schlief Pat. ein, aber kaum viertelstundenlang, war meist 
wach bis zum Morgen. 

3. Juni. Nach Morph. 0,015 pro die guter Schlaf. 

IV. Fälle mit mehr oder weniger vollkommener Schlafwirknng aber 
mit Nebenerscheinungen. 

1. Seeliger, 40 Jahre. Phthisis pulmonum. Mässig viel Husten. 
Oefter Schlaflosigkeit. 

1. Juni. 12 Uhr Nachts Sulfonal 1,0 T. 37,2 P. 76 R. 28 

T. 37,1 P. 80 R. 26 

T. 37,0 P. 78 R. 24. 

Schlaf erfolgt nach einer halben Stunde, ist aber leise und leicht zu 
unterbrechen. In der Nacht sowohl wie des Morgens angeblich etwas 
Schwindel beim Gehen und Benommenheit. 

2. Frl. J. Kaukelsitz, 30 Jahre. Arthritis acuta. 

31. Mai. Chloral 1,0. Kein Schlaf. 

1. Juni. 9 Uhr Sulfonal 2,0 T. 87,2 P. 78 R. 22 

10 „ P. 74 R. 20. 

Von 10 l /t Uhr bis Morgens ununterbrochener Schlaf. 

2. Juni. Etwas Druck im Hinterhaupt und Schwindel. Die 
gewöhnlich bestehende Uebelkeit angeblich etwas verstärkt. Ist am Vor¬ 
mittag nicht schläfrig. 

3. Frau Beiram, 76 Jahre. Ischias. Hat früher nach Morphium in 
Pulver und Injection wenig geschlafen. 

1. Juni. 9 Uhr Sulfonal 1,0 P. 84 R. 24 

10 „ P. 80 R. 20. 

Von 10—5 Uhr fester Schlaf. 

2. Juni. Klagt über Eingenommenheit des Kopfes, Zerschla¬ 
genheit am ganzen Körper. Sträubt sich gegen Wiederholung der 
Medication. 

4. Mierschky, 42 Jahre. Phthisis pulmonum. Schläft weder nach 
Morph. 0,01 subcutan, noch nach Chloral 1,0, noch Amylenhydrat 1;0. 

27. Mai. T. 38,5. 9 Uhr Sulfonal 1,5. Guter Schlaf. 

28. Mai. Guter Schlaf. 

29. Mai. Kein Schlaf. 

30. Mai. T. 38,1. Sulfonal 1,5. Pat. hat mit Unterbrechungen durch 
Husten geschlafen, weniger gut als am 27. Mai. Nach Einnahme des 
Pulvers keine Uebelkeit Dagegen 31. Mai früh Erbrechen, das bisher 
noch nicht dagewesen ist. 


5. Unger, 28 Jahre. Arthritis subacuta. (Insuff. valv. Aortae, Stenosis 
et Insuff. valv. mitralis, im Beginn. Keine Herzbeschwerden) Nervöse 
Schlaflosigkeit zeitweise, jetzt wesentlich bedingt durch die Neuheit des 
Krankenhausaufenthaltes. 

4. Juni. 11 Uhr Nachts Sulfonal 1,0. Keine Einwirkung. 

T. 37,0 P. 64 R. 20 
T. 36,6 P. 72 R. 24 
T. 36,4 P. 68 R. 22. 

Keine Nebenerscheinungen. 

5. Juni. Keine Schlafneigung. Um 10 Uhr Nachts 1,5 Sulfonal. 

Schläft von IO 1 ,'» Uhr bis zum Morgen gut. 

10 Uhr T. 36,8 P. 68 R. 22 

11 „ T. 36,4 P. 60 R. 20 

12 „ T. 36,1 P. 60 R. 20. 

6. Juni. Klagt über leichten Schwindel. 

6. Frau Voigt, 63 Jahre. Carcinoma ventriculi. Hat Magenschmerzen. 
Nach Morph. 0,01 in Pulver nicht, subcutan: gut geschlafen. 

1. Juni. 9 Uhr Abends 2,0 Sulfonal. Von 12 Uhr an fester Schlaf. 

2. Juni. Am Vormittag noch müde und sehr matt. Hat 4 Durch¬ 
fälle. (Pat. hat früher auch Durchfälle gehabt, aber nicht so zahlreich. 
Auch am nächsten Tage und den folgenden nur 1 dünner Stuhlgang.) 
Abends Morph. 0,01 subcutan: guter Schlaf ohne nachfolgende Müdigkeit. 

Wie der Leser schon aus der Summirung der einzelnen Zahlen 
erkennt, habe ich, um nicht durch Wiederholung ähnlicher Wirkun¬ 
gen zu ermüden, nicht alle beobachteten Fälle aufgeführt, und zwar 
betrifft das Deficit allein die Kategorie derjenigen, die einen in jeder 
Richtung vollkommenen Effect vom Sulfonal erfahren haben. Um 
so mehr sehe ich mich deshalb veranlasst, eine kurze Uebersicht 
über sämmtliche Krankheitsarten der Untersuchungsreihe zu geben 
und die einzelnen Fälle in ihrer Beziehung zur Schlaflosigkeit näher 
zu definiren. 

Wie schon bemerkt, ist das Sulfonal im Ganzen bei 60 Patienten 
angewandt worden. Von diesen sind 29 Männer, 17 Frauen, 
4 Kinder. 

Von den 50 Kranken litten 

2 an Lebercirrhose 

4 „ Magenleiden (Carcinora etc.) 

1 » Cystitis 
1 „ senilem Marasmus 
1 „ Endometritis 
1 „ Abscessen nach Masern 

3 „ Emphysem 

1 „ verzögerter Resolution von Pneumonie 

2 „ Bronchitis (Kinder) 

8 „ Phthisis pulmonum 

3 „ Hirnleiden (Tumor, Encephalomalacie) 

3 „ Nervenleiden 

1 „ Diabetes 
1 „ Tetanus 
8 „ Herzleiden 

6 „ Gelenkleiden (acut und chronisch) 

1 „ Chron. Peritonitis 
1 „ Brechdurchfall 
1 „ Pneumonia crouposa 
1 „ Typhus abdominalis. 

50 

Was nun das Verhältniss der Agrypnie zu diesen Leiden be¬ 
trifft, so war dieselbe 27 mal basirt auf Störungen der Grundkrank¬ 
heit, und zwar im Wesentlichen auf cerebraler Affection, Schmerzen 
und Husten, 23 mal dagegen war die Schlaflosigkeit als essentielle, 
„nervöse“ zu bezeichnen. Und zwar konnte sie in einem Theil der 
letzteren Fälle als ausserhalb des Zusammenhanges mit den direkten 
organischen Krankheitserscheinungen angesehen werden (Schlaflosig¬ 
keit bei compensirten Herzfehlern ohne Herzbeschwerden, bei Dia¬ 
betes, Tuberculose ohne starken Husten etc.), in dem anderen Theil 
dagegen war sie wohl in früheren Zeiten durch solche Störungen 
bedingt gewesen, bestand jetzt aber nur als Resultat der vielfach 
in Schmerzen etc. durchwachten Nächte, als Ausdruck des fort¬ 
dauernden Reizzustandes der übererregten Gehirnzellen (Schlaflosig¬ 
keit nach Gelenkrheumatismus, Neuralgieen etc.). 

Endlich noch ein Wort über die näheren Momente, die mich 
bei meiner Eintheilung der Fälle nach der Sulfonal Wirkung geleitet 
haben. 

In die erste Kategorie habe ich diejenigen Patienten gestellt, 
bei denen der Erfolg des Sulfonals ein vollkommener und reiner 
war, bei denen dasselbe nur in dem beabsichtigten Sinne wirkte. 

Als mangelhaften Effect habe ich einen mehrfach und leicht 
unterbrochenen Schlaf bezeichnet, der sowohl dem Beobachter wie 
dem Patienten selbst als unvollkommen erschien. Eine relativ nega¬ 
tive Wirkung habe ich dann notirt, wenn das Mittel in einer ge¬ 
ringen Dosis, die bei einem anderen Fall mit möglichst ähnlichen 
Bedingungen Schlaf erzielte, gar nicht, auch nicht einmal ermüdend 
wirkte, oder dann, wenn selbst mit hohen Dosen absolut keine Ein¬ 
wirkung auf den Organismus zu erreichen war. 


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21. Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIPT. 503 


Dabei möchte ich freilich nicht verfehlen, auf das Beiwort 
„relativ“ Gewicht zu legen. Es könnte mir eingewandt werden, 
dass ich niemals, auch nicht bei 3 g, die höchste Dosis verabreicht 
habe, und dass ich da, wo selbst 3 g nicht gefruchtet haben, 4 g 
hätte geben sollen. 

Diesem Einwurf erwidere ich, dass, wenn mit der nahezu höch¬ 
sten Dosis gar kein Effect erreicht wird, auch mit der um Vs er¬ 
höhten Menge ein vollendeter Erfolg nicht gewonnen werden 
wird, wobei ich ganz von der praktischen Bedeutung des hohen 
Kostenpreises absehe. 

Endlich habe ich geglaubt, in einer besonderen Abtheilung die¬ 
jenigen Fälle anführen zu müssen, bei denen zwar die Schlafwirkung 
eine mehr oder weniger vollkommene war, bei denen aber störende 
Nebenerscheinungen im Gefolge auftraten. Ich habe eine derartige 
Sondergruppirung deshalb vorgenommen, weil eine Frau (Fall 3, IV) 
die Störungen (von 1,0 g) so hochgradig empfand, dass sie sich 
weigerte, das Mittel noch einmal zu nehmen, zweitens aber, um 
überhaupt die Möglichkeit von Nebenwirkungen, die von den bis¬ 
herigen Beobachtern noch nicht berichtet worden sind, hervor¬ 
zuheben. 

Bei den 50 Patienten nun, die mit Sulfonal behandelt worden 
sind, hat das Mittel in 33 Fällen, also 66,0% der Gesamrat- 
zahl eine halbe bis 3 Stunden nach der Verabfolgung eine prompte 
Schlafwirknng hervorgerufen. Diese 33 Fälle vertheilen sich in der 
Weise, dass 18 = 63,0% auf die 29 Männer, 12 = 70,8% auf 
die 17 Frauen und 3 = 75% auf die 4 Kinder entfallen. 
Mangelhaft war das Resultat nur bei 5 Männern, relativ 
schlecht in 12 Fällen = 24,0% der Gesammtzahl, und zwar 
in 6 = 15,0% der Männer, in 5 = 29,5% der Frauen und in 1 = 
26% der Kinder. * 

Prüfen wir nun die Wirkung des Mittels auf die beiden, oben 
discutirten, verschiedenen Arten von Schlaflosigkeit, so finden wir, 
dass dasselbe in den 23 Fällen rein nervöser Schlaflosig¬ 
keit 21mal = 90,3% eine volle und gute Reaction hervor¬ 
gerufen hat; dagegen hat es in denjenigen Fällen, in denen die 
Grundkrankheit selbst die direkte Ursache für die 
Agrypnie enthielt, bei durchschnittlich höheren Dosen 
nur 12 mal = 44,4% zur Zufriedenheit gewirkt Und während 
ferner das Sulfonal in den 23 Fällen nervöser Schlaflosigkeit nicht 
ein einziges Mal völlig im Stich gelassen hat, musste ich von den 
27 andern Fällen in 13 = 48,1% einen Misserfolg — mit der oben 
angegebenen Beschränkung — constatiren. Diese Thatsachen, deren 
klinische Bedeutung Herr Prof. Fürbringer auch bald mit beson¬ 
derem Nachdruck hervorgehoben und in seiner privaten Praxis 
gleichfalls bestätigt gefunden hat, weisen darauf hin — soweit sich 
wenigstens aus einer immerhin so kleinen Anzahl von Beobachtungen 
allgemeine Schlüsse ziehen lassen —, dass das Sulfonal in der That 
ganz in dem Sinne von Käst ein Hypnoticum, dagegen kein Nar- 
coticum ist, d. h., dass es im Stande ist, die erregten Gehirnzellen 
zu beruhigen und Schlaf zu erzielen, dass es diese Fähigkeit auch 
momentanen, fortdauernden Störungen des Gleichgewichts (durch 
Schmerzen etc.) gegenüber zu entfalten vermag, dass aber seine 
Macht unterliegt und seine Kraft nicht mehr resp. wenig zur Gel¬ 
tung kommt, sobald die Störungen eine gewisse, ziemlich niedere 
Grenze überschreiten. Diese geringere Machtfülle des Sulfonals wird 
auch schon dadurch dargelegt, dass das Mittel bei Gesunden und 
selbst in Fällen von rein nervöser Schlaflosigkeit — wie Käst 
schon angiebt — erst dann gut oder überhaupt nur zur Wirkung 
gelangt, wenn das periodische Schlafbedürfniss vorhanden ist, d. h. 
zu einer Zeit, wo die graue Hirnrinde schon an sich durch einen 
Erschöpfungszustand zum Ausruhen disponirt. Ferner documentirt 
sich aus den gewonnenen Resultaten mit einer gewissen Wahrschein¬ 
lichkeit, dass als das Gebiet, auf dem das Sulfonal dominirt, nur 
die graue Grosshirnrinde anzusehen ist. Fast in keinem Falle waren 
vorhandene Schmerzen, wie das beim Morphium so häufig beobachtet 
wird, gemildert, bevor die Patienten einschliefen, oder wenn sie 
des Nachts zufällig erwachten, in keinem Falle war trotz des an 
sich guten Schlafes der Hustenreiz an In- und Extensität abge¬ 
schwächt. Sowohl bei den Phthisikern wie bei den Kindern mit 
Bronchitis und Keuchhusten wurde mir vou den zuverlässig be¬ 
obachtenden Pflegerinnen und zum Theil auch von den Patienten 
berichtet, dass häufige Unterbrechungen des guten Schlummers durch 
Hustenanfälle gegeben waren; sobald der Hustenreiz sich ausgetobt 
hatte, schliefen die Kranken wieder ein. 

In den Fällen, wo über sehr heftige Schmerzen geklagt wurde, 
wo der starke Hustenreiz zu häufigen Expectorationen Veranlassung 
gab, war die Wirkung des Sulfonals eine minimale, und die Pa¬ 
tienten schliefen erst, wenn man ihnen mit einer relativ geringen 
Dosis Morphium zu Hülfe kam. 

Wenn ferner in 2 Fällen Yon Magenleiden ein günstiges 
Ergebniss nicht gewonnen wurde, so kann diese Thatsache einmal 
auf die im Gefolge vorhandenen grossen Schmerzen (Carcinom, 


Fall 11, III), andererseits aber (Brechdurchfall, Fall 13, 111) auf die 
geringere Resorptionsfähigkeit des Magens bei der Erkrankung seiner 
Schleimhant und der schnelleren Peristaltik des Darms bezogen 
werden: in solchen Fällen wirkt bekanntlich auch Morphium häufig 
nicht vom Magen aus. Viel wesentlicher aber ist der Ausfall der 
Sulfonalwirkung, den ich im Gegensatz zu Käst so gut wie 
bei allen Fällen von Agrypnie gesehen habe, die sich auf der Basis 
des cardialen Asthmas gründete, welche resultirte aus derCom- 
pensationsstörung eines Herzleidens. Indem ich in diese Kategorie 
natürlich nicht bloss die eigentlichen, primären Herzleiden rechne, 
sondern auch die Fälle, wo im Gefolge einer Nephritis, eines lang¬ 
dauernden Emphysems sich Herzschwäche mit cardialer Dyspnoe 
einstellt, habe ich in 5 Fällen selbst bei sehr hohen Dosen von 
unserra Mittel nicht die Spur eines Erfolgs gesehen. Auch hierin 
unterscheidet sich wieder das Sulfonal vom Morphium und Chloral. 
hierin steht es, wie ich glaube, auch dem Amylenhydrat nach, von 
dem ich in einer ziemlich grossen Reihe von Compensationsstörungen 
verschiedener Herzleiden (weakened heart, Insuff. valv. Aortae, Insuff, 
valv. mitralis, Myocarditis) in der Dosis von 1,0 —1,6 — 2,0 g eine 
Schlafwirkung, und wo diese nicht eintrat, wenigstens eine wesent¬ 
liche Beruhigung der Athemnoth beobachtet habe. (Dass in den 
Fällen 1 und 2. III auch Amylenhydrat nicht gewirkt hat, glaube 
ich auf die Mangelhaftigkeit des alten, lange nicht gebrauchten Prä¬ 
parats zurückführen zu können.) 

Um endlich den letzten Mangel des neuen Mittels auzuführen. 
so wurden in 6 Fällen = 12,0% Nebenwirkungen angegeben, die, 
wenn auch meistens unerheblich und vorübergehend, doch unter 
Umständen den Gebrauch des Mittels (wie in dem angeführten 
Fall 3, IV) beeinträchtigen könnten. Als solche Nebenerscheinungen 
wurden erwähnt: Schwindel, Mattigkeit, Eingenommenheit des Kopfes. 
Uebelkeit, Erbrechen, Diarrhoe. (Eine Andeutung von Ataxie oder 
unsicherem Gang habe ich nie, weder inmitten noch nach der Sul¬ 
fonalwirkung gesehen.) Von diesen Augaben ist die des Schwindels 
und der leichten Kopfschmerzen am constantesten; — auf die übri¬ 
gen möchte ich wegen ihrer Seltenheit und mit Rücksicht auf ein 
möglicherweise zufälliges Auftreten kein Gewicht weiter legen. 
Freilich gehört die Nachwirkung der Müdigkeit für den nächsten 
Vormittag oder den ganzen Tag auch nicht immer zu den Annehm¬ 
lichkeiten, und für einen Examinanden z. B., der vor dem Prüfungs¬ 
tage noch in ruhiger Nacht seine aufgeregten Geister besänftigen 
will, wäre das Sulfonal nur mit Bedenken zu empfehlen. 

Für die Fragen, ob das Sulfonal bei längerem Gebrauch an 
Wirksamkeit einbüsst, ferner, ob bei chronischer Anwendung eine 
Angewöhnung, eine Art Sulfonalismus, sich ausbilden kann, fehlt 
vorläufig eine genügend lange Beobachtung. 

Haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Sulfonal in be¬ 
stimmten Fällen eine mehr oder weniger grosse Einbusse an seiner 
Kraft erleidet, dass es bei gewissen Affectionen mehr oder weniger 
wirkungslos ist, so ist uns doch bisher nie in einer Beobachtung 
eine schädliche Folgeerscheinung — abgesehen von den relativ un¬ 
beträchtlichen subjectiven Nebenwirkungen — zur Wahrnehmung 
gelangt. Vor allem muss als wesentlich hervorgehoben werden, dass 
wie in den anderweitigen, so auch in meinen Fällen nie eine Alte¬ 
ration von Temperatur, Puls und Respiration hervorgetreten ist. 
Bei den meisten Patienten habe ich, wie schon bemerkt, Temperatur, 
Puls und Respiration unmittelbar vor und nach der Einnahme des 
Medicaments bestimmen und notiren lassen, und niemals hat sich 
besonders eine Modification des Pulses nach Frequenz, Höhe und 
Spannung der Arterie ergeben. Ich selbst habe in dieser Richtung 
mehrfache Controlluntersuchungen bei Tage und bei Nacht angestellt 
und die von der wachthabenden Pflegerin angegebenen Notizen 
stets bestätigt gefunden. Dieses Resultat ist ein ausserordentlich 
werthvolles. Nicht nur, dass man, darauf gestützt, das Sulfonal dem 
Morphium und Chloral bei Herzkranken mit erhaltener Compensation, 
die aus anderen Ursachen nicht schlafen, vorziehen kann — auch 
in den Fällen, wo man wegen der Gefahr der Herzschwäche ner¬ 
vöse Schlaflosigkeit bekämpfen will, wird man sich mit Vortheil 
des Sulfonals bedienen. So konnte ich es wagen, in einem Falle 
von Pneumonia crouposa mit mässig gespanntem, sehr 
frequentem Pulse, und einem Typhus — beide auf der vollen 
Höhe des Fiebers — das Medicament in geringer Dosis zu geben: 
und der Erfolg war, abgesehen von etwas Kopfweh und Benommen¬ 
heit, ein prompter, fast möchte ich sagen: eclatanter. Gerade in 
dieser Beziehung wird es angezeigt sein, weitere Versuche anzustellen, 
um hoffentlich die Errungenschaft für den therapeutischen Schatz 
zu befestigen, die uns in einem gefahrlosen und doch sicheren 
Schlafmittel bei den häufig wochenlang der nächtlichen Ruhe ent¬ 
behrenden Typhen und anderen febril Erkrankten gegeben sein 
möchte. 

Und fast von gleichem Werthe scheint das Sulfonal in dieser 
Eigenschaft für die Kindertherapie zu sein. Freilich habe ich nur 
eine kleine Anzahl von Fällen aufzuweisen, aber die Sicherheit, mit 


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504 DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 25 


der das Mittel in 74 g-Dosen in 75% wirkte, das Fehlen jeder 
Nebenerscheinung selbst bei der Verabreichung von % g in dem 
Falle von Brechdurchfall, wo es freilich wohl aus den oben erörterten 
Gründen nicht Schlaf brachte, ermuthigt zu weiteren Versuchen und 
erweckt auch hier die Hoffnung auf eine dauernde Acquisition. 

Resurairen wir nun kurz die Consequenzen, die sich aus meinen 
50 Beobachtungen ergeben, so dürfte das Zeugniss, das mau dem 
Sulfonal ausstellen will, folgendermaassen lauten: 

1. Das Sulfonal in reiner Form ist wegen seiner Geruch- und 
Geschmacklosigkeit ein angenehmes Medicament. 

2. Es wirkt als ein Hypnoticum in Fällen von „nervöser“ Schlaf¬ 
losigkeit in der Dosis von 1 — 2 g mit sehr annehmbarer Promptheit. 

Da, wo die Agrypnie aus direkten organischen Störungen einer 
augenblicklich bestehenden Krankheit resultirt, ist die Wirkung mehr 
oder weniger unsicher. 

3. Das Sulfonal alterirt weder Temperatur, noch Puls, noch Re¬ 
spiration und verdient deshalb in seiner Eigenschaft und in dem oben 
bezeichneten Umfange den Vorzug vor Morphium und Chloral bei 
febrilen Krankheiten und allen Affectionen, in denen man Herz¬ 
schwäche befürchten muss. Namentlich dürfte es so auch bei Kin¬ 
dern zu verwenden sein. 

4. Die subjectiven Neben- und Folgeerscheinungen des Sulfonals 
sind geringfügiger Natur und dürften im allgemeinen eine Contra- 
indication für seine Anwendung nicht abgeben. 


m. Ueber intravitale Blutgerinnungen, her- 
vorgerufen durch toxische Gaben gewisser 
Arzneikörper und anderer Substanzen. 

Von Dr. med. Oscar Silbermann in Breslau. 

Im Folgenden theile ich kurz das Resultat von Untersuchungen 
mit, welche ich demnächst ausführlich unter den Arbeiten des phar¬ 
makologischen Instituts der Universität Breslau publiciren werde. 

Durch Virchow's grundlegende Untersuchungen hat die Lehre 
von der Thrombose und Embolie bekanntlich eine ausserordentliche 
Bedeutung für die gesammte Pathologie gewonnen, ja eine grosse 
Reihe von Krankheitsprocessen ist ihrem Wesen nach erst durch 
diese Untersuchungen völlig erkannt worden. Nun unterscheidet die 
Virchow’sche Lehre 5 Formen der Thrombose, nämlich die Com- 
pressions-, Dilatations-, traumatische, marantische und Alterations¬ 
thrombose, und nimmt für die Entstehung aller dieser nur rein 
mechanische Momente in Anspruch. Auf demselben Standpunkte 
wie Virchow steht v. Recklinghausen in seinem Handbuche 
der Pathologie des Kreislaufes, auch er acceptirt die mechanische 
Theorie, nur bemerkt er beim Capitel der marantischen Thrombose, 
dass alle Fälle derselben durch die absolute Verminderung der Herz¬ 
kraft, wie es Virchow will, sich allerdings nicht erklären lassen, 
es dürften wohl noch andere, als rein mechanische Verhältnisse in 
Frage kommen,' etwa Blutveränderungen, v. Recklinghausen 
erweitert aber ausserdem die Virchow’sche Lehre, indem er sagt, 
dass auch Thrombose dann zustande kommen könne, wenn gewisse 
Substanzen, in’s Blut gelangt, als Gerinnungserreger wirken. Da nun 
der Nachweis solcher Substanzen im Blute bisher nicht möglich, so 
erkennen wir ihre Anwesenheit nur aus dem Factum der Gerinnung. 
Diese Definition, so fährt v. Recklinghausen fort, deutet be¬ 
reits darauf hin, dass die Aufstellung dieser Art von Thrombose 
in’s Gebiet der Hypothese gehört. Noch enger als v. Reckling¬ 
hausen schliessen sich Eberth und Schimmelbusch, die 
neuesten Forscher auf dem Gebiete der Thrombose, der Virchow’- 
schen Auffassung an, obgleich dieselben durch Injection gewisser 
Stoffe (Aether, Pyrogallussäure) ausgedehnte tödtliche Thrombose 
erzeugt haben. Sie sprechen aber den experimentell erzeugten 
Thromben, weil diese in ihrem anatomischen Bau sehr von den 
den menschlichen Leichen entnommenen Blutgerinnungen abweichen, 
jede Bedeutung für die menschliche Pathologie ab. Wie wir 
glauben: mit Unrecht, weil zur Zeit ein völlig abschliessendes 
Urtheil über die anatomische Structur aller in menschlichen Leichen 
vorkommenden Thromben wohl kaum möglich sein dürfte. Einen 
diesen Forschern diametral entgegengesetzten Standpunkt vertritt 
Baumgarten in Königsberg, der die mechanische Theorie Vir- 
chow’s für unzureichend erklärt; er erinnert beispielsweise daran, 
wie oft bei mit schweren Stauungen einhergehenden Herzfehlern, bei 
ausgedehnten Aneurysmen, bei doppelter Unterbindung von Ge¬ 
lassen jede Spur einer thrombotischen Auflagerung fehlt. 

Lange bevor Baumgarten, gestütztauf pathologisch-anatomische 
Erfahrungen, diesen Ausspruch that, waren eine Reihe experimenteller 
Daten bekannt, welche darauf hinwiesen, dass ausser mechanischen 
Momenten wohl auch noch andere Thrombose erzeugen können. — 
Naunyn hat vor Jahren zuerst durch intravenöse Injectionen von 
lackfarbenem Blut, Panura, Landois, Ponfick durch fremdartiges 
Blut, Koehler durch sogenanntes Fermentblut, Edelberg durch 


Fermentlösungen, Groth durch lebende und todte Leukocyten, 
Nauck durch die Stromata der Erythrocyten, Wooldridge durch 
eine im wesentlichen aus Eiweiss und Lecithin bestehende Substanz 
ausgedehnte tödtliche Gerinnungen erzeugt. Spritzte man nun ge¬ 
wisse der oben genannten Substanzen, so z. B. fremdartiges oder 
lackfarbenes Blut nicht sehr rasch und massenhaft ein, so starben 
die Thiere nicht sofort durch ausgedehnte Thrombosen, sondern 
erst nach Stunden oder Tagen unter den Erscheinungen der Hä¬ 
moglobinurie. Nachdem diese Thatsache bekannt, wurde eine ganze 
Reihe von Stoffen gefunden, die, nicht direkt in’s Blut der Ver- 
suchsthiere gebracht, sondern per os, subcutan oder sonstwie 
einverleibt, ebenfalls letale Hämoglobinurie erzeugten. Der Tod 
dieser Thiere wurde durch den mit der Hämoglobinurie verbundenen, 
angeblich sehr grossen Verlust an rothen Blutscheiben oder durch 
Urämie erklärt, bedingt durch die Verstopfung der Harnkanälchen 
mit Hämoglobincylindern. Dass diese beiden genannten Momente 
aber als wahre Todesursachen nicht betrachtet werden können, 
glauben wir durch eine vor Jahresfrist publicirte Arbeit nachge¬ 
wiesen zu haben, indem wir in derselben zeigten, dass einmal der 
bei weitem grösste Th eil der rothen Blutscheiben dieser Thiere sich 
mikroskopisch völlig normal verhielt, ferner aber die Krampfanfälle 
zu einer Zeit eintraten, wo die Harnsecretion im besten Gange, oder 
bei bestehender Anurie eine ausgedehnte Verstopfung der Harn¬ 
kanälchen nicht vorhanden war. Woran, so fragten wir nun, gehen 
diese Thiere eigentlich zu Grunde? 

Diese Frage suchten wir durch eine grössere experimentelle 
Untersuchungsreihe, die im hiesigen pharmakologischen Insti¬ 
tute unternommen wurde, zu beantworten. In Anbetracht der 
Thatsachen nun, dass gewisse Substanzen, wie z. B. lackfarbenes 
und fremdartiges Blut, je nach der Art und Meif&e der Einverleibung, 
bald tödtliche Thrombose, bald tödtliche Hämoglobinurie hervorriefen, 
fragten wir uns, ob nicht etwa diejenigen Agentien, welche bisher 
nur als Hämoglobinurie erzeugend bekannt waren, ebenfalls intra- 
vitale Blutgerinnungen bewirkten? Zur Entscheidung dieser Frage 
wurden Natrium cbloricum, Glycerin, Toluylendiamin und Pyro¬ 
gallussäure experimentell nach dieser Richtung hin geprüft. Wir 
berichten zunächst über die Versuche mit Natrium chloricum, 
weil dieselben am zahlreichsten angestellt wurden. Ging man nun 
von der zunächst ganz willkürlichen Annahme aus, dass ein mit 
Natrium chloricum vergiftetes Thier durch zahlreiche Thrombosen 
stirbt, so konnte vielleicht auch erwartet werden, dass das Blut 
eines so vergifteten Tbieres, einem zweiten gesunden infundirt, schäd¬ 
lich wirken könnte. Zur Ermittelung dieser Thatsache wurden Kanin¬ 
chen sowohl wie Hunde mit grossen Gaben der genannten Substanz 
vergiftet und, sobald sie schwer krank waren, durch Halsschnitt 
getödtet. Das auf diese Weise erhaltene Blut wurde, sorgfältig 
defibrinirt, colirt und mässig erwärmt, gesunden Thieren intravenös 
injicirt. Bei Kaninchen erfolgte stets nach Injection von ein bis 
vier ccm derartigen Blutes, bei Hunden zwei Mal unter sieben 
Fällen der sofortige Tod in Folge ausgedehnter tödtlicher Throm¬ 
bosen im rechten Herzen und in der Lungenarterie. 1 ) Nachdem wir 
durch das transfundirte Blut eines mit Natrium chloricum vergif¬ 
teten Thieres bei einem zweiten gesunden tödtliche Thrombosen er¬ 
zeugt hatten, suchten wir festzustellen, wodurch denn eigentlich ein 
mit Natrium chloricum vergiftetes Thier zu Grunde gehe. Zur 
Entscheidung dieser Frage wurde Hunden und Kaninchen das 
Natriumchlorat bald per os, bald subcutan oder durch Injection 
in die Bauchhöhle (nie intravenös) einverleibt. Zunächst wurden so 
rasch wirkende Dosen gewählt — die Thiere starben nach 30 bis 
50 Minuten —, dass die tödtliche Erkrankung ohne die Erscheinungen 
der Hämo- resp. Methämoglobinurie eintrat. Sobald die Thiere sehr 
schwer krank waren, wurdeu sie vivisecirt, und es fanden sich nun 
manchmal Thromben in dem rechten Herzen, der Lungenarterie, der 
Pfortader, der Cava ascendens oder der Nierenvene, constant solche 
in den feineren Lungenarterienzweigen und in den Nieren- und Leber- 
capillaren; ebenso regelmässig war eine ganz auffallende Erweiterung 
der Baucbgefässe zu constatircn. Die Lunge eines so foudroyant mit 
Natrium chloricum vergifteten Thieres ist in ihrem Aussehen sehr 
wechselnd, bald ist sie ganz anämisch, bald mit einigen Häraorrhagieen 
durchsetzt und rauch- resp. dunkelbraun, das letztere namentlich, 
wenn die Section erst mehrere Stunden post mortem erfolgt ist. 
Vergiftet man nun Thiere mit Dosen, die erst nach mehreren 
Stunden oder einem Tage tödten — bei diesen Gaben tritt auch 
meist Hämoglobinurie auf —, so ergiebt sich ein etwas anderes patho¬ 
logisch-anatomisches Bild. Die grossen Thromben im rechten 
Herzen, der Pulmonalarterie, der Cava, Pfortader etc. finden sich 

*) Zwar treten auch uach Trausfusion normalen, defibrinirten Blutes 
bei Kaninchen hin und wieder derartige Gerinnungen auf, doch geschieht, 
dies bei vorsichtiger Ausführung der Transfusion doch nur selten und nur 
bei grösseren Mengen übergeleiteten Blutes, während in unseren Versuchen 
jedesmal, und schon nach kleinen Blutungen ausgedehnte Thrombosen 
entstanden. 


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21. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


505 


oft, dagegen sind coustant Gefässverstopfungen in den Lungen-, 
Nieren-, Leber-, Magen-, Darm- und Hautcapillaren, ebenso regel¬ 
mässig sieht man auch bei diesen Vergiftungsfällen eine be¬ 
deutende Erweiterung der Bauchgefässe und kleinere Blutungen in 
den Lungen, dem Magen, den Nieren und dem Darm. Sind aber schon 
kleinere Thromben mit Scheere und Pincette schwer nachweisbar, 
so ist dieses geradezu unmöglich bezüglich der capillären Blut¬ 
gerinnungen. Nun ist aber bekanntlich überhaupt für das Vorhanden¬ 
sein irgend welcher capillären Thrombosen in der Pathologie der über¬ 
zeugende Nachweis bisher nicht geführt worden. Wir glauben denselben 
für unsere Versuche auf folgende Weise erbracht zu haben. Wir inji- 
cirten nämlich den schwer kranken Thieren intravenös Farbstoff¬ 
lösungen in der Erwartung, dass die thrombosirten Gefässbezirke 
ungefärbt bleiben würden, die für deu Blutstrom durchgängigen 
Partieen dagegen gefärbt werden müssten. Als Farbstoffe, durch 
die also eine natürliche Injection, eine Selbstinjection der Organe 
der Thiere erfolgte, wurden Indigcarrain oder Carminammoniak dem 
circulirendeu Blute beigemischt. Sobald die Thiere genügend ge¬ 
färbt erschienen, wurden sie getödtet, und die einzelnen Organe so¬ 
fort herausgenommen; nun zeigten vor Allem die Lungen, Nieren, 
Leber, Magen und Darm ein ganz überraschendes, sehr charakte¬ 
ristisches Bild, wie wir es für den Fall zahlreicher Capillarthrom- 
bosen auch erwartet hatten, sie waren von marmorartigem, ge¬ 
flecktem, höchst buntem Aussehen, indem zahlreiche ungefärbte 
Stellen mit gefärbten Gewebspartieen wechselten. Die mikroskopische 
Untersuchung der Lungen, Nieren und Leber von während des 
Lebens mit Carminammoniak gefärbteu Thieren ergab umfangreiche 
Gewebspartieen ganz ungefärbt. 

Ebenso wie das Natrium chloricum wirken andere Blutkörper¬ 
chen auflösende Agentien, so Glycerin, Pyrogallussäure, Toluylen¬ 
diamin; auch sie erzeugen, subcutan einverleibt, zahlreiche grössere 
und kleinere Gerinnungen in den lebenswichtigsten Organen. Nach¬ 
dem wir nun gefunden, dass gewisse Blutkörperchengifte zahlreiche 
Thrombosen hervorrufen, legten wir uns die Frage vor, ob nicht etwa 
auch andere Arzneikörper, die, obwohl sie nicht Hämoglobinurie er¬ 
zeugen, schon lange als Blutgifte beargwöhnt werden, intravitale 
Blutgerinnung hervorbringen. Experimentelle Untersuchungen bezüg¬ 
lich der Wirkungsweise toxischer Gaben von Arsen und Phosphor, 
genau nach den früher entwickelten Gesichtspunkten angestellt, er¬ 
gaben, dass auch nach subcutaner Application dieser beiden Arznei¬ 
körper grössere und kleinere Thromben im rechten Herzen, der 
Pfortader, in der Cava, Nierenvene, in den Lungen-, Leber-, Nieren-, 
Magen-, Darm- und Hautcapillaren erzeugt werden; oft fanden sich 
die thrombosirten Gewebspartieen hämorrhagisch infarcirt, ferner 
auch hier die Unterleibsgefässe regelmässig stark erweitert. 

Ich habe bisher stets von Thrombosen, nicht aber von Embo- 
lieen gesprochen, und zwar aus einem ganz bestimmten Grunde. 
Tödtet mau nämlich in frühen Stadien der Vergiftung, gleichviel, 
ob dieselbe durch Natrium chloricum, Glycerin, Arsen, Phosphor oder 
sonst einen der oben genannten Körper bewirkt ist, so kann man 
mittelst der Färbemethode bereits zahlreiche capilläre Gefässver¬ 
stopfungen in den Lungen, der Niere und der Leber nachweisen, 
ohne dass irgendwo im Gefässsystem eine Quelle auffindbar wäre, 
von der dieselben stammen könnten; es scheinen also dies autoch- 
thone Blutgerinnungen, d. h. Thromben zu sein. Anders freilich 
verhält sich die Sache in späteren Stadien der einzelnen Vergif¬ 
tungen; hier finden sich nämlich stets gleichzeitig neben den capil- 
laren Verstopfungen Thromben im rechten Herzen, und so kann ein 
Theil der ersteren sehr wohl embolischen Ursprungs sein. Die er¬ 
wähnten Thromben sind wohl unzweifelhaft durch eine Bluterkran¬ 
kung hervorgerufen und bei der Schnelligkeit ihrer Entstehung wohl 
auch unabhängig von einer Erkrankung der hämatopoetischen Organe. 
Diese Bluterkrankung könnte entweder eine primäre sein, oder 
vielleicht auch secundär bedingt werden durch ungemein rasch 
sich entwickelnde Schädigungen der Gefässwand, welche aber erst 
nachgewiesen werden müssten. Ob diese Blutgerinnungen durch Fibrin¬ 
ferment, Wooldrid ge-Substanz oder andere Gerinnungserreger ent¬ 
stehen, lassen wir zur Zeit ganz unerörtert. Schliesslich erhebt sich 
noch die Frage, ob die beim Menschen wie beim Thiere nach Ver¬ 
giftungen durch Natrium chloricum, Arsen, Phosphor etc. beobach¬ 
teten Krankheitserscheinungen mit diesen anatomischen Befunden im 
Einklänge stehen? Dies muss wohl bejaht werden. Die Dyspnoe, die 
Kleinheit des Pulses, die Benommenheit, die Cyanose, die allgemeine 
Prostration, das Coina, der eclamptische Anfall, die Anurie, die 
Oedeme, die verschiedensten Formen der Lähmungen und der Gan¬ 
grän sind Krankheitserscheinungen, an denen die durch zahlreiche 
Gefässverstopfungen bedingten Circulationsstörungen einen gewissen 
und wohl nicht unbedeutenden Antheil haben. Die Grösse des 
Antheils aber gegenüber den bereits bekannten Schädigungen durch 
diese Substanzen, wie z. B. Veränderungen des Blutfarbstoffes (bei 
einigen der genannten Körper), Nerven Wirkungen etc., ist erst des 
uäheren noch festzustellen. _ 


IV. Rückblicke auf die Chirurgie des letzten 

Jahres. 

Von Dr. Emil Senger in Berlin. 

(Fortsetzung aus No. 24.) 

Die specieUe Chirurgie. 

Zeigt sich in der allgemeinen Chirurgie der Geist, weither unsere Wissen¬ 
schaft beherrscht, und die verschiedenen Gedankenrichtungen, in denen ein 
allgemeiner Fortschritt angebahnt wird, so liefert.uns die specielle Chirurgie 
ein Bild von der praktischen Verwerthung der leitenden Ideen. Natürlich giebt 
es verschiedene Methoden, eine Idee auszuführen'; je nach dem individuellen 
Geschick und Geschmack wird der Eino diese, der Andere jene vorziehen. 
So erklären sich die verschiedenen Resectionsmethoden; so hat man die 
Carcinome der Mamma durch Amputation mit Ausräumung der Axillardrüsen 
etc., ohne welche heute kein Chirurg mehr die Operation machen darf, zu 
heilen gesucht und dabei eine definitive Heilung von 21,5°/o nach Küster 
(Schmid) oder nach der letzten Statistik Rotter's aus der Bergmann- 
schen Klinik sogar von 32,3% erzielt: alter man hat auch in der oben be¬ 
rührten Idee von dem Kampf der Mikrobien unter einander, „von dem 
Antagonismus unter den Batterien* (Garre) das Carcinom durch Einimpfung 
von Erisypelcoccen zur Heilung zu bringen gesucht — leider vergeblich. 

Es ist noch nicht lange her, dass man bei fungösen Gelenkleiden 
durch die totale Resection eine Ankylose erstrebte. Mit der Erkenntniss der 
tuberculösen Processe ist man in den letzten Jahren bemüht, nur das 
Kranke zu entfernen und die Resectionen möglichst zu beschränken. 
Lothar Heidenhain hat in seiner lehrreichen Dissertation die Erfahrungen 
aus der v. Volkmann’schen Klinik gesammelt, und den Bemühungen 
Volkmann’s danken wir es, dass die Resectionen durch die 
Arthrectomieen verdrängt worden sind. 

Wir verlangen heute eine klare Uebersicht über das ganze Gelenk bei 
möglichster Schonung des Baudapparates, wir gehen andererseits nur au das 
Erkrankte heran und lassen das Gesunde unberührt. Es leuchtet von selbst 
ein, dass es bei diesen lndicationeu eigentlich keine Generalschnitlmethode 
für eine Resection giebt. sondern dass jeder Fall seine eigene Methode er¬ 
fordern kann. Deshalb haben wir eine Fülle von Schnittführungen. So hat 
uns Zesas die 17. Fussgelenkschnittführuug geschonkt. Dumont 
(Kocher) öffnet das Gelenk an seinem äussersten Theile und luxirt den 
Fuss nach Durchschneidung der Peronealsehnon nach innen und legt sich 
so die Gelenkfläche ausgedehnt frei. Für das Kniegelenk kann man, 
wenn man sich nicht traut, die grossen Gefässe zu vermeiden, dieselben von 
der Kniekehle aus freilegen, wie Zesas es vorschlägt. — Hahn hat uns 
mit seinem oberen, die Quadricepssehne durchtrennenden Bogenschnitt be¬ 
kannt gemacht, auch nagelt er, wie Thiers-ch, Baker, Stoker (Brit 
med. Journ. 1887), March, nach Resectionen die Tibia an das Femur an. 
Dadurch werden die Knochen in ihrer Stellung fixirt, und es bedarf nicht 
so sehr eines exacten Schienenverbandes. Indess sind das alles kleine, 
vortheilhafte Modificalionen der Technik. Beachtenswerth erscheint die 
osteoplastische Methode Tiling’s (Petersb. med. Wochenschr. 1887) 
für sämmtliche Resectionen. Er will functionell wichtige Bänder dadurch 
erhalten, dass er osteoplastisch, d. h. temporär die mit ihnen in Ver¬ 
bindung stehenden Knochenvorsprünge abmeisselt und umklappt, z. B. den 
Troch. maj. für das Hüftgelenk. Dieser, wie es scheint, sehr glückliche 
Gedanke ist aber nicht neu. Schon Israel hatte der medicinischen Ge¬ 
sellschaft früher einen Knaben vorgestellt, welcher durch die temporäre 
Abmeisselung der Tuberos. tibiae und Resection der kranken Synovialis eine 
so vorzügliche Function wieder erlangt hatte, dass das Knie nicht von 
einem normalen zu unterscheiden war. Natürlich können so schöne Resul¬ 
tate nur bei günstig liegenden Verhältnissen erreicht werden, v. Berg¬ 
mann hatte in ähnlicher Weise für veraltete, weit klaffende Pa- 
tellarbrüche mit vortrefflichem Erfolge die abgemoisselte Tuberös, 
tibiae nach oben bis zur Vereinigung der diastasirenden Bruchenden ver¬ 
lagert und angenagelt. — Bardenheuer ist wohl mit der osteoplastischen 
Resection am kühnsten: er resecirt das Manubr. stemi resp. das Sterno- 
claviculargelenk, sowie die obersten Rippenansätze etc. zu dem Zwecke, 
Operationen au der Trachea, Pleura, dem Mediastin. ant. etc. etc. auszu¬ 
führen. — 

Hierher gehört auch die Resection des carpalen Ulnaendes v. Lesse r’s, 
welche eine durch einen Bruch der Radiusepiphyse entstandene Steifheit 
der Hand (aufgehobene Pro- und Supination) glücklich heilte. — Erwäbnens- 
werth ist noch hier der Rath Riedel’s, bei Hallux valgus nur die Basis 
der Phalanx I und die Exostose des I. Metatarsalknochens, nie das Köpfchen 
des letzteren zu entfernen, weil sonst der Hauptstützpunkt für den Fuss 
verloren gehe, und man dann alle Metatarsalköpfchen fortnehmen müsste. 

Gehen wir nun zu dem wichtigen Capitel der Scoliose über. 

Aus einer Verkennung der Sayre’schen Behandlungsmethode hat man 
in Deutschland lange Zeit die Gypscorsetts zur Qual der Kinder falsch an¬ 
gelegt, bis ein Assistent Sayre’s der Schede’schen Klinik und damit 
den deutschen Chirurgen durch persönliche Unterweisung die richtige An¬ 
wendung zeigte. Heute stimmen darin wohl alle überein, dass es zwecklos, 
ja gefährlich sei, die Kinder frei hängen zu lassen, sondern dass man 
sie nur so weit recken solle, als sie es ertragen und sich wohl 
fühlen, wobei die Fussspitzen immer den Boden berühren müssen. Die 
Corsetts werden nach Sayre-Phelps abnehmbar gemacht; bei Kindern 
unter vier Jahren, welche noch keine das Corsett stützende Taille haben, 
legt man lieber einen Drahtkorb oder einen Holzcürass an (Nebel, 
Volkm. kl. Vorträge). Die Frage, wann man ein Gypscorsett anlegen 
solle, ist auch heute noch nicht übereinstimmend entschieden und sie kann 
es so lange nicht, als wir nicht wissen, worauf die Scoliose zurückzuführen 
ist, ob auf Knochen-, Knorpelbänder oder Muskulatur-Erkrankungen. Bei 
den meisten Verkrümmungen muss man schon zufrieden sein, wenn sie 


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506 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


stationär bleiben. Geringe Krümmungen (natürlich Pott’sche ausgenommen) j 
sind nach Länderer am besten durch Massage und Gymnastik, d. h. Kräfti- ! 
gung der Muskulatur zu behandeln. Gerade aus der Erkenntniss der ossalen j 
Erkrankung bei der Pott'sehen Verkrümmung, glaube ich, sind so relativ 
schöne Resultate erreicht worden, wie sie uns Nebel mitgetheilt hat, indem 
bei Lumbalerkrankungen Gypscorsetts, bei Cervical- und Dorsal- 
erkrankungen Corsetts mit Jury-mast angelegt wurden. Zur objectiven 
Messung der Krümmung sind letzthin mehrere Apparate angegeben worden 
(Schenk, v. Schulthess, Zander). Der Zander’sche Apparat wird 
sehr gerühmt, kostet aber 840 Mark. 

Bei der congenitalen Hüftgelenkluxation nehmen die Autoren 
des letzten Jahres (Rinne, Adams [England], Brown [Amerika]) von 
allen Apparaten Abstand und wollen die Muskulatur der Hüfte kräftigen. 
Des Nachts legen sie eine Extension mit Abduction an, am Tage lassen 
sie eine erhöhte Sohle unter dem gesunden Fuss tragen. 

Rinne hat auch bei Beckenabscessen so drainirt, dass er das Os ilei 
trepanirte. Gelegentlich der Exstirpation eines grossen Chondroms des 
Beckens musste v. Bergmann die V. und A. iliac. comm. dextr. unter¬ 
binden: Die Sensibilität des rechten Beines war nicht völlig geschwunden, 
und nach einigen Tagen bedrohlicher Erscheinungen genas die 11jährige 
Patientin. Das war die 71. derartige Unterbindung, bei denen 55 Mal der 
Tod eintrat. Dennis (Med. News 1887) hatte 1 Mal die Art. glut. und 
1 Mal beide Art. gluteae unterbunden und will eine gefährliche Einwirkung 
der Operation auf die Nierenthätigkeit (Albuminurie und Urämie) erkannt 
haben. 

Loreta (Bologna) führte in ein Aneurysma aortae abdom. Draht ein, 
um eine allmähliche Verödung des Sackes und so Collateralbahnen 
herbeizuführen, da ein plötzlicher Verschluss bis jetzt jedesmal tödtlich 
endete. Sein Patient blieb noch 82 Tage am Leben erhalten. 

In der Chirurgie des Kopfes und Halses liegen sehr bedeutende 
Leistungen vor. Vor allem ist es das reizvollste aber auch schwierigste 
Gebiet im menschlichen Körper, das Gehirn, welches sich die Chirurgen 
nach feststehenden physiologischen und klinischen Grundsätzen für ihren 
Wirkungskreis erobern wollen. Es ist dieses Kapitel so wichtig, dass ich, 
von eintfr kurzen Darlegung absehend, auf meine in No. 10—12 dieser 
Wochensehr. 1887 erschienenen zusammenfassenden Aufsatz „über topische 
Hirndiagnostik und Hirnchirurgie“ verweisen möchte und mir Vor¬ 
behalte, die neuesten wichtigen Arbeiten von Horsley, Greenfield, 
Macewen etc. in England, von v. Bergmann u. A. in Deutschland 
ausführlicher zu besprechen. 

An den Schädelknochen ist die seltene Tuberculose im letzten Jahre 
von Kümmel behandelt worden. 

Das Gesicht und die Plastiken in demselben haben wir schon oben 
allgemein erwähnt. Die Plastik der Nase ist hauptsächlich durch König 
(Haut-Periost-Knochenlappen) bereichert, Israel hat die König’sche Me¬ 
thode in einem Falle zweckmässig modificirt und den zweiten Lappen erspart 
(s. Centralbl. f. Chir. 1887). 

Ein grosses Interesse haben die Kehlkopfoperationen im letzten 
Jahre eingenommen. Die Laryngofissur, die partiellen und die totalen Ex¬ 
stirpationen gehören zu den gesicherten Operationen; es ist aus allen 
Ländern casuistisches Material beigesteuert. Aber freilich! Die Resultate 
der Exstirpationen wegen maligner Tumoren sind recht betrübende; Hahn 
hat von 15 Patienten nur noch 2 behalten. Bei der Anwendung der Press- 
schwammcanüle liegt die Gefahr eigentlich nicht in der Operation, als in 
der Verhütung der Pneumonie etc. während der Nachbehandlung. Bis jetzt 
hat man noch gar kein sicheres Urtheil über die Endresultate der Operation 
und über deren Indicationen, und deshalb wollen viele Operateure (z. B. 
Brown [England]) von der, einen höchst qualvollen Zustand bei den Pa¬ 
tienten schaffenden Totalexstirpation absehen und sich mit der Tracheotomie 
begnügen, wodurch das Leben viel eher verlängert werden könne, als durch 
die Radicaloperation. 

Ueber die Schwierigkeit des Decanülements nach der Tracheo¬ 
tomie liegen 2 Arbeiten vor (Störck und besonders Köhl, Deutsche 
Zeitschr. f. Chirurg. 1887). Während Störck meint, die Granulome gingen 
von den diphtheritischen Stellen unterhalb der Stimmbänder und nicht 
von der Incisionswunde aus, zeigt Köhl, dass sie von den verschiedensten 
Stellen ausgehen. Die Hauptschuld liege an der nutzlosen und 
gefährlichen Sprechcauüle und den zu langen Schnitten. Das 
Decanülement wird aber noch erschwert 

a) wegen Diphtherie prolonge und bei Diphth. recidiva; 

b) wegen Chorditis inferior; 

c) wegen diphther. Lähmung der Kehlkopfmuskeln und wegen Ge¬ 
wohnheitsparese : 

d) wegen Furcht vor dem Decanülement; 

e) wegen Spasmus glottidis. 

Während bei uns die Tracheotomie von diesen Uebeln frei zu 
machen gesucht wird, geht eine neue Richtung in Amerika dahin, dieselbe 
durch die sog. Larynxintubation zu verdrängen. Dieselbe, von Jo¬ 
seph O’Dwyer 1880 eingeführt, besteht darin, eine oben mit einem 
Kuopf versehene Canüle vom Munde aus zwischen die Stimmbänder zu 
schieben, so dass der Knopf oberhalb der Stimmbänder liegt. Diese Methode 
hat aber vielfache Gefahren an sich: Die Canüle kann in die Luftröhre 
hineingleiten, bei der Ernährung, aber auch sonst, kann leicht Flüssigkeit 
in die Lunge fliessen. Eine Verstopfung der Röhre mit einer Membran 
würde sofort tödtlich sein, da eine Doppelcanüle nicht existirt und dann 
auch schwer zu entfernen wäre, endlich muss leicht Decubitus der Stimm¬ 
bänder mit ihren schädlichen Folgen bei der diphtherischen Schleimhaut 
eintreten. Trotzdem aber rühmen Caille und Ingals (New-York. med. 
Journ., Juli 1887) diese Methode und geben 26 resp. 25 % Heilungen an. 
Aus der allen Praktikern bekannten Thatsache, dass die Eltern viel lieber 
zu einer gefährlichen unblutigen Operation als zu einer blutigen 
gefahrlosen ihre Einwilligung geben, ist wohl der praktische Amerikaner i 


I auf die Methode gekommen: bei uns aber wird dieselbe sich nicht ein- 
i führen lassen. Es sei mir noch erlaubt, mit einem Worte auf die 
j Larynxtu berculose zu kommen. Milchsäure soll für weniger reizbare, 
Menthol für reizbare Patienten recht gute Dienste leisten (Braun, Wien, 
med. Presse 1887), ausserordentlich gerühmt wird aber die Tracheotomie, 
welche sogar bei vorgeschrittenem Uebel Heilung bewirken soll (Schmidt 
[Frankfurt]). 

Von den in den letzten Jahren so viel discutirten adenoiden Vegetationen 
und den zahlreichen Instrumenten dagegen will ich schweigen. 

Zum Schluss suchen wir in möglichster Kürze die meisten Vorkomm¬ 
nisse in der Chirurgie der Eingeweide zu schildern. 

Die Indicationen für eine Chirurgie der Lungen sind noch recht ge¬ 
ring. Man hat im letzten Jahre Lungenabscesse, welche an oder nahe 
der Pleura lagen, mit Erfolg geöffnet und drainirt, meist mit Resection einer 
Rippe. Von Geschwülsten ist zu erwähnen eine Echinococcenoperation von 
Israel (d. Wochensch. 1886). Dieser Operateur, sowie Schede, Cornil 
und G i b i e r warnen vor der Punction eines Luugenechinococcus, da sie un¬ 
mittelbar nach derselben höchst bedrohliche Suffocationserscheinungen, ja 
einen unmittelbaren Tod in Folge Durchbnichs der Cyste in die Bronchien 
gesehen haben. 

Sogar am Herzen wurde operirt. v. Bergmann hat eine in das Herz 
gestossene Stricknadel extrahirt. Stelzner musste zunächst die 5. Rippe 
nahe am Sternum resecirell, wobei ein nicht wieder gefundener Tampon 
in die eröffnete Pleurahöhle hineinfiel, sodann das Pericard spalten, um eine 
Nadel fühlen zu können. Die Extraction aber gelang nicht. Trotz alledem 
genas der Patient. Ja, Langen buch hat sogar bei einem Chloroformtodc 
das Herz freigelegt und künstliche manuelle Contractionen zu bewirken ge¬ 
sucht, freilich ohne Erfolg, und auch w r ohl ohne Nachahmung zu finden! 

Viel grösser als in der Brust- ist das chirurgische Gebiet in der 
Bauchhöhle. 

Lauen stein hat zufällig einen Milzabscess geöffnet, Donat theilt 
uns die Exstirpation einer durch Intermittens noch vergrüsserten Wander¬ 
milz mit. Obwohl v. Volkmann in seiner geistreichen Weise vorge¬ 
schlagen hat, die Discussion über die Leberoperationen auf 10 Jahre 
zu vertagen, so denken doch mehrere deutsche Chirurgen, sowie die Eng¬ 
länder und Amerikaner darüber anders. Soviel steht fest, dass diese Ope¬ 
rationen zu den gesicherten zu zählen sind. 

Von der ältesten Leberoperation, der des Echinococcus, liegt eine 
Arbeit von Knowsley Thornton (Brit. med. Journ. 1887) vor. Er hat 
nach Ausräumung des Sackes die Innenfläche mit Jodtinctur bepinselt und 
die Sacköffnung mit denselben Nähten gefasst, welche er zum Verschluss 
der Bauchwunde anlegte. Dadurch hat er angeblich die langwierige Drainage 
und Eiterung des Sackes vermieden. Natürlich ist diese Methode nur an¬ 
wendbar, wenn der Sack aseptisch und ganz von Blasen frei ist. Derselbe 
Autor hat auch eine Gallensteinkolik dadurch beseitigt, dass er die 
Adhäsionen zwischen der vergrösserten Gallenblase und dem Uterus durch¬ 
trennte. Weiter ist von Thornton ein Leberabscess so operirt 
worden, dass er einzeitig durch die Pleuren hindurch den Eiter 
abliess. Gehört dazu schon eine Kühnheit, so wird dieselbe aber noch weit 
überstiegen durch das Vorgehen Mabboux’, welcher nach Lettle (1880) 
alle diese einen Höhlenaltschluss erzielenden Cautelen verschmäht und 
die Leberabscesse etwa wie subcutane oder extraperitoneale Abscesse 
tractirt. Er sucht durch mehrmaliges Punctiren den Sitz des Abscesses in 
der Leber, und wenn der Eiter sichtbar ist, stösst er das Messer sofort durch 
Haut und Peritoneum hinein, lässt den Eiter ab und drainirt. Selbstver¬ 
ständlich ist hierbei ein Einfliessen von Eiter in die Bauchhöhle nicht aus¬ 
geschlossen: allein die Resultate sollen die besten sein, welche man über¬ 
haupt bei Leberabscessen erhält (Revue de Chirurg. Mai 1886). 

Um die Chirurgie der Gallenblase haben sich auch im letzten Jahre 
Lawson Tait, Langenbuch, Küster u. A. bemüht. Eiterungen der 
Blase, Steine mit oder ohne Hydrops in der Blase oder Steine im Duct. 
choledoch. geben die Veranlassung zur Operation, und man hat vier Me¬ 
thoden: 1. Die Incision bei Verwachsung der Organe und Abscedirung. 2. 
Incision der Blase und Annähen derselben an die Bauchwunde. 3. Incision 
und nach Ausräumung des Inhaltes, Vernähen der Blasenwunde (Küster). 
4. Exstirpation der Blase (Langenbuch). Als natürlichste Methode er¬ 
scheint die Küster’sche (3), welche aber nur bei gewissen aseptischeu Zu¬ 
ständen anwendbar ist, z. B. bei einem Hydrops, bei einfachen Steinen. 
Die eingreifendste Methode ist die Langenbuch’sche, während die 
Fistelbildung (2) die wenigsten Gefahren bietet, aber mitunter recht schwer 
zu beseitigen ist. Feste Indicationen für die eine oder andere Methoden 
giebt. es noch nicht, so dass der Eine da exstirpirt, wo der Andere viel¬ 
leicht nur incidirt etc. Auch hier muss die grössere Erfahrung der Zukunft 
Klarheit schaffen. Beraerkenswerth endlich erscheint eine Gallenblasen¬ 
operation Kappeler’s (Corresp. Bl. f. Schw. Aerzte Sept. 87). Wegen 
durch einen Pankreastumor bewirkter Unwegsamkeit des Duct. choled. wurde 
eine künstliche, die Galle stetig abführende Verbindung zwischen Blase und 
Dünndarm hergestellt (einzeitige Cholecyst-Enterostomie); der Ikterus ver¬ 
schwand alsbald. (Fortsetzung folgt.) 


V. Referate und Kritiken. 

B. Demange (Nancy). Das Greisenalter. Klinische Vorlesungen. 
Autorisirte deutsche Ausgabe von Dr. Franz Spitzer. Mit 
6 lithogr. Tafeln. VIII. 103. 80. Leipzig und Wien, Töplitz & 
Deuticke, 1887. Ref. v. Adelmann. 

Vorliegendes Werk ist eine Zusammenstellung von Vorträgen, 
die der Verfasser seit neun Jahren in der ihm unterstellten Klinik 
der medicinischen Facultät zu Nancy gehalten hat und die er als 
eine Einleitung zur Kenntniss der pathologischen Vorgänge in den 


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21. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


507 


Organen und Geweben des greisen Körpers, soweit dieselben bis 
jetzt speciell von einzelnen Forschern untersucht worden sind, an¬ 
gesehen wissen will, und unter denen der Verfasser selbst mit eige¬ 
nen Untersuchungen und denjenigen seiner Schüler auftritt. Eine 
solche Zusammenstellung der in der medicinischen Literatur zer¬ 
streuten Befunde zu einem einheitlichen Ganzen ist dankenswerth, 
weil sie einen bequemen Ueberblick der histologischen Veränderungen 
darbietet, aus deneu wir die functionellen Erscheinungen erklären 
können und umgekehrt dann aus letzteren eine Diagnose auf die 
pathologischen Vorgänge in den Organen stellen dürfen. 

Das Werk zerfällt in 18 Capitel, von welcheu die beiden ersten 
sich vorzugsweise mit allgemeinen Erscheinungen des Greisenalters 
von der Zelle an beschäftigen; das dritte Capitel beginnt mit der 
atheromatöseu Veränderung der Gefässe nebst den daraus folgen¬ 
den Sklerosen, und schon im vierten Capitel erläutert Ver¬ 
fasser die Endoperiarteritis der kleinsten Gefässe als die Haupt¬ 
ursache der senilen Veränderungen aller Gewebe. Diese Anschauung 
durchzieht das ganze Buch als rother Faden in der Beschreibung 
der nun folgenden Organe: des Herzens (Cap. 5, 6), der Athmuugs- 
organe (Cap. 7), der Blutbildung und Temperatur (Cap. 8), des 
Verdauungsapparates mit den blutbildenden Drüsen (Cap. 9), des 
Harn- und Zeugungssystems (Cap. 10, 11, 12), der Haut und der 
Sinnesorgane (Cap. 13), der Bewegungswerkzeuge (Cap. 14), des 
Nervensystems (Cap. 15, 16, 17). Das Schlusscapitel ist eine kurze 
Recapitulation der vorhergegangenen, in welchem der Grundsätzenöch 
einmal scharf ausgesprochen wird, dass die nächste Ursache der Er- 
greisung in den Circulationsverhältuissen liegt; bei Störung derselben 
und Veränderungen des Plasma degenerirt die Zelle und stirbt ab. 
Im Greisenalter hat Endoperiarteritis die kleinen Gefässe befallen, 
die Capillaren sind fettig entartet, in Folge dessen die Elemente 
der Organe atrophiren und zugleich Sklerose, d. h. Hypertrophie 
des Bindegewebes auftritt. Die Endocarditis selbst entsteht durch 
die lang dauernde Thätigkeit, d. h. Abnutzung der Gefässe mittels 
des Blutes, welchem Brousse wegen des hohen Gehaltes an Ex- 
tractivstoffen, Harnstoff und Cholestearin sogar giftige Eigenschaften 
beimisst (p. 43). Durch das Uebergreifen der Reizentzündung 
des Endothels der Gefässe auf die Muskel- und Zellschicht derselben 
entsteht dann Periarteritis; damit haben W'ir das Bild der Athero- 
matose im weitesten Sinne mit den Ernähruugsverminderungen als 
Folge. 

Die einzelnen Capitel sind nicht mit gleicher Ausführlichkeit 
bearbeitet; während einige, besonders diejenigen über Circulations- 
erscheinungen, mit Vorliebe geschrieben sind, sind die mikroskopi¬ 
schen Verhältnisse der Knochen, der Knorpel, des Horngewebes, der 
Haut nur gestreift. Dies hat auch der Uebersetzer gefühlt. 

Die mikroskopischen sechs lithographirten Abbildungen stellen 
die senilen Veränderungen der Gewebe der Aorta, des Herzens, der 
Niere und des Rückenmarks nach eigenen Untersuchungen und 
Zeichnungen von Dr. Haushalter dar, zu deren Verständniss die 
Kenntniss des normalen Gewebebaues im Mannesalter vorausgesetzt wird. 

Den Schluss der Abhandlung bildet ein Verzeichniss der ein¬ 
schlägigen Literatur, aus welchem der deutsche Leser besonders 
die französischen Arbeiten kennen lernt; von deutschen werden 16 
vorgeführt. 

Die Uebersetzung ist fliessend; Druck und Ausstattung des 
Buches recht gut. 


A. Kossel. Leitfaden für medicinisch-chemische Curse. II. ver¬ 
mehrte Auflage. 63 S. Berlin, Fischer’s medicinische Buchhand¬ 
lung, 1888. Ref. Leo. 

Der Verfasser hat sich durch die Veröffentlichung des vorlie¬ 
genden Leitfadens, welcher schon seit zwei Jahren, als Manuscript 
gedruckt, in dem Berliner sowie in anderen Laboratorien in Gebrauch 
gewesen und sich daselbst durchaus bewährt hat, ein grosses Ver¬ 
dienst erworben. Eine derartige kurz gefasste Anleitung zum che¬ 
mischen Arbeiten für Mediciner, welche trotz des geringen Umfanges 
das Wesentliche der qualitativ analytischen Methoden sowie die für 
den Mediciner wichtigen volumetrischen Bestimmungen enthält, fehlte 
bislang. Der Mediciner musste sich das für ihn Nothweudige aus 
den Lehrbüchern der reinen Chemie resp. der physiologischen Chemie 
zusaramensuchen, wenn er es nicht vorzog, gleich an die Aufgaben 
der physiologischen Chemie heranzutreten. Der Verfasser vertritt 
den selbstverständlich richtigen Standpunkt, dass den physiologisch- 
chemischen Arbeiten erst eine, wenn auch kurze, Kenntnissuahme 
der chemischen Trennungsmethoden resp. praktische Beschäftigung 
mit denselben vorauszugehen hat. Demgemäss zerfallt der Leitfaden 
in zwei Theile. Im ersten Theile werden die Vorprüfungen sowie 
die analytischen Methoden zur Erkennung und Trennung der Metalle 
und Säuren mitgetheilt. Als Anhang ist eine Reihe von Tafeln bei¬ 
gefügt, welche die analytische Classification der Metalle in höchst 
übersichtlicher Weise enthalten und sowohl zum Nachschlagen wie 


| zur Orientirung während des Arbeitens von grossem . Werth e er¬ 
scheinen. 

Auf diesen rein chemischen Theil folgt die Anleitung zu phy¬ 
siologischen Untersuchungen chemischen Charakters. Es sind da¬ 
selbst die wichtigsten hierher gehörigen Aufgaben abgehandelt. Ich 
hebe hervor die Untersuchung der Concremente des Harns uud der 
Galle, der Eiweissstoffe, des Zuckers, der Milch, der Muskeln etc. 
In dem Streben, bei ‘der nur geringen Zeit, welche dem Mediciner 
für chemisches Arbeiten in der Regel zu Gebote steht, nur das 
Allernöthigste zu bringen, musste manches Wichtige, so z. B. die 
Gewichtsanalyse ganz unberührt gelassen werden. Hierdurch gewinnt 
der Leitfaden aber insofern an Werth, als dem angehenden Mediciner 
nicht mehr zugemuthet wird, als er unter den bestehenden, für eine 
chemische Ausbildung ungünstigen Verhältnissen zu leisten im Stande 
ist. In Betreff dieser Verhältnisse ist nur zu wünschen, dass die 
dem Leitfaden vorausgeschickten Worte des Verfassers sich baldigst 
realisiren, nämlich dass der wichtigste von allen Wünschen, die in 
Bezug auf den medicinischen Unterricht heute geltend gemacht wer¬ 
den können, der sei, die Organisation eines einheitlichen praktischen 
Unterrichts der Mediciner in der theoretischen und der physiolo¬ 
gischen Chemie, der naturgemäss zugleich die Anwendung auf Hygiene 
und Pathologie umfassen müsste, herbeizuführen. 


Albert Länderer. Handbuch der allgemeinen chirurgischen 
I Pathologie und Therapie; in 40 Vorlesungen für Aerzte und 
Studirende. I. Hälfte (Vorl. 1 — 20); mit zahlreichen Abbil¬ 
dungen in Holzschnitt. Wien und Leipzig, Urban & Schwarzen¬ 
berg, 1887. Ref. Bidder. 

Auf Grundlage der Errungenschaften der Physiologie, allgemeinen 
Pathologie, Bacteriologie etc. giebt Verfasser zunächst eine kurze 
und doch im Ganzen genügend ausführliche Darstellung der ört¬ 
lichen Kreislaufs- und Ernährungsstörungen, wobei die Grenzen 
unseres Wissens und Nichtwissens in dankenswerther Weise gekenn¬ 
zeichnet werden. Jeder Arzt uud ältere Studirende wird dieses Ca¬ 
pitel mit Genuss und Nutzen lesen, auch wenn er in manchen Punkten 
' mit der Auffassung des Verfassers nicht ganz übereinstimmen sollte. 
Noch anregender und von der reichen klinischen uud praktischen 
Erfahrung des Verfassers zeugend ist das II. Capitel, iu welchem 
die Verletzungen und Alles, was zu ihnen im engeren und weiteren 
Sinne gehört, besprochen werden. Auf die Einzelheiten des reichen 
Inhaltes kann Referent erklärlicher Weise auch bei diesem Capitel 
nicht eingehen, dagegen noch hervorheben, dass die vom Verfasser 
gewählte Form der Vorlesungen der lebhaften Darstellung Vorschul) 
leistet, aber vielleicht auch einige Nachlässigkeiten in Schreibweise 
und Satzbau verursacht hat, welche indessen die Klarheit des In¬ 
haltes nicht beeinträchtigen. Das mit guten, lehrreichen Holzschnitten 
versehene, von der Verlagshandlung vortrefflich ausgestattete Buch 
wird hoffentlich eine recht weite Verbreitung finden, und dem bal¬ 
digen Erscheinen der zweiten, die Vorlesungen 21—40 enthaltenden, 
Hälfte wird jeder Leser der ersten mit vielem Vergnügen ent¬ 
gegen sehen. 


J. Veit. Die Anatomie des Beckens in Hinblick auf den 
Mechanismus der Geburt. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1887. 
Ref. Bokelmann (Berlin). 

Die Schwierigkeiten, welche einer klaren Deutuug der Vor¬ 
gänge beim Mechanismus partus im Wege stehen, sucht Verfasser 
in erster Linie in einer mangelnden Kenntniss gewisser anatomischer 
Verhältnisse des weiblichen Beckens, und nur die anatomische Be¬ 
trachtung des Geburtscanals ist im Stande, zu positiv richtigen, all¬ 
gemeine Anerkennung findenden Resultaten zu führen. Die Kennt¬ 
niss der knöchernen Wände des Geburtscanals aber genügt hier 
nicht, sondern in gleicher Weise verdient die Muskulatur des 
Beckens Berücksichtigung, während die übrigen im Becken befind¬ 
lichen Weichtheile ohne mechanische Bedeutung sind. 

Um nun auf rein anatomischem Wege der Lösung näher zu 
kommen, hat Verfasser an. einer Reihe von Durchschnitten durch 
ein weibliches Becken die einschlägigen Verhältnisse mit besonderer 
Berücksichtigung der dem knöchernen Beckencanal fest anliegenden, 
somit an der Configuration des Geburtscanals theilnehmenden Mus¬ 
kulatur studirt. Nachdem das Becken zunächst durch einen Median¬ 
schnitt in eine rechte und linke Hälfte getheilt worden, wurden 
senkrecht zur Medianebene Schnitte durch den Eingang, die Weite 
uud die Enge gelegt, und alsdann aus diesen halben Schnitten 
durch Hinzufügung des Spiegelbildes die ganzen Ebenen construirt. 
Es ergaben sich nun in Bezug auf die Betheiligung der Muskulatur 
an der Configuration des Beckencanals folgende Resultate: 

1. Im Beckeneingang: Der Ileopsoas an der hinteren 
Hälfte der Linea innominata. 

2. In der Becken weite: Obturator internus und Pyriformis, 
ersterer der vorderen Beckenwand flach anliegend, letzterer den 
hinteren Umfang des Canals stark verschmälernd. 


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508 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


3. In der Beckenenge: Quere Verengerung des Becken¬ 
canals durch den Obturator internus. 

Ein weiterer vierter Schnitt wurde alsdann durch den unteren 
Rand der Symphyse parallel dem Beckeneingang gelegt. Die so 
erhaltene, fast kreisrunde Ebene zeichnet sich durch den geringen 
Antbeil von die Beckenwand auskleidender Muskulatur aus, nur 
ein geringer Theil des Ileopsoas und Obturator kommen in Betracht. 
Verfasser betont, dass diese Beckenebene, von ihm Hauptebene 
genannt, für den Mechanismus partus am allerindifferentesten sein 
muss. 

Gestützt auf diese exacten Untersuchungen bringt Verfasser im 
zweiten Abschnitt des Werkes wesentlich modificirte Anschauungen 
über das Wesen des Mechanismus partus, wobei er stets nur den 
normalsten Geburtsvorgang, Hinterhauptslage bei Primiparis, im 
Auge hat. Verfasser läugnet unter diesen normalen Verhältnissen 
einen Mechanismus des Beckeneingangs. Schon vor Beginn der 
Geburt ist der Kopf mit stark gesenkter kleiner Fontanelle in das 
Becken eingetreten und bis zur Hauptebene gelangt. Die Senkung 
des Hinterhauptes ist nicht eine Folge des Widerstandes im Becken¬ 
eingange, sondern hat ihren Grund in der normalen durch die 
Wachsthumsrichtung hervorgerufenen Haltung des Kindes. Zu einem 
Mechanismus des Beckeneinganges kommt es somit nur unter patho¬ 
logischen Verhältnissen. Die sogenannte zweite und dritte Drehung, 
die Herumwälzung des Kopfes um den unteren Rand (nicht um die 
hintere Wand) der Symphyse und die Drehung der kleinen Fonta¬ 
nelle nach vorn erfragen nicht durch den Widerstand des Becken¬ 
bodens, sondern bereits früher in einem höher gelegenen Abschnitt. 
Die Drehung der kleinen Fontanelle resultirt aus der Leitung des 
Kopfes durch den oberen Rand des Pyriformis einerseits, des Obtu¬ 
rator andererseits. Letzterer stellt eine schiefe Ebene dar, auf 
welcher der tiefststehende Theil des Kopfes nach vorn gleitet, wäh¬ 
rend der Pyriformis mehr regulirt und befestigt. — In den Fällen, 
in welchen die genannten Wirkungen ausbleiben, lässt Verfasser die 
bisherige Erklärung durch den Beckenboden als secundären Mecha¬ 
nismus zu. 

Der vom Verfasser beschrittene Weg ist entschieden geeignet, 
die Lehre vom Mechanismus partus wesentlich zu fördern, wenn er 
sie auch noch nicht zum Abschluss gebracht hat. Das interessante 
Werk, das ein Referat nur unvollkommen wiederzugeben im Stande 
ist, verdient eingehendes Studium. 

P. Hellat. Eine Studie über die Lepra in den Ostseepro¬ 
provinzen, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Verbreitung 
und Aetiologie. 101 S. Eine Karte und eine Tafel Abbildungen. 
Inaug.-Dissertation. Dorpat, 1887. Ref. Bidder. 

Auf Anregung Prof. v. Wahl’s, des Vorsitzenden eines Comite’s zum 
Zweck der Erforschung und Bekämpfung der Lepra in den Ostseeprovinzen, 
hat Hellat während dreier Jahre Livland (Cur- und Estland nur zum Theil) 
bereist, um womöglich alle dort vorhandenen Leprösen und ihre Lebensver- 
hältnisse ausfindig zu machen. 

Er hat weit mehr Kranke gefunden, als in den officiellen Listen notirt 
stehen und führt alle einzeln auf. In ganz Livland sind demnach 276 Le¬ 
pröse vorhanden, für Kurland konnten nur 76, für Estland 26 Fälle ermittelt 
werden. Im Ganzen sind es also 378; doch sind sehr wahrscheinlich noch 
mehr vorhanden. 

Historische Untersuchungen führen Hellat zur Ueberzeugung, dass die 
Lepra im 13. Jahrhundert in Livland von den Deutschen eingeschleppt 
wurde, zu welcher Zeit auch besondere Leprahäuser daselbst bestanden. Im 
15. Jahrhundert scheint die Krankheit erloschen, in diesem Jahrhundert da¬ 
gegen aus Südrussland durch rückkehrende Soldaten wieder eingeschleppt zu 
sein. Einige erst kürzlich entstandene Lepraheerde beweisen das klar. 

Nachdem im Laufe der Zeiten die Ansichten über die Aetiologie be¬ 
kanntlich recht wechselnde gewesen waren, ist man in neuerer Zeit zu der 
Lehre von der Infectiosität der Lepra zurückgekehrt. Diese wird mit Sicher¬ 
heit begründet durch das endemische Auftreten und die schnelle Vermehrung 
der Krankheitsfälle; ferner durch Fälle unzweifelhafter Ansteckung, durch 
die constante Anwesenheit der Bacillen und die positiven Impfresultate. Erb¬ 
lichkeit ist auszuschliessen, schon aus dem Grunde, weil nach Hel lat’s 
Befunden im Kindesalter acquirirte Lepra die geschlechtliche Entwickelung 
hindert, und auch erwachsene Kranke allmählich ihre Zeugungsfähigkeit ver¬ 
lieren. Das Einzige, was man vielleicht zugeben könnte, wäre die Möglich¬ 
keit, dass sich die Disposition zur Erkrankung vererben könnte. 

Die Invasion des Ansteckungsstoffes resp. der Bacillen findet wahr¬ 
scheinlich durch die Haarbälge und Schweissdrüsen entblösster Körperstellen 
statt, was schon Babes und Touton annahmen und Hellat durch eigene 
mikroskopische Untersuchungen bestätigen kann. — Wie die norwegischen 
Forscher, so konnte auch Hellat constatiren, dass die Lepra anästhetica 
langsamer verläuft als die Lepra tuberosa. Wenn mau die bis zum Tode 
führende Dauer der Krankheit aber auch nur auf 12 Jahre annimmt, so 
kann man für Livland doch eine jährliche Zunahme von 30—35 neuen Er¬ 
krankungen berechnen. — Alle Bestrebungen, die Krankheit zu heilen, sind 
bisher erfolglos geblieben; als einziges Mittel bliebe nur übrig die prophy¬ 
laktische Bekämpfung der Lepra durch Isolirung der Ergriffenen, und dazu 
empfiehlt Hellat mit Recht als besonders geeignet die Errichtung von 
2 Leproserieen mit je 200 Betten in den Ostseeprovinzen. Hoffentlich werden 
dieselben bald in’s Leben treten und der erschreckenden Ausbreitung der 
Lepra Einhalt gebieten. _ 


VI. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 30. April 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden. Scliriftführer: Herr Jastrowitz. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. Vor der Tagesordnung wird der Antrag, der Bibliothek 
für das Geschäftsjahr bis 1889 die Summe von 500 Mark zur Ver¬ 
fügung zu stellen, angenommen. 

1. Herr Jürgens. Meine Herren! Die angekündigten Demon¬ 
strationen betreffen zunächst zwei Fälle von Syphilis der Wir¬ 
belsäule und der Bückenmarkssäule. Beides sind seltene 
Vorkommnisse und bieten für die Lehre der syphilitischen Erkran¬ 
kungen dieser Körperregionen wichtige casuistische Beiträge. 

In meiner Arbeit „lieber Syphilis des Rückenmarks und seiner 
Häute“ 1 ) habe ich nachgewieseu, dass weitaus die meisten Fälle 
von syphilitischer Erkrankung der Medulla spinalis uud ihrer Häute 
auftreten nach primärer Erkrankung im Schädelraum, besonders der 
Hirnhäute. In dieser Beziehung haben die syphilitischen Processe 
in den Organen des centralen Nervensystems grosse Aehulichkeit 
mit der Tuberculose dieser Regionen. 

Solitäre Erkrankungen des Rückenmarks ohne gleichzeitige ce¬ 
rebrale Syphilis sind äusserst selten; ebenso gehört eine syphili¬ 
tische Caries der Wirbelsäule zu den seltensten Vorkommnissen, 
und wenn ich heute in der Lage bin, Ihnen zwei Fälle dieser Art 
vorlegen zu können, vou denen jeder eine typische Form der ge¬ 
nannten Krankheitsgruppe repräsentirt, so gestatten Sie mir, kurz 
die anatomischen Gesichtspunkte zu erörtern, welche bei der Beur- 
theilung dieser Dinge besonders in Betracht kommen. 

Für die Bedeutung der syphilitischen Caries der Wirbelkörper 
ist zunächst die besondere anatomische Formation in Betracht zu 
ziehen, wonach das Periost der Wirbelsäule nicht mit der Dura 
mater spinalis zu einem Blatte vereinigt ist, sondern dass ein reiches 
Fettgewebe beide weit vou einander trennt. Dadurch kommt selbst¬ 
verständlich das Uebergreifen pathologischer Processe von den Ge¬ 
weben des Knochens auf die Rückenmarkshäute weniger leicht zu 
Stande. Im Allgemeinen gilt ja der Satz, dass einerseits die schwer¬ 
sten Erkrankungen an den Rückenmarkshäuten sich abspielen können, 
ohne dass die Wirbelsäule selbst durch seitliche Ausbreitung der 
Processe ergriffen wird, und dass andererseits Periostitis, Ostitis, 
ausgedehnte cariöse Processe lange bestehen können, während das 
Rückenmark und seine Häute ihren völlig normalen Zustand bewah¬ 
ren. Im Vergleich mit diesen Thatsachen erinnern Sie sich an das 
ganz abweichende Verhalten des Schädeldaches und der Hirnhäute. 
Die pathologischen Processe der Schädelkuochen und der von ihnen 
umschlossenen Theile haben dadurch einen völlig verschiedenen 
Modus der Ausbreitung, als durch die Verschmelzung der Dura ce- 
rebralis mit dem Periost des Schädeldaches zu einem Blatt (De¬ 
monstration durch Zeichnung) ein Umsichgreifen leichter von Theil 
zu Theil und unmittelbarer ermöglicht wird. Bekanntlich geht die 
Syphilis des Schädeldaches leicht auf die Dura über, von der Pa- 
chymeningitis wird leicht dann eine Arachnitis inscenirt, und häufig 
wuchert eine Gummosität, vom Knochen ausgegangen, in continuo 
die Hirnhäute durchsetzend bis tief in die Hirnsubstanz hinein. 

Was nun die Häufigkeit der syphilitischen Wirbelerkrankung 
angeht, so wissen Sie, dass dieselbe sich bei Erwachsenen ausser¬ 
ordentlich selten findet; dagegen tritt sie constant auf bei der Sy¬ 
philis congenita. Schwerere Formen von syphilitischer Caries kom¬ 
men freilich auch hier selten vor; aber constant ist jene von den 
Wachsthumszonen ausgehende congenitale Osteochondritis und Pe¬ 
riostitis syphilitica auch an den Wirbelknocheu zu beobachten. Aus 
dem grossen Material des pathologischen Instituts habe ich indess 
keinen einzigen Fall gesehen, bei dem durch eine seitliche Aus¬ 
breitung von der erkrankten Wirbelsäule aus eine Pachymeningitis 
externa und interna spinalis erfolgt war. 

Der erste Fall, den ich Ihnen hier vorlege, ist eiu ausgezeich¬ 
netes Beispiel von Caries syphilitica vertebralis, die zu einer Spon- 
tanfractur führte, welche eine Quetschung des Rückenmarks zur 
Folge hatte. Die klinischen Erscheinungen des interessanten Falles 
werden Ihnen vielleicht noch von Herrn Leyden mitgetheilt wer¬ 
den, von dessen Klinik der Fall uns zukam. Eine auffallende und 
vielfach beobachtete Thatsache ist es, dass sehr häufig bei schwerer 
Syphilis des Centralnervensystems oder des Schädeldaches ander¬ 
weitige Erkrankungen des Körpers gleicher Art fast gänzlich fehlen. 
In dieser Beziehung zeichnet sich auch dieser Fall aus. 

Schwere syphilitische Erkrankungen waren in den übrigen Or¬ 
ganen des Körpers auch hier wenig vorhanden. Erst nach sorg¬ 
samer Untersuchung fauden sich neben einer leichten Narbe au der 
Niere zwei frische Gummositäten der Leber, von denen die eine 
kirschen- die andere erbsengross war. In der Krankengeschichte 
- t 

! ) Charite-Annalen X. Jahrgang, Berlin 1885. 


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21. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


809 


wird erzählt, dass die Frau ihreu Sohn, in der Absicht, ihn zu 
strafen, geschlagen habe und nach dieser brnskeu Handbewegung 
plötzlich umgefallen sei. Die Section ergab eine Spontanfractur des 
dritten Halswirbelkörpers. Die Bruchstücke theils sklerotisch, theils 
mit frischen Gummositätou durchsetzt, eingedickte spärliche Eiter¬ 
massen mit starker Verfettung; fibröser dichter Callus der Inter- 
vertebralscheiben und des Periostes. Die specifische Erkrankung 
hatte sich lediglich auf den Wirbelkörper beschränkt; die durch die 
Fractur bedingte Dislocation bewirkte Quetschung des Markes, dessen 
Häute boten syphilitische Erkrankung nicht dar. 

Der zweite Fall bietet Ihnen das Gegenstück zum ersten. Ich 
kann mich hier kurz fassen, ln der Region des Hals- und Brust¬ 
markes besteht, eine ausgedehnte Pachymeuingitis und Arachnitis 
spinalis adhäsiva gummosa. Zahlreiche kleine, meist stecknadel¬ 
kopfgrosse Gnmmiknoten, von denen nur einzelne Hanfkorngrösse 
erreichen, sitzen auf der Innenfläche der Dura spinalis und in den 
Adhäsionen, durchsetzen zahlreich die weiche Rficjcenmarkshaut und 
dringen an einzelnen Stellen in das Mark selbst vor. Die Häute 
sind im Ganzen schwielig und speckig verdickt, das Rückenmark 
weich und stellenweise von gelblichgrauer Farbe. Im unteren Theil 
der Medulla oblongata verliert sich allmählich die Erkrankung; 
Pons, Hirn und Hirnhäute, sowie Schädeldach, insbesondere die 
ganze Wirbelsäule intact. 

Di scussiou. 

Herr Leyden: Die Demonstration des Herrn Uollegen Jürgens 
interessirt mich in besonderer und in doppelter Weise. Der erste Fall rührt, 
wie Herr Jürgens angegeben, von meiner Klinik her, ich werde mir einigo 
Bemerkungen über den klinischen Verlauf und über die Diagnose erlauben. 
Ebenso lebhaft interessirt mich der Umstand, dass durch diese Demonstration 
die Frage von den syphilitischen Erkrankungen des Rückenmarks und seiner 
Adnexa berührt und damit die Discussion derselben in diesem Vereine an¬ 
geregt wird. — Ad. I. Dass es sich in dem mitgetheilten Falle um ’ eine 
syphilitische Erkraukuug der Halswirbel gehandelt hat, ist erst nach der 
Section festgestellt worden. Dieser Befund erhöht das Interesse, welches 
der Fall auch klinisch für mich hatte. Es handelle sich nämlich um eine 
Frau von einigen dreissig Jahren in der Mitte der Schwangerschaft, welche 
mit einer hochgradigen Paraplegie, die einige Tage vor der Aufnahme ziem¬ 
lich plötzlich entstanden war, auf die I. med. Klinik aufgenommen wurde. 
Die Ursache, welche vielleicht mit der p. ra. Vorgefundenen Wirbelerkrankung 
in Zusammenhang gebracht werden konnte, die plötzliche heftige Bewegung 
des Kopfes, wurde erst später bekannt, wir waren zunächst nicht in der Lage, 
sie für die Diagnose iu Betracht zu ziehen. Das Krankheitsbild war eine 
hochgradige, totale Paraplegio der Motilität, der Sensibilität, der Sphink- 
teren. Diese Paraplegie ging bis zur Mitte der Brust, die Arme waren frei 
beweglich, aber es stellte sich bald im Verlauf der Krankheit Schmerzhaftig¬ 
keit der Arme ein, ein Symptom, welches wir bei Erkrankung des Cervical- 
raarks oft beobachten, und das leicht erklärlich ist, da die Leitung zu den 
unteren Extremitäten vollständig aufgehoben ist, die zu den Annen dagegen 
noch erhalten bleibt. Der Sitz der Erkrankung, welcher solche Symptome 
hervorruft, muss im oberen Theile des Cervicalmarks gesucht werden, aber 
auch Erkrankuugsheerde oberhalb der Cervicalanschwellung erzeugen, wie unser 
Fall lehrt, ein ganz analoges Krankheitsbild. Eine solche Erkrankung im 
Cervicalmark konnte nur bedingt sein durch eine Affertion der Halswirbel. 
Hieran habe ich um so mehr gedacht, als die Bewegung der Halswirbelsäule 
schmerzhaft war, und als eine grosse Steifigkeit bei Bewegungen des Kopfes 
nach vorn bestand. Allein eine Dislocation und selbst eine ausgesprochene 
Empfindlichkeit eines Halswirbels liess sich nicht mit Sicherheit constatireu, 
dennoch behielt diese Diagnose eine grosse Wahrscheinlichkeit. Indessen im 
Laufe der 4wöchentlichen Krankheit, bei welcher eine genaue Untersuchung 
der Halswirbelsäule immer schwieriger wurde, verwischten sich die Symptome 
mehr und mehr. 

Bezüglich der Differeutialdiagnose mussten 3 Möglichkeiten iu Betracht 
gezogen werden: 1) Die eben genannte Diagnose einer Erkrankung der Hals¬ 
wirbel. 2) Die Entwickelung eines Tumors im Wirbelkanal: ich habe mehr¬ 
mals Tumoren des Rückenmarks, namentlich der Oblongata gesehen, welche 
sich im Laufe der Schwangerschaft entwickelt hatten oder doch so gewachsen 
waren, dass sie zu Erscheinungen führten, ein Fall ist iu meiner „Klinik 
der Rückenmarkskrankheiten“ mitgetheilt, ein anderer ganz analoger in den 
(.'harileannalen. Sehr merkwürdig war, dass die Symptome der Lähmung durch¬ 
aus nicht die einer Compressionslähmung zu sein schienen und auch nicht die 
einer circumscripten Myelitis. Bei diesen, wie beiCariestuberculosa, entsprechen 
die Symptome etwa einem Zustande, wie wenn das Rückenmark mehr oder 
minder vollständig an der comprimirteu Stelle durchschnitten ist; namentlich 
ist die Reflexerregbarkeit erhöht, was nach bekannten physiologischen Er¬ 
fahrungen leicht begreiflich ist. Wir haben nun in unserem Falle das sehr 
merkwürdige Verhältniss, dass die Reflexerregbarkeit von Anfang an bis zuletzt 
total erloschen war, nicht die Spur einer Zuckung trat ein, die Lähmung 
war eine total schlaffe in den unteren Extremitäten. Bei sehr schweren Zer¬ 
quetschungen des Rückenmarks habe ich Aehnliches früher gesehen, auch 
von Anderen ist hervorgehoben, dass bei Zerquetschungen, welche das 
Rückenmark hoch oben im Halstheile treffen, die Reflexerregbarkeit erlischt. 
Das stimmt mit experimentellen Beobachtungen von Goltz überein, er be¬ 
zeichnet dies als eine Hemmung (Reflexhemmung), nicht als Ausfalls¬ 
erscheinung. In solchen Fällen erholt sich nun gewöhnlich der untere Theil 
des Rückenmarks, und nach einiger Zeit treten die Reflexe wieder auf: 
auch dieses war hier nicht der Fall. In den vier Wochen der Krankheits¬ 
dauer hätte ein plötzlicher Shock auPs Rückenmark sich wohl ausgleichen 
können. Rigidität oder Contracturen waren ebenfalls nicht vorhanden, sondern 
nur eine total schlaffe Lähmung. Dies Verhalten hat mich etwas irre 


gemacht, eine Zeit lang dachte ich au die Möglichkeit einer peripheren Neu¬ 
ritis, zumal ich auch solche Fälle nach dem Puerperium gesehen habe. Im 
Wesentlichen blieb indessen die Diagnose einer Erkraukung in der Gegend 
des Cervicalmarks festgehalten, wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit. 
Ueber die Ursache kann ich nichts sagen, für uns war eigentlich von Syphilis 
nicht die Rede. Hätte ich noch specieller als es geschehen auf eine Affection 
| der Wirbel gefahndet, so hätte ich doch nur an die viel häufigere tuberculüse 
i Wirbelcaries denken müssen. — Ich möchte hieran noch einige Worte über 
syphilitische Erkrankungen des Rückenmarks und seiner Adnexa anschliessen. 
| Ich beziehe mich hierbei auf meine Darstellung in der „Klinik der Rücken¬ 
markskrankheiten“. Wir haben a) Erkrankungen der Wirbel. Damals habe 
ich alle in der Literatur vorhandenen Fälle gesammelt, ein grosser Theil der¬ 
selben war zweifelhaft, nur einige wenige sicher. Die Ostitis der Wirbelköi per 
und die syphilitische Caries sind also etwas ausserordentlich Seltenes, ich 
selbst habe bisher keinen sicheren Fall gesehen, nur diesen von Herrn 
Jürgens demonstrirten. b) Erkrankung der näute. Ich habe einen Fall 
gesehen von gummöser Auflagerung und einen von sehniger Verdickung der 
Arachnoidea und des Cervicalthrils, der von dem pathologischen Anatomen auch 
1 als Syphilis angesprochen wurde. Diese Fälle von Meningitis sind natürlich für 
die klinische Diagnose sehr schwer zu beurtheilen, ich weiss nicht, ob in den 
von Jürgens mitgetheilten Fällen charakteristische Erscheinungen bestanden 
hatten. 3) Die syphilitischen Erkrankungen des Rückenmarks sind solbst in der 
Praxis nicht so selten, aber ich halte die Diagnose für ziemlich schwer, da eine be¬ 
stimmte charakteristische Form dieser Erkrankung nicht besteht, sondern dieselbe 
Form auch anderen Ursachen der Rückenmarkserkrankung zukommeu kann. 
Ich leugne einen bestimmten Zusammenhang der Tabes, der grauen Degene¬ 
ration der Hinterstränge mit Syphilis. Diejenige. Form der Rückenmarks- 
erkrankung, welche ich als charakteristisch anerkenne, ist eine solche (und 
hierin schien Herr Jürgens mit mir übereinzustiinmen), welche auf eine 
circumscripte Erkrankung des Marks schliesseu lässt, ausgehond in der Regel 
von der Peripherie oder den Häuten. Diese Form führt zu Erscheinungen, 
welche zur spastischen Spinalparalyse gehören. Da sie in der Regel die 
untere Extremität betreffen, so haben wir es hier mit .Schwächeerscheinungen 
und spastischen Erscheinungen zu thun, in der Regel von einer Seite aus¬ 
gehend, häufig mit Schmerzen in der Gegend der Wirbelsäule beginnend, welche 
zuerst nach einer Seite ausstrahlen, wohl für eine Zeit lang rückgängig werden, 
späterhin häufig auch die andere Seite ergreifen, so dass cino mehr minder 
gleichmässige Schwäche der untern Extremität mit spastischen Symptomen 
und erhöhter Reflexerregbarkeit eint ritt. Diese Erkrankungen gehen von 
der Peripherie der weissen Substanz aus. Die Symptome unterscheiden 
sich nicht wesentlich von anderen circumscripten Erkrankungen der weissen 
Substanz. Wenn also nach der Form der Lähmung allein eine absolute 
Diagnose nicht zulässig ist, so wird die Diagnose theils durch die Anamnese, 
theils durch den Erfolg eine antisyphilitischen Our sicher gestellt. Jedenfalls 
ist es in solchen Fällen, bei subacutem oder acutem Auftreten von spastischer 
Spinalparalysc gerathen, den Effect einer antiluetischen Cur zu versuchen. 
Die meisten dieser Fälle worden geheilt oder fast geheilt, Sectionon bekommt 
man nicht viel zu sehen. Ich habe einen letalen Fall untersucht und ihn 
als syphilitisch angesprochen; denselben hatte ich bereits in Strassburg be¬ 
obachtet. Das Resultat der Untersuchung habe ich erst publicirt, als ich 
schon in Berlin war. Der Fall betraf eine Frau, welche syphilitisch ge¬ 
wesen war und mehrmals paraplegische Zustände gehabt hatte, die spontan oder 
durch eine Our geheilt waren. Sie kam nach Strassburg in einem ziemlich 
deplorahlen Zustand mit totaler Paraplegie und starb bald. Von einer Be¬ 
handlung konnte gar juicht die Rede sein. Boi der Section fand sich am 
unteren Theil des Rückenmarks circumscripte Myelitis, auf der einen Seite 
stärker. Für die syphilitischo Natur sprach ausser der Anamnese der Um¬ 
stand, dass die Pia auf der Erkrankungsseite ausserordentlich verdickt war, 
ferner fand sich in der Mitte des Erweichungsheerdes ein ohliterirtes Ge¬ 
lass, in dessen Umgebung gelbes Pigment abgelagert war. Ich schloss 
danach auf einen ähnlichen Process wie bei der Syphilis der Hirnarterien, 
weshalb ich ihn als syphilitisch angesehen habe. Das ist das, was ich von 
der Syphilis des Rückenmarks berichten kann. Gummiknoten habe ich 
nie gesehen. 

Herr Oppenheim: Die wenigen Fälle von Syphilis des Rückenmarks, 
die ich gesehen habe, stellten sich dar als eino diffuse gummöse Arachnitis, 
welche sich iu wechselnder Intensität von oben bis unten hin erstreckte und 
in der Form unregelmässiger zapfenförmiger Geschwulstproducte in die 
Rückenmarkssubstanz hineinwucherte. Ein besonders lehrreicher Fall dieser 
Art ist. jüngst von Siemcrling beschrieben worden. Auch hier bestand, 
wio gewöhnlich, gleichzeitig eine syphilitische Hirnerkranknng. Darin liegt 
wohl auch die diagnostische Schwierigkeit. Unter dem Symptomenbildc der 
Hirnlues entgehen dem Beobachter die Erscheinungen dos Rüc.kenmarks- 
loidens. Ein anderer Fall meiner Beobachtung verlief unter den Er¬ 
scheinungen einer Myelitis, doch so, dass man an eine Betheiligung der 
Meningen denken musste; hier fand sich eine circumscripte Meningomyelitis 
mit schwieliger Verdickung der Häute syphilitischer Natur. 

Dann ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass cs eine sehr früh¬ 
zeitig im Beginne des Socundärstadiums auftretendo acute deletäre Myelitis 
giebt, die an sich keinen specifisehen Oharakter zeigt, aber doch von den 
Autoren auf Syphilis bezogen wird. Endlich giebt es eine gummöse Er¬ 
krankung der Rückenmarkswurzeln: ein besonders interessanter Fall ist vor 
einiger Zeit aus der Erb’schen Klinik von Buttersack beschrieben. 

Herr Leyden: Ich bitte, mir noch eine kurze Bemerkung zu ge¬ 
statten. Ich nehme auch eino syphilitische Neuritis an. Ich bediene 
mich dieses Ausdrucks, um damit zu sagen, dass ich nicht den vollkommenen 
Beweis für diese Ansicht führen kann, aber es existiren mehrere Beob¬ 
achtungen iu der Literatur, welche in dieser Weise gedeutet sind. Ich 
selbst habe auch mehrere Fälle gesehen, die hierher zu rechnen sind; einen 
in Strassburg. Derselbe betraf einen Studenten mit Neuritis und Muskel¬ 
atrophie beider Oberarme. Weiter bekam Patient schwere Syphilis, ich 
hörte später, dass er sowohl von der Syphilis wie von der Muskelatrophie 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


proheilt ist. Ich habe ferner in meiner .Klinik der Rückenmarkskrankheiten“ 
einen ähnlichen Fall nach einem anderen Autor, dessen Name mir augenblick¬ 
lich nicht gegenwärtig ist, berichtet; der Autor sieht die Neuritis für 
eine, syphilitische an, da sie durch Jodkali geheilt wurde. Diese beiden 
Fälle mögen begründen, dass ich auch eine periphere Neuritis in Folge 
von Syphilis annehme, beide Fälle sind wohl nicht vollkommen beweisend, 
geben aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit für meine Ansicht. 

Herr Bernhardt: Kino Form von Rückcnraarksorkrankung, welche 
bisher noch nicht erwähnt ist und von einigen Autoren auf die syphili¬ 
tische Infcction zurückgeführt wird, ist die acute aufsteigende Para¬ 
lyse [paralysie ascendante aigue (Landry)]. Landry selbst, besonders 
aber Bayer, haben, wie ich schon 1871 in einer dieses Thema behandeln¬ 
den Arbeit mittheilte (Berl. klin. Wochenschr. No. 47, 1871), hierherge¬ 
hörige Fälle publicirt, und ich selbst sah später als Assistent der Ncrven- 
klinik einen syphilitisch inficirten jüngeren Mann, welchoralle Erscheinungen 
dieser Krankheit darbot, aber durch eine energische antisyphilitische Cur 
wiederhergestellt wurde, ln Betreff der von dem Herrn Vorsitzenden er¬ 
wähnten Möglichkeit einer direkten syphilitischen Affection des 
peripherischen Nervensystems besitzen wir aus der neuesten Zeit 
die Mittheilung eines österreichischen Collegen (Ehrmann, Wiener med. 
Blätter 1886, No. 46), der von einem 38jährigen syphilitisch inficirten Manne 
die Beobachtung einer halbseitigen Neuritis spinaler Aeste veröffent¬ 
licht hat. In Bezug auf die Eigentümlichkeiten des vom Herrn Vorsitzen¬ 
den mitgetheilten Falles möchte ich vermutungsweise die Hypothese wagen, 
dass vielleicht auch andere Bezirke des Markes (ausser dem Cervical- 
abschnitt) erkrankt gefunden wurden, und so der Verlust der Reflexerreg- 
barkoit erklärt werden könnte. Wäre dem so, so läge hierin (in der Er¬ 
krankung auch des Dorsolumbartheiles des Markes) eine Erklärung für die 
schlaffe Lähmung. Schliesslich erlaube ich mir noch in Bezug auf eben 
diesen Fall die Frage, wie sich die Blasen- und Mastdarmfunction und dio 
elektrische Erregbarkeit der gelähmten Glieder verhalten habe? 

Herr Leyden: So viel ist schon andern Rückenmark untersucht, dass 
ich sagen kann, die myelitische Erkrankung des Cervicalmarkes hat nur 
einen beschränkten Bezirk, und nach unten zu ist das Rückenmark, abge¬ 
sehen von absteigender Degeneration, frei. 

Herr Jürgens erwidert, dass man nur solche Erkrankungen des 
Rückonmarkes syphilitische nennen dürfe, wo sich specifische Producto 
fanden. Die Beziehungen der Tabes zur universellen Lues habe er nicht 
erörtert. In Bezug auf die syphilitische Neuritis ist zu sagen, dass 
mehrfach Fälle vorgekomracn sind, wo sich Gummositäton an den Nerven 
fanden. 

2. Herr Jürgens: Was den zweiten Theil meiner Demonstration 
angeht, so lege ich Ihnen einen Fall von Morbus Addisonii vor. 
der in seinen Einzelheiten besonderes Interesse verdient. Der Fall 
wurde in der Klinik von Westphal behandelt; die klinische Dia¬ 
gnose lautete auf Morbus Addisonii und Tabes dorsalis. Die Section 
ergab ein äusserst interessantes Resultat. Bei sehr starker Bronee- 
färbung der Haut und der Mundschleimhaut waren beide Neben¬ 
nieren zwar klein, aber in ihrer Substanz völlig normal. Beide 
Splanchnici grau und sehr dünn; das Ganglion cöliaeum klein, 
schlaff und stark braun gefärbt. Das Pankreas klein, in der Um¬ 
gebung desselben eine alte, fast faustgrosse schwielige Induration, 
welche sich auf den Plexus mesentericus und das Ganglion solare 
ausdehnte. Die mikroskopische Untersuchung des Ganglion ergab 
eine so ausgedehnte und schwere Degeneration der Ganglienzellen, 
wie ich solche bei sympathischen Ganglien derartig nie gesehen 
habe. Statt der Ganglienzellen fanden sich in der schwieligen 
Rindegewebswucherung schwarzbraune Pigmenthaufen, die in lang¬ 
gestreckten sternförmigen Figuren sich präsentirten und Reste der 
untorgegangenen Nervenelemente darstellten. Daneben als Zellen 
erkennbare stark geschrumpfte, schwarzbraune pigmentirte, mit 
Kernen versehene Elemente. Nahe am Eintritte des Nervenstammes 
des linken Splanchnieus in das Ganglion vereinzelte Zellennester 
von normalem Verhalten. Der erste Splanchnieus und die rechte 
Hälfte des Ganglion solare sind von Herrn Westphal untersucht 
worden, der mir mündlich mittheilte, dass er ebenfalls die schwere 
Degeneration der Theile gefunden hätte. Im Rückenmark graue 
Degeneration der Hinterstränge. Die Bedeutung dieses Falles liegt 
darin, dass eine Erkrankung im retroperitonealen Gewebe in der 
Umgebung des Pankreas und des Ganglion solare eine Degeneration 
genannter Nervenbahnen herbeiführte, welche, ohne dass die Neben- 
niereu an der Sache sich betheiligten, den Symptomeucomplex der 
Addison'schen Krankheit bedingten. Die graue Degeneration der 
Splanchnici, die nie bei Morbus Addisonii fehlt, bildet auch hier 
»Seiles morbi. Besonders interessant auch ist die Complicatiou dieses 
Falles mit der grauen Degeneration der Hinterströnge des Rücken¬ 
marks. 

Herr Max Wolff: Der Versuch, die Addison’sche Krankheit auf 
den Standpunkt einer Nervenkrankheit zurückzufübreu ist, wie Herr Jür¬ 
gens bemerkt hat, ziemlich alt. Ich selbst habe vor etwa 20 Jahren 
3 Fälle von Addison’.scher Krankheit aus der Rostocker Klinik in der 
Berliner klinischen Wochenschrift mitgetheilt, von denen 2 zur Section 
kamen, und was zunächst die Nebennieren anbetrifft, in dem einen Falle beide 
Nebennieren mindestens um das dreifache vergrössert, unregelmässig 
höckerig waren, sich äusserst derb anfühlten, auf der Schnittfläche käsige 
Einsprengungen zeigten und mikroskopisch eine reiche Bindegewebsneu¬ 
bildung ergaben; in dem zweiten Falle, der besonders interessante anato¬ 


mische Verhältnisse auch anderer Organe, die damals näher beschrieben 
worden sind, ergab, handelte es sich um eine ausgedehnte amyloide Er¬ 
krankung der Nebenniere. Der theoretische Standpunkt neigte also bei der 
Addison’schen Krankheit, wie bemerkt, damals bereits mehr dahin, das 
Wesen der Krankheit in einer Affection dos sympathischen Nervonsystcms 
zu sehen, und zwar einerseits weil die histologischen Untersuchungen er¬ 
geben hatten, dass die Marksubstanz der Nebennieren wahrscheinlich Nerven- 
masse ist, mit zahlreichen sympathischen Ganglienzellen, andererseits wegen 
der pathologischen Veränderungen, die, wenn auch selten, in Fällen dieser 
Krankheit am Sympathicus des Bauches gefunden worden waren. Ich habe 
nun damals in dem erst erwähnten Fallo von Addison’scher Krankheit 
Gelegenheit genommen, in ausgedehnter Weise die Ganglia scmilunaria und 
deu Plexus solaris zu untersuchen. Bereits bei der Section fiel es auf, 
dass die Nerven des Plexus solaris, ebenso wie die Ganglia semilunaria 
und die Nervenäste, die zur Nebenniere gehen, von einer schwieligen, der¬ 
ben Bindegewebshülle umgeben waren. Einzelne Nerven des Plexus solaris 
zeigten vor ihrer Eintrittsstelle in das entsprechende Ganglion semiiunare 
ampullenförmige Anschwellungen. Die mikroskopische Untersuchung 
der Ganglia semilunaria ergab damals, dass die grösste Zahl von Ganglien¬ 
zellen noch wohl erhalten war und einen doutlich sichtbaren Kern zeigte : 
nur hier und da zeigten sich einzelne Ganglienzellen mit spärlichen Fett- 
molecülon erfüllt. Die in den Ganglien selbst gelegenen kernhaltigen 
Remak’schon und eigentlichen Nervenfasern zeigten nichts Abnormes. 
Sehr auffallend dagegen war die Vermehrung des Bindegewebes in den 
Ganglien, die bei Vergleichung mit dem Ganglion semiiunare eines nicht 
an Addison’schcr Krankheit gestorbenen Individuums sofort in die Augen 
fiel. Die ampullenförmigen Anschwellungen, die einzelne Nerven des Plexus 
solaris vor ihrem Eintritt in die entsprechenden Ganglia semilunaria zeigten, 
stollten sich mikroskopisch als kleine Ganglien mit wohlerhaltenen Ganglien¬ 
zellen dar, an denen aber die Bindegcwebshypcrplasie zwischen den 
Ganglienzellen ebenfalls wie in den grossen Ganglia semilunaria sehr deut¬ 
lich hervortrat. Die Untersuchung einzelner Nerven des Plexus solaris er¬ 
gab eine schon makroskopisch nachweisbare Verdickung des Neurilemms, 
die sich auf Querschnitten durch reichlicho Ausläufer zwischen den einzelnen 
Nervenbündeln darstellte. Die Nerven seihst zeigten noch keine Ver¬ 
änderung, wie Osmiumsäurepräparate ergaben. 

Es handelte sich also in diesem Fallo von Addison’scher Krank¬ 
heit um einen zweifellos mit starker Bindegewebsneubildung 
einhergehenden Process in den genannten Ganglien und Ner¬ 
ven, so jedoch, dass durch denselben die Ganglienzellen und 
Nervenfasern selbst noch nicht zur Atrophie gelangt waren. 

Als sehr bemerkenswerthes klinisches Factum schien mir aus diesem 
Falle hervorzugehen, dass, wiewohl die Veränderungen noch nicht so weit 
vorgeschritten waren, dass eino Atrophie der Nerven und Ganglienzellen 
selbst an deu genannten Stellen zu Stande gekommen war, doch der Patient 
schon in diesem Stadium der Erkrankung den ganzen wesentlichen Sym- 
ptomencomplex der Addison’schen Krankheit gezeigt batte, nämlich 
Anämie, Schwäche, Palpitationen, Erbrechen und Hautverfärbung. 

Speciell die Nervi splanchnici wurden damals noch nicht in das Be¬ 
reich der l'ntersuchung gezogen, wie das in den Fällen von Herrn Jür¬ 
gens geschehen ist; es scheint aber, dass durch Veränderungendes Bauch- 
sympathicus an verschiedenen Stellen der Symptomencomplex der Addi¬ 
son’schen Krankheit ausgelöst werden kann. 

Nachtrag: Durch ein Versehen ist in den früheren Sitzungs¬ 
protokollen eine kurze Bemerkung, welche Herr Ewald im An¬ 
schluss an den Vortrag des Herrn Gerhardt über Diagnose und 
Therapie des Magengeschwürs gemacht hatte, fortgeblieben. 
Wir fügen dieselbe hier nach: 

Herr Ewald: Erlauben Sie, meine Herren, dass ich im Anschluss ai 
den eben gehörten Vortrag folgenden Passus aus dem Capitel über das 
Magengeschwür des in kürzester Zeit erscheinenden II. Theils meiner Klinik 
der Verdauungskrankheiten verlese: „Denn entgegen der von Riegel und 
seinen Schülern in jüngster Zeit in zahlreichen Publicationen wiederholten 
Anschauung, dass beim Ulcus stets ein hyperacider Magensaft secernirt wird, 
muss ich behaupten, dass dies zwar häufig, aber durchaus nicht 
immer der Fall ist.“ 

Ich bedaure, dass die betreffenden Bogen meines Buches bereits aus¬ 
gedruckt sind, so dass ich nicht mehr in der Lage bin, den heutigen Vor¬ 
trag des Herrn Geh. Rath Gerhardt, mit dem in diesem wie in den 
meisten anderen Punkten übereinzustimmen mir besonders erfreulich ist, zu 
citiren. 


VII. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 13. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1- Herr Fürbringer demonstrirl Präparate eines Falles von multiplem 
Plguientkrebs. Der FalJ, dem die Präparate entstammen, betraf einen 25- 
jährigen Handwerker, der am 4. Mai Aufnahme im Krankenhause Friedrichs¬ 
hain fand. Die Anamnese war sehr dürftig: seit einigen Wochen hatte er 
dyspeptische Beschwerden, die Ernährung war herabgegangen, er hatte unbe¬ 
stimmte Schmerzen, etwas Husten. Das linke Knie war hochgradig schmerz¬ 
haft. Die Untersuchung ergab vorgeschrittene Kachexie, mässiges Fieber — 
am Morgen 38, Abends bis 39° — in beiden Pleurahöhlen eine mässige 
Quantität Flüssigkeit; die Punction ergab hämorrhagischen Charakter der¬ 
selben ohne bemerkenswerthe mikroskopische Eigenthümlicbkeiten. Im Be¬ 
reich des unteren Drittels des Sternums fiel eine reichlich kirschgrosse 
pulsirende Geschwulst auf, welche deutlich durch die Haut zu fühlen war 
und durch einen runden Defect des Sternums hindurchtrat. Auch diese 


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21. Jnni. 


Geschwulst wurde punctirt: sie enthielt Blut mit etwas braunschwarzem 
Pigment, das sich unter dem Mikroskop als amorph erwies. Der Harn des 
Patienten war dunkler als normal, besonders fiel sein Nachdunkeln bei 
längerem Stehen auf; er zeigte Spuren von Eiweiss und Sediment ohne 
bemerkenswerthe Bestandteile. Die linke Extremität, besonders das Knie¬ 
gelenk, war ausserordentlich empfindlich. Unter zunehmender Kachexie und 
steigendem Schmerz in verschiedenen Gelenken trat der Tod etwa drei 
Wochen nach der Aufnahme am 28. Mai ein. 

Die Diagnose wurde mit Rücksicht auf den hämorrhagischen Charakter 
des Pleuraexsudates und die Doppelseitigkeit desselben auf neoplasmatische 
Pleuritis gestellt; mit Hinsicht auf das hektische Fieber wurde Tuberculose 
angenommen. Ferner wurde die pulsirende Sternalgeschwulst als Aneurysma 
der Mamraaria int. gedeutet. Das Pigment wurde als Hämatin angesprochen. 
Der dunkle Charakter des Harns wurde auf einen höheren Gehalt von 
Aetherschwefelsäure gedeutet, wie er bei Phthisikern nicht selten ist. Was 
endlich das Gelenk anlangt, so wurde an beginnende fungöse Entzündung 
gedacht, obwohl die heftigen Schmerzen nicht für diese Annahme sprachen. 

Die Section bestätigte die Diagnose einer neoplasmatischen Pleuritis, 
es handelte sich aber nicht um Tuberculose, sondern um Krebs. Ausser 
den Organen der Brusthöhle, welche Tausende von Knoten eines gefäss- 
reichen melanotischen Carcinoms aufwiesen, waren die grossen Röhren¬ 
knochen, das Sternum betroffen, hingegen nicht der Schädel. Das gesammte 
Hautsystem war frei, ebenso Augen, Gehirn. Herr Fürbringer vermuthet, 
dass dies einer der seltenen Fälle ist, in welchem die Markräume der 
Knochen der Ausgangspunkt der Neubildung gewesen sind. 

Herr Virchow glaubt ebenfalls die Möglichkeit nicht abweisen zu 
können, dass die Neubildung von den Knochen ausgegangen ist, obwohl 
Herrn Virchow weder aus eigener Erfahrung noch aus der Literatur ein 
ganz analoger Fall bekannt ist. Dagegen entstehen bisweilen im Unterhaut¬ 
fettgewebe, also in einer dem Knochenmark analogen Bildung, derartige 
primäre melanotische Geschwülste. 

Herr Ewald macht bezüglich der Differentialdiagnose zwischen carci- 
nomatöser bezw. tuberculöser Neubildung auf die neuerdings von Ehrlich 
angegebene Methode der Untersuchung von Pleuraexsudaten auf Tuberkel¬ 
bacillen aufmerksam. 

2. Herr P. Heymann stellt eine Kranke vor mit einem eigentümlichen 
katarrhalischen Zustand des Kehlkopfes, den er mit dem Namen eines 
hjperplastisehen Katarrhs bezeichnen möchte. Beide Stimmbänder sind 
stark verdickt. Ganz besonders deutlich ist die Hyperplasie des submucöseu 
Gewebes. Im vorderen Winkel ragt eine starke Masse in das Lumen des 
Kehlkopfes hinein und verengt denselben. Diese Hyperplasie des vorderen 
Winkels ist es, welche Störck als charakteristisch für seine Blennorrhoe 
hingestellt hat. Auch im übrigen ist der Fall der Störck’schen Blennorrhoe 
ähnlich, wie auch die Entstehungsgeschichte derselben entspricht. 

3. Discussion über den Vortrag des Herrn Reichert: lieber die 
loeale Anwendung der Kamphersäure. 

Herr Fürbringer hat bereits im Jahre 1875 die Kamphersäure auf 
ihre antiseptische und antipyretische Wirkung, namentlich im Vergleich zu 
der Salicylsäure und anderen organischen Säuren, untersucht. Der Vergleich 
zwischen der Salicylsäure und der Kamphersäure fiel in Bezug auf beide 
Wirkungsarten zu Ungunsten der Kamphersäure aus. Nun hat die Kampher¬ 
säure weiter die fatale Eigenschaft, dass ihr antiseptischer Werth illusorisch 
wird, sobald sie an Alkali gebundeu wird, d. h. je mehr die Kamphersäure 
zu Alkalicamphorat wird, desto mehr büsst sie, trotz der grösseren Löslich¬ 
keit, welche sie dadurch erreicht, an antiseptischem Vermögen ein. Vor 
zwei Jahren nahm Herr Fürbringer diese Versuche nach der klinischen 
Richtung wieder auf. Zunächst hatte er in der Behandlung der Cystitis 
unter 30—35 Fällen in etwa 50®/o derselben eine beachtenswerthe Wirkung 
auf die Zersetzung des Harns, nicht auf den Kiterzellenbildungsprozess. 
Freilich steht die Kamphersäure hier der Salicylsäure eher nach. Entzün¬ 
dungswidrige, bezw. antikatarrbalische Wirkungen sah Redner von der 
Kamphersäure nie. Endlich verwandte Herr Fürbringer die Kampher¬ 
säure bei einigen Typhuskranken, um damit eine Desinfection des Darm¬ 
inhalts zu erreichen. In der That gelang der Nachweis, dass dabei eine 
grosse Anzahl von Bacterien abstarben, aber ein Einfluss auf den typhösen 
Process oder auf die Fiebercurve war nicht zu erkennen (s. diese Wochen¬ 
schrift 1887, No. 11—13). Dagegen sah Herr Fürbringer bei Darreichung 
von 4 mal täglich 1 g bezw. einer Abenddose von 2—3 g eine Art speci- 
fischer Wirkung der Kamphersäure auf die Nachtschweisse der Phthisiker. 
Eine Erklärung für diese Wirkung vermag Redner nicht zu geben. 

Herr Reichert stellt den Untersuchungen von Fürbringer die Ex¬ 
perimente von Sormani und Lucatello gegenüber, welche fanden, dass, 
wenn man 1 ccm gesättigte alkoholische Caraphersäurelösung, mit 1 ccm 
Tuberkelbacillen-haltigem Sputum Kaninchen einspritzte, keine Infection 
erfolgte, während, wenn man die gleiche Quantität reinen Alkohol injicirte, 
dies stets der Fall war. 

4. Herr Schlange demonstrirt Präparate und eine Abbildung von 
Fällen hochgradiger Hypertrophie der Prostata und bespricht an der Hand 
der Präparate die Schwierigkeit, in manchen Fälleu die Einführung des 
Katheters zu bewerkstelligen. Der praktische Arzt, der in der Handhabung 
des Katheters wenig geübt ist, sollte von der Einführung des Metall- 
katheters in solchen Fällen ganz absehen. Es kann durch Verletzung und 
Blutungen der Prostata zu Blutansammlungen und Blutgerinnung in der 
Blase kommen, die uoch kürzlich in einem Falle der Berliner Klinik die 
Sectio alta erforderlich machte. 

5. Herr v. Bergmann stellt einen Pat. vor mit multiplen Exostosen 
an allen grösseren Röhrenknochen. Was die Entstehung der multiplen 
Exostoseu anlangt, so haben dieselben wohl ausnahmslos ihren Sitz im 
Bindegewebe, während sich von den solitären Exostosen häufig eine andere 
Entstehung nachweisen lässt. 


511 


VIII. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 24. Januar 1888. 

(Schluss aus No. 23.) 

2. Herr Fraenkel legt unter Hinweis auf frühere Demou- 
strationen über den gleichen Gegenstand (Vrhdlgn. d. ärztl. Vereins 
| vom 15. December 188.'.. 9. März 1886) ein Präparat von Gastritis 
; flbrinosa diffusa vor, das Tags zuvor bei der Seetiou eines an 
schwerer Rachendiphtherie verstorbenen Kindes gewounen war. 

Die Ursachen für das B.‘fallenwerden der tieferen Abschnitte 
des Verdauungskanals in dem e ; nen und des bei weitem häufigeren 
Freibleibens desselben in anderen Fällen von Synanche contagiosa 
sei bisher unaufgeklärt. Fraenkel macht in dieser Beziehung 
darauf aufmerksam, dass er, wie bei den letzten im vorigeu Jahre 
beobachteten Fällen von Betheiliguug des Magens an dem Process. 
so auch diesmal eine stark alkalische Reartion der Mageuiunen- 
fläche angetroffen habe. Es scheine ihm deshalb die Vorstellung 
nicht von der Hand zu weisen, dass das Eintreten dieser Reaction 
das Haften des Diphtherie-Virus begünstige, währeud das letztere 
bei saurer Reactiou für seiue Existenz ungeeignete Bedingungen 
autreffe. Es müsse die Coustanz oder Zufälligkeit des Zusammen¬ 
treffens dieser Verhältnisse durch neuere Beobachtungen geprüft 
werden. 

3 Herr Nonne stellt im Aufträge des Herrn Eisenlohr eiueu 
durch Hypnose und Suggestion geheilten Fall von ftmctio- 
nellen Lähmungen bei einem Bleiarbeiter vor. 

Patient, hereditär nicht beladet, war früher im Wesentlichen 
gesund; kein Potatorium, keine Syphilis; ist seit seinem 18. Lebens¬ 
jahre als Buchdrucker beschäftigt; vor 8 Jahren ein Anfall vou 
Bleikolik; vor 572 Jahren trat acut eine Parese der rechteu oberen 
Extremität ein, die sich schnell wieder zurückbildete; l /2 Jahr später 
kam er in die Beobachtung von Herrn Eisenlohr wegen einer 
abermals acut aufgetretenen Lähmung der rechten oberen Extremi¬ 
tät; es wurde damals ausserdem constatirt: starke Herabsetzung der 
Sensibilität für Berührungen, Schmerzeindrücke verschiedener Art, 
Temperaturunterschiede, Aufhebung des Muskelsinns in der ganzen 
rechten Körperhälfte, Aufhebung der Riech-, Schmeck-, Hörfahigkeit, 
Herabsetzung des Sehvermögens, Einengung des Gesichtsfelds, Ver¬ 
minderung des Farbenperceptionsvermögens für roth rechts; näcli 
wenigen Wochen stellte sich auch eine motorische Parese des 
rechten Beins ein; eine elektrische Behandlung wurde längere Zeit 
hindurch vorgenomraen; die Lähmung des Beins bildete sich zurück, 
die Lähmung des Arms blieb bestehen. Die Diagnose war damals 
gestellt worden auf eine Läsion der inneren Kapsel, vorwiegeud auf 
eine solche der hinteren Abschnitte derselben. 

Anfang Mai 1887 wurde Patient, nachdem er Tags zuvor einen 
längeren Weg zurnckgelegt hatte, im Laufe der Nacht von einer 
Paraplegie der unteren Extremitäten befallen; dieselbe stellte sieb 
uuter ziehenden Schmerzen im Kreuz und Parästhesieen in den 
Beinen ein. Ara nächsten Tage fand sich bei der Aufnahme im 
Kraukenhause eine complete motorische Paraplegie der unteren 
Extremitäten; die Sensibilität war für sämmtliehe Qualitäten in 
müssigeiu Grade herabgesetzt an der rechten Hälfte des Kopfes, 
Rumpfes, an der ganzen rechten oberen und an beiden unteren 
Extremitäten; die Sehuenreflexe waren an den unteren Extremitäten 
sehr lebhaft, ebenso die Hautreflexe, die Sphincteren waren absolut 
iutact, es bestand massige Empfindlichkeit bei passiven Bewegungen 
in Knie- und Fussgelenken sowie bei Druck auf die Muskulatur der 
Beine, keine Spannungen bei passiven Bewegungen; die Wirbelsäule 
war ganz frei; auch die rechte obere Extremität noch complet ge¬ 
lähmt, dabei aber — die Lähmuug bestand nun schon T> Jahre — 
ganz schlaff, und die Sehnenreflexe durchaus nicht lebhaft. Gehirn¬ 
nerven, sensorische Functionen normal. An den Arterien des 
Augeuhintergrundes zeigte sich eine Erkraukung der Adventitia 
(Augenstation). 

Die Diagnose, die zwischen einer Erkrankung der peripheren 
Nerven und einer spinalen Affection schwankte, wurde schliesslich von 
Herrn Eisenlohr auf multiple kleine, auf der Basis einer saturuiuen 
Gefässerkrankung aufgetretene Hämorrhagieen im Rückeumarke gestellt, 
ln der nächsten Zeit bildete sich die Empfindlichkeit auf Druck uud 
bei passiven Bewegungen zurück, die motorischen und sensiblen 
Störungen blieben unverändert; jede Therapie — Elektrotherapie, 
Hydrotherapie, Points de feu, Strychnin, Jodkali etc. - war ohne 
Erfolg; der Grad und die Ausdehnung der Sensibilitätsstörungeu 
wechselte häufig. 

Allmählich wurde es klar, dass es sich um eine fuuctionelle 
Affection handeln musste. 

Auf Grund einer gerade damals gelesenen Publication von 
Cbarcot über hysterische Lähmuugen bei Bleiarbeitern sowie uuter 
dem Eindruck der Erfolge von Mendel, Schulz und Sperling 
versuchte Vortragender die Hypnose. Patient Hess sich durch 
Fixiren eines glänzenden Knopfs und Bestrcicheu, auch durch Hin- 


DEUTSCHE*MED1C1N1SCHE WOCHENSCHRIFT 


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512 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


horchen auf das Tiekeu der Taschenuhr, durch Fixiren der Augen 
des Vortragenden, später einfach durch den Befehl „Schlafen Sie“ 
und Zudrucken der Augen leicht hypuotisiren; er wurde lethargisch. 
Uebrigens konnte Patieut ebenso leicht durch Suggestion des Schlafs, 
ohne Manipulationen, lethargisch gemacht werden. 

Vortragender suggerirte ihm in der ersten Sitzung, Abends, 
dass er am nächsteu Morgen bei der Visite im Staude sein werde, 
die rechte grosse Zehe zu bewegen; in der That war das der Fall. 
Vortragender suggerirte dann nach eiuauder die Bewegungen der 
einzelnen Zehen, dann die einzelnen Bewegungen des rechten 
Fusses, dauu die Beugung und Streckung des rechten Knie's, zu¬ 
letzt die Bewegungen iiu rechten Hüftgeleuk. Nach ca. 2 Wochen 
waren sämmtliche Bewegungen in der rechten unteren Extremität 
möglich, während links noch nichts bewegt werden konnte; auf 
dieser Seite wurde daun durch ganz dasselbe Vorgehen derselbe 
Erfolg erzielt; für das Stehen war wieder, nachdem Patient beide 
Beine schon gut bewegen konnte, eine eigene Suggestiou, ebenso 
für den ersten Schritt eiue solche uötliig; im Allgemeiueu fiel die 
erste Bewegung immer uur mangelhaft aus, erst durch daun folgende, 
unbeeinflusste Uehung brachte Patieut sie allmählich zur Vervoll¬ 
kommnung. 

Nach dieser Erfahrung lag der Gedauke uahe, dass auch die 
Lähmung der rechten oberu Extremität nur fuurtioneller Natur sei. 
Vortragender begann mit der Suggestion der Flexion des Arms, die 
erst nach der 3. Sitzung gelang; ebenso setzte die Dorsalflexion des 
Carpus zuerst grössereu Widerstand entgegen, während alle anderen 
Bewegungen iu den Fiugeru, Pr9natiou und Supiuatiou des Arms, 
Streckung des Arms, Bewegungen im Schultergelenk ebenso prompt 
erfolgten, wie die Bewegungen am rechten Bein aufgetreten waren. 
Nach 3 weiteren Wochen ca. kouute Patient die rechte obere 
Extremität frei bewegeu. Gleichzeitig mit der motorischen Lähmung 
zogen sich auch allmählich die Störungen der Sensibilität zurück; 
schon ehe Patient gehen konnte, war die Sensibilität au den untereu 
Extremitäten nicht mehr nachweisbar afficirt; dahingegen bestand 
noch eiue solche Störuug an Schulter, Oberarm, Unterarm, Hand 
und Fiugeru, und zwar bot sich fast genau dasselbe Bild dar wie 
bei dem Falle von fuuctioneller Lähmung nach einem Trauma, den 
Vortragender im Juni 1887 dem ärztlichen Verein vorstellte') und 
deu er mehreren Charcot’schen Fällen an die Seite stellte. Unter 
manuigfachem Wechsel der Greuzeu bildete sich dann — Vortragen¬ 
der illustrirt dies durch Zeichnungen — die Hypästhesie immer mehr 
zurück. 

Die einzigem Reste der Krankheit bestehen jetzt iu: Händedruck 
und Kraft im Spatium iuterosseum IV und I. rechts uoch herab¬ 
gesetzt, ausserdem eine manchetteuförmige Anästhesie für alle Qua¬ 
litäten am uutersteu Drittel des rechten Vorderarms; im Uebrigeu 
ist das Nervensystem jetzt nach jeder Beziehung normal. Vortragen¬ 
der erwühut daun noch die Control versuche, die er austeilte, um 
sich von dem wirklichen Einfluss der Methode zu überzeugen. Er 
zeigt sodann die Abbildungen mehrerer neuerdings von Cliarcot 
und Reudu (Arehives de neurologie 1887 Nr. 41) publicirter Fälle 
hysterischer, motorischer und sensibler Lähmungen, um auf die 
Identität der Sensibilitätsstörungeu aufmerksam zu machen. Dass hei 
chronischem Alkoholismus aber auch ausserordentlich ähuliche 
Bilder sich ergeben, zeigt er au den Resultaten, die Grasset' 2 ) bild¬ 
lich dargestellt hat, und betont deshalb, dass mau in der Diagnose 
„Hysterie“ bei Fällen wie dem vorgetrageneu, wo es sich um eine 
chemische lntoxicatiou handelt, vorsichtig sein soll; er selbst will, 
mit Herrn Eisenlohr zusammeu, ihn uicht als „hysterisch“ auf- 
gefasst wissen. 

Zum Schluss erwähnt er, dass bei einem Mädchen mit typischer 
hysterischer Contractur im Bereich der liuken oberen Extremität so¬ 
wie bei jenem Fall von ausgebreiteter Anästhesie, der von Herrn 
Eisenlohr im Sommer 1887 vorgestellt wurde, trotz guten Ge¬ 
lingens der Hypnose die Suggestiou bisher ohne therapeutischen 
Erfolg blieb. 

Vortragender weist noch darauf hin, dass von Herrn Eisen- 
lohr demnächst über den augenblicklichen Stand der Frage der 
Hypnose und Suggestion berichtet werdeu wird. 

Herr Curschiuaun schlägt vor, deu Magnetiseur Hansen zu 
eiuer Vorstellung kommen zu lassen und bemerkt, dass die Kosten 
hierfür etwa 3 Mark pro Mitglied betragen. 

Der Vorschlag wird angenommen. 

4. Discussiou über den Vortrag des Herrn Curschmann: 

Statistisches und Klinisches über den Unterleibstyphus in 
Hamburg. 

Herr Simmonds: Herr Reineke hat mehrfach auf einen Aufsatz von 
mir Bezug genommen, den ich etwa vor zwei Jahren veröffentlicht habe und 
der sich mit den Ursachen der Typhusepidemie in Hamburg vom Jahre 

') Deutsch, medic. Wochenschr. 1887 No. 46. 

*) Grasset, Etüde clinique sur les troubles de la seusibilite cutanee etc. 
Bordeaux 1887. 


No. 25 


1885 beschäftigte. Ich kam in dieser Arbeit, wie ich das auch von vorn¬ 
herein vorausgesetzt hatte, zu keinem bestimmten Resultat und musste 
mich auf eine Besprechung der wichtigsten hygienischen Maassregeln der 
Canalisation und der Trinkwasserversorgung beschränken. Während vor 
Jahren Virchow darauf aufmerksam gemacht hatte, dass parallel dem 
Fortschreiten der Besielung die Typhusfrequeuz iu der ganzen Stadt, wie 
auch in den einzelnen Bezirken stetig abgenommen hatte, konnte ich eine 
derartige Regel für die letzten Jahre nicht mehr finden. In manchen Be¬ 
zirken war nach Einführung der Canalisation die Typhusfrequenz gesunken, 
in andereu war sie gleich geblieben, iu anderen wieder gestiegen — wieder 
andere Bezirke zeigten eine stetige Abnahme trotz mangelnder Canalisation. 
Kurzum, es Hess sich ein günstiger Einfluss des Fortschreitens der Besie¬ 
lung auf die Typhusfrequenz nicht mehr nachweisen, wenn auch anderer¬ 
seits Schäden derselben wohl nicht für unsere Typhusepidemie verantwort¬ 
lich zu machen sind. 

Herr Reineke hat nun das Steigen der Typhusfrequenz in manchen 
Vororten auf das gleichzeitig mit der Besielung erfolgende Sinken des 
Grundwassers iu Zusammenhang gebracht. Es wird diese- Annahme durch 
das abweichende Verhalten anderer Vororte nach der Besielung, ferner 
durch den Umstand, dass noch jetzt, viele Jahre nach der Einführung der 
Canalisation, die Typhusfrequenz eine hohe geblieben ist, widerlegt. Auch 
die Seukgruben, die nach Einführung der Besielung locker zugeworfen wur¬ 
den und nach Reineke ebenfalls für die höheren Typhuszahlen verant¬ 
wortlich zu machen sind, kann man nicht dafür beschuldigen, da ebenso 
wie der Cholerabacillus, auch der Typhusbacillus nach den neuesten Unter¬ 
suchungen bei Gegenwart üppig wuchernder Fäulnisskeime rasch zu Grunde 
geht. 

Die Trinkwasserversorgung Hamburgs bietet sehr grosse Schäden. Die 
Sielabflüsse, welche mit den Typhusstühlen lebende Typhusbacillen iu 
grosser Menge mit sich führen, münden bei St. Pauli in die Elbe. Schwimmer¬ 
versuche der Ingenieure Fölsch und Gill haben gezeigt, dass bei gewissen 
Fluthverhältnissen Gegenstände von hier aus bis an die Schöpfstelle unserer 
.Wasserwerke am Kaltenhofer Durchstich getrieben werden können. Da nuu 
Typhusbadlien sich im Flusswasser einige Zeit gut halten, ja unter Um¬ 
ständen vermehren können, ist die Möglichkeit der Infection unseres Trink¬ 
wassers durch Typhuskeirae wohl gegebeu. 

Der von Herrn Reineke hiergegen erhobene Einwand, dass die Siel- 
I abflüsse nur in sehr grosser Verdünnung an die Schöpfstelle gelangen 
i können, vermag die Möglichkeit eines derartigen Vorganges nicht zu tilgen, 
j und auch das angeführte Ergebniss der chemischen Untersuchung des Elb¬ 
wassers au der Schöpfstelle ändert hieran nichts, da chemischer und bae- 
teriologischer Befuud überhaupt sich nicht immer decken. 

Herr Reineke führt gegen mich an, dass im Sommer, wo durch die 
Fluthverhältnisse die Gefahr der Verunreinigung der Schöpfstelle durch 
Sielabflüsse am grössten ist, die Typhusfrequenz die geringste ist. Ich be¬ 
trachte die Sache auders: im Sommer, wo diese Gefahr am grössten ist, da 
beginnt eben das Steigen der Typhusfrequenz; dieses regelmässige Ansteigen 
der Epidemie am Ende des Sommers kann man doch auch so deuten, dass 
eben im Sommer eine neue Schädlichkeit mitwirkt. 

Herr Reineke hat darauf hingewiesen, dass die von circa 1500 Per¬ 
sonen bewohnte Irrenanstalt Friedrichsberg, die ebenfalls von unserem 
Leitungswasser versorgt wird, ziemlich frei von Typhus geblieben ist. Ich 
habo bei einer Zusammenstellung der Meldungen dieses Verhältniss nicht 
bestätigt gefunden. Friedrichsberg hat in den letzten drei Jahren fast 
ebenso an Typhus zu leiden gehabt, wie die übrige Stadt; ein kleiner Theil 
der von dort berichteten Fälle war freilich von aussen eingeschleppt. 

Ich hatte in meiner Arbeit darauf hingewieseu, dass von unseren bei¬ 
den Nachbarstüdten Wandsbeck und Altona, die letztere, die ebenfalls aus 
der Elbe ihr Wasser bezieht, vom Typhus heiragesucht worden ist, während 
das anderweitig mit Wasser versorgte Wandsbeck von einer Epidemie ver¬ 
schont bleibt. Wenn Herr Reineke hiergegen einwendet, dass Wandsbeck 
ebenfalls vom Typhus zu leiden gehabt habe, so möchte ich die folgenden, 
deu Mittheilungen des Reichsgesundheitsamtes entnommenen Zahlen an¬ 
führen. Es starben an Typhus von 100 000 Menschen im Jahre 1882 in 
Hamburg 27, in Waudsbeck 29; im Jahre 1883 in Hamburg 25, in Wands¬ 
beck 6; im Jahre 1884 in Hamburg 26, in Wandsbeck 17; im Jahre 1885 
in Hamburg 42, in Waudsbeck 2.'; im Jahre 1886 in Hamburg 72, in 
Wandsbeck 11; im Jahre 1887 in Hamburg 87, in Wandsbeck 16. Sie 
sehen, dass während in Hamburg seit 1885 ein bedeutendes Ansteigen der 
Typhussterbefälle notirt ist, die Zahlen in Wandsbeck in derselben Periode 
unverändert, geblieben sind. 

Herr Wallichs: Von den Ausführungen des Herrn Vortragenden 
interessirt den Sanitätsbeamten insbesondere der ätiologische und statistische 
Theil. Wir können es ihm nur Dank wissen, dass er so wichtige und 
interessante Fragen hier angeregt hat. Der Typhus ist bekanntlich oft als 
Maassstab für die Wirksamkeit unserer sanitären Verbesserungen angesehen 
und insofern sein Auftreten und seine Verbreitung mit besonderem Eifer 
verfolgt. Wegen der nahen Beziehungen meines Amtsbezirkes, des Stadt¬ 
kreises Altona, zu Hamburg, wird es nicht ohne Werth sein für die Beant¬ 
wortung der hier aufgeworfenen Fragen, wenn ich über das Vorkommen 
des Typhus in Altona Einiges mittheile. 

Von dem Jahre 1869 an sind die Typhustodesfälle im Verhältniss zur 
Einwohnerzahl berechnet worden. Sie geben immerhin etwas zuverlässigeres 
Vergleichsmaterial als die Erkrankungen. Es starben also auf 10 000 Le¬ 
bende : 

1869 : 10,4, 1870 : 9,0, 1871: 12,0, 1872 : 7,0. 

Dann bis zum Jahre 1879, wo die Ziffer nur 2,5 betrug, fast stetig 
sinkend. In der ersten Hälfte des 16jährigen Zeitraumes von 1869 bis 
1884 waren es durchschnittlich 7,8, in der zweiten Hälfte nur 2,9. Wir 
konnten also in der That uns der Hoffnung hingeben, dass die fortschrei¬ 
tende Canalisirung, das bessere Trinkwasser, die Wohnungshygiene etc. in 
sanitärer Beziehung uns wesentlich vorwärts gebracht hätten. Dass diese Hoff- 


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DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


513 


nung trügerisch war oder doch nicht fest gegründet, lehrten daun die Vor¬ 
kommnisse von 1885 bis 1887, in welchen Jahren die Typhusmortalität 
wieder auf 3,2 — 5,3 — 5,6 anstieg. Da die Mortalität dieser Jahre eine 
verhältnissmässig geringe gewesen ist (1887 z. B. 6,3 %), so ergeben sich 
daraus zahlreichere Erkrankungen, welche von 215 in 1883 stetig auf 687 
in 1886 und 1113 in 1887 sich vermehrt haben. 

Bemerkenswerth ist nun, dass das Verhältniss der an Typhus Gestor¬ 
benen zu der Zahl der Lebenden in dem Zeitraum von 1872 bis 1886 fast 
genau die gleiche ist, wie in Hamburg, nämlich l auf je 500 Einwohner. 

Nun sind in Altona die hygienischen Verhältnisse in manchem Be¬ 
tracht günstiger, so durch die westliche Lage (von den Seewinden zunächst 
erreicht), die Erbauung auf dem hohen Klbufer, diluvialer Boden (fester 
Lehm oder Sand), wenigstens des weitaus grössten Theiles, insbesondere 
aber gut filtrirtes Trinkwasser. Hamburg hat dagegen eine im Ganzen 
wohlhabendere Bevölkerung. 

Auffällig ist dann noch, dass die Typhusepidemieen in ihrer Höhe in 
Altona wohl immer denjenigen Hamburgs nachfolgen, ihre Höhe etwa zwei 
Monate später erreichen. So war es z. B. im März 1886 und wieder im 
Februar 1887, während in Hamburg October, November 1885 und December 
1886 die höchsten Zahlen zeigten. So kam auch Ende 1887 der Anstieg 
bei uns nach demjenigen Hamburgs. 

Wenn man nun aus diesen Thatsachen eine Anwendung auf die 
Fragen machen will, die uns hier beschäftigen, so scheint mir, dass sie 
weder die Bodentheorie unterstützen, noch für den hervorragenden Einfluss 
des Trinkwassers auf die Verbreitung des Typhus sprechen. Dass Typhus 
durch Trinkwasser oft verbreitet wird, darüber besteht wohl nicht der ge¬ 
ringste Zweifel, zahlreiche Erfahrungen erweisen das. Welches Gewicht 
man dem Nachweis der Typhusbacillen im Trinkwasser bei Epidemieen 
durch Michael und Moers, Chantemes.se und Widal in Frankreich, 
Beumer in Deutschland beilegen will, lasse ich dahingestellt. Brouardel 
will 90 % aller Typhuserkrankungen dem Trinkwasser zuschreiben, die 
übrigen 10 % der Luft, direkter Uebertragung etc. Zur Zeit halte ich das 
für willkürlich. 

Es ist nun einestheils nicht recht verständlich, warum gerade in den 
letzten Jahren das Trinkwasser, das Hamburg direkt aus der Elbe schöpft, 
so viel mehr Typhusbacillen führt, da es doch stets Typhus gegeben hat 
und stets Typhusdejectionen in die Canäle kommen; und anderntheils 
nicht, wie dann Altona so ziemlich in gleicher Weise heimgesucht wird, 
dessen Trinkwasser einer sehr wirksamen Filtration unterzogen ist. Gewiss 
passiren genug Bacillen das Filter, — aber wenn andere entwickelungsfähige 
(und verflüssigende) Keime um etwa das Zehnfache durch die Filtration 
vermindert werden, dann ist kein Grund, ein anderes Verhalten der patho¬ 
genen Mikroorganismen anzunehmen. Die Mortalität ist allerdings geringer 
in Altona gewesen, im Jahre 1887, in welchem von 1 113 Erkrankten 
71 starben, 6,3 °/o, im Krankenhaus, dem fast ein Drittel dieser Fälle zu¬ 
fiel, 355 mit 18 Todesfällen, sogar nur 5,1 %. 

Mit der Bodentheorie Pettenkofer’s wollen uusere Erfahrungen 
gleichfalls sehr wenig harmoniren. Wenn ich sämmtliche Erkrankungen im 
Stadtkreise Altona von 1872 bis 1887 nach den Jahreszeiten gruppire, so 
fielen in die Wintermonate (December bis Februar) 2162, in das Frühjahr 
1421, den Sommer 1481, und den Herbst 1613. Die Winterzeit über¬ 
wiegt sogar noch stärker, wenn man den März hinzuzieht und drei Gruppen 
(December bis März, April bis Juli und August bis November) bildet. — 
Die Zahlen sind dann 2864, 1610 und 2201. Wenn den Aufgrabungen 
innerhalb Hamburgs die Schuld an dem epidemischen Auftreteu des Typhus 
seit drei Jahren gegeben wird, so ist dagegen einzuwenden, dass bekannt¬ 
lich Malaria sehr oft auf solche Ursache zurückzuführen, dagegen das Gleiche 
vom Typhus nicht bekannt ist, und dass in den tieferen Bodenschichten 
Mikroorganismen überhaupt kaum Vorkommen, bezw. gedeihen, und. selbst 
in den oberflächlichen eine nennenswerthe Vermehrung der Typhusbacillen 
wegen der Ungunst der Ernährung u. s. w. als ausgeschlossen zu betrachten 
ist. Dass der Zusammenhang von Typhusausbreitung mit dem Sinken des 
Grundwassers auch andere Erklärungen zulässt, ist von Gaffky, Brouar¬ 
del u. A. betont worden. — Zur Vermehrung der Typhusbacillen ist 
übrigens auch das Wasser kein geeignetes Medium. 

Zum Schlüsse möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich einige Male, 
am stärksten im Februar des vorigen Jahres, den Eindruck gehabt habe, 
uns Altonaern würden die Typhuskeime durch Eintritt östlichen Windes 
von Hamburg plötzlich und massenhaft mit der Luft zugeführt, und diese 
Schädlichkeit weiche wieder beim Umsetzen des Windes nach Westen 
merklich. In der 3. Woche des Jahres 1887 wurden nur 8 Typhusfalle 
gemeldet, in der 4.: 14, in der 5.: 32, in der 6.: 124, in der 7.: 134, in 
der 8.: 75, und so sank die Zahl rasch bis 19 (in der 11. Woche). Ich 
bin weit entfernt, hierauf eine Behauptung zu gründen, ich nenne das nur 
einen Eindruck. Mit unseren Schlüssen können wir gar nicht vorsichtig 
genug sein. Bisher gaben die Beobachtungen der letzten Jahre in die 
Entstehung und Verbreitungsweise des Typhus kaum nähere Einsicht. Na¬ 
türlich kann das nur ein Sporn sein zu weiterer Arbeit und Forschung. 

Herr Reineke: Ich habe mich nicht principiell gegen die Möglichkeit 
einer Typhusausbreitung durch Trinkwasser ausgesprochen, sondern nur 
von den Hamburger Verhältnissen geredet. Ich habe nicht behauptet, dass 
Wandsbeck an der Typhusepidemie von Hamburg Theil genommen hat, 
sondern nur bestritten, dass der Typhus „scharf abgeschnitten“ au der 
Hamburger Grenze aufhört, und dass in Wandsbeck nur solche Typhen Vor¬ 
kommen, welche auf eine Infection in Hamburg zurückzuführen sind. Wir 
haben auch in Hamburg selbst grosse Differenzen in der Erkrankungsfre¬ 
quenz, z. B. in der Epidemie 1886/87 in der inneren Stadt 125 auf 10000 
Einwohner, in den Vororten links der Alster bis zur Lübecker Bahn 69. 
Delirirende Typhuskranke, die irrthümiieh als „geisteskrank“ nach Friedrichs¬ 
berg gesandt wurden, habe ich nicht mitgezählt. Uebrigens wird durch den 
Nachweis von einigen Typhusfällen mehr in der Anstalt mein Ausspruch 
nicht umgestosseu, dass diese grössere, ausschliesslich mit Leitungswasser 


versehene Anstalt sehr viel weniger von Typhus hoimgosucht ist, als die 
kleinere, ausschliesslich mit Brunnenwasser versehene Kaserne. 

Der Typhusbacillus kann sich allerdings einige Zeit im Wasser halten, 
aber seine Fortpflanzung darin beginnt erst bei 15— 16»0, die wir nur in 
den Zeiten geringster Typhusfrequenz haben. Die bestbeglaubigten 
Typhusausbreitungen durch Wasser verliefen .explosionsartig“, und der 
Bacillus verschwand rasch wieder aus dem Wasser. Ich habe nicht be¬ 
hauptet, dass die colossulen Verdünnungen das Eindringen in die Wasser¬ 
kunst ausschHessen, sondern ausgeführt, dass ein Typhuskranker auf 
einem Elbkahn oberhalb Hamburgs viel gefährlicher ist, als alle Kranken 
der Stadt zusammen. Es sind auch keine Gründe vorgebracht, weshalb in 
Hamburg der Typhus seit einigen Jahren seinen Verbreitungsuiodus geän¬ 
dert haben soll. 

Die grösseren Flutlien beginnen alljährlich nach der vorgelegteu gra¬ 
phischen Darstellung im Mai und sinken wieder vom August an, verhalten 
sich also gerade umgekehrt wie de. Typhus. 

Die Kraus’schen Zahlen übei die Typhusfrcqueuz in den „völlig be- 
sielten“, -grösstentheils besielten“ und „nicht besielten“ Districten halte 
auch ich nicht für beweisend. Ebensowenig kann ich aber die entgegenge¬ 
setzten Schlüsse anerkennen, die Herr Siiumonds aus den Zahlen gezogen 
hat, die in völlig gleicher Weise für die späteren Jahre berechnet sind. 

Ich habe mich für keine Grundwassertheorie ausgesprochen, sonderi 
nur die Thatsache festgestellt, dass auch in Hamburg ein Zusammenfällen 
zwischen Sinken des Grund wassers und Ansteigen des Typhus vorliegt. 
Namentlich habe ich nicht behauptet, dass der Bacillus im Erdboden wächst. 

Ueberhaupt. halte ich es für bedenklich, durch eine Formel die ganze 
Frage lösen zu wollen. Die Erfahrungen über die Pilzkrankheiteu der 
Pflanzen und Thiere und viele Erscheinungen auch des gröberen Para¬ 
sitismus zeigen, wie viele Factoren in Betracht kommen und wie ver¬ 
schlungen dieselben wirken. Beim Typhus scheinen z. B. auch Frost und 
starke Regengüsse ein Sinken der Zahl der Erkrankungen lierbeizuführen. 

IX. Oeffentliches Sanitfttswesen. 

Bericht über die Vorgänge in der geburtsh&lflieheii 
Klinik und Poliklinik zu Harburg während der Zeit vom 
1. April 1887 bis 31. März 1888. 

Von F. Ahlfeld. 

(Fortsetzung aus No. 24.) 

Zange und Geburtsstuhl. 

Die Frequenz der Zangenentbindungen ist auf 0,97% herabgegangeu. 
Einer der Fälle, in denen die Zange angelegt wurde, ist in meiner Abwesen¬ 
heit verlaufen. Ich würde die Perforation gewählt haben. Fieber der Mutter 
und sehr lange Austreibungsperiode bei unrichtiger Einstellung der Schultern 
gaben in den beiden anderen Fällen die Indication ab. 

Die Zange ist seltener geworden zu Gunsten des Geburtsstuhls. In 
Fällen, wo sonst wohl die Zange angelegt worden wäre, haben wir, ich 
glaube sehr zum Vortheile der Gebärenden, den Gebärstuhl *) gewählt. Wir 
stellen zwei Stühle so nebeneinander, dass ihre hinteren Beine sich be¬ 
rühren, während die vorderen circa 25 cm auseinanderstehen. Auf diese 
Stühle kommt die Gebäreude so zu sitzen, dass ihre Schamtheile über der 
dreieckigen Spalte liegen. Meistens bewirkt die Benutzung des Geburtsstuhls 
sofort das Stehenbleiben des bis dahin nach der Wehe wieder zurück¬ 
gewichenen Kopfes. Die Stellung, welche die Frau jetzt einnimmt, gestattet 
ihr, mit grosser Energie die Bauehpresse zu verwenden, und der Erfolg 
dieser Action ist in der Regel ein ganz eclatanter. Ist der Kopf soweit iu 
die Schamspalte getreten, dass er voraussichtlich in der nächsten oder 
übernächsten Wehe durchtritt, so heben wir die Gebärende in das Bett, 
fixiren den Kopf mittelst Ritgen’s Handgriff und entbinden die Frau in 
der Bettlage. 

Keinen Erfolg haben wir vou der Anwendung des Geburtsstuhls ge¬ 
sehen, wenn es sich um tiefen Querstand des Kopfes handelte. Die Zange 
ziehen wir ausserdem dem Geburtsstuhle vor, wo ein sehr schnelles Heraus¬ 
heben des Kopfes allein noch die Möglichkeit bietet, ein lebendes Kind zu 
erhalten. 

Zum Kaiserschnitte mussten wir IMal schreiten bei absoluter Becken¬ 
enge eines rhachitisch allgemein verengten Beckens. Die Trägerin war 
133,5 cm gross. Conjugata vera 5,5 cm. Die Trägerin dieses Beckens trat 
am Ende der Schwangerschaft mit Wehen in die Entbindungsanstalt. Alte 
Methode mit Saenger’scher Doppelnaht. Mutter und Kind wurden gesund 
entlassen. 

Die genauere Beschreibung dieses Falles wird iu einer Inaugurale 
Dissertation von Reinhard gegeben werden. 

Mit grossem Erfolg haben wir als Entbindungsmethode bei eben erst 
in der Eröffnung begriffenem Muttermunde die combinirte Wendung 
nach Braxton Hicks benutzt. Die folgende Beobachtung möchte die 
Collegen ermuthigen, auch in Fällen, in denen nicht Placenta praevia die 
Indication abgiebt, sich dieser Entbindungsmethode zu bedienen. 

Frau L., 1888, No. 11, Xl.-Gebärende mit plattem Becken ((.'onj. diag. 
10,4). Einleitung der künstlichen Frühgeburt gelingt trotz Tamponade, 
Douchen, Bougie nicht. Auch nach dem künstlichen Blasensprunge besteht 
die Inertia uteri fort. Vorfall der Nabelschnur. Repositiou. Denuoch 
Absterben des Kindes. Heftiger Schüttelfrost, Steigen der Temperatur auf 
39,5, des Pulses auf 120, später auf 145. Bei dem für einen Finger be¬ 
quem, für zwei Finger schwer durchgängigen Muttermunde war von der Perfo- 

*) Ahlfeld, Deutsche medic. Wochenschrift, 1885, No. 51. Stoll, 
Beiträge zur Lehre und Behandlung der zweiten Geburtsperiode, speciell 
über die Anwendung des Geburtsstuhles. Inaug.-Diss. Marburg 1887. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


No. 25 


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ration noch nicht viel zu erwarten. Deshalb combinirte Wendung nach 
Braxtou Hicks, Einleitcn eines Schenkels in den uuerweiterten Mutter¬ 
mund, massiger, dauernd ausgeübter Zug am Kuss. lu wenigen Stundeu er¬ 
weiterte sich der Muttermund vollständig, wo eine Reihe von Tagen uud 
die Anwendung aller Erregungsmittel keine Wehen und keine Erweiterung 
hervor/.ubringen im Stande gewesen waren. Kein Cervicalriss. Blutverlust 
in toto 150 g. Wochenbett fast normal. Eine Steigerung bis 38,5. 

Bei zwei auf einander folgenden Geburten war durch den ungefähr 
3 cm weit eröffneten Muttermund der Arm neben dem etwas abgewichenen 
Kopfe vorgefallen. Ein Mal ragte derselbe so tief herab, «lass er in der 
Schamspalte sichtbar gemacht werden kounte. Da unter solchen Umständen 
au eine Uepositiou nicht gedacht werden konnte, so warteten wir in beiden 
Fällen bis zur Zeit, wo der Muttermund nahezu vollständig eröffnet war, und 
reponirten dann den Arm, was ohne Schwierigkeiten gelang. Die Ge¬ 
burt erfolgte dann beide Male spontan. 

Die wegen Unregelmässigkeiten der Nachgeburtsperiode nothwendig ge¬ 
wordenen Eingriffe werden weiter unten berücksichtigt werden. 

Besondere Vorgänge bei der Geburt. 

Zwei Fälle von Placenta praevia verdienen unser vollstes Interesse. 
Der erste Fall deshalb, weil bei ihm die in den Lehrbüchern vorgeschlagene 
Therapie absolut nicht anzuweuden war, der andere Fall, weil er mit einer 
bisher noch nicht genügend beachteten Complicatiou verlief: 

Ledige G., 1887, No. 37, I.-Geschwängerte, wurde am 1. Juli auf¬ 
genommen. Ihrer Angabe nach sind in letzter Zeit wiederholt Blutverluste 
dagewesen. Deshalb Bettruhe ungeordnet. Am 4. Juli Vorstellung in der 
Klinik. Muttermund, für einen Finger durchgängig, wird ganz von Placenta- 
gewebe bedeckt. Der Kopf des grossen Kindes füllt das kleine Becken 
vollständig aus. Muttermund, sehr tief stehend, hinter dem Scheideueingange 
fühlbar. Temperatur 39,3, Puls 108. 

Hohes Fieber, dauernd Blutabgang durch Placenta praevia centralis, 
tief stuheuder, nicht mehr beweglicher Kopf, den Finger eben durch lassender 
(■ervicalcanal, sehr schlechte Wehenthätigkeit, das war »lie Signatur dieses 
eigentümlichen Falles. 

Was machen? Combinirte Wenduug uicht mehr möglich. Kopf lässt 
sich absolut nicht zurückschieben. Tamponade nicht thunlich wegen Fiebers 
der Mutter und, wie sich daun später zeigt, uicht gut ausführbar, weil bei 
tiefsteheudem Kopfe keiu Kaum für Einführung von Tampons vorhanden war. 

Zuerst nahm ich eine 2 , /a%ige Carbolausspülung vor unter beson¬ 
derer Berücksichtigung des Cervix uteri. Erfolg in Hinsicht auf das Fieber 
sehr günstig. Temperatur fallt nach der ersten Reinigung auf 38,8, später 
auf 38,1. 

Nach der Ausspülung Wattetamponade, doch ohne dass es möglich war, 
viel Watte zu nehmen; deshalb ohne erheblichen Erfolg. 

Als die Blutung nun einen Grad aunalun, der ein Handeln unbedingt 
nothwendig machte, verfiel ich auf ein Mittel, welches ich bis dahin weder 
angewendet noch empfohlen gefunden habe. *) Ich bohrte meinen Zeigefinger 
langsam durch die Placenta durch, durchbohrte auch das Amnion und Hess 
durch diese Placcntafistel das Wasser abfliessen. Der Erfolg war ein gauz 
ausgezeichneter. Die Blutung stand dauernd, und ist bis zu der 15 Stunden 
nach Durchbohrung der Placeuta erfolgten spontanen Geburt des lebenden 
Kindes (3310 g, 51,5 cm) kein Blut abgegangen. Der Blasenspruug hatte 
weiter den Vortheil, dass die Wehen sofort kräftig wurden. 

Die Geburt verlief nun wie bei einer Erstgebärenden. Der Muttermund 
brauchte zu seiner Eröffnung 11 Stunden, die Austreibung dauerte 4 Stunden. 
Es wurde der Geburtsstuhl in Anwendung gezogen und durch Ritgen’s 
Handgriff der Kopf herausgehobeu, nachdem zwei seitliche Incisionen zur 
Erweiterung der Schamspalte gemacht worden waren. Die Placenta war bei 
vollständiger Eröffnung vom Kopfe zur Seite gedrängt worden. 

Da auch nach Geburt des Kindes kein Blut abging, so überliessen wir 
die Ausstossung der Placenta den natürlichen Kräften. Es zeigte sich aber, 
dass, als nach l'/s Stunden die Expression vorgenommen werden sollte, der 
uoeh über dem inneren Muttermunde adhärirende Theil der Placenta so 
fest sass, dass er selbst der kräftigsten Expression nicht folgte*, und kleine 
Reste, die eine fortdauernde Blutung veranlassten, manuell entfernt werden 
mussten. Ueberwachung durch zwei Stunden. 

Auch in dem zweiten Falle von Placenta praevia, der bei schwerer 
Blutung durch combinirte Wendung und Extraction mit Erfolg beendet 
wurde, traten in der Nachgeburtszeit auffallende Störungen ein: 

Frau F., 1888, No. 93, VIII.-Gebärende. Nach Extraction des Kindes 
kein Blutabgang. Deshalb abwartende Methode. Als nach l*/> Stunden 
die Expression vorgenommen werden sollte, gelang diese nicht. Es zeigte 
sich, dass die Placenta noch ganz im Uterus sass. So wurde auch hier 
die manuelle Entfernung nothwendig. Ganz deutlich war es dem Ope¬ 
rateur, dass dicke Stränge, welche die Placenta mit der Gebärmutterwand 
verbanden, durchtrennt werden mussten. 

Schon längere Zeit bin ich auf den Umstand aufmerksam geworden, 
dass im Anschluss au Placenta praevia auffallend häufig Placentaroperationen 
uüthig wurden. 

So lange man noch, einem Schema folgend, gleich post partum nach 
Credos Vorschlag die Placenta exprimirte, und Blutungen den Anlass zur 
manuellen Entfernung gaben, war es nicht möglich festzustellen, ob diese 
Blutungen Fortsetzungen der schon vorher bestehenden waren, ob sie sich 
an den Crede’schen Handgriff anschlossen. Ebensowenig Hess sich sagen, 
ob die manuelle Entfernung der Placenta ihren Grund in einer Verwachsung 
oder in einer eiufacheu Retention hatte. 

Seit wir das abwartende Verfahren in der Nachgeburtsperiode anwenden, 
zeigt sich nun, 1. dass in der Regel bei Placenta praevia in der Nachge¬ 
burtsperiode keine Blutung erfolgt, dass 2. auffallender Weise die tief 
sitzende Placeuta durch Naturkräfte nicht regelmässig in die Scheide ge- 

') Später fand ich dieses Verfahren vorgeschlagen von der Siege¬ 
mundin, Ausgabe 1600, p. HO. 


trieben wird, dass 3. die Placenta häufig abnorm mit der Gebärmutterwand 
verwachson ist. Ausser den eben mitgetheilten Fällen will ich ganz kurz 
über die Beobachtungen von Placeuta praevia berichten, die ich seit Ge¬ 
brauch der abwartenden Methode in Behandlung gehabt habe. 

Es sind noch 9 Fälle. Nur zwei Mal verlief die Nachgeburtsperiode 
spontan. Sieben Mal musste die Placenta oder Theile derselben manuell 
entfernt werden und nicht etwa, weil gleich nach Geburt des Kindes 
Blutung zur Herausnahme gedrängt hätte, sondern iu allen Fällen waren 
Verwachsungen einzelner Theile der matemen Fläche der Placenta mit der 
Decidua vorhanden, welche die normale Losstossung unmöglich machten. 

Berücksichtigt man das Verhältnis», dass unter 11 Fällen von Placenta 
praevia 9 Mal (=81,8%) Verwachsungen der Placenta sich fanden, die 
/.u manuellen Eingriffen Anlass gaben, so ist dies eine neue, bisher noch 
nicht genügend beobachtete Complication des tiefen Sitzes der Placenta, 
welche diese Abnormität noch gefährlicher macht, als sie so schon ist. 

Die Statistik der Placeuta praevia meldet uns einen grossen Procent- 
satz Placentarlösungen im Anschluss an Geburten mit tiefem Sitze. Unter 
42 Fällen musste Huggenberger') 11 Mal, =20%, die Placenta lösen. 
Wie viel Mal Placentarreste ausserdem zurückblieben, ist nicht gesagt. 
K rassowsky 2 ) theilt mit, dass unter 37 Fällen 6 Mal = 16,2%, die 
Placenta manuell entfernt werden musste „und vielfach wurden Nachblu¬ 
tungen aus dem schlecht contrahirten unteren Uterinsegment beobachtet“. 
Aehnliche Berichte finden sich, wenn auch auf kleineren Zahlen fussend, 
ebenso iu anderen Veröffentlichungen, doch habe ich nirgends den causalen 
Zusammenhang zwischen Placenta praevia und Placentaadhärenz, in Folge 
dessen Placentalösung, hervorgehoben gefunden. 

Nach den Beobachtungen in unserer Anstalt kaun aber darüber kein 
Zweifel sein, dass dieser Causalnexus besteht. Wenn derselbe nicht schon 
früher gefunden wurde, so lag dies zum Theil wohl daran, dass man bei 
Anwendung des Crede’schen Verfahrens gleich post partum die Verhält¬ 
nisse so alterirte, dass mau nicht sageu konnte, weshalb nun eigentlich 
die Placenta gelöst werden musste. Auch wird wohl sehr häufig durch 
forcirte Expression der gelöste Theil der Placenta ausgequetscht worden sein, 
während die kleineren, festhaftenden Partieen zurückblieben, vielleicht auch 
ab uud zu ohne Erscheinungen zu machen. 

Es liegt nahe, daran zu denken, dass diese Verwachsungen der tief 
sitzenden Placenta einmal abhängig sein werden von Erkrankungen des 
Endometriums, die vielleicht selbst den tiefen Sitz erst bedingt haben, 
andererseits von der Nähe der Placenta an dem inneren Muttermund, da auf 
diese Weise die Cervixmikroorganismen direkt in Berührung kommen 
können mit der Decidua, in welcher die Zotten eingebettet sind. 

Für die Praxis geht aus diesen Mittheilungen die Nothwendigkeit her¬ 
vor, bei Placenta praevia sich von vornherein mit dem Gedanken vertraut 
zu machen, eine Plaeentarlösung vornehmen zu müssen. (Fortsetzung folgt.) 


X. Therapeutische Mitteilungen. 

Snlfonal. 

Im Folgenden geben wir als Ergänzung der eingehenden, im städti¬ 
schen Krankenhause Friedrichshain unter der Leitung von Fürbringer 
entstandenen Arbeit von Schwalbe (s. diese Nummer p. 499) eine summa¬ 
rische Uebersicht über die bisher mit dem neuen Schlafmittel Sulfonal erziel¬ 
ten Erfolge. Die Zahl und Zuverlässigkeit der Beobachter sowie die Menge 
der Einzelanwendungen geben bereits ein abgerundetes Bild über den Werth 
des neuen Mittels und gestatten ein annähernd abgeschlossenes Urtheil über 
seine Brauchbarkeit. 

Iu No. 16 der B. kl. Wehs. d. J. hat Prof. Käst in Freiburg die erste 
Publication über „Sulfonal“ gemacht, von dessen günstiger Wirkung er sich 
in mehr als 120 Einzelbeobachtungen an über 30 Kranken überzeugt haben 
will. Als die wesentlichste und Haupteigenschaft desselben bezeichnet er 
die Fähigkeit, das normale periodische Schlafbedürfnis zu unterstützen und 
da, wo es fehlt, hervorzurufen. Dabei habe das Mittel nicht die geringste 
schädliche Nebenwirkung, auch bei Herzkrankheit nicht. Sodann habe es 
den Vorzug, völlig geruch- und geschmacklos zu sein. 

Rabbas (B. kl. Wehs. No. 17) kommt zu folgenden Schlussfolgerungen. 
Sulfonal ist eiu Hypnoticum, welches schon in mittleren Dosen (2,0—3,0 g) 
sicherer und besser wirkt als Amylenhydrat und Paraldehyd in grösseren 
Dosen. Auch bei Leuten, die an Narcotica gewöhnt sind, ist seine Wirkung 
eine erfolgreichere. Ausserdem übertrifft es diese Mittel in Bezug auf Ge¬ 
schmack und Geruch. Der Chloralschlaf erfolgt schneller, ist aber nicht 
so anhaltend wie der nach Sulfonal eintretende. Einzelgaben von 2—3 g 
haben gewöhnlich auch bei erregten Kranken gute Wirkung. Bei längerer 
Verabreichung scheint ein Steigen in der Dosis nicht erforderlich zu seiu. 
Der Schlaf tritt meist nach */a, seltener nach 1—2 Stunden ein und dauert 
6—8 Stunden, zuweilen erstreckt er sich noch auf einige Stunden des Vor¬ 
mittags. Der Schlaf gleicht vollkommen dem normalen. Ueble Nach¬ 
wirkungen sind selbst bei längerer Verabreichung uicht vorhanden. Appetit, 
Verdauung, Respiration, Herzaction werden in keiner Weise schädlich be¬ 
einflusst. Gelegentlich schlägt das Sulfonal auch fehl. Auf Grund unserer 
Beobachtungen können wir das Mittel, als Hypnoticum nur empfehlen. 

• Auch Langgaard und Rabow (Th. Mshft. Mai 1888) bestätigen die 
Angaben Kast’s sonst im vollen Umfange. 

Desgleichen berichtet Salgö (Wien. med. Wehs. No. 22) über die Wir¬ 
kung des Sulfonals bei Bekämpfung der Schlaflosigkeit in günstigem Sinne. 


*) Bericht aus dem Hebammeninstitute Ihrer Kaiserlichen Hoheit der 
Frau Grossfürstin Helene Paulowna zu St. Petersburg, Petersburg, 1863, 
p. 42 und ff. 

a ) Aus der Gebäranstalt des Kaiserlichen Erziehungshauses, St. Peters¬ 
burg, 1881, p. 89. 


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21. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Rosin (B. kl. Wehs. No. 18) kommt zu dem Schluss: Alles in allem 
genommen erweist sich das Sulfonal in der Dosis von 2,0 g als ein nicht 
hinter der Sicherheit der anderen bewährten Schlafmittel wie Morphium und 
Chloral zurückstehendes Medicament, das wegen des Ausbleibens der schäd¬ 
lichen Nebenwirkungen selbst in doppelt so starker Dosis (4,0 g) in Fällen 
von uncomplicirter Schlaflosigkeit sehr zu empfehlen ist. 

Oestreicher (B. kl. Wehs. No. 18) sagt: Die Ergebnisse meiner Ver¬ 
suche stimmen mit den bisher veröffentlichten von Käst und Rabbas voll¬ 
kommen überein. Sulfonal ist ein unschädliches, von keinen üblen Neben¬ 
wirkungen gefolgtes Schlafmittel. Respiration, Puls, Nierenabsonderung, so¬ 
weit Albuminurie in Betracht kommt, bleiben unbeeinflusst. Ob bei anhal¬ 
tendem Gebrauch Störungen eintreten, lässt sich vor der Hand noch nicht 
sagen. Wegen seiner Geschmack- und Geruchlosigkeit verdient es besonders 
bei Geisteskranken vor Amylenhydrat und Paraldehyd den Vorzug. In seiner 
Wirkung ist es nicht absolut sicher, kommt aber meistens der von Chloral 
in entsprechenden Dosen gleich, welchem es — wenigstens bei vorüber¬ 
gehendem Gebrauch — die Ungefährlichkeit selbst bei Herzaffectionen voraus 
hat. Excitation und Rauschzustände verursacht es nicht. In den ersten 
Tagen der Morphinabstinenz hilft es gemeinhin ebensowenig wie die drei 
genannten Schlafmittel. Der Schlaf, den es hervorbringt, tritt oft erst später 
als bei den anderen Mitteln, nach 1 bis 8 Stunden ein, ist aber anhaltend 
und fest Es empfiehlt sich, das Mittel mehrere Stunden vor dem Schlafen¬ 
gehen zu verabfolgen. Rasche Gewöhnung tritt meistentheils nicht ein, ob 
sie sich überhaupt einstellt, ist noch nicht zu entscheiden. 

Cramer in Freiburg (Münch, med.Wehs. No. 24) hatte nach 407 Ver¬ 
suchen an 92 Geisteskranken in 92,6 % positiven Erfolg, es führte fünf- und 
mehrstündigen Schlaf herbei, erfolglos war es in 7,4 °/o, indem es höchstens 
einen Schlaf bis zu 5 Stunden herbeiführte. In drei Fällen ergaben Con- 
trollversuche mit Kochsalz, dass der Schlaf nur auf suggestiver Wirkung 
beruhte. Das Mittel wurde, in Oblaten, Wein, Bier, Caffee, Wasser gereicht, 
stets gern genommen, in 3 Fällen ohne Wissen der Kranken dem Essen 
(Kartoffelsalat, Dürrobst etc.) beigemischt, auf Butterbrot gestreut, in Ome¬ 
lette eingebacken. Schlaf meist nach */*—’/s Stunde, selten nach 1—2 
Stunden. Dauer: in schweren Fällen 5 —6, in leichten 6—8 Stunden, hin 
und wieder noch Schläfrigkeit am anderen Morgen, keine unangenehmen 
Nebenwirkungen. Bei Melancholikern, die von quälender Angst gepeinigt 
waren, war es in dosi refracta am Tage gegeben, von beruhigender 
Wirkung, Abends Schlaf 6 — 8 Stunden, Dosis 2—3 g p. die. Bei perio¬ 
discher Manie trat Beruhigung des Kranken nach wenigen Dosen ein, nach 
Aussetzen des Mittels kehrte die Erregung wieder. Einer Kranken wurden 
in 6 Tagen 31 g Sulfonal verabreicht, ohne dass nachtheilige Wirkungen 
eintraten und ohne dass das Mittel versagte, ebenso wurden in 2 Fällen 
von schwerer Melancholie 2 Monate täglich 3 g ohne Schaden gegeben. 
Steigerung der Dosis um 1—l‘/s g war nur einmal nöthig. Es ergiebt 
sich aus obigem, dass in dem Sulfonal namentlich für die psychiatrische 
Therapie ein wichtiges und gut wirkendes Schlafmittel gewonnen ist, für 
welches allerdings noch genauere Indicationen zu gewinnen, nur durch fort¬ 
gesetzte genaue klinische Prüfung möglich sein wird. 


XL Georg v. Adelmann f. 

Am Abend des 16. Juni starb der Kaiserlich russische wirk¬ 
liche Staatsrath, Professor emeritus Dr. v. Adelmann, seit 1871, 
dem Jahre seiner Uebersiedelung nach Berlin, eins der hochgeach¬ 
tetsten Mitglieder des ärztlichen Standes in Berlin, v. Adel mann 
ist am 28. Juni 1811 in Fulda geboren. Er erwarb seine natur¬ 
wissenschaftliche Ausbildung in Loewen und studirte Medicin in 
Marburg und Wurzburg. In Marburg wurde er 1832 zum Dr. med. 
promovirt und war dann als Assistent an der von Heusinger ge¬ 
leiteten medicinischen Klinik thätig. 1835 Hess er sich in Fulda 
als Arzt nieder, kehrte aber nach zwei Jahren nach Marburg zu¬ 
rück, wo er unter Ullmann Assistent an der chirurgischen Klinik 
wurde. In demselben Jahre habilitirte er sich als Privatdocent, 
verliess nach zweijähriger Dienstzeit die Assistentenstelle, wurde 1841 
auf den durch Pirogoff’s Abgang nach St. Petersburg erledigten 
Lehrstuhl der Chirurgie nach Dorpat berufen, waltete 30 Jahre seines 
Lehramtes und siedelte, im Jahre 1871 emeritirt, nach BerUn über, 
woselbst er bis in die letzten Tage seines Lebens lebhaften Antheil 
nahm an den Fragen seiner Wissenschaft. 

v. Adelmann’s literarische Arbeiten 1 ) haben manches Kapitel 
der medicinischen Wissenschaft bereichert und den Ausbau vieler 
gefördert- Dieselben hatten bis zu seiner Berufung nach Dorpat, 
ausser seiner Dissertation „De digitae lithrontritiae“ (1833) und 
seiner Habilitationsschrift „De steatomate proprio tumorum para- 
sitorum genere“ (1837), in Mittheilungen geburtshülfliehen Inhalts 
in von Siebold’s Journal und der Neuen Zeitschrift für Geburts¬ 
kunde, einer Reihe von Recensionen und Schriften in all den ge¬ 
nannten Zeitschriften und in Schmidt’s Jahrbüchern, sowie in der 
Herausgabe der „Annalen der chirurgischen Abtheilung des Land¬ 
krankenhauses zu Fulda“ während der Jahre 1835—1836 bestanden. 
Von 1841 an traten dazu noch mehrere Artikel in Schmidt’s Ency- 
klopädie der gesammten Medicin und dann auch, in verschiedenen 
Zeitabschnitten und in verschiedenen Orten publicirt, Berichte über 
seine klinische Thätigkeit in Dorpat. Dazu kommt eine Reihe von 
Publicationen zum Theil medicinischen, hauptsächlich aber chirur- 


') s. Biogr. Lexikon p. 59. 


gischen Inhalts, darunter als besondere Schrift: „Untersuchungen 
bei krankhaften Zuständen der Oberkieferhöhle“ (Dorpat 1844). 
1860 wurde v. Adelmann wirklicher Staatsrath und veröffentlichte 
bis zu der im Jahre 1871 erfolgten Niederlegung seiner Professur 
noch eine Reihe von Arbeiten in periodisch erscheinenden Zeit¬ 
schriften, so in der Petersburger medicinischen Zeitschrift, in der 
Prager Vierteljahrsschrift, im Archiv für klinische Chirurgie etc., 
von welchen wir als besonders hervorragend hervorheben: „Die 
gewaltsame Beugung der Extremitäten als Stillungsmittel bei arte¬ 
riellen Blutungen derselben.“ Aus der Zeit nach seiner Emeri¬ 
tirung heben wir hervor: In der Prager Vierteljahrsschrift 
1876 und 1879: „Beiträge zur chirurgischen Pathologie und 
Therapie der Ernährungsorgane“ und „Zur Geschichte und 
Statistik der theilweisen und vollständigen Schulterblattresectionen“; 
im Archivio di chirurgia pratico 1877: „Su i medici dell’ esercito 
russo“; im Tageblatt der 51. Versammlung deutscher Naturforscher 
undAerzte, 1878: „Ueber endemische Augenkrankheiten der Esthen in 
Livland und verwandter Stämme im russischen Reiche“ u. a. Noch 
in der letzten Sitzung der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins 
am 4. Juni, in der v. Adelmann den Vorsitz führte, hielt derselbe, 
einen Vortrag „Ueber die operative Entfernung des knöchernen Brust¬ 
beins“ (s. diese Wochenschrift No. 24, p. 486). Diese Wochenschrift 
verdankt dem Verstorbenen ausserdem eine Reihe der werthvollsten 
Beiträge verschiedenen Inhalts. Sehen wir ab von seinen Leistungen 
auf dem Gebiete der Wissenschaft, welche ihm in ihren Reihen als 
bewährtem und zuverlässigem Forscher einen ehrenvollen Platz eiu- 
räurat, sehen wir ab von seinem hervorragenden Lehrtalent, so hat 
sein liebenswürdiges und gefälliges Entgegenkommen, seine in Ge¬ 
sinnung und im Handeln hervortretende Vornehmheit ihm unter 
den Berliner Aerzten eine besondere, auf allseitige Verehrung be¬ 
ruhende Stellung gewahrt. 

Ehre seinem Andenken! 

XII. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Generalarzt Professor I)r. Leuthold ist von Seiner Ma¬ 
jestät dem Kaiser zu dessen Leibarzt berufen worden. 

— Geh. Rath Prof. Dr. Virchow wurde von der Holländischen Ge¬ 
sellschaft für Wissenschaften in Harlem die grosso goldene sog. Bocrhavc- 
medaille für Anthropologie verliehen. 

— Die Leichenfeier des am 16. d. M. an einer Lungenentzündung 
gestorbcuen Prof. Dr. v. Adelmann fand am 19. d. M. in der Capelle der 
Chirurgischen Universitätsklinik statt. Die Trauerrede hielt sein früherer 
Schüler und Schwiegersohn Geh. Rath Prof. Dr. v. Bergmann. Die zahl¬ 
reiche Trauerversammlung gab ein beredtes Zeugniss von dem hohen Ansehen, 
dessen sich der Verstorbene in den weitesten Kreisen erfreute. 

— In der letzten Sitzung der Berliner medicinischen Gesellschaft machte 
der Vorsitzende, Herr Virchow, die Mittheilung, dass Herr B. Fraenkel 
bei der Enthüllung des Denkmals Jul. Oohnheim’s die Gesellschaft ver¬ 
treten und im Namen derselben einen Kranz am Grabe des berühmten 
Pathologeu niedergelegt habe. 

— Im Kaiserlichen Gesundheitsamt ist eine Commission zusammenge¬ 
treten, welche sich über die Frage der Zulässigkeit eines Fuselgehalts 
im Trinkbranntwein gutachtlich zu äussern hat. Der Commissiou ist 
als Material eine von Geh. Rath Seil bearbeitete Denkschrift zugegangen, 
die u. A. den Befund der im Kaiserlichen Gesundheitsamt im Laufe des 
Jahres auf ihren Alkohol- und Fuselgehalt untersuchten Branntweinproben 
zusammenstellt. 

— Das Comite des im October nächsten Jahres in Paris stattfindenden 
dermatologischen Congresses, über welchen wir in No. 22 berichteten, 
hat für Deutschland Herrn Dr. 0. Lassar als Delegirtcn bestellt, um die 
deutschen Fachgenossen zur Mitarbeit für den Congress zu gewinnen. In diesem 
Sinne werden die Dermatologen Deutschlands und alle Freundo der Disciplin 
um ihre Theilnahme gebeten, damit ein geschlossenes Auftreten ermöglicht 
wird, wobei jeder das von ihm besonders vertretene Arbeitsfeld repräsentirt. 
Herr Dr. Lassar (Karlstrasse 19) ist zur Vermittlung besonderer Vorschläge 
und Wünsche gern bereit. 

— Die Universität Berlin zählt in diesem Semester 4767 Studirende. 

— Am 28. d. M. findet, wie alljährlich, die Leibnitzsitzung der 
Königlichen Akademie der Wissenschaften statt. Die Festrede hält 
Geh. Medicinalrath Prof. Du Bois-Reymond. 

— Der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Samariter¬ 
vereins zu Kiel (Vorsitzender v. Esmarch) versendet scineu sechsten 
Jahresbericht für das Jahr 1887/1888, aus welchem hervorgeht, dass die 
Sache des Samariterwesens in immer weiteren Kreisen Verständuiss und Be¬ 
theiligung findet. Soweit dem Vorstand Kenntniss davon geworden ist, be¬ 
ginnen die Einrichtungen des Samariterwesens auch im Auslände, so iu 
Dänemark, Schweiz, Italien, Russland, Nord- und Südamerika Anerkennung 
und Nachahmung zu finden. Endlich enthält der Bericht noch die genauen 
Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den Antrag Douglas, -auf 
technischen Unterrichtsanstalten aller Art, wie auf den Seminarieu Vor¬ 
lesungen über die erste Hülfe bei plötzlichen Unglücksfällen anzuordnen. u 

— Würzburg. Dem Geh. Rath v. Scanzoni ist aus Anlass seines 
Rücktritts vom Lehramte das Ehrenbürgerrecht seitens der Stadtbehörden 
ertheilt worden. 

— Heidelberg. Der 7. periodische internationale Ophthalraolo- 
gencongress wird nicht, wie wir in einer der letzten Nummern berichteten, 
vom 9.—12., sondern vom 8.—11. August dieses Jahres stattfinden. Zu den 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 25 


516 


Referaten tritt noch ein viertes, und zwar: „Ueber Ursache und Behandlung 
des Strabismus 1- , Referent Landolt (Paris), Correferent Raymond (Turin). 
Das neu ausgegebenc Programm wird ebenfalls nur als ein vorläufiges an¬ 
zusehen sein, da dem in der Eröffnungssitzung zu wählenden Vorsitzenden 
und dem Bureau im Einvernehmen mit den Vortragenden und Referenten 
zusteht, die Reihenfolge der Vorträge zu bestimmen. 

— Wien. Professor Hyrtl hat dem Decanate des Wiener raedici- 
nischen Professorencollegiums bekannt gegeben, dass er sechs Stipendien 
für würdige mittellose Hörer der Medicin an dieser Hochschule, und zwar 
ohne Unterschied der Nationalität und Confession, zu dotireu gedenke. 
(Wiener med. Wochenschr.) 

— Paris. Am 20. Juli d. J. wird im Industriepalast die Hygiene¬ 
ausstellung eröffnet werden. Unter den Comitemitgliedern der Ausstellung, 
die von hohem Interesse zu werden verspricht, befinden sich u. A. Ber¬ 
thelot. Dujardin-Beaumetz, Morin etc. 

— Die Societe de Biologie in Paris hat in ihrer Sitzung vom 9. Juni 
auf Bro wn-Sequard’s Antrag beschlossen, einen internationalen 
Physiologencongress im nächsten Jahre in Paris zu veranstalten und 
das Präsidium der Gesellschaft (Brown-Sequard, du Montpellier), 
sowie die Professoren Richet, d’Arsonval und Marey mit den Vor¬ 
arbeiten für diesen Congress betraut. 

— In Paris hat sieh unter dem Namen „Societe parisiennc d’oph- 
thalmologic“ am 12. d. M. eine Vereinigung von Augenärzten gebildet, 
deren Mitglieder nur Franzosen sein können, die aber anch Mittheilungen 
von Specialisten aller Länder aunimmt und zur Discussion bringt. Präsi¬ 
dent für 1888 ist Chevallerau, Secretär M. Gorecki. 

— Bologna. Ein culturgeschichtliches Fest von grosser Bedeutung 
ist in den letzten Tagen in Bologna begangen worden, wo dio berühmte 
Universität, die älteste der Welt, ihr 800jähriges Jubiläum feierte. Fast alle 
europäischen Culturvölker haben zu dieser Feier ihre Vertreter entsendet, 
81 fremde Universitäten und 18 italienische waren durch 274 Professoren 
vertreten. Eine Reihe glänzender Festlichkeiten leitete die Feier ein, welche 
durch die Anwesenheit, des Königs von Italien verherrlicht wurde. — Von 
Deutschen Medicinom sind anlässlich der Jubiläumsfeier der Universität 
Bologna zu Ehrendoctoren promovirt: von in Bologna Anwesenden: 
v. Liebermeister (Tübingen), Schiff (Genf), Massen (Wien); von Ab¬ 
wesenden: R. Virchow, R. Koch und 0. Hertwig (Berlin), v. Kölliker 
(Wür/burg), v. Pettenkofer (München), Ludwig (Leipzig), Billroth 
(Wien). Unter den von der naturwissenschaftlichen Facultät Promovirten 
befinden sich v. Helmholtz und A. W. Hofmann (Berlin). 

— Alexandria. Am 8. Juni hat die Enthüllungsfeier eines zu 
Ehren Thuillier’s errichteten Denkmals stattgefunden; Thuillier 
ist bekanntlich der junge Gelehrte, welcher auf seiner Forschungsreise zum 
•Studium der Cholera nach Egypten ein Opfer seines Berufes wurde. 

— Krakau. Dem Vernehmen nach hat Prof. Dr. Adamkiewicz seine 
Professur niedergclegt, um nach Berlin überzusiedeln. 

— Das erste Heft der „Berliner Klinik“, herausgegeben von 
Fnrhringcr und Hahn im Verlage von Fischer’s medicinische Buch¬ 
handlung (H. Kornfeld), ist soeben erschienen und enhält zwei V'orträge 
von Senator: „Ziele und Wege der ärztlichen Thätigkeit“ uud „Ueber Icterus, 
seine Entstehung und Behandlung“. Wenn das in dem Programm von den 
Herausgebern ausgesprochene Bestreiten, rein theoretische Raisonnemeuts, 
ungeprüfte Itezw. kritiklose Empfehlungen therapeutischer Methoden und 
sonstige, den praktischen Acr/.ten nutzlose Bearbeitungen aus diesen Vor¬ 
trägen auszuschliesseu, in den weiteren Vorträgen der Art, wie es Senator 
in den genannten Vorträgen thut, durchgeführt wird — und wir dürfen bei 
der bewährten Leitung von Fachmännern, wie Fürbringcr und Hahn, 
keinen Augenblick daran zweifeln, dass an diesem Programm festgehalten 
wird —, dann sind wir auch berechtigt, dem Unternehmen die denkbar 
günstigste Prognose zu stellen. Solcher Gestalt sind die Vorträge für den 
Praktiker von grossem Gewinn uud ein Fortschritt auf dem heute gewiss 
nothwendigen Wege, demselben unnützen Ballast auf die Seite zu räumen 
und seinen Blick frei zu halten für die Erfordernisse und Ziele des prak¬ 
tischen Arztes. In schlichter Form präcisirt Senator in dem ersten Hefte 
die Aufgabe des Arztes, seines Wissons und Könnens, don gesunden Men¬ 
schen vor Erkrankungen zu schützen und dem erkrankten beizustehen. Der 
ätiologischen Aera stellt, er das weitaus grössere Gebiet der Krankheiten 
nicht parasitärer Natur gegenüber uud bringt damit den Arzt auf den Stand¬ 
punkt zurück, nicht einzig und allein, wie dies unverkennbar in der letzten 
Zeit geschehen ist, bei der Aetiologie der Krankheiten in reine Bacteriologie 
aufzugehen. In dem Abschnitt, welcher die Prophylaxe behandelt, präcisirt 
er ihre Aufgabe in folgendem Satze: „Alle Maassnahmen zur Verhütung 
von Krankheiten gehen darauf aus, einmal dio Krankheitsursachen von den 
Menschen feruzuhallen oder sie unwirksam zu machen, und zweitens die 
Widerstandsfähigkeit der Menschen zu erhöhen, ihre Empfänglichkeit für 
Krankheiten herabzusetzen.“ Es würde zu weit führen, die einzig auf That- 
sachen sich stützenden Ausführungen der beiden Vorträge einer weiteren 
Analyse zu unterziehen, es genüge, nochmals besonders auf die taghelle 
Darstellung hinzuweisen und der Genugthuung das Wort zu geben, dass 
das neue Unternehmen sich mit don genannten beiden Vorträgen auf das 
Günstigste eingeführt hat. 

— Die . Arzneiverordnungen“ von Rabow sind im Verlage von Schraidt’s 
Universitätsbuchhandlung in Strassburg — sage in 14. vermehrter und ver¬ 
besserter Auflage soeben erschienen. Dass die Auflage eine vermehrte 
werden musste, liegt in der Natur der Sache, da unser. Arzneischatz in der 
jüngsten Zeit nicht unerhebliche Bereicherungen erfahren hat; dass die 
noueste Auflage aber auch eine wesentlich verbesserte geworden ist, ist das 
Verdienst des sorgfältigen Herausgebers, Rabow, der den Weizen von der 
Spreu zu trennen weiss und der auch seinen Lohn in der sich stetig aus¬ 
dehnenden Verbreitung seines Werkchens unter den Aerzten findet. Es ist 
erstaunlich, wie der Herausgeber trotz der nicht unbeträchtlichen inhaltlichen 


Vermehrung immer wieder durch Umarbeitung und Kürzung das Werkchen 
doch nicht hat erheblich voluminöser werden lassen Zu solcher Leistung 
gehört, mehr als Fleiss, dazu gehört eben das Geschick und die fachmännische 
Kenntniss, die der Herausgeber besitzt. Von neueren Mitteln haben Auf¬ 
nahme gefunden: Acid. hydrofluoricura, Anthrarobin, Aseptol, Bursa Pastoris, 
Erythrophloein, Guajacol, Kolanüsse, Lipanin, Methylchlorid, Phenacetin, 
Photoxylin, Simulo, Sozojodol, Sulfonal etc. Der baineologische Theil ist 
ebenfalls wesentlich und zweck-raässig umgestaltet worden. Die neue Auflage 
wird dem Werkeben sicher neue Freunde erwerben. 

— Das Commaudo des österreichischen Kriegsschiffes „Albatros“ be¬ 
richtet, dass* auf Teneriffa eine neue Heilstätte entstanden ist, die 
möglicherweise Madeira ganz in den Hintergrund drängen wird. Die mittlere 
Jahrestemperatur auf Teneriffa beträgt 13°, die höchste Sommerwärme selten 
über 30°, das winterliche Minimum nie unter 14° C. Die Differenz zwischen 
Tages- und Nachttemperatur ist gering, die Niederschläge sind reichlich, das 
Klima ist. heilkräftig und wirkt ungemein beruhigend, endemische Krank¬ 
heiten kommen nicht vor. Während der heisseren Sommermonate bieten 
eine Menge Ortschaften in beliebiger Höhe über dem Meere eine reiche Aus¬ 
wahl der erquickendsten Sommerfrischen, so dass die klimatischen Verhält¬ 
nisse von Teneriffa, wie die der Nachbarinsel Gran Canaria, zu don denkbar 
günstigsten gehören. (Wiener klin. Wochenschr. No. 11.) 

— Zur medicinischen Publicistik. Vom 1. Juli au erscheint im 
Verlage von Kornfeld in Berlin unter dem Titel „Der österreichische Sani- 
tätsbearate“ eine Halbmonatsschrift für medicinische Polizei, Medicinalgesetz- 
gebung und Gesundheitspflege. 

— Krakau. Dr. Kopernicki wurde zum Professor für Anthropo¬ 
logie ernannt. — Graz. Professor Zuekerkandl wurde zum Mitgliede 
der Kaiserlich Leopoldinisch-Karolinischen Akademie der Naturforscher ge¬ 
wählt. — 


Xm. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). Auszeichnungen: Seine Majestät der 
König haben Allergnädigst geruht, den Kreis-Physikern Dr. Friedländer 
in Lublinitz und Dr. Mencke in Marienberg, dem Kreiswundarzt Dr. Po- 
widzki in Schrimm, sowie den praktischen Aer/.teu Dr. Wolff in Tarno- 
witz und Dr. Koblhardt in Weissenfels den Charakter als Sanitätsrath 
und dem praktischen Arzt Geheimen Sanitätsrath Dr. Mayländerin Berlin 
den Rothen Adler-Orden IV. CI. zu verleihen. — Ernennungen: Seine 
Majestät der Kaiser haben Allergnädigst geruht, den seitherigen Stabsarzt 
Dr. Rahts zu Berlin zum Regierungsrath und Mitglied des Kaiserl. Gesund¬ 
heitsamtes zu ernennen. Der seitherige Kreiswundarzt der Kreise Duisburg- 
Mülheim, Dr. Marx zu Mülheim a. d. Ruhr, ist zum Kreis-Physikus des 
Kreises Mülheim, der praktische Arzt Dr. Veitkamp zu Remscheid zum 
Kreiswundarzt der Kreise Remscheid-Lenuep, der prakt. Arzt Dr. Brink¬ 
mann zu Christburg zum Kreiswundarzt des Kreises Stuhm, der seither 
mit der commissarischen Verwaltung der Kreiswundarztstelle des Kreises 
Sorau beauftragte praktische Arzt Dr. Steinbach in Triebei zum Kreis¬ 
wundarzt des gedachten Kreises ernannt worden. — Niederlassungen: 
Die Aerzte: Dr. Proske in Myslowitz, Leja in Krappitz, Dr. Glaser in 
Nietleben, Dr. Lange in Hoheneggelsen, Dr. Kühn in Altenau, Dr.Linko 
in Lebus, Dr. Schwabe iu Woldeuberg. — Verzogen sind: Die Aerzte: 
Dr. Rehfisch von Saabor nach Berliu, Oh.-Stabsarzt a. D. Dr. Schwarz 
von Rietschen nach Görlitz, Dr. Wollenberg von Nietleben nach Berlin, 
I)r. Kantorowicz von Woldenberg nach Schönewalde, Dr. Hammel von 
Duingen nach Bremen als Schiffsarzt, Hartmann von Ilfeld nach Goettingen, 
Dr. Kessner von Werder nach Guben. — Verstorben sind: Die 
Aerzte: Dr. Caesar in Hettstedt, Dr. Caesar in Eislebeu, Rohde in 
Barth, Dr. Humport in Grumbach. 


2. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Ernennungen: Dr. H. 
Ullrich, I. Hilfs.-A. d. Kr.-Irr.-Anst. Erlangen zum Direktor d. Kr.-Irr.- 
Anst. Deggendorf. Dr. E. Re hm zum zweiten Oberarzt der Kr.-Irren-Anst. 
in München. — Ruhestandsversetzung: Bez.-A. I. CI. Dr. J. Faul¬ 
haber in Neustadt a. S. — Niederlassungen: Dr. E. Moser in Unter¬ 
steinbach, Dr. Althammer iu Altmannstein, Dr. H. Held in Rüdenhausen, 
Appr Arzt H. Theilc in Hof. — Verzogen: Stabs.-A. a. D. Dr. E. Frens¬ 
dorf von Bayreuth nach Frankfurt a./M, Dr. Grasemann von München 
nach Gera. 

3. Baden. (Aerztl. Mitth. a. Baden.) Ernennung: Dr. W. Nadler, 
Hilfs-A. a. d. Heil- u. Pflege-Anstalt Illenau zum Bez.-A. in Eppingen. 
Ruhestandsversetzung: Bez.-A. K. Hug in Waldshut. — Nieder¬ 
lassungen: Die prakt. Aerzte Dr. L. Schmitz und Dr. J. Wegerle in 
Mannheim, J. Lenz in Bretten, Dr. G. Schlötzer (früher in Chicago) 
in Karlsruhe. A. Billig in Malsch, J. Hofmannin Heidelberg. — Ver¬ 
zogen: Die prakt. Aerzte Dr. Siebt von Ladeuburg nach Durlach, Dr. A. 
Fuhr von Oppenau nach Seckenheim, Kämmerer von Seckenheim nach 
Durlach, Dr. H. Frank von Zabern nach Mannheim, Geh. Rath Dr. Kuss- 
maul von Strassburg nach Heidelberg. Gestorben: Dr. G. Haberkorn 
iu Langensteinbach, Dr. Fändrich in Pfaflfenweiler. 

4. Württemberg. (Med. Corr.-Bl. d. Württemb. ärztl. Land.-Ver.) 
Ernennungen: Der Stadtdirektionsarzt Dr. Gussmann zum Med.-Rath 
beim Med.-Collegium in Stuttgart. Stadt-A. Dr. Greiss iu Möckmühl zum 
Ob.-A.-A. iu Neckarsulm. Dr. Ludwig iu Creplingen zum Ob.-A.-A. in 
Leonberg. Dr. K. Heller in Sulz zum Ob.-A.-Wund-A. daselbst. — 
Verabschiedet: Ob.-St.-A. 1. CI. und Reg.-A. im Inf.-Reg. No. 120 
Dr. Müller. — Niederlassungen: Der pr. ArztH. Bally in Gerstetten. 
Dr. G. Frohmaier, bisher Schiffsarzt des norddeutschen Lloyd, in Lud¬ 
wigsburg. 


Gedruckt bei Julias Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


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28. Juni 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner, 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thierae, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Lungentuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

Lungentuberculose. 

Die Lehre von der Lungenschwindsucht und der Tuberculose 
überhaupt hat im Laufe der Zeit mancherlei eingreifende Umwand¬ 
lungen erfahren, und es ist den Aerzten nicht leicht geworden, jeder¬ 
zeit ihre Erfahrungen und deren Deutung mit den Umgestaltungen, 
welche die Theorie erlitten hatte, in Uebereinstimmung zu bringen. 
Die alten Aerzte batten vom symptomatologischen Standpunkte aus 
die Lungenschwindsucht als eine einheitliche Krankheit aufgefasst, 
die hauptsächlich durch andauernden Husten mit reichlichem Ans¬ 
wurf, durch Kurzathmigkeit, chronisches Fieber und stetig fort¬ 
schreitende Abmagerung charakterisirt war. Später suchte man für 
diesen Symptomencomplex eine einheitliche anatomische Grundlage, 
und man glaubte in der Tuberculose dieselbe gefunden zu haben; 
aber die weitere Verfolgung der Untersuchung vom einseitig patho¬ 
logisch-anatomischen Standpunkte aus drohte die gewonnene Einheit 
wieder zu zersplittern und den Symptomencomplex der Tuberculose 
in eine grosse Zahl verschiedener Krankheiten aufzulösen. Die 
Gegenwart endlich hat mit Entschiedenheit den ätiologischen Stand¬ 
punkt eingenommen und damit jene zuerst vom symptomatologischen 
Standpunkt aus erkannte Einheit im Wesentlichen wiederhergestellt; 
es ist gegenwärtig alle Aussicht vorhanden, dass dieser Standpunkt 
der maassgebende bleiben werde, und dass von demselben aus es 
allmählich gelingen werde, die auch noch jetzt in Betreff wichtiger 
Fragen bestehenden Meinungsverschiedenheiten zur Ausgleichung zu 
bringen. 

Schon im Alterthum war die Lungenschwindsucht allgemein 
bekannt und verbreitet, und es sind uns zahlreiche sorgfältige Be¬ 
schreibungen derselben überliefert worden. Hervorzuheben sind na¬ 
mentlich die Darstellungen, welche in den unter dem Namen des 
Hippokrates vereinigten Schriften gegeben werden, sowie die vor¬ 
treffliche Beschreibung der Krankheit bei Aretaeus. Auch die 
Bezeichnung Tuberkel kommt schon im Alterthum vor; doch wurde 
der Ausdruck Tuberculum (fü/ia) -auf mancherlei verschiedenartige 
Anschwellungen angewendet, welche die Eigentümlichkeit gemein¬ 
sam haben, dass das Gebilde anfangs von fester Consistenz (crudum, 
äxerzTov, atpörspov) ist, später erweicht (rtänov yivvcai) und zu einer 
eiterigen Masse zerfällt. Diesem Begriff entsprechen unter Anderem 
auch gewisse Anschwellungen der Lymphdrüsen. Gelegentlich werden 
auch Tuberkel (yupara) in der Lunge erwähnt; doch war man weit 
davon entfernt, solche als die gewöhnliche Ursache der Lungen¬ 
schwindsucht anzusehen; vielmehr wurden die Lungengeschwüre und 
die Hohlräume in den Lungen im Allgemeinen abgeleitet entweder 
von einer Fäulniss der Langen oder von Entzündungen, welche 
den Ausgang in Eiterung und Verschwärung genommen hätten. 

Als Begründer der Lehre von der Tuberculose der Lungen . 

f tflegt der englische Arzt Richard Morton angesehen zu werden, 
n seiner berühmten Pbthisiologia (London 1689) hat er in der That 
für alle die verschiedenen Formen der Phthisis, welche er unter¬ 
schied, den Tuberkel als einheitliche Grundlage vorausgesetzt. Aber 
es würde ein Irrthum sein, wenn man glauben wollte, Morton habe 
mit dem Worte Tuberkel denjenigen Begriff verbunden, welchen wir 
damit zu verbinden pflegen. Der Miliartuberkel war ihm vollständig 
unbekannt, und ebensowenig hat er unter Tuberkel dasjenige ver¬ 
standen, was man später als infiltrirte Tuberculose bezeichnet bat. 


Als Tuberkel bezeichnete er, ähnlich wie dies seit dem Alterthum 
gebräuchlich war, vorzugsweise geschwollene Lymphdrüsen und ins¬ 
besondere die bei der Phthisis gewöhnlich secundär angeschwollenen 
Bronchialdrüsen; doch scheint er auch herdweise Infiltrationen im 
eigentlichen Lungenparenchym für wesentlich identisch mit diesen 
Drüsenanschwellungen gehalten und als Tuberkel bezeichnet zu 
haben. Er giebt an, dass er oft in den Leichen von Phthisikern 
dergleichen „Tubercula sive crudos et glandulosos tumores“ gefunden 
habe, während die übrigen Theile der Lunge Abscesse und Ver¬ 
schwärungen dargeboten hätten. Die eigentliche Zerstörung des 
Lungeugewebes durch Vereiterung, Verschwärung und Höhlenbildung 
leitet er hauptsächlich von den entzündlichen Processen ab, welche 
die Folge der Tuberkelbildung und des dadurch hervorgerufenen 
Reizzustandes in der Lunge seien. Ebenso wie Morton verstanden 
auch seine Zeitgenossen und Nachfolger unter Tuberkeln vorzugs¬ 
weise die angeschwolleneu Bronchialdrüseu. Wenn wir demnach 
auch Anstand nehmen müssen, Morton als deu eigentlichen Be¬ 
gründer der Lehre von der Lungentuberculose anzuerkennen, so war 
doch unzweifelhaft seine Darstellung die Ursache davon, dass die 
Aerzte allmählich sich gewöhnten, für den Symptomencomplex der 
Lungenphthisis eine einheitliche anatomische Grundlage vorauszu¬ 
setzen, die man als Tuberculose bezeichnete. 

Dieser Uebergang vom symptomatologischen Standpunkt zum 
pathologisch-anatomischen wurde vollendet durch Laennec, den 
Begründer der Lehre von der Auscultation, indem derselbe erklärte 
(1819), dass es nur eine Art der Lungenschwindsucht gebe, die in 
allen Fällen auf einer Neubildung eigentümlicher Art, dem Tuber¬ 
kel, beruhe. Er unterschied zwei Formen desselben, den isolirten 
und den infiltrirten Tuberkel. Der isolirte Tuberkel beginnt als 
sogenannter Miliartuberkel, wie er auch schon von früheren Autoren 
und namentlich von G. L. Bayle (1810) beschrieben worden war, 
und bildet ein kleines halbdurchsichtiges graues Knötchen von der 
Grösse eines Hirsekorns oder eines Hanfkorns; diese Knötchen ver- 
grössern sich, werden gelblich und undurchsichtig, durch Confluiren 
vieler bilden sich mehr oder weniger umfangreiche käsige Massen, 
die später zerfallen und erweichen und nach dem Durchbruch Hobl- 
räurne hinterlassen. Bei der infiltrirten Tuberculose erfolgt eine 
Infiltration des Lungengewebes mit tuberculöser Materie, durch 
welche oft umfangreiche Verdichtungen entstehen, die ebenfalls ver¬ 
käsen, erweichen und Cavernen bilden. 

Auf diesem durch Laennec gewonnenen anatomischen Stand¬ 
punkt blieb die Lehre von der Lungenschwindsucht bis in die 
neueste Zeit. Als hauptsächlich charakteristisch für die Tuberculose 
galt die käsige Umwandlung und der spätere Zerfall mit Bildung 
von Hohlräumen. Man versuchte aber auch, ausser diesen grob¬ 
anatomischen Merkmalen noch besondere histologische Eigenthümlich- 
keiten des Tuberkels aufzufinden, vermöge deren er mit Sicherheit 
zu erkennen und von anderen Gebilden zu unterscheiden sei. Die 
früheren Versuche dieser Art (Lebert’s Tuberkelkörperchen 1845) 
hatten keinen Erfolg, und erst viel später wurde durch die Unter¬ 
suchungen von Schüppel (1871) in den Riesenzellen, wenn auch 
kein specifisches, so doch ein relativ constantes Merkmal des Tu¬ 
berkels gefunden. Im übrigen wurde durch die weitere anatomische 
Forschung die Lehre, dass die Lugenschwindsucht eine Krankheits¬ 
einheit sei, welche in allen Fällen auf Tuberculose beruhe, keines¬ 
wegs gefördert; im Gegentheil wurde die durch Morton und 
Laennec hergestellte anatomische Einheit ernsthaft in Frage ge¬ 
stellt, sobald man daran ging, die anatomischen Veränderungen ge¬ 
nauer zu uutersuchen und zu deuten. 


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518 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


Bis in die neueste Zeit standen sich bei der theoretischen Auf¬ 
fassung des Tuberkels zwei Richtungen gegenüber. Die Einen be¬ 
trachten den Tuberkel als eine besondere Art der Neubildung, die 
etwa mit dem Carcinom oder mit anderen Neubildungen in die 
gleiche Reihe zu stellen sei (Laennec u. A.). Die Anderen waren 
dagegen der Ansicht, der Tuberkel sei keine specifiscbe Bildung, 
sondern nur eine besondere Form der Entzündung oder ein eigen¬ 
tümliches Product entzündlicher Vorgänge (Broussais 1822, 
Andral 1848, Reinhardt 1850). Diese letztere Auffassung, nach 
welcher die Tuberculose nichts Specifisches sein sollte, fand eine 
wesentliche Unterstützung in der Thatsache, die besonders von 
Virchow hervorgehoben worden war, dass die käsige Umwandlung, 
die sogenannte Tuberculisation, keineswegs ausschliesslich dem Tu¬ 
berkel eigenthümlich ist, dass vielmehr auch Carcinorne, Sarcome 
und andere Neubildungen, und dass namentlich auch Eiteransamm¬ 
lungen und andere Entzündungsproducte diese Form der Umwand¬ 
lung eingehen können. Auf der andern Seite war freilich nicht zu 
verkennen, dass der Miliarturberkel sich in ausgesprochener Weise 
an andere Neubildungen anschliesst, und dass es nicht wohl möglich 
war, auch diesen für das Product einer einfachen Entzündung zu 
erklären. So musste wegen der ausserordentlichen Mannichfaltigkeit 
des anatomischen Befundes bei der Lungenschwindsucht notwendig 
der Zweifel entstehen, ob es denn berechtigt sei, alle diese ver¬ 
schiedenen Processe als zusammengehörig und im wesentlichen iden¬ 
tisch zu betrachten, und ob es nicht vielmehr richtiger sei, die ur¬ 
sprünglich nur symptomatologisch construirte Krankheitseinheit der 
Lungenschwindsucht in verschiedene Krankheiten aufzulösen. Man 
fand verschiedene Formen der chronischen Pneumonie, bald mit 
käsiger Umwandlung und Zerfall, bald ohne solche; daneben war 
häufig der eigentliche Miliartuberkel vorhanden, zuweilen nur in der 
Lunge, zuweilen über zahlreiche Organe verbreitet, während in 
anderen Fällen von ausgebildeter Lungenschwindsucht der eigent¬ 
liche Miliartuberkel nicht zu finden war. Es schien mit Notwen¬ 
digkeit gefordert zu werden, dass man wenigstens unterscheide 
zwischen denjenigen Veränderungen, welche durch eine Art von 
Neubildung, den Miliartuberkel, entstehen, und denjenigen, welche 
als Formen von entzündlichen Processen aufgefasst werden konnten. 
Die Bezeichnung Tuberkel (tuberculum = Knötchen) konnte dann am 
passendsten für den Miliartuberkel beibehalten werden. Und so 
wurde von Virchow der Name Tuberculose auf den Miliartuberkel 
eingeschränkt, während der grösste Theil desjenigen, was im Ver¬ 
lauf der Tuberculose nicht in Knötchenform erscheint, für einge¬ 
dicktes Entzündungsproduct erklärt wurde, welches zunächst 
wenigstens keine Beziehungen zum Tuberkel habe. Auch manche 
andere pathologische Anatomen theilten diese Auffassung und ver¬ 
suchten diejenigen anatomischen Grundlagen der Lungenschwind¬ 
sucht, welche ausser der Miliartuberculose sich vorfanden, in eine 
Anzahl von verschiedenen chronisch-pneumonischen Processen auf- 
zulösen. 1 ) 

Während so für den pathologischen Anatomen der vom Alter- 
thuin als eine Krankheitseinheit überlieferte Symptomencomplex der 
Lungenschwindsucht in mehrere verschiedene Krankheitseinheiten 
auseinanderfiel, haben im Gegensatz dazu die meisten Kliniker und 
Aerzte an der Auffassung festgehalten, dass die Lungenschwindsucht 
eine einheitliche Krankheit sei und in der Tuberculose ihre 
anatomische Grundlage habe; sie gebrauchten immer noch die 
Ausdrücke Lungenschwindsucht und Lungentuberculose als gleich¬ 
bedeutend. Und diese Auffassung ist in der That durch die weitere 
Forschung, welche statt des pathologisch-anatomischen Standpunktes 
den höheren ätiologischen zur Geltung brachte (vgl. Vorlesungen 
Bd. I., p. 13 ff), als berechtigt erwiesen worden. Zunächst wurde 
erkannt, dass der Miliartuberkel gewöhnlich nicht die erste Grund¬ 
lage der Lungentuberculose, sondern in der Regel eine secundäre 
Bildung ist, welche nur dann auftritt, wenn schon irgendwo im 
Körper käsige Processe vorhanden sind (Buhl, F. Niemeyer, 
G. E. E. Hoffmann.) Und andererseits gelang es Villemin 
(1865), die Tuberculose durch Impfung auf Thiere zu übertragen. 
Durch diese letzteren Versuche, welche später vielfach und in der 
Hauptsache mit gleichem Erfolge wiederholt worden sind, wurde 
der Nachweis geliefert, dass die Krankheit specifischer Natur 
sei. Die Ansicht, dass die Tuberculose eine Infectionskrank- 
lieit sei, welche durch ein specifisches Gift entstehe, und welche 
nur da zu Stande kommen könne, wo dieses specifische Gift vor¬ 
handen sei, ist zuerst in bestimmter Weise und mit überzeugender 
Begründung von W. Budd ausgesprochen worden (1867). Seitdem 
hat diese Auffassung unter den Aerzten allmählich immer mehr 


') Näheres über die Geschichte der Tuberculose bis zu dieser Zeit findet 
sich in der unter meiner Leitung gearbeiteten Dissertation von A. Hedingerr 
Die Entwickelung der Lehre von der Lungenschwindsucht und der Tuber- 
rulose von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Tübingen 1864. 
Vgl. mein ausführliches Referat in der Deutschen Klinik. 1864, No. 43, 44- 


Anhänger gewonnen. Ich selbst habe seit dem Jahre 1868 die 
Infectiosität und Contagiosität der Tuberculose gelehrt und sie 
ähnlich wie Budd dargestellt als eine chronische Infectionskrank- 
heit, welche in vielen Beziehungen der Syphilis analog ist, und 
welche niemals spontan, sondern immer nur durch direkte oder 
indirekte Uebertragung entsteht. 

Diese Auffassung erhielt ihre endgültige Bestätigung durch die 
Entdeckung von Robert Koch, der die Mikrobien der Tuberculose 
auffand (1882), dieselben züchtete und zeigte, dass mit den Pro- 
ducten dieser Züchtung die geeigneten Thiere wieder mit Tuber¬ 
culose inficirt werden konnten. (R. Koch, die Aetiologie der 
Tuberculose. Mittheilungen aus dem kaiserlichen Gesundbeitsamte 
Bd. II. Berlin 1884). Durch die Entdeckung des Tuberkelbacillus 
hat die Entwickelung der Lehre von der Tuberculose einen vor¬ 
läufigen Abschluss gefunden; es ist namentlich die schwierige Frage, 
ob die Lungenschwindsucht als eine Krankheitseinheit anzusehen 
sei, oder ob diesem Symptomencomplex eine grössere Zahl ver¬ 
schiedener Krankheiten entspreche, auf ätiologischem Boden mit 
Sicherheit entschieden worden, und zwar nicht im Sinne der 
neueren pathologischen Anatomen, welche grossentheils geneigt 
waren, eine Vielheit von Krankheitsprocessen anzunehmeu, sondern 
in dem Sinne der alten Aerzte und der Laennec’schen Lehre, 
welche auch noch in der neueren Zeit von der Mehrzahl der 
Kliniker und Aerzte festgehalten worden war. Wir wissen jetzt, 
dass alle die verschiedenen pathologisch-anatomischen Veränderungen, 
welche die Grundlage der Lungenschwindsucht bilden, zusammen¬ 
gehören, indem bei allen, so weit sie zur eigentlichen Schwindsucht 
führen, die specifischen Mikrobien betheiligt sind. Wir unter¬ 
scheiden aber von der tuberculösen Lungenschwindsucht jetzt noch 
bestimmter als früher einerseits die einfachen chronischen Pneu- 
monieen, welche nicht tuberculöser Natur sind und nicht zur Ver¬ 
schwärung der Lunge führen, und andererseits diejenigen Zerstörungs- 
processe in den Lungen, welche, wie die einfache Nekrose, die 
Lungengangrän, die geschwürigen Zerstörungen bei Bronchiektasie, 
bei Syphilis, bei Carcinom, auch schon früher nicht zur Lungen¬ 
schwindsucht im engeren Sinne gerechnet wurden. 

Der Ausdruck Schwindsucht oder Phthisis (yp#t<ns von p&tvttv = 
schwinden) bezieht sich zunächst auf das Schwinden der Körpergewebe und 
wurde vorzugsweise dann angewendet, wenn die allgemeine Atrophie von 
der geschwürigen Zerstörung eines Organs abhängig war. Man hatte und 
hat noch jetzt dabei, wenn das Wort obne weiteren Zusatz gebraucht wird, 
gewöhnlich die Lungenschwindsucht im Sinne. Doch hat man auch schon 
früher geschwürige Zerstörungen in anderen Organen als Phthisis bezeichnet. 
So redete man von Phthisis laryngea oder Kehlkopfschwindsucht, von 
Phthisis abdominalis s. intestinalis oder Unterleibsschwindsucht, von Phthisis 
des Urogenitalapparats u. s. w. Je mehr man erkannt hat, dass solche 
geschwürige Zerstörungen in der Mehrzahl der Fälle von Tuberculose ab¬ 
hängig sind, desto mehr wurde der Begriff der Phthisis oder Schwindsucht 
als annähernd gleichbedeutend mit Tuberculose angesehen. Wenn man in 
neuester Zeit noch unterscheiden will zwischen einer bacillären und einer 
nicht-bacillären Lungenphthisis und als Beispiele der letzteren eine syphi¬ 
litische und eine bronchiektatische Phthisis aufführt, so ist dies eine interes¬ 
sante Auffrischung von historischen Reminiscenzen, entspricht aber nicht 
dem gegenwärtigen Sprachgebrauch und würde, wenn es Anklang fände, 
wohl bald dahin führen, dass man, um Missverständnisse zu vermeiden, das 
Wort Phthisis ganz aufgeben müsste. (Fortsetzung folgt.) 


II. Aus der medicinischen Universitätsklinik 
des Herrn Geheimrath Prof. Gerhardt in Berlin. 

Beitrag zur 

physiologischen Methylenblaureaction. 

Von G. N. Durduil in Moskau. 

Auf Anregung des Herrn Professor P. Ehrlich habe ich mir 
die Aufgabe gestellt, die Degeneration der Nervenendigungen nach 
Durchschneidung der sensibeln Nerven des Genaueren zu studiren. 
und zwar mit Hülfe der physiologischen Methylenblaureaction. — 
Als Versuchsobject habe ich die Froschzunge gewählt, und zwar 
aus folgenden Gründen: 1) die Färbung der Zunge ist eine sehr 
prompte und leicht erfolgende; 2) die Nerven selbst resp. die Nerven¬ 
endigungen ausserordentlich entwickelt, und 3) die Herstellung der 
mikroskopischen Präparate bietet keine Schwierigkeiten. 

Die Anordnung der Versuche hat sich in folgender Weise ge¬ 
staltet: Auf einer (gewöhnlich rechten) Seite wurde der Nervus 
glossopharyngeus durchschnitten resp. resecirt, und in mehr weniger 
langer Zeit nach der Operation wurden die Geschmackspapillen und 
die Nervenstämme nach intravenöser Methylenblauinfusion parallel 
beiderseits mikroskopisch untersucht. — 

Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass die Durchschneidung 
des Glossopharyngeus einen entscheidenden Einfluss auf die Schnellig¬ 
keit der Färbung der betreffenden Zungeuhülfte ausübt. Ich glaube. 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


diese Versuche mittheilen zu dürfen, weil sie einerseits die vaso¬ 
motorische Rolle des Glossopbaryngeus beim Frosch erkennen lassen 
uud, meiner Meinung nach, ein schönes Demonstrationsobject abgeben. 

Injicirt mau einem Frosch, dem kurz* •*) vorher der Glossopharyngeus 
einerseits durchschnitten ist, eine dünne, in physiologischer ClNa- 
Lösung hergestellte Methylenblaulösung (1:1000—2000), so sieht man 
häufig beide Seiten sich gleich, gewöhnlich aber die operirte Seite 
etwas schneller färben, entsprechend einem geringen Grade der Hy¬ 
perämie, welche durch Reizung der im Glossopharyngeus vorhandenen 
Vasodilatatoren 1 ) bedingt ist. Ganz anders liegen die Verhältnisse, 
wenn man nach der Operation und unmittelbar vor der Infusion die 
Zunge mit einem Reizmittel behandelt (Jodlösung, Senföl), — dann 
färbt sich die intacte Seite weit intensiver und schneller als die 
operirte, — so erhält mau ein gutes Demonstrationsobject, indem die 
Medianlinie eine intensiv dunkelblaue (wo der Nerv intact geblieben 
ist) von der anderen hellblauen Seite mit durchschnittenem Glossopha¬ 
ryngeus abgrenzt. — Die Controllversuche haben gezeigt, dass der 
andere Zungennerv, der Hypoglossus, an diesen Erscheinungen in 
keiner Weise betheiligt ist. Die Gewebe entreissen dem Blut das 
Methylenblau mit grosser Begierde und Schnelligkeit, indem sie dem 
Serum den Farbstoff so gut wie vollkommen entziehen. Es werden 
daher Differenzen in der Circulationsgeschwindigkeit sich in der Weise 
markiren müssen, dass die begünstigtere Seite sich schneller und 
intensiver färbt als die andere. 

Den von mir beschriebenen analoge Beobachtungen hat Rogowicz 
gemacht, indem er nach Einführung des Indigokarmins in’s Blut die künst¬ 
lich byperämisch gewordenen Theile — Durschneidung des Halssympathicus, 
Reizung des Lingualis — sich schneller färben resp. entfärben sah, als die ent¬ 
sprechenden auf der anderen Seite. 3 ) Das für diese Versuche von Rogowicz 
angewandte Indigokarmin unterscheidet sich dadurch von Methylenblau, dass 
es nur das Serum und nicht das Gewebe färbt, während das Methylenblau 
die geweblichen Bestandteile selbst färbt. Es ist wohl ersichtlich, dass für 
gewisse Zwecke aus dieseu Gründen das Methylenblau den Vorzug verdient. 

Selbstverständlich wird an den geschilderten Verhältnissen prin- 
cipiell nichts geändert durch die Zeitdauer nach der Operation: — 
immer färbt sich die intacte Seite nach der Iodirung stärker blau, 
als die andere. Es ist jedoch zu erwähnen, dass, wenn zwei oder mehr 
Wochen nach der Durchschneidung des Glossopharyngeus verflossen 
sind, die operirte Seite auch ohne Iodirung sich weniger intensiv 
färbt, als die nicht operirte. — Am deutlichsten treten die Differenzen 
in der Färbung beider Zungenhälften hervor, wenn die Infusion 
3—4 Tage nach der Durchschneidung des Glossopharyngeus statt¬ 
findet. — Der von mir beschriebene Versuch kann als ein weiterer 
Beleg für die reflectorische Gefässerweiterung 8 ) betrachtet werden 
und beweist wiederum, dass im Glossopharyngeus des Frosches Vaso¬ 
dilatatoren vorhanden sind. 

Bevor ich zum speciellen Theile meiner Untersuchungen über¬ 
gehe, möchte ich zunächst kurz recapituliren, was man unter nor¬ 
malen Bedingungen in der Zunge eines mit Methylenblau infundirten 
Frosches sieht. — „Dicht unter dem Epithel der Geschmacksscheibe 
findet sich ein dichtester Plexus feinster, mit mehr oder weniger 
grossen Varicositäten versehener Axencylinder.“ 4 ) Das die Geschmacks¬ 
knospe bedeckende Epithel bleibt im Allgemeinen ungefärbt, am 
häufigsten färben sich die bekannten Flügelzellen. Dieselben müssen 
als Sinneszellen aufgefasst werden, da, nach Beobachtungen von 
Ehrlich, ihre Endjgungen sich direkt an die Varicositäten des 
Nervenplexus anlegen, und andererseits an denselben Zellen feine 
epitheliale Nervenreischen mit feinen Knöpfen endigen. Durch¬ 
schneidet man den Glossopharyngeus, so sieht man nach 2—3 Wochen 
ausgedehnte Degeneration in dem Nervenstamm, der in die Papille 
hereintritt; dieselbe charakterisirt sich dadurch, dass das Mark, 
welches normalerweise sich nicht färbt, Methylenblau an sich reisst 
und einen diffusen graublauen Ton annimmt. In späteren Stadien 
treten neben dem diffus gefärbten Marke noch intensiv gefärbte 
Körnchen auf, deren Natur noch unbestimmt ist. Dann geht der 
Zerfall auch auf die gröberen, zunächst sich theilenden Verzweigungen 
über, besonders charakterisirt in seinen ersten Anfängen durch eine 
körnige Beschaffenheit des Axencylinders. Ueber den interessantesten 
Punkt, über die Degeneration der letzten Nervenausbreitungen sind 
wir leider nicht zum vollkommenen Abschluss gekommen; die ope- 
rirten und lange erhaltenen Winterfrösche vertrugen die Methylen¬ 
blauinfusion an und für sich ausserordentlich schlecht, indem schon 
nach ganz geringen Gaben Stillstand des Herzens eintrat; ausserdem 
ist, wie scjion erwähnt, die Circulation bei degenerirtem Glossopha¬ 
ryngeus an und für sich eine beschränkte, nicht durch Iodirung erhöh¬ 
bare, so dass die Färbung, kaum augedeutet, in vielen Fällen nicht 
gelingen wollte. Bei einem Frosch, der 2 1 /? Monat nach der Operation 


*) Vergl. Durdufi, Archiv, slav. de biologie, 1887. Tom. III, fase. 3. 
*) Rogowicz, Pflüger’s Arch. Bd. XXXVI, 5. und 6. Heft, p. 252. 

•*) Vergl. die bekannten Versuche von Schiff, Luchsinger. 

*) P. Ehrlich, Deutsche, medic. Wochensch. 1886, No. 4. 


519 


der Infusion unterworfen wurde, fanden wir ein gewissermaassen über¬ 
raschendes Resultat: ira Hauptstamme und seinen ersten Verzweigungen 
fanden sich alle markhaltigen Fasern im Zustande der hochgradigen 
Degeneration vor, nur eine oder zwei feine marklose schön gefärbte 
variköse Nervenfasern enthaltend. Dagegen zeigte sich der sub¬ 
epitheliale Plexus, wenn auch in einer durchaus modificirten Weise, 
erhalten, nämlich als ein relativ weitmaschiges, aus varikösen Nerveu- 
fibrillen bestehendes Netzwerk, welches einerseits mit den spärlichen, 
im Stamme enthaltenen marklosen Fasern, andererseits aber auch mit 
feinsten Nervenfasern im Zusammenhänge stand, die zum Tbeil iu 
Begleitung der Blutgefässe, ausserhalb des eigentlichen Nerveustammes 
auch unter normalen Bedingungen in die Papille einzudringeu pflegen. 
Die Flügelzellen waren deutlich nachweisbar und färbten sich inten¬ 
siv. Ausserdem wäre noch zu bemerken, dass oberhalb der Blut¬ 
gefässe eine Menge von inteusiv gefärbten Zellen unbekannter Art 
sich vorfand. Aus diesem Resultat geht hervor, dass gewisse Theile 
des Nerveneudapparates nach Ausschaltung des Glossopharyngeus 
eine relativ lange Zeit erhalten bleiben. Die im Stamme enthaltenen 
marklosen blauen Fasern müssen naturgeraäss als centripetale ange¬ 
sehen werden, derer Ernähruugscentrum in der Eudausbreitung ge¬ 
legen ist (vergl. Friedläuder und Krause). Es kauu mithin 
nicht auf diese Fasern das relativ lange Erhaltenbleiben von Resten 
der normalen Endausbreitung bezogen werden, sondern wir müssen 
das auf die da neben auftretendeu Fasern beziehen. Wir behalten 
uns vor, 1) die Art dieser Fasern, ob sie Sympathicus- oder Hypo- 
glossusfasern sind, experimentell nachzuweisen, 2) ob nicht noch 
nach längerem Zeitraum complete Degeneration des Endapparates auf- 
tritt, 3) ob und in welcher Weise die Flügelzellen degeueriren. 

Ich meine, diese noch nicht abgeschlossenen Resultate veröffent¬ 
lichen zu dürfen, da 1) ich die gemischte Versorgung der Ge¬ 
schmackspapillen konstatirt zu haben glaube, und 2) wegen der inter¬ 
essanten Beobachtung, welche die Innervation der Mittellinie anbe¬ 
trifft und welche iu Folgendem besteht: bei Untersuchung der Prä¬ 
parate, welche genau aus der Mittellinie entnommen wareu, haben 
wir nicht selten Papillen finden können, deren zuführender Nerveu- 
stamm zur Hälfte aus normalen, zur Hälfte aus degenerirten Fasern 
bestand. Aus diesen Befunden geht hervor, dass die in der Mittel¬ 
linie liegenden Geschmackspapillen von beiden Glossopbaryngei ver¬ 
sorgt werden. 

Ich möchte mich diesmal auf diese kurze Beschreibung der von 
mir constatirten Thatsachen beschränken, ich behalte mir vor, ein 
anderes Mal ausführlicher über diese Thatsachen, mit Angabe der 
betreffenden Literatur, zu berichten. 


IU. Ueber subcutane Knotenbildung bei 
acutem Gelenkrheumatismus („Rheumatis¬ 
mus nodosus“). 

Von Dr. J. Lind mann, 

Arzt am Allgemeinen Krankenhause in Mannheim. 

Nächst Scharlach zeigt wohl keine Erkrankung so mannig¬ 
fache Verschiedenheit ihres Auftretens, so vielfältige Complicationen 
in ihrem Verlauf, wie der acute Gelenkrheumatismus. Alle Organe 
des Körpers können mehr minder häufig und intensiv bei der Er¬ 
krankung ergriffen werden; genau studirt und bekannt sind die 
Complicationen mit Entzündung der serösen und Innenhaut des 
Herzens und der Gehirnhäute. Erst in der neuen Zeit hat man sich 
der genaueren Erforschung der Erkrankung der äusseren Haut bei 
Gelenkrheumatismus zugewendet; mancherlei Fragen, wie z. B. das 
Verhältniss der Purpura zum Gelenkrheumatismus, harren noch der 
Lösung. Auch das Unterhautzellgewebe zeigt mitunter Verände¬ 
rungen; in einzelnen Fällen, hauptsächlich im Kindesalter, entwickeln 
sich im Verlauf des Gelenkrheumatismus subcutane Knoten von 
ganz charakteristischer Art. Wir hatten Gelegenheit, in den letzten 
Jahren zwei Fälle dieser Art zu beobachten, die wir in Folgendem 
mittheilen wollen, um daran eine kurze Skizze der in der Literatur 
aufgezeichneten gleichen Beobachtungen anzuschliessen. 

Fall I. S. M., 32 Jahre alt, war früher stets gesund, hat nie an Rheu¬ 
matismus gelitten. Er erkrankte Anfangs Juni 1882 mit intensiven Schmerzen 
in allen Gliedern, Appetitlosigkeit und allgemeiner Abgeschlagenheit; erging 
noch einige Tage seinem Geschäft, in welchem er häufigen Durchnässungen 
ausgesetzt ist, nach. Ich fand ihn zu Bett, leicht fiebernd, Zunge belegt; 
Fuss und Kniegelenk auf Druck sehr schmerzhaft, jedoch nicht geschwollen. 
Am Herzen nichts Abnormes. Ord.: Natr. salicyl. 

Der Zustand blieb sich eine Reihe von Tagen gleich, geringes Fieber, 
Schmerzen in den Gelenken, Appetitlosigkeit, leichter Kopfschmerz. In der 
zweiten Woche machte mich Patient auf eine Anzahl von Knoten aufmerk¬ 
sam, die sich über Nacht entwickelt hatten. Es waren ca. 1 Dutzend, je 
zwei an den beiden Malleolis externis, mehrere oberhalb der Patella, mehrere 
am äusseren Rande des Biceps brachii, ziemlich symmetrisch rechts wie links. 
Die Knoten waren subcutan unter der Haut leicht verschieblich; die Haut 
zeigte keinerlei Röthung oder Schwellung. In Grösse von erbsen- bis 


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520 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


bohnengross. Auf Druck waren die kleinen Tumoren ziemlich schmerzhaft. 
Während sich das Allgemeinbefinden langsam besserte, blieben die Knoten 
ca. 8 Wochen stationär, um dann rasch, ohne eine Spur zurückzulassen, zu 
verschwinden. Eine Herzaffection liess sich bei dem Patienten nie nach- 
weisen; Nachschübe sind nicht eingetreten, auch der Gelenkrheumatismus ist 
bis heute nicht recidivirt. 

Die Natur der Tumoren, die mich Anfangs frappirten (sie machten 
im ersten Moment den Eindruck eingekapselter Parasiten) wurde 
mir durch die Mittheilung Rehn’s in Gerhardt’s Handbuch der 
Kinderkrankheiten Bd. III, p. 22 klar. 

Auf dem Wiesbadener Congress für innere Medicin im Jahre 1885 
hatte ich Gelegenheit, einen anderen von E. Pfeiffer in Rehn’s 
Auftrag demonstrirten Fall von Rheumatismus nodosus zu sehen. 
(Verhandlung des Congresses für innere Medicin, 1885, p. 296.) 

Trotzdem ich nun von da ab meine Aufmerksamkeit diesem 
seltenen Symptome bei Gelenkrheumatismus widmete und ziemlich 
reichlich Gelegenheit hatte, sowohl in meiner Privatpraxis wie im 
Hospital die Krankheit zu beobachten, sah ich doch erst wieder im 
September v. J. einen neuen Fall von Rheumatismus nodosus, dessen 
in verschiedener Richtung hin interessante Krankengeschichte ich hier 
folgen lasse: 

Fall II. Otto F., 10 Jahre alt, hat als Kind ausser vielfachen An¬ 
ginen und wiederholten Anfällen von Pseudocroup vor mehreren Jahren eine 
abscedirende Periostitis des absteigenden Astes des rechten Os pubis durch¬ 
gemacht. Letztere Affection dauerte mehrere Monate bis zu ihrer Heilung; 
doch büchen längere Zeit, trotzdem in der Narbe und deren Umgebung 
nichts Abnormes zu constatiren war, ziemlich heftige, zeitweise auftretende 
und in die ganze Extremität ausstrahlende Schmerzen zurück. In der 
letzten Zeit war Patient gesund. Er erkrankte den 11. September v. J.; 
angeblich hat er in den letzten Tagen, stark erhitzt, öfters im Keller mit 
seinen Kameraden gespielt. Ich sah ihn zum ersten Male ain 12. September 
Vormittags. Klagen über Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, Knie und Fuss- 
gelenk auf Druck empfindlich, nicht geschwollen; Herztöne rein, Temperatur 

38.4, Puls 96, seit zwei Tagen Obstipation. Ord.: Clysma, Natr. salicyl. 

13. September. Unruhige Nacht; Nacken nur mit Schmerzen beweg¬ 
lich, auf Druck schmerzhaft, Fussgelenk leicht geschwollen. Stuhl war 
reichlich erfolgt, sonst stat. id. T. 38,4. 

14. September. Nacht ruhiger. Gelenke schmerzfrei; leichter Brech¬ 
reiz; Puls 84, -sehr unregelmässig; Herztöne rein; fieberfrei. — Natr. 
salicyl. bleibt weg. Pot River. 

In der Nacht auf den 15. entwickelt sich plötzlich das Bild der Peri¬ 
typhlitis; nachdem spät Abends mehrmals Erbrechen eingetreten, entstand 
heftiger Leibschmerz in der Coecalgegend, der Leib war leicht aufgetrieben, 
auf Druck enorm empfindlich; keine* Resistenz zu fühlen; Singultus, öfteres 
Erbrechen; Puls klein 100, Temperatur 38,4. Gelenke völlig schmerzfrei. 

Es wird Eisblase auf das Abdomen applicirt, Opium in Pulverform 
0,02 zweistündlich verabfolgt. Gegen den quälenden Durst Eispillen, ab¬ 
solute Entziehung der Nahrung. 

Der bedrohliche Zustand dauerte drei Tage an und schwand fast so 
rasch, wie er gekommen; der Leib wurde unempfindlich, es gingen Flatus 
ab, der Brechreiz hörte auf, Patient konnte sich wieder bewegen. Mit dem 
Verschwinden der Erscheinungen von Seiten des Abdomens traten schmerz¬ 
hafte Schwellungen der Gelenke der unteren Extremitäten auf, besonders 
das Kniegelenk war geschwollen und sehr schmerzhaft. Ord.: Antipyrin. 

21. September. Schwellung der Gelenke in gleicherweise vorhanden. 
Intensive, stechende Schmerzen in der Herzgegend, Anfälle von sehr heftiger 
Athemnoth mit Kurzathmigkeit. Puls etwas unregelmässig 100. Temperatur 

38.5. Erster Mitralton etwas unrein, zweiter Pulmonalton acceutuirt, sonst 
normaler Befund. Auf den Lungen nichts Abnormes. Eisblase auf die 
Herzgegend. 

Bis Ende des Monats blieb der Zustand ziemlich gleich; die Gelenk¬ 
schwellungen der unteren Extremitäten nahmen ab; doch wurde der kleine 
Patient sehr oft, bei Tag und bei Nacht, durch heftige Schmerzen in der 
Herzgegend, sowie durch Anfälle von Athemnoth gequält. Der Puls variirte 
zwischen 88 und 100, war klein, war noch sehr selten irregulär; Herz¬ 
dämpfung war etwas nach rechts verbreitert; an Stelle des ersten Mitral¬ 
tones war ein hauchendes Geräusch getreten, der zweite Pulmonalton accen- 
tuirt. Vorübergehend konnte man leichtes pericardinles Frottement und 
R. H. U. pleuritisches Reiben constatiren. Die Temperatur war Morgens 
meist subfebril, erreichte Abends selten 39. Von Seiten des Abdomens 
keinerlei abnorme Symptome. Wegen Obstipation wurden Clysmen oder 
Ol. Ricini gegeben. Die Behandlung bestand in Application der Eisblase 
aufs Herz und Verabreichung von Antipyrin; gegen Ende des Monats 
wurde Natr. salicyl. gegeben. 

Anfangs October wurde Patient fieberfrei; die Gelenkaffection der 
unteren Extremitäten schwand; dagegen schwollen an beiden Händen 
mehrere Fingergelenke an. Die Stiche in der Herzgegend wurden seltener, 
objectiv war am Herzen derselbe Befund nachzuweisen. Sehr gequält wurde 
der Kranke durch heftige Schmerzen an dem vorderen Ansatz der rechts¬ 
seitigen falschen Rippen; Veränderungen waren hier nicht zu constatiren. 
Der Appetit stellte sich wieder ein, der Stuhlgang erfolgte spontan, Nachts 
war guter Schlaf vorhanden. Die Diurese war reichlich; Urin stets ohne 
Eiweiss. 

In der Nacht zum 12. hatte Patient unruhig geschlafen: Morgens con- 
statirte ich am Hinterbaupte acht subcutan gelegene Knoten, der kleinste 
von der Grösse einer halben Erbse, der grösste fast von der Grösse einer 
Mandel. Sie waren unter der Haut verschiebbar, fühlten sich derb, fest an, 
auf Druck waren sie ziemlich empfindlich; ausserdem hatte sich je ein 
erbsengrosser Knoten am Phalangometacarpalgelenk beider Mittelfinger ge¬ 


bildet, die mit den Fiexorensehnen ziemlich fest zusammenhiifgen, die bei¬ 
den Mittelfinger waren etwas flectirt. 

In den nächsten Tagen blieben die Knoten in gleichem Zustande; nur 
einer der grösseren in der Mitte des Occiput verwuchs fest mit dem Periost 
des Schädels und es bildete sich pn dieser Stelle eine feste periostale Auf¬ 
lagerung. 

Das Allgemeinbefinden war ein zufriedenstellendes; die Gelenkaffection 
der Finger schwand; subjective Erscheinungen von Seiten des Herzens 
hörten auf; objectiv waren am Herzen noch die früheren Veränderungen 
nachzuweisen. Das Natr. salicyl. wurde weggelassen; Eisblase wurde noch 
weiter auf die Herzgegend applicirt. 

Am Abend des 21. fühlte sich Patient unbehaglich; die Temperatur 
war 38,2, Puls 80. Die Nacht war unruhig, und es entwickelten sich im 
Laufe des Tages wieder mehrere Knoten am Handrücken, symmetrisch an 
dem Phalangometacarpalgelenk des vierten und des kleinen Fingers der 
beiden Hände. Diese Knoten waren erbsengross; ausserdem ein grösserer 
am Processus mastoid. links und mehrere stecknadelkopfgrosse am Occiput. 
Die früher entstandenen persistirten noch, der mit dem Periost verwachsene 
war knochenhart und hatte die Form eines kammartigen Vorsprunges ange¬ 
nommen. Den ganzen Tag über war Fieber vorhanden. Morgens 38, 
Abends 38,5°; keinerlei Gelenkaffection war vorhanden, am Herzen keine 
Veränderung. 

Am anderen Morgen war Patient fieberfrei und blieb es bis zum 
Abend des 25., an dem die Temperatur 38° erreichte. Morgens, den 26., 
waren mehrere neue Knoten aufzufinden; ein ziemlich grosser, durch seine 
Prominenz sichtbarer, am Epicondylus ext. humeri; zwei an beiden äusseren 
Malleolen und ein ziemlich grosser am vorderen oberen Winkel des linken 
Os parietale. Die Beschaffenheit der Knoten war die gleiche, sie waren 
beweglich, auf Druck etc. empfindlich; die Haut über ihnen nie geröthet. 
Ein neuer Knoten zeigte sich den 2. November am linken Malleol. extern., 
ohne dass febrile Erscheinungen vorausgegangen. Jetzt begannen die 
Knoten ziemlich rasch zu schwinden, und nach mehreren Tagen war auch 
der knöcherne Vorsprung am Occiput nicht mehr zu constatiren. Der 
kleine Patient hatte sich inzwischen sehr erholt, sein Appetit war gut, der 
Schlaf ungestört; der erste Mitralton wurde wieder rein, nur der zweite 
Pulmonalton war noch accentuirt. 

Den 6. November verliess Patient täglich das Bett auf einige Stunden 
und fühlte sich ganz wohl. 

Am 11. und 12. Abends klagte Patient über leichtes Frösteln, ohne 
dass eine Temperaturerhöhung zu constatiren war. Den 13. war das rechte 
Fussgelenk geschwollen und schmerzhaft, ausserdem hatten sich wieder 
neue Knoten gebildet; mehrere ziemlich grosse am unteren Rand der Pa¬ 
tella beiderseits, zwei an beiden Malleol. extern., einer am Rücken des 
ersten Fingergliedes des kleinen Fingers rechts. 

Abends war am rechten Oberschenkel ein sehr brennendes Erythem 
zu constatiren. 

Den 14. war Stat. idem, das Erythem im Erblassen, mehrere neue 
Knötchen an dem Rücken der Finger beiderseits. Allgemeinbefinden gut, 
Abends Temperatur 38, das Erythem tritt Abends deutlicher hervor. 

Seit gestern hütet Patient das Bett und erhielt Natr. salicyl. 

Den 15. constatirte man eine erneute Eruption subcutaner Knoten in 
den verschiedensten Grössen, von Stecknadelkopf- bis Bohnengrösse; ich 
zählte deren 34. 

Beide Patellen sind am unteren Rande wie mit einem Rosenkränze 
umsäumt; dieselben treten bei Flexion des Kniees sehr deutlich hervor, 
ebenso sind beide Ellenbogengelenke mit mehreren Knoten besetzt. An den 
Extensorensehnen d$r Finger sind beiderseits mehrere nachzuweisen, je ein 
grosser Knoten am Ansatz der Clavicula mit dem Brustbeine, mehrere am 
Hinterhaupt, einer am Fussrücken auf der Sehne der rechten M. extens. 
hallucis longus. — Patient ist fieberfrei; fühlt sich subjectiv wohl; das 
rechte Kniegelenk ist etwas schmerzhaft, nicht angeschwollen, das Fuss¬ 
gelenk ist schmerzfrei. An Stelle des ersten Mitraltones ein hauchendes 
Geräusch. Das Erythem ist nicht mehr nachzuweisen. 

18. November. Seit den letzten drei Tagen sind noch mehr Knoten 
erschienen; besonders auffallend an der linken Seite der Stirn, mehrere auf 
dem rechten Schultergelenk, am Unterkieferwinkel beiderseits und sehr viele 
hirsenkerngrosse an den Extensorensehnen beider Hände. Patient ist 
fieberfrei, hat grossen Appetit. 

24. November. Es sind keine neuen Knoten entstanden; die vor¬ 
handenen sind im Rückgänge begriffen, sehr viele der kleinen sind nicht 
mehr zu fühlen. Die periostale Anschwellung am Hinterhaupt ist völlig 
geschwunden. Patient ist fieberfrei; erster Mitralton noch leicht hauchend. 
Appetit und Schlaf gut. 

2. December. Vollkommenes Wohlbefinden; Herztöne rein; Gelenke 
frei; nur noch wenige Knoten sind unter der Haut zu fühlen, hauptsächlich 
an der Patella und am Olecranon. Patient ist den ganzen Tag ausser Bett 
und geht bei günstiger Witterung spazieren. 

Epicrise. Bei einem Knaben entwickelt sich ein subacut auf¬ 
tretender Gelenkrheumatismus, bei dem schon in den ersten Tagen 
eine Affection des Herzens nachzuweisen ist. In der ersten Woche 
tritt eine Perityphlitis ein, während der Gelenkrheumatismus ge¬ 
schwunden; die Perityphlitis schwindet sehr rasch und eine neue 
Schwellung der Gelenke mit ziemlich intensiver Endocarditis und 
Pericarditis entwickelt sich. Wir stehen nicht an, die Perityphlitis 
als eine rheumatische Affection des Peritoneums in der Blinddarm- 
gegend zu betrachten. Um eine Perforation hat es sich sicher nicht 
gehandelt. Dagegen spricht das rasche Schwinden aller Symptome, 
während das alternirende Auftreten der Gelenkaffection beim Schwinden 
der Peritonealerscheinungen sehr für ihre rheumatische Natur spricht. 
Wir folgen hier der Anschauung Lebert’s, der in seiner Klinik 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


521 


des acuten Gelenkrheumatismus Peritonitis als Complication beob¬ 
achtet hat, während Senator (v. Ziemssen’s Handbuch Bd. XIII) 
geneigt ist, dieselbe als zufällige Begleitung des Krankbeitsprocesses 
zu betrachten. 

Nachdem der Gelenkrheumatismus mit Pericarditis und Endo- 
carditis und leichter Betheiligung der Pleura mehrere Wochen an¬ 
gedauert, schien die Reconvalescenz langsam einzutreten, der Patient 
erholte sich wieder, als plötzlich einen Monat nach Beginn der Er¬ 
krankung die subcutanen Knoten sich zeigen. Sie schwinden in 
kurzer Zeit, um sehr bald wieder unter geringen Fiebererscheinungen 
in grosser Anzahl zu erscheinen; gleichzeitig tritt eine Steigerung 
der endocarditischen Erscheinungen ein. Die Knoten beginnen von 
Neuem abzunehmen, als unter leichter subjectiver Störung des All¬ 
gemeinbefindens ein neuer Nachschub von Knoten sich einstellt mit 
leichter Gelenkaffection. 

Nach kurzer Dauer beginnt die Rückbildung aller Erscheinungen, 
und Patient ist nach einer 2*/2 monatlichen Dauer der Krankheit 
Reconvalescent. 

Die erste Mittheilung über die in Rede stehende Affection 
stammt von Meynet in Lyon, der im „Lyon medical“ vom 5. De- 
cember 1875 unter dem Titel: „Rheumatisme articulaire subaigu 
avec production de tumeurs multiples dans les tissus fibreux peri- 
articulaires et sur le perioste d’un grand nombre d’os“ den ersten 
Fall ausführlich publicirte. 

Iu dem oft citirten Werke von Robert Froriep, „Die rheuma¬ 
tische Schwiele, Weimar, 1843“, findet sich nichts von unserem 
Symptom. Wenn man die 84 Krankengeschichten der Froriep- 
schen Arbeit durchgeht, so findet man alle möglichen Affectionen, 
deren rheumatische Natur theilweise sehr zweifelhaft ist, zusammen¬ 
gestellt. Gelenkaffection subacuter und chronischer Natur, Muskel¬ 
rheumatismus, Neuralgieen und Neuritiden, Lähmungen und Krämpfe, 
ja centrale Affection wie Tabes; bei allen finden sich Schwielen, 
deren Froriep vier Arten unterscheidet: Hautschwielen, Zellgewebs- 
schwielen, Muskelschwielen, Knochenschwielen; zu den Zellgewebs- 
schwielen gehören mirabiledictu Frostbeulen. Offenbar handelt 
es sich hier um die verschiedensten Dinge, um periarticuläre Ex¬ 
sudate, chronische Hautödeme, Fälle von Myositis, mitunter wohl 
auch um Muskelcontracturen; Alles ist hier als rheumatische Schwiele 
dargestellt. 

Aus der Kussmaul’schen Klinik veröffentlicht Dr. Kreiss 
(Berl. med. Wochenschr. 1886, No. 61) einen Fall von primärer 
schwieliger Myositis der Wadenmuskeln, den er als ein Beispiel 
rheumatischer Schwiele nach Froriep betrachtet, und Dr. Ewer 
(Berl. klin. med. Wochenschrift 1887, No. 9) will sehr häufig beim 
Massiren und genauer Untersuchung der Muskeln bald Stränge, bald 
mehr minder grosse Tumoren gefühlt haben, die zu dem Bild der 
Froriep’schen Muskelschwielen passen. 

Jaccoud behandelt die Erscheinung in seinem Handbuch der 
innern Pathologie (Rheumatisme II, p. 546, 1871). Er sagt (ich 
übersetze das Citat aus der Arbeit von Troisier: Les nodosites 
rheumatismales sous-cutanees. Union medicale 1884, No. 32): 

„In einigen Fällen findet man unter der Haut und mit ihr ver¬ 
wachsen flache oder rundliche, gut abgegrenzte Verhärtungen, erbsen- 
bis haselnussgross, die von einer Infiltration und Hyperplasie des 
Bindegewebes herrühren. Diese Knötchen (nodosites) von verschie¬ 
dener Anzahl können ziemlich weit von Gelenken ihren Sitz haben; 
in einem Fall, in dem der Rheumatismus Ellenbogen und Daumen 
befiel, sah ich die ganze Rückenfläche des Vorderarms mit diesen 
Knötchen besäet. 

Diese Knötchen sieht man nicht ohne Weiteres, man muss sie 
durch die Palpation aufsuchen; sie verursachen dasselbe Gefühl bei 
der Betastung wie die Knoten bei Erythem, nodosum, sie unter¬ 
scheiden sich nur von diesen durch deu geringen Umfang und durch 
die Abwesenheit der Hautröthe.“ 

Besnier soll gleichfalls in der 1876 erschienenen medicinischen 
Encyclopädie in dem Artikel Rheumatismus eine Skizze der Knötchen 
gegeben haben (Troisier 1. c. p. 386). 

Der Fall von Meynet (Lyon medical 1. c.) betrifft einen 
14jährigen Knaben, der zum dritten Mal Gelenkrheumatismus hatte 
mit Herzaffection. Sechs Wochen nach dem Beginn seiner letzten 
Krankheit constatirt Meynet ausser leichter rheumatischer Schwellung 
der Hand- und Fingergelenke zahlreiche Knoten an dem Daumen, 
den Fingern und Sehnen der Extensoren und Flexoren der Finger, 
an den Ellenbogen- und Kniegelenken, die von ihnen umsäumt 
waren, und längs der Wirbelsäule, desgleichen an der Stirn und am 
Occiput 

Nach einem Monat war fast alles verschwunden. 

Rehn beschreibt in seiner Arbeit über Rheumatismus acut, in 
Gerhardt’s Handbuch der Kinderkrankheiten Bd. III, p. 22 eine 
Beobachtung bei einem zehnjährigen Mädchen mit recidivirendem 
G.Rh. Die Tumoren sassen in der Sehnenscheide des Extensor 
quadriceps beiderseits, an der Patella und am Triceps brachii etc. 


Im Jahre 1879 hielt Prof. Hirschsprung in der medicinischen 
Gesellschaft zu Kopenhagen einen Vortrag über eine eigenthümliche 
Localisation des Rheumatismus acutus im Kindesalter (Jahrb. für 
Kinderheilkunde XVI, p. 324). Hirschsprung hat 5 Fälle unserer 
Affection gesehen (sein zweiter Fall ist ein nach IV 2 Jahren entstan¬ 
denes Recidiv des ersten). Seine Fälle betreffen Kinder von 3 l /2 bis 
12 Jahren, Knaben wie Mädchen; alle waren an einem massig 
heftigen protrahirten Gelenkrheumatismus erkrankt, bei allen war 
Herzaffection, meist Endocarditis, nachweisbar. Zu verschiedenen 
Zeiten, doch nie gleich bei Beginn des Rh. ac., entstehen plötzlich 
an den verschiedensten Stellen Geschwülste von den mannigfachsten 
Grössen, um nach einigen Wochen spurlos zu verschwinden. Ein 
an Vit. cordis erfolgter Todesfall gab Gelegenheit, den Tumor mikro¬ 
skopisch zu untersuchen. 

In derselben Arbeit theilt Hirschsprung eine neue Beob¬ 
achtung Rehn’s mit, die einen 4'/2 jährigen Knaben mit irregulärem 
Rheum. acut, betrifft. Auch hier Pleuritis, Pericarditis, in der 
6. Woche Peritonitis und Erscheinungen kleiner Geschwülste an den 
Patellen, an den Strecksehnen der Finger und Zehen. Fast gleich¬ 
zeitig publicirten Troisier und Brocq unter dem Titel: „les nodo¬ 
sites sous-cutanees ephemeres et le rheumatisme“ in der Revue de 
medecine 1881, p. 297 (Troisier 1. c.), den Fall eines 45jährigen 
Mannes, der an Gelenkrheumatismus mit Pleuritis und Endocarditis 
erkrankt war. In der Reconvalescenz erschienen die Knoten am 
Hinterhaupt, Stirn und an den Ohren; gleichzeitig kam ein Recidiv 
des Gelenkrheumatismus mit Pericarditis; nach Wochen völlige 
Wiederherstellung. 

Eine sehr interessante, reichhaltige Arbeit tbeilten Barlow 
und Warner auf dem internationalen Congress, London 1881, mit: 
on subcutaueous nodules connected with fibrous structures. Transact. 
of the internat. medic. Congress, London, Vol. IV p. 116. 

Die beiden Autoren haben 27 Fälle, sämmtlich bei Kindern, 
beobachtet. Das jüngste der Kinder war 4 V 2 , das älteste 18 Jahre 
alt; 10 waren männlichen, 17 weiblichen Geschlechts. In einer 
sehr übersichtlichen Tabelle werden die einzelnen Krankengeschichten 
skizzirt und unter den Rubriken: Namen und Alter, Knotenbildung, 
Verhalten der Haut, Temperatur, Herz, Chorea und Gelenkaffection 
die einzelnen Symptomen geschildert. In zwei Fällen war keine 
Gelenkaffection vorhanden oder noch nachweisbar vorhergegangen; 
bei 11 Patienten war unzweifelhaft Rheumatismus der Gelenke vor¬ 
handen, in 8 Fällen war Rheumatismus vorausgegangen; bei 6 
Patienten war Gelenkschmerz ohne Schwellung nachweisbar. In 
26 Fällen war eine Herzaffection, Pericarditis oder Endocarditis oder 
beides vereint sicher zu constatiren; in einem Fall war der erste 
Mitralton unrein. Chorea wurde bei 10 Patienten beobachtet; 
ein Kind hatte Chorea bei einer früheren Attaque von Gelenkrheu¬ 
matismus. 

Eine ziemlich häufige Complication waren Hautaffectionen ; 
sieben Mal wurden Erythema papulatum und marginatum, einmal 
Urticaria, einmal Purpura notirt. — Die Knoten erschienen zumeist 
in einem späteren Stadium des Rheumat. artic.; ihre Beschaffenheit 
war die schon in den früher angeführten Krankengeschichten be¬ 
schriebene. 

Sie waren öfters symmetrisch; ihr Lieblingssitz waren die Ge¬ 
lenke, die Sehnen der Extensoren, Occiput und Proc. spinös, der 
Wirbel. Sie entstanden plötzlich in verschiedener Grösse; sehr oft 
wurden Nachschübe constatirt, mitunter mit Fieber, doch konnte 
letzteres, nach Ansicht des Autors, auch auf eine vorhandene 
Pleuritis oder Pericarditis bezogen werden. Die kürzeste Dauer der 
Knoten war 3 Tage, die längste Dauer 5 Monate. Einzelne Knoten 
vergrösserten sich noch, die Mehrzahl behielt die Grösse bei, die 
bei ihrem Entstehen beobachtet war. Immer war die Haut über 
ihnen leicht verschiebbar, die Haut selbst nie infiltrirt oder ge- 
röthet; mitunter war geringe Schmerzhaftigkeit, meist nur auf Druck, 
vorhanden. In drei Fällen hatte der Verfasser Gelegenheit die 
Section zu machen; die Patienten waren an Pericarditis, Endo¬ 
carditis valvularis und Peritonitis gestorben. 

In der Med. Times and Gazette vom 18. November 1882 be¬ 
richtet G. Smith einen hierher gehörigen Fall: chorea after slight 
rheumatisme. Rheumatic nodules, anaemia, death. (Citat aus dem 
Jahresbericht von Hirsch und Virchow f. 1882.) Bei einem 
11jährigen Kinde, das vor einigen Monaten Gelenkrheumatismus 
batte, sind jetzt, ausser Chorea und einer Mitralaffection, knöt¬ 
chenförmige Verdickungen an dem Proc. spin. der Wirbel nach¬ 
zuweisen. Das Kind starb unter der Erscheinung von Anaemie. 

In einer These berichtet Cherdorowski: contribution k l’etude 
des nodosites rheumatismales ephemeres. These de Paris 1882 
No. 11 ^(citirt nach Troisier 1. c.). „Ein junger Mann von 
19 Jahren ist zum zweiten Mal an Gelenkrheumatismus mit Herz¬ 
affection erkrankt. Ausserdem hat er ein polymorphes Erythem. 
In der Reconvalescenz entwickeln sich sehr zahlreiche, verschieden 
grosse Knoten zuerst auf dem Kopf, später an den Händen, Knieen, 


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522 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


Füssen und an dem Proc. spinös, der Wirbel, sie verschwanden in 
kurzer Zeit.“ 

Aus der Henoch’sehen Klinik theilt Gg. Meyer zwei Fälle 
mit (Zwei Fälle von Rheumatis. acutus im Kindesalter mit einer 
eigentümlichen Complication. Berl. klin. Wochenschrift 1882 No. 31). 
Bei einem 12jährigen Mädchen mit Mitralinsufficienz, ein voraus¬ 
gegangener Rheumatismus ist nicht sicher nachzuweisen, finden 
sich an beiden Kniegelenken, am Ansatz des m. quadriceps und 
an beiden Handgelenken oberhalb des Proc. styloid. ulnae kleine 
Knoten. 14 Tage nach der Aufnahme in die Klinik Exacerbation 
der Endocarditis, Schwellung der Handgelenke; die Tumoren werden 
grösser und es entstehen neue Knoten an den Malleolen, am Olecranon 
und am Schultergelenk; unter den Erscheinungen der Hydropsie 
trat der Tod ein; auf die von Grawitz post mortem vorgenommenen 
mikroskopischen Untersuchungen der Knoten werden wir später 
zurückkommen. Der zweite Fall betraf ein 12 jähriges Mädchen mit 
länger bestehendem Gelenkrheumatismus. Mehrere Mouate später 
constatirte man, nachdem von Neuem Gelenkschwellungen und 
Symptome von Seiten des Herzens aufgetreten, am Ellenbogen, an 
den Handgelenken und am rechten Sternoclaviculargelenk unter der 
Haut verschiebbare Knötchen; sie verschwanden nur sehr langsam; 
der weitere Verlauf war prognostisch ungünstig! 

In der Sitzung der Clinical society of London vom 24. No¬ 
vember 1882 (Lancet, 2. December, 1882) theilt Duckworth 2 Fälle 
von subcutanen rheumatischen Knoten mit; der erste Fall betrifft 
ein 24jfihriges Dienstmädchen mit Gelenkaffection, an der sie schon 
früher gelitten. Knoten, deren Beginn acht Monate zurückdatirt, 
an der rechten Hand, Ellenbogen und Knie. Erster Ton der Mi¬ 
tralis unrein; noch nach drei Monaten wurden ein Grösserwerden 
der Knoten, sowie eine neue Eruption beobachtet. Die Herzaffection 
hat sich verschlimmert. 

Der zweite Fall betrifft ein 9jähriges Schulmädchen, seit zwei 
Monate an Affectiou verschiedener Gelenke erkrankt; Erscheinung 
von Mitralinsufficienz nachweisbar; subcutane Knoten an den Ex¬ 
tensorensehnen des Metacarpus, am Olecranon und an der Proc. 
spinös, der Wirbelsäule, an der Patella, an den Malleolen. Nach 
drei Wochen erschienen die Knoten etwas grösser. 

Auffallend in dem ersten Fall ist die lange Dauer der Knoten. 

In der Discussion, die sich an diese Mittheilung anschloss, 
werden auch Fälle von Green, Barlow und Travers erwähnt; 
in der Beobachtung der beiden ersten Autoren war eine Aflfection 
des Herzens vorhanden; in dem Fall von Travers fehlt sie; in 
allen drei Fällen handelt es sich um acuten Gelenkrheumatismus; 
die beiden ersten Patienten standen in jugendlichem Alter, der Fall 
von Travers war 45 Jahr alt. 

Dasselbe Thema kam in der Sitzung derselben Gesellschaft 
vom 27. April 1883 (Lancet 1883 5. Mai) zur Discussion. 

Die erste Mittheilung von Stephen Mackenzie betrifft eine 
syphilitische 40jährige Frau. Es scheint uns sehr fraglich, ob die 
bei der tertiär syphilitischen Patientin constatirten subcutanen acht 
Knoten, mit Rheumatismus acut, etwas gemeinsames haben; an 
rheumatischer Affection hatte die Patientin nie gelitten, das Herz 
war frei und die jahrelange Dauer der Knoten spricht gegen ihre 
Zugehörigkeit zu unserer Affection. 

Zweifelhaft erscheint auch die zweite Mittheilung von Duck- 
worth. Bei einer 38jährigen Frau finden sich theüs subcutane, 
theils dem Periost adhärente, zahlreiche fibröse Tumoren; an Radius, 
Ulna, Patella, Tibia und Fibula; die Tumoren sind schmerzhaft 
und werden seit mehreren Jahren in verschiedenen Nachschüben 
beobachtet. Patientin war nie an Gelenkrheumatismus erkrankt, 
am Herzen war ausser einem etwas unreinem ersten Mitralton nichts 
zu constatiren. Duckworth legt Werth auf den Umstand, dass 
Mutter und eine Schwester der Patientin an Rheumatismus er¬ 
krankt waren. 

Troisier veröffentlicht in einer Arbeit: Les nodosites rheuma- 
tismales sous - cutanees in der „Union medicale“ 1884 No. 32 ff. 
mehrere Fälle; über den ersten haben wir oben referirt. Der zweite 
Fall betrifft einen 28jährigen Schneider. Es handelt sich um einen 
nicht complicirten Gelenkrheumatismus. Einen Monat nach Beginn 
der Erkrankung waren die Gelenke noch schmerzhaft aber nicht 
mehr geschwollen; in dieser Periode entwickelten sich im Zeitraum 
von 14 Tagen an den verschiedenen, öfter angeführten Prädilections- 
stellen eine grössere Anzahl Knoten, die nach circa 10—12 Tagen 
wieder schwanden, gleichzeitig mit ihnen auch die Gelenkschmerzen; 
keine Herzaffection. In einem weiteren Falle, den Troisier den 
Mittheilungen Vulpian’s verdankt, entwickelte sich bei einem 50- 
jährigen Manne, der öfters an Anfällen rheumatischer Muskel¬ 
schmerzen und an Rheumatismus der Finger und Schultergelenke 
litt, verschiedene Male erbsengrosse, etwas schmerzhafte Knoten 
unter der intacten Haut, an den verschiedenen Sehnen der Exten¬ 
soren, die rasch wieder verschwanden; eine im weiteren Verlauf 
der Krankheit entstandene Anschwellung der Palma manus rechnet 


Troisier mit Recht nicht zu den rheumatischen Knoten; die Haut 
war mit derselben verwachsen, sie war sehr schmerzhaft, infiltrirt 
und härter anzufühlen. 

Ob eine Beobachtung von Descot aus dem Jahre 1826, die 
Troisier hierher rechnet, mit Rheumatismus zu thun hat, ist zum 
Mindesten sehr fraglich. (Dissertation sur les affections locales des 
nerfs). Es handelt sich um einen Studenten der Medicin in Angers, 
der im Hospital ein ungesundes Zimmer bewohnte; er bekam 
Arthritis der grossen Zehe und einen schmerzhaften Knoten, gersten¬ 
korngross, unter der Haut an der Vena saphena des Beins. Druck 
auf den Knoten verursachte ausstrahlenden Schmerz längs des 
Nervus sapbenus. Ein Wechsel der Wohnung lässt Arthritis und 
Knoten verschwinden. 

Zwei für die Differentialdiagnose sehr interessante Fälle ver¬ 
dankt Troisier der Mittheilung von Fouruier. Es handelt sich 
um syphilitische Patienten. Der erste Fall betrifft einen 41jährigen 
Mann, der schon mehrere Male Gelenkrheumatismus gehabt hatte; 
mehrere Jahre nach einer Infection Exostosen an der Stirn und 
syphilitisches Exanthem. Im Moment, als Patient entlassen werden 
sollte, traten Kniegelenkschmerzen ein; es entwickelten sich erst 
auf dem linken, dann auf dem rechten Glutaeus je zwei subcutane, 
haselnussgrosse Knoten, die zuerst für Gummata gehalten wurden; 
den andern und den dritten Tag entstanden je zwei kleinere auf 
dem rechten und linken Oberschenkel, mehrere Tage später ein 
Tumor auf dem Abdomen. Die Knoten schwanden in einigen Tagen 
und mit ihnen die Gelenkschmerzen. 

In einem zweiten Falle war es ein 32jähriger Patient, der vor 
2 Jahren sich inficirt hatte. Er trat mit Entzündung des linken 
Kniegelenks, Muskel- und Gelenkschmerzen und einem haselnuss¬ 
grossen, subcutanen Tumor auf der Stirn über dem linken Auge 
ein. Da die Geschwulst sich schon mehrmals bei der Attaque von 
Rheum. acut., dem Patient ausgesetzt war, gezeigt hatte, wurde 
die Diagnose Syphilis verlassen und in einer Woche, nach Anwen¬ 
dung von Natr. salicyl., Patient geheilt entlassen. 

In der Discussion, die sich in der societe medicale des höpitaux 
(9. November 1883) an den Vortrag von Troisier knüpfte, be¬ 
richtete dieser über zwei weitere Fälle, die Dr. Tissier in Remiremont 
mitgetheilt hatte. Es waren zwei Männer, 42 und 29 Jahre alt, 
beide hatten schon öfter Gelenkrheumatismus gehabt, bei beiden 
entwickelten sich rheumatische Tumoren und schwanden in kurzer 
Zeit; von einer Herzaffection ist nichts erwähnt. 

Auf dem Wiesbadener Congress von 1885 stellte Pfeiffer einen 
Patienten Rehn’s vor mit Rheumatismus nodosus. Bei einem’9jäh- 
rigen Knaben, der seit 3 Jahren an recidivem Gelenkrheumatismus 
mit Mitralinsufficienz litt, hatte sich zum zweiten Male an den ver¬ 
schiedensten Stellen eine reichliche Anzahl Tumoren entwickelt; 
ihre Grösse war sehr verschieden. 

Einen Fall von Chorea mit Rheumatismus nodosus theilt 
Scheele mit (Deutsche Med. Wochenschrift 1885, No. 41). Bei einem 
13jährigen Knaben, der seit seinem 9. Lebensjahre wiederholt an 
Chorea gelitten, zeigen sich, nachdem einige Wochen vorher die 
Chorea von Neuem aufgetreten, an den Flexorensehnen des 5., 4. 
und 3. Fingers beider Hände symmetrische Knötchen; ähnliche 
Knoten befinden sich am Proc. styloid. ulnae, an dem Proc. spinös, 
des ersten und zweiten Rückenwirbels, ebenso an den Sehnen der 
Peronei. Im weiteren Verlauf entwickeln sich die gleichen Tumoren 
an der Patella, am Olecranon, und an dem Proc. spin. des 11. und 
12. Brustwirbels; auch an den Extensorensehnen der Finger zeigten 
sie sich. Nachdem die Chorea geschwunden, bildeten' sich alle 
Knoten ziemlich rasch zurück. Das Herz war immer frei; an 
Rheumatismus soll das Kind nie erkrankt gewesen sein. Die Mög¬ 
lichkeit, dass ein leichter Rheumatismus articulorum der Chorea 
vorhergegangen uud von den Eltern übersehen wurde, dürfte nicht 
von der Hand zu weisen sein. 

Honnorat (Lyon medic. 1886, No. 16) beobachtete bei einer 
26jährigen Frau im Verlauf eines subacuten Gelenkrheumatismus 
symmetrische subcutane Knoten am Ellenbogen, Knie- und Meta- 
carpo-phalangeal-Gelenk der Zeigefinger, die nach vier Wochen 
schwauden. Herzaffection wird in dem Referat in dem Jahresbericht 
von Virchow und Hirsch nicht erwähnt. 

Aus dem Jahre 1887 sind zwei Mittheilungen publicirt. Die 
erste verdanken wir Bertoye: Observation nouvelle des nodosites 
souscutanees. rheumatism. Lyon medic. 1887, No. 6 (Referat im 
Centralblatt für klinische Medicin). 

Bei einem 14jährigen Mädchen entwickeln sich in der Spät- 
periode des Rheumat. acutus an der Streckseite der Hände und 
Füsse und dann am ganzen Körper zahlreiche fibröse Knoten; sie 
gehen langsam zurück, um bei eiuem Recidive wieder zurückzu¬ 
kehren. Der Verfasser denkt an parasitären Ursprung (!). 

Die neueste Publication ist von Prior aus der med. Poli¬ 
klinik in Bonn (Rheumatismus nodosus. München, med. Wochen¬ 
schrift 1887, No. 28). Prior publicirt zwei Fälle. Bei einem 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


523 


13jährigen Patienten mit mittelschwerem acuten Gelenkrheumatismus 
stellten sich, nachdem die Erscheinungen der Gelenkaffection mini¬ 
mal geworden, ca. 3 Wochen nach der Aufnahme neue Fieber- 
erscheinnngen ein. Man constatirte Schmerzhaftigkeit der Fuss- 
gelenke, jedoch keine Gelenkschwellung und beiderseits auf der 
hinteren Fläche der Achillessehne eine grosse Anzahl subcutaner 
Knötchen von verschiedener Grösse; ebenso an der rechten Qua- 
dricepssehne und am Olecranon. Trotz der Darreichung von Natr. 
salicyl. entwickeln sich an den Flexorensehnen der Finger zahl¬ 
reiche Knötchen und es kommt zu erneuter Anschwellung der 
Schultergelenke. Das Herz bleibt frei. Nach mehreren Wochen 
sind die Knoten völlig geschwunden und Patient wird geheilt ent¬ 
lassen. 

Die zweite Beobachtung betrifft eine 19jährige Arbeiterin; 
rheumatische Schmerzen in den Kniegelenken, zeitweise Schwellung 
der Handgelenke sind vorausgegangen. Schwellung und Schmerz¬ 
haftigkeit der Kniegelenke, besonders links, und Schwellung der 
beiden Handgelenke ist vorhanden; die Beugeseite der beiden 
Unterarme ist mit zahlreichen, halberbsengrossen Knötchen bedeckt, 
die den Flexorensehnen adhäriren; ausserdem ist Tendovaginitis 
crepitaus an der Sehne des rechten Quadriceps femoris nachweisbar. 
In den nächsten Tagen werden die Knötchen deutlich grösser und 
es entwickeln sich unter der rechten Patella neue Knötchen, die 
auffallend rasch wachsen. Nach mehreren Wochen sind sie ver¬ 
schwunden und nur am Vorderarm sind die Knötchen sehr ver¬ 
kleinert noch zu finden. Bei einem Recidiv des Gelenkrheumatis¬ 
mus kommt es zu keiner neuen Eruption von Knoten. Die noch 
vorhandenen Noduli bleiben unbeeinflusst und schwinden rasch; 
auch bei einem mehrere Monate später eintretenden Rückfall 
kommt es zu keiner neuen Knötchenbildung. Das Herz war intact. 

Bei der grossen Häufigkeit des Gelenkrheumatismus allerorts 
und in allen Lebensaltern ist die Seltenheit seiner Complication 
mit subcutanen Knoten auffällig. Es ist uns nur gelungen, 59 
sichere Fälle in der uns zugängigen Literatur aufzufinden. 

Die kleinere Zahl der Beobachtungen stammt aus Deutschland; 
weitaus die Mehrzahl wird von englischen, französischen und däni¬ 
schen Autoren berichtet. Eine fernere Beobachtung muss erst 
zeigen, ob hier nur Zufälligkeiten obwalten. 

Von unseren 59 Fällen betreffen 46 das Kiudesalter, das 
weibliche Geschlecht ist bedeutend mehr disponirt. Während 
mehrere der Erwachsenen frei von Herzaffection sind, zeigen fast 
alle Kinder deutliche Symptome von Endocarditis und Pericarditis. 
Die grosse Häufigkeit dieser Complication bei Gelenkrheumatismus 
im Kindesalter ist zwar bekannt; nichtsdestoweniger ist das fast 
constante Zusammentreffen von Knotenbildung und Herzaffection 
sicher nichts zufälliges. Barlow macht in der betreffenden Dis- 
cussion in der Londoner klinischen Gesellschaft die Bemerkung, 
dass, wenn Herzaffection fehle, das Erscheinen von Knoten den 
Arzt veranlassen müsse, auf dem „qui vive“ zu sein und das Herz 
genau zu beobachten. Wir konnten in unserem zweiten Fall bei 
einem Nachschub der Knoten eine Recrudescenz der Mitralaffection 
constatiren. Nicht sehr selten ist bei Kindern Chorea, auch Haut- 
affectionen werden öfters gleichzeitig beobachtet. 

Die subcutanen Knoten entstehen fast immer in einer späteren 
Periode des Gelenkrheumatismus, meist erst von der dritten Woche 
ab; sehr häufig sind schon mehrere Attaquen der Krankheit vorher¬ 
gegangen. Plötzlich, sehr oft über Nacht, entstehen sie, an Grösse 
und Zahl verschieden, subcutan unter der unveränderten Haut. Ihr 
Lieblingssitz sind die Ellenbogen- und Kniegelenke, die Extensoren¬ 
sehnen am Handrücken, die Malleolen, die Proc. spinosi der Wirbel, 
das Hinterhaupt und die Stirn; doch ist keine Parthie des Körpers 
frei von ihnen. Ihre Grösse variirt von der Grösse eines Steck¬ 
nadelkopfes bis zu der einer Mandel. Sie sind unter der Haut 
verschiebbar, mitunter sind sie mit dem Periost verwachsen, ebenso 
auch mit den Sehnenscheiden; sie sind auf Druck etwas schmerz¬ 
haft; spontane Schmerzen wurden nur in seltenen Fällen beob¬ 
achtet. Ihre Zahl variirt von eins bis über fünfzig. 

Sehr oft sind Nachschübe vorhanden; mitunter entstehen diese 
mit leichten Fieberbewegungen, gleichzeitig ist eine erneute Exacer¬ 
bation der Gelenkaffection und des Herzleidens nachzuweisen. 

Gewöhnlich kann man einen symmetrischen Sitz der Knoten 
beobachten; öfter sind die Gelenke kranzförmig von ihnen um¬ 
geben, so dass sie besonders bei Flexion der Gelenke sichtbar sind. 

Ihre Dauer ist sehr verschieden; manche existiren nur mehrere 
Tage, die Mehrzahl circa drei Wochen, einzelne bis zu fünf Mo¬ 
naten. Die Beobachtungen von Mackenzie und Duckworth 
(Lancet 1883 5. Mai) von Jahre langer Dauer der Knoten gehören 
wohl, wie wir oben auseinander gesetzt, nicht hierher. Meist be¬ 
obachtet man, dass die Knoten nicht weiter wachsen, sondern die¬ 
selbe Grösse behalten, die sie bei der ersten Constatirung zeigten. 


Ein deutliches Wachsthum der Knoten hat Prior in seiner zweiten 
Beobachtung constatirt. 

In einzelnen Fällen war es möglich, eine mikroskopische Unter¬ 
suchung der Knoten vorzunehmen. Bang in Kopenhagen hat in 
einer der von Hirschsprung beobachteten Fälle die Section ge¬ 
macht und die Knoten untersucht. (Jahrb. für Kinderheilkunde, 
Bd. XVI, p. 336). Er constatirt, dass sie aus Bindegewebe in ver¬ 
schiedenen Modificationen gebildet sind, grobe Fäden mit reiheweis 
geordneten, spindelgeformten oder mehr glattgeformten Zellen; 
grosse Spindelzellen getrennt durch feine Fäden. Hier und dort 
sah er recht reichlich Gefösse, von denen einige dilatirt waren; 
dazwischen Stellen von unverkennbar nekrobiotischem Habitus. 
Bang deutet hiernach die Knoten als Bindegewebsneubildungen, zu¬ 
nächst wohl chronisch inflammatorischer Art mit Tendenz zur 
Nekrobiose; ihr Ursprung ist wahrscheinlich das Sehnengewebe, 
an dessen Gewebe sie auffallend erinnern. 

Einen ähnlichen Befund constatirt R. W. Parker, der in 
einem der Barlow’sehen Fälle einen Knoten am Proc. spinosus 
excidirte und untersuchte; auch er constatirte Bindegewebswucherung 
mit geschwänzten, spindelförmigen Zellen und reichliche Gefässe. 
Grawitz, der einen der Fälle aus der Klinik von Henoch unter¬ 
suchte, erklärt die Tumoren für fibröse Knötchen mit faserknor¬ 
peligen Beimischungen. Ihre Structur war nicht die gleiche; die 
Gewebe bald fibrös, bald knorpelig; in einem Falle war Kalk¬ 
einlagerung nachzuweisen. (Mayer, 1. c.) 

Barlow selbst erklärt in seiner fünften Schlussthese das Ge¬ 
webe der Knoten für identisch mit dem der Vegetationen auf den 
Herzklappen. Hierfür wäre wohl erst der stricte anatomische 
Nachweis zu liefern. Es müsste festgestellt werden, dass die näm¬ 
lichen Mikroben, die in der Klappenvegetation constant sich vor¬ 
finden, auch in den subcutanen Knoten vorhanden sind. Mit 
diesem Nachweis wäre dann auch die Natur der Knoten erklärt; 
die Möglichkeit eines embolischen Ursprunges ist bei der Plötzlich¬ 
keit ihres Entstehens, bei ihrer fast constanten Coincidenz mit 
Herzaffection a priori nicht von der Hand zu weisen. Leider war 
es mir nicht möglich, von meinen Patienten die Einwilligung zur 
Exstirpation eines Knoten zu erhalten, die ja bei strenger Antisepsis 
ohne jedes Bedenken vorgenommen werden könnte. 

Für die Annahme von Chuffart: des affections rheumatis- 
males du tissu cellulaire sous-cutanee 1886 (mir nur aus dem Re¬ 
ferat im Jahresbericht von Virchow und Hirsch zugänglich), dass 
die subcutanen Knoten theilweise aus den cutanen, ödemartigen, 
ephemeren Hautaffectionen hervorgehen, spricht keinerlei Beobach¬ 
tung; im Gegentheil, sie sind sicher ganz anderer Natur. 

Die Diagnose der rheumatischen Knoten dürfte nach dem oben 
Auseinandergesetzten keinerlei Schwierigkeiten bieten. Beim Gelenk¬ 
rheumatismus sind Hautaffectionen nicht sehr selten; Urticaria, circum- 
scripte oedeme der Haut werden öfters beobachtet. In die Kate¬ 
gorie der letzteren gehören wohl die von Fereol beschriebenen 
ephemeren Hautknoten bei Arthritikern. „Nodosites cutanees ephe¬ 
meres chez les arthritiques“. Anschwellungen in der Haut, die bei 
an Rheumatismus leidenden Individuen plötzlich entstehen und 
nach nur eintägiger Dauer verschwinden. (Troisier, 1. c.) 

Alle diese Affectionen sitzen in der Haut, bilden Anschwellung 
in ihrem Gewebe und sind dadurch von den unter der Haut be¬ 
weglich liegenden rheumatischen Knoten leicht zu unterscheiden. 

Ebenso verhält es sich mit dem von Verneuil beobachteten 
sogenannten Pseudolipom der Supra-Claviculargruben, über dessen 
Natur er mit Potain in Streit gerathen; während Letzterer es für 
ein Oedem des Fettgewebes, das auch anderwärts bei Rheumatismus 
beobachtet wurde, erklärt, will Verneuil durch Excision des 
Tumors die lipomatöse Natur desselben constatirt haben und deutet 
manche Potain’sehe Fälle, die mit Diabetes complicirt waren, als 
diabet. Sclerem. (Potain: de l’Oedeme rheumatismale et du pseu- 
dolipom sousclaviculaire; Verneuil: du pseudolipom sousclayicul.; 
du scler&me glycosurique et de l’adenopathie soustrapezienne. 
Gazette hebd. de Medec. et de Chirurg. No. 42/47.) 

Eine Verwechslung dürfte wohl nur mit Gummata möglich 
sein. Die beiden oben skizzirten Fälle von Fournier beweisen 
dies. Doch dürfte eine genauere Beobachtung hier sehr leicht vor 
Irrthum schützen; die subcutanen Gummata verwachsen sehr rasch 
mit der Haut, sie vergrössern sich, werden weich, sehr oft tritt 
Entzündung und Zerfall ein; die periostalen Gummata zeigen sehr 
bald den typischen periostalen Wall um die Geschwulst. Immerhin 
wird das Auftreten von ähnlichen Geschwülsten bei einem Syphili¬ 
tischen, der an einem Gelenkrheumatismus erkrankt ist, zur Auf¬ 
merksamkeit auffordern müssen. 

Von diagnostischem Werth dürften die Knoten insofern sein, 
als ihr Vorhandensein bei nur unbedeutender rheumatischer Gelenk¬ 
affection, oder falls letztere vom Patienten vergessen, sicheren Auf- 


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524 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


Schluss über die rheumatische Natur einer Chorea oder einer Herz- 
affection abgiebt. 

Zu therapeutischem Einschreiten dürften sie wohl nur in den 
seltensten Fällen Veranlassung geben, wenn sie aussergewöhnlich 
lange bestehen bleiben. 

Hier dürften warme Soolbftder und innerlich Kali jodatum in- 
dicirt sein. 

Wir können wohl das oben Ausgeführte in folgende Sätze zu¬ 
sammenfassen: 

I. Beim Gelenkrheumatismus, hauptsächlich im Kindesalter, 
kommen mitunter als Symptome der Erkrankung subcutane Knoten vor. 

II. Sehr häufig ist gleichzeitig Herzaffection, mitunter mit Chorea, 
vorhanden. 

III. Sie sind mitunter die einzigen Symptome der noch vor¬ 
handenen rheumatischen Affection; mitunter exacerbirt mit ihrer 
Erscheinung die Herzaffection. 

IV. Sie veranlassen kein therapeutisches Einschreiten. 


IV. Aus der Königlichen Universitäts-Poliklinik für Hais¬ 
und Nasenkranke zu Berlin. 

Zur Pathologie der Glottiserweiterung. 

Von Dr. Ed. Aronsohn, Berlin - Ems. 

Die Lehre von der Erweiterungsinsufficienz der Stimmritze gehört 
zu den wichtigsten Capiteln der Laryngologie. In ihrem weitesten Sinne 
umfasst sie ja den grössten Theil der Laryngologie, da es viele Möglich¬ 
keiten giebt, zu verhindern, dass die Stimmritze nicht erweitert werden 
kann, so die mannichfachen Störungen in der Beweglichkeit der Kehl¬ 
kopfknorpel, Hypertrophieen der Stimmbänder und subglottische 
Schwellungen, Contracturen und Spasmen der Adductoren, Paresen 
der Abductoren. Nur die beiden letzten Möglichkeiten aber pflegt 
man bei der Erweiterungsinsufficienz der Stimmbänder abzuhandeln. 
Die verschiedenen Formen, unter denen die Contracturen der Ver¬ 
engerer Vorkommen: der phonische Stiminritzenkrampf oder Aphonia 
spastica(Schnitzier) 1 ), der respiratorische Stimmritzenkrampf (Ju- 
rasz) 2 ) oder Spasmus glottidis, der coordinatorische (Nothnagel) 3 ) 
und der intermittirende (Riegel) 4 ) Stiramritzenkrampf sowie auch die 
von B. Fränkel 5 ) beschriebene perverse Action der Stimmbänder sind 
zumeist secundär nach Lähmung der Erweiterer entstanden. Selbst die 
mehrere Stunden oder Tage andauernde Glottisstenose Hysterischer 
fassen Penzoldt und v. Ziemssen 6 ) nicht als eine spastische, 
sondern als eine paralytische auf. Vorzüglich aber ist es nach der 
Beleuchtung, welche dieser Gegenstand durch Rosenbach 1 ) und dann 
insbesondere durch Seraon 8 ) erfahren hat, klar geworden, dass die 
Erweiterungsinsufficienz der Stimmritze in den allermeisten Fällen 
auf einer Lähmung der Erweiterer, der Musculi crico -arytänoidei 
postici beruhe, und welch hohe Bedeutung die Posticusläbmungen 
für weite Gebiete der Pathologie haben können. Nicht nur bedroht 
nämlich eine Lähmung beider Erweiterer schon an und für sich 
das Leben des Individuums in hohem Maasse, sie ist auch von ge¬ 
wichtigem diagnostischem Werthe, indem schon einseitige Posticus- 
lähmungen — in Ansehung der veranlassten Störungen zwar die un¬ 
schuldigste aller Kehlkopflähmungen — entweder auf schwere Krank- 
heitsprocesse, wie Carcinom, Aneurysma, die in der Nähe des Recurrens 
sich etablirt haben, hinweisen, oder, wie Semon hervorhebt, oft 
selbst als ein pathognomisches Symptom für cerebrale und intrathora- 
eale Leiden erachtet werden können. Freilich war das von Semon 
im Jahre 1881 formulirte Gesetz, dass bei organischen Erkrankungen 
der Centren oder Stämme der motorischen Kehlkopfnerven zuerst die 
Glottiserweiterer gelähmt werden, durch physiologische Versuche von 
H. Krause 9 ) in Frage gestellt worden, indem es sich nach Krause 
nicht um eine Lähmung der Abductoren, sondern um eine Contractur 
der Gesammtmuskulatur mit Ueberwiegen der Verengerer handeln 
sollte; indess fand Krause bald Opposition von verschiedenen Seiten, 
und endlich ist es nach dem neulich, von den Herren J. Israel, 10 ) 


Schnitzler, Wiener med. Presse 1875, No. 20 und 22. 

'•*) Jurasz, Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 26, p. 156. 

*) Nothnagel, Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 28. 

4 ) Riegel, Berliner klinische Wochenschrift 1881, No. 50. 

5 ) B. Fränkel, Deutsche Zeitschrift für praktische Medicin 1878. 
*) v. Ziemssen, Pathologie und Therapie, Krankheiten des Respira¬ 
tionsapparates 1876, p. 473. 

7 ) 0. Rosenbach, Breslauer ärztliche Zeitschrift 1880, Monatsschrift 
für Ohrenheilkunde 1882, Virchow’s Archiv 1885, Bd. 99. 

8 ) Semon, Archives of Laryngologie 1881, Berl. klin. Wochenschr. 1883. 
*) H. Krause, du Bois-Reymond's Archiv für Physiologie 1884; 

Virchow’s Archiv Bd. 98. 

,0 ) J. Israel, Exstirpation eines Carcinoms am Halse mit Resection de« 
Nervus sympathicus, Berl. klin. Wochenschr. 1888, No. 7. 


E. Remak 1 ) und B. Fränkel 2 ) in der Berliner klinischen Wochen¬ 
schrift publicirten Falle, dem man in der That die Bedeutung eines 
physiologischen Experimentes am lebenden Menschen beilegen darf, 
wohl endgültig festgestellt, dass das Semon’sche Gesetz zu Recht 
besteht. Semon und Horsley 3 ) und Donaldson 4 )haben ausserdem 
noch experimentell bewiesen, dass die Abductoren ihre elektrische 
Erregbarkeit früher und leichter verlieren als die Adductoren. 

Warum gerade die den M. crico-arytaenoideus posticus ver¬ 
sorgenden Füamente des Recurrens zuerst leiden, ist noch unauf¬ 
geklärt geblieben. Was aber zur weiteren Stütze und Ergänzung 
des Semon’schen Gesetzes beiträgt, bisher aber, wie mir scheint, 
nicht die genügende Beachtung gefunden hat, ist das Verhalten des 
Pulses bei den Posticusparalysen. Sich auf Vivisectionsexperimente 
stützend, meint freilich Mackenzie, dass, obwohl nach einer etwaigen 
Verletzung eines Vagus die Action des Herzens und der Lungen 
temporär gestört ist, so stelle sich die Function dieser Organe mit¬ 
telst des compensirenden Nerveneinflusses der gesund gebliebenen 
Seite in der Regel bald wieder her. Vielleicht hierauf fussend, 
haben die meisten Laryngologen es unterlassen, bei der Untersuchung 
der Patienten den Puls zu zählen. Dieser Ansicht widersprechen 
aber zahlreiche am Menschen gemachte Beobachtungen mit einseiti¬ 
ger Vagus- oder Accessoriuslähmung mit gleichzeitiger und andauern¬ 
der Plusbeschleunigung. Seitdem C har cot 6 ) und Leyden 7 ) darauf 
aufmerksam gemacht haben, dass bei Tabes eine Vermehrung des 
Pulses vorkomme, ist auch von den Laryngologen, wenigstens in 
diesen Fällen, auf den Puls geachtet worden, und nur mit einer 
Ausnahme fand er sich beschleunigt; nur Weil nämlich fand den 
Puls bei seinem Tabiker mit Posticuslähmung, in Bezug auf Frequenz 
und sonstige Anomalieen normal; wenn ich auch in diesen Angaben 
keine Zweifel suche, so muss ich doch die beachtenswerthe Bemer¬ 
kung von Küssner anführen, dass er in seinem Falle von Tabes 
erst „in den letzten zwei Jahren die Pulsfrequenz, die bis dahin 
normal gewesen, dauernd etwas gesteigert (einige 90 in der Minute) 
war.“ Als ich in der Poliklinik den Posticuslähmungen meine be¬ 
sondere Aufmerksamkeit zuzuwenden begann, fiel mir das häufige 
Vorkommen der Tachykardie auf, und je mehr Kranke ich beobach¬ 
tete, um so überzeugender stellte es sich für mich heraus, dass 
in den Fällen, in welchen die Ursache der Posticus¬ 
lähmung in einer Erkrankung des zugehörigen Nerven zu 
suchen war, der Puls eine erhöhte Frequenz zeigte. Die 
Zahl der Fälle, in welchen eine Beschleunigung des Pulses consta- 
tirt wurde, ist verhältnissmässig eine so grosse, dass man annehmen 
kann, dass in den Fällen, in welchen keine Pulsbeschleu¬ 
nigung besteht, eine organische Erkrankung hinter der 
Abzweigung des Recurrens, eine myopathische Lähmung 
der Postici oder Adductoren contractur bestehe. Denn 
dass die Pulsbescbleunigung entweder der Ausdruck einer Sympa- 
thicusreizung oder eine Lähmungserscheinung der Herzfasern des 
Vagus ist darüber sind wir genügend aus der Physiologie unter¬ 
richtet. Diese Herzfasern des Vagus stammen aber ebenso wie der 
N. laryngeus inferius aus der inneren motorischen Wurzel des Ac- 
cessorius, und Jeder wird ohne weiteres zugeben, dass, wenn die 
cardialen Aeste des Accessorius gelähmt sind, gleichzeitige Inner¬ 
vationsstörungen der Glottismuskulatur auch auf eine Lähmung der 
laryngealen Aeste desselben Nerven zu beziehen sind. 

Sehen wir uns nun zunächst die nachfolgenden Krankengeschich¬ 
ten an, so ist unter den Fällen von Posticuslähmung auf neuropa- 
thischer Grundlage nur 6 Mal die Pulsfrequenz notirt, und in all 
diesen 6 Fällen ist die Frequenz des Pulses eine gesteigerte, und 
(in allen) sicher in 5 Fällen müssen wir schon aus anderen Grün¬ 
den eine Erkrankung des Nerven annehmen. Wenn auch in den 
von anderer Seite bisher publicirten Fällen die Pulsfrequenz ver¬ 
hältnissmässig selten angegeben ist — Gerhardt z. B. führt unter 
seinen 9 Fällen von Posticuslähmung im Jahre 1863 nicht ein einziges 
Mal die Pulsfrequenz an —, so ist sie fast ausnahmslos, wo sie be¬ 
merkt ist, erhöht. 

Der Uebereichtlichkeit wegen will ich die von mir selbst be¬ 
züglichen Fälle von Posticuslähmungen mit Pulsbeschleunigung in 
einer Tabelle zusammenstellen. 


*) E. Remak, Traumatische Sympathicus-, Hypoglossus- und Accesso- 
riusparalyse Berl. Klin. Woch. 1887, No. 7. 

*) B. Fränkel, Bemerkungen zu Remak’s Fall von traumatischer 
Sympathicus- etc. Paralyse, Berl. klin. Wochenschr. 1888, No. 8. 

®) F. Semon u. V. Horsley, On an apparently peripherica] and diffe¬ 
rential action of ether upon the laryngeal muscles, London 1886. 

4 ) F. Donalds on, Lähmung des seitlichen Adductormuskels des Larynx 
nebst einem einzig dastehenden Fall. New-Tork Med. Journal 1887. 

6 ) Mackenzie, Krankheiten des Halses und der Nase. Bd. I, 
p. 583. 1880. 

6 ) Gharcot, Archives de Physiologie norm, et path. 1870. H, p. 246. 

7 ) Leyden, Ueber Herzaffectionen bei Tabes dorsalis, Centralblatt für 
klin. Med. 1887, No. 1. 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


525 


Tabelle I. 

Eigene Beobachtungen beschleunigter Pulsfrequenz 
bei Recurrenslähmung. 


No. 

Aetiologisches 

Moment 

Laryngoskopische 

Diagnose 

Puls¬ 

fre¬ 

quenz 

Bemerkungen 

1 . 

Nürn¬ 

berg 

Tabes 

Linksseitige totale 
Posticuslähmung 

120 

I 

Gleichzeitige Lähmung 
des linken Cucullaris 
und M. sternocleidoma- 
stoideus. 

2. 

Centrale Er¬ 

Rechtsseitige to¬ 

108 bis 

Gleichzeitige rechtssei¬ 

Gar- 

schow 

krankung 

tale Posticusläh¬ 
mung 

118 

tige Parese des Velums 
und Herabsetzung der 
Sensibilität im Pharynx 
und Larynx. 

3. 

Centrale Er¬ 

Rechtsseitige to¬ 

100 

Der rechte Cucullaris u. 

Poelitz 

krankung 

tale Posticusläh¬ 
mung 


Sternocleidoma8toideus 
erscheinen atrophisch. 

4. 

Spondyl- 

Parese des linken 

110 bis 

Geringe Atrophie des 1. 

Reinke 

arthrocasieder 

Halswirbel¬ 

säule 

Stimmbandes 

120 

Cucullaris und Sterno- 
cleidomastoideus. 

5. 

Gelenkrheu¬ 

Parese beider 

98 bis 


Lücke 

matismus 
(Aneurysma) j 

Stimmbänder 

112 


Meier 

Struma, Mor- ] 
bus Basedowiij 

j 

Parese beider 
Stimmbänder 

100 



In den epikritischen Bemerkungen, welche den einzelnen Kranken¬ 
geschichten folgen, wird über das Verhalten des Pulses eingehender 
gesprochen werden. Hier möchte ich die Bitte anssprechen, in 
allen Fällen von Posticuslähmungen den Puls zu zählen, und 
andererseits in Fällen, wo bei erhöhter Pulsfrequenz weder Fieber 
noch Veränderungen am Cor nachzuweisen sind, den Kehlkopf genau 
zu untersuchen. Für die Pathogenese der Larynxaffectionen wäre 
es überhaupt ein grosser Gewinn, wenn man sich befleissigen wollte, 
recht genaue und ausführliche, wie Leyden zu sagen pflegt, 
„ellenlange“ Krankengeschichten aufzunehmen. Dass das Semon- 
sche Gesetz so spät entdeckt wurde und so lange angefochten 
werden konnte, hat ja auch vornehmlich darin seinen Grund, dass 
die bis dahin beobachteten Fälle von Abductorparalyse, besonders 
einseitiger Paralyse, nicht nur an Zahl, sondern auch meist an 
innerem Gehalt gering waren, so dass Semon im Jahre 1881 im 
Ganzen nur 22 genau beobachtete (mit zehn Autopsieen versehene) 
Fälle zusammenstellen konnte, von denen noch die meisten aus 
seinem eigenen Beobachtungsmateriale stammten. Jetzt freilich 
konnte Semon 1 ) zu der am 29. October 1887 von Gordon Holmes 2 ) 
veröffentlichten Tabelle von über sechszig Fällen von doppelseitiger 
Posticuslähmung noch 37 hinzufügen, die Holmes übersehen hatte. 
Hat sich also in den letzten Jahren auch die Zahl der publicirten 
Fälle erheblich vermehrt, so ist weiteren Beobachtungen das Inter¬ 
esse dennoch gesichert und bin ich darum meinem hochverehrten 
Lehrer, Herrn Prof. B. Fränkel, zu besonderem Danke verpflichtet, 
nachstehende Fälle von Posticuslähmungen der Königlichen Uni¬ 
versitäts-Poliklinik aus den ersten 9 Monaten ihres Bestehens, Jahr¬ 
gang 1887 bis 1888, publiciren zu dürfen. 

Unter den 2000 Fällen, welche in diesem Zeitraum zur Be¬ 
handlung gekommen sind, ist ca. 200mal eine Kehlkopflähmung 
constatirt worden. Am häufigsten wurden Paresen der Mm. thyreo- 
arytaenoidei interni, sei es für sich, sei es in Verbindung mit 
Paresen der Transversi beobachtet; isolirte Transversuslähmung kam 
verhältnissmässig viel seltener zur Erscheinung. Genaueres über 
die phonischen Paralysen (Riegel 3 )) soll ein ander Mal berichtet 
werden. Das Material aber, welches die Poliklinik hiermit zur 
Pathologie der Stimmritzenerweiterung (respiratorischen Paralysen) 
beisteuert, ist ein so überraschend imposantes und reichhaltiges, wie 
es bisher von keinem gleichartigen Institute in so kurzem Zeitraum 
hervorgebracht ist. In diese günstige Lage ist die Poliklinik aller¬ 
dings dadurch gekommen, dass zu ihr von weit und breit die Pa¬ 
tienten strömen, um ihr Leid klagen zu können. Daraus resultirt 
freilich auch der Uebelstand, dass oft gerade die Patienten, deren 
Krankheit in unserem Sinne interessant, in dem ihren aber uncurirbar 
erscheint, sich der weiteren Beobachtung bald entziehen, und die 
Krankengeschichte eine unvollkommene bleibt. So konnte auch 
eine grössere Zahl solcher unvollständig gebliebener Kranken- 


*) Felix Semon, Paralyse der Stimmbandöffner, Lancet, 5. No¬ 
vember 1887. 

*) Gordon Holmes, Lähmung der Stimmbandöffner, Lancet, 22. und 
29. October 1887. 

*) F. Riegel, Ueber respiratorische Paralysen, Volkmann’s Samm¬ 
lung klinischer Vorträge No. 95, Berl. klin. Wochenschrift 1881 No. 50. 


geschichten in diesen Bericht nicht aufgenommen werden. Vornehm¬ 
lich aber mangeln dem Materiale — wie ja überhaupt allem polikli¬ 
nischen — die Sectionsbefuude; wir können hier nur zwei Autopsieen 
beibringen. 

Um eine leichtere Uebersicht über die nachstehenden Fälle zu 
ermöglichen, haben wir versucht, sie in der Reihenfolge zusammen¬ 
zustellen, dass, der Gerhardt’schen Eintheilung 1 ) gemäss, 1) die 
centralen Formen, 2) die Recurrenserkrankungen, 3) die myopa- 
thischen Lähmungen des Posticus folgen. Eine strenge Scheidung 
der Fälle nach dieser Eintheilung ist selbstverständlich nicht durch¬ 
führbar, da bei mangelnden Sectionen die anatomische Diagnose 
des ursächlichen Leidens hin und wieder nur als Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose gelten kann. (Fortsetzung folgt.) 


V. Ueber speciflsclie Hornhautentzündung. 

Von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. 

(Schluss aus No. 27.) 

Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes wird es nützlich sein, 
das Gesagte durch einige Fälle zu erläutern, die 1 bis 13 Jahre 
nach der Hornhautentzündung beobachtet werden konnten. 

1. H. X., 12 Jahre alt, bei dom es gelang, Lues des Vaters sicher 
zu stellen, erkrankte October 1886 an Randkeratitis des rechten Auges, 
die sich bald ausdehnte, von oben nach unten hin vascularisirte und 
Ende Nov. anfing sich nach der Mitte zusammenzuziehen (6 mm Breite), 
während die Randzone klarer wurde. Februar 1887 erschien die Trübung 
dem blossen Auge gering; das Auge sah Sn CC: 15'. Aber mit der 
Lupe ( f 2 Vi" = 15 D) hinter dem Spiegel erkennt man das dichte Ge- 
fässnetz, das auch heute noch (April 1888) fast ebenso besteht, nachdem 
der Knabe in der Mitte des vorigen Jahres eine vielfache Nagelbett¬ 
entzündung und vor Kurzem einen Rückfall der rechtsseitigen Hornhaut¬ 
entzündung durchgemacht. Augengrund normal, soweit sichtbar. 


Figur 3. 



2. Martha S., 6 Vs Jahre, wird am 20. Mai 1886 gebracht mit doppelseitiger 
diffuser Hornhautentzündung, die r. seit 3, 1. seit 2 Wochen besteht. Vor 
der Geburt dieses Kindes hatte die Mutter drei Aborte gehabt, danach sind 
die folgenden Kinder gesund geblieben. Patientin batte Hautausschläge in den 
ersten Lebensmonaten. Die Zähne sind etwas gerieft. Nach Atropin¬ 
einträufelung und 50 Einreibungen zu 0,5 g grauer Salbe ist die Reizung 
beseitigt, die Hornhäute klarer. Die Gefässe sind heute (nach 2 Jahren) 
noch sehr deutlich. 

3. Martha K., 6 Jahre alt, wurde am 16. December 1885 gebracht. Nach 
wiederholten Versuchen gelang es, von der Mutter die folgende Geschichte 
zu erfahren: Sie hat 7 Kinder geboren, das erste und zweite sind gesund. 
Hierauf erwarb sie (angeblich auf dem Closet) ein Geschwür an den Geni¬ 
talien, das von dem Arzt für specifisch erklärt wurde. 

Das dritte Kind starb 1 Jahr alt, das vierte war eine Fehlgeburt im 
achten Monat, das fünfte war meine Patientin, die von frühester Kindheit 
an Hautausschläge zeigte; das sechste starb 6 Wochen alt, mit Ausschlag 
bedeckt, das siebente lebt und ist gesund. 

16. December 1885: Keratitis diffundens des r. A. (mit sehr starker 
Sehstörung.) 

31. December 1885: Keratitis diffusa specif. deutlich. 

13. Februar 1886: Nach 36 Salben besser. 

8. März 1886: Beiderseits Keratitis diffusa. Aufnahme. 

15. März 1886: Beiderseits stärkste Pupillenerweiterung, Augen völlig 
reizlos. 

31. März 1886: L. entschiedene Aufhellung. Entlassen, nachdem 36 g 
grauer Salbe verbraucht wurden. Sie klagte auch über das linke Fussgelenk. 

12. Mai 1886: Beide Augen reizlos. R. geringe Hornhauttrübung, 
deutliche Glaskörperflocken, Papille blass, undeutlich abgegrenzt. In der 
grünlichen Netzhaut sowohl nahe zum Sehnerven wie auch in der Mitte und in 
der Peripherie zahlreiche schwarze Herde, auch helle. L. Hornhaut klar, 
Netzhaut klar, aber leicht grünlich gefärbt. 

*) Gerhardt, Virchow’s Archiv 1863 Bd. 27 p. 71 und Berl. klin. 
Wochenschr. 


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526 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


31. August 1886: R. Sehnerv atrophisch; das r. Auge schielt 
nach innen. 

12. April 1886: wie zuvor. R. S = * . L. Sn l'/a in 10", mit —80" 
Sn XX : 15', GFn. 

22. April 1886: Ebenso. R. sind bei erweiterter Pupille, wenn das 
Auge nach abwärts blickt, die charakteristischen Blutgefässe (mit -1- 2") soeben 
sichtbar. 

4. Ernst W. wurde geboren, nachdem Abort voraufgegangen; im Alter 
von 6 Wochen mit Hautausschlägen behaftet. Seit der Kindheit ein- 
gesuukene Nase. Im Beginn der Beobachtung fehlten die oberen 
Sch neidezahne, später traten sie in Hutchinson’scher Form auf. 
Patient ist klein. Im Alter von 8 Jahren beiderseits diffuse Keratitis; 
Heilung, bez. Besserung. Rückfall nach 2 Jahren, der sich noch wiederholt 
hat. Jetzt, 4 Jahre nach dem Beginn der Beobachtung, deutliche Gefäss- 
bildung. 

5. Ottilie T., 20 Jahre alt, kam am 12. Januar 1885 mit Gefässentwicklung 
in dem trüben und etwas hervorragenden oberen Randsegment der rechten 
Hornhaut (Rechts Sn CC: 15', L. Sn XXX in 15 ). Auf Grund früherer Er¬ 
fahrungen wurde sofort Beginn der diffusen Hornhautentzündung 
angenommen. Am 22. Januar 1885 war diese schon vollständig ausgebildet, 
so dass das Auge die Finger nur auf einige Fuss zählen konnte. 
Atropineiuträufelung und Einreibung von grauer Salbe wurde angewendet, 
und Patientin erheblich gebessert entlassen. (R. Sn CC:15). 

Am 5. December 1887 kehrt sie wieder, nachdem sie inzwischen auf 
dem linken Auge die Entzündung durchgemacht. Rechts Sn LXX, L. C: 15*. 

Jetzt sieht mau als Ueberbleibsel der Hornhautentzündung die 
Gefässe. Dieselben sind beim blossen Durchleuchten des Auges gar nicht, 
auch mit einer schwachen Lupe (4- 5" = 8 D) hinter dem Spiegel nur an¬ 
deutungsweise zu sehen; treten aber bei Anwendung einer stärkeren Lupe 
(2Vs" bis 2", 15 bis 20 D) sehr klar hervor: was dem unbewaffneten Auge 
als Fleck erscheint, ist nichts als die Endverästelung dieser Gefässe 
Kleine helle Herde sind in der Peripherie des rechten Augengrundes sichtbar 



Figur 4. 


Ottilie T. 

Drei Jahre nach der Entzündung des r. Auges. 




t>. Max N., 14 Jahre alt, gelangte am 9. September 1885 zur Aufnahme 
Von der dritten Lebenswoche- bis zum Alter von l*/j Jahren litt er an 
Ausschlägen, wonach linienförmige Narben zurückblie¬ 
ben, die besonders von den Mundwinkeln und Nasen¬ 
flügeln ausstrahlen, aber auch auf Stirn und Kinn 
sichtbar sind. Die Zähne sind keilförmig. Die Körper¬ 
grösse zwergartig. (125 cm; mit 17 Jahren 142 cm.) 
Mai 1885 erblindete er durch Entzündung beider Augen. 

Beiderseits diffuse Hornhautentzündung mit Gefäss- 
bildung, Spannung herabgesetzt, Finger auf drei Fuss. 
Nachdem er zwei Jahre lang constitutioncll behandelt 
worden, ohne dass die Hornhäute sich klärten; machte 
ich ihm Ende 1886 und Anfang 1887 die Iridectomie 
auf beiden Augen. Eine bedeutende Klärung der Horn¬ 
haut folgte. Anfang 1888 las er mit 4-20" Sn CC: 15', und Sn 2 in 3"; 
ist wieder arbeitsfähig. Sehnerv sichtbar, keine Herde im Augengrund 
nachweisbar. Noch heute, drei Jahre nach dem Beginn der Erkrankung, 
besteht die Gefässbildung in der Hornhaut. 

7. Adolphine Z., 8 Jahre, deren Mutter nur eine Frühgeburt gehabt, aber 
keine Aborte, leidet seit vier Jahren an der Entzündung beider Hornhäute, 
die jedes Jahr wiederkehrt. Das Kind hat auch am «Wasserkopf“ gelitten. 

Zähne nicht typisch. 

S beiderseits 73. Bei seitlicher Beleuchtung erkennt man die diffuse 
Trübung der Hornhaut, welche aus einzelnen Wölkchen zu bestehen scheint; bei 
durchfallendem Licht mit der Lupe das klassische Bild der besenförmigeu Ge¬ 
fässe, welche die ganze Homhautausdehnung einnehmen und quer über dem 
Pupillenbereich fort anastoraosiren.') 


Max N. I,. Auge. 
Drei Jahre nach der 
Erkrankung. 



*) Sie sind bei durchfallendem Licht (übrigens etwas zu stark) gezeichnet 
und erscheinen deshalb nur in dem Pupillengebiet. 


8 . Jenny B., 9 Jahre alt, blass und elend, mit schlechten Zähnen, sonst an¬ 
scheinend gesund, kam am 22. März 1882 mit rechtsseitiger diffuser Horn- 
Figur 7. hautentzündung; am 4. April war die Ge- 

fässneubildungszone oben schon 2 mm 
breit; am 8. April auch unten beginnend, 
dabei die Iris noch sichtbar. Links 
Beginn derselben Erkrankung. Am 14. 
April ist. die untere Hälfte, am 19. April 
die ganze Hornhaut überzogen. Am 2. Mai 
r. der obere Theil der Pupille wieder gut 
sichtbar; 1. die Hornhaut ganz trübe, 
mit Randvascularisation. Am 30. Mai 
ist. die Rückbildung rechts deutlich, 
links beginnend. 

Am 7. September 1882: Musste acht 
Wochen lang geführt werden, geht 
jetzt wieder seit sieben Wochen allein. 
Beiderseits leichte Trübung unter der 
Hornhautmitte. 

Ara 25. Februar 1888, also nach 
sechs Jahren, kehrt die jetzt löjähriee 
Kranke wieder. R. Sn 2 in 5", L 16 in 8“. G. F. gut. Bei der Betrach¬ 
tung mit blossem Auge erkennt man leichte Hornhauttrübung; mit der 
Lupe hinter dem Augenspiegel: 1) feine, strahlenartig augeordnete, besen¬ 
ähnlich verästelte Blutgefässe; 2) einzelne, weniger feine, die auch ana- 
stomosiren; 3) senkrecht gegen die Richtung der radiären Gefässe verlaufende 
„Lymphspalten“ (breiter und weniger scharf begrenzt); 4) einen eigenthüm- 
Figur 8. lieh geradlinig verlaufenden und verästelten Strei¬ 

fen, der wohl eine stark brechende Flüssigkeit, 
aber nicht Blut enthält, da er bei Drehung des 
Spiegelstiels (Wechsel des Einfallwinkels) bald 
dunkel, bald hell erscheint. (Vgl. Figur 7.) 

9. Pauline P., 17 Jahre, kam am 18. Juni 
1872 mit doppelseitiger gefässhaltiger diffuser 
Hornhautentzündung; nach */* jähriger Be¬ 
handlung R. S = 713, L. V17; durch Iridec¬ 
tomie auf */» — '/e gehoben. Nach 13 1 /* 
Jahren (31. December 1885) sind die Horn- 
hautgefässe noch deutlich. (Die Figur stellt 
das linke Auge dar, nach erweiterter Pupille, 
die Gefässe sind, der Deutlichkeit, halber, zu 
Panliue P„ 13»/* Jahre nach der grob gezeichnet.) 

Erkrankung. L. Ange. 

Das Verdienst, die pathologischen Blutgefässe der Hornhaut ge¬ 
nauer erforscht zu haben, gebührt Herrn Prof. Schöbl in Prag 
(C. f. A. 1886, p. 321): „Die pathologischen Blutgefässe bei ober¬ 
flächlichen Keratitiden entspringen aus dem oberflächlichen Rand- 
schlingennetz, welches mit den conjunctivalen Blutgefässen in Ver¬ 
bindung steht; die pathologischen Blutgefässe bei tiefen Keratitiden 
entstehen aus den tiefen Randschlingen, welche mit skleralen Blut¬ 
gefässen Zusammenhängen. 

Die oberflächlichen neugebildeten Blutgefässe verästeln sich 
baumförmig, bilden Anastomosen und Netze; die tiefen hingegen 
besenreiserförmig, die Arterie stets von der entsprechenden Vene 
begleitet.“ Prof. Schöbl hatte auch diese Verhältnisse am lebenden 
Auge mit der Lupe verfolgt. 

Ich selber hatte schon seit Jahren die neugebildeten Hornhaut- 
gefässe bei auf- und durchfallendem Licht mit der Lupe betrachtet 
und in demselben Heft (C. f. A. 1886, p. 333) den folgenden Fall 
mitgetheilt und abgebildet: 

Fi*. 9. Die 29jähr. Frau, von welcher die 

beifolgende Zeichnung entnommen ist, 
war vor 8 Jahren von mir an diffuser 
Hornhautentzündung beider Augen be¬ 
handelt; jetzt kam sie wegen frischer 
Episkleritis des rechten Auges. S = 1 /s; 
kleine Synechien bei künstlicher Erwei¬ 
terung der Pupille. 

Das feine Blutgefässnetz erscheint 
dunkel bei durchfallendem Licht ( 4 - 5" 
hinter dem Spiegel); aber bei Drehung 
der letzteren werden die Linien hell. 
Bei focaler Beleuchtung (mit starker 
Lupe) erscheint das Netz grau; allerdings gehen von den Rand¬ 
schlingen deutlich rothe Reiserchen, zum Theil mit weisslich er Wand - 
verdickung, in das Netz über. Die Zeichnung ist nach den beiden 
Seiten hin (rechts und links) nicht ausgeführt. Einzelne Punkte 
sind in der Hornhaut sichtbar. 

Die Lehr- und Handbücher, sogar die ausführlichsten und die 
neuesten, schweigen über die nach diffuser Hornhautentzündung zu¬ 
rückbleibenden Blutgefässe. Ja ein deutsches vom Jahre 1888 sagt 
ausdrücklich: „Die Hornhautgefässe schwiuden nach der Heilung der 
Entzündung;“ und in einem zweiten aus demselben Jahre 1888 heisst 
es: „Nach einiger Zeit bilden sich die Gefässe vollständig wieder 
zurück.“ In einem neueren französischen lese ich: A mesure que 
les produits infiltres se resorbent, les vaisseaux disparaissent. Ja, 





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28. Juni. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 527 


was mir uoeh wunderbarer scheint, der Altmeister Arlt, der doch 
in der Klinik stets die Lupe zur Hand hatte, schreibt in seinen 
klassischen Kr. d. Auges (Wien 1881, S. 116): „Keratitis intersti- 
tialis e lue congenita. . . Man bekommt Fälle zu sehen, welche 
schon wenige Wochen nach Beginn des Leidens (mit Sehstörung) 
keine Gefässe in der Cornea auffinden lassen.“ 

Nur Nett leship giebt an (in der 4. Auflage seines ausge¬ 
zeichneten Lehrbuchs, 1887, S. 114, nicht in den früheren Auflagen), 
dass Blutgefässe, die mit einem starken Convexglas hinter dem 
Spiegel sichtbar sind, öfters Zurückbleiben und, wenn sie gefunden 
werden, einen guteu Beweis für interstitielle Hornhautentzündung 
abgeben. 

Ich bin überzeugt, dass die zukünftigen Lehrbücher diese Lücke 
ausfüllen werden. 

Jetzt werden Sie fragen, wie steht es denn hei solchen An¬ 
schauungen mit dem Satz mehrerer Bücher, dass die „Therapie 
dieser Krankheitsform keine active sein kann?“ Nuu, derselbe ist 
ebenso wenig wörtlich zu nehmen wie der andere, dass bei dieser 
Erkrankung niemals eine Operation angezeigt sei. 

Die Quecksilberbehandlung ist neben Atropineinträufe¬ 
lung von entschiedenem Nutzen, besonders wenn sie frühzeitig zur 
Anwendung gelangen kann. Die (selber, so zu sagen, unheilbar 
syph.) Mutter brachte mir ihren kleinen Sohn beim ersten Beginn 
des Leidens, und, obwohl das letztere nicht coupirt werden 
konnte, verlief es doch ungemein rasch uud günstig. Ein kleines 
Mädchen, welches auf dem rechten Auge durch begleitende Netz¬ 
haut- und Sehnervenentzündung unheilbar blind geworden, kam in 
meine Behandlung vor Beginn der linksseitigen diffusen Hornhaut¬ 
entzündung; die letztere wurde vollständig geheilt und ist so ge- I 
blieben. 150 Einreibungen zu 0,5 g sind hier in Anwendung ge¬ 
kommen. 

Die Cur muss in milder Weise lange fortgesetzt und durch 
Jodkali und Jodeisen unterstützt werden. 

Niemals habe ich beobachtet, dass Kinder diese Behandlung 
schlecht vertragen. 

Ist einmal die Hornhaut vollständig überzogen, so dauert die 
Erkrankung lange Zeit: aber für den günstigen Einfluss des 
Quecksilbers auf Auge und Gesundheit habe ich verschiedene Beispiele 
zu verzeichnen. Eine 20jährige, eben erst verheiratbete, blasse und 
elende Frau mit belegter Stimme, die schon vor einigen Monaten 
au Gelenksentzündungen gelitten, kam in meine Beobachtung, nach¬ 
dem sie 7 Wochen bloss mit Atropineinträufelung behandelt worden 
war. Das rechte Auge war gereizt, mit diffuser Trübung der Hornhaut, 
die zahlreiche Stiche und Punkte und 
von der Nasenseite her typische Gefäss- 
bildnng zeigt. S = Vioo (Finger 2'). 

Nach der ersten Einreibungscur waren 
Allgemeinbefinden, Auge und Stimme 
gebessert. Nach Gwöchentlicher Behand¬ 
lung (4 Einreibungscuren) war die Pat. 
blühend, wie sie seit Jahren nicht ge¬ 
wesen, und die Sehkraft hatte sich von 
Vioo auf 1 j -2 gehoben. Untersuchung und 
Befragung von Mann und Frau führten 
in diesem Fall zur Annahme von ange¬ 
borener Lues. (In der Figur 10 ist nur die nasale Hälfte ausgeführt.) 

Besonders wichtig ist die fortgesetzte Quecksilberbehandlung 
bei der malignen Form, wo die zurückbleibende Trübung ohne 
Geschwürsbildung so dicht wird, wie nach dem geschwürigen Horn- 
hautabscess, und die Pupille durch ein Gewebshäutcben verschlossen 
bleibt. Ich habe bei diesen Fällen, welche in den Lehrbüchern 
nicht die genügende Beachtung gefunden, 1 ) fast ausnahmslos ange¬ 
borene Lues nachweisen können. 

Schon in der entzündlichen Periode ist man mitunter genöthigt, 
die Iridectomie zu machen. 2 ) 

Ein kleines Mädchen war bereits eiu Jahr in meiner Anstalt, 
beiderseits bis auf Lichtschein blind und von heftiger Entzündung 
geplagt. Nach der Iridectomie wurde sie die Erste in ihrer Klasse 
und erhielt die Prämie. 

Ein 16jähriger kam August 1882 in meine Behandlung wegen 
Netzhautablösung und eigentümlicher Glaskörpertrübungen, welche 
meinen Verdacht auf angeborene Lues erregten. Ich ermittelte, 
dass der Vater vor der Verheirathung sich angesteckt hatte und 
noch heute an secundärer Lues leidet; dass der Sohn, ebenso wie 
das darauf folgende Kind, bald nach der Geburt an angeborener 
Lues (Stockschnupfen und Ausschlag) litt und durch nachdrücklich 
verabreichtes Calomel von den Erscheinungen befreit wurde. Im 
November begann diffuse Hornhautentzündung des krauken Auges, 


*) Saemisch bespricht allerdings die „sehnigen Trübungen“. 

*) Häufiger bei Erwachsenen, deren ähnliche Erkrankung eine Folge 
der erworbenen Lues darstellt. 


welche, während Patient von hartnäckiger Nagelbettentzündung heim¬ 
gesucht wurde, einen malignen Verlauf durchmachte und zu schmerz¬ 
hafter Entartung und Vergrösserung des Augapfels führte, der ent¬ 
fernt werden musste. Im Jahre 1883 wurde auch die linke Horn¬ 
haut überzogen und in der Mitte narbig weiss; eine kräftige Ein- 
spritzungscur nach Geh. Rath Lewin (0,01 Sublimat p. dosi) wurde 
in Anwendung gezogen. Im Jahre 1884 traten Anfälle vou Druck¬ 
steigerung auf, welche zur Pnpillenbildung nöthigten. Hierdurch 
wurde die Krankheit gehoben, die Mitte der Hornhaut (5 mm breit) 
blieb leucomatös, der Randtheil klärte sich nach der Operation, das 
Auge las wieder Sn IV. Die Besserung hat sich gehalten. 

Aber wenn das Auge auch die maligne Entzündung glücklich 
überstanden, so ist und bleibt es nachher bis auf Lichtschein 
blind und bedarf der Pupillenbilduug. ln mehreren doppel¬ 
seitigen Fällen der Art wurde durch die Iridectomie, welche unter 
diesen Verhältnissen recht schwierig ist, in Verbindung mit der 
Allgemeinbehandlung soviel erreicht, dass die Kranken wieder allein 
umherzugehen im Stande sind. 

Ein Fall ist schon oben erwähnt. Ein zweiter ist der folgende: 

Pauline L., 18 Jahre alt, ungewöhnlich klein (jetzt mit 23 Jahren 150 cm) 
und mit Hutchinsou’schen Zähnen, kam 10. September 1882, seit 2 Jahren 
durch maligne Kerat. diffus, mit Pupillensperre erblindet. Trübung der 
Hornhaut leucomartig. Das linke Auge war fast phthisisch zu nennen. 

Nur Handbewegung wurde wahrgenommen. Durch gründliche Cur uud 
Pupillenbildung (auf jedem Auge zweimal zu machen) gelang es, die Kranke 
soweit zu heilen, dass sie allein umherzugehen vermag. Am 25. Juni 188(! 
r. Finger auf 9', 1. auf 4'. 

Das Ergebniss hat sich bis heute gehalten, ja verbessert. 

Meine Herren! Genaue Untersuchung, die beim Auge, einem 
durchsichtigen Werkzeug, hauptsächlich eine optische sein 
muss, und thatkräftige Behandlung sind auch auf diesem Gebiete 
geeignet, Erfolge zu gewähren. 

Nachtrag. 

Die nach der diffusen Hornhautentzündung zurückbleibenden 
Blutgefässe sind leicht zu unterscheiden von denen nach der tracho- 
matösen und nach der geschwürigen Hornhautentzündung. 

A. Das trachoraatöse Fell (Pannus) kann beschränkt sein 
und deckt dann oben Vs oder die Hälfte der Hornhaut. Wenn es aber 
die ganze Hornhaut deckt, so sieht man: 1) dass die Blutgefässe der 
Hornhaut oberflächlich sind und in die'vorderen Bindehautge- 
fässe übergehen; 2) dass die breiteren Venen von feineren Arterien 
begleitet sind und schlingenförraig in diese umbiegen, — da, wo sie der 
gröberen Betrachtung spitz zu endigen scheinen; 3) dass sehr starke 
Anastomosen Vorkommen; 4) dass die besenförmige Verästelung der 
feinen tiefen Gefässe fehlt. 

Die 23jähr. A. R. kam mit starker trachomatöser Wucherung 
des oberen Umschlagtheiles und rothem, dicken Fell (Pannus crassus) 
des rechten Auges, das nur Finger auf I ' mühsam zu zählen ver¬ 
mochte. Die Krankheit bestand seit 11 Jahreu. Ich schnitt die 
obere Umschlagsfalte aus; das Auge klärte sich in kurzer Frist, 
so dass es Fiuger auf Stubenlänge zu zählen vermochte und die 
Pupille wieder zu sehen war. Nach einigen Wochen war die Horn¬ 
haut ziemlich frei von makroskopischen Blutgefässen. Die Lupe 
hinter dem Augenspiegel enthüllte das in Fig. 11 dargestellte Bild. 
(Der Kreis stellt den Hornhautrand dar). 

Fig. 11. 



B. Hornhautgeschwüre, die einigerinaassen tief greifen, heilen 
unter Gefässneubildung (Reparationspannus). Man pflegt vor der 
Durchschneidung dieser wichtigen Hornhautgefässe zu warnen, was 
ganz richtig ist, scheint aber anzunehmen, dass sie nach der Ver¬ 
narbung verschwinden, — wie der Mohr, der seine Schuldigkeit gethan: 
das ist nicht richtig. 

Vom blossen Auge sieht man allerdings nur wenig davon, kleine 
Aestchen, die vom Rande der Hornhaut bis zu dem des weissen 


Flg. 10. 



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528 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


Narbenflecks Vordringen (Fig. 12, a). Aber bei künstlicher Erweite¬ 
rung der Pupille zeigt uns die Lupe hinter dem Augenspiegel, dass 

Fig. 12. 


der ganze Narbenfleck 
durchaus vascularisirt ist, 
ja dass der Haupttheil der 
Trübung aus Gefässneu- 
bildung besteht (Fig. 12, b). 

en sind, in direk¬ 
tem Gegensatz zu der dif¬ 
fusen Hornhautentzündung, 
die von Narbenflecken 
freien Theile der Horn¬ 
haut gefässlos: nur die 
Randschlingen dringen, was in der Figur nicht dargestellt ist, rings¬ 
herum weiter als in der Norm gegen die klare Hornhautsubstanz vor. 


VI. Rückblicke auf die Chirurgie des letzten 

Jahres. 

Von Dr. Emil Senger in Berlin. 

(Schluss aus No. 25.) 

Wir kommen nun zu dem wichtigen Kapitel der Nierenchirurgie. 

Wie weit sind wir hier in einem Zeitraum von 15 Jahren gekommen, 
seit Simon 1869 die erste Nephrectomie mit Erfolg unternommen hat! Es 
giebt heute keinen grossem Chirurgen, der nicht schon an diesem Organ 
operirt hätte; ja es ist noch nicht lange her, dass die Chirurgie erbarmungs¬ 
los viel weiter als nöthig ihr Gebiet ausdehnte und z. B. die Niere nur 
wegen schlaffer Fixation etc. (Wanderniere) fortnahm. Der Gynäkologe 
Landau hat der Chirurgie einen grossen Dienst geleistet, dass er ihr 
diese Indication zur Exstirpation entriss. Man hat an Stelle der letzteren 
in dem letzten Jahre vielfach mit angeblich gutem Erfolge die Anheftung 
der Niere nach Hahn (Neph rorrhaphie) ausgeführt, obwohl gerade 
Landau das Prinzip der Methode als unrichtig erklärt. Die Bestrebungen 
von Landau, Nussbaum, Bandl, Schede u. A. im vergangenen Jahre 
gingen weiter dahin, auch die Ureterfistel nicht durch Nierenexstirpation 
zu beseitigen, sondern durch conservative Methoden, wie z. B. durch An¬ 
frischung und Naht über einem Katheter. Und doch ist bei diesen Leiden 
die Diagnose meist klar. 

Die Schwierigkeit der Nierenchirurgie beginnt erst, wenn 
es sich um Krankheiten im Organ handelt, um Steine, Tumoren, Hydro- 
und Pyelonephrosen etc., weil wir in vielen Fällen mit unüberwindlichen 
diagnostischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Vor dem Gedanken an 
eine Nierenoperation muss erst eine Reihe von Fragen beantwortet sein. 
Welche Niere ist krank, in welchem functionellen Zustand befindet sich die 
kranke, in welchem die gesunde Niere? 

Die diagnostischen Hauptfragen wurden von vielen Seiten und durch 
viele Mittel zu lösen gesucht. Im Verhältniss zu denselben sind die auch 
im letzten Jahre zahlreich angegebenen Schnittführungen nur von unter¬ 
geordnetem Interesse. Ob man den alten Simon’schen verticalen Lumbal¬ 
schnitt oder den latero-lumbalen oder den transperitonealen (d. h. den durch 
das Peritoneum hindurchführenden) oder den retro- und intraperitonealen 
(König) anwenden, ob man den Patienten auf den Bauch oder auf die 
Seite mit oder ohne Unterschiebung eines Rollkissens legen solle, ist 
für die allgemeine Nierenchirurgie nebensächlich und erhält nur seine . 
hohe Bedeutung durch den einzelnen Fall. Wichtiger schon sind die Unter¬ 
suchungen le Den tu’s, welche die Beziehung der letzten Rippe zu der 
Pleura studiren und zeigten, dass man, am vertebralen Ende einer Rippe j 
operirend, immer in Gefahr sei, die Pleura zu öffnen, am vorderen Viertheil ; 
dagegen ohne Gefahr operiren könne (Revue de Chirurg. VI (1—2) 1886). j 
Die grösste Wichtigkeit behält immer die Diagnose. Die grössten Chirurgen ! 
haben sich darin geirrt, indem sie eine Ovarialcyste oder einen Echinococcus 
für eine Niereugeschwulst gehalten haben, und durch diesen Irrthum ist so- , 
gar manchmal der Tod des Patienten verschuldet (Vergl. die Lehrbücher ; 
von Olshausen und Spencer Wells 1886.) 

Ueber welche Mittel verfügen wir heute zur Stellung einer Diagnose? : 

Wir haben eine ganze Reihe von Methoden, welche alle darauf hinaus- . 
laufen, das Secret einer Niere gesondert zu erhalten. Man hat 
drei Wege eingeschlagen: 1) das Katheterisiren des Ureters, 2) Anlegung 
einer Fistel im Ureter oder im Nierenbecken, 3) temporären Verschluss des 
Ureters. Pawlick will die Katheterisation ohne Dilatation der Urethra vor¬ 
nehmen. Er giebt an, dass bei der Frau in Knieellenbogenlage das Trig. 
Lientandii durch Falten an der vorderen Vaginalwand markirt sei und das 
Katheterisiren leicht gelinge. Er soll sich in der That eine grosse Fertig¬ 
keit darin erworben haben; aber leider lässt sich diese Methode nur bei 
Frauen anwenden. Für Männer wie auch für Frauen will Harrison resp. 
Emm et vorher den Perineal- resp. den Blasenscheidenschnitt machen und 
dann katheterisiren. Aber auch so ist dieses sehr schwierig wegen des 
Klappenventils des Ureters in der Blase. Der dritte Weg, d. h. einen Ver¬ 
schluss des Ureters herbeizuführen, ist von einer Reihe von Autoren ein¬ 




geschlagen, bisher leider ohne einen praktischen Erfolg. Entweder man 
wollte in der Blase selbst den einen Ureter zudrücken (Silbermann) oder 
durch zwei Hebel von Blase und Mastdarm (Polk), oder bloss vom Mastdarm 
mittels eines Ballons mit Hg resp. durch die Bauchwand mittels einer Art 
Toumiquet (Mül ler, diese Wochenschr. 1887); Sands wollte eine Digitalcom- 
pression des Harnleiters vom Mastdarm ausführen. In neuester Zeit plai- 
dirt Sänger und Hegar für die Umstechung eines Ureters von der Scheide 
aus und will sehr gute Resultate gesehen haben (Warkulla). Doch haben 
sich alle diese Methoden, auch die Sänger’sehe, praktisch noch nicht ge¬ 
nügend eingeführt; und soll man heute, wo alle diese Maassnahmen erst 
in der Entwickelung begriffen sind, schon ein Urtheil abgeben, so wäre es 
dieses: Für den Manu ist bis jetzt die sicherste aber auch eingreifendste 
Methode das Vorgehen Czerny’s, eine Fistel anzulegen und den Urin 
daraus zu erhalten zu suchen. Für die Frau wird man die Simon’sche 
oder die Simon-Pawlick'sehe Methode versuchen und, wenn diese miss¬ 
lingt, die Sänger’.sehe, endlich als letzte Zuflucht die Nierenbeckenfistel. 
Zu dieser letzteren Operation wird man sich aber in der Regel erst dann 
entschliessen, wenn hinterher die Exstirpation der Niere in Frage kommt. 
Sonst muss man sich mit den spärlichen Mitteln für die Diagnose begnügen, 
und die Lectüre der Krankengeschichten zeigt, dass heute das Schmerz¬ 
gefühl des Patienten für die Annahme einer rechts- oder linksseitigen 
Nierenerkrankung meist ausschlaggebend ist. Freilich kann man durch das 
Tastgefühl Erstaunliches leisten, wie uns Israel gezeigt hat. Es ist kaum 
glaublich, dass er einen Nierentumor von der Grösse einer halben Kirsche 
richtig palpirt und glücklich operirt hat, und es mag wohl richtig sein, was 
die älteren Aerzte uns jüngeren vorwerfen, dass wir vor allen complicirteren 
Untersuchungsmethoden (Horchen und Klopfen) die einfachere vernach¬ 
lässigen. Lauenstein meint, wenn man eine Blase local-methodisch 5 bis 
6 Wochen ohne jeden Erfolg behandelt habe, so könne man bei eiterigem 
Urin auf eine Pyelitis schliessen. Wie weit uns die elektrische Beleuchtung 
der Blase mit der Diagnose fördern wird, lässt sich noch gar nicht er¬ 
messen. — Bevor man aber an die Nephrectomie herangeht, muss man 
sich, für den Fall, dass die zu entfernende Niere krank ist, noch die wich¬ 
tige Frage beantworten: In welchem functionellen Zustande befindet sich 
die andere zurükbleibende Niere? Zu diesem Zwecke muss man die Menge 
des Harnstoffes in 24 Stunden durch genaue chemische Analyse des vor¬ 
sichtig aus der Fistel aufgefangenen, meist mit etwas Eiter ver¬ 
mischten Urins bestimmen. Man muss wissen, wie viel Harnstoff von der 
einen Niere abgesondert werden wird, wenn man die andere entfernt, ferner 
wie gross die Menge des Harnstoffes sein müsse, damit der Mensch am 
Leben bleibe. Ohne die Kenntniss oder die annähernde Schätzung dieser 
Verhältnisse ist man nicht berechtigt, eine Exstirpation zu vollführen. Ja, 
Israel betont sogar, dass man auch bei der genauesten Kenntniss der 
Harnstoffmenge leider erfahren müsse, dass man sich mit der Natur ver¬ 
rechnet habe, da nach ihm durch die Operation der einen Niere eine reflec- 
torische Schwankung in der Function der anderen eintreten könne, so dass 
die zurückbleibende Niere viel weniger secemirt als vor der Operation uud 
als zum Leben nothwendig ist: während die relativ gesunde Niere vorher 
ein Quantum Harnstoff ausgeschieden hätte, welches noch sehr gut mit dem 
Leben vereinbar wäre, sei dasselbe nach der Operation so weit gesunken, 
dass der Tod eintrat. 

Kann es da Wunder nehmen, wenn einem Operateur ein Patient 
nach der Nephrectomie stirbt, bei dem die Nierenthätigkeit nicht vorher 
geprüft wurde, und bei dem sich nachher herausstellt, dass beide Nieren 
eiterig oder cystisch entartet oder sonst schwer krank waren? Hier zeigt 
sich, und darum führte ich nur das obige an, wie ohnmächtig die Chirurgie, 
auf wie niedrigem Niveau sie steht, wenn sie nicht die Untersuchungs¬ 
methoden der inneren Medicin, wie die Chemie etc. sie uns bieten, sich zu 
Nutzen macht und beherrscht, es zeigt sich, dass ein Fortschritt in unserer 
Wissenschaft nur durch die fortschreitende Erweiterung der Diagnose er¬ 
reicht werden kann, nicht so sehr durch die Technik. 

Eine wichtige Frage ist ferner folgende: Wenn man mit Sicherheit 
einen Nierenstein erkannt hat, soll man die Nephrolithotomie machen, bevor 
Eiterung erfolgt ist? Gross hat statistisch (Med. News Dec. 1886) sich 
dahin entschieden, dass man vor der Eiterung operiren müsse, weil das Vor¬ 
handensein einer Pyelitis die Prognose bedeutend verschlechtert. Es starben 
nämlich von 34 Operirten mit eiterlosen Steinnieren 3 = 8,8%, von 33 mit 
Pyelitis 11 = 33%. Es giebt noch viele Fragen in der Nierenchirurgie, 
welche der Erledigung harren, aber wir haben schon den Raum für den 
Bericht über Nierenchirurgie überschritten und wollen zu den Blasen- und 
Harnkrankheiten übergehen. 

Am meisten erörtert wurde wohl die Frage der Lithotomie, nicht nur 
in Deutschland, sondern auch in der Pariser chirurgischen Gesellschaft, der 
englischen Roy. chir. Society und in Russland. Trotzdem ist eine Einigung 
nicht darin erzielt, wann lithotripsirt, wann litholupaxirt, wann die Sectio 
alta, mediana lateralis gemacht werden solle. Obwohl Kovdcz letzthin 
für die S. lateralis eingetreten ist, ist sie doch fast allgemein verworfen, 
und es treten nur noch die alta und die mediana in Concurrenz, und zwar so, 
dass die mediana als eine ziemlich ungefährliche Operation für die meisten 
Fälle genügen dürfte, dass die alta dagegen wegen der Fistelbildungen, der 
Harninfiltration, Verletzung des Peritoneum gefährlicher aber bei der Ent¬ 
fernung sehr grosser Steine leistungsfähiger sei. Die Gefahr der Fistol- 
bildung will Brenner durch eine neue Blaseunaht (nach Art der Tabaks¬ 
beutelschnur) abwenden, die Gefahr der Peritonealverletzung aber lässt sich 
auch durch die Rectumtamponade nicht immer beseitigen, da in seltenen 
Fällen das Peritoneum bis an die Symphyse reicht. Wiesinger will die 
Fistelbildungen durch Jodoformtamponade der Blase bei der S. alta vermeiden. 
Dittel lehrte uns in einer interessanten Studie, dass eine Leichenblase 
durch 300—1500 g Wasser zum Bersten gebracht werden könne, nachdem 
er selbst und Weinlechner es erlebt hat, dass Kindern von 5 Jahren durch 
Injection vor der Sect. alta die Blase geborsten ist. Dittel spricht sich 
daher gegen die Füllung der Blase aus. 


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28. Jnni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


529 


Bei der Ektopia vesicae können wir einengrossen Fortschritt ver¬ 
zeichnen. Schon Passavant (ja schon Demme 1855) suchte orthopädisch 
durch Zug und Druck die Symphysen gleich nach der Geburt zu nähern. 
Trendelen bürg will diese länger dauernde Behandlung chirurgisch mit 
eine m Mal e bewirken, indem er die Synchondr. sacro-iliac. trennt, die hinteren 
Bänder durchschneidet und dann durch einen gekreuzten und belasteten 
Gurt die Symphysen zusammendrängt. Nach 4—6 Wochen erfolgt die Auf¬ 
frischung und Silberdraht-Naht. Natürlich lässt sich diese Methode bloss 
bei Kindern bis zu 5 — 6 Jahren anwenden, wo das Becken noch biegsam 
ist. Bei älteren bleibt nur die Thier sch’sehe Transplantation übrig. 

In der Diagnose der Blasenkrankheiten scheint durch das elek¬ 
trische Cystoskop eine neue Aera angebahnt zu sein. Nitze will eine 
Reihe pathologischer Zustände, Divertikel, Tumoren etc. richtig erkannt 
haben. Hoffen wir, dass die bis jetzt noch nicht zu entbehrende Simon- 
sche Methode, die bimanuelle Untersuchung etc. durch die mildere Uroskopie 
ganz verdrängt wird. Freilich erfordert die Untersuchung mit dem Nitze¬ 
schen Instrument, wie ich mich selbst überzeugen musste, Uebung und 
Technik, wie etwa das Ophthalmoskojj. Das Instrument ist auch sehr theuer 
und wohl auch noch verbesserungsfähig. 

Posner hat das Grünfeld’sche Endoskop für die Harnröhre dahin 
modificirt, dass er die frühere matte Innenfläche durch hellspiegelnde Flächen 
(amalgamirte Glasröhre, die aussen schwarz lackirt ist) ersetzt. 

Wenn ich die Urethra noch mit in den Bereich der chirurgischen 
Betrachtungen ziehe, obwohl ich weiss, dass dieses Gebiet von den Spe- 
cialisten als ihre Domäne betrachtet wird, so möchte ich erwähnen, dass 
Unna uns seine Methode der Behandlung der Gonorrhoe gelehrt hat; sie 
besteht darin, durch eine mit einer passenden Salbe bestrichene Sonde zu 
gleicher Zeit einen Druck auszuüben und local zu behandeln. (Therap. 
Monatsh. 1887). Casper hat eine Modification derselben, seine canellirte 
Sonde, d. h- zu deutsch gerillte oder mit Rinnen versehene Sonde') nach¬ 
drücklich empfohlen. Teltz hat bald darauf eine Modification der Modi- 
fication angegeben, und ein Anderer eine andere Salbenform als wirksamer 
gerühmt. Entgegen diesen Bestrebungen nehmen sehr viele Aerzte von der 
Salbensondenbehandlung überhaupt Abstand. 

Doch gehen wir zu einem ernsteren Leiden über: zu dem Mastdarm¬ 
krebs. 

Während die Engländer und Franzosen eine Exstirpation resp. Re- 
section höchst selten ausführen und lieber eine Colotomie machen, 
gehen die deutschen Chirurgen radicaler vor. Aber auch bei diesen schwanken 
die Grenzen für die Zulässigkeit der Operation; König will für hoch oben 
gelegene Carcinome keine Exstirpation, sondern nur die Colotomie aus¬ 
führen, und in der That können die so behandelten Patienten noch Jahre 
lang bei bestem Wohlsein sich befinden. — Bardenheuer aber kennt keine 
Grenzen für die Indication der Radicaloperation, mag die Geschwulst nach 
unten oder weit nach oben gewuchert sein. Er hat z. B. bei einer 80jäh- 
rigen Frau ein 40 cm langes Rectumstück resecirt, will nur 10% Mortalität 
bei complicirteren, 5% bei leichteren, uncomplicirten Fällen haben. Er durch¬ 
schneidet zwar das Lig. tub.-sacr. und spinoso.-sacr. und durchtrennt ziem¬ 
lich hoch das Os sacrum bis zum 3. Kreuzbeinloch, will aber stumpf Vor¬ 
gehen und hat nur *2—4 Ligaturen nöthig, wo wir sonst 50—60 brauchten, 
hat nur 15—30 Min. Operationsdauer, wo wir sonst 2—3 Stunden nöthig 
hatten. Ob diese frappirenden Resultate bei der obigen Methode auch von 
anderen Chirurgen erreicht werden, wird die nächste Zeit lehren; sie würden 
einen grossen Fortschritt in der Technik bedeuten; aber die meisten Ope¬ 
rateure dürften wohl heute für allzuhohe Carcinome mit König die Colo¬ 
tomie vorziehen. (Volkm. Vortrag 1887 No. 298). 

Für die Hämorrhoiden hat Lange nach amerikanischem Muster eine 
Carbol-Glycerininjection ohne Narkose empfohlen, hochliegende Fisteln will 
er excidiren. In der Lehre von den Hernien hat uns Küster die bisher 
nicht bekannten Herniae inguino-superficiales kennen gelehrt, d. h. jene 
Hernien, wo das Bauchfell unter der Haut des Bauches, Dammes und des 
Oberschenkels sich befindet. 

Anderegg (Basel) sucht in einer grossen Arbeit zu zeigen, dass mit 
oder ohne Pfortennaht, mit oder ohne Bruchband der Erfolg der Hemioto- 
mie in Bezug auf das Recidiv gleich sei; bei wachsenden Individuen sei 
das Recidiv viel seltener. 

Mit einigen Worten wollen wir noch das Gebiet der inneren Ein¬ 
klemmungen, welches auf dem vorletzten Chirurgencongress so eingehend 
erörtert wurde, streifen. 

Von den grossen Fortschritten der Chirurgie ist die Lehre von den 
inneren Einklemmungen nicht betroffen: die Leute sterben heute gerade so 
oft, wie zur Zeit Dieffenbach’s. Auch hier zeigt sich wieder, wie schwer 
wir die geringe Sicherheit in der Diagnose empfinden. Wir erkennen meist 
erst eine Einklemmung, wenn der Collaps bereits eingetreten ist. Dann aber 
nützt meist die Operation nichts, da diese den Collaps nicht bekämpfen kann, 
sondern vielmehr vergrössert und den Tod herbeiführt. Die Prognose der 
inneren Incarcerationen wird sich also erst dann bessern, wenn 
wir eine sichere Diagnose vor dem eingetretenen Collaps stellen 
können. So lange wir das nicht können, liegt der Hauptfortschritt 
in der Erkenntniss der Ursache des Collapses und wie dieser 
hintanzuhalten resp. zu beseitigen ist. Ob der Collaps durch Intoxication 
mit Fäulnissalkaloiden entstehe, ob er rein nervöser Natur sei, soll die 


*) Ich möchte mir hier nur die Bemerkung erlauben, dass mir der deut¬ 
sche Ausdruck viel schöner und verständlicher klingt und auch richtiger scheint. 
Denn obwohl man z. B. von canellirten Säulen, Canellirungsmaschinen der 
Büchsenmacher spricht, so kommt das Wort von canna das Rohr, cannula 
das Röhrchen, Stöckchen her, woher auch unsere bekannte „Canüle“. In 
unserem medicinischen Sprachgebrauch würde dann also „canellirte Sonden“ 
heissen: „geröhrte Sonden“, was doch nicht den thatsächlichen Begriff deckt. 


Forschung zeigen. Heute sterben die Leute am Collaps gerade so, wie sie 
früher nach Herniotomieen an Peritonitis zu Grunde gingen. Viele Operateure 
wollen nicht früh operiren, weil erfahrungsgemäss selbst die verzweifeltsten 
Fälle spontan nach 25 ja nach 35 Tagen wieder heilen können. Cur3ch- 
mann empfiehlt alle 3—4 Stunden vom Darm aus eine Lufteinblasung, be¬ 
sonders bei tief unten liegender Ursache; sodann die Darmpunction zum 
Zwecke der Gasentleerung, weil die Aufblähung des Darms ein künstliches 
Klappenventil schaffe. Auf die alten Wassereinläufe verzichtet Cursch- 
mann. Ob aber die Chirurgen sich zur Darmpunction entschliessen werden, 
ist fraglich; die meisten haben heute vielmehr wohl folgende Meinung: In 
den meisten Fällen wird die wenig gefährliche Enterostomie zu machen 
sein, wobei es schwierig ist, die Darmschlinge oberhalb des Verschlusses 
zu fassen. Die rotheongestionirten, stärker venös injicirten Darmtheile, die 
inteusivere Peristaltik, eine durch die Bauchdecke leise markirte Darmschlinge 
(Fuhr) werden ein Merkmal abgeben. Nachdem sich der Patient erholt hat, 
kann man die Radicaloperation vornehmen. Ist der Collaps klein oder noch 
gar nicht da, ist der Sitz und die Art der Einklemmung klar, so wird man 
laparotomiren und sofort das Binderniss beseitigen können. 

Eng an dieses Capitel schliessen sich die Laparotomieen wegen eitriger 
und jauchiger Peritonitis. Von 4 Patienten sind (Poelchen) 3 ge¬ 
storben. Antiseptische Bauchausspülungen scheinen ohne besondem Nutzen 
zu sein, mehr Vortheile scheinen Jodoforrogazeausstopfungen und Drainage 
zu versprechen. 

Nicht zu erklären, aber dennoch sicher constatirt sind die relativen Hei¬ 
lungen von BaucMoiltuberculos» nach Laparotomieen. Kümmel, 
Weinstein, Schwarz, Hofmokl haben uns derartige Fälle mitgetheilt. 
Gleichzeitig bestehende Lungenphthise wird durch die Laparotomie nicht 
beeinflusst oder gar geheilt. Die Entleerung etwa bestehenden Ascites, die 
gesteigerte Circulation, die antiseptische Ausspülung kann nicht die Besse¬ 
rung dor Tuberculose bewirken. Zu vergessen ist nicht, dass viele tuber- 
culöse Peritouitideu überhaupt sehr langsam verlaufen, und dass vielleicht die 
Hauptbeschwerden nur von dem Ascites herrühren. 

Hier möchte ich in Kürze auf die zahlreichen Magen Operationen hin- 
weisen, welche im vergangenen Jahre gemacht sind. Wegen Fremd¬ 
körper sind von Polaillon, Crede, Richardson, Bernays Gastro- 
tomieen ausgeführt worden. Polaillon wies den Sitz eines Messers durch 
die Abweichung einer vor die Magengrube gehaltenen astatischen (elektro¬ 
magnetischen) Nadel nach. Von 13 Operirten sind 2 gestorben; die Fremd¬ 
körper (Messer, Gabel, Haare etc.) wurden erst nach Tagen oder Jahren 
extrahirt. Ueber die Gastro-Enterostomie liegt eine sorgfältige Ar¬ 
beit von Rockwitz vor (s. Z. f. Chir. Bd. XXV.), bei 21 Operirten hat 
er eine Mortalität von 57%. Die Gefahr bei der Operation ist die Com- 
pression des Colon durch die hinübergeführte Dünndarmschlinge und das 
Vernähen des umgeknickten Darmes. Nach einer Pylorusresection konnte 
Wölfl er nach fünf Jahren eine künstlich gebildete Falte erkennen, welche 
den Pylorus darstellte; Kocher dagegen sah eine Stenose entstehen. — 

Dass auch Oesophagotomieen, ja Excisionen des Oesophagus mit 
plastischem Verschluss aus Hautstücken vorgenommen wurden (Alsberg, 
Mikulicz), dürfte zu bekannt sein. — Bemerkenswerth ist noch eine durch 
Küster richtig erkannte und glücklich operirte Pankreascyste. Die 
Diagnose dieser Gebilde ist nicht leicht. Die Cysten sind verwechselt 
worden mit Aneurysmen, mit Echinococcen der Bursa omentalis, Cysten 
der Nebenniere. Die letztere konnte Küster wegen der Grösse der frag¬ 
lichen Geschwulst ausscheiden, ein Aneurysma deshalb, weil eine Ver¬ 
mehrung der Spannung nach der Seite hin nicht eintrat; die Punctions- 
flüssigkeit war eiweisshaltig, und es blieb wegen des Sitzes nur eine Pankreas¬ 
cyste übrig. Dieselbe besitzt das Saccharificationsvermögen und die Fähigkeit, 
Fette zu emulgiren, also dem Pankreassaft zukommende Eigenschaften. An 
diese Pankreascyste lässt sich am besten die Operation einer Chyluscyste 
aus der v. Bergmann’schen Klinik anschliessen. — 

Wenn uns zum Schluss noch eine Bemerkung zur Gynaekologie ge¬ 
stattet ist, so möchten wir anführen, dass die Ovarialtumoren in etwa 
22,4% nach Schultze und ca. 16,6% nach Cohn (Schröder) malign 
werden, und dass man daher einer frühzeitigen Operation der Ovarialtumoren 
das Wort reden muss. Hinsichtlich des Carcinoms der Portio scheinen 
heute wohl bis auf einzelne Operateure (Ho fm ei er) alle die hohe Cervix¬ 
amputation verlassen zu haben und gleich die Totalexstirpation vorzunehmen. 

Damit wollen wir den Bericht über die Leistungen der Chirurgie 
schliessen. Es sind vielfache Pfade und Wege chirurgischer Bestrebungen, 
welche ich versucht habe, zu einem Gesammtbilde — allerdings wohl zu 
einem recht bunten — zu vereinigen und in einen gewissen Zusammenhang 
zu bringen. Und wenn wir die leitenden Ideen in diesem Bilde studiren, 
d. h. aus dem Gange der Chirurgie aus dem vorigen Jahre Schlüsse ziehen 
wollen, so würden wir Folgendes lernen können: Gewiss wird man noch 
manche schönen Neuerungen und Fortschritte in der Chirurgie der Knochen 
resp. der Extremitäten erreichen; aber die Hauptaufgabe für die nächsten 
Jahre ist die chirurgische Behandlung innerer Krankheiten, der Kampf 
mit der inneren Medicin. Die Chirurgie wird in diesem Kampfe nur 
dann ihrer Gegnerin gewachsen sein, wenn sie sich der gleichen Waffen 
bedient; wenn sie die Untersuchungsmethoden der inneren Medicin an¬ 
wendet und sich die Chemie, Physik, Bacteriologie etc. zu Nutze 
macht. Wir haben oben gesehen, dass ein Fortschritt in der Chi¬ 
rurgie des Gehirns, der Leber, Niere etc. nur durch eine sicherere 
Diagnose gewährleistet wird. So segensreich auch die Antiseptik nach 
verschiedenen Richtungen hin gewirkt hat, so hat sie doch dazu bei¬ 
getragen, die geistige Höhe der chirurgischen Diagnostik herabzudrücken. 
Denn wie oft haben wir es gesehen, dass dort, wo der innere Mediciner 
seinen Hammer, sein Gefühl, chemische Kenntnisse, sodann logisch-wissen¬ 
schaftliche Combinationen anwendet, der kühne und glücklich operirende 
Chirurg nur das Messer zur Diagnosestellung ergreift! Wie manche Probe¬ 
laparotomie hätte bei Erschöpftmg der Untersuchungsraittel unterbleiben 
können! Der Fortschritt der Chirurgie also liegt in der inneren Medicin 


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530 


DEUTSCHE IfEDIClNlSCfiE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


und in deren Studium. Der Unterschied, welcher Jahrhunderte lang 
zwischen beiden Disciplinen der Medicin aufrecht erhalten wurde, wird 
in einigen Jahrzehnten — das ist unsere Ueberzeugung — immer 
mehr verschwinden, und die Zeit liegt nicht fern, wo man den Satz aus¬ 
sprechen darf: ein Chirurg muss nicht nur eine gute Amputation und 
Resection machen können, sondern vor allen auch ein innerer Mediciner sein. 

VII. Feuilleton. 

Die Errichtung von Pflegestätten für unbemittelte 
Wöchnerinnen, n. 

Von Hermann Löhlein. 

Mein in No. 6 dieses Jahrgangs veröffentlichter Vortrag „Ueber 
Wöchnerinnenpflege und Pflegestätten für unbemittelte Wöchnerinnen“ 
ist in den ärztlichen Kreisen ausserordentlich günstig aufgenommen 
und der darin gemachte Vorschlag seiner Verwirklichung alsbald 
entgegengeführt worden. 

Die Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie zu Berlin 
hat auf den Bericht einer aus den Herren Gusserow, Löhlein, 
Martin, Odebrecht, Veit bestehenden Specialkommission hin der 
Aerztekammer der Provinz Brandenburg wie auch dem Magistrat 
von Berlin den bestehenden Mangel dargelegt und um Abhülfe 
gebeten, ln der Sitzung der Brandenburgischeu Aerztekammer vom 
21. April d. J. hat dann A. Martin als Referent den Nothstand 
durch Angaben aus seiner eigenen reichen poliklinischen Thätigkeit 
weiter beleuchtet und über die Einrichtung und die Unterhaltungs¬ 
kosten eines derartigen „Wöchnerinnenheims“ beachtenswerthe Mit¬ 
theilungen beigefügt. 

Auch in den Kreisen der privaten Wohlthätigkeit sind Bestre¬ 
bungen, die bereits angebahnt waren, durch meinen mahnenden Vor¬ 
trag in lebhafteren Fluss gekommen. Schon hat hier in Berlin eine 
Anzahl hochherziger Männer und Frauen die Gründung eines Ver¬ 
sorgungshauses für zum ersten Mal Gefallene nach dem Muster eines 
solchen, das in Bonn seit Jahren segensreich wirkt, direkt in An¬ 
griff genommen. Bei den Bestrebungen der letztgenannten Art 
kommt es den Betheiligten neben der gesundheitlichen besonders 
auch auf die sittliche Wiederaufrichtung der zum ersten Male ge¬ 
fallenen Mädchen an. Sie sollen in dem Versorgungshaus so lange 
bleiben können mit ihrem Kinde, bis sie ohne Gefahr, im Anschluss 
an den ersten Fehltritt von Stufe zu Stufe weiter zu sinken, körper¬ 
lich und sittlich wieder erstarkt, ihren Platz in der Gesellschaft 
von Neuem behaupten können. Naturgemäss kommen derartige wohl- 
thätige Stiftungen — ganz analog den in meinem Vortrag erwähnten 
englischen Homes — nur einer beschränkten Zahl Hülfsbedürftiger 
zu Gute. Indessen wird man es als Arzt unter allen Umständen 
freudig begrüssen müssen, wenn und dass überhaupt ein An¬ 
fang gemacht wird in diesem bisher völlig vernachlässigten Zweige 
der Reconvalescentenpflege. Dass bei beschränkten Mitteln die 
zum ersten Mal Gefallenen zunächst berücksichtigt werden, weil 
erfahrungsgemäss bei drei Vierteln von diesen die Umkehr zu einem 
sittlichen Lebenswandel erzielt wird, muss zugegeben werden, zu¬ 
mal es auch vom ärztlichen Standpunkt aus insofern begründet er¬ 
scheint, als bekanntlich gerade die Vernachlässigung des ersten 
Wochenbetts sich gesundheitlich am bittersten rächt. — 

Wenn ich au dieser Stelle noch einmal auf den Gegenstand zu¬ 
rückkomme, so geschieht es, um meinen ersten Aufsatz in einem 
Punkt zu berichtigen, auf den ich alsbald aufmerksam gemacht wurde, 
und sodann um einen Vorwurf zurückzuweisen, der gegen meine Be¬ 
strebungen erhoben worden ist. 

Es war nicht richtig, wenn ich in meinem Vortrag ganz allge¬ 
mein sagte, wir besässen in Deutschland derartige Einrichtungen, 
die im Zusammenhang ständen mit unseren grossen staatlichen oder 
städtischen Krankenhäusern oder Entbindungsanstalten, überhaupt 
nicht. Abgesehen von dem bereits oben erwähnten, seit dem Jahre 
1873 durch ein Fräulein Lunstras segensreich geleiteten Bonner 
Versorgungshaus und ähnlichen in bescheidenen Grenzen sich halten¬ 
den Stiftungen der privaten Wohlthätigkeit existirt in Breslau unter 
dem Namen „Kaiserliches Kinderheim“ ein Institut, welches im 
Wesentlichen allen Anforderungen gerecht wird, deren Erfüllung wir 
in den übrigen Grossstädten, vor Allem aber in der Reichshaupt¬ 
stadt, bisher vermissen mussten, und für die wir daher eingetreten 
sind. 

Bald nach der Veröffentlichung meines Vortrages hatte Herr 
Professor Fritsch die Freundlichkeit, mir über das Breslauer In¬ 
stitut Mittheilungen zu machen, das „seit einem Jahrzehnt bereits 
ganz vortrefflich fungirt.“ Jede aus der Universitäts-Entbindungsanstalt 
(wegen Raummangels bereits am 7. oder 8. Tage!) oder aus der 
Hebammenlehranstalt entlassene, im Uebrigen gesunde Wöchnerin, 
wird mit ihrem Kinde in das K. Kinderheim aufgenommen, resp. 
dahin entlassen. Dort können Mutter und Kind unentgeltlich so 


lange bleiben, bis ein Dienst angetreten werden kann. Die Wöch¬ 
nerinnen werden, nach der brieflichen Mittheilung des Herrn Prof. 
Fritsch, in allerhand Fertigkeiten unterrichtet, und viele Familien 
holen sich principiell ihre Dienstmädchen und Köchinnen aus dem 
Kinderheim. Ebenso werden Ammen mit Vorliebe von hier ent¬ 
nommen, da die Wöchnerinnen in Bezug auf ihr körperliches Be¬ 
finden und ihren Charakter wie auch auf das Gedeihen ihres Kindes 
zuverlässig beobachtet sind. 

Aus den mir vorliegenden ärztlichen Berichten des Herrn Prof. 
Soltmann über die Wirksamkeit des Kinderheims iu den Jahren 
1882 — 1886 geht hervor, wie sich die Mortalität der Kinder von 
Jahr zu Jahr verringert hat, und Soltmann darf der Hoffnung Aus¬ 
druck geben, „Breslau werde, wie es den Triumph hat, das erste 
und einzige Säuglingsasyl in Deutschland zu besitzen, auch in Be¬ 
zug auf den von Jahr zu Jahr eintretenden procentualen Niedergang 
der Mortalität und Morbidität der illegitimen Kinder an der Spitze 
der Grossstädte stehen.“ — Aus dem Bericht über 1886 möchte 
ich kurz anführen, dass 61 Kinder mit 59 Müttern aufgenommen 
und durchschnittlich 6 Wochen verpflegt wurden. Die täglichen 
Verpflegungskosten berechneten sich auf nur 42 l /2 Pfennig pro Kopf. 
20 Mütter verliessen als Ammen die Anstalt, 23 wurden als Dienst¬ 
mädchen untergebracht, 3 verehelichten sich nachträglich mit dem 
Vater der betreffenden Kinder. 

Die Zahl von 59 verpflegten Müttern erscheint klein, wenn man 
bedenkt, dass aus der Universitäts-Entbindungsanstalt allein jährlich 
520 — 550 Wöchnerinnen entlassen werden. So gross ist eben doch 
bei der Mehrzahl der Leichtsinn und die Abneigung gegen jede 
Anstaltsdisciplin, ferner bei Vielen der Wunsch, die Sorge um das 
Kind und den mit seiner Existenz verknüpften Makel von sich ab¬ 
zuschütteln, dass sie die Hülfe, die sich ihnen darbietet, einfach von 
der Hand weisen. Es klingt fast unglaublich, und ist bei den künf¬ 
tigen humanitären Bestrebungen in dieser Richtung sehr 
zu beachten, wenn in der oben erwähnten brieflichen Mittheilung 
der erfahrene Breslauer Gynäkologe schreibt: „Mit den 5 Groschen 
für die Droschkenfahrt nach dem Kinderheim verschwinden vier 
Fünftel der Entlassenen auf Nimmerwiedersehen!“ — 

Während von allen Seiten anerkannt wurde, dass mein Vortrag 
einen seit Jahrzehnten bitter empfundenen Mangel in unserer Recon¬ 
valescentenpflege darlegte, dessen Beseitigung nicht länger versäumt 
werden durfte, ist die Mahnung, Pflegestätten für unbemittelte Wöch¬ 
nerinnen zu errichten, von dem für die Reform des Hebammen¬ 
wesens seit Jahren thätigen Herrn Collegen Brennecke 1 ) (Magde¬ 
burg) abfällig beurtheilt worden. Er hält den Gedanken nicht für 
besonders glücklich, mindestens sei er verfrüht; „ich verstehe nicht, 
was Löhlein veranlassen konnte, von Begründung von Wöchnerinnen¬ 
asylen in unserem Sinne (d. h. Gebär- und Wochenbettsasylen) 
für Berlin Abstand zu nehmen.“ 

Den Vorwurf, der Gedanke sei verfrüht, hatte ich aller¬ 
dings nicht erwartet. Unsere Kenntniss von der Zeit, während deren 
der Zustand ihrer Generationsorgane eine Wöchnerin pflegebedürftig 
erscheinen lässt, datirt doch nicht von heute oder gestern, ebenso¬ 
wenig die Erfahrung, dass Tausende von unbemittelten Wöchnerinnen, 
besonders die Mehrzahl der aus der öffentlichen Entbindungsanstalt 
Entlassenen, diese Pflege zu Hause nicht findet und nicht finden kann 
und hierunter schwer zu leiden hat. Längst hat der jammervolle 
Zustand dieser armen Weiber das Mitleid weiter Kreise wachgerufen, 
und man kann getrost sagen, dass gewiss längst viel mehr einschlä¬ 
gige Stiftungen, Versorgungshäuser u. s. w. bestehen würden, wenn 
die (falsche) Scheu, der Immoralität damit einen gewissen Vorschub 
zu leisten, nicht hemmend wirkte. Es war daher im Gegentheil 
allerhöchste Zeit, dass aus den ärztlichen Kreisen heraus betont 
wurde, wie die Folgen jener Vernachlässigungen viel zu schwere und 
zu zahlreiche sind, als dass uns Nebenrücksichten abhalten dürften, 
Abhülfe zu schaffen. 

Doch das weiss Brenn ecke so gut wie jeder Arzt, der die 
Augen offen hat. Der Vorwurf „verfrüht“ ist eben offenbar nur in 
Beziehung auf seine eigenen, höchst achtungswerthen Bestrebungen zu 
verstehen: Die Asyle, in denen auch Schwangere und Kreissende 
abgewartet werden, und die zugleich die Fortbildungsschule für die 
Hebamme bilden sollen. Dies geht aus den folgenden Zeilen deut¬ 
lich hervor: 

„Löhlein’s Vorschlag bezweckt nur Hülfe zu bringen in der 
späteren Wochenbettszeit, er trifft nicht die grössere Noth des 
armen Volkes in der Stunde der Geburt und während der ersten 
Wochenbettstage. — Die geburtshülfliche Hygiene verlangt erst 
öffentliche Gebärhäuser, d. h. „Wöchnerinnenasyle“, und in zweiter 
Linie, wenn es No'th thut, „Wöchnerinnenpflegestätten.“ 

Sehr richtig. Wir haben aber nun eben bereits in Berlin, 
München, Dresden u. s. w. ausgezeichnete öffentliche Gebärhäuser 


') Dr. Brennecke: „Die sociale und geburtshülflich-reforraatorische 
Bedeutung der Wöchnerinnenasyle“. Vortrag vom 6. April 1888, p. 19. 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


531 


(wenn sie auch den Namen Wöchnerinnenasyle nicht fuhren), und 
da es Noth thut, erstreben wir auch Wöchnerinnenpflegestätten. 

In Magdeburg, wie in vielen anderen Mittelstädten mit einer 
zahlreichen Arbeiterbevölkerung, bestand bis jetzt keine Zufluchtsstätte 
für arme Schwangere und Kreissende. Dass dort (unter dem Namen 
Wöchnerinnenasyle) Gebärasyle gegründet werden, ist freudig zu 
begrüssen; jede ernste und hingebende Thätigkeit, um sie in’s Leben 
zu rufen und um von ihnen aus eine Hebung und Veredelung unseres 
Hebammenstandes anzubahneu, ist unserer Sympathie gewiss. 

Ich gehe noch weiter. Auch in Berlin könnten noch mehrere 
kleinere und mittelgrosse Entbindungsinstitute neben den beiden 
grossen Kliniken der Universität eine segensreiche Thätigkeit ent¬ 
falten, ohne dass jene empfindlich beeinträchtigt würden. Ihr Fehlen 
wird jedoch zur Zeit nicht drückend empfunden. Eine völlig unbe¬ 
mittelte Kreissende kann eben doch zu jeder Zeit in den bestehenden 
Instituten Unterkunft finden. Sobald sie sich dem rapiden Wachs¬ 
thum der Einwohnerzahl gegenüber als zu beschränkt erweisen, wird 
ohne Zweifel durch Erweiterung der vorhandenen oder Errichtung 
neuer Institute vom Staate oder auch vielleicht durch die wachge¬ 
rufene Privatthätigkeit Abhülfe geschafft. Dagegen fehlt für die 
pflegebedürftige Wöchnerin hier uud mit wenigen Ausnahmen auch 
anderwärts jede Stätte. Will es uns da Brennecke verargen, dass 
wir diesem absoluten Mangel zuvörderst abzuhelfen suchen, bevor 
wir die von ihm angeregte Agitation auch für Städte, die bereits 
Entbindungsanstalten besitzen, als die zunächst aufzunehmende an¬ 
erkennen oder selbst für sie eintreteu? 

Nein. Jene Bestrebungen und die unseren können sehr wohl 
nebeneinanderhergehen, ohne dass sie sich gegenseitig Eintrag thun. 
Für jedes grössere Gemeinwesen kann nur lokal entschieden werden, 
welches Bedürfnis am dringendsten Abhülfe erheischt. Für Berlin 
sind nach dem übereinstimmenden Urtheil der Fachgenossen die 
Pflegestätten für Wöchnerinnen dasjenige, was in erster Linie 
Noth thut. Sie sind für uns ganz sicher keine verfrühte 
Einrichtung. 

VUL Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 3. März 1888. 

Vorsitzender: Herr Landois. Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Poe leben: Ueber Desinfeotion chirurgischer In¬ 
strumente. (Der Vortrag wird in dieser Zeitschrift veröffentlicht 
werden.) 

2. Herr Mosler: Ueber biliöses Typhusrecidiv. Neuer¬ 
dings hat Weil die Aufmerksamkeit auf eine eigenthümliche acute 
Infectionskrankheit gelenkt, die mit schweren nervösen Erscheinungen, 
mit Schwellung der Milz und Leber, Icterus, nephritischen Sympto¬ 
men einherging und nach verhältnissmässig kurzer Dauer des schweren 
Krankheitsbildes einen raschen günstigen Verlauf nahm. Einen 
analogen Fall beschrieb Goldschmidt. Ausserdem beobachtete 
Wagner zwei Fälle, die im JiVesentlichen denen Weil’s gleich 
waren, nur leichtere Fälle darstellten. Bei einem fehlte die Albu¬ 
minurie; Herpes facialis und öfteres Nasenbluten waren bei einem 
Kranken zu beobachten. Wagner will die Fälle als einheimisches 
biliöses Typhoid bezeichnen. Auch sei die Annahme eines Abortiv¬ 
typhus mit Icterus nicht von der Hand zu weisen. Der von Roth 
geschilderte Fall verlief nicht so rasch, wie die vorhin ge¬ 
nannten; er ist dadurch bemerkenswerth, dass als direkte Ursache 
der Erkrankung der Genuss von Salat angegeben wird. Es han¬ 
delte sich um eine sehr schwächliche Person. Der Verlauf war 
ein sehr protrahirter; am 31. Tage nach einem fieberfreien 
Intervall von 10 Tagen trat ein Recidiv auf, welches 5 Tage 
anhielt. Als Complication wird eine leichte rechtsseitige Pleuritis 
verzeichnet. 

Sie stimmen wohl Alle mit mir darin überein, dass zur Klärung 
dieser Infectionskrankheit weitere Mittheilungen sehr erwünscht 
sind. Bis jetzt ist die Krankheit theils mit acutem, theils weniger 
acutem Verlaufe, selbst mit Recidiven beobachtet worden. 

Sehr eigenthümlich war der Verlauf von biliösem Typhus, 
über den ich Ihnen heute einige Skizzen zu geben gedenke. 

Der bisher stets gesunde Vicefeldwebel Bonness ist seit zwölf 
Jahren Soldat. Er will sich kurz vor Weihnachten erkältet haben. 
Er musste damals den Weg von Neuenkirchen hierher in tiefem 
Schnee machen. Eine Stunde nach seiner Rückkehr bekam er einen 
Schüttelfrost. Er hatte zu klagen über Kopfschmerz, allgemeine 
Mattigkeit, Appetitlosigkeit und Stuhlverstopfung. Der Schlaf war 
schlecht. Bonness schleppte sich noch 8 Tage hin. Vom ersten 
Weihnachtstage an war Patient nicht mehr im Stande seinen Dienst 
zu thun. Er klagte über Kopfschmerzen; Mittags trat Bewusst¬ 
losigkeit ein: „Er wusste nicht mehr, wo er war.“ Temperatur¬ 
steigerung erreichte 39° C. Am zweiten Weihnachtstage legte er 
sich in das Bett. Die Diagnose des behandelnden Militärarztes 


lautete: Typhus abdominalis. Der Verlauf war eigenthümlich 
durch plötzliche Defervescenz. Am 14. Januar Morgens erwachte 
Patient fieberfrei. Er blieb es bis zum 18. Januar. An diesem Tage 
soll er einen Diätfehler begangen haben. Er hatte statt der 
bisher genossenen flüssigen Nahrung Mittags um 1 Uhr zur Tauben- 
brühe auch das Taubenfleisch und eine Semmel gegessen. 
Um 3 Uhr fühlte Patient sich wieder krank mit heftigem Fieber. 
Die Krankheitserscheinungen nahmen mehr und mehr zu. Am 
20. Januar, dem Tage der Aufnahme in meine Klinik, war die 
höchste Temperatur 40°. 

Status praesens vom 21. Januar 1888: Patient, ein 
kräftig gebauter, gut entwickelter Mann macht den Eindruck eines 
sehr schwer Kranken. Er liegt völlig apathisch da. Auf Fragen 
giebt er nur langsam Antworten. Er ist benommen, doch nicht ganz 
ohne Bewusstsein. Das Gesicht ist fieberhaft geröthet. Die Haut ist 
heiss und trocken. Auf dem Abdomen sieht man 3 Roseolaflecke. 
Patient klagt über sehr starke Kopfschmerzen und allgemeines Un¬ 
behagen, höchsten Grad von Hinfälligkeit. Die Lippen sind spröde, 
die Zunge stark belegt, rissig und trocken. Es besteht Foetor 
ex ore. Das Abdomen ist mässig aufgetrieben. Die Palpation ver¬ 
ursacht keine Schmerzen. Die Leberdämpfung ist nicht verändert, 
die Milz misst in der Axillarlinie 8 cm von oben nach unten, 5 cm 
vor der Linea axillaris. Appetit ist schlecht. Der Stuhl erfolgt 
regelmässig, ist dünn, aber nicht erbsenbreiartig. 

Der Herzspitzenstoss ist weder fühl- noch sichtbar. Die Herz¬ 
dämpfung ist nicht vergrössert. Die Herztöne sind nicht ganz rein. 
Der Puls ist regelmässig, voll. Frequenz = 106. Eigenwärme = 
40,2 o C. 

Untersuchung der Lungen ergiebt normale Resultate. Athem- 
frequenz = 28. 

Urin enthält keine pathologischen Bestandtheile. Pat. erhält 
Salzsäure in Mixtur. Eisblase auf den Kopf. Antipyrin 3,0 p. anum. 

23. Januar. Im Befinden ist keine Aenderung eingetreten, eher 
ist der Allgemeinzustand noch verschlechtert. Die Kopf¬ 
schmerzen sind äusserst heftig. Schlaf ist sehr schlecht. Appetit 
ist nicht vorhanden, wohl aber starker Durst Der Stuhl 
hat graugrüne Farbe. Prolongirte Bäder von 28—200 (30 Min.) 
erzeugen keine Herabsetzung der Temperatur. Um ein 
Geringes geht sie nach Antipyrin (3,0 per anum) herunter. Doch 
treten hiernach profuse Schweisse und Erbrechen ein. Patient klagt 
über Schmerzen in der Herzgegend. Herzgeräusche deutlicher. Auch 
bestehen Schmerzen in der Lebergegend. Die Haut ist in geringem 
Grade icterisch. Der Urin enthält wenig Gallenfarbstoff, kein 
Albumen. Dieselbe Behandlung wird fortgesetzt, ausser Antipyrin. 

25. Januar. Das Allgemeinbefinden ist noch nicht besser. 
Temperatur Morgens 39,2°, Abends 40,5°. Aeusserste Mattigkeit, 
Abgespanntheit sind die Hauptklagen. Zunge ist stark borkig, 
Appetit schlecht, Durst fast unerträglich bei grosser Trockenheit im 
Munde. Stuhl graugrün, dünn. Milzdämpfung: in Axillarlinie von 
oben nach unten 12 cm, über dieselbe 7 cm nach vorn. In den 
Lungen keine Abnormität nachzuweisen, ausser trockenen Rassel¬ 
geräuschen in den hinteren unteren Partieen. Husten und Aus¬ 
wurf bestehen in geringem Grade. Untersuchung auf Tuberkel¬ 
bacillen fällt negativ aus. Der Icterus ist sehr stark. Urin 
enthält sehr reichlich Gallenfarbstoff und Albumen, 
mikroskopisch Fibrincylinder. 

30. Januar. Das Befinden ist dasselbe geblieben. Patient klagt 
über grosse Trockenheit im Munde und über Schluckbeschwer¬ 
den. Es besteht eine starke Pharyngitis, weisse Belege auf den 
Tonsillen, Ulcerationen am weichen Gaumen. (Einpinselung mit 
Sublimatlösung [1:1000] und Lac. sulfur.) Morgens bestehen Fieber¬ 
remissionen, Abends Exacerbationen: 38,4—40,1°. Der Icterus 
hat zugenommen, ebenso die Schmerzhaftigkeit der 
Leber. Die Gallenfarbstoffreaction ist sehr stark. Eiweiss im Urin 
in mässigen Mengen. 

3. Februar. Die Zunge ist nicht mehr so stark belegt, feuchter. 
Die Schluckbeschwerden sind geringer geworden. Icterus besteht 
noch. Temp. Morgens 38,8°, Abends 40°. 

4. Februar. Das subjective Befinden hat sich gebessert: Patient 
fühlt sich wohler und ist munterer. Der Icterus hat etwas nach¬ 
gelassen. Im Urin sind noch hyaline Cylinder und Eiweiss nach¬ 
weisbar. Temp. Morgens 39,2, Abends 40,2° C. 

5. * Februar. Patient klagt nicht mehr über Schmerzen in der 
Lebergegend. Die Leber noch vergrössert. Temp. 39,2—40,1°. 

8. Februar. Nach Gebrauch der prolongirten Bäder ist das 
subjective Befinden stets ein besseres gewesen. Der Icterus ist nun¬ 
mehr fast ganz geschwunden. Gallenfarbstoffreaction des Urins ne¬ 
gativ, ebenso Eiweissreaction. Temp. Morgens 38,8, Abends 40° C. 

10. Februar. Die Herzgeräusche sind ebenso zu hören wie 
früher. Der Urin ist noch sehr concentrirt, ohne pathologische Be¬ 
standtheile. Milztumor ist geringer geworden. Die Pharyngitis ist 
fast geschwunden. Der Schlaf ist leidlicher. Temp. 38,5—39,3°. 


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532 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


12. Februar. Allgemeinbefinden etwas besser. Temperatur 
38,3—38,8°. 

13. Februar. Der Schlaf war ein ziemlich guter. Die höchste 
Temperatur 37,9°. 

14. Februar. Subjective Beschwerden bestehen ausser allge¬ 
meiner Mattigkeit nicht mehr. Der Stuhlgang erfolgt regelmässig 
und ist von normaler Beschaffenheit. 

Herzthätigkeit noch gesteigert; über der Aorta noch ein dia¬ 
stolisches Geräusch. Massige Vergrösserung des linken Ventrikels. 

Die Reconvalescenz nimmt einen ungestörten Fortgang. 

Von den bisher beobachteten Fällen zeigt dieser Fall ganz 
ausserordentliche Verschiedenheiten. Scheinbar nach Erkältung trat 
eine acute Infectionskrankheit auf, die Anfangs nicht sehr hohe Tem¬ 
peraturen zeigte, erst gegen Ende die Höhe von 40° C erreichte 
und mit einer Defervescenz endete. Von dem behandelnden Arzte 
war Typhus abdominalis diagnosticirt worden. Ausdrücklich 
wurde bemerkt, dass Veränderungen des Herzens nicht vorgekommen 
seien. Nach einem fieberlosen Stadium von 4 Tagen erfolgte nach 
einem Diätfehler, vielleicht einer Intoxication, ein Recidiv, mit viel 
intensiveren Fiebererscheinungen als vorher. Wie es bei derartigen 
ungewöhnlichen Krankheitsfällen in der Regel geht, schwankte 
die Diagnose von Anfang bis zu Ende. Sämmtliche Erscheinungen 
von Typhus abdominalis waren während unserer Beobachtung im 
Krankenhause nicht vorhanden. Ich dachte zunächst an eine In¬ 
toxication, ohne indess dafür irgend welchen sicheren Anhalts¬ 
punkt zu gewinnen, darnach an eine Infection im weitesten Sinne, 
ohne dass ich über ihre Natur Klarheit erlangt hätte. Vielfach war 
ich versucht, sämmtliche Erscheinungen von einer ulcerösen Endo- 
carditis abzuleiten. Doch die erste Erkrankung war keinesfalls da¬ 
mit in Verbindung zu bringen. Jedenfalls zeichnet sich unser Fall 
dadurch aus, dass erst beim Recidiv die Erkrankung so intensiv 
geworden ist, dass die lebenswichtigsten parenchymatösen Organe, 
wie Herz, Leber, Nieren, bei gleichzeitiger Milzschwellung präg¬ 
nante Krankheitssymptome, wie Leberschwellung, Icterus, 
Herzgeräusche, Albuminurie, darboten. Trotzdem wir die 
Prognose als ungünstige betrachten zu müssen glaubten, ist wider 
Erwarten Genesung bei dem Kranken eingetreten. 

Aus den Ihnen vorgelegten, sehr genau verzeichneten Tempe- 
raturcurven unseres Falles ersehen Sie, dass der Verlauf einige 
Aehnlichkeit mit dem eines Typhus hat. Wollen wir der Krankheit 
einen Namen geben, so würde bei der unklaren Aetiologie wohl 
am meisten der Name eines einheimischen biliösen Typhus 
passen, und da die oben genannten prägnanten Symptome von 
Icterus, Herzgeräuschen, Albuminurie erst während des 
Recidives beobachtet worden sind, kann die Bezeichnung eines 
biliösen Typhusrecidives beigefügt werden. Bis jetzt habe ich 
einen gleichen Verlauf noch nicht beobachtet. Ich bin mir wohl 
bewusst, dass er sehr mannichfache Deutungen zulässt. Gerade dies 
war der Grund, warum ich Ihnen denselben hier mitgetheilt habe. 
Mögen fernere Beobachtungen über das Wesen derartiger Krankheits- 
processe genaueren Aufschluss verschaffen. 

Herr Grawitz: Meine Herren! Ich bin natürlich nicht in der Lage, 
für das soeben mitgelheilte complicirte Krankheitsbild eine anatomische Er¬ 
klärung zu geben, möchte es vielmehr klar aussprechen, dass auch in den¬ 
jenigen Fällen dieser Art, welche zur Autopsie gelangen, die wahre Krank¬ 
heitsursache nur selten ermittelt werden kann. Unter den mannigfachsten 
klinischen Bezeichnungen, z. B. der acuten gelben Leberatrophie, der 
WinkeTschen Krankheit Neugeborener, der acuten Parenchy¬ 
matöse (Aufrecht), der WeiPschen Krankheit sind Fälle dieser 
Gattung bekannt geworden, indessen alle diese Namen können nur den 
Werth provisorischer Benennungen beanspruchen, eine scharfe Begrenzung 
nach klinischer, anatomischer oder ätiologischer Richtung ist bis jetzt durch¬ 
aus unmöglich. 

Der anatomische Befund oder Complex von Befunden bei allen diesen 
Krankheiten besteht wesentlich in einer parenchymatösen Hepatitis, Ne¬ 
phritis, Gastritis, Myocarditis, welche in leichteren Graden in Heilung 
übergehen kaDn, in schweren Fällen zur Fettmetamorphose, Atrophie und bei 
verzögertem Verlauf zu allerlei secundären Wucherungsvorgängen im inter¬ 
stitiellen Gewebe führt. Gerade solche chronischen Fälle machen oft der 
anatomischen Diagnose grosse Schwierigkeiten, da es nicht leicht ist, zu entschei¬ 
den, ob der Process mit der Atrophie oder mit der interstitiellen Wucherung 
(Cirrhosis) den Anfang gemacht hat. 

Ueber die Ursachen ist als ganz sicher nur bekannt, dass Phosphor 
einen derartigen Krankheitscomplex verursacht, und dass man bei Thieren 
durch Fütterung mit gewissen giftigen Lupinen dasselbe Bild regelmässig 
hervorbringen kann. Wahrscheinlich ist ferner, dass manche Giftpilze 
ähnliche Processe bedingen können, wahrscheinlich ist es auch, dass Bac- 
terien im Stande sind, chemische Körper von gleicher Wirkung innerhalb 
(Puerperalfieber) und ausserhalb des Thierkörpers (Brod-, Wurst-, Fleisch¬ 
gifte) zu produciren. Wenn wir nun auf dem Sectionstische die erwähnten 
parenchymatösen Veränderungen als einzigen Befund vor uns haben, so 
richtet sich die erste Frage naturgemäss auf das bekannteste Gift, den 
Phosphor. Wenn aber die Muthmaassung im Stiche lässt, so ist es anato¬ 
misch ganz unmöglich, unter den anderen, grösstentheils ja noch unbe¬ 
kannten Giftkörpern eine Auswahl zu treffen; wir nehmen eben nur als 
wahrscheinlich an, dass eine Vergiftung mit verdorbenen Nahrungsmitteln 


oder dergleichen vorliegt, aber die Beschaffenheit des Giftes, der Modus der 
Intoxication oder Infection bleibt dunkel. Aus der Einführung neuer 
Namen wird daher ein Fortschritt nur dann erwachsen, wenn damit eine 
ätiologische Einheit abgegrenzt wird, d. h. wenn ein bestimmtes Gift als 
die alleinige Krankheitsursache nachgewiesen wird. 

3. Herr Rinne berichtet über einen Fall von Querbruch 
der Patella, welchen er nach der Methode, die Tilanus auf dem 
französischen Chirurgencongress 1885 mitgetheilt hat, ohne Verband 
mit Massage des Muscul. quadriceps erfolgreich behandelt hat. 

Ein 40jähriger Mann zog sich durch Fall von einem Bau ausser 
einer Querfractur der linken Patella eine erhebliche Quetschung in 
der Gegend des Capitulum fibulae zu, wodurch der Nervus peroneus 
verletzt war und für etwa 5 Monate functionsunfähig blieb. Daneben 
hatte Patient eine beträchtliche Sugillation an der Dorsal- und 
Plantarseite der Gegend des Chopart’schen Gelenkes rechtereeits. 

Die Patellarffagmente klafften 2 cm weit, enormer Hämarthros. 

Behandlung: Das Bein wird bei gestrecktem Kniegelenk in 
eine nahezu verticale Lage gebracht, um den Quadriceps möglichst 
zu entspannen. Der Bluterguss wird einige Tage hindurch mit 
Flanellbinde über einer Poplitaealschiene comprimirt. Gleich vom 
ersten Tage an wird mit einer methodischen Massage des M. qua¬ 
driceps begonnen. Indem die eine Hand das obere Fragment nach 
unten drängt, wird der Muskel geklopft und gestrichen in der vor¬ 
geschriebenen Weise. Gleichzeitig werden auch von Anfang an 
leichte passive Bewegungen im Kniegelenk gemacht. 

Es zeigte sich bei dieser Behandlung die ganz auffallende 
Thatsache, dass nach ungefähr 10 Tagen, als der Bluterguss im 
Wesentlichen verschwunden war, die Patellarfragmente ganz dicht 
aneinander gerückt waren, obgleich sie nicht durch Verband 
zusammengezogen waren. 

In der dritten Woche machte der Kranke die ersten Gehver¬ 
suche — früher konnte er wegen der Verletzung des anderen 
Fusses nicht äuftreten. Dabei wichen die Fragmente nicht aus¬ 
einander. Sie sind nicht knöchern verheilt, aber durch eine schmale 
Zwischensubstanz verbunden, die sich nach sechsmonatlichem Ge¬ 
brauch des Beines nicht gedehnt hat. Das functioneile Resultat 
ist sehr gut. 

Die anfänglich totale Lähmung des Peroneus ist erst nach 
fünfmonatlichem Bestehen gehoben. 

Die Muskulatur des kranken Beines ist im Verhältniss zu dem 
gesunden nicht abgemagert. Die Muskelmasse des Quadriceps 
fühlte sich 2 Monate nach der Verletzung derb und voll an, und 
die Circumferenz in der Mitte des Oberschenkels war links sogar 
1 cm grösser, als rechts. 

Rinne hält dies Resultat für geeignet, zu weiteren Versuchen 
mit der beschriebenen Behandlung aufzufordern. Es bedeute jeden¬ 
falls einen ganz wesentlichen Fortschritt in der vielgestaltigen 
Therapie des Kniescheibenbruches, dass man nunmehr ein Haupt¬ 
gewicht auf die Verhütung der Muskelatrophie legen werde; welche 
von den vielen Verbandmethoden man daneben anwende, sei von 
secundärer Bedeutung, (cf. die unter Rinne’s Leitung aogefertigte 
Dissertation von Dr. E. Frank: „Zur Statistik und Behandlung der 
Querbrüche der Patella.“ Greifswald, 1887.) 

4. Herr Grawitz demonstrirt die Organe eines an Morbus 
maoulosus Werlofli gestorbenen 18jährigen Arbeitsburschen. Ana¬ 
tomisch stellt sich der Befund dar als ein Fall von allgemeiner 
Lymphosarcomatosis, ohne dass an irgend einer Stelle eine 
primäre Geschwulst aufzufinden gewesen wäre. Am stärksten be¬ 
troffen war der gesammte Lymphapparat, es bestand eine Hyper¬ 
plasie der Pharynxfollikel, der Tonsillen, des Zungengrundes, eine 
aus zahlreichen flachen confluirenden Knoten zusammengesetzte 
Schwellung des Schleimhautüberzuges der Epiglottis, viele einzelne 
Lymphomknötchen fanden sich in der Trachea; die cervicalen, 
raediastinalen, bronchialen, portalen und mesenterialen Lymph- 
drüsen waren stark vergrössert, Schnittfläche grauweiss, von mar¬ 
kiger Consistenz. Die Lungen erschienen an den Oberflächen wie 
auf Durchschnitten aufs dichteste von linsen- bis bohnengrossen 
frischen Blutungen durchsetzt, erst bei genauerem Zusehen ergab' 
sich, dass die Blutungen um kleine, sehr gefässreiche Lymphom¬ 
knötchen herum entstanden waren. Im Herzen war hier und da 
eine flache, aus lymphatischen Rundzellen bestehende Wucherung 
im Endocardium parietale sowie im Pericard zu bemerken; die 
Muskulatur war hellroth, von guter Consistenz, die Klappen intact. 
In der Milz fanden sich grosse gelbe Fibrinkeile, das ganze Organ 
war stark geschwollen, 15—10—6 cm, Schnittfläche hellroth, liess 
reichliche Pulpa abschaben. Eine deutliche Abgrenzung von lym¬ 
phatischen Tumoren gelang nicht, die Quelle des Fibrinkeils konnte 
nicht auf einen Embolus zurückgeführt werden, die Herzklappen 
waren intact, die Milzarterie frei. Beide Nieren enthielten einzelne 
flache grauweisse Knoten in der Rinde, welche höchstens die 
Grösse von Kaffeebohnen erreichten, dagegen fanden sich sehr viele 
lymphatische Heerde, welche erst bei schwacher Vergrösserung sicht- 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


533 


bar wurden. Die Leber war gross und schwer, blutreich, Acini 
undeutlich; hier erwies sich bei mikroskopischer Untersuchung das 
Gewebe überall mit kleinen lymphatischen Zellenhaufen infiltrirt 
und zwar inter- und intraacinös. 

Der Befund entspricht also demjenigen bei manchen Fällen 
von Leukämie mit allgemeiner Lymphombildung, eine Vermehrung 
der farblosen Blutkörperchen ist indessen bei Lebzeiten nicht con- 
statirt worden. 

Complicirt war der Fall durch einen Heerd von brandigem Zer¬ 
fall in der Zungenmuskglatur; von hier aus war ein kleiner meta¬ 
statischer Eiterheerd in einer Niere entstanden. Es Hessen sich um 
diesen Heerd herum lymphatische Knötchen erkennen, im Innern 
fanden sich auf Schnitten reichliche Mikrococcen. Um zu entscheiden, 
ob etwa auch in den übrigen hämorrhagischen Geschwulstknötchen 
solche Metastasen enthalten seien, wurden auch diese auf etwa vor¬ 
handene Bacterien untersucht, allein es fand sich nichts. 


IX. Journal-Revue. 

Innere Medicin. 

9. 

Kohlschütter und Elsässer. Saccharin bei Diabetes 
mellitus. Dtsch. Archiv f. klin. Medicin, Bd. XL., 1887. 

Die Verfasser fanden, dass Saccharin keine Vermehrung der Zucker¬ 
ausscheidung zur Folge hat, doch tritt bei grösseren Mengen Ekel¬ 
gefühl auf, und sie schreiben dem Saccharin nur die Fähigkeit zu, 
indirekt durch Verminderung des Appetits und damit der Nahrungs¬ 
aufnahme den Zuckergehalt und die Menge des Urins zu vermindern, i 
Gegenüber den Angaben von Adducco und Mos so heben sie her- j 
vor, dass Saccharin in den Speichel übergehe. Auch wenn Saccharin 
in Oblaten genommen wurde, klagte der Kranke über Appetitmangel, 
bedingt durch fortwährenden, unangenehmen süssen Geschmack im • 
Munde. Ohne Saccharin hatte der Kranke den Geschmack nicht. | 
Derselbe war so stark, dass die Nahrungsaufnahme durch Ekelgefühl 
gehindert wurde. Auch bei ganz kleinen Gaben scheint dieser Uebel- J 
.stand nicht ganz zu fehlen. 

E. Wagner. Die sogenannte essentielle Wassersucht. 
Deutsches Archiv f. klin. Medicin, 1887, Decemberheft. 

Ausser den durch bekannte Ursachen: Herzleiden, Nieren- 
«rkranknngeu, Anämie etc... hervorgerufenen allgemeinen Hydropsieen 
bleibt eine kleine Anzahl von Fällen übrig, bei denen manchmal 
weder der Kliniker, noch der pathologische Anatom im Stande ist, 
-die Ursache der Wassersucht zu finden. Man hat dieselben mit dem 
Namen der essentiellen oder primären, idiopathischen 
Wassersucht bezeichnet. Wagner macht darauf aufmerksam, ; 
dass dieser, obgleich selten vorkommeuden Form in den neueren 
Handbücheru der speciellen Pathologie keine Erwähnung gethan i 
werde. Es liegt dies wohl weniger daran, dass die Kliniker nicht 
solche Fälle beobachtet haben, als vielmehr in dem Grunde, dass 
sie für einen Symptomencomplex nicht ein eigenes Kapitel aufstellen 
wollen. Es ist immer misslich, Symptome, wie Icterus, Anämie, 
Hydrops gesondert abhandeln zu müssen, weil die Grundursache 
noch verborgen ist. 

Nach Wagner kommen bei der sogenannten essentiellen Wasser¬ 
sucht mehrere Ursachen in Frage, Herzschwäche, Gefässerkrankung, 
Blutveränderung, Hautleiden. Es wird, wenn keine prägnanten Ver¬ 
änderungen bei der Nekroskopie gefundeu werden, wie es auch bei 
mehreren der Wagner’schen Fälle beobachtet wurde, zweifelhaft 
bleiben müssen, ob eine oder mehrere, oder gar keine dieser Ur¬ 
sachen wirkt. Ueber Blutveränderung, Ernähruugsanomalieen wissen 
wir eben noch zu wenig. 

Wagner trennt die essentielle Wassersucht der Erwachsenen 
von der essentiellen Wassersucht der Kinder, bei denen sie häufiger 
beobachtet wird. 

Die sogenannten essentiellen Wässersuchten siud stets allgemein, 
<labei entweder so stark, dass der ganze Körper, Gesicht, Genitalien 
mehr oder weniger stark ödematös sind, oder so, dass die Wasser¬ 
sucht vorzugsweise die unteren Extremitäten betrifft, und die übrigen 
Körpertheile nur gedunsen erscheinen. Ein Theil der Fälle zeigt 
Recidive, geht in Heilung über, andere Kranke gehen zu Grunde, 
ohne dass man die Ursache bei der Nekroskopie findet. Auf die 
lehrreichen Fälle, bei denen auch die Differentialdiaguose besprochen 
wird, wollen wir nur hinweisen. Hoffentlich gelingt es weiteren 
klinischen, experimentell-pathologischen sowie anatomischen Unter¬ 
suchungen, auch diese Fälle auf ihre Grundursache zurückzuführen. 

Buchwald. 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

5 . 

A. Doederlein. Untersuchung über das Vorkommen 
von Spaltpilzen in den Lochien des Uterus und der Va¬ 
gina gesunder und kranker Wöchnerifanen. Archiv f. Gyn. 
Bd. XXXI., Heft 8. 


Im Gegensätze zu Kehrer und Karewski, welche das Ma¬ 
terial zu ihren Untersuchungen über die Infectiosität der Lochien 
der Scheide entnahmen, suchte Doederlein direkt das Lochial- 
secret des Uterus zu gewinnen. Er erreichte dies dadurch, dass er, 
nachdem der Muttermund im Speculum eingestellt war, eine Glas¬ 
röhre in den Uterus einführte, mittelst eines am unteren Ende der 
Röhre angesetzten Ballons das Secret eiupumpte und dann sofort 
die Röhre an beiden Enden zusiegelte. 

Eine Reihe von Untersuchungen, welche Doederlein an dem 
so gewonnenen Uterussecrete gesunder und kranker Wöchnerinnen 
vornahm, ferner eine Reihe von entsprechenden Thierversuchen, 
welche Doederlein anstellte, führten denselben zu folgenden be- 
merkenswerthen Resultaten: 

1. Die Lochien des Uterus enthalten unter normalen Verhält¬ 
nissen keine Spaltpilze. 

2. Die Lochien der Vagina enthalten unter normalen Verhält¬ 
nissen zahllose Keime der verschiedensten Art. 

3. Die Lochien des Uterus können in beliebiger Art und Menge 
dem Thierkörper ohne Reaction einverleibt werden. 

4. Die Lochien der Vagina sind im Stande, Infection bei 
Thieren, Abscesse hervorzurufen. 

5. Das Vorhandensein von Keimen irgend welcher Art im 
puerperalen Uterus verursacht in der Regel Temperaturerhöhung. 

6. Nach Abfall dieser Temperaturerhöhung sind die Lochien 
wiederum keimfrei. 

7. Die Entfernung dieser Keime erfolgt durch vermehrte Ab¬ 
sonderung und Ausscheidung von Eiterzellen. 

8. Auch schon vor der Temperaturerhöhung finden sich Keime 
im Uterus. Es muss also einerseits eine gewisse Incubationszeit an¬ 
genommen werden. Andererseits bedarf es besonderer Anlässe, 
z. B. Aufstehen, um erst die gewissermaassen schlummernde Schäd¬ 
lichkeit zum Ausdruck zu bringen. 

9. Die keirabaltigen Uteruslochien bei Fieber rufen bei Thieren 
Infectionserscheinungen hervor. 

10. Nur wenn dieselben ganz vereinzelte Keime enthalten, wo¬ 
bei die klinische Störung ebenfalls ganz gering ist, vermögen sie 
dem Thiere keinen Schaden beizufügen. 

11. Die Vagina kann auch, ohne dass innere Untersuchung er¬ 
folgt ist, pathogene Keime enthalten (Selbstinfection). 

12. Die Uteruslochien kranker Wöchnerinnen enthalten stets 
Keime, und zwar wurden ausnahmslos Streptococcus pyogenes ge¬ 
funden. 

13. Die Einwanderung der Keime in den Uterus kann auch 
von selbst stattfinden, also ohne Untersuchung, Operation u. s. w. 
(Selbstinfection). 

Für die Praxis geht aus den Untersuchungen hervor, dass die 
Scheidendesinfection bei der Geburt in viel strengerem Maasse aus¬ 
geübt werden muss, als bisher. Flaischien. 

D. 0. Ott. Ueber die Bedeutung der Lochien bei An¬ 
wendung antiseptischer Maassregeln in der Geburtshülfe. 
Vorgetragen auf dem I. Congress russischer Aerzte. Wratsch, 1887, 
No. 27. 

Verfasser hat im St. Petersburger Gebärhause Versuche mit den 
Lochien von 10 Wöchnerinneu angestellt. Neun von ihnen hatten 
während der 7 Tage dauernden Beobachtungszeit Temperaturen 
unter 37,5° und einen Puls von unter 75 p. m. Dieselben wurden 
keinerlei Manipulationen unterzogen, speciell wurden keinerlei Aus¬ 
spritzungen vorgenommen. Bloss die äusseren Geschlechtstheile 
wurden täglich gesäubert und ein mit Sublimatlösung getränktes 
Tuch vorgelegt. Die 10. Wöchnerin litt an Endometritis, hatte 
Temperaturen bis 39,1 o und einen Puls bis 106 p. m. Täglich ein 
Mal wurde ihr der Uterus mit Sublimatlösung ausgespült. Zu den 
Versuchen wurden Portionen der Lochien aus dem unteren und 
mittleren Drittel der Scheide entnommen, nachdem die Labien bei 
Seite gezogen, resp. ein Sims’sches Speculum eingeführt worden 
war. Aus dem Uterus wurde das Material folgendermaassen ent¬ 
nommen: Nachdem die Scheide sorgfältig mit Sublimat ausgespült, 
wurde die Vaginalportion auch mit derselben Lösung abgespült, 
dann mit Spiritus gewaschen, um das Sublimat zu entfernen, der 
Spiritus endlich mit Aether entfernt. Nachdem letzterer verdampft 
war, wurde der Cervicalcanal mit geglühter Kornzange geöffnet und 
mit geglühtem Platindraht aus der Uterushöhle Secret entnommen. 
Das von ihm erhaltene Resultat ist folgendes: Das Lochialsecret, 
welches gesunden Wöchnerinnen aus dem Uterus und 
den obereu Partieen der Scheide entnommen wird, ent¬ 
hält keine Mikroorganismen. Nur in einem Falle erhielt man 
aus der Vagina eine Cnltur von Hefezellen, wohl reiner Zufall. In 
praktischer Beziehung folgt daraus die Mahnung, desinficirende Aus¬ 
spülung bei gesunden Wöchnerinnen zu unterlassen, weil es eben 
bei ihnen nichts zu desinficiren giebt. M. Schmidt (Riga). 


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534 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 26 


X. Sir Morell Mackenzie. 

Der deutschen medicinischen Fachpresse ist der Vorwurf nicht 
erspart geblieben, dass sie theilnahmlos den Angriffen gegenüber¬ 
stehe, mit welchen die englische politische und medicinische Presse 
mit wenigen Ausnahmen und selbst ein Theil unserer heimischen 
Presse die deutschen Aerzte, die Geheimen Räthe v. Bergmann, 
Gerhardt und Professor Tobold verfolgte, denen die Behandlung 
des Kronprinzen des deutschen Reichs und von Preussen im Beginne 
seiner Krankheit oblag. Wir können diesem Vorwurfe damit be¬ 
gegnen, dass wir als die ersten dem auffallenden Gebahren des 
Herrn Mackenzie entgegentraten, als derselbe in der „Pall Mall 
Gazette“ vom 15. Juni vorigen Jahres, nach dem ersten Gutachten 
Virchow’s über die Natur der im Kehlkopfe des Kronprinzen 
befindlichen Geschwulst, den eigentümlichen Bericht über das Kehl¬ 
kopfleiden des Kronprinzen brachte. Hier setzte bereite das Ge- 
spinnst von Verdrehungen und Verzerrungen des Sachverhalte ein, 
das die deutschen Aerzte in den Augen der gesammten Welt zu 
verdächtigen und zu brandmarken suchte.. 

Davon nur einige Proben: In dem Bericht des „Lancet“ vom 4. Juni 
1887 (der wie alle folgenden im wesentlichen auf Mackenzie zurück¬ 
zuführen ist), heisst es in der Darstellung der Vorgeschichte von 
Mackenzie’s Berufung, „die deutschen Aerzte hätten sich, als 
v. Bergmann ihre Diagnose bestätigte, für eine äussere Operation 
ausgesprochen, ob Excision oder Thyreotomie wurde noch nicht 
definitiv entschieden“. Die Wahrheit ist, dass die deutschen Aerzte 
nie eine andere Operation als die Thyreotomie im Auge hatten. 
Dieser Punkt ist besonders zu betonen, denn Mackenzie hat es 
verstanden, durch die Directive, welche er durch seine falschen 
und erlogenen Nachrichten der Presse gab, in den weitesten Kreisen 
zu verbreiten, dass er die Totalexstirpation verhindert habe. 
Auch die Darstellung der Gründe, welche Herrn v. Bergmann 
zur Berufung Mackenzie’s bestimmten, ist durchaus schief und 
unrichtig. Dort wird auch von der drohenden Lebensgefahr der 
Operation gesprochen, während heutzutage alle Chirurgen darüber 
einig sind, dass die Kehlkopfspaltung durchaus ungefährlich ist. 
Wir können alle die Verdrehungen nicht im einzelnen ausführen. 
Man muss es als Arzt hier in Berlin erlebt haben, wie man 
zur Zeit persönlich mit dafür verantwortlich gemacht wurde, dass 
der Kronprinz beinahe ein Opfer der falschen Diagnose der deut¬ 
schen Aerzte und der geplanten Spaltung des Kehlkopfes (Thy¬ 
reotomie) geworden wäre. Vergeblich habe ich damals in Nummer 25 
dieser Wochenschrift vom 23. Juni 1887 auf die Wiedersinnig- 
keiten des Herrn Mackenzie hingewiesen, vergebens habe ich 
hervorgehoben, dass Herr Mackenzie zuerst der Geschwulst 
nicht zugehörige Theile entfernt hat, und nur solche 
zuerst der Untersuchung durch Virchow unterlagen. Auf 
Grund einer zweiten Untersuchung Virchow’s, welche, trotz 
des negativen Befundes in den der Untersuchung unterworfenen 
Stücken, die Frage der Natur der Krankheit im Gutachten offen liess, 
berichtete seiner Zeit Herr Mackenzie der „Pall Mall Gazette“: 
„Dr. Mackenzie hat keine Verantwortlichkeit übernommen und wird 
keine Verantwortung übernehmen in Bezug auf die Natur der Ge¬ 
schwulst. Hierfür betrachtet er Virchow als vollständig verant¬ 
wortlich.“ Die Versicherung der „Pall Mall Gazette“, dass es sich um 
die Wiedergabe der eigenen Worte Mackenzie’s handele, hat in dem 
Umstande, dass Mackenzie in keiner Weise diesen Darlegungen 
entgegengetreten ist, und in seinen zahllosen späteren Auslassungen 
bis in die Zeit der Katastrophe hinein schon damals gewisser- 
maassen sein programmatisches Vorgehen gegenüber den deutschen 
behandelnden Aerzten klargelegt. Bereits in dem ersten Bericht 
des „Lancet“ vom 28. Mai 1887, dem Mackenzie gleich 
falls nicht widersprochen hat, heisst es: „Wir freuen uns, 
zu hören, dass sein (Virchow’s) Bericht dahin ging, dass die 
Neubildung nicht bösartig ist“, — trotzdem Virchow in 
dem Schlusssätze seines Gutachtens ganz klar ausgeführt hat: „Ob 
ein solches Urtheil in Bezug auf die gesammte Erkrankung 
berechtigt wäre, lässt sich aus den beiden exstirpirten Stücken nicht 
ersehen“ — und dieses Gutachten war erst vom 9. Juni 1887 datirt. 
Wir weisen ferner darauf hin, dass Herr Mackenzie selbst in 
seinem Buche über Hals- und Nasenkrankheiten p. 437, I. Theil, 
es ausgesprochen hat, dass der mikroskopische Befund für die 
Diagnose der Benignität oder Malignität einer Geschwulst nicht 
ohne Weiteres maassgebend sei. Aber auch unter den Lands¬ 
leuten Mackenzie’s hat es nicht an warnenden Stimmen gefehlt, 
die dem verfrühten Triumphgeschrei wegen Mackenzie’s Sieg über 
seine deutschen Collegen und der englischen Kehlkopfchirurgie 
über die deutsche nachdrücklich entgegentraten, wir nennen nur 
die wohlbekannten Kehlkopfsärzte Butlin und Semon in London 
(Brit. Med. J.). Wir haben seinerzeit auf den eben dargelegten 
Widerspruch hingewiesen und hervorgehoben, dass ein solches Vor¬ 
gehen Misstrauen bei den Aerzten erzeugen müsse, und dass- wir 


den Verdacht nicht unterdrücken können, als wolle Herr Mackenzie 
sich dadurch in bequemer Weise den Rücken decken. Nichte schäd¬ 
licheres giebt es, führten wir weiter aus, als dergestalt, bei einem 
verwickelten Krankheitsvorgange jede andere nicht ausgeschlossene 
Eventualität mit solchem Bewusstsein gegenüber dem von den 
deutschen Autoritäten festgestellten Befunde von sich zu weisen, — 
ferner, dass ein solches Vorgehen gegen die einzig richtige Handlungs¬ 
weise des Arztes verstösst, der stete nur der reinsten Objectivität 
sich befleissigen soll, und wir sagten, dass sein Vorgehen ein ganz 
unpassendes sei. 

Die deutschen Aerzte haben es damals und bis in die jüngste 
Zeit verschmäht, ausser in den von ihnen geforderten offiziellen 
Gutachten in die Oeffentlichkeit zu treten. Trotz dieser Gutachten 
der deutschen Aerzte sehen wir Herrn Mackenzie in den von 
ihm anerkannt bedienten Zeitungen seinen an den merkwürdigsten 
und widerwärtigsten Windungen reichen Weg weitergehen. Un¬ 
wahrheiten und Widersprüche häuften sich von Tag zu Tag, die 
bedrohlichen Erscheinungen, welche der Verlauf der Krankheit mit 
sich bringen musste, da die einzig richtigen Mittel, ihnen Einhalt zu 
thun, seiner Zeit verwehrt waren, wurden einfach weggelogen. Zum 
Beweise vergleiche man die Berichte des „British medical Journal“ 
und des „Lancet“ vom 11., 25. Juni, 2., 9. Juli, 6. August, 3. September, 
19., 26. November, 3., 24., 31. December 1887. Sie sind alle voll 
der rosigsten Hoffnungen und Versprechungen. Uro ein 
Beispiel zu bringen, heisst es in dem Bericht vom 11. Juni, es sei ein 
langer Aufenthalt auf der Insel Wight in Aussicht genommen, so dass 
Dr. Mackenzie die Behandlung seines hohen Patienten zum Ab¬ 
schluss bringen könne. Die traurig vollendete Thatsache hat 
zugleich mit dem Sectionsprotokoll die irregeleitete öffentliche Meinung 
belehrt. Die offiziellen Darlegungen, welche demnächst erscheinen, 
werden weiteres Licht darüber verbreiten. Wiederholt habe ich 
mündlich und schriftlich von den behandelnden deutschen Aerzten, 
den Herren Geh. Räthen v. Bergmann und Gerhardt, erfahren 
müssen, dass es nicht in ihrer Macht läge, Wandel zu schaffen, da 
ein Öffentliches Entgegentreten einem Vertrauensbruch gleichkäme 
gegen jBe bei der Behandlung jeder Krankheit übernommene Pflicht 
des Arztes, zu schweigen, die namentlich in diesem Falle, wo es 
sich um die theure Person des deutschen Kronprinzen handelte, 
doppelt schwer wog. Und so musste die den behandelnden Aerzten 
auferlegte Reserve auch uns auferlegt bleiben. 

Es ist nicht unseres Amtes, zu entscheiden, wie bei der so frühen 
Diagnose des tückischen Leidens hätte gehandelt werden müssen, 
um die vorauszusehenden Leiden und grenzenlosen Beschwerden des 
hohen Kranken nicht zu einem solchen Grade ansteigen zu lassen, 
wie sie uns in dem Sectionsbefunde in so erschreckender Weise 
entgegenstarren. Aber wohl wissend, führt Billroth kürzlich 
eigenthümlicherweise aus, dass das Leiden der Krebs sei, habe 
Mackenzie, von deu mannichfachsten Rücksichten geleitet, doch 
wohl so handeln müssen, wie er gehandelt hat, um dem hohen 
Patienten die Hoffnung auf seine Wiedergenesung nicht zu rauben. 
Ein einziger Blick auf die Reihe der mehrfach von uns erwähnten 
Berichte, ihren innerlichen Zusammenhang und stetig wieder¬ 
kehrenden Gedankengang lehrt, dass Mackenzie trotz aller Er¬ 
scheinungen sich bis zum letzten Augenblick den gröbsten Täu¬ 
schungen in Bezug auf die Natur des Leidens hingegeben hat. 
(Schreiben vom 18. August an die Kronprinzessin, Schreiben vom 
25. October an Oertel ähnlichen Inhalte.) Unseres Erachtens hat 
sich der Arzt von seiner Pflicht und nicht von anderweitigen 
Rücksichten leiten zu lassen und nicht in starrem Festhalten eines 
verwerflichen Programms die Thatsachen einfach zu verläugnen, 
wenn ihn nicht der Vorwurf der Unkenntniss und der Unehrlichkeit 
treffen soll. Mackenzie durfte nicht, um das auf deu vorliegenden Fall 
anzuwenden, die Laryngofissur verhüten, die doch bei der vollen Kraft 
des Patienten um so ungefährlicher und um so angezeigter war, uud 
Mackenzie zudem noch zur Zeit aller Welt die Gutartigkeit der 
Geschwulst demonstrii;te. Nein! den Eingriff stellte er trotz aller 
Proteste der chirurgischen Fachmänner als einen lebensgefähr¬ 
lichen dar, — darüber werden uns die offiziellen Berichte noch näher 
auf klären, — mit Fingern wies die gesammte Presse auf unseren be¬ 
rühmten Chirurgen v. Bergmann, und Mackenzie liess sich als 
Retter des deutschen Kronprinzen aus den Händen des operations¬ 
süchtigen Chirurgen preisen. Welche Verwirrung dieser Mann in 
deutschen Kreisen angerichtet, davon weiss bei den von Tag zu 
Tag erlogenen guten und immer besseren Nachrichten am besten 
| jeder Arzt zu erzählen, dem gewissermaassen ein Vorwurf mit zu 
Theil wurde, dass die deutsche medicinische Wissenschaft sich so 
im Argen befände. Damit lockt man wahrlich keinen Hund vom 
Ofen, dass Herr Mackenzie, wie Billroth ausführt, von der 
Diagnose Krebs von vornherein durchdrungen gewesen sei und nur, 
um das Vertrauen des hohen Patienten zu sich selbst zu beleben, 
gewissermaassen ein Onus auf sich genommen habe. Nun, dieses 
i Onus hätte Herr Mackenzie mit seinen deutschen Collegen 


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28. Juni. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


535 


theilen, er hätte mit ihnen den einzig richtigen Weg gehen 
und im Verein mit den deutschen Aerzten das Vertrauen 
des Patienten starken können. Wer als angeblich einzig Wissen¬ 
der die Welt in so frivoler Weise haranguirt, hat kein Recht, 
Anerkennung zu verlangen, für seine die ganze Zeit bewiesene 
Hingebung, wie die sympathische Redewendung lautet. Eine Hin¬ 
gebung, die sich in dem systematischen Verdrängen seiner Collegen 
und in Verläumdungen derselben in den Augen der Welt darstellt 
und sich mit einem Wall von Unwahrheiten und Entstellungen um- 
giebt. erweckt den Verdacht, dass die Motive denn doch nicht einzig 
auf so edler Basis ruhen, wie Billroth sie annimmt. Die That- 
sachen reden eine andere Sprache. Die deutschen Aerzte wurden 
von Mackenzie einer nach dem andern planmässig verdrängt. 
Wir dürfen uns die Aufzählung der einzelnen Thatsachen ersparen, 
sie sind bekannt und werden ja noch eingehend beleuchtet werden. 
Die deutschen Aerzte wurden erst wieder zugelassen, um bei der 
unvermeidlich gewordenen Katastrophe, wo es nur anging, als be¬ 
queme Deckung zu dienen. 

Wir sind mit diesem Manne fertig. Noch bleibt uns in einer 
der nächsten Nummern eine Analyse der in kürzester Zeit zu er¬ 
wartenden offiziellen Darlegungen über das Vorgehen dieses Mannes 
Vorbehalten, der bis zum letzten Augenblick ohne Diagnose hin und 
herschwankt. Qui bene diagnoscit, bene inedebitur! 

Der Leidensgeschichte unseres hochseligen Kaisers,* folgte die 
Welt mit ängstlicher Spannung vom Frühjahr 3887 an. Durch 
das unheilvolle Eingreifen Mackenzie's und die von ihm ge¬ 
schaffenen Täuschungen ist uns nicht erspart geblieben, was 
vielleicht ohne das von ihm herbeigeffihrte Unterlassen nach mensch¬ 
licher Voraussicht und nach ärzüichem Können, Wissen und Ge¬ 
wissen hätte erspart bleiben können. Doch wir wollen, wie wir 
bereits hervorgehoben haben, die Verantwortlichkeit nicht discutiren, 
nicht die Diagnose, nicht die Behandlung, das wird in den officiellen 
Darlegungen seinen Platz finden. Wir wollten nur den Vorwurf 
zurückweisen, als habe die Fachpresse sich theilnahmlos verhalten; 
sie war gleich den behandelnden Aerzten, welche ihre Vertheidigung 
selbst in die Hand nehmen, durch die Macht der obwaltenden 
Verhältnisse daran verhindert. 

Die Trauer um den dahingegangenen Kaiser ist eine Welttrauer, 
und wir Aerzte stehen vor der schicksalschweren Frage, warum 
unser Kaiser dort mit seinem Vertrauen hinneigte, wo, wie die That¬ 
sachen lehren, das Handeln incorrect und planlos war. 

- S. Guttmann. 

XL Therapeutische Mitteilungen. 

— Subbenzoat von Blsmuth als Eseharotieum. Dr. Schmidt, 
Assistent der Pathologie an der Universität in Philadelphia (Med. News, 3 Dec. 
1887) wandte zum Touchiren schankröser Geschwüre das vom Apotheker 
England dargestellte Pulver an, das er allen anderen bisher angewendeten 
Mitteln vorzuziehen sich veranlasst sieht. Bismuthum subnitricum wird mit 
Salpetersäure erhitzt und gelöst, dann heisses Wasser hinzugefügt, hierauf 
langsam eine Lösung benzoesauren Natrons unter Umrühren zugesetzt. Der 
wei8se Niederschlag wird gesammelt, mit Alkohol gewaschen und getrocknet. 
Es entsteht die Formel Bi NO 3 4- 2 H NO 3 = Bb NO 3 4- Ha 0. 

Bis N0 3 -i- NaC 7 H 5 Oa + Ha 0 = Bi 0 C7 Hs Os + Na N0 3 4- 2 H N0 3 . 

In der zweiten Gleichung wird das Wismuthsalz präcipitirt, das salpeter¬ 
saure Natron und die Salpetersäure entfernt, so dass nach dem Trocknen 
auf dem Filtrum das weisse benzoesaure Wismuthpulver von geringem spe- I 
cifischem Gewicht zurückbleibt. 

Man reinigt das Geschwür, schüttet etwas Pulver auf dasselbe und ! 
verbindet mit einer indifferenten Salbe. Nach etwa 10 Minuten fühlt der 
Kranke ein leichtes Brennen in der Wunde, geringe Schmerzen, welche 
mehrere Stunden andauern, die jedoch wenig behelligen. Sollten diese sich 
steigern, so genügt es, innerlich Campher oder Bromsalze zu reichen, oder 
man fügt dem Pulver etwas Morphium oder Cocain hinzu. Der Verband 
wird täglich 1—2 Mal erneuert, bis das Geschwür nach 2 bis 3 Tagen eine 
gesunde Oberfläche bekommen hat, rein, roth und mit kräftigen Granula¬ 
tionen versehen ist. Unter fernerer Anwendung von Jodoform heilt das Ge- j 
schwör dann vollständig. Vor anderen Aetzmitteln zeichnet sich das benzoe¬ 
saure Wismuth dadurch aus, dass es milde, langsam, fast schmerzlos wirkt 
und dabei doch den beabsichtigten Zweck erfüllt. — Man kann das Pulver 
auch als Verbandmittel bei indolenten Geschwüren der Unterextremitäten 
anwenden und in kurzer Zeit reine, mit frischen, gesunden Granulationen 
versehene Geschwüre schaffen, die der Heilung leichter zugänglich sind. 

— Canterelle, ein Pariser Apotheker, empfiehlt als das beste Mittel 
den Jodoformgernch za beseitigen im Bulletin general de therapeutique, 
15. November 1887, folgende Mischung: 

Jodoform 15,0, 

Menthol. 0,75, 

01. Lavendulae puriss. gtt. 1. 

Soll bei Anwendung des Jodoform die Beseitigung des Schmerzes statt¬ 
finden, so fügt er der Mischung von 

Jodoform 15,0 
Cocain, mur. 0,5 

zu und lässt die Hände behufs Beseitigung des Jodoformgeruchs mit Spiritus 
Lavendulae waschen. 

— Dr. Just Touatre aus New-Orleans hat an seinem eigenen Körper 
die Wirksamkeit des Olivenöls bei Leberkolik and Gallensteinen mit 


vielem Erfolg erprobt (Lancet 10. Dec. 1887). Abends nahm er eine blue 
pill von 0,15 Gewicht, 12 Stunden später 12 Theelöffel Olivenöl, darauf 
eine Viertelstunde nochmals dieselbe Dosis. Zuerst erfolgten gallige Stühle 
und dann die Entleerung von zahlreichen grösseren und kleineren Gallen¬ 
steinen. Die Schmerzen in der Lebergegend und in der rechten Schulter 
schwanden, das Volumen der Leber nahm ab. 3 Monate hindurch befand 
er sich wohl, und als darauf wieder Leberkolik eintrat, nahm er nochmals 
seine Zuflucht zum Olivenöl allein, worauf noch 18 Gallensteine entleert 
wurden und vollständiges Wohlbefinden sich einstellte. Bo. 

— Zur Desinfeetion de« Darms bei Cholera schlägt Prof. Mangeri 
in Catania (Sicilien) folgende Potio vor, mit der nach seiner Angabe die 
meisten Fälle von Cholera abortiv behandelt werden konnten. 

Rp. Cocaini hydrochl. 0,10 
Mucilag. gum. arab. 100,00 
Liq. laudani sydh. 2,00 
Syr. alchermes 30,00 
Aether. sulph. pur. 5,00 

Nach Versuchen mit den einzelnen Bestandteilen des Mittels übt 
das Laudanum indirekt, der Schwefeläther direkt zerstörende Wirkungen auf 
den Kommabacillus aus. 

— W. J. Stephens empfiehlt (Brit. Med. Journ. Jan. 22) als Anüsthe- 
tienm für kleinere Operationen eine Mischung von gleichen Theilen Alkohol 
und Chloroform. Die Wirkung erfolgt nicht so rasch, die Mischung ist 
aber den Patienten weniger unangenehm und auch gefahrloser als die in 
England viel angewandte Vereinigung von Alkohol, Aether und Chloroform. 
Stephens hat Alkohol und Chloroform bei vielen kleinen chirurgischen 
Operationen und Zahnextractionen angewandt und mit einer Ausnahme nie 
üble Wirkungen danach gesehen. Noch angenehmer ist eine Mischung des 
feinsten Eau de Cologne mit Chloroform, für nervöse Damen kann auch die 
Maske vorher noch mit einigen Tropfen Eau de Cologne besprengt werden, 
wodurch die ersten Züge viel angenehmer werden. R. 

XII. Aus dem Verein für innere Medicin. 

Die letzte Sitzung des Vereins für innere Medicin vom 25. Mai 
leitete der Vorsitzende Geh. Rath Leyden mit folgenden Worten 
des Gedächtnisses für den dahingegangenen Kaiser Friedrich ein: 

Meine Herren Collegen! Bevor wir an unsere gewohnte Thätig- 
keit gehen, gestatten Sie mir, den Gefühlen Ausdruck zu geben, 
welche die Ereignisse der beiden letzten Wochen in uns wachge¬ 
rufen haben. Wiederum ist Deutschland in tiefe Trauer versenkt 
durch den Tod des vielgeliebten Kaisers Friedrich III. Nur eine 
kurze Regierungszeit ward ihm beschieden. Mit gebrochener Kraft, 
von der schweren Krankheit ergriffen, bestieg er den Thron seines ruhm¬ 
reichen Vaters. Im Kampf mit der Krankheit hat er uns ein Beispiel 
der Ergebung und Duldung, ein Beispiel von Pflichttreue gegeben, 
wie es nicht allein von Deutschland, sondern von der ganzen Welt mit 
innigster Theilnahme bewundert worden ist. Ein Held war er in den 
Schlachten, in denen Deutschlands Grösse und Ruhm errangen wurde, 
ein grösserer Held der tückischen Krankheit gegenüber. Fast nie¬ 
mals kam eine Klage über seine Lippen. All’ Denen, welche an 
seinem Krankenbette standen, wird der Ausdruck der Milde, der 
Geduld, der Ergebung unvergesslich sein. Der grosse Königliche 
Dulder hat ausgelitten. 

Friede und Ehre seinem Andenken, welches allen Deutschen 
heilig bleiben wird. 

So kurz seine Regierung war, so wird sie unvergesslich sein, 
denn sie gab Zeugniss von allem Schönen und Grossen, was er für 
Deutschland gewollt hat. In unserem Gedächtniss wird er fortleben, 
als der zweite Deutsche Kaiser, als der erste Deutsche Kronprinz, 
der Deutschlands Grösse begründen half. Vor unseren Augen steht 
er in seiner vielbewunderten Heldengestalt, von vollendeter männ¬ 
licher Schönheit, mit jenem unvergleichlichen Ausdruck der Leut¬ 
seligkeit und Milde, mit jenem Herzen, das für alles Grosse und 
Schöne schlug. 

Noch von Trauer umflort erhebt sich unser Blick mit neuer 
Hoffnung und mit frohem Zutrauen zu der ritterlichen Gestalt des 
jungen Kaisers Wilhelm II., welcher das Erbe seiner Väter an¬ 
getreten und die Zügel der Regierung mit fester Hand erfasst hat. 
Bereits seine ersten Regierungsacte haben ihm in unvergleichlicher 
Weise die Liebe und das Zutrauen des Deutschen Volkes gesichert. 
In kaum dagewesenem Glanz hat er die Fürsten und Vertreter des 
Deutschen Volkes um sich versammelt und in herrlicher Rede die 
festen Ziele seiner Regierung verkündet, welche uns, welche Deutsch¬ 
land einen langen Frieden verheissen. Mit neuer Hoffnung sieht 
das deutsche Volk auf diese lichte Gestalt, wir hoffen und vertrauen, 
dass nach dem thränenreichen Jahre Ihm und dem Deutschen Volk 
eine lange, ruhmreiche, segensreiche und friedensreiche Regierung 
beschieden sein werde. 


XIII. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln. 

Für die Section für gerichtliche Medicin und Med.-Polizei sind 
bereits folgende Meldungen zu Vorträgen eingegangen: 1) Herr Li man 
(Berlin): Commotio med. spinal. Simulation, Haftpflicht; 2) Herr Fr. Strass- 
mann (Berlin): Zur Lehre vom chronischen Alkoholismus; 3) Herr Wernich 


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536 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 26 


(Cöslin): Ueber den gegenwärtigen Stand der Prostitutionsfrage; 4) Herr 
Mörs (Mühlheim a. Rh.): Beurtheilung des Trinkwassers in den Brunnen¬ 
anlagen vom med. pol. Standpunkt; 5) HerrSchwartz (Cöln): Die Stellung 
der Gerichtsärzte nach den Bestimmungen der deutschen Strafprocessordnung. j 


XIV. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Dem Vernehmen nach soll in Kurzem eine nach amt- , 
liehen Quellen bearbeitete Darstellung der Krankheit des ; 
Hochseligen Kaisers und der Behandlung desselben zur Publication ge¬ 
langen. 

— Das von der Deutschen chirurgischen und der Berliner niedicini- j 
sehen Gesellschaft eingesetzte Comite zur Begründung eines Langenbeck- | 
hauses erlässt nunmehr den geplanten Aufruf an die Freunde und Collegen j 
Langenbeck’s, sich durch Beiträge an der Durchführung des Vorneh¬ 
mens zu betheiligen, in einem Denkmale, welches bestimmt ist, ärztlichen j 
Vereinen ein Heim und wissenschaftlichen Arbeiten eine Sammelstelle zu i 
bieten, das Gedächtniss des grossen Chirurgen und das lebendige Fort- j 
wirken seines Geistes der Nachwelt zu erhalten. An die Spitze der Samm¬ 
lung hatte sich Seine Majestät der Hochselige Kaiser gestellt, kurz bevor 
ein so unsagbar trauriges Geschick ihn uns entriss, und neben ihm Ihre 
Majestät die Kaiserin Wittwe Augusta. Wir glauben, dass es nur dieses 
Aufrufs bedarf, um gerade auch die deutschen Aerzte zu veranlassen, dem 
verewigten Nestor der deutschen Chirurgie ihren Ehrentribut zu zollen. 
Jede Gabe wird, wie der Aufruf ausdrücklich betont, dankbar angenommen, 
und über ihren Empfang von der Direction der Deutschen Bank, Berlin W., 
Mauerstrasse 29 quittirt werden. 

— Der Geschäftsausschuss des deutschen Aerztevereinsbundes richtet 
an die dem deutschen Aerztevereinsbunde angehörenden Vereine (Aerztl. 
Vereinsblatt v. Juni) folgende Aufforderung: Wegen nothwendig erachteter 
Abänderung des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung 
der Arbeiter, wird im Reichsamt des Innern eine Commission zusammen¬ 
treten. Nachdem bei Abfassung des Gesetzes ärztlicher Rath überhaupt nicht ! 
gehört worden ist, wird es um so nothwendiger sein, dass wir jetzt unsere 1 
Wünsche zur Geltung zu bringen suchen. Es werden daher die Vereine 
ersucht, diese Frage in Erwägung zu ziehen und bezügliche Anträge, seien 
es solche von Vereinen oder von einzelnen Mitgliedern, bis zum 1. August 
d. J. an den Referenten der Commission, Herrn Dr. Busch in Crefeld, ein¬ 
zusenden. 

— Die epidemiologische Gesellschaft in London hat den Geh. 
Rath Prof. Dr. Hirsch zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt. 

— Jena. Professor Dr. Fürbringer (Amsterdam) hat den Ruf als 
Nachfolger 0. Hertwig’s an die medicinische Facultät der Universität Jena 
erhalten. 

— Tübingen. Dem Professor an der medicinischen Facultät der 
Universität Tübingen, Dr. v. Liebermeister, ist vom König von Württem¬ 
berg der Titel eines consultirenden Leibarztes verliehen worden. 

— Erlangen. Der frühere Professor der Psychiatrie und Direktor 
der mittelfränkischen Kreis-Irrenanstalt, Hofrath Dr. F. W. Hagen, ist im 
Alter von 74 Jahren gestorben. 

— Greifswald. Die Gesammtzahl der an unserer Hochschule | 
immatrikulirten Studirenden beträgt in diesem Sommersemester, wie 
das eben ausgegebene Personalverzeichniss ersehen lässt, 1038. Der medi¬ 
cinischen Facultät gehören davon 474. An dieser Zunahme sind vorzugs¬ 
weise die älteren, die klinischen Semester betheiligt. Glücklicherweise ist 
durch unser jüngst berichtetes Brandunglück der klinische Unterricht nicht 
geschädigt worden. Seit länger als 14 Tagen werden medicinische und ( 
chirurgische Klinik in gewohnter Weise unmittelbar hintereinander in dem 
Auditorium der medicinischen Klinik abgehalten, die Aufnahme von Kranken 
aus Stadt und Provinz hat eine Unterbrechung überhaupt nicht erlitten, da 
die Krankenräume beim Brande nicht geschädigt worden sind. Die im An¬ 
schluss an die medicinische Klinik seit vielen Jahren eingerichteten Prakti¬ 
kantenabende mit wissenschaftlichen Vorträgen erfreuen sich ganz besonderer 
Theilnahme der Studirenden. Der letzte ist am 13. Juni im Mildebradt’schen 
grossen Saale abgehalten worden und war von einem Commerse gefolgt zur 
Feier der Zweihundert. Die Zahl der klinischen Zuhörer hat nämlich in 
diesem Semester die Höhe von zweihundert erreicht. — Der Privatdocent 
Dr. 0. Beumer ist an Stelle des Geh. Med.-Rathes Prof. Dr. Haecker- 
mann zum Kreisphysikus des Kreises Greifswald ernannt worden. 

— Utrecht. Die Universität Utrecht hat nicht nur Prof. Donders 
verloren, welcher 70 Jahre alt geworden ist, sondern auch Prof. Koster, 
der mehr als 25 Jahre in ausgezeichneter Weise das Lehrfach der Anatomie 
vertreten, jetzt aber seiner geschwächten Gesundheit wegen seine Entlassung 
verlangt und bekommen hat. Zum Professor der Physiologie ist ernannt 
Dr. Th. W. Engelmann, bis jetzt Professor der Histologie und experimen¬ 
tellen Toxikologie; zum Professor der Histologie und experimentellen Toxi¬ 
kologie Dr. C. A. Pekelharing, bis jetzt Professor der allgemeinen Patho¬ 
logie und pathologischen Anatomie; zum Professor der allgemeinen Patho¬ 
logie und pathologischen Anatomie Dr. H. H. Spronck, Lector der Anatomie 
an der hiesigen Universität, und zum Professor der Anatomie Dr. E. Rosen¬ 
berg, bisher ordentlicher Professor an der Universität zu Dorpat. 

— Prag. Der Assistent der czechischen pathologisch-anatomischen 
Abtheilung, Dr. Kilcher, ist gestorben. Er hatte behufs wissenschaftlicher 
Erprobung an sich selbst Blut von einem an Flecktyphus Verstorbenen zu 
sich genommen, worauf er an Blutvergiftung starb. 

— Krakau. Prof. Dr. Adamkiewicz ist in Amsterdam für seine 
Untersuchungen über das Pepton durch die Verleihung der silbernen Medaille 
ausgezeichnet worden. 

— In Budapest findet im Jahre 1889 eine Ausstellung für 
Kinderpflege statt; die hervorragendsten Kinderärzte sind dem vorbe¬ 
reitenden Comite beigetreten, Präses desselben ist Direktor Bokai. 


— Ueber die Wirksamkeit der Augenklinik des Professor Dr. 
Magnus in Breslau ist ein Bericht erschienen, welcher die Zeit vom 1. April 
1887 bis 1. April 1888 umfasst. Während dieser Periode wurde die Poli¬ 
klinik von 3291 Patienten besucht. Die Zahl der täglich in der poliklini¬ 
schen Sprechstunde erschienenen Kranken betrug durchschnittlich 198. Als 
Assistenzärzte wirkten im verflossenen Jahre die DDr. Jacobsohu. und 
Gü ns bürg an der Klinik. 

— Der XIII. Jahrgang der Charite-Annalen, herausgegeben vom 
Generalarzt Dr. Mehlhausen, ist soeben im Verlag vou A. Hirschwald 
erschienen. Derselbe enthält, w r ie seine Vorgänger, eiue Reihe werthvoller 
Abhandlungen von den Leitern und Assistenten der verschiedenen Abthei¬ 
lungen des Charitekrankenhauses, sowie einen Abschnitt Statistik und Mit¬ 
theilungen über das neue Kinderhospital für ansteckende Krankheiten vom 
Director und Herausgeber des Bandes. Wir behalten uns vor, über die 
einzelnen Arbeiten eingehender zu referiren. 

— In der Verlagsanstalt und Druckereiaetiengesellschaft, vorm. J. F. 
Richter, Hamburg erscheint, herausgegeben von F. v. Holtzeudorff und 
E. v. Jagemann, ein Handbuch des Gefängnisswesens in Einzel¬ 
beiträgen einer grossen Reihe von Fachmännern, theils Juristen und Ver¬ 
waltungsbeamte, theils Aerzte. Die Namen derselben, Sanitätsrath Dr. Bär 
in Berlin, Geheimrath Ekert in Freiburg i. B., Landgerichtsdirector Dr. 
Föhring in Hamburg, Geheimer Finanzrath Fuchs in Karlsruhe, General- 
director Professor Dr. Goos in Kopenhagen, Professor Dr. v. Holtzen- 
dorff in München, Ministerialrath Dr. v. Jagemann in Karlsruhe, Pro¬ 
fessor Dr. Kiru in Freiburg i. B., Strafanstaltsgeistlicher Pfarrer Krauss 
daselbst, Stjafaustaltsdirector Krohne in Berlin, Professor Dr. v. Liszt in 
Marburg, Privatdocent Dr. Mischler in Wien, Strafanstaltsarzt Ri bst ein 
in Bruchsal, Strafanstaltsdirector Sichart in Ludwigsburg, Strafanstalts- 
director Streng in Hamburg, Professor Dr. v. Voit in München, Hofrath 
Professor Dr. Wahlberg in Wien, bürgen für die sachgemässe Durch¬ 
führung des zeitgemässen Unternehmens. 

— Durch einen Process in Moskau und verschiedene Untersuchungen 
ist festgestellt worden, dass der Theo in geradezu skandalöser Weise ge¬ 
fälscht wird. Von 44 Tbeeproben, welche dort amtlich untersucht wurden, 
bestanden 4 aus einer Mischung von Thee und Capornygras, 4 aus Caporny- 
gras allein und 5 aus Thee, der schon einmal gebraucht war. — In Moskau, 
wo neue Theefalschungsprocesse bevorstbhen, hat die Polizei eine Anzahl 
Fässer mit — Kehricht entdeckt, welche zur Mischung mit Thee bestimmt 
waren. (Wiener klin. Wochenschr.) 

— Cholera. Neuesten Nachrichten zufolge ist die Cholera in Singa- 
pore bereits wieder erloschen. 

— Universitäten. Berlin. Als Nachfolger Prof. Eichler’s ist 
Prof. E. Pfitzer in Heidelberg für die Stelle des Direktors des botanischen 
Gartens in Aussicht genommen. — Greifswald. Der a. o. Professor 
und bisherige Custos am anatomischen Institut, Dr. B. Solger, ist zum 
I. Prosector des Institutes ernannt worden.— Freiburg. Dr. v. Kahlden 
hat sich als Privatdocent für pathologische Anatomie habilitirt.— Würz¬ 
burg. Dr. L. F. Hügel, Assistent der psychiatrischen Klinik, ist, erst 
28 Jahre alt, gestorben. — Moskau. Dr. P. Smolenski hat sich als Privat¬ 
docent für Hygiene habilitirt.—Belgrad. Die Hochschule in Belgrad soll 
demnächt zur Universität mit medicinischer Facultät erhoben werden. 


XY. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). Auszeichnungen: Seine Majestät der 
König haben Allergnädigst geruht, den praktischen Aerzten Dr. Moennigin 
Calcar und Dr. Schultz in Barmen den Charakter als Sanitätsrath zu verleihen. 
— Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Brinn in Goldap, Dr. Wittig 
in Danzig, Dr. Hirsch berg in Kulm, Schmarsow in Dahme, Unterarzt 
Dr. Seiffert iu Brandenburg a. H., Kaninski und Dr. Schueler beide 
in Friedrichshageu, Dr. Bukofzer in Rummelsburg b. Berlin, Unterarzt 
Schelle in Preuzlau, Dr. Gunckel in Lenzen, Lembeck in Magdeburg, 
Michaelis in Schollene, Dr. Zympius in Halberstadt, Dr. Recken in 
Münster i. W., Dr. Plange und Dr. Wissemann beide in Bochum, Dr. 
Kempermanu in Witten, Springer in Berleburg, Dr. Ben-Israel in 
Aachen, Dr. Bartz in Esch weder, Unterarzt Dr. Gill et und Dr. Eich beide 
in Jülich, Paul in Weissenhöhe. — Die Zahnärzte: Paul und Pommer 
in Magdeburg.— Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Tornier von Stutt- 
hof nach Neuteich, Stabsarzt Dr. Schoenlein von Goldap nach Altona, 
Assistenzarzt Dr. Schneider von Greifenberg i. Pom. als Stabsarzt nach 
Goldap, Ober-Stabsarzt Dr. Schondorff von Magdeburg nach Graudenz, Dr. 
Ziege von Wriezen nach Bernau, Dr. Hintze von Egeln nach Branden¬ 
burg a. H., Dr. Siedel von Kunewalde (Sachsen) nach Tegel, Dr. Lehfeldt 
von Gr. Keula (Schwarzb.-Sond.) nach Neustadt Magdeburg, Dr. He ins s von 
Magdeburg nach Dessau, Dr. Bessert von Görlitz nach Lüderitz, Dr. Ham- 
macher von Wittingen nach Arendsee, Dr. Berger von Dresden nach 
Schwanebeck, Dr. Heinr. Krabbel von Witten nach Aachen, Dr. Wiefel 
von Wengern nach Volmarstein, Dr. Beaucamp von Aachen nach Köln, 
Ass.-Arzt Dr. Brugger von Karlsruhe i. B. nach Burg Hohenzollem. — 
Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Kroeger in Hovestadt, Ob.-Stabs- 
arzt Dr. Boether in Graudenz, Kais. Russ. Staatsrath Prof. Dr. v. Adel- 
mann in Berlin. — Vacante Stelle: Kreis-Physikat in Apenrade. 

2. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Ernennungen: Prof. Dr. 
Pentzoldt zum ord. Beisitzer, Prof. Dr. Frommei zum I. und Prof Dr. 
Bumm zum II. Suppleanten des Medicinalcomites der Universität Erlangen. 
Dr. K. Kraussold, Oberarzt der Kr.-Irren-Anst. Bayreuth zum Direktor 
derselben. Dr. H. Koeberlin, II. Hülfs-A. an d. Kr.-Irr.-Anst. Erlangen 
zum I. Hülfs-A. derselben. — Niederlassung: Dr. R. Ziegenspeck in 
München. 


i 

Gedruckt bei Julias Sittenfeld ln Berlin W. 


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Donnerstag 


J\S *7 


5. Juli 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet yon Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactcnr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttninnn in Berlin \V. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Die operative Behandlung des Ileus. 

. Von E. Sonnenbarg, a. o. Professor der Chirurgie in Berlin. 

Wenn man die zahlreichen deutschen und ausländischen Ar¬ 
beiten, Vorträge und die sich daran knüpfenden Discussionen der 
operativen Behandlung des Ileus, so weit solche in den letzten Jahren 
erschienen sind, durchmustert, so wird man zugestehen müssen, dass 
die Ansichten der Chirurgen noch ziemlich weit auseinandergehen, 
und dass besonders auch die Erfolge der Operationen noch viel zu 
wünschen übrig lassen. Die richtige Beurtheilung des Werthes und 
der Bedeutung chirurgischer Eingriffe bei Darmverschluss und Ileus 
ist freilich schwierig. Denn es giebt kaum eine Operation, bei der 
sowohl in Hinsicht auf Indicationsstellung, als auch in Hinsicht auf 
Ausführung so wenig feststehende Regeln vorhanden wären. Die 
Hauptschwierigkeit liegt in dem Umstande, dass die Ursachen des 
Ileus in jedem einzelnen Falle meist dunkel, und unsere Hülfsmittel 
zur Diagnosenstellung mangelhaft und unvollständig 'sind. Daher 
kommt es, dass wir nur selten entscheiden können, ob wir durch 
eine Operation überhaupt im Stande sind, das Hinderniss der Koth- 
bewegung zu beseitigen. Es wird wohl Jedem von uns, der zu 
einem derartigen Falle hinzugezogen wurde, schon oft die Ueber- 
zeugung sich aufgedrängt haben, dass der Zustand des Patienten 
eine nähere Untersuchung behufs Diagnosenstellung in keiner Weise 
ermöglicht. Der trommelartig aufgetriebene Leib des collabirten 
Fatienten lässt weder durch die Palpation noch Inspection zu irgend 
einem Resultate gelangen, und die im Ganzen mangelhaften Angaben 
der Angehörigen oder der Patienten selber über Entstehung und 
Verlauf des Leidens geben wenig Hoffnung, dass bei so complicirten 
und unklaren Verhältnissen ein operativer Eingriff Erfolg haben 
kann. Nicht viel besser sind wir im Stande, die Ursachen des Ileus 
zu erkennen, wenn wir frühzeitiger die Kranken zu beobachten 
Gelegenheit haben. Wir wissen sehr wohl, dass die Erscheinungen 
manchmal so acut und plötzlich auftreten, dass von vornherein 
weder über die Art des Darmverschlusses noch über den Sitz des¬ 
selben eine exacte Diagnose gestellt werden kann. Wenn auch 
manchmal der Ileus ohne Operation in Genesung übergehen kann, 
so darf uns dieses aber nicht abhalten danach zu streben, in jedem 
Falle an die Möglichkeit eines operativen Eingriffs zu denken 
und die Indicationen für denselben so sicher als möglich zu stellen, 
ebenso gut wie wir selbstverständlich der Herniotomie als dem 
sichersten Verfahren das Wort reden, wenn auch ein eingeklemmter 
Bruch durch andere Mittel manchmal beseitigt werden kann. Uebrigens 
ist die Zahl dieser Spontanheilungen verschwindend klein, wenn 
wir ihr die grosse Menge lethal geendeter Fälle von Heus gegen¬ 
überhalten. 

Vor allen Dingen werden wir bei der Frage, ob wir überhaupt 
bei Ileus operiren sollen, uns durch eine genaue Anamnese und 
Untersuchung ein Bild zu machen versuchen über Art und Sitz des 
Darmverschlusses. Es können freilich, besonders im Anfänge, eine 
Reihe von Krankheiten mit Darmocclusion verwechselt werden, wie 
z. B. Peritonitis, acute Darmentzündung, Vergiftungen u. dgl. m.; doch 
bald treten eine Reibe von Symptomen in den Vordergrund, die dem 
Darmverscbluss allein angehören. Dazu gehört der meist plötzliche Be¬ 
ginn der Krankheit, entweder nach Trauma oder nach einem Diätfehler, 
die Bauchschmerzen, das Erbrechen, das sich bis zum Kothbrechen 
steigert, der vollkommene Mangel von Stuhl und Fäces, der rasch ein¬ 
tretende Collaps. Schwieriger ist zunächst die genaue Bestimmung 
der Stelle, an der sich das Hinderniss findet Aber hier kann man 
zunächst durch eine genaue Anamnese feststellen, ob überhaupt schon 


früher Störungen der Darmfunctionen aufgetreten sind, oder ob 
Schmerzen im Unterleibe früher an bestimmten Stellen zeitweise a’uf- 
getreten waren. Ferner, ob bei Beginn der Krankheit der Patient 
über Schmerzen an einer bestimmten Stelle geklagt hat oder nicht. 
Denn zu Anfang entsprechen die Schmerzen ziemlich genau dem 
Sitze des Hindernisses. Sehr viele der Patienten haben schon Zu¬ 
stände von behinderter Darrafunction früher durchgemacht und haben 
oft eine gewisse Gleichgültigkeit den sich entwickelnden Erschei¬ 
nungen des Ileus gegenüber, so dass der Arzt diese Kranken erst 
zu sehen bekommt, wenn die Krankheit sich schon rasch zu be¬ 
denklicher Höhe entwickelt hat. 

Wie wichtig es aber manchmal ist, den Sitz der localen Schmer¬ 
zen zum Ausgangspunkt etwaigen chirurgischen Handelns zu machen, 
weiss Jeder von uns aus Erfahrung. Ich erinnere an die Fälle von 
Perityphlitis, an welche sich früher oder in einem späteren Stadium 
Erscheinungen allgemeiner Peritonitis und Ileus anschliessen können. 
In solchen Fällen pflegen die Patienten bestimmt anzugeben, dass 
sie bei Beginn der Erkrankung dumpfe Schmerzen in der rechten 
Ueocoecalgegend empfunden hätten, bis plötzlich die stürmischen 
Erscheinungen des Ileus sich gezeigt hätten. 

So will ich eines Patienten hier Erwähnung thun, zu dem ich 
wenige Tage nach der Erkrankung gerufen wurde. Wegen des vor¬ 
handenen Meteorismus war weder die «Inspection oder Palpation des 
Leibes zur Stellung einer Diagnose von Erfolg. Die am nächsten 
Tage vorgenommene Laparotomie zeigte, dass ein jauchiger Abscess 
das Colon ascendens umgab, von einer Perforation des Wurmfort¬ 
satzes herstammend. Die Anamnese hatte hier ergeben, dass Patient 
einige Tage lang ziemlich heftige Schmerzen in der Ueocoecalgegend 
verspürt hatte. Doch glaubte man damals, auf diese Angaben nicht 
allzu grossen Werth legen zu müssen und einen operativen Eingriff 
noch verschieben zu können. Als die Operation vorgenommen wurde, 
war die Infection bereits eine so allgemeine, dass Patient nicht mehr 
gerettet werden konnte. Hätte ich damals Gelegenheit gehabt, auf 
die Aussagen des Patienten mich verlassend, trotz mangelhafter an¬ 
derweitiger Merkmale, frühzeitiger in der rechten Seite zu incidiren, 
so wäre der Patient wohl aller Wahrscheinlichkeit nach gerettet 
worden. Ich habe später bei ähnlichen Fällen, in denen mit Aus¬ 
nahme der Schmerzangaben in der rechten Ueocoecalgegend man 
über den Sitz der Erkrankung keinen Anhaltspunkt hatte, nach den 
Angaben des Patienten aber eine Perityphlitis vermuthen konnte, 
die Bauchdecken bis auf das Peritoneum, entsprechend dem Sitze 
dieser Schmerzen incidirt, und habe dadurch tiefliegende Abscesse 
durch die Palpation event. durch Punction entdecken können, Ab¬ 
scesse, deren Vorhandensein ich durch andere Hülfsmittel bisher 
nicht vermuthen konnte. 

Aber nicht allein die genaue Anamnese über die Ursachen 
der Erkrankung, über etwa vorhandene frühere Störungen, über Sitz 
und Ausdehnung von Schmerzen, kann uns in manchen Fällen von 
vorhandenem Ileus einen Fingerzeig geben, wo wir das Hinderniss zu 
suchen haben. Auch die genaue Inspection kann uns noch man¬ 
chen werthvollen Anhaltspunkt für unser operatives Handeln geben. 
Unter Umständen kann die Art des Meteorismus auf den Sitz der 
Erkrankung hinweisen, da bei dem Verschluss des unteren Tbeils 
des Dickdarms zuerst die seitlichen Abschnitte des Bauches aufge¬ 
trieben werden, sitzt dagegen das Hinderniss im unteren Dünndarm, 
so treibt sich zuerst die mittlere Bauchgegend auf, sitzt es noch 
höher, so kann nur der Magen aufgetrieben werden; freilich sind 
diese Symptome nicht immer von wünschenswerter Deutlichkeit. 
Auch aus dem früheren oder späteren Auftreten von Kothbrechen 


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kann man nicht immer den Schlafes ziehen, ob der Dünn- oder Dick¬ 
darm verschlossen ist. Im Allgemeinen wird das Erbrechen früher und 
das Kothbrechen schneller auftreten, je plötzlicher und vollständiger 
der Verschluss ist. Fehlt der Koth vollständig in dem Erbrochenen, 
so wissen wir, dass das Hinderniss einen sehr hohen Sitz hat. 
Roser hat vor einiger Zeit auf den Mangel des Erbrechens oder 
sein spätes Auftreten bei Occlusion der Flexura sigmoidea hingewiesen | 
und schreibt dieser Erscheinung einen diagnostischen Werth zu. 

Die genaueste manuelle Untersuchung muss dann zunächst vor- 
genomraen werden. Dazu gehört die Untersuchung der Bruchpforten, 
besonders auch der wenig zugänglichen, sowie die Untersuchung 
der Umgebung der Bruchpforten. 

Etwa vorhandene Brüche müssen genau in Hinsicht auf das 
Zurücktreten der Därme untersucht werden, auf abnorme Bruch¬ 
sackbildung geachtet werden. Alte Verwachsungen, theils in Folge 
von umschriebenen Unterleibsentzündungen, theils von zurückge¬ 
tretenen verwachsenen Brüchen, theils auch von Eiterherden können 
als Ursache einer meistens schon lange bestehenden Verlöthung 
einer oder mehrerer Darmschlingen angesehen werden und durch 
Hinderung der freien Darmbewegung die Ursache plötzlich eintre¬ 
tenden Ileus abgeben. Ich will hier einige derartige eigene Beob¬ 
achtungen kurz erwähnen, welche das Erwähnte illustriren, besonders 
in Hinsicht auf Darmocclusionen in der Nähe von Bruchpforten, 
abnorme Bruchsackverhältnisse, endlich Verwachsungen und Strang¬ 
bildung in Folge früherer Entzündungen. 

Frau F. aus Berlin, 3G Jahre alt; Patientin litt seit Jahren an einem 
Nabelbruch. Anfangs Februar erkrankte sie mit Leibschmerzen und un¬ 
regelmässigem Stuhlgang. Nach einer grösseren Anstrengung in dieser Zeit 
traten am 18. Februar plötzlich Erscheinungen von Ileus und Peritonitis 
auf. Die am 19. Februar vorgenommene Taxis des herausgetretenen Nabel¬ 
bruchs schien leicht zu gelingen, doch blieben die Symptome der Erkran¬ 
kung bestehen und vermehrten sich im Laufe der Nacht in so hohem Grade, 
dass Patientin zur Herniotoraie resp. Laparatomie in meine Klinik überführt 
wurde. Aufnahme 20. Februar. Status: Grosse, kräftig gebaute Dame von 
enormer Fettleibigkeit. Abdomen stark aufgetrieben, überall sehr schmerz¬ 
haft. Die Percussion ergiebt hellen tympanit. Schall. In der Nabelgegend 
ein über faustgrosser Tumor von prall elastischer Consistenz. Die Haut 
über demselben ist dünn, von bläulichen Venen reichlich durchzogen; sie 
lässt sich in kleinen Falten von der Unterlage abheben. Die Palpation des 
Tumors ist sehr schmerzhaft; die Percussion ergiebt über demselben ge¬ 
dämpften Schall. Der Tumor lässt sich durch Druck verkleinern. Tempe¬ 
ratur 38°. Puls 120; klein, weich. Resp. 40. 

Bei der Erfolglosigkeit der am Tage vor der Operation stattgehabten 
und anscheinend gelungenen Taxis und der Wahrscheinlichkeit, dass es sich 
hier um eine andere in der Nähe des Bruches befindliche Ursache des Ileus 
wohl handeln müsste, wurde die Patientin sofort nach der Aufnahme operirt. 

Narkose: 18 cm langer Scjmitt über die Höhe der Geschwulst, den 
Nabel zur Linken lassend. Die Haut erweist sich als sehr dünn und mit 
der Unterlage fest verwachsen. Sie wird in der ganzen Länge des Schnittes j 
lappenförmig zwischen zwei Pincetten abpräparirt; es stellt sich jetzt der 
Tumor als bläulich-weisse mässig gespannte und fluctuirende Blase dar, 
die sich nach genügender Freilegung als Bruchsack erweist. Sie wird vor- 
sichtigt mit einem spitzen Messer angestochen; es fliesst sofort eine roth- 
braune nicht riechende Flüssigkeit aus dem Bruchsacke nach. Dieser wird 
darauf auf der Hohlsonde in seiner ganzen Längsrichtung gespalten. Er ] 
enthält eine grosse Menge Netz, welches theils fächerförmig ausgebreitet, 
theils zu soliden Klumpen verwachsen, ihn fast ganz ausfüllt. Das Netz 
wird nun in vier Partieen doppelt mit starken Catgutfaden abgebunden 
und möglichst central abgetragen. Die Bruchpforte, bisher durch das Netz 
verdeckt, lässt sich jetzt leicht übersehen. Sie stellt sich als einen für 1—2 
Finger vollständig durchgängigen, zur Bauchhöhle führenden Ring dar. 
Im Grunde desselben zeigt sich eine rosaroth gefärbte Darmschlinge. Die¬ 
selbe wird hervorgezogen nicht ohne Mühe. Um zu dem Hinderuiss zu 
gelangen und den Darm leichter auspacken zu können, wird jetzt zu dem 
Längsschnitt dicht unterhalb des Nabels ein 3-4 cm langer Querschnitt 
durch die ganze Dicke der Bauchdecken geführt. Darauf wird nun eine 
Darmschlinge nach der andern ausgepackt. Der Darm erweist sich als stark 
meteoristi8ch. 

Bei der weiteren Untersuchung zeigt sich nun folgendes: Eine Dünn¬ 
darmschlinge hat sich mit einer benachbarten, um das gemeinsame, an dieser 
Stelle ziemlich lange Mesenterium zu einem Volvulus verschlungen. Die 
Schlingeubildung lässt sich sehr leicht ausgleichen, sie zeigt Tendenz zur 
Lösung. Dieselbe findet unter einem lauten gurrenden Geräusche statt. 
Toilette der extraperitoneal liegenden Därme. Die Reposition des Darmes 
gelingt ohne Schwierigkeiten. 

Die Bauchwunde wird mit einer Anzahl tiefer und oberflächlicher Seiden¬ 
nähte geschlossen. 

Jodoform. Sublimatgaze-, Holzwollekissen-Verband, mit leichten Com- 
pressen. 

Dauer der Operation 2,Stunden; 3 Aetherspritzen. 

Die Patientin erholte sich im Laufe des Tages ziemlich gut. Schon am 
Abend des Operationstages, 20. Februar, gingen mehrere Flatus ab. Indessen 
dauerte mässiges Erbrechen noch bis zum 22. Februar, der Leib war noch 
aufgetrieben, die Schmerzhaftigkeit aber geringer. Einige Magenausspülungen. 
Nach öfteren hohen Eingiessungen erfolgte am 22. Februar die Entleerung 
reichlicher sehr harter Kotkmassen. 

Die äussere Wunde war am 20. März vollständig geheilt. Patientin 
verlässt das Bett mehrere Stunden. Dauernde Heilung. 


Fräulein R. aus Berlin, 22 Jahre alt. Patientin, von mittlerer Grösse, 
überstand vor zwei Jahren eine Peritonitis, an deren Folgezuständen sie 
seitdem zu leiden hatte. Am 17. Januar trat plötzlich Ileus mit peritoniti- 
schen Erscheinungen auf. Meteorismus, Uebelkeit, Leibschmerzen, Unruhe 
und kleiner Puls. Am 19. Januar machte ich die Laparatomie, trennte 
mehrere, das Colon ascendens einschnürende Stränge, Reste früherer Perito¬ 
nitis und hoffte auf solche Weise die Ursache des Darmverschlusses zu 
heben; da aber bis zum Abend desselben Tages die Erscheinungen sich 
nicht besserten, da Meteorismus und ein bedrohlicher Collapszustand sich 
bemerkbar machte, so machte ich an demselben Abend noch die Colotomie 
auf der rechten Seite. Sofort entleerten sich Gase und Koth. Der Zustand 
war am nächsten Tage befriedigend, der Leib weich und nicht schmerzhaft, 
doch starb Patientin am dritten Tage nach der Operation an zunehmendem 
Collaps. Die Section ergab geringe Anzeichen von frischer und alter zum 
Theil circumscripter Peritonitis, ferner eine 15 cm lange derbe Stenose am 
Colon descendens, welche von aufgeblähten Darmschlingen bedeckt offenbar gar 
nicht bei der Laparotomie zu Gesichte gekommen war. Dieses derbe Stück 
des Darms verengte das Lumen desselben derartig, dass sich nur mit Mühe 
etwas Darminhalt hindurchpressen Hess. Der Darm selber war entsprechend 
dieser Stelle etwas über fingerdick, mit zahlreichen Ecchymosen bedeckt 
und durch derbe und straffe Bindegewebszüge an der Beckenwand fixirt. 
Das daran sich anschliessende Stück des S romanum und des Rectum waren 
leer und unverändert und von gewöhnlicher Weite, das Colon transversum 
und ascendens noch immer sehr stark aufgetrieben. Ueber Ursache und 
Entstehung der narbigen Stenose des Dickdarms, die offenbar erst in den 
letzten Monaten so hochgradig geworden war, fehlten alle Anhaltspunkte. 

Bei der genauen Untersuchung der an Ileus leidenden Patienten 
muss auch der Bauch selber, wenn es irgend möglich ist, genau 
palpirt und percutirt werden, um eine etwaige Dämpfung oder Ge¬ 
schwulst zu finden; hier bei kann die Chloroformnarkose von Nutzen 
sein. Auch die Untersuchung vom Rectum aus ist in keinem Falle 
zu unterlassen, wenn man auch nur selten aus derselben für die 
Stellung der Diagnose Nutzen ziehen kann. Doch konnten Heiberg 
und Bull mit der bis zum Nabel eingefuhrten Hand eine Achsen¬ 
drehung erkennen; dem Salvatore gelang es sogar, auf diese 
Weise ein Hinderniss zu beseitigen. Ebenso gelang es Hampel 
mit der in den Mastdarm eingeführten Hand eine Invagination des 
Dünndarms zu beseitigen. 

Wenn wir uns nach dem bisher Gesagten über den Sitz der 
Einklemmung unter Umständen Rechenschaft geben können, so ist 
es meist sehr viel schwieriger die Art des Verschlusses zu be¬ 
stimmen. 

Die Invaginationen sind noch verhältnissmfissig am besten zu 
diagnosticiren, da sie ein bestimmtes klinisches Bild abgeben. Dazu 
gehört der fast immer pötzliche Beginn der Krankheit, nachdem 
einige Tage laug vorher entweder Durchfall oder Obstipation be¬ 
standen haben. Der in Anfällen auftretende Schmerz ist ziemlich 
genau localisirt, der Meteorismus ist gering, häufiger Stuhl mit 
Schleim und Blut untermischt. Besonders wichtig zur Diagnose ist 
aber das Auftreten einer wurstförmigen Geschwulst, welche den 
Darm entlang vorrücken und wieder zurücktreten kann. — Bei der 
Darmocclusion durch einen peritonealen Strang werden wir uns 
meist auf die Anamnese verlassen müssen, z. B. ob der Patient 
früher Bauchfellentzündung überstanden hat, weiter, ob Entzün¬ 
dungen in der Nähe von etwa vorhandenen Brüchen bestanden haben. 
Auch hierbei pflegt die Krankheit plötzlich zu entstehen und der 
Ileus sich rasch zu entwickeln. — Interessant ist der Fall, den 
Bryant citirt, zum Beweise, wie aus der Anamnese ein Schluss 
auf den Mechanismus der Darmocclusion gemacht werden kann. 
Eine gesunde Frau war gezwungen, einige Stunden lang den Harn 
zu halten. Nach Entleerung der Blase traten sofort heftige Er¬ 
scheinungen von Darmocclusion auf. Bei der Laparatomie über¬ 
zeugte man sich, dass von dein Scheitel der Blase ein Strang abging, 
unter welchem die Darmschlingen bei ausgedehnter Blase durch¬ 
geschlüpft waren. Nach plötzlicher Entleerung der Blase waren 
diese Darmschlingen eingeklemmt. 

Die anderen Arten des Darmverschlusses haben zu wenig cha- 
I rakteristische Symptome, um sicher diagnosticirt werden zu können. 
Dazu gehören die Achsendrehungen, die inneren Einklemmungen 
durch Oeffnungen im Netz, Verschlingungen u. dgl. m. 

Zum Beweise dafür, dass z. B. bei Invaginationen und Axen- 
drehungen, trotzdem die Patientin seit dem ersten Beginn der Er¬ 
krankung sofort unter genauer, ärztlicher Aufsicht sich befand, die 
Diagnose auf grosse Schwierigkeiten stösst, sei hier folgender Fall, 
den ich vor Kurzem operirte, erwähnt. 

Am 31. Mai Mittags fühlte die im Sanatorium angestellte Wär¬ 
terin E. M. beim Tragen eines schweren Gegenstandes plötzlich 
einen heftigen Schmerz in der rechten Unterbauchgegend, der das 
Stehen und Gehen unmöglich machte. Der Schmerz wird als ein 
stechender, im Darme sitzender bezeichnet. Dabei bestand Uebel¬ 
keit, Schwindel und ein leichter Collapszustand. Temperatur nor¬ 
mal, Puls 100, etwas klein. Die Patientin wird sofort in das Bett 
gebracht, es zeigt sich in der rechten Ueocoecalgegend starke Druck¬ 
empfindlichkeit, bei der Percussion scheint hier eine leichte Dämpfung 
zu sein. Es wurde Opium gegeben, eine Eisblase auf die rechte 


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Seite gelegt; da die Schmerzen noch au Intensität Zunahmen, 
Morphium subcutan verordnet. Als ich die Patientin sah, bekam 
ich den Eindruck, als könnte es sich um eine Perforation des Proc. 
vermiformis handeln. Man fühlte auf der rechten Seite, entsprechend 
dem Colon ascendens, eine stärkere Resistenz, die auf Druck sehr 
schmerzhaft war, der Leib war leicht aufgetrieben, sonst nirgends 
empfindlich. Der Puls 100, kein Erbrechen, dagegen Uebelkeit, 
keine Temperaturerhöhung (37°). Die Collapserscheinungen hatten 
uicht zugenommen. Ich hielt den Zustand dennoch für einen be¬ 
denklichen und schlug der Patientin die Laparatomie vor. Sie 
weigerte jeden Eingriff, ich drang nicht weiter in sie, da ich bis 
zum nächsten Tage schliesslich noch warten zu dürfen glaubte. 
Wir machten eine Magenausspülung, welche Erleichterung brachte. In 
den nächsten drei Tagen änderten sich die Symptome insofern, als 
die Schmerzen im Leibe mehr in krampfartiger Weise auftraten, die 
anfänglich in der Ileocoecalgegend gefundene, ziemlich circumscripte 
Druckempfindlichkeit wich oder wenigstens nicht constant blieb, das 
Allgemeinbefinden zwischen vollkommenem Wohlbefinden und allge¬ 
meinem Unbehagen wechselte. Der Leib blieb nur mässig aufge¬ 
trieben, die Dämpfung in der rechten Seite war wechselnd, manch¬ 
mal glaubte man deutlich eine wurstartige Anschwellung in der 
rechten Bauchgegend zu fühlen, die aber wieder verschwand. Der 
Stuhl war angehalten, Abführmittel gab man aus leicht erklärlichen 
Gründen vorläufig nicht. Die Symptome schienen jetzt eher für 
eine Invagination oder Axendrehung zu sprechen, als für eine Per¬ 
foration in der Gegend des Proc. vermiformis. — Am 4. Juni 
Abends steigerten sich die Schmerzen in der rechten Seite wieder 
auf das Heftigste, nachdem am Nachmittage eine Eingiesssung ge¬ 
geben war, bei welcher Stuhl erfolgte. Von da ab verschlechterte 
sich das Befinden der Patientin. Die Temperatur blieb zwar nor¬ 
mal, aber der Puls wurde klein und frequent bis 120 Schläge uud 
darüber. Es trat Erbrechen auf, das in der Nacht vom 6. bis zum 
7. Juni schwach faeculent wurde. Die Patientin hatte ein collabirtes 
Aussehen und klagte viel über Schwindel. Die Symptome eines 
Darmverschlusses traten mehr in den Vordergrund. Unter diesen 
Umständen entschloss ich mich am 7. Juui zur Operation. 

Ich machte zu dem Zwecke einen grossen bogenförmigen Schnitt 
in der rechten Bauchseite entsprechend dem Sitze der ursprüng¬ 
lichen Schmerzen. Ich traf gleich nach Eröffnung des Peritoneums 
auf das Colon und den Processus vermiformis. Der Darm zeigte 
hier keine Veränderungen, der Wurmfortsatz war sehr lang, von 
Perforation war keine Rede. Dagegen drängten sich in die Wunde 
sofort sehr stark geblähte, dunkelblau aussehende Dünndarmschlingeu. 
Dieselbe wurde vorgezogen und weiter dem Magen zu verfolgt. 
Plötzlich kam man an eine Stelle, an der der Darm ganz normal, 
aber völlig collabirt aussah, kaum von Bleistiftdicke war. Nur 
ganz allmählich nahm dieser Darmabschnitt an Volumen wieder 
etwas zu. Er füllte sich aber beim Hervorziehen sofort mit Darm¬ 
inhalt, während die bis dahin stark geblähte und stark verfärbte 
Schlinge collabirte und wieder ein normales Aussehen bekam. Un¬ 
zweifelhaft hatte es sich hier um eine Axendrehung einer grossen 
Dünndarmschlinge gehandelt, durch das Hervorzieheu derselben war 
es leicht gewesen, die Axendrehung zu beseitigen. Irgend ein 
Strang oder ein Pseudoligament wurde iu der Bauchhöhle von der 
Wunde aus weder gesehen noch gefühlt. Der Darm konnte leicht repo- 
uirt werden, die Wunde wurde genäht, der Verlauf war eiu reac- 
tionsloser. Die Patientin war nach einer Woche geheilt und ist 
wieder vollständig hergestellt. 

Wenn wir bei Kranken mit Erscheinungen des Ileus gleich zu 
Beginn der Erkrankung hohe Temperaturen haben, wenn zu gleicher 
Zeit, trotz Anhaltens des fäculenten Erbrechens, kein Collaps auf- 
tritt, so haben wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem 
entzündlichen Process zu thun und ist zunächst jedes operative Ver¬ 
fahren von der Hand zu weisen. — Entsteht die Darmocclusion in 
Folge von Neubildungen, die den Darm umgeben, wie z. B. tuber- 
culöse Ringgeschwüre des Darms, Carcinoma und Sarcoma, so bieten 
diese Fälle eine Reihe von charakteristischen Merkmalen, welche die 
Diagnose sehr erleichtern. Denn meistens haben schon vorher 
Schwierigkeiten in der Kothbewegung bestanden; dann, wie Schede 
richtig betonte, ist die Reaction, theils des Allgemeinzustandes des 
Körpers, theils des Darmkanals selber eine meist ausserordentlich 
viel mildere, selbst bei gänzlichem Verschluss seiner Lichtung, zum 
grossen Unterschied von den Fällen plötzlicher Abknickung. 

Aus dem bisher Erörterten ersehen wir, dass genaue Beobach¬ 
tung, vor Allem auch genaue Anamnese uns häufiger, als wir von 
vornherein annehmen dürften, eine sichere Diagnose stellen lassen. 
Dass wir bei sicher diagnosticirtem Sitz und bei bekannter Ursache 
des inneren Darm Verschlusses, wenn einfachere Mittel uns im Stich 
lassen, nicht zögern dürfen, zur Operation zu schreiten, ist wohl 
selbstverständlich. Hier dürfte die Laparatomie ohne Weiteres in- 
dicirt sein, während in zweifelhaften Fällen die Enterostomie ange¬ 
zeigt ist. 


Wir berühren hier eine Frage, die schon seit dem Jahre 1845. 
als Maisouneuve die Enterostomie als chirurgische Behandlung 
des Ileus einführte, Ursache heftigen Streites war und die bis heute 
ihren Abschluss noch nicht gefunden hat. Beide Methoden haben 
seitdem berühmte Vertheidiger gefunden. Wenn wir von den Ur- 
theilen über die in Frage stehenden Operationsverfahren absehen, 
welche in der vorantiseptischen Zeit abgegeben worden sind, so 
finden wir gerade in den letzten Jahren von Chirurgen, welche in 
glänzendster Weise die Antisepsis beherrschen, Urtheile vor, welche 
die Laparatomie als eine zu gefährliche und zu schwierige Opera¬ 
tion bezeichnen und welche die Hauptgefahr der Operation durch 
den Meteorismus bedingt sehen, weil die ausgedehnten Darmschlingen 
jeden Orientirungsversuch, mag die Stelle des Hindernisses noch so 
bekannt sein, vereiteln. Es kommt bei der Laparatomie noch weiter 
die grosse Schwierigkeit hinzu, die ausgedehnten Därme zu repo- 
niren, ein Uebelstand, der durch eine Vergrösserung des Schnittes 
nicht beseitigt wird. 

Betrachten wir zunächst die beiden in Frage kommendeu Me¬ 
thoden in Hinsicht auf die Technik der Operation, so ist es ja 
selbstverständlich, dass wir zur Ausführung der Laparatomie all’ jene 
Vorbereitungen auf das Sorgfältigste treffen müssen, durch die wir 
heut zu Tage allein den Erfolg einer so eingreifenden Operation 
garantiren können. 

Das Operationszimmer muss besonders hergerichtet werden, die 
Temperatur in demselben eine hohe sein. Die Reinigung der Instru¬ 
mente und der in Anwendung kommenden Gegenstände muss in 
sorgsamster Weise geschehen. Warme Tücher zum Bedecken der 
prolabirenden Därme sind in Bereitschaft zu halten, so wie alle 
Hülfsmittel, um bei drohendem Collaps die Kräfte des Patienten zu 
erhalten. Wir können demnach die Laparatomie meist nur in An¬ 
stalten machen, die diesen Anforderungen in jeder Hinsicht genügen. 
Der Schnitt wird gewöhnlich in der Medianlinie gemacht, wenn uicht 
der schon im Voraus sicher diagnosticirte Sitz der Erkrankung unter 
Umständen eine andere Schnittrichtung erheischt. Doch genügt dieser 
Schnitt in der Regel nicht; wenn der Meteorismus sehr stark ist, 
muss ein Querschnitt hinzugefügt werden. Die vorfallenden Darm¬ 
schlingen werden in warme Compressen, die in verdünnte Salicyl-, Bor¬ 
oder Carbollösung getaucht sind, eingepackt. Das weitere Verfahren 
hängt von der Art des Darmverschlusses ab; diesen muss man aber 
erst entdecken. In einer geringeren Anzahl der Fälle hat man vor¬ 
her über den Sitz des Darm Verschlusses sich Rechenschaft geben 
können; hier wird man, ohne den ganzen Darm hervorzuziehen, mit 
I der Hand zu dem Hinderniss manchmal gelangen können. Sehr oft 
aber wird man den ganzen Darm nach uud nach aus der Leibes¬ 
höhle hervorziehen, oder man sucht zum Hinderniss so zu gelangen, 
dass man von der ersten besten ausgedehnten Darmschlinge an- 
| fangend in einer und derselben Richtung immer weiter Darmschlingen 
J vorzieht, welche der Assistent gleich wieder in die Bauchhöhle zu- 
j rückdrängt. Der einzelne Fall entscheidet, ob man dieses oder jenes 
; Verfahren anwenden soll. Hat man sich zur Eventration entschlossen 
müssen, so werden die auf der Bauchwand liegenden Därme meist 
' entleert werden müssen, weil sie ein weiteres Absuchen hindern. Zudem 
| Zwecke wird ein Theil des Darmes vorgezogen, zwischeu zwei Jodo- 
; formgazeschlingen breit incidirt, und der Inhalt des Darmes in einen 
Eimer oder ein Becken entleert, die Wunde des Darmes wiederum 
j vernäht; jetzt kann man weiter nach dem Hinderniss suchen, aber 
! es sind wohl jedem erfahrenen Chirurgen Fälle genug begegnet, in 
denen es auch auf solche Weise nicht gelang, den Sitz der Darm¬ 
occlusion zu finden, und wegen des drohenden Collapses des Patienten 
musste die Operation unterbrochen werden. Gelingt es, den Sitz 
der Darmeinklemmung zu finden, so hängt das weitere Verfahreu 
’ von der Art des gefundenen Hindernisses ab. Auch hier sind 
! meistens, mag es sich um Verschlingungen, Axendrehungen, Invagi- 
! nationen oder andere Hindernisse handeln, mehr oder weniger um¬ 
ständliche Operationsverfahren nöthig, um diese Hindernisse zu be¬ 
seitigen, von der einfachen Strangdurchtrennung bis zur complicirten 
Darmresection. Dass diese Verfahren meist sehr zeitraubend sind, ver¬ 
steht sich von selber, und auch damit ist die Operation noch nicht be¬ 
endet. Nun müssen noch die nur zum Theil collabirten Därme reponirt 
werden, ein Act, der viel Gefahren für den geschwächten Patienten 
mit sich bringt. Hat doch vor kurzem Olshausen wieder auf die 
Gefahren der Eventration für die Patienten aufmerksam gemacht. 

Es ist mithin die Laparatomie selbst im günstigsten Falle, bei 
verhältnissmässig sicherer Diagnose uud geringem Meteorismus, eiu 
schwerer Eingriff, zu dessen Gelingen wir noch eine bedeutende 
Widerstandskraft bei dem Patienten voraussetzen müssen. Es ist 
daher erklärlich, dass man von der radikalen Anschauung in Bezug 
auf die Zulässigkeit der Laparatomie bei inneren Darmverschlüssen 
zurückkommt. Dass dieses Verfahren an und für sich rationell ist, 
wird wohl Keiner bestreiten, aber in der Praxis gestalten sich die 
Verhältnisse oft leider so, dass die Laparatomie ohne Aussichten 
unternommen wird. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


Es ist daher nicht zu verwundern, dass die Chirurgen sich oft bei 
vorhandenem Ileus eher zur Enterostomie entschliessen. Denn diese 
Operation, wenn sie auch weniger Hoffnung giebt auf definitiven Er¬ 
folg, kann man auchlnoch bei hochgradig collabirten Patienten aus¬ 
führen, denn ihre Technik ist eine verhältnissmässig einfache, während 
eine Laparatomie bei coraplicirten und unklaren Verhältnissen eine 
Operation ist, deren Folgen der Patient meist unterliegen muss. 

Durch Anlegung einer Kothfistel werden die übermässig ange¬ 
häuften Koth- und Gasmassen entfernt und dadurch innerhalb der 
Bauchhöhle Platz gemacht zur Zurückführung der verschiedenen Arten 
von Axendrehungen, lnvaginationen und dergl. Durch Herbeiführung 
normaler Druckverhältnisse im Innern des Darmes und der Bauch¬ 
höhle können ferner Jdie abnormen peristaltischen Verhältnisse auf¬ 
gehoben und die natürlichen, geordneten eingeleitet werden. Dass 
unter Umständen ein Darmabschnitt dabei eröffnet werden kann, der 
dem incarcerirten, oder eine Dünndarmschlinge, die den oberen 
Theilen angehört, kann mau der Methode nicht als Vorwurf an¬ 
rechnen. Die Anlegung eines künstlichen Afters bei inneren Ein¬ 
klemmungen soll nicht einen dauernden Zustand schaffen. Sogar 
die Vornahme einer Laparatomie entweder unmittelbar nach Anle¬ 
gung des Afters — wie es bereits von einigen Chirurgen versucht 
wurde — oder einige Zeit später — bleibt nicht ausgeschlossen. 
Hat man die Ueberzeugung gewonnen, dass in dem bestimmten Falle 
der künstliche After bestehen bleiben soll, und befindet sich der¬ 
selbe an einer Dünndarmschlinge, so hat man immer noch die Mög¬ 
lichkeit, später am Colon einen zweiten After anzulegen und deu 
ersten zum Verschluss zu bringen. 

Das wären zunächst die Vortheile der Enterostomie der Lapara¬ 
tomie gegenüber. Nun ist auf der anderen Seite allerdings zu be¬ 
tonen, dass die Enterostomie sehr selten die Ursache der Krankheit 
beseitigt. Nur das Symptom, der Ileus, wird aufgehoben oder ge¬ 
lindert. In vielen Fällen wird die Gefahr in keiner Hinsicht be¬ 
seitigt, so namentlich bei Abschnürungen des Darms durch Pseudo¬ 
ligamente oder Einklemmungen desselben in pathologische Oeffuungen 
u. dergl. m. Freilich kann man in solchen Fällen die Enterostomie 
als Voract ansehen, muss aber dabei wohl bedenken, dass viel Zeit 
verloren geht, und die Nekrose des Darms ungemein schnell fort¬ 
schreiten kann. 

Doch wäre z. B. vielleicht der folgende Fall glücklicher ver¬ 
laufen, wenn man sich gleich entschlossen hätte, die Enterostomie 
zu machen, und, weon die Erscheinungen sich nicht gebessert hätten, 
bald hernach die Laparatomie versucht hätte. 

Patient L. erkrankte am 31. August 1887 Nachmittags nach einem opulenten 
Diner unter häufigem Erbrechen und cardialgischen Schmerzen, die auch am 
nächsten Tage trotz Morphium anhielten. Da das Erbrechen am nächsten 
Tage anhielt, vermutbete der behandelnde Arzt einen plötzlichen Darmver¬ 
schluss durch Darmverschlingung. Am zweiten Tage nach der Erkrankung 
war der Puls 90, die Temperatur 36,7; der Leib war sehr stark meteoristisck 
aufgetrieben; die Percussion ergab überall hellen tympanitischen Schall; der 
Leib ist nirgends schmerzhaft, nur um die Nabelgegend herum werden 
leichte Schmerzen auf Druck angegeben; die Bruchpforten sind sämmtlich 
frei. Die Untersuchung per rectum ergiebt keinen nennenswerthen Befund. 
Da die Erscheinungen vorläufig nicht bedrohlicher Natur zu sein scheinen, 
so werden hohe Eingiessungen verordnet und Morphium verabreicht. Auch 
am folgenden Tage (5. September) war das Allgemeinbefinden unverändert. 
Puls 80, Temperatur 37,5. Erscheinungen von Ileus. Hohe Eingiessungen 
sowie Magenausspülungen ändern an dem Zustande nichts; gegen 10 Uhr 
Abends Puls 80, der Kranke klagt über heftige Leibschmerzen. In der 
Nacht zweimal starkes fäculentes Erbrechen. Am 6. September, da der Zu¬ 
stand sich im Ganzen verschlechtert hat und das Allgemeinbefinden auch, 
wird die Laparatomie gemacht. Aus der Peritonealhöhle fliesst eiteriges 
Exsudat; die Därme sind hochgradig aufgetrieben, stark inficirt mit stark 
fibrinös eiterigem Belag bedeckt. Eventration der Darmschlingen. Man 
findet oberhalb des kleinen Beckens, ungefähr der Mittellinie entsprechend, 
eine Dünndarmschlinge, die von einer andern sehr stark umschlungen ist. 
Die umschlungene Darmpartie erscheint wie durch einen Ring gezogen. 
Es gelingt mit dem Finger leicht die Verschlingung zu heben, aber es 
reisst der Darm an einer Stelle ein und ergiesst seinen Inhalt in die 
Bauchhöhle. Sorgfältige Reinigung; Naht des Darms. Die Reposition der 
aufgetriebenen Därme gelingt nicht ohne Entleerung des Inhaltes durch 
einen Schnitt. Naht der Darmwunde; Reposition der Därme; Naht der N 
Bauchdecken. Tod am Abend nach der Operation. Die Section ergab, dass 
die betreffende Incarceration dem Ileum angehörte und sich etwa 1 m auf- 
aufwärts von der Klappe befand. 

Sind schon in Hinsicht auf die Indicationen für die Laparatomie 
oder Enterostomie feste Regeln nicht zu geben, so gilt dieses in noch 
viel höherem Maasse für die Bestimmung des besten Zeitpunktes 
für die Ausführung der einen oder anderen Operation. Hier wird 
nach Erwägung aller Verhältnisse die persönliche Erfahrung des be¬ 
handelnden Chirurgenden Ausschlag geben, die Frage, wann operirt 
werden soll, hängt mit einer zweiten zusammen: Ueber was für 
andere Hülfsmittel verfügen wir zur Bekämpfung des Ileus. In 
der Beantwortung der zweiten Frage herrscht bei den Chirurgen 
grosse Uebereinstimmung, die in dem schon oft ausgesprochenen Satze 
gipfelt: Man soll durch andere Mittel und Versuche nicht den besten 


Zeitpunkt für die Operation verstreichen lassen. Dieses gilt sowohl 
von der Anwendung der Magenausspülungen, Mastdarrafüllungen 
(Wasser, Luft) als auch von den wiederum in neuerer Zeit empfohlenen 
Darmpuuctionen. Wenn wir auch in manchen Fällen den Werth der 
Magenausspülungen nicht unterschätzen wollen, so lässt man sich doch 
zu leicht durch die Euphorie des Patienten nach der Magenausspülung 
täuschen. Unterlassen würde ich nie die Magenausspülung bei der 
Behandlung des Ileus, sogar vor Vornahme der Narkose bei dem 
Patienten halte ich dieselbe für durchaus nothwendig, aber ihre 
Wirkung auf eine etwa bestehende Darmocclusion halte ich nach 
eigenem Urtheil für geringer, als es von vielen Seiten angenommen 
wird. Die Punctionen des Darms sind nach eigenen Erfahrungen 
und Sectionsbefunden nicht ungefährlich, ausserdem ist es oft 
nicht möglich, die stark geblähten paralytischen Därme durch die . 
Punction zu entlasten. Auch die Luft- und Wasserinjectionen in 
das Rectum werden nur selten einen Erfolg haben, ebensowenig 
wie die rein exspectative Behandlung und Darreichung innerer Mittel. 
Ich muss bei dem Satze bleiben, dass in der weitaus grössten An¬ 
zahl von Heus-Fällen eine Operation, und diese möglichst 
früh ausgeführt, indicirt sein dürfte. Wenn daher nicht 
rasch nach wenigen Stunden, höchstens Tagen — je nach der Acuität, 
mit der die Krankheit ihren Aufang genommen hat — mit den ge¬ 
wöhnlichen und gebräuchlichsten Hülfsmitteln schnelle Besserung er¬ 
zielt wird, so schreite man zur Operation, und zwar mache man die 
Laparatomie womöglich nur dann, wenn die Kräfte des Patienten uoch 
gut erhalten sind, der Leib noch nicht sehr aufgetrieben und noch 
weich ist, und wenn man vorher durch Anamnese und Untersuchung 
eine möglichst sichere Diagnose über den Sitz und die Art des 
Darmversehlusses hat stellen können. 

Auch in denjenigen Fällen, in denen die Ileuserscheinungen 
sehr stürmisch auftreten, der Collaps sehr rasch eiutritt, ist die Lapara¬ 
tomie als letztes Hülfsmittel zu versuchen, wenn auch die oben ge¬ 
forderten Bedingungen für den Erfolg einer Laparatomie nicht mehr 
in der Weise vorhanden sein sollten. Denn hier handelt es sich 
meist, wie schon weiter obeu bemerkt wurde, um einen sehr 
plötzlichen und vollständigen Darmverschluss, und das sind gerade 
diejenigen Fälle, in denen die Enterostomie die Gefahr nicht zu 
beseitigen im Stande ist. Alles wird hierbei darauf ankommen, 
die Operation zu einer möglichst wenig verletzenden zu machen 
und sie so schnell als möglich zu beenden. 

Dagegen ist die Enterostomie in alleu Fällen vorzunehmen, in 
denen eine irgendwie sichere Diagnose nicht zu stellen w r ar, in 
denen ferner der Zustand der Patienten eine eingreifendere Opera¬ 
tion nicht mehr gestattet, endlich noch in allen Fällen, in denen 
man iu Folge der milderen Iteaction auf organische Verüuderungeu 
des Darmlumens schliessen darf. 


II. Aus dem städt. allgern. Krankenhause Friedrichshain, 
Abtheilung des Herrn Prof. Fürbringer. 

Zur Kenntniss des NacMebers beim 
Scharlach. 

Von Ferdinand Guniprecht, cand. med. 

Vor mehr als 10 Jahren hat Thomas 1 ) unter der Rubrik des 
anomalen Scharlachverlaufes auf eine nicht ganz selten ver¬ 
kommende Erkrankungsform hingewiesen, „welche (p. 293) sich 
neben mässigen, theilweise sogar schwach ausgebildeten Locali- 
sationen durch ein unverhältuissmässig heftiges, jedenfalls sehr in 
die Länge gezogenes Fieber auszeichnet“ (Scharlach mit typhus- 
artigem Verlauf.) Und weiter (p. 294): „Keine andere Localaffec- 
tion ist gewöhnlich neben dem Wochen lang anhaltenden, remitti- 
renden Fieber nachweisbar, als eine mässige Halslymphdrüsen- 
affection; erst in der dritten Woche beobachtet man vielleicht die 
Zeichen einer Nierenaffection im Harne“ etc. Dieses Fieber steigert 
sich etweder uud wird durch eine neue Localaffection bestimmt, oder 
läuft lediglich unter mässigen Nervensymptomen der Norm entgegen. 
Neben dieser Form erwähnt Thomas (p. 272) ein Fieber unregel¬ 
mässigen Charakters und im Allgemeinen steigender Intensität mit 
tödtlichem Ausgang oder aber mit langsamem Abklingen zur Norm 
und dann sich einfach als zögernde Entfieberung präsentirend. — 
Es ist auffällig, dass diese so bestimmt formulirten Sätze Thomas, 
betreffend ein nach Ablauf des Scharlachexanthems auftretendes 
Fieber, welches nachweisbare Localcomplicationen nicht zur Grund¬ 
lage hat, in neuester Zeit von einem so ausgezeichneten Beobachter 
wie Henoch 2 ) kaum erwähnt werden. Henoch sagt, wo das Fieber 
das vollständige Verschwinden des Exanthems bis in die zweite 
Woche hinein und länger überdauert, da habe man immer Ursache, 
eine Complication oder Nachkrankheit anzunehraen. Fast mit den- 


*) Ziemssen’s Handb. der spec. Path. u. Ther. II. Bd. 1877. 
s ) Vorl. über Kiuderkrankh. 1877, p. 628- 


J 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 





selben Worten spricht sich Jaccoud 1 ) aus, und ebenso suchen wir ! 
in den gangbaren Lehrbüchern der inneren bezw. Kinderkrankheiten 
von Baginsky, Eichhorst, Gerhardt, Jürgensen, Lieber¬ 
meister, Strümpell, vergeblich nach bestimmten Andeutungen 
der Thomas’schen Ausführungen. Allenfalls dürfte hier heranzu¬ 
ziehen sein die Beobachtung Henoch’s, dass selbst nach der | 
völligen Erblassung des Exanthems und Mangels jeder Complication 
die Abendtemperatur noch mehrere 'Jage 38 bis 39° beträgt, „die 
letzten Ausläufer des Infectionsfiebers, wie wir sie regelmässig beim j 
lleotyphus antreffen“; eine Angabe, welche 1882 gemacht," bald | 
darauf von Rischmüller'^ auf Grund einer in Göttingen beob- ; 
achteten Soharlachepidemie bestätigt werden konnte. 

Dass im Uebrigen der von Thomas skizzirte 
typhöse Scharlachverlauf so wenig Beachtung ge¬ 
funden, muss Wunder nehmen und lässt sich kaum 
anders als durch die Seltenheit der einschlägigen 
Fälle, wenn nicht überhaupt, so doch der reinen 
Formen erklären. 

Es ist nun Herr Professor Fürbringer, 
nachdem seine 14jährigen, zumeist speciell auf 
Kinderkrankheiten gerichteten Erfahrungen in Ba¬ 
den und Thüringen ihn kaum einen oder den 
anderen Fall dieser Kategorie kennen gelehrt hatten, 
in hohem Grade überrascht gewesen, dieses Nach- 
fieber — dieser von Fürbringer gewählte, 
nichts präjudicireude kurze Terminus ist wohl 
der Thomas’schen Bezeichnung vorzuziehen — 
in der ihm unterstellten grossen Abtheilung des 
Berliner städtischen allgemeinen Krankenhauses 
als keineswegs zu den grossen Seltenheiten zäh¬ 
lend, und mit bemerkenswerthen Eigenerscheinun¬ 
gen einhergehend zu beobachten. Fürbringer 
hat mir die Publication der betreffenden Fälle, 
die ich zum Theil selbst habe mitbeobachten kön¬ 
nen, übertragen. 

Ich komme dieser Aufforderung um so lieber 
nach, als eine bestimmte Charakterisirung dieser 
seltenen Form des Nachfiebers zur Zeit noch fehlt. 

Ist auch die Richtigkeit der Thomas’schen An¬ 
gaben im Grossen und Ganzen ohne Weiteres zu¬ 
zugeben, so sind doch einmal gewisse Eigentüm¬ 
lichkeiten des Nachfiebers unberücksichtigt ge¬ 
blieben, andererseits haben sich in einigen Punk¬ 
ten, und zwar gerade solchen, die für den Prak¬ 
tiker betreffs der Prognose eine Bedeutung bean¬ 
spruchen, abweichende Resultate ergeben. Wenn 
ich endlich glaube, dass diese Arbeit in Hinsicht 
auf die Pathologie und Pathogenese des Scharlachs 
ihr Scherflein beitragen soll, so bin ich mir voll¬ 
kommen bewusst, dass eine endgültig befriedigende 
Lösung dieser Fragen nur mit Hülfe einer durchgebildeten bacterio- 
logischen Technik gegeben werden kann; dass aber die Bacteriologen ! 
ihrerseits das Bedürfnis nach klinischem Material empfinden, das j 
hat Escherich*) deutlich genug zu erkennen gegeben, wenn er ; 
dem Kliniker unter Hinweis auf „wichtige und interessaute Auf- . 
schlösse“ das Studium der Lehre von der Secundärinfection an’s 
Herz legt. 

Meine Aufgabe ist also eine rein klinische; bacteriologische 
Prüfungen fehlen. 

Es hat sich nun bei der Durchsicht von 228 Scharlach¬ 
fällen, welche vom April 1886 bis September 1887 in den Isolir- 
pavillons des Krankenhauses Friedrichshain zur Aufnahme gelangten, 
ergeben, dass einer kritischen Auswahl der zum „Nachfieber“ ge¬ 
hörigen Fälle sich grosse Schwierigkeiten entgegenstellen; die Un¬ 
zahl der Compücationen beim Scharlach, die wenn auch noch so 
entfernte Möglichkeit, das Fieber von irgend einer später auftretenden 
Localcomplication a posteriori abhängig zu machen, lassen den ge¬ 
wissenhaften Beobachter für so manchen bei oberflächlicher Be¬ 
trachtung anscheinend reinen Fall an der Existenz eines wirklich 
selbstständigen Nachfiebers zweifeln. Eine möglichst unbefangene 
Sichtung des vorhandenen Materials mit Ausschluss alles Verdäch¬ 
tigen ergiebt 13 Fälle, also 5,7% aller Scharlachkranken. 

Ich bemerke hierzu, dass ich jedes mit Herzgeräuschen einher¬ 
gehende Fieber, auch wenn es in seiner Intensität oder Dauer durch¬ 
aus nicht dem Herzbefunde correspondirte, sowie jeden Fall, der 
im Gebiete der Halslymphdrüsen eine nur irgendwie erheblichere 
Schwellung oder Druckempfindlichkeit zeigte, ausgeschlossen habe. 

*) De la temp. et de l’album. dans la scarl. Oaz. des Imp. 1885, 
p. 419. 

*) Dissert. inaug. Göttingeh 1883. 

3 ) Oentrnlbl. f. Bacteriol. etc. 1887. I, 13. 


Zunächst gebe ich eine kurze Skizzirung des Thatsächlichen, 
soweit es für die einzelnen Fälle für unseren Zweck in Betracht 
kommt. 

Temperaturinessungen sind meist 3 stündlich geuommen, ich 
gebe aber der Kürze halber nur Morgen- und Abendtemperatur an, 
und füge einige Curven bei, welche die Hauptformen veranschau¬ 
lichen sollen. Da keine principielle Differenz gegenüber den anderen 
besteht, so glaubte ich auf eine umfassendere Wiedergabe verzichten 
zu dürfen. 

1. FranziskaS. Aufgenommen 29. October 1886. Erster Krank¬ 
heitstag. Exanthem, geringer diphtheritischer Belag. Temperatur bis 41 
steigend, dann staffelfürmig abnehmend. Am 2. November Belag ver- 
Clemens K. 


Emm» H. 


schwunden, Röthung im Pharynx. Am 4 November fieberlos. Nachfieber: 

5. November 37,9; 38,3. — G. November 38,1; 39,8. — 7. Novbr. 38,0; 
38,9. — 8. Novbr. 37,7; 39,0. - 9. Novbr. 37,6; 38,C. — 10. Novbr. 37,4; 
38,1. — 11. Novbr. 37,6; 37,9. — 12. Novbr. 37,5; 38,5. — Danu fieber¬ 
frei, Heilung. Während der ganzen Dauer des Nachfiebers keine Diphtherie, 
keine Drüsenschwellung, massige Pharynxröthung. 

2. Clemens K. (s. Curve). Aufgenommen 14. November 1886. 
2. Krankheitstag. Exanthem, Pharyngitis. 20. Novbr. Exanthem verschwun¬ 
den, geringe Pharyngitis. Nachfieber bis zum 28. Heilung. 

3. Georg H. Aufgen. 8. Juli 1887. 1. Krankheitstag. Schwaches 

Exauthem, Pharyngitis. Temp. bis zum 13. stets unter 89. 14. Juli Ex- 

| anthera fast verschwunden. 38,1; 39,2. — 15. Juli Exanthem und Pharyn¬ 
gitis vollständig verschwunden. 37,8; 39,4. — 16. Juli 37,9; 39,5. — 
17. Juli 37,7; 38,4. — Dann fieberfrei. Heilung. 

4. Hedwig H. Aufgeu. 7. Juli 1887. 2. (?) Krankheitstag. Blasses 
Exanthem, leichte Angina follic. Bis zum 10. Temperatur stets unter 38,7. 
11. Juli Exanthem völlig, Angina fast verschwunden, keine Drüsenschwellung. 
Nachfieber 4 Tage lang: 38,3; 39,2. — 39,0; 40,0. — 37,8; 38,8. — 38,8; 
37,5. — Heilung. 

5. Marie S. Aufgen. 6. Juli 1886. 2. Krankheitstag. Exanthem, 

Pharyngitis, Drüsen leicht geschwollen. Temp. 38,3. Exanthem, Pharyngitis 
schwinden schnell. Am 9. und 10. kein Fieber, keine Diphtherie, ganz 
geringe Drüsenschwellung, Lungen frei. 

11. Juli 38,5; 37,3. 

12. Juli 37,8; 38,3. 

13. Juli 38,0; 39,1. 

Spur Eiweiss im Urin. 

14. Juli 37,5; 38,0; kein Eiweiss. Konnte leider nicht weiter beob¬ 
achtet werden. 

6. Anna B. Aufgen. 19. October 1886. ca. 8. Krankheitstag. Ver¬ 
blasstes Exanthem, Diphtherie, Temp. 39,0. Vom 21. bis 23. vollständig 
fieberfrei, Diphtherie verschwunden, am 24. plötzliche Fieberbewegung bis 
39,3, keine Diphtherie, keine Drüsenschwellung, kein Eiweiss. Dann fieber¬ 
frei, Heilung. 

7. Frida S. Aufgen. 4. November 1886. 2. Krankheitstag. Exanthem, 
Diphtherie, hohe Febris continua (zwischen 39 und 40), später mit stärkeren 


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542 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


Remissionen. Am 17. jede Spur von Diphtherie verschwunden. Nachfieber: 
38,0; 39,3. — 18. November 37,2; 38,5 u. s. f., mit leichten abendlichen 
Temperatursteigerungen bis 38,5 7 Tage lang, dann fieberfrei, abgesehen 
von geringeren Erhebungen am 29. und 30. — Heilung. 

8. Bernhard St. (s. Curve). Aufgen. 2. Januar 1887. 10. (?) Krank¬ 
heitstag. Diphtherie nach voraufgegangenem Scharlach. Remittirendes Fieber 
(bis 40) bis zum 8. Januar. — Diphtherie vollständig verschwunden. Nach¬ 
fieber bis zum 17. Dann Croup, durch ihn bedingtes neues hohes Fieber 
und Tod. Untersuchungen in den letzten Tagen aus Schonung nicht mehr 
vorgenommen. Section: Bronchopneumonie, Pleuritis exsud. sin. 

9. Paul St. Aufgen. 14. März 1887. 2. Krankheitstag. Exanthem, 
Diphtherie, hohes Fieber. Vom 17. bis 20. Fieber in massigen Grenzen. 
21. März kein Exanthem mehr, keine Diphtherie, keine Drüsenschwellung, 
Lungen frei. Nachfieber 7 Tage lang, zuerst noch bis 39,2, dann abnehmend. 
Am 4. April Ohrenschmerzen, Otitis, baldige Perforation des Trommelfells. 
Heilung. 

10. Ernst D. Aufgen. 15. October 1886- ? Krankheitstag. Exanthem, 
Diphtherie, hohes Fieber. 20. October Kniegelenksschmerzen. 23. October 
Temp. noch immer Abends zwischen 39 und 40, Exanthem, Diphtherie ver¬ 
schwunden, keine Gelenksschmerzen, kleine ephemere Erosionen auf der 
Zunge. 27. October Temp. dieselbe, Erosionen geheilt, Temp. von nun an 
langsam abnehmend bis zum 3. November. Heilung. Während der Con- 
valescenz noch ab und zu kleine Steigerungen bis 38,2. 

11. Helene F. Aufgen. 1. Juli 1886. 2. Krankheitstag. Exanthem, 
Pharyngitis, Temp. zuerst über 40, dann in steilen Curven allmählich her¬ 
abgehend. Herpes labialis. 6. Juli Exanthem, Pharyngitis verschwunden, 
keine Diphtherie, keine Drüsenschwellung, Lungen frei. Nachfieber inter- 
mittirend mit abendlichen Steigerungen bis zu 39,4. Zuweilen 2 Temperatur¬ 
gipfelungen an einem Tage. 13. Juli 36,9; 38,1. — 14. fieberlos. 15. und 
16. neues Fieber, beginnende Drüsenschwellung. 21. Incision, Eiteront- 
leeruDg. 24., die Wunde secernirt wenig Eiter, Temp. bis 40 gestiegen. 
26. vorübergehende Handgelenksschmerzen. 28. Pericarditis, 4. August 
fieberlos. Heilung. 

12. Emma H. (s. Curve). Aufgen. 15. Juni 1887. 2. Krankheitstag. 
Exanthem, Pharyngitis. 20. Juni Exauthem, Pharyngitis verschwunden. 
Nacbfieber bis zum 27. 28. Eiweisstrübung des Urins bei der Kochprobe. 
Nephritis mit hohem, ganz unregelmässigem Fieber, bis zum 15. Juli. Daun 
eine Periode geringeren Fiebers und abnehmenden Eiweissgehalts bis zum 
2. August und vom 3. August bis 17. August wieder stärkeres, allmählich 
abnehmendes Fieber ohne erkennbare Ursache. Entfieberung. Heilung. 

13. Else P. (s. Curve). Aufgen. 16. Mai 1886. Exanthem, bald dar¬ 
auf Diphtherie. Mässiges Fieber, im Allgemeinen abnehmend bis zum 22. 
Exanthem und Diphtherie während dessen geschwunden. 5 Tage fieberfrei 
(höchstens 38,0). — 28. Mai keine Diphtherie, keine Drüsenschwellung, keine 
sonstigen Krankheitssymptome. Nachfieber bis zum 3. Juni. Am 1. Juni 
schienen die Halsdrüsen etwas geschwollen, am 3. absolut nicht mehr. Dann 
fieberfrei. Heilung. 


einem Gaurnenbogen kann sich die Scharlachdiphtherie verstecken 
und unter der Asche glimmend das Fieber unterhalten. 

So will ich den Skeptikern denn auch gern noch die Fälle 
4 und 6 concediren, muss aber betreffs der anderen mit Rücksicht 
i auf die Incongruenz in der Intensität der localen Erscheinungen im 
Vergleich zu der Temperatur an der Selbstständigkeit des Nach¬ 
fiebers festhalten. Man betrachte noch einmal Fall 1: 

7 Tage lang eine Scliarlachcurve, wie sie für ein Lehrbuch 
nicht schöner gestaltet werden könnte, und dann eine ganz nene 
Fieberperiode von 8 Tagen, während die Diphtherie bereits mit der 
Defervescenz der ersten Periode verschwindet und nun eine zunächst 
intensivere, dann langsam schwindende Röthung zurücklässt. 

Im Uebrigen habe ich Sorge getragen, nur solche Fälle heran¬ 
zuziehen, bei denen die Geringfügigkeit der Entzündungssymptome 
im Rachen einen Gedanken an noch fortbestehende Diphtherie 
nicht aufkommen liess. Auch sehe ich die Intactheit des subjec- 
tiven Wohlbefindens, die ich mich nicht erinnern kann, je in so 
vollkommenem Maasse bei Kindern mit Scharlachdiphtherie beob¬ 
achtet zu haben — es soll später noch davon die Rede sein —. 
als einen ausschlaggebenden Factor an. 

Bezüglich der Beurtheilung der Otitis giebt Politzer 1 ) für 
die gewöhnliche eiterige Otitis als Norm bis zur Perforation des 
Trommelfelles 3—4 Tage an, die scarlatinöse führe aber schneller 
! als irgend eine andere zur Perforation. Wenn also Fall 8 16 Tage 
i vom Beginne des Fiebers bis zur Perforation braucht, so wird man 
das erstere nicht wohl als von der Otitis abhängig sich vorstellen 
können. 

Dasselbe, vielleicht noch in erhöhtem Maasse, gilt für die 
j Nephritis. Die Fälle, in denen dem Ausbruch der Nephritis 1 bis 
2 Tage Fieber voraufgehen, sind durchaus nicht häufig. Strümpell 
und Leichtenstern 2 ) halten sie eines besonderen Hinweises für 
werth; und hier (Fall 12) sind es volle 8 Tage hohen Fiebers, die 
dem Auftreten der ersten Eiweissspuren im Urin voraufgeheu. 

Es existirt also in der That ein, dem genuiuen 
Scharlachfieber folgendes, selbstständiges, insbesondere 
von den gewöhnlichen Complicationen der Krankheit 
unabhängiges Nachfieber. 

Wende ich mich nun zu den Hauptgrundzügen der Klinik 
dieses Nachfiebers, so lassen sich wohl zwanglos folgende vier 
Grundformen unterscheiden, die natürlich maunichfache Uebergäuge 
zeigen können. 

1. Der Scharlach tritt in die Defervescenz eiu oder kann selbst 



Else P. 


Wenn auch einzelne dieser Fälle so durchsichtig sind, dass sie 
keines Coujmentars bedürfen, so müssen doch für andere gewisse 
Einwände berücksichtigt werden, welche das Nachfieberzu einem 
einfachen Complicationsfieber stempeln könnten. 

Drei Complicationen kommen hier vor allem in Betracht: 

1. Die Pharyngitis bezw. Diphtherie. 

2. Die Otitis. 

3. Die Nephritis. 

Jeder, der Scharlachkindern wiederholt in den Hals gesehen 
hat, weiss, dass eine mässige Röthung im Pharynx auch nach Ab¬ 
blassen des Exanthems ein ganz gewöhnlicher Befund ist; wenn 
jeder solchen Röthung eine fiebererregende Eigenschaft zugeschrieben 
werden müsste, so existirten weder typische Scharlachcurven, noch 
glatte Convalescenzen. Ist daher in dem Fall 2 von der ursprüng¬ 
lichen scarlatinösen Angina noch ein leichter Rest zurückgeblieben, 
so darf daraus nicht geschlossen werden, dass dieser Rest die Tem¬ 
peratur 5 Tage lang über 39,0 erhalten könnte. Das giebt ja auch 
Henoch zu, dass, wenn die Angina das Fieber über die normale 
Zeit unterhält, sie stets den necrotisirenden Charakter (Diphtherie) 
annimmt. Allerdings sind wir uns dessen voll bewusst, auch ohne 
die interessante Bestätigung durch Henoch’s Leichenbefunde, dass 
unsere Hülfsmittel der Mundhöhleninspection, namentlich bei kleinen 
obstinaten Kindern unzureichend sind, jede pathologische Verän¬ 
derung zu erkennen; in den Lacunen der Tonsillen oder hinter 


einige Tage schon die Norm erreicht haben, da steigt langsam eine 
neue Curve an, erreicht ihr Fastigium, um, falls nicht der Tod ihr 
ein Ende macht, ebenso langsam oder auch etwas beschleunigt zur 
Norm abzufallen; diese Gruppe vom Typus des recurrirenden 
Fiebers liefert die reinsten Formen des Nachfiebers. (Falle 1—6.) 

2. Während der Scharlach verblasst, die Diphtherie ver¬ 
schwindet, bleibt die Temperatur auf der einmal gewonnenen Höhe 
noch mehrere Tage, um dann langsam staffelförmig herunterzugehen: 
Typus der verzögerten Defervescenz. (Fall 7—10.) 

3. Das Nachfieber schliesst sich der primären Temperatur¬ 
erhöhung an, unter plötzlichem Ansteigen oder auf der Höhe der 
letzteren verharrend, ohne dann eine Neigung zum Nachlass zu 
zeigen. Die zwei Fälle dieser Gattung hatten beide unter beson¬ 
ders schweren, später nachfolgenden Localerkrankungen zu leiden: 
stationäres Nachfieber. (Fall 11 und 12.) 

4. Atypisches Nachfieber: Die Temperatur erreicht die 
höchsten Grade, steigt und fällt rapide oder ganz träge, zeigt selbst 
an einem Tage mehrere steile Gipfelungen ganz nach Analogie des 
pyämischen Fiebers und kann Wochenfrist und länger anhalten. 
(Fall 13.) 


') Lehrbuch 1887. 

a ) Ueber die 1880/81 in Cöln herrschende Scharlachepidemie. Deutsche 
med. Wochenschr. 1882. 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Wichtiger vielleicht als die Gestaltung der Curven, jedenfalls 
den Praktiker mehr interessirend, ist das Yerhältniss dieses 
Nachfiebers zu den Complicationen. Dem Leser der obigen 
Krankengeschichten wird es schon aufgefallen sein, wie wenige der 
angeführten Fälle, nicht einmal die Hälfte, mit dem Exanthem zu¬ 
gleich eine Diphtherie zu überstehen gehabt hatten. Während 
der Diphtherie also in Hinsicht auf die gewöhnlichen Compli¬ 
cationen des Scharlachs eine anerkannt ominöse Bedeutung zu¬ 
kommt, scheint die Häufigkeit des Nachfiebers unbeeinflusst von ihr 
zu sein. 

Von nachfolgenden Complicationen blieben 9 Fälle über¬ 
haupt frei und genasen; es steht dieses günstige Heilungsverbältniss 
zu den Thomas’sehen Sätzen über den Verlauf solchen Fiebers, 
die doch einen prognostisch recht trüben Charakter tragen, in prä¬ 
gnantem Gegensatz. Konnte auch ein Fall, den ich den Heilungen 
zuzähle, nicht weiter beobachtet werden, so wurden doch alle an¬ 
deren Convalescenten noch mehrere Tage, in den schwereren 
Fällen selbst Wochen lang nach der Entfieberung, im Krankenhaus 
behalten, so dass üble Zufälle nach der Entlassung nicht wohl zu 
erwarten waren. Einzig die Statistik der Nephritis könnte in 
diesen Fällen Lücken zeigen, aber darüber wird ein Krankenhaus 
überhaupt nie genaueren Aufschluss geben können, da die kleinen 
Patienten nach einem längeren, fieberfreien Intervall nothwendig 
entlassen werden müssen. — Will man also die Bedenklichkeit so 
weit treiben, so ziehe man ruhig noch 1—2 Fälle der glatten Hei¬ 
lungen ab; es restirt dann immer noch der stattliche Heilungssatz 
von circa 60%. An sonstigen später auftretenden Complicationen 
kamen folgende vor: Otitis (1), Lymphadenitis (1), Nephritis (1), 
Pericarditis (1), Croup (1) und Keratitis (1). 

Es ist für mich keinem Zweifel unterlegen, dass manche der 
als Complicationsfieber laufenden Curven ihren Ursprung dem Nach¬ 
fieber verdanken, und dass die Localcomplication nur den bestehen¬ 
den Anschauungen gemäss als Ursache herangezogen wird; öfters 
ist es mir bei der Lectüre früherer Krankengeschichten aufgefallen, 
dass, wenn das Fieber nicht zurückging, die Rachenorgane dem 
Beobachter plötzlich wieder „stärker geröthet“ erschienen, dass eine 
Conjunctivitis, wie sie bei den oft schlecht genährten, elenden Kin¬ 
dern der Spitalpraxis nicht eben selten sind, dass eine leichte 
Diarrhoe oder Stuhlverstopfung als Erklärungsgrund für hochgehende 
Temperaturen herhalten musste. In anderen Fällen hat man wirk¬ 
lich einen Anhaltspunkt, etwa eine Lymphadenitis, man incidirt, 
der Eiter entleert sich, die Temperatur rührt sich nicht von ihrer 
Höhe, und während die Wunde verheilt, die Schwellung der Drüse 
abnimmt, geht die Temperatur erst Tage oder Wochen später her¬ 
unter. So manche dieser interessanten Fälle habe ich für meinen 
Zweck als fragliche, jedenfalls anzuzweifelnde Befunde verwerfen 
müssen, es würde mich aber freuen, wenn ich die Anregung zu 
einer besseren Deutung dieser nicht genügend reinen Fälle gegeben 
haben sollte. 

Das subjective Befinden der kleinen Patienten ist recht 
häufig ein auffallend gutes. Allerdings beruhen die mitgetheilten 
Fälle nur zum Theil auf eigener Beobachtung, und nur bei diesem 
Theile konnte ich mich zu meinem Erstaunen davon überzeugen, 
wie wenig, namentlich die kleinen Kinder, welche während des 
Scharlachprocesses sehr gelitten hatten, von der erhöhten Tempe¬ 
ratur berührt wurden; bei den übrigen habe ich auch öfters in den 
Krankengeschichten Bemerkungen, wie: „Allgemeinbefinden gut, Ap¬ 
petit rege, subj. Befinden vorzüglich!“ in täglicher Wiederholung 
gefunden. Besonders auffällig war der Contrast zwischen der Tem¬ 
peratur, die bis fast 41 o ging, und der ungestörten Munterkeit bei 
dem Falle 13; Fall 2, der eine auch subjectiv mit schweren Er¬ 
scheinungen einhergehende Scarlatina durchgemacht hatte, war in 
den ersten Tagen des Abends noch etwas benommen, erholte sich 
aber dann rasch. Fall 10, der übrigens nicht eigener Beobachtung 
entstammt, fiel, so lange die Diphtherie bestand, durch „mürrische, 
weinerliche Stimmung“ auf, während schon in den ersten Tagen 
des Nachfiebers notirt werden konnte: „Allgemeinbefinden bedeu¬ 
tend besser, keine Klagen!“ Andrerseits sind doch auch zuweilen 
schwerere Störungen des Allgemeinbefindens selbst Wochen lang, 
und in einigen von Fürbringer beobachteten Fällen schwerstes 
Darniederliegen und vollkommene Benommenheit bis zum Tode nicht 
zu verkennen. 

Besonders charakteristische Eigenschaften der Temperaturcurve 
sind kaum zu bemerken; allerdings fangen gewöhnlich mit dem 
Nachfieber auch stärkere Remissionen an, sich einzustellen, so dass 
auch bei einer normalen Scarlatina die staffelförmig herabgehende 
Curve des genuinen Fiebers ziemlich scharf gegen das Nachfieber 
abgesetzt ist. Die stärksten Remissionen finden sich bei dem aty¬ 
pischen Nachfieber, der vierten Form unserer Eintheilung, ganz nach 
Analogie der Curven, wie sie Pyämische zeigen. Typus inversns 
habe ich nicht beobachtet, allerdings fielen in einigen Fällen die 
Temperaturmaxima auf besonders frühe Zeiten, selbst in den Vor¬ 


mittag, aber die Abendtemperatur blieb dann nur wenig dahinter 
zurück. 

Die Diagnose ist a priori in keinem Fall mit absoluter Sicher¬ 
heit zu stellen. In erster Linie steht natürlich das Fortbestehen 
des Fiebers bei völliger Abwesenheit aller Complicationen. Ich 
möchte nicht durch die Aufstellung des Begriffes „Nachfieber“ 
einer flüchtigen Untersuchung Vorschub geleistet haben. Nur sorg¬ 
fältigste Beobachtung und Abwägung der vorhandenen Symptome 
ermöglichen die Diagnose Nachfieber, zu deren Festigung der Kli¬ 
niker noch öfters eingehender Specialkenntnisse auf dem Gebiete 
der Ohren- und Augenheilkunde etc. benöthigt sein wird. Im All¬ 
gemeinen steigt mit jedem Tage, der keine neuen Complicationen 
bringt, die Wahrscheinlichkeit für die Selbstständigkeit des vorhan¬ 
denen Fiebers. In allen Fällen ist auch auf den remittirenden Cha¬ 
rakter der Curve und auf die relative Intactheit des subjectiveu 
Wohlbefindens Werth zu legen. Zweifelhaft bleiben vor allen Dingen 
die Fälle, welche neben dem anhaltenden Fieber noch geringe 
Localsymptome zeigen, und bei denen nur eine längere Beobachtung, 
welche die Incongruenz zwischen Fieber und Localaffection im weite¬ 
ren Verlaufe aufdeckt, schliesslich die Entscheidung bringen kann. 
Immerhin wird stets eine Anzahl bleiben, in denen die Diagnose 
auch a posteriori nicht völlig sicher gestellt werden kann. 

Die Prognose des Nachfiebers ist nach dem Gesagten dubiös, 
aber, eine zweckentsprechende Therapie (s. u.) vorausgesetzt, vor¬ 
wiegend ad bonam partem. Die gute Hälfte unserer Patienten ist 
völlig glatt geheilt. Freilich ist dabei festzuhalten, dass der Procent¬ 
satz der Heilungsfälle hier vielleicht etwas grösser erscheint, als der 
Wirklichkeit entspricht, da, gegenüber der vollständigen Zusammen¬ 
stellung der glatten Heilungsfälle, die bei der Durchsicht der 
Krankengeschichten schlechterdings nicht zu übersehen sind, ein 
Theil der unreinen Fälle mir — bewusst oder unbewusst — ent¬ 
gangen sein wird. Wenn nun selbst unter diesen Voraussetzungen 
4 von 13 Fällen spätere Complicationen durchzumachen hatten, so 
dürfte eine umfassendere Statistik eine noch grössere Häufigkeit der 
Complicationen und damit eine gewisse, durch das Nachfieber ge¬ 
schaffene Disposition für anderweitige Localerkrankungen ergeben. - 

Die Therapie besteht fast lediglich in kräftiger Ernährung, 
bezw. in den sonst für Scharlachconvalescenten zu ergreifenden 
Maassnahmen. Fürbringer hat sich nicht gescheut, nach Umständen 
täglich bis zu 10 Eiern neben grösseren Quantitäten Milch und Wein 
zu reichen, und Errettung aus desolaten Zuständen beobachtet. Ein¬ 
mal wurde Calomel einige Tage hindurch gegeben, ohne dass ein 
besonderer Einfluss auf die Curve zu erkennen gewesen wäre. Bei 
stärkerer Benommenheit frommt eine milde Badeantipyrese. Anti¬ 
pyretische Fiebermittel sind nach Fürbringer’s Urtheil kaum von 
Nöthen. Grosse Dosen schaden, kleine beeinflussen weder Fieber¬ 
gang noch subjective Beschwerden in annehmbarer Weise. Allen¬ 
falls reicht man älteren, sehr unruhigen, über Hitze klagenden 
Kindern einige mittlere Gaben mit Nutzen, doch prüfe man stets 
die Verträglichkeit durch kleinere Anfangsdosen. 

Die pathologische Bedeutung des Nachfiebers anlangend 
krankt die Exegese desselben, genau so wie die des Scharlachs, an 
dem Fehlen einer sicheren bacteriologischen Grundlage. Wann ist 
der Scharlachprocess abgelaufen, welcher Antheil der endlosen, sich 
anschliessenden pathologischen Vorgänge ist dem Scharlach, welcher 
den Complicationen zuzuschreiben, das sind Fragen, die bis auf die 
heutige Zeit einer auf mehr als wahrscheinliche Hypothese gestützten 
Antwort harren. Wenn man freilich wie Fox 1 ) Scarlatina, Diph¬ 
therie (i. e. Synanche) und Tonsillitis als ein und denselben Krank- 
heitsprocess ansieht, getrennt nur durch die mehr weniger ver¬ 
breitete Generalisation des erregenden Virus, so kann man sich die 
Deutung der in Rede stehenden Fälle eben auch durch die Annahme 
einer irgend wie grossen Generalisation recht leicht machen. Die 
erdrückende Mehrzahl der Autoren hält aber an der Specificität des 
Scharlachs fest, und das Kriterium derselben gegenüber seinen Com¬ 
plicationen sollte nun die Bacillensuche schaffen. 

Von der Unzahl von Mühsalen und Irrungen bei dieser schwie¬ 
rigen Aufgabe giebt Escherich 2 ) ein anschauliches Bild. Erst 
den neueren Untersuchern Crooke, Löffler, Heubner, Bahrdt, 
Fränkel und Freudenberg war es Vorbehalten, auf dem Wege 
des modernen Culturverfahrens und des Thierexperimentes an Stelle 
des erstrebten Scharlachpilzes den gemeinen Streptococcus zu fin¬ 
den. — Immerhin war mit diesem Befunde viel gewonnen, der 
Grund gelegt zu einer Definition der „Secundärinfection“, wie sie 
durch Fränkel und Freudenberg zum ersten Male scharf for- 
mulirt ist. 3 ) 

Im Lichte dieser Secundärinfection gewinnen unsere Fälle eine 
gewisse Bedeutung. Wir können uns der Vorstellung nicht 

~~~VLancet 1886 , Juli 31. 

*) Centralbl. f. Bact. u. Parasitenkunde, 1887. I. 13. 

*) Fränkel und Freudenberg. Ueber Secundärinfection bei Schar- 
I lach. Centralbl. f. klin. Med. 1885. No. 45. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


erwehren, dass das Nachfieber nichts weiter darstellt, 
als eine generalisirte Secundärinfection, welche nicht, 
oder noch nicht bestimmte Organe durch Localerkran¬ 
kungen betheiligt hat. Unsere Untersuchungen bringen daher 
einen neuen klinischen Beitrag zur Lehre von der Secundärinfection, 
wo der Pathologe (s. später) schon sein non possumus gesprochen 
hat. — 

Fränkel und Freudenberg verfolgten den Zweck, auf die 
zum mindesten grosse Häufigkeit der Invasion des Streptococcus 
bei Scarlatina hinzuweisen. Leider scheint die Schwierigkeit des 
Nachweises mit der relativen Gutartigkeit der Fälle rapid zuzu¬ 
nehmen: bei einem mit gewöhnlicher Amygdalitis (nicht Diphtherie) 
einhergehendeu, übrigens schon auf der Höhe der Krankheit bei 
floridem Exanthem tödtlich endenden Falle wurden nur 1—6 Diplo- 
coccen pro Gesichtsfeld und nur nach Anwendung der Gram’schen 
Methode gefunden. So werden wir für die leichten Fälle der Se¬ 
cundärinfection wohl auf das klinische Studium angewiesen 
bleiben, uud es rechtfertigt sich schon hieraus, meine ich, genugsam 
unsere Beschränkung auf rein klinische Beobachtungen. — 

Fasse ich die Resultate der Arbeit noch einmal kurz zusammen, 
so möchte ich sie in folgenden Sätzen formuliren: 

1. In einer kleinen, aber nicht ganz verschwindenden Procent¬ 
zahl 1 ) von Scharlachfällen tritt ein selbstständiges, durch keine 
nachweisbare Complication bedingtes Nachfieber auf. 

2. Das Nachfieber schliesst entweder unmittelbar an das 
Scharlachfieber an, oder setzt ein, nachdem die Körpertemperatur 
mehrere Tage die Norm erreicht hat, und währt seinerseits wenige 
Tage bis fast zwei Wochen; es verläuft meist unter besserem sub- 
jectivem Allgemeinbefinden der Patienten als unter der Herrschaft 
des primären Fiebers und endet in der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle in Heilung. Der Tod' 2 ) erfolgt durch Erschöpfung oder 
secundäres Auftreten schwerer Complicationen, für welche das Nach¬ 
fieber eine gewisse Disposition zu schaffen scheint. 

3. Das Nachfieber ist wahrscheinlich eine bestimmte Form der 
Secundärinfection und steht in Beziehung zu den Streptococcen¬ 
befunden bei Scharlach. Es ist wahrscheinlich, dass die Strepto¬ 
coccen auch durch die nicht diphtheritisch entzündeten Tonsillen 
einwandern können. 

4. Der biologische Process der eingewanderten Streptococcen 
kann sich mit der rein pyrogenen Wirkung als erkennbarer Aeussc- 
rung erschöpfen. 

5. Für den Praktiker folgt aus der Existenz des Nachfiebers, 
dass keineswegs durch das Fortbestehen des Fiebers die Prognose 
des Scharlachs nothweudig zum Schlechten geführt wird, dass er 
aber auf schwere, später eintretende Complicationen immerhin ge¬ 
fasst sein muss. 

Zum Schluss noch ein Wort über das Verhältniss unserer 
Fälle zu den in der Literatur publicirten: Sie berühren sich auf 
der einen Seite mit den Henoch’schen „letzten Ausläufern des 
lnfectionsfiebers“, andererseits mit den Thomas’schen Nachfiebern 
schwereren Verlaufes und Ausganges. Neu ist die ausgiebigere 
klinische Darstellung und die schärfere Charakterisirung (Formen, 
subjectives Befinden, Prognose) und die Beziehung auf die Secundär¬ 
infection; letztere ist allerdings eine Hypothese, aber angesichts der 
oben angedeuteten Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit, der 
Frage von der bacteriologischen Seite beizukoramen, wohl eine be¬ 
rechtigte. — 

Herrn Professor Fürbringer erlaube ich mir hier, für das 
meiner Arbeit gewidmete freundliche Interesse und die mannichfachc 
Anregung, die mir durch ihn fortwährend zu Theil geworden ist, 
meinen wärmsten Dank auszusprechen. 

m. Ueber Lungentuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 26.) 

Aetiologie. 

Die Lungentuberculose beruht in allen Fällen auf der 
Gegenwart eines specifischen Mikroorganismus, des von R. Koch 
entdeckten Tuberkelbacillus. Die Tuberculose ist demnach als 

*) Ich verzichte auf die Angabe concreter Zahlen, da das beigebrachte 
Material nicht gross genug erscheint, um sichere Schlüsse in dieser Be¬ 
ziehung zu gestatten. Auch werden sich Differenzen der Häufigkeit in ver¬ 
schiedenen Ländern erst auf Grund einer allgemeineren Kenntniss und 
Beobachtung des Nachfiebers feststellen lassen. Im Friedrichshain entfällt 
eine grosse Zahl leichterer Scharlachlalle, welche der Anstalt nicht über¬ 
liefert werden, so dass das Verhältniss hier keineswegs für eine allgemeine 
Statistik taugt. 

*) Sectionsbefunde zu bringen, bin ich nicht in der Lage, in dem 
einzigen obeu angeführten Todesfälle wurde das anatomische Bild durch 
intercurrente Krankheiten beherrscht. Die Kenntniss der Todesfälle über¬ 
haupt verdanke ich den Mittheilungen des Herrn Professor Fürbringer. 


eine chronische Infectionskrankheit zu bezeichnen. Der Bacillus 
ist in den in der Lunge sich vorfindenden Tuberkelmassen ent¬ 
halten, uud zwar sowohl in den miliaren Knötchen, als in den 
specifischen Infiltrationen; er ist auch noch vorhanden in den käsig 
gewordenen und in den bereits verflüssigten Krankheitsproducten, 
und er ist endlich nachweisbar in dem Auswurf der Kranken, der 
bald grössere, bald geringere Mengen davon enthält. Die Bacillen 
stellen sich dar als schlanke Stäbchen, welche häufig etwas ge¬ 
krümmt sind. Sie sind im Auswurf leicht zu erkennen, wenn der¬ 
selbe in dünner Schicht ausgebreitet mit einer Lösung von Anilin¬ 
farben gefärbt und nachher mit Säuren wieder entfärbt wird, indem 
dabei die Bacillen den Farbstoff zurückhalten. Zuweilen sind in 
den Bacillen Sporen zu erkennen, welche sich nicht färben. 

Wenn wir die Tuberculose als eine chronische Infectionskrauk- 
heit auffassen, so ist schon damit die früher fast allgemein ange¬ 
nommene Ansicht, als ob dieselbe bei einem Menschen spontan 
sich entwickeln. könne, beseitigt: eine Generatio aequivoca des 
Bacillus ist für uns nicht annehmbar, und deshalb kann die Krank¬ 
heit ebenso wie die Syphilis nur dann entstehen, wenn das speci- 
fische Gift derselben in den Körper aufgenommen wurde. Die erste 
und wichtigste Frage ist nun die nach der Herkunft des Tuberkel¬ 
bacillus oder mit anderen Worten die Frage, zu welcher Gruppe der 
Infectionskrankheiten die Tuberculose zu rechnen sei, ob zu den miasma¬ 
tischen oder zu den contagiösen oder endlich zu den contagiös-miasmati- 
schen Krankheiten (vgl. Vorlesungen Bd. I., p. 16 ff.). Wegen der allge¬ 
meinen Verbreitung der Krankheit scheint zunächst die Aunahme nahe 
zu liegen, dass der Tuberkelbacillus zu den ubiquitären Mikroorganis¬ 
men gehöre, die an jedem Ort und zu jeder Zeit vorhanden sein können, 
und die nur gewissermaassen zufällig als sogenannte facultative 
Parasiten in den menschlichen Körper gelangen und dann Krank¬ 
heit hervorrufen. Aber diese Ansicht, nach welcher die Tuberculose 
zu den miasmatischen Krankheiten gehören würde, ist nicht halt¬ 
bar. Die Tuberculose ist, obwohl sie ausserordentlich verbreitet 
ist, dennoch keine ubiquitäre Krankheit, sondern ausschliesslich 
eine Krankheit der alten Culturvölker, und ihre geographische Ver¬ 
breitung reicht nur so weit, als diese sich ausgebreitet haben. Bei 
den Negern in Centralafrika giebt es keine Tuberculose, während 
dieselbe unter denjenigen Negern, welche mit Culturvölkern in 
nähere Berührung gekommen sind, sogar häufiger vorkommt als 
bei den anderen Menschenrassen. Auch bei den Indianern von 
Amerika war die Krankheit, wie durch zahlreiche vollgültige Berichte 
bezeugt wird, gänzlich unbekannt, bevor sie mit den europäischen 
Einwanderern in Berührung gekommen waren. Ebenso verhielt und 
verhält es sich mit den Bewohnern der australischen Inseln, bei 
denen nur, so weit sie mit den Culturvölkern in nähere Berührung 
gekommen sind, die Schwindsucht vorkommt und eine häufige 
Krankheit ist. 

Dagegen wird durch zahlreiche und häufig sich wiederholende 
Thatsachen der Beweis geliefert, dass die Tuberculose von einem 
Menschen auf den anderen übertragen werden kann, dass sie also 
zu den contagiösen Krankheiten gehört. Die Uebertragbarkeit der 
Krankheit vom Menschen auf Thiere und von einem Thiere auf 
das andere ist seit Villemin durch unzählige Impfversuche er¬ 
wiesen worden. Die Möglichkeit, dass in ähnlicher Weise die 
Krankheit von einem Menschen auf den anderen übertragen werden 
könne, ist demnach nicht zu bezweifeln; es kann sich nur noch 
um die Frage handeln, ob thatsächlich eine contagiöse Uebertragung 
häufig vorkomme oder die Regel bilde. Und diese Frage ist auf 
Grund der Erfahrung in positivem Sinne zu beantworten. 

Schon seit dem Alterthum finden sich bei den Schriftstellern 
vereinzelte Andeutungen, dass man die Schwindsucht für ansteckend 
gehalten habe. Und die Masse des Volkes scheint zu allen Zeiten 
und an allen Orten diese Ansicht gehabt zu haben. In italienischen 
Städten waren noch bis vor nicht langer Zeit Gesetze wenigstens 
formell gültig, welche mit der grössten Strenge diejenigen bedrohten, 
welche es versäumten, die an Schwindsucht leidenden Kranken an¬ 
zuzeigen oder die von denselben gebrauchten Kleider, Betten u. s. w. 
zu vernichten. In manchen spanischen Städten wird noch jetzt ein 
Haus, in welchem ein Mensch an Schwindsucht gestorben ist, von 
seinen Bewohnern verlassen und auf lange Zeit nicht mehr bezogen. 
Und auch in Deutschland ist in vielen Gegenden bei dem Landvolke 
der Glaube, dass die Schwindsucht ansteckend sei, seit alter Zeit 
so fest eingewurzelt, dass er durch alle Skepsis der Aerzte und der 
Gebildeten nicht hat ausgerottet werden können. In den letztver- 
gangeneu Jahrhunderten und noch in den ersten Decennien unseres 
Jahrhunderts waren wohl die meisten Aerzte der Ansicht, dass die 
Phthisis in manchen Fällen contagiös übertragen werde; die patho¬ 
logischen Anatomen (Morgagni und Andere) vermieden es, die 
Section von an Schwindsucht Gestorbenen zu machen, weil sie für 
sich und ihre Zuhörer die Ansteckung fürchteten. Erst im Verlauf 
unseres Jahrhunderts wurde, zum Theil wohl unter dem Einfluss 
des ausschliesslich pathologisch-anatomischen Standpunktes, diese 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Ansicht von den Aerzten aufgegeben und endlich einfach zu den 
populären Vorurtheilen und zum veralteten Aberglauben gerechnet. 
Und doch sind für den aufmerksamen Beobachter die Fälle, bei 
welchen eine direkte Uebertraguug der Krankheit von einem Menschen 
auf den anderen .stattfindet, durchaus nicht selten. Wir sehen zu¬ 
weilen, dass in eine bisher von Phthisis freie Familie die Krankheit 
eingeführt wird dadurch, dass ein Familienmitglied mit Phthisis aus 
der Fremde heimkehrt. Namentlich bei der Landbevölkerung, bei 
welcher die Menschen in ihren Häusern gewöhnlich eng Zusammen¬ 
leben, kommt dieser Fall oft zur Beobachtung, und es kann dann 
geschehen, dass im Laufe der Jahre die Familie zum grossen Theil 
in Folge von Phthisis ausstirbt. Es kommt ferner häufig vor, dass, 
wenn von zwei Ehegatten der eine an Phthisis gestorben ist, später, 
und zwar zuweilen schon bald, zuweilen erst nach Jahren, bei dem 
Ueberlebenden die Erscheinungen der gleichen Krankheit sich eiu- 
stellen, auch wenn bei demselben weder in den hereditären noch 
in den constitutionellen Verhältnissen irgend ein Grund vorhanden 
war, das Auftreten derselben zu erwarten. Nach meinen Erfahrun¬ 
gen scheint es, als ob die Phthisis häufiger von dem Manne auf die 
Frau als umgekehrt übergehe, möglicherweise deshalb, weil im 
Durchschnitt die Frau der Pflege des kranken Mannes sich ein¬ 
gehender hinzugeben pflegt als umgekehrt, ln den Localitäten, in 
welchen ein Phthisiker sich aufgehalten hat, haftet der Ansteckungs¬ 
stoff lange Zeit. Ich kann zahlreiche Beispiele dafür anführen, dass 
in einer Familie, in welcher bisher Phthisis nicht vorgekommeu war, 
dieselbe auftrat, nachdem eine Wohnung bezogen worden war, in 
welcher früher Kranke mit Lungenschwindsucht gelebt hatten. Auch 
der Fall ist nicht ganz selten, dass, wenn eine Frau an Phthisis 
gestorben ist und der Mann später eine zweite Frau in die gleiche 
Wohnung heimführt, auch diese nach einiger Zeit von Phthisis be¬ 
fallen wird, während möglicherweise der Mann frei bleibt. Endlich 
sind mir Beispiele bekannt, dass Handwerker, und namentlich 
Schneider, welche gesund nur der Arbeit wegen an Curorte für 
Phthisiker sich begeben hatten, von dort mit Phthisis zurückkamen, 
oder dass Krankenpflegerinnen aus gesunder Familie, welche die 
Pflege von Schwindsüchtigen übernommen hatten, später selbst 
schwindsüchtig wurden. — Ich zweifle nicht, dass jeder Arzt, wenn 
seine Aufmerksamkeit einmal auf solche Vorkommnisse gerichtet ist, 
dergleichen Fälle beobachteu wird, und zwar in solcher Häufigkeit, 
dass dabei der Zufall mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. 

Aber es lässt sich andererseits nicht leugnen, dass zahlreiche 
Individuen mit Schwindsüchtigen verkehren, ohue dadurch Schaden 
zu erleiden, und dieser Umstand ist es vor Allem, welcher so lange 
Zeit die Erkeuntniss, dass die Tuberculose eine contagiöse Krankheit 
sei, erschwert hat. In der That, wenn die Phthisis mit derselben ; 
Leichtigkeit von einem Menschen auf den anderen überginge, wie 
etwa die Pocken in einer nicht prophylaktisch geschützten Bevölke¬ 
rung, so müssten noch viel mehr Menschen von der Krankheit be¬ 
fallen werden, und namentlich müssten fast alle Aerzte schwind¬ 
süchtig werden. Wir sehen demnach, dass die Uebertraguug der 
Phthisis uur dann erfolgt, wenn noch besondere Bedingungen erfüllt 
sind. Zunächst scheint in vielen Fällen ein langes Zusammenleben 
mit dem Kranken in dem gleichen Zimmer erforderlich zu sein oder 
ein langer Aufenthalt in den durch das Kraukheitsgift inficirten 
Räumen. Ausserdem aber ist von entscheidendem Einfluss die Dis- i 
Position des Einzelnen und endlich das etwaige Vorhandensein von 
besonderen Gelegenheitsursachen, wovon im Folgenden noch näher 
zu reden sein wird. 

Mit der Annahme, dass die Tuberculose eine contagiöse Krank¬ 
heit sei, sind auch manche Erfahrungen über das Vorkommen und 
die Ausbreitung derselben in guter Uebereiustimmung. Sie ist 
durchschnittlich am häufigsten, w f o die Bevölkerung am dichtesten 
ist. Wo die Dichtigkeit der Bevölkerung unter eine gewisse Grenze 
sinkt, kann sie vollständig fehlen, so innerhalb der Polargegenden, j 
in Steppeu und Wüsten, auf hohen Bergen. Dagegen ist sie häufig 
in grossen Städten und ferner da, wo die Menschen in engen Räumen 
zusammen leben und wenig an die frische Luft kommen, so in Ge¬ 
fängnissen, Klöstern, Seminarien, in übermässig dicht bewohnten 
Räumen. Auch das häufige Vorkommen bei der Industriebevölkerung j 
ist zum Theil auf die gemeinschaftlichen Arbeitsräume zurückzu¬ 
führen. 

Als der gewöhnliche Weg der Infection ist wohl die Aufnahme 
des Giftes durch die Respirationsorgane anzusehen. Wenn Sputa, i 
welche Bacillen oder Sporen enthalten, eintrocknen, so können 
Partikel davon in die Luft aufgenommen und in dieser suspendirt 
von anderen Menschen eingeathmet werden, die dann, wenn sie zu 
der Krankheit disponirt sind, oder wenn besondere Gelegenheits- 
Ursachen mitwirken, an Lungenschwindsucht erkranken. In den 
Räumen, in welchen Kranke verweilt haben, scheint das Krankheits¬ 
gift noch lange Zeit in wirkungsfähigem Zustande verbleiben zu 
können. — Aber auch noch auf anderem Wege kann die Infection 
stattfinden, so z. B. wenn das Tuberkelgift in Speisen oder Getränke 


gelaugt, und wahrscheinlich auch, wenn die Milch von perlsüchtigen 
Kühen in ungekochtem Zustande genossen wird; es werden dann 
aber gewöhnlich zunächst der Darmcanal oder andere Unterleibs- 
orgaue befallen; auch scheint dieser Weg der Infection keineswegs 
besonders häufig zu sein, vielleicht weil durch Magensaft und Darm¬ 
säfte eine gewisse desinficirende Wirkung ausgeübt wird. Endlich 
können die von Epidermis entblössten Hautflächen, wie sie bei 
schweren Ekzemen oder anderen Geschwürbildungen vorhanden 
sind, Atria morbi sein. — In vielen Fällen wird die Krankheit von 
den Eltern auf die Kinder vererbt, und zwar entweder so, dass nur 
eine grössere Disposition zur Erkrankung erblich übertragen wird, 
oder auch in der Weise, dass der Keim der Krankheit von den 
Eltern auf die Kinder übergeht, bei denen er dann zuweilen bald 
zur Entwickelung kommt, zuweilen aber auch lange Zeit latent 
bleibt und erst beim Eintreten entsprechender Gelegenheitsursachen 
seine Entwickelung beginnt. 

Die Thatsache, dass in gewissen Familien zahlreiche Glieder an Tuber¬ 
culose erkranken, wird so überaus häufig beobachtet, dass die Rolle der 
Vererbung bei der Eustehuug der Krankheit kaum von irgend einem Arzte 
bezweifelt wird. Wenn wir aber nach einem streng wissenschaftlichen Be¬ 
weise für das Vorkommen der Vererbung suchen, so zeigt sich, dass es da¬ 
mit schlecht bestellt ist. Man hat zwar häufig versucht, auf statistischem 
Wege diesen Nachweis zu liefern, und man hat gewöhnlich geglaubt, allen 
Anforderungen genügt zu haben, wenn man feststellte, dass bei einer grossen 
Zahl von Schwindsüchtigen auch in der übrigen Familie Fälle von Schwind¬ 
sucht vorgekommen waren. Aber alle diese statistischen Zusammenstellungen, 
so weit sie mir bekannt sind, erscheinen bei genauer Betrachtung nicht 
beweiskräftig. Es giebt z. B. ältere Zusammenstellungen aus einem Hospital 
für Schwindsüchtige in der Nähe von London, aus welcher sich ergiebt, 
dass unter 100 Kranken bei etwa 25 constatirt werden konnte, dass ent¬ 
weder der Vater oder die Mutter ebenfalls schwindsüchtig gewesen war, und 
es wurde dies fast allgemein als ein unanfechtbarer Beweis für die Erblich¬ 
keit der Krankheit anerkannt. Und trotzdem ist auch diese Statistik, wie 
sich aus einer einfachen Rechnung ergiebt, noch keineswegs ausreichend 
für den zu erbringenden Beweis. Jene 100 Kranke hatten im Ganzen 
200 Eltern, und von diesen sind nachgewiesenermaassen 25, also ein Achtel, 
schwindsüchtig gewesen. In der Gegend von London stirbt aber von der 
Gesamratbevölkerung mehr als ein Sechstel an Schwindsucht; es blieb dem¬ 
nach bei den Eltern der Kranken die Zahl der Schwindsüchtigen noch 
unter der Mittelzahl, und es kann darum jene Statistik nur als Beweis dafür 
angesehen werden, dass die Erhebungen über die Kraukheitsverhäkuisse der 
Eltern nicht vollständig gewesen sind. Auf der einen Seite ist zuzugeben, 
dass bei einzelnen der Eltern die Schwindsucht vielleicht erst später zum 
Ausbruch gekommen sein mag, aber auf der anderen Seite ist auch zu be¬ 
rücksichtigen, dass eine Uebertraguug von den Eltern auf die Kinder in 
manchen Fällen durch direkte Ansteckung erfolgt sein kann. Viele andere 
statistische Zusammenstellungen haben noch weniger Bedeutung, indem bei 
denselben ausser den Eltern auch noch beliebig viele andere nähere und 
fernere Familienangehörige berücksichtigt sind und somit naturgemäss die 
Zahlen noch viel grösser sein müssten, um beweiskräftig zu sein. Wenn 
nun auch, obwohl bis jetzt der statistische Nachweis für das Vorkommen 
der Vererbung fehlt, dennoch kein Arzt, der ein offenes Auge hat, an der 
Thatsache der Vererbung zweifeln wird, so wäre immerhin die Beibringung 
eines solchen statistischen Beweises wünschenswert!). Derselbe würde wohl 
am leichtesten herzustellen sein durch vergleichende Erhebungen; man 
müsste einerseits bei Schwindsüchtigen feststellen, wie häufig das Vorkommen 
der Schwindsucht in der Familie der Kranken nachgewiesen werden kann, 
und andererseits müsste man in gleicher Weise bei beliebigen anderen, 
nicht schwindsüchtigen Kranken untersuchen, wie oft in deren Familie das 
Vorkommen von Schwindsucht nachzuweisen ist. Man könnte dabei die 
Familie im engeren oder im weiteren Sinne nehmen, nur müsste dies bei 
beiden Kategorieen in gleicher Weise geschehen. Und dabei müsste dann 
noch die Möglichkeit der contagiösen Uebertraguug von einem Familien¬ 
mitglied auf das andere berücksichtigt werden. 

Ueber die Art und Weise, wie die erbliche Uebertraguug ge¬ 
schieht, sind die Meinungen noch getheilt. Vielleicht sind die meisten 
Aerzte gegenwärtig noch der Ansicht, dass bei der Vererbung der 
Tuberculose nicht die Krankheit selbst übertragen werde, sondern 
nur eine Disposition zu derselben, vermöge deren das betreffende 
Individuum bei gelegentlicher Aufnahme des Krankheitsgiftes leichter 
inficirt wird. Diese Auffassung ist gewiss für zahlreiche Fälle be¬ 
rechtigt, aber nicht für alle Fälle. Schon seit lauger Zeit bin ich, 
wie* ich bereits früher ausgesprochen habe (Vorlesungen, Bd. I. p. 34), 
durch zahlreiche Erfahrungen zu der Ansicht geführt worden, dass 
bei der Tuberculose ähnlich wie bei der Syphilis eine erbliche Ueber- 
tragung des Krankheitskeims von den Eltern auf die Kinder vorkommt. 
Dieser Krankheitskeim kann schon in den ersten Lebensjahren zur 
Entwickelung kommen, und dann zeigt sich dieselbe entweder in 
der Form der Meningitis tuberculosa, die ja erfahrungsgemäss in 
Familien mit hereditärer Tuberculose besonders häufig vorkommt 
(Vorlesungen, Bd. II. p. 294). oder die Kinder erkranken an der 
tuberculösen Form der Scrophulose (Vorlesungen, Bd. III. p. 123). In 
anderen Fällen bleibt der Keim länger latent und wird erst durch 
eine besondere Gelegenheitsursache zur Entwickelung angeregt, so 
dass z. B. an Masern oder Keuchhusten oder an eine andere acute 
Krankheit sich eine chronische Pneumonie mit Uebergang in Tuber¬ 
culose anschliesst. Auch kann es geschehen, dass Individuen aus 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


tuberculöser Familie sich zunächst kräftig entwickeln, nachher aber 
im Alter von 16 oder 20 Jahren plötzlich von Hämoptoe befallen 
werden oder andere Erscheinungen der beginnenden Lungenschwind¬ 
sucht zeigen. Nicht selten wird auch durch eine acute Pneumonie 
oder einen hartnäckigen Bronchialkatarrh oder eine chronische Pneu¬ 
monie die Veranlassung zum Auftreten der Phthisis gegeben. End¬ 
lich scheint in einzelnen Fällen, wenn alle derartige Gelegenheits- 
Ursachen ausbleiben. der erblich übertragene Krankheitskeim für die 
ganze Lebenszeit latent bleiben zu können. — Ich zweifle nicht, 
dass die Ansicht von der direkten erblichen Uebertragung des 
Krankheitskeimes, die gegenwärtig noch von den meisten Aerzten 
verworfen wird, allmählich durch das Gewicht der beobachteten 
Thatsachen zur allgemeinen Anerkennung kommen wird. 

(Fortsetzung folgt.) 

IV. Aus der Königlichen Universitäts-Poliklinik für Hais¬ 
und Nasenkranke zu Berlin. 

Zur Pathologie der Glottiserweiterung. 

Von Dr. Ed. Aronsohn, Berlin - Ems. 

(Fortsetzung aus No. 26.) 

I. Centrale Formen der Posticuslähmung. 

Die Literatur über die vom Centralnerveusystem abhängigen 
Stimmbandlähmungen ist schon recht bedeutend geworden, wenn 
wir auch nur wenig gut bearbeitete, namentlich mit genauem 
Sectionsbefunde versehene Fälle besitzen. Bei Gehirnkrankheiten sind 
Glottisparalysen noch am seltensten beobachtet worden; auch dürfte 
nicht immer die Gehirnkrankheit die ausschliessliche Ursache für 
das Larynxleiden sein. In dem Falle z. B., den Mackenzie 1 ) 
anfuhrt, ist ausser dem walluussgrossen weichen gelblichweissen 
Tumor an der rechteu wie an der linken Arteria cerebralis media 
die Oberfläche der Medulla oblongata weich und zer- 
fliessend. Den Gerhardt’.scheu 2 ) Fällen vou „chronischer Gehirn¬ 
krankheit“ (Fall 10 und 12) und „Encephalitis“ (Fall 11) fehlen 
nicht allein die Sectionen, es weisen sogar einige in den Kranken¬ 
geschichten angeführte Symptome auf eine Ausbreitung der Gehirn¬ 
krankheit auf die Medulla oblongata resp. Rückenmark hin. Wenn 
ferner H. Fischer 3 ) angiebt, bei einer Larynxparalyse Atrophie des 
Corpus Striatum gefunden zu haben, so wird man wohl gut thun, das 
Larynxleiden nicht in direkte Abhängigkeit von jenem Gehirnleiden 
zu bringen. Denn nach bisherigen recht zahlreichen und eingehen¬ 
den Versuchen über die Functionen des Corpus striatum dient dieses 
Ganglion der Motilität der Extremitäten (Nothnagel, 4 ) Baginsky 
uud Lehman 5 )) und enthält an seiner medialen Seite die Centren 
für die Wärmeregulation (Aronsohn uud Sachs, 6 ) Ott, 7 ) Girard 8 ) 
A. Baginsky und C. Lehmann, 9 ) Sawadowski , 10 ) Bagojaw- 
lensky ll ). 

Gewisse Beziehungen zwischen Gehirnrinde und Kehlkopf sollen 
allerdings nach den bisherigen experimentellen Untersuchungen be¬ 
stehen. H. Krause’s 12 ) Versuche, nach denen auf Reizung des 
Gyrus praefrontalis Verschluss der Glottis und Bewegungen der 
Rachenmuskulatur und nach Exstirpation dieser Gyri beim Hunde 
Verlust der Bellstimme erfolgen, sind auch von Horsley und 
Semon 13 ) bestätigt worden, aber Goltz 14 ) behauptet noch in einer 
eben erschienenen Arbeit, dass er die Annahme kleiner umschrie¬ 
bener Centren heute für widersinniger halte als je,“ und Gottstein 15 ) 

*) Mackenzie, Krankheiten des Kehlkopfes etc , 1880, p. 576 Fall 2. 

2 ) Gerhardt, Virchow’s Archiv Bd. 27, 1863. 

3 ) H. Fischer, Annalen der Berliner Charite, 1863. 

4 ) Nothnagel, Virchow’s Archiv. 

5 ) A. Baginsky und C. Lehmann, Zur Function des Corpus stria¬ 
tum, Virchow’s Archiv Bd. 106. 

6 ) Ed. Aronsohn und J. Sachs, Ein Wärmecentrum im Grosshirn, 
Deutsche med. Wochenschr. 1884 No. 51; die Beziehungen des Gehirns zur 
Körperwärme und zum Fieber, Pflüger’s Archiv Bd. XXXVII. 

') Ott, American Journal of nervous and mental diseases, 1884: Centr. 
f. med. Wiss. 1885. 

8 ) Girard, Archives de Physiologie, 1886. 

9 ) A. Baginsky und 0. Lehmann 1. c. 

10 ) Sawadowski, Oentralbl. f. med. Wiss. 188S No. 8, 9, 10. 

n ) Bagojawlenski, Centrabl. f. med. Wiss., 1888. No. 10, citirt von 
Sawadowski. (Nur durch die bei der Obduction im Corpus striatum ge¬ 
fundenen Echinococcen konnte die bei Lebzeiten beobachtete hohe Tempe¬ 
ratur erklärt werden.) 

,a ) H. Krause, Die Beziehungen der Grosshirnriude zu Kehlkopf und 
Rachen, du Bois-Reymond’s Archiv für Physiologie, 1884, p. 203. 

13 ) Horsley und Semon, American Journal of the Medical Sciences, 
1887, Internationales Centralbl. f. Laryngologie, 111. 

14 ) Goltz. I eher die Verrichtungen des Grosshirus, Pflüger’s Archiv 
für Physiologie, 1S88, Bd. 42 p. 433, Sep.-Abdr. 

,& ) Gott st ein. Die Krankheiten des Kehlkopfes, 1888, p. 299. 


erklärt gleichfalls die Frage von dem Vorhandensein eines Rinden¬ 
centrums für den Kehlkopf beim Menschen für eine offene. Nach 
meinen vorläufigen diesbezüglichen Versuchen im physiologischen 
Laboratorium des Herrn Prof. Zuntz konnte eiu sicheres Resultat 
nicht erzielt werden. Ein Hund, dem die graue Substanz beider 
Gyri praefrontales auf ein Mal nach der Lehmann’sehen Saug¬ 
methode und vou Herrn Prof. Lehmann selbst so sorgfältig und 
gründlich als möglich entfernt wurde, bellte nicht die nächsten 
12 Tage nach der Operation, obgleich er vollkommen wohl und 
munter erschien und sich auch bezüglich aller übrigen Körper- 
functioneu ganz normal verhielt, so dass wir schon den Versuch 
als einen in Krause’s Sinne gelungenen betrachteten; da beginnt 
plötzlich der Hund am 13. Tage nach der Operation kräftig zu 
bellen und anzuschlagen uud, wie der Laboratoriumsdiener meint, 
noch lauter als vorher. Auch bei einem Reizungsversuch, bei dem 
sich auch Herr Prof. Zuntz und Herr Dr. F. Strassmann be¬ 
theiligten, konnte keiner von uns zu einem sicheren Urtheil ge¬ 
langen, ob die Adductionsbewegungen der Stimmbänder wirklich 
Folge der Gehirnreizung seien. 

Nach den bis jetzt vorliegenden physiologischen, klinischen und 
pathologisch-anatomischen Angaben ist es nicht über jeden Zweifel 
erwiesen, dass eine Kehlkopflähmung durch Läsion eines Gehirn- 
theils verursacht sein könne. Es müssen sowohl mehr physiologische 
Versuche angestellt werden, als von den Sectionsprotokollen in jedem 
bezüglichen Falle eine genaue makro- und mikroskopische Beschrei¬ 
bung der Medulla oblongata und der Kehlkopfnerven verlangt wer¬ 
den. Wo bisher bei Rückenmarkskrankheiten, z. B. Tabes, oder 
Gehirnkrankheiten die Autopsieen auch auf die Medulla oblongata 
uud die Kehlkopfnerven ausgedehnt wurden, da fanden sich diese 
Organe, wenn intra vitam Larynxaffectionen bestanden hatten, mit¬ 
ergriffen. Die Ursprungsstätte der Kehlkopfsnerven in der Medulla 
oblongata kann von all’ den Krankheitsprocessen mitbetroffen sein, 
welche man als Bulbärerkrankungen zu bezeichnen pflegt, so von 
Sclerose (Löri), progressiverBulbärparalyse (Duchenne,Krishaber, 
Löri, Broadbent, Krause, Eisenlohr), Erweichungen (Proust, 
Senator, Gottsteiu, Dumeril, Eisenlohr), Blutungen (Longhi, 
Gottstein, Löri) und Geschwülste und Abscesse (Löri, Schech, 
Nothnagel u. A.). Dieser Casuistik schliessen sich zunächst fol¬ 
gende in der königlichen Poliklinik für Hals- und Nasenkrankheiten 
beobachtete Fälle an. 

Fall 1. Lähmung des linkenNervus accessorius mit Betheili¬ 
gung des N. vagus bei Tabes dorsalis. 

Journ. No. 85. Ed. Nürnberg, Restaurateur, 49 Jahre, aufgenommen am 
7. Juni 1886. 

Anamnese. Seit 6'/a Jahren Schwäche in den Beinen. Im Jahre 
1865 eine Geschlechtskrankheit, ob Lues, ist nicht zu eruiren. Seit circa 
3 Wochen Heiserkeit. 

Stat. praes. Patellarreflexe fehlen beiderseits, deutliches Schwanken 
bei Bewegungen mit geschlossenen Augen. Das Velum palatinum *ird bei 
Bewegungen ganz nach rechts verzogen. Hyperästhesie de< Pharynx, so 
dass die Laryngoskopie nur mit Pinselung durch Cocain gelingt. Das 
linke Stimmband steht in der Respirationsstellung der Mittel¬ 
linie angenähert und bewegt sich bei der Phonation etwas nach 
rechts, so dass die Stimmritze in der Phonationsstellung die Mittellinie 
einnimmt. Der linke Cucullaris und Stemocleidora. sind atrophisch; der linke 
Arm bleibt bei der Erhebung nach oben erheblich hinter dem rechten zurück, 
ebenso ist der Patient nicht fähig, das Kinn nach rechts gewandt, den Kopf 
zu senken. 

Puls 120. Pupillarreaction fehlt, Pupillen sehr eng. 

Epikrise. Was diesen Fall von Tabes, verbunden mit Lähmung des 
linken M. crico-arytänoideus posticus ohne Larynxkrisen auszeichnet und 
der vollsten Beachtung werth erscheinen lässt, ist die gleichzeitig beobach¬ 
tete, hochgradige Atrophie des linken Cucullaris, Stemocleidomastoideus und 
Palatum molle der linken Seite. Dass es sich hier um eine solche totale 
halbseitige Lähmung aller vom N. accessorius versorgten Muskeln in der 
That handelt, ist zweiffellos, wenn auch eine Prüfung der elektrischen Er¬ 
regbarkeit dieser Muskeln unterblieben ist. Im Gefolge der Tabes dorsalis 
ist eine solche totale Accessoriuslähmung zum ersten Male im vorigen Jahre 
von F. Martius 1 ) beobachtet und das Verhalten der vom Accessorius spi- 
nalis versorgten Muskeln aufs Eingehendste beschrieben worden. Was aber die 
Reinheit der Symptome anbetrifft, so kann diese Beobachtung sowohl jenen 
früher veröffentlichten Fällen einseitiger totaler Accessoriuslähmung von Erb, 8 ) 
Seeligmüller 3 ) und Holz, 4 ) als auch besonders dem von J. Israel, 
E. Remak und B. Fränkel beschriebenen Falle direkt an die Seite ge¬ 
setzt werden. Im letzteren Falle entstand die Lähmung des Posticus und 
des gleichseitigen Cucullaris und Stemocleidomastoideus durch Quetschung 
des Accessorius bei seinem Austritt aus der Schädelhöhle, hier sind die¬ 
selben Lähmungen durch destruirende Processe verursacht, welche sich an 
der Ursprungsstätte des Vago-Accessorius abspielen. Es sind nun, wie Wege- 
ner in seiner Arbeit über Kehlkopfmuskellähmung als Symptom der Tabes 
dorsalis anführt, bereits mehrere Autopsieen vorhanden von Patienten, die au 


') F. Martius, Berliner klin. Woch. 1887, No. 8. 

J ) Erb, Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. IV, 1868. 

3 ) Seeligmüller, Archiv für Psychiatrie. Berlin 1872. 

4 ) Holz, Inaugural-Dissertation. Berlin 1877. 

5 ) G. F. Wegener, Inaug.-Dissert. Berlin 1887. 


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5. Juli. 


Tabes mit Larynxaffectiouen litten; es fanden sich in solcheu Fällen Atro¬ 
phie und Degeneration des Nervus vagus und Nervus accessorius (Jean, 
Oppenheim und Krause), Kpendymitis des vierten Ventrikels, sowie sub¬ 
ependymäre Sklerose, die besonders den rechten hinteren Vagus-Accessorius- 
kern raitergriffen hatte (Kahler), Pigmentatrophie der Ursprungskerne von 
Vagus und Accessorius, die Wurzeln beider rosaroth gefärbt und das Vo¬ 
lumen der Wurzeln stark verkleinert (Landouzy und Dejerine). Bei 
der Scctiou eines von Eisenlohr 1 ) beobachteten einschlägigen Falles zeigte 
sich eine exquisit atrophische Degeneration der N. vagi, glossopharyngei, der 
bulbären Abschnitte der Accessorii, der Hypoglossi, des rechten Abducens, 
partielle graue Degeneration der Optici, circumscripte bündelweise Faser¬ 
degeneration im linken Vagusstamm, ausgedehnte Degeneration beider Re- 
currentes, isolirte Erkrankung der Mm. crico-arytän. post., Veränderung der 
Kernregionen der afficirten Nerven (Hypoglossi, Vago-Accessorius und des 
rechten Abducens), bestehend in Atrophie zahlreicher Ganglienzellen ohne 
nachweisbare Alteration des Grundgewebes und des Ependyms. P. D. Koch 
und J. Marie 2 ) sahen in einem Falle von Tabes mit halbseitiger Lähmung 
der Zunge, des Gaumensegels und des Stimmbandes den Hypoglossus der 
hemiatrophischen Seite ziemlich stark degenerirt, in seinem Kern fehlten 
die meisten Zellen, und es entsprangen nur ganz wenige Wurzelfasern aus 
ihm. Bei einer doppelseitigen Lähmung der Erweiterer bei Tabes fand 
Soundby 3 ) die hintere Pyramide und das Corpus restiforme von der grauen 
Degeneration ergriffen, während der Recurrens sich im Zustand der chroni¬ 
schen inrerstitiellen Neuritis befand. 

Halten wir nun das Bild, welches wir aus diesen Sectionsprotokollen 
für Sitz und Wesen der Krankheitsursache unseres Falles gewonnen haben, 
zusammen mit dem beschriebenen Symptomencomplex, so muss man ge¬ 
stehen, dass es absurd wäre, behaupten zu wollen, es könnte dennoch 
die eine Endausbreitung des Accessorius, d. h. der äussere Ast, gelähmt 
sein, der innere aber nicht! Es wäre noch festzustellen, in wie weit 
bei der Läsion der Accessorius auch der Vagus ergriffen ist. In den 
Krankheitserscheinungen des Patienten finden sich in der That zwei 
Symptome, welche auf eine Betheiligung des Vagus bei der Tabes 
schliessen lassen, nämlich die beschleunigte Pulsfrequenz und die Hyper¬ 
ästhesie des Pharynx, jene würde auf eine Lähmung der motorischen, 
diese auf Reizung der sensiblen Fasern zu beziehen sein. In den letzten 
Jahren hat die Betheiligung des Vagus bei Tabes eine besondere Würdigung 
durch Charcot, Kahler, Landgraf, Küssner und Leyden erfahren. 
Kahler 4 ) ist sogar der Meinung, dass eine auffallende Vermehrung der 
mittleren Pulsfrequenz selbst zu den häufigeren Erscheinungen der typischen 
Tabes gehöre, in etwa 50% der Fälle zu finden sei, ja, selbst das einzige 
cerebrale Symptom der Tabes darstellen könne; sie beruhe auf einer Ver¬ 
minderung des Vagusstammes und gehöre in die Gruppe der bulbären Sym¬ 
ptome. Als Symptome, welche in das Vagusgebiet gehören, führt Land¬ 
graf 5 ) in seinem Falle von Tabes und Larynxkrisen 1) eine geringe Puls¬ 
beschleunigung, 2) Hyperästhesieen im Bereich des N. auricularis und 

3) eine erhöhte Reflexerregbarkeit in der Endausbreitung des Laryngeus 
superior au. In analoger Weise führt Küssner 6 ) „Zur Kenntniss der Vagus¬ 
symptome bei Tabes dorsalis“: Magenkrisen, Pulsbeschleunigung und zeit¬ 
weise auftretende Angst und Beklemmungszustände an. Leyden *) beschreibt 
in seinem Aufsatze „Ueber Herzaffectionen bei der Tabes dorsalis“ mehrere 
Fälle von Tabes an, in deren Verlaufe auch das Herz in Anfällen betheiligt 
war, welche den gastrischen, Laryngo- und Bronchokrisen analog sind. Aus 
seinen mitgetheilten Krankheitsgeschichten interessiren uns für unseren Fall, 
in dessen freilich nur ganz kurz erhobener Anamnese von auftretenden 
Herzattacken keine Rede ist, die Bemerkungen, dass „eine erhöhte Puls¬ 
frequenz von 90—96 Schlägen auch bei völliger Ruh*e zu constatiren war“, 
wobei „physikalisch vom Herzen nichts Abnormes nachzuweisen, Herztöne 
rein, die Radialarterie weich und keine Spuren von Arteriosklerose war.“ Als 
Ursache für diese Erscheinungen nimmt Leyden, indem er sich auf den 
schon oben angeführten Obduktionsbefund von Oppenheim 8 ) bezieht, eine 
Degeneration des Vagus an. Im dem Falle von Oppenheim bestand neben 
Parese der beiden Musculi crico-arytänoidei postici und des rechten M. ary- 
tänoideus und leichten Schlingbeschwerden auch eine Pulsfrequenz von 96 bis 
100 Schlägen. Soundby zählte sogar 144 Schläge in der Minute bei seinem 
oben citirten Falle. Wir haben für unseren Fall umsomehr Grund für die be¬ 
schleunigte Pulsfrequenz Degenerationen an den betreffenden Vaguskernen oder 
an einzelnen motorischen Fasern des Vagusstammes anzunehmen, als der 
intimste Nachbar des Vagus, der Accessorius, sich ja auch als entartet gezeigt 
hat, dessen Kerne nach Dees 9 ) in den vorderen Vaguskern übergehen, und 
dessen innerer Ast sich in den Vagusstamm einseukt und ihm die meisten 
motorischen Fasern und die Herzhemmungsnerven giebt. (Schiff, Heiden¬ 
hain, Livon, Darkschewitz und Francois Frank). 


*) Eisenlohr, Deutsche med. Wochenschrift 1884, No. 34. 

*) P. D. Koch und J. Marie, Contribution ä l’etude de l’Hemia- 
trophie de la langue: Autopsie d’un cas de Tabes avec hemiatrophie de 
la langue. Revue de Medecine. Paris 1888, p. 1. Fortschritte der Medecin. 
1888, No. 5. 

*) Soundby, Birmingham Medical Review, December 1886, Internat. 
Centralbl. 1885, No. 2. 

4 ) Kahler, Beiträge zur pathologischen Anatomie der mit cerebralen 
Symptomen verlaufenden Tabes dorsalis. Zeitschr. f. Heilk., 1881, p. 438. 

5 ) Landgraf, Vorstellung eines Kranken mit Tabes und Larynxkrisen. 
Berl. klin. Wochenschr. 1886, No. 38. 

6 ) B. Küssner, Berliner klinische Wochenschrift, 1887, No. 20. 

7 ) E. Leyden, Centralblatt für klinische Medicin, 1887, No. 1. 

8 ) Oppenheim, Ueber Vaguserkrankung im Verlaufe der Tabes dor¬ 
salis. Berliner klin. Wochenschr. 1885, No. 4. 

9 ) Dees, Ueber den Ursprung und centralen Verlauf des N. accesso¬ 
rius. (Aus dem Laboratorium des weiland Prof. Dr. v. Gudden.) Allgem. 
Zeitschrift für Psychiatrie, Bd. XL1II. Fortschr. d. Med. 1888, No. 6. 


Es ist noch schliesslich ganz besonders hervorzuheben, dass Patient die 
' Hülfe der Poliklinik nur seiner an und für sich geringen Heiserkeit wegen 
aufsuchte, und dass hier sodann die Posticuslähmung und die Tabes dorsalis 
eonstatirt wurde. Der Fall ist also eine Mahnung an die Aerzte, auch dann, 
wenn nur über Heiserkeit geklagt wird, sich den Kehlkopf des Patienten genau 
anzusehen. Semon 1 ) und Weil 2 ) rathen in jedem Falle, in dein eine hin¬ 
sichtlich ihrer Aetiologie unklare Lähmung der Stimmbänder, insbesondere 
der Glottiserweiterer, besteht, den Kranken auf die bekannten frühen Zeichen 
der Tabes zu untersuchen. Felici 3 ) meint sogar, dass sich vielleicht manche 
für hysterisch gehaltene Glottisläbmungen bei weiterer Beobachtung als der 
Tabes angehörig erweisen dürften. 

Fall 2. Lähmung des rechten Vagus, linken Abducens 
und linken Oculomotorius bei einer chronischen Cerebro¬ 
spinalkrankheit. 

Joum.-No. 1968. Agnes G., Beamtenfrau, 41 Jahre, aufgenommen 
am 3. März 1888. 

Anamnese. Patientin, die in ihrer Kindheit Scharlach und Wechsel- 
fieber überstand, ist seit ihrem 14. Lebensjahre regelmässig menstruirt, 
hat sich 28 Jahre alt verheirathet und ein Kind vor der Ehe geboren, 
welches einige Monate nach der Geburt starb. In der Ehe hat Patientin 
keine Kinder geboren, auch keine unrichtigen Wochen gehalten. Lues habe 
weder sie noch ihr Mann gehabt. Ihr Mann ist vor einem Jahre ein Jahr 
lang in der Irrenanstalt zu Dalldorf gewesen (Gehirnerweichung), und die 
Frau hat seinetwegen heftige Gemüthserregungen erleiden müssen. Seit 
neun Jahren ist sie wegen ihrer Augen in Behandlung des Herrn Professor 
Schüler, da sie doppelt sehe und es ihr vor den Augen flimmere, wenn 
sie geradeaus oder nach unten blicke; nur wenn sie nach oben und in die 
Ferne blicke, sehe sie die Gegenstände deutlich. — Vor 1 V-* Jahr bekam 
Patientin gleichzeitig süssen Geschmack im Munde, Husten und Incontinentia 
urinae. Der süsse Geschmack im Munde war dauernd und so stark, dass 
sie dadurch den Appetit verlor; ihr Harn wurde damals von dem Herrn 
Dr. H. Guttmann untersucht, ohne dass in ihm etwas Abnormes gefunden 
werden konnte. Herr Dr. Guttmann stellte damals die Diagnose auf 
„hochgradige, an Geistesstörung streifende Hysterie.“ Der Husten wird 
ausgelöst, wenn Patientin etwas Trockenes, z. B. Milchbrodt oder Stückchen 
Apfel schlucken will; er ist trocken, ohne Auswurf; mit einem solchen 
Hustenparoxysmus verbindet sich noch ein heftiges Niesen und Abgang des 
Urins. Die Harnmenge ist nach Ansicht der Patientin mehr als normal. 
Will Patientin schlucken, so wendet sie den Kopf nach links und sucht 
gleichzeitig den Bissen auf die linke Seite zu bringen. Vor einem Jahre 
hat Patientin, die früher gut singen konnte, ihre Stimme verloren. Patientin 
klagt, dass sie beim Gehen bald müde werde, ohne aber Athemnoth zu ver¬ 
spüren, und dass sie seit drei Wochen äusserst heftige, ziehende und 
stechende Schmerzen um die Brust und im Rücken habe, sowie allerlei 
andere abnorme Sensationen, z. B. wenn sie in ein kaltes Bad steige, so 
empfinde sie an der Berührungsstelle der Haut mit der Oberfläche des 
W T assers Schmerzen, besonders wenn das Wasser bis zur Magengegend 
reicht. Appetit vorhanden; oft Obstipatio alvi. Patientin verrichtet ihre 
häuslichen Arbeiten und näht sogar mit der Maschine. 

Status praesens. Rechtsseitige Parese des Velura, Herabsetzung 
der Sensibilität am rechten Gaumenbogen, Gaumensegel und an der rechten 
Larynxhälfte. Medianstellung des rechten Stimm bandes mit leichter 
Excavation des freien Randes. Sternocleidomastoideus und Cucullaris in- 
tact, nicht sichtbar verändert; Kniephänomen erhalten; Puls 108—118. 
Geschmack, Geruch und Gehör normal, der früher bestandene süssliche 
Geschmack im Munde hat sich allmählich verloren. Facialis und Trigeminus 
intact. Stimme und Sprache normal. Augen (nach Bericht von Herrn 
Dr. W. Uhthoff aus der Augenklinik des Herrn Professor Scho eie r): 
Patientin hat 1877 und 1881 links eine Oculomotoriusparese gehabt. Jetzt 
besteht Parese des linken Nervus abducens; auf beiden Augeu reflectorische 
Pupillenstarre auf Licht, auf Convergenz ist die Reaction erhalten. Die 

rechte Pupille ist weiter als die linke. ^ j S = 1. Kein pathologisch¬ 
ophthalmoskopischer Befund. 

Epikrise. Das Gesammtbild der Krankheit setzt sich also im We¬ 
sentlichen aus zwei grösseren Symptomgruppen: aus pharyngo-laryngealen 
und oculo-pupillären Erscheinungen, zusammen. Die von Seiten des Pharynx 
und Larynx constatirten Symptome im Verein mit der beschleunigten Puls¬ 
frequenz sprechen unzweideutig für eine Paralyse des N. vagus dext. Die 
Augenerkrankung hat ihren Grund in einer Parese des N. oculomotorius und 
N. abducens sin. Ausser der LähmuDg dieser drei Gehirnnerven bestand eine 
Zeit lang Parästhesie des Geschmacks, also Betheiligung des Glossopharyn- 
geus und ausserdem Polyurie. Es kann kein Zweifel sein, dass die Er¬ 
krankung der Gehirnnerven sowie die Polyurie die Folge einer Herd¬ 
erkrankung am Boden des vierten Ventrikels ist. Wir wissen ja, das» 
Verletzung einer bestimmten Stelle am Boden des vierten Ventrikels ober¬ 
halb des Zuckerstiches vermehrte Harnausscheidung zu Wege bringt. Die 
Krankheit begann mit einer Parese des linken Oculomotorius; jedoch scheint 
es, dass nicht alle Fasern des Oculomotorius gelähmt waren, sondern nur 
die Fasern für die Accommodationsmuskeln; liegt auch der Oculomotorius- 
kern unterhalb des Aquaeductus Sylvii, so existirt nach den Untersuchungen 
von Meynert und Stilling noch ein besonderes Centrum für die re¬ 
flectorische Erregung der Sphincterfasern durch Lichtreize innerhalb der 
Medulla oblongata. Von dieser Stelle griff der Krankheitsprocess langsam 
weiter auf den Abducenskern und daun weiter nach unten steigend auch 


') Semon, Ueber die Lähmung der einzelnen Fasergattungen des 
Nervus laryngeus inferior. Berl. klin. Wochenschr. 1888, No. 46—49. 

2 ) Weil, Lähmung der Glottiserweiterer als initiales Symptom der 
Tabes dorsalis. Berl. klin. Wochenschr. 1886, No. 13. 

3 ) Felici, Laryngeale Paralysen und Krisen als Behelf zur Diagnose 
der beginnenden Tabes. Archivii ital. di Laryngologia, 1887, Fase. II. 


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No. 27 


auf fleu Glossopharyngeus- und Vaguskern über. Wenn wir weiter fragen, 
welcher Art die Erkrankung am Boden des vierten Ventrikels ist, so ist, 
wie vorsichtig man auch mit der Diagnose t Sklerose“ sein muss, die Mög¬ 
lichkeit nicht vcfti der Hand zu weisen, dass ein sklerotischer Process vor¬ 
liege. Patientin ist nach der Anamnese auf Lues nicht ganz unverdächtig; 
ausserdem hat die Patientin starke Gemüthsdepressionen durch den Irrsinn 
ihres Mannes erlitten; sie selbst ist von einer an Geistesstörung grenzenden 
Hysterie. Dies sind aber die gewöhnlichen Ursachen der Sklerose, und 
fehlen auch noch in der Krankengeschichte einige Symptome für einen 
typischen Fall von Sklerose des Cerebrospinalnervensystems, so ist doch 
zu vermuthen, dass ein solcher Process in der Medulla oblongata der Pa¬ 
tientin begonnen hat. Es muss aber auch noch bemerkt werden, dass die 
reflectorische Pupillenstarre von Thomson 1 ) als Frühsymptom der pro¬ 
gressiven Paralyse erkannt ist. Thomsen fand dies Symptom unter 
366 Paralytikern 172 Mal, also in 47<>/o gegenüber 2,2o/o von 1325 Nicht¬ 
paralytischen: sie war auch, wie in unserem Falle, häufiger doppelseitig 
als einseitig, und die Convergenzreaction häufiger vorhanden als nicht! 

Fall 3. Lähmung des rechten Vagus, Accessorius undHypo- 
glossus. 

Journ.-No. 1621. Minna P., Kaufmanusgattin, 45 Jahre, aufgenommen 
am 25. Januar 1888. 

Anamnese. Patientin will stets gesund gewesen sein, zumal Zeichen 
von Lues nie gehabt haben, von den 4 Kindern der Patientin lebt nur eins, 
die anderen sind an verschiedenen Krankheiten gestorben. Im October 1887 
litt Patientin an Rachen- und Mandelentzündung und wurde mit Jodglycerin 
gepinselt. Das Leiden besserte sich bis December; Mitte dieses Monats 
traten plötzlich die noch jetzt bestehenden Schluckbeschwerden auf; sie 
konnte den geformten Bissen nicht herabbewegen, er blieb ihr oben im 
Halse stecken; es gelang ihr nur Flüssigkeiten mit vielem Drängen und 
Drücken herunterzubringen. Acht Tage darauf trat Heiserkeit auf, und all¬ 
mählich kam noch ein rauher Husten hinzu, ohne Auswurf: seit Ende Januar 
auch gelb-eiteriger Auswurf. Während der Dauer der Krankheit ist der 
Schlaf sehr schlecht, der Appetit gering. Patientin führt ihr Leiden auf 
eine Erkältung zurück. 

Status praes. Rechtsseitige Lähmung des Velum (die Mittellinie wird ; 
bei der Phonation nach links verzogen). Sensibilität rechts fast geschwun- j 
den, dagegen ist die hintere Rachenwand gegen Berührung nicht absolut un- | 
empfindlich; auf der rechten Seite aber weniger empfindlich als links. Sen¬ 
sibilität der Kehlkopfschleimhaut rechts geringer als links. Das rechte 
Stimmband steht der Mittellinie angenähert, bildet am freien 
Rande einen starken Bogen. Bei der Phonation legt sich der gesunde 
linke Aryknorpel vor den rechten und wird die Epiglottis nach links gezogen. 
Die Zunge weicht beim Herausstrecken nach rechts ab. Schlundsonde No. 6 
passirt ohne jede Schwierigkeit. Sehr starke Salivation. Der rechte Sterno- 
cleidomastoideus tritt bei Drehung des Kopfes nach links nicht zu Gesicht 
und ist kaum noch zu fühlen. Der linke Sternocleidomastoideus fuuetionirt 
normal. Der rechte M. cucullaris zeigt an seinem freien Rande eine 
winklig gekrümmte Linie gegen eine bogenförmige links; er scheint schlaffer 
und dünner bei der Palpation. Hebung des Armes auch über die Horizon¬ 
tale hinaus erfolgt ungehindert. — Puls 100. — Patientin spricht mit klang¬ 
loser, schwer vernehmbarer Stimme. Augenbewegungen ungehindert, Pupillen 
gleich weit, reagiren normal — Gehör rechts schwächer als links — Geruchs¬ 
vermögen wird mit 01. Ter., Spir. camphor., Eau de Cologne, Liqu. Ammon, j 
caust., 01. Petr, und Ammonium sulfurat. geprüft und erscheint ungeschwächt, 
wenn auch die Geruchsqualitäten nicht immer erkannt werden. Geschmack 
mit Syr. simpl., Chinin sulf. sol. 3:30, Acid. sulf. und Aqu. dest. geprüft 
erscheint ebenfalls ungeschwächt, nur giebt Patientin an, im Halse und im 
Munde dauernd einen süsslichen widerlichen Geschmack zu empfinden. 

8. Februar. Nach 14 tägiger Galvanisation des Halses hat sich der Zu¬ 
stand der Patientin beträchtlich gebessert; sie kann viel leichter schlucken 
ohne Würgen und ohne Neigung zum Erbrechen; die Sprache hat au Klang 
etwas zugenommon; der Husten tritt seltener und nicht so stark auf, die 
Salivation hat abgenommen: der Schlaf hat sich gebessert, Patientin kann 
1—2 Stunden ununterbrochen schlafen. 

9. Februar. Die Patientin ist wegen Uterusblutungen nach nause 
gereist. 

Epikrise. Gleich dem ersten Fall bietet auch diese Krankengeschichte 
von vornherein das Interessante, dass mit Lähmung des rechten Stimmbandes 
eine gleichzeitige Lähmung des rechten Cucullaris und Sternocleidomastoi¬ 
deus besteht. Im Uebrigeu ist der Symptomencomplex zum grossen Theil ähn¬ 
lich demjenigen, welchen Bernhardt 2 3 ) vor 9 Jahren unter dem Titel: 
.Lähmung des Cucullaris und Sternocleidomastoideus dexter, sowie der 
rechten Zungenhälfte und des rechten Stimmbandes (Lähmung des N. accesso¬ 
rius und hypoglossus dexter)“ beschrieben hat, und diesem erfahrenen Neuro¬ 
logen folgend können wir sagen, dass gelähmt sind die für den rechten M. 
cucullaris, sternocleidomastoideus und die für die Bewegungen des Gaumens 
und des Schlundes rechterseits, sowie die motorischen dem rechten Vagus 
beigemischten und für den Kehlkopf bestimmten Aeste. Wie ferner die be¬ 
schriebenen Symptome für die Lähmung des N. accessorius charakteristisch 
sind, so könne die Lähmung der rechten Zungenhälfte nur auf eine Lähmung 
des rechten N. hypoglossus bezogen werden. Mit der Lähmung ist in un¬ 
serem Falle noch rechtsseitige Gehörschwäche, eine Herabsetzung der Sensi¬ 
bilität der rechten Pharynx- und Larynxhälfte verbunden, d. h. es ist sowohl 
der Ramus auricularis und laryngeus Nervi vagi wie der N. laryngeus Su¬ 
perior gelähmt. Nehmen wir zu den geschilderten Symptomen die Verrneh- 

l ) Thomsen, Zur diagnostischen Bedeutung der Pupillenphänomene, 

speciell der reflectorischen Pupillenstarre bei Geisteskrankheiten, Charit4- 
aimalen 1886. 

3 ) M. Bernhardt, Beitrag zur Symptomatologie der Lähmungen der 
Schultorgürtelmusculatur. Deutsches Archiv für klinische Medicin. XXIV. 
1879, p. 384. 


ruug der Pulsfrequenz — die nebenbei gesagt auch im Bernhardt’schen 
Falle beobachtet wurde — so haben wir fast alle Zeichen für eine Lähmung 
des Vagus. Ueber die Natur des zu Grunde liegenden Leidens kann kaum 
etwas Sicheres ausgesagt worden. Dass der Sitz der Krankheit ein centraler 
ist, dafür spricht ausser der gleichzeitigen Lähmung des Vagus, Accessorius 
und Hypoglossus auch die Klage der Patientin über Kopfschmerzen und 
Schlaflosigkeit. 

Ein noch complicirterer Fall als dieser ist vor 13 Jahren von B. Fran¬ 
kel 1 ) im Anschluss an zwei ähnliche Fälle von P. Guttmann und A. Eulen¬ 
burg in der Berliner medicinischen Gesellschaft vorgestellt worden. Es 
handelte sich um eine totale Lähmung des rechten Hypoglossus, des rechten 
Glossopbaryngeus, des rechten Vagus und des Ganglion supremum des Syra- 
pathicus — allein das Moment, das unseren beschriebenen Fall so inter¬ 
essant erscheinen lässt, die gleichzeitige Lähmung des äusseren Astes des 
N. accessorius mit dem inneren, fehlte diesem Falle; der rechte Cucullaris 
und Sternocleidomastoideus waren intact, während das rechte Stimmband sich 
schlaff, bogenförmig und in Cadaverstellung präsentirte. 

Zu dieser Gruppe multipler Hirnnervenlähmung gehört auch der Fall, 
den ich jetzt zu beschreiben habe, der sich auch wie Fall 1 und 3 durch 
die gleichzeitige Lähmung beider Aeste fies Accessorius auszeichnet. 

Fall 4. Lähmung des linken N. vagus und accessorius. 

Journ.-No. 1636, W. Reinke aus Granzow, Schneider, 16 Jahre, auf¬ 
genommen am 27. Januar 1888. 

Anamnese. Der Vater des Patienten ist brustkrank, die Mutter sowie 
ein Bruder leiden an Krämpfen (epileptischen Charakters), ein anderer 
Bruder ist an Phthise gestorben. Vom 3.—10. Lebensjahre litt Patient an 
„Magenkrämpfen“, die zuweilen so stark waren, dass Pat. bewusstlos umfiel; 
konnte Pat. bei einem solchen Anfalle, der ihn übrigens auch einige Male 
in der Schule traf, erbrechen, so verlor er das Bewusstsein nicht. Nach 
ärztlicher Behandlung vor 6 Jahren sistirten die Krämpfe bis jetzt: der 
Appetit war stets ungeschwächt. Beim Gehen wie beim Treppensteigen 
wurde dem Pat. oft die Luft knapp. Vor zwei Jahren stellte sich eine An¬ 
schwellung und Schmerzhaftigkeit der linken Nackenseite ein, die mit der 
Zeit immer mehr Zunahmen und eine Drehung des Kopfes unmöglich mach¬ 
ten; die Schmerzen, welche anfangs nach der linken Schulter und dem linken 
Arm ausstrahlten, schwanden zwar unter ärztlicher Behandlung, traten aber 
dann in der rechten oberen Extremität auf. Mit Beginn der Schmerzen im 
Genick stellte sich auch Heiserkeit ein, die zuweilen so stark war, dass 
Pat. unverständlich blieb. Mit dem Nachlass der Schmerzen verringerte sich 
auch die Heiserkeit. Im November 1887 wurde dem Pat. in der chirurgi¬ 
schen Poliklinik in Berlin von Herrn Geheimrath v. Bergmann ein Streck¬ 
verband verordnet, in dem er 7 Wochen zu Hause (ausserhalb Berlins) lag. 

Status praes. Patient ist von untersetzter Statur, blassgelbem, aus¬ 
druckslosem Gesichte, ziemlich dürftiger Muskulatur und geringem Fett¬ 
polster. Hände zuweilen stark cyanotisch verfärbt. Der linke M. sterno¬ 
cleidomastoideus und cucullaris erscheinen atrophisch. Auf der linken Seite 
des Nackens bemerkt man von der Basis des Schädels nach unten bis zum 
5. Halswirbel, nach links bis zum Cucullarisrande und nach rechts bis zur 
Medianlinie eine über apfelgrosse knochenharte Hervorwölbung. Verbiegung 
der Dorsal Wirbelsäule nach rechts; der mediale Rand des linken Schulter¬ 
blattes ist um 1 Vs—2 cm weiter von den Proc. spinosi als der mediale Rand 
des rechten Schulterblattes. 

Das linke Stimmband steht der Medianlinie angenähert 
unbeweglich; das rechte geht bei der Phonation über die Medianlinie 
hinaus, ohne einen vollkommenen Glottisschluss zu erreichen. Pat. spricht 
mit unklarer Stimme, die aber im Laufe der Behandlung heller und touvoller 
wird. Normaler Befund an den Lungen und am Herzen. Puls 110—120 
! in der Minute, so oft er auch gezählt wurde, und erscheint links voller 
als rechts. Druck auf den Verlauf des linken Grenzstranges ist zwar 
schmerzhaft, aber nicht bedeutend. Gaumenlähmung nicht vorhanden. Bei 
der Prüfung der Sensibilität des Pharynx wurde die Sondenberührung 
zweimal gar nicht empfunden, einige Male links schwächer als rechts, indess 
| war bei weiterer Prüfung eine Herabsetzung der Sensibilität nicht deutlich 
| erkennbar. Augen gesund. Die elektrische Erregbarkeit der Musculi cu- 
! cullares und sternocleidomastoidel für den faradischeu Strom wurde am 
9. März von Herrn Prof. Eulen bürg geprüft und constatirt, dass links 
eine geringe Herabsetzung der Erregbarkeit gegen rechts besteht. Die 
einzige Klage des Patienten besteht in Schmerzen im rechten Arm und 
1 heiserer Sprache. 

10. April. Der laryngoskopische Befund ist derselbe; Patient meint, 
j dass die Heiserkeit abnehrae und die Schmerzen im rechten Arm nachge¬ 
lassen haben. Nachdem Pat. auf Anrathen des Herrn Geheimrath v. Berg- 
i mann sein Schneiderhandwerk aufgegeben hat, ist er Laufbursche geworden; 
i indess sieht er sich genöthigt, aus Schwäche auch diese Stellung aufzugeben 
und er beabsichtigt nach Hause zu reisen. Puls 114. 

Epikrise. Die anatomische Diagnose dieses Falles ist nicht leicht, 
ein wie ausgesprochenes Merkmal wir auch in der Spondylarthrocaee der 
Halswirbelsäule haben. Es ist zweifellos, dass wir es mit einem hereditär 
schwer belasteten Patienten zu thun haben, der von dem Vater die Dispo¬ 
sition zu fungös-tuberculösen Erkrankungen, vielleicht auch noch von der 
Mutter die Disposition zu Nervenerkrankungen geerbt hat. Patient litt in 
seiner Jugend Jahre lang an so heftigen Schmerzen in der Magengegend, 
dass er das Bewusstsein verlor und umfiel: sind diese Schmerzen auf den 
Magen oder auf das Zwerchfell, auf eine Neurose des Vagus oder Phreuicus 
zu beziehen? und haben wir einen Anhaltspunkt, wo wir die Ursache für die 
Nervenreizung zu suchen haben, ob an ihrem Ursprung Verlauf oder Aus¬ 
breitung? Ich meine, dass, wenn auch die Caries an der Halswirbelsäule 
erst viele Jahre später, erst vor 2 Jahren zum Vorschein kam, der Beginn 
des Leidens auf die Zeit zurückdatirt werden darf, wo die Schmerzen in der 

. l ) B. Frankel, Fall von multipler Hirnnervenlähmung. Berliner kli- 
i nische Wochenschrift 1875, No. 3. 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


549 


Mageugegend begannen. Die Spondylarthrocace, das Malura Pottii, pflegt ja 
gerade im kindlichen Alter etwa vom 2.—5. Jahre am häufigsten vorzu¬ 
kommen, an der Verbindung der beiden oberen Wirbel des Atlas und 
Epistropheus zu beginnen') und einen schleichenden, oft über Jahrzehnte 
hindurch sich erstreckenden Verlauf zu nehmen. Die Destruction aber, 
welche die ganze Halswirbelsäule in den letzten Jahren erfahren hat, ist, 
wie der oben angegebene Befund lehrt, eine so erhebliche, dass sie un¬ 
zweifelhaft die austretenden Rückenmarksnerven wie das Rückenmark selbst 
in Mitleidenschaft gezogen hat. Hierfür sprechen namentlich die aus¬ 
strahlenden Schmerzen nach der linken und dann nach der rechten obereu 
Extremität, deren Nerven aus dem vereinten Geflecht der vorderen Aeste des 
fünften, sechsten, siebenten und achten Hals- und des ersten Brustwirbel¬ 
nerven hervorgehen. Zu ihnen liegt der Nervus phrenicus freilich in nächster 
Nachbarschaft, indem er an der vorderen und unteren Fläche des vierten 
Halsnerven entspringt, 9 ) und es wäre nicht unwahrscheinlich, dass er durch 
die cariösen Processe, welche sich vom 3. Lebensjahre des Patienten am 3. und 
4. Wirbel abgespielt haben, gereizt wurde. Als Symptome für Neuralgia 
phrenica, als deren Ursache unter Anderem auch Epilepsie, Nervosität und 
Anämie bezeichnet wird, führen die Lehrbücher an: Schmerzen, die an der 
Basis des Brustkorbes ihren Sitz haben und sich anfallweise steigern. Trotz 
alledem bin ich geneigt, die Schmerzen in der Magengogend, die uns Pat. 
schildert, auf eine wirkliche Gastralgie, auf eine Neurose des Vagus zu be¬ 
ziehen, und zwar aus folgenden Gründen: Gastralgieen kommen gerade bei 
Phthisikern häufig vor, und zwar, wie Eich hörst”) schreibt, „oft schon zu 
einer Zeit, in welcher sich gerade die ersten Veränderungen an den ge¬ 
nannten Orten nachweisen lassen.“ Während ferner Neuralgieen des Phre¬ 
nicus überhaupt selten sind und die veranlassende Ursache in den meisten 
Fällen local am Zwerchfell liegt, sind die „Crises gastriques“ bei Krankheiten 
des Rückenmarks (Tabes dorsalis) ja allbekannt und auch bei Erweichun¬ 
gen im Gehirn, Tumoren am Vagus gesehen worden. Patient sagt 
uns sodann, dass, wenn er bei einem solchen Anfall erbrechen konnte, die 
Bewusstlosigkeit nicht eintrat, und in der That kommt dieses Symptom bei 
Magenneurosen vor und kündigt gewöhnlich das Ende des Schmerzanfalles 
an. Im Zusammenhang mit diesen Erscheinungen gewinnt schliesslich auch 
ein anderes Symptom, welches gleichfalls auf eine Betheiligung des Vagus 
im Krankheitsverlaufe seine volle Bedeutung: nämlich die Vermehrung der 
Pulsfrequenz, die während der ganzen Beobachtungszeit des Patienten 110 
bis 120 Schläge in der Minute betrug und ausnahmslos constatirt war. Ich 
erinnere, dass in den drei voraufgehenden sowie in allen bisher citirten 
Fällen (von B. Fränkel, Bernhardt, Oppenheim, Kahler, Leyden, 
Seeligmüller, Holz, Küssner) eine Steigerung der Pulsfrequenz ange¬ 
geben wurde und in all’ diesen Fällen auf eine Lähmung der betreffenden 
Vaguskerne am Boden des vierten Ventrikels oder der für das Herz be¬ 
stimmten Filamente des Vagusstammes bezogen wurde. Demnach kommen 
wir zu dem Schluss, dass Pat. jedenfalls eine Läsion des Vagus erlitten hat. 
Wollte man aber, wie man versucht sein könnte, als Ort der Läsion die 
Medulla obloDgata wählen und die Qualität der Läsion als Druck auf die 
Vaguscentra durch die Spondylarthrocace bezeichnen, so steht uns die 
Schwierigkeit im Wege, dass die anderen Aeste des Vagus, besonders die 
Pharyngei intact erscheinen. 

Für den Nervus accessorius, dessen beide Endäste gelähmt sind, wenn 
auch der M. cucullaris und sternocleidomastoideus sich nicht so stark insuffi- 
cient gezeigt haben als in den Fällen 1 und 3, steht nichts im Wege, den 
Herd der Erkrankung in die Medulla oblongata zu verlegen. Bei dieser 
Gelegenheit möchte ich noch an jenen sehr merkwürdigen Fall von „durch’s 
Experiment erzeugter transitorischer Accessoriusparalyse bei Spondylarthrocace 
cervicalis“ erinnern, den Leube 1 ) 1874 beschrieben hat. Holz macht 
aber mit Recht darauf aufmerksam, dass es sich im Leube’sehen Falle 
gar nicht um eine Accessoriusparalyse habe haudeln können, da die Caries 
nur den fünften Halswirbel betraf, der Sternocleidomastoideus und Cucullaris 
intact war, ein Kehlkopfbefund nicht aufgenommen war und zudem die 
Wurzelfäden des inneren Astes des Accessorius aus der Medulla oblongata 
stammen, also an einem viel höher gelegenen Orte als der Krankheitsprocess 
am fünften Halswirbel. (Fortsetzung folgt.) 


Y. Referate und Kritiken. 

A. Weis mann. Ueber die Zahl der Biohtungskörper und 
über ihre Bedeutung für die Vererbung. Jena, Fischer, 
1887. Ref. Baumgarten (Königsberg). 

In obiger Abhaudlung giebt uns Weismann eine ausführliche 
Darlegung seiner ihm eigenthümlichen Ansicht über die bisher ana¬ 
tomisch zwar vielfach beobachteten, physiologisch aber wenig ge¬ 
würdigten oder missverständlich gedeuteten Richtungskörper, in 
Fortsetzung und Weiterentwickelung seiner eigensten Auffassung der 
Fortpflanzung und Entwickelungsvorgänge. Wir dürfen wohl an¬ 
nehmen, dass die eigentlichen Fachgeuossen des Verfassers, die 
selbstverständlich mit den zahlreichen, in dieses Gebiet fallenden 
geistvollen Arbeiten desselben vertraut sind, auch dieser Abhandlung 
bereits ein eingehendes Studium zugewandt haben, und beschränken 
uns daher darauf, die ferner Stehenden mit dem wesentlichsten Ge¬ 
dankeninhalt derselben bekannt zu machen. 

Nach Weismann hat die Bildung des ersten Richtungskörpers 
die Bedeutung, dass in dem Keimplasma des reifen Eies, sei es des 
parthenogenetiseben oder des befruchtungsbedürftigen, dessen von 

') König, Lehrbuch der speciellen Chirurgie 1885, Bd. II, p. 730. 

*) G. Valentin, Hirn- und Nervenlehre 1841, p. 545. 

s ) Eichhorst, 1. c. Bd. II, p. 151. 


anderen Forschern angenommene Zwitternatur von Weismann zu¬ 
rückgewiesen wird, das ovogene Plasma aus dem Kerne entfernt 
werde, um der freien Entwickelung des das neue Individuum tbeil- 
weise oder ganz in potentia in sich tragenden Keimplasmas, des 
embryogenen, nicht hinderlich zu sein. Man erinnere sich der von 
Weismann in früheren Arbeiten ausführlich dargelegten Vorstellung, 
wonach das von dem „Alter“ oder den Eltern herrührende Keim¬ 
plasma, aus welchem sich das neue Individuum, das Kind, bildet, 
bei seiner ontogenetischen Entwickelung sofort einen Theil als Keim- 
plasraa für die späteren Generationen zur Bildung neuer Keimzellen 
abspaltet; in diesem abgespaltenen Theile nun sind gewissermaassen 
zwei Bildungstendenzen enthalten; die eine bleibt vorläufig als eine 
potentielle, für die Entwickelung eines neuen Individuums vor¬ 
behaltene, an einen Theil des Plasmas gebunden in Ruhe; die an¬ 
dere, welche sich ähnlich wie die anderen speciellen Bildungsten¬ 
denzen bei der Embryogenese aus der allgemeinen Entwickelungs¬ 
tendenz durch Differenzirung herausbildet, wird actuell thätig; sie 
ist diejenige, welche den Körpertheil, welchen wir Ei nennen, zur 
Entwickelung bringt. Gebt nun dieses Ei seiner Reife entgegen, 
seiner Bestimmung zur Entwickelung eines neuen Individuums, dann 
wird dieser letztere Theil des Kernplasmas, der ovogene Theil des¬ 
selben, überflüssig, ja hinderlich; er wird daher, während das embryo- 
gene Plasma zurückbleibt, ausgestossen. Dieser ausgeschiedene Theil 
des Eikernes bildet den ersten Richtungskörper, welcher also die 
Bedeutung hat, das reife Ei von dem überflüssig gewordenen Ei-bilden- 
! den Idioplasmakerntheile zu befreien. 

Es ist daher verständlich, dass auch bei partbenogenetisch ge¬ 
bildeten Eiern ein Richtungskörper ausgestossen werden muss, 
ebenso wie bei den geschlechtlich gebildeten. Wenn es aber bei 
jenen bei der ersten Richtungskörperbildung sein Beweuden hat, 

: und der Embryo nun unter den geeigneten Bedingungen seine 
Entwickelung beginnen kann, bei der letzteren aber der ersten 
noch eine zweite Abstossung folgen muss, damit das danach be¬ 
fruchtete Ei in die Embryogenese eintreten könne, so muss die 
Bildung dieses zweiten Richtungskörpers eine andere Bedeutung 
■ haben, die aus dem Folgenden hervorgeht. Nach der jetzt über¬ 
einstimmend angenommenen Ansicht giebt es eine Vererbungs- 
, Substanz, d. h. einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen; 
dieser ist in der Kernsubstanz der Keimzelle enthalten, und zwar 
in demjenigen Theile derselben, welcher den Kernfaden bildet und 
zu gewissen Zeiten in der Gestalt von Schleifen oder Stäbchen er¬ 
scheint; die Befruchtung beruht nun auf eiuer Aneinauderlagerung 
einer gleichen Anzahl von väterlichen und mütterlichen Kern- 
i schleifen, welche auf diese Weise den Furchungskern zusammen- 
! setzen. Die von Vater und Mutter stammende Vererbuugssubstanz 
wird also in gleicher oder nahezu gleicher Masse geliefert. Wenn 
| nun die Masse des Keiraplasmas des Kindes dieselbe bleiben soll 
wie bei den Eltern, und die Keimzellen des Kindes doch die ver- 
: einigten Keiinplasmen der Eltern enthalten, so kann nur die Hälfte 
je des väterlichen und des mütterlichen Keiraplasmas in der Keim- 
j zelle des Kindes enthalten sein. Sehen wir nun zu, wie sich die 
' Keimplasmen durch die geschlechtliche Fortpflauzung in Bezug auf 
! ihre Mischung verändert haben und verändert haben müssen. In 
! dem gesetzten Falle der ersten geschlechtlichen Fortpflanzung, des 
Beginnes derselben, wird der Keim in dem Kinde der Masse nach 
zur Hälfte aus Keimplasraa des Vaters, zur anderen Hälfte aus dem 
j der Mutter bestehen. Jede dieser Hälften ist zusammengesetzt aus 
! einer grossen Anzahl von untheilbaren Einheiten des entsprechenden 
Alters (Singular von Eltern); jede dieser Einheiten ist der Reprä- 
; sentant der Eigenschaften desselben; jede Hälfte besteht also aus 
einer grossen Anzahl von Ahnenplasmaeiuheiten, die in jeder ein¬ 
zelnen Hälfte gleich, verschieden aber in den beiden Hälften sind. 
In dem Keime der nächsten Generation, der zur Hälfte von dem 
eben besprochenen Kindeskeimplasma, zur anderen Hälfte von einem 
bereits ebenfalls aus 2 Ahnenplasmaarten zusammengefügten Keim¬ 
plasma gebildet wird, finden wir bereits 4 Plasmaarten zu einem 
i Keimplasma vereinigt; da aber die Gesamintraasse nur so gross ist 
wie bei den Vorfahren, so kann jede dieser 4 Plasmaarten nur die 
Hälfte jeder der früheren Plasmen enthalten; während also die 
Anzahl der verschiedenen Plasmen, oder vielmehr die Verschieden¬ 
heit derselben sich verdoppelt, halbirt sich die Anzahl der in jeder 
verschiedenen Plasmaart vorhandenen identischen Einheiten. In der 
nächsten Generation wird nun wiederum durch die Conjugation die 
Zahl der verschiedenen Ahnenplasmen sich verdoppeln, dem ent¬ 
sprechend die Anzahl der in jeder der verschiedenen Ahnenplasmen 
enthaltenen Einheiten halbirt werden; schliesslich gelangen wir, 
wenn wir diesen Process durch eine Reihe von Generationen fort¬ 
gesetzt uns denken, zu einem Zustande, in welchem eine Halbirung 
der in den differenten Plasmen noch vorhandenen Einheitsmassen 
nicht weiter möglich ist, weil wir durch die Halbiruug bis auf die 
Einheit selbst gelangt sind, die, da sie eben eine Einheit ist, nicht 
weiter theilbar ist, ohne ihre Natur der Vererbungssubstanz zu ver- 


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550 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


lieren. Die jetzt lebeDden Arten bestehen bereits höchst wahr¬ 
scheinlich schon so lange, um diese Grenze der Halbirungsmöglich- 
keit erreicht zu haben, und ihre jetzigen Keimplasrnen enthalten 
daher nur noch eine Summe von Einheiten nur verschiedener un¬ 
heilbarer Ahnenkeimplasmen in solcher Anzahl, als sie üherhaupt 
zu enthalten fähig sind. Wenn dem so ist, wie kann dann eine 
geschlechtliche Fortpflanzung vor sich gehen, ohne dass die Masse 
des Keimplasmas, welches in bestimmter sich stets gleichbleibender 
Grösse zu einer Keimzelle gehört, sich mit jeder neuen Generation 
verdoppelt? Hierauf giebt es nur eine Antwort: durch eine in 
jeder Generation sich wiederholende Reduction der Zahl dieser 
Ahneuplasmen. Dies muss seiu; und dies findet seinen Ausdruck 
in der Bildung der zweiten Richtungskörper, durch deren Aus- 
stossung die übermässige Auhäufuug verschiedenartiger Vererbungs¬ 
tendenzen oder Keimplasmaarten verhindert wird, welche sonst noth- 
wendig durch die Befruchtung eintreten müsste; und dass dies sich 
auf der Grundlage der Karyokinese vollzieht, indem die primären 
Kernschleifen des Aequators der Kernspindel, in welchen die Ahnen¬ 
plasmen linear angeordnet zu denken sind, der Zahl nach oder 
durch Quertheilung halbirt werden, hat Weismann anschaulich und 
wahrscheinlich gemacht. Befruchtung verlangt also die vorgängige 
Reduction der Ahnenplasmen des Eies um die Hälfte, diese Bildung 
des zweiten Richtungskörpers; ist diese erfolgt, dann erhebt der 
Spermakern in der Copulation die Anzahl der Ahnenplasmen auf 
frühere Höhe. Dass aber auch in diesem eine solche Reduction 
der Träger der Vererbungstendenzen angenommen werden muss, 
wenn gleich die bisherigen direkten Beobachtungen der histologischen 
Vorgänge der Spermatogenese sich auf eine solche noch nicht be¬ 
ziehen lassen, ist Weismann aus vielfachen Gründen unzweifelhaft. 

Dies etwa wäre die Bedeutung der zweiten Richtungskörper¬ 
bildung, mit deren Annahme sich das Erscheinen der Ahneneigen¬ 
schaften in den späteren Generationen, die Verschiedenheit der 
Kinder desselben Elternpaares, die grossen Aehnliclikeiten in ge¬ 
wissen Zwillingen, die minder grosse Aehnlichkeit iu anderen 
Zwillingspaaren und dergleichen auf einfache Weise erklären lassen; 
deren tieferer Sinn aber in der dadurch mittelbar gegebenen unaus¬ 
gesetzt sich fortspinnenden neuen Combination und Variabilität der 
Individuen gesehen werden muss, deren Resultat ein wechselnder 
Reichthum individueller Gestaltung ist. 

Wenn wir hiermit nur einen wesentlichen Gedanken der 
Schrift wiederzugeben uus bemüht haben, so dürfen wir, um dem 
Verfasser gerecht zu werden, nicht verschweigen, dass die von dem¬ 
selben entwickelten Ideen, wie sehr sie auch speculativer Natur 
zu sein scheinen, doch auf der Basis von Beobachtungen und That- 
sachen gewonnen sind. _ 

S. G-uttmann. Jahrbuoh der praktischen Medicin. Jahr¬ 
gang 1888. Stuttgart, F. Enke, 1888. Ref. Aufrecht. 

Eine genaue Durchsicht des vorliegenden Jahrganges des Jahr¬ 
buches für praktische Medicin berechtigt wohl zu dem Urtheil, dass 
das vorgesteckte Ziel, gerade dem Praktiker »nicht nur ein Nach¬ 
schlagewerk, sondern ein brauchbares Hausbuch“ zu bieten, nach 
Möglichkeit erreicht ist. Bei einem Werke, welches ohnehin schon 
weite Verbreitung gefunden hat, ist eine besondere Empfehlung 
überflüssig. Der Recensent kann sich vielleicht nur insofern nützlich 
erweisen, als er durch die eine oder andere Bemerkung zu einer 
stetigen Vervollkommnung beitragen kann. So wäre es unter An¬ 
derem zweckmässig, wenn bei einzelnen neueren Arzneimitteln die 
Dosirung ausnahmslos genau angegeben wäre; ferner wenn auch bei 
der Erwähnung der Massage des Uterus die Technik eingehender 
beschrieben wäre. 

Die Namen der Mitarbeiter bürgen dafür, dass auf engem Raume 
das Wissenswertheste mitgetlieilt ist. 


Brass. Die niedrigsten Lebewesen, ihre Bedeutung als 
Krankheitserreger, ihre Beziehung zum Menschen und 
den übrigen Organismen und ihre Stellung in der Natur; 

gemeinfasslich dargestellt, mit 66 Holzschnitten, 180 Seiten. Leipzig, 
Georg Thieme, 1888. 

Die »Bacterien“ in ihrer Eigenschaft als Krankheitserreger sind 
in neuerer Zeit so oft erwähnt und so vielfach wissenschaftlich be¬ 
handelt worden, dass auch bei den gebildeten Laien das Verlangen 
sich regt, Genaueres über Bau, Einrichtung, Lebensweise und Lebens¬ 
bedingungen dieser niedrigsten Lebewesen zu erfahren. Diesem Ver¬ 
langen kommt das neu erschienene Buch von Brass zu Hülfe. Die 
Zusammenstellung ist streng wissenschaftlich und dabei doch allge¬ 
mein verständlich geschrieben. Die Verlagshandlung hat das Werk- 
chen in sorgsamster Weise mit hinreichenden Holzschnitten aus¬ 
gestattet und dadurch seine Brauchbarkeit erhöht. Wohl in keiner 
bisher erschienenen Arbeit sind in solcher Vollständigkeit die nie¬ 
drigen Lebewesen zusammengefasst und einem grösseren Leserkreise 
zur Darstellung gebracht. Wir zweifeln nicht, dass das Werk bei 


dem Theil des gebildeten Publikums, dem daran gelegen ist, eineu 
Einblick in die Werkstatt der Wissenschaft zu erhalten, Anklang 
und Verbreitung finden wird. 


VI. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 28. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Fräntzel, später Herr Leyden; Schrift¬ 
führer: Herr Jastrowitz. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. Herr Fräntzel verliest ein Schreiben des Geh. Sanitätsrath 
Gumbinner, in welchem derselbe, dem Verein seinen Dank ab- 
stattet für die ihm durch eine Deputation des Vereins aus Anlass 
seines 50jährigen Doctorjubiläums ausgesprochenen Glückwünsche. 
Sodann widmet Herr Fräntzel dem verstorbenen Mitglied Dr. Max 
Meyerhoff einen Nachruf. Die Anwesenden ehren sein Andenken 
durch Erheben von den Sitzen. 

Alsdann wird iu die Tagesordnung eingetreten. 

1. Discussion über den Vortrag des Herrn Senator: Ueber 
multiple Neuritis und Myositis. 

Herr Lilienfeld: Meine Herren! Ich wollte mir erlauben, im An¬ 
schluss an die Mittheilungen des Herrn Vortragenden in Kürze über einen 
Fall von multipler Neuritis bei einem Alkoholisten zu berichten, der zwar 
nicht in unmittelbarer Beziehung zu dem Inhalt des Vortrages der letzten 
Sitzung steht, der mir aber deshalb von besonderem Interesse scheint, weil 
er ein Symptom darbietet, das meines Wissens bisher weder bei der infec- 
tiösen, noch bei der Alkoholneuritis beobachtet ist, nämlich eine auffallende 
Betheiligung in erster Linie der Knochenepiphysen und zweitens gewisser 
Sehnen und Fascien an dem Krankheitsprocess. 

Es handelt sich — ich gebe hier nur die Hauptdaten der Krankenge¬ 
schichte, indem ich mir eine ausführlichere Mittheilung des Falles Vorbehalte 
— um einen 54jährigen Herrn, der, seit langen Jahren starker Trinker, im 
December 1886, angeblich nach einer heftigen Erkältung, an einer lähmungs¬ 
artigen Schwäche der unteren Extremitäten erkrankte, die nach kurzer Zeit 
auch die Hände ergriff, und zu der sich bald darauf cerebrale Symptome, 
namentlich hochgradige Gedächtnissschwäche und Verwirrtheit gesellten. Zu 
gleicher Zeit konnten bereits Störungen der Sensibilität sowie Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit in den betr. Gebieten constatirt werden, so 
dass schou damals mit ziemlicher Sicherheit die Diagnose auf multiple Neu¬ 
ritis gestellt wurde. — Im März 1887 wurde der Patient in die Maison de 
sante überführt, und es konnte hier folgender Status aufgenommen werden, 
von dem ich ebenfalls nur die Hauptpunkte angebe: Complete atrophische 
Lähmung der Extensoren an beiden Vorderarmen, unvollständige auch der 
Flexoren; beiderseitige fast vollständige Lähmung der N. peronäi, ebenfalls 
zugleich mit Atrophie der Muskulatur, sowie absolute Unmöglichkeit zu 
stehen resp. zu gehen. Ausserdem erhebliche Herabsetzung, z. Th. völliges 
Erloschensein der elektrischen Erregbarkeit im Gebiete der gelähmten Nerven, 
Westphal’sches Zeichen, starke Druckschmerzhaftigkeit der grossen Nerven- 
stämme, geringe Störungen der Sensibilität, sowie in psychischer Hinsicht 
hochgradige Verworrenheit und Amnesie. 

Daneben fielen nun sofort die erheblichen Veränderungen an den Ge¬ 
lenken in die Augen. Beide Handgelenke, fast sämmtliche kleinen Finger¬ 
gelenke, sowie die Kniegelenke waren ausserordentlich verdickt, und zwar 
beruhte diese Verdickung auf einer deutlich zu fühlenden Auftreibung der 
die betr. Gelenke constituirenden Knochenepiphysen. Diese übrigens nicht 
schmerzhaften Auftreibungen waren so erheblich, dass auch passive Bewe¬ 
gungen in den befallenen Gelenken fast völlig unmöglich waren. Am 
stärksten verdickt erwiesen sich die Epiphysen des Radius und der Ulna 
rechtersoits, sowie die Condylen des rechten Oberschenkels, links war die 
Verdickung etwas geringer. Ausserdem waren beiderseits über dem Hand¬ 
gelenk sowie in der Hohlhand, ebenso auch in den Kniekehlen eigentüm¬ 
liche knötchenartige Anschwellungen der Beugesehnen zu fühlen, und 
schliesslich zeigte die Fascia palmaris an beiden Händen eine beträchtliche, 
an Dupuytren’sche Contractur erinnernde Verkürzung und Verdickung. 

Interessant ist es nun, dass mit dem Zurückgehen der übrigen Krank¬ 
heitserscheinungen auch diese Veränderungen an den Knochen resp. Gelen¬ 
ken, sowie an den Sehnen sich zurückbildeten. Nach Verlauf eines halben 
Jahres etwa vermochte der Patient zuerst wieder einige Schritte zu gehen, 
bald darauf begann auch die Motilität in den Händen wiederzukehren, und 
gleichzeitig hiermit war eine deutliche, messbare Abnahme des Umfangs der 
erkrankten Gelenke zu constatiren, die mit der Besserung der Motilität 
gleichen Schritt hielt. — Zur Zeit vermag der Kranke wieder stundenlang 
zu gehen, ohne zu ermüden, und kann auch seine Hände fast unbehindert 
wieder gebrauchen, und es sind an den Knochen resp. Sehnen nur noch ge¬ 
ringe Reste der vorhanden gewesenen Veränderungen wahrzunehmen. 

Während, wie ich bereits hervorbob, die geschilderten Störungen bei 
der eigentlichen multiplen Neuritis noch nicht beobachtet worden sind, sind 
ähnliche Veränderungen an den Epiphysen bei anderen peripheren Lähmun¬ 
gen, besonders bei der Bleilähmung, mehrfach beschrieben worden, so von 
Dumenil, von Nicaisne und namentlich von R. Remak, während Tan- 
q u e r e 1 und G u b 1 e r auf, den obigen analoge Veränderungen an den Sehnen — 
ebenfalls bei der Bleilähmung — aufmerksam machten. Da ja alle diese 
peripheren Lähmungen, sei es, dass dieselben durch Blei, sei es, dass sie 
durch Alkohol oder andere Gifte hervorgerufen seien, ihrem Wesen nach 
offenbar zusammengehören — eine Anschauung, die neuerdings, namentlich 
durch Herrn Geheimrath Leyden in seinem in der militärärztlichen Gesell¬ 
schaft gehaltenen Vortrag betont worden ist — so erscheint es mir von In¬ 
teresse, dass diese Zusammengehörigkeit sich auch an diesen, wahrscheinlich 
trophischen Störungen an den Gelenken und Sehnen naebweisen lässt. 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


551 


Herr Wätzoldt: Ich konnte mich über den Vortrag des Herrn Sena¬ 
tor nur aus den Referaten in deu Zeitungen orientiren, ich hatte ein grosses 
Interesse daran, weil ich unmittelbar vorher zwei Fälle von Polymyositis 
beobachtet hatte, die mit den von Senator beschriebenen, besonders dem 
zweiten derselben, Aehnlichkeit hatteu. In meinen beiden Fällen war die 
Erkrankung nach einer Entbindung aufgetreten, in dem ersten schon sehr 
früh, am dritten Tage, mit tödtlicbem Ausgang am fünften, in dem anderen 
in der siebenten Woche, nachdem im unmittelbaren Anschluss an das Puer¬ 
perium eine leichte Parametritis erfolgt war. Der letztere Fall ist günstig 
verlaufen, die Patientin ist zwar noch nicht ganz geheilt, die Muskeln wer¬ 
den noch von Zeit zu Zeit wieder schmerzhaft, leichte Fieberorreguugen 
treten ein, man merkt, dass noch ein Process sich abspielt, aber die Kranke 
ist doch mit dem Leben und ohne tiefgreifende Gesundheitsstörung davon 
gekommen. Ich möchte hier keine genauere Beschreibung des Verlaufes der 
beiden Fälle geben, sondern nur die localen Symptome schildern, durch 
welche sie sich als Myositis charakterisirten. Es zeigte sich nicht nur eine 
Anschwellung der Muskulatur, sondern eine contracturähnliche Spannung der 
befallenen Muskeln, es bestanden spontan reissende, rheumatoide Schinerzen 
in den befallenen Theilen, welche vermehrt wurden, wenn man Beweguugs- 
versuche machte oder Druck ausübte. Was den mikroskopischen Befund anbe- 
trifft, so war in dem tödtlichen Fall ein sehr hochgradiges Ergriffensein der 
Muskulatur zu constatiren, nicht nur eine hämorrhagische interstitielle Myo¬ 
sitis des höchsten Grades, die zur Eiterung tendirte, sondern auch paren¬ 
chymatös fast alle Veränderungen, welche man je an Muskeln beobachtet 
hat, Trübung, Aufblähung, Oedem, körniger, scholliger Zerfall (Zenker). 
Nur Verfettung und einfache Atrophie wurden gar nicht beobachtet. Bacte- 
riologisch fanden sich in dem tödtlichen Fall Streptococcen, ln dem gün¬ 
stigen Fall wurden zweimal Muskelstücke excidirt, aus dem Cucullaris und 
Gastrocnemius. Diese Muskeln waren nicht so hochgradig verändert, aber 
doch charakteristisch genug, um sie als entzündlich erkrankt zu erweisen; 
man fand kleinzellige Infiltrationen und Hämorrhagieen in den Interstitien und 
andererseits in dem Parenchym selbst, besonders Zenker’sche Degeneration. 
In den Fällen von Herrn Senator fand sich klinisch nur Schmerzhaftigkeit 
der Muskeln auf Druck bei motorischer Schwäche. Was den mikroskopischen 
Befund von Senator angeht, so waren die interstitiellen Veränderungen, 
extra betont, sehr ausgesprochen. Bezüglich des Vorgefundenen braunen Pig¬ 
ments möchte ich mir die Frage erlauben, ob Herr Senator glaubt, dass 
dies Ueberreste von Hämorrhagieen sein können. Parenchymatöse Verände¬ 
rungen scheinen nicht vorhanden gewesen zu sein. Was die Aetiologie der 
Fälle von Senator anbetrifft, so ist darüber wenig gesagt, in dem ersten 
Falle handelte es sich um einen Patienten, der mit Phthise behaftet war, 
also mit einer Krankheit, bei welcher Neuritis ziemlich häufig auftritt, bei 
welcher jedenfalls Eingangspforten zum Eintritte specifischer oder jedweder 
Krankheitserreger genug existiren. In dem anderen Falle ist als Gelegen¬ 
heitsursache nur „starke Gemüthsbewegung“ erwähnt. In meinen Fällen 
war es kaum zu umgehen, an ein infectiöses Agens, das von der puerperalen 
Wunde aus eingedrungen, zu denken. Diese Auffassung wird auch von deu 
Autoren getheilt, welche unter dem Namen der Polymyositis, bezw. der 
Pseudotrichinose Fälle veröffentlicht haben, die klinisch und pathologisch 
anatomisch mit den meinigeu genau übereinstimmen, nämlich von Unver¬ 
richt, Hepp und Wagner. 

Herr Leyden: Der interessante und anregende Vortrag des verehrten 
Herrn Collogen Senator hat einen Gegenstand zur Discussion gestellt, welcher 
für die Nervenpathologie sowohl vom theoretischen als auch vom praktischen 
Standpunkte von ausserordentlichem Interesse ist, ich meine die Affection 
der Muskeln, welche sich im Zusammenhang mit Nervenkrankheiten ent¬ 
wickelt. Diese Muskelaffection stellt sich klinisch in den ausgeprägten 
Fällen als Muskelatrophie dar; wenn ich hier von diesem auffälligen 
Symptom ausgehe, so erinnere ich daran, welche allgemeine und mannich- 
faltige Bedeutung den Muskelatrophieen zukomrat, und wie verschiedene 
Auffassung und Deutung sie gefunden haben. Zu einer etwas weiter 
zurückgelegenen Zeit betrachtete man diese Fälle von Muskelatrophieen 
als Myopathieon, Erkrankungen des Muskels selbst. Gegen diese Auf¬ 
fassung trat eine Reactiou ein, und sie wurden eine Zeit lang, wie, glaube 
ich, auch Herr Senator berührt hat, sämratlich als abhängig von Er¬ 
krankungen des Rückenmarkes (der grauen Substanz) bezeichnet. Die 
weiteren Fortschritte der Untersuchungen haben gezeigt, dass beide Auf¬ 
fassungen zu einseitig sind, das eine und das audere ist möglich, ja noch 
weitere Möglichkeiten ergeben sich, welche namentlich in der Erkrankung 
der Nerven, die ich selbst bearbeitet habe und von der Senator auch 
Mittheilung gemacht hat, beruht. Somit erkennen wir eine sehr grosse 
Mannichfaltigkeit der Ursachen wie der Krankheitsprocesse, indem sie 
vom Gehirn und Rückenmark, von den Nerven in ihren verschiedenen Ver¬ 
zweigungen herrühren können, und endlich auch in den Muskeln selbst sich 
Processe entwickeln, welche zu Muskelatrophieen führen. Dieser Gesichts¬ 
punkt wird noch dadurch erweitert, dass wir anatomisch und functioneil 
die analogen Processe erkennen und nachweisen können, ohne dass schon 
das auffällige Symptom der Muskelatrophie ausgebildet ist. Es ist nun weiter 
die Frage, welche Senator schon berührt hat, ob die Processe in den 
Muskeln, die in den weiteren Fortschritten zur Atrophie führen, Ver¬ 
schiedenheiten zeigen, und zwar solche, welche für ihre Aufassung zu 
verwerthen sind. An den atrophischen Muskeln können wir verschiedene 
Processe unterscheiden: die entzündlichen Processe, die sich in der von 
Senator dargestellten Weise, namentlich durch Kernwucherung etc. aus¬ 
zeichnen, dann einfache Atrophieen (Abnahme der Muskeln in ihrem Quer¬ 
schnittsvolumen), ferner degenerative Processe, und ondlich die Lipomatose, 
Fettumwachsung der Muskeln, bekannt geworden durch die bei Kindern 
vorkommende Pseudohypertrophie. Der von Herrn Wätzoldt berührte Pro¬ 
cess der Myositis scheint noch eine besondere Stellung einzuuehmen, ich 
habe wenig diesbezügliche Untersuchungen gemacht und möchte kein Urtheil 
abgeben. Ueber die übrigen Muskelerkrankungen aber habe ich früher 
ziemlich viel gearbeitet, ohne die besonderen Resultate zu publiciren. Ich 


möchte mir gestatten, mit einigen Worten auf diese früheren Untersuchun¬ 
gen einzugehen. Ich darf mich auch auf meine „Klinik der Rückenmarks¬ 
krankheiten“ berufen. Dort findet sich ein kleiner Abschnitt über abstei¬ 
gende Neuritis und Myositis nach Erkrankungen des Rückenmarks, ich habe 
schon damals meine Aufmerksamkeit auf diese Processe gerichtet und nach¬ 
gewiesen, dass sie von eigentlicher Myelitis aus durch die Nerven in die 
Muskeln sich fortpflanzen, mit dem Charakter entzündlicher Eutwickeluugen 
in den Muskeln selbst. Dann habe ich Untersuchungen angestellt, um 
die Frage zu erörtern, ob wir aus der anatomischen Natur der Veränderungen 
in den Muskeln berechtigt sind, einen Schluss auf den Charakter der Ver¬ 
änderungen im Nerven oder im Rückenmark selbst zu ziehen, ob man aus der 
Natur der Muskelerkrankung, namentlich wenn es zur Atrophie gekommen 
ist, einen Schluss ziehen darf auf den Charakter der zu Grunde liegenden 
Nervenerkrankung. Erb fand nach der einfachen Durchschneiduug der motori¬ 
schen Nerven in den atrophischen Muskeln zuweilen rein atrophische Processe, 
andere Male solche Veränderungen, welche wir zu den entzündlichen zu 
rechnen pflegen. Das ist schon von Senator erwähnt. Ich bin zu einem 
ähnlichen Resultat gekommen, dass man zuverlässige Schlüsse aus der aua- 
, tomischen Beschaffenheit der Muskelveränderung nicht ziehen darf, deshalb 
j habe ich diese Sache liegen gelassen. (Demonstration einer Reihe damals ange- 
' fertigter Zeichnungen von progressiver Muskelatrophie und Bulbärparalyse: sie 
1 stellen reine Atrophieen dar, Verschmälerung der Muskelquerschnitte mit 
i massiger Fettentwickelung aus der Zunge; dann Muskeln von ’Kinder- 
1 lähmung, die schon in der Deutung zweifelhaft sind, ausserordentlich atro- 
1 phische Muskeln mit kleinen Querschnitten mit Verdickung der Ränder, 
von der ich nicht sagen kann, was sie bedeutet, dann von myositischen 
i Processen bei einem Falle, wo sich ein sklerotischer Herd in einem Vorder- 
[ horn des Lendenmarks fand, endlich Muskelpräparate von Ataxie und pro¬ 
gressiver Muskelatrophie etc.). Ich finde im Ganzen, dass den einfachen 
atrophischen Processen eiue einfache Atrophie der Muskeln entspricht, und 
dass den entzündlichen Processen, welche wir zur Neuritis rechnen dürfen, 
auch eine entzündliche Erkrankung in den Muskeln entspricht, auch die 
Bleilähmung, die exquisit myositische Verhältnisse in den Muskeln giebt, 
schliesst sich hier noch an. Ich muss nochmals hervorheben, dass wir 
trotzdem nicht principielle Schlüsse auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen 
bauen dürfen. Herr Senator hat die Frage besonders in Fluss gebracht 
bei Besprechung der von Erb aufgestellton Ansicht, dass die Symptome, 
welche wir als Neuritis, weiter fortschreitend als atrophische Myositis be¬ 
zeichnen, vom Rückenmark ausgehen könnten, auch wenn im Rückenmark 
keine pathologischen Veränderungen nachweisbar sind. Ich halte diese 
Theorie nicht für berechtigt, weil man nicht Ansichten auf Vorgänge basiren 
soll, die man nur hypothetisch kennt, für die man keinen Nachweis 
führen kann. Aus der Structur der Muskeln aber, vielleicht auch nicht 
einmal aus der Structur der Nerven, wird sich kein entscheidender Grund 
dagegen anführen lassen. Ich bin also der Meinung, dass die Veränderun¬ 
gen der Muskeln principiell nichts entscheiden, d. h. dass wir aus den ana¬ 
tomischen Veränderungen nicht mitj grosser Sicherheit sagen können, ob 
die Processe der Myositis und der einfachen Muskelatrophie principiell ver¬ 
schieden seien. Ich hebe dies besonders deshalb hervor, weil ich derselben 
Ansicht bin betreffs der Degeneration der Nerven; auch an den peripher 
erkrankten Nerven finden wir anatomische Veränderungen, welche wir mit 
vollkommenem Recht als Neuritis bezeichnen, in anderen Fällen nur Atrophieen, 
bei Vorgängen sowohl in Muskeln als auch Processen am Lebenden, welche 
mit einander grosse Aehnlichkeit haben. Ich vertrete deshalb den Stand¬ 
punkt, dass ich diese Neuritis und diese Atrophie der Nerven nicht prin¬ 
cipiell von einander unterschieden und unter einem und demselben Krank¬ 
heitsnamen abgehandelt habe, welche ich allerdings nach dem Satz „a potiori 
j fit denominatio“ als Entzündung (Neuritis) bezeichnete. 

Herr Rosenheim: Ich wollte mir erlauben, an einen von Herrn 
; Senator erwähnten Befund anzuknüpfen, über den ich selbst früher be¬ 
richtet habe, nämlich an den Befund von Mastzellen in den Muskeln. Einen 
analogen Befund von Mastzellen in den peripheren Nerven habe ich vor einiger 
Zeit mitgetheilt. Aus den Untersuchungen von Herrn Senator geht hervor, 
dass er zu einer Zeit, als der Process frisch und floride war, diese von 
Ehrlich gekennzeichneten Gebilde gesehen hat. Ich habe in einem rapide 
verlaufenden Fall von acuter, infectiüser Neuritis (Tod 17 Tage nach Beginn 
der Erkrankung) die gleichen Gebilde enorm zahlreich gefunden. Die Mast¬ 
zellen haben von Ehrlich ihren Namen daher erhalten, dass sie angeblich 
dadurch entstehen, dass das umliegende Gewebe, namentlich das interstitielle, 

I in einen Zustand von Ueberernährung kommt, wie dies bei acut uud chronisch 
entzündlichen Vorgängen geschieht. Ich fand sie zuerst in dem schon er¬ 
wähnten Falle. Ihr Vorkommen beim gesuuden Individuum ist auch an be¬ 
stimmte Bedingungen geknüpft, die mit den Ernährungsverhältnissen der 
Nerven in innigen Beziehungen stehen. Sie kommen bei Kindern gar nicht, 
dann bei Erwachsenen ungefähr bis zum 45. Jahre verhältnissmässig spär¬ 
lich, bei alten Individuen dagegen zahlreich in den peripheren Nerven vor, 

| nicht im Gehirn und Rückenmark. In den Nerven lange Zeit gelähmter Ex¬ 
tremitäten sind sie in besonders grosser Anzahl nachweisbar. Das wies 
| darauf hin, dass sie zu den Ernährungsstörungen in gewisser Beziehung 
j stehen; dann der Umstand, dass sie gerade bei diesem Fall von acuter in- 
fectiöser Neuritis in den betroffenen Nervengebieten ausserordentlich zahl- 
| reich waren, endlich die ganz eigenartige Lagerung dieser Gebilde. Analog 
der Lagerung, wie sie von Herrn Senator in den Muskeln gefunden worden 
sind, unmittelbar am Sarcolemm liegend zu zwei und drei und vier, sah ich 
sie in den Nerven nur in der unmittelbaren Nähe der Schwann’schen 
Scheide, in den feinsten Verzweigungen der interstitiellen Substanz. In deu 
breiteren Maschen sind die Capillaren, der Stoff- und Gaswechsel zwischen 
Blut und Parenchym wird lediglich durch die Saftkanälchen des zarten Endo- 
neuriums hindurch bewirkt, nior sind die eingeschalteten Kerne wichtige 
Depots, bei gewissen Störungen zeigen diese Kerne die Mastzellenbildung 
(Demonstration). Sie entwickeln sich aus fixen Bindegewebskörperchen, auch 
Uebergangsformen sieht man. Bei den ausgesprochenen Mastzellen ist der 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


Kern mit Anilinfarbstoffen absolut unfärbbar, das Protoplasma dagegen färbt 
sich sehr stark. Dann sieht man Zellen, bei denen das Protoplasma sich 
nur an den Polen des Kerns etwas färbt, der Kern selbst nur schwach. 
Diese habe ich als Uebergangsformen angesprochen. Diese Lagerung der 
Mastzellen in erster Reihe war es also, welche mich vermuthen liess, dass 
sie zur Ernährung der Nerven in ganz bestimmter Beziehung stehen, und 
es scheint auch für die Muskeln dieses Verhältnis stattzuhaben. 

Das Zweite, worauf ich eingehen möchte, das hier bereits durch Herrn 
Wätzoldt angeregt ist, ist die Frage der Infection, die Frage der Aetiologie. 
Myositis und Neuritis brauche ich nicht zu scheiden, da ein principieller 
Unterschied nicht besteht. Die Noxe, die das eine hervorruft, erzeugt wahr¬ 
scheinlich auch das andere. Es kann Vorkommen, dass das eine primär, der 
Muskel oder der Nerv zuerst, oder dass beide Organe, die ja physiologisch 
zusammengehören, gleichzeitig ergriffen werden. Bei dem von mir publi- 
cirten Falle erfolgte der Tod unter Erscheinungen der Vaguslähmung nach 
17 Tagen. Das pathologisch-anatomische Substrat war: enorme Hämorrhagieen 
bis zu Erbsengrösse in den Nervenscheiden, ausserdem Hyperämie der be¬ 
troffenen Nervengebiete und starke Kernwucherung bei relativ iutaclem 
Parenchym. Da war es besonders geboten, auf das infectiöse Agens zu 
vigilireu. Dieser so rapide verlaufene Fall musste die besten Chancen für 
eine Untersuchung geben. Die Section des betreffenden Patienten fand fast 
unmittelbar nach dem Tode statt. Die Nerven wurden dann excidirt, Platten- 
culturen angelegt, alle möglichen Impfversuche gemacht, aber keine Bacterien 
gefunden, ebensowenig Bacterien in den Schnittpräparaten gesehen. Es war 
deshalb geboten, an ein anderes Moment zu denken, da es auffallend ge¬ 
wesen ist, wie schon von Leyden betont, dass die acute, subacute und 
chronische Neuritis sich fast immer neben exquisiten Infectiouskrankheiten 
oder unmittelbar im Anschluss an dieselben entwickeln, eine andere Noxe 
als Ursache anzunehmen. Unter diesen Infectionskrankheiten sind solche, 
deren Keime wir kennen, wie Tuberculose. Gerade neben dieser wird Neu¬ 
ritis und Myositis häufig gefunden, in meinem Falle fand sich auch Tuber¬ 
culose der Lungen, und wir müssen glauben, dass von diesem Mikrobenherde 
aus giftige S! iffwechselproducte sich entwickeln, welche auf die Nerven 
deletär wirken. Analogieen giebt es für diese Auffassung genug in der 
Pathologie. Wir sehen eine ganze Reihe von Organen infectiös befallen 
werden. Sie erkranken unter Erscheinungen der acuten Infection, ohne dass 
man bisher eine Spur von Infectionsträgern auffinden konnte, so bei acuter 
infectiöser Nephritis, bei der wir auch annehmen müssen, dass die Aus¬ 
scheidung von Stoffwechselproducten es ist, welche das Nierenparenchym so 
beeinflusst. Was den Fall von Herrn Wätzoldt anbetrifft, so glaube ich, 
dass er genau genommen nicht in die von Herrn Leyden und Senator 
aufgestellte Kategorie gehört, ich glaube, dass speciell der erste auf eine 
Pyäraie mit Bacterienembolieen zurückzuführen sein dürfte, denn eine Ab- 
scedirung ist bei infectiösen Myositiden und Neuritiden bisher nicht beob¬ 
achtet worden. 

Herr Wätzoldt: Diese Befunde der Abscedirung und der beginnenden 
Abscedirung, beginnender Hämorrhagieen finden sich auch in dem Falle von 
Unverricht, der durchaus nicht so rapide verlief, wie der von mir ge¬ 
schilderte, sondern der in der 6. Woche erst zum Tode führte, und bei dem 
Unverricht auch ein infectiöses Agens annehraen will, und dann ist auch 
noch eigentümlich, dass sich in den sämmtlichen anderen Organen keine 
Bacterienembolieen fanden, nur in den ergriffenen Beugemuskeln der Unter¬ 
arme und in der Beugemuskulatur der unteren Extremität. 

Herr Remak: Wir haben von unserem verehrten Herrn Vor¬ 
sitzenden gehört, dass pathologisch-anatomisch sich eine differentiell - dia¬ 
gnostische Unterscheidung zwischen Myositis und Neuritis nicht immer machen 
lässt. Immerhin möchte ich aber gegenüber Herrn Rosen he im, welcher 
meinte, dass es principiell vom ätiologischen Standpunkte aus gleichgiltig 
wäre, ob man etwas als Myositis oder Neuritis aufzufassen hat, vom kli¬ 
nischen Standpunkte aus betonen, dass wir vorläufig noch geneigt sein 
werden, möglichst exacte differentielle Diagnosen zwischen primären Muskel- 
affectionen und secundären, erst nach Nervenerkrankungen eingetretenen 
Affectionen zu stellen und erst später, nachdem diese Differeutialdiagnose 
sicher gestellt ist, die meist zweifelhaften ätiologischen Momente aufzu¬ 
suchen. Wenn man nun diejenigen Affectionen durchmustert, bei welchen 
eine primäre Muskelerkrankung ohne jede Nervenalteration anatomisch er¬ 
wiesen ist, so finden sich zwei Krankheitsformen, welche durchaus von 
einander verschieden sind. Zunächst sind als acute Polymyositis erwiesen 
ohne Nervenalteration die sehr merkwürdigen Fälle, welche Herr Wätzoldt 
erwähnt, hat, welche erst in den letzten Jahren bekannt geworden sind 
durch Wagner, Hopp, Unverricht und Wätzoldt, in welchen die 
Kranken acut mit Oodemen, sehr schmerzhafter teigiger Anschwellung der 
Muskeln und Contractur derselben erkrankt sind und ein vollständig von 
dem klinischen Bild einer Lähmung abweichendes Symptomenbild darbieten. 
Es handelt sich hier eben nicht um eine ueuropathische Analyse, sondern 
die Muskeln sind steif, bretthart, die überliegenden Weichtheile ödematös, 
äusserst schmerzhaft, es kommt zu Contracturen und Unbeweglichkeit; das 
Verbältniss der Sehnenphänomene kann leider nicht gegenüber der Lähmung 
entscheidend sein, da Hopp auch hier Aufhebung derselben beobachtete. 
Auffällig war den Autoren immer die grosse Aehnlichkeit dieser Fälle mit 
der Trichinose, sodass dieselben geradezu als Pseudotrichino.se bezeichnet 
wurden. Wagner faud übrigens einmal auch 2 — 3 Trichinen, hält sich 
aber nicht für berechtigt, diese als Aetiologie auzunehraen. Sehr verschieden 
ist eine zweite Affection, die ebenfalls als primäres Muskelleiden nachge¬ 
wiesen ist, es ist dies die hereditäre, nach Erb auch als juvenile Form 
bezeichnete progressive Muskelatrophie oder progressive Muskeldystrophie, 
welche von den Franzosen in verschiedenen Typen specialisirt wurde, be¬ 
sonders auch in den von Duchenne, dass die Gesichtsmuskeln an der 
Atrophie betheiligt sind, von welcher Form ich selbst den ersten Fall in 
Deutschland veröffentlicht habe. Die Kinder erkranken dabei mit Unfähigkeit, die 
Augen zu schliessen, den Mund zu spitzen, niemals bestehen die allergeringsten 
.Schmerzen. Diese primäre Muskelatrophic kann mit Pseudohypertrophie an¬ 


derer Muskeln einhergehen, z. B. Atrophie der Oberextremitäten mit Hyper¬ 
trophie der Waden, wie ich zur Zeit einen Fall bei einer 22 jährigen Person 
beobachte. Jede Betheiligung der peripherischen Nerven und des Rücken¬ 
marks an der anatomischen Erkrankung hat man bisher in den anatomisch 
untersuchten Fällen von Landouzy und Döjerine ausschliessen können. 
Während man also in den vorher erwähnten acut auftretenden Fällen von 
vornherein nicht zweifelhaft sein wird, dass primär entzündliche Affectionen 
der Muskeln Vorlagen, bieten diese chronischen Erkrankungen eine grosse 
Aehnlichkeit mit neuropathischeu Amyotrophieen, z. B. der Duchenne- 
Aran’schen progressiven Muskelatrophie auf spinaler Basis mit Atrophie der 
Vorderhornganglienzellen. Klinisch ist viel leichter von diesen verschiedenen 
Amyotrophieen zu sondern die atrophische degenerative Paralyse, bei wel¬ 
cher, sei es mit oder ohne Schmerzen, eine oder mehrere Nervengebiete 
acut oder subacut gelähmt sind, die Sehnenphänomene schwinden, die Läh¬ 
mung allemal schlaff ist, Entartungsreaction für den galvanischen Strom auf- 
tritt und Aufhebung oder bedeutende Verminderung der Erregbarkeit für 
den faradischen Strom. Diese Fälle möchte ich noch streng von der pri¬ 
mären Polymyositis scheiden, weil die myositischen Alterationen hier stets 
erst secundär nach der Nervenerkrankung eingetreten sind. Nun ist es ja 
das Verdienst von Leyden, nachgewiesen zu haben, dass die multiplen 
atrophischen Paralysen meist auf multipler Neuritis beruhen, also vom Rücken¬ 
mark nicht abhängen. Nachdem die Lehre von der Neuritis aber in Fluss 
gebracht ist, hat sich herausgestellt, dass auch hierher klinisch ausserordent¬ 
lich verschiedene Affectionen, wie es schon von Herrn Senator erwähnt 
ist, gehören: Krankheitsformen, welche klinisch so sehr verschieden sind, 
dass kaum jemand sie verwechseln kann. Die Alkoholneuritis mit Ataxie, 
die die grösste Aehnlichkeit mit Tabes haben kann, ist darin gewiss ver¬ 
schieden von der atrophischen Lähmung der Fingerextensoren der Bleilähmung. 
Trotzdem werden beide Affectionen auf Neuritis zur Zeit zurückgeführt. 
Auch unter den Fällen, welche als multiple Neuritis klinisch bezeichnet 
werden, bestehen typische Differenzen, je nachdem die Sensibilität betheiligt 
oder ganz intact ist. Bei letzterer Form kommen die eigenthümlichen Loca- 
lisationen vor, die ich selbst als spinale Localisationstypen seiner Zeit be¬ 
schrieben und auf gesetzmässige Lagerung der Ganglienzellen nach functio¬ 
neilen Gruppen zurückgeführt habe. Es ist doch wohl zu betonen, dass wir 
hier noch vor merkwürdigen Schwierigkeiten stehen, auf welche Leyden 
auch in seinem Vortrag in der militärärztlicheu Gesellschaft aufmerksam ge¬ 
macht hat. Man hat sich mit Affinitätshypothe en der verschiedenen Krank¬ 
heitstoxine geholfen; Alkohol soll zu den sensi den, Blei zu den motorischen 
Nerven grössere Affinität haben. Warum das Blei die Affinität hat, dass zuerst 
der Extensor communis digitorum erkrankt, dann andere Muskeln des Radialis- 
gebietes, während Supinator longus u. s. w. gesund bleiben und Daumen¬ 
ballenmuskeln im Medianusgebiete erkranken, dafür fehlt uns vorläufig jedes Ver¬ 
ständnis. Ich glaube auch nicht, dass damit viel gewonnen ist, die Bleilähmung 
als elective Systemerkrankung zu benennen. Die Affinität bestimmterToxine(Mö- 
bius) ist eben nur eine Umschreibung dessen, was wir thatsächlich beobachten. 
Diejenigen Fälle von multipler Neuritis, iu denen wirklich herdförmige 
hämorrhagische Entzündungen in den Nerven gefunden worden sind, sind 
sehr selten. Ich entsinne mich nur dreier Fälle, eines vou Eich hörst, 
eines von Leyden, endlich des Falles von Rosenheim. Sonst stellt sich 
die Sache anatomisch in den gründlich untersuchten Fällen wesentlich so, 
dass ausgedehnte Veränderungen in den Muskeln bei diesen multiplen atro 
phischen Lähmungen beschrieben wordeu sind, ganz neuerdings sogar 
enorme Veränderungen in ihrem interstitiellen Gewebe von Eichhorst in 
Virchow’s Archiv als Neuritis fasciens in Bildern, welche sehr an die 
von Herrn Senator gezeigten Abbildungen erinnern. Dann war stets eine 
intensive Degeneration der motorischen Nerven vorhanden, welche aber nach 
oben hin immer geringer wird; im Rükenmark fand sich nichts, in ein¬ 
zelnen Fällen ist auch dort, in der vorderen grauen Substanz Atrophie gefunden. 
Ganz derselbe Befund war übrigens in dem interessanten Fall von Oppen¬ 
heim vorhanden, der als Polymyelitis beschrieben und auch als solcher von 
Herrn Senator anerkannt worden ist. Die Ganglienzellen in den Vorder- 
hörnem waren atrophirt, dagegen die spiualen Wurzeln und die Plexus 
gesund, und nun beginnt, wie bei jenen Formen der amyotrophischen Neu¬ 
ritis, die Degeneration erst in der Peripherie der motorischen Nerven und 
besteht ferner Äiyositis der Muskeln. Aehnliches war übrigens schon von 
Aufrecht 1878 in einem im Archiv für klin. Medicin veröffentlichten Falle 
beobachtet. Ein Moment ist noch besonders hervorzuheben. Man hatte 
sich gewöhnt, nach den Untersuchungen von Waller über secundäre Dege¬ 
neration und nach deu experimentellen Untersuchungen von Erb und 
Ziemssen und Weiss u. A. immer die Sache so anzusehen, dass von 
einer bestimmten Stelle der spinoperipherischen Innervation aus absteigend 
in der Continuität die secundäre Degeneration eintreten müsse. Es scheint 
nun aber, wie auch aus Oppenheinrs Beobachtungen hervorgeht, und 
Erb schon früher angenommen hatte, ein trophischer Einfluss zu bestehen 
vom Rückenmark aus, so dass durch Degeneration der Ganglienzellen Atro¬ 
phie der peripherischen motorischen Nerven eintreten kann und davon ab¬ 
hängig der Muskeln ohne das Mittelglied der Degeneration in den Plexus 
und an den vorderen Wurzeln. Ueber einen ähnlichen Fall von Bulbär- 
kernlähmung habe ich in der psychiatrischen Gesellschaft vorgetragen, die 
Präparate demonstrirte Herr Oppenheim. Der Fall war ausgezeichnet 
dadurch, dass dio Lippenmuskeln gelähmt und atrophisch waren und die 
elektrische Erregbarkeit schon längere Zeit in ihnen herabgesetzt war und 
auch, was bei Bulbärparalyse sehr selten ist, die Augenschliessmuskeln 
gelähmt waren, und dass zuletzt Ptosis eintrat. Der äussere Habitus der 
Patientin entsprach also einigermassen der Facies myopathica von Landouzy 
und Dejerine, die ich vorher schon erwähnte. Es fanden sich nun aus¬ 
gedehnte Veränderungen der Kerne des Hypoglossus und Facialis, dagegen 
waren die vorderen Wurzeln und die peripherischen Nerven intact, nur der 
M. sphincter oris war hochgradig atrophisch verändert. Also wir sehen, 
dass iu der That eine Art Uebergang zu bestehen scheint zwischen der 
rein amyotrophischen peripherischen Neuritis einerseits und der Poly- 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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myelitis andererseits. Es ist Strümpell wohl Recht zu geben, dass wie 
im motorischen System bald höher bald tiefer die Krankheit einsetzen kann, 
meist aber jedoch in systematischer Gesetzmässigkeit bei den rein amyotro- 
phi8chen Affectionen, wie die Bleilähmuug und die subcutane Spinal- 
iähmung; je nach dem Standpunkt, den der Autor einnahm, ist selbst am 
Leichentisch eine verschiedene Auffassung berechtigt. Demgegenüber steht 
die Neuritisgruppe, bei welcher nur die sensiblen Nerven wesentlich bethei¬ 
ligt sind (Alkoholismus, Diphtherie), dann kommen gemischte Fälle vor, 
endlich schwer entzündliche Fälle, wie der Fall von Rosenheira mit Be¬ 
theiligung sowohl der motorischen als sensiblen Functionen. Klinisch stehen 
ganz abseits von allen diesen neuropathischen Lähmungen jene seltenen 
Fälle von Pseudotrichinose (Polymyositis), die ich vorher gekennzeichnet 
habe. 

Herr Senator: Auf die principiellen Erörterungen, die in der Dis- 
cussion hervorgetreten sind, einzugehen, habe ich keinen Grund, da ich 
ganz einverstanden bin mit den Anschauungen, welche von Leyden und 
Remak entwickelt sind, und ich selbst schon im Eingang meines Vortrages 
iu demselben Sinne mich ausgesprochen und hervorgehoben habe, dass man 
nach anatomischen Befunden allein die Krankheiten nicht gruppiren kann, 
dass man dabei Gefahr läuft, klinisch verschiedene Bilder in einen Topf zu 
werfen, und dass insbesondere vom rein anatomischen Standpunkt aus das 
typische Bild der acuten oder subacuteu multiplen Neuritis verwischt wird. 

Was die von Herrn Wätzoldt mitgetheilten Fälle von Polymyositis 
betrifft, so habe ich keine Veranlassung gehabt, auf diese einzugehen, weil 
es sich, wie ja Herr Remak mit Recht hervorgehoben hat, dabei um eine 
ganz andere Krankheit handelt, die mit der Neuritis klinisch sehr wenig 
Aehnlichkeit hat. 

Die Mittheilung des Herrn Lilienfeld von Betheiligung der Gelenke 
und Sehnen, erinnert an gewisse Ansichten von R. Remak sen. über die 
Entstehung von Gelenkveränderungen in Folge von Nervenaffectionen. Er 
hat bekanntlich die Arthritis deformans als .Neuritis sympathica“ bezeich¬ 
net, nicht mit Unrecht, wie mir scheint, insofern gewiss eine Betheiligung 
trophischer Nerven dabei im Spiel ist, wenn auch nicht gerade der Sym- 
pathicus. Ob im Uebrigen der Fall des Herrn Lilienfeld dem Bilde der 
typischen acuten Neuritis entspricht, konnte ich aus der kurzen Mittheilung 
nicht entnehmen. Was die Frage nach der Aetiologie aulangt, so habe 
ich gesagt, dass keine Bacterien gefunden sind, man kann also Ptoraaine 
beschuldigen, iu dem zweiten Falle habe ich berichtet, dass nach einer 
heftigen Gemüthsbewegung die Sache aufgetreten ist, ob durch dieselbe, 
lasse ich dahingestellt, vielleicht hat eine andere disponirende Ursache Vor¬ 
gelegen, die Pigmentanhäufung habe ich als Folge von Extravasaten ange¬ 
sehen. Den Untersuchungen von Erb möchte ich eine solche entscheidende 
Bedeutung, wie Herr Leyden thut, nicht einräumen, denn diese Versuche 
sind in der vorantiseptischen Zeit angestellt. Es ist doch fraglich, ob man 
heute dasselbe Resultat erhalten würde, die Erb und gleichzeitig Mante- 
gazza damals erhielten. Es wäre also, unter strenger Antisepsis, zu er¬ 
forschen, ob bei Trennung der peripheren Nerven in den Muskeln wirklich 
entzündliche Vorgänge entstehen. Uebrigens kann ich mir sehr wohl vor¬ 
stellen, dass bei einer primären Neuritis der Entzündungsprocess auf die 
Muskeln fortkriecht, aber auch, dass umgekehrt die Myositis das erste ist 
und die Entzündung von den Muskeln sich auf die Nerven ausbreitet oder 
Myositis und Neuritis gleichzeitig und coordinirt auftreten. 

2. Herr Leydeu (Demonstration): Diese Demonstration schliesst 
sich an eine frühere Discussion an. Es ist das Rückenmark des¬ 
jenigen Falles, von dem Herr Jürgens die erkrankten Halswirbel¬ 
knochen demonstrirte, ein Fall, der durch die Darstellung des Herrn 
Jürgens, der ihn für eine syphilitische Wirbelaffection erklärte, 
ein erhöhtes Interesse gewann. Die Patientin war auf meiner Klinik 
behandelt worden, ich berichtete über den Krankheitsverlauf und 
die bemerkenswerthen Symptome, welche derselbe darbot. Es han¬ 
delte sich um eine Frau von 32 Jahren, in der Mitte der Gravidität, 
die mit einer vollständigen Paraplegie zuging, dabei nahmen die 
Arme an der Lähmung nicht Theil. Es handelte sich also um eine 
Erkrankung des Cervicalmarks. Sehr auffallend war es aber, dass 
Reflexe von der Fusssohle und der unteren Extremität aus absolut 
nicht auszulösen waren, auch fehlten die Bauchreflexe. Die 
Lähmung der Beine war ferner eine absolut schlaffe. Ich erinnerte 
daran, dass ich ähnliches wohl bei schweren Zerquetschungen des 
Halsmarks schon beobachtet hätte, auch erinnerte ich durch Wirbel- 
fracturen an die Experimente von Goltz, wonach bei schweren 
Verletzungen des Rückenmarks eine Lähmung der Reflexerregbarkeit 
eintritt. Allein in allen solchen Fällen ist das Erlöschen der Reflex¬ 
erregbarkeit kaum je so vollkommen wie hier, und in der Regel 
stellt sich diese Function nach einiger Zeit wieder her. Eine aus¬ 
gedehnte Erkrankung des Rückenmarks, die nicht bloss den Cervi- 
caltheil ergriffen hätte. Herr Bernhardt vermuthete daher, es 
möchte sich um eine weit durch das Rückenmark gehende Degene¬ 
ration handeln. Eine solche ist freilich bei den durch Wirbelcaries 
bedingten Rückenmarksaffectionen der Regel nach nicht vorhanden. 
Ich habe nun das Rückenmark nach der Erhärtung zur Demon¬ 
stration gebracht, so dass Sie auf den in verschiedener Höhe ange¬ 
legten Querschnitten mit dem blossen Auge oder mit der Lupe die 
vorhandenen Degenerationen sehen können. Auffällig ist zunächst, 
dass die Erhärtung des Rückenmarks vollkommen gut gelungen ist, 
was bei stärkeren Erweichungsprocessen nicht der Fall ist. Sodann 
werden Sie bemerken, dass überhaupt nicht sehr viel Degenerirtes 
zu sehen ist. Auf dem Querschnitt des Halstheiles, der am stärksten 


afficirt ist, sehen Sie mehrere helle unregelmässige Flecke in die 
übrige, relativ normale Substanz eingesprengt, dies sind Erweichungs¬ 
herde, aber sie sind nicht so gross, noch so stark erweicht, dass ein 
Zerfall eingetreten wäre. Nach oben und nach unten zu nehmen 
solche kleine Herde schnell an Grösse und Zahl ab, so dass die 
ganze Erkrankung nur etwa 2—3 Wirbelhöhen umfasst. Man sieht 
dann auch nach oben und nach unten zu Andeutungen der im Beginn 
begriffenen auf- und absteigenden secundären Degeneration. Auch 
die angefertigten Schnitte aus dem Halstheil zeigen bei mikroskopi¬ 
scher Betrachtung nun eine viel geringere Erkrankung. In der That 
ist gegenüber den während des Lebens beobachteten schweren 
Symptomen die viel geringere anatomische Erkrankung des Rücken¬ 
marks sehr auffällig. _ 


VII. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 27. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1. Herr Rosenstein stellt mit Bezugnahme auf deu Vortrag des Herrn 
v. Bergmann in der Sitzung vom 13. Juni zwei Patientinnen mit knorpeligen 
Exostosen vor. 

2. Herr Henoch demonstrirt im Anschluss an seinen Vortrag über 
Scliftdellflcken im frühen Kindesalter in der Sitzung vom 30. Mai das 
Präparat des einen Falles, das sich in der Sammlung des Pathologischen 
Institutes vorgefunden hat. 

Herr Virchow demonstrirt eine Reihe anderer analoger Präparate. Er 
macht darauf aufmerksam, dass bekanntlich Fissuren des Schädels ausser¬ 
ordentlich schwer heilen, so dass man vor noch garnicht langer Zeit an¬ 
nahm, dieselben heilten überhaupt nicht vollständig. Der Beweis, dass eine 
Heilung eintreten kann, ist indessen erbracht, und Herr Virchow ist in 
der Lage, durch Vorlegung von Präparaten Beläge zu geben. Indessen 
bleiben doch, selbst wenn Heilung eingetreten ist, öfters Löcher zurück. 
Die Schwierigkeit, solche Fissuren zur Heilung zu bringen, hat Gudden 
zu der unzulässigen These veranlasst, man könne durch Herstellung künstlicher 
Fissuren neue Nähte machen, was er durch Thierexperimente nachzuweisen 
versucht hat. 

Herr v. Bergmann theilt im Anschluss hieran aus seiner Würzburger 
Zeit einen interessanten Fall mit, von dem er das Präparat vorlegt. Ls 
handelte sich um die Frage, ob das betreffende Kind, dessen Leichnam be¬ 
hufs einer Anklage auf Mord exhumirt worden war, kurz vor dem Tode 
eine Schädelverletzung erlitten habe. Herr v. Bergmann gab damals sein 
Urtheil im entgegensetzten Sinne ab. Es handelte sich zweifellos um eine 
Fractur, die ihrem ganzen Verlaufe nach auch nur die Folge einer Gewalt¬ 
einwirkung sein konnte. Die Art der Veränderungen an den Knochenrändern 
sprachen aber gegen eine Gewalteinwirkung kurz vor dem Tode. Die 
Knochenränder waren zugespitzt, und die ganze Lücke war von einem mem- 
branösen Gebilde ausgefüllt, das eine gewisse Zeit zu seiner Entstehung vor¬ 
aussetzte. Noch mehr sprach jedoch für das Verstreichen einer längeren 
Zeit zwischen der Einwirkung des Trauma und dem Tode eine exquisite 
Asymmetrie des Schädels, welche nur als eiue Folge des Defoctes aufgefasst 
werden konnte. Da aber dieser Defect Zeit haben musste, die asymmetrische 
Gestalt des Schädels herbeizuführen, folgte daraus, dass die Schädelver¬ 
letzung eine erhebliche Zeit vor dem Tode stattgefunden haben musste. Es 
wurde nun auch ermittelt, dass das Kind vor längerer Zeit einmal aus dem 
Bette gefallen war, dass es damals längere Zeit mit verbundenem Kopfe ge¬ 
sehen war. ohne dass Wunden an der Haut wahrzunehmen gewesen seien. 
In der That entstehen solche Fissuren gerade durch Aufschlagen des Schädels 
auf harte und breite Ebenen, wie sie der Fussboden darstellt. 

Derselbe Fall ist auch nach der weiteren Richtung hin interessant, als 
er einen Anhalt für das Zustandekommen der eigenartigen Erweiterung 
solcher Fissuren zu geben vermag. Der Schädel gehört offenbar seiner Form 
nach einem hydrocephalischen Kopf an. Mau könnte also annehmen, dass 
ein starker intracranieller Druck vorhanden gewesen sein muss. Wenn eine 
solche starke Spannung in der Zeit, wo die Verletzung stattgefunden hat, 
schnell wächst, könnte dieselbe vielleicht den Grund für das Offenbleiben der 
Fissur abgeben. 

Herr Liman lässt angesichts des Präparates seinen früheren Einwand 
(s. diese Wochenschr. No. 23, p. 464) fallen, dass es sich in dem Henoch- 
sehen Falle um einen congenitalen Defect handeln könne. 

3. Im Auschluss an den Vortrag des Herrn Schlange über Prostata* 
hypertrophie, den derselbe in der Sitzung vom 13. Juli gehalten, erhob 
sich eine kurze Discussion über die zweckmässigste Methode, an Präparaten 
derartige Verhältnisse zur Anschauung zu bringen. Herr Fürstenhciin 
trat für die ältere Präparationsweise ein, während Herr v. Bergmann und 
Herr Casper die von Herrn Schlange gewählte Gefrierraethode für vor¬ 
züglich geeignet halten, namentlich diejenigen Theile der Prostata, welche 
zwischen Symphyse uud Harnröhre gelegen sind, zur Anschauung zu bringen. 

Vm. Oeffentliches Sanitatswesen. 

Bericht über die Vorgänge in der gebiirlshülflichen 
Klinik und Poliklinik zu Marburg während der Zeit vom 
1. April 1887 bis 31. März 1888. 

Von F. Ahlfeld. 

(Fortsetzung aus No. 25.) 

Der Abgang von Kindspech bei der Geburt. 

„Es ist eine alte Thatsache, dass Kinder, welche ihren Darminhalt ab¬ 
gehen lassen, sich in Lebensgefahr befinden und meist asphyktisch geboren 


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554 DEUTSCHE MEDICfNISCHE WOCHENSCHRIFT. No. ^7 


werden“, schreibt Zweifel p. 484 seines Lehrbuches. „Bekanntlich sind 
die geschilderten Alterationen der kindlichen Herztöne, namentlich in Ver¬ 
bindung mit Meconiumabgang für den Geburtshelfer eine der strictesten In- 
dicationen zum operativen Eingriff“ lesen wir bei Runge. 1 ) Es ist dies über¬ 
haupt die weitverbreitetste Ansicht in Kreisen der praktischen Geburts¬ 
helfer, nur dass letztere ein noch grösseres Gewicht auf den Meconium¬ 
abgang legen, ohne die nebenlaufenden Umstände in genügender Weise zu 
berücksichtigen. In Folge davon wird in vielen Fällen operirt, wo dies 
vollständig unnütz, im Gegentheil schädlich ist. 

Es ist endlich an der Zeit, dieser Theorie von der Gefährlichkeit des 
Meconiumabganges während der Geburt ein Ende zu machen. Es genügt 
nur, wie wir es in unseren Protocollen regelmässig thun, genau zu notiren, 
wie oft Meconium vor der Geburt der Kinder abgeht, und man wird sich 
überzeugen können, dass weit häufiger Kindspech abgeht, ohne dass man 
eine Spur von Asphyxie beim Kinde findet, als umgekehrt. 

Wir sehen daraus, dass die Frucht intrauterin und während des Ge¬ 
burtsactes häufiger als man bisher angenommen hat, aus ihrem apnoischen 
Zustande In den asphyktischen kommt, der aber nur kurze Zeit bestanden 
haben kann, um dann dem gesundheitsgemässen Zustande wieder Platz zu 
machen. 

Für uns ist daher der Meconiumabgang in der Geburt, nur eine Mah¬ 
nung, genauer als bei ganz normalen Geburten das Leben des Kiudes zu 
controliren. In keinem Falle der letzten Jahre hat der Abgang von Kinds¬ 
pech allein die Indication für Beschleunigung der Geburt gegeben. Dass 
die Ursachen, welche das Kind zum Entleeren das Mecouium veranlassen, gar- 
nicht so selten auch im Anfänge der Geburt vorhanden sind bei noch in- 
tacter Fruchtbl.tse, beweisen die Befunde beim Kaiserschnitt. In den bisher 
veröffentlichten Fällen und auch in den beiden von mir ausgeführten 
Kaiserschnitten, die beide ganz im Anfänge der Eröffnungsperiode vor¬ 
genommen wurden, schwimmt die Frucht bereits im Meconium, obwohl die 
Oeffnung der Bauchhöhle und Gebärmutterwand in allerkürzester Zeit voll¬ 
endet war. In gleicher Weise findet man garnicht so selten beim Blason- 
sprunge, zu einer Zeit, wo bis dahin noch keine Alterationen durch den 
Geburtsverlauf den Fötus getroffen hatten, das Fruchtwasser meconiumhaltig. 

Blutverluste bei der Geburt und im Anschluss an dieselbe. 

Die Nachgeburtsperiode wurde, wo es anging, nach den Principien der 
ab wartenden Methode geleitet. Ohne den Uterus zu betasten, Hess man die 
Frauen bis I */* Stunden nach der Geburt liegen und nach Entleerung des 
Harns exprimirte man dann die Placenta durch Druck auf die entleerte 
Gebärmutter. In den 308 Geburtsfallen kam die Placenta nur 39 Mal 
spontan, 260 Mal wurde sie exprimirt, 2 Mal wurde sie manuell entfernt 
(Kaiserschnitt und Placenta praevia), und l Mal ist im Protocoll die Art des 
Abgangs nicht notirt, jedenfalls hat aber keine manuelle Entfernung statt¬ 
gefunden. 251 Mal erfolgte der Austritt nach Verlauf von einer Stunde, 
51 Mal vorher, 6 Mal ist die Zeit nicht notirt. In den 51 Fällen, vor einer 
Stunde beendet, hat zumeist spontaner Abgang der Placenta stattgefunden. 

Da wir während des ganzen Beobachtungsjahres die Frauen auf einem 
Trichterbette entbanden und in Folge dessen jeden Abgang von Blut auf¬ 
fangen konnten, so sind wir-in der Lage, die verlorenen Blutmengen genau 
anzugeben. In 305 Fällen betrug der Durchschnittsblutverlust bis zur be¬ 
endigten Placentargeburt 344 g. Rechnen wir dazu noch 50 g Abgang für 
die ersten drei Stunden nach der Geburt der Placenta, eine Zahl, die wir 
durch frühere exacte Versuche 3 ) gewonnen haben, so resultirt für die ersten 
4—5 Stunden nach Geburt des Kindes ein Gesammtblutverlust von 394 g. 
Dabei sind keine Geburten ausgenommen als der Kaiserschnitt und zwei, 
deren ganzen Verlauf wir nicht beobachten konnten, die aber beide keine 
grösseren Blutverluste aufwiesen. Blutungen über 1000 g in dem Zeiträume 
von 4—5 Stunden nach der Geburt kamen 20 vor, also 6,5%. Diese Blu¬ 
tungen erforderten nur 2.Mal ein anderes Mittel als die Massage, eventuell 
den Cre de'sehen Handgriff, ein Mal in einem Falle von Placenta praevia, 
das zweite Mal musste nach normaler Geburt post partum placentae Blut¬ 
gerinnsel aus dem Uterus weggenoramen werden. Secale, heisse oder kalte 
Uterinausspülungen kamen kein Mal zur Anwendung. 

Auch im Wochenbette erfolgte nur eine Blutung aus Scheidenver¬ 
letzungen nach einer Zangengeburt, eine Blutung, welche durch Tamponade 
gestillt wurde. 

Diese äusserst günstigen Erfolge verdanken wir dem Gebrauche der 
abwartenden Methode. Seit wir den Crodö’schen Handgriff verlassen, 
haben die Nachgeburtsblutungen sich auf ein Minimum reducirt. Wochcn- 
bettsblutungcn fehlen nahezu gänzlich und das alles, ohne dass den Uterus 
zu Contracfionen treibende Mittel angewendet werden, ohne dass eine strenge 
Ueberwachung nothwendig gewesen. 

Genaueres über die Anwendung der abwartenden Methode und über 
ihre Vortheile gegenüber dem Crede’schen Verfahren findet der Leser in 
einer kleinen Broschüre: Abwartende Methode oder Crede’scher Handgriff? 
Eine kurz gefasste Darstellung der Physiologie und Diätetik der Nachge¬ 
burtsperiode, Leipzig, 1888. 

Verletzungen der Weichtheile erheblichen Grades kamen nur eiu Mal 
vor. und zwar nach einer Zangenentbindung, die besser hätte unterbleiben 
und durch die Perforation ersetzt worden sollen. Die Zerquetschungen der 
Scheide waren der Art, dass die heftigste Blutung nach Austritt des Kindes 
meine Assistenten zwang, wohl 20 Nähte in die Vagina zu legen. Bei Ab- 
stossung der dadurch gangränös gewordenen Partieon erfolgte am 7. Tage 
des Wochonbetts eine profuso Nachblutung von mindestens 1000 g. Da ich 
sofort zur Hand war, die Wöchnerin schnell auf einen Tisch legen und die 
.Scheide gut austatnponiren konnte, so blieb die Wöchnerin erhalten. 

Im weiteren Verlaufe stiessen sich ausgedehnte Partieen der Wund¬ 
flächen los, so dass der bis in den Darm hineinreichende Dammriss weit 
klaffte. Ich wendete in diesem Falle mit grossem Erfolg die secundärc 

*) Die Krankheiten der ersten Lebenstage. Stuttgart, 1885, p. 8. 

,J ) Ahlfeld, Berichte und Arbeiten. Band III, p. 33. 


Naht an, ein Verfahren, welches ich den Collegen dringend anempfeblen 
möchte. Wenn die Wunden sich vollständig gereinigt haben, also am 9., 
10. Tage des Wochenbetts, nehme man eine ausgiebige Desinfection der 
Scheide und der Wunde vor und, ohne die Granulationen mit dem Löffel 
abzuschaben, führe man mehrere kräftige Seidenfaden um die ganze Wund¬ 
fläche, tief greifeud herum und, die Flächen, so gut es geht, aneinander¬ 
passend, ziehe man die Fäden zusammen und knüpfe sie. 5 bis 6 Tage 
bleiben die Nähte liegen. Nimmt man sie dann weg, so überzeugt mau sich 
davon, wie die inneren Partieen der Wunde sich fest vereinigt, haben. Man 
reinigt nun wiederum und vereinigt dann die noch granulirenden Partieen 
der Wunde miteinander, um nach einigen Tagen wieder nachzusehen. Na¬ 
türlich muss das Thermometer die genaue Controle führen, ob etwa Stagna¬ 
tionen stattfinden. In dem eben angegebenen Falle war der Erfolg ein ganz 
eclatanter. Es gelang mir, die weit klaffende Kloake bis auf eine einen 
halben Oentimeter im Durchmesser haltende Darmscheidenfistel mit Her¬ 
stellung eines Dammes so zu schliessen, dass die Patientin keinerlei Unan¬ 
nehmlichkeiten bei der Defäcation hatte. Später habe ich dann nach An¬ 
frischung auch diese Fistel noch geschlossen. 

Ich würde mir nicht erlauben, in Hinsicht auf nur eineu Fall den 
Collegen dieses Verfahren so angelegentlich zu empfehlen, zumal es einen 
Gegner in einer so bedeutenden Autorität, wie Kaltenbach *) ist, hat, wenn 
ich nicht die secundäre Naht zum Oefteren bei nicht vollständig geglückter 
Colporrhaphia anterior oder posterior erprobt und mich von dem günstigen 
Erfolge bei dieser Gelegenheit überzeugt hätte. 

Ich glaube, dass dieses einfache Verfahren in der geburtshülflichen 
Praxis eine Zukunft hat, und möchte es den Herren Collegen sehr an- 
cmpfehlen. 

Unter den Geburtsfällen verdient noch Erwähnung ein Fall von Ent¬ 
stehung eines Scheidenhämatoms. Obwohl es gewiss der Erwähnung 
werth ist, dass bei einer gesunden, wohlgebauten Erstgebärenden während 
der schnellen und gänzlich uncomplicirten Geburt eines nur 2900 g wiegen¬ 
den, 49'/a cm langen Kindes ein kindskopfgrosses, paravaginales Hämatom 
sich sofort nach Austritt des Kopfes zeigte, so gewann dieses Hämatom für 
uns noch ein ganz anderes, viel weittragenderes Interesse. Ich schicke zu 
dem Folgenden voraus, dass die Gebärende, wie jede andere, durch Vollbad, 
präliminare Sublimatdouche, gründliches Reinigen der Schamtheile u. s. w. 
desinficirt war, dass sie in der Geburt. 36,0 Temperatur, 64 Puls batte, dass 
kein geburtshülflicher Eingriff ausser Ritgen’s Handgriff stattfand, dass die 
Placenta nach abwartender Methode nach 1% Stunden exprimirt wurde, und 
dass, als nach Besichtigung der Genitalien post partum placentae das Hä¬ 
matom entdeckt, keine innere Untersuchung mehr vorgenommen wurde. 
Auch sei erwähnt, dass keine andere fiebernde Wöchnerin in Behand¬ 
lung war. 

Das Hämatom verschloss die Scheide vollständig und hinderte den Ab¬ 
fluss der Lochien. Die beobachteten Temperaturen waren nun folgende: 

1. Tag 2. Tag 3. Tag 4. Tag 5. Tag 6. Tag 

36,8, 37,0, 36,8, 37,3, 36,8, 37,4, 36,9, 38,1, 37,7, 39,6, 37,5, 39,0, 

7. Tag 8. Tag 9. Tag 10. Tag 11. Tag 12. Tag 

37,0, 38,4, 37,2, 38,4, 36,9, 39,3, 37,0, 37,9, 36,8. 38,0, 36,8, 37,9, 

13. Tag 14. Tag 

36,6, 37,6, 36,7, 37,3. 

Als die Temperatur auf 39° und darüber gestiegen, wurden täglich 
vaginale Ausspülungen gemacht. 

Dieser Fall bildet ein Experiment, einen Beweis für die lnfectiosität 
der zurückgehaltenen Lochien. Die ersten Tage, wo die Lochien noch nicht 
oder nur sehr gering infectiös sind, ist nur eine langsame Zunahme der 
Abendsteigerungen bemerkbar. Vom 4. Tago an übersteigt die Abend¬ 
temperatur die Norm, ist am 5., 6. und 9. Tage am höchsten, und, nachdem 
die I.osstossung der Decidua stattgefunden und etwaige Wunden gereinigt, 
bleibt vom 10. Tage an die Temperatur normal. Eine Incision des Häma¬ 
toms fand nicht statt. Nach 5 Wochen hatte sich dasselbe auf einen Tumor 
von reichlich Hühneroigrösse verkleinert. Es ist dies eiu ganz reiner Fall 
von Selbstinfection. 

Beckenanomalieen. 

Untor den zahlreichen engen Becken verdienen drei eine besondere 
Erwähnung. Ich konnte in der Klinik zwei Wöchnerinnen neben einander 
vorstellen, die beide durch ihren exquisit rhachitischen Bau bei auffallender 
Kleinheit des Skeletts sehr viele Aehnlichkeiten mit einander hatten. Beide 
Male handelte es sich um allgemein verengte Becken bei überstandener 
Rhachitis. Die M. war 133,5 cm gross, die K. 131 cm. Deunoch waren die 
den Axisschlag gebenden Beckenmaasse ganz verschieden. .Die M. hatte 
eine Conjugata vera von 5,5 cm und es musste der Kaiserschnitt gemacht 
werden; die K. hatte eine Conjugata diagonalis von 10,5, eine vera von ca. 

9 cm, und es gelang, auf dem Wege der künstlichen Frühgeburt drei Mal 
lebende Kinder zu entwickeln, die sämmtlich am Leben blieben. 

Weiter kam ein neuer Fall von Spondylolisthesis vor. Einen früheren 
habe ich im 3. Bande meiner Berichte und Arbeiten p. 113 beschrieben 
und Tafel I, Fig. 1—3 abgebildet. 

Frau B., 1888, No. 84, giebt an, als Wickelkind „das Rückgrat ge¬ 
brochen zu haben“. 1886 wurde sie mittelst Forceps schwer entbunden. 
Kind bei der Geburt abgestorben. Im Wochenbette puerperale Erkrankung 
durch 6 Wochen. 

Am 9. März trat Frau B. zwecks Einleitung der künstlichen Frühgeburt 
in die Anstalt ein. Sie ist 143,5 cm gross, zeigt im unteren Brusttheile 
der Wirbelsäule und im Lendentheile eine spitzwinkelige Lordose; die' 
Symphyse ragt schnabelförmig 2,5 cm über die queren Schambeinäste vor. 
Der Schamberg fast frei von Haaren. Beckenneigung sehr gering. 

Spinae 23,5, Cristao 28,8, Trochanteren 27,1. Von der Scheide aus 

*) Zur Antisepsis der Geburtshälfe, v. Volkmann’s Sammlung klini¬ 
scher Vorträge, No. 295, p. 2170 (12). 


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5. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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ist das Promontorium nicht zu erreichen; hingegen kommt man bei der 
Rectaluntersuchung an den stark über den ersten Kreuzbeinwirbel herüber¬ 
geglittenen letzten Lendenwirbel. 

Auffallend war die Verengerung des Beckenausgaugs. Die Sitzknorren, 
auf der höchsten Spitze gemessen, stehen nur 9 cm weit von einander ab. 
An der engsten Stelle auf der Innenseite der Tubera fanden wir nur einen 
Raum von 5,7 cm. 

Die Frau gebar Zwillinge. Eine grosse, reife Frucht wäre keinesfalls 
unzerstückelt durch den Beckeuausgang hindurchgetreten. 

(Fortsetzung folgt.) 


IX. Therapeutische Mitteilungen. 

Creolin als Antisepticum und AntlparAsiticum des Darm* 

kanals. 

Von Dr. A. Hiller, Privatdocent in Breslau. 

Seit dem Bekanntwerden der antiseptischen Wirksamkeit und gleich¬ 
zeitigen Ungiftigkeit des Creolins durch die Untersuchungen von Fröhner 
und E. v. Esmarch habe ich ausgedehnte Anwendung von diesem Mittel 
in der internen Medicin gemacht. 

Zuerst schien es mir ein willkommenes Ersatzmittel für die bisher ge¬ 
bräuchlichen Antiseptica bei der Nachbehandlung operirter Empyeme 
zu sein. In Bezug auf antiseptische Wirksamkeit, Ungiftigkeit und fast völlige 
Reizlosigkeit steht allerdings eine lauwarme Creolinlösung (1—5: 1000) bei 
der Thoraxausspülung allen ähnlichen Flüssigkeiten voran; allein die trübe, 
milchige Beschaffenheit der Creolinlösung hindert die Wahrnehmung und 
Beurtheilung des ausgespülten Pleuraexsudats. Ich bin daher wieder für 
gewöhnlich zu der warmen Borsäure- und Thymollösung zurückgekehrt und 
wende die Creolinlösung zur Thoraxausspülung nur dann noch an, wenn ich 
die Brusthöhle kräftig und gefahrlos desinficiren will, was höchstens in den 
ersten Tagen nach der Empyemoperation nöthig ist. Nach denselben Grund¬ 
sätzen verfahre ich bei der antiseptischen Ausspülung der Harnblase. 
Bei der jauchigen Cystitis ist in der That die Wirkung einer warmen Creolin¬ 
lösung 1—5:500 eine überraschende und glänzende, wie schon Jessner 
(D. Med.-Ztg. 1881, 1) berichtet hat. Beim nicht putriden acuten und chro¬ 
nischen Blasenkatarrh hingegen kommt man in der Regel mit den einfach 
adstringirenden Lösungen aus oder hat doch nur vorübergehend die Anwen¬ 
dung des Creolins nöthig. Ich gebe auch hier dem Creolin vor allen bisher 
bekannten Antisepticis den Vorzug, weil es bei kräftiger antiseptischer Wirk¬ 
samkeit die kranke Blasenschleimhaut am wenigsten reizt, jedenfalls nicht 
stärker als eine Thymollösung 1:500. Blutstillende Wirkung (Jessner) 
habe ich an dem Mittel bisher nicht wahrgenommen. 

Einen dauernden Platz aber wird sich das Creolin in dem Arzneischatze 
nach meinen Erfahrungen erwerben bei den Erk rankungen des Magens und 
Darmkanals. Hier tritt die Wirksamkeit des Creolins als Antizymoticum 
gegen die mannigfachen Gährungs- und Fäulnissvorgänge, welche die meisten, 
wenn nicht alle diese Krankheiten begleiten, in das hellste Licht. Prompt¬ 
heit und Sicherheit der Wirkung, Gefahrlosigkeit bezw. Ungiftigkeit im Darm- 
kaual und gleichzeitig völlige Reizlosigkeit machen das Creolin zu einem 
idealen Antisepticum für die genannte Gruppe von Krankheiten. Nicht Heil¬ 
mittel im eigentlichen Sinne ist es hier, wohl aber ein die Heilung wesent¬ 
lich förderndes und gewisse Symptome milderndes, ja prompt beseitigendes 
Hülfsmittel, um so sinnfälliger in seiner Wirkung, je lästiger und auffälliger , 
die durch Gährung und Fäulniss bedingten Symptome vorher waren. 

Ich nenne hier in erster Linie den Me teorismus, gleichviel aus wel¬ 
cher Ursache er sich bildet, bei der Darmstenose, bei der Typhlitis, beim 
Dünndarmkatarrh, bei der habituellen Darmatonie mit Verstopfung und 
namentlich beim Ileotyphus. Bei letzterem gebe ich mich auch der Hoffnung 
hin, dass die consequente Beschränkung bezw. Beseitigung des Meteorismus 
zugleich die Häufigkeit der Perforation von Darmgeschwüren vermindern 
wird. — Die gleiche, nie versagende Wirksamkeit des Creolins fand ich be¬ 
stätigt bei der Flatulenz, welche den acuten und chronischen Darmkatarrh 
begleitet, bei der Fülle und Auftreibung des Epigastriums nach 
dem Essen in Folge von Störungen der Magenverdauung, und ganz beson¬ 
ders auch bei der putriden Zersetzung des Darminhalts beim chro¬ 
nischen Dünndarm- und Mastdarmkatarrh (Entleerung stinkender Flatus und 
faulig stinkender Excremente). Ebenso ist mir bei der Magenectasie in 
Folge von Pylorusstenose das Creolin in Verbindung mit der Magenausspü¬ 
lung unentbehrlich geworden zur Bekämpfung der Gasentwickelung und der 
dadurch bedingten quälenden Symptome. Die prompte und sichere Unter¬ 
drückung der Gährungsvorgänge fand ich auch bestätigt beim acuten Magen¬ 
katarrh, bei der einfachen Diarrhoe und beim Brechdurchfall. 
Hier hatte die innerliche Darreichung von Creolin nicht bloss einen palliativen 
Nutzen, sondern auch einen ausgesprochen günstigen, d. i. abkürzenden Ein¬ 
fluss auf den Verlauf der Erkrankung. Es übertrifFt das Creolin in dieser 
Beziehung das Naphthalin, Kreosot, Thymol, Calorael und andere bisher ge- ! 
bräuchliche Antiseptica. Es kommt hierbei freilich wesentlich auf die 
Dosis an. 

Ich verordne Creolin in Dosen von 0,3 —0,5—1,0 g, gewöhnlich 
dreimal täglich, 1 Stunde nach der Mahlzeit zu nehmen, je nach 
der Indication des Einzelfalles variirend. Wegen des schlechten, theerartigen 
Geschmacks gebe ich es ausschliesslich in starken Gelatinekapseln, 
ohne irgend welche Zusätze.') Diese Kapseln werden ausserordentlich gut 

') Dünne Kapseln werden vom Creolin bald aufgelöst. Starke, voll¬ 
kommen zweckentsprechende Gelatinekapseln fertigt und liefert der hiesige 
Apotheker Herr W. Groetzuer (Breslau, Breitestr. 4), und zwar 
100 Stück ä 0,3 g Creolin für 3,00 Mk., 

„ , , 0,5 , „ „ 3,50 „ 

» , „ 1,0 „ n „ 4,00 ff . 


vertragen. In keinem Falle habe ich bisher, selbst nieht nach Darreichung 
von 10,0 g innerhalb 4 Tagen, irgend welche störenden Nebenwirkungen 
beobachtet. Leichtes, meist angenehmos Wärmegefühl im Magen und eine 
Andeutung von Creolingeschniack im Munde V* — 7* Stunde nach Darreichung 
der Kapseln waren die einzigen von den Patienten selbst wabrgenommeneu 
direkten Wirkungen des Mittels. Bei vorhandener Neigung zum Erbrechen 
steigert natürlich das Creolin, geradeso wie andere, selbst indifferente Sub¬ 
stanzen, den Brechreiz, namentlich in grösseren Dosen; hier wird am besten 
mit 0,1 bis 0,3 pro dosi begonnen. Im Urin und im Verhalten der Körper¬ 
temperatur habe ich keine Veränderungen nach Creolingebrauch bemerkt. 
Die Fäces riechen, namentlich nach Anwendung grösserer Dosen, deutlich 
nach Creolin, haben in der Regel nur schwachen Fäcalgeruch und nichts 
von putrider Beschaffenheit. Bei Diarrhöen wird sowohl die Häufigkeit der 
Entleerungen, als auch die dünne, wässerige Beschaffenheit der Fäces nach 
Creolindarreichung deutlich vermindert. Charakteristisch ferner für die 
Wirkung des Creolins ist die Abnahme und weiterhin das völlige Schwinden 
der Auftreibung und Spannung des Unterleibes, die damit verbundene 
Hebung des subjectiven Wohlbefindens und der Gemüthsstimmung, sowie 
in den meisten Fällen auch eine Zunahme des Appetits. 

Auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen halte ich die Desinfection 
des Darmkauals durch Creolin, ausser bei den genannten Krankheiten, auch 
noch für indicirt bei der Ruhr, sowohl per os in Dosen von 0,5—1,0 g 
dreimal täglich, als auch per elysma 1—3:500,0; ferner beim Mastdarm- 
carcinom, hier wohl hauptsächlich in Form von Irrigationen; endlich beim 
Brechdurchfall und der Cholera nostras. Auch bei der Cholera 
asiatica und beim Ileotyphus wäre zu versuchen, ob das Creolin vielleicht 
der Indicatio causalis genügt. 

In 2 Fällen hatte ich Gelegenheit, auch die antiparasitische 
Wirksamkeit des Creolins bei Entozoen des Darmkauals zu constatiren. 
Es war je ein Fall von Bandwurm (Taenia solium) und von Spring- 
würmeru (Oxyuris vermicularis). Beide Fälle wurden in gleicher Weise 
behandelt: Creolin 1,0 in Gelatiuekapseln dreimal täglich (5—6 Dosen im 
Ganzen); vorher und nachher ein Abführmittel. Der Erfolg war beide Male 
ein prompter und vollständiger. 

In der Kinderpraxis, wo Antizymotica des Darmkanals noch viel 
häufiger indicirt sind, als Tjei Erwachsenen, ist Creolin meines Erachtens 
nicht anwendbar. Ich kenne keine andere Darreichungsform für wirksame 
Dosen, als starke Gelatinekapseln, welche kleine Kinder nicht schlucken. 
Bei grösseren Kindern könnte man kleine Kapseln ä 0,05—0,1 g, am 
besten mit Honig gereicht, versuchen. 

Zum Schluss noch ein Wort über die Ungiftigkeit des Creolins. 
Sie ist meines Erachtens nur eine bedingte. Creolin löst sich bekanntlich 
nicht im Wasser, auch nicht im sauren Magensaft und im alkalischen Darm¬ 
saft. In Berührung mit Wasser und den genannten Säften bildet es sofort 
spontan eine Emulsion, welche sich tagelang erhält. Die C-reolintröpfchen 
dieser Emulsion werden offenbar nur zu einem geringen Theile von der 
Darmschleimhaut bezw. den Chylusgefässen aufgenommen, ähnlich wie die 
Fetttröpfchen, und grössteutheils von den Mesenterialdrüsen zurückgehalten. 
Eine Resorption in flüssiger Form ist im Darmkanal meines Erachtens nicht 
möglich; dadurch wird auch eine Uoberführung des Creolins in die Blut- 
raasse und eine allgemeine (toxische) Wirkung desselben verhindert. 


— R. H. Parker warnt (Brit. Med. Joum. Jan. 21. 1888) davor, eine 
Mischung von Kalium chloratum and Syrapns ferri jodatl als Arznei 
zu verabfolgen. Durch K 9 CO 3 wird die ganze im Jodeisen steckende Menge 
Jod frei, und nach wenigen Stunden werden Jodkrystalle am Boden des Ge- 
fässes abgesetzt. Die Zersetzungsproducte ergeben sich aus folgender 
Gleichung: 2 FeJ9 + KC 103 + Ha0 = Fea 03 , HaO-F2J9 + KC1. 

Hitze begünstigt die Reaction, und der Process, der in der Medicin- 
flasche langsam verläuft, geht im Magen rascher vor sich, wo das nascirende 
Jod recht unerwünschte Reizerscheinungen machen kann. 

— Churchouse (Br. Med. Joum. Jan. 28) berichtet über einen Fall 
von Heilung urämischer Conrulsionen nach Scharlachnephritis durch 
sabcatane Injectionen von Pilocarpin. Die Anfälle wiederholten sich 
während eines Zeitraums von 10 Tagen immer wieder, fünf Tage lang lag 
Patient halb comatös da. Injectionen von 0,02 Pilocarpin verringerten jedes 
Mal die Stärke und Häufigkeit der Anfälle, bis schliesslich das Bewusstsein 
wiederkehrte und Patient sich erholte. (Gegen desquamative Nephritis ist 
Pilocarpin bereits vonLeyden empfohlen. Vgl. Rabow, Arzneiverordnungen 
1887 5. 51.) R. 

— Lauschmann empfiehlt gegen die Scliweisse der Phthisiker das 
Agaricin in folgender Formel: 

Rp. Agaricini 0,5 
Pulv. Doweri 7,5 
Gumm. arab. 

Pulv. Alth. ana 4,0 
M. f. pil. No. 100. 

S. Abends 1—2 Pillen. 

(Pester med. chir. Presse 1887, No. 34.) 

— Bouchard hält die Einspritzung von Naphthol in die Venen 

für gefährlich, die Darreichung desselben bei Typhus oder Miliartuberculose 
für wirksam, da durch dieses Mittel die Entwickelung des Typhus- und 
Tuberkelbacillus gehemmt wird. Bei einer Person vön 70 k wirken erst 
240 g Naphthol giftig. Um Antisepsis der Darmeingeweide zu erreichen, ge¬ 
nügen täglich 2,6 Naphthol. Urin, mit Naphtholpulver geschüttelt und filtrirt, 
kann längere Zeit stehen, ohne zu fermeutireh. Ausgedehntere Versuche 
innerer Anwendung des Mittels, das in kleineren Dosen nicht zu fürchten 
ist, sind nothwendig. 

— Dr. Jarrow in Washington experimentirte mit verschiedenen 
Mitteln gegen den Biss giftiger Schlangen und fand alle anderen bis auf 
das Extractnin Jaborandi wirkungslos. Seine Versuche beschränkten sich 
auf Vögel und Säugethiere, und fand er bei letzteren das Mittel wirksam, 


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556 


DEUTSCHE MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27 


bei ersteren hingegen nicht. Einspritzungen von starkem Schlangengift und 
darauffolgende Darreichung von Extr. Jaborandi fluid. 35 Tr. beugten den Er¬ 
scheinungen der Vergiftung vor. Er will sich jedoch die Priorität nicht an¬ 
eignen, sondern erwähnt in seiner Mittheilung, dass bereits Dr. Jos so in 
per Gazette hebdornaire de med. et Chirurgie vorn Jahre 1882 vol. XIX. 
pag. 835 die Anwendung des Inf. fol. Jaborandi gegen Viperngift em¬ 
pfohlen hat. 

— Martin, Zahnarzt in Lyon, empfiehlt behufs Beseitigung YOli 
Zahnschmerzen und schmerzfreien Aosziehens der Zahne folgende 


Mischung zur subeutanen Injectiou in’s Zahnfleisch. 

Cocain, mur. 0,ß 
Antipyrin 6,0 
Aq. destill. 15,0. 

Eine Pravaz’sche Spritze und bei Kindern eine halbe genügt, um 
den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Bo. 


X. meine Mitteilungen. 

- Berlin. Von den Berliner ärztlichen Vereinen sind folgende Mit¬ 
glieder als Delegirte für den Aerztetag gewählt: Westverein: Dr. 
Ilenius; Südwestverein: Dr. C. Küster; Friedrichstadt: Dr. Jarislowsky 
und Sanitätsrath Dr. R. Rüge; Ostverein: Geh. Sanitätsrath Dr. Rintel; 
Louisenstadt: DDr. Igel und Koppel; Friedrich wilhelmstadt: Privatdocent 
Dr. A. Martin und Dr. Braehmer; Nordverein: Sanitätsräthe DDr. Selberg 
und Solger; Königstadt: Sanitätsrath Dr. Becher; Verein für Natur- 
und Heilkunde: DDr. Brock und Granier. Am 23. Juni fand unter 
dem Vorsitz von Sanitätsrath Dr. Becher eine Conferenz dieser Delegirten 
zur Besprechung der Vorlagen für den Aerztetag statt. 

— Jena. Hofrath Professor Dr. Preyer hat seine Professur nieder¬ 
gelegt, um im Herbst nach Berlin überzusiedeln. — Die medicinische Facultät 
hat einstimmig beantragt, eine zweite Professur für Anatomie zu bewilligen, 
für welche Professor Bardeleben in Aussicht genommen ist. 

— München. Die Docenten der Universität München veranstalten, 
wie alljährlich, auch in diesem Herbst oinen Cyclus von Cursen für 
praktische Aerzte. Dieselben dauern vom 27. September bis 
24. October. Das Nähere ist aus dem Inserat in dieser Nummer zu er¬ 
sehen. 

— St. Petersburg. Der berühmte Anatom Geh. Rath Prof. Wenzel 
Gruber hat aus Gesundheitsrücksichten seinen Dienst in Russland aufge¬ 
geben und St. Petersburg verlassen, um sich in einem milderen Klima nieder¬ 
zulassen. Desgleichen tritt der Professor der Physiologie an der St. Peters¬ 
burger Universität Dr. J. Setschenow demnächst nach Vollendung seiner 
30jährigen Dienstzeit von der Lehrthätigkeit an der Universität zurück. 

— Zürich. Anlässlich eines concreten Falles erklärte die competente 
Behörde, dass an der Züricher Hochschule Frauen zum akademischen 
Lehrfach nicht zugelassen werden. 

— Paris. Die zweite Versammlung des internationalen Congresses für 
Hydrologie und Klimatologie findet 188» Anfang October in Paris statt. Das 
genaue Datum wird später festgesetzt werden. 

— Der Ackerbauminister in Paris holt ein Gutachten des hygienischen 
Comites über das Saccharin ein. Es handelt sich um die Frage, ob das 
Saccharin wirklich ein völlig unschädlicher Körper ist, dessen Verwendung 
bei der Fabrication von Syrup und Confituren gestattet werden kann. Jeden¬ 
falls ist beabsichtigt, zu verfügen, dass die Verwendung von Saccharin auf 
den Etiketten kenntlich gemacht und eine verhältnissmässige Steuer bei der 
Einfuhr festgesetzt werde. _ _ . 

— Amiens. Der Professor der medicinischen Klinik Dr. H. Padieu ist 
gestorben. 

— London. Zu auswärtigen Mitgliedern der Royal Society 
sind gewählt worden: Professor Edmond Becquerel zu Paris, ausgezeichnet 
für seine Untersuchungen über die Einwirkungen des Lichts auf Körper, 
namentlich in Beziehung auf Phosphorescenz; Professor Hermann Kopp 
zu Heidelberg, für seine Untersuchungen über Atomvolume und Siedepunkte; 
Professor Eduard F. W. Pflüger zu Bonn, für seine Untersuchungen 
in der Physiologie, namentlich in Betreff der Irritabilität von Nerven, der 
Respiration und der thierischen Wärme, und Professor Julius Sachs zu 
Würzburg, für seine Untersuchungen in der Botanik, namentlich in der 
Pflanzenphysiologie. 

— In London starb Dr. Harrington Tuke, eine anerkannte Autorität 
auf dem Gebiete der Gehirnkrankheiten, 62 Jahre alt. 

— Der Niederrheinische Verein für öffentliche Gesundbeits- 
pflege hält am Sonnabend, den 7. Juli 1888, in Düsseldorf seine ordent¬ 
liche Generalversammlung ab. Auf der Tagesordnung steht neben ge¬ 
schäftlichen Angelegenheiten ein Referat über Desinfectionsöfen (Referent: 
Herr Dr. Fleischhauer in Düsseldorf.) 

— Von den Beiträgen zur pathologischen Anatomie und zur 
allgemeinen Pathologie, redigirt von Prof. Dr. Ziegler und Prof. 
Dr. Nauwerck (Verl, von Gust. Fischer in Jena), ist das erste Heft des 
dritten Bandes, in der neuen Gestalt, welche die „Beiträge“ angenommen 
haben, das erste Heft erschienen. Unter den Herausgebern finden sich 
die Namen der hervorragendsten Vertreter der Pathologie, welche die 
werthvollste Bürgschaft für das Unternehmen bieten. Das erste Heft enthält 
vier grössere Arbeiten aus dem Züricher Institut von Prof. Kleb8 und 
DDr. Suchannek, Eisenlohr und Favre. Wir behalten uns eine ein¬ 
gehende Besprechung der Arbeiten vor. 

— Die medicinische Gesellschaft in London hat vor Kurzem eine inter¬ 
essante Uebersicht über die Aerzte in England und Wales veröffentlicht. 
Die Gesammtzahl der Aerzte hat sich seit 1881 um 21,7% vermehrt, sie 
beläuft sich gegenwärtig auf 16930, es kommen also auf einen Arzt 1 662 Ein¬ 
wohner, im Jahre 1881 auf einen Arzt 1747 Einwohner. Die meisten Aerzte 
hat Brighton (1 Arzt für 727 Einwohner), dann London (1 Arzt für 939 Ein¬ 


wohner) und in dritter Reihe Salford, wo auf 3905 Einwohner ein Arzt 
kommt. — Nach den neuesten Berichten beläuft sich die Zahl der in Frank¬ 
reich practicirenden Aerzte auf 11995 und die der Sanitätsofficiere 
auf 2799. In Paris allein leben 2188 Aerzte und 183 Sanitätsofficiere. In 
einigen Departements giebt es mehr militärische als Civilärzte. Die Zahl 
der Pharmaceuten und Chemiker wird auf 7100 angegeben, von denen 797 
auf Paris kommen. Demnach kommt 2 Chemiker auf 2 Aerzte in der ganzen 
Republik. Hebammen werden 13610 angegeben. 

— Prof. v. Jaksch (Forlschr. d. Med. 12) hat in 88 Krankeitsfallen 
das Blut untersucht und gefunden, dass die Alkalescenz desselben 
im Fieber mehr oder weniger verringert ist, constant bei Urämie, destruc- 
tiven Erkrankungen der Leber, Leukämie, perniciöser Anämie und Chlorose, 
ebenso bei Vergiftung mit Kohlenoxyd. 

— In der Sitzung der Pariser Soci4t4 de Biologie vom 10. März 1888 
machten Babinski und Charrin Mittheilungen über die „Paralysie 
pyocyanique“. Charrin hat schon früher Mittheilungen gemacht über 
eine Lähmung, welche er bei Kaninchen durch Injection der Cultur oder 
der bei der Cultur erzeugten löslichen Producte eines Mikroben (Microbe 
pyocyanogene) bei Kaninchen hervorgerufen hatte. Weitere Studien haben 
zu folgenden Ergebnissen geführt. Nach einer Inoculationszeit von zwei 
Wochen bis zu zwei Monaten beginnt die Paralyse in den hinteren Ex¬ 
tremitäten, meist beiderseits, seltener nur monoplegisch. In letzterem Falle 
kann die Monoplegie später zu einer Paraplegie werden, und ganz ausnahms¬ 
weise werden zuletzt auch die vorderen Extremitäten ergriffen. Die Läh¬ 
mung ist eine spastische, keine amyotrophische, die elektrische Reizbarkeit 
ist erhalten, meistens auch die Sensibilität, welche überhaupt niemals gänz¬ 
lich verloren geht. Bei Paraplegie besteht auch Urinretention. Bei allge¬ 
meiner Lähmung tritt stets der Tod ein, bei Mono- und Paraplegieen kann 
Heilung eintreten, doch bisweilen nur unter Entstehung von Contracturen. 
Die anatomische Untersuchung ergab ein negatives Resultat, die „Paralysie 
pyocyanique“ steht also in einer Reihe mit den toxischen und infectiösen 
Lähmungen. (Neurolog. Centralbl. No. 10, 1888.) 

— Craniologische Untersuchungen werden seitens der anthropo¬ 
logischen Gesellschaft in Wien an den Schädeln der Tonheroen Beethoven, 
Mozart, Gluck, Schubert anlässlich der Exhumirung und Ueberführung 
derselben nach den Ehrengräbern auf dem Centralfriedhof vorgenommen 
werden. Unter Leitung der Professoren Toldt, Meynert, Kundrat und 
Dr. Weisbach werden die Schädel gemessen, photographirt und schliess¬ 
lich abgeformt werden, so dass für alle Zeiten authentische Abgüsse und 
Abbildungen vorhanden sein werden. Die zu lösende Frage besteht darin, 
ob an diesen Schädeln gewisse gemeinsame Merkmale auftreten, welche für 
die specielle Geistesrichtung dieser grossen Männer charakteristisch sind. 
(Int. klin. Rundschau 1888, No. 12.) 

— Goldzieher stellte in der Sitzung der Gesellschaft der Aerzte in 
Budapest vom.9. Juni einen Fall von präcornealem Gefässnetz vor. 
Im Gegensatz zu den älteren Anatomen war man neuestens der Ansicht, 
dass die Cornea keinerlei Gefässe habe. Goldzieher stellte einen Kranken 
vor, bei welchem in beiden Hornhäuten ein schönes Gefässnetz sichtbar 
ist, genau so, wie es Hyrtl beschrieben hat. Die Gefässe liegen in den 
vorderen Schichten der Cornea, treten beim Limbus in Form dickerer 
Stämme aus, verzweigen sich dichotomisch und bilden die feinsten Ana- 
stomosen. 

— In No. 26 des Lyon mödical theilt Gangolphe im Anschluss an 
die in neuerer Zeit in der Literatur sich mehrenden Fälle von partieller 
OculomotoriuslähmungnachSchädelverletzung einen Fall mit, den er 
vor 7 Jahren beobachtet hat. Es handelte sich um einen Mann, der aus 3 m 
Höhe einen Sturz erlitten hatte und unter Symptomen von Commotio cerebri 
(Bewusstlosigkeit, Erbrechen) in die Behandlung eintrat. Objectiv für’s 
Erste ausser einer Blutbeule am Hinterhaupt nichts nachweisbar, speciell 
nichts, was für Schädelfractur sprach. Tags darauf war Pat. wieder bei 
Bewusstsein, zeigte aber Strabismus convergens auf Grund einer' deutlich 
nachweisbaren Lähmung des linken -Rectus externus. Auftreten von Doppel¬ 
bildern. Leichte Schmerzen in der Orbitalgegend. Bei seiner 3 Wochen 
später erfolgten Entlassung sind sämmtliche Beschwerden gehoben bis 
darauf, dass der Strabismus gleichmässig weiter besteht und Pat. angiebt, 
dass ihm der Blick wie durch Wolken verschleiert sei. Später ist der Pat. 
nicht weiter beobachtet worden. 

— Universitäten. Berlin. Dem Privatdocenten in der medicini¬ 
schen Facultät Dr. Grunmach ist das Prädicat Professor beigelegt worden. 
— Marburg. Dem Privatdocenten in der medicinischen Facultät Dr. 
E. Frerichs ist das Prädicat Professor beigelegt worden. 


XI. Personalien. 

1. Baden. (Aerztl. Mitth. a. Baden.) Ernannt: Dr. Lumpp, Ass.-A. 
a. städt. Krankenh. in Pforzheim zum Ass.-A. a. Männer-Zuchthaus in Bruch¬ 
sal. — Niederlassungen: Die prakt. Aerzte Dr. K. Bünz in Pfaffenweiler, 
Dr. B. Wolf in Karlsruhe, Dr. A. Guttenberg in Gernsbach, Dr. H. 
Katzenberger in Baden-Baden, Dr. A. Martin in Hartheim. — Ver¬ 
zogen: Dr. Arend von Elzach. — Gestorben: Die prakt. Aerzte Dr. F. 
Wachsmann in Hardheim, Kraushaar in Gernsbach, Med.-R. u. Bez.-A. 
J. Schweitzer in Ueberlingen. 

2. Württemberg. (Med. Corr.-Bl. d. Württemb. ärztl. Land.-Ver.) 
Ernannt: Der appr. A. H. Schnitzer in Weinsberg zum II. Ass.-A. a. d. 
Pflegeanst. Zwiefalten. — Verzogen: Dr. F. Mühlebreh von Sigmaringen 
nach Besigheim, Dr. E. Lampö von Besigheim nach Grossemstadt. Dr. A. 
Baur von Ehingen nach Wiesensteig. — Gestorben: Dr. R. Andler in 
Stuttgart, Ob.-Med.-R. a. D. v. Schäffer in Cannstadt, Ob.A.-A. a. D. L. 
Boscher in Saulgau, Ob.-A.-Wund-A. J. Nuding in Nagold, Dr. Brigel 
in Stuttgart, Ob.-A.-A. Dr. A. Vötsch in Nürtingen. 


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Gedruckt bei Julia« 8itteufeid iu Berliu W. 






Donnerstag 


JWf£8 


12. Juli 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet yon Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thierae, Leipzig-Berlin. 


I. Zur Kenntniss der Impotentia generandi. 1 ) 

Von Prof. I)r. P. Fürbringer. 

Meine Herren! Es liegt nicht in meiner Absicht, mit den an¬ 
gekündigten Beiträgen über die Sterilität des Mannes irgend neue 
Theorieen dieser eigenthüinlichen und praktisch recht wichtigen Zu¬ 
stande zu begründen. Die Genese der häufigsten Formen ist eiue 
physiologisch ganz durchsichtige, und es hat sowohl die klinische 
Beobachtung im Verein mit den Sectionsbefunden. als auch nament¬ 
lich das Experiment (Kehrer) sehr ergiebige Aufschlüsse geliefert, 
von einigen höchst räthselbaften Fällen abgesehen, die ich als un¬ 
geheure Raritäten hier nicht weiter berühren will. Ich möchte 
Ihnen heute vielmehr nur eine kurze Uebersicht meiner eigenen 
klinischen, wie ich glaube, nicht spärlichen einschlägigen Erfahrun¬ 
gen geben und einige kleine Demonstrationen damit verbinden. Bei 
dieser Gelegenheit glaube ich auch manches Bekannte reproduciren 
zu sollen, das vielleicht nicht Allen von Ihuen geläufig ist. 

Die Sterilität des Mannes kann, von der Impotenz im engeren 
Sinne ganz abgesehen, bedingt sein durch zwei Zustande, 1) durch 
Azoospermie, eine der häufigsten, und 2) durch den Asper¬ 
matismus, eine der seltenen Grundlagen der Impotentia generandi. 
Unter Azoospermie verstehen wir nichts anderes als den Mangel 
von Spermatozoen im Ejaoulat. Es besteht dabei Poteutia ejacu- 
landi und in den meisten Fällen auch Poteutia coeuudi. Gerade 
der Umstand, dass die Existenz der Poteutia coeundi bei der Im¬ 
potentia generandi wenig bekannt war, ist Veranlassung gewesen, 
dass die Sterilität des Mannes in ihrem wahren Umfange erst neuer¬ 
dings zur Kenntniss der Aerzte gelangt ist. Das Hauptverdienst 
gebührt wohl Gosselin, der zuerst bestimmt darauf hingewiesen 
hat. wie wenig berechtigt es sei. in jedem Falle von Kinderlosig¬ 
keit in der Ehe beim Vorhandensein der Cobabitationsfähigkeit des 
Mannes von vornherein die arme Frau dafür verantwortlich zu 
machen. 

Es betheiligen sich am Ejaculat mindestens die Secrete dreier 
Hauptdrüsen: 1) des Hodens beziehungsweise Nebenhodens, 2) der 
Samenblase, 3) der Prostata. Das Secret des Hodens, wie es im 
Nebenhoden und Vas deferens, fast constaut auch in der Sameu- 
blase aufgespeichert liegt, ist eine sehr spärliche, ungemein zähe, 
sattweisse Masse, die unter dem Mikroskop sich fast ausschliesslich 
aus dichtgedrängten starren Samenfäden bestehend erweist und 
vollständig geruchlos ist. Die Samen blase dient als Behälter des 
specifischen Secrets, das ist des gelatinösen Bestandtheils des Sper¬ 
mas, das sich im Ejaculat sehr bald nach dessen Entleerung zu 
lösen pflegt und das, wie ich mit Anderen nachgewiesen habe, aus 
einer Globulinsubstanz besteht. Eine zweite Function der Samen¬ 
blasen besteht in der Aufspeicherung des Hodensecrets. Ich habe 
seiner Zeit circa 60 Fälle (an Leichen) untersucht und fitst, mit 
Constauz neben dem Samenblasensecret grosse Mengen von Hodeu- 
secret in der Samenblase angetroffen. Das Secret der Prostata 
finden Sie noch vor wenigen Jahren oharakterisirt als zähe, 
eiweissähnliche Flüssigkeit, die ganz besonders bei Erectionen in 
spärlichen Tropfen aus der Urethra tritt. Dieses Wollustproduct, 
der Ausdruck meiner „Urethrorrhoea ex libidine“ stammt indess 
aus den Littre’scheu und Coop er 'sehen Drüsen und hat mit der 
Prostata nichts zu thun. Diese Drüse, deren Secret ich eingehend 
studirt, producirt vielmehr eine dünnflüssige Milch, welche unter 


*) Vortrag, gehalteu Im Verein für innere Medicin. 


dem Mikroskop sich darbietet als eine Aufschwemmung von kleinen 
Kügelchen von der halben Durclisehnittsgrösse eines rothen Blut¬ 
körperchens; dieselben bestehen aus Lecithin oder besser einem 
Lecithin. Es ist mir gelungen, aus diesen Körneru das characteristi- 
sclie Platindoppelsalz des Neurins darzustellen, ihr Material ist also 
den Lecithinen zuzuweisen. Wie die Milch der Brustdrüse eine 
Aufschwemmung von Fett in einem eiweissreichen Fluidum darstellt, 
so die der Prostata eine Emulsion von Lecithinkörnern in pro- 
te'iureiehem Mcnstruum. Während das Hoden- und Samenblasen- 
secret geruchlos ist, riecht das Prostatasecret intensiv nachSperma(s.u.). 
Es stammt also der Spermageruch aus der Prostata. Schon da¬ 
durch ist erwiesen, dass der Prostatasaft zum Sperma gehört. 
Henle hat in dieser Beziehung verschiedene, von mir widerlegte 
Bedenken geäussert. Seit einigen Jahren sind endlich meine An¬ 
schauungen zur Anerkennung gelangt; es hat Mühe genug gekostet, 
die immer wieder reproducirten alten Irrthüiner aus dem Wege zu 
räumen. (Demonstration von Prostatasecret, durch Druck auf die 
Prostata eines gesunden Mannes gewonnen, nachdem die Urethra 
mit Wasser vorher sorgfältig ausgespritzt war. Die milchige Flüssig¬ 
keit enthält keine Spermatozoen, der Geruch ist intensiv und cha¬ 
rakteristisch). Bis vor zwei Jahren war die Bedeutung der Function 
der Prostata vollkommen dunkel; ich will nicht behaupten, dass 
ich die volle Bestimmung erschlossen habe; doch glaube ich, einiges 
Licht darüber verbreitet zu haben, indem ich nachwies, dass der 
Prostatasaft das in den starren Spermatozoen schlummernde Leben 
auszulösen vermag, aber nicht im Stande ist, bereits im Absterben 
begriffene Spermatozoen wieder aufleben zu machen. Ich gelangte 
zu diesem Nachweis auf eigentümliche Weise. Ein junger Mann, 
der mich aufsuchte, litt an Defacationsspermatorrhoe; ich untersuche 
den Abgang und finde ganz starre, nur zum Theil sehr träge sich 
bewegende Spermatozoen, und da der Betreffende potent war, so 
hielt es sehr schwer, die Frage zu beantworten, wegen der er mir 
zugeschickt worden, ob er nämlich zugleich an Impotentia generandi litt; 
man kann ja von starren und sehr wenig sich bewegenden Sperma¬ 
tozoen im frisch entleerten Samen nicht sagen, oh $ie befruchten 
oder nicht. Endlich erhielt ich relativ frisches Pollutionsproduct, 
das zahllose lebhaft sich bewegende Spermatozoen einschloss. Hier 
beruhte die Spermatorrhoe auf isolirten Sarnenblasenergüssen, 
durch Druck der Bauchpresse bedingt. Dann habe ich noch später 
zwei andere ähnliche Fälle beobachtet, Versuche mit ganz frisch 
entleertem Prostatasecret und Polliitionsproducten angestellt und 
nachgewiesen, dass eine ganz wesentliche Belebung der Samenfäden 
unter bestimmten Bedingungen (vgl. diese Wocheuschrift 1886 No. 26 
u. 42) zu erzielen ist. 

Und nun zu meinen klinischen Beobachtungen über Azoospermie. 
Leider habe ich meine Beobachtungen nicht gezählt. Wohl jeder 
Monat führt mir einen oder den anderen Fall zu. Etwa hundert 
mögen sich angesammelt haben, die mir namentlich von Gynäkologen, 
aus naheliegenden Gründen, zugeschickt worden. Auch Neurologen 
bin ich für werthvolle Zuwendungen dankbar, u. A. den Herren 
Bernhardt und Mendel. Es hat sich nun hcrausgestellt, dass 
meine Statistik immerhin bemerkenswerthe Abweichungen von der 
lehrbuchmüssigeu Darstellung bietet. Wie Ihnen wohl bekannt, 
hat der Gegenstand vor Allem eine ganz ausgezeichnete Bearbeitung 
durch Curschmaun in dem grossen ZicmssenVhen Sammel¬ 
werk erfahren. 

Ich möchte nun folgende, aus meiner Beobachtung abgeleitete 
Recapitulationen aufstellen: 

1. Mit einer einzigen Ausnahme waren sämmtliche von mir 


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558 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


beobachteten Fülle absolute und permanente Azoospermieen; diese 
einzige Ausnahme, vor 8—9 Jahren iu Jena beobachtet, von tem¬ 
porärer Azoospermie, wie sie besondere von Casper hervorgehoben 
ist, ist die Folge eines ganz unglaublichen Abusus sexualis gewesen. 
Ich habe zwei Portionen untersucht, die vollkommen frei von Sper¬ 
matozoon waren; am dritten Tage fanden sie sich zu Häuf. Liegeois 
hat unter 83 Fällen von Azoospermie 8 nicht permanente ange¬ 
troffen. 

2. Die Aetiologie war mit wenigen Ausnahmen gegeben in einer 
Obliteration der Samenwege, welche ihrerseits in dem Gros der 
Fälle auf Epididymitis oder Funiculitis gonorrhoica duplex be¬ 
ruhte. Ja ich stehe nicht au, des Weiteren zu formuliren, dass, 
wo wir Epididymitis oder Funiculitis gonorrhoica duplex beob¬ 
achten, der Träger derselben mit einer Wahrscheinlichkeit von 9 
zu 1 Azoospermiker wird, ganz im Gegensatz zu den unbegreiflichen 
Angaben von Zeissl, der die genannten Tripperconsequenzen für 
relativ bedeutungslose Zustände ansieht; es handelt sich hier nicht 
um eine harmlose Sache, sondern ein höchst lugubres Ereigniss, 
und ich neige hierin durchaus den Anschauungen Nöggerath’s zu. 
Einmal fand ich als Ursache Secretionsunthütigkeit der Keimdrüsen 
durch Syphilis, einmal durch Krebs — der eine Hode war ex- 
stirpirt, der andere entartet —, einige Male Atrophie nach Trauma 
und nach Phlegmone. Niemals aber habe ich Azoospermie beob¬ 
achtet als Folge einfacher Spermatorrhoe, wie das besonders Lai le¬ 
rn and angetroffen haben will. 

Von Belang sind die Beobachtungsresultate von Kehrer, 
der wohl die meisten Verdienste um die klinische Erforschung die¬ 
ser Zustände hat. Er hat iu 40 Fälleu von Sterilitas matrimonii 
ohne jede Auswahl das Ejaculat des Mannes untersucht und 14 mal 
dem Manne die Schuld zuschreiben müssen. Das ist ein enormer 
Procentsatz. Meist handelte es sich auch hier um gonorrhoischen 
Ursprung. Busch kam zu noch colossalereu Zahlen; er fand in 
27% aller Leichen Azoospermie. Diese sonst recht interessanten 
Untersuchungen von Busch haben aber wenig praktische Bedeu¬ 
tung, weil sich hier viele Fälle von Kachexie finden bezw. Zuständen, 
bei denen das Grübeln über Befruchtungsuufähigkeit aufhört. 

3. Keiner der Mäuner hatte eine Ahnung, dass er unfruchtbar 
sei, abgesehen von den Fällen, in welchen schon durch andere 
Aerzte die Vermuthung ausgesprochen war. Die Meisten suchten 
das Hinderniss bei der Frau. Die äusseren Genitalieu fand ich 
durchweg normal, abgesehen von kleinen Resten etwaiger Epidi¬ 
dymitis; öfters waren letztere nur auf einer Seite nachweisbar, und 
die Anamnese legte nahe, dass Funiculitis auf der anderen Seite 
bestanden hatte; in noch anderen Fällen konnte ich nichts Ab¬ 
normes nachweisen, auch nicht immer aus der Vorgeschichte ver¬ 
mutheu, dass beiderseits Entzündungsprocesse abgespielt. Die Co- 
habitation erfolgte ohne Schwierigkeit, lieferte reichliche Ejaculation; 
nur sehr selten wurde die Potenz als gesunken angegeben. 

Eigenthümlich war die Manier, mit welcher die Patienten meine 
Eröffnung aufnahmeu. Ein Manu, der sich ausserordentlich cohabi- 
tationstüchtig wusste, war in hohem Grade über das vernommene 
Urtlieil erregt, lehnte lächelnd die Möglichkeit ab und drohte 
schliesslich mit Beschwerde über die empörende Anschuldigung auf 
dem Wege der Klage. Aehnliche Auslassungen habe ich wiederholt 
anhören müssen. Das Sperma ist eben nach der Beobachtung der 
Betreffenden ganz normal, und selbst dem sachverständigen Arzt ist 
es kaum möglich, einem Azoospcrma den Spermatozoenmangel an¬ 
zusehen, einfach deshalb, weil der Prostatasaft in demselben 
ebenso vorhafiden ist, w r ie in dem normalen Ejaculat und weil dieser 
ihm den Spermageruch giebt. Mau findet in diesem Azoosperma, 
um Versäumtes nachzuholen (s. o.), ziemlich regelmässig sogenannte 
Böttcher’sche Krystalle, Eiweiss-, Spermakrystalle. Das sind Ge¬ 
bilde, die, trotzdem sie Böttcher bereits vor einem Vierteljahr¬ 
hundert entdeckt hat, ausserordentlich stiefmütterlich behandelt 
worden sind. Es gelang vor etwa 9 Jahren Schreiner, nachzu¬ 
weisen, dass das Material der Spermakrystalle durchaus identisch 
ist mit demjenigen der Charcot’schen Krystalle, die u. A. Zenker 
bei der Leukämie im Blute, Leyden beim Asthma im Expectorat 
gefunden. Nur die Krystallisationsform ist verschieden. Hier liegen 
kleine Krystalle mit stark ausgezogenen Spitzen, geradeu, selbst 
concaven Flächen vor, während die Spermakrystalle, wie Sie hier 
sehen, viel grössere monokline gewölbtflächige Doppel Pyramiden und 
Prismen, eigenthümlich Sförmige, diatomeenähnliche Figuren u. s. w. 
darstellen. Die Krystalle können, wie Sie sich überzeugen wollen, 
ganz gut durch die Lupe gesehen werden. Es ist nun das Material 
der Krystalle das phosphorsaure Salz einer neuen organischen Basis, 
die Schreiner genau eharakterisirt hat, und die eben den Sperma¬ 
geruch trägt. 

ln vielen Fällen von Azoospermie des Mannes war die arme 
Frau von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik geschleppt worden; 
es wurde am Orificiura herumgeschnitten und gekratzt, bis ein 
einziger Blick in’s Mikroskop uns zeigte, dass zum Kindersegen 


weiter nichts gefehlt, als dao Spermatozoon im Ejaculat. Das ist 
zum Glück in den letzten Jahren besser geworden: Viele Gynäko¬ 
logen gehen nicht gern an die Untersuchung der Frau, bevor nicht 
das Sperma des Mannes untersucht ist. In neuer Zeit habe ich 
einige Male constatiren können, dass beide Eheleute unfruchtbar 
sind; hier ändert natürlich die Trennung Nichts. Dann ist mir ein 
eigenthümlich er Fall vor ca. l /2 Jahr vorgekommen, in welchem der 
Mann reumütliig sich beschuldigte, dass er, nachdem er einige Zeit 
seine Frau für die Schuldige gehalten, dieselbe aber uutersucht und 
gesund befunden worden sei, an Gonorrhoe gelitten habe und des¬ 
halb ihm die ganze Schuld an der Kinderlosigkeit der Ehe zufalle. 
Ich fand — das fortpflanzungstüchtigste Sperma, schickte die Frau 
zu einem anderen Specialisten, der nunmehr das Conceptionshinder- 
niss feststellte. Die Ursache der Azoospermie als Grundlage der 
Unfruchtbarkeit der Ehe dringt immer mehr in das Bewusstsein des 
Publikums, insbesondere der grösseren Städte. Ein juridischer 
Standpunkt bildet sich aus, der ganz eng mit dem Gesetz resp. den 
Grundlagen der Ehescheidung verquickt ist. Eine Warnung möchte 
ich an dieser Stelle aussprechen: mitunter verlangen wirkliche Azoo¬ 
spermiker, nachdem sie den Arzt getäuscht haben, ein Zeugniss, 
dass sie befruchtungstüchtig sind. Ein solcher Fall ist mir erst 
jüngst vorgekommen. Den Beweis, dass der Betreffende ein fremdes 
Untersuchungsobject untergeschoben hat, kann ich nicht liefern, aber 
ich argwöhne es aus verschiedenen Gründen. Er brachte ein Eja¬ 
culat mit, in welchem lebhaft sich bewegende Spermatozoen nach¬ 
weisbar waren. Der Mann drang mit verdächtiger Hast auf das 
Attest, das ich nur über „das mir von ihm überbrachte Sperma“ ab¬ 
gab. Er ist nicht wiedergekommen. Dann treten dem nicht Ein¬ 
geweihten geradezu fratzenhafte Momente entgegen: Die erste Ehe 
ist kinderlos, der erste Mann ein Bild blühender Gesundheit, von 
herkulischer Gestalt; die Ehe wird getrennt, es heirathet die Frau 
einen ausgemergelten Phthisiker, und nun giebt es Jahr für Jahr ein 
Kind. Das ist uns jetzt verständlich. 

Die Prognose ist nach meiner Erfahrung eine pessima, wenn 
die Azoospermie erst ‘/4 Jahr gewährt hat, beziehungsweise 
V4 Jahr nach Auftreten der Epididymitis und Funiculitis consta- 
tirt worden ist. Das stimmt ungefähr mit den Resultaten der Ex¬ 
perimente von Kehrer, der vollständige Inactivität der Keimdrüsen 
beobachtete, wenn er den Samenstrang vor einigen Monaten unter¬ 
bunden hatte. Recente Entzündungen kommen hier kaum in Be¬ 
tracht. Wer an frischer Epididymitis leidet, denkt nicht daran, 
wie es mit seiner Impotentia generandi später einmal bestellt sein 
könnte. Ganz andere Momente treiben ihn zum Arzt. 

Eine Therapie existirt, von der psychischen abgesehen, die 
ich für sehr werthvoll halte, meines Erachtens so gut wie gar nicht 
Angewandt werden ableitende, zertheilende Salben, Elektricität, sehr 
eiweissreiche Kost, die wieder Spermatozoen bilden soll. Angeblich 
hierdurch geheilte Fälle wären sicher auch spontan zum günstigen 
Ablauf gelangt. Ich bin hier auf ein widerwärtiges Treiben von 
Specialisten gestossen. Speciell habe ich einen süddeutschen Elek- 
trotherapeuten im Auge, der eineu mit permanenter Azoospermie 
behafteten Patienten monatelang elektrisirt hatte, endlich ein ver¬ 
krüppeltes Zoosperraon aufgefunden haben wollte, dann 2 und 3, und 
nunmehr das Nahen der Potenz in Bezug auf die Zeugungsfähigkeit 
ihm verküudete. Die spätere Beobachtung durch mich hat ergeben, 
dass ein wahres Urnichts von Spermatozoen coustant in dem Eja¬ 
culat vorhanden war. Conception der Frau ist kein untrüglicher 
Beweis der Heilung! Es ist mir zweimal vorgekommen, dass, trotz¬ 
dem die Frau concipirt, doch die Azoospermie Monate und Jahre 
lang fortgedauert hatte. Hier muss wohl ein Hausfreund dahinter 
gesteckt haben. 

Der Hauptwerth der Behandlung liegt in einer richtigen 
Diagnose. Es ist im Allgemeinen eine sehr undankbare Aufgabe, 
den betreffenden Patienten ihren Zustand zu eröffnen. Trotz¬ 
dem empfehle ich dringend eine schonende, aber bestimmte 
Information, dass jede Hoffnung aufzugeben sei. Die Reaction auf 
diese Eröffnung ist sehr verschieden. Die einen lehnen jeden 
Glauben ab und gehen zu einem anderen Arzte. Dieser macht 
ihnen vielleicht Hoffnung für kurze Zeit; die Meisten sind zur 
richtigen Einsicht und zu mir wieder gekommen. Eine andere 
Kategorie hört die Eröffnung mit merkwürdigem Gleichmuth, zeigt 
von Aufregung keine Spur. Meist sind diese von den Gynäkologen, 
die an der Frau nichts gefunden haben, zumal mit Rücksicht auf 
frühere Tripperinfection vorbereitet worden. 

Sodann ist mir ein höchst widerwärtiger Cynismus entgegen¬ 
getreten, offene Freude der Berathenen darüber, dass sie nicht zu 
Alimentationspflichten herangezogen werden könnten. Ein Jenenser 
Student ersuchte mich, ihm die Azoospermie zu bescheinigen, damit 
er aus einem Process kostenlos hervorgehe. Das menschliche 
Leben treibt hier eigenthümliche Blasen. Endlich setzt es Ver¬ 
zweiflung und Selbstmordgedanken. Ich habe in dieser Beziehung 
ungemein traurige Auftritte erlebt, theils im eigenen Zimmer, theils 


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12. Jnli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


in dem Hause der Betreffenden. Zwei Erwägungen sind es, welche 
ehrenwerthe Charaktere erbeben machen, der Gedanke, dass der 
Stamm erloschen sei, die Ueberzeugung, dass sie, durch ihre eigene 
Schuld das unschuldige Weib schändlich betrogen hätten. Die 
schlimmsten Fälle sind diejenigen, in denen die Frau nach Kinder¬ 
segen und fortwährend nach Untersuchung ihres eigenen Körpers 
durch Gynäkologen drängt. Scheidung ist hier keineswegs sehr 
selten. Ich möchte Ihnen rnthen, den betreffenden Eheleuten grosse 
Vorsicht in der Orientirung der Frau anzuerapfehlen. Unerwartete 
Scheidungen habe ich erlebt, nachdem die Betreffenden sich mit 
reuevollem Geständniss der Frau genaht. In einem Falle wurde 
von uns Aerzten mit einigennaassen gutem Gewissen die Sache so 
dargestellt, dass man wohl das Factum eruiren, aber die Schuld¬ 
frage nicht mit Bestimmtheit beantworten könne. Die Eheleute 
nahmen ein Kind an und lebten glücklich. Den Rath der Adoption 
gebe ich in vielen Fällen; meist wird derselbe mit gutem Effect 
befolgt. 

Ich habe mir bei der völligen Aussichtslosigkeit der gangbaren 
Therapie die Frage vorgelegt, ob mau nicht bei frischeren Formen 
durch Operation helfen, etwa das Stück des obliterirten Samen¬ 
strangs excidiren könne. Mein College Hahn hat ein gutes Resultat 
von einem derartigen Vorgehen, beziehungsweise einem Einpflanzen 
des durchgängigen Stückes des Vas deferens in den Nebenhoden 
für unwahrscheinlich, aber nicht ganz unmöglich gehalten. In einem 
Falle haben wir Beide eine derartige Operation in Aussicht ge¬ 
nommen; sie konnte im ungünstigsten Falle nicht schaden. Die 
Epididymis wurde freigelegt und ihr Inhalt verschiedene Male aspi- 
rirt, ohne dass sich eine Spur von Spermatozoen nachweisen Hess, 
worauf das Scrotum wieder zugenäht wurde. Eine Einsicht in die 
höchst subtilen Verhältnisse an der Leiche hat uns dann auch über¬ 
zeugt, dass eine Operation nicht wohl zum Ziele führen könne; 
schon der Schnitt allein dürfte zu einer neuen Obliteration des 
engen Lumens führen. 

Anhangsweise noch ein Wort über Oligospermie, obwohl diese 
Form eigentlich nicht hierher gehört. Spermatozoen sollen hier im 
Ejaculat sehr spärlich vorhanden und angeblich mit träger Vitalität 
versehen sein (Sinety). Ich habe nie derartiges beobachteu können, 
wenn ich das frische Ejaculat zu untersuchen Sorge getragen. 

Beim Aspermatismus wird Sperma überhaupt nicht nach aussen 
entleert. Die temporäre Form, deu Aspermatismus psychicus von 
Güterbock, möchte ich mehr dem Begriff der Impotenz zuzählen. 
Wichtiger und klarer in der Genese ist der Aspermatismus abso- 
lutus in der permanenten Form, wie sie Curscbmann sehr richtig als 
Aspermatismus organicus bezeichnet. Entweder sind hier die Ductus 
ejaculatorii verlegt oder sie sind verlagert derart, dass sie nach der 
Blase zu deviiren, oder endlich, es bestehen Entleeiuugshemmnisse 
in dem peripheren Theil der Harnröhre selbst. Dahin gehören die 
interessanten, u. A. von Curschmann beschriebenen Fälle, in 
denen bei hochgradiger Strictur während der Ejaculation der 
Patient die Reflexstösse empfindet, und das Sperma erst später aus 
dem schlaffen Gliede abfliesst. Curschmann weist für solche 
Fälle auf die Wahrscheinlichkeit eines vollständigen Erectionsver- 
schlusses der stricturirten Stelle hin. Dann mag es Stricturen 
geben, die wohl Harn, aber kaum das dickflüssige Sperma passiren 
lassen. Hier kann mau ausgezeichnete Erfolge durch Strictur- 
behandlung erzielen. 

Einen ganz eigenartigen Fall habe ich vor etwa Jahresfrist be¬ 
obachtet. Ich halte ihn der genaueren Mittheilung für werth: Ein 
28jähriger Beamter, den mir Herr Bernhardt zugeschickt, empfand 
bei der Cohabitation zwar Orgasmus, aber keine ejaculativen Erschüt- 
tungen, während sich kein oder nur sehr spärliches „Sperma“ ent¬ 
leerte. Tripper hat nie bestanden, in frühesten Kinderjahren aber 
Entzündung eines Hodens mit nachträglicher Schrumpfung. Die 
Hauptorgane des blühenden, äusserst kräftigen und stattlichen Mannes 
ohne nachweisbare Anomalie, der linke Hoden iutact, der rechte 
atrophisch. Bei Druck auf die Prostata entleert sich eine Spur von 
Schleim durch die Urethra, kein Prostatasaft (der offenbar nach der 
Blase gelangte), nur Secret der Cooper’schen und Littre'schen 
Drüsen, und in demselben ein einziges Spermatozoon! Grosse Ver¬ 
legenheit, den Fall zu deuten und Herrn Bernhardt Aufschluss 
zu geben. Ich hatte nicht Aspermatismus gemuthmaasst, weil der 
Patient von Ejaculationsstössen gar nichts angegeben. Trotzdem 
verkannte ich die Wichtigkeit der Entdeckung des einen Spermato¬ 
zoon keineswegs und gab Pat. auf, mir seinen „Samen“ zur Stelle zu 
bringen. Derselbe enthielt indessen gar keine Spermatozoen und erwies 
sich nur als Secret der Cooper’schen Drüsen. Der Katheter passirte 
glatt die Urethra, der Harn floss trübe ab und (das erste Mal war 
er klar) strotzte unter dem Mikroskop von Spermatozoen; also doch 
Aspermatismus! Jetzt räumte Pat. ein, manchmal eine leichte An¬ 
deutung von Reflexstössen zu empfinden. Es war also reichlicher 
Zeugungsstoff vorhanden, nur war er bedenkliche Wege gewandelt. 
Es wurde nnn von Herrn Nitze die elektro-endoskopische Unter¬ 


559 


suchung vorgenoramen. Sie ergab auffallend blasse, fast weisse 
Farbe des Samenhügels, eine Form, wie sie bisher in dieser Weise 
noch nicht beobachtet worden; während nämlich für gewöhnlich der 
Samenhügel grosse Aehnlichkeit mit einem embryonalen Penis dar¬ 
bietet, hatte er hier pilzförmige Gestalt, dadurch bedingt, dass der 
Utriculus prostaticus nach aussen hin mit weiter trichterförmiger 
Oeffnung raüudete; ob die Oeffnung mehr nach dem hinteren Ab¬ 
hange des Colliculus zu gelegen sei, vermochte nicht entschieden zu 
werden; ebensowenig gelang es, die Mündung der Ductus ejacula¬ 
torii zu sehen. Offenbar hatte ein uleeröser Process den Utriculus 
narbig distrahirt. Vielleicht lag auch eiue Urethritis posterior fötalen 
Ursprungs vor, worauf der geschrumpfte Hode in früher Kindheit 
deutet. Jedenfalls hatten die Ductus ejaculatorii eine höchst un¬ 
glückliche Narbenzerrung nach hinten erfahren. Der Pat. hat sich 
einer wesentlichen localen Behandlung entzogen und vor Kurzem 
wieder Herrn Nitze vorgestellt mit — Epididyraitis gonorrhoica des 
gesunden Hodens. Damit waren für mich alle Skrupel erledigt; 
ich zweifle kaum, dass der Aspermatiker nunmehr noch zum Azoo- 
spermatiker geworden. 

n. Ueber Natur und Behandlung des Furun¬ 
kels, besonders im äusseren Ohre. 

Von Dr. B. Loewenberg in Paris 1 ) 

Auf dem zweiten internationalen Otologischen Congresse 
(Mailand, 1880) habe ich eine Mittheilung über „Microeocceu bei 
Otorrhoe, Ohrfuruukel und allgemeiner Furunkulose“ gemacht. 2 ) 
Die Hauptresultate dieser Untersuchungen hat daun Prof. Marey 
iu meinem Namen in Form einer kurzeu Notiz der Pariser Akademie 
der Wissenschaften am 27. Septembor 1880 eingereicht, und die¬ 
selben siud in den Sitzungsberichten dieser gelehrten Gesellschaft 
abgedruckt. 3 ) 

Ein Jahr später habe ich ferner im Progres medical, einer der 
verbreitetsten Pariser medicinischen Zeitungen, eine grössere Arbeit 4 ) 
über diesen Gegenstand publicirt, die jedoch, soweit mir bekannt, 
iu der die französischen Publicationen sonst so eingehend berücksich¬ 
tigenden deutschen Literatur wenig Beachtung gefunden hat. Da 
nun aber diese verschiedenen Arbeiten, meines Erachtens, mehrere 
neue Punkte enthielten, benutze ich die Gelegenheit, zugleich mit 
der im Verlaufe dieser Mittheilung erfolgenden deutschen Heraus¬ 
gabe meines dem Congresse zu Washington in englicher Sprache 
vorgelegteu Aufsatzes über Behandlung des Ohrfurunkels etc. die 
hauptsächlichsten Resultate meiner oben citirten Arbeiten kurz zu 
resümiren. 

A. Furunkel im Allgemeinen. 

Wie bekannt, hat zuerst Hueter 5 ) die Entstehung der Furunkel 
auf Einwanderung von Parasiten zurückgeführt. Ohne, wie es 
scheint, von dieser Angabe Kenntniss zu haben, hat dann Prof. 
Pasteur im Jahre 1880 in Furunkeln verschiedener Körperstellen 
Coccen nachgewiesen, 6 ) und es gelang mir, in demselben Jahre der¬ 
artige Mikroben in mehreren Ohrfurunkeln aufzufinden. (Vgl. meine 
oben citirten Arbeiten.) 

Nach Pasteur’s Ansicht kommt die so unendlich häufige Ver¬ 
vielfältigung der Furunkel bei demselben Individuum und ihre oft 
unabsehbare Folge dadurch zu Stande, dass die Coccen durch den 
Blutstrom von Ort zu Ort transportirt werden. Bei weiterem Nach¬ 
denken über diesen Gegenstand gelangte ich jedoch zu einer ab¬ 
weichenden Ansicht.’ Wie ich seinerzeit 7 ) ausführte, hat zuvörderst 
Pasteur selbst 8 ) die Cocceu im Blute der Patienteu trotz mannig¬ 
facher Culturversuche nie auffinden können; ferner schien es mir 
unmöglich, eine derartige Infection der Blutmasse bei jungen, ge¬ 
sunden und kräftigen Personen anzunehmen, bei denen gerade 
solche Serien von Furunkeln so häufig zur Beobachtung kommen; 
(ich erinnere nur an die Häufigkeit derselben in der Armee!) 
Schliesslich ist nicht zu begreifen, dass mit dem Blute kreisende 

>) Zum Theil nach einer dem 9. internationalen medicinischen Con¬ 
gresse (Washington, 1887) vorgelegteu Arbeit („On the treatment and the 
bacteriology of aural boils.“) 

*) Recherches sur la presence de microcoecus dans l’oreille malade; 
considerations sur le ri»le des microbes dans le Furoncle etc. (Congres 
periodique internat d’otologie, Milan 1880. Comptes rendus, p. 17—23.) 

3 ) Comptes rendus de PAcademie des Sciences, 1880, p. 555 u. 556. 
Note de M. Loewenberg, presentee par M. Marey. 

4 ) B. Loewenberg, le Furoncle de POreille et la Furonculose (Progres 
medical, 1881) und Separat ab druck, Paris 1881, 46 Seiten. 

6 ) Hueter, die allgemeine Chirurgie, 1874. 

6 ) Pasteur, de l’extension de la theoric des gcrmes a Petiologie de 
quelques maladies communes. Comptes rendus de l’Acad. des Sciences, 
1880, Vol. 90, p. 1023 u. ff. 

7 ) B. Loewenberg, le Furoncle etc. p. 15 u. ff. 

8 ) Pasteur, loe. cit., p. 1036. 


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560 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28 


Bacterieo, anstatt in die so häufig von ihnen heiingesuchten Ein¬ 
geweide einzuwandern, gerade nur die Hautfollikel befallen sollten. 
Aus allen diesen Gründen deutete ich die Genese der Furunkel und 
ihre Vervielfältigung auf eine andere Weise: Die ersten Furunkel, 
führte ich loc. cit. aus, werden erzeugt durch Einwanderung patho¬ 
gener Coccen von Aussen her, mögen sie nun aus der Luft oder 
aus dem zu den täglischen Abwaschungen verwandten Wasser 
stammen. Da die Epidermiszellen den Mikroorganismen eine un¬ 
durchdringliche Schutzmauer entgegensetzen, musste ein ihre Ein¬ 
wanderung ermöglichender locus minoris resistentiae gefunden wer¬ 
den. Hier lag es um so näher, denselben in den Haarbälgen resp. 
den Ausführungsgängen der Talgdrüsen zu suchen, als seit langer 
Zeit die Localisirung der Furunkel in diesen Organen angenommen 
wird (S. u. A. Astruc, Traite des tumeurs et des Ulcercs, I, p. 87 
u. ff. Paris 1759). 

Was die so häufigen Recidive des einfachen, gutartigen Fu¬ 
runkels anbelangt, so deutete ich dieselben einfach als Auto- 
infection (oder Autocontagion), und zwar erfolgt sie, meines Er¬ 
achtens. auf folgendem Wege: Ans dem aufgebrochenen Blutschwär 
ergiessen sich mit dem Eiter Coccen auf die Hautoberfläche, dringen 
in Nachbarfollikel ein und erzeugen so neue Furunkel in der Nähe 
des ersten. An ferner liegenden Körperstellen als Recidive auf¬ 
tretende Blutschwäre kommen dadurch zu Stande, dass der Eiter 
eines ersten Furunkels durch die Finger des Patienten oder durch 
Wäsche, Verbandstücke etc. mit entlegeneren Hautstellen in Be¬ 
rührung kommt. 

Nach diesen Betrachtungen lag es nahe, anzunehmen, Furun¬ 
keleiter könne ebensogut wie bei einem und demselben Individuum, 
so auch auf Hautstellen anderer Personen Furunkel produciren, uud 
ich stellte in Folge dieses Raisonnements den Satz auf: „Furun¬ 
kel können an st ecken.“ Diese Ansicht begründete ich jedoch 
auf positivere Basen als auf einfach theoretische Speeulationen, 
nämlich auf mehrere meiner otiatrischen Praxis entlehnte Fälle, in 
denen es mehr als wahrscheinlich war, dass z. B. ein bisher furun- 
keifreier Ehegatte vom andern, dem er Ohrfurunkel verbunden hatte, 
inficirt worden war. 

Ich hatte diese Ansicht zuerst in der kurzen Note aufgestellt, 
die Prof. Marey in meinem Namen der Academie des Sciences 
eingereicht hatte und die in den Comptes rendus derselben gelehr¬ 
ten Gesellschaft (27. September 1880) veröffentlicht wurde. Sechs 
Wochen später theilte Prof. Trastour dieser Academie als Beleg für 
meine Theorie („ä l’appui des idees de M. Loewenberg sur la con- 
tagion possible du furoncle d’individu ä individu“ S. Comptes rendus, 
15. November 1880) folgende Beobachtung mit: Eine Nonne, die durch 
chronischen Gelenkrheumatismus absolut unbeweglich geworden war, 
hatte einen Carbunkel ad uates, und derselbe musste von 5 anderen 
Nonnen längere Zeit hindurch verbunden werden. Zwei wuschen die 
Verbandstücke und die Cataplasmen. Eine von diesen bekam äusserst 
schmerzhafte Furunkel an Fingern und Händen, die andere einen Fu¬ 
runkel an eiuem Finger, der jedoch mit Fieber verbunden, äusserst 
schmerzhaft war und 3 Wochen dauerte. Zwei andere Nonnen hatten 
ebenfalls solche, eine an beiden Vorderarmen, die andere im Ge¬ 
sicht, sämmtlich sehr schmerzhaft und mit Fieber einhergehend. Die 
fünfte bekam nichts und erklärte diese Thatsache folgendermaassen: 
Während des Krieges 1870-71 hatte sie in der in ihrem Kloster ein¬ 
gerichteten Ambulance einen Verwundeten gepflegt, der einen sehr 
schweren Carbunkel hatte, und sie hatte in Folge davon an allen 
Fingern „Weh“ gehabt. Dadurch zur Vorsicht angeregt, hatte sie 
sich diesmal in Acht genommen, alle unreinen Verbandstücke lange 
im Wasser liegen lassen und sie gereinigt, indem sie sie mit einem 
Stückchen Holz im Wasser hin- und herschüttelte, ohne sie zu be¬ 
rühren. 

Diese Krankengeschichte hat Prof. Lewin in seinem Referate 
über Hautkrankheiten in Virchow und Hirsch's Jahresbericht 
XV, II, S. 494 citirt, ohne jedoch hinzuzufügen, dass es sich in 
derselben um einfache Bestätigung meiner Angaben handle, so dass 
es den Anschein hat, als sei die Theorie von der Coutagiosität der 
Furunkel Herrn Trastour eigen. 

Aehuliehe Beobachtungen sind seitdem von mehreren anderen 
Autoren publicirt worden und, wie ich später entdeckte, hat schon 
1866 Startin ähnliche Ansichten ausgesprochen. 1 ) Mehrere Jahre 
nach der Veröffentlichung meiner letzten Arbeit haben die inter¬ 
essanten Versuche von Dr. Gar re 2 ) experimentelle Beweise für die 
Richtigkeit meiner Auffassung beigebracht und den Modus der 
Infection durch die Follikel, wie ich ihn angegebeu hatte, bewiesen, 
ohne dass jedoch weder dieser Autor noch viele andere (französische 
Schriftsteller ausgenommen) mich citirt hätten. 

Es giebt ferner ausser dem ebeu beschriebenen gutartigen 


*) J. Startin, Treatment of boils and carbuncles. (Brit. med. Journal 
10. November 186(5.) 

*) Garr4, Fortschritte der Medicin, 1885. 


Infectionsmodus einen audern, wo nach einfachen Furunkeln, be¬ 
sonders an den Lippen, Phlebitis und Septicaemie auftreten, und 
bei diesen Patienten nahm ich Iufection der Blutmasse durch die 
Coccen an (loc. cit. p. 17 u. ff: Forme grave du Furoncle), eine 
Ansicht, die spätere Autoren, ohne von meinen früheren Angaben 
Kenntniss zu haben, bestätigt haben. 

Meinen Anschauungen über die rein parasitäre Natur des Furun¬ 
kels gemäss, nahm ich selbstverständlich Abstand von der früher 
allgemein üblichen Behandlungsweise desselben mit Emollientien 
und zog dafür ein antibacterielles Curverfahren zur Anwendung. 
Auf diesem Wege war schon, besonders von englischen Autoren, 
vorgegangen worden; sie hatten gegen Furuukel und Carbunkel 
subcutane Injeetionen, besonders von Carbolsäure empfohlen, und 
Weber-Liel hatte diese Therapie speciell auf die Ohrfurunkel ange¬ 
wandt. Allein diese Einspritzungen in so hochgradig entzündete 
und gespannte Theile sind äusserst schmerzhaft; ich habe mich da¬ 
her bemüht, sie durch ein schmerzloses und ebeuso sicher, ja viel¬ 
leicht sicherer zum Ziele führendes Verfahren zu ersetzen, welches 
ich nun auseinandersetzen und motiviren will. 

Der Furunkelproeess kommt, wie gesagt, nach meiner Auf¬ 
fassung dadurch zu Stande, dass in deu Hautfollikel- resp. Talg¬ 
drüsenausführungsgang eingedrungene pyogene Coccen uuter dem 
begünstigenden Einflüsse noch unbekannter Umstände zur Verviel¬ 
fältigung gelangen und so Entzündung und Eiterung hervorrufen. 
Anstatt nun die antibacteriellc Flüssigkeit iu die von dem Furunkel 
gebildete Schwellung zu iujiciren, zog ich es, den eben angezogenen 
Betrachtungen nach, vor, denselben Weg einzuschlagen, den die 
Coccen gegangen waren, nämlich den Follikel- resp. Drüseuaus- 
führungsgang zu beuutzen, indem ich auf die intacte Haut 
antiseptische Lösungen applicirte, deren Beschaffenheit 
das Eindringen in diese Canälchen ermöglicht. Einerseits 
umging ich so die grossen Schmerzen, mit denen subcutane Injec- 
tionen in Furunkel verbunden sind, andererseits die Ungewissheit, 
ob auch die angewandte Flüssigkeit wirklich zum Sedes morbi, dem 
Centrum des Ucbels, gelange. 

Vor längeren Jahren 1 ) habe ich gegen eitrigen Ohrenfluss ein 
Medicament empfohlen, welches seitdem von mir und von vielen 
Specialcollegen mit dem besten Erfolge angewendet wird, nämlich 
Lösung von Borsäure in absolutem Alkohol, gesättigt 
oder übersättigt, nach seiner Zeit dargelegten Principien. 
Dieselbe Combinatiou wende ich nun auch bei Behandlung der 
Furunkel an, und zwar sowohl zum Coupiren der einzelnen Blut¬ 
schwäre, als auch zum Verhüten oder Anhalten der von mir als 
Autocontagion gedeuteten reeidivirenden Furunkulose. 

Wie ich in früheren Arbeiten auseinandergesetzt habe 2 ), ist die 
therapeutische (antibacterielle) Wirkung der so combinirten Sub¬ 
stanzen eine energischere als man nach den bekannten Experimenten 
über die Wirkung der verschiedenen Antiseptica bei künstlicher 
Züchtung von Bactcricn erwarten sollte. Ich habe damals hervor¬ 
gehoben, dass es sich eben beim Eingreifen in den lebenden Orga¬ 
nismus um andere Bedingungen handelt als bei Culturen in vitro. 
Beim therapeutischen Gebrauche der Antiseptica müssen wir vor Allem 
auf deu mächtigen Beistand rechnen, den die lebenden Zellen im 
Kampfe gegen die Bacterien leisten und auf dessen Wesen die 
Untersuchungen von Metschnikoff so interessante Streiflichter 
geworfen haben. Dann ist noch bei vergleichender Schätzung ver¬ 
schiedener Antiseptica eins der wichtigsten Momente die Concen- 
tration, in der sie vom lebenden menschlichen Organismus ver¬ 
tragen werden, mit anderen Worten die Stärke, in der wir sie the¬ 
rapeutisch verwerthen können. Nun ist aber bekanntlich Borsäure 
unserem Körper gegenüber so reizlos, dass wir, um nur ein mir be¬ 
sonders geläufiges otiatrisches Beispiel zu wählen, bei Trommelfell¬ 
perforationen — wie sie bei Otorrhoe stets existireu — das so 
empfindliche Innere der Paukenhöhle mit Eingepulverter Borsäure 
wochen- und monatelang erfüllt halten können! Ebenso verträgt 
diese Höhle absoluten Alkohol iu den meisten Fällen sogleich oder 
nach allmählicher Verstärkung. 

Bei der Anwendung dieser Substanzen auf die äussere Haut kön¬ 
nen wir natürlich diese comhinirten Mittel sofort in voller Stärke 
anwenden. Wollten wir nun hier die oben eitirten Experimente zur 
Schätzung der antibacteriellen Wirksamkeit beider Körper anziehen, 
so müssten wir nicht vergessen, dass es sich hier um ganz andere 
Verhältnisse handelt. Bei Culturversuchen wird bekanntlich ein 
bestimmter Procentsatz der zu prüfenden Substanz dem Nährboden 
zugesetzt und dann abgewartet, ob die Entwickelung des gesäten 

*) B. Loewenberg, Untersuchungen über Auftreten und Bedeutung 
vor Coccobacterien bei eitrigem Ohrenflusse etc. (Zeitschrift für Ohrenheil¬ 
kunde 1881.) 

a ) B. Loewenberg, Du traitement des suppurations mastoidionnes 
saus trepanation. Union raedicale 1885. Separatabzug, S. 15 u. 16. 

Ferner B. Loewenberg, Die Natur und die Behandlung der Ozaena. 
(S. diese Wochenschrift 1885, No. 1 u 2.) 


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19. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 561 


Mikroorganismus ausbleibt, oder, ob und wie sie vor sieh geht. Hier 
aber können wir im Laufe der Behandlung stets neue und neue 
Mengen des Antiseptieuin mit der zu behandelnden Stelle in Con- 
tact bringen! Dies hat um so mehr Wichtigkeit in Bezug auf den 
Alkohol, als bei diesem so flüchtigen und wasserliebendeu Körper 
die Wirkung bei nur einmaligem Zusatze (wie er bei Culturver- 
suclien erfolgt) natürlich mit der Volatisirung und Wasserauziehung 
aus der Luft oder dem Nährboden schnell abnimmt. 

Ausser der antiseptischen Wirkung des Alkohols findet seine 
Anwendung als Meustruuru für Borsäure im vorliegenden Falle ihre 
Motivirung ferner noch in folgendem Umstand: Im Beginn des 
Furunkels kann offenbar seine Weiterentwickelung durch mein Cur- 
verfahren nur dadurch hintenangehalten werden, dass die antipara¬ 
sitäre Lösung in den Follikelgang eindringt und die in Vermehrung 
begriffenen Coccen abtödtet. Wir müssen uns offenbar den Vorgang 
so denken, dass die Flüssigkeit nach den Gesetzen der Capillarität 
in die so feinen Canälchen eindringt, mit denen wir es hier zu thun 
haben. Nun sind dieselben aber innen mit Fett ausgekleidet, und 
bekanntlich steigen wässrige Flüssigkeiten in solchen Capillarröhrchen 
nicht nur nicht, sondern sinken sogar, können also im gegebenen 
Falle nicht in die so feinen Röhrchen eindringen, während alko¬ 
holische Flüssigkeiten aufsteigen, das heisst im gegebenen Falle 
Vordringen können. 

Incision des Furunkels erleichtert dieses Eindringen, meiner 
Ansicht nach, besonders dann, wenn man den Schuitt so führt, 
dass er den Follikelausführnngsgang spaltet. 

In praxi bekommt man oft die Furunkel in einer Periode zu 
Gesicht, wo die Oeffnung dieses Ganges von einer gelblichen Zone 
umgeben ist, die den Beginn der Eiterbildung andeutet. Unter 
diesen Umständen ist es mir oft gelungen, den Furunkel mittelst 
Borsäure-Alkohol abortiv zu coupiren, ohne zu den sehr schmerz¬ 
haften Incisionen zu schreiten. Ich verfahre in dieseu Fällen so, 
dass ich die Epidermislage, die die gelbliche Zone bedeckt, mit 
einer vorher geglühteu Nadel möglichst ausgiebig an ritze. Selbst¬ 
verständlich ist dieser Eingriff absolut schmerzlos. Es wird dann 
die Lösung möglichst oft und lange applicirt. 

In einigen Fällen habe ich diese Oeffnung mit einem spitzen 
Galvanocauter vorgeuommen und gleichzeitig versucht, denselben 
schnell in der Richtung des Follikels einzuführen, um die Coccen 
durch das sicherste aller parasiticiden Mittel, nämlich die Glühhitze 
zu tödteu. 

Was die Anwendungsweise der Combination von Borsäure 
und Alkohol betrifft, so lasse ich gewöhnlich ein Reagenzgläschen 
mit einer Lösung oder (bei überschüssiger Borsäure einem Gemenge) 
beider 1—2 Centiraeter hoch anfüllen, den Furunkel auf die Oeff¬ 
nung des Gläschens andrücken und dann dep erkrankten Theil so 
umwenden, dass Ersterer mit dem Inhalte des Gläschens in innige Be¬ 
rührung tritt. Diese Methode ist besonders an den Extremitäten 
wegen ihrer grossen Beweglichkeit sehr leicht anzuwenden. Ist dies in 
anderen Regionen in Folge der Couformation des kranken Theils nicht 
ausführbar, so lasse ich den F'urunkel mit feingepulverter Borsäure 
bestreuen, mit entfetteter Watte bedecken und dieselbe von Zeit zu 
Zeit mit absolutem Alkohol anfeuchten. An gewissen Körperstellen 
endlich, z. B. am Naseneiugange, wo alles dies misslich ist, habe 
ich dennoch Abortivcur oft erzielt, indem ich beginnende Furunkel 
mit alkoholischer Borsäurelösung einfach bepinseln liess. 

Unter dieser, je nach den örtlichen Verhältnissen modificirten 
Behandluugsweise habe ich in den meisten Fällen, in deneu ich 
rechtzeitig consultirt wurde, die Furunkel abortiv angehalten und 
fühle mich durch diese Erfolge berechtigt, meine Methode angelegent¬ 
lich zu empfehlen. 

Nach ähnlichen Principien bin ich bei Behandlung der all¬ 
gemeinen Furunkulose vorgegangeu. Vor Allem wurden die 
Furuukel sorgfältig auf die eben auseinandergesetzte Weise behan¬ 
delt und dadurch die weitere Autocontagion verhütet. Ausserdem 
aber beabsichtigte ich, die Entstehung neuer zu verhindern und ver¬ 
ordnte, um auf die ganze Hautoberfläche autibacteriell zu wirken, 
allgemeine Waschungen oder Bäder mit wässriger Borsäurelösung. 
Ich muss jedoch vor Allem sagen, dass mir, wie es in der Praxis 
eines Specialisten leicht begreiflich ist, nur sehr wenige Fälle der 
Art zur Behandlung gekommen sind, und dass selbst diese noch vor 
der Beendigung der Cur mir aus dem Gesichte entschwunden sind, 
bis auf einen, den ich ganz zu Ende führen konnte. Ich habe 
ihn (loc. cit.) veröffentlicht und will ihn hier nur kurz resü- 
mireu: 

Es handelte sich um ein sehr schwächliches Mädchen von 5 Jahren, 
Tochter einer kurz nach der Geburt der kleinen Patientin an Tuberculose 
verstorbenen Frau. Das Kind wurde mir am 7. Februar 1880 von einem 
Collegen aus Neauphle - le - Chateau bei Rambouillet zur Behandlung eines 
Ohrenleidens zugewiesen. Status präsens an diesem Tage: Auf beiden 
Seiten besteht foetider Ohrenfluss (selbstverständlich mit Trommelfellperfo¬ 


ration) und polypoule Wucherungen in beiden Paukenhöhlen. Ausserdem 
leidet das Kind seit langer Zeit an Furunkeln, die ununterbrochen an den 
verschiedensten Körperstellen auftreten. fm rechten Gehörgang zeigt sich 
ein solcher in flore und Spuren eines eben abgelaufenen im linken. Au 
verschiedenen Körperstellen sieht man Furunkel in den mannigfachsten 
Kntwickelungsstadieu nebst zahlreichen Narben von abgelaufenen herstam- 
inend. Allgemeinbefinden ziemlich gut; kein Fieber. Urin normal. Behand¬ 
lung der Furunkel mit Alkohol und Borsäure, ferner allgemeine Borsäure¬ 
bäder, stärkende Nahrung etc. In Folge davon sistirt die ganze AfTection, 
das Kind verrharrt in vollkommenem Wohlbefinden bis zur letzten Visite 
(3. März 1881) und soll auch nach späteren Berichten bis heute (1888) gesund 
geblieben sein. 

Neben dieser äusserlichen Behandlung der Furunkulose muss 
selbstverständlich ein etwa vorhandenes Allgemein lei den ent¬ 
sprechend behandelt werden. Dies bezieht sich besonders auf Dia¬ 
betes, bei dem bekanntlich Furunkulose eine so häufige Erscheinung 
ist. Bei diesem Leiden dürfte nicht nur die schlechte Ernährung der 
Haut, sondern, meine ich, in erster Reihe die veränderte Quantität 
und besonders Qualität der Hautsecretion die Hauptrolle spielen. 
Sie ist es, meiner Ansicht nach, die bei diesen Patienten die so 
reichliche Vervielfältigung der Furunkel durch Autocontagion he - 
günstigt, indem die aus einem ersten Furunkel ergossenen Coccen 
hier die besten Culturbedingungen vorfinden. Sehr zu wünschen 
wäre es, dass von competenter Seite eingehende chemische und 
mikroskopische Untersuchungen über das Hautsecret bei Diabetes 
(sowie bei Bromismus, der bekanntlich gleichfalls mit Furunkulose 
einhergeht), angestellt würden, um zu ermitteln, welche Modifica- 
tionen es sind, die in dieseu Krankheiten die Wucherung der pa¬ 
thogenen Coccen in den Hautfollikeln so auffallend begünstigen. 

B. Ohrfurunkel. 

In Bezug auf die Pathogenese der Ohrfurunkel, die specielle 
Localisation der Krankheit im Gehörorgan, sowie einige andere 
hierauf bezügliche Punkte verweise ich auf meine frühere Arbeit, 
wo dieselbe eingehende Würdigung gefunden haben. Ich gedenke 
hier nur die exceptiouelle Heftigkeit der Erscheinungen bei diesem 
Sitze der Furunkel hervorzuheben und dann auszuführen, wie meine 
Methode, der speciellen Oertlichkeit entsprechend modificirt, anzu¬ 
wenden ist, sowie, welche Resultate sie erzielt. 

Furunkel haben im äusseren Gehörgang eine ganz aussergewölm- 
liche Bedeutung, die sicher nicht nur von Specialisten, sondern auch 
wohl von allen praktischen Aerzten gewürdigt wird, wenn diese 
Affection auch in praxi oft mit Otitis media acuta zusammengeworfen 
wird (Siehe hierüber weiter unteu.) Entsteht nämlich ein Fu¬ 
runkel an irgend einer anderen Körperstelle, so kann er wohl durch 
ausserordentliche Grösse oder durch seinen Sitz (z. B. am Gesäss) 
sehr beschwerlich werden. Allein seine Schmerzhaftigkeit, wenn 
auch natürlich nach der Empfindlichkeit der verschiedenen Haut¬ 
stellen variirend, ist gewöhnlich nicht so bedeutend, dass heftigere 
allgemeine Störungen, wie z. B. Schlaflosigkeit, auftreten. Während 
noch in der Ohrmuschel Furunkel in dieser Beziehung denen an¬ 
derer Regionen sehr ähnlich verlaufen, ist es im äusseren Gehör¬ 
gange ganz anders. Hier haben wir es mit einem engen Canal zu 
thun, dessen Lumen durch die entzündliche Schwellung bald aus¬ 
gefüllt wird und wo somit weiterer Ausdehnung absolute Hindernisse 
entgegentreten. Ausserdem ist die Haut hier, besonders in der Pars 
ossea, straff an einer unnachgiebigen Unterlage befestigt, und so 
findet sich bald der Furunkel nach allen Richtungen hin eingekeilt. 
Da die Wandungen des Gehörgangs, besonders in seinem knöchernen 
Theile, ausserordentlich empfindlich sind, entstehen bei einiger- 
maassen tiefem Sitze der Furunkel die allerunerträglichsten Schmerzen, 
die oft Tage und Nächte lang jegliche Ruhe rauben. Fieber und 
selbst nächtliche Delirien können auftreten. Die Haut über dem 
Processus mastoideus schwillt oft so stark an, dassUngeübte irrthümlich 
eine Entzündung dieses Knochens diagnostieiren können. Selbst nach 
natürlicher oder künstlicher Eröffnung der Furunkel bleibt liier, im 
Gegensätze zu anderen Körperstellen, oft noch längere Zeit eine 
ausserordentliche Schmerzhaftigkeit zurück (im Widerspruch mit der 
Angabe von Dr. Barr: „Immediate relief follows the rupture of 
the boil.“ *) 

Mit dem Ende der Schmerzcnsperiode ist jedoch oft die Reihe 
der Uebelstände nicht abgeschlossen, selbst abgesehen von den Re- 
eidiven, von denen wir noch weiter unten handeln werden. Merk¬ 
würdigerweise heilt nämlich der Furunkel im Meatus aud. oft nicht 
so leicht und so schnell wie an anderen Körperstellen. Zuweilen 
findet der Arzt zu seiner grössten Ueberraschuug auf einmal an 
Stelle des Blutschwärs im Ohre eine Wucherung, eine Granu¬ 
lation, die an Form und Farbe eiuem Gehörgangspolypeu 
gleicht und sich wirklich zu einem solchen entwickeln kann. Dann 
muss derselbe mit der kalten Schlinge entfernt oder mit einem seit- 


‘) Barr, Diseases of the Ear, 1884, p. 190. 


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562 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


lieh brennenden Galvauocauter 1 ) zerstört werden etc., in der That 
eine Reihe unangeuehmer Ueberraschnngen für den Patienten, der 
die Schmerzen, die ihm der Furunkel bereitet hatte, noch in frischem 
Andenken hat! 

Auch ohne dass es zur Granulationsbildung kommt, ist jedoch 
protraliirte Eiterung nach einem Gehörgangsfurunkel keine so 
gar seltene Erscheinung. Seit dem Monat September 1887 bis heute 
(März 1888) habe ich hier in Paris eine ganz überraschende Anzahl 
von an Ohrfurunkeln leidenden Patienten zur Behandlung bekommen, 
eine wahrhaft epidemisch auftretende locale Krankheit, und unter 
diesen zeigte sich wieder bei einer ungewöhnlich grossen Verhält- 
nisszahl schleppender Verlauf und langwierige Eiterung mit oder 
ohne Granulationen. Einige Fälle widerstanden selbst dem Alkohol 
und dem Höllenstein und wichen nur dem Galvanocauter. In einem 
Falle verweigerte Patient die Anwendug dieses mächtigen Agens, 
und ich weiss nicht, wie der Fall zu Ende gegangen ist. Alle an¬ 
deren heilten, mehrere darunter jedoch erst nach langer und ener¬ 
gischer Behandlung. 

Vor einigen Jahren bekam ich aus der französischen Provinz 
einen jungen deutschen Kaufmann zugewiesen, bei dem sich vor 
längerer Zeit ein Gehörgangsfurunkel gebildet und spontan ge¬ 
öffnet hatte. Nachdem die Eiteruug längere Zeit gedauert hatte, 
sah ich den Patienten. Es fand sich bei ihm, nahe dem Eingänge 
des Ohrs, im Meatus ein platter und sehr resistenter Polyp. Die 
Haut des ganzen Ganges war eitrig infiltnrt und au 2 Stellen selbst 
unterrainirt. Sehr reichliche Eiterung. Gesundheit gut, aber 
schwächliches Aussehen. Nach einer langen Behandlung, bestehend 
in antiseptischem Ausspritzen, Einschnitten uud Galvanocaustik, sowie 
Einträufelung von Alkohol mit Borsäure, wurde endlich Heilung erzielt. 

Der Ohrfurunkel ist somit nicht immer ein unbedeutendes 
Leiden, sondern kann ziemlich unangenehme Folgen nach sich ziehen. 
Ein Grund mehr, die Abortivcur eifrig zu versuchen und in jedem 
Falle die Behandlung so lange fortzusetzen, bis die Eiterung sistirt 
und die Gefahr der Autocontagion gehoben ist. 

Ich möchte hier noch auf ein praktisch wichtiges Factum auf¬ 
merksam machen, das mir hier und da aufgestossen ist und auf 
welches selbst viele speciell otiatrische Lehrbücher keine Rücksicht 
nehmen, nämlich auf die Beziehungen der Extraction von 
Ceruminalpfröpfen zur Genese von Ohrfurnnkeln. Die 
Entfernung eines Ohrenschraalzpfropfes durch Ausspritzen ist selbst¬ 
verständlich, abgesehen von ihrem meist so frappanten Erfolge für 
das Gehör, eine ganz unbedeutende Operation. Hie und da stellt 
sich jedoch danach ein Ohrfuruukel ein mit seinem Gefolge von 
unerträglichen Schmerzen, ja mit Polypenbildung, Recidiven etc., 
und es bildet dieses Ereigniss eine der unangenehmsten Ueber- 
raschungen für den Patienten und den Arzt. 

Wie ist die Eutstehung dieser Furunkel aufzufassen, die auch 
bei Leuten auftreten, die nie früher solche im Ohre gehabt haben? 
Meiner Ansicht nach müssen wir aunehmen, dass sich in der nach 
und nach angehäuften Ceruminalmasse selbst oder unter deren 
schützender Decke pyogene Coccen abgelagert haben, die erst durch 
das Ausspritzeu zur Pullulation kommen. Dies kanu entweder so 
gedacht werden, dass die Mikroben durch den Flüssigkeitsstrahl in 
Follikel projicirt werden, oder das zutretende Wasser als solches die 
Bedingungen zur Vermehrung der Coccen vervollständigt. 

Dass das Leiden nicht etwa eine durch den Act des Ausspritzens 
selbst hervorgerufene Reizerscheinung ist, beweist das Ausbleiben der 
Furunkel bei sonstigem Ausspritzen z. B. wegen Otorrhoe, und ferner 
die von mir beobachtete Thatsache, dass Furunkel zuweilen in 
Fällen auftreten, wo nur einige wenige Einspritzungen gemacht 
worden waren, dagegen oft ausbleiben, wo lange, häufig und kräftig 
gespritzt worden war. 

In Anbetracht dieser immer möglichen Vorkommnisse halte ich 
es für angemessen, der Vorsicht halber jeden Ohrenschmalzpfropf, 
ehe man zum Ausspritzen schreitet, mit einer antiseptischen Lösung 
1—2 Tage lang erweichen zu lassen. Ich verordne dazu folgende 
Mischung: R. Acidi boracici 3 g 

Natri bicarbonici 1 g 
Glycerin, pur. ) 

A.juae destill. ) “ na 50 *• 

In einem Reagenzgläschen erwärmt einzuträufeln. 


0 Im Jahre 1881 (Union medicalc, 28. Juli) habe ich zuerst seitlich 
brennende (ialvanorauter für Nase und Rachen angegeben. Dieselben 
sind, besonders in Deutschland, vielfach nachgeahmt worden, ohne dass man 
den Erfinder genannt hätte. In der letzten Zeit habe ich sie derartig modi- 
ficirt, dass die brennende Platte sich nicht mehr auf einer Seite, sondern 
oben befindet, so dass der seitliche Effect einfach durch Drehen des In¬ 
struments nach rechts oder links erzielt wird und 1 Instrument für alle 
Fälle (Nase, Mandeln etc.) genügt. Dieser .Universalgalvanocauter“ 
fürNase, Rachen und Ohr (Meatus) findet sich beschrieben und abge¬ 
bildet in der 2. Auflage des Politzer’schen Lehrbuches der Ohrenheilkunde 
1887, p. 446. 


Seitdem ich jeden Ceruminal pfropf vor dem Ausspritzen 1 bis 
2 Tage auf diese Weise erweichen lasse, habe ich keinen Furunkel 
mehr nach der Extraction auftreten sehen. 

Recidive des Ohrfurunkels. 

In den meisten Fällen von Blutschwären im Ohre kommt cs 
zur Autoinfection, d. h. bald nach dem Aufhören der Schmerzen 
entsteht ein neuer Furunkel, dieselben leidensvollen Perioden wickeln 
sich ab, uud so geht es oft unglaublich lange Zeit weiter. Diese 
endlosen Serien von Ohrfurunkeln habe ich besonders beim weib¬ 
lichen Geschlecht beobachtet. Bekanntlich treten merkwür¬ 
digerweise bei manchen Personen vor oder gleichzeitig 
mit den Menses Furunkel im Ohre auf. Schon 1881 habe 
ich versucht, diese, wohl den meisten praktischen Aerzten bekannte, 
Thatsache zu deuten, die gerade nach uuserer Erkenntniss der parasi¬ 
tären Natur des Furunkels erst recht unbegreiflich erscheinen musste. 
Der Ideeengang meines Erklärungsversuchs war folgender: Aus der 
Luft stammende und im Meatus abgelagerte Coccen oder solche, die 
von schon abgelaufenen Gehörgangsfurunkeln herstammen, bleiben 
an den Wandungen dieses Canals oder selbst in Follikeln zurück, 
können aber, sei es in Folge siegreichen Widerstandes der Zellen 
in letzteren oder, wie ich zuerst angedeutet habe, der besonderen 
Beschaffenheit des Hautdriisenseerets nicht zur Vervielfachung 
gelangen. Nun begleiten aber Störungen im Allgemeinbefinden 
oder in einzelneu Organen die Menstrualperiode bei gewissen 
Personen, und es ist wohl anzunehmen, dass bei Einigen von diesen 
die Nutritions- resp. Secretionsverhältnisse, in specie im äussern Ge¬ 
hörgang, sich unter diesen Umständen derartig modificiren, dass die 
Coccen nun zu üppiger Vermehrung gelangen und Furunkel hervor- 
rufen können. 

Warum Ohrfurunkel so häufig sind und besonders beim weib¬ 
lichen Geschlecht so oft auftreten, habe ich loc. cit. zu erklären 
gesucht, und muss hier auf diese Arbeit verweisen. Ebendaselbst 
habe ich zuerst gezeigt, dass die ersten Ohrfurunkel meist im An- 
fangstheile des Meatus oder selbst in der Ohrmuschel sitzen, und 
gewöhnlich erst die folgenden tiefere Regionen dieses Canals befallen, 
eine Thatsache, die ich (loc. cit. p. 17) für die Deutung der Krank¬ 
heit als infectiöses Leideu verwerthet habe. 

Mikroorganismen in Ohrfurunkeln. 

In einer Reihe von Ohrfurunkeln habe ich Untersuchungen über 
die in denselben vorhandenen Bacterienarteu angestellt, und zwar 
nach folgender Methode: Der Meatus wurde ausgespritzt und dann 
10 Minuten lang mit einer lauen Subliraatlösung (V2000) angefüllt 
erhalten. Hierauf wurde der Furunkel mit einem vorher in der 
Flamme sterilisirten Messerchen eröffnet, ein Pröbchen Eiter auf Agar 
oder Peptongelatine eingeimpft und dann Plattenculturen gemacht. 

Folgendes war das Resultat dieser Culturen: Am häufig¬ 
sten zeigte sich Staphylococcus albus, der nur in einem Falle fehlte, 
daun, gleich häufig Staph. aureus und citreus. In einem einzigen 
Falle endlich waren alle 3 Traubeucoccen zugegen. 

Wie man sieht, weichen diese Ergebnisse ab von denen meines 
geehrten Freuudes Herrn Dr. Kirchner 1 ), der stets nur Staph. albus 
allein vorfand. 

Behandlnng der Ohrforunkel. 

Bei der Anwendung des von mir gegen Furunkel im Allge¬ 
meinen angegebenen Heilverfahrens gegen die im Ohr auftretenden 
gestalten sich die Verhältnisse, der speciellen Bildung des zu be¬ 
handelnden Organs gemäss, etwas abweichend. Einerseits nämlich 
macht es die blindsackartige Form des Gehörgangs leichter, die 
heilende Substanz mit dem Furunkel in Berühruug zu erhalten; 
andererseits erschwert sie die Eröffnung des Eiterherdes. 

Was den ersteren Punkt betrifft, so können wir im Meatus 
auditorius, der ja einen an einem Ende durch das Trommelfell ge- 
schlossenen Hohlgang bildet, das Heilmittel, was in anderen Re¬ 
gionen nicht thunlich ist, in Form eines Bades beliebig lange mit 
dem erkrankten Theile in Contact erhalten. Zu diesem Behufe 
lässt man den Patienten sich einfach so auf das gesunde Ohr legen, 
dass die Axe des kranken Meatus, von seiner Krümmung abgesehen, 
ungefähr senkrecht steht und sein durch das Trommelfell ge¬ 
schlossenes Ende sich zu uuterst befindet. Nun wird der Gehör¬ 
gang mit der alkoholischen Borsäurelösung erfüllt. Man wendet 
dieselbe kalt an oder erwärmt, z. B. indem man ein Reagenzglas 
mit einer kleinen Menge derselben erfüllt in der Hand halten lässt, 
und giesst sie tropfenweise oder in dünnem Strahle in den 
Meatus. 

Ich habe bei Behandlung der Furunkel mit alkoholischer Lö¬ 
sung anderer Antiseptica (z. B. Sublimat und Carbolsäure) ebenfalls 
gute Resultate erzielt, ziehe aber im Gehörgang, dessen Haut so 


') W. Kirchner, Zur Aetiologie des Ohrfurunkels, Monatsschrift f. 
Ohrenheilk. etc. No. 1, 1887. 


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12. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


563 


ausserordentlich reizbar ist, Borsäure allen anderen Substanzen vor, 
da sie allein ganz reizlos ist. 

Da die ersten Furunkel (s. oben) besonders häufig nahe dem 
Eingang des Ohres sitzen, ist es um so nothwendiger, die eben be¬ 
schriebene Lagerung einzuhalteu, als sie alleiu es ermöglicht, den 
Canal bis zum Rande erfüllt zu erhalten und so die hier befind¬ 
lichen Blutschwäre zu bespülen. 

Der Patient bleibt nun ruhig liegen, und die ganze Procedur 
wird möglichst lange fortgesetzt und so oft wiederholt, bis der Er¬ 
folg erzielt ist oder das Nichtgeliugeu der Abortivcur dadurch klar 
zu Tage tritt, dass die Entzündungserscheinungen stetig zu¬ 
nehmen. 

Das Coupiren des Furunkels macht sich dadurch kennt¬ 
lich, dass nicht nur die Entzünduugserscheinungen nicht mehr stetig 
zunehmen, wie sie es bei dem normalen Verlaufe thun, sondern 
auch die charakteristische Empfindlichkeit des Furunkels ver¬ 
schwindet. 1 ) 

Bei den Einträuflungen oder Ohrbädern ist noch ein 
praktisch nicht unwichtiger Punkt hervorzuheben, der selbst in den 
neusten otiatrischen Lehrbüchern nicht betont wird, und den ich, 
bei der Bedeutung dieser Manipulationen für die Behandlung der 
Krankheiten des Meatus und (bei perforirtem Trommelfell) auch der 
Paukenhöhle, hier behandeln will. Wie ich aus mündlichen Mit¬ 
theilungen weiss, findet man es oft schwierig, ja uumöglich, Flüssig¬ 
keiten in den Gehörgang so einzuträufeln, dass dieselben ihn nicht 
nur vollständig erfüllen, soudern auch beliebig lange darin bleiben, 
ohne auszulaufen. 

Was ersteren Punkt betrifft, so hat man nur beim Eingiessen 
langsam vorzugeben und den Strahl resp. die ausfliessenden Tropfen 
nicht, gegen die Oeffnung des Meatus, sondern in die Concha zu 
richten. Sonst bleiben allerdings oft Luftblasen im Lumen des¬ 
selben zurück, hiudern die vollständige Ausfüllung und sind zu¬ 
weilen selbst durch Ziehen an der Ohrmuschel nicht zu entfernen. 

Was das Auslaufen der Flüssigkeit augeht, so muss man beim 
Einträufeln sorgfältig vermeiden, dass das Niveau derselben über die 
Aussenfläche (resp. Oberfläche, in der Seitenlage) von Tragus und 
Antitragus steigt; tritt dies ein, so läuft allerdings die Flüssigkeit 
mehr oder weniger vollständig aus, und es wird so unmöglich, den 
Eingangstheil des Ganges dauernd zu bespülen. (Dabei scheint mir 
die überlaufende Flüssigkeitsmenge wie der längere Schenkel eines 
Hebers zu wirken). Man hat also einfach beim Einträufeln selbst 
das Ueberlaufen zu vermeiden und wird dann die Flüssigkeit ohne 
Schwierigkeit im Meatus erhalten können. 

So lange der Furunkel noch geschlossen ist, lasse ich ge¬ 
sättigte Lösung von Borsäure in absolutem Alkohol an¬ 
wenden; ist er spontan oder operativ eröffnet, übersättigte Lösung, 
wie ich sie seiner Zeit bei Otorrhoe vorgeschlagen habe (s. oben), 
z. B.: Alkohol absol. 100 g, äusserst feingepulverte Borsäure 20 g. 
Vor dem Gebrauche umzuschütteln. Beide Lösungen werden ohne 
jede Verdünnung angewendet, was das äussere Ohr ohne Weiteres 
verträgt. Die Anwendung der übersättigten Lösung bezweckt (wie 
bei eitrigem Ohrenfluss) die Ablagerung einer gewissen Menge von 
Borsäurepulver, die sich in dem stetig abgesonderten Eiter lösen und 
so continuirlich antibacteriell agiren soll. 

Wenn die hohlcylindrische Form des Meatus den eben be¬ 
sprochenen Theil der Therapie, nämlich die Anwendung des Arznei¬ 
mittels, sehr erleichtert, so erschwert sie andererseits sehr häufig 
einen andern, nämlich das Aufschneiden der Furunkel, indem 
bei einigermaasseu tiefem Sitze derselben die diffuse Schwellung des 
Canals es meist unmöglich macht, das Centrum des Uebels, d. h. 

*) Die charakteristische Empfindlichkeit und exceptionelIe 
Schmerzhaftigkeit der Ohrfurunkel empfehle ich Nicht-Spe- 
cialisten zur Diagnose des Ohrfurunkels zu verwerthen. 

In vielen Fällen dieses Leidens sieht man nämlich im Meatus aud. nur 
eine oft kaum bemerkbare, unbestimmt begrenzte Anschwellung, die keine 
abnorme Färbung zeigt und häutig nicht so charakteristisch zugespitzt ist, 
wie Furunkel sonst zu thun pflegen, ln solchen Fällen betrachte ich ein¬ 
mal die ausserordentlich spontane Schmerzhaftigkeit und Empfindlichkeit 
(z. B. bei Berührung mit einer Sonde) im Gegensatz zu der unbedeutenden 
Anschwellung als durchaus charakteristisch für Furunkel. (Uebrigens sind, 
meines Erachteus, umschriebene Entzündungen nicht traumatischen Ur¬ 
sprungs im Meatus so gut wie immer furuukulöser Natur.) 

Oft habe ich, wie oben angedeutet, Oollegen, denen die Untersuchung 
des Ohres nicht geläufig ist, in grosser Ungewissheit darüber gesehen, ob 
sie es im gegebenen Falle mit Ohrfuruukeln oder mit acuter Otitis 
media zu thun hatten. Zum Unterschiede von ersterem verwerthe man 
ausser den gewfdinlicheu Anteccdentien der Otitis media (wie Pharyngitis 
acuta oder Schnupfen) dio Abwesenheit der Schwellung im Meatus bei 
Mittelohrentzündung, sowie den plötzlichen Nachlass der Schmerzen bei der¬ 
selben coincidirend mit dem Durchbruch des Trommelfells, wogegen selbst 
bei spontanem Aufbruch des Furunkels die Schmerzen nicht so plötzlich und 
definitiv aufhören (s. oben S. 21). Ich betone ganz besonders die Wichtig¬ 
keit dieser Differeutialdiagnose, da die Therapie in beiden Krankheiten eiue 
absolut verschiedene sein muss. 


den inficirten Follikel zu erkennen und den Schnitt so zu führen, 
dass derselbe getroffen wird, was ich als wesentlich ansehe. Es 
ist dies um so schwieriger, als man hier in einem engen und ge¬ 
wundenen, röhrenförmigen Hohlgebilde zu operiren hat und dasselbe 
überdies perspectivisch verkürzt und — bei tiefem Sitze — nur 
monoeular sieht. Längere Erfahrung veranlasst mich, hieran den 
Rath zu knüpfen, mit diesen Einschnitten uur dann vorzugehen, 
wenn mau das Centrum des Furunkels erkennen und erreichen kann, 
und wenu die Suppuration so weit vorgeschritten ist, dass man sicher 
ist, Eiter zu entleeren. Sonst bringt oft der Einschnitt keinen zu 
Tage uüd führt nur vorübergehende oder gar keiue Linderung her¬ 
bei, so dass der Patient durch den unnützen, höchst schmerzhaften 
Eingriff, der neue Qualen den schon existirenden zufügt, höchst ver¬ 
stimmt wird. Oft muss man sogar eine gut gelungene Ineision 
wiederholen, weil die Wuudränder nur einfach verklebten, und derEiter 
von Neuem eingeschlossen war; also: uur dann zur Incisiou schreiten, 
wenn man sicher ist, das Centrum des Furunkels zu erreicheu und 
Eiter zu entleeren! 

Hie und da gelingt es, durch Ohrbäder vou Cocai'nlösu ngen 
die Schmerzen erheblich zu lindern. Wie dieselben bei noch un¬ 
versehrter Epidermis zu wirken vermögen, ist allerdings noch nicht 
abzuseheu, man müsste denn, wie ich es oben angedeutet habe, au- 
nehmen, die Flüssigkeit driuge durch den Follikelgang ein. Wie 
dem auch sei, ich habe durch laug dauernde Anwendung, z. B. 
einer Lösung von 2 g Cocain muriat. in 20 g absoluten Alkohols, oft 
gute Erfolge erreicht. 

Besultate der Behandlung der Ohrfnrnnkel. 

In sehr vielen Fällen gelingt es, durch diese Ohrbäder von 
alkoholischer Borsäurelösung die Furunkel abortiv zu coupiren, in 
amleren jedoch nicht. Es ist mir zur Zeit nicht möglich, anzugeben, 
wodurch diese Verschiedenheit in den Resultaten bediugt ist. Viel¬ 
leicht war in den glücklich verlaufenden Fällen der Eingang des 
erkrankten Follikels noch nicht absolut durch Schwellung verlegt, 
so dass die Lösung eindringen und ihre volle Wirkung eutfalten 
konnte. Wie dem auch sei, diese Behandlungsweise sollte in allen 
Fällen versucht w r erden, um so mehr, als sie absolut schmerzlos ist, 
im Falle des Gelingens dem Patienten eine lauge Periode furcht¬ 
barer Leiden erspart, und, wie wir gleich sehen werden, stets aus¬ 
gezeichnete Nachwirkungen hat. Ausserdem verlaufen oft bei dieser 
Behandlung die Furunkel, wenu es selbst nicht gelingt, sie zu cou¬ 
piren, oft milder und rascher, als es sonst der Fall zu sein 
pflegt. • 

In Bezug auf die eben angedeuteten Nachwirkungen muss 
ich hervorheben, dass man mit diesem Heilverfahren stets ein 
Hauptresultat erzielt, nämlich das Aufhören der Autoconta- 
gion, d. h. der fortlaufenden Recidivirung der Ohr¬ 
furunkel. Diese an allen Körperstellen bekanntlich so häufigen 
Rückfälle sind im Ohre so gut wie die Regel und verbittern den 
Patienten oft das Leben unglaublich lange. Diesen Recidiven vor¬ 
zubeugen, ist hier um so wichtiger, als, wie oben gezeigt, Furunkel 
im Ohre mehr und mehr in der Tiefe aufzutreten uud folglich immer 
schmerzhafter zu sein pflegen. 

Was die Behandlung der zu bestimmten Epochen bei 
gewissen Personen auftretenden recidivirenden Form 
betrifft, so gehe ich folgendermaassen vor: Schon existirende Ohr¬ 
furunkel werden, wie oben, behandelt und die Cur noch wenigstens 
14 Tage nach dem Erlöschen derselben fortgesetzt, um sicher etwa 
vorhandene Coccen uuschädlich zu machen, eiu Punkt, den ich bei 
Behandlung der Ohifurunkel überhaupt für sehr wichtig halte. 
Ausserdem werden aber gegen die Zeiten hin, wo sich Furunkel 
zu zeigen pflegen, nämlich vor den Menses, derartige. Einträuf¬ 
lungen regelmässig vorgenommen, um etwaigen Schüben vorzu¬ 
beugen. 

Auf ähnliche prophylaktische Weise lasse ich auch beim 
Herannahen von Frühling und Herbst in den so häufigen Fällen 
vorgehen, wo Ohrfurunkel bei gewissen Personen um diese Jahres¬ 
zeiten aufzutreten pflegen, die ja überhaupt oft einen gewissen Ge¬ 
nius epidemicus furunculosus zeigen. 

In vielen Fällen habe ich durch diese prophylaktischen Maass¬ 
regeln dem Auftreten der Furunkel, die sonst zu diesen Zeiten 
(Menstruen oder Jahreszeiten) mit Sicherheit bei gewissen Patienten 
ausbrachen, vorgebeugt und kanu daher dieses Verfahren bestens 
empfehlen. 

Es ist praktisch wichtig, wenn man den Patienten die Selbst- 
behandluug mit übersättigter Borsäurelösung überlässt, sie 
anzuweisen, von Zeit zu Zeit das so behandelte Ohr mit lauer 
wässriger Borsäurelösung auszuspritzen. Diese Maassregel bezweckt 
nämlich, Verstopfung des Meatus durch angehäuftes Pulver der 
Säure und dadurch verursachte Schwerhörigkeit zu verhüten. 


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564 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


III. Perforation des Processus vermiformis 
durch einen Kotlistein. 

Von Dr. Hildebrandt, 

(lirig. Arzt des Knappschaftskrankcnhauses in Ilettstädt. 

In seiner Arbeit über die Krankheiten des Processus vermifor¬ 
mis. des Coecum und ihre Behandlung etc. 1 ) sagt H. Kraus¬ 
sold: „Wirkliche Kothsteine, die nach Anderen die häufigste Ur¬ 
sache der Perforation des Processus vermiformis sein sollen, habe 
ich weder beobachtet, noch bei Sectionen gefunden. Immerhin 
auch ein Beweis, dass diese Ursache entweder nicht die häufigste 
ist, oder dass Andere einfache scvbnlöse Massen für Kothsteine an- 
gesehen haben, während diese sich durch ihren schaaligen Bau so¬ 
fort von jenen unterscheiden lassen. Sie sind in der That nicht so 
häufig, nur sehr vereinzelt findet man in der Literatur darauf be¬ 
zügliche Angaben. Gerhardt 2 ) fand ein Concrement um zwei 
Barthaare gebildet, Eich hörst 3 ) sah dasselbe bei einem 52jährigen 
Manne, Gerlach 4 ) fand eine Schweinsborste, wahrscheinlich von 
einer Zahnbürste während des Gebrauches ausgefallen, im Centrum , 
eines Kothsteines. Den kostbarsten Koprolithen aus dem Processus I 
vermiformis besass Hyrtl. 3 ) Er gehörte einer Dame, welche von 
ihm durch eine Carlsbader Cur befreit wurde. Der behandelnde 
Arzt, Dr. Pöschmann schenkte ihm denselben, nicht ahnend, was 
derselbe enthielt. Dieser Inhalt war ein Goldklümpchen, offenbar 
von einem plombirten Zahn. Ich gestehe, dass mir nicht klar ge¬ 
worden ist, wie der grosse Anatom diesem Koprolithen die Herkunft . 
aus dem Processus vermiformis hat ansehen können. Denn was 
der Processus vermiformis einmal verschluckt hat (s. v. v.), giebt 
er so leicht nicht wieder per ostium heraus, am allerwenigsten aber ! 
einen Kothsteiu. Deun die Bildung eines solchen setzt voraus, dass 
die Klappe am Eingang so entwickelt ist, dass sie eine Kothreten- 
tion erst ermöglicht. Wie nun ciue Carlsbader Cur einen Stein an 
dieser Klappe vorbei herausbefördern soll, dürfte selbst einer kühnen 
medicinischen Phantasie eine schwer lösbare Aufgabe sein. So hat 
denn auch der Kothsteiu, den ich vor einiger Zeit aus dem Unter¬ 
leib einer Frau durch Schnitt entfernte, nicht den Weg durch den 
Eingang zurückgenommeu. sondern hat den anomal gelagerten Pro¬ 
cessus vermiformis an seinem Fundus durchbohrt und wurde in dem 
Abscess, den er verursacht hatte, gefunden. Eine retrocöcale Per¬ 
foration anzunehmen, wie sie Stromeyer 6 ) für manche Fälle be¬ 
tont, bei denen der Processus vermiformis an seinem Ende brandig 
oder theilweisc abgelöst in Exsudatmassen eingehüllt gefunden wird, 
war ausgeschlossen, weil bei der abnormen Lage desselben eine 
Kothsteinbildung sehr erklärlich war und die Form des Steines dem 
Processus vermiformis entsprach. Der letztere lag in einer unge¬ 
fähren Länge von 7—10 cm an der hinteren Seite des Coecum und 
Colon aseendens, mit demselben durch schwielige Massen fest ver¬ 
wachsen. Da wo das Ende des Processus vermiformis sich befand, 
war eine unregelmässige Oeffnung. aus w'elcher der Kothstein her¬ 
vorragte. 

Die Patientin, eine 28jährigo Bergmannsfrau aus Burgörner, hat vier 
regelmässige Wochenbetten durchgemacht, ist im Uebrigen stets gesund ge¬ 
wesen, namentlich hat sie irgend welche Unterleibsbeschwerden nie gehabt. 
Am 21. December 1887 begann ihre Krankheit mit einem starken Schüttel¬ 
frost, Erbrechen, Fieber und stechenden Schmerzen in der lleoeücalgegend. 
Die Diagnose war klar, die Therapie — Eis und Opiate — ohne Erfolg. 
Daher machte ich am 27. December eine Ineision auf der Höhe der in der 
Regio ileocöcalis entstandenen, deutlich flucluirenden, sehr schmerzhaften 
Geschwulst. Eine beträchtliche Menge sehr übelriechenden Eiters, abge¬ 
storbenes Bindegewebe, sowie einige Pflanzentheile wurden entleert, die 
Höhle, die ich nicht nach allen Richtungen abzutasten vermochte, 
oborhalb der Crista iloi hart am Quadratus lumborum noch einmal 
incidirt, drainirt und vorsichtig ausgespült. Bei fortgesetzten antiseptischen 
Aiospülungon verlor sich der Kothgeruch vollständig, aber die Wunden 
schlossen sich nach Entfernung der Drains nicht, zeigten vielmehr die grösste 
Achnlichkeit mit tuberculöscn Fisteln. Wohl ging die Frau umher, besorgte 
ihre kleine Wirth>chaft, behielt aber ihre zuletzt ziemlich stark secernirenden 
Fisteln. Es blieb mir daher Nichts übrig, als noch einmal in der Narkose 
in die Höhle einzugehen und zu untersuchen, weshalb sie sich nicht schloss, 
wie es doch so manche andere gethan, die ich an dieser Stelle geöffnet 
hatte. Ich fand zunächst bei genauem Abtasten das Coecum von der Fossa 
iliaca durch schlaffe massenhafte Granulationen abgehoben verdickt, und an 
seiner hinteren Seite den Processus vermiformis fest an demselben anhaftend. 
Am Ende desselben fühlte ich einen harten Gegenstand, den ich durch 
Streichen und Drücken in die Höhle eintreten licss und leicht entfernte. 
Der Ehemann der Frau rief, als er den Kothstein erblickte, sehr erfreut aus: 
»Das ist eine schlechte Bohne!* ln der That war die Farbe die einer nicht 
gebrannten Kaffeebohne, die Gestalt walzenförmig mit verjüngten Enden, die 

’) Sammlung klinischer Vorträge No. 191. 

3 ) Hirsch’s Jahrbücher 1866, II., p. 136. 

3 ) Eulenburg, Encyklopädio XIV’., p. 148. 

*) llyrtl, topographische Anatomie 1871, Bd- I, p. 746. 

5 ) I hidem. 

6 ) Maximen der Kriegsheilkunst 1861, p. 75. 


Consistonz aussen teigig, im Innern hart. Der Bau war deutlich schaalig. 
Im Innern waren vier Haare, welche jedenfalls in Folge der Gewohnheit der 
Frau, beim Flechten der Zöpfe ein Ende gelegentlich in den Mund zu 
nehmen, verschluckt worden waren. Die Längo des Steines betrug 2,5 cm, 
die grösste Dicke 0,5 cm. 

I Die Lage des Processus vermiformis entsprach etwa der von Fig. 1 in 
: der K raus so 1 d’schen Arbeit, lag aber nicht längs der äusseren Wand des 
! Coecum resp. Colou aseendens, sondern an der hinteren. Golangte Koth in 
i diesen, so musste er, um deu Weg wieder heraus zu finden, gewissermaassen 
I um die Ecke herum, traf aber auf die vielleicht besonders grosse Klappo 
und wurde zurückgehalten. Durch Resorption des flüssigen Inhalts bildete 
sich ein die Haare umschliessender Kothpfropf, um welchen sich Kalk 
präcipitirte. Durch die Perforation des Steines kam es zur Abcessbildung 
nach vorangegangener adhäsiver Peritonitis, welche, ohne Beschwerden zu 
machen, verlief und eine Abkapselung des Eiters ermöglichte. Heilung ist 
vollständig eingetreten. 

IV. Ueber Lungentuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 27.) 

Ob das in den Körper eines Menschen eingedrungene Krank¬ 
heitsgift bei demselben haftet und eine Infection bewirkt, hängt 
zum grossen Theil ab von der Disposition des Einzelnen. Worin 
diese Disposition bestehe und wie sie wirke, lässt sich zwar noch 
nicht für alle Fälle in exacter Weise darlegen; aber wir können 
wenigstens eine Reihe von Umständen namhaft machen, welche er- 
fahrungsgemäss diese Disposition steigern oder vermindern, und bei 
manchen dieser Umstände ist auch ein gewisses Verständniss ihrer 
Wirkungsweise möglich. Alle Umstände, welche die Gewebe des 
Körpers weniger widerstandsfähig machen, haben die Folge, dass 
sie auch für den Tuberkelbacillus leichter angreifbar werden. Des¬ 
halb ist die Disposition zur Erkrankung grösser bei ungünstigem 
Zustande der Gesaminteruähruug, namentlich bei Anämie und 
Marasmus. Kranke mit Diabetes erliegen zum grossen Theil der 
Lungentuberculose, und auch bet Kranken mit chronischem Magen¬ 
geschwür kommt sie häufig vor. In der Reconvalescenz von 
schweren Krankheiten, wenn die Gewebe in Folge mangelhafter 
Ernährung und länger dauernden Fiebers weniger widerstandsfähig 
geworden sind, kommt tuberculöse Infection leicht zu Stande. Bei 
scrophulöseu Individuen entwickelt sich leicht Lungentuberculose: 
bei vielen Fällen von Scrophulose ist der Keim der Tuberculöse 
bereits im Körper vorhanden, bei anderen findet er in den scro- 
phulösen Entzündungen der Haut und der Schleimhäute zahlreiche 
Eingangspforten, und bei den übrigen endlich ist die vorhandene 
grössere Vulnerabilität der Gewebe und Organe ein Umstand, 
welcher die Ansiedelung des Krankheitsgiftes erleichtert (vgl. Vor¬ 
lesungen, Bd. III, p. 119). Leute, welche in früherer Jugend an 
auffallend häufigem Nasenbluten gelitten haben, erkranken später 
häufig an Lungentuberculose. Bei Individuen, welche an einer an¬ 
geborenen oder erworbenen Verengerung der Lungenarterie leiden, 
kommt Lungentuberculose sehr leicht zu Stande; und auch in diesen 
Fällen wird man wohl an eine von dem verminderten Blutzufluss 
abhängige geringere Widerstandsfähigkeit des Lungengewebcs zu 
denken haben. Die Disposition zu Tuberculöse ist endlich in vielen 
Fällen ererbt, und es kann diese Vererbung der Disposition eben¬ 
falls in der Weise gedeutet werden, dass es sich um eine Vererbung 
einer eigentümlichen Schwäche der Gewebe handle, vermöge deren 
dieselben gegen die Einwirkung des gelegentlich aufgenommenen 
Krankheitsgiftes weniger widerstandsfähig sind. In anderen Fällen 
aber handelt es sich, wie bereits dargelegt wurde, augenscheinlich 
um eine direkte Uebertragung des Krankheitskeimes von den Eltern 
auf die Kinder. 

Während die meisten anderweitigen Krankheiten die Disposition 
zu Lungentuberculose steigern, giebt es merkwürdigerweise einige 
Krankheiten, welche die Disposition zu Tuberculöse vermindern. 
Hierher gehören, wie schon Rokitansky (1846) hervorhob, alle 
Krankheiten, welche mit venöser Blutbeschaffenheit verbunden sind, 
so namentlich Emphysem und Herzkrankheiten, ferner Verkrümmun¬ 
gen der Wirbelsäule und des Thorax, durch welche der Raum iiu 
Thorax beschränkt wird. Es ist zwar häufig der Satz, dass hei 
diesen Krankheiten Lungentuberculose seltener vorkomme, bestritten 
worden, indem man einzelne Fälle anführte, bei denen ein Vor¬ 
kommen von Tuberculöse neben jenen Krankheiten beobachtet wurde. 
Aber solche einzelne Fälle haben keine Bedeutung, denn es ist ja 
niemals die Behauptung aufgestellt worden, dass eine solche Combi- 
nation gar nicht vorkomme, sondern nur, dass bei jenen Zuständen 
die Lungentuberculose seltener sei als bei anderen Meuscheu. Und 
in diesem Sinne wird die Richtigkeit des Satzes durch die Erfah¬ 
rung vollständig bestätigt. Nur siud einige Einschränkungen zu 
machen. Der Satz gilt nicht für diejenigen Herzkrankheiten, bei 
welchen der Zufluss des Blutes in die Lungen behindert ist, also 
bei Verengerungen der Pulmoualarterie; bei solchen ist, wie bereits 


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12. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


565 


angeführt wurde, Lungentuberculose im Gegentheil häufig. Bei 
Aortenaneurysma haben manche Beobachter die Lungentuberculose 
für selten, andere für häufig erklärt; die Meinungsverschiedenheit 
scheint sich dadurch aufzulösen, dass im Allgemeinen bei Aorten¬ 
aneurysma Luugen tuberculose selten ist, dass sie aber häufig vor¬ 
kommt bei denjenigen Fällen, in welchen das Aneurysma eine be¬ 
trächtliche Compression der Lungeuarterie oder ihrer grösseren 
Aeste bewirkt. In Betreff des Emphysems gilt der Satz von der 
Seltenheit der Lungentuberculose nur für das eigentliche substantive 
Emphysem, nicht dagegen für das vicariirende Emphysem, welches 
eine häufige Folge von chronischen Pneumonieeu ohne oder mit 
Tuberculose ist. 

Die Lungenschwindsucht ist vorzugsweise eine Krankheit des 
jugendlichen und mittleren Lebensalters; sie tritt am häufigsten auf 
zwischen dem 15. und 35. Lebensjahre. 

Eine neuerlichst erschienene statistische Zusammenstellung 
von A. Würzburg (Ueber den Einfluss des Alters und Ge¬ 
schlechtes auf die Sterblichkeit an Luugenschwindsucht. Mitthei¬ 
lungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte. Bd. II. Berlin 
1884. p. 89) könnte zu zeigen scheinen, dass die Lungenschwind¬ 
sucht nicht im jugendlichen und mittleren Lebensalter am häufigsten 
vorkomme, sondern im höheren Lebensalter, dass sie z. B. im Alter 
von 60 bis 70 Jahren fast dreimal so häufig sei als im Alter von 
20 bis 30 Jahren. Es ist dieses Resultat von Aerzten uud Laien 
mit allgemeinem Erstaunen aufgenommen worden, aber man hat 
meist nicht gewagt, sich gegen die Autorität der grossen Zahlen 
aufzulehnen, sondern lieber angenommen, dass man sich bisher im 
Irrthum befunden habe. Auch kommt es ja sehr häufig vor, dass, 
wenn man wirklich mit Zahlen rechnet, das Ergebniss etwas anders 
ausfällt, als man nach oberflächlicher Abschätzung erwartet hatte. 
Gewöhnlich aber handelt es sich dabei doch nur um mässige Ver¬ 
schiebungen; dass das Resultat vollständig umgekehrt werden könnte, 
muss für geradezu unmöglich erklärt werden bei einer Frage, über 
welche die alltägliche Erfahrung jederzeit ein annäherndes Urtheil 
zu gewinnen erlaubt. Es erscheint deshalb geboten, jene Statistik 
etwas genauer anzusehen. Bei derselben wird berechnet, wie viele 
von 10 000 in einer bestimmten Altersclasse Lebenden während 
eines Jahres an „Tuberculose“ gestorben sind. Und dabei zeigt sich, 
dass, während diese Zahl im fünfjährigen Durchschnitt z. B. für das 
Alter von 20 bis 30 Jahren 30 bis 37 beträgt, sie für das Alter 
von 60 bis 70 Jahren auf 93 steigt. Aber dieses Ergebniss giebt 
augenscheinlich keine Antwort auf die Frage, in welchem Lebens¬ 
alter die Lungenschwindsucht thatsächlieh am häufigsten vorkomme. 
Auch verhalten sich die absoluten Zahlen wesentlich anders. Nach 
dem amtlichen Quellenwerk (Preussische Statistik) sind in den Jahren 
von 1875 bis 1880 an „Tuberculose“ 84 492 Personen im Alter von 
20 bis 30 Jahren und nur 70 406 im Alter von 69 bis 70 Jahren 
gestorben. Die Verschiedenheit des Resultats erklärt sich einfach 
daraus, dass in Preussen die Zahl der im Alter von 20 bis 30 Jahren 
Lebenden mehr als 3 mal so gross ist als die Zahl der im Alter 
von 60 bis 70 Jahren Lebeuden. Beide Berechnungsweisen haben 
natürlich an sich die gleiche Berechtigung; für den einen Zweck 
hat die eine, für den anderen die andere den Vorzug. Wenn man 
aber einfach wissen will, in welchem Lebensalter die Zahl der 
Schwindsüchtigen am grössten ist, so können natürlich nur die ab¬ 
soluten Zahlen in Betracht kommen. — Ferner, wenn wir fragen, 
in welchem Lebensalter die Lungenschwindsucht am häufigsten auf¬ 
trete oder vorkomme, so fragen wir nicht, in welchem Lebensalter 
die Menschen am häufigsten daran sterben, sondern in welchem 
Alter sie am häufigsten daran erkranken oder daran leideu. Es ist dies 
ein bedeutender Unterschied, denn bei einer grossen Zahl der Kranken 
liegt zwischen dem Beginn der Krankheit und dem tödtlichen Ende 
derselben ein langer Zeitraum. Auf die Frage, in welchem Lebens¬ 
alter die Krankheit am häufigsten beginne oder vorkomme, kann 
freilich die Mortalitätsstatistik keine Antwort geben, und so möge 
es genügen, darauf hinzuweisen, dass, wenn diese Frage statistisch 
beantwortet werden könnte, ein wesentlicher Unterschied von der 
Mortalitätsstatistik sich ergeben würde, indem die früheren Lebens¬ 
alter sich als beträchtlich mehr belastet herausstellen würden. — 
Endlich aber, und dies ist vielleicht der wichtigste Punkt, bezieht 
sich die amtliche Statistik gar nicht auf die Lungenschwindsucht, 
sondern auf die „Tuberculose“. Nun ist zwar in der Einleitung 
zur Mortalitätsstatistik des Jahres 1875 (Preussische Statistik XLI1I.) 
ausdrücklich gesagt, dass die „Tuberculose“ „hier nicht als Miliar- 
tuberculose verzeichnet sondern für identisch mit der Schwindsucht, 
Phthisis, zu halten“ sei. Aber es wird mit keinem Worte behauptet, 
dass nur die Lungenschwindsucht gemeint sei, Es werden z. B. die 
auf Säuglinge sich beziehenden Angaben ausdrücklich „ganz beson¬ 
ders mit Atrophie (Abzehrung)“ gedeutet. So lange daher die Be¬ 
schaffenheit dieses Materials nicht näher bekannt ist, erscheint es 
zweifelhaft, ob man berechtigt sei, dasselbe als eine Statistik der 
Lungenschwindsucht anzusehen. 


Wir dürfen demnach die Lungenschwindsucht, wie es ja auch 
für den Arzt und den Laien der Augenschein lehrt, nach wie vor 
für eine Krankheit erklären, welche vorzugsweise im jugendlichen 
und mittleren Lebensalter auftritt. Immerhin ist hinzuzufügen, dass 
sie auch im höheren Lebensalter noch häufig verkommt und viel¬ 
leicht häufiger, als man dies in früheren Zeiten vielfach ange¬ 
nommen hat. 

Die älteren Aerzte haben vorzugsweise solchen Individuen eine 
Anlage zur Lungenschwindsucht zugeschrieben, welche einen so¬ 
genannten Habitus phthisicus hatten. Dieser Habitus besteht im 
wesentlichen darin, dass der ganze Körper und besonders auch der 
Thorax lang und schmal ist, auch der Hals lang und dünn erscheint 
und im ganzen ein hoher Grad von Magerkeit besteht. Dabei sind 
namentlich auch die Inspirationsmuskeln wenig entwickelt, und 
dieser Umstand ist hauptsächlich betheiligt bei der Entstehung der 
eigentliümlichen sogenannten paralytischen Thoraxform, die man 
auch als eine permanent exspiratorische Stellung bezeichnen kann. 
Häufig sind dabei in Folge von Atrophie des Serratus magnus die 
Schulterblätter flügelförraig abstehend. Der Thorax hat einen 
geringen Tiefendurchmesser, ist flach, der Winkel zwischen Ma- 
nubrium und Corpus sterni ist stark ausgebildet (Angulus Ludovici), 
die Intercostalräume sind breit und flach, die Gruben über und 
unter dem Schlüsselbein und ebenso die Fossae supraspinatae und 
infraspinatae sind wegen Atrophie der Muskulatur tiefer als normal, 
der Thorax hebt sich bei der Inspiration namentlich in seinen 
oberen Theilen nur wenig. — Die Frage, wie der Habitus phthisicus 
mit der Tuberculose Zusammenhänge, ist dahin zu beantworten, 
dass in zahlreichen Fällen dieser Habitus erst in Folge der bereits 
vorhandenen Lungentuberculose zu Stande kommt, während in an¬ 
deren Fällen, in welchen noch keine Tuberculose besteht, der 
Habitus nur insofern auf die Möglichkeit zukünftiger Tuberculose 
hindeutet, als solche überhaupt bei mageren und anämischen 
Menschen mit wenig kräftigen Inspirationsmuskeln leichter auftritt. 

Unter den Umständen, welche die Eutstehung der Tuberculose 
begünstigen können, ist zunächst die chronische Pneumonie und 
Alles, was chronische Pneumonie hervorrufen kann, anzuführen. In 
einem gesunden Respirationsapparat pflegt das Gift der Tuberculose, 
auch wenn es eingeathmet wird, nicht zu haften und keine Infec- 
tion zu bewirken. Wo dagegen eine der Formen der chronischen 
Pneumonie vorhanden ist, die mit Infiltration des Lungengewebes 
einhergehen (die interstitielle Pneumonie kommt hier weniger in 
Betracht), da findet der Tuberkelbacillus eine geeignete Ansiede¬ 
lungsstätte. Und so erklärt es sich, dass sehr viele chronische 
Pueumonieen, auch wenn sie ursprünglich nicht mit Tuberculose 
Zusammenhängen, doch später in Tuberculose übergehen; denn das 
Gift der Tuberculose ist so verbreitet, dass die meisten Menschen 
von Zeit zu Zeit Gelegenheit haben dasselbe einzuathmen. Es ist 
demnach das Verhältniss der chronischen Pneumonie zur Tuber¬ 
culose ein doppeltes: Die Tuberculose bewirkt, wo sie in der 
Lunge vorhanden ist, chronisch-pneumonische Infiltrationen; es kann 
aber auch eine chrouische Pneumonie durch mancherlei andere 
Ursachen entstehen, und dann ist grosse Gefahr vorhanden, dass 
in den pneumonisch infiltrirten Lungenbezirken das Gift der Tuber¬ 
culose, wenn es schon im Körper vorhanden ist, oder wenn es 
zufällig von aussen in die Lunge gelangt, sich festsetze und weiter 
verbreite. 

Es wurde bereits bei der Besprechung der Ausgänge der acuten fibri¬ 
nösen Pneumonie darauf hingewiesen, wie im allgemeinen die pathologischen 
Anatomen sich gegen die Auffassung gewehrt haben, als könne eine ursprüng¬ 
lich einfache Pneumonie später in Tuberculose übergehen. Es beruhte 
dieses Widerstreben offenbar zum grossen Theil auf der mehr oder weniger 
deutlichen Vorstellung, dass die Tuberculose etwas besonderes, specifisches 
sei. Wer die Tuberculose nur als eine Form der Entzündung ansah, für 
den hätte die Annahfhe eines Ueberganges der einen Form der Entzündung 
in eine andere vielleicht keine wesentlichen Schwierigkeiten gehabt. Wer 
aber den Tuberkel als eine besondere Art der Neubildung auffasste oder 
wenigstens bei der Tuberculose eine specifische Ursache voraussetzte, konnte 
einen solchen Uebergang der Pneumonie in Tuberculose nicht für möglich 
halten. Unter diesen Umständen war es für den pathologischen Anatomen, 
der ja nur das Ende der Processe zu Gesicht bekam, die einfachste Vor¬ 
aussetzung, wenn er annahm, eine solche Pneumonie, aus der schliesslich 
eine Tuberculose hervorging, sei schon bei ihrer ersten Entstehung keine 
gewöhnliche Pneumonie gewesen, sondern eine besondere Form, die von 
allem Anfang an schon zur Tuberculose gehörte, und die man als Desqua¬ 
mativpneumonie bezeichnete. So sehr aber auch diese Auffassung für den 
Standpunkt des pathologischen Anatomen befriedigend sein konnte, so 
wenig war sie mit der klinischen Erfahrung in Uebereinstimmung. Vielleicht 
ist die oben ausgeführte Annahme, dass gewisse Formen der chronischen 
Pneumonie die Ansiedelung der Mikrobien der Tuberculose erleichtern, 
geeignet, die Ergebnisse der klinischen Beobachtung mit denen der patho¬ 
logisch-anatomischen Forschung in Einklang zu bringen. 

Von diesem Standpunkte aus wird auch eine Uebereicht ge¬ 
wonnen über die anderweitigen Gelegenheitsursachen und deren Ver¬ 
hältniss zur Lungenphthisis. Von je her hat man häufig die Beob- 


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566 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


achtung gemacht, dass aus einem Bronchialkatarrh, wenn er lange 
Zeit fortbesteht, Lungenschwindsucht sich entwickeln kann. Die¬ 
jenigen Aerzte, welche die Phthisis als entzündlichen Process auf¬ 
fassten, fanden es verständlich, dass aus der katarrhalischen Form 
der Entzündung die tuberculöse Form sich entwickeln könne. Die¬ 
jenigen aber, welche die Tuberculöse als das Product einer Neu¬ 
bildung oder als eine von einem specifischen Krankheitsgifte abhän¬ 
gige Krankheit ansahen, konnten damit sich nicht einverstanden 
erklären; sie leugneten einfach allen Zusammenhang zwischen 
Katarrh und Phthisis: wenn einmal ein Katarrh in Phthisis über¬ 
gehe, so sei dies von Anfang an kein einfacher Katarrh gewesen, 
sondern schon die Folge einer im Uebrigen noch latenten Tubercu- 
lose. Und dementsprechend leugnete man auch, dass jemals eine 
Erkältung für die Entstehung der Lungenschwindsucht von irgend 
einem Einfluss sein könne. Der kalte Trunk bei erhitztem Körper 
oder anderweitige Erkältungen, welche nach der populären An¬ 
schauung zuweilen den Anlass zur Entwickelung der Schwindsucht 
geben sollten, wurden einfach zum Aberglauben einer ungebildeten 
Zeit gerechnet. Indem man sich so in Widerspruch mit der alltäg¬ 
lichen Erfahrung setzte, kam man vielfach dahin, auch alle prophy¬ 
laktischen Vorsichtsmaassregeln zu verwerfen und in fatalistischer 
Weise anzunehraen, wem die Lungenschwindsucht einmal bestimmt 
sei, der könne ihr doch nicht entgehen. — Für unseren Standpunkt 
bietet die Erfahrung, dass hartnäckige oder häufig wiederkehrende 
Katarrhe zu Phthisis führen können, und dass demnach auch die 
Erkältung in der Aetiologie der Phthisis eine gewisse Bedeutung 
hat, keine besondere Schwierigkeit. Wir werden annehmen, dass 
gewisse Formen des Katarrhs die Eigenthümlichkeit haben, das 
Haften des zufällig eingeführten oder die Entwickelung des schon 
im Körper vorhandenen Giftes der Tuberculöse zu befördern, ent¬ 
weder in mehr direkter Weise oder, was für viele Fälle wahrschein¬ 
licher ist, durch Vermittelung der aus dem Katarrh sich entwickeln¬ 
den chronischen Pneumonie. Diese Bedeutung der Erkältung macht 
es verständlich, dass im Allgemeinen in rauhem, feuchtem Klima 
mit starken Temperaturschwankungen die Lungenschwindsucht häufi¬ 
ger zu sein pflegt. Doch ist andererseits die Bedeutung der Er¬ 
kältung nicht zu überschätzen: Leute, welche sich anhaltend den 
Unbilden der Witterung aussetzen, erkranken zwar häufig an Ka¬ 
tarrhen und an manchen weiteren Folgen derselben, wie Emphysem; 
aber an Phthisis erkranken sie durchschnittlich seltener als solche, 
welche anhaltend in geschlossenen Räumen zu verweilen pflegen 

In ähnlicher Weise wie die ätiologische Bedeutung der Er¬ 
kältung und des Katarrhs ist die der Staubinhalationen zu beur- 
theilen. Dieselben sind selbstverständlich, wenn nicht etwa mit dem 
Staub auch Tuberkelbacillen eingeathmet werden, für sich nicht im 
Stande, eine specifische Tuberculöse zu erzeugen. Aber sie können, 
und zwar hauptsächlich durch Vermittelung chronisch pneumonischer 
Processe, die Ansiedelung oder die Entwickelung der Tuberkelba¬ 
cillen begünstigen. So erklärt es sich, dass es Fälle giebt, bei 
denen durch Staubinhalation ausgedehnte Verdichtungen in den 
Lungen entstehen ohne eigentliche Tuberculöse, während freilich 
in der Mehrzahl der Fälle im Laufe der Zeit auf dem Boden der 
chronischen Pneumonie eine wirkliche Tuberculöse sich entwickelt. 

Etwas verwickelt ist das Verhältniss der Lungenblutung zur 
Tuberculöse. Die älteren Aerzte waren zum grossen Theil der An¬ 
sicht, dass Hämoptoe eiue der Ursachen der Lungenschwindsucht 
sei, und sie stützten diese Annahme auf die Beobachtung, dass sehr 
häufig bei Menschen, welche an Blutspeien gelitten hatten, später 
Lungenschwindsucht auftrat. Aber diese Beobachtung erklärt sich 
weit einfacher durch die Voraussetzung, dass die Lungenblutung das 
erste auffallende Symptom der Schwindsucht gewesen sei, dieschon 
vorher bestanden habe, aber noch nicht erkannt worden sei. Es 
kann gegenwärtig keinem Zweifel unterliegen, dass in der Mehrzahl 
der Fälle die Hämoptoe eine Folge der Tuberculöse ist und dadurch 
entsteht, dass bei der Zerstörung des Lungengewebes Gefässe arro- 
dirt werden, bevor sie durch einen Thrombus geschlossen sind; es 
w'ird deshalb die Hämoptoe unter den Symptomen und Folgen der 
Lungenschwindsucht näher zu besprechen sein. Aber diese Auf¬ 
fassung ist doch nicht für alle Fälle ohne Ausnahme gültig; viel¬ 
mehr kommen einzelne Fälle zur Beobachtung, für welche in der 
Thal die ältere Auffassung zu Recht besteht, indem die Hämoptoe 
nicht die Folge, sondern die Ursache der Schwindsucht ist. Wenn bei 
einemMenschen. der nicht an Lungentuberculose leidet, aus irgend einem 
Grunde, z.B. in Folge eines Trauma’s, eineßlutung aus den Respirations¬ 
organeu erfolgt, so kommt es häufig vor, dass ein Theil des Blutes 
durch Aspiration in die Lungenalveolen gelangt. In den meisten 
Fällen entstehen dadurch keine wesentlichen Störungen, indem das 
Blut allmählich theils ausgeworfen, theils resorbirt wird; in anderen 
Fällen aber entwickelt sich, ähnlich wie nach Aspiration von Speisen 
oder anderen Fremdkörpern, eine Pneumonie, die entweder mit Re¬ 
sorption endigt oder den chronischen Charakter annimmt und dann 
lange als chronische Pneumonie besteht, später vielleicht ganz oder 


theilweise in Resorption übergeht oder endlich bei Vorwiegen der 
interstitiellen Bindegewebswucherung zu Schrumpfung des betreffen¬ 
den Lungenabschnittes führt; wenn aber das Gift der Tuberculöse 
schon irgendwo im Körper vorhanden war, oder wenn es gelegent¬ 
lich in die Lunge eiugeführt wird, so kann auch diese chronische 
Pneumonie in Tuberculöse übergehen. Besonders häufig kommt 
auch der folgende Fall vor: Bei einem Menschen besteht an einer 
Stelle der Lunge ein beschränkter tuberculöser Herd, und es ent¬ 
steht von diesem aus eine Hämoptoe; das ergossene Blut wird zum 
Theil ausgeworfen, aber ein Theil gelangt an einer bisher gesunden 
Stelle der Lungen, besonders häufig in einem unteren Lappen, in 
die Lungenalveolen und bewirkt dort eine chronisch oder auch 
subacut verlaufende Pneumonie; dieselbe kann theilweise oderauch 
ganz zur Resorption gelangen, aber nicht selten geschieht es, dass 
dieselbe ganz oder theilweise in Tuberculöse übergeht, und dass 
nun die vorher nur langsam fortschreitende Krankheit schnell sich 
weiter entwickelt und in der Form der Phthisis florida zum Tode 
führt. 

Die älteste Krankengeschichte, welche in der Weise gedeutet werden 
kann, dass eine durch Trauma entstandene Hämoptoe zu Lungentuberculose 
führte, findet sich bei Herodot. Als Xerxos mit seinem Heere von Sardes 
aufbrach, war der dritte Anführer der Reiterei, Pharnuches, krank zurück¬ 
geblieben, „denn es war ihm beim Ausmarsch ein schwerer Unfall zuge- 
stossen; als er nämlich ausrückte, lief ein Hund seinem Pferde unter die 
Beine, das Pferd sah nicht vor sich, scheute, bäumte sich und warf den 
Pharnuches ab; nach dem Fall spie er Blut, und die Krankheit ging in 
Schwindsucht über (ig tp&irnv izeptfjlds ij voüoos)“. 

Seitdem von F. Niemeyer auf die Bedeutung der Hämoptoe für 
die Aetiologie der Lungenschwindsucht aufmerksam gemacht worden ist 
(vgl. C. Bürger, Ueber das Verhältniss der Bronchial- und Lungenblutungen 
zur Lungenschwindsucht. Dissertation. Tübingen 1864), sind von einzelnen 
Forschern bestätigende Beobachtungen veröffentlicht worden (Bäumler 
1869); von anderer Seite hat die Ansicht, dass Hämoptoe die Ursache von 
chronischer Pneumonie und von Phthisis sein könne, vielfach Widerspruch 
erfahren. Die dagegen erhobenen Einwendungen sind aber sämmtlich nicht 
zutreffend; vielmehr lehrt die genaue Beobachtung, dass dieser Fall keines¬ 
wegs selten vorkommt. Ich selbst habe im Jahre 1864 bei Hunden, denen 
ich frisches Blut in die Trachea einspritzte, nachher Blut in den Lungen¬ 
alveolen nachweisen können; und sehr häufig habe ich bei Kranken, welche 
bald nach einer Hämoptoe zu Grunde gegangen waren, eine ausgedehnte 
Infiltration der Lungenläppchen mit Blut gefunden. In zahlreichen Fällen 
konnte ich ferner bei Kranken, bei welchen Hämoptoe aufgetreten war, in 
den nächsten Tagen eine mehr oder weniger umfangreiche frische Infiltration 
nachweisen, die sich unter Fiebererscheinungen entwickelte. Zuweilen ging 
diese Infiltration vollständig in Lösung über, und es geschah dies in einzelnen 
Fällen selbst bei umfangreichen Infiltrationen, welche einen ganzen unteren 
Lungenlappen umfassten; in anderen Fällen endlich entwickelte sich eine 
Phthisis florida, welche unter anhaltendem hohem Fieber zum Tode führte. 
Solche Fälle kommen vor sowohl bei Individuen, bei welchen schon vorher 
eine bisher weniger umfangreiche phthisische Infiltration bestand, als auch 
bei solchen, bei welchen vor dem Auftreten der Hämoptoe keine Lungen¬ 
erkrankung hatte nachgewiesen werden können. 

Traumatische Veranlassungeu können nicht nur durch Ver¬ 
mittelung der Hämoptoe, sondern auch in mehr direkter Weise zu 
chronischer Pneumonie und zu Lungenschwindsucht führen, und die 
Fälle sind nicht ganz selten, bei welchen an eine Verletzung der 
Lunge durch Stich oder Schuss oder Quetschung oder Rippenbruch 
eine Infiltration der Lunge sich anschliesst, die früher oder später 
in tuberculöse Phthisis übergeht. In ähnlicher Weise kann auch 
durch fremde Körper, welche in die Bronchien gelangen, chronische 
Pneumonie oder Abscessbildung zu Stande kommen und daraus 
später eine Tuberculöse sich entwickeln. (Fortsetzung folgt.) 

V. Aus der Königlichen Universitäts-Poliklinik für Hais¬ 
und Nasenkranke zu Berlin. 

Zur Pathologie der Glottiserweiterang. 

Von Dr. Ed. Aronsohn, Berlin - Ems. 

(Schluss aus No. 27.) 

B. Lähmungen des N. laryngeus inferior. 

Der N. laryngeus inferior, der sich erlaubt, um die mächtige 
Aorta sich zu schwingen, an die rechte Lungenspitze heranzutreten und 
zwischen der langen Speiseröhre und Luftröhre seinen Weg zum 
Kehlkopf zu nehmen, wird für seine Kühnheit von seinen Nach¬ 
barn oft hart mitgenommen; bald ist es die aneurysmatisch erwei¬ 
terte Aorta (Traube, Bamberger, Lewin, Schnitzler, Bäum¬ 
ler, Ziemssen u. A.), Carotis communis (Mackenzie), Subclavia 
dextra (Ziemssen), Arteria pulmonalis (Riegel), bald Krankheits- 
processe in und an den Lungenspitzen (Gerhardt, Bäumler u. A.), 
bald Carcinome des Oesophagus und der Nerven selbst (Heller), 
vergrösserte Bronchialdrnsen oder Schilddrüsenlappen, die ihn drücken 
und quetschen und zum Schwinden bringen, ganz abgesehen von 
den vielfach beobachteten traumatischen Verletzungen des Recurrens 


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12. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 567 


(Stromey er). Die Erkennung des ursächlichen Leidens intra vitam 
bietet aber vielfach grosse Schwierigkeiten, und oft ist es überhaupt 
unmöglich, die Art des Grundleidens zu diagnosticiren. Im Allge¬ 
meinen aber ist der liuke Recurrens, der tiefer in der Brusthöhle 
vom Vagus entspringt, häufiger Insulten ausgesetzt als der rechte. 
Je nach dem Grade der Affection ist der an den Stimihbänderu zu 
beobachtende Effect ein verschiedener. Ist der Recurrens nur zum 
Theil gelähmt, so fällt in der grössten Mehrzahl der Fälle der gleich¬ 
seitige Musculus posticus zuerst der Paralyse anheim, die Antago¬ 
nisten arbeiten nun, da die Hemmung fortgefallen ist, allein und 
ziehen das Stimmband in die Medianstellung. Ist aber der 
Recurrens in toto gelähmt, so sind sämmtliche gleichseitige Muskeln 
gelähmt, das Stimmband kann nach keiner Richtung hin bewegt 
werden, es ist todt und steht in der Stellung, in welcher es im 
todten Körper gefunden wird, nämlich in einer Mittelstellung 
zwischen extremster Abduction und Adduction: „Cadaverstellung 
des Stimmbandes“. Steht das eine Stimmband in Cadaver 
Stellung, und ist die Innervation des anderen intact, so sucht das 
gesunde mit Ueberschreitung der Mittellinie an das kranke heran¬ 
zutreten und den Glottisschluss zu erzielen. Beginnt aber auch der 
Recurrens der anderen Seite zu degeneriren, und kann in Folge 
dessen das zugehörige Stimmband nicht nach aussen treten, so ist 
die Erweiterung der Stimmritze in höchstem Maasse gefährdet, da 
die Adductoren das Stimmband in Medianstellung ziehen, und die 
Glottisöffnung dauernd bis auf einen geringen Spalt verengt ist: ein 
solches Bild gewährt der erste der nachfolgend aufgeführten Fälle. 
Parese beider Recurrentes mit erhaltener Adductorenkraft erhält 
beide Stimmbänder in Medianstellung, und das Inspirium wird fast 
völlig zur Unmöglichkeit gemacht. Rettung ist unter diesen Umstän¬ 
den nur möglich durch Tracheotomie, Excision der Stimmbänder oder 
palliativ zuweilen durch Cocainpinselung des Larynx (Gerhardt). 

Fall 5. Lähmung des N. laryngeus inferior dext. und sin. 
durch Careinom. 

Journ.-No. 475. Eduard Krummschmidt, Schutzmann, 47 Jahre, 
aufgenommen am 26. Juli 1887. 

Anamnese. Patient klagt seit März 1887 über Unfähigkeit zu 
schlucken. Früher konnte er noch kleine Stücke in dünner Suppe herunter¬ 
bringen, jetzt nur noch Flüssigkeiten in kleinsten Quantitäten. Beim dritten 
oder vierten Löffel voll Flüssigkeit stellt sich starker Hustenreiz ein und 
damit häufig Aushusten resp. Ausbrechen des Genossenen. Vor März dieses 
Jahres litt Patient schon an Magenbeschwerden und fühlte, dass beim Essen 
hie und da etwas im Halse steckenbleibe, so dass er immer mit Flüssigkeiten 
nachspülen musste. Starke Abmagerung seit Februar dieses Jahres. Heiser¬ 
keit seit 3 Wochen. 

Status praeseus. Das linke Stimmband steht unbeweglich in 
Cadaverstellung und zeigt einen concaven Rand. Das rechte Stimm¬ 
band steht in Medianstellung und überschreitet beim Phoniren um 
ein Weniges aber deutlich die Mittellinie, besonders bemerkbar durch die 
Stellung des rechten Aryknorpels, der sich fest an den linken anlegt, 
während zwischen dem unbeweglichen linken Stimmband und dem heran¬ 
tretenden rechten ein Spalt von circa 2 mm bei der Phonation vorhanden 
ist. Bei der Inspiration macht das rechte Stimmband eine deutliche Ab- 
ductionsbewegung, aber nur bis ein wenig über die Medianstellung hinaus. 

Neben dem Proc. xiphoideus links ist kein Schluckgeräusch zu hören. 
An der Wirbelsäule bis zum vierten Proc. spin. hört man ein Brodeln und 
Rauschen. Beim zweiten und dritten Schluck Flüssigkeit stellt sich con- 
stant Husten ein. Die Sonde stösst 30 cm hinter den Schneidezähnen auf 
unüberwindlichen Widerstand. Es entleert sich unmittelbar darauf Wein, 
der vor etwa einer Stunde getrunken wurde. 

20. August 1887. Patient kam bald darauf auf die Klinik des Herrn 
Geheimrath Leyden, uud wurde daselbst mit der Schlundsonde ernährt. 

Die Section ergab Carcinoma oesophagi. Ausbreitung auf 
Zwerchfell], Leber, Darm. Communication zwischen Oesophagus und Trachea. 

Epikrise. Die Section ist leider nicht auch auf die Kehlkopfnerven 
ausgedehnt worden. Aus dem Verhalten der Stimmbänder intra vitam muss 
geschlossen werden, dass der linke N. laryngens inferior total, vom rechten nur 
die Abductorfasern gelähmt waren, während die Adductorfasern noch erhalten 
waren entsprechend dem Semon’schen Gesetze. In Fällen wie dieser ist es, 
wie Prof. Fraenkel bei der Krankenvorstellung auf Grund mehrerer von ihm 
beobachteten Fälle ausführte, von vornherein unmöglich, die Erscheinungen 
an den Stimmbändern mit Hülfe der Contracturtheorie zu erklären. Hier 
steht das linke Stimmband in Cadaverstellung, das rechte in Medianstellung, 
bei der Phonation überschreitet das rechte die Mittellinie und legt sich 
gegen das linke an; hört die Phonation auf, so weicht das rechte wiedei 
in die Medianstellung zurück. Es ist dies kaum zu erklären, wenn man 
eine Gesammtcontractur besonders der Schliesser annimmt; denn in diesem 
Falle musste das rechte Stimmband dauernd die Mittellinie überschreiten 
und sich gegen das in Cadaverstellung befindliche dauernd anlegen. 

Die Communication zwischen Trachea und Oesophagus war des beim 
Schlucken auftretenden Hustens wegen diagnosticirt worden. 

Fall 6. Parese beider Recurrentes in Folge von Struma 
carcinomatosa. 

Journ.-No. 1240, S. Rebs, Händler, 55 Jahre, aufgenommen am 
25. November 1887, gestorben am 6. März 1888. 

Anamnese. Pat. ist bis vor 3 Wochen — mit Ausnahme einer 
Augenentzündung vor 2 Jahren — immer gesund gewesen. Seit dieser Zeit 
bemerkt er erschwertes Schlucken, so dass ihm der Bissen im Halse stecken 


bleibt und es viel Drängens und Würgens bedarf, um ihn herunterzuschlucken. 
Seit 14 Tagen beim Treppensteigen, schnellen Gehen etc. Athemnoth mit 
lautem Stridor. 

Status praesens. Velum bewegt sich normal. Sensibilität des 
Rachens und Kehlkopfes normal. 

Die Stimmbänder, besonders aber das linke, weichen bei der Respiration 
nicht genügend weit nach aussen, lassen vielmehr hinten nur einen etwa 
3 mm weiten Spalt. Bei Sonnenbeleuchtung gelingt es, durch diesen Spalt 
hindurch zu sehen, dass die Trachea unten von beiden Seiten, und zwar in der 
Höhe der Thyreoidea, stenosirt ist. Auf der linken Seite der Trachea, un¬ 
mittelbar über dem Manubrium sterni, fühlt man eine harte, hühnereigrosse 
Geschwulst, die die Schluckbewegung des Kehlkopfes mitmacht; seitlich 
zeigt sich an derselben eine scharfe Leiste, sie ist auf Druck empfindlich, 
auch vermehrt Druck auf dieselbe den Stridor. 

21. December. Pat. wurde nach der 11. medicinischen Klinik gewiesen, 
da seine Erstickungsanfäile und der tracheale Stridor Zunahmen. Hier 
constatirte gestern Dr. Landgraf einen Tumor in der Trachea, der links 
aufsitzt, ungefähr da, wo die Struma die Trachea zu comprimiren scheint. 
Das Lumen der Trachea liegt nach rechts. 

31. December. Pat. wurde am 29. December auf der Bardeleben- 
schen Klinik vom Oberstabsarzt Dr. Koehler operirt Es wurde die tiefe 
Tracheotomie gemacht. Der nach oben in die S-förmig verbogene Trachea 
eingeführte Finger fühlte eine starke Knickung derselben in der Höhe der 
Struma. An der Kuickungsstelle ein kleiner weicher Tumor, anscheinend 
eine von der Struma aus durchgewachsene Geschwulstmasse. Patieut starb 
am 6. März in der Klinik. 

Section. Carcinoma ulcer. medull. Oesoph., Metast. Trach. et Gland. 
cerv., Stenosis Oesoph. et Trach., Bronchitis purul. Die starke Stenose des 
Oesophagus findet sich in der Höhe des VI. und VII. Halswirbels; unter¬ 
halb dieser an der linken vorderen Seite ein grosses Geschwür mit gewul- 
steten Rändern. Entsprechend dieser Stelle findet sich auch in der Trachea 
eine Neubildung mit stark höckeriger Oberfläche; dieselbe beginnt von 
oben ungefähr 3 Finger unter dem Stellknorpel. Der Oesophagus hat etwa 
12 cm oberhalb der Cardia eine starke Hervorwölbung nach innen erfahren 
durch eine metastatisch erkrankte Drüse, welche an der linken hintereu 
Seite des Oesophagus liegt und die Grösse eines Taubeneies erreicht hat. 
In der Gegend der Schilddrüse sitzt eine derbe Intumescenz, welche be¬ 
sonders an der linken Seite beinahe faustgross ist. 

Fall 7. Lähmung des N. laryngeus inferior dext., wahr¬ 
scheinlich durch Carcinom. 

Journ.-No. 1302, Albert Montag, pension. Schaffner, 57 Jahre, 
aufgenommen am 3. December 1887. 

Status praesens. Pat. klagt über Speiseröhrenverengerung. Seit 2 Jahren 
nimmt Pat. nur flüssige Substanzen zu sich. Das rechte Stimmband 
steht unbeweglich der Mittellinie angenähert, sowohl bei In¬ 
spirations- wie bei Phonationsversuchen. Das linke Stimmband legt sich 
bei der Phonation an das rechte, so dass die Rima glottidis die normale 
Gestalt hat. Die Sprache des Pat. ist klar, doch fällt ihm das Sprechen 
seit einem viertel Jahre schwer. Nach der Angabe des Patienten hat eine 
Schlundsonde, vor einem Jahre in die Speiseröhre eingeführt, 23 cm hinter 
den Schneidezähnen ein Hindemiss ergeben. Oesophagussonde No. 2 geht 
durch eine verengte Stelle des Oesophagus, welche 23 cm hinter den 
Schneidezähnen liegt und hinter dem Cricoidknorpel nur mit einer Ab¬ 
weichung nach links die Passage gestattet. 

Epikrise. Die Verengerung der Speiseröhre und die totale Unbe¬ 
weglichkeit des rechten Stimmbandes, also die Lähmung des rechten 
N. recurrens haben zweifellos eine Ursache, und zwar höchst wahrscheinlich 
Carcinom. 

Fall 8. Lähmung des N. laryngeus inferior sin. durch Aneu¬ 
rysma Arcus Aortae. 

Jorn.-No. 1719. August Liepe, Schuhmacher, 68 JahTe, aufge- 
nommen am 11. Februar 1888, gest. Ende April. 

Anamnese. Patient klagt über Heiserkeit und Schwierigkeit beim 
Schlucken seit Weihnachten vorigen Jahres. Luftmangel schon seit Jahren. 

Status praesens. Linkes Stimmband steht bei der Respi¬ 
ration der Mittellinie angenähert mit concavem Rande; bei der Pho¬ 
nation bildet der Rand eine gerade Linie. Stimme sehr hoch. Flüssig¬ 
keiten kann Patient nicht schlucken, besonders bei grossen Bissen Schwierig¬ 
keiten. Auf dem Sternum eine fast handtellergrosse Dämpfung, vom oberen 
Rande nach unten und seitlich sich erstreckend. Im zweiten Intercostalraum 
rechts und auf dem Sternum lautes systolisches und auch deutlich diasto¬ 
lisches Geräusch. Pulsation deutlich fühlbar und sichtbar, zeitweise fühl¬ 
barer Stridor über dem Sternum. Athemnoth. Zeitliche und qualitative 
Pulsdifferenz an den Radiales rechts und links. 

Epikrise. Dieser Fall ist ein ausgesprochenes Beispiel für Stimm¬ 
bandlähmung, bedingt durch Aneurysma arcus aortae. Solche Fälle, auch 
mit genauen Sectionsbefunden, sind in der Literatur in grosser Zahl ver¬ 
zeichnet. Allerdings wird noch immer hie und da bei Diagnose auf Aorten¬ 
aneurysma, trotzdem Anfälle von Suffocation und Stridor auf eine Erkran¬ 
kung des Larynx hinweiseu, die Untersuchung des Kehlkopfes unterlassen, 
und erst bei der Obduction findet man die Kehlkopfnerven durch Druck 
des Aneurysma beschädigt. In diesem Falle ist der Stridor, namentlich 
weil er über dem Sternum gefühlt wurde, auf Bronchialstenose zu beziehen 
und deutet auf eine erhebliche Ausdehnung des aneurysmatischen Sackes. 
Patient starb am 27. April. 

Fall 9. Parese beider Recurrentes bei Morbus Basedowii. 

Journ.-No. 847. Marie Meier, Näherin, 43 Jahre, aufgenommen am 
23. November. 

Anamnese. Patientin klagt über ein schmerzhaftes Gefühl im Halse 
seit 14 Tagen, besonders beim Schlucken auf der linken Seite. 

Status praesens. Auffallend ist ein mässiger Grad von Exophthalmus 
beiderseits und eine grosse Struma, welche bis zum Brustbein hinabreicht. 


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568 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


Die Haut über demselben ist von grossen Venen durchzogen, ebenso sind 
die stark erweiterten Venen an der Brust, den Armen und Orificium nasi 
auffallend. Beide Lappen der Schilddrüse sind hochgradig hypertrophisch, 
besonders der linke, sie reichen beiderseits reichlich bis zum hinteren 
Rande des M. sternocleidom , nach unten bis zum Manubrium, nach oben 
steigt der rechte Lappen bis zur Höhe des Pomum Adami auf. Die Lappen 
sind in der Mittellinie deutlich durch eine tiefe Furche geschieden, die 
Consistenz ist eine massig derbe. Puls 100. Die Stimmbänder er¬ 
weitern sich nicht in genügender Weise bei der Inspiration, 
insbesondere bleibt das linke zurück. 

Therapie. Constanter Strom gegen den Sympathicus ununterbrochen 
10 Minuten lang. 

Epikrise. Diagnostisch kann kein Zweifel bestehen, dass wir es mit 
einem Falle von Basedow zu thun haben, da die drei Cardinalsymptome: 
beschleunigte Herzbewegung, Schwellung der Schilddrüse und Hervortreten 
der Augäpfel sicher constatirt sind. Das v. Graefe’sche Symptom: Zurück¬ 
bleiben des oberen Augenlides beim Senken des Blickes hat ja nur im 
frühen Stadium der Krankheit besonderes Interesse, und die Herabsetzung 
des galvanischen Leitungswiderstandes (Charcot) spricht differential¬ 
diagnostisch nach Eulenburg 1 ) höchstens in zweifelhaften Fällen für 
Basedow’sche Krankheit. 

Schwieriger ist die Entscheidung, ob die Parese beider Postici, beson¬ 
ders des linken, durch Druck der Struma auf den Nerven oder die Muskeln 
selbst bedingt ist. Denn die Struma hat eine mächtige Ausdehnung nach 
allen Richtungen hin erfahren, umgreift den Kehlkopf beiderseits und drückt, 
wie die Schlingbeschwerden andeuten, bereits auf den Oesophagus. Eine 
einheitliche und befriedigende Erklärung für die Parese der Postici, die 
Schlingbeschwerden wie für die Vermehrung der Pulsfrequenz könnte 
freilich in der Annahme einer Vagusparese gefunden werden, und aller¬ 
dings haben bei Morbus Basedowii, wie Eichhorst 9 ) anführt, in neuerer 
Zeit namentlich französische Autoren auf häufiges Vorkommen von 
Schwellungen der trachealen und bronchialen Lymphdrüsen hingewiesen, 
welche den N. vagus comprimiren und lähmen sollen; ferner sei 
auch sicher constatirt, dass in vielen Fällen von Basedow-Erkrankung der 
Sympathicus völlig intact gefunden wurde, und ausserdem erscheinen nicht 
alle gemachten Beobachtungen über Affectionen des Sympathicus unanfecht¬ 
bar. — Sehr interessant für die Klärung der Frage, ob bei der Basedow- 
Krankheit der Vagus oder Sympathicus betheiligt ist, ist der Vortrag von 
Federn 3 ) in der K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 6. April 18S8 
über den Zusammenhang der partiellen Darmatonie mit Morbus Basedowii. 
Die partielle Darmatonie ist nach ihm eine Begleiterscheinung, ja vielleicht 
eine der Ursachen des M. Basedowii. Bei einer Patientin machte Federn 
auch die Beobachtung, dass unmittelbar, nachdem er die Elektroden am 
Halse ansetzte, ein Gurren im Leibe von der Patientin verspürt und von 
Federn gehört wurde. Die Richtigkeit des Ausdruckes Galvanisation 
des Sympathicus werde mit Recht bestritten; es wäre ebenso leicht möglich, 
dass dabei der Vagus gereizt würde, und da nach den neuesten Unter¬ 
suchungen der Vagus auch der Bewegungsnerv des Darmes ist, so sei es 
nicht unmöglich, dass die Wirkung der sogenannten Galvanisation des Sym¬ 
pathicus und die Wirkung der Faradisation des Darmes eigentlich die 
gleiche sei. J. Mitchell Clarke, 4 ) welcher bei der Section eines Falles 
von Basedow’scher Krankheit, der mit sehr heftigen Herzpalpitationen, 
äusserst schnellem Puls und Erbrechen verlaufen war, weder im Sympathicus 
noch im cerebrospinalen Nervensystem pathologische Veränderungen finden 
konnte, neigt sich sogar bei der Besprechung der verschiedenen Theorieen, 
welche über die Pathologie dieser Krankheit vorgebracht worden sind, ebenso 
wie Jendrassik 5 ) der Ansicht zu, welche die Ursache dieses Zustandes 
mehr in der Medulla und dem oberen Halstheil des Rückenmarks als im 
Sympathicus sucht. 

Fall 10. Parese des N. laryngeus inferior dext. bei Tuber¬ 
culosis pulmonum. 

Journ.-No. 1875, Karl Kliesch, Hühneraugenoperateur, 43 Jahre, 
aufgenommen 9. März 1888. 

Krankengeschichte. Der Vater und eine Schwester des Patienten 
sind an Phthisis gestorben. Pat. hat seit drei Wochen Schmerzen im 
Halse, die sich beim Schlucken steigern. 

Pharyngitis granulosa: Stimmbänder lebhaft geröthet, stark verdickt in 
der ganzen Länge; der hintere Theil des linken Stimmbandes scheint 
stärker geröthet und erodirt. Das rechte Stimmband ist in der Be¬ 
wegung nach aussen behindert und steht der Medianlinie 
nahe, nintere Larynxwand etwas verdickt; graugrünes Secret im Larynx. 
Die Untersuchung der Pulmones ergiebt rechts vorn und links hinten ab¬ 
geschwächtes Athruen, links hinten mitunter Knarren. Sputum enthält 
Tuberkelbacillen. Therapie: 20% Mentholinjection in den Larynx. 

Epikrise. Bei dem so häufigen Vorkommen von rechtsseitiger 
Recurren8lähinung bei Lungenphthise durch Schwielenbildung an der rechten 
phthisischen Lungenspitze bedarf dieser Fall keiner besonderen Erläuterung. 
Gerhardt rechnet ja eine Recurrenslähmung auf je 12 Lungenspitzen¬ 
phthisen. Dieser Gegenstand hat auch übrigens vor einigen Jahren unter 
Gerhardt’s Auspicien eine eingehende Darstellung durch P. Duvening 6 ) 

') A. Eulenburg. Ueber das Verhalten des galvanischen Leitungs¬ 
widerstandes bei Base dow’scher Krankheit. Centralblatt für Nervenheil¬ 
kunde 1887, No. 17, Sep.-Abdr. 

*) Eichhorst, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie 1885, 
Bd. I, p. 196. 

*) Federn, Deutshe med. Wochenschr. 1886, No. 16, p. 322. 

4 ) J. Mitchell Clarke, Basedow’sche Krankheit, Bristol Medico- 
Chirurgical Journal März 1887 (Internat. Centr. für Laryng.) 1888 No. 8. 

& ) Jendrassik, Archiv für Psychiatrie XVII. 

6 )P. Duvening, Lähmung der Musculi crico-arytaenoidei postici bei 
Phthisis pulmonum. Inaug.-Diss., Würzburg 1883. ! 


erfahren. Was die Erscheinungen im Larynx des Patienten betrifft, so sind 
sie nur als beginnende Tuberculose des Larynx zu deuten und nicht derart, 
dass aus ihnen die Medianstellung des rechten Stimmbandes erklärt werden 
könnte. 

Fall 11. Parese des N. laryngeus inferior dext. Beginnende 
Parese des N. laryngeus sin. bei Gelenkrheumatismus. 

Journ.-No. 1302, Albert Lücke, Hauswart, 38 Jahre, aufgenommen 
am 10. Januar 1888. 

Anamnese. Die Mutter des Patienten litt an „Luftmangel“ und ist 
daran gestorben. Ein Bruder des Pat., der in Behandlung der B. Fränkel- 
schen Poliklinik gestanden (wegen linksseitiger Stimmbandlähmung), ist 
vor 2 Jahren gestorben. Pat, der im Uebrigen stets gesund gewesen sein 
will und Lues negirt, klagte etwa im Alter von 27 Jahren über Luftmangel; 
sogar mitten im Schlaf ging zuweilen dem Pat. ohne erklärlichen Grund 
plötzlich die Luft aus, und er errang sie erst nach einer langen ängstlichen 
Pause mit einem lauten langgezogenen Athemzug. Ein solcher Anfall von 
Luftmangel traf ihn auch einmal während eines Manövers. Vor 2 Jahren 
litt Pat. an Gelenkrheumatismus, der sich in den Händen, Füssen und 
ganz besonders in den obersten Wirbelgelenken etablirte, so dass Pat. den 
Kopf nicht rühren konnte. Im October 1887 lag Pat. wieder an Gelenk¬ 
rheumatismus krank; es waren nacheinander sämmtliche Extremitätengelenke 
befallen, und noch jetzt ist das rechte Schultergeleuk afficirt. Pat. klagt, 
dass er besonders bei stärkeren Bewegungen Athemnoth erleidet Nach 
Bericht seines Arztes, Herrn Dr. Hoesch, batte Pat. im Monat April wieder 
einen Anfall von Gelenkrheumatismus. 

Status praesens. Der rechte Aryknorpel steht der Mittel¬ 
linie angenähert unbeweglich fest. Das rechte Stimmband bildet bei der 
Respiration einen Bogen, der sich bei Phonation nicht ausgleicht. Auch 
das linke Stimmband ist in seiner Beweglichkeit nach aussen 
beschränkt, so dass die Rima glottidis bei tiefer Inspiration an ihrer Basis 
nur 4—5 mm breit ist. Velum zeigt normale Bewegung. Pharyngitis und 
Rhinitis atrophicans. Schwellung der hinteren Seite der Uvula. An den 
Lungen und am Cor ist nichts Pathologisches nachweisbar. Sputum negativ. 
Sprache tief und rauh. Puls 98 — 112. Die in der Poliklinik des Herrn 
Prof. Hirschberg am 1. März ausgeführte Untersuchung der Augen ergab 
nach keiner Richtung eine Anomalie bis auf eine leichte Hyperämie beider 
Papillen, die aber die Grenze des Physiologischen nicht überschreitet. Die 
Functionen des rechten Auges sind nach Correction seines Astigmatismus, 
normal (Dr. Peltesohn). Kniephänomen vorhanden, auch sonst keine 
Zeichen von Tabes. 

10. Februar. Pat. hat bisher 20 g Natr. jod. verbraucht und ist 
täglich am Kehlkopf galvanisirt worden; er giebt an, dass unter dieser Be¬ 
handlung seine Sprache viel klarer geworden sei und an Klang zuge¬ 
nommen habe. 

10. März. Die Hauptklage des Pat. ist Athemnoth beim Treppen- 
steigeu; Puls 114. 

Epikrise. Die laryngologische Diagnose kann nur lauten: Parese 
des Nervus laryngeus inferior dexter und beginnende Parese des N. laryng. 
infer. sin. Wodurch aber ist die doppelseitige Lähmung hervorgebracht 
und wann hat sie begonnen? Wollten wir den Beginn in die Zeit verlegen, 
wo Patient die ersten Anfälle von Athemnoth hatte, nämlich zur Zeit seines 
Militärdienstes, also vor etwa 15 Jahren, so begeben wir uns jedes Anhalts¬ 
punktes für die Auffindung des ätiologischen Momentes, denn bis dahin 
will Pat. stets vollkommen gesund gewesen sein. Dass Patienten mit beider¬ 
seitiger Lähmung der Stimmbänder noch so lange leben können, ist zwar 
sehr selten, aber auch nicht ohne Präcedenz. Jener 26 Jahre alte Holz¬ 
bildhauer mit vollkommener Parese beider Stimmbänder, den B. Fränkel *) 
im Jahre 1877 beschrieben hat, lebt noch heute, trotz Fortbestehens seiner 
Krankheit, und geht ungehindert seinem Berufe nach. Ob aber die Lähmung 
der motorischen Kehlkopfnerven in Verbindung steht mit dem so hart¬ 
näckigen, noch in diesem Monat wieder aufgetretenen Gelenkrheumatismus, 
wer wollte es mit Bestimmtheit sagen! Noch eine Möglichkeit drängt sich 
uns auf, dass nämlich ein in Entwickelung begriffenes Aneurysma (Art. 
Anonymae und Subclaviae dext.) die Ursache der Stimmbandlähmung sei; 
auf solche Möglichkeiten weist namentlich Gerhardt 9 ) hin. Allerdings ist 
auch das linke Stimmbaud in seiner Ausseubewegung beschränkt; aber 
wenn auch die Recurrenslähmung durch Aneurysmadruck gewöhnlich nur 
einseitig und linksseitig ist, so ist, wie v. Ziemssen 3 ) schreibt, doppel¬ 
seitige Recurrenslähmung durch gleichzeitige Aneurysmen des Arcus Aortae 
und des Truncus cleidocaroticus nebst Subclavia zweimal von ihm selbst 
und in je einem Falle von Traube-Munk und Bäumler beobachtet 
worden. 4 ) 

C. Myopathische Lähmungen des Musculus crico-ary- 
tänoideus posticus. 

Wenn man auch den myopathischen Lähmungen der Erweiterer 
die Existenz nicht absprechen kann, so kommen sie jedenfalls recht 
selten vor, wie schon aus dem Umstande erhellt, dass unter den 
200 Fällen von Kehlkopflähmungen, welche in der Poliklinik vom 
Monat Juni 1887 bis 31. März 1888 beobachtet wurden, nur 4mal 

l ) B. Fränkel, Kehlkopfstcnose in Folge fehlender Glottiserweiterung 
bei der Inspiration. Deutsche Zeitschrift für praktische Medicin, 1878, 
No. 6 und 7. 

*) Gerhardt, Deutsche Medicinische Wochenschr. 1885 und Vircho w ’s 
Archiv Bd. 27, p. 296, Fall 1. 

3 ) v. Ziemssen, Handbuch der Krankheiten des Respirations¬ 
apparates I. 1876, p. 450. 

4 ) Da Patient in Berlin in der Nähe der Poliklinik als Hauswart wohnt, 
so ist zu hoffen, dass die Poliklinik über die weiteren Schicksale dieses 
Patienten zu berichten in der Lage sein wird. 


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12. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


569 


eine myopathische Lähmung dieses Muskels constatirt wurde. Aller¬ 
dings rechnen wir nicht zu den myopathischen Lähmungen die¬ 
jenigen Erweiterungsinsufficienzen, welche durch Narbencontractur 
oder ulceröse Processe bedingt sind, denn in diesen Fällen ist die 
Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass die Muskeln activ thätig sein 
können und nur durch die Narbe oder durch Ankylosen der Gelenk¬ 
knorpel an der Ausübung ihrer Function vorläufig gehindert sind. 
Aber auch noch unter dieser Beschränkung können wir gleich 
Semon den Zweifel nicht unterdrücken, ob nicht dennoch eine 
Beschädigung einzelner Nervenzweige durch die local begrenzten 
Processe erfolgt sei. Unter diesen Umständen glauben wir nur die¬ 
jenigen Fälle von Posticuslähmungen hier aufzuführen, welche sich 
im Verlauf einer Laryngitis eingestellt hatten und als solche sicher 
constatirt waren. Auffallend ist, dass unter den vier nachfolgenden 
Fällen dreimal eine doppelseitige Parese der Stimmbänder sich 
findet, während unter den neuropathischen Lähmungen die doppel¬ 
seitigen Lähmungen verhältnissmässig sehr selten wareu. Anderer¬ 
seits gewähren die myopathischen Lähmungen im Gegensatz zu den 
neuropatbischen eine viel bessere Prognose. Sie schwinden ent¬ 
weder mit der Beseitigung der Krankheitsursache oder auch schon 
früher, wenn die Behandluug sachgeraäss geleitet wurde. 

Fall 12. Parese beider Abductoren. 

Journ.-No. 1230. S. Seibeld, Commis, 26 Jahre, aufgenommen 24. No¬ 
vember 1887. 

Krankengeschichte. Patient klagt über Schmerzen beim Schlucken 
und Sprechen, meist links in der Gegend des Schildknorpels. Stimmbänder 
geröthet und aufgelockert. Geringer Schiefstand der Glottis. Der linke Ary- 
knorpel tritt etwas vor den rechten bei der Phonation. Auch in der Inspi¬ 
rationsphase steht der rechte Aryknorpel etwas weiter nach hinten als der 
linke. Die beiden Stimmbänder erscheinen in ihrer Beweglich¬ 
keit nach aussen um ein Geringes beschränkt; die Basis des Glottis¬ 
dreiecks erweitert sich höchstens um ‘/« der Länge der Stimmbänder. In 
der Mitte des inneren Randes des linken M. stemoeleidomastoideus findet 
sich eine auf Druck leicht schmerzhafte Stelle; doch ist nichts mit Sicher¬ 
heit zu palpiren. 

Fall 13. Parese beider Ähductoren durch Erkältung, Heilung. 

Journ.-No. 263. Julius Pitsch, Buchhalter, 66 Jahre, aufgenommen 
24. Juni. Rhinitis purulenta. 

Krankengeschichte. 5. November. Patient klagt seit 3 Wochen 
über Husten. Das linke Stimmband zeigt nur eine sehr geringe 
Beweglichkeit und steht fast in der Mittellinie. Das rechte 
Stimmband bewegt sich zwar bei der Inspiration nach aussen, 
aber nicht in ausreichender Weise. Bei der Phonation vollständiger 
Schluss der Stimmbänder. Die Sprache hin und wieder etwas heiser. Knie¬ 
reflexe beiderseits vorhanden. 

15. April. Bei der heutigen laryngoskopischen Untersuchung des lange 
abwesend gewesenen Patienten bietet sich in Bezug auf die Beweglichkeit 
der Stimmbänder nichts Abnormes dar. 

Fall 14. Parese beider Abductoren, beider Thyreo-arytä- 
noidei interni und transversi bei Laryngitis acuta. 

Journ.-No. 1545. Schitteck, Ladendienerin, 20 Jahre, aufgeuommen 
12. Januar 1880. 

Krankengeschichte. Patientin klagt seit Weihnachten über Hals¬ 
schmerzen, ist seit 4 Tagen heiser. Stimmbänder stark röthlich verfärbt, ge¬ 
schwollen, schliessen bei der Phonation nicht vollständig, lassen einen nach 
hinten offenen Spalt; sie erweitern sich bei der Inspiration nicht in 
ausgiebigem Maasse. Die Trachea erscheint im oberen Abschnitt mit 
grauweissem Schleim vollständig überzogen. Das rechte Stimmband erscheint 
concav ausgebogen. Diagnose Laryngitis acuta. Ordin. Tannininsufflationen. 
Umschläge. Eis. 

Fall 15. Parese des linken M. crico-arytänoideus posticus 
bei Laryngitis chronica. Heilung. 

Journ.-No. 1218. Werner, Schutzmann, 32 Jahre, aufgenommon 22. No¬ 
vember 1887. 

Krankengeschichte. Patient klagt über Trockenheit im Halse und 
Schwierigkeit beim Schlucken. Leichte Ermüdbarkeit der Stimme, Rüthung 
und Schwellung der Pharynxschleimhaut. Schiefstand der Glottis; verrin¬ 
gerte Beweglichkeit des linken Stimmbandes nach aussen. Bei 
der Phonation tritt das rechte Stimmband etwas über die Mitte hinaus und 
legt sich an das linke. Herz und Lungen gesund. 

Diagnose: Pharyngitis, Laryngitis. Therapie; Galvanischer Strom; Tan- 
nininsufflationeu. 

4. April. Der nach der Poliklinik citirte Patient bringt dieselben Klagen 
an wie am 22. November. Eine verringerte Beweglichkeit des linken Stimin- 
bandes kann am heutigen Tage nicht mehr constatirt werden. Laryngitis 
besteht fort. Puls 76. 

VI. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 4. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden; Schriftführer: Herr Jastrowitz. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. Als Gäste sind anwesend: Herr Prof. Petersen aus 
Kopenhagen, Herr Prof. Heinemann aus New-York. 

Vor der Tagesordnung erhält das Wort: 


1. Herr Fürbringer (Demonstration): M. H.! Es handelt sich 
um einenPall von tödtlioher Vergiftung mit Schweinfurter Grün, 
wie er vorgestern im Krankenhaus Friedrichshain zur Beobachtung 
kam. Der Fall betraf einen 54jährigen Drechsler, der am 2. Juni 
Abends 9 Uhr in einem desolaten Zustande eingeliefert wurde. Temp. 
35,8, Puls kaum fühlbar; klares Bewusstsein. Auf Grund eines Gift¬ 
scheins hatte Patient ausserhalb grosse Mengen Schweinfurter Grüns 
gekauft und wollte davon in selbstmörderischer Absicht 90g genommen 
haben. Man fand einen ziemlich kräftig gebauten Mann, der über heftige 
Magenschmerzen und Erbrechen klagte. Ich sah ihn ‘/a Stunde nach 
der Aufnahme. Es fiel mir auf,, dass er auch über schmerzhafte 
Wadenkrämpfe klagte. Dieses Symptom ist bemerkeuswerth insofern, 
als in einigen Lehrbüchern betont wird, dass die Differentialdiagnose 
zwischen Cholera nostras und As-Vergiftung u. A. auch dadurch ge¬ 
leitet würde, dass die Wadenkrämpfe bei letzterer Krankheit fehlten. 
Das ist unrichtig; ich habe mehrmals Vergiftungen mit Schwein¬ 
furter Grün beobachtet, die in Thüringen relativ viel häufiger als 
hier zu sein scheinen; in 2, wenn nicht 3 Fällen wurden mir 
schmerzhafte Wadenkrämpfe als besondere Beschwerden angegeben. 
Im Uebrigen lag hier das Bild der Cholera vor, heftiges Erbrechen, 
Durchfälle, quälender Durst, enorme Herzschwäche, Sinken der 
Temperatur etc. Der Magen wurde sofort ausgespült, und es war 
merkwürdig, dass, nachdem mindestens 101 durchgelaufen waren, 
welche grosse Mengen von Schweinfurter Grün zu Tage gefördert 
hatten, und nachdem die letzte Füllung des Magens klar abgelaufen 
und ihm Sherry eingeflösst war, dieser erbrochen wurde mit neuen 
bedeutenden Mengen des Giftes. Kampher vermochte nichts; 
Morphium beruhigte ihn etwas. Der Collaps wich nicht; Tod nach 
5 Stunden, bei vollem Bewusstsein. As-Vergiftete sollen gewöhnlich 
unter Krämpfen und im tiefsten Coma sterben, dass das nicht alle 
Mal der Fall ist, geht aus diesem Fall hervor. Section am nächsten 
Tage. Wie Sie hier sehen, fanden wir im Magen neben der sehr 
schönen Gastroenteritis toxica, die sich namentlich in grau ange¬ 
ätzten und hämorrhagischen Streifen kundgiebt, einen enormen 
Kuchen von einem Kitt von Schweinfurter Grün. Trotzdem dieser 
1 .4—V 2 Pfd- schwere Klumpen frei im Magen gelegen hat, war es 
nicht möglich, durch Ausspülung grössere Mengen zu entfernen. 
Dieser Kuchen lässt sich auch im Wasser hin- und herweoden, ohne 
dass wesentliche Partikel sich ablösen. Auch die Schleimhaut zeigt 
sich besetzt mit festhaftenden grünen Belägen, die mit dem Magen- 
secret einen festen Kitt gebildet haben. Ich habe etwas derartiges 
nie gesehen. Pat. hat nicht 90 g, sondern gegen Pfd. des Giftes 
genommen, eine Dose, deren Kupfergehalt allein, ganz vom Arsenik 
abgesehen, den Tod veranlasst haben würde. 

2. Herr 0. Fräntzel: Ueber Akromegalie. (Der Vortrag mit 
der sich anschliessenden Discussion wird demnächst in dieser Wochen¬ 
schrift veröffentlicht werden). 

3. Herr Fürbringer: Zur Kenntniss der Impotentia gene- 
randi. (Der Vortrag ist an auderer Stelle in dieser Nummer ab¬ 
gedruckt.) 

Herr Bernhardt: Ich habe neulich in einer anderen Gesellschaft 
einen Patienten, einen früher gesunden, kräftigen Mann, vorgestellt, der 
nach einem Fall auf sein Hintertheil eine starke Erschütterung des Rücken¬ 
markes davongetragen hatte. Als Rest dieser Affection ist folgendes vor¬ 
handen: Von Beginn des Falles an: Lähmung der Blase und des Mast¬ 
darmes, vollkommene Anästhesie am Penis, am Scrotum, am Damm, an 
einzelnen Partieen der Hinterbacken, an der Afterkerbe, im Mastdarm selber, 
an bestimmten Bezirken des Oberschenkels im Bereich des N. Clunium post. 
8—10 Tage nach dem Unfälle habe ich ihn zuerst beobachtet (ich verdanke 
die Möglichkeit Herrn Collegen Arendt). Der Patient konnte die Beine 
vollkommen bewegen, die Kniephänomene waren erhalten, Anästhesie 
an den Beinen bestand nicht. — Interessant ist also, dass durch das 
Trauma nur das Centrura ano-vesicale beeinträchtigt war. — Natürlich 
hatte der Kranke die ersten Tage keinen Gedanken an eine Zusammenkunft 
mit seiner Frau; nach einer gewissen Zeit aber stellte sich dieses Verlangen 
ein; auf meine Frage bekam ich eine Antwort, die mich frappirt hat. Der 
Patient sagte, er wäre wohl im Stande, zu seiner Frau zu gehen, Potentia 
coeundi und Libido sind also vorhanden, ebenso das Wollustgefühl, wie in 
normaler Zeit; wenn dann aber der Act vorbei sei, dann merke er, dass 
der Same langsam aus seiner Harnröhre herauslaufe, in keiner Weise 
ejaculirt sei. Es sind also das Cent rum, bezw. die Nerven, welche die 
Erection des Gliedes vermitteln, intact, während diejenigen nervösen 
Organe, welche der Herausbeförderung des Samens vorstehen (die 
Nerven für die Mm. ischio- und bulbocavernosi), gelähmt sind. — Nach 
längerer zweckentsprechender galvanischer Behandlung macht sich jetzt eine 
gewisse Besserung dieser Zustände und der Blasen- und Mastdarmlähmung, 
sowie der oben erwähnten Auästhesieen bemerklich. Interessant ist also 
in diesem acut nach einem Trauma entstandenen Falle: erstens das Fort¬ 
bestehen der Libido, der Potentia coeundi neben vollkommener Blasen- 
und Mastdarmlähmung, sodann das durch den Zufall offenbarte Factum 
der Zweitheilung des normalen Copulationsactes, von dem also ein Theil in 
normaler Weise zu Stande kommt, während der andere ausfällt. Es besteht 
also hier eine ganz besondere Art der Impotentia generandi. 

Herr Fürbringer: Dieser Fall ist mir neu und interessant. Ich kann 
mich vor der Hand nur der Meinung des Collegen Bernhardt anschliessen 
und halte mich für verpflichtet, einer Beobachtung von Anderson im 


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570 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


British Medical Journal 1887 zu gedenken. Hier war im Bereich der Pars 
prostatica der hintere Theil des Sphincter vesicae angeblich in Folge von 
Entzündung der Vorsteherdrüse gelähmt, so dass das Sperma bei der Ejacu- 
lation nicht gegen die Blase abgeschlossen werden konnte, soudem sich 
nach vorn und hinten vertheilte. Wenn ich nicht irre, hat auch Anderson 
durch elektrische Behandlung des Falles die Lähmung mit gewissem Erfolg 
bekämpft, so dass, wenn auch nicht richtige Ejaculation, so doch ein kräf¬ 
tigerer Erguss von Sperma nach vorn erfolgte. 


VH. Greifewalder medicinischer Verein. 

Sitzung am 5. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Landois. Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Mosler: Zur Diagnose chronischer Milztumoren. 
Noch in der letzten Zeit sind Splenotomieen vorgenommeu worden 
in Fällen, in denen man eine Ovariotomie beabsichtigte. Bei 
Consultationen habe ich mich überzeugen können, dass die Diagnose 
von Milztumoren mitunter ausserordentliche Schwierigkeiten macht. 
Ich beabsichtige, an den zahlreichen Unterleibstumoren, die 
mir in der klinischen Praxis begegnen, so oft es die Verhältnisse 
gestatten, die charakteristischen Eigenschaften derselben innerhalb 
unseres Vereines zu demonstriren. Wollen Sie darum heute einen 
exquisiten leukämischen Milztumor, der nach verschiedenen 
Seiten für die Diagnose von Werth ist, gemeinsam mit mir unter¬ 
suchen. Sie finden denselben bei einem 25 Jahre alten Schlächter, 
der Malaria, Syphilis, Trauma in Abrede stellt. Wie in so 
vielen Fällen ist auch hier ganz allmähliche Entwickelung der 
Leukämie ohne nachweisbare Ursache zu verzeichnen. Von 
Mitte November vorigen Jahres an bemerkte Patient, dass seiu 
Leibesumfang allmählich stärker wurde. Bei geringer Anstrengung 
stellte sich Athemnoth ein, grosse Mattigkeit hinderte ihn an 
der gewohnten Arbeit, heftiges Nasenbluten gesellte sich öfters 
hinzu. Von Herrn Collegen Meyer in Greifenhagen wurde der 
Kranke meiner Klinik gütigst überwiesen. 

Die Inspection des Unterleibes lässt schon durch die Kleider 
hindurch eine Auftreibung erkennen, die mehr auf der linken Seite 
entwickelt ist. Bei einer leukämischen Patientin, die ich schon in 
Giessen behandelt habe, war die Auftreibung so stark, dass bei 
oberflächlichem Ansehen selbst von Aerzten an die Möglichkeit 
einer Schwangerschaft in den letzten Monaten gedacht worden 
war, wiewohl man sich bei genauer Besichtigung überzeugen konnte, 
dass die Geschwulst bei jener Patientin in Folge der beträchtlichen 
Schwellung der Milz auf der linken Seite mehr entwickelt war. 

Anasarka der Bauchdecken, stärkere Entwickelung der sicht¬ 
baren Venen ist bei unserem Kranken nicht zu constatiren; dagegen 
können Sie die Conturen des vom linken Hypochondrium bis in 
den vorderen Bauchraum sich erstreckenden Tumors bei der In¬ 
spection sowohl im Stehen, wie im Liegen verfolgen. 

Genauer können Sie sich überzeugen durch Palpatiou von 
der grossen resistenten Geschwulst, die aus dem linken Hypochon- 
driura entspringt, mehr als handbreit über den Nabel nach vorn 
reicht, bis in das Becken hinein, zwei Finger oberhalb der Syra- 
physis ossium pubis, sich erstreckt. Die Oberfläche und Ränder 
fühlen sich sehr derb an. Es kann daher dieser Milztumor mit 
parenchymatösen Injectionen behandelt werden. Die Ränder 
sind vollständig stumpf. Ich bitte Sie, Ihre Finger einführen zu 
wollen in die sehr tiefen horizontal verlaufenden Einkerbungen, 
welche Sie im Liegen des Patienten am vorderen Rande deutlich 
palpiren können. Die Bauchwandungen sind hier so glatt, die Ein¬ 
kerbungen, an Zahl drei, so tief, dass Sie Ihre Fingerspitzen in sie 
fast versenken können. Der vordere Milzrand bekommt dadurch 
nahezu lappige Form. Ich bitte Sie. die Palpation genau ausführen 
zu wollen, da das Constatiren solcher Einkerbungen mit zu den 
sichersten Zeichen eines Milztumors gehört. Es wäre wünschens¬ 
wert), dass in der Praxis häufiger darauf geachtet würde. 

Bekanntlich machen diese Einkerbungen, welche bis zur Ab¬ 
schneidung eines Theiles der Milz durch eine horizontale Furche 
führen können, den Uebergang zu den Nebenmilzen, die ich schon 
in zwei Fällen zu palpiren im Stande war. 

Linker Leberlappen und Milztumor berühren sich hier. 
Die vordere Spitze ist dadurch etwas nach abwärts ausgewichen. 
Indem wir den Kranken auf die rechte Körperseite lagern, sinkt der 
Milztumor noch mehr in den Bauchraum hinein; es beträgt die Excur- 
sion 7 cm. In Folge der länger dauernden beträchtlichen Volumens¬ 
zunahme ist eine Lageabweichung vorgekommen. Durch Zerrung 
dieser beträchtlichen Geschwulst während des Gehens haben die 
Milzligamente (Ligamentum gastro-lienale und phrenico-lienale) 
eine anormale Länge erfahren; daraus ist eine lose Befestigung des 
Eingeweides hervorgegangen. Wir haben es daher mit einem ver¬ 
schiebbaren Milztumor zu tbun. Sie können ihn von unten und 
vorn nach hinten und oben zurückscbieben. Ganz besonders möchte 
ich Sie bei dieser durch Druck hervorgerufenen Verschiebung auf¬ 


merksam machen auf das peritoneale Reiben, das Sie in der Aus¬ 
dehnung von ungefähr 5 cm in der unmittelbaren Nähe des Nabels 
zu palpiren und auch zu auscultiren vermögen. 

Unter 51 Fällen von Leukämie, die ich selbst beobachtet habe, 
konnte ich peritoneales Reiben in 10 Fällen constatiren in Folge 
chronischer Perisplenitis, die sich der leukämischen Milz¬ 
hyperplasie zugesellt hatte. Auch bei einem Patienten, bei welchem 
nach einer arteriellen Transfusion acute Peritonitis entstanden 
war, habe ich während 5 Tage eiu peritoneales Reiben über dem 
Milztumor gefühlt. 

Ausser peritonealem Reiben vermögen wir bei chronischen 
Milztumoren nur höchst selten eigentümliche Gefässge- 
räusche über denselben zu hören. 

Gewiss liegt es bei dem grossen Gefässreichthum der Milz sehr 
nahe, daran zu denken, dass bei pathologischen Veränderungeu, 
zumal bei sehr acut entstehenden Tumoren, Geräusche in den Milz- 
gefässen entstehen. 

Die normale Milz habe ich beim Menschen öfters auscultirt. 
Niemals ist mir in der Milzgegeud ein besonderes Geräusch wahr¬ 
nehmbar gewesen. Da die Möglichkeit vorlag, es würden in der 
Milz entstehende Geräusche durch die Bauchdecken nicht nach aussen 
fortgeleitet, habe ich es nicht unterlassen, bei meinen zahlreichen 
Experimenten mittelst eines Stethoskopes direkt an der Milzoberfläche 
von Thieren zu auscultiren. Es fiel mir nichts Besonderes dabei auf. 

Ich auscultirte ferner bei Stauungstumoren der Milz, welche 
durch Compression der Milzvene entstanden waren. Ausserdem 
auscultirte ich die Milz, nachdem ihre Gefässe unterbunden, nach¬ 
dem die Milznerven durchschnitten waren. In allen diesen Fällen 
wurde keine besondere Anomalie beim Auscultiren von mir wahr¬ 
genommen. 

Gerhardt hat bei 3 mit gut compensirter Aorteninsuffi- 
cienz behafteten Individuen, welche, der erste in Folge der Inter- 
mittens, die beiden anderen wegen Pericarditis, stark fieberten, an 
der vergrösserten Milz eiue eigentümliche Pulsation des Tumors 
beobachtet. Letzterer schwoll bei jeder Herzsystole, sich allmählich 
ausdehnend, stärker an und verkleinerte sich bei der Diastole 
wieder. Man hörte über dem Tumor einen dumpfen Doppelton, 
nur am oberen Rande die Herzgeräusche. Als Ursachen dieser 
Erscheinung sieht Gerhardt die abnormen Blutdruckverhältnisse 
der Aorteninsufficienz und die fieberhafte Erschlaffung der Gefäss- 
wände an. Auch bei einem fiebernden Bleikranken, bei dem sich 
zu vorhandenem Gelenkrheumatismus Pneumonie, Eudo- und Peri¬ 
carditis hinzugesellt hatten, pulsirte die Milz, bevor noch an der 
Aorta ein Geräusch zu hören war, ebenso bei einer Patientin, bei 
der Aorteninsufficienz mit Schwangerschaft corabinirt war, und bei 
einem Tuberculösen mit linksseitigem Empyem, Verdrängung des 
Herzens nach rechts, ohne nachweisbaren Klappenfehler. 

Mir ist bis jetzt ein pulsirender Milzturaor noch uicht vorge¬ 
kommen, ich vermag daher über die palpatorischen und ausculta- 
torischen Phänomene desselben nicht zu berichten. 

Zum ersten Male habe ich im Juli 1871 eigenthümlich summende 
Geräusche bei einem Patienten mit Wechselfieber während des 
Froststadiums gehört. Seitdem ist es mir gelungen, fast in jedem 
derartigen Falle während des Froststadiums Geräusche meinen Zu¬ 
hörern zu demonstriren. Einmal waren sie nicht nur während des 
Froststadiums, sondern auch während des ganzen Verlaufes des 
Fiebers, sogar in der fieberfreien Zeit zu hören. Dieselben Ge¬ 
räusche waren nicht nur über der Milzgegend, sondern sowohl 
nach auf- und abwärts in der Bauchgegend zu hören, wurden in 
dem Hitzestadium geringer und verschwanden in der Regel in der 
Apyrexie gänzlich. Auch Griesinger hat häufig im Wechsel¬ 
fieberanfall, besonders im Beginne des Hitzestadiums ein anhalten¬ 
des Summen oder ein aussetzendes, mehr hauchendes Geräusch, 
ähnlich dem sogenannten Placentar- oder Uteri ngeräusch der 
Schwangeren, über der Milz gehört und glaubt, dass es aus einem 
der grossen Gefässe, namentlich der Venenstämme des Unterleibes, 
schwerlich aus der Milz selber komme. Meiner'Ansicht nach ver¬ 
dankt es seine Entstehung der Contraction der Milzarterie sowohl 
wie anderer Arterien während des Froststadiums im Wechselfieber, 
indem bei jeder Systole die in dieselben eintretende Blutwelle in 
Oscillation geräth. Ueber einer eventrirten Hunderailz habe ich 
ganz dasselbe Geräusch gehört nach Darreichung grösserer Dosen 
Chinin. 

Ich habe ferner eine Reihe von chronischen Milztumoreu, sehr 
ausgesprochene leukämische Milzen öfters auscultirt. Unter 51 leu¬ 
kämischen Milztumoren habe ich nur 3 Mal summende Geräusche 
beim Aufsetzen des Stethoskopes auf die Milzgegend gehört, die ich 
von Oscillationen in erweiterten Partieeu der Milzgefässe her¬ 
leite. Es waren Tumoren von mehr weicher Beschaffenheit, welche 
dies Auscultationsphänomen darboten. Ueber dem vorliegenden Milz¬ 
tumor von derber Beschaffenheit sind Geräusche nicht zu hören. 

Die Percussion des Unterleibes ergiebt bei unserem Kranken, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


571 


12. Juli. 


mit Ausnahme der Stelle, wo Milz und Leber liegen, auffallend 
tympanitischen Schall in Folge von Auftreibung der Gedärme durch 
Gase. Daher siud mittels Percussion die Grenzen dieses leukä¬ 
mischen Milztumors nicht so genau zu bezeichnen als durch 
Palpation. Immerhin ergiebt die Percussion eine sehr ausgebreitete 
Dämpfung, welche das linke Hypochondrium und die linke Bauch¬ 
seite mehr oder weniger vollständig einniramt. Dieselbe misst in 
der Achselhöhle von oben nach unten = 14 cm. Es ragt die 
Dämpfung vor die Linea axillaris = 28 cm, vor die Linea 
mediana = 6,5 cm. Durch Percussion ist ausserdem leicht fest¬ 
zustellen, dass der Milztumor nach hinten nicht ganz bis an die 
"Wirbelsäule heranragt. 

Indem ich Ihnen hier die Milzgrenzen aufgezeichnet habe, er¬ 
halten Sie einen Eindruck von der ausserordentlichen Ausdehnung 
dieses Tumors. Wie ich schon früher mehrfach angegeben habe, 
bestimme ich nach dem Vorgänge von Seitz und Schuster in der 
Regel die Grösse der Milz nach der Ausdehnung der Milzdämpfung 
von oben nach unten und danach, ob die vordere Milz¬ 
spitze mehr oder weniger weit vor die Linea axillaris in den 
Bauchraum ragt. Der erste Durchmesser beträgt in der Norm be¬ 
kanntlich 5—6 cm. Zahlreiche Erfahrungen haben mich überzeugt, 
dass die Begrenzung der Milzdämpfung nach den genannten drei 
Seiten hin in den meisten Fällen eine ungefähre Vorstellung der 
Form, insbesondere der Vergrösserung dieses Organs zu geben 
vermag. Man darf nur nicht aus allzu geringen Unterschieden in 
der Centimeterzahl dieser Grenzen alsbald auf Volumensveränderung 
der Milz schliessen wollen. 

Wegen der zahlreichen Schwankungen, denen das Ergebniss 
der Milzpercussion ausgesetzt ist, muss bei Beurtheilung der aufge¬ 
fundenen Dämpfuugsgrösse mit grosser Vorsicht vorgegangen werden. 
Sehr geringe Volumenszunahmen sind durch die Percussion oft 
schwer zu ermitteln. Auch bei therapeutischen Maassnahmen, die 
gegen so grosse Tumoren zur Anwendung kommen, genügt der 
Nachweis der Volumensveränderungen in den eben genannten drei 
Richtungen in der Regel, um den Erfolg der Therapie zu beur- 
theilen. Wir haben es hier mit einem leukämischen Milztumor von 
derber Consistenz zu tliun, bei dem wir deshalb paren¬ 
chymatöse Injectionen einer Strychninlösung angewandt haben. 
Ueber den dadurch erzielten Erfolg wird in einer der uächsten 
Vereinssitzungen der Assistenzarzt meiner Klinik, Herr Dr. Niesei, 
näher berichten. _ (Schluss folgt) 


Yin. Dreizehnte W an derverSammlung süd¬ 
westdeutscher Neurologen und Irrenärzte zu 
Freiburg i. Breisg. den 9. und 10. Juni 1888. 

Der diesjährige Geschäftsführer Prof. Emminghaus eröffnete die 
Versammlung um 9 1 /« Uhr im anatomischen Instilut zu Freiburg; er ge¬ 
dachte des heimgegangenen Mitgliedes Direktor Dr. Freusberg (Bonn) 
und schlug zum Präsidenten für die erste Sitzung Prof. Erb (Heidelberg) 
vor, welcher durch Acclamation gewählt wurde. Als Schriftführer fungiren 
Dr. Laquer (Frankfurt a. M.) und Dr. Trainer (Freiburg). 

Es trugen vor: 

1. Herr Prof. Rählmanu (Dorpat): Ueber sclerotlschc Veränderun¬ 
gen der Netzhantgef&sse. Eine Reihe von Autoren hatten bereits früher 
Veränderungen an den Gefässwänden der Netzhaut nachgewiesen, so bei 
Embolie der Art. centralis, bei syphilitischen Veränderungen und bei Niereu¬ 
erkrankungen, ferner bei der mit Pigmentirung der Netzhaut verbundenen 
hereditären Degeneration, wie sie bei Idioten und Microcephalen beobachtet 
wird. Auch bei atheromatöser Erkrankung der Körperarterien sind einzelne 
Befunde, welche die Erkrankung der Netzhautgefts.se betreffen, erhoben 
worden. Vortr. hat 35 Fälle untersucht von Leuten, deren Körperarterien 
sclerotisch verändert waren: 20 Mal mit positivem Ergebniss: Die Verän¬ 
derung betraf am häufigsten die Arterien, an denen sich eine Verdünnung 
des Kalibers fand: an den engen Stellen erschienen die Geftsse wie durch 
ein schmales Band eingeschnürt. -- Diesseits und jenseits dieser Stelle 
war bis auf eine leichte Ausdehnung des Lumens etwas Pathologisches 
nicht nachzuweisen. — In den meisten Fällen war die verengte Stelle 
kenntlich an einer spindelförmigen Verbreiterung der Wandung, die als 
gelbweisser oder gelbgrauer Fleck sichtbar war. — Es handelte sich offen¬ 
bar um eine Arteriosclerosis nodosa. Die Patienten zeigten theils wirklich 
sclerotisch veränderte Körperarterien, theils waren nur die Carotiden ver¬ 
ändert (6 waren hemiplcgisch und litten an Herzdilatatiou), bei Einzelnen 
waren nur habitueller Kopfschmerz, Neigung zu Ohnmächten, Schwindelan- 
fällen etc. vorhanden. Ausser dieser Arterieuerkrankung waren auch die 
Venen verändert; in 8 Fällen betraf die Erkrankung ausschliesslich die 
Venen der Netzhaut: Auch hier gab es wieder locale Einengungen, meist 
aber fanden sich cktatische, ampullenförmige Ausbuchtungen. Die erwähn¬ 
ten Veränderungen siud ophthalmoskopisch nicht schwer zu entdecken und 
bilden somit ein wichtiges Hilfsmittel zur Diagnostik der Hirngeftss- 
erkrankungeu. 

2. Herr Prof. Manz (Freiburg): Ueber symptomatische Neuritis 
optici. Der diagnostische Werth der Neuritis optica für eine Reihe von 
Hirnkrankheiten kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man den Zu¬ 
sammenhang dieser Localerkrankung mit der betr. Hirnaffection zu er¬ 
gründen bestrebt ist: Gräfe hat die Pathogenese gesucht in einer Stei¬ 


gerung des intracraniellen Druckes, Sesemann hat ihm widersprochen. — 
Schwalbe und Manz haben den Hydrops vaginae nervi optici (Stauungs¬ 
papille) so erklärt, dass die Flüssigkeiten durch den gesteigerten Druck 
nach der Opticus-Scheide hin verdrängt würden: Diese Hypothese („Trans¬ 
port-Theorie“) hat ziemlich allgemeine Anerkennung gefunden. — Leber 
und Deutschmann haben dagegen die Anschauung vertreten, dass nicht 
der Druck der aus dem Schädel abfliessenden Flüssigkeit, sondern die Bei¬ 
mengung von Stoffwechselproducten reizend auf den Sehnerven wirke. Be¬ 
weise dafür sind eigentlich nicht erbracht worden, Mikroorganismen hat man 
in dem Hydrops vaginae nervi optici nicht gefunden: Wenn man die 
Stauungspapille als Neuritis schlechtweg ansieht, dann köune man das 
Symptom der Schwankung in der Füllung der Sehnervenscheide und die 
damit zusammenhängende Functionsschwankung nicht erklären. Auch sei 
bei rein entzündlichen Affectionen, Meningitis, Himabscessen die Neuritis 
selten, während sie bei Tumoren bekanntlich ein wichtiges diagnostisches 
Hülfsmittel bilde. — Das widerspreche der Deutschmann'.sehen Ansicht. 
Die Untersuchungen müssten in klinischer und anatomischer Hinsicht wieder 
aufgenomraen werden. Manz hält daran fest, dass die Stauungspapille 
wohl eine Neuritis sei, aber etwas Charakteristisches gewinne sie erst durch 
die Circulationsstömng in der Umgebung des Sehnerven, welche ihrerseits 
abhängig sei von der Art der Hirnkrankheit! 

3. Herr Doceut Dr. Knies (Freiburg): Ueber Angenbefunde bei 
Epilepsie. Als häufiger Befund im Anschluss an epileptische Anfälle ist 
von vielen Autoren eine venöse Hyperämie der Netzhaut und der Sehnerven 
constatirt worden, die um so auffälliger war, je früher nach dem Anfall 
untersucht wurde und je heftiger die einzelnen Attacken aufeinander folgten. 
Es gelingt sehr selten, während eines epileptischen Anfalls mit der nöthigen 
Ruhe das Auge zu untersuchen. 1877 hat Vortr. auf dem Ophthalmologcn- 
congross über Befunde bei einem 14jährigen Knaben im Status epilepticus 
berichtet: 10—20 Secunden vor jedem Anfall trat plötzlich eine auffällige 
Verengerung der Netzhautarterien ein, die während des Anfalles anhielt und 
mit Beendigung desselben zurückging, worauf sehr erhebliche Erweiterung 
der Venen eiutrat. Wir sehen also an den Gefässen der Netzhaut genau 
die Vorgänge, wie wir sie uns beim epileptischen Anfall an den Gefässen 
der Hirnrinde vorstellen müssen: Arterienkrampf, der durch locale Er¬ 
nährungsstörung und Kohlensäurevcrgiftung den Anfall auslöst, Aufhören des 
letzteren mit dem Nachlass des Geftsskrampfes und langsame Rückkehr zum 
normalen Zustand. Eine weitere Beobachtung des Vortr. unterstützt diese 
Auffassung: Ein 35jähr. Maun litt seit 5’/u Jahren an epileptischen Anfällen 
wahrscheinlich auf epileptischer Basis. Derselbe hatte in letzter Zeit minuten¬ 
lange Anfälle von Erblindung des rechten Auges. Das Gesichtsfeld zog sich 
vorhangähnlich zusammen bis zu absoluter Erblindung, die etwa eine Minute 
lang dauerte und dann wieder ganz zurückging. Trotzdem Untersuchung 
während eines solchen Anfalles nicht möglich war — in der Zwischenzeit 
bestand nur venöse Hyperämie, und zwar rechts stärker als links — glaubt 
Vortr., dass es sich auch hier um einen Arterienkrampf gehandelt habe, der 
als rudiment. Anfall von Epilepsie zu deuten sein dürfte. 

4. Herr Prof. Naunyn (Strassburg): Die Prognose der syphili¬ 
tischen Erkrankungen des Nervensystems. Für die Praxis ist es oft von 
grösster Wichtigkeit, die Prognose im Einzelfalle einer syphilitischen Er¬ 
krankung möglichst bestimmt stellen zu können. Denn die Durchführung 
einer energischen langdauernden antisyphilitischen Cur ist mit grossen An¬ 
sprüchen an die Geduld aller Betheiligten verbunden. Vortr. verwendet zu 
einer Statistik eigene Fälle und solche aus der Literatur. Die Prognose der 
syphilitischen Tabes und der Dementia paralytica syphilitica scheint dem 
Verf. ganz unabhängig davon zu sein, ob Syphilis im Spiele ist oder nicht, 
und Quecksilbercuren sind dabei gewöhnlich erfolglos. Bei den anderen von 
Syphilis abhängigen Erkrankungen ist die Prognose unzweifelhaft nicht so 
traurig, wenn auch ernst genug. Sehr gering sind die Fälle dauernder 
Heilung durch antiluetische Curen. Unter 93 Fällen aus eigener Erfahrung 
des Vortr. kann derselbe nur 8 Fälle mit definitiver und dauernder Heilung 
(etwa seit über 5 Jahren) anführen. Ihnen reihen sich Heilungsfalle an, in 
welchen die Cur zunächst Heilung bringt, wenn auch der Patient sich der 
weiteren Beobachtung entzieht. In 10 von den 88klinischen Fällen Naunyn's 
fehlt jeder Erfolg; 49 wurden gebessert: 5 Kranke starben in der Klinik; 
24 wurden geheilt. 

Aus der Casuistik in der Literatur gewinnt man ein günstiges Bild: 
Von 325 Fällen der Zusammenstellung Naunyn’s sind 155 (48%) geheilt, 
170 (52o;„) nicht geheilt. Dies Resultat scheint offenbar zu günstig. Die 
Form, unter welcher die Nervenerkrankung auftritt, ist sehr wichtig. Epi¬ 
lepsie giebt die beste Prognose, ebenso gute Heilziffern geben Fälle von 
Hirnreizung und die neuritischen Affectionen (Neuralgieen und Lähmungen 
der basalen Hirnnerven), während Monoplegie, Hemiplegie, Paraplegie, schwere 
diffuse und gemischte Formen etc. weniger günstige, letztero sogar recht 
schlechte Heilerfolge zeigen. Wo ein gutes Resultat der Behandlung, eine 
Heilung der Krankheit oder eine Besserung erreicht wird, da lassen fast 
immer die ersten Anzeichen der Besserung nicht lange auf sich warten. — 
Ist bei Jodkalibehandlung bis Ende der ersten Woche, bei energischer Queck- 
silberbehandldng bis Ende der zweiten Woche kein Resultat erzielt, so sind 
nach Erfahrung des Vortr. die Aussichten sehr gering. Die günstige Wirkung 
der specifischen Cur zeigt sich in der Regel zuerst und am sichersten im 
Allgemeinbefinden. — Grosse Dosen: Inunctionen von 5 —10 g steigend sind 
nothwendig! 

5. Herr Forel (Zürich): Zur Therapie des Alkoholismas. Vor¬ 
tragender zeigt, dass die sogenannten Abstinenzvereine, d. h. solche Vereine, 
deren Mitglieder sich zur völligen Enthaltung aller alkoholischen Getränke 
verpflichten, die grossartigsten Heilerfolge bei den Alkoholikern aufzuweisen 
haben. Der Prämienrabatt von 10°/o, welchen anglo-amerikanische Lebens¬ 
versicherungsgesellschaften den Abstinenten gewährten, zeigen zudem, dass 
die Abstinenz der Gosundheit der Menschen sehr zuträglich ist. Vortragender 
findet, wie schon von englischer Seite berichtet wurde, dass eine rasche 
völlige Entwöhnung gefahrlos ist (4—5 Tage genügen ihm meistens dazu). 


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572 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


Mau muss nur für kräftige Ernährung (im Nothfall mit Schlundsonde) 
sorgen. Beim Wasserregime befinden sich die Alkoholiker der Irrenanstalt 
Burghölzli sehr wohl. Seit September 186G hat Vortragender die Alkoholiker 
der Irrenanstalt Burghölzli consequent auf die angedeutete Art und mit 
relativ gutem Erfolge behandelt, obwohl es sich, wie in Irrenanstalten über¬ 
haupt, um die ungünstigsten Formen handelt. Von 24 Fällen sind 10 bis 
jetzt geheilt (abstinent) geblieben. Die anderen Fälle sind theils rückfällig 
geworden (5), theils zweifelhaft (2), theils unbekannten Aufenthalts (6). Bei 
einem Falle ward die Geistesstörung chronisch. Als Hülfsmittel bei der 
Behandlung des Alkoholismus und Morphiumismus empfiehlt Forel den 
Hypnotismus; er stellt eine durch Suggestion geheilte früher alkoholistisch 
gewesene Wärterin vor und demonstrirt an ihr einige hypnotische Versuche. 

6. Herr Professor Erb (Heidelberg): Ueber Dystrophia mnscularis 
progressiva. Im Jahre 1883 hat Erb zuerst eine klinische Trennung der 
.progressiven Muskelatrophie“ in zwei Formen versucht: eine spinale 
Form (Amytrophia spinal, progr. und eine wahrscheinlich myopathische 
(Dystrophia muscularis progressiva). Zu der letzteren rechnet er 
die juvenile Muskelatrophie (Erb), die Pseudohypertrophie der Kinder 
und die hereditäre Muskelatrophie (Leyden), sowie die infantile 
progressive Muskelatrophie (Duchenne) mit Gesichtsbetheiligung. 
Fast alle Autoren haben sich Erb angeschlossen, und in Ueboreinstimmung 
mit einer grossen Anzahl anderer Beobachter, sowie auf Grund von vielen 
neuen eigenen Fällen sieht Erb sich berechtigt, die klinische Einheit der 
vier genannten Formen aufrecht zu erhalten, namentlich in Bezug auf Lo- j 
calisation der Muskelatrophie resp. Hypertrophie. Verhalten der Muskeln bei I 
der Inspection, Palpation, elektrischen Untersuchung in Rücksicht auf die ' 
fibrillären Zuckungen etc. Beweisender noch ist der Nachweis von Ueber- | 
gangsformen zwischen den einzelnen Gruppen, wie solche zahlreich beob¬ 
achtet worden sind, und das Vorkommen von verschiedenen der oben ge¬ 
nannten Formen in derselben Familie. Die Eintheilung in etwaige Unter¬ 
arten und eine zweckmässige Gruppirung behält Erb sich vor. Aus Beob¬ 
achtungen von excidirten Muskelstückchen scheint auch ein anatomisch 
einheitlicher Process hervorzugehen. Es fanden sich wesentlich: Hypertrophie 
der Muskelfasern, daneben alle Uebergängo zur Atrophie, Kernvermehrung, 
Spalten und Vacuolenbildung, Bindegewebswucherung und Liporaatose. 
Diejenige Veränderung dürfte nach Ansicht Erb’s als die früheste, d. h. 
als die primäre zu betrachten sein, welche sich in gewissen Muskeln allein, 
oder doch fast allein und dann am entwickeltsten vorfindet. Das ist die 
Hypertrophie der Muskelfasern. Die näheren Ausführungen über den Ent¬ 
wickelungsgang des anatomischen Processcs, wie sich ihn Erb denkt, be¬ 
hält sich Vortr. für eine demnächst erscheinende grössere Arbeit vor, doch 
scheint ihm nach seinen und Anderer Beobachtungen die endgültige Auf¬ 
stellung einer jene vier Formen umfassenden Dystrophia muscularis 
progressiva genugsam begründet. 

7. Herr Prof. Bäum ler (Freiburg) stellt einen ziemlich vorgeschrittenen, 
aber sehr ausgesprochenen Fall von Dystrophin museal, progr. (juvenile 
Form), ausserdem einen Aphasischen (Broca’sche Form) vor, der eine Reihe 
psychischer Störungen und Tremor der rechten oberen Extremität zeigt, ohne 
dass man ihn für einen Paralytiker zu halten berechtigt ist, trotzdem sich die 
genannten Störungen theilweise schleichend entwickelt haben. 

8. Herr Prof. Wiedersheim (Freiburg) demonstrirt, eiuo Gruppe von 
vorzüglichen Hirnmodellen aus der Reihe der Wirbelthiere, die von Ziegler 
(Freiburg) aus Wachsraasso gefertigt und für den akademischen Unterricht 
sehr geeignet sind. 

i). Vor der Besichtigung des Freiburger Zellengefängnissos, die am 
Schluss der I. Sitzung statthatte, sprach einleitend 

Herr Prof. Dr. Kirn (Freiburg): Ueber die Psychosen der Einzel« 
haft. Man hat die Gefangenschaft beschuldigt, ungemein unheilvoll für die 
psychische Gesundheit zu sein. Die Erfahrung vieler Autoren und auch die 
des Vortr., der seit 10 Jahren Arzt des Zellengefängnisses zu Freiburg ist, 
widerspricht dieser Anschauung: Erbliche Anlage, Kopfverletzungen, Epi¬ 
lepsie, verkehrte Erziehung etc. schaffen eine hochgradige Prädisposition; 
die Einsperrung wirke nur als occasionelles Moment, um am Straforte die vor¬ 
bereitete Psychose meist rasch zu zeitigen: die Geistesstörungen in gemein¬ 
schaftlicher Haft erscheinen wesentlich verschieden von denen der Einzel¬ 
haft; in jener beobachtet man vornehmlich sich langsam entwickelnde chro¬ 
nische Störungen mit dem Charakter der Demenz oder der chronischen Ver¬ 
rücktheit, in der Einzelhaft überwiegend acute Psychosen. Die letzteren sind 
zwar häufiger, aber auch leichter heilbar, als die aus gemeinsamer Haft ent¬ 
springenden Störungen. Die Einzelbaftpsychoseu zeichnen sich aus durch 
den acuten Verlauf, durch das mächtige Hervortreten von Sinnestäuschungen 
und durch die relativ günstige Prognose. 

Unter 133 von Kirn (Freiburg) beobachteten Fällen waren besonders 
häufig die acute hallucinatorische Melancholie, der acute hallucinatoriscbe 
Wahnsinn und die acute hallucinatorische Manie — die an zweiter Stelle 
genannte geht manchmal in chronischen, unheilbaren Wahnsinn über. 

Um ü 1 /* Uhr wurde die erste Sitzung durch Prof. Erb geschlossen; ein 
gemeinsames Mahl vereinigte die Neurologen und Psychiater im .Zähringer 
Hof“. _ _ (Schluss folgt.) 

IX. Journal-Revue. 

Chirurgie. 

4. 

Jefferies. The antibacterial action of jodoform. The 
americ. joum. of med. Sciences 1888, 1. 

Die in ausgedehnterem Maasse zuerst von Heyn und Rovsing 
auf modern bacteriologischem Boden geprüfte Frage nach dem 
Werth des Jodoform als Antisepticum, welche seitdem von ver¬ 
schiedenen anderen Autoren, zuletzt von Neisser, in Angriff ge¬ 
nommen worden ist, hat »Seitens des amerikanischen Autors eine er¬ 


neute experimentelle Bearbeitung erfahren, bei welcher derselbe im 
Wesentlichen zu den gleichen Resultaten gekommen ist, wie seine 
Vorarbeiter auf diesem Gebiete. — Indem bezüglich der Versuchs¬ 
anordnung, welche übrigens keinerlei neue Gesichtspunkte darbietet, 
auf das Original verwiesen wird, seien hier nur die Schlussfol¬ 
gerungen von Jefferies angeführt. Dieselben lauten folgender- 
maassen: 

Das Jodoform ist, da es nicht keimtödtend wirkt, ungeeignet, 
um an Instrumenten, Verbandmaterial, Wunden Asepsis herbeizu¬ 
führen (beiläufig eine Eigenschaft, die dem Mittel von keiner Seite 
vindicirt und auch nicht von ihm verlangt worden ist). 

Das Jodoform ist bei inficirten Wunden gestattet, für welche 
die Anwendung der wahren keimtödtenden Mittel unthunlich oder 
wegen der Gefahr einer Vergiftung unzulässig ist. (? Ref.) 

Dagegen empfiehlt sich die Anwendung des Jodoform wegen 
seiner secretionsbeschränkenden Eigenschaften an Wunden, wo die 
stärkere Feuchtigkeit die eingeleitete Asepsis oder den antiseptischen 
Verband gefährdet. (Das Jodoform wird wohl trotz dieses gegen 
das Mittel eröffneten Feldzuges dauernd den Platz in der Chirurgie 
bewahren, den es sich jetzt errungeu hat, und ein Ersatz desselben 
in der gynäkologischen Praxis, sowie in der Mundhöhlen- und Mast¬ 
darmchirurgie dürfte nur schwer zu finden sein.) 

Eugen Fränkel (Hamburg). 

D. G. Zesas. Zur Exstirpation der Synovialis an der 
hintern Wand des Kniegelenks. Centralblatt für Chirurgie 
No. 28. 

Die so bewährte Arthrectomie am Knie verlangt die Entfernung 
auch des kleinsten „Granulationskorns“ des Gelenkfungus; das ist 
besonders schwierig an der hintern Wand des Kniegelenks. Es ist 
ein seltsames Gefühl, sagt Zesas mit Recht, mit Scheere und 
Messer in allernächster Nähe der grossen Gefässe der Kniekehle zu 
arbeiten, und leicht begreiflich, wie die völlige Ausrottung alles Er¬ 
krankten in Rücksicht auf die Gefahr der Verletzung der grossen 
Gefässe nicht immer gelingt. Zesas räth daher, principiell die 
grossen Gefässe, die in der Regel an ihrer normalen Stelle zu finden 
sind, aufzusuchen und sie von den fungösen Wucherungen loszupräpa- 
riren, sie mittelst Häkchen zur Seite haltend. In schwereren Fällen 
muss man den Gefassen von der Kniekehle aus beizukommen suchen. 
Ein Schnitt, wie zur Unterbindung der Poplitea, legt die Gefässe 
frei, und dieselben sind durch Abziehen vor Verletzung zu schützen; 
auf diese Weise ist auch die Entfernung der perivasculären Granu¬ 
lationen möglich. 

D. G. Zesas. Zur Differentialdiagnose der Gelenkneu¬ 
rosen. Centralblatt f. Chirurgie No. 16. 

Rein nervöse Geleukleiden (Stromeyer, Esmarch, Wernher 
a. A.) sind ja zweifellos, wie dies die gelegentliche Amputation ja 
auch erwiesen hat; dass es aber Gelenkleiden giebt, die Jahre lang 
Gelenkneuralgieen Vortäuschen können, dazu giebt Zesas folgen¬ 
den casuistischen Beitrag: ein 18 jähriges, robustes Mädchen klagt 
seit 6 Monaten über heftige »Schmerzanfälle im linken Knie, ohne 
dass auch nur die kleinste Abnormität nachzuweisen war. Die The¬ 
rapie war machtlos, die Schmerzen wütheten fort. Im 5. Jahre 
traten die Anfälle häufiger auf, das Knie schwoll an, wurde druck¬ 
empfindlich, es trat Contracturstellung ein, die Muskulatur begann 
zu atrophiren, kurz, Tumor albus war nicht zu bezweifeln. Somit hat 
die supponirte Gelenkneuralgie erst nach Jahren ihr wirkliches 
Wesen entfaltet. Wie sind die Schmerzen zu deuten? War viel¬ 
leicht ein epiphysärer Knochenheerd vorhanden, oder ein kleiner iso- 
lirter Tuberkel der Kapsel latent vorhanden? Geh.-Rath v.Volkmann 
theilt mündlich dem Verfasser einige gleiche Beobachtungen mit und 
glaubt, dass ein tuberculöser Knochenheerd Jahre lang neuralgische 
Schmerzen bediugen kann, bis er in’s Gelenk perforirt. 

Pauly (Posen). 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

6 . 

H. Hartmann Ueber die Aetiologie von Erysipel und 
Puerperalfieber. Arch. für Hygiene 1887, S. 83—229. 

In einer von der medicinischen Facultät zu München gekrönten 
Preisschrift bringt Verf. auf Grund von sechszehn eingehend 
untersuchten Krankheitsfällen wie von sorgfältigen Cultur- und In- 
fectionsversuchen schätzenswerthe Beiträge zur Aetiologie des Ery¬ 
sipels und des Puerperalfiebers. In Sonderheit wird durch diese 
Arbeit eine Begründung geliefert für die von Win ekel aus epi¬ 
demiologischen Beobachtungsthatsachen hergeleitete Behauptung, 
dass durch Erysipelcoccen Puerperalfieber erzeugt werden könne. 
Unter den 16 Erysipelfällen handelte es sich fünfmal um Itothlauf- 
erkrankungen der Haut oder Schleimhaut mit den charakteristischen 
kliuischen Symptomen, viermal waren die Deckgewebe des Körpers 
gänzlich verschont, dagegen innere Organe befallen, in 7 Fällen 
waren Complicationen mit Typhus, Scharlach oder Diphtherie vor- 


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12. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


573 


handen. In allen Fällen konnte Verf. die Erysipelcoccen theils 
allein, theils neben anderen Mikroorganismen nach weisen und identi- 
ficiren. 

Die Ergebnisse, zu welchen Verf. durch den Nachweis 
der Erysipelcoccen in den Geweben des Körpers ge¬ 
langt. sind ungefähr folgende: Der Fundort der Erysipelcoccen ist 
bei Weitem kein so beschränkter, wie man nach den älteren Ar¬ 
beiten, welche vorwiegend das oberflächliche Erysipel zum Gegen¬ 
stand der Untersuchung gewählt hatten, anzunehmen geneigt war. 
Man muss ein oberflächliches (cutanes) und ein tiefes (phlegmonöses) 
Erysipel unterscheiden, welche beide durch dieselben Bacterien 
verursacht werden. Letztere vermögen sich nicht nur in den Lyraph- 
spalten und Lymphgefässen der Haut, sondern auch auf den Schleim¬ 
häuten der Respirationsorgane und des oberen Theils des Darm- 
tractus anzusiedeln und speciell die Lymphbahnen der Mucosa und. 
Submucosa reichlich zu erfüllen. Dasselbe Verhalten der Mikro¬ 
organismen zeigt sich auf der Schleimhaut der weiblichen Genitalien, 
namentlich im Puerperium, wo sie auch durch die ofFeuen Blut¬ 
gefässe in den Blutkreislauf aufgenommen werden können. Infolge 
der Möglichkeit eines solchen Uebertrittes in die BlutbahD können 
die Coccen dann auch in den inneren Organen aufgefunden werden. 
Die Erysipelcoccen verursachen im Zellgewebe der Haut niemals 
Eiterung, auch nicht metastatische Abscessbildung in den inneren 
Organen, wohl aber vermögen sie auf lymphgefässreichen Gebilden 
und Lymphdrüsen pyogene Eigenschaften zu entfalten. — Gewisse 
Formen von Puerperalfieber stehen mit der Erysipelinfection der 
Genitalschleimhaut in innigstem Zusammenhänge und sind nicht auf 
septische Infection zurückzuführen. — Das Erysipel hat grosse 
Neigung, sich mit anderen Infectionskrankheiten zu compliciren, so 
findet sich erysipelatöse Dermatitis beim Typhus, Schleimhauterysipel 
bei Scharlach und Diphtherie. 

Die Infectionsversuche, welche mit den vom Hauterysipel ge¬ 
züchteten Coccen an Thieren ausgeführt wurden, führten bei Mäusen 
stets zu einer tödtlich verlaufenden Allgemeininfection mit Ver¬ 
breitung der Coccen im Blut und in den inneren Organen, bei 
Kaninchen zu local bleibenden erysipelatösen Processen, während sich 
Meerschweinchen im Allgemeinen refractär erwiesen. Analoge Re¬ 
sultate wurden mit den Culturen aus puerperalem Erysipel, mit 
den Kettencoccen aus einem Falle von spontaner Peritonitis, wie 
von Scharlach und Diphtherie erzielt. 

Der dritte Abschnitt der Arbeit ist dem Studium des Ver¬ 
haltens der Erysipelcoccen in verschiedenen Nährmedien und gegen¬ 
über differenten äusseren Einwirkungen gewidmet. Während die 
Erysipelcoccen in Culturen verhältnissmässig schnell, d. h. in 1 bis 
2 Monaten ihre Entwickelungsfahigkeit einbüssen,-waren sie, an Seiden¬ 
faden eingetrocknet, noch nach 8 Monaten lebensfähig. Als Optimum 
der Temperatur für die Entwickelung der Gelatineculturen wurden 
24° C ermittelt, bei 12—15° war das Wachsthum ein langsames, 
bei 42,5 C oder darüber fand überhaupt keine wahrnehmbare Ent¬ 
wickelung mehr statt. Durch 12ständiges Gefrieren wurde die 
Lebensfähigkeit der Culturen nicht beeinträchtigt. - Durch 5 
Minuten lange Einwirkung von Sublimatlösung von 1 und von 
l°/ooo, wie auch durch unverdünnten Liquor ferri wurde eine Ab- , 
tödtung der an Seideufaden eingetrockneten Erysipelcoccen erzielt, 
eine Wirkung, die durch Alkohol nicht erreicht wird. Die Prüfung 
des Liquor ferri war durch die von Winckel angeregte Frage ver¬ 
anlasst, ob etwa mit dem zur Aetzung von Puerperalgeschwüren 
benützten Liquor Erysipelkeime übertragen werden könnten. Er¬ 
scheint diese Möglichkeit demnach ausgeschlossen, so ist andererseits, 
wie auch aus einer kleinen Reihe diesbezüglicher Thierexperimente 
hervorging, das Eisenchlorid nicht geeignet, die etwa von der Ober¬ 
fläche des Geschwüres bereits in die Umgebung eingedrungenen 
Keime unschädlich zu machen. 0. Riedel. 

X. Oöffentliches Sanitätswesen. 

Bericht über die Vorgänge in der geburtshülfliehen 
Klinik und Poliklinik zu Harburg während der Zeit vom 
1. April 1887 bis 31. März 1888. 

Von F. Ahlfeld. 

(Schluss aus No. 27.) 

Verlauf der Wochenbetten: 

Keine der 308 Wöchnerinnen starb. Sieben wurden in andere 
Krankenhäuser transferirt, wo eine derselben der Tuberculose erlag (Siehe 
oben p. 3 den Fall von Ptyalismus, 1887, No. 92). Die übrigen sechs 
wurden transferirt wegen Gesichtserysipel (geheilt), wegen Pyelitis (aus 
der inneren Klinik uns zugeschickt und wieder nach abgelaufenem Wochen¬ 
bette zurücktran8portirt), wegen leichter Pneumonie, wegen Mastitis (3 Mal). 

226 dieser Wöchnerinnen machten ein vollständig fieberfreies Wochen¬ 
bett durch, d. h. während ihres ganzen Aufenthaltes in der Anstalt nach 
Geburt des Kindes (die Steigerung direkt post partum unberücksichtigt ge¬ 
lassen) überstieg die Temperatur kein Mal 38,0. 


Von den 82 Fällen, in denen die Temperatur während dieses Zeit¬ 
raumes mindestens ein Mal über 38,0 stieg, waren 30 Spätfieber, d. h. die 
erste Steigerung erfolgte erst am 7. Tage oder später. 

Die folgende kleine Tabelle mag zeigen, wie im Laufe der Jahre die 
vollständig tieberlosen Wochenbetten zugenommen haben 1 ), und wie auch 
die fieberhaften Erkrankungen an Bedeutung verloren und erst in späteren 
Tagen des Wochenbettes auftraten (Spätfieber). 


Jahr 


1883 

1884 

1885 

1886 

1887 

1888 

(bis Ende März). 


Zahl der Ge¬ 
burten 
171 
255 
226 
283 
272 
98 


Fieberlose Wochen¬ 
betten 

42.1 % 

56.8 „ 

63.3 , 

66.1 „ 

70.9 „ 

68.4 . 


/ o 


Fieberhafte 

Wochenbetten 

57.9 
43,2 
36,7 

33.9 
29,1 
31,6 


Darunter 
Spätfieber 
11,7 o/o 
12,6 „ 
10,2 „ 
12,4 , 
9,7 . 
14,3 „ 


Der Abfall der tieberlosen Wocheubelten vou 70,9 % des Jahres 1887 
auf 68,4o/o des ersten Quartals des Jahres 1888 hat vielleicht seinen Grund 
im Weglassen der präliminaren Sublimat-Scheidendouche, statt welcher 
wir seit 1. Januar 1888 nur eine Wasserdoucho vornehmen. Doch sind 
die Zahlen noch zu klein, um eine Ausschlag gebende Antwort erhalten zu 
können. 


Von den 308 Wöchnerinnen verliessen die Anstalt am 


2 . 

Tage 

1 transf. wegen Erysipel, 

17. 

Tage 

4 

7. 

T) 

1 

18. 


2 

8. 

y> 

12 

19. 

99 

3 

9. 

y> 

119 

20. 


2 

10. 

„ 

100 

21. 

ff 

1 

11. 

99 

30 

23. 

99 

1 Mastitis 

12. 


12 

24. 


1 Mastitis 

13. 

99 

7 

32. 

99 

2 Tuber. Härnat. vag. 

14. 


5 

37. 

99 

1 Mastitis 

15. 

n 

2 

52. 

99 

1 Scheidenverletzungen 




61. 

99 

1 Sect. caes. 


Somit verliessen, den Fall von Erysipel abgerechnet, bis zum 12. Tage 
276 Wöchnerinnen = 89,6% gesund die Anstalt. 1881 — 1882 stellte sich 
diese Zahl auf 57,7%, 1883-1884 auf 70,9%, 1885—1886 auf 80,8 %. 

Eine schwerere Wochenbetterkrankung kam in dem Berichtsjahre 
nicht vor. 

Die Neugeborenen. 

Es wurden 313 Kinder und ein Abort ohne Frucht geboren. 

Rechtzeitig 272, frühzeitig 40, unzeitig 1. 

23 Kinder wurden todt geboreu, 9 davon maeerirl. ln Folge des 
Geburtsverlaufes starben 9 vor beendeter Geburt, aus unbekannten Gründen 
4, unreif war 1. 

Scheintodt wurden geboren 11, 4 davon starben. 

Vor Entlassung der Mutter aus der Anstalt starben ausserdem noch 15, 
so dass im Ganzen von 313 Neugeborenen 271 Kinder mit der Mutter die 
Anstalt verliessen = 86,6%. 

Das grösste Kind war das einer Zweitgebärenden; es wog 5100 g, 
war 55 cm lang. 

Ueber Scheintod der Neugeborenen und dessen Behandlung. 

Die Methode, welche wir zur Wiederbelebung scheintodt geborener 
Kinder anwenden, ist folgende: 

Wie bei allen lebenden Kindern, so auch bei den scheintodten, wird 
nach Durchtritt des Kopfes aus der .Schamspalte, oder wenn die Geburt der 
ganzen Frucht in einer Wehe erfolgte, sobald das Kind zwischen den 
Schenkeln der Mutter liegt, mit einem feuchten Mullläppchen, welches über 
den kleinen Finger gestülpt wird, der Mund und Rachen, so weit möglich, 
gesäubert. Das Kind wird abgenabelt und zunächst in das warmo Bad ge¬ 
bracht und so tief im Wasser gehalten, dass wo möglich nur das Gesicht 
herausschaut. 


Mit einer weichen Feder wird nun die Nasenhöhle gereinigt , indem 
durch wiederholtes Umdrehen der Feder die in der Nasenhöhle befindlichen 
Schleimmassen aufgerollt und dann herausgezogen werden. 

Während dieser Manipulationen wird man schon in der Regel gewahr, 
ob es sich um einen Fall von geringem Scheintod handelt oder nicht, indem 
eine gewisse Zahl der im Scheintode geborenen Kinder jetzt bereits regel¬ 
mässig zu atbmen anfängt. 

Geschah dies bisher aber noch nicht, so gehören die nächsten Mi¬ 
nuten der ruhigen Beobachtung. Die auf den Brustkorb aufgelegten Zeige¬ 
fingerspitzen zählen die Herzpulsationen; gelingt dies nicht, so bringt man 
das mit warmem Tuche abgetrocknete Kind mit der vorderen Thoraxwand 
an das Ohr und controlirt auf diese Weise die Herztöne. Hat man sich 
überzeugt, dass diese wirklich noch vorhanden, und man es nicht mit einem 
todten Kinde zu thun habe, so prüft man die Reactionsfähigkeit empfind¬ 
licherer Körperorgane, um den Grad des Scheintodes abschätzen zu können. 
Mit Recht benutzt man hierzu gewöhnlich die Gaumenrauskulatur, wobei 
man auch zugleich die Kiefermuskulatur mit prüft. Contrahirt sich die 
Gaumenmuskulatur um die eingeschobene Fingerspitze, oder kneift das Kind 
gar den Finger zwischen seine Kiefer, so ist es kein Fall von tiefstem 
Grade des Scheintodes. 

Am besten setzt sich der Arzt zu der Beobachtung des Kindes hin 
und hält das Kind im Wasser auf seiner Hand. Ich habe die Ueber- 
zeugung gewonnen, dass durch dieses Warten keine Benachtheiligung des 
Kindes erfolgt, im Gegentheil, ich bin der Ansicht geworden, dass der 
ruhige Aufenthalt in genügend warmem Wasser dem Kinde zur Zeit mehr 
frommt, als Wiederbelebungsversuche anderer Art. Weitaus die meisten 
asphyktischen Kinder kommen zum regelmässigen und ausgiebigen Athmen, 


*) Siehe auch: Ahlfeld, Berichte und Arbeiten, Band III, p. 123, 
Tabelle a. 


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574 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28 


ohne dass man etwas anderes thut, als sie im warmen Wasser liegen zu 
lassen. Selbst die scheinbar tief asphyktischen Kinder kommen unter Um¬ 
ständen zu sich, ohne dass etwas anderes geschieht, als die beschriebenen 
Manipulationen. Nur sorge man, dass das Badewasser durch Zugiessen 
heissen Wassers immer auf annähernd derselben Temperatur erhalten 
werde. 

Hat im Verlaufe von circa 10 Minuten dor Zustand des Kindes sich 
nicht geändert, oder sind gar die Herztöne an Zahl auffallend zurück¬ 
gegangen, so bringe ich das Kind in einem erwärmten Flanell auf den 
Wickeltisch und nehme die Katheterisation der Trachea vor, um die in der 
Trachea befindlichen Schleimmassen auszusaugen. Das Lufteinblasen durch 
don Katheter unterbleibt noch. 

Der Erfolg der Reinigung der Luftröhre ist unter solchen Umständen 
zumeist ein eclatanter. Die ganz obcrfiächlichen Athmungen werden tiefer 
und häufiger, die Frequenz der kindlichen Herzschläge wird reichlicher. 

An die Katheterisatio tracheae wird sofort ein ausgiebiges Frottiren 
der gesammten Oberfläche des Kindes angeschlossen; der Hautreiz ist es, welcher 
meinen Erfahrungen gemäss am ausgiebigsten wirkt, denn die meisten 
tief Scheintod ten Kinder, bei denen ich die Wiederbelebungs¬ 
versuche selbst geleitet habe, machten die grössten Fort¬ 
schritte während und gleich nach dem Frottiren. Gewöhnlich 
schlagen die Kinder während des Frottirens zum ersten Male die Augen 
auf und geben auch den ersten Laut von sich, ziehen die Extremitäten zum 
ersten Male an. 

Danach bringt man das Kind wiederum direkt in das warme Bad und 
beobachtet ruhig nochmals eine Weile Herz- und Athmungsfrequenz und die 
eventuelle Zunahme der Reflexerregbarkeit. Wenn nöthig, wechselt man 
nun noch mehrere Male zwischen Frottiren und warmem Bade ab, bis man 
aus dem Befinden des Kindes ersehen kann, dass die Wiederbelebung eine 
genügende ist. 

ln den wenigen Fällen, wo die Kinder sich auf diese Methode hin 
nicht erholten, habe ich natürlich auch mittelst verschiedener Methoden die 
Einführung von Luft in die Lungenalveolen ausgeführt, sei es durch 
Schultze’sche Schwingungen, sei es durch Einblasen mittelst Mercier¬ 
sehen Katheters. Ich habe aber keinen einzigen Fall zu ver¬ 
zeichnen, in dem ein tief asphyktiches Kind, welches bei An¬ 
wendung der oben beschriebenen Manipulationen nicht zum 
Leben gekommen, schliesslich noch durch Schu ltze’sche 
Schwingungen oder durch direktes Einblasen von Luft erhalten 
worden wäre. 

Man müsste doch erwarten, wenn die Schultzo’sehen Schwingungen 
das beste Mittel wären, um scheintodte Kinder wieder zu belebeu, dass sich 
doch ab und zu ein Fall gefunden haben würde, in dem, nachdem andere 
Mittel im Stiche gelassen, schliesslich durch Schultze’sche Schwingungen 
das Ziel noch erreicht worden wäre. 

Man wende darauf nicht ein, dass, weun ich so lange mit Anwendung 
der Schultze’schen Schwingungen gewartet, die Reactionsfähigkeit. gleich 
Null geworden, und dass ich dann freilich keine Hoffnung mehr hätte haben 
dürfen. 

Es sind mehrere Fälle unter den von mir beobachteten, in denen die 
Kinder nach vergeblich ausgeführten Schultze’schen Schwingungen noch 
über eine halbe Stunde Herzthätigkeit gezeigt haben, ohne dass es gelang, 
die Athmung in Gang zu bringen. 

Ferner möchte ich hier betonen, dass, bis wir zu dem Resultate ge¬ 
kommen sind, die Sch ul tze’schen Schwingungen nicht mehr in erster 
Linie anzuwenden, eine Reihe von Beobachtungen Vorlagen, in denen die 
Schultze’schen Schwingungen nicht erst als ultimum refugium angewendet 
wurden, sondern schon zeitig in Anwendung kamen, ohne dass ich durch 
diese Fälle die Ueherzeugung gewonnen, dass diese Methode mehr zu 
leistou im Stande sei, als die von mir beschriebene. 

Ich füge ferner hinzu, dass wir an todtera Materiale fleissig experi- 
mentirt haben; aus dem Allen ist zu entnehmen, dass wir nicht leichtfertig 
in dieser Frage gehandelt haben und den Vorwurf, etwa durch Unterlassung 
einer „anerkannten“ Methode ein Kindesleben geopfert zu haben, nicht 
verdienen. 

Die Schultze’sche Methode hat aber auch eine Reihe von Nachtheilen, 
die erst im Verlaufe der Jahre uns klarer und klarer hervorgetreten sind, 
so dass ich Bedenkeu trage, diese Methode durch Hebammen ausführen zu 
lassen. 

Wenu es sich daher herausstellen sollte, dass man mit der von mir 
beschriebenen Methode mindestens ebenso weit kommt, wie mit der Schultze¬ 
schen, so würde dieselbe ihrer Einfachheit halber den Vorzug verdienen 
und in die Hebammenpraxis einzuführen sein. 

Zur Begründung der Bedenken gegen die Schultze’sche Methode 
einerseits, zur Empfehlung unseres Verfahrens andererseits kann ich mich 
vor dor Hand weniger auf theoretische Erwägungen stützen, als auf sorg¬ 
fältige Beobachtungen und praktische . Erfahrungen. 

Gegen die fein durchgearbeiteten Schultze’schen Theorieeu vorzugehen, 
kann man nur nach einem eingehenden, womöglich experimentellen Stu¬ 
dium. Dass aber die Schultzo'sehen Anschauungen nicht unanfechtbare 
sind, darauf deutet die Meinungsverschiedenheit unter Physiologen von 
Fach hin. 

Immerhin mag angedeutet sein, dass ich mich mit der Zurückstellung 
der Bedoutung des Hirndruckes, wie Schultze es thut, nicht einverstanden 
erklären kann, dass ich auf den Hirndruck nach der Geburt, auch unab¬ 
hängig von der durch Hirndruck bewirkten secundären Asphyxie, ein 
grösseres Gewicht lege, als auf die letztere. 

Ich könnte eine Reihe von Beobachtungen in unseren Protocollcn 
genau verzeichnet bringen, aus denen der Einfluss des intercraniellen Druckes 
von den stärksten bis zu den schwächsten Erscheinungen ersichtlich ist 
unter Symptomen, die gleich post partum als rein asphyktische imponiren 
mussten. 


Ja, ich möchte sogar behaupten, dass die grössere Zahl der asphyktisch 
geborenon Kinder ihren asphyktischen Zustand diesem vermehrten Hirn¬ 
drucke verdankt. 

Wäre dem aber so, dann würden für diese Fälle wenigstens Methoden 
der Wiederbelebung vorzuziehon sein, welche mit dor Anregung zum 
Athmen zugleich eine Depletion des Gehirns und der Modulla oblongata 
verbinden. 

Zweitens scheint mir der Einfluss der Sauerstoffzufuhr auf das Zustande¬ 
kommen der ersten Athemzüge tief asphyktischer Kinder von Schultze 
überschätzt worden zu sein. Die Zahl der Fälle ist bereits eine ganz er¬ 
hebliche, in denen ich bei tief asphyktischen Kindern durch Einblasen von 
atmosphärischer Luft mittelst Trachealkatheters durch einen Zeitraum bis 
zu oiner Stunde und darüber regelmässig Anfangs eine wesentliche, später 
aber eine geringere Zunahme der Herzfrequenz herbeiführen konnte, und 
doch die Athmung vollständig ausblieb, oder wo sie mangelhaft im Gange 
war, nach und nach aufhörto. Gewiss hat jeder Lehrer der Geburtshülfe 
seinen Zuhörern dieses Experiment wiederholt vorgeführt, gewiss hat mancher 
beobachtende, praktische Geburtshelfer das Gleiche erlebt. 

Die Schultze’sche Methode hat den Nachtheil, dass die Körperober¬ 
fläche allzu bedeutend abgekühlt wird. Wer, wie wir, die Wiederbelebungs¬ 
versuche nur im warmen Bade und in der erwärmten wollenen Hülle vor¬ 
nimmt, kann sich bald der Ueherzeugung nicht mehr verschliessen, dass eine 
ab und zu vorkommende Abkühlung der Oberfläche des Kindes häufig einen 
Rückschritt in den Erfolgen der Wiederbelebungsversuche zur Folge hat. 
Es scheint also, dass die Erweiterung und Füllung der Hautcapillaren eine 
wesentliche Rolle bei der Blutvertheilung, die zur Besserung führt, spielt, 
eine Annahme, die auch bestätigt wird durch die Thatsache, dass der von 
uns angewendete Hautreiz, das Frottiren, den gleichen Einfluss auf die 
Hautgefösse ausübend, besonders günstig als lebeusrettendes Mittel zu wirken 
scheint. Wir haben aus dem Grunde in letzter Zeit auch die kalten Ueber- 
giessungen des Kindes nicht mehr als Reizmittel in Anwendung gebracht. 

Die Schultze’schen Schwingungen sind weiterhin nicht gleichgültig, 
wo es sich um cerebrale Veränderungen, hervorgerufen durch intercranielle 
Blutergüsse oder Hyperämie der Hirnsubstanz selbst handelt. Ich habe 
oben schon betont, wie ich derartige Veränderungen als eine häufige Ursache 
der Störung der Athmungsthätigkeit nach der Geburt halte. Nun wird mir 
jeder zugeben, dass es nicht so leicht ist, die Unterscheidung bei einem 
eben geboronen asphyktischen Kinde zu machen, ob die wichtigsten Verände¬ 
rungen, welche man zu beseitigen anstreben muss, die durch Hirndruck her¬ 
vorgerufenen oder die durch frühzeitiges Athmen herbeigeführten sind. Ein 
Mittel, welches nach einer Seite hin zweckmässig sein würde, wird nach an¬ 
derer Seite hin Schaden hervorrufen können. 

Weiter beobachtete ich folgenden Fall, für den ich freilich eine Erklä¬ 
rung zu geben nicht im Stande bin: 

G., ledig, 30V* Jahr alt, 2. Gebärende mit mässig allgemein verengtem 
Becken (Conj. ext. 18,7, diag. 10,7; stark vorsp ringend er Buckel an der 
hinteren Wand der Symphyse) gebar ein in Fusslage sich stellendes Kind 
(2980 g, 51,5 cm). Lösung beider Arme schwierig, Entwickelung des Kopfes 
durch Veit’s Handgriff verhältnissmässig leicht. 

Warmes Bad, Katheterisatio tracheae und Frottiren bringen das Kind 
in kurzer Zeit so weit, dass es regelmässig athmet, während der Anfangs 
verlangsamte Herzschlag zur normalen Frequenz gestiegen war. Hingegen 
war die Reflexerregbarkeit nur eine mässige und zu einem Schrei war es 
auch nicht gekommen. Doch liess der Eindruck, den das Kind machte, eine 
so günstige Prognose stellen, dass ich das Kind der Wärterin geben wollte, 
die es noch so Tange im Wasser belassen sollte, bis es zum vollkommenen 
und kräftigen Athmen uud Schreien gekommen sei. Da kam ich auf den 
Gedanken, den anwesenden Schülerinnen an diesem Falle die Schultze’schen 
Schwingungen zu domonstriren. Als ich zwei Schwingungen ausgeführt hatte, 
hörte die Athmung plötzlich nahezu auf. Das Kind wurde sofort wieder in 
das Bad gebracht, frottirt, der Katheter noch einmal angewendet, auch Ein¬ 
blasungen mittelst desselben vorgenommen, aber ohne Erfolg. Der Herz¬ 
schlag, welcher bis dahin regelmässig war, wurde weniger und weniger 
frequent. 37 Minuten nach dem Austritt des Kindes erfolgte der Tod. 

Die von Prof. Marchand ausgeführte Section ergab Folgendes: 

Keine Kopfgeschwulst, keine Blutungen in der Kopfschwarte, ebenso¬ 
wenig in den Hirnhäuten und Schädelknochen. Gehirn von sehr guter 
Consistcnz. Gefässe der Pia mater sehr schwach gefüllt, das ganze Gehirn 
auffallend blass. Situs der Brustorgane normal. Herz schlaff, enthält 
reichlich flüssiges Blut. Linke Lunge au der Oberfläche des Oberlappens 
mit zahlreichen, fein verästelten Luftaustritten unter die Pleura, welche sich 
bis zum Hilus erstrecken. Lunge gleichmässig lufthaltig. Rechte Lunge 
an der Spitze, am vorderen Theile des mittleren Lappens und namentlich 
im ganzen unteren Dritttheil des unteren dunkelroth, ziemlich derb, sehr 
blutreich. Das Gewebe augenscheinlich mit extravasirtem Blute durchsetzt 
bis unter die Pleura. Lunge im Uebrigen lufthaltig. 

Organe der Bauchhöhle ohne Veränderung. Milz und Leber blut¬ 
reich. Dünndarm stark mit Meconium gefüllt; Blase leer. 

An der ganzen Brust wand, sowohl in don Muskeln au der Vorderfläche, 
besonders in den Intcrcostalräumen, als unter der Pleura im oberen Theile 
des Thorax verbreitete Extravasate. 

Endlich ist zu erwähnen, dass die Zahl der Beobachtungen von Organ¬ 
verletzungen, welche nach Schultze’schen Schwingungen entstanden waren, 
nicht mehr so gering ist. Runge 1 ) berichtet: 

„Einen sehr seltenen Befund bot ein Kind mit einer Lungeu- 
häraorrhagie, das mittelst Forceps scheintodt extrahirt, und bei welchem 
Wiederbelebungsversuche (Ansaugen des aspirirten Schleimes mittelst eines 
Katheters und Schultze’sche Schwingungen) nur eine unvollkommene 
Athmung eingeleitet hatten. Dasselbe starb nach 8 Stunden. Die Section 
ergab flüssiges Blut in beiden Pleurahöhlen. Beide Lungen waren von 

*) Charite-Annalen, 7. Jahrgang. Berlin, 1882, p. 726. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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12. Jnli. 


grossen Hämorrhagieen durchsetzt, der linke Oberlappen durch eine solche 
Blutung in seinem Gewebe total zerstört und der Pleuraüberzug geborsten. 
Die übrigen Partieen der Lunge zum Theil lufthaltig. Die Trachea mit 
flüssigem Blute gefüllt. An den übrigen Organen nichts besonderes. Es 
bleibt fraglich, ob diese Verletzungen der Katheterisation (ein Einblasen 
von Luft soll nicht stattgefunden haben) oder den Schultze’schen Schwin¬ 
gungen zur Last fallen. In jedem Falle sind diese Manipulationen mit 
illegaler Gewalt von Seiten des poliklinischen Praktikanten vorgenommen 
worden, da ähnliche Verletzungen bisher von uns niemals beohachtet und, 
so viel ich weiss, auch literarisch niemals bekannt geworden sind“. 

Von weiteren Verletzungen nach Anwendung der Schultze’schen 
Schwingungen berichtet Runge, 1 ) der sich übrigens sonst mit den Er¬ 
folgen sehr zufrieden erklärt: „Ausgenommen einige wenige Fälle, wo die 
Section Blutergüsse in das Gewebe der Nebennieren nachwies, hat er nie 
erhebliche Verletzungen der Kinder, die den Schultze’schen Schwingungen 
zur Last gelegt werden könnten, beobachtet“. 

Ferner beschreibt Winter drei Fälle von Verletzungen durch Schultze- 
sclie Schwingungen: 

1. 49 cm langes Kind. Scrotum stark geschwollen und schwarzblau 
durchschiramemd; beim Einschneiden spritzt schwarzes Blut heraus. In der 
Bauchhöhle circa 100 g Blut; bei Druck auf das Scrotum entleert sich Blut 
in die Bauchhöhle. Die Leber zeigt keine gröberen Verletzungen. 

2. Ausgetragenes Kind. Lang dauernde, vom Praktikanten angestellte 
Schultze’sche Schwingungen. 

Leberruptur und Rippenfractur. Bauchhöhle enthält eine grosse Menge 
flüssigen Blutes. In der linken Leisten- und in der rechten Lumbalgegend 
findet sich je ein circa Markstück grosses subperitoneales Blutextravasat. 

8. Zweiter Zwilling, 36. Woche. Leberruptur und Absprengung der 
Hinterhauptsschuppe von der Pars condyloidea des Os basilare. Bauchhöhle 
enthält ein grosses Quantum flüssigen Blutes. In der rechten Leistengegend 
ein grosses, subperitoneales Blutextravasat. 

Nach brieflichen Mittheilungen hat Winter noch weitere Verletzungen 
nach Schultze’schen Schwingungen beobachtet; unter Anderem auch eine 
Abreissung der vergrösserten syphilitischen Milz bei Ascites. 

Unsere Experimente an Leichen Neugeborener, deren Tod vor dem 
Blasensprunge erfolgt war, ergaben übereinstimmend mit den Resultaten 
Anderer, dass mittelst Schultze’scher Schwingungen die Lungen Neu¬ 
geborener in ausgiebigster Weise mit Luft sich anfüllen lassen. Zwei Ex- 
erimente, in denen die Versuche ein negatives Resultat ergaben, seien hier 
urz berichtet: 

Knabe, 2165 g, 47,5 cm. Vor der Ausführung der Schwingungen 
keine Aspiration etwaigen Tracheaischleimes. Es wurden von mir selbst 
und einem Praktikanten zusammen 50 Schwingungen ausgeführt. 

Die Eröffnung des Kindes ergab ein vollständig negatives Resultat. 
Selbst die kleinsten Schnitte des Lungenparenchyms sanken im Wasser 
unter. Verstopfung der Trachea oder der Bronchien nicht vorhanden. 

Mädch en, 3145 g, 52 cm, einige Stunden vor erfolgtem Blasensprunge 
abgestorben. 

Durch Percussion des Abdomen und des Thorax wurde allseitig voll¬ 
ständig leerer Schall nachgewiesen. Nach Ausführung von 50 Schwingungen 
der gleiche Befund. Auch in den Därmen wurde Luft nicht nachgewiesen. 
Bei der nun nachträglich ausgeführten Katheterisation gelingt es nur etwas 
dünnflüssigen Schleim zu erhalten. Der Darm wird unter Wasser eröffnet, 
ohne dass eine Luftblase in die Höhe steigt. Die Lungen in toto, sowie 
auch einzelne Stückchen, selbst die vom Rande entnommenen, schwimmen 
nicht, sondern sinken zu Boden. 

Die von Herrn Professor March and vorgenommene, genaue Unter¬ 
suchung der Luftwege ergab: Lungen allseitig luftleer; einige kleine Luft¬ 
bläschen in den grösseren Bronchien. Die feineren Bronchien sind sämmt- 
lich ausgestopft mit tief eingesogener Vernix caseosa. Unter der Lungen¬ 
pleura einige Ecchymosen. Lungengewebe nirgends infiltrirt. 

Ein negatives Resultat erhielten wir in einem dritten Falle, in dem 
sich die Lunge im Zustande der weissen Induration bei einem syphilitischen 
Kinde befand. 

Augenerkrankungen der Neugeborenen. 

Ende des Berichtsjahres kamen drei Fälle hintereinander vor, von 
denen die beiden letzteren, ein Zwillingspaar, ihre Erkrankung dem ersteren 
verdankten. 

Der erstere Fall zeigte reichlich Diplococcen, die wir im mütterlichen 
Vaginalsecrete aber nicht fanden. Ebenso haben wir im Secrete der Con- 
junctiva der Zwillingskinder vergeblich nach specifischen Coccen gesucht. 
Die Erkrankung der Zwilliugskinder trat bei weitem leichter auf, als der 
Primärfall. Alle drei Kinder waren frühgeboren. Die Erkrankungen ver¬ 
liefen bei energischer Eis- und späterer Argentum nitricum-Behandlung ohne 
Naclithei! für die Cornea. 

Kurz vor dem Vorkommen dieser Erkrankungen hatte ich in der Zeit¬ 
schrift für Geburtshülfe und Gynäkologie, Band 14, lieft 2, eine kleine 
Abhandlung veröffentlicht über die Verhütung der infectiösen Augenerkran¬ 
kungen in der ersten Lebenswoche, worin ich berichten konnte, dass wir 
seil 3'/* Jahren keine Ophthalmoblennorrhoe in der Anstalt gehabt haben. 
Ich suchte in dieser Arbeit nachzuweisen, dass ausser verschiedenen pro¬ 
phylaktischen Maassnahmen auch die präliminare Scheidendouche mit Sub¬ 
limat ausgeführt von Nutzen gewesen sein möchte. Oben habe ich schon 
angegeben, dass wir seit 1. Januar d. J. die Sublimatdouche mit einer ein¬ 
fachen Wasserdouche vertauscht haben. Möglich, dass hierin der Grund 
für das Auftreten der Ophthalmoblennorrhoe zu suchen ist. 

Missbildungen der Neugeborenen 
waren in diesem Jahre selten. Eine linksseitige Halskiemenfistel und ein 
ausgesprochener Plattfuss ist das einzige, was wir notirt haben. 


') Referat in Schmidt’s Jahrbüchern. 1888, Heft 2. 

9 ) Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medicin, 46. Baud, p. 84. 


Vorgänge in der geburtshülfliehen Poliklinik. 

Die Hülfe der Anstalt wurde im Berichtsjahre 1887/88 25 Mal ge¬ 
fordert. 2 Mal machte sich die Anwendung der Zange nothwendig. 

2 Mal musste die Extraction am Steiss oder Fuss ausgeführt werden. 

1 Mal ist die Wendung gemacht worden. 

In 4 Fällen waren es Aborte, 5 Mal Blutungen in der dritten Geburts¬ 
periode, 1 Mal Hydramnion, die ärztliche Hülfe uothwendig machten. 

Eine der Frauen starb an Verblutung in der Nachgeburtsperiode, ehe 
ein Arzt hinzugekommen; eine Wöchnerin erlag nach Ruptur des unteren 
Gebärmutterabschnittes als Fortsetzung einer Cervixruptur einer Peritonitis. 


XL Therapeutische Mittheilungen. 

— Die fehlerhaften Verordnungen beim Verschreiben des Vaselin be¬ 
spricht Apotheker Lamante in der Province medicale No. VIII 1888. 

Seitdem das Schweineschmalz durch das Vaselin ersetzt worden ist, ver¬ 
ordnen die Aerzte dasselbe öfter in Salbenform, gemischt mit Wasser, Alko¬ 
hol, Glycerin. Während früher bei der Zusammensetzung mit Schmalz eine 
homogene Masse entstand, scheidet sich bei der Zubereitung mit Vaselin 
die Flüssigkeit aus und die Wirkung des verordneten Medicaments wird 
nicht erreicht. So berichtet der Verfasser von einem ihm zugegangenen 
Recept zur Herstellung einer antiseptischen Salbe aus Hydr. mur. corros. 0,06, 
Alkohol 5,0, Vaselin 50,0. Wäre das Sublimatpulver mit dem Vaselin 
allein zu mischen gewesen, so hätte man bei feinem Durchreiben eine 
gleichmässige Vertheilung der wirksamen Substanz erlangt. Bei der an¬ 
gegebenen Verordnung hingegen mischte sich der Alkohol mit dem Sublimat, 
trennte sich vom Vaselin, so dass sich eine das wirksame Princip ent¬ 
haltende flüssige Substanz und eine andere das Vaselin enthaltende, völlig 
unwirksame, feste bildete. Dasselbe geschieht auch bei Zusatz von Wasser 
und Glycerin, und erreicht weder der Arzt noch der Kranke den gewünschten 
Erfolg. Entweder muss dem Apotheker überlassen bleiben, bei nicht wichtigen 
Verordnungen auf eigene Verantwortung hin Aendeningen zu treffen, dies 
nachträglich dem Arzt mitzutheilen oder das Recept mit einer Anmerkung 
versehen, dem Arzt zukommen zu lasseu. (Die Aerzte müssen jedenfalls 
den Apothekern dankbar sein, wenn letzte bisweilen auch in den medicini- 
schen Journalen auf anderweitige technisch und pharmaceutisch maugel¬ 
hafte incorrecte Verordnungen Hinweisen würden, damit in späteren Ver¬ 
ordnungen die Fehler vermieden und die Kenntnisse der Aerzte bereichert 
werden. D. Ref.). # Bo. 

— F. Coppola. Ueber den Mechanismus der Wirkung des Santonins 
als Anthelmlnthionni und über die Vortheile des Santonlnoxyms. 
(Arch. p. 1. scienze med. Vol. XI, 1887, p. 255—274.) Aus der vorliegen¬ 
den Arbeit ist besonders der zweite Theil für den Arzt von Interesse. Der 
Autor stellte zunächst durch Versuche an Hunden fest, dass das San- 
toninoxym, ein dem Santonin gleich zusammengesetzter und aus diesem 
darstellbarer krystallinischer Körper, in der Dosis von 1 g innerlich ge¬ 
geben, das Befinden der Thiere unberührt lässt, während nach der gleichen 
Dosis Santonin Convulsionen eintreteu. An sich selbst und anderen Per¬ 
sonen konnte der Autor feststellen, dass das innerlich genommene 
Santoninoxym nach 4 Stunden etwa im Harn nachweisbar wurde, während 
das Santonin schon nach ’/s Stunde nachzuweisen war. Das Santonin wird 
also leichter resorbirt als das Santoninoxym und erzeugt leichte Vergiftungs¬ 
erscheinungen. Die anthelminthische Wirkung ist, wie durch klinische Ver¬ 
suche erwiesen wurde, beim Santoninoxym durchaus dieselbe, wie die des 
Santonins, und der Autor prognosticirt deshalb dem neuen, zuerst 1885 
von Lanizzaro dargestellten Mittel, dass es das Santonin verdrängen wird. 

0. G. 

— Richardson Rice berichtet folgenden Fall von unilateralem 
Jod Ismus Es handelte sich um einen altern Herrn von plethorischem Ha¬ 
bitus mit grosser Neigung zu Oongestionen zum Kopf. Er soll vor einigen 
Jahren an Delirium tremens oder doch einer andern Geistesstörung gelitten 
haben. Bei einem schweren Bronchialkatarrh wurden ihm Dosen von 0,18 g 
Jodkalium verschrieben. Als er die Medicin 36 Stunden genommen hatte, 
verbrachte er die nächste Nacht ruhelos, wurde plötzlich seHr unruhig, hatte 
Todesfurcht. Am nächsten Morgen bot er folgende Symptome: Starke Fül¬ 
lung der Blutgefässe, besonders an der rechten Kopfseite, beträchtliches 
Oedem des lockeren Bindegewebes iu der Umgebung des Auges, an der 
Seite des Halses und am Ohr, an letzterem Theil so stark, dass Blutegel 
gesetzt wurden. Auch die anderen Symptome des Jodismus, Nasenlaufen, 
Stirnkopfschmerz etc., fehlten nicht, traten aber ganz vorwiegend rechts¬ 
seitig hervor. Rice schliesst aus diesem Fall, dass Jod eine Verwandtschaft 
zu gewissen Nervencentren hat und mitunter besonders die eine Gehirnhälfte 
afficirt. (Brit. Med. Journ.) 

— Nach l»r. (’bambard ist. Pemphigus ebenso zu behandeln wie eine 
Brandwunde. Sind die Blasen intact, so sollen sie mit einer Nadel punk- 
tirt und der grösste Theil des flüssigen Inhalts lierausgelassen werdeu, unter 
gleichzeitigem sorgfältigem Schutz der Haut. Dann ist ein Kräuterumschlag 
aufzulegen, der 12—24 Stunden liegen bleibt, dann werden Lagen von 
Watte aufgelegt, die man erst entfernt, wenn die Theile für völlig geheilt 
gelten können. Immobilisation und Isolirung bilden die Grundlage der Be- 
Handlung des chronischen Pemphigus nach der spontanen oder künstlichen 
Eröffnung der Blasen. Auch von hydropathischen Umschlägen hat man 
mitunter gute Erfolge gesehen. Bei acutem Pemphigus erweist sich Chinin, 
sulf. nützlich, bei kräftigen Personen kann auch locale Blutentziehung hülf- 
reich sein. Chronischer Pemphigus indicirt kräftigende Behandlung; Eisen, 
Chinarinde, Arsen, Strychnin, sulf. gaben ausgezeichnete Resultate. (Brit. 
Med. Journ.) 

— In der Sitzung der Societe Medicale des Höpitaux vom 27. Mai be¬ 
richtete Prof. Ball in Paris über Spartelnwlrkung bei Herzfehlern. Patient, 
ein starker Raucher, litt an Angina pectoris und hatte vor Kurzem 0,5 g 


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576 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28 


Spartein. sulf. bekommen. Er starb nach mehreren Anfällen. Bei der 
Section ergab sich Verkleinerung des rechten Ventrikels, Fettherz, Dilatation 
der Kranzarterien, ob sie verschlossen waren, wurde nicht festgestellt. 
Huchard verwirft die Anwendung von Spartein und Digitalis. Er unter¬ 
scheidet bei Aortainsufficienz zwei Perioden. In der ersten vermehrte Ar¬ 
terienspannung, dann ist Digitalis völlig contraindicirt. In der zweiten ist 
Mitralklappenfehler hinzugetreten und die Arterienspannung demzufolge ge¬ 
ringer. Dann kann Digitalis von Nutzen sein. 

— In der Sitzung der englischen ophthalmologischen Gesellschaft vom 
8. Juni berichtete Dr. Nettleship über zwei Fälle von zeitweisem Verlost 
des Sehvermögens durch innerliche Chinin an wendnng. In dem einen Falle 
hatte Pat. schon eine Idiosynkrasie gegen das Mittel verrathen, selbst in 
kleinen Dosen hatte es bei ihm gastrische Störungen erzeugt. Der zweite 
war ein klassischer Fall von Chininamblyopie. Nettleship glaubt, dass im 
Stadium der Amblyopie die Arterien stets contrahirt waren. Er kennt keinen 
Fall von permanenter vollständiger Erblindung aus dieser Ursache, doch 
könne während der Genesung das Gesichtsfeld klein und die Arterien con¬ 
trahirt sein. Einen analogen Fall transitorischer Taubheit nach Kaffeegenuss 
hat Hutchinson erwähnt (Brit Medic. Journ.) R. 

— Gestützt auf die antiseptische Wirkung, die angeblich das innerlich 
genommene Cocain entfaltet, hat Luton in Reims das Cocain bei Variola 
mit Erfolg angewendet Die von Luton in No. 4 der „Rev. gen. de clin. 
et de ther.“ veröffentlichten Resultate sind folgende: 1) Das Cocain, im Be¬ 
ginne der Krankheit verabreicht, setzt die Temperatur bedeutend herab 
(von 40,5« auf 37° in 24 Stunden). 2) Parallel mit dem Abfall der Tem¬ 
peratur wird die Eruption aufgehalten und macht keine Fortschritte mehr. 
3) Im Eruptionsstadium verabreicht, ist das Cocain geradezu ein Abortiv¬ 
mittel. Die Pusteln vertrockenen und erhärten. 4) Hört man mit der Ver¬ 
abreichung des ('ocain in diesem Stadium auf, so nimmt die Kraukheit 
wieder ihren normalen Verlauf, die Temperatur steigt wieder an und die 
Eruption nimmt ihren gewöhnlichen Verlauf. 5) Die Behandlung besteht 
in subcutanen Injectionen von 25 mm einer 20°/o Lösung, 3 bis 4 Mal 
täglich, und in der innerlichen Verabreichung folgender Lösung: 

Rp. Cocain, muriat. 0,25, 

Mixt, gummös. 125,00. 

MDS. Esslöffelweise für einen Tag zu nehmen. 

(Wiener med. Presse 1888, No. 12.) 

— Capselia bursa pastoris, aller Orten wild wachsend, wirkt nach 
Bombeion (Pharmac. Centralhall. No. 9) in einer Abkochung von 1—2 Thee- 
löffel derselben gegen Metrorrkagieen so gut wie Ergotin. 

C. Holt giebt an, 3 Fälle vop tuberculöser Meningitis mit Jodo* 
fonusalbenelnreibungen geheilt zu haben. Die Kinder sollen im Alter 
vou 10 Wochen (!), 8 und 9 Monaten gewesen sein. (Practitioner, Mai.) 


XII. British medical Journal und Sir Morell 
Mackenzie. 

Dem British medical Journal vom 7. Juli scheinen die bereits 
vorhandenen und die iu Aussicht gestellten Enthüllungen über das 
Verhalten des Herrn Mackenzie etwas unbequem zu werden. In 
einem gegen unsere Ausführungen in No. 26 dieser Wochenschrift 
polemisirenden Artikel plaidirt es naiv dahin, dass unsere, in ihrer 
Ehre von Herrn Mackenzie bis auf’s Blut gekränkten Aerzte weiter 
die Faust in der Tasche zu macheu und über die, ihnen in hunder¬ 
ten von Hetzartikeln angethanen Kränkungen und Beleidigungen 
der niedrigsten Art stillschweigend zur Tagesordnung überzugehen 
hätten. Das British medical Journal führt aus: „Wir können nur 
nochmals die Hoffnung aussprechen, dass die bessere Einsicht die 
Oberhand gewinnen möchte, und dass der medicinischen Welt der 
Skandal einer Coutroverse erspart bleibt, von der Niemand 
etwas hat und welche dem ärztlichen Stande in den Augen des 
Publicums nur schaden kann.“ 

An den deutschen Aerzten sollen also all’ die maasslosen Vor¬ 
würfe häugen bleiben, dass sie sich Versäumnisse hätten zu Schulden 
kommen lassen, dass sie vor der technischen Schwierigkeit einer, 
nach Herrn Mackenzie’s Aeusserung von jedem Studenten zu er¬ 
lernenden Operation zurückgeschreckt seien, dass sie durch ihre 
Manipulationen an einer Verschlimmerung, womöglich an dem Tode 
des Kaisers die Schuld trügen u. dgl. m.? 

Der Wahrheit gebührt die rückhaltloseste und weiteste Verbrei¬ 
tung. und nicht allein dem schmachvollen Lügengewebe des Herrn 
Mackenzie, dessen Opfer auch das British medical Journal mit 
den fortlaufenden Genesungs- und anderen verlogenen Anzeigen ge¬ 
worden ist. 

Der in dieser Nummer gegebene Auszug aus dem authentischen 
Bericht der deutschen Aerzte wird hoffentlich auch dem British 
medical Journal, das mit allen jenen falschen Berichten stets voran- 
sehritt, weuu es nur seheu will, die Augen öffnen. 

Unseren Ausführungen hängt das British medical Jourual neben 
anderen ganz unverständlichen und sinnlosen Unterstellungen uoch 
an, es wäre uicht logisch, Herrn Mackenzie den Vorwurf zu 
machen, er schwanke einerseits zwischen der Diaguose hin und her, 
uud andererseits täusche er bewusst, da doch nur eins von beiden 
möglich sei. Der Leser wird an der Hand des authentischen Be¬ 
richtes auch in dieser Richtung unserem Urtbeil beipflichteu. S. G. 


XIII. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Dem Vernehmen nach wird demnächst eine Commission 
zusammentreten, welche über die Vorschläge für einen geeigneten Platz zum 
Bau der ersten aus der Charite heraus zu verlegenden medicinischen Klinik 
berathen soll. 

— Würz bürg. Für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls der Gynä¬ 
kologie und Geburtshülfe hat die medicinische Facultät in erster Linie Prof. 
Fritsch (Breslau) vorgeschlagen. Derselbe hat, wie wir s. Z. voraussetzen 
zu dürfen glaubten, den an ihn ergangenen Ruf abgelehnt. Ausser Fritsch 
sind Kaltenbach (Halle) und Hofmeier (Giessen) vorgeschlagen. 

— Breslau. Die Societe royale de medecine publique in Brüssel hat 
Prof. Dr. H. Cohn zum correspondirenden Mitgliede ernannt. 

— Wien. Prof. Leidesdorf scheidet aus seinem Lehramte aus, nach¬ 
dem er das siebzigste Lebensjahr zurückgelegt hat. I)r. Leidesdorf war 
seit 1857 Universitätslehrer in Wien und seit 1875 Leiter der Irrenkliuik. 
— Als Nachfolger Prof. Werth ei m’s ist der Privat-Doc. Dr. Mracek zum 
Leiter der Abtheilung für Hautkrankheiten und Syphilis am Rudolphsspital 
ernannt worden. 

— Krakau. Prof. Dr. Adamkiewicz, welcher, wie gemeldet, sein 
Entlassungsgesuch eingereicht hatte, um nach Berlin überzusiedeln, hat das 
Gesuch zurückgenommen, nachdem die Universität Krakau ihm die be¬ 
stimmte Zusicherung gegeben hatte, dass die von ihm geforderten Ver¬ 
besserungen der Klinik binnen kürzester Frist getroffen werden sollen. 

— Hammortou. Dr. John W. Snowden ist am 28. Mai, 65 Jahre 
alt, gestorben. 

— New-York. Der amerikanische Chirurg Thomas Blizard Curling, 
Verfasser einer Reihe namhafter chirurgischer Schriften, ist gestorben. 

— Tomsk. Zu Beginn des Studienjahres 1888/89 wird iu Tomsk 
eine mediciuische Facultät errichtet werden, welche den Anfang der bereits 
sanctionirten sibirischen Universität bilden wird. 

— Der Schweizerische Bundesrath hat die mit Italien geschlossene 
Convention, betreffend die gegenseitige Zulassung der an der 
Grenze wohnenden Medicinalpersonen zur Ausübung der Praxis, 
genehmigt. (Sem. medicale.) 

— Die erste Sitzung der anatomischen Gesellschaft von Gross¬ 
britannien und Irland fand am 23. Juni in Cambridge statt. 

— Preisanfgabe. Seitens der französischen Gesellschaft gegen den 
Tabaksmissbrauch sind folgende Preise ausgeschrieben worden: 1. Preis 
von 300 Fr. für den Arzt, welcher am meisten Heiluugen von Nicotinaffec- 
tionen durch Verzicht auf den Tabak nach Hypnose und Suggestion be¬ 
richtet. — 2. Preis, bestehend in medicinischen Werken im Werthe vou 
200 Fr. und einer vergoldeten silbernen Medaille für mindestens vier noch 
nicht veröffentlichte genau beschriebene Beobachtungen von Affectionen nach 
Tabakmissbrauch. Prospekte durch den Präsidenten, Paris, Rue Jakob 38. 

— Von H. Reimer erscheint im Laufe des Winters an Stelle neuer 
Auflagen der „Klimatischen Wintercurorte“ und „Klimatischen Sommer- 
curorte“ ein für den ärztlichen Gebrauch berechnetes kurzgefasstes „Hand¬ 
buch der speciellen Klimatotherapie und Balneotherapie mit 
besonderer Rücksicht auf Mittel-Europa.“ 

— Im Verlage von Rob. Oppenheim in Berlin erscheint die zweite 
Auflage der Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf 
Reisen, herausgegeben von Dr. G. Neumayer, Direktor der deutschen 
Seewarte. Von den zahlreichen Mitarbeitern an dem Werke nennen wir als 
die den Lesern dieser Wochenschrift bekanntesten: P. Aschcrson, 
A. Bastian, G. Fritsch, A. Gärtner, A. Meitzen, A. Orth, F. 
v. Richthofen, G. Schweinfurt, R. Virchow, L. Wittmack. Heraus¬ 
geber wie Mitarbeiter haben gleichmässig dazu beigetragen, ein Werk zu 
schaffen, dessen erste Auflage bereits die allgemeinste Anerkennung ge¬ 
funden hat. Die neue Auflage erscheint lieferungsweise, und zwar in 
21 Lieferungen zu je 1,6Q Mark. 

— Strafen für Prostitution in Finnland. Der Landtag von 
Finnland hat bei seiner diesjährigen Versammlung endgültig folgenden Ge¬ 
setzesparagraphen sanctionirt (C.-P. Cap. 20, Art. 9). Wenn, von Fällen 
von Minorität, Geistesschwäche, naher Verwandtschaft etc. abgesehen, ein 
Mann und ein Weib heimlicher Cohabitation überführt sind, können sie 
mit einer Strafe bis zum Betrage von 40 Mk. für den Mann, 20 Mk. für 
die Frau belegt werden. La „Province medicale“ bemerkt dazu: On voit 
que la Finlande est un pays froid! 

— Variola. In verschiedenen Gegenden von Italien, namentlich iu 
Mailand, sind Variolaepidemieen ausgebrochen. — Die französische Regie¬ 
rung hat eine ausserordentliche Beihülfe von 100000 Francs für die durch 
die Pocken arg mitgenommene Bevölkerung von Martinique bewilligt. 
Seit August 1887, dem Zeitpunkte des Auftretens der Epidemie, hat die¬ 
selbe über 2 300 Opfer gefordert. (Sem. medicale.) 

— Universitäten. Erlangen. Der Priv.-Doc. Dr. Kiesselbach 
ist zum a. o. Professor ernannt und demselben die Leitung der otiatrischen 
Klinik und Poliklinik übertragen. 


XTV. Personalien. 

1. Bayern. (Münch, med. Wochensehr.) Ernennungen: Der Haus- 
Arzt beim Zuchthause Kaisheim, Dr. F. Schaefer zum Bez.-A. I. CI., der 
prakt. Arzt K. Frank z. bez.-ärztl. Stellvertr. in Obermoschel, der Haus-A. 
b. d. Gef.-Anst. Niederschönenfeld, Bez.-A. II. CI. Dr. J. Thaller zum 
Bez.-A. I. CI. Der mit der Geschäftsführung eines Bez.-A. II. CI. beim 
Aintsger. Ludwigsstadt betraute Bez.-A. I. CI. Dr. J. Waeninger z. Bez.- 
Arzt 1. CI. f. d. Bez.-A.-Bez. Teuschnitz, Dr. K. Peither iu Tittling zum 
Bez.-A. I. CI. in Wegscheid. — Niederlassungen: Die prakt. Aerzte 
Dr. P. Volkhardt in Bayreuth, Dr. H. Freudenthal iu Stadtlauingen.— 
Verzogen: Dr. Kleinschrod von Pyrbaum nach München. — Ge¬ 
storben: Bez.-A. Dr. M. Binswanger inKrumbach; Dr. J. Schnappin- 
ger in Dollnstein. _ 


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12. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 577 

Die Krankheit Kaiser Friedrich des Dritten 

dargestellt 

nach amtlichen Quellen 

und 

den im Königlichen Hausministerium niedergelegten Berichten der Aerzte 

Prof. Bardeleben, Generalarzt I. Kl. und Kgl. Geh. Ober-Med. Rath in Berlin, Prof. y. Bergmann, Generalarzt I. Kl. und 
Geh. Med.-Rath in Berlin, Dr. Brainann, erster Assistent der Kgl. Chirurg. Klinik in Berlin, Prof. Gerhardt, Geb. Med.-Rath 
in Berlin, Prof. Kussmaul, Geheimer Rath in Strassburg i. E., Dr. Landgraf, Stabsarzt in Berlin, Dr. Moritz Schmidt, 
Sanitätsrath in Frankfnrt a. M., Prof. Schrötter, Vorstand der laryngol. Klinik in Wien, Prof. Tobold, Geh. Sanitätsrath in 

Berlin, Prof. Waldeyer, Geh. Med.-Rath in Berlin. 

(Kaiserliche Reichsdruckerei. Berlin.) 

-—HK—- 


Wir haben unseren Lesern z. Z. eine Analyse des von den be¬ 
handelnden Aerzteu vorbereiteten Berichts über die Krankheit Kaiser 
Friedrich III. in baldige Aussicht gestellt. Der Bericht liegt uns 
nunmehr in Form einer Brochure vor. Dieselbe bringt in ruhiger 
und objeetiver Weise alle jene Thatsachen zur Darstellung, welche, 
wie wir bereits in Nummer 26 dieser Wochenschrift aasgeführt 
haben, das gewissenlose und urtheilslose Verfahren des Herrn 
Mackenzie kennzeichnen. Wir geben im Folgenden einen aus¬ 
führlichen Auszug aus dem Berichte. 

Die Broehüre beginnt mit dem Berichte Prof. Gerhardts. 
Wir erfahren zunächst über den Beginn der Krankheit Folgendes: 
Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der damalige Krouprinz des 
Deutschen Reichs und von Preussen waren seit Januar 1887 von 
dauernder Heiserkeit befallen worden, die langsam zunahm. Am 
6. März 1887 untersuchte Prof. Gerhardt auf Wunsch und in 
Gegenwart des Herrn Generalarzt Dr. Weguer mit dem Kehl¬ 
kopfspiegel. Die Stimmbänder zeigten geringe gleichmässige Röthuug. 
Während der Athmung sah man am Rande des linken Stimmbandes, 
zwischeu Stiinmfortsatz und Stimmbaudmitte, ersterem näher, eine 
blasse, zungen- oder lappenartige, anscheinend etwas unebene Vor- 
ragung. Die Länge derselben betrug etwa 4, die Höhe 2 mm. 
Bei der Stimmbildung legten sich die Stimmbänder dicht aneinander, 
und an der bezeiebneten Stelle ragte ein längliches, niederes, blass- 
rothes Knötchen über die Stimmritze empor. Die Diagnose wurde 
gestellt auf polypöse Verdickung des linken Stimmbandrandes. In 
Folge dieses Versuches wurde zunächst der Versuch gemacht, mit 
scharfen Instrumenten die Geschwulst zu entfernen, und als dem 
sich Schwierigkeiten entgegenstellten, dieselbe auf galvanokaustischem 
Wege zu zerstören. Die betreffenden Sitzungen fanden am 16. März 
und sodann vom 26. März bis 7. April 1887 täglich statt. 
Besondere stark war am 7. April die Geschwulst geätzt wor¬ 
den bis zur vollendeten Abstossung des Schorfes. Es sollte 
dem Hohen Patienten nun möglichste Ruhe gegeben und zu 
diesem Behuf eine schon früher geplante Reise nach Ems unter¬ 
nommen werden. Die Reise nach Ems sollte aber auch noch eine 
andere Bedeutung haben. Schon Anfang April hatten sich Professor 
Gerhardt Bedenken über die Natur der Geschwulst aufgedrängt. 
Dieselbe musste anfangs, trotz etwas ungewöhnlichen Sitzes und Aus¬ 
sehens als gutartige betrachtet und behandelt werden. Die Geschwulst 
musste entfernt werden; war sie gutartig, so war damit der Hohe 
Kranke geheilt, war sie bösartig, so musste ihr Wiederwachseu die 
bösartige Natur der Neubildung erkennen lassen. Um das zu ent¬ 
scheiden, sollte der Aufenthalt in Ems ausgenutzt werden. Von 
seinen Bedenken machte Professor Gerhardt dem Leibärzte. 
Generalarzt Dr. Wegen er, Mittheilung, und beide einigten sich 
dahin, nach der Rückkehr weitere entscheidende Schritte zu thun. 

Von Ems lauteten die Zeitungsberichte nicht Vertrauen er¬ 
weckend. Ara 13. April war der Hohe Herr gereist, am 15. Mai 
früh kehrte er nach Potsdam zurück. An diesem Tage war die 
Stimme heiserer wie früher, die Geschwulst war grösser als zuvor. 
Sie wölbte nun die obere Seite des Stirambandes mit gerötheter 
Schleimhaut empor, ragte an der Innenseite des Stimmbandes flach, 
uneben, grauröthlich hervor, ohne Vernarbuug der durch Bren¬ 
nen gesetzten Wundfläche. Der hintere Umfang der Geschwulst 
war durch eine Furche mehr wie früher von dem Stimmfort¬ 
satze abgegrenzt. Das liuke Stimraband war deutlich träger 
in seinen Bewegungen als das rechte. Die schlimmsteu 
Befürchtungen waren eiugetroffeu. Dem Hohen Kranken ver¬ 
schwieg Professor Gerhardt nicht, dass die Geschwulst wieder 
gewachsen sei, und bat, dass ein Chirurg, uud zwar Geh. Rath 
v. Bergmann zugezogeu werde. Dieser Vorschlag wurde genehmigt, 
die Wahl eines Kehlkopfspezialisten verschoben, bis v. Bergmann 


1 dazu mit Rath ertheilen werde. Die Zuziehung v. Bergmann’s 
besorgte Generalarzt Dr. Weguer. v. Bergmanu untersuchte am 
16. und sprach sich sofort dahin aus, dass wegen möglicher Bös¬ 
artigkeit, jedenfalls wegen hartnäckigen Wiederwucherns der Ge¬ 
schwulst, die Spaltung des Kehlkopfes und gründliche Ausrottung 
i des Gewächses auf diesem Wege vorgenommeu werde. Nach der 
I Cousultation wurde noch die Frage wegen eines Kehlkopfspezialisten 
j von Generalarzt Weguer zur Sprache gebracht. Mehrere Namen 
wurden genannt, Wegner brachte Mackenzie in Vorschlag, 
v. Bergmann und Gerhardt stimmten bei, weil sie den laryngo- 
skopischen Befuud uud die Krankengeschichte für so klar und be¬ 
weisend hielten, dass Jeder, der laryngoskopiren könne, zu dem 
gleichen Urtheile kommen müsse. Diese Voraussetzung schien sich 
auch am 18. zu bewahrheiten. An diesem Tage fand eine grössere 
Consultation statt, zu der auch von Sr. Majestät dem Kaiser Ex- 
cellenz v. Lauer uud Geh. Rath Tobold gesandt worden waren. 
Geh. Rath Tobold betrachtete den Kehlkopf genau mit dem 
Spiegel und erklärte dann sofort, es könne sich mit Ausschluss jeder 
anderen Diagnose nur um Krebs handeln. Die übrigen Theilnehmer 
stimmten bei, und es wurde eiustimmig möglichst baldige Vor¬ 
nahme der Kehlkopfseröffnung und Eutfernung der Geschwulst em¬ 
pfohlen. 

Die am 18. von den genannten sechs Aerzteu eiustimmig ge¬ 
billigte Diagnose des Kehlkopfkrebses stützte sich: 

1. auf das rasche W’iederwachsen der Geschwulst, 

2. auf die Härte und Unebenheit der Geschwulst, 

3. auf das Wundbleiben der Innenseite der Geschwulst, 

4. auf die Schwerbeweglichkeit des Stimmbandes, 

5. auf die Sicherheit, dass Tuberculose und andere Infeetions- 

krankheiten ausgeschlossen seien, 

6. auf eine Reihe von zutreffenden Nebenumständen. 

Zu letzteren sind zu rechnen das Alter des Kranken, Sitz und 
Aussehen des Gewächses, der Umstand, dass die Verletzung weder 
in eigentliche Eiterung überging, noch auch heilte. Dazu kam, 
dass Tuberculose und jede andere Infectionskrankbeit ausgeschlossen 
werden konnte. Die Diagnose war hier früher als in manchem an¬ 
deren Falle gestellt und war so sicher, als in diesem Stadium über¬ 
haupt möglich ist, begründet. 

Mackeuzie kam am Abend des 20. Mai und untersuchte mit 
den früher zugezogeneu Aerzten. Er erhielt ausführlichen Bericht 
über die seitherigen Beobachtungen und Ansichten, untersuchte uud 
erklärte sofort, er halte dies nicht für Krebs, das ganze Aussehen 
der Anschwellung sei nicht das einer krebsigen, er sei so lange 
gegen die Operation von aussen, als nicht durch die mikroskopische 
Untersuchung eines herausgenommenen Stückes die krebsige Natur 
dieser Wucherung erwiesen sein werde. Der Aufschub der Opera¬ 
tion bis zur Entscheidung durch jene mikroskopische Untersuchung 
wurde allerseits zugestanden, Mackenzie mit der Herausnahme des 
Stückchens der Geschwulst betraut, Virchow sollte um die mikro¬ 
skopische Untersuchung ersucht werden. Am 21. Vormittags entfernte 
Mackenzie ein kleines Stückchen Gewebe. Virchow's Untersuchung 
ergab nur irritative Vorgänge und zwischen wuchernden Epithelieu 
ein vereinzeltes Nest concentrisch geschichteter Epithelzelleu. 
Noch bestand der Einwand, dass das exstirpirte und untersuchte 
Stück nicht aus der Geschwulst selbst herrühre. Mackeuzie 
suchte deshalb ein weiteres Probeobject zu gewinnen. Am 23. Mai 
Abends in Potsdam ging er wiederum mit einer starken scharfen 
Zange ein. Gerhardt sah, wie er die Zange aus seiuer Brusttasche zog, 
sie ohne vorherige Reinigung einführte, wie, während er sie ein¬ 
führte, der Beleuchtungslichtstrahl, den er mittelst eines Stirn¬ 
spiegels auf den Kehlkopfspiegel warf, seitwärts abirrte uud auf 
die Wange des Hohen Kraukeu, statt in seinen Muud fiel. Die 


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578 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28 

Zange kam leer zurück. Er wollte an diesem Tage nicht weiter Unter solchen Umständen ist begreiflich, dass v. Bergmann 

operiren. Gerhardt untersuchte sofort nach ihm und fand beide die Spaltung des Kehlkopfes für alle die Fälle fordert, in denen der 

Stimmbänder stark geröthet, das rechte in voller Ausdehnung mit begründete Verdacht einer bösartigen Neubildung im Innern dieses 

Blut unterlaufen, am Rande des rechten Stimmbandes vor der Mitte Organs vorliegt. In den bisher erschienenen vier Jahrgängen des 

eine schwarzrothe Anschwellung in die Glottis vorragend. internationalen Centralblattes für Laryngologie finden sich fünfzehn 

Der Hohe Kranke war von da an bis lauge in England Fälle von Laryngofissuren, d. h. vereinigten Thyreo- und Crico- 

stimmlos, hatte in den nächsten Tagen Schmerzen beiderseits im tomieeu. Von den Operirten ist einer gestorben, und zwar in Folge 

Halse, etwas Beengung. Es dürfte dies der erste, sicher constatirte von Diphtherie, alle übrigen haben die Operation gut vertragen. 

Fall sein, in dem ein Kehlkopfsarzt dem Kranken aus Versehen Es ist ein entschiedener Fehler, den Werth einer Operation 

ein Stück aus dem gesunden Stimmbande wegzureissen versuchte, nach den aus der Literatur zusammengetragenen Resultaten der hier 

Der Hohe Kranke, der früher heiser, aber nie länger als drei und da in den Magazinen unserer Casuistik zerstreuten Einzelfälle 

Stunden stimmlos war, blieb von da an viele Wochen, nämlich bis zu beurtheileu. Diese Statistiken und Zusammenstellungen lehren 

zum 8. Juli, stimmlos, und es wurde später in England als ein nur eins, den besonderen Fall besonders zu erwägen. Ueberblickt 

Triumph ärztlicher Kunstleistuug gefeiert, dass er heisere Stimme man eine Reihe solcher Arbeiten, soweit sie sich auf die Exstir- 

wieder bekam. Ara 25. Mai fand wieder eine grössere ärztliche pation des ganzen Kehlkopfes oder einzelner seiner Ab- 

Consultation statt, bei der die Herren v. Bergmann und Tobold schnitte beziehen, so stellt sich das heraus, was die Geschichte 

sich überzeugten, dass das rechte Stimmband etwa in der Mitte auch anderer Organexstirpationen der Neuzeit, ebenso wie die Ge- 

eiue Verletzung erlitten habe. Diese Verletzung zeigte sich am 28. schichte der Magen- und Darmresectioneu ergeben hat. Mau hat 

dahin verändert, dass die Röthe des rechten Stimmbandes nachge- anfangs die neuen Operationen mit zu grossen Hoffnungen begrüsst 

lassen hatte, aber die erwähnte Stelle eine gelbe, stumpfspitzige und daher ihnen auch eine zu grosse Ausdehnung gegeben. Aber 

Vorragung gegen die Stimmritze bildete. Am 1. Juni war ein gerade dadurch ist man verhältuissmässig schon früh zu ausreicben- 

circa 3 bis 4 mm langer, 1 bis 2 mm breiter Substanzverlust an den Erfahrungen gekommen, deren Ergebniss die Beschränkung des 

dem rechten Stimmbandrande da, der gelb eiterbelegt aussah. Eingriffes auf nur wenige, dann aber auch mit grösserer Wahrschein- 

Am 24. Mai waren Generalarzt Dr. Wegner und Prof, lichkeit zu heilende Fälle ist. Die nach totaler und partieller Kehl- 

Gerhardt zur Consultation mit Mackenzie in Potsdam. Iu ge- kopfexstirpation geheilten Fälle sind alles solche, die erst relativ 

wissen Kreisen wusste man bereits allgemein, dass Mackenzie kurze Zeit bestanden und eine nur geringe Ausbreitung besassen. 

den Angehörigen des Hohen Kranken versprochen hatte, die Krank- Daher erklärt es sich auch, dass die Procentziffer der durch Ent- 

heit iu einigen Wochen ohne Operation vou aussen vollkommen zu fernung nur einer Hälfte oder noch geringerer Abschnitte des Kehl- 

heileu. Den behandelnden Aerzten hatte er hiervon noch kein kopfes geheilten Fälle eine günstigere ist, als die der Heilungen 
Wort eröffnet. durch Totalexstirpation. Die entfernten Gewächse waren bei jener 

Am 25. fand wieder eine grosse Consultation statt, in der eben kleiner als bei dieser. Da nach Auffassung der Aerzte das 

allerseits zugestanden wurde, dass Morell Mackenzie die Ge- Carcinom am linken Stimmbande des Hohen Patienten noch sehr 

schwulst mit der scharfen Zange und mit dem Glühdraht entferne, klein war, schien die Operation auch das Beste zu versprechen. Es 
da er versicherte, dies zu können, und zwar so, dass die Stimme kommt dazu noch eins, was freilich erst v. Bergmann’s und 

„laut“ wieder hergestellt werde. Morell Mackenzie erklärte Bramaun’s mikroskopische Untersuchungen in San Remo eut- 

freiwillig, er wolle auf dem angegebenen Wege operiren, deckten, die zur Verhornung neigenden Epithelzellen in den Krebs- 
bis ein anderes Stück, das exstirpirt werde, sich bös- körpern der Neubildung. Diese verhornenden Cancroide dürften, 

artig erweise, oder bis die Geschwulst wachse. wie die Fälle von Hahn und Schede zeigen, aber gerade die beste 

Vom 23. an wurde auf Mackenzie's Wunsch nur durch Prognose haben. 

Generalarzt Dr. Wegner täglich ein Pulver aus Morphium, Wis- Von einer anderen Operation als der Spaltung des 

nratb, Catechu und Zucker cingeblaseu. Die Aerzte sahen den Kehlkopfes behufs Exstirpation der kleinen, an der unte- 

Krebs wachsen, und man streute eiu unschuldiges Pulver darauf, ren Fläche des linken Stimmbandes sitzenden Geschwulst 

Mackeuzie's Versprechungen wurden allenthalben felsenfest ge- ist im Mai des vorigen Jahres nicht die Rede gewesen, 

glaubt. Dies ist gerade eine Besonderheit des Kehlkopfkrebses, Nur um diese handelte es sich. v. Bergmann betont das 

dass er lange Zeit rein örtliches Uebel bleibt und die Frische und ausdrücklich, da die Presse immer nur von der Totalexstirpation 

Gesundheit nicht beeinträchtigt. Alle Welt freute sich des treff- des Kehlkopfes gesprochen, und im Hinblick auf diese schon im 

liehen Aussehens, der Kraft und Frische des Hohen Kranken, und Juni 1887 zahlreiche englische und deutsche Zeitungen Mackenzie 

wer da sagte, dass das Uebel ein leichtes, ungefährliches sei, hatte als den Mann feierten, der den Kronprinzen aus den Händen des 

den Beifall all Derer für sich, die um den wahren Stand der Chirurgen gerettet habe. Die Operation, welche die Aerzte 

Sache nichts wussten. vorschlugen, war nicht gefährlicher als eine gewöhnliche 

Dr. Morell Mackenzie, der inzwischen nach England ge- Tracheotomie, der ohnehin, bei der gestellten Diagnose, der 

reist und wiedergekommen war, exstirpirte am 8. Juni in Potsdam Kronprinz dereinst doch ganz bestimmt verfallen musste, v. Berg- 

wieder zwei Stückchen der Geschwulst. Einen so unbequemen mann schlug also nicht mehr vor, als was für ihn nun eiumal 

Zuschauer bei der Operation, wie Prof. Gerhardt Avar, wusste er unvermeidlich war. 

diesmal fernzuhalten. Die Untersuchung Prof. Virchow’s ergab Herr v. Bergmann stand, indem er damals die Operation 

eine mit papillären Auswüchsen (missbräuchlich Papillome ge- forderte, auf dem Boden eigener gesicherter Erfahrung, mit der 
nannt) verbundene Epithelwucherung: Pachydermia verrucosa. die Ergebnisse von Hahn und Küster übereinstiramen. Alle drei 

Iu den gemeinsamen Consultationen der Aerzte hatte Prof. verfügen über Fälle, in denen vor Jahren Larynxkrebse mittels 

v. Bergmann sich mit vollster Bestimmtheit dahin ausgesprochen, der Laryugotomie und partiellen Exstirpation entfernt, und dauernde 

dass es sich um ein Carcinom am linken Stimmbande handele, in Heilung erzielt wurde. Gesetzt indessen, die Aerzte hätten sich 

Folge dessen sei er für den äusseren Kehlkopfschnitt, den er bei geirrt und keinen Krebs, sondern eine gutartige Neubildung ge- 

der Annahme eines kleinen Carcinoms im Kehlkopfe unbedingt dem fundeu, so wäre durch die Operation dem Hohen Patienten kein 

endolaryngealen Verfahren vorziehe. Wie man auch die Thyreo- Schaden zugefügt, wohl aber die von Mackenzie in Frage ge- 

tomie, oder die Spaltung des Kehlkopfes, um Operationen stellte Diagnose zur rechten Zeit noch geklärt worden, 

im Innern dieses Organs vorzunehmen, beurtheilen wolle, so viel Die Laryngofissur als solche hätte weder das Leben 

stehe doch fest, dass in dem letzten Decennium sie immer häufiger bedroht, noch die Stimmbildung gestört, wohl aber musste 

und mit immer geringeren Gefahren ausgeführt worden sei. Vou letztere durch die Fortnahme der Geschwulst, gleichgültig, ob dabei 

sieben Spaltungen des Kehlkopfes, die v. Bergmann hier iu die Greuzen der Schleimhaut eingehalten oder überschritten worden 

Berlin vorgenonnnen habe und zu denen noch zwei Cricotoinieen wären, alterirt werden. Aber hierbei hätte das endolaryngeale Ver¬ 
kommen, sei keine einzige unglücklich verlaufen, alle seien schnell fahren von dem extralaryngealen sich nicht unterschieden. Unver- 

und ohne eine Complication geheilt. (Die Pall-Mall-Gazette sowie meidlich war, dass mit dem Tumor, wenn er überhaupt beseitigt 

die Vossische Zeitung belieben Herrn v. Bergmann stets als einen werden sollte, auch ein Stück des Stimmbandes entfernt werden 

Chirurgen zu schildern, dem noch keine dieser Operationen geglückt musste, die Art. der Entfernung, ob von innen, oder aussen, äuderte 

sei. „Dr. v. Be rgmann has not performed even one.“ Mackenzie hierin nichts, v. Bergmann musste also erklären, dass die 

hat v. Bergmann seine glücklichen Resultate nicht voreut- von ihm beabsichtigte Operation dauernd die Stimme 

halteu.) Aber nicht v. Bergmann allein sieht die Operation schädigen würde. Es würde eine heisere, rauhe, allein, da das 

so günstig an, viele andere, wie Rauchfuss z. B. und Köhler, rechte Stimmband erhalten werden könne, hinlänglich verständliche 

sind in der gleichen Lage, und aus Volkmann’s Klinik bekennt Stimme Zurückbleiben. 

die jüugst veröffentlichte Arbeit von Scbuchardt ,,Ueber den Vor Mackenzie’s Ankunft war in der That Alles zur Operation 

äusseren Kehlkopfschnitt“: „Die mit der Laryngofissur verbundene vorbereitet worden, damit, sowie letzterer zugestimmt hätte, am 
Lebensgefahr wurde früher überschätzt; sie ist bei antiseptischer Morgen des 21. Mai operirt werden konnte. Der Hohe Kranke 
Behandlung sehr gering.“ selbst hatte gesagt: „Fort muss die Schwellung auf jeden Fall. 


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12. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 579 


Wenn sie nicht von innen herauszuschaffen ist, so sollen Sie aussen 
einschneiden.“ ! 

ln Bezug auf das Gutachten Virchojv’s äussert v. Bergmann, 
er habe nur in sehr wenigen Fällen von den akidopeirastischen Ver¬ 
suchen etwas für seine Diagnose gewinnen können, denn es sei 
Zufall und Glückssache, wenn hierbei ans einer organoiden Ge¬ 
schwulst, wie dein Carcinom, ein charakteristisches Stück heraus¬ 
geschafft werde. In dem vorliegenden Falle war es kaum möglich, 
den Theil der Geschwulst, in welchem charakteristische Elemente 
stecken konnten, zu erreichen, weil derselbe an der unteren Fläche 
des Stimmbandes und möglicherweise erst an der Seitenwand des 
unteren Kehlkopfraumes lag. Diese Lage machte die Herausnahme 
eines zur Untersuchung geeigneten Stückes illusorisch, und deswegen 
verweigerten Gerhardt und To hold den bezüglichen Versuch. 
Mackenzie griff mit seiner Zange in die obere freie Fläche des 
Stimmbandes, hätte also durch die ganze Dicke des Stimmbandes 
geben müssen, um den Basaltheil der fraglichen Geschwulst zu er¬ 
reichen. Dass ihm solches nicht gelungen, zeigt die Virchowsche 
Beschreibung der übersandten Abkniffe, v. Bergmann hat aus 
Virchow’s Beschreibung nichts anderes schliessen können, als ein 
„non liquet“, die Auskunft über das dem Anatomen über¬ 
gebene Stück reichte zu ei nein bestimmten Schlüsse nicht 
aus, vollends nicht zu dem, welchen Mackenzie und die 
ihm ergebene Presse zogen. 

Die deutschen Aerzte hatten nach den letzten Consultationen 
zu Mackenzie das Vertrauen, das sie zu seiner Berufung veranlasst 
hatte, vollständig verloren. Dazu waren sie gebracht, erstens durch 
die Unzuverlässigkeit seiner Manipulationen im Kehlkopfe, die nicht 
die mindeste Bürgschaft dafür boten, dass wirklich von seinem 
Instrumente die Geschwulst und nicht etwa eine andere Stelle im 
Kehlkopfinnern, wie z. B. das notorisch schwer verletzte rechte 
Stimmband erreicht war, zweitens durch die unwissenschaftliche und 
ganz willkürliche, gegen seiue eigene Lehre verstossende Verwerthung 
des Virchow’sehen Gutachtens, sowie die Abwälzung jeder Ver¬ 
antwortlichkeit von sich auf den pathologischen Anatomen, drittens 
durch die Art, wie sofort mit Mackenzie’s Auftreten in Berlin 
die Presse sich der Krankheit des Hohen Patienten bemächtigte. 
Eine Reihe von Correspondenten war von ihm empfangen und eiue 
Reihe von Telegrammen an englische Zeitungen, wie hier amtlich 
ermittelt ist, aufgegeben worden. Die ersten Zeitungen, welche das 
Wort „caucerous“ und „malignant growth“ brachten, waren englische, 
und zwar der „Daily Telegraph“ vom 24. und 25. Mai 1887, aus am 
*21. und 23. in Berlin aufgegebeuen Correspondeuzen. Die letztere 
Nummer feiert zuerst, wie das später so oft geschehen ist, 
Mackenzie als Retter des Kronprinzen von der ebenso gefährlichen 
als unnützen Operation, während die folgende Nummer vom 2fi. die 
bevorstehende vollständige Wiederherstellung der Stimme des Hohen 
Kranken ankündigt und am 29. so liebenswürdig ist, die ganze 
Besorgniss der deutschen Aerzte durch eine Schwäche ihres National¬ 
charakters zu entschuldigen. 

Am 24. Mai, also noch vor der gemeinsamen Consultation vom 
25., fand eine Conferenz zwischen dem Leibarzte. Generalarzt Dr. 
Wegner und Dr. Mackenzie im Neuen Palais (Schloss Friedrichs- 
kron) zu Potsdam statt, in welchem ersterer ein Protokoll aufnahm, 
dem Mackenzie zustimmte. Der Inhalt desselben ist dem Archiv 
des Königlichen Hausministeriums eiuverleibt. Es lautet: Dr. Macken¬ 
zie ist der Meinung, dass bei der Form der Geschwulst 
zuerst versucht werden soll, mit der schneidenden Zange 
soviel als möglich von der Geschwulst fortzunehmen, 
den zurückbleibenden Rest mittelst galvanischer Kaute¬ 
risation zu zerstören. Dr. Mackenzie erklärt sich für 
sicher, dadurch die Stimme in längerer Zeit so herzu¬ 
stellen, dass sie wieder laut wird.“ ln der Zwischenzeit seien 
leicht adstringirende Pulver gegen die Schwellung anzuwenden. Dr. 
Mackenzie ist weiter der Ansicht, dass die Anwendung der Zange 
nicht absolut nöthig sei, er hält die Behandlung mit dem galva¬ 
nischen Kauteriuin für ebenso gut. Bezüglich der Natur der Schwel¬ 
lung hält er dieselbe nach Virchow's Untersuchung und Aussage 
für eine gutartige (benigne) Geschwulst, und dass dieselbe durch 
innere Behandlung (d. i. intralaryngeale) geheilt werden könne. 

ln dem von Dr. Wegner während der ärztlichen Consultation am 
25. Mai geführten und gleichfalls den Acten übergebenen Protokolle 
heisst es: „Dr. Mackenzie hält die Geschwulst nach ihrer 
klinischen Geschichte und nach der mikroskopischen 
Untersuchung für eine entzündliche Verdickung und 
meint, dass diese als solche nicht cancerös werden 
könne. Wenn die Neubildung fortfährt zu wachsen, so 
muss sie zuerst mit der Zange behandelt werden. Wenn 
dieses nicht gelingt, und andere endolaryngeale Eingriffe 
nicht Erfolg haben, so muss die Laryngofissur gemacht 
werden.“ Hierzu fügten die deutschen Aerzte ihre Vota. Das¬ 
jenige v. Bergmann’s ist mit dem Gerhardt’s nahezu identisch. 


Nach Wegner’s Protokoll und den Acten des Hausministeriums 
lautet das letztere: „Obwohl er nicht glaubt, dass die Geschwulst 
cndolaryngeal entfernt werden kann, bestimmt ihn die Zusicherung 
Mackenzie’s, dass er sie entfernen werde, seinem Plan zuzustim¬ 
men, doch nur solange, bis die Gewebsuntersuchung, oder 
der Verlauf (d. h. das unausbleibliche Wachsen) der Ge¬ 
schwulst eiuen anderen Plan nöthig mache.“ In der damals 
schon von v. Bergmann verfassten Darstellung dieser Berathung 
heisst es: „Ich sprach die Besorgniss aus, ob nicht ein zu langes 
Warten mit der Exstirpation des von mir bestimmt für einen Epi¬ 
thelialkrebs gehaltenen Gewächses dasselbe zu einer Grösse bringen 
könne, welche die Wirkung der von uns in Aussicht genommenen 
äusseren Operation abschwächen müsse. Mackenzie wandte da¬ 
gegen ein, dass der äussere Kehlkopfschnitt dauernd die Stimmbil¬ 
dung, wenn auch nicht aufhebe, so doch beeinträchtige und erschwere, 
während sein Verfahren des wiederholentliche» Abkneifens mit 
grösster Wahrscheinlichkeit die Erhaltung der Function des Stimm¬ 
bandes in Aussicht stelle.“ Professor Tob old hat nachstehende 
Erklärung zu Protokoll gegeben: „Ich halte die Art der Entfernung 
der Neubildung mittels einer Quetschzange für inopportun und un¬ 
zulänglich, da es ganz unmöglich ist, eine mit dem Stimmbande 
diffus verwachsene Neubildung völlig scharf und rein abzutragen. 
Man muss dabei befürchten, dass sich über lang oder kurz Recidive 
bilden, abgesehen davon, dass nach meinen Erfahrungen die 
unter Anwendung der Zange unvermeidlich brüske Behandlung des 
Stimmbandes und seiner Neubildung — vollends, wenn dieselbe 
einen malignen Charakter tragen sollte — die Tendenz zu erneuten 
Wucherungen begünstigt und schliesslich doch ein exacteres Ver¬ 
fahren erforderlich macht. Ich halte allein die Laryngofissur für 
das geeignete Verfahren, der Neubildung erschöpfend beizukoramen, 
indem man hierbei mit Sicherheit und absoluter Genauigkeit alle 
krankhaften Theile fortschneiden und den Nährboden mit dem Glüh¬ 
eisen (Paquelinbrenner) tilgen und unschädlich machen kann. Selbst 
für die Stimme steht unter diesen Bedingungen ein günstigeres Re¬ 
sultat in Aussicht, als wenn nach Anwendung der Quetschzange ein 
unebenes, zerrissenes und zerhacktes Stimmband übrig bleibt.“ 

Zu jener Zeit neigte sich die allgemeine Meinung uuter Aerzten 
und Laien der Auffassung zu, dass die „deutschen Aerzte“ irrthiim- 
lich Krebs angenommen und eine blutige, verderbenbringende 
Operation geplant hätten, dass dagegen Mackenzie dem Hohen 
Kranken das Leben gerettet habe dadurch, dass er ihn durch seine 
Versprechungen vor jener Operation bewahrte. Die ganze Macht 
der Presse wurde für diese Meinung in's Feld geführt. 

Was sollte die Geschwulst sein, wenn sie nicht Krebs war? 
Nach Mackenzie sollte sie niemals Krebs sein, zu verschiedenen 
Zeiten hat er sie als Warze ohne Wurzel, als Papillom, als 
Laryngitis, als Pcrichondritis oder als Laryngitis und Perichon- 
dritis bezeichnet. Irgend eine klare haltbare Diagnose hat er 
nie angegeben, nur in der Verneinung des Krebses war er nicht 
schwankend. Die Gründe, die Mackenzie gegen die Krebs¬ 
diagnose vorbrachte, waren folgende: Erstens, die Geschwulst 
sehe nicht aus wie Krebs. Streiten lässt sich über einen solchen 
Grund nicht. Zweitens, ein Stück müsse mikroskopisch als Krebs 
erwiesen werden. Für diejenigen Krankheiten, deren Ursache klar 
erkannnt ist und in jedem mikroskopischen Schnitte oder Stückchen 
vorhanden sein muss, ist ein solcher Grund vollkommen stichhaltig, 
so für Tuberculose, Aktinomykose, analog für das Blut bei Milzbrand 
und Recurrens. Ein solcher allgemein anerkannter, das Wesen 
der Krankheitsursache aufweisender Befund ist bis jetzt für den 
Krebs nicht bekannt. Die höchst beachteuswertben Versuche, 
ein solches Wesen des Krebses, einen Pilz, der ihn verursache, 
aufzufinden, haben noch zu keinem anerkannten Ergebnisse 
geführt. Man steht noch heute mit der Diagnose des Carcinoins 
etwa auf dem gleichen Standpunkte, wie bezüglich des Tuberkels 
vor Koch’s Entdeckung des Tuberkelbacillus. Eine Geschwulst 
kann, wie in dem klassischen Falle, den Virchow in seinem Ge¬ 
schwulstwerk Bd. 1 S. 349 mittheilt, grösstentheils aus unschuldigem 
Wucherungsgewebe bestehen, an einer kleinen Stelle nur aus Krebs¬ 
gewebe, dennoch beweist, wie in jenem Falle, der Verlauf, auch 
wenn der Anatom die Geschwulst für gutartig, z. B. Fibrom er¬ 
klärt, ihre Bösartigkeit. Viel häufiger noch umgeben den Krebs 
kleinere, gutartige Wucherungen. Virchow hat dem vollkommen 
Rechnung getragen, indem er immer nur aussagte, dass das von 
ihm untersuchte Stück kein Krebsgewebe enthalte. Mackenzie 
betrachtete, und das mit Unrecht, Virchow’s Ergebnisse als Be¬ 
weis, dass die ganze Geschwulst gutartiger Natur sei. So schrieb 
er am 1. Juni an den Herausgeber der Deutschen Revue zum Zweck 
der Veröffentlichung: „Ich bin sehr erfreut, Ihnen mittheilen zu 
können, dass durch die mikroskopischen Untersuchungen des Prof. 
Virchow jetzt vollkommen festgestellt ist, dass die Krankheit 
nicht der Krebs war.“ — Er musste wissen, dass Virchow mög¬ 
licherweise nur seitliche Ausläufer untersucht haben konnte, und 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


dass ein bösartiger Kern da sein konnte. Der Verlauf war ihm 
klar geschildert worden und hätte Berücksichtigung verdient, aber 
er fand sie nicht. 

Als die deutschen Aerzte bei der letzten Consultation Mackenzie 
sagten: die Geschwulst hätte sich vergrössert, greife bereits auf die 
hintere Wand über, das Stimmband bewege sich ungenügend, träger 
als das rechte, war seine Antwort: „Ich sehe das nicht“. Er selbst 
schrieb später in einem aus San Reino veröffentlichten Berichte, 
dass die geringere Beweglichkeit des linken Stimmbandes bereits in 
Berlin festgestellt war. Sollte er sie doch schon in Berlin gesehen 
haben? 

Eine Zeitlang war die Annahme verbreitet, dass die fragliche 
Krankheit nicht Krebs, sondern Pachydennia verrucosa laryngis sei. 
Sie stützte sich auf die Virchow’sche Untersuchung kleiner Stückchen 
der Geschwulst. Hiermit war nicht viel gewonuen, denn eine klinische 
Geschichte dieser Krankheit existirt überhaupt nicht. Weder in dem 
Geschwulstwerke von Virchow, noch in Mackenzie s Kehlkopf¬ 
krankheiten, noch in irgend einem anderen Werke hätte man eiu 
Wort über diese Krankheit finden können. Das Einzige, was damals 
darüber geschrieben war, bestand in einer Dissertation von Hüner¬ 
mann (Berlin 1881), die ebenso wie der spätere Vortrag von Virchow 
positive Angaben nur in anatomischer Beziehung brachte. Zudem 
sprachen drei Gründe entschieden dagegen. 

1. Pachydermia ist ganz vorzugsweise Trinker-Krankheit. Da¬ 
von konnte hier nicht entfernt die Rede sein. 2. Pachydermia 
kommt fast nur doppelseitig vor, wie Jürgens, der die erste Be¬ 
schreibung dieser Krankheit veranlasst hat, in der Sitzung der Ge¬ 
sellschaft der Charite-Aerzte vom 29. März d. J. selbst zugab. Hier 
war die Erkrankung monatelang einseitig. 3. Pachydermia ist eine 
langsam verlaufende Krankheit, während hier das rasche Wachs¬ 
thum von Anfang an auffiel. 

Schliesslich sei hier noch des Einwandes gedacht, der von 
Herrn Lennox Brown gemacht worden ist, die Krankheit sei 
durch irritirende Einwirkungen, speciell durch Gerhardt’s galvano¬ 
kaustische Behandlung bösartig gemacht worden. Diese ganze 
Umwandlungslehre ist Glaubenssache Weniger. Die grosse Statistik 
Felix Semon’s hat ergeben, dass von 8300 Fällen gutartiger Ge¬ 
schwülste 40 sich in bösartige umgewandelt haben sollen, — sollen. 
Die meisten Leute sehen hierin eine Statistik menschlicher diag¬ 
nostischer Irrthümer, nicht aber der Umwandlungen. 

In jedem Falle einer kleinen, dem Stimmbandrande ansitzenden 
Neubildung noch unbestimmten Charakters wird es Pflicht sein, sie 
zu entfernen. Welcher Arzt würde mit verschränkten Armen Zusehen 
wollen, und sie ruhig wachsen lassen, nur damit sie nicht bösartig 
werde? Wird die Neubildung zerstört und wächst mit einer bedroh¬ 
lichen Schnelligkeit wieder, so wird man allerdings nicht säumen 
dürfen, sie durch die Spaltung des Kehlkopfes frei zugänglich zu 
machen und mit Stumpf und Stiel auszurotten. Oder sollte Lennox 
Brown etwa ganz besonders der galvanokaustischen Behandlung 
die Fähigkeit Zutrauen, aus Polypen Krebse zu machen? mehr noch 
als Herrn Mackenzie’s Zange, die später diesem Kehlkopf grobe 
Verletzungen zufügte? — Gesetzt, es wäre bewiesen, dass mit irgend 
erheblicher Häufigkeit, sogar selbst in V 2 pCt. der Fälle, wie es 
nach Semon’s Statistik scheinen könnte, gutartige Geschwulst in 
Krebs des Kehlkopfes sich umwandle, dann wäre immer noch nicht 
bewiesen, dass irgend eine Behandlungsweise auf diesen Prozess 
Einfluss übe, begünstigenden oder verhütenden Einfluss, noch weniger, 
dass dies in diesem Falle stattgehabt habe. Es ist eine dreifach 
unbegründete Behauptung, die da in dieOeffentlichkeit gebracht wurde. 

Ganz unerwartet war den Aerzten die Mittheiluug geworden, 
Mackenzie wünsche, den Hohen Kranken nach England, und zwar 
nach der Insel Wight, mitzunehmen, deren Klima die Rückbildung 
der Störungen im Kehlkopfe auf das vorthei 1haftestc beeinflussen 
würde. Der beschlossenen Sache gegenüber stellte ein Consilium, 
das am 1. Juni in der Wohnung des Generalarztes Dr. Wegner statt¬ 
fand, an dem die Herren v. Lauer, Excellenz, Wegner, Schrä¬ 
der, v. Bergmann und Gerhardt theilnahmen, die Wünsche auf: 

1. es solle Ueberwachung durch einen der Laryngoskopie kun¬ 
digen deutschen Arzt stattfinden; 

2. die Behandlung des Herrn Mackenzie solle sich so weit 
erstrecken, als er selbst angegeben, bis die Geschwulst sich 
als bösartig erweise nach mikroskopischer Untersuchung eines 
Stückes oder sonst. Zu dem Zweck sollten etwa später 
herausgenommene Stücke an Virchow zur Untersuchung ge¬ 
schickt werden. 

Auf einstimmigen Wunsch der Aerzte sollte Prof. Gerhardt 
die Begleitung übernehmen, wozu derselbe in der That vom Hof- 
inarschallamt im Aufträge des Hohen Kranken ersucht wurde. Nicht 
aufgeklärt ist, weshalb im letzten Augenblick auf Prof. Gerhardt’s 
Begleitung verzichtet und an seiner Stelle der Stabsarzt Dr. Land¬ 
graf dem Leibarzt Generalarzt Dr. Wegner als Assistent für die 
laryngoskopischcn Untersuchungen zugewiesen wurde. 


Dr. Landgraf berichtet über seine Thätigkeit während des 
Aufenthaltes des Hohen Kranken in England Folgendes: Seine 
Thätigkeit war auf die Erhebung des laryngoskopischen Befundes 
und die Erörterung der Bedeutung desselben mit seinem Vorge¬ 
setzten, Generalarzt Wegner, beschränkt. Ueber sonstige zur Beur- 
theilung des Krankheitsprocesses nothwendige Puukte, das Allgemein¬ 
befinden, den Gang des Körpergewichts, Lyinphdriisensch wellungen. 
Schluckbescbwerden u. A. konnte er kaum etwas Sicheres in Er¬ 
fahrung bringen. 

Da Mackenzie entgegen Landgraf’s Beobachtung das Vorhan¬ 
densein von Entzündung in Abrede stellte, ebenso die Schwerbeweglich¬ 
keit des linken Stimrabandes, und in einer flüchtigen, für General¬ 
arzt Dr. Wegner gezeichneten Skizze weder etwas von dem Defect 
im rechten Stimmbande, noch von der Schwellung an der hinteren 
Wand aufgezeichnet hatte, somit schon jetzt eine Meinungsver¬ 
schiedenheit bestand, machte Dr. Landgraf, um von den therapeu¬ 
tischen Maassnahmen Mackenzie’s unterrichtet zu sein, am Abende 
des 19. Juni den Vorschlag, es solle versucht werden, von Sr. König¬ 
lichen Hoheit einen Befehl zu erwirken, dass Mackenzie jedesmal, 
wenn er Aenderungen in der Behandlung eintreten lasse, davon 
Generalarzt Dr. Wegner unter Angabe der speciellen Gründe für 
sein Handeln Mittheilung machen solle. Dieser Vorschlag wurde 
von betreffender Seite abgelehnt. 

ln den nächsten Tagen hörte Dr. Landgraf, dass Mackenzie 
mit einer Lösung von Eisenchlorid pinsele, und dass Se. Kaiserliche 
Hoheit nach den Pinselungen Schmerzen gehabt habe, welche durch 
Genuss von Eisstückchen bekämpft wurden. Mackenzie finde, 
dass durch die Piuselungen die Geschwulst sich verkleinert habe. 

Am 24. Juni wies Dr. Landgraf auf die Wichtigkeit der oft 
zu wiederholenden Untersuchungen auf Drüsenschwellungen hin. Er 
erfuhr damals, dass Mackenzie die Absicht habe, zwecks mikro¬ 
skopischer Untersuchung demnächst wieder ein Stück der Ge¬ 
schwulst zu entfernen. Diese Operation wurde, ohne dass Dr. 
Landgraf eine Aufforderung erhielt, derselben beizuwohnen, in 
Anwesenheit des Generalarzt Dr. Wegner am 28. Juni von 
Dr. Mackenzie ausgeführt. Den Erfolg dieses Eingriffes sah 
Dr. Landgraf am 1. Juli. Die Geschwulst war entfernt. Es 
bestand beträchtliche Röthung und Schwellung. Die Anschwellung 
an der hinteren Wand war deutlicher zu sehen. Die Oberfläche 
derselben hatte ein graugelbes Aussehen. Die Anschwellung sass 
fast in der Mitte, etwas mehr nach der linken Seite hin entwickelt. 
Da Mackenzie nur den ersten Theil des Befundes von Dr. Land¬ 
graf bestätigte, kamen letzterem erhebliche Zweifel an der Genauig¬ 
keit von Mackenzie’s Untersuchung, und er verschwieg dieselben 
auch nicht. Der Wichtigkeit der Sache wegen bat er, an Mackenzie 
zu schreiben, ob er die Anschwellung an der hinteren Wand nicht 
gesehen habe und welche Bedeutung er derselben beilege. Diese 
Bitte wiederholte Dr. Landgraf am 2. Juli. Schriftliche Anfrage 
wurde abgelehnt, mündliche Erörterung bei nächster Gelegenheit 
zugesagt. 

Am 4. Juli traf das Gutachten Virchow’s ein mit einem 
hoffnungsvoll gehaltenen Begleitschreiben. 

Am 8. Juli erfuhr Dr. Landgraf, dass Mackenzie versichere, 
er halte die hintere Wand für gesund. Nachdem Dr. Landgraf 
am 29. Juli in Norris Castle dem Dr. Wolfenden aufgezeichnet 
hatte, w r o er die betreffende Anschwellung sah, gab Mackenzie 
am 31. Juli das Vorhandensein derselben zu. 

Am 22. Juli fand Dr. Landgraf bei erneuter Untersuchung, 
nach dreiwöchentlicher Pause, Röthung und Schwellung im Allge¬ 
meinen etwas geringer, namentlich an den Taschenbändern. Das 
rechte Stimmband war noch stark geröthet, weniger geschwollen. 
Das linke Stimmband zeigte in seinen hinteren zwei Dritteln eine 
breit aufsitzeude sattelförmige Anschwellung. Schwellung und 
Röthung der hinteren Kchlkopfwand; kein Geschwür. 

Die Geschwulst war mithin wieder gewachsen an derselben 
Stelle, an welcher sie am 28. Juni entfernt worden war. Mackenzie 
gab das am 23. Juli selbst zu. Am 29. Juli untersuchte er noch¬ 
mals. Das Bild war ungefähr wie am 22. Die Bewegung der Stimm¬ 
bänder schien besser. Seine Kaiserliche Hoheit sprach an diesem Tage 
mit deutlicher Doppelstimme. Am 31. Juli faud wieder eine Unter¬ 
suchung durch Mackenzie statt und nach derselben eine längere 
Rücksprache zwischen Generalarzt Dr. Wegner und Mackenzie. 
Ersterer machte Mackenzie darauf aufmerksam, dass es an ihm 
(Mackenzie) sei, den Zeitpunkt zu bestimmen, wo er nicht weiter 
könne, und zum Aeussersten geschritten werden müsse. Mackenzie 
gab zu, er sähe eine Leiste vom linken Stimmband zum linken 
Giessbeckenknorpel gehen (vergl. den Befund Dr. Landgraf’s vom 
1. Juli), und setzte weiter auseinander, wie durch drei Möglich¬ 
keiten der Verlauf ungünstig beeinflusst werden könnte: 

1. Die am wenigsten anzunehmende Möglichkeit wäre der Ueber- 
gang der Neubildung in eine bösartige (maligne) Form; 

2. Es könne sich um multiple Papillome handeln, die auch au 


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12. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


581 


anderen als den bisherigen Stellen im Kehlkopfe entstehen 
könnten; 

3. Es könne ein Uebergang iti chronische Laryngitis stattfinden, 
wodurch die tieferen Gewebsschichten im Kehlkopfe ergriffen 
werden könnten. 

Am 4. August erfuhr Dr. Landgraf, dass Se. Kaiserliche Ho¬ 
heit seit Märe stets Schluckschmerzen gehabt habe und nur einige 
Tage in Norwood davon frei gewesen sei. In den letzten Tagen 
hätten dieselben sogar zugenommen, und es war auch angestreng¬ 
teres Athmen mit Schmerzen verbunden. Er verfehlte nicht, die 
Gründe, welche für eine ernste Auffassung sprächen, dareulegen und 
betonte das Unwahrscheinliche der von Herrn l)r. Mackenzie für 
die Schluckschmerzen gegebenen Erklärung, dass es sich nämlich 
um eine zu dem Grund leiden hinzugekommene gewöhnliche Er- 
kältungs-Augina handle. Die Hoffnung, dass ein Klimawechsel von 
der Insel Wight nach Schottland von günstigem Einflüsse auf das 
Leiden werden würde, könnte er nicht theilen. 

Nachdem sodann in den nächsten Tagen Dr. Mackenzie 
galvanokaustisch operirt hatte, erhob Dr. Landgraf am 7. August 
folgenden Befund: Die Geschwulst hat sich vergrössert, erstreckt 
sich mehr nach unten, ist von höckriger unebener Oberfläche. Auf 
der Mitte derselben eine schwärzliche Stelle. Die Schwellung an 
der hinteren Larynxwand unverändert. Es scheint sich von dem 
unteren Umfange der Geschwulst eine Leiste nach dieser An¬ 
schwellung hinzuziehen. Das linke Stimmband bewegt sich fast gar 
nicht. Das rechte Stimmband, Welches heute weniger roth und ge¬ 
schwollen ist, und an dem der früher schon bemerkte Defect deut¬ 
lich sichtbar ist, kommt prompt andie Geschwulstheran. Dr.Landgraf 
machte geltend, dass die völlige Unbeweglichkeit des linken Stimm¬ 
bandes auf tiefer gehende Veränderungen deute. An diesem Tage 
wurde die Lähmuug des linken Stimrabandes von Mackenzie 
zugegeben. Am Nachmittag des 7. August erklärte Dr. Landgraf 
Herrn Generalarzt Wegner, dass jetzt, nachdem Dr. Mackenzie 
die früher von ihm zur völligen Wiederherstellung Seiner Kaiser¬ 
lichen Hoheit beanspruchte Zeitdauer von 8 Wochen zur völlig un¬ 
beeinflussten Behandlung habe ausnützen können und sich nunmehr 
herausgestellt habe, dass das Leiden nicht gehoben, vielmehr eine 
Verschlimmerung eingetreten sei, er es für dringend wünschenswert 
halte, eine nochmalige Consultation mit den Berliner Aerzten zu ver¬ 
anlassen, wie dies ja auch früher in der Absicht gelegen habe. Dr. 
Landgraf machte auf die Gefahren eines noch längeren Aufschubes 
der Operation aufmerksam und gab der Meinung Ausdruck, dass 
schon jetzt vielleicht gar nicht mehr mit der Entfernung der Ge¬ 
schwulst genutzt werde, sondern zur halbseitigen Exstirpation des 
Kehlkopfes geschritten werden müsse. Den Vorschlag einer noch¬ 
maligen Consultation hat Generalarzt Dr. Wegner unterstützt. 
Die Consultation kam jedoch nicht zur Ausführung. 

Mackenzie soll zugegeben haben, dass es noch nicht besser 
sei; aber alle Fälle von Krebs, die er gesehen, hätten ein anderes 
Aussehen gehabt. Wenn es Krebs sei, müsse die Geschwulst auch 
schon in Eiterung übergegangen sein. Auf die Beweglichkeit des 
linken Stimmbandes habe er früher nicht so geachtet. Dieselbe 
sei früher vielleicht noch schlechter gewesen. Dieses Zugeständnis 
der Flüchtigkeit der Untersuchung war für Dr. Landgraf nicht 
überraschend. Derselbe hatte früher schon seinen Zweifeln in die 
Gründlichkeit der Untersuchung Dr. Mackenzie’s wiederholt 
Ausdruck gegeben, namentlich als ihm gesagt wurde, er selbst ge¬ 
brauche zu viel Zeit zum Kehlkopfspiegeln. 

Am 9. August reisten Dr. W'egner und Dr. Landgraf nach 
Edinburgh und blieben dort, später in Aberdeen, während Seine 
Kaiserliche Hoheit, in dessen Gefolge sich jetzt Dr. Ho veil be¬ 
fand, Seiuen Aufenthalt in Braemar nahm. Dorthin wurdeu Ge¬ 
neralarzt Wegner und Dr. Landgraf am 23. August befohlen, 
und hier untersuchte Dr. Landgraf zum letzten Mal. Das rechte 
Stimmband war weniger roth als früher. Das linke Sümmband 
bewegte sich weder beim Anlauten, noch bei der Athmung. Es 
steht in Mittelstellung zwischen Respirations- und Phonations¬ 
stellung. Die Geschwulst ist an der Oberfläche von einer Reihe 
kleiner zackiger Auswüchse bedeckt, welche bis nahe an die Mittel¬ 
linie der Glottis reichen. Durch dieselben wird der Einblick in die 
tieferen Theile linkerseits verdeckt, so dass auch von der Leiste an 
-der hinteren Wand nur wenig gesehen wird. Der Hohe Patient 
klagte über beständige Schluckschmerzen und verlegte dieselben 
auf die linke Seite in die oberen Theile des Schlundes. 

Nach der Rückkehr von Braemar hielt Dr. Landgraf sich zu 
der Erklärung für verpflichtet, dass nach seiner Ansicht der Krank- 
heitsprocess in stetigem Fortschreiten zum Schlimmeren begriffen sei. 
Es erhob sich dann eine Discussion über die Bedeutung des Be¬ 
fundes, in welcher ihm entgegengehalten wurde, dass die von ihm 
gesehenen zackigen Auswüchse Reste der alten Geschwulst sein 
könnten, welche nicht von dem Galvanokauter getroffen seien. Dr. 
Uandgraf musste dieselben jedoch für ueugewachsen ansehen und 


begründete seine Meinung damit, dass die Geschwulst, wie sich aus 
dem stärkeren Hineinragen in die Glottis ergäbe, gewachsen sei, 
dass ausserdem Narben von Kauterisation an derselben nicht zu 
sehen seien. Er machte darauf noch den Vorschlag, dass, wenn 
eine nochmalige Untersuchung eines exstirpirten Stückes für nöthig 
gehalten werde, darauf gedrungen werden solle, dass dies bald ge¬ 
schähe, da das Abkneifen bei der jetzigen Grösse der Geschwulst 
eine sehr leicht auszuführeude Sache sei. Diesen letzteren Vorschlag 
wiederholte er später am 29. August nochmals. 

Während der Zeit, welche der Kronprinz in England und 
Schottland zubrachte, meldeten diejenigen deutschen politischen 
Zeitungen, die sich zuverlässiger Informationen aus der unmittel¬ 
baren Nähe Mackenzie’s rühmten, sowie dieser selbst, eine 
stetig fortschreitende Besserung im Zustande des Hohen 
Patienten. Ebenso verfuhr das British medical Journal, welches 
als Quelle seiner Berichterstattung mehr als einmal Mackenzie 
selbst genannt hat. Auch der Reichsanzeiger brachte am 2. Sep¬ 
tember 1887 einen von den Aerzten des Hohen Kranken ihm aus 
Vlissingen zugestellten Bericht, der kaum anders im Publicum denn 
als eine Genesungsauzeige betrachtet werdeu konnte. „Der 
Gesundheitszustand Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des 
Kronprinzen hat in letzter Zeit gute Fortschritte gemacht, da 
Höchstdessen Allgemeinbefinden vortrefflich ist. Seit der letzten 
Cauterisatiou (Juli) hat eine neue Ausbildung der bis dahin 
vorhandenen Anschwellung nicht stattgefunden; eiue Wieder¬ 
kehr derselben ist indessen nicht unwahrscheinlich. Sie würde zwar 
die Genesung verzögern, jedoch an und für sich nicht bedenk¬ 
lich erscheinen. Völlige Schonung der Stimme uud Vermeidung 
kalter und feuchter Luft sind die wichtigsten prophylaktischen 
Maassregelu, welche in nächster Zeit zu nehmen sind.“ Dem eng¬ 
lischen, von Mackenzie verfassten Original dieses Bulletins hat in 
seiner deutschen Uebersetzung Generalarzt Wegner noch einen Satz 
eiugeschoben: „Die Stimme ist noch heiser.“ Ohne denselben hätte 
man von der im Augenblicke vollständigen Genesung völlig über¬ 
zeugt sein müssen. 

Erinnert man sich daran, dass die Meldungen der gesicherten 
Herstellung mit der Erhebung Mackenzie’s zur Würde eines 
Barouets zusammenfielen, so ist cs begreiflich, dass das gesammte 
deutsche Volk dem englischen Arzte seine Bewunderung uud Ver¬ 
ehrung auszudrücken bereit war, begreiflich auch, dass die Zeitungen, 
die ihn als den einzig richtig urtheilenden und erfolgreich behan¬ 
delnden Arzt feierten, für die im Mai hinzugezogenen deutschen 
Aerete nur Worte des Unwillens und schärfsten Tadels hatten. 
Jubelnd erwartete Berlin die Rückkehr des endlich genesenen Kron¬ 
prinzen, überall sich für seinen festlichen Empfang vorbereitend. 
Da kam die erste Enttäuschung. Der Kronprinz fuhr an Berlin 
vorüber. Die Majestät seines greisen Vaters hatte ihn vergeblich 
erwartet. 

Man hat damals wohl sich gefragt, warum ist den im Sommer 
behandelnden Aerzten nicht Gelegenheit gegeben worden, sich von 
ihrem Irrthume durch den Augenschein zu überzeugen, aber man 
tröstete sich damit, dass der Kronprinz in Frankfurt sich in voller 
Kraft und Gesundheit gezeigt hatte, und dass eine Fülle von beruhi¬ 
genden Correspondenzen in den „bestunterrichteten Zeitungen“ er¬ 
schienen. Dieselben zerstreuten auch die neu auftauchenden Sorgen, 
welche die Gerüchte von der anhaltenden Heiserkeit in Toblach, 
von einem Erstickungsanfalle daselbst und einer plötzlich notli- 
wendig gewordenen Uebersiedelung uach Venedig verbreitet hatten. 
In Baveno schien alles gut geworden, zumal die Presse gerade das 
viele Herumreisen und den Aufenthalt in einer rauheren Höhenluft 
als den besten Beweis dafür ansah, wie sehr die deutschen Aerete 
sich in ihren Befürchtungen geirrt hatten. 

Die derart beruhigte Welt wurde nicht wenig überrascht, als 
im Beginne des November 1887 es auf einmal hiess, Mackenzie 
sei schleunigst aus England nach San Rerno berufen worden, habe 
die Krankheit für bösartig erklärt und sofort noch die Hinzu¬ 
ziehung anderer Aerzte verlangt 

Begreiflicherweise war hierdurch Seine Majestät der Kaiser 
und die ganze Königliche Familie in nicht geringe Aufregung 
versetzt worden, so dass Se. Majestät dringend zuverlässige Nach¬ 
richten über das Befinden Seines Sohnes uud Thronerben verlangte. 
Zu diesem Zwecke erhielt die Königliche Hoheit des Prinzen 
Wilhelm Befehl, mit einem Vertrauensärzte, als welcher 
Dr. Schmidt in Frankfurt a. M. von den Aerzten des 
Kaisers bezeichnet worden war, nach SanRemo zu eilen. 
Man hatte von der Sendung der Professoren Gerhardt und v. Berg¬ 
mann Abstand genommen, weil man fürchten musste, Mackenzie 
würde ihren Bericht als einen voreingenommenen bezeichnen. Ebenso 
hatte man auf den staatlich augestellteu Professor der Laryngologie 
B. Fraenkel verzichtet, weil man gehört, dieser sei bereits von 
Mackenzie, welcher den erst vor Kurzem in Berlin als Privat- 
docent habilitirten Dr. Krause bevorzugt hatte, verworfen worden. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


Der Kaiser wünschte zu seinem Berichterstatter eine völlig freie 
und unbeeinflusste Persönlichkeit. 

Die Vorgänge bei den ärztlichen Consultationen und den Be¬ 
fund bei denselben schildern die Herren Professor Schrötter aus 
Wien und Dr. M. Schmidt aus Frankfurt a. M. 

An jenen Consultationen, die vom 9. bis 11. November statt¬ 
fanden, nahmen die beiden englischen Aerzte Mackenzie und 
Hovel 1, der Leibarzt des Kronprinzen Dr. Schräder, Prof. 
Schrötter, Dr. Moritz Schmidt und Dr. Krause theil. Nach 
erfolgter Untersuchung und gleich nachdem Prof. Schrötter in 
wenigen Worten seine Ansicht ausgesprochen hatte, zeigte es sich, 
dass eine tiefere Meinungsverschiedenheit bestehe; namentlich war 
cs Dr. Krause, der die Möglichkeit scharf betonte, dass es sich um 
keine Neubildung, sondern um eine andere Erkrankung handelu 
könne, für welche Ansicht Prof. Schrötter aber keinen Anhalts¬ 
punkt gewinnen konnte. Derselbe wünschte daher ein Separatvotum 
zu Protokoll zu geben, unter der Erklärung, dass er von demselben 
unmöglich in irgend einer Weise abgehen könnte. 

Dieses Protokoll begründete in erschöpfender Weise die An¬ 
schauung, dass es sich bei dem Hohen Patienten um ein Oedem in 
Folge einer Knorpelhautentzündung, ihrerseits wieder hervorgerufen 
durch das Weitergreifen einer bösartigen Neubildung (Carcinom) 
handle. Es ist richtig, dass die Diagnose, eben wegen des Oedems, 
in diesem Augenblicke schwierig war. Allein mit Berücksichtigung 
dessen, was Prof. Schrötter aus den Fachzeitungen von Berlin 
her wusste, was Mackenzie und Schräder berichtet hatten, und 
endlich als Wichtigstes, was er selbst trotz des Oedems zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatte: die Verdickung des Kehlkopfes nach 
aussen, die, wenn auch nicht bedeutende Anschwellung der Lymph- 
drüseu, und endlich mit Rücksicht auf die laryngoskopische 
Untersuchung musste Prof. Schrötter hieraus zur obigen einzig 
möglichen Diagnose kommen. Das Oedem der linken Larynxhälfte 
zeigte nach abwärts von der aryepiglottischen Falte seichte Vor¬ 
sprünge, wie sie bei einfach entzündlichen Geschwülsten nicht Vor¬ 
kommen, und die mau nur sehen konnte, wenn man den Patienten 
den Oberkörper nach rechts, den Kopf uach links drehen liess, was 
auch derselbe auf das Willigste mit sich vorzunehmen gestattete. 
Vollständige Unbeweglichkeit dieser Kehlkopfhälfte, mit der gleich¬ 
zeitigen Verdickung uach aussen, konnte nur auf eine Erkrankung 
der tiefer liegenden Gebilde, respective des Cricoarytenoidealgelenkes 
dieser Seite zurückgeführt werden. 

Wenn man diese Erscheinung als solche einer Pcrichondritis 
cricoarytenoidea gelten lässt, so musste wieder die Frage aufgeworfen 
werden, wodurch diese bedingt sein konnte? Gerade das wieder¬ 
holte Auftreten und Schwinden des Oedems, die lange Dauer der 
Erkrankung, mit Bezug auf diese wieder das Nichtzustandekommen 
eines Abscesses, sprachen gegen eine einfache Perichondritis. Mit 
Rücksicht auf den Ausschluss jeder anderen Grundkrankheit, auf 
das Alter des Patienten, auf die Verdickung des Kehlkopfes, nament¬ 
lich auf die eigenthümliche Facettirung der Geschwulst und die 
Anschwellung der Lymphdrüsen, konnte es sich nur um eine bös¬ 
artige Neubildung handeln. 

Schrötter gab ferner an, dass in therapeutischer Beziehung 
nur zwei Wege möglich seien: 1. einfach abzuwarten, bis sich mit 
dem weiteren Wachsthum derNeubildung bei eintretender Erstickungs¬ 
gefahr die Nothwendigkeit der Vornahme des möglichst tiefen Luft¬ 
röhrenschnittes einstellen würde, einer Operation, die nicht den 
Zweck hätte, das Uebel zu heilen, sondern nur, unbeirrt von 
dem weiteren Fortschreiten des Grundübels, das Leben zu verlängern. 
2. Behufs einer gründlichen Heilung den Kehlkopf zu exstirpiren. 
Diese Operation zerfallt wieder in die halbseitige und in die totale 
Exstirpation des Organes. Prof. Schrötter musste es nach der 
ersten Untersuchung wegen des dermaligen Oedems als zweifelhaft 
hinstellen, ob eine halbseitige Operation ausreichend wäre, erklärte, 
dass dieses sich während der Operation sicherstellen lassen würde, 
sprach sich aber eher für die wahrscheinliche Nothwendigkeit der 
totalen Exstirpation aus. Selbstverständlich musste vorerst der 
Patient mit der ganzen Gefahr, welche ein so schwerer operativer 
Eingriff mit sich bringen würde, vollkommen vertraut gemacht 
werden, und Prof. Schrötter stellte sich vor, dass für die end¬ 
gültige Entscheidung der Vornahme einer so folgenschweren Ope¬ 
ration jene hohen wissenschaftlichen Autoritäteu beigezogen würden, 
welche den Kranken bereits in Berlin behandelt hatten. 

Es war Prof. Schrötter von der höchsten Wichtigkeit, mit 
der richtigen Diagnose durchzudringen, damit keiue Zeit mit ander¬ 
weitigen, nutzlosen therapeutischen Versuchen verloren ginge, da 
man mit der Vornahme der grossen Operation, hätte man sich 
erst zu derselben entschlossen, nicht länger zögern durfte. 

Hierauf schrieb auch Dr. Krause seine Meinung nieder, welche 
nun irn gleichen Sinne wie die Schrötter’s lautete, sich aber 
gleich etwas näher über die grosse Operation, und zwar im ab- 
rathenden Sinne aussprach. 


Nachmittags wurden die Aerzte von Ihrer Kaiserlichen Hoheit 
der Frau Kronprinzessin empfangen, und Schrötter verlas das von 
ihm verfasste Protokoll, worauf sich sofort zeigte, dass von dieser 
Seite Bedenken gegen jede eiugreifeude Operation vorhanden waren. 
Hierin wurde die Hohe Frau auch von dem um seine Meinung be¬ 
fragten Dr. Hovell in entschiedener Weise bestärkt. 

Prof. Schrötter verwahrte sich entschieden gegen die Vor¬ 
nahme weiterer Exstirpationen auf laryngoskopischem Wege, wie sie 
zum Zwecke weiterer histologischer Untersuchungen von Mackenzie 
vorgeschlagen wurden, da solche operative Eingriffe gewiss nur zum 
rascheren Wachsthum, oder Zerfalle der Neubildung dienen würden, 
und es auch sehr zweifelhaft wäre, ob selbst der geübteste Unter¬ 
sucher im Stande sein könnte, aus einem Fragmente der Geschwulst 
im dermaligen Stadium etwas Bestimmtes auszusagen. 

Am 10. November gegen 11 Uhr wurde wieder eine Unter¬ 
suchung vorgenommen, an welcher auch Dr. Schmidt sich be¬ 
theiligte. Da die Schwellung etwas geringer war, traten nicht nur 
die' Veränderungen au der linken Seite charakteristischer hervor, 
sondern es zeigte sich leider auch ein Knötchen an dem rechten 
wahren Stimmbande, welcher Befund Schrötter, wenn er über¬ 
haupt gezweifelt hätte, um so mehr in seiner bisherigen Anschauung 
bestärken musste, so dass er in der hierauf stattfindenden Be¬ 
sprechung der Aerzte weder in Bezug auf die Diagnose, noch auf 
die Therapie etwas ändern konnte. Auch Dr. Schmidt schloss 
sich seiner Ansicht vollinhaltlich an. 

An demselben Tage sprach Schrötter die Frau Kronprinzessin, 
wobei sich dieselbe mit der allergrössteu Entschiedenheit gegen die 
Exstirpation und nur für den seiuerzeitigen Luftröhrenschnitt aus¬ 
sprach, da sie unter allen Bedingungen das Leben ihres geliebten 
Gatten verlängert seheu wollte und solches nur auf diese Weise für 
erreichbar hielt. Schrötter schlug nun vor, Herrn Prof. v. Berg¬ 
mann zu ersuchen, er möge sich bereit halten, um sofort nach er¬ 
haltener Ordre nach San Rerao eilen zu können, mittlerweile aber, 
um für alle Fälle gesichert zu sein, ehestens einen seiner erfahren¬ 
sten Assistenzärzte hierher zu senden. 

Abends redigirte Schrötter auf Wunsch der Collegen ein aus¬ 
führliches Memorandum über die Chancen der Larynxexstirpation 
gegenüber dem einfachen Luftröhrenschnitte, welches Actenstück 
ietzt aber aus aller Aerzte übereinstimmender Ansicht hervorging 
und welches dazu bestimmt war, zur Orientirung Seiner Kaiser¬ 
lichen Hoheit des Kronprinzen, nach der mündlichen Mittheilung zu 
dienen. 

Am 11. November Vormittags wurde zum letzten Mal unter¬ 
sucht. Nachdem der Hohe Patient seit gestern Eisumschläge ge¬ 
braucht und Eispillen verschluckt hatte, war das Oedem wieder 
etwas geringer, doch hatte sich in dem eigentlichen Krankheitsbilde 
nichts Wesentliches geändert. Prof. Schrötter erstattete nun dem 
Kronprinzen Bericht über die Untersuchungen und Anschauungen 
der Aerzte. Dr. Schräder überbrachte demselben dann das gestern 
aufgesetzte schriftliche Referat über die Chancen der verschiedenen 
Operationen, uud schon nach wenigen Minuten kam die schriftliche 
Willensäusserung Seiuer Königlichen Hoheit zurück, in die grosse 
Operation nicht zu willigeu und nur seinerzeit den Luftröhren¬ 
schnitt ausfübren zu lassen. 

Dr. Moritz Schmidt berichtet über die Untersuchungen vom 
IO. und 11. November Folgendes: Am 10. November fand ich ein 
gelblich durchscheinendes Oedem der linken aryepiglottischen Falte, 
so gross, dass von dem rechten Stimmbande nur die vorderen zwei 
Drittel, von dem linken etwa eiu Füuftel zu sehen wareu. Unter 
dem letzteren bemerkte ich eine dunkelrothe Schwellung mit einem 
gelblichen Belag. Die ganze Schleimhaut des Kehlkopfes war stark 
geröthet. Am 11. November war das Oedem soweit geschwunden, 
dass ich den grössten Theil des linken Stimmbandes und der Hinter¬ 
wand, sowie das ganze rechte Stimmbaud deutlich sehen konnte. 
Die Schleimhaut des Kehlkopfes war noch stark geröthet. Unter 
dem linken Slimmbande der ganzen Läuge nach, war die Regio 
subglottica geschwollen, so dass sie über das Stimmband vorragte, 
duukelroth; fast der ganzen Länge dieser Anschwellung entlang 
fand ich eine unregelmässig, leicht gebuchtete, gelbliche Stelle, 
welche ich als oberflächliche Ulceration ansprach. Die Schwellung 
der Regio subglottica. zog sich an der Hiuterwand herüber nach der 
rechten Seite, wo sie an einem Hanfkorn grossen, rothen Knötchen 
im hinteren Drittel des rechten Stimmbandes endigte. Auch im 
vorderen Glottiswinkel zog sich die erwähnte Schwellung ein wenig 
noch nach rechts herüber. Das linke Stiramband bewegte sich 
nicht. Ich fand die Lymphdrüse auf dem Ligamentum conoideum klein 
erbsengross. Die Submaxillardrüsen links wareu unbedeutend ge¬ 
schwollen. Es konute dies letztere auch von der voraufgegangenen 
Parulis herrühren. Iu Anbetracht der allmählichen Entwickelung 
des Leidens durch 10 Monate und des Alters des Hohen Patienten 
und des laryngoskopischen Befundes konnte ich das Leiden nur als 
eine durch Carcinom bedingte Perichondritis ansehen. Ich be- 


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12. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


583 


merke insbesondere, dass ich eine solche Knötchenbildung, wie die 
am rechten Stimmbande, nur bei Carcinom gesehen habe. Eine in 
Frage kommende operative Hülfe konnte, da die Schwellung die 
Mittellinie schon überschritten hatte, nur in der totalen Extirpation 
des Kehlkopfes bestehen, oder einer bloss palliativen Tracheotomie. 

Die Declaration, welche die in Sau Remo vom 9. bis 
11. November versammelten Aerzte verfassten, hat 
folgenden Wortlaut: 

„Nach wiederholten eingehenden Untersuchungen sind die ver¬ 
sammelten Aerzte vollkommen klar, dass es sich bei Seiner Kaiser¬ 
lichen Hoheit um Krebs des Kehlkopfs handelt. In Bezug auf die 
Behandlung wurden ebenfalls die verschiedenen Möglichkeiten 
gründlich durchgesprochen, Seine Kaiserliche Hoheit auch in die¬ 
selben eingeweiht, und wurde der seiner Zeit nothwendig werdende 
tiefe Luftröhrenschnitt empfohlen.“ 

gez. Morell Mackenzie. Schrötter. Schräder. Krause. 

Moritz Schmidt. Mark Hovell. 

Es ist bekannt, wie Seine Kaiserliche und Königliche 
Hoheit nach erhaltener Belehrung über die Bedeutung 
und Chancen einer totalen Kehlkopfextirpation, denn 
nur von dieser konnte bei einem Uebergreifen auf die 
rechte Seite jetzt noch die Rede sein, sich gegen die¬ 
selbe entschieden und solches schriftlich den Aerzten 
angezeigt hat. 

Mit grosser Fassung, ja wahrem Heroismus hatte der Hohe 
Kranke die Nachricht von dem Ernste seiner Krankheit aufgenom¬ 
men. Schien es doch seiner Umgebuug, als ob mit der Entschei¬ 
dung, welche der Ausspruch der Aerzte gebracht hatte, die Stim¬ 
mung des Kronprinzen eine ruhigere und bessere, ja geradezu heitere 
geworden sei. 

Sofort nach den Berathungen iu San Remo war Dr. Schmidt 
nach Berlin aufgebrochen, wo er am Morgen des 13. November 
eintraf und bald darauf mit dem Leibarzte, Generalarzt Leuthold, 
sowie Professor v. Bergmann von Seiner Majestät zur Bericht¬ 
erstattung empfangen wurde. 

Da die in Sau Remo versammelten Aerzte die Wegnahme des 
Kehlkopfs im günstigsten Falle für so eingreifend auch in das 
spätere Leben des Patienten gehalten hatten, dass sie sich nicht dazu 
entschlossen konnten, unbedingt die Operation anzuratheu, sondern 
die Entscheidung dem Hohen Patienten selbst überlassen hatten, 
so lag es nahe, dass Allerhöchst noch einmal die Frage aufge¬ 
worfen wurde, ob man nicht dennoch zur Operation bereden und 
in dieser Beziehung weiter in den sonst ja verlorenen Kranken 
dringen solle. Desgleichen wurde Allerhöchst der Wunsch ausge¬ 
sprochen, durch eine actenmässige Feststellung der Kran¬ 
kengeschichte Rechenschaft darüber zu geben, warum im Mai 
und Juni die geplante Operation aufgegeben worden und warum 
so spät erst wieder die Operationsfrage aufgeworfen sei. Zu diesem 
Zwecke versammelte der stellvertretende Herr Minister des König¬ 
lichen Hauses, Graf Stolberg-Wernigerode, Erlaucht, am 13. 
November die Aerzte: Professor v. Bergmann, Leibarzt Wegner, 
Professor Gerhardt, Professor Tobold, Professor Leuthold, 
Dr. Schmidt und Stabsarzt Landgraf, zu einer Konferenz im 
Königlichen Hausrainisterium. 

Das über diese Conferenz aufgenommene Protokoll, sowie die 
Anlagen zu demselben, welche die hinzugezogenen Aerzte nach 
ihren Notizen, Krankengeschichten und Zeichnungen verfasst hatten, 
sind den Acten des Königlichen Hausministeriums einverleibt wor¬ 
den und haben der vorstehend auszüglich wiedergegebenen Bericht¬ 
erstattung als Grundlage gedient. 

Die versammelten Aerzte waren ebenso wie die in San Remo 
consultirenden der Ansicht, dass im Augenblicke nur von einer 
Totalexstirpation des Kehlkopfes, nicht mehr, wie im Mai, von einer 
beschränkten Excision die Rede sein könne. Obgleich es mehrere 
sicher constatirte Fälle dauernder Heilung nach der Totalexstirpation 
gebe, so sprachen sich doch alle anwesenden Aerzte dahin aus, 
dass für die Vornahme einer solchen, in nicht geringem Grade 
lebensgefährlichen und ausserdem noch verstümmelnden Operation 
allein der Wille des Kranken entscheidend sei, es müsse daher bei 
der Ablehnung des Eingriffes sein Bewenden haben. Warum im 
Sommer nicht operirt worden ist, zeigen die vorstehend wiederge¬ 
gebenen Berichte. „Nachdem die versammelten Aerzte im 
Juni des vorausgegangenen Jahres die bestimmte Zu¬ 
sicherung der Operation beim Wachsen der Neubildung 
erhalten, müssten sie demjenigen Arzte die Schuld für 
das „zu spät“ beimessen, welcher dieses Wachsen über¬ 
sehen hatte, selbst dann abgestritten hatte, als Dr. Land¬ 
graf es ihm gegenüber mit der allergrössten Bestimmt¬ 
heit behauptete und eine neue Consultation dringend 
verlangt wurde!“ 

Den Bericht des Professor Schrötter, den Dr. Leuthold 
vorlas, sowie der mündliche Vortrag des Dr. Schmidt stellten fest, 


dass in jedem Augenblicke sich ein Oedem der ary-epiglottischen 
Falten am Keblkopfeiugange entwickeln und dann die allergrösste, 
nur mittelst schnell ausgeführten Luftröhrenschnitts zu beseitigende 
Lebensgefahr erzeugen könne. Deswegen sprachen die Aerzte sich 
mit grosser Entschiedenheit dahin aus, dass sofort ein, in der 
Tracheotomie geübter Chirurg nach San Remo gesandt 
würde, um hei der gefürchteten Eventualität die operative Hülfe 
zu leisten. Professor v. Bergmann bezeichnete als den hierzu ge¬ 
eignetsten den ersten Assistenten seiner Klinik, Dr. Bramann. 
Die anderen Aerzte stimmten zu. 

Dr. Bramann ist vor der Operation nur dreimal zugezogen 
worden. Er konnte das deutliche und stetige Wachsen der Ge¬ 
schwulst constatiren. In den Tagen vom 14.—17. Januar 1888 war 
zuerst Athemnoth und zu gleicher Zeit ein grauer flottirender Ge- 
websfetzen im Innern der Kehlkopfes bemerkt worden, der endlich 
am 17. Januar ausgestossen wurde. Derselbe wurde Virchow zur 
Untersuchung übersandt. Das Ergebniss dieser Untersuchung ist 
publicirt worden, nicht bekannt aber ist es geworden, dass der 
Fetzen zunächst dem in San Remo anwesenden Warschauer Arzte 
Dr. Hering übergeben worden war, welcher behufs vorläufiger 
Untersuchung Theile desselben abgetrennt hatte, so dass Virchow 
nicht das ganze unversehrte Stück, sondern bloss dessen grösseren 
Theil erhalten hat. Virchow bezeichnete den übersandten Fetzen 
als einen abgestorbenen und faulig veränderten Theil des Kehlkopfs, 
der von der Oberfläche her bis in die Tiefe von stellenweise 4 mm 
losgelöst ist. Nur an einer fast harten Stelle — — — — zeigten 
sich fast in jedem mikroskopischen Schnitte sogenanute Nester 
(Zwiebeln) von epidermoidalen, häufig ganz homogen gewordenen 
Zellen. Regelmässig lagen diese Nester in der Deckschicht, oder 
doch in uächster Nähe derselben. Epidermiszwiebeln in tiefen 
Theilen und deutlich isolirte Alveolen hatte er trotz anhaltenden 
Suchens nicht gefunden. Daher ist auch dieses Gutachten 
gegen die Krebsdiagnose verwerthet worden. 

Am 29. Januar erschien Sir Morell Mackenzie wieder in 
Sau Remo. Er suchte noch am Abend seiner Aukunft Dr. Bra¬ 
mann auf und bat ihn, am nächsten Tage mit zu untersuchen, im 
Augenblicke wäre zwar eine Tracheotomie noch nicht nüthig, allein 
man wisse uicht, was schon die nächste Zeit briugen könnte. Bei 
Bramann’s Gegenbesuche am Morgen des nächsten Tages äusserte 
er wieder, die linke Seite habe sich entschieden gebessert, die 
Schwellung sei kleiner, so dass man sogar das linke Stimmband 
sehen könne, das keineswegs zerstört sei. Rechts dagegen sei eine 
stärkere Schwellung als Weihnachten, doch sei dieselbe entzünd¬ 
licher Natur. Sie sei es aber, die eventuell bald eine Tracheotomie 
nothwendig machen könnte, doch sei er für die Tracheotomie nur 
dann, wenn Athemnoth eintrete. Um 5 Uhr Nachmittags, nach ge¬ 
höriger Cocamisirung der Schleimhaut untersuchte Bramann. Das 
regelmässige und stetige Wachsen der Geschwulst und 
die nun auch äusserlich, an der linkeu, der Ausgangs¬ 
seite des Tumors, wahrnehmbare Schwellung des Kehl¬ 
kopfes veranlassten Bramann Sir Morell Mackenzie gegen¬ 
über auf die Herbeiziehung Professor v. Bergmann’s zu 
dringen, der gern einige Tage in San Remo warten würde, wenn 
nicht schon früher die Tracheotomie notwendig werden sollte. Allein 
sein Antrag wurde jetzt, sowie in den folgenden Tage verworfen. 
Dr. Br amann wurde dann bis zum Tage der Operation nicht 
hinzugezogen, ja bekam bis dahin den Hohen Patienten 
nicht mehr zu sehen. Trotzdem auch Dr. Schräder wegeu 
Zunahme der Athemnoth dringend die Berufung v. Bergmanu’s 
verlangte, unterblieb dieselbe. Ara 8. Februar Nachmittags suchte 
Dr. Bramann Mackenzie auf, weil ihm die Adjutanten über 
sehr hochgradige Athemnoth berichtet hatten, und fragte ihn, ob 
die Athemnoth bedeutend und die Tracheotomie bevorstehend sei, 
man müsste dann doch sofort und lieber etwas zu früh als zu spät 
an v. Bergmann telegraphiren. Er antwortete, seiner Meinung 
nach hätte man wohl noch 8 bis 10 Tage Zeit. Während 
der Consultation am Donnerstag, den 9. Februar fiel Dr. Bramann 
sofort beim Erscheinen des Kronprinzen die bedeutende Athemnoth 
und der Stridor bei jedem Athemzuge auf. Das Sprechen war 
sichtlich erschwert, und der Hohe Patient sah sehr angegriffen und 
bleicher als je zuvor aus. Bei der laryngsokopischen Untersuchung, 
während welcher die Athembeschwerden besonders deutlich 
waren, und sowohl bei der Inspiration wie bei der Exspiration ein 
bedeutendes Athmungshinderniss auflfiel, zeigte sich die ganze linke 
Kehlkopfhälfte, sowie die linke aryepiglottische Falte bedeutend in- 
filtrirt, ebenso wie die ganze hintere Larynxwand. Besonders die 
Gegend des Taschenbandes, die tumorartig bis über die Mittellinie 
nach rechts hinüberragte. Das rechte Stimmband war vollkommen 
unbeweglich, unter demselben, besonders in der vorderen Hälfte, 
ein anscheinend von gespannter, blasser Schleimhaut bedeckter 
Tumor zu sehen, der nach links hiu unter dem linksseitigen Wulst 
verschwand. Eine Rima glottidis war eigentlich nirgend mehr vor- 


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584 DEUTSCHE MEDICINISCFIE WOCHENSCHRIFT. _ No. 28 


banden, und der Durchtritt der Luft nur möglich wegen des ver¬ 
schiedenen Niveaus, in welchem die Schwellungen rechts und links 
lagen. 

Mackeuzie erklärte nun ohne alle Umschweife: die Athein- 
noth hätte seit gestern Abend erheblich zugenommen und eine Hfdie 
erreicht, dass man nicht länger warten könne; er wäre für sofortige 
Tracheotomie. Desgleichen Krause und Hovell. Dr. Bramann 
gab das Vorhandensein grosser Athemnoth als natürliche Folge des 
jetzt so schnellen Wachsens der Geschwulst zu, berief sich aber auf 
seine frühereu und wiederholentlich abgegebenen Erklärungen, nicht 
eher zu operiren, als bis er selbst beobachtet habe. Da er den 
Hohen Patienten nur während der kurzen Zeit der gemeinschaft¬ 
lichen Visite gesehen habe und deshalb unmöglich wissen könne, 
ob die Athemnoth dauernd so hochgradig und nicht zum Theil auf 
die mit der Untersuchung verbundene Erregung und Anstrengung 
zu beziehen sei, so könne er sich auch nicht zur sofortigen Ope¬ 
ration entschlossen, sondern müsse einmal einen Aufschub von 
mehreren Stunden verlangen, während welches ihm Gelegenheit ge¬ 
boten werden, den Hohen Patienten selbst zu beobachten, 
und andererseits auf sofortige Herbeirufung des Herrn Geheimrath 
v. Bergmann dringen. Darauf gab Sir Morell Mackenzie die 
Erklärung ab, dass er, im Falle Dr. Bramann nicht operire, 
jede Verantwortung ablehnen müsse. Krause und Hovell 
schlossen sich dem an. 

Um 12 l /2 Uhr suchte Mackenzie Dr. Bramann auf, um ihm 
zu sagen: „der Kronprinz erwarte ihn um 1 Uhr, er könne aber 
nicht umhin, nochmals zu erklären, dass er jede weitere Verant¬ 
wortung ablehnen und Dr. Bramaun sie von jetzt ab allein tragen 
müsse.“ Um 1 Uhr begab letzterer sich zu Seiner Kaiserlichen 
Hoheit und wurde von Ihm sogleich im Schlafzimmer empfangen. 
Die Athemnoth war stärker als am Morgen, der Stridor sehr laut, 
bei jeder Inspiration Einziehung des Jugulum und des Scrobiculus 
cordis, die Lippen bleich, schwach bläulich, Stimme ganz tonlos, 
das Sprechen war nur mit grosser Anstrengung möglich. Ange¬ 
sichts der von Morgen bis zum Mittag constatirten Zu¬ 
nahme der Athemnoth schien Dr. Bramann die Möglich¬ 
keit ausgeschlossen, noch länger, geschweige noch zwei 
Tage bis zur Ankunft des Geheimrath v. Bergmann 
warten zu können. Er theilte deshalb Seiner Kaiserlichen Hoheit 
mit, dass er es für gefährlich halte, die Operation aufzuschieben, 
und rieth zu ihrer sofortigen Ausführung, womit Höchst- 
derselbe auch sogleich sich einverstanden erklärte. 

Als Alles zur Operatiou vorbereitet war, wurden in Betreff 
der Chloroformnarkose neue Schwierigkeiten gemacht, indem 
Mackenzie sich energisch gegen die Anwendung des Chloro¬ 
forms erklärte, mit der Motivirung, dass die Tracheotomie bei 
Chloroformnarkose gefährlich sei, und deshalb in England ohne 
Narkose operirt werde. Dr. Bramann erwiderte ihm darauf, dass 
er bisher noch in jedem Falle — und er habe über 400 Tracheoto- 
mieeu an Kinderu und Erwachsenen ausgeführt — chloroformirt 
habe, dass man in Deutschland ganz allgemein ehloroformire. und 
dass er im vorliegenden Falle, zumal ihm derselbe an und für sich 
schon eine überaus grosse Verantwortung auferlege, nicht anders 
zu operiren bereit sei, als unter Bedingungen, die er für zweck¬ 
mässig halte und an die er gew'ohnt sei. Als er trotz aller 
Einwäude bei dieser seiner Ansicht, die von Dr. Schräder auf 
das Lebhafteste unterstützt wurde, blieb, gab Mackenzie schliesslich 
nach, aber erst, nachdem er nochmals jede Verantwortung 
für das, was eventuell in der Narkose vorfallen könnte, 
von sich abgelehnt hatte. 

Die Operation dauerte inclusive der Narkose 20 Minuten und 
gelang, wie bekannt ist, auf das vollkommenste. Sofort nach der 
Operation hatte im Aufträge der Höchsten Herrschaften der stell¬ 
vertretende Leibarzt Dr. Schräder an Professor v. Bergmann 
telegraphirt, er möchte trotz der gelungenen Tracheotomie schnell 
hinüberkommen. Desgleichen telegraphirte Hofmarschall Major 
v. Lynker: „Ihre Kaiserlichen Hoheiten lassen Sie ersuchen, sofort 
Ihre Reise hierher anzutreten.“ Ein drittes Telegramm ähnlichen 
Inhalts traf verspätet erst mehrere Stunden nach der Abreise ein. 
Jenes Telegramm, welches aus San Remo schon um 10 Uhr Vor¬ 
mittags Professor v. Bergmann berufen hatte, war seit 2 Uhr in 
dessen Händen. Zu derselben Zeit hatte ihu Se. Majestät der Kaiser 
empfangen, der von der mittlerweile nothwendig gewordenen 
Tracheotomie unterrichtet worden war und nach den Wirkungen 
der Operation fragte, sowie Professor v. Bergmanu befahl, so lange 
bei dem Hohen Kranken zu verweileu, bis die Wunde geschlossen 
und die chirurgische Behandlung beendet wäre. Nach Empfang 
der Nachricht von der bereits vollendeten Operation geruhten 
Se. Majestät noch einmal den Professor v. Bergmann zu sprechen 
und trugen ihm auf, so schnell als möglich zu reisen, regelmässig 
Bericht zu erstatten und nach Kräften dafür zu sorgen, dass, wenn 


es der Zustand des Hohen Kraukeu gestatten sollte, Höchstdessen 
Uebersiedelung nach Berlin bewerkstelligt würde. Prof v. Berg¬ 
mann traf am Abend des 11 . Februar in Sau Remo ein. 

Die ersten Tage nach der Operation waren für den Hohen 
Kranken gut gewesen. Die Verbandstoffe unter und an der Canüle 
waren trocken, weder von Blut noch anderweitigen Wundproducteu 
durchtränkt. Kein Fieber, Athemfrequenz zwischen 16 und 22. Am 
Morgen des 12. wurde die Canüle gewechselt. Prof. v. Bergmann 
überzeugte sich nach Fortnahme der die Wuudwinkel füllenden 
Stücke von Jodoformgaze von der in jeder Beziehung vortrefflichen 
Beschaffenheit der Wunde. Sie war regelrecht ausgeführt, lag 
genau in der Mittellinie und ivar frei von Blutansammlungen oder 
irgend welchen entzündlichen Erscheinungen. Prof. v. Bergmann 
ist gewohnt, die erste Canüle nicht lange liegen zu hissen. Die 
Construetion der von ihm gebrauchten Canüleu verhindert einmal 
durch ihre Krümmung und dann durch ihre Verbindung mit ihrem 
Schilde jeden Druck auf die Trachealwaud. Das Schild ist mit. dem 
Doppelrohr beweglich, und zwar nach allen Richtungen beweglich 
verbunden, so dass es der Canüle Verschiebungen sowohl in horizon¬ 
taler als verticaler Ebene gestattet. Die Krümmung der Canüle 
beträgt für ihre beiden oberen Dritttheile etwa den sechsten Theil 
eines Kreisbogens von 5 cm Radius, das untere Dritttel verläuft 
geradlinig in der Richtung der Tangente dieses Kreises. Selbst¬ 
verständlich ist unter diesen Verhältnissen, wenn überhaupt, nur 
ein Druck auf die vordere Trachealwand möglich. Derselbe wird 
aber, wegen der beweglichen Verbindung der Canüle mit ihrem, 
in bekannter Weise um den Hals befestigten Schildtheile nur daun 
sich geltend machen können, wenn der Patient sich vornüber beugt. 
Im Stehen und erst recht im Liegen muss auch die vordere Tracheal- 
wand entlastet seiu. Trotzdem änderte Prof. v. Bergmann nach 
einigen Tagen die Canüle und führte eine bald etwas stärker, 
bald schwächer gekrümmte und ebenso eine entweder etwas längere 
oder kürzere wieder ein. hierbei die individuelle Halsbildung des 
Kranken berücksichtigend und die Contactpunkte mit der Wunde 
äudernd. Es waren 18 solcher verschieden gekrümmter und ver¬ 
schieden langer Canülen aus Silber und Hartgummi mitgenommen. 
Dr. Bramann hatte aus diesen die für die bestehenden Wund- und 
Halsverhältnisse passendste ausgesucht. Die neu eingeführte unter¬ 
schied sich von ihr, die eine Länge von 8 l /2 <uu hatte, nur da¬ 
durch, dass sie um */2 cm kürzer und etwas weniger stark ge¬ 
krümmt war. 

Am 12. und 13. Februar zeigte sich bei den etwa alle 3 Stun¬ 
den auftreteuden Hustenstössen ein zäher, bräunlich gefärbter, aus 
der Canüle geschleuderter, oder beim Reinigen der inneren Canüle 
aus ihr entfernter Schleim, welcher kleine dunkle, schmierige, etwa 
hanfkorngrosse Blutcoagula, sowie auch Beimengungen von Streifen 
und Tröpfchen frischen Blutes enthielt. Der Auswurf hatte einen 
üblen Geruch. Am Morgen des 14. Februar, als der hohe Patient 
Nachts häufiger gehustet, und die Menge des Auswurfs reichlicher 
geworden war, behauptete Mackenzie, die Blutbeimengung stamme 
von einem Decubitus an der hinteren Wand der Trachea, den die 
Cauüle verursacht habe. Trotzdem v. Bergmann seine Ansicht zu 
demonstriren suchte, dass es sich um aus dem Kehlkopfe hinabgeflossene 
Massen handle, blieb Mackenzie bei seiner Ansicht, indem er Prof, 
v. Bergmann um die Einführung seiner modificirten Durham- 
seben Canüle ersuchte. Während Prof. v. Bergraann auuahra, dass 
die Differenzen über die Genese der Blutstreifen und Punkte im 
Auswurfe bis zur gegenseitigen Klärung der Ansichten unter den 
Aerzten bleiben würden, musste er schon zu Mittag desselben Tages 
erfahren, dass Mackenzie Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau 
Kronprinzessin mitgetheilt hatte, der häufigere Husten und der braune 
Auswurf seien Folge einer unzweckmässigen, von ihm eingeführten 
Canüle, welche die Trachealschleimhaut geritzt habe. Abends hatte 
Dr. Hovell dem Hofmarschallamt zwei Zeichnungen vorgelegt, deren 
eine den Druck, welchen die Canüle ausübte, illustrireu sollte, 
während die andere die rationellere Lage der Mackenzie’schen 
vor Augen führte. Tags darauf wurde die Angelegenheit bereits in 
Wiener und Berliner Blättern in Mackenzie’s Sinne erörtert. Wie 
in dieser Frage, so wurde fast in allen die gemeinsame ärztliche 
Beschlussfassung dadurch erschwert, dass, ehe noch der Gegenstand 
der Berathung unter den Aerzteu erledigt, oft sogar, ehe er vorge¬ 
tragen war, den Hohen Angehörigen, sowie dem Hohen Kranken 
selbst schon die bestimmte und durch die Berufung auf seine gross- 
artige Erfahrung auch annehmbar gemachte Ansicht Mackenzie’s 
bekannt gegeben worden war. Nicht minder litt die gemeinsame 
ärztliche Behandlung dadurch, dass Mackenzie zwar v. Bergmann 
und Bramann die chirurgische Nachbehandlung der Tracheo- 
tomiewur.de überlassen, nicht aber anerkennen wollte, dass sie auch 
hinsichtlich aller etwa ihm wünschenswerth erscheinenden Vornahmen 
am Kehlkopfe gefragt werden müssten. 

Die Menge des Auswurfs wechselte ausserordentlich. Es ver- 


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12. Jnli. DEUTSCHE MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 585 


gingen zuweilen, meist am Vormittage, 4 bis 6 Stunden, ohne dass 
der Hohe Kranke hustete. Dann aber kamen anfallsweise sehr 
heftige, zuweilen Minuten lang andauernde Hustenstösse, welche 
auf einmal 1 bis 2 ccm Eiter in die vorgebundene Kompresse 
schleuderten, oder aber mit ihnen die innere Canüle so füllten, 
dass diese sofort gewechselt werden musste. Eine hinreichende 
Quantität dieses Auswurfes, die am 15. Februar aufgefangeu war, 
wurde zu einer eingehenden mikroskopischen Untersuchung benutzt. 
Es fanden sich unter dem Mikroskope ausser Eiter und Blutkör¬ 
perchen zahlreiche, kugelförmige Körper, die unverkennbare, con- 
centrisch geschichtete Epithelzellen und daneben zapfenartige Ge¬ 
bilde, die aus dicht aneinander liegenden, grossen Pflasterepithelien 
bestanden, enthielten. In einigen Präparaten lagen ausserdem viele 
elastische Fasern. 

Am 12. Februar hatte Mackenzie in der Nummer 8 der 
Berliner klinischen Wochenschrift dieses Jahres geschrieben: „Nach 
meiner Ansicht waren die klinischen Symptome immer durchaus 
vereinbar mit einer nicht bösartigen Erkrankung, und die mi¬ 
kroskopische Untersuchung befand sich in Uebereinstimmung mit 
dieser Ansicht“, und weiter: „In diesem Augenblicke gestattet die 
rnedicinische Wissenschaft es mir nicht zu behaupten, dass irgend 
eine andere Krankheit vorhanden ist, als eine chronische Entzün¬ 
dung des Kehlkopfes, verbunden mit Perichondritis“. Noch ehe 
der Setzer diese Worte druckte, war der vollwichtige, wissen¬ 
schaftliche Gegenbeweis für diese Ansicht Mackenzie’s von 
demselben Chirurgen erbracht worden, dessen bestimmte klinische 
Diagnose im Sommer vorher so lange in Zweifel gezogen war. 

Am 1 (». Februar, als bereits eine ausreichende Zahl beweisender 
Präparate Vorlagen, lud Prof. v. Bergmann zuerst Dr. Krause 
und durch ihn die beiden englischen Collegen ein, sich von den 
Ergebnissen der mikroskopischen Untersuchung zu überzeugen. 
Krause erklärte sich, gegenüber einer eben vorbereiteten anders¬ 
artigen Kundgebung, für überzeugt. Mackenzie aber liess durch 
ihn melden, dass er sich nicht für competent halte, mikroskopische 
Dinge richtig zu beurtheilen. Denn in England halte man es für 
unerlässlich, in solchen Sachen lediglich den Anatomen reden zu lassen. 

Mit Recht betont v. Bergmann, er habe den Standpunkt 
eines Arztes nicht verstehen können, der seiner Diagnose nur dann 
ein Recht zur Bestimmung seines Handelns einräumt, wenn sie das 
Messer des Anatomen verificirt hat, ein Standpunkt, der in seiner 
äussersten Consequenz den Arzt erst hinter den Sectionstisch ver¬ 
wiese! Allein selbst diese excentrische Forderung war nun erfüllt 
worden. Jeder Tag lieferte neue Präparate, jeder Tag bestätigte 
damit zweierlei: 

1. die Krebsdiagnose und 

2. die Thatsache des Zerfalls der Neubildung. 

Je länger dieser dauerte, desto mehr nekrotische Gewebs¬ 
stückchen hingen den Coageln im Auswurfe an, desto reichlicher 
erschienen auch die elastischen Fasern und Muskelfragmente, end¬ 
lich am 24. und 28. schon makroskopisch wahrnehmbare Kuorpel- 
stückchen. 

Mackenzie aber blieb dabei, dass nur v. Bergmann’s Canüle 
all diese Störungen verschulde, er beklagte sich bei den 
Hohen Angehörigen des Kranken, dass v. Bergmaun ihm wider¬ 
strebe, ja er bezeichnete den Gebrauch der gegen den Kehlkopf abge¬ 
schlossenen Canüle als ein Hinderniss für die weitere Behandlung der 
Kehlkopfaffectiou selbst. Sowie ihm die Einführung seines Apparats 
gewährt würde, würden auch alle bedrohlichen Erscheinungen, unter 
diesen namentlich die Blutbeimengung, schwinden. Ebenso könnte 
dann erst von den unerlässlichen Einblasungen heilender Pulver und 
anderer Arzneien in den Kehlkopf Gebrauch gemacht werdeu. 

Alle Zeitungen, „British medical Journal“ voran, behaupteten, 
dass mit der Beseitigung der schlechtsitzenden Canüle die Genesung 
des Kronprinzen die befriedigendsten Fortschritte machte, der Husten 
sei weniger, der Auswurf habe den Blut gefärbten Charakter ver¬ 
loren. Allein diese günstige Beschaffenheit des Auswurfs 
ist bis zum Tode, wie die betreffenden Berichte be¬ 
weisen, nicht eingetreten. Der Zustand des Hohen Kran¬ 
ken änderte sich nicht, obgleich die verschiedensten Pulver von 
der Wunde aus, oder durch die Oeffnung in der oberen Wand der 
Canüle in den Kehlkopf geblasen wurden. Es gab dazwischen Stun¬ 
den langen Schlaf und leidliche Tage, an denen Seine Kaiserliche 
Hoheit Spaziergänge im Garten machte oder auf dem Balkon sass. 
Wie das gute Allgemeinbefinden selten nur durch etwas höhere 
Abendtemperaturen und Kopfschmerzen gestört wurde, war auch 
der Appetit befriedigend. Hin und wieder störten ihn die Schmer¬ 
zen beim Schlucken, welche in die linke Schläfe und Ohrengegend 
ausstrahlten. 

Der reichliche Auswurf veranlasste Professor v. Bergmann, an 
die Möglichkeit einer Lungenaffection zu denkeu. War dieser 
Verdacht begründet, so musste auch eine schnelle Wendung zum 
Schlimmeren besorgt werden, eine Besorgniss, die Herrn v. Berg¬ 


mann den Wunsch nach der Herbeiziehung eines inneren Klinikers 
aussprechen liess. Dazu kam, dass seiner Ueberzeugung nach, mit 
der Feststellung der Diagnose eines ulcerativ zerfallenden Carcinoms 
der Specialist für Kehlkopfkrankheiten nicht mehr an seiner Stelle 
war, vielmehr jetzt, wo die Krankheit allgemeine Wirkungen zu ent¬ 
falten drohte, der innere Kliniker mit der Leitung der Behandlung 
betraut werden sollte. Die Berufung Kussmaul’s wurde ein¬ 
stimmig von den Aerzten den Höchsten Herrschaften em¬ 
pfohlen und auch sofort gutgeheissen. 

Am 25. Februar traf Geh. Rath Kussmaul ein, und das Re¬ 
sultat seiner Untersuchung war der Schluss, dass der Auswurf 
nicht aus den Lungen oder Bronchien stamme. Als den Sitz der 
blutigen Schleimabsonderung, Verschwärung und epithelialen Ge¬ 
schwulst nehme er vielmehr den Larynx an. Er verhehlte 
Mackenzie nicht, dass er die Geschwulst im Kehlkopfe für eine 
bösartige, epitheliale halten müsse. Derselbe bestritt die Möglich¬ 
keit dieser Annahme nicht, gestand jedoch die volle Sicherheit 
dieser Diagnose nicht zu. Die letzterwähnten Auseinandersetzungen 
Kussmaul’8 mit Mackenzie hatten wieder gezeigt, dass der 
letztere bei seiner Meinung von der nicht carcinomatösen Natur 
der Neubildung beharrte. Aber er hatte erklärt, dass, wenn 
eine Autorität, wie Virchow, die Beweiskraft der von 
v. Bergmann und Bramann demonstrirtenPräparate aner¬ 
kenne, dann er sich für überzeugt halten werde. Virchow 
befand sich damals in Egypten, war also nicht zu erreichen; man 
musste eine andere Autorität vorschlagen. Um diese Zeit hatten 
allerlei Versuche mit verschieden gebogenen Canülen und Umwicke¬ 
lungen derselben mit einem Ueberzuge von feinem Gummistoffe 
insofern eine Einigung in der Canülenfrage erzielt, als Mackenzie 
sich mit einer der zuletzt eingeführten zufrieden erklärt hatte; zu¬ 
dem war die Wunde um die Canüle längst schon vernarbt. So 
konnte Prof. v. Bergmann seine Aufgabe, soweit sie die Leitung 
der chirurgischen Nachbehandlung betraf, für beendet ansehen. 
Er machte sich daher anheischig, bei seiner bevorstehenden Rück¬ 
kehr nach Berlin die conservirten Präparate mitzunehmen und dort 
sie Professor Waldever, als einer in der Entwickelungsgeschichte 
des Krebses allgemein anerkannten Autorität zu unterbreiten. 
Mackenzie war damit einverstanden und versprach, sich dem 
Urtheile Waldeyer’s zu fügen. Am Morgen des 28. Februar war 
Prof. v. Bergmann im Begriffe, seine Rückreise anzutreteu, als 
ein telegraphischer Befehl Sr. Majestät des Kaisers und Königs ihn 
in San Remo zurückhielt. Se. Majestät wünschten, dass er bis zur 
Ankunft Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Wilhelm, die am Morgen 
des 2. März stattfinden sollte, noch bliebe, und ein bindendes 
Versprechen hinsichtlich einer baldigen Rückkehr des 
Hohen Kranken nach Berlin durchzusetzen suchte. Um 
diesen so bestimmt ausgesprochenen Wunsch Sr. Majestät zu 
erfüllen, sah Prof. v. Bergmaun nur ein Mittel: Mackenzie von 
der Richtigkeit der Krebsdiagnose zu überzeugen. Er glaubte, jener 
würde dann seinen Widerstand gegen die Heimreise, die ja nicht 
gleich nach Berlin, sondern zunächst nach Baden-Baden, oder Wies¬ 
baden gerichtet werden könnte, aufgeben. v. Bergmann 
ersuchte also Prof. Waldeyer, nach San Remo zu kommen. 
Prof. Waldeyer traf am Abende des 3. März ein und wid¬ 
mete den Tag darauf den eingehendsten Untersuchungen, 
deren Resultat die vollste Bestätigung der Auffassung 
v. Bergmann’s über die mikroskopisch untersuchten 
Massen war. 

Professor Waldeyer’s Schlüsse lauteten: 

1. Die gefundenen concentrischen Körper (Zwiebeln, 
Perlen oder Zapfen) sind unzweifelhaft sogenannte 
„Kankroidkörper“ und stammen aus einer krebsigen 
Neubildung. 

2. Die krebsige Neubildung muss — vorausgesetzt, dass die 
Luftwege nicht mit einem anderswo sitzenden krebsigen Herde 
communiciren — in den Luftwegen befindlich sein. 

3. Dieselbe hat wahrscheinlich ihren Sitz oberhalb der 
eingeführten Canüle, im Kehlkopfe. 

4. Es muss ein ausgedehnter ulcerativer und nekro¬ 
tischer Zerfallsprocess an der krebsigen Neubildung 
vorhanden sein; dieser Process hat auch bereits das 
befallene Organ, den Kehlkopf, ergriffen. 

Prof. v. Bergmann brachte Mackenzie zu Waldeyer, der 
ihm in ausführlicher Weise die Bedeutung der mikroskopischen 
Funde für die Krebsdiagnose auseinandersetzte und am Präparate 
demonstrirte. Mackenzie erklärte ebenso wieder, wie am 9. No¬ 
vember. dass er jetzt keinen Zweifel mehr am Vorhandensein eines 
Krebses habe. Nun drang v. Bergmann, wegen der Rückreise, in 
ihn und war so glücklich, auch hierin von ihm nachstehende 
schriftliche Zusicherung zu erhalten: 

„Ich Endesunterzeichneter verpflichte mich hiermit, bei Ein¬ 
treten schwerer Symptome in der Krankheit Seiner Kaiserlichen und 


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586 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28 


Königlichen Hoheit auf dessen schleunige Rückkehr nach Deutsch¬ 
land zu dringen, welche ich bei Eintritt der wärmeren Jahreszeit 
in jedem Falle befürworten werde. 

Morell Mackenzie.“ 

Das Ergebniss einer letzten Consultation war die Abfassung 
des so verschieden gedeuteten Bulletins vom 6. März. 

„Die Unterzeichneten erklären, dass hinsichtlich der Natur und 
ßeurtheiluug der Krankheit Seiner Kaiserlichen und Königlichen 
Hoheit eine Meinungsverschiedenheit unter ihnen nicht besteht, 
ebensowenig ist von ihnen die Nähe einer gefährlichen Wendung 
behauptet worden. Die einheitliche, verantwortliche Lei¬ 
tung der Behandlung befindet sich, wie vor der Opera¬ 
tion, in den Händen des mitunterzeicbneten Sir Morell 
Mackenzie.“ 

v. Bergmann’s Vorschlag war es gewesen, jetzt, nachdem so 
oft dem Hohen Patienten versichert worden war, dass die Aerzte am 
9. November sich geirrt hätten, und bloss eine durch die Tracheotomie 
zu heilende Kehlkopfkrankheit vorläge, den Inhalt desWaldeyer- 
schen Gutachtens geheim zu halten. Thatsächlich hat bis in die 
letzte Zeit vou v. Bergmaun’s und Waldeyer’s bestimmter 
anatomischer Diagnose die Presse nichts erfahren. Die Zeitungen 
deuteten die Fassung des Bulletins als eine Anerkennung der 
güustigen Auffassungen Mackenzie’s. 

Es ist bekannt, welche folgenschweren Ereignisse sich in den 
Tagen nach dem 6. März vollzogen. Am Morgen des 10. März 
trat Kaiser Friedrich III. seine Rückreise an und traf am 
Abend des 11. im Schlosse zu Charlottenburg ein. 

Acht Tage nach der Rückkehr des Kaisers wurde v. Bergmann 
durch ein Schreiben des Leibarztes Dr. Wegner zur Untersuchung 
und Betheiligung an der Behandlung Sr. Majestät eingeladen, nachdem 
durch eine Kaiserliche Verfügung ausschliesslich Dr. Mackenzie 
die verantwortliche Leitung der letzteren übertragen worden war. 

Wiederholte Untersuchungen vom 18. März bis zum 8. April 
brachten Prof. v. Bergmann die Ueberzeugung, dass der Zerfall- 
process im Zunehmeu sei. Am 8. April fand v. Bergmann 
die Haut oben und seitlich von der Canüle ersetzt von etwa 5 mm 
hohen, gelbröthlichen, Fleischwarzen ähnlichen Gebilden. Ein Theil 
derselben war dunkelbraun, offenbar gangränös, ein anderer blutig 
sugillirt. Die Härte derselben und die tiefen Risse zwischen ihnen 
charakterisirteu sie als wuchernde Krebsmassen, eine An¬ 
nahme, die indessen Mackenzie mit den Worten: „das ist be¬ 
stimmt kein Krebs, das sind bloss Wundgranulationen“ zurück wies. 
Die Canüle, deren sich damals Mackenzie bediente, bestand aus 
einer geraden, etwa 4 cm langen, glatten, silbernen Hülse, in welche 
mittelst eines starken Mandrins die innere Röhre eingeführt wurde, 
diese war beträchtlich, etwa 6 cm länger als die äussere. Ihr aus 
der letzteren hervorragender Theil war biegsam, aus Gelenkstücken 
nach dem bekannten Princip des Humraerschwanzes construirt. Die 
äussere, gerade und kurze Canüle sollte bis in’s Lumen der Luftröhre 
reichen, und dann in diese hinab der bewegliche Theil des inneren 
Rohres hängen. Offenbar beabsichtigte man, dadurch eine Berührung 
mit den Wandungen der Trachea zu verhüten. Herr v. Berg¬ 
mann machte Mackenzie darauf aufmerksam, dass wegen der 
Kürze und geraden Richtung des äusseren Rohres leicht dieses in 
böige der jetzt so raschen Zunahme der Geschwulst aus der Wunde 
gedrängt werden könne. Hiergegen sichere allein der Gebrauch 
einer gebogenen Doppelcanüle, die tief in das Lumen der Trachea 
reiche. Sein Rath war von dem leitenden und verantwortlichen 
Arzte nicht berücksichtigt worden. 

Am Morgen des 12. April suchte Herrn v. Bergmann der 
Krankenwärter, den er noch in San Remo zur Pflege des Hohen 
Patienten installirt hatte, auf und meldete ihm, dass die eben ver¬ 
gangene Nacht eine sehr schlechte gewesen sei. Die Einführung 
der inneren Canüle glücke nicht, und das Athmen des Kaisers sei 
ausserordentlich erschwert. Gegen 3 Uhr Nachmittags erhielt 
v. Bergmann durch einen Königlichen Depeschenreiter, der ihn 
nicht zu Hause, sondern bei einer Consultation in einem Hotel der 
Stadt traf, nachstehenden Brief Mackenzie’s: 

„Dear Professor v. Bergmann. We have difficulties with 
the canula and J shall be glad if you will see the Emperor with 
me as soon as possible. 

Yours truly 
Morell Mackenzie.“ 

Die letzten vier Worte waren unterstrichen. 

Herr v. Bergmann brach sofort mit Dr. Bramann auf, zu Hause 
nur anfahrend, um einige Instrumente einzustecken. Hier war vom 
Königlichen Schlosse sein Diener durch das Telephon befragt worden, 
ob er vom Depeschenreiter gefunden sei, v. Bergmann solle 
eilen. Kaum war er fortgefahren, so erfolgte noch einmal die tele¬ 
phonische trage, ob er schon unterwegs sei. Er wurde vom General¬ 
arzt Wegner empfangen und erfuhr von ihm, was dieser in sein Journal 
geschrieben hatte. „Die Nacht war unruhig. Morgens Brustbeklem¬ 


mung. Beim Herausuehmen der Canüle wurde die Athraung leichter, 
auch nachdem eine andere, kürzere Canüle eingeführt worden ist. Von 
ein Uhr Nachts an und im Laufe des Tages Athemnoth. Die 
einliegende Canüle ragte zum Theil hervor, was der Wärter Beer- 
baum schon in der Nacht bemerkt hatte. Das Athmen war 
stark behindert.“ Sofort zu Mackenzie hinaufgeleitet, fand 
v. Bergmanu ihn im Vorzimmer des Kaisers mit einem Ar¬ 
beiter des Instrumeuteuraachers Windler beschäftigt, eiu Bleirohr 
so zu krümmen, dass es tief in die Trachea eingeführt werden 
konnte. So meinte er schnell eine passende Canüle sich schaffen 
zu können, v. Bergmann zeigte ihm, dass er eine der Hahn- 
schen Schwammcanülen, welche genau die jetzt auch von ihm für 
passend erkannte Krümmung besässen, zur Stelle hätte, und nahm 
sofort den Schwamm von derselben. Mit dem Versuche, diese einzu¬ 
führen, war Mackenzie einverstanden und eilte mit v. Bergmanu 
zum Kaiser. Der Hohe Patient sass auf einem Stuhle, dem Ersticken 
nahe. Die Wangen und Lippen blau, ein Stridor bei der Inspiration, deu 
man im Nebenzimmer hörte, im höchsten Grade mühsames Iuspirium mit 
Anspannung aller Muskeln und bei dem geöffneten Rocke deutlich 
sichtbarer Einziehung des Scrobiculus. v. Bergmann glaubte 
keine Zeit verlieren zu dürfen, trug eiuem Diener auf, nachdem er 
Mackenzie um seine Zustimmung gebeten und diese sofort er¬ 
halten hatte, seinen Assistenten Dr. Bramann hereinzurufen, und 
machte sich an die Untersuchung der Wunde. Rings um die Ca¬ 
nüle waren die mittlerweile viel höher und breiter gewordenen 

Wucherungen, theils in grösseren, theils kleineren Stücken, gan- 
gräuös, und überall hatte in der Tiefe die Härte sich ausgedehnt, 

so dass die Gegend des Halses, in welcher die Canüle lag, wie eiu 

abgestumpfter kurzer Kegel vorragte. In dem Wundcanale steckte 
blos die äussere Canüle. Auf seine Frage, seit wann das innere, 
gegliederte Rohr nicht mehr eingeführt worden sei, antwortete einer 
der Diener, seit dem frühen Morgeu nicht mehr. Mackenzie 
fügte hinzu, dass mehrfache Versuche gemacht worden seien, sie 
wieder einzuführen, aber vergeblich. Während man noch am Sonn¬ 
tage, also vor nur 4 Tagen, in der Tiefe der Wunde die hintere 
Wand der Trachea erblickeu konnte, sah man dieses Mal von der¬ 
selben nichts. Gewisse kugelige, rothe Excrescenzen drängten sich 
aus der Tiefe und von den Seiten in das Lumen des Wundcanals 
und verlegten vollkommen den Weg zur Trachealöffnung. Das 
äussere Rohr war nur bis an, nicht bis in die Luftröhre geführt 
worden. v. Bergmann versuchte die Einführung der Canüle, 
aber sie gelang ihm nicht. Die Erfüllung des gauzen Canals mit 
den erwähnten weit und stark sich vordrängenden Granulationen 
hinderte ihn. Er legte die Canüle zunächst fort und nahm die 
Wundhaken in die Haud. Mittlerweile war Dr. Bramann einge¬ 
treten und übernahm das Halten der Haken; auch jetzt kam 
v. Bergmann mit der Canüle nicht vorwärts, während die Athem¬ 
noth des Hohen Patienten immer grösser und bedenklicher wurde. 
Deswegen suchte er mit dem Finger, nachdem er selbstverständ¬ 
lich seine Hände in der mit Carbolwasser gefüllten, neben ihm 
stehenden Schale gleich anfangs desinficirt hatte, die im Wege 
stehenden Fungositäten fortzuräumen und die Trachealöffnung zu 
erreichen, um hier einen Wundhaken einzusetzen. Nachdem er das 
gethan und den Haken in der Hand behalten hatte, führte Bramann 
eine etwas weniger gekrümmte Canüle, und zwar genau dieselbe, 
welche er bei seiner Operation am 9. Februar benutzt 
hatte, in das Lumen der Luftröhre ein. Sofort athmete der Kaiser 
leicht und frei, dies auch mit freudiger Handbewegung und 
dankendem Händedrucke anzeigend. Allerdings hat es bei diesen 
Manipulationen geblutet, aber nur massig. Gewiss ist auch von 
diesem Blute, sowie den zertrümmerteu Geweben, wie beständig 
von der aus dem Kehlkopfe hinabrinnenden Jauche etwas in die 
Trachea hinabgeflossen, aber es wurde sofort wieder herausgehustet. 
Mit dem Einfübren der Canüle hörte das Heraussickern des Blutes 
auf, und als v. Bergmann mit Wegner und Bramann 
nach einer halben Stunde das Krankenzimmer verliess, zeigten die 
Sputa bereits wieder ihre frühere braunrothe Farbe. Die ganze 
Procedur der Dilatation und Einführung der gekrümmten Canüle 
hatte nur wenige Minuten gedauert. 

Es ist von Hove 11 sowohl als Mackenzie diesem Vorgänge 
eine ganz andere Darstellung gegeben worden. Mackenzie hätte 
Prof. v. Bergmann nur aus Höflichkeit gerufen, derselbe hätte 
sich zur Einführung der Canüle gedrängt, diese sei nicht ihm, 
sondern erst seinem Assistenten gelungen, u. s. w. Einzelne eng¬ 
lische Zeitungen und ihuen nach Berliner Blätter häuften eine Fülle 
von Verleumdungen auf Herrn v. Bergmann, alles das gegen¬ 
über der Thatsache, dass der Kaiser vor seiner Ankunft 
im Ersticken war, wenige Miuuten nach derselben aber 
wieder frei athmen konnte. 

Offenbar hatte der Zerfall der Krebsknoten des 
Larynx in letzter Zeit nicht nur schnellere Fortschritte 
gemacht, sondern war auch auf den Theil derWucherun- 


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12. Jnli 


DEUTSCHE MEDICINISCF1E WOCHENSCHRIFT. 


gen, welche über die Haut im Umfange der Canule heraus¬ 
gewachsen waren, übergegangen, denn am Abend des 
12. April, den v. Bergmann, sowie die folgende Nacht in 
Charlotten bürg verbrachte, erfuhr derselbe, dass der Kaiser 
schon seit sechs Tagen fiebere. Nach dem regelmässig von 
Generalarzt Wegner geführten Krankenjournal, bestand das Fieber 
seit dem 6. April und hatte seitdem stetig zugenommen. Da Fieber, 
Athemfrequeuz und die Mattigkeit des Hohen Kranken Zunahmen, 
wurde Montag, den 16. April, zunächst Prof. Senator zugezogen. 
An demselben Tage war auch Prof. Leyden zur Consultation auf¬ 
gefordert worden und Dienstag zu derselben eingetroffen. 

Mackenzie meinte, es müsse sich ausserhalb der Trachea, 
etwa im Mediastinum eine Zellgewebsentzündung entwickelt 
haben, und zwar nach der forcirten Einführung der Canüle am 
12. April. Von dieser Entzündung sei das Fieber abhängig. Prof, 
v. Bergmann entwickelte dem gegenüber die Schwierigkeit des 
Nachweises von kleinen Herden in der Lunge. Das Bestehen 
solcher hielt er aber für im hohen Grade wahrscheinlich, da seit 
Monaten der Krebs im Larynx ulcerativ zerfalle, und die Producte 
dieses Zerfalls in den Bronchialbaum hinabflössen, der üble Geruch 
des Athems schien ihm ebenso wie die Athemfrequeuz von 44 
Athemzügen in der Minute und der seit Sonnabend bestehende, 
fast ununterbrochene Singultus den Verdacht einer putriden Bron¬ 
chitis zu unterstützen. Der reichlicher gewordene Auswurf be¬ 
deute in seiuen Augen bloss die Zunahme und Ausbreitung des 
brandig-ulcerativen Zerfalls der Geschwulst. Geheimrath Professor 
Senator äusserte sich in ähnlicher Weise. Am Dienstag, den 
17. April, hatte das Fieber etwas nachgelassen, und bald darauf 
war in grösserer Menge Eiter expectorirt worden. Dieser Umstand 
ist wohl der Grund dafür gewesen, dass nunmehr Mackenzie von 
seiner Annahme eines grossen Abscesses, im Bindegewebe um die 
Trachea, der seinen Durchbruch in die Luftröhre genommen, über¬ 
zeugt blieb. 

Mittlerweile waren in der „Kölnischen“, der „National-“ uud 
„Neuen Preussischen Zeitung“ Darstellungen der Vorgänge des 
12. April erschienen, welche Prof. v. Bergmann ein gewisses 
Verdienst um die Befreiung des Kaisers von der Athemnoth, über 
die allerlei Gerüchte die Hauptstadt durcheilt hatten, zuschrieben. 
Folge hiervon waren die Erklärungen, die Mackenzie und Hovell 
in den genannten Zeitungen drucken Hessen und die nicht nur in 
einem für v. Bergmann beleidigenden Tone gehalten waren, 
sondern auch in der gehässigsten Weise seine Mitwirkung an der 
Behandlung des Kaisers darstellten. In derselben aggressiven Weise 
hatten zahlreiche englische Journale die Vorgänge des 12. April be¬ 
sprochen und einfach erklärt, dass sie ihre Informationen von den 
beiden englischen Aerzten des Kaisers hätten (vergl. die „Sunday 
Times“ vom 29. April d. J.). Indem v. Bergmann in diesen 
Ausfallen Mackenzie’s gegen ihn eine unehrliche Handlung sah, 
übergab er an dem Morgen des 25. April, als, nach Aufhören der 
höheren Temperaturen uud deutlicher Besserung des Allgemein¬ 
befindens, er wieder zur Consultation geladen war, Mackenzie 
einen Brief, den er später veröffentlicht hat. In demselben schrieb 
er ihm, dass jenes Erklärungen in den genannten Zeitungen ihn zu 
der Forderung veranlassten, hinfort nur soweit mit ihm zu reden und 
zu verkehren, als es die ärztliche Berathung verlange. Die bis 
jetzt in der Geschichte ärztlicher Consultationen unerhörte Thatsache, 
dass von zwei an dasselbe Krankenbett berufenen Aerzten einer den 
andern öffentlich in politischen Zeituugen beleidigte, veranlasste 
v. Bergmann aber noch deswegen zu einem weiteren Schritte, 
weil die Angriffe des Collegeu von dem Schlosse Charlottenburg, 
also dem Vorzimmer des Kaisers ausgegangen waren. Er bat Ihre 
Majestät die Kaiserin, ihn von der Nöthigung, noch länger als 
Berather Sir More 11 Mackenzie’s zu functioniren. Allergnädigst 
zu entbinden. In seine Stelle trat seit dem 30. April Prof. Barde¬ 
leben. 

Es zieht sich durch die tieftraurige Leidensgeschichte uuseres 
mit Geduld und Selbstverleugnung Alles ertragenden Kaisers Fried¬ 
rich das Bemühen Sir Morell Mackenzie’s, jede Verschlimme¬ 
rung im Zustande des Hohen Krauken nicht der Krankheit und 
ihrem naturgemässen, nothwendigen und unausbleiblichen Fort¬ 
schreiten zuzuschreiben, sondern einem seiner mithinzugezogeuen 
Collegen zur Last zu legen. Gerhardt sollte zuerst die ursprüng¬ 
lich unschuldige Geschwulst durch seiue Aetzungen in eine bösartige 
verwandelt haben. Als im November und im Februar, neben 
Schrötter, und statt Kussmaul seine Hiuzuziehung gewünscht 
wurde, hiess es, der könne unmöglich genommen werden, der sei 
ja an der ganzen schlimmen Wendung schuld! Bramann hatte 
durch einen falschen Schnitt, Schräder durch einen ungeschickten 
Canülenwechsel und v. Bergmann durch Wahl einer unpassenden 
Canüle zur Nachbehandlung den blutigen Auswurf und den Decubitus 
in der Trachea besorgt. Schliesslich trug des letzteren forcirtes Ein¬ 
fuhren der Canüle am 12. April die Schuld an der ungünstigen, 


587 


aber schon vom 6. April datirenden Wendung der Krankheit, indem 
es einen grossen „flaschenförmigen“ Abscess des Mediastinums ver¬ 
ursacht haben sollte! Allein die Section zeigte die Schleim¬ 
haut der Trachea dort, wo das untere Stück der deutschen 
Canülen geruht hatte, glatt, ohne Spur einer Narbe, 
oder sonstiger früherer Reizungen, und das Binde¬ 
gewebe um diesen Abschnitt der Luftröhre wies, wie der 
obducirende Pathologe dictirt hat, „völlig normale Ver¬ 
hältnisse“. Ein Vergleich mit dem betreffenden Passus im Ob- 
ductionsprotocolle ergiebt das ohne Weiteres. Ganz abgesehen von 
der Verlängerung, welche die Streckung der buchtigen Wandungen 
der grossen Höhle, in die der Kehlkopf und die Trachea verwandelt 
waren, wie Bardeleben's Referat schildert, zur Folge haben 
musste, reichte die brandige Zerstörung des carcinomatösen In¬ 
filtrats blos 2 1 /4 cm weit in die Luftröhre hinab. Jede, auch die 
kürzeste unter den Canülen lag aber wenigstens mit 4 
uud 5 cm Länge in der Trachea. Sie berührten alle gesundes 
und gesundgebliebenes Gewebe. Aber seit der Zeit, wo v. Berg¬ 
mann das Herantreten der Krebsgeschwulst an die Canüle, zuerst 
am 25. März constatirt hatte, ging die letztere, um in nicht- 
erkraukte Trachealabschnitte zu gelangen, mitten durch den wuchern¬ 
den und brandig zerfallenden Krebskörper. 

Die Krankheit Seiner Majestät stand scheinbar nur kurze Zeit 
stille. Die abendlichen Fieberexacerbationen hörten nicht mehr auf. 
Es war anfangs ein langsamer hektischer Kräfteverfall und zuletzt, 
als die Aspirationspneunomie hinzugetreten war, ein schnelles Ende. 

Ueber die letzten Vorgänge giebt der Bericht des Geheimen 
Ober-Medizinalraths Prof. Dr. Bardeleben Auskunft. 

Auf Befehl Sr. Kaiserlichen und Königlichen Majestät Wilhelm II. 
waren die Herren Sir Morell Mackenzie und T. Mark Hovell 
schon vor der Section aufgefordert worden, zu erklären, wofür sie 
die Krankheit des Hochseligen Kaisers gehalten hätten. In Folge 
dessen übergaben sie nachstehendes Aktenstück. 

Schloss Friedrichskron, 16. Juni 1888. 

Meiner Meinung nach war die Krankheit, au welcher der Kaiser 
Friedrich III. starb, Krebs. Der Krankheitsprozess begann wahr¬ 
scheinlich iu den tieferen Geweben, und die knorpelige Structur 
des Kehlkopfes wurde schon sehr zu Anfang affieirt. Ein kleines 
Gewächs, welches ich bei der ersten Untersuchung des verstorbenen 
Kaisers fand, wurde von mir durch verschiedene intralaryngeale 
Operationen entfernt, und obgleich sämmtliche entfernte Theilchen 
dem Professor Virchow zur Untersuchung übergeben waren, fand 
er in ihnen keinen Beweis für das Vorhandensein des Krebses. Die 
Untersuchungen jedoch, welche Professor Waldeyer im Anfang 
des Monats März mit dem Auswurfe vornahm, führten diesen 
Pathologen zu der Ansicht, dass Krebs zu der Zeit vorhanden 
war. Ob die Krankheit ursprünglich krebsartig war, oder erst 
einige Monate später nach dem ersten Auftreteu einen bösartigen 
Charakter annahm, ist unmöglich festzustellen. Der Umstand, dass 
Perichondritis und Caries der Knorpel eine sehr thätige und wich¬ 
tige Rolle in der Entwickelung der Krankheit spielten, hat ohne 
Zweifel sehr viel dazu beigetragen, es unmöglich zu machen, sich 
eine bestimmte Ansicht über die Natur der Krankheit bis ganz 
kürzlich zu bilden. 

Morell Mackenzie. 

16. Juni 1888. 

Soweit meine Beobachtungen seit vorigem August mir ge¬ 
statten, eine Meinung zu bilden, schliesse ich mich ganz der An¬ 
sicht Sir Morell Mackenzie’s an. 

T. Mark Hovell. 

Endlich folgen noch die beiden wichtigen Protokolle, welche 
über die Befunde bei der Section und über die mikroskopische 
Untersuchung der Leiche Auskunft geben. Dieselben mögen hier 
im Wortlaut folgen: 

Aerztliches Protokoll, betreffend den Befund bei der 
Untersuchung der Leiche Seiner Majestät des Hoch¬ 
seligen Kaisers und Königs Friedrich III. 

Schloss Friedrichskron, den 16. Juni 1888. 

Am Halse eine durch Nähte geschlossene 6 l /2 cm lange gerad¬ 
linige Wunde, mit etwas eingetrockneten Rändern, an deren jechter 
Seite eine flache, blasse Anschwellung von 2 cm Höhe, 1,5 Breite 
und 0,5 Dicke befindlich ist. Innerhalb der Wunde liegt eine 
grössere Menge von Watte mit Wismuth, nach deren Entfernung 
eine Höhle zurückbleibt, die 5 cm tief, nahezu ebenso lang ist, und 
deren Oeffnung nach Entfernung der Naht um 2 l /-2 cm klafft. 
Im Uebrigen sind die Wundränder ziemlich hart, etwas hügelig 
und ziemlich stark gespannt. — Es wird zunächst ein Schnitt in 
der Mitte des Brustbeins geführt und von da subcutan nach rechts 
und oben heraufgeführt neben der Wundöffnung und bis zu der 


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588 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 


bei Gelegenheit der Injection hergestellten Wunde an der Carotis. 
Ein durch das erwähnte Knötchen geführter Schnitt zeigt ein 
schwach röthliches, nach unten mehr weissliches, ziemlich derbes 
Gewebe, aus dem sich bei Abstreicheu ein weisslicher Saft ent¬ 
leert. Das Knötchen sitzt in der Haut, zum Tlieil im Unterhaut¬ 
gewebe, dagegen sind die unterliegenden Muskeln vollständig frei. 

Demnächst wird ein ähnlicher Schnitt nach links geführt. 
Auch hier zeigen sich die Muskeln an den seitlichen Theilen normal, 
dagegen sind sie nach oben sehr prall. Unmittelbar vor dem Kehl¬ 
kopfe liegt eine stärkere Anschwellung auf der linken Seite, in 
welcher sich in der Tiefe eine gleichfalls markig aussehende Infil¬ 
tration zeigt. 

Bei der weiteren Blosslegung des Thorax zeigt sich eine starke 
Ossification an der ersten Rippe links. Nach der Oeffnuug der 
Brust füllen die ganz blassen graueu Lungen die Pleurasäcke fast 
vollständig aus, bedecken das Herz. Auf der linken Seite sieht 
man mehrere kleine Hervorragungen, unter denen man harte Stellen 
durchfühlt, bedeckt von schlaffen, bindegewebigen Schichten; nur an 
einer Stelle, nahe dem vorderen Rand, eine ziemlich scharf um¬ 
grenzte lobuläre polygonale Figur mit matter, etwas unebener Ober¬ 
fläche. Die linke Lunge hervorgehoben, erscheint äusserlich nach 
hinten, unten und oben vollkommen frei; sie ist überall lufthaltig, 
bis auf den letzten Saum des Unterlappens, dicht über dem Dia¬ 
phragma. 

Sehr geringe Hypostase; die luftleeren Stellen an der Basis ent¬ 
halten erweiterte Bronchien, um welche zum Tlieil herum hämor¬ 
rhagische Schichten liegen. Auf dem Durchschnitt zeigt sich eine 
grössere Zahl von Herden im Innern des Lappens, von denen die 
meisten eine stark hämorrhagisch infiltrirte Umgebung mit granu- 
lirter Schnittfläche haben, während im Centrura eine grössere Zahl 
kleinerer, gruppirt stehender, gelblich weisser Knötchen liegen. An 
einigen Stellen sind Herde von der Grösse einer Erbse mit einem 
eitrig ausseheuden Inhalt; an anderen ist noch die ganze Masse 
fest. Im oberen Lappen finden sich zerstreut ähnliche sehr blasse 
Herde, in welchen sich eine ganze Summe von kleinen gelblichen 
Stellen herdweise zusammensetzeu. In dem vorher erwähnten Herde 
am vorderen Rand finden sich innerhalb stärker erweiterter Bronchien 
ganz dicke missfarbene Pfröpfe, während die Umgebung eine binde¬ 
gewebige Induration darbietet. Beim Aufschneiden der Bronchien 
in den Unterlappen sind die Bronchien durchweg dilatirt, die Wan¬ 
dungen verdickt, die Schleimhaut in Längsfalten gelegt; darin ein 
missfarbiger krümlicher Inhalt. 

Auf der rechten Seite sind ganz ähnliche Verhältnisse. Spitze 
vollständig frei; dagegen im hinteren und unteren Theil der Luuge 
nahezu dieselben fast luftleeren, mit kleinen Herden durchsetzten 
Zustände und dieselben Broucliiectasien. 

In den Pleurasäcken kein weiterer Inhalt. 

Beim Herausnehmen des Kehlkopfes wird der Schnitt unmittel¬ 
bar vor der Wirbelsäule bis unmittelbar hinter die Speiseröhre 
geführt. 

Im Mediastinum anticum ist ziemlich reiches Fettgewebe vor¬ 
handen; die Drüsen sind schwach geröthet, ira Uebrigen nicht 
verändert. 

Kehlkopf und Speiseröhre werden zusammen freigelegt und 
unterbunden. An der linken Seite des Halses, dicht neben der 
Jugularis eine ungefähr taubeneigrosse Lyraphdrüse, welche im 
Innern ein ganz markiges Aussehen, z. Th. gelbliche Stellen zeigt. 

Beim Aufschneiden des Oesophagus findet sich unmittelbar 
hinter dem Ringknorpel eine Auflagerung von bräunlichen und 
weisslicheu Häuten, nach deren Zurückschieben keine Spur von 
Durchlöcherung vorhanden ist. Epiglottis gross, glatt; Rand 
normal. 

Ligamenta aryepiglottica, namentlich links, etwas geschwollen, 
ödematös, ohne Ulceration. Der hintere Raum zwischen den Giess¬ 
beckenknorpeln etwas tief, aber gleichfalls ohne Ulceration. Erst 
an der Ba is der Epiglottis links sitzt ein kirschengrosser markiger 
Knoten, nebeu dem ein flacher, und weiter nach aussen noch einige 
(jüngere) kleinere. Im Uebrigen schliesst sich daran eine grosse, 
durchweg mit mortificirten Fetzen bedeckte Fläche von 9 cm Länge. 
Der untere Rand wird durch die Trachea gebildet. Von da bis 


zur Cartilago tliyreoidea sind keine Knorpel vorhanden, ebenso wenig 
anderes Gewebe der Trachea. 

Von der Cartilago thyreoidea selbst sind nur die oberen Ab¬ 
schnitte der Seitentheile mit den Hörnern vorhanden. 

Die Entfernung des unteren Endes der Trachealwnnde von dem 
unteren Rande des Geschwürs beträgt 274 cm. Dieser uutere Rand 
ist ziemlich scharfrandig, quer durch die Schleimhaut verlaufend, 
und zeigt uuten kleine graue Granulationen, die etwa die Fläche 
von 7'2 cm bedecken. Näcbstdem folgt normale Schleimhaut über 
deu noch erhalteneu Trachealringen. In dem Gewebe um den noch 
existirenden Theil der Trachea keine narbigen Zustände, sondern 
normale Verhältnisse. 

Hiermit wurde die Untersuchung der Leiche beendet und die 
letztere wiederum in vorsichtiger Weise geschlossen. 

Die makroskopisch wahrgenommenen Veränderungen wurden 
von den Herreu Waldeyer und Virchow folgendem)aassen 
zusammengefasst: 

Krebsige Zerstörung des Kehlkopfes mit secundärer Erkrankung 
einer grösseren Lvmphdrüse am Halse links unten und einem 
cutanen Knoten rechts neben der Wunde. Speiseröhre unversehrt. 
Brandige Zerstörung des oberen Theils der Luftröhre und der Nach¬ 
barschaft. Zahlreiche Bronchiectasien mit putridem Inhalt. In 
ihrer Nähe broncliopneumonische, abscedirende, gaugränescirende 
Herde. 

gez. Graf Stollberg-Wernigerode. Leuthold. 

Morell Mackenzie. v. Bergmann. 

T. Mark Hovell. Virchow. 

v. Wegner. Waldeyer. 

Bardeleben. Brarnann. 


Bericht der Professoren Virchow und Waldeyer über die 
mikroskopische Untersuchung einzelner der Leiche wei¬ 
land Kaiser Friedrichs entnommenen Präparate. 

1. Der grössere Knoten am Ansätze des Kehldeckels zeigte 
äusserlich noch unveränderte Schleimhaut mit Cylinderepithel, in 
der Tiefe dagegen alveoläre Anordnung mit epidermoidalem Inhalte. 
Die Zellen des letzteren sind gross und kräftig entwickelt; concen- 
trisch angeordnete Zellhaufen wurden nicht beobachtet. 

2. Der Hautknoten von der rechten Seite der Halswunde ist 
mit stark verdünnter, im Uebrigen unveränderter Epidermis be¬ 
kleidet, die krebsige Wucherung reicht bis ganz nahe an die Ober¬ 
fläche. Ihre stärkste Entwickelung hat in der Tiefe stattgefunden, 
wo stellenweise auch ausgeprägte .,Nester“ mit concentrischer An¬ 
ordnung der Zellen Vorkommen. Einzelne normale Bestandtheile, 
wie Schweissdrüsen, sind zwischen den krebsigen Massen noch er¬ 
halten. 

3. Die Lyraphdrüse von der linken Seite des Halses ist im 
höchsten Grade verändert. Die normale Structur ist verschwunden 
und ersetzt durch ein loses alveolares Gewebe, dessen Räume dicht 
erfüllt sind mit grosskernigeu epidermoidalen Zellen, von denen 
viele schmale Bürstensäume besitzen. 

4. Der Iuhalt der Bronchien entspricht genau der Zusammen¬ 
setzung, wie sie in dem Gutachten des mitunterzeichneten Professor 
Virchow vom 19. Mai d. J. von den im Auswurf befindlichen 
Klümpchen beschrieben ist. Ausserdem wurden an einzelneu Stel¬ 
len reichlichere Ansammlungen von kleinen glänzenden Fettkügelchen, 
ähnlich den Kügelchen der Milch, augetroffen. 

5. In den Lungenherden zeigten sich dichte Anhäufungen von 
Eiterkörperchen, keine Krebszellen. Die natürliche Alveolarstructur 
noch ganz deutlich. 

gez. Rudolph Virchow. 

Wilhelm Waldeyer. 

Die Brochure schliesst mit den Worten v. Bergmann’s: „Einer 
Epikrise bedarf es nicht.“ Wahrlich nicht! Mit wahrhaft zer¬ 
malmender Unwiderleglichkeit reiht der Bericht alle, die Gewissen¬ 
losigkeit und Urteilslosigkeit dieses Mannes widerspiegelnden That- 
saclien aneinander. 

Der ärztlichen Standesehre der Welt hat dieser unheilvolle 
Mann eine tiefe Wunde geschlagen. 


\ 


Gedrückt bei JnUos Blttenfeld ia Berlin W. 


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Donnerstag 


JW&9 


19. Juli 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen MedicinalWesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Br. Paul Börner. 

Yierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber angeborene Enge im Aortensystem. 1 ) 

Von 0 . Fraentzel. 

Im Jahre 1872 hatte ich Gelegenheit, einen 34jährigen Gärtner 
L. \V., bei dem mir die Diagnose grosse Schwierigkeiten bereitete, 
zu beobachten. Der kräftig gebaute Mann hatte eine reichliche, 
aber welke Muskulatur, einen geringen Panniculus adiposus, trockene, 
nicht heiss anzufühlende Haut, ziemlich starkes Oedera der Unter¬ 
extremitäten, massige Cyanose des Gesichts, starke objectivc und 
subjective Dyspnoe. Pat. sitzt fast fortdauernd im Bette auf. Spn- 
sorium frei. Gesichtsausdruck leidend, Blick ängstlich, von Seiten 
des Nervensystems keinerlei Störungen. Temp. 36.9 C. Puls 114, 
Resp. 28. Thorax exquisit fassförmig, Percussionsschall über den 
Lungen laut und tief, man hört hier vesiculäres Athinen, etwas 
Pfeifen und Schnurren. Spärlicher Husten, geringer, leicht blutig 
gefärbter Auswurf. Der Spitzenstoss befindet sich im 6. Intercostal- 
raum 2 l />" nach aussen von der Linea mammillaris sinistra, ist 
enorm weit (über 2”), sehr hoch und auffallend resistent, wie eigent¬ 
lich nur bei Insufficienz der Aortenklappen. Die Dämpfung nach 
abwärts ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen, nach links geht sie 
bis zur äusseren Grenze des Spitzenstosses, nach rechts bis zum 
rechten Sternalrand. Man hört überall am Herzen zwei laute, aber 
ganz reine Töne, der zweite Aorten- und der zweite Pulmonal¬ 
arterienton sind beide auffallend stark. Radialarterien eng, auffallend 
stark gespannt und dickwandig, auch die Carotiden und die Schenkel¬ 
arterien sind auffallend eng und stark gespannt. Urin goldgelb, 
klar, ohne Sediment und ohne Eiweiss. In den übrigen Organen 
nichts Bemerkenswerthes, nur ist die Leber sehr beträchtlich nach 
abwärts vergrössert und gegen Druck empfindlich. Der Pat. gab an, 
dass er von Jugend auf als Gärtner thätig war und dabei ziemlich 
schwere Arbeit verrichtet hat. Von seinem 15. Lebensjahre ab 
soll er an heftigem Herzklopfen, verbunden mit Athembeschwerden. 
gelitten haben. Später wurde er zum Militärdienst herangezogen, 
war aber den Strapazen des Dienstes nicht gewachsen. Schon etwa 
4 Wochen nacli seinem Eintritt wurde er als dienstunbrauchbar ent¬ 
lassen wegen „chronischen Lungenübels und beginnender Herzbeutel¬ 
wassersucht“. Er kehrte zu seinem Berufe als Gärtner zqrüek und 
konnte demselben meist ohne Beschwerden nachgehen. Nur zu¬ 
weilen wurden ohne ihm bekannte Veranlassung die Athembe¬ 
schwerden und das Herzklopfen stärker. Gelenkrheumatismus oder 
irgend eine andere acute Krankheit gesellten sich nie zu den ge¬ 
schilderten Beschwerden hinzu. Allmählich aber wurden letztere 
doch so bedeutend, dass der Kranke, nachdem sich noch wasser¬ 
süchtige Anschwellungen der Unterextremitäten eingestellt hatten. 
Hülfe in der Charite suchte. Hier gelang es. durch mässige Dosen 
von Digitalis und geringe Mengen von Morphium die oben geschil¬ 
derten Beschwerden soweit zu beseitigen, dass der Hydrops voll¬ 
ständig schwand und auch die Dyspnoe auf ein Minimum reducirt 
wurde. Vom 7. September 1872 hatte sich der Kranke bis zum 
19. October unter unserer Behandlung befunden, dann verliess er die 
Anstalt, um zu seiner Arbeit zurückzukehren. An dem Tage seiner 
Entlassung wagte ich zuerst eine bestimmte Diagnose. Es müsse 
sich im vorliegenden Kalle um eine angeborene Verengerung des 
gesammten Aortensystems handeln, bei der lange Zeit der linke 
Ventrikel die abnormen Widerstände gut überwunden habe. Wahr¬ 
scheinlich wäre nun in dieser Zeit eine mehr oder weniger beträcht- 

*) Nach einem Vortrage im Verein für innere Mediciu. 


liehe Hypertrophie des linken Ventrikels entstanden, während die 
Dilatation der betreffenden Herzhöhle noch recht unbedeutend ge¬ 
blieben wäre. Als mit fortschreitendem Lebensalter die Anforde¬ 
rungen an sein Herz grösser wurden, nahm die Dilatation immer 
mehr zu und mit ihr die Functionsstöruug seitens des Herzens. So 
kam es, dass der Kranke sich als Soldat den Anstrengungen des 
Heeresdienstes nicht gewachsen zeigte, und die rasche Erkenntnis» 
dieser Thatsache und die schleunige Entfernung des Mannes aus der 
Armee beweist nur die Urtheilsschärfe des ihn beobachtenden 
Militärarztes, der auch kein geringerer war, wie der verstorbene 
Generalarzt Löffler. Der etwas abenteuerliche Name der Diagnose 
wird durch den damaligen Stand unserer Erkenntnisse über die 
Herzerkrankungen ohne Klappenfehler leicht erklärlich und verzeih¬ 
lich sein. 

Man wusste zu der Zeit, wo ich diese Diagnose stellte, ja schon 
mancherlei über die angeborenen Veränderungen des Aortensystems, 
al>er die gemachten Erfahrungen hatten vielmehr ein anatomisches 
wie ein klinisches Interesse. Schon Morgagni 1 ) hat ausgezeichnete 
Fälle von allgemeiner Enge (Augustia) des Aortensystems bei 
Männern beschrieben. Und dass abnorme Enge der Aorta ein hin¬ 
reichendes Moment für Hypertrophie des Herzens sei, ist eine That¬ 
sache. welche bereits Johann Friedrich Meckel der Aeltere-) fest¬ 
gestellt hat. Auch Virchow hat sich eingehend mit dieser Frage 
vom anatomischen Standpunkt aus beschäftigt. 3 ) Klinisch hat man 
auf diese Verhältnisse im Allgemeinen wenig Werth gelegt und nur 
die Fälle von Enge der Aorta berücksichtigt, bei welchen es sich 
um durch Endocarditis erzeugte Stenosis des Ostium aortae oder um 
angeborene Verengerung des Aortensystems handelte, welche erst im 
Verlaufe der Aorta, namentlich von der Gegend des Ductus arteriosus 
Botalli an begann. Letztere Fälle hat ja noch neuerdings Dr. 
E. Marie 4 ) in einer vortrefflichen Arbeit zusammengestellt. 

Damals lebten wir noch in der Ueberzeugung, dass die Gut- 
brod-Skoda’sche oder, wie wir jetzt richtiger sagen, indem wir 
unserem Collegeu P. Guttmann folgen, dass die Alderson'sche 
Hypothese über die Theorie des Spitzenstosses maassgebend wäre. 
Aber gerade dieser Fall hat mich zuerst entschieden belehrt, dass 
man von dieser Annahme Abstand nehmen muss. 

Ausserdem war es ja für uusere damaligen Anschauungen etwas 
auffallend, dass bei angeborener Enge des ganzen Aortensystems 
ein auffallender Druck in demselben vorhanden sei. Trotzdem schien 
mir eine andere Diagnose unmöglich. 

Der Kranke, welcher nach seiner Entlassung in seine Heimath 
und zu seinen Berufsgeschäfteu zurückgekehrt war, fühlte sich bald 
wieder stark kurzathmig und sah sich am 2. November genöthigt, 
von Neuem die Charite aufzusuchen. Hier steigerten sich die Krank¬ 
heitserscheinungen rasch zu bedenklicher Höhe: die Athemuoth 
wurde grösser und grösser, der Hydrops nahm mehr und mehr zu, 
braunrothe Sputa wiesen auf das Vorhandensein von hämorrhagischen 
Infarcten in den Lungen hin. Dann und wann machten sich heftige 
Suffocationsanfiille bemerkbar; am 1. December erfolgte der Tod. 

Autopsie am 2. December 1872 (Dr. Wegner). Herz in grosser 

') Morgagni. De sedibus et causis morborum. Epistol. XVIII, Art. 2 
und 4. 

8 ) Job. Fr. Meckel. Physiologische und anatomische Abhandlungen von 
einer ungewöhnlichen Erweiterung des Herzens und den Spannadern des 
Angesichts. Aus den Nachrichten der Acadeuiie der Wissenschaften zu 
Berlin. 1755. 

3 ) R. Virchow. Ueber die Chlorose. Berlin 1872. 

4 ) Revue de medecine, Bd. 6, 1886, p. 343 u. ff. 


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590 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


Ausdehnung vorliegend, den rechten Sternalrand überschreitend, und 
verlängert, der rechte Vorhof sowie die grossen Venen strotzend mit 
flüssigem Blut gefüllt, dazwischen weiche Cruormassen. Im rechten 
Ventrikel sehr weiche gallertige ichoröse Gerinnsel, der rechte Ven¬ 
trikel sehr dilatirt, sowohl parietale Schicht als Trabekel hyper- 
trophirt und verdickt. , 

Dasselbe im linken Ventrikel. Die Papillarinuskel elongirt und 
verdickt. 

An den Klappenapparaten keine Veränderungen. Herzohren 
frei. Die Coronararterien sind ziemlich weit, ohne bedeutende skle¬ 
rotische Veränderungen. 

Aorta von ihrem ersten Anfang an ungewöhnlich eng, in der¬ 
selben dabei hochgradige diffuse Sklerose mit vielen gallertigen 
Platten der Intima. Dasselbe findet sich im Bogen, im absteigenden 
Theil und in der Bauchaorta, nur hört die sklerotische Affection im 
absteigenden Theil der Aorta ziemlich plötzlich auf. In den Lungen 
ausgedehntes Oedem, links unten gleichzeitig hämorrhagische grössere 
und kleinere Infarcte. 

Die Diagnose war hiermit vollkommen bestätigt, allmählich 
hatte sich natürlich zur Hypertrophie und Dilatation des linken 
Ventrikels auch eine solche des rechten gesellt. Auffallend blieb 
es ja, dass trotz der starken Verengerung des Aortensystems und 
des mit doch nicht geringen körperlichen Anstrengüngen verbun¬ 
denen Berufes des Kranken derselbe so lange am Leben geblieben ist. 

Ich habe den Fall damals von Herrn Dr. Stoll-Krotowski 
in einer Inauguraldissertation 1 ) bearbeiten lassen und hoffte, bald 
wieder einen analogen Fall zur Beobachtung zu bekommen, da ich 
ja aus der Zeit, wo ich speciell pathologisch-anatomischen Studien 
oblag, wusste, dass angeborene Enge des Aortensystems nicht allzu 
selten bei Sectionen gefunden wird. 

Trotzdem musste ich verhältnissmässig lange warten, ehe ein 
ähnlicher Fall von mir gesehen wurde. 

Ara 11. November 1886 wurde ein 28jähriger Arbeiter S., der nament¬ 
lich als Handlanger bei Maurern gearbeitet hatte, unter Zeichen allgemeinen 
Unbehagens auf meine Abtheilung in der Charite aufgenommen. Bei der 
genauen Untersuchung fand man alle übrigen Organe normal, nur der Cir- 
culationsapparat zeigte bestimmte Veränderungen. Die Radialarterien waren 
auffallend eng und sehr stark gespannt. Dieselben fühlten sich wirklich 
wie Stricke an. Der Spitzenstoss lag im 5. Intercostalraum, 2 Zoll nach 
aussen von der Mammillarlinie, war auffallend breit, hoch und resistent. Die 
Herzdämpfung begann links vom Brustbein auf der Höhe des linken dritten 
Rippenknorpels, reichte nach abwärts bis zum unteren Rande der 6. Rippe, 
ging nach links ungefähr 2*/a'' über die Brustwarzenlinie hinaus, dagegen 
nach rechts nur wenig über den linken Sternalrand. Die Herztöne waren 
rein, der zweite Aortenton auffallend stark. Längere Bettruhe schaffte für 
den Kranken wesentliche Erleichterung. 

Bei weiterer Ueberlegung gelangte ich immer mehr zu der Ueber- 
zeugung, dass die Beschäftigung des Kranken bei den Maurern für ihn zu 
einer Ueberanstrengung des Herzens und damit zu einer Erweiterung na¬ 
mentlich des linken Ventrikels und schliesslich zu nennenswerthen Func- 
tionsstörungen von Seiten des Herzens geführt hätte. Ich stellte den betr. 
Krankheitsfall auch meinen Zuhörern als eine solche Ueberanstrengung des 
nerzens vor, nur blieben dabei immer zwei Punkte räthselhaft. Erstens 
war die abnorm hohe Spannung im Aortensystem auffallend und nicht gut 
zu erklären, und zweitens läugnete der Kranke, dass er sich jemals stark 
angestrengt hätte. 

Nach einiger Zeit schwanden bei absoluter Ruhe im Krankenhause 
und kräftiger Diät die Beschwerden des Mannes vollkommen, ohne dass die 
oben geschilderten Erscheinungen von Seiten des Circulationsapparates sich 
verändert hätten. 

Der Kranke wurde auf seinen Wunsch am 4. December 1886 aus dem 

Krankenhause entlassen. Am 10. Januar 1887 kehrte er zu uns mit dem 

ausgesprochenen Bilde der linksseitigen Lungenschwindsucht zurück. Wo 
er dieselbe etwa erworben hatte, war nicht festzustellen. Jedenfalls hatte 
sich bei seinem ersten Aufenthalt im Krankenhause der Respirationsapparat 
vollkommen normal erwiesen. 8 Tage nachdem Patient im Krankenhause 
bei massigen Beschwerden sich aufgehalten hatte, entwickelte sich plötzlich 

ein linksseitiger Pneumothorax und führte am 12. Februar den Tod des 

Kranken herbei. 

Autopsie am 14. Februar (Dr. Hansemann). Kräftig gebauter, 
gutgenährter männlicher Leichnam. Zwerchfell stand rechts unterhalb 
der 5. Rippe, links ist das Zwerchfell nach unten hervorgewölbt, aus 
der linken Pleurahöhle entleert sich beim Anschneiden Luft und etwa 
2 1 einer trüben, grünlichen, wässerigen Flüssigkeit, die mit reichlichen 
Flocken durchsetzt ist. Die linke Lunge ist nach rechts bis über die 
Wirbelkörper hinüber gedrängt, der Oberlappen ist durch eine grosse 
ulceröse tuberculöse Höhle fast vollständig zerstört, der Unterlappen fast 
ganz atelektatisch. Rechte Lunge relativ normal, ziemlich hyperämisch, 
leicht ödematös, da und dort bemerkt man kleine käsige Herde. 

Herz vollkommen nach rechts verlagert, ziemlich gross, misst von der 
Spitze bis zur Basis 12,5 cm, über der Basis ca. 9 cm. Herzmuskulatur 
des linken Ventrikels an der Basis 10 ccm, in der Mitte 20 ccm, an der 
Spitze 12 ccm. Die Muskulatur dabei schlaff. Endocard und Klappen zart. 
Aorta im Verhältniss zu der Grösse und dem ganzen Körperbau des 


') Stenosis aortae congenita. Berlin am 2. August 1873. Der Fall ist, 
ohne dass ich ihn noch einer Bearbeitung unterziehen konnte, zum Druck 
gelangt. 


Mannes in ihrem ganzen Verlaufe auffallend eng und dabei zart. (Leider 
fehlt hier in dem Sectionsprotokoll eine Maassangabe über die Aorta, doch 
kann ich aus eigener Anschauung versichern, dass die Enge des Aorten- 
systems eine allgemeine und ganz aussergewöhnlich starke war.) An den 
übrigen Organen nichts Bemerkenswerthes. 

Der vorliegende Fall lehrt uns, dass wir uns bei Schlüssen 
über das Vorhandensein von Ueberanstrengungen des Herzens und 
dadurch bedingte Herzvergrösserungen doch einer grösseren Vor¬ 
sicht befleissigen müssen, als sie in der letzten Zeit üblich gewesen 
ist. Ich selbst habe ja seit dem Anfänge der 70. Jahre, zum Theil 
schon vor der vortrefflichen Arbeit von Seitz, mich bemüht, den 
Begriff dieser Ueberanstrengungen festzustellen und immer wieder 
danach gestrebt, den Krankheitsnamen auf die Fälle einzuschränken, 
bei denen wirklich objectiv nachweisbare übermässige Anstrengungen 
das Herz auf kürzere oder längere Zeit, oder schliesslich für immer, 
schwer geschädigt haben. Ein classischer Fall für alle Zeiten wird 
mein Fall Banka 1 ) bleiben, den ich in den Chariteannalen aus¬ 
führlicher beschrieben und noch jetzt in meiner Beobachtung 
habe. Aber weder ich selbst noch andere Forscher, die sich 
später mit der Ueberanstrengung der Herzen beschäftigt haben, 
wie z. B. Leyden, haben der Möglichkeit Erwähnung gethan, 
dass Leute mit angeborener Enge des Aortensystems, wenn sie nur 
mittleren Anstrengungen sich gewachsen zeigen sollen, ganz ähn¬ 
liche Erscheinungen von Seiten des Herzens bekommen, Dilatationen 
des linken, wohl auch des rechten Ventrikels mit mehr oder weniger 
starken Functionsstörungen des Herzens. Im jugendlichen Alter 
werden solche Leute mit angeborener Enge im Aortensystem, wenn 
sie für die gewöhnlichen Anstrengungen durch eine Hypertrophie 
des linken Ventrikels eine Compensation für die abnorme Enge er¬ 
halten, keine besonderen Beschwerden empfinden. Diese Hypertrophie 
wird allmählich stärker und stärker und verbindet sich früher oder 
später auch mit einer Dilatation der zugehörigen Herzhöhle. 

Allmählich treten die ersten Compensationsstörungen ein, be¬ 
sonders dann, wenn im Laufe der Jahre stärkere Anforderungen 
an die Arbeitsleistung des betr. Individuums resp. seines linken Ven¬ 
trikels gestellt werden. So z. B. sahen wir dies bei meinem ersten 
Kranken, als er Soldat geworden war. Wird die Arbeit geringer, 
kann der Patient sich ausruhen, wie z. B. mein zweiter Kranker, 
als er das erste Mal im Krankenhause war, dann wird die Com¬ 
pensation wohl wieder hergestellt. Sie geräth dann oft kürzere, 
oft lange Zeit nachher wieder in Unordnung. Der Tod erfolgt bald 
früher, bald später in Folge dieser Compensationsstörungen. Natür¬ 
licherweise werden viele Menschen, bei denen die allgemeine Veren¬ 
gerung des Aortensystems nicht beträchtlich ist, oder bei denen die 
Ansprüche, die an die Leistung des Herzens gestellt werden, immer 
nur geringe bleiben, vielleicht niemals ernstere Erkrankungen des 
Herzens bekommen. Hiermit steht vollkommen die Thatsache 
im Einklang, dass bei chlorotischen Mädchen und Frauen, deren 
Leiden fast immer eine angeborene Enge des Aortensystems zu 
Grunde liegt, meist nur leichtere Functionsstörungen von Seiten 
des Herzens, aber schwerere nur äusserst selten beobachtet werden, 
weil diese Personen sich ja nur in den seltensten Fällen stärkeren 
körperlichen Leistungen unterziehen müssen. 

Dagegen machen sich bei Männern, wie ich gleich noch aus¬ 
führlicher auseinandersetzen werde, viel leichter schwerere Herzer¬ 
krankungen bemerkbar. Natürlich wird in diesem oder jenem Falle die 
Dilatation des linken Ventrikels so beträchtlich werden können, dass 
eine relative Insufficienz des Mitralklappenapparates und ein da¬ 
durch veranlasstes systolisches Geräusch uns nicht wunderbar er¬ 
scheinen darf. 

Erst im letztverflossenen Winter habe ich einen 29jährigen 
Kutscher monatelang auf meiner Abtheiluug gehabt, der geistig und 
körperlich einen ziemlich reducirten Eindruck machte, aber nament¬ 
lich körperlich auffallend schwächlich war. Anamnestisch wusste er 
so gut wie gar nichts über sich anzugeben. Er hatte auffallend 
enge Arterien sowohl am Arm wie an der Carotis und der Schenkel¬ 
arterie. Seine Gesichtsfarbe war sehr blass. Die Percussion des 
Herzens erwies eine Vergrösserung desselben um 2 V 2 " über die 
linke Brustwarzenlinie hinaus, nach abwärts reichte die Herzdämpfung 
bis zum unteren Rande der 6. Rippe, nach rechts nur sehr wenig 
über den linken Sternalrand. Der Spitzenstoss im 5. Intercostal¬ 
raum ungefähr 279 " breit, auffallend hoch und resistent. An der 
Herzspitze hörte man ein sehr lautes systolisches Geräusch und 
einen reinen diastolischen Ton. Ueberall sonst am Herzen war das 
systolische Geräusch schwächer zu hören, über dem Ostium aortae 
der diastolische Ton auffallend stark und klingend. Die Beschwerden 
des Patienten waren im Krankenhause eigentlich Null. Wir waren 
hier um so mehr geneigt, ebenfalls an eine allgemeine Enge des 
Aortensystems mit secundärer relativer Insufficienz der Mitralis zu 


’) Fraentzel. Zwei Fälle von Ueberanstrengung des Herzens. Charite- 
Annalen VI, Jahrgang 1881, p. 275. 


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19 . Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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denken, als bei dem mehr als 3 monatlichen Krankeuhausaufenthalt 
die Dilatation des linken Ventrikels nennenswert!) rückgängig wurde, 
und auch das Herzgeräusch an Intensität abnahm. Natürlich wird 
im vorliegenden Falle die Diagnose erst durch die Section einmal 
Bestätigung finden können. 

Im Laufe der letzten Jahre habe ich auch zwei Soldaten sehen 
können, bei denen ich zu der Annahme gelangt bin, dass auch sie 
durch Herzbeschwerden dienstunbrauchbar geworden sind, deren 
Ursache in einer allgemeinen Euge des Aortensystems lag. Von 
beiden wusste ich genau, dass bei ihrer Einstellung in den Heeres¬ 
dienst der Spitzenstoss des Herzens nicht über die linke Mammillar- 
linie reichte. Der erste dieser Kranken wurde mir im Frühjahr 1885 
vorgeführt, weil er während seiner Ausbildung als Rekrut (er war 
ira November 1884 eingestellt) bei stärkeren Marschübungen heftiges 
Herzklopfen bekam und nicht weiter konnte. Bei genauerer Unter¬ 
suchung stellte sich heraus, dass der Spitzenstoss einen Zoll ausser¬ 
halb der Mammillarlinie lag, der Kranke auffallend blass, seine 
sämmtlichen, der Untersuchung zugänglichen Körperarterien sehr eng 
und ziemlich stark gespannt waren. Der Puls war regelmässig und 
schlug 96 in der Minute. Die Herztöne waren überall rein, der 
zweite Aortenton deutlich verstärkt. Nach vierzehntägiger Ruhe 
waren die Beschwerden beseitigt, auch der Spitzenstoss lag wieder 
in der Mammillarlinie. Als der Kranke dann von Neuem in den 
Dienst kam, machten sich seine Leiden nach wenigen Wochen in 
verstärktem Maasse bemerkbar, und die Herzspitze überragte jetzt 
die linke Mammillarlinie um fast 2 ". Ich musste den Kranken im 
Laufe des Sommers als dienstunbrauchbar entlassen. 

Den zweiten Kranken sah ich im Frühjahr 1887; er war im 
April eingetreten. Auch bei ihm stand von vornherein fest, dass 
die Herzspitze bei seiner Einstellung nicht bis zur Brustwarzenlinie 
gereicht hatte. Schon im Mai klagte der Mann, dass ihn das Exer- 
ciren, namentlich das Marschiren, aussergewöhnlich anstrengte und 
ihn ganz ausser Athem brächte. Der sehr kräftige, aber auffallend 
blasse Mann hatte sehr enge Körperarterien, die Pulsfrequenz 
schwankte zwischen 108 und 114 Schlägen, dabei war der Puls 
ganz unregelmässig. Die Herzdämpfuug war nach links und unten 
vergrössert, der Spitzenstoss lag ausserhalb der linken Mammillar¬ 
linie, mit der Systole horte man an der Herzspitze ein deutliches 
Geräusch, der zweite Aortenton war auffallend verstärkt. Auch hier 
bewirkte das absolute Freibleiben vom Dienst sehr rasch einen 
wesentlichen Nachlass der Krankheitserscheinungen: Die Herzaction 
wurde regelmässig, das systolische Geräusch verschwand ganz. Als 
aber der Kranke zu seinen Dienstanstrengungen wieder zurückkehrte, 
erschienen die früheren Beschwerden in verstärktem Maasse. Die 
Dilatation des linken Ventrikels war stärker geworden, systolisches 
Geräusch und Unregelmässigkeit in der Herzaction traten wieder 
deutlich auf. Auch diesen Kranken musste ich aus dem Heeres¬ 
dienst entlassen. 

Bei beiden nehme ich an, dass eine allgemeine Enge im Aorten 
system vorhanden war, wie aus ihrer Blässe und aus der Enge ihrer 
Körperarterien geschlossen werden musste. Für ihre enge Aorta 
waren die Anstrengungen, welche das Herz bei den militärischen 
Uebungen machen sollte, zu gross, es kam zu einer nennenswerthen 
Dilatation des linken Ventrikels und zu Functionsstörungen in den 
Leistungen der Muskulatur. Absolute Ruhe liess die Beschwerden 
fast ganz verschwinden, dieselben kehrten aber in kurzer Zeit nach 
Wiederaufnahme der Anstrengungen in verstärktem Maasse zurück. 
Ob in dem zweiten Falle das Auftreten des systolischen Geräusches 
den Schluss auf eine relative Insufficienz der Mitralis gestattet, lasse 
ich dahingestellt. 

Auch bei einem Seeoffizier habe ich im Laufe des letzten Jahres 
eine analoge Beobachtung gemacht. Derselbe, ein zart gebauter Herr 
in den dreissiger Jahren, consultirte mich im vorigen Herbst wegen 
seines Herzens. Obgleich erst vor wenigen Wochen von einer 
mehljährigen Reise in die Tropen zurückgekehrt, fiel er durch seine 
grosse Blässe auf. Er gab au, diese Blässe schon von seinen 
Knabenjahren her zu haben. Er habe damit stets die Aufmerksam¬ 
keit Anderer, namentlich der xVerzte, erregt. Seine Körperarterien 
waren auffallend eng und ziemlich stark gespannt. Die Pulsfrequenz 
betrug zwischen 90 und 100 Schläge, dabei war die Herzaction 
recht unregelmässig. Am Herzen constatirte man eine nennens- 
werthe Dilatation des 1. Ventrikels, der zweite Aortenton war auf¬ 
fallend stark, die Herztöne ganz rein. Der Kranke gab an, dass er 
schon in früheren Jahren auf einer Reise Störungen von Seiten des 
Herzens, namentlich Unregelmässigkeiten in dessen Action verspürt 
und damals nach seiner Rückkehr den verstorbenen Bartels in 
Kiel consultirt habe. Unter dessen Behandlung und bei mehr¬ 
jährigem Landaufenthalte hätten sich die Beschwerden ganz ver¬ 
loren und wären erst bei der jüngsten Reise wiedergekehrt. 
Namentlich bei stärkeren körperlichen und geistigen Anstrengungen 
habe er das Gefühl, als wenn die ganze Brust zusammengeschnürt 
werde. Unter Darreichung von Nervinis für das Herz und bei sehr 


ruhiger, nicht anstrengender Bureauthätigkeit hat sich der Krank¬ 
heitszustand sehr wesentlich gebessert: Die Herzthätigkeit ist fast 
ganz regelmässig geworden, auch die Vergrösserung des Herzens 
nach 1. hat sich gemindert, wenn sie auch noch nicht zur Norm 
zurückgekehrt ist. 

Aus diesen Beispielen erhellt jedenfalls, dass, wenn auch sehr 
selten, so doch zuweilen der Militärdienst im Frieden im Staude ist, 
bei Menschen, die an einer angeborenen Enge des Aortensysteras 
leiden, zu Dilatationen des 1. Ventrikels und seinen Folgezuständen 
zu führen. Wenn ich nun an die Fälle von Herzerweiterungen 
zurückdenke, welche ich im Jahre 1873 als in Folge der Kriegs¬ 
strapazen, also durch Ueberanstrengung entstanden, publicirt habe, 
so kommt mir unwillkürlich der Gedanke, dass auch bei diesen 
Menschen eine gewisse Enge im Aortensystem das prädisponirende 
Moment gewesen sein mag. Freilich ist dies aus den damals ange¬ 
führten Fällen nicht mehr rückläufig zu beweisen, denn bei den 
wenigen Menschen, deren Lebensschicksale ich bis zu ihrem Lebens¬ 
ende habe verfolgen können, ist bei den Sectionen nicht auf die 
Aorta geachtet worden. 

Schliesslich möchte ich noch erwähnen, dass von Herrn G. 
See 1 ) ein sehr interessanter Aufsatz über Herzhypertrophie in Folge 
des Wachsthums erschienen und von Dr. Daya 2 ) ausführlicher 
besprochen worden ist. Die hier erwähnten Krankheitsbilder erinnern 
mich so sehr an meine eigenen Beobachtungen, dass es mir sehr 
wichtig erscheint, die genannten Autoren zu bitten, dass sie, sobald 
sie einen ihrer Fälle einmal zufällig zur Section bekommen, auf 
die Weite der Aorta achten. 


n. V erschwer ungs-und Wucherungs Vorgänge 
nach Nervendurchschneidung. 

Von Rudolf Arndt in Greifswald. 

Am 6. Mai hatte Herr X. sich einen tiefen Schnitt an der Beugeseite 
des linken Vorderarmes beigebracht. Durch denselben waren sämmtliche 
Weichtheile, beide Arterien, alle Sehnen und Nerven getrennt worden. Von 
hervorragenden Chirurgen wurden die Arterien unterbunden, die Sehnen 
und Nerven zusammengenäht, die ganze Wunde den Anforderungen der 
Zeit gemäss behandelt. Ihre Heilung schritt zur Zufriedenheit vorwärts. 
Durch einen Sturz am 22. Mai, bei dem Herr X. die Arme instinctiv vor¬ 
streckte, fiel er auf die Hände und zerriss sich dabei die verheilenden 
Theile des linken Vorderarmes. Sie von Neuem zu vereinigen, war nicht 
möglich. Was ohnedies nicht zusammenwuchs, blieb getrennt. Die be¬ 
deutendsten Störungen an der Hand standen zu erwarten und sind auch 
eingetreten. 

Unter diesen Störungen waren zwei von ganz besonderem Interesse, 
weil sie, gewissermaassen experimentell hervorgerufen, die Abhängigkeit ört¬ 
licher organischer Vorgänge von dem regelnden Nerveneinflusse darthaten. 

Die besagte Wunde wurde alle drei, vier Tage auf das sorglichste 
verbunden. Die mit weicher Verbandwatte wohl gepolsterte Hohlhand 
ruhte wie der ganze Unterarm auf einer reichlich mit Watte bedeckten 
Drahtschiene, die nur mässig fest mit Gazebinden an das Glied angezogen 
war. Drei Wochen ging Alles gut; da, um den 15. Juni herum, entwickelte 
sich in der Hohlhand eine etwa markstückgrosse geschwürige Stelle. Die 
an zwei benachbarten Orten derselben missfarbig gewordene Epidermis hob sich 
ab, und nach ihrer Entfernung lag die von einzelnen Schrunden durchzogene, 
hie und da mit Eitertröpfchen bedeckte, gefühllose Cutis bloss vor Augen. 
Die beiden Stellen wurden gereinigt, dicht mit Jodoformgaze bedeckt, und 
der Arm, der im Uebrigen so gut heilte, wie man es nur wünschen konnte, 
in gewohnter Weise verbunden. Dabei wurde mit peinlicher Sorgfalt darauf 
geachtet, dass auch nicht der geringste störende Druck auf die Hohlhand 
seitens des Verbandes ausgeübt wurde; nichtsdestoweniger entwickelt sich 
der Verschwärungsprocess aber zunächst weiter. Am nächsten Tage sind 
die beiden schwärenden Stellen zusammengeflossen, jene bereits erwähnte 
markstückgrosse geschwürige Fläche bildend, und fast scheint es, als wollte 
sich der Process an ihr sowohl in die Breite wie in die Tiefe noch weiter 
ausdehnen. Die geschwürige Fläche wurde nun in der zuletzt angegebenen 
Weise alle Tage verbunden, um eine gehörige Controlle über die Weiter¬ 
entwickelung des sie bedingenden Processes möglich zu machen. Erst nach 
mehreren Tagen jedoch konnte man mit Bestimmtheit sagen, dass derselbe 
sich begrenzt habe, und erst vom 21., 22. ab, dass er in Heilung be¬ 
griffen sei. 

Wie war der Process entstanden? Durch Druck! Es war ein 
Decubitus mit seinen Folgen! Obwohl die Hohlhand immer sorg¬ 
fältig ausgepolstert worden war, hat sie doch wohl einmal zu fest 
auf dem Polster aufgelegen, und der Decubitus war davon die 
Folge. Ja wohl! Aber wenn die die Hohlhand hauptsächlich ver¬ 
sorgenden Nerven nicht durchschnitten und damit gelähmt gewesen 
wären, hätte sich auf Grund des angenommenen Druckes, der doch 
immer nur ein sehr geringfügiger gewesen sein kann, der Decubitus 
wohl nicht entwickelt? Die wesentliche Schuld an der Entstehung 
desselben sowie des ganzen weiteren Processes trägt somit der für 
die Hohlhand stark beeinträchtigte, zum Theil ganz aufgehobene 

') G. Sie. De l’ypertrophie cardiaque r4sultant de la croissance. 
Semaine mödicale. 7. Jan. 1885. 

*) Dr. Daya. Arch. de mddec. et de pharm, mil. 1885 p. 125. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


592 


Nerveneinfluss. Ich sage: zum Theil ganz aufgehobene Nervenein¬ 
fluss! Denn vollständig aufgehoben kann er trotz der Durchschneidung 
der sämmtlichen an der Bengeseite gelegenen Nerven nicht gewesen' 
sein. Die Gefässnerven. die mit der A. interossea in die Hand ge¬ 
langen, wie diese sieh verzweigen und mit den Nerven anderer 
Arterien in Verbindung treten, waren zum Wenigsten erhalten. 
Ihnen muss geradeso wie den den Blutumlauf noch gestattenden 
Gelassen ein ganz bedeutender Theil an der vorläufigen Erhaltung 
der Hand zugeschrieben werden, und der fragliche Nerveueiufluss 
im Allgemeinen kann deswegen nur als ein sehr herabgesetzter, ein 
stark beeinträchtigter, aber keinesfalls als eiu völlig aufgehobener 
angesehen werden. 

Auf diesen stark beeinträchtigten, theilweise aufgehobenen 
Nerveneinfluss hin entwickelte sich nun unter der Einwirkung eines 
höchst geringfügigen Druckes der Decubitus, uud als Reaetion 
Seitens des übrigen Organismus die Verschwärung an der besagten 
markstückgrossen Stelle, d. i. eine entzündliche Reizung an derselben 
mit Neigung zu moleculärem Zerfall. Die neuropara lytische 
Entzündung wird dadurch von Neuem wieder in ihrem Dasein 
bewiesen, zugleich aber auch in ihrem Wesen erhellt. In Folge des 
.Mangels gehöriger nervöser Beeinflussung werden die Gewebe so 
widerstandslos, dass jedem, iu den ausgebildetsten Fällen auch dem 
geringfügigsten Heize, der unter normalen Verhältnissen kaum oder 
überhaupt nicht zur Wahrnehmung kommt, sie zum Opfer fallen. 
Die neuroparalytische Entzündung, für welche nicht bloss der Gefühls¬ 
mangel und die durch denselben hervorgerufeue Bedürfnisslosigkeit, 
die schädigenden Reize abzuhalten, beziehentlich zu entfernen, ver¬ 
antwortlich gemacht werden kann, soudern in erster Reihe die 
Widerstandslosigkeit, ich möchte sagen, der entnervten Gewebe, 
beweist darum aber auch die Abhängigkeit der einzelnen Gewebe uud 
ihrer Elemente, der Zellen, von der jeweiligen Innervation derselben. 
Und das beweist wieder, dass die einzelnen Zellen des Körpers mit 
den Nerven in Zusammenhang stehen müssen, mag dieser durch das 
Messer oder durch das Mikroskop bisher auch immer noch nicht so 
nachgewiesen sein, wie es der eingefleischte Skeptiker nun einmal 
verlangt. Sichtbar ist er dessen ungeachtet doch. Man muss nur 
die trophischen Vorgänge in das Auge fassen, welche allein auf 
Grund eines solchen sich machen können. Und das iu hervor¬ 
ragender Weise zu erkennen, ist das Mitgetheilte neben dem vielen 
derartig schon Bekannten, aber immer noch nicht in seinem vollen 
Umfange Gewürdigten durchaus augethan. 

Zu derselben Zeit, wo die besprochene Verschwärung in der 
Hohlhand sich ausbildete, wurde auch eine rasch zunehmende 
Schwellung der Gelenke der Finger, mit Ausnahme der des Daumens 
bemerkbar. Vornehmlich waren es die des Mittel-, des Zeige- und 
Ring-, weniger des kleinen Fingers, welche sich von derselben 
befallen zeigten und sie zuletzt in einer Stärke aufwiesen, wie sie 
nur ein schwer geplagter Gichtiker sehen lässt. Ausdrücklich hebe 
ich hervor, dass sonst kein Gelenk des Körpers, auch nicht einmal 
andeutungsweise, etwas Aehnliclies an den Tag legte. Es bekuu- 
deten das bloss die Gelenke, welche im Bereiche der durchschnittenen 
Nerven lagen. In welchem Verhältniss diese Gelenkanschwellungen 
zu der Verschwärung in der Hohlhand standen, will ich nicht 
weiter untersuchen. Allein ich kann doch nicht umhin, darauf 
hinzuweisen, wie der verminderte, theilweise selbst aufgehobene 
Nerveneinfluss — nur etliche Gefässnerven, also sympathische, eigent¬ 
liche Nerven der Bindesubstanzen, waren erhalten; die in Betracht 
kommenden cerebrospinalen dagegen waren wohl ausnahmslos ver¬ 
nichtet — wie dieser verminderte, theilweise selbst aufgehobene 
Nerveneinfluss es ist, welcher hier unter der Einwirkung kleinster 
Reize zu der bezüglichen Entzündung und Verschwärung, dass ebenso 
dort das nämliche Moment zu den die Gelenkanschwellungen be¬ 
dingenden Gewebswucherungen geführt hat. 

His hat den Satz aufgestellt: In der Entwickelungs- 
periode des Eies übt der Archiblast von dem Augen blick 
an, wo er mit dem Parablasten zusammentrifft, einen 
durchaus beherrschenden Einfluss auf letzteren aus, so 
dass die Entwickelung dieses fortan sich nur gleichsam 
im Sinne jenes macht. Man hat nun zwar in der neuesten Zeit 
die His’sche Lehre arg bekämpft; iudessen, wenn das vielleicht auch 
in Bezug auf den Ursprung von Archiblast und Parablast gerecht¬ 
fertigt ist, in Bezug auf ihr Wesen und ihre gegenseitige Beeinflussung 
dürfte das nicht wohl angänglich sein. Das ganze spätere Leben 
beweist die Richtigkeit der Anschauungen von His. Der Haupt- 
repräsentaut des Archiblasten in der späteren Lebenszeit ist das 
Nervensystem; der Parablast tritt uns in den verschiedenen Binde- 
substanzeu entgegen. Nach His also beherrscht das Nervensystem 
von Anfang an, wie die ganze Körperentwickelung im Allgemeinen, 
so auch die der Bindesubstanzen im Besonderen. Es übt einen 
ihre Ernährungs-, ihre Eutwickelungsverhältnisse regelnden, be¬ 
stimmenden Einfluss aus. Uud das zeigt sich in der That auch, 
wie schon betont, durch das ganze übrige Leben. In der Ent- 


I Wickelungsperiode kommt es daraufhin zu den Hemmungsbildungen, 

! den übergrossen und fremdartigen Bildungen, zur Entwickelung der 
ehlorotiseheu Constitution, der Stigmata degenerationis, in der 
Involutionsperiode zu den dieser eigenthümlichen anomalen Vor- 
, gängen und Zuständen. Es fangen da mit dem Nachlass der Energie 
I des Nervensystems und besonders des cerebrospinalen Antheils 
j desselben, wie es vielfach scheint, die Bindesubstanzen an, gewisser- 
; maasseu mehr selbstständig zu wuchern. Es nimmt die Fettbildung 
! überhand. Es treten die eigentlichen Bindegewebsneubildungeu, 

| die Indurationen, die sogenannten Cirrhoseu der Organe, das 
Gerontoxon, die Knochen- und Knorpel-Hypertrophieen und Para- 
! trophieen, das Malum articulorum senile, die Arthritis deformans 
auf. Auch bei jener Abspannung und Erlahmung des Nerven¬ 
systems, welche ein rasch verlaufendes Senium praecox, die 
allgemeine progressive Paralyse, darstellt, kommen diese Erschei- 
] nungen und namentlich die auffällige Fettbildung, die Knochen- und 
Knorpelhypertrophieen vor; desgleichen in manchen Fällen von Tabes 
dorsualis, von Myelitis chronica. Der mitgetheilte Fall lehrt, warum. 
Das Nervensystem, vornehmlich das cerebrospiuale, ist hinfällig ge¬ 
worden. Es hat keine regelnde Macht mehr über die Ernährungs- 
uud Bildungsvorgänge der Biudesubstanzen, geradeso wie hier, wo 
die Hauptmasse der Nerven durch Durchschneidung ohnmächtig ge¬ 
worden war, und nur der kleine Theil derselben, welcher mit den 
noch erhaltenen Gelassen in die bezüglichen Gliedmaassen eindrang, 
sich noch zu bethätigen vermochte. Ist aller Nerveneinfluss auf¬ 
gehoben oder auch nur so gut wie aufgehoben, wie z. B. nach 
Durchtrennung der Nervenstämme und des Hauptgefässes eines 
Gliedes, so stirbt dasselbe rettuugslos ab. 

Ohne Nerven keiue Ernährung, kein Wachsthum! Ohne Nerven 
nur Tod! Bei lahmen Nerven mangelhafte Ernährung, Hinfälligkeit 
der Gewebe, Neigung derselben zu moleculärem Brand, daher zu 
Verschwärung odeV einfacher Usur. Ohne Nerven kein zusammen¬ 
gesetztes Zellenleben! Die Autonomie der Zellen eines Organismus 
ist uur eine Aunahme, ein bestechend klingendes Dogma, aber durch 
nichts bewiesen. Die Entwickelungsgeschichte, Ontogenie wie 
Phylogenie, die Physiologie, eine vorurtheilsfreie Beurtheilung der 
Pathologie sprechen nur für den Zusammenhang der Zellen unter 
einander, den zu besorgen das Nervensystem eben die Aufgabe hat. 
Die freibeweglicheu Blutkörperchen, weisse wie rothe, könneu nicht 
als Beweis dagegen angeführt werden: sie sind aus sesshaften Binde- 
substanzzellen hervorgegangeu. Die Reverdin’schen Epidermis-, die 
Schweninger’schen Haartransplantationen sprechen nur für das 
zeitweilige Fortleben von ihrem Gesammtorganismus getrennter 
Zellen und Zellencomplexe, sowie für die Möglichkeit mit diesem 
oder einem anderen ähnlichen Körper wieder zu verschmelzen, wenn 
die Bedingungen dazu günstig sind. Welche sind das? Es kommt 
gar nicht darauf an, dieselben hier zu erörtern; ich gedenke das 
an einem anderen Orte zu thun; aber das gilt: Die Localpatho¬ 
logie, die Localtherapie, welche auf die Autonomie der 
Zellen sich gründet, schwebt vollständig iu der Luft, und 
weun zu ihrer Verteidigung der Erfolg heraugezogen 
wird, so lässt sich dagegen erwidern, dass durch ihn 
ebenso sehr, weun nicht in noch grösserem Maasse der 
Einfluss der Nerven bewiesen wird, der zumal auf dem 
Wege des Reflexes auch da noch oft wirksam ist, wo er 
gar nicht mehr in Betracht zu kommen scheint. Die 
schmerzstillende sowie überhaupt anästhetisirende Wirkung der 
Carbolsäure einerseits, die entzündungswidrige, zugleich aber auch 
deu Heilungsprocess verzögernde, weil den ganzen Lebensprocess 
herabsetzende Wirkung derselben andererseits, scheinen nur dafür zu 
sprechen, lassen sich wenigstens aus ihnen am leichtesten erklären, 
besonders da auch die Chirurgen nicht mehr darauf bestehen, dass 
hier die Carbolsäure nur wirkt, indem sie die entzündungserregendeu 
Monaden, Bacterien, Bacillen u. s. w. tödtet. 

m. Zur Impftuberculose von der Haut aus. 

Von Dr. ?. Lesser, Docent für Chirurgie in Leipzig. 

In No. 10 der Deutschen Med. Wochenschrift von d. J. be¬ 
schreibt Steinthal aus der Heidelberger chirurgischen Kliuik 
einen Fall vou „Inoculationstuberculose“, der manche Analogieen 
mit einem von mir beobachteten Falle besitzt, so dass ich letzteren 
au dieser Stelle vou Neuem beschreiben möchte. Zwar findet er 
sich in dem Bericht über meine poliklinische Thätigkeit (fünf Jahre 
polikl. Thätigkeit u. s. f. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1883) geschildert, 
scheint indess nicht weiter bekannt geworden zu sein, wie das ja 
so häufig mit eiuer in Specialberichten niedergelegten Casuistik zu 
geschehen pflegt. 

Die 48jährige Waschfrau Marie Hedel stellt sich vor mit einem 
kirschgrossen Tumor am untersten Theile des rechten Vorderarms, 
dicht über der Volarfläche des Handgelenks und dicht an die Ulnar- 


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19. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 593 


seite vom Flexor digitorura suhlimis greuzend. Am 3. Mai 1882 
wird der Tumor exstirpirt. Derselbe erweist sicli als eine subcu- 
tane, alveolär gebaute Gesehwulstmasse mit centraler Verkäsung. 
Die Geschwulst sass der Fascia antibrachii fest auf. Von ihr auf¬ 
steigend lassen sich käsig infiltrirte Ge websstreifen bis an die Cutis 
hinan verfolgen. — Mikroskopisch erscheint die Haut selbst unver¬ 
ändert. — Nur in der Tiefe um die Schweissdrüsenknäuel herum 
reichliche Zellinfiltration. Darunter die in alveolärem Bindegewebe 
angeordneten zahlreichen Knoten, innerhalb deren Riesenzelleu und 
verkäste Heerde nachweisbar. — Nach Anlegung von drei Nähten 
prima intentio der Exstirpationswunde. — Am 20. Mai. nach 
17 Tagen, erscheint das centrale Ende der Narbe von verkäsenden 
Granulationen durchbrochen, wie solches bei der Nachbehandlung 
„cariöser* und ähnlicher Processe häufig beobachtet wird. — Aus¬ 
löffelung der käsigen Granulationen. Definitive Vernarbung. 

Beiderseitige Cubitaldrfisen kirschkerngross, ruässig hart. — Am 
10. Mai, acht Tage nach der Operation, stellte sich Patientin vor 
mit einer Perionychia tuberculosa an der Endphalanx des linken 
Ringfingers. — Die Haut erschien an verschiedenen Stellen wie 
wurmstichig und von käsigen Massen unterrainirt. Rasche Heilung 
nach Auskratzung. — Ausser spärlichem Rasseln in der rechten 
Luugenspitze bietet der Organismus der Patientin nichts Krank¬ 
haftes dar. Die Frau behauptet, immer gesund gewesen zu sein. 
Sie hat mehrere Kinder geboren, die alle erwachsen und von blü¬ 
hender Gesundheit sind. 

Der Mann der Patientin war seit J /2 J ft hr au einer Lungen- 
affection mit reichlichem Husten und Auswurf erkrankt. Während 
der Behandlung der Patientin starb der Mann im Krankenhause. Die 
Section ergab schwere allgemeine Miliartubereulose. Patientin hatte 
viel von der Wäsche des kranken Gatten zu waschen gehabt. — 
Das Ergebniss der makroskopischen und mikroskopischen Unter¬ 
suchung des exstirpirten Tumors wurde von eompetenter Seite 
bestätigt. Doch fand eine Untersuchung auf Tuberkelbacillen in der 
Umgebung der Schweissdrüsenknäuel und innerhalb der subeutanen 
Knoten nicht statt, was durch die damalige Neuheit der Prüfungs¬ 
methoden entschuldigt sein mag. 

In dem von Steinthal beschriebenen, die Frau Knapp be¬ 
treffenden Falle scheint nicht nur der histologische, sondern auch 
der bacterielle Nachweis für den tuberculösen Charakter der Affec- 
tion erbracht worden zu sein. Hier, wie in meinem Falle findet sich 
eine absonderliche Form von Panaritium vor. Aber während Stein¬ 
thal am Rücken der Mittelhand bei der Frau Knapp ein serpi- 
ginös fortkriechendes, tuberculöses Geschwür mit charakteristischem 
Grunde und charakteristischen Rändern beschreibt, liegt in meinem 
Falle ein subcutaner, tuberculöser Knoten vor, der seine Entstehung 
der Einwanderung des Tuberkelgiftes auf dem Wege der Schweiss- 
drüsen zu verdanken scheint. Und darin liegt, meiner Meinung 
nach, das besondere Interesse des Falles. 

lnfection der eigenen Haut durch Se- und Excrete bei tubcr- 
culöseu und scroplmlöseu Individuen ist nur eine allbekannte 
Thatsache. heute durch die Möglichkeit des Bacillennachweises 
in einem neuen Lichte erscheinend. — Dass in der Umgebung 
von Knochen- oder Gelenkfisteln, die mit tuberculösen Heerden 
in Verbindung stehen, besonders wenn gesteigerte Reizwirkuug 
der Heerde auf die Umgebung eintritt, und auch für gewisse 
Zeiten häufiger (Frühling, Herbst) ekzemartige oder geschwürige 
oder lupusartige Veränderungen der nächsten Hautbezirke sich ein¬ 
stellen, ist — auch unter antiseptischen Verbänden — häufig 
nachzuweisen, wenn auch nicht so häufig, wie jene Excoriatiouen 
der Haut am Mund, am Kinn, am äusseren Gehörgang und an den 
Nasenlöchern, die wir bei Scrophulösen antreffen. 

lnfection durch von aussen in die Haut eingedrungenes tuber- 
culöses Gift bei bisher gesunden Individuen ist bis heute nur in 
einer beschränkten Zahl von Fällen mit genügender Zuverlässigkeit 
beschrieben worden. 

Es dürften besondere Umstände erforderlich sein, um das 
Haften des tuberculösen Giftes an makroskopisch intacter Haut zu be¬ 
dingen. Nach dem mikroskopischen Befunde meines Falles scheint 
es, als wenn die Einführung des Giftes auf dem Wege der Schweiss- 
drüsen stattgefunden hätte. — Um diese Annahme zu stützen, 
werden allerdings weitere mikroskopische Untersuchungen in ent¬ 
sprechenden Fällen beim Menschen, sowie experimentelle Control- 
versuche nothwendig sein. — Eine gewisse Berechtigung erhält 
obige Annahme schon jetzt durch Betrachtung der Wege, auf wel¬ 
chen andere parasitäre Infectionen stattfinden. 

Bei der sogenannten Folliculitis abseedens infantum entwickeln 
sich bei Kindern multiple, zunächst am behaarten Kopfe am reich¬ 
lichsten auftretende Abscesse. Es werden meistens atrophische 
Säuglinge betroffen. Befällt die Erkrankung bisher gesunde Kinder, 
so magern dieselben rasch ab und bieten oft ein schwer kachek- 
tisches Aussehen, als wenn sie hohes infectiöses Fieber oder sonstige 
reichliche Eiterungen überstanden hätten. In diesen Fällen von 


Folliculitis abseedens hat nunLongard (Archiv für Kinderheilkunde, 
1887, Band VIII, Heft 5) als Infectionserreger die pyogenen Staphylo- 
coccen. wie vor ihm bereits Baginskv, nachgew'ieseu, als Ausgangs¬ 
punkt der Erkrankung aber die Schweissdrüsen, während die Abscesse 
selbst, subcutan sich entwickeln und abgreuzen. — Ebenso inter¬ 
essant ist es, dass die Infectionserreger in den Windeln mit Sicher¬ 
heit nachweisbar waren, und dass die lnfection dadurch erklärt 
werden muss, dass die inficirteu und mit Urin oder von Schweiss 
durchtränkten Windeln lange Zeit mit der Haut (besonders des 
Hinterkopfes und Rückens) in Berührung bleiben. 

Die längere Maceration der Haut mit einem dünnflüssigen, das 
Tuberkelgift enthaltenden Medium scheint eine zweite Bedingung 
für das Haften des Tuberkelgiftes in der Haut zu sein. 

Bemerkenswert.!) nach dieser Richtung erscheint vor allen Dingen 
der von mir oben beschriebene Fall der Frau Hedel, sodann 
Steinthars Fall (1. c.), die Frau Knapp betreffend. — Beide 
Male handelte es sich um vorher gesunde Frauen, die längere Zeit 
die Wäsche ihrer schwer tuberculösen Männer gewaschen hatten. 
Hierher gehört ferner der von Steinthal ebenfalls citirte Fall von 
Merk len (Gaz. hebdomad. de med. et chir. 1885, No. 27), eine 
26jährige, tuberculös nicht belastete Frau betreffend. Sie hatte 
6 Monate lang ihren phthisisehen Mann gepflegt, dessen Wüsche ge¬ 
waschen und das Speiglas gereinigt. Zwei Monate nach dem Tode 
des Mannes bekam sie am Rücken zweier Finger tuberkelartige 
Knoten. — Nach weiteren 4 Wochen bildeten sich den Lymphge- 
fässen des Armes entlang perilymphangitisehe Abscesse, in deren 
Inhalt Tuberkelbacillen sich vorfanden. — Die Untersuchung der 
Lungen der Frau ergab eine tuberculöse Infiltration in beiden 
Spitzen. — Auch der ebenfalls von Steinthal citirte Fall von 
M. B. Schmidt (vergl. die Arbeiten aus der Chirurg. Poliklinik, 
Leipzig 1888) dürfte hier Erwähnung finden. Die 44jährige Frau 
stammte aus ganz gesunder Familie. Sie verlor Januar 1885 ihren 
Mann, den sie gepflegt, an Lungenschwindsucht. Vor dem Tode 
biss sie der Mann, als sie ihn küssen wollte, in die Oberlippe. Es 
entwickelte sich dort ein tuberculöses Geschwür. Vor allen Dingen 
zeigte aber die Frau längs der ulnaren Seite des 5. Fingers, der 
Mittelhand und des Handgelenks drei charakteristische tuberculöse 
Knoten, in denen nach der Excision neben Riesenzellen u. s. f. auch 
Tuberkelbacillen nachgewiesen wurden. 

Ich möchte hier unmittelbar die Entstehung der sog. Leichen¬ 
tuberkel anschliessen, deren Beziehung zu der Tuberculöse durch 
neuere bacteriologische Untersuchungen klargelegt worden ist. Auch 
hier dürfte die andauernde Befeuchtung der Hände während der 
Sectionen auf die Eiuimpfung befördernd einwirken. — Ob auch 
hier die persönliche Prädisposition resp. Belastung mit in Frage 
kommt, will ich unentschieden lassen. Die Beobachtungen, die ich 
lange vor der Aufstellung der Beziehungen zwischen Leicheutuberkel 
und Tuberculöse an den Händen verschiedener Collegen aus den 
pathologischen Instituten zu machen Gelegenheit gehabt habe, legen 
mir nahe, an den oben angedeuteten Zusammenhang zu glauben. 

— So hatte ein vor Kurzem an ererbter Phthise verstorbener College 
Jahr ein Jahr aus an solchen Leichentuberkeln zu leiden, während 
andere Collegen, die an gleichem Material beschäftigt waren, sowie 
die bei den Sectionen behiilflichen Diener frei blieben oder nur selten 
derartige Knoten zeigten. (Die consequente Desinfection der Hände 
nach Ausführung von Sectionen, die sich auch bei den pathologi¬ 
schen Anatomen einzubürgern beginnt, hat natürlich das Auftreten 
von Leicheutuberkeln überhaupt seltener gemacht.) — In gleichem 
Sinne sind die tuberculösen Hautkuoteu zu erwähnen, die gar nicht 
selten im Gesichte, von Kindern besonders, augetroffen werden und 
als Impftuberkel betrachtet werden müssen. Am häufigsten sitzen 
sie auf den Wangen; auch am Kinn, selbst an der Nasenspitze 
werden sie angetroffen. Ich habe gefunden, dass diese Knoten viel¬ 
fach als erste Erscheinungen, lange vor dem Auftreten anderweitiger 
tuberculöser Erkrankungen vorhanden sind. — Als Beispiel will ich 
zwei Fälle besonders anführeu. 

Der erste betraf einen Knaben, der mir vör etwa vier Jahren 
mit einem etwa kirsch kern grossen, röthlich lividen Knoten von 
teigiger Consistenz, und zwar an der Nasenspitze, gebracht wurde. 

— Sonst fand sich bei dem blühend aussehenden, etwa 3jährigen 
Kinde nichts Krankhaftes. — Nach Auslöffelung heilte die gesetzte 
Wunde rasch. — 8 bis 9 Monate später brachte mir die Mutter 
das Kind von Neuem. Das Kind sah blass und gedunsen aus, so 
dass ich es nicht wieder erkannte. An der Nasenspitze fand sich 
die Narbe von der Auslöffelung des tuberculösen Knotens. Es be¬ 
stand floride Caries Tarsi dextri. 

Der zweite Fall befindet sich augenblicklich in meiner Behand¬ 
lung mit einer spitzwinkligen Kyphose im mittleren Brusttheile in 
Folge von tuberculöser Ostitis der entsprechenden Wirbelkörper. 
Gleichzeitig findet sich ein 50 Pfennig grosser, flacher tuberculöser 
Knoten links vom Kinn, der sich 4—6 Wochen vor Entwickelung der 
Affection der Wirbelsäule gebildet hat und seitdem noch nicht geheilt ist. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


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Das Kranksein des Knaben datirt die Mutter genau seit dem 
Auftreten jenes Knotens am Kinn. 

Wenn man bei den viel häutiger, wie gesagt, an den Waugen 
auftretenden Knoten näher nachforscht, so ergiebt sich mit geringen 
Ausnahmen, dass die Knoten auf derjenigen Wange sich finden, 
welche, beim Tragen des Kindes auf dem Arme, dem Gesichte der 
Mutter resp. der Wärterin zugekehrt ist. Es ist mir wahrscheinlich, 
dass hier das immer und immer wiederholte Küssen der Wange 
schädigend einwirkt unter der Voraussetzung, dass bei der Trägerin 
des Kindes eine tuberculöse Lungenaffection vorliegt, welche die 
Beimischung von Sputabestandtheilen zum Speichel bedingt. Für 
die inficirten Kinder selbst kommt aber in der Mehrzahl der von 
mir beobachteten Fälle eine erbliche Belastung, d. h. grössere Em¬ 
pfänglichkeit der kindlichen Gewebe für das Haften des tubercu¬ 
löse n Giftes in Frage. 

Die erbliche Belastung ist das dritte Moment, welches die Ein¬ 
impfung des Tuberkelgiftes in die Haut begünstigen muss. Ob wir 
unter Obigem eine verringerte Widerstandsfähigkeit, eine leichtere 
Verletzlichkeit, eine mangelhaftere Ernährung der Hautdecke anzu¬ 
nehmen haben, steht dahin. Sollte die Aufnahme des Tuberkelvirus 
durch die Sehweissdrüsen sich erweisen lassen, so wären möglicher¬ 
weise anatomische und physiologische Besonderheiten in Bezug auf 
Beschaffenheit und Secretion des Schweissdrüseuapparates zu er¬ 
warten. 

In den Fällen, wo das Eindringen der Infection von Ver¬ 
letzungen, von Operationswunden oder von Geschwüren aus be¬ 
schrieben worden ist, wird mehrfach die erbliche Belastung als be¬ 
günstigend angeführt. — Bei der Autoinfectiou haben wir die Em¬ 
pfänglichkeit der Haut, bei erblich belasteten Individuen für das 
Haften des Tuberkelgiftes als eine feststehende Erfahrung bereits 
gekennzeichnet. Nur muss hinzugefügt werdeu, dass auch hier die 
längere Berührung der spezifischen Se- und Excrete sowie die 
Zersetzung der das Tuberkelgift enthaltenden Flüssigkeiten, erstens 
durch Maceration und zweitens durch die reizenden Eigenschaften 
der sich zersetzenden Flüssigkeiten, also auf chemischem oder ent¬ 
zündlichem Wege den Boden für die Einimpfung des Tuberkelgiftes 
empfänglicher gestalten muss. Wird doch auch das Haften des 
Tuberkelgiftes auf chronischen Ekzemen, z. B. auf den Kopfekzemen 
bei Kindern von den meisten Forschern heute zugegeben. — Dabei 
sehen wir auch hier wiederum, dass die Berührung der Haut mit 
dem Eiter tuberculüser, erweichter Heerde in Knochen oder Lyiuph- 
drüsen weniger wirksam sich erweist, als das dünnflüssige, synovia- 
ähnliche, fadeuziehende Secret, das aus auf Knochen- oder Drüsen¬ 
heerde führenden Fisteln herauskommt, oder als der Nasenschleim, 
oder der Speichel, oder die dünnflüssige Secretion aus dem Mittel¬ 
ohr, denen die verschiedenen scrophulösen Ekzeme an den unteren 
Oeffnungen der Mund-, der Nasenhöhle resp. des äusseren Gehör¬ 
ganges ihre Entstehung verdanken. 

Wie aber verhält es sich mit der Infection des Gesammtorga- 
uismus durch das Tuberkelgift von der Haut aus? — 

Von keiner Stelle dringt das tuberculöse Virus so schwer in 
den Gesammtkörper ein, als von der allgemeinen Hautdecke. — 
So mancher Leichentuberkel, so mancher Tuberkelkuoten in der 
Haut, ja selbst tuberculös inficirte Geschwüre verschwinden oder 
heilen spontan aus, ohne Schädigung des Individuums, selbst ohne 
Infection der zunächst gelegenen Lymphdrüseu. Allein, wenn auch 
das tuberculöse Gift sich in der nächsten Lyrophdriise oder Lyrnph- 
drüsengruppe abgelagert hat, so kann es dort Monate, Jahre, ja 
das ganze Leben lang, wie genugsam bekannt, verbleiben, ohne 
den Gesammtkörper zu iuficireu. Wie viele Menschen weisen 
mit käsigen Heerden durchsetzte suboccipitale und nuchale oder 
noch häufiger submandibulare resp. seitlich am Halse befindliche 
infiltrirte Lymphdrüsen auf, ohne jemals eine tuberculöse Infection 
durchzumachen. — Die bisher beschriebenen Fälle von genau er¬ 
wiesener primärer Hauttuberculose zeigen genau dieselben Ver¬ 
hältnisse. 

Gerade die primäre Hauttuberculose führt uns am lehrreichsten 
den Unterschied zwischen der so zu sagen localen Giftigkeit des 
tuberculöseu Virus gegenüber der rasch im ganzen Organismus sich 
bethütigenden Infectiosität des syphilitischen Giftes vor. Halten 
doch Manche die primäre luetische Infection von der Haut namentlich 
von den Fingern aus, für besonders verhängnissvoll für den Orga¬ 
nismus. So nähert sich die inficirende Kraft des Tuberkelgiftes vou 
der Haut aus in Bezug auf die Schnelligkeit der Durchseuchung des 
Gesammtorganismus eher den sogenannten echten Geschwülsten, 
vor Allem den Hautkrebsen, von denen wir wissen, dass sie Jahre 
lang, verkannt und misshandelt, bestehen können, ehe sie ihren 
wahren Charakter offenbaren. 

Letztere Analogie zwischen so verschiedenen Dingen, wie ein 
cutauer Tuberkelknoteu und eine carciuomatöse Hautwarze, führt 
uns darauf hin, die geringe Infectiosität des primären Hauttuberkels 
nicht in dem tuberculösen Gifte als solchem, sondern vielmehr in 


der Beschaffenheit des Organes zu suchen, in welchem eben¬ 
genanntes Gift zur Ansiedelung gelangt ist. 

Von der Oberfläche des Athmungsapparates oder von der 
Schleimhaut des Darmcanals inficirt das tuberculöse Gift, wie wir 
wissen, den Gesammtkörper oft mit überraschender Schnelligkeit. 
— Da für die Gesammtinfectiou das Eindriugen des Giftes in den 
Blutstrom Bedingung ist, so muss in der Haut eine so strenge Son¬ 
derung zwischen den Blutbahnen uud dem Lymphgefässsystem be¬ 
stehen, dass nur unter besonderen Bedingungen direkt von der 
Haut oder von den die Lymphe derselben abführenden Drüsen eine 
Ueberschwemmung des Blutkreislaufes mit Tuberkelgift zu Staude 
kommt. 

Die Keuutnisse über die Verbreitung der Lymphgefässe, na¬ 
mentlich deren erste Wurzeln innerhalb der menschlichen Haut, 
sind noch ziemlich unvollkommen. Ihre geringen Beziehungen zu 
den kleineu Blutwegen ergeben sich aber schon aus dem klinischen 
Verlaufe gewisser Intoxicationen, wie des Erysipels, der Lymphan- 
gitis und Perilymphangitis. Ebenso finden wir bei Entwicklung 
von Varicen, z. B. an den Beinen, dass, falls neben den Wucherungen 
der capillaren cutanen Veneuästchen auch die kleinen Lymph- 
gefüsse in Wucherung gerathen, beide Formen, die Blut- und die 
Lymph varicen, gesondert neben einander in voller gegenseitiger Un¬ 
abhängigkeit aufzutreten pflegen. 

Das Eindriugen des Tuberkelvirus von der Haut aus in die 
Blutbahn und somit eine raschere Gesammtinfectiou wird aber sich 
einstellen, wenn Traumen den Impftuberkel treffen und seinen Zer¬ 
fall anregen, noch mehr wenn dieser Zerfall durch Einwirkung 
phlogogener oder pyogener Stoffe eingeleitet wird. — Dann handelt 
es sich um jene Mischiufectioneu, auf welche in neuerer Zeit von 
Kraske und Anderen mit Recht hingewiesen worden ist, und 
von denen wir seit Alters her wissen, dass sie (namentlich von 
den Drüsen, von den Gelenken und den Knochen aus) oft über¬ 
raschend schnell die tuberculöse Infectiou des Gesammtkörpers im 
Gefolge haben. 

IV. Fluorwasserstoffsäure - Inhalationen bei 
Tuberculöse der Lungen. 

Von Dr. C. Gager in Arco-Gastein. 

Als R. Koch seine Epoche machende Entdeckung im Jahre 
1882 in der physiologischen Gesellschaft zu Berlin vortrug und 
mit dem Satze schloss: „Wir können mit Fug und Recht sagen, dass 
die Tuberkelbacillen nicht bloss eine Ursache der Tuberculöse, son¬ 
dern die einzige Ursache derselben sind und dass es ohne Tuberkel¬ 
bacillen keine Tuberculöse giebt,“ gab man sich der sicheren Hoff¬ 
nung hin, bald grosse Fortschritte in der Therapie dieser verhee¬ 
renden Krankheit zu erreichen. 

Allerdings werden in neuerer Zeit Ansichten kund gegeben, 
dass die Frage, ob die Tuberkelbacillen das Primäre und die 
Ursache der Tuberculöse seien, oder dass die Bacillen als ein 
Pjzduct der Krankheit angesehen werden müssen — noch schwe¬ 
bend sei. 

Brelimer 1 ) behauptet, dass „sich die Phthise im Menschen 
selbst vorbereitet“ uud dass „die Bacterienbildung in der Zelle 
beginnt.“ Pogacnik 2 ) kommt auf Grund seiner Auswurfunter¬ 
suchungen zu der Behauptung: es sei nicht ganz zweifellos, dass 
bei Tuberculöse immer und nur bei Tuberculöse die Tuberkel- 
bacilleu Vorkommen, und dass die Menge der aufgefundenen Tuberkel- 
bacilleu niemals mit der Schwere des Krankheitsfalles übereinstimmt. 
Bevor nicht weitere positive Beweise aufzuweisen sind, steht Koch's 
Ansicht unerschüttert da. 

Es wäre zu weitläufig anzuführen, in welcher Weise die Frage 
des Verhältnisses der „Disposition“ zum Tuberkelbacillus schon 
erörtert wurde. 

Es ist allbekannt, wie vielerlei Behandlungsmethoden schon vor 
und seit Koch’s Entdeckung vorgeschlagen und versucht worden 
sind. Der kühnen Vorschläge und Versuche chirurgischer Eingriffe 
Erwähuung gethan, führe ich nur die Inhalationen von Bacterium 
termo (Cantani), Stickstoff (Steinbrück und Krull), schwefeliger 
Säure (So 11 and), Anilin (Kremjansky), Borax, Carbol, Eucalyptol, 
weiter subcutane Injectionen von Carbol (Till au und Petit), In¬ 
jektionen von Kreosot und Jodtinctur in das Lungeugewebe (Koch), 
Irrigation der Lunge mit Sublimatlösung (Riva), die auch durch 
Statz, Dujardin-Beaumetz, Pävay, Schuster und Andere 
versuchten Bergeon’schen COa HS Rectalexhalationen, dann die 
Behandlung mit benzoesaurem Natron (Rokitansky), mit Men- 

l ) Die Therapie der chron. Lungenschwindsucht, 1887. 

*) VI. internationaler Congress für Hygiene und Demographie zu Wien, 


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19. Juli. 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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thol (Rosenberg), Arsen (Büchner), Guajacol (Sahli), Kreosot 
(0. Fräntzel-Soram erbrodt) etc. etc. 

Die neueren Versuche von Brown-Sequard beweisen es 
aufs Neue, dass vor Allem „Luft, Luft, mehr Luft“ die Hauptsache 
in der Therapie der Lungentuberculose ist und bleibt. 

Die günstigen Erfolge von Görbersdorf, Falkenstein, Davos 
und anderen Höhen- und klimatischen Curorten — wenn diese auch 
nicht in immuner Zone liegen — beweisen es zur Genüge, dass iu 
vielen Fällen Luft nebst guter Ernährung und Hydrotherapie (Breh- 
mer, Winternitz, Dettweiler) allein genügt, die Weiterentwick¬ 
lung der Tuberculose zu hindern, sie oft zu heilen. 

Dennoch nimmt es uns nicht Wunder, wenn immer wieder 
neuere Methoden in der Behandlungsweise der Lungentuberculose 
auftauchen. Bevor nicht durch hinreichende Versuche und Control¬ 
versuche genügendes Beweismaterial geliefert ist, kann man sich 
weder pro noch contra über jede neuere Methode aussprechen. 

Die besonders ätzende Eigenschaft der Fluorwasserstoffsäure 
(F1H) lässt wohl a priori voraussetzen, dass man mit ihr thera¬ 
peutische Versuche kaum wagen dürfte; dennoch sprechen die Er¬ 
fahrungen, welche tagtäglich in Glasfabriken gemacht werden, gegen 
diese Anschauung. 

Hiermit auf die Fluorwasserstoffsäure-Inhalationen hingewiesen, 
waren es Seiler und Garcin, die über diesbezügliche Versuche 
an Lungenkranken zuerst berichtet haben. Eiue Commission der 
Academie de medecine, bestehend aus Fereol. Proust und Herard. 
berichteten in der Sitzung vom 22. Nov. 1887 über die Erfahrungen 
der Fluorwasserstoffsäure-Inhalationen. 

Aus einem Auszuge dieses Berichts: „Traitement de la phthisie 
pulmonaire par les inhalations d’acide fluorhydrique“ von Herard 
entnehmen wir Folgendes: 

Man machte die Erfahrung, dass Arbeiter in Glasfabriken, 
welche sich in Flusssäuredämpfen aufhielten, über keine besonderen 
Beschwerden klagten, und dass Brustschwache und brustkranke 
Arbeiter durch diese Einathmungen Erleichterung fanden. 

Im Jahre 1862 wurde Bastien hierauf aufmerksam und ver¬ 
suchte diese Flusssäure-Einathmungen in Fällen von Schwindsucht, 
Asthma, Keuchhusten und Diphtherie mit angeblich gutem Erfolg. 

Im Jahre 1866 wurden in der „Salpetriere“ durch Bouchard 
in Gemeinschaft mit Charcot einige diesbezügliche Versuche ge¬ 
macht. ohne befriedigende Resultate zu erzielen. 

Bastien und Bergeron stellten weitere Versuche bei Croup 
an. mit angeblich gutem Erfolg. 

In der Sitzung der „Academie de medecine“ vom 21. Juli 1885 
berichtet Seiler über günstige Erfolge mit Flusssäure-Inhalationen. 
Zur selben Zeit stellte auch Dujardin-Beaumetz Versuche mit 
Flusssäure au, über welche sein Schüler Chevy 1885 eine Abhand¬ 
lung publicirte, in welcher die „antifermentative“ und „autiputride“ 
Wirkung der Flusssäure uachgewiesen wird. Eine Lösung von 
1 Flusssäure auf 2000 besitzt noch genannte Fähigkeit. Jedoch 
war die Anzahl der durch Dujardin-Beaumetz behandelten Fälle 
so gering, dass kein strenger Schluss gezogen werden konnte. 

1886 theilt Seiler auf dem „C'ongres de l'association pour 
Tavaucement des Sciences“ zu Nancy neuerdings seine Erfahrungen 
über günstige Erfolge mit. 

1887 berichtet Garcin in der Sitzung der „Academie de me¬ 
decine“ vom 20. September über 100 Fälle, welche mittelst Fluss- 
säure-Inhalationeu mit günstigem Erfolg behandelt wurden. Von 
diesen 100 Fällen solleu 35 gänzlich geheilt wordeu sein, bei 41 
konnte Besserung des Krankheitszustandes constatirt werden, 14 Fälle 
blieben unverändert, und 10 Todesfälle waren zu verzeichnen. 

Herard überprüfte die einzelnen Fälle und bestätigte die an¬ 
gegebenen Resultate vollinhaltlich; nur wirft er in seiner Ausein¬ 
andersetzung die Frage auf, ob diese 35 geheilten Fälle auch für 
die Folge geheilt bleibeu? 

Hypolyte Martin gelang es wohl, die Entwickelung der Tu- 
berkelbacillenculturen durch Zusatz von V 20000 Flusssäure zu ver¬ 
hindern, doch seine Thierimpfversuche sind nicht ausreichend. 

Herard erzeugte durch mit Wasser verdünntes und zerstäubtes 
Sputum,“ welches von Tubereulösen stammte, bei Kaninchen und 
Meerschweinchen Inhalationstuberculose. Diese Thiere unterwarf er 
dann Flusssäure-Inhalationen, wodurch er zwar keine Heilung, aber 
Besserung des Zustandes erzielte; er glaubt dies durch Sections- 
-befunde, Bildung von Narbengewebe und theilweise Verkalkung der 
Tuberkeln, nachzuweisen. 

Die technische Ausführung der Inhalationen war verschieden. 
Bergeron liess in der Nähe des Kranken die Flusssäuredämpfe in 
statu nascendi entwickeln. In einem Bleigefiiss, welches in einem 
durch Spiritusflarame erhitzten Wasserbade stand, rührte er 60 g 
Flussspath mit genügender Menge reiner Schwefelsäure zu einem 
Brei an und hiess den Patienten sich den Dämpfen möglichst zu 
nähern. Dujardin-Beaumetz und Chevy verdampften auf einer 


Bleitasse über dem Wasserbade 20 g einer Flusssäurelösung und 
leiteten die Dämpfe in ein 22 cm fassendes Holzhäuschen, in 
welchem die Kranken sassen. Das Verhältniss der Flusssäure zum 
Volumen der Luft war 1:25 000; wohl eine sehr geringe Concen- 
tration. 

Seiler benutzte anfänglich kleine Flaschen aus Guttapercha; 
durch den Pfropfen passirten zwei Röhren, deren eine bis zum Boden 
des Gefasses reichte, die andere war kurz, so dass sie nicht in die 
— in der Flasche befindliche — Flusssäurelösung reichte. Dieses 
kurze Rohr endigte nach aussen in ein Mundstück. 

Gegenüber dieser Art der Inhalation — wobei die Flusssäure¬ 
dämpfe in zu direkte Berührung mit den Schleimhäuten der Luft¬ 
wege kommen — ist jene durch Seiler später geübte Methode vor- 
zuzieheu, bei der nämlich die durch die Flusssäurelösung getriebene 
Luft, die flüchtig gewordene Säure mit sich reissend, in eine Cabine 
geleitet wird. 

Nach Herard, Garcin und Seiler vertragen die Patienten 
die Inhalationen gut, ohne Auftreten lästiger Erscheinungen; nur 
im Anfänge klagen sie über heftiges Jucken und Brennen in den 
Augen, in der Nase, im Kehlkopf und selten auf der Brust. Die 
meisten Patienten finden Erhöhung ihres Appetites, oft auffallendes 
Hungergefühl, Verminderung des Hustens und Auswurfes. In vielen 
Fällen Besserungen des physikalischen Befundes. Zum Schlüsse 
spricht sich Herard dahin aus, dass man mittelst Fluorwasserstoff¬ 
säure-Inhalationen in Fällen von Anfangsstadien der Lungentuber¬ 
culose wohl sehr gute Erfolge erzielen könnte. 

Neuere Mittheilungen über Flusssäure-Inhalationen erhielten wir 
von Prof. Lepine in Lyon. 1 ) Er berichtet über 7 Lungenkranke, 
die er täglich 2 — 3 Mal inhaliren liess. Alle, mit Ausnahme eines, 
nahmen an Körpergewicht zu, vertrugen die Inhalationen gut, und 
ein Weiterverbreiten des Krankheitsprocesses wurde nicht constatirt. 

Diese verhältnissmässig günstigen Resultate veranlgssten mich, 
Versuche mit dieser Methode anzustellen. 

Ohne auf weitere theoretische Erörterungen einzugehen, komme 
ich zu dem Bericht meiner Versuche. 

Ich behandelte im Verlaufe von drei Monaten 17 Fälle von 
Lungentuberculose mittelst. Fluorwasserstoffsäure-Inhalationen. 

Eine Abtheilung — 8 cbm — eines im Freien aufgestellten 
Holzhäuscl\ens diente als Inhalationscabine, inneu mit Tapete aus- 
gekleidet, Thür und Fenster dicht verschlossen, so dass nur ein 
Minimum der Säure entweichen konnte, ln dieser Cabine sassen 
die Patienten, zum Schutze ihrer Kleider in Leintücher gehüllt. 

Aus einer Nebenabtheilung des wetterfesten Häuschens, wo die 
FIH-Dämpfe producirendeu Apparate ihre Aufstellung fanden, wurde 
mittelst Bleiröhre die flüchtig gewordene Säure in die Cabine ge¬ 
leitet. Diese Röhre mündete im Mittelpunkt der Decke des Iuha- 
lationsraumes. 

Anfänglich benutzte ich den Seil er’sehen Apparat, da aber 
bei diesem die Menge der durch die — FIH-Lösung enthaltende — 
Guttaperchaflasche getriebenen Luft nicht cxact gemessen werden 
konnte, und die Pariser Flaschen nicht dicht schlossen, construirte 
ich aus einfachen Bestandtheilen — ein die Luft contiuuirlich ab- 
gebender Blasebalg, Gasuhr und 3halsige Guttaperchaflasche (1 Lit. 
Inhalt) mit Kautschukpfropfen nebst den nöthigen Kautschuk- und 
Bleiröhren — einen Apparat, welchen ich seither stets benutzte, 
ohne die geringste Störung in der Functioniruug zu erfahren.-) 

Flusssäure bezog ich in guter Qualität — in einer Stärke von 
46— 54% = 28 — 320 Beaume — theils aus der chemischen Fabrik 
C. A. F. Kah 1 bäum (Berlin), theils von H. Naschold (Aussig a. E.). 
Hier und da enthielten die Säuren geringe Mengen von scliwefeliger 
Säure, selten HS in minimaler Menge. Jedenfalls sah ich bei meinen 
Patienten hierdurch keine nachtheilige Wirkung. Wenn die Neben- 
bestandtheile vorhanden waren, so wurden diese grösstentheils schon 
in den ersten 5—10 Minuten des Betriebs aus der Lösung flüchtig, 
und es genügte dann, die Cabine einige Minuten hindurch zu lüften, 
um dann die Inhalation fortzusetzen. Da die Luft in dem kleinen 
Raum von 8 cbm bei gutem Verschluss der vorhandenen Ocffnungen 
rasch verbraucht war, so ward es nöthig, während der Sitzung von 
einer Stunde 3—8 mal auf 2—3 Minuten zu lüften. 

Ich liess meine Patienten täglich eine Stunde inhaliren; in 
letzterer Zeit machten einige auch täglich zwei Sitzungen durch, 
vou der Dauer einer Stunde. 

Es inhalirten Patienten einzeln und auch 2 — 3 gemeinsam. 
Bei den ersten Sitzungen liess ich pro Kopf und Stunde 80—100 
Liter Luft eintreiben; später als sich die Patienten nach 5—8 
Sitzungen an die Säure gewöhnten, wurden 150—600 Liter Luft — 


') „Semaiue medicale“ vom ‘22. Februar 1888. 

8 ) Diese Bestandteile bezog ich von der bekannten Firma R. .Siebert. 
K. K. Hoflieferant, Wien, Alserstras.se 19. Herr Siebert construirte auch 
nach meiner Angabe einen handlichen transportablen »Fl H-Inhalatious- 
Apparat*, welchem eine Gebrauchsanweisung beiliegt. 


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DEUTSCHE MEDICLNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


596 


mit Fl H geschwängert — pro Kopf und Stunde in den Inhalations¬ 
raum geführt. 

Die 3halsige Kautschukflasche wurde mit 100 g destillirtem 
Wasser gefüllt und hierzu 30 g der 30—32° Beaume starken Fluss¬ 
säure gegossen und nun das Inhaliren begonnen. Bei jeder nächst¬ 
folgenden Sitzung wurden neuerdings 30 g F1H zugegossen und dies 
so lange fortgesetzt, bis sich in der Kautschukflasche 280 — 300 g 
Flüssigkeit ansanimelte; hierauf wurde die Flasche entleert und 
wieder mit 100 g destill. Wasser —|- 30 g F1H gefüllt, so dass jeden 
vierten bis achten Tag, je nach dem Gebrauch, die ganze Flüssig¬ 
keit erneuert wurde. 

Ich fand, dass das Quantum der flüchtig gewordenen Säure 
zur Aussentemperatur in geradem Verhältniss stand; an warmen 
Tagen bemerkten alle Patienten, dass „die Inhalation stärker ge¬ 
wesen sei“, warum ich auch an solchen Tagen ein geringeres Luft- 
quantuin einpumpen Hess. 

Die Flusssäure hat ein spec. Gewicht vou 1,06 und siedet bei 
19. 5° C, erstarrt aber bei 34° C noch nicht. Der niedrige Siede 
punkt der Säure erklärt obige Beobachtung. Chemisch quantitativ 
genau festzustellen, wie viel Säure in einem Liter eingepumpter 
Luft enthalten ist, ist schon darum nicht leicht auszuführen, 
weil durch stete Abnahme der Säureconcentration während der 
Inhalation die iu die Cabine einströmende Luft verhältnissmässig 
fort und fort an Säuregehalt geringer wird. Um die Menge der 
in einer Sitzung verbrauchten Säure zu berechnen, wäre es 
nöthig, vor und nach der Inhalation mittelst Aerometer die Säure 
lösuug zu prüfen und ausserdem zu titriren; hierzu hatte ich weder 
die nöthigeu Apparate, noch Zeit, bin auch der Meinung, dass bei 
diesem Verfahren — bei der so flüchtigen Beschaffenheit der Säure 
— leicht Fehlerquellen uuterlaufen. 

Mittelst Lackmuspapier stellte ich Messungen an, um die Ver- 
theilung der Säure in der Iuhalationscabinc zu bestimmen, und 
fand, dass in dem 2 in hohen Raum von 8 cbm die stärkste 
Coucentration des Luftsäuregemenges in der oberen Hälfte, vou 
unten nach oben sich abschwächend, war; dass also in sitzender 
Situation der Kopf des Patienten iu der ziemlich stärksten Säure- 
Luftregion sich befand. Dies ist wohl auch durch den Mechanismus 
der Lufteinströmung in die Cabine erklärlich. 

Nur solche Patienten wurden der Kur unterzogen, in deren 
Auswurf Tuberkelbacillen zu finden waren. Mein Zweck war eben 
in erster Linie, die „antibacilläre“ Wirkung an Patienten zu prüfen. 
Bei allen Patienten wurden der Urin und die Nieren untersucht 
und nur nach Constatirung. dass in dieser Sphäre keine Complieation 
vorhanden, die Cur begonnen. 

Bei den Auswurfuntersuchungen bediente ich mich ausschliess¬ 
lich der Koch-Ehrlich'sehen Färbungsmethode und benutzte zur 
mikroskopischen Untersuchung 1000fache Vergrösserung mitAbbe- 
sehem Beleuchtungsapparat (Reichert. Wien), ln zweifelhaften 
Fällen wurden die Präparate mit Oelimmersion bei 1500facher 
Vergrösserung untersucht. — Alle Patienten fühlten in den ersten 
3—S Sitzungen Brennen in den Augen, Brennen und Jucken in der 
Nase, welches oft durch Niesen und grössere Secretion der Naseu¬ 
schleimhaut begleitet war, wonach einige Tage hindurch der 
„Schnupfen“ anhielt. Weiter leichtes Brennen im Halse und auf 
der Brust. Einzelne Patienten bekamen heftigen Hustenreiz, welcher 
sich nach einigen Sitzungen verlor; Andere klagten, dass sie eine 
Stunde lang nach der Inhalation mehr husten müssen als sonst. 
Mitunter zeigten sich bei Einzelnen Blutstreifeu im Auswurf; in 
solchen Fällen wurde mit der Inhalation einige Tage sistirt. ln 
einem Falle (Neurasthenie) trat öfters während der Inhalation 
Kopfschmerz auf, welcher sich nach der Sitzung bald verlor. Unter 
den 17 Kranken waren 13. welche Erhöhung ihres Appetits und 
oft Hungergefühl nach der Inhalation empfanden. Nur in einem 
Falle war wiederholt leichtes Nasenbluten aufgetreten, welchem 
Symptom durch Verstopfen der Nasenlöcher mit Baumwolle vor¬ 
gebeugt wurde Einer der Kranken litt vor Beginn der Gur oft an 
kleinen Lungenblutungen, dieselben waren während der Cur, bei 
7H Inhalationen, kein einziges Mal aufgetreten; wogegen einer, der 
auch leicht zu Nasenblutungen neigte, wegen einer kleineu Lungen¬ 
blutung die Cur auf einige Tage eiustellen musste und sie später 
ohne nachtheilige Folgen wieder fortsetzte. 

Ich will in Kür/.e die einzelnen Fälle hier anführeu. 

Fall I. Frau von 24 Jahren mit ausgebreiteten Veränderungen in 
beiden Lungen, Tubcrkelbacillcn in spärlicher Anzahl, mit einer vitalen 
Oapaeität von nur 650 ccm. Vou vornherein als hoffnungslos erklärt, be¬ 
nützte 29 Inhalationen und fand keine Besserung des Zustandes. Mit Zu¬ 
nahme des Kräfteverfalles letaler Ausgang. 

Fall 2. Frau von 27 Jahren mit linksseitiger .Spitzeninfiltration und 
beiderseitigem Spitzenkatarrh, früher tubcrculüse Geschwüre an der hinteren 
Larynxwand, welche vernarbt sind. Tuberkelbacillen im Auswurf. Vitale 
Oapaeität 1800 ccm. Musste nach 10 Sitzungen wegon aufgetretenem Kehl- 
kopfkutarrh mit den Inhalationen aussetzen. Nach einer Woche Fortsetzung 
der Cur; nach weiteren 16 Sitzungen abermals Reizzuständo im Kehlkopf 


und Geschwürsbildung an der alten Narbenstelle. Inhalationen wurden 
hierauf eingestellt. Zunahme des Körpergewichtes um 2,5 kg. Athmen 
freier, katarrhalische Geräusche geringerer Ex- und Intensität, Auswurf ge¬ 
ringer, Bacillen unverändert vorhanden, vitale Oapaeität dieselbe. 

Fall 3. Junger Mann von 26 Jahren mit ausgeprägtem Habitus 
phthisicus, beiderseitiger Spitzeninfiltration, Bacillen im Auswurf, vitale Ca- 
pacität 2000. Empfand iu erster Zeit Erregung des Appetites, musste aber 
nach 25 Inhalationen wegen, nach jeder Sitzung auftretendem, heftigem 
Hustenreiz die Our einstellen, ohne jedweden Erfolg erzielt zu haben. 

Fall 4. Mann von 32 Jahren mit Infiltration des linken oberen 
Lungenlappens mit Oavernenbildung, Infiltration der rechten Lungenspitze 
und ausgebreiteten katarrhalischen cousonirenden Rasselgeräuschen, viel Aus¬ 
wurf mit Tuberkelbacillen, vitale Oapaeität 1800. Machte im Ganzen nur 21 
Inhalationen. Der Auswurf verminderte sich, das Körpergewicht nahm 
1,5 kg, die vitale Oapaeität um 150 ccm zu. Nebst Weiterbesteheu der 
Bacillen blieben die Percussiousverhältnisse dieselben, die katarrhalischen 
Geräusche wurden geringer und hatten mehr trockenen Charakter. 

Fall 5. Mann von 30 Jahren mit linksseitiger Spitzeninfiltration und 
Spitzenkatarrh mit klingendem kleinblasigem Rasseln, wenig Hustenreiz und 
Auswurf, früher wiederholt kleine Lungenblutungen, Bacillen im Auswurf, 
vitale Oapaeität 2200 ccm. Machte 78 Sitzungen durch, während welcher 
Zeit kein einziges Mal Bluthusten auftrat Der Auswurf wurde in den 
letzten drei Wochen fünf Mal (20 Präparate) mit Oelimmersion untersucht 
und keine Bacillen gefunden. Zunahme der vitalen Oapaeität um 200 ccm, 
8 kg Körpergewichtszunahme. 

Fall 6. Fräulein von 24 Jahren mit rechtsseitiger leichter Spitzen- 
iufiltratiou und beiderseitigem Spitzenkatarrh. Vitale Oapaeität 2000, Aus¬ 
wurf wenig, Tuberkelbacillen vereinzelt. Nahm 75 Inhalationen. Resultat: 
Bei den letzten fünf Auswurfuntersuchungen keine Bacillen, Auswurf äusserst 
gering, Hustenreiz sehr wenig, die Dämpfung über der rechten Spitze ver¬ 
schwunden und an dieser Stelle bloss verschärftes Athmen; nur in der 
linken Spitze ist noch unbestimmtes Athmen zu finden. Vitale Oapaeität 
und Körpergewicht unverändert. 

Fall 7. Mann von 28 Jahren mit bedeutender Infiltration der rechten 
Lunge, auf die ganze rechte Seite ausgebreiteter Katarrh, leichter links¬ 
seitiger Spitzenkatarrh. Hohes Fieber. Nachtschweisse, viel Auswurf, Tu- 
berkelbaeillen reichlich, vitale Oapaeität 2700 ccm. Nahm in ganzem 37 In¬ 
halationen — täglich 1 Stunde —, während welcher Zeit sich der Zustand zu¬ 
sehends besserte: das Fieber wurde geringer, die Nachtschweisse ver¬ 
schwanden, die Menge des Auswurfes reducirte sich beiläufig auf Vs des 
früheren Quantums, Patient fühlte sich wohl und kräftig, nahm 10 kg an 
Körpergewicht zu, seine vitale Oapaeität erhöhte sich um 200 ccm. Zahl 
der Bacillen wurde geringer. 

Fall 8. Mann von 28 Jahren mit massiger rechtsseitiger Spitzen- 
infiltration und Katarrh, vitale Oapaeität 3300 ccm, Tuberkelbacillen im 
Auswurf. Nahin 72 Inhalationen. Erfolg: Aufhellung des Dämpfungs¬ 
bezirkes mit noch nachweisbarem unbestimmtem Athmen in der rechten 
Spitze. Im Auswurf, welcher sehr vermindert, keine Bacillen; vitale Capa- 
cität 100 ccm, Körpergewicht um 5 kg vermehrt. 

Fall 9. Manu von 20 Jahren mit Infiltration des oberen Lappens der 
linken Lunge mit ausgebreitetem Katarrh in dieser Seite, ausserdem rechts¬ 
seitiger Spitzeukatarrh; viel Hustenreiz und Auswurf mit viel Bacillen: vi¬ 
tale Oapaeität 1800. Nahm 42 Inhalationen. Erfolg: vitale Oapaeität 
200 ccm, Körpergewicht 10 kg mehr, Hustenreiz geringer, Auswurf weniger, 
Athmen freier. Befund der Percussion und Auscultation fast unverändert, 
nur die katarrhalischen Geräusche vermindert. Zahl der Bacillen vermindert. 

Fall 10. Mann von 20 Jahren mit Infiltration des oberen und mitt¬ 
leren Lappens der rechten Lunge, bedeutende Retraction und Bronehi- 
cctasieen. Auswurf viel Bacillen enthaltend, vitale Oapaeität 2200 ccm. 
Nahm 75 Inhalationen. Keine Aenderung des Zustandes, auch keine Ver¬ 
schlimmerung. 

Fall 11. Mann von 26 Jahren mit Retraction beider Lungenspitzen, 
Katarrh in beiden Lungen. Auswurf gering mit wenig Tuberkelbacillen. 
Vitale Oapaeität 1400 ccm. Nahm 54 Inhalationen. Erfolg: Zunahme des 
Körpergewichtes um 1,5 kg, sonst keine Besserung noch Verschlimmerung. 

Fall 12. Mann von 33 Jahren mit leichter rechtsseitiger Spitzen- 
iutiltratiou und Katarrh, geringer Auswurf mit Tuberkelbacillen, tägliche 
Temperaturerhöhung bis 38,8° 0, vitale Oapaeität 2200. Das Fieber ver¬ 
schwand nach der 9. Inhalation vollständig, der Auswurf verminderte sich 
und verschwand zuletzt gauz. Die letzten Auswurfuntersuchungen auf Ba¬ 
cillen fielen negativ aus. Patient nahm 4,5 kg an Körpergewicht zu, die 
vitale Oapaeität vermehrte sich um 600 ccm. Die Dämpfung verschwand 
ganz und blieb nur rauhes Athmen in der rechten Spitze zurück. 

Fall 13. Frau von 23 Jahren mit bedeutender Infiltration und Rc- 
traction der oberen Hälfte der linken Lunge, Oavernenbildung; ausge¬ 
breitete consonirende Rasselgeräusche mit nassem Charakter, amphorisches 
Athmen. Viel Auswurf, viel Tuberkelbacillen, vitalo Oapaeität 1200 ccm. 
Nahm 55 Iuhalationen. Erfolg: 3 kg Körpergewichtzunahme, Verminderung 
des Auswurfes und der Zahl der Bacillen. Percussionsverhältnisse, vitale 
Oapaeität unverändert; Katarrh geringer und mehr trockener Charakter. 

Fall 14. Frau von 25 Jahren mit leichter rechtsseitiger Spitzen¬ 
infiltration und Spitzenkatarrh, viel Hustenreiz, wenig Auswurf mit geringer 
Anzahl Tuberkelbacillen, vitale Oapaeität 3000 ccm. Nahm 55 Inhalationen. 
Günstiger Erfolg, indem die Bacilleu aus dem Auswurf verschwanden, 
Husten und Auswurf sich bedeutend verminderten, dio Därapfuug, bis auf ein 
Minimum in der Spitze, verschwand, und das Körpergewicht um 3,5 kg zu¬ 
nahm. Die vitale Oapaeität blieb unverändert. 

Fall 15. Mann von 27 Jahren mit leichter Infiltration und Katarrh 
der linken Lungenspitze; tuberculöse Geschwüre im Kehlkopf mit peri- 
chondritischen Processen. Vitale Oapaeität 2200 ccm, im Auswurf Tuberkel¬ 
bacillen. Nach 15 Sitzungen bedeutender Reizzustand des Kehlkopfes, 
welcher zum Aussetzen mit den Inhalationen zwang. Nach einer Pause von 


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19. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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fünf Tagen nochmaliger Versuch von zwei Inhalationen, wodurch neuerdings 
Reizung im Kehlkopf, sodass von Fortsetzung der Cur Abstand genommen 
werden musste. 

Fall 16. Mann von 29 Jahren mit beiderseitiger Spitzenaffection, 
Retraction. Dämpfung und consonirendeu Rasselgeräuschen. Vitale Capacität | 
2000 ccm, im Auswurf Tuberkelbacillen. Nach 45 Inhalationen Verminde¬ 
rung des Hustenreizes und Auswurfes zu constatiren, ohne Verminderung 
der Bacillenzahl, 3.25 kg Körpergewichtszunahme, vitale Capacität um 
200 ccm erhöht. Aufhellung der Dämpfung rechterseits. Verminderung des 
Katarrhs- 

Fall 17. Mann von 24 Jahren, mit bedeutender Infiltration beinahe 
der ganzen linken Lunge, mit ausgebreiteten consonireuden Rasselgeräuschen i 
und rechtsseitigem Spitzenkatarrh. Vitale Capacität 1800 ccm, viel Auswurf 
mit viel Tuberkelbacillen; tägliche Temperaturerhöhungen von 38—38,9« 0. 
Nahm 80 Inhalationen. Resultat: Verminderung der Menge des Auswurfes, 
der katarrhalischen Geräusche; 3 kg Körpergewichtszunahme. Fieber verlor 
sich nicht, Bacillen ebenfalls nicht. Vitale Capacität unverändert. 

Aus angeführten Fällen ersehen wir: a) Dass in fünf Fällen 
die Bacillen aus dem Auswurfe verschwunden sind, mit welchem 
Symptom auch eine bedeutende Besserung des physikalischen Be¬ 
fundes übereinstimmt. Diese Fälle als geheilt zu betrachten, wären 
wir erst dann berechtigt, wenn die auf einige Jahre hinausreichende 
Controlle das Andauern des erzielten Erfolges bestätigte. 

b) In sieben Fällen war mehr oder weniger Besserung des phy¬ 
sikalischen Befundes zu constatiren. 

c) Körpergewichtszunahme ist bei zwölf Patienten nachweis¬ 
bar gewesen; nur steht dieselbe nicht immer im geraden Ver- 
hältniss zur günstigen Gestaltung der physikalischen Verhältnisse. 
Im Falle 6, wo die Bacillen aus dem Auswurfe verschwanden und 
der physikalische Befund sich besserte, war keine Zunahme des 
Körpergewichtes. Im Falle 11 war keine Besserung nachzuweisen, 
und dennoch eine Körpergewichtszunahme, von allerdings nur 1,5 kg, 
zu constatiren. 

d) Von drei fiebernden Patienten verlor einer — Fall 12 — 
das Fieber ganz, bei demselben verschwanden Auswurf und Ba¬ 
cillen; im Fall 7 verminderte sich das Fieber, wogegen im Falle 17 
das Fieber nach wie vor fortbestand. 

e) Einer der Patienten — Fall 7 — litt an Nachtschweissen 
und verlor dieselben. 

f) Die vitale Capacität erhöhte sich in sieben Fällen um 100 
bis 600 ccm. 

g) Die Fälle 2 und 15 sprechen dafür, dass bei Kehlkopf- 
affectionen die Fl H-Inhalationen nicht anzuwenden seien, da an 
der Kehlkopfschleimhaut bedeutende Reizerscheinungen hervorgerufen 
werden. Diese Thatsache spräche wohl gegen die heilsame Wir¬ 
kung der Inhalationen, man müsste ja voraussetzen, dass tuber- 
culöse Geschwüre in erster Linie günstig beeinflusst würden. Es 
ist möglich, dass in solchen Fällen mit ganz schwachen und nicht 
zu oft hinter einander folgenden Inhalationen ein Erfolg zu er¬ 
zielen wäre. 

h) Inclusive des einen Falles von Kelilkopfaffection habe ich 
im Ganzen bei fünf Patienten gar keinen Erfolg aufzuweisen. 

i) Ein Fall endigte letal. Er betraf eine junge Dame mit be¬ 
deutenden Veränderungen in den Lungen, und war der Fall bereits 
von Seiten mehrerer Autoritäten (Leyden, Dettweiler) als hoff¬ 
nungslos hingestellt. 

j) Zum Schlüsse noch die Thatsache, dass nachtheilige schäd¬ 
liche Wirkungen dieser Inhalationen nicht beobachtet wurden. 

Ich bin in der Lage, durch meine Versuchsergebnisse die Mit¬ 
theilungen der französischen Autoren — Seiler, Garcin, Lepine 
— zu bestätigen und glaube, dass die durch mich erzielten Erfolge 
zu weiteren Versuchen mit dieser Methode ermuthigen. 

Es soll der Zukunft Vorbehalten bleiben, nachzuweisen, ob 
absolute positive Heilungen mit den Fluorwasserstoffsäure-Inhala¬ 
tionen zu erzielen sind, und somit ein endgültiges Urtheil über die 
Berechtigung dieses Heilverfahrens nicht gefällt werdeu. 

V. Ueber Lungentuberculose. 

Von Prof. C. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 28.) 

Die anatomischen Veränderungen bei der Lungenschwind¬ 
sucht sind so äusserst. mannichfaltig, dass wir uns nicht wundern 
können, wenn man in neuerer Zeit vom anatomischen Standpunkt 
aus vielfach geglaubt hat, es in Zweifel ziehen zu müssen, ob man 
dabei wirklich mit einer einheitlichen Krankheit zu thun habe. In 
den letzten Jahren, seitdem die ätiologische Einheit der Tuberculose 
durch den Nachweis eines specifisehen Krankheitserregers dargethan 
wurde, haben diese Zweifel ihre Berechtigung verloren. Bei der 
Syphilis sind die anatomischen Veränderungen vielleicht noch viel¬ 
gestaltiger; wäre diese Krankheit zunächst vom anatomischen Stand¬ 
punkt aus bearbeitet wordeu, so würden wir eine Uuzahl von ver¬ 
schiedenen Krankheiten erhalten haben; da aber bei derselben die 


einheitliche Aetiologie sehr deutlich zu Tage lag, so hat man zu 
keiner Zeit daran gezweifelt, dass alle die höchst verschiedenartigen 
Krankheitsprocesse in Wirklichkeit zusammen gehören, und auch 
die Anatomen haben sich dieser Erkenntniss gefügt und dann nach¬ 
träglich, wenn auch bisher mit zweifelhaftem Erfolg, versucht, 
wenigstens noch eine histologische Einheit herauszufinden. 

Laennec hat bei den tuberculösen Veränderungen unterschieden 
die infiltrirte Tuberculose und die Miliartuberkulose, und diese Ein- 
theilung kann im Wesentlichen auch jetzt noch beibehalten werdeu. 

Die infiltrirte Tuberculose entspricht einigermaassen dem, 
was wir als chronische Pneumonie bezeichnen. Doch ist das Ver- 
hältniss der chronischen Pneumonie zur Tuberculose, wie schon 
früher dargelegt wurde, nicht ganz einfach. Chronische Pneu- 
monieen können ohne jede Mitwirkung tuberculöser Infeetion ent¬ 
stehen, und in manchen Fällen findet auch ein Uebergang in Tuber¬ 
culose nicht statt. Es bilden aber die chronischen Pneumonieen 
einen günstigen Bodeu für die Ansiedelung des Tuberkelbacillus, 
und so geschieht es freilich in der Mehrzahl der Fälle, dass nach 
kürzerem oder längerem Bestehen der chronischen Pneumonie eine 
Infeetion mit Tuberculose erfolgt uud dadurch weitere Veränderungen 
der chronisch-pneumouischen Herde zu Stande kommen Am meisten 
sind zum Uebergang in Tuberculose geneigt die lobäre und lobuläre 
chronische Pneumouie und ferner die Bronchopneumonie oder Peri- 
brouchitis, während die interstitielle Pneumonie weit häufiger auf 
die Dauer dem Eindringen des Tuberkelgiftes widersteht, aber oft 
durch Entwickelung von bronchiektatischen Cavernen ein für ober¬ 
flächliche Betrachtung einigermaassen ähnliches Krankheitsbild dar¬ 
stellt. Auf der anderen Seite wird durch tuberculöse Infeetion 
häufig chronische Pneumouie hervorgerufen. Es können unter der 
difFusen Einwirkung des Tuberkelgiftes ausgedehnte lobäre Infiltra¬ 
tionen zu Staude kommen, bei denen zuweilen die Schnittfläche 
deutlich granulirt ist, und die dann einer fibrinösen Pneumonie ent¬ 
sprechen (s. o.), während in anderen Fallen die Schnittfläche nicht 
granulirt, sondern gleichmäßig glatt, feucht und glänzend ist und 
der gelatinösen Infiltration Laennec's entspricht. — Wenn zer¬ 
fallene tuberculöse Massen in die Lungenalveoleu aspirirt werdeu, 
so wirken sie entzündungserregend, uud es entstehen durch Infiltra¬ 
tion einzelner Lungenläppchen lobuläre chronische Pneumonieen. — 
Wenn das Tuberkelgift in einem Bronchus sich festgesetzt hat, so 
kann es durch die Wandungen des Bronchus hindurch auf das um¬ 
gebende Lungengewebe sich weiter verbreiten und Bronchopneu¬ 
monie oder Peribronchitis hervorrufen. — Endlich entseht nebeu 
Tuberculose gewöhnlich eine Wucherung des interstitiellen Binde¬ 
gewebes, eine interstitielle Pneumonie, welche häufig durch Narben- 
bilduug, durch Abkapselung oder durch Verödung des befallenen 
Lungenabschnittes das Fortschreiten der Tuberculose beschränkt 
und eine unvollständige oder vollständige Heilung vermittelt. 

Die chronisch-pneumonischen Infiltrationen pflegen, wenn Tuber¬ 
culose schon bei ihrer Entstehung betheiligt war, oder wenn sie 
später hinzukommt, die käsige Umwandlung einzugehen, die man 
auch als Tuberculisation bezeichnet hat. Dabei wird sowohl das 
Exsudat als auch das infiltrirte Lungengewebe allmählich nekrotisch 
und in eine gelbliche, trockene, käseähnliche Masse umgewandelt, 
welche mikroskopisch aus Detritus, Fettkörnchen, geschrumpften 
Zellen und Kernen besteht und Tuberkelbacillen enthält. Diese 
käsige Masse kann zum Theil resorbirt werden, zum Theil ver¬ 
kalken; doch geschieht dies gewöhnlich uur bei kleinen Herden; 
in der Regel beginnt sie später zu erweichen, und zwar geht diese 
Erweichung häufig von einem Bronchus aus, während in den an¬ 
deren Fällen der Erweiterungsherd nachträglich in einen Bronchus 
durchbricht; es kann dann die erweichte Masse durch Auswurf 
entleert werden; auch kann ein Theil derselben aspirirt werden und 
in bisher freien Luugentheilen neue Infeetion in Form lobulärer 
Herde bewirken. Nach der Entleerung des Erweichungsherdes 
bleiben kleinere uud grössere Hohlräurae zurück, die sogenannten 
Lungengeschwüre oder Cavernen. Dieselben sind Anfangs von un¬ 
regelmässiger Gestalt, die Wandungen fetzig; die käsige Nekrotisirung 
und der Zerfall schreiten fort, durch C'onfluiren benachbarter Hohl¬ 
räume entstehen Communicationen oder auch grössere vielfach aus¬ 
gebuchtete Cavernen. Dieselben zeigen im Innern häufig leisten- 
oder balkenartige Vorsprünge, die zum Theil aus obliterirten Ge- 
fässen bestehen, deren Wandungen verhältnissmässig lange der Zer¬ 
störung widerstehen. Doch werden zuweilen auch Gefasse zerstört, 
bevor sie vollständig oblitcrirt sind, und dauu entstehen Lungen¬ 
blutungen. Wenn der Zerfall des Gewebes weiter fortschreitet, so 
wird die Caverne allmählich grösser, und der Hohlraura nähert sich 
gewöhnlich mehr der Form einer Kugel oder eines Ellipsoids, wäh¬ 
rend die Innenfläche derselben allmählich mehr und mehr glatt wird. 
Zugleich erfolgt in der Umgebung der Caverne eine Wucherung des 
Bindegewebes, durch welche dieselbe einigermaassen von dem um¬ 
gebenden Gewebe abgeschlossen wird, und durch dessen Retraction 
später wieder eine Verkleinerung der Höhle, bei weniger uinfang- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


reichen selbst bis zur vollständigen narbigen Verschliessung erfolgen 
kann. Alle diese Processe pflegen in den oberen Theilen der Lungen 
zu beginnen und sich allmählich weiter abwärts auszubreiten. — 
Die Pleura nimmt überall da, wo die tuberculöse Infiltration an die 
Oberfläche der Lunge angrenzt, in Form einer chronischen Entzün¬ 
dung an dem Process Theil, und dadurch erfolgt Verwachsung der 
Pleura pulmonum mit der Pleura costalis, so dass eine tuberculöse 
Lunge oft nach allen Seiten oder wenigstens in einem grossen Theil 
ihres Umfanges fest angewachsen oder auch durch mehr schlaffe 
Adhäsionen angeheftet ist. Die venvachsenen Pleurablätter sind 
dabei nicht selten durch Bindegewebswucherung verdickt und können 
Schwarten bis zu 1 cm Dicke bilden, von denen dann oft auch 
noch dicke Bindegewebsstränge ausgehen, welche die Lunge durch¬ 
ziehen. Auch kann zeitweise eine umfangreichere flüssige pleu- 
ritische Exsudation erfolgen. Wenn ein Erweichungsherd oder eine 
schon gebildete Caverne die Pleura pulmonum durchbricht, bevor 
dieselbe mit der Pleura costalis fest verwachsen war, so entleert 
sich der Inhalt in die Pleurahöhle, und zugleich tritt Luft aus: es 
entsteht Pneumothorax. — Die Bronchialdrüsen pflegen schon früh 
auzuschwellen; in denselben bilden sich kleinere oder grössere 
käsige Herde, die später erweichen, in die Bronchien durchbrechen 
und zur Ausbreitung der Krankheit durch Aspiration beitragen 
können. 

Die Miliartuberkel stellen eine zellige Neubildung dar, 
welche aus Knötchen von der Grösse eines Hirsekornes oder auch 
häufig von geringerer Grösse besteht. Sie sind gefässlos und haben 
deshalb nur eine begrenzte Lebensdauer. Das anfangs graue, 
durchscheinende Knötchen geht später die käsige Umwandlung ein, 
wird gelblich-weiss und zerfällt endlich zu erweichter Tuberkel¬ 
masse. Wo die Knötchen an andere tuberculöse Herde angrenzen 
oder zwischen solchen liegen, können sie zur Vergrösserung der 
durch den Zerfall entstandenen Hohlräume beitragen; wo sie zu 
grösseren Gruppen zusammengehänft sind, können sie bei ihrem 
Zerfall für sich kleinere Cavernen bilden. — Die Miliartuberkel 
sind zum grossen Theil secundäre Bildungen: sie entstehen entweder 
in der nächsten Umgebung von anderen tuberculösen Herden, indem 
die Infection durch die Gewebe hindurch oder besonders häufig auf 
dem Wege der Lymphgefässe sich weiter ausbreitet (locale Miliar¬ 
tuberculose. Resorptionstuberkel), oder sie entstehen auch in weiter 
Entfernung von dem ursprünglichen Herd, indem das Krankheits¬ 
gift in das Blut aufgenomraen wird und dann in zahlreichen ver¬ 
schiedenen Organeu das Auftreten von Miliartuberkeln veranlasst 
(allgemeine Miliartuberculose). 

Während inan früher allgemein geneigt war, die Tuberculöse als eine 
Allgemeinkrankheit anzusehen, welche in verschiedenen Organen sich 
localisiren könne, ist man in neuester Zeit immer mehr zu der Erkenntniss 
gekommen, dass die Tuberculöse in der Regel eine locale Krankheit sei, 
welche nur in besonderen Fällen, wenn nämlich gewissermaassen zufällig 
die Krankheitsproducte und damit das Krankheitssift in das Blut gelangen, 
zu einer Allgemeiukrankheit. der allgemeinen Miliartuberculose wird. Man 
hat immer mehr erkannt, dass die Ausbreitung der Tuberculöse in einem 
befallenen Organ in verhältnissmässig mechanischer Weise stattzufinden 
pflegt, indem der Krankheitserreger in der Continuität der Gewebe weiter 
wandert oder auch auf dem Wege durch die Lymphgefässe sich weiter ver¬ 
breitet, oiler, wie in den Lungen, durch Aspiration von Zerfallsproducten, 
welche das Krankheitsgift enthalten, auf entferntere Theile des Organs 
übertragen wird, und dass auch der so häufige Uebergang der Tuberculöse 
von der Lunge auf den Kehlkopf und den Darm gewöhnlich nicht durch 
Vermittelung des Blutkreislaufes erfolgt, sondern in grob mechanischer 
Weise durch deu Auswurf, der bei der Entleerung durch den Kehlkopf 
hindurchgeht oder durch Verschlucken in den Darm gelangen kann (s. u.). 
Eine Ausnahme von der Regel, dass die Tuberculöse im Anfang eine locale 
Krankheit sei, die nur dann, wenn das Krankheitsgift, in das Blut gelangt, 
zu einer Allgemeinkrankheit wird, bilden vorläufig noch die Fälle von 
primärer Miliartuberculose, bei welchen gleichzeitig in zahlreichen Organen 
Miliartuberkel a .ftreten, ohne dass eine locale Tuberculöse, von der aus 
der Einbruch in das Blut hätte stattfinden können, uachgewieseu würde. 
Es sind diese Fälle um so seltener, je sorgfältiger die anatomische Unter¬ 
suchung gemacht und namentlich auch auf die Lymphdrüsen ausgedehnt 
wird. Aber einige Fälle bleiben immer noch übrig; und wir haben ja auch 
sonst Grund zu der Annahme, dass der Keim der Tuberculöse lange Zeit 
irgendwo im Körper verweilen könne, ohne für unsere Untersuchung nach¬ 
weisbar zu sein. 

Der anatomische Befund in deu Lungen der an Lungenschwind¬ 
sucht Gestorbenen ist in den einzelnen Fällen je nach dem Vor¬ 
herrschen der einen oder der anderen Processe ausserordentlich ver¬ 
schieden. Es können sich dabei die verschiedenen Formen der 
chronischen Pneumonie in grösserer oder geringerer Ausdehnung 
finden, bald mehr, bald weniger in käsiger Umwandlung begriffen 
oder bis zur Cavernenbildung fortgeschritten; dabei können eigent¬ 
liche Miliartuberkel fehlen oder auch in geringerer oder grösserer 
Zahl vorhanden sein, durch die Lunge zerstreut und oft auch iu 
der Pleura; ausserdem findet man einen Theil der Bronchien im 
Zustande chronischen Katarrhs oder tuberculöser Verschwärung, 
daneben oft, wo ausgedehnte interstitielle Pneumonie vorhanden ist, 


bronchiektatische Cavernen. Gewöhnlich sind in den oberen Lungen¬ 
abschnitten, wo die Processe zu beginnen pflegen, die späteren 
Stadien dieser Vorgänge zu finden, namentlich die grösseren durch 
Zerfall des Lungeogewebes entstandenen Cavernen, und die voll¬ 
ständigen Verödungen des Lungengewebes, während in den unteren 
Lungen bezirken die früheren Entwickelungsstufeu von der chronisch¬ 
pneumonischen Infiltration bis zur Verkäsung und dem beginnenden 
Zerfall sich darstellen. 


VI. Referate und Kritiken. 

C. A. Ewald. Klinik der Verdauungskrankheiten, n. Die 
Krankheiten des Magens. 442 S. Berlin, A. Hirschwald, 
1888. Ref. Leo. 

Dem bereits vor über 2 Jahren in zweiter Auflage erschienenen 
ersten Theil') seiner Klinik der Verdauungskrankheiten lässt der 
Verf. nun auch den früher angekündigten zweiten Theil folgen. In 
jenem ersten Theil handelte es sich darum, die physiologischen Vor¬ 
gänge, welche sich im Verdauungscanal des Menschen abspielen, 
darzulegen. Diesem mehr als Einleitung dienenden Abschnitt reiht 
sich nun der eigentlich klinische Theil an. Derselbe behandelt zu¬ 
nächst lediglich die Krankheiten des Magens, während ein dritter 
Theil über die Krankheiten des Darms in Aussicht gestellt wird. 

Es ist keine Frage, dass es gegenwärtig kaum eiu Gebiet der 
klinischen Medicin giebt, welches einer allgemein befriedigenden, 
streng systematischen Bearbeitung mehr Schwierigkeiten entgegen¬ 
setzt, als gerade die Pathologie des Magens. Dies ergiebt sich eines- 
theils aus der grossen Summe von Arbeiten, welche fast täglich 
über diesen Gegenstand producirt werden, so dass eine genaue 
Sichtung derselben nach Werth und Unwerth zur Zeit unmöglich 
erscheint, und andererseits daraus, dass die uns zur Verfügung 
stehenden Methoden zur Erkennung der Magenkrankheiten trotz der 
vielen und höchst werthvollen Errungenschaften der letzten Jahre 
zum Theil noch recht ungenügende sind. Wenn es dem Verf. trotz¬ 
dem gelungen ist, in seinem Werke ein höchst anschauliches und 
dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens entsprechendes Bild über 
die Krankheiten des Magens und ihre Behandlung zu geben, so ist 
dies um so mehr auzuerkennen. 

Dieser Erfolg scheint mir ausser anderem besonders dadurch 
erreicht zu sein, dass der Verf. seinem Werke nicht den Charakter 
eines in strenger Reihenfolge fortschreitenden Lehrbuches, sondern 
den einer Folge von Vorlesungen giebt. Von grossem Werth ist 
auch die grosse Zahl selbstbeobachteter Krankheitsfälle, welche z. Th. 
ausführlich mitgetheilt werden und sehr wesentlich das Verständnis.«; 
der theoretischen und praktischen Auseinandersetzungen erleichtern. 

In den beiden ersten Vorlesungen wird die Methodik der Unter¬ 
suchung des Magens resp. seines Inhaltes auseinandergesetzt. Ge¬ 
legentlich der Besprechung der Rcagentien auf freie Salzsäure wird 
mit Recht das erst kürzlich von Günzburg in die Magendiagnostik 
eingeführte Phloroglucin als das bei Weitem sicherste und schärfste 
hervorgehoben. Im dritten Capitel werden die Stenosen und Strie- 
turen der Cardia besprochen. Es reihen sich in den folgenden 
Capiteln an die eigentlichen Erkrankungen des Magens. Besonders 
ausführlich sind naturgemäss das Carcinoma und Ulcus ventriculi 
sowie die Neurosen des Magens erörtert. Auch sind die verschie¬ 
denen F'ormen der Gastritis iu ausgiebigster Weise behandelt. Im 
letzten Capitel werden die Wechselbeziehungen zwischen Magen- 
uud anderen Organerkrankungen besprochen. Den anatomischen, 
klinischen und diagnostischen Angaben schliesst sich bei jeder 
Krankheitsform die Erörterung der Therapie an. Mit grosser Sorg¬ 
falt sind die Neurosen des Magens abgehandelt, denselben geht eine 
ausführliche und höchst interessante Darlegung der Innervation des 
Magens voraus, welche von dem Strassburger Professor der Physio¬ 
logie R Ewald verfasst ist. 

Besonders möchte ich noch auf die beherzigenswerthen Worte 
des Verf.’s verweisen, in denen er sich gegen die Bestrebungen 
wendet, eine allerdings wichtige Action des Magens, nämlich die 
Salzsäuresecretion als Hauptinaassstab für die Diagnostik der Magen¬ 
krankheiten hinzustellen. Nicht minder ist der Nachdruck, mit dem 
Verf. die NothWendigkeit einer allgemeinen medicinischen Bildung 
betont, für Jeden, der sich mit der Behandlung der Magenkrank¬ 
heiten beschäftigen will, der allgemeinsten Anerkennung werth. 
Dass bei einem so schwierigen und vielumstrittenen Gebiet, wie es 
die Pathologie und Therapie der Magenkrankheiten ist, Jeder in 
einem Lehrbuch derselben manches finden wird, womit er nicht 
übereinstimmt, ist so selbstverständlich, dass es genügt, dies einfach 
hervorzuheben. Der Werth des Werkes, welches als der Ausfluss 
langjähriger klinischer Beobachtung zu betrachten ist, wird dadurch 
nicht beeinträchtigt. Und so darf man wohl sicher erwarten, dass 
dasselbe die allgemeinste Verbreitung und Anerkennung finden wird. 

*) s. Ref. in dieser Zeitschrft 1886, No. 20, p. 347. 


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19. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 599 


Q. Leopold. Der Kaiserschnitt und seine Stellung zur künst¬ 
lichen Frühgeburt, Wendung und Perforation bei engem 
Becken. 173 S. Stuttgart, Enke, 1888. Ref. J. Veit. 

In der vorliegenden Arbeit veröffentlicht Leopold an der 
Hand seiner Resultate über den Kaiserschnitt die Anschauungen, 
welche er sich über die Anzeigen zu dieser Operation im Gegen¬ 
satz zu den gleichfalls beim engen Becken in Frage kommenden 
Operationen gebildet hat. Zuerst hat er von seinem Assistenten 
Korn die Resultate der künstlichen Frühgeburt zusaramenstellen 
lassen; es handelt sich hierbei in 4 l /-> Jahren um 47 Fälle, welche 
an 38 Frauen vorkamen. Unter ihnen starb eine; nur zehn Wöch¬ 
nerinnen zeigten kurz dauernde Temperatursteigerungen. Von den 
Kindern (auch hier wird das Ueberwiegen der Knaben beim engen 
Becken betont) wurden sechs perforirt, neun andere kamen todt zur 
Welt. Die Methode der Einleitung bestand iu der Einlegung eines 
Bougies nach Krause. Die Resultate der Wendung und Extraction 
hat Löh mann zusammengestellt: 83 mal wurde diese Operation bei 
eugem Becken ausgeführt, darunter 42mal bei Schädellage; von 
letzteren starben drei Mütter. Von den 42 Kindern wurden 24 
lebend entlassen. Verf. geht ebenso wie Korn auf eine Reihe von 
Einzelheiten bei dieser Operation ein. derentwegen auf die Arbeit 
selbst verwiesen werden muss. Es folgt dann Praeger mit eiuer 
Zusammenstellung von 71 innerhalb der letzten 4 1 /» Jahren in 
der Frauenklinik zu Dresden ausgeführten Kraniotomieen. Am be- 
merkenswerthesten neben der auf grosses Material hindeutendeu 
Zahl scheint die Thatsache, dass von den 62 Fällen, bei denen es 
sich um Verkleinerungsoperationen am vorangehenden Kopf handelt, 
die Kinder bei Beginn der Operation noch in 33 Fällen lebten; 
es entspricht dies der an einer anderen Stelle von Leopold be¬ 
sonders betonten Absicht, die Perforation sicher nicht zu spät aus¬ 
zuführen. Nur zwei von den Wöchnerinnen starben, und zwar diese 
an Eclampsie; es ist dies gewiss ein Beweis für die Strenge, mit der 
Leopold in seiuer Anstalt die Antiseptik durchgeführt hat. 

Leopold folgt dann selbst mit dem Resume, d. h. der Nutz- 
anwenduug dieser Zusammenstellung für die relative Indication zum 
Kaiserschnitt. Die conservative Sectio caesarea hat er 20mal aus¬ 
geführt; zwei Frauen starben. Nimmt man die Gesawmtmortalität, 
so zeigt der Kaiserschnitt immer noch die grösste Verlustliste, uud 
es ist gewiss bemerkenswerth, dass diese Thatsache sich auch aus 
der früher erschienenen Arbeit von Wyder für das Material der 
Charite ergeben hat. Auch verdient es alle Anerkennung, dass 
Leopold trotz seiner guten Resultate zur Vorsicht in der Indi- 
cationsstellung beim Kaiserschnitt mahnt. Bei relativer Indication 
will er nur operiren, wenn bei sicher lebendem Kinde die Kreissende 
im Beginn der Geburt bei guten Kräften und nicht inficirt ist, und 
wenn ferner Operateur und Assistenten die Antiseptik vollkommen 
beherrschen. Jedenfalls ergiebt sich aus dieser Indicationsstellung, 
dass keiuenfalls ohne weiteres die Perforation des lebenden Kindes 
ersetzt werden darf durch den Kaiserschnitt. Interessant ist ferner 
die Angabe von Leopold, dass er durch die letztere Operation 
die spätere Empfäugnissfähigkeit etwas gestört ansieht. 

E. Zuckerkandl. Das periphere Geruchsorgan der Säuge- 
thiere. Eine vergleichend-anatomische Studie. 116 S. Mit 10 Tafeln. 
Stuttgart, Enke, 1887. Ref. M. Bresgen (Frankfurt a. M.). 

Ein ungemein interessantes Buch nicht nur für deu Specialisten, 
sondern auch für jeden Arzt, der die Fühlung mit den Naturwissen¬ 
schaften zu behalten sucht. Um zu zeigen, dass der Bau der inneren 
Nase eiuige Beachtung verdient und derselbe ähnlich etwa wie die 
Bezahnung für die Classification der Säugethiere verwerthet werden 
kann, hat Verfasser die vorliegende Monographie verfasst, welche 
überdies auch ein glänzendes Zeugniss dafür ablegt, dass Formen, 
die auf den ersten Blick keine nähere Verwandtschaft zu bekunden 
scheinen, Abkömmlinge einer gemeinsamen Urform, Glieder einer 
und derselben Kette darstellen können. Verfasser berichtet über die 
Untersuchung der Nase von sechzig Säugethieren, sowie des Menschen. 
Von den vielen interessanten Einzelheiten seien nur einige, die auf 
den Menschen Bezug haben, hervorgehoben. „Der am meisten 
hervorstechende Charakter des menschlichen Geruchsorgans ist die 
Rückbildung desselben, die er mit den meisten übrigen Primaten 
theilt. Verglichen mit anderen Säugethieren zeigt sich, dass die 
Nasenhöhle des Menschen sich überhaupt bloss mit der von Mycetes 
(einem nicht anthropoiden Affen) und der der anthropoiden Affeu 
zusammenstellen lässt, uud der Vergleich aller Primaten unter 
einander zeigt, dass die anthropoiden Affen hinsichtlich der Bildung 
ihres Geruchsorgaues mehr Aehnliclikeit mit dem Menschen als mit 
den uiedereu Affen besitzen“. Hinsichtlich der Nebenhöhlen der 
Nase unterscheiden sich nach Zuckerkandl die osmatischen Tbiere 
wesentlich von den anosraatischen, zu denen auch der Mensch ge¬ 
hört. Bei den Osmatikern fällt den Nebenhöhlen die Aufgabe zu, 
„einzelne Theile des mächtig entwickelten Geruchsorganes aufzu¬ 
nehmen, und ihr Vorhandensein ist abhängig von dem Vorkommen 


lateraler Riechwülste und deren Derivate“. Bei den Anosmatikern 
genüge die Naseuhöhle zur Beherbergung des Geruchsorganes, und 
das Vorhandensein von Nebenhöhleu sei bedingt wie bei Osmatikern. 
Die beim Menschen gelegentlich vorkommenden Defecte der Sinus 
seien höchst wahrscheinlich auf die Nichtentfaltung grosser Theile des 
Siebbeines zurückzuführen. Bezüglich der von verschiedenen Seiten 
über die Bedeutung der Sinus aufgestellten Theorieen meint Zucker¬ 
kandl, dass keine derselben eine strenge Kritik vertrage. Wohl 
werde die Luft in ihnen erwärmt; doch sei dies sicherlich von un¬ 
tergeordneter Bedeutung, da die Erwärmung der Luft auch ohne 
Sinus in der Nasenhöhle geschehe. Auch für die Geruchswahr¬ 
nehmung könnten die Sinus nicht von hoher Bedeutung sein, da 
gerade Änosmatiker das bestausgebildete Sinussystem zeigten. — 
Es ist eine erfreuliche Thatsache, dass die so lange vernachlässigte 
Nase mehr und mehr die ihr zukommende Bedeutung zugemessen 
erhält. Zuckerkandl hat hierzu wiederholt schon ein hervor¬ 
ragendes Scherflein beigetragen. 

VH. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 25. Juni 1888 

Vorsitzender: Herr Leyden. Schriftführer: Herr Jastrowitz. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen uud angenommen. 

1. Herr Fräntzel: Ueber angeborene Enge im Aorten¬ 
system. (Der Vortrag ist in dieser Nummer, p. 589, abgedruckt.) 

Herr Fr. Müller glaubt, dass alle diejenigen, welche sich mit Herz¬ 
krankheiten zu beschäftigen haben, es mit Freuden begrüssen werden, dass Herr 
Fräntzel ein klinisches Bild von der „Enge des Aortensystems - geschaffen 
und damit ein Gebiet für die medieinische Diagnostik erobert hat, welches 
bis jetzt die alleinige Domäue der pathologischen Anatomie gewesen ist. 
Die Diagnose der Enge des Aortensystems ist in der That eine klinische, 
und die pathologiseh-auatomische Untersuchung ist nicht selten auf diesem 
Gebiete gewissen Irrthümern ausgesetzt, wie die beiden folgenden Fälle be¬ 
weisen. Der erste betraf eine Patientin, welche an einer ulcerösen Endo- 
carditis der Aortenklappen litt und das ausgesprochenste Bild der 
Aorteninsufficienz darbot, unter anderem fühlbare Pulsation des Aorten¬ 
bogens im Jugulum und einem ungewöhnlich hohen schnellenden Puls, 
dessen Pulscurve etwa die vierfache Höhe einer normalen Pulscurve 
zeigte. Die Obduction ergab neben der Zerstörung der Aortenklappen eiue 
hochgradige Verengung der Aorta uud der Arterien, nier konnte 
also kein Zweifel bestehen, dass die post mortem wegen ihrer grossen 
Elasticität abnorm eng erscheinenden Arterien intra vitam unter dem An¬ 
drang der Pulswelle viel stärker ausgedehnt worden waren, als die Arterien 
gesunder Individuen. Ein analoges Verhalten zeigte eine ‘20jährige Pa¬ 
tientin, bei welcher sich in Folge eiues Bothriocephalus eine pernieiöse 
Anämie ausgebildet hatte. Auch hier fand sich bei der klinischen Beob¬ 
achtung grosser schnellender Puls, bei der Obduction hochgradige Ver¬ 
engung des ganzen Arteriensystems und geringe Vergrösserung des Her¬ 
zens. Es geht aus diesen Fällen hervor, dass eino post mortem gefundene 
Enge der Arterien noch nicht mit Sicherheit dafür spricht, dass dieselben 
nicht während des Lebens sehr erweiterungsfähig gewesen sind. In den 
Fällen von Herrn Fräntzel schliesst übrigens der Befund der Arterio¬ 
sklerose sowie der kleine Puls diesen Einwand aus. 

Herr A. Fraenkel. Auch nach meinen Erfahrungen glaube ich aus- 
sagen zu müssen, dass diese Fälle von angeborener Enge des Aortensystems 
sehr wahrscheinlich häufiger Vorkommen als es bisher geschienen hat; 
namentlich die Palpitationen vieler junger Männer dürften darauf zurück¬ 
zuführen seiu; ich habe selbst eine Reihe von derartigen Patienten beob¬ 
achtet, Leute, bei denen sich um die Pubertätszeit ein ausserordentlich 
starkes Wachsthum eingestellt hatte, und nun Palpitationen hinzutraten, ohne 
dass man sie als nervöse ansprechen konnte Auch aus der Arbeiter¬ 
bevölkerung sah ich Leute in den besten Jahren mit Verbreiterung des 
Herzstosses, welche über Atbenmoth klagten, und bei denen das.Motiv einer 
Ueberaustrengung durchaus abgelehnt wurde. Andererseits möchte ich doch 
bemerken, dass die sichere Diagnose derartiger Fälle immer auf erhebliche 
Schwierigkeiten stossen wird. Wir haben von Symptomen nur die Dilatation 
uud die Hypertrophie des linken Ventrikels als Anhalt dafür, diese kommen 
aber aus den verschiedensten Ursachen vor, uud es wird schwer sein, zu sagen, 
welche Ursache in dem betreffenden Falle die wirkende gewesen ist. Auch 
bei Neurasthenikern entwickeln sich häufig nerzaffectionen, unter dem Bilde 
von Palpitationen, Pulsbeschleunigung und Dilatation des linken Ventrikels. 
Ebenso giebt es noch andere Motive: Alkohol-, Tabakmissbrauch, Excesse 
aus anderen Ursachen, wo man als Effect nichts weiter constatiren kann als 
Dilatation des Ventrikels und Beschleunigung des Pulses. Ich muss sagen, 
ich sehe nicht, wie wir in derartigen Fällen mit Bestimmtheit die Trennung 
durchführen können. 

Herr P. Guttmann. Ich möchte anknüpfen an die Bemerkung des 
Herrn Fräntzel, dass nach dem Kriege 1870 unter den Soldaten öfter 
Hypertropbieen des Herzens beobachtet worden seien, und dass man seit 
jener Zeit die Hypertrophie durch Ueberaustrengung des Herzens nach 
körperlichen Strapazen noch mehr betont hat als früher. Herr Fräntzel 
hat aber hinzugefügt, es sei auffallend, dass verhältnissmässig nur in 
wenigen Fällen diese Hypertrophie nach Strapazen beobachtet worden sei, 
und dass iu deu allermeisten Fällen von gleichen Strapazen nicht eine 
solche Hypertrophie die Folge war; es sei jetzt klar, dass vielleicht diese 
Fälle angeborene Enge des Aortensystems gewesen seien, die durch die 
Strapazen zur Hypertrophie geführt hätte. Ich bestreite zunächst nicht, dass 


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600 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29 


angeborene Enge des Aortensystems zur Hypertrophie des Herzens führen 
kann, aber mir scheint es, entgegen den Bemerkungen, welche vorhin ge¬ 
macht worden sind, recht schwer beweisbar, dass diese Ursache die wirksame 
gewesen ist. Es ist dies deshalb so schwer zu beweisen, weil die Hyper¬ 
trophie des Herzens ohne jede nachweisbare Ursache nach meinen Er¬ 
fahrungen eine ganz häufige ist. so häufig, dass ich geradezu gewöhnt bin, 
innerhalb mehrerer Wochen einen derartigen Fall auf dem Sectionstisch zu 
haben, wo nichts, was sonst Hypertrophie des Herzens erzeugt, nachweisbar 
ist. Deshall) glaube ich. wird es sehr schwer sein, in einem Fall, wo eine 
Enge <les Aortensystems sich findet, zu sagen, dass nun diese die Ursache 
der Hypertrophie gewesen ist. Ich wüsste wenigstens nicht, wie man aus- 
schliessen will, dass hier eine einfache idiopathische Hypertrophie bestanden 
hat. Es ist schon bemerkt worden, «lass, wenn bei jugendlichen Individuen 
Enge der Aorta mit Hypertrophie besteht, man gar nicht ans dem 
Seetionsbefunde sagen kann, es sei im Leben wirklich die Aorta eng ge¬ 
wesen. Je jünger «las Individuum, »lesto elastischer ist die Aorta, desto 
mehr zieht sie sich zurück, desto grösser ist das Missverhältniss in ihrem 
Lumen zu «1er Weite des linken Ventrikels, eine Thatsache, die jeder, der 
viel Sectionen macht, kennt. Betreffs der erwähnten Arteriosklerose möchte 
ich hervorheben, dass auch da unsere theoretischen Vorstellungen, «lie wir 
haben über Hindernisse im grossen Kreislauf als Ursache von Ilerzhyper- 
trophieen, nicht immer durch den Sectionsbefund bestätigt werden- Es 
kommen Fälle vor, wo Arteriosklerose von der Aorta ascendens bis in die 
peripherischen Arterien in hohem Grade besteht, so dass die Aorta sehr 
erweitert ist. starke Verkalkungen zeigt, und wo dennoch keine Hypertrophie 
fies Herzens da ist. Ich möchte mich also dahin resumireu: Ich bezweifle 
nicht, dass angeborene Enge des Aortensystems eine Hypertrophie des 
Herzens erzeugen kann, und dass «lann durch Verminderung der Leistungs¬ 
fähigkeit des Herzens im späteren Stadium, genau so wie bei Klappen¬ 
fehlern. durch Verfettung im Herzmuskel das Stadium der Compensations- 
störung mit ihren Symptomen eintritt. bestreite aber, dass man im einzelnen 
Falle beweisen könne, dass die angeborene Enge des Aortensystems die 
Ursache der Hypertrophie des Herzens und ihrer Folgeerscheinungen ge¬ 
wesen sei, weil das so häufige Vorkommen der idiopathischen, d. h. ohne 
nachweisbare Ursache auftretenden Hypertrophie nicht in jedem der be¬ 
treffenden Fälle ausgeschlossen werden kann. 

Herr Litten: Ich stehe ebenfalls auf dem Standpunkte des Herrn Gütt¬ 
in ann, und zwar hauptsächlich wegen der grossen Häufigkeit der idio¬ 
pathischen Herzhypertrophie. Ich hebe dabei ganz besonders hervor, dass 
der Herr Vortragende selbst auf dieses Moment viel Gewicht gelegt und 
in keinem seiner Fälle die Hypertrophie ausschliesslich auf die Enge 
der Aorta zurückgeführt hat; auch er legt wesentlichen Nachdruck auf das 
Moment der Arbeitshypertrophie. Ich glaube, man muss diese ganze Frage 
vom entwickeluugsgeschichtliehen Standpunkt aus betrachten und erörtern. 
Ich selbst hatte vor Jahresfrist die Ehre, an dieser Stelle über die Entwicke¬ 
lung des Herzens zu sprechen. Ich machte damals darauf aufmerksam, dass 
das Herz in seiner Anlage einen Sack mit blutableitender Röhre darstellt. 
Etwa in dem dritten Monat des Embryo bildet sich die Anlage des Septum 
ventriculorum, welches sich fortsetzt und zur Scheidewand zwischen Aorta 
und Art. pulmonalis wird. Dieses Septum bestimmt die Anlage für die 
Grösse der beiden Ventrikel und der beiden daraus entspringenden grossen 
Arleriensysteme. Es ist klar, dass bei dieser Sachlage beide Factoren: Ven¬ 
trikel und Aorteusystem (im vorliegenden Fall der linke Ventrikel und 
das Arteriensystem) in einem gewissen gleichbleibenden proportionalen physio¬ 
logischen Verhältnis stehen müssen, wie dies entwickelungsgeschichtlich 
aus der gleichen Anlage hervorgeht, und ferner, dass beide bei fortschrei¬ 
tender Entwickelung dieses gleiche Verhältnis zu einander beibehalten 
werden. Dazu kommt ein dritter Factor, das ist das Blutsystem selbst. Auch 
dies entwickelt sich in Proportion zu der Grösse des Herzens und der Ge- 
fässaulage. Je kleiner das Herz, um so kleiner, dünner und zarter die Aorta, 
um so geringer die Blutmenge. Dies sind Verhältnisse, auf welche Yirchow 
in seiner berühmten Arbeit über r Chlorose“ die Aufmerksamkeit gelenkt hat. 
Er wies hierin nach, dass man bei der Chlorose des weiblichen Geschlechts 
abnorm kleine Herzen und abnorm dünnwandige, enge und zarte Aorten- 
systeme findet. Ich würde nun dem Herrn Vortragenden unbedingt zustimmen, 
wenn sich nach weisen Hesse, dass man bei einer Frau aus guten Ständen, 
welche keine übermässige körperliche Arbeit verrichtet, eine Hypertrophie 
des linken Ventrikels lediglich aus Ursachen der Enge des Aortensystems 
fände. Dies ist aber meines Wissens noch niemals beobachtet, einfach aus 
dem schon im Verlauf der Discussion hervorgehobenen Grunde, weil die 
Aorta sehr elastisch und beträchtlicher Dehnung fähig ist. Bei den Männern 
ist das physiologische Verhältnis zwischen Blutmenge, Gnösse des Herzens 
und des Gefässsystems natürlich das gleiche. Auch hier finden wir Anämie 
aus denselhen Gründen bei kleinem Herzen und engem Aortensystem. Muss 
ein solches Individuum abnorme körperliche Arbeit verrichten, so wird es 
gerade ebenso vermehrte Herzthätigkeit und Palpitationen darbieten, wie 
ein normaler Mann, an den abnorme Anforderungen gestellt werden. Auch 
«ler letztere bekommt bei starken Märschen, anhaltendem Bergsteigen etc. 
Herzklopfen. Ist dieser Zustand kein vorübergehender, sondern ein constanter, 
so wird er allmählich eine Arbeitshypertrophie bekommen, ob das Aorten¬ 
system eng oder weit ist. Dazu tritt noch das Moment, dass stark arbeitende 
Menschen häufig viel Alkohol zu sich nehmeu; in Folge der gesteigerten 
Arbeit wird mehr Nahrungsaufnahme nöthig. und so ist es möglich, dass 
ein ursprünglich anämischer Mensch mit kleinem Herzen und ursprünglich 
engem Aortensystem allmählich blutreicher wird, und dass jetzt ein gewisses 
Missverhältniss zwischen der Blutmenge, der Weite der Aorta und den blut- 
austreibenden Kräften des Herzens eintritt. Wenn sich jetzt eine Hyper¬ 
trophie des linken Ventrikels entwickelt, so werden wir diese nicht mehr 
lediglich auf Enge des Aortensystems zurückführen können, sondern ebeu 
auf die vermehrte Arbeit und die durch letztere vergrösserte Blutmenge. 

Herr Fraentzel: Herrn Müller gegenüber möchte ich bemerken, 
dass seine Fälle Frauen betreffen, von denen ich bereits gesagt habe, dass 


bei ihnen eigentlich niemals trotz angeborener Enge des Aortensystems 
Herzvergrösserungen zu Stande kommen. Ich bin ausserdem durchaus nicht 
der Ansicht, dass wir bei dem, was ich mitgetheilt habe, durchaus stehen 
bleiben müssten. Hier wird sich noch manches ergänzen und vervoll¬ 
kommnen lassen, sobald wir erst ein grösseres Beobachtungsmaterial zur 
Verfügung haben werden. Besonders aber muss ich hervorheben, dass 
Leute mit Verengerung des Aortensystems schon Vergrüsseruugen des 
Herzens bekommen bei Arbeiten, die ein normaler Mensch ohne secundäre 
Herzerkrankung leistet. Also Anstrengungen, wie sie z. B. bei der Aus¬ 
bildung von Rekruten Vorkommen und von vielen Tausenden gut vertragen 
werden, sind für Leute mit angeborener Enge des Aortensystems schon 
zu gross. Herr P. Guttmann hat auf die verschiedenen Ursachen der Herzver- 
grösserung zurückgegriffen und sagt, bei der grossen Zahl solcher Fälle, 
die er bei Sectionen angetroffen habe, wäre ihm sehr häufig die Aetiologie 
der Erkrankung dunkel geblieben: deshalb würde die Diagnose wohl sehr 
schwierig sein. Ich besitze zwar ein viel geringeres Beobachtungs- und 
Sectionsinaterial, aber ich muss sagen, dass mir nur äusserst selten eiumal 
bei einem Falle von idiopathischer Her/.vergrösserung die Aetiologie unklar 
war. Daher glaube ich, auch die angeborene Enge des Aortensystems als 
Ursache der Herzvergrösserung diagnosticiren zu können. 

2. Herr H einem au n (New-York): Bemerkungen über Enge 
des Aortensystems (zu Protokoll gegeben). Drei interessante 
Fälle sind in den letzten zehn Jahren in der Pathological So- 
cietie der Stadt New-York vorgetrageu worden. Diese Fälle be¬ 
trafen sämmtlich Leichenobductioneu dreier Patienten, die durch 
Apoplexia cerebralis zu Grunde gegangen waren. Der erste vou 
mir beobachtete Fall war der eines Mädchens vou kaum 24 Jahreu, 
die im Rooseveltkrankenhaus vor 8 oder 9 Jahren starb, und zwar 
nach einer weniger als zwölf Stunden dauernden, plötzlichen Ge¬ 
hirnblutung. Die Obduction, die ich damals als Assistent des 
Professors Delafield ausführte, ergab ein kleines Herz, allgemeine, 
nicht allein Verengeruug, sondern auch Verdünnung des Aorten¬ 
systems und abnorme Dünue der Gefässwände. Die Aufmerksam¬ 
keit war in diesem Falle damals bloss darauf gerichtet, das höchst 
seltene Vorkommen von Apoplexia cerebralis bei jungen Leuten zu 
betonen, und auf andere, hier nicht in Frage kommende Punkte. Erst 
nach mehreren Jahren, durch eiue Schilderung einiger solcher Fälle 
in der neueren Literatur angeregt, fasste ich die Idee, an den eben 
beschriebenen Fall die gegenwärtige Erklärung auzukniipfen. Der 
zweite Fall ist vor mehreren Jahren vou Dr. Georg L. Peabody. 
Patholog am New-York-Hospital, der Pathological Society vor¬ 
gezeigt worden. Er stammte aus der Privatpraxis des Professors 
Wm. H. Draper. Ein junger 18jähriger Student wurde plötzlich 
von einer Gehirnblutung befallen, die nach einigen Stunden Dauer 
letal endete. Die von Peabody sorgfältig ausgeführte Autopsie 
konnte zuerst keinen Anhaltspunkt für das unglückliche Ereigniss 
liefern, bis das kleine Herz und die abnorme Enge des Aorten¬ 
systems als Erklärung zum Vorschein kam. Die Gefässwände des 
ganzeu Körpers waren abnorm verdünnt, und die Gehirnblutung 
konnte auf die Weise durch Zerreissung von Hirngefasseu leicht zu 
Stande kommen. Der dritte Fall ist vor erst zwei, höchstens drei 
Jahren bei mir im Mt. Sinai-Spital beobachtet, betraf auch eineu 
18- oder 19jährigeu Kaufmann, der plötzlich von einem Kopfleiden 
befallen wurde. Er war mit Kopfschmerzen und theilweiser Be¬ 
wusstlosigkeit mehrere Tage lang krank; die Symptome besserten 
sich, traten jedoch nach etwa vierzehn Tagen wieder stark hervor, 
bis er endlich nach mehreren Wochen starb. Das Leideu Hess sich 
zwar während des Lebens etwas localisiren, lieferte jedoch keine 
Schlüsse für eine sichere Diagnose. Bei der Obduction fand ich 
im linken Vorderlappen des Grosshirns, nicht weit von der untereu 
äusseren Fläche entfernt, eine Hämorrhagie, um welche rings herum 
ein grosser Erweichungsherd sich entwickelt hatte. 

ln diesem Falle untersuchte ich sofort das Herz- und Gefass- 
systein und fand, wie ich erwartete, die Erklärung, nämlich, unvoll¬ 
kommene Ausbildung des gesammteu Gefässsystems inclusive des 
Herzeus, welches abnorm klein war. Die Gefässwände waren dünn, 
das Lumen eng. Die Unmöglichkeit, die Sectionsprotokolle von 
New-York zu erhalten, verhindert mich, über die eben geschilderten 
Fälle genauer zu berichten. In keinem der Fälle waren frühere 
Krankheitserscheinungen vorhanden, die mit der Todesursache in 
irgend welcher Verbindung standen. 

Der schöne Vortrag des Herrn Prof. Fräntzel wird weitere An¬ 
haltspunkte für die Diagnose der Verengerung des Aortensystems 
liefern. Ich möchte nur hinzusetzen, dass bei Apoplexia cerebralis bei 
jungenLeuten, bei denen Lues und alle sonstigen Ur9achen(Hämophilie, 
Seorbut etc. etc.) ausgeschlossen werden können, man stets nicht 
allein an Verengerung des Aortensystems, sondern an eine allge¬ 
meine zurückgebliebene Entwickelung des Herzens, sowie des ganzen 
Gefässsystems denken muss. Dass ein solches Gefässsystem bei 
tiefer Schwäche in irgend einem krankhaften Zustande, leicht zu 
allgemeinen Haut- uud sonstigen Blutungen schon im Kindesalter 
Veranlassung geben kann, ohne dass die Krankheit als Hämophilie 
angesehen werden könnte, wird nach dem Gesagten leicht er¬ 
klärlich sein _ (Schluss folgt.) 


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19. Juli. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 601 


VIII. Greifswalder medicmischer Verein. 

Sitzung am 5. Mai 1888. 

(Fortsetzung aus No. 28.) 

2. Herr Gottbrecht: Zur antiseptischen Eigenschaft des 
Ammoniaks Meine Herren! In Graevell’s Notizen 1863, Bil. VI, 
findet sich das Referat über eine Reihe von Untersuchungen, die 
Richardson mit Aramoniakliquor angestellt hat uud deren End¬ 
ergebnis das ist, dass eine Lösung von Ammoniak in Wasser in 
bestimmten Concentrationen ausgesprochen fäuluisswidrig wirkt. 
Dieser Befund hat auf den ersten Blick etwas Frappirendes. wir 
kenneu das Ammoniak als einen ronstanteu Begleiter jeglicher Ei- 
weissfäulniss, uud doch soll es fäuluisswidrig sich verhalten. Aller¬ 
dings besitzen wir in der Arbeit von Grawitz über das Cadaverin 
eine Analogie zu Richardson’s Befund, insofern als auch dieses 
Product der Fäulniss auf die Mikroorganismen, denen es seine Ent¬ 
stehung verdankt, deletär einwirkt. Gleichwohl' erschien mir die 
Frage interessant genug, um ihr weiter nachzugehen, und ich möchte 
Ihnen kurz die Resultate berichten, die ich bei meinen Unter¬ 
suchungen mit Ammoniak und Ammoniumcarbonat im hiesigen 
pharmakologischen Institut erzielt habe. 

Ich ging zunächst von einfachen Verhältnissen aus, indem ich 
gleich grosse Stücke von frischem Rindfleisch in Lösungen brachte, 
die den officinellen Liquor ammonii caustici im Verhältniss von 
10—8 —6—4—2 —1 auf 100 destillirten Wassers enthielten. Die 
Ansätze befanden sich in Gläsern, mit Glasstopfen verschlossen. 
Abgesehen von der mit der Zeit mehr und mehr sich ergebenden 
Auslaugung der Blutfarbstoffe und einiger Verquellung der Ränder 
der Fleischstücke traten bei der Coucentration 2 und 4 : 100 erst 
nach 2 l /2 Monat Fäulnisserscheiuungen auf. die stärkeren Concen¬ 
trationen blieben ganz unverändert, der Ansatz 1: 100 hielt sich 7 
Tage lang frisch, ein Vergleichsansatz, der Fleisch in destillirtem 
Wasser enthielt, war nach 3 Tagen gänzlich faul. 

Da bei dem schwankenden Gehalt des Araraoniakliquors eine 
genaue Bestimmung des Gehaltes an NH 3 in den einzelnen An¬ 
sätzen schwierig war, auch beim wiederholten Oeffuen und Nach¬ 
sehen der Gläser jedesmal Ammoniak sich verflüchtigen musste, 
arbeitete ich weiterhin nur mit kohlensaurem Ammoniak. 

Zunächst wurden Stücke eines frischen Thierdarms in gleicher 
Weise, wie oben angegeben, in Ammoniumcarbonatlösungen gebracht, 
die das Salz im Verhältniss von 10 — 5— 2 l /->—1 — 1 /- ,— 'A a °f 100 
destillirten Wassers enthielten. Ein ohne Ammoniumcarbonat an¬ 
gefertigter Ansatz war nach 2 Tagen faul, ebenso die Ansätze x /> 
und */4 :100. Die lprocentige Lösung hielt das Darmstück 4 Tage 
lang frisch, die 2 1 /2procentige 9 Tage, die öprocentige 3 Wochen. 
Der mit lOprocentiger Lösung festgestellte Ansatz erschien nach 5 
Wochen verdächtig, doch ergab eine Impfung des Flascheninhalts 
auf Nährgelatine negativen Erfolg. Seit uach 10 Wochen war die 
Fäulniss sicher eingetreten. 

Hatte sich aus diesem Befund ergeben, dass kohlensaures 
Ammoniak in wässeriger Lösung bei genügender Concentration den 
Eintritt der Fäulniss auf lange Zeit hinausschieben kann, so ergab 
sich die weitere Frage: Wie wirkt es, wenn gleich von vornherein 
faulige Substanzen, Jauche etc. in einen ähnlich wie oben dar¬ 
gestellten Ansatz absichtlich hineingebracht wurde. Frisches Fibrin 
wurde in Lösungen von 1—10% Ammoniumcarbonat gebracht und 
jedem Ansatz gleiche Mengen Fleischjauche zugefügt. Von sämmt- 
licben Ansätzen wurden in bestimmten Zeiträumen Impfungen in 
sterilisirte Gelatine vorgenommen. Drei Tage nach dem Ansatz 
gingen die Impfungen von 1 und 2% an und entwickelten sich in 
bekannter Weise, bei 5% kam es nur zur Bildung eines trüben 
Hofes um die Impfstelle, der nicht weiter auswuchs, die Impfung 
von 10°/ 0 war ganz resultatlos. Neun Tage nach dem Ansatz ver¬ 
hielt sich lo/o wie vorher, 2’.*j% wuchs nicht mehr an, sondern 
verhielt sich wie 5% bei der ersten Impfung, 5% und 10% 
Hessen diesmal beide auf der Gelatine keinerlei Entwickelung von 
der Stichstelle aus eintreten. Eine nach 3 Wochen vorgenommene 
Impfung hatte dasselbe Resultat. Weiterhin wurde ein Versuch 
angestellt in der Weise, dass Gelatine mit kohlensaurera Ammoniak 
versetzt wurde im Verhältniss von 10 — 5—2V-> — 1 — V-2 — V4%- 
Auf diese Ansätze wurde frische Fleischjauche übergeimpft. Ein 
Ansatz wai ohne das Ammouiaksalz geblieben. Das Resulat war so, 
dass die Ansätze V4, l /-> und 1% deutliche Verzögerung des An¬ 
wachsens von der Stichstelle aus gegenüber dem Controllansatz 
zeigten, 2Vs und 5°/ 0 sich zögernd entwickelten und dann nach 
Ablauf einiger Zeit in der Entwickelung stehen blieben, 10% gar 
nicht anging. Um sicher zu sein, dass nicht die Alcalesceuz des 
Nährbodens in diesen Versuchen zu Täuschungen Veranlassung ge¬ 
geben hatte, machte ich Parallelversuche mit kohlensaurem Natron, 
die allerdings nur geringe Concentrationen betreffen konnten, da 
die Gelatine sich durch das Natriumcarbonat zu sehr verflüssigte. 
Da aber ergab sich mit Sicherheit: Impfungen von Jauche auf Ge¬ 


latine, die 1 ' 4 And %% Natriumcarbonat enthielten, entwickelten 
sich ebenso wie bei der gleichzeitig vorgenommenen Controllimpfung 
auf reiner Gelatine, die mit Ammouiuracarbonal zur selben Zeit und 
in den gleichen Verhältnissen versehenen Ansätze Hessen dagegen 
eine deutliche Verzögerung iu der Weiterentwickelung des eiu- 
geimpften Materiales erkennen. 

Die Erklärung für die fäulnisswidrige Eigenschaft des Ammo¬ 
niaks sucht Richardsou in der stark reducirendeu Kraft, die diese 
Verbindung besitzt. Ich kann mich dieser Erklärung nur an- 
schliessen, sie entbehrt jeden Zwanges, stützt sich auf genau be¬ 
kannte Verhältnisse. Unter gewöhnlichen Umständen kann bei der 
Fäulniss das entstehende Ammoniak frei entweichen und beein¬ 
trächtigt die Fäulnissorganismen demgemäss nicht weiter. Schliesst 
man diese Möglichkeit aus, dann wirkt das Product der Fäulniss 
fäulnisswidrig, und ich möchte Ihnen zum Schluss einige in dieser 
Hinsicht besonders iustructive Präparate vorlegen. 

Sie sehen hier zunächst zwei neugeborene Kaninchen, die sich 
seit dem 13. Januar 1887, also jetzt fünfviertel Jahre in einer 5- 
resp. 8procentigen Lösung des officinellen Liquor ammonii caustici 
befinden. Die Gläser sind luftdicht verschlossen. Im Januar dieses 
Jahres habe ich von beiden Präparaten Abimpfungen auf Gelatine 
gemacht, sie sind ganz ohne Erfolg geblieben. Weiter zeige ich 
Ihnen hier zwei Flaschen, in denen sich seit dem 8. December 
1887 Fleisch befindet neben einem Stück kohlensaurem Ammoniak, 
das, um einen direkten Contact zu verhüten, in einem kleinen 
Wassergläschen unter losem Watteverschluss sich befindet. Auch 
hier sind die Deckel luftdicht aufgesetzt. Sie sehen, meine Herren, 
das Fleisch völlig unverändert, von gesunder rother Farbe, viel¬ 
leicht etwas glasiger aussehend, wie ganz frisches Fleisch. Die 
Controlle, die gleichzeitig gemacht wurde, bei der aber das Fleisch 
nicht unter die Einwirkung des Aminoniumearbonates gesetzt wurde, 
ist, wie Sie sehen, völlig verfault, graugrün verfärbt und schmierig. 
Das letzte der hier vorgeführteu Präparate zeigt ein Stück Fleisch, 
das sich unter übrigens gleichen Bedingungen, wie die anderen 
Proben, in Ammoniakgas befindet. Abgesehen von einer starken 
Ausreichung der Fleischfarbe, macht es sonst noch einen ganz 
guten Eindruck. 

Herr Grawitz: Die vom Herrn Vortragenden beobachtete fäulniss¬ 
widrige Eigenschaft des kohlensauren Ammoniaks in wässriger Lösung ver¬ 
diente insbesondere noch daraufhin geprüft zu werden, wieweit sich daraus 
Vortheile für die Oonservirung farbiger anatomischer Präparate ergeben 
würden. Die seit 2 Jahren im pathologischen lustitut geübte Aufbewahrung 
von Sammlungspräparaten geschieht in einer durch etwa 1 % Borsäure an¬ 
gesäuerten Salzlösung, und zwar deshalb, weil ich anuahm, dass die Ueber- 
führung des Hämoglobins iu eine unlösliche Modification des Blutfarbstoffes 
am besten in saurer Lösung vor sich geheu müsse, und dass namentlich 
die störenden Uebergaugsstufen des Uämochroraogeus durch Säurezusatz 
vermieden würden. Nun bringt aber diese saure Reaction den grossen 
Uebelstand mit sich, dass die Oberfläche der Präparate sich sehr schnell 
mit einer üppigen Schiramelschicht überzieht, wodurch die ganze Flüssig¬ 
keit gelb oder grünlich gefärbt wird. Diese überaus lästige Störung würde 
bei dem alkalischen kohlens. Ammoniak zweifellos wegfallen, nur würde es 
einer Prüfung bedürfen, um diejenigen Gewebs- und Organfarben zu er¬ 
mitteln, welche sich bei Auwendung dieser alkalischen Lösung unverändert 
erhielten. Die hier vorgezeigten Muskelpräparate berechtigen zu den 
besten Hoffnungen nach dieser Richtung hin. 

Herr Hugo Schulz: M. H.! Die Erscheinung, welche die Versuche 
des Herrn Gottbrecht darbieten, dass nämlich das Product niederster 
Organismen für die Producenten selbst schliesslich gefährlich wird, ist eine, 
zumal der chemischen Technik, wohlbekannte. Bei allen Gährungsvorgängen 
ist es eine Hauptsache, die Gährungsproducte quantitativ unter einer ge¬ 
wissen Höhe zu halten, um nicht den ganzen Process zu gefährden. Der 
Zusatz von Kalk bei der Butter- und Milchsäuregährung dient bekanntlich 
nur dazu, die neugebildeten Säuren schleunigst durch Neutralisation wieder 
unschädlich zu machen. Und dass die Alkohol- und Milchsäuregährung 
immer nur bis zu einer gewissen, nicht überschrcilbaren Höhe gebracht 
werden kann, ist gleichfalls eine bekannte Erfahrung. — 

Die umfänglichen Arbeiten Berthelot’s in den letzten Jahren haben 
gelehrt, dass die Anwesenheit lebender Organismen die bekannte Umsetzung 
von Ammoniak in Salpetersäure und umgekehrt in’s Werk setzt. Durch 
Sauerstoffaufnahme wird das Ammoniak zu Wasser und Salpetersäure umge¬ 
setzt, durch Reduction, die gleichfalls durch die Lebensthätigkeit organischen 
Materials zu Stande kommt, wird die Säure wieder zu Ammoniak umge¬ 
wandelt. Es würde sich also, wenn Ammoniak uud lebendes Gewebe in 
Berührung treten, um einen kräftigen Sauerstoffumsatz handeln, ähnlich, 
wie das beiin Arsen, dem Phosphor etc. vor sich geht.. Danach würde sich 
die nach Ammoniakeinfuhr gesteigerte Harnstoffausscheidung ebenso erklären, 
wie dieselbe Vermehrung dieses Stoffwechseleudproductes nach der Auf¬ 
nahme kleiner Mengen von Arsen oder Phosphor. Es fiele damit dieser 
Theil der Ammoniakwirkung noch unter ein allgemeines, anerkanntes Gesetz, 
wohingegen die andere Anschauung, dass das Ammoniak im Körper durch 
direkte Abspaltung von Wasser in Carbamid sich umsetzt, ganz allein da¬ 
steht. Die Natur zeigt aber in all’ ihrem Thun durchgehend die Erschei¬ 
nung, dass eine grosse Reihe von Einzelwirkungen scheinbar differenter 
Körper sich unter gemeinsame Gesetze zusammenfassen lassen, Ausnahmen 
sind ebenso selten wie unsicher und meist auf unsere nicht genügende 
Kenntniss im einzelnen Falle zurückzufahren. 


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602 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29 


Seit zwei Monaten werden in meinem Institute Versuche über chro¬ 
nische Vergiftung mit kohlensaurem Ammoniak angestellt. Kaninchen und 
Hunde bekamen bis vor Kurzem täglich bis zu 0,4 g Ammonium carbonic. 
in wässriger Lösung injicirt. Das Resultat war und ist gleich Null, trotz¬ 
dem einzelue Thiere im Ganzen 24,0 g des Salzes bekommen haben. Ich 
muss offen bekennen, dass nach den in der Literatur befindlichen Angaben 
über die Wirkung der Ammoniakverbindung beim Menschen ich vor einem 
Widerspruch mich befinde, der sich auch nur so wieder löst, dass ein Ver¬ 
gleich der an Thieren gewonnenen Resultate mit den beim Menschen zum 
Ausdruck gelangenden Symptomen vom Standpunkte factischer Brauchbar¬ 
keit und speciell für den therapeutischen Nutzeffect mindestens nur sehr 
fraglichen Werth besitzt. (Schluss folgt.) 


IX. Zweiter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Gynäkologie, Halle a. S. 1888. 

Ref. Dr. F. Eber hart (Halle). 

2. Sitzung am 25. Mai 1888. 

1. Herr Olshauseu (Berlin) stellt 2 Fälle von Cervixcarcinoin 
vor, wobei der Uterus durch Totalexstirpation entfernt; in dem einen ist 
seit 5, in dem anderen seit 7 Jahren noch kein Kecidiv eingetreteu. Es 
muss mindestens ein Zeitraum von 2 Jahren verflossen sein, wenn wir ein 
Recidiv ausschliessen wollen. Vortragender erwähnt einen Fall, wo nach 
Totalexstirpation wegen Carcinoma corporis uteri nach 3'/a Jahren Recidiv 
eintrat. 

Ferner stellt Herr OJshausen eine Frau vor, die seit ihrer zweiten 
Schwangerschaft von Osteomaiacie ergriffen wurde. Dieselbe hat dann 
2—3 Mal abortirt und kam in die Berliner Klinik wegen Jncarcerations- 
erscheinungen bei Retroflexio uteri. Repositionsversuche waren vergeblich, 
ebenso führten alle Abortiva zu keinem Ziele. In keine Distantia sacro- 
cotyloidea kann der Finger eindringen. Vortragender machte die Total¬ 
exstirpation von der Scheide aus. Heilung. (Der Fall ist genauer beschrie¬ 
ben worden von Dr. Benckiser im Ceutralblatt für Gynäkologie 1887, 
No. 51.) 

2. Herr Schatz (Rostock) demonstrirt einen Harnröhrcnstein, den 
er bei einem 18jährigen Mädchen entfernte. Die Betreffende hatte mit einer 
Haarnadel onanirt und war nicht mehr im Stande, die Haarnadel aus der 
Harnröhre zu entfernen. Letztere hat 2 Jahre gelegen. Im Laufe eines 
Jahres entwickelte sich der Stein, etwa 10 cm lang, 5 cm breit in der Mitte 
und fast ebenso dick. Auf dem Durchschnitt sieht man die Haarnadel, da¬ 
rum eine concentrische Schichtung. Es bestand keine Incontinentia urinae, 
dagegen Harndrang. 

3. Herr Schatz (Rostock): Ischaria puerperarum. Die Jschuria 
puerperarum sei eine häufige Erscheinung. Katheterisation sei deshalb län¬ 
gere Zeit nöthig, woraus leicht Cystitis entstehen könne. Vortragender hat 
seit 10 Jahren bei Ischuriapuerperarum die Dilatatio urethrae angewandt. 
Mit dem Schlingenführer nach Trelat dehnte er die Harnröhre, bis etwa der 
kleine Finger eingebracht werden kann; manchmal blute es dabei. Meist 
könne die Betreffende dann Wasser lassen, gewöhnlich nach einer Erwei¬ 
terung, höchstens seien zwei nöthig. Bei nicht puerperalem Zustande kann 
man auch, aber nicht immer, etwas erreichen, fast nie sei dies dagegen bei 
spastischen Formen möglich. Ueber die Art und Weise der Wirkung ist 
Vortragender im Unklaren. Die Physiologie der Harnentleerung ist nicht 
so einfach. Der Detrusor sei gewöhnlich nicht der Antagonist des Sphincter. 

Herr Battlehner (Karlsruhe) hat bei derartigen Affectionen mit 10°/o 
Cocainlösung Erfolge erzielt. 

Her Skutsch (Jena) glaubt, die Ischuria hänge mit dem Liegen zu¬ 
sammen, weil die Betreffenden nicht gewöhnt seien, im Bette Urin zu lassen. 
Es sei deshalb gut, die Betreffenden vorher darauf einzuüben, wie es in der 
Freund’scheu Klinik geschehe, und er es auch in Jona einüben liess. 

Herr Schatz erwidert, dass das Einüben bei zu Operirenden bei ihm 
auch geschehe. Die Dilatatio urethrae sei jedoch einfacher als die Cocain¬ 
bepinselungen. 

4. Herr Schatz (Rostock) empfiehlt Hydrastis canadensis als eiu 
gutes Mittel bei Myomen, doch müsse es aus frischen Droguen in Amerika 
bereitet werden. Vlburnum prnnifoliuni mildert die Wehenthätigkeit, be¬ 
sonders sei es bei Schwangerschaftswehen anzuwenden. Es verhüte manchen 
Abort, cs müsse jedoch in grossen Dosen gegeben werden, etwa täglich 3—4 Mal 
1,0 Extract. spiss. Es ersetze freilich nicht das Morphium, da wo die 
Wehenthätigkeit sehr stark eintrete. Er habe Fälle, wo es die frühzeitige 
Geburt aufgehalten und dieselbe richtig erfolgt sei. 

5. Herr Schatz (Rostock): lieber Sectio caesarea. Die relative 
Iudicatiou für die Sectio caesarea gehe ihm zu weit, Wendung und Extrac¬ 
tion sei besser. Man könne für das Kind die Wendung gefahrloser machen, 
das habe die Leichtigkeit des Kopfdurchziehens nach Winckel bewiesen. 
So hat Schatz bei einem querverengten Becken, wo schon mehrmals per- 
forirt, ein lebendes Kind durch Wendung bekommen, hat jedoch beide 
Arme vor der Extraction iutrauterin angeschluugen, da die Armlösung 
häufig längere Zeit in Anspruch nimmt. Er empfiehlt deshalb diese Methode 
des intrauterinen Armanschlingens vor der Extraction bei engem Becken. 

ß. Herr Martin (Berlin) spricht über regressive Metamorphosen 
der Myome und Uber Structur derselben Vortragender hat 205 Fälle 
von Corpusmyomen operativ entfernt. In den ersten 70 Fällen hat er 
keine Präparate untersucht. Sehr ausgesprochen verfettete Myome hat er 
7 Mal beobachtet. Verfettungsprocesse wirken günstig. Zu diesen 7 kommen 
3, die im Stadium der Verkalkung waren, besonders im Mantel der Ge¬ 
schwulst; grosse verkalkte Myome waren unter diesen 3 nicht. Bei 10 
Fällen handelt es sich um Yereiterungsproccsse. Darunter Fälle, wo die 
Myome eingebettet oder wo sie gestielt waren. Die Vereiterungsprocesse 
waren in verschiedenen Stadien. Bei den interstitiellen Stadien bestand 


eiterige Trübung, auch Fälle, wo das ganze Myom in eine eiterige Masse 
umgewandelt war. Verwachsungen mit dem Kreuzbein, auch Verklebung der 
Baucheingeweide wurden beobachtet. 11 Mal beobachtete er Oedem der 
Myome, durchgehend bei anämischen, durch lange Blutung herabgekommenen 
Frauen. Nirgends wurden Lymphräume gefunden, nur starkes Oedem. 
8 Mal fanden sich cystische Myome, in der Mitte eines grossen Tumors 2—3 
kleinere Cysten; auch mannskopfgrosse Knollen, daneben kleinere. 
Die cystische Umbildung führte zur Entwickelung sehr grosser Räume, 
in denen sich gelbliche, stark eiweisshaltige Flüssigkeit fand. Endo¬ 
thel wurde nicht gefunden. 3 Mal handelte cs sich um telangiectatische 
Myome. Sehr grosse Geschwülste, theils gestielt, Räume von Hirsekorn bis 
Wallnussgrösse, dazwischen Gefässe; in den Räumen Gerinnsel auch 
flüssiges Blut. Vortragender erwähnt einen Fall, der am 26. Tage an Em¬ 
bolie gestorben, ln 6 Fällen wurde sarkomatöse Degeneration beobachtet, 
in 2 Fällen Fibrosareom, wo Kapsolbildung nicht uachzuweisen war. In 
den anderen 4 Fällen war die sarcoraatöse Entartung direkt nach/.u- 
weisen. In allen diesen Fällen war in grosser Ausdehnung Ergotin ange¬ 
wandt worden. Früher glaubte man, dass eine Complication der Myome mit 
Carcinom nicht möglich sei. In 9 Fällen hat Martin Complication mit 
Carcinom nachwcisen können, in 2 Fällen mit Cervixcarcinoin, in 7 Fällen 
mit Corpu8Carcinom. Die Bonignität der Myome hat also ihre Grenzen. 

7. Herr Zweifel (Leipzig): Sticlbehandlnng der Myomotomie. 
Vortr. giebt einen historischen Ueberblick der verschiedenen Operations- 
methoden und bespricht dann die von ihm geübte Methode. Dieselbe ist 
im Wesentlichen eine intraperitoneale. Er legt Werth auf die Unterbindung 
des Ligamentum latum in 4 Abtheilungen vermittelst dor Bruns’schen 
Nadel. Den Stiel unterbindet er in Partieen und übernäht ihn dann mit 
einer Decknaht. Den Cervicalcanal brennt er ausschliesslich aus, nachdem 
der Uterus abgeschnitteu. Die Kante des Ligamentum latum wird hochge¬ 
zogen, und das Gewebe zurecht geschnitten, danu fortlaufende Naht mit 
dem Peritoneum, keine Drainage. 

Herr Fritsch (Breslau) hat auch zuerst den Stumpf versenkt; es 
brauche keine Nccrose desselben einzutreten. Dann hat er nach Schröder 
operirt. Fritsch hält den elastischeu Schlauch für überflüssig. Die 
Etagennaht hat er ersetzt durch grosse umfassende Nähte unter der Wund¬ 
fläche. Die Erfolge waren ebenso schlecht wie die durch Hofmeier 
publicirten. Jede vierte Frau sei gestorben. f)ie Zahl der bei extraperi¬ 
tonealer Methode nach Hegar Geheilten sei grösser, jedoch dauere die 
Heilung sehr lange. Fritsch hat daun den Stiel nach Wölfl er eiuge- 
näht. Dies schien ihm auch nicht bequem. Jetzt operirt er auf folgende 
Weise: Nachdem das Myom hervorgewälzt und der obere Theil des Wund¬ 
winkels durch Nähte gesichert, kommt ein Schwamm auf die Därme. Dann 
unterbindet er auf beiden Seiten das Ligamentum latum; eine Ligatur wird 
unter, eine über das Ovarium gelegt mit Decharap. Darauf wird der Gummi¬ 
schlauch provisorisch umgelegt, dann der Uterus ausgeschnitten, und zwar 
so, dass die Längsrichtung der Wunde mit der der Bauch wunde überein¬ 
stimmt. Es wird dann von links nach rechts vereinigt, und mit einigen 
Nähten die Stümpfe des Ligamentum latum angenäht. Nach dieser Ver¬ 
einigung näht er das Peritoneum rings herum, so dass die Wunde extra¬ 
peritoneal liegt. Ein Assisteut hält mit sämmtlichen Fäden den Stumpf in 
die Höhe. Dieser Rundtrichter wird mit Jodoformgaze ausgestopft, darüber 
kommt ein typischer Listerverband. Dieser bleibt bis zum 9. Tage liegen, 
dann werden die Fäden successive entfernt. Vortr. hat nach dieser 
Methode 19 Fälle hintereinander operirt, alle sind genesen. 
Bei grossen Myomen des Ligamentum latum hat Fritsch das Princip, den 
Uterus zu erhalten. Er schält das Myom aus dieser Höhle entweder durch 
Resection des Sackes und drainirt nach der Scheide (Martin), oder er näht 
den Wundsack in die Bauchwunde ein und stopft mit Jodoformgaze aus. 
Bei der Martin’schen Naht glaubt Fritsch die Därme mehr zu maltrai- 
tiren. Die Enucleation der Myome aus dem Uterus muss noch ausgebildet 
werden und hat nach Fritsch eine besondere Wichtigkeit. Vielleicht 
kann dadurch die Castration abgeschafft werden. Bei der Enucleation hat 
man gute Resultate, besonders wenn das Myom an der vorderen Wand 
sitzt. Die Vortheile dieses oben angegebenen Verfahrens bestehen nach 
Fritsch in der grossen Gefahrlosigkeit, kein Tropfen Blut kommt in die 
Bauchhöhle; die Nachbehandlung sei leicht, der Erfolg sei sicher, ebenso 
könne man leicht drainireu. 

Herr Olshausen (Berlin) bestätigt, dass der Gummischlauch in der 
Regel keine Necrose hervorbringt, bei manchen Operationen habe er selbst 
3—4 Gummischläuche versenkt. Auch ist die Gefahr, dass Abscedirung 
entsteht, eine geringe (einige Fälle beobachtet). Wird der Stumpf nicht 
necrotisch, so wird doch seine Ernährung herabgesetzt, und kann leicht 
Infection entstehen. Vortr. möchte die Behandlung von Zweifel nicht 
als Sch rode r’sche bezeichnen. Unterbindung in vier Partieen sei nicht 
nöthig, es genüge, wenn das Ligamentum infuudibulo-pelvicum unterbunden 
werde. Nach Abschneiden des Stumpfes ist die Uterina zu unterbinden, 
deshalb sei das Versenken des Gummischlauches unuüthig. Versenkt er 
den Gummischlauch, so schliesst er erst das Peritoneum. Was das Aus- 
brennen des Stumpfes betreffe, so sei dies wohl günstig. Wegen der 
sccundären Infection vom Cervix aus, schneide er den Cervicalcanal mit dem 
spitzen Messer aus, nachdem er ausgebrannt oder mit 1 % Sublimat aus¬ 
getupft, nähe denselben daun mit Catgut, dann den Uterus darüber und 
zuletzt das Peritoneum. Der Vorschlag von Fritsch sei gut uud 
zweckmässig. 

Herr Wiedow (Freiburg): Wenn der Cervicalcanal gründlich desinricirt 
ist, kann eine elastische Ligatur versenkt werden, ohne Nachtheil zu bringen, 
sonst nicht. Er versenke keine elastischen Ligaturen. 

Herr llofmeier (Giessen) hält die extraperitoneale Behandlung für 
die bessere, jedoch müsse man mit richtiger Durchführung der Schroder- 
schen Methode bessere Resultate erzielen können als seither. Gerade so 
wie man bei Totalexstirpation die Vagina desinficirt, ebenso müsse man 
den Cervicalcanal desinficiren. Anfangs hat Schröder auf Hofmeier’s 


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19. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


603 


Veranlassung den Paquelin mehr angewandt, ist jedoch später davon wieder 
zurückgekommen, weil er glaubte, einige ungünstige Resultate auf die tiefe 
Verschorfung zurückführen zu müssen. 

Herr Frommei (Erlangen) hat nie, weder bei Schröder’s, noch bei 
seinen Fällen Blutung gesehen. Er schneidet den Stumpf stark aus. Bei 
Myomen im Ligamentum latum hält er weder Drainage, noch Einnähen in 
die Wundhöhle für nöthig. Nur Resection habe er vorgenommen. 

Herr Fehling (Basel): Die extraperitoneale Behandlung habe nur 
wegen ihrer langen Dauer wenig Anhänger; er habe damit gute Resultate 
erzielt. 

Herr Breisky (Wien) bekennt sich zur extraperitonealen Behandlung 
des Stieles und bestätigt die Aussagen Frommel’s. Die Längsvereiniguug 
der Uteruswunde mit der der Bauchwunde (Fritsch) sei schon in Wien 
angewandt worden. Er drainire nur bei Verunreinigungen oder bei Cora- 
plicationen mit Eiter, und zwar nehme er den Jodoformdocht. Gegenüber 
Hofmeier bemerkt er, dass zwischen der Desinfection der Scheide uud 
der des Cervicalcanals ein grosser Unterschied sei bezüglich der Schwierig¬ 
keiten der Desiufection. Er verfahrt wie Olshausen bei der Desinfection 
des Cervicalcanals. 

Herr Dohrn (Königsberg) hat die Gummischnur in 150 Fällen ange¬ 
wandt und versenkt. Er habe dabei nie Eiterung, nie Necrose des Stumpfes 
beobachtet. Die Ernährung des Stumpfes werde nicht in erheblicher W'eise 
gestört. 

Herr Kaltenbach (Halle) erwähnt zwei Fälle von Carcinom des 
Collum, wobei er Myome im Fundus gefunden. Er glaubt, dass die Ver¬ 
eiterung bei den intramuralen Myomen, wie sie Martin beschrieben, viel¬ 
leicht durch eine Fettemulsion vorgetäuscht worden. Eiterung müsse man 
mit dem Eindringen von Mikroorganismen in Zusammenhang bringen. Er 
weist auf die guten Resultate der Wiener hin, die extraperitoneal behandeln. 
Abbinden der Ligamenta lata in mehreren Partieen sei bei grossen Tumoren 
nicht immer möglich, da dieselben nicht so leicht zugänglich. Zweifel’s 
Methode scheine auf die Massenligaturen zurückzukommeu. Bei den Massen- 
ligatureu wird die Gefahr wegen der nachträglichen Infection vom Cervical- 
canal aus eine grössere. Die Gefahr bezüglich der Infection vom Cervical- 
canal aus sei eine verschiedene, und verweise er auf die günstigen Resul¬ 
tate bei Virgines, die nicht untersucht seien. Die beste Sicherung gebe 
die Sch röder’sche Etagennaht. Bei der Glühhitze entstehe ein Brand¬ 
schorf, der den Mikroorganismen leicht Ernährung gewährt. Die Castration 
mache er bei multiplen Myomen. 

Herr Zweifel (Leipzig): Je dicker der Stumpf, um so leichter sei die 
Ernährung. Er bezweifelt, dass durch den Gumraischlauch mehr als durch 
die Nähte die Necrose begünstigt werde. Es darf nicht viel Gewebe, das 
Nährboden für die Infection giebt, Zurückbleiben. Das Emporziehen des 
Stumpfes sei manchmal nicht möglich. Ein Nachsickern von Blut komme 
manchmal durch Steigerung des Blutdruckes vor. 

Herr Martin (Berlin): Bei Vereiterungen von Myomen, die er ge¬ 
sehen, handelte es sich ausschliesslich um Zerfall des Myoms. Er hat erst 
nach Pean’scher Vorschrift operirt, ist jetzt Anhänger der intraperitonealen 
Methode. Martin hat auch öfters Myome ausgeschält, besonders 
bei jungen Frauen. Er verwendet jetzt Juniperuscatgut, nachdem er 
von den Seidenfäden unangenehme Folgen gesehen. 

8. Herr Ablfeld (Marburg): lieber Placenta praevia mit. Benutzung 
eines Durchschnittes durch einen hochschwangeren Uterus. 

Seit dem ersten Gynäkologencongress zu München sind im Ganzen 
vier diesbezügliche Präparate beschrieben worden. Während bei diesen 
Fälleu die anatomischen Verhältnisse durch Entbindungsversuche verändert 
worden sind, zeigt Vortragender ein Präparat, wo nur von der Hebamme 
eine Scheidentamponade ausgeführt worden ist. Sein hinzugerufener Assistent 
konnte nur den Tod der Frau coustatiren. Der Uterus wurde mit der 
Vagina in toto herausgenommen. March and hat dann, nachdem er das 
Fruchtwasser herausgelassen und dafür Müller’sche Flüssigkeit hineinge- 
gossen, den Uterus selbst in Müller’sche Lösung gelegt, später in Alkohol 
erhärtet. Nach genügender Härtung wurde das Präparat sagittal durch¬ 
schnitten. Man fand den Cervix und die Vagina auffallend weit. Das in 
dem Zweimarkstück grossen Muttermund liegende Stück Placentagewebe ist 
durch eine dünne Zone Decidua bedeckt. Darin ist ein Riss von kaum 
1 cm Länge, dieser hatte einen Sinus eröffnet, aus dem sich die Frau ver¬ 
blutet hatte. Der innere Muttermund ist stark rechtwiuklig nach innen ge¬ 
zogen. Die Eihäute haben sich wenig gelöst. Ahlfeld macht insbesondere 
auf eine Complication der Placenta praevia aufmerksam, über die bisher 
Mittheilungen noch nicht gemacht worden seien. Es betrifft dies feste Ver¬ 
wachsungen einzelner Placentatheile, die in einigen Fällen die manuelle 
Entfernung nothwendig machten. Mit Einführung des Crede’schen Ver¬ 
fahrens sei die Placenta herausgequetscht worden, und man sei nicht in der 
Lage gewesen zu constatiren, ob bei diesem Griffe grössere Schwierigkeiten, 
durch adhäsive Processe, zwischen Chorion und Decidua sich abspielend, 
vorhanden waren. Er verfüge über neun Fälle von Placenta praevia, wobei 
die abwartende Methode angewandt. Nur in zweien dieser Fälle wurde die 
Placenta in toto spontan geboren, ln den sieben anderen Fällen gelang 
die Expression nur unvollständig nach mehr oder weniger langer Zeit, und 
es blieben Theile über dem inneren Muttermunde zurück, die manuell ent¬ 
fernt werden mussten. Diese Verwachsungen können von Erkrankungen 
des Endometriums abhängen, andererseits auch von der Nähe der Placenta 
am inneren Muttermunde, da so die Mikroorganismen des Cervix direkt mit 
der Decidua, in der die Zotten eingebettet sind, in Berührung kommen 
können. 

9. HerrUofmeier (Giessen): Zar Aetiologle der Placenta praevia 
(mit Demonstration von Präparaten). Vortragender demonstrirt ein Präparat 
von Placenta praevia in einem fünfmonatlich schwangeren Uterus. Das 
Präparat stammt von einer in Folge eines Sturzes gestorbenen Frau und 
zeigte sich bei der Eröffnung ganz mit Blut gefüllt. Ausserdem enthielt es 
Zwillinge, zwischen denen sich keine Eihäute befanden, und es lagerte die 


eine Placenta etwa 2 cm über dem inneren Muttermunde fort. Bei genauer 
anatomischer und mikroskopischer Prüfung zeigte sich zugleich der ganze 
untere Abschnitt des Uterus mit einer normalen glatten Decidua ausge¬ 
kleidet, während zu gleicher Zeit die freie Fläche der Placenta einen dicken 
Ueber/ug von Decidua trägt, der zum Theil noch Drüsen mit Ausführungs¬ 
gängen und verändertem Epithel zeigt. Ebenso erweist sich die Decidua 
der gegenüberliegenden Uteruswand vollkommen normal, sodass eine An¬ 
heftung der Placenta an dieser Stelle nicht stattgefunden haben kann. Es 
bleibt zur Erklärung der anatomischen Verhältnisse des Präparates nichts 
anderes übrig, als eine Entwickelung der Placenta auf der Decidua reflexa 
anzunehmen. Wenn diese Art der Entwickelung öfter vorkäme, so würden 
manche klinische Erscheinungen bei Placenta praevia sich leicht erklären 
lassen. 

Herr Dohrn (Königsberg) bestätigt die Verwachsungen, wie sie Ahl- 
feld bei Placenta praevia gefunden. Die Form der Placenta bei tiefem 
Sitz sei eine unregelmässige. Die Placenta weist, bei tiefem Sitz häufig 
kahle Stellen auf. Er glaubt, dass das befruchtete Ei, wenn es in den 
Uterus gelangt, vollständig von Zotten umgeben ist. Placenta praevia führe 
häufig in früher Schwangerschaft zum Abort. 

Herr Kaltenbach (Halle): Bei Placenta praevia hat sich die Placenta 
in der Decidua reflexa entwickelt, dadurch wurde das Ei ein schmalbasiges. 
Durch Zerrung der Serotinalstelle entstehe hier häufiger Abort, und sei des¬ 
halb Placenta praevia eine disponirende Ursache für denselben. 

Herr Ahlfeld (Marburg) theilt diese Ansicht nicht. Er behauptet, die 
Placenta sitze in den ersten Monaten häufig tief, steige dann später in die 
Höhe. Placenta praevia entsteht durch primäres tiefes Herabsinken des 
Eies. Eine Decke von Decidua verschliesst die Gefässe. Es müsste deshalb 
ein grösseres Augenmerk auf die Aborte gerichtet werden. 

Herr Winckel (München): Es ist unrichtig, wenn man glaubt, dass 
das Ei ohne Zotten in den Uterus kommt. Die Allantois endet scharf, wo 
die Endigungen der Placenta sind. Placenta praevia entsteht vielleicht da¬ 
durch, dass die Allantois über die Stelle ragt, wo das Ei inserirt. 

Herr Hofmeier (Giessen): Nach Ahlfeld’s Ansicht könnte resp. 
müsste immer Placenta praevia centralis entstehen, und diese sei doch sel¬ 
tener als die lateralis. 

10. Herr Schultzc (Jena): Karze Mittheilung Uber Pessarlen. 
Vortr. präcisirt die Anforderungen, die man an ein gutes Pessar stellen 
müsse, und bespricht, dann die verschiedenen Arten der Pessare. Die Cellu¬ 
loidpessare würden jetzt aus England ausgezeichnet geliefert; sie hielten 
länger das Scheidensecret aus, und man könne sie bis zu zwei Jahren liegen 
lassen; von dem formbaren Material sei es das beste. Für praktische Aerzte, 
die seltener Pessare einlegten- sei es besser, wenn noch ein Draht in das 
Celluloid eingelegt werde. Den Pessaren aus Guttapercha fehle die glatte 
Oberfläche, während Aluminiumringe wegen ihrer grossen Leichtigkeit aus¬ 
gezeichnet getragen würden. 

11. Herr Skutsch (Jena): Zur Therapie der Retroflexio uteri. 
Eine rationelle Therapie müsse darauf hinausgehen, die Ursachen der Retro¬ 
flexio zu erforschen. Die Befestigungsmittel des Uterus müsse man zur 
Norm zurückführen. Unzweckmässig geformte Pessare wirkten schädlich. 
Hindernisse der Reposition seien entweder peritoneale Adhäsionen oder sub- 
peritoneale Narbenstränge. In Narcose müsse man die Adhäsionen palpiren 
und trennen. Bei festen Adhäsionen müsse man sehr vorsichtig vorgehen 
wegen Gefahr der Blutung und um Darmverletzungen zu vermeiden. Para- 
metritische Narben könnten sich mit peritonealen compliciren, und dies seien 
die ungünstigsten Fälle, meist sei hier die Retroflexio unreponirbar. Man 
müsse allmählich dehnen und die Narben massiren. Skutsch hat die 
Massage nach Brandt auf parametritische Exsudate angewandt. Durch dies 
Verfahren sei er meist zum Ziele gelangt. Bei strangförmigen Adhäsionen 
mache er häufig bimanuelle Repositionsversuche, hierzu sei keine Narcose 
nöthig. Bei ausgedehnten parametritischeu Adhäsionen müsse die Massage 
der chronischen ßeckenzellgewebsentzündung direkt in Angriff genommen 
worden; bei strangförmigen Narben müsse man die Dehnung durch direkte 
Massage der Narbenstränge bewirken. Eine subtile Diagnose sei immer 
nöthig. Narbeustränge müssten genau erkannt werden. Auch müsse man 
seine Aufmerksamkeit auf den Beckenboden richten, auch dieser sei bima- 
nuell zu betasten. Man könne durch das Foramen ischiadicum majus tasten, 
auch sei es vom Hinterdamm und Damm möglich Vortr. giebt dann eine 
Statistik seiner Heilungen. Sei die vordere Vaginalwand sehr kurz, so finde 
bei der Reposition kein Hinderniss statt, jedoch sei das Pessar nicht gut 
verwendbar; durch eine Operation müsse man dann die vordere Wand ver¬ 
längern. Nicht eher solle mau zur Laparatomio schreiten, als alle Dehnungs¬ 
versuche etc. misslungen. 

Herr Schwarz (Halle) behandelt erst die Complicatiouen und nur in 
Fällen, wo wesentliche Beschwerden vorhanden, legt er ein Pessar ein. Er 
glaubt, die Behandlung der Complicationen sei die Hauptsache. Bei Fällen, 
wo die Reposition nicht gelang, dilatirte er den Uterus durch Einlegen von 
Laminaria, und die Reposition gelang dann leicht. Auch erwähnt er Fälle, 
wo bei fester Verwachsung trotz Massage etc. der Uterus nicht reponirt 
werden konnte. Nach Ventrofixatio schwänden auch nicht immer die Be¬ 
schwerden. 

Herr Wiedow (Freiburg) ist ebenfalls von der Pessarbehandlung zu¬ 
rückgekommen. Er habe dabei Indurationen beobachtet. Besonders warne 
er jedoch vor den Intrauterinstiften. 

Herr Werth (Kiel) will wissen, warum man sich so ablehnend gegen 
die A1 exander-Adam’sche Operation verhält. Er habe damit gute Resul¬ 
tate gehabt. 

Herr Sänger (Leipzig): Dr. Polk in New-York macht die Lapara- 
tomie, löst die Adhäsionen und macht dann die Verkürzung der Ligamenta 
uteri rotunda. 

Herr Engelmann (St. Louis) erzielte bei Erschlaffung der Gewebe mit 
dem faradischen Strom deren Stärkung, zugleich wandte er elastische Tampons 
mit Adstringentien an. Ist die Deviation durch Narbenbiiduug bedingt, so 


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604 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29 


lässt er die resorbirende Wirkung des galvanischen Stromes in Anwendung 
kommen und übt auch durch den elastischen Tampon eine Dehnung der 
Narbenstränge aus. Eine Pessarbehandlung wird dann nicht mehr nöthig. 
Kleine Exsudate seien nach einigen Sitzungen zum Schwinden zu bringen. 

Herr Fritsch (Breslau) hat das Gefühl, als ob die Pessarbehandlung 
zu kurz gekommen sei. Es sei viel leichter, eine Laparatomie zu machen, 
als ein Pessar einzulegen. Mau könne durch ein passendes Pessar vortreff¬ 
liche Resultate erzielen. Er habe jetzt sehr selten fixirte Retroflexionen 
Man brauche hierzu längere Zeit, bis man sich die nöthige Geschicklichkeit 
erworben. Die Pessarbehandlung sei das schwierigste Gebiet der modernen 
Gynäkologie. Die Lageveränderung und secundäre Symptome könne man 
nicht getrennt von einander behandeln. 

Herr Winckel (München) theilt entschieden die Ansicht von Fritsch. 
Bezüglich der Alexander-Adara’schen Operation theilt er mit, dass die 
Ligamenta rotunda schwer zu finden seien. Bleibe das Organ durch diese 
fixirt, so sei eine andere pathologische Fixation vorhanden. 

Herr Schnitze (Jena) glaubt, dass die Reposition des Uterus die beste 
Therapie gegen die Complicationen sei (Metritis, Oophoritis, Peritonitis). 
Nach der Reposition hat er häufig eine Verkürzung des Organs constatirt, 
auch schwanden Oophoritiden rasch nach Reposition des Uterus. Deshalb 
empfehle er dringend die Repositiou desselben. 

12. Herr Rüge (Berlin): Ueber Adenom des Uterus, die malignen 
und benigrnen Formen desselben. Bei der Endometritis glandularis sei 
die Schleimhaut, bekanntlich verdickt. Mau unterscheidet I) die hypertro¬ 
phische Form ('dabei Vergrösserung der Drüse, ohne Vermehrung derselben), 
2) die hyperplastische Form, bei welcher die Vermehrung der Drüse sowohl 
von der Oberfläche als vom Schaft ausgeht. Das Adenoma benignum 
sei auf Grund anatomischer Vorschläge so genannt worden. Die Wiener 
Gynäkologen haben die hyperplastische Form als Adenom bezeichnet. Man 
unterscheidet ein Adenoma diffusum und ein cirumscriptum. Der Name 
Adenom sei unglücklich gewählt, da damit eine Neubildung gemeint ist und 
danach operirt wird, während bei Endometritis glandularis nur wegen der 
Symptome operirt werde. Das Adenoma malignum geht tiefer in die 
Muskelsubstanz (rasches Wachsthum, eventuell Metastasen etc.). Die klinischo 
Erfahrung spricht eben für Carcinom, ebenso zeigt das Adenoma malignum 
auch in histologischer Beziehung carcinomatösen Charakter. Es ist daher 
zu den Carciuoraen zu rechnen. Es werden bei Krebsen epitheliale Schicht 
und solide Zapfen verlangt, was aber unrichtig sei, da diese nicht immer 
vorhanden sind. Beim einfachen Adenom sind einfach vergrößerte Drüsen- 
schläuche zu sehen. Beim malignen Adenom ist von oben an colossale 
Drüsenwucherung, die ganze Drüsenwandung ist eingegangen und ausge- 
buchtet. (Regenwurmform). Das Lumen ist 50—60fach erweitert Bei der 
kleiuzelligen Form finden wir mehr solide Zapfen neben colossaler Wuche¬ 
rung der Drüsenzellen. Das Wort Adenom soll man überhaupt fallen lassen 
und nur von Endometritis hypertrophica und hyperplastica sprechen. 

13. Herr Ahlfeld (Marburg): Ueber bisher noch nicht beschriebene 
intranterine Bewegungen des Kindes. Vortragender hat bei 30 Schwan¬ 
geren eigcnthümliche Bewegungon nachgewiesen mittelst eines Glastrichters, 
der durch einen Schlauch mit einer Marey’schen Trommel in Verbindung 
stand, deren Feder auf ein Kymographion niederschrieb. Er sah hiermit 
eine Bewegungscurve entstehen, die er bald auch mit dem Auge beobachten 
konnte. Für das Auge wurden dieselben als wiegende Bewegungen um den 
Nabel sichtbar. Sie sind am deutlichsten an der Rückenfläche des Kindes. 
Sie treten nur periodenweise auf, wenigstens sind sie für uns nur so sicht¬ 
bar. Der Frequenz nach müssen es entwedet Saug- oder Athembewegungen 
sein. Nach der Geburt, hat er Kindern ebenfalls den Trichter aufgesetzt 
und entscheidet sich für die Athembewegungen. Die Excursionen des 
Zwerchfells und der Bauchdecken sind es, die wir an den Bauchdecken der 
Mutter wahrnehmen. Die Athembewegungen seien jedoch sehr oberflächlich, 
deshalb dringe das Fruchtwasser auch nicht tief ein, es gelange höchstens in 
den oberen Theil der Trachea. 

Herr Wiener (Breslau) hält die beschriebenen Bewegungen nicht 
für Athembewegungen, weil durch dieselben Flüssigkeit in die Lunge 
aspirirt werden müsste. 

Herr Ziegenspeck (München) will bei Preyer (Jena) an Frosch¬ 
embryonen und auch an lnsecten (Eintagsfliege) regelmässige Bewegungen 
beobachtet haben. (Schluss folgt.) 

X. Dreizehnte Wanderversammlung süd¬ 
westdeutscher Neurologen und Irrenärzte zu 
Freiburg i. Breisg. den 9. und 10. Juni 1888. 

(Schluss aus No. 28.) 

Die II. Sitzung fand am 10. Juni Vormittags im llörsaal der Frei¬ 
burger Irrenklinik unter Vorsitz von Professor Jolly (Strassburg) statt; 
voraus ging unter Führung von Professor Emminghaus eine Besichtigung 
der genannten Klinik, deren Räume erst seit dem 1. April a. c. ihrer Be¬ 
stimmung übergeben sind. Zum nächstjährigen Versammlungsort wurde 
Baden-Baden bestimmt; als Geschäftsführer werden die Herren Professor 
Erb und Dr. Franz Fischer (Illenau) fungireu. 

Weitere Vorträge hielten: 

1. Herr Docent Dr. Hoffmann (Heidelberg): Ueber einen Fall von 
progressiver Muskelatrophie. Herr Hoffmann berichtet über einen 
Fall von progressiver Muskelatrophie. Die Krankheit befiel ein Mädchen in 
frühester Kindheit: die Krankheit selbst kam im 8. Jahre in Beobachtung. 
Die charakteristischen Symptome der Krankheit waren: Familiäre Be¬ 
lastung; Beginn der Atrophie und der mit ihr gleichen Schritt halten¬ 
den Parese an dem vom Rückenmark entferntesten Muskelgebiet (zuerst 
der unteren, mehrere Jahre später der oberen Extremitäten), progressiver 
Verlauf mit ascondirendem Charakter, schweren, sehr eigenthümlichen Ver¬ 
änderungen der elektrischen Erregbarkeit sowohl in den paretischen, wie in 


den nicht gelähmten (Gesichts- etc.) Muskeln und Nerven, Sensibilitäts¬ 
störungen, Fehlen der Sehnenreflexe, verminderter mechanischer Muskel¬ 
erregbarkeit, Unruhe der Muskeln, Klumpfuss etc. Hoffmann glaubt, dass 
der Fall eine besondere Form von progressiver Muskelatrophie bilde, die 
iu der Mitte stehe zwischen der spinalen und der rayopathisch progressiven 
Muskelatrophie. Weiter führt er aus, dass sich anatomisch wahrscheinlich 
multiple Nervendegeneration finden werde, und man deshalb die Krankheit 
als neurotische progressive Muskelatrophie bezeichnen könne. Trotz der 
Aehnlichkeit, welche die Affection mit peripheren Nervenerkrankungen hat, 
schliesst sich Hoffmann mehr der Ansicht von Cliarcot an, dass doch 
eine Myelopathie das Primäre des Leidens sei. 

2. Herr Dr. Koeppeu (Strassburg): Ueber Albuminurie bei Geistes* 
kranken. Es findet sich in dem Urin Geisteskranker viel häufiger Eiweiss, 
als bisher angenommen wurde. Die Fälle, in denen die Albuminurie als 
wesentliches Moment des Zustandes auftrat, lassen sich in 3 Gruppen 
bringen: 1) Psychosen, welche sich auf Grund einer Nephritis entwickelt 
haben. Es giebt hier psychische Störungen, die man direkt als urämische 
Intoxicationspsychosen auffassen kann. 2) Psychosen, die sich auf Grund 
einer allgemeinen Arteriosklerose entwickelten. Das Auftreten von Eiweiss 
ist hier abhängig entweder von der Beschaffenheit des Gefässsystems oder 
von einer Nierenerkrankung, hervorgerufen durch die Arteriosklerose 
3) Fürstner fand bei Delirium tremens im Urin Eiweiss und constatirte, 
dass dasselbe bei psychischer Verwirrtheit und Benommenheit zunahm. 
Dieser Satz lässt sich verallgemeinern. Man findet iu den allermeisten 
Fällen, wo psychisch Verwirrtheit und Benommenheit besteht, Eiweiss im 
Urin, und zwar zu- und abnehmend mit den psychischen Erscheinungen; so 
beim Delirium acutum, in bestimmten Stadien der Manie u. s. f. Es gelang 
nicht allein, das gewöhnliche Eiweiss, sondern auch Propepton im Uriu zu 
constatiren. Das Propepton ist nach den Beobachtungen Koeppen’s in 
vielen Fällen als das erste Anzeichen eines Einflusses des Gehirns auf die 
Nieren aufzufassen. Die Urine hatten meistens hohes specifisches Gewicht. 
Mikroskopisch fand sich selbst in Fällen mit sehr viel Albumen nichts als 
zuweilen spärliche hyaline Cylinder und einige Epithelien. Es ist also das 
Auftreten des Eiweisses in dieseu Fällen allein auf den Zustand des Ge¬ 
hirns zurückzuführen, und man könnte in einem gewissen Sinne von einer 
centralen Albuminurie sprechen. (Die Untersuchungen Koeppen’s 
werden ausführlicher veröffentlicht.) 

3. Herr Dr. Edinger (Frankfurt a. M.): Ueber Entwickelung de» 
Hirnmantels in der Thierreihe. Vortr. demonstrirt eine Anzahl von 
Präparaten und Zeichnungen, welche die Entwickelung des Vorderhirns in 
der Thierreihe betreffen. Redner hat versucht, den complicirten Bau des 
.Säugergehirns besser zu verstehen durch Verfolgung von dessen wichtigsten 
Theilen durch die Thierreihe hindurch. Die Resultate seiner Arbeit, die 
iu den Abhandlungen der Senkenbergischeu uaturforschenden Gesellschaft 
soeben in extenso erschienen ist, sind kurz die folgenden: Der Hirnmantel 
erreicht nur sehr allmählich die Ausbildung, die wir an ihm bei den Säugern 
kennen. Eine ununterbrochene Eutwickelungsreihe von den niederen Formen 
zu den höheren ist nicht vorhanden. Der rein epitheliale Hirnmantel der 
Knochenfische und der Cyclostomen und das wesentlich dem primären 
Vorderhirn entsprechende Vorderhirn der Selachier, welches entwickelungs¬ 
geschichtlich studirt wurde, werden demonstrirt. Von ihnen führen keine 
l’ebergangsformen zu dem ausserordentlich einfach gebauten Gehirn der 
Amphibien, von denen Redner eine grosse Anzahl in allen Altersstufen 
untersucht hat. Die Grundformen des Amphibiengehirns sind bei den 
Reptilien noch nachzuweisen, aber im Reptilienhim beginnt mit dem Auf¬ 
treten der Hirnrinde, dem ersten iu der Thierreihe, diejenige Hirnform, 
von der sich das Organ der Vögel und das der Säuger ableiteu lassen. 
Bei den Reptilien tritt auch die Ammousformation und der aus ihr ent¬ 
springende Fornix zuerst auf. Während der Mantel alle diese Wandlungen 
durchmacht, bleibt im Grossen und Ganzen die Lage uud Structur des 
Stammganglions wesentlich durch die ganze Reihe hindurch die gleiche. 
Bei den Knochenfischen bildet es die Hauptmasse des Gehirns, mit zu¬ 
nehmender Mächtigkeit des Mantels aber tritt es mehr und mehr in die 
Tiefe zurück und wird schliesslich bei den Säugern zu einem im Vergleich 
mit der übrigen Vorderhirnmas.se kleinen Hirnstück. 

4. Herr Privatdocent Dr. Ziehen (Jena): Zur Physiologie der sub- 
corticalen Gauglien und Uber ihre Beziehungen zum epileptischen 
Anfall. Ziehen hat im Anschluss an frühere Versuche, welche bewiesen, 
dass der klonische Antheil des beim Hunde durch faradische Rindenreizung 
ausgelösten Krampfes corticalen Ursprunges ist, der tonische Antheil und 
die Laufbewegungen hingegen infracorticalen, und im Anschluss an die Ver¬ 
suche von Bi us w an ge r, welcher in der Med. oblongata und im Pons 
Reflexcent reu fand, die auf Reizung mit tonischem Krampf, sowie Laufbe¬ 
wegungen antwortete, Reizuugsversuche am Corp. Striatum, Nucl. lentif., 
Thalam. opticus und den Vierhügelu nach Abtragung der Grosshirnhemi¬ 
sphäre angestellt. Als Versuchsthiere dienten zunächst Kaninchen; als 
Reizungsmittel wurde Berührung und oberflächliche Verletzung mit stumpfer 
Nadel angewandt, nur selten der faradische Strom, ausserdem wurden zahl¬ 
reiche Durchschneidungsversuche angestellt. Faradische Reizung am 
Streifenhügel und Linsenkern löst Mastication, Flimmern der Lippen, Drehung 
des Kopfes nach der gekreuzten Seite, tonische Contraction der gekreuzten 
und in schwächerem Grade auch der gleichseitigen Beine aus. Bei längerer 
Rcizdauer tonischer Krampfanfall. Aehnliche tonische Contractionen erfolgen 
bei stärkerer faradischer Reizung des Thalamus opticus. Durchschneidung 
desselben führt zu excessiver Laufbewegung mit Locomotion des Thieres. 
Dieselben krampfhaften Laufbewegungen kommen zu Stande bei Reizung 
im Gebiete der vorderen Vierhügel. Mechanische faradische Reizungen 
sowie Durchschneidung im Gebiet der hinteren Vierhügel löst einen extre¬ 
men, allgemeinen, die Reizung überdauernden tetanischen Krampf aus. 
Aus den Versuchen Ziehen 1 » ergiebt sich, dass in der Gegend des Thal, 
opt. und der vorderen Vierhügel motorische Centren für höher coordinirte 
Bewegungen gelegen sein müssen. 


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19. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


605 


5. Herr Prof. Thomas (Freiburg) macht Mittheilung von einer anto* ; 
pathischen Beobachtung, einen eigentümlichen Reflex zwischen Reizung j 
der Wundschleimhaut und leichter Strangurie betreffend. 

G. Herr Dr. A. Cr am er (Freiburg): Ueber die Wirkling des Sul- | 
fonals bei Geisteskranken. Vortr. berichtet über 40 mit dem Sulfonal bei [ 
Geisteskranken angestellte Versuche und sodann im Anschluss daran über ; 
physiologisch-chemische Experimente, welche das Verhalten von Chloral, 
Paraldehyd, Amylenhydrat und Sulfonal zu künstlicher Verdauung klar legen. 
Die 407 therapeutischen Versuche wurden an 45 Personen gemacht. 30 (7,4%) 
fielen negativ aus. 377 mal (92,4°/o) führte das Mittel einen 5- und mehr¬ 
stündigen Schlaf herbei. Der Schlaf trat meistens */*—I Stunde nach Ein¬ 
nahme des Mittels ein. Die Dosis schwankt zwischen 1 und 3 g. Unange¬ 
nehme Nebenwirkung, abgesehen von einer einige Mal eingetretenen Schläfrig¬ 
keit am anderen Morgen, wurde in keinem Falle bemerkt. Die Kranken 
litten an Melancholie, Manie, Paralyse, Paranoia, Hebephrenie. 

Die physiologisch-chemischen Versuche bezogen sich auf das Verhalten 
des oben genannten Schlafmittels: 1) Zur diastatischen Wirkung gemischten 
Mundspeichels. 2) Zur fibrinverdau enden Wirkung künstlichen Magensaftes. 

3) Zur fibrinverdauenden Wirkung künstlichen Pankreassaftes. Sie ergaben, 
dass Sulfonal keinen wesentlich hemmenden Einfluss auf die oben erwähnten 
chemischen Vorgänge ausübt. Gramer glaubt, dass wir im Sulfonal ein 
wichtiges Mittel für den Arzneischatz gewonnen haben. 

7. Herr Prof. Käst (Freiburg): Ueber musikalische Störungen bei 
Aphasie. Schon früher hatte Vortr. über die interessante Erscheinung be¬ 
richtet, dass musikalisch begabte und technisch gut gebildete Individuen 
mit dem Eintritt einer aphasischen Erkrankung die Fähigkeit einbüssten, 
aus einem möglicherweise reichen Schatze musikalischer Vorstellungen auch 
nur die allereinfachsten in correcter Weise zu reproduciren — und dies 
ohne nachweisbare Beeinträchtigung der Qualität des musikalischen Hörens 
und ohne jede Behinderung im peripheren Bewegungsapparat. Der erste 
von Käst publicirte Fall betraf einen Landwirth, der an rechtsseitiger 
Hemiplegie mit Broca’scher Aphasie litt und das Unvermögen zeigte, 
correct zu singen, während er vorher ein guter Sänger gewesen war — 
bei Erhaltensein der musikalischen Fähigkeiten nach der perceptiven Seite 
und guter Intelligenz. Die expressiven Störungen auf musikalischem Gebiete 
blieben noch bestehen, als die Sprache sich bereits gebessert hatte. Die 
neue Beobachtung Kast’s betrifft einen gebildeten, als Musikdilettant sehr 
geschätzten Herrn von 45 Jahren, der vor 20 Jahren sich luetisch inficirt 
hatte, 2 apoplektische Anfälle erlitt und nach dem zweiten eine Broca’sche 
Aphasie davontrug mit ausgesprochener Schreibstörung. Während sich die 
Sprache innerhalb von Monaten besserte, zeigte sich Pat. unfähig, nicht nur | 
einfache Weisen und Tonfolgen, sondern auch einzelne bestimmte musikalische 
Töne spontan oder nach Vorspielen und Vorsingen zu reproduciren, und 
zwar weder gesanglich noch auf der Geige, trotzdem er vorher ein in weiten 
Kreisen gern gehörter Solosänger und guter Violinspieler gewesen war. Dabei 
erkannte er Töne und Intervalle vortrefflich. — Die Geige sei aber, trotzdem 
er bei Versuchen den Rhythmus einhielt, „wie ein Stück Holz in seiner Hand“. 
Noten wurden ziemlich gut gelesen. Die musikalische Störung besteht noch 
jetzt, wo mehr als ein Jahr verflossen, fort, während die Sprache entsprechend 
der grösseren Uebung weit besser von Statten geht. (Die Beobachtung wird 
im Archiv für Psychiatrie ausführlich publicirt werden.) 

Um 12 Uhr Mittags wurde die XIII. Wanderversammlung geschlossen. 

Laquer (Frankfurt a. M.). 


XI. Journal-Revue. 

Anatomie. 

1 . 

Edinger. Ueber die Verbindung der sensiblen Nerven 
mit dem Zwischenhirn. Anatomischer Anzeiger 1887, No. 6. 

Wenn auch durch die Weigert’sche Methode der Nerven- 
färbung (Färbung des Nervenmarks durch Haematoxylin) es recht 
klar geworden ist, wie ausserordentlich complicirt schon bei niede¬ 
ren Wirbelthieren die hinter dem Vorderhirn gelegenen Hirntheile 
gebaut sind, so gelang es doch Edinger, durch Combination dieser I 
Methode mit der Markscheidenentwickelung bei niederen Wirbel- ; 
thieren den Weg festzustellen, welchen diejenigen Fasern einschl&gen, | 
die vom Gehirn zu den sensiblen Nerven herabsteigen. Er zeigt an 
vereinfachten Präparaten von einer etwa 20 Tage dem Ei ent¬ 
schlüpften Blindschleiche, in deren Gehirn die Bahnen für die Ex¬ 
tremitäten fehlen, und ausser den Bahnen für die Hirnnerven und 
die Hinterstränge des Rückenmarkes noch fast alles raarklos ist, dass 
die Kerne der peripheren sensiblen Himnerven, Trigeminus, Glosso- 
pharyngeus und Vagus ganz in derselben Weise wie die Kerne der 
Hinterstränge durch Bogenfasern mit höher gelegenen Centren 
der gekreuzten Seite verbunden sind. Analoge Verhältnisse fand 
Verfasser beim Menschen, Affen, Kaninchen, Katze, Kalb, Vögeln, Rep¬ 
tilien und Amphibien. Der Faserzug stellt in der That, wie Mey- 
nert vermuthet hatte, einen Theil der Nervenbahn, die zum Gehirn j 
führt, d. h. der Schleife dar und wird von Edinger als „centrale I 
sensorische Bahn“ bezeichnet. Aronsohn (Ems). 

L. Sala. Untersuchungen über den Bau des Nervus 
opticus. Archivio per le scienze mediche. XI., p. 123—128. 1887. 

Verfasser führte mit Hülfe der GoIgi’sehen Färbungsmethode 
(Silbernitrat, Quecksilberchlorid) Untersuchungen am N. opticus 
aus. Er findet in diesem Nerven in sehr grosser Anzahl unregel¬ 
mässig gestaltete kernhaltige Zellen, welche als Neurogliazellen, wie 


sie Golgi für die weisse Substanz des Rückenmarkes beschriebeu 
hat, anzusehen sind. Diese Zellen senden äusserst feine, meist 
geradlinig verlaufende Fortsätze aus, welche sich in mannichfachster 
Weise verflechten (ohne jemals zu auastoraosiren) und so ein 
äusserst zierliches Netzwerk bilden, in dessen Maschen die Nerven¬ 
fasern des Opticus verlaufen. Manchmal scheinen diese feinen 
Fortsätze mit den innerhalb des Opticus verlaufenden Blutgefässen 
in Beziehung zu treten, so dass sie die Wandungen derselben 
berühren. Carl Günther. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

6 . 

C. Binz. Ueber Entstehen und Behindern der Eite¬ 
rung. Centralblatt f. klin. Medicin 1887, No. 30. 

Im Gegensatz zu der in No. 44,1887 dieser Wochenschrift referirten 
Arbeit von Disselhorst über Emigration (Fortschr. d. Med. 1887, 
No. 10) betont Verfasser im vorliegenden Aufsatz einige Punkte von 
Neuem, welche er vor längerer Zeit in seinen ausführlichen Ar¬ 
beiten über Leukocytenemigration hervorgehoben hat, und welchen 
theils ausdrücklich, theils implicite die citirte Abhandlung wider¬ 
spricht. Binz stellt Folgendes fest: 1. Er hatte nicht, wie Dissel¬ 
horst meint, durch Eukalyptolwirkung Erweiterung einer Vene 
erzeugt und trotzdem geschlossen, dass dem Eukalyptol ein Einfluss 
auf die Gefässwand nicht zukomme. Vielmehr hatte er gefunden, 
dass unter dem Einfluss des Eukalyptols die Weite der Venen 
nicht grösseren Schwankungen unterliege, als ohne jeden medica- 
mentösen Einfluss, und hatte dieses Verhältnis einfach festgestellt. 
2. Wenn betreffs der Einwirkung des Chinins auf das Mesenterium 
Disselhorst fand, dass dabei die Venen sich erweitern, während 
Pekelharing Verengerung derselben sah, sp nimmt Binz an, dass 
Beide Richtiges beobachteten, nämlich verschiedene Stadien der 
durch das Chinin bedingten Einwirkung auf die Gefässwäude, dass 
aber die in jedem Falle stattfindende Verhinderung der Leuko- 
evtenauswanderung nicht durch diese ganz entgegengesetzten Beein¬ 
flussungen der Gefässwand sich erklären lasse, sondern nur 
durch eine Einwirkung des Chinins auf die farblosen Blutzellen 
durch die Gefässwand hindurch. 3. Das von Disselhorst mitge- 
theilte Factum, dass die äussere Application von Chinin auf das 
Mesenterium die Leukocyten in den Gefässen nicht beeinflusse, 
hatte Binz bereits 1868 berichtet. Hingegen sah Binz auch bei 
dieser Bepinselung mit Chininlösung Auswanderung der Leukocyten 
durch die Venenwand, während Disselhorst bei der Untersuchung 
an Capillaren unter diesen Umständen keine Auswanderung ge¬ 
wahrte. 4. Die von Disselhorst beschriebenen Veränderungen 
der Gefässwände, speciell die Erweiterung der Gefösse würden 
nach Binz weit eher geeignet sein, in Folge der vergrösserten 
Durchlässigkeit der Wandung, den Austritt von Leukocyten zu be¬ 
günstigen als zu verhindern. Daher hält Binz daran fest, dass 
für’s Erste zur Erklärung der Verhinderung der Leukocytenemigra¬ 
tion die mit Sicherheit feststehende Thatsache heranzuziehen sei, 
dass Chinin, Eukalyptol etc., besonders bei innerem Gebrauch, 
als Protoplasmagifte wirken und dadurch die Thätigkeit der farb¬ 
losen Blutzellen herabsetzen. U. 

G. Banti. Ueber die atypischen Localisationen der 
typhösen Infection. Aus dem R. Ospedale S. Maria Nova in 
Florenz. La Riforma medica. 1887, No. 242 u. 243. 

Ein 31 jähriger Manu wurde am 6. Tage schweren allgemeinen 
Krankseins aufgenommen. Es fand sich Bronchitis, Milztumor, Fieber, 
Albuminurie. In der Mitte der 3. Krankheitswoche traten Delirien 
auf, am 28. Krankheitstage starb der Patient im Collaps. Diarrhöen 
waren nicht beobachtet worden. — Die makroskopische und mi¬ 
kroskopische Untersuchung des Darmrohrs ergab keinerlei Anoma- 
lieen. Dagegen waren die Mesenterialdrüsen zum Theil markig 
geschwollen, die Milz weich, auf’s Doppelte vergrössert, die Leber 
blutreich, die Nieren vergrössert, Glomerulonephritis. In Ausstrich¬ 
präparaten der Milz und der Mesenterialdrüsen, besonders reichlich in 
den letzteren, fanden sich Bacillen, welche durch Cultur als Typhus¬ 
bacillen festgestellt wurden. — Der Autor ist der Ansicht, dass die 
Infection in diesem Falle in der gewöhnlichen Weise vom Darme 
aus erfolgte, dass die Bacillen aber aus irgend welchen Gründen 
sich nicht in der Darmwand zu entwickeln vermochten, sondern erst 
in den Mesenterialdrüsen zur Verrtehrung gelangten. Es handelt 
sich hier also um Adenotyphus, nicht um Ileotyphus. 

A. Gottstein. Das Verhalten der Mikroorganismen 
gegen Lanolin. Berliner klin. Wochenschr. 1887. Nr. 48. 

Der Verfasser hat experimentelle Untersuchungen darüber an¬ 
gestellt, wie sich Bacterien und Schimmelpilze gegen Lanolin und 
wie sie sich gegen Glycerinfette verhalten. Die Resultate seiner 
Versuche stellt er in folgenden Sätzen zusammen: 

„1. Die bei der spontanen Zerlegung der Glycerinfette be¬ 
theiligten Bacterien sind vermuthlich unter den mehr oder weniger 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


606 


strengen Anaerobien zu suchen. Eine Reihe aerober Keime, sogar 
solcher, welche sonst bei der Fäulniss eine Rolle spielen, gehen 
direkt auf fetthaltigen Nährböden unter; doch ist die Zeit, bis zu 
welcher diese regressive Metamorphose beendet, abhängig von dem 
Mengenverhältniss von Fett und andersartiger Nährsubstanz. 

2. Freistehendes Fett enthält einige Tage, nachdem es frei 
aufgestellt, Anaerobien; Lanolin unter gleichen Bedingungen weder 
aerobe noch anaerobe Keime. 

3. Glycerinfette können durch Bacterien durchsetzt werden, 
so dass diese durch das Fett hindurch in daruntergelegene infec- 
tionsfähige Substanzen zu gelangen vermögen. Lanolin wird von 
Bacterien nicht durchsetzt; es vermag daher als Deckschicht 
infectionsfähige Substanzen vor der Zersetzung zu 
schützen.“ 

Der Verfasser weist darauf hin, wie das letztere Ergebniss 
geeignet ist, die Rolle zu beleuchten, die die dem Lanolin chemisch 
gleichenden Cholesterinfette, die nach Liebreich ein normaler 
Bestandteil der menschlichen und thierischen Epidermis sind, im 
thierischen Organismus spielen. Er erinnert daran, dass z. B. aus¬ 
gedehnte Furunkelbildung dann vorzukommen pflegt, wenn, wie im 
Reconvalescenzstadium des Typhus, die Horngewebe in grosser Aus¬ 
dehnung erkrankt sind. 

P. Baumgarten. Bacteriologische Mittheilungen. 
Ceutrabl. f. Bacteriologie. Bd. III No. 13. 1888. 

Der Autor macht zunächst die Mittheilung, dass nach Unter¬ 
suchungen, welche Dr. Rosenthal bei ihm ausgeführt hat, den Rotz¬ 
bacillen die Fähigkeit, Sporen zu bilden, zugeschrieben werden 
muss; denn mit Hülfe der bekannten Neisser’schen Sporenfärbungs¬ 
methode erhält man bei Benutzung älterer Kartoffelculturen roth ge¬ 
färbte Kügelchen frei oder innerhalb blau gefärbter Stäbchen liegend. 
— Ferner berichtet Baumgarten an demselben Orte über Unter¬ 
suchungen, die er mit Dr. Rosenthal gemeinsam anstellte zur Nach- 
prü fang der Scheurlen ’schen Angaben betreffs des „Carcinombacillus“. 
Ein dem Scheurlen’sehen sehr ähnlicher Bacillus wurde durch Züch¬ 
tung aus verschiedenen Carcinomen, aber auch aus einem Sarkom 
der Mamma, einem Sarkom der Schädeldecke, einem Neurom der 
Vola manus erhalten. In einer Anzahl von Carcinomen fand er 
sich nicht. Baumgarten hält dafür, dass der Scheurlen’sche 
Bacillus der Gattung der weitverbreiteten Kartoffelbacillen angehört, 
deren Keime gelegentlich von der Haut- oder Schleimhautoberfläche 
in das angrenzende Geschwulstgewebe eindringen. Mit der Aetiologie 
des Carcinoms dürfte der Bacillus auch nach Baumgarten’s An¬ 
sicht nichts zu thun haben. Carl Günther. 

Neumann. Zur Kenntuiss des Bacillus pneumonicus 
agilis. (Schou.) (Aus dem städtischen Krankenhause Moabit in 
Berlin.) Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. VIII, Heft 1. 

In der hepatisirten Lunge einer Pockenleiche fand Neumann 
bei Anwendung des Culturverfahrens denselben Bacillus wieder, 
welchen Schou bei der Vaguspneumonie des Kaninchens gefunden 
hatte, und von dem Schou bereits gezeigt hatte, dass er bei Ka¬ 
ninchen im Stande ist, Pneumonie hervorzurufen. Neben diesem 
Bacillus fand Neumann noch in der Lunge den Fraenkel’schen 
Pneumoniecoccus. Die Bacillen besitzen eine lebhafte Eigenbewe¬ 
gung. Die morphologischen Eigenschaften der Bacillen und ihr 
Verhalten in Culturen werden vom Verfasser eingehend geschildert 
und dabei die Angaben von Schou durchweg bestätigt. Auch die 
sehr zahlreichen Infetionsversuche mit dem Bacillus stimmen mit 
den von Schou erhaltenen Ergebnissen im Wesentlichen überein. 

Alexander (Breslau). 

XII. Therapeutische Mittheilungen. 

Darreichungsform des Terpentinöls. 

Von D. H. Frölich. 

Terpentin ist einer der ältesten und ständigsten Bestandteile des 
Arzneischatzes — eine Thatsache, welche an sich schon dafür spricht, dass 
das Terpentin zu den schätzbarsten Heilmitteln gehört. Von Alters her hat 
man das Terpentin hauptsächlich äusserlich verwendet, und zwar als Reiz¬ 
mittel und Zusatz von Salben und Pflastern. In neuerer Zeit hat man an¬ 
gefangen, das Terpentinöl auch innerlich — theils durch die Lungen, theils 
durch den Magen — bei Lungenkrankheiten, brandiger Bräune (Diphtherie), 
auch bei Gallensteinen und Phosphorvergiftung etc. darzureichen, und mit 
den erreichten Erfolgeu, insbesondere aber mit dem experimentellen Nach¬ 
weise seiner entgiftenden Eigenschaften wuchs die ärztliche Werthschätzung 
dieses Mittels. 

Demungeachtet steht die Verbreitung seiner innerlichen Heilanwendung 
heute noch im Gegensätze zu seiner vortrefflichen Wirksamkeit, und es 
liegt dies wohl in der äusseren Unannehmlichkeit, das Mittel zu nehmen. 
Das Einathmen des Terpentinöls zwar bereitet keine besonderen Schwierig¬ 
keiten; eine mit etwa 2U g Gel getränkte und vor die Nase gehaltene oder 
Nachts auf das Kopfkissen gelegte Compresse genügt, den Kranken auf 


mehrere Stunden zu versorgen. Anders aber verhält es sich mit der Ein¬ 
verleibung des Terpentinöls durch den Magen, welche — gegenüber Lungen¬ 
krankheiten für heilkräftiger gehalten und seit wenigen Jahren selbst bei 
der Kinderdiphtherie empfohlen — eine ungleich grössere Selbstüberwindung 
des Kranken beansprucht. 

Man hat nun den unangenehmen Geschmack des Terpentinöls mit ver¬ 
schiedenen einhüllenden Mitteln abzuschwächen gesucht; allein es wider¬ 
spricht dies der von Anderen betonten Forderung, dass das Oel namentlich 
bei Diphtherie unvermischt einverleibt werde — einer Forderung, welche 
wohl aus der Vermuthung hervorgeht, dass die Hauptwirkung des Ter¬ 
pentinöls von der unmittelbaren Berührung der kranken Gewebe abhängig 
sein mag. 

Von dieser gegründeten Vermuthung ausgehend, habe ich in der letzten 
Zeit die innere Darreichung des Terpentinöls bei Diphtherie versuchsweise 
aufgegeben und mich darauf beschränkt, die kranken Stellen mit reinem 
Terpentinöl (täglich zwölfmal) zu bepinseln. 

Allein auch die Einpinselungen finden bekanntlich in Kindern und 
Müttern oft genug entschiedene Gegner, weshalb es geboten erscheint, eine 
Darreichungsform aufzusuchen, welche bei allen in Frage kommenden Krank¬ 
heiten die Wirksamkeit des Oeles sichert und zugleich bei Frauen und 
Kindern keine Bedenken erregt. 

Zur Lösung dieser Aufgabe gab ich Auftrag, das rectificirte Oel mit 
Zucker zu vereinigen und zu Zuckerplätzchen, zunächst mit je l'/a bis 3 
Tropfen Oeles, so zu verarbeiten, dass das Terpentin nicht unangenehm 
vorschmeckt und doch mittelst des Lutschens zunächst in innige Berührung 
mit den Mundtheilen gelangt. Der Zuckerfabrikant C. Bücking in Dresden, 
Ammonstrasse 64, entsprach diesem Aufträge und fertigt nun solche Plätz¬ 
chen unter besonderer Bearbeitung des Zuckers zur vollen Zufriedenheit 
an; denn die Plätzchen lösen sich, einzeln in den Mund genommen, all¬ 
mählich zwischen Gaumen und Zunge, und zwar so, dass der Terpentin¬ 
geschmack nicht unangenehm und doch deutlich und nachhaltig hervortritt, 
und eine unmittelbare und keineswegs flüchtige Berührung des Oeles mit 
den Hintermundstheilen zu stände kommt. Die bestechlichen Zuckerplätzchen 
werden von Frauen und Kindern gern genommen und in den Fällen, wo 
die bisherige Darreichungsform auf Widerstand stösst, sowie auch zur Unter¬ 
stützung des Heilplanes in den obengenannten Krankheiten willkommen 
sein. Ich empfehle daher diese übrigens billigen Plätzchen und zweifle 
nicht, dass die Apotheken, wenn ihnen die Bezugsquelle und der verlangte 
Gehalt an Terpentintropfen ärztlicherseits bezeichnet wird, sie vorräthig 
halten werden. 


— Ueber die Behandlung der Lungentnbercnlose mit Kreosot machte 
Strümpell in der Sitzung vom 27. Februar 1888 des ärztlichen Bezirks¬ 
vereins Erlangen auf Grund der von ihm gemachten Beobachtungen im 
Wesentlichen folgende Mittheilungen: Wir suchten zu unseren therapeuti¬ 
schen Versuchen vorzugsweise solche Kranke aus, bei welchen der allge¬ 
meine Ernährungszustand noch ein relativ guter, und die örtliche Ausdehnung 
des tuberculösen Processes noch möglichst beschränkt war, wo sich aber trotz 
aller geeigneten hygienischen Maassnahmen keine eigentliche Besserung des 
Zustandes einstellen wollte. Es kann wohl kaum bezweifelt werden, dass 
der sicherste, ja, ich möchte sagen, fast der einzig sichere Maassstab für die 
klinische Beurtheilung des tuberculösen Krankheitsprocesses das Verhalten 
der Eigenwärme ist. Sobald ein Phthisiker täglich, wenn auch nur geringe 
Teraperatursteigerungen hat, für welche sich keine sonstige Ursache nach- 
weisen lässt, kann man daraus den sicheren Schluss ziehen, dass der tuber- 
culöse Process in den Lungen mindestens an irgend einer Stelle noch im 
Fortschreiten begriffen ist. Ist dagegen ein Phthisiker vollkommen fieberfrei, 
so beweist dies fast immer, dass der tuberculöse Process in den Lungen zur 
Zeit zum Stillstand gekommen und abgegrenzt ist. Unter sonst günstigen 
äusseren Verhältnissen tritt daher jetzt fast stets eine oft sogar sehr be¬ 
deutende Besserung des gesammten Krankheitszustandes ein, welche so lange 
anhält, bis sich eine neue Verschlimmerung des örtlichen Leidens einstellt 
Indem wir also, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, das Kreosot vor¬ 
zugsweise solchen Kranken verordnen, bei denen leichte Fiebersteige¬ 
rungen das wenn auch nur langsame, aber doch noch bestehende Fort¬ 
schreiten der Erkrankung anzeigten, mussten wir uns leider von der fast 
völligen Wirkungslosigkeit des Mittels in den meisten Fällen über¬ 
zeugen. Schon die früheren Beobachter haben meist angegeben, dass das 
Kreosot auf das Fieber der Phthisiker keinen Einfluss habe. Und doch wäre 
unseres Erachtens gerade der Nachweis dieses Einflusses der einzige Um¬ 
stand, aus welchem man mit Sicherheit auf eine wirkliche Beeinflussung des 
Krankheitsprocesses selbst durch das Kreosot schliessen könnte. Wir haben 
das Kreosot in grossen Dosen angewandt. Die Kranken nehmen 8, 10, 12. 
ja bis 18 Kapseln zu 0,05 Kreosot (mit 0,02 Tolubalsam) täglich. Das Mittel 
wurde meist gut vertragen, schadete also in der Regel nicht. Immerhin 
konnten es einige Kranke wegen eintretender Magenbeschwerden nicht 
längere Zeit hindurch nehmen. Die meisten Kranken lobten das Mittel und 
seine günstigen Einwirkungen auf den Husten, Auswurf und Appetit. Allein 
wie viel ist auf derartige subjective Aeusserungen bei den sanguinischen 
Phthisikern zu geben? Auch von Kranken, welche in Folge gleichzeitiger 
Darmtuberculose an Durchfällen litten, wurde das Mittel manchmal gut ver¬ 
tragen, so dass also bestehende Durchfälle nicht immer eine Contraindication 
sind. Ein günstiger Einfluss des Kreosots auf die Darmerscheinungen Hess 
sich aber nicht feststellen. Alles in Allem genommen, halten wir nach un¬ 
seren Beobachtungen die Anwendung des Kreosots auch in grösseren Dosen 
bei Lungentuberculose in den meisten Fällen nicht für schädlich. Zuweilen 
wird man sogar anscheinend eine günstige symptomatische Wirkung des 
Mittels zu beobachten glauben. Von einer eigentlichen Einwirkung des Mit¬ 
tels auf den Krankheitsprocess selbst konnten wir uns aber bisher durchaus 
nicht überzeugen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung constatirte Prof. Pen- 
zoldt, dass er mit der Guajakolbehandlung nicht ungünstige Resultate erzielt 
habe. (Münch, med. Wochenschrift 1888, No- 12.) 


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19. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


607 


— Paczkowski behandelte mit Kermes minerale (Stib.sulf.rubr.) 532 Fälle 
von cronpöser Lungenentzündung und will danach eine Mortalität von nur 
1,69o/o beobachtet haben. Das Mittel muss immer frisch bereitet sein und 
wirkt desto günstiger und sicherer, je früher seine Verabreichung beginnt. 
Gelingt es, die Kermesbehandlung bereits am zweiten oder dritten Krank¬ 
heitstage einzuleiten, so tritt die günstige Wendung im Krankheitsverlauf 
oder vollständige Lösung schon in 24, zuweilen auch in 12 Stunden ein; 
beginnt man die Darreichung am vierten Krankheitstage oder noch später, 
so wird der Verlauf ebenfalls sehr günstig beeinflusst, aber die Lösung 
tritt erst am siebenten oder achten Tage ein. Die Dosirung ist folgende: 
Kermes minerale 2,0, 

Extr. Digit. 0,15,' 

Opii puri 0,05, 

Extr. q. s. ut f. pil No. 32. 

D.S. alle zwei Stunden Tag und Nacht je zwei Pillen zu nehmen; nach 
der Lösung je zwei Pillen alle drei Stunden und später Ipecacuanhainfusum 
mit Salmiak; bei ansehnlicher Dämpfung Jodkali. (Przeglad lekarski 1887, 
No. 7. C. f. klin. Med. 1888, No 13.) A. 

— Die Behandlung des Nasenblutens mit heissem Wasser empfiehlt 
Dr. Aloin in Mont Dore (British med. Journal Dec. 17. 1887). Da diese 
Methode bei starken Uterusblutungen sich wirksam erwiesen, wandte er die¬ 
selbe nach vergeblichem Gebrauch anderweitiger Mittel bei heftigem Bluten 
aus der Nase an. Die letztere war sehr geschwollen, und das Blut, wel¬ 
ches aus dem rechten Nasenloch floss, kam durch die Wattetampons heraus¬ 
geströmt. Es wurde nun alles aus der Nase entfernt und mittels eines 
Irrigators Wasser von 65—70° C (149 —158° F) in die Nase gelassen. Es 
kam durch beide Nasenlöcher und durch den Hals zurück, und nach 3—4 
Minuten war das Blut gestillt. Trotz der hohen Temperatur des Wassers 
war die Operation nicht schmerzhaft, wurde jedoch der Sicherheit halber 
nochmals am Abend wiederholt. Dr. Alvin hält die Irrigation mit heissem 
Wasser für eine wirksame, unschädliche, schmerzlose Behandlungsmethode 
beim Nasenbluten, welche zugleich billig und überall leicht zu bewerk¬ 
stelligen ist. Es ist dabei aber nothwendig, den Kranken 10 Minuten etwa 
zu bewachen, damit man rechtzeitig die Operation wiederholen kann. Bo. 

— Traitement de PEpistaxis par le Dr. Ch. H. Wade. Verfasser 
empfiehlt bei Nasenblatimg das Verfahren des Dr. Hutchinson. Dieses 
besteht darin, dass der Patient Hände und Füsse in so heisses Wasser, wie 
irgend möglich, steckt. Danach hört auch die hartnäckigste Epistaxis auf, 
ohne irgend welche Beschwerde zu verursachen. 


XU!. Rühle f. 

Die rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität ist von einem 
schweren Verluste betroffen. Der Direktor der medicinischen Uni¬ 
versitätsklinik, Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Hugo Ernst Heinrich 
Rühle ist am 11. Juli im Alter von 64 Jahren gestorben. Die 
medicinische Wissenschaft hat einen ihrer bedeutendsten Vertreter, 
die Bonner Hochschule einen ihrer hervorragendsten Lehrer ver¬ 
loren. Vorbehaltlich eines eingehenden Berichtes über den Lebens¬ 
gang dieses hervorragenden Mannes geben wir folgende Daten. 

Rühle ist geboren am 12. September 1824 zu Liegnitz, ab- 
solvirte seine Studien in Berlin. Am 16. November 1853 habilitirte 
er sich daselbst als Privatdocent, 1857 wurde er als ausserordentlicher 
Professor und Direktor der medicinischen Klinik nach Breslau be¬ 
rufen, nach seiner Ernennung zum Ordinarius 1859 erfolgte 1860 
seine Berufung an die Universität Greifswald, der er bis 1864 an¬ 
gehörte. Von dieser Zeit ab ward er eine Zierde der Bonner 
Universität als Lehrer, als Arzt und als einer jener Vertreter der 
medicinischen Wissenschaft, der ihre schwierigsten Probleme noch 
in den jüngsten Zeiten auf den Congressen und in der Literatur 
unter den modernen Anschauungen mit erstaunlicher Elasticität und 
Frische des Geistes discutirte. 


XIV. Julius Ludwig Budge +. 

Der Professor der Anatomie an der Universität Greifswald 
Dr. Julius Ludwig Budge ist am 14. d. Mts. im Alter von 
77 Jahren gestorben. Budge gehört zu der Zahl jener Forscher, 
welche einen Antheil haben an dem Aufschwünge, welchen Phy¬ 
siologie und praktische Medicin iu den letzten Jahrzehnten ge¬ 
nommen haben. Vor allem sind von Einfluss gewesen seine Ar¬ 
beiten: „Bewegung der Iris“, welche von der Akademie der 
Wissenschaft in Paris und der Akademie der Medicin in Brüssel 
preisgekrönt worden ist, „Untersuchungen über den Einfluss des 
Centralnervensystems auf die Bewegung der Blase“, „Ueber den 
Verlauf der Gallengänge in der Leber“. Budge ist am 6. Sep¬ 
tember 1811 geboren, studirte zu Marburg, Berlin und Würzburg 
und habilitirte sich in Bonn, woselbst er Ordinarius wurde. Zum 
Ordinarius für Anatomie und Physiologie in Greifswald wurde er 
1856 berufen. 


XV. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte. 

Zur Aufnahme der mit der 61. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte verbundenen wissenschaftlichen Ausstellung in Köln im Sep¬ 


tember d. Js. ist in einer in Mitte der Stadt am Elogiusplatz gelegenen neu¬ 
gebauten Doppelschule ein in jeder Beziehung sehr passendes Gebäude ge¬ 
funden worden. In demselben Gebäude sind Räume bereit gestellt, worin 
Demonstrationen ausgestellter Gegenstände vor einem grösseren Zuhörerkreis 
abgehalten werden können. Ein solcher Meinungsaustausch zwischen Tech¬ 
nikern und Gelehrten muss zweifellos belehrend und befruchtend wirken, 
und hierin liegt nicht zum wenigsten die ideale Bedeutung einer solchen 
Fachausstellung, die nicht wie die grossen Ausstellungen durch Vorführung 
des auf vielen Gebieten Geleisteten die Schaulust befriedigen und* Handels¬ 
interessen dienen soll, sondern in ihrem engen Rahmen dem Fachmann neue 
Hülfsmittel für die wissenschaftliche Forschung und die praktische Ver- 
werthung im Leben zur Beurtheilung vorführt und damit selbst wieder die 
Wissenschaft fördert und für die Praxis nutzbar macht. Anmeldungen sind 
bereits in grosser Anzahl eingetroffen, so dass erst nach dem 25. Juli, dem 
Endtermin für die Anmeldungen (für die die Formulare von dem Bureau 
der Ausstellung, Unter Sachsenhausen 9 Köln, bezogen werden können), ein 
vollständiges Bild der zukünftigen Ausstellung zu gewinnen ist. 


XVI. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Dem Geh. Medicinalrath und ordentlichen Professor 
Dr. v. Bergmann ist Stern und Kreuz der Comthure des Königlichen 
Hausordens von Hohenzollern, dem Geh. Medicinalraih und ordentlichen 
Professor Dr. Gerhardt der Rothe Adlerorden zweiter Classe mit Eichen¬ 
laub, dem a. o. Professor und Direktor der Klinik für Laryngologie in Wien 
Dr. Schrötter der Rothe Adlerorden zweiter Classe verliehen worden. 

— Dr. F. Bramann, erster Assistent der Königlichen chirurgischen 
Universitätsklinik hat sich auf Grund einer Antrittsvorlesung: „Die Muskel- 
und Sehnendurchschneidung jetzt und in der vorantiseptischen Zeit“, als 
Privatdocent in der medicinischen Facultät der Universität Berlin ha- 
bilitirt. 

— In der Schlusssitzung der Berliner medicinischen Gesell¬ 
schaft am 11. Juli stellte Herr Uhthoff eine Patientin vor, bei der 
man, wenn sie den Mund öffnet, eine Hebung des oberen Augenlides 
wahrnimmt. Er erklärt diesen Fall mit Helfreich, der zwei ähnliche Fälle 
publicirt hat, mit einer abnormen Verbindung der einzelnen Nerventheile, 
d. h. des Kernes des 3. Astes des Trigeminus, des Facialis und Oculomo- 
torius. — Herr Landau demonstrirte, im Anschluss an seinen Vortrag im 
Februar d. J. (s. diese Wochenschrift No. 6, p. 115), Präparate von 
Portiocarcinom. — Herr Mendel führte eine Patientin mit hyste¬ 
rischen Contracturen vor, Herr Isaac einen geheilten Fall von Acne. 
Herr Jul. Wolff demonstrirte einen Fall von operirtem congenitalem, 
beiderseitigem Klumpfuss schwerster Art, bei dem ein ausgezeichnetes 
functionelles Resultat erzielt ist. Ferner stellte derselbe einen Patienten 
vor, bei dem die Uranoplastik und Staphylorrhaphie, ebenfalls mit 
ausgezeichnetem functionellen Ergebniss, im 24. Lebensjahre, ausgeführt ist. 
An diese Demonstration schloss sich eine eingehende Discussion über den 
relativen Werth der plastischen Operation und der Prothesenbehandlung 
bei Gaumendefecten. — Herr B. Fraenkel endlich demonstrirte Präparate 
mit Bezug auf die feinere Anatomie der Stimmbänder. — Nachdem 
auch der Verein für innere Medicin am 9. Juli seine letzte Sitzung 
abgehalten hat, ruht das Vereinsleben für einige Monate, um erst nach 
Ablauf der Sommerferien wieder zu beginnen. 

— Psychiatrischer Verein zu Berlin. Die ordentliche Sitzung 
am 15. Juni wurde unter dem erschütternden Eindruck, den der Tod Kaiser 
Friedrichs hervorrief, nicht abgehalten. Am 10. Juli fand deshalb unter 
Vorsitz des Geheimen Sanitätsraths Dr. La ehr eine ausserordentliche 
Sitzung statt, in der folgende Gegenstände zur Erledigung gelangten. Zu¬ 
nächst wurde nach geschäftlichen Mittheilungen der Vortrag des Dr. Liebe- 
Schweizerhof: „Diabetes bei Geistesstörung“ besprochen. Hierauf 
hielt Professor Mendel einen eingehenden und sehr orientirenden Vortrag 
über diejenigen Bestimmungen im Entwurf eines bürgerlichen 
Gesetzbuches, welche sich auf Geisteskranke beziehen. Dass dieselben 
dem heutigen Standpunkt der Psychiatrie nicht überall Rechnung tragen, 
hat der Vortragende klar nachgewiesen. Ferner theilte Professor Gutt- 
stadt eine Statistik mit über diejenigen Angeschuldigten, welche nach 
§. 81 der Strafprocessordnung für das deutsche Reich vom 1. Februar 1877 
von den Gerichten den öffentlichen Irrenanstalten zur Begutachtung ihres 
Geisteszustandes überwiesen worden sind. Daraus ging hervor, dass die 
Anzahl der zu beobachtenden Personen von 5 im Jahre 1877 auf mehr als 
100 im Jahre 1887 gestiegen ist. Von allen in dieser Zeit beobachteten 
Angeschuldigten waren circa 15°/o für nicht geisteskrank erklärt worden. 
Schliesslich sprach Dr. Otto-Dalldorf über Versuche mit Sulfonal bei 
Geisteskranken; dieselben waren von günstigem Erfolg. Der Vorstand 
für das folgende Geschäftsjahr besteht wiederum aus den Herren Laehr- 
Schweizerhof, Zinn-Eberswalde und Mendel-Berlin als Vorsitzenden und 
aus den Herren Guttstadt-Berlin und Moeli-Dalldorf als Schriftführern. 

— Auf dem Grundstücke des „Admiralsgartenbades“, Friedrich¬ 
strasse 102, entströmen starke Soolquellen in reicher Fülle dem Erd¬ 
boden, die schon jetzt im Stande sind, täglich gegen 500 Bäder den Heilbedürf¬ 
tigen zu spenden. Herr Geheimrath Heno.ch hat sich von der Fülle und 
der krystallhellen, leicht perlenden Beschaffenheit derselben überzeugt. Die 
von Fresenius in Wiesbaden angestellte chemische Analyse ergiebt, dass 
die Berliner Soolquelle auf 1000 l’heile Wasser 26,71 Kochsalz, also bei¬ 
nahe doppelt so viel, als die Kreuznacher Oranieuquelle enthält, auch den 
Nauheimer grossen Sprudel noch um 3 pro Mille übertrifft. Ebenso ent¬ 
spricht der Gehalt von Chlorcalcium, Chlormagnesium, Brom- und Jodnatrium 
demjenigen der bekanntesten Soolquellen. Die Zusammensetzung und der 
Wasserreichthum der Berliner Soole verbürgen also einen Heilerfolg, wel¬ 
cher dem in Kreuznach, Kosen und anderen Soolbädern erreichten nicht 
nachstehen wird. Henoch begrüsst, da durch die in Aussicht stehenden 
Einrichtungen äusserst billiger Soolbäder für Kinder schliesslich auch einem 


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608 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29 


weit verbreiteten Bedürfniss der minder bemittelten Yolksklassen genügt 
werden wird, die neuen Quellen mit Freude, und fordert die Aerzte auf, 
die Bestrebungen der Direction nach Kräften zu unterstützen. 

— Herr Medicinalrath Dr. P. Güterbock ersucht uns, gegenüber einem 
im Kreise der Collegen eigenthümlicher Weise verbreiteten Gerücht, mitzu- 
theilen, dass er nach wie vor seine Klinik in der Neuenburgerstrasse 14 
weiterführt und nicht beabsichtigt, dieselbe aufzulösen. 

— Hamburg. Die Stelle des ärztlichen Direktors am allge¬ 
meinen Krankenhause ist noch nicht wieder besetzt worden. Wir 
hören, dass die Herren Fürbringer, Immermann (Basel), Jürgensen, 
Käst, Merkel (Nürnberg), Schulze (Dorpat), Strümpell, als für die 
Neubesetzung in Frage kommend, genannt werden. 

— Greifswald. Der gestern gemeldete Tod von Geh. Rath Rühle 
in Bonn hat auch hier grosse Theilnahme erregt. Bei Beginn seiner Klinik 
gedachte des Dahingeschiedenen heute Geh. Rath Mosler mit folgenden 
kurzen Worten: „Schon wieder ist eine, auch Sie nahe angehende Trauerkunde 
zu uns gedrungen. Meinen unmittelbaren Vorgänger in der hiesigen klini¬ 
schen Stellung, Geh. Rath Rühle, der seit seinem Weggange von hier 
Direktor der medicinischen Klinik in Bonn gewesen ist, hat ein allzu früher 
Tod seinem thatenreichen Leben entrissen. Durch heftige Brustfellentzün¬ 
dung, die er in seinem Berufe sich zugezogen hatte, ist sein Ende herbei¬ 
geführt worden. Einen hervorragenden Kliniker, der in weitesten Kreisen 
der grössten Achtung sich erfreute, muss die deutsche raedicinische Wissen¬ 
schaft nunmehr missen. Seine Leistungen auf dem Gebiete der Kehlkopf¬ 
krankheiten, sowie in Erforschung der Lungentuberculose sichern ihm einen 
Ehrenplatz in der Geschichte der Medicin. Von anderer Seite werden sicher¬ 
lich die vielen Verdienste, die er als klinischer Lehrer, wie als Forscher 
sich erworben, eingehend hervorgehoben werden. An dieser Stelle möchte 
ich zu seinem Ruhme hervorzuheben nicht unterlassen, dass Rühle während 
seiner Thätigkeit als Direktor der Greifswalder medicinischen Klinik eitrigst 
mitgearbeitet hat an dem Emporblühen der hiesigen medicinischen Facultät, 
speciell der medicinischen Klinik. Dafür wollen wir ihm alle Zeit hier 
dankbar sein. Um sein Andenken zu r ehren, bitte ich Sie von Ihren Sitzen 
sich zu erheben.“ — Der bisherige Stabsarzt am Friedrichs-Wilhelms¬ 
institut und Privatdocent Dr. Loeffler in Berlin ist zum ordentlichen 
Professor in der hiesigen medicinischen Facultät ernannt. Derselbe hat 
sein neues Amt mit Beginn des Wintersemesters zu übernehmen und ist 
verpflichtet, die Fächer der Hygiene und der Geschichte der Medicin 
an hiesiger Universität zu vertreten. 

— Giessen. Der a. o. Professor an der Universität Würzburg Dr. 
K. B. Lehmann hat einen Ruf als ord. Professor der Hygiene an die 
Universität Giessen erhalten 

— Würzburg. Während der Herbstferien werden von den Privat- 
docenten und Assistenten an der Universität Würzburg Curse für praktische 
Aerzte abgehalten. Das Verzeichniss derselben findet sich im Inseratentheil 
dieser Nummer. 

— Bonn. In Bonn wird vom 6. bis 9. August d. J. der Anthro- 
pologencongress tagen. Die diesjährigen Verhandlungen wird Prof. 
Schaafhausen leiten. Als Geschäftsführer wurden in Nürnberg die Profes¬ 
soren Klein und Rumpf gewählt. 

— Wien. Am 15. Juli feierte Dr. Wittelshöfer, Redacteur der 
Wiener medicinischen Wochenschrift, seinen 70. Geburtstag. Wir verfehlen 
nicht, dem um die medicinische Publicistik hochverdienten Manne unsere 
herzlichsten Glückwünsche darzubringen und die Hoffnung auszusprechen, 
dass es ihm noch lange, lange Jahre vergönnt sei, seine erfolgreiche 
Thätigkeit mit derselben Frische des Geistes wie bisher auszuüben. 

— London. Dr. John Milner Fothergill ist im 47. Lebensjahre 
gestorben. John Milner Fothergill promovirte zu Edinburgh 1865 
und wurde 1872 Mitglied des Royal College of Physicians in London; er 
hatte seine Ausbildung ausserdem in Berlin und Wien genossen. Zuerst 
assistirender Arzt am Westem-London-Hospital, trat er später in das Spital 
für Brustkranke ein und erwarb während dieser Zeit mit einer Arbeit über 
Digitalis den Hastingspreis (1870). Von seinen späteren Schriften sind zu 
nennen: „The heart and its diseases“ (2. Aufl. 1879), „The practitioners 
handbook of treatment“ (2. Aufl. 1880), „The antagonism of therapeutic 
agents“ (Preisgekrönt 1878) und neben mehr allgemein gehaltenen Ab¬ 
handlungen über Themata der Therapie, eine Monographie über chronische 
Bronchitis 1882 und eine Animal Physiology (1881). (Der dem Tic dou- 
loureux (mit Unrecht) seinen Namen gab, war John F. Fothergill, 
gest. 1780.) 

— Paris. Dr. Paul Loye, Docent für gerichtliche Medicin an der 
Pariser Facultät, hat den Auftrag erhalten, die Organisation des gerichts¬ 
ärztlichen Unterrichts in Deutschland und Oesterreich zu studiren. (Gazette 
medicale, 7. Juli.) 

— Das Fleischschauamt des Seinedepartements constatirte am 4. Juli 
die Anwesenheit von Cysticercus Bovis bei einer Kuh der Berner Race. 
Es ist dies der erste Fall von Nachweis des genannten Parasiten, der in 
Frankreich zur Kenntniss gelangt. 

— In Kopenhagen ist eine ordentliche Professur der Augenheil¬ 
kunde, die erste in Dänemark, eingerichtet und Dr. Edmund Hansen 
Grut übertragen worden. Dr. Grut, ein Schüler Al brecht v. Graefe’s, 
ist bei uns wohlbekannt. Er hat das Verdienst, in Dänemark die Augen¬ 
heilkunde zu einem selbstständigen Lehrgegenstande erhoben zu haben, 
während sie bis dahin nur ein Anhängsel der Chirurgie war; alle jüngeren 
dänischen Augenärzte sind Dr. Grut’s Schüler, der 1863 die erste Augen¬ 
klinik eröffnete. Dr. Grut, 1831 geboren, begann 1854 sein ärztliches 
Schaffen. Zu Anfang Chirurg, wandte er sich später ganz der Augenheil¬ 
kunde zu. Er lehrt dieses Gebiet in der Hochschule in Kopenhagen seit 
1863, zuerst als Privatdocent und seit 1862 als Lektor. 

— Herr Mackenzie. Die Glaubwürdigkeit des vielgenannten Herrn 
dürfte am besten durch folgende Thatsachen beleuchtet werden. Unser 


Pariser Correspondent schreibt uns: Aus No. 9 und 10 des „Matin“ werden 
Sie ersehen, dass der Mann aller Welt gegenüber lügt, und dass jetzt sogar 
die französischen Journalisten (des Matin, des Figaro, des XlXieme siede), 
denen er im Beisein des Laryngologen Fauvel Interviews gewährte, 
welche er jetzt einfach ableugnet, während Fauvel sie öffentlich be¬ 
stätigt, dass jetzt sogar die französischen Journalisten ihn als Lügner zu 
bezeichnen Veranlassung nehmen, wie aus der beigefügten Mittheilung des 
„Figaro“ folgt. 

Unser Chefredacteur, Mr. Magnard, empfing gestern folgendes Schreiben 
von Dr. Fauvel: 

„Geehrter Herr! 10. Juli 1888. 

Ich lese mit Erstaunen, dass ein englischer Journalist die Unterredung . 
abstreitet, die mein Freund Dr. Mackenzie am letzten Sonnabend von 
57* bis 6 Uhr in meiner Wohnung, in Gegenwart des Herrn Gaston 
Calmette, der sich in diesem Moment zufällig in meinem Zimmer befand, 
gehabt hat. Mit Erlaubniss meines gelehrten und lieben Collegen hat Ihr 
Redacteur an unserer Unterhaltung theilgenommen und hat sie in Ihrem 
Blatte treu wiedergegeben. Wir sind ausserdem übereingekommen, dass ge¬ 
wisse Details in Bezug auf die Aufführung der deutschen Aerzte der Oeffent- 
lichkeit nicht übergeben werden sollten, und Mr. Gaston Calmette hat 
sein Versprechen loyal gehalten.“ Dr. Fauvel. 

Dazu bemerkt der „Figaro“, das Zeugniss des berühmten Dr. Fauvel 
wird allen Discussionen und Dementis ein Ende machen. 

Im Uebrigen erklärte auch Prof. Bi 11 roth, wie wir einer Wiener Cor- 
respondenz entnehmen, kürzlich auf Befragen, nicht in dem Sinne für Herrn 
Mackenzie Partei ergriffen zu haben, wie ihm vielfach zugeschrieben 
worden sei. Man habe Unrecht gethan, ihn überhaupt in dieser Ange¬ 
legenheit zu nennen. Er habe stets aufs Strengste vermieden, als Fach¬ 
mann über die Krankheit des Kaisers zu sprechen, er müsse auch jetzt als 
Fernstehender ablehnen, sich zu äussern. Die Sache sei ja nach dem 
Berliner Berichte klar genug. Der Anlass zu jenem Briefe an die N. Fr.-Pr., 
durch welchen das Missverständniss hinsichtlich seiner Stellung hervorge¬ 
rufen wurde, da er anscheinend zu Gunsten Mackenzie’s lautete, sei der 
gewesen, dass ihm englische Blätter nachgesagt hätten, er (Billroth) habe 
Mackenzie für den besten Arzt und grössten Chirurgen Europas erklärt. 
Einen solchen Unsinn habe er natürlich in höflicher Form berichtigen 
wollen. Das sei alles. 

— Variola. Die Pockenepidemie in Reval dauert ungeschwächt fort. 
Seit dem 21. Januar sind daselbst 880 Personen an den Pocken erkrankt, 
von denen 514 genesen und 205 gestorben sind, 161 befinden sich noch 
in Behandlung. Bei Xarwa sollen kürzlich ebenfalls die Pocken aufge¬ 
treten sein. 

— Cholera. In Neapel sollen kürzlich choleraverdächtige Fälle auf¬ 
getaucht sein. 

— Universitäten. Würzburg. Prof. Kunkel ist zum ausser¬ 
ordentlichen Professor der Pharmakologie ernannt worden. — Gent. Dr. E. 
van Ermengem ist zum ordentl. Professor der Hygiene und Bacteriologie 
ernannt. — Leyden. Dr. A. Nijkamp hat sich als Priv.-Doc. für La- 
ryngologie und Rhinologie babilitirt. — Padua. Der Professor der patho¬ 
logischen Anatomie Dr. L. Brunetti hat seinen Abschied genommen. 
Prof. Dr. Bassini ist zum Professor der chirurgischen Klinik ernannt. — 
Manchester. Dr. A. W. Hare, Priv.-Doc. der Chirurgie in Edinburgh 
ist zum Professor der Chirurgie an Owens College ernannt. — Liverpool. 
Dr. A. Barron, Priv.-Doc. der Pathologie und Therapie ist zum Professor 
der Pathologie am University-College ernannt. — In Nantes ist ein neuer 
Lehrstuhl für klinische Ophthalmologie errichtet worden, den Dr. Dianoux 
erhalten hat. - 

XVÜ. Personalien. 

1. Preussen (Amtlich). Auszeichnungen: Seine Majestät der 
König haben Allergnädigst geruht, dem praktischen Arzt Geh. Sanitätsrath 
Dr. Küpper zu Trier den Königlichen Kronen-Orden III. Classe, dem Kreis- 
Physikus Dr. Haberling zu Bromberg, dem Kreis-Physikus Dr. Kochler 
zu Landeshut und dem prakt. Arzt Dr. Forner zu mowrazlaw den Cha¬ 
rakter als Sanitätsrath, und dem Kreiswundarzt Dr. Unger in Nordhausen 
den Königl. Kronen-Orden IV. Classe zu verleihen; ferner den nachbenann- 
ten Aerzten die Erlaubniss zur Anlegung der ihnen verliehenen, nicht 
preussischen Insignien zu ertheilen, und zwar: des Ritterkreuzes I. Classe 
des Herzogl. Sachsen-Ernestinischen Hausordens dem Stabs- und Bataillons¬ 
arzt Dr. Groschke in Coburg und dem prakt.. Arzt Dr. Erlenmeyer in 
Bendorf, des Kreuzes der Ritter des Königl. Spanischen Ordens Karls IIL, 
dem prakt. Arzt Sanitätsrath Dr. Baumann in Schlangenbad. Dem Privat- 
docenten in der medicinischen Facultät Dr. Freriehs in Marburg und dem 
Privatdocenten in der medicinischen Facultät Dr. Grunmach in Berlin ist 
das Prädicat Professor beigelegt worden. — Ernennungen: Se. Excellenz 
der Unter-Staatssecretär im Königlichen Ministerium der geistlichen pp. Ange¬ 
legenheiten Wirkl. Geh. Rath Dr. v. Lucanus ist zum Geheimen Cabinets- 
rath Sr. Majestät des Königs ernannt worden und demzufolge aus seiner 
Stellung als Direktor der Medicinal-Abtheilung des gedachten Ministeriums 
ausgeschieden, Der seither mit der interimistischen Verwaltung des Phy- 
sikats des Kreises Lissa beauftragte Ober-Stabsarzt a. D. Dr. Düsterhoff 
in Lissa ist definitiv zum Kreisphysikus dieses Kreises, der seitherige Kreis¬ 
wundarzt des Kreises Ohlau, Dr. Lichtwitz in Ohlau zum Kreisphysikus 
desselben Kreises, der seitherige Kreiswundarzt des Kreises Schubin, Dr. 
Lehmann in Exin zum Kreisphysikus des Kreises Znin, der prakt. Arzt 
Dr. Erbkam in Görlitz zum Kreiswundarzt des Kreises Görlitz ernannt 
worden. Der ausserordentliche Professor Dr. Rumpf zu Bonn ist in gleicher 
Eigenschaft in die medicinische Facultät der Universität Marburg versetzt 
worden. Der seither mit der commissarischen Verwaltung der Kreiswund¬ 
arztstelle des Kreises Guben beauftragte praktische Arzt Dr. Jungmann in 
Guben ist zum Kreiswundarzt des Kreises ernannt worden. 


Gedruckt bei Julius Sitteufeid in Herlin W. 


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Donnerstag 


J\§ JIO 


26. Juli 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Br. Paul Börner. 

Yierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttiiiann in Berlin W. Verlag von Georg Thienie, Leipzig-Berlin. 


1. Aus der medicinischen Klinik des Herrn Geheimrath 
Mosler in Greifswald. 

Ueber das Verhältniss der Chorea zum Ge¬ 
lenkrheumatismus und zur Endocarditis. 
Von Dr. E. Pelper, 

Privatdocent und Assistent au der medicinischen Poliklinik. 

Auf die Beziehungen der Chorea zum Gelenkrheumatismus und 
zur Endocarditis haben bekanntlich zuerst englische und französische 
Aer/.te. Brown, Copland, Bright, See, Roger, hingewiesen. 
Jene Forscher haben auf Grund zahlreicher Beobachtungen, umfang¬ 
reicher Zusammenstellungen das Alterniren der Chorea mit rheu¬ 
matischen Affectionen und Eudocarditiden als eiu gesetzmässiges, 
das Nichtvorhandensein der Beziehungen der Chorea zu den ge¬ 
nannten Processen sogar als Ausnahme hingestellt. See berichtet, 
dass er unter 128 Choreaerkrankungen bei 61 Patienten einen cau- 
salen Zusammenhang der Chorea mit Gelenkrheumatismus und Herz¬ 
erkrankungen habe constatiren können. Roger fand unter 71 Fällen 
von Chorea intra vitam in jedem Falle eine Herzaffection, entweder 
Endocarditis oder Pericarditis oder Endo-Pericarditis. Roger identi- 
fieirt geradezu die Chorea mit dem Rheumatismus, indem er eine 
Chorea rlieumatica, Chorea cardiaca und Chorea rheumatico-cardiaca 
annimmt. Nach den Beobachtungen dieses französischen Forschers 
kann jeder der drei Proeesse den anderen begleiten, vorhergehen, 
ihm folgen. Oft trete erst Chorea, dann Rheumatismus und Herz¬ 
leiden, oder noch öfter gewöhnlich Rheumatismus, dann Chorea und 
Herzaffection auf; in anderen Fällen sei die Herzaffection das Pri¬ 
märe und die Chorea secundär oder umgekehrt, oder aber beide 
Proeesse könnten sich gleichzeitig entwickeln. Roger ist der 
Ansicht, dass der spontane Gelenkrheumatismus der Kinder viel 
häufiger auftrete, als man im Allgemeinen anzunehmen geneigt sei. 
Er verlaufe häufiger subacut als acut und localisire sich nur in 
einigen Gelenken, jedoch seien die complicirenden Herzerkrankungen 
deshalb nicht selten. Die Chorea schliesst sich nach den Erfah¬ 
rungen des genannten Autors mit besonderer Vorliebe an die leich¬ 
teren Formen des Gelenkrheumatismus an. 1 ) 

Gegenüber diesen Anschauungen haben sich die deutschen 
Aerzte weit zurückhaltender über den ursächlichen Zusammenhang 
der Chorea mit den rheumatischen Affectionen geäussert oder den¬ 
selben überhaupt negirt. 

Der erste Widerspruch gegen die Ansichten Roger’s erfolgte 
von Steiner in Prag. Aus einem grosseu Beobachtungsmaterial 
von 252 Fällen vermochte Steiner nur vier Fälle anzuführen, in 
welchen eine Coincidenz der Chorea mit den rheumatischen Er¬ 
krankungen bestand. Auch Romberg, v. Niemeyer, Wunder¬ 
lich sprechen sich gegen die Beziehungen der Chorea zu rheu¬ 
matischen uud Herzaffectionen aus. 

Von deu deutschen Aerzten erkannte zuerst Henoch-) den 
Gelenkrheumatismus in seinen verschiedenen Formen unbedingt als 
eine der gewöhnlichsten Ursachen der Chorea an. „Am häufigsten 
ist es der acute Gelenkrheumatismus, in dessen Abnahme- oder 
Reconvalescenzstadium sich die Chorea entwickelt, und ich rathe 


l ) Renz bei Gerhardt. Handbuch der Kinderkrankheiten, III, p. 15, 
und Soltraann, Bd. V, p. 172 und v. Ziemssen, Chorea, Bd. XII, 2, 
p. 404. 

8 ) Henoch, Vorlesungen über Kinderkrankheiten, Berlin, p. 173. 


Ihnen daher, bei solchen Kindern sich immer auf das Auftreten 
derselben gefasst zu machen. Zuweilen beobachtet man auch ein 
Alterniren beider Affectionen. Fast ebenso häufig aber sind es an¬ 
scheinend leichte rheumatische Zustände, welche die Chorea in 
ihrem Gefolge haben, wandernde Schmerzen mit leichten Anschwel¬ 
lungen einzelner Gelenke, welche nur ein paar Tage bestehen und 
kaum von Fieber begleitet sind, oder auch nur Schmerzen im 
Rücken, in den Waden, in verschiedenen Gelenken, ohne jede An¬ 
schwellung und ohne Fieber. Wiederholt konnte ich beobachten, 
dass das Wiederauftauchen solcher rheumatischen Affectionen im 
Verlaufe der Chorea die schon in der Abnahme begriffenen Bewe¬ 
gungen von neuem steigerte. Dass man unter diesen Verhältnissen 
sehr häufig Fehler des Klappenapparates am Herzen findet, erklärt 
sich leicht aus der bekannten Beziehung des Rheumatismus zum 
Endocardium.“ 

Von anderen deutschen Autoren erkennen v. Ziemssen, 
Lebert. Strümpell und Eichhorst das relativ häufige Vor¬ 
kommen von Chorea in Verbindung mit Herzklappenfehlern oder 
rheumatischen Affectionen an. aber nicht in der von den französi¬ 
schen Aerzten behaupteten Regelmässigkeit. Die französischen 
Autoren scheinen jedes systolische Geräusch, das bei den anämischen 
Patienten sich so ausserordentlich häufig findet, auf Insufficienz der 
Mitralklappen bezogen zu habeu. 

In der Berliner klinischen Wochenschrift vom Jahre 1886 No. 2 
wendet sich Prior von Neuem gegen die Coincidenz der Chorea 
mit dem Gelenkrheumatismus. Nach einer Uebersicht über die ein¬ 
schlägige Literatur theilt er seine Erfahrungen über 92 Chorea¬ 
erkrankungen der Bonner medicinischen Klinik mit. Auf eine cxacte 
physikalische Untersuchung, wie auf möglichst genaue auamnestische 
Angaben über das Vorleben der Patienten wie deren Umgebung ist 
besonderes Gewicht gelegt worden. Prior theilt die Erkraukuugs- 
fälle in drei Gruppen ein. Die erste Gruppe umfasst 85 Fälle von 
Veitstanz, in welchen trotz wiederholter Untersuchung keine orga¬ 
nische Herzveränderungen sich nachweisen Hessen oder Verdacht auf 
rheumatische Erkrankungen bestanden, ln der zweiten Gruppt- 
findet sich nur ein Fall. Die betreffende Patientin sollte vor län¬ 
gerer Zeit an einem Herzfehler gelitten haben; dagegen stellten sich 
14 Tage vor dem Ausbruch der Chorea rheumatische Affectionen 
der Hand- und Fingergelenke ein. Zur Zeit der klinischen Beob¬ 
achtung war kein Herzfehler zu constatiren. lu der dritten Gruppe 
werden 4 Choreaerkrankungen, complicirt durch ältere Herzfehler, 
angeführt. Nur in einem dieser Fälle konnte ein vor 7 Jahren 
überstandener acuter Gelenkrheumatismus als ursächliches Moment 
der vorhandenen typischen Mitralinsufficienz angenommen werden. 

Demnach sieht Prior in dem Zusammentreffen von Chorea mit 
Endocarditis nicht eine Gesetzmässigkeit, sondern nur eine Aus¬ 
nahme. Der genannte Autor fasst seine Erfahrungen zum Schluss 
seiner Arbeit dahiu zusammen, „dass eiu Zusammenhang der Chorea 
mit der Endocarditis und dem acuten Rheumatismus als allgemein 
gültig nicht bestätigt werden kann, dass vielmehr für die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Choreaerkrankuugen das Zusammensein mit 
Herzerkrankungen ausgeschlossen ist.“ 

Zu dem entgegengesetzten Ergebniss kommt Litten, 1 ) welcher 
an der Hand eines sorgfältig beobachteten Materials „den acuten 
Gelenkrheumatismus neben den psychischen Affecten für die wichtigste 
und am sichersten begründete ätiologische Ursache dieser Neurose“ 
auffasst. Die englischen Aerzte haben unlängst ihre Erfahrungen 


‘) Charite-Annalen, Berlin 1886, p. 265. 


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610 


über die Chorea in einer umfangreichen Sammelforschung,’) welche 
439 Fälle von Choreaerkrankungen umfasst, niedergelegt. In Be¬ 
ziehung auf das Verhältniss der Chorea zum Gelenkrheumatismus 
und Herzfehlern führte die Samraelforschung zu dem Ergebniss, dass 
unter 439 Choreaerkrankungen in 116 Fällen Rheumatismus arti- 
culorum acutus, 62 mal Muskelrheumatismus vorausgegangen war. 
Herzaffectionen wurden während der Chorea 135 mal, nach Ablauf 
derselben 99 mal beobachtet. In 141 Fällen von Herzaffection be¬ 
stand 71 mal gleichzeitig acuter oder subacuter Rheumatismus, 
18 mal waren rheumatische Schmerzen vorhanden. Nur in 50 von 
allen Fälleu war Chorea ohne vorhergegangenen oder gleichzeitigen 
Rheumatismus verlaufen. 

Mit der gütigen Erlaubniss des Herrn Geh. Med.-Rath Mosler 
erlaube ich mir, im Folgenden über diejenigen Erfahrungen zu be¬ 
richten, welche über die Beziehungen der Chorea zum Gelenkrheu¬ 
matismus und Herzerkraukungen an dem Krankeuruaterial der hie¬ 
sigen medicinischen Klinik und Poliklinik in den letzten .Jahren ge¬ 
sammelt worden sind. Ich verfehle nicht, Herrn Geheimrath Mosler 
hierdurch meinen ergebensten Dank auszusprechen für die Erlaub¬ 
nis, nachstehende Beobachtungen veröffentlichen zu dürfen. 

Im Ganzen stehen mir zu Gebote 30 Choreaerkrankungen. 
Möglichst genaue anamnestische Erhebungen über das Vorleben 
unserer Patienten liegen in sorgfältig angefertigten Krankengeschichten 
vor. Die physikalische Untersuchung des Herzens ist fast, täglich 
im Laufe der Beobachtungszeit ausgeführt, auf die Unterscheidung 
accidenteller, anorganischer Geräusche von den durch organische 
Herzklappen Veränderungen hervorgerufenen Auscultationsphänomenen 
ist besonders peinlich geachtet worden. Besonders werthvoll für nach¬ 
stehende Mittheilungen erscheint es, dass sämrntliche Befunde der 
physikalischen Untersuchung durch Herrn Geheimrath Mosler ihre 
Bestätigung erhalten haben. 

Von den Choreaerkrankungen stehen vierzehn gleich 46,6°/» 
mit rheumatischen Erkrankungen oder Endoearditiden in Zusammen¬ 
hang. Es lassen sich die Erkrankungen in mehrere Gruppen eiu- 
theileu. Zu der ersten Gruppe gehören diejenigen Fälle von Chorea, 
welche sich direkt an einen acuten Gelenkrheumatismus anschliessen, 
oder bei denen doch Gelenkrheumatismus kürzere oder längere Zeit 
vor Ausbruch des Veitstanzes bestanden hatte. Diese Gruppe ent¬ 
hält 7 Erkrankungsfälle, über welche wir folgende Notizen den 
Krankenjourualen entnehmen. 

1. Anna H., 11 Jahre alt, überstand in früher Jugend die gewöhn¬ 
lichen Kinderkrankheiten. Sechs Brüder der Patientin sollen an der 
Schwindsucht, ein Bruder an einer Gehirnentzündung gestorben sein. Eine 
Cousine der Pat. litt vor einigen Wochen am Veitstanz. In ihrem 9 Lebens¬ 
jahre erkrankte sie an einem acuten Gelenkrheumatismus, welcher sich in 
leichten Schwellungen der Fuss-, Finger- und Handgelenke, heftigen reissen¬ 
den Schmerzen in den erkrankten Gelenken und leichten Fieberanfällen 
äusserte. Die Erkrankung ging nach ca. 1 Vs Wochen in völlige Genesung 
über. Pat. soll kurz vor ihrer Erkrankung mit einem an Veitstanz leidenden 
Mädchen viel verkehrt haben. Während der ca. 2 monatlichen Beobachtung 
der an ausgesprochener Chorea minor leidenden Pat. wurde ein massiger 
Grad von Anämie, vorübergehend Herzpalpitationen beobachtet. Eine orga¬ 
nische Herzerkrankung konnte nicht erwiesen werden. 

2. Frieda F., 14 Jahre alt, ist nach ihrer Aussage stets sehr scro- 
phulös gewesen. Im 4. Jahre überstand Pat. die Masern, im 7. Jahre einen 
Gelenkrheumatismus, welcher namentlich die linke untere und rechte obere 
Extremität befallen hatte und, ohne weitere Complicationen zu hinterlassen, 
nach ca. 14tägigem Bestände zurückging. Ohne weiteres besonderes Causal- 
moment entwickelte sich drei Wochen vor der Aufnahme in die Klinik bei 
der Pat. eine Chorea minor. Die Untersuchung des Circulationsapparates 
ergab sehr schwache, aber reine Herztöne. 

3. IdaF., 16 Jahre alt, hat die gewöhnlichen Kinderkrankheiten durch¬ 
gemacht; sie soll von jeher leicht psychisch erregbar gewesen sein. Vor 
einem Jahre überstand Pat. einen fieberhaft verlaufenden, leichten Gelenk¬ 
rheumatismus. Etwa 10 Tage vor ihrer Aufnahme in die Klinik hatte Pat. 
über intensiven Kopfschmerz, Abgcschlagenheit, Frösteln. Hitze, .Stuhlver¬ 
stopfung, vermehrten Durst zu klagen begonnen. Nach mehrtägigem Be¬ 
stände dieser Erscheinungen waren choreatische Bewegungen aufgetreten. 
Pat. wird zugleich mit zwei Geschwistern an Typhus abdominalis leidend in 
das Krankenhaus gebracht. Pat. macht einen mittelschweren Typhus abdo¬ 
minalis durch; die Chorea war schon nach lOtägigem Bestände völlig zurück¬ 
gegangen. Die Untersuchung des Herzens ergab einen unreinen systolischen 
Ton an der Mitralis, Verstärkung des II. Pulmonaltones: es bestand bis zur 
Entlassung ein leichter Bronchialkatarrh. Trotzdem blieb es während der 
Beobachtungszeit unentschieden, ob nicht die Herzgeräusche als accidentelle 
aufzufassen seien.’) 

4. Martha St , 13 Jahre alt. hat vor 8 Wochen Scharlach überstanden, 
welchem 14 Tage später eine Anschwellung der Hand- und Fussgelenke mit 
heftigen Schmerzen und Fiebererscheinuugen folgte. Nach einem heftigen 
Schreck sollen vor 10 Tagen die ersten choreatischen Bewegungen aufge¬ 
treten sein. Die Untersuchung ergiebt: sehr erhebliche Chlorose, beschleu- 

*) Stephen Mackenzie. Report on Chorea (Reports of the collective 
investigation comitee of the British medical Association). Brit. Med. journ. 
1887. p. 425. — Centralbl. f. klin. Med. 1888, No. 26. 

®) Peiper. Chorea bei Typhus abdominalis. Deutsche medicinische 
Wochenschr. 1885, No. 8. 


No. 30 


nigte Herzthätigkeit; der erste Ton an der Mitralis ist von einem acciden- 
tellen Geräusch begleitet. 

5. Emilie G., 16 Jahre alt, hat in ihrer Kindheit viel gekränkelt und 
ist deshalb in ihrer körperlichen Entwickelung sehr zurückgeblieben. Nach 
einem kalten Fussbade stellten sich kurze Zeit darauf Steifigkeit und Schmerz¬ 
haftigkeit in den Knie- und Hüftgelenken ein, so dass sie sich nicht be¬ 
wegen konnte, soudern getragen werden musste. Gleichzeitig treten Zuckun¬ 
gen in den Muskeln der oberen Extremitäten auf. Während nach Einrei¬ 
bungen und Einwickelungen die Gelenkschmerzon verschwanden, breitete sich 
die Muskelunruhe auch auf die übrigen Extremitäten aus. Bei ihrer Auf¬ 
nahme in die Klinik war Pat. psychisch sehr erregt, seitens des Herzens 
bestanden keine Anomalieen. 

6. Die 15 Jahre alte Lina H. ist hereditär nicht belastet Ausser 
den gewöhnlichen Kinderkrankheiten hat Pat. Diphtherie überstanden. Ende 
April dieses Jahres stellten sich intensive Schmerzen in den Gelenken ein, 
welche zuerst in den Fussgelenken, dann in den Handgelenken und schliess¬ 
lich in den Ellbogen sich localisirten. Nach 8tägigem Bestände traten bei 
der Pat. choreatische Zuckungen auf. Bei ihrer Aufnahme in das Kranken- 

j haus wurde eine Chorea minor constatirt; am Herzen Hess sich längere Zeit 
hindurch ein accidentelles systolisches Geräusch an der Herzspitze con- 
' statireu. 

7. Anna M., 10 Jahre alt, überstand in früheren Jahren die Masern, 
den Keuchhusten und eine Lungenentzündung. In den letzten Monaten 

1 erkrankte sie wiederholt an einer Gastroenteritis. Im Monat März schloss 
sich an einen derartigen Anfall eine sehr hochgradige Anämie an. Während 
, sie sich noch in poliklinischer Behandlung befand, traten plötzlich Schmerzen 
i und geringe Schwellung im Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk beider 
Arme auf, welche nach mehrtägiger Bettruhe schwanden. Ungefähr 6 Tage 
später machten sich uncoordinirte, unwillkürliche Bewegungen im linken Arm 
bemerkbar, einige Tage darauf auch in der rechten oberen und unteren 
Extremität. Am 26. April erfolgte ihre Aufnahme in die Klinik. Pat. bot 
; das Bild einer ausgesprochenen Chorea minor. An Stelle des ersten Tones 
i an der Pulmonalis und Mitralis bestand ein accidentelles Geräusch, welches 
j später nicht mehr zu constatiren war. 

Alle sieben Patienten wurden geheilt oder wesentlich gebessert 
i aus der Behandlung entlassen. 

Nur bei drei Patientinnen war der Gelenkrheumatismus länger 
I als ein .Jahr der Chorea vorausgegangen. Bei den übrigen schloss 
sich die Chorea direkt an die soeben überstandene Krankheit an, 
so dass der Zusammenhang nicht geleugnet werden kann. Dass in 
der That Gelenkrheumatismus vorlag, unterliegt keinem Zweifel. 
Zum Theil hatte sich derselbe unter dem Bilde der typischen Er- 
i krankung gezeigt, zum Theil waren nur leichtere rheumatische Zu¬ 
stände vorhergegangen. Dass dieselben nicht als excentrische Pro- 
jectionen cerebraler Vorgänge, wie Wunderlich die rheumatoiden 
Schmerzen bei der Chorea deutet, aufgefasst werden konnten, ergaben 
die näheren Angaben der Patienten, wie der objective Befund bei 
der Untersuchung. Soweit aus der physikalischen Untersuchung des 
Herzens ein bestimmter Schluss gezogen werden konnte, bestanden 
1 in keinem Falle die Symptome einer Herzklappenentzündung. 

Die zweite Gruppe enthält nur einen Fall, welcher dadurch 
charakterisirt ist. dass sich im Laufe der Chorea, während der 
I klinischen Beobachtung, ein acuter Gelenkrheumatismus und eine 
i Herzerkrankung entwickelte. Der Verlauf des Falles rechtfertigt 
; eine etwas ausführlichere Mittheilung desselben. 1 ) 

Bertha B., 13 Jahre alt, wurde zum ersten Mal am 22. M&i 1885 auf 
i die medicinische Abtheilung aufgenommen. Anamnestische Angaben vermag 
Patientin nicht zu machen, da die wenigen Worte, welche sie hervorstösst, 
unverständlich sind. Nach Angabe des Vaters hat Patientin bisher Masern, 
Scharlach und ein Erysipelas faciei durchgemacht. Vier Wochen vor ihrer 
Aufnahme trateu die ersten choreatischen Symptome auf, die allmählich zu 
1 einer sehr intensiven Höhe sich entwickelten. Während des Aufenthaltes 
in der Klinik trat noch eine weitere Verschlimmerung des Zustandes ein. 
Hinzu trat unter Fiebererscheinungen ein Abscess in der Gegend der rechten 
Brustwarze, eine Otitis media mit Perforation des Trommelfells; an der hin- 
I teren und seitlichen Kopfgegend drei Abscesse, Akneausschlag am Kinn und 
Hals, ausgedehnter Decubitus in der Kreuzbeingegend, später eine phlegmo¬ 
nöse Entzündung zwischen den Schulterblättern, starke katarrhalische Affec- 
tioneu der Bronchien, der Nase, der Conjunctiva. Trotz der schweren Com¬ 
plicationen genas Pat. vollkommen, so dass sie im August geheilt entlassen 
werden konnte. 

Am 28. Februar 1886 wurde Bertha B. wiederum auf die medicinische 
Klinik wegen eines Recidivs der Chorea aufgenommen. Unter Fieber trat 
am 2. April eine Schmerzhaftigkeit, und Anschwellung des linken Talocrural- 
gelenks ein, am folgenden Tage wurde auch das entsprechende rechte Gelenk 
befallen. Am Herzen keine Veränderungen. In den nächsten Tagen traten 
auch Schmerzen und Anschwellungen der Kniegelenke auf, die nach Salicyl- 
I gebrauch abnehmen. Vom 8. April an wird eine von Tag zu Tag immer 
l deutlicher werdende Endocarditis der Valvula mitralis constatirt. Trotz der 
Salicylsäurebehandlung werden noch die Schulter-, Hand- und Fingergelenke 
von den rheumatischen Schmerzen befallen. Die choreatischen Bewegungen 
der Pat. sind inzwischen beträchtlich zurückgegangen. Am 20. April wird 
unter neuen Fieberbewegungen eine Pericarditis sicca über der Herzbasis 
constatirt, die nach lOtägigem Bestände zurückgeht. Am 4. Mai verlässt 


') Der vorsteheude Fall ist wegen seiner besonderen Complicationen zu 
der Zeit, als Patientin zum ersten Male an Chorea litt, in der Inaugural- 
Dissertation des Herrn Bublitz, Greifswald 1885, veröffentlicht worden: 
„Ucber die Beschädigungen bei schwerer Chorea.“ 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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26. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


611 


Pat. zum ersten Male das Bett. Die Chorea ist völlig zurüekgetreten. Im 
weiteren Verlaufe recidiviren noch mehrere Tage hindurch leichtere rheuma¬ 
tische Erscheinungen in den Fussgelenken sowie pericardiale Reibegeräusche 
an der Herzbasis. Pat. wird am 13. Juni mit .den ausgesprochenen Sym¬ 
ptomen einer Insufficienz der Mitralis entlassen Im Juli 1887 stellte sich 
Pat. nochmals in der medicinischen Poliklinik wegen Herzklopfens vor. Es 
wurde bei ihr eine Insufficienz der Mitralis, verbunden mit Hypertrophie 
des Herzens, constatirt; Symptome der Chorea waren nicht mehr aufge¬ 
treten. 

Der vorstehende Fall bot ein ganz besonderes Interesse. Während 
ihrer ersten Erkrankung hatten sich bei der Pat. schwere Compli- 
cationen seitens der Haut entwickelt, welche Wocheu lang die Pro¬ 
gnose sehr erheblich trübten. Pat. wurde geheilt entlassen, erkrankte 
aber nach 6 Monaten von Neuem an Chorea. Während ihres Auf¬ 
enthaltes in der Klinik entwickelte sich ein regulärer Gelenkrheu¬ 
matismus. Chorea wie Gelenkrheumatismus gingen zurück, jedoch 
trat eine Endo- und Pericarditis noch hinzu. Pat. verliess mit einer 
Insufficienz der Valvula mitralis behaftet das Krankenhaus. 

Die dritte Gruppe umfasst diejenigen Choreaerkrankungen, 
welche durch Endocarditiden complicirt waren. 

1. Hermann B, 17 Jahre alt, erkrankte im Herbst 18S7 au einem 
acuten Gelenkrheumatismus. Es traten Schmerzen und Schwellungen in fast 
allen Gelenken auf, jedoch verlief die 3wöchentliche Erkrankung völlig fieber¬ 
los. Nach ca. 14 Tagen wurde Patient von einem Recidiv befallen, welches 
wiederum 3 Wochen andauerte. Am 26. Mai 1888 wurde Pat. wegen einer 
seit 14 Tagen bestehenden Hemichorea sinistra iu die Klinik aufgenoimnen. 
Bei der Untersuchung wurde eine Insufficienz der Mitralis constatirt. 

2. Ch. Sch., 22 Jahre alt, wurde an Chorea leidend in die Klinik auf¬ 
genommen. Die Untersuchung ergab eine Insufficienz und Stenose der 
Aorta. Aetiologie unbekannt. Während ihres Aufenthaltes in der Klinik 
erkrankte Patientin an einer acuten Nierenentzündung und verstarb. Die 
Section bestätigte die klinische Diagnose des Herzfehlers. 

3. Martha V., 7 Jahre alt, hat seit ihrem 3. Lebensjahre an Herz¬ 
klopfen gelitten. Im 4. Lebensjahre wurde Pat. zum ersten Male von Chorea 
befallen, welche bis zum 7. Jahre 5 mal recidivirte. Es bestanden bei der 
Pat. eine Insufficienz und Stenose der Valvula mitralis mit beträchtlicher 
Herzvergrösserung verbunden. Der Vater der Pat. leidet an einem Herz¬ 
fehler. Bemerkenswerth ist, dass bei Steigerung der Beschwerden seitens 
des Herzens choreatische Erscheinungen bei der Patientin auftraten. Pat. 
starb im 7. Lebensjahre in Folge von Compensationsstörungen. 

4. August H., 12 Jahre alt, litt schon zweimal nach seiner Aussage 
am Veitstanz. Bei der Untersuchung im Juli 1886 wurde eine Insufficienz 
der Mitralis constatirt und eine Chorea minor, welche seit 8 Tagen bestand. 
Seit dieser Zeit klagt Pat. über Herzklopfen. Die Anamnese ergiebt. keinen 
Anhalt über die Aetiologie. 

5. Lina K., 16 Jahre alt. wurde wegen einer Chorea minor im 
Jahre 1885 poliklinisch behandelt. Der Vater der Patientin verstarb an den 
Folgen eines Herzfehlers, den er nach einem acuten Gelenkrheumatismus 
acquirirt hatte. Die Untersuchung des Herzens ergab im Jahre 1885 bei 
der Pat. eine Insufficienz und Stenose der Valvula mitralis. Pat. erkrankte 
im Jahre 1886 an einem acuten Gelenkrheumatismus. Im Jahre 1888 wurde 
Patientin wegen eines Recidivs des Gelenkrheumatismus und wegen Compen¬ 
sationsstörungen auf die medicinisehe Klinik aufgenommen und verstarb da¬ 
selbst. Die Section bestätigte den intra vitam diagnosticirten Herzfehler. 

6. Minna H , 9 Jahre alt. Der Vater der Patientin starb vor 2 Jahren 
an den Folgen eines Herzfehlers. Patientin selbst soll nach der Angabe der 
Mutter schon vielfach gekränkelt haben. Im December 1887 trat eine Chorea 
minor auf. Als Pat. im Januar 1887 wegen ihres Leidens auf die medici- 
nische Klinik aufgenommen wurde, ergab die Untersuchung eine Insufficienz 
der Valvula mitralis. 

In den vorstehenden 6 Fällen handelte es sich um Chorea¬ 
erkrankungen, welche mit Herzklappenfehlern complicirt waren, und 
zwar — mit Ausnahme des Falles 2, in welchem eine Aorteuinsuf- 
ficienz bestand — um Erkrankungen am Klappeuapparat. der Val¬ 
vula mitralis. Nur iu Fall 1 war ein acuter Gelenkrheumatismus 
etwa 1/2 Jahr vorausgegangen. Iu den übrigen Fällen liess sich ein 
Zusammenhang mit einer rheumatischen Erkrankung nicht erweisen. 
Die Endocarditiden waren schleichend entstanden, ohne dass sie zu 
besonderen Beschwerden, selbst nicht einmal zu Herzpalpitationeu 
geführt hatten. Es verdient der Umstand jedoch Erwähnung, dass 
im Fall 3, 5 und 6 eine gewisse Disposition zu Herzerkraukuugen 
in der Familie der Patienten bestand. 

Die Anamnese, wie die objective Untersuchung der übrigen 
16 Patienten ergeben keinen positiven Anhalt für einen Zusammen¬ 
hang der Chorea mit Gelenkrheumatismus und Herzaffectioneu. Ob 
ein solcher in 'hllen 16 Fällen völlig zu negiren war, muss dahin¬ 
gestellt bleiben. Die Erkrankten wareu zumeist Kinder, welche zum 
Theil nur unvollkommene oder überhaupt keine Angaben über vor¬ 
ausgegangene Erkrankungen zu macheu vermochten. Dass Herz¬ 
klappenveränderungen auch bestehen können, ohne dass physikalisch 
nachweisbare Symptome trotz genauer klinischer Beobachtung vor¬ 
handen sind, ist zur Genüge bekannt. Noch kürzlich berichtet 
Osler, 1 ) dass von 115 tödtlich endenden Choreaerkrankungen nur 
in 10 Fällen die Herzklappen normal befunden wurden. Nicht 

l ) W. Osler. The cardiac relations of chorea. Journ. of the med. 
Sciences 1887, October, p. 871. — Centralbl. f. klin. Medicin 1888, No. 17. 


selten ergab die Section eine Endocarditis, obwohl intra vitam bei 
genauer Untersuchung kein Symptom auf eine Herzklappenerkrankung 
hingedeutet hatte. 

Betreffs der in klinischer Behandlung befindlichen Patienten 
verdient des Ferneren der Umstand noch Berücksichtigung, dass 
über die weiteren Schicksale der Patienten nach ihrer Entlassung, 
über eventuell in der Reconvalescenz oder in späterer Zeit noch auf¬ 
tretende Complicationen keine Nachrichten zu erlangen waren. Des¬ 
wegen vermögen wir auch bei der Verwerthuug unseres Materials 
dem Ergebnis« über die Häufigkeit der Coincidenz der Chorea mit 
den genannten Affectionen nur einen relativen Werth beizulegen. 
Es scheint aber jedenfalls nach unseren Beobachtungen nicht gerecht¬ 
fertigt, dem Gelenkrheumatismus in der Aetiologie. der Chorea nur 
etwa die Bedeutung beimessen zu wollen, wie dem Einfluss anderer 
Infectionskraukheiten, wie Scharlach, Masern, Diphtherie, Typhus, 
Krankheiten, welche zuweilen auch mit der Chorea iu causalem 
Zusammenhang stehen. 

Ausser dem Gelenkrheumatismus begegnen wir bei unseren 
Patienten von anderen ätiologischen Momenten insbesondere psychi¬ 
schen Affectionen. Wiederholt waren stärkere Gemüthsbewegungen, 
wie Schreck, Zorn. Furcht und Schmerz, dein unmittelbaren Aus¬ 
bruch der Chorea vorausgegangen. In vielen Fällen bestand schon 
eine gewisse neuropatliisc.be Grundlage. Bei anderen schienen die 
Eutwickelungsjahre, vor Allem die Symptome der Chlorose, mit dem 
Ausbruch der Chorea iu Zusammenhang zu stehen. Besonderes 
Interesse bot eine jüngst auf der mediciuischeu Abtheiluug beob¬ 
achtete Patientin, bei welcher durch Imitation eine Chorea zum Aus¬ 
bruch kam. 

Die 18jährige M. P. wurde am 30. April des Jahres wegen hochgra¬ 
diger Chlorose iu die medicinisehe Klinik aufgenommeu. Organische Herz¬ 
erkrankung nicht nachweisbar, jedoch sind accidentelle Blulgeräusche an der 
Pulmonalis und Mitralis zu eonstatireu. Mitte Mai war schon eine wesent¬ 
liche Besserung eingetreten, als eine Choreakranke aufgenommen wurde. 
Trotz Verbotes besuchte Patientin dieselbe, betrachtete aufmerksam die 
choreatischen Bewegungen und machte sie alsbald nach. Als sie von anderen 
Patienten auf ihr unpassendes Verhalten aufmerksam gemacht und ihr ge¬ 
boten wurde, mit den Nachahmungen aufzuhören, vermochte sie den Bewe¬ 
gungen nicht mehr Einhalt zu thun. Schon nach 2 Stunden bot Pat. das 
typische Bild einer Chorea minor, welche drei Wochen anhielt. 

Es ist schwer zu entscheiden, aus welchen Gründen der Gelenk¬ 
rheumatismus und die Herzklappenveränderungen in anderen Ge¬ 
genden nur selten mit der Chorea in causalem Zusammenhang stehen. 
Möglicherweise sind klimatische und atmosphärische Verhältnisse von 
Einfluss. Nach Prior ist die Zahl der gelenkrheumatischen Er¬ 
krankungen in der Umgegend von Bonn verschwindend klein, 
während die rheumatischen Erkrankungen in anderen Gegenden, wie 
Leipzig, viel häufiger, in Paris noch häufiger und in England auf¬ 
fallend zahlreich Vorkommen solleu. Vielleicht erklärt sich aus 
diesen Verhältnissen die Divergenz der Meinungen. 

Wie über die Häufigkeit der Coincidenz, so differiren auch die 
Ansichten der Autoren über den inneren Zusammenhang der Chorea 
mit dem acuten Gelenkrheumatismus. Watsou, Todd, Begbie, 
Branson suhstituiren das Vorhandensein einer „rheumatischen Dia- 
these“, welche die gemeinschaftliche Ursache der rheuruatischeu 
Geleukaffection der Endocarditiden und der Chorea sei. 

Andere Aerzte nehmen an, dass der Zusammenhang der Chorea 
mit dem Gelenkrheumatismus durch die entzündlichen Affectionen 
des Endocardiums vermittelt werde. So betrachten Kirkes, Wilks, 
Broadbeut, Tuckwell und Jackson die endocarditischen Er¬ 
krankungen als Bindeglied zwischen jeuen Processen. Nach Kirkes 
uud Wilks entsteht die Chorea durch eine Alteration des arteriellen 
Blutes von den Entzündungsproducten der Klappen aus. Broad- 
bent, Tuck well und Jackson führen die mit Endocarditis 
complicirteu Fälle von Veitstanz in der Mehrzahl auf embo- 
lischen Ursprung zurück. Jene Forscher nehmen, gestützt auf einige 
Sectionsbefunde. capilläre Embolieen im Corpus striatum und Tha¬ 
lamus opticus, welche eiue Reizung und später Erweichung der 
Nervencentren zur Folge hätteu, als Ursache der choreatischen Er¬ 
scheinungen an. Auffällig erscheint es dann nur, dass, wenn die 
Chorea stets embolischer Natur ist, ihr Symptomencomplex nicht 
häufiger durch Embolieen, herstaramend von grösseren losgerissenen 
Klappenvegetationen, complicirt wird. Es würde ferner die höchst 
auffallende Thatsache unerklärt bleiben, ..dass die Embolieen jedes¬ 
mal denselben Weg nehmen und jedesmal in genau derselben Weise 
und stets als einziges Symptom auftreten; während wir doch sonst 
wissen, dass Gehirn- oder Rückeumarksembolieen sich noch in ander¬ 
weitigen klinischen Erscheinungen, namentlich in Lähmungen zu 
äussern pflegen.“ (Litten.) 

Eine andere Hypothese deutet die Chorea im Gefolge von Endo- 
und Pericarditis als Reflexneurose. So nahm Bright die Com- 
pression des Nervus pbrenicus als Ursache der Chorea an. Ba- 
bington sieht in den entzündlichen Veränderungen am Endocardium 
denjenigen Reiz, welcher durch Einwirkung auf den Plexus cardiacus 


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612 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


auf reflectorischem Wege die Chorea auslöst. Auch Eichhorst 
erkennt für viele Fälle von Chorea die reflectorische Entstehung an. 

Klinische Beobachtungen und Erfahrungen haben noch immer 
nicht die Ansichten über die Aetiologie der Chorea endgültig geklärt. 
Auch unter denjenigen Aerzten, welche den acuten Gelenkrheuma¬ 
tismus und die Herzaffectionen als ätiologisch bedeutsam für das 
Zustaudekommen der Chorea bezeichnen, herrschen noch erhebliche 
.Meinungsdifferenzen über die näheren Beziehungen der Chorea zu 
deu einzelnen Processen. So zahlreich wie die Namen der Autoren 
ist fast die Anzahl der Hypothesen. Vielleicht gelingt es früher 
oder später, auf dem Wege des Experimentes eine sichere Grund¬ 
lage für die eine oder die andere Anschauung zu gewinnen. 

• 

II. Beiträge zur Kenntniss der Mundpilze. 

Vorläufige Mittheilung vou Prof. Dr. Miller. 

J. Leptothricheen. Die unter dem gemeinsamen Namen Lep- 
tothrix buccalis beschriebenen Gebilde umfassen eine ganze Reihe 
vou verschiedenen Pilzen, vou deneu drei in der Muudhöhle coustant 
Vorkommen, nämlich: a) Leptothrix buccalis im engereu Sinne, b) Lep- 
tothrix maxima buccalis, c) Bacillus maximus buccalis. 

a) Leptothrix buccalis besteht aus langen, dünueu, welleu- 
oder zickzackförmig gebogenen, unregelmässigen, selten nachweisbar 
gegliederten Fäden, welche mit Jod eine gelbliche, aber niemals 
eine blaue oder violette Färbung geben. 

b) Leptothrix maxima buccalis erscheint als verschieden 
lange, dicke, steife, ein- oder zwei-, selten dreizellige. häufig zuge¬ 
spitzte Fäden, deren Protoplasma ein körniges Aussehen hat. Sie 
färben sich auch mit Jod gelblich. 

c) Bacillus maximus buccalis (fälschlich unter Leptothrix 
eingereiht) erscheint meist als Rasen von langen, parallel laufen¬ 
den oder sich kreuzenden, schwach gebogenen, deutlich und regel¬ 
mässig gegliederten Fäden, welche aus dicken, eckigen Bacilleu zu¬ 
sammengesetzt sind. Kürzere Fäden oder auch einzelne Bacillen 
werden ebenfalls beobachtet. Dieser Pilz giebt mit angesäuerter 
Jodlösuug eine schöne, blauviolette oder röthlichviolette 
Färbung. 

Andere weniger charakteristisch«?, fadeubildeude Spaltpilze habe 
ich wiederholt aus den Muudcoucretioueu isolirt und leicht ge¬ 
züchtet. 

2. Mit Jod sich blau, violett oder röthlich färbende 
Mundpilze. Pilze, welche dem Jod gegenüber eine charakteristische 
Reaction zeigen, sind im Munde sehr leicht aufzufinden. Besondere 
Erwähuuug verdienen folgende Arten: 

a) Der schon beschriebene Bacillus maximus buccalis. 

b) Eiu in Coccen resp. Diplococcen vorkommender Pilz, welcher 
Ketten von 3—10 oder noch mehr Gliedern bildet. Die Ketten sind 
gerade oder leicht gebogen. Die Coccen liegen in einer Scheide 
und werden durch Ruptur derselben frei. Sie sind zahlreich in 
jedem Munde vorhanden und zeigen mit Jod eiue tiefblaue bis 
violette Färbung. — Diese beiden Arten sind bis jetzt nicht rein 
gezüchtet worden. 

c) Ein Pilz, den ich vorläufig alsJodococcus magnus be¬ 
zeichnen werde. Grosse Coccen resp. Diplococcen von verschiedener 
Grösse. Das Reinzüchten gelang zuerst auf einem Nährboden, der 
aus gleichen Theilen aus Agar-Ägargelatine und einer bei Zimmer¬ 
temperatur eben starr werdenden Lösung von Zahnbeinleim zu¬ 
sammengesetzt war. Er enthielt ausserdem 1,5% Zucker und 1,5% 
Stärke. Wird von dem Zahnbelag eine kleine Quantität auf diesen 
Boden strichweise aufgetragen, so zeigt sich in 24—48 Stunden bei 
Bluttemperatur ein starkes Wachsthura verschiedener Pilze. Die 
Platte wird nun mit der schwach angesäuerten Jodjodkaliumlösung 
übergossen. Das Nährmedium färbt sich bläulich, die meisten Pilz- 
colonieen gelblich, einzelne Pünktchen zeigen jedoch häufig eine 
violette Färbung, und überträgt man dieselben sofort auf eine neue 
Platte, so bekommt man leicht eine Reincultur des betr. Pilzes. 
Durch die kurze Einwirkung der Jodjodkaliumlösung werden diese 
Pilze nicht getödtet (wenigstens nicht alle), und haben wir hierin ein 
vorzügliches Mittel, sie zu erkennen und zu isoliren. Der Pilz ge- ; 
deiht aber auch auf gewöhnlichem Agar-Agar, dagegen auf Gelatine 
bei Zimmertemperatur nicht. Die Reaction tritt am schönsten auf 
bei Culturen auf zuckerhaltigem Agar-Agar, etwas weniger gut auf 
stärkehaltigem, bei letzterem zeigen die Colonieen concentrisch an¬ 
geordnete und verschiedenfarbige Ringe, welche durch diese ver¬ 
schiedenartige Färbung zierliche Gebilde geben. In Form und 
Reaction auf Farbstoffe stimmt dieser Pilz genau mit dem über¬ 
ein, der die violette Färbung des cariösen Zahnbeins bei Jodzusatz 
verursacht und der bislang als „Elemente der Leptothrix buccalis“ 
angesehen wurde. Durchschnittlich aber sind die Zellen meines 
Pilzes grösser, als die des im Zahnbein vorkommenden. Der 


Unterschied ist aber kein so grosser, als. dass er nicht durch die 
sehr verschiedenen Lebensbedingungen erklärt werden könnte. 

d) Eiu kleiner noch nicht näher untersuchter Mikrocoeeus, 
Jodococcus parvus, der sich mit Jod ebenfalls blau bis violett 
färbt; denselben habe ich in der allerletzten Zeit rein gezüchtet. 

e) Ein mit Jod schön rosaroth werdender Mikro- 
coccus. Diesen Pilz habe ich iu erster Aussaat beobachtet, die 
erfolgreiche Uebertraguug auf eine zweite Platte ist aber bis jetzt 
nicht gelungeu. 

Andere Pilze, welche sich mit .lud schwach bläulich oder vio¬ 
lett tingireu, kommeu ebenfalls im Munde vor. die Reaction ist bei 
diesen aber zu gering, um eiu näheres Studium zu beanspruchen. 

Ferner habe ich zwei auf Jod charakteristisch reagirende Spross- 
pilzarten aus dem Munde rein gezüchtet. 

3. Pathogene Mundpilze. Während der verflossenen zwei 
Jahre habe ich eiue grosse Anzahl von Mundpilzen auf ihre patbo- 
genen Eigenschaften geprüft, und zwar ersteus die Pilze, welche 
in gaugranösen Zahupulpen und bei Zahngesehwüren Vorkommen, 
zweitens diejenigen Pilze, welche ich bei der Alveolarpyorrhoe ge¬ 
funden habe. 

Bei den au circa 400 Thieren gemachten Impfversuchen hat 
sich gezeigt, dass ausser den goldgelben und weisseu Staphylo- 
coccen eine erhebliche Auzahl Pilze bei deu geuauuteu Erkrankungs¬ 
processen Vorkommen, welche mehr oder weniger ausgesprochene pyo¬ 
gene Eigenschaften besitzen. Von diesen führten vier, subcutau 
beigebracht, zu ausgedehnter Abseessbildung, zwei, in die Bauch- 
oder Brusthöhle oder intravenös injieirt, führten den Tod iu 24 - 48 
Stunden herbei. 

Ich behalte mir vor, über diese verschiedenen Befunde später 
ausführlich zu berichten. 

III. Ein neuer Vorschlag, auf operativem 
Wege die Brauchbarkeit der daumenlosen 
Hand zu verbessern. 1 ) 

Von Dr. C. Lauenstein, 

Oberarzt des Seeinanuskrankenliauses zu Hamburg. 

Mit dem Daumeu verliert die Hand ihre charakteristische Fähig¬ 
keit zum Greifen; sie wird zu einer Tatze, die weder zu der grö¬ 
beren Thätigkeit des „Fassens mit der vollen Hand“, noch zu den 
ferneren, wesentlich mit den Fingerspitzen ausgefübrteu Greifbewe¬ 
gungen verwendbar ist. 

Der Ersatz des Daumens durch Prothese ist, ebenso wie der der 
Finger im Ganzen, nur spärlich cultivirt worden. Der Bandagist, 
dem man die daumenlose Hand zur Anfertigung einer Prothese zu¬ 
weist, pflegt den mit eiuer Hülse resp. mit einem breiten Riemen 
anzufügendeu künstlichen Daumen meist so anzusetzen, dass er gleich 
dem in Ruhestellung befindlichen natürlichen Daumen neben dem 
Zeigefinger steht, ohne zu berücksichtigen, dass eine solche Prothese 
nur danu der Greifbeweguug resp. der Opposition zu den übrigen 
Fingern dieueu kaun, wenn sie so gestellt wird, dass ihre Spitze 
vou allen 4 Fingern gleich weit entfernt ist, also in der Weise volar- 
wärts vou denselben steht, dass die Spitze des Index sie gerade so 
gut wie die des kleiuen Fingers erreichen kann. Ich habe wohl iu 
früheren Jahren als einen einfachen Ersatzapparat für den verloreneu 
Daumen ein hartes, quer über Thenar und Hypothenar verlaufendes, 
auf dem Handrücken zu befestigendes Kissen anfertigen lassen, gegeu 
das die 4 Ringer sich ähnlich, wie die die Saiten drückenden Finger 
der linkeu Hand des Geigenspielers, mit ihren Spitzen anstemmen 
konnten. Jedoch liegt die Unvollkommenheit aller derartiger pa¬ 
thetischer Apparate gerade zur Verbesserung der defecten Hand so 
klar vor Augen, dass eine Umgestaltung der dauraenlosen Hand auf 
operativem Wege von vornherein sehr viel dankbarer und aussichts¬ 
voller erscheinen müsste. 

Es existiren nun von derartigen operativen Ersatzbestrebungeu 
des Daumens meines Wissens npr zwei Vorschläge. Derjenige von 
Huguier ist bestimmt für die Hand, welche beide Dauraeuphalangen 
verloren, aber den Metacarpus pollicis behalten hat. Derselbe fusst 
auf der relativ hohen Beweglichkeit des Daumenmptacarpocarpal- 
gelenks, welches in seiner Eigenschaft als Sattelgelenk Beugung und 
Streckung, Abduction und Adduction gestattet, und macht durch 
eine der Syndactylieoperation ähnliche Trennung des Weichtheil- 
interstitiums zwischen I. und II. Metacarpus den Daumen metacarpus 
mehr unabhängig und selbstständig in seinen Bewegungen. Der 
andere Vorschlag, welcher sich auf diejenige daumenlose Hand be¬ 
zieht, die auch ihres I. Mittelhandknochens verlustig gegangen ist, 
stammt von Guermonprez und ist bisher nur theoretisch con- 
struirt. ohne anders als an der Leiche ausgeführt worden zu sein. 

•) Mittheilung mit Demonstration im ärztlichen Verein zu Hamburg. 


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26. Juli. 


Guermonprez wollte, um es kurz anzudeuten, die Weiehtheile 
zwischen Metacarpus indicis und tertius trennen, dann unter sorg¬ 
fältiger Schonung und Erhaltung des Streck- und Beugesehnenappa¬ 
rates des Zeigefingers die basale Hälfte der Grundphaianx desselben 
und die periphere des Metacarpus isoliren und durch Absagen ent¬ 
fernen, um schliesslich die Grundphalanx und den Metacarpus mit 
entsprechend angelegten Knochenflächen so aneiuaiiderzufügeu, dass 
der Zeigefinger eine dem normalen abducirten Daumeu ähuliche 
Stellung bekommt. Dies Verfahren ist jedenfalls äusserst complieirt 
und hat, abgesehen von der verhältnissiuässig grossen Wunde, die 
es setzt, den einen schwachen Punkt, dass der Sehnenapparat des 
künstlich hergerichteten Daumens durch den Ausfall eines ca. I» cm 
laugen Knocheustückes so erheblich verlängert wird, dass eine Ueber- 
tragung der betr. Muskelcontractioneu auf Streck- und Beugeselinen 
wahrscheinlich überhaupt nicht mehr stattfindet. 

Ich hatte nun vor Kurzem Gelegenheit zu beobachten, wie an 
einem Patienten mit schwerer Maschinenverletzung der Hand, die zu 
ausgedehnter Eutblössung der Sehnen, complicirter Fractur von 
Mittelhandknochen etc. geführt hatte, der Metacarpus des 4. Fingers 
ohne unser Zuthun so in Dislocationsstellung ad peripheriam, und 
zwar in der Richtung nach dem Daumeu zu, geheilt, war. dass der 
in seiner Beweglichkeit beeinträchtigte Daumen sich diesem 4. Finger 
bequem oppouireu konnte, während der Kranke uicht im Stande 
war, seine Daumeuspitze und die Spitze des ebenfalls wesentlich 
unbeweglich gewordenen 2. und 3. Fingers in Berührung mitein¬ 
ander zu briugen. Und zwar war es lediglich diese unsererseits 
unabsichtlich zu Stande gekommene Rotationsstellung des 4. Fingers, 
welche diese leichte Opposition zwischen Daumen und 4. Finger | 
ermöglichte. 

Angeregt durch diese Beobachtung fasste ich folgenden Plan, i 
die Function der daumenlosen Hand zu bessern. Ich wollte den 
Metacarpus des Zeigefingers und den des kleiuen Fingers in ihrer 
Mitte durehtreunen und dann diese beiden Finger volarwärts zu¬ 
einander hin rotiren. so weit dies möglich sein würde und die , 
Metacarpi in dieser Stellung heilen lassen. Auf diese Weise he- j 
absichtigte ich. aus deu 4 in parallelen Ebenen agirenden Fingern j 
eine Art von Greifhand zu machen, indem die Beugung vom Zeige- , 
und kleiuem Finger — statt einander parallel — gegen einander i 
erfolgte und dadurch ermöglicht wurde, dass sich der 3. und 4. 
Finger gegen diese beiden opponirten Finger anlegten. 

Die Gelegenheit, dieseu Gedanken auszufiihren, liess uicht lange 
auf sich warten, und es zeigte sich, dass das Verfahren praktisch : 
ausführbar sei. Durch Versuche an der Leiche hatte ich mich i 
überzeugt, dass die beiden Metacarpi am besten vom Dorsum zu 
erreichen sind, wo sie nahezu dicht uuter der Haut liegen, und 
dass das geeignetste Instrument zu ihrer Durehtrennuug die Ketten¬ 
säge sei, während Stichsäge und Meissei leicht Nebenverletzungen 
rnacheu. 

Ich führte die Operation am 26. Mai dieses Jahres aus an dem 
holländischen Matrosen Ysbrand Spits. 50 Jahre alt. von der I 
Insel Terschelling, welcher vor circa drei Wochen durch eiue Ver¬ 
letzung den linken Daumen bis zum Metacarpus verloren hatte. 
Nach Durchtrennung der Metacarpi von je einem kleinen Längsschnitte 
des Handrückens aus konnte Iudex sowohl wie kleiner Finger, 
nachdem sie. im ersten Interphalangealgeleuk gebeugt waren, mit 
einigem Kraftaufwand volarwärts uud gegeneinander hin rotirt 
werden uud wurden in dieser Stellung mit Heftpflasterstreifen an 
einer kleinen quergestellten Schiene befestigt. Es trat ungestörte 
Heilung ein, und es stehen jetzt Zeigefinger und kleiner Finger der 
noch etwas geschwollenen, übrigens schwieligen Hand so, dass ihre 
Spitzen bei der Beugung sich einander entgegenstellen, uud Pat. 
bereits im Stande ist, mit bemerkbarer Kraft kleinere Gegenstände : 
zwischen denselben zu halten,' während es der normalen Hand un¬ 
möglich ist, die Spitze des gebeugten kleiuen Fingers der des 
Zeigefingers gegenüber zu stellen. Die Rotation des kleinen Fin¬ 
gers ist etwas besser gelungen, als die des Zeigefingers; aber ich 
glaube, dass beim Fehlen des Daumen metacarpus, wenn der Index 
an seiner radialen Seite frei ist, die Drehung des Zeigefingers noch 
weiter, als in diesem Falle geführt werden kann, besonders au j 
einer weniger schwieligen Hand, als der unseres Patienten. 

Die Umgestaltung der daumenlosen Hand in eiue Greifhand I 
nach diesem unseren Vorschläge wird sich nicht für alle Fälle I 
eignen. Sie wird namentlich bei solchen Patienten angebracht I 
sein, die feinere Arbeiten mit ihrer Hand verrichtet haben oder zu I 
verrichten beabsichtigen, wie es für Schneider, Uhrmacher, Gold- ! 
schmiede etc. zum Beispiel erforderlich ist. Ganz besonders scheint 
sich eine derartig umgestaltete Hand zum Halten der Feder zu J 
eignen. Ich möchte mir erlauben, Sie zu bitten, dieseu kleiuen 
Vorschlag, die daumenlose Hand umzugestalten, der au Einfach¬ 
heit nichts zu wünschen übrig lässt, geeignetenfalls zu verwertheu. 


613 


IV. UeberPeptonurie in der Schwangerschaft. 

Von Dr. med. Albin Koettnitz in Zeitz. 

Die Pcptonurie ist erst seit einigen Jahren bekannt. Trotzdem 
die Untersuchungen über das Vorkommen derselben noch nicht ab¬ 
geschlossen siud, lässt sich doch schon behaupten, dass das Auftreten 
von Pepton im Harn ein klinisch wichtiges Symptom ist, ein Sym¬ 
ptom, das uuter Umständen differentialdiagnostische Bedeutung hat. 
Wir wissen, das Peptouurie bei all’ den Affectionen zu finden ist. 
bei denen Eiweisskörper (Leukocyteii) zum Zerfall kommen und zur 
Resorption gelangen. Man hat somit Peptouurie in den verschie¬ 
densten Krankheiten constatiren können, und v. Jakseh 1 ) hat 
daraufhin von einer pyogenen — bei Pneumonie im Lösungsstadium. 
bei eitrigen pleuritisrhen Exsudaten, bei eitriger Meningitis, bei 
acutem Gelenkrheumatismus etc. vorkommenden —, hämatogenen 
— bei schweren Fällen von Scorbut und, fügen wir hinzu, bei 
Fällen schwerer Infectionskrankheiten mit Blutungen, z. B. Scarlatina 
hämorrhagica —, enterogenen - bei uleerösen Processen des 
Darmes —, intoxicativen — bei Phosphorvergiftung — und puer¬ 
peralen — im Puerperium auftretender Peptouurie gesprochen. 
Aber ich glaube, dass all’ diese Gruppen uuter dasselbe einheitliche 
Prineip zu bringen siud, alle ein und dasselbe Substrat haben, bei 
allen ein und derselbe Vorgang sich abspielt: Zerfall von Eiweiss¬ 
körpern. Resorption der Zerfallsproducte. 

In der internen Medioin ist die Peptouurie nach den verschie¬ 
densten Richtungen hin erforscht worden, weniger in den übrigen 
medicinischen Discipliuen. In der Gynäkologie hat Fiscliel-) zu¬ 
erst darauf hingewiesen, dass im Puerperium Pepton constant im 
Harn auttritt, also iu einem physiologischen Zustande, der allerdings 
dicht an das Pathologische angrenzt. Ueber Vorkommen in der 
Gravidität liegen meines Wissens fast keine 3 ) Beobachtungen vor. 
Bei normalen Schwangerschaften habe ich allerdings nie Peptouurie 
auffinden können, wohl aber in einigen pathologischen Fällen. 
Fälle, die auch iu anderer Hinsicht manches Interessante bieten, uud 
die ich deshalb weiter unten ausführlich anführen werde. 

W'ie schon gesagt besitzt das Auftreten von Peptouurie iu 
manchen Fällen differentialdiagnostische Bedeutung, z. B. bei der 
Differentialdiagnose zwischen occulter Sareomatose 1 ) — und hier¬ 
her gehören wohl auch die Fälle von Pseudoleukämie und 
chronischem Rückfallfieber 5 ) — einerseits und Fällen occulter 
Sepsis und Pyämie andererseits, ferner bei der Differentialdiagnose 
zwischen tu bereu loser uud eitriger Meningitis, wenn auch mit 
gewissen Einschränkungen. Denn bei tuberculöser Meningitis wird 
ebenfalls Peptouurie auftreteu, wenn gleichzeitig tuberculöse, ulceröse 
Processe iu den Lungen oder im Darm oder iu anderen Organen vor¬ 
handen sind; ja .Spuren von Peptou können auch bei uucoiuplicirter 
Meningitis tuberculosa, sobald erst Exsudat aufgetreteu ist, Vorkommen. 
Mit Berücksichtigung dieser Momente wird gegebenen Falls bei 
Meningitis Peptonurie tür den eitrigen (-harakter der Erkrankung 
sprechen. 

ln der Gravidität .scheint das Auftreten von Peptou im Harn 
ebenfalls von differentialdiaguostischer Wichtigkeit zu sein. Es 
scheint nämlich die Peptonurie ein sicheres Kriterium für 
den Tod der Frucht abzugeben. 

Es ist bekannt, welche .Schwierigkeiten manchmal der exacten 
Diaguose von dem Tode der Frucht, zumal in den ersten Schwanger- 
schattsmouateu, eutgegensteheu. Von den vielen subjectiven und ob- 
jectiveu Symptomen (Frostschauern, Gefühl eines fremden Körpers 
im Leibe, körperliches Unbehagen. W r elkerwerden der Brüste. Ge- 
ringerwerdeu des Leibesumfangs, Aufhören der Kindesbew r eguugen 
etc.) betonen Schroeder 6 ) uud Zweifel 7 ) vor Allem das Resultat, 
der Auscultation der Herztöue und die Temperaturdifferenz des gra¬ 
viden Uterus gegenüber der Scheide. Da nämlich die lebende Frucht 
eine Wärmequelle für den Uterus bildet, muss die Temperatur des¬ 
selben eine höhere sein als die der Scheide. Bei dem Tode der Frucht 
fällt diese Differenz weg. Betrachten wir all’ diese Symptome, so 
werden wir schon a priori deu subjectiven Erscheinungen nur einen 
relativen Werth beilegen, aber auch die objectiveu sind nur in be¬ 
grenzter Weise verwerthbar. Auf die Auscultation der Herztöne 
können wir nur recurriren. wenn die Hälfte der Schwangerschaft 
erreicht ist. Uud das andere Moment, das Temperaturverhältuiss 
des Uterus zur Vagina wird wohl uur iu sehr seltenen Fällen heran¬ 
gezogen werden. 

*) K. v. Jaksch. Klinische Diagnostik inuerer Krankheiten, 1887, 
p. 221 u. s. f. 

'*) Fiscliel Archiv für Gynäkologie Bd. XXXIV, Heft 3, p. 400 ff. 

3 ) Fiscliel berichtet darüber p. 424 und 425. 

4 ) v. Jaksch I. c. 

ä ) Ebstein. Berliner klin. Wochenschrift 1887, No. 31 etc.; P. K. Pel. 
Berlin, klin. Wochenschrift 1885 No. 1. 

6 ) Schroeder. Lehrbuch d. Geburtshülfe, VI. Auflage, p. 119 ff. 

7 ) Zweifel. Lehrbuch d. Geburtshülfe. 1887. p. 112 ff. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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614 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


In der Feststellung der Peptonurie hätten wir nun, da der 
chemische Nachweis des Peptons, zumal im eiweissfreien Harn ein 
relativ leichter ist, vorausgesetzt, dass meine Beobachtungen allge¬ 
mein gültige Schlüsse zulassen, ein leichtes und sicheres Verfahren, 
den Tod der Frucht in jeder Schwaugerschaftsepoche uachzuweiseu. 

Der Vorgang, der sich nach dem Tode der Frucht im Uterus 
abspielt, ist eben derart, dass eine Resorption zerfallener Eiweiss¬ 
körper stattfindet. Denken wir zunächst an das Fruchtwasser uud 
den in demselben suspendirten Fötus, ferner an die Placenta mit 
ihrem Blut- und Lymphgefasssystem und den iu demselben sich 
vollziehenden Circulationsvorgängen, so werden wir leicht verstehen, 
weshalb gerade bei dem Tode der Frucht, bei der Maceration der¬ 
selben alle Bedingungen zum Auftreten von Peptonurie gegeben 
sind. Schon das Fruchtwasser au und für sich enthält Eiweiss¬ 
stoffe. uacli manchen Angaben 1 ) bis 0,5%; die Frucht ist als eine 
compacte Eiweissinusse, die von dem alkalischeu-) Fruchtwasser 
zerlaugt uud macerirt wird, zu betrachten; ja selbst die Placenta 
wird iu Mitleidenschaft gezogen: es Huden Degeuerations- und Re- 
sorptiousvorgänge statt. 

Das bei dem Tode der Frucht auftretende Frostschaueru, das 
sich manchmal bis zum Schüttelfrost-' 1 ) steigert, ferner das körper¬ 
liche Unbehagen, überhaupt das Gros der subjeetiven Symptome ist 
wohl eine Folge dieses Resorptionsprocesses. 

Auch die von Gassner beobachtete Abnah me des Körper¬ 
gewichts wird wohl darauf zurückzuführen seiu. 

Es ist allerdings ein spärliches Material, auf das ich mich 
stützen kann; und bei der relativ seltenen Gelegenheit, derartige 
Fälle wocheulaug vor der Frühgeburt resp. Abort zu beobachten, 
wird die geringe Zahl nicht Wunder uehmeu. Aber bei allen 
Fällen ist das eine Moment: „Auftreten von Pepton im Harn und 
Ausstossung eines todten Eies u so in die Augen springend, dass 
man unwillkürlich beides mit einander in Verbindung bringt. 

Ich gestatte mir nun, meine Beobachtungen in der zeitlichen 
Reihenfolge mitzutheileu. 

I. Fall. Gravidität im 7. Monat: Peptonurie; Krüh ge kurt 
eines macerirt en Kindes; Trismus und Tetanus während des 
Kreissens: Tod. Die 24jährige Lina K. aus Gleina bei Zeit/, hatte sich 
wider den Willen der Eltern verlobt. Eingetreteue Gravidität hatte 
schliesslich die Eltern umgestimint, die Verbindung sollte nach der Nieder¬ 
kunft stattfinden. In diese, an Gemüthserregungen überreiche Zeit, fällt 
nun die Erkrankung der Tochter. Sie war am 4. December auf dem Sopha 
iu rechter Seitenlage oingeschlafen. Heim Erwachen spürte sie Schmerzen 
im Unterleib, die sie veranlassten, das Bett aufzusuchen. Nach Mitternacht 
trat ein heftiger Schüttelfrost und mit ihm Kopfschmerzen, Erbrechen und 
Athemnoth ein. Morgens 8 Uhr wiederholte sich der Schüttelfrost, die 
Kopfschmerzen wurden intensiver, das Erbrechen kam öfter. Abends 10 Uhr 
fand ich Patientin, eine zierliche, schwächliche Person, schwerathmend, über 
Kopf- und Leibweh klagend, vor. Das Aussehen war blass, Hände und 
Küsse kühl. T. 38,2, P. 140. Herz und Lungen Hessen nichts Abnormes 
finden. Auffallend aber war das schwere Athinen uud vor Allem eine grosse 
Emptindlichkeit der rechten Seite des mit vielem Fruchtwasser erfüllten 
Uterus. Die Ausdehnung der Gebärmutter entsprach eiuer Schwangerschaft 
im 6. Monat; Kindestheilc waren deutlich durchzufühlen; Herztöne waren 
nicht zu eonstatiren, ebensowenig Kimlesbewegungen, trotzdem sie Patientin 
noch zu fühlen angab. Patientin klagte über viel Frost; Urin wurde oft 
und reichlich entleert; Stuhl, der stets träge gewesen, war seit drei Tagen 
angehalten. 

Ich verordnete Eisstückchen gegen das Erbrechen, gab Acid. hydrochloric. 
in Mixtur, Hess der Kopfschmerzen halber die Stirn mit 10"/o Menthol¬ 
spiritus bestreichen. 

Am folgenden Tage war das Befinden noch dasselbe. Nachmittags 
3*/a Uhr war Temperatur 37,2, Puls 140. Gegen das Brechen wurde nebeu 
Eis noch (’ocaiulösuug, gegen das Kopfweh Pasta Guarana gegeben; die 
Stublverstopfuug wurde mit Klystieren bekämpft. 

Am Mittwoch (7. December) war der Zustand besser. Das Erbrechen 
hatte sich gelegt,, die Kopfschmerzen waren geringer, Stuhl war erfolgt. 
Appetitlosigkeit dagegen, die Dyspnoe und Pulsfrequenz bei normaler Tem¬ 
peratur bestanden noch weiter, ebenso die überaus grosse Druckempfindlich¬ 
keit und Schmerzhaftigkeit der rechten Seite des Uterus. Auffallend war 
nun der Urinbefund, der während der ganzen Dauer der Krankheit con- 
stant blieb. Die Harnmenge betrug anfangs bis 4 I, späterhin bis 2 1 pro 
die. Nie fand sich Zucker, wohl aber eine minimale Menge gerinnbaren 
Kiweisses (Serumalbumin, resp. Globulin) und vor allem stets Pepton in 
relativ grosser Quantität. 

Das Resultat der Harnuntersuchung war folgendes: Die Farbe war 
hellgelb, das specifische Gewicht 1027—1031, die Reaction schwach sauer, 
das Aussehen bald trübe, bald auch ganz klar. Beim Stehen bildete sich 
ein geringer, flockiger Niederschlag, der im Wasser löslich war und mit 
Natronlauge und Kupfersulfatlösung die Biuretreactiou gab. 

Eine Probe des filtrirten Urins veränderte sich beim Erhitzen nicht, 
nach dem Erkalten aber zeigte sich eine schwache Trübung und nach 

’) Zweifel. Geburtshülfe, p. 55. 

*) Pepton entsteht, abgesehen von der Verdauung, bei Einwirkung von 
Säuren oder Akalien. Vergl. Salkowski und Leube. Lehre vom Harn, 
p. 213, und Hoppe-Seiler. Chemische Analyse, V. Aufl. p. 287. 

3 ) Vergl. Fritsch. Klinik der geburtshülflicheu Operationen, 1880 
p. 316. 


stundenlangem Stehen ein minimaler Niederschlag, der beim nochmaligen 
Aufkochen wieder verschwand, in der Kälte aber wieder zum Vorschein kam. 

Eine andere Probe wurde kalt mit Salpetersäure behandelt, nach län¬ 
gerem Stehen entstand unbedeutende Trübung, schliesslich ganz geringer 
Niederschlag. Auch dieser verschwand beim Aufkochen fast gänzlich, der 
: Urin nahm dabei gelbe Färbung an, beim Erkalten zeigte sich wieder Trübung 
| uud wiederum Niederschlag. 

Eine andere Probe wurde erhitzt und mit Salpetersäure versetzt. So 
\ lange die Flüssigkeit heiss war, bemerkte man weder Trübung noch Nieder¬ 
schlag, wohl aber beim Erkalten. 

Eine weitere Probe wurde mit Essigsäure vermengt. Es erfolgte keine 
Trübuug, dagegen deutlich bei Zusatz von Ferrocyankaliumlösung. 

Der Ausfall dieser Reactionen machte die Anwesenheit von Hemialbu- 
I luinose wahrscheinlich. Weil darauf Bedacht zu nehmen war, wurde in fol¬ 
gender Weise vorgegangen: 

Der Urin wurde mit coucentrirter Essigsäure versetzt, langsam erhitzt 
und dabei 1 .'g Volumen coucentrirter Kochsalzlösung zugefügt. Es entstand 
Trübung und geringer Niederschlag. Jetzt wurde warm filtrirt, das Filtrat 
abgekühlt und nochmals mit concentrirter Kochsalzlösung bis zur Sättigung 
versetzt. Es blieb klar, auch bei nochmaligem Erhitzen. Eine Probe davon 
wurde mit eiuer coucentrirten Lösung von neutralem Ammoniumsulfat be¬ 
handelt. Auch diese blieb klar. Eine andere Probe wurde nochmals mit 
Essigsäure und Ferrocyankaliumlösung geprüft, ebenfalls mit negativem Er¬ 
folge. 

Dem Filtrate wurde jetzt nochmals etwas Essigsäure zugemischt, dann 
! Phosphorwolfram,säure, *) die mit Essigsäure vermengt war, zugeschüttet. Es 
! entstand ein starker Niederschlag. Dieser wurde auf dem Filter mit ver- 
; dünnter Schwefelsäure (5,0: 100,0) ausgewaschen, noch feucht mit ein wenig 
j Wasser in ein Porzellanschälchen gebracht, mit Baryumcarbonat bis zur 
j schwach alkalischen Reaction versetzt, damit innig mit einem Glasstäbchen 
I verrieben, dann im Wasserbade 10 Minuten lang erhitzt. Nun wurde der 
I Inhalt des Schälchens in ein Reagensglas geschüttet, Natronlauge und eine 
I Spur Kupfersulphatlösung hinr.ugefügt: es entstand prachtvolle Violett¬ 
färbung. 

Wir hatten also im Urin eine Substanz, die beim Stehen des unfiltrirten 
Harns flockig zu Boden fiel, im Wasser löslich war und die Biuretreaction 
i gab, jedenfalls ein Theil des weiterhin im filtrirten Urin aufzufindenden Al- 
J bumins, das durch Essigsäure und Kochsalzlösung zu fällen war. Wir hatten 
> vor Allem Pepton in beträchtlicher Menge; dagegen fehlte Propepton 
I (Uemialbumiuose) und auch Zucker, denn auf letzteren gerichtete Unter- 
! suchungen ergaben ein negatives Resultat. 

Beachtenswert!! erschien mir übrigens eine Reaction des an Phosphor- 
; wolframsäure gebundenen Peptons. Wurde zu diesem Niedorschlag Kali- 
I oder Natronlauge zugefügt, so entstand ein tief indigblauer Farbenton. 

Das Auffinden von Pepton im Harn bestimmte mich, den Tod der Frucht 
uud die Maceration derselben anzunehmen und Partus prämaturus zu pro- 
gnosticiren. Der ganze Anfang, der weitere Verlauf der Krankheit veran¬ 
lasston mich, Befürchtungen wegen drohender Eklampsie auszusprechen. 

Das Befinden der Patientin besserte sich in der Folgezeit leidlich. Der 
! Appetit hob sich, die Kräfte nahmen zu, Patientin konnte das Bett verlasseu. 
Nur der Schmerz in der Seite und die Peptonurie bestanden weiter. Das 
Volumen des graviden Uterus nahm nicht zu, im Gegentheil ab. Herztöne 
oder Bewegungen konnten nie beobachtet werden. 

So ging es fort bis zum 1. Januar dieses Jahres. An diesem Tage 
stellten sich Nachmittags Wehen ein; die Hebamme wurde gerufen und ich 
benachrichtigt. Abends 5 Uhr fand ich Patientin, die ich einige Tage nicht 
i gesehen, eigentümlich verändert. Sie war sehr abgemagert, die Hände und 
Küsse waren eiskalt wie abgostorbeu, das Gesicht spitz und fahl, die Sprache 
schwerfällig, das ganze Wesen träge und schläfrig. Mau musste mehrere 
i Male fragen, ehe man eine Antwort erhielt. Selbst das Trinken und Schlucken 
I geschah langsam und mit Anstrengung. 

Die innerliche Untersuchung ergab markstückgrosse Oeffnuug; die Blase 
stand noch; der Kopf lag links lose auf dem Becken auf; die Kopfknochen 
waren schlotternd durchzufühleu, die Wehen waren sehr gering und ganz 
selten. 

Der Zustand der Patientin beunruhigte mich. Die Angabe der Eltern, 
dass die Kranke schon seit vorgestern über erschwertes Schlucken geklagt 
und ihr ganzes Wesen auffallend träge gewesen, gab mir zu denken. Ehe 
ich zu einem Resultate kommen konnte, trat plötzlich Trismus und fast 
unmittelbar darauf Opisthotonus ein und brachte mit einem Male Klarheit 
in die Situation. Das Gesicht war eigenartig verändert: das Aussehen war 
fahl und bläulich, der Mund breit verzogen, die Zähne unbedeckt lassend: 
die Masseteren waren bretthart. contrahirt, die Kiefer eisenfest aneinander 
gepresst. Der Kopf war nach hinten übergebogen, die Wirbelsäule nach 
hinten gekrümmt; die Arme und Beine waren eiskalt und schlaff: sie Hessen 
sich biegen und bewegen, beim Aufheben fielen sie wie todt herab, beim 
Kneifen und Stechen aber wurden sie bewegt, von Lähmung also war nicht 
die Rede. 

Die Respiration war seufzend und schwer, der Puls sehr frequent und 
sehr schwach (160), die Temperatur ganz gering: 36,5 in der Achselhöhle. 

Die Augen waren geschlossen; beim gewaltsamen Oeffnen findet man 
die Bulbi nach rechts aussen gerichtet; die Pupillen waren eng, Cornea 
und Conjunctiva bulbi auf Reizung empfindlich. 

Der Opisthotonus kam aufallsweise, der Trismus bestand ununterbrochen 
fort. Ich griff zum Chloroform, schliesslich zu Morphium-Atropininjectionen, 
alles ohne Erfolg. 

Gegen 8 Uhr verlie.ss ich Patientin, der Zustand war noch derselbe; 
Wehen waren nicht zu bemerken, der Muttermund war noch markstück- 
gross. 

Früh gegen 4 Uhr war ich wieder zur Stelle. Die Scene war jetzt 


') Ueber Bereitung von Phosphorwolframsäure vergl. v. Jaksch, 1. c. 


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26. Juli. 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


615 


verändert. Gegen 10 Uhr hatte nach Aussage der Hebamme der Trismus 
nachgelassen, Opisthotonus war nicht wiedergekehrt, aber ebensowenig 
hatten sich Zeichen von Bewusstsein bemerkbar gemacht. Gegen 12 Uhr 
war die Blase gesprungen, der Kopf langsam bei leidlichen Wehen in’s 
Becken getreten. 

Ich fand jetzt den Kopf unten stehend, die Wehen ganz erloschen, 
Patientin heiss und voller Schweiss. Der Puls war an der Radialis nicht 
mehr zu fühlen, an der Carotis zählte ich 156 Schläge, bei der Auscultation 
des Herzens klangen die Töne dumpf, wie aus der Ferne. Die Temperatur 
betrug in der Achselhöhle innerhalb weniger Minuten 39,5. Der Mund war 
jetzt offen, der Kopf beweglich, die Augen halb geöffnet, die Bulbi geradeaus 
gerichtet, die Pupillen weniger eng. Die Cornea und Bindehaut reagirten 
nicht mehr auf mechanische Reizung, ebenso wenig Arme und Beine. 

Ich beendete jetzt die Entbindung, indem ich mit dem Scheeren- 
perforatoriura den Kopf eröffnete und mit der Knochenzange die Extraction 
vollführte. Die Placenta sass fest, sie musste manuell gelöst werden, zumal 
rechts vorn war sie adhärent, an der Stelle, die dem Sitze der Schmerzen 
entsprach. Die Blutung bei der Lösung war gering; auffallend war die braun- 
rothe Farbe des Blutes. 

Das Kind war völlig macerirt, aber nicht übelriechend. Die Haut war 
in Fetzen abgehoben, die Nabelschnur sulzig aufgequollen, die Placenta 
klein und wenig blutreich. 

Der Zustand der Patientin blieb nach der Entbindung weiterhin un¬ 
günstig. Früh gegen 8 Uhr trat Exitus ein. Kurz vor dem Tode soll die 
Temperatur sehr hoch gewesen sein. Patientin hätte geglüht, auch die 
Leiche soll noch bis Mittag, trotzdem sie bei starker Kälte in einem un¬ 
geheizten Zimmer lag, ganz heiss sich angefühlt haben. Die Section wurde 
von den Eltern — es war ihr einziges Kind gewesen — nicht gestattet. 

Unser Fall ist in mancher Hinsicht interessant. Eine Schwangere 
erkrankt im siebenten Monate ganz plötzlich unter zweimaligem 
Schüttelfrost mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Dyspnoe und Unterleibs¬ 
schmerzen. Fieber ist trotz schneller Herzaction nur im geringen 
Maasse und nur im Anfänge vorhanden. Als einzige Abnormität 
findet sich, abgesehen von einem geringen Albumingehalt, Pepton 
im Harn. Fast vier Wochen nach Beginn der Krankheit, nachdem 
fast alle Beschwerden gewichen, fast alle Krankbeitserscheinungen 
geschwunden sind — nur die Gebärmutterschmerzen und die Peptonuric 
waren geblieben —, tritt Frühgeburt eines macerirten Kindes und 
während des Kreissens Trismus und Tetanus ein, der in kurzer Zeit 
den Tod herbeiführte. 

Es ist wohl kaum ein 1 ) Fall in der überaus spärlichen Literatur 
über puerperalen Tetanus bekannt, bei dem wie hier während des 
Kreissens, bei einer Frühgeburt eines faultodten Kindes Trismus 
und Tetanus zum Ausbruch kamen. Die meisten Lehrbücher der 
Geburtshülfe und Wochenbettskrankheiten enthalten kaum einige 
Notizen über diese Krankheit. Win ekel 2 ) führt sie gar nicht 
an, Fritsch 3 ) erwähnt sie kurz, ebenso Schroeder 4 ) und Zweifel 5 ). 
Mehr bieten die Lehrbücher der Chirurgie, der internen Medicin 
und die Specialwerke über Nervenkrankheiten. Aber all' diese 
Werke nehmen kaum Bezug auf die puerperale Form. Und bei 
den wechselvollen 6 ) Bildern, die dem Krankheitshegriffe: „Trismus 
und Tetanus“ unterstellt sind, wäre gerade Berücksichtigung der 
puerperalen Fälle wünschenswerth. 

Ich hatte im vorigen Jahre bei einer Consultation Gelegenheit, 
einen derartigen Fall zu sehen. Die Krankengeschichte, die mir 
der behandelnde College, Herr Dr. Robert Haupt in Teuchern, 
in zuvorkommendster Weise zur Verfügung stellte, bietet ebenfalls 
manche interessante Daten: 

Frau Rost, Balmbeamtenfrau, 31 Jahre alt, II-Gravida, abortirte am 
30. April 1887. Die Temperatur betrag 40.0». Nach Ausstossung der 
dreimonatlichen Frucht trat Abfall des Fiebers und volles Wohlbefinden ein. 
Am 2. Mai. Nachmittags 3 Uhr, machten sich Schlingbeschwerden und 
Nackensteifbeit bemerkbar. Abends war ausgebildeter Trismus vorhanden, 
die Temperatur stieg auf 41°. Während der Nacht bildete sich auch Te¬ 
tanus des ganzen Körpers aus, der permanent blieb und nur bei Anwendung 
von Chloroform und Morphium-Atropininjectionen etwas nachliess. Die 
Pupillen waren ganz eng. Unter fortdauerndem Trismus und Tetanus bei 
einer Temperatur von 42,6 trat am 3. Mai, Nachts zwischen 11 und 12 Uhr, 
der Tod ein. 

Als ursächliches Moment für den Abort wird Ueberanstrengung beim 
Aufhängen von Gardinen angegeben. Psychische Einflüsse, wie Kummer 
und Sorgen, sind nicht vorhanden gewesen, ebensowenig Factoren septischer 
Natur: das Ei roch nicht faulig, der Wochenfluss ebenfalls nicht, Abortreste 
waren nicht zurückgeblieben, ausserdem war bei Beginn des Tetanus sofort 
eine uterine Ausspülung mit Sublimat vorgenommen worden. 

Dieser Fall hält sich im Grossen und Ganzen in dem Rahmen 
des typischen Bildes der Krankheit. Bemerkenswerth ist die Be¬ 
theiligung der Arme, die änsserst. selten in Mitleidenschaft gezogen 
werden; fernerhin die Pupillenverengerung wie in meinem Falle. 

l ) Schroeder führt, in seinem Lehrhuche einen ähnlichen Fall von 
Curtis Smith an. 

*) Winckel. Wochenbettskrankheiten, 1878. 

8 ) Fritsch. Klinik- der geburtsh. Operationen, 1880, p. 314. 

4 ) Schroeder. Lehrbuch der Geburtshülfe, 1880, p. 783. 

5 ) Zweifel. Lehrbuch der Geburtshülfe, 1887, p. 533. 

®) Vergl. Riedel in König's Allgemeine Chirurgie, II. Abtheilung, 
p. 215 ff. 


Beachtenswerth ist auch das Verhalten der Temperatur: Fieber wäh¬ 
rend des Aborts, Abfall desselben nach der Ausstossung des Eies; An¬ 
steigen der Temperatur entsprechend der wachsenden Intensität und 
Ausbreitung des Krampfes bis zur Höhe von 42,6°. Charakteristisch 
ist auch die gradweise Zunahme des Leidens. Erst zeigte sich er¬ 
schwertes Schlucken und Nackensteifigkeit, dann Trismus, dann 
Tetanus. 

Und hierin zeigt sich eine gewisse Aehnlichkeit mit meinem 
Falle, doch weicht derselbe in manchen Punkten von dem Schema 
der Lehrbücher ab. 

Auffallend war es, dass der Trismus bis zum Auftreten des 
Comas eonstaut blieb, der Opisthotonus dagegen anfallsweise — im 
Ganzen dreimal von ziemlich halbstündiger Dauer — auftrat; auf¬ 
fallend Ivar es, dass sich der Krampf nur auf die Gesichts- und 
Nacken-Rückenrauskulatur erstreckte, die übrigen Körpertheile aber 
frei liess. Doch ist dies alles noch mit dem typischen Bilde zu ver¬ 
einen. 

Auffallend aber, und dem gewöhnlichen Verlaufe nicht ent¬ 
sprechend war das Verhalten der Augen, die conjugirte Deviation 
derselben nach rechts, ein Symptom, das sonst nur bei echten Ge- 
hirnerkrankungen und vor Allem bei Ponsaffectionen l ) zu finden 
und vielleicht in unserem Falle als ein tonischer Krampf gleichartig 
wirkender Muskeln, des R. externus rechts, des R. internus links, 
aufzufassen ist. Im Einklang damit wäre die Pupillenverengerung 
als Krampf des Sphincter anzusehen. 

Die conjugirte Deviation der Augen ist in der Gehirnpathologie 
! ein wichtiges Symptom. Bei Hemiplegie befindet sich die Läsion in 
der Hirnhälfte, nach welcher der Kranke blickt; bei halbseitigen 
Krämpfen ist der Blick von der kranken Seite abgewendet, lu unserem 
Falle war von halbseitiger Lähmung oder halbseitigem Krampf nicht 
die Rede; es handelt sich um typischen Trismus und Opisthotonus. 
Ob ein pathologisches Substrat, ein Krankheitsheerd im Gehirn, vor¬ 
handen war, lässt sich, da die Section leider verweigert wurde, nicht 
bestimmen. 

Dem typischen Bilde ebenfalls nicht entsprechend war das 
Verhalten des Bewusstseins, die Somnolenz, die gegen Ende des 
Krampfes auftrat und schliesslich in Coma überging. 

Patientin hatte, wie erwähnt, schon eiuige Tage vor der Ent¬ 
bindung über erschwertes Schlucken geklagt und kurz vor dem 
Ausbruch des Trismus eine schwerfällige Sprache und schwerfällige 
Bewegungen, überhaupt ein träges, fast schläfriges Wesen bemerken 
lassen. Dabei waren Arme und Füsse eiskalt, aber völlig dem 
Willen unterworfen. Nach Eintritt des Trismus und Tetanus rea¬ 
girten die Extremitäten auf Insulten (Kneipen und Stechen) durch 
Bewegungen, die Augenlider hei Berührung der Cornea und Oon- 
junetiva bulbi durch festeres Zusammenkneifen. Späterhin fehlte 
dies alles. Der somnolente Zustand war in tiefes' Coma über¬ 
gegangen, der Krampf in den afficirtcn Muskelgruppen erloschen. 

In diagnostischer Hinsicht wird wohl kein Zweifel zu erheben 
sein. Bei Hysterie kommt wohl heftiger Trismus und Opisthoto¬ 
nus vor, nie aber Somnolenz, Coma und Tod. Die Epilepsie 
und Eklampsie kommen auch kaum in Betracht. Denn die 
erstere documentirt sich durch das plötzliche Eintreten der Be¬ 
wusstlosigkeit. durch tonische und elonische Krämpfe und das 
Nachstadium. In unserem Fall kamen nach Tage langen Vorboten 
I nur tonische Krämpfe der Gesichts- und Nackenrückenmuskulatur 
ohne Convulsionen vor, erst, vor dem Tode zeigte sich Bewusstlosig¬ 
keit. Die Eklampsie tritt meist ganz plötzlich auf, manchmal jedoch 
auch mit Vorboten. Doch sind dieselben anderer Art als in unserem 
Falle. Schroeder 2 ) giebt Unruhe. Schwindel, Sehstörungen, Uebel- 
keit, Zuckungen an: von alledem war hier nichts zu bemerken. 
Der eklamptische Anfall selbst gleicht dem epileptischen. Bei weiten 
Pupillen tritt volle Bewusstlosigkeit mit tonischen und clonischen 
Krämpfen ein. Die Anfälle wiederholen sich, in den Pausen erscheint 
das Bewusstsein wieder. Eher könnte man an Meningitis denken. 
Die Deviation der Augen, die Somnolenz mit sich anschliessendem 
Coma möchten wohl dafür sprechen. Aber eine Meningitis tuber- 
culosa, die nur mit tonischen Krämpfen der Gesichts- und Nacken- 
Rückenrauskulatur ohne Betheiligung der Extremitäten verläuft, 
Convulsionen aber ganz vermissen lässt, ist doch wohl wenig plau¬ 
sibel. Auch würden Bewusstseinsstörungen sich wohl während des 
Krampfes und vor demselben gezeigt haben, nicht erst, wie in unserem 
Falle, nach dem Krampfe einige Stunden vor dem Tode. 

Cerebrospinalineuingitis verläuft auch anders. Sie setzt 
in der Regel ganz acut ein; Kopf- und Riickenschmerzen, Nacken¬ 
steifigkeit bilden die ersten Symptome; Opisthotonus und schwere 
Gehirnerscheinungen (Benommenheit, Delirien) folgen alsbald, während 
Trismus eine äusserst seltene Erscheinung ist. Durch die Hyper- 


') Hunnius. Zur Symptomatologie der Brückenerkrankungen und über 
die conjugirte Deviation der Augen bei Hirnkrankheiten. 1881. 

*) Schroeder. Lehrbuch der Geburtshülfe, VI. Auflage, p. 708. 


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616 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


ästhesie ira Bereiche der Unterextremitäten — und darauf hasirt 
jawohl das Leichtenstern'sehe 1 ) Phänomen — ist wohl stets aus¬ 
geprägt vorhanden; auch das Kernig’sche-) Symptom wird wohl nie 
vermisst werden. Von Hyperästhesie war in nn.serem Falle nicht 
die Rede, das Kernig’sche Phänomen der Beugecontractur der Kuiee 
heim Anfrichten — es geschah dies noch eine halbe Stunde vor 
Ausbruch des Trismus und Tetanus — nicht zu bemerken. 

ln ätiologischer Hinsicht sind wenig positive Momente anzugeben. 
Es ist möglich, dass psychische Factoren, auf die manche"’) Autoren 
nachdrücklich Bezug nehmen, und die ja in unserem Falle über¬ 
reichlich gegeben waren, eine Rolle gespielt haben. 

Es ist aber auch möglich, dass bei der Maceration der Frucht 
sich toxische Stoffe entwickelten, die ähnlich wirkten, wie bestimmte 
Gifte (Strychnin, Brucin, Pikrotoxin) es thun. Und eine Beobach¬ 
tung von Zweifel, 4 ) der bei einer in Verjauchung übergegangenen 
Extrauterinschwangerschaft Kieferklemme sah, möchte wohl dafür 
sprechen. 

Wahrscheinlicher aber ist die Annahme, dass das Absterben 
der Frucht durch eine infectiöse Ursache, durch die Invasion des 
specifischen ,r> ) Tetanusgiftes bewirkt worden, dass das ganze Kranken¬ 
lager mit den in den letzten Tagen vor der Entbindung auftretenden 
Sprach- und Schluckbeschwerden als lueubations- bezüglich Prodro¬ 
malstadium aufzufassen ist. während die eigentliche Kraukheit, der 
Tetanus erst während des Gebäractes zur deutlichen Manifestation, 
zur vollen Eruption gelangte. 

Ein hervortretendes Symptom während der ganzen Krankheit 
bildete entschieden die Peptonurie. Auf Grund dieser Erscheinung 
glaubte ich den Tod der Frucht, die Maceration derselben sicher 
annehmen und eine Frühgeburt Voraussagen zu dürfen. Und dass 
die Peptonurie eben damit in Verbindung zu bringen, nicht alter mit 
dem Trismus und Tetanus in Causalnexus zu setzen war. glaube ich 
durch weitere Beobachtungen darthun zu können. 

II. Fall. Gravidität; Peptonurie; Partus prämaturus eines 
macerirten Kindes. Frau Fleischer H. in Zeitz, in ihrer Jugend gesund, 
mit dem 14. Jahre menstruirt. conoipirte zum ersten Male im 20. Jahre. 
Das Kind wurde ausgetragen, das Wochenbett verlief normal. Nach einem 
Vierteljahre erkrankte sie an Typhus abdominalis, kaum genesen, an Unter- 
leibseutzündung (Perimetritis?), an deren Folgen sie jetzi noch zu leiden 
hat. Die 2. Gravidität fallt in das 22. Jahr und endete mit Abort im 2. Monat. 

Vor drei Jahren litt sie an Fluor und Blutungen, an Erosionen der 
Portio und Retroflexio uteri, nach Behandlung in der Halle’schen Klinik trat 
leidliches Wohlbefinden ein. 

Vor zwei Jahren concipirte sie zum dritten Male. Es erfolgte Frühge¬ 
burt ira 7. Monat, das Kind war macerirt. 

Ueber die jetzige (vierte) Schwangerschaft lässt sich Folgendes be¬ 
richten: 

Anfangs August vorigen Jahres waren die Menses zum letzten Male du- 
gewesen. Es stellte sich Uebelkeit und Erbrechen ein wie Gei früheren Con- 
ceptionen. Anfang Dceember trat Blutung auf, die bei vierzehntägiger Bett¬ 
ruhe schwaud. Das Erbrechen bestand weiter, trotz aller nur möglichen Mittel 
hielt es weiter und weiter an, so dass Patientin fast nichts geniessen konnte und 
rapid abmagerte. Anfang Januar dieses Jahres machte sich wiederum Ab¬ 
gang von blutig-wässeriger Flüssigkeit, bemerkbar. Der Leibesumfang nahm 
eher ab als zu. Eine am 18. Januar vorgenommene Untersuchung ergab 
Ausdehnung der Gebärmutter wie bei Gravidität im 4. Monat; der Cervical- 
canal liess einen Finger eindriugen. 

Der Urin, der von Mitte December an zwei- bis dreimal die Woche 
untersucht wurde, ergab folgenden Befund: 

Er war von rothgclber Farbe, reagirte schwach sauer, hatte ein speei- 
fisebes Gewicht von 1030—1031, enthielt nie Zucker, nie Seruraalbumin 
resp. Globulin, nie Propepton, stets aber Pepton in ziemlich beträchtlicher 
Menge. Stets gab der nach der früher angegebenen Weise mit Phosphor¬ 
wolframsäure gefällte Niederschlag die Biuretreaction, und zwar einen 
schmutzig roth-violetten Farbentou. 

Es wurde darauf hin Tod der Frucht und baldiger Abort, diagnosticirt. 

Seit Mitte Januar fühlte sich Patientin merkwürdiger Weise wohl; das 
Erbrechen hatte aufgehört, der Appetit war wiedergekehrt. 

Am 26. Januar früh Morgens wacht Patientin im Blute schwimmend auf. 
Die Hebamme findet Frucht und Placenta in der Scheide liegend. Die Frucht, 
der Mitto des 4. Monats entsprechend, war macerirt, die Placenta klein und 
blass. Uebelriechcnde Lochien machten einige Male Uterin- und Scheiden- 
ausspülungen nöthig. Am 3. Tage trat Schwellung der Brüste und Milch¬ 
stauung ein, die mit warmen Umschlägen und Darmnblcitungen bekämpft 
wurde. Auf diese interessante Erscheinung, dass der Milcheintritt sich nach 
der Zeit der Entbindung richtet, nicht aber von dem Alter der Frucht be¬ 
dingt wird — wir hatten Frühgeburt im 6. Monat mit Kliminirung einer 
höchstens 4 monatlichen Frucht — möchte ich noch besonders hinweiseu. 

III. Fall. Gravidität; Peptonurie; Abort. Frau Tischlermeister 
H. in Zeitz, 30 Jahre alt, hatte vor 8 Jahren eine schwcro Entbindung 
durchgemacht. Sie lag lange an Para-Perimetritis nieder und ist seit dieser 
Zeit leidend geblieben. Dysmenorrhoe und hartnäckige Obstipation bilden 

') Leichtenstern. Deutsche Med. Wochenschrift, 1885, p. 537. 

*) Kernig. Berliner klin. Wochenschrift, 1884, p. 820. 

3 ) Vergl. Bemerkung in Seeligm üll ers Lehrbuch, 1887, II. Bd , p. 679, 
und Centralblatt f. Gynäkologie, 1888, No. 5, Thomas Smith. 

*) Zweifel. Lehrbuch d. Geburtshülfe 1887, p. 333. 

6 ) Vergl. z. B. Beumer. Berl. klin. Wochenschrift 1887 No. 30 ff. 


die Hauptbeschwerden. Die 2. Gravidität vor 5 Jahren endete mit Abort 
im 3. Monat, Jetzt ist sie zum dritten Male schwanger. 

Anfang December vorigen Jahres waren die Menses zum letzten Male 
dagewesen. Einige Tage darauf fühlte Frau H. Schwangerschaftsbeschwerden: 
Anfang Januar setzte auch wirklich die Periode aus. Am 18. desselben 
Monats traten heftige Leibschmerzen mit Pressen und Drängen nach unten 
auf. Da Patientin selbst Abort befürchtete, wurde ich noch Nachts gerufen. 
Opiumtinctur mit Baldriau, warme Umschläge auf den Leib verschafften Lin¬ 
derung. Der Urin vom folgenden Tage, der ein speeif. Gewicht von 1021 
hatte, von rothgelber Farbe und saurer Reaction war, enthielt Pepton. Eben¬ 
so spätere Proben. 

Am 21. Januar zeigten sich Blutspuren, am 25- wurde die Blutung 
intensiver, deutliche Wehenschmerzen empfunden, am 27. gingen einige 
Blutcoagula und ein haselnussgrosser Körper, der als Ei imponirte, ab. Die 
Blutung hielt in massigem Grade mit, kleinen Pausen noch vierzehn Tage 
lang an. 

Man wird mir zugeben, dass ein gewisser Zusammenhang 
zwischen der Peptonurie und der schliesslichen Ausstossung todter 
Früchte aus diesen Beobachtungen anzunehmen ist. Man wird also 
berechtigt sein, zu behaupten, dass Peptonurie in der Schwanger¬ 
schaft bei dem Tode der Frucht, bei der Maceration derselben auf- 
treten kann. Um aber der Peptonurie den Werth eines specialdia¬ 
gnostischen Merkmals, eines pathognostisehen Symptoms beilegen 
zu können, war vor Allem festznstellen, dass bei normaler 
Schwangerschaft und bei bestimmten pathologischen Fällen — 
abgesehen von solchen, die neben der Schwangerschaft noch Leiden, 
die zur Peptonurie incliniren, aufweisen — Peptonurie nicht auf- 
tritt. Es ist mir nun. trotz vielfacher Untersuchungen, noch nie ge¬ 
lungen, bei normaler Schwangerschaft, auch nur ein einziges Mal 
Peptouurie zu finden. Natürlich ist es mir auch nicht begegnet, bei 
ein und demselben Falle normaler Schwangerschaft bald ein posi¬ 
tives, bald ein negatives Resultat 1 ) zu erhalten. Wohl fand ich bei 
einer Gravida im 2. Monat Pepton im Ham. aber diese hatte gleich¬ 
zeitig nässendes Ekzem am rechten Vorderarm, und bei Hautkrank¬ 
heiten ist, wie ich mich öfter überzeugen konnte, Peptonurie ziemlich 
häufig. Einige Male fand ich auch bei einigen Schwangeren kurz 
vor der Entbindung minimale Mengen gewöhnlichen Albumins, nicht, 
aber Pepton. 

Ich habe mich bemüht, auch pathologische Fälle von Gravidität 
in den Kreis meiner Beobachtungen zu ziehen, und habe auch das 
Glück gehabt, derartige Fälle unter die Hände zu bekommen. 

Einer Frau mit chronischer Nephritis, die einige Stunden 
nach der Entbindung au Eklampsie zu Grunde ging, hatte ich 
sofort nach der manuellen Entfernung der adhärenten Placenta 
250 g Urin — Patientin lag in tiefem Coma — mit dem Katheter 
entnommen. Schon das geringe speeif. Gewicht von 1007 machte 
mich misstrauisch. Und in der That fand sich — ich verfuhr streng 
nach HofmeisterV-) Vorschrift — wohl viel gewöhnliches Eiweiss. 
aber keine Spur Pepton. 

Bei einem Falle von Schwangerschaftsniere gelang es mir 
leider nicht, trotz aller möglichen Versuche, das Eiweiss gänzlich 
zu entfernen. Immer gab die Prüfung mit Essigsäure und Ferro- 
cyaukaliumlösung eine Trübung, die der mit Phosphorwolframsäure 
erzeugten ungefähr entsprach. Ehe ich noch zu einem bestimmten 
Ergebniss kommen konnte, war die Entbiuduug und mit ihr die 
hydropischen Anschwellungen vorbei. 

Zu den wichtigsten und interessantesten Fragen, wie verhält 
sich der Urin bei Schwangeren, wo Blutungen und Placentarerkrau- 
kungen zum Abort resp. Frühgeburt führen, die Frucht aber lebend 
resp. eben abgestorben eliminirt wird, auch zu deren Beantwortung 
habe ich Beobachtungen maehen können. 

Eine der interessantesten erlaube ich mir kurz anzuführen: 

Frau Paulinc Schneider, 38 Jahre alt. IX-Gravida, eine blutarme, 
mit Luftröhrenkatarrh behaftete Frau, hatte Mitte October die Periode zum 
letzten Male gehallt. October und November verliefen gut; Mitte December 
aber stellte sieh starke Blutung, die Frau zum Liogen zwingend, ein. Die 
Blutung liess nach, wiederholte sich aber Jauuar wieder. Am 30. Jauuar 
gerufen, fand ich iheu Uterus ausgedehnt wie bei Gravidität Ende des dritten 
Monats, der Oervicalcanal war völlig geschlossen, in der Vagina dunkles 
Blut vorhanden. Sch waugerschaftsbesch werden hatte Patientin nicht ver¬ 
spürt, sie glaubte auch nicht recht an Gravidität, so dass der Verdacht auf 
einen Tumor des Uterus (suhmucöses oder interstitielles Myom) hätte ge¬ 
lenkt werden können. Aber die Ausdehnung der Gebärmutter, das zwei¬ 
malige Aussetzen der Periode, eine Erscheinung, die trotz Blutarmuth bei 
der Patientin noch nie vorgekoinmen war, bestimmten mich zur Annahme 
von Schwangerschaft und drohendem Abort. Der Urin, der anfangs jeden 
zweiten Tag untersucht wurde, enthielt nie Pepton. Daraufhin schloss ich 
bestimmt auf das Leben der Frucht: Abort schien mir weniger drohend: 
falls er dennoch einträte, so glaubte ich bestimmt, dass eine lebende oder 
eben erst abgestorbene Frucht eliminirt werden würde. Wodurch die 
Blutung bewirkt wurde, darüber konnte ich nur Muthmaassuugeu hegen. 
Am Wahrscheinlichsten schien mir Placenta praevia. 

Gegen die Blutung wandte ich Creolintampons an, innerlich gab ich 


') Fischcl 1. c. 

,J ) Salkowski und Leube. Lehre vom Harn, p. 216. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


26. Jnli. 


Extr. fluid. Hydrast. Canad. und dieses Mittel um so unbedenklicher, da es J 
ja nicht Wehen erregen, sondern nur eine Wirkung auf die Blutgefässe 1 
ausüben soll. Die Blutung liess auch nach; Patientin fühlte sich wobler; , 
sie konnte wieder das Bett verlassen. Dabei nahm die Ausdehnung des 
Uterus zu; Niemand dachte mehr au Abort resp. Frühgeburt. 

Am 15. März früh 1 Uhr traten plötzlich Wehen ein; zwei lebende, 
aber nach der Ausstossung absterbende Föten wurden geboren; die Pla- 
centa, die sehr klein und blass war, ja fast weiss aussah, zeigte an einem 
Lappen alte Blutcoagula und darunter gelbliches, morsches Gewebe. Die | 
Blutung war nach Aussage der Hebamme sehr beträchtlich gewesen. 

Der Urin, der einige Stunden vor Eintritt der Katastrophe entleert ; 
worden war, stand mir zur Verfügung. Er enthielt keine Spur Pepton. 

Wir hatten also in unserem Falle Frühgeburt im sechsten Monat in ■ 
Folge von Placentaraffection, die Früchte kamen lebend, Peptonurie war nie j 
zu beobachten gewesen. 

Aus allen diesen Beobachtungen wird man schliessen können, j 
zumal wenn man gleichzeitig die früher erwähnten Formen von 
Peptonurie in’s Auge fasst, dass Peptonurie überall da auftritt, wo ' 
Eiweisskörper zum Zerfall und zur Resorption gelangen, ln der i 
Peptonurie manifestirt sich das Bestreben des Organismus, un¬ 
brauchbare, so zu sagen zum Fremdkörper gewordene Gewebs- 
elemente zu eliminiren. Durch die Umwandlung dieser Eiweiss¬ 
elemente in Pepton ist der Organismus im Stande, die Ausscheidung 
ohne Weiteres durch die Nieren zu bewerkstelligen, während das 
bei der Verdauung 1 ) entstandene Pepton schon in der Mucosa des ; 
Magens und Darmes grösstentheils in andere Eiweissstoffe überge¬ 
führt wird. Aus diesen Gesichtspunkten erklärt sich das Auftreten 
von Peptonurie in der Schwangerschaft, wenn die Frucht abge- I 
storben und der Maceration verfallen ist. 

Eine Peptonurie in der normalen Gravidität ist nicht recht 
plausibel; ich habe sie auch trotz der aufmerksamsten Unter¬ 
suchungen nicht ein einziges Mal antreffen können. Bei einer Gra¬ 
vida im zweiten Monat, wo sich Pepton im Harn vorfand, war 
gleichzeitig nässendes Ekzem des rechten Vorderarmes vorhanden, 
und bei Hautkrankheiten ist Peptonurie, wie ich mich öfter über- j 
zeugen konnte, nichts seltenes. Eine Peptonurie in der Schwanger¬ 
schaft würde nur unter folgenden Bedingungen denkbar sein. 

Angenommen, in der Schwangerschaft enthielte das Blut mehr i 
peptonhaltige Blutzellen als in nicht gravidem Zustande — das ist 
freilich nicht festgestellt, trotzdem durch Nasse’s 2 ) Untersuchungen 
eine Veränderung des Blutes in der Schwangerschaft nachgewiesen 
ist —, so könnte beim Eintritt voa Uteruscontractionen und der 
dadurch bewirkten Störung im Placentarkreislaufe eine Menge 
peptonhaltiger Zellen in der Blutbabn des mütterlichen Organismus 
zurückgehalten werden und Anlass zur Peptonurie geben. Dann 
könnte am Ende der Schwangerschaft, wo Contractionen nichts selte¬ 
nes sind, vor Allem aber beim Gebäract selbst, zumal bei Kreissenden 
mit engem Becken, bei denen der Placentarkreislauf oft derart 
gehemmt wird, dass der Tod der Frucht eintritt, Peptonurie zum 
Vorschein kommen. Ich habe zur Zeit nur einen solchen Fall 
beobachten können, es fand sich kein Pepton. Der Fall war kurz 
folgender: 

Frau Wundrack aus Rasberg, 26 Jahre alt, Ill-Para, hat an Rachitis 
gelitten und erst im vierten Jahre laufen gelernt. Die beiden ersten Ent¬ 
bindungen waren schwer, aber ohne Kunsthülfe verlaufen. Das Becken ist i 
platt rachitisch, Conjug. vera wird auf 8,5 geschätzt. 

Am 16. März, Abends 8Vs Uhr, Blasensprung; am folgenden Tage, 
Nachmittags 4 Uhr, gerufen, linde ich den Zustand der Kreissenden be- 
sorguisserregend. Temperatur 39,0, Puls 100. Die Frau jammert und klagt 
über die linke Seite des Unterleibes. Uterus ist lang ausgezogen, nach der 
rechten Seite geneigt, permanent gespannt in Folge missbräuchlicher Anwen¬ 
dung von Secalepulvern. Kopf steht in erster Schädellage, das Vorderhaupt 
rechts angestemmt, das hintere Scheitelbein tief unter das vordere geschoben, 
in ausgeprägter Nägel e’scher Obliquität fest auf dem Becken aufliegend. 
Grosse Kopfgeschwulst verhindert genaue Messung der Conjug. Kind lebt, 
Herztöne sind deutlich zu hören. 

Eine Injection eiuer viertel Spritze Morphium-Atropinlösuug (0,4 bez. 
0,01 : 10,0) brachte Besserung. Der Krampf liess nach, Wehen traten 
wieder ein, der Schmerz links wurde geringer, die Temperatur war nach 
zwei Stunden auf 38,3 gesunken. Gegen 7 Uhr Zustand wieder schlimmer; j 
Kopf war mit kleiner Peripherie iu's Becken getreten; Meconium geht ab, 
kurz darauf sind die kindlichen Herztöne nicht mehr zu hören. Perforation 
beschlossen; Querbett. Noch bei Herstellung dieses enorme Presswehe, 
Kopf tritt in’s Becken ein, wird leicht mit dem Olshausen-Ritgen’schen 
Handgriff vom Mastdarm aus exprimirt. Das Kind war todt. 

Der Urin, der gleich nach der Entbindung, selbstverständlich unter 
allen Cauteleu, mittelst Katheter entnommen worden war, enthielt kein 
Pepton. 

Hier waren, falls die angeführte Hypothese richtig war, alle 
Bedingungen zur Peptonurie gegeben. Es fand sich nichts davon. 

Leider ist es nur ein geringes Beobachtungsmaterial, auf das 
ich mich stützen kann, viel zu gering, um darauf hin allgemein¬ 
gültige Schlüsse zu ziehen. 

*) Bunge. Physiolog. Chemie, 1887, p. 203. 

*) Zweifel. Lehrbuch der Geburtshülfe, p. 84. 


617 


Aber es gestattet die Annahme, dass Peptonurie in der 
Schwangerschaft nur bei dem Tode und der Maceration 
der Frucht aufzutreten und für diesen Zustand cha¬ 
rakteristisch zu sein scheint. 

V. Aus der Dr. A. Hartmann’schen Poliklinik für Ohren- 
und Nasenkranke in Berlin. 

Ein neues Nasenspeculum. 

Von Dr. med. Cholewa, Assistent. 

Die meisten der gegenwärtig gebräuchlichen Nasenspecula haben 
den Uebelstand, dass sie zum Feststellen der geöffneten Branchen 
die Hülfe der zweiten Hand erforderlich machen oder mit Sperr¬ 
vorrichtungen versehen sind, welche nach kurzer Zeit versageu. 
Ersteres ist besonders bei reichlichem Krankenmaterial, wie es in 
grösseren Polikliniken vorkommt, sehr umständlich und zeitraubend, 
letzteres sehr störend. Es lag daher der Gedanke nahe, eine Vor¬ 
richtung zu acceptiren, welche ich zu öfterem an amerikanischen 
Mastdarmspeculis gesehen und bewährt gefunden hatte. 

Die Sperrvorrichtung an meinem zangenförmigen Speculum, 
welches die Form der Blätter des Dr. A. Hartmann’schen uach- 
ahrat, aber in den Griffen graciler und länger 
wie jenes gebaut ist, befindet sich dicht unter 
dem Schlosse, und besteht aus einem beweg¬ 
lichen, viereckigen Metallrahmen, der 2 cm 
breit, 1 cm tief und 4 mm hoch ist. Drückt 
man auf die Griffe, so öffnet sich das Specu¬ 
lum, der Rahmen rutscht herab und stellt 
sich an den quer gerifften Griffen sofort fest, 
sobald man mit dem Druck nachlässt. Das 
heisst „man kann die Blätter in jeder zu¬ 
lässigen Oeffnungsweite sofort feststellen. “ 
Die Griffe sind 4 cm unterhalb des Schlosses 
dicker gehalten und verhindern hierdurch ein 
weiteres Herabrutschen des Rahmens, der in 
dieser Stellung eine maximale Oeffnungsweite 
der Blätter von 2 1 /-.’ cm zulässt. 

Um das Instrument zu schliessen, genügt 
ein leichter Druck des Daumeus der führen¬ 
den Hand nach oben gegen den Sperrrahmen, 
derselbe rutscht sofort leicht in der Richtung 
gegen das Schloss, und das Instrument schliesst 
sich durch Federdruck von selbst. Die leichte 
und bequeme Art, das Instrument mit einer 
Hand zu regieren, die Unverwüstlichkeit der Sperrvorrichtung, 
sowie die leichte Reinigung des ganzen Mechanismus sind Vorzüge, 
die allen Anforderungen genügen werden. Das Speculum ist vou 
Herrn Hoflieferant R. Win dl er, hier, Dorotheenstr. 3, in vorzüg¬ 
licher Ausführung angefertigt und käuflich, obwohl es leider in dem 
neu erschienenen Cataloge dieser Firma nicht mehr mit aufgeführt 
werden konnte. 


VI. Zur Carcinomfrage. 

Von Dr. Scheurlen. 

ln No- 23 dieser Wochenschrift vom 7. Juni d. J. findet sich in dem 
Artikel von Dr. E. Senger „Rückblicke auf die Chirurgie des letzten 
Jahres“ folgender Passus: „Zum Schlüsse möchte ich noch an die ange¬ 
gebene Auffindung der Aetiologie des Carcinoms und auch des Sarkoms 
erinnern, welche nicht nur von Südamerika und Frankreich, soudern von 
Deutschland (Scheurlen und Schill) ausging.“ Hieran ist die Anmerkung 
geknüpft: „Inzwischen ist von mir gezeigt worden, dass der sogenannte 
Krebsbacillus nur ein (nicht pathogener) Kartoffelbacillus ist. Unabhängig 
von mir ist später der verdienstvolle Pathologe Baumgarten zu dem 
gleichen Resultat über den Scheurlen’schen Bacillus gelangt “ 

Zwar war ich selbst in der Sitzung des Vereins für innere Medicin 
nicht zugegen, in welcher Herr Senger seine Untersuchungen vortrug, 
aber so viel ich auch von derselben gehört und so oft ich den Bericht 
durchgelesen, nie habe ich die Ueberzeugung gewinnen können, dass irgend 
ein Gegenbeweis durch dieselben erbracht war. Da dies in der Discussion 
verschiedenerseits betont wurde, hielt ich mich einer Meinungsäusserung 
für überhoben, die jetzt geboten erscheint, nachdem ich sehe, dass Herr 
Senger auf der Ansicht besteht, etwas „gezeigt“ zu haben. 

Als absolut ausgeschlossen muss ich von vornherein die Insinuation 
bezeichnen, auf welcher Herr Senger seine ganze Polemik aufbaut, dass 
meine Untersuchungen eine Kette von Verunreinigungen seien. Wenn ich 
auch zu meinem Bedauern von Herrn Senger das Zutrauen, exact zu ar¬ 
beiten, nicht besitze, so hätte eine grössere Beachtung desjenigen seiner 
Versuche, in welchem er den Bacillus fand, ihn stutzig machen sollen, nicht 
weniger aber auch die Consonanz der damals bereits bekannten Unter¬ 
suchungen von Freire, Schill, Franke, Barnabei und Sanarelli, 
denen sich nachher noch Lampiasi und Bordoni zugesellten und die im 
ganzen alle mit meinen Resultaten übereinstimmten. 



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618 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


Auch die angeführte Arbeit Baumgarteu’s spricht in diesem Sinne 
voll und ganz für mich. Unter einer mit allen Cautelen ihm überlieferten 
grösseren Anzahl von Carcinomen gelang es ihm — zwei Fälle ausgenommen 
— stets .leicht“ den Bacillus nachzuweiseu. Die weiteren Mittheilungen 
Baumgarten's, denen bei ihrer Bestätigung ein Gewicht zuzuerkenuen, 
ich gewiss der erste wäre, lassen nach ihrer bisherigen cursorischen Ver¬ 
öffentlichung ein bestimmtes Urtheil noch nicht zu. Soviel möchte ich aber 
schon jetzt betonen, dass es mir stets gelungen ist, bei all’ den auf ver¬ 
schiedenen Nährböden zufällig gezüchteten ähnlichen Bakterien Unterschiede 
mit dem im Krebs gefundenen zu entdecken, wie dies auch schon Franke 
in seiner Arbeit erwähnte; namentlich hebe ich hervor, dass dies bei all’ 
den spontan auf Kartoffel gewachsenen der Fall war. Auch dass dieser 
Bacillus nachträglich durch die Haut eingedrungen sein könnte, scheint mir 
nicht glaublich, denn wie ich schon in raeiuer ersten Arbeit erwähnte, habe 
ich denselben in Carcinomen mit absolut intacter Oberfläche und in tief¬ 
liegenden Drüsen gefunden. Jedenfalls steht also fest, dass im Krebs der 
von mir beschriebene Bacillus vorkommt, und zwar nach meiner Erfahrung i 
und der Anderer eonstant oder wenigstens sehr häutig. Derselbe erzeugt | 
ausserdem, Hunden subcutan injicirt, soviel ich bis jetzt bestimmt sagen I 
kann, zum mindesten eine chronische Entzündung, analog der, wie sie nach I 
Injection von Krebsmilch oder nach Implantation von Carcinomstücken ent¬ 
steht und wie sie z. B. neuerdings von Wehr beschrieben worden ist. 

Wenn nun auch, wie ich zuzugestehen keinen Moment zögere, ich 
augenblicklich nicht im Stande bin, auf die gewichtigeu Einwände Baum¬ 
garteu’s zu antworten, da die Fortsetzung meiner Versuche noch nicht so 
weit gediehen ist, so erhebt sich bei mir schon jetzt die Frage, ob seine 
Resultate, falls sich dieselben bestätigen sollten, so direkt den meinigen 
gegenüberstehen, oder ob nicht die scheinbaren Widersprüche zu vereinigen 
wären. Berücksichtigt man die geringe Ansteckungsfähigkeit des Carcinoins, 
die l’rädilection für bestimmte Uoealitäten, die ausschliessliche Erkrankung 
bestimmter Altersklassen und trotzdem seine allgemeine Verbreitung, so 
muss von jedem, der die parasitäre Natur für wahrscheinlich hält, eine 
Ubiquität des infectiösen Agens angenommen werden, noch ausgedehnter, 
als sie bei deu bisher ätiologisch durchforschten Krankheiten besteht, so 
dass es nicht Wuuder nehmen könnte, ähnlich wie es bekauntermaasseu 
beim Virus der Pneumonie der Fall war, demselben gelegentlich zu begegnen: 
andererseits geht aber daraus auch hervor, dass zur Entstehung eines Carci- 
noms mehrere Momente Zusammenkommen müssen, und dass, wenn ich mich 
auch für berechtigt halte, den Bacillus als ein ursächliches Moment zu 
bezeichnen, nicht nöthig, sogar sehr unwahrscheinlich ist, nach dem bei 
anderen infectiösen Krankheiten geübten Uebertraguugsmodus durch ihn 
allein einen Krebs zu erzeugen. 


VH. Referate und Kritiken. 

C. E. Bock. Handatlas der Anatomie des Menschen. VII. Auf¬ 
lage, uragearb. von A. Brass. Lieferung I— IV. Leipzig. Renger, 
1887/88. Ref. S. G. 

Die siebente Auflage des Haudatlas der Anatomie des Men¬ 
schen von Professor Dr. C. E. Bock, in 10 Lieferungen heraus¬ 
gegeben von Arnold Brass, ist bis zur vierten Lieferung mit 38 
Tafeln und 17 Bogen Text erschienen. Entsprechend den Fort¬ 
schritten der wissenschaftlichen Forschung ist der rühmlichst be¬ 
kannte Atlas, soweit aus deu bisherigen Lieferungen ersichtlich, er¬ 
weitert worden und Dank auch den zweckentsprechenden Ver¬ 
besserungen der äusseren Form zu einem wirklichen Handatlas 
geworden. Das bisherige grosse Format hat dem halben Format 
der sechsten Auflage Platz gemacht, und den, in mehrfachem Farben¬ 
druck ausgeführten Figuren sind die Bezeichnungen der einzelnen 
Organtheile direkt beigedruckt, wodurch das bisher mühsame Auf¬ 
suchen und Vergleichen auf besonderem Blatt wegfällt. Zahl¬ 
reiche neue Zeichnungen und Tafeln sind eingeschaltet. Besonders 
hat das Centralnervensystera, das Gehirn und Rückenmark eine 
fast durchweg neue Bearbeitung erfahren. Der Atlas vereint mit 
einem Wort die Vorzüge einer nach den neuesten Forschungen 
gegebenen, zuverlässigen Bearbeitung mit einer für den Gebrauch 
äusserst geschickten Anordnung, welche nicht verfehlen werden, 
dem zeitgemässen Werke eine grosse und wohlverdiente Verbrei¬ 
tung zu sichern. 

v. Ziemssen. Die Therapie der Tuberculose. 32 S. Leipzig, 
F. C. W. Vogel, 1888. Ref. Fürbringer. 

„Die Behandlung der Tuberculose hat durch die Entdeckung 
des Bacillus als der Ursache der Krankheit neue Gesichtspunkte 
gewonnen, ohne indessen bisher wesentlich andere Resultate erzielt 
zu haben“. Mit diesem schlichten und vielsagenden Satz inaugurirt 
und charakterisirt Ziemssen den Inhalt seines 10. klinischen Vor¬ 
trags, so weit ein Wandel unseres ärztlichen Handelns gegenüber 
der Gepflogenheit vor jenem denkwürdigen Factum in Frage kommt. 

Nach wie vor gipfelt eine erfolgreiche Behandlung der Phthise 
in der Einathmung frischer Luft im Verein mit durch Muskelarbeit 
vertiefter Inspiration im Freien. Der Vortragende illustrirt zunächst 
die Wahrheit dieses Ausspruches durch die traurigen Resultate, 
welche aus den gegentheiligen Bedingungen entspringen, und ver¬ 
breitet sich über die bekannten unumstösslichen Nachweise der 
gleichsam gesetzmässigen Tuberculisirung der Lunge des Gefangenen 
durch länger währende Haft, des Ansteigens der Schwindsuchts- 


curve nach der Rückkehr der Soldaten von Kriegszügen und Ma¬ 
növern in die Kasernen, des traurigen Tributs, welchen Erziehungs¬ 
anstalten „mit klösterlichem Charakter“ fordern u. s. w. Hierbei 
wird für die englische Manier der körperlichen Erziehung des 
Schülers eine Lanze gebrochen uud auf die Wichtigkeit der Wahl 
eines richtigen Lebensberufes für tuberculös Beanlagte hiugewiesen. 
In letzterer Beziehung stehen der Militärdienst, das Fach der Land- 
wirthschaft im weitesten Sinne des Worts, sowie die Studien der 
Theologie uud — Medicin [„da dem Arzt die ganze Welt offen 
steht“ (?)] obenan, während für die Mädchen das Interdict über 
Nähen und Sticken verhängt wird. Ein drastisches Beispiel, von 
einer tuberculösen Familie geboten, verleiht dem Gesagten praktische 
Bedeutung. 

Sehr richtig beantwortet Ziemssen die Besprechung der pro¬ 
phylaktischen Schutzmaassregeln mit dem Hinweis auf das Peinliche 
und Gehässige derselben uud erwartet von den so sehr den familiären 
Empfindungen uud Gewohnheiten widerstrebenden Verhütungsvor- 
kehrungen in praxi wenig Erfolg. Nichtsdestoweniger wird an 
späterer Stelle der separaten Behandlung der von den Kranken be¬ 
nutzten Wäschestücke, vor Allem der Carboldesinfectiou der Taschen¬ 
tücher ebensosehr das Wort geredet, als einem öfteren feuchten 
Aufwischen des Fussbodens mit Sublimatholzwolle, dem wöchent¬ 
lichen Klopfen und Bürsten der Möbel im Freien und zeitweiligem 
Abreiben der Tapeten mit Brot. „Die Essbestecke, Ess- und Trink¬ 
geschirre sind für den Kranken separatim zu halten.“ Wie weit 
namentlich die letzte Forderung erfüllbar bezw. mit den billigen 
; Gewohnheiten des praktischen Lebens, das allüberall eine erkleck¬ 
liche Quote von Phthisikern gesellig zusammenführt, verträglich, 
muss Ref. unter dem Hinweis auf die Misslichkeit solcher Maassregeln 
selbst für die relativ kurze Frist der hochinfectiösen Secundärphase 
i der Syphilis dem Urtheile des Lesers überlassen. 

Ganz anders der Rath, alle Milch, welche iu’s Haus kommt, 
vor dem Genüsse durch 5 Minuten langes Kochen zu sterilisiren. 
Dies ist durchführbar. 

Der Einrichtuug der Ferienkolonieen, der Seehospize, der Vor¬ 
nahme abhärtender hydrotherapeutischer Manipulationen, dem Ge¬ 
brauch von Soolbädern, den methodischen Hebungen im Bergsteigen, 
der Freiluftbehandlung steht der Vortragende als warmer Freund 
gegenüber. Den warmen feuchten Klimaten viudicirt er eine ge¬ 
ringere Wirksamkeit, als den kühleren und trockneren unter der wich¬ 
tigen Vorbedingung, dass hier vorwiegender Sonnenschein und Wind¬ 
stille dem Kranken dauernden Aufenthalt im Freien gestatten. Eine 
strenge Anstaltsbebandlung weist „im Allgemeinen“ grössere Er¬ 
folge auf, doch hat sie für Viele etwas Abschreckendes, und lässt 
auch ein zweckentsprechendes Verhalten in freien Curorten grosse 
Erfolge zu. Mit dem Ozongehalt der Luft, dem geringeren Druck 
> der Hochalpenatraosphäre etc. ist für die Beurtheilung des Heil- 
i werthes der Curorte nichts anzufaugen. 

Die Ernährung Tuberculöser anlangend, erscheint im Anfangs- 
, Stadium eine Reduction der Eiweisskörper uuter entsprechender 
Vermehrung der Fett- und Kohlehydrate (Trauben-, Molken-, Kumys-. 
Kefir-, Leberthrancuren!) angezeigt. Die bekannte französische 
Methode der Ueberernährung hat nur bedingten Werth, einen höheren 
die MitcheU’sche Mastcur. In späteren Stadien tritt der Alkohol 
in relativ grossen Quantitäten in sein Recht. Gegen die bekannten 
Darmstörungen empfiehlt Ziemssen besonders den Glühwein als 
Abendtrunk und den Beerwein aus der Fromm’sehen Kelterei in 
Frankfurt (Ref., der dieses treffliche, reine und preiswürdige, aus 
den tanninreichen Heidelbeeren bereitete Product seit mehr als 
Jahresfrist auf seiner Abtheiluug in gleicher Richtung verwendet, 
muss sich dem günstigen Urtheil Ziemssen’s durchaus anschliesseu). 
Ueber den Werth der schweren Biere spricht sich der Vortragende 
nicht aus. 

Die medicameutösen Antipyretica sind, wenn sie auch bei hoch- 
febrilen Formen wenig nützen, wegen der euphorischen Wirkung 
nicht entbehrlich. 

Ueber die Kreosottherapie stehen Ziemssen eigene Erfahrungen 
nicht zu Gebote, ebensowenig über die Behandlung der Phthisiker 
mit Menthol, von der er ebensowenig zu halten scheint, wie von 
der Application des Arseniks und der Gasklystiere. Er „fürchtet" 
(Ref. „hofft“), dass derlei Methoden bald vergessen sein werden. 

Den Schluss bilden Bemerkungen über Behandlung der Lungen¬ 
blutung. Darmtuberculose und andere Complicationen der Krank¬ 
heit; ihre Therapie auf wenigen Seiten möglichst objectiv und er- 
j giebig und in fesselnder. Dictiou dargestellt zu haben, ist ein no- 
| l estreitbares Verdienst des Verfassers des vorstehend besprochenen 
\ ortrags. 

Grainger Stewart. Clinical Lectures on important Symptoms. 

Fasciculus II. On Albuminuria. Edinburgh, 1888. Ref- Out¬ 
recht. * 

Der bekannte Autor des Buches über „die Br ight’sche Niere 


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26. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


619 


veröffentlicht in dem vorliegenden Werke seine eingehenden Unter¬ 
suchungen und reichen Erfahrungen über das Vorkommen von Albu¬ 
minurie bei Gesunden sowie bei Kranken. Auf knappem Raume 
eine erstaunliche Fülle von Material, welches in übersichtlicher und 
lehrreicher W^jse geordnet ist. Dabei findet die einschlägige Lite¬ 
ratur, besonders die deutsche, eingehendste Berücksichtigung. 

Der Ansicht, dass im Harn gesunder Menschen stets Albumen 
vorhanden sei, schliesst er sich nicht an; bisweilen mag das Vor¬ 
kommen von Eiweiss nicht auf eine Transsudation, sondern auf die 
Beimischung epithelialer und zelliger Elemente aus den Harnwegen 
zurückzuführen sein. Im Ganzen lässt sich bei Männern unter drei 
Fällen einmal mit Hülfe sehr empfindlicher Reagentien. wie der 
Pikrinsäure, 1—2 Stunden nach dem Frühstück eine Spur von Al¬ 
bumen nach weisen. Auch das Mucin nimmt, nach der Nahrungs¬ 
aufnahme zu, jedoch nicht in ebenso hohem Grade. Schwere 
Arbeit bedingt resp. begünstigt das Vorkommen von Albuinen ebenso 
wie Nahrungsaufnahme. 

Im Allgemeinen folgert er: Die Albuminurie kommt bei Ge¬ 
sunden sowie bei Kranken häufiger vor. wie meistentheils angenommen 
wird. Sie findet sich öfter bei Erwachsenen wie bei Kindern. Die 
Albuminurieen bei Morbus Brightii betragen nicht die Hälfte aller 
Fälle, in denen sie Vorkommen. — Nächst den eigentlichen Nieren¬ 
leiden führen am häufigsten Herzleiden und andere Circulations- 
störungen diese Veränderung des Harnes herbei. Bei der Amyloid¬ 
niere und der Schrumpfuiere ist anfangs die Menge des Albumens 
so gering, dass dasselbe nur mit Pikrinsäure nachgewiesen werden kann. 
Ein gleiches ist häufig daun der Fall, wenn hoho Temperaturen, 
Störungen der Verdauung, Leiden des Nervensystems zur Eiweiss- 
absonderung führen. 

Hierauf werden des Näheren diejenigen Krankheiten beschrieben, 
in deren Gefolge Albuminurie auftritt; es folgt eine differentielle 
Diagnose sowie die Prognose der Albuminurie, und daran schliesst 
sich die diätetische sowie die medikamentöse Behandlung. Letztere 
fällt berechtigterweise etwas skeptisch aus. Specieller möge nur 
noch erwähnt sein, dass der Autor der Diät bei der Schrumpfuiere 
keine so hohe Bedeutung beilegt, wie bei der parenchymatösen 
Nephritis, was mit den Erfahrungen des Referenten ganz iibereiu- 
stimmt. 

Das Werk kann in streng wissenschaftlichem Sinne ebenso wie 
zur Benutzung für den Praktiker als werthvoll angesehen werden. 

A. v. Hüttenbrenner. Lehrbuch der Kinderheilkunde. 11. Auf¬ 
lage. 786 S. Stuttgart, F. Enke, 1888. Ref. Silbermann. 

Die jetzt vorliegende zweite Auflage des v. Hüttenbrenner¬ 
sehen Lehrbuches ist im Vergleich zur ersten eine wesentlich ver¬ 
mehrte. denn dieselbe ist um mehr als das Viertel des früheren 
Umfanges vergrössert, und zwar in erster Reihe dadurch, dass das 
Capitel über Nervenkrankheiten eine dem heutigen Stande der 
Wissenschaft entsprechende Bearbeitung erfahren hat." Als gänzlich 
neuer Zuwachs sind in der zweiten Auflage die Abschnitte über 
Meningealblutungen, die Encephalitis der Neugeborenen und die 
peripheren Nervenkrankheiten zu bezeichnen, während diejenigen 
über die Erkrankungen des Rückenmarks und seiner Häute, sowie 
die über cerebrale Heerderkrankungen wesentlich erweitert wurden. 
Als ein Mangel dieses Capitels ist es aber anzusehen, dass die 
infantile Hysterie, wie die Poliencephalitis, Krankheiten, die gerade 
in den letzten Jahren durch vielfache Beobachtungen ein hervor¬ 
ragendes, pädiatrisches Interesse gewonnen haben, gar nicht erwähnt 
werden. An die Krankheiten des Kopfes schliessen sich die der 
Nase, des Mundes, des Halses und der Brustorgane au. Die Bear¬ 
beitung der letzteren ist eine recht gelungene und entspricht vor 
Allem den Bedürfnissen des praktischen Arztes. In dem Capitel 
über die Affectionen der Bauchorgane finden sich die des Darmes 
besonders eingehend besprochen, während der nachfolgende Ab¬ 
schnitt. der von den Hautkrankheiten mit Ausnahme der Syphilis 
handelt, eine etwas eingehendere Schilderung sehr wohl verdient hätte. 
Den Schluss des für den praktischen Arzt recht brauchbaren Buches 
bilden die allgemeinen (iufectiösen wie nicht infectiösen) Erkran¬ 
kungen. Das Fehlen eines Inhaltsverzeichnisses erschwert ausser¬ 
ordentlich die leichte und rasche Orientirung über die einzelnen 
Abschnitte des Werkes. 

Hock. Propädeutik für das Studium der Augenheilkunde, 
bearbeitet für Studirende und Aerzte. 254 S. 8°. Stuttgart, 
F. Enke, 1887. Ref. Magnus. 

Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, die wichtigsten 
Capitel aus der physiologischen Optik, sowie die verschiedenen Un¬ 
tersuchungsmethoden des Auges in einer dem Verständnis des prak¬ 
tischen Arztes und Studirenden entsprechenden Form zur Darstellung 
zu bringen. Wir glauben, dass Hock diesen seinen Zweck im All¬ 
gemeinen in befriedigenderWeise erfüllt hat. Allein trotzdem dürfte 
das vorliegende Werk über Fachkreise hinaus .wenig Anklang finden, 


j da es auch iu dieser knappen und dabei verständlichen Form doch 
I für den praktischen Arzt zu viel bringt. Für Specialophthalmologen 
dürfte das Hock'sehe Buch aber ganz gewiss eine willkommene 
i Gabe sein. 

J. Michel. Ueber Sehnervendegeneration und Sehnerven¬ 
kreuzung. Festschrift der medicinischen Facultät der Universität 
Würzburg zur Feier des 70. Geburtstages des Herrn Geh. Rath 
Professor W. Albert v. Kölliker. 87 Seiten, 4 Tafeln. Wies¬ 
baden, J. F. Bergmann, 1887. Ref. Horstmann. 

Durch eine Reihe von Horizontalschnitten durch das Chiasma 
! nervorum opticorum der Sperlingseule, des Meerschweinchens, des 
Kaninchens, der Katze und des Menschen sucht Michel das Be- 
I stehen einer vollständigen Durchkreuzung der Sehnervenfasern im 
i Chiasma auch bei den höheren Thiereu nachzuweisen. Nach Enu- 
J cleatiou eines Auges bleiben beim neugeborenen Thiere zunächst 
i die schon iutrauterin vorgebildefceu, markhaltigen Nervenfasern auf 
, dem Grade ihrer Entwickelung stehen, beim erwachsenen prägen 
i sich im Sehnerven die Zeichen einer fortschreitenden Degeneration 
I oder Atrophie aus. Dieselbe setzt sich in aufsteigender Richtung 
I durch das Chiasma nur in den entgegengesetzten Tractus fort. In 
I ähnlicher Weise gestalten sich die Verhältnisse beim Menschen mit 
! einseitiger Atrophie des Auges. Auch diese Thatsache spricht dafür, 

1 dass die Durchflechtung der Sehnervenfaserbündel im Chiasma sich 
nur im Sinne einer vollständigen Kreuzung vollzieht. Die als 
Hemianopsie und Hemiamblyopie bezeichneten functioneilen Störun¬ 
gen hält. Michel für völlig unabhängig von der Verlaufsweise der 
i Sehnervenfasern. 

Die Ausstattung des Werkes ist eine vorzügliche. 

VIII. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 25. Juni 1888. 

(Schluss aus No. 29.) 

3. Herr Ewald berichtet über weitere Versuche zur Verwer- 
thung des Salols in der Diagnostik der Magenkrankheiten 

; (cfr. therapeutische Monatshefte August 1887), welche Herr Dr. Ein- 
i horn aus New-York auf seine Veranlassung unternommen hat. Es 
handelt sich dabei um die weitere Prüfung der von Ewald und 
i Sievers gefundenen Thatsache, dass nach Eingabe von Salol die 
1 Salicylursäure-Ausscheidung durch Strychnin und durch Elektrici- 
tät beschleunigt wird, sowie um den Einfluss einiger anderer in der 
i Magentherapie zur Verwendung kommenden Agentien auf diesen 
Vorgang. Herr Einhorn hat den Harn in viertelstündigen Pausen 
j nach Einverleibung des Salols mit oder ohne gleichzeitige Darreichung 
I der entsprechenden Medicamente geprüft, und zwar nicht mehr wie 
j früher nach der Aetherausschüttelung, sondern in einfacher Weise 
j dadurch, dass einige Tropfen des angesäuerten Harns auf Filtrirpapier 
| mit einem Tropfen Eisenchlorid versetzt werden. Es bildet sich 
an dem Rande dieses Tropfens hei Anwesenheit von Salicylsäure 
j ein violetter Saum, welcher eine ebenso scharfe Reaction wie die 
gleichzeitig mit Aetherausschüttelung angestellten Controllproben 
j ergab. Man hat aber den Vortheil, dass die Reaction auch auf den 
I getrockneten Streifen Filtrirpapier bleibt, so dass man jederzeit die 
einzelnen Probeu mit einander vergleichen kann. (Eine Reihe der¬ 
artiger Streifen wird demonstrirt.) Es hat sich nun ergeben, dass 
in Uebereinstimruung mit früher enthaltenen Resultaten bei 14 auf’s 
I Neue untersuchten Personen die Reaction nach Eingabe von 1 g 
! Salol während der ersten Stunde nach einer mässigen Mahlzeit 
! zwischen % und 4 /-i Stunden auftrat, eine Erfahrung, die der Vor- 
1 tragende ausserdem bei zahlreichen Personen seiner Privatpraxis be¬ 
stätigt gefunden hat. Früher als nach :, ,'4 Stunden hat der Vor¬ 
tragende die Reaction in der Norm nicht auftreteu sehen, dagegen 
verzögert sich auch bei scheinbar gesunden Personen ihr Auftreten 
j zuweilen bis zu : 'j\ Stunden. Ein späteres Erscheinen war auch 
| regelmässig mit Klagen über Magenbeschwerden verbunden. Von 
i Medicamenten wurden nun geprüft: 

I. Zehn Minuten lange Faradisation der Regio gastrica, 
j II. Extr. stryck. 0,03 am Abend vor der Saloldarreichung einge¬ 
nommen, 

I III. Salzsäure (Acid. mur. pharm, germ. 1:230), 

IV. Karlsbader Salz 7,5:230 Wasser, 
j V. Natr. biearbou. 3,5:230 Wasser, 

VI. 230 Wasser nüchtern. 

| Das in einer Tabelle veranschaulichte Ergehniss dieser Versuche 
I zeigte, dass die Elektricität und Strychnin regelmässig eine Be- 
; schleunigung der Reaction zur Folge haben. Die Salzsäure ver¬ 
spätet in der Mehrzahl der Fälle die Reaction. Im nüchternen Zu¬ 
stande resp. nach Einverleibung eines Glases Wassers tritt die 
Reaction gewöhnlich früher auf, wie wenn das Salol in den vollen 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


Magen gebracht wird. Pas Karlsbader Salz und das doppelt kohleu- 
saure Natron hatten bei verschiedenen Personen eine verschiedene 
Wirkung. Bei einzelnen trat eine Beschleunigung, bei anderen eine 
Verlangsamung auf. 

Das Gesammtergebniss dieser Versuche spricht dafür — und dies 
ist für die Verwerthung der Salolreaction als Kriterium der moto¬ 
rischen Functionen des Magens von fundamentaler Bedeutung —, 
dass das Salol. wenn es dem Magen während der Verdauung ein¬ 
verleibt wird, in der That nicht von der Magenschleimhaut resor- 
birt wird, sondern erst vom Darm aus, und zwar in seinen Spaltungs- 
producten zur Aufnahme gelangt. Hierfür sind einerseits die Er¬ 
gebnisse der Faradisation und der Strychnindarreichung beweisend, 
andererseits der Erfolg der Säure- und Alkalieingabe. Denn von 
den ersteren Agentien ist in keiner Weise eine resorptionsbeför¬ 
dernde Wirkung bekannt, die letzteren aber. d. h. die Alkalien 
beschleunigen die Reaction unter Umständen offenbar dadurch, dass 
sie den Mageninhalt alkalisch machen und so bereits eine Zerspal¬ 
tung des Salols im Magen bewirken. 

Umgekehrt verhindert die Salzsäure nicht nur eine etwaige 
Zerspaltung des Salols im Magen, sondern sie vermehrt auch, wie 
aus andereu Beobachtungen bekannt, den Tonus des Pförtners und 
bewirkt so einen verspäteten Uebertritt des Salols in den Darm. 
Schliesslich spricht gerade eine gewisse Ineonstanz in dem Auftreten 
der Reaction unter sonst gleichen Verhältnissen, die wir nicht auf die 
rein physikalischen Bedingungen der Resorption zurückführen können, 
in dem Sinne, dass wir es mit der durch das Nervensystem beein¬ 
flussten motorischen Thätigkeit des Magens zu thun haben. 

4. Herr Einhorn: Zum Nachweise von Zucker steheu uns 
drei Arten von Proben zu Gebote: die Reductions-, Polarisations- und 
Gährungsproben. Es ist bekannt, dass die 
Gährungsprobe im Princip allein die rich¬ 
tigste und sicherste Methode ist, den Zucker 
im Harn nachzuweisen. Gleichviel wurde 
dieselbe nur wenig von den Aerzten, mehr 
schon von Chemikern in Anwendung ge¬ 
zogen. Der Grund davon war die Umständ¬ 
lichkeit. mit der man die Gährungsprobe 
im Gährungsröhrchen anzustellen pflegte. 

Man bediente sich eines Quecksilberver¬ 
schlusses und stellte die Probe im Brutofen 
bei 300 C an. So sehr exact diese Art 
und Weise der Ausführung der Gährungs¬ 
probe ist, so sehr erschwert ist sie durch 
diese gestellten Anforderungen für den 
praktischen Arzt. — Ich habe daher jene 
beiden erschwerenden Momente weggelassen 
und konnte mich wiederholt überzeugen, 
dass man im Stande ist, auch dann noch 
l /io°/o Zucker mit aller Schärfe nachzu¬ 
weisen. 

Bei Zimmertemperatur und ohne irgend welchen Verschluss ist 
die Anstellung der Gährungsprobe äusserst einfach und für den 
praktischen Arzt bequem. Ich suchte aber den Werth der Gährungs¬ 
probe im Gährungsröhrchen noch dadurch zu steigern, dass ich 
durch empirische Feststellung der Gasvolumina für bestimmte 
Zuckermengen neben jenem qualitativen Nachweis von Zucker zu¬ 
gleich eine annähernde quantitative Bestimmung desselben ermög¬ 
lichte. 

Es zeigte sich, dass in Gährungsröhrchen, wo der ov lind rische 
Theil 6 ccm Inhalt hat, bei 

Vs 0 o Z. = Vio ccm 
l /4 % Z. = 2 /s ccm 
l l 2 °/o Z. = 2 ccm 
3 A % Z. = 3 2 /s ccm 
1 % Z. = 5 ccm leer war. 

Die durch verschiedene Zimmertemperaturen bedingten Schwan¬ 
kungen waren nicht hoch, sie betrugen etwa 2 /5 ccm, daher glaubte 
ich auf sie keine Rücksicht nehmen zu müssen. 

Die gefundenen Mittelwerthe habe ich nun, um die Sache zu 
erleichtern, an den entsprechenden Stellen des Cylinders auf¬ 
geschrieben. Nachdem die Gährung vorüber ist, braucht man also 
nur nachzusehen, an welcher Zahl sich das Niveau der Flüssigkeit 
befindet, und weiss so die Zuckermenge. Ein Gährungsröhrchen 
mit jener Scala versehen, kann passend „Gährungssaccharometer“ 
genannt w r erden. 

Da die Scala nur bis l°,o reicht, so wird man, wenn es sich 
um eine annähernde quantitative Zuckerbestimmung diabetischer 
Harne handelt, dieselben vor Anstellung der Proben verdünnen, und 
zwar pflegte ich bei einem specifischeu Gewicht von 
1018—1022 den Harn zweifach, 

1022—1028 „ „ fünffach, 

1028—1038 „ „ zehnfach zu verdünnen. 



i 


Der für den verdünnten Harn gefundene Werth wird nun je nach 
der Verdünnung mit 2, 5 oder 10 multiplicirt. 

Es ist selbstverständlich, dass wir im cylindrischen Theil nicht 
die ganze Menge der frei gewordenen Kohlensäure haben, allein das 
brauchen wir ja auch nicht, da wir nicht von dei^ Rohlensäuren- 
menge allein ohne Weiteres den Zuckergehalt nach der chemischen 
Formel ausrechnen. 1 ) 

Bei Anstellung der Probe muss man stets 10 ccm Harn und 
1,0 Hefe nehmen, ferner ist es gut, zur Controlle mit einem nor¬ 
malen Harn dieselbe Procedur vorzunehmen. Nachdem ich mich 
längere Zeit von der Brauchbarkeit dieser Gährungsprobe sowohl 
für den qualitativen wie quantitativen Zuckernachweis in dem Deutschen 
Hospital in New-York überzeugt hatte, habe ich die Methode im 
N. Y. Med. Record vom Januar 1887 veröffentlicht. In Amerika hat 
durch das Gährungssaccharometer die Gährungsprobe bei den prak¬ 
tischen Aerzten Eingang gefunden, und ich würde mich freuen, 
wenn dies auch hier der Fall wäre. 

Herr Dr. Peltesohn hat in der Hirschberg’schen Klinik 
Nachversuche mit dem Gährungssaccharometer vorgenommen und 
vergleichende Zuckerbestimmungen nach Fehling und mit dem Sac¬ 
charometer in 75 Fällen gemacht und im Central bl. für Augenheil¬ 
kunde, October 1887, veröffentlicht. Peltesohn war mit den 
Resultaten zufrieden, nur empfahl er, höhere Temperaturen zu 
wählen, also 30° C, weil der Gährungsprocess dann schneller (oft 
schon nach 3 Stunden) beendet ist. Sicherlich kann man dies 
thun, wenn man mit dem Resultate der quantitativen Bestimmung 
Eile hat; nöthig ist dies aber keineswegs. 

Rosenfeld bat in der Deutschen med. Wochenschrift vom 
7. Juni 1888 unter anderen Reactionen auf Zucker auch die Gäh¬ 
rungsprobe einer Kritik unterzogen und fand dieselbe zwar sehr 
empfindlich, aber doch nicht sicher genug, und zwar wegen des 
kleinen Bläschens, das bei Hefe und Wasser oder Hefe und Harn, 
auch wenn kein Zucker zugegen ist, auftritt und bei viel Hefe sogar 
ziemlich gross wird. Nun, meine Herren, dieser 'Umstand ist mir 
wohlbekannt; ich habe diese Angelegenheit genau und ausführlich 
inVirch. Archiv Bd. 102 erörtert und bin dort zu dem Schluss ge¬ 
kommen, dass die Hefe der Selbstvergährung unterliegt. Allein 
gerade deswegen habe ich in meiner damaligen Arbeit betont dass 
man beim Nachweis von kleinen Zuckermengen stets eine Controll- 
probe mit normalem Harn und genau derselben Quantität Hefe an¬ 
stellen müsse, weil für Zucker beweisend allein jene Differenz der 
Gasmeugen im zuckerhaltigen und nicht zuckerhaltigen Harn ist. 
Meine damaligen Behauptungen bin ich geneigt auch jetzt in vollstem 
Maasse aufrecht zu erhalten, und kann Ihnen, meine Herren, die 
Gährungsprobe auch in der heute beschriebenen einfachsten Form 
auf8 Wärmste empfehlen. 

Herr P. Guttmann. Ich habe häufig dieses „Gährungsröhrchen“ be¬ 
nutzt und halte die an demselben angebrachte Graduirung für ganz zweck¬ 
mässig, um den Zuckergehalt im Harn ungefähr procentisch zu schätzen. 
Bisher hatte man dieses Gährungsröhrchen immer in der Weise benutzt 
dass man nach Füllung desselben mit Zuckerharn ein Stück Hefe in das¬ 
selbe brachte. Die Hefe muss aber jenseits der Biegung des Cylinders 
sich befinden, ist sie diesseits, dann steigen nicht alle gebildeten Gasblasen 
im Cylinder in die Höhe, sondern es entweichen auch viele durch die obere 
Oeffnung des Röhrchens, es ist dann also aus dem Zuckerham anscheinend 
eine geringere Menge von CO* im Cylinder entwickelt als sonst entwickelt 
worden wäre. 

Herr Litten. Ich habe Gelegenheit gehabt, den Einhorn'schen 
Apparat zu benutzen und kann denselben als besonders praktisch den 
Herren Collegen empfehlen, da er gleichzeitig für die qualitative und quan¬ 
titative Bestimmung geeignet ist. Sobald Sie die Entwickelung von CO* 
stattfinden sehen, wissen Sie bestimmt, dass es sich um Traubenzucker 
handelt. Auch gegen die Genauigkeit der procentigen Bestimmung lässt 
sich nichts einwenden; eine absolute Genauigkeit wird natürlich nicht er¬ 
reicht, doch kommen die gefundenen Werthe derselben sehr nahe, und zu 
vergleichenden Untersuchungen, namentlich bei therapeutischen Versuchen, 
ist der Apparat sehr wohl geeignet, da dieselben Fehlerquellen stet.» 
wiederkehren und immer die gleichen sind. Zu diesen gehört vorzugsweise 
die Verdunstung der zuckerhaltigen Flüssigkeit, der Verlust der COa aus 
dem offenen Schenkel und eine Absorption der ausgeschiedenen COa durch 
die Flüssigkeit. Beim Gebrauch habe ich meist nach zwölf Stunden das 
Maximum der COa-Entwickelung beobachtet, doch hängt dies wesentlich 
von der Aüssentemperatur ab. Lässt man den Apparat mit der Hefe zu 
lange stehen (z. B. 2 Tage), so wird der Druck, welcher auf der Gassäule 
lastet, in Folge der Flüssigkeitsverdunstung vermindert, und die COa dehnt 
sich aus. So habe ich bei Benutzung einer genau V* % Traubenzucker¬ 
lösung nach 24 Stunden an der Scala präeise '/a%COa ablesen können, während 
die Scala nach 48 Stunden 3 /* % COa anzeigte. In Folge dessen empfiehlt 
es sich, nach Angabe des Herrn Dr. Einhorn die Untersuchung nach 12 
bis 15 Stunden (namentlich im Sommer) abzuschliessen. 

Herr Einhorn. Es ist ja ganz richtig, dass das Gasvoluraen je nach 
der Temperatur einigen Schwankungen unterliegen wird, sie betragen etwa 
a /s ccm, aber diese Fehlerquellen sind eben gering, und ich nannte sie nur 


') Das Gährungssaccharometer ist bei R. Fiebig, Berlin S.W., Alexan- 
drinenstr. No. 27, zu haben. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHEN8CHR1FT. 


621 


26. Juli. 


eine annähernde quantitative Bestimmung, was aber die 12 Stunden anbe¬ 
langt, so kann ich Herrn Litten nicht zugeben, dass man immer zwölf 
Stunden nehmen soll. Im Sommer gehen die Gährungsprocesse schneller, 
im Winter aber, wo die Zimmertemperatur geringer ist, ist der Gährungs- 
process erst nach 20 Stunden zu Ende, und damit man sich nicht so sehr 
an die Zeit bindet, sagte ich, man lässt den Urin über Nacht stehen und 
sieht dann etwa um 10 oder 11 nach. Wenn man den Urin zu lange 
stehen lässt, so verdampft allerdings viel Flüssigkeit, so dass die Flüssig¬ 
keitsmenge, welche auf das Gasvolumen drückt, eine geringere wird, so dass 
Ungleichheiten in dem Resultat herauskommen, man muss also nicht zu 
lange und nicht 2 Tage stehen lassen. In Bezug auf dasjenige, was Herr 
Dr. Guttmann hinzugefügt hat, so bitte ich ihn auf meine Art die Gäh- 
rungsprobe anzustellen, denn ich schüttele die Hefe durch in einem Re¬ 
agensgläschen und fülle dann erst, nachdem eine feine Mischung eingetreten 
ist, damit das Gährungsröhrchen. Die Hefe setzt sich dann bei der von¬ 
statten gehenden Gährung ab, die Hefe sammelt sich gewöhnlich unten an 
und verstopft die Verbindnngsröhre. Dieser Fehler ist also auf diesem Wege 
zu vermeiden. 

IX. Greifewalder medicinischer Verein. 

Sitzung am 5. Mai 1888. 

(Schluss aus No. 29.) 

3. Herr Mosler: Zar localen Behandlung von Hirnhaut¬ 
erkrankungen . 

Meine Herren! Das Princip der modernen Medicin ist das lo- 
calisirende (Virchow’s). In dem Streben nach localer The¬ 
rapie beruht der eigentliche Fortschritt. In ihr Bereich wird 
eine Körperhöhle nach der anderen gezogen. Vielseitiger klinischer 
Erfahrung bleibt zu entscheiden Vorbehalten, wie weit wir die 
locale Therapie ausdehnen dürfen. 

Aus älterer und jüngerer Zeit haben Aerzte die locale Be¬ 
handlung auch bei Hirnhauterkrankungen empfohlen. So sagt 
Peter Frank: „Auch können wir die Blasenpflaster (bei Hirn¬ 
entzündung), weun die erhöhte Empfindlichkeit des Kranken nicht 
im Wege steht, und auch das Fieber bereits gebrochen ist, ohne 
Furcht selbst an den Kopf appliciren“. 

Von Schülern des Geh. Rath Berndt, der bekanntlich früher 
io Greifswald Kliniker war und den Ruf eines ausgezeichneten 
Praktikers sich erworben hat, wurde mir mitgetheilt, dass derselbe 
bei Hirnhautentzündungen mit Vorliebe Ableitungen auf die 
äussere Haut des Kopfes angeordnet und gute Erfolge dabei 
erzielt habe. 

Dadurch angeregt, habe auch ich seit einer Reihe von Jahren 
das ableitende Verfahren bei Erkrankungen der Gehirn¬ 
häute in Anwendung gezogen uud selbst in schweren Fällen davon 
Erfolg beobachtet. Die von mir dabei erlangten Resultate sind so 
günstig, dass ich mich immer aufs Neue veranlasst sehe, jüngere 
Herren Collegen auf dies von alten Aerzten so vielfach erprobte 
Verfahren hinzuweisen. 

Einen der eclatantesten Erfolge, bei einem meiner klinischen 
Zuhörer erzielt, welcher im Verlaufe von acutem Gelenk¬ 
rheumatismus von intensiver Meningitis unter den gefahr¬ 
drohendsten Symptomen befallen worden war, habe ich in No. 23 
und 24 1878 der „Deutschen Medicinischen Wochenschrift“ mit¬ 
getheilt. Er verdient um so mehr Beachtung, weil eine ausge¬ 
dehnte Anwendung der Ableitungsmittel in Form eines grossen, 
über die abgeschorene Kopfhaut applicirten Blasenpflasters nebst 
zwei, zur gleichen Zeit hinter beiden Ohren zur Anwendung 
gekommenen Vesicantien einen auffallend raschen Erfolg erzielt hat, 
nachdem viele andere Mittel vergebens versucht worden 
waren. 

Seitdem habe ich die ableitende Methode bei verschiedenen 
Fällen von Hirnhautaffectionen acuter und chronischer Art erprobt 
und vielfach bestätigt gefunden, dass die Hautreize (Vesicantien 
oder Unguentum Tartari stibiati) in möglichst grosser Aus¬ 
dehnung und nächster Nähe des leidenden Organes, direkt 
auf oder ueben die Kopfhaut applicirt, auch bei chronischen 
Hirnhautaffectioneu Erfolg haben. Negative Resultate mögen mitunter 
daraus zu erklären sein, dass die ausgedehnte und längere 
Application dieser Mittel nicht zur Anwendung gekommen ist. Es 
haben ja auch die Versuche von Max Schüller 1 ) mit in die ab¬ 
geschorene Kopfhaut von Kaninchen applicirten Senfteigen, sowie 
diejenigen, welche von uns beiden 5 *) mit Cantharidenpräparaten 
in derselben Weise eingeleitet waren, an den blossgelegten Pia- 
gefässen dargethan, dass erst nach längerer und ausgedehnter 
Anwendung derselben vermindernd auf den Blutgehalt der Hirnhäute 
eingewirkt werden kann. 

Nach diesen günstigen Erfahrungen über die locale, Be¬ 
handlung acuter und chronischer Hirnhautentzündungen lag mir 
daran, durch eigene Versuche auch die Frage zu entscheiden, was 

*) Berlin, klin. Wochenschrift, 1874, No. 25. 

• '*) Deutsche med. Wochenschrift, 1878, No. 24. 


die an anderen Organen so häufig geübte Aspiration bei der chro¬ 
nischen Meningitis zu leisten vermag, die unter den Erscheinungen 
des chronischen Hydrocephalus verläuft. Hierzu bot sich ein 
sehr geeigneter Fall in meiner Klinik. 

Emilie Mehling, 1 */« Jahre alt, aus Klinkenberg bei Darbten, stammt 
von gesunden Eltern. Die beiden älteren Geschwister sollen keine Anomalieen 
darbieten. Bei normal verlaufener Geburt völlig gesund zur Welt gekommen, 
entwickelte sich das Kind nach Aussage der Mutter in geistiger wie körper¬ 
licher Hinsicht durchaus gut, so dass es bereits auf den Beinen stehen 
konnte und Gehversuche anstellte. Alsdann erkrankte das Kind, der Be¬ 
schreibung und Aussage der Mutter nach, an Erscheinungen von Gehirnent¬ 
zündung; dabei sollen Krämpfe aufgetreten sein. Als nach 3—4 Wochen 
die Krankheit überstanden war, fiel den Eltern auf, dass das Kind seine Ex¬ 
tremitäten weniger lebhaft und frei bewegte als früher, dass es die Beine 
zum Stehen gar nicht mehr ansetzte, dieselben wie gelähmt erschienen. Von 
Weihnachten an machte die Mutter die Bemerkung, dass der Kopf des Kindes 
zunehmend dicker wurde; in den nächsten Wochen und Monaten schwoll er 
bis zu unförmlicher Ausdehnung an. Dabei hatte das Kind guten Appetit, 
schien sich durchaus wohl zu fühlen, in seiner geistigen Entwickelung nicht 
zurückzubleiben. Von Sprechversuchen war keine Rede. Nachdem die 
Mutter bei verschiedenen Aerzten Hülfe gesucht, auch in der medicinischeu 
Poliklinik ihr Kind mehrfach vorgestellt hatte, erfolgte am 25. October die 
Aufnahme von Mutter und Kind in der medicinischen Abtheilung des hiesigen 
Universitätskrankenhauses. 

Das Kind zeigte seinem Alter entsprechende Länge, massigen Panni- 
culus adiposus, schwache Muskulatur, an den Knochen der Extremitäten 
keine auffallende Anomalie, insbesondere keine rhaehitischeu Auftreibungen. 
Bei dem sonst sehr zierlichen Kinde fiel sofort die abnorme Entwickelung 
des Kopfes auf. Die grösste Circumferenz desselben war 58 cm; von der 
Basis des Stirnbeines bis zu der des Hinterhauptbeines war die Entfernung 
40 cm. Von einem Ohr bis zum andern wurden 36 cm gemessen. 

Die Kopfknochen standen weit auseinander, die grosse Fontanelle liess 
ebenso wie die kleine deutliche Fluctuation fühlen. Das Gesicht war im 
Verhältniss zum Schädel sehr klein, die Pupillen normal weit, Lähmungs¬ 
erscheinungen an Gesichtsmuskeln nicht bemerkbar; das Kind nahm allem 
Anschein nach lebhaften Antheil an seiner Umgebung, Gesichts- und Gehör¬ 
sinn erschienen normal, auch der Schlaf des Kindes war vollkommen gut, 
weder im wachen noch im schlafenden Zustande waren Krämpfe oder Zuckun- 
en bemerkbar. Zu sprechen vermochte das Kind nicht, beim Schreiep 
onnte man bemerken, dass es normale Stimme batte, Schmerzen schienen bei 
ihm nicht vorhanden zu sein. Soweit die Untersuchung möglich, schienen 
Anästhesieen nicht vorhanden zu sein, dagegen waren sowohl die Bewegungen 
der Arme sowie der Beine träger, als bei gesunden Kindern, eigentliche 
Lähmung derselben war dagegen nicht vorhanden: nur vermochte das Kind 
weder zu stehen noch zu gehen. Die Temperatur betrug 36,8 U C, Puls¬ 
frequenz 120, Athemfrequenz 28. 

Die Untersuchung der Respiratious- und Circulationsorgane ergab nor¬ 
male Verhältnisse, Appetit vollkommen gut, Stuhl etwas angehalten. Die 
Untersuchung des Urines war Verhältnisse wegen nicht möglich. 

Am 26. October, Abends 6 Uhr, wurde zum ersten Male in die Mitte 
der grossen Fontanelle etwa 2 cm tief die Cannle einer Pravaz’schen 
Spritze eingesenkt, und eine vollständig klare, schwach alkalische, nur 
Spuren von Eiweiss enthaltende Flüssigkeit entleert Beim Einstechen 
schrie das Kind etwas, so dass man wohl eine Schmerzempfindung ver- 
muthen darf, im Uebrigen wurde die Probepunction ohne jeden Nacbtheil 
ertragen. 

Am 28. October, Abends 8 Uhr, wurden deshalb mittelst meiner 
Aspirationsspritze allmählich 100 ccm Flüssigkeit entleert. Dieselbe hatte 
genau die oben erwähnte Beschaffenheit. Die grosse Fontanelle war darnach 
ziemlich tief eingesunken. Unmittelbar nach der Aspiration wurde ein 
aseptischer Compressionsverband dem Kopfe angelegt Das Kind schlief die 
darauf folgende Nacht sehr gut, zeigte am folgenden Tag keine Zeichen 
von Fieber oder Entzündung der Aspirationsstelle. Da der Verband noch 
fest war, blieb er vorläufig liegen. Am Morgen nach der Aspiration war 
die Temperatur = 36,5 o C, die Pulsfrequenz = 120, die Athem¬ 
frequenz = 26. 

In den folgenden Tagen war das Befinden des Kindes ein gutes; in 
dieser Zeit wurde eine Vermehrung der Urinsecretion constatirt. Es ent¬ 
hielt der Harn weder Eiweiss noch Zucker. 

Die Bestimmung der Kopfmaasse, welche am 8. November vorgenommen 
wurde, ergab gegen früher keinen Unterschied. Aufs Neue wurden in der 
früher beschriebenen Weise 131 ccm Flüssigkeit durch Einstechen in die 
grosse Fontanelle entleert. Unmittelbar darnach ergab die Messung des 
Durchmessers an der Basis der Stirn bis zu der des Hinterhauptbeines 
= 37 cm (früher = 40 cm). Die übrigen Maasse ergaben keinen Unter¬ 
schied. Abermals wurde ein Compressivverband angelegt, das Befinden des 
Kindes war darnach ein sehr gutes, die Temperatur stets normal. 

Am 19. November, wurden aufs Neue 200 ccm durch Aspiration 
entleert.' Auch dieser Eingriff war sehr gut vertragen worden, das Kind war 
viel lebhafter, die Beweglichkeit der Extremitäten freier, der Appetit 
besser. Sofort nach der Aspiration war die grosse und kleine Fontanelle 
stark eingesunken; schou nach 12 Stunden hatte indess der Kopf wieder 
seinen früheren Umfang; es ergab die Messung dieselben Resultate, wie vor 
der Aspiration. 

Unter denselben antiseptischen Cautelen wie früher wurden am 24. No¬ 
vember 300 ccm Flüssigkeit mittelst der Aspirationsspritze entleert und ein 
1 Compressivverband angelegt. Unmittelbar darnach Var bis zum andern 
I Mittag grössere Lebhaftigkeit bei dem Kinde bemerkbar, deutlich konnte 
; man sich überzeugen, dass durch Entfernung von 800 ccm Flüssigkeit eine 
i erhebliche Besserung des Sensoriums eingetreten war. Aufs Neue zeigte 
> sich indessen, dass dieser Erfolg nur ein vorübergehender gewesen ist. Die 


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622 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


- Flüssigkeit hatte sich sehr bald wieder ersetzt trotz des Compressivverbandes. 
; Zum ersten Male wurde am folgenden Morgen eine Temperatursteigerung, 

38,0° C und sehr grosse Unruhe , des Kindes beobachtet. Am Abend war 
die Temperatur = 39,8 0 C, Pulsfrequenz = 168, Athemfrequenz = 36. 
Convulsivische Zuckungen der Extremitäten. Therapie: Eisuraschläge auf 
den Kopf, innerlich Culomel in kleinen Dosen. 

26. November. Nachts sehr unruhig, Morgentemperatur =* 40,0° C; 
Puls sehr frequent, bisweilen unregelmässig. Mehrere Male trat Erbrechen 
auf, das Sensorium war noch ziemlich frei. Abendtemperatur = 39,4°C. 

- Therapia continuatur. 

28. November. Convulsivische Zuckungen und Erbrechen wurden auch 
heute mehrere Male beobachtet, der Puls ziemlich voll, aber uuregelmässig, 
’ Temperatur zu verschiedenen Tageszeiten = 40,0° C. 

30. November. Das Kind lag dauernd in halbsoporösem Zustande, 
aus dem es nur schwer zu erwecken war; bei stärkerer Berührung der 
Kopfhaut zuckte es zusammen, auch schien die Haut an anderen Körper¬ 
steilen schmerzhaft zu sein. Die grosse Fontanelle zeigte sehr deutliche 
Fluctuation und war so stark erweitert, wie vordem nicht. Die Temperatur 
der Kopfhaut auffallend erhöht. Deutliche Convulsioneu Zeitweise vorhanden. 
Die Temperaturen von gleicher Höhe wie früher. 

Am 3. December war das Kind wieder völlig fieberfrei, der Gesichts- 

- ausdruck freier, der Appetit ein besserer. Eine Messung des Kopfumfanges 
liess im Vergleich zu den früheren Maassen keinen Unterschied erkennen. 

Am 7. December wurde ein neuer Aspirationsversuch •gemacht, doch 
konnten nur 30 ccm entleert werden, indem aus nicht bekannter Ursache 
eine grössere Quantität nicht aspirirt werden konnte. Zum ersten Male 
zeigte die Flüssigkeit eine reichliche Menge von Eiweiss. In den folgenden 
Tagen war eine geringe Temperatursteigerung von 38,0-38,5° C bemerk¬ 
bar. Der Appetit war verringert, der Stuhl retardirt. Krämpfe tind Er¬ 
brechen wurden nicht mehr beobachtet. 

Am 13. December war das Kind fieberfrei, hatte besseren Appetit, der 
Gesichtsausdruck war freier. Auf besonderen Wunsch der Mutter wurde es 

• am 14. December aus dem Kraukenhause entlassen. 

In einem Sehr iben von dem Pastor der Gemeinde, in welcher die 
Eltern des Kindes wohnen, datirt vom 10. Januar, wird mitgetheilt, dass 

- das Befinden des Kindes ein gutes sei, dass jedoch der Hydrocephalus ganz 
in der früheren Weise fortbestehe. 

Dass wir im vorliegenden Falle einen acquirirten Hydrocephalus, 
aus acuter Leptomeningitis infantum entstanden, vor uns gehabt 
haben, dürfte ausser Zweifel sein. Der Fall ist ein neuer Beweis 
dafür, dass der acquirirte Hydrocephalus des Jugendalters acut mit 
Symptomen beginnen kann, welche genau diejenigen der Leptomenin¬ 
gitis infantum sind. Sie führen nicht zum Tode, sondern zu einer 
. chronischen Krankheit, welche sich namentlich ebarakterisirt durch 
eine Zunahme des Kopfes. Im vorliegenden Falle ist nach den An¬ 
gaben der Mutter der Hydrocephalus ungefähr im 6. Lebensraonat 
entstanden und hat allmählich immer deutlicher die Erscheinungen 
der Wasseransammlung dargeboten. 

Die Therapie dieses Leidens ist in. vorzüglicher Weise von 
Huguenin, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie von 
•Ziemsseu, Bd. XI, Krankheiten des Nervensystems, 2. Auflage: Der 

• chronische Hydrocephalus von Huguenin p. 972 abgehandelt, und 
hat er auch eingehend der Methode der Punction mit nachfolgender 
•Compression Erwähnung gethan. Ich kann nach dieser neuen 
Erfahrung nur dasjenige bekräftigen, was Huguenin über diese 
Methode erwähnt hat. Auch in uuserm. Falle ist durch die Ent- 

. lastung des Gehirns nicht dauernd ein günstiger Einfluss 
ausgeübt worden. Trotz der (Jompression nach jedesmaliger 
Punction ist ein Stillstehen der Exsudation auch von mir nicht beob¬ 
achtet worden. Aufs Neue hat dagegen diese Beobachtung dar- 
gethan, dass die Aspiration der hydrocephaliscbeu "Flüssigkeit, unter 
allen Cautelen ausgeübt, selbst bei wiederholter Anwendung gut ver¬ 
tragen wird. 

HerrLöbker bestätigt nach dep von ihm gemachten Erfahrungen die 
Ansichten Mosler’s. Er bat in 2 Fällen den chronischen Hydrocephalus 
punktirt und den Kopf nach Entleerung der Flüssigkeit mit elastischer Ein¬ 
wickelung versehen. In dem einen Falle war am dritten Tage nach der 
Puüction die erneuerte Ansammlung von Flüssigkeit bereits nachgewiesen, 
in dem zweiten Falle, welcher ein Kind betrifft, welches L. vor etwa 2 Jahren 
im mediclnischen Verein mit geheilter Spina bifida (Injectionen von Jod-Jodkali¬ 
lösung) vorstellte, trat etwa I Jahr nach erfolgter Heilung der letzteren Affection 
‘der Hydrocephalus auf. Schon l‘/a Tage nach der Punction und Einwickelung 
war eine grössere Quantität von Flüssigkeit wiederum vorhanden. Beide 
Kinder starben in Folge des Hydrocephalus. L. setzt daher gleichfalls auf 
die radikale Heilwirkung dieser Behandlungsmethode keine grossen Hoffnungen. 

X. Zweiter Congress der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Gynäkologie, Halle a. S. 1888. 

Ref. F. Eberhart (Halle). 

3. Sitzung am 26. Mai 1888. 

1. Herr Leopold (Dresden): Zur Behandlung der Uterusruptur. 

L hat bei 6100 Geburten 5 Fälle von Uterusruptur zu verzeichnen, darunter 

• sind 4 eomplete. 1 inöomplete. Verf. kommt zu dem Schlüsse, dass man auf 
die schouendste Weise für die Mutter entbinden müsse. Ist das Kind zum 
grossen Theil oder ganz in die Bauchhöhle ausgetreten, so sei allein die .La¬ 
parotomie in Betracht zu ziehen. Selbst wenn man eine Extremität zur Ex¬ 
traction zur Verfügung hätte, sollte man diese nicht benutzen, da das Durch¬ 


ziehen weitere Verletzungen machen könne. Compressionsverband leiste in 
einigen Fällen Gutes, für genügende Drainage sei zu sorgen. 

Herr Battlehner (Karlsruhe) fragt, wie man sich verhalten soll, wenn 
nach einer geheilten Ruptur wieder Gravidität eintritt, ob man eventuell 
Sectio caesarea machen solle. Er hat 2 Mal nach einer Ruptur bei derselben 
Frau die künstliche Frühgeburt mit gutem Erfolge eingeleitet und giebt den 
. Rath, das Ende der Gravidität nicht abzuwarten. 

2. Herr Sc hui tze (Jena) deinonstrirt: 1) Einen Ischiopagus. Die eine 
Hälfte hat 41, die andere 48 Stunden gelebt. Das Präparat stammt von einer 
21 jährigen I-Para. 2) Eine Placenta margtnata. In der Placenta liegt 
ein zweites Ei. Sc hui tze ist nicht der Ansicht, dass dies ein Beweis für 
Superfoetatio ist; er hält es für ein Beispiel von Conservirung eines früh 
abgestorbenen Embryos neben einem, der sich weiter entwickelt hat. 3) Ein 
Präparat von ausgetragener Extrauterinschwangerschaft, das durch 
Sectio caesarea gewonnen. 

Herr Breisky (Wien): Bezüglich 2) handelt es sich nach ihm auch 
nur um Conservirung eines früh abgestorbenen Embryos. 

Herr Sc hui tze (Jena) bemerkt noch, dass man beim Ausräumen von 
Aborten die Placenta häufig in einer Tubenecke finde, und dass vielleicht 
die Tubouteriuschwangerschaft gar nicht so selten ist 

Hörr Frank (Cöln) hat ein ähnliches Präparat. 

Herr Slaviansky (St. Petersburg) hat 2 ähnliche Fälle beobachtet. 

Herr Kaltenbach (Halle) zeigt aus der Hallenser Sammlung ebenfalls 
einen Isehiopagus. 

3. Herr Carl Schuchardt (Halle a. S.): Ueber das polypöse 
Scheidensarkom kleiner Kinder. Die in ihrer äusseren Form am besten 
mit einer Blasenmole zu vergleichenden polypösen Scheidensarkome kleiuer 
Kinder bilden eine scharf charakterisirte, typische, wenngleich sehr seltene 
Gruppe von Geschwülsten. Die bisher in der Literatur vorliegenden 8 Fi Ile 
sind sämmtlich in kurzer Zeit, tödtlich verlaufen, indem nach Ex¬ 
stirpationen rasch örtliches Recidiv, sehr bald auch eiu Uebergreifeu aul 
die Blase, den Uterus, die Ligamenta lata, die Becken- und inguinalen 
Lyuiphdrüseu eintrat. Schuchardt berichtet über zwei neue Fälle, deren 
ausführliche Veröffentlichung in einer Dissertation geschehen wird, 1) von 
Dr Roosenbur-g itn Haag behandelt, schliesst sich den bisher beobachteten 

i Fällen in Bezug auf seinen bösartigen Verlauf an. 7 Monate altes Kind. 
Wallnussgrosse, mit breiter Basis au die rechte Scheidenwand augeheftete 
polypöse Geschwulst, die, soweit möglich, nach oben Umschnitten und ex- 
stirpirt' wird. Das Uebrige wird mit dem scharfen Löffel herausbefördert. 
Zwei Wochen nach der Operation beginnendes Recidiv, welches auch auf 
die andere Seite der Scheide übergreift. Tod 5 Monate nach der Operation. 
Mikroskopischer Befund: Rund- und Spindelzelleusarcom mit sehr reich¬ 
licher, fast cavernöser Blutgefässentwickelung. 2) (Aus der Praxis des Herrn 
Geh.-R. v. Volkmann.) 2‘/9jähriges Landmannskind. Haseluussgrosse. 
von der hinteren Scheiden wand gestielt entspringende traubige Geschwulst, 
seit einem halben Jahre von den Eltern bemerkt Operation am 17. Sep¬ 
tember 1885. Die Geschwulst wird saramt einem 10-Pfennigstück grossen 
Theile der umgebenden Scheideüwand excidirt, die Wunde durch Nähte ver¬ 
kleinert. Heiluug ohne Zwischenfall. 6 1 /« Monate später zeigt sich ein Re¬ 
cidiv au der alten Stelle, von demselben Aussehen wie die erste Geschwulst, 
jedoch bedeutend grösser, wallnussgross. Operation am 22. Mai 1886. 
Die breitaufsitzeude Geschwulst wird mit Muzeux’scher Zange hervorge- 
zogen, die Scheide mit scharfen Haken auseinandergehalten, sodann die 
ganze untere Hälfte der hinteren Scheideuwand bis in’s Septum recto-vagi- 
nale hinein exstirpirt. Der Rest der Scheidenwand wird heruntergezogeii 
und mit 3 Nähten an die Haut befestigt, in die Wunde ein kleines Drain 
eingelegt. In 9 Tagen ist Alles prima intentione geheilt. Mikroskopisch 
besteht die einen papillären Bau zeigende und epithelüberzogene Geschwulst 
theils aus gefässreichem Bindegewebe, tbeils aus dichtgedrängten Rund- und 
Spiudelzellen. — Seitdem ist kein Recidiv eingetreten; das Kind, welches 
dem Congress vorgestellt wird, ist blähend und munter. Die Untersuchung 
ergiebt äusserlich au den Genitalien ausser einer leichten Stenose des 
Scheideneinganges und einer Narbe an der hinteren Commissur nichts Auf¬ 
fallendes. Der in den Mastdarm eingeführte Finger fühlt die hintere Schei¬ 
denwand vollkommen weich, der Uterus ist in normaler Lage, also nicht 
durch etwaige Narbenbildung heruntergezogen. Somit ist in einem aller¬ 
dings besonders günstigen Falle durch energische Operationen dauernde 
Heilung eines nach den bisherigen Erfahrungen ausnahmslos tödtlich ver¬ 
laufenden Leidens erreicht worden. Sch. legt besonderen Werth auf die 
ausgiebige Entfernung der scheinbar gesunden Schleimhaut in der Umgebung 
der Geschwulst, da die pathologisch-anatomische Untersuchung ergeben hat. 
dass in weitem Umkreise um den sarkomatösen Polypen eigenthümliche pa¬ 
pilläre Wucherungsprocesse an den Falten der Scheidenschleimhaut sich 
Vorfinden, welche als die Anfangsstadien des gescbwulstbildenden Processes 
anzusehen sind. 

4. Olshausen (Berlin): Ueber Gebnrtsmeehanigmiis bei SchSdel- 

lage. Vortr.j3ehauptet,dass die dritte Drehung des Kopfes wesentlich auf die de 3 
Rumpfes zurückzuführen sei. Iu der Austreibungsperiode drehe sich der 
Rücken von der Seite mehr nach vorn. Die Füsse seien deshalb entweder 
gar nicht oder mehr nach hinten zu fühlen. Es sei natürlicher, der Kopf 
drehe sich, weil der Rücken sich drehe, als umgekehrt. Auch sei bei Ge- 
sichtslageu die Ursache der Drehung des Kinns an der Seite nach vorn in 
der Drehung des Rumpfes zu suchen. Häugebauch begünstige eine Vorder¬ 
hauptslage, auch komme dieselbe bei Kyphotischen häufig vor. Der Uterus 
habe in beiden Fällen eine Retortenform. 0. erwähnt die Fälle, wo bei 
Schädellage das Resultat der äussern und innem Untersuchung sich wider¬ 
spricht; in solchen Fällen steht der Rücken mehr nach vorn und links, 
das Hinterhaupt stark nach vorn und wenig nach rechts. Die Drehung des 
Rumpfes entstehe durch die mit dem Frachtwasserabfluss erfolgende Ab¬ 
plattung des Uterus. Die Drehung des Rumpfes leite die des Schädels ein, 
dann wirke noch die Beschaffenheit des Beckenbodens. 

Herr Lahs (Marburg) glaubt die Wirkung des Rückens nicht annehmen 


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26. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


623 


zu können: er führt die Drehung des Kopfes auf die Wirkung des allge¬ 
meinen Tnbaltsdruckes zurück. 

5. Herr Pott (Halle): Zar Aetiologie der Vulro*vaffiniti8 im Kindes* 
Alter. Unter 18074 Kindern, die Vortr. vom 1. April 1876—1. April 1888 
behandelt, befanden sich 8481 Mädchen. Von diesen waren 86 an Vulvo¬ 
vaginitis erkrankt, und vertheilt sich dieselbe folgendennassen: 

0—5 Jahre.56, 

5-10 , 23, 

10-15.7. 

Entstehung wurde theils auf locale Ursachen (Unreinlichkeit) Hautaus¬ 
schläge (Herpes, Ekzem, Impetigo), theils auf Dyskrasieen (acute Exantheme, 
Tuberculose, Scrophulose, Syphilis) zurückgeführt. Der Oxyuris vermicularis 
wurde auch häufig beschuldigt. Dies können nach dem Vortr. wohl Gelegen- 
heitsur,Sachen sein, meist handelt es sich jedoch nach ihm um eine 
specifisch übertragbare Krankheit. Er habe Fälle beobachtet, wo 
mehrere Kinder derselben Familie erkrankt, wo zugleich die Mutter und der 
Vater erkrankt; der Vater hatte hier entweder früher an Tripper gelitten 
oder litt noch daran. Spitalepidemieen seien beobachtet worden, auch in 
einem Mädchenpensionat seien Epidemieen aufgetreten. Fälle, wo Stuprum 
vorliege, seien zur Ehre der Menschheit selten; er erwähnt, dass in manchen 
Gegenden der Aberglaube herrsche, ein Tripperinficirter könne sich heilen, 
wenn er mit einer Virgo in Contact käme. Vortragender ist der Mei¬ 
nung, dass das Trippergift die alleinige Ursache der Vulvo¬ 
vaginitis sei. Gonococcen hätte er und andere sicher nachge¬ 
wiesen. Die Kinder aquiriren den Tripper 1) direkt durch den Coitus oder 
Berührung mit dem erkrankten Penis; dies sei sehr selten; 2) entstehe die In- 
fection beim Durchtritt durch die Scheide in der Geburt. Das sei selten, 
doch möglich; hier enstünde viel leichter eine Blenorrhoe. Nach der Geburt 
in den ersten Lebenstagen aquiriren die Kinder den Tripper durch den in- 
ficirten Finger, durch Schwämme, durch Leinwandstücken. Verlässt das Kind 
sein Einzellager (Kinderwagen, Wäschekorb) und theilt dann mit den Eltern das 
Bett, so kann es vom Vater und der Mutter, wenn dieselben an Tripper leiden, 
durch die beschmutzte Bettwäsche, resp. Leibwäsche inficirt werden. Die Kinder 
betasten und spielen mit ihren Geschlechtstheilen: Selbstinfection des Kindes. 
Schlafen mehrere Kinder zusammen, so kann gegenseitige Infection auftreton. 
Vulvo-vaginitis ist wahrscheinlich nicht Symptom der Syphilis, sondern es 
ist hier eine doppelte Infection vorhanden: Syphilis congenita und acquirirte 
Genorrhoe. Vortr. empfiehlt die Sublimat-und Jodoformbehandlung. 

Herr Sänger (Leipzig): Familienepidemieen seien gar nicht so selten. 
Er halte die Erkrankung ebenfalls für ernst. Säxinger habe Pyosalpinx 
bei Virgines intactae gefunden. 

6. Herr Keil (Halle): Ueber sweizeitige Eröffiiung cystlseher Ab* 

dominaltnmoren. Das durch r. Volkmann in die moderne Chirurgie 
zur operativen Behandlung der Leberechinococcen eingeführte zweizeitige 
Verfahren hat in der Gynäkologie bisher noch kaum Anwendung gefunden. 
Auf Grund zweier in der Hallenser Klinik durch zweizeitigen Schnitt, eröffnete 
cystische Abdominaltumoren empfiehlt K. dasselbe bei grösseren Flüssigkeits¬ 
ansammlungen der Tuben und cystischen nicht proliferirenden Tumoren der 
Bauchhöhle. Er bespricht zunächst die Gefahren der Exstirpation von Pyo- 
und Hydrosalpinxsäcken, bestehend in technischen Schwierigkeiten, Adhä¬ 
sionen, ungünstigem Heilungsverlauf und Austritt von Eiter in die Bauch¬ 
höhle, bisweilen mit Exsudatbildung. Vorausgesetzt wird zur Ausführung 
der zweizeitigen Operation das Vorhandensein grösserer, von den Bauch¬ 
decken her leicht erreichbarer Tumoren: Der Schnitt soll dann über dem 
Lig. Poupartii, diesem parallel geführt werden. Nach Ausstopfung der In- 
cisionswunde mit Jodoformgaze erreicht man allseitig Verklebung der Tu¬ 
morwandung mit der Incisionswunde und kann gefahrlos incidiren. Die 
Operation ist absolut gefahrlos. Die vorher bestehenden Druckerscheinungen 
auf die Beckenorgane verschwinden nach Erschlaffung des Sackes, und die 
Patienten werden dann geringere oder gar keine Beschwerden haben. Vor¬ 
tragender giebt die Krankengeschichte eines durch zweizeitigen Schnitt 
operirten Falles von Hydrosalpinx an; derselbe ist günstig verlaufen. In- 
cision von der Vagina aus hält K. nicht für rathsam, wegen der Infections- 
gefahr, Gegendrainage nach der Vagina für unnöthig. Bezüglich anderer 
cystischer Tumoren macht K. kurz die Mittheilung von der Operation einer 
Milzcyste durch zweizeitigen Schnitt und empfiehlt das Verfahren auch für 
andere cystische Tumoren der Bauchhöhle nicht proliferirenden Charakters. 

Herr Werth (Kiel) fürchtet das Zurücklassen des Sackes bei event. 
Tuberculose. - Käme bei der Exstirpation verdächtiger Inhalt in die Bauch¬ 
höhle, so müsste man dieselbe ausspülen. 

Herr Dübrssen (Berlin): Gusserow hat meist kleine Tumoren operirt, 
die nicht wesentlich über das Becken herausragten. D. möchte die Total¬ 
exstirpation des Sackes besonders wegen der perimetritischen Verwachsungen 
empfehlen, die grosse Beschwerden verursachten. Ursache der öfters beobach¬ 
teten Exsudate seien die zurückgelassenen Fäden. 

Herr Wiedow (Freiburg): Er habe nur für bestimmte Fälle die zwei¬ 
zeitige Operation empfohlen. 

Herr Skutsch (Jena): Knötchen in der Tube sind nicht immer tuber- 
culöse, entstünden meist in Folge chronischen Katarrhs der Tube. 

Herr Kaltenbach (Halle) weiss die vollständige Exstirpation sehr zu 
würdigen. Es gelänge nicht immer, eine sichere Diagnose zu stellen, 
für diese Fälle sei die zweizeitige Operation besonders zu empfehlen. 

7. Herr Frommei (Erlangen): Zur Entwickelung der Placenta. 
F. spricht über die Entwickelung der Placenta in den frühesten Stadien. 
Seine sehr interessanten Befunde, die er an Fledermäusen beobachtet, be¬ 
spricht er an der Hand einer grossen Anzahl sehr gut wiedergegebener 
Präparate. Die Arbeit wird demnächst als Monographie erscheinen. 

8. Herr Döderlein (Leipzig): Ueber inneres Erysipelrecldlv nach 
Monate langer Latenz in Folge einer Frühgeburt. D. spricht in längerer 
Rede über Selbstinfection. Die Luftinfection fürchtet er nicht, welche An¬ 
sicht wohl allgemein anerkannt ist. D. berichtet dann über seinen Fall: 
35jährige Frau, die seit 14 Tagen blutete, wurde in die Klinik aufgenommen. 


Befand sich im fünften Monat der Gravidität. Am andern Tage Einleitung 
der künstlichen Frühgeburt (Diagnose: Blasenmole oder Hämatom der Decidunl 
nach gründlicher Desiefection. Bei Fünfmarkstück grossem Muttermund 
Blase gesprengt und die 25 cm lange Frucht an dem vorliegenden Kusse 
extrahirt. Zehn Minuten später vermittelst Crede'schen Handgriffs die Pla¬ 
centa exprimirt. Uterusausspülung mit.2*/» °/o Carbollösung. Sofort nach der 
Geburt, hohe Temperaturen, hei gutem Allgemeinbefinden; am andern Tage 
anhaltend 40» C. Am zweiten und dritten Tage, da die Temperatur nicht 
fiel, abermals 2*/a u /o uterine Carbolspülung, vorher jedoch Secret entnommen, 
um dasselbe auf "Bacterien zu untersuchen. Es gelang hiermit den Strep¬ 
tococcus ervsipelatosus Fehleisen zu züchten. Die Anamnese hatte noch 
nachträglich ergeben, dass die Frau im Frühjahr dieses Jahres an Rothlauf 
schwer erkrankt gewesen, ausgehend von einer Wunde, die sie sich beim 
Scheuern durch einen Splitter zugezögen. Der Arm schwoll an, sie suchte 
Hülfe in der Klinik, abortirte daselbst am 21). März im sechsten Monat, be¬ 
kam noch Lungen- und Rippenfellentzündung und einen grossen Abscess am 
Oberarm. Das Wochenbett dieser Frühgeburt verlief abgesehen von den 
hohen Temperaturen bei subjectivem Wohlbefinden normal, bis zum zehnten 
Tag, wo das rechte Kniegelenk anschwoll und sich röthete. was auf 
Priessnitz wieder zurückging: nach einigen Tagen am zweiten Phalangeal- 
gelenk des rechten Mittelfingers, auch hier verschwand die Schmerzhaftigkeit 
nach einigen Tagen. Am vierzehnten Tage p partum Exitus. Die bacterio- 
logische Untersuchung der Synovialmembran des Mittelfingers ergab den¬ 
selben Streptococcus wie aus den Lochien des Uterus. Section ergab die 
Beckenorgane normal. Als direkte Todesursache: Leptomcningitis 
acuta. Aus dem Eiter des Schädels und aus dem Blute konnten dieselben 
Streptococcen gezüchtet werden. Die Cerv icali ym ph d rüsen waren 
sehr vergrössert, sehr geröthet. succulent, und sind als der 
Ausgangspunkt zu bezeichnen, .von dem das Recidiv eintrat. 
Dieses Erysipel ist folglich mit dem vor drei Monaten geheilten 
in Zusammenhang zu bringen. 

9. Herr Baumgärtner (Baden-Baden): Zur Operation des Cervix- 
carciuoms. B. schlägt vor, in Fällen von Cervixcarcinom. wo Operation 
nicht mehr möglich, beide Art. uterinae zu unterbinden, um dadurch die 
Blutung zu stillen. Die erste Frau, so behandelt, starb nach drei bis vier 
Monaten. Eine andere Kran, bei der er die beiderseitige Unterbindung der 
Uterinae vorgenommen, behandelte er nebenbei mit Chlorzink. Nach zwei 
Jahren sah er dieselbe wieder. Hier günstiger Verlauf durch diese Be 
handlung erzielt; Blutung und Ausfluss hatten aufgehört, der Kräftezustand 
hatte sich bedeutend gehoben. 

10. HerrLantos (Budapest): Demonstration des Ktfzmär hz ky’sclien 
Beinkleides anr Stütze des Unterleibs. Es soll zur Stütze des Unterleibes ‘ 
bei grossen Bauchtumoren, bei erschlafften Bauchdecken, näcb Laparotomieen 
gebraucht werden. Es besteht aus starkem, nicht dehnharem Leinenstoff und 
reicht bis zur Mitte des Schenkels. Rechts befinden sich Knöpfe zum 
Schlüsse desselben. Hinten befindet sich ein Miederapparat zur Regulirung 
des Anlegens. Es verschiebt sich nicht nach aufwärts und schneidet nicht 
ein. Der Schlitz gestattet ohne Hinderniss Uriniren und Defäcation. Seit 
November 1886 wird es an der Budapester Klinik von Kezmärszky mit 
bestem Erfolg angewandt, zu haben ist es bei der Firma Altrichter iu 
Budapest. 

11. HerrBumm (Würzburg): Erfahrungen über Achsenzugzangen. 

Der Achsenzug sei eine wirkliche Verbesserung des Instrumentes. Den Zug¬ 
apparat müsse man jederzeit abnehmen können. Tarnier sei zu weit ge-, 
gangen, wenn er angegeben, mit dieser Zange könne man den auf dem Becken¬ 
hoden stehenden Kopf extrahiren. Bei hochstehendem Kopf sei der Achsenzug 
von grossem Vortbeil. Der Operateur ermüde nicht so leicht, da er nicht 
mit der vollen Kraft der Arme zu ziehen habe Nur bei sehr schweren 
Fällen müsse man comprimiren. Von Vortheil sei die Unabhängigkeit des 
Kopfes gegen den Zug. der Kopf könne durch das Berken gehen, wie er 
will Man habe nicht das Gefühl des harten Widerstandes. Der Kopf rotire 
nicht in der Zange, sondern auch mit der Zange. Sehr günstig wirkt die 
Achsenzugzange bei engen Becken. Er empfehle immer die Zange quer 
anzulegen. 

Herr Nieberding (Würzburg) glaubt auch, dass durch die feste 
Compression die Drehung des Kopfes gehindert werde. Wäre das Schloss 
nicht zugeschraubt, dann seien die Löffel lose. Er habe das französische 
Schloss geändert und das Brünninghausen’sche angewandt. Um die 
Beweglichkeit des Kopfes nicht zu stören, lege er, nachdem er die Com- 
pressionsschraube leise zugedreht, eine Feder dazwischen. 

Herr Sänger (Leipzig): Die Achseüzugzange würde gar nicht so selten 
angewandt. An der neuen Modification Tarnier’s sei der Tracteur seitlich 
drehbar. Es sei ein Vortheil. wenn ein breiter bequemer Tracteur an der 
Achsenzugzange sei, da die Hand nicht so leicht ermüde. 

Herr Dübrssen (Berlin). Man müsse unterscheiden, ob das -Becken 
ein allgemein verengtes oder ein plattes sei. Beim allgemein verengten ent¬ 
stehe durch die Rigidität der Weichtheile des Scheideneingangs häufig Er 
.schwerung der .Geburt; hier seien Incisionen am Muttermunde und Introitus 
zu machen. Wenn Wendung nicht mehr möglich, hat er den Kopf mittels; 
des HofmeierLschen Handgriffes durch die enge Stelle zu drücken ver¬ 
sucht, was häufig gelungen. 

Herr Winckel (München) hält die Brous’sche Zange für eine Achseu- 
zugzange. Die Anwendung der Aph ! ’Pü'<'-»gzange sei gar nicht so selten. 

Herr Burnin hält die Breus’sehe Zange für keine Achsenzugzange, 
es sei eine gerade Zange. Die Bewegung erfolge in einem Charniergelenk. 

12. Herr Eckardt (Halle): Ueber das Verhalten der Schleimhaut des 
Fundus uterl bei Carcinom der Portio vaginalis. Abel habe im letzten 
Bande des Arch. f. Gyn. über denselben Gegenstand berichtet und sei 
an der Hand von sieben wegen Portiocarcinom von Landau durch 
Totalexstirpation entfernten Uteri zu dem höchst auffallenden Schlüsse ge¬ 
kommen. dass bei carcinomatöser Entartung -der Portio die Schleimhaut 
des Uteruskörpers sarkomatö« entarte. • - E kann nun, gestützt auf neun 


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624 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


eigene Beobachtungen, allerdings die Befunde Abel’s zum Theil ganz be¬ 
stätigen, weicht jedoch in der Deutung derselben stark von Abel ab; vor 
Allem stellt er auf das energischste jede sarkomatöse Entartung in Abrede. 

— Auch E. fand die Schleimhaut des Uteruskörpers mehr oder minder ver¬ 
dickt, auf der Schnittfläche hervorquellend, von matt graugelbem opakem 
Aussehen — stellenweise konnte er eine Dicke von 7 mm und darüber 
notiren. Mikroskopisch erwies sich diese Verdickung der Schleimhaut be¬ 
dingt sowohl durch Wucherung des interglandulären Gewebes wie der 
Drüsen. E. fasst deu ganzen Vorgang als einen chronisch entzündlichen 
Process der Schleimhaut auf, der sich besonders am Drüsenapparat abspielt. 

Er findet dieselben constant vermehrt, zum Theil dilatirt und mit papillen¬ 
förmigen Erhebungen gegen das Lumen zu versehen. Verschiedentlich waren 
Wucherungsprocesse an den Drüsenepithelien, sowie ein wenn auch nur 
unbeträchtliches Verschieben, gegen die Muskulatur zu bemerken. Ausser¬ 
dem hat er öfters stark geschlängelte und dilatirte Capillaren, sowie nicht 
unerheblichen Austritt von Blut in’s Gewebe selbst, bei übrigens durchweg 
gqt erhaltenem Oberflächenepithel gesehen, so dass sich ihm der Gedanke 
aufgedrängt bat, dass doch wohl nicht die Veränderungen an der Portio die 
alleinige Quelle für die ja wohl immer beobachteten profusen Blutungen ab¬ 
geben, vielmehr sich auch ein guter Theil derselben aus den Veränderungen 
der Schleimhaut des Körpers erklären Hesse. Zu Eingang des Vortrags 
wurden fünf diesbezügliche Präparate demonstrirt. 

13. Herr Wiedow (Freihurg): Ueber Emhlafflug des Bauchfells. 
Erschlaffungszustände treten bei Frauen in 2 Formen auf. Entweder ist das 
gesammte Bauchfell und die Beckenbauchwand erschlafft, oder die Verände¬ 
rungen sind auf das Beckenbauchfell oder den Beckenboden beschränkt. Die 
erste Form findet man bei Frauen der arbeitenden Classen, die oft geboren 
haben und schwer arbeiten müssen; seltener bei Nulliparen. Dies sind denn 
meist schwächliche chlorotische Mädchen, die schwer arbeiten müssen. Die 
Veränderungen bestehen in hochgradiger Erschlaffung der Beckenbauchwand, 
ferner in Dislocationen und abnormer Beweglichkeit der Beckenbaucheinge¬ 
weide und in venöser Hyperämie der Theile. Die hierdurch hervorgerufenen 
Symptome bestehen vor Allem in Zerrungsschmerzen. Die zweite Kategorie 
umfasst die Fälle, in denen die Veränderungen auf Beckenbauchfell und 
Beckenboden beschränkt sind. Die Ursachen dieser Veränderungen liegen 
hauptsächlich in den Zerrungen und Verletzungen, welche der Beckenboden j 
bei der Geburt erleidet. Seltener findet sich die Störung bei intacten 
Mädchen und ist dann auf eine abnorme Höhe des intraabdominellen Druckes 
(Tragen eines Corsets oder schwere Arbeit) zurückzuführen. 

Herr Schwarz (Halle) hat früher Messungen über den intravesicalen 
und intrarectalen Druck gemacht. 

Herr Wiedow (Freiburg) hat ebenfalls mit dem Manometer den 
Druck gemessen. 

14. Herr Winter (Berlin): Ueber zwei MediAnschnitte durch 
Leichen in der Geburt Verstorbener. Vortr. hat von 2 Gebärenden Ge- 
frierscbnitte gemacht, einen durch den ganzen Rumpf, den anderen durch 
Becken und Uterus. Beide Frauen waren in der Eröffnungsperiode an 
Eklampsie zu Grunde gegangen, nachdem deutliche Wehen constatirt waren. 
Vortr. hebt folgende Thatsachen als bemerkenswert!! in seinen Schnitten 
hervor. An Schnitt 1 findet sich eine deutliche Verdünnung des unteren 
Uterinsegments an der vorderen und hinteren Wand. Der Cervicalcanal 
tot in seiner ganzen Länge vorhanden, nur in seinem oberen Theile etwas 
erweitert Der ganze von Eihäuten entblösste Theil des unteren Uterin¬ 
segments ist von Decidua ausgekleidet. Die Placenta sitzt im unteren Uterin¬ 
segment; ihr unterer Rand ist 1,5 cm vom inneren Muttermund entfernt, also 
»tiefer Sitz der Placenta“. Die Eihäute sind vorn genau bis an die Pla¬ 
centa abgelöst. Der Kopf des Kindes, welcher in II. Schädellage liegt, ist 
in’s Becken eingetreten und hat den zwischen ihm und Symphyse liegenden 
Theil der Placenta comprimirt. Der Befund an dem comprimirten Theil der 
Placenta ist der, dass die Chorionzotten sehr nahe aneinander liegen, fast 
verfilzt sind; alle makroskopisch und mikroskopisch sichtbaren Gefässe sind 
blutleer, während die im oberen ungedrückten Theile der Placenta liegenden 
strotzend mit Blut gefüllt sind. An Schnitt II zeigt sich ebenfalls eine 
deutliche Verdünnung des unteren Uterinsegments; die vordere Lippe ist in 
ihrer unteren Hälfte noch erhalten, während die hintere vollständig entfaltet 
ist. Einen ähnlichen Befund erhob Winter an einem dritten Uterus, von 
welchem er vor längerer Zeit einen Gefrierschnitt machte; auch hier war 
die vordere Lippe noch halb erhalten, während die hintere entfaltet war. 
Vortr. möchte es für die Regel halten, dass die Geburtsanzeigen an der 
hinteren Lippe weiter vorgeschritten sind als an der vorderen. Das Chorion 
ist gesprungen und hat sich zum Theil zurückgezogen, während das Amnion 
noch steht. Die Placenta hat sich vorzeitiger abgelöst durch ein retropla- 
centares Hämatom; das Blut hat sich seinen Weg von der Placenta hinter 
den Eihäuten nach unten in den Cervicalcanal gesucht. Er hat vorzeitige 
Placentarlösung häufig bei Nephritis beobachtet. 

15. Herr Fehling (Basel): Ueber Castration bei OsteommlAeie. 
Fehling fand die Kalk- und PhosphorBiureausscheidung bei den Osteo- 
malacischen nicht vermehrt, sondern vermindert. Er stellte die Vergleiche 
mit den Erfolgen des Porro an. Unter 44 Fällen, die nach Porro operirt, 
erlagen 17 direkt, 3 sind später gestorben, 24 sind genesen. In allen diesen 
Fällen trat rasche und vollständige Heilung ein, die Gebrauchsfähigkeit der 
Glieder für’s Gehen und Arbeiten war wiedergewonnen. Die Menstruation 
ist schliesslich erloschen, einige Fälle sind erwähnt, wo sie geblieben. Ueber 
die Geschlechtsfähigkeit erhält man in den wenigsten Fällen Auskunft. Das 
Nahen des Mannes ist in vielen Fällen erschwert, ja unmöglich gemacht, 
meist nur a posteriore möglich. Vortr. giebt dann die Krankengeschichte 
dreier Fälle, wo er bei osteomalacischen Frauen die Castration vorgenom- 
mon: 1. Fall. Castration. Nach € Wochen machte Pat- betr. Bewegungen, 
nach Vs Jahr konnte sie allein gehen. Menstruation ist nicht mehr einge¬ 
treten. 2 andere Fälle in Basel operirt. In dem einen Fall fiel Vortr. die 
Varicosität der Adnexa des Uterus auf. Ovarien waren klein, atrophisch. 


Dieser Fall erholte sich auch rasch. Das Becken zeigt jetzt keine Empfind¬ 
lichkeit, während Thorax und Schenkel druckempfindlich sind. Bei dem 
anderen ebenfalls starke Varicositäten; An den Ovarien nichts Abnormes, 
Erholung rasch. Nach 4 Wochen Gehen möglich gewesen. Vortr. will je¬ 
doch nicht gesagt haben, dass man bei allen Fällen von Osteomalacie immer 
die Castration vornehmen soll. 

Herr Winckel (München) steht auf demselben Standpunkt zur Castra- 
tionsfrage wie Fehling, jedoch ist die Castration erst anzwenden, wenn 
die übngen Methoden der Heilung versagen. Leberthran und Eisenoxyd- 
albuminate sind mehr zu geben, ebenso ist für eine gute Ernährung zu 
sorgen. Man könne hierdurch eine zeitweise Besserung, vielleicht ein Stehen¬ 
bleiben des Processes beobachten, jedoch habe man nie eine Garantie. 

16. Herr Battlehner (Karlsruhe): Ueber Ein* und Umstülpung 
der Gebärmutter. Die betr. Frau hatte nach dem Wochenbett schwere 
Arbeit zu verrichten, am 42. Tage p. p. bekam dieselbe eine schwere Blutung 
in Folge von Inversio uteri. Repositionsversuche des Arztes vergebens. 
6 Wochen später Laparotomie. Frau starb einige Tage später an septischer 
Peritonitis. Der Uterus wird demonstrirt. • 

17. Herr Nieberding (Würzburg): Ueber DarmoceloBion nach 
Laparotomieen. Bericht über 3 Fälle von Darmocclusion, die ihm dieses 
Jahr vorgekommen. Er hat bei diesen 3 Laparotomieen trockene Sublimatgaze 
verwandt. Es fragt sich, ob nicht diese als Ursache zu beschuldigen sei 
und durch die Rauhigkeit dieser Gaze eine Abschürfung des Endothels der 
Serosa stattfinden könne. 

Herr Kaltenbach (Halle): Jeder Operateur hätte bei seinen ersten 
Laparotomieen mehr Unglücksfälle als später. Zu concentrirte Antiseptica 
oder nicht genügende Desinfection wirke schädlich. Rasches Operiren sei 
nöthig. 

Herr Schwarz (Halle) hat 2 Darmocclusionen gesehen. Die Dann¬ 
schlingen waren da angewachsen, wo die Gummiligaturen lagen. 

Herr Kaltenbach schliesst die Sitzung und dankt Allen, die in 
wissenschaftlicher Beziehung zum Gelingen des Congresses beigetragen. 

Darauf vereinigten sich die Theilnehmer des Congresses noch zu einer 
Fahrt auf der Saale und einem Ausflug in die schöne Umgebung von Halle. 


XI. Journal-Revue. 

Innere Medicin. 

10 . 

Koch und Marie. Ueber Heraiatrophie der Zunge 
Revue de medecine, 1888, Bd. I. 

Auf Grund einer eigenen Beobachtung und der Mittheilungen 
Anderer heben die Autoren hervor, dass die einseitige Zungenatrophie 
nicht nur bei Tabes, sondern auch bei cerebraler Syphilis und all¬ 
gemeiner Paralyse vorkommt Einige in jugendlichem Alter beob¬ 
achtete Fälle mögen in das Gebiet der Kinderlähmung zu rech¬ 
nen sein. 

Weder die Sprache noch das Kauen und Schlingen sind bei 
diesem Leiden gestört darum ist die Constatirung desselben bis¬ 
weilen vom Zufall abhängig. In allen Fällen aber, wo überhaupt 
darüber eingehender berichtet ist, bestand eine Lähmung des Gaumen¬ 
segels und des Stimmbandes derselben Seite. 

So wie es schon Reymond und Artaut. auch Westphal 
gefunden haben, führen sie die Veränderung der Zunge auf eine 
Atrophie des Hypoglossuskernes zurück. Aufrecht. 

E. Bull. Zwei Fälle von intermittirender Albuminu¬ 
rie. (Klinisk Aarbog III) Nordisk Med. Arkiv. 1887 Bd. XIX. 

Fall I. Ein Mann von 21 Jahren hielt sich 40 Tage im Hospital 
auf und wurde methodischen Harnuntersuchungen unterworfen; dabei 
zeigte sich, welchen grossen Einfluss Körperbewegungen auf den Ei-, 
weissgehalt ausüben. So lange Pat. zu Bette lag, fand sich nie 
Eiweiss, sobald er sich zu bewegen begann, wurde der Albumingehalt 
immer reichlicher. 

Fall 2. Ein Schuhmacher von 28 Jahren, der stets blass und 
mager gewesen war und an dyspeptischen Beschwerden gelitten hatte, 
sonst aber gesund war. wurde erst 20 Tage poliklinisch untersucht 
und darauf in’s Hospital aufgenommen, wo der Urin im Laufe von 
7 Tagen jedes Mal, wenn er gelassen war, genau untersucht wurde. 
Es zeigte sich auch in diesem Falle, welche grosse Rolle Körper¬ 
bewegung spielt. So lange der Pat. poliklinisch untersucht wurde, 
war der Morgenurin stets eiweissfrei, je weiter der Tag fortschritt. 
desto stärker wurde der Ei weissgehalt. Seit dem Augenblicke, wo 
Pat. im Hospitale ständig das Bett zu hüten begann, zeigte sich 
kein Eiweiss mehr. Diätetische Versuche zeigten sich ohne Einfluss; 
weder Alkoholica. noch stark eiweisshaltige Kost riefen Albuminurie 
hervor, so lange Pat. zu Bette lag. Doch nimmt Verfasser an, dass die 
Hospitalkost sich dennoch günstig erwiesen hat. da auch später. 
; als Pat. auf war und arbeitete, so lange er sich im Hospital auf- 
j hielt, kein Eiweiss nachzuweisen war, bis auf ein Mal, als er näm- 
i lieh das Bett verliess und zum ersten Male arbeitete. 

Buch (Willmanstrand, Finland). 

F. Krüger (Dorpat). Taenia cucumerina s. elliptica beim 
Menschen. St. Petersb. Medic. Wochenschrift 1887. No. 41. 

t)ie Taenia cucpmerina ist hauptsächlich bei Hunden und bei 


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26. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


,625 


Katzen anzutreffen. Ihr Zwischenwirth ist die Hundelaus, Trieho- 
dectes canis. Die Lebensgeschichte des Wurmes ist offenbar die. 
dass die Eier mit dem Koth auf das Fell des Thieres gelangen, 
dort von den Trichodecten aufgenommen werden, und letztere dann, 
indem die Thiere sich selbst oder gegenseitig belecken, verschluckt 
werden. Die Infection des Menschen kommt dann durch die Zunge 
des Thieres oder durch die das Thier liebkosenden Hände zu Stande. ! 
Bisher sind bloss wenige Fälle dieser Taenie beim Menschen be- | 
kannt. und alle Fälle beziehen sich auf Kinder zwischen dem j 
9. Monat und 3. Jahr. ln keinem Falle wird von Krankheit.s- 
erscheinungen berichtet, wahrscheinlich, weil immer nur wenige 
Exemplare vorhanden waren. Krüger hat ein 16monatliches Kind | 
behandelt, welches an bedeutenden gastrischen Erscheinungen — j 
bald Diarrhoe, bald Obstipation — litt, und nicht unbeträchtlich | 
fieberte, indem die Temperatur zwischen 38.5 U — 39,5° betrug. 
Sofort, nachdem durch 3 g Kamala etwa 4 Taenien abgetrieben i 
worden waren — die Diagnose war durch Abgang von Proglottiden 
gesichert gewesen —, trat mit einem Schlage Wohlbefinden ein. 
Die längste dieser Taenien hatte 45—5'> cm, also das Doppelte der 
durchschnittlichen Länge. 

E. K. Brandt. Zwei Fälle von Taenia cucumerina 
beim Menschen. Wratsch. 1887 No. 41 u. 43. 

Während seiner 15jährigen helminthologischen Praxis hat Brandt 
zwei Male die Taenia cucumerina gesehen, ein Mal 1884, das zweite 
Mal 1887. Beide Kranke waren Kinder. Da in allen bisher in der 
Literatur bekannten Fällen darauf hingewiesen wurde, dass der 
Wurm keinen Schaden bringt, und da er so sehr häufig bei Hunden 
und Katzen vorkommt, so hält Brandt die beiden Fälle, die mit bedeu¬ 
tenden Ernährungsstörungen einhergingen, für wichtig. Beide Kranke 
hatten innig mit Hunden verkehrt, welche mit Läusen — und 
die Hundelaus. Trichodectes latus, ist der Zwischenwirth der Taenia 
cucumerina — behaftet waren. Dem ersten Kranken, einem 14jäh- 
rigen Knaben, wurden mit Extr. filic. mar. aeth. 48 Stück Taenia 
cucum. von einer Gesammtlänge von 12,23 in, dem anderen Kran¬ 
ken. einem 8jährigen Mädchen, 26 Stück von 6,07 in Gesammt¬ 
länge abgetrieben. Wenn man bedenkt, dass eine einzige Taenia so- 
lium. die im Mittel 3*/•> m lang ist. sehr bedeutende Erscheinungen 
verursachen kann, so kann es nicht Wunder nehmen, dass die 
Träger einer so grossen Menge von Taenia cucum. ernstlich er¬ 
kranken. M. Schmidt (Riga). 

Kinderheilkunde. 

3. 

Neuere Arbeiten über Chorea. 

Landois hat gelegentlich der von ihm durch chemische 
Reizung der Hirnoberfläche an Kaninchen und Hunden aus¬ 
gelösten, den urämischen (eklamptischen) ähnlichen Krämpfen die 
Beobachtung gemacht, dass die Thiere in gewissen Stadien des irri- 
tativen Vorganges eigenartige Bewegungen zeigen, die er den chorea¬ 
tischen zuzuzählen sich gezwungen sieht. Muskelunruhe und Coor- 
dinationsstörungen mit Ausbreitung der Muskelbewegungen auf 
andere Muskelgrnppen sind die in Rede stehenden Erscheinungen, 
und Landois erinnert daran, dass bei Schwangeren choreatische 
Bewegungen den eklamptischen vorangehen können. (Deutsch, med. 
Wochenschr. 1887. No. 31.) 

Es muss zu dieser Studie von Landois ergänzend bemerkt 
werden, dass Bechterew gelegentlich einer von völlig anderen 
Gesichtspunkten ausgehenden Studie über die Bedeutung des 
Sehhügels (s. Yirchow's Archiv Bd. 110) zu der Anschauung 
gelangt, dass dem klinischen Bilde (der Chorea) und der Hemi- 
chorea als anatomisches Substrat eine Affection entweder des Seh¬ 
hügels selbst oder des zu demselben gehörigen Fasersystems zu 
Grunde liegt. 

Stephen Mackenzie (British med. Journ. 1887. p. 425) giebt 
einen Bericht über die in England über Chorea ausgeführte Sammel¬ 
forschung. Leber 439 Fälle wurden Mittheilungen gemacht, aus 
denen Folgendes hervorgeht: Chorea befällt vorzugsweise die 
Altersstufen von 6—15 Jahren, und es sind zumeist die Kinder der 
ärmeren Volksschichten ergriffen (70,46 %). Die wichtigsten der 
Chorea vorangehenden Krankheiten sind Scarlatina (129), acuter 
Rheumatismus (116), Masern (116), Anämie (92), unbestimmte rheu¬ 
matische Schmerzen (62). In 50% der Fälle mit vorangehendem 
Rheumatismus waren Herzaffectionen vorhanden. Bei 50% waren 
Erregungen des Nervensystems zur Chorea in Beziehung zu bringen, 
darunter Schreck, geistige Ucberanstrengung, auch Imitation. Bei 
20% endete die Chorea tödtlich, zumeist durch Herzaffectiouen. 
Nicht alle Herzerkrankungen waren mit Rheumatismus in Verbin¬ 
dung zu bringen, sondern nur 50 % mit acutem Rheumatismus, 
12 % mit rheumatischen Schmerzen, doch waren von 439 Chorea¬ 
fällen 56 von deutlich rheumatischen Affectionen, 11 von rheuma¬ 
toiden Schmerzen während des Choreaanfalles heimgesucht. Unter 


den complicirenden Affectionen werden noch Pneumonie, Erythema 
nodosum, Paresen, Convulsionen, Kopfschmerz genannt. Bei 46% 
der Erkrankungen war nervöse Belastung durch die Familie nach¬ 
weisbar, auch der Rheumatismus pflegte in den Familien heimisch 
zu sein (45 %). Die durchschnittliche Dauer eines Choreaanfalles 
betrug 10 Wochen. Von Medicamenten war kein einziges von 
sicherer specifischer Wirkung. Eisen und Arsen bewährten sich 
vielfach, Hessen aber auch im Stich. Salicylsäure war in der Regel 
von günstiger Wirkung. 

Becker (Arch. f. Kinderheilk. Bd. 8, p. 428) berichtet aus des 
Referenten Poliklinik über 21 Choreafälle, die auf 10000Kranken¬ 
fälle entfielen (=0,2%). Die Affection zeigt sich zumeist in der 
kühleren Jahreszeit. Unter den ursächlichen Krankheitsprocessen 
sind Rheumatismus und Diphtherie zu nennen, doch auch Typhus 
und Scarlatina. Verf. beantwortet die Frage nach den Beziehungen 
zwischen Chorea und Rheumatismus dahin, dass dieselben unbedingt 
bestehen, dagegen sind organische Herzläsionen nur dann beobachtet 
worden, wenn Rheumatismus die Grundlage oder Begleiterkrankung 
der Chorea war. Unter den complicirenden Affectionen erwähnt 
Verf. auch erhebliche Digestionsstörungen. Die Dauer der Affection 
betrug 2—3 Monate, die Prognose war günstig, da nur 2 Todesfälle 
und diese durch eine complicirende Gehirnerkrankung und durch 
Herzaffection bedingt waren. Therapeutisch bewährte sich Arsenik 
am besten; der Schulbesuch musste stets ausgesetzt werden, auch 
bewährte sich die Bettruhe gut. 

Octavius Sturges (Lancet 1887, 13. Januar) berichtet über 
den Einfluss der Schule auf die Entwickelung der Chorea. Von 
42 beobachteten Fällen sind 14 durch den Schuleinfluss bedingt 
gewesen, und Verfasser hält die Ueberbürdung und die durch Strafen 
erzeugte nervöse Erregung für causale Momente für die Entwicke¬ 
lung der Chorea. 

Wollner (Münchener med. Wochenschr. 1887, No. 5, p. 80) 
empfiehlt Antipyrin gegen Chorea. Bei einem 16jährigen 
Mädchen, wo Bromkalium, Propylamin, Salicylsäure im Stich Hessen, 
war Antipyrin, zu 1 g 3 mal täglich verabreicht, von vortrefflicher 
Wirkung. In 14 Tagen vollständige Heilung. Riess hat unter 
34 Fällen von Chorea 4 von der schweren, tödtlichen Form ge¬ 
sehen; bei dieser sind alle Mittel vergebens. Bei 26 Kindern wurde 
Physostigmin angewendet und in 24 Fällen sehr rasch — durch¬ 
schnittlich in 15 Tagen — Heilung erzielt 2 heilten nur sehr 
langsam ab. Das schwefelsaure Physostigmin wurde subcutan an¬ 
gewendet, und zwar bei kleineren Kindern pro die 0,0005, bei 
älteren 0,001. Das Mittel erzeugte anfänglich Erbrechen, das sich 
später verlor. Sofort nach der Injection war die Muskelunruhe 
grösser. _ A. B. 

XU. Therapeutische Mitteilungen. 

Die elektrische Behandlung der Affectionen des Uterus. 

ln der Sitzung der Medico-Chirurgical Society of Brighton vom 3. Mai 
fand eine eingehende Verhandlung über den Werth der elektrischen Behand¬ 
lung der Affectionen des Uterus statt, an welcher sich die Herren Spencer 
Wells, Apostoli, Playfair und Keith betheiligten. 

Seit mehr als 30 Jahren hat Spencer Wells die Elektricität in ver¬ 
schiedenen Formen bei Amenorrhoe, Uterinblutungen, Epitheliom etc. ange¬ 
wandt. Er hat in Paris 60 Fälle geprüft, die von Apostoli elektrisch be¬ 
handelt wurden und gefunden, dass die elektrische Behandlung, wenn sie 
auch nicht die Tumoren selbst zum Verschwinden bringen kann, doch in 
vielen Fällen die von ihnen verursachten Symptome beseitigt. Zwei 
Classen von fibrösen Tumoren sind dabei zu unterscheiden: 1) Wo der 
Tumor gefährliche Blutungen macht. 2) Wo die Symptome meist von 
mechanischen Ursachen herrühren. 

Nach Apostoli kann man eine Leclanche'sche Batterie oder eine 
Säule aus Hg bisulf. anwenden, der Strom muss eine Stärke von 250 MA 
erreichen können, stets ist ein Galvanometer einzuschalten. Die Uterin¬ 
elektrode besteht bald aus einer Platinsonde, die man in’s Uteruscavum ein¬ 
führt, bald aus einem stählerne» oder goldenen Troikar, den man in den 
Tumor selbst stösst. Apostoli wies nach, dass der galvanische Strom 
erstens local, kaustisch, sodann auch interpolar wirkt. Die interpolare 
Action bringt dauernde Veränderungen der Ernährung in der vom Strom 
durchlaufenen Partie hervor. Die Apostoli’sehe Methode ist nicht gefähr¬ 
licher als viele audere, täglich angewandte. Soweit 5 1 /« Jahre der Beob¬ 
achtung zu einem Ausspruch berechtigen, kann gesagt werden, dass viele 
der Patienten sich in dieser Zeit einer ausgezeichneten Gesundheit erfreut 
haben, und schwerere Operationen nur in Ausnahmefällen nöthig wurden. 

Apostoli sah einige Fälle, in denen sich das Fibrom nach der 
Menopause entwickelte, was an der von Hegar empfohlenen Methode Zwei¬ 
fel erwecken könnte. Submucöse und subperitoneale Fibromyome wird man 
nicht elektrisch behandeln, besonders geeignet sind dafür die interstitiellen. 
Die Ap.ostoli’sche Methode eignet sich besonders für Fälle, wo die 
Hämorrhagie das Hauptsymptom ist, ausserdem leistet sie gute Dienste bei 
gewissen chronischen Metritiden, bei Neuralgia ovarica, bei Vaginismus etc. 
Sie verdient jedenfalls sorgfältig und ohne Voreingenommenheit versucht zu 
werden. 

Herr Apostoli führt aus, dass er nunmehr in 500 Fällen 6000 mal 
die elektrische Behandlung angewandt hat. Er stellt folgende Regeln auf; 


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626 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


1. Allmähliches Ansteigen mit der Dose nach Maassgabe der Toleranz 
des Uterus. 

2. Wo Entzündung vermuthet wird, doppelte Vorsicht und Massigkeit 
in der Dosirung. 

Als symptomatische Behandlung ist die Methode fast immer wirksarm 
Radikalheilung wird nicht erzielt, aber dis Volumen der Tumoren ver¬ 
ringert sich, und die Kranken fühlen sich wieder gesund. Die Hysterektomie 
ist immer schwierig und gefährlich, die Castration nicht immer möglich 
und wirksam, so empfiehlt sich die elektrische als initiale Palliativbehand¬ 
lung der Fihromyome, die meist hinreicht, den Kranken andauerndes 
Wohlbefinden zu sichern. — Auch Playfair hat mit der Methode Ver¬ 
suche angestellt und ist mit den Resultaten zufrieden, besonders bei Fihro- 
myomen mit starker Blutung, einige der erzielten Erfolge waren ausge¬ 
zeichnet, die Zahl der Misserfolge gering. In erfahrenen Händen ist das 
Verfahren nicht gefährlich, Vorsicht ist indessen erforderlich. .Skene 
Keith und sein Vater haben nach ihrer Rückkehr von Paris etwa 3000 mal 
das Apostoli'sche Verfahren angewandt und seitdem keine Hysterektomie oder 
Castration wegen Fihromyom mehr gemacht. Das Verfahren von Apostoli 
erfordert freilich viel Zeit, hindert aber die Kranken nicht in ihrer Thätigkeit. 


— Cytlsln gegen Migräne. Im Hinblick auf die gefässverengernden 
Eigenschaften des Cytisins hat Kraepelin (Neurol. Centralblatt No. 1, 
1888) Veranlassung genommen, es hei der paralytischen Migräneforrn an¬ 
zuwenden. Die Form der Einverleibung war die der suhcutanen Injection, 
die Dosis 0,003 (Cytisinum muriaticum). Der Erfolg war ein günstiger. 
Im ersten der beiden mitgetheilten Fälle (21 jährige Patientin, Hysterie) 
schwand im Laufe einer halben Stunde Rüthung, Oppressionsgefühl und 
Schmerz bis auf einen leichten Kopfdruck. Dasselbe Resultat wurde unter 
Steigerung der Dosis auf 0,005 während der folgenden Monate bei jedem 
der zahlreichen Anfälle mit der grössten Regelmässigkeit erzielt. Bei der 
angiospastischen Form der Migräne, von der hier ausnahmsweise ein Anfall 
auftrat, hat sich das Mittel nicht allein unwirksam, sondern sogar ver¬ 
schlimmernd gezeigt, eine Erfahrung, die Kraepelin auch noch in zwei 
weiteren Fällen dieser Art machte. Der zweite angeführte Fall betrifft 
einen 25jährigen Studenten (ausgesprochene Hysterie auf degenerativer 
Grundlage), bei dem der Migräneanfall durch Cytisin coupirt wurde. Eine 
Viertelstunde nach der Injection liess der Schmerz nach, eine halbe Stunde 
später war völliges Wohlbefinden eingetreten. Kr. 

— Nitroglycerin bei Migräne und Cephalalgie. Troussievitch 
hat bei Seekrankheit, besonders aber bei derjenigen Form der Migräne, 
welche auf (ipfassverengerung zurückgeführt wird, mit Nitroglycerin sehr 
günstige Erfolge erzielt, besonders wo die Schmerzen in Paroxysmen auf- 
treten, sich bei Compression der Karotiden steigern, bei abhängiger Kopflage 
sich vermindern, und wo das Gesicht im Anfall blass wird. Bei Cephalalgie 
in Folge passiver Hyperämie des Gehirns ist Nitroglycerin contraindicirt. 
Die beste Anwendungsweise ist Auftröpfeln einer einprocentigen Lösung auf 
die Zunge. Man beginnt mit einem Tropfen, um die Reaction auf das Mittel 
zu prüfen, und steigt zunächst auf drei Tropfen täglich, alle drei Tage kann 
dann noch nach Bedürfnis ein Tropfen mehr genommen werden. (Bulletin 
medical No. 35.) 

— Narceln und Meconarcein. Duquesnel in Paris hat aus Opinm 
eine Substanz dargestellt, die er Meconarcein nennt. Sie ist von Laborde 
klinisch häufig angewandt worden, und er hält sie für das beste und un¬ 
schädlichste Opiumextract. Dagegen erklärte kürzlich M. C. Paul in einer 
Sitzung der Academie de medecine dieses Mittel für unbrauchbar, da es 
kein reines Product und chemisch nicht definirt sei. Das darin enthaltene 
Narcein sei unlöslich, auch die mit ihm vereinigten Substanzen seien chemisch 
noch nicht genauer bestimmt. 

— Yakovenko, ein Schüler von Liebault in Nancy, hat bei einer 
Hysterischen von 36 Jahren eine hartnäckige Neuralgie einer ganzen Kopf¬ 
hälfte in mehreren Sitzungen durch hypnotische Suggestion geheilt. Die 
Neuralgie hatte allen anderen Medicamenten widerstanden. (Bulletin medical 
No. 35 nach Medizinskoie Obosrenie No. 5.) 

— Dr. Hilsmann in Constantinopel (Th. Monatshefte, April) wandte 
in einem Fall von Erysipel folgende Therapie mit Erfolg an. Die vom 
Erysipel befallenen Hautpartieen wurden mit dickem Filz bedeckt, und dann 
wurde mit einem eben rothglühenden Eisen schnell über den Filz hin- und 
hergestrichen und so die vom Erysipel befallene Haut stark erwärmt. Diese 
Behandlung war von sehr günstigem Erfolg begleitet. Bei gleicher Behand¬ 
lung sah er auch eine Lymphangitis nach Skorpionstich nach 2 maliger An¬ 
wendung schwinden. 

— Gypsverband der Nabelschnur. Fagoresky (Wratsch No. 11) 
pudert nach Durchschneidung und Unterbindung des Nabelstranges die 
Schnittfläche und deu Nabelstrang mit Gyps und bedeckt das Ganze mit 
hydrophiler Watte (die auch mit Gyps gepudert wird), darüber eine leinene 
Binde. Dadurch erhält man immer trockene Mortification und bemerkt fast 
nie Krankheiten der Nabelschnur. Man braucht zum Verband nicht mehr 
als 0,6 cg Gyps, Uebcrmaass an Gyps kann Ekzeme hervorrufen. R. 

— Gegon Magen• Darmbatarrh der Kinder wird empfohlen (Sem. 
med.) Bismuth. salicyl. 4,0—5,0, 

Glycerini 10,0—20,0, 

Aqu. 100,0. 

M. 1 Theel. oder 1 Esslöffel je nach dem Alter der Kinder alle 4 St. 

XIII. Geh. Rath Prof. Dr. Rühle f. 

I)ic Universität Bonu beklagt unter dem 11. Juli d. .1. den 
Verlust ihres klinischen Lehrers, des Geh. Rath Prof. Dr. Rühle. 
Lnerwartet rasch hat der Tod dem Wirken eines Mannes ein Ziel 
gesetzt, der bestimmt schien, noch eine Spanne Zeit in Rüstigkeit 
und Frische als Forscher und Lehrer thätig zu sein. 


Hugo Rühle wurde am 12. September 1824 zu Liegnitz ge¬ 
boren und widmete sich in den Jahren 1842 bis 1848 dem Studium 
der Medicin an der Berliner Hochschule. Schon hier erwachte zum 
Theil durch die Beziehungen zu Virchow und Traube jenes rege 
wissenschaftliche Interesse, welches bis zu seinem Tode ihm treu 
blieb, schon hier erwarb er sich jene Kritik in der Würdigung kli¬ 
nischer Untersuchungsergebnisse, welche den Schüler Traube’s auch 
im späteren Leben so oft hervortreten liess. 

Nach seiner Promotion wirkte Rühle von 1849 ab als Armen¬ 
arzt in der Klostervorstadt zu Breslau und trat im Januar 1851 als 
Secundärarztin das Allerheiligenhospital ein. AlsOsternl852Frerichs 
von Kiel nach Breslau berufen wurde, hatten Rühle’s Collegen 
wenig Neigung, die klinische Assistentenstelle, welche mit einer 
Secundärarztstelle des Allerheiligenhospitals verbunden war. zu über¬ 
nehmen, und so stellte sich Rühle dem neu angekommenen Frerichs 
„als unvermeidlichen Assistenten“ vor. Es war ein schönes Verhält¬ 
nis.?, welches sich aus diesen Beziehungen entwickelte, und es wird 
wohl genügend dadurch beleuchtet, dass Frerichs in einer schweren 
Erkrankung, welche ihn im ersten Jahre seiner Breslauer Thätigkeit 
befiel, sich nur von Rühle behandeln lassen wollte. 

Im Jahre 1853 habilitirte sich Rühle und wurde 1857 zum 
Professor ex. o. in Breslau ernannt. Doch verblieb er zunächst in 
seiner Stellung als Hospitalarzt, bis er im Jahre 1859 die Direktion 
der Poliklinik an der Universität übernahm. 

Schon früher hatte er sich mit der Schwester eines schweren 
Patienten, der Tochter eines friesischen Arztes vermählt, mit der es 
ihm vergönnt war, 32 Jahre in glücklichster Ehe zu leben. 

Im Jahre 1860 wurde Rühle als Direktor der mediciniscben 
Klinik nach Greifswald berufen und im Jahre 1864 folgte er einem 
Rufe in gleicher Eigenschaft an die Universität Bonn. Schon zuvor 
hatte er seine Kehlkopfkrankheiten geschrieben, und in Bonn 
beschäftigten ihn vor Allem die Erkrankungen des Herzens und 
der Lungen. Rühlg’s „Tuberculose“ in v. Ziemssen’s Handbuch 
ist allgemein bekannt, so dass es überflüssig ist, ausführlich darauf 
einzugehen. Ein tüchtiges Stück Geschichte der Medicin liegt 
zwischen der ersten und zweiten Auflage: die grossen Ent¬ 
deckungen R. Koch’s. Wie schwer es auch dem älteren Kliniker 
werden mag, an Stelle alter lieb gewordener Anschauungen neuere 
berechtigtere Auffassungen zu setzen, hier zeigt sich die Grösse kri¬ 
tischen Geistes und die Fähigkeit grosser Auffassung. Und beides hat 
Rühle bewiesen, indem er Koch’s Entdeckungen sich zu eigen machte 
und sie mit den klinischen Beobachtungen zu verschmelzen wusste. 

Aber nicht allein ein tüchtiger Gelehrter war Rühle, er war 
auch ein vorzüglicher Mensch, der stets das Beste wollte. Als die 
neue inediciniscbe Klinik bezogen war, da wollte er alles, was an 
Specialfächern dem grossen Gebiete der inneren Medicin angehörte, 
unter einem Dache vereinigen, den Unterricht der Studirenden und 
die wissenschaftlichen Bestrebungen in gleicher Weise fördernd. 
So wurde das Ambulatorium für Laryngologie erweitert, die Kinder¬ 
poliklinik einem besonderen Docenten übergeben, das chemische 
Laboratorium der Klinik dem Lehrer der physikalischen Unter¬ 
suchungsmethoden übertragen, so wurde auch der Unterzeichnete 
veranlasst, sich in Bonn zu habilitiren, um an der Klinik ein Am¬ 
bulatorium für Nervenkrankheiten einzurichten. 

Es war ein fröhliches Leben in gemeinsamer Arbeit, welches 
sich in der neuen Bonner Klinik entfaltete, und wie sehr Rühle 
sich an diesen seinen Bestrebungen und dem nicht fehlenden Er¬ 
folge freute, das zeigen seine Mittheilungen ans der medicinischen 
Klinik und Poliklinik in Bonn. Man kann ja gewiss zweifelhaft 
sein, ob die von Rühle als zweckmässig betrachtete Eintheilung 
des klinischen Unterrichts in die Hauptklinik und eine Anzahl von 
Nebenfächern mit besonderem Ambulatorium zweckmässig ist, oder 
ob nicht eine Klinik und eine besondere Poliklinik noch ent¬ 
sprechender sind, jedenfalls hat sich Rühle der Einsicht nicht 
verschlossen, dass ein klinischer Lehrer für den Unter¬ 
richt in der klinischen Medicin nicht mehr genügt. 

Dass Rühle in hohem Grade die Verehrung seiner Fach¬ 
genossen, seiner Schüler besass, das bedarf wohl keiner besonderen 
Erwähnung. Dazu brauchte man nur die letzten Congresse für 
innere Medicin zu besuchen, brauchte nur einmal mit Schülern von 
ihm zusammengetroffen zu sein. Seine geistige Frische, sein fröh¬ 
liches Temperament, sein liebenswürdiges Entgegenkommen gegen 
jüngere Collegen und Untergebene, sowie gegen seine Patienten, 
welchem Stande sie auch angehörten, gewannen ihm Aller Herzen. 
Edel und gut, und treu seinen Pflichten zu sein, das war von je 
sein Bestreben und blieb es bis zum Tode. Eine fieberhafte Affec- 
tion befiel ihn in den letzten Tagen des Juni. Von den behandelnden 
Aerzten, seinem Sohne, Herrn Dr. Burger und Prof. Kussmaul, 
wurde eine eiterige Pleuritis diagnosticirt gleichzeitig mit älteren 
Schwarten der Pleura. Von einer Empyemoperation, welche, wie 
ich höre, projectirt war, wurde in Rücksicht auf alte Schwarten 
und hochgradige Schmerzen abgesehen. Zu den grossen Schmerzen 


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26. Juli. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


627 


gesellte sich daun eine bedeutende Schwäche, und am 11. Juli 
Nachmittags 4 Uhr trat der Tod ein. 

Die Obduction ergab Folgendes (Prof. Köster): Schädel und 
Gehirn gross, symmetrisch und ohne besondere Veränderungen, 
Basalgefösse ohne Atherom. Die Leber nach unteu gedrängt; von 
dem rechten Zwerchfell ist die äussere Hälfte trichter¬ 
förmig nach oben gezogen, die iuuere fast halbkugelig in 
die Bauchhöhle vorgewölbt. Nach Eröffnung der Brusthöhle er- 
giebt sich, dass der Trichter entstanden ist durch Verwachsung 
des Zwerchfells mit der Pleura costalis im 6. Intercostalraum 
nahe der Axillarlinie. Mit dieser Stelle ist auch der untere scharfe 
Rand der Lunge verwachseu; von hier aus zieht sich bis zum 
3. Intercostalraum eine stramme über daumenbreite Verwachsung 
des stumpfen Randes der Luuge und vou deren oberem Ende etwa 
im Verlaufe des 3. Intercostalraums ■ eine ebeuso breite Ver¬ 
wachsung bis herüber zum Mediastinum; der hiutere Theil des 
Oberlappens der Lunge war platt verwachsen. 

So waren 3 Hohlräume gebildet, ein unterer vorderer, 
ein hinterer und ein oberer vorderer, alle drei staudeu 
durch eine über fingerdicke Oeffnung miteinander in Verbindung 
und waren angefüllt mit etwa 2 Liter einer gelblich eitrigen 
Flüssigkeit von nicht ganz gutem Geruch und waren von einer 
theilweise über Millimeter dicken pyogenen Membran ausgekleidet. 

Die rechte Lunge war in ihren unteren zwei Dritteln vollständig 
comprimirt, luftleer, die Spitze lufthaltig ödematös, ohne jeg¬ 
liche Residuen älterer Processe. 

Etwa in der Mitte der Brusthöhle rechts neben der Wirbelsäule 
eine über Taubenei grosse trüb infiltrirte Lymphdrüse ohne Knötchen, 
daneben ein erbseugrosses Eiterherdchen im mediastinalen Zellge¬ 
webe; keine Erkrankung der Wirbelsäule. Die linke Lunge total 
verwachsen, blutreich und ödematös lufthaltig, im oberen Lappeu 
uahe der Spitze und uach hinten eine schlaff-blassgraue, 5:7 cm 
grosse Hepatisation und in deren Mitte eiu über kirschgrosser 
Abscess mit gaugränescireudeu, der Wandung anhäugendeu Fetzeu 
Lungeugewebes; die Höhle ist nicht mit pyogener Membran abge¬ 
grenzt. Auch in dieser Lunge fiudeu sich keine älteren Verände¬ 
rungen. 

Das Herz ist, abgesehen vou Spuren alter Endocarditis, 
ohne Anomalie, die Coronargefässe und die Aorta zeigen keine 
Spur von Atherom. 

Die grossen Unterleibsdrüseu sind völlig normal mit Ausnahme 
einer kleinen embolischeu Narbe in der linken Niere. 

Die Harnblase ist ausserordentlich weit; die hintere Wand ober¬ 
halb des Trigonums nach hinten ausgebuchtet, enthält viel Harn- 
säuregries, ein Stückchen bis zu Linsengrösse; unterhalb der Mün¬ 
dung des linken Ureters ein 10 Pfennigstück grosses, ganz super- 
ficielles hämorrhagisches Ulcus. Die Prostata ist nicht vergrössert. 

Culturen von der rechten Pleura und vou der infiltrirten 
Stelle der linken Lunge entnommen zeigten, wie mir Herr Prof. 
Ribbert mitzutheilen die Güte hatte, ein reiches Wachsthum von 
kettenförmigen Cocceu, die indessen *eiue bestimmte differenzirbare 
Form bis jetzt nicht erkennen Hessen. Rumpf. 

XIV. Die Centralhülfecasse für die Aerzte 
Deutschlands. 

Am 31. Mai fand iu Berlin unter dem Vorsitz des Herrn Geh. Ratli 
Dr. A bar baue 11 die 7. ordentliche Delegirten Versammlung der Central- 
hülfskasse für die Aerzte Deutschlands statt, deren Verhand¬ 
lungen ein erfreuliches Resultat der bisherigen Geschäftstätigkeit dieser 
segensreichen Institution documentirt haben. Die Zahl der Mitglieder 
beträgt 239, das Gesammtvermögeu' 137 593 Mk. 11 Pf., wie sich aus der 
weiter unten folgenden Bilanz ergiebt. Der Leitung der Hülfskasse sind 
vielfache Anerkennungen zu Theil geworden, für die prompte uud humane 
Art und Weise, in welcher die Centralhülfskasse ihren Verpflichtungen 
nachkommt. Seit dem 1. Juli ist auch eine temporäre Invaliditäts- (Kranken-) 
Kasse in Wirksamkeit getreten. Iu den Aufsichtsrath neugewählt wurden 
die Herren Geh. Rath Dr. Abarbanell (Berlin), Professor Dr. B. Fraenkel 
(Berlin), San.-Rath Dr. R. Koch (Berlin), Prof. Oscar Liebreich (Berlin), 
Geh. Rath. Dr. Passauer (Gumbinnen), Geh. Rath Dr. Röder (Dt. Lissa). 
Das durch Ausloosung ausgeschiedene Direktionsmitglied Dr. Herold wurde 
wiedergewählt. 

Bilanz per 31. März 1888 
der Centralhülfskasse für die Aerzte Deutschlands. 


A c t i v a. 

1 

Hk. Pf. 

Passiva. 

Hk. Pf. 

Cassa-Conto. 

1 

15316 

Grundfonds-Conto der Iu- 


Inventarien-Conto . 


689 75 

validitätscasse. 

8584415 

Effecten-Conto . . . 


13469220 

Gruudfouds-Conto der tem- 


Reichs - Hauptbank- 



poräreu Invaliditäts- 




1068 — 


42932 9 

Conto Novo. 


990- 

J. J. Sachs-Stiftung .... 

344145 




M. M. Eulenburg-Stiftung . 

530042 




Beihülfe-Conto -. 

75- 



13759311 


Ü5755FTT 


Gewinn- uud Verlust-Conto. 


Verluste. 

Mk. Pf, 

i 

Mk. Pr 

Inventarien-Conto . 
Drucksachen-Oonto . 
Renten-Conto .... 

3630 

7180 

36250 


Krankengeld-Conto . 
Unkosten-Conto . . 

71151 

300681 

"418892 

Uebertrag des 
Nettogewinns: 
aiifGrundfonds-Conto 
der Invaliditätscasse 

1486233 


auf Grundfonds-Conto 



der temporärenln vu- 
liditäts- (Kranken-) 
Casse . 

7431 16 

2229349 



2648241 


Vorstehende Bilanz, sowie das Gewinn- 
uud Verlust - Conto sind von mir geprüft 
und mit den ordnungsmfissig geführten 
Büchern iu Uebereinstimmung befunden 
wordeu. 

Berlin, deu 20. Mai 1888. 

gez. Anglist Wolff, 
gerichtlicher Bücherrevisor. 


Gewinne. 

j 

Mk. Pf. 

Effecten-Conto ■ . . 


160330 

Eintrittsgeld-Conto . 


375 — 

Gebühren-Conto . . 


34- 

Beitrags - Conto der 



Invaliditätscasse . 


1717057 

Beitrags - Conto der 
temporären Invali- 



ditäts - (Kranken-) 


316561 

Casse . 



Zinseu-Conto .... 


413393 



26482 41 


Berliu,den 30. April 1888. 

gez. Abarbanell, 

Vorsitzender des Aufsicblsratbes. 
gez. R. Koch, 

stellv. Vorsitzender des Aufsichtsrathes. 
Das Dlrectorium. 
gez. Leyden, gez. t. Foller, 

Obmann. Obmann I. V. 

gez. H. Rosentkal. gez. Dr.Marenne. 
gez. Dr. Herold. 


XV. Kleine Mittüeilungen. 

— Berlin. Die Verhandlungen des siebenten Congresses für 
innere Medicin, herausgegeben von Leyden und Emil Pfeiffer, im Ver¬ 
lage von J. F. Bergmann in Wiesbaden, sind soeben zur Ausgabegelangt. Von 
Jahr zu Jahr konnten wir an der Hand dieser Verhandlungen über das Gedeihen 
des Congresses und seinen weittragenden Einfluss auf die weitere Entwicke¬ 
lung und Ausgestaltung der inneren Medicin berichten. Nicht minder wird 
das aus den jüngst erschienenen Arbeiten ersichtlich. Die lichtvollen Referate 
Oertel’s und Lichtheim’s: „Ueber die chronischen Herzmuskelerkrau- 
kungen und ihre Behandlung 1 “, die Referate von Binz und Jaksch: „Der 
Weingeist als Heilmittel“, welche auch die weitergehenden und für die Ge¬ 
sellschaft so hochwichtigen Fragen nicht nur streifen, sondern in der an¬ 
regendsten und fruchtbarsten Weise discutiren, die sachlichen Referate des 
in Fragen der Hygiene bewährten Dr. August Pfeiffer in Wiesbaden und 
des ebenso gelehrten, wie geistvollen Prof. Cautani: „Ueber die Verhütung 
und Behandlung der asiatischen Cholera“, vereinen sich mit den Vorträgen, 
Demonstrationen und den sich anschliessenden Discussionen, um auch diesem 
jüngsten Congress die Signatur einer trotz ihres kurzen Bestehens iu vollster 
Kraft stehenden und Frucht an Frucht sammelnden Arbeitsstätte zu verleihen. 
Der Inhalt des stattlichen Bandes der Verhandlungen umfasst ausser den 
oben genannten Referaten die folgenden Vorträge mit den sieb daran schliessen- 
den Discussionen: Ueber das VVanderherz, von Prof. Dr. Rumpf; Experi¬ 
mentelle Untersuchungen über die Innervation der Athembewegungen, von 
Prof. Dr. Unverricht; Ueber locale Anästhesie, von Prof. Dr. Liebreich; 
Heber combinirte Degeneration des Rückenmarks, von Prof. Dr. Adarn- 
kiewicz; Zur Diaguose des atrophischen Magenkatarrhs, von Docent Dr. 
W. Jaworski; Ueber die Verschiedenheit in der Beschaffenheit des nüch¬ 
ternen Magensaftes bei Magensaftfluss (Gastrorrhöa acida), vou Docent Dr. 
W. Jaworski; Zur Behandlung der Oesophagusstricturen, von Geh. Med - 
Rath Prof. Dr. Leyden; Experimentelle Untersuchungen über Tuberculose, 
von Dr. Cornet; Ueber die Umwandlung des Blutfarbstoffes in Gallenfarb¬ 
stoff, von Prof. Dr. Wilhelm Filehne; Ueber cryptogenetische Septico- 
pyämie, von Prof. Dr. v. Jürgensen; Harnsäureausscheidung und Harn- 
säurelösuug, von Dr. Emil Pfeiffer; Ueber den Bau uud die Entstehung 
der endocarditischen Efflorescenzen, von Prof. Dr. Ziegler; Zur Patho¬ 
genese des epileptischen Anfalles, von Prof. Dr. Binswanger; Ueber den 
Fermentgehalt des Urins unter pathologischen Verhältnissen, von Docent Dr. 
Leo; Ueber den experimentellen Nachweis der Aufnahme von Infeetions- 
erregern aus der Athemluft, von Dr. H. Büchner; Ueber Masern, von Dr. 
Seifert; Ueber die Anwendung der pneumatischen Kammern bei Herz¬ 
leiden, von Dr. v. Liebig; Zur physikalischen Diagnostik der mechanischen 
Insufficienz des Magens, von Prof. Dr. Dehio; Die verschiedenen Formen 
der croupösen Pneumonie, von Prof. Dr. Finkler; Demonstration von unter 
Glyceriuzusatz gezüchteten Tuberculosebacillen, von Dr. Aug. Pfeiffer; 
Demonstration eines Präparates vou Xanthelasma eordis, von Prof. Dr. 
W. Leube; Ueber das Verhalten des Harns nach Naphthalingebrauch, von 
Prof. Dr. Edlefsen; Fortpflanzung des Wuthgiftes längs der Nerven und 
Pasteur’s Schutzimpfungen, von Prof. Dr. Cantani; Demonstration vou 
Präparaten aus dem Gehirn Choreatischer, von Prof. Dr. Paul Flechsig; 
Zur Therapie des Morbus Basedowii, von Prof. Dr. Berthold Stiller; Zur 
Diagnostik der Nierentumoren, von Prof. Dr. Berthold Stiller. — Die 
Ausstattung ist die bekannte frühere, d. h. eine vorzügliche. 

— Königsberg i. Pr. Im Anschluss au die pathologisch-anatomische 
Anstalt der Universität wird eiu bacteriologisches Laboratorium er¬ 
richtet, zu dessen Leitung Prof. e. o. Dr. Baum garten auserseheu ist. 

— Würzburg. Prof. Lehmauu hat den an ihn ergangenen Ruf 
als Professor der Hygiene uach Giessen abgelehnt, da die Facultät und der 
Senat auf seine Wünsche betr. die Errichtung eines hygienischen Instituts 
eingegangen sind. 

— Hamburg. Mit Bezugnahme auf die in der letzten Nummer von 
uns gebrachte Nachricht über die Besetzung der Stelle eines Direktors 
am allgemeinen Krankenhause können wir mittheilen, dass Professor 
Immermann (Basel) eine Candidatur abgelehnt hat. 

— Bern. An Stelle des nach Königsberg berufenen Prof. Dr. Licht¬ 
heim ist der Priv.-Doc. der Berner Facultät Dr. Sahli zum ord. Professor 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30 


628 


und Direktor der medicinischen Klinik ernannt worden. In Vorschlag ge¬ 
bracht waren seitens der Facultät: Brieger (Berlin), Sahli, Schultze, 
Litten (Berlin), Käst (Freiburg). 

— Wien. Als Nachfolger von Professor Leidesdorf in der Leitung 
der Wiener Irrenklinik ist Professor Krafft-Ebing in Graz ausersehen. 

— Rom. Professor Salvatore Tommasi ist im nahezu vollendeten 
75. Jahre in Neapel verschieden. Seine frühesten medicinischen Studien 
machte er in Aquila, mit 33 Jahren errang er bereits den Lehrstuhl der 
speciellen Pathologie in Neapel. Seine Jugend- und Studienjahre fielen 
in eine Zeit, wo es in Italien ein halbes Dutzend medicinische Schulen gab, 
Tommasi vereinigte sie. Als Arzt und akademischer Lehrer war er gleich aus¬ 
gezeichnet. Tommasi war 1813 zuRoccaraso in den Abruzzen geboren, studirte 
Naturwissenschaften in Neapel, wurde 1838 zum Doctor promovirt, 1844 Pro¬ 
fessor der internen Pathologie, welche Stelle er 1849, politischer Umtriebe 
angeklagt, verlor. Nach einem Aufenthalt im Auslande studirte er in Turin 
Physiologie und klinische Medicin, war auch zugleich als Docent und Arzt 
thätig. In Turin vollendete er sein Hauptwerk „Manuale de fisiologia“, 
welches drei Auflagen erlebte, 1865 wurde er Professor der medicinischen 
Klinik in Neapel, nachdem er 5 Jahre in Pavia das gleiche Amt bekleidet 
hatte. Von Tommasi’s Schriften sind noch hervorzuheben seine Kritik 
gegen die Rasori’sche Schule Norditaliens, gegen das System Bufalini’s in 
Mittelitalien und gegen eine dritte, in Süditalieu herrschende Richtung, wo¬ 
nach alle Krankheiten auf hypothetischen Diathesen beruhten und speciiischer 
Mittel bedurften. Diese Kritik ist in seinem Werke „Rinovameuto della 
medicina italiana“ gesammelt, ein anderer Band enthält eine Sammlung von 
Artikeln klinischer Casuistik und Comptes-rendus. ln den letzten 16 Jahren 
seines Lebens kränkelte Tommasi und musste sich in seinen Vorlesungen 
vertreten lassen. 

— Budapest. Universitäts-Professor Dr. Koloman Balogli, Decan 
der medicinischen Facultät, ordentliches Mitglied der Akademie der Wissen¬ 
schaften, ist nach langem Leiden im Alter von 53 Jahren gestorben. Ba- 
logh hat eine rastlose und vielseitige Thätigkeit entwickelt. Neben seinem 
Vertragsgegenstand, der Pharmakologie und Pharmakognosie, versah er seit 
Jahren das Amt eines Decans, nahm er hervorragenden Autheil an der 
Schaffung einer ungarischen Pharmacopoe, zu welcher er auch einen 
üommentar schrieb, und war einer der eifrigsten mediciuischen Fachschrift¬ 
steller in Ungarn. Auch die ungarische periodische medicinische Literatur 
verliert in ihm einen der tüchtigsten Repräsentanten, insbesondere die 
Wochenschrift „Orvosi hetilap“, dessen Hauptmitarbeiter er gewesen. 

— Charkow. Professor V. Laschkewitsch, Direktor der thera¬ 
peutischen Klinik, ist gestorben. 

— Paris. Die zweite Versammlung des Internationalen Con- 
gresses für Hydrologie und Klimatologie wird an einem noch zu 
bestimmenden Tage im October des nächsten Jahres in Paris unter dem 
Vorsitz von M. E. Renon, Direktor des meteorologischen Observatoriums 
und Vicepräsident der meteorologischen Gesellschaft, stattfindeu. Als General¬ 
sekretär fungirt Dr. F. de Ranse. 

— Italien. Am 10. October d. J. wird in Bologna ein Italie¬ 
nischer Congress für Hydrologie und Klimatologie unter dem 
Vorsitz von Prof. Murri abgebalten werden. Mit demselben wird eine 
Ausstellung verbunden sein. (Rif. med.) 

— Zur medicinischen Publicistik. ln Paris erscheint unter der 
Kedaction von Dr. J. Roussel eine neue Zeitschrift unter dem Titel 
„La medecine bypodermique, antisepsie medicale au rnoyen 
des injections sous-cutanees.“ 

— Preisausschreiben. Das Mailänder Institut für Wissenschaften, 
Künste und Literatur hat u. a. folgende medicinische Preisaufgaben, 
au deren Lösung auch Nichtitaliener sich betheiligen dürfen, ausgeschrieben: 

1) Erster Preis Caguola (1500 Lire und eine goldene Medaille im Werth 
von 500 Lire): Geschichte des Hypnotismus. Kritische Prüfung allen Ma¬ 
terials, das sich auf denselben bezieht, und Ausführung eigener Erfahrungen. 
Ablieferungszeit der Arbeiten bis zum 30. April 1889. 2) Zweiter Preis 
Cagnola (2500 Lire und eine goldene Medaille im Werth von 500 Lire). 
Eine hinreichend erwiesene Entdeckung über die Heilung der Pellagra, oder 
über die Natur der Miasmen und Contagien. Ablieferungszeit der Arbeiten 
bis 31. December 1888- 3) Preis Fossatis (4000 Lire). Ueber die 

Embryogenie des Nervensystems oder eines Theiles desselben bei den 
Säugethieren, mit Illustration eigener Untersuchungen. Ablieferungszeit bis 
zum 30. April 1890. Nähere Fragen über diese Preisaufgaben beantwortet 
La Segreteria del R. Istituto Lombardo di Scienze, Lettere ed Arti, Pala 
770 di Breza, Milano. 

— Der Preis der kaukasischen medicinischen Gesellschaft 
ist in diesem Jahre Herrn Dr. Kucharski in St. Petersburg für seine 
Abhandlung „Ueber den Mikroorganismus des Trachoms“ zuerkannt i 
worden. Die Arbeit ist im Jahrbuch der genannten Gesellschaft erschienen. 

— ln Omaha (Vereinigte Staateu) besteht eine sonderbare medi- I 
cinische Gesellschaft „Omaha Medical Club“, der keine Statuten, keinen I 
Präsidenten, kein Amt irgend welcher Art hat. Jeder Arzt kann ohne Zahlung ; 
eines Beitrages Mitglied dieser Gesellschaft werden. Die Gesellschaft ver- 
sammelt sich zweimal wöchentlich bei demjenigen ihrer Mitglieder, das eine 
Mittheilung zu machen wünscht. Nur die Vorschriften der einfachsten 
Höflichkeit müssen von den Mitgliedern beobachtet werden. Anscheinend 
nimmt diese Gesellschaft und ihre Erfolge von Jahr zu Jahr zu. (Bulletin 
medical No. 56.) 

— Sammelforschung über die Umwandlung gutartiger Neu¬ 
bildungen des Larynx in bösartige. lu der Julinummer des „Inter¬ 
nationalen Centralblatts für Laryngologie“ ist das Resultat der von Dr. Se- 
mon veranstalteten Sammelforschung über das vermuthete Bösartigwerden '• 
gutartiger Neubildungen des Larynx durch intralaryngeale Operationen zu¬ 
sammengestellt. 107 Beobachter haben Nachrichten über 10 747 gutartige 
und 1 550 böeartige Neubildungen eingeaandt. Von diesen 10 747 sind 


8 216 intralaryngealen Operationen unterworfen worden, darunter 3 382 Fälle 
von Papillom. Eine anscheinende Umbildung gutartiger Neubildungen in 
bösartige ist in 32 Fällen angegeben. Jeder dieser Fälle erfordert eine 
sehr sorgfältige Kritik, ausserdem werden noch 16 dieser Fälle von denen, 
die darüber berichten, als zweifelhaft bezeichnet und sind deshalb nicht zu 
verwenden. Es ist eine offene Frage, ob nicht die übrigbleibenden 16 Fälle 
gemischte Neubildungen in sich schliessen, ferner enthält die Statistik 12 
Fälle, in denen nicht intralaryngeal operirt wurde, und man doch eine 
ähnliche Umwandlung in der Natur der Neubildung zu bemerken zu haben 
glaubte. Aber abgesehen von allen diesen Einwürfen trifft nach dieser Sta¬ 
tistik ein Fall vermutheter Umwandlung auf 513 Fälle intralaryngealer 
Operationen. Daraus ergiebt sich sofort, dass, wenn das Verfahren die 
Natur der Neubildungen irgenwie wesentlich modificirte, die Anzahl der 
Fälle von Umwandlung eine viel grössere sein müsste. Erwägt man die 
enormen Vortheile des intralaryngealen Verfahrens, so muss es lebhaft be¬ 
friedigen, dass so zwingend dargethan ist, dass es nicht die schweren Gefahren 
mit sich bringt, die man hier und da befürchtet hat. (Lancet, Juli 1888.) 

— Zur Statistik der Heilbarkeit des Krebses. (Correspondzbl. 
f. Schweizer Aerzte No. 14). Dr. E. v. Meyer hat sich die Mühe ge¬ 
nommen, über das Schicksal der 1867—1878 im Züricher Cantonsspital 
operirteu klinischen Krebskranken Nachforschungen anzustellen. Es sind 
256 Fälle; von diesen lebten vor 10 Jahren noch 98 (vide Arbeit von 
Fischer im XIV. Band (1881) der deutschen Zeitschrift für Chirurgie), 
v. Meyer hat diesen 98 nachgefragt und über 64 positive Antwort er¬ 
halten. Das Resultat ist folgendes: Von den 64 leben jetzt nocl» und sind 
gesund: 22; 19 sind inzwischen recidivfrei an anderen Krankheiten ge¬ 
storben. Von den 22 Lebenden sind folgende Heilungsbestände zu 
notiren: 4 von 19—20 Jahren; 6 von 16—18 Jahren; 6 von 12—15 Jahren 
und 4 von 9 —12 Jahren. Die bei den jetzt noch lebenden und recidivfrei 
Gestorbenen operirten Tumoren waren 25 Mal Curcinom (4 Mamma, 6 Nase, 

5 Lippe, I Unterkiefer, 1 Rumpf, 2 Extremitäten 5 Genitalsphäre, 1 Kopf), 
10 Mal Sarcom, 2 Mal Cystosareome und 3 Mal andere Tumoren (Melano- 
sarcom etc.). Infiltration von regionären Lymphdrüsen waren 4 Mal vor¬ 
handen ; um Recidivoperationen handelte es sich 4 Mal (und zwar einmal 
um die Entfernung des dritten und einmal des vierten Recidivs und trotz¬ 
dem definitive Heilung!) Aus der Zusammenstellung der an localen 
j oder metastatischen Recidiven gestorbenen Krebsoperirteu geht hervor, dass 
die Recidive fast immer innerhalb eines Jahres (nur einmal später 
als 2 Jahre) auftraten. Die Ergebnisse der v. Meyer’schen Arbeit 
(„Deutsche Zeiischr. f. Ohir.“ XXVHI 1 und 2) siud sehr erfreulich, be¬ 
weisen die Heilbarkeit des Krebses und ermuthigen zu activem Vorgehen 
gegenüber dieser schrecklichen Krankheit. 

— Unter den italienischen Truppen in Massaua ist eine durch 
Distomum hämatobiuiu verursachte Krankheit epidemisch aufgetreten. 
Es wurde aus diesem Anlass eine ärztliche Commission berufen. 

— Universitäten. Lille. Dr. Debierre wurde zum Professorder 
Anatomie ernannt. — Charkow. Die DDr. M. F. Popow und E. F. Bell in 
haben sich für Hygiene bezw. gerichtliche Medicin als Privat-Docenten habilitirt. 

XV. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen; S. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem Privatdocenten, praktischen Arzt Sanitätsrath Dr. 
Ludw. Mayer in Berlin den Charakter als Geheimer Sanitätsrath, sowie 
dem Bezirks-Physikus Dr. Richter und dem praktischen Arzt Dr. Citron 
ebendaselbst und dem praktischen Arzt Stabsarzt a. D. Dr. Steffen zu 
Charlottenburg den Sanitätsrathstitel zu verleihen. — Ernennung: Der seit¬ 
herige Kreiswundarzt des Kreises Oschersleben, I)r. Heike in Groeningen ist 
zum Kreisphysikus des Kreises Wernigerode ernannt worden. — Nieder¬ 
lassungen: Die Aerzte: Dr. Strecker, Jak. Wolff und Grünfeld in 
Berlin, Dr. Levin in Belgard. Dr. Eugen Pietrusky in Wüstewaltersdorf, 
Dr. Limpricht als 3. Arzt der Prov.-Irrenanstalt und Dr. Loewy, beide 
in Bunzlau. Dr. Kisuer in Fischbach, Dr. Rosettenstein in Görlitz, 
Rammelt in Giebichenstein, Dr. Hetzold in Eisleben. Dr. Utpadel in 
Tennstedt, Dr. Thunnann in Auklain, Dr. L&udsberg in Stettin, Dr. 
Bloch, Dr. Seharlam und Dr. Eckardt, sämmtlich in Breslau, Dr. Joel 
in Görbersdorf, Nischkuwsky in Trachenberg, Dr. Koehler in Soden, Dr. 
Hüter in Höchst, Dr. Koempel in Frankfurt a. M., Dr. Hagen in Weissen¬ 
thurm, Dr. Jaekel in Kempfeld, Dr. Salomon Lazarus in Berlin, Dr. 
Paul Neisser in Berlin, Dr. Münzer in Wildemann, Dr. Drecker in 
Rheine, Hilker in Warstein, Dr. Anton in Unna-Königsborn, Dr. Berg¬ 
mann und Dr. Friedrich in Elberfeld, Dr. Hennes in Lobberich, Kroe- 
nier in Beelitz. Die Zahnärzte: Bernstein in Berlin, Schareck in 
Lipa i. P., Niepage in Klausthal. 

2. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Niederlassungen: Albert 
Frhr. v. Schrenk, approb. Arzt, Dr. Joseph Katzenstein, Dr. Joseph 
Lammert, Assistenzarzt am Leisingerianum in München, Dr. A. Laurer 
in Müggendorf, B.-A. Ebermanustadt, der prakt. Arzt Dr. Heinrich 
Pürckhauer in Hollfeld, B.-A. Ebermannstadt, Dr. Franz Schmidt, 
approb. 1888, zu Hochsheim, B.-A. Schweinfurt, Dr. Max Mayer, prakt 
Arzt, in Nabburg, Dr. Richard Krafft, prakt. Arzt, in Pyrbaum, Dr. 
A. Krenig in Poppeulauer, Dr. L. H. A. Sturm in Strassbessonbuch. — 
Verzogen: Dr. Johann Köhler von Hochsheim nach Kaufbeuren. 
Dr. Georg Gaitt von Waldmüncheu nach München, -Dr. Ekarius von 
München. — Ruhestandversetzuug: Bez.-A. I. CI. Dr. M. J. Moerprelä 
in Miltenberg. — Gestorben: Hofmedicus Dr. L»dw. Koch in Müuchen. 

3. Württemberg. (Med. Corr.-Bl. d. Württemb. ärztl. Land.-Ver.) 
Ernennungen: Der tit. Ob.-Med.-R. Dr. Landenbeij^er in Stuttgart 
zum wlrkl. Ob.-Med-R. Der z. Hülfsarbeiter bei dem K. Med.-Collegium 
berufene prakt. Arzt Dr. A. Burkart in Stuttgart z. Med.-Rath. 


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Gedruckt bei Julius Sittenfeld ln Berlin W. 










Donnerstag 


AS 81 . 


2. August 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Tlileme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Perineoplastik. 1 ) 

Von Professor Dr. Zweifel in Leipzig. 

Schon vor zwei Jahren wollte ich den geehrten Herren Collegen 
hei dem Congress in München im Anschluss an den Vortrag von 
Knstner eine kurze Empfehlung für die Dammplastik nach Lawson 
Tait Vorbringen. Die damalige Situation war jedoch der Art, dass 
keine Diseussion mehr stattfinden konnte, wenn vor dem Schluss 
des Congresses die Tagesordnung erledigt werden sollte. — Inzwischen 
ist durch die Veröffentlichung von Sänger 2 ) das von Lawson Tait 
befolgte Princip in ausführlicher Weise erörtert worden. 

Nachdem ich in den zwei verflossenen Jahren Gelegenheit ge¬ 
funden, alle concurrirenden Methoden zu üben und zu vergleichen, 
bin ich heute noch eher in der Lage, die Vortheile der verschie¬ 
denen einschlägigen Verfahren von Dammplastik abzuwägen. 

Ich hatte vor drei Jahren 3 ) die Operation des completen 
Dammrisses mittelst Lappenbildung nach Lawson Tait auf Grund 
dreier eigener Fälle wärmstens empfohlen. Es hat aber offenbar 
mein Hinweis auf dieses Verfahren nicht viel beigetragen, die sehr 
nützliche und zweckmässige Operation in Deutschland zu verbreiten. 

Keineswegs kann ich glauben, dass, wie Sänger annimmt, die 
Beschreibung so schwer verständlich war, dass nicht leicht Jemand 
danach die Operation hätte machen können. Es sind alle 
plastischen Operationen schwer zu beschreiben, besonders aber die¬ 
jenigen am Damm, weil hier niemals eine einfache Lappenverschie¬ 
bung vorgenommen wird. Ich habe meine Beschreibung wiederholt 
nachgeleseu und halte die Präparation des Lappens und die Führung 
der Nadeln noch jetzt für ausreichend 
klar angegeben, um die Operation 
nachmachen zu können. Schliesslich 
habe ich selbst mit einer viel kürze¬ 
ren Beschreibung des Autors in den 
Transactions of the obstetrical Society 
vorlieb nehmen müssen und sogar nach 
dieser die Operation recht gut ver¬ 
stehen können. 

Die Verhältnisse eines completen 
Dammrisses sind Ihnen gegenwärtig. 

In der Regel reicht in der Rectum- 
schleimhaut ein Schlitz einige (circa 
3 bis 4 cm) hoch hinauf, und seitlich 
befinden sich an den Nates die zwei 
abgeflachten strahligen Narben als 
Reste des einst vereinigt, gewesenen 
Dammes. In der Originalzeichnung 
Lawson Tait’s ist diese klaffende 
Rinne von dem Analrand in die 
Scheide hinauf dargestellt und schon nammplastik nach Lawson Tait's 
von oben an bis zum Analrand hinun- Dammriss. 

ter der Lappen unterminirt und zu- A V B * der T0 “ der Rcheidenschiefmhaut 
~ i * , r . r . i . abgetrennt« Lappen. C C Hautrand. 

rnckgeklappt g6Z6ichü6t. 1 u. 2 Scheidennähte, 3, 4, 5 u. 6 Damm- 

Soviel giebt jedenfalls die Ori- n&hte - 

ginalfigur von Lawson Tait mit unverkennbarer Deutlichkeit wie¬ 
der, dass nach aussen hin der Hautrand, beziehungsweise höher in 

l ) Nach einem Vortrage auf dem II. Congress der deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie in Halle a./S. 

’) Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge No. 301: Ueber Perineorrha- 
phie durch Lappenbildung. 1887. 

^ Krankheiten der äusseren Geschlechtstheile. Stuttgart, Enke, 1885. 


der Scheide der Schleimhautrand dargestellt und von ihm ein Lappen 
abgehoben und leicht nach einwärts, beziehungsweise nach rückwärts 
geschlagen ist. 

Lawson Tait nimmt nun zur Unterminirung dieses Lappens 
eine spitze Kniescheere; ich habe diesen Act sowohl mit Messer als 
Scheere gemacht und halte es mehr für Geschmackssache und prin- 
cipiell ganz unwesentlich, ob man das eine oder das andere Instru¬ 
ment zur Hand nimmt. Selbst den Grund, dass es mit der Scheere 
weniger blute, möchte ich nicht hoch anschlagen, eher dagegen, 
dass man mit dem Messer bei plötzlicher, unerwarteter Unruhe der 
Kranken etwas zu tief und ein Fenster schneiden könnte. Was die 
Geschwindigkeit betrifft, so würde nach meiner Erfahrung gerade 
dem Messer der Vorzug zu geben sein. 

Das Umschneiden des Lappens ist also auf der Zeichnung genau 
genug als ein Abpräpariren von dem Rectumvaginalschlitz darge¬ 
stellt. Der Schnitt wird von diesem Schlitz an beiden Seiten vorn 
hinausgeführt nach der Stelle, wo die neu zu bildende hintere 
Coramissur liegt. Von da aus werden die Schnitte an der Damm¬ 
haut bis zum Analrand senkrecht geführt, die Lappen unterminirt 
und zurückgeklappt. Wie der Schnitt gehe, ob genau auf der Grenze 
zwischen Rectum und Vaginalschleimhaut oder mehr auf der vagi¬ 
nalen Seite, ist ohne Bedeutung — das muss sich den gegebenen 
Verhältnissen anpassen. Jedenfalls ist es Princip, den Lappen nicht 
zu dünn zu nehmen, um ihn vor dem Absterben zu bewahren. 
Dass man zur leichteren Uebersichtlichkeit das ganze Operations¬ 
gebiet möglichst stark in die Quere spannen muss, das habe ich 
nicht ausdrücklich erwähnt. Das ist ein Punkt, den ich als selbst¬ 
verständlich bezeichne, denn es ist diese Entfaltung nothwendig, 
um die Sachlage übersichtlich zu machen, und diese Einstellung in 
Querspannung ist in meinem Buche über die Dammplastik an an¬ 
derem Orte angegeben. Diese Querspannung erreicht man am besten 
durch zwei in das Rectum eingefnhrte Finger der linken Hand, da 
dieselben zu gleicher Zeit das Rectum vor Nebeuverletzungen 
schützen. Vor der Aualöffnung wird der Lappen so breit gemacht, 
als man den Damm nach vom verlängern will. (Vergl. die Zeichnung.) 
Ist die Lappenbildung mit Scheere oder Messer ausgeführt, so 
kommt, falls nicht einzelne Arterien spritzen, sofort die Naht. 

Darüber ist folgendes bemerkenswerth: erstens wird der losge¬ 
löste Lappen nach rückwärts wie ein Dach über die Rectumspalte 
gezogen und mit scharfen Häkchen nach rückwärts gehalten, zweitens 
werden die Scheidennähte nicht senkrecht zu den Wundrändern, 
sondern in der Axe der Wunde gelegt, so dass sie grössere Flächen 
an einander bringen. 

Ausdrücklich habe ich von erster und zweiter Sch ei den naht 
gesprochen. Ihre Anlage ist wiederum leicht verständlich durch die 
Originalfigur von Lawson Tait. Aus der Zeichnung ist doch sicher 
für jeden Arzt erkennbar, dass die vier unteren Nähte Dammsuturen 
sind. Sollte dies meine Beschreibung schwer verständlich gemacht 
haben, dass ich es nicht ausdrücklich hervorhob? Die Anlage 
der Scheidennähte habe ich noch eingehender beschrieben. Ohne 
in das Rectum durchzustechen, gehen die Nadeln von einem Punkt 
des Wundrandes an der Vaginalschleimhaut aus, unter der ganzen 
Wunde durch an einen genau dem Einstichpunkt gegenüber liegenden 
Punkt des anderen Scheidenschleimhautwundrandes. Die zweite 
Naht hat ihren Ein- und Ausstichspunkt schon auf der Stelle der 
neu zu bildenden hinteren Commissur. Die Ein- und Ausstichs¬ 
öffnungen befinden sich relativ nahe am Scheideneingange, während 
die Fäden unter der Wunde hindurch mehrere Centimeter weiter in 
die Höhe reichen. Deswegen kommt man mit zwei Nähten aus. 



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630 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT No. 31 


Dieser Beschreibung, welche schon in meiner ersten Veröffentlichung 
enthalten war, habe ich nichts hinzuzufügen. Im Interesse der 
Praktiker will ich dagegen noch auf die eine Eigentümlichkeit 
Lawson Tait’s aufmerksam machen, dass er nie die Haut oder 
die Schleimhaut beim Einstich der Nadel mitfasst, sondern stets die 
Nadel, sei es eine gewöhnliche chirurgische oder eine gestielte Nadel, 
hart am Rande zwischen Wunde und Schleimhaut, doch noch inner¬ 
halb der Wunde, einsticht. Wir werden auf die besondere Be¬ 
deutung dieser Eigentümlichkeit noch zu sprechen kommen. 

Dies ist, was ich nochmals hervorheben will, ein Operations¬ 
verfahren, welches ausschliesslich für coraplete Dammrisse bestimmt 
ist. Seit Jahren wurden von mir alle Fälle von completem Damm¬ 
riss nach dieser Methode operirt und stets ideale, sichere Heilung 
erzielt, ja sogar zweimal, wo andere Methoden der Dammplastik 
nicht zur Heilung geführt hatten. 

Ein anderes Mal spaltete ich eine Mastdarmscheidenfistel, trotz¬ 
dem sie hoch oben sass, schnitt die Fistelränder aus, präparirte die 
Lappen in der eben beschriebenen Weise und heilte auch diese 
Wunde vollkommen glatt. Um den nach dem Rectum geschlagenen 
Lappen braucht man sich ebenso wenig zu kümmern, als Entspannungs¬ 
schnitte durch den Sphincter ani zu machen. 

Was nun Sänger als Lawson Tait’s Methode beschreibt, 
ist etwas anderes. Selbst abgesehen von dem Verfahren für 
den incompleten Dammriss, welcher nicht nach dieser eben 
gegebenen Vorschrift operirt werden kann, weichen auch die 
Angaben über die Nadelführung bei dem completen Damm¬ 
riss in einem ganz wesentlichen Punkt von den mehligen ab. 
Zum Beweis der Echtheit und Richtigkeit meines Referates brauche 
ich nicht einmal auf den Wortlaut der Transactions, sondern einzig 
und allein auf die absolut getreue Wiedergabe des Holzschnittes zu 
verweisen. Es muss also-Lawson Tait seine frühere Operat.ions- 
methode des completen Dammrisses verändert, ja nach meiner 
Meinung verschlechtert haben, oder es müsste ein Missverstandniss 
von Seiten Heiberg's vorliegen. 

Gehen wir nun zur Besprechung der von Sänger referirten 
Operationsmethode Lawson Tait's für den unvollkommenen 
Dammriss über, so beginnt die Operation mit Querspanuung des 
Septum rectovaginale durch zwei per Rectum eiugefiihrte Finger. 
Dann wird mittels einer spitzen Kniescheere ein Schnitt zwischen 
Haut und Schleimhautrand quer über die ganze Breite des Dammes 
gemacht und an den seitlichen Rändern Geradschuitte so weit nach 
vorn resp. aufwärts geführt, als man bei der Naht wieder ver¬ 
einigen beziehungsweise den Damm verbreitern will. 

Der so umschuittene Lappen wird durch die Scheere zwischen 
Scheiden- und Mastdarmschleimhaut circa 3—4 cm tief uuterhöhlt, 
und dann der vordere Lappen in die Höhe geschlagen. Mittels 
einer gestielten Nadel werden ausschliesslich vom Damme aus 
Silber- oder Silkwormgutnähte unter der Wundfläche quer von einer 
Seite zur anderen durchgeführt. Auch hier ist wieder zu betouen, 
dass die Haut nicht gefasst werden darf, sondern Ein- und Aus¬ 
stichstelle am Wundrande liegt. So werden 3—4 Nähte vom 
Damm aus gelegt, die im Grunde genommen versenkte Nähte 
sind. 

Dieselben treten mit den Knoten gerade aus dem geschlossenen 
Wundrand heraus. Zwischen dieselben werden von Lawson Tait 
keine Nähte gelegt nach seinen etwas eigenthiimlichen Anschauungen 
über Drainage. Hciberg und Sänger änderten dies mit vollstem 
Recht ab und legen Zwischennähte, welche die Hautränder ver¬ 
einigen. Dieses Verfahren hatte Lawson Tait früher (1879) noch 
nicht beschrieben. Genau demselben angepasst soll nach Sänger 
dessen neueste Operationsmethode für complete Dammrisse sein. 
Ich habe die sämmtlichen Verfahren geübt. 

Wenn ich auch nicht unbedingt dem Satze von Fritsch zu- 
stirarae, dass jede Methode der Dammplastik, bei welcher Wunden 
durch Wegschneiden von Schleimhaut geschaffen werden, theoretisch 
falsch sei, weil doch sehr oft hypertrophische, faltenreiche Schleim¬ 
hautwülste bestehen, welche bei Lappenbildung nur schwer unter¬ 
zubringen sind und den Enderfolg stören, so bin ich doch gauz 
einverstanden, dass die Dammplastik mit Lappenbildung die Normal¬ 
operation werden, und das Anfrischungsverfahren nur für Ausnahme¬ 
fälle bleiben wird. 

Was mir an der neueren Modification, wie sie Sänger referirte, 
nicht gefallt, das ist die Nahtanlegung. Es werden die Nähte 
nur vom Damm aus gelegt. Dadurch, dass sie keine Haut fassen, 
sind es versenkte Nähte, jedoch aus haltbarem Material, das 
nicht resorbirt werden kann. 

Wenn jedoch auf versenkte Nähte gegriffen werden soll, so 
sind unbedingt die verschiedenen präparirten Darmsaiten vorzu¬ 
ziehen, die einmal gelegt, auf Nimmerwiedersehen versenkt bleiben. 

Für die completen Dammrisse bin ich auch mit voller Absicht 
von der Versenkung der 2 Scheidennflhte zuriiekgekommeu, weil 


hier, da sie höher ein- und ausgestochen werden, keine Einziehung 
entsteht, wie dies am Damm erfolgt, wenn die Hautränder mit¬ 
gefasst und die Fäden unter der ganzen Wundfläche durchgeführt 
werden. 

Die so äusserst bequeme und von mir ausschliesslich geübte 
Dammplastik für complete Dammrisse sann ich schon lange für 
inc.omplete Rupturen umzugestalten und kam auf folgendes Ver¬ 
fahren. 

Der Dammriss II. Grades wird durch 2 in das Rectum einge¬ 
führte Finger stark in die Quere gespannt. Dann wird über die 
hintere Scheidenwand ein Längsschnitt bis zur Medianlinie des Dammes 
gezogen, welclier die Schleimhaut vollständig durchtrennt. Sitzt die 
Narbe links, so läuft der Schnitt mehr von links oben her, sitzt sie 
median, so läuft derselbe gerade über die Mitte der hinteren 
Scheidenwand herunter und, falls die Narbe die Columnae rugarmu 
'gabelförmig umgriffen hat, so werden derselben entsprechend 2Schnitte 
gemacht. 

Zwischen Vaginalschleimhaut und äusserer Haut kommen 
2 Querschnitte, und zwar werden dieselben so weit nach vorn bezw 
an der quer gespannten hinteren Comraissur so weit nach beiden 
Seiten geführt, als die Narbe reicht und der Damm wieder vereinigt 
werden soll. 



Dammplastik mit nach vorn umgeklapptem Srhcidoulapppii für incomplelc Diimnnis.*«’. 

In dieser Zeicbuung ist die fortlaufende Naht dargestellt. Vcrgl. den Text. 

Es entstehen so 2 dreizipfelige Lappen, die mit 1—2 kräftigen 
Messerzügen tief unterminirt werden. 

Nur wenn Arterien spritzen, braucht man sich mit der Blut¬ 
stillung: aufzuhalten, sonst beginnt sofort die Naht, und zwar eine 
fortlaufende Naht mit Juniperusölcatgut, oder Scheidennähte aus 
Seide oder Silkwormgut in ähnlicher Weise gelegt, wie sie oben tür 
den completen Dammriss beschrieben wurden. 

Der Schnitt in der Scheide fällt wenigstens 5 cm lang aus, und 
gerade weil man denselben länger machen kann als die Unter- 
höhiung des Lappens vom Damme aus, kann man auch von hoher 
oben au eine stärkere Querverengerung der neuen Narbe erzielen. 

Am Damm kann man, wenn nothwendig, einige Dauernähte mit 
Seide oder Seidenwurmdarm mittelst der gestielten oder «1er g<‘- 
wöhnlichcn Nadel legen. Es wird also aucfi bei diesem Verfahren 
nichts herausgeschnitten, ja eigentlich nur die Schleimhaut über 
dem muskulösen Damm durch eine untergeschobene quer gebildete 
Narbe gehoben. 

Ich weiss, dass dieselbe Schnittführung und Lappenbildmu: 
schon von Sänger als Verfahren von A. R. Simpson beschrieben 
ist und nur die von mir empfohlene fortlaufende Juniperuscatgutnam 
von diesem Verfahren abweicht. 

Doch bin ich auf diese Idee ganz unabhängig von der Publi- 
cation Sänger’s gelangt, einfach durch das Bestreben, die s<> 
äusserst vortheilhafte Lappenplastik der completen Rupturen nacti 
Lawson Tait’s erstem Vorschlag auf die incompleten zu über¬ 
tragen. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


631 


2. Angnst. 

II. Aus dem Berliner städt. Krankeiihause „Friedrichshain“, 
Abtheilung des Herrn Professor Dr. Fürbringer. 

Zur Kenntniss der Typhus-Meningitis. 

Von Dr. med. Freyhan. 

Die dem Typhus abdominalis /.ukommendeu Complieationen und 
Naehkrankheiton sind von jeher durch ihre Mannigfaltigkeit und 
Häufigkeit aufgefallen. Einen concreten Begriff davon giebt uns 
Betke 1 ), der iu seinen statistischen Zusammeustellungeu der in den 
Jahren 1865—68 im Baseler Spital beobachteten Typhen zu dem 
gewiss überraschenden Resultat gelangt, dass von 1420 Fällen nur 
672 complicationslos verliefen, dagegen 748, also 52, 7 % complicirt 
waren. 

Ein Theil der Complieationen nun steht in nächster Beziehung 
zu den Veränderungen, welche regelmassig beim Abdominaltyphus 
Vorkommen, und stellt gowissermaassen nur weitere Entwickelungen 
derselben dar. 80 sind von der primären Localerkrankung die Darm¬ 
blutungen. die Perforationen, die lenteseirenden Geschwüre, die Perito¬ 
nitis ohne Perforation abhängig. Aus den parenchymatösen Degenera¬ 
tionen können hervorgeheu Muskelrupturen und Muskclabsccsse, 
Parotitis, Nephritis; speciell aus der Degeneration des Herzens Hy¬ 
postasen, Oedeme, Thrombosen, Embolieen und Infarcte mit ihren 
Folgen. 

Andere Complieationen stehen zu der ursprünglichen Krank¬ 
heit nicht in unmittelbarer Beziehung; sie stellen gewissermaassen 
selbstständige, vielleicht ganz zufällige Complieationen dar; hierher 
rechnet Lie bermeister-) manche Pneumonieen. Erysipele. Abscesse, 
Phlegmonen, diphtherische, septische Processe u. a. m. Es restiren 
aber noch Verwickelungen anderer Art. über deren mehr oder 
weniger direkte Abhängigkeit von Ueotyphus die Acten noch nicht 
geschlossen sind, und «lie ihren endgültigen Platz bis jetzt weder in 
der einen noch in der anderen der beiden oben erwähnten Gruppen 
gefunden haben. Den (»rund hierfür giebt die Seltenheit ab, mit 
der diese Krankheiten in die Erscheinung treten. Unter ihnen 
nimmt einen ganz hervorragenden Platz die eitrige Meningitis ein, 
deren Vorkommen in früherer Zeit nur sehr wenig bekannt war und 
erst im letzten Jahrzehnt hie und da lebhafter discutirt worden ist. 

Zwar war es den älteren Beobachtern durchaus nicht unbe¬ 
kannt, dass manchmal im Verlaufe des Ueotyphus nervöse Er¬ 
scheinungen auftreten, die sich kaum mehr aus der Höhe des Fie¬ 
bers noch aus der specifisch typhösen lnfection des Organismus ab¬ 
leiten lassen, indessen weisen sie es doch gänzlich von der Hand, 
dass jemals eiue Betheiligung der Gehirnhäute dafür das veranlas¬ 
sende Momeut sein könne, weil kein einziges Beispiel vorläge, bei 
dem der anatomische Befund die klinische Diagnose bestätigt 
hätte. Erst, nachdem durch Wunderlich in Deutschland und 
Fritz in Frankreich die Aufmerksamkeit auf gewisse cerebrospiuale 
Symptome bei Ueotyphus gelenkt war. so auf Convulsionen. Para¬ 
lysen, Hyperaesthesieen, Nackensteifigkeit, ausstrahlende Schmer¬ 
zen u. a.. brach sich allmählich die L’eber/eugung Bahn, dass 
hier eiue Betheiliguug der Meningen im Spiel sein müsse; und be¬ 
sonders in der neueren Zeit sind vielfache casuistische Mittheilun¬ 
gen, theil weise von Sectiousprotokollen begleitet, über die Coinci- 
deuz von Typhus und Meningitis aufgetaucht, so dass jetzt an dem 
wirklichen Vorkommen der in Frage stehenden Complieation kein 
Zweifel mehr bestehen kann. Indessen ist diese Complieation doch 
eine ausserordentlich seltene, und es mag daher berechtigt er¬ 
scheinen, die Casuistik um 3 Fälle zu vermehren, welche im Spät¬ 
sommer des Jahres 1887 in die innere Abtheilung des städtischen 
Kraukeuhauses „Friedrichshain“ zufällig kurz nacheinander einge¬ 
liefert wurden. Diese Fälle wurden mir von Herrn Professor Dr. 
Fürbringer, dem ich hierfür sowie für die freundliche Unter¬ 
stützung meiner Arbeit auch an dieser Stelle meinen herzlichsten 
Dank ausspreche, gütigst zur Publication überlassen. 

Fall I. Gustav Messinger, Arbeiter, 20 Jahre alt. Aufgenommeu 
am 21. August 1887. Anamnese. Patient kommt in kaum vernehmungs¬ 
fähigem Zustande iu die Anstalt. Erst später wird eruirt, dass er. sonst 
von guter Gesundheit und kräftiger Constitution, ain 10. August d. J. ohne 
bekannte Ursache von Kopfschmerzen, Mattigkeit und allgemeinem Unbehagen 
befallen wurde; im Anfang hat er wenig Acht darauf gegeben und weiter 
gearbeitet, doch hat er sich fünf Tage später so schwach gefühlt, dass er 
sich zu Bett legen musste. In den folgenden Tagen blieb er im Bett, fort¬ 
während geplagt von heftigen Kopfschmerzen; Delirien und andere nervöse 
Symptome traten nicht auf; der Appetit verlor sich vollständig; er hatte 
einige Male Brechneigung und Schmerzen iiu Leib; Diarrhoe bestand nicht, 
sondern im Gegentheil etwas Verstopfung. Seit drei Tagen ist eine Ver¬ 
schlimmerung im Befinden des Kranken eingetreten: er ist allmählich immer 


*) Betke, Die Complieationen des Abdominaltyphus. Deutsche Kli¬ 
nik. 1870. 

2 ) Liebermeister, Ziemssen’s Handbuch der acuten Iufections- 
kraukheiten. 2. Auti. 


mehr in einen soporösen Zustand verfallen, die Sprache ist erst undeutlich, 
dann ganz unverständlich geworden. 

Status praesens Bei der Untersuchung am 22. August ist das Ge¬ 
sicht des Kranken leicht geröthet, die Haut trocken und heiss; der Puls 
langsam, weich, ca. 60; das Thermometer zeigt im Rectum 39,5°. Der 
Patient fasst öfters nach dem Kopfe, gleich als ob ihm derselbe lebhafte 
Schmerzen verursachte; im übrigen liegt er in einem ziemlich soporösen 
Zustande da, aus dem es einige Mühe kostet, ihn zu wecken. Er giebt auf 
Befragen keine zusammenhängenden Antworten, sondern stösst nur unarti- 
culirte, unverständliche Laute aus; doch ist der Inteliect nicht geschwächt, 
denn auf Geheiss fasst er, wenn auch zögernd, nach seinem Kopfe, seinem 
Beine etc. Der Leib ist ein wenig meteoristisch aufgetrieben, in der rechten 
Fossa iliaca ist auf Druck ein leichtes Gurren wahrnehmbar: deutliche 
Roseolaflecke sind nirgends zu entdecken. Seit drei Tagen besteht Stuhl- 
j Verstopfung. Die Sonorität des Schalles über den Lungen ist überall eine 
gute: die Auscultation ergiebt eine leichte Bronchitis. Die Herztöne sind 
kräftig und rein. Die Milz ist perkussorisch vergrössert, reicht vorn von 
der 8. bis zur 12. Rippe, ist nicht palpabel. Der Urin, von geringer 
Quantität und tiefdunkler Farbe, enthält Spuren von Eiweiss. 

Den 23. August.. Bei der Visite fällt das Vorhaudensein einer 
leichten linksseitigen Facialisparese auf, die tags zuvor noch nicht 
bestanden hatte. Der Orbicularis orbitae contrahirt sich, doch ist die 
Nasolabialfalte verstrichen. Die Deviation des Gesichtes erscheint 
besonders deutlich, wenn man den Kranken pfeifen lässt. Die Zunge kann 
nur um eine geringe Excursion herausgestreckt werden uud 
weicht etwas nach links ab. Sonst bestehen keine halbseitigen Er¬ 
scheinungen; alle Bewegungen sind normal, der Patient drückt mit beiden 
Händen gleichmässig; es macht sich aber im ganzen eiue grosse Muskel¬ 
schwäche bemerkbar. Der Kranke klagt über sehr intensiven Kopfschmerz; 
der Schmerz erstreckt sich auch auf den Nacken und steigt von da längs 
der Wirbelsäule heruuter; ein stärkerer Druck auf Kopf und Nacken 
ruft lebhafte Schmerzäusserungen hervor. Es besteht keine Con- 
! traclur der Nackenmuskulatur, höchstens eine geringe Steifigkeit bei Ro¬ 
tationsbewegungen, die übrigens sehr schmerzhaft sind. Sonst ist die Sen¬ 
sibilität in allen übrigen Theilen des Körpers iutact; keine Convulsionen; 
keine Contractureu; kein Strabismus. Die Ohren sind frei. 

Den 24. August. Die Facialisparese hat sich mehr accentuirt, 
das Gesicht ist deutlich nach rechts verzogen. Die linke Hand 
ist schwächer als die rechte. Die Temperatur bleibt annähernd auf 
40°; der Puls ist immer noch langsam, seine Frequenz 60 -70. Das Sen- 
sorium ist etwas benommen; Patient spricht jetzt, wenn auch noch sehr 
undeutlich und schwer verständlich. Er klagt fortwährend über intensive 
Kopf- und Nackeuschmerzen, fasst auch oft mit der Hand nach dem schmer¬ 
zenden Kopfe. Der Kopf ist etwas in den Nacken zurückgeworfen: die 
Steifigkeit des Nackens und der Wirbelsäule tritt heute schärfer zu Tage. 

Den 25. August. Das Allgemeinbefinden ist schlimmer, die Schwäche 
sehr gross, das Sensorium stark benommen. Der cervicodorsale Schmerz 
persistirt in gleicher Stärke; der Patient seufzt häufig tief auf. Die 
Facialisparese erstreckt sich heute auf die oberen Zweige; 
auch die ganze übrige linke Seite, besonders der Arm, istpare- 
tiscli; die Sprache ist noch undeutlich. Keine Pupillendifferenz, keine 
Hyperästhesieen. Der Urin enthält kein Eiweiss mehr. An Bauch, Brust 
und Rücken sind zahlreiche Roseolen aufgetreten. Der Lejb ist sehr 
druckempfindlich, besonders in der rechten Fossa iliaca; die Milz ist per- 
cussoriseh und palpatorisch deutlich vergrössert nachweisbar; der Stuhlgang 
ist seit gestern flüssig, erbsbreiähnlich, von charakteristisch typhöser 
Beschaffenheit. Der Temperaturverlauf zeigt den typischen Charakter 
eines typhösen Fiebers; Abendexacerbationen bis zu 40,0 und 40,5°, 
Morgenremissioneu von 39,0 — 39,5°. 

Den 27. August. Der Kranke hat besser geschlafen als in den vor¬ 
hergehenden Nächten. Der Puls hat sich auf 100—110 gehoben: die Tem¬ 
peratur schwankt zwischen 39,0—40,0°. Die Zunge ist trocken, weisslich 
belegt, der Athern sehr foetid. Die Roseola ist noch in voller Blüthe, die 
Stühle von gleicher Farbe und Consistenz wie Tags zuvor. Die Paresen 
sind stabil geblieben, die Sprache ist etwas deutlicher geworden. 

Den 30. August. Die Temperatur bleibt heute zum ersten Mal unter 
40°; der Puls ist weich, etwas doppelschlägig, circa 8J; die Respiration 
ruhig. Das Sensorium des Patienten ist freier, der Kopfschmerz und die 
Nackensteifigkeit geringer. Die Parese des linken Beines hat in bemerkens- 
werther Weise abgeuommen, die Muskeln coutrahireu sich annähernd so 
gut wie auf der gesundeu Seite; auch die Lähmung der oberen Facialisäste 
hat sich etwas gebessert. 

Den 3. September. Die Temperatur ist heute unter 38° gesunken. 
Die Differenzen der Exacerbationen und Remissionen werden zusehends 
kleiner; doch erreicht die Abendtemperatur noch 40°. Die Roseola, der 
noch einige Nachschübe gefolgt sind, ist jetzt im Erblassen begriffen; der 
Leib ist nur noch wenig druckempfindlich. Die Milz ist noch palpabel; 
die Stühle sind fest und geformt, erfolgen regelmässig einmal des Tages. 
Der cervicodorsale Schmerz persistirt noch immer, ist aber viel weniger 
lebhaft; die Lähmungen gehen sichtlich zurück. 

Den 10. September. Das Allgemeinbefinden bessert sich stetig; die 
Kräfte kehren wieder, der Patient spürt Hunger. Der Kopf- uud Nacken¬ 
schmerz sind gänzlich geschwunden. Der Kranke ist fieberfrei; der Fieber- 
1 abfall ist in fast ganz regelmässigen Ktenoiden erfolgt. Die Parese des 
Beins ist gänzlich zurückgegangen; auch die Armmuskulatur und' die vom 
Facialis innervirten Muskelpartieeu zeigen nur uoch geringe Störungen. Die 
Zunge wird gerade herausgestreckt; die Sprache ist deutlich, wenn auch 
nach Angabe des Patienten nicht ganz so gut wie früher. 

Den 2. October. Der Patient ist vollständig wieder hergestellt, der 
| Appetit ausgezeichnet. Er verlässt die Anstalt in voller Gesundheit, nur 
i hat er eine leichte Schwäche der linken Hand zurückbehalteu. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 


632 


Fall II. Lisbeth Ottow, 9 Jahre alt. Aufgenommen am 10. Sep¬ 
tember 1887. 

Anamnese. Die Patientin ist seit 8 Tagen bettlägerig, fühlt sich aber 
bereits seit 14 Tagen nicht mehr ganz wohl. Die eigentliche Krankheit 
begann mit Kopfschmerzen, die sich hauptsächlich in der Stirngegend locali- 
sirten: begleitende Erscheinungen waren Nasenbluten und Ohrensausen. 
Die Kräfte der Kranken haben in letzter Zeit infolge andauernder Schlaf¬ 
losigkeit rapide abgenomraen; seit 3 Tagen besteht Stuhlverstopfung. 

Status praesens. Beim Eintritt in die Anstalt zeigt die Kranke die 
ausgesprochenen Symptome eines Abdominaltyphus. Die Zunge ist an den 
Rändern roth, im Centrum weisslich belegt; das Fieber ist sehr hoch, 40,2°; 
der Puls weich, frequent, ca. 110. Die Schwäche ist sehr gross, die Pa¬ 
tientin klagt über Kopfschmerzen, Schwindel, Abgeschlagenheit. 

Der Leib präsentirt sich etwas aufgetrieben, ist allenthalben sehr druck¬ 
empfindlich; die Milz ist perkussorisch vergrössert, reicht vorn von der 
achten bis zwölften Rippe und ist deutlich palpabel. Der Stuhlgang ist re- 
tardirt, der Urin weist geringe Eiweissmengen auf. 

Am 11. September entdeckt man vereinzelte rosenrothe Fleckchen am 
Leibe, die auf Druck verschwinden. Das Sensorium ist benommen, die Tem¬ 
peratur 39,5°, der Puls sehr frequent. Die Stühle zeigen zum ersten Mal 
eine gelbe Farbe und breiige Beschaffenheit und sichern die anfänglich ge¬ 
stellte Diagnose eines lleotyphus. In den nächsten Tagen verläuft die 
Krankheit unter dem legitimen Bilde eines mittelschweren Typhus. Die 
Temperatur beträgt Morgens 39,5°, Abends 39,8 — 40°. Die Roseola wird 
massenhafter, die Stühle sind deutlich typhös, der Milztumor ist sehr be¬ 
trächtlich. 

Am 15. September ist' eine erhebliche Verschlimmerung im Befinden 
der Kranken zu constatiren. Sie fühlt sich sehr unwohl, klagt über inten¬ 
siven Kopfschmerz, fasst auch oft mit der Hand nach dem schmerzenden 
Kopfe und wimmert leise vor sich hin. Der Puls hat eine Frequenz von 
130, die Temperatur steigt um 9 Uhr früh auf 41°. Es erfolgt mehrere 
Male grünliches Erbrechen. Keine Delirien, keine hervorragend nervösen 
Symptome; doch macht sich eine geringe Hyperästhesie der Waden- 
muakulatur bemerkbar. Trotz kräftiger Excitantien (Kampher, Wein) 
sinkt, die Temperatur am Abend um 3 Ü , der Puls wird äusserst frequent, 
fadenförmig, auch die übrigen Phänomene eines Collapses sind deutlich aus¬ 
gesprochen; doch erholt sich die Patientin verhältnissmässig rasch aus ihm. 

Am 16. September ist der Zustand der Patientin sehr bedenklich. Die 
Temperatur beträgt 41,2°, der Puls ist noch sehr klein, seine Frequenz 144. 
Der Kopfschmerz hat sich über den Nacken und die Wirbelsäule verbreitet; 
Druck auf die Halswirbel ist schmerzhaft, eine leichte Nacken¬ 
steifigkeit ist nicht zu verkennen. Die gestern noch auf die unteren 
Extremitäten localisirte Hyperästhesie ist heute an der Haut des ganzen 
Körpers nachweisbar; der geringste Druck, ja eine leichte Berüh¬ 
rung genügt, um lautes Schreien hervorzurufen. Gegen Berüh¬ 
rung mit oinem kalten Gegenstände oder feinen Stich einer Nadel 
ist die Kranke ebenfalls in allen Theilen des Körpers sehr em¬ 
pfindlich. Die Hautreflexe sind erhöht, auch sind die Patellar- 
rcflexe ausserordentlich gesteigert und der Fussklonus deut¬ 
lich ausgesprochen. Die Sprache der Kranken ist undeutlich, die Bil¬ 
dung der Zungenbuchstaben, namentlich von 1, s, sch, aber auch von k. g, 
ch, r gelingt sehr schwer. Die herausgestreckte Zunge weicht nach 
links ab, beim Oeffnen des Mundes erscheint die linke Zungenhälfte stär¬ 
ker gerunzelt als die rechte. Die Patientin schluckt schlecht. Sonst sind 
weder an den von den Hirn- noch von den Spinalnerven versorgten Muskel- 
partieen irgend welche Störungen nachzuweisen. 

Am 20. September. Der Zustand der Patientin hat sich gegen früher 
nicht wesentlich verändert. Zwar ist die Nackensteifigkeit geschwunden und 
der Cervicalschmerz geringer, doch persistirt der Kopfschmerz noch immer 
in voller Stärke. Die Temperatur ist andauernd sehr hoch; die Patientin 
verharrt meist in einem Zustand von Stumpfheit, aus dem sie aber verhält¬ 
nissmässig leicht zu erwecken ist 

Den 26. September. Das Sensorium ist bedeutend freier, die Roseola ist 
abgeblasst, der Leib weniger empfindlich. Die Stühle sind jetzt geformt und 
von normaler Färbung. Die spinalen Reizerscheinungen, wie Hyperästhesie 
und gesteigerte Reflexerregbarkeit, bestehen noch, dagegen hat sich die 
Glossoplegie wesentlich gebessert; die herausgestreckte Zunge weicht nicht 
mehr merklich nach links ab; die Sprache ist fast normal. 

Den 1. October. Nachdem in den letzten Tagen das Fieber einen 
immer mehr remittirenden Typus angenommen hatte, die Abendtemperaturen 
aber meist noch 40 ° betrugen, ist die heutige Abendtemperatur im Rectum 
zum ersten Male 39°. Die Schwäche ist sehr gross; die meningitiseben 
Erscheinungen haben sich mit Ausnahme des Kopfschmerzes gänzlich zurück¬ 
gebildet. 

Den 5. October. Die Patientin ist zum ersten Male fieberfrei; sie be¬ 
ginnt bereits Hunger zu spüren, hat nirgends mehr Beschwerden und schläft 
ausgezeichnet. 

Den 20. October wird die Pat. im besten Wohlbefinden völlig geheilt 
aus der Anstalt entlassen. 

Fall III. Margarethe Alhrecht, 26 Jahre alt, Arbeiterin. Aufge¬ 
nommen am 23. August 1887. 

Anamnese. Pat. giebt an, früher nie ernstlich krank gewesen zu sein. 
Die Prodromalerscheinungen ihrer jetzigen Krankheit sollen schon vor drei 
Wochen eingetreten sein und bestanden in Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, 
allgemeiner Mattigkeit und Gliederschmerzen. Sie Hess sich anfänglich zu 
Hause behandeln, da sich aber ihr Zustand allmählich verschlimmerte, so 
sucht sie jetzt das Krankenhaus auf. In der ersten Zeit ihrer Erkrankung 
bestand Stuhlverstopfung, die aber seit einigen Tagen profusen Durchfallen 
Platz gemacht hat. 

Status praesens. Mittelgrosse, ziemlich gut genährte Person von etwas 
blasser Gesichtsfarbe Temperatur 40,8 u , Pulsfrequeuz 100. Die Patientin 


klagt über Kopfschmerz, Erbrechen und heftigen Durst. Der Stuhlgang ist 
dünnflüssig, gelb; der Urin eiweissfrei. Das Respirationsgeräusch ist allent¬ 
halben vesiculär, nur in den abhängigen Partieen rechterseits mit spärlichem, 
grossblasigem Rasseln verbunden. Am Herzen ist nichts Besonderes nach¬ 
weisbar. Der Leib ist wenig aufgetrieben, druckempfindlich; Roseola ist 
nicht zu entdecken; die Milz ist percussorisch beträchtlich vergrössert, aber 
nicht palpabel. 

Diagnose: Typhus abdominalis. 

Der Verlauf, den die Krankheit nimmt, ist ein regelmässiger und 
complicationsloser. Roseola tritt nicht auf. Nachdem die Patientin bis zum 
31. August hoch gefiebert hat, beginnt von da an unter starken Morgen- 
remissionen das Fieber abzufallen, und am 10. September ist die Kranke 
entfiebert. Der Allgemeinzustand ist ein verhältnissmässig guter; es be¬ 
stehen keine Complicationen von Seiten der Lungen oder des Herzens. 

Am 12. September steigt die Temperatur wieder bis zu 38 ° an, die 
Pulsfrequenz beträgt 110. Die Pat. klagt über Kopfschmerzen, ist licht¬ 
scheu, erbricht wiederholt und fühlt sich sehr unwohl. Ausserdem 
klagt sie noch über Brennen im Munde, besonders bei Nahrungsaufnahme, 
und über schlechten Geschmack. Die Inspection der Mundhöhle ergiebt 
eine lebhafte Röthung der Wangenschleimhaut und des Zahnfleisches; die 
Zunge ist mit bräunlichen Krusten belegt, an den Rändern mit Zahuabdrücken 
versehen; starker Foetor ex ore. 

Am 15. September erreicht die Temperatur 40,80. Der Allgemein¬ 
zustand ist schlechter geworden; das Erbrechen hält noch immer an; die 
cerebralen Symptome sind stärker aufgetreten; die Kopfschmerzen sehr 
intensiv geworden. Rotationsbewegungen des Kopfes sind schmerzhaft; da¬ 
gegen ruft ein Druck auf die Wirbelsäule keinerlei Schmerzäusserung her¬ 
vor. Die linke Nasolabialfalte ist verstrichen; beim Pfeifen 
und Lachen tritt eine deutlich markirte linksseitige Facialis- 
parese hervor; doch sind die oberen Zweige im Ganzen frei. Die 
herausgestreckte Zunge weicht merklich nach links ab; die 
Sprache ist undeutlich, die Articulation der Zungenlaute gestört. Sonst be¬ 
stehen nirgends Motilitätsstörungen; auch die Sensibilität ist völlig intact. 
Die Ilautreflexe sind ausserordentlich erhöht, desgleichen die 
Patellarreflexe; auch bestellt Fussklonus. 

Ara 22. September ist der Zustand der Kranken noch immer sehr 
besorgnisserregend. Zwar sind keine neuen meningitischen Erscheinungen 
hinzugetreten; keine Pupillendifferenz, keine Hyperästhesieen, keine weiteren 
Lähmungen zu constatiren, doch besteht neben den alten Erscheinungen 
noch ein eigentümlicher Stupor, in den die Patientin versunken ist; ihr 
Aussehen, ihr Blick, ihre langsamen Antworten geben deutlich von einer 
schweren Gehirnaffection Kunde. 

Den 26. September. Das Fieber hat nachgelassen und das Befinden 
der Kranken ist besser. Es macht sich eine ganz ausserordentliche Muskel¬ 
schwäche bemerkbar; auch ist die Patientin kaum zum Essen zu bewegen, 
da ihr die Nahrungsaufnahme noch immer Brennen im Munde verursacht. 
Der Kopfschmerz ist viel gelinder geworden; die Nackensteifigkeit ist ge¬ 
schwunden; auch die Paresen des Facialis und Hypoglossus sind fast gänz¬ 
lich zurückgegangen. 

Am 1U. October ist die Patientin fieberfrei, klagt nicht mehr über 
Kopfschmerzen, nur über grosse Schwäche; alle meningitischen Erscheinungen 
sind gänzlich geschwunden. 

Am 15. October verlässt die Patientin zum ersten Male das Bett, aber 
schon am 17. October steigt, ohne dass ein Diätfehler nachweisbar ist, die 
Temperatur wieder an und bleibt in der Höhe von 4() ü und darüber bis 
zum 20. October, wo sie fast kritisch abfällt. Auch in den folgenden 
Wochen erhebt sich, ohne dass trotz der genauesten Nachforschungen irgend 
eine Ursache eruirt werden kann, die Temperatur noch einige Male zu be¬ 
trächtlicher Höhe, um immer nach einigen Tagen wieder gänzlich abzu¬ 
fallen. Vom 25. November an tritt kein solcher Anfall mehr auf, und die 
äusserst heruntergekommene und elend aussehende Person fängt an sich so 
zu erholen, dass sie Ende December geheilt entlassen werden kann. 

Der Zeitpunkt, an dem unsere Complication vorzugsweise in 
die Erscheinung tritt, ist in der Mehrzahl der Fälle die zweite Pe¬ 
riode des Typhus, doch ist sie nicht streng an dieses Stadinm ge¬ 
bunden; so trat sie beispielsweise bei dem dritten der von uns pu- 
blicirten Fälle erst in der Reconvalescenz auf. 

Eigentliche Prodromi fehlen, oder wenigstens herrschen die durch 
die Allgemeinerkrankung hervorgerufeuen Störungen so sehr vor, 
dass etwaige Klagen über Kopfschmerzen und Unbehagen gegen die 
grösseren Beschwerden zurücktreten und weder dem Kranken noch 
dem Arzte einen deutlichen Fingerzeig für die nahende Gefahr geben. 

Die c.sten deutlich in die Augen springenden Symptome find 
der intensive Kopfschmerz und das Erbrechen. Während sonst am 
Ende der zweiten Woche der Kopfschmerz allmählich nachlässt, setzt 
er hier mit verdoppelter Intensität ein und ist gewöhnlich so stark, 
dass die Kranken selbst im tiefen Coma noch nach dem schmerzen¬ 
den Kopfe greifen. Manchmal ist der Kopfschmerz ganz diffus, doch 
in den meisten Fälleu im Hinterhaupt, bisweilen auch in der Stirn¬ 
gegend localisirt; er kann zeitweise nachlassen, um dann mit erneuter 
Heftigkeit wieder hervorzubrechen. Mitunter schliessen sich an die 
Kopfschmerzen intensive Nacken- und Rückenschmerzen, Symptome, 
welche auf eine Betheiligung der spinalen Meningen deuten. Da¬ 
bei findet sich constant eine beträchtliche Druckempfindlichkeit der 
Wirbelsäule; letztere ist meist durch die Contractur der Extensoreu 
steif und gerade, bisweilen sogar opistothonisch gekrümmt. Der 
Kopf ist oft in Folge der reflectorischen Anspannung der Nacken¬ 
muskulatur nach hinten gezogen. Meistens finden sich Störungen 


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2- August. DEDTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 633 


des Bewusstseins, von einer leichten Benommenheit an bis zu den 
heftigsten Delirien einerseits, oder tiefem Coma andrerseits. 

Von den localisirten Heerdsymptomen sind am bedeutsamsten 
die Paresen und Paralysen. Dieselben treten selten unter dem Bilde 
einer vollständigen Hemiplegie auf und sind selten so ausgeprägt 
wie bei Heerderkrankungen mit Zerstörung von Gehirnsubstanz; 
raauchmal besteht eine Schwäche im Arm oder Bein, die bei ober¬ 
flächlicher Untersuchung leicht übersehen werden kann; am häufig¬ 
sten sind partielle Lähmungen des Gesichts, besonders des N. facia¬ 
lis (Griesinger, Maunoury), in andern Fällen ist der Oeulomo- 
torius betroffen (Niemeyer); auch hat man Zungenlähmungen und 
Dysarthrieen beobachtet (Bouchut, Tomkins). Störungen der 
Sinuesnerven waren in unseren Fällen nicht vorhanden, doch sind 
sie anderwärts, wenn auch sehr selten, beschrieben worden; beson¬ 
ders charakteristisch soll eine Neuritis optica sein, und Bouchut 
beschreibt den ophthalmoskopischen Befund folgendermassen: „On 
peut voir dans Toeil des lesious nevro-retiennes, qui anuoncent la 
complication cerebrale typhoide et qui en montrent l’intensite. Dans 
ces cas la papille se gonfle, se tumifie et rougit plus ou moins, 
sans disparaitre entierement, comme dans les meningites tubercu- 
leuses, et il y a toujours augmentatiou et ampliation des veines re- 
tiniennes. Ce n’est que dans les meningites typhoides graves, qu’ou 
observe une legere suffusion sereuse opaline transparente recouvrant 
la papille et ses contours.“ 

Im Gebiete der Spinalnerven sind Störungen im ganzen seltener. 
Eine besondere diagnostische Wichtigkeit schreibt Niemeyer der 
Hyperaesthesie und der erhöhten Reflexerregbarkeit zu. Die Hyper- 
aesthesie war bei unserm Fall II so ausgesprochen, dass die Kranke 
schon auf leisen Druck oder feine Nadelstiche äusserst empfindlich 
reagirte. Eine Erhöhung der Reflexerregbarkeit liess sich in zwei 
von unseren Fällen deutlich nachweiseu; Haut- und Sehnenreflexe 
waren erheblich gesteigert; andere Autoren haben im Verhalten der 
Reflexe keine Coustanz gefunden; bald waren sie lebhaft, bald auf¬ 
fallend schwach oder fehlten auch ganz. 

Das Fieber zeigt keinen einheitlichen Typus; die Mehrzahl der 
Fälle verläuft mit unregelmässigem, ziemlich hohem Fieber; bis¬ 
weilen kommt auch ein ausgesprochen intermittireuder Typus zur 
Beobachtung. 

Bezüglich der Differentialdiagnose zwischen unserer Krankheit 
und uncomplicirtem Abdominaltyphus möchten wir als ganz beson¬ 
ders markant daran festhalten, dass der einfache Status tvphosus 
für gewöhnlich ein mehr oder minder hochgradiges Depressionsstadium 
darstellt, während die Meningitis eine ausgesprochene Excitatious- 
periode hat. Zweifellos giebt es ja eine grosse Reihe von Symptomen, 
die der lleotyphus mit unserer Complication gemein hat; es sind 
dies besonders Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Delirien, 
Schwindel und Nackenschmerzeu; und wenn Griesinger meint, 
dass bei Meningitis heftigerer Kopfschmerz bestehe, der mehr zu 
Klagen veranlasse und die Kranken nöthige, noch im Sopor nach 
dem schmerzenden Kopfe zu greifen, feruer lautere Delirien, mehr 
Licht- und Gehörscheu, mehr Erbrechen, mehr Steifheit der Nacken¬ 
muskulatur als beim Abdominaltyphus, so sind dies Unterschiede, 
die für den gewiegten Beobachter in manchen Fällen ausschlag¬ 
gebend sein mögen, in der Regel aber als zu subtil keine erhebliche 
Bedeutung für die Praxis gewinnen können. 

Andere Erscheinungen aber, die den Symptomencomplex unserer 
Krankheit vervollständigen, treten für gewöhnlich ganz sicher nicht 
im legitimen Bilde eines Typhus auf; es sind hier in erster Reihe 
zu nennen erhöhte Reflexerregbarkeit und Hyperästhesieeu. Die 
überwiegende Mehrzahl wenigstens der Autoren hat sich überein¬ 
stimmend in diesem Sinue ausgesprochen, uud Eich hörst schreibt 
diesen Symptomen eine für Meningitis fast pathognomoniscbe Be¬ 
deutung zu; nur Strauss 1 ) will manchmal eine Steigerung der 
Reflexe, und Fritz’ 2 ) in gleicher Weise Hyperästhesieen auch bei 
uncomplicirtem Typhus beobachtet haben. Gänzlich ausserhalb des 
Rahmens des uncomplicirten lleotyphus aber liegen unbestritten 
Lähmungs- und Reizungserscheinungen von Seiteu der Hirn- und 
Spinalnerven, wie sie so gewöhnlich bei unserer Affection auftreten, 
und hierüber herrscht bei allen Autoren völlige Einigkeit. 

Grössere Schwierigkeiten schon kann die Unterscheidung von 
acuter Miliartuberculose bereiten, besonders dann, wenn bereits eiue 
Invasion der Tuberkelbacillen in die Meningen stattgefuuden hat. 
Von einschneidender Wichtigkeit ist es hier natürlich, ob eiue ent¬ 
schiedene Disposition zur Tuberculose nachweislich ist, sei es eine 
hereditäre oder eine allgemeine constitutionelle Anlage, sei es eine 
früher durchgemachte tuberculöse Affection, vor allem Pleuritis, 
chronische Knochenaffectionen etc. 

1 ) Strauss, Du reflexe tendineux daus la fievre typli. Rev. de med. 

1881. 

2 ) Fritz, Etüde clin. des div. sympt. spin. dans la fievre typh. 

Paris 1SG5. 


Verhältnissmässig leicht ist die Differentialdiagnose der Menin¬ 
gitis von anderen nervösen Krankheiten, die als Coraplicationen des 
Abdominaltyphus in der Literatur aufgeführt werden. Es kommen 
hier allein Paresen und Paralysen mannigfacher Art in Betracht, 
und zwar einmal Lähmungen, die von bestimmten Localerkrankungen 
des Gentrainervensystems abhängig sind, und solche, bei denen eine 
anatomische Läsion nicht nachweislich ist. Die erstereu können 
nach Courtade 1 ) eineu cerebralen, medullären oder peripheren 
Ursprung haben; je nach dem Sitz der Erkrankung beobachtet man 
Hemiplegieen, Paraplegieeu uud Monoplegieen. Die zweite Form 
der im Gefolge des Typhus auftretenden Lähmungen hat Gübler 2 ) 
als „paralysies astheniques“ beschrieben und sagt darüber: „Ces 
paralvsies sont dues ä la debilite de l’organisme, ä une Sorte d’epui- 
sement nerveux produit par la maladie.“ 

Alle diese Lähmungen sind deswegen nicht leicht mit den me- 
niugitischen zu verwechseln, weil die Zeit ihres Erscheinens ausnahms¬ 
los in die Reconvalescenz fallt, dann aber sind sie niemals von Fieber 
noch von heftigen cerebralen Symptomen begleitet. Nur eine Affec¬ 
tion des Centralnervensystems ist es, bei der im Beginne eine sichere 
Unterscheidung von Meningitis sehr schwer, ja fast unmöglich werden 
kann; es ist dies eine den Typhus complicireude Apoplexie. Der¬ 
artige Fälle sind von Märtel, Berger und Eulenburg geuauer 
beschrieben worden und verlaufen unter sehr acuten Cerebraler- 
scheinungen. Fieber, Paresen, kurz unter all den Symptomen, unter 
denen auch eiue Meningitis auftreten kann; nur wollen wir als ein 
bedeutsames differentialdiagnostisches Moment statuireu, dass bei 
Apoplexieen die Lähmungen gewissermaassen ganz acut auftreten. d. h. 
sofort oder wenigstens iu ganz kurzer Zeit ihre vollste Ausbreitung 
gewinnen, während die Paresen bei unserer Affection sich ganz all¬ 
mählich entwickeln und erst nach Ablauf einiger Tage ihre volle 
Höhe erreichen. 

Bezüglich der Aetiologie unserer Krankheit bleiben eigentlich 
nur zwei Möglichkeiten übrig, die zur Erklärung des Zusammenhanges 
angezogen werden können; entweder haben wir es mit einer Miseh- 
infeetion zu thun, oder die Meningitis stellt eiuen metastatischen 
Prozess der Grundkrankheit dar. 

Die Lehre von der Misehinfectiou hat iu der neuereu Zeit 
festere Gestaltung gewonnen, nachdem man schon lange die Meinung 
Huuter’s, nach weicherein specifisehes Gift im Organismus mit der 
Existenz eines anderen unvereinbar ist, als unhaltbar aufgegebeu hatte; 
es gilt jetzt als sicher, dass zwei verschiedene Krankheiten neben¬ 
einander ganz ungestört verlaufeu können. Ganz besonders plausibel 
erscheint dies für den Typhus, denn gerade bei ihm ist nach Lieber¬ 
meister die Resistenz gegen Schädlichkeiten in allen Organen ohne 
Ausuahme herabgesetzt, und so ein vorzüglicher Nährboden für eiue 
neue Infection geschaffen. Man hat überdies beim Typhus unzweifel¬ 
haft Miscliinfectioneu beobachtet. So behauptet Brieger 3 ) in einer 
kürzlich erschienenen Arbeit mit Entschiedenheit, dass die in der 
Reconvalesceuz des Typhus auftretenden Abscesse nicht durch in- 
feetiöse Embolieen aus den typhösen Darmgeschwüren bedingt seien, 
sondern dass alle derartigen Fälle durch die Iuvasiou der durch 
Rosenbach als Erzeuger der Eiterung erkauuten Mikroorganismen 
hervorgerufen seien. Auch sonst mehren sich die Angaben in der 
Literatur über sicher beobachtete Mischinfectiouen bei Typhus ab¬ 
dominalis; so beschreibt Sauerwald 4 ) eine Coincidenz des Typhus 
mit Dysenterie, Wadliam 5 ) eine Complicatiou mit Scharlach und 
Wille 0 ) einen Fall, wo Typhus und Maseru gleichzeitig bestanden. 

Nach alledem ist es von vornherein recht wohl denkbar, dass 
gelegentlich auch eiue Mischinfection von Typhus und Meningitis 
zu Stande kommen kann; aber immerhin würde dies doch eine sehr 
grosse Seltenheit sein, und schliesslich darf mau nicht ausser Acht 
lassen, dass die Aetiologie der epidemischen Cerebrospinalmeningitis 
selbst nicht klargestellt uud die Annahme eines einheitlichen speci- 
fischen Giftes noch lauge nicht bei allen Autoren feststeht; ein sicherer 
Beweis aber für eine bestehende Misehinfectiou ist doch nur durch 
der gleichzeitigen Befund von specifischen Infectiouserregeru des 
Typhus und der Cerebrospinalmeningitis möglich. 

Viel weniger gezwungen will uns die Auffassung erscheinen, 
dass es sich bei unserer Affection nicht um zwei getrennte idiopathische 
Krankheiten handelt, sondern dass die Meniugitis eineTheilerscheinuug 
des Typhus darstellt. Bei Durchsicht der Literatur auf diesen Punkt 
hin faudeu wir, dass viele Autoren dieser Auffassung huldigen. Dass 
aber die Meniugitis überhaupt durch eiu organisirtes Gift hervor¬ 
gerufen wird, kann nach dem heutigen Stande der Wissenschaft 

') Courtade, Des paraplegies survenants dans le cours de la fievre 
typli. I/Encephale 1886. 

J ) Gubler, Les paralysies astheniques. Areli. gen. de med. 1861. 

3 ) Brieger, Beitrag zur Lehre von der Mischinfection. Zeitschr. f. 
Klin. Med. Bd. XI. 1886. 

4 ) Sauerwald, Deutsche Klinik 44. 1879. 

5 ) Wadham, Lancet II. 1869. 

6 ) Wille, Münch, med. Wochenschr. 188G. 27. 28. 86. 


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634 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31 


kaum mehr bezweifelt werden; durch die Rosenbach'schen Funda¬ 
mentalarbeiten ist es ja bis zur Evidenz erwiesen, dass Eiterungen 
nur durch die Anwesenheit pathogener Mikroorganismen hervorge¬ 
rufen werden können. Ob freilich in unserem Falle die Infections- 
erreger wirklich die charakteristischen Typhusbacillen sind, das zu 
entscheiden, kann nicht Sache der theoretischen Betrachtung sein 
und muss speciellen Arbeiten Vorbehalten bleiben. Untersuchungen 
in dieser Richtung sind noch nicht angestellt worden, und auch uns 
war es trotz unserer Bemühungen nicht möglich, Material zu erlangen, 
an der Hand dessen wir den positiven Beweis hätten antreten können. 
Indessen ist Rh einer 1 ) bei einem verwandten Processe zu positiven 
Resultaten gelangt, die gewiss nicht ohne weiteres auf unsere Affec- 
tion übertragen werdeu können, immerhin aber doch eine werthvolle 
Stütze der oben vorgetragenen Auffassung bilden. Rh ein er hat 
nämlich während einer Typhusepidemie 6 Fälle von complicirendem 
Erysipel beobachtet, bei denen die mikroskopische Untersuchung der 
Gewebspartieen, die sonst beim traumatischen Erysipel Unmassen von 
kettenbildenden Coecen aufweisen, diese vermissen und dafür Stäbchen 
unterscheiden liess. welche mit den bekannten Klebs- Eberth’scheu 
Typhusbacillen vollständig übereinstimmten. 

Wenn wir nuumehr unsere persönliche Meinung bezüglich der 
Aetiologie unserer Krankheit zum Ausdruck briugeu sollen, so können 
wir uns beiden Haupterklärungen gegenüber nicht ablehnend ver¬ 
halten und meinen, dass in sehr seltenen Fällen eine Mischinfection 
Vorkommen kann, in der Regel aber die Meningitis metastatisch auf- 
tritt und eine ächte Coiuplicatiou des Typhus darstellt. 

Es muss weiteren Forschungen Vorbehalten bleiben, die Richtig¬ 
keit unserer Behauptung zu erweisen. Das Hauptgewicht wird bei 
spätereu Untersuchungen nach unserer Meinung darauf gelegt werden 
müssen, ob in den meuingitisehen Exsudaten die speeitischeu Typhus- 
bacillen uachzuweisen sind, und die Richtigkeit dieses Befundes wird 
man durch Impf- und Culturversuche zu prüfen haben. 

III. Ans der chirurgischen Klinik des Herrn Professor 
Josef Kovacs in Budapest. 

Untersuchungen über die Aetiologie des 

Carcinoms. 

Von Dr. Ludwig Makara. 

Die bösartigen Eigenschaften des Carcinoms: Entstehuugs- und 
Wachsthumsbedingungen, die Neigung zu Metastasen und Recidiven, 
haben — wie bekannt — neuestens die Ansicht der Forscher 
mehrfach dahin gelenkt, als ätiologisches Moment des Krebses 
Mikroorganismen auzunehmen. 

Die klinischen Erfahrungen bieten vielfache Argumente, die wir 
den theoretischen Erwägungen dieser Frage pro und contra zu 
Grunde legen können. 

Der Umstand, dass der Krebs nach kurzem Bestehen uicht nur 
durch locales Wachsthum fortschreitet, sondern auch auf dem Wege 
des Lymphapparat.es zu den benachbarten Lyiuphdiüsen gelaugt 
und daselbst analoge Erkrankung bedingt, scheiut zu Gunsten der 
iufectiösen Natur zu sprechen. 

Noch mehr scheint diese Annahme durch klinische Erfahrungen 
unterstützt zu werden, denen zu Folge allgemeine Carcinose mit mi¬ 
liaren Knötchen und Fieber auftreten kann; dass ferner der Exstir¬ 
pation eines gut umschriebenen kleinen krebsigeu Knotens, trotzdem 
der Schnitt bis in die makroskopisch gesunde Umgebung geführt 
wurde, das Recidiv folgt. 

Andererseits muss doch zugestanden werdeu, dass von deu bis¬ 
her gekannten, pathogenen Mikroorganismen eine dem Krebs analoge, 
oder ähnliche deletäre Wirkung auf den Organismus nicht bekannt 
ist; dass, wenn dieselben auch zu umschriebener Gewebsneubildung 
führen, diese nur in der Vermehrung der daselbst präformirten Ge- 
webselemente besteht. Ein solcher Mikroorganismus aber, der den 
Typus einer Zelle verändern könnte, der aus Bindegewebe Epithel- 
elemeute producirte — ist bisher unbekannt. 

Da aber das Gebäude der modernen Naturwissenschaften auf 
Thatsachen, und nicht auf Hypothesen beruht, sei es erlaubt, die 
diesbezüglichen Forschungen kurz zu überblicken. 

G. Rappin macht in der Gaz. mcdic. de Nantes (Mai und 
August, 1886), später in den Reeherches sur l’etiologie des tu- 
ineurs malignes (1887) von Diplococcen Erwähnung, die er in Krebs¬ 
geschwülsten fand. Es gelang ihm, dieselben in Culturen zu bringen 
und in» Gewebe uachzuweisen; er giebt selbst an, dass dieselben im 
Thierexperimente zu — freilich nicht ausführlich beschriebenen — 
Knotenbilduugen führten. 

Sehr verlässliche Untersuchungen machten Charles A. Bal- 
lauce und Samuel E. Shattock (Report ou cultivation experiments 

') Rheiner, Beiträge zur pntli. Anat. des Erysipels hei Geleg. der 
Typlmsepid. in Zürich. 1884. Yirchow’s Archiv Bd. 100. 


with malignant new growths. British mcd. Journal 1887, den 20. Ok¬ 
tober), deren Untersuchungsmaterial eine beträchtliche Zahl betrug, 
iudera dasselbe aus 22 Carcinomen, 1 Sarcom, 3 Lipomen uud 
1 Myxom bestand. 

Das Ergebniss ihrer Untersuchungen blieb negativ. Wenn sich 
auch hie und da in den Jmpfcultnren ein Mikroorganismus vorfand, 
war dies in demselben Verhältnisse der Fall, als bei den mit ge¬ 
sunden Geweben ausgeluhrten Coutrollimpfuugen, und förderte stets 
die in der Luft und dein Staube der betreffenden Localitüten nach¬ 
weisbaren Mikroorganismen zu Tage. 

Zu ganz anderen Resultaten gelangte Scheurleu (Ueber die 
Aetiologie des Carcinoms. Deutsche med. Wochensehr. 1887, No. 48). 
Er untersuchte 10 Mammacarcinoine, von jedem machte er 
20 Impfungen auf Blutserum, das er von seröser Pleuritis-, Hydro- 
cele- und Aseites-Flüssigkeit entnahm. An der bei 39 o Temperatur 
gehaltenen Cultur bemerkte er, gewöhnlich am dritten Tage, die 
ganze Oberfläche des »Serums mit einem farblosen Häutchen über¬ 
zogen, das allmählich faltig wird und nach Tagen und Wocheu eine 
braungelbe Farbe annimmt. 

Die Ueberimpfung von diesem Substrat gelang ihm sowohl auf 
Agar, als auch auf Gelatine (diese wird verflüssigt) und Kartoffel, 
während bei Original Agar-lmpfungeu kaum jede zehnte zum Wachs¬ 
thum zu bringen war. Die Culturen wiesen 1,5—2,5 ii lange und 
0,5 fi breite Bacillen nach, die lebhafte Eigenbewegung zeigen und 
grosse, ovoide, grünlich schillernde »Sporen tragen. 

Die Untersuchung der Krebsmilch wies in jedem Gesichtsfelde 
mehrere, ovoide, bewegliche Sporen nach; hie und da gelang ihm 
auch der Nachweis von Bacillen, im »Schnitte dagegen konnte er die¬ 
selben mit unumstösslicher »Sicherheit nicht nachweisen. 

Die an Hunden ausgeführten Thierexperimente müssen, bei ob- 
jectiver Kritik, als uegativ bezeichnet werden, da die an der Eio- 
stichstelle entstandene kleine Geschwulst ohne atypische Gewebs- 
bildung, selbst, wenn derselbe Bacillus aus ihr gezüchtet werden 
konnte, nichts beweist. 

In einem an den Berliner Verein für innere Mediciu gelangteu 
Briefe theilt Schill mit, in Carcinoiueu uud Sarcomen stäbchenartige, 
au beiden Enden färbbare Mikroorganismen gefunden zu haben. 

Kurze Zeit später verständigte Domingos Freire, aus Rio de 
Janeiro, den Präsidenten des obigen Vereius, dass er schon vor 
Scheurleu den für das Carciuom pathogeuen Bacillus gefunden 
und beschrieben hat, wofür er die Priorität der Entdeckung auch 
erbat. Die Arbeit Scheurlen’s eiferte, die Forscher, wie es auch 
zu erwarten war, zu vielfachen Coutrolluntersuchuugen an; die wis¬ 
senschaftliche Neugierde war einerseits in Anbetracht der Häufig¬ 
keit der Erkrankung uud deren deletärer Wirkung, andererseits 
durch die der Hoffuung, dass mit der Klärung der Aetiologie auch 
die Therapie gefördert werdeu könnte — leicht erklärlich. 

Perriu, später Baruabei uud Sanarelli, aus Sieua. bestä¬ 
tigten Scheurlen’s Augabeu. 

8. Lampiasi giebt an, in einem grossen Theile der malignen 
Tumoren einen specifischen Bacillus gefunden zu haben, der die Ge¬ 
latine verflüssigt, im Gewebe aber konnte derselbe uicht naehge- 
wiesen werden. Der Autor macht auch vou gauz unverlässlichen 
Thierexperiuienteu Erwähuung. 

Auch 0. Franke giebt an (Müuchener med. Wocheuscbr. 
No. 4, 1888) ebenfalls im Blute von Carciuom- uud Sarcomkranken 
den Bacillus gefunden zu haben. 

Int Gegensätze zu den Obigen gelangte E. Seuger (Berliner 
klin. Wocheuscbr. 1888, No. 10) zu ganz negativen Resultaten, so¬ 
wohl in der Auffindung des Mikroorganismus, wie in den mit Krebs¬ 
geschwülsten versuchten Ueberimpfuugen. Seiner Ansicht nach ist 
der von Scheurleu gefundene und beschriebene Bacillus ein Kar¬ 
toffelbacillus, für den er, anstatt der Beueunuug des Careinombacillus, 
den Namen des Bacillus mesentericus rubiginosus vorschlägt. 

Prof. Baumgarten hält Scheurleu’s Bacillus ebenfalls für 
eiueu Kartoffelbacillus, dem er öfter, als Seuger begegnete, und 
zwar nicht nur bei mit Carcinomen, sondern auch gelegentlich der. 
mit den verschiedensten Geweben ausgeführten Impfungen. 

A. Pfeiffer (Deutsche med. Wocheuscbr. 1888, No. 11.) kam 
bei seiuen, mit nicht ulcerirten Krebsen ausgeführten Untersuchun¬ 
gen stets zu negativen Resultaten. Scheurlen’s Bacillus hält 
er im Gegeusatze zu den erwähuteu Autoren für deu Proteus mi- 
rabijis. 

ln Anbetracht der Wichtigkeit der Frage unternahm ich., auf 
die Anregung des Herrn Prof. Kovacs, diesbezügliche Unter¬ 
suchungen, deren Ausführung mir das reiche Material des Instituts 
ganz besonders ermöglichte, bei deuen ich mich der freuudlichen 
Unterstützung des Herrn A. Vaugel erfreute. 

Das Ergebniss unserer Untersuchungen ist Folgendes: 

Es wurden 20 Tumoren, und zwar 2 Lipome, 4 Sarcome(l Epu- 
lis, 2 »Sarc. iiiamniae, 1 Sarc. facialis) und 14 Carcinome (1 Care, 
reeti, 3 Care, labii inf., 10 Care, mammie) untersucht. 


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2. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


63» 


Die Impfuugen wurdeu auf Gelatine, Agar und Blutserum aus¬ 
geführt; zu letzterem verwendeten wir theils Rinderblut, theils 
Ascites-, meistens aber Hvdrocelc-Flüssigkeit, die letztere bot das 
durchsichtigste und am besten sterilisirbare Nährsubstrat. 

Bei den Impfungen wurdeu von jeder Geschwulst 4— f> schiefe 
Blutserum-, 2—1 Agar-, und 2 Gelatine-Culturen bereitet. Die Im¬ 
pfungen geschahen unter Anwendung der peinlichsten antiseptischen 
Oautelen, theils mit Krehsinilch, theils mit Gewebsstückchen. Die 
geimpften Reagcosgläser wurden grfissentheils bei 380 C gehalten, 
während einige bei Zimmertemperatur blieben. 

Von den *25 Impfungen, die aus 4 Sareomen bereitet wurden, 
gingen 3 Agarculturen auf, auch diese stammten alle von einem 
Tumor, der nach der Operation behufs Besichtigung der Schnitt¬ 
fläche quer durchschnitten wurde und von welchem die Impfung 
erst nach einigen Stunden ausgefuhrt werden konnte, so dass auf 
diesem Wege die lnfection mit den nachgewiesenen grossen Coccen 
erfolgte. Die anderen Impfungen, die sofort nach der 
Operation — mit Anwendung mehrfacher Assistenz — 
vor sich gingen, blieben insgesammt steril. 

Die von 9 Mammakrebsen gewonnene Krebsmilch und 
Gewebstheile ergaben in 7*2 Impfungen keinerlei Wachs¬ 
thum. Bei einem zehnten Maminacarcinom gingen 2 Agar- und 
eine Blutserumcultur auf. die bei Ueberimpfung sich dem Staphylo- 
enecus pyogenes albus gleich erwiesen, auf dem Blutserum waren 
nebst den Erwähnten noch zwei Arten von Saprophyten vor¬ 
handen. 

Zu anderen Resultaten führten die mit den drei (exulcerirten) 
Lippenkrebsen und einem Mastdarmkrel»se ausgeführten Imptjmgen, 
deren grösster Theil zum Wachsthum'gelangte, selbst bei Entnahme 
des Materials aus den tieferen l’artieen der Geschwülste. 

Von einem Lippenkrehs gewannen wir den Staphyloroeeiis pyo¬ 
genes aureus; von dem Mastdarmkrebs kleine, die. Gelatine ver¬ 
flüssigende. weisse Coccen; von einem anderen Lippenkrebs wuchsen 
alle Culturen auf, deren grösster Theil aus der Reincultur eines 
1—1.5 ii langen O.l—0.2 ii breiten, schlanken Bacillus bestand, 
der auf Agar rasch wächst, auf der Oberfläche eine weisse Membran 
bildet, die Gelatine rasch verflüssigt und den aashaften Geruch des 
Gl eseh w ii res p rod uc i rt. 

Bei den Untersuchungen der Krebsmilch im hängenden Tropfen 
sahen auch wir iu jedem Gesichtsfelde reichlich ovoide, grünlich 
schillernde, und eigenartige Bewegung zeigende Körperchen; doch 
waren dies nicht Sporen, wie Seheurlen glaubt, sondern in 
Zerfall begriffene, degenerirte Zellenelemente, ganz besonders Trüm¬ 
mer von Zellenkörnen und Fetttröpfchen. 

Das diese unsere Ansicht eine richtige ist. beweist der Umstand, 
dass ihre Grösse nicht, gleichmässig ist. dass die Behandlung mit 
Aether ihre Anzahl auffallend verringert; die beobachteten Bewe- 
gungserscheinnngen sindMolecularbewegungen. die an den mit Mamma- 
carcinom exstirpirten gesunden Drüsenpartieen ebenfalls zu beobachten 
sind. Die Untersuchung der Gewebe auf Mikroorganismen blieb bei 
Anwendung der verschiedensten Färbungsmethoden ebenfalls negativ. 
Das Ergebniss dieser Untersuchungen führte uns zu der festen 
Cehorzeugung. dass die bisherigen Hiilfsiuittel uns den sicheren 
Nachweis specilischer Mikroorganismen in den Sarcom- und Carcinom- 
geschwülsten nicht gestatten. 

Dass einige Autoren bei ihren Impfversuchen Baeterien fanden, 
beweist nur. wie schwierig einerseits die exacten Untersuchungsme¬ 
thoden auf diesem Felde der Forschung sind, andererseits, dass unter 
gewissen Umständen, namentlich bei exulcerirten Tumoren, Mikro¬ 
organismen in dieselben gelangen können, die nach den verschie¬ 
denen äusseren Verhältnissen verschieden seiu können. 

Dies gibt, auch die Erklärung dessen, dass ein Autor von speci- 
flschen Diploeoeeen spricht, während ein anderer einen verflüssigenden, 
ein dritter einen nicht verflüssigenden Bacillus als pathogen nennt. 

In diesen Fällen ist auch der Nachweis der betreffenden Bac- 
terienart im Gewebe leicht erklärlich, wie bei unseren exulcerirten 
Krebsen. Doch ist dieser Umstand bei negativen Thierexperimenten 
nicht beweisend. 

Gäbe es auch specifische Krebsbacillen, so könnten es nicht die 
von Seheurlen beschriebenen Sporen sein, da. nach unseren heutigen 
Anschauungen, die Bacillen im aetiven Zustande als Stäbchen, und 
nicht als Sporen, erscheinen; wenigstens ist die Vorstellung dessen, 
dass Alle als Sporen erscheinen, ganz unmöglich. 

Wäre dies dennoch der Fall, so müssten die Impfungen stets positiv 
sein, da Seheurlen angiebt, das richtige Nährsubstrat für seinen 
Krebsbacillus gefunden zu haben. 

Endlich sei bemerkt, dass die für die infectiöse Natur des Car- 
cinoins gewöhnlich hervorgehobene Beweisführung mir um so weniger 
stichhaltig erscheint, als die Natur und Genese der Geschwulstbildung 
auch ohne Annahme der Mikroorganismen erklärlich ist. 

Von den thierischen Zellen und Zellenbestandtheilen lässt sich 
nämlich ebenso leicht, wie von den Baeterien, denken, dass sie im 


pathologischen Zustande zu localer atypischer Gewebsneubildung 
führen, durch Auswanderung in die Nachbarschaft ähnliche Gewebs¬ 
wucherung bereiten, dass Zellen, pathologisch verändert, gleich den 
Mikroorgauismeu im Stande sind, für den Organismus giftige Stoffe 
zu produciren und dadurch die so wohl gekannte Kachexie hervor¬ 
zurufen. 

Zu dieser Ansicht gelangte ich wenigstens bei Durchmusterung 
von mikroskopischen Präparaten, die nach der Exstirpation eines 
Mammacarcinoms, einige Wochen später aus der benachbarten, ver¬ 
dächtig gerötheten Haut bereitet worden sind; als ich sah, wie die 
Krebszellen in gesunde Gewebstheile eindringeu, die Lvmphgefässe 
obturiren und eine so reichliche Karyokinese aufweisen, wie dies 
nur bei embryonalen Epithelelementen zu sehen ist. 

IV. Zur Behandlung der Syphilis mit 
Injectionen von Hydrargyrum oxydatum 
flavum im Vergleich zum Calomelöl. 

Von I)r. G. Kuhn in Cottbus. 

Während im Jahre 1887 über Calomelinjectionen vielfach Ar¬ 
beiten erschienen sind, hat das Hydrarg. oxyd. flav. anscheinend 
noch keine allzu grosse Würdigung gefunden, ln No. 30 der Deut¬ 
schen medicinischen Wochenschrift 1887 habe ich einen Bericht über 
die vou mir ausgeführten Calomelinjectionen gegeben, uud obschon 
ich das Calomelöl noch nicht angewandt, also noch mit heftigen 
Nebenerscheinungen zu kämpfen hatte, glaubte ich schon damals, 
diese vorzügliche Injectionsmethode beibehalten zu müssen. That- 
sächlich ist durch die Suspension des Calomel in öel die Methode 
erheblich verbessert worden. Was ich früher entgegengesetzt der 
Ansicht mancher Anderer behaupten zu müssen meinte, dass wenig¬ 
stens bei Patienten, die sich in ihrer Berufsbeschäftigung nicht stören 
lassen, die Abscessbildung nicht zu vermeiden sei, ist jetzt hinfällig 
geworden. Seit der Anwendung von Calomelöl habe auch ich 
keinen Abscess mehr zu verzeichnen. Ueber die vorzügliche Wirk¬ 
samkeit der Calomelinjection brauche ich nichts dem entschiedenen 
Urtheile fast aller Autoren hiuzuzufügen. Neisser hat bekanntlich 
bereits 1885 auf der Versammlung der Naturforscher uud Aerzte 
diese Methode der dringendsten Beachtung empfohlen, sie später der 
Schmiereur völlig gleichgestellt; nach Reinhard 1 ) übertrifft sie so¬ 
gar diese dadurch, dass sie schneller zum Verschwinden «1er Symptome 
führt. Eine Ergänzung der von mir 2 ) angegebenen Literatur findet 
sich bei Bender.' 1 ) Gleich der Vorzüglichkeit der Erfolge hat sich 
auch eine ziemlich einheitliche Meinung darüber gebildet, dass bei 
der Calomelölinjection die Reactionserscheinungen erheblich geringer 
sind, als bei der ehedem geübten Einspritzung von Calomelwasser. 
Dasselbe haben auch meine eigenen Beobachtungen über 72 In¬ 
jectionen von Calomelöl ergeben. Von der vorgeschriebenen Sus¬ 
pension (Calomel 1,0, Olei olivar. optim. 10,0) habe ich wöchentlich 
1 Iujectiou tief intramusculär gemacht; keine Massage, strenge Anti¬ 
sepsis, Reinigen der Canüle mit 1% Carbolöl. Meistens werden 
4 — 5 solcher Injectionen als genügend bezeichnet; meiner Ansicht 
nach ist das auch für die Mehrzahl der Fälle ausreichend. Jedoch 
habe ich an der citirten Stelle bereits hervorgehoben, dass mir zur 
Tilgung der syphilitischen Erscheinungen oft 6 Einspritzungen noth- 
wendig erschienen, dass selbst diese zuweilen nicht genügend waren. 
In letzterem Falle fügte ich erst nach längerer Zeit, um eine neuer¬ 
dings kräftige Wirkung des Hg zu erzielen, noch bis zu 6 Ein¬ 
spritzungen hinzu, es waren also im Ganzen 12 erforderlich. 

Dem entsprechend hat kürzlich Neumann 4 ) nach systematischen 
Versuchen an einer Reihe von 36 Patieuten festgestellt, dass im 
Grossen und Ganzen viel mehr Injectionen (7 — 9 in den meisten 
Fällen) zur Beseitigung der luetischen Erscheinungen uothwendig 
sind, als dies von «len Autoren angegeben wird. Das ist für Spät¬ 
formen der Syphilis zutreffend, acute Exantheme schwinden, wie 
auch Neu mann angiebt, rascher. 

So sehr ich nun von meinem Standpunkte der nur ambulanten 
Praxis aus die Methode der hypodermatischen Injection bei Syphilis 
zu schätzen weiss, so bin ich doch nicht durch die Resultate der 
CalomehMinjection gänzlich befriedigt. Wohl durch die Wirksamkeit, 

‘) Aus der medicinischen Klinik in Halle, Beitrag zur Behandlung der 
Lues mit Neisser'scheu Calomelinjectionen. Deutsche medic. Wocheuschr. 

1887. No. 41. 

a ) Wo ich im Weiteren auf früher von mir Angegebenes recurrire, be¬ 
zieht sich das auf meine Mittheilungen in N’o. 30 d. Deutsch, med. Wochen¬ 
schrift 1887. 

3 ) Aus der Universitätsklinik für Syphilis und Hautkrankheiten des Herrn 
Prof. Doutrelepont in Bonn. Ueber die subcutane Anwendung des Calo¬ 
mel und des Oleum einer, bei Syphilis. Vierteljahresschrift für Dermatologie 
und Syphilis 1888, Heft 1. 

*) Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 20. Januar 

1888. Münchener med. Wochenschr. 1888, No. 5. 


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636 


DEUTSCHE MEDICINISCÜE WOCHENSCHRIFT. 


nicht aber in Bezug auf die Reactionserscheinungen. Wenn auch 
bestimmt anzunehmen ist, dass Abscesse gänzlich vermieden werden 
können, so ist doch die Schmerzhaftigkeit und Iudurationsbildung 
oft recht bedeutend. Bender, 1 ) welcher sich äussert: „Abgesehen 
von einem Falle haben wir aber nie Klagen über die Injectionen 
von den Patienten vernommen, höchstens, dass der eine oder andere 
nach der ersten Injection über ein Gefühl des Druckes und der 
Spannung sich beschwerte, was jedoch längstens am zweiten oder 
dritten Tag wieder verschwunden war“, kann ich nicht beipflichten. 
Seit fast einem Jahre habe ich, um mir ein geuaues Urtheil zu ver¬ 
schaffen, vorzugsweise die Behandlung mit Injectionen von Hydrarg. 
oxyd. flav. geführt; daneben kam auch die Inunctionsmethode und 
die Calomelinjection zur Anwendung. 

Injectionen von Hydrarg. flav. habe ich in der genannten Zeit 
425 gemacht bei 70 Personen. Die Erkrankungen bestanden fast 
ausschliesslich in den verschiedenen Haut- und Schleimhautaffectionen 
der secundären Periode. Stets wurde die Eruption der Syphilis ab¬ 
gewartet und, um die Beobachtung möglichst rein zu halten, von 
einer localen Behandlung Abstand genommen. 

Betreffs der Wirksamkeit kann ich auf das früher Gesagte re- 
curriren: „Wirkung gut, aber schwächer, als nach Calomelinjection.“ 

In ähnlicher Weise hatKrecke 2 ) sein Urtheil abgegebeu; nach 
seiner Meinung steht die therapeutische Wirksamkeit der Quecksilber- 
oxydinjectionen derjenigen derCalomelinjectionen etwas nach. Krecke 
fand für jeden seiner 29 Fälle durchschnittlich 5 Injectionen für 
ausreichend. 

v. Watraczewski, welcher bekanntlich zuerst das Hydrarg. 
flav. zur Einspritzung angewandt und empfohlen hat, hielt anfangs 3 ) 
1—5 Injectionen für genügend; später: „4—6 in wöchentlichen Inter¬ 
vallen zur Erreichung des besten therapeutischen Erfolges.“ 4 ) Auf 
dem Congress zu Washington hat v. Watraczewski „Ueber Be¬ 
handlung der Syphilis durch Injection unlöslicher Quecksilbersalze“ 
gesprochen und angegeben, dass 4—5 Injectionen von der Mischung 
Hydrarg. oxyd. flav. 1,0, Gummi arab. 0,25, Aqu. dest. 30,0 ge¬ 
wöhnlich die vorhandenen Symptome zum Verschwinden brachten, 
dass zur vollständigen Heilung jedoch 12—20 Injectionen erforder¬ 
lich waren. 5 ) 

Rosenthai (Berlin), welcher auf der Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte zu Wiesbaden 1887 einen Vortrag hielt: 
„Die Behandlung der Syphilis mittelst Einspritzungen von Hydrar- 
gyrum oxydat. flav.,“ hat 3—5 Injectionen als erforderlich liinge- 
stellt (Hydrarg. oxydat. flav. 0,5, 01. olivar. s. 01. amygdal. 15,0, 
und zwar wöchentlich die Hälfte einer 2 g haltenden Spritze, mit¬ 
unter auch je nach Erforderniss % bis eine ganze Spritze.“ 6 ) 
„Vortragender hält die Behandlung der Syphilis mit Hydrarg. oxydat. 
flav. in Oel suspendirt der des Calomelöls für mindestens gleich- 
werthig.“ 

Ebenso Trzcinski, 7 ) welcher sich dahin äussert, dass er für 
die Injectionen von Hydrarg. oxydat. flav. dieselbe Meinung will 
gelten lassen, welche Neisser und seine Assistenten über Calomel- 
injectionen ausgesprochen haben. Trzcinski hat (mit Ausschluss 
der nicht für den Erfolg verwerthbaren) 425 Injectionen bei 90 
Kranken gemacht, also im Durchschnitt bei Jedem kaum 5. Mehr 
als 6 Injectionen bei demselben Patienten scheint Trzcinski nicht 
für nöthig erachtet zu haben. 

Berücksichtige ich meine 425 Injectionen in Bezug auf die An¬ 
zahl, w elche bei dem Einzelnen erforderlich w'aren, so muss ich zu¬ 
nächst 13 Personen ausschalten mit 25 Injectiouen, weil bei ihnen 
die Behandlung keine vollständige war, sei es, dass sie eine Fort¬ 
setzung nicht wünschten, nicht vertrugen, oder dass ihre Behandlung 
noch nicht abgeschlossen war. Es bleiben 400 Injectionen bei 57 
Patienten, im Durchschnitt also bei Jedem 7 Injectionen. Hierzu 
bemerke ich, dass dieses genau zutreffende Resultat kein ganz zu¬ 
fälliges ist, weil ich hier absichtlich in meinen Aufzeichnungen einen 
Abschnitt gemacht habe. Der Durchschnitt von 7 Einspritzungen 
ist mir jedoch nicht maassgebend, es ist zu berücksichtigen, dass 
in dieser Kategorie an Syphilis Behandelter sich viele leichte Reci- 
dive befanden, dass ferner schwere Fälle nebenher mit Calomel- 
injectionen behandelt wurden. Es scheint, dass 4 — 6 Injectio¬ 
nen von Calomel dieselbe Wirkung enttalten, wie 6 —10 


•) 1 . c. 

3 ) Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. Strümpell zu Er¬ 
langen. Zur Behandlung der Syphilis mit subcutanen Injectionen von Hy- 
drargyrum oxydatum flavum. Münchener med. Wochenschrift 1887, No. 39. 

•7 Wiener med. Presse 1886, No. 40-42. 

4 ) Referat aus der Medycyna XV. 45. 1887 in Schmidt’s Jahrbücher 
1888 No. 1, p. 48. 

5 ) Vierteljahresschrift für Dermatologie und Syphilis. 1888, Heft 1, p. 128. 

B ) Therapeutische Monatshefte 1887, Heft 12, p. 500. 

7 ) Zur Behandlung der Syphilis mit tiefen subcutanen Injectionen von 
Hydrarg. oxydat. flav. Viertcljahres.schrift für Dermatol, und Syphilis. 1887, 
Heft 4, p. 933. 


No. 31 


von Hydrarg. flav. Dieses Verhätniss würde ungefähr der kurzen 
Angabe von Lesser 1 ) entsprechen: „Die Einspritzungen — im 
ganzen etwa 6—8 — werden ebenfalls in wöchentlichen Intervallen 
gemacht.“ Lesser’s Dosirung ist höher, nämlich 1,5:30,0 01. 

Während ich von Calomel in einem Abschnitte nicht mehr als 
6 Injectionen gebrauchte und zur Heilung höchstens eine zweite Tour 
von 6 in späterer Zeit, also im ganzen 12, habe ich in 4 Fällen 
von Hydrarg. flav. hintereinander je 14, 16, 18, 20 Einspritzungen 
für nöthig gefunden. Derselbe Patient, welchem ich % Jahre vor¬ 
her eine schwerere syphilitische Affection (serpiginöse Ulceration am 
Palatum molle) durch 12 Calomelinjectionen beseitigte, wurde von 
einem nicht so ausgebreiteten Recidiv durch 18 Einspritzungen von 
Hydrarg. flav. nicht ganz geheilt. Die Behandlung mit Kal. jodat. 
und Kal. bichromic. nach Güntz hatte sich erfolglos erwiesen. 
2 Kranke, bei welchen die Wirkung des Hydrarg. flav. nicht zu¬ 
friedenstellend war, wurden durch Calomelöl sehr bald von ihren 
Aflfectionen befreit. Demnach kann ich mit den vorhin angegebenen 
Ansichten Anderer nicht übereinstimmen, dass die Wirkung der In¬ 
jectionen des gelben Quecksilberoxyds der des Calomelöls gleich¬ 
kommt. Diese Gegenüberstellung betrifft folgende Suspensionen: 

1. Calomel vapor. parat. 1,0, Olei olivar. optim. 10,0. 

2. Hydrarg. oxydat. flav. 1,0, Olei olivar. optim. 30,0. 

Anfangs habe ich nach v. Watraczewski statt des Oels Wasser 

angewandt (mit 0.25 Gummi arab.). Die Dosis wurde gesteigert auf 
1,25 und 1,5:30,0. Ebenso habe ich später die entschieden bessere 
Oelsuspension in denselben Verhältnissen versucht. Einen sonder¬ 
lichen Unterschied in der Wirkung habe ich nicht wahrgenommen. 
Deshalb biu ich bei der höheren Dosirung 1,5:30,0, wie sie auch 
Lesser in seinem Lehrbuche angiebt, der stärkeren Reizerscheinungen 
wegen nicht geblieben, sondern zu dem Verhältniss von 1,0: 30,0 
01. zurückgekehrt; auf letzteres beziehen sich vorzugsweise meine 
Angaben. 

Muss nun auch zugegeben werden, dass die Wirksamkeit der 
Quecksilberoxydinjection der des Calomelöls nachsteht, so sind an¬ 
dererseits nach ersterer die Reactionserscheinungen viel geringer. 
Kein Abscess wurde unter 425 Injectionen constatirt, keine bedeu¬ 
tende Induration. Stomatitis, welche nur in mässigem Grade bei 
6 Personen auftrat, war leicht zu beseitigen, so dass ein Aussetzen 
der Behandlung nicht nothwendig wurde. Die Mundpflege war im 
allgemeinen recht mangelhaft, trotz Ermahnung dazu haben nur 
wenige sie gewissenhaft durchgeführt, die Mehrzahl hat trotzdem 
keine Spur von Stomatitis bekommen. Es ist wohl anzunehmen, 
dass sich dieselbe bei gehöriger Vorsicht, besondere Empfindlichkeit 
gegen Hydrarg. ausgenommen, gänzlich vermeiden lässt. Letztere 
zeigte in erheblichem Maasse folgender Fall: 

Ein sehr kräftiger Patient bekam schon nach der zweiten In¬ 
jection leichte, nach der dritten schwerere Erscheinungen von Mer- 
curialintoxication: Stomatitis, Diarrhoe mit blutigen Stühlen, starke 
Leibschmerzen, quälenden Tenesmus, trotzdem die mildere Dosis 
(1,0: 30,0) zur Anwendung kam. Die Erscheinungen waren, als der 
auswärtige Kranke nach mehreren Tagen zur Consultation kam, be¬ 
reits von selbst wieder geschwunden. Die Behandlung wurde mit 
Jodkali, später ganz gelinder Inunctionscur fortgesetzt. 

Die locale Reaction war bei den Meisten unbedeutend, sehr 
häufig kam es überhaupt nicht zu einer Induration, welche sich in 
anderen Fällen am Tage nach der Einspritzung entwickelte und 
nach 3—5 Tagen wieder verschwand. Bei der Einspritzung selbst 
sind nennenswerthe Schmerzen ebenso wenig vorhanden wie bei der 
Calomelinjection. Aus den angegebenen Gründen wurden die Ein¬ 
spritzungen von Hydrarg. flav. fast immer gut vertragen, von kräf¬ 
tigen wie schwächlichen Individuen; unter den 70 damit Behandel¬ 
ten befinden sich 11 Frauen. Vereinzelt nur wurde dieses Injections- 
präparat verweigert und zwar von solchen, die sich ihrer Empfind¬ 
lichkeit halber überhaupt gegen die Injectionsmethode renitent er¬ 
wiesen. 

Vergleiche ich ebenso, wie in Bezug auf die Wirksamkeit, so 
auch betreffs der Reactionserscheinungen meine Serie von 425 Hg 
flav.-Injectioncn mit den von mir gleichfalls ausgeführten 272 Ca¬ 
lomelinjectionen (Calomelwasser und Calomelöl), so ist zunächst 
zu berücksichtigen, dass die letztgenannten beiden Präparate offen¬ 
bar gleiche Wirkung haben müssen, sich aber hinsichtlich der 
Reactionserscheinungen wesentlich unterscheiden. Sicher ist es, dass 
die früher der Calomelinjection anhaftenden Mängel zum grossen 
Theil durch Anwendung der Oelsuspension beseitigt sind, aber ein 
Unterschied betreffs der localen Reaction ist gegenüber dem Hg 
flav. unbedingt vorhanden. Mehrere Patienten haben versuchsweise 
Einspritzungen erhalten nacheinander von Hg flav. und Calomelöl, 
ohne es zu wissen, dass die Injectionsflnssigkeiten verschieden waren. 
Fast immer gaben sie von selbst an, dass die nachher auftretenden 

! ) Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. III. A. p. 273 im 
2. Theil. 


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DEUTSCHE MEDICDJISCITF, WOCHENSCHRIFT. 


637 


2. August. 

Schmerzen nach Caloinelöl intensiver waren; die Indurationen waren 
ausgebreiteter, hielten oft 8 — 12 Tage an, während sie nach Hg 
flav. in 3—5 Tagen meistens verschwunden waren. Ein Kranker, 
welcher am Tage nach einer Calomelöleinspritzung sich die Stiefeln 
nicht anziehen konnte (eine Erscheinung, über die bei stärker auftreten¬ 
der localer Reaction häufig geklagt wird, weil das Bucken heftige 
Schmerzen verursacht), hat am Tage nach einer Hg flav.-Injection 
einen Ball mitgemacht und fleissig getanzt. Krecke 1 ) giebt zwar 
an, dass nach Einspritzungen von Hg flav. manchmal am 2. Tage 
sich Entzündungserscheinungen im Unterhautzellgewebe zeigten, die 
durchschnittlich 5—10 Tage, zuweilen auch noch länger, bestehen 
blieben. Meine diesbezüglich besseren Resultate erklären sich wohl 
durch die Anwendung der Suspension in Oel. 

Hervorzuheben ist endlich noch, dass Stomatitis nach Calomelöl¬ 
injectionen leichter eiutritt, als nach denen des gelben Quecksilber- 
oxyds. 

Hält man mir entgegen, dass ich vielleicht nicht alle die 
Erfordernisse beobachtet habe, welche vielfach vorgeschrieben wor¬ 
den sind, so gebe ich das zu; ich habe nicht in Bauchlage injicirt, 
wie Harttung 2 ) es verlangt, nicht mit v. Watraczewski die 
Flüssigkeit vorher auf Körpertemperatur erwärmt, nicht zu jeder 
einzelnen Injection das Präparat frisch anfertigen lassen, nicht raas- 
sirt, ich habe möglichst einfache Verhältnisse angestrebt, wie es 
eben in den Sprechstunden des beschäftigten Arztes nothwendig ist. 
Allerdings habe ich Gewicht auf strengste Antisepsis gelegt und 
mit langen Nadeln tief intramusculär injicirt. Die Patienten konnten 
auch nach der Injection nicht einige Stunden ausruhen, weil sie 
schon des discreten Charakters der Krankheit wegen alles Auffal¬ 
lende vermeiden mussten und sich in ihrer Beschäftigung nicht im 
mindesten wollten stören lassen. Hingegen wird man mir zugestehen 
müssen, dass die Einspritzungen der beiden Hg-Präparate genau 
unter denselben Verhältnissen ausgeführt wurden, also die Ver¬ 
gleichung ein richtiges Resultat ergeben muss. Uebrigens hat auch 
Reinhard 3 ) die Schmerzhaftigkeit nach Calomelölinjectionen als 
einen grossen Uebelstand zugegeben. Reinhard theilt mit, dass 
bei 104 Injectionen 37 mal über grössere oder geringere Schmerzen 
geklagt wurde, also im Ganzen bei 35,4%, dass bei 7 Patienten 
die Klagen und Schmerzensäusserungen sehr gross waren. 

Im Allgemeinen schliesse ich mich den Worten Krecke’s an, 
mit denen er seinen mehrfach citirten Aufsatz beendet: „Wenn wir 
zum Schluss noch alles kurz zusammenfassen, so können wir unsere 
Ansicht über die Injectionen mit gelbem Quecksilberoxyd dahin 
aussprechen, dass dieselben ein entschieden sehr wirksames, wenn 
auch der Schmiercur und den Calomelinjectionen etwas nachstehen¬ 
des Antisyphiliticum darstellen. Dabei zeichnen sie sich aus durch 
eine sehr bequeme Anwendungsweise und führen weder am Orte 
ihrer Einverleibung noch im Gesammtorganismus zu irgend welchen 
besonders störenden Nebenerscheinungen. Sie sind daher besonders 
zur Behandlung von ambulatorischen Kranken gut geeignet.“ Letz¬ 
teres scheint mir namentlich für den Arzt, welcher nicht in der 
Klinik, sondern gewisserraaassen nur poliklinisch behandelt, sehr 
wesentlich. Es ist das auch ein Grund, die Injectionsmethode über¬ 
haupt vorzuziehen, da sie bequemer, billiger, leichter controlirbar 
und ohne jegliches Aufsehen durchführbar ist. 

Nach meiner Erfahrung entspricht die bessere Wirk¬ 
samkeit des Calomelöls der stärkeren Reaction, bei Hg 
flav. ist es umgekehrt. 

Danach ist von selbst einleuchtend, dass beide Präparate ihre 
Indication zur Anwendung finden werden. Ohne bestimmte Sätze 
für die Indication der beiden Quecksilberpräparate aufstellen zu 
wollen, will ich zum Schluss kurz erwähnen, welcher Usus sich in 
der Anwendung bei meinen Kranken gewissermaassen von selbst 
herausgestellt hat. 

Meistens wurde die Behandlung mit Hg flav. begonnen und, 
wenn die Krankheitserscheinungen bald schwanden, fortgesetzt. 
Ferner schien dieses Präparat sehr geeignet für leichte Recidive, 
dann bei Nach- resp. prophylactischeu Curen, d. h. solchen, die 
einer neuen Eruption der Syphilis vorzubeugen bestimmt sind. 

Calomelöl wurde angewendet, wenn die Initialbehandlung mit 
Hg flav. zu geringe Fortschritte betreffs des Schwindens der Symp¬ 
tome machte, ferner bei schweren Recidiven. 

Eine Aenderung in diesem Plaue will ich nur insofern eintreten 
lassen, als ich einerseits zur ersten Behandlung der Syphilis der 
Calomelinjection nicht gänzlich entbehren möchte, weil bei der ge¬ 
ringeren Injectionsanzahl die seltenere Vorstellung des Patienten von 
nicht unbedeutendem Vortheil ist. Kräftige, wenig empfindliche 


‘) 1. c. 

a ) Aus der Klinik für Hautkrankheiten und Syphilis zu Breslau. Ueber 
die Neisser’schen Calomelölinjectionen. Deutsche med. Wochenschrift 1887 
Nr. Iß. 

3 ) 1. c. 


Personen sind hauptsächlich dazu geeignet. Andererseits könnten 
auch leichtere Recidive bei solchen Kranken mit Calomelöl behandelt 
werden, welche bereits die Injectionsmethode an und für sich ohne 
sonderliche Reaction gut vertrugen. 

V. Der moderne Hypnotismus. 

Ein kritischer Essay. 

Von Professor Seeligm&ller in Halle a. S. 

n. Die Suggestionsersoheinungen. 

(Fortsetzung aus No. 14.) 

Nach alledem wird es Niemand überraschen zu hören, dass 
man bei dazu geeigneten Personen auch aus weiter Ferne Sug¬ 
gestionen hervorrufen kann, sei es durch Briefe, sei es durch das 
Telephon. Liegeois in Nancy, welcher Suggestionen auf Entfernung 
von 1500 m hervorgebracht hat (Rev. de l’hypnot. I, p. 19), zwei¬ 
felt nicht daran, dass dieselben mittelst des Phonographen in der¬ 
selben Weise gelingen werden. 

Kein Wunder, dass bei einem so leicht beweglichen Volk, wie 
die Franzosen es sind, der Hypnotismus von Romanschreibern, wie 
von Künstlern in ihren Werken Verwendung gefunden hat. Was 
die Benutzung des Hypnotismus im Romau anbetrifft, so liegen be¬ 
reits aus früherer Zeit derartige Versuche vor von Balzac in Ur- 
sule Mirouet, von Alexandre Dumas in Joseph Baisamo, 
und Henri de Kock in La Magnetiseuse. Von neueren 
Schriftstellern sind zu nennen Jules Claretie und Adolphe 
B e 1 o t. 

Während die erstgenannten Autoren, den dermaligen An¬ 
schauungen entsprechend, den thierischen Magnetismus als die ge- 
heimnissvolle Kraft des magnetischen Fluidums darstellen, in dessen 
Besitz man Wunderdinge verrichten kann, stehen die letzteren voll¬ 
ständig auf dem Boden der modernen Schule. Claretie lässt 
seinen Helden Jean Mornas (dies ist der Name des Romans) ein 
junges Mädchen hypnotisiren und ihr die Suggestion eingeben, dass 
sie am folgenden Tage in Versailles Banknoten, welche im Zimmer 
eines Paralytischen versteckt sind, stehlen, und ihm bringen soll. 
Er weckt sie auf, und am folgenden Tage zur bestimmten Stunde 
führt dieselbe die suggerirte That aus. — Belot’s Heldin, 
Alphonsine (ebenfalls der Name des Romans) wird mit ge¬ 
zücktem Dolch neben der Leiche eines damit Ermordeten betroffen. 
Sie ist aber nur das durch hypnotische Suggestion gezwungene 
Werkzeug eines Anderen. Vivat sequens! 

Diesen unheimlichen Geschichten gegenüber, will ich an ein 
wenig bekanntes heiteres Gegeustück unseres Jean Paul erinnern, 
in welchem er in sehr hübscher Weise sich über den thierischen 
Magnetismus seiner Zeit, ja, wir können sagen über die Suggestion 
unserer Tage lustig macht. 

In der komischen Geschichte „der Komet“ erzählt er unter der 
Ueberschrift „das grosse magnetische Gastmahl des Reisemarschalls 
Worble“, wie dieser („welcher die magnetischen Wunder des 
Hellsehens, der Sinuenversetzung, der Anschmiedung an den Magne¬ 
tiseur, zu welchen andere Monate brauchten, in Minuten zu Stande 
brachte“) unter allen Wundern des thierischen Magnetismus am 
liebsten das ausführte, dass seine in somnambulen Schlaf versetzten 
Gäste jeden Bissen und Tropfen schmecken mussten, den er als 
Wirth und Magnetiseur zu sich nahm. So lud er eines Tages 31 
Gäste in einem Gasthof zur Tafel, bestellte aber von jedem der 
.ausgesuchten Gerichte nur eine Portion und zwar für sich allein. 
Kaum haben die Gäste mit ihm an der grossen Tafel mit 32 Ge¬ 
decken Platz genommen, so versetzt er sie sämmtlich, noch ehe sie 
ein Tellertuch entfaltet haben, auf ihren Essstühlen in magnetischen 
Schlaf und alle fassen sich (so will er’s stillschweigend als Magne¬ 
tiseur) wie Brüder an den Händen an, an welchen sie sich auch 
unter dem ganzen Essen festhalten und nun sind sie sämmtlich 
hellsehend. Jetzt isst er selbst mit bestem Wohlbehagen die 
leckem Speisen eine nach der andereu und die somnambulen Gäste 
versichern immer wieder, dass sie noch nie so fein gespeist haben. 
Als dann dem Reisemarschall von den ausgesuchten Weinen etwas 
in den Kopf steigt, bekommt schliesslich auch die hellsehende Schlaf¬ 
gesellschaft etwas in den ihrigen. 

Aber auch die Kunst, insonderheit die Malerei, hat sich des 
Hypnotismus als Sujet bemächtigt. Im Palais de 1’Industrie in 
Paris war u. a. ein Gemälde von Brouillet ausgestellt, welches 
im Katalog unter der Bezeichnung aufgeführt war: „Une leQon de 
clinique de la Salpetriere.“ Das Bild giebt eine der klinischen 
Vorlesungen Charcot’s wieder. Neben dem Lehrer und gegen¬ 
über einer bewundernswerth geordneten Gruppe von Zu¬ 
schauern sieht man eine junge Frau, Mlle. W., den Besuchern der 
Salpetriere wohlbekannt, welche, im Zustand der hypnotischen 
Contractur dargestellt, vom Chef der Klinik aufrecht gehalten 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 


638 


wird. Auf einem anderen Bilde, mit der Bezeichnung „Une 
Suggestion“, von einem Schweden Richard Bergh gemalt, sieht 
inan eine Hypnotisirte in sitzender Stellung, wie sie sich voll¬ 
ständig den Befehlen des Hypnotiseurs fügt. 

Und in Frankreich findet man diese Verirrung der Kunst völlig 
in der Ordnung. l ) 

Ueber die verschiedenen Arten der oben vorgeführten Sug- 
g es tio ns erschein ungen müssen wir uns eines bestimmten Urtlieils 
enthalten, so lange die Versuchsergebuisse der französischen Aerzte 
nicht durch solche anderer hinreicheud bestätigt sind. Bis dahin 
wird man auch gut thun, sich mit Erklärungsversuchen nicht ab- 
zumiihen. Hier sollen daher nur noch einige Bemerkungen Platz 
finden. 

Die Objecti vation der Typen (Richet) hat nichts Uebcr- 
raschendes für denjenigen, welcher die Lust und die Kunst zu 
schauspielern bei Hysterischen zu beobachten Gelegenheit ge¬ 
habt hat. 

Anders steht es mit dem Blutschwitzen, den posthypno¬ 
tischen Handlungen und den inhihitoriscben Suggestionen. 
Das erstere ist auch in Frankreich bis jetzt in sehr wenigen Fällen 
beobachtet worden. Bernheim hat es nie hervorzubringen ver¬ 
mocht. 

. Für die posthypnotischen Handlungen können wir gewisse 
Analogieen aus dem normalen Seelenleben anziehen. Viele Men¬ 
schen nehmen sich beim Einschlafen vor, zu einer bestimmten 
Stunde aufzuwachen, und sie wachen in der That präcis auf. Bei 
uns in Halle ist die Zahlung der verschiedenen städtischen Steuern 
für die einzelnen Stadtbezirke auf bestimmte Tage im Monat ver¬ 
theilt; für den Bezirk, wo ich wohne, auf den 5., 6. oder 7. Tag 
im Monat. Wenn der bestimmte Tag herangekommen ist, werde 
ich meist spontan an diese unangenehme Pflicht erinnert. Manch¬ 
mal geschieht dies wohl, sobald mein Blick im Wandkalender das 
betreffende Datum streift, sehr oft aber auch ohne jeden äusseren 
Anlass. 

Delboeuf hebt, wie schon erwähnt, mit Recht hervor, dass 
die Person, welcher eine Handluug auf Frist suggerirt ist, nicht 
etwa die Tage unbewusst zählt, welche bis dahin vergehen, son¬ 
dern es taucht ihr vielmehr die suggerirte Vorstellung des irgend¬ 
wie besonders gekennzeichneten Tages — in dem oben erwähnten 
Beispiel von Liebeault als der erste Mittwoch im October, in 
einem anderen von Beaunis als der Neujahrstag — gerade an 
diesem Tage wieder in der Erinnerung auf. Im Allgemeinen ist 
die Möglichkeit dieser Suggestionen auf Frist schon früher durch 
Heidenhain, Beyer und Grützner hervorgehoben worden. 

Bei der inhibitorischen Suggestion handelt es sich offen¬ 
bar um eine Hemmung bestimmter psychischer Functionen. Wie 
mau durch Suggestion eine Person beim Erwachen eines oder 
mehrerer Sinne oder einzelner Functionen eines Sinnes (Nichtsehen 
bestimmter Farben) vorübergehend berauben kann, so auch hier. 
Die Vorstellung von der Existenz derjenigen anderen Person, 
welche nach dem Erwachen für die Hypnotisirte nicht da sein soll, 
ist aus dem Gehirn derselben vorübergehend hinweggenommen. 

Im Uebrigen schliessen wir uns dem Urtheile an, welches 
Binswanger in dem vortrefflich bearbeiteten Artikel „Hypnotis¬ 
mus“ iu Eulenburg’s Realencyclopädie, Bd. X, p. 105 und 115, 
als Ergebniss seiner kritischen Erwägungen ausspricht: „Wie weit 
der leichter erregbare Nationalcharakter der Franzosen die dortigen 
Versuchspersonen zur Suggestion geeigneter macht, oder aber der. 
lange fortgesetzte „Training“ derselben die bizarren Vorgänge zei¬ 
tigt, vermögen wir nicht zu entscheiden. — In gleicher Weise, wie 
noch manche Erscheinungen verschiedener functioneller Neurosen 
der Erklärung harren, bergeu die hypnotischen Versuche noch viele 
ungelöste Räthsel“. 

Wer einmal einer klinischen Vorstellung Charcot's in Paris 
beigewohnt hat, kann sich dem Eindruck nicht verschliessen, dass 
die Versuchspersonen dadurch, dass sie zum grossen Theil die 
Productionen ihrer Leidensgefährten mit ansehen, eine Art Sehuluug 
in allen hysterisch-hypnotischen Künsten durchmachen, welche ihnen 
bei ihren eigenen Vorstellungen sehr zu statten kommen muss. 

Zudem muss ich mich leider zu den Neuropathologen rechnen, 
welche entweder in Folge von zu geringer persönlicher Erfahrung 
oder aus Mangel an Beobachtungsgabe nach wie vor behaupten, 
dass Grande Hysterie ebenso wie ausgesprochene Suggestibilität 
bei den germanischen Völkern ungleich selteuer vorkommt, als bei 
den romanischen, speciell dem französischen Volke. Vielleicht ge¬ 
lingt es noch, ein Instrument zu erfinden, welches mit grösserer 


*) Faul Copin, L’hvpnotisme au Salon de 1887. Rev. de l’hypn. 1, 
p. 373. 


Sicherheit als das Hypnoskop von Ochorowicz 1 ) die Hypnoti- 
sirbarkeit anzeigt. Alsdann werden sich sicher auch solche finden, 
welche sich die Aufgabe stelleu, auf Grund statistischer Versuche 
die eben angedeutete Frage mit Bestimmtheit zu entscheiden. 

Auf eine Erklärung der hypnotischen Erscheinungen können 
wir uns nach unserem jetzigen Wissen über das Wesen derselben 
keinenfalls einlassen. Sicher hat Armand Hiickel 2 ) Recht, wenn 
er die während der Hypnose zu Tage tretenden functionellen Stö¬ 
rungen in das Gebiet der Psyche verweist und sich zunächst von 
eiuer psychologischen Erforschung derselben mehr verspricht, als 
von einer physiologischen. _ (Fortsetzung folgt.) 


YI. Referate und Kritiken. 

v. Jürgensen, Handbuch der Krankheiten der Lunge. I. Theil. 
V. Band, I. Theil von v. Ziemsseu's Handbuch d. Spec. Pathol. 
u. Therapie. 3. Aufl. Leipzig, Vogel, 1887. Ref. Alexander 
(Breslau). 

Den bei Weitem grössten Theil des vorliegenden Bandes nimmt 
die Bearbeitung der croupösen Pneumonie eiu, es folgt darauf die 
Darstellung der Katarrhai-Pneumonie, der hypostatischen Vorgänge 
in der Lunge uud der interstitiellen Pneumonie (Cirrhose und 
Bronchiektasie). Aus dem reichen Inhalte des Bandes köunen hier 
nur einige wenige besonders wichtige Punkte herausgegriffen werden. 
Gegen Contusion des Brustkorbes und gegen die Erkältung als Ur¬ 
sache der Pneumonie verhält sich der Verfasser ablehnend, nimmt 
dagegen immer Infcction als Ursache an, und zwar sind es drei 
verschiedene Bacterienarten, welche die Fähigkeit besitzen, Pneu¬ 
monie zu erzeugen. Bei den Auscultationserscheinungen der Pneu¬ 
monie wird hervorgehoben, dass das Knisterrasseln in seltenen 
Fällen auch bei pleuritischen Exsudaten vorkommt. Von beson¬ 
derem Interesse ist der therapeutische Standpunkt des Verfassers, 
welchen er mit den Worten bezeichnet: „Die Natur heilt, der Arzt 
hat nur dafür zu sorgen, dass das Leben so lange erhalteu bleibt, 
bis diese Heilung erfolgt ist.“ — Eine Coupirung der Pneumonie 
ist nicht möglich. Die Gefahr, welche dem Pneumoniekranken 
droht, liegt auf Seiten des Herzens. „Die Pneumoniekranken sterben 
an lnsufficienz des Herzens.“ Die Begründung dieses Satzes muss 
im Originale nachgelesen werden. Die Behandlung richtet sich 
gegen das Fieber, weil dieses eine iible Einwirkung auf die Herz- 
thätigkeit ausübt Die von dem Verfasser fast ausschliesslich geübte 
Behandlungsmethode ist die Anwendung von kalten Bädern bei 
ausreichender Verabreichung von Wein. Von den innerlichen Anti- 
pyreticis wendet der Verfasser nur hin und wieder das Chinin an. 
Nach denselben Grundsätzen behandelt Verfasser auch die Katarrhai- 
Pneumonie, obgleich bei dieser meisteus der Tod durch lnsufficienz 
der Athmuug eiutritt. Auch hier wird das Fieber bekämpft durch 
laue Bäder, mit darauf folgender kalter Uebergiessuug. Aus dem 
Capitel, welches die interstitielle Pneumonie behandelt, verdient 
hervorgehoben zu werden, dass es Uebergänge giebt zwischen der 
interstitiellen Pneumonie und der Lungenschwindsucht. Bei der 
Therapie der interstitiellen Pneumonie acceptirt der Verfasser im 
Allgemeinen den Standpunkt, welchen B re hm er bei der Behand¬ 
lung der chronischen Lungenschwindsucht einnimmt. Von inneren 
Mitteln wird bei der Behandlung der Bronchiektasie das Terpentinöl 
in erster Reihe empfohlen. 

Die Darstellung des Verfassers ist bei ausreichender Vollstän¬ 
digkeit des Inhalts eine ebenso knappe als fesselnde. Ueberall 
treten dem Leser die eigenen wohlbegründeten Anschauungen und 
die reichen Erfahrungen der Verfassers entgegen. Druck und Aus¬ 
stattung des Buches sind dem Inhalte angemessen. 

Max Sohächter. Anleitung zur Wundbehandlung.' Wiesbaden. 
J. F. Bergmann, 1887. Ref. Emil »Senger. 

Der Titel des vorliegenden Werkes ist ein bescheidener; denu 
er enthält nicht nur eine einfache Anleitung zur Wundbehandlung, 
sondern es wird gleichzeitig der Versuch gemacht, alles was wir 
von der Wunde, ihrer Heilung, den Antisepticis und deren Wir¬ 
kung, der Infection etc. theoretisch und praktisch wissen, syste¬ 
matisch darzustellen. — Es ist in dem Werke bis in die neueste 
Zeit alles nur Bemerkenswerthe benutzt, ja vielleicht in diesem Be¬ 
streben sogar zu weit gegangen, indem manche Untersuchungen, 
welche schwankend sind und noch keineswegs der allgemeinen An- 

*) Ochorowicz’s Instrument besteht aus einem ausnehmend kräftigen 
Magnet in Form eines sehr breiten Ringes (von 3,4 cm Durchmesser und 
5,5 cm Länge, bei einem Gewicht von nur 165t g), dessen Pole durch einen 
.Spalt von einander getrennt sind. Dieser Ring, über den ausgestreckten 
Zeigefinger gesteckt, soll, wenn die Versuchsperson leicht hypnotisirbar ist, 
in jenem Finger besondere Empfindungen (Prickeln, Ameisenlaufen u. dgl.) 
oder Zuckungen, Lähmung, Neigung zum Schlaf hervorrufeu. 

*) Armand Hückel. Die Rolle der Suggestion bei gewissen Erschei¬ 
nungen der Hysterie uud des Hypnotismus. Kritisches und Experimentelles. 
Jena. Gustav Fischer. 1888. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


639 


2. August. 


erkennung sich erfreuen, als sicher dargestellt sind und daraufhin 
wieder neue, an sich scharfsinnige, aber durch nichts erwiesene 
Hypothesen aufgebaut werden. Dieses bezieht sich hauptsächlich 
auf die Mikroorganismen und ihre Beziehung zur Sepsis, welche 
im 1. Theile „Von den Arten und Hindernissen der Wundheilung“ 
auseinander gesetzt sind. Der 2. Theil beschäftigt sich mit den 
Verhältnissen der Wundheilung etc., im dritten werden ausser¬ 
ordentlich ausführlich die Antiseptica und die antiseptischen Be¬ 
handlungsmethoden geschildert und wir möchten glauben, dass 
dieser Theil der wichtigste und gelungenste des Werkes ist. Im 
letzten Theile werden sodann die Wundbehandlungsmethoden bei 
den verschiedensten Arten der Verwundungen und an den ver¬ 
schiedenen Körperregionen erläutert. Im Anhänge ist sodann noch 
in möglichster Kürze — was als Vorzug, nicht als Gegentheil er¬ 
scheinen muss — die in der chirurgischen Klinik zu Pest übliche 
Behandlung der hauptsächlichsten Krankheiten erwähnt. 

Das Buch, Prof. v. Koväcs gewidmet, dürfte mit Interesse auch 
von Fachleuten gelesen werden, wir möchten aber meinen, dass es 
an Werth viel gewinnen würde, wenn manche Theile, besonders der 
erste, kürzer behandelt und hypothetische Erwäguugen möglichst 
vermieden würden. Für einen Schüler haben dieselben doch nur 
geringen Werth, wenn sie nicht gar das Gegentheil von dem Er¬ 
strebten mit sich bringen, nämlich verwirren, anstatt aufzuklären, 
und derjenige, welcher sich eingehender mit den Fragen beschäftigt, 
muss doch zu den Originalen zurückgreifen, Allerdings ist ja eine 
Grenze in dieser Hinsicht sehr schwierig zu ziehen. — Sodann 
möchten wir für eine zweite Auflage eine grössere Berücksichtigung 
der Orthographie der Namen etc. empfehlen. Es berührt unange¬ 
nehm, ganz bekannte Namen unrichtig, ja magyarisirt zu finden. Wir 
lesen: Gravitz, Burov, Bergman, Maass, Nenky (anstatt 
Nencki), Miculieoz, abgesehen von anderen vielleicht als Druck¬ 
fehler zu betrachtenden Erratis. — Indess, das sind orthographische 
Kleinigkeiten. Im Ganzen kann das Buch empfohlen werdeu. Aus¬ 
stattung und Druck sind, wie gewöhnlich im obigen Verlag, vorzüglich. 

F. Falk. Die pathologische Anatomie und Physiologie des 
Joh. Bapt. Morgagni (1082-1771). Ein monographischer Bei¬ 
trag zur Geschichte der theoretischen Heilkunde. 8. 112 S. 
Berlin, August Hirschwald, 1887. Ref. Max Salomon. 

Verf. hebt hervor, wie sehr uns noch kritische Darlegungen 
der Entwickelung medicinischer Einzeldisciplinen fehlen, wenn auch 
einige wenige, wie die der Geburtshülfe, der Augenheilkunde schon 
geliefert sind. Auch die pathologische Anatomie harrt noch einer 
solchen, und Verf. erachtet es bei dem an Vollendung reichenden 
Ausbau derselben jetzt für angebracht, einen Rückblick auf frühere 
Stadien dieser Disciplin gleiten zu lassen. Als Ausgangspunkt dieses 
Rückblickes hat er sich die Lichtgestalt des Italienischen Forschers 
und Meisters Joh. Bapt. Morgagni erwählt. Was ihm, der 
keineswegs, wie Uneingeweihte glauben, der Schöpfer der patholo¬ 
gischen Anatomie, noch der erste umfassende Bearbeiter derselben 
gewesen ist, die Bewunderung der Mit- und Nachwelt verschafft 
hat. sind folgende Umstände. Zunächst hat er es mit unermüd¬ 
lichem Fleisse verstanden, von den Funden seiner Vorgänger und 
Zeitgenossen Kenntniss zu gewinnen und die ganze vorhandene 
pathologisch-anatomische Literatur zu beherrschen. Sodann ist die 
Fülle des von ihm selbst Dargeboteuen, seine Beobachtungen, eine 
erstaunliche; sie übertrifft, von der Qualität ganz abgesehen, an 
Quantität alles von seinen Vorgängern Geleistete. Dabei widerstrebte 
es ihm, nach Art früherer Arbeiten. Curiosa zu sammeln. Im 
Gegentheil hält er die alltäglichen Vorkommnisse für praktisch 
werthvoller, als die Raritäten. Denn der praktischen Medicin sollen 
seine Studien zu Gute kommen, er will das am Leichentisch Beob¬ 
achtete zu dem am Krankenbette Wahrgenommenen in innigste Be¬ 
ziehung bringen. Zu dem Zweck fügt er längere epikritische 
Erörterungen der Krankengeschichten deu resp. Sectiousbefunden 
an. Er führt die Stagnation der wissenschaftlichen Medicin im 
Mittelalter hauptsächlich darauf zurück, dass man bis zum 16. Jahr¬ 
hundert keine Sectionen gemacht habe. Letztere sucht er aber 
nicht bloss für Diagnostik und Prognostik, sondern auch für die 
Aetiologie und, was besonders hervorgehoben zu werden verdient, 
auch für den höchsten Endzweck allen ärztlichen Forschens, für die 
Therapie zu verwerthen. Unzählich sind die Seiten, auf denen dar¬ 
gelegt wird, wie aus dem Ergebnisse der Leichenöffnung die Richt¬ 
schnur für das therapeutische Vorgehen gegen ähnliche intravitale 
Krankheitserscheinungen zu entnehmen ist. Sein therapeutischer 
Standpunkt muss als ein rationeller bezeichnet werden. Morgagni 
ist fern vom Nihilismus, aber auch Gegner des vielgeschäftigen 
medicamentösen Eingreifens; seine Therapie ist eine symptomatische, 
empirische. Um einen klareren Einblick in pathologische Vorgänge 
zu gewinnen, schreitet er zum Thierexperimente, zur Vivisection, 
deren eifriger Verfechter er ist. Dem Experimente schliesst Mor¬ 
gagni endlich noch eine andere Untersuchungsmethodik an, näm¬ 


lich einfache chemische Operationen, wie Kochen, Säure- und Alkali¬ 
zusatz zu Exsudaten, Transsudaten u. s. w. 

Eine befremdende Einschränkung in Betreff der Sectionen hat 
er sich dadurch aufgelegt, dass er sie bei Individuen, die an an¬ 
steckende Krankheiten gestorben waren, nicht vornahm. So ver¬ 
meidet er Leichen von Schwindsüchtigen und Pocken- und Pest¬ 
kranken, secirt dagegen in reichlicher Zahl Syphilitische. Durch 
Fäulniss einer Leiche liess er sich von der Section nicht abhalten 
— leider eine Quelle mancher falschen Schlussfolgerungen, da er 
Fäulnisserscheinungen nicht selten mit intra vitam entstandenen 
pathologischen Producten verwechselte. 

Ein eingehendes, zusammenfassendes Studium der Leistungen 
Morgagni’s erschwert die Form seiner Arbeit ungemein. Er hat 
es nicht verstanden, durch anziehende Schreibart die rauhe Kost 
zu würzen, der man den Vorwurf der Weitschweifigkeit und Un¬ 
übersichtlichkeit nicht ersparen kann. Er vereinigt nicht selten 
unter derselben Capitelüberschrift nicht Zusammengehöriges und er¬ 
geht sich oft in Abschweifungen. 

Indem Verf. sich nun zur specielleu Betrachtung der Lehren 
Morgagni’s im Lichte heutiger Anschauung wendet, betont er zu¬ 
nächst, dass wesentlich Neues, Wissenswerthes im Gebiete der all¬ 
gemeinen pathologischen Anatomie und der allgemeinen Pathologie 
bei ihm vermisst wird. Wir finden hier theils wenige eigene, vage 
Speculationen, theils, und vorwiegend, aus älterer Zeit überkommene 
Theorien. So ist auch seine Geschwulstlehre eine durchaus unge¬ 
nügende, die Unterscheidung der Geschwülste eine oberflächliche, 
im wesentlichen nach der Consistenz sondernde. Geradezu dürftig 
erscheint seine Dermatologie. 

Verf. erörtert dann die specielle pathologische Anatomie Mor¬ 
gagni’s und geht zu dem Zwecke in der Weise vor, dass er die 
pathologischen Befunde nach den einzelnen Systemen des Organis¬ 
mus ordnet und eine kurze Entwickelung der physiologischen An¬ 
schauungen Morgagni’s an die Spitze stellt. In der Art werden 
folgende Capitel abgehandelt: 1. Nervensystem; 2. Sinneswerkzeuge; 

з. Respirationscanal; 4. Kreislaufswege; 5. Digestionstractus; 6. Uro¬ 
genitalapparat; 7. Bewegungsorgane. Auf Einzelheiten hier einzu¬ 
gehen, ist Ref. bei der Fülle des Stoffes nicht möglich, deshalb sei 
nur im Allgemeinen bemerkt, dass vollständige Beherrschung des 
Gegenstandes und ungemeiner Fleiss Vortreffliches geleistet haben. 
Besonders hervorheben müssen wir noch, dass Verf. vielfach Seiten¬ 
blicke auf Perioden vor und nach Morgagui wirft und dadurch, 
wie er sich von neuem als tüchtigen Historiker documentirt, so auch 
seinem Werke manche interessante Züge verliehen hat. 

Die grosse Bedeutung der vorliegenden Arbeit macht es Ref. 
aber auch zur Pflicht, einige kritische Bemerkungen nicht zurück¬ 
zuhalten. Um Interesse für einen Schriftsteller, dessen Stellung in 
der Wissenschaft man dem Leser darlegen will, zu erwecken, ist es 
höchst erwünscht, durch biographische Daten auch Aufschluss über 
seine persönlichen Verhältnisse zu geben und ihn so aus einem, ich 
möchte sagen, abstracteu Begriffe, in einen concreten Menschen zu 
verwandeln. Für Historiker sind solche Daten allerdings oft über¬ 
flüssig, allein wie viele Historiker giebt es denn? Wäre die Schrift 
für sie nur geschrieben, dann wäre es, bei dem Indifferentismus von 
ärztlichem Publikum und Regierung — ist doch nicht einmal der 
vor 23/ 4 Jahren durch Haeser’s Tod verwaiste Lehrstuhl für Ge¬ 
schichte der Medicin an der Uuiversität Breslau wieder besetzt — 
dann wäre es, sagte ich, unter Ausschluss der Oeffentlichkeit ge¬ 
schehen. Also eine Biographie Morgagni’s hätte Ref. der Arbeit 
gern vorausgeschickt gesehen. — Sodann vermisst Ref. vielfach 
ein Belegen der Behauptungen durch Citate aus Morgagni’s 
Werken. Wenn wir auch gern bereit sind, dem Verf. aufs Wort 
zu glauben, so sollte uns doch wenigstens die Möglichkeit einer 
Nachprüfung gegeben werden. — Eine dritte Bemerkung geschieht 
pro domo. Bei Gelegenheit der Besprechung des Diabetes kommt 
Verf. auch auf einige geschichtliche Daten zu sprechen und erinnert 

и. A. an eine Stelle in dem Buche von Mead über die Gifte, wonach 
Mead „aliquid steatomatosi“ in der Leber gefunden habe. Diese 
Stelle, die den Englischen Autoren nicht entgangen, sei in den 
neueren Monographieen über Diabetes aber nicht angeführt. Ref. 
möchte hier in aller Bescheidenheit an seine „Geschichte der 
Glycosurie von Hippokrates bis zum Anfänge des 
19. Jahrhunderts“ (Leipzig 1871) erinnern, in der nicht allein die 
Mead sehe Angabe sich findet, sondern die überhaupt eine correcte 
und zuverlässige quelleninässige Darstellung der geschichtlichen Ent¬ 
wickelung der so interessanten Krankheit bietet. 

Dies sind aber nur kleine Aussetzungen, die den grossen Werth 
der vorliegenden Arbeit, welche wir zu den besten der historischen 
Sparte, die in den letzten Jahrzehnten geschrieben sind, rechnen, 
nicht im mindesten schmälern sollen. Wir empfehlen daher das 
Werk unseren Collegen, die es lieben, auch einen Blick über den 
engen Horizont der Praxis hinauszuwerfen, aufs Eindringlichste. 


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DEUTSCHE MEDIC1NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 


VII. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. 

Sitzung am 2. Juli 1888. 

Vorsitzender: Herr Bardeleben? Schriftführer Herr J. Israel. 

1. Herr Bardeleben: Vorstellung eines Falles von Beckensclmss. 
27 Jahre alter Mann, vor 5‘/a Wochen (am 23. Mai) von einem Wachtposten 
geschossen. Entfernung ca. 60 Schritt. Eingangsöffnung hinten zwei Finger 
breit unterhalb der Mitte der rechten Crista ilei, Ausgangsöffnung vorn 
rechts, 1 Handbreit über der Spina sup. ant. — Keine Peritonitis. Nach 
2 Tagen spontaner Stuhlgang, keine Blutbeimenguug. Am 6. Tage nach dem 
Schuss Entleerung von Koth aus der Ausschussöffnung; 2 Tage lang kein 
Stuhl p. anum; dann allmählich immer weniger, nach 10 Tagen fast gar 
Nichts mehr aus der Wunde und normale Entleerungen. 2 Wochen lang 
Wohlbefinden: dann Erscheinungen von Obstruction; nach Eingiessung nur 
vorübergehend Erleichterung. 4 Tage lang IJebelkeit, Meteorismus; dann 
wieder reichliche Kothentleerung aus der Ausschussöffnung. Seitdem wieder 
Wohlbefinden. Also: Schuss hat extraperitoneal das Colon ascendens ge¬ 
streift, nicht geöffnet; erst nach 6 Tagen Necrose der getroffenen Partie und 
Kothfistel. 

Herr R. Köhler: Der von dem Herrn Vorsitzenden eben vorgcstcllte 
Fall scheint besonders aus dem Grunde interessant, als er geeignet 
erscheinen könnte, die Wirkung unseres modernen Militärgewehres bei 
Schüssen aus grosser Nähe zu deinonstriren. Man nimmt allgemein an, 
dass solche Nahschüsse aus unserm jetzigen Gewehre die bekannte hydrau¬ 
lische Pressung in dem getroffenen Theile erwarten lassen. Dass diese nicht 
immer eintrifft, beweist der vor uns liegende Patient, welcher keine Spur 
einer solchen Pressung zeigt. Eine ganz ähnliche Beobachtung konnte ich 
vor einigen Tagen machen. Ich sollte ein Gutachten über einen Mann ab¬ 
gehen, welcher von einem Militärposten in den Rücken geschossen war. 
Ich habe zwar den Patienten nicht selbst behandelt, habe mir aber eine 
genaue Krankengeschichte behufs Ausstattung des Gutachtens verschafft. 

In der Nacht vom 2. '3. April d. J. wurde der 22jährige Mann bei 
einem Fluchtversuche von einem Militärposten in den Rücken geschossen. 
Die Entfernung zwischen dem Schützen und dem Getroffenen betrug un¬ 
gefähr 20 Schritt. Der Schusseingang befand sich in der Höhe des ersten 
Lendenwirbels, 8 cm nach links von der Mittellinie der Wirbelsäule, die 
Ausgangsöffnung 14 cm weiter nach vorn, am anderen Ende der linken 
11. Rippe. Die Eingangsöffnung war vollkommen kreisrund, von der Grösse 
des Querschnitts des Projectils, die Ausgangsöffnung länglich, etwa doppelt 
so gross wie der Einschuss. In der Ausschussöffnung war das freiliegende 
vordere Ende der 11. Rippe zu sehen. Der Verletzte bekam circumscripte 
Peritonitis: der Urin enthielt in den ersten 48 Stunden nach der Verletzung 
viel Blut, so dass in Anbetracht der Lage, des Schusscanals eine Verletzung 
der linken Niere angenommen werden musste. Am 1. Juni er. war der 
Schusscanal in seiner ganzen Länge vernarbt, und Patient konnte aus der 
ärztlichen Behandlung entlassen werden. Ein circumscriptes peritonitisches 
Exsudat ist noch jetzt nachzuweisen. Auch dieser Nahschuss hat also keine 
hydraulische Pressung erzeugt, obgleich blutreiche Organe, sowie die Niere 
getroffen sind. 

2. Herr Bardeleben: Vorstellung eines Falles von complicirtem 
Schädelbruch. 21 Jahre alter Mann, am 31. Mai mit einem Fahrstuhl 3 Etagen 
tief gestürzt. Am Hinterkopf links Quetschwunde mit */« cm tiefer Depression 
eines 3 cm im Durchmesser haltenden Knochenstücks. Am rechten Ober¬ 
schenkel grosse, auf einen Knochenbruch zwischen mittlerem und unterem 
Dritttheil führende Quetschwunde. 4 Tage lang Benommenheit, keine 
Lähmungserscheinungeu. Ophthalmoskopisch links geringe Stauung: sonst 
normal. Sah in den ersten 8 Tagen „gar Nichts“, verkannte alle Farben 
(auch blau!). Nach 14 Tagen Besserung der Sehschärfe; Klagen über Doppel¬ 
bilder: Parese des linken Abducens. (Pat. erzählt freilich, auch früher schon 
doppelt gesehen zu haben). Jetzt, 5 Wochen nach dem Unfall, ist der 
Oberseheukelbruch consolidirt; die Schädelwunde geheilt (tiefe Mulde; an 
der Depression war nichts geändert) bis auf 2 kleine oberflächliche Stellen. 
Abducenspare.se links besteht noch, Sehschärfe links 'Vso. rechts 15 mo 
(ophthalra. Astigmatismus!). Farben werden alle richtig erkannt, Gesichts¬ 
feld normal. 

Herr v. Bergmann macht auf die Häufigkeit der Abducenslähmungen 
bei Schädelbrüchen aufmerksam und erklärt dieselben durch gleichzeitige 
Fissuren der Schädelbasis. Bei der grossen Länge seines Verlaufs sei der 
Nerv besonders leicht Läsionen ausgesetzt. Auch in dem vorliegenden Falle 
verrauthet Herr v. Bergmann eine Längsfissur der Basis als Ursache der 
A bducensparese. 

Herr Bardeleben hält letztere für eine alte Affection mit Rücksicht 
auf Anamnese und Fehlen jedes anderen Symptoms einer Basisfractur. 

3. Herr Bardeleben: Vorstellung eines Falles von Lnxatio snb talo. 
50 Jahre alter Mann, am l.Juni beim Abspringen vom Omnibus auf Asphalt 
ausgeglitten und eine kurze Strecke geschleift. Der rechte Fuss in starker 
Klumpfussstellung, Taluskopf in richtiger Stellung zu den Malleolen, Calca- 
neus mit dem ganzen übrigen Fuss stark nach innen rotirt (Vorzeigung eines 
vor der Einrenkung hergestellten Gypsabgusses). Also Zerreissung der Ligg. 
calcan. fibul. antic. und postic., während das Lig. talofibul. gehalten haben 
muss. — Leichte Reduction. Die über den Taluskopf hinübergespannte Haut 
ist nach ca. 14 Tagen zum Theil nekrotisch geworden: doch geht die Nekrose 
nicht in die Tiefe, es ist keine Schwellung mehr vorhanden, Fuss activ be¬ 
weglich, keine Schmerzen. 

4. Herr ßardeleben: Vorstellung eines Falles von Elephantiasis 
penls. 46 Jahre alter Maun; seit 26 Jahren in verschieden grossen Inter¬ 
vallen an schmerzhaften Anschwellungen der Genitalien leidend. Die Rück¬ 
bildung war nie vollkommen, so dass allmählich eine Verdickung von Penis 
und Scrotum entstand. Seit 10 Jahren Entstehung warziger Auswüchse, 
namentlich ain Präputium, das Orificium praeputii blieb frei: die Scrotal- 
haut wenig verändert. Am 17. April wurde der Patient mit faustdickem 
Penis, kindskopfgrossem Scrotum und mit schwerer Phlegmone der Bauch¬ 


decken aufgenomraen. Die letztere ist nach multiplen Incisionen, lang- 
dauernden Bädern u. s. w. geheilt. Patient hat sich erholt und glaubt, 
dieses Mal sei die Schwellung wieder soweit zurückgegangen, wie sie vor 
der jetzigen Krankheit war. 

5. nerr Bardeleben: Vorstellung eines durch einzeitige Operation 
geheilten Falles von Echinococcus des linken Leberlappens. 2 t Jahre 

altes Mädchen, seit 2 Monaten krank, seit 2 Wochen schmerzhafte Schwel¬ 
lung in der Magengegend. Bei der Aufnahme auf die chirurgische Klinik 
(17. Mai) gro'se Prostration, Abmagerung, ikterische Haut. Eine I’robe- 
punction hatte Echinococcushaken in eitriger Flüssigkeit ergeben. — Am 
18. Mai einzeilige Operation; Incision, Annähen des Peritoneum viscerale 
an die Bauchwunde, Ocffnung der Geschwulst. 1300 ebem Eiter mit zahl¬ 
losen Blasen. Vier Tage lang Erbrechen, Entleerung von Galle aus der 
Wunde. Nach 18 Tagen noch oberflächlicher Granulationsstreifen, nach 

4 Wochen Heilung vollständig. Die Patientin hat sich vollkommen erholt, 
sieht frisch uhd blühend aus. 

6. Herr Bardeleben: Vorstellung eines Falles von Echinococcus in 
der Muskulatur des rechten Oberschenkels. 58 Jahre alte Frau, welche 
Dämpfung über der linken Lungenspitze hat und angab, früher syphilitisch 
inficirt gewesen zu sein, mit Fieber, Schmerzen und Schwellung des rechten 
Beins am 26. Juni aufgenommen. Oberhalb der Kniekehle soll schon seit 

5 Jahren Schwellung bestehen: seit 14 Tagen plötzlich Zunahme nach oben 
und unten. Incisionen entleeren aus der Geschwulst an der Wade und am 
Oberschenkel ca. 700chcm Eiter, in welchem sich zahllose kleine und grosse 
Blasen befiuden. Echinococcushaken, geschichtete Membranen. — Verlauf 
fieberfrei. — 

Herr Bramann berichtet über einen Echinococcus der Oberschenkel- 
muskulatur, den er vor 10 Tagen operirt hat. Bei dem Patienten soll sich 
vor 6 Jahren nach einer Contusion unter dem rechten Trochanter major 
eine Geschwulst gezeigt haben, anfangs schmerzhaft, später indolent. Drei 
Jahre später bedeutende Dickenzunahme des Oberschenkels, welche sich all¬ 
mählich bis zur Kniekehle erstreckte. Vor 2 Jahren wurde Patient einer 
grössern ärztlichen Gesellschaft, als Fall von Pseudo-Muskelhypertrophie vorge- 
stellt. Vor 10 Tagen traten Fieber und Schmerzen auf, und die Geschwulst öff¬ 
nete sich spotan. Herr Bramann fand bei der Aufnahme einen enormen fluc- 
tuirendeu Sack vom Trochanter bis zur Wade an der hinteren Seite des 
Oberschenkels. — Aus einer linsengrossen Oeffnung traten in jauchigem 
Eiter schwimmende Echinococcusblasen. Der Sack wurde mit grossem 
Schnitt geöffnet : er lag zwischen Periost des Femur und Muskulatur der 
Beugeseite, und war mit enormen Mengen von Blasen gefüllt; die Mutter- 
blase war bis auf Reste zu Grunde gegangen. 

Herr J. Israel hat bei einem Knaben einen orangegrossen Echino¬ 
coccus operirt, der seinen Sitz unter den Adductoren des Oberschenkels hatte. 

Herr J. Wolff verfügt übereine gleiche Beobachtung, welche in einer 
Dissertation von Herrn Tavel niedergelegt ist. 

7. Herr A. Köhler: Vorstellung eines Falles von geheilter Lnxatio 
cobiti complicata. 12 Jahre alter Knabe, Mitte Mai beim Sprung über den 
.Bock“ auf die ausgestreckte rechte Hand gefallen. Das untere Ende des 
Humerus hatte die Weichtheile der Ellenheuge durchstossen bis auf den N. 
medianus, der wie eine straff gespannte Sehne über den freiliegenden Knochen 
hinwegging. Die primäre Desinfection, die Einrenkung und der erste Ver¬ 
band waren am Orte der Verletzung (Steglitz) gemacht.. — Reactionslose 
Heilung mit frei beweglichem Gelenk. — 

8. Herr A. Koehler: Vorstellung eines Falles von operativem 
raeudomyxoedem. 46 Jahre alte Frau, März 1886, Totalexstirpation 
einer 720,0 schweren Struma durch Herrn Oberstabsarzt Dr. R. Koehler: 
3 I* Jahr später Wiederkehr früher schon vorhandener Schwellungen an 
Händen, Füssen und im Gesicht, leichte Ermüdung, etwas schwerfällige 
Sprache. Weil die Patientin damals starken Eiweissgehalt des Urins hatte, 
die Schwellungen eine Zeit lang rein oedematös waren; weil Gefühl, Ge¬ 
dächtnis, Intelligenz intact, die Haare nicht ausgegangen, die Zähne nicht 
ausgefallen sind, möchte der Vortragende den Fall nicht bestimmt für 
Myxoedem erklären. Die 15 „Sätze“ des Myxoedem-Berichtes (Lancet, 
2. Juni 1888 p. 1078) werden auszugsweise mitgetheilt. — 

Herr Landgraf hält das Krankheitsbild für Myxoedem, indem er auf 
die trockene rissige Haut, den Mangel des Schwitzens, Neigung zum Frieren, 
die verlangsamte Sprache hinweist. Das Fehlen mancher Erscheinungen sei 
erklärlich aus der Kürze der Zeit, die seit der Operation verflossen sei. 

9. Herr A. Köhler: Die (Jrethrotomia ext. als Blutstillungsmittel 
bei Blasengeschwülsten. Durch 3 Fälle istVortr. zu der Aufstellung dieses 
therapeutischen Vorschlags gekommen. Der erste, von der Bardeleben- 
schen Klinik, betraf einen 60jährigen Mann, der vor fast 3 Jahren, durch 
Blasenblutungen aufs Aeusserste heruntergekommen, nach der Urethrotomie, 
welche übrigens eine inoperable Geschwulst erkennen Hess (Charite-Annalen 
Jhg. XII), und Drainage der Blase keine Blutungen mehr hatte und 5 /« Jahre 
(auch nach dem 4 Wochen post, operat. erfolgten Schluss der Dammwunde) 
frei blieb und sich vollständig erholte. Der zweite von Trzebicky (Wiener 
med. Presse, 18. October 1885) berichtete Fair war dadurch merkwürdig, 
dass bei ihm die Blutungen nach dem Dammschnitt aufhörten, obgleich die 
Ursache nicht gefunden wurde. Der dritte Fall ist von Southam und Oxon 
(Lancet, 26. Mai 1888, p. 1023) berichtet, und hier wird direkt der Vor¬ 
schlag gemacht, bei heruntergekommenen Patienten mit Blasengeschwülsten 
erst dann die Sectio alta zu machen, nachdem sie sich, durch den Harn¬ 
röhrenschnitt von den fortwährenden Blutungen befreit, erholt haben. Vortr. 
schliesst sich diesem Vorschläge an. 

10. Herr A. Koehler: Vorzeigung einer Bandage für Wanderniere. 
Durch die Mittheilungen von Nie haus (Centralbl. f. Chir., December 1888) 
veranlasst, hat Vortr. von Thamm (Karlstr. 14) den vorgezeigten, aus 
Beckenring mit verticalem, die Hohlpelotte in einem Kugelgelenk tragenden 
Stahlstab bestehenden Apparat, anfertigen lassen. Die Patientin ist sehr 
zufrieden damit. Die Feder des Beckenringes ist noch zu stark, und an der 
Rückenseite muss noch besondere Polsterung angebracht werden. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


641 


2. August. 

11 Herr Stenzei: Beitrag zur Radicaloperation grosser Hernien. 

Anton M., 35 Jahre, Arbeiter. Seit 14 Jahren besteht eine rechtsseitige 
reponible Scrotalhernie von Mannskopfgrösse (Umfang 50 cm, Länge von der 
Mitte des Lig. Poup. bis zur unteren Spitze 25—26 cm). Die Bruchpforte 
ist für 4 Finger bequem durchgängig. 

Radicaloperation am 24. März er. Nach Spaltung des Bruchsackes 
wird derselbe isolirt und etwa in der Mitte araputirt; die obere Hälfte wird 
der Länge nach in 3 Streifen bis in die Bruchpforte hinein gespalten; die 
einzelnen Streifen werden nach innen aufgerollt, zunächst in sich und dann 
an der Brachpforte rings durch Catgutnähte so befestigt, dass der gebildete 
Pfropf durch die Brachpforte möglichst weit nach der Bauchhöhle hin in- 
vaginirt wird. Exstirpation des übrigen Bruchsackes und Etagennaht der 
Wundhöhle: Jodoform. Moosverband. Heilung per primam. Entlassung am 

3. Mai. Seit 14 Tagen arbeitet der Operirte ohne Beschwerde. Der Brach 
ist nicht wieder ausgetreten, es wird ein Bruchband getragen. 

Herr Sonnen bürg: Es dürfte den Herrn Vortragenden-interessiren, 
dass Macewen z. B. den Bruchsack aufrollt und wie ein Kissen oder 
Polster am inneren Leistenringe durch complicirtes Verfahren fixirt. Ebenso 
fixirt Bark er den abgeschnittenen Brachsack am inneren Ringe. 

Im Anschluss an den vorgetragenen Fall von Radicaloperation einer 
Leistenhernie, erlaube ich mir Ihnen ein Präparat einer congenitalen 
seltenen Hernie zu demonstriren, bei der ich vor einigen Tagen die 
Radicaloperation machte. Bekanntlich kann die Störung im Descensus 
testiculoram drei besondere Modificationen des Leistenbruchs hervorrufen: 
der nicht obliterirte Processus vaginalis kann hinter dem inneren Leistenring 
unmittelbar vor dem Peritoneum (Hemia praeperitonealis), oder innerhalb des 
Leistencanals zwischen den Bauchmuskeln und zwar zwischen Obliquus 
extern, und internus (Hernia inguino-interstitialis), oder endlich drittens vor 
dem äusseren Leistenring direkt unter der Haut sich ausdehnen (Hernia 
inguinalis superficialis). Auf letztere Form hat Herr College Küster wie¬ 
der aufmerksam gemacht. In meinem Falle lag der Hoden dicht vor dem 
äusseren Leistenring, die Hernie, deren Brachsack Sie hier sehen, hatte 
sich neben dem Hoden vorbei aus dem Leistencanal herausgedrängt, und da 
kein bestimmter Weg nach dem Hodensaok vorhanden war, so hatte sie 
sich unter der Haut direkt ausgebreitet. Da bei dem Patienten, einem 
jungen Officier, ein Bruchband nicht getragen werden konnte, so sah ich 
mich zur Radicaloperation veranlasst. 

12. Herr Stenzei: Merkwürdiger Befand bei der Operation einer 
eingeklemmten Hernie. Hermann S., 39 Jahre, Arbeiter. Seit 6 Jahren 
besteht ein rechtsseitiger, nicht vollständig durch ein Bruchhand zurückzu¬ 
haltender Leistenbrach von der Grösse zweier Fäuste (Umfang 30 cm, Länge 
vom Lig. Poup. bis zur Spitze 18 cm). Einklemmungserscheinungen be¬ 
stehen 36 Stunden. Herniotomie am 20. Mai, gleich nach der Aufnahme 
in’s Krankenhaus. Im Bruchsacke sind etwa 200 g klares Brachwasser ent¬ 
halten, ausserdem eine faustgrosse platte Geschwulst, welche an der Ober¬ 
fläche mit einer glatten, röthlich-weissen Schwarte bedeckt erscheint. Die¬ 
selbe verjüngt sich nach der Brachpforte und ist im Bruchsackhalse ein- 
geschnürt, es bestehen keine Verwachsungen mit dem Bruchsacke. Nach 
Erweiterung der Bruchpforte kann man den schwartigen Strang bis in die 
Bauchhöhle verfolgen. Eine Incision ergiebt unter einer 3—4 mm dicken 
Schwarte dunkelrothen Darm, der sich von der Umhüllung nicht tronnen 
lässt. Nach starker Erweiterung der Bruchpforte gelingt es, die um¬ 
wachsene Darmschlinge zu reponiren: dabei gleitet dieselbe wie ein freier 
Darm in die Bauchhöhle zurück. Anschluss der Radicaloperation wie im 
vorigen Falle und zugleich Schnittoperation einer gleichseitigen Hydrocele. 
Nach ungestörter Heilung Entlassung des Patienten am 19. Tage ohne 
Bruchband. An der Brachpforte kein Impuls beim Husten bemerkbar. Die 
Entstehung des seltenen Befundes deutet Herr Stenzei so, dass der früher 
mit. dem Bruchsacke verwachsene Darm durch die starke Ansammlung von 
Bruchwasser bei fortgesetztem Tragen eines Brachbandes wieder frei gewor¬ 
den ist, aber eine schwartige Bekleidung behalten hat. 

13. Herr Stenzei: Vier Fälle von Verletzung des Nervus ulnaris. 

a) Sch., 24 Jahre, Arbeiter, hat Mitte Februar er. durch einen Messer¬ 
stich dicht an der Handwurzel eine Verletzung des rechten Nerv, ulnar, 
erlitten. Heilung anderweitig mit stark adhärenter Hautnarbe Der Kranke 
hat jetzt wegen gleichzeitig entstandener Beugeconiractur des 4. und 5. Fin¬ 
gers die Charite aufgesucht. Er besass noch vollkommene Ulnarislähmung. 

b) August Schw., 34 Jahre, Schornsteinfeger. Verletzung in post- 
epileptischer Verwirrtheit mit einem Rasirmesser, handbreit oberhalb der 
linken Handwurzel. Aufnahme in die Anstalt am 27. April er., erst 24 
Stunden nach der Verletzung. Eiue Durchschneidung des Nerv, uln wird 
in der bereits entzündeten Wunde nicht gefunden. Es ist vollkommene 
Lähmung der Hand im Bereiche des Nerv. uln. eingetreten. 

c) August R., 55 Jahre, Arbeiter, verübte »in conamen suicidii mit 
einem Rasirmesser. Aufnahme am 24. April er. Der Kranke ist stark 
anämisch. Ausser anderen Verletzungen besteht eine Durchschneidung des 
linken Nerv, ulnar, dicht über der Handwurzel. Nervennaht mit feinstem 
Catgut durch die beiden Stümpfe. Seit acht Tagen vermag der Kranke die 
Adduct. poll. und die Interossei des I. und 11. Paares zu gebrauchen. 

d) Arbeiter, 19 Jahre, Verletzung in der Anstalt durch Schlag in eine 
Fensterscheibe am 5. Juni er. Naht des durchschnittenen rechten N. ulnaris 
’/a Stunde nach der Verletzung. Etwa 14 Tage später beginnende Func¬ 
tion im vorletzten Uinarisgebiete. Heute, 27 Tage nach dem Unfall, ist die 
betreffende Muskulatur noch deutlich atrophisch, aber der Kranke vermag 
sämmtliche vom N. ulnaris versorgten Muskeln zu gebrauchen mit Ausnahme 
des M. interosseus intern, für den 5. Finger. 

14. Herr Stenzei: Demonstration eines Apparates zur Aufbewahrung 
chirurgischer Nadeln: In einem, zur Hälfte mit Alkohol und Glycerin ana, 
unter Zusatz von 1 : 1000 Thymol, gefüllten Blechkasten befinden sich die 
Nadeln in Trögen, welche mit Paraffinum solid, und Paraffin. liquid, ana sterili- 
sirt ausgegossen sind. Durch eine Vorrichtung erheben sich die Tröge mit den 


Nadeln aus der Flüssigkeit beim Oeffnen des Deckels und sind zum soforti¬ 
gen Gebrauche bereit, während sie beim Schliessen des Deckels wieder in 
die Flüssigkeit tauchen und hierin sowohl aseptisch, als auch frei von Rost 
aufbewahrt bleiben. 


VIII. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 7. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Schede. Schriftführer: Herr Sick. 

Fortsetzung der Discussion über den Vortrag des Herru Cursch¬ 
mann: Statistisches und Klinisches über den Unterleibs¬ 
typhus in Hamburg. 

Herr Krieg weist hin auf den Verdacht, der bei den praktischen 
Aerzten seit langem in Bezug auf unser Trinkwasser besteht. In der grossen 
Choleraepidemie von 1866 drängte sich dem Vortragenden dieser Verdacht 
zuerst in augenfälliger Weise auf, und zwar durch unaufgefordert gemachte 
Mittheilungeu von Kranken oder deren Angehörigen, die auf ein plötzlich 
genossenes grosses Quantum Elbwasser die nach wenig Stunden eingetretene 
Erkrankung zurückführten. Es handelte sich hier zumeist um Schiffer, 
Ewerführer und Arbeiter, die auf oder am Elbstrom beschäftigt waren. 
Eclatanter war eine kleine Epidemie, die im November 1867 in der Anzahl 
von 20—30 Fällen ebenso plötzlich entstand als verschwand. Diese Er¬ 
krankungen ereigneten sich in einigen Strassen der Neustadt und in einer 
Familie am Kehrwieder. Letztere, aus den Eltern, 4 Kindern mit 1 Dienst¬ 
boten bestehend, hatte an einem Sonnabend Abend Pellkartoffeln mit stark 
salzigen Häringen gegessen. Die Kinder besonders hatten daraufhin viel 
Wasser direkt aus dem Leitungsrohr getrunken und waren noch in der¬ 
selben Nacht unter schweren Cholerasymptomen erkrankt. Zwei derselben 
starben schon am folgenden Vormittage, die beiden anderen am folgenden 
und übernächsten Tage. Die leichter erkrankten Erwachsenen genasen. 
Hier war jede andere Ursache durch die eingehendste Untersuchung der 
Lebensmittel, welche die Familie in guter, gesunder Beschaffenheit und aus 
denselben Bezugsquellen wie die ganze Nachbarschaft entnommen hatte, 
ausgeschlossen. Die Wohnung und ihre Ausstattung war seit mehreren 
Jahren unverändert, neue Kleider und dergl. waren nicht angeschafft, die 
Koch- und Trinkgeräthe gesundheitsgemäss und seit längerer Zeit benutzt. 
Nur das über dem Closet befindliche Wasserreservoir hatte einen sehr be¬ 
trächtlichen Schlammniederschlag, wie er sich aber auch sonst wohl in 
vielen Reservoirs hierorts zu allen Zeiten findet. Das sehr gesalzene Mahl 
war an einem Sonnabend Abend genossen, also zur Zeit, wo durch den an 
diesem Wochentage üblichen, sehr gesteigerten Wasserverbrauch der 
Wasserkasten wahrscheinlich bis nahe der Schlammschicht abgeflossen war. 
Von diesem üblen Wasserreste und dem in den nächsten Stunden nach¬ 
geflossenen Wasser hat die Familie getrunken, die Kinder zuerst und 
zumeist, 

Aehnliche Erfahrungen giebt die Typhusepidemie der beiden letzten 
Jahre. Redner hat es für eine Gewissenspflicht erachtet, den Familien 
seiner Praxis eiudringlichst einzuschärfen, nur gekochtes Wasser zu be¬ 
nutzen, eine Mahnung, die freilich nicht, immer befolgt sein wird. Am re¬ 
nitentesten dagegen ist im Durchschnitte das Dienstpersonal, das freilich für 
die Herrschaft das Wasser kocht, selber aber mit Vorliebe und vielleicht 
auch aus Opposition das Wasser direkt aus der Leitung trinkt — und die 
aus der Schule oder vom Spielplätze durstig beimkehrende Kinderwelt. 
Dementsprechend hat Redner eine grosse Zahl von Dienstmädchen erkranken 
sehen, und in Familen, wo ausserdem noch Erkrankungen vorkamen, waren 
die Dienstboten in der Regel die zuerst Befallenen, während bei den 
Kindererkrankungen oft genug auf die ärztliche Erkundigung hin die elter¬ 
liche Auskunft erfolgte: Dies erkrankte Kind war es, das sich nie hat ab¬ 
mahnen lassen, sondern mit Vorliebe direkt aus dem Küchenhahne ge¬ 
trunken hat. 

An der Schädlichkeit unseres Trinkwassers besteht unter den hiesigen 
Aerzten wohl kein Zweifel mehr. 1866 wurde dieselbe von den Staats¬ 
technikern und Medicinalbeamten noch in Abrede gestellt, weil die derzeit 
üblichen und möglichen Untersuchungsmethoden keine Anhaltspunkte auf¬ 
decken konnten. Redner hat aber damals und bis heute seinen gutbegrün¬ 
deten Glauben an diese Schädlichkeit nicht aufgegeben, und dieKoch’sche 
Entdeckung des Cholerabacillus bat wenigstens in Bezug auf die Cholera 
seinen Glauben gerechtfertigt. Nach dieser Analogie könnte auch noch der¬ 
selbe Beweis in Bezug auf die Schädlichkeit des Trinkwassers in Typhus- 
epidemieen gelingen, und in der That ist ja durch die Fränkel-Sim- 
monds’sche Entdeckung des Typhusbacillus dieser Beweis erbracht.') Ein 
Beweis, dass im Laufe der Jahre auch die Medicinalbehörde die Gefahr 
unseres Elbwassers anerkannt hat, ist die einige Male in den hiesigen 
Zeitungen erfolgte Anzeige dieser Behörde, wodurch die Bevölkerung an¬ 
gesichts der von Italien her drohenden Choleragefahr angewiesen wird, das 
Wasser nur gekocht zu geniessen. Man hätte nun glauben sollen, dass, 
was bei dem Cholerabacillus recht gewesen, bei dem Typhusbacillus billig 
sei. Aber eine ähnliche behördliche Aufklärung und Anweisung ist bis 
jetzt nicht erfolgt. Dieselbe müsste aber schleunigst und nachdrücklich 
in den öffentlichen Blättern bekannt gegeben und in bestimmten Terminen, 
selbst in gesunden Zeiten, wiederholt werden, um das Publikum aufzu¬ 
klären, bezw. aus seiner oft grossen Indolenz aufzurütteln. Vorerst giebt 
es keinen anderen Weg gründlicher Abhülfe. Wollten wir warten, bis die 
neue geplante Wasserversorgung eingerichtet ist, so würden darüber immer¬ 
hin ein bis zwei Jahre vergehen, und in Anbetracht, dass diese Frage schon 
über 20 Jahre auf der Tagesordnung steht, könnte der Termin auch noch 
etwas länger werden. 


') Herr Fränkel hat nachträglich mitgetheilt, dass das Vorkommen 
dieses Bacillus im Trinkwasser nicht erwiesen ist. 


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642 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Redner wendet sich dann gegen die Verteidigung, die Herr Physikus 
Reineke in den beiden letzten Sitzungen dem hiesigen Trinkwasser hatte 
angedeihen lassen, dessen Mängel er zwar anerkannte, dessen behauptete 
Rolle in der Typhusätiologie er aber als unerwiesen hingestellt hatte. Redner 
giebt zu, dass letztere Behauptung nicht mit Tabellen, Curven und Zahlen 
belegt werden könne, weil eben dazu das Material erst beschafft werden 
müsste. Bis das möglich wäre, würde hoffentlich die Epidemie längst er¬ 
loschen sein. Aber die klinische Erfahrung, die tägliche Beobachtung der 
praktischen Aerzte hätten doch auch ihren Werth und ihre Berechtigung, 
und wenn hier Praxis und Theorie, bezw. streng wissenschaftliche Begrün¬ 
dung in Widerspruch geriethen, so solle man eingedenk sein, dass schon 
oft genug die Behauptung der Praktiker den theoretischen Widersprüchen 
gegenüber, wenn auch manchmal spät, zur Anerkennung gelangt sei. ' 

Bis jetzt hätten unsere Besprechnngen der Typhusätiologie noch nichts 
Handgreifliches ergeben, denn aus der Bodentheorie — der Redner anhängt 
— sei der Vorgang der Entstehung und Verbreitung des Bacillus oder eines 
anderen Krankheitserregers noch nicht klar gelegt. Die Trinkwassemoth 
sei aber doch etwas sinnlich Wahrnehmbares, Greifbares, also solle man 
hier erst einmal den Haken einschlagen. Freilich sei dieser Vorschlag nicht 
so gemeint, als wäre das Trinkwasser die sinzige Typhusquelle. Id der 
Typhusätiologie könnten sehr wohl verschiedene Factoren Zusammenwirken, 
Wasser, Milch, andere Nahrungsstoffe, vielleicht auch unser Athmungs- 
material. 

Herr Reineke hatte zur Stütze seiner Ansicht über die Unschädlich¬ 
keit des Elbwassers auch zur Erwägung gestellt, dass dasselbe Jahrzehnte 
lang getrunken sei, ohne dass eine Typhusepidemie vom Umfange der jetzi¬ 
gen entstanden wäre. Vor 20 oder 25 Jahren noch hätten 2 Privatwasser¬ 
künste die Stadt — freilich nur zu einem kleinen Theile — mit Wasser 
versorgt. Diese Wasserkünste hätten direkt aus der Elbe unmittelbar an 
der Stadt geschöpft, während die jetzige Stadtwasserkunst */« Meile oberhalb 
der Stadt schöpfe. Dagegen erwidert Herr Krieg, dass zu jenen Zeiten 

1. Das Wasser gereinigt, d. h. freilich wahrscheinlich nur abgelagert, 
in die Häuser gepumpt sei, während die Stadtwasserkunst bei dem über¬ 
mässig gesteigerten Wasserverbrauch der Stadt und Vororte schon seit 
Jahren das Wasser diiekt aus der Elbe weiterpumpe. 

2. Sei die Menge der Auswurfstoffe, die seit Vollendung des Sielsystems 
und besonders des Geeststammsieles in die Elbe gelange, gegenüber der 
Verunreinigung in früherer Zeit ganz excessiv gewachsen. Früher wäre nur 
das Regenwasser, Spülwasser mit geringen Beimischungen von Harn in die 
Elbe geleitet, während die eigentlichen Excremente fast ausnahmslos durch 
das Abfuhrsystem beseitigt wurden; früher war nur ein Theil der Stadt und 
Vorstädte schuld an der Verunreinigung, jetzt die ganze Stadt sammt Vor¬ 
stadt und den immer dichter bebauten Vororten. 

Diese Schädlichkeiten brauchten sich nicht sofort bemerkbar zu machen. 
Sie konnten Jahre lang schlummern, bis etwa die örtliche und zeitliche Dis¬ 
position auch hier einmal zur Geltung kam, und ein vielleicht ganz anderswo 
entstandener Bacillus seinen Weg in den solche Culturen fördernden Elb¬ 
schlamm fand. Der Abfluss des Sielinhaltes erfolgt ja nun freilich stets 
mit der Ebbe, und zwar in der Mitte des stark strömenden Flusses, aber bei 
den massenhaften Auswurfstoffen, unter denen sich zahlreiche und nicht 
immer desinficirte Typhusstühle befinden, kann sich doch eine Bacillencolonie 
im Schlamme ansiedeln, in diesem Falle freilich unterhalb Hamburgs. Von 
dieser Colouie aus können aber bei Fluthzeiten Keime weiter stromaufwärts 
gelangen und mittelst allmählicher Weiterwanderung die Schöpfstelle der 
Stadtwasserkunst bei Rothenburgsort erreichen. 

Eine weitere Quelle der Verderbniss für unser Trinkwasser sind die 
Wasserbehälter in den Closets. In diesen Zinkblechkasten sammelt sich bei 
Nacht das Wasser und fliesst wohl auch bei Tage — wenn auch in gerin¬ 
gerer Menge und bei schwächerem Drucke — zu, wenn der Verbrauch stark 
ist. Diese Kasten, die in den meisten Haushaltungen nie oder nur ge¬ 
legentlich bei Reparaturen gereinigt werden, enthalten am Grunde eine mehr 
weniger dicke Schlammschicht. Von dieser selbst fliesst freilich nichts in 
das Abflussrohr hinein, weil dasselbe seine Oeffnung etwa 1 Fuss oder mehr 
über dem Kastenboden hat. Es kann aber bei niedrigstem Wasserstande 
des Kastens und dann energisch erfolgendem Zufluss das Wasser den 
Schlamm aufrühren und schmutziges Wasser aus dem Küchenhahne zum 
Verbrauch entnommen werden. Ob in solchem Wasser nicht der Keim des 
Verderbens für die oben citirte Cholerafamilie gelegen ist? 

Diese üble Art der Aufbewahrung des Trinkwassers in oft sehr übel¬ 
riechenden und nicht ventilirten Closets kann sehr wohl eine gesundheits¬ 
gefährliche werden, zumal in Zeiten von Epidemieen und besonders solchen, 
die mit Durchfällen einhergehen, zumal wenn die Excremente nachweislich 
die Träger des Krankheitskeimes sind. Herr Reineke hatte darauf hinge¬ 
wiesen, dass die Tanks der Seeschiffe mit Elbwasser gefüllt werden, ohne 
dass auf unseren Schiffen der Typhus eine häufige Erscheinung wäre. Hier¬ 
bei ist aber einmalzu bedenken, dass Pettenkofer selber die Schiffe in dieser 
Hinsicht für so gut wie immun erklärt (Zeitschr. f. Biologie I. Band), und 
zweitens, dass das Wasser in einem reinen Behälter am reinen Ort und nicht 
über Closets aufbewahrt wird. Dasselbe wird Herrn Reineke entgegengehal¬ 
ten betreffs seiuer Erklärung, dass die Irrenanstalt Friedrichsberg mit ihren jähr¬ 
lich 2000 Pfleglingen typhusfrei sei, sowie in Bezug auf die Mittheilung, dass vor 
einem Hofe der Spitalstrasse, der mit über 100 Menschen bevölkert sei, 
der Wasserhahn frei auf der Strasse stände, wo diese Bewohnerschaft sammt 
und sonders ihr Trinkwasser entnimmt und wo doch kein Typhusfall vor¬ 
gekommen wäre. Redner meint, dass er im Zwangsfalle immer noch lieber 
das Wasser aus diesem Hahn trinken wolle, als das aus einem Closetkasten 
entströmende. Im Uebrigen sei aber abzuwarten, ob die Immunität dieses 
Hofes, sowie des Friedrichsbergs auch noch im weiteren Verlaufe der Epi¬ 
demie bestehen bleiben werde. 

Ferner habe Herr Reineke hingewiesen auf das auffallend starke Be¬ 
fallensein der Schiffsbevölkerung in unserer Epidemie. Redner meint, dass 
mit dieser Thatsache der Ansicht von der Schädlichkeit unseres Elbwassers 


No. 31 


eine vortreffliche Stütze gegeben sei; denn diesen oftmals schwer arbeitenden 
Classen sei bei Hitze nnd Durst das Wasser des Stromes auf dem sie ar¬ 
beiteten das haudlichste und meist allein zu beschaffende Getränk, das dann 
hastig und in nicht geringen Mengen genossen werde. 

Herr Curschmann betont, dass er das Trinkwasser nicht mit voller 
Sicherheit als schuldig an der Typhuscpideraie erklärt habe; er habe das¬ 
selbe von allen in Frage kommenden Momenten als das wahrscheinlichste 
bezeichnet. Die Bodenverhältnisse, Grundwasser etc- schienen in Hamburg 
in keinem Zusammenhang mit dem Typhus zu stehen. Dagegen sei das 
Wasser verdächtig, und man müsse nach Ausschliessen der anderen Factoren 
daran denken, ob es nicht im Zusammenhang mit dem Typhus stehe, da es 
oft als Ursache für diese Krankheit angegeben werde. Die Chance für Ver¬ 
unreinigung des Wassers mit Typhusgift sei in Hamburg sehr gross, die 
Verbreitung des Typhus eine allgemeine, entsprechend der Vertheilung der 
Wasserleitung. Herr Reineke habe zwar Anfangs die Grundwasser- und 
Bodentheorie durchblicken lassen, heute habe er jedoch dieselbe so gut wie 
aufgegeben, ebenso Herr Wallichs. Zugegeben habe Reineke jedoch 
heute, dass das Wasser verdächtig sei. So einfach, wie Herr Reineke die 
Verhältnisse des Wassers seinen Ausführungen zu Grunde lege, seien diese 
doch nicht. Man müsse den ganzen Weg, den das Wasser von der Scböpf- 
stelle aus zurücklegt, ehe es genossen resp. in Gebrauch genommen werde, 
berücksichtigen. In den Röhren stagnire oft das Wasser; in ihnen, den 
relativ warm, meist in Closets aufgestellten Reservoirs, den meist und schlecht 
gehaltenen Hausfiltern, setze sich ein reichliches Sediment ab, in welchem 
das Typhusgift günstige Lebens- und Wachstbnmsbedingungen finde; dann erst 
diene dieses Wasser zum Genuss, resp. es werden mit ihm Gegenstände des 
Gebrauchs, Ess- uud Trinkgefässe und in ihnen aufbewahrte Speisen, inficirt. 
Die von Herrn Reineke demonstrirten Fluthcurven kann Herr Cursch¬ 
mann nicht als beweiskräftig ansehen. Es sei durchaus nicht nothwendig, 
ja sogar geradezu unwahrscheinlich, dass die Höhe der Fluthcurve Zusammen¬ 
falle mit der Höhe der Typhusmorbidität. Herr Curschmann stelle sieb 
eben, wie schon mehrfach betont, die Sache nicht einfach so vor, dass ledig¬ 
lich das getrunkene Elbwasser Typhus mache, sondern glaube, dass noch 
mancherlei vorbereitende Infectionen der Leitungen, Reservoire, Hausfilter etc. 
und Reproduction des Contagiums in denselben erforderlich seien. Dies er¬ 
fordere Zeit, und daher die Erscheinung, dass die Epidemiehöhe dem 
Terrain der Hochfluth erst um Wochen und Monate nachfolge. 

Was den Typhus in Wandsbeck beträfe, so hätten genaue Erkundigungen 
bei den beschäfiigsten dortigen Aerzten seine früher ausgesprochene Meinung 
nur bestätigt. Auf Wandsbecker (nicht von Elbleitungswasser versorgtem 
Gebiet) seien autochthono Typhen während der letzten Jahre verschwindend 
selten gewesen. 

Herr Reineke: Ohne Zweifel ist unser Trinkwasser schlecht, es fragt 
sich jetzt aber, ob uns dasselbe den Typbus bringt. Alle unsere bisherigen 
Keuntnisse sprechen gegen die Annahme, dass Wasser der adäquate Nähr¬ 
boden für Typhusbacillen sei. Wären sie Wasserbewohner, dann müssten 
schon längst alle Flüsse von denselben erfüllt sein, von der Quelle bis zur 
Mündung. Das Wasser kann nur als Transportmittel in Frage kommen, 
für relativ kurze Zeit. 

Allerdings wird die Elbe bei Hamburg durch Sielinhalt immer mehr 
verunreinigt, das gilt aber nicht von dem Wasser oberhalb der Stadt, bei 
der Schöpfstelle. Die früheren Zeiten waren nicht so viel günstiger, wie 
Herr Krieg annimmt. Die ersten nach dem Brande, 1842, gebauten Siele, 
die noch jetzt fungiren, enthielten schon damals Fäcalien. Die Bieber’sche 
und Smith’sche Wasserkunst haben nicht filtrirt, das Geeststammsiel ist 
seit 1875 in Betrieb. Die 10 darauf folgenden Jahre waren in Bezug auf 
den Typhus besonders günstig. 

Der Verlauf der jährlichen Typhuscurve in Hamburg im Durchschnitt 
der letzten 15 Jahre geht nach der.vorgelegten graphischen Darstellung fast 
parallel mit den Curven von Berlin, Frankfurt a. M., Basel, London, die 
in ihrer Wasserversorgung völlig unabhängig von Ebbe und Fluth sind. 
Das Ansteigen der Hamburger Epidemieen im Herbst ist auch dadurch, 
dass man eine längere Zeit zur Vermehrung der Bacillen in Anspruch 
nimmt, mit den höheren Sommerfluthen nicht in ursächlichen Zusammen¬ 
hang zu bringen. 

Wenn Herr Curschmann mit sehr wenig Bacillen im Leitungswasser 
die Epidemie glaubt erklären zu können, und das Hauptgewicht auf die 
Vorgänge in den Reservoiren, Küchen, Geräthen, Speisen (Bouillon, Milch) 
legt, so kommt er damit auf Verhältnisse, wie sie aller Orten Vorkommen, 
und auf Erklärungen, die das Zuthun des Leitungswassers auch für seine 
Auffassung kaum mehr nöthig machen. 

Die von Herrn Curschmann mitgetheilten Zahlen über Wandsbeck 
zeigen eine auffallende Uebereinstimmung mit den Zahlen des nahe ge¬ 
legenen Friedrichsberg, das nach Herrn Simmonds genaueren Erhebungen 
gleichfalls 1886 völlig frei war, bei ca. 2 000 Einwohnern, während in jenem 
Jahre in ganz Hamburg auf 1 000 Personen acht Erkrankungen gemeldet 
waren. 

Die Dienstboten erkranken vorwiegend, weil sie zugereiste, junge Leute 
sind. Kochen des Wassers schützt vor dem Erkranken nicht. 

Die Trinkwassertheorie für Hamburg kann nicht erklären die auffällige 
Zunahme der Krankheit seit 1885, nicht, dass gerade in den warmen, der 
Fortpflanzung der Bacillen günstigsten Sommermonaten der Typhus am 
schwächsten ist, nicht das Ansteigen der Curve im Herbst, zu einer -Zeit, 
wo gerade am allerwenigsten Typhusstühle in die Elbe gelangen und 
auch nicht das Absinken der Epidemie, wenn die Stuhlgänge von über 
2 000 in Hamburg-Altona liegenden Typhuskranken in das Elbwasser ge¬ 
führt werden. 

Vielleicht liegen die Verhältnisse etwas anders in Altona. Nach 
Herrn Wallichs Mittheilungen ist die Sterblichkeit an Typhus in 
Altona völlig übereinstimmend mit der Hamburgs. Auch die jährliche 
Curve der Typhustodesfälle geht parallel, ebenso der Anfangstheil der jähr¬ 
lichen Curve der Erkrankungen. Nach dem beiden Curven gemeinsamen 


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2. Aug ust. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


643 


Anstiege im August und September, folgt dann in Altona ein Abfall, und 
darnach im Anfänge des nächsten Jahres eine zweite, höhere Spitze, die in 
Hamburg völlig fehlt, und die ohne eine entsprechende Steigerung der 
Mortalität bleibt. Diese sehr auffällige Erscheinung wird herbeigeführt 
durch plötzliches gehäuftes Auftreten sehr leichter Fälle, namentlich im 
December 1885, März 1886, Februar 1887. Es erkrankten 1885 im No¬ 
vember 47, December 188; 1886 Januar 61, Februar 51, März 183, 

April 63, Mai 33; 1887 im Januar 67, Februar 365, März 169, April 36. 
Da nun die Altonaer Wasserwerke bei Blankenese, 11 km unterhalb der 
Stadt, nur mit Sielwasser vermengtes, allerdings durch Hiuzutritt der 
Süderelbe sehr verdünntes Wasser liefern, und da diese explosiven Aus¬ 
brüche gerade in die Zeiten der höchsten Epidemieen in Hamburg-Altona 
fallen, so liegt der Gedanke an eine Betheiligung des Wassers an diesen 
speciellen Vorkommnissen um so mehr nahe, als nach den bacteriologischen 
Untersuchungen des Altonaer Leitungswassers im Winter 1885/86 von 
Spiegelberg (Apotheker-Zeitung vom 2. Juli 1887, No. 53, p. 254) gerade j 
im December 1885 und März 1886 Störungen im Filterbetrieb der Wasser¬ 
werke vorgekommen zu sein scheinen. Indessen waren derartige Betriebs 
Störungen bei der Direktion jener Werke nicht bekaunt, auch hat Herr 
Spiegelberg die Proben an einer ungünstigen, örtlichen Störungen unter¬ 
worfenen Stelle entnommen. Die Frage bedarf also noch sehr viel ein¬ 
gehenderer Untersuchungen. Sollte sich ein Zusammenhang mit dem Wasser j 
heraussteilen, dann würde auch dieser Fall zeigen, wie rasch die Bacillen f 
wieder tfas dem Wasser verschwinden, und vielleicht auch, dass sie beim 
Aufenthalt im Wasser an Virulenz einbüssen. 

An meiner vor vier Wochen vorgetrageuen Meinung über die Bedeutung 
des Grundwassers halte ich durchaus fest. Als wir im Anfänge der 80ger 
Jahre ausnahmsweise Sommerepidemieen hatten, hatten wir auch ausnahms¬ 
weise den tiefsten Grundwasserstand im Sommer. Seit den letzten Jahren 
haben wir ganz aussergewöhnlich tiefe Grundwasserstände. 

Herr Wallichs verliest eine Aeusserung Professor Baumgarten’* 
über Typhusbacillen; der Boden könne Aufbewahrungsort für Typhusbacillen 
sein aber keine Brutstätte. In schmutzigem Wasser kann der Typhuspilz - 
gegen die Fäulnissbacillen sich nicht halten. Ob die jetzige Epidemie vom 
Wasser abhänge, sei zweifelhaft, denn in Altona sei das Wasser reiner als 
in Hamburg, und doch dieselbe Zahl der Erkrankungen. 

Herr Curschmann: Den von Herrn Wallichs citirten Baum¬ 
garten'scheu Ausspruch könne er nur für sich in Anspruch nehmen. 
Nicht um fauliges, schmutziges Wasser schlechtweg handele es sich bei der 
Entstehung des Typhus, sondern um specifisch inficirtes. 

Das Steigen und Fallen der Typhusepidemieen erkläre sich ganz so wie 
dieselbe Erscheinung auch bei anderen acuten lufectionskrankheiten: Die 
Seuche verzehrt sich in sich selbst. Je länger sie bestand, um so mehr 
sinkt die Zahl der Disponirfen, d. h. um so mehr schwindet das für sie an¬ 
greifbare Bevölkerungsmaterial. 

Herrn Reineke gegenüber betont Herr Curschmann nochmals den 
Mangel einer brauchbaren, über ganz Hamburg sich erstreckenden Grundwasser¬ 
beobachtung. So lange eine solche nicht vorhanden, bestehe überhaupt 
kein Recht, dies Moment für die Aetiologie heranzuziehen. 

Herr Reineke: Was Herr Wallichs nach Baumgarten über die 
Existenzbedingung der Typhusbacillen im Wasser vorgetragen hat, bestätigt 
meine Ausführungen. Was er nach demselben Autor über die Unmöglich¬ 
keit für die Bacillen, im Boden zu wachsen, ausführt, schliesst den Einfluss 
des Grundwassers nicht aus. Seit wir durch Birch-Hirschfeld wissen, 
dass die Typhusbacillen schon bei 16<* C Sporen bilden, liegt neben zahl¬ 
reichen anderen Möglichkeiten auch die sehr nahe, dass die im Sommer 
irgendwo über dem Boden gewachsenen Sporen in das Erdreich gelangen 
und von dort unter dem Einfluss der Grundwasserschwankungen oder meteor¬ 
ologischen Vorgänge, die in den Grundwasserschwankungen ihren Ausdruck 
finden, im Herbst und Winter auf den Menschen überführt werden. 

Freilich haben wir nur Grundwasserbeobachtungen von einer Stelle, 
vom Schäferkamp in Eimsbüttel; die anderweitigen Beobachtungen an den 
Brunnen und Teichen der Nachbarschaft bestätigen aber, dass diese eine 
Beobachtungsweise das Gesammtbild der Grundwasserverhältnisse unserer 
Gegend richtig wiedergiebt. Auf einzelne bestimmte Gebietsteile will auch 
ich die dortigen Beobachtungen nicht anwenden. 

Der Epidemiengang ist durch die verschiedenen Grade stärkerer oder 
geringerer Durchseuchung nicht zu erklären. In den 10 Jahren vor 
1885 hatten wir eine undurchseuchte Bevölkerung und ununterbrochen 
den Typhus in der Stadt. Warum stieg er in dieser Zeit nicht zu grossen 
Epidemieen an? Nach der grossen Epidemie von 1885/1886 waren noch 
Undurchseuchte genug übrig für 2 nachfolgende, noch grössere Epidemieen. 
So verhalten sich Pockenepidemieen nie. Der grosse explosive Ausbruch im 
Jahre 1887 in Altona erfolgte im Absinken der Epidemie, was nicht möglich 
gewesen wäre, wenn die Durchseuchung Ursache des Abfallens wäre. 
Höchstens könnte die Gutartigkeit dieser Fälle der vorhergegangenen Durch¬ 
seuchung zugeschrieben werden. 

Die von mir erwähnte Möglichkeit vorübergehender Betriebsstörungen 
in den Filtern der Altonaer Wasserwerke rechtfertigt nicht Herrn Cursch- 
mann’s Einwendungen gegen die Sandfiltration überhaupt. Ein Wasser, 
welches der Möglichkeit einer gelegentlichen Verunreinigung durch Typhus¬ 
stühle nicht ausgesetzt ist, dürfte für Hamburg überhaupt nicht zu 
finden sein. 

Herr Curschmann kann die Grundwassertheoiie nicht anerkennen. 


IX. Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 20. Januar 1888. 

1. Herr Dr. Adolf Bandler, Assistent an dem deutschen poliklinischen 
Institute, demonstrirt einen 45jährigen Mann, der an seiner linken Thorax¬ 
hälfte ein ungewöhnlich grosses Angioma eavemosnm trägt. Dasselbe 


reicht vom unteren Rande der siebenten Rippe bis unter die Nabellinie, 
grenzt sich vom genau in der Mittellinie ab, zieht nach hinten oben, sich 
in dieser Richtung allmählich verschmälernd. Der Tumor misst an seiner 
vorderen Grenze in verticaler Richtung 18 cm, in der Mamillarlinie 22 cm, 
an seiner hinteren Grenze 4 cm; seine Ausdehnung in horizontaler Richtung 
beträgt 47 ‘/s cm. In der r. Axillarlinie trägt diese Geschwulst einen 8 cm 
langen dunkel pigmentirten Naevus. Anamnestisch ist hervorzuheben, dass 
der Tumor angeboren ist, bis zum 7. Lebensjahre in Gestalt eines kleinen 
Naevus in der Axillarlinie stationär blieb, von dieser Zeit angeblich nach 
Einwirkung eines Trauma langsam zu wachsen begann. Die Vergrösserung 
der Geschwulst hörte auch mit dem Wachsthum des Patienten auf; seit dem 
21. Lebensjahre treten zeitweise spontan stechende Schmerzen im Tumor 
auf, doch fühlt sich der sonst kräftige Mann durch ihn in keiner Weise 
beeinträchtigt. 

2. Herr Dr. 0. Weydlich, Assistent des Professors Schauta, be¬ 
spricht zwei FAlle von Porrooperation bol Vaginalatresie. 

1. Die 32jährige Th. V. ist seit 2Vs Jahren verheirathet. Im 11. Le¬ 
bensjahre hat sie Scharlach durchgemacht, sonst war sie stets gesund. Die 
ersten Menses stellten sich in ihrem 17. Jahre ein, kehrten in regelmässigen 
vierwöchentlichen Pausen wieder, hielten durch 3—4 Tage an und waren 
stets von heftigen Schmerzen im Unterleibe angekündigt. Am 1. Februar 
1885 wurde sie von ihrem Geliebten coitirt. Während und nach dem 
Coitus trat eine heftige Blutung aus dem Genitale auf, welche sie zwang, 
das Bett aufzusuchen. Da die Blutung trotz aller angewandten Mittel an¬ 
dauerte, wurde ein Arzt gerufen, der ihre Ueberführung in’s allgemeine 
Krankenhaus veranlasste. 

Sie fand in der gynäkologischen Klinik des Herrn Hofrath Breisky 
Aufnahme, woselbst man eine narbige Stenose der Scheide constatirte, 
welche ungefähr 3 cm oberhalb des Introitus vaginae sich ausserordentlich 
verengte. Durch die ganze Länge der Scheide, und zwar an deren rechten 
seitlichen Wand verlief eine tiefe, stark blutende Fissur mit stark gerisse¬ 
nen und gequetschten Rändern. Die Therapie bestand aus diesem Grunde 
in Application von essigsaurer Thonerde. Patientin lässt sich nach Ablauf 
der Erscheinungen in der Klinik nicht länger zurückhalten und verzichtet 
trotz eindringlichsten Rathscblages auf jeden operativen Eingriff und die 
Herstellung von ihrem Defecte. Wenige Wochen darauf beirathet sie. 

Am 4. Juli 1887 kommt sie kreissend in die Klinik des Herrn Pro¬ 
fessor Schauta. Die Zeit der letzten Menstruation und der Eintritt der 
Kindesbewegungen sind unbekannt. Am Morgen des 3. Februar hatteu 
sich die ersten Wehen eingestellt. 

Die Frau, mittelgross, kräftig, gut genährt, bot, soweit dies überhaupt 
eruirbar war, keine abnormen Beckenverhältnisse, auch keine sonstigen 
Skeletanomalieen. Der Uterustumor beherbergte eine kräftig entwickelte 
lebende Frucht in II. Schädellage, deren Kopf bereits im Beckeneingange 
fixirt war. 

Interessant gestaltete sich nun der Genitalbefund. Grosse und kleine 
Labien waren von normaler Entwickelung, das Frenulura erhalten, der 
Hymenalsaum mehrfach gekerbt. Am Uebergange des untersten Drittels 
der Scheide in’s mittlere ist dieselbe blindsackartig verschlossen, so dass 
sie nach oben einen napfförmigen Abschluss findet, an dessen Grunde, und 
zwar etwas der linken Beckenwand genähert, mehrere von den Scheiden¬ 
wänden her zusammenlaufende Narbenstränge sich treffen. Das Gewebe 
ist starr und unnachgiebig und lässt sich weder merklich nach 
aufwärts drängen, noch wölbt es sich während der Wehen vor. Nirgends 
auch nur die feinste Oeffnung auffindbar. Das Orificium urethrae ist mäch¬ 
tig ausgedehnt und lässt bequem zwei Finger passiren. 

Bei der Untersuchung durch Blase und Rectum lässt sich deutlich der 
im B. E. fixirte Kindeskopf constatiren. 

Fragt man sich nun nach dem Zustandekommen dieser Atresie, so muss 
man wohl den Grund hierfür in dem in ihrem 11. Lebensjahre durch¬ 
gemachten Scharlach suchen. Es kam wohl damals zu diphtheritiseben Zer¬ 
störungen in der Scheide mit consecutiven Verwachsungen, welche zunächst 
zur Stenose führten und ihre erste Wirkung in den den Menstrualblutungen 
vorausgehenden Schmerzen äusserten. Da aber die Frau weiter menstruirte 
und concipirte, musste wohl, da eine anderweitige Communication nicht be¬ 
stand, die stenosirte Scheide erst während der Schwangerschaft atresisch 
geworden sein. Es findet dies wohl darin seine Erklärung, dass durch rohe 
Ausübung des Coitus wiederholt Verletzungen gesetzt wurden, welche 
wiederum zu Verwachsungen und zum Schlüsse zur Atresie führten. Einen 
Beleg hierfür finden wir ja in der mächtigen Dilatation der Harnröhre, die 
wohl später die Stelle der Vagina vertreten musste. 

Es konnten nun nur zwei Entbindungsmethoden in Betracht kommen. 
Einmal blutige Eröffnung der occludirten Scheide und Entwickelung der 
Frucht per vias naturales, eventuell mit Aufopferung des kindlichen Lebens, 
oder Porrooperation. 

Gegen die erste Methode sprachen gewichtige Gründe. Es wäre ge¬ 
wiss, selbst unter Controle von Blase und Rectum her, nur äusserst 
schwierig gewesen, den richtigen Weg zum Kopf ohne Verletzungen der 
Nachbarhöhlen zu finden, es war ferner eine enorme Blutung zu erwarten 
und die Schwierigkeiten zur Stillung derselben voraussichtlich grosse. 
Ausserdem konnte der künstlich hergestellte Canal ein nur enger sein, und 
die bei der Entwickelung eines, wenn auch verkleinerten Kindeskörpers 
Wahrscheinlich gesetzten Verletzungen konnten enorm gross, vielleicht tödt- 
lich werden. Ausserdem kam dabei, wie bereits gesagt, die Aufopferung 
des kindlichen Lebens in Frage. 

Was nun die Porrooperation anbelangt, so bot diese — die Temperatur 
der Kreissenden betrug 37,4, der Puls 80 — bei kunstgerechter Technik und 
tadelloser Antisepsis gewiss bessere Chancen für die Mutter; ausserdem war 
dabei von vornherein das Kindesleben zu erhalten. 

In Erwägung all’ dessen wurde denn zur Porrooperation geschritten 
(Operateur: Prof. Schauta.) 


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644 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ No. 31 


Die Operation selbst bietet insofern Interesse, als wegen des bereits 
fixirten Kindeskopfes eine Ligirung des Uterus vor dessen Incision unmög¬ 
lich war. Trotzdem war die Blutung aus der Incision keine so enorm 
grosse. 

Auch die Entwickelung des Kindes musste wegen der Fixation des 
Kopfes eine relativ längere Zeit in Anspruch nehmen. Das Kind, ein Mäd¬ 
chen, war 50 cm lang und 3550 g schwer, kam apnoisch zur Welt, schrie 
und athmete aber bald. Nach Entfernung von Placenta und Eihäuten Ligi¬ 
rung des Uterus mittelst Gummischlauches und Amputation. Das linke 
Ovarium wurde ganz, das rechte zum Theil mit entfernt. 

Extraperitoneale Stielversorgung. Die Bauch wunde wurde abwechselnd 
mit tiefgreifenden Seiden- und Silberdrahtplattenuähten geschlossen. 

Höchste Temperatur am Abeud des Operationstages 37,4, Puls 52. 
Am 5. Tage Temperatur 38,5, Puls 52. Kolikartige Schmerzen im Unter¬ 
leibe. Hegar’sche Infusion. Von da ab normaler Verlauf bis zum 25. Tage, 
an welchem die Temperatur in Folge einer Indigestion auf 39.5 ansteigt. 
Darauf wieder normaler Verlauf. 

Von Complicationen sind erwähnenswerth eine Bronchitis mit heftigen 
Hustenanfällen, eine Cystitis älteren Datums und eine Albuminurie. Merk¬ 
würdig ist, dass bei der Patientin, trotz der mächtigen Dilatation der Harnröhre 
kein Harnträufeln beobachtet wurde, sie selbst will auch solches nie be¬ 
obachtet haben. 

2. Der zweite Fall betrifft eine 36jährige Il.-Pava. Erste Geburt vor 
9 Jahren. Sie trug bei dieser Geburt, welche, ohne Assistenz einer Heb¬ 
amme, nur im Beisein eines gewöhnlichen Weibes erfolgte, grosse Ver¬ 
letzungen davon. Die Menses stellten sich in ihrem 20. Jahre ein, waren 
von 4 wöchentlichem Typus und 3—4 tägiger Dauer. Nach der ersten Geburt 
cessirten sie ein ganzes Jahr, um dann in ihrem gewöhnlichen Typus wieder¬ 
zukehren. Zeit der letzten Menstruation Anfang December, Eintritt der 
Kindesbewegungen unbekannt. 

Sie kam in der Nacht des 4. September 1887 in die Klinik des Herrn 
Prof. Scbauta. Die ersten Wehen stellten sich am 18. August, also vor 
17 Tagen ein, seit 8 Tagen fühlt sie keine Kindesbewegungen mehr. Skelet- 
und Beckenverhältnisse normal. Der mächtig ausgedehnte Uterus birgt eine 
Frucht in 2. Position. Coutractionsring in der Höhe des Nabels. Fötale 
Herztöne nirgends hörbar. 

Alter, nahezu completer Dammriss. Hymen in Form karunkelförmiger 
Reste. Scheide wenig oberhalb des Introitus durch Narbenmassen occludirt. 
Nirgends eine Oeffnung auffindbar. Bei starkem Andrängen mit einer Sonde 
im Vereinigungspunkte der strahlig zusammenfliessenden Narbenmassen bricht 
dieselbe plötzlich durch. 

Die geschaffene Oeffnung wird nun mit Hegar’schen Stiften dilatirt, 
in der Hoffnung, den conservativen Kaiserschnitt folgen zu lassen, da nun 
für den Abfluss der Lochien gesorgt war. Der durch den Canal unter¬ 
suchende Finger eonstatirt allerseits narbige Massen und in den Beckeneingane 
hineinhängend einen schlaffen Sack von glattem Ueberzuge, in dem beweg¬ 
lich feste Scheiben eingeschlossen waren. Es war die Kopfschwarte des 
hochgradig macerirten Fötus mit den in ihren Nähten gelösten Kopf¬ 
knochen. 

Von der Entwickelung der Frucht auf natürlichem Wege war aus den 
bereits früher erwähnten Gründen von vornherein Abstand genommen 
worden. 

Hierauf wurde unverzüglich zur Operation geschritten. (Operateur: 
Prof. Schauta.) 

Auch in diesem Falle gestattete der bereits im B. E. stehende Kopf 
die Ligirung des Uterus vor dessen Incision nicht, doch war es diesmal der 
Maceration der Frucht halber möglich, den uneröffneten Uterus vor die 
Bauchwunde zu wälzen, ein Umstand, der bei dem voraussichtlich ebenfalls 
stark veränderten Fruchtwasser gewiss von Bedeutung war. Placenta praevia 
centralis. Dieselbe wird durchtrennt. Die Frucht ist hochgradigst macerirt, 
auch das Fruchtwasser dunkel braungrün verfärbt. Die Besichtigung des 
Endometriums erweist dasselbe allenthalben missfarbig verändert, so dass 
von dem Plane, conservativen Kaiserschnitt auszuführen, Umgang genommen 
und die Porrooperation vorgenommen wird. Die hochgradigst macerirte 
Frucht ist 51 cm lang. 

In den ersten Tagen des Wochenbettes mässiger braungrüner Ausfluss. 
Höchste Temperatur am 3. Tage 38,2, die nach einer Ausspülung mit 
2 o/o Carbolwasser zur Norm sinkt, um dieselbe nicht mehr zu überschreiten. 

An der Hand dieser beiden Fälle wird folgendes Verfahren bei Scheiden- 
atresie befürwortet: 

1. Wegsammachung der Scheide für den Abfluss der Lochien, dann 
Kaiserschnitt. 

2. Im Falle 1 unmöglich ist, oder wenn der Zustand des Uterus dessen 
Erhaltung verbietet, Porrooperation. 

Herr Professor Schauta hält in Fällen, wie die eben mitgetheilten, 
den conservativen Kaiserschnitt für das jedesmal anzustrebende Verfahren. 
Weder die Entbindung auf dem natürlichen Wege, noch die Porrooperation 
können in solchen Fällen vollkommen befriedigen. Am Wenigsten die 
erstere. Um trotz hochgradiger circulärer Narbenstenose oder Atresie den 
Weg für den Kindeskörper freizumachen, sind umfangreiche Incisionen und 
Excisionen des abnorm starren Gewebes nothwendig. Trotz alledem gelingt 
es, eine reife oder nahezu reife Frucht nach operativer Wegsammachung der 
Scheide nur auf Kosten weiterer Gewebstrennung durch Zerreissung, sowie 
auf Kosten des kindlichen Lebens, das der operativen Verkleinerung zum 
Opfer fallt, auf dem gewöhnlichen Wege zu Tage zu fördern. Redner 
selbst besitzt allerdings keine eigene Erfahrung über Entbindung bei 
Narbenstenosen per vias naturales. Wollte er jedoch nach den eigenen, bei 
carcinomatöseu Stenosen des Geburtscauales mit Benutzung der natürlichen 
Wege gemachten Erfahrungen urtheilen, so müsste er die Entbinduug auf 
diesem Wege auch bei Narbenatresie gäuzlich verurtheilen. In einem der¬ 
artigen Falle, den er in der Klinik Späth beobachtete, starb die Frau nach 
langeu vergeblichen Versuchen, sie auf dem natürlichen Wege zu ent¬ 


binden, unentbundeu. In einem zweiten Falle von Carcinom des Cervix 
musste äusserer Umstände halber auf die Sectio caesarea verzichtet werden. 
Die Craniotomie und Cranioklasie des todten Kindes hatte eine umfangreiche 
Zerreissung der Scheide mit Perforation in die Harnblase zur Folge. 

Die Bedenken gegen den Kaiserschnitt bei Narbenstenose waren 
wesentlich theoretischer Natur. Man fürchtete, den in Abwesenheit eines 
räumlichen Missverhältnisses bereits in’s Becken eingetretenen Kopf nicht 
wieder aus demselben zurückbringen zu können. Und doch gelingt dies, 
wie unsere beiden Fälle zeigten, ohne wesentliche Schwierigkeit. 

Der Aufgabe, Mutter und Kind zu erhalten, wird aber nur der Kaiser¬ 
schnitt gerecht. Die weitere Frage ist nur die, sollen wir conservativ ope- 
riren oder die Porrooperation ausführen. Schauta stimmt unbedingt für 
das erstere Vorgehen; doch ist selbes nicht immer ausführbar. Gelingt e«, 
wie in dem ersten Falle, nicht, die Scheide auch nur so weit wegsam zu 
machen, dass das Locbialsecret unbehindert abfliessen kann, oder verbietet der 
Zustand des Uterus oder des Endometrium die Erhaltung des Uterus, wie in 
unserem zweiten Falle, dann allerdings muss die Porrooperation ausgeführt 
werden. Gelingt es aber, die Scheide wegsam zu machen und ist keine 
Contraindication gegen die Erhaltung des Uterus vorliegend, dann wird 
conservativ zu verfahren sein. Er betont dies ausdrücklich, damit man ihm 
nicht mit Rücksicht auf das in den heute geschilderten Fällen wirklich ein¬ 
geschlagene Verfahren den Vorwurf mache, als ob er die Porrooperation 
als das in solchen Fällen richtige Entbindungsverfahren ansähe. Er be¬ 
trachte im Gegentheil die Porrooperation immer als einen durch äussere 
Umstände dictirten Nothbehelf und den conservativen Kaiserschnitt als das 
richtige Verfahren. ___ 

X. Journal-Revue. 

Chirurgie. 

5. 

Ultzmann. Zur localen Behandlung der Blase. Internat, 
klin. Rundschau 1887. 

Nur bei chronischen Erkraukungen der Harnblase er¬ 
klärt Ultzmann die locale Behandlung für zulässig. Sobald aber die 
Krankheit den Blaseuhals und den hinteren Abschnitt der Harnröhre 
ergriffen hat, wie das z. B. nicht selten bei gonorrhoischen Processen 
der Fall ist, so ist gleichzeitig auch deren Behandlung erforderlich. 
Zu diesem Zwecke soll ein dünner Katheter in die Blase einge¬ 
führt und dann wieder so weit zurückgezogen werden, bis der 
Harnabfluss aufhört, die Spitze des Instrumentes also in den Blasen¬ 
hals zu liegeu kommt. Spritzt man nun etwa 300 g einer anti¬ 
septischen Flüssigkeit langsam ein, so fliesst dieselbe über die 
kranke Schleimhaut hinweg allmählich in die Blase, um nach Ent¬ 
fernung des Katheters nachträglich vom Patienten selbst spontan 
entleert zu werden. Bei Behandlung der Blase selbst verwirft 
Ultzmann den double courant, weil, abgesehen von den Fällen 
mit Blasenschrumpfung, die Schleimhaut der contrahirten Blase nur 
unvollständig bespült wird. Er giebt vielmehr der Ausspülung der 
Blase mit Hülfe eines weichen Katheters und einer Handspritze 
den Vorzug, betont aber, dass man für die vollständige Wiederab¬ 
leitung der Flüssigkeit sorgen müsse, wozu das Stehen oder Liegen 
des Patienten im Sessel in der Regel genüge. Ultzmann ver¬ 
wendet nur sehr schwache Lösungen, z. B. V6%ig e Carbol-, 
72 % «ge Resorcin-, 7io%ige Kal. hypermanganicum-Lösung; bei 
ammoniakalischer Gähruug verweudet er 3 Tropfen Amylhydrit auf 
500 g Wasser, bei Phosphaturie eine 7io%ige Salicyllösung. 

Kolaczek. 

Rockwell. Laparotomy for acute intestinal obstruc- 
tion, with abstracts of 69 cases, including a successful 
one by the writer. Anuals of surgery, Vol. VII, No. 2, Fe¬ 
bruar 1888. 

Verfasser tritt, wie die meisten Chirurgen der Jetztzeit, mit 
aller Entschiedenheit für die frühzeitige Laparotomie bei acutem 
Verschluss des Darmes ein. Die bekannten klinischen Erfahrungen 
und statistischen Daten werden gegen das abwarteude Verhalten 
und die medicamentöse Therapie angeführt; die Verminderung der 
Gefahr des operativen Eingriffes bei sorgfältiger Benutzung der an¬ 
tiseptischen Methode wird hervorgehoben und dazu eine Tabelle 
über 69 Fälle von Laparotomie geliefert, welche dem Verfasser in 
den Jahren von 1877 bis 1887 bekannt geworden sind. Von diesen 
verliefen nur 32 lethal; dabei waren 20 von diesen letzteren solche, 
in denen die Operation sehr spät oder gar in extremis ausgefnbrt 
wurde, die aber, frühzeitig operirt, wahrscheinlich genesen wären. 
— Die Diagnose der Art des Verschlusses werde immer schwierig 
und meist unsicher sein; das dürfe aber von der frühzeitigen Laparo¬ 
tomie nicht abhalten. In Bezug auf die Methode der Operation 
macht er die bekanntet! Angabeu. Hervorgehoben sei nur, dass 
Rockwell das Abdomeu stets in der Medianlinie eröffnet und 
nur, weun es nicht zu umgehen ist, den oberhalb des Hindernisses 
geblähten Darm incidirt, und zwar in querer Richtung; worauf nach 
Entleerung des Inhaltes diese Wunde mit Lembert’schen Näbteu 
geschlossen wird. Ueber die Einzelheiten, namentlich über das 
Verhalten bei peritonealen comprimirenden Strängen, bei Volvulus, 


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2. An gast . 

bei Intussusception, bei Divertikeln etc. wolle man das sehr lesens- 
werthe Original zu Rathe ziehen. 

E. Dudon. Sur un point de la technique des opera- 
tions plastiques sur le palais. Reunion de larabeaux 
par la ligature rubanee (avec 2 figures). Revue der Chi¬ 
rurgie; 8. Jahrgang No. 1, Januar 1888. 

Eine, wie es scheint, sehr praktische Erfindung theilt Dudon 
in vorliegendem Artikel mit; sie vereinfacht und vervollkommnet 
die Technik der Uranoplastik in sehr beachtenswerther Weise, wie 
an 5 Beispielen gezeigt wird. Dudon legt nämlich keine Nähte 
mehr an, sondern nach Anfrischung der Gaumenspalte und Bildung 
der beiden mucös-periostaleu Lappen in gebräuchlicher Weise führt 
er um beide Lappen, zwischen ihnen und dem knöchernen Gaumen 
hin, 2 etwa 1 cm breite Leinwaudstreifen herum, zieht die beiden 
Enden iu der Mundhöhle soweit zusammen, dass sich die ange¬ 
frischten Wundränder berühren und knüpft nun die Bänder zu einer 
Schleife. Nach 8 bis 14 Tagen werdeu die Bänder entfernt, und 
die Heiluug der Spalte ist vollendet. Erst jetzt können die durch 
die Leiuwandstreifen absichtlich an der Heilung verhinderten äusseren 
Wundränder der Lappen sich einander wieder nähern und vernar¬ 
ben, was auch sehr schnell geschieht. 

Durch dieses Verfahren wird die Uranoplastik nicht allein 
leichter und viel schneller ausführbar, sondern auch sicherer 
in Bezug auf die Heilresultate. Die lehrreichen Krankengeschichten 
müssen in der Originalarbeit nachgelesen werdeu. A. Bidder. 

G. Tiling. Vorschläge zur Technik der Arthrectomie 
resp. Resectiou an Schulter, Ellenbogen, Hüfte, Kuie 
und Fussgeleuk. St. Petersb. med. Wochenschrift 1887, No. 33 
und 34. 

Verf. hat nach folgenden Grundsätzen: möglichst quere Durch¬ 
trennung der Geleuke und Schonung der Haftbänder durch Ab- 
meisseln der Knochenvorsprünge, au welchen dieselben iuseriren, für 
Schulter, Ellenbogen, Hüfte, Kuie und Fussgelenk sich Operatious- 
methoden ersonnen. Ist die Syuovialis mit Messer und Pincette ex- 
stirpirt und alle erkraukten Kuochentheile mit Meissei, Messer, Säge 
oder Löffel entfernt, dann werdeu die abgemeisselten Knochenvor¬ 
sprünge wieder an ihreu Ort gebracht und dort mit Elfenbeiustifteu 
augenagelt, die durchtrennteu Muskelu vernäht, und das Gelenk somit 
in einen möglichst normalen Zustand versetzt, um bald mit activen 
und passiven Bewegungen beginnen zu können. Eine Reihe von 
Abbildungen ist beigegeben, welche vom Leichenpräparat abge¬ 
zeichnet sind. Die beigefügten Krankengeschichten sollen vor Allem 
die technische Ausführbarkeit der Methoden demonstriren. 

Max Schmidt. 


XI. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die Antiseptik im Hebammenwesen. 

Von Dr. Gustav Klein, 

früher Hebaumienlehrer, z. Z. Assistent am pathol. Institut iu Breslau. 

Prof. Fritsch behandelte iu No. 11 und 12, 1888, dies. Wocbenschr. 
eine Frage, deren Bedeutung eine tief einschneidende ist: aber trotz der 
grossen Anzahl von Arbeiten, welche wir hierüber von den bedeutendsten 
Fachgelehrten besitzen, trotz der Klarlegung dieser Verhältnisse, welche 
dadurch unleugbar erzielt wurde, fehlt es noch immer an den Schlussfolge¬ 
rungen, welche wir daraus mit gebieterischer Nothwendigkeit ziehen müssen. 
Die Sterblichkeit an Wochenbettlieber ist iu allen Kliniken gesunken — in 
einzelnen bis auf 0% (Leopold-Dresden theilt in No. 25, 1887, dies. 
Wocbenschr. mit, dass vom 7. Mai 1884 bis Ende Juli 1885 in der Dresdener 
Frauenklinik von 1686 dort entbundenen Frauen und vom 1. Mai 1886 bis 
zum 1. Mai 1887 von 1403 entbundenen 0°/o an Infection starben, welche 
der Klinik zur Last gelegt werdeu konnten). Ausserhalb der Kliniken steht 
es aber kaum besser darum, als vor 20 Jahren. Der Staat sieht das ein 
und bestraft jene Aerzte und Hebammen, welche gegen die Regeln der 
Antiseptik nachweislich verstosseu. Und doch bietet eben dieser Staat den 
Hebammen oft nicht halbwegs genügend die Möglichkeit, sich mit der An¬ 
tiseptik vertraut zu machen. Die Anklage ist eine schwere — sie soll in 
folgendem begründet werden. 

Gleich im Vorhinein möchte ich, anknüpfend an Prof. Fritsch’s oben 
erwähnte Arbeit, die Beobachtung beifügen, dass Hebammen sehr häufig mit 
Infectionsstoffen in Berührung kommen. Denn besonders auf dem Lande, 
iu geringerem Maasse iu der Stadt, ist die Hebamme nicht allein Geburts¬ 
helferin, sondern sie behandelt auch Panaritien, Phlegmonen, Abscesse, 
Mastitiden, Rothlauf, Ophthalmoblennorrhoe der Kinder u. s. w. — ja die 
Kinder- und Fraueupraxis der niederen und mittleren Stände ist zum 
weitaus grössten Theile in den Händen der Hebammen — Gelegenheit mehr 
als genug, um mit Infectionsstoffen in Berührung zu kommen Prof. Fritsch 
sagt: Die Infection einer Gebärenden oder Wöchnerin durch die Hände 
oder Instrumente des Operateurs sei „schwer denkbar bei einer Hebamme, 
die mit kranken Wöchnerinnen und mit Kranken überhaupt nichts zu thuu 
hatte“. Das ist zweifellos richtig, vorausgesetzt, dass sie eben damit nichts 
zu thun hatte. Diese Voraussetzung trifft aber leider recht selten zu. 

Nach Boehr starben in Preussen jährlich 7—9000 Frauen an Kind 
bettfieber Diese Zahl wird begreiflich, wenn inan einerseits die Art und 


645 


Weise kennt, iu welcher noch immer einzelne Aerzte den Aufgaben der 
Antiseptik gerecht oder vielmehr nicht gerecht werden, und wenn man 
andererseits die Forderungen näher prüft, welche der überwachende Staat 
bezüglich der Antiseptik an die Hebammen stellt. 

ln Preussen ist als amtlich vorgeschriebenes Lehrbuch das „Lehrbuch 
der Geburtshülfe für die Preussischen Hebammen, herausgegeben 
im Aufträge des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalange- 
legenheiten, Berlin, Hirschwald, 1878“, im Gebrauche. Es ist die Bibel für 
die praktische Thätigkeit der Hebamme, iu welcher sie sich vorkommendeu 
Falles Rath holen soll, es ist das Nachschlagebuch für den Richter und 
dessen Sachverständige, iu welchem sie die Entscheidung zu gewinnen suchen, 
ob eine Hebamme den Vorschriften gemäss gehandelt oder diese missachtet hat. 

Welche Vorschriften hinsichtlich der auszuübenden Antiseptik enthält 
nun dieses amtliche Lehrbuch? Es muss vorausgeschickt werden, dass es 
im Jahre 1878 erschienen und heute — wir schreiben 1888 — noch un¬ 
verändert im Gebrauch ist. Wer Antiseptik treiben will, bedarf der Seife, 
einer Nagelbürste und eines Autisepticums. Das letztere wird von einzelnen 
als nicht unumgänglich uöthig bezeichnet — die Mehrzahl der Autoren und 
Kliniker wird es wenigstens gegenwärtig noch kaum entbehren wollen. Diese 
Dinge sollte die Hebamme bei der Ausübung ihrer Berufsthätigkeit stets 
mit sich führen; denn nicht immer ist all’ dies schnell genug zu beschaffen — 
abgesehen vom Wasser, das wohl nur in den allerseltensten Fälleu mangelu 
wird. Das Lehrbuch weiss von diesen Hülfsmitteln nicht viel. P. 75 § 96 
heisst es: „Bei jeder Geburt muss die Hebamme folgende Geräthschaften 
in einem besonderen Behälter mit sich führen: 1. einen Irrigator mit Schlauch 
und einem Mutterrohre —• — und zwei Ansatzröhren zu Klystieren; 2. einen 
weiblichen Katheter; 3. eine Nabelschnurscheere; 4. wenn möglich ein 
Thermometer („wenn möglich“!); 5. schmales Leinenbaud — —; 6. eine 
Büchse mit einem Dutzend hühnereigrosser Kugeln von Watte, welche am 
unteren Ende mit einem starken Baumwollenfaden durchzogen sind, zum 
Ausstopfen der Scheide; 7. ein Glas mit Carbolöl — —; 8. ein Gläschen 
mit Hoffmanu’schen Tropfeu“. Nagelbürste, Seife und Antisepti- 
cum fehlen vollständig iu diesem Verzeichnisse. Wohl aber ist 
das als Autisepticum ganz unwirksame Carbolöl genannt und das Mitführeu 
von Wattekugeln vorgeschrieben. Die Wattekugelu liegen einige Wochen, 
meist einige Monate iu dieser „Büchse“. Sie werdeu mit nicht desinficirten 
Händen aus nicht desinficirter Watte gemacht, gelegentlich aus der Büchse 
herausgeholt, im Nichtbedarfsfalle wieder eiugepaekt und in diesem Zustande 
schliesslich verwendet. Die Aufforderung zur Benutzung solcher Watte¬ 
kugeln ist nach unserem heutigen Standpunkte iu nicht wenigen Fällen für 
gleichbedeutend zu halten mit einer Aufforderung zur künstlichen Infection — 
oder, weun wir Crede’s Ausdruck an wenden, mit einer Aufforderung zur 
künstlichen Vergiftung der Gebärenden oder Wöchnerin. Es ist noth- 
wendig, das offen eiuzugestcheu. Deun es liegt nahe, weiterzuschliessen, 
dass ein derartiges Vorgehen kurzweg unvereinbar mit unserem Strafgesetze 
ist. Wir kennen die möglichen Nachtheile eines derartigen Verfahrens, 
also ist es nothwendig, dasselbe abzuschaffen und durch ein besseres zu 
ersetzen. Das „wie“ soll weiter uuten erörtert werden. Im gleichen Paragraphen 
heisst es weiter (p.76): „Nach jeder Benutzung muss die Hebamme ihre Instru¬ 
mente sorgfältig reinigen und die metallenen Theile, wenn sie mit eitrigen 
oder fauligen Stoffen in Berührung gekommen waren (nur danu?), in sie¬ 
dendem Wasser auskochen, darnach mit Carbolöl einschmiereu und mit 
warmem Wasser abwaschen, —“. Geschähe das Auskochen regelmässig und 
in gehöriger Weise, so wäre damit schon manches erreicht. Aber genügt 
es, dies zu thun, weun die Instrumente „mit eitrigen oder fauligen Stoffen 
in Berührung gekommen waren“? Und wie lange sollen die Geräthschaften 
ausgekocht werden? Wird dadurch auch stets eine genügende Desinfection 
verbürgt? 

Der folgende § (97, p. 76) schreibt vor: „Die Hebamme darf zu keiner 
Gebärenden gehen, bevor sie nicht ihre Hände gehörig gewaschen und ge¬ 
reinigt hat*. Wann diese Reinigung als „gehörig* bezeichnet werdeu kann, 
wird an dieser Stelle überhaupt nicht und später durchaus unzureichend 
mitgetheilt. Es heisst nämlich weiter — und das nachstehend Angeführte 
ist so klassisch in der ganzen Auffassung, so maassgebeud für die heute (ich 
wiederhole, wir schreiben 1888) noch amtlich gültige Desinfection der Hände 
einer Hebamme, dass dieser Abschnitt wörtlich wiedergegeben werdeu muss: 
„Vor jeder Verunreinigung derselben (der Hände) durch eitrige oder faulige 
Stoffe muss sie sich streng in Acht nehmen, da diese Schädlichkeiten durch 
die Hände noch leichter, als durch Instrumente auf wunde Stellen der Ge- 
burt.swege übertragen werden. Konnte sie indess die Berührung mit solchen 
Stoffen nicht vermeiden, so muss sie gleich darnach ihre Hände mit warmem 
Wasser sorgfältig waschen und bürsten“, (— die hierzu nöthige Bürste ist 
im Behälter der Hebamme nicht vorhanden, iu der Land- und selbst in der 
Vorstadtpraxis jedoch nur ganz ausnahmsweise im Haushalte der Patienten 
zu bekommen; d. V. —) „nachdem sie dieselben, wie die Instrumente vor¬ 
her mit Carbolöl gründlich eingesalbt hat, und diese Reinigung in den 
nächsten Tagen noch mehrmals wiederholen, jedenfalls, wenn sie zu einer 
Geburt gerufen wird. Muss sie eine Frau untersuchen, die an einem übel¬ 
riechenden Austlusse aus den Geschlechtstheileu leidet, sei es eine Schwangere, 
Gebärende, Wöchnerin oder Kranke, so thut sie gut, vorher nicht bloss den 
untersuchenden Zeigefinger, sondern die ganze Hand einzufetten, da sie als¬ 
dann sicher ist („sicher*!!), die verunreinigende Flüssigkeit von allen Stelleu, 
die etwa damit in Berührung gekommen, durch sorgfältiges Waschen voll¬ 
ständig zu entfernen. Nicht minder sorgsam muss sie sich waschen und 
reinigen, wenn sie Kranke besucht hat, die an ansteckenden Krankheiten, 
z. B. dem Kindbettfieber, der Rose, den Blattern u. s. w., leiden; auch muss 
sie alsdann ihre Kleider wechseln (— die Wäsche nicht? — D. V.), ehe 
sie es wagen darf, zu einer Gebärenden oder Wöchnerin zu gehen“. — 

Es ist nothweudig, an dieser Steile zu betonen und im folgenden sich 
stets daran zu erinnern, dass das jetzt gültige preussische Lehrbuch im Jahre 
1878 erschienen ist, also zu einer Zeit, iu welcher die Antiseptik erst be- 
beganu, Gemeingut aller Aerzte zu werden, und auch von einem nur vor- 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 


läufigen Abschlüsse der Auwendungsweise nicht die Rede sein konnte. Eis 
wäre demnach durchaus unzulässig, für Litzmann, der bekanntlich der 
hauptsächliche Verfasser des Lehrbuches ist, aus diesem Mangel des Buches 
auch nur den Schein eines Vorwurfes abzuleiten. Aber an uns, die wir 
über bewährte und allgemein anerkannte Methoden der Antiseptik verfügen, 
ist es, ohne Zögern jenen verhängnissvollen Fehler im Hebammenunterrichte 
und -Lehrbuche gründlich auszubessem. —• 

Grundbedingung für die Möglichkeit, antiseptisch zu verfahren, ist es, 
das „Operationsfeld“ thunlichst genau zu überblicken, über alle Verhältnisse 
eingehend unterrichtet zu sein. Das Lehrbuch dagegen versichert (p. 38, § 57): 
„Eine Besichtigung des Unterleibes und der äusseren Geschlechtstheile ist 
selten nötbig.“ Macht die Hebamme diese Anschauung, oder besser diese 
„Nichtanschauung“, zu der ihrigen, so wird sie beinahe gänzlich ausser 
Stande sein, Krankheiten der äusseren Geschlechtstheile zu erkennen, ja 
deren Vorhandensein auch nur festzustellen; sie begiebt sich damit eines 
durchaus unerlässlichen Hülfsmittels zur näheren Erkennung der gegebenen 
Umstände und — gewöhnt sich an ein unordentliches Untersuchen! 
Statt dieses Satzes, der unbedingt zu streichen ist, muss der in § 56 ent¬ 
haltene Satz: „Die Untersuchung ist der wichtigste Theil der 
Hebammenkunst —“, gesperrt gedruckt werden. 

Die Bemerkung auf p. 41, § 60: „Bei der inneren Untersuchung 
hat die Hebamme vorzugsweise zu beachten: 1. Die Beschaffenheit des 
Dammes und der äusseren Geschlechtstheile“, genügt nicht, das oben ange¬ 
führte wieder gut zu machen, denn ohne Besichtigung lässt sich durch das 
Abtasten des Dammes und der äusseren Geschlechtstheile — und um dieses 
handelt es sich offenbar — eine genügende Untersuchung nicht ausführen. 

Nur flüchtig und an einer Stelle, an welcher es der Beachtung allzu 
leicht entgeht, wird auf p. 43, § 62, iu 6 Zeilen gesagt: „Vor allen 
Dingen aber muss die Hebamme ihre Hände rein und sauber halten durch 
fleissiges Waschen und sorgfältiges Bürsten der Nägel. Vor jeder Unter¬ 
suchung muss sie eine solche Reinigung ihrer Hände vornehmen, auch wenn 
sie sich einer Verunreinigung derselben nicht bewusst ist, und selbstver¬ 
ständlich ebenso, nachdem sie die Untersuchung beendigt hat“. — Wie schon 
bemerkt, wird ihr zu diesem Bürsten oft genug die Bürste fehlen; das ein¬ 
fache Bürsten und Waschen ohne Anwendung eines Desinficiens wird nur 
selten genügen, und vor allem ist eine Reinigung der Hände allein, ohne 
Rücksicht auf die Arme, Kleider, Wäsche u. s. w. durchaus unzureichend. 

Die Hebamme soll nicht nur verstehen, mit dem Thermometer umzu¬ 
geben, sondern selbstredend auch eines besitzen. Heisst es bei der Auf¬ 
zählung ihrer Gerätschaften schon (p. 75), sie solle „wenn möglich ein 
Thermometer“ mit sich führen, so muss nach der Fassung des § 117, p. 92, 
die Anwendung eines solchen als geradezu überflüssig erscheinen, denn es 
heisst bei der Besprechung der Temperatur des Badewassers: „Ist kein 
Thermometer zur Hand, so bleibt der Hebamme nichts übrig, als die Wärme 
des Bades mit dem hineingetauchten Ellenbogen zu prüfen“. Soll die un¬ 
heimliche Erinnerung an jene Hebamme, welche eine grössere Anzahl von 
Kindern durch ihre Fahrlässigkeit einfach verbrühte, aufs neue aufgefrischt 
werden? 

P. 93, § 117: „Beim Reinigen des Kindes fange die Hebamme stets 
mit den Augen an, indem sie dieselben — mit einem feinen, weichen 
Leinwandläppchen behutsam abtrocknet. Das Läppchen muss nach dem 
Gebrauche ausgewaschen werden, ehe es wieder benutzt werden darr. Da¬ 
durch ist die Möglichkeit einer Uebertragung der Ophthalmoblennorrhoe nicht 
ausgeschlossen, sondern vielmehr nahe gerückt 

Von allergrösster und einschneidender Bedeutung ist die Frage der 
Nachgeburtsentfernung. Jeder Arzt wird bei genauer Beobachtung gemerkt 
haben, wie oft die im Lehrbuche vorgeschriebene, vielthätige Behandlung 
des Nachgeburtszeitraumes zu Infectioneu durch die Hebamme führt. Das 
Lehrbuch räth p. 94, § 119,. . . sobald die Nachgeburt aus der Gebärmutter 
iu die Scheide hinein geboren wurde, „ungesäumt zur Entfernung derselben 
zu schreiten“. Zu diesem Zwecke führt die Hebamme „Zeige- und Mittel¬ 
finger der rechten Hand bis zum Mutterkuchen (— also in der Scheide —) 
und drückt damit den Mutterkuchen zuerst nach hinten gegen das Kreuz¬ 
bein — u. s. w“. — „sollten diese (die Eihäute) einem leisen Zuge am 
Mutterkuchen nicht folgen, so führt sie nochmals Zeige- und Mittelfinger 
der rechten Hand in die Scheide ein —“. Der Infectiou etwa vorhandener 
Damm-, Vulva- und Scheidenwunden — und diese fehlen nur selten — ist 
dabei Thür und Thor geöffnet. Hier sowohl wie auch später wird die 
Crede’sche Methode überhaupt nicht erwähnt; und es bedarf kaum weit¬ 
gehender Auseinandersetzungen, dass dieses häufige und dabei unnötbige 
Eingehen der Hand oder auch nur einzelner Finger in die Scheide bei einer 
Kreissenden oder Entbundenen die schlimmsten Folgen haben kann. 

Keines Zusatzes bedürfen die Worte auf p. 102, § 130: „Sind 
Verletzungen am Damme, an den Schamlippen, im Scheideneingange vorhan¬ 
den, so ist deren Aussehen bei der Reinigung genau zu besichtigen, und, 
falls es missfarbig wurde und sich trotz vermehrter Sorge für Reinlichkeit, 
mehrmaliger täglicher Bespühmg mit warmem Wasser oder Camillenthee 
nicht bald bessert, ein Arzt herbeizunifen. Schwellen die äusseren Geburts- 
theile an, wie es öfters in E'olge solcher Verletzungen geschieht, so bedeckt 
man sie mit in warmen Camillenthee getauchten Tüchern, die man stünd¬ 
lich wechseln lässt“. Das ist einfache Aufforderung zur Curpfuscherei. 

P. 103, § 130, wird Vorsicht angerathen, damit beim Salben der Hände 
nicht „die Bettwäsche mit Fett beschmutzt werde.“ Für die Bettwäsche 
wird gesorgt — für die Wöchnerin nicht annähernd genügend. 

Unglaublich naiv, aber recht traurig ist die Bemerkung auf p. 105, 
§ 133: „Manche Frauen legen zweckmässig (!!) vor ihrer Niederkunft etwas 
Wäsche zurück, die sie entweder einen Tag lang getragen oder eine Nacht 
bei sich im Bette gehabt haben“. 

P. 106, § 135: „So lange ein solches Unvermögen, den Urin zu lassen, 
(bei der Wöchnerin) besteht, muss die Hebamme den Harn zweimal täglich 
mit dem Katheter abnehmen — “. Eine genügende Vorschrift für die Desin- 


fection des Katheters fehlt, ebenso der Hinweis auf die Gefahren des Ka- 
theterisirens mit unreinem Instrumente. 

P. 108, § 138: In den ersten Tagen des Wochenbettes „ist der Hebamme, 
wenn sie im Besitze eines Thermometers ist, die Messung der Körperwärme 
dringend zu empfehlen“. Sie ist vielmehr einfach zu fordern! — 

Zur Blutstillung bei Fehlgeburten wird p. 128, § 166, „die Ausstopfung 
der Scheide“ empfohlen. Die Hebamme „bedient sich dazu bühner- bis 
enteneigrosser Kugeln von reiner Watte, — taucht sie in Oarbolöl und 
bringt sie — in die Scheide ein“. Dabei ist der Gebrauch septischer 
Watte nicht ausgeschlossen, besonders wenn sie die bei ihren Geräthschaften 
wochenlang herumgeschleppten Wattekugeln benutzt; die Ausstopfung der 
Scheide sollte nur mit imprägnirter, aseptischer Watte geschehen und 
äusserste Reinlichkeit dabei zur Pflicht gemacht werden. 

P. 128, § 167: Manchmal „muss die Hebamme nach längerer oder 
kürzerer Frist die Stopfmittel wieder herausnehmen und, wenn sie übel¬ 
riechend geworden sind, die Scheide mit kaltem Wasser ausspülen und 
reinigen“. Also einfach mit kaltem Wasser, und später, p. 130, § 168: 
„Sobald der Ausfluss aus der Gebärmutter übelriechend wird, muss die 
Scheide zwei- bis dreimal täglich, unter Umständen noch öfter, mit lauem 
Wasser ausgespült werden“. 

Zu den schädlichsten Rathschlägen gehört der auf p. 144, § 193, be¬ 
findliche: Blutungen beim Bersten von Blutaderknoten sucht die Hebamme 
bis zur Ankunft des Arztes „an den Beinen auch wohl durch Aufbinden 
eines Stückchens Feuerschwamm oder eines in kaltes Wasser und Essig ge¬ 
tauchten Leinewandpolsters zu stillen“. Das äusserste wird allerdings durch 
den auf p. 299 gegebenen Rath geleistet, zur Blutstillung bei Blutegelstichen 
(— Stiche? —) „ein kleines Stück Feuerschwamm oder geschabte Charpie 
aufzudrücken“!!! — Ebenso heisst es p. 184, § 253: „die Hebamme solle 
zur Stillung von Blutungen bei Verletzung der äusseren Geschlechtstheile 
die Finger aufdrücken und — „unter die Finger ein Stück Feuerschwamm 
oder ein in eine Mischung von Wasser und Essig getauchtes Leinewand- 
bäuschchen legen“. Schlecht stimmt es ferner mit der Antiseptik überein, 
wenn die Hebamme den auf p. 209, § 283, gegebenen Rath befolgt, der auf 
dem Querbette zu lagernden Gebärenden, „damit sie sich nicht erkälte, vor¬ 
her Beinkleider — anzuziehen.“ 

Das sächsische Lehrbuch gestattet den Hebammen die Vornahme der 
Wendung nicht; in Preussen muss den Hebammen dieser Eingriff noth- 
gedrungen gestattet werden, denn besonders in den östlichen Provinzen 
wird es sehr häufig nicht möglich sein, einen Arzt rechtzeitig herbeizurufen. 
Wo jedoch so eingreifende Operationen gestattet sind, muss doppelte Sorg¬ 
falt auf die Antiseptik verwendet werden. 

Der Mangel an Vorschriften für die Desinfection der Hebamme und 
Gebärenden tritt ganz besonders zu Tage bei den Angaben über die künst¬ 
liche Lösung der Nachgeburt, p. 251, § 341. Es sollte bei allen Operationen 
stets aufs Neue im Lebrbuche darauf hingewiesen werden, wie die Hebamme 
sich und die Gebärende zu desinficiren und welche Vorsicht sie hinsicht¬ 
lich der Wäsche u. s. w. dabei zu beobachten habe. 

P. 258, §351: Bei Umstülpung der Gebärmutter soll die Hebamme „in 
kaltes Wasser getauchte Tücher gegen die Gebärmutter drücken“. 

P. 260, § 354: „Es ist die Pflicht der Hebamme — bei jeder tieferen 
(— warum nicht bei jeder? —) Zerreissung des Dammes sofort den Beistand 
eines Arztes zu verlangen. — Doch merke sich die Hebamme auch für die 
Behandlung kleinerer Dammrisse folgende Regeln: — Die Wunde ist durch 
öfteres, schonendes Waschen mit lauwarmem Wasser möglichst rein zu er¬ 
halten. Schwellen die W T undränder und die Schamlippen stärker an, so 
mache die Hebamme feuchtwarme Umschläge mit Camillenthee“. (!!) 

Einer vollständigen Umarbeitung bedarf bei dem schon gekennzeichneten 
Standpunkte des Lehrbuchs die Abhandlung über das Kindbettfieber. Das 
Hauptgewicht muss dabei auf die Vermeidung von Ansteckung durch die 
Hebamme gelegt und angegeben werden, wie sie durch genügende Reinigung 
ihres Körpers, ihrer Wäsche und Kleider, der Schwangeren, Kreissenden, 
Wöchnerin, sowie alles dessen, was mit derselben in Berührung kommt, 
diese entsetzliche Krankheit verhüten kann. Es ist dabei hinzuweisen auf 
die Gefahr aller Operationen. Der kurze Hinweis p. 268, § 364: „Es ist 
ihre erste Pflicht, mit der peinlichsten Sorgfalt darauf zu achten, dass ihre 
Hände und ihre Instrumente völlig rein seien, bevor (— bloss bevor? —) 
sie zu einer Gebärenden oder Wöchnerin geht“, genügt nicht annähernd. 
Ebenso wenig genügt, die Vorschrift auf p. 271, § 369: „Uebrigens ist es 
die Pflicht der Hebamme, die Pflege einer erkrankten Wöchnerin nicht länger, 
als unumgänglich nothwendig, zu übernehmen und sogleich auf die Herbei¬ 
ziehung einer anderen Wärterin zu dringen. Wenn sie eine am Kindbett¬ 
fieber leidende Wöchnerin besucht hat, so muss sie sich jedesmal völlig 
umkleiden und namentlich ihre Hände, sowie alle bei der Kranken benutzten 
Geräthschaften sorgsam reinigen, ehe sie zu einer Gebärenden, oder einer 
anderen Wöchnerin geht“. — Das Verhalten, welches eine Hebamme bei 
vorkommendem W'ochenbettfieber zu beobachten hat, muss eingehend ge¬ 
schildert werden, besonders mit Rücksicht auf die Gefahr der Uebertragung 
und die Möglichkeit, diese Uebertragung durch hinreichende Maassregeln zu 
verhüten. Zu diesen gehört vor allem die zeitweilige E'ernhaltung der Heb¬ 
amme von ihrer Praxis. 

P. 272, § 371: „Nach langer Geburtsarbeit, besonders wenn dabei der 
Scheideneiugang, die Schamlippen oder der Damm verletzt waren, schwellen 
nicht selten im Wochenbette die äusseren Geburtstheile an, entzünden sich 
und werden schmerzhaft. Die Hebamme mache lauwarme Ueberschläge auf 
die geschwollenen Theile —“. Beim Entstehen von Geschwüren an der 
Innenfläche der Schamlippen ziehe die Hebamme sogleich einen Arzt zu 
Rathe. „Inzwischen bespüle sie die Geschwüre mehrmals täglich mit lau¬ 
warmem Wasser oder Camillenthee“. 

In eine Reihe mit Feuerschwamm und Charpie gehört der Rath auf 
p. 279, § 382, bet Wundsein der Brustwarzen „sich eines Warzenhütcheus 
aus Kautschuk oder besser noch (!) aus präparirtem Kuheuter (!!) zu be¬ 
dienen“. Und weiter: „Nach dem Saugen werden die Warzen mit Brannt- 


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2. A nga st. 

wein und Wasser rein gewaschen und ftiit einem Hütchen bedeckt, welches 
aus einer Kartoffel oder gelben Wurzel (!!!) geschnitten werden kann“. 

Es ist nicht unwichtig, hier zu wiederholen, dass im preussisehen 
Hebammenlehrbuche zur Wundbehandlung im Jahre 1888 noch 
empfohlen werden: Camillenthee, kaltes und warmes Wasser, 
Charple, Feuerschwamm, Kartoffel, gelbe Wurzel und prftparlrter 
Kuheuter. 

P. 295, § 405: „Zu Einspritzungen in die Mutterscheide wird am häufig¬ 
sten reines Wasser benutzt. — Ausser reinem Wasser darf die Hebamme 
auch Camillenthee oder — — Leinsamenthee verwenden“. — Offenbar nur 
ein Schreibfehler ist die Aeusserung auf p. 296, § 405: „Ueberhaupt. darf 
die Hebamme ohne Erlaubniss des Arztes Einspritzungen in die Mutterscheide 
oder die Gebärmutter nur in solchen Fällen bei Schwangeren (!) oder Ge¬ 
bärenden machen — denn von Einspritzungen in die Gebärmutter durch 
die Hebamme war vorher nie die Rede und darf überhaupt nie die 
Rede sein. 

Durchaus wAnsehenswerth wären einige Ergänzungen der Fragen des 
Tagebuches (p. 311); so die Forderung der ärztlichen Unterschrift bei den 
durch den Arzt vorgenommenen Operationen (in Baden durchgeführt) in der 
Spalte: „Ob und welche künstliche Hülfe und durch wen sie geleistet worden 
ist?“ Des Weiteren eine neue Spalte: „Wurde die Nachgeburt durch die 
Naturkräfte oder durch Kunsthülfe entfernt, und durch welche?“, sowie die 
Frage, warum Operationen, welche die Hebamme selbst ausgeführt hat, nicht 
durch einen Arzt vollzogen wurden. 

Soweit das preussische Hebammenlehrbuch. Zu einer Besprechung 
auch nur der Mehrzahl der gegenwärtig in Deutschland und Oesterreich 
benützten Hebammenlehrbücher fehlt in diesen Spalten der Raum. 

(Fortsetzung folgt.) 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

Das Friedrichshaller Ritterwasser. 

Von Sanitätsrath Dr. S. Gattmann in Berlin. 

Wiederholt ist in dieser Wochenschrift auf die Vorzüge des Friedrichs¬ 
haller Bitterwassers hingewiesen worden, und wir kommen auf dieses alt- 
bewäh:t« Mittel um .-o lieber zurück, ah in einer Zeit, in welcher mehr denn 
jemals neu auftauchende Heilmittel verdientermassjn so schnell wie sie er¬ 
scheinen a'ich wieder verschwinden, es geradezu Noth thu', Umschau zu 
halten auf dem Gebiete derjenigen älteren Mittel, denen die Erfahrung einen 
hervorragenden Platz in unserem Arzneischatz angewiesen hat, und deren 
wirkliche Brauchbarkeit durch wissenschaftliche Prüfung und theoretische 
Begründung mehr und mehr erwiesen ht. Wenngleich ich mich in dem 
Folgenden mehr relerirend verhalten kann über die Untersuchungen und 
Erfahrungen der bewährtesten Beobachter über das Friedrichshaller Bitter¬ 
wasser, welche zum Theil, namentlich die jüngsten Publicationen, in dieser 
Wochenschrift niedergelegt sind, so bin ich selbst in der Lage, auf Grund 
einer grossen Reihe von Beobachtungen in einer über zwei Decennien hin- 
ausreichenden und ausgebreiteten Praxis mich dem Satze anzuschliessen. dass 
das Friedrichshaller Bitterwasser zu der noch bescheidenen Zahl jener 
Arzneimittel gehört, welche den Fortschritten unserer heutigen Kenntnisse 
entsprechend in ihren physiologischen und therapeutischen Wirkungen 
genau bekannt sind. Noch in einer der jüngsten zusaramenfassenden 
Arbeiten konnte vor allem hervorgehoben werden, dass, wenn von einem 
Abführmittel verlangt wird, „dass es seine Wirkung thut, wenn 
□ öthig, auch bei fortgesetztem Gebrauch, ohne den Organismus 
im ganzen oder an einzelnen Theilen irgendwie zu schädigen“, 
gerade das Friedrichshaller Bitterwasser es ist, welches nicht nur diese Be¬ 
dingung erfüllt, sondern auch, kraft seiner eigenartigen chemischen Zu¬ 
sammensetzung, wohlthätig und fördernd auf Stoffwechsel und Drüsenfunction 
einwirkt. Das ist das übereinstimmende, weiter unten noch näher zu be¬ 
leuchtende Resultat der früheren Untersuchungen von Mosler, v. Mering 
und der jüngsten Arbeit von Markwald an gesunden wie an kranken 
Menschen. Es erfolgen Darmausleerungen von breiiger Gonsistenz und 
dunkler Farbe ohne jede Beschwerde oder nachfolgenden Erschöpfungs¬ 
zustand etwa '/s bis 2 Stunden nach Einnahme von ca. 300 g Friedricbs- 
haller Bitterwasser. Die dunklere Färbung de»- Faeces, die Steigerung der 
Körpertemperatur, der Puls- und der Respirationsfrequenz weisen auf eine 
vermehrte Leberthätigkeit hin. Die überaus günstige Einwirkung dieses Mi¬ 
neralwassers auf die Function des Magens dankt es seinem Gehalte an Chlor¬ 
salzen, welche nach ihrer Spaltung zum Theil zur Bildung der Salzsäure im 
Magen verwandt werden. Nach den bekannten Analysen von Justus 
v. Liebig und Liebreich enthält das Friedrichshaller Bitterwasser 0,79 
Chlornatrium. Eine 0,7 bis 0,75 procentige Chlornatriumflüssigkeit ist aber 
nach den neuesten Untersuchungen als absolut indifferent gegen menschliche 
Gewebe und freiliegende Zellen zu hypodermatischen Injectionen sowohl wie 
zu Infusionen in das Blutgefässsystem (Kronecker) empfohlen. Gerade 
dieses bestimmten Kochsalzgehaltes wegen gab Liebig dem Friedrichshaller 
Bitterwasser den Vortritt unter allen Bitterwässern. Diesem Votum schlossen 
sich bald die Erfahrungen der Aerzte an, und ihm fehlte auch nicht die 
gewichtige Stimme von v. Frerichs, welcher vor dem anhaltenden Gebrauch 
der concentrirten Bitterwässer warnt, weil derselbe die Vorgänge der Ver¬ 
dauung und Blutbereitung wesentlich beeinträchtigt. In der jüngsten Zeit 
ist es kein geringerer als Leyden, der das Friedrichshaller Bitterwasser 
vorzieht, weil der Chlornatriumgehalt desselben sowohl die Resorption wie 
die Secretion befördere. 

Es ist interessant, bei Besprechung dieser Verhältnisse einer Betrach¬ 
tung Bunge’s (Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. 
Leipzig. F. C. W. Vogel 1887) zu folgen über die allgemeine Bedeutung 
des Kochsalzes für den Organismus, um die obigen praktischen Folgerungen 
zu erhärten. Während die Physiologen das Chlornatrium in gewissem Sinne 


noch zu den Gewürzen zählen, ist es Bunge, der es vor allem als Nahrungs¬ 
stoff und Genussmittel zugleich bezeichnet. Dem genannten Autor ver¬ 
danken wir eine Reihe interessanter Angaben über die historische, ethnolo¬ 
gische und physiologische Bedeutung des Chlornatriums, von welchen nur 
die hauptsächlichsten angeführt werden sollen. Das Kochsalz nimmt eine 
Ausnahmestellung ein, es wird vom Menschen von allen anorganischen 
Salzen als einziges der anorganischen Natur entnommen, die anderen er¬ 
halten wir mit den organischen Nahrungsmitteln. Dabei ist unsere Nahrung 
nicht arm an Kochsalz. Von den Tbiereu haben nur die Pflanzenfresser 
das Bedürfniss nach Zusatz von Steinsalz zur Nahrung. Kalisalze nimmt 
der Pflanzenfresser 3—4 mal so viel auf als Natronsalze. Der Kalireichthum 
der Pflanzennahrung ist die Ursache des Chlornatriumbedürfnisses bei den 
Pflanzenfressern. Das geht so zu. Chlornatriura ist der Hauptbestandtheil 
unter den anorganischen Salzen des Blutplasmas. Kommen Kalisalze in’s 
Blut, so erfolgt dort eine Umsetzung des kohlensauren Kalisalzes zu Chlor¬ 
kali und kohlensaurem Natron. Der Ueberschuss an kohlensaurem Natron 
wird zugeich mit dem Chlorkali durch die Nieren ausgeschieden, das Blut 
wird an Chlor und Natrium ärmer, daher das Bedürfniss nach Chlornatrium. 
Dies ist von Bunge experimentell bewiesen. In den 5 Litern Blut eines 
Menschen sind etwa 12 Gramm Chlornatrium enthalten. Bei der Bildung 
der Verdauungssecrete, bei der Lösung der Globuline spielt das Chlor¬ 
natrium eine wichtige Rolle. Bei den vorhererwähnten Versuchen Bunge’s 
verursachte schon eine Kaliäufnahme von 18 Gramm den Verlust 
einer erheblichen Menge des Kochsalzes im Blute. Wer sich vorwiegend 
von Kartoffeln nährt, nimmt täglich gegen 40 Gramm Kali zu sich. Daher 
sind Kartoffeln ohne Salz ungeniessbar. Auch die Cerealien, Legumi¬ 
nosen sind reich an Kali. So erklärt sich der dreimal grössere Koch¬ 
salzverbrauch der Landleute gegenüber dem mehr Fleisch geniessenden 
Städter. Obiges Verhältniss ist in Frankreich statistisch festgestellt. Völker, 
die von rein animalischer Nahrung leben, kennen das Salz nicht oder ver¬ 
abscheuen es, wo sie es kennen, während die vorwiegend von Vegetabilien 
Lebenden ein unwiderstehliches Verlangen darnach tragen. Alle die Völker, 
welche das Kochsalz nicht brauchen, leben vorwiegend von Fleischnahrung, 
dagegen trinken die Bewohner der Oster-Inseln mit Wohlbehagen das uns 
Erbrechen erregende Meerwasser; sie leben nur von Pflanzen. Eine Be¬ 
stätigung für diese Angaben bietet auch das Verhalten der von Reis lebenden 
Völker. Reis enthält sechsmal weniger Kali als Roggen, Weizen, Gerste, 
und so erklärt sich, dass die wesentlich von Reis lebenden Völker kein 
Bedürfniss nach Salz haben. Beachtenswerth ist es auch, dass die von ani¬ 
malischer Nahrung ohne Salzzusatz lebenden Völker beim Schlachten der 
Thiere jeden Blutverlust sorgfältig vermeiden. Bei 4—6 Kali: 1 Natron 
braucht der Mensch noch kein Salz. So ermöglicht uns der Salzgenuss, den 
Kreis unserer Nahrungsmittel zu erweitern, wir würden, wenn wir kein Salz 
hätten, gegen die Aufnahme grösserer Mengen der kalireichsten Vegetabi¬ 
lien, z. B. der Kartoffel, eine Abneigung haben. Bunge empfiehlt den Reis 
als Krankenspeise bei Nieren- und Magenleiden. Er meint, die Ausscheidung 
so grosser Mengen Alkalisalze schädige die Nieren. Die allgemeine Bedeu¬ 
tung des Chlornatriums für den Menschen fallt zusammen mit der Frage 
nach der praktischen Bedeutung der Resorptionsverhältnisse des Chlor¬ 
natriums im Darm. Hätte uns die Natur ein Abführmittel mit einem Koch¬ 
salzgehalt in der erwähnten günstigen Concentration bereitet, so ist klar, 
dass seine Einwirkung auf den Stoffwechsel eine vortheilhafte sein müsste. 
Eine solche Quelle und ein solches Mittel besitzen wir in der That in dem 
Friedrichshaller Bitterwasser, dessen hauptsächlichste Bestandtheile 
sind: Schwefelsäure Salze und Chloride, in 1000 Theilen sind 13 Gramm 
Sulphate und 12 Gramm Chloride enthalten. Die letzteren müssen als 
wertbvoll8ter Bestandtheil gegenüber anderen Bitterwässern angesehen wer¬ 
den, denn durch die Untersuchungen vonVoit ist festgestellt, dass nur das 
Kochsalz, nicht aber die anderen Mittelsalze gesteigerte Oxydation des Ei- 
weisses und Vermehrung der Diurese bewirkt. 

Die ersten exacten Untersuchungen über die Wirkung des Wassers ver¬ 
danken wir dem Greifswalder Kliniker Mosler. Seine Resultate waren, ent¬ 
sprechend den vorhergehenden Ausführungen, die folgenden: 

1. Das Allgemeinbefinden erleidet beim Gebrauche des Friedrichshaller 
Bitterwassers, selbst in grossen Dosen, keine Störung; der Appetit steigert 
sich vielmehr. 

2. Kleine Gaben (150 g) verringern das Körpergewicht nicht, wohl 
aber grössere. 

8. Kleine Gaben machen die Darmentleerung breiig, grosse rufen 
Diarrhoe hervor. 

4. Das Friedrichshaller Bitterwasser wirkt diuretisch. Die Urinmenge, 
das Quantum der festen Bestandtheile des Urins, namentlich die Harnstoff¬ 
menge vermehrt sich. 

Später unterzog v. Mering in Strassburg die Ergebnisse Mosler’s 
einer eingehenden Prüfung. Er konnte dessen Angaben durchaus bestä¬ 
tigen und fand weiter, dass bei Gebrauch des Friedrichshaller Bitterwassers 
auch die Masse der Fäcalien sich vermehrte und eine günstige Nachwirkung 
auf den Stuhlgang zu constatiren war. 

Im Gegensatz zu den beiden vorhergenannten Autoren, die ihre Ver¬ 
suche an Gesunden anstellten, prüfte in neuester Zeit Markwald auf der 
Klinik von Riegel in Giessen den Einfluss des Friedrichshaller Bitter¬ 
wassers bei Personen, die in ihrer Ernährung heruntergekommen sind, bei 
denen eine verminderte Vis vitalis besteht. Auch hier waren die Ergeb¬ 
nisse durchaus günstige. Es wird besonders gerühmt, dass das Mittel 
stets lange genommen werden konnte, ohne Störungen zu verursachen. 
Meistens genügte eine Dosis von 100—150 g, mit derselben Menge warmen 
Wassers nüchtern genommen, um die beabsichtigte Wirkung zu erzeugen. 
Selten waren mehr als 300 g nöthig. Auch ein Nachlassen der Wirkung 
nach mehrwöchentlichem Gebrauch gehörte zu den Ausnahmen. 

Die speciellen Indicationen für das Friedrichshaller Bitterwasser als 
prophylaktisches und als Heilmittel ergeben sich für den Praktiker von 
selbst. Wir wollen, worauf Leyden in jüngster Zeit Gewicht legt, darauf 


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hinweisen. das-s das Friedrichshaller Bitterwasser gerade zu län¬ 
gerem eurgemässen Gebrauch wegen seines Kochsalzgehaltes 
besonders geeignet und darum anderen Bitterwässern vorzu¬ 
ziehen ist. 


— A. Mairet, Combemale und Grognier, welche der Pariser 
Soc. de Biol. am 5. November 1887 einen Bericht über ihre Studien, be¬ 
treffend die Wirkung des Stroplianthns, überreichten, geben zwar die allbe¬ 
kannten klinischen Befunde zu, dass durch dieses Mittel Diurese und Blut¬ 
druck gesteigert, der Puls verkleinert wird, widersprechen aber der bisher 
allgemein angenommenen Hypothese, dass die Ursache davon in einer Ein¬ 
wirkung auf das Herz zu suchen ist. Weder auf den Herzmuskel selbst, 
noch auf die Herzganglien, noch auf die Medulla oblongata übe der Stro- 
phanthus eine specifisch giftige Wirkung aus. Vielmehr glauben sie, dass 
das Medicament lediglich reizend wirke, und zwar vornehmlich auf die Nieren. 
Den Beweis dafür erblicken sie in den Befunden der Sectionen, bei denen 
sie blutige Suffusionen im Endocard, in den Lungen, Stauungsleber und 
,Nierenreizung“ vorfanden. (Journ. des Soc. scientif.). S. W. 

— Die bereits von Guenau de Mussy empfohlene Behandlung der 
Ischias mit Süsserer Anwendung von Schwefelbllithe wurde in jüngster 
Zeit von Duchesne in mehreren Fällen mit ausgezeichnetem Erfolge an¬ 
gewendet. Das Verfahren besteht darin, dass die erkrankte Extremität fest 
in ein Tuch gewickelt wird, welches an seiner inneren Seite mit einer 
dicken Schicht von Schwefelblüthen belegt ist. Die Wirkung ist eine 
ausserordentlich rapide; in fast allen von Duchesne beobachteten Fällen 
genügt eine Nacht, um die bis dahin oft recht lebhaften Schmerzen ganz 
zum Verschwinden zu bringen. Besonders interessant ist. folgender Fall: 
Eine 48jäbrige Frau litt seit langer Zeit an einer sehr heftigen Ischias, 
die allen versuchten Mitteln trotzte; die Application von Schwefel hatte 
eine so rasche Wirkung, dass am nächsten Tage die Schmerzen bereits 
vollständig verschwunden waren. Seither sind mehrere Jahre verstrichen, 
ohne dass die Krankheit wieder aufgetreten wäre. Ueber die Art der Wir¬ 
kung besteht absolut keine Erklärung. (Wiener med. Presse 1888, No. 11.) 

— Einen Säufer hat Berblinger (Russ. Med. 1887, No. 38) durch 
20 Injectionen von je 0,0006 Strychnin vom Alkoholismus dauernd geheilt. 
(Prag. med. Wochenscbr. 1888, No. 4). 

, — Roth (Bulletin medical) hat constatirt, dass Opinm bei kleinen 

'Kindern selbst in sehr schwachen Dosen Convulsionen hervorruft, die 
: tödtlich werden können. Auch beim Fötus geben sich diese Wirkungen als 
Convulsionen zu erkennen, wovon Roth einen Fall citirt. Eine Schwangere, 
die starke Dosen Opium genommen batte, constatirte einige Zeit nach dem 
Einnehmen des Mittels starke, fast unerträgliche Kindsbewegungen. Roth 
hält deshalb die Anwendung von Opium zur Verhütung des Aborts für 
irrationell. R. 

— Nikolsky hat in 18 Fällen von Verbrennungen ersten und 
zweiten Grades Pinselungen mit Gerbsäuretlnctnr mit sehr gutem 
Erfolge angewandt. Er verordnet: Tannini drachm. unam, Alkohol 
95°/o qs (d. h. ca. 1 Drachme) und Aether sulf. unciam unam MDS. Die 
Flüssigkeit ist in einem Gefäss mit Glaskorken aufzubewahren Die ver¬ 
brannte Partie wird mit einem Desinficiens gereinigt, dann die Tinctur auf¬ 
gestrichen bis zur Bildung einer festen Haut, und dies 2—3 mal täglich wieder¬ 
holt, je nachdem die Haut platzt, darüber eine trockene Compresse. Die Blasen 
werden aufgeschnitten, der Inhalt mit Watte ausgedrückt, die Wundfläche 
oberflächlich jodoformirt, dann mit der Tinctur bepinselt. Die Schmerzen 
werden wesentlich gemildert, die Behandlung dauert nicht lange. (Petersb. 
med. Wochenschr.) 


Xm. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Der Assistent an der geburtshülflichen Klinik der Charite 
Dr. Dührssen hat sich auf Grund einer Vorlesung -Ueber die Behandlung 
der Geburt beim engen Becken -4 als Priv.-Doc. in der medicinischen Fa- 
cultät der Universität habilitirt. 

— Dr. Paul Langerhans, früher Priv.-Doc. der Anatomie an der 
Universität Freiburg, ist am 20. Juli in Funchal auf Madeira einem lang¬ 
wierigen Leiden erlegen. 

— Würzburg, ln Ergänzung unserer Notiz in No. 28 können wir 
mittheilen, dass auch Prof. Kaltenbach (Halle), der secundo loco für den 
Lehrstuhl der Geburtshülfe und Gynäkologie vorgeschlagen war, den an ihn 
ergangenen Ruf abgelehnt hat. An dritter Stelle ist Prof. Dr. Hofmeier 
(Giessen) vorgeschlagen. 

— Wien. Der VIII. 0esterreichische Aerztevereinstag wird 
am 31. August und 1. September d. J. in Wiener-Neustadt tagen. — Mi- 
nisterialrath Dr. v. Schneider ist aus dem Verbände des Sanitäts¬ 
departements des Ministeriums des Innern ausgeschieden. An seiner Stelle 
wurde der bisherige Sectionsrath im Sanitätsdepartement des Innern Dr. 
E. Kusy zum Ministerialrath und Sanitätsreferenten befördert. 

— Lemberg. Vom 18.—22.. d. Mts. tagte der mit einer Aus¬ 
stellung verbundene V. Congress polnischer Aerzte und Natur¬ 
forscher. Die Theilnahme der Aerzte war eine ungewöhnlich grosse, 
über 500 Aerzte waren anwesend. 

— London. Dr. H. J. Domville, Generalinspector der Spitäler 
Londons und Flotten- und Leibarzt der Königin von England ist im 
70. Lebensjahre verstorben. 

—• Washington. Dr. A. G. P. Garnett, Professor der speciellen 
Pathologie und Therapie am National medical College, ist gestorben. 

— Paris. Am 25. Juli wurde inl Amphitheater der medicinischen 
Facultät der Tuberculose-Congress eröffnet. Chauveau führte den 
Vorsitz, Vorneuil und Villemin fungirten als Vicepräsidenten. In der 
ersten Sitzung hielten Cornil und Nocard Vorträge. Einen ausführ¬ 
lichen Bericht bringen wir in einer der nächsten Nummern. 


— Charkow. Der verstorbene Dr. Laschkewitsch, Professor an 
der inneren Klinik, hat testamentarisch 50000 Fr. zur Errichtung eines 
Laboratoriums für experimentelle Pathologie an der inneren Klinik aus¬ 
gesetzt. 

— Preisausschreiben. Der Niederrheinische Verein für 
öffentliche Gesundheitspflege wünscht auf dem Wege des Preisaus¬ 
schreibens eine grössere Zahl von Aufsätzen über Gegenstände der Gesund¬ 
heitspflege zu erhalten, welche sich als Lesestücke für deutsche 
VolksschuIlesebüeher eignen. Diese Aufsätze müssen: 1) dem kind¬ 
lichen Fassungsvermögen der Schulkinder im Lebensalter von 8—14 Jahren 
angepasst und 2) kurz sein, d. h. den Umfang von 2, höchstens 3 Druck¬ 
seiten (Octav — 10'/j:17 cm — bei deutlich grosser Druckschrift) nicht 
übersteigen, 3) der Inhalt, der Aufsätze soll sich auf die Gesundheitspflege 
des einzelnen Menschen und des Hauses, sowie auch auf die öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege beziehen. — Es sollen bis zu 30 Aufsätze belohnt werden, 
und zwar jeder Aufsatz mit 30 Mark. Die Aufsätze sind bis zum 1. Ja¬ 
nuar 1889 an den Seeretair des Vereins, Herrn Sanitätsrath Dr. Le nt in 
Köln, kostenfrei einzusenden; der Name des Verfassers ist in einem mit 
einem Zeichen oder Motto versehenen verschlossenen Briefumschläge beizu¬ 
fügen; die Handschrift muss das gleiche Zeichen oder Motto tragen. Die 
von den Preisrichtern des Preises würdig erkannten Aufsätze werden Eigen¬ 
thum des Vereins. Der Verein beabsichtigt, die. preisgekrönten Aufsätze im 
Druck zu veröffentlichen zu dem Zwecke, dass die Herausgeber von Volks- 
schullesebüchern diese Aufsätze kostenfrei, nur mit Angabe der Quelle, be¬ 
nutzen können. Das Preisrichteramt werden ausüben die Herren: Ober¬ 
bürgermeister Becker in Köln, Schulinspector Dr. Boodstein in Elber¬ 
feld, Geh. Sanitäts-Rath Dr. Graf in Elberfeld, Sanitäts-Rath Dr. Lent in 
Köln, Regierungs- und Schulrath Dr. Schönen in Köln. — Die unga¬ 
rische Akademie der Wissenschaften hat einen Preis von 100 Pu- 
caten für die beste Behandlung des Themas ausgeschrieben: -Einfluss des 
Missbrauches der geistigen Getränke auf die Zunahme der Verbrechen: wie 
könnte diesem socialen Uebel am zweckmässigsten gesteuert werden?“ Ein 
weiterer Preis von 360 Gulden in Gold wurde für die beste Lösung der 
folgenden Frage bestimmt: „Die sanitären Verhältnisse in Ungarn; die Ur¬ 
sachen der bestehenden Uebelstände und die Bedingungen für deren Besse¬ 
rung.“ Termin für die Einreichung beider Arbeiten: 30. September 1888. 
— Von der Barcelonaer Akademie der Medicin und Chirurgie ist 
der Gari-Preis im Betrage von 1500 Mark für die beste Arbeit über „Pa¬ 
thogenese der Gonorrhoe; klinische Formen, Complicationen, Prophylaxe* 
ausgesetzt. Die Arbeiten müssen in spanischer, französischer oder italienischer 
Sprache verfasst sein und sind bis zum 30. Juni 1889 einzureichen. 

— Universitäten. Halle. Dr. Kretschmann und Sanitätsrath 
Dr. Risel haben sich als Privatdocenten, ersterer für Ohrenheilkunde, 
letzterer für Hygiene, habilitirt. — Würzburg. Prof. Röntgen in Giessen 
hat den Ruf als Professor der Physik hier angenommen. — Wien Dr. 
A. Paltauf ist zur Habilitirung als Privatdocent für gerichtliche Medicin 
zugelassen worden. —• Krakau. Im Juni d. J. hat die feierliche Grund¬ 
steinlegung zum Bau einer neuen chirurgischen Klinik stattgefunden. — 
Budapest. Die durch den Tod Prof. Balogh’s erledigte Lehrkanzel 
wird vorläufig von dem Docenten Dr. L. Toth ausgefüllt. — Paris. Dr. 
Dechamps wurde zum Chefarzt der Klinik für Kinderkrankheiten, Dr. Feu- 
lard zum Chefarzt der Hautklinik, Dr. Bonnaire zum Direktor der ge- 
burtshülflichen Klinik an der Faculte de medecine ernannt. — Charkow. 
Der Priv.-Doc. Dr. Tschirikow wurde zum a. o. Prof, der Pharmacie er¬ 
nannt. — Barcelona. Dr. Iranzo ist zum Professor für Kinderheilkunde 
ernannt. — Valencia. Dr. Enrigue Sloker ist zum Prof, der descriptiven 
Anatomie, Dr. Gomez Ferrer zum Professor der Kinderheilkunde ernannt. 


XTV. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen; S. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, den praktischen Aerzten Dr. Willems, dirig. Arzt 
des städt. Krankenhauses zu Deutz-Cöln, Dr. Kranefuss, Kreis-Physikus 
zu Halle i. W., Dr. Credner, Kreiswundarzt zu Hanau, Dr. Thanisch zu 
Trier, Dr. Koehen zu Forst, Dr. Bielitz zu Lauenburg i. P. und I)r. 
Hitzel zu Homburg v. d. H. den Charakter als Sanitäts-Rath, sowie dem 
Generalarzt I. Kl. Geh. Medicinal-Rath u. Professor Dr. v. Bergmann zu 
Berlin den Stern und das Kreuz der Komthure des Kgl. Hausordens von 
Hohenzollern, und dem Geh. Medioinalrath Prof. Dr. Gerhardt zu Berlin 
den Rothen Adler-Orden II. Classe mit Eichenlaub zu verleihen. — Er¬ 
nennung: Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht, den bis¬ 
herigen Stabsarzt bei dem medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelm-In¬ 
stitut und Privatdocenten an der Universität Berlin, Dr. Loeffler zum 
ordentl. Prof, in der med. Facultät der Universität Greifswald zu ernennen. 

— Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Radi in Höchst, Dr. Hughes 
in Soden, Dr. Asthörer in Aachen, Dr. Philipp in Treptow a R, Dr. 
Joppich in Züllchow, Dr. Seyffert in Neuenkirchen, Schoene in Stettin. 

— Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Ludwig Lazarus von Schöne¬ 
berg nach Berlin, Dr. Karger von Berlin nach Braetz, Dr. Buchholtz, 
Kreis-Physikus a. D. von Johannisburg nach Berlin, Dr. Pirow von 
Schönberg in Holstein nach Meyenburg, Dr. Michaelis von Körlin nach 
Berent, Dr. Pulzner, Stabsarzt a. D. von Stolpmünde nach Unruhstadt. 
Stabs- und Abtheilungsarzt Dr. Kaegler von Posen nach Glogau, Stabs¬ 
arzt Dr. Hell wig von Glogau als Ober-Stabsarzt nach Königsberg i. Pr., 
Dr. Herr mann von Sprottau in’s Ausland, Dr. Dencks von Königs¬ 
berg i. Pr. nach Allenstein, Nicke 11 von Königsberg i. Pr. nach 
Hoyerswerda, Dr. Brieger von Kosel nach Breslau, Dr. Mo es er von Breslau 
nach Neisse, Dr. Kobrak von Breslau nach Berlin, Stabsarzt Dr. Wolff von 
Breslau als Ober-Stabsarzt nach Neu-Ruppin,• Dr. Koerber von Breslau 
nach Rankau, Stabsarzt Dr. Boehr von Reichenbach i Schl, nach Breslau. 
Ass.-Arzt Dr. Kowalk von Stettin als Stabsarzt nach Reichenbach i. Schl. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


9. August 1888. 


.Aß 



MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mitteilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thiomo, Leipzig-Berlin. 


I. TJeber Pyopneumothorax tuberculosus. 1 ) 

Von E. Leyden. 

Der Pneumothorax der Phthisiker gehört zu denjenigen thera¬ 
peutischen Problemen, welche gegenwärtig auf der Tagesordnung 
der inneren Therapie stehen. Einerseits lehnt es sich an die 
Behandlung der pleuritischen Exsudate, andererseits an die 
Phthisiotherapie. Die Behandlung der Pleuritis, namentlich die 
chirurgische Behandlung der pleuritischen Exsudate ist gegenwärtig 
zu einem so befriedigenden Abschluss gediehen, dass wir kaum be¬ 
anspruchen dürfen, wesentliche therapeutische Fortschritte zu 
machen, nur gerade dieser eine Fall, der Pneumothorax der Phthi¬ 
siker, macht davon eine Ausnahme, derselbe bietet bisher noch 
ziemlich traurige therapeutische Resultate dar. Die meisten Autoren, 
welche in neuerer Zeit über dies Capitel geschrieben haben, be¬ 
trachten den Pneumothorax der Phthisiker als ein „Noli me tan¬ 
gere“, von dem durch therapeutische Eingriffe nicht viel zu er¬ 
warten ist. Ich beziehe mich hierbei auf die Schriften der Herren 
O. Fräntzel und H. Senator über diesen Gegenstand. Beide 
haben empfohlen, von Zeit zu Zeit eine Entziehung der Luft und 
Flüssigkeit aus dem Pleurasacke zu machen, höchstens 1 Liter, und 
dann die Patienten nach den gewöhnlichen Principien der Phthisis- 
therapie zu behandeln. Auf diese Weise würde am meisten den 
Indicationen genügt und könnte das Leben derartiger Kranker am 
ehesten verlängert werden. Mein verehrter Freund, Herr Fräntzel, 
der heute den Vorsitz führt, erklärt, dass er von therapeutisch- 
chirurgischen Eingriffen Abstand genommen habe, weil unter diesen 
die Kranken der Regel nach sehr schnell collabirten und zu 
Grunde gingen. Ich bin bisher denselben Principien gefolgt und habe 
meinen Schülern vorgetragen, dass es ziemlich gleich sei, was man 
mache, die Patienten gingen in jedem Fall, früher oder später, 
meist nach nicht sehr langer Zeit, zu Grunde. Ich habe ebenfalls 
von Zeit zu Zeit das überlastende Exsudat und die überlastende 
Luft aus dem Thorax hinausgezogen, um den Kranken Erleichterung 
zu verschaffen. Wenn man indessen, wie es in der Charite der Fall 
ist, verhältnissmässigviele von diesen armen Kranken zu behandeln hat, 
und sieht, dass sie zuweilen sich noch in einem sehr günstigen All¬ 
gemeinzustande befinden, dem man etwas Zutrauen könnte, wenn 
man dann weiter sehen muss, wie sie mehr und mehr abnehmen 
und unaufhaltsam zu Grunde gehen, so ist man immer wieder von 
Neuem aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sieb nicht befriedi¬ 
gendere Resultate erreichen lassen. Diesem Gedankengang ist 
auch Ausdruck gegeben in der schönen Arbeit von Prof. Ad. 
Weil 1882, damals in Heidelberg, später Professor in Dorpat. 
In dieser Schrift: „Zur Lehre vom Pneumothorax, insbesondere 
vom Pneumothorax bei Lungenschwindsucht, Leipzig 1882“, welche 
den Gegenstand monographisch erschöpfend behandelte, ist ausein¬ 
andergesetzt: 1) dass der Pneumothorax bei den Tuberculösen eine 
relativ häufige Erscheinung ist, 10% aller Phthisiker werden davon 
befallen; 2) dass zwar der grösste Theil der Fälle Phthisiker im 
vorgeschrittenen Stadium, aber ein nicht ganz unerheblicher 
Theil, 20%, solche Kranke betrifft, welche sich noch in einem re¬ 
lativ frühen Stadium befinden; 3) dass der Verlauf des Pneumothorax 
der Phthisiker ein im Ganzen sehr trübseliger ist. Man muss im 
Verlauf mehrere Fälle unterscheiden: zunächst entsteht der Pneumo¬ 
thorax dadurch, dass eine Stelle der Lunge berstet (ein nekro¬ 
tischer Herd oder eine tuberculöse Caverne), und dass die Luft in den 

') Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 


Pleuraraum austritt; in der Regel folgen ueftige Erscheinungen, die 
aber vorübergehen, dann befinden sich die Patienten verhältniss- 
mässig gut, in einigen Fällen gehen sie sogar herum (ambulanter 
Pneumothorax), in einigen Fällen arbeiteten die Kranken, Einer 
soll sogar Möbel getragen haben, ln der Folge treten nuu Exsudate 
in den lufthaltendeu Pleuraraum aus. Nur in einigen seltenen Fällen 
ist es längere Zeit hindurch gar nicht zur Exsudation gekommen. 

Die Exsudate, welche sich entwickeln, sind meistens, aber 
nicht immer eitrig. Die Meinung, dass der Pneumothorax immer 
zur Eiterung führe, hat sich als unrichtig erwiesen, namentlich 
Senator hat auf das relativ häufige Vorkommen vou Seropneumo¬ 
thorax hingewiesen. Das ist auch der Fall beim Pneumothorax der 
Phthisiker, es kommt sowohl Seropneumothorax, wie Pyopneumo¬ 
thorax vor. Beide Fälle sind für die einzuschlagende Therapie wohl 
zu unterscheiden. Wei 1 in seiner citirten Arbeit hält sie nicht scharf ge¬ 
nug auseinander. Was den Verlauf betrifft, so ergiebt sich aus Weil’s 
Zusammenstellung, dass etwa der vierte Theil der Fälle von Pneumo¬ 
thorax schon in der ersten Woche, die Hälfte im ersten Monat 
stirbt, und dass nur etwa die Hälfte der Fälle längere Zeit am Leben 
bleiben, von diesen sterben die meisten in den nächsten Monaten, 
nur bei einigen bestand das Leben verhältnissmässig lange Zeit; ein 
Fall ging nach 7 Monaten, einer nach 1 Jahr, einer nach 2, einer 
nach 2 >/ 2 Jahren zu Grunde. Ich erinnere mich nur, soweit ich 
die Fälle gelesen habe, dass es mir für diese letzten Fälle, wo 
das Leben sehr lauge bestand, nicht sicher erscheint, dass sie schon 
von vornherein tuberculös gewesen sind, in einem Fall sind die 
Spitzen frei gefunden, von einem wird gesagt, dass er nach 2 Jahren 
an Tuberculöse gestorben ist, was nicht unbedingt beweist, dass er 
schon damals tuberculös war. Jedenfalls befanden sich diese 2 Kranken 
zur Zeit des Eintritts des Pneumothorax in sehr günstigen Verhält¬ 
nissen: die Lungenaffection war sehr gering, die Körperkräfte sehr 
gut. An diese Fälle knüpft Weil die wichtige Bemerkung: „Wenn 
man diese günstigen Fälle sieht, so wird man immer wieder darauf 
zurückkommen, ob es nicht möglich ist, sie durch ein actives opera¬ 
tives Eingreifen zur Heilung zu bringen.“ Weil stellt somit die 
Behandlung des Pneumothorax als ein Problem der gegenwärtigen 
Zeit auf. Weil bespricht sodann die verschiedenen Behandlungs¬ 
methoden. Die Behandlung mit Function und theilweiser Ent¬ 
leerung ist eine symptomatische, welche bisher die meisten 
Anhänger hatte. Die Resultate der Thoracotoraie waren bisher 
nichts weniger als glänzend, der grösste Theil dieser Patienteu 
geht, wenn operirt. in kurzer Zeit zu Grunde. Auch hier sind es 
nach Weil’s Zusammenstellung nur ausserordentlich wenige Fälle, 
bei denen das Leben längere Zeit fortbestand. Er führt mehrere 
Fälle an, bei denen die Patienten die Operation überstanden, sich 
auch nach der Operation etwas erholten, aber dennoch kam es 
nicht zu einer eigentlichen Reconvalescenz. Ein Fall von Heilung 
wird mitgetheilt, der auch nicht als ein glänzender bezeichnet 
werden kann, er lebte noch 2 Jahre nach der Operation. Ein Fall 
von Hohlbeck aus Petersburg befand sich 2 Jahre lang ziemlich 
gut, wurde entlassen und nun nicht weiter beobachtet. Weil 
selbst berichtet einen Fall von Pyopneumothorax, der 6 Wochen 
nach der Operation starb, und einen zweiten Fall, der % Jahr nach 
der Entstehung starb, und bei welchem das Leben durch die 
Operation um 2'/‘2 Monat verlängert wurde. „Trotzdem“ sagt Weil 
p. 185, „scheint es mir verfrüht, die Radicaloperation beim Pyopneumo¬ 
thorax der Phthisiker ganz allgemein zu verwerfen.“ Fräntzel er¬ 
wähnte in seinem Vortrage, dass er einen Fall kenne, wo das Leben 
auch ohne Operation 20 Jahre erhalten blieb, es ist dies der Fall 


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6^0 


von Traube 1 ), den auch Weil citirt, der aber nicht frei von Ein- | 
wänden ist. 

Bei diesem Stande der Sache habe ich auf der ersten medi- i 
cinischen Klinik das Problem der Behandlung des Pyopneumo- j 
thorax tuberculosus wieder aufgenommen und bin an dasselbe heran- ■ 
gegangen auf Grund der neuen Fortschritte der Phthisiotherapie. | 
Namentlich habe ich mir die Frage vorgelegt, ob es nicht mittelst j 
einer sorgfältig geleiteten, methodischen Ernährungstherapie gelin- ; 
gen sollte, die Ergebnisse der Behandlung dieser schweren Erkran- j 
kungen günstiger zu gestalten. Im vergangenen Jahre waren sechs j 
Fälle von Pyopneumothorax auf der Klinik, davon wurden drei 
operirt: der Eine der Operirten war ein Seropneumothorax. Dieser 
ging schon wenige Tage nach der Operation zu Grunde. Es ist 
mir zweifelhaft, ob die Fälle von Seropneuraothorax sich über¬ 
haupt zur Behandlung durch die Thoracotomie eignen, denn sie 
kommen durch diese Operation kaum in bessere Verhältnisse wie 
vorher. Das seröse Exsudat bedingt kaum Fieber, die Entleerung 
bringt dem Patienten wenig Erleichterung, aber die eintretende 
Eiterung u. s. w. kostet sehr viel Kräfte und sehr viel Zeit: 
cs scheint mir nach diesem einen Falle, dass die Verhältnisse 
ungünstig sind. Ich würde also zunächst die Fälle von Seropneu¬ 
mothorax nicht zur operativen Behandlung empfehlen. Ich knüpfe 
hieran aber die Bemerkung, dass von Potain in Paris kürzlich eine 
andere, wie mir scheint, sehr vortheilhafte Behandlungsmethode 
in Anwendung gezogen ist. Vor einigen Monaten erschien 
eine Mittheilung über die Behandlung des Pneumothorax durch 
Einflössen von sterilisirter Luft, die Behandlungsweise scheint 
für den Pneumothorax im Allgemeinen in Aussicht genommen 
zu sein. Der Fall, der mitgetheilt wird, betrifft einen Tuber- 
culösen: lange Zeit bestand Seropnenmothorax, später ging er 
in Pyopneumothorax über. Potain entleerte einen Theil des Ex¬ 
sudats und flösste ebenso viel sterilisirte Luft hinein als er entleerte. 
Hiermit will er erreichen, dass die Lungenfistel durch die Aspira¬ 
tion nicht wieder aufgebrochen, und dass somit die Verheilung be¬ 
günstigt wird, während die Resorption der sterilisirten Luft leicht von 
statten gehen kann. Die Operation musste häufig wiederholt 
werden. Nach 12 Monaten war der Patient von Pneumothorax und 
von seiner Tuberculose geheilt, es scheint sich also nicht um ein 
vorgeschrittenes Stadium der Tuberculose gehandelt zu haben. — 
Ausser dem g( nannten Fall von Siropneumothorax wurden auf der I. 
medicinischen Klinik noch 2 Fälle von Pyopneumothorax operirt. Beide 
Patienten befanden sich in einem schon weit vorgeschrittenen Stadium 
der Lungenei krankung und in einem herabgekommenen abgemager¬ 
ten Zustande. Um so mehr glaube ich, die erzielten Resultate als 
Fortschritte in der Therapie dieser Krankheit bezeichnen zu dürfen. 
Der eine dieser beiden Kranken ist zwar schliesslich gestorben, aber 
er ist nicht an den Fortschritten der Lungentuherculose, sondern 
an gleichzeitiger arayleider Degeneration der Leber, Niere etc. erst 
4 Monate nach der Operation, zu Grunde gegangen. Aber dass 
er trotz solcher Complication die Operation 4 Monate lang über¬ 
leben konnte, ist jedenfalls ein ermuthigendes Resultat. Der Fall 
war von vornherein ein • desperater. Sie können fragen, weshalb 
wir trotzdem die Operation unternahmen. Nun, meine Herren, der 
Patient war jung, energisch; er verlangte, dass etwas mit ihm ge¬ 
schehe, es hätte auf ihn einen sehr traurigen Eindruck gemacht, 
wenn man nichts mehr mit ihm anstellte. Er hatte Appetit, Lust 
zum Leben, und da wir zunächst sehen wollten, ob diese Operation 
überstanden werden kann und mit welchen Mitteln und unter wel¬ 
chen Bedingungen, so hielten wir uus dazu für berechtigt, und prin- 
cipiell ist die längere Lebensdauer von 4 Monaten geeignet, die 
Operation als berechtigt erscheinen zu lassen. 

Der zweite Fall ist bedeutend günstiger verlaufen. Patient, den ich 
Ihnen hier vorstelle, ist der 27 jährige Arbeiter J.K., am 14. August 1887 
aufgenommen, jetzt 11 Monate bei uns, er wurde zuerst nach der frühe¬ 
ren Methode behandelt, d. h. 3 — 4mal wurde er punctirt, um Luft 
und Eiter zu entleeren. Als ich nun von der Ferienreise zurückkam, 
überlegte ich, ob wir bei dem Patienten, der sich recht gut ge¬ 
halten hatte, die Operation wagen wollten. Sie wurde am 15. October 
von Herrn Stabsarzt Renvers ansgeführt, cs wurde 1 Liter Eiter ent¬ 
leert, Patient fühlte sich darnach sehr erleichtert, aber es traten 
nun zunächst die schweren Folgen ein, welche ich voraussehen 
musste. Unmittelbar nach der Operation tritt begreiflicherweise ein 
Verfall ein, die Narkose, die Operation greift die Patienten an, es 
folgt eine Reaetion an der Operationsstelle, die Wuude beginnt zu 
eitern. Bei jeder Empyemoperation, d. h. auch bei den einfachen 
Empyemen, bringen die ersten 8—10 Tage eine Verschlimmerung des 
Zustandes, erst wenn die Eiterung und Granulationsbildung einiger- 
maassen in Gang kommt, dann fangen die Patienten an, sich zu er¬ 
holen. Diese kritische Periode trat nun hier bei dem phthisischen Pa¬ 
tienten in gesteigertem Maasse und mit gesteigerter Lebensgefahr ein. 


') (iesammelte Beiträge III, p. 347. 


No. 32 


Patient befand sich viele Tage in einem sehr schlechten Zustande, von 
seiner Energie, von seinem Appetit, die er vor der Operation besessen, 
war keine Rede mehr. Wir mussten fürchten, dass die Kräfte des 
Patienten unter diesem Collaps erschöpft würden. Wir haben uns 
nun die grösste Mühe gegeben, den Pat. durch eine sorgfältige 
und energische Ernährungsweise über Wasser zu halten. In der 
ersten Zeit musste Patient gefüttert werden, schon wegen der grossen 
Dyspnoe war er fast völlig ausser Stande, Nahrung zu sich zu 
nehmen. Wir mussten zur künstlichen zwangsweisen Ernährung 
schreiten, mittelst der sogenannten Gavage, dem vor einigen Jahren 
in Paris durch Debove und Dujardin-Baumetz in die Therapie 
der Phthisis eingeführten Verfahren. 

Mehrere Wochen wurde Patient auf solche Weise ernährt, bis 
er wieder an Muth und Kraft gewann. Ich habe mich seit mehre¬ 
ren Jahren mit der Ernährungstherapie eingehend beschäftigt und 
bin überzeugt, dass hier ein sehr wesentlicher Fortschritt für die 
innere Therapie gelegen ist, ich glaube ferner, dass wir gerade auf 
Grund der in Deutschland gemachten klassischen Untersuchungen 
über die Physiologie der Ernährung von v. Voit und seinen 
Schülern, sowie der in den landwirtschaftlichen Instituteu angestell- 
ten die wissenschaftliche Basis besitzen, um auch für die Pathologie 
und Therapie eine richtige und wissenschaftliche Ernährungstherapie 
zu begründen. 

Auf die Einzelheiten behalte ich mir vor, später an anderer 
Stelle ausführlich einzugehen. Hier möchte ich nur meine Uebtr- 
zeugung dahin aussprechen, dass eine wissenschaftliche, methodische 
Ernährung der Kranken gerade gegenwärtig ein wesentliches Desi¬ 
derat ist, und dass für die Therapie der Phthisis eine methodische 
Ernährengstherapie die wesentlichste Rolle spielt. Eine solche An¬ 
schauung steht mit den Erfahrungen früherer Zeiten durchaus im 
Einklänge. Denn die ärztliche Erfahrung hat es genugsam gelehrt, dass 
die Phthisiker sich besser befinden, wenn sie an Körpergewicht zuneh¬ 
men, schlechter, wenn sie abnehmen. Schlechte Ernährung ver¬ 
schlimmert nicht allein den Zustand der Phthisiker, sondern steigert 
sogar bei bisher Gesunden die Disposition zur tuberculösen Er¬ 
krankung. Brehmer macht in seinem letzten Werk über die Be¬ 
handlung der Lungenphthisis die treffende Bemerkung, dass die 
meisten Phthisiker von Hause aus schlechte Esser sind. Aber nicht 
nur die Phthisis, sondern alle Krankheiten, bei welchen die Lebens¬ 
gefahr in der Consumption besteht, werden erfolgreich mit metho¬ 
discher Ernährung bekämpft. Ich kann hierbei die Bemerkung 
nicht unterlassen, dass es nicht ausreicht, den Patienten eine 
reichliche Diät oder eine Milchcur zu verordnen, die Haupt¬ 
schwierigkeit besteht in der Durchführung einer methodischen Er¬ 
nährungstherapie, eine Aufgabe, welche viel Mühe, Consequenz 
nnd eingehende Untersuchungen erfordert. Von vornherein ist der 
Grundsatz festgehalten, dass der Appetit nicht das Massgebende ist; 
die Kranken müssen auch ohne und über ihren Appetit essen. Je 
nach der Aufgabe, welche durch die Ernährung erreicht werden soll, 
ist zu berechnen, was und wieviel dazu nöthig ist. Die Consumption 
soll bekämpft, die Verwandlung der fortschreitenden Abnahme in 
fortschreitende Zunahme erzielt werden. Wieviel die Patienten 
hierzu brauchen, kann erst durch sorgfältige wissenschaftliche 
Untersuchungen exact berechnet werden. Man w r ird bei solcbeu 
Bestimmungen erstaunt sein, zu sehen, dass hierzu unter Umständen 
enorme Mengen nöthig sind. Im Allgemeinen herrscht der Grund¬ 
satz, dass Kranke nicht viel zu essen brauchen. Das ist ein falscher 
und gefährlicher Grundsatz. Kranke brauchen durchschnittlich 
mehr als Gesunde, weil sie nicht bloss sich zu erhalten haben, 
sondern die Consumption in die Umkehr d. h. die Zunahme ver¬ 
wandeln sollen. Die Umsetzungsprocesse sind überdies häufig gestei¬ 
gert. Kranke nutzen die Nahrung weniger gut aus und müssen oft 
auch grosse Arbeit leisten (z. B. durch Dyspnoe), welche nur nicht 
gerade in dem besteht, was man gewöhnlich als Arbeit bezeichnet 
Zuerst also muss berechnet werden, wie viel der einzelne Patient 
braucht, um nicht mehr an Körpergewicht abzunehmen resp. um sogar 
zuzunehmen. Diese Bestimmung schliesst die Frage ein, wie viel von 
der gesammten Nahrungsmenge N, wie viel CH, wie viel Fett sein 
soll. Die Antwort hierauf ist keine leichte und meist erst nach mühsamer 
Untersuchung zu gewinnen. Sodann handelt es sich darum, die er¬ 
forderlichen Mengen- und Mischungsverhältisse der Nahrung dem Pat. 
in möglichst angenehmer und schmackhafter Form zu geben, damit 
es ihm nicht zu schwer wird, sie zu consumiren. Endlich bedarf es 
der genauen Controlle, um zu wissen, was, wie viel und in welcher 
Combination die erforderliche Nahrung genossen wird. 

Für die Durchführung einer solchen Therapie bieten die Säle 
der Klinik freilich nicht die günstigsten Bedingungen dar. Uns 
fehlt schon die gute Luft, die heitere Umgebung, welche für den 
Kranken wesentliche Heilmittel sind, uns fehlt hier viel an Comfort, 
welcher dem Kranken wohlthut und ihn Beschwerden leichter 
ertragen uud überwinden lässt. Die Durchführung einer energische n 
Ernährungstherapie ist daher für uns eine sehr schwierige Aufgabe, 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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0. August. 



DEUTSCHE MEDICINISCHR WOCHENSCHRIFT. 



welcher wir nur mit der grössten Energie und Hingebung für ein¬ 
zelne Kranke genügen können. 

Die Behandlung der Phthise mit reichlicher Ernährung ist 
keine neue Sache. Die seit langer Zeit gebräuchlichen Milch- und 
Molkeucuren, Traubencureu, ebenso der Gebrauch des Leberthrans 
kommen sämmtlich auf diese Indication hinaus. In den letzten 
Jahren, seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus, haben sich freilich 
die wissenschaftlichen Bestrebungen mehr auf die Auffindung eines 
spccifischen Heilmittels gerichtet, uud es ist bekannt genug, wie 
viele seither empfohlen, gerühmt, aber auch wieder vom Schauplatz 
verschwunden sind. 

Ohne irgendwie der Bedeutung dieser Bestrebungen entgegen¬ 
zutreten, darf ich doch sagen, dass eiu Mittel, welches nachweislich 
die Virulenz derTuberkelbacillen herabsetzt, bis dato nicht gefunden ist. 
Ich erinnere Sie an die Untersuchungen, welche Dr. Com et aus Rei- 
cheuhall auf dem diesjährigen Cougresse für innere Medicin vorge¬ 
tragen hat. 1 ) Wie dem auch sei, so dürfen wir uns jedenfalls nicht 
allein auf die Sache der Specifica verlassen. Eine rationelle, 
energisch durchgeführte Eruährungstherapie bleibt der Schwerpunkt 
der Phthisiotherapie. 

Vor einigeu Jahren haben in Frankreich die Herren Debove 
und Dujardin-Beaumetz von Neuem nachdrücklich auf die Be¬ 
deutung und die Erfolge einer überreichlichen Ernährung (Surali- 
mentation) bei der Phthise hingewieseu. Eine solche Uebernährung 
stösst auf grosse Schwierigkeiten und ist häufig nur mit grosser Mühe 
zu erreichen. Eutweder ist es der moralische Zwang und die 
Autorität des Arztes, welche die Ueberernährung durchsetzt, oder 
wir greifen zu der als Gavage bezeichneten Methode, der Er¬ 
nährung durch das Schlundrohr. 

Diese Methode, welche zunächst in der ärztlichen Welt viel 
Aufseheu machte, hat doch nicht viel Nachahmung gefunden, ln 
Deutschland hat Dr. Peiper aus der Poliklinik in Greifswald über 
ihre Anwendung uud Erfolge Mittheilung gemacht, auch aus der 
Klinik vou Pel in Amsterdam, sowie zuletzt aus Russlaud sind 
Beiträge dazu geliefert. Dennoch ist diese Nährmethode in grösse¬ 
rem Umfange nicht in Anwendung gezogen. Ich habe sie iu 
unseren Fällen, sowie in anderen mit grossem Nutzen angewandt. 
Ich spreche der Methode dennoch keine sehr ausgedehnte Anwen¬ 
dung zu, weil man in der Regel mit moralischem Zwang auskommt, 
und viele Kranke sich die Gavage nicht gefallen lassen, aber es giebt 
Zeiten in dem Verlauf der phthisischen und anderen Erkrankungen, 
wo es nur durch die Gavage möglich ist, den Krankeu zu er¬ 
halten und über die Zeit der dringenden Gefahr hinwegzuhelfen. 
Dieses war der Fall bei unserem Kranken nach der Operation. 
Er war zu schwach, zu dyspnoisch, um geuügeude Nahrung aufzu- 
uehinen. Mittelst der Gavage gelang es, ihn über diese gefahr¬ 
volle Zeit hinwegzubringen, um ihn dann weiter einer geeigneten 
Eruährungstherapie zu unterwerfen. Auf diese Weise ist es gelungen, 
den Patienten zu erhalten uud der Heilung in dem Maasse zuzu¬ 
führen, wie Sie ihn hier sehen. 

Wir habeu nun freilich nicht verabsäumt, auch die jetzt ge¬ 
bräuchlichen Specifica gegen Tuberculose zu verabreichen, aber 
ohne sichtlichen Erfolg. Auch die locale Behandlung des Pneu¬ 
mothorax erforderte grosse Sorgfalt. Wir haben hierbei vou Jodoform 
ausgiebigen Gebrauch gemacht. Der Verlauf zum Besseren geschah 
ausserordentlich langsam. Sehr auffällig w'ar es mir zu sehen, wie 
langsam sich die Höhle des Pleuraraumes verkleinerte. Noch jetzt, 
nach zehnmonatlicher Dauer, euthält die Höhle circa 200 ccm, der 
tägliche Eiterverlust beträgt jetzt noch 30—40 ccm, der Eiter enthält 
stets ziemlich reichliche Tuberkelbacillen. Dieser langsame Verlauf 
vergegenwärtigt die Gefahreu des Pyopneumothorax tuberculosus 
gegeuüber dem einfach eiterigen, welcher in einigen Wochen ver¬ 
heilt. Mit diesen Gefahren der laugen Dauer und der dadurch 
drohenden Consumption sind auch die Schwierigkeiten des thera¬ 
peutischen Erfolges gekennzeichnet Indessen soll der mitgetheilte 
Fall zeigen, dass diese Schwierigkeiten nicht unüberwindlich sind. 
Trotz der ziemlich weit vorgeschrittenen Lungenaffection, trotz des 
vollkommenen Pyopneumothorax und trotz des sehr langsamen Fort¬ 
schrittes zur Heilung ist es durch ausserordentliche Mühe und 
Anstrengung gelungen, den Patienten über die schwere Zeit hinweg¬ 
zubringen. Er ist zwar noch nicht ausser Gefahr, aber dieselbe droht 
nicht mehr von dem Pneumothorax, sondern von der schon weit 
vorgeschrittenen Lungentuberculose. 

Das Körpergewicht des Kranken vergegenwärtigt die vielen 
Schwankungen und endlichen Fortschritte zum Bessern. Dasselbe 
betrug bei seiner Aufnahme (incl. der Flüssigkeit im Thorax¬ 
raum 86 Pfund), nach der Operation sank dasselbe auf 84 Pfund, 
betrug Mitte November 88 Pfund, 10. December 92, am 31. De- 
cember 98, Ende Januar 96 Pfund. Dann kam eine schlechte 

‘) Verhandlungen des Oongresses für innere Medeein, Bd. VII. 1888. 
p. 299. Experimentelle Untersuchungen über Tuberculose. 


Kraukheitsperiode, Mitte März wog Patient nur 92 Pfund, erholte 
sich mit Mühe und Noth Ende März auf 95, fiel aber wieder 
am 2. Mai auf 92, dann ist er stetig gestiegen bis 100 Pfuud 
und 300 g am 6. Juni, dann ging er wieder herunter auf 98 
Pfund und ist gegenwärtig wieder auf 100 Pfund 300 g gestiegen. 
Diese Zahlen sollen Ihnen vergegenwärtigen, mit welcher Mühe, 
mit welchen Hindernissen man zu kämpfen hat, und welcher ausser¬ 
ordentlichen Energie es bedarf, um zum Ziele zu gelangen. 

Ein Punkt sei noch zum Schluss erwähnt. Von Weil wird 
der Vermuthung Erwähnung gethan, dass der Eintritt des Pneu¬ 
mothorax häufig auf den Fortschritt der Phthise günstig gewirkt 
habe. Wir können hier nur so viel bestätigen, dass ein schneller 
Fortschritt der Phthise in unserem Falle nicht eingetreten ist, ob¬ 
wohl wir auch nicht einen auffalleud günstigen Verlauf coustatiren 
kouuten. 

II. Ueber Akromegalie. 1 ) 

Von Oscar Fruentzel. 

Meine Herren! Ich möchte Ihnen heute einige Mittheiluugen 
über einen Fall von Akromegalie machen, den ich Ihnen leider 
nicht mehr lebend habe vorstellen können. 

Der Kranke, ein 58jähriger Stellmacher Namens Mennig aus Rei¬ 
nickendorf, kam am 25. Januar u. c. unter den Zeichen hochgradiger Lun¬ 
genschwindsucht, namentlich rechterseits, auf meine Abtheilung in der Charite 
und war anfangs so schwach, dass er das Bett nicht verlasseu konnte. Erst 
gegen Ostern hatte er sich soweit erholt, dass ich ihn in der Gesellschaft 
hätte zeigen können. Leider fanden damals drei Wochen lang keine Sitzun¬ 
gen statt, während der Kranke dann rasch wieder collabirte und am 26. April 
starb. Ich habe unseren Patienten in der Zeit, wo er sich kräftiger fühlte, 
photographiren lassen und kann Ihnen an der Photographie, die sehr gut 

ausgefallen ist, den Fall ausführlicher demon- 
strireu. (Der beigegebene Holzschnitt giebt 
auch die groben Verhältnisse ziemlich gut 
wieder.) 

Der Kranke stammte aus einer nicht 
tuherculösen Familie und will schon als ein 
besonders gewaltiges Kind zur Welt gekom¬ 
men sein, seine Extremitäten hätten sich dann 
in den Kinderjahren zu enormer Grösse ent¬ 
wickelt, so dass er allen Leuten aufgefallen 
sei, und als er sich einen Lebensberuf wählen 
sollte, wären seine Hände so gross gewesen, 
dass er deswegen gezwungen war, Stellmacher 
zu werden In den 20er Jahren seines Lebens 
fing er an zu husten. Der Husten hat sich 
sehr langsam verschlimmert, auch der Kräfte- 
zustand hat sich lange Zeit leidlich gut ge¬ 
halten. Bei seinem Eintritt in die Charite 
war eine ausgedehnte Tuberculose iu der 
rechten Lunge mit einem ziemlich beträcht¬ 
lichen eitrigen pleuritischen Exsudat auf der¬ 
selben Seite zu coustatiren, während in der 
linken Lunge nur einzelne kleine Verdich- 
tuugsheerde vorhanden waren, ln dem des¬ 
halb nur mühsam zu erlangenden Auswurf, 
weil Patient die Sputa zu verschlucken 
pflegte, waren ziemlich beträchtliche Mengen 
vou Tuberkelbacillen nachweisbar. In Folge 
der Lungentuberculose ging der Kranke, 
wie schon erwähnt, am 2(j. April zu Grunde. 

Aber nicht die Lungentuberculose bietet für uns bei dem 
Krauken irgeud ein Interesse. Dagegen sind die gesaramteu Ent- 
wiekelungsverhältnisse seines Knochensystems sowie die Beschaffen¬ 
heit seiner Weichtheile an den Extremitäten für uns von der grössten 
Wichtigkeit. Nachdem zunächst in dem Aufsatze von P. Marie 2 ) 
und später in einer Arbeit von Erb 3 ) der Zustand, der zuerst vou 
Marie Akromegalie genannt wurde, unter Beschreibung neuer 
Fälle und mit einem ausführlichen Rückblick auf die ältereu in der 
Literatur erwähnten Beobachtungen genauer geschildert wordeu ist, 
bedarf es im Hinblick auf die hier gegebene Abbildung keiner aus¬ 
führlicheren Begründung der Diagnose, dass auch mein Kranker an 
Akromegalie gelitten hat; vielmehr erregt der Kranke uusere be¬ 
sondere Aufmerksamkeit dadurch, dass er erstens der vierte der¬ 
artige Kranke ist, welcher secirt worden ist, und dass er sowohl in 
seinen klinischen als auch in seinen Leichenerscheinungen erhebliche 
Abweichungen von den bis jetzt festgestellten Thalsachen zeigte. 

Schon in seinen jungen Jahren hatte er nämlich eine so enorme 
Entwickelung seiner Extremitäten, namentlich seiner Hände, dass 
dieselben für die Wahl seines Berufes maassgebend wurden. Im 

*) Vortrag, gehalten im Verein f. innere Medicin. 

a ) P. Marie. Sur deux cas d’acromegalie. Revue de medecine, 1886, 
VI, pj*7. 

*5 Erb. Ueber Akromegalie (krankhaften Riesenwuchs). Deutsches 
Archiv für kliu. Medicin Bd. 42, p. 295. 



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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32 


652 


Anfang der 20er Jahre machte sich eine Polydipsie bemerkbar, die 
bis zu seinem Lebensende andauerte. Schon vou Jugend auf ging 
mit der Polydipsie ein gewaltiger Abusus spirituosorum Hand in 
Hand; täglich trank er mindestens einen Liter Rum und machte den¬ 
selben durch den Zusatz aromatischer Kräuter für sich besonders 
schmackhaft. Als er dann im Krankenhause nur viel geringere 
Mengen Alkohol bekam, trank er täglich mehrere Liter Wasser. 
Ein auffälliges Hungergefühl hat er nie empfunden, niemals waren 
im Harn Zucker oder Eiweiss nachweisbar. 

Bei genauer Betrachtung zeigte sich sowohl am Gesicht wie an 
den Enden der Extremitäten eine auffallende Entwickelung der 
Knochen und der Weichtheile. Die Nase war ebenso wie die Kiefer¬ 
knochen auffallend gross, die Lippen, namentlich die Unterlippe, auf¬ 
fallend gewulstet, die Backen waren zu grossen, am Gesicht herab¬ 
hängenden Taschen umgestaltet. Die unteren Theile des Unterarms 
waren auffallend dick, die Handgelenke sehr breit, die Metacarpus- 
knochen gingen weit auseinander, die Finger und namentlich die 
Fingernägel hatten einen colossalen Umfang, die Weichtheile an den 
Fingern und an den Händen waren stark geschwolleu und auffallend 
teigig anzufühlen; die Hände machten ganz den Eindruck vou 
Tatzen. 

Die Füsse zeigten ganz analoge Veränderungen. Die Fussge- 
lenke waren auffallend dick und breit, die Metatarsusknochen und 
die Zehen waren so abuorm entwickelt, dass sie auf den ersten 
Blick durch ihren Umfang auffielen. Aber nicht bloss die knöchernen 
Theile waren so gross, sondern auch die Weichtheile waren sehr 
stark teigig geschwollen, wie man dies am besten an nach dem 
Tode angefertigten Gypsabgüssen der Füsse sehen konnte. 

An den übrigen Körperorgauen waren ausser den Erscheinungen 
der Lungenschwindsucht und des rechtsseitigen pleuritischen Ex¬ 
sudats keine krankhaften Veränderungen nachzuweisen. Besonders 
mag noch erwähnt werden, dass ein 
Kropf nicht bestand, und dass auf 
demManubrium sterni keine Dämpfung 
nachweisbar war. 

Patient gab wiederholt an, dass 
bei seinen Eltern und seinen Brü¬ 
dern, vou denen noch 2 am Leben 
sind, keine derartige Wachsthumsano- 
malieen zu bemerken gewesen wären. 

Dagegen zeige eine seiner beiden 
Töchter, die jetzt 11 Jahre alt wäre, 
schon seit mehreren Jahren auffallend 
grosse Füsse; man müsse ihr in den 
Schuhläden die Schuhe immer um 
2 Nummern grösser nehmen, als dies 
ihrem Alter entspräche. Wir unter¬ 
suchten die Mädchen: die jüngere 
war ganz gesund, die andere dagegen 
zeigte an Händen und Füssen deutlich 
die Aufäuge der Krankheit ihres Vaters, 
wie man wohl auch aus der beigege¬ 
benen Abbildung, welche zuerst pho¬ 
tographisch aufgenommen war, ersehen 
wird; das Gesicht des Mädchens bot 
noch ganz normale Verhältnisse. 

Die Section der Leiche wurde am 
27. April 1888 von Herrn Dr. Lan¬ 
ger hans vorgenommen. Das Pro- 
tocoll lautet folgenderraaassen: 

Mittelgrosse männliche Leiche mit im Allgemeinen blasser Hautfarbe, 
die sieh an den Extremitäten kleienförmig ahschuppt. Die Vorderarme und 
Hände sind mit Sommersprossen bedeckt. Vom Bauch zieht sich nach dem 
llodensack zu über die Leistengegend fort ein dicker Strang. -Man fühlt 
deutlich eine grosse Bnichpforte, durch welche sich die prolabirten Dänne 
leicht zurückbringen lassen. 

Der Kopf ist spärlich mit Haaren bedeckt. Die Weichtheile des Kopfes 
sind sehr »lick. Die Nase ist sehr stark, die Länge des Nasenrückens misst 
G‘/a cm, die Breite der Nasenflügel beträgt annähernd 5 cm. Die Lippen 
sind sehr dick, besonders stark ist die Unterlippe. Die Zähne sind nicht 
auffallend gross. Das Gesicht ist cyanotiseh gefärbt, die Ohren haben ein 
normales Ansehen. Die Haut in der (legend des Halses ist schlaff. Die 
Brust ist stark gewölbt, besonders in der Gegend des Manubrium sterni. 
Die Haut über den Oberarmen lässt sich in dünnen Falten hochheben, 
ebenso an den Unterarmen, den Händen, den Ober- und Unterschenkeln, 
sowie an den Küssen. 

Die Handgelenke sind auffallend breit, messen ungefähr 7 cm, die 
Hände sind stark vergrössert, haben in der Gegend «ler Gelenke, welche die 
Mittelhand mit den Fingern verbinden, eine Breite von 10 cm beiderseits. 
Die Zeigefinger haben eine Länge von 107* cm, die Mittelfinger von ll'/s, 
die 4. Finger von 11,2, die 5. Finger von fl’/s cm. Feber den Gelenken 
zwischen Mittelhand und Fingern beträgt die Circumferenz 23 cm, die Circum- 
ferenz d«-r 1. Phalanx jedes Zeigefingers 9, der 2. Phalanx 8, der 3. 7,3 cm. 


Die Circumferenz der 1. Phalanx des Daumens misst 9 cm, des Gelenks 
zwischen 1. und 2. Phalanx 10 cm, der 2. Phalanx 9 1 /* ein, der 1. Phalanx 
des Mittelfingers 8Vs, des Gelenks zwischen 1. und 2. Phalanx 87s, der 2. 
Phalanx 87s ein, des Gelenks zwischen 2. und 3. Phalanx 8 cm, der 3. 
Phalanx 77s cm. 

Die Nägel sind auffallend breit : der des Daumens hat eine Breite von 
2 Vs cm, der des Zeigefingers von 2 cm, der des Mittelfingers von 2 cm. 
Die Nagellänge beträgt am Daumen l'/i cm, am Zeigefinger 1,2, am Mittel¬ 
finger 1 cm. Die Nägel am 4. und 5. Finger sind entsprechend kleiner. 

Der Fuss (resp. die Füsse) hat eine Länge von 28 cm, über dem Spann 
eine Circumferenz von 28,3, über den Gelenken zwischen Mittelfuss und 
Zehen von 27 cm. Der Umfang der ersten Phalanx der grossen Zehe be¬ 
trägt 12 cm, des Gelenkes zwischen I. und 2. Phalanx 127a cm, der 2. 
Phalanx 12,3 cm. Der Nagel der grossen Zehe hat eine Breite von 3 und 
eine Länge von U/s cm. Die Circumferenz der 1. Phalanx der 2. Zehe 
beträgt 7,2 cm, der 2. Phalanx 6,7 cm, der 3. 8,2 cm. Füsse und Häude 
sind dabei schwach ödematös; es lassen sich in beiden ellenfönnige Ein¬ 
drücke hersteilen. 

Die Fibula hat, soweit sie sich durch die Haut messen lässt, ungefähr 
eine Länge von 83 ein, die Patella eine Breite von ungefähr 57a und eine 
Länge von ungefähr 5 cm. Die Maasse sind rechts und links ungefähr gleich. 

Der Umfang des rechten Kniegelenks beträgt 37 cm, die Mitte des 
rechten Oberschenkels 38 cm, der Umfang der Wade 29,3, der Umfang der 
Unterschenkel zwischen mittlerem und und unterem Drittel 23 ein, über deu 
Condylen gemessen 28 cm. Links die gleichen Maassverbältnisse wie rechts. 

Breite des Beckens mit dem Bandmaass annähernd gemessen ist 32 cm. 

Die ganze Haut über der Brust auffallend leicht verschiebbar. Das Unter¬ 
hautgewebe enthält nur kleine Inseln von Fett, welche überall von breiten 
Zonen weissliehen Gewebes begrenzt sind, in dein man einzelne Lymphgefässe 
deutlich erkennen kann. 

Die Muskulatur ist auffallend blass und schlaff. Leichte Kyphoskoliose 
nach links und hinten. 

An der Innenfläche der Dura mater finden sich an der Basis fibrinöse 
Beläge, die von zahllosen kleinen Gefässen durchsetzt sind. 

Breite der Hypophysis beträgt nach der Herausnahme zwischen 17 und 
18 mm, die grösste Ausdehnung in sagittaler Richtung 12, die grösste Dicke 
8 mm. 

Dura mit dem Schädeldach ausserordentlich fest verwachsen, lässt sich 
an vielen Stellen nur unter Anwendung grösserer Gewalt von letzterem trennen. 

Schädeldach dick und schwer. Nähte der äusseren Tafel sind erhalten, 
das Occiput springt an der Lambdanaht stark hervor. An der inneren Tafel 
sind die Nähte nur undeutlich zu scheu. Gewicht des Gehirns 1400 g. 

Die Arachnoidea ist zart, die grösseren Gefässe sind meist bis zur mitt¬ 
leren Rundung gefüllt, die kleineren ziemlich weit, dick, aber vielfach leer. 
Die Scitenventrike! erscheinen erweitert. Das Ependym gleiclunässig ver¬ 
dickt, zum Theil etwas körnig. 

Auf der Schnittfläche des Gehirns sammeln sich ziemlich viel mittelgrosse 
Blutpunkte, Schnittfläche selbst ziemlich trocken, rechts aber etwas feuchter 
wie links. Der Boden des 4. Ventrikels ist glatt. Eine Herderkrankung 
lässt sieb im Gehirn nicht nachweisen. 

Pons und Medulla oblongata zur mikroskopischen Untersuchung zurüek- 
gelegt. 

Der Grenzstrang erscheint dünn, sonst unverändert. 

Stand des Zwerchfelles beiderseits am unteren Rand der 6. Rippe. 
Rippenknorpel zum grössten Theil verknöchert. 

Bei Abnahme des Brustbeins entleeren sich aus dem ersten Pleurasack 
etwa 2 Liter einer grünlichgelben rahmigen Flüssigkeit. Die linke Pleurahöhle 
ist leer. 

Reste der Thymusdrüse sind nicht zu finden. Im Herzbeutel geringe 
Menge fibrinös-eitriger Flüssigkeit. Pericardialblätter mit einander in 
grosser Ausdehnung verklebt. Herz gross, misst an der Basis ungefähr 
1272cm, ebensoviel beträgt die Distanz von der Basis zur Spitze, und cut¬ 
hält. das Herz in der rechten Höhle ziemlich viel flüssiges und geronnenes 
Blut, sowie Spockhautgeriimsel, in der linken Höhle viel weniger. 

Der rechte Ventrikel ist dilatirt und stark liypertrophirt; die 
Dicke seiner Wandung beträgt gegen 1,5 cm. Klappenapparate intaet. 
Der linke Ventrikel schlaff, etwas weit, Muskulatur nicht nennenswerth 
verdickt, auch hier sind die Klappen unverändert. Links sind die Pleura¬ 
blätter an der Spitze mit einander verwachsen, sonst ist die Pleura glatt 
und feucht glänzend. 

Der Unterlappen der linken Lunge ist im allgemeinen grauroth, an 
seiner Spitze findeu sich zahlreiche, derbe schiefrige Knoten mit einigen 
grauweissen und gelblich grauep opaken Punkten in der Peripherie; sonst 
ist der Unterlappen gut lufthaltig. 

In der Spitze des Oberlappens liegen mehrere, zum Theil mit einauder 
communicirende Höhlen, in deren Wandungen man Gefassstumpfe sieht. 
Die Wandung der Höhlen ist bedeckt mit einer schmierigen gelblich grauen 
Masse, die sich zum grössten Theil abspülen lässt. Nach dem Abspülen 
sehen die Wandungen ziemlich glatt aus. 

Die rechte Lunge ist ein schlaffer Lappen, in welchem kein lufthaltiges 
Gewebe vorhanden ist. Die Pleura bildet eine ca. 2 min dicke, weissliche 
Platte, welche durch strangförmige Fortsätze an vielen Stellen mit der 
Rippenpleura in Verbindung steht. Beim Einschneiden findet man in der 
Spitze der Lunge mehrere mit Eiter gefüllte Höhlen. Das ganze Lungen¬ 
gewebe sieht schiefrig grau aus. 

Die seitlichen Ränder der Epiglottis berühren sich fast. Uvula ist 
gross und wie die übrigen Halsorgane cyanotiseh. Die Kehlkopfkuorpel 
sind verknöchert. Die ganze Trachea ist sehr lebhaft geröthet. Das linke 
wahre Stimmband ist weisslieh verdickt, nach der Tasche zu leicht verdickt. 
Zunge ist etwas gross. Schilddrüse wenig entwickelt. 

An den Untcrleihsorganen zeigen sich keine erwälinenswerthe Befunde. 



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9. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCITK WOCHENSCHRIFT. 


653 


Aus der vorliegenden Sectiou erhellt, dass bei derselben Be¬ 
funde vermisst wurden, welche man schon, obwohl erst drei Sec- 
tionen gemacht waren, für charakteristisch ansehen wollte. Von 
der Thymusdrüse fehlte jede Spur, deswegen müssen die ausführ¬ 
lichen Auseinandersetzungen von Klebs 1 ), welche gerade diesen 
Punkt betreffen, vorläufig als thatsächlich nicht genügend begründet 
angesehen werden; aber auch an der Schilddrüse waren keine be¬ 
sonderen Erscheinungen zu bemerken, und die Hypophysis cerebri 
war, wenn überhaupt, nur sehr unbedeutend vergrössert. 

Es wird wohl Niemand verlangen wollen, dass ich auf Grund 
des vorliegenden Sectionsbefundes noch einmal die verhältniss- 
mässig kleine Zahl der bisher beobachteten Fälle von Akromegalie 
einer ueuen ausführlichen Betrachtung uuterziehe, nachdem dies 
von Marie-) in Frankreich vor zwei Jahren und von Erb 3 ) in 
Deutschland in diesem Jahre in so vorzüglicher und erschöpfender 
Weise geschehen ist. 

Es sei mir nur gestattet, zu sagen, dass ich auch in dem 
Puukte mit Erb übereinstimme, dass, nachdem einmal die Aufmerk¬ 
samkeit der Fachgenossen auf diese eigenthümlichen Krankheits¬ 
bilder gerichtet ist, die Reihe der gemachten Beobachtungen sich 
rasch mehren würde. So lesen wir bereits in dem British med. 
Journal vom 21. April 1888, No. 1425, dass in der Clinical 
Society of London W. H. Dickinson, Hadden und Ballance 
hierher gehörige Fälle mitgetheilt haben. Herr Dr. Schutz aus 
Berlin hat im Januar dieses Jahres in der hiesigen medieinischen 
Gesellschaft einen derartigen Fall vorgestellt, aber leider bisher 
noch nicht genauer mitgetheilt. 4 ) Hier waren allerdings nur zwei 
Finger der linken Hand wesentlich betheiligt. Schliesslich ist iu 
den „Mittheilungen der chirurgischen Kliuik zu Kiel IV“ von 
Dr. August Bier ein Fall von Akromegalie beschrieben und ab¬ 
gebildet. 

Für meinen Fall charakteristisch bleibt: 1. Die Entwickelung 
im Knabenalter; 2. die Weitereutwickelung der Krankheit bei 
einem Kinde des ursprünglich Afficirten; 3. das Nichtvorhanden¬ 
sein der Thymusdrüse bei normalem Verhalteu der Schilddrüse 
und kaum nennenswerthor Vergrösserung der Hypophysis cerebri. 

III. Ansdem pharmakologischen InstitntderUniversität Bonn. 

Cadaverin, Jodoform und Eiterung. 

Von Stabsarzt Dr. Ilchring. 

Vor einem Jahre theilte ich in No. 20 dieser Zeitschrift mit, 
dass ich im Deccmber 1886 die inzwischen veröffentlichte Arbeit 
Scheurlen’s *) „Weitere Uutersuchungeu über die Entstehung der 
Eiterung, ihr Verhältniss zu deu Ptomaineu und zur Blutgerinnung“ 
iu druckfertigem Manuskript erhielt. 

Iu dieser Arbeit bringt Soheurleu durch zahlreiche Thier¬ 
versuche deu Nachweis, dass ohue Betheiligung von Mikroorgauismen 
durch verschiedene Ptomaine bei Kaninchen Eiter erzeugt werdeu 
kann. 

Zu dieser meiner Mittheilung, auf welche Herr Prof. Grawitz 
in seiner Arbeit „Ueber die Bedeutung des Cadaverins für das Ent¬ 
stehen von Eiteruug“ Bezug geuommeu hat, fügte ich folgende 
Sätze hinzu: 

„Unter Mitwirkung Scheurleu’s wiederholte ich seine Ver¬ 
suche, um zu sehen, ob die Gegenwart von Jodoform die Eiter¬ 
bildung zu verhindern im Stande ist. Ich faud nun, dass die 
eitererzeugenden Ptomaiue — jedoch nicht dereu Salze — mit dem 
Jodoform eine chemische Umsetzung erleiden und dann Eiter zu 
erzeugen nieht im Stande sind. Zuerst arbeitete ich mit dem von 
Herrn Prof. Brieger aus faulendem Fleischinfus dargestellten 
Cadaverin, von welchem Herr Brieger mir eine kleine Quantität 
überliess, dann mit dem Pentamethyleudiamiu -- identisch mit 
dem Cadaverin — welches Herr Prof. Laden bürg in Kiel syn¬ 
thetisch darstellte, und von welchem derselbe mir ca. 3,0 g auf 
meine Bitte als Salz zuschickte. Zuletzt stellte ich mit Herrn 
de Ruyter gemeinschaftlich aus Eiter uud aus inficirtem Blutserum 
Ptomaiue dar. In der wechselseitigen Einwirkung zwischen dem 
Jodoform und deu eitererzeugenden Ptomainen ist uuu ein neues 
Moment zur Erklärung der Jodoformwirkung gegeben, dessen Trag¬ 
weite noch festzustellen bleibt.“ 

fn diesen Sätzen sind bezüglich des Cadaverins und Jodoforms 
folgende Behauptungen enthalten: 

I. Cadaveriu kann ohue die Mitwirkung von Mikroorganismen 
Eiter erzeugen. 

*) Pritsche und Klebs. Ein Beitrag zur Pathologie des Riesen¬ 
wuchses. Leipzig, 1884. 

*) Marie I. c. 

3 ) Erb I. c. 

4 ) Durch seine Güte bin ich in den Besitz der betreffenden Photo¬ 
graphie gelangt. 


II. Das Cadaveriu uud das Jodoform wirken derartig auf ein¬ 
ander ein, dass beide Körper eine chemische Umsetzung erleiden. 

III. Durch die chemische Einwirkung des Jodoforms auf das 
Cadaverin wird dem letzteren seine eitererzeugende Fähigkeit 
genommen. 

IV. An dem Beispiel vom Cadaverin kann erkanut werden, 
wie das Jodoform Eiterung zu verhindern vermag, ohne eine des- 
inficirende oder entwickelungshemraende Wirkung auf die Eiter- 
bacterien auszuüben. 

Durch die vorliegende Mittheilung soll nun der Beweis für die 
Richtigkeit jener Behauptungen angetreten werden. 

I. Cadaverineiterung. 

In der oben citirten Arbeit Scheurlen’s ist das Verfahren 
zur Eitererzeugung durch Cadaverin geuau beschrieben. Es besteht 
im Wesentlichen iu Folgendem: Spindelförmig geblasene Glas¬ 
röhrchen aus weichem Glase mit 1 ccm Inhalt werden mit ihrem 
Inhalt im Dampfkochtopf sterilisirt, unter antiseptischen Cauteleu 
vou einer ca. 1 1 /-2 cm langen Hautwunde aus unter die Haut 
gebracht uud möglichst weit fortgeschoben; dann wird die Wunde 
vernäht, mit Jodofonncollodiurn bedeckt und die feste Verheilung 
abgewartet. Diese ist iu der Regel nach einigen Tagen eingetreten. 
Nun werden die Spitzen der Röhrchen abgebrochen, so dass der 
Inhalt auf das subcutane Gewebe einwirken kann. Nach ca. 
4 Wochen werden die Versuchst!]iere getödtet und die Haut mit 
den Röhrchen abgezogen. 

Wer nur einige Male die Versuche gemacht hat. wird über¬ 
rascht sein von der Einfachheit und Sauberkeit des Verfahrens und 
von der Eleganz und Beweiskraft der Demonstrationsobjecte. 

Ich habe, wie schon erwähnt, mit Scheurleu gemeinschaftlich 
im Winter 1886/87 Versuche mit BriegeFschem Cadaverin ausge¬ 
führt, dann mit Cadaverin, welches ich mit Unterstützung von Herrn 
Dr. Petri im hygienischen Institut aus dem von Prof. Laden bürg 
erhaltenen Cadaverinsalz herstellte. Die Resultate dieser Versuche 
waren aber in Bezug auf die Eitererzeugung nicht so schön, wie 
Scheurleu sie in seinen eigenen Versuchen gesehen, weil ich wegen 
des spärlichen Materials, das ausserdem noch für die Jodoform- 
reactionen in Anspruch genommen wurde, mit zu schwachen Lösungen 
arbeiten musste. 

In Bonn erhielt ich dann von Prof. Laden bürg vor Jahres¬ 
frist in 2 Sendungen noch dessen ganzen Vorrath an Cadaverin in 
10% resp. 2 °' 0 Lösung. Bei den mit diesen Präparaten aus¬ 
geführten Versuchen gehörte aber auch etwas guter Wille dazu, 
den Inhalt der Röhrchen als Eiter anzusprechen. Wie sich später 
herausstellte, trug die Schuld an dem unbefriedigenden Resultat 
nicht bloss die Verdünnung des Cadaverins, sondern auch die An¬ 
wesenheit von Silberoxyd iu den Präparateu. 

Durch die Vermittelung von Herrn Prof. Laden bürg über¬ 
nahm schliesslich die chemische Fabrik von E. Merck in Darm¬ 
stadt, mir eine grössere Quantität Cadaverin herzustellen.*) 

Mit diesem Cadaverin wiederholte ich nun die Versuche, indem 
ich dasselbe unverdünnt uud in stark concentrirter Lösung anwendete. 

Erst jetzt bekam ich Resultate, die den von Scheurleu be¬ 
schriebenen entsprechen, und die unzweifelhaft beweisen, dass das 
Cadaverin richtigen rahmartigen Eiter erzeugt, welcher sich im 
Innern der Röhrchen befindet. — 

Bei subcutaner Injection wird bei Kaninchen durch stärkere 
Lösungen und durch reines Cadaverin ein Aetzschorf erzeugt, unter 
welchem man häufig keinen flüssigen Eiter findet. In denjenigen 
Fällen, iu welchen keine so bedeutende Aetzung stattfand, dass es 
zur Abstossung eines Hautschorfs gekommen wäre, fielen immer die 
Haare aus, und die Ernährung der Haut war beträchtlich geschädigt, 
ganz wie bei Ammoniakinjection. — 

Dieser Umstund, sowie die Möglichkeit, dass der Stichcanal, 
dessen vollständige Verschliessung nicht selten in Folge der Aetz- 
wirkung des Cadaverins verhindert wird, zur Eingangspforte für 
Mikroorganismen werden kann, Hessen mir diese Versuchsanordnung 
zur Eitererzeugung durch Cadaverin nicht in dem Grade einwands¬ 
frei erscheinen, wie die oben beschriebene, bei welcher durch die 
sehr allmählich vor sich gehende Einwirkuug des Inhalts der Röhrchen 
selbst durch sehr starke Cadaverinlösung in der Regel eine Aetz- 
wirkung verhindert wird. 

Schwache Cadaverinlösungen werden bei subcutaner Injection 
schnell resorbirt, ohne nennenswerthe Rcaction hervorzurufen. 

II. und III. Cadaverin und Jodoform. 

Das Cadaverin ist eiue stark alkalisch reagirende [CH_>— NHj 
wasserklare Flüssigkeit von ölartiger Consistenz uud ICH.» 

hat die Formel.C 5 H 14 N» = |CH> 

Aus der Luft nimmt es begierig Kohlensäure auf; um |CH_> 
während des Arbeiteos uicht hierdurch die Reinheit ICH>—NH>. 

•) Die Schwierigkeiten der Herstellung sind so bedeutend, dass allein 
die Herstellungskosten einer Menge von 15,0g 100 Mark betrugen. 


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6M 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32 


des Präparates beeinträchtigen zu lassen, habe ich mciueu Vorrath 
in eine grosse Zahl von Röhrchen eingeschmolzeu, die ich jedesmal 
zum Gebrauch öffne und nach Entnahme meines Bedarfes wieder 
zuschmelze. 

Zu den vou Prof. Brieger 2 ) gekennzeichneten Merkmalen 
möchte ich noch hinzufügen, dass es mit leuchtender hellgelber 
Flamme verbrennbar ist. 

Nach Prof. Laden bürg, welcher das Cadaverin mit dem von 
ihm synthetisch hergestellten Pentamethylendiamin identificirte, hat 
es intime Beziehungen zum Piperidin, einem H» 

Köiper von der Zusammensetzung C5H11N, C 

welches demnach imGegensatzzu dem ketten- qjj, _ o ( HuN 

förmigen Gefüge des Cadaverins ringförmige "1 | 

Verbindung der Kohleustoffatome zeigt. Es 

ist Pentamethylenimin und entsteht aus ' ^ 

Pentamethylendiamin durch Abspaltung von „ 

NH S . 8U1 ) H 

Bringt man reines Cadaverin zum Jodoform hinzu, so wird 
dasselbe mit gelber Farbe schon in der Kälte alsbald gelöst. Beim 
stärkeren Erwärmen tritt sofort eine dunkelbraunrothe Färbung der 
dickflüssigen Lösung ein. Bei Körpertemperatur (im Brütschrank) 
bräunt sich auch unter Ausschluss des Lichtes die Flüssigkeit all¬ 
mählich. Wird dieselbe in geschlossenem Gefäss aufbewahrt, so ent¬ 
weichen beim Oeffuen des Stopfens stark arnmoniakalisch riechende 
Dämpfe, und erst nach einiger Zeit tritt wieder der dem Cadaverin 
eigenthümliche Spermageruch auf. Jodoforrageruch habe ich nicht 
wahrnehmen können. Die Reactiou bleibt alkalisch; der Grad der 
Alkalescenz nimmt aber sehr beträchtlich ab. Ich hebe besonders 
hervor, dass diese Reactionen mit unverdünntem Cadaverin vor- 
zuuehmen sind. 

Wird diese Flüssigkeit mit Wasser zusamraengebracht, so ent¬ 
steht eine Emulsion, die je nach der Dauer der Einwirkung des 
Cadaverins aus grösseren oder geringeren Jodoformresten in sehr 
fein vertheilter Form gebildet wird. Wartet man nun ab, bis sich 
durch Absetzen derselben die Flüssigkeit geklärt hat, oder filtrirt 
man, säuert das wasserklare Filtrat an und setzt ein salpetrigsaures 
Salz hinzu, so erfolgt eine sehr starke Bräunung, und durch Stärke¬ 
kleister oder Chloroform kann eine massenhafte Jodabscheidung 
nachgewiesen werden. 

Es sind demnach aus dem in Wasser unlöslichen Jodoform 
lösliche Jodverbindungen entstanden, d.h. Jodoform ist zersetzt 
worden. 

Den Modus der Zersetzung haben wir uns — nach einer freund¬ 
lichen Mittheilung des Herrn Prof. Wallach — vielleicht so vorzu¬ 
stellen, dass nach Analogie einer im hiesigen chemischen Institut 
studirten Reaction des Piperidins an die CH-Gruppe des Jodoforms 

/Cad. 

3 Cadaveringruppen herantreten CH—Cad., dass die frei gewor- 

\Cad. 

denen Jodatome mit H aus den Gruppen CHjNH» anderer Cada- 

I 

verinmolecülc sich verbinden und jodwasserstoffsaures Cadaverin 
bilden; während wiederum auch theilweise der Jodwasserstoff redu- 
cirend wirkt und dadurch zur Entstehung von NH 3 einerseits und 
Jod andererseits Veranlassung wird nach der Formel: CH2.NH2 -j- 2 HI = 

CH;} -f- NH;i 12. Die Ammoniakdämpfe, welche regelmässig nach 

Oeffueu des Glases entweichen, werden auf diese Weise verständ¬ 
lich; das frei werdende Jod bewirkt die Bräunung des Cadaverins 
oder seiner Spaltungsproducte. 

Das für uns Bedeutsame möchte ich darin sehen, 
dass jedenfalls ein grosser Theil des Cadaverins bei 
dieser Reaction zersetzt wird, und dass wenigstens vor¬ 
übergehend freies Jod gebildet werden muss. 

Bringt man nun zu Cadaverin resp. Cadaverinlösung in Röhrchen 
Jodoform im Ueberschuss hinzu und führt dieselben in gleicher 
Weise, wie in den oben beschriebenen Versuchen, Kaninchen unter 
die Haut, so sieht mau, wenn nach 4 Wochen die Röhrchen heraus¬ 
genommen werden, dass sich keine Spur von Eiter gebildet hat. 
Die Röhrchen haben auch keine Umhüllung durch Bindegewebs- 
ueubildung erfahren. Der Inhalt der Röhrchen ist eiweisshaltig, 
aber ohne zeitige Elemente und farblos. Dieses Resultat hatte ich 
schon im hygienischen Institut in Berliu bei den mit Scheurlen 
gemeinschaftlich ausge'uhrten Versuchen bekommen. Bei der Wieder¬ 
holung der Versuche im hiesigen pharmakologischen Institut war 
das Resultat das gleiche.*) 

*) In der Sitzung der medic. Section der niederrb. Gesellschaft für 
Natur- und Heilkunde am 28. Mai er. konnte ich Röhrchen deuionstriren, 
welche 4 Wochen lang unter der Haut von 4 Kaninchen gelegen hatten, 
und die das verschiedene Verhalten von Cadaverin und von Cadaverin plus 
Jodoform bewiesen. 


Von E. Merck licss ich mir ausser reinem Cadaverin auch 
jodwasserstoffsaures und salzsaures herstellen. Es sind das geruch¬ 
lose feste Körper, die in jedem Verhältniss in Wasser sich lösen. 
Dieselben geben, auch in ganz concentrirten Lösungen in Röhrchen 
unter die Haut gebracht., keine Eiterung; subcutan injicirt. rufen sie 
auch keinerlei entzündliche Reaction hervor. Es mag daher ein 
Theil der Jodoform Wirkung auf der Bildung von jod¬ 
wasserstoffsaurem Cadaverin beruhen. Die Jodoform- 
wirkung ist aber hierdurch nicht erschöpft; vielmehr 
haben wir alle Veranlassung, einen sehr wesentlichen 
Theil der Wirkung in der Zerstörung des Cadaverin- 
molecüls zu suchen; und zwar liegt für mich die Veranlassung 
hierzu in folgenden Versuchen. 

Ich habe entgegen der Angabe von Prof. Brieger, dass das 
Cadaverin ein nicht giftiges Ptomain sei, gefundeu, dass das jetzt 
in meinen Händen befindliche, zuverlässig ganz reiue Präparat in 
allerdings relativ grössereu Dosen Versuchsthiere tödtet und in nicht 
tödtlichen Dosen sehr markante Allgeraeinwirkung ausübt. Diese 
Wirkung kommt nun nicht bloss dem reinen Cadaverin und seinen 
Lösungen zu, sondern auch seinen Salzen, welche sogar noch 
prompter wirken, wahrscheinlich, weil die Resorption wegen des 
Ausbleibens der Aetzwirkung vollständiger und schneller vor sich 
geht, als beim reinen Cadaverin. 

Mäuse sterben nach 0,03—0,045 g Cad. hydrochl. nach wenigen 
Stunden, während welcher sie mit weggestreckten Extremitäten auf 
der Seite liegen. Die Athmung ist unregelmässig und oft lange 
aussetzend. Bei der Section einer noch athmenden Maus. 
4 Stunden nach Injection von 0,045 g Cad. hydrochl., fand ich'eine 
kirschgrosse, mit hellem Urin ad maximum gefüllte Harnblase, starke 
Injection der Mesenterialgefässe, ziegelrothes Blut und minimale Blut- 
austretungeu der rechten Lunge. 

Eine andere Maus, welche 0,036 g Cad. hydrochl. in 2 Injec- 
tiouen erhielt, war während der ersten 24 Stunden scheinbar ganz 
gesund; nach 36 Stunden starb sie und lag 7 Stunden vor dem 
Tode in ähnlicher Weise, wie die erste, fast regungslos da. Bei 
dieser war der Darm aufgetrieben, die Darmwand stark injicirt, der 
Inhalt weich; die Harnblase sehr stark gefüllt. 

Ein Kaninchen vou 700 g Gewicht starb nach 0,4 g Cad. 
hydrochl. in einmaliger Dosis (12% Lösung) nach ca. 8 Stun¬ 
den. Während des Lebens waren excessive Athemnoth und starke 
Temperaturherabsetzung die Hauptsymptome. 

Iu mehrmaliger kleinerer Dosis injicirt hatte Cad. hydrochl. 
bei einem Kaninchen von 900 g Gewicht tödtlichen Ausgang nicht 
zur Folge, trotzdem die Gesammtmenge des in 24 Stunden injicirteu 
Präparats 0,6 betrug. Auch nennenswerthe Athemnoth trat nicht 
ein. Dagegen wurde die Temperatur auch bei diesem Kaninchen 
abnorm niedrig. 

Bei einem jungen Hunde von 1200 g Gewicht wurde durch 
0,35 g Cad. hydrochl. die Temperatur um 0,80 herabgesetzt. 

Bei Meerschweinchen konnte ich durch nicht giftige Dosen 
längere Zeit, in einem Falle 6 Stunden, die Temperatur um 5,00 C 
(von 38,8 bis unter 34°) herabsetzen. Erst bei einmaliger Dosis 
von 0,35 g Cad. chloric. traten bei dem 400 g schweren Meer¬ 
schweinchen allgemeine Vergiftungserscheinungen ein, wobei die 
Temperatur bis auf 3t),5° fiel.*) 

Diese specifischen Cadaverinwirkungen kommen der Jodoform- 
Cadaverinlösung nicht in gleicher Weise zu, und. abgesehen von den 
Gründen chemischer Natur, wird durch diese physiologische That- 
sache die Annahme gestützt, dass mindestens ein grosser Theil des 
Cadaverins durch das Jodoform destruirt wird und seine specifische 
Wirksamkeit verliert. 

Die hier geschilderten chemischen Reactionen sind von grösstem 
Interesse für das Verständnis der Jodoformwirkung nicht bloss, son¬ 
dern auch für die Wirkungsweise der übrigen Jodpräparate, welche ja, 
wie tausendfältige Erfahrung lehrt, in manchen zymotischen Krank¬ 
heiten, die mit der Bildung chemischer Gifte durch pathogene Bnc- 
terien im innigsten Zusammenhang stehen, ihre therapeutischen 
Wirkungen am glänzendsten entfalten. — Für die Jodmetalle hat 
Binz gezeigt, wie der Organismus die Mittel besitzt, unter gewissen 
Umständen aus denselben vorübergehend Jod frei zu macheu. 4 ) Aber 
es ist leicht verständlich, dass solche Jodpräparate, die freies Jod 
enthalten oder leicht abgeben, schon in geringeren Dosen und 
energischer wirksam sind, als die einfachen Jodsalze. Nnn haben 
derartige Präparate aber die unangenehme Eigenschaft, in den ersten 
Einführungswegen unliebsame Nebenwirkungen zu zeigen; es muss 
daher als eine ausserordentlich werthvolle Eigenschaft des Jodo- 


*) Die cholera-ähnlichen Sectionsbefunde bei Meerschweinchen werde 
ich in einer besonderen Arbeit inittheilen. Bekanntlich ist das Cadaverin 
von L. Brieger als Product der Kommabacillen gefunden worden. 

Aehnlich temperaturherabsetzend und giftig wirkt in fast den gleichen 
Dosen das Piperidin. 


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DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


655 


9. August. 


forms angesehen werden, dass dasselbe als indifferenter Körper in 
den thierischen Organismus eingeführt wird und gerade an solchen 
Stellen seine Jodwirkuug bethätigt, wo der Organismus derselben 
als einer Heilwirkung am meisten bedürftig ist. 

Allerdings bedarf es zum vollkommenen Beweise der suppo- 
nirten Wirkungsart der Jodpräparate und speciell des Jodoforms in 
Krankheiteu, die mit der Bildung basischer Gifte, der Ptomaine, 
einhergehen, erst noch eines eingehenden Studiums von Fall zu 
Fall; und dieses Studium, welches die genaue Kenntniss der ein¬ 
zelnen Giflkörper zur Voraussetzung hat, erfordert ein solches 
Maass subtiler chemischer Arbeit, dass die bahnbrechenden Unter¬ 
suchungen Prof. Brieger’s auf diesem Gebiete wohl noch geraume 
Zeit einzig dastehen werden. 

Durch die Jodoform-Cadaverinreaction wird — wenigstens für 
medicinische Kreise — auch zum ersten Male gezeigt, wie das 
Jodoform ohne Mitwirkung des Lichts bei nicht höherer als Körper¬ 
temperatur durch organische Körper schnell und glatt zerlegt wer¬ 
den kann — eine Fähigkeit, die dem lebenden Organismus be¬ 
kanntlich in eminentem Grade innewohnt, die aber in den bisher 
vom Jodoform bekannt gewordenen chemischen Reactionen kein 
Analogon fand, ausser in der Zersetzung des Jodoforms durch nas- 
cirenden Wasserstoff, deren Zustandekommen ich vor nunmehr 6 
Jahren beschrieben habe/') 

IV. Jodoform und Eiterung. 

Es ist eine allgemein anerkannte Thatsache, dass das Jodo¬ 
form in hohem Grade die Fähigkeit besitzt, viruleuten Eiter in gut¬ 
artigen zu verwandeln und die Eiterbildung zu beschränken. 

Nehmen wir an, dass die krankmachenden Wirkungen 
virulenten Eiters nicht bloss von der Anwesenheit der 
Eiterbacterien abhängig sind, sondern auch von chemi¬ 
schen Producten derselben, nehmen wir ferner an, dass 
diese chemischen Producte in ähnlicher Weise wie das 
Cadaverin durch das Jodoform beeinflusst werden, so 
wird es verständlich, dass das Jodoform Heilwirkung 
bei bösartiger Eiterung ausüben kann, ohne dass dabei 
die Mikroorganismen direkt wesentlich geschädigt wer¬ 
den. Die erste Annahme wird in der heutigen Zeit auf begrün¬ 
deten Widerstand kaum stossen; die zweite habe ich durch Ver¬ 
suche wahrscheinlich gemacht, die ich zuerst allein im Berliner 
hygienischen Institut, später im Laboratorium der v. Bergmann- 
schen Klinik mit Dr. de Ruyter in grösserem Maassstabe unter¬ 
nahm. 

Wir Hessen grosse Mengen von Eiter und von Blutserum, wel¬ 
ches mit Staphylococcen inficirt war, im Brütschrank auf Jodoform 
einwirkeu und fanden, dass von Tag zu Tag sich steigernde und 
allmählich sehr beträchtlich werdende Mengen von Jodverbindungeu 
entstanden, die in Wasser löslich waren und nach Ansäuern durch 
ein salpetrigsaures Salz freies Jod abschieden. 

Setzten wir dagegen steriles Blutserum mit Jodoform an, so 
konnten wir eine Zersetzung des Jodoforms nie constatiren. 

Der Nachweis der aus dem Jodoform entstehenden, in Wasser 
löslichen Jodverbindungen kann im Eifer und im Blutserum direkt 
nicht geführt werden, da Eiweisskörper und gewisse Extractivstoffe 
etwa frei werdendes Jod so fest binden, dass dasselbe weder durch 
Chloroform ausgezogen, noch durch Stärkekleister erkennbar wird. 

Von dieser Jod bindenden Kraft mancher in thierischen Sub¬ 
stanzen vorkommender Körper kann man sich leicht überzeugen, 
wenn man zu blauer Jodstärkekleisterlösung oder zu jodhaltigem 
Chloroform neutralisirte oder auch angesäuerte Fleischextractlösung 
hinzusetzt. Die Jodreaction wird man dann alsbald verschwinden 
sehen. 

Nach mannigfachen Vorversuchen, bei denen Dr. Petri und 
Dr. Proskauer mich freundlichst unterstützten, habe ich schliess¬ 
lich in der Dialyse ein zweckmässiges Mittel gefunden, um die 
statt gefundene Jodoformzersetzung in ei weisshaltiger Flüssigkeit nach¬ 
zuweisen. 

Ueber diese Jodoform-Eiterversuche hat de Ruyter auf dem 
vorjährigen Chirurgencongress berichtet, und schon damals, ohne 
dass noch die Zwischenglieder meiner Untersuchungen bekannt ge¬ 
geben werden konnten, da ich das Erscheinen der für die vor¬ 
liegenden Fragen so wichtigen Scheurlen’schen Arbeit erst ab- 
warten wollte, hat die Mittheilung unserer gemeinschaftlichen Versuche 
durch de Ruyter das Interesse der Chirurgen erregt. 

Durch die in I.— III. hier zusammengestellten Thatsachen hoffe 
ich, die Jodoformwirkung in ihrem Zustandekommen dem Verständ- 
niss noch näher gebracht zu haben. 

Aber es bleiben noch recht viele Fragen offen, die eines ein¬ 
gehenden Studiums bedürftig und werth sind; wer sich über die 
Vielartigkeit der Probleme in Bezug auf die Jodoformwirkung orien- 
tiren will, findet in der wichtigen Arbeit von Prof. Neisser 6 ) ein 
sorgfältig geordnetes Material in überreichlicher Fülle. 


Mir kam es an dieser Stelle nur darauf an, eiueu orientirenden 
Ueberblick zu geben über die Versuche, welche ich im Laufe der 
letzten Jahre unternommen habe, um mir einen Einblick zu ver¬ 
schaffen in die Kräfte und Eigenschaften des Jodoforms, welche 
dasselbe befähigen, in Wundinfectionskrankheiten so hervor¬ 
ragende Heilwirkungen zu bethätigen. 7 ) 

Dass das Jodoform nach dem jetzt geltenden Sprachgebrauch 
kein Desinficiens, auch nicht einmal ein Antisepticum ist, das ist 
allerdings ein Mangel; denn pathogene Organismen, wie Milzbrand¬ 
bacillen, die durch ihre Menge und Verbreitung schliesslich den 
thierischen Körper gewissermaassen ersticken, oder Erysipelcorcen, 
wenn sie kein Secret liefern, welches das Jodoformmolecül auf- 
schliessen und dadurch wirksam machen kann, — solche Organismen 
können auch unter dem Jodoformverbande ihre verderbliche Thätig- 
keit fi-rtsetzen. 

Aber für die vielen, mit bösartiger Secretabsonderung und 
virulentem Eiter einhergehenden Wundkrankheiteu hat uns v. 
Mosetig im Jodoform ein Heilmittel, und zwar der besten eines 
kenneu gelehrt, und für den praktischen Arzt wird der Werth dieses 
Heilmittels dadurch nicht geschmälert werden, dass es nach der 
heutigen Terminologie keinen Anspruch auf den Namen „Anti- 
septicum“ machen darf. — 

Literaturnachweis. 

1. „Arbeiten aus der Chirurg. Klinik der Univ. Berlin.“ III. Theil. 

2. L. Brieger. „Weitere Untersuchungen über Ptomaine.“ Berlin 1885; 
und L. Brieger. „Untersuchungen über Ptomaine.“ Berlin 1886. 

3. I. A. Ladenburg (verlesen von A. Pinner) Berichte der deutschen 
chemischen Gesellschaft Jg. XVI., Heft 8, p. 1149 „Ueber die Imine.“ 
(1883). — II. Derselbe: 1. c. Jg. XVIII., Heft 16, p. 2956 „Ueber die 
Imine.“ 2. Mittheilung (1885). — III. Derselbe: 1. c. XVIII., 17, p. 3100 
„Piperidin aus Pentamethylendiamin“ (1885). — VI. Derselbe: 1. c. 
XIX., 14, p. 2585 „Ueber die Identität des Cadaverin mit dem Penta¬ 
methylendiamin.“ (A. Pinner.) (1886.) 

4. C. Binz. Virch. Archiv für pathol. Anat., 62. ßd., p. 121. (1875.) 

5. Behring. „Die Bedeutung des Jodoforms in der antiseptischen 
Wundbehandlung.“ Deutsche med. Wochenschr. 1882, No. 23 u. 24. 

6. A. Neisser. „Zur Kenntniss der antibacteriellen Wirkung des Jodo¬ 
forms.“ Arch. f. pathol. Anat. Bd. CX., Heft 2 u. 3. 

7. Die von C. Binz gegebene experimentelle Deutung des Verhinderns 
der Eiterung durch Jodoform (Arch. f. pathol. Anatomie, 8SL Bd, p. 389, 
1882) kann nebenher bestehen oder findet vielleicht in diesen meinen Ver¬ 
suchen demnächst weitere Erläuterung. 

IV. Der moderne Hypnotismus. 

Ein kritischer Essay. 

Von Professor Seeligmfiller in Halle a. S. 

(Fortsetzung aus No. 31.) 

HI. Die therapeutische Verwendung der Suggestion. 

1. Als Heilmittel bei Krankheiten. 

Es ist hier nicht der Ort, auf die Versuche einzugehen, welche 
früher gemacht worden sind, den Hypnotismus therapeutisch zu 
verwerthen. Es ist bekannt, dass Braid, der Begründer des mo¬ 
dernen Hypnotismus, in einigen 60 Fällen von Krankheit durch 
Hypnotisiren Heilung oder Besserung erzielt hat. Auch er hat, wie 
Beruh eira 1. c. annimmt, ohne sich dessen aber bewusst zu werden, 
die Suggestion schon therapeutisch verwendet: „seine Kranken 
wussten, dass sie zu einem curativen Zwecke hypnotisirt wurden; 
sie bewahrten diesen Gedanken während ihres Schlafes; die an 
ihnen vorgenommenen Manipulationen, das wussten sie, sollten sie 
von ihren Uebeln befreien; so kam die therapeutische Sug¬ 
gestion in ihrem Gehirn zu Stande“. 

Aber erst der Dr. Liebeault in Nancy bat in bewusster 
Weise die Suggestion als Heilmittel zuerst erprobt. Seine 
Methode ist folgende: 

„Der Kranke wird durch Suggestion eingeschläfert, d. h. 
indem man die Idee des Schlafes in sein Gehirn hineindringen lässt. 
Er wird mit Suggestion behandelt, d. h. indem man die Idee 
der Heilung in sein Gehirn hineindringen lässt: man versichert 
der eingeschläferten Person mit lauter Stimme, dass die 
von ihr empfundenen Symptome der Krankheit vor¬ 
handen sind“. 

Seit 1882 hat Bernheim 1 ) dieselbe Methode in seiner Klinik 
zu Nancy angewandt und vor seinen Schülern ausgeübt. Nach 
seiner Versicherung vergebt kaum ein Tag, wo er ihnen nicht zeigt, 
wie irgend eine functionelle Störung. — Schmerz, Parese, Uebel- 
befinden, Schlaflosigkeit — augenblicklich durch Suggestion, gemildert 
oder beseitigt wird (p. 293). 

') Bern heim. De la Suggestion et de ses applications ä la thera- 
peutique. 2ieme ed. Paris 1888. Die im Text eingeklammerten Seiten¬ 
zahlen beziehen sich auf dieses Buch. 


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No. 32 


I)KUTSCH R MKDICINISC 


Es wird z. B. ein Kind zur Consultation gebracht. Es leidet 
seit 4—5 Tagen an einem rheumatischen Muskelschmerz im Arm. 
Dieser ist bei Druck schmerzhaft; das Kind kanu ihn nicht bis zum 
Kopf bringen. Er sagt zu ihm: „Mache Deine Augeu zu, mein Kind, 
und schlafe!“ Er hält die Augenlider zu und sagt weiter: „Du 
schläfst und Du wirst so lange schlafen, bis ich Dir sage, Du sollst 
aufwachen. Du schläfst sehr schön wie in Deinem Bettchen; Du 
bist ganz frisch und gesund; Deine Arme, Deine Beine, alles ist ein¬ 
geschlafen und Du kannst sie nicht mehr bewegen“. Er nimmt 
seiue Finger von den Augenlidern fort; sie bleiben geschlossen; 
er erhebt die Arme des Kindes, sie bleiben in der Stellung. Dann 
berührt er den schmerzhaften Arm und sagt: „Der Schmerz ist 
fort; Du hast nirgends mehr Wehweh; Du kannst Deinen Arm 
ohne jeden Schmerz bewegen; und wenn Du aufwachst, wirst Du 
keinen Schmerz mehr fühlen; er kommt nicht wieder.“ Um die 
Macht der Suggestion zu vermehren, lässt er sich dieselbe so zu 
sagen in einer materiellen Empfindung verkörpern; z. B. suggerirt 
er, nach dem Vorgänge von Liebeault, Wärmeempfindung loco 
dolenti. Die Wärme soll die Steile des Schmerzes einnehmen. Er 
sagt zu dem Kinde: „Du fühlst Wärme im Arm, die Wärme nimmt 
zu und Du hast kein Wehweh mehr.“ 

Nach wenigen Minuten weckt er das Kind; es erinnert sich 
an nichts; der Schlaf ist tief gewesen. Der Schmerz ist fast voll¬ 
ständig verschwunden; das Kind hebt den Arm mit Leichtigkeit 
bis auf den Kopf. Einige Tage darauf spricht er den Vater, er ist 
der Briefträger, der ihm die Briefe bringt. Dieser sagt ihm, dass der 
Schmerz vollständig verschwunden ist, ohne wiederzukehreu. 

Noch ein Beispiel. 

Ein grosser Bursche von 26 Jahren, Schmied, fühlt seit einem Jahre 
nach einer Anstrengung beim Biegen einer Eisenstange einen zu¬ 
sammenschnürenden Schmerz quer über das Epigastrium in einer 
Ausdehnung von 10 cm und ebenso in der entsprechenden Gegend 
des Rückens. Dieser Schmerz besteht fortwährend und steigert sich, 
wenn er einige Stunden gearbeitet hat. Seit einem halben Jahre 
kann er nicht schlafen, wenn er nicht die Hand fest auf das Epi¬ 
gastrium legt. 

Bernheim hvpnotisirt ihn. Beim ersten Versuch gelingt es 
ihm, nur einfache Betäubung hervorzubringen; der Kranke erwacht 
von selbst, und der Schmerz besteht nach wie vor. Er hypnotisirt 
ihn zum zweiten Male und sagt ihm, jetzt schlafe er fester und 
beim Erwachen werde er sich auf nichts besinnen können. Er hat 
keine Katalepsie. Nach wenigen Minuten weckt ihn Bern heim; 
jener erinnert sich nicht, dass er zu ihm gesprochen und gesagt hat, 
der Schmerz sei fort. Dieser aber ist vollständig verschwunden; 
das Zusammeuschnüren ist fort. Bernheim weiss nicht, ob es 
wieder gekommen ist. 

Ein dritter Fall. 

Ein 50jähriger Handarbeiter, der schon öfter die Klinik be¬ 
suchte, hat seit mehreren Tagen eine Neuritis ulnaris. In Folge 
davon stehen die letzten drei Finger in Beugecontractur, es besteht 
vollständige Anästhesie im ganzen Gebiete der N. ulnaris, daneben 
schiessende Schmerzen im Verlauf der Nerven und Druckempfind¬ 
lichkeit in der Rinne am Olecranon. Bern heim hypnotisirt ihn: 
in wenigen Secunden verfällt er in vollständige Resolution, sugges¬ 
tive Katalepsie, Somnambulismus. Bernheim suggerirt zu wieder¬ 
holten Malen, die Contractur der Hand löse sich, die Sensibilität 
kehre zurück, die Schmerzen hören auf. Er untersucht den Vor¬ 
derarm mit einer Stecknadel und sagt: „Sie fühlen jetzt!“ ln einigen 
Minuten ist. die Sensibilität zurückgekehrt, die Finger werden ge¬ 
rade. Beim Erwachen sind alle Erscheinungen der Neuritis (?) ver¬ 
schwunden. 

Am sichersten darf man auf die therapeutische Wirksamkeit 
der Suggestion rechnen im tiefen Schlaf, im somnambulen Zu¬ 
stande. Dieser ist meist erst durch wiederholtes Hypnotisiren herbei¬ 
zuführen und damit auch die schnelle und andauernde Wirkung der 
Suggestion. 

Ueberhaupt gelingt die therapeutische Suggestion keineswegs 
immer in der ersten Sitzung, sondern oft genug erst nach meh¬ 
reren. 

Selten kommt sie schon im ersten Stadium der Hypnose, in 
dem Stadium der einfachen Betäubung, zu Stande. 

Auch muss die Art der Suggestion variirt und der spe- 
ciellen Suggestibilität des Individuums angepasst werden. 
Statt des einfachen Wortes, muss man manchmal raisonniren, de- 
monstriren, zu überzeugen suchen; bei dem einen mit Kraft be¬ 
stätigen, bei dem anderen mit Sanftmuth insinuiren. Man muss 
eben die Art der Diction anwenden, welche der bestimmten Person 
Eindruck zu machen verspricht. Dieser Eindruck kann oft 
durch Berühren, Reiben, Bewegen des kranken Theils, Suggestion 
von Wärme, zuweilen auch durch Elektrisiren wirksam unterstützt 
werden. Schliesslich kommt die therapeutische Suggestion in manchen 
Fällen nur durch Anwendung gewisser Kunstgriffe zu Stande. 


'IIB WOt'IIKNSCIIKIKT. 


Uebrigens ist dieselbe nicht unfehlbar; dass sie fehlschlägt, 
liegt entweder an der Krankheit oder an der Persönlichkeit 
des Kranken. Nicht nur unheilbare Krankheiten, sondern auch 
einfache functioneile Störungen können oft den hartnäckigsten 
Widerstand leisten, obwohl die Hypnotisirung leicht und vollständig 
gelingt. 

Andere Male gelingt es nicht, den Willen des Krauken voll¬ 
ständig aufzuheben: „er weigert sich, die Suggestion anzu¬ 
nehmen“, oder wenn er sie auch für den Augenblick annimmt, 
so hält er ihre Beeinflussung nicht fest. So besonders Melancho¬ 
liker und Hypochonder. Die Autosuggestion, dass das Uebel 
doch wiederkommen werde, ist bei diesen Kranken stärker als die 
Suggestionen Anderer. Hierher zählt Bernheira u. A. die Auto¬ 
suggestion, dass die Hypnose nichts helfen werde. Wenn aber auch 
die Suggestion wie alle anderen Heilmittel im Stich lassen kann, 
so hilft sie doch oft, wo andere Heilmittel fehlschlagen in wunder¬ 
barer Weise. 

Vereinzelte. Erfolge bei Anwendung des Hypnotismus als Heil¬ 
mittel finden wir in den verschiedenen medicinischen Zeitschriften 
verzeichnet. 

ln dem citirten Buche von Bern heim aber begegnen wir 
einem ganzen Codex therapeuticus Suggestionarius, welcher 
aus etwa 250 Seiten bestehend, die über 105 eigene Beobachtungen 
berichten, vor unserem erstaunten Blicke aufgeschlagen liegt. I)a 
finden wir über: 

Beobach- Hel- Besso- Mias- 
tuugen langen rangen erfolge 


I. Organische Affeetionen des Nervensystems 10 7 2 1 

II. Hysterische Affeetionen. 18 17 — 1 

III. Neuropathieen. 17 15 2 — 

IV. Neurosen. 15 14 — — 

1 vorübergehend 

V. Dynamische Paresen und Paralysen . . 3 3 — — 

VI. Gastrointestinale Affeetionen .... 4 l 3 — 

VII. Diverse Schmerzen. 12 12 — — 

VIII. Rheumatische Affeetionen. 19 17 2 — 

IX. Neuralgieen. 5 4 1 — 

X. Störungen der Menstruation .... 2 2 — — 


Summa 105 92 10 2 

Ich muss mir versagen, die zum Theil sehr complicirten Beobach¬ 
tungen, wenn auch nur kurz skizzirt, hier einzeln vorzuführen. Wohl 
aber will ich aus den 10 Gruppen die eine oder andere mir 
besonders wichtig erscheinende Beobachtung herausgreifen. 

Aus der Gruppe I. muss uns zunächst ein Fall (1) p. 315 
interessiren, insofern derselbe 3 Jahre später zur Autopsie kam. 
Bei dieser fand man entsprechend der linksseitigen Hemiplegie und 
Hemiauästliesie in der rechten Hemisphäre eine grosse Cyste, in der 
linken aber entsprechend der vorübergehenden rechtsseitigen Hemi¬ 
plegie einen etwa nur 12 mm breiten und 18 mm langen hämorrhagischen 
Erweichungsheerd. Dieser Kranke, ein 64jähriger Käsemacher, war 
1 Jahr nach dem Insult durch Application eines Magneten auf die 
linke Gesichtshälfte binnen einiger Stunden von seiner Hemianästhesie 
der Haut und der Sinne auf der linken Körperhälfte befreit worden, 
ln den nächsten Tagen war die Sensibilität noch vollständiger ge¬ 
worden, die Muskelkraft hatte beträchtlich zugenommen, die Muskel¬ 
rigidität war für den Augenblick verschwunden, das bilaterale 
Zittern war so weit gewichen, dass es den Gebrauch der Glieder 
nicht mehr störte. Indessen hatte 5 Monate später die Contractur 
die Muskeln allmählich wieder befallen, namentlich die der linken 
Oberextremität, so dass die Hand wieder geschlossen war. Die 
rechte Hand functionirte normal, nur zitterte sie noch. 

In diesem Zustande hypnotisirte Bernheim den Kranken am 
2. October 1882 durch Suggestion. Er fällt in Schlaf 2. Grades. 
Bernheim suggerirt ihm, dass seine Hand geheilt, dass seine Bewe¬ 
gungen wieder leichter geworden seien, dass das Zittern in der 
rechten Hand aufhöre und zu gleicher Zeit, dass seine Dyspnoe ge¬ 
ringer werde, dass er besser athme. Während des Schlafes 
heisst ihn Bernheim die linke Hand öffneu und schlies- 
sen; er öffnet und schliesst sie abwechselnd mit einer ge¬ 
wissen Steifigkeit; aber nach und nach nimmt die Geschmeidigkeit 
zu, und die Flexions- und Extensionsbewegungen werden leichter. 
„Wenn das doch von Dauer wäre!“ sagt der Kranke während des 
Schlafes. Bernheim versichert ihn, dass die Besserung andauern 
wird. Nach dem Erwachen erinnert er sich an alles, was Bern- 
heim zu ihm gesagt hat. Die wiedergekehrte Beweglichkeit erhält 
sich: er öffnet und schliesst die linke Hand mit der grössten Leich¬ 
tigkeit. An der rechten Hand hat das Intentionszittern fast ganz 
aufgehört. Während er an den folgenden Tagen noch 3 Mal der 
therapeutischen Suggestion unterzogen wird. bessert sich zusehends 
sein Gang, die Steifigkeit lässt nach, und die Sehnenreflexe sind 
schliesslich nicht mehr gesteigert. Seit dem 20. October 1882 hat 
der Kranke 2 Jahre lang gehen können. Er bleibt aber wegen 
seines Emphysems im Spital und lebt noch bis zum 4. April 1885. 


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9. A ugust. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


nachdem er seit September 1884 das Bett gar nicht mehr verlassen 
konnte. Bern heim ist überzeugt, dass er diese Verlängerung seines 
Lebens der Suggestiou verdankt, ebenso wie die Besserung der 
Anfälle von Oppressiou und des Schlafes, welcher jedes Mal nach 
der hypnotischen Suggestion für mehrere Nächte besser wurde. 1 ) 

Besonders begierig war ich. die Beobachtung 9, p. 360 zu prüfen, 
deren Ueberscbrift lautet: „ Parese der Muskeln der Hand 
traumatischen Ursprungs. — Sofortige Wiederherstellung 
der Bewegungen durch Suggestion 1 ". Sehen wir uns den Fall 
an! Eiu 20jähriger Arbeiter zieht sich eine Verwundung an der Hand 
im Niveau des rechten Os pisiforme zu. Die Hand schliesst sich sofort, 
und seit der Zeit kann er die Hand uicht gebrauchen; er kann 
die Finger nicht auseinanderbringen, noch die Hand spontan öffnen 
oder schliessen. Im 3. Grade der Hypuose suggerirt ihm Bern¬ 
heim, dass er die Hand öffnen und schliessen und die FiDger von 
einander bringen kann, gleichzeitig führt Bernheim passiv 
diese Bewegungen aus. Nach 10 Minuten erweckt er den 
Kranken: dieser kann die Bewegungen ausführen. Ob sich das 
Heilresultat erhalten hat, weiss Bern heim nicht auzngeben. 

Dieser Fall zeigt so recht, wie sehr man den magnetischen 
Wunderdoctoren, auch wenn sie Arzt und Professor sind, heute uoch 
auf die Finger sehen muss. 

Kritik des Falles. Diagnose falsch. Herr Bernheim 
soll mir sagen, was an der Hand gelähmt war. Jedenfalls ban¬ 
delte es sich nicht um eine Lähmung (Paresie), sondern wahrschein¬ 
lich um einen Reflexkrampf im Gebiete der vom verletzten N. ul- 
uaris versorgten Muskelu nach Art des Blepharospasmus. Solche 
Krämpfe mache ich mich aber anheischig, ebenfalls in einer Sitzung 
von 10 Minuten Dauer durch den Batteriestrom so zu bessern, dass 
die Hand spontan geöffnet und geschlossen werden kann. 

Der folgeude Fall (Beobachtung 10), Extensorenlähmung 
durch Bleivergiftung, ist darum wenig beweisend, weil die 
Besserung der Lähmung erst fast 3 Monate später hervortrat, 
als die letzte Suggestion stattgefunden hatte. In diesem Zeitraum 
kann eine solche aber nach meiner Erfahrung, namentlich wenn der 
Kranke sich dem schädlichen Einfluss des Bleies nicht mehr ausgesetzt 
hat, auch spontan erfolgen. 

Üeber die Gruppe II, hysterische Affectionen, verliereich 
kein Wort. Nachdem ich u. A. erlebt habe, dass eine alte Hemi¬ 
plegie und Hemianästhesia alternans mit Betheiligung sämmtlicher 
Sinne und schweren Contracturen nach leichter faradischer Pinse¬ 
lung des Vorderarmrückens vollständig verschwand 2 ), und eine lange 
bestehende, vollständige Aphonie nach zweimaliger Application des 
galvanischen Pinsels auf die Kehlkopfgegend aufhörte, hat die Heilung 
Hysterischer für mich alles Wunderbare verloren, und ich kann die¬ 
selbe in keinem Falle als Maassstab für die Heilkraft eiues Mittels 
gelten lassen. Aus diesem Grunde will ich hier auch den von 
Richard Schulz neuerdings beschriebenen Kall (Neurol. Ceuträl- 
blatt 1887, No. 22) nur erwähnen, ohne näher darauf einzugehen. 

Wie sehr man aufpasseu muss, auf was das Wörtchen „Heilung“ 
sich bezieht, das ersehen wir aus der Beobachtung 31 (IH. Gruppe, 
p. 434). Ueberscbrift: Epilepsie: als Folgezustände: Zittern 
der Hände, Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, geheilt durch 
Suggestion. Vermehrung der Kraft am Dynamometer. 
Was hat Herr Bernheim hier geheilt? Doch nur die genannten 
Folgezustände und nicht die Epilepsie, wie er selbst epikritisch be¬ 
merkt. Bei weniger Aufmerksamkeit könnte aber leicht ein Leser 
das letztere herauslesen. 

In Beob. 33 derselben Gruppe (p. 437) interessirt uns weniger 
das Verschwinden von Rückenschmerzen etc. durch Suggestion, als die 
Art, wie Bernheim das 17jährige, nicht hysterische Mädchen 
dazu bringt, Fleisch zu essen, welches sie bis dahin trotz aller 
eindringlichen Suggestionen hartnäckig verschmäht hat. Eines 
Tages versucht er, während sie hypnotisirt ist, folgenden Schlich: 
Er frägt sie: „Wie heissen Sie?“ M. M. — „Lieber gar, Sie sind 
nicht M. M.; Sie sind Josephine D. ihre Tante! Sie sind ihre 
Tante!“ Nach einigen Augenblicken' sagt sie: ’s ist richtig, ich 
bin Josephine D. — „Und nun“, sagt Bernheim zu ihr. „sehen 
Sie sich mal Ihre Nichte M. M. an und lesen Sie ihr einmal 
tüchtig den Text! Die will nie Fleisch essen, es ist ihr zu schlecht. 
Zeigen Sie ihr, wie man es isst und sagen Sie ihr, dass es vor¬ 
trefflich ist!“ Und nun nimmt die kranke Nichte die Rolle der 
Tante an, hält als solche der fingirten Nichte eine tüchtige Straf- 


*) Vielleicht mehr befriedigend ist der Heilerfolg, den Chiltoff 
in Russland bei einem 41jähr. Bankbeamten erzielte, welcher seit 6 Jahren 
nach einem Schlaganfall an rechtsseitiger Hemiparese litt, z. Z. noch an 
Schwäche der rechtsseitigen Extremitäten und Nachschleppen des Fusses. 
Letzteres war schon nach 3 Sitzungen besser, nach 8 Sitzungen aber ver¬ 
schwunden, ebenso aber auch Schwindel und habituelle Stuhlverstopfung. 

3 ) s. die Dissertation von Kalk hoff: Zur Differentialdiagnose der 
hysterischen und der capsulären Hemianästhesie. Halle a. S., 1884, p. 44, 
Beob. 5. 


predigt und verschlingt ein ihr vorgesetztes grosses Stück Kochfleisch 
mit Vergnügen, ja sie verlangt mehr, um ihrer Nichte zu zeigen, 

I wie gut es ist. 

Bei dieser jungen Dame versucht Bern heim, während sie 
noch auf seiner Abtheilung ist, die Suggestion als moralisches 
Correctiv. Erlässt sie versprechen, dass sie als Kraukeuwärteriu 
auf dem Saal verbleiben und sich als ordentliches Mädchen führen 
will, dass sie keine Liebhaber mehr haben, dass sie religiöse Em¬ 
pfindungen hegen will etc. Sie verspricht Alles, und während ihres 
Aufenthaltes im Spital wird ihr phantastisches, launenhaftes, grobes 
Benehmen vorübergehend ein anderes: sie wird lenksam und 
i zurückhaltender. Aber eines schönen Tages verlässt sie das Spital, 

! und man betrifft sie am selbigen Tage in der Stadt in Gesellschaft 
von Individuen von unsagbarem Beruf (profession inavouable). 
Sie wurde mehr als je zuvor öffentliches Mädchen. Und womit 
i entschuldigt Bern heim das Fehlschlagen seiner Monate lang an¬ 
gewandten Therapie? „Sie war suggestibel für alle und 
durch alle!“ Das also der Erfolg der moralischen Cor- 
rection durch Suggestion! Wir kommen darauf später noch 
' ausführlicher zu sprechen. 

In derselben Gruppe befinden sich 3 Beobachtungen von Neu¬ 
ropathie mit Schlaflosigkeit. Den günstigen Einfluss des Hypno¬ 
tismus auf den nächtlichen Schlaf hat Bern heim schon wiederholt 
in anderen Beobachtungen gelegentlich hervorgehoben. Es wäre 
aber wichtig, zu erfahren, ob die hypnotische Suggestion sich in 
! Fällen, wo die Schlaflosigkeit bei nichthysterischeu Personeu das 
Hauptsymptom des Nervenleidens darstellt, besouders bewährt hat. 
Leider beziehen sich die beiden ersten Beobachtungen, in welchen 
ein günstiger Erfolg eintrat, wieder auf hysterische Frauenspersonen, 
wie ich überhaupt schon hier hervorheben möchte, dass solche das 
j Gros des therapeutischen Materials von Bernheim darstellen. 
ln dem 3. Falle (Beob. 41) von Schlaflosigkeit aber bei einem 
56 jährigen Mehlhändler, welcher seinen Beruf als Müller, wo er 
jede Nacht um 2 Uhr früh gewohnheitsgemäss aufgestanden war. 
seit 4 Wochen aufgegeben hatte und nunmehr gern die ganze 
Nacht durchgeschlafen hätte, halfen 10 Tage hindurch täglich fort- 
! gesetzte Heilversuche mit der hypnotischen Suggestiou sehr wenig 
! oder gar nichts. 

Bei Neurasthenie dagegen (Beob. 42 und 43) scheint die Me- 
' thode nicht ohne Erfolg zu sein. Dem einen Kranken (Beob. 43) 
i giebt Bern he im bei seiner Entlassung den Rath, sich alle Monat 
! einmal bei ihm einzufinden, „pour se faire remonter son Systeme 
nerveux 1 " — eine hübsche Analogie des geschwächten Nerven¬ 
apparates mit einer Uhr, die wegen Schwäche der Feder öfter als 
sonst wieder aufgezogen (remonter le montre) werden muss. 

Die 45. Beobachtung (p. 457) ist an sich ein ganz interessanter 
Fall von i ntermittirender Pseudoparaplegie bei einer jungen 
Frau, die seit 4 Jahren zeitweilig nicht gehen kann, dann aber 
wieder Perioden hat von 2—3 Monate Dauer, wo sie wohlauf ist. 
Bern heim gelingt es, das gerade bestehende Unvermögen, zu gehen, 
welches mit convulsivem Zittern der Beine verbunden ist, in einer 
Sitzung zu beseitigen, und dieser Erfolg erhält sich etwa einen Monat 
lang. Da die früheren Pausen aber bis zu 2 oder selbst 3 Monaten 
währten, so begreift mau nicht, wie Beruheim in der Ueberschrift 
sagen kann: „Heilung durch eine einzige Suggestion!“ 

In der nächsteu Gruppe IV: Neuroseu führt er zunächst 
3 Beobachtungen (46. 47. 48) vor von choreiformen Zuckun¬ 
gen, welche nach Emotionen bei hysterischen Frauenzimmern 
eingetreten sind, deren Heilung für mich ebenso wenig wunderbares 
hat, wie die eines gewöhnlichen Falles von Hemichorea (uach 
Schreck entstanden bei einem 8jährigen Knaben) (Beob. 52) in 
, 6 — 7 Wochen! In einem anderen generalisirten Falle erzieltBeru- 
heim durch 4 wöchentliche Behandlung eine Besserung (Beob. 54). 
Die dazwischenliegenden Beobachtungen (49. 50. 51) von „Hei- 
i lung“ der Schreibstörung bei Chorea können nach deu vor- 
j liegenden Schriftproben höchstens als Besserung, nimmermehr 
; aber als Heilung bezeichnet werden. Wahrscheinlich war der 
letztgenannte 16jährige Kranke (Beob. 50) aus seinem hypnotischen 
Dusel noch nicht völlig wieder erwacht, als er dem Professor mit 
noch immer zitternder Hand (p. 475) dankt, es gehe mit dem Schrei¬ 
ben so gut wie vor seiner Krankheit. Auffälligerweise bemerkt 
| Beruheim zu dieser Schriftprobe, sie sei eines Professors der 
1 Kalligraphie würdig. Dagegen ist ein bereits von Beaunis (1. c. 
p. 248) mitgetheilter Fall (Beob. 50), v<jr der Hypnose nur Ge¬ 
kritzel, danach deutliches Niederschreiben des Namens, bemerkens¬ 
wert!!. 

In eihem Falle von seit 3 Wocheu bestehender, sich stetig 
| verschlimmernder Chorea bei einem 13jährigen Kinde sah Pur- 
zotti in Italien nach 12 Tagen vollständige Heilung eiutreteu. 
j Berit Ion lässt die Choreakranken während des hypnotischen 
, Zustandes regelmässige gymnastische Uebungen ausführeu und 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32 


will dadurch auch in schweren Fällen schnelle Heilung erzielt 
haben (Rev. de l'hypn. II. 6, p. 177.) 

Einen Fall von Schreibkrampf (Beob. 55) hat Bernheim 
in zwei Monaten durch fast täglich vorgenommene Suggestion ge¬ 
heilt. Bei dieser Gelegenheit bezeichnet er das bekannte, aber in 
Bezug auf Fortbestehen des Erfolges längst discreditirte Verfahren 
des Herrn Wolff in Frankfurt am Main ebenfalls als eine Methode, 
die wesentlich durch Autosuggestion zur Heilung führe. 

Der Einfluss der Suggestion in einem Falle von Tetanie 
(Beob. 56 p. 491) scheint im besten Falle nur ein vorübergehender 
gewesen zu sein. 

Gelegentlich der Mittheilung von Heilung in 3 Fällen von 
Enuresis nocturna (bei Individuen von 13, bez. 17 oder 15 Jahren) 
berichtet Bernheim über die ausgiebigen Erfahrungen des Dr. Lie- 
beault (Rev. de l’hypn. I. p. 71). die Wirksamkeit der Suggestion 
bei diesem oft sehr hartnäckigen Uebel betreffend: Auf 77 Fälle 
kommen 23 sicher verbürgte rapide Heilungen, 23 rapide Heilungen 
ohne weitere Nachrichten; 10 sicher verbürgte langsame Heilungen, 
9 Besserungen, 8 Misserfolge; 4 nur einmal behandelte Fälle. 

(Fortsetzung folgt.) 

V. Die wichtigsten Vorkommnisse des 
Jahres 1887 auf dem Gebiete der Bacteriologie. 

Von Dr. Carl Günther in Berlin. 

Die Bacteriologie ist bekanntlich erst im Laufe des letzten Jahrzehntes 
zu einer selbstständigen Wissenschaft geworden. Sie verdankt ihre heutige 
Stellung in letzter Linie nicht sowohl rein botanischen Forschungen, als 
vielmehr den zur Erforschung der Aetiologie der Infec.tionskrankheiten an- 
gestellten Untersuchungen, welche, bereits eine grosse Reihe von Jahr¬ 
zehnten von Aerzten gepflegt, endlich durch den genialen Blick eines 
Robert Koch zu positiven, unantastbaren Ergebnissen führten. So ist es 
gekommen, dass die Bacteriologie, obgleich eine botanische Disciplin, heute 
zu ihrem allergrössten Theile der medicinischen Gesammtwissenschaft als 
Hülfswissenschaft angehört. Verfolgt man die Entwickelung derselben, so 
erscheint es sehr natürlich, dass die ersten Schritte, die die junge Wissen¬ 
schaft that, nachdem sie wie durch Zauberspruch von der früheren Blindheit 
erlöst war, gewaltige waren. Bedeutende Entdeckungen folgten einander in 
raschem Fluge. Für eine stattlicho Reihe von einzelnen Infectionskrankheiten 
wurden bestimmte Bacterienarten als Infectionsträger mit Sicherheit er¬ 
mittelt. Allmählich ist es schwerer geworden, auf diesem Felde bedeutende 
Entdeckungen zu machen. Dafür hat sich die Wissenschaft in Seitenfragen 
vertieft, die ihrerseits nicht weniger interessant sind als die genannten 
Hauptfragen, und die in gleichem Maasse wie die letzteren für die Pathologie, 
für die Hygiene, für die gesammte Medicin von Bedeutung sind. Eine 
grosse Reihe gediegener Forscher ist auf dem erschlossenen Felde in 
freudiger Arbeit thätig, und die Gesichtspunkte, nach denen hin sich unsere 
Wissenschaft erweitert, mehren sich täglich. — Die folgenden Zeilen stellen 
sich die Aufgabe, die hauptsächlichsten Errungenschaften des Jahres 1887 
in gedrängter Kürze zusammenzufassen. In der Eintheilung des Materials 
halte ich mich an die Disposition, die ich für den an dieser Stelle gegebenen 
entsprechenden Bericht über das Jahr 1886 wählte. Es werden daher zu¬ 
nächst die pathogenen Mikrococeen, dann die Bacillen und Spirillen 
behandelt. Dann werden die Arbeiten über Actinomyceten und an¬ 
hangsweise auch die über Hyphomyceten und Protozoen besprochen. 
Daran schliessen sich dann Arbeiten allgemein-wichtigen Inhalts und 
solche, die neue Methoden betreffen. 

A. Pathogene Mikroorganismen. 

I. Mikrococeen. 

1. Pneumoniemikrococcen. 

Die Frage nach der Entstehungsursache der fibrinösen (croupösen) 
Pneumonie ist auch in diesem Jahre ihrer definitiven Lösung einige 
Schritte näher gekommen. Es darf jetzt mit Sicherheit angenommen werden, 
dass der A. Fränkel’sche Pneumoniecoccus (Mikrococcus der Sputum- 
septicaemie, lanzettförmiger Diplococcus, Diplococcus Pneumoniae, Meningo- 
coccus) der gewöhnliche Erreger der genannten Krankheit ist. — Wilh. 
Wolf (Wiener med. Bl. 1887, No. 10—14) prüfte unter Weichselbaum’s 
Leitung in 70 Fällen croupöser Pneumonie das Sputum mikroskopisch und 
fand 66 Mal Coccen, die er dem Aussehen nach mit den A. Fränkel’schen 
identificirt, nur 3 Mal den Friedlaender’schen Pneumoniecoccus (Ba¬ 
cillus pneumoniae). Durch Verimpfung von 24 verschiedenen pneumonischen 
Sputis auf Kauinchen wurde stets das charakteristische Bild der Sputum- 
septicaemie erzeugt. Wolf erblickt schon in der mikroskopischen Prüfung 
des Sputums ein bezüglich der Pneumonie wichtiges diagnostisches Hülfs- 
mittel. — Netter (C. r. soc. de biol. 1887, No. 34) untersuchte ebenfalls 
das Sputum Pneumonischer und konnte durch Impfungen auf Kaninchen 
und Mäuse in 75 °/o der Krankheitsfälle, bei Genesenen in 60 o/o, den 
A. FrankeTsehen Organismus naebweisen. — Biondi (Zeitschr. f. Hyg. 
Bd. II, 1887) fand in 50 untersuchten Speichelproben 10 Mal einen dem 
A. Fränkel’schen in seinem gesammten Verhalten höchst ähnlichen, 1 ) 
vielleicht damit identischen Organismus („Bacillus salivarius septicus“). 
Der Speichel stammte in 7 von den 10 Fällen von gesunden Individuen, in 

! ) Der Biondi’sche „Bacillus“ war für Meerschweinchen nicht pa¬ 
thogen, während sich der A- Frankel’sehe Mikrobe für diese Thiere 
pathogen verhalten soll. 


3 von Pneumonikern. — Der A. Fränkel’sche Pneumoniecoccus wird, wie 
bereits aus früheren Arbeiten hervorgeht, beim Menschen nicht nur in der 
Lunge gefunden. Klebs (Allg. Pathol. Th. I. 1887, p. 332) theilt neuer¬ 
dings einen Fall von gleichzeitig auftretender Pneumonie und hämorrhagischer 
Nephritis (reiner Glomerulonephritis) mit, in welchem er den genannten 
Mikroorganismus 1 ) in einzelnen Glomerulis der Niere und (an der Grenze 
zwischen Rinde und Mark) in den Nierenvenen und den Harnkanälchen 
fand. — Auch Mircoli (Centralbl. f. d. med. Wiss. 1887, No. 40) theilt 
einen derartigen Befund mit, in welchem es sich aber um primäre Ne¬ 
phritis (ohne Pneumonie) handelte. — Weichselbaum (Centralbl. für 
Bact. Bd. II, 1887, No. 8) wies denselben Mikroorganismus in 14 Fällen 
ulceröser Endokarditis 4 Mal nach; es gelang ihm, durch intravenöse 
Injection desselben bei Thieren nach vorheriger Herzklappenverletzung 
Endokarditis experimentell hervorzurufen. — Am eingehendsten beschäftigt 
sich mit dem Diplococcus der Pneumonie eine Arbeit von Foä und Bor- 
doni-Uffreduzzi (Arch. p. 1. sc. med. 1887). Die Autoren wiesen be¬ 
kanntlich bereits 1886 den genannten Coccus in dem meningitischen Exsu¬ 
date bei Cerebrospinalraeningitis nach („Meningococcus“).*) Sie 
kommen in ihrer neuen Arbeit nach den Erfahrungen, die sie bei einer 
im März 1886 in Turin herrschenden Epidemie von Cerebrospinalmeningitis 
sammelten, zu dem Resultat, dass als Ursache der epidemischen Cere- 
brospinalmeningitis stets der A. Fränkel’sche Organismus anzu¬ 
sehen ist. Die Arbeit der genannten italienischen Autoren bietet ganz 
ausserordentlich viel des Interessanten, sowohl was die Biologie des 
studirten Mikroorganismus angeht, wie bezüglich der ausgedehnten pathogenen 
Rolle, die derselbe in der menschlichen Pathologie spielt. Die Arbeit ist kürz¬ 
lich auch in deutscher Sprache erschienen (Zeitschr. f. Hyg.) und wird in dieser 
Wochenschrift ausführlich referirt werden. — Weichselbaum (Fortschr. d. 
Med. 1887, No. 18, 19) berichtet über 2 Fälle sporadischer Cerebrospi¬ 
nalmeningitis, die beide unabhängig von Pneumonie entstanden und 
sich beide durch den A. Fränkel’schen Coccus bedingt zeigten. — 
Livierato (La Rif. med. 1887 No. 239—241) hat einen Fall aus der 
Maragliano'sehen Klinik zu Genua beschrieben, bei welchem sich nach 
fibrinöser Pneumonie Paraplegie der Beine einstellte, als deren Ursache ein 
Eiterherd im Lendenmark mit aufsteigender Meningitis gefunden wurde, 
hervorgerufen durch die Einwanderung des A. Fränkel’schen Pneumonie¬ 
coccus. — Silvestrini (La Rif. med. 1887 No. 225) wies denselben Orga¬ 
nismus in 3 Fällen von Pneumonie, die sich mit tödtlicher Cerebrospinal¬ 
meningitis complicirten, im Innern der Intercostalnerven nach. Er hält 
die letzteren deshalb für die Bahnen, auf denen die Infection von der Lunge 
aus weitergeleitet wurde. — Netter (Arch. göner. de med. 1887) kommt 
auf Grund von klinisch beobachteten Fällen und Thierversuchen zu dem 
Resultat, dass die mit Pleuritis, Perikarditis oder Endokarditis complicirten 
Fälle von Meningitis schon a priori als durch den A. Fränkel’sehen 
Coccus bedingt anzusehen sind. — Als die wahrscheinliche Ursache von 
eitriger Meningitis fanden Neumann und Schaffer (Virch. Arch. 
Bd. 109, 1887) den genannten Organismus in 3 Fällen 1 Mal. 

Lucatello (La Rif. med. 1887, No. 179 — 183) beschäftigte sich mit 
der Frage nach der Ursache des Fiebers bei der Pneumonie. Es 
gelang ihm, durch Versuche an Thieren mit Injection sterilisirter Culturen 
des Diplococcus pneumoniae Temperaturerhöhung hervorzurufen, und er 
schreibt deshalb die Temperaturerhöhung bei der menschlichen Pneumonie 
der Wirkung der durch die Pneumococcen in der Lunge gebildeten und 
mit dem Blute im Körper vertheilten Stoffwechselproducte zu. 

Die Arbeiten, die sich mit dem Friedländer’schen Pneumonie- 
mikrococcus (Bacillus pneumoniae) beschäftigen, sind nur von geringer 
Anzahl. Netter (C. r. soc. de biol. 1887, 24. December) fand bei der 
Untersuchung des Speichels von 105 Individuen den genannten Mikroben 
3 Mal. — Serafini (Riv. intemaz. di med. e di chir. 1887, No. 5—6) 
stellte mit demselben Thierversuche an, die ihn zu ähnlichen Schluss¬ 
folgerungen hinsichtlich der Entstehung des pneumonischen Fiebers ge¬ 
langen lassen, wie sie Lucatello in der oben referirten Arbeit aus¬ 
spricht. — Thost (diese Wochenschr. 1887, No. 35) züchtete den Fried¬ 
länder’schen Organismus aus dem Nasensecret (bei Schnupfen). — 
Zaufal (Prager med. Wochenschr. 1887, No. 27) fand im Secrete der Otitis 
media acuta einen mit dem Friedländer’schen für identisch gehaltenen 
Organismus. 

2. Gonorrhoecoccen. 

Dass die gonorrhoischen Erkrankungen durch die Infection mit dem 
Neisser’schen Gonococcus veranlasst werden, wird heute nicht mehr 
bezweifelt. Andere Fragen sind es, welche die Bacteriologie hinsichtlich 
der gonorrhoischen Erkrankungen im vergangenen Jahre zu lösen versucht 
hat. Eine Reihe von Arbeiten beschäftigt sich mit dem Sitze der Infection 
und mit der Art und Weise des Zustandekommens der sogenannten Tripper¬ 
metastasen. Steinschneider (Berl. klin. Wochenschr. 1887, No. 17) 
ermittelte als hauptsächlichsten Sitz der gonorrhoischen Infection beim 
Weibe die Harnröhre und den Cervix. — Bumm (diese Wochenschr. 1887. 
No. 49) spricht über die Häufigkeit der gonorrhoischen Mischinfec- 
tiouen beim Weibe. Die Tripperbartholinitis, Trippercystitis, Tripper- 
parametritis ebenso wie Gelenkentzündungen nach Tripper und die Tripper¬ 
bubonen des Mannes verdanken ihre Entstehung der secundären Einwan¬ 
derung pyogener Organismen in das durch die Gonococcen dafür disponirte 
Gewebe. — Audry (Annal. de Dermat. et de Syph. 1887) fasst nach seinen 
Untersuchungen Gelenkaffectionen und eitrige Entzündungen bei Gonorrhoe 
ebenfalls als secundäre Infection auf. — Bockhart (Monatsh. f. pract 
Dermatol. 1887) dagegen schliesst aus bacteriologischen Untersuchungen, 
dass die Trippermetastasen nur zum Theil durch secundäre Infection mit 
anderen Organismen verursacht werden, zum Theil aber den Gonococcen 

*) Klebs gebraucht die Bezeichnung „Gloeococcus“ (i. e. Kapsel- 
coccus). 

a ) Unabhängig davon machte dieselbe Entdeckung A. Fränkel. 


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9. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


659 


selbst, dem specifischen Trippervirus, ihre Entstehung verdanken. — 
Hartley (New-York med. Journ. 1887. No. 14) fand in 4 Fällen bei weib¬ 
lichen Individuen, die an Gonorrhoe litten, Gonococcen im erkrankten Fuss- 
resp. Kniegelenk. — Kartulis (Centralbl. f. Bact. Bd. 1, No. 10, 1887) 
bestätigte die bereits früher (1883) von R. Koch gemachte Beobachtung, 
«lass die eine Form der acuten Augenentzündungen Egyptens, die acute 
Augenblenorrhoe, durch den Neisser’schen Gonococcus hervorgebracht 
wird. — Welander (Monatsh. f. prakt. Dermat. 1887, No. 4) stellte fest, 
dass die Gonococcen durch eine Sublimatlösung 1: 5000 innerhalb 5 Minuten 
sicher vernichtet werden: eine halb so starke Lösung wirkt nicht mehr 
sicher. Ebenso wenig sicher wirkt eine V2P roc - Lösung von Argent. nitric. 
Zur abortiven Behamilung der Gonorrhoe muss die Sublimatlösung in einer 
Stärke von 1:1000 — 5000, die Argent. nitric.-Lösuug etwa 2procentig ge¬ 
wählt werden. 

Leber die künstliche Züchtung des Gonococcus hat Bumm (Der 
Mikroorganismus der gonorrhoischen Schleimhaut-Erkrankungen „Gonococcus- 
Neisser“. 2. Ausgabe. Wiesbaden 1887) ausgedehnte Untersuchungen an¬ 
gestellt. Am besten gedeiht der Gonococcus auf menschlichem Blutserum 
bei 33—37° C. Unter 25» C und über 38° C lässt er sich nicht culti- 
viren. Noch nach der zwanzigsten Umzüchtung gelang es Bumm, eine 
weibliche Harnröhre mit der Cultur gonorrhoisch zu inficiren. 

3. Trachomcoccen. 

Der von Michel 1886 gemachte Befund einer bestimmten, Gonorrhoe- 
coccen ähnlichen Coccenart bei Trachom ist im vergangenen Jahre durch 
Goldschmidt (Centralbl. f klin. Med. 1887, No 18) bestätigt worden. 
Auch hinsichtlich der künstlichen Cultivirbarkeit der Trachomcoccen und der 
experimentellen Uebertragbarkeit derselben auf die menschliche Coujunctiva 
kam Goldschmidt zu denselben Ergebnissen wie Michel. — Aehnliche, 
von Kucharsky (Centralbl. f. prakt. Augenheilkunde 1887) bei folliculärem 
Trachom gefundene und künstlich gezüchtete Diplococcen Hessen sich weder 
auf Menschen noch auf Thiere mit Erfolg übertragen. 

4. Staphylococcen und Streptococcen. 

Die Frage, ob Eiterung nur in Folge der Einwirkung vou Mikro¬ 
organismen auf das Gewebe entstehen könne, oder ob Eiterung auch ohne 
Mikroorganismen auftreten könne, diese Frage, welche durch die früheren 
Arbeiten definitiv in dem ersteren Sinne erledigt zu sein schien, ist im 
vergangenen Jahre wieder von verschiedenen Seiten experimentell in Angriff 
genommen worden. Diese neuen Arbeiten haben zu Ergebnissen geführt, 
die es nicht gestatten, die ganze Angelegenheit als endgültig geklärt anzu¬ 
sehen. — Während Zuckermann (Centralbl. f. Bact., Bd. 1, 1887, No. 17) 
nach seinen Versuchen zu dem Resultat kommt, dass Eiterung nur durch 
Mikroorganismen veranlasst wird, und es Pernice (Riv. intemaz. di med. 
o chir. 1887, No. 1) nicht gelingt, durch intraperitoneale Injeetion vou 
chemisch reizenden Substanzen Eiterung (eitrige Peritonitis) zu erzeugen, i 
machten Grawitz und W. de Bary (Virch. Arch. Bd. 108. 1887) die Mit¬ 
theilung, dass man durch subeutane Injeetion steriler chemisch reizender 
Flüssigkeiten, wie 5proc. Lösung von Argent. nitric., stärkerer Ammoniak- 
flüssigkeit, Terpeutinlöl bei Hunden Abscesse erzeugen könne. Auch durch 
Injeetion von Ptonmlnen, z. B. sterilisirter Culturen des Staphylococcus 
aureus, lassen sich, wie die Autoren angeben. Abscesse bei Hunden erzeugen. 
Durch Injeetion von sterilem Cadaverin (Brieger) erzeugte Grawitz 
("Virch. Arch. Bd. 110, 1887) ebenfalls Abscesse. Der Eiter wurde stets 
mikroorganismenfrei befunden. Diese Mittheilungen würden, wenn sie 
sich bestätigen sollten, die geltenden Ansichten hinsichtlich der Aetiologie 
«ler acuten Eiterung total umstossen. Die ganze Eiterungsfrage bedarf jeden¬ 
falls dringend erneuter ausgedehnter Bearbeitung. — Auch Scheurlen 
(Arb. a. d. chir. Klinik d. Univers. Berlin, 3. Theii) sah nach Injectionen 
von sterilen Ptomainen Eiterbildung auftreten. Er stellte weiterhin fest, 
dass diese Ptomalne die Gerinnuug des Blutes verhindern, was vom Autor 
wiederum zur Erklärung der Eiterbildung herangezogen wird. — Rinne 
(Tagebl. d. 60. Vers, «leutscher Naturf. u. Aerzte. Wiesbaden 1887, p. 157) 
kommt nach experimentellen Untersuchungen zu dem Ergebniss, dass zur 
Entstehung metastatischer Eiterungen es nothwendig ist. dass das 
Gewebe durch Einwirkung von Ptomainen zum locus miuoris resistentiae 
gegenüber den Eitercoccen gemacht wird. 

Die Kenntniss der Verbreitung der Stapbylococcen ist durch eine ! 
Reihe von Arbeiten erweitert worden. E. Fränkel und Sänger (Virch. 
Arch. Bd. 108, 1887) wiesen bei 12 Fällen von Endokarditis verrucosa 
10 Mal Bacterien, meist Staphylococcen, nach; die Autoren halten demnach 
auch die verrucöse Form der Endokarditis für eine mykotische Erkran¬ 
kung, wie das bekanntlich für die ulceröse Form bereits feststeht — 
Kohts (diese Wocbenschr. 1887, No. 44) sah in einem innerhalb zweier 
Tage tödtlich verlaufenden Fall von acuter Osteomyelitis bei einem , 
3jährigen Kinde zahlreiche Mikrococcenherde in den dem erkrankten 
Knochen benachbarten Muskeln. — Dunin (Deutsches Arch. f. klin. Med., 
Bd. 3y) konnte als Ursache eitriger Entzündungen und Venen¬ 
thrombosen im Verlaufe des Abdominaltyphus in vielen Fällen Sta¬ 
phylococcen nachweisen. Es handelt sich hier nach Ansicht des Autors um 
Mischinfection durch Coccen, die vom Darme aus in das Blutgefässsystem 
eindringen. — Terray (Wien. med. Presse 1887, No. 37—39) fand in 
einem Falle von Lungenabscess, der im Verlaufe einer Wanderpneumonie 
auftrat, den Staphylococcus aureus im Blute. — Bockhart (Monatsh. für 
prakt. Dermatol. 1887, No. 10) wies bei Impetigo und Sycosis constant j 
Staphylococcen nach. — Longard (Arch. f. Kinderheilk. 1887) findet die I 
Folliculitis abscedens infantum constant, bedingt durch die 
Einwanderung von Staphylococcen in die Haut. — Ebenso fand P. Gutt- i 
mann (Virch. Arch. Bd. 107, 1887) im Varicelleninhalt ausser anderen ' 
Coccen auch den Staphylococcus aureus und eine neue Staphylococccnart i 
(„Staphylococcus viridis flavescens“). — Deutschmann (Ueber Neuritis | 
optica etc., Jena 1887) erzeugte durch Injeetion von Staphylococcen in die ! 
Scheide des Sehnerven bei Kaninchen Neuritis und Stauungspapille.— I 


Die bekannten Thierversuche Deutschmann’s, welche zur Aufklärung 
der Genese der sympathischen Ophthalmie unternommen wurden und 
den Autor zu dem Resultate führten, dass die genannte Erkrankung aufzu¬ 
fassen sei als beruhend auf einem infectiösen Krankbeitsprocess, der durch 
die Bahn des Sehnervenapparates von dem einen zum anderen Auge über¬ 
tragen wird (cf. diese Wochenschr. 1888, No. 4, p. 73), veranlassten 
Mazza (La Rif. med. 1887, No. 201—202) zu einer Nachprüfung des 
Gegenstandes. Er experimentirte mit Staphylococcus pyogenes albus 
und sah bei Injeetion in die vordere Augeukammer von Kaninchen und 
Meerschweinchen local bleibende Eiterung, bei Injeetion in den Glaskörper 
jedoch meist stürmische meningitische Erscheinungen auftreten, denen die 
Thiere in 20—36 Stunden erlagen. An den überlebenden Thieren konnte 
ein Uebergang der Entzündung auf das andere Auge nicht nachgewiesen 
werden. Nur wenn die Injeetion „längs des Nervus opticus einer Seite“ 
gemacht wurde, wurde dieses Uebergreifen auf die andere Seite beobachtet, 
aber auch hier starb das Thier bald an Meningitis. 

Ueber die Form und Grössenverhältni sse «les Staphylo¬ 
coccus pyogenes aureus stellte Hadelich (Ueber die Form etc., 
Würzburg 1887) unter Bumm’s Leitung Untersuchungen an, die die schon 
bekannten Dinge bestätigen. Der genannte Mikroorganismus ist danach 
als ein Diplococcus von einem mittleren Durchmesser von 0,7 /z aufzu¬ 
fassen. 

Betrachten wir nun die Arbeiten, die sich mit den Streptococcen 
beschäftigen, so ist zunächst hervorzuheben, dass auch heute die Frage, ob 
der Streptococcus der phlegmonösen Eiterung und der des Erysipels 
als identische Organismen anzusehen sind, noch nicht, mit Sicherheit beant¬ 
wortet werden kann. Bumm (Centralbl. f. Bact. Bd. 2, 1887, No. 12) 
beobachtete eine im Uebrigen gesunde Puerpera, bei der sich von der 
rechten Mammilla aus ein Erysipel ohne jede Spur von Eiterung, von der 
linken Mammilla aus hingegen gleichzeitig ein Erysipel mit phlegmonösem 
Charakter ausbildete. Von links wie von rechts wurden durch künstliche 
Züchtung Kettencoccen erhalten, die sich in den Kulturmerkmalen nicht von 
einander unterscheiden Hessen und bei der Verimpfung auf Kaninchen 
Erysipel hervorriefen. — Biondi (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2, 1887) erhielt 
bei der Untersuchung des Speichels von 50 Individuen in drei Fällen 
Streptococcen („Streptococcus septo-p'yaemicus“), die durch nichts zu unter¬ 
scheiden waren von denen des Erysipels, der Phlegmone, der puerperalen 
Metritis. Von den 3 Individuen war das eine mit phlegmonöser Angina 
behaftet, die anderen beiden litten an primärem Larynxerysipel. — 
Winckel (Verh. d. deutsch. Ges. f. Gyn., 1. Congr.) züchtete aus einem 
puerperalen parametritischen Abscess den Erysipelcoccus. Den¬ 
selben erhielt er durch Cultur aus Blut und Organen der Leiche einer 
Puerperalfieberkranken, bei der im Verlaufe der puerperalen Erkrankung 
von den Nates aus ein Erysipel entstanden war. — Gusserow (Arch. f. 
Gyn. 1887) jedoch hält nach seinen Beobachtungen ätiologische Beziehungen 
zwischen Erysipel und septischen Processen im Wochenbett für unwahr¬ 
scheinlich. 

Neumann und Schäffer (Virch. Arch. Bd. 109, 1887) wiesen den 
Streptococcus pyogenes in einem Falle von eitriger Meningitis nach; 
Guarnieri (Acc. medica di Roma, 24. April 1887) fand ihn in broncho- 
pneumonischen Herden, die nach Morbillen aufgetreten waren. Der 
Autor berichtet ferner (Arch. p. 1. scienze med. Bd. 11, 1887) von einem 
tödtlichen Gesichtserysipelfall, bei dem sich die Erkrankung ebenfalls 
nach Morbillen entwickelt hatte. Hier wurde post mortem aus der Milz 
der Streptococcus des Erysipels gezüchtet. Subcutan mit den Culturen 
inficirte Thiere bekamen Röthung und Schwellung, zwei intravenös 
inficirte gingen, das eine an Septicaemie, das zweite an Endokarditis 
ulcerosa zu Grunde. Der Autor betont die ausgedehnte pathogene Rolle, 
welche der Streptococcus des Erysipels spielt. — v. Noorden (Münch, 
med. Wochenschr. 1887, No. 3) wies bei einem am 9. Krankheitstage unter 
sehr schweren Allgemeinerscheinungen und eitriger Sehnenscheidenentzün¬ 
dung der Hand tödtlich endenden Erysipelfalle Streptococcen im Herzblut 
der Leiche nach. — v. Eiseisberg (Langenb. Arch. 1887) gelang es, 
den Erysipelcoccus 1) in der Luft von Erysipelkrankenzimmern durch 
Cultur nachzuweisen, 2) denselben aus Hautschüppchen von Erysipelkranken 
zu züchten. 

Sehr wichtige Mittheilungen über die pathogene Bedeutung des Strepto¬ 
coccus pyogenes verdanken wir A. Fränkel (Zeitschr. f. klin. Med. 1887. — 
Diese Wochenschr. 1887, p. 553). Der Autor berichtet über zwei Fälle sehr 
Schwerer septischer Allgemeininfection, die durch Einwanderung der Stiepto- 
coccen in den Körper von den erkrankten Rueheuorganen her zu Stande 
kamen, und bei denen durch Züchtung identischer Kettencoccen aus den 
verschiedenen erkrankten Partieen die ätiologische Einheit der Iufection sicher 
festgestellt wurde. — Moos (Zeitschr. f. Ohrenheilk. 1887) fand im inneren 
Ohr bei drei an Diphtheritis gestorbenen Kindern Streptococcen. — 
Babes (Wien. med. Presse 1887, No. 10.) wies diese Organismen bei 
Fällen von Nephritis scarlatinosa in der Niere nach. — Chotzen 
(Vierteljahrsschr. f. Dermat. und Syph. 1887) sowie Doutrelepont 
(Centralbl. f. Bact. Bd. 2 1887, No. 13) bestätigten den früheren von 
Kassowitz und Hochsinger erhobenen Befund vou Streptococcen in den 
Organen hereditär syphilitischer Kinder. Die Autoren fassen diese Infection 
als eine accidentelle auf. — Gnrre (diese Wochenschr. 1887, No. 13) be¬ 
richtet über Streptococcenbefund bei Variola. — Klein (Proceed. of 
the Royal Society London 1887) fand in mehreren Sc ha rl ach fallen iin 
Blute Streptococcen. Dieselben Streptococcen erhielt er aus erkrankten 
Partieen des Euters von Kühen einer bestimmten Farm, welche jenen 
Scharlachkindem die Milch geliefert hatten. Klein glaubte durch diese 
Auffindung des „Mikrococcus searlatinae“, wie er den gezüchteten Strepto¬ 
coccus nannte, die Aetiologie des Scharlachs gefunden zu haben. Nach seiner 
Ansicht war diese Erkrankung von den Kühen durch die Milch auf den 
Menschen übertragen worden. — Dass es sich hier um grobe lrrthümer und 
falsche Schlussfolgerungen handelt, haben besonders die Nachprüfungen von 


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660 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32 


Crookshank (The hrit. meil. jouru. Doc. 1887, Jan. 1888) gezeigt. Der 
Autor kam zu Wem Resultat, dass die Kuherkrankung in den Klein 1 sehen 
Fällen gewöhnliche Kuhpoekeu gewesen sind, und dass Wer „Mikrococcus 
scarlatinae“ nichts ist als der Streptococcus pyogenes, welcher ja bekanuter- 
maassen einen so häufigen accidcntellen Befund darstellt. 

5. Andere pathogene Mikrococcen. 

Bei ulceröser Endokarditis wies Weichselbaum (Ccntralbl. f. 
Bart. Bd. 2, 1887, No. 8) in einem von 14 Fällen eine neue Coccenart, 
„Mikrococcus conglomoratus“, nach, der, in Reincultur Thieren ein¬ 
verleibt, Endokarditis zu erzeugeu im Stande war. — Derselbe Autor 
(Fortschr. d. Med. 1887, No. 18, 19) fand in 6 Fällen von acuter Menin¬ 
gitis cerebrospinalis (sporadischer Genickstarre) bei der Section im 
meningitischen Exsudate und in den inneren Organen eigenthüralichc, bisher 
unbekannte Organismen: „Diplococcus intracellularis raeningi 
tidis.“ Die Culturen derselben gedeihen nur bei Bruttemperatur, am besten 
auf Agar, wachsen fast nur an der Oberfläche, verlieren bald ihre Ueber- 
tragbarkeit. Die Organismen haben morphologisch Aehnlichkeit mit Gono- 
coccen, entfärben sich bei der Behandlung nach Gram. Bei Thieren durch 
Einimpfen der Culturen Meningitis zu erzeugen, gelang nicht mit Sicherheit. 
Weichselbaum betrachtet diesen neuen Coccus als den einen, den A. 
Fränkerschen als den anderen Erreger der sporadischen Cerebrospinal¬ 
meningitis. — Der Weirhselbauin'sche Befund ist dann von Gold- 
schmidt (Centralbl. f. Bacter. Bd. 2, 1887, No. 22) bestätigt worden, wel¬ 
cher einen mit dem Diplococcus intracellularis meningitidis identischen 
Coccus bei einem ein viermonatliches Kind betreffenden Falle von uncompli- 
cirter Cerebrospinalmeningitis im meningitischen Exsudate in Reincultur 
vorfand. — Im Speichel einer Puerperalfieberkrauken faud Biondi 
(Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2, 1887) einen für Thiere pathogenen Coccus, 
„Coccus salivarius septicus“, der, den Thieren einverlcibt, dieselben 
lediglich durch kolossale Vermehrung im Blute tödtet. ln einem Falle von 
Angina scarlatinosa fand Biondi im Speichel einen äusserst kleinen, bisher 
unbekannten Mikrococcus, „Staphylococcus salivarius pyogenes“, 
der eiterungerregend wirkt. 3 Mal fand der Autor in 50 untersuchten Speichel- 
proben den (bereits 1881 von R. Koch entdeckten) Mikrococcus tetra- 
genus. — Hüppe (Fortschr. d. Med. 1887, p. 615) fand in einem Falle 
von Puerperalfieber einen Ketten'coccus, der nur bei Temperaturen 
über 25° G, am besten auf Blutserum, gedieh und sich dadurch von den 
gewöhnlichen Streptococcen verschieden erwies. — Nocard und Mollereau 
(Aun. de Einst. Pasteur 1887) wiesen bei einer contagiösen chronischen 
Euterentzündung der Kühe, die mit Schleimig- und Stinkondwerden der 
Milch verbunden war, ciuen grossen, leicht züchtbaren, nach Gram sich 
entfärbenden Streptococcus in der Milch nach, der sich auf Kühe und 
Ziegen mit Erfolg übertragen liess. — Bei Kranken mit Keratitis plilyk- 
taenulosa züchtete Burchardt (Centralbl. f. prakt. Augenheilk. 1887, 
No. 40) aus den erkrankten Partieen einen Coccus, der, auf die Kaninchen¬ 
cornea übertragen, Conjunctivitis und Phlyktäne hervorrief. 

(Fortsetzung folgt.) 

VI. Feuilleton. 

Der Tnbercolose-Congress in Paris. 

Am 25. Juli wurde im Amphitheater der medicinischen Fa- 
cultät der Tuberculose-Cougress eröffnet. Die Versammlung be¬ 
stätigte die Wahl des vorbereitenden Comites, indem sie Chau- 
veau zum Präsidenten. Villemin und Verneuil zu Vicepräsi- 
deuten ernannte. Chauveau eröffnete den Congress mit einer 
Ansprache, in welcher er den ungewöhnlichen Charakter des Con- 
gresses hervorhob. an welchem neben den Aerzten auch die 
Veterinärmediciner theilnähmen. Er sprach seine Freude darüber 
aus, dass, gauz im Gegensatz zu so zahlreichen Congressen, der, 
zu dessen Leitung er berufen sei, nur eine einzige Frage zum 
Gegenstand der Verhandlungen habe. Alter gerade das Studium 
der Tuberculose verdiene auch einen Congress ganz für sich. Be¬ 
fällt doch diese schreckliche Seuche jeden ohne Unterschied, alle 
Lebensalter, alle Gesellschaftsclassen; der Europäer bringt sie 
überallhin mit sich — wohin sie bis dahin noch nicht vorgedrun¬ 
gen war, von dem Augenblick seines Auftretens an beginnt sie 
ihre verheerende Thätigkeit. 

Die Ansteckungsfähigkeit dieser verheerenden Seuche war 
schon von Morgagni behauptet. Andral sprach davon mit der 
grössten Reserve, aber wenn man diese beiden Gelehrten ausnimmt, 
wagte kein Professor diese Lehre von seinem Katheder zu verkün¬ 
den. Da plötzlich erhob sich der Sturm. Villemin hielt, auf 
eigene Erfahrungen gestützt, die Lehre von der Contagiosität auf¬ 
recht. Chauveau resumirte kurz die Discussionen, zu denen die 
Veröffentlichungen Villemin’s Veranlassung gegeben hatten, um 
daun den neuen Anstoss, welchen die Entdeckung R. Koch’s für 
die weitere Erörterung dieser Frage gegebeu, zu erörtern. Er er¬ 
innerte an die enorme Zahl von Arbeiten, welche sich mit Unter¬ 
suchungen über den Koch’schen Bacillus beschäftigten — denn 
dieser Name wurde eiustimmig und fast unbewusst dem Bacillus 
der Tuberculose beigelegt — mit Recht, meint Chauveau. nur 
bedauert er, dass man nicht ebenso den Milzbrandbacillus mit dem 
Kamen des Davaine’schen Bacillus belegt. 

Chauveau erinnerte sodann daran, dass man lange Zeit die 
Gefahren unbeachtet Hess, die von Seiten der Thiere drohen, indem 


man die Tuberculose des Riudviehs von der des Menschen trennte. 
Er resumirte kurz die Beobachtungen, die hinsichtlich dieses Gegen¬ 
standes an der Thierarzneischule in Lyon gemacht wurden, die die 
Identität der beiden Formen der Tuberculose erwiesen, und au deu 
allgemeinen Sturm, der sich erhob, als er diese Beobachtungen der 
Akademie der Medicin mittheilte. Glücklicherweise wurden die¬ 
selben durch die Entdeckung des Koch’schen Bacillus bestätigt. 

Weiter führte Chauveau aus, dass wir uns nothwendigerweist* 
gegen diese Gefahr schützen müssen — das hat zu dem Zusammen- 
treten des Congresses geführt, dem eine grosse Zahl von Fragen 
zur Entscheidung vorliegen. Sie alle zur Erledigung zu bringen, 
ist nicht möglich, denn die Vorbedingungen für das Studium von 
Fragen der Pathologie sind ungemein schwierige. Der Biologe sieht 
mit einer Art wohlwollender Ueberlegeuheit auf den Pathologen 
herab, der bei seinen Untersuchungen überall im Finsteren tappt. 
Aber das braucht uns nicht zu entinuthigen, denn der Physiker und 
Chemiker sieht mit eben der wohlwollenden Ueberlegenheit auf 
die Arbeiten des Biologen herab, und der Mathematiker seinerseits 
auf die des Physikers und Chemikers. Dessenungeachtet schreiten 
alle Wissenschaften fort, und obwohl die Pathologie die geringsten 
Erfolge zu verzeichnen hat, ist das kein Grund, die Hände in deu 
Schooss zu legen, inuthig möge sie weiter arbeiten, und sicher wird 
sie zu bedeutsamen Entdeckungen gelangen — oder ist sie nicht 
vielmehr bereits zu solchen gelangt? 

Der Rede Chauveau’s wurde lebhafter Beifall gezollt. Nach 
ihm skizzirte Verneuil in kurzen Zügen die Entstehungsgeschichte 
des Congresses, und dann wurde unmittelbar in die Verhandlungen 
eingetreten, die Cornil mit einem Vortrage über die Tuberculose 
der Schleimhäute eröffnete. Cornil ging davon aus, dass, weil 
der Bacillus durch die Schleimhaut eindringt, nicht nothwendiger 
Weise Läsionen derselben vorausgesetzt werden müssen, Excoria- 
tionen oder Fissuren; diese Thatsaehe ist bereits durch die Beob¬ 
achtungen von Chauveau, Villemin u. A. festgestellt. Gesunde 
Thiere, die mit tuberculösem Material gefüttert werden oder der 
Inhalation solchen Materials ausgesetzt sind, werden tuberculös. 
Cornil hat die Untersuchung dieser Frage im Verein mit Debrech- 
nowski wdeder aufgenommen. Sie gaben Meerschweinchen 1 oder 
2 Tropfen einer Cultur Koch scher Bacillen und constatirten. dass 
keine Diarrhoe entstand; das Epithel bleibt intact, trotzdem ge¬ 
wahrt man Schwellung der Follikel und auf dem Mesenterium und 
in den Lymphdriisen wirkliche kleine Granulationen. Vom 
vierten Tage an wird die Anhäufung von Zellen in den Drüsen 
bedeutender, und am sechsten Tage beobachtet mau wirkliche 
Tuberkel. Diese Beobachtungen beweisen nach Cornil die Ueber- 
tragung der Tuberculose durch den Darm. Seine Aufmerksamkeit 
wurde sodann durch folgende Thatsachen auf die Tuberculose des 
Uterus gelenkt. Er hatte Gelegenheit, zwei operativ entfernte Uteri 
zu untersuchen. Bei dem einen war eine sexuelle Uebertragung 
nicht anzunehmen, denn die Tuberculose nahm ihren Ausgang von 
den Tuben. Anders bei dem zweiten Uterus. Hier war das Collum 
befallen; es fanden sich Granulationen an der Oberfläche der Schleim¬ 
haut, unter dem Epithel; dä die übrigen, gleichzeitig entfernten 
Theile davon nichts gewahren Hessen, und die Kranke keinerlei 
Zeichen von Tuberculose darbot, musste au eine sexuelle Ueber¬ 
tragung der Tuberculose gedacht werden. Um zu erfahren, ob eine 
Uebertragung auf diesem Wege möglich sei, wurden Bacillen in den 
Uterus von Meerschweinchen eingebracht. Es konnte zuerst ein 
Katarrh des Collum constatirt werden, dann eine Anhäufung ba- 
: cillenlialtiger lymphatischer Zellen in der Schleimhaut. Am vierten 
I Tage wurden unter den Epithelzellen kleine Tuberkel sichtbar, dann 
, breiteten sich die Tuberkel auf das Bindegewebe zwischen Uterus 
und Blase aus. Nach Cornil scheinen diese Beobachtungen die 
I Möglichkeit der Uebertragung auf dem Wege der Genitalien zu er- 
; weisen. Vagina und Urethra, die mit Pflasterepithelzellen bedeckt 
I sind, besitzen grössere Resistenz als der Uterus. Bei den Experi- 
j menten waren, nachdem die Bacillen in den Uterus eiugebracht 
! waren, bisweilen schon nach 15 Tageu die Tuberkel mit blossem 
i Auge sichtbar, sicher waren sie zu dieser Zeit durch das Mikro- 
I skop sichtbar. 

Den zweiten Vortrag hielt Noeard über die Gefahren des 
l Genusses von Fleisch und Milch tuberculöser Thiere. 
i Was die Milch anlangt, so herrscht allgemeine Uebereiustimmung. 

dass mit der Milch tuberculöser Kühe unter allen Umständen so zu 
I verfahren ist, als ob der Euter ergriffen ist, dass in Folge dessen 
I die Milch solcher Kühe vor dem Gebrauch gekocht werden muss, 
i und dass man keine rohe Milch geniessen darf, deren Herkunft nicht 
i bekannt ist. Ziegenmilch ist hiervon auszunehmen, da die Ziege 
nicht tuberculös wird. Nocard erinnert dann daran, dass die 
! Uebereinstimraung, die nach dieser Richtung herrscht, sich keines- 
! wegs auch auf das Fleisch erstreckt. Bouley ist dafür eingetreten, 
j dass alles von tuberculösen Thieren stammende Fleisch conflscirt 
1 werde, und der hygienische Congress in Brüssel hat sich zu Gunsten 


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9 : August. 

dieser radicalen Maassregel ausgesprochen, die man indessen nie in 
ihrer ganzen Strenge durchgeführt hat. Später hat das Comite con- 
suUatif des epizooties dem Staatsrath einen Gesetzentwurf vorgelegt, 
wonach das Fleisch tuberculöser Thiere vom Gennss auszuschliessen 
sei, wenn die Tuberculose nicht localisirt sei, wonach ferner die 
Benutzung der Häute nur nach vorheriger Desinfection gestattet 
wird. 

Nocard berichtet, dass er mit Fleischsaft von zehn tubercu- 
lösen Kühen 40 Meerschweinchen geimpft habe. Jedem Thiere 
wurde 1 ccm Fleischsaft in das Peritoneum injicirt. Ein einziges 
dieser Thiere ging 59 Tage nach der Impfung an Tuberculose zu 
Grunde. Diese Thatsache beweist, dass die Tuberculose den Cha 
rakter einer generalisirten Erkrankung annehmen, dass aber diese 
Generalisation vorübergehend sein kann. In der That machte No- 
card die Beobachtung, dass das Blut eines Thieres, in welches inan 
Koch'sehe Bacillen injicirt hatte, seine Virulenz wieder verliert. 
Er unternahm dann eine grosse Reihe von Versuchen, um zu er¬ 
fahren, nach Verlauf welcher Zeit der Fleischsaft eines tuberculösen 
Thieres seine Virulenz verliert. Er sah letztere nach 4, 5 und 
6 Tagen verschwinden. Die Zeit der Gefahr ist also eine sehr 
kurze. Auch ist dieselbe eine nur selten beobachtete. Nocard 
futterte junge Katzen, die sehr empfänglich für Tuberculose sind, 
mit rohem Fleisch von tuberculösen Kühen; er sah sie nie tuber- 
culös werden, während sie, wenn sie mit anderen Organen gefüttert 
wurden, rasch der Infection verfielen. Nocard schliesst daraus, 
dass der Genuss des Fleisches tuberculöser Thiere nur ausnahms¬ 
weise und in geringem Grade gefährlich ist. (Fortsetzung folgt.) 


VII. Referate und Kritiken. 

O. Vierordt. Diagnostik der inneren Krankheiten auf Grund 
der heutigen Untersuchungsmethoden. 542 S. mit 156 Abb. 
Leipzig, F. C. W. Vogel, 1888. Ref. S. G. 

Es fehlt keineswep an vorzüglichen Lehrbüchern der Diaguostik 
der inneren Krankheiten auf Grund der heutigen Untersuchungs¬ 
methoden, und doch dürfen wir für den Praktiker wie für Studirende 
das soeben erschienene Buch von Vierordt mit Genugtuung be- 
grüssen, weil es durch die Knappheit der Darstellung ohne Schaden für 
das Ganze und durch die Grnppirung des Stoffs geradezu Vorzügliches 
leistet Sicher darf dem Autor Jeder beipflichten, wenn er grossen 
Werth darauf legt, dass, neben den immer mehr anwachsenden 
feineren Methoden, der einfache Gebrauch unserer Sinne, besonders 
des unbewaffneten Auges, nicht in Vergessenheit geraten darf, und 
dass zu einer Diagnose nie ein Präparat oder eine chemische Re- 
action genügt, sondern dass stets der gauze Organismus zu benr- 
theilen ist, mit anderen Worten: dass wir in der Therapie, so in 
der Diagnose, die ja doch für die Therapie maassgebend ist, indi- 
vidualisiren müssen. 

Clemens Neisser. Ueber die Katatonie. Ein Beitrag zur kli¬ 
nischen Psychiatrie, 85 Seiten, mit in den Text gedruckten Holz¬ 
schnitten und 4 Tafeln. Preis 4 M. Stuttgart, F. Enke, 1887. 
Ref. Seeligmiiller. 

Der Name „Katatonie“ stammt von Karl Kahlbaum her, 
welcher im Jahre 1874 (Dr. K. Kahl bäum, klinische Abhand¬ 
lungen über psychische Krankheiten. I. Heft. Katatonie. Berlin 
1874. Aug. Hirschwald) damit eine von ihm neu aufgestellte, wohl 
charakterisirte Krankheitsform bezeichnet wissen wollte. Dem¬ 
gegenüber haben sich eine Anzahl zum Theil hervorragender Psy¬ 
chiater reservirt oder geradezu ablehnend ausgesprochen. Audere. 
wie z. B. Schäle (klin. Psychiatrie, 3. Aufl., p. 196) bezeichnen 
mit demselben Namen „Katatonie“ ganz andere Kraukheitsformen. 
Neisser will non in seiner Monographie an der Hand eigener und 
fremder Beobachtungen nachweisen, dass die Katatonie in der That 
einen ganz bestimmten, charakteristischen Symptomencomplex im 
Sinne Kahl baum’s darstellt, so dass eine Verwechselung mit anderen 
Krankheitsformen nicht wohl möglich ist. Letzterer hat (1. c. p. 87) 
selbst folgende Begriffsbestimmung seiuer Krankheit gegeben: „Die 
Katatonie ist eine Gehirnkrankheit mit cyklisch wachsendem Ver¬ 
laufe, bei der die psychischen Symptome der Reihe nach das Bild 
der Melancholie, der Manie, der Stupescenz, der Verwirrtheit und 
schliesslich des Blödsinns darbieten, von welchen psychischen Ge- 
sammtbildern aber eines oder mehrere fehlen können und bei der 
neben den psychischen Symptomen Vorgänge in dem moto¬ 
rischen Nervensystem mit dem allgemeinen Charakter 
des Krampfes als wesentliche Symptome erscheinen.“ Als 
besonders charakteristisch für die Katatonie bespricht Neisser die 
sinnloser Aneinanderreihung oder auch das regellose Durcheinander 
einzelner, oft hundertfach wiederholter Wörter und Satzfragmente, 
welches, in seiner Gleichförmigkeit und vielfältigen Wiederholung 
lebhaft an die ausserdem vorhandenen Erscheinungen von Verbi- 


661 


geration und Bewegungsstereotvpen erinnernd, durch vielfache Proben 
dem Leser vorgeführt wird. — Die Ausstattung ist eine gute. 


1 E. Finger. Die Blenorrhoe der Sexaalorgane und ihre Com- 
j plicationen. Leipzig und Wien, Franz Deuticke, 1888. Ref. 

' Joseph. 

Der ungemein rührige Verfasser, von welchem erst vor Kurzem 
eine Bearbeitung der Syphilis erschienen, hat in dem vorliegenden 
Buche eine erschöpfende Darstellung der Blenorhoe der Sexual¬ 
organe gegeben, ln einer sehr übersichtlichen Weise skizzirt Finger 
die Fortschritte, welche sich auf diesem Gebiete in ätiologischer, 

; anatomischer, klinischer und therapeutischer Hinsicht ergeben haben. 
Doch ist er sich dessen wohl bewusst, dass sich hier eine exacte 
wissenschaftliche Methode erst auszubilden beginnt. Um so freu¬ 
diger ist daher dieses Lehrbuch zu begrüssen, insofern es die Lücken 
und Mängel aufdeckt und so den Weg weist, auf dem weitere 
Studien und Forschungen gehen sollen. Diesen Zweck hat Finger 
in vollkommenster Weise erreicht. 

Für die Diagnostik der Gonorrhoe erkenut auch Finger an, 
dass die Constatirung der Gonococcen stets das ausschlaggebende 
Moment sein müsse. Es kann nicht genug betont werden, dass 
ebenso wie der innere Kliniker zur Vervollständigung des Stat. 
praes. seines Kranken es heutzutage nicht mehr unterlassen darf, 
das Sputum, wo ein Verdacht vorliegt, auf Tuberkelbacillen zu 
untersuchen, so auch bei der Diagnose der Blenorrhoe niemals der 
Nachweis der Gonococcen im Secrete versäumt werden sollte. Bei 
der acuten Urethritis des Mannes ist es hauptsächlich der Therapie 
wegen von dem grössten Belang, ob man es mit einer U. ant. oder 
post, zu thun hat. Darnach haben sich die verschiedenen Behand¬ 
lungsweisen zu richten. Leider aber stehen wir in der Therapie 
noch immer auf dem alten empirischen Standpunkte. Vielleicht ge¬ 
lingt es noch auf Basis des Experimentes, einen specifischen Zer¬ 
störer des Gonococcus zu fiuden, bis jetzt siud die Versuche frucht¬ 
los geblieben. Bemerkenswerth ist übrigens, dass Finger Injectionen 
erst dann für indicirt hält, wenn die blenorrhagische Entzündung 
ihre Acme überschritten hat, und die nur auf der Oberfläche des 
Epithels wuchernden Coccen direkten Angriffen zugänglich sind. 

Unter den Complicationen wird der Tripperrheumatismus sehr 
ausführlich abgehandelt. Zwar sind positive Befunde von Gono¬ 
coccen in den Gelenkexsudaten bekannt geworden, ihnen stehen 
aber negative gegenüber. Da der positive Befund aber nur auf dem 
Wege der mikroskopischen Untersuchung, nicht der Züchtung er- 
wieseu wurde, so stimmen wir Finger vollkommen bei, dass man 
der Natur der gefundenen Mikroorganismen als Gonococcen gegen¬ 
über noch einen gewissen Skepticismus wird bewahren müssen. 

Das Buch, welches durch eine Anzahl Holzschnitte und 6 litho¬ 
graphische Tafeln geschmückt ist, wird gewiss Manchem als Führer 
und Vielen als Berather in diesem Gebiete sehr erwünscht sein. 
Es kann auf das Beste empfohlen werden. 


Vm. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 2. Juli 1888. 

Vorsitzender: Herr Fräntzel; Schriftführer: Herr Jastrowitz. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

1. Herr Klemperer: Zur Lehre von der Trichterbrust. 
(Der Vortrag wird in dieser Wochenschrift veröffentlicht werden.) 

2. Herr Friedrich Müller: Ueber Acetphenetidin. Das 
Acetphenetidin oder Phenacetin, wie es von der Fabrik aus tech¬ 
nischen Gründen genannt worden ist, steht in seiner cheraischeu 
Constitution bekanntlich dem Acetanilid (Antifebrin) sehr nahe, und 
dementsprechend ist auch seine Wirksamkeit eine ähnliche. Zahl¬ 
reiche Versuche an fiebernden Kranken, und zwar bei Typhus, Ery- 
sipelas, Phthisis und Puerperalfieber haben ergeben, dass Dosen von 
0,5—0,75 bei Erwachsenen die erhöhte Temperatur zur Norm her¬ 
absetzen; nur selten war ein ganzer Gramm nothwendig. Der Tem¬ 
peraturabfall erfolgte im Laufe von 1—4 Stunden, war meist von 
Schweiss, nicht aber von unangenehmen Sensationen begleitet. 
Während der Apyrexie, die gleichfalls 3 — 5 Stunden, selten länger 
dauerte, fühlten sich die Kranken ziemlich wohl, hatten nicht selten 
grösseren Appetit und schliefen viel. Darnach folgte in ähnlicher 
Weise wie der Teraperaturabfall der Wiederanstieg, und zwar meist 
ohne Frost, niemals mit wirklichem Schüttelfrost. Dieser Vorgang 
kanu dann beliebig oft wiederholt werden, und man kann es dahin 
bringen, dass die Kranken statt einer Febris continua eine Febris 
intermittens darbieten. Doch ist damit den Kranken meist nur 
wenig gedient, sie werden durch den häufigen Wechsel von Tempe¬ 
raturabfall und Anstieg beunruhigt. Es lag deshalb nahe, das Mittel 

I continuirlicb zu geben, um eine dauernde Apyrexie zu erzielen. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Dieses Verfahren war jedoch nicht von Erfolg gekrönt; bei den 
meisten Fällen steigt auch während der continuirlichen Darreichung 
die Temperatur von Zeit zu Zeit wieder schroff und hoch an, und 
ausserdem tritt bald Angewöhnung an das Mittel ein, so dass man 
zu immer höheren Dosen schreiten muss, um überhaupt Apyrexie 
zu erzielen; schliesslich kommt man zu so hohen Tagesdosen, dass 
sie gefährlich werden; so wurde in einem Falle von Lungentuber- 
culose und in einem auderen von Gesichtserysipel, die in contiuuir- 
licher Weise mit Tagesdosen bis zu 6 resp. 8 g behandelt worden 
waren, deutliche Cyauose und Methämoglobinämie beobachtet. 
Diese Erscheinungen, welche übrigens nicht mit Collaps eiuhergingen, 
verschwanden nach dem Aussetzen des Mittels rasch wieder. 

Ein Einfluss des Acetphenetidins auf den Gesammtverlauf 
der erwähnten Kraukheiten konnte weder im günstigen noch im un¬ 
günstigen Sinne beobachtet werden. Das Aeetphenetidin leistet dem¬ 
nach als Antipyreticum nicht mehr, aber auch nicht weniger als 
die übrigen Antipyretica, aber es hat vor anderen den Vortheil vor¬ 
aus, dass seine Nebenwirkungen viel weniger unangenehme sind. 
Das Mittel ist geschmacklos, Erbrechen und Magenbeschwerden 
kommen nur ganz ausnahmsweise selten vor, Ohrensausen und Ex¬ 
antheme konnten niemals beobachtet werden, ebensoweuig Albumi¬ 
nurie und andere Zeichen von Niereureizung. Die Oyanose und 
Methämoglobinämie, welche nur zweimal zur Beobachtung kam, 
dürfte wohl mit Sicherheit zu vermeiden sein durch die Annahme 
einer Maximaldosis von 5,0g pro die. Auch in der bereits 
ziemlich umfangreichen Literatur über Aeetphenetidin finde ich Cya- 
nose nur zweimal, von Le p ine und von Lind mann erwähnt, 
während dieselbe bei Acetauilidgebrauch bekanntlich sehr häufig 
■vorkommt. Diese, auch von Lepine urgirte Thatsache, dass das 
Aeetphenetidin auf das Blut eine viel weniger giftige Wirkung aus¬ 
übt als das Acetanilid, dürfte dem ersteren den entschiedenen Vor¬ 
rang sichern. 

Ebenso wie die. meisten antipyretischen Mittel, hat auch das 
Aeetphenetidin eine specifische Heilwirkung auf den Gelenkrheu¬ 
matismus. Unter 24 Fällen von Rheumarthritis zeigten 15 so¬ 
fortiges Aufhören des Fiebers und Nachlass der Gelenkschwellung 
und -Schmerzhaftigkeit, die nach 2 bis 9 Tagen vollständig ver¬ 
schwand. In vier Fällen war nur eine Besserung, keine Heilung zu 
erzielen, in sechs Fällen wurde der Zustand gar nicht beeinflusst. 
Von diesen sechs Fällen waren zwei gonorrhoischen Ursprungs, zwei 
waren als chronischer Gelenkrheumatismus aufzufasseu, einer war 
im Puerperium entstanden. In mehreren Fällen blieb ein leichtes 
Gefühl von Spannung in den ursprünglich befallenen Gelenken zu¬ 
rück, die dann durch einmalige kleine Dosen von Salicylsäure rasch 
beseitigt wurde. Aeetphenetidin verhindert das Auftreten von Endo- 
und Pericarditis in» Verlauf des Gelenkrheumatismus ebensowenig 
als die Salicylsäure. Recidive scheinen nach Aeetphenetidin weniger 1 
häufig zu sein als nach Antipyrin. — Eine besonders günstige 
Wirkung entfaltet das Aeetphenetidin bei Nervenschmerzen der 
verschiedensten Art. z. B. bei den Kopfschmerzen in Folge von 
gynäkologischen Affectionen oder von Herzkrankheiten, besonders 
aber bei typischer Migräne. Auch Intercostal- und Ischiadicusneur- 
algie wurde bisweilen günstig beeinflusst. Ohne Erfolg blieb das 
Mittel bei Kopfschmerzen in Folge von organischen Hirnkrankheiten^ 
ferner bei Urämie und Schreckneurose. Auch bei den Schmerzen 
der Tabischen wurden keine nennenswerthen Resultate erzielt, eben¬ 
sowenig bei Chorea. Will man das Mittel als Antineuralgicum 
geben, so müssen Dosen von 1 bis 4 g im Tage gereicht werden, 
um einen vollen Erfolg zu erzielen. 

Das Aeetphenetidin wird weder vom Magensaft noch vom Pan¬ 
kreassaft gespalten, muss also unverändert resorbirt werden. Im 
Harn erscheint kein unverändertes Aeetphenetidin, dagegen Phe¬ 
netidin, welches sich als Diazoverbindung durch Versetzen des 
Harns im Reagensglas mit einigen Tropfen HCl und 1 o/o Natrium¬ 
nitritlösung, Hinzufügen von alkalischer a-Naphthollösung nack¬ 
weisen lässt. Es entsteht dabei eine schöne rothe Farbe, die beim 
Ansäuern violett wird. Statt o-Naphthol kann auch Carbolsäure 
genommen werden, nur wird dann die Farbe gelb, beim Ansäuern 
roth. Auch die im Harn bisweilen auftretende Eisenchloridreaction 
ist wohl z. Th. auf das Phenetidin zu beziehen. Ferner findet sich 
im Harn eine Glycuronsäure- und Aetherschwefelsäureverbinduug 
des Paraamido phenols. Es hat also im Organismus nicht nur 
eine Abspaltung der Acetylgruppe, sondern auch der Aethylgruppe 
(zum Theil) stattgefunden. Schliesslich konnte aus dem Harn einer 
mit grossen Dosen Aeetphenetidin behandelten fiebernden Kranken 
ein krystallinischer rother Farbstoff dargestellt werden, der 
mit concentrirten Säuren violett wurde. 

Das Aeetphenetidin zeigt so gut wie gar keine antiseptischen 
Eigenschaften, und es bestätigt sich also auch hier der schon früher 
von mir aufgestellte Satz, dass zwischen der antipyre¬ 
tischen und autibacteritischeu Wirksamkeit der neueren 


No. 32 

Mittel keine Parallele, also auch keine ursächliche Be¬ 
ziehung besteht. 

Herr P. Guttmann. Ich kann mich ganz kurz fassen, da ich über 
die Wirkung des Phenacetin mit Herrn Müller’s Angaben ühereinstimme. 
Ich habe es seit s /4 Jahren im städtischen Krankenhause Moabit angewendet, 
ein Theil dieser Versuche ist bereits im vorigen Jahre mitgetheilt in einer 
Dissertation von Dr. Hoppe Das Phenacetin ist nicht nur ein sehr starkes 
Antipyreticum, sondern übertrifft an Stärke das Antipyrin, weil es schon 
in 0,5 g Dosen dieselbe Wirkung äussert wie dieses in 1—2 g. Das Phe¬ 
nacetin hat keine unangenehme Nebenwirkung, nur ein einziges Mal habe 
ich bei dem Wiederansteigen der Temperatur nach Aufhören der Wirkung 
Frösteln gesehen. Dadurch, dass es viel stärker wirkt als das Antipyrin, 
ist seine Verwendung auch viel billiger, denn man braucht nur den dritten 
Theil der von Antipyrin nöthigen Dosen, und das Kilogramm Antipyrin 
kostet über 100 Mark, das Kilogramm Phenacetin kostet 90 Mark. Die zweite 
Cardinalwirkung, welche heute erwähnt worden ist, dass das Phenacetin ein 
Antineuralgicum ist, ist schon in derselben Dissertation angeführt. In einer 
Anzahl von Fällen von Kopfschmerz hat es diesen in kurzer Zeit vollständig 
beseitigt, öfter schon in Vs Stunde, allerdings in etwas grösseren Dosen. 
Dann ist es von mir in einigen anderen Fällen von neuralgischen Schmerzen, 
bei Tabes, Rheumatismus, subacutem Gelenkrheumatismus angewendet, auch 
da hat es sehr gut gewirkt, so dass ich erkläre, dass das Phenacetin sich 
identisch verhält in den Wirkungen, die man bis jetzt vom Antipyrin und An- 
tifebrin kennt, und dass es diesen Indieationen entsprechend als antipyre¬ 
tisches und antineuralgisches Mittel bei den verschiedensten Krankheiten mit 
Erfolg angeweudet werden kann. 

Herr Katz. In Bezug auf die Identität der Wirkung mit Antipyrin 
und Antifehrin habe ich hei Keuchhusten einige Beobachtungen gemacht. 
Antipyrin hatte keine Wirkung hei einigen Fällen, einige Fälle habe ich mit 
Phenacetin behandelt, im ganzen drei. Dass die ausgezeichnete Wirkung 
keine zufällige war, sondern dass es eine besondere Wirkung auf den Keuch¬ 
husten hat, geht daraus hervor, dass die Fälle seit 14 Tagen bestanden, und 
nach dem Mittel vollständig die Erscheinungen schwanden. Bei einem Kind 
von 1 '/a Jahren gab ich */* g, von 4 Jahren I '/a g. Ich bitte weitere Ver¬ 
suche zur Bestätigung zu machen. 

3. Herr Leyden. Ueber Pyopneumothorax tuberoulosus. 
(Der Vortrag ist an anderer Stelle dieser Nummer abgedruckt). 


IX. Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 2. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Schirmer; Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Mosler stellte ein zweijähriges Mädchen vor mit 
hochgradigem angeborenem Hydrocephalus. Alle Zeichen des¬ 
selben wurden in exquisitester Weise dadurch präsentirt, und ist 
dies Bild zum Zwecke klinischer Demonstration in Photographieen 
deutlich wiedergegebeu. Im Anschluss an seinen in der letzten 
Sitzung gehaltenen Vortrag wird von Herrn Mosler erwähnt, dass 
er auch in diesem Falle die Aspiration der hydrocephalischeu 
Flüssigkeit versucht habe, doch mit demselben negativen Resultate, 
wie in dem früheren Falle; überdies war schon nach dem ersten 
Versuche intensives Fieber eingetreten, das während zehn Tagen an¬ 
gehalten hat; darnach wurde ganz derselbe Zustand wie vordem 
beobachtet. 

Herr Schirmer findet auch in diesem Falle das Orbitaldach 
beiderseits herabgedrückt, indem der obere Orbitalrand nicht wie 
eine spitzwinklige, sondern stumpfwinklige Leiste vorspringt. Da¬ 
durch haben die beiden Augäpfel einen Tiefstand, welcher bei 
weiterem Wachsen des Hydrocephalus in Protrusio bulbi übergeht. 

2. Herr Schroemann: In dem mitzutheileuden Falle handelt 
es sich um einen Fall von Chorea, welche durch Nachahmung 
choreatischer Bewegungen von einer anderen Patientin ac- 
quirirt wurde. Am 30. April d. J. wurde in die medicinischc 
Klinik ein an hochgradiger Chlorose leidendes junges Mädcheu 
aufgenommen. Dasselbe ist 18 Jahre alt und, soweit zu ermitteln, 
hereditär nicht belastet. Bis März 1887 will Patientin stets gesund 

j gewesen sein; seit dieser Zeit stellten sich bei ihr die Symptom*- 
einer beginnenden Bleichsucht ein: Müdigkeit, allgemeines Un¬ 
wohlsein. Herzklopfen, Erbrechen, Kopfschmerzen; auch blieb die 
■ Periode, die zuerst in ihrem 15. Lebensjahre aufgetreten und* bis 
dahin stets regelmässig gewesen war, aus und bat sich bis jetzt 
noch nicht wieder eingefunden. Im Laufe des Sommers besserte 
! sich ihr Zustand, verschlimmerte sich jedoch im W'inter uud be- 
' ginnenden Frühling d. J. wieder; als Ende April sich zu den übrigen 
Beschwerden auch noch Erbrechen blutiger Massen gesellte, wurde 
' sie in die medicinische Klinik überführt. 

Der damalige Zustand ist in Kürze folgender: Patientin ist ein 
für ihre Jahre kleines, fein gebautes Individuum von äusserst blasser 
Gesichtsfarbe, schlaffer Muskulatur und geringem Fettpolster; die 
sichtbaren Schleimhäute sind sehr anämisch. Ihre Hauptklagen be- 
i stehen in den oben erwähnten Symptomen. Das Herz ist nicht 
; vergrössert, an der Spitze ist der erste Ton von einem accidentellen 
; Geräusche begleitet, auch lässt sich über der rechten Vena jugularis 
ein deutliches Sausen vernehmen. Der Appetit ist gering, der Stuhl¬ 
gang augehalten, nach dem Essen empfindet sie ein Gefühl von 


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9. August. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 663 


Druck und Schwere im Magen. Anzeichen von Hysterie bestehen 
nicht. Die übrigen Systeme sind intact. Therapie: roborirende 
Diät uud 2 mal täglich 1 Theelöffel Tinetura ferri Athenstädt. 

Im Verlaufe ihres Aufenthaltes in der Anstalt besserte sich ihr 
Zustand merklich, die Allgemeinbeschwerden gingen zurück, und 
die Erscheinungen am Herzen wurden nur noch in sehr geringem 
Grade wahrgenommen. 

Am 12. Mai gegen Mittag wurde eine an Chorea leidende 
Kranke in das Krankenhaus aufgenommen, jedoch in ein anderes 
Zimmer gelegt, und den übrigen Patientinnen untersagt, diese Stube 
zu betreten. Diese Anordnung wurde jedoch von unserer Patientin 
nicht befolgt, sie sah sich die choreatischen Bewegungen au und 
machte zum Vergnügen dieselben nach; als sie jedoch damit auf- 
höreu wollte, gehorchten ihre Muskeln nicht mehr. Sie wurde von 
der Stationsschwester gegen 3 Uhr in’s Bett geschickt, und als ich 
um 5 Uhr zur Visite kam, zeigte sich mir das Bild einer hochgra¬ 
digen Chorea. Es wurde sofort 1 g Chloralhydrat gegeben und 
gegen 6 1 /-.' Uhr noch 1 g. Darauf trat etwas Beruhigung ein und 
nachher Schlaf. Am anderen Morgen waren die Erscheinungen be¬ 
deutend geringer, jedoch waren die Pro- uud Supinationsbewegungen 
der Extremitäten und ein fortwährendes Spiel der Gesichtsmuskeln 
geblieben; auch an diesem Tage wurden 2 g Chloralhydrat verab¬ 
folgt. Am 14., wo die Erscheinungen nicht stärker geworden waren, 
wurde Pat. von Herrn Geh. Rath Mosler im Auditorium vorge¬ 
stellt; als sie sich von eiuer grossen Anzahl von Zuhörern beobachtet 
sah, traten die choreatischen Bewegungen wieder mit erneuter 
Heftigkeit auf, so dass die Kranke schleunigst entfernt und in’s Bett 
geschickt werden musste. An diesem und am nächsten Tage wurden 
je 3 g Chloralhydrat gegeben; am 16., 17. und 18. je 4 g. Als jedoch 
nur ein geringes Besserwerden zu constatiren war, wurden vom 19. 
an pro die 6 g verordnet. Die Erscheinungen nahmen von da an 
allmählich an Intensität ab, so dass in den letzten Tagen weuiger 
Chloralhydrat wieder gegeben werden konnte. Heute sind nur noch 
geringe Symptome von Chorea zu bemerken. 

Herr Grawitz fragt an, ob Erfahrungen vorliegen, welche die An¬ 
gaben der Heilbarkeit der Chorea durch Hypnotismus bestätigen. 

Herr Arndt: Durch den Hypnotismus und die in ihm leicht zu be¬ 
werkstelligende Suggestion choreatische Zustände beseitigen zu wollen, 
hiesse den Teufel durch Beelzebub austreiben wollen. Von französischer 
Seite, namentlich den Schulen von Nancy und Lille, hat man zwar den 
Hypnotismus und die bezügliche Suggestion als Heilmittel gegen alle mög¬ 
lichen krankhaften, nervösen Erscheinungen eindringlichst empfohlen — man 
erzählte Wunderdinge von ihnen —, allein vor einer kritischen Beleuchtung 
hielten die einschlägigen Empfehlungen nicht Stand; ja, die besonders bei 
uns in Deutschland vorgenommenen Untersuchungen und daraufhin ge¬ 
machten Erfahrungen widerstritten ihnen sogar. 

Der Hypnotismus und seine öftere Wiederholung ist ein sehr gefähr¬ 
liches Ding. Als Erscheinung einer mehr oder minder grossen Nervosität ist 
er nur geeignet, diese, wenigstens in ihrer Allgemeinheit, nur noch zu er¬ 
höhen. Für den Augenblick können allerdings gewisse, besonders störende 
und unangenehme Vorgänge durch ihn zurückgedrängt und anscheinend 
ganz aus der Welt geschafft werden; nachher kehren sie aber wieder oder 
werden durch andere ersetzt, uüd zwar in um so stärkerem Maasse, 
als erfahrungsmässig die Nervosität anwächst, je öfter der Hypnotismus 
hervorgerufen worden oder überhaupt dagewesen ist. Für den speciellen Fall, 
die Chorea, wäre es sonach vielleicht recht wohl möglich, ihre charakteri¬ 
stischen Erscheinungen vorübergehend oder am Ende auch einmal dauernd 
durch den Hypnotismus zu vertreiben; allein die Nervosität, aus welcher 
diese Erscheinungen entspringen, würde nur gesteigert werden. Dazu 
möchten leicht für sie auch anderartige Erscheinungen Platz greifen, 
stärkere hysterische, hysteroepileptische, psychotische, und so das l’ebel nur 
sich steigern. Der Teufel wäre daun in der That durch Beelzebub ausge¬ 
trieben worden, und dieser hätte sich einfach an seine Stelle gesetzt. 

Herr Peiper: Wie uns Herr Schoemaun mitgetheilt hat, bestehen, 
abgesehen von accidentellen Geräuschen am Herzen, bei der Patientin keine 
besonderen Anomalieen des Circulatioussystemes. Unter denjenigen ätiolo¬ 
gischen Momenten, welche in ursächlichen Zusammenhang mit der Chorea 
gebracht werden, sind die rheumatischen Erkrankungen uud die Entzün¬ 
dungen des Eudocardiums zu nennen. Bekanntlich ist auf die häufigen Be¬ 
ziehungen der Chorea zum Rheumatismus und der Endocarditis zuerst von 
englischen und französischen Aerzteu, wie Babington, Copland, Bright, 
See, Roger, hingewiesen worden. Von den deutschen Aerzten erkennt 
besonders Henoch den Gelenkrheumatismus in seinen verschiedenen Formen 
als eine der häufigsten Ursachen der Chorea an. Auch von anderen 
Autoren wie Strümpell, Eichhorst, Lebert wird auf die Häufigkeit 
des Alternirens der Chorea mit rheumatischen und Herzaffectionen im kind¬ 
lichen Alter hingewiesen, wenn schon die Ansichten der französischen uud 
englischen Aerzte von den genannten Autoren als zu weit gehend ange¬ 
sehen werden. Von anderen deutschen Aerzten werden die Beziehungen 
der Chorea zu den genannten Affectionen überhaupt in Abrede gestellt. 
So konnte Steiner unter 252 Choreaerkrankungen nur 4 Fälle constatiren, 
in welchen sich eventuell ein Zusammenhang der Chorea mit rheumatischen 
Affectionen annehmen liess. Von 92 Chorcaerkrankungcn sah Prior nur 
5 Fälle, in welcheu die Chorea mit Rheumatismus oder Endocarditis in Be¬ 
ziehung stand, so dass er demnach die Beziehungen der Chorea zum acuten 
Gelenkrheumatismus und der Endocarditis als allgemein gültig nicht an- 
sehen kann. 


Nach den Beobachtungen an dem Krankenmaterial der medicinischen 
Klinik und Poliklinik des Herrn Geheimrath Mosler ist die Coincidenz der 
Chorea mit rheumatischen Affectioneu uud den Entzündungen des Eudocar¬ 
diums hier in Greifswald eine auffällig häufige. Eine ausführliche Mitthei¬ 
lung hierüber werde ich mit der gütigen Erlaubnis des Herrn Geheimrath 
Mosler in nächster Zeit publiciren. 1 ) Heut sei Folgendes erwähnt: 

Aus deu letzten Jahren liegen im Gauzen 30 genau beobachtete 
Fälle von Choreaerkrankungen vor. In vier dieser Fälle bestand 
eine sehr enge Beziehung der Chorea zum Gelenkrheumatismus, 
indem bei drei Kindern sich die Chorea direkt an die rheuma¬ 
tischen Erkrankungen anschloss, in einem Falle zuerst die Chorea auftrat, 
im weiteren Verlaufe ein intensiver Gelenkrheumatismus mit Endo- und 
Pericarditis sich hinzugesellte. Bei drei Patienten war Rheumatismus 
einige Zeit der Erkrankung vorausgegaugen. Zwei Patienten litteu an 
Herzfehlern und führten als Ursache für denselben Gelenkrheumatismus an. 
In fünf Fällen ferner wurden bei Kindern, welche an Chorea litten, aus¬ 
gesprochene Herzfehler constatirt, ohne dass erhebliche subjective Sym¬ 
ptome zunächst Destanden. Die Diagnose: Iusufficienz und Stenose der 
Valvula mitralis wurde in diesen 2 Fällen später durch die Autopsie be¬ 
stätigt. Nicht in Betracht gezogen sind alle diejenigen Fälle, in welchen 
durch die physikalische Untersuchung nicht mit Sicherheit eine organische 
Erkrankung des Herzens dargethan wurde. 

Von 30 Choreaerkrankungen bleiben also nur 16, in denen die Auam- 
nese keinen Aufschluss über vorausgegangene rheumatische Erkrankungen 
gab, andererseits die objective Untersuchung organische Her/.erkrankungen 
ausschloss. Man wird kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dass unter 
diesen 16 Fällen noch dieser oder jener mit Rheumatismus oder Endo- 
carditis complicirt gewesen ist. Denn die erkrankten Individuen waren 
Kinder, welche, zum Theil noch psychisch afficirt, über ihre vorausgegau- 
genen Erkrankungen gar keine oder nur unvollkommene Angaben zu 
machen im Stande waren. In deu meisten Fällen fehlt jede weitere 
Nachricht über das Befinden der kleinen Patienten nach ihrer Entlassung. 
Auch dieser Umstand verdient Berücksichtigung, da das alteruirende Ver¬ 
hältnis der Chorea sich auch in der Weise kund thut, dass nach dem 
Zurücktreten der Chorea rheumatische Affectionen auftreten. Schliesslich 
muss noch hervorgehoben werdeu, dass intra vitam trotz genauer klinischer 
Beobachtungen hei geringgradigen Affectionen des Endocards keinerlei 
Symptome des bestehenden Herzleidens hervorzutreten brauchen. Erst 
kürzlich ist von Osler mitgetheilt worden, dass unter 115 tödtlich ver¬ 
laufenden Fällen von Chorea nur in 10 Fallen Veränderungen an den 
Herzklappen bei der Autopsie vermisst wurden. Eine Anzahl dieser Fälle 
hatte intra vitam keinerlei Herzgeräusche erkennen lassen. 

Herr Arndt: Die Pathogenese der Chorea ist nach wie vor ein 
strittiger Punkt.. Vor etwa zwei Jahrzehnten wollte man als Ursache der¬ 
selben Zellen- beziehungsweise Kern Wucherungen in gewissen Gebieten des 
Hirnstammes gefunden haben. Davon kann im vorliegenden Falle wohl 
kaum die Rede sein. Er entwickelte sich sehr plötzlich, und das schliesst 
jede gröbere materielle Veränderung im Nervensysteme als Ursache für ihn 
aus. Dann wollte man die Chorea von Herzaffectionen abhängig machen, 
und namentlich sollten solche, wie sie im Verlaufe des acuten Gelenk¬ 
rheumatismus auftreten, wie das eben auch Herr Peiper angeführt hat, zu 
ihr Veranlassung werden. 

Die Fälle von Chorea, welche ich gesehen habe, wie auch der heute 
vorgestellte, waren ohne voraufgegangene Entwickelung eines Herzleidens 
zu Stande gekommen Chorea als solche und Herzerkrankungen 
bedingen sich somit durchaus nicht. Auf der anderen Seite siud 
so häufig und von so vielen guten Beobachtern Chorea und Herzleiden zu¬ 
sammengefunden, namentlich das Auftreten der ersteren nach dem Auftreten 
der letzteren festgestellt worden, dass doch ein gewisser Zusammenhang 
.-wischen beiden vorhanden zu sein scheint. Und liegt es da nicht nahe, 
nzunehmen, dass beide wohl bloss sich begleitende Erscheinungen sind, 
ndem die Individuen, welche zu gewissen Herzerkrankungen disponiren, 
uoch eine Disposition zur Chorea in sich tragen? 

Zu Herzaffectionen neigen besonders chlorämische Personen, solche 
mit schwach entwickeltem Blutkörper, kleinem, widerstandslosem Herzen. 
Chlorämische Personen, die immer auch nervöse Personen sind, neigen 
allein auch zur Chorea. Die vorgestellte Kranke ist ebenfalls eine ausge¬ 
sucht chlorämische, in ihres Entwickelung zurückgebliebene, kleine, zarte, 
schwächliche Persönlichkeit. Dieselben Ursachen, welche bei diesen Indivi¬ 
duen die Herzerkrankungen hervorrufen, rufen auch die choreatischen Er¬ 
scheinungen, die Chorea, hervor, ohne dass diese letzteren aber gerade von 
jenen abhängig wären, und so kommt es denn, dass so und so oft Chorea 
ohne gleichzeitige Herzerkrankung beobachtet wird, weil beide nicht 
nothwendig zusammen gehören. 

Dabei fragt es sich, welcher Art die betreffenden Herzerkrankungen 
sind. In der Regel wird angenommen, dass es sich bei ihnen um ent¬ 
zündliche Vorgänge handelt, namentlich Endocarditis und Myocarditis, und 
die vorhandenen, leicht hörbaren Geräusche werdeu als Grund dafür ange¬ 
geben. Nun fragt es sich aber, ob eine solche Annahme durchweg, oder 
auch nur so oft, als sie gemacht wird, gerechtfertigt ist? Wie oft finden 
wir nicht auf dem Sectionstisch das Herz gesund, wenigstens von allen 
gröberen F'ehlern frei, wo wir im Leben das Vorhandensein eines solchen 
glaubten voraussetzen zu müssen? Auch das Umgekehrte findet statt. Ich 
habe starke, schnurrende Herzgeräusche bei nervösen Personen auftreten 
sehen, wenn sie fieberten oder auch bloss einige jähe Bewegungen machten: 
ihre Herzgeräusche verschwanden, sobald sie wieder fieberfrei geworden 
oder zur Ruhe gekommen waren Gegen das Finde des FVIdzuges von 
1870/71 habe ich die Leiche eines am Typhus verstorbenen Soldaten 
secirt, dessen Herz während des Lebens nichts Charakteristisches, am 


*) Die Mittheilung ist inzwischen in No. 30, p. 609, dieser Wochen¬ 
schrift erfolgt. 


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DEUTSOHR MEDICINI80HE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32 


664 


allerwenigsten etwas vou iu ihm entstandenen Geräuschen hatte wohrnehmeu 
lassen und auf dem Sectionstische die Residuen einer bedeutenden Endo- 
carditis, Insufficienz der Mitralis u. dgl. m., aufwies. Und wie ist es mit 
den blossen sogenannten Blutgeräuschen? 

Ich für meinen Theil halte die Herztöne vorzugsweise für Flüssig 
keitstöne. So lange das Herz regelmässig arbeitet und seinen 
Inhalt, das Blut, in regelmässige Schwingungen versetzt, be¬ 
kommen wir als Ausdruck desselben reine Töne zu hören. 
Wenn das Herz aus diesem oder jenem Grunde, Schrumpfungen 
oder auch bloss nervösen Einflüssen, unregelmässig, ungleich- 
massig sich zusammenzieht und wieder ausdehnt, so entstehen 
nothwendiger Weise auch unregelmässige Schwingungen des 
n ihm vorhandenen Blutes, und diese hören wir als Ge¬ 
räusche. 

Warum HerzafTectionen und Chorea so oft zusammen Vorkommen, aber 
nicht immer zusammen vorzukommen brauchen, ergiebt sich auch hieraus wie 
von selbst. (Schluss folgt.) 

X. 36. Conferenz der Medicinalbeamten des 
Regierungsbezirkes Düsseldorf. 

Ara 28. April d. J. faud in dem Locale der Gesellschaft „Verein“ die 
"6. Conferenz der Medicinalbeamten des Reg.-Bez. Düsseldorf statt; zur 
Theilnahme hatten sich 24 Mitglieder und 3 Gäste eingefunden Vor 
Eintritt in die Verhandlungen erhob sich die Versammlung zur Erinnerung 
an die seit der letzten Sitzung verstorbenen Mitglieder Blien (Süchteln) und 
Himmelreich (Lennep). Der Vorsitzende verlas sodann ein Einladungs¬ 
schreiben des Einführenden der Section für gerichtliche Medicin, Herrn Ge- 
heiinrath Dr. Schwartz (Cöln), zur Theilnahme an deren Sitzungen bei Ge¬ 
legenheit der im September d. J. in Cöln statt findenden Versammlung der 
Naturforscher und Aerzte und machte Mittheilung voll dem Stande der 
Hufeland’schen Stiftungen, zu deren Betheiligung er aufforderte. 

Demnächst recapitulirte der Vorsitzende die seit der letzten Sitzung 
erschienenen Ministerial- und Circularverfügungen der Königlichen Regierung, 
und zwar: 1. (’-V. vom 23. November 1887, über die Aufnahme in die De¬ 
partement-Irrenanstalt zu Düsseldorf; 2. M.-V. vom 4. November 1887, be¬ 
treffend Anlage von .Spülabtritten; 3. C.-V. vom 23. Januar 1888, betreffend 
gewerbliche Anlagen; 4. C.-V. über Wahl zu den Aerztekammern; 5. M.-V. 
vom 21. Januar 1888 über Resultat der Apothekenrevisionen: 6. M.-V. vom 
30. Januar 1888 über Fockenstatistik; 7. M.-V. vom 15. Februar 1888, be¬ 
treffend Privatheilanstalten; 8. M.-V. vom 15. Januar 1888, betreffend Auf¬ 
nahme von Geisteskranken in Frivatanstalteu und deren Beaufsichtigung; 

9. M.-V. vom 2. April 1888, betreffend Leichentransport auf Eisenbahnen; 

10. M.-V. vom 25. Februar 1888, betreffend Revisionen der Schulen, und 
wurde dabei festgestellt, dass diese Revisionen bereits längst in den hiesigen 
Regierungsbezirken geregelt seien und sehr günstige Resultate erzielt hätten. 

Demnächst stclltoHerr Bauer (Mörs) seine Thesen über „Uuterleibsbrüche 
iu gerichtlicher Beziehuug“ zur Discussion; da bereits in zwei früheren 
Sitzungen das Thema behandelt worden war, einigte man sich über die 
Fassung der Thesen dahin: 

Unter einem Unterleibsbruche verstehen wir den pathologischen Zu¬ 
stand, iu welchem ein Eingeweide aus der Bauchhöhle durch eine abnorme 
Oeffnung aus den Bauchwänden herausgetrieben ist und das vorher schon 
ausgestülpt, gewesene Peritoneum weiter vor sich her drängt. Die abnorme 
Oeffnung war entweder im Embryonalleben normalerweise vorhanden und 
kam nach der Geburt nicht zum Verschlüsse, oder sie hat sich in Folge 
krankhafter Vorgänge im späteren Leben entwickelt. Die Bestandteile 
eines Bruches siud 1. der Bruchinhalt (Darm, Netz, Bruchwasser), 2. das 
ausgestülpte Bauchfell (Bruchsack), 3. die Bruchpforte, d. h. diejenige Oeff- 
nung, durch welche das Eingeweide hervortritt, 4. die accessorischen Hullen 
der Bedeckungen des Bruches, d. h. diejenigen Schichten, welche von der 
Bruchpforte mit vorgeuräugt und mitgezogen werden. 

These I: Ein. Bruchcanal oder Bruchsack wird niemals durch äussere 
Gewalt gebildet, sondern nur durch organische Vorgänge und Veränderungen 
in der Nähe der Bruohpforte. a) Zu den ersteren gehören: 1. das Nicht¬ 
zuwachsen oder das nur theil weise Zuwachsen des Proc. vaginalis peritonei; 
b) zu den letzteren, den organischen Veränderungen, gehört: 2. einseitiges 
Wachsen subseröser Fettklumpeu mit Nachzerren des Bauchfelles, 3. Uoden- 
geschwülste, 4. Schwund des Fettes bei alten Leuten, Auseinandertreten 
der Sehnenfasern in der Nähe des Leistencanals und nach wiederholten Ent¬ 
bindungen am Schenkelcanal, 5. narbige Schrumpfung entzündeter Drüsen. 

These II: Mechanische äussere Gewalt kann nur das Eindringen eines 
Baucheingeweides iu den schon vorhandenen Bruchcanal resp. Bruchsack 
bewirken, braucht gar keine bedeutende zu sein, ist dies auch erfahrungs- 
gemäss in der Mehrzahl der Fälle nicht, und wirkt nur als Gelegenheits¬ 
ursache bei dem Entstehen eines Bruches. Die unerlässliche Bedingung, 
die ursprüngliche, dauernde und gegenwärtige Ursache eines Bruches ist 
und bleibt somit der vorhandene Bruchsack bez.w. Bruchcanal, die Bruch¬ 
anlage, mag dieselbe angeboren oder durch organische Veränderungen er¬ 
worben sein. 

These III: Jeder mit einer Bruchanlage Behaftete hat einen körper¬ 
lichen Mangel bedenklicher Art, der nothwendigerweise eine vermindert« 
Widerstandskraft und darum auch eine verminderte Arbeitskraft, sowie die 
stets gegenwärtige Gefahr eines Bruches bezw. einer Brucheinklemmung und 
ihrer Folgen bedingt. 

These IV: Dieser körperliche Mangel mit seinen Gefahren und Folgen 
darf jedoch nicht als unverbesserlich oder unheilbar angesehen werden, da 
durch ein Bruchband in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Wider¬ 
standskraft und Leistungsfähigkeit den mit Bruchanlagen oder Brüchen Be¬ 
hafteten wiedergegebeu werden kann, und durch die Radicaloperatiou die 
Möglichkeit einer radicalen Heilung von Bruchleiden gegeben worden ist. 


These V: Die Frage, in wie weit verminderte Arbeitsfähigkeit in Folge 
eines Bruchleideus eingetreten ist, wird je nach Beschaffenheit des Einzel¬ 
falles zu entscheiden sein. 

These VI: Tritt in Folge eines eingeklemmten Bruches der Tod ein, 
so werden für den Gerichtsarzt die ursprüngliche Bruchanlage die Bedeu¬ 
tung der unerlässlichen Vorbedingung, die äussere Gewalt den Werth der 
Gelegenheitsursache haben. *) 

Nunmehr referirte Herr Gerönne (Cleve) über Beleuchtung der Schul¬ 
zimmer. Referent hat auf Grund der Revisionsprotokolle von 130 Volks¬ 
schulen im Kreise Cleve festgestellt, dass 66 meistens neue Scbullocalitäten 
schlecht und mangelhaft erleuchtet sind. Referent bespricht die Anforde¬ 
rungen, welche man an gut erleuchtete Schullocale zu stellen hat und 
kommt zur Besprechung des Zahlenverhältnisses zwischen Glasfläche und 
Bodenfläche bezw. zwischen lichtem Fensterraume und Bodenfläche geinäss 
Amtsblattverordnung der Düsseldorfer Regierung vom 14. April 1874 und 
zeigt, dass diese Verhältuisazahlen für die Helligkeit nichts beweisen. Von 
130 Schullocalen haben 53 ein Verhältnis zwischen Glasfläche und Boden¬ 
fläche von 1 : 5‘/*, die anderen Schulen bleiben hinter dieser Zahl zurück. 
Nichtsdestoweniger sind unter den letzteren, die doch eigentlich gutes Licht 
haben sollten, viele, die schlecht erleuchtet sind, sogar eine mit dem gün¬ 
stigen Verhältnisse von 1 : 3*/2, weil sie nach Norden liegt und gegenüber¬ 
liegende Schulräume und hohe Mauern hat. In einem anderen Locale hat 
die lichte Fensteröffnung 3,22 qm, die gesammte Glasfläche 1,44 qm, so 
dass auf den Holzrahmen 24 kleine Scheiben von 0,064 qm kommen. Von 
397 durch den Augenarzt Dr. Trompeter untersuchten Schulkindern ver¬ 
mochten 85 die Snellen’sehen Proben auf die Normaldistauz nicht zu 
lesen, und betrug das Verhältnis der Myopen ca. 7%; in dem Locale mit 
Lichtverhältniss vou 1 : 3 \a konnten von 90 Kindern 36 die Probeschrift 
absolut nicht entziffern, unter diesen 6 mit Flecken auf der Hornhaut und 
30 Myopen. Referent fordert daher, dass der Schularzt halbjährlich die 
Plätze in den Schulen bestimmen soll, uud frühzeitig Verbesserungen in der 
Beleuchtung erfolgen müssen, da nicht die Zahlenverhältnisse allein, sondern 
alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt werden müssen. 

_ A Ibers (Eissen). 

XI. Journal-Revue. 

Psychiatrie uud Neurologie. 

1 . 

M. Beruhardt. Zur Pathologie der Thoiu sen’schen 
Kraukheit. Erleumeyer’s Centralbl. f. Nervenheilkuude etc. 
No. 22, 1887. 

Die neuerdings gelegentlich vorgenommene Untersuchung des¬ 
jenigen Falles von Thomsen’scher Krankheit, der Bernhardt 
als Grundlage für seine erste Arbeit über diesen Gegenstand ge¬ 
dient hat (Virchow’s Archiv 1879, Bd. 75), giebt Verfasser Ver¬ 
anlassung, den Status zu ergänzen und einige Bemerkungen daran 
zu knüpfen. Im Wesentlichen siud die Symptome, die der jetzt 
30jährige Kranke darbietet, noch immer dieselben. Der Zustand 
besteht seit frühester Jugend. Schon in der Schule zitterte die 
Hand heim Schreiben, was für den Beginn des Schreibeactes zum 
Theil noch jetzt der Fall ist. Steifigkeit der Finger oder der Hand 
tritt aber auch bei fortgesetztem Schreiben nicht ein. Die Steifig- 

*) Die ursprünglich von Herrn Kreisphysikus Dr. Bauer aufgestellten 
Thesen weichen von These III an von den von der Majorität angenommenen 
ab. Wir theilen dieselben auf Wunsch des Herrn Bauer hier im Wort¬ 
laute mit: 

These III: Aus dem Erleiden einer mechanischen Gewalt, mag die¬ 
selbe plötzlich oder langsam wirken, kann der mit einer Bruchanlage Be¬ 
haftete keinen Anspruch auf Entschädigung herleiten, es müsste denn der, 
welcher bei einem geringfügigen mechanischen Vorgang (Husten, Laufen, 
Treppensteigen, zu Stuhl gehen) einen Bruch erhielt, für ebenso berechtigt 
auf eine Entschädigung erklärt werden, als der, welcher einer grossen Ge¬ 
walt ausgesetzt war. 

These IV: Jeder mit einer Bruchanlage Behaftete hat einen körper¬ 
lichen Mangel bedenklicher Art, der nothwendigerweise eine verminderte 
Widerstandskraft und darum auch eine verminderte Arbeitskraft, sowie die 
stets gegenwärtige Gefahr eines Bruches bezw. einer Brucheinklemmung 
und ihrer Folgen bedingt. 

These V: Dieser körperliche Mangel mit seinen Gefahren und E'olgen 
darf jedoch nicht als unverbesserlich oder als unheilbar angesehen werden. 
Durch das Bruchband ist in einer überwiegenden Mehrzahl der Fälle die 
Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit den Betreffenden nicht nur wieder¬ 
gegebeu, sondern, wie die Erfahrung bezeugt, wesentlich erhöht uud ver¬ 
mehrt worden. Durch die Czerny’sche Radicaloperation ist die Möglichkeit 
einer radicalen Heilung von Bruchleiden gesichert worden. 

These VI: Die Frage, ob in Folge eines ßruchleidens verminderte 
Arbeitsfähigkeit und in welchem Grade eingetreten ist, wird je nach Be¬ 
schaffenheit des Einzelfalles zu entscheiden sein. Es wird sich darum 
handeln, ob 1) der Bruch durch ein Bruchband zurückgehalten werdeu 
kann, 2) wenn nicht, ob derselbe trotzdem ertragen wird, 3) ob die 
Radicaloperation anwendbar ist. Ein wesentlicher Umstand für die Beur¬ 
teilung wird jedoch immer das Verhalten bleiben, welches der mit dem 
Bruche Behaftete zu den Vorschlägen des Arztes einnimmt. 

These VII: Tritt in Folge eines eingeklemmten Bruches der Tod ein. 
so werden für den Gerichtsarzt die ursprüngliche Brucbanlage die Bedeu¬ 
tung der conditio sine qua non, die äussere Gewalt den Werth der Ge¬ 
legenheitsursache haben, die Stellungnahme des Kranken zu den Vor¬ 
schlägen des behandelnden Arztes, die Art der Behandlung selbst aber 
ausserdem wichtige Umstände für die Begutachtung bleiben. 


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9. Aogust. 


DEUTSCHE M^DICINISCHK WOCHENSCHRIFT. 


665 


keit und Schwerfälligkeit der Glieder wird, wie Patient jetzt an- 
giebt, gesteigert, sobald er sich durch Beobachter genirt fühlt. Das 
Aufstehen vom Boden ist mühsam wegen der sofort eintretenden 
Steifigkeit der Glieder. Unbehindert erscheinen dagegen die mimi¬ 
schen Bewegungen. Die in Thätigkeit versetzte Zungenmuskulatur 
wird nicht sofort, sondern erst nach einigen Bewegungen steif und 
hart, so dass nun für einige Secunden eine Sprachbehinderung ent¬ 
steht. Andererseits geräth wieder die niedergedrückte Zunge sofort 
in den genannteu Zustand. Schlucken und Phonation ist völlig 
frei. Auch die Augenbeweguugen sind unbehindert, während das 
Kauen durch unwillkürlich eintretende Contractionen der betreffen¬ 
den Muskeln im Anfang gestört wird. Das Kniephänomen ist 
beiderseits, wenn auch etwas schwer, hervorzurufeu. Die athleti¬ 
schen Muskelformen siud dieselben wie früher, nirgends ist Atro¬ 
phie zu erkennen. Zuckungen der Muskeln konnten durch mecha¬ 
nische Reize vom Nerven aus (Erb) nicht ausgelöst werden. Was 
die elektrische Erregbarkeit betrifft, so konnte Bernhardt nach 
Erb beobachten, dass einzelne Oeffnungsschläge mit dem faradischen 
Strome selbst bei bedeutender Stärke sowohl bei indirekter wie 
direkter Reizung nur kurze, prompte Zuckungen auslösten, währeud 
tetanisirende Inductionsströme, den früheren Beobachtungen Bern- 
hardt’s gemäss, sowohl vom Nerven aus, wie bei direkter Appli¬ 
cation, Contractionen mit langer Nachdauer auslösten. Ausgenommen 
sind hier die Gesichtsmuskeln, die auch bei mechanischer Reizung 
keine tonischen Concentrationen zeigten. Bei längerer Faradisation 
erschien auch wieder das von Be rnhardt zuerst angegebene Wogen 
und Unduliren der Muskeln. Stärkere galvanische Ströme erzeugten 
zuerst eine blitzartige Schliessungszuckung, die von einer trägen 
uud später auch nach der Oeffnung des Stromes längere Zeit 
tonisch zurückbleibenden und nur allmählich verschwindenden Cou- 
tractiou gefolgt wurde. — Die wellenförmige, rhythmische Contrac- 
tiou von der Kathode nach der Anode hin (Erb) hat Bernhardt 
bei seinem Patienten nicht erzeugen können. Nach Angabe der 
Autoren ist diese Erscheinung aber nicht selten schwer oder gar 
nicht hervorzubringen. Dieselbe Welle ist nach Kühne und An¬ 
deren auch bei gesunden Thiermuskeln zu sehen, aber iu umge¬ 
kehrter Richtung, von der Auode zur Kathode verlaufend. Dass 
die genannte Erscheinung bei den erkrankten Muskeln der mit 
Thorasen’scher Krankheit behafteten Individuen anders verläuft, 
erklärt Bernhardt folgendermaasseu: die galvanische Erregbarkeit 
der Muskeln ist gesteigert, die Pole wirkeu meist iu gleicher 
Stärke, nicht selten überwiegt sogar die Anode. Da nun das Phä¬ 
nomen bei gesunden Muskeln nach Hering und Herrraann auf 
der Bildung zahlreicher secundärer (virtueller) Kathoden beruht, 
durch welche nacheinander seeundäre (virtuelle) Kathodenstellen 
(Localreize) geschaffen werden, so könnte man bei den kraukeu, so 
leicht erregbaren uud dem Anodenschlusss mindestens ebenso, von 
dem Kathodenschluss und oftmals noch prompter und leichter ge¬ 
horchenden Muskeln daran denken, dass an den seeuudären (vir¬ 
tuellen) Anodenstellen, welche bei Stromesschluss von der Kathode 
ausgehend sich nach der Anode hin bewegen müssten, die localen 
Wulste uud Concentrationen eher entstehen, und so das eigen- 
thümliche Wogen in der der normalen entgegengesetzten Richtung 
bedingen. 

A. Salm (Strassburg i./E.). Ueber Autifebrin als Anti- 
epilepticum. Neurol. Centralbl. No. 11, 1887. 

Dujardin-Beaumetz hat in einem Falle von Epilepsie, die 
seit dem 2. Lebensjahre bestand, mittelst Autifebrin die Anfälle 
unterdrückt. Auf der Strassburger Klinik sind nun an 11 Epilepti¬ 
kern Versuche mit dem Mittel gemacht worden. Ein neuneus- 
werthes Resultat wurde indessen in keinem derFälle er¬ 
zielt. Von Nebenwirkungen machte sich fast durchweg mehr oder 
weniger ausgesprochene Cyanose, sowie dunkle Färbung des Urins 
bemerkbar. In der Mitte und gegen Ende der Behandlung wurden 
bei allen Kranken Blutproben untersucht. In keinem Falle war 
Methämoglobin nachweisbar. Das subjective Befinden der Kranken 
wurde durch den Gebrauch des Mittels nur wenig beeinflusst. Auch 
in den Fällen, iu denen die Blaufärbung der Lippen sehr auf¬ 
fallend war, traten keine bedenklichen Erscheinungen hervor. 

Krön. 

Laquer. Zur Localisation der sensorischen Aphasie. 
Neurologisches Centralblatt 1888, No. 12. 

Verfasser veröffentlicht einen neuen, durch lange Zeit sorgfältig 
beobachteten Fall von „corticaler sensorischer Aphasie“ (Wernicke), 
bei dem die Sectiou die intra vitam gestellte Diagnose einer Er¬ 
krankung der .,Wernicke’schen Windung“ (I. Schläfewindung) 
bestätigte. Eine 73jährige Maurerwittwe M. erlitt November 1886 
einen apoplectischen Insult. Es trat ein Bewusstlosigkeit, Lähmuug 
der rechten Körperhälfte, Seeleubliudheit und Sprachstörung. Nach 
wenigen Tagen war nur noch Seeleubliudheit uud Sprachstörung 
vorhanden. Nach 8—10 Wochen war auch die Seelenblindheit 


verschwunden, und es blieb nur die Sprachstörung bestehen. Sie 
persistirte bis zum Tode, Februar 1888. Die Sprachstörung be¬ 
stand darin, dass das Verständniss für die gehörten Worte verloren 
war (Worttaubheit). Ebensowenig konnte nachgesprochen werden. 
Die spontane Sprache war vorhanden, aber es zeigte sich dabei in 
ausgedehntem Maasse eine „Paraphasie“. Nach der Lehre Wer- 
nicke’s muss in einem Falle von corticaler sensorischer Aphasie 
die Schriftsprache vollständig vernichtet sein. In diesem Falle 
hatte Patientin nur gelernt Gedrucktes zu lesen, und diese Fähig¬ 
keit war mit. dem Insult geschwunden. Die Psyche der Patientin 
war intact. Bei der Section zeigte sich Folgendes: Der vorderste 
Theil der linken I. Schläfewindung ist in einer Ausdehnung von 
etwa 4—5 cm in eine gelbliche Erweichung verwandelt, der mittlere 
Theil der Windung ist normal, der hintere erweicht. Beide Erwei¬ 
chungen hängen im Marklager zusammen. Im Marklager reicht die 
Erweichung medianwärts vorn in das Marklager der Insel hinein, 
weiter hinten bis zum Claustrum, nach oben reicht sie bis unter 
den ventralsten Theil der hiuteren Centralwindung. Nach hinten 
von der Insel bis in das Marklager des Scheitelläppchens und bis 
zur Intraparietalfurche. Ausserdem ist noch vorhanden eine 
10-Pfennigstiick grosse Erweichung in der Rinde zwischen Gyrus 
angularis und Occipitalis seeuudus. Alle übrigen Theile, namentlich 
Stiruwindungen, Ceutralwindungen, Hinterhauptwinduugeu, sowie die 
ganze rechte Hemisphäre waren intact. 

Verfasser bezieht mit vollem Recht die iutra vitam vorhandenen 
Störungen auf die Erweichung der I. Schläfewindung. Alle anderen 
Herde stehen erfahrungsgemäss mit Sprachstörungen nicht in Ver¬ 
bindung. Nur die Zerstörung des Marklagers unter der Insel be¬ 
dingt eine Sprachstörung, die „Leitungsaphasie“ (Wernicke). 
Ihre Symptome kommen alle auch der corticalen sensorischen 
Aphasie zu, somit konnte hier eine Läsiou des Marklagers der 
Insel nicht neben der Verletzung der Rinde diagnostieirt werden. 
Dagegen hat sich nach Ansicht des Ref. der Eiufluss dieser Läsion 
darin gezeigt, dass die aphatischcn Störungen 1 , /j Jahr lang bis 
an das Lebensende persistirteu, während bei reinen corticalen Lä¬ 
sionen iu der sensorischen Sphäre gewöhnlich sehr schnell eine 
Restitution eintritt. Verfasser dagegen ist geneigt, dieses Ausbleiben 
der Restitution damit zu erklären, dass die Kranke fast vollkommeue 
Analphabetiu war, ihr somit viele Erinnerungsbilder fehlteu, mit 
deren Hülfe das Wiedererlernen der verlorenen Functionen leichter 
geworden wäre. Malachowski. 

XII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die Antiseptik im Hebammen wesen. 

Von Dr. Gustav Klein, 

früher Hebammeulelirer, /.. Z. 'Assistent am patliol. Institut in Breslau. 

(Fortsetzung aus No. 31.) 

Als Beispiel eines Lehrbuches, welches der Autiseptik in besserer, wenn 
auch nicht genügender Weise gerecht wird, mag das Lehrbuch der Ge¬ 
burtshilfe für llebeauinen von Prof. F. A. Kehrer, Giessen, Emil 
Roth, 1881 gewählt sein. 

Kehrer ordnet zur Desiufection die Anwendung vou Oarbollösungen 
an, doch wird die von ihm vorgeschriebene 2 u /o Lösung nicht stets ge¬ 
nügen. Es heisst p. 49: „Sie wasche mehrmals gründlich die Hände, be¬ 
sonders die Fingerspitzen, mit Seife unter Benutzung einer Nagelbürste, 
reibe dieselbe nachher mit Sand, Asche, Gyps, Thon u. dgl. tüchtig ab, und 
halte sie dann einige Minuten iu 2% Carbolwasser“. Und später: „Die 
Finger sind mit frischer Butter, Schweineschmalz, Gänsefett oder Sulatöl (!) 
zu bestreichen, nicht aber mit ranzigem Fette oder mit dem durch Kohle 
verunreinigten Oele aus Kücheulämpchen. Der Fettüberzug sei stets dick — 
bei der Untersuchung an Fett zu sparen, ist die schlechteste Sparsamkeit. 
Die Hand, welche das Einfetten besorgt hat, werde gleich nachher mit einem 
Tuche abgewischt“. Eine merkwürdige Anordnung: Zuerst wird die des- 
inficirte Hand mit Fett und Oel bestrichen, uud zwar „dick“, dessen Rein¬ 
heit bezw. Bacterienfreiheit fast stets eine ausserordentlich zweifelhafte ist: 
dann wird „die Hand, welche das Einfetten besorgt hat, mit einem Tuche 
abgewischt“. Um das ausführeu zu können, bedarf die Hebamme doch einer 
anderen Hand, und diese wird wohl stets ihre eigene, gerade vorher sorgsam 
desinficirte sein — wozu dann die ganze Reinigung, wenn sie gleich nachher 
unreines Oel uud ein schmutziges Handtuch beuützt! 

Nach Kehr er’s Vorschrift führt die Hebamme 90% Garbolsäure mit 
sich, aus welcher sie 2% Garbolwasser bereitet, indem sie einen Esslöffel 
der flüssigen Garbolsäure in */* 1 Wasser schüttet uud tüchtig- umrührt 
(p. 77). Wie schon bemerkt, wird jedoch die 2 % Garbollösung selbst nach 
dem vorgeschriebenen Gebrauche von Seife und Nagelbürste nicht stets zur 
Desiufection genügen. 

Zur Entfernung der Nachgeburt empfiehlt auch Kehrer die Litz- 
mann’sche Methode des Eingehens der Hand iu die Scheide u. s. w. (p. 88) 
und erst später (p. 89) den Crede’schen Handgriff. Warum aber diese 
beinahe gefahrlose Methode erst nach der L i tz mann 'sehen '( Die Hebamme 
wird dadurch verleitet, das Crede’scbe Verfahren als ein solches zu be¬ 
trachten, das erst iu zweiter Reihe anzuweuden sei, während es meist voll¬ 
kommen ausreicht. 

Die von Ahlfeld vorgeschlagene Aufbewahrung vou Jodofermgaze- 
Tampon* iu wasserundurchlässigem Papier ist empfehleuswerther, als die 


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666 DEUTSCHE MEDICINISCI1E WOCHENSCHRIFT. No. 32 


Kehrer’.sehe Methode, nach welcher man die Wattebauschen „so lange in 
2% Carbolwasser ausdrückt, bis keine Luftblasen mehr herauskommen“. 
Einerseits stillt der trockene Tampon die Blutung besser, andererseits ist 
2 % Carbolwasser nicht immer hinreichend zur Desinfection der „sogenannten 
offenen Baumwolle“ Kehrer’s. 

Gefährlich ist die Angabe p. 166: „Statt Baumwolle kann mau auch j 
zarten Flachs, Wolle, Charpie, Leinewand, einen feinen, länglichen, unge- | 
brauchten Badeschwamm, aber alles ganz rein, benutzen“. Als ob Charpie, 
wie sie im Volke gebraucht wird, je ganz rein sein könnte. 

§ 369 wird bei Blutungen, welche durch Wehenschwäche in der Nach¬ 
geburtsperiode bedingt sind, gerathen, eine Gebärmutterausspülung zu 
machen. In der Hand der Hebamme wird diese Maassregel nie ganz frei 
sein von den allergrössten Gefahren. 

§ 371: Bei Beschreibung der künstlichen Nachgeburtslösung wird der 
Hebamme geratheu, die desinficirte Hand mit Fett zu bestreichen. 

§ 389, p. 177: Nach der Behaudluug (?) Syphilitischer soll sie ihre 
Instrumente in 5°/o Carbolwasser legen. Es ist nirgends gesagt, wie sie 
solches bereiten kann. 

§ 392, p. 179: „Die Hebamme darf eine am Kindbettfieber erkrankte 
Wöchnerin am Ende ihres Rundganges zwar besuchen, möge aber die Be¬ 
rührung mit dem Wochenfluss, ferner die Ausspülung, n — — womöglich 
von einer anderen zuverlässigen Person in ihrer Gegenwart besorgen lassen. 
Nur wenn keine brauchbare Wärterin zu bekommen ist, kann die Hebamme 
selbst die Reinigung der Wöchnerin besorgen. — Nach jedem Besuche hat 
die Hebamme ihre Hände gründlich zu waschen und ihre Kleider in die 
Luft zu hängen, damit die Krankheitsstoffe auf keinerlei Art auf gesunde 
Wöchnerinnen übertragen werden“. 

Während das preussische Lehrbuch noch von oinem Milchfieber als solchem 
spricht, erklärt Kehrer mit Recht das in den ersten Wochenbettstagen 
auftretende Fieber meist durch eine Iufection von den Geschlechtstheilen aus 

§ 396: Bei Entzündung und Wochenbettsgeschwüren der äusseren Ge- 
schlechtstheile wird zwar gerathen, sofort einen Arzt zu rufen, aber es 
heisst dann: „Später, wenn die Schorfe anfangen abzugeheu, lege man 
Watte auf, welche in ein Gemisch von 1 Theile Terpentinöl und 3 Theilen 
Salatöl getaucht ist, schiebe auch einen kleinen Pfropf davon derart in die 
Schamspalte, dass das Oe! fortwährend mit den Wunden in Berührung ist“. 

§ 393 — 402: Kehrer unterscheidet: Wund-, Entzündungs-, Eiter-und 
Faulfieber. Das Verständniss der gemeinsamen Entstehungsursache, der 
Infection, wird dadurch erschwert. 

Kehrer gestattet den Hebammen die Vornahme der Wendung nicht. 

§ 501: „Die Hebamme selbst möge niemals eine Wendung versuchen“. 

§ 596: Bei Nabelblutungen der Neugeborenen „lege die Hebamme ein 
Stück Zunder, eine dicke Lage Baumwolle oder reine Charpie darauf“. 

In § 447 und 611 wird abermals ausführlich von Gebärmutteraus- 
spüluugen gesprochen: diese würden der Hebamme besser ganz untersagt. 

P. 82 war von der Benutzung des Katheters die Rede, aber erst in 
§ 622 wird dessen Reinigung besprochen. Das müsste schon an der erst¬ 
genannten Stelle geschehen. 

§ 628: „Steht die Blutung (nach dem Abnehmen der Blutegel) nicht, 
so drückt inan Feuerschwamm auf“. 

Die wünschenswerthen Aenderungeu ergeben sich aus dem bisher ge¬ 
sagten; wiederholt werden muss aber auch hier, dass in Kehrer’s Lehr¬ 
buch zur Wundbehandlung noch Terpentin- und Salatöl, Zunder, Baum¬ 
wolle, Flachs, Charpie u s. w. empfohlen werden. 

Einen weiteren Schritt nach vorwärts bedeutet das Lehrbach der 
Geburtshilfe für Hebammen ron Dr. Theodor K6xuiArosky, Budapest, 
1882.“ In demselben werden als zu den Geräthschafteu einer Hebamme 
gehörig neben 10°/o Carbollösung „ — 7. ein Stück Handseife und eine Nagel¬ 
bürste“ bezeichnet (p. 70, § 106). Als Desinficiens dient eine 2°/o Carbol¬ 
lösung, deren Herstellung iu § 106 beschrieben wird, die aber nicht stets 
genügen wird. Anerkennenswerth ist die Vorschrift in § 107: „Bevor die 
Hebamme zur inneren Untersuchung schreitet, hat sie die Hände sowohl 
als auch die Arme bis zu den Ellbogen mit warmem Wasser, Seife und 
Nagelbürste auf’s Sorgfältigste zu reinigen“, sowie in § 149, p. 106: „Die 
Hebamme versäume niemals, nach Reinigung der Geschlechtstheile (einer 
Wöchnerin, was sie nur mit „lauwarmem Wasser“ thun soll), ihre Hände 
mit Seifenwasser und Nagelbürste aufs Sorgsamste zu waschen*. Doch fehlt 
an beiden Stellen der Hinweis auf die Benutzung des Carboiwassers. 

Aehtilich den Vorschriften der schon besprochenen Lehrbücher sind 
folgende Angaben in Kezmärszky’s Buch: § 128, p. 87. Litzmann’sche 
Methode zur Entfernung der Nachgeburt aus der Scheide. Weiter unten: 
Zur Blutstillung bei Aborten u. s. w. soll sich die Hebamme selbstbereiteter 
„Kugeln aus Charpie oder Watte“ bedienen, oder „Stücke alter (!), weicher, 
jedoch vollkommen reiner Leinwand so lange in die Scheide nachstopfen, 
bis dieselbe vollständig gefüllt ist“. — Ungenügend sind die Angaben über 
Desiufection der Instrumente, so nach Gebrauch bei Syphilitischen; die Ge- 
räthschaften soll sie da „in kochendem Wasser aussieden (wie lange?), oder 
in Carbolwasser legen“ (in wieviel böiges?). 

P. 200, § 244: Gebärmutterausspülungen mit eiskaltem Wasser (nicht 
Carbolwasser). 

Besser als in den früher genannten Lehrbüchern, aber ebenfalls nicht 
hinreichend sind die Verhaltungsmaassregeln bei Kindbettfieber geschildert 
(§ 253—257). Bei Eintritt desselben soll sie die Erkrankte nicht selbst 
weiterbehandelu, sondern dies einer Krankeuwärteriu übertragen. Ist diese 
Maassregel nicht ausführbar, so soll die Hebamme keine andere Gebäreude 
oder Wöchnerin übernehmen, bis ihre Kranke vollständig geheilt ist, was 
sie jedoch jedesmal dem Arzte (welchem?) anzuzeigen verpflichtet ist. 

Auch in Kehrer’s Buch wird zur Blutstillung nach dem Blutegelsetzen 
gerathen „ein Stück reinen Fruerschwarams aufzudrücken“. 

Unstreitig das beste der mir bekannten Hebammeubücher ist das 
Lehrbneh der Hebammenkunst; im Aufträge des Königlich Sächsischen 
Ministerium des luuern bearbeitet von Dr. C. C'redl aud Dr. F. Wlnckel; 


Leipzig, 1887. In der 3., 1882 erschienenen Auflage desselben (die 4. 
Auflage, 1887, liegt mir augenblicklich nicht vor) wird zwar p. 85 und 354 
noch die Benutzung von „Blutschwamm“ (Feuerschwamm?) und p. 85 von 
Kugeln aus sogeuaunter „reiner Watte“ empfohlen, die im Vorrathe ange¬ 
fertigt werden und in der lustrumententasche der Hebamme mitgefübrt 
werden sollen; es wird p. 173 vou dem Nutzen gesprochen, welchen „lau¬ 
warme Umschläge von Feldthymian“ neben der antiseptischen Behandlung 
der Dammrisse bei Schwellung der Wundränder bringen können, und einiges 
Aehnüche. Doch sind diese Missstände gering im Vergleich zu dem ausser¬ 
ordentlich hohen Werthe, welchen die amtliche Einführung der Königlieb 
Siichslsclien revldirten Instruction fUr die Hebeamtnen zur Verhütung 
des Kindbettflebers vom 28. März 1885 besitzt. 

Diese Instruction wird gestützt durch eine Verordnung vom gleichen 
Tage, welche die Strafbestimmungen (Geldstrafen bis zu 150 Mark, beziehent¬ 
lich Haft bis zu 6 Wochen) für etwaige Zuwiderhandlungen enthält. 

Die wichtigsten Punkte dieser Instruction sind folgende: Zum Zwecke 
der Desinfection ist die Hebamme verpflichtet, unter ihren Geräthen Nagel¬ 
bürste, Seife, Verbandwatte, 2% Carbolvaseline und 150 g verflüssigter 
Carbolsäure (Ac. carbol. liqu. Ph. G. Ed. II.) mit sich zu führen. — Die 
Reinigung der Hände und Vorderarme der Hebamme geschieht mit Nagel¬ 
bürste, Seife, warmein Wasser und 5% bezw. 2°/o warmer Carbollösung: die 
Reinigung der äusseren Geschlechtstheile der Gebärenden oder Wöchnerin 
mit Seife und 2% Carbollösung; zu Scheidenausspülungen wird (siehe das 
Lehrbuch) 2% Carbollösung verwendet, ebenso zur Behandlung wunder 
Brustwarzen, oberflächlicher Dammrisse u. s. w. — Das grösste Gewicht wird 
auf die Fernhaltung schmutziger Wäschestücke u. s. w. gelegt. — „Erkrankt 
eine von der Hebamme entbundene Wöchnerin am Kindbettfieber, so darf 
die Hebamme die Erkrankte nicht mehr selbst besuchen“ und „vom Tage 
ihres letzten Besuches bei der von ihr entbundenen, am Kindbettfieber 
erkrankten Wöchnerin an gerechnet — mindestens 5 Tage lang — keiue 
Entbindung übernehmen“. Während dieser Zeit hat sie eine gründliche 
Reinigung ihres Körpers, der Leibwäsche und der Instrumente vorzunehmen 
— und zwar unter näher geschilderter Benutzung von 5% Carbollösung, 
bezw. mittelst Auskochons der hierzu geeigneten Instrumente. — Innerhalb 
dieses Zeitraumes darf „die Hebamme die bereits früher von ihr entbuude- 
nen Wöchnerinnen zwar weiter besuchen, sie hat sich jedoch jeder inner¬ 
lichen Untersuchung derselben streng zu enthalten“. — Nach dieser Zeit 
darf sie zwar Entbindungen wieder übernehmen, „sie hat jedoch noch eine 
Woche lang von zwei zu zwei Tagen dem Bezirksarzte über alle ihre Wöch¬ 
nerinnen mündlichen oder schriftlichen Bericht zu erstatten“., — „Erkrankt 
innerhalb der nächsten 30 Tage nach Wiederaufnahme der Entbindungen 
auch eine der weiter Entbundenen am Kindbettfieber, — — so darf die 
Hebamine mindestens 14 Tage hindurch — — keine weitere Entbindung 
übernehmen“. 

Die obeu genannte Verordnung enthält auch Strafbestimmungen für 
Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften für das Verhalten der Hebummeu 
bei der Augenentzündung der Neugeborenen vom 16. Januar 1882. bezw. 
des Nachtrags hierzu vom 28. März 1885. 

Das sächsische Lehrbuch selbst enthält die genaue Schilderung des 
Crede’schen Verfahrens zur Entfernung der Nachgeburt, schränkt die Vor¬ 
nahme der innerlichen Lösung derselben ein, verbietet die Wendung (hierüber 
siehe das oben Gesagte), betont die Entstehung des Kindbetttiebers durch 
ungenügende Handhabung der Desinfectionsvorschriften, bespricht die Mög¬ 
lichkeit der Verhütung desselben u. s. w. 

Der Abstand dieser Vorschriften von den im preussischen Hebannnen- 
Lehrbuche enthaltenen ist ebenso gross, wie jener der gegenwärtigen von 
der vorantiseptischen Wundbehandlung. Und warum sollte das, was in 
Sachsen durchführbar ist, in Preussen undurchführbar sein? Bei der ganz 
ausserordentlichen Tragweite dieser Thatsacheu fehlt es natürlich nicht an 
Versuchen zu einer gründlichen Besserung — aber bis heute ist es bei 
diesen Versuchen geblieben! 

Die für das Königreich Preussen bestimmte Ausgabe des „Hilfs- und 
Schreibkalenders für Hebammen“ 1887, Ausgabe B, enthält die sächsische 
„revidirte lustruction“ vollständig; die auf p. 1 bis 7 abgedruckteu 
„119 Repetitionsfragen für die Nachprüfung der Hebammen, das Kindbett¬ 
fieber betreffend“, deuten zwar die wünschenswerthe Durchführung der Anti- 
septik an, setzen jedoch erstens die Kenntniss derselben, nur zum Theile 
mit Recht, bei den Hebammen voraus und sind zweitens nur dann begrün¬ 
det» w«nu die vorgeschriebenen Nachprüfungen auch wirklich abgehalten 
werden, was nicht in ganz Preussen der Fall ist. Die Aufsätze dieses Ka¬ 
lenders über das Verhalten vor der Entbindung, über die Entbindung, das 
Wochenbett und die Pflege des Kindes (p. 7 bis 71) bringen anerkennens- 
werthe Rathschläge zur Antiseptik u. s. w. 

Die von Winter herausgegebene „Deutsche Hebammenzeitung“ ist 
reich au Aufklärungen und gemeinverständlichen Aufsätzen zur Verhüiung 
des Kindbettfiebers, über die Anwendung der Antiseptik u. s. w. — aber 
all’ diese nicht genug anzuerkennenden Bestrebungen von ärztlichen Körper¬ 
schaften und Privatpersonen scheitern in einer geradezu erschreckend grossen 
Zahl von Fällen an dem Mangel einer gesetzlichen Regelung. 

Nicht als ob dies bisher den maassgebenden Behörden entgangeu wäre: 
im Gegentheile liegt eine grosse Anzahl von Versuchen vor, welche in 
dieser Hinsicht gemacht worden sind. 

Wohl au jeder deutschen Hebammeuschule erstreckt sich der Unter¬ 
richt über den Rahmen des Lehrbuches hinaus auch auf dieses 
Gebiet. Aber es fehlt schon für Preussen allein eiue einheitliche Regelung. 
Jede Uebaramenschule lehrt unabhängig von der anderen jene Art der Auti- 
septik, die deren Leiter eben für genügend hält. Es ist hier nicht der 
Platz, anzuklagen, soudorn nur zu berichten. In deu folgenden Beispielen 
sind deshalb Ort und Namen selbstredend uicht genannt, ich berichte aber, 
um Irrthümer thunlichst auszuschliessen, nur Selbstgesehenes. 

Der Direktor einer Hebammenschule, nach seiner eigeuen Aussage 
l nicht vollständig überzeugt von dem Werthe der gegenwärtigen Autiseptik, 


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9. Aögast. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHKIFT. 667 


führt die Desinfection an sich selbst vor jeder inneren Untersuchung einer 
Gebärenden oder Wöchnerin in Gegenwart der Schülerinnen folgendermaassen 
aus: Rock- und Hemdärmel werden nicht zurückgestreift, die Hände, nicht 
aber die Vorderarme, mit kaltem Wasser, Seife und Nagelbürste etwa 
*/a Minute lang gereinigt und dann die Finger, nicht die ganze Hand, in 
3 % oder 5 o/o Carbollösung 5-10 Secundeu lang abgespült. Selbst 
nach Vornahme einer Obduction änderte er dies Verfahren nur 
dahiu, dass die Hände einige Minuten länger geseift und ge¬ 
bürstet wurden. Die Vorderarme waren während der Obduction und der 
nachfolgenden Reinigung von Rock- und Hemdärmeln bedeckt. 

Unter der Leitung desselben Direktors wurde die vorzügliche Rade¬ 
einrichtung der betr. Anstalt für die Schülerinnen nur so benützt, dass 
jede derselben einmal beim Eintritte zu Beginn des Omonatlichen Cursus 
und einmal bei ihrem Austritte nach Beendigung desselben baden durfte. 
Während dieses 9monatlichen Cursus wurden bis zum Jahre 1885 den 
Schülerinnen Bäder nur in seltenen Ausnahmefällen gestattet, und zwar 
„der Kohlenorsparniss halber“, bis es von dieser Zeit an gelang, den 
Direktor dazu zu veranlassen, dass or jeder Schülerin nach Entlassung der 
von ihr verpflegten Wöchnerin ein Vollbad gestattete. Man sollte glauben, 
dass die statistischen Resultate einen Misserfolg aufzuweisen hätten. Dies 
war nicht der Fall, denn — alle prognostisch ungünstigen Fälle wurden 
rechtzeitig in ein anderes Krankenhaus verlegt. Eine Schülerin dieser An¬ 
stalt inficirte innerhalb eines 9monatlichen Curses von 7 Fraueu, die sie 
entbunden hatte. 4, darunter 3 schwer, und verlor *2 durch den Tod. Die 
Zahl der fieberhaften Erkrankungen, hauptsächlich Endo- und Parametri- 
tiden. war erstaunlich gross; in den Listen wurden sie als „Milchfieber“ 
bezeichnet. 

Der Direktor einer anderen Anstalt, vom Werthe der Antiseptik durch¬ 
drungen, verwendet beim Hebammenunterrichte je nach seinem Ermessen 
Oarbolsäure oder Sublimat. I)a er jedoch für die spätere Praxis seinen 
Schülerinnen nur die Anwendung von Carbolsäure empfiehlt, scheint es 
durchaus unzweckmässig, beim Unterrichte auch Sublimat zu verwenden. 
Die Schülerin wird dadurch zu dem Gedanken verleitet, Carbolsäure reiche 
nicht stets zu genügender Reinigung hin; sie wird iu ihrem Glauben an 
die Wirksamkeit der letzteren erschüttert und dieselbe „draussen“ früh genug 
für entbehrlich halten. _ (Schluss folgt.) 


XIII. Therapeutische Mittheilungen. 

Herzmittel. 

— Ueber moderne Herzmittel hielt Prof. Eichhorst am 8. Novem¬ 
ber 1887 einen Vortrag vor der cantonalen Aerzteversammlung iu Zürich 
(Schweiz. Corr. Bl. No. 2). Trotz der sehätzenswerthen Bereicherungen, 
welche die medicamentöse Behandlung der Herzkrankheiten in der letzten 
Zeit erfahren hat, erkennt Eich borst doch der Digitalis noch immer den 
ersten Platz zu. Besonderen Werth legt derselbe auf die Anwendung der 
Digitalis im Verein mit Alcoholicis und Excitantien oder in unmittelbarem 
Anschluss au dieselben: dieselben stellen bei C-yanose die Erregbarkeit des 
Vaguscentrmns, die durch die Kohlensäure herabgesetzt wurde, wieder her 
und ermöglichen dadurch erst die Einwirkung der Digitalis. In solchen 
Fällen lässt Eichhorst der Digitalisdarreichung einen Tag oder wenigstens 
einige Stunden lang grosse Dosen Alcohol, am besten guten Cognac, voraus- 
geheu Empfehlenswerth ist auch der directe Zusatz von Alcohol zum Digi- 
talisinfus, etwa 30,0 auf ein Infus von 1 : 2<)0. Wo man raschen Erfolges 
sicher sein will, zieht. Eichhorst die pulverisirten Blätter dem Infus vor, 
insbesondere bei Uraeraie (etwa 0,1—0,15, zweistündlich 1 Pulver). Auch 
die Diurese der Herzkranken wird durch diese Form der Darreichung am 
meisten gefördert, besonders w r enn man die Digitalisblätter mit grösseren 
Dosen Calomel zu einem Pulver mischt. Die Bedeutung der cumulativen 
Wirkung der Digitalis wird oft überschätzt; oft tritt die Digitalis Wirkung 
erst nach der 6. bis 8. Flasche ein, ja. in gewissen Fällen, wo die Kraft des 
Herzmuskels zwar geschwächt, aber doch reparationsfähig ist, wie bei ge¬ 
ringer fettiger Degeneration, toxischer Herzmuskelschwäche, z. B. durch 
Tabak oder Alcohol etc., ist es indicirt, das Mittel lange Zeit, eventuell 
ohne Unterbrechung, fortbrauchen zu lassen. Eichhorst bezeichnet dies als 
Digitalismus. Gewöhnung kommt zwar vor, ist jedoch keineswegs unge¬ 
wöhnlich häufig. Der Digitalis zunächst steht der Strophanthus. Eichhors 
vergleicht die Wirkungsweise beider in folgenden Sätzen: 

1) Digitalis und Strophanthus beherrschen den Herzmuskel beide r 
gleicher Weise, indem sie seine Thätigkeit verlangsamen, regeln und steigen 
und dadurch unter gegebenen Umständen die Diurese erhöhen. 2) Di 
Digitalis entfaltet ihren Einfluss schneller, auch im Ganzen sicherer, als de. 
Strophanthus und wird daher in den meisten Fällen noch immer dasjenige 
Heilmittel bleiben, von dem man zuerst Gebrauch machen wird. 3) Der 
Strophanthus ist der Digitalis darin überlegen, dass er keine cumulativen 
Wirkungen entfaltet und trotz langen Gebrauches seine günstigen Ein¬ 
wirkungen auf den Herzmuskel ununterbrochen fortsetzt. Eichhorst ver¬ 
ordnet von der Strophanthustinctur 3 mal täglich 15 Tropfen. In einem 
Falle, wo eine Patientin das ganze Fläschchen (10,0) auf einmal austrank, 
wurden keine Vergiftungserscheiuungen, ausser vorübergehender Uebelkeit, 
beobachtet ln manchen Fällen zeigte sich Strophanthus in seiner Wirkung 
auf den Puls und auf Diurese der Digitalis überlegen. Sparteinum sulfur. 
(0,1, 1—4 mal täglich) steht als Herzmittel den eben genannten weit nach, 
ist jedoch empfehlenswerth, wenn es sich darum handelt, asthmatische. Zu¬ 
stände bei Herzkranken zu bekämpfen. Coffein besitzt noch geringere 
regulatorische und roborirende Wirkungen auf den Herzmuskel, als Spartein, 
ist jedoch ein vortreffliches harntreibendes Mittel und verdient daher den 
Vorzug, wenn es gilt die Diurese zu steigern. Ein vernünftiges diaetetisches 
Regime muss mit der medicainentösen Behandlung Hand in Hand gehen. 
Die guten Seiten des Oertel’.scheu Heilverfahrens werden anerkannt, jedoch 
ist dasselbe individualisireud zu gebrauchen. Die Einschränkung der 
Flüssigkeitszufuhr ist für alle Formen von Herzschwäche werthvoll; körper¬ 


liche Bewegungen sind dagegen mit grösster Vorsicht zu verordnen. Während 
sie bei einfacher suhpericardialer Fettanhäufung günstig wirken, sind sie 
bei Klappenfehlern oder ausgedehnter Schwielenbildung und eigentlicher 
Fettdegeneration geradezu gefährlich. (Münch. Med. Wochenschrift 1888 No. 4). 

— Prof. Bamberger (Wiener klin, Wochenschr. No. 12) hat Gelegen¬ 
heit gehabt, die vorzügliche und lauge anerkannte Wirkung des Aetners 
bei Inguffloieuz des Herzens aufs Neue zu constatiren. Es handelte 
sich um einen 60jährigen Herrn, der au hochgradiger Insufficionz des Her¬ 
zens in Folge von fettiger Degeneration, wahrscheinlich mit Sklerose der 
Kranzarterien, jedoch ohne Klappenfehler litt. Beträchtlicher Hydrops, Al¬ 
buminurie, Leberschwellung, qualvolle Dyspnoe, ohne weitere erhebliche 
Lungenaffection, unbesiegbare Schlaflosigkeit waren die Haupterscheinungen. 
Die Aetiologie war jahrelange fortgesetzte Unmässigkeit in Arbeit und Ge¬ 
nuss. Als die Erscheinungen rasch Zunahmen, und besonders die Dyspnoe 
gefahrdrohend wurde, injicirte der Arzt einige Pravaz’sche Spritzen Aether. 
Unmittelbar darauf stieg die bisher durch nichts zu hebende Ilarnsecretion 
bis auf mehrere tausend ccm im Tage an und dauerte ohne weitere Unter¬ 
stützung in derselben Weise längere Zeit, auch Hydrops und Dyspnoe 
gingen rasch zurück, so dass Patient eine Reise unternehmen konnte. Er 
erlag etwa ein Jahr später seinem Fettherz, nachdem noch ein apoplectischer 
Anfall vorhergegangen war. Wegen der Analogie mit der Ualomelwirkung 
hält B. eine directe Einwirkung des Aethers auf das secretorische Nieren¬ 
epithel für wahrscheinlicher als eine Wirkung auf das Herz. R. 

— Dr. de Renzi hat. gefunden (Riv. clin. e. terap. 1887), dass das 
l'yridin in kleinen Dosen excitirenden Einfluss auf das Herz besitzt. Die 
von Renzi an 7 Kranken gewonnenen Resultate fasst er in folgenden Sätzen 
zusammen: 

1. Pyridin, in Tagesdosen von 6 bis 10 Tropfen in Wasser gereicht, 
wird gut vertragen, man kann damit bis auf 20 Tropfen und mehr steigen. 

2. Das Mittel verstärkt die systolische Contraction und vermindert das 
Oppressions- und Angstgefühl. 

3. Die Pulsfrequenz wird geringer nach dem Pyridingebrauch gleich¬ 
zeitig mit der Zahl der Respirationen. 

4. Der Blutdruck in den Arterien steigt an. 

5. Die graphische Aufzeichnung zeigt, dass der Gipfel der Curve nach 
dem Pyridingebrauch ansteigt, und gleichzeitig die Pulswelle gleichmässi- 
ger wird. 

6. Pyridin beseitigte Angina pectoris, indem es die Anfälle schneller 

und vollständiger hob als irgend ein anderes Mittel, ln der Asystole ist es 
insofern von grossem Werth, als es schneller als Digitalis wirkt und keine 
accumulativen Wirkungen hat. Ba. 


XTV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Zum Rector der Berliner Universität für das Studien¬ 
jahr 1888 ist Geh. Rath Prof. Gerhardt, zum Decan der medicinischen 
Facultät Geh.-Rath Prof. Waldeyer gewählt. Die philosophische Facultät 
hat den Zoologen Fr. Eilh. Schulze zum Decan gewählt. 

— Prof. Dr. E. Küster, Direktor der chirurgischen Abtheilung des 
Augustahospitals, beging am 4. August die Feier seines 25jährigen Doctor- 
jubiläuras. W r ir verfehlen nicht, dem verdienten Gelehrten, der auch zu den 
langjährigen Mitarbeitern dieser Wochenschrift gehört, unseren herzlichsten 
Glückwunsch darzubringen. 

— Geh.-Rath Prof. Senator wird im nächsten Semester dreimal wöchent¬ 
lich Klinik in der Charite, ebenso oft Poliklinik abhalten. Dadurch wird 
der ursprüngliche Modus des klinischen Unterrichts wieder hergestellt, der 
die beste Ausnutzung des Materials für den Unterricht gestattet, 

— Prof. Paul Langerhans, der, wie wir berichtet haben, noch nicht 
40 Jahre alt, in Funchal auf Madeira gestorben ist, hat sich um zwei Ge¬ 
biete der Heilkunde, um die Anatomie und um die innere Medicin, verdient 
gemacht Ausgegangen ist er von der mikroskopischen Zergliederungskunde; 
zur inneren Medicin wurde er dadurch geführt, dass ein körperliches Leiden 
ihn zwang, dauernd in Madeira seinen Wohnsitz zu nehmen. Langer- 
hans’ Lehrmeister war vornehmlich Virchow. Schon mit 19 Jahren, damals 
noch Student, veröffentlichte Langerhans 1868 seine erste wissenschaft¬ 
liche Arbeit über die Nerven der menschlichen Haut. Ein Jahr darauf er¬ 
warb er mit einer Schrift über den feineren Bau der Bauchspeicheldrüse in 
Berlin den Doctorhut. Die nächsten beiden Jahre verwandte Langerhans 
auf die Vorbereitung für die akademische Laufbahn. Anfangs betrieb er 
weiter unter Virehow’s Leitung pathologische Studien (mit F. A. Uoff- 
aann arbeitete er über die Einführung von Zinnober in den Blutstrom 
on Thieren), später ging er mit Heinrich Kiepert nach Syrien und 
Palästina. Er brachte eine reiche Ausbeute von der Reise heim, Studien 
über die Lepra in Jerusalem, Schädelmessungen an Beduinen und Fellachen 
und Anderes zur Völkerkunde. 1871 trat er bei der Universität Freiburg 
als Privatdocent und Prosector ein. Seine erste Vorlesung handelte über 
den Bau der sympathischen Ganglienzellen. 1875 siedelte er aus Rücksicht 
für seine Gesundheit nach Madeira über. Seitdem wandte er sich vornehm¬ 
lich der praktischen Heilkunde zu. Seine späteren Schriften sind zumeist 
aus seinem ärztlichen Schaffen in Madeira entstanden, so sein Handbuch 
über Madeira, seine Studien über dieLepra und die Schwindsucht. Während 
seiner Freiburger Zeit veröffentlichte Langerhans auch mikroskopische 
Untersuchungen über das Herz, die Haut, den Bau der Knochen und Studien 
zur Entwickelungsgeschichte. 

— Die militärärztlichen Bildungsanstalten feierten am 2. August 
ihren Stiftungstag, und zwar das medicinisch-chirurgische Friedrich-Wil¬ 
helmsinstitut nach 92jährigem, die Akademie nach 77jährigem Bestehen, 
ln Stellvertretung des erkrankten Generalarztes Dr. Schubert gab Stabsarzt 
I)r. Bartold den Jahresbericht, welcher zuerst der beiden verstorbenen 
Kaiser und darauf Bernhard v. Langenbeck’s gedachte, der 34 Jahre 
an den Anstalten gelehrt hat. Zu dem vorjährigen Bestände von 231 Stu- 
direnden traten neu hinzu 67, als Unterärzte wurden in der Armee ange- 


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668 


DEUTSOHR MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32 


stellt 28, 9 schieden vor vollendetem Studium aus den Anstalten wieder aus. 
Den Bestand bilden somit heute 259 Studirende, 28 mehr als im Vorjahr, 
weil das Studium seit dem 1. April 1888 9 Halbjahre währt, zu Ostern so¬ 
mit diesmal keine Ueberweisungen stattfanden. 27 Stabsärzte gehören zur 
Zeit dem Institut an, 12 von ihnen sind der Königlichen Charite zugetheilt. 
5 traten im Laufe des Jahres zur Armee zurück und wurden durch ebenso 
viel andere ersetzt, ein Stabsarzt wurde zum ordentlichen Professor der Uni¬ 
versität Greifswald ernannt, ein zweiter hat eine grössere wissenschaftliche 
Reise nach der Türkei und Griechenland ausgeführt. Von 54 Unterärzten, 
welche die ärztliche Prüfung begannon, haben 48-'dieselbe vollendet.. Von 
50 Studircnden erhielten in der Doctorprüfung 38 das Prädieat cum laude 
und zwar 3 summa cum laude, 18 magna cum laude, 17 cum laude, von 52, 
die die ärztliche Vorprüfung absolvirten, erhielten 2 sehr gut, 30 gut. Es 
erfolgte sodann die feierliche Vertheilung der Prämien. Die Festrede hielt 
der Geheime Med.-Rath Prof. Dr. Koch über die Bekämpfung der Infections- 
stoffe. 

— München. Ober-Med.-Rath Dr v. Kerschenstoiuer ist zum 
Königl Geheimen Rath ernannt worden. 

— Nürnberg. Medicinalrath Dr. Merkel in Nürnberg steht in der 
engeren Wahl auf dor Vorschlagsliste als Direktor des Allgemeinen Kranken¬ 
hauses in Hamburg. In Nürnberg macht man. wie die Münch, med. Woch. 
berichtet, alle Anstrengungen, den hochverdienten Arzt und Gelehrten seiner 
Vaterstadt zu erhalten. 

— Bonn. Die XIX. allgemeine Versammlung der Deutschen an¬ 
thropologischen Gesellschaft wurde am 6. August, durch Geh.-Rath 
Schaaffhausen eröffnet. In der Sitzung am 7. August hielten u. A. Vor¬ 
träge Geh.-Rath Virchow über die Anthropologie Aegyptens, Geh.-Rath 
Waldeyer über das Rückenmark des Gorillas im Vergleich mit dem des 
Menschen. 

— Greifswald. Am 4. August wurde die letzte Sitzung des medicini- 
schen Vereins vor Beginn der Herbstferien abgehaltt n Als erfreuliches 
Zeichen reger Theilnahine kann es gelten, dass auch für diese späte Sitzung 
eine ebenso reichhaltige als interessante Tagesordnung vorlag. Vorträge 
hatten angomeldet Herr Mosler: Ueber Behandlung von Lungenechino¬ 
coccus mit Vorstellung eines geheilten Kranken; Herr Solger: Bekanntes 
über Kerntheilung mit Vorzeigung mikroskopischer Präparate ; Herr Landois: 
Ueber Teroperatursteigerung bei Gehirnkrämpfcn; Herr Hans Schmid 
(Stettin): Beitrag zur totalen Kehlkopfexstirpation mit Vorstellung eines 
operirten Kranken; Herr Niosel: Ueber Anwendung der Kamphersäure bei 
Katarrhen verschiedener Schleimhäute. Nach Erledigung der wissenschaftlichen 
Tagesordnung fand eine den Umständen angepasste Vorfeier des 25jährigen 
Bestehens des Vereins statt. 

— Göttingen. Die medicinische Facultfit hat folgende Preisaufgabe 
gestellt: Es sollen die inneren Proportionen des Halses in den verschie¬ 
denen Lebensaltern untersucht und eine genaue Beschreibung der Fascien- 
verhältnisse dieses Körpertheiles geliefert werden. Preis 322 Mk., Ein¬ 
reichungstermin 1. Januar 1889. 

— Wien. Der ehemalige Professor der Staatsarzneikunde an der 
Wiener Universität, Dr. Johann Dlauhy ist im Alter von 81 Jahren ge¬ 
storben. Derselbe gehörte seiner Zeit zu den hervorragendsten Mitgliedern 
der Prager medicinischen Facultät, welche in den Vierziger Jahren nach Wien 
berufen wurden und den Ruhm der alten Wiener medicinischen Schule be¬ 
gründeten. Geboren im Jahro 1807 zu Pilsen, der Vaterstadt Skoda’s, ist 
er auch dessen Schul- und Studiengenosse gewesen. Nachdem er im Jahre 
1834 in Wien den Doctorhut erworben hatte, war er durch eine Reihe von 
Jahren Assistent Rokitansky’s und wurde 1844 als Professor der patho¬ 
logischen Anatomie nach Prag berufen. Im Jahre 1848 kam Dlauhy wioder 
nach Wien, wo er die Lehrkanzel für gerichtliche Mcdicin und Staats¬ 
arzneikunde übernahm. Seine wissenschaftlichen Arbeiten über Erkrankungen 
des Herzens und forensische Pathologie sind in den Jahresberichten der Ge¬ 
sellschaft der Aerzte veröffentlicht worden. Im Jahre 1878 trat er in den 
Ruhestand — Das Wiener Aerztecollegium hat an den Reichsrath eine 
Petition um Abänderung der Bestimmungen über das medici¬ 
nische Studium gerichtet, aus welcher folgende Punkte hervorzuheben 
sind. Die Studienzeit soll von fünf Jahren Dauer auf vier herabgesetzt werden. 
Jeder Arzt soll das Recht haben, vor Eintritt in die Praxis in einem 
Krankenhau.se thätig zu sein, das Studium der Naturwissenschaften soll auf 
den Gymnasien eingehender und gründlicher betrieben werden, damit die 
Mediciner auf der Universität davon entlastet werden. Die Universitäts¬ 
ferien sollen verkürzt werden. 

— Paris. Dr. Fieuzal, Chefarzt des Hospice national des Quinze- 
Vingts, bekannt durch eine Reihe ophthalmologischer Arbeiten, ist gestorben. 

— Die französische Regierung hat aus dem Legat Giffard 400000 Frcs. 
zur Erbauung eines französischen Hospitals in Constantinopel ent¬ 
nommen. 

— In Brighton starb Dr. G. Thompson Gream, Leibarzt der Prin- 
cessin von Wales im Alter von 62 Jahren. 

— Zur medicinischen Publicistik. Die Redaction des „Orvosi 
Hetilap“ theilt mit, dass an Stelle des verstorbenen Prof. Balogh Prof. 
Reczey die Thätigkeit des Hauptmitarbeiters dieses Fachblattes über¬ 
nommen habe. 

— Die Redaction des .Jahresberichts über die Fortschritte 
der Geb urishülfe und G yn aekologie“, bearbeitet von Prof. Ahlfeld 
(Marburg), Privatdocent Bum m (Würzburg), Prof. Froramel (Erlangen), 
Prof. Hofm eier (Giessen), Dr. Ernst Cohn, Privatdocent Loehlein und 
Privatdocent Veit in Berlin, Privatdocent Sänger (Leipzig), Prof. Schwarz 
(Halle), Prof. Stumpf (München), Prof. Wyder (Zürich), herausgegeben 
von Prof. Frornmol in Erlangen, richtet an die Fachgenossen und For- 
schor des ln- und Auslandes, welche zu diesen Gebieten Gehöriges und 
Verwandtes publiciren. die Bitte, sie durch rasche Ueborsendung von Sepa¬ 


ratabdrücken ihrer Veröffentlichungen, sowie durch einschlagende Mitthei¬ 
lungen baldigst und ausgiebigst unterstützen zu wollen. 

— Eine medicinische Zeitung confiscirt. No- 31 der Prager 
medic. Wochenschrift wurde confiscirt wegen der vorher angekündigten 
Gorrespondenz eines Landarztes über den Statthaltereierlass vom 9. No¬ 
vember 1887 betreffend den Nichtersatz der Kosten für die Beschaffung 
des Impfstoffs. 

— Dem verstorbenen Naturforscher Robert v. Mayer, Entdecker 
des mechanischen Wänneäquivalentes, soll in seiner Heimathsstadt Heilbronn 
am Neckar ein würdiges Denkmal errichtet werden. Ca. 20000 Mark 
stehen bereits zur Verfügung. Das Coraite für das Denkmal gedenkt dem¬ 
nächst ein Preisausschreiben behufs Erlangung geeigneter Entwürfe zu er 
lassen. 

— A. Mosso theilte in der Sitzung der K. Akademie der Medicin zu 
Turin am 4. Mai d. Js. das Ergebniss von Beobachtungen mit, die er auf 
der zoologischen Station zu Neapel bezüglich der zu gewissen Jahreszeiten 
auftretenden Giftigkeit des Blutes gewisser Fische gemacht hat. 
Er fand, dass das Serum des frisch aus dem Körper von Meeraalen und 
Muränen entleerten Blutes einen widerlichen, scharfen, metallischen Ge¬ 
schmack besitzt. Dieselbe Erscheinung zeigten auch Aale aus Süsswasser. 
Das Serum wurde durch Centrifugiren des Blutes gewonnen. Thiere, denen 
das Serum subcutan oder intraabdominell injicirt wurde, starben an schweren 
Vergiftungserscheinungen. Die Vermuthung, dass es sich um giftige Gallen¬ 
salze oder Gallenpigmente handle, erwies sich als nicht zutreffend. Für 
Kaninchen und Hunde war die tödtliche Minimaldose des. Serums 20 mg 
pro Kilogramm bei direkter intravenöser Injection. In den Magen gebracht 
hatte das Gift auch in grosser Quantität keine Wirkung. Durch Erwärmung 
auf 100° C verliert das giftige Serum seine toxischen Eigenschaften. Frösche 
sind weniger empfänglich als Säugethiere. (Rif. med.) 

— A. Robin theilte in der Sitzung der Societe medicale des 
höpitaux von 13. März d. J. einen Fall von paroxysmaler Hämo¬ 
globinurie, durch Märsche hervorgerufen, mit Derselbe betraf 
einen 16 jährigen jungen Mann. In seinem Urin fanden sich grosse Mengen 
von Harnsäure. Der erste Anfall wurde durch Ruhe und reizlose Diät zum 
Stillstand gebracht: bei einem der folgenden Anfälle, die jedesmal nach 
einem Marsche auftraten, wurde ein kleines Conglomerat durch die Urethra 
entleert, bestehend aus faserstoffigem, mit Kalkoxalaten und Harnsäure in- 
krustirtem Gerinnsel, ln dem letzteren Vorkommuiss erblickt Robin einen 
Hinweis darauf, dass die Hämoglobinurie zur Bildung von Nierensteinen 
Veranlassung geben könne. Der Fall ging in Heilung aus. Während der 
Anfälle zeigte sich das Blutserum, welches spektroskopisch untersucht wurde, 
vollständig hämoglobinfrei. Der Autor schliesst daraus, dass das Zugrunde¬ 
gehen der rothen Blutkörperchen erst in der Niere stattgefunden habe. — 
In derselben Sitzung vertrat Salle den Standpunkt, dass die „Hemoglo- 
binurie paroxystique ä frigore“ sanguinen IJrspruugs ist. Er fand 
das Serum in einem beobachteten Falle hämoglobinhaltig. (Journal des 
societes scient.) 

— Cholera. Am 12. Juni d. J. lief in Singapore der deutsche 
Dampfer Duburg (Flensburg) mit 490 chinesischen Passagieren ein, unter 
denen an Bord die Cholera aufgetreten w’ar. Dieselben waren am 4. Juni 
in Swatow als Arbeiter für die Pflanzungen in Deli-Sumatra eingeschifft 
worden, seit dem 8. Juni aber erkrankten und starben so zahlreiche Passa¬ 
giere, dass das Schiff den Nothhafen Singapore anlaufen musste. Auch 
die Mannschaft, welche nur aus 5 Europäern, im Uebrigen aus Asiaten 
bestand, wurde von der Cholera ergriffen. Nach siebentägigem Aufenthalt 
der sämmtlichen bis dahin gesund gebliebenen chinesischen Passagiere auf 
der 8 Seemeilen von Singapore entfernten Quarantäneinsel St. Johns und 
nach Ausführung der von der Gesundheitsbehörde angeordneten Desinfections- 
maassregeln konnte das Schiff am 21. Juni den Hafen wieder mit 450 Passa¬ 
gieren verlassen, nachdem Tags zuvor der unmittelbare Verkehr der Schiffs¬ 
insassen mit dem Lande gestattet worden war. — Der an der chinesischen 
Küste gelegene portugische Hafen Macow ist für verseucht von der Cholera 
erklärt. — Während der 5 Wochen vom 23. Mai bis 2G. Juni d. J. sind in 
der Stadt Bombay 10, bezw. 12, 7, 19, 11 Choleratodesfälle in vier bis 
zehn verschiedenen Stadtbezirken verzeichnet worden. Diese 59 Todesfälle 
betrafen, mit Ausnahme der beiden ersten Wochen, in denen je 1 Europäer 
starb, nur Eingeborene. Ausserdem sind in diesen 5 Wochen aus 13 Be¬ 
zirken der Präsidentschaft Bombay Nachrichten über Cholerafälle eingegangen. 
Im Besonderen wurden aus den Bezirken Surat und Thaua (nördlich von 
der Stadt Bombay) während der am 26. Juni endigenden letzten Berichts¬ 
woche 427 bezw. 435 Erkrankungen und 236 bezw. 278 Todesfälle an der 
Cholera gemeldet. (Veröff. d. K. Ges.-Amtes.) 


XV. Personalien. 

Hessen. (Amtlich.) Ernennungen: Dr. F. Schwarz zum Kr.- 
Ass.-Arzt f. d. Kr. Heppenheim. — Niederlassungen: Die praktischen 
Aerzte: Dr. J. Vogel in Mainz, Dr. G. A. Borndrück in Heppenheim 
a. d. W., Dr. F. H. Kiehn in Aliendorf a. d. Lda, Dr. H. Dietsch in 
Goddelau, Dr. L Flichter in Egelsbach, Dr. Ph. Emmerling in Darm¬ 
stadt, Dr. M. Marx in Bürstadt, Dr. K. W. Hohmann in Giessen, Dr. E. 
A. G. Jesse in Giessen, Dr. F. H. A. D. Fischer in Giessen, Dr. J. 
"Müller in Bingen, Dr. E. Lampe in Gross-Umstadt, Dr. J. Hamacher in 
Mörfelden, Dr. J. Dahlem in Neckar-Steinach, Dr. G. Woltemas in Offen¬ 
bach, Dr. P. Wisser in Gimbsheim, Dr. R. Beyerle in Darmstadt, Dr. 
A. Macheuhauer in Darmstadt, Dr. L Orth in Darmstadt, Dr. Ch. Laute¬ 
schläger in Darmstadt, Dr. J. Brosch in Michelstadt, Dr. E. Reichmann 
in Giessen, Dr. H. Keiler in Urberach, Dr. J. Mogk in Giessen, Dr. A. 
Siepmann in Osthofen, Dr. A. Jourdan in Mainz, Dr. P. W. H. Hartung 
j in Mainz, Dr. W. Riegel in Giessen, Dr. A. Hoffmaun in Giessen. Dr. 
! J. Kremer in Wald-Uelversheim, Dr. A. Weber in Darmstadt. 


Gedruckt l#d Julius Slttcnfeld io ticrlio W. 


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Donnerstag 


.4? 88 . 


16. August 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thierae, Leipzig-Berlin. 


I. Zur Methodik der Herztonregistrirung. 

Von Prof. Dr. E. Kraepelin. 

Martius hat in seinen interessanten Untersuchungen Aber die 
Cardiographencurve ! ) eine Registrirmethode des Entstehungsmoments 
der Herztöne geübt, welche darauf hinausläuft, dass der auscultirende 
Beobachter denjenigen Augenblick, in dem er die Töne wahrnimmt, 
mittelst einer einfachen Bewegung durch einen Markirhebel auf der 
rotirenden Trommel aufzeichnet. Auf den ersten Blick gleicht dieser 
Vorgang in allen Stücken demjenigen einer sog. „einfachen Reaction“, 
und man sollte daher erwarten, wie auch Auerbach in der Dis- 
cussion über den citirten Vortrag 2 ) ausfubrte, dass zwischen dem 
Entstebungsmoment des Herztones und demjenigen der Registrir- 
marke eine gewisse Zeit vergehen müsse, wie sie der Reactionsdauer 
auf leise Gehörsreize entsprechen würde, also gegen 0,15 Secunden. 
Unter dieser Annahme könnte natürlich das Verfahren von Martius, 
den Zeitpunkt des Klappenschlusses im Cardiogramm zu markiren, 
nicht unmittelbar richtige Werthe ergeben, sondern dieselben be¬ 
dürften erst noch einer Correctur wegen der durch die Reactionszeit 
bedingten und dabei nicht einmal ganz constanten Zeitverspätung. 
Iudessen Martius konnte selbst durch eigens darauf gerichtete Ver¬ 
suche feststellen, dass in Wirklichkeit eine derartige Zeitverspätung 
unter den gegebenen Verhältnissen nicht eintrat, sondern dass, wie 
er meint, Ton uud Markirung zeitlich wirklich genau zusammen- 
fielen. Zur Erklärung dieses Verhaltens führt er an, dass die bis 
zur Perception des acustischen Eindrucks verfliessende Zeit äusserst 
kurz sei und daher gar nicht in Betracht komme, dass aber von 
da an keine nennenswerthe Zeit mehr verloren gehe, weil man 
„nicht etwa gewissermaassen hinter jeder einzelnen Gehörsperception 
herklopfe, sondern weil man, nachdem mau einmal den betreffenden 
Rhythmus erfasst habe, in diesem Rhythmus raitklopfe.“ 

Martius spricht die Ansicht aus, dass die Erfahrungsthatsache 
des Verlorengehens der „Uebertragungszeit“ bei Registrirung rhyth¬ 
mischer Eindrücke bisher psychophvsischerseits nicht beachtet wor¬ 
den sei. In Wirklichkeit ist diese Thatsache als eine der ältesten, 
der gesummten Psychophysik anzusehen; sie ist der Ausgangspunkt 
gewesen, von dem aus sich die ganze Lehre von den psychischen 
Zeitmessungen einerseits, diejenige vom Zeitsinn andererseits ent¬ 
wickelt hat. Die von Martius geübte Methode ist nämlich, wie 
auch Thorner in jener Discussion bemerkte, in der Tbat nichts 
Anderes, als eine Uebertragung der von Arago 1842 für astrono¬ 
mische Beobachtungen eingeführten „Registrirmethode“ auf das 
acustische Gebiet. Während hier der jedesmalige Eintritt eines 
sich rhythmisch wiederholenden Gehörsreizes signalisirt wird, be¬ 
zeichnet man dort durch einen Fingerdruck auf einem mit Zeit¬ 
marken versehenen Papierstreifen die Momente, in denen der be¬ 
obachtete Stern successive die einzelnen Verticalfäden des Faden¬ 
kreuzes im Fernrohr passirte. Allerdings ist die Bewegung eines 
Sternes an sich keine rhythmische, wohl aber bestehen für die 
Beobachtung des Phänomens in beiden Fällen ganz analoge Ver¬ 
hältnisse, denn der Rhythmus ist eben auch nichts anderes, als die 
regelmässig wiederkehrende Markirung einzelner Punkte im continuir- 
lichen Flusse der psychischen Vorgänge. Die früher von den Astro¬ 
nomen in Anwendung gezogene „Pointirmethode“ bestand darin, dass 
der Beobachter zwischen den lauten Schlägen eines Secundenpendels 
die zeitliche Lage des Durchgangsmomentes eines Sternes abschätzte. 

‘) Diese Wochenschrift, 1888. 18, p. 241; Zeitschrift für klinische Medi¬ 
än, XIII, 3 u. 4, 1887, p. 327. 

*) Diese Wochenschrift, 1888, 18, p. 359. 


Die hierbei auftretenden, schon seit Ende des vorigen Jahr¬ 
hunderts bekannten Schätzungsdifferenzen bezeichnete man als „per¬ 
sönliche Gleichung“. Diese letztere ist also durchaus nicht etwa 
identisch mit der zwischen Wahrnehmung und Willensbewegung 
nothweudig sich einschiebenden „Reactionszeit“, sondern sie kann, 
wie jeder Schätzungsfehler, positive oder negative Werthe annehmen 
und auch gelegentlich Null werden. Arago hoffte, diese störende 
Erscheinung durch Einführung der Registrirmethode zu beseitigen, 
doch zeigte sich bald, dass die Zeitdifferenz wohl vermindert, aber 
nicht vollständig eliminirt werdeu konnte, ln Folge dessen unter¬ 
nahm Hirsch in Neufehätel 1864 Versuche mit künstlichen Sternen 
und kam dabei zu dem Resultate, dass überall dort, wo der Eintritt 
eines Reizes vorausgesehen werden kann, dieser Eintritt bald 
später, bald gleichzeitig, bald aber auch früher registrirt wird, als 
er überhaupt stattgefunden hat. Damit war also der Nachweis ge¬ 
liefert, dass es sich auch bei der Registrirmethode gar nicht um 
eine Reaction auf einen wahrgenommenen Eindruck handelt, sondern 
dass der Beobachter einfach auf Grund einer unwillkürlichen Zeit¬ 
schätzung den erwarteten Eindruck und die Willensbewegung gleich¬ 
zeitig zu machen sucht und dabei einen Schätzungsfehler von 
variabler Grösse und Richtung begeht. Nicht darin liegt also in 
den Martius’schen Versuchen der Grund für das Zusammentreffen 
von Gehörseindruck und Registrirmarke, dass die acustische Per- 
ceptiouszeit und ebenso die Willenszeit hier sehr kurz ist, sondern 
darin, dass wir den Zeitpunkt für das Eintreten des Reizes auf 
Grund des einmal erfassten Rhythmus in der Vorstellung antecipiren 
und für ihn die Auslösung des Willensactes derart vorbereiten, dass 
sie auch erfolgt, wenn plötzlich einmal das erwartete Ereigniss 
gänzlich ausbleibt oder sich verzögert. Derselben Erscheinung be¬ 
gegnen wir leider nur allzu häufig bei den psychometrischen Unter¬ 
suchungen ungeübter Beobachter in dem Auftreten sog. „vorzeitiger 
Reactionen“. Wird bei solchen Experimenten das Signal zur An¬ 
spannung der Aufmerksamkeit in sehr regelmässigem Intervalle vor 
dem Eintritte des Reizes gegeben, so vermag die Versuchsperson 
den Zeitpunkt dieses letzteren annähernd vorauszusehen, und es 
entsteht daraus ganz unwillkürlich die Neigung, die Reaction mög¬ 
lichst gleichzeitig mit dem Reize selber auszuführen. Auf diese 
Weise kommt es dann zu ausserordentlich kurzen, ja selbst nega¬ 
tiven vermeintlichen „Reactionszeiten“, die in Wirklichkeit eben 
nichts sind, als die Schätzungsfehler, welche wir bei der activeu 
Markirung eines aus der Erinnerung bekannten Zeitintervalles regel¬ 
mässig zu begehen pflegen. 

Es liegt auf der Hand, dass demnach die Z uverlässigkeit der 
Martius’schen Registrirmethode direkt abhängig Sein wird von der 
Grösse, welche jene Schätzungsfehler unter den besonderen Versuchs¬ 
umständen erreichen. 

Da dieses ganze Problem offenbar nur einen Specialfall der 
Frage nach dem Verhalten unserer Zeitschätzung überhaupt darstellt, 
so würden wir uns hier zunächst an die ältere Arbeit Vierordt's'), 
sowie die unter Wundt’s Leitung angestellten Versuche von Estel 
und Mehner-) zu halten haben. Ganz speciell aber kämen die 
neuesten Experimente von Glass 3 ) in Betracht, welcher direkt den 
Fehler bestimmte, den wir begehen, wenn wir einer gegebenen, durch 
leise Geräusche markirten Hauptzeit eine zweite Vergleichszeit durch 
eine Registrirbeweguug gleich zu machen uns bemühen. Glass fand 
bei diesen Versuchen in Uebercinstimmung mit den nach anderen 

') Der Zeitsinn nach Versuchen, 1868. 

*) Philosophische Studien, herausgegeben von W. Wundt II, 1; II, 4. 

®) ibidem IV, 3. p. 423. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33 


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Methoden gewonnenen Resultaten der früheren Beobachter, dass bei 
kleinen Zeiten unter diesen Bedingungen die Registrirung gewöhnlich 
zu spät, bei grösseren indessen durchschnittlich zu früh geschieht. 
Die Verspätung nimmt zu mit der Abnahme der Zeiten, die „Ver- 
frfthung“ umgekehrt mit Verlängerung dieser letzteren, allerdings 
nicht einfach, sondern interessanter Weise in periodischen Schwan¬ 
kungen, deren Ursachen noch dunkel sind. Sie kann bei einer 
Hauptzeit von 7" schon mehr als eine halbe Secunde betragen. Nach 
den von Glass mitgetheilten Tabellen würde sich der constante 
Schätzungsfehler für eine Zeit von 0,8", wie sie dem Intervalle 
zweier gleichartiger Herztöne bei einer Pulsfrequenz von 75 entspricht, 
etwa zwischen 0,08—0,128 bewegen; ausserdem wäre noch ein vari¬ 
abler Fehler von 0,05 zu berücksichtigen. Nur 14% der Beobach¬ 
tungen ergaben eine genaue Gleichheit der Haupt- und Vergleichs¬ 
zeiten, während 79% zu lang und 7% zu kurz ausfielen. In seiner 
ersten Versuchsreihe, die Glass mit relativ geringer Uelmng ange¬ 
stellt hatte, überwogen indessen für 0,H" die zu kurzen Vergleichs¬ 
zeiten beträchtlich, und dem entsprechend nahm hier auch der con¬ 
stante Fehler keinen positiven, sondern einen geringen negativen 
Werth an. 

Offenbar sind derartige Schätzungsfehler auch auf die Martius’- 
schen Resultate von einem gewissen Einflüsse gewesen. Er selbst 
hat bemerkt, dass bisweilen die Markirung zu früh kommt, und diese 
Beobachtung auf eine Verspätung des Reizes bezogen, währeud sie 
wohl wahrscheinlicher eben auf eine Antecipation desselben in der 
Erwartung zurückzuführen ist. 

Sollten wirklich Fehler in der von Glass festgestellten Grösse, 
also etwa von 0,1 ±0,05 für jede Markirung jener Registrirmethode 
anhaften, so würden die Ergebnisse derselben natürlich bei der 
Kleinheit der in Betracht kommenden Zeiten mit grösster Vorsicht 
aufzunehmen und keinesfalls für eine so feine Analyse des Cardio- 
grammcs verwerthbar sein, wie sie von Martins durchgeführt wurde. 
Ich vermag diese Frage im Augenblicke nicht zu entscheiden, bin 
aber angesichts der vorliegenden Curven, welche vielfach eine kleine 
positive oder negative Differenz gegenüber dem typischen Verhalten 
erkennen lassen, durchaus geneigt, anzunehmen, dass dort der 
Schätzungsfehler sehr erheblich geringer ausfiel, als bei deu Glass’- 
schen Versuchen. Wie ich vermuthe, würde ein Grund für diese 
Differenz in dem Umstande zu suchen sein, dass bei Glass das 
Hauptintervall nur einmal bei jedem Versuche angegeben wurde, 
während bei Martius das rhythmische Geräusch mehrmals hinter¬ 
einander wiederkehrte und somit einen, immer von Neuem regulirenden 
Einfluss auf die Grösse des Schätzungsfehlers ausüben musste. 

Sollte sich diese Vermuthung durch das Experiment bewahr¬ 
heiten lassen, wie ich für sehr wahrscheinlich halte, so würde dadurch 
die Zuverlässigkeit seiner Methode und somit auch seiner Resultate 
in bündiger Weise dargethan sein, gleichzeitig aber auch die Grenzen 
der Anwendbarkeit jener ersteren leider beträchtlich eingeengt werden. 
Wenn nur die regulirende Aufeinanderfolge einer ganzen Reihe von 
rhythmischen Reizen den Schätzungsfehler minimal werden lässt, so 
kann eben die Registrirmethode auch nur bei vollkommen regel¬ 
mässiger Herzaction brauchbare Ergebnisse liefern, ja wir sind dann 
bei der Untersuchung arhythmiseher Bewegungen schlechter daran, 
als wenn es sich wirklich um einen Reactionsvorgang handelte, 
dessen Dauer sich durch grosse Uebung in viel constautere Grenzen 
eiusehliessen lässt, als der Fehlbetrag bei der Zeitschätzung. 

II. Ueber idiopathische Entzündung der 
Tenon’schen Kapsel. 

Von Dr. W. Herschel in Hamburg. 

Das unter dem Namen Entzündung der Tenon’schen Kapsel 
beschriebene Krankheitsbild hat bisher in der Ophthalmologie volles 
Bürgerrecht noch nicht erlangt. 

War man einerseits bisher nicht in der Lage, im Anschluss an 
einen im Leben genau beobachteten Krankheitsverlauf das Bild einer 
isolirten Entzündung der Tenon'schen Kapsel anatomisch festzn*- 
stellen, so fehlte cs andererseits nicht an Berechtigung für die Be¬ 
hauptung, dass der Tenon’sche Raum keine derartige Abgeschlossen¬ 
heit besitze, dass innerhalb desselben auftretende Krankheitsprocesse 
nicht sofort ihren Weg nach hinten oder nach vorn nehmen müssten. 
In diesem Falle müsse man eben den Begriff einer eigenen Krank¬ 
heitsform fallen lassen. 

In diesem Sinne sprechen sich ziemlich entschieden u. A. 
Schweigger 1 ) und Berlin 2 ) aus. 3 ) 


*) Handbuch der Augenheilkunde, Berlin 1885, 5. Aull., p. 180. 
a ) Berlin, Krankheiten der Orbita. Gräfe-Saemisch: Handbuch 
der Augenheilkunde, Bd. VI, p. 534—536 und als Referent in Michcl’s 
Jahresbericht der Ophthalmologie, 1881, p. 395. 

3 ) s. auf der anderen Seite Vossius, Die entzündlichen Affectionen der 
Orbita. Deutsche Medicinalzeitung 1884. 


Was die klinischen Schilderungen betrifft, so ist zu bemerken, 
dass die als idiopathische Formen geschilderten Kraukheitsbilder in 
Deutschland nur selten zur Beobachtung kommen. Vorwiegend sind 
in den letzten Jahren Frankreich und Italien an der Veröffentlichung 
derartiger Fälle betheiligt geweseu, und die Krankheitsforra scheint 
sich auch in diesen Ländern eines besseren Renomme, als bei uns, 
zu erfreuen. 

Manche der mitgetheilten Fälle stiessen auf concrete Einwen¬ 
dungen; die von v. Wecker 1 ) und Mooren 2 ) aus klinischen Beob¬ 
achtungen abstrahirten Postulnte für die Diaguose begegneten dem 
Widerspruche, dieselben könnten mit derselben Berechtigung auf 
eine Entzündung des retrobulbären Bindegewebes bezogen werden. 
Erwächst somit als die erste Bedingung für jede weitere Veröffent¬ 
lichung die Nothwendigkeit, die vorhandenen Symptome gegen die 
einer retrobulbären Bindegcwebsentzündung differentialdiagnostisch 
nach Möglichkeit zu begründen uud abzugrenzen, so wäre es aber 
andererseits verkehrt, von weiteren Mittheilungen so lange abstehen 
zu wollen, bis erst ein zweifellos klarer Sectionsbefund die feste 
Grundlage für das klinische Rnisonnement geliefert haben würde. 
Bei der nur kurzen Dauer und bei dem nur seltenen Vorkommen 
derartiger Krankheitsbilder, müsste es eben einer besonderen Gunst 
des Zufalls zu danken sein, wenn ein Fall zur Autopsie käme, bei 
welchem gerade während der letzten Lebenstage eine derartige Ent¬ 
zündung beobachtet worden wäre. 

Vielmehr ist es die Aufgabe der klinischen Beobachtung, ihrer¬ 
seits weitere Belege zur Lehre von der idiopathischen Entzündung 
der Tenon'schen Kapsel herbeizubringen, uud hierin möge die Be¬ 
gründung liegen für die Mittheilung folgenden Falles, welchen ich 
gemeinschaftlich mit meinem Freunde Dr. A. Mennig kürzlich 
beobachtet habe. 

Am 9. April d. J. kam in meine Sprechstunde Frau A., um mich 
wegen einer Eutzündung ihres linken Auges um Rath zu fragen. Das Auge 
thräne seit drei Tagen; ausserdem seien heftige Schmerzen klopfender 
und bohrender Art in der linken Stirnhälftc aufgetreten, welche deu nächt¬ 
lichen Schlaf gestört hätten. Dr. Mennig habe hiergegen Pulver verordnet 
ä 1,0 Antipyrin, von welchen am 1. Tage 3 Stück, an den beiden darauf 
folgenden je 1 genommen wurden. Zur Zeit sei nur noch ein gewisses 
Gefühl von Spannung uud Unbehagen im Auge übrig. Patientin spüre das 
Bedürfnis», dasselbe zu schliesscn. Wolle sic nach der linken Seite blicken, 
sei ihr dies besonders unangenehm. Namentlich wenn dies schnell ge¬ 
schehe, komme es ihr vor, als ob der Augapfel mit Gewalt nach hinten ge¬ 
zogen werde: sie empfinde einen zuckenden und stechenden Schmerz dabei 
in der Tiefe der Augenhöhle. Ausserdem überkomme sie ein Schwindel. 
Alle Gegenstände tanzen und erscheinen doppelt. Halte sie das "Auge aber 
ruhig, so empfinde sie ein Flimmern, doch könne sie entfernte und nahe 
Gegenstände ebenso gut, wie früher, erkennen. 

Am Tage vorher habo sie mehrfach kalte Umschläge an das Auge ge¬ 
halten, die ihr Linderung gegeben hätten. 

Bisher seien die Äugen immer gut gewesen bis auf eiuen leichten 
Katarrh im letzten Sommer. Gegen die Beschwerden von Mouches volantes 
sei ihr von einem hiesigen Sperialcollegen ein Pincenez -1-0,75 D. für die 
Nähe verordnet worden. 

Weiterhin ist zu bemerken, dass die Dame 26 Jahre alt, seit mehrereu 
Jahren verheirathet, kinderlos ist und bisher nie eine Krankheit oder Un¬ 
wohlsein überstanden hat. 

St. praesens: Das Erste, was mir während meines Examiuirens auffällt, 
ist ein eigenthüralicher starrer Blick. Der Augapfel orscheint offenbar in 
seinen Bewegungen gehemmt. Statt letzterer werden mit dem Kopfe Dre¬ 
hungen in verschiedenem Sinuo vorgeuommeu, ähnlich wie bei einer com- 
plicirten Augenmuskellähmung; häufiger wird ausserdem das Auge mit der 
Hand zugohalten. 

Das Oberlid erscheint von aussen in massigem Grade polsterartig er¬ 
hoben, nicht geröthet; die Lidspaltc um 1 mm enger, als rechts. In den 
Lidecken zeigen sich weder Sccret noch Thränen. Der Lidschluss ist nicht 
gostört, dagegen um ein Geriuges die Hebung des Oberlidos> Der Aug¬ 
apfel steht aus der Orbita etwas weiter hervor, als der gesunde, doch mag 
die Differenz höchstens 1 mm betragen. Die Umrandung und Wände der 
Augenhöhle, welche ebensoweit zu palpiren sind, wie rechts, bieten dem Ge¬ 
fühle nichts Abnormes dar und sind nirgends auf Druck empfindlich: ebenso¬ 
wenig die Austrittsstellen der Zweige des 1. und 11. Trigeminusastes. 
Gleichfalls reagirt der Augapfel nirgends auf Druck schmerzhaft. Die 
Liderschleimhaut ist normal, ln der Augapfelbindehaut. findet sieh 2 mm 
lateral vom äusseren Horuhautrande im horizontalen Meridiane eine wässerige 
Erhabenheit, bedingt durch oine darunter befindliche circa 20-Pfcnnigstüek 
grosse Blase. Die Blutgefässe der Bindehaut oberhalb dieser sind nicht 
stärker injicirt. 

Beim Blick in grössere Entfernungen sind die Achsen beider Augen 
parallel gerichtet, dagegen folgt der Bulbus dem vorgehaltenen Finger nur 
mühsam. Namentlich bei Bewegungen nach aussen wird über heftige 
Schmerzen geklagt. Boi äusserster Anstrengung bleibt der äussere Horn¬ 
hautrand vom Lidwinkel um 3 mm entfernt, der innere nornhautrand von 
der Plica semilunaris um 1 mm. Ebenso besteht eiu Beweglichkeitsdefcct 
der Musculus rectus superior von l mm. Dementsprechend werden heim 
Blicke nach aussen gleichnamige Doppelbilder von grosser Distauce an- 


*) Traite theompic et pratirpie dos maladies des veux. 11. Ausgabe. 
1867, Bd. 1, p. 764. 

J ) Ophthalmologisclie Mittheilungen aus dem Jahre 1873, p. 13. 


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16. August. DEUTSCIIE MEDICINISCnE WOCHENSCHRIFT. 671 


gegeben, beim Blicke nach innen gekreuzte. Beim Blicke nach oben steht 
das Bild des linken Auges etwas schräg nach rechts und höher. 

Hornhaut und luuengebilde des Auges zeigen keine Veränderung. 
Sehvermögen und Accommodation sind normal. Der Augenspiegel ergiebt 
Kmmetropie; namentlich sind Veränderungen in Füllung und Verlauf der 
Gefässe des Hintergrundes nicht zu constatiren. 

Für die vorliegenden Erscheinungen fehlte es an jeder ätio¬ 
logischen Begründung. Ein Trauma war nicht vorausgegangen; 
makroskopisch war eine Eingangspforte für Entzündungserreger 
nicht nachzuweisen. Bestimmt konnte die Patientin die Einwirkung 
einer starken Zugluft auf die erhitzte linke Gesichtshälfte aus- 
schliessen, so dass der Affeetion das Prädicat „rheumatisch“ ver¬ 
sagt bleiben musste. Endlich fehlte bei der Patientin die Dis¬ 
position zu multiplen oder, arthritischen Gelenkentzündungen. 

Der von mir als wahrscheinlich hingestellten Diaguose einer 
genuinen Entzündung der Tenon’schen Kapsel pflichtete Dr. Men- 
nig bei. 

Wir begnügten uns damit, der Patientin zu rathen, ein ruhiges 
Verhalten zu beobachten und das Auge mit einem Tuche zu be¬ 
decken. Obwohl theoretisch vor Allein die möglichste Immobili¬ 
sation des Bulbus indicirt schieu, so liess sich doch nicht voraus- 
bestimmeu, wie ein Druckverband der Patientin anstellen mochte. 
Die Fortsetzung der subjcctiv bisher wohlthätigeu kalten Compressen 
wurde empfohlen und Eiuträufelungen einer Cocaiu-Borsäurelösuug 
verordnet. 

Fernerhin meinten Dr. Mennig und ich, es wäre möglich, dass 
das von ilfrn verorduete Antipyrin auf den Krankheitsverlauf von 
vornherein irgend einen günstigen Einfluss geäussert habe. Da die 
in die linke Stirnhälfte von der Tiefe der Augenhöhle ausstrahlenden 
Schmerzen, welche lediglich in der acuten Entzündung um den 
Augapfel ihren Grund hatten, schnell nachgelassen hatten, so wäre 
es immerhin denkbar, dass auch die den Schmerzen zu Grunde 
liegenden materiellen Veränderungen von ihrem Beginne an unter 
die Macht des Medicamentes gesetzt wären. Wie aber ein der¬ 
artiges Abhäugigkeitsverhältuiss zu eonstruiren wäre, war uns völlig 
unklar. Vielleicht schwebte uns doch unwillkürlich das Epitheton 
»rheumatische Entzündung" vor, zu welcher auf dem Reverse unserer 
therapeutischen Speeulatiouen Antipyrin und Natron salicylicum 
verzeichnet standen. Auch an letzteres wurde, doch in zweiter 
Linie, gedacht, theils wegen eiuiger ähnlicher Wirkungen mit jenem, 
theils wegen seines diaphoretischen Einflusses, welcher von einigen 
Autoren als heilsam hierbei empfohlen war. « 

Zwei Tage später, am 11. April, berichtete die Dame, dass sie das 
Flimmern vor dem linken Auge nicht mehr verspüre. Sie fühle dasselbe 
viel leichter und freier: seit dem gestrigen Nachmittage sei es auch nicht 
mehr geschwollen. 

In der That erschien mir das Oberlid wieder gänzlich abgeschwollen, 
und hatte die Lidspalte wieder dieselbe Weite, wie rechts, sowohl im Ruhe¬ 
zustände, wie bei Hebung des Oberlides. Der Augapfel ragte nicht mehr 
aus der Orbita hervor. Die wässerige bläscheuartige Erhabenheit oberhalb 
der Ansatzstelle des Musculus rectus externus war spurlos verschwunden. 
Doch war die Unbeweglichkeit der Augenmuskeln noch ganz dieselbe. Zwar 
wurden die auf Geheiss ausgeführteu Bewegungen noch als unangenehm be¬ 
zeichnet, doch verursachten sie nicht mehr so intensiv spannende Schmerzen, 
wie zwei Tage früher. Das lineare Maass der Bewegungshemmung — wenn 
ich mich dieses für eiue Kugelbewegung völlig unmathematischen, doch noch 
allgemein gebräuchlichen Ausdrucks bedienen darf, —war noch genau das 
nämliche- Ganz dieselben Prismen waren noch erforderlich, um die den 
verschiedenen Stellungen eigcnthümlichen Doppelbilder zur Verschmelzung 
zu bringen. 

Fernerhin war auffällig, dass die Pupille, welche durch einen im Hause 
angewandten Cocaintropfen um etwa 6 mm im Durchmesser erweitert war, 
auf den Lichteiufall bei seitlicher Beleuchtung kaum reagirte. Dagegen 
war die Accommodation nicht gestört. 

Das Sehvermögen und der ophthalmoskopische Befund waren normal. 

Am 14. April, drei Tage später, kam die Patientin zuletzt in meine 
Sprechstunde. Sie hielt sich selbst für fast geheilt und theilte mir mit, 
dass die Bewegungen des Augapfels Unbequemlichkeiten nicht mehr verur¬ 
sachten. Nach innen bestand die Hemmung nicht mehr; aussen blieb 
jedoch der äussere Hornhautrand vom Lidwinkel noch um 1 mm entfernt. 
Eine Beschränkung nach oben war bei Betrachtung des Auges nicht mehr 
auffällig, wurde dagegen manifest durch die Prüfung mit Doppelbildern. 
Die durch Cocain erweiterte Pupille zog sich auf Lichteiufall jetzt wieder 
energisch zusammen. 

Wie unter meiner Beobachtung in so kurzer Zeit die Störungen 
gewichen waren, so ist anzuuehmen, dass auch die letzten Funetious- 
deferte fernerhin schnell ausgeglichen wurden. — 

Aus dem beschriebenen Krankheitsbefunde nun glaube ich die 
Diagnose eiuer isolirten Kapselentzümlung gegen die einer Entzündung 
des retrobulbären Bindegewebes in seinem vorderen Abschnitte durch 
folgende Erwägungen begründen zu können. 

1. Was die Schwellung des Oberlides betrifft, welche bei der 
ersten Vorstellung des Patientin constatirt wurde, so kann dieselbe 
bei beiden Kranklioitsproeessen sich finden. Bringt mau dieselbe in 
Zusammenhang mit eiuer isolirten Eutzüuduug der Teuon scheu 


! Kapsel, so ist hier auf die anatomischen Untersuchungen von Motais 1 ) 
hinzuweisen. Dieser Autor unterscheidet an der Kapsel 2 verschiedene 
über einander liegende Membranen, die innere oder Bulbuskapsel 
! und die äussere oder Muskelkapsel. Von der ersteren setzt sich eine 
diaphragmaartige Ausbreitung an die Orbitalwand und den Lidknorpel 
fest, von der letzteren, welche in 2 Blätter zerfällt, das vordere. 
Handelt es sich um eine Entzündung der Kapsel, so kann dieselbe 
| auch an ihrer Insertion am Lidknorpel zum Vorschein treten und 
sich durch eine Volumszunahme daselbst bemerkbar machen. Auf 
dies Symptom wies schon der erste Benenner der Krankheit, 
O’Ferrall, im Jahre 1841 hin. 

i Ob aber der tarsale Theil des Oberlides bei meiner Patientin 
1 vorwiegend an der Schwellung betheiligt war,’habe ich heim ersten 
! Augenschein derselben zu prüfen verabsäumt. 

Ebenso waren im Exophthalinos unserer Patientin irgend welche 
Momente für die Differentialdiagnose nicht herauszutinden. Beiden 
| Affeetionen scheint derselbe als Grundbedingung zuzukommen, und 
für die TeuonVhe Kapsel wird er einem um so geläufiger, sobald 
man sieh durch Versuche an der Leiche davon überzeugt, hat, wie 
, wenige Tropfen, aus der Pravaz'sehen Spritze in die Kapsel ge- 
. trieben, genügen, um ein merkliches Vorrücken des Bulbus zu 
i bewirken. 

2. Die bläscheuartige Erhabenheit oberhalb der Insertionsstelle 
des geraden äusseren Augenmuskels spricht ziemlich deutlich für eine 
Kapselentzündung. In mehrfachen Schilderungen der Autoren finden 
sich gerade an der Stelle der Sehneninsertionen die Hervorbuchtuu- 

i gen unter der Bindehaut beschrieben, ebenso die Perforationsstellen 
für die innerhalb der Kapsel angesammelte Flüssigkeit. Ich erinnere 
hier an eine Schilderung von Kampoldi 2 ). Bei einem 60jährigen 
. Patienten war plötzlich eine Kapselcntzündung aufgetreten, welche 
| in der Folge auch den Bulbus durch Hornhautentzündung und 
schwere Iridochnrioiditis in Mitleidenschaft zog. Im Verlaufe der 
i Krankheit wurde die Conjunctiva Bulbi brüchig, und es entleerte sich 
1 grade den Ansätzen der Mm. rect. superior, internus und inferior 
l gegenüber eiue seröse, trübe, mit Krümeln gemischte Flüssigkeit. 

Wahrscheinlich wäre es auch in unserem Falle zu Erhebungen 
' an den Ansatzstellen des M. rect. sup. oder int. noch gekommen, 

I wenn die Affeetion uicht so schnellen Ausgleich wieder erlangt 
j hätte. 

Es ist von vornherein klar, dass dort, wo auf der Sclerotica 
j die Insertionen der Tenon’schen Kapsel in besonderen Verstär- 

■ kungeu sich finden, in Gestalt von Duplicatuivu und Bändern, so- 
! wohl als Scheide, wie als Befestignngs- und Hemmungsapparat für 
! die Muskelsehnen, entzündliche Anschwellungen besonders locali- 
I sirt sich aussprechen müssen. Wie aber dergleichen Bläschen, die 

spurlos in kurzer Zeit wieder verschwinden können, bei Fehlen von 
1 Oedem und lnjection der Apfelbiudehaut durch eine retrobulbäre 
| Bindegewobsentzündung erklärt werden können — dies Moment ist 
von den Gegnern immer mit Stillschweigen übergangen worden — 
ist mir nicht ersichtlich. 

3. Die Schmerzen bei jeder, selbst der geringfügigsten Bewe- 
j gung des Augapfels sind bei Weitem mehr für eine Entzündung in 

1 der gemeinschaftlichen Muskelapnneurose, als im Bindegewebslager 
' zu verwerthen. Bei letzterer begegnen wir nur äusserst selten einem 
Bewegnugsschmerze, und es lässt sich auch nur schwer vorstellen, 
in welcher Weise die in lockerem Lager befindlichen Muskelbäuche 
i durch das Dickerwerden bei ihrer Contraction eine schmerzhafte 
j Empfindung verursachen könnten. Um so weniger ist dies denkbar 

■ iu einem Falle, wie dem unsrigen, wo selbst ein starker Fingerdruck 
| nach hinten zwischen Bulbus und Orbitalwände irgend einen 
I Schmerz nicht zu erzeugen vermochte. Und endlich bietet die Er¬ 
klärung einer derartigen Schmerzhaftigkeit, wie oben geschildert, 

! bei Bewegungen nach jeder Richtung hin einige Schwierigkeiten. 

' Anders, wenn man die Entzündung in denjenigen Theil verlegt sich 
! denkt, welcher die einzelnen Sehnen eug umscheidet und für die 
I Gesammtheit die gemeinsame Umhüllung abgiebt. Die scheiden- 
artigeu Fächer der Tenon’schen Kapsel seien angeschwollen, und 
i die Sehnen erzeugen bei jeder Bewegung des Muskels eine um so 
i stärkere Reibung, so wird die Schmerzensempfiudung ziemlich ver- 
| stündlich. Zum Ueberfluss deuke man noch an diejenige Sehnen¬ 
scheidenentzündung, welche selbstständig am häufigsten im Körper 
i vorzukommeu pflegt, an die sogenannte „Tenalgia“ crepitans der 
I Hand. Jegliche Bewegung der Hand- oder der Daumenstreckers löst 
sofort den Schmerz aus, während die schon meist instinctiv eiuge- 
j nommene Ruhestellung das einzig Wohlthätige ist. 


‘) s. (I. Referat in Michel’s Jahresbericht der Ophthalmologie 188G, 
p. 553. und de Wecker et Landolt, Traite complet d'ophthulinologie 3. 
Auflage 1887, Bd. 111, 3, p. 768. 

, *) Ein Fall von primärer Tenonitis, Annali di Oltalmologia del Prof. 

Quaglino 1882, referirt iu Hirschberg’s Centralblatt für praktische Augen¬ 
heilkunde 1882, p. 450. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33 


4. Eine Bewegungshemmung in den Excursionen des Augapfels 
kann beiden Affectionen zukommen. Man wird gut thun, in den¬ 
jenigen Fällen, welche man als Kapselentzünduug zu vertheidigen 
gesonnen ist, die Muskeln, welche gehemmt sind, zu specialisiren, 
ebenso das Maass für die Hemmung anzugeben. 

Bei der Entzündung des Orbitalgewebes findet die Bewegungs¬ 
beschränkung dadurch statt, dass zwischen dem Augapfel und die 
Augenhöhlenwände das geschwollene Gewebe sich wie ein Keil 
hineinschiebt. 

Dass in unserem Falle ein derartiges Hemmniss nicht gegeben 
war, davon überzeugte die Palpation. Ausserdem ist die Thatsache 
zu berücksichtigen, dass bei der Schwellung des Orbitalgewebes die 
Bewegungshinderung vorzugsweise nach einer Richtung hin sich ina- 
nifestirt. Ebenso, wie häufig der nach vorn getriebene Augapfel 
zugleich nach einer lateralen oder verticalen Richtung dislocirt wird, 
so findet sich auch meist die Beweguugshemmung in Folge des ein¬ 
getriebenen Keils in einseitigem Sinne. 

Die Hemmung eines Autagonistenpaares und eines dazwischen 
befindlichen Muskels, wie in unserem Falle, erklärt sich aber leich¬ 
ter durch die Erkrankung eines ihnen gemeinsam zukommeuden Ge¬ 
bildes, der Tenon’sehen Kapsel. 

Hervorzuheben bleibt die Thatsache, dass der vom Hornhaut¬ 
rande weiter entfernte M. obliquus superior nicht gestört war. 

Nach dem Charakter der Functionshemmung Hesse sich in uu- 
serem Falle vielleicht auch der Sitz der Entzündung in der Kapsel 
genauer loealisircn. Vorwiegend erscheint hiernach die obere Hälfte 
betheiligt gewesen zu sein und von dieser wieder der äussere Ab¬ 
schnitt am stärksten. Der M. rect. ext. war am meisten gehindert 
und blieb es am längsten. Ausserdem war auch oberhalb seiner 
Sehne durch die isolirte Anschwellung die Entzündung am inten¬ 
sivsten ausgesprochen. 

5. Schliesslich kann der schnelle Rückgang eher im Sinne eines 
kleineren und begrenzten Gebildes, als eines weit grösseren Areals 
gedeutet werden. Trotz des innigen Zusammenhanges mit dem 
lockeren Bindegewebe bleibt doch die derbe äussere Membran der 
Kapsel als feste Scheidewand errichtet. Es ist mir daher auch nicht 
ersichtlich geworden, aus welchem Grunde diejenigen Autoren, 
welche eine isolirte Entzündung der Tenon’scheu Kapsel eben 
dieses Zusammenhanges wegen in Abrede stellten, und diese lieber 
auf die vorderen Abschnitte des Orbitalbindegewebes beschränkt oder 
concentrirt wissen wollten, in letzterem lieber ein Diaphragma sich 
dachten, und in welcher Weise sie dessen Ausdehnung und Lage 
sich vorstellten. — 

Erscheint nunmehr auf Grund vorstehender Betrachtungen die 
Diagnose einer isolirten und idiopathischen Entzündung der Te¬ 
no n’schen Kapsel plausibel, so glaube ich auch einen Theil der in 
der Literatur niedergelegten Fälle als hierher gehörig auffasseu zu 
sollen. Freilich betrifft dies offenbar nicht die erste in Deutsch¬ 
land mitgetheilte Beobachtung von Linhart 1 ), bei welcher der 
Autor selbst es Anderen überlassen will, über den anatomischen Sitz 
zu urtheilen. — 

Die bisherigen Sectionsergebnisse beziehen sich auf Verände¬ 
rungen in der Tenon’sehen Kapsel bei gleichzeitiger Erkraukung 
entweder des Bulbus oder des retrobulbären Bindegewebes. Schon 
von vornherein ist klar, dass eine Reihe der verschiedenartigsten 
Erkrankungen beider sowohl der Nachbarschaft wegen, als wegen 
Contiuuität ihrer Lymph- und Blutbahneu die Kapsel betheiligen 
können. Hierunter nenne ich auch, um eiuer der seltensten Ver¬ 
anlassungen Erwähnung zu thun, ein in die Orbita propagirtes Ge- 
sichtserypsipelas. Vorwiegeud wird die in Panopththalmitis endi¬ 
gende eitrige Chorioiditis Schrumpfungen, Verwachsungen und Obli¬ 
teration in der Tenon’schen Kapsel herbeiführeu. Wenn man da¬ 
her in der Lage ist,' bei einem atrophischen Bulbus Veränderungen 
in der Tenou’schen Kapsel zu demonstriren, wie Berger auf dem 
Ophthalmologeu-Congresse zu Heidelberg 1882, woselbst er hier die 
Ablagerung eiuer dicken faserigen, gallertigen Masse beschrieb, während 
der Bulbus atrophisch geworden war, so wird man hiermit für die 
Lehre von der idiopathischen Kapseleutzüudung nichts gewonnen 
haben. Werth voller wäre das auf demselben Congresse von Prof. 
Kuh nt vorgezeigte Präparat geworden, wenu der behandelnde Arzt, 
welcher dasselbe gewonnen hatte, in der Lage gewesen wäre, eine 
klinische Anamnese zu geben. 

Diejenigen Mittheilungen, welche sich auf eine traumatische 
Tenouitis beziehen, gehören nicht in den Rahmen der idiopathischen 
Kapselentzündung. Wie bei der Eröffnung eines jeglichen Körper¬ 
raumes mit gleichzeitigem Hineintragen pyogener Organismen eine 
infectiöse Eutzünduug entstehen muss, so ist eine solche selbstver¬ 
ständlich auch für die Tenon’sche Kapsel unter dieser Bedingung 
gegeben. Ueber derartige Fälle in Anschluss an Schieloperatioueu 

') Bemerkungen über die Capsula Tenoni. Verhandlungen der physi- 
kalisch-medicinischeu Gesellschaft in Würzburg 1855t p. 247 250. 


berichteten Bull*), v. Wecker 2 ), Mooren 3 ) und Schiess-Gemu- 
seus 4 ). 

Praktisch wichtig und erfreulich bleibt die Thatsache, dass, so¬ 
weit ich finden konnte, weitere Mittheilungen über Kapselentzün¬ 
dung nach Schieioperationen nicht erfolgt sind, seitdem die Anti¬ 
sepsis in der ophthalmologischen Chirurgie sich fest eingebürgert 
hat. Indessen möchte ich darauf hindeuten, dass aber trotzdem in 
unserer antiseptischeu Aera die Möglichkeit für eine septische In- 
fection der Tenon’schen Kapsel in einer Operation neueren Datums 
in gesteigertem Maasse gegeben liegt. Bekanntlich wurde anstatt 
der Vorlagerung der Muskelsehne von v. Wecker im Jahre 1883 
die Vornähung der Tenon’schen Kapsel empfohlen und seitdem na¬ 
mentlich in Frankreich vielfach ausgeführt. Hierbei muss die Kap¬ 
sel leichter der Gefahr einer Infection ausgesetzt sein, als wenn man 
lediglich die Muskelsehne aus der Kapselumscheidung und den Kap¬ 
selbändern lockert und trennt. 

Noch eine andereForm der traumatischen Kapselentzündung findet 
sich von Schiess-Gemuseus in 3 Beispielen erläutert, in welchen 
starke stumpfe Gewalten den Augapfel und die Aughöhle von vorn 
trafen. 5 ) Diese setzten aber so schwere und diffuse Läsionen, dass 
die Rubricirung dieser Fälle unter die Bezeichnung Tenonitis offen¬ 
bar den Thatsachen Gewalt anthut. 

In der Aetiologie der Affection finden wir zunächst die nicht 
mehr ungewöhnliche Ursache der Erkältuug angeführt. So berichtet 
Rampoldi 1 ’) von einer 39jährigen Krankenwärterin, die während 
des Nachtdienstes bei einem plötzlichen Sinken der Temperatur von 
heftigen rheumatischen Schmerzen im linken Auge befallen wurde. 
Aus dem Krankheitsverlaufe wurde die Diagnose auf eine primäre 
rheumatische Tenonitis gestellt und eine Entzündung des Orbitalge¬ 
webes ausgeschlossen. 

VonPauas und Sedan 7 ) wird die Entzündung der Tenou’schen 
Kapsel mit der Disposition ihrer Patienten zu multiplen Gelenkent¬ 
zündungen in Zusammenhang gebracht. Für einen der Fälle wird 
von Panas auch eiue verstärkte Harnsäureausscheidung im Urin 
als ursächliches Moment betont. Fernerhin wird in einer Pariser 
Dissertation von Puechagut 8 ) im Jahre 1884 für den acuten Gelenk¬ 
rheumatismus als ätiologisches Moment plädirt. 

Bringt man aber die Affection mit dieser Körpererkrankung in 
Zusammenhang, so bleibt immerhin die Thatsache auffällig, dass iuan 
bis jetzt dieselbe vorwiegend einseitig beobachtet hat. 

Um endlich der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass auch 
die Syphilis für die Erkrankung verantwortlich gemacht wurde, so 
möge bemerkt sein, dass der einzige Fall von Bull, 9 ) in welchem 
an den Mm. recti exterui beider Augen gummöse Erhabenheiten sich 
zeigten, die unter antisyphilitischer Behandlung völlig verschwanden, 
die Diagnose der Kapselentzündung auf allseitigen Widerspruch stossen 
dürfte. 

Was die Ausgänge betrifft, so sind diese meist günstig. Nur 
selten freilich werden die Symptome eine so rapide Rückbildung iu 
wenigen Tagen, wie in unserem Falle, erfahren, v. Wecker 10 ) giebt 
als die durchschnittliche Dauer 6—8 Wochen an. „La marche de 
la capsulite est caracterisee par une certaine lenteur et par la per- 
sistance de la plupart des svmptomes.“ 

Mit der Dauer der Entzüudung aber muss ihre Gefährlichkeit 
zunehmen, einerseits da der Abfluss aus dem suprachorioidealen 
Lymphraum für längere Zeit Störungen erleidet, andererseits durch 
Compression der Blutgefässe des Augapfels. 

Recidive der Affection scheinen nicht beobachtet worden zu 
seiu. Wegen der relativ kurzen Dauer muss der Charakter der 
Entzündung in den meisten Fällen als der eiuer serösen bezeichnet 
werden. 

Um zum Schlüsse uoch einige Worte zur Therapie zu sagen, 
so könnte man stets damit beginnen, Antipyrin zu geben. Dies wird 
die Schmerzen lindern, ausserdem aber ähnlichen Iudicationen, wie 
das Natron salicylicum, entsprechen, namentlich wenn zugleich Geleuk- 
erkrankungen bestehn sollten. Auch wird das letztere hier anzu¬ 
wenden sein, eventuell mit Antipyrin cornbinirt. Vielleicht wird 
man dann Schweisstränke und Pilocarpin, welche mehrfach in Au- 


’) Inflammation of the capsule of Tenon: Medical Record 71, Novem¬ 
ber, referirt in Nagel’s Jahresbericht der Opththalmologie 1873, p. 392. 

2 ) Traite. 2. Auflage, Bd. I. 

3 ) I. c. p. 13 u. 14. 

4 ) Zur Lehre von der Tenonitis. Klinische Monatsblätter für Augen¬ 
heilkunde 1878, p. 305, s. Fall 4. 

s ) I. c. Fall l, 3 und 5. 

6 ) Tenouite reumatica primitiva Annali di Ottalmol- XIII, p. 512, referirt 
in Michel’s Jahresbericht der Ophthalmologie 1885, p. 620. 

") s.d.Referat iu M ichel’s Jahresbericht derOphthalmologie 1884,p.557. 

8 ) De la tenouite ou inflammatiun de la bourse sereuse r^trooculaire 
d'origine rheumatismal. 

°) I- c. 

10 ) Traite 2 Auflage Bd. I, p. 765. 


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DEUTSCHE MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


673 


16 August. 

Wendung gezogen wurden, nicht nöthig haben. Local sind kalte 
Umschläge, wo sie als angenehm empfunden werden, zu appliciren. 
Ferner ist ein Druckverband, wenn er Erleichterung bringen sollte, 
indicirt, denn theoretisch ist doch die möglichste Ruhigstellung der 
Muskeln bei Erkrankung ihrer Sehnenumhüllungen erste Bürgerpflicht. 
Aus diesem Grunde auch möchte ich mich auf die von Gradenigo 1 ) 
hierbei empfohlene Massage nicht einlassen. Bei stärkeren sub- 
eonjunctivaleu Hervorbuchtungen oberhalb der Muskelsehnen wird 
man, um die dadurch bedingten lästigen Empfindungen zu beseitigen 
uud andererseits freieu Abfluss nach aussen zu schaffen, einschneiden 
müssen und entweder mit Sublimatlösung den Kapselraum ausspülen 
oder Jodoformpulver einblaseu. 


III. Der moderne Hypnotismus. 

Ein kritischer Essay. 

Von Professor Seeligmfiller in Halle a. S. 

(Fortsetzung aus No. 3*2.) 

Um Ausflüchte ist auch Herr Beruheim nicht verlegen, wenn 
eine Our misslingt. Eine 34jährige Kranke (Beob. 81, p. 521) 
leidet seit 4—5 Jahren an schmerzhafter rheumatischer Arthritis der 
Schultergelenke, welche in dem Grade versteift sind, dass die 
Schulterblätter bei Versuchen, die Oberarme zu eleviren, folgen. 
Als nun trotz der 24 Tage fortgesetzten Suggestion die Kranke 
immer noch über Schmerzen klagt, und die Arme nicht in der ge¬ 
hofften Weise beweglich werden (weil man Gelenkaukylosen durch 
Suggestion wahrscheinlich ebensowenig lösen kann, als man dadurch 
verkrümmte Knochen gerade zu machen vermag), kommen die 
Herren Aerzte auf den Gedanken, „dass die Kranke irgend einen 
coutre-suggestiven Einfluss erlitten hat, welcher vielleicht die Wirk¬ 
samkeit der Behandlung paralysirt“. 

Selbstverständlich ist die therapeutische Suggestion gross in 
der Beseitigung von Schmerzen aller Art, insbesondere von 
neuralgischen uud rheumatischen. Nicht selteu verschwanden diese 
in einer einzigen Sitzung. 

Auch der Eintritt der Regel kann bei Amenorrhoischen durch 
Suggestion auf das Genaueste regulirt werden. Eine 25iährige 
neuropatliische (Beob. 104 p. 557) Lehreriu hat zuletzt am 7. October 
ihre Regel gehabt, seitdem ist dieselbe bis zum Tage der Consul- 
tation, den 17. November, ausgebliebeu. Iu der Hypnose wird ihr 
suggerirt, „die Regel kommt am 30.“, was die Dame im Schlaf 
selbst wiederholt. Am 30. kommt sie und meldet dem Doctor den 
Eintritt der Regel. Die nächste Periode wird für den 28. Deeember 
suggerirt. Derselbe prompte Erfolg. 

In einem anderen Falle (Beob. 105) wird bei einer 35jährigen, 
etwas fetten hysterischen Frau die Regel, welche seit Jahren alle 
11—14 Tage sehr profus auftritt, durch wiederholte Suggestion 
auf den 25., bez. 26, 26., 24., 27., 29., 29. und seitdem regel¬ 
mässig auf den 28. oder 29. Tag regulirt und nach Quantität und 
Dauer normirt.' 2 ) 

Das Feld der Wirksamkeit der „suggestiven Psychothe¬ 
rapie“ ist nach den mitgetheilten Beobachtungen ein sehr grosses. 
Nicht nur auf dem Gebiete der functionelleu Nervenkrankheiten, 
nicht nur auf dem der Hysterie uud der Neuroseu, — nein auch 
bei organischen Läsionen des Nervensystems, bei cerebraler Hä- 
morrhagie und Erweichung, bei chronischer Myelitis, bei chroni¬ 
schen Gelenkrheumatismen, bei rheumatischer Arthritis, ja bei 
Magenaffectionen gelingt es, gewisse functionelle Störungen zu heilen 
oder doch zu bessern. „Da hilft kein ungläubiges Achselzucken; 
vor der Evidenz der Thatsachen muss man sich beugen, man mag 
wollen oder nicht!“ (Bernheim 1. c. p. 569.) Deshalb behauptet 
Beruheim aber keiueswegs, die Suggestiou wirke direkt auf das 
kranke Organ und unterdrücke darin die Gefasseongestiou, löse das 
entzündliche Exsudat oder restaurire die Elemente des zerstörten 
oder degenerirten Parenchyms. „Nein! ebenso wie die therapeu¬ 
tischen Agentien, über welche wir sonst verfügen, nur functio¬ 
nelle Heilmittel sind, so ist auch die Suggestion ein solches, aber 
ein mächtiges.“ Alle Organe, alle Functionen werden von den ner¬ 
vösen Centren beherrscht. Jedes Element des Organismus hat so 
zu,sagen ein Actionscentrum im Gehirn. Die Sensibilität, die 
Motilität, die Ernährung, die Secretionen, die Excretionen, die 
Wärmebildung werden regiert oder wenigstens beeinflusst durch 
diesen centralen Organismus, welcher dem complexeu Mechanismus 
der auomalen Physiologie vorsteht. Dieser centrale Organismus 

') Del massaggio nella therapia oculistica. Annali di Ottalmologia XII., 
referirt in Hirschbergs l'eutralblatt für prakt. Augenheilkunde 83, p- 573. 

l ) A. Voisin heilte drei Fälle von Amenorrhoe, die mit Neuralgie 
einherging, und in dem einen Falle seit 3, in einem anderen seit 5 oder 
6 Monalen bestand. Auch hier wurde der Eintritt der Regel auf Tag oder 
selbst auf Stunde vorherbestimmt. 


kann erfolgreich interveuiren, wenn es gilt, das Spiel der gestörten 
Organe und Functionen, soweit es überhaupt möglich ist, wieder¬ 
herzustellen. 

„Ich sage, soweit es überhaupt möglich ist. Da ist ein 
Kranker, bei welchem eine centrale Hämorrhagie die ganze innere 
Kapsel zerstört hat; im Pyramidenbündel hat sich secundäre Dege¬ 
neration ausgebildet und in Folge davon Rigidität der gelähmten 
Glieder. Hier ist aber das motorische Organ, ohne welches keine 
Bewegungen auf der einen Körperhälfte zu Stande kommen, zer¬ 
stört. Eine organische Ergänzung ist nicht möglich. Kein Heil¬ 
mittel kann wieder herstellen, was zerstört ist. Die Suggestion kanu 
ebensowenig wie die anderen Heilmittel eine Function wieder her¬ 
stellen, zu welcher das beuöthigte Organ nicht mehr existirt.“ 

Wie ist es denn nun möglich, dass die Suggestion doch etwas 
hilft? „Ich setze voraus, dass die Hämorrhagie einige Leitungsfasern 
verschont hat, die ausreichen, um den ceutrifugalen Einfluss des 
Willens den motorischen Zellen des Rückenmarks zu übermitteln. 
Diese Fasern sind nur in ihren Functionen gestört, insofern sie durch 
den Shok der benachbarten Gew r ebe, also nur virtuell afficirt sind. 
Auf sie, die zu ohnmächtig sind, um spontan aus ihrem Torpor her¬ 
auszukommen, kann die Suggestion dynamisch einwirkeu; die 
psychische Thätigkeit kann, wenn sie in Bewegung gesetzt und auf 
diese Faseru couceutrirt wird, auf sie w r ie ein neuer Reiz einwirken, 
welcher ihr erstarrtes Wesen wieder beleben kaun. Durch diese 
dynamogene Erregung gelingt es dem cerebralen Eiufluss, sich bis 
zu den motorischen Zellen eine Bahn zu brechen, und die Wieder¬ 
herstellung der unterbrochenen Leitung stellt auch die Function 
wieder her.“ 

Auf die Aualogie von Heilungen durch Elektricität, Metallo- 
therapie uud Magnetotherapie habe ich schon hingewiesen. 

Weiter darf man nicht vergessen, dass die functionelle Störung 
die Ursache, bezw. die organische Läsion überdauern kann. Es 
bedarf dann eben nur eiues besonders gearteten Anstosses, um die 
Function wieder iu Ordnung zu bringen: einen solchen Anstoss kaun 
die Elektricität, die Hydrotherapie, die Massage, die moralische 
Beeinflussung geben, und ebenso die Suggestion. 

Wie steht es denn aber nun mit der Wirkung der Suggestion 
bei nicht nervösen Krankheiten, z. B. bei chronischer, rheumatischer 
Gicht? 

„Die Suggestion beseitigt den Schmerz und damit giebt sie 
dem Kranken die Möglichkeit, mit dem Gelenke die Bewegungen 
zu machen, welche zu seiner lutegrität nöthig sind, und iudem sie 
den fibro-serösen Geweben ihre Geschmeidigkeit, der Synovia ihre 
Schlüpfrigkeit, der capillaren Circulation ihre Thätigkeit wiedergiebt, 
kann sie auf die Besserung bezw, Heilung der Arthropathie günstig 
einwirkeu.“ 

„Die Suggestion greift die Krankheit bei einem ihrer Elemente 
an, und die Unterdrückung dieses kranken Elementes kaun auf den 
ganzen pathologischen Apparat günstig einwirkeu, insofern alle Ele¬ 
mente desselben einander gegenseitig subordinirt sind. Und etwas 
anderes thun wir mit unseren anderen Heilmitteln auch nicht, inso¬ 
fern wir fast ausschliesslich die einzelneu Symptome und nur 
äusserst selten die Krankheit selbst durch dieselben beeinflussen 
können.“ 

Ich habe dieses Raisouuement des Dr. Bern heim absichtlich 
so ausführlich uud fast durchweg mit seinen eigenen Worten wieder¬ 
gegeben. Es hat jedenfalls viel Bestechendes, aber überzeugend ist 
es für mich nicht. 

Ich gestehe gern zu, dass es gelingen mag, einzelne Symptome, 
besonders Störungen der Sensibilität — mögen es nun Anüsthesieeu 
oder Schmerzen sein — durch Suggestiou günstig zu beeinflussen, 
uameutlich bei Personen, die sich leicht beeinflusseu lassen, wie 
hysterische und neurasthenische. Ich kanu aber, auch wenn ich 
die vorgeführten Beobachtungen Bernheim’s so vorurtheilsfrei 
wie möglich beurtheile, nicht zugeben, dass die Suggestion zur 
Heiluug von organischen Läsionen der Centralorgane oder der peri¬ 
pherischen Nerven etwas vou Belang vermag. Warum wird uns 
iu der langen Reihe von Beobachtungen nicht eine einzige trauma¬ 
tische Lähmung eines peripheren Nerven vorgeführt? Der einzige 
Fall, deu Bern heim als solcheu ausgiebt, ist. wie wir gesehen, 
keine Lähmung (Beob. 9); in dem anderen (Beob. 75, p. 517) von 
schmerzhafter Contusiou des Deltoideus hat die Suggestion wiederum 
nur die Aufgabe, den Schmerz zu beseitigen, dadurch stellt sich die 
Beweglichkeit von selbst eiu. 

Ist die Suggestiou wirklich das mächtige Heilmittel, so müsste 
dieselbe wohl im Stande sein, einfache Leituugslähmungeu durch 
Druck, wie z. B. die so häufige Schlaflähmung zu heilen. Dem 
durch die therapeutische Suggestion gestärkten Willensimpuls 
müsste es auch viel leichter als dem galvanischen Strom gelingen, 
das an der Druckstelle befindliche Leitungshinderuiss hiuwegzu- 
räumen, etwa wie der Strahl der Nasendouche die deu Eiugaug zu 
den Stimhöhleu verstopfenden Massen hinwegräumt. 


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674 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33 


Eine ähnliche casuistische Zusammenstellung wie Bernheim 
hat der holländische Arzt Renterghem in Amsterdam, welcher 
seine hypnotischen Studien in Nancy bei den Herren Beruhe im 
und Liebeault gemacht hatte, bei Gelegenheit des 1. niederlän¬ 
dischen Congresses der Naturforscher und Aerzte zu Amsterdam am 
30. September und 1. Oetober 1887 mitgetheilt. Sein Beobach¬ 
tungsmaterial umfasst 162 Fälle. Von diesen wurden durch thera¬ 
peutische Suggestion 46 gebessert, 91 geheilt und 25 vergeblich 
behandelt. Unter den Besserungen sind u. a. 2 Fälle von spinaler 
Kinderlähmung notirt und 3 Fälle von Epilepsie, 7 Fälle von Taub¬ 
heit (von 11), unter deu Heilungen 3 Fälle von lieetischen Sym¬ 
ptomen, 1 chronisches Fussgeschwiir, 1 Zahnfleischabscess, 6 Con- 
tusionen, 4 Darmkatarrhe. 4 Schlaflosigkeit u. s. w. 

Fontau und Segard behandelten, wie in ihrem Lehrbuche 
„Elements de medecine suggestive, Paris, Oct. Doin, 1887, zu lesen 
ist, Rheumatismus, chronische Metritis, Dyspepsie. Functious- 
störungen bei chiruigischen Krankheiten, rebellische iutcrmittirende 
Fieber, Chlorose u. s. w. mit Erfolg durch Suggestion. Sie ver¬ 
wahren sich gegen den Einwand, dass sie bei den genannten Affec- 
tionen nur die begleitenden nervösen Störungen suggestiv behan¬ 
delten; im Grunde gehe die Suggestionscur doch gegen die zu 
Grunde liegende Krankheit selbst und heile diese in wenigen Tagen. 
Bei Besprechung der bis auf die Einzelheiten genau auseinander¬ 
gesetzten Behandlungsmethode sehen sie die Suggestion als ein 
wirkliches Heilmittel an und geben genau die Dosen und die damit 
verbundenen Gefahren an. Zum Schluss folgen die therapeutischen 
Indicationen. 

Aus der übrigen Literatur ist von Heilungen durch Suggestion 
noch Folgendes der Erwähuuug werth: 

Onanie wurde von Auguste Voisin in 2 Fällen geheilt. Dem 
9 1 /-_>jährigen Mädchen, das sogar in der Schule schamlos onanirte, 
sagte er während des Schlafes: -.Niemals wirst Du „Deine Theile“ 
wieder mit den Fingern berühren; Du wirst niemals wieder Lust 
haben, Dich gegen die Ecke eines Stuhles zu reiben und niemals 
wirst Du wieder Deine Schenkel einen gegen den anderen scheuern!“ 
Auf Befragen, ob sie das verstehe, sagt sie „ja“ und verspricht, es 
nicht wieder zu tliun. In den nächsten 19 Tageu, wo Patieutiu 
zu demselben Zwecke wiederholt hypnotisirt wurde, soll sie nach 
Aussage ihrer Mutter nicht onanirt haben. (?) — Ein anderes 11 jähriges 
Mädchen, welches zudem gewohnheitsgemuss log, wurde von beiden 
Uebeln in etwa 5 Monaten geheilt. — Nicht minder glücklich war 
Berillon 1 ) in einem Fall von Daumenlutschen bei einem 11jährigen 
Kuabeu. welcher nach erfolgter Heilung die merkwürdige Aeusserung 
that: „(Test singulier, j’ai ä chaque instant envie de ruettre mes 
doigts dans ina bouche, mais je sens que je ne puis pas“. 

Dysurie, welche seit 5 Jahren bei einem 23jährigen Soldaten 
bestand und als spastische Verengerung der Urethra ge¬ 
deutet, vergeblich mit innerer Urethrotomie behandelt war, heilte 
G. Ramey in 2 Sitzungen. 

Der Versuch, den Geburtsact durch Suggestion 
schmerzlos zu gestalten, scheint nur in der 1. Periode des¬ 
selben bis zur Einstellung des Kopfes von Erfolg gewesen zu sein, 
und auch hier handelte es sich um Personen, die schon vorher 
mehrfach hypnotisirt waren. Mehrere der während des hypnotischen 
Zustandes entbundenen Personen waren beim Erwachen sehr ver¬ 
wundert, ihren Bauch abgeplattet zu finden und das Kind neben 
sich schreien zu hören. Ausser den Beobachtungen französischer 
Autoren Liebeault, Dumontpallier und Mesnet, ist auch ein 
Fall aus der Wiener Gebärklinik des Professor Braun von dessen 
Assistenten Dr. Pritzl bekannt gegeben worden 

Liebeault hat auch die Beschwerden der Schwangerschaft -- 
Kreuzsckmerzeu und Mattigkeit, starkes Oedem bei einer Herz¬ 
kranken — durch Suggestion günstig beeinflusst, ja drohenden 
Abortus verhindert. 

Auch die Chirurgen gehen natürlich bei dem neuen alten 
Universalmittel nicht leer aus. Abgesehen von den, wenn auch 
spärlich wiederholten Versuchen, die zu chirurgischen Operationen 
nöthige Anästhesie statt durch Chloroform durch Suggestion zu 
bewirken, ist von Professor Delboeuf in Lüttich ein durchaus ver¬ 
schiedener Verlauf des Heilungsprocesses bei von durch Suggestion 
insensibilisirten, im Gegensatz zu sich selbst überlassenen artificicllen 
(symmetrischen) Brandwunden beobachtet worden. Einem sehr 
kräftigen und gesunden, übrigens aber hvpnotisirbaren und ausser¬ 
ordentlich suggestibelu jungen Mädchen brachte Delboeuf, nach¬ 
dem er ihr, ohne sie zu hypnotisiren, gesagt hatte, am rechten 
Arme werde sie nichts fühlen, an 2 symmetrischen Stellen 10 cm 
über dem Handgelenk eine etwa 1 cm im Durchmesser habende ober¬ 
flächliche Brandwunde mit dem GHiheisen bei. Am nächsten 
Morgen war die Wunde rechts nicht vergrössert und ohne Entzün¬ 
dung, die links hatte jetzt 3 cm im Durchmesser und stellte eine 

*) Revue de l’hypnot. I. p. 218. 


wunde Fläche mit Entzündungsblaseu dar. An diesem linken Arm 
hatte sie während der Nacht etwas Schmerz empfunden, der sich in 
den nächsten Tagen ebenso wie die Ausdehnung der Wuude erheblich 
steigerte. Jetzt wurde die Suggestion auf diesen linken Arm an¬ 
gewandt. Von dieser „Besprechung“ an (denn was ist das anders?) 
trocknete die Wuude, die Eutzündung verschwand in rapider Weise. 
Bei einem zweiten Versuche hat Winiwarter deu Wundverlauf 
selbst beobachtet und bestätigt, dass am 4. Tage die Wunde au 
dem rechten, dieses Mal nicht insensibilisirten Arm Eiterung und 
Empfindlichkeit zeigte, die am linken insensibilisirten dagegen nicht. 

Eine besondere Besprechung erheischen noch die Versuche, die 
Suggestion bei Geisteskrankheiten uud verwandten Zusländen. 
wie Alkoholismus, Morphiumsucht und Tabaksucht thera¬ 
peutisch zu verwenden. 

In Betreff der Geisteskrankheiten hat zuerst Auguste 
Voisin über therapeutische Erfolge durch Suggestiou berichtet. Er 
bezeichnet die so geheilten Fälle als „partielle Delirien oder mauia- 
calische Aufregung“. Bei Lichte besehen entpuppen sich aber die 
6 von ihm geheilten Frauenspersonen als Hysterische. Ebenso 
dürften die 2 von ihm geheilten Frauen „aus der Stadt“, welche 
beide mit heftigem Schmerz im Epigastrium behaftet waren, der sie 
am Essen hinderte, wohl hysterische sein. Immerhin ist es auzuer 
kennen, wenn die zuletzt angeführte Ehefrau, vor der Suggestiou 
von zornigem, unverträglichem Charakter, in ihrem durch die Sug¬ 
gestion herbeigeführten liebevollen, sanftmiithigen Benehmen gegen 
ihren früher kreuzunglücklichen Ehemann beharren sollte. (Rev. 
de l’hypnot. I, p. 4 uud 41.) 

A. Voisin erwähnt (I. c.) noch andere Heilerfolge vou S eg las. 
Lombroso, Grasset, Dufour und die bei uns in Deutschland 
besonders bekannt gewordenen von Forel 1 ) in Zürich. 

Jules Voisin berichtet ebenfalls aus der Salpetriere über eiueu 
Fall von melancholischer Verstimmung in Folge erotischer Vor¬ 
stellungen bei einem 24jährigen Fräulein. Diese hat er nicht nur 
geheilt, sondern ihr ebenfalls durch die Suggestion die Angst vor 
einem Examen, das sie zu bestehen hatte, vollständig vertrieben. 
Wozu die Suggestion doch alles gut ist! 

Forel hat seit Frühjahr 1887 therapeutische Versuche an 
Geisteskranken in der Irrenanstalt Burghölzli bei Zürich gemacht. 
Besonders erfolgreich erwies sich die hypnotische Suggestion bei 
mehrereu Männern von 30 bis 40 Jahren, welche, nach überstau- 
dcnem Delirium tremens an Alkoholismus chronicus leidend, zu den 
renitentesten Patienten gehörten, über alles schimpften, andere 
Kranke verhetzten und sich darauf freuten, nach ihrer Entlassung 
dem Alkoholgenuss von Neuem fröhnen zu können. Kurze Zeit 
nach der Eingebung wurden sie in ihrem Wesen völlig verändert, 
austäudig, ernst, äusserst fleissig und traten dem Mässigkeitsver- 
eine bei. 

Weiter wurde bei einem Arzt, der zweimal an Manie gelitteu 
hatte und seit Jahren Morphinist war, nach längeren vergeblichen 
hypnotischen Versuchen durch Suggestion Schlaf ohne Morphium 
erzielt, indem Patient Abends im Bett hypnotisirt wurde. Zugleich 
wurde eine heftige Trigeminusneuralgie und ausserdem' auch der 
Morphiumhunger beseitigt. Nach 6 Wochen war Patient in jeder 
Beziehung wie umgewandelt. 

Bei einer 30jährigen alten Hysterica konnte das perverse Wesen 
wohl gebessert, aber nicht geheilt werden. 

Auch au Geisteskranken wurden gute Erfolge erzielt; so bei 
einem alten Hallucinanten vorübergehendes Aufhören der Gehörs¬ 
täuschungen und durch allabendliches Hypnotisiren und Eingehen 
des tiefen Schlafes bis in die Frühe andauernder Nachtschlaf. Ja 
mitteu im Tobsuchtsanfall konnte ihn Forel fasciniren und mit 
einem Schlage iu tiefen Schlaf versetzen. Ebenso wurden Gehörs- 
hallucinationen und alle Wahnideen bei einem unheilbar Verrückten 
durch Hypnotisiren am Morgen und am Abend günstig beeinflusst. 
Schliesslich blieben bei einem 15jährigen Knaben, dessen Mutter 
epileptisch war, die Aufalle von Geistesstörung (wahrscheinlich epi¬ 
leptischem Aequivalent) 12 Wochen hindurch aus, und ebenso hörte 
das krampfhafte Kopfdrehen im Schlafe auf; die gleichzeitig be¬ 
stehende Enuresis nocturna dagegen wurde nicht beseitigt. 

Schliesslich hat Breraaud eine 25jährige Wöchneriu, welche 
früher gesund, unmittelbar nach der Geburt an Manie mit Versüu- 
diguugswahu — nur Jungfrauen kämen in den Himmel — erkrankte, 
dadurch geheilt, dass er ihr während des hypnotischen Zustandes 
aus dem 1. Briefe des Apostel Paulus au die Corinther Cap. 7 die 
Verse vorlas, worin gesagt wird, dass Heirathen keine Süude ist 
und ihr eine Art Predigt darüber hielt. Nach 2 Sitzungen war sie 
gesund und war es noch nach 2 Jahren. 

Binswanger möchte (1. c. p. 122) gerade bei Geisteskranken. 

') Aug. Forel. Fällige therapeutische Versuche mit dem Hypnotismu- 
bei Geisteskrankem Corresp.-Bl. f. Schweiz. Aerzte 1887, No. IG, p. 481 
und Müuch. med. Woehenschr. 1888, No. 5, p. 71. 


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16. August. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 675 


einschliesslich des hysterischen Irreseins (graude hysterie) vor aus¬ 
gedehnten, an ein und demselben Individuum öfters wiederholten 
hypnotischen Proceduren nur warnen, indem sie leicht den Zustand 
verschlimmern. Nur bei nervöser Schlaflosigkeit und hystero-cata- 
leptischen wie somnambulen Zuständen ist es auch ihm gelungen, 
tlie Anfälle durch Hypnotisiren zu coupiren, Beruhigung und mehr¬ 
stündigen Schlaf zu erzeugeti, welcher von der betreffenden Kranken 
dem physiologischen Schlafe an Tiefe und wohlthuender Erfrischung 
gleichgestellt wurde. Für diese Fälle empfiehlt er mittelst des 
B ernheim’schen Verfahrens und leichten Streichens des Kopfes 
— ohne weitere Erscheinungen zu suggeriren — nur den Schlaf¬ 
zustand hervorzurufen. 

Auf eine weitere Besprechung von therapeutischen Erfolgen bei 
Geisteskranken können wir um so eher verzichten, als selbst Forel 
seine Erfahrungen darüber in den Satz zusammenfasst: „Das Feld 
der Psychosen ist für die therapeutische Wirkung der Suggestion 
äusserst ungünstig.“ 

Bessere Erfolge als bei Geisteskrankheiten scheint die thera¬ 
peutische Suggestion bei Alkoholismus erzielt zu haben. 

Die ersten erfolgreichen Versuche hat Auguste Voisin 
(4 Fälle) angestellt, nach ihm Bremaud (1), Forel (4) und La¬ 
tin me (3). Von den Kranken Forel’s Hessen sich einige alsbald 
nach der Suggestion in den Mässigkeitsverein aufnehmen! Ein 
Alkoholiker, welcher die Anstalt heimlich verlassen hatte und zum 
Schrecken seiner Frau heimgekehrt war, zeigte sich hier zu ihrem 
Erstaunen ausserordentlich brav und arbeitsam: alles in Folge der 
Suggestion. Im Ganzen liegen etwa 12 Fälle vor, wovon 10 geheilt. 
Unter den 12 Fällen waren nicht weniger als 5 Frauen. Die eine 
Kranke Ladame’s hatte sogar noch 2 Schwestern, die an Dipso¬ 
manie litten. Die Heilung hat sich in 2 Fällen noch nach 4, in 
einem Falle nach 8 Monaten, in einem sogar noch nach 2 Jahren 
bewährt. Forel hat als Präsident. Ladame als Vortragender dem 
Züricher internationalen Congress gegen den Missbrauch alkoholischer 
Getränke am 9.—11. September 1887 beigewohnt; beide haben da¬ 
selbst die therapeutische Suggestion als Heilmittel gegen die Dipso¬ 
manie empfohlen. 

Auch gegen die Morphiumsucht hat Aug. Voisin (Rev. de 
Fhypn. I. 6, p. 161) das neue Universalmittel zuerst mit Erfolg 
angeweudet. 

Eiue 28jähr. Frau, welche seit 8 Jahren an fast generalisirten 
Ntturalgiecn gelitten hatte, war seit 5—6 Jahren mit subcutanea 
Morphiuminjectioneu behandelt worden und hatte sich seit einigen 
Jahren selbst etwa 1 g täglich eingespritzt. Mehrere Entwöhnungs¬ 
versuche hatten so heftige hystero-neuralgische Krisen zur Folge, 
dass der Ehemann auf Fortsetzung des Morphiumgebrauchs bestand. 
Voisin suggestiouirt ihr, dass die Neuralgieen verschwinden werden, 
und dass sie das Morphium verabscheuen soll. Inzwischen wird 
mit der Tagesgabe allmählich bis auf 1 cg heruntergegangen und 
später nur reines Wasser eingespritzt. Nachdem diese Behandlung 
einen Monat lang fortgesetzt ist, erklärt sie, dass sie das Morphium 
verabscheue und keine Schmerzen mehr habe. Voisiu hält in¬ 
dessen die Wiederholung der Suggestion noch eine Zeit lang für 
geboten. Beiläufig theilt er mit, dass er noch einige andere ähn¬ 
lich günstige, Erfolge zu verzeichnen habe. 

Schliesslich hat ein Dr. E. Decroix die Suggestion dazu be¬ 
nutzt, um Personen, die in unverständigem Maasse rauchen, den 
Tabaksgenuss abzugewöhnen. Einem 45jährigen Individuum, 
welches täglich ca. 60 Cigaretten rauchte und in Folge davon ganz 
kachektisch geworden war, suggestionirte A. Voisin, er solle den 
Tabak nicht mehr lieben und nur 3 Cigaretten täglich rauchen, 
nach einer Woche aber, er solle gar nicht mehr rauchen. Um die 
Heilung zu sichern, fanden noch 3 Sitzungen statt. Die Heilung 
hatte sich nach einem halben Jahre noch erhalten. 

Achnliche Erfolge will Berillon gehabt haben. 

Decroix aber hat der Societe contre l’abus du tabac 
300 Frcs. zur Disposition gestellt als Preis für den Arzt, welcher 
die meisten Fälle von Heilung der Nicotinsucht durch Hypnose oder 
Suggestion zu verzeichnen haben werde. (Schluss folgt.) 


IV. Die wichtigsten Vorkommnisse des 
Jahres 1887 auf dem Gebiete derBacteriologie. 

Von l)r. Carl Günther in Berlin. 

(Fortsetzung aus No. 31.) 

II. Bacillen. 

1. Milzbrandbacillen. 

Eiue sehr wichtige Mittheilung verdanken war K. B. Lehmann. Der¬ 
selbe (Münch, med. Wochenschr. 1887, No. 26) fand, dass längere Zeit von 
Gelatine zu Gelatine fortgezüchtete Miizbrandhacillen die Fähigkeit verloren 
hatten, eigentliche Sporen zu bilden. Es bildeten sich nur „Mikrosporen“, 
die jedoch schon durch 2- bis 3stündigc Einwirkung einer Temperatur 


von 60 0 C ihre Pathogenität einbüssten. Die reguläre Sporenbildung licss 
sich in derartigen „asporogenen“ Culturen (deren pathogene Wirkung 
auf Tliioro im L’chrigen die gewöhnliche war) auf keine Weise wiederher- 
stcllen. — Heim (Ccntralbl. f. Baet. Bd. 1, No. 25, 1887) sah Milzhrand- 
sporen auf eiuor Nährgelatine, die 0,5% Coffein enthielt, zu Grunde 
gehen, während Staphylococeus aureus auf demselben Nährboden gedieh. 
Er glaubt, dass die Widerstandsfähigkeit der Sporen eine vorher bereits 
herabgesetzte war. — Peuch (C. r. acad. Paris, 1887) sah, «lass milz- 
brandiges Schweinefleisch (NB. das Schwein ist gegen Milzbrand gewöhnlich 
immuu! Ref.) durch l‘ ( a Monate langes Einsätzen seine Virulenz verlor; 
14 Tage genügten dazu nicht. — Marchand (Virch. Arch. Bd. 105), 
1887) berichtete über einen Fall von Mi 1z hrand infeetion hei einer 
Schwangeren, die wenige Stunden nach der Geburt eines anscheinend gc- 
sumlen Kindes verstarb. Das Kind starb 4 Tage später. Beide zeigten 
sich mit Milzbrand inficirt. Die Infection war hei der Mutter, die bis 3'/a Monat 
vor der Entbindung in einein Rosshaarreinigungsgeschäft gearbeitet hatte, 
hauptsächlich in den Lymphwegeu des Mesenteriums verbreitet. — Auf dem 
hygienischen Congress in Wien bildete die Frage der Schutzimpfung 
gegen Milzbrand ein Thema eingehender Erörterungen. Die von R Koch 
früher bereits ausführlich dargelegte und neuerdings (cf. diese Wochenschr. 
1887, p. 722) wieder vertretene Ansicht, dass der Milzhraudiinpfung ein 
praktischer Werth vorläufig nicht beigemessen werden kann, ist auch 
, durch die neuen statistischen Ausführungen von Chamberland, der 
auf dem Congresse im Sinne Pasteur’s sprach, nicht widerlegt worden. 

2. Rauschbrandbacillen. 

Die Pathologie des Rauschbrandes behandelt, ein umfassendes Werk 
der drei frauzösischen Forscher Arloing, Cornovin und Thomas (Le 
charbou symptomati«|ue du boeuf, Paris 1837). Bezüglich dieses Werkes, 
sowie bezüglich der von Kitt (Centralhl. f. Baet. Bd. 1, 1887, No. 23 — 25) 

: gegebenen zusammenfassenden Darstellung der die genannte Krankheit au- 
| gehenden Verhältnisse verweise ich auf mein ausführliches, in dieser 
1 Wochenschrift (1888, No. 18, p. 364) abgedrucktes Referat. — Kitt 
' (Deutsche Zeitschr. f. Thierraed. 1887) hat dann die Angabe der französi¬ 
schen Autoren, dass man Schafe gegen Rauschbrand immun maclion kann, 
bestätigt und gefunden, dass auch Meerschweinchen imrauuisirt werden 
können. 

3. Tubcrcnlosebacillen. 

Ueber zwei Fälle tuberculöscr Infection berichtete Leser (Fort¬ 
schritte d. Me«l. No. 16, 1887). Der cino betraf eine 54jährige, hereditär 
nicht belastete Frau, die sich eine Schuittwumle am Finger zuzog, welche 
schlecht heilte und allmählich in ein ausgebreitetes Geschwür ausging. 
U/s Jahr nach der Verwundung fand sich eine harte Lymphdrüso am Ober¬ 
arm, wieder */a Jahr später ein kindskopfgrosscr kalter Abscess an der Brust 
derselben Seite. Dio Affectionen erwiesen sich sämmtlich als tubereulös. 
Der zweite Fall betraf einen 3jährigen hereditär belasteten Knaben, der an 
Ilüftgelenksentzündung mit Fisteibildung erkrankte, und bei dem sich unter 
dem Verbände allmählich eine exquisit lupöse Hauterkrankung ausbildete. 
— v. Eiselsberg (Wien med. Wochenschr. 1887, No. 53) berichtete über 
mehrere Fälle unabsichtlicher tuberculöscr Infection von Hautwunden hoi 
gesunden Individuen. — Finger (Centralbl. f. Baet. Bd. 2, 1887, No. 12—14) 
lieferte eine ausführliche Zusammenstellung der bis jetzt vorhandenen Lite¬ 
ratur, die die Beziehungen zwischen Lupus und Tuberculose be¬ 
handelt und aus der als Facit die ätiologische Einheit der beiden l’rocessc 
sich ergiebt. — Celli und Guarnieri (Arch. p. I. scienze med. 1887) 
fanden, dass Versuchsthiere, die man tuhcrculosebacillcnhaltiges Material cin- 
athmen lässt, leichter erkranken, wenn sie vorher chemisch reizende Sub¬ 
stanzen inhaliren. — Spillmann und Ilaushalter (C. r. Acad. des sc. 
Paris 1887) machten die wichtige Mittheilung, dass die Stubenfliegen zur 
Verbreitung der Tuberculose beitragen können. Sie fanden in einem Saale 
mit Tuherculosekranken sowohl in den Fliegen wie in den Excrementen 
derselben Tuhcrculosehacillen, von den verspeisten Sputis herrührend. — 
Johne (Ber. üb. d. Veterinärwesen i. Kgr. Sachsen pro 1886) stellte fest, 
dass beim Pferde die tubercul6.se Infection nicht, wie früher angenommen, 
ausschliesslich vom Darme her, sondern auch von den Luftwegen aus er¬ 
folgen kann. 

Bezüglich der Cultivirung «les Tubcrculosebacillus, die früher be¬ 
kanntlich nur auf Blutserum möglich war, verdanken wir Nocard und 
Roux (Ann. de Einst. Pasteur 1887) einen hoi’hwichtigeu Fortschritt. Die 
Autoren fanden die Thatsache, dass der genannte Organismus sich auch auf 
den gewöhnlichen Nährböden (Agar, Bouillon) züchten lässt, wenn mau 
«Icnselben 6—8% Glycerin zusetzt. — Trudeau (Med. News. 1887, 
No. 20) fand eine 20 Minuten dauernde Einwirkung von Schwefel wasserstoff¬ 
gas auf dio Virulenz der Tuherculosebacillen ohne Einfluss. 

4. Leprabacillon. 

Zur Frage der Ucbertragbarkcit der Lepraerkrankung liegt eine 
Mittheilung von Gairdner (Brit. med. Journ. 1887 Juni) vor. Derselbe 
impfte sein eigenes Kind (Kuhpoekeiiimpfung) von einem anderen Kinde, 
welches scheinbar gesund war, aber später au Lepra erkrankte. Von den 
entwickelten Pusteln seines Kindes impfte er eine dritte Person. Sein Kind 
erkrankte leicht an Lepra, die dritte Person aber schwer und starb. Die 
l'ebertragbarkeit der Lepra vom Menschen auf deu Menscheu ist also ex¬ 
perimentell bewiesen. — Kau rin (Ann. de Dcrm. et de Syph. 1887) be¬ 
richtet von einem Leprafall, der höchst wahrscheinlich durch Contagion 
(von einem Leprösen auf eineu gesunden Knaben) entstand. — Bezüglich 
der Stichhaltigkeit der von Melcher und Ortmann im Jahre 1886 ange- 
stellten Lepraühertragungsversuche auf Kaninchen (cf. diese Wochenschr. 
1887, No. 12, p. 243) hat Wesen er (Tagebl. d. 60. Vers. d. Naturf. u. 
Aerzte, Wiesbaden 1887, p. 277 — Münch, med. Wochenschr. 1887, 
No. 16—18) schwerwiegende Zweifel ausgesprochen. Der Autor beobachtete 
bei zwei Kaniucheu, denen er alte, trockene, dann pulverisirtc und mit 
Kochsalzlösung verriebene lepröse Hautstückchen intravenös resp. intra- 


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676 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


peritoneal injicirt hatte, nach 4'/a resp. 6 Monaten ausgebreitete Erkrankung 
der Lungen und der übrigen inneren Organe, die er für Tu bereu lose 
anspricht und als spontane Tuberculose deutet. In 6 anderou ähnlichen 
Fällen blieben die Thiere gesund. Auch die von Melcher und Ort¬ 
mann beschriebenen Fälle hält der Autor für Tuberculose. — In ähnlicher 
Weise bestreitet Campana (Viert, f. Denn. u. Syph. 1887) nach seinen 
Versuchen die Uebertragungsraöglichkeit der Lepra auf Thiere. 

Bonotne (La Rif. med. 1887, No. ‘234) fand bei der Section eines 
typischen Leprafalles echte Lungenlepra, die sich makroskopisch als 
Bronchopneumonie mit indurativer Peribronchitis charakterisirte. — 
Chassiotis (Mon. f. prakt. Derm. 1887) wies in einem Scctionsfalle von 
Lepra anaesthetica Leprabacillen im Rücken mar ko nach. Niemals 
konnte er die Bacillen im Innern von Zellen liegend finden. — Bezüglich der 
Frage, nach der Lage und Anordnung der Leprabacillen im Gewebe (cf. 
diese Wocheuschr. 1887, No. 12, p. 242—243) ist auch Kühne (Mon. f. 
prakt. Derm. 1887. — Tagebl. d. bO. Vers. d. Naturf. u. Aerzte, Wiesbaden 
1887, p. 340) geneigt, sich auf Seite Unna’s zu stellen. 

Bordoni-Uffreduzzi (Zeitschr. f. Hygiene Bd. 3, 1887) machte 
Mittheilungen über die Cultur der Leprabacillen. Es gelang ihm im 
Januar 1887 gelegentlich eines Leprasectionsfalles in Turin in zwei mit 
dem Knochenmark geimpften Peptonglyceriuserumrührchen bei Brüttcrnpc- 
ratur in sieben Tagen die ersten Eutwickelungsspureu eigenthümlicher 
Coloniccn zu erhalten, die aus verschieden langen, au den Enden meist 
keulenförmig angeschwollenen Bacillen bestehen, die eine Schleimhülle und 
(bei künstlicher Färbung) ungefärbte Zwischenräume im Innern zeigen, 
keine Eigenbewegung besitzen. Zur Unterscheidung der Leprabacillen von 
den Tuberculosebacillen hält der Autor allein die Neisser’sche Methode 
für genau (die Leprabacillen färben sich nicht mit Methylenblau, während 
Tuberculosebacillen in alkalischer Methylenblaulösung in 24 Stunden gefärbt 
werden), ln der Endkeule (Arthrosporen) vermuthet der Autor die Dauer¬ 
form. Die Strichculturen auf Serum bilden bandartige, mit zackigen Rän¬ 
dern versehene Colonieeu. Bei weiterer Uebertragung wächst der Bacillus 
dann auch bei gewöhnlicher Temperatur und auf Gelatine, nicht aber in 
Bouillon und auf Kartoffeln. — Hinsichtlich der tinctoriellen Unter¬ 
scheidungsmerkmale zwischen Lepra- und Tuberculosebacillen 
findet sich im 1. und 2. Bande des Ceutralbl. f. Bact. eine längere Polemik 
zwischen Baumgarten und Wesener. 

5. Rotzbacillen. 

Kernig (Zeitschr. f. kliu. Med. 1887) beschrieb einen Fall von 
chronischem Rotz beim Menschen. Derselbe entwickelte sich bei 
eiuem Arzte nach einer Rotzsection und endete nach l'/a Jahren tödtlich. 
— Kitt (Gentralbl. f. Bact. Bd. 2, 1887, No. 9) fand, dass neben den 
Feldmäusen, die bekanntlich sehr empfänglich für die Rotzinfection sind, 
auch den Waldmäusen und den grossen sogenannten Wühlmäusen diese 
Eigenschaft zukoramt. Die Feldmäuse sterben 14 Tage bis 3 Wochen, die 
Wühlmäuse 3—6 Tage nach der suheutanen Impfung. — Kranzfold 
(Centralbl. f. Bact. Bd. 2, 1887, No. IO - ) fand in dem Spermophilus guttatus, 
einem in Südrussland sehr verbreiteten, dem Getreide schädlichen Nage- 
thiere, einon für die Rotzinfection sehr empfänglichen Organismus. Derselbe 
Autor theilte mit, dass sich Nähragar mit einem Zusätze von 5—7°,o Gly¬ 
cerin ausgezeichnet als Nährboden für den Rotzbacillus eignet. 

6. Typhusbacillen. 

Rütimcyer (Centr. f. klin. Med. 1887) untersuchte in 6 Typhusfällen 
das Roseolablut auf Typlmsbacillen. Nur in einem einzigen Falle konnte 
er die letzteren nachweiseu. — A. Frankel (6. Congr. f. inn. Med. 1887) 
berichtete von einem Typhuskranken, der mehrere Recidivc bekam, und bei 
dem sich nach einer eingetretenen Perforationsperitonitis ein Tumor in der 
linken Unterbauchgegend bildete, der bei der Punction Eiter entleerte, in 
welchem bacterioskopisch lebende Typhusbacillen gefunden wurden. Der 
Autor schliesst hieraus auf die lauge Lebensdauer, deren die Typhusbacillen 
im menschlichen Körper fähig sind. — Banti (La Rif. med. 1887 No. 242, 
243) berichtete über einen Fall mit dem klinischen Gepräge des Typhus, 
aber ohne Diarrhöen, bei dem die Autopsie den Darm völlig intact zeigte. 
Die Mesenterialdrüseu und die Milz waren beträchtlich geschwollen und ent¬ 
hielten, besonders die ersteren, reichlich Typhusbaeihen. Es handelte sieh 
hier also um eine atypische Localisation der typhösen Infcction, um 
Adenntyphus. — Foä und Bordoni-Uffreduzzi (La Rif. med. 1887, 
No. 1) machten die Mittheilung, dass sie aus der Lunge eines an fibrinöser 
Pneumonie bei Typhus Gestorbenen ausschliesslich den Typhusbacillus 
zu cultiviren vermochten. Sie lieferten dadurch den Nachweis, dass es eine 
im wahren Sinne des Wortes typhöse Pneumonie giebt. — Dass die 
verschiedenen bei Typhus vorkommenden, mit Tendenz zur Gewebsnekrose 
und Ulcerationsbildung verbundenen Processc des Rachens und Kehlkopfs 
nicht durch den Typhusbacillus bedingt, sondern als auf Seeundärinfection 
durch andere Mikroorganismen beruhend anzusehen sind, hat E. Fränkel 
(diese Wochensehr. 1887. No. 6) durch eine Reihe genau untersuchter Fälle 
nachgewiesen. — Auch für die den Typhus mitunter complicirenden ery- 
sipelatösen I’rocesse und die hierher gehörigen Eiterungen ist durch den 
genannten Autor in Verbindung mit Siinmonds (Zeitschr. f. Hyg., Bd. 2, 
1887) die Unabhängigkeit von dem Typhusbacillus mit Sicherheit erwiesen. 

Was die Thierversuchc mit dem Typhusbacillus angeht (cf. diese 
Wochenschr. 1887, No. 13, p. 263), so haben Bcumer und Peipcr (Zeitschr. 
f. Hyg.. Bd. 2, 1887) ihre erste Arbeit durch eine zweite ergänzt. Sie führten 
subcutane Injectionen an Mäusen aus, durch die, wie in den früheren 
Versuchen, der Nachweis geliefert wurde, dass bei der deletären Wirkung 
der Typhusculturen auf diese Thiere Intoxicationsvorgänge, nicht Infcctionen, 
zum Austrag kommen. Dasselbe ergab sich bei Einverleibung von Typhus¬ 
culturen in den Magen von Kaninchen und Meerschweinchen. Die Autoren 
stellten ferner (eine hochwichtige Entdeckung!) fest, dass sich Mäuse durch 
Einverleibung allmählich steigender Quantitäten der Typhuscultur gegen 
die Intoxication immun machen lassen. — Wolffowicz (Centr. f. klin. 


No. 33 


Med. 1887, No. 4) ist nach Versuchen, die unter ßaumgarten’s Leitun? 
ausgeführt wurden (in Uebereinstimmung mit Beumer und Peiper), zu dem 
Resultat gelaugt, dass sich der Typhusbacillus im Körper der Mäuse, Meer¬ 
schweinchen und Kaninchen nicht vermehrt, also für diese Thiere nicht 
„pathogen“ ist. 

Es liegen mehrere Mittheilungen vor, die den Nachweis von Typhus¬ 
bacillen im Wasser, speciell Trinkwasser, betreffen, de Blasi (Riv. inter- 
naz. di med. e di chir. 1887, No. 4) fand den genannten Bacillus im 
Frühjahr 1886 im Brunnenwasser gelegentlich einer Typhusepidemie in 
Palermo. — Beumer (diese Wochenschr. 1887, No. 28) fand den Bacillus 
in einem Brunnen des Gutes Wackerow bei Greifswald. Die Untersuchung 
wurde vorgenommen, weil auf diesem Gute, mitten in typhusfreier Gegend, 
alljährlich Typhusfälle vorkamen. — Chantemesse und Vidal (Gazette 
hebd. de med. et de chir. 1887) und ebenso Thoinot (La semaine med. 
1887, No. 14) fanden den Typhusbacillus im Seinewasser; Brouardel 
(Revue scientifique 1887, No. 9), ferner Brouardel und Chantemesse 
(Ann. d’hygiene 1887) wiesen bei Gelegenheit von Typhusepidemieen in 
Pierrefonds resp. in CIermont-Ferrand den Bacillus in den Wasser¬ 
reservoiren iuficirter Häuser nach. 

Chantemesse und Vidal (I. c.) haben die wichtige Mittheilung ge¬ 
macht, dass ein Zusatz von 0,2°/ 0 Carbolsäure zur Nährgelatine die Ent¬ 
wickelungsfähigkeit der eingesäeten Typhusbacillen nicht stört, während die 
Entwickelungsfähigkeit anderer Keime vernichtet wird. Der genannte Zu¬ 
satz ist also für die Isolirung des Typhusbacilltfs aus Wasser, aus Fäces 
zu empfehlen. Die Autoren beobachteten auch die Bildung endstän¬ 
diger Sporen an den Typhusbacillen; dieselben treten bei 37® C nach 
4--5 Tagen in den Culturen auf. — Eine vorläufige Mittheilung über die 
Sporenbildung des Typhusbacillus brachte auch Birch - Hirschfeld 
(Schmidt’s Jahrbücher 1887, No-9). — Die Typhusbacillen sind bekannt¬ 
lich durch ihr typisches Wachsthum auf Kartoffeln mit Sicherheit zu dia- 
gnosticiren. Dass hier aber auch Ausnahmen Vorkommen, haben E. Frän¬ 
kel und Simmonds (1. c.) mitgetheilt. Auf manchen (nicht näher be- 
zeichneten) Kartoffelsorten ist das Wachsthum nicht das von Gaffky be¬ 
schriebene typische. 

Anhangsweise möge hier erwähnt werden, dass Hueppe (Berl. kliu. 
Wochenschr. 1887, No. 32) in den Reiswasserstühlen eines Falles von 
Cholerine kurze Bacillen fand, die den Typhusbacillen ähnlich waren 
und sich für Meerschweinchen pathogen verhielten. 

7. Schweinerothlaufbacillen. 

Eine erhebliche Förderung der Kenntniss des Stäbchenrothlaufs 
der Schweine und der Biologie der Rothlaufbacillen verdanken wir Kitt. 
Derselbe hat in seinen „Untersuchungen über den Stäbcbenrothlauf der 
Schweine und dessen Schutzimpfung“ (Jahresber. der K. Centralthierarznei¬ 
schule München pro 1886) die noch strittigen Punkte experimentell zu 
klären versucht und ist zu einer Reihe wesentlicher positiver Ergebnisse 
gekommen. Der Autor hat von seinem Werke selbst eine übersichtliche 
Skizze veröffentlicht (Ceutralbl. f. Bact. Bd. 2, 1887, No. 23); und es mögen 
hier die wesentlichsten Resultate seiner Forschungen zusammengestellt 
werden. Der Bacillus des Schweinerothlaufs hat bekanntlich in seinem ge¬ 
summten Verhalten die allergrösste Aehnlichkeit mit dem Koch’schen Ba¬ 
cillus der Mäusesepticämie. Kitt lehrte nun die bisher nicht bekannte 
ThatSache kennen, dass der Rothlaufbacillus auch insofern dem Mäuse- 
septicämiebacillus gleicht, als er wie der letztere zwar für Haus- und weisse 
Mäuse, nicht aber für Feldmäuse pathogen ist. Pasteur hatte behauptet, 
dass der Rothlaufbacillus bei dem wiederholten Durchgang durch den 
Taubeukörper an Virulenz zunimmt, bei der wiederholten Verimpfung von 
Kaninchen zu Kaninchen in seiner Virulenz geschwächt wird. Den letzteren 
Punkt konnte Kitt bestätigen; es war ihm sogar nicht möglich, mehr als 
zwei Generationen Kaninchen hinter einander mit Erfolg zu impfen, da 
schon bei dem zweiten Kaninchen die Virulenz sich so abgeschwächt zeigte, 
dass das dritte nicht mehr erkrankte. Dagegen fand er die von Pasteur 
angegebene Steigerung der Virulenz bei dem Durchgang durch den Tauben¬ 
körper nicht bestätigt. Kitt inficirte 30 Tauben hinter einander, jede 
immer von der vorhergehenden. Die Thiere starben immer nach 3 bis 
4 Tagen. Zu den gegen Rothlauf refraetären Thieren (Rinder, Schafe, 
Pferde, Maulesel, Esel, Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Feldmäuse, Hühner, 
Gänse, Enten) kommt nach neueren Versuchen Kitt’s noch die Waldmaus. 
— Salmon und Smith (Med. News 1887) haben die principiell ausser¬ 
ordentlich wichtige Thatsache festgestellt, dass durch Einimpfung sterili- 
sirter Rothlaufculturen (d. h. der gelösten Ptomaine) bei Tauben Immuni¬ 
tät gegen die Iufection mit virulentem Material erzielt werden kann. 

Anhangsweise möge hier die Notiz Platz finden, dass Kartulis 
(Ceutralbl. f. Bact. Bd. 1, 1887, No. 10) die egyptische katarrhalische 
Conjunctivitis durch einen feinen, den Mäusesepticämie- (resp. Rothlauf-) 
Bacillen höchst ähnlichen Bacillus bedingt ansieht, der innerhalb der Eiter- 
zcllen bei der genannten Krankheit bereits 1883 von Robert Koch ge¬ 
sehen wurde. 

8. Bacillen der Septicaemia haemorrhagica Hueppe. 

Wie die Erreger des Schweinerothlaufs und der Mäusesepticämie ein¬ 
ander höchst ähnlich erscheinen, vielleicht als identisch anzusehen sind, so 
existiren die intimsten Verwandtschaften zwischen den Erregern der Schweine¬ 
seuche und der Wildseuche, der Kaninchensepticämie und der Hühnercholera; 
vielleicht haben wir es auch bei allen diesen Erkrankungen mit einem und 
demselben Erreger zu thun. Hueppe hat (1886) diese Erkrankungsformeu 
unter dem Namen der „Septicaemia haemorrhagica“ zusammengefasst 
(cf. diese Wochenschr. 1887, No. 14, p. 288). — Schütz (Arcb. f. wiss. u. 
prakt. Thierheilk. 1887. — Virch. Arch. Bd. 107, 1887) hat nun als Er¬ 
reger der Brustseuche der Pferde, einer Krankheit, welche theils zu 
lobärer Hepatisation der Lunge, theils zur Bildung mortificirender Herde 
in diesem Organ führt, einen ovoiden, dem Erreger der Schweineseuche in 
seinem gesammten Verhalten höchst ähnlichen Mikroorganismus festgestellt und 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


677 


16. Au gust. 

zugleich gefunden, dass die Brustseuche und die fibrinöse Pneumonie des 
Pferdes ätiologisch einheitlich aufzufassen sind. Die Brustseuchebacterien 
verhalten sich nur insofern von den Schweineseuchebacterieu verschieden, als 
die ersteren für Schweine nicht pathogen sind. Sehr empfänglich dagegen 
sind weisse Mäuse, ferner Kaninchen. 

Eine weitere, hierher gehörige Krankheit, der r Barbone dei bufali“, 
wurde von Oreste und Armanni (Atti del R. Istituto d’incorr. alle sc. nat. 
1887) untersucht und beschrieben. Der Barbone ist eine in Italien hei¬ 
mische, vornehmlich die jungen Büffel im Sommer befallende, mit hohem 
Fieber, Störung des Allgemeinbefindens und localen entzündlichen Oedemen, 
namentlich der Kehlgegend, einhergehende, meist innerhalb 12 bis 24 Stunden 
tödtlich endende Infectiouskrankheit, die epidemisch auftritt und oft viele 
Opfer fordert. Im Blute und in dem Exsudate der localen Schwellungen 
fanden die Autoren einen dem Erreger der Schweineseuche ebenfalls in 
hohem Grade ähnlichen Organismus, mit dessen Reinculturen an einer An¬ 
zahl von Thierspecies Impfungen mit positivem Erfolge ausgeführt werden 
konnten, nämlich an einem jungen Büffel, einem jungen Schwein, einem 
jungen Pferd, einer jungen Kuh, einem Schaf, ferner an Mäusen, Ratten, 
Kaninchen, Meerschweinchen, Tauben und Hühnern. Durch einstündige Er¬ 
hitzung des getrockneten virulenten Barboneblutes auf 65° erscheint die 
Virulenz abgeschwächt. Weiterhin fanden die Autoreu (Cougr. med. di Pavia, 
September 1887) in dem Blute inficirter Tauben ein Yaccin, welches mit 
Erfolg zur Schutzimpfung gegen den Barbone bei Büffeln und Schafen ver¬ 
wendet werden kann. 

Chanteraesse (C. r. soc. de biol. 1887) hat über eine in Frank¬ 
reich vorkommende contagiöse Erkrankung der Schweine Unter¬ 
suchungen angestelit, welche mit der Schweineseuche identisch zu sein 
scheint. 

Ueber die Geflügelcholera (Hühnercholera), welche der Natur 
ihres Erregers nach ebenfalls an diese Stelle gehört, hat Kitt (Deutsche 
Zeitschr. f. Thiermed- 1867 — Ceutralbl. f. Bacter. Bd. 1, 1887, No. 10) 
Untersuchungen angestellt, welche namentlich die Biologie des Erregers der 
Krankheit sowie die von Pasteur entdeckte Schutzimpfung derselben be¬ 
treffen. (Fortsetzung folgt.) 

V. Feuilleton. 

Altes über neue Mittel. 1 ) 

Von Prof. Dr. H. Schulz in Greifswald. 

Meine Herren! Es ist ein charakteristisches Merkmal unserer 
Zeit, dass auch die Medicin von der ebenso allseitigen wie grossar¬ 
tigen Concurrenz auf allen Gebieten technischer Leistungeu nicht 
verschent gebliebeu ist. Die von Tag zu Tag zu grösserer Voll¬ 
kommenheit sich entwickelnde chemische Industrie, die immer neue 
Darstellung bis dahin unbekannter Verbindungen hat auch zu einer, 
vor der Hand noch ganz unbegrenzt erscheinenden Production neuer, 
zu Arzneizwecken empfohlener Präparate geführt. Ein Blick in 
unsere Tagesliteratur geuügt, um sich davon zu überzeugen. Bei 
der Lectüre all dieser Novitäten drängt sich mir unwillkürlich die 
Frage auf: Hat dieses sich überstürzende Vorgehen, dieses rastlose 
Anpreisen neuer und neuester, für die Therapie der verschiedensten 
Krankheiten bestimmter Präparate für die Medicin einen Nutzen, der 
sich auch nur einigermaassen der aufgewandteu Arbeit an die Seite 
stellen lässt? Ich glaube, wir müssen bei nüchterner Erwägung die 
Frage mit „Neiu“ beantworten, so pessimistisch das auch auf 
den ersten Blick klingen mag. Aber ich will versuchen, diese An¬ 
schauung durch ein Beispiel zu illustriren. Nehmen wir irgend eine 
der Unterabtheiluugen, in die die Materia medica herkömmlicher 
Weise zerfällt, heraus, z. B. die sogenannten Autipyretica. Seit dem 
Jahre 1880 sind, von einzelnen Ephemeriden abgesehen, nicht 
weniger als 8 neue Mittel der ärztlichen Welt anempfohlen, die 
hinsichtlich der Herabsetzung fieberhaft gesteigerter Körpertemperatur 
zunächst immer alles nur Wünschenswerthe leisten sollten, dann 
aber nach einer oft recht kurzen Blüthezeit von einem neu gefun- 
denenen Präparat wieder bei Seite gedrängt wurden. Von dem seiner 
Zeit vielgenannten Kairin ist kaum noch die Rede, Hydrochinon, 
Resorcin, Antifebrin, Antipyrin und Thallin haben sich nur auf 
einzelnen Gebieten zu halten gewusst und auch da nicht einmal 
einspruchslos. und schon sind wir in der Lage, uns mit den Leistungen 
des Salol und des Acetphenetidin beschäftigen zu müssen, wollen 
wir überhaupt uns auf der Höhe der Kenntniss von den Antipyre- 
ticis halten. Und dabei haben wir nicht einmal die, für ein ruhiges 
Durcharbeiten eines solchen Novums doch immerhin wünschenswerthe 
Sicherheit, dass nicht schon wieder etwas ganz Neues, angeblich noch 
Leistungsfähigeres uns in der nächsteu Nummer unseres medicinischen 
Journals empfohlen wird. Es ist aber eine alte, und wie ich glaube, 
unumstössliche Wahrheit, dass gerade auf dem Gebiete der inneren 
Medicin eine lange Zeit und eine umfasseude Reihe von einzelnen 
Beobachtungen au Kranken dazu gehört, um die experimentell ge¬ 
wonnenen Resultate zu bestätigen und, vor allen Dingen, den Werth 
eines Arzneimittels so genau zu präcisireu, dass von seiner Anwen¬ 
dung dem Kranken wirklich Heil zu hoffen ist. Wie dieser Wahr¬ 
heit aber in dem von uns erwähnten Beispiel Genüge gethan werden 

*) Vortrag, gehalten im Greifswalder medicinischen Verein. 


soll und kann, wenn innerhalb der Zeit von 8 Jahren ebensoviel 
neue Mittel für einen und denselben Endzweck empfohlen und ange¬ 
wandt werden, ist schwer zu sageu. Bei den sogenannten 
Hypnoticis verhält es sich gauz ebenso. Immer soll das Neueste die 
Schlaf erregende Wirkuug noch besser und sicherer entfalten, wie 
das schon wieder unmodern werdende, wenn auch erst kurz be¬ 
standene Neuere. Bereits vor einigen Jahren hat Rossbach in ein¬ 
dringlicher Weise die Folgen dieser Ueberproduction auf dem Ge¬ 
biete der Arzneimittel charakterisirt. Wir haben sicherlich den 
Grund für dieselbe nicht zum kleinsten Theil in dem Umstand zu 
suchen, dass die chemische Grossindustrie, in richtigem Scharfblick 
sich auch der Massendarstellung neuer, zu Arzneizwecken irgendwie 
geeigneter Präparate zugewandt hat. So vortheilhaft das nun auch 
anerkanntermaassen für den Consum gewisser, in grosser Menge noth- 
wendiger Präparate, zum Beispiel der Antiseptica, ist, so wenig ist 
diese Folge des Zwanges, den die allgemeine Concurrenz auflegt, 
für innere Mittel angenehm zu nennen. Der Industrie liegt doch 
die Frage ziemlich fern, wie es möglich sein soll, innerhalb des 
Zeitraumes von höchstens einigen Jahren ein neues Mittel auf seinen 
wirklichen Werth geuau dnrehzuprüfen. Die Frage kann auch kein 
wesentliches Interesse für sie haben, steht es doch erfahrungsge- 
mäss fest, dass es nur einer beschränkten Anzahl von Versuchen 
bedarf, um irgend einem Novum den Weg in die, für die praktische 
Medicin bestimmte Tagesliteratur hinein zu bahnen. Tritt dann 
noch eine gut geleitete Reclame dazu, so ist für den Fabrikbetrieb 
uud den kaufmännisch zu erzielenden Vortheil für eine bestimmte 
Zeit gesorgt, so lange, bis wieder etwas Neues erscheint. Und 
diese Zeit muss ausgenutzt werden, mit aller Energie; der Satz: 
Salus aegroti summa lex! kommt erst hinterher in Betracht. 

Das unausgesetzte, sich überstürzende Suchen nach neuen Arznei¬ 
mitteln muss weiter dahin führen, dass das Interesse von den alt¬ 
bekannten Präparaten abgelenkt wird, deren Wirkungsart wir aus 
zahlreichen, in langer Zeit gesammelten Beobachtuugsreihen kennen. 
Für alten, bekannten uud erprobten Besitz bietet man etwas Neues, 
zuweilen äusserst wohl und gelehrt klingend, aber hinsichtlich seiner 
wirklichen Brauchbarkeit doch zweifelhaft. Die Medicin hat schon 
| mehrfach vor diesem Dilemma gestanden, und wenn wir im Geiste 
! ein paar, unserer Zeit angemessene Varianten anbringen, so klingen 
| uns die Worte des Paracelsus gar nicht so befremdlich, die er 
im zweiten Theil des Buches Paragranum über den Stand der Arznei¬ 
mittellehre vor 300 Jahren geschrieben hat: „Da aber die Experi¬ 
mentier aufstuuden und die Humoralisten, da musst man Griechische 
Arztney brauchen den Teutscheu; ist gleich als mit dem Tuch, je 
weiter (her) je besser, das heimisch, das sein werme auch giebt, 

| wird veracht.“ 

Die jetzt beliebte Art, für die Vermehrung der Materia medica 
i zn sorgen, hat indess noch eine andere, allerdings weniger bedenk- 
: liehe Schattenseite. Es kommt bei dem rascheu Produciren nämlich 
, in neuerer Zeit immer häufiger vor, dass altbekannte Dinge als 
1 Nova vorgeführt werden. Zuweilen hat das seinen entschuldbaren 
| Grund darin, dass, zumal bei Präparaten aus dem Pflanzenreich, 

| an Stelle der früher verwandten Drogue das in ihr enthaltene wirk- 
] same Princip als neu empfohlen wird. Man sieht das z. B. beim 
| Agaricin und dem neuerdings wieder viel genannten Anemonin. 

Beide. Agaricus laricinus uud Anemone Pulsatilla, sind alte, von 
; den früheren Aerzten ebenso wohl gekannte, wie für bestimmte 
' Krankheiten werthvolle Bestandtheile unseres Arzneischatzes. Sehr 
i interessant ist in dieser Hinsicht auch das Helenin, der Alantkampher. 

■ Seit 1880 ist dieses Präparat, zunächst von Frankreich aus, em- 
: pfohlen gegen Respirationskrankheiten der verschiedensten Art, auch 
gegen Lungenphthise, und ausserdem soll es antiseptische Kraft 
besitzen. Die Stammpflanze des Helenin, Inula Helenium, Alant, 
ist eine beliebte Zierde der Bauerngärteu, von deren Wurzel bereits 
I der Commentator des Dioscorides, Matthiolus, vor 300 Jahren 
' berichtet: „Alantwurzel reumet aus der Brust die groben, zähen 
! Schleime. Alantwurzel zu Pulver gestossen hilfft wider das Blut- 
speyen.“ Wir brauchen uns aber gar nicht so weit in alte ver¬ 
gessene Zeiten und Schriften hinein zu vertiefen, in diesem Jahr¬ 
hundert, in den 30er Jahren, führt Hecker in seiner praktischen 
Arzneimittellehre die Alantwurzel als werthvoll für Respiratious- 
| krankheiten auf und giebt ausserdem auch eine Andeutung über 
die Schädlichkeit der Alantpräparate gegenüber niederen Organismen. 
1 Er rühmt sie nämlich bei vielerlei Hautkrankheiten, zumal gegeu 
die Krätze, und ich finde diese letztere Angabe bestätigt in 
! Osiander's „Volksarzneimitteln“, wo berichtet wird, dass Ab- 
j kocliungen der Alantwurzel iu Schweden als Volksmittel bei der 
genannten Affection beliebt sind. 

Wir haben es hier, m. H., gerade mit einem Arzueistoffe zu 
thun, dessen Hauptwirkungsfeld auf dem Gebiete der Lungen- 
i krankheiten liegt. Ich möchte diese Gelegenheit beuutzen, hier der 
beiden allerueuest empfohlenen Lungenmittel, des Guajacol uud des 
i Kreosot, Erwähnung zu thuu. Auch sie sind alt und längst be- 


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678 


No. 33 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


kannt. Pas Guajacol, das Product trockener Destillation aus dem 
Guajakharz, als solches zwar nicht, aber das Harz selbst ist von 
demselben, schon genannten Hecker gegen chronische Erkrankungen 
der Respirationsorgane warm empfohlen. Bei Besprechung des 
Kreosot citirt Hecker die Angabe von Rampold, der es besonders 
bei Lungenphthise empfiehlt, da „wo ein Zustand von schnellem 
Zerfliessen der Tuberkelmasse eintritt“. Rampold gab das Kreosot 
innerlich, eiu paar Tropfen in Wasser gelöst. 

Dann weiterhin haben wir in den letzten Jahren öfter Gelegen¬ 
heit gehabt, dem als Diureticum empfohlenen Spartein in der Li¬ 
teratur zu begegnen, neuerdings durch das Calomel schon wieder 
beseitigt. Auch diese beiden sind nicht neu auf dem genannten 
Gebiete. Das SparteTn ist vor etwa 9 oder 10 Jahren von Ger- 
main See empfohlen, aber schon 1835 rühmte Ec des die Samen 
seiner Stammpflanze, des gemeinen Besenginsters, sowie die aus 
ihnen präparirte Tinctur zur Beförderung der Diurese bei Hydrops. 
Und vor 300 Jahren schrieb Matthiolus: „Man macht ein Zucker 
aus der Geuista, welcher den Harn fördert und den Lendenstein 
zertreibet“. Ueber unser allerneustes Diureticum, das Calomel. 
finden sich bereits bei Hecker mehrfach Angaben, dass es die 
Thätigkeit der Nieren in günstiger Weise anrege. Aber Hecker’s 
Buch ist auch schon vor 50 Jahren geschrieben. Es ist fast als 
ein Glück zu betrachten bei dem, fast jeden neuen Fund beglei¬ 
tenden Prioritätsstreit um die Entdeckung, dass die Alten sich 
nicht mehr daran betheiligen können. Aber das glaube ich doch 
sagen zu können, m. H.: Es würde der Therapie nicht schaden, 
weun sie sich der sogenannten obsoleten Mittel etwas mehr wieder 
annähme, und es würde sich empfehlen, bei einer gewissen Klasse 
neuer Entdeckungen auf medicinischem Gebiete auch auf das Rück¬ 
sicht zu jiehraeu,. was lange vor uns auch nur durch Geistesarbeit, 
Mühe und Fleiss hat errungen werdeu können. 


Der Tuberculose-Congress in Paris. 

(Fortsetzung aus No. 32.) 

Die zweite Sitzung des Congresses und der grösste Theil der 
dritten war der Discussion über die Frage gewidmet, welche Ge¬ 
fahren der Genuss des Fleisches vou tuberculösen Thieren iu sich 
bergen kann. Es ist schwer, über eine derartige Discussion ein¬ 
gehender zu berichten, und ich beschränke mich daher auf die 
Mittheilung, dass die grössere Mehrzahl derer, welche zu dieser 
Frage das Wort ergriffen, u. A. die Herren Arloing, Butel, 
Spill manu, die Ansicht vertraten, dass das Fleisch tuberculöser 
Thiere durchaus vom Genuss auszuschliessen sei. Andere, so die 
Herren Dionis de Carrieres, Baillet etc., halten dafür, dass 
eine behördliche Confiscation solchen Fleisches erst einzutreten habe, 
wenn die Geueralisation des Processes bereits weiter vorgeschritten 
ist. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit, eine Grenze zu ziehen, 
wann der Genuss tuberculösen Fleisches anfängt gefährlich zu 
werdeu, gelangte der Cougress endlich zur Annahme der folgenden 
These: Es ist angezeigt, die Schadloshaltung der Inter¬ 
essenten vorausgesetzt, mit allen zu Gebote stehenden 
Mitteln das Princip der Confiscation und vollständigen 
Vernichtung allen vou tuberculösen Thieren stammenden 
Fleisches durchzuführen, mag der bei den Thieren fest¬ 
gestellte specifische Process vorgeschritten sein, soweit 
er will. Nur drei Mitglieder stimmten gegen diese principielle 
Erklärung. 

Bang (Copenhagen) machte Mittheilungen über Studien, die er 
mit Bezug auf die Virulenz der Milch von Kühen angestellt hat, 
deren Euter von dem tuberculösen Process ergriffen ist. Von 
20 Kühen, bei denen dies zutraf, hatteu nur 2 Milch, die sich als 
virulent erwies. Unter 8 phthisischen Frauen fand sich keine, deren 
Milch virulent war. In den Fällen, wo in der Milch viele Bacillen 
gefunden wurden, enthielten die verschiedenen Erzeugnisse der 
Milch: Sahne, Butter, Molken, deren ebenfalls. Temperaturen von 
50—60° C hatten nicht die mindeste Wirkung auf die Milch, 
selbst wenn man dieselbe 5 Minuten lang dieser Temperatur aus¬ 
setzte. Temperaturen von 70—72° vernichteten die Bacillen, aber 
nicht constant. Zweimal wurde die Milch auf 80° erhitzt, mit po¬ 
sitivem Erfolg, zwei andere Male behielten die Bacillen bei der¬ 
selben Temperatur ihre Virulenz, ln drei Versuchen, wo die Milch 
auf 85° erhitzt wurde, wurde alle drei Male die Virulenz ver¬ 
nichtet. 

Solles (Bordeaux) fand in menschlichen Tuberkeln einen Ba¬ 
cillus. der andere Läsionen bewirkt, als der Koch’sehe Tuberkel¬ 
bacillus, von dem er verschieden ist. Bei Kaninchen, deneu dieser 
Bacillus eingeimpft wurde, fand er sich constant im Blute wieder. 

Chautemesse und Widal stellten Versuche an, wie viele 
Tage Tuberkelbacillen und deren Sporen sich im Seiuewasser 
lebend erhalten können. Die Wasserproben wurden in zwei 
Gruppen eingetheilt, die einen wurden sterilisirt, die anderen nicht. 


j Beide Serien von Proben wurden mit stark sporenhaltigen Culturen 
von Tuberculosebacilleu geimpft. Dann wurden wieder beide 
Gruppen geschieden. Die einen wurden im Eisschrank bei 8 bis 
12°, die anderen bei Zimmertemperatur von 15—20° aufbewahrt. 
Die Vortragenden kamen zu folgenden Ergebnissen: Die Tuber- 
culosekeirne hielten sich in dem sterilisirten und bei 8—12° auf- 
bewahrten Seinewasser 50 Tage lang lebend. In dem sterilisirten 
und auf 15—200 gehaltenen Wasser hielten sie sich 70 Tage lebend. 

Arloing theilte mit, dass Galtier Theile tuberculösen Ge¬ 
webes in einen Wasserlauf brachte, dessen Temperatur zwischen 
150 und 6° schwankte. Nach 15 Tagen hatten die tuberculösen 
Massen noch ihre Virulenz bewahrt. Cadeac dehnte diese Ver¬ 
suche auf die Frage aus, wie lange sich die Virulenz in diesem 
Falle erhalten würde, je nachdem es sich um fliessendes oder stag- 
nirendes Wasser haudle. Im ersteren Falle konnte er die Virulenz 
noch nach l 1 /» Monat constatiren, im zweiten Falle zeigten sich 
nach 120 Tagen die Massen noch virulent, nach 123 Tagen war 
die Virulenz erloschen. 

Eine weitere Versuchsreihe Arloing’s bezog sich auf die 
Entscheidung der Frage, ob gewisse, von der Tuberculose verschie¬ 
dene pathologische Zustände einen refraetären Zustand des Orga¬ 
nismus zu erzeugen im Stande seien. Er hoffte anfangs, dass die Scro- 
phulose vielleicht eine derartige Abschwächung des Tuberculose- 
giftes bewirken könne. Er impfte Meerschweinchen mit scrophu- 
lösen Producten, und wenn er klinisch das Auftreten von Scrophu- 
lose feststellen konnte, brachte er an einer anderen Stelle dem 
Thiere tuberculöse Massen bei; aber die zweite Impfung zeigte 
sich von ausserordentlicher Wirksamkeit und wurde keineswegs 
von der ersten beeinflusst. Da man dem Typhus gewisse anta¬ 
gonistische Wirkungen gegenüber der Tuberculose zugeschrieben 
hat, experimentirte Arloing weiter nach dieser Richtung. Er 
impfte 8 Meerschweinchen 6 Tage lang mit typhösen Producten, 
am 8. Tage mit tuberculösen Massen. Alle geimpfteu Thiere waren 
nach 26 Tagen eingegangen, und alle zeigten tuberculöse Processe, 
vielleicht noch etwas ausgesprochener als die Controlthiere. Trotz 
dieser Misserfolge giebt Arloing die Hoffnung nicht'auf, noch ein 
Virus zu finden, das eine Immunität gegen Tuberculose zu ge¬ 
währen vermag. 

Babes (Bukarest) untersuchte Theile von 73 zur Autopsie ge¬ 
langten Kindern. Er fand 65 mal Tuberculose der Drüsen und 
nur 45 mal den Koch’sehen Bacillus. In 52 Fällen von ausge- 
breiteterer Tuberculose, die secirt wurden, fand sich nur 10 mal 
der Koch’sche Bacillus allein, in den übrigen 42 Fällen fanden 
sich neben demselben noch andere Mikroben: Staphylococcus aureus 
und albus und der Eiterstreptococcus. In den Fällen von Gangrän 
der tuberculösen Herde und von Ulcerationen der Schleimhäute 
fanden sich neben deu Eitercoccen mehr oder weniger virulente 
saprogene Bacillen und eine specifische Bacilleuart, die, wenn sie 
sich verbreitete, zu Hämorrhagieen und zur Zerstörung der tuber¬ 
culösen Producte führte. Gleichzeitig verbreiten sich die Tuber- 
culosebacillen sehr rapide, so dass eine Art Association unter den 
beiden Mikroorganismen zu Stande kommt. Bei tuberculöser 
Pneumonie, bei tuberculöser Pleuritis. Peritonitis, Meningitis finden 
sich nebeu dem Koch'sehen Bacillus andere Mikroorganismen. 
Bei der Tuberculose der Knochen und Gelenke kommen neben 
Tuberculosebacilleu sehr häufig die Eiterstreptococcen vor. Nach 
Babes hat die Tuberculose bei Kindern sehr selten den Tod ohne 
weitere Complicationen zur Folge. Gewöhnlich bilden die tuber¬ 
culösen Läsionen die Eingangspforte für andere Bacterien, die in 
vielen Fällen ihrerseits wieder das Wachsthum des Tuberculose- 
bacillus begünstigen. Endlich kann die unter der Form vou Tuber¬ 
culose der Drüsen bestehende latente Tuberculöse der Kinder unter 
dem Einfluss anderer Mikroben activ werden und eine schwerere 
Form aunehmen. 

Duret unterscheidet vom klinischen Standpunkt drei Haupt¬ 
formen käsig-tuberculöser Veränderungen der Drüsen: 1) eine 
fibrös-käsige, 2) eine einfache käsig-tuberculöse und 3) eine käsig- 
tuberculöse Form mit Suppuration, Ulcerationen, Fisteln u. dergl. 
Für die ersteren Fälle empfiehlt Duret einfache Incision mit dem 
Bistouri. Bei der einfachen käsig-tuberculösen Form erzielte er 
gute Resultate mit der Ignipunctur und dem Evidement der Drüsen. 
Bei der dritten Form endlich zerstört er die Fungositäten und 
Ulcerationen, welche Tuberkelbacillen enthalten. 

Cornil und Toupet machten eine Mittheilung über Pseudo- 
tuberculose, hervorgebracht durch Fremdkörper. Ohne die histo¬ 
logische Untersuchung ist es, nach diesen Autoren, schwierig, solche 
Fälle vou der wahren Tuberculose zu unterscheiden. — Cartier 
theilte folgende Ergebnisse einer Ernährungsmethode mit rohem 
Fleisch mit: Kranken, die mit rohem Fleisch ernährt werden 
müssen, ist Hammelfleisch und Ziegenfleisch zu empfehlen. Kranke, 
die in den Schlächtereien das Blut von Thieren trinken w’ollen. 
ist ebenfalls Hammel- und Ziegenblut zu empfehlen. Auch zur 


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16. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


679 


Verdünnung von Wein und anderen Getränken sollen diese Kranken 
sich nur des Blutes der genannten Thiere bedienen. 

Am Dienstag den 29. Juli begaben sich die Congresstheilnehmer 
nach Alfort um die Thierarzneischule, deren Director Nocard ist, 
in Augenschein zu nehmen. Nocard machte bei der Gelegenheit 
eine Mittheilung über die verschiedenen Formen der Tuberculose, 
welche man bei Thiereu beobachtet. Er erinnerte daran, dass man 
lange geglaubt hat, das Pferd verhalte sich refractär gegen Tuber¬ 
culose, weil Impfungen bei demselben nie zu generalisirter Tuber¬ 
culose führten, vielmehr nur zu localisirten Tuberkeln, die durch 
Vernarbung heilten. Beim Esel nimmt, wie Chauveau gezeigt 
hat, die Tuberculose einen ganz eigenthümlichen Verlauf. Nach der 
Impfung acquirirt er eine miliare Tuberculose, die nach Verlauf von 
3 Wochen heilt, wenn man das Thier sich selbst überlässt. Man 
erkennt sie nur, wenn man das Thier ungefähr nach Ablauf von 
3 Wochen tödtet. Nocard wies aber gleichzeitig darauf hin, dass 
beim Pferde eine spontane Form der Tuberculose auftritt, die ihren 
Ausgang vom Digestionstract nimmt. Alle lyraphoiden Organe sind 
mit Bacillen überschwemmt, dann werden alle Organe der Abdo¬ 
minalhöhle ergriffen, die Lunge wird erst in letzter Linie in Mit¬ 
leidenschaft gezogen. Das Thier geht zu Grunde, ehe eiue Ver¬ 
käsung der Lungentuberkel eintritf, während die Drüsen des Unter¬ 
leibes vollständig in einen mit Bacillen vollgepfropften käsigen Brei 
verwandelt sind. Endlich giebt es noch eine dritte Form, die 
durch Humbert zuerst beschrieben wurde. Die Infection hat ihren 
Sitz in der Lunge, und zwar in der Lunge allein. Die Tuberkel 
innerhalb derselben sind hart, weisslich, sie enthalten wenige Ba¬ 
cillen. Diese Form zeugt von der grossen Widerstandskraft, welche 
die Lunge der Infection entgegensetzt. 

Nocard ging dann über zu der Tuberculose des Geflügels, 
einer sehr häufigen Erkrankung, die den Genuss der Eingeweide 
dieser Thiere sehr gefährlich macht. Die gefährlichste Form der 
Tuberculose beim Geflügel ist die, wo die Leber voll Bacillen ist, 
ohne dass eine sichtbare Laesiou besteht. Man kann diese Form 
experimentell mit grosser Leichtigkeit hervorrufen, wenn man direkt 
in die Venen impft; das Thier geht dann nach 30—40 Tagen zu 
Grunde. Die einzigen Veränderungen, die man wahrnimmt, sind 
eine enorm fette Leber und ein nicht weniger hypertrophirtes Netz. 
Endlich macht Nocard noch auf eine Pseudotuberculose aufmerk¬ 
sam, die man beim Rind beobachtet. Man bringt diese Affection 
hervor, indem man Rindern oder auch Meerschweinchen Krankheits- 
producte der Krankheit der Rinder von Guadeloupe, die unter dem 
Namen „Farcin“ bekannt ist, in das Peritoneum einimpft. Dieselbe ist 
ohne Zuhilfenahme des Mikroskops schwer zu unterscheiden. In 
«len Pseudotuberkeln dieser Affection findet sich ein eigenthümlich 
verzweigter Mikroorganismus. 

Arloing hat, so schloss Nocard seine Mittheilung, auf eine 
Verschiedenheit der Virulenz bei Scrophulose und Tuberculose ge¬ 
schlossen, weil das Kaninchen, dem man scrophulose Producte ein¬ 
impft, nach zwei Monaten nicht krank wird, während Meerschwein¬ 
chen um diese Zeit schwer erkrankt sind. Für das Kaninchen sind, 
uach Nocard, zwei Monate eine zu kurze Frist. Er sah, dass 9 Mo¬ 
nate nach der Impfung Kaninchen noch eiu gutes Aussehen darboten, 
während die Thiere in den Lungen bereits Tuberkel mit käsigem 
Inhalt hatten. Im Innern der Tuberkel fanden sich einige Bacillen, 
die Läsionen hatten sich sehr langsam entwickelt und waren bereits 
in der Rückbildung begriffen. Impft man dagegen scrophulöse 
Massen, die bereits durch den Körper eines Meerschweinchens hin¬ 
durchgegangen sind, so geht das Kaninchen etwa 9 Monate nach 
«ler Impfung unter sehr beträchtlichen Erscheinungen ein. Ist das 
Impfmaterial schon zweimal durch Meerschweinchen gegangen, so 
stirbt das Kaninchen bereits 4 Monate nach der Impfung. 

Jeannel suchte die Zeit festzustellen, während welcher die 
durch Hautüberpflanzung verimpfte Tuberculose localisirt bleibt. Er 
stellte fest, dass, wenn man auf diese Welse ein Kaninchen am 
Ohr impft, man dasselbe retten kann, wenn man 10 Minuten später 
das Ohr amputirt. In einer weitereu Versuchsreihe impfte er Ka- 
niuchen am Ohr; 4 Tage später exstirpirte er die Parotis und die 
Maxillardrüsen, nachdem das Ohr amputirt worden war. Leider 
handelt es sich dabei um sehr schwere Operatiouen, und die Ka¬ 
ninchen überstehen dieselben meistens nicht. Von 7 überlebte nur 
ein einziges die Operation, dasselbe ging aber au Tuberculose zu 
Grunde; in 4 Tagen hatte also das Virus das Lymphdrüsensvstem 
passirt. Jeannel machte ferner detaillirte Mittheilungen über Ver¬ 
suche, welche feststellen sollten, ob das Blut geimpfter Thiere viru¬ 
lent sei? Wir gehen auf diese Versuche nicht ein, weil sie uns 
nicht beweisend scheinen. 

Jeanselme berichtete über zwei Beobachtungen, welche beweisen 
sollten, dass Hauttuberkel, trotzdem sie sorgfältig entferut werden, 
zu einer Generalisation der Tuberculose führen können. Diese Auf¬ 
fassung steht den Erfahrungen von Chauveau, Verneuil u. A. 
direkt gegenüber. _ (Fortsetzung folgt.) 


VI. Referate und Kritiken. 

v. Saexinger. Gefrierdurchßohnitt einer Kreissenden. Drei 
Tafeln mit Text. Tübingen, Laupp’sche Buchhandlung, 1888. 
Ref. Ahlfeld. 

Ein in die Tübinger geburtshülfliche Klinik wegen phlegmonöser 
Mastitis gebrachtes hochschwangeres 18jähriges Mädchen starb da¬ 
selbst an Sepsis, ohne entbunden worden zu sein. 

Den Leichnam benutzte v. Saexinger, um ein Gefrierpräparat 
herzustellen. Der Medianschnitt gelang sehr gut. 

Die Geburtsvorgänge haben das erste Stadium noch nicht 
überschritten. Der Kopf befindet sich in dem etwas verengten 
Beckeneingange (Conj. vera 9,2 cm). Der äussere Muttermund ist 
0,5 cm weit. Das Kind hat normale Haltung und liegt in erster 
Schädellage. 

Die Ausführung der drei Tafeln, von welchen die erste den 
gesammten Durchschnitt wiedergiebt, die zweite die Uterushöhle 
zeigt nach Entfernung des Kindes, die dritte den Uterus mit nicht 
durchschnittenem Kinde darstellt, ist eine recht gelungene. 

Es eignen sich die Tafeln zur Demonstration im klinischen 
Unterricht. Der Preis ist ein verhältnissmässig sehr geringer. 

Jeder neue derartige Durchschnitt bildet eiue werthvolle Be¬ 
reicherung unserer Kenntnisse und ein wichtiges Anschauungsobject 
für den Unterricht. 

Wir müsseu daher dem geschätzten Autor, wie auch der Ver¬ 
lagsbuchhandlung bestens danken für diesen Beitrag zur Sectional 
Anatomy of labour (Barbour). 


Hegar. Die Entstehung, Diagnose und chirurgische Behand¬ 
lung der Genitaltuberculose des Weibes. Stuttgart, F. Encke. 
Ref. Czempin. 

Bereits 1885 hatte Hegar durch Wiedow im Centralblatt für 
Gynäkologie 4 Fälle von operativ behandelter Tubentuberculose ver¬ 
öffentlichen lassen. In der vorliegenden Broschüre theilt er seine 
Erfahrungen über die Eileitertuberculose eingehender mit. Immer 
im Vergleich mit der Genitaltuberculose des Mannes giebt er zu¬ 
nächst einen Ueberblick über Sitz, Entstehung, Anatomie der tuber- 
culösen Erkrankungen der weiblichen Genitalien. Gebärmutter und 
Eileiter sind der häufigste Sitz der Genitaltuberculose, selten ist die 
Scheide erkrankt. Eine primäre Erkrankung ist durch zahlreiche 
Sectionsbefunde erwiesen und nicht zu selten. Sie kann lange Zeit 
isolirt bestehen, sie kann latent bleiben, ja wahrscheinlich auch bei 
Tuberculose durch Verkreidung und Abkapselung ausheilen. 

Der Eintritt des Giftes in den Sexualapparat ist möglich durch 
Eindringen tuberculösen Sputums oder tuberculösen Darminhalts in 
| die Scheide, durch Fortleitung vom Darm durch das Peritoneum 
j auf die Tube, durch Wanderung des Giftes mit dem Blutstrom, 

| eudlich von aussen in der verschiedensten Weise beim Coitus. 

Die Verbreitung des von aussen her eingedrungeueu Giftes erfolgt 
[ entweder auf dem Wege der Schleimhaut oder häufiger von der 
j Scheide oder dem Uterus aus durch das Bindegewebe und das 
Bauchfell und von hier auf die Tuben. Diese anatomischen Ver¬ 
hältnisse erklären das Freibleiben einzelner Theile des Genital¬ 
kanals von der Erkrankung. 

Die Diagnose der Genitaltuberculose hat, soweit sie sich auf 
tuberculöse Geschwüre der Scheide oder des Collum uteri erstreckt, 

! ferner in Rücksicht auf die Möglichkeit der mikroskopischen Unter- 
i suchung des Uterussecrets oder der ausgekratzten Uterusschleimhaut 
1 keine nennenswerten Schwierigkeiten. Die Tuberculose der Tubeu 
j wird durch die Palpation diagnosticirt. Ist die Tube noch nicht 
i mit den benachbarten Organen verschmolzen oder in Exsudatmassen 
: eingebettet, so stellt sie sich als eine kleinere, unregelmässig ein- 
i geschnürte, meist rosenkranzartig augeordnete Geschwulst dar. 
Meist bestehen feste Verwachsungen mit den Nachbargebildeu. 
Differential-diagnostisch hebt Hegar das Freibleiben des medianen 
Theiles bei der Pyosalpinx, sein Ergriffensein zu knolliger, eckiger 
Anschwellung bei Tuberculose hervor. 

Die Behandlung der Genitaltuberculose wird neben der Pro¬ 
phylaxe vorzugsweise eiue chirurgische seiu. Eine Contraindication 
J dürfte allein die vorgeschrittene Erkrankung anderer lebenswichtiger 
Organe geben. Neben der chirurgischen Behandlung der tubercu- 
i lösen Erkrankung der S«'heide und des Uterus kommt besonders 
für die Tubentuberculose die Salpingotomie mit Castration in Betracht, 
deren Technik eingehend geschildert wird. Hegar theilt sechs 
, Operationsgeschichten mit; eine Patientin starb, die übrigen sind 
i durch die Operation in einem subjectiv und objectiv besten Zustand. 


H. Kisch. Die Fettleibigkeit (Lipomatosis universalis). Auf Gruud- 
lage zahlreicher Beobachtungen klinisch dargestellt. Stuttgart, 
Ferd. Enke. Ref. Rosenheim. 

Der Verfasser des vorliegenden Werkes stützt sich bei der kli¬ 
nischen Würdigung der Lipomatosis auf eine Erfahrung, wie sie nur 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33 


680 


wenigen Aerzten speciell für diese Krankheit zu Gebote stehen 
dürfte, und es ist kein Zweifel, dass es gerade mit Hülfe dieser 
durch grosse praktische Bethätigung gewonnenen Einsicht dem Ver¬ 
fasser gelungen ist, das, was er erstrebte, zu erreichen, nämlich 
einen für die Praxis verwerthbaren Beitrag zur Lehre einer der 
wichtigsten StofFwechselerkrankungen zu liefern. 

Nach eingehender Darstellung der gesammten Symptomatologie 
der in Rede stehenden Krankheit, nach Berücksichtigung aller in 
Frage kommenden Complicationen (Diabetes, Gicht) und nachdem 
auch in Bezug auf Aetiologie und pathologische Anatomie das 
Wissenswerthe wiedergegeben ist, geht Verfasser zu dem wich¬ 
tigsten und mit Recht am ausführlichsten behandelten Capitel: der 
Therapie über. Hier vertritt er eine eigene Methode der diäte¬ 
tischen Behandlung. Die Kranken erhalten eine gemischte Kost, die 
bei einem erwachsenen Fettleibigen aus 160 g Eiweiss, 10 g Fett, 
80 g Kohlehydraten pro die besteht. Die Flüssigkeitszufuhr wird 
durchaus nicht beschränkt. Unterstützt wird die Cur durch Ab¬ 
reibungen, Dampfbäder, Massage und das Trinken kalter, starker 
Glaubersalzwässer (Marienbad, Tarasp - Schuls), die durch ihren 
Kohlensäuregehalt und die Kälte die Diurese mächtig anregen. In 
Betreff der Einzelheiten, die bei dem Regime des Verfassers in 
Frage, kommen, sei auf das Buch verwiesen, das auch gleichzeitig 
an dieser Stelle eine sachliche Kritik aller anderen Entfettungs- 
proceduren (Banting. Ebstein, Oertel u. A.) bietet. Ganz be¬ 
sonders und mit Recht wird die wasserentziehende Methode (Oertel) 
gewürdigt und für eine geringere Zahl von Fällen von Lipomatosis 
empfehlenswerth gefunden, nämlich dort, wo eine hydrämische Be¬ 
schaffenheit des Blutes zu Stande kommt, wo dabei die Zeichen 
der Herzinsufficienz in bedrohlicher Weise zu Tage treten, und Er¬ 
scheinungen des Hydrops univ. sich kundgeben. Es wird dabei 
aber vor der Durchführung stärkerer Muskelactionen als gefahr¬ 
bringend gewarnt. Ein mässig wasserentziehendes Regime neben 
stark roborirender Diät befürwortet Verfasser für manche Fälle 
der anämischen Form der Lipomatosis, wie sie am Häufigsten bei 
Frauen gesehen wird. Für die Mehrzahl aller Fettsüchtigen, die 
der plethorischen Form der in Rede stehenden Krankheit zuzu¬ 
rechnen sind, hält er auf Grund seiner ausgiebigen Erfahrung die 
oben kurz skizzirte eigene Methode für die nutzbringendste, durch 
geraume Zeit angewandt und durch den Gebrauch von Glaubersalz¬ 
quellen unterstützt. — So bietet das hiermit besteus empfohlene 
Buch eine treffliche Bearbeitung der Fettleibigkeit, durch die wir 
über Wesen, Symptome und Behandlung dieser Krankheit eingehend 
unterrichtet werden. Zahlreiche Tabellen und statistische Ueber- 
sichten, Pulscurven und gute Abbildungen unterstützen die Dar¬ 
stellung des Verfassers aufs Wirksamste und erleichtern dem Leser 
Einsicht und Urtheil. 


L. Brandt. Znr Uranoplastik, Staphylorrhaphie nnd Prothese. 

31 S., mit 2 Tafeln. Berlin, A. Hirschwald, 1888. Ref. Carl 

Rosenthal (Berlin). 

Durch vorliegende Broschüre ist ein weiterer, und wie es 
scheint, erfolgreicher Schritt in der Beantwortung der Frage, ob bei 
Defecten des harten und weichen Gaumens eine plastische Operation 
(Uranoplastik, Staphylorrhaphie), oder die Prothese anzuwenden 
sei, gethan worden. An der Hand von Belegen aus der Literatur 
giebt Verf. eine kurzgedrängte, nichts desto weniger aber recht klare 
und übersichtliche Zusammenstellung der Ansichten älterer und 
neuerer Autoren über diese Streitfrage. Aus seiner reichen Erfahrung 
kann Verf. nur wenige Fälle gelungener Operationen anführen; im 
Gegentheil, meist wurde noch nachträglich die Prothese nothweudig, 
und zwar nun unter weit ungünstigeren Verhältnissen als zuvor. 

Im frühen Lebensalter bieten die in Betracht kommenden Ope¬ 
rationen den relativ günstigsten functionellen Erfolg und sollten nach 
Verf. Ansicht in dieser Zeit auch meist ausgeführt werden. Ebenso 
eignen sich für die operative Behandlung die durch Traumen ent¬ 
standenen Defecte des harten und weichen Gaumens. Anders bei 
den auf anderem Wege entstandenen Gaumendefecten Erwach¬ 
sener. Hier sollte die Uranoplastik nur dann versucht werden, 
wenn man die grösste Aussicht hat, durch eine einmalige Operation 
einen günstigen functionellen Erfolg zu erzielen, also bei ausreichen¬ 
dem Material und möglichst günstigem Operationsfeld. Hat man 
diese Aussicht nicht, so schlägt Verfasser vor, V 2 —V 4 Jahr vor der 
geplanten Operation sämmtliclie Backenzähne des Oberkiefers mit 
den Wurzeln zu entfernen. Auf diese Weise kommt durch den 
»Schwund des Alveolarfortsatzes einmal ein weniger abschüssiges Ope¬ 
rationsfeld zu Stande, und dann, was noch wichtiger ist, gewinnt man 
an tauglichem Material zum Verschluss der Defecte. Die Staphylor¬ 
rhaphie bei erwachsenen Personen, sowie den operativen Verschluss 
syphilitischer Gaumen- uud Rachendefecte wünscht Verf. nicht, viel¬ 
mehr hält er in diesen Fällen einen prothetischen Verschluss von 
vornherein für indicirt. Was nun die bisher üblichen Rachenobtu¬ 


ratoren betrifft, von denen diejenigen von Suersen, Schiltsky 
und Kingsley am meisten Anwendung finden, so werden deren 
Nachtheile dahin zusammengefasst, dass die aus hart vulkanisirtem 
Kautschuk bestehenden Obturatoren durch die Muskelthätigkeit nicht 
in ausreichendem Maasse in Mitarbeit versetzt werden, dass neben 
diesem Nachtheil die elastischen Apparate auch noch denjenigen 
des leichten Macerirens haben, und dass schliesslich sämmtliche 
Systeme nur bei gewissen Bedingungen beschränkte Anwendung 
finden können. Allen diesen Uebelständen abzuhelfen ist Verf. durch 
die Construction eines neuen Obturators gelungen. Derselbe besteht 
im wesentlichen aus einer in luftleerem Zustande einzuführenden 
Hausen- oder Gumraiblase. Nachdem dieselbe in den Defect ge- 
gebracht worden ist, wird sie mit Hilfe eines kleinen Gebläses mit 
Luft gefüllt, eine höchst einfache Verrichtung, welche der Patient mit 
Leichtigkeit selbst ausführt. Auf die Wände dieser äusserst leichten 
und elastischen Blase wirkt der Druck der sie umgebenden Weich- 
theile leicht ein, und zwar in der Weise, dass die Luft stets dort¬ 
hin gepresst wird, wo sie, um einen besseren Abschluss zu bewirken, 
gerade gebraucht wird. Ein weiterer Vortheil ist der Umstand, 
dass die Hausenblase nur schwer macerirt wird, und dass der Ersatz 
derselben vom Patienten selbst mühelos und mit nur geringen 
Kosten bewerkstelligt werden kann. Diese Prothese ist in allen 
Fällen, wo überhaupt ein prothetischer Verschluss angezeigt ist, an¬ 
wendbar. Zum Schluss giebt Verf. noch an, dass es ihm in einem sehr 
schwierigen und complicirten Falle, in dem sich nach Ausführung 
der Staphylorrhaphie, Uranoplastik und Tracheotomie, als Hilfs¬ 
operation, schliesslich doch der prothetische Verschluss der zurück¬ 
gebliebenen Defecte als unbedingt nöthig erwies, gelungen ist, einen 
günstigen functionellen Erfolg mit seinem Obturator zu erzielen, 
während dies mit allen anderen Systemen nicht zu erreichen war. 

Es ist zu hoffen, dass durch vielseitige Anwendung dieses auf 
wissenschaftlicher Basis construirten Obturators, in geeigneten Fällen 
den Patienten ein guter functioneller Erfolg gesichert werde. 


VH. Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 2. Juni 1888. 

(Schluss aus No. 32.) 

3. Herr H. Schulz: Altes über neue Mittel. (Der Vortrag 
ist an anderer Stelle dieser Nummer veröffentlicht.) 

4. Herr P ei per demonstrirt einige Impfütensilien. 

5. Herr Helferich: Zur operativen Behandlung des Ileus. 
Herr Helferich bespricht übersichtlich unter Vorführung zweier 
operativ geheilter Fälle von Ileus aus der hiesigen chirurgischen 
Klinik die jetzt bei der chirurgischen Behandlung des Ileus in 
Frage kommenden eingreifenden Operationen, die Enterostomie und 
die Laparotomie. Zur Beurtheilung sind die in verschiedenen ärztlichen 
Vereinen in Deutschland und England gehaltenen Vorträge und Dis- 
cussionen, sowie die Verhandlungen des Deutschen Chirurgen- 
congresses von 1887 von Interesse, wenn durch dieselben zum Theil 
auch nur wenig Neues producirt wurde. Helferich ist der Mei¬ 
nung, dass die Fragestellung, ob bei Ileus Enterostomie oder La¬ 
parotomie vorgenommen werden solle, unrichtig sei. Für viele 
Fälle sei zweifellos die Enterostomie, für andere ebenso sicher die 
Laparotomie indicirt; in einer dritten, der grösseren Gruppe der 
Fälle von Ileus, wie sie klinisch zur Beobachtung kommen, ist zur 
Zeit eine bestimmte operative Indication noch nicht aufzustellen, 
da handelt jeder Chirurg unter dem Eindruck seiner eigenen Er¬ 
fahrungen und Ansichten; für diese weniger klaren Fälle erscheint 
zur Zeit die Euterostomie vom praktischen Standpunkte aus als die 
richtigere Operation, weil sie geringere Gefahren herbeiführt und 
mehr Heilungen liefert als die Laparotomie. Im Allgemeinen muss 
mau wohl sagen, dass in jedem einzelnen Falle von Ileus den Um¬ 
ständen gemäss verfahren werden soll. Da die einzelnen Fälle 
ausserordentlich verschieden sind nach der Ursache des Ileus, nach 
der Dauer, dem Grade, dem plötzlichen oder allmählichen Beginue 
der Erscheinungen, nach dem Meteorismus, dem Kräftezustande etc. 
des Patienten, so kann die Behandlung nicht schematisch auf immer 
gleiche Weise eingeleitet werden. 

Der eine Fall erläutert den Erfolg der Euterostomie, welcher 
thatsäehlich oft genug nicht ein palliativer, sondern geradezu ein 
radicaler ist, ein Umstand, welcher früher bekanntlich schon von 
Nelaton, kürzlich in einer sehr guten Arbeit von Fuhr und ganz 
neuerdings wieder von Schede betont wurde. Vergleicht man die 
Enterostomie bei Heus mit der Tracheotomie bei Kehlkopfstenose, 
so verschafft die häufig eintretende radicale Wirkung der ersteren 
Operation zweifellos die grössere praktische Bedeutung; es liegt in 
dieser radicalen Wirkung ein Umstand, welcher der Tracheotomie 
abgeht. 

Der 44jährige Ackerbauer Lampe wird am 5. November 1887 in die 
chirurgische Klinik zu Greifswahl aufgenommen. Die Erscheinungen be- 


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16. Angast. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 681 


gannen am 2. November unter heftigen Schmerzen in der Nabelgegend; 
Kotherbrechen. Patient wirft sich nach der Aufnahme vor Schmerzen 
stöhnend im Bett hin und her. Häufige Ructus mit Kothgeruch; auch 
Kotherbrechen findet statt. Leib sehr schmerzhaft, gleichmässig stark 
meteoristisch aufgetrieben. An den abhängigen Stellen ist Ascites nach¬ 
weisbar. Einige sehr aufgetriebene Darmschlingen sind durch die Bauch¬ 
decke hindurch in der rechten unteren Bauchgegend erkennbar. Magen¬ 
ausspülung. Chloroformnarkose zur sofortigen Vornahme einer Operation: 
Etwa handbreit einwärts von der Spina ant. sup. wird die Bauchhöhle durch 
einen kleinen Einschnitt eröffnet; es fliesst etwa '/* I seröser Flüssigkeit 
ab. Umsäumung der Wunde durch Vernähung von Bauchfell und Haut. 
Eine vorliegende, sehr stark erweiterte Dünndarmschlinge wird durch Nähte, 
welche die Mucosa nicht mitfassen, ungefähr in der Form eines schmalen 
Rechteckes an die Bauchwand um die Wunde herum fixirt. Eröffnung des 
Darmes, Abfluss von reichlich 1 '/» 1 dünnflüssigem Darminhalt. Gummi¬ 
rohr in das zuführende Darmstück, aus welchem im Laufe des Tages noch 
ca. 1 1 flüssiger Faeces in eine Urinflasche abgeleitet worden. 

Der Kranke erholt sich. Meteorismus schwindet, Erbrechen tritt nicht 
mehr ein. Opiumtinctur. Vom folgenden Tage an flüssige Kost, Gün 
stiger, völlig fieberloser Verlauf in den nächsten Tagen. Ara 10. Novembei 
Abgang von Flatus per anum. — Am 19. November wird der improvisirtc 
Verschluss der künstlichen Darmöffhung noch nicht vertragen. Vom 22. No 
vember an intercurrente eitrige Parotitis linkerseits, welche., genügend er 
öffnet, in der Folge zur Ausheilung kommt. Am 25. November erster Stuhl¬ 
gang auf natürlichem Wege, von da an täglich Die Kothentleerung aus 
der Darmfistel nimmt mehr und mehr ab. Schliesslich Verschluss dieser 
Fistel nach gründlicher Anfrischung der umgebenden Haut. Patient verlässt 
Anfang 1888 völlig geheilt und arbeitsfähig die Klinik. 

Da dieser Kranke früher schon ähnliche, wenn auch viel 
leichtere Anfälle erlebt hatte, in welchen jedoch immer spontan 
Heilung erfolgte, dürfte es sich in diesem Falle um Abknickung 
des Darmes an Stellen peritonitiseher Verwachsung handeln. Die 
radicale Besserung trat nach der Eröffnung einer zweifellos sehr 
dicht über dem Hinderniss liegenden Darmschlinge von selbst ein. 
Die Operationsstelle ergab sich aus den dortselbst durchscheinenden, 
stark erweiterten Darmschlingen; sie entsprach gleichzeitig der 
Wahrscheinlichkeit, dass in der Coecalgegend, vielleicht im Zu¬ 
sammenhänge mit Verwachsungen in der Umgebung des Processus 
vermiformis, das Hinderniss für die Weiterbewegung des Darra¬ 
inhaltes zu suchen sei, und der von N ela ton schon festgestellten 
Thatsache, dass hier die untersten Dünndarmschlingen aufzufinden 
sind. Die Einzelheiten des Zustandekommens derartiger Darm¬ 
abknickung im allgemeinen, vermutblich in Folge stärkerer Koth- 
anhäufnng, erklärt H offmann in ähnlicher Weise, wie Fuhr in 
dessen erwähnter Arbeit in der Münchener medicinischen Wochen¬ 
schrift von 1887. 

Die andere Beobachtung betrifft eine 40jährige, an Lues lei¬ 
dende Frau (Holz), welche am 1. April 1888 in die chirurgische 
Klinik aufgenommen wurde. 

Es waren am 27. März plötzlich und ohne Veranlassung heftige Leib¬ 
schmerzen eingetreten. Es folgte Erbrechen und trotz vorübergehender 
Besserung Zunahme der Erscheinungen bis zum andauernden Kothbrechen, 
soweit nicht durch Magunausspülungen vorgebeugt wurde. Bei den Ein¬ 
giessungen in den Mastdarm fiel es wiederholt auf, dass nur ganz geringe 
Wassermengen injicirt werden und kaum zurückgehalten werden konnten. 
Die Untersuchung des Mastdarmes ergab keinen pathologischen Befund. Der 
Leib sehr stark meteoristisch aufgetrieben, überall druckempfindlich. Magen¬ 
ausspülung. Chloroformnarkose. Operation: Zunächst in der rechten 
unteren Bauchgegend (Coecalgegend) Eröffnung der Bauchhöhle durch kleine 
Incision, aber gross genug für Einführung zweier Finger zur Untersuchung; 
dabei Abfluss einer grossen Menge von Ascitesflüssigkeit. Stark geblähte 
Darmschlingen sind nicht zu fühlen, ebensowenig andere pathologische Zu¬ 
stände. Das Coecum und Colon ascendeus enthält neben reichlicher Gas¬ 
füllung einige kleine Kothballen. 

Eine zweite Bauchwunde gleicher Art wurde nun angelegt in der Linea 
alba unterhalb des Nabels. Hier war mittelst des cingeführten Fingers eine 
enorme prall gespannte rundliche Geschwulst zu fühlen, zum Theil verdeckt 
durch Dünndarmschlingen, und nach unten wie oben nicht zu umgreifen. 
Diese Geschwulst hatte eine aufsteigende Richtung. 

Es wurde noch eine dritte Laparotomiewunde gleicher Art angelegt in 
der Medianlinie zwischen Nabel und Proc. xyphoideus. Nun erst war durch 
combinirte Untersuchung von beiden in der Linea alba angelegten Wunden 
aus die Sachlage soweit klar, dass durch Verbindung und Erweiterung 
dieser beiden Wunden zur ausgedehnten Laparotomie geschritten wurde. 
Es zeigte sich sofort eine aus dem Becken aufsteigende und bis in die 
Höhe des Proc. xyphoideus reichende, thatsächlich armsdicke Darmschlinge. 
Es ist die enorm aufgeblähte Flexura sigmoidea, an dem Ursprünge der 
artig um volle 180° gedreht, dass eine totale Abknickung beider Schenkel 
der Schlinge entstanden war. Die Lösung des Volvulus erfolgte nach der 
Laparotomie beim Erheben der Schlinge nahezu spontan. An der Drehungs¬ 
stelle war glücklicherweise eine Gangrän nicht vorhanden. 

Diese prall aufgeblähte und paralytische Darraschlinge wurde nun 
durch eine Incision von grossen Gasmengen und flüssigem Inhalt entleert; 
Verschluss der Darm wunde durch Lembert’sche Catgutnähte. Dabei war 
die Schlinge unten aus der Bauchwunde herausgehoben, während die Bauch¬ 
höhle selbst, mit Compressen bedeckt, andauernd mit warmer (40° C) 
Salicylborlösung, dann mit indifferenter Kochsalzlösung berieselt wurde. 

Nach correcter Lagerung der entleerten Flexura sigmoidea wurde die 
Reposition der simmtlichen Darmschlingen unter die seitlich zurückgezogenen 


Bauch wände vorgenommen; die daraufgelegte Hand eines Assistenzarztes 
hielt die Därme zurück, bis sämmtliche Nähte zum Verschluss der Bauch¬ 
wunde angelegt und dann soweit von oben und von unten her definitiv ge¬ 
knüpft waren, dass eben noch die Hand zurückgezogen werden konnte. So 
gelang der Verschluss der Bauchwunde trotz immer noch recht erheblicher 
Spannung. 

Der Verlauf war gut; die Wundheilung erfolgte ohne Störung trotz 
einer heftigen fieberhaften eiterigen Bronchitis. Am 18. April konnte Pat. 
geheilt entlassen werden. 

Der hier mitgetheilte Fall erscheint bemerkenswert!) wegen 
der vorsichtigen Art des Eingriffes. Ein principieller Anhänger der 
Laparotomie für alle Fälle von Ileus wäre allerdings etwas schneller 
zum Ziele gekommen. Aber bei der aufangs nicht präcisen Diagnose 
und dem bedeutenden Meteorismus (5 tägige Dauer) war der Fall 
eigentlich nicht für die radicale Laparotomie geeignet. Erst die 
genauere intraabdominale Untersuchung ergab die Nothwendigkeit 
derselben. Die Vornahme solcher, eventuell mehrfach vorgenommener 
Laparotomieen von ganz geringer Ausdehnung zum Zweck exacter 
Untersuchung in der Bauchhöhle selbst hält Helfe rieh in ähn¬ 
lichen Fällen für nachahraenswerth. Dieser Eingriff bietet nicht 
die Gefahren einer grossen Laparotomie, führt aber unter Umständen 
(wie in diesem Falle) zu äusserst wichtigen diagnostischen Auf¬ 
schlüssen, indem die Untersuchung in verschiedenen Regionen der 
Bauchhöhle intraabdominal ausgeführt wird. Der einzige Uebelstand 
liegt in der Verlängerung der Chloroformnarkose, doch braucht 
diese nur sehr wenig tief zu sein. Bei der Laparotomie ist dagegen 
eine sehr tiefe Narkose zur Zurückhaltung der Därme und zum 
Schluss der Bauchwunde nöthig; und überdies drohen bekanntlich 
bei der Laparotomie noch andere Gefahren. 

Die Abkühlung der peritonealen Oberfläche wurde in sehr ein¬ 
facher Weise durch einmalige Bedeckung mit Gazecorapressen, 
welche fortwährend mit sehr warmen (40 0 C) schwach antisep¬ 
tischen, respective indifferenten aseptischen Lösungen berieselt 
wurden, vermieden. Auch dieses einfache Verfahren erscheint 
wegen seiner Wirksamkeit und Unschädlichkeit erapfehlenswerth. 
Die dabei erfolgende geringe Ueberschwemmung des Operations¬ 
gebietes ist gleichgültig; sollte etwas Flüssigkeit in das Becken 
fliessen, so ist dieselbe durch Austupfen mit einem reinen Schwamm 
leicht zu entfernen. 

Helferich bespricht noch die näheren Umstände bei der 
Laparotomie und erwähnt speciell die neuerdings von Kümmel 
und besonders von Rehn angegebenen Hülfsmittel, um trotz hoch¬ 
gradigen Meteorismus die Reposition der Darmschlingen und den 
völligen Verschluss der Bauchwunde zu ermöglichen. 

Eine Sicherheit gewährt auch die ausgedehnte Laparotomie 
nicht, dass das Hinderniss, d. i. die Ursache des Ileus, aufgefunden 
und beseitigt werden kann. Eine Beobachtung von Helferich, 
wie die Erfahrung anderer für die Laparotomie bei Ileus sehr ein¬ 
genommener Chirurgen beweist diese Thatsache. 

Herr Hoffmann erwähnt eine Erfahrung, welche er als I. Assistenz¬ 
arzt der hiesigen chirurgischen Klinik in den letzteu Herbstferien gemacht 
hat und welche beweist, dass das gewaltsame Zurückbringon von Eingeweiden 
unter Umständen nicht nur schwierig, sondern auch mit den grössten Ge¬ 
fahren verknüpft sein kann. 

Es handelte sich um eine Frau in mittleren Jahren mit einer einge¬ 
klemmten Nabelhemie von Mannskopfgrösse. Die Einklemmung bestand seit 
einigen Tagen. Durch einen Schnitt über die ganze Geschwulst in der 
Mittellinie wurde der Bruchinhalt freigelegt. Er bestand aus einem grossou 
Theil der dünnen und dicken Därme, welche vom Netz sackartig einge¬ 
hüllt waren. Nach Abheben des Netzes erwies sich eine einzige Schlinge 
anscheinend durch Umknicken über den Rand der Bruchpforte eingeklemmt. 
Letztere zeigte eine rundliche Gestalt und maass ungefähr 15 cm im Durch¬ 
messer. Es ergab sich die Schwierigkeit, die Intestina, welche jahrelang 
nicht mehr in der Bauchhöhle gelegen hatten, in dieselbe zurückzu.schieben. 
Indem ein Assistent beide Ränder der Wunde nach oben stark anzog, gelang 
mir dies endlich, aber in demselben Moment war Patientin todt. Alle 
Wiederbelebungsversuche, die längere Zeit nach schnell ausgeführter Tracheo¬ 
tomie fortgesetzte künstliche Athmung etc., blieben erfolglos. 

Die Kranke hatte, weil sie schon vor der Operation einen schwachen 
frequenten Puls hatte, auf besondere Anordnung hin nur sehr wenig Chloro¬ 
form bekommen. Auch die Visitation der benutzten Chloroformflasche be¬ 
stätigte dies. Die ausgeführte Tracheotomie beseitigte den Verdacht auf 
einen etwa beim Brechen aspirirten Fremdkörper. Es bleibt somit nur übrig 
anzunehmen, dass durch das gewaltsame Einpressen der Intestina, welches 
auch zeitlich damit zusammenrnllt, der Tod herbeigeführt worden ist. Ob 
nun der starke Druck auf das Zwerchfell und damit auf die Lungen und 
vor Allem auf das schon geschwächte Herz, oder vielleicht eine Alteration 
des Vagus diesen Ausgang veranlasst, ist nicht zu entscheiden. Die Ob- 
duction, welche vielleicht eine Aufklärung, wenigstens über die Beschaffen¬ 
heit des Herzens, hätte gehen können, wurde leider nicht gestattet, ln einem 
ähnlichen Falle würde Hoffmann den Theil der Intestina, welcher der Re¬ 
position grössere Schwierigkeit entgegensetzt, unter Occlusivverband ausser¬ 
halb der Bauchhöhle lassen und die Reposition nach 6—24 Stunden, wenn 
der Allgemeinzustand des Patienten sich gebessert und der Meteorismus der 
Därme nachgelassen, auszuführen suchen. Die hier angeführte Erklärung 
des Todes gab auch Herr Prof. Helferich, welcher eine ähnliche Beob- 


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682 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. .38 


achtung von Eintritt plötzlichen Todes bei Reposition einer grossen Hernie 
gemacht hatte. 

Herr Helferich macht einige genauere Angaben über diesen letzt¬ 
erwähnten Fall. Ein etwa 70jähriger, sonst gesunder Mann bot Ein¬ 
klemmungserscheinungen in einem fast raannskopfgrossen Leistenbruch, ln 
Chloroformnarkose wird die äussere Hemiotoraie ausgeführt. Nach genügender 
Spaltung an der Bruchpforte gelingt die Reposition eines Theiles von dein 
Bruchinhalt leicht- Um sicher zu gehen, wird die völlige Reposition ange- 
strebt und dieselbe gelingt unter Anwendung von einiger Gewalt trotz nicht 
sehr tiefer Narkose. In demselben Augenblick ist der Pat. todt. Es han¬ 
delte sich um plötzlichen Herzstillstand, und so war alle künstliche Respi¬ 
ration vergeblich. 

Hoff mann betont, dass in diesen Fällen von sehr grossen Hernien, 
welche nie zurückgehalten waren, bei der Einklemmung der äussere 
Bruch schnit t indicirt sei, und dass man sich dabei nicht verleiten lassen 
dürfe, die völlige Reposition des Bruchinhaltes zu versuchen. 

Herr Landois macht darauf aufmerksam, dass sich derartige Fälle 
nach dem Vorbilde des „Goltz’schen Klopfversuches“ erklären lassen. 
Pas Her/, steht durch reflectorische Vagusreizung seitens der sensiblen Darm¬ 
nerven still. Diese Erklärung muss für um so wahrscheinlicher gelten, als 
durch die Untersuchungen von Tarchanoff feststeht, dass der Herzstill¬ 
stand sich namentlich leicht von entzündlich gereizten Därmen her bewerk¬ 
stelligen lässt. Bei hochgradig geschwächten Individuen kann schon ein 
kurzer Herzstillstand hinreichen, die tödtliche Paralyse der Medulla oblongata 
hervorzurufen. 


VIII. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 21. Februar 1888. 

Vorsitzender: Herr Schede. Schriftführer: Herr Sick. 

1. Herr Lauenstein stellt zwei Fälle vor: a) Operativ ge¬ 
heilter Leberabscess. Der Fall betrifft einen 27 jährigen Seemann, 
welcher Anfang December in das Seemannskrankenhaus aufgenoramen 
wurde. Er kam von China, wo er schon längere Zeit an Durch¬ 
fällen gelitten hatte, und war 3 Wochen bettlägerig gewesen. Pat. 
war hochgradig abgemagert und hatte das eigenthümlich gelblich¬ 
fahle Colorit, auf das Sachs-Kairo besonders aufmerksam gemacht 
hat und das auch wiederholt an Patienten des Seemannskrankenhauses 
beobachtet worden ist. Ausser einer beträchtlichen Vergrösserung 
der Leber- und einer massigen Vergrösserung der Milzdärapfung be¬ 
standen spontane Schmerzeu in der Lebergegend, die auch nach 
der rechten Schulter hin ausstrahlten. Die Leberdämpfung begann 
in der Mammillarlinie am oberen Rande der 5. Rippe und reichte 
zwei Finger breit nach abwärts vom Rippenbogen, der linke Lappen 
reichte bis zur Mitte zwischen Proc. ensif. und Nabel, und in der 
linken Seitenlage des Patienten, wo doch eine normale Leber¬ 
dämpfung schon in der Axillargegend aufzuhören pflegt, reichte 
dieselbe in diesem Falle bis an den Muse, sacrospinalis hinan. Es 
bestand bei der Aufnahme sowohl im Epigastrium, entsprechend 
dem linken Lappen, als in den hinteren Intercostalräumen rechts 
Druckempfindlichkeit. Diese Schmerzhaftigkeit auf Druck über dem 
hinteren Theile der Leber Hess nach einigen Tagen nach, während 
diejenige des linken Lappens bestehen blieb. Da ein täglich remitti- 
rendes Fieber für eine Eiteransammlung im Körper sprach, so stellte 
Vortragender die Diagnose auf Leberabscess und machte sich auf 
Grund seiner an anderen Fällen gemachten Erfahrungen folgenden 
Operationsplan. Da die Hauptempfindlichkeit entsprechend dem 
linken Leberlappen bestand, so wollte Vortragender zunächst von 
einem unterhalb und parallel dem rechten Rippenbogen durch die 
Bauchdecken gelegten Schnitt den Abscess zu erreichen suchen mit¬ 
telst der Probepunctiou. Gelang dies nicht, so wollte er mit der 
Hand eingehen zwischen Leber und Zwerchfell, um sich zu orien- 
tiren und zu untersuchen, ob nicht vielleicht der Abscess, wie es 
zuweilen vorkommt, sich von der oberen Leberpartie aus nach der 
Zwerchfellskuppe zu entwickelt habe. 

Nach Durchtrennung der Bauchdecken am 9. December 1887 
fand sich jedoch die obere, resp. die vordere Leberfläche durch 
derbe, wenn auch lange Bindegewehsstränge zusammenhängend mit 
der Bauchwand, so dass ein Eingehen mit der Hand unmöglich war. 
Die bläulich aussehende Leber war sehr weich anzufühlen und bot 
nirgends Fluctuation, aber ganz in der Tiefe fühlte man durch die 
weiche Lebersubstanz hindurch eine Härte. Da eine Punction, selbst 
mittelst langer Canüle, rein resultatlos war, so wurde dieselbe 
hinten im 10. Intercostalraum wiederholt und ergab Eiter. Man 
liess die Canüle stecken, resecirte ein fingerlanges Stück der nächst 
unteren 11. Rippe und drang dann, in der Hoffnung, dass die Leber 
auch an der Hinterfläche Verwachsungen eingegangen wäre, mit dem 
Paquelin in die Tiefe gegen die Spitze der Canüle vor. Da der 
Thermoeauter abkühlte in der Leber und seinen Dienst versagte, so 
vertiefte uud erweiterte Vortragender den begonnenen Schnitt bis 
auf den Abscess, aus dem sich mindestens 1 Liter Eiter entleerte. 
Die Leber zeigte sich fest verwachsen mit dem Zwerchfell resp. 
Zwerchfell und Thoraxwand. Zur Nachbehandlung wurde ein dickes 
Doppeldrain eingelegt in den hinteren Schnitt, während der vordere 


vollkommen durch die Naht geschlossen wurde. Die Heilung trat 
ohne Störung ein, indem die Abscesshöhle sich ziemlich rasch ver¬ 
kleinerte, und Leber und Milz zur normalen Grösse zurückkehrten. 
Bemerkenswerth sind in diesem Falle die derben Adhäsionen, die 
sich auch an der vorderen Wand fanden, trotzdem der Abscess 
hinten lag, sowie das Zurückgehen der äusseren Druckempfindlich¬ 
keit in der Gegend des Abscesssitzes, während dieselbe an der Vorder¬ 
fläche der Leber fortbestand. 

b) Exstirpation eines Carcinoms des weichen Gaumens. 

Der 65jährige Patient, aus der Praxis von Dr. Eisenlohr, litt 
seit einigen Monaten an Beschwerden im Halse, weniger an Schmer¬ 
zen, als an Schluck- und Sprachstörungen. Ende December, als 
Vortragender den Kranken zuerst sah, zeigte sich der weiche Gaumen 
mit den oberen Partieen der vorderen Gaumenbögen in einen intensiv 
rothen höckerigen, an den Rändern gewulsteten Tumor verwandelt, 
der die normale Configuration vollständig verwischt .hatte. Be¬ 
stimmte ätiologische Anhaltspunkte fehlten. Patient rauchte und 
gestand auch einen mässigen Abusus spirituosorum zu. Wenn auch 
keinerlei Anhaltspunkte für Lues vorhanden waren, so sprach doch 
das Aussehen der Neubildung nicht so unbedingt dagegen. Eine 
darauf hin 3 'Wochen fortgesetzte Cur mit Jodkalium ergab jedoch 
keine Besserung. Da die Möglichkeit vorlag, eine Exstirpation im 
Gesunden vorzunehmen, so entschloss sich Patient zur Operation. 
Zwei Wege lagen für dieselbe vor: 1) die Excision am herabhängen¬ 
den Kopfe und 2) in der Seitenlage nach vorgängiger Tracheotomie 
und Einlegung der Taraponcanüle. 

Vortragender versuchte zuerst das einfachere erstere Verfahren, 
kam jedoch damit nicht zum Ziele, weil Patient eine sehr schlechte 
Narkose hatte, und das gleichzeitige Operiren und Narkotisiren vom 
Munde aus unmöglich war. Daher machte Vortragender 8 Tage 
später, nachdem Patient sich von diesem ersten Operationsversuche 
erholt hatte, die Tracheotomie und wieder 8 Tage später die Ex¬ 
stirpation. Zu diesem Zwecke stopfte Vortragender, nachdem die 
Narkose durch die Trachealcanüle eingeleitet war, zunächst den 
über der Canüle befindlichen unteren Larynxtheil mit jodoformirten 
Schwämmen aus, um für die erste Zeit der Nachbehandlung ein 
Einfliessen in die Trachea zu verhüten, ausserdem operirte er aber 
doch am herabhängenden Kopfe, um auch bei der Operation schon 
jegliches Einfliessen zu verhindern. Da die Mundhöhle des Patien¬ 
ten, wie meistens bei alten Leuten, die ihre Zähne verloren haben, 
sehr eng war, so musste Vortragender, um Raum zu gewinnen, die 
rechte Wange spalten. Die Exstirpation der Neubildung mitsammt 
den Gaumenbögen gelang ohne Schwierigkeit. Sie wurde unter 
Controlle des Auges begonnen, konnte aber wegen der starken 
Blutung nur unter Controlle des Fingers beendigt werden. Daher 
glaubte Vortragender-auch Anfangs, besonders als die Gegend der 
exstirpirten Gauraenbögen noch granulirte und das Operationsgebiet 
noch geschwollen war, dass nicht alles Krankhafte entfernt worden 
sei. Doch kann man jetzt, wo die Vernarbung beendet ist, und 
Rachen und Mundschleimhaut nahe an einanderliegen, deutlich 
unterscheiden, dass die für Reste der Neubildung resp. Reeidive 
imponirenden Wülste der normalen, allerdings intensiv rothen Rachen- 
Schleimhaut angehören. 

Die Canüle mitsammt den im Larynx steckenden Jodoform- 
schwäramen, welche letzteren den Patient besonders genirten, konn¬ 
ten schon am Tage nach der Operation entfernt werden im Ver¬ 
trauen auf den den Nasenrachenraum fast ausfüllenden Jodoform¬ 
gazetampon. Die weitere Nachbehandlung hat namentlich auf die 
Reinhaltung der Mundhöhle ihr Augenmerk zu richten. Doch hin¬ 
derten die antiseptischen Ausspülungen nicht, dass von den genäh¬ 
ten Wangen wänden ein Erysipel ausging, welches sich über Gesicht 
und Kopf erstreckte und mit einem Abscess hinter dem linken Untcr- 
kieferwinkel seinen Abschluss fand. Auch stellte sich eine Otitis 
rnedia des linken Ohres mit Perforation des Trommelfelles ein, 
vielleicht in Folge eines bei der Operation constatirten Abscesses im 
erkrankten Gaumen. 

So lange der Tampon im Munde lag, konnte Patient nicht 
gut schlucken und bekam daher einmal in den ersten Tagen eine 
Eingiessung von Nahrungsmitteln mittelst der Schlundsonde. Später 
lernte Patient immer besser schlucken, erholte sich sehr in den 
letzten Wochen. Wie vorauszusehen war, ist die Sprache recht 
undeutlich durch den offenen nasalen Beiklang. Sie gewinnt jedoch 
sehr an Deutlichkeit, wenn die Nase zugehalteu wird. Patient be¬ 
kommt daher den Rath, dass er sich mit Hilfe seines schon früher 
getragenen Pincenez die Nase vorn zuklemmen solle. 

2. Herr E. Fraenkel demonstrirt a) das untere Ende einer wegen 
Osteomyelitis acuta spontanea purulenta aufgemeisselten rechten 
Tibia mit beginnender Epiphysenablösung und das zu dem Fall ge¬ 
hörige Herz, dessen Kranzarterienäste namentlich im Bereich der 
vorderen Wand ausgedehnte Mikrococcenembolieen aufweisen. Das dem 
Ausbreitungsgebiet dieser Aeste entsprechende Herzfleisch ist von 
Abscessen durchsetzt. Fraenkel macht auf das Typische in den 


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16. August. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 683 


Sectionsbefunden dieser Fälle aufmerksam und erklärt weiter, dass 
über die Aetiologie des Leidens, abgesehen von dem Nachweis des 
bald isolirt, bald in Gemeinschaft mit dem Staphyloc. pyog. albus — 
wie auch in diesem Falle — vorkommenden Staphyloc. pyog. flavus, in 
dem erkrankten Knochen, doch noch völliges Dunkel herrsche, und 
dass wir über das Perniciüse im Verlauf dieser Zustände nicht einmal 
Vermuthungen aussprechen könneu. 

b) Herr Fraeukel zeigt feiner eine Epididymitis suppurativa, 
welche sich consecutiv an eine in der Keconvalesceuz nach Typhus 
aufgetretene eitrige Prostatitis entwickelt hatte. In dem eitrigen In¬ 
halt der Xebenhodenkanälcheu fanden sich ausser zahlreichen Coc- 
cen vereinzelte, sich mit Fuchsin schwach roth färbende Stäbchen 
(Das inzwischen vorgenommeuePlattenculturverfahren ergab den gelben 
Eitercoccus in Reincultur; jene mikroskopisch eonstatirte Bacillen sind 
daher nicht als Typhusbacillen aufzufassen.) (Schluss folgt ) 

IX. Siebenter Internationaler Congress für 
Ophthalmologie zu Heidelberg vom 8. bis 
11. August 1888. 

(Originalbericht.) 

Unter Anwesenheit einer sehr grossen Anzahl von Ophthalmologen, etwa 
250 an der Zahl, unter denen sich Vertreter nicht nur aller europäischen 
Nationen, sondern auch solche von jenseits des Oceans befanden, wurde in der 
Aula der Universität zu Heidelberg der 7. internationale Congress für Oph¬ 
thalmologie am 8. August eröffnet. Nur die bekanntesten Namen mögen 
hier Erwähnung finden. Amerika war unter Anderen durch Knapp (New- 
York), Hasket Derby (Boston), Randall (Philadelphia), Kipp (Newark) 
vertreten, England durch Nettleship, Gunn und Jessop (London), 
Argyll, Robertson und Berry (Edinburg), Little (Manchester), Priest¬ 
ley Smith (Birmingham), Swanzy (Dublin): Holland durch Do’nders 
und Snellen (Utrecht), Gunning (Amsterdam), Doyer (Leiden); Belgien 
durch Nuel (Gent); Italien durch Osio (Turin), Ueymond (Turin), 
Mazza Andrea (Genua), Secondi, Rosmini; Dänemark durch Hansen 
G rut (Kopenhagen); Russland durch Bellarminow und Blessig (St. 
Petersburg), Waldhauer (Mitau), Zwingmaun (Riga), Wolfring (War¬ 
schau) und die Schweiz durch Schiess-G emuseus (Basel), Pflüger 
(Bern), Dufour (Lausanne), Haltenhoff (Genf), Haab und Fick (Zürich). 
Sehr zahlreich hatten sich unsere französischen Nachbarn eingefunden, so 
de Wecker, Javal, E. Meyer, Landolt, St. Valude (Paris), Gayet 
(Lyon), Chibret (Clermont). Von deutschen und österreichischen Vertretern 
waren Dr. Carl Theodor Herzog in Bayern, v. Helmholtz, Förster, 
A.Graefe, Zehender, Sattler, Brettauer, Laqucur, Stilling, Hess 
Leber, Schmidt-Rimpler, Berlin, v. Hippel, Dürr, Esberg, 
Deutschmanu, Haase, Sehweigger, Hirschberg, Horstmann, 
Coccius, Schön, Eversbusch, Engelhardt, H. Cohn, Samelsohn, 
Knies, Nieden, Pagenstecher, Schneller, 0. Becker, Weiss und 
viele Andere anwesend. 

Im Aufträge des Comite’s begrüsst Donders die Anwesenden und 
weist darauf hin, dass der 7. internationale Congress zugleich das 25jährige 
Stiftungsfest der ophthalmologischen Gesellschaft sei, welche von dem leider 
zu früh verstorbenen A. v. Graefe, dessen ausserordentliche Verdienste 
für die Augenheilkunde immer fortlebeu werden, gegründet worden ist. 

Darauf giebt Becker (Heidelberg) einen Bericht über die Thätigkeit 
des vorbereitenden Ausschusses und schlägt zum Präsidenten Donders 
vor, der darauf einstimmig gewählt wurde. Die Wahl des Vicepräsidcnten 
fiel auf Zehender (Rostock), der Schriftführer auf Hess (Mainz) und 
S t i 11 i n g (Strassburg) und der Sitzungsschriftführer auf Brettauer (Triest), 
Swanzy (Dublin) und St. Valude (Paris.) 

Zu Ehrenpräsidenten wurden proclamirt: v. Helmholtz (Berlin), 
Hasket Derby (Boston), Knapp (New-York), Javal (Paris), Gayet 
(Lyon), Argyll Robertson (Edinburg)’, Nettleship (London), Snellen 
(Utrecht), Nuel (Gent), Osio, Reymond (Turin), Secondi (Rom), 
Schiess-Gemuseus (Basel), Hansen-Grut (Kopenhagen), Schiötz 
(Christiania), Wolfring (Warschau) und Fuchs (Wien.) 

Darauf nimmt Becker nochmals das Wort, um der Versammlung 
einen Glückwunsch Ihrer Königl. Hoheit der Frau Grossherzogin von 
Baden mitzutheilen, worauf die Versammlung beschliesst, derselben ihren 
Dank für die gewährte Gnade auf telegraphischem Wege zu übermitteln. 

Geheimrath Professor Dr. Arnold als Prorector, heisst den Congress 
im Namen der badischen Regierung und der Universität Heidelberg und 
der Oberbürgermeister im Namen der Stadt Heidelberg willkommen. 

1. Die wissenschaftliche Sitzung begann mit einem Vortrage von Herrn 
Javal (Paris) über Ophthalmometrie, worin er besonders den Werth der¬ 
selben bei der Bestimmung des Astigmatismus erwähnt. 

2. A. Graefe (Halle) spricht darauf über die Wirkung des Mnsculns 
internus bei den associirten Seiten- nnd den accommodativen Conrer- 
genzbewegongen. 

B. In der Nachmittagssitzung referiren Laudolt (Paris) und Keymond 
(Turin) Aber Ursache nnd Uehandlnng des Strabismus. Strabis¬ 
mus besteht, wenn die beiden Augen nicht gleichzeitig auf den Fixirpunkt 
gerichtet sind. Die normale Stellung wird herbeigeführt durch den Drang 
zum binoculären Sehen. Bei jungen Emmetropen genügt oft schon die Ac- 
commodation, um die Augen richtig zu stellen. Strabismus kann hervor¬ 
gerufen werden, durch den Zusammenhang zwischen der Convergenz und 
der Accommodation (Donders), die Incongrnenz zwischen der Netzhaut 
und dem Muskel- und Stützsystem (Sclera und Cornea) des Auges, sowie 
die individuell verschiedene Beherrschung der Augenbeweguugen kann den 
Ausbruch des Schielens begünstigen. Anatomische Ursachen sind ein zu 
grosser Abstand zwischen den Drehpunkten der Augen, Baufehler der Or¬ 


bita und des Bulbus, unrichtige Insertion und Länge der Augenmuskeln. 
Als centrale Ursache nimmt Laudolt eine Störung in den Centren der 
Convergenz- und Divergenzbewegungen der Augen an. — Besteht der Stra¬ 
bismus erst kurze Zeit, so ist die orthoptische Behandlung, stereoskopische 
Uebungen, Brillen etc. am Platze. Zur Operation darf erst geschritten 
werden, wenn die friedliche Behandlung erschöpft ist. Die Tenotomie ist 
indicirt bei kräftigem Antagonisten und je nach dem Grade auf einem oder 
beiden Augen. Den Effect derselben durch Nähte zu verstärken, hält Lan¬ 
dolt für verwerflich. Ist der Antagonist sehr schwach, so empfiehlt sich 
die Vorlagerang desselben. Dieselbe mit Verbindung der Tenotomie der 
Antagonisten empfiehlt sich bei hochgradigem Schielen — Beim Strabismus 
divergens muss zeitig zur Operation geschritten werden. 

In der Discussion empfehlen de Wecker und Knapp die Veruähung 
der Tenon’schen Kapsel, Sehweigger bei hochgradigem Strabismus eon- 
vergens und bei Strabismus divergens die Verlagerung. 

4. J. Stilling (Strassburg): Schädelbildnng und Refraction. 
Nach Stilling kommt die Myopie zu Stande durch Wachstimm des Auges 
unter Muskeldruek, besonders durch die des Obliquus superior. Falls der¬ 
selbe flach über dem Bulbus verläuft, übt er einen Druck auf den Bulbus 
aus. Die Orbita ist alsdann bei Myopen niedriger und breiter, bei Hyper- 
metropen und Emmetropen höher und schmaler. In Folge dessen haben die 
Breitgesiebter mehr Disposition myopisch zu werden, als die Schmalgesichter. — 
Schmidt-Rimpler kann die Ansicht von Stilling auf Grund wiederholter 
Untersuchungen au im Wachsen begriffenen Augen nicht bestätigen. Colin 
warnt vor voreiligen Schlüssen auf Grund der Stilling’sclien Hypothese. 
Weiss führt die Myopie auf Zerrung des Opticus zurück. 

X. Siebenter Congress für innere Medicin, 
Wiesbaden 1888. 

(Originalbericht.) 

R. Di« Yortrftge in den Nachniittagssitzungen. 

(Schluss aus No. 21.) 

12. Herr Uuverricht (Jena): Experimentelle Untersuchungen 
über den Mechanismus der Athembevregungen. Vortr. hat Untersuchun¬ 
gen angestellt, um festzustellen, ob es in der Grosshirnrinde Stellen giebt, 
die auf die Athmung von Einfluss sind. Reizungen der Hirnrinde beim 
Hunde, deren Methode Vortr. eingehend beschreibt, ergaben, dass bei 
Reizung eines bestimmten Punktes iu der dritten äusseren Windung 
Ferrier’s nach aussen vom Orbiculariscentrum eine Verlängerung der Ex¬ 
spirationspause und Verlangsamung der Athmung erzielt wurde; oft trat sogar 
länger dauernder Athemstillstand ein. Vortr. giebt zu, dass es ihm nicht 
gelungen sei, wie er anfangs gehofft hatte, ein wirkliches Ileramungscentru m 
zu finden, vielmehr stehe nur fest, dass an dieser Stelle hemmende Nerven 
besonders nahe zusammenliegen. 

13. Herr Binswangcr (Jena): Zur Pathogenese des epileptischen 
Anfalles. Vortr. berichtet über Versuche an Kaninchen, die ergeben haben, 
dass durch Reizversuche Krampfformen von der Medulla oblongata aus- er¬ 
zeugt werden können, welche die Theorie von der ausschliesslichen Erregung 
des epileptischen Anfalles von der Hirnrinde aus unhaltbar erscheinen lassen. 
Versuche an Hunden iu der gleichen Richtung sind noch nicht abgeschlossen, 
doch haben dieselben bereits ergeben, dass die Verhältnisse bei höheren 
'filieren nicht genau so liegen. Vortr. vermeidet daher Rückschlüsse auf 
den Menschen und lässt es dahingestellt, ob nicht etwa doch beim Menschen 
die betreffenden Centren höher liegen als bei niederen Thieren. 

14. Herr Adamkiewicz (Krakau): Ueber combinirte Degeneration 
des Rückenmarks. Die Untersuchungen des Vortr. haben erwiesen, dass 
cs zwei Kategorieen von Ernährungsbezirken im Rückenmark giebt. Der einen 
entspricht ein kreisförmiges Feld, das das Centrum des Rückenmarks, speciell 
den grössten Theil der grauen Substanz einnimmt. Die andere Kategorie 
dieser Bezirke besteht aus keilförmigen Feldern, deren Basen an der Rücken¬ 
marksperipherie liegen und die mit den Spitzen nach der grauen Substanz 
hin convergiren. Jeder dieser Bezirke wird von einem Gefässchen, der Vasa 
vasorum, versorgt. Einen der Randzone entsprechenden Ernährangsbezirk 
giebt es also nicht. Folglich kann die Randzone bei der combinirten Dege¬ 
neration weder durch den Verlauf der Blutgefässe, noch durch denjenigen 
des Bindegewebes bedingt sein, da dieses mit dem der Blutgefässe übereiu- 
stimmt. Dagegen lässt sich nachweisen, dass die Randzone einer gewissen 
Gruppe von Nerven entspricht. Zunächst beruht die Krankheit dieser Zone 
auf primär in den Nerven ablaufenden Veränderungen, wie Vortragender 
durch seine Safranintinction nachweisen konnte. Dann aber konnte Vor¬ 
tragender die Existenz besonderer neben den Systemen im Rückenmark 
vorhandener Nervengruppen, von denen eine der Randzone entspricht, 
darthun. Aehnliche Gruppen konnte Vortragender schon früher mittelst 
der Safranintinction und der Methylenblautinction in normalen Rückenmarken 
nachweisen. Er hatte diese Gruppen die chromoleptischen Partieen des 
Rückenmarkes genannt. Ueberall, wo diese Partieen erkranken, geht die 
Krankheit direkt und primär von den Nerven aus. Daher hält Vortr. es 
für augezeigt, die Krankheiten der chromoleptischen Partieen gegenüber 
denjenigen der Systeme, als „primäre Degeneration“ zu bezeichnen. Da 
sich nun die Randzone als chromoleptische Partie jenen Herden dicht an- 
schliesst, deren Degeneration klinisch das Bild der Herdsclerose hervor¬ 
bringt, und da thatsächlich die Symptome der sogen, combinirten Dege¬ 
neration denen der Herdsclerose gleichen, so dürfe man, meint Vortr., die 
sogen, combinirte Degeneration, d. h. die Verbindung der Tabes mit der 
Randdegeneration zur Uerdsclerose zählen. Als wahre combinirte Degenera¬ 
tionen präsentiren sich dagegen diejenigen Fälle, in welchen primäre und 
secundäre Degenerationen, d. h. Erkrankungen der chromo¬ 
leptischen Partieen und der Systeme vereint Vorkommen. 

15. Herr Cautani (Neapel): lieber Fortpflanzung des Wutligifles 
längs der Nerven. Die bekannten experimentellen Versuche v. Friscb’s, 


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684 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33 


der seinen Versuchstieren das Wuthgift subdural injicirte, entbehren der 
Auffassung des Vortr- nach der Gleichwerthigkeit mit den Verhältnissen, 
wie sie durch den Biss des wüthenden Hundes erzeugt werden. Letzterer 
verletzt nur periphere Theile, von wo das Gift erst zu den Centren fortge¬ 
leitet werden muss, während bei den Versuchen von v. Frisch, der das 
Gift in die nächste Nähe der Centren selbst bringt, welche der Hauptsitz 
der Krankheit sind, natürlich von einer präventiven Behandlung keine Rede, 
sein kann. Herr Cantani experimentirte daher in der Weise, dass er 
Hunden oder Kaninchen das Wuthgift in den Stamm des N. ischiadicus 
einbrachte. Die Thiere erkrankten nach 14—20 Tagen an Wuth. Bei 
Thieren, die in gleicher Weise geimpft, aber bereits am 6. Tage getödtet 
wurden, zeigte sich nur die Cauda equina oder der untere Theil des 
Rückenmarkes virulent, während der obere Theil nicht virulent war. Da¬ 
gegen zeigten Thiere, denen das Wuthgift in den Stamm des N. raedianus 
injicirt wurde, wenn sie vor Ausbruch der Krankheit getödtet wurden, das 
verlängerte Mark virulent, während der untere Theil des Rückenmarkes 
nicht virulent war. Bei Thieren, denen das Gift in den Ischiadicus ge¬ 
bracht und dann das Rückenmark durchschnitten wurde, blieb die obere 
Hälfte des letzteren von der Virulenz verschont, während die unter dem 
Schnitt gelegene Hälfte virulent wurde. Auch subdural geimpfte Thiere, 
denen das Rückenmark durchschnitten wurde, zeigten, wenu sie getödtet 
wurden, die untere Hälfte des Rückenmarkes nicht virulent. Diese Ver¬ 
suche erweisen, dass das Wuthgift sich längs der Nervenstämme fortpflanzt. 
Damit dürfte auch die verschieden lange Incubationsdauer eine Erklärung 
finden in der Art, dass etwa in Fällen, wo auf dem Wege der Blutbahn 
das Gift in das verlängerte Mark gelangt, die Erkrankung rascher zum 
Ausbruch kommt, als wenn die Propagation des Giftes längs der Nerven 
erfolgt. Schutzimpfungsversuche nach Pasteur bei Thieren, denen in 
oben geschilderter Weise das Wuthgift in die Nervenbahn gebracht war, 
hatten einen Erfolg, welcher der Pasteur’schen Methode auch eine experi¬ 
mentelle Basis zu geben geeignet erscheint. 

16. Herr Liebreich (Berlin): lieber locale Anästhesie. Der Vor¬ 
trag des Herrn Liebreich gab im Wesentlichen die in der Dissertation von 
Bussenius (s. diese Wochensclir. No. 15, p. 306) veröffentlichten Resul¬ 
tate wieder. 

17. Herr Jürgensen (Tübingen): lieber kryptogenetische Septi- 
copyuuile. Seit dem Jahre 1881 wird in Tübingen ein endemisches Vor¬ 
kommen von Blutvergiftungen unbekannten Ursprungs, für die Leube deu 
Namen der kryptogenetischen Septicopyäinie eingeführt hat, beobachtet. 
Vortragender hat in der Zeit seitdem mindestens 100 Fälle dieser Krank¬ 
heit beobachtet und ist auf Gruud derselben in der Lage, ein abgeschlosse¬ 
nes Bild derselben zu geben. Die bacteriologische Untersuchung ergab 
Streptococcus und Staphylococcus pyogenes aureus; an Lebenden gelang es 
nie, Mikroorganismen nachzuweisen, dagegen stets in deu tödtlich verlaufenen 
Fällen. Die Section ergiebt an den erkrankten Stellen eine Entzündung, 
die iu allen Graden und überall im Körper Vorkommen kann. Vortragender 
giebt sodann eine ausführliche Schilderung der Symptomatologie der Er¬ 
krankung und geht auf Prognose und Therapie derselben ein. 

IS. Herr Finkler (Bonn): Die verschiedenen Formen der croupöson 
Pneumonie. Vortragender beobachtete eine kleine Pneumonieepidemie, die 
sich auf fünf Personen erstreckte, bei denen die Uebertragung zweifellos 
auf Contagion zurückzuführen war. Das Bild der Erkrankung war durch¬ 
aus das eines Typhus ohne hervortretende Darmerscheinungen; die Section 
der tödtlich verlaufenden Fälle ergab völlige Intactheit des Darmes, dagegen 
in der Lunge eine eigenthümliche Art pneumonischer Entzündung, die 
diffus durch die Lunge hindurchging, au einzelnen Stellen croupöse Herde 
bildete, an anderen Stellen interstitielle Betheiliguug zeigte. In der Lunge 
konnte Staphylococcus pyogenes aureus und ein Streptococcus — weder 
der FriedIänder’sche, noch der Fränkel’sche Pneumoniemikrobe — nach¬ 
gewiesen werden. Es handelt sich also hier um eine besondere Form der 
Pneumonie, die ätiologisch von den anderen Formen zu trennen ist. 

19. Herr Seifert (Würzburg): Ueber Masern. Herr Seifert be¬ 
richtet an der Hand von Temperaturcurven über das Auftreten von Masern 
nach Scharlach und das von Scharlach nach Masern. 

20. Herr Büchner (München): Ueber den experimentellen Naeh« 
weis der Aufnahme von Infectlonserregern ans der Athemluft. Vortr. 
hat durch zahlreiche Thierversuche die u. A. von Flügge bestrittene That- 
sache erwiesen, dass Infectionserreger auf dem Wege der Inhalation durch 
die intacte Lungenoberfläche hindurch in die Lunge gelangen können. Die 
Zerstäubung der betreffenden Reinculturen geschah auf feuchtem Wege. Es 
konnten u. A. bei Versuchen mit Milzbrandkeimen dutch zahlreiche Unter¬ 
suchungen von Lungen der Inhalationsthiere mittelst Plattenculturen in den 
verschiedensten Zeitabschnitten nach erfolgter Einathmung die Anwesenheit 
der Keime iu den Lungen und die Zunahme ihrer Zahl in den späteren 
Zeitabschnitten, d. h. also die in der Lunge stattfindende Vermehrung con- 
statirt werden. Die mikroskopische Untersuchung bestätigte diese Befunde 
auf das Eklatanteste. 

21. Herr Comet (Berlin): Untersuchungen Aber die Verbreitung 
des Tuberkelbucillus. Vortr. hat im Berliner hygienischen Institut eine 
grössere Versuchsreihe nach der Richtung hin angestellt, zu constatiren, in 
welchem Umfange sich in der Umgebung von Tuberculösen Tuberkelbacillen 
finden. Die Versuche, auf deren Methoden hier näher einzugehen der Raum 
verbietet, ergaben mit Regelmässigkeit, dass da, wo Tuberkelbacillen ver- 
rnuthet werden durften, also z. B. wo Phthisiker auf deu Boden gespuckt 
hatten, thatsächlich Tuberkelbacillen in dem aus solchen Räumen gewonnenen 
Staube naebgewieseu werden konnten. Räume dageggn, in denen sich Phthi¬ 
siker aufgehalten hatten, die aber genügend desinficirte Spucknäpfe benutzten, 
erwiesen sich frei von Bacillen. 

22. Herr Aug. Pfeiffer (Wiesbaden) demoustrirt Tuberkelbacillen, 
die in Nährböden mit Glycerinzusatz gezüchtet sind. 


XI. Journal-Revue. 

Innere Medicin. 

11 . 

Fiedler. Zur Weil’schen Krankheit. Deutsches Archiv 
für klin. Med., Februar 1888. 

Ueber die von Weil im Jahre 1886 beschriebene Iufections- 
krankheit haben wir seiner Zeit referirt. Es handelte sich um 
eine acut fieberhafte, mit schweren nervösen Erscheinungen einber- 
gehende, ausserdem von Schwellung der Milz und Leber, Icterus 
nephritischeu Symptomen begleitete Erkrankung, die aber nach 
verhältnissmässig kurzer Dauer des schweren Krankheitsbildes eiueu 
raschen günstigen Verlauf nahm, übrigens auch kurze Recidive 
zeigte. Mit keiner der bekannten Infectionskrankheiten stimmt das 
Bild überein. Am meisteu war Weil noch geneigt, an eine un¬ 
gewöhnliche Form des Abortivtyphus zu denken, wenu man nicht 
überhaupt eine bislaug unbekannte Infectionskrankheit aunehmen 
wollte. Er stellte die Differentialdiagnose zwischen dieser Krank¬ 
heit und acuter Leberatrophie, Pneumonie, Septicaemie, Gelbfieber, 
Recurrens, biliösem Typhoid, Typhus, ohne zu einer sicheren Diagnose 
zu kommen. 

Der Weil’sehen Arbeit folgten Mittheilungen casuistiseher 
Natur von Goldschmidt, Wagner, Roth. Ob die von Auf¬ 
recht unter dem Namen „acute Parenchymatöse“ beschriebe¬ 
nen Fälle thatsächlich mit dieser Erkrankung identisch sind, er¬ 
scheint zweifelhaft. Eine neuere, wenigstens klinisch (symptoma¬ 
tisch) ausführlichere Arbeit veröffentlicht nun Fiedler. Es handelt 
sich um 13 sorgfältig beobachtete Fälle, welche zum Theil gewisse 
bemerkenswerthe Abweichungen darbieten. 

Nach F i e d 1 er’s Beobachtungen befällt die Krankheit meistens 
Mäuner im Blüthealter, Frauen werden wenig ergriffen, auch 
scheint die Krankheit vorwiegend in der heisseu Jahreszeit aufzu 
tauchen. 

Von den 12 männlichen Kranken waren 9 Fleischergehülfen: 
da aber die übrigen Beobachter Kranke der verschiedensten Berufs¬ 
klassen behandelten, so ist es fraglich, ob der Beruf überhaupt 
einen Einfluss auf die Entstehung hat. Der Anfang der Krankheit 
war fast stets ein plötzlicher, mit Frost oder Schüttelfrost ohne 
Prodrome einsetzender. Die Temperatur stieg rasch zu einer be¬ 
trächtlichen Höhe. Schon der Beginn und die Art der Fiebercurve 
lässt nach Fiedler’s Beobachtungen einen Typhus abdom. aus- 
schliessen. Die schweren Allgemeinerscheinungen, Schwindel, Kopf¬ 
schmerz, Somnoleuz, hebt auch er hervor. Der Fieberabfall erfolgt 
unregelmässig staffelförmig, steile Curven oder plötzliche Lysis waren 
nicht bemerkbar. Neue Fieberbewegung, nach 4—5tägigen Inter¬ 
vallen, bemerkte er wiederholt. Der Puls war verhältnissmässig 
schnell, nicht wie bei Typhus. Der Lungenkatarrh fehlte. Gastrische 
Erscheinungen und Durchfall waren fast iu allen Fällen vorhanden. 
Milz- und Leberschwellung fand sich nicht regelmässig, ist sonach 
nicht pathognoinonisch. Auch Nephritis ist nicht vollkommen cou- 
stant. Hingegen fehlte nie der mehr oder weniger starke Icterus. 
Ganz auffallend und nach Fiedler pathognomonisch sind die 
Schmerzen der Wadenmuskulatur. So localisirt und intensiv kom¬ 
men sie bei keiner anderen Erkrankung vor, weder bei Trichiuosis. 
uoch bei Recurrens, noch bei anderen Erkrankungen. Auffallende 
Muskelschwäche und verhältnissmässig langdauernde Reconvalescenz, 
Herpes labialis, brennender Durst wurden in einzelnen Fällen be¬ 
obachtet. In 9—10 Tagen werden die meisten Kranken wieder ab¬ 
solut fieberfrei. 

Fiedler ist der Ansicht, dass es sich um eiue eigenartige 
Iufectionskrankheit handelt, deren Krankheitserreger allerdings 
nicht bekannt sei. Mit einem biliösen abortiven Nephrotyphus habe 
die Erkrankung nichts zu thun. 

Haas (Prag. med. Wochenscbr. 1887, 39/40) veröffentlicht ähn¬ 
liche Fälle, hält seine in kurzer Zeit beobachteten 10 Fälle für 
Typh. abortiv, biliosus. 

Die praktischen Aerzte werden zur Aufklärung beitragen kön¬ 
nen; die Fälle kommen sporadisch vor und sind gewiss mehrseitig 
beobachtet worden. Es kommt vor allen Dingen auf genaue Tem- 
peraturmessungeu während der ersten 2 Krankheitstage und genaue 
bacteriologische Untersuchungen an, welche nunmehr in keinem 
Falle unterbleiben sollten. 

Hüber. Die neue Infectionskrankheit Weil’s iu der 
Armee. Deutsch, militär-ärztl. Zeitschr. 1888. 

Die Arbeit Weil’s über eine acut fieberhafte, mit schweren 
nervösen Erscheinungen, ausserdem mit Schwellung der Milz und 
Leber, Icterus, nephritischeu Symptomen eiuhergehende Erkran¬ 
kung, die nach verhältnissmässig kurzer Dauer des schweren 
Krankheitsbildes eineu raschen günstigeu Verlauf nimmt, hat zu 
einer Reihe von kleinen Mittheilungen Veranlassung gegeben, die 
meist im Deutschen Archiv für kl. Medicin abgedruckt sind. Die 
letzte ausführlichere Arbeit veröffentlichte Fiedler, 42. Baud, 4. Heft. 


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16. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


685 


Hüb er berichtet über 4 neue eigene Fälle und 3 von Leb- I 
sanft beobachtete. Es handelte sich um Soldaten sowohl des I 
ersten, als auch zweiten und dritten Dienstjahres; der Civilberuf 
war ein verschiedener. Alle Fälle kamen in der heissen Jahreszeit 
zur Beobachtung. Sämmtliche 7 Mann erkrankten plötzlich, das 
Fieber stieg rasch zu bedeutender Höhe, hatte eine durchschnitt¬ 
liche Dauer von 8 Tagen, 4 der Kranken hatten ein Recidiv. Die ! 
Zeit der Apyrexie schwankte zwischen 1—10 Tagen, betrug durch- j 
schnittlich 6 Tage, das Recidiv selbst hielt 2—8 Tage, durch- j 
schnittlich 6 Tage an. Sehr ausgeprägt waren in allen Fällen: j 
Kopfschmerz, Schwindel, unruhiger Schlaf, Delirien, Somnolenz, j 
grosse Hinfälligkeit. 

Der Icterus fehlte nicht und wich nur einmal rasch, der Urin , 
zeigte eine mehr rothbrauue Verfärbung, keine schwarzgrüne, wie j 
bei anderen Fällen von Icterus, er war stets trübe, schmutzig roth. 
eiweisshaltig. Hervorgehoben wird, dass eine Pulsverlangsamung I 
nicht beobachtet wurde. 

Als eonstantes charakteristisches Symptom giebt 
Hüber die Schmerzen in der Muskulatur, besonders dei 
Waden, an. Dies hebt bekanntlich auch Fiedler hervor, welcher . 
als constante Symptome Fieber, Kopfschmerz, Icterus, gastrische j 
Erscheinungen, Muskelschmerzen bezeichnet, während er Milz- und . 
Leberschwellung, Nephritis, Erscheinungen auf der Haut, Roseola, , 
Herpes etc. als inconstant bezeichnet. 

Hüber hebt noch als weiteres Merkmal hervor, die acut ent- ; 
zündliche Affection der gesammten Schleimhaut auf der Höhe des 
Krankheitsprocesses. Es zeigt sich Röthuug des Rachens, Gaumens, i 
häufiges Nasenbluten, Blutbeimengung im Auswurf, Erbrochenen etc. 

Der Ansicht Fiedler’s und Weil’s, dass man es. mit einer j 
acuten Infectionskrankheit eigener Art zu thun habe, welche weder 
mit Typhus abdominalis noch mit anderen bekannten Infektions¬ 
krankheiten etwas gemein hat, schliesst sich Hüber ebenfalls an. 

Pathologische Anatomie und Bacteriologie werden hier erst 
definitiven Aufschluss geben können; bis dahin wird man die 
Krankheit mit dem Namen „fieberhafter Icterus“ (Weil) zu 
bezeichnen haben. 

Aufrecht. Eine 20 Jahre dauernde Nephritis nach 
Scharlach mit dem Ausgange in eine weisse Schrumpf¬ 
liiere. Deut. Arch. f. kl. Medicin Bd. 42, Heft 6. 

Ueber den Ausgang der nicht in Heilung übergehenden Fälle 
vou Scharlachnephritis wissen wir verhältnissraässig wenig. Hier 
liegt der seltene Fall vor, dass die Harnuntersuchung 20 Jahre 
lang fortgesetzt worden ist und die Section möglich war. Der Ei¬ 
weissverlust war ein stetiger, wechselnder, häufig intercurrirteu 
Blutuugeu. Letztere traten meist im Zusammenhang mit Anginen ! 
auf. In den letzten Jahren gesellten sich zur Albuminurie und j 
Hämaturie urämische Erscheinungen hinzu. Ein halbes Jahr nach 
der Scarlatina hatten sich Oedeme bemerkbar gemacht, diese fehlten 
dann ganz bis 4 Wochen vor dem Tode. Der Patient hatte trotz 
seiner Leiden gleich einem Gesunden das Gymnasium absolvirt, die 
Universität besucht und sein Assessorexamen gemacht. Das Herz 
wurde hypertrophisch. 

Die Nieren waren klein, grauulirt, weiss, während Schruinpf- 
uieren sonst fast ausnahmslos roth aussaheu. 

Aufrecht trennt dann klinisch und anatomisch: 1) die primäre 
parenchymatöse Nephritis, 2) die ainyloide Nephritis, 3) die Glo¬ 
merulonephritis. 

Jede dieser drei Arten könne ihren Ausgang in eine wohl 
charakterisirte Schrumpfniere nehmen. 

Aus der primäreu parenchymatösen Nephritis geht die weisse, 
#rob granulirte Schrumpfniere hervor. Sie sei selten, weil die 
Krankheit meistens in Genesung übergehe, oder falls dies nicht ge¬ 
schehe, der Tod eher eintrete, als es zu einer completen Schrumpfung 
gekommen sei. Man finde dann eher die geschwollene weisse Niere. 

Die amyloide Nephritis kann bei langer Dauer den Ausgang 
in amyloide Schrumpfniere nehmen, welche sich von der vorigen 
wesentlich durch Gefässerkrankung und Amyloidreaction unter¬ 
scheidet. 

Die Glomerulonephritis endet nach Aufrecht bei längerer Krauk- 
heitsdauer nur mit der typischen rothen Schrumpfniere. Auf der 
Höhe der Erkrankung besteht eine rothe. häufig geschwollene Niere. 

Die obige Erkrankung sei aus einer primären pareuchymatösen 
Sch arl achne phritis h er vorgegangen. 

Es liegt ausserhalb des Rahmens eiues Referates auf die mög¬ 
lichen Controversen der Aufrecht’schen Anschauung einzugeheu. 

Buch wald. 

Alexander. Statistische und casuistische Mitthei- 
lungeu über Typhus abdominalis. Bresl. ärztl. Zeitschrift. 
1887. No. 20-24. 

Ein fleissiger Bericht aus der Biermer’sehen Klinik, bemerkens- 
werth durch sorgfältig geführte. Kraukeugeschichten und Tabellen, 
die manches Aparte enthalten. 


Von 393 in den Jahren 1874—85 behandelten Patienten star¬ 
ben 50, also ziemlich 13%. Sehr auffällig ist das enorme Schwan¬ 
ken der Sterblichkeitsziffer in den einzelnen Jahren. So sind für 
1875: 4%, für 1876: 24%, also das Sechsfache notirt. Bis 1878 
Bäderbehandlung, später vorwiegend medicamentöse Antipvre.se. 
Bei einer „erheblichen Anzahl“ wurde auch Calomel gereicht, aber 
eine Coupirung oder abortiver Verlauf niemals erzielt (vgl. diese 
Woehenschr. 1887, No. 11—13). Fürbringer. 

XII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die Antiseptik im Hebammenwesen. 

Von Dr. Gustav Klein, 

früher Hebammenlehrer, z. Z. Assistent am pathol. Institut in Breslau. 

(Schluss aus No. 32.) 

In Berücksichtigung dieser Verhältnisse ist in Preussen auch eine 
grosse Reihe von amtlichen Arbeiten, Berichten, Entwürfen u. s. w. er¬ 
schienen — aber keine hat bisher gesetzliche Kraft oder amtliche Gültigkeit 
erlangt. Die raeisteu Oberpräsidenten haben vou den betreffenden Mediciual- 
collegien diesbezügliche Gutachten eingefordert; für die Provinz Branden¬ 
burg und einige andere wurden Polizeiverordnungen erlassen zur Regelung 
dieser Angelegenheit; eine grosse Anzahl vou Kreisphysikern hat sich auf 
das dankenswertheste dieser Aufgabe gewidmet, aber alles das reicht nicht 
annähernd hin, so lange nicht der von Sachsen beschrittene Weg einge- 
schlageu wird, diese Verhältnisse durch allgemein und gesetzlich gültige 
Vorschriften zu ordnen. 

Von vielen Beispielen sei zu dem Gesagten eins angeführt: Mediciual- 
rath Professor Fritsch hat in Folge einer Aufforderung des Oberprüsidenten 
der Provinz Schlesien an das kgl. Medicinalcollegium vom 30. März 1883 
einen ausführlichen Bericht am 27. Juni 1883 erstattet, dessen wichtigste 
Punkte folgende sind: Am 11. December 1879 wurde vom Oberpräsidium 
der Provinz Brandenburg eine Polizeiverordnung erlassen, in welcher die Au 
zeigepflicht für Fälle von Diphtherie und Kindbettfieber angeordnet wurde. 
3 Jahre später, nämlich am 20. December 1882, erstattet die kgl. Regierung 
zu Potsdam dem Oberpräsidium der Provinz Brandenburg einen Bericht, in 
welchem die Erfolge der Verordnung im ganzen günstig beurtheilt werden. 
Statistisches Material wird nicht beigebracht. Die kgl. Regierung zu Frank¬ 
furt a. 0., Ref. Wiebecke, dagegen äussert sich ziemlich absprechend: 
Die Nothwendigkeit eines solchen Erlasses wird zugegeben, der Erfolg da¬ 
gegen nur in einer geringen Zahl anerkannt. Der Ref. der kgl. Regierung 
zu Breslau, Wolff, spricht sich ebenfalls im allgemeinen gegen eine der¬ 
artige Verordnung aus und hält jedesmalige, auf den betreffenden Bezirk 
oder Kreis beschränkte Polizeiverordnungen für ausreichend. Aehnlich lautet 
der Bericht des Regierungspräsidiums zu Liegnitz, Ref. Philipp. Mit ge 
ringer Einschränkung spricht sich dagegen das Regierungspräsidium zu 
Oppeln, Ref. Noack, für die Annahme dieser Polizeiverordnung aus; an¬ 
hangsweise wird in diesem Berichte die Nothwendigkeit einer strengen 
Durchführung der Antiseptik seitens der Hebamme betont und für freie 
Lieferung von Carboisäure eingetreten. In einem Berichte des Kreis- 
physikus Dr. Fuhrmann über die Erfahrungen im Kreise Niederbarnim, der 
gleichsam eine Versuchsstation für öffentliche Medicin ist und in vorzüg¬ 
licher Weise sanitätiieh verwaltet wird, heisst es: „Die Anzeigepflicht könne 
nur dort zur vollen Geltung kommen, wo die Leichenschau die Ausübung 
der Pflicht controlirt.“ In diesem Gutachten sind die 3 wichtigsten Punkte 
enthalten: Obligatorische Anzeigepflicht und Leichenschau, sowie freie Liefe¬ 
rung von Carbolsäure an Unbemittelte. Fritsch tritt rückhaltlos für diese 
Forderungen ein und betont die Dringlichkeit der Angelegenheit; er führt 
Boehr’s Mittheilungen an, nach welchen von 1816 bis 1876 in Preussen 

868 624 Frauen 

an Kindbettfieber, also durchschnittlich 7—9000 jährlich gestorben sind. 
Nach eingehender Erörterung der Frage, ob die Anzeigepflicht nur den Arzt 
oder auch die Hebamme treffen soll (Fritsch neigt dem Gedanken zu, 
nur die Aerzte damit zu betrauen), führt er weiter aus, dass die behufs einer 
Besserung gemachten Vorschläge sich gleicherweise auf die Hebammen, Aerzte, 
Behörden, Oomraunen bezw. Kreise und das Publikum erstrecken. Bezüglich 
der Hebammen ist 1. eine Umarbeitung des Lehrbuches nothwendig, 
welche dem gegenwärtigen Stande der Antiseptik gerecht zu werden habe; 
hierfür ist 2. der Erlass eines Desinfections-Regulativs erforderlich, 
dessen von Fritsch beigefügter Entwurf sich in der Hauptsache von dem 
in Bayern und Sachsen durchgeführten nicht unterscheidet; 3 sind obliga¬ 
torische Wiederholungscurse bezw. -Prüfungen, welche die Antiseptik zum 
Gegenstände haben, für ältere bezw. jüngere Hebammen anzustellen. Des 
Weiteren tritt Fritsch für Wiedereinführung der Remunerationen für solche 
Hebammen ein, welche in ihrer Praxis keine Fälle von Kindbettfieber hatten. 
(Das scheint gefährlich, da es eine Verlockuug bildet, solche Erkrankungs- 
Rille zu verheimlichen.) Schliesslich sei strenge Handhabung der Auzeigi- 
pflicht nothwendig, wenn diese überhaupt auf die Hebammen ausgedehnt werde. 

Die Aerzte haben den Hebammen mit bestem Beispiele hinsichtlich 
der Antiseptik vorauzugehen und die Anzeigepflicht streng zu handhaben. 
Die Behörden haben für Einrichtung der Leichenschau Sorge zu tragen. 
Die (’ommunen und Kreise haben in allen Ortschaften, in welchen keine 
Apotheke befindlich ist oder die über eine Viertelmeile von einer solchen 
entfernt liegen, bei einer Vertrauensperson kleine Niederlagen von Carbol¬ 
säure zu errichten, welche den Unbemittelten gegen Bescheinigung des Arztes 
oder der Hebamme unentgeltlich verabfolgt wird. Das Publikum muss 
von all’ diesen Einrichtungen in Kenntniss gesetzt werden. Die Umände¬ 
rung des Lehrbuchs kann nötigenfalls durch einen Nachtrag umgangen 
werden (sollten damit die geradezu schädlichen Angaben desselben unschäd¬ 
lich gemacht werden können?), wie dies in Bayern geschah, indem die 
„Vorschriften zur Verhütung des Kiudbettfiebers, Erlangen, Deichert', 


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686 DEUTSCHE MEDICINISCUE WOCHENSCHRIFT. No. 33 


1880, den Hebammen officiell zugestellt wurden. Die Hebammen sind auf 
diese Vorschriften verpflichtet. Schon dieser im Juni 1883 erstattete Bericht 
sagt: .Somit steht jetzt der Einführung eines allgemeinen Regulativs nichts 
mehr im Wege“. 

Und heute schreiben wir 1888. 

Dass die Repetitionscurse nicht allgemein abgehalten werden, wurde 
schon oben erwähnt. Eingehend wird erörtert, weshalb die Anzeigepflicht 
bei Kindbettfieber nicht auch auf die Hebammen, sondern nur auf die Aerzt? 
auszudehnen sei, während die Uebamme ohnedies in jedem Kalle von Kind 
bettfieber den Arzt zu rufen hat, welcher dann entscheiden muss, ob dei 
Fall anzeigepflichtig ist oder nicht; gleichzeitig wird er natürlich auch so¬ 
fort die nöthigen Maassregeln zur Verhütung einer Weiterverbreitung u. s. w 
ergreifen. Die Lieferung der Carbolsäure würde am besten deu C'ommunen 
bezw. Kreisen zufallen, wie dies schon in einzelnen Städten und Kreisen 
durchgeführt wurde (Leipzig, Kreis Herford, Kreis Kreuzburg i. Schl.). 

Diesem Berichte, der in seiner Bedeutung so hervorragen 1 ist, dass es 
nur bedauerlich erscheint, ihn nicht vollständig wiedergeben zu können, ist 
der Entwurf eines Desinfections-Regulativs beigegeben. Dasselbe 
unterscheidet sich von der sächsischen Instruction nur wenig (Fortlassung 
des Gebrauchs von Oel, Salbe oder Fett zum Bestreichen der untersuchen¬ 
den Finger; keine Entfernung der Hebamme aus ihrer Praxis bei Ausbruch 
von Kindbettfieber u. a.); genaue Angaben werden gemacht hinsichtlich der 
Scheidenausspülungen (die dem Arzte Vorbehalten werden), der Stopftücher, 
des Verhaltens der Hebamme beim Ausbruche des Kindbettfiebers u. s. w. 

Können diese Vorschläge schon weitgehende Forderungen befriedigen, 
so würde man selbst den äussersten gerecht werden durch Hiuzufügung der 
.Vorschriften der Reinigung für die Aerzte der kgl. Frauen¬ 
klinik in Dresden“ von Prof. Leopold. Dieselben sind so bündig und 
treffend, dass sie z. Th. im Wortlaute hier Platz finden mögen: 

I. Vorbemerkungen. 

1. Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen können ausserordentlich 
schnell, durch eine einzige innere Untersuchung, tödtlich inficirt werden. 

2. Der häufigste und schlimmste Träger der Infection ist der unter¬ 

suchende Finger. 3. Die Hände sind die vornehmsten und werth¬ 
vollsten Instrumente des Arztes. Daher lege jeder Arzt den grössten 
Werth auf die Pflege und Verfeinerung seiner Hände und Fingernägel und 
gewöhne sich daran, Dinge und Körpertheile, welche nicht vollkommen 
sauber sind, nur dann zu berühren, wenn es zum Wohle des Patienten un¬ 
bedingt nöthig ist. Alles unnöthige Berühren ist von Uebel und erfordert 
stets eine erneute Reinigung der Hände. 4. Ansteckungsstoffe finden sich 
Oberall, und die Gefahr der Ansteckung fehlt bei keiner Untersuchung 
Mau sei daher nie vertrauensselig — —. 5. Die äussere Untersuchung 
— — ergiebt fast immer vollständig genügenden Aufschluss über den 
Verlauf der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes. 6. Deshalb 
vermeide man innere Untersuchungen soviel als möglich und führe sie nur 
dann aus, wenn sie im Interesse der Mutter und des Kindes unumgänglich 
nöthig sind. (Das unter 5 und G gesagte kann deu Hebammen nicht dring¬ 
lich genug zur Pflicht gemacht werden!) 7. Dagegen nehme man die 
äussere Untersuchung öfters vor-. 8. Man erstrecke die grösste Sorg¬ 

falt in der Reinigung auf sich selbst, wie an der Gebärenden über die 
ganze Dauer der Entbindung. — — 

Die „besonderen Bestimmungen“ sind von unanfechtbarer Genauigkeit, 
jedoch im einzelnen auf die Hebammen nicht unmittelbar zu verwenden, da 
Leopold zur Desinfeclion hauptsächlich Sublimat benutzt. 

Welch’ grosses Gewicht an maassgebender Stelle auf diese Verhältnisse 
gelegt wird, beweist nicht nur die Einforderung von Berichten der Medi- 
cinalcollegien an die Regierungspräsidien u. a., sondern auch der durch 
Runderlass vom 22. April 1885 an die Oberpräsidien gesandte „Entwurf 
einer Anweisung an die Preussischen Hebammen zur Verhütung 
des Kindbettfiebers“. Auch die Vorschriften dieses Entwurfes weichen nur 
wenig von dem schon erwähnten Entwürfe Fritsch’s und dem sächsischen 
Regulativ ab, doch ist auch hier eiue Fernhaltung jener Hebammen, in 
deren Praxis Kindbettfieber ausbrach, von ihrer Thätigkeit nicht vor¬ 
gesehen. 

Eihe „Zusammenstellung der Pflichten der Hebamme“, welche der 
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiteu am 
30. Juni 1887 machen Hess und die im Inseratentheile der Deutsch, med. 
Wochenschr., 21. und 28. Juli 1887, aus anderen Gründen abgedruckt 
wurde, liefert iu kurzen Zügen den Beweis, wie durchaus unzureichend die 
Vorschriften des preussischen Lehrbuches hinsichtlich der Antiseptik sind. 

Es ist nun eine berechtigte Forderung, nicht nur absprechende Ur- 
theile zu liefern, sondern auch ausführbare Vorschläge zum Zwecke einer 
gründlichen Besserung zu machen. 

Anschliessend au die obigen Ausführungen können diese Vorschläge 
nur folgemlermaassen lauten: 

1. Entsprechende, durchgreifende Aenderung des Hebammenlehrbuches. 

2. Wiederholungscur.se für die älteren, Prüfungen für die jüngeren 
Hebammen. 

3. Reinigungsvorschriften, die für Unterricht und Praxis bindend sind. 

4. Anzeigepflicht, der Aerzte. 

5. Obligatorische Leichenschau durch Aerzte. 

ü. Freie Lieferung von Carbolsäure an Unbemittelte. 

Muss es nicht mit Recht Wunder nehmen, dass trotz so eingehender 
Vorarbeiten seitens der Behörden und Aerzte eiue durchgreifende Aenderung 
iu Preussen und einer grossen Zahl anderer Staaten noch nicht stattfand? 
Die Literatur über diesen Gegenstand hat einen bedeutenden Umfang ange¬ 
nommen, Jedermann und allen voran die Behörden sehen die Dringlichkeit 
ein: es bedarf nur eines einzigen Schrittes, um eine Verordnung von all¬ 
gemeiner Gültigkeit zu schaffen, deren Wirkung nur eine segensreiche sein 
kann. Unleugbar wird die Durchführung auf inauche Schwierigkeiten 
stossen — aber bedarf es denn einer entsetzlicheren Mahnung, als sie 
in den Zahlen der jährlich vom Kiudbetttieber hingeraffien Unglücklichen liegt? 


Noch viele andere Punkte im Hebammenwesen, ja selbst im Aerxte- 
stande bedürfen hierzu einer Besserung, und erst aus dem Zusammenwirkeu 
all’ dieser einzelnen Umstände wird ein voller, ungeschmälerter Erfolg ent¬ 
springen — aber der wichtigste Schritt ist in diesem Augenblicke eine 
durchgreifende Regelung der Antiseptik im Hebammenwesen. Sollen die 
Lehren des weitblickenden Semmelweiss, Billroth’s, Lister’s u. A. 
den Hebammen verschlossen bleiben? 

— Nachtrag vom 22. Mai 1888. Währenddes Druckes dieser Zeilen 
hatte Herr Geh. Rath Professor Fritsch die Güte, mir einen Beschluss der 
Aerztekammer der Provinz Posen mitzutheilen, der für den besprochenen 
Gegenstand von grösster Bedeutung ist. Derselbe soll iu der Mai-Nummer 
des Aerztevereinsblattes officiell publicirt werden; die Kenntniss der Einzel¬ 
heiten dieses Beschlusses verdanke ich Herrn Sanitätsrath Dr. Litthauer 
(Schrimm) und Herrn Dr. Landsberger (Posen). 

Auf Antrag des Sanitätsraths Kreisphysikus Dr. Litthauer (Schrimm; 
(vergl. dessen Aufsatz: „Zur Antisepsis in der Geburtshülfe etc.“ in dieser 
Wochenschrift, 1887, No. 21) beschloss die Kammer am 16. April 1888, an 
den Oberpräsidenten das Ersuchen zu richten, die königliche Regierung in 
Posen und Bromberg mit der Aufstellung einer Statistik seitens der 
Kreisphysiker über die im Jahre 1887 bei Wöchnerinnen vorgekom- 
raenen Todesfälle und deren Ursachen zu beauftrageu, sowie auf Grund 
dieser statistischen Uebersichten die gleichzeitig gemachten Vorschläge zu 
prüfen. Dieselben beziehen sich auf die Art und Weise, in welcher die 
freie Lieferung von Carbolsäure zu regeln wäre. Für die Kosteu 
hätten danach bei Unbemittelten die Ortsarmenverbände aufzukommeu. 
Ferner beschloss die Kammer, die übrigen Aerztekammern der Monarchie 
zu einem gleichen Anträge bei dem Oberpräsidenten der betreffenden Pro¬ 
vinz aufzufordern. 

Es wird das grosse Verdienst Litthauer’s und der Aerzte der Provinz 
Posen bleiben, zur Regelung dieses Gegenstandes einen Weg beschritten 
zu haben, der wohl geeignet erscheint, die Frage ihrer praktischen Lösung 
näher zu bringen. _ 


Xm. Therapeutische Mitteilungen. 

lieber die Behandlung der Pneumonie mit Tartarus 
stibiatus. 

Da diese Behandlungsweise seit dein Vortrage des Herrn Mosler wieder 
auf die Tagesordnung gebracht ist, so möchten wir, um auch Angaben de» 
Herrn Dr. Brückner richtig zu stellen (s. No. 22 d. Wochenschrift p. 447), 
Alle, die sich dafür interessiren, auf Lebert’s „Brustkrankheiten, Bd I. 
p. 737—741 iucl., Tübingen 1874," hinweisen, an welcher Stelle auch eine 
physiologische Erklärung der Wirkung des Tartarus stibiat.us bei der 
Pneumonie gegeben wird. 

Da nicht jedem unserer Leser das oben bezeichnete Werk leicht zu¬ 
gänglich sein wird, so wollen wir das Wesentliche von Lebert’s be¬ 
züglichen Ausführungen hier zum Abdruck bringen. Es heisst dort: „Be¬ 
handlung mit Brechweinstein. Diese Behandlung ist entsprungen aus einer 
Quelle fürchterlichster therapeutischer Uebertreibung — dein Stimulus der 
Entzündung sollte ein noch viel kräftigerer Contrastimulus entgegengesetzt 
werden. Tu der Pneumonie bestand dieser in der unsinnigsten IJIut- 
verschwenduug, im einzelnen Falle wurden oft 4000 bis 6000 g entleert, 
ausserdem wurde BrechWeinstein in starken Verdünnungen ein bis mehrere 
Gramm in 24 Stunden 4 bis 5 Tage gereicht. Die.-e hirnverbrannte 
Methode hat in Deutschland nie Anklang gefunden und um so mehr zurück¬ 
geschreckt, als auch die narkotischen Gifte von dieser Schule in unerhörter 
Dose gereicht wurden. Zu ihren wenigen Anhängern gehörte 11 ahne¬ 
mann. Erst in der Praxis von Peschier, einem Schweizer Arzte, wurde 
die Anwendung des Brechweinsteins gegen Pneumonie eine brauchbare und 
nützliche Methode, welche dann zuerst von Laennec ganz angenommen 
und von der Pariser anatomischen Schule nächst dem Aderlass als beste» 
Mittel bei schweren Pneumonieen gerühmt wurde. Auch in Deutschland und 
England fand er grossen Anklang. Am consequentestcu wandten ihn 
Wunderlich und ich an. Die Wiener Schule erhob gegen dieses Mittel 
Protest und trotzdem, dass es bei der symptomatischen Behandlung nebst 
dem Aderlass den ersten Rang in schweren Pneumonieen mit hochgradiger 
Athemnoth behauptet, sah ich dennoch mehr und mehr ein, dass man auch 
dieses Mittel in der grössten Mehrzahl der Pneumonieen entbehren könne, 
wiewohl die Wiener Proscription des Mittels von grossen Uebertreibuugen 
begleitet war. Grisolle hält den Brechweinstein auch jetzt noch für un¬ 
entbehrlich. Brechweinstein ist kein Antipyreticum, weuu er das Fieber 
ermässigt, so ist diese Wirkung eine secundäre. Er wirkt direkt herab¬ 
setzend auf den Seitendruck im arteriellen System und hat in dieser Be¬ 
ziehung eine dem Aderlass analoge Wirkung. Die Spannung und Füllung der 
Arterien nimmt ab, der Puls wird kleiner und schwächer, während die gleich¬ 
zeitige Abnahme der Athemnoth auch auf ein Herabsetzen des Seitendrucks in 
der Pulmonalarterie deutet. Besonders iu den ersten 10 bis 12 Stunden be¬ 
wirkt der Brechweinstein nicht selten Erbrechen und Durchfall, die zur Gc- 
sammtwirkung beitrageu können, aber wohl nur nebensächlich. Die oben er¬ 
wähnte Wirkung tritt am schnellsten und vollständigsten ein, wenn von An¬ 
fang an der Brechweinstein ohne Nebenwirkung gut vertragen wird. Wo aber 
anfangs Gastrointestinalreizung besteht, zeigt sich die günstigste Wirkung 
erst mit dem Aufhören desselben, mit der Toleranz, welche nach 12 bis 
24 Stunden eine vollständige ist, so dass dann beim Fortgebrauch sogar 
Verstopfung eintritt. Lässt die Toleranz auf sich warten, so kann man 
mitunter durch 10—12 Tropfen Opiuratinctur dieselbe erreichen. Hilft 
dieser Zusatz nicht, so ist der Brechweinsteiu ganz aufzugeben. Ich gebe 
bei Erwachsenen 0,36:180 Wasser, 2stündlich 1 Esslöffel, das Ganze auf 
24 Stunden vertheilt, nur in sehr schweren und seltenen Fällen wurde auf 
0,48—0,6 g gestiegen. Ein leichter Grad von Prostration des Nerven¬ 
systems, welcher mit der Abnahme der Pulshärte und der Athemnoth zu- 


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16. Aagost. 

saramentrifft, braucht von dem Fortgebrauch nicht abzuhalten, ist diese De¬ 
pression bedeutender, so ist während 6—8 Stunden auszusetzen. Muss man 
wegen Erbrechen und Durchfall dem Mittel entsagen, so schwindet beides 
gewöhnlich rasch von selbst oder nach kleinen Opiumdosen. Ich habe das 
Mittel 3—4, auch 5—6 Tage fortgesetzt, bis Zeichen der Resolution oder 
Defervescenz eintraten. Wenn auch eine Reihe der lästigen Erscheinungen 
durch dieses Mittel gebessert wird, so kann es doch nicht die Pneumonie 
in ihrem Verlauf hemmen, noch den Uebergang von Anschoppung in In¬ 
filtration hindern, was auch der Aderlass nicht vermag, auch die Dauer 
wird nicht abgekürzt, ein Einfluss auf die weitere Ausdehnung der Pneu¬ 
monie findet auch nicht statt, wiewohl ich gern gestehe, dass in einzelnen 
Fällen eine überraschend schnelle günstige Wirkung wie für den Aderlass 
direkte Wirkung auf die Pneumonie annehmen lässt. Diese Fälle sind die 
Ausnahme. Der Brechweinstein ist auf schwere Pneuraonieen zu beschrän¬ 
ken und nur bei kräftigen oder massig starken, nicht zu Darmkatarrh ge¬ 
neigten Patienten zu gebrauchen, am besten in schweren Fällen nach 
vorherigem Aderlass von 3—400 g, und ist der Patient nicht kräftig genug, 
tun beide Mittel zu ertragen, so kann kein Mittel den Aderlass, wo er in- 
dicirt ist, so gut ersetzen, wie der Brechweinstein. Contraindicirt ist er, 
wenn von Anfang an Darmkatarrh besteht, indessen kann man auch dann 
bei schweren Pneumonieen mit grosser Athemnoth den Versuch damit 
machen. Ich sah in mehreren Fällen trotz seines Gebrauches den Darm¬ 
katarrh aufhören und dann das Mittel günstig wirken. Dann ist er contra- 
indicirt bei schwachen und heruntergekommenen Patienten, bei kleinem und 
elendem Pulse, bei typhösen Erscheinungen, Alkobolismus, Delirium tremens. 
Auch kleine Kinder und Greise vertragen ihn weniger gut, als Erwachsene, 
ältere Kinder und in den ersten Decennien der zweiten Lebenshälfte 
stehende. Die Pustulirung im Pharynx, die hier und da eintritt, ist unge¬ 
fährlich, schwindet mit dem Aufhören des Mittels von selbst, sie macht das 
Aussetzen nöthig, die Alterationen der Magenschleimhaut kommen auch 
ohne das Mittel vor. Es zeigt mehr Emetin- als Antiraonwirkung. Wo das 
Mittel in schweren Pneumonieen contraindicirt ist, ist es durch Ipecacuanha- 
infus 2 : 150 mit 30 Syrup am besten, wenn auch unvollkommen zu er¬ 
setzen.“ (Vgl. auch Schrötter, LXII. Bd. der Wiener Sitzungsberichte 
1870, Octoberheft.) _ 


— Zur Therapie des Morbus Rasedowii (Wiener med. Wochenschrift 
No. 27) von B. Stiller in Budapest. In diesem interessanten Aufsatze be¬ 
richtet Verfasser über vorzügliche Erfolge, die er in zwei Fällen von M. 
Basedowii mit Höhencureu erzielte. Im ersten Fall handelte es sich um 
eine Frau, deren von Haus aus schwaches Nervensystem durch Familien- 
Katastrophen endlich zerrüttet, und aus hysterisch-neurasthenischen An¬ 
fängen ein wohl entwickelter M. Basedowii hervorgegangen war. Neben den 
spezifischen Symptomen war eine Hypertrophie beider Herzhälften mit 
systolischem Geräusch vorhanden. 1874 wurde sie nach Preblau iu 
Kämthen (1000 m hoch) geschickt; ihr bisher nicht unter 120 zählender 
Puls betrug dort constant nur 70—72, Struma und Exophthalmus gingen 
fast ganz zurück, im Winter verschlimmerte sich zu Hause der Zustand 
wieder. W'inter 1879 traten alle Symptome von Herzschwäche mit unge¬ 
wöhnlicher Erweiterung aller Arterien ein, der Zustand war trostlos, Digitalis 
versagte vollständig, Auf Drängen der Angehörigen wurde wieder trotz des 
Zustandes eiue Cur in Schmecks (1000 m hoch) versucht. Sie hielt die 
Reise aus und kam nach 2 Monaten schlank und frisch, ohne Hydrops und 
Basedow nach Hause, seitdem ist kein Hydrops wieder aufgetreten. In den 
nächsten Jahren traten als Complicationen acute cireumscripto Oedeme, 
kurz dauernde aphasische Anfalle, im Winter 1883 an der Riviera ein 
eigenartiger apoplektischer Anfall ein. Im vorletzten Winter trat eine sehr 
bedrohliche Aenderung der Herzaction ein, mit regelloser Arhythmie, 
schwachem, sehr beschleunigtem Puls etc. Im letzten Sommer ging sie wieder 
nach Schmecks und kam derart, gekräftigt zurück, dass sie mehrere an¬ 
greifende Ereignisse ohne Schaden überstehen konnte. In einem zweiten 
analogen Fall liess Stiller die 43jährige Patientin sogar im Winter mit ausge¬ 
zeichnetem Erfolge das Höhenklima aufsuchen. Eine physiologische Er¬ 
klärung für diese Wirkung des Höhenklimas auf Herzkranke vermag Stiller 
nicht zu geben, er wirft die Frage auf, ob nicht auch bei anderen Herz¬ 
krankheiten im Stadium der Compensationsstürung Höhenluft mit. Erfolg zu 
versuchen wäre. 

— Creolin als Mund- und Gurgelwasser. Schnitzler empfiehlt 
(Internat, klin. Rundschau No. 27) Creolin bei hartnäckigen Formen von Angina 
follicularis zur ßepinselung oder Bestäubung. Der Geschmack ist unangenehm. 

Zur Bepinselung: 

Rp. Creolini 1,0—2,0 Rp. Creolini 1,0—5,0 

Aq. dest. od. Aq. dest. 50,0—100,0. 

Aq. Menth, pip. 100 — 500,0 Zur Insufflation: 

DS. Gurgelwasser. Rp. Creolini 0,1—0,5 

Acid. boric. 10,0 

01. Menth, pip. gtt. XX. 

— Neue Spritze xur subcutanen Injeetion. (Nach Simsky [König; 
berg], Monatsschrift für ärztl. Polytechnik, Juli 1888.) Bei dieser neuen 
Spritze sind keine langen Stichcanülen nöthig. Statt deren befindet sich 
eine ganz kurze, scharfe Canüle in einem glockenartig geformten Gehäuse 
vor äusseren Beschädigungen geschützt, am Vorderende der Spritze. Die 
Spritze wird nach Füllung senkrecht auf die Haut fest aufgesetzt, dadurch 
erhebt sich diese zu einer kleinen Kuppe, der Stichcanüle entgegen tind 
lässt diese nur so weit eindringen, als nöthig ist, um das Unterhautzellgc- 
webe zu erreichen. Bei der nunmehr erfolgenden Injeetion verhindert die 
kleine, auf der Haut fest aufsitzende Glocke das Nebenfliessen der Flüssig¬ 
keit. Der Kolben der Spritze ist aus Asbest, braucht nicht mit Oel getränkt 
zu werden, um dicht schliessend zu bleiben, dazu genügt ganz allein die In- 
jectionsflüssigkeit. Der Preis ist kein höherer als der der bisher gebräuch¬ 
lichen. R. 


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XIV. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Prof. Ludwig Boltzmann aus Graz übernimmt hier 
eine ordentliche Professur der theoretischen Physik. Es bestehen nunmehr 
bei der hiesigen Universität fünf ordentliche Lehrerstellen für physikalische 
Wissenschaften: zwei für theoretische Physik (Helmholtz und Boltzmann), 
eine für Experimentalphysik (Kundt), eiuo für Wetterkunde (v. Bczold) 
und eine für Geodäsie (Helmert), wenn mau die Professur für medicinischo 
Physik noch ausser Acht lässt. Bei der Begründung dor Universität konnte 
man es sich an einer einzigen Professur der Physik genug sein lassen. Der 
einzige Ordinarius der Physik war Paul Ermann. 

— Die VI. Hauptversammlung des Preussischen Medicinal beam- 
tenvereins wird am 26. und 27. September im grossen Ilörsaale des 
Hygienischen Instituts in Berlin tagen. Für die erste Sitzung am 26. Sep¬ 
tember stehen folgende Referate und Vorträge auf der Tagesordnung: Die 
Erwerbsunfähigkeit mit Rücksicht auf die jetzige Unfallgesetzgebung; Herr 
Bezirksphysikus Dr. Becker in Berlin. Der Entwickelungsgang im preussi¬ 
schen Medicinalwesen; I. Apothokenwesen und Apothekengesetzgebung; 
Herr Regierungs- und Medicinalrath Dr. Wernich in Cöslin. Bemerkungen 
über die Lage der fremden Erntearbeiter (Schnitter) in einzelnen Theilen 
der Provinzen Brandenburg und Schlesien; Herr Kreisphysikus Dr. Schmidt 
in Steinau a. 0. lieber einzelne Bestimmungen des Gesetzes vom 9. März 
1872 betreffend die Gebühren der Modicinalbeamten; Herr Kreisphysikus 
Sanitätsrath Dr. Wallichs in Altona. — Für die zweite Sitzung am 
27. September sind folgende Themata in Aussicht genommen: Der Hypno¬ 
tismus unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Medicin (mit 
Demonstrationen); Herr Dr. Moll in Berlin. Die Constatirung ansteckender 
Krankheiten mit Bezug auf die §§ 9 und 10 des Regulativs vom 8. August 
1835; Herr Regierungs- und Medicinalrath Dr. Peters in Bromherg. Ueber 
einige den Modicinalbeamten abzunehmende Geschäfte; Herr Kreisphysikus 
Prof. Dr. Falk in Berlin. Beitrittserklärungen, Anmeldungen zur Theil- 
nahrae an der Versammlung oder sonstige Wünsche sind dem Schriftführer 
des Vereins, Herrn Regierungs- und Modicinaliath Dr. Rapmund in Aurich 
zu übermitteln. 

— Die Herren Lew in (Berlin), Kaposi (Wien), Pick (Prag) und 
Neisser (Breslau) treffen die vorbereitenden Schritte für einen demnächst 
in Berlin abzuhaltenden Deutschen dermatologischen Oongress. 

— Würzburg. Prof. Ho fm ei er (Giessen) ist nach Würzhurg berufen 
und hat die Berufung angenommen. 

— Jena. Für den durch den Abgang Preyer’s freigewordenen Lehr¬ 
stuhl der Physiologie sind seitens der Facultät Biedermann (Prag), Gad 
(Berlin) und v. Frey (Leipzig) vorgeschlagcn. — Während des Soinmer- 
semesters trat bierselbst, sich anlehnend an die über Deutschland ausge¬ 
breiteten Genossenschaften freiwilliger Krankenpfleger im Kriege, eine solche 
Genossenschaft in’s Leben, und fungirten als Lehrer derselben dio Herren 
Bardelebon, Gärtner, Riedel und Rossbach. Die Theilnahme an dem 
Unterrichte war eine erhebliche; die übliche Prüfung bestanden 124 der 
Theilnehmer. 

— Giessen. Regierungsrath Dr. Gaffky, Mitglied des Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes in Berlin, hat den Ruf als Professor der Hygieno nach 
Giessen erhalten und angenommen. 

— München. Unter dem Vorsitz von Prof. Sauer (Berlin) tagte in 
München die 27. Jahresversammlang des Centralvereins deutscher 
Zahnärzte. In der zweiten Sitzung verlas Herr Schneider (Erlangen) 
eine Resolution, deren Ausarbeitung die Versammlung dem Vorstand aufge¬ 
tragen hatte. Dieselbe geht dahin, die Regierung zu ersuchen, für das 
Studium dor Zahnheilkunde 1) das Maturitätszeugniss, 2) eine dem Tcn- 
tamen physicum der Mediciner ähnliche Vorprüfung, und 3) das Trienniura 
hozw. Quadriennium academicum (statt dos bisherigen Biennium) vorzu¬ 
schreiben. Nachdem Herr Parreidt (Leipzig) die augenblickliche Aussichts¬ 
losigkeit einer solchen Forderung betont hatte, die Herren Blume (Berlin) 
und Sauer trotzdem dieses am letzten Ende doch zu erstrebende Ideal zum 
Ausdruck gebracht zu haben wünschen, und Herr Kol mar (Worms) mit- 
getheilt hatte, dass dio badischen „Zahnärzte“ überhaupt schon ein medici- 
nisches Physicum gemacht haben müssen, wurde die Resolution angenommen. 

— Göttingen. Die medicinische Facultät hat beschlossen, in Zukunft 
den Druck der Doctordissertationen bis zum Umfange von drei Druck¬ 
bogen und mit Ausschluss von etwa der Arbeit beigegebenen Tafeln selbst 
zu übernehmen. Bei umfangreicheren Arbeiten behält die Facultät sich vor, 
wenn dieselben besonders gut sind, ausnahmsweise die Mehrkosten des 
Druckes zu tragen. Die Kosten worden aus den Gebühren für Examen und 
Promotion, die unverändert bleiben, gedeckt. 

— Philadelphia. Dr. Rachel L. Bodlcy, Decan des weiblichen 
medicinischen Collegiums von Pennsylvanien, starb im Alter von 60 Jahren. 

— Zur medicinischen Publicistik. Unter dem Namen „Toledo 
medical and surgical Reporter“ giebt Dr. Vagar in Tolodo (Ohio) 
eine neue medicinische Monatsschrift heraus. Die erste Nummer ist am 
1. Juli erschienen. 

— Professor Dr. Schoeler macht im Januarheft der Klin. Monatsbl. 
für Augenheilkunde den bemerkenswerthen Vorschlag, unter dem Namen 
! Monumenta ophthalmologiae germanica ein Sammelwerk in Angriff 
zu nehmen, welches die gesamrate ältere Literatur auf dem Gebiete der 
j Ophthalmologie weiteren Kreisen zugänglich machen soll. Den Plan zu dem 
! Unternehmen skizzirt derselbe in folgender Weise: 

„Ist die jüngste Vergangenheit in der Augenheilkunde bei uns damit 
; ausgefüllt gewesen, die ausserordentlichen Fortschritte, welche seit der Ent- 
| deckung des Augenspiegels gemacht worden sind, zusamraenzufassen, und 

g ewährt uns die grossartige Schöpfung deutschen Fleisses ein imponirendes 
esammtbild der jüngst verflossenen Epoche — ich meine das grosse 
| Sammelwerk, welches unter Leitung von Graefe-Saemisch entstanden 
ist —, so entspricht dasselbe doch nur dem Schlussergebnisse unserer 
. jüngsten Forschungen. Wenngleich die Entwickelung der Specialität durch 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33 


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die neuen, ffrössartlgen Hülfsmittel eine so eigenartige geworden war, dass 
vielfach die Ergebnisse früherer Arbeiten dadurch bedeutungslos geworden 
sind, so bleibt doch die Geschichte der Wissenschaft selbst dort belehrend, 
wo dieselbe zumeist eine Geschichte der Irrthümer darstellt. Fehlt zwar 
nicht in Form von Literaturverzeichnissen, kurzer Namensaufführung und 
besten Falls kritisch-historischer Darstellung der Hinweis auf ältere 
Zeitungen, so ist es doch nur den Collegen vergönnt, welche sich anti¬ 
quarisch rechtzeitig in den Besitz der älteren Quellen zu setzen in der 
Lage gewesen sind, aus Originalarbeiten den Geist früherer Epochen 
kennen zu lernen. Jetzt, wo von Jahr zu Jahr es schwieriger werden 
dürfte, in den persönlichen Besitz solcher ältester Druckwerke deutscher 
Augenärzte Zu gelangen — ich erinnere nur an die Arbeiten Conrad 
Freytag's u. A., welche der Buchhandel nur ganz gelegentlich noch 
antiquarisch liefern dürfte, wäre es höchste Zeit, und eine von allen 
Specialcollegen dankbarst anerkannte Arbeit, wenn sich jüngere Kräfte, 
denen die Ausübung der Praxis es noch nicht zur Unmöglichkeit macht, 
bereit finden würden zur Ausführung folgender Aufgabe. 

Vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Schlüsse des 17. Jahr¬ 
hunderts müssten die wichtigeren Druckwerke deutscher Autoren, welche 
die Augenheilkunde ihrer Zeit repräsentiren, aus den Werken der Chirurgen, 
Anatomen und Physiologen herausgeschält und originaliter, soweit dieselben 
in deutscher Sprache erschienen sind, zum Abdruck gobracht werden. 
Gleichzeitig dürfte es sich empfehlen, die von Deutschen in lateinischer 
Sprache erschienenen ophtbalmologischen Werke in’s Deutsche zu über¬ 
tragen, soweit dieselben für ihre Zeit von epochemachender Bedeutung ge¬ 
wesen sind. Inwieweit der einzelne Autor bruchstückweise oder vollständig 
zum Abdruck gebracht werden soll, mit Holzschnittdarstellungen und 
Portraits geschmückt etc., wird natürlich dem sondernden Tacte des oder 
der Herausgeber überlassen bleiben. 

Erscheint diese Aufgabe, die Augenheilkunde aus den letzten Decen- 
nien des 15. Jahrhunderts, von Beginn der Buchdruckerkunst durch’s 
16. Jahrhundert bis zum Schlüsse des 17. in einzelnen Lieferungen, 
kritisch zusammengefasst, im Abdruck von Originalarbeiten erscheinen zu 
lassen, eine räumlich begrenzbare, so tritt mit dem 18. Jahrhundert und der 
wachsenden Schreibelust allerdings eine grosse Schwierigkeit auf, Alles 
genügend zu berücksichtigen. Inwieweit auch diese mit Glück sich über¬ 
winden lassen wird, wage ich vor der Hand nicht zu entscheiden. Sollte 
der Erfolg, wie wir mit Zuversicht hoffen, diesen Monumentis ophthal- 
mologiae germanicis bis zum Schlüsse des 17. Jahrhunderts zur Seite ge¬ 
standen haben, dann darf wohl auch auf eine weitere glückliche Fort¬ 
setzung dieser Unternehmung gerechnet werden.“ 

— Ein Blutegel im Kehlkopf. In der Rev. de med. et de pharm, 
milit. wird von einem Fall berichtet, in welchem einem Manne ein Blutegel 
in den Kehlkopf kroch, ohne dass er davon wusste. Er zeigte Symptome, 
welche die Aer/.te nicht erklären konnten, er war heiser und hatte drei 
Wochen lang das Gefühl eines Fremdkörpers im Halse, aber keine ernstliche 
Dyspnoe; laryngoskopisch war nichts zu erkennen. Endlich warf er Blut 
aus und fühlte in seiner Kehle sich etwas bewegen. Nachdem er am 23. Tage 
einen heftigen Exspirationsversuch gemacht hatte, sah sein Arzt den Blut¬ 
egel unterhalb der Stimmritze festsitzen. Da er keine geeignete Larynxzange 
bei der Hand hatte, spaltete er den Schildknorpel in der Mittellinie und 
entfernte den Blutegel mit Leichtigkeit. Der Knorpel wurde alsdann mit 
zwei Nähten wieder vereinigt und vollkommene Verheilung erzielt. Die 
Stimme wurde durch die Operation nicht geschädigt. 

— Immunität durch lösliche Substanzen. Garre führt im 
Centralblatt für Schweizer Aerzte vom 15- Juli über Immunität durch lös¬ 
liche Substanzen Folgendes aus: Die Beobachtung, dass das Ueborstehen 
gewisser Infectionskrankheiten dem Organismus gegen eine zweite Infection 
Immunität verleiht, hat hauptsächlich zwei Erklärungen gefunden, die che¬ 
mische Umwandlungen im Körper, bedingt durch die erste bacterielle In¬ 
vasion, annahmen. 1) Die in den Körper eindringenden Bacterien sollen 
durch ihren Stoffwechsel Substanzen in ihm erzeugen, deren Anhäufung 
ihnen schliesslich selbst zum Schaden gereicht (vgl. Gott brecht: Zur anti¬ 
septischen Eigenschaft des Ammoniaks; diese Wchsclir. No. 29, p. 601), wo¬ 
durch die erste Infection besiegt und eine Wiederholung auf längere 
Zeit verhindert wird, da jene Substanzen lange im Körper verweilen. 
Diese Stoffe wären also Antidote der Bacterien. — 2) Nach der zweiten 
Theorie sollen die Bacterien die Stoffe, durch die sie leben und vegetiren, 
aufzehren, wodurch ebenfalls die Krankheit aufhört, und da diese Stoffe 
sich nur langsam ersetzen, eine Wiederholung der Infection hinausgeschoben 
oder verhindert wird. — Pasteur, ehemals Anhänger der zweiten Theorie, 
kam durch seine Erfahrungen bei der Hundswuthimpfung zu der Erkenntniss, 
dass er nicht nur das hypothetische Virus der Lyssa, sondern*’vor allem 
(besonders in dem am meisten abgeschwächten Vaccin) eine chemische 
Substanz mitüberimpfte, der wohl am ehesten die Immunität verleihende 
Kraft zuzuschreiben sei. Pasteur suchte diese neugewonnene Erkenntniss 
durch Experimente zu stützen. Seinen Schülern Roux und Chamber¬ 
land gelang 1887 der Nachweis, Meerschweinchen gegen das maligne 
Gedern immun gemacht zu haben, durch Injection von Ptomainen, die 
von dem Bacillus des malignen Oedems selbst erzeugt werden. Sie wiesen 
nach, dass die in den Culturen des Bacillus sich bildenden Substanzen 
dessen weiteres Wachsthum verhindern. Denselben Nachweis für eine Reihe 
anderer Mikroorganismen hat Garre bereits im Mai 1887 geführt (Vortrag 
im är/.tl Uentralverein zu Basel „Geber Antagonisten unter den Bakterien“). 
Ferner machten Roujx und Chamberland Meerschweinchen durch Injection 
sterilisirter Bacillenculturen von Vibrion septique gegen spätere Impfung mit 
einer virulenten Cultur immun. Thiere, denen weniger als 80 g dieser 
Substanzen injicirt waren, erlagen der nachherigen Impfung. Den Pbago- 
cyten dürfte danach bei der Immunität wohl kaum eine wichtige Rolle zu¬ 
fallen. In ähnlicher Weise machte Roux Meerschweinchen gegen Rausch¬ 
brand immun. Ein Theil der Meerschweine, die gegen Rauschhrand immun 


gemacht waren, widerstanden nun auch der Impfung mit dem Bacillus de« 
malignen Oedems Aehnliche Versuche sind von französischen und deut¬ 
schen Forschern in Bezug auf den Bacillus des Typhus abdominalis gemacht 
worden. Sie ergaben, dass, wie der Körper sich an steigende Dosen der 
Alkaloide (Morphium, Strychnin) gewöhnen kann, er ebenso toxische Dosen 
dieser Stoffwechselproducte überwinden lernen wird. Endlich hat Chau- 
veau selbst, der Begründer der chemischen Theorie der Immunität, weitere 
Daten zu ihrer Begründung beigebracht. Einmal, dass durch Präventiv- 
impfung vorbereitete Thiere grossen Quantitäten virulenten Milzbrandgiftes 
dennoch erliegen; dann die Thatsache, dass nougeborene, von milzbrand- 
kranken Müttern abstammende Lämmer sich gegen diese Krankheit refraetär 
verhalten. Nach Brauell und Davaine sollten die Bacillen von der Pla- 
centa gewissermaassen abfiltrirt. werden: so lag es nahe, die Immunität der 
Lämmer durch Uebergang löslicher Stoffe in ihre Gewebssäfte zu erklären. 
Es liegen jedoch auch Mittheilungen vor, wonach auch Bacillen bei Milz¬ 
brand in’s fötale Blut gelangen, indessen sind diese Verhältnisse noch ge¬ 
nauer zu studiren. 

— Cholera. Während des Monats Juni hat in der Stadt Calcutta 
die Zahl der wöchentlichen Choleratodesfälle im Vergleich zu den vorher¬ 
gehenden Monaten dieses Jahres beträchtlich abgenommen. Aus der am 
2. Juni endigenden Berichtswoche waren noch 37 Todesfälle gemeldet, iu 
den folgenden vier Wochen betrug deren Zahl nur 25, 11, 8 und 7. — ln 
Cashmere ist nach einer Mittheilung vom 27. Juni die Seuche im Er¬ 
löschen. (Veröff. d. Kais. Ges.-A.) 

— Universitäten. Leipzig. Zum Rector für das Studienjahr 
1888/1889 wurde der Professor der Hygiene Dr. F. Hofmann gewählt. — 
Wien. I)r. J. Wagner hat sich als Privatdoceut für Geisteskrankheiten 
habilitirt. — Prag. Dr. C. Chodounski hat sich als Privatdocont für 
Pharmakologie und Toxikologie habilitirt. — Budapest. Prof. Geza Antal 
hat die Abtheilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Rochusspital 
erhalten. — Amiens. Dr. Mollien, bisher Professor der Anatomie, hat den 
Lehrstuhl für klinische Medicin erhalten. 


XV. Personalien. 

Preusseu: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, den Sanitätsräthen Dr. Lange und Dr. Grempler 
zu Breslau den Charakter als Geheimer Sanitätsrath zu verleihen, sowie die 
Allerhöchste Genemigung zu der von Sr. Hoheit dem Fürsten von Hohen- 
zollern beschlossenen Verleihung des Ehrenkreuzes III. Kl. des Fürstl. Hohen- 
zollern’sohen Hausordens an den Wundarzt I. Kl. Schanz zu Sigmaringen zu 
erthcilen. — Ernennung: Der prakt. Arzt Dr. Heise zu Sehwetz ist zum 
Kreis-Physikus des KreisesBriesen ernannt worden, Bez.-Arzt I.Cl.Dr. A.Groe- 
ber in Kitzing z. Bez.-Arzt I. CI. iu Aichach, Der prakt. Arzt Dr. Eysoldt 
zu Owinsk ist zum Kreis-Wundarzt des Kreises Merseburg ernannt worden. 
— Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Iluerthie und Sander in Breslau, 
Rumbold in Garz a./R., Dr. Tarnowski, Dr. Wertheim, Dr. Dierbach, 
Less, Dr. Kroeuig u. Dr. Stoeckel in Berlin, Dr. Flicek in Obersitzko. 
Dr. Pcyser in Schwersenz, Dr. Szafarkiewicz in Stralkowo, Dr. Schle¬ 
singer in Kempen, Dr. Tetzlaff in Kurnik, Dr. Beckmann in Broich, 
Dr. Neitkemper in Wesel, Dr. Schnedel in Duisburg, Dr. Alsdorff in 
Seidorf, Moll in Polch, Dr. Wirz in Adenau, Dr. Cunze in Engers. Der 
Zahnarzt Seligmann in Berlin. — Verzogen sind: Von Berlin die 
Aerzte: Dr. Strecker nach Dalldorf, Dr. Ancke nach München, Dr. 
Bardach nach Kreuznach, Dr. Bertram, Dr. Beselin nach Hamburg, 
Blumenthal nach Darmstadt, Dr. Gramer, Dr. Feibes, Dr. Decker nach 
Bromborg, Dr Filter nach Johannisthal, Dr. Hartwig nach PaDkow, Dr. 
Hoyl nach Schöneberg, Jourdan nach Mainz, Dr. Kiderl en nach Hamburg. 
Dr. Klopstech nach Meiningen, Dr. Kröche nach München, Dr. Lauffs 
nach Bonn. Dr. Mauke nach Jarinen, Morian nach Essen, Dr. Neuendorf 
nach Brasilien, Dr. Pauly nach Pirna, Sanit.-Rath Dr. Rigler nach Han¬ 
nover, Dr. Sarganech nach Stettin, Dr. Schaeffer nach Metz, Schlegel, 
Dr. Ludwig Schulz nach Spandau, Dr. Martin Schulze nach Walsrode. 
Dr. Stratz nach Frankfurt a. M., Dr. Co huste in nach Charlottcnburg. 
Die Aerzte: Dr. Adler von Wohlau nach Berlin, Dr. Dankert von Wülfel 
nach Barby, Dr Ernst von Brakei nach Duisburg, Dr. Kerle von Essen 
nach Brakei, Dr. Friedrich Wolff von Weilburg nach Baumholder, Dr. 
Aronsohn und Dr. Kohn, beide von Berlin nach Ems, Dr. Jacobi von 
Bockenheim nach Falkenstein, Dr. Debold von Echternacherbrück nach 
Bockenheim, Stabsarzt a. D. Dr. Freusdorf von Bayreuth nach Bockenheim, 
Dr. Kirberger von Frankfurt a. M., Dr. Mauk von Biedenkopf nach 
Battenberg, Dr. Wiederstadt von Battenberg nach Dillenburg, Dr. 
Füssenich von Kessenich nach Altenahr, Scheller von Bitburg nach 
Düren, Dr. Moeller von Göttingen nach Green (Braunschweig), Dr. Mueller 
von Siegburg nach Gross-Schneen, Dr. Braun sc hi Id von Bochum nach 
Berlin, Privatdoc. Dr. Thomson von Berlin als Direktor der Hertz’sehen 
Priv.-Irren-Anstalt nach Bonn, Dr. Dämmer von Oedt nach Süchteln, 
Hoerich von Schivelbein nach Witzhelden, Bodenbach von Elberfeld. 
Dr. Sander von Krefeld nach Reicholdsgrün i. S., Dr. Simon von Elber 
feld nach Köln, Assist.-Arzt Dr. Brugger von Burg Hohenzollern nach 
Karlsruhe i /B., Dr. Schincke von Stroppen nach Usedom, Dr. Kremer 
von Pasewalk nach Stettin, Dr. Mose von Pasewalk nach Brussow, Dr. 
Henzschel von Pyritz nach Plaue, Dr. Tannen von Züllchow nach 
Emden, Dr. Ko walk von Stettin nach Reichenbach, Dr. Pfeiffer von 
Stettin nach Rastatt, Dr. Eschricht von Kiel nach Stettin, Dr. Winckler 
von Stettin, Schreiber von Potsdam nach Stettin, Dr. Specht von Leipzig 
nach Grumbach, Dr. Debold von Echternacherbrück, Dr. Bremer von 
Greifswald nach Beverungen, Dr. Claessen von München nach Aachen. 
Oberstabsarzt Dr. Hellwig von Glogau nach Königsberg i. Pr., Dr. Ge nee 
von Labiau nach Liska-Schaaken, Dr. Samuel von Liska-Schaaken nach 
Amerika, Dr. Lun au von Allenstein nach Mensguth. 


Gedruckt bet Julius 8ittenfeld ln Berlin W. 


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Donnerstae JW 34 . 23. August 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thlerae, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber die Folgen der Herzklappenfehler 
fiir den Kreislauf und deren Compensation. 
Von Prof. Th. ?. Dusch. 

In No. 20 der Berl. klin. Wochenschrift d. J. hat Herr Pro¬ 
fessor Riegel einen Aufsatz „Zur Lehre von den Herzklappenfehlern“ 
veröffentlicht. Wir begegnen in demselben folgenden, im vollsten 
Gegensätze zu den bis jetzt am Krankenbette gewonnenen Erfah¬ 
rungen und den bisher geltenden Anschauungen stehenden Aus¬ 
sprächen, nämlich: „Zwischen Insufficienz und Stenose be¬ 
steht in Bezug auf die physiologische Functionsstörung 
ein principieller Unterschied“, und damit in Zusammenhang: 
„Die Insufficienz einer Klappe schädigt zunächst den 
Kreislauf nicht, sie bewirkt keine ungleiche Blutver¬ 
th eilung im Arterien- und Venensysterae, sie stellt zu¬ 
nächst nur eine Luxusarbeit dar. Die Stenose bewirkt 
vom Beginn an ungleiche Blutvertheilung, sie schädigt 
von Anfang an den Kreislauf; oder mit anderen Worten: 
Jede Insufficienz hat vermehrten Kraftverbrauch zur 
Folge, der nutzlos ist, insofern er nicht dem Gesamrat- 
kreislaufe zu Gute kommt, jede Stenose bewirkt von An¬ 
fang an eine Aenderung im Kreisläufe“. „Diese Sätze 
gelten keineswegs nur für eine einzelne Klappe, sondern 
fiir alle Insufficienzen und Stenosen, sie mögen an wel¬ 
cher Klappe immer ihren Sitz haben.“ 

Bei der Wichtigkeit, welche unsere Anschauungen in dieser 
Sache in Bezug auf Diagnose und Therapie der Klappenfehler haben, 
scheint es mir angemessen und gerechtfertigt, die Richtigkeit dieser 
von Herrn Riegel aufgestellten Sätze etwas näher zu prüfen. 

Bei der Betrachtung der Kreislaufverhältnisse dürfte es zweck¬ 
mässig sein, gewisse Voraussetzungen, welche dabei in’s Gewicht 
fallen, in’s Gedäclitniss zurückzurufen. Die Arbeitsleistung des 
Herzens für den Kreislauf besteht darin, durch eine veränderte Blut¬ 
vertheilung zwischen Venen und Arterien bestimmte mittlere 
Druckunterschiede herzustellen, in deren Folge die Blutbewegung 
zu Stande kommt. Die Intensität der letzteren, d. h. die Menge 
von Blut, welche innerhalb einer gegebenen Zeit durch einen Quer¬ 
schnitt des Gefässsystems fliesst, hängt ab von der zwischen Ar¬ 
terien und Venen bestehenden mittleren Spannungsdifferenz, unter 
der Voraussetzung, dass die vorzugsweise in den Capillaren vor¬ 
handenen Widerstände sich gleich bleiben. Zu einer normalen Er¬ 
nährung der Organe und zur Erhaltung ihrer Functionen ist aber 
die Zu- und Abfuhr einer bestimmten Blutmenge innerhalb einer 
gegebenen Zeit durchaus nothwendig. Endlich darf man nicht ver¬ 
gessen, dass ein dauernder Kreislauf in geschlossenen Röhren, wie 
er in dem Organismus besteht, nur dann möglich ist, wenn die 
Menge des Blutes, welche innerhalb einer gegebenen Zeit den Quer¬ 
schnitt des Gefässsystems durchströmt, an allen Stellen dieselbe ist. 

Nehmen wir der leichteren Anschauung wegen zunächst an, 
es bestehe ein einfaches Herz mit einer Kammer und einem Vor- 
hofe, verbunden mit einem Arterien- und Venensystem, zwischen 
welchen die Capillaren eingeschaltet sind. Durch die rhythmischen 
Zusammenziehungen der Kammer, welche bei jeder Contraction ihren 
Inhalt in die Arterien treibt, ist ein bestimmter constanter Druck¬ 
unterschied zwischen Venen und Arterien, und damit ein dauernder 
Kreislauf hergestellt, wenn die arteriellen und venösen Klappen 
normal functioniren. Setzen wir nun den Fall, es entstehe z. B. 
durch Zerreissung von Sehnenläden oder eines Klappensegels plötz¬ 


lich eine Insufficienz der venösen Klappe, so wird bei der nächst¬ 
folgenden Systole des Ventrikels ein Tbeil seines Inhaltes in den 

Vorhof regurgitiren. Drückt man diesen Theil durch den Bruch ^ 
aus, so wird von dem normalen Ventrikelinhalt, den wir mit V be¬ 
zeichnen wollen, nur noch V—V^ oder V(l—£) in die Aorta ausge¬ 
trieben werden, während v£ in den Vorhof zurückfliesst. Während 
der nun eintretenden Diastole strömt dem Vorhofe und dem Ven¬ 
trikel die durch die letzte unter normalen Verhältnissen erfolgte 
Systole ausgetriebene Blutmenge V aus den Venen zu. Der Ven¬ 
trikel enthält nun die Menge V+V-£ oder V Bei der 

nächsten Kammersystole wird hiervon wieder der ^ Theil, d. h. 
V(l+^)^ in den Vorhof regurgitiren, während die in die Aorta 
ausgetriebene Blutmenge, die wir mit V 1 bezeichnen wollen, dem ver- 
grösserten Ventrikelinhalte V (1 + b ) weniger der regurgitirenden 

Blutmenge V(l+ entspricht oder V 1 = V(1—^). Dieses Blut¬ 
quantum wird wieder aus den Arterien in die Venen und in den 
Vorhof und Ventrikel gelangen. Der Ventrikel wird somit während der 

nächsten Diastole an Blut enthalten V (1 +£)-£+ V(1 —i»)=V(l+r) 
oder wieder dieselbe Blutmenge, wie bei der vorhergehenden Diastole. 
Das durch die Aorta ausgetriebene Blutquantum V 1 , die regurgi- 
tirende Blutmenge R und der Inhalt des Ventrikels bei der 
Diastole J bleiben von nun an constaut und werden durch nach¬ 
stehende Formeln ausgedrückt: 

I. \n = V (l -£), II. R = V (1 + J)J und III. J = V (1 -f-^). 1 ) 
der Zustand des Kreislaufes ist wieder ein beharrlicher geworden, 
es fliesst wieder in einer gegebenen Zeit dieselbe Blutmenge durch 
jeden Querschnitt des Gefässsystems. Allein dieser neu etablirte 
Kreislauf weicht wesentlich von dem früheren ab, die Blutver¬ 
theilung ist eine andere geworden, die Arterien enthalten weniger 

Blut, da V (1— b ,) stets kleiner bleibt als V; die Spannung in 
denselben sinkt, die Venen enthalten dagegen mehr Blut, der Druck 
in denselben nimmt zu, die Intensität des Kreislaufs ab; der Ven¬ 
trikel und der Vorhof werden mit Blut überfüllt und erweitert. 

Ganz in derselben Weise gestalten sich die Kreislaufverhält¬ 
nisse bei der Stenose der venösen Mündung. Wenn der Vor¬ 
hof die in ihm enthaltene normale Blutmenge nicht vollständig durch 
die verengte Oeffnung in den Ventrikel zu treiben vermag, so bleibt 

ein Theil von jener, d. h. V£ im Vorhofe zurück, der Ventrikel 

empfängt nur V(l — -£-) und kann auch nicht Mehr in die Aorta 
treiben, in den Vorhof kommt noch einmal die Blutmenge V, her¬ 
rührend von der letzten unter normalen Verhältnissen erfolgten 

Ventrikularsystole, der Blutgehalt des Vorhofes steigt auf V(1 -f- ^), 
wovon dann wieder b im Vorhofe Zurückbleiben und V(1—in 
den Ventrikel gelangen und in die Arterien ausgetrieben werden u. s. f. 


*) Absolut genau sind allerdings diese Formeln nicht, denn die Be¬ 
trachtung zeigt, dass ein beharrlicher Zustand sich im Kreisläufe erst nach 
einer gewissen Anzahl von Herzcontractionen einstellen wird. Die Differen¬ 
tialgleichung, welche dieses zum Ausdruck bringt, ist jedoch eine sehr com- 
plicirte und der Unterschied im Resultate so minimal, dass derselbe voll¬ 
kommen vernachlässigt werden kann. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34 


Nur für das Herz sind die Folgen der Stenose andere, insofern 
als die Blutanhäufung und Dilatation ausschliesslich den Vorhof 
betrifft, während der Ventrikel weniger Blut enthält und sich dem¬ 
gemäss verkleinert. Zu denselben Ergebnissen gelangt man bei 
einer ähnlichen Betrachtung der Verhältnisse bei der Insufficienz 
und der Stenose an der arteriellen Oeffnung des Ventrikels. Bei 
der Insufficienz der arteriellen Klappen regurgitirt von vorn¬ 
herein Vjj- bei der Diastole in den Ventrikel, dessen Blutgehalt 
unterdessen auf V (1 + angewachsen ist, hiervon regurgitirt 
bei der nächsten Diastole wiederum der £-Theil in den Ventrikel etc., 
und die schliesslich constant von diesem in die Arterien getriebene 
Blutmenge wird wieder durch die Formel V(l—ihren Aus¬ 
druck finden. Der Kreislauf wird in derselben Weise verändert 
resp. geschädigt, wie bei den'Fehlern am Ostium venosum, für das 
Herz dagegen ist eine Erweiterung des Ventrikels die Folge, weil 
derselbe bei der Diastole ein grösseres Blutquantum, nämlich 

V(l-}—£-) empfängt; der Vorhof bleibt dagegen ausser Spiel. Ent¬ 
steht eine Stenose an der arteriellen Mündung, so kann durch die 
verengte Oeffnung nur ein Theil des Ventrikelinhalts ausgetrieben 
werden, indessen V im Ventrikel zurückbleibt. Auf Grund dieser 
Anschauung kommen wir abermals zu dem Resultate, dass auch 
bei der Verengerung der arteriellen Mündung auf die Dauer nur 
ein Blutquantum in die Arterien gelangt, wie es durch die Formel 

V(l— ^j) ausgedrückt wird. Es treten also auch bei diesem Fehler 
genau dieselben Folgen für den Kreislauf ein wie bei allen vorher¬ 
genannten; am Herzen aber entsteht, wie bei der Insufficienz der 
venösen und arteriellen Klappen, eine Erweiterung, welche den 
Ventrikel, nicht aber den Vorhof betrifft. 

Als Gesammtergebniss folgt aus den vorstehenden Betrach¬ 
tungen der Schluss: jeder Klappenfehler, gleichviel ob In¬ 
sufficienz oder Stenose, mag er seinen Sitz an der ve¬ 
nösen oder arteriellen Klappe haben, schädigt von An¬ 
fang an principiell den Kreislauf, indem er die Arbeits¬ 
leistung des Herzens für den letzteren herabmindert und 
eine veränderte Blutvertheilung im Gefässsystem zur 
Folge hat, ein Schluss, der gerade das Gegentheil von dem aus¬ 
spricht, was Herr Prof. Riegel in den von ihm aufgestellten und 
Eingangs erwähnten Sätzen behauptet. 

Im weiteren Verfolge seines Aufsatzes entwirft Herr Prof. 
Riegel alsdann ein Bild der Vorgänge bei der Mitralinsufficienz, 
aus welchem hervorgeht, dass die in Folge dieses Klappenfehlers 
eintretende Erweiterung der linken Kammer und des linken Vor¬ 
hofes allein genügen soll, um eine vollständige Compensation des 
Fehlers herbeizuführen. 1 ) Ich nehme daraus Veranlassung, etwas 
näher auf die Vorgänge bei der Compensation dieses Klappen¬ 
fehlers, sowie auch der übrigen einzugehen. — Was versteht man 
zunächst unter Compensation? doch wohl nichts Anderes, als die 
vollständige Wiederherstellung der normalen Kreislaufverhältnisse 
im Gefässsystem. Sehen wir zu, in wie weit eine solche Aus¬ 
gleichung bei den verschiedenen Klappenfehlern möglich ist und auf 
welche Weise dieselbe zu Stande kommt. 

Beginnen wir mit dem häufigsten Klappenfehler, der Insuf¬ 
ficienz der Mitralis, so ist sofort aus der Formel I, V 1 = V 

(1— b ,), zu ersehen, dass V 1 , d. h. die in das Aortensystem bei 
diesem Klappenfehler ausgetriebene Blutmenge, stets kleiner sein 
muss, als V, als das unter normalen Verhältnissen in die Aorta ge¬ 
langende Blutquantum. Es wird also nicht, wie Riegel sagt, „etwa 
die Normalraenge“, sondern stets weniger Blut in die Arterien 


*) Dass die Erweiterung und die daraus erfolgende Hypertrophie des 
linken Ventrikels zu der Compensation der Mitralisinsufficienz wesentlich 
beiträgt, habe ich schon in meinem im Jahre 1868 erschienenen Lehrbuche 
der Herzkrankheiten p. 204 erörtert. Aus der Formel V 1 = V(1 —^), 

welche die Menge des bei Mitralinsufficienz in die Aorta gelangenden Blutes 
ausdrückt, geht dies ebenfalls hervor. Nimmt man an, dass z. B. x /z des 
Blutes in den Vorhof regurgitirt, so wird darnach der Ventrikel nicht um 
ein Dritttheil, sondern nur um ein Neuntel in seiner Leistung geschädigt, 
da alsdann V — '/» der ursprünglichen Blutmenge in die Aorta getrieben 
wird, */9 des Ausfalles werden also durch die Dilatation und Hypertrophie 
des linken Ventrikels gedeckt. In Bezug auf die Entstehung der Hyper¬ 
trophie des Herzmuskels will ich bei dieser Gelegenheit nur darauf hin- 
weisen, dass eine solche fast immer die Folge einer vorangegangenen Dila¬ 
tation der Höhle ist, welche durch Dehnung des Muskels und den Reiz 
des in der Höhle vorhandenen vermehrten Blutquantums den Muskel zu 
vermehrter Thätigkeit anregt, nicht aber durch ein etwa vorhandenes Hin¬ 
derniss für die Fortbewegung des Blutes der Herzmuskel gleichsam in- 
stinctiv zu einer vermehrten Thätigkeit angetrieben wird, eine Vorstellung, 
die zwar auf den ersten Anblick plausibel erscheint, aber naturwissen¬ 
schaftlich durchaus unhaltbar ist. 


gelangen; man ersieht aber auch, dass eine völlige Wiederherstellung 
des grossen Kreislaufs durch die am Vorhofe und dem Ventrikel 
eingetretene Dilatation allein nicht möglich ist. Sollen die Verhält¬ 
nisse im grossen Kreisläufe wieder normal werden, so muss die 
Aorta wieder die normale Blutmenge V, anstatt V 1 erhalten. Damit 
dieser Fall eintrete, müsste der Ventrikelinhalt, von welchem der 

b Theil in den Vorhof regurgitirt, bei der Diastole anstatt V (1 -f- £-) 
V 

zu sein, » betragen. 1 ) Würde also z. B. die Insufficienz derart 
1— ¥ 

sein, dass ein Dritttheil des Ventrikelinhalts jedesmal in den Vorhof 
regurgitirt, d. h. £ sein, so müsste, damit die normale Menge 

1—— 2 
1 3 


Blutes in die Aorta getrieben werde, der Ventrikelinhalt 


14 

sein, derselbe ist aber thatsächlich nur V -f- (1 3 ), oder 3 V. Zur völligen 

Ausgleichung im grossen Kreisläufe muss also der Ventrikel V, d. h. ein 
Sechstheil des normalen Ventrikelinhalts mehr an Blut enthalten, als er 
wirklich nach eingetretener Dilatation besitzt. Dieses Plus von Blut, des¬ 
sen Anwesenheit zur vollständigen Compensation des grossen Kreisläufe 

V 

im Ventrikel nothwendig ist und durch die Formel T — V (1 -f- -£-) 


oderV 


ai 


i-b 


i-b 


ausgedrückt werden kann, vermag sich aber der durch 


die Insufficienz der Mitralis in seiner Leistungsfähigkeit geschädigte 
Ventrikel trotz aller Dilatation und nachträglichen Hypertrophie aus 
eigener Kraft niemals zu verschaffen, denn der Ventrikel feilt sich 
darum nicht stärker mit Blut. Dieses zur vollständigen Compen¬ 
sation im grossen Kreisläufe nothwendige Plus muss daher dem Ven¬ 
trikel auf andere Weise zugefehrt werden, und dieses geschieht 
durch die gesteigerte Arbeitsleistung des Ungeschädigten 
rechten Ventrikels. Dieses wird durch folgende Vorgänge ein¬ 
geleitet: empfängt bei der Insufficienz der Mitralis, wie wir nach¬ 
gewiesen haben, das System der Körperarterien weniger Blut, so ist 
davon die nothwendige Folge eine andere Blutvertheilung in den 
verschiedenen Abschnitten des Circulatiousapparates, die Blutmenge, 
welche in dem Arteriensystem weniger enthalten ist, vertheilt sich 
in die Körpervenen, die Lungenarterien und die Lungenvenen und 
während seiner Diastole auch auf das zwischen Körpervenen und 
Lungenarterien eingeschaltete rechte Herz; die Spannung in den 
genannten Abschnitten des Gefässsystems wächst; zum Beweis hierfür 
findet man bei frisch entstehender Mitralisinsufficienz die sichtbaren 
Körpervenen schon stärker gefeilt, und das Ohr vernimmt bereits 
eine Verstärkung des zweiten Pulmonaltons. * 2 ) Der rechte Ventrikel 
treibt seinen vermehrten Inhalt durch die Lungenarterie und die 
Lungenvenen in das linke Herz und liefert so das nothwendige Plus. 
Eine Dilatation des rechten Herzens gehört daher zu den 
unmittelbaren Folgen einer Mitralinsufficienz. Da aber 
die Systole des rechten und linken Ventrikels gleichzeitig erfolgt, 
letzterer aber bei der Insufficienz der Mitralis mit dem Vorhofe eine 
gemeinsame Höhle bildet, in welcher das Blut unter dem hohen 
Drucke des sich contrahirenden linken Ventrikels steht und sogar 
Blut in die Lungenvenen zurückgeworfen wird, so ist die Entleerung 
dieser letzteren in hohem Grade erschwert. Soll also der linke 
Ventrikel das Plus, welches zur vollständigen Compensation des 
grossen Kreislaufs nothwendig ist, erhalten, so kann dieses nur durch 
eine gesteigerte Leistung des rechten Ventrikels geschehen, d. h. 
durch dessen Hypertrophie, welche sich aus der anfänglich vorhan¬ 
denen Dilatation entwickelt und bekanntlich vorzugsweise im Conus 
arteriosus dexter angetroffen wird. Ist einmal die Compensation auf 
diese Weise hergestellt, so wird das Körperarteriensystem wieder in 
normaler Weise mit Blut versorgt, das Körpervenensystem ebenfalls 
wieder die normale Füllung und Spannung zeigen, während dagegen 
Lungenarterien und Lungenvenen sehr stark gefüllt sind und unter 
einer hohen Spannung stehen; in Folge dessen ist der 2. Pulmonal¬ 
ton ausserordentlich verstärkt zu hören; die normale Intensität des 
Kreislaufs ist wieder hergestellt. Eine vollständige Compen- 

') Die Ableitung dieser Formel ergiebt sich aus folgender Gleichung: 

V (1-g): V(1 + £)=V:X 

ni+£) v 

2 ) Die Gründe, weshalb die veränderte Blutvertheilung in der ange¬ 
gebenen Weise geschieht, habe ich früher in meiner Arbeit „Ueber die Ver¬ 
änderungen des Seitendrucks im Gefässsystem in Folge von Störungen der 
Herzthätigkeit“ (Archiv des Vereins für gemeinschaftl. Arbeiten f. wissensch. 
Heilkunde Bd. I, p. 318) näher ausgeführt. 


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23. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


691 


sation erfolgt aber, wie wir sehen, nur für den grossen 
Kreislauf, und zwar auf Kosten einer hohen Spannung 
im kleinen Kreisläufe und einer Hypertrophie des rechten 
Ventrikels; sie ist demnach eine gemischte, weil sie durch 
Hypertrophie und Dilatatiou des linken Ventrikels und Vorhofs und 
Hypertrophie des rechten Ventrikels hergestellt wird. Wird die 
einmal auf diese Weise bewirkte Compensation wieder gestört, was 
um so leichter geschieht, als sich der Zustand des Kreislaufs unter 
diesen Umständen in einem sehr labilen Gleichgewichte befindet, und 
dem Herzmuskel, der mit dem Aufwande aller seiner ihm zu Gebote 
stehenden Kräfte arbeitet, keine weitere disponible Kraft zu Gebote 
steht, wie dieses ira normalen Zustande der Fall ist, so sehen wir 
sofort wieder eine stärkere Füllung und eine Dilatation des rechten 
Herzens, namentlich des rechten Vorhofs eintreten, die Verstärkung 
des 2. Pulmonaltons nimmt ab, die Dämpfung rechts vom Sternum, 
vom dilatirten rechten Vorhofe herrührend, nimmt an Breite zu. 
Gelingt es, die Compensationsstörung zu beseitigen, so werden die 
eben genannten Erscheinungen wieder rückgängig. Gelingt es aber 
nicht, so wächst die Compensationsstörung, und es tritt das bekannte 
finale Stadium aller Herzfehler ein, die Dilatation des rechten Ven¬ 
trikels wächst nicht selten bis zu dem Grade, dass die Zipfel der 
Tricuspidalklappe das rechte Ostium venosum nicht mehr zu schliessen 
vermögen, und eine sogen, relative Insufficienz der Tricuspidalis ent¬ 
steht. Die Füllung und Spannung im Hohlvenensystem und alle 
daraus resultirenden Folgen, Cyanose, Leberschwellung, Hydrops etc. 
erreichen die höchsten Grade, die Verstärkung des 2. Pulraonaltons 
verschwindet gänzlich, weil der in seinen Leistungen nun in hohem 
Grade geschwächte rechte Ventrikel nur eine ungenügende Blut¬ 
menge in den Lungenkreislauf zu treiben vermag. Was die Com¬ 
pensation bei der Stenose des Ostium venosum sinistrum betrifft, 
so erfolgt dieselbe unter weit ungünstigeren Verhältnissen, als bei 
der Insufficienz der Mitralis. Sind anch die Folgen der ersteren 
für den Kreislauf von Anfang an dieselben, so fällt bei ihrer Com¬ 
pensation die Mithülfe des muskelkräftigen linken Ventrikels weg, 
welcher bei der Insufficienz der Mitralis einen beträchtlichen Theil 
der Arbeit übernimmt. Eine vollkommene Compensation ist daher 
weit schwieriger, denn um eine solche zu erreichen, muss durch das 
verengte Ostium venosum sinistrum wieder die normale Blutmenge 
innerhalb einer gegebenen Zeit in den linken Ventrikel gelangen. 
Hierzu ist die auf das Ende der Kammerdiastole fallende kurze 
Systole des von Blut überfüllten und erweiterten, später auch hyper¬ 
trophischen linken Vorhofs nicht im Stande, es muss auch während 
der übrigen Zeit der Kammerdiastole ein hoher Blutdruck in dem 
Vorhofe herrschen, damit das oben erwähnte, zur völligen Compen¬ 
sation nothwendige Resultat erzielt werde. Da bei der Stenose des 
Mitralostiums dieselbe veränderte Blutvertheilung wie bei der In¬ 
sufficienz eintreten wird, so wird auch hier durch die Dilatation des 
rechten Herzens zunächst eine vermehrte Blutzufuhr zum linken Vor¬ 
hofe und durch Hypertrophie des rechten Ventrikels ein höherer 
Druck in der Lungenarterie und den Lungenvenen zu Stande 
kommen. Ob dieser aber den Druck im linken Vorhof bei einer 
erheblichen Stenose des Mitralostiums wird auf die Dauer so steigern 
können, um eine völlige Compensation, d. h. die normalen Verhält¬ 
nisse im grossen Kreisläufe herzustellen, ist mir fraglich. Hiermit 
steht auch die Thatsache in Zusammenhang, dass bei einer Stenose 
der linke Ventrikel, weil er zu wenig Blut empfängt, eine concen- 
trische Atrophie darbietet. Denn es fällt fast die ganze vermehrte 
Arbeit dem rechten Ventrikel zu, nur ein kleiner Theil wird von 
dem linken Vorhof geleistet. Es ist daher leicht einzusehen, dass die 
Spannung im Lungenkreislauf, die Verstärkung des 2. Pulmonaltous 
und die Hypertrophie des rechten Ventrikels bei einer, wenn auch 
nur annähernd compensirten Mitralstenose einen weit höheren Grad 
erreichen müssen, als bei der Insufficienz. Dass auch hier die Com¬ 
pensation eine gemischte ist und nur im grossen Kreisläufe auf 
Kosten einer sehr hohen Spannung im Kleinen zu Stande kommen 
kann, bedarf keiner weiteren Erläuteruug ebenso, dass unter solchen 
Verhältnissen eine einmal erzielte Compensation leichter gestört wird 
und alle Folgen einer solchen rascher eintreten müssen als bei der 
Mitralinsufficienz. ln prognostischer Hinsicht ist eine Stenose an 
dieser Stelle weit bedenklicher als eine Insufficienz. 

Wenden wir uns zur Betrachtung der Insufficienz der 
Aortenklappen und deren Compensation, so liegen die Verhält¬ 
nisse so, dass der muskelkräftige linke Ventrikel auch bei uncom- 
pensirtem Fehler seinen vollen Inhalt in die Aorta austreiben kann, 
von welchem ein Bruchtheil wieder in den linken Ventrikel zurück¬ 
strömt; die Arbeitsleistung für den Kreislauf wird dadurch vermin¬ 
dert, der mittlere Blutdruck im Arteriensystem sinkt, wie aus der 
früheren Darstellung hervorging. Da der Ventrikel in Summa we¬ 
niger Blut austreibt als in der Norm, so empfängt er auch weniger, 
es fehlt ihm das nöthige „Plus“ zur völligen Ausgleichung, wie bei 
der Mitralinsufficienz. Dieses „Plus“ kann er sich nicht aus eigener 
Kraft verschaffen, auch hier ist es wieder die veränderte Blutver¬ 


theilung in Folge der Abnahme der mittleren Spannung im Aorten¬ 
system, welche ihm dazu verhelfen muss; es ist die bei anfänglich 
uncompensirter Insufficienz eintretende Erweiterung des rechten 
Herzens, welche so lange dem linken Vorhofe und damit auch dem 
linken Ventrikel das nothwendige Mehr an Blut liefert, bis die Com¬ 
pensation völlig hergestellt ist. Die Arbeit des rechten Ventrikels 
während dieser Zeit ist begreiflicherweise eine weit geringere als 
bei der Mitralinsufficienz oder gar bei der Mitralstenose, da dem 
Abflüsse des Blutes in den linken Vorhof bei schliessungsfähiger 
Mitralklappe kein besonderes Hinderniss im Wege steht. Die an¬ 
fänglich vorhandene Drucksteigerung im Lungenkreisläufe und die 
Dilatation des rechten Herzens schwindet, sobald die normalen Ver¬ 
hältnisse im grossen Kreisläufe durch die eingetretene excentrische 
Hypertrophie des linken Ventrikels wieder hergestellt sind. Der 
mittlere Blutdruck in allen Gefässabschnitten, auch in den Lungen- 
gefüssen, und die Intensität des Kreislaufs sind wieder vollkommen 
normal, die Compensation ist allenthalben eine vollständige, weil 
der geschädigte linke Ventrikel schliesslich allein durch seine ge¬ 
steigerte Leistung die Compensation vermittelt. Die Folgen für das 
Herz bestehen bekanntlich in der bereits erwähnten excentrischen 
Hypertrophie des linken Ventrikels, für das Gefässsystem in einer 
Erweiterung des Aortensystems bedingt durch die starke Anfüllung 
desselben mit Blut während der Systole des erweiterten linken Ven¬ 
trikels, der seinen ganzen Inhalt in dasselbe treibt. Prognostisch 
gestaltet sich daher die Aorteninsufficienz verhältnissmässig günstig, 
da die normalen Kreislaufverhältnisse durch die Compensation 
überall wieder hergestellt sind, und der Lungenkreislauf nicht wie 
bei den Klappenfehlern am Ostium venosum sinistrum in Mitleiden¬ 
schaft gezogen wird. Erlischt mit der Zeit die vorhandene Com¬ 
pensation durch krankhafte Veränderungen des Herzmuskels, so 
sieht man dieselben Folgen eintreten wie bei allen anderen nicht 
compensirten Klappenfehlern. 

Was nun endlich die Stenose der Aortenmündung betrifft, 
so liegen bei dieser die Verhältnisse zum Zustandekommen der 
Compensation am günstigsten, da möglicherweise der muskelstarke 
linke Ventrikel von vornherein den an ihn gestellten grösseren An¬ 
forderungen entsprechen kann. Vermag er jedoch dieses nicht, kann 
er nicht sofort seinen ganzen vermehrten Inhalt in die Aorta treiben, 
so wird auch hier wie bei allen bisher geschilderten Klappenfehlern 
am linken Herzen zunächst die Dilatation und vermehrte Leistung 
des rechten Ventrikels dem geschädigten linken das zur Compensation 
nothwendige „Plus“ an Blut liefern; die anfänglich in Folge der 
stärkeren Anfüllung desselben mit Blut und deshalb vorhaudene 
Dilatation des linken Ventrikels führt zur Hypertrophie seiner 
Wandungen, vermöge deren er in den Stand gesetzt wird, die nor¬ 
male Blutmenge auch durch das verengte Ostium in die Aorta zu 
treiben; er bedarf nun keiner weiteren Beihülfe seitens des rechten 
Herzens mehr, die einfache Hypertrophie der Wandungen des linken 
Ventrikels ohne irgend eine erhebliche Dilatation der Höhle genügt, 
um die normalen Kreislaufverhältnisse in allen Abschnitten des 
Gefässsystems wieder herzustellen. Die starken Druckschwankungen, 
wie sie bei der Aorteninsufficienz in den grösseren Körperarterien 
nothwendig eintreten müssen und welche bei dieser gewöhnlich 
früher oder später zur Erkrankung der Gefässwandungen führen, 
fallen bei der compensirten Aortenstenose weg. Dieselbe gewährt 
daher ceteris paribus die günstigste Prognose. Ich habe im Laufe 
der Zeit bei einer ganzen Anzahl von Individuen einfache, un- 
complicirte Verengerungen der Aortenmündung angetroffen, welche 
den Besitzern derselben, obwohl der Fehler schon lange Zeit bestehen 
musste, gar keine Beschwerden verursachten und zum Theil gauz 
zufällig entdeckt wurden. 

Ich will hier nochmals gelegentlich jenes von mir bereits ander¬ 
wärts erwähnten, in den besten Mannesjahren stehenden Engländers 
gedenken, bei welchem seit seinem 10. Lebensjahre ein Herzfehler 
bestand, welcher ihn jedoch nicht hinderte, leidenschaftlich Cricket 
zu spielen und anstrengende Hochgebirgstouren, wie z. B. die Er¬ 
steigung des Monte Rosa, ohne Beschwerden zu vollführen. Der Herz¬ 
fehler erwies sich als eine Stenose des Aortenostiums. 

Aus den vorstehenden Ausführungen ergeben sich nachfolgende 
Schlussfolgerungen: Kein Herzklappenfehler am linken 
Herzen kann compensirt werden ohne eine vorüber¬ 
gehende oder dauernde Mithülfe des rechten Herzens; 
ersteres ist der Fall bei den Fehlern an dem arteriellen 
Ostium, letzteres bei den Fehlern am venösen. Bei 
diesen erfolgt die Compensation nur für den grossen 
Kreislauf auf Kosten einer erhöhten Spannung im 
Lungenkreisläufe, bei jenen kann aber eine Wiederher¬ 
stellung der normalen Kreislaufverhältnisse in allen 
Abschnitten des Gefässsystems durch vermehrte Arbeits¬ 
leistung des linken Ventrikels allein erfolgen. Aus 
diesem Grunde gestalten sich die Fehler am arteriellen 
I Ostium prognostisch günstiger als diejenigen am ve- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34 


nösen Ostium, am arteriellen gewährt die Stenose, am 
venösen die Insufficienz die günstigere Prognose. 

Wenn Herr Prof. Riegel bei der Beantwortung der vou ihm 
gestellten Frage, welches die ersten Anzeichen einer beginnenden 
Compensationsstörung seien, darauf hin weist, dieselben seien vor¬ 
zugsweise am Herzen selbst, nicht aber an der Peripherie zu suchen, 
so bin ich hiermit bis zu einem gewissen Grade einverstanden. Die 
Dilatation des rechten Herzens, namentlich des rechten Vorhofs in 
Folge des steigenden Drucks im Hohlvenensystem, welcher sich so¬ 
fort bei der gestörten Compensation eines jedeu Herzfehlers einstellt, 
ist eines der frühesten Zeichen und macht sich durch die Ver¬ 
breiterung der Herzdämpfung auf der rechten Seite des Brustbeins 
bemerklich; ebenso früh, vielleicht noch früher aber lässt sich an 
der Peripherie die eintretende Compensationsstörung durch die in 
Folge des abnehmenden arteriellen Dreiecks veränderte Absonderung 
des Harns erkennen, worauf Traube bereits aufmerksam gemacht 
hat. Eine stete vergleichende Controlle der Menge und des spec. 
Gewichts dieses Secrets gehört daher meines Erachtens zu den 
wichtigsten Aufgaben bei der Beurtheilung und Behandlung von 
Herzklappenfehlern. — 

Die nicht congenitalen Fehler am rechten Herzen mit Ausnahme 
der erst secundär bei Fehlern am liuken Herzen vorkommenden re¬ 
lativen Insufficienz der Tricuspidalis gehören bekanntlich zu den 
Raritäten. Bei ihnen sind die Wirkungen auf die Blutvertheilung 
in den einzelnen Abschnitten des Gefässsystems wesentlich andere 
wie bei den Fehlern am linken Herzen. Ist der rechte Ventrikel 
in seiner Arbeitsleistung für den Kreislauf geschädigt, so empfangen 
die Lungenarterien und die Lungenveneu weniger Blut, ebenso das 
linke Herz und die Körperarterien, weil sofort der Blutdruck in dem 
Hohlvenensystem, welches den bei weitem grössten und dehnbarsten 
Theil des Gefässapparates bildet und daher eine grosse Menge von 
Blut aufzunehraen im Stande ist, erheblich zunimmt; in allen 
anderen Theilen des Gefässsystems sinkt daher der Blutdruck und 
die Blutfülle. Das rechte Herz aber wird mit Blut überfüllt und 
dilatirt. Die compensatorischen Veränderungen am rechten Herzen, 
werden sich uach denselben Principien entwickeln, wie am linken 
Herzen, nur unter weit schwierigeren und ungünstigeren Verhält¬ 
nissen, weil weder eine vorübergehende noch eine dauernde Mitr 
hülfe von Seiten des linken Ventrikels möglich ist. Dieser sowohl 
als auch die hinter ihm liegenden Lungenvenen und der linke Vor¬ 
hof enthalten weniger Blut als im normalen Zustande, er wird in 
Folge dessen nicht zu einer vermehrten Thätigkeit angeregt, er ist 
daher nicht im Stande, durch eiue Drucksteigerung in den Körper¬ 
arterien dem rechten Herzen das nöthige Mehr an Blut zuzuführen, 
welches zu einer vollständigen Compensation nothweudig wäre und 
so durch ein gesteigertes Maass von Arbeit das zu leisten, was durch 
die Schädigung des rechten Ventrikels für den Kreislauf verloren 
geht. Auch am rechten Herzen müssen die Compensationsverhält- 
uisse bei den Fehlern am arteriellen Ostium günstiger liegen, weil 
hier ein Theil der Compensationsarbeit durch die Dilatation und 
Hypertrophie des rechten Ventrikels geleistet werden kann; am 
Ostium venosum bestehende Mängel bieten auch hier die weniger 
vortheilhaften Verhältnisse, weil hier der dünnwandige uud muskel¬ 
schwache rechte Vorhof nur wenig in dieser Beziehung leisten kann, 
und die von Seiten des linken Ventrikels nothwendige Beihülfe fehlt. — 

Dass es indessen auch noch andere Wege giebt, auf welchen es, 
wenn auch nur vorübergehend zu einer Ausgleichung für den ge¬ 
störten Kreislauf kommen kann, ist mir im hohen Grade wahr¬ 
scheinlich. So wird man nicht in Abrede stellen können, 
dass durch häufigere Zusamraenziehungen des Herzmuskels, vor¬ 
ausgesetzt, dass dabei jedesmal der volle Inhalt der Ventrikel 
in die Arterien getrieben wird, eine Compensation möglich ist, da 
es eben bei der Arbeitsleistung des Herzenz wesentlich darauf an¬ 
kommt, dass innerhalb einer bestimmten Zeit eine gewisse Blut¬ 
menge aus den Venen in die Arterien gepumpt werde, um die nor¬ 
male Druckdifferenz und damit auch normale Kreislaufverhältnisse 
herzustellen. Eine Erleichterung für die Arbeit des bei gestörter 
Compensation übermässig gedehnten und in seiner Leistung erlah¬ 
menden Herzmuskels kann ferner die Verminderung der Wider¬ 
stände im Gefasssystem, also namentlich die Erweiterung der 
Capillareu- und ebenso die Verringerung der gesammten Blutmasse 
bewirken. Normale Kreislaufsverhältnisse, also eine wirkliche Com¬ 
pensation für sämratliche Abschnitte des Gefässsystems oder auch 
nur für einen Theil desselben werden durch die zuletzt erwähnten 
Umstände allerdings nicht herbeigeführt werden, wohl aber eine 
bessere Gestaltung der Spannungszustände in einzelnen Abschnitten 
des Gefässsystems, besonders in den Körpervenen, und damit die 
Möglichkeit eine Abnahme der Blutüberfüllung und der Erweiterung 
der Herzhöhlen, wodurch die Wiederherstellung einer vorhanden 
gewesenen, aber durch irgend welche Umstände gestörten Com¬ 
pensation angebahnt werden kann. 


II. Mittheilungen aus dem Fürstlichen Landkrankenhause 

zu Greiz. 

Ueber Sectio alta. 

Von Medicinalrath Dr. H. Lindner, dirig. Arzt. 

Als die imrny fortschreitende Beherrschung der Technik der 
antiseptischen Wundbehandlung die Anwendung der letzteren auf 
immer neue Gebiete der Chirurgie möglich machte, war es die ope¬ 
rative Behandlung der Blasensteine mit in erster Linie, für welche 
man in chirurgischen Kreisen Hoffnung auf erhebliche Förderung zu 
fassen begann. In der That musste es jedem Chirurgen ein beson¬ 
ders freudiger Gedanke sein, dass dieses Gebiet der Chirurgie, wel¬ 
ches an sich ein so dankbares sein musste, von den Fesseln befreit wer¬ 
den sollte, welche durch die üblen Folgen der betreffenden Operationen 
bisher auch den kühnsten Operateuren angelegt gewesen waren. Es 
kam denn auch in die Lehre vom Steinschnitt ein besonders frischer 
Aufschwung, man begann, die früheren Methoden der Steinbehand¬ 
lung zu verlassen zu Gunsten einer bisher als besonders gefährlich 
geltenden, welche aber unter der neuen Aera der Wundbehandlung 
Aussicht bot, durch die Möglichkeit, bei ihr die antiseptische Be¬ 
handlung streng durchführen zu können, zu einer bedeutend gefahr¬ 
loseren sich umzugestalten, als es die bisher gebräuchlichen waren, 
d. h. man setzte der Lithotripsie und den perinealen Lithotomieen 
die Sectio alta gegenüber und suchte durch eine Reihe günstig ver¬ 
laufener Fälle nachzuweisen, dass bei streng antiseptischer Behand¬ 
lung die Gefahren des hohen Steinschnittes bedeutend geringer sein 
müssten als diejenigen der alten Methoden. Freilich blieben, wenn 
auch dieser Nachweis bis zu einem gewissen Grade gelang, noch 
mancherlei Einwände übrig, welche nur dann mit Erfolg widerlegt 
werden konnten, wenn es gelungen sein würde, das Operationsfeld 
beim hohen Steinschnitte so von der Blase und ihrem, wenn auch 
im frischen Zustande nicht infectiösen, so doch bei Anwesenheit 
von Katarrhen, bei vor der Operation bestehender Zersetzung, bei 
mangelhaftem Abflüsse immerhin zu fürchtenden Inhalte so abzu- 
schliessen, dass eine Infertion nach der Operation von dieser Seite 
mit absoluter Sicherheit auszuschliessen wäre. Um dieses Ziel zu 
erreichen, konnte nur die Naht der Blasenwunde in Frage kommen, 
und man musste dahin zu gelangen suchen, diese Naht so sicher zu 
gestalten, dass wenigstens für die ersten Tage die Bindegewebs- 
räume der Bauchdeckenwunde vor dem Eintritte des Urins geschützt 
werden können. Es hat diese Angelegenheit die Chirurgen in deu 
letzten Jahren auf das Lebhafteste interessirt, in erster Linie natür¬ 
lich diejenigen, denen ihr Material die Möglichkeit bot, bei der Be¬ 
antwortung der schwebenden Frage thätig mitzuwirkeu, nicht min¬ 
der aber sicherlich auch diejenigen Chirurgen, denen diese Möglich¬ 
keit zur Zeit nicht geboten war und die sich darauf bescliränkeu 
mussten, durch Verfolgung der Literatur und theoretische Ueber- 
legung ihr Interesse für diese wichtige Sache zu bethätigen. Zu 
diesen Letzteren gehörte auch ich bis zur Uebernahme der Direction 
des Fürstlichen Landkrankenhauses, da bei der geringen Zahl von 
Steinkranken in Mecklenburg während meiner bisherigen chirurgi¬ 
schen Thätigkeit mir nur ein Fall von Blasenstein bei einer Frau 
zur Operation gekommen war, welcher für die oben gedachten Ver¬ 
hältnisse nicht von Bedeutung sein konnte. Die Arbeiten, welche 
sich mit Vervollkommnung der Blasennaht beschäftigten, erregten 
von Anfang an mein Interesse in hohem Grade, uud ich war fest 
überzeugt, dass ein Weg gefundeu werden könne, um diese Naht 
so sicher und leistungsfähig zu machen, dass sie ihren Zweck, die 
Bauchdeckenwunde wenigstens für die erste Zeit zu schützen, stets 
erreichen müsste. In der That haben die neueren Mittheilungen 
ergeben, dass man diesem Ziele sehr nahe gekommen ist; immerhiu 
sind die erzielten Resultate doch noch immer nicht constant genug, 
es ist noch immer ein gewisses Hazardspiel, an welchem man sich 
mit der Anlegung einer Blasennaht betheiligt, es muss noch eine 
Verbesserung der betreffenden Resultate möglich sein, es muss 
meines Erachtens wenigstens bei juugen Individuen stets eine voll¬ 
ständige prima intentio erzwungeu werden können. Ich möchte 
glauben, dass die bisher übliche Gepflogenheit, den Urin während 
der Nachbehandlung durch Verweilkatheter oder regelmässige und 
häufige Einführung des Katheters zu entleeren, den Grund für eine 
Reihe von Misserfolgen abgegeben hat. Die Blasennaht wird jetzt 
wohl in Rücksicht auf die besonderen in Frage kommenden Verhält¬ 
nisse allgemein so angelegt, dass die Schleimhaut nicht mitgefasst 
wird, dadurch muss natürlich die Nahtlinie gegen das Blaseninnere 
zu bis zu einem gewisseu Grade offen liegen; tritt nun in eben 
diesem Blaseuinnern, wie das bei Verweilkatheter uud häufigem 
Katheterisiren bekanntlich niemals ausbleibt, Zersetzung auf, so wird 
dadurch, selbst bei intensivster Antisepsis vou der Bauchwuude her, 
ein reiner Wundverlauf zur Unmöglichkeit, und wieder dadurch eiue 
prima inteutio derBlasenwunde von innen her verhindert. Auders steht 
die Sache, wenn die Entleerung der Blase auf uaturgemässe Weise 


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23. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


vor sich geht. Hat man bei der Operation — wohlgeinerkt, handelt 
es sich hier nur um Fälle, in denen jauchige Zersetzung vor der Ope¬ 
ration nicht bestand — die Blase sehr energisch ausgewaschen, die¬ 
selbe dann exact vernäht und hierauf noch einmal ausgespfilt, um 
das während der Operation in die Blase gelangte Blut zu entfernen, 
so darf man mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, dass, falls 
nicht von neuem durch Instrumente von aussen Zersetzungserreger 
eingeführt werden, eiue erhebliche Zersetzung nicht auftritt, es fällt 
also das oben geschilderte ungünstige Moment fort, die Wunde wird 
von innen her nicht inficirt, die prima intentio kann ungestört er¬ 
folgen. — Von diesem, durch theoretische Raisonnements gewon¬ 
nenen Gesichtspunkte aus behaudelte ich nun die mir in meinem 
hiesigen Wirkungskreise in den Monaten Juli bis September dieses 
Jahres zur Operation zugeführten 4 Fälle, und zwar mit dem vor¬ 
züglichsten Erfolge. 

Ich lasse hier zunächst die betreffenden Krankengeschichten 
folgen: 

Krankengeschichte 1. Oscar T., Weber aus R., 19 Jahre alt, hat 
seit seiner Kindheit an heftigen Blasenbeschwerden gelitten, und zwar neben 
den heftigsten Schmerzen sehr viel Eiter durch den Urin verloren, auch ist 
verschiedentlich Blut abgegangen. Pat. wurde bereits von den verschieden¬ 
sten Aerzten vergeblich wegen seines Blasenkatarrhs behandelt, durch 
Heim Collegen Mandowsky hier wurde er mir zugeführt, und constatirten 
wir bei der Untersuchung einen grossen sehr rauhen Blasenstein. Penis 
sehr gross, von charakteristischer Form. Pat. wurde am 20. Juni in das 
Landkrankenhaus aufgenommen. Ara 22. Juni Sectio alta. Kein Kolpeu- 
rynter. Blase, mittelst ca. 350 ccm warmer Salicyllösung aufgetrieben, ist 
nach Vollendung des Bauchdeckeuschuittes sehr gut zu fühlen, das Peri¬ 
toneum lässt sich leicht zurückschieben. Vordere Blasenwand durch zwei 
Fadenschlingen fixirt und eröffnet, die Blutung aus der Blasenwunde durch 
Anlegung von Klemrapincetten gestillt. Der ziemlich grosse, mit starken 
Stacheln versehene Oxalatstein macht eine recht grosse Blasenwunde nöthig, 
lässt sich aber gut entfernen. Mässige Blutung aus der Blasenschleimhaut. 
Blase wird nochmals mit Salicyllösung ausgespült und dann die Blasenwunde 
in 2 Etagen genäht. In den Recessus zwischen Symphyse und Blase wird 
ein mittelstarkes Drain eingeführt, dann die Muskelwunde für sich und die 
Hautwunde ebenfalls für sich exact vernäht. Nach Vollendung des Ver¬ 
bandes nochmalige Ausspülung der Blase. Der Stein wiegt trocken 33 g. 

Am Abend ist Pat. schmerzfrei. Da noch kein Urin gelassen ist, wird 
einmal vorsichtig katheterisirt. Von nun an lässt Pat. den Urin spontan. 
Der letztere ist am ersten Tage noch leicht blutig, vom zweiten Tage an 
vollständig normal, ohne nachweisbare Eiterbeimengung. Im weiteren Ver¬ 
laufe war das Befinden des Operirten so gut, dass es Mühe kostete, ihn von 
dem Herausspringen aus dem Bette abzuhalten, da er vor Freude, einmal 
ganz schmerzfrei zu sein, sich auf das Uebermüthigste geberdete. Den 
Temperaturverlauf zeigt nachstehende Curve: 



Am 8. Tage erster Verbandwechsel. Drain entfernt. Am 14. Tage anti¬ 
septischer Verband fortgelassen. 

Die vollständige Vernarbung wurde durch eine ganz oberflächliche 
Dehiscenz der Bauchwunde im unteren Drittel noch etwas aufgehalten, doch 
stand Pat. nach 14 Tagen auf und verliess 22 Tage p. op. vollkommen ge¬ 
heilt das Haus. 

Krankengeschichte II. Alfred M., YVebersohn aus D., 6 Jahre alt. 
Aufgenommen am 14. September 1887. Schon von jeher Urinbeschwerden. 
College Dr. Fleck hier constatirte einen Stein und verwies den Pat. an 
das Landkrankenhaus. — Charakteristischer Penis, Sondirung ergiebt die 
Anwesenheit eines harten rauhen Steines. Sectio alta am 16. September. 
Kein Kolpeurynter. Blase, durch ca. 180 ccm erwärmter Salicyllösung 
ausgedehnt, wird leicht gefunden, Peritoneum leicht abgeschoben. An¬ 



schlingen der Blase, Eröffnung derselben, Entfernung des Steines, Naht in 
2 Etagen und Vereinigung des praevesicalen Bindegewebes über der Blasen¬ 
wunde durch eine besondere Nahtreihe. Drain in den retrosymphysäreu 


693 


Recessus. Exacte Naht der Muskulatur und der Haut. Ausspülung der 
Blase mittelst Salicyllösung vor Anlegung der Blasennaht und nach Voll¬ 
endung des Verbandes. Kein Verweilkatheter, kein Katheterismus. — Sehr 
günstiger Verlauf. Urin von Anfang an spontan entleert. Keine Schmerzen. 
Gutes Allgemeinbefinden während der ganzen Zeit. Temperaturverlauf aus 
vorstehender Curve ersichtlich. 

Am 4. und 5. Tage post. op. plötzlich Blutbeimischung zum Urin, 
die ohne jede Medication wieder verschwindet. 1. Verbandwechsel am 
4. Tage, Drain am 13. Tage entfernt. Geheilt entlassen 20 Tage p. op. 

Krankengeschichte III. Guido Fr., Kaufmannssohn aus G., 4’/s Jahre 
alt. Pat. hat früher nie Blasenbeschwerden gehabt, erst in den letzten 
Wochen war das Uriniren schmerzhaft, seit einigen Tagen häufige Anfälle von 
absoluter Retentio urinae. Untersuchung gemeinschaftlich mit dem behan¬ 
delnden Arzte, Herrn Collegen Mandowsky, ergiebt: Stein, im Blasenhalse 
fest eingeklemmt, weicht vor dem eingeführten Katheter zurück und ist 
dann in der enorm ausgedehnten und buchtigen Blase nur sehr schwer zu 
finden, so dass ein Urtheil über die Grösse nicht recht zu erlangen ist, 
doch haben wir beide den Eindruck, als ob es sich um einen grösseren 
Stein handele. Aufgenommen in’s Landkrankenhaus am 19. Sept. Sectio 
alta am 20. September. Kein Kolpeurynter. Blase, durch ca. 150 ccm 
Salicyllösung ausgedehnt, leicht gefunden, zwischen 2 Fadenschlingen er¬ 
öffnet. Kleiner Phosphatstein. Naht in 2 Etagen, praevesicales Binde¬ 
gewebe über die Wunde herübergenäht. Drainage des retrosymphysären 
Recessus. Etagennaht der Bauchdeckenwunde. Kein Verweilkatheter, kein 
Katheterismus. 

Ziemlich viel Unruhe in den ersten 24 Stunden und nicht unerheb¬ 
liche Temperatursteigerung am nächsten Morgen, Urin ohne Schmerzen 
und in reichlicher Menge spontan entleert. Der Verband ist zu fest ange¬ 
legt und comprimirt das Abdomen so stark, dass die Circulation in den 
Därmen behindert ist, daher die Unruhe und das Fieber. Nachdem der 
Verband etwas gelockert ist, fallt das'Fieber ohne Weiteres ab. \ 7 on da 
an absolut reactionsloser Verlauf. Am 17. Tage Heilung perfect. — Tem¬ 
peraturverlauf in nachstehender Curve: 



Krankengeschichte IV. W., Malermeister aus G., 54 Jahre alt. Bis 
auf häufige Anfälle von Asthma früher stets gesund. Seit längerer Zeit 
heftige Blasenbeschwerden, starker Eiterabgang im Urin. In Gemeinschaft 
mit dem Hausarzte, Herrn Collegen Fleck, untersuchte ich den Pat., und 
wir constatirten einen grösseren Blasenstein. Nachdem zwei lithotriptische 
Versuche, die allerdings wegen der grossen Reizbarkeit der Urethra nicht 
lange ausgedehnt wurden, kein Resultat ergeben hatten, wird am 22. Sep¬ 
tember die Sectio alta ausgeführt. Kein Kolpeurynter. Blase, durch 
Salicyllösung (ca. 300 g) ausgedehnt, unschwer gefunden, doch sind bei den 
recht fettreichen Bauchdecken und einer ziemlich hohen Symphyse die Mani¬ 
pulationen etwas erschwert. Peritoneum lässt sich leicht zurückschieben. 
Eröffnung der Blase zwischen 2 Fadenschlingen, es finden sich 2 nussgrosse 
Uratsteine. Die Blasenwand erweist sich als ziemlich brüchig, es wird 
daher, nachdem die Blasenwunde in gewöhnlicher Weise genäht ist, der 
retrosymphysäre Recessus nicht drainirt, sondern mit Jodoformgaze tamponirt, 
im Uebrigen aber die Bauchdeckenwunde etagenweise vernäht, der Jodoform¬ 
gazetampon durch den unteren Wundwinkel herausgeleitet. Kein Verweil¬ 
katheter, kein Katheterismus. 

Pat. ist am Abend sehr unruhig, aufgeregt, schlaflos, hat einen recht 
heftigen Katarrh, der zu stark durchschüttemden Husteustösseu Veranlassung 
giebt. Morphium bleibt ohne Wirkung. Die Aufregung steigert sich am 
folgenden Tage und noch mehr am dritten Tage, als ca. 30 Stunden p. op. 
durch die starken Hustenstösse die Blasennaht gesprengt wird und der Urin 
durch die Wunde fliesst. Bis dahin hatte Pat. spontan urinirt, ohne andere 
Beschwerden zu empfinden als sehr heftigen Reiz in der Urethra, wie er 
ihn jedesmal nach Einführung des Katheters mehrere Tage lang schon 
früher empfunden hatte. — Jetzt trat Verwirrtheit auf, Neigung zum 
Herausspringen aus dem Bette, weinerliche Stimmung neben fast absoluter, 
durch kein Narcoticum zu beseitigender Schlaflosigkeit Am 5. Tage wird 
die Jodoformgaze fortgelassen, ein Drain eingeführt und nur mit Mooskissen 
verbunden, da ich den Zustand für eine Jodoformintoxication ansehe. Trotz¬ 
dem weicht die Psychose nicht, steigert sich vielmehr zeitweise zu Tobsuchts¬ 
aufällen, Pat. springt fortwährend aus dem Bett, läuft aus dem Zimmer und 
ist vollkommen verwirrt — glaubt in der Fremde zu sein, verlangt nach 
Hause, macht Reisen etc. —. Dabei ist die Temperatur fortdauernd normal, 
nimmt die Wunde ihren ganz normalen Verlauf, so dass schon ca. 12 Tage 
p. op. der Urin grösstentheils durch die Urethra geht, nach gut 3 Wochen 
Alles fest vernarbt ist. Der psychische Zustand fängt nach 5 Wochen an, 
sich zu bessern, und nach kaum 2 Monaten ist Pat. bis auf etwas Lungen- 
katarrb vollkommen gesund, urinirt vollständig frei und ohne Schmerzen 
und weiss von den Vorgängen der ersten Wochen nach der Operation ab¬ 
solut Nichts mehr. 

Iu den vorstehenden Krankengeschichten findet sich die prak¬ 
tische Bestätigung dessen, was ich auf theoretische Ueberleguug hin 
angenommen hatte, ich glaube, dass man, wenn man einmal zunächst 


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694 


(len letzten, ja in besonders ungünstiger Weise complicirten Fall 
weglässt, die Resultate als geradezu ideal bezeichnen darf: Heilung 
innerhalb höchstens 3 Wochen, ohne Fieber, ohne Schmerzen, ohne 
Eiterung, ohne die geringste Insultirung der Harnorgane, mehr kann 
und darf man wohl nicht erwarten. Aber auch der letzte Fall, so 
wenig normal der Verlauf im Allgemeinen genannt werden kann, ist 
doch nicht geeignet, die von mir vertretene Anschauung zu wider¬ 
legen, denn wenn auch eine prim, intent. nicht eintrat, so war trotz¬ 
dem der Wundverlauf ein ganz ungestörter, die Heilungsdauer eine 
auffallend kurze, kurz der Verlauf jedenfalls in keiner Weise schlechter 
als bei den in der Literatur berichteten Fällen besten Verlaufs, wie 
etwa bei denen Bergmann’s, und dabei hatte mein Patient den 
Vortheil, dass niemals seine Harnorgaue in der sonst gebräuchlichen 
Weise auf das Uebelste durch Verweilkatheter oder alle paar Stunden 
wiederholte Einführung des Katheters insultirt wurden. 

Was die einzelnen Acte der Operation betrifft, so habe ich auf 
den Kolpeurynter von vornherein verzichtet, trotz der warmen Em¬ 
pfehlung vieler Autoren, weil ich die gewaltsame Empordrängung 
der Blase und die dadurch herbeigeführten Circulationsstörungeu 
(cfr. auch Kümmell, D. med. Wocheuschrift 1887, No. 7) fürchtete, 
ich bin mit der einfachen Anfüllung der Blase vollkommen gut aus- 
gekoinmen. Bei stärkerer Eintreibung der betr. Flüssigkeit in die 
Blase traten in 2 Fällen Reflexerscheinungen auf, bestehend in 
Brechbewegungeu und Pulsverschlechterung, doch gingen die Er¬ 
scheinungen rasch vorüber, üble Erfahrungen habe ich sonst dabei 
nicht gemacht, bin allerdings auch nur sehr vorsichtig zu Werke 
gegangen. Das Zurückschiebeu des Peritoneums machte in keinem 
Falle Schwierigkeiten. Das praevesicale Bindegewebe habe ich in 
allen Fällen sehr sorgfältig zurückpräparirt, ich habe Gewicht dar¬ 
auf gelegt, die äusseren Muskelschichten der Blasenwand ganz frei 
zu legen, ehe ich die Blase anschnitt; da ich noch niemals von 
einem anderen Chirurgen einen hohen Steinschnitt habe ausführen 
sehen, so weiss ich uicht, ob dies überhaupt Vorschrift ist und all¬ 
gemein beobachtet wird, ich glaube aber, dass dadurch die Sicher¬ 
heit der Naht wesentlich erhöht wird, da man auf diese Weise 
sicher zwei breite wunde Flächen zusammen bringt. Die Plexus auf 
der Vorderwand der Blase liessen sich meistens gut vermeiden, nur 
einmal habe ich eine grosse, quer durch das Operationsfeld ziehende 
Vene vor dem Anschueiden der Blase doppelt unterbunden, die 
Blutung aus der Blasenwunde war stets mässig und wurde durch 
Anlegen von Köberle’scheu Klemmen bis zur Nahtanlegung gestillt. 
Die Naht legte ich iu zwei Etagen mit Vermeidung der Schleimhaut 
an, die erste Etage mit Knopfuähteu, die zweite mit fortlaufender 
Naht, als dritte Etage fügte ich in zwei Fälleu noch eine besondere 
Vereinigung des praevesicalen Bindegewebes hinzu. Letztere dürfte 
freilich nur da gewagt werden, wo man die prim, intentio sehr 
sicher erwarten darf, sonst möchte sie mehr scliadeu als nützen, wo 
sie gelingt, ist sie jedenfalls eine sehr erwünschte Hülfe für die Her¬ 
beiführung der möglichst vollkommenen Wiederherstellung der nor¬ 
malen Verhältnisse. Drainirt habe ich iu 3 Fällen nur deu retro- 
symphysären Recessus, indem ich annahm, dass für den Fall des 
Insufficientwerdens der Blasennaht dort die einzige Möglichkeit einer 
Ansammlung von Urin gegeben sein würde, da die übrige Wunde 
jedenfalls schon vorher so fest zur Verklebung gebracht sein kann, 
dass eine Wiederauftrennung nicht zu erwarten ist; im 4. Falle, iu 
welchem ich zu der Festigkeit der Blasennaht kein Vertrauen hatte, 
habe ich jenen Recessus mit Jodoformgaze taraponirt und dadurch, trotz 
des frühen Termins des Platzens der Naht, die Wunde sicher geschützt. 
Verbunden habe ich, wie überhaupt bei allen meiuen Operationen, 
mit einer Jodoformgazecompresse und unsubliraatisirten Mooskissen. 

Die von mir berichteten Fälle sind freilich insofern als von 
vornherein besonders günstige zu bezeichnen, als sie kräftige, unge¬ 
schwächte Individuen betrafen, bei denen keine Jauchung bestand, 
es wird sich nun erst zeigen müssen, ob es auch bei jauchigen 
Blasenkatarrhen gelingen kann, die von mir vorgeschlagene Behand¬ 
lungsweise durchzuführen. Dass es für alte heruntergekommene 
Patienten ein bedeutender Vortheil sein würde, wenn die häufige 
Reizung durch Verweilkatheter resp. häufiges Katheterisiren Weg¬ 
fällen könnte, dass durch die grössere Ruhe, durch den Ausschluss 
der den Blasenkatarrh steigernden schädlichen Momente die Nach¬ 
behandlung eine bei Weitem weniger augreifende werden würde, 
bedarf keines Beweises, es käme also auf eineu Versuch an, der bei 
Auwendung der Jodoformgazetampouade wohl kein allzu gefährlicher 
sein dürfte. Für die Erreichung des Operationszweckes: nämlich 
der möglichst prompten und vollkommenen Beseitigung der durch 
den Stein erzeugten kraukhaften Veränderungen der Blase, ist natür¬ 
lich die obeu geschilderte Behandlung die günstigste, während die 
bisherige Methode noch längere Wochen einen sehr lästigeu, wenn 
nicht gar hie uud da gefährlichen Blasenkatarrh unterhält, dessen 
Heilung oft noch recht erhebliche Schwierigkeiten macht. 

Greiz, deu 1(5. December 1887. 


No.j4 

m. Der moderne Hypnotismus. 

Ein kritischer Essay. 

Vou Professor Seeligmfiller in Halle a. S. 

(Fortsetzung aus No. 33.) 

2. Die therapeutische Verwendung der Suggestion als 
moralisches Correctiv. 

Schon im Jahre 1860 schrieb der heute fast vergessene Arzt 
Durand (de Gros): „Der Braidismus liefert uns die Basis für eine 
intellectuelle und moralische Orthopädie, welche sicherlich 
eines Tages in die Erziehungsanstalten und Zuchthäuser mit Erfolg 
eingeführt werden wird.“ Somit war es keine neue Idee, als Be- 
rillon, Redacteur der Revue de l’hypnotisme, auf dem Congress 
pour l’avaucement des Sciences zu Nancy von 1887 in der Section 
für Pädagogik die Frage aufwarf, ob die Suggestion nicht als Er¬ 
ziehungsmittel zu verwenden sei. Kurze Zeit vorher hatte Auguste 
Vaequerie im Rappel unter dem Titel „Eine bauge Frage“ einen 
Artikel veröffentlicht, in welchem im Anschluss an die Geschichte 
eines Mordanfalles, den ein 14jähriger Knabe aus angeborener Bos¬ 
heit auf seinen schlafenden Vater gemacht hatte, die Frage aufge¬ 
worfen wurde: „Wie kann man diese ,nes raonstres 4 , diese ,mauvais 
de naissance 4 bessern?“ 

Berit Ion gab darauf die Antwort: „Durch die suggestive 
Methode“. 

Auf dem Congress selbst fand dieser Vorschlag ungeteilten 
Beifall, und der Präsident der Section, Felix Hement, „ein be¬ 
deutender Pädagog“, Membre du conseil superieur de l’iustruction 
publique, schloss seine zustimmende Rede mit den Worten: „Ich 
acceptire sehr gern die Idee, zur hypnotischen Suggestion unsere 
Zuflucht zu nehmen in deu Fällen, wo der Pädagog seine vollstän¬ 
dige Ohnmacht eingestehen muss. Diese ebenso neue wie geistreiche 
Idee gefällt mir, weil sie mir der Ausgangspunkt zu sein scheint 
für die Schöpfung einer wahrhaften moralischen Orthopädie.“ 

Auch von Aerzten wurde dieser Vorschlag sehr beifällig auf¬ 
genommen, so von Auguste Voisin, Liebeault, Bernheim, 
Binet uud Fere, Ladame, Netter, Liegeois. Beaunis u. A. 
Auf der anderen Seite dagegen fehlte es auch nicht an lebhaftem 
Widerspruch. 

Hören wir zunächst Berillon und seine Gesinnungsgenossen! 

Der Gedanke, die Suggestion pädagogisch zu verwertheu, liegt 
bei genauerer Ueberlegung gar nicht so fern und ist demnach nicht 
so absurd, als er vou vornherein erscheinen könnte. „Die Erziehung 
des Kindes, die Begriffe und Grundsätze, welche seinem Gehirn 
durch Wort uud Beispiel eingeprägt werden, die philosophischen 
und religiösen Lehren, in welchen es seit seinem frühesten Alter 
gewiegt wird, stellen sie nicht schon eine wirkliche Suggestion 
im wachen Zustande dar, welche, wenn sie methodisch geübt, iu 
einem einförmigen Sinne geleitet und nicht durch widersprechende 
Ideen und Beispiele wieder aufgehoben wird, sich mit unwidersteh¬ 
licher Kraft festsetzt? Auch die reifgewordenen Menschen, deren 
persönliche Erfahrung das Gehirn später frei gemacht hat, be¬ 
wahren oft, trotz aller Unabhängigkeit des Geistes, trotz aller ihrer 
freien Vernunft, einen alten Grundstock von Ideen, von denen sie sich 
nicht losmachen können, weil sie in die Substanz ihres Gehirns in 
Folge der früheren lange fortgesetzten Suggestionen übergegangen 
sind, obgleich diese Ideeu gegen die neuen Allureu ihres psychischen 
Zustandes grell abstecheu.“ (Bernheim.) 

Da nun, wo die Erziehung, d. h. also die Suggestion ira 
wachen Zustande, sich unfruchtbar zeigt, soll man die Suggestion 
im Schlafe, d. h. im hypnotischen Schlafe, versuchen. 

„Iu keinem Fall, sagt Berillon iu einem öffentlichen Vortrag, 
den er auf der Ausstellung für Hygiene des Kindesalters am 
28. Juli 1887 gehalten hat, wollen wir ein normales oder sozu¬ 
sagen Durchschnittskind der hypnotischen Behandlung unterziehen. 
Für solche, glauben wir, reichen die gewöhnlichen Erziehungsmittel 
aus. Aber, wenn Eltern mit Thränen in deu Augen dem hypnoti- 
sirenden Arzte ein Kind zuführen, welches z. B. an der Monomanie 
des Stehlens, oder an scheussliclien lasterhaften Gewohnheiten 
(Ouanie), oder an widerwärtigen Schwächezustäudeu (Incontinentia 
urinae et alvi), oder an geistiger Schwäche und Unüberlegtheit 
leidet, so dass es die schlimmsten Handlungen begeht, ohne sich 
dabei etwas zu denken, so halten wir es für Pflicht des Arztes, bei 
diesen „creatures desheritees“ eiueu Heilversuch mit einem Ver¬ 
fahren zu machen, welches in den Händen eines erfahrenen Expe¬ 
rimentators noch niemals im Stiche gelassen hat.“ 

Während des hypnotischen Schlafes haften die Suggestioueu 
besser und üben eine andauernde und tiefe Wirkung aus. In vielen 
Fällen wird es möglich sein, durch genügende Wiederholung der¬ 
selben die Fähigkeit, aufmerksam zu sein, bei diesen bis dahin un¬ 
vollständigen Wesen zur Entwickelung zu bringen, ihre schlechten Iu- 
stiucte zu bessern uud ihre Geister zum Guten zurückzuführeu, welche 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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23. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


695 


sich unfehlbar davon immer weiter entfernt hätten.“ Wohlgemerkt 
soll dieses Verfahren nur in den Fällen zulässig sein, wo alle 
anderenratiouellenErziehungsmittel fehlgeschlagen, und nur unter der 
Leitung von competenten und darin geübten Aerzteu. 

Bei Gelegenheit des Congresses hatte Professor juris Liegeois 
den Antrag gestellt, die Section möge den Wunsch aussprechen, 
dass zum Zwecke der Moralisirung und Erziehung an einigen der 
notorisch schlimmsten und unverbesserlichsten Schüler der Elemen¬ 
tarschulen Versuche mit hypnotischer Suggestion angestellt werden 
dürften. 

In einem späteren Aufsatze „Hygiene et medecine morales“ 
(II. p. 163) theilt Felix Hem ent mit, dass sie sich an den Poli- 
zeipräfecten mit der Bitte gewandt haben, die Suggestion bei einigen 
jungen Corrigenden versuchen zu dürfen. Die Bittschrift ist weiter 
an den Minister des Innern gegangen, der darüber befinden wird. 
Im Falle einer Zusage, gedenkt Heraent in folgender Weise zu ver¬ 
fahren: In der Correctionsanstalt selbst wird das Kind in ein 
Zimmer gebracht, wo sich nur noch der Director, der Arzt und 
der Pädagog Hem ent befinden. Arzt und Pädagog ergänzen sich 
gegenseitig: die Suggestion kann von ihnen beiden nach einander 
oder abwechselnd ausgeführt werden. Das hypnotisirte Kind be¬ 
findet sich in einem überaus günstigen Zustande, um dem Einflüsse des 
Erziehers unterzogen zu werden. Dieser spricht zu ihm mit einer Au¬ 
torität voller Sanftmuth und einer durchdringenden Salbung. Der 
künstlich hervorgerufene Schlaf soll den Willen des Patienten ab¬ 
schwächen, den Geist des Widerspruches niederhalten und das Kind 
zum Gehorsam gegen den, der mit ihm spricht, zubereiten. Während 
im wachen Zustande das nicht gebesserte, aber darum nicht unver¬ 
besserliche Kind im Besitz seiner ganzen Energie zum Widerstande 
ist und gegen den, der es bändigen will, jene mit Vortheil gebrauchen 
kann, ist dasselbe Kind im hypnotischen Zustande ohnmächtig, um 
zu widerstehen; es ist fast willenlos, machtlos, energielos. Mit einem 
Wort, um es zu besiegen, haben wir es entwaffnet. In Folge des Hyp¬ 
notismus ist die Seele des Kindes zu einem weichen Teige geworden, 
welchen der Erzieher nach seinem Gefallen knetet. Aller Wider¬ 
stand des einmal niedergeschlagenen Geistes hat aufgehört; dieser 
hört nur unbewusst die sanfte, einschmeichelnde, liebkosende, väter¬ 
liche, aber gleichzeitig feste und schneidige Stimme, die ihm das Gute 
suggestionirt und die Keime der guten Empfindungen, die in der 
Seele des Kindes niemals vollständig erstickt sind, wieder lebendig 
macht. 

In einem über den erwähnten Congress in Nancy referirenden 
Aufsätze schlägt Berillon den jugendlichen Vatermörder, jenes ge¬ 
borene Ungeheuer des Herrn Vacquerie, als erstes Versuchsobject 
vor. Leider habe ich nicht erfahren können, ob bei diesem Knaben, 
„bei dem man ja nicht riskirte, dass er durch den Versuch schlechter 
werden konnte, als er war“, wirklich moralische Orthopädie ver¬ 
sucht ist und mit welchem Erfolge. 

Ueberhaupt scheinen Erfolge dieser neuen Erziehungsmethode 
bis jetzt nur wenige bekannt gegeben zu sein, obwohl die genannten 
Lobpreiser derselben doch sonst mit ihren Mittheilungen nicht 
gerade zurückhaltend sind, und Berillon in seiner letzten ausführ¬ 
lichen Mittheilung (Rev. del’hypn. II. 6, p. 169) sich ausdrücklich auf 
zahlreiche moralisatorische Erfolge beruft. So finde ich unter dem grossen 
Materiale von Bernheim, einem der eifrigsten Verfechter der neuen 
Correctionsmethode, zunächst nur einen einzigen Fall. Dieser 
(1. c. Beob. 44, p. 456) ist überschrieben: „Appetitlosigkeit, Unge¬ 
lehrigkeit, Faulheit bei einem Kinde. Rapide physische und mora¬ 
lische Besserung durch die Suggestion.“ Ein lOjähriger Knabe 
wird Bernheim durch seine Mutter, die er ebenfalls mit Suggestion 
behandelt, am 20 December 1886 zugeführt. Seit seiner Geburt 
isst dieses an Hypertrophie der Mandeln leidende, etwas lympha¬ 
tische Kind fast gar kein Fleisch. Zudem ist dasselbe zornmüthig, 
boshaft, widerspenstig (indocile), übelgelaunt (beiläufig ein hervor¬ 
ragendes Argument gegeu die Lehren der Vegetarianer). Will seine 
Mutter ihn zarechtweisen, so schlägt er sie und schmeisst alles in 
seiner Umgebung zusammen; er ist wöchentlich nur 3—4 Mal in 
die Schule zu kriegen. Einen Monat später, nach 6 hypnotischen 
Sitzungen, „sieht er besser aus; er isst Fleisch ohne Widerstreben, 
ist sehr fügsam, geht regelmässig in die Schule, hat Fortschritte 
gemacht“, ln den nächsten zwei Monaten, während welcher Zeit 
er noch 4 Mal hypnotisirt wird, schreitet seine Besserung körper¬ 
lich und geistig stetig fort. Ein kleiner Rückfall, welcher sich 
durch Nervosität, Weiuerlichkeit und üble Laune anzeigte, wird 
durch eine Suggestion beseitigt, so dass er sofort heiter und guter 
Laune wird. Als er dann wieder nach einem Monat einige leichte 
Zornausbrüche zeigt und seiner Mutter Sottisen sagt, wird er noch 
2 Mal hypnotisirt. Zwei weitere kleine Rückfalle nach 10 Tagen 
bezw. 7 Wochen werden ebenso beseitigt. Nach 8 Monaten, seit Be¬ 
ginn der Behandlung, 2 Monate uach dem letzten Rückfalle, ist das 
Kind gänzlich umgewandelt, artig und lenksam. 

In der Discussion über den Vortrag des Dr. Berillon (iu der 


Section für Pädagogik auf der Association franpaise pour 
l’avancement des Sciences zu Toulouse vom 22.—27. September 
1887) „de la Suggestion et de ses applications ä la pedagogie“ 
(Rev. de l’hypn. II. 6, p. 169) erwähnt Bernheim denselben Fall 
und fügt noch folgende kurze Notizen hinzu (ibid. p. 178): „Ein 
anderes Beispiel: Ein 18jähriger junger Mann ist seit 3 Jahren, wo 
er ein Typhoidfieber überstanden, unfähig geblieben zur geistigen 
Beschäftigung; Schwindelanfälle, Umnebelung, unbeschreibliches 
Uebelbefinden verliessen ihn niemals und verhinderten ihn, seine 
Carriere fortzusetzen. Die Suggestion hat ihn in einigen Sitzangen 
von diesen Erscheinungen befreit, und er hat seine Fähigkeiten 
wiedergefunden. — Die Chorea ist häufig von cerebraler Aufregung, 
Zorn, Boshaftigkeit begleitet; die Suggestion, welche oft erst dann 
möglich ist, wenn die Krankheit anfängt abzunehmen, hat es oft 
geliugen lassen, diese durch die Krankheit veränderten Charaktere 
wieder zurecht zu bringen.“ 

Berillon selbst aber theilt in seinem Vortrage eigentlich uur 
zwei streng hierher gehörige Fälle mit: 1. „Eine schwere Per¬ 
version des Charakters bei einem 12jährigen Mädchen . . 
Trotz sehr ungünstiger Lebensverhältnisse ist die Heilung vollstän¬ 
dig gewesen. Die Lehrerin der von dem Kinde besuchten Schule 
hat es in Folge der Behandlung unter die guten Zöglinge der Klasse 
zählen können. Und doch war der moralische Zustand dieses 
Kindes so pervertirt, dass es zwei Mal isolirt werden musste, in 
Saiute-Anne und iu der Salpetriere.“ 

2. (Iu Berillon’s Aufzählung 5.) „Ein unwiderstehlicher 
Hang zum Diebstahl, zur Lüge und zur Ausschweifung 
bei einem 16jährigen Mädchen. Dieses junge Mädchen, 
welches auch im bewusstlosen Zustande eine sehr entwickelte Intelligenz 
hatte, gab sich über die in ihr durch die Suggestion hervorge¬ 
brachte moralische Umwandlung sehr wohl Rechenschaft. Sie setzte 
einen gewissen Stolz darein, dass sie die Kraft hatte, ihren schlechten 
Neigungen zu widerstehen. Die Behandlung dauerte einen Monat; 
Grund: nur eine Sitzung die Woche. Die Heilung hat sich er¬ 
halten, und die Eltern, welche wegen des schlechten Beispiels, das 
sie den anderen Kindern gab, ihre Tochter aus dem Hause hatten 
entfernen müssen, hatten sie wieder bei sich aufuehmen können.“ 

„Ausserdem haben wir uns in mehreren Fällen darauf be¬ 
schränkt, bei mehreren Collegiens und Lyceens, denen man gedroht 
hatte, sie von den Anstalten fortzuschicken, die Fähigkeit aufmerk¬ 
sam und geschickt zur Arbeit zu sein, mit vollständigem Erfolg 
wieder zu erwecken und weiter zu entwickeln.“ Eine eigenthüm- 
liche Art von Nachhiilfestunden! 

Die übrigen von Berillon mitgetheilten Fälle beziehen sich, 
wenn wir solche von Onanie und Fingerlutschen bei Seite lassen, 
auf nervöse Tics, Incontinenz, nächtliches Aufschreien und Chorea. 

Liebeault machte durch Suggestion in 6 Wochen aus einem 
faulen Burschen, der bis dahin immer der Letzte in der Klasse ge¬ 
wesen war, einen so strebsamen und fleissigen Schüler, dass er 
zwei Mal der Erste wurde. — Einen jungen Idioten mit Incontinenz, 
der bis dahin jeder intellectuellen Cultur unzugänglich gewesen 
war, brachte Liebeault in 8 Wochen dahin, dass er das Alphabet 
und die vier Species konnte. (I. p. 85.) 

Schliesslich gehört noch hierher ein Fall von Aug. Voisin (Rev. 
de l’hypn. I. p. 84). Dieser verwandelte eine 22jährige Prostituirte, 
die ausserdem diebisch, brutal, unfläthig, faul, unreinlich und unver¬ 
besserlich war, in eine gehorsame, unterwürfige, ehrbare, arbeitsame 
und reiuliche Person, die nunmehr ganze Seiten Moral auswendig 
lernte und auch ihre erloschenen affectiven Sentiments wiederer¬ 
langte. 

Dies der ganze Ertrag einer sehr sorgfältigen Blumenlese! 1 ) 

Es wäre schlimm, sehr schlimm, wenn sich in Frankreich selbst 
Niemand gegen diese ueue Lehre von der moralischen Orthopädie 
erhoben hätte. Es ist anzuerkennen, dass Aerzte, und zwar hervor¬ 
ragende Aerzte zuerst dagegen auftraten; ihnen folgten die Philoso¬ 
phen, die Behörden, die Juristen. Die schwerwiegenden Einwände 
richteten sich auch gegen den Hypnotismus überhaupt. „Der 
Hypnotismus, so sagte man (Rev. de l’hypn. I. p. 133), hat einen 
tiefgehenden Einfluss auf den Organismus: indem er die moralische 
Freiheit unterdrückt, macht er aus dem Menschen eine automatische 
Maschine; indem er die intellectuelle Initiative unterdrückt, macht 
er ihn unfähig zu denken, er beraubt ihn seiner Menschlichkeit, er 
macht ihn zum Thier; das Subject wird kataleptisch, hallucinabel, 
nervös. Der Hypnotismus macht Hysterie, er macht Wahnsinn; 
zuerst macht er das Subject moralisch todt, danach physisch.“ 

Unter anderen protestirten auch die Philosophen Desjardins 
und Blum, ersterer unter lebhaftem Beifall seiner Collegen, gegen 
die Verwendung des Hypnotismus iu der Erziehung. Blum stellt 
vor allem die Beeinflussung der Freiheit des Individuums, hier des 

') lieber die Erfolge bei Säufern und Morphinisten ist schon früher 
berichtet. 


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696 


DEÜT8CHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34 


Kindes, welche durch die Hypnose und Suggestion willkürlich be¬ 
einflusst wird, in seinem Protest in den Vordergrund. Dieser Ein¬ 
wand ist sehr wenig stichhaltig; denn haben die verwahrlosten 
Kinder etwa in unseren Correctionsanstalten ihre individuelle Frei¬ 
heit, und hat der Staat nicht die Verpflichtung, alles zu thun, um 
die heranwachsende Jugend zu brauchbaren Staatsbürgern heranzu¬ 
bilden? 

Ich glaube, der Widerspruch gegen dieses neue Correctiv muss 
sich auf andere Argumente stützen. 

Zunächst verstehen wir in Deutschland unter Erziehung doch 
etwas anderes als blosse Dressur. Die Franzosen freilich haben in 
ihrer Art die Kinder zu erziehen, mancherlei, was an Dressur er¬ 
innert. Man lese hierüber in Karl Hillebrand’s gewiss sine ira 
et studio geschriebenem Buche „Frankreich und die Franzosen in 
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (2. Aufl. Berlin 1874) den 
Abschnitt „Unterrichtswesen“. 1 ) Da heisst es u. A. p. 67. „Der 
Unterricht (in den Lycees, den französischen Gymnasien) bezweckt 
durchaus nicht die Entwickelung des Geistes, sondern nur positives 
Wissen, und auch dieses nicht einmal als Selbstzweck, sondern als 
Mittel, Preise zu erlangen und Examina zu passiren. Vom Proviseur 
(Director) bis zum Lehrer, vom Lehrer bis zum letzten Schüler 
werden nur diese äusseren Gesichtspunkte in’s Auge gefasst. Je 
mehr Schüler durch’s Baccalaureatsexamen (Abiturientenexamen) 
kommen, desto mehr Recruten wird die Anstalt machen, desto be¬ 
rechtigter werden die Ansprüche des Proviseurs und des Lehrers 
auf Beförderung oder Decoration, desto grösser wird jedenfalls ihr 
Einkommen sein; denn vou diesem ist ein Theil „eventuell“, d. h. ein 
Procent des Gesammteinkommens der Anstalt (also eine Tantieme!). 
Der Schüler endlich, gehört er zu den besten, denkt nur an seine 
Triumphe am Tage der Preisvertheilung, einer ganz ausserordentlichen, 
theatralischen Feierlichkeit, der ausser Tausenden von Zuschauern 
alle höchsten Autoritäten des Departements beiwohnen; gehört er zu 
den mittelguten, so ist das verhängnisvolle Examen sein einziger 
Stimulus. (In Pensionen kommt es häufig vor, dass begabte Kinder 
unentgeltlich aufgenommen werden, um für eine bestimmte Prämie, 
z. B. der Geschichte, der Mathematik, des lateinischen Aufsatzes etc., 
je nach ihrer Begabung dressirt zu werden.) Ein Concours jedes Gym¬ 
nasiums sortirt alljährlich die 10 Besten jeder Klasse; ein weiterer 
Concours dieser mit den Erwählten anderer Gymnasien des Unterrichts¬ 
bezirks (academie) stellt die 10 Besten des ganzen Bezirks in die 
Vorderreihe, und da es 16 solche Bezirke in Frankreich giebt, so wird 
der 3. und allgemeine Concours 160 Competenten für jede Klasse 
im Hauptturnier zusammenführen. Der glückliche Sieger aber ist 
geborgen für sein ganzes Leben: le grand prix d’honneur wird ihm 
nie vergessen; schon sogleich am Tage des Sieges wird ihm ein 
reicher Preis, dazu eine Einladung zum Diner des Ministers, Be¬ 
freiung vom Militärdienst; bei jeder späteren Bewerbung um eine 
Staatsstelle ist der Preis die gewichtigste Empfehlung. Der glück¬ 
liche Lehrer erhält natürlich das Kreuz der Ehrenlegion, und das 
betreffende Gymnasium wird mit dem neuen Schuljahr auf einen 
starken Zuwachs rechnen können. ... Von der Gedankenlosigkeit, Ober¬ 
flächlichkeit, Mechanik des Unterrichts in den weiblichen Instituten 
— höhere Töchterschulen kennt man in Frankreich nicht — ist es 
schwer, sich einen Begriff zu machen; es reducirt sich in Wirklich¬ 
keit auf ein papageienhaftes Auswendiglernen von Tabellen, Daten, 
Büchertiteln etc.“ (p. 72). 

Und die eigentliche Erziehung? — „Die Familienerziehung lässt 
das Individuum in allen seinen Launen und Unarten gewähren; die 
Collegeerziehung sucht es selbst in seinen berechtigtsten Eigenheiten 
zu unterdrücken. Und dieses rohe Princip wird mit der rohesten 
Methode durchgeführt. Ueberwachung, Strafe, Belohnung, Aus¬ 
zeichnung sollen die bösen Instincte ira Zaume halten, reichen aber 
nur aus, sie dem Auge zu entziehen, denn unter der Oberfläche 
wurzeln sie fort wie geiles Unkraut. Weder Pflichtgefühl, noch 
Wahrheitsliebe, noch Ehrfurcht werden zu entwickeln gesucht. Nicht 
das Gemüth rein, die Phantasie keusch zu erhalten, den Sinn auf 
das Höhere und Ideale zu lenken, bemüht sich der Erzieher, son¬ 
dern strafbare Handlungen zu verhindern oder dem Tageslicht zu 
entziehen. Furcht und Feindschaft oder Familiarität und Kamerad¬ 
schaft kennzeichnen das Verhältniss zwischen Lehrer und Schüler 
und lassen keinen Platz für ein vertrauensvolles Hinaufblicken und 
für lebendige sittliche Autorität.“ (p. 69). Soweit Hillebrand. 

Man kann sich daher im Grunde nicht wundern, wenn einzelne 
Lobpreiser der Orthopedie morale, unter ihnen auch der grosse 
Pädagog Hement, das Naturgemässe der hypnotischen Dressur da¬ 
durch zu beweisen suchen, dass sie auf die bei wilden Bestien zu 
ihrer Zähmung mit Erfolg angewandten ähnlichen hypnotischen 
Dressirmittel verweisen. 


*) Eine ausführlichere Darstellung findet man in 2 Osterprogrammen 
des französischen Gymnasiums in Berlin 1879 und 1880 „L’enseignement 
secundaire en France“ par Eruest Friese. 


Es ist aber grundfalsch, wenn von dieser Seite behauptet 
wird (s. oben), die ganze Erziehung eines Kindes bestehe aus nichts 
anderem als aus einer fortlaufenden Reihe von Suggestionen. Denn 
während die Suggestionserscheinungen nur zu Stande kommen bei 
Ausschliessung des bewussten Willens, lässt sich eine vernünftige 
Erziehung ohne geflissentliche Auregung desselben nicht denken. 

Sodann aber habe ich wiederholt hervorgehoben, dass alle be¬ 
sonnenen Aerzte, auch Charcot, den hypnotischen Zustand als 
eine neuropathologische Erscheinung, und die leicht suggestiblen 
Personen als sozusagen constitutioneil nervenkrank ansehen. Dann 
bedeutet aber die Orthopedie morale nichts anderes, als den Teufel 
durch Beelzebub austreiben oder auf gut deutsch: ich versetze einen 
zur Verrücktheit Disponirten wirklich in den Zustand des Verrückt¬ 
seins, um ihn gesund zu machen. Es gehört in der That viel 
Harmlosigkeit dazu, wenn Aerzte wie Bern heim, die das tolle 
Treiben der Hypnotisirten seit Jahren täglich vor Augen gehabt 
haben, mit der grössesten Bestimmtheit immer wieder behaupten, 
der hypnotische Schlaf sei kein pathologischer, sondern in dem¬ 
selben Sinne ein physiologischer Zustand, wie der natürliche Schlaf. 
Ist das aber nicht der Fall, so sehen wir uns sofort vor die schwer¬ 
wiegende Frage gestellt: kann dieser pathologische Schlaf nicht 
schädliche Folgen für das Nervensystem der Versuchsperson haben? 
Ich stehe nicht an, diese Frage rundweg zu bejahen. Damit aber 
kommen wir zu einem andern Capitel, die Gefahren und die 
legale Bedeutung des Hypnotismus, welche ich in dem 
folgenden Abschnitt zu besprechen gedenke. 

(Fortsetzung folgt.) 


IV. Die Behandlung der Otorrhoe mit Bor¬ 
säurepulver. 1 ) 

Von Dr. Stacke in Erfurt. 


Wenn ich mich zu einer Entgegnung auf die in dem vorstehend 
bezeichenten Artikel enthaltenen Aeusserungen des Herrn Professor 
Bezold herbeilasse, so bestimmen mich dazu nicht die persönlichen 
Invectiven, mit denen es dem Verfasser beliebt hat, auf meine sach¬ 
lichen Ausführungen 2 ) zu antworten, sondern in erster Linie das 
Verlangen, der Wahrheit Geltung zu verschaffen. Dass ich so spät 
entgegne, hat seinen Grund in äusseren Verhältnissen. 

Leider bleibt es mir nicht erspart, auf die persönlichen An¬ 
griffe Professor Bezold’s zu antworten, soweit es nöthig ist, um 
die darin enthaltenen Unrichtigkeiten aufzudecken. Vielmehr muss 
ich mit diesem Theil meiner Entgegnung beginnen, um gleich von 
vornherein dem Leser einen Einblick zu gewähren in die Art und 
Weise, wie Professor Bezold wissenschaftliche Polemik treibt. — 
Derselbe hat sich nicht gescheut, mir vorzuwerfen, ich hätte die 
Krankengeschichte des Falles IV, 3 ) welchen er früher behandelt 
habe, „nach meinem Bedarf construirt“ und die „genaue Informa¬ 
tion“, welche mir durch seinen brieflichen Bericht geworden sei, 
verschwiegen. Dass diese Behauptung, abgesehen von ihrer sonsti¬ 
gen Qualität, mindestens sehr unvorsichtig war, wird aus dem 
betreffenden Briefe Prof. Bezold’s sofort klar werden. Derselbe 

lautet wörtlich: München, den 14. Januar 87. 

Sehr geehrter Herr College! 

Im Aufträge des Vaters Ihrer Patientin Ida H.möchte 

ich Ihnen Einiges über den früheren Verlauf ihrer Mittelohraffection 
mittheilen, so lange sie unter meiner Beobachtung stand, was viel¬ 
leicht für die Beurtheilung des gegenwärtigen Standes nicht unwesent¬ 
lich ist. Es bestand bei der ersten Untersuchung vor einigen Jahren 
eine einseitige fötide Mittelohreiterung mit sehr ausgedehnter Per¬ 
foration und freier Communication durch die Tube als Folge von 
Scarlatina ca. im 8. Lebensjahre. Fötor und Otorrhoe verschwanden 
unter regelmässiger Antiseptik damals in einigen Wochen. Von da 
ab machte das andere Ohr mit intactem Trommelfell eigentlich 
mehr zu schaffen, als das ursprünglich erkrankte, indem wieder¬ 
holte acute Tubenprocesse mit kurzdauernder Otorrhoe sich im 
Lauf der nächsten Jahre einstellten, abhängig von ziemlich stark 
entwickelten adenoiden Vegetationen. Nach deren Abtragung mit 
dem Nasenrachenschnürer verloren sich diese Tubenprocesse. — Die 
Otorrhoe auf dem anderen Ohr kehrte hie und da auf einige Tage 
wieder, verschwand aber jedesmal im Verlauf von Tagen unter Bor- 
behandluag. Zuletzt war die Otorrhoe über ein Jahr ganz ausge¬ 
blieben und bestanden keine irgend beängstigenden Erscheinungen. 


*) Entgegnung auf den Artikel Professor Bezold’s in No. 7 dieser 
Wochenschrift: „Antwort auf: „„Die Behandlung der Otorrhoe mit Bor¬ 
säurepulver etc.““ von Dr. L. Stacke.“ 

*) „Die Behandlung der Otorrhoe mit Borsäurepulver (ein Wort zur 
Warnung an die Herren Collegen)“ No. 49 u. 50 des Jahrgangs 1887 dieser 
Wochenschrift. 

s ) S. meine oben citirte Arbeit. 


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23. Anglist. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


697 


Herr H. lässt Sie durch mich um einen gefälligen Bericht über 
den gegenwärtigen Stand der Affection bitten. — Empfangen Sie 
den Ausdruck etc. etc. Prf. Dr. Bezold.“ 

Jeder, welcher meine Krankengeschichte (1. c.) mit dem Inhalt 
dieses Briefes vorurtheilsfrei vergleicht, wird mir zugeben müssen, 
dass ich das Wenige, was letzterer über die Erkrankung des uns 
hier allein interessirenden eiternden linken Ohres enthält, und was 
Bezold eine „genaue Information“ nennt, gewissenhaft benutzt 
und nicht nur nichts verschwiegen, sondern die sehr dürftigen anam¬ 
nestischen Daten vielmehr, wie dies bei jeder Krankengeschichte 
üblich ist, aus den Angaben der Patientin und ihrer Angehörigen 
ergänzt habe. Wenn diese anamnestischen Erhebungen mit der 
nachträglich in seiner Krankengeschichte (1. c.) gegebenen Dar¬ 
stellung Prof. Bezold’s nicht im Einklang stehen, so gebührt der 
Vorwurf dafür doch sicherlich nicht mir, sondern es sind entweder 
die Angaben der Patientin oder die Prof. Bezold’s unrichtig. Es 
mag genügen, darauf hinzuweisen, dass letzterer sich selbst wider¬ 
spricht. In seiner Krankengeschichte sagt er: „Die Otorrhoe linker¬ 
seits kehrte noch ein Mal wieder am 11. Januar 1884 im Anschluss 
an eine Angina und wurde zum zweiten Mal unter der gleichen 
Behandlung beseitigt bis zum 29. Februar etc. Vom 29. Februar 
3884 an war linkerseits der Ausfluss nicht wiedergekehrt 
etc.“ In dem Briefe dagegen heisst es: „die Otorrhoe kehrte hie 
und da auf einige Tage wieder, verschwand aber jedesmal im 
Verlauf von Tagen unter Borbehandlung.“ Unter „hie und da“ ist 
doch mindestens ein mehrmaliges Recidiv zu verstehen. 

Es erhellt hieraus, dass Prof. Bezold einmal sich geirrt hat, 
entweder in dem Briefe oder in seiner Entgegnung. Ueberhahpt 
erweckt es wenig Vertrauen zu der Exactheit seiner Aufzeich¬ 
nungen, wenn er einen Zeitraum vom 11. Januar bis 29. Februar 
als „einige Tage“ bezeichnet, um damit den schnellen Erfolg 
seiner Behandlungsmethode hervorzuheben. Der Vorwurf, welchen 
mir Prof. Bezold zu machen sucht, dass ich die betr. Krankenge¬ 
schichte „nach meinem Bedarf construirt“ hätte, trifft demnach nicht 
mich, sondern ihn selbst. Was bei solchem Verhalten von der 
Objectivität der Bezold’schen Casuistik, auf die er sich 
beruft, zu halten ist, sagt sich jeder Leser selbst. Die anam¬ 
nestischen Daten meiner Krankengeschichte, deren Richtigkeit Prof. 
Bezold anzweifelte, hat mir der Vater der Patientin nochmals 
brieflich bestätigt. Aus dessen Angaben (Brief vom 5. März 1887), 
die durchaus den Eindruck absoluter Zuverlässigkeit machen, geht 
hervor, dass die Behandlung 2 Jahre dauerte, dass aber Fötor 
und Otorrhoe mit Unterbrechungen nach wie vor vorhanden 
waren und von 1883 bis 1886 bestanden; im 3. Jahre wäre die 
von Prof. Bezold erlernte Borpulverbehandlung privatim zu Hause 
fortgesetzt worden. Demnach ist die Eiterung bis zum Jahre 1886 
nie geheilt, sondern nur zeitweise cachirt gewesen. Die Angaben 
meiner Krankengeschichte halte ich somit bis in’s kleinste Detail 
gegen alle gegenteiligen Behauptungen Prof. Bezold’s aufrecht 
und bedaure nur, dass die Kampfesweiße dieses Herrn mir das Ein¬ 
gehen auf persönliche Verhältnisse zur zwingenden Notwendigkeit 
gemacht hat. 

Die wenigen sachlichen Einwände Prof. Bezold’s will ich 
mit Uebergehung einiger Verdrehungen noch kurz beleuchten. 
Zunächst versucht derselbe die Bezeichnung der „Antiseptik“ für 
seine Borpulverbehandlung zu retten. Er klammert sich dabei an 
die übrigen Orificien des menschlichen Körpers, wo auch nur eine 
Antisepsis in modificirter Form möglich sei. Ich kann mir wohl das 
Eingehen auf diese, jedes Berührungspunktes und somit jeder Be¬ 
weiskraft ermangelnde Analogie sparen, zumal ich mich eingehend 
genug in meiner Arbeit (1. c.) über Antisepsis verbreitet habe. 
Wenn Prof. Bezold immer nur die „Abhaltung von Fäulnisserregern 
vom Eindringen durch den äusseren Gehörgang“ als notwendiges 
Postulat hinstellt, um den Fötor nicht aufkommen zu lassen, so 
scheint es ihm unbekannt zu sein, dass zum Zustandekommen des¬ 
selben vor Allem Retention des Secretes durch gehinderten Ab¬ 
fluss gehört. Auch die stinkendste Mittelohreiterung verliert in we¬ 
nigen Tagen den Fötor trotz aller eindringenden Noxen, wenn es 
gelingt, allem angesammelten Eiter Abfluss zu verschaffen und die 
Massen mechanisch zu entleeren. Ohne dies ist das beste Anti- 
septicum nutzlos. Man müsste denn mit dem Borpulver alles zu¬ 
schütten, ja daun kann der Gestank eiue Zeit lang nicht hindurch. 
Man nennt das in der Ohrenheilkunde „Antiseptik“. Wenn Prof. 
Bezold weiter eine antiseptische Wirkung des Borpulvers darin 
findet, dass sich durch dasselbe „secundäre diffuse Otitis externa, 
Excoriationen, diffuse Schwellung und Wucherung der Gehörgangs¬ 
wände“ mit unbedingter Sicherheit abhalten lassen, so liegt darin 
eine Anspruchslosigkeit ausgedrückt in Bezug auf therapeutische Er¬ 
folge, welche wirklich alle Anerkennung verdient. Solche Zustände 
sind unter dem wirklichen antiseptischen Verbände überhaupt un¬ 
denkbar und können nur bei gänzlicher Vernachlässigung dessen, 
was man „chirurgische Reinlichkeit“ nennt, auftreten. Dass die im 


Verlaufe von Scharlach und Phthisis zu beobachtenden „acuten 
Mittelohreiterungen mit ausgedehnter Zerstörung des Trommelfells“, 
auch wenn sie „fötid in Behandlung kommen“, unter Borbehandlung 
„ausnahmslos den Geruch in kurzer Zeit“ verlieren, erklärt sich aus 
der durch die weite Oeffnung gegebenen Möglichkeit des spontanen 
Secretabflusses und ist auch ohne Borsäure bei einigermaassen sorg¬ 
fältiger Reinigung zu erreichen. Ich glaube mir daher keine 
Unterlassungssünde vorwerfen zu müssen, dass ich diese in der 
That grossartige, „von Hunderten 1 ) von Ohrenärzten consta- 
tirte Beobachtungsthatsache“ in meiner Arbeit verschwiegen 
habe, wie Prof. Bezold mir vorwurfsvoll Schuld giebt. Wenn aber 
letzterer aus diesen bescheidenen therapeutischen Resultaten allen 
Ernstes die Berechtigung folgert, die Borpulverbehandlung eine anti¬ 
septische zu nennen, so scheinen unsere Begriffe vou Antisepsis 
allerdings wenig Berührungspunkte zu haben. 

Trotz des Widerspruches Prof. Bezold’s habe ich mich des 
Oefteren überzeugt, dass das Borpulver mit dem Secret unter ge¬ 
wissen Verhältnissen feste, schwer entfernbare Krusten bildet, ins¬ 
besondere wenn die Spiegelcontrole fehlt. Wenn es aber Prof. 
Bezold für möglich hält, dass die weissen Cholesteatommassen, 
„welche so häufig in den Perforationen der Membrana Shrapnelli 
uns entgegen treten“, mit Borsäure verwechselt werden können, so 
scheint derselbe von der Exactheit unserer heutigen Diagnostik recht 
wenig zu halten. 

Mit dem Paukenröhrchen, welches Instrument ich schon des¬ 
halb nicht erwähnt habe, weil ich kein Lehrbuch der Ohrenheil¬ 
kunde schreiben wollte, wird er aber gegen diese Cholesteatom¬ 
massen wenig ausrichten, da dieselben so fest anhaften und sich 
immer neu bilden, dass selbst nach breitester Eröffnung aller Neben¬ 
räume oft Wochen zu ihrer gänzlichen Entfernung nöthig sind. Es 
kann sich zur Heilung solcher Zustände nur um die Entfernung von 
Hammer und Amboss und Aufmeisselung des Warzenfortsatzes han¬ 
deln, operative Eingriffe, welche bei dem heutigen Stande der Wund¬ 
behandlung so gut wie gefahrlos sind. Freilich wird es noch lange 
dauern, bis die Nothwendigkeit solcher Operationen allgemein an¬ 
erkannt wird. Es wird noch viel, viel Borsäure in die Ohren ein¬ 
gepulvert werden, ehe man allgemein die Schablone als Norm für 
die Behandlung von Ohreneiterung fallen lassen und zu der Er¬ 
kenntnis kommen wird, dass die chirurgischen Krankheiten 
des Ohres chirurgisch behandelt werden müssen. Ich unter¬ 
lasse es aber nicht, meine Erfahrungen über die landläufige Bor¬ 
pulverbehandlung nochmals dahin zusammeuzufassen, dass ich die 
Herren Collegen dringend vor der Anwendung dieser so bequemen 
Schablonenbehandlung warne. 

Wenn Professor Bezold am Schlüsse seiner Entgegnung er¬ 
klärt, dass er sein „letztes Wort in der Polemik über Borsäure¬ 
behandlung des Ohres gesprocheu“ habe, so soll mich diese Drohung 
nicht abschrecken, meinerseits auf etwaige sachliche Einwände zu 
erwidern, wogegen auch ich hoffe, auf persönliche Angriffe und un¬ 
gerechtfertigte Beschuldigungen nicht noch einmal antworten zu 
müssen. 

V. Die wichtigsten Vorkommnisse des 
Jahres 1887 auf dem Gebiete der Bacteriologie. 

Von Dr. Carl Günther in Berlin. 

(Fortsetzung aus No. 33.) 

9. Tetanusbacillen. 

Die schon bekannte Thatsache, dass der Wundstarrkrampf durch 
Infektion mit dem Tetanusbacillus hervorgerufen wird, ist in dem ver¬ 
flossenen Jahre wieder durch eine Reihe von Beobachtungen bestätigt 
worden. Sehr wichtige Untersuchungen verdanken wir Beumer (Zeitschr. 
f. Hyg. Bd. 3, 1887), welcher den Nachweis lieferte, dass auch der Trismus 
sive Tetanus neonatorum dem genannten Bacillus seine Entstehung 
verdankt. Beumer stellte das Vorhandensein des Tetanusbacillus in dem 
Nabel eines im Alter von 11 Tagen an Tetanus verstorbenen Knaben durch 
Cultur- und Thierversuche fest 3 ), und es gelang ihm auch bei neugeborenen 
Meerschweinchen und Kaninchen durch Infection der Nabelwunde künstlich 
Tetanus zu erzeugen. Zum Zustandekommen der Infection ist es, wie 
Beumer weiterhin (Greifswalder med. Verein, 3. Dec. 1887) nachwies, 
nöthig, dass die granulirende Nabelwundfläche zunächst Verletzungen auf¬ 
weist, durch die der Infectionsstoff eindringen kann. Die ausserordentliche 
Bedeutung dieser Ergebnisse für die Praxis liegt auf der Hand. Die Te¬ 
tanusbacillenkeime fand Beumer ausserordentlich verbreitet. In dem 
Kehricht der Strassen und Wohnungen sind sie stets zu finden. — Ferner 
hat sich Bonome in Turin (La Rif. raed. 1887, No. 135, No. 230. — 
Fortschr. d. Med. 1887, No. 21, Orig.-Mitth.) eingehend mit Tetanusstudien 


*) Es dürfte selbst Herrn Prof. Bezold schwer werden, die „Hunderte 
von Ohrenärzten“ zu finden, falls er unter „Ohrenarzt“ mehr versteht, als 
einen Arzt, welcher Borsäure in’s Ohr blasen kann. 

*) Auch Peiper (Centr. f. Klin. Med. 1887, No. 42) wies in dem Nabel 
eines neugeborenen an Tetanus verstorbenen Kindes durch das Thierexperi¬ 
ment den Tetanusbacillus nach. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34 


beschäftigt. Er hatte Gelegenheit, mehrere Fälle von Wundtetanus zu 
untersuchen, die Personen betrafen, welche in der bei dem Erdbeben am 
23. Februar 1887 einstürzenden Kirche in Bajardo (Ligurien) durch Stücke 
des Mauerworks verletzt worden waren. In den Wunden sowohl wie in dem 
alten Mauerwerk der Kirche fanden sich die Tetanuserreger. Im (Leichen-) 
Blute und in den inneren Organen wurden die Bacillen vermisst. Auch 
einen Fall von Castrationstetanus bei einem Hammel beobachtete 
Bonome und konnte auch hier die Tetanusbacillen (in der Castrationswunde) 
nachweisen. — Eine Reihe von anderen Fällen von Wundtetanus mit Nach¬ 
weis der charakteristischen Bacillen sind von Beumer (Berl. klin. Woch. 
1887 No. 30, 31), Ohlmüller und Goldschmidt (Centr. f. klin. Med. 1887 
No. 31), Giordano (Contributo etc. Torino 1887), Hochsinger (Centr. f. 
Bact. Bd. 2 1887, No. 6, 7) und Vanni und Giarre (La Rif. med. 1887, 
No. 184 — 190) beschrieben worden. Die beiden letztgenannten Arbeiten 
wiesen den Tetanusbacillus auch im Blute des Tetanischen nach. Constant 
scheint dies Verhalten jedoch nicht zu sein. — Alle Autoren stimmen darin 
überein, dass es auf keine Weise gelingt, den Tetauusbacillus vollkommen 
rein zu züchten. Er wird stets in Gesellschaft anderer Mikroorganismen 
getroffen, und namentlich ist es ein kurzer plumper Bacillus, mit dem der 
Tetanusbacillus auf ein symbiotisches Dasein angewiesen zu sein scheint. — 
Brieger (diese Wochenschrift 1887, No. 15) hat eine Reihe von Alkaloiden 
aus Tetanusculturen dargestellt, sogenannte Toxine, von denen namentlich 
das „Totanin“ (C 13 HsoNa ()*) äusserst giftig und starrkrampferregend wirkt. 

10. Bacillen des malignen Oedems. 

Ueber zwei Fälle von malignem Oedem beim Pferde berichteten Jensen 
und Sand (Deutsche Zeitschrift f. Thiermed. Bd. 13, 1887). Beide Fälle 
waren durch Trauma veranlasst. Auf Thiere (Kaninchen, Ratten, Haus¬ 
mäuse) Hessen sich die in dem Gewebssafte gefundenen Bacillen mit Erfolg 
übertragen. Die Autoren cultivirten die (bekanntlich streng anaeroben) Ba¬ 
cillen durch Einbringung des bacillenhaltigen Materials in coagulirtes Blut¬ 
serum, auf welches eine hohe Agarschicht (zum Abschluss des atmosphäri¬ 
schen Sauerstoffs) aufgefüllt wurde. — Charrin und Roger (Soc. de Biol. 
Paris, 25 juin 1887) sahen Hunde, die mit virulentem Material geimpft 
wurden, nur local (ohne Gasbildung) erkranken und fanden die Thiere nach 
der Genesung immun gegen wiederholte Impfungen. 

11. Andere pathogene Bacillen. 

Sehr wichtige Mittheilungen verdanken wir Bordoni-Uffreduzzi (Zeit- 
scbr. f. Hyg., Bd. 3, 1887). Derselbe fand in zwei Sectionsfallen von 
Menschen, die nach ganz kurzer mehrtägiger Krankheit starben, und bei 
denen Blutreichthum der inneren Organe und Hämorrhagieen in der Luft¬ 
röhren- resp. der Darmschleimhaut vorgefunden wurden, im Blute und in 
flen Organen einen in seiner Polymorphie an die Hauser’schen Proteus¬ 
arten erinnernden Mikroorganismus, „Proteus hominis capsulatus“, 
der in milzbrandbacillenähnlichen Stäbchen erscheint, die zu Fäden aus- 
wachsen und sich auf der Höhe der Entwickelung in kleine coccenähnliche 
Theilchen spalten. Im Blute sowohl wie in Agar- und Serumculturen ist 
der Proteus hominis von einer färbbaren Kapsel umgeben. Der Orga¬ 
nismus wächst in sauren und alkalischen Nährböden gleich gut, verflüssigt 
die Gelatine nicht. Er wächst bei Zimmertemperatur ebenso wie im Brut¬ 
schrank, nur wird in letzterem Falle der Entwickelungskreis schneller durch¬ 
laufen. Fäulniss ruft der Organismus nie hervor. Sporen werden nicht 
gebildet, doch erscheinen in alten Culturen dicke, färbbare Anschwellungen, 
welche der Verfasser für Dauerformen zu halten geneigt ist. Nie zeigt der 
Proteus hominis Eigenbewegung, ebenso fehlt das Ausschwärmen und die 
den anderen Proteen eigentümliche Zoogloeabildung. Die Fadenform färbt 
sich nach Gram gut, die einzelnen Individuen werden rasch entfärbt. 
Mäuse und Hunde sind sehr empfänglich für die Infection mit dem Organis¬ 
mus. Durch mehrfaches Passiren des Mausekörpers steigert sich die Virulenz. 
Die Infection der Thiere kann sowohl durch subcutane und intravenöse Injec- 
tion wie durch Einverleibung vom Darme her erfolgen. 

Hochinteressante Beobachtungen haben Foä und Bonome (Giomale 
della R. Acc. di med. di Torino. 1887 No. 11, 12) hinsichtlich des Verhal¬ 
tens von Versuchstieren gegen die Impfung mit Culturen von Proteus 
vul garis gemacht. Siefanden, dass intravenöse oder intraabdominelle Ein¬ 
verleibung künstlicher Culturen dieses Organismus bei Kaninchen aus¬ 
nahmslos den Tod zur Folge hatte, während die Einimpfung von Blut der 
frisch gestorbenen Thiere auf gesunde Kaninchen die letzteren nur zu vor¬ 
übergehender Erkrankung brachte und dieselben ausnahmslos immun machte 
gegen Infection mit virulenten künstlichen Culturen. Genau dieselben Re¬ 
sultate erhielten die Autoren bei Fröschen. Aus dem zur Imraunisirung 
dienenden Blute der gestorbenen Thiere Hessen sich übrigens stets virulente 
künstliche Culturen züchten. I)Le Autoren sind der Ansicht, dass es sich 
bei der Immunisiruug um die Wirkung der Ptomaine handelt. Sie konnten 
auch mit durch Thon filtrirtem (also von don Bacterien befreiten) Blute die 
nämlichen Resultate erzielen. 

Weichsel bäum (Centr. f. Bact. Bd. 2. 1887. No. 8) fand in 14 Fällen 
ulceröser Endocarditis zwei Mal einen neuen Bacillus, „Diplobacillus 
brevis endocarditidis“, mit dem sich hei Thieren Endocarditis künst¬ 
lich erzeugen Hess.— Bei Endocarditis verrucosa fanden E. Fränkel 
und Sänger (Virch. Arch. Bd. 108. 1887) unter anderen Bacterien auch 

den Bacillus foetidus Passet und einen anderen, unbeweglichen, foe- 
tiden Bacillus. Mit diesen beiden Bacterienarten gelang es ebenfalls bei 
Thieren künstlich Endocarditis zu erzeugen. Die Autoren halten nach ihren 
Untersuchungen auch die verrucöse Form der Endocarditis für eine mykotische 
Erkrankung. — In einem Falle von eitriger Meningitis fanden Neumann 
und Schäffer (Virch. Arch. Bd. 109. 1887) einen schlanken, feinen, mit 

Eigenbewegung begabten, nach Gram nicht färbbaren, facultativ anaeroben 
Bacillus. — Neue Untersuchungen über seinen Diphtheriebacillus be¬ 
richtete Loeffler (Centr. f. Bact. Bd. 2 1887, No. 4). Er fand in 10 frisch 
untersuchten Diphtheriefallen beim Menschen durch die Cultur stets die 
charakteristischen Stäbchen. Dieselben wachsen über 20° 0 auf Gelatine, 


Agar etc.: Meerschweinchen sind ein absolut zuverlässiges Reagenz auf die 
Infection. Auf die Vulva übergeimpft geben die Culturen zur Entstehung 
charakteristischer diphtherischer Processe daselbst Veranlassung. Es giebt 
morphologisch und in der Cultur sehr ähnliche Bacillen, „Pseudodiphtherie¬ 
bacillen“ , die aber ganz unschädlich sind. Dieselben kommen neben den 
echten Diphtheriebacillen vor. — Einen dem Loeffler’schen sehr ähnlichen, 
aber nicht pathogenen Bacillus fand v. Hofmann (Tagebl. d. 60. Vers. d. 
Naturf. u. Aerzte. Wiesbaden 1887, p. 119—120) als sehr häufigen Be¬ 
wohner des gesunden und kranken Pharynx. — In den grünen Diarrhöen 
der Säuglinge fand Lesage (Bull. med. 26. Oct. 1887.) einen leicht zu 
züchtenden Bacillus, der einen grünen wasserlöslichen Farbstoff producirt. 
Er ist aerob und verflüssigt die Gelatine nicht. Bei jungen Kaninchen liess 
sich durch Verfütterung oder durch intravenöse Einspritzung der Culturen 
grüne Diarrhöe hervorrufen. Der Bacillus ist gegen Milchsäure sehr emp¬ 
findlich. — Den von Schou (1885) bei der experimentellen Vaguspneumonie 
des Kaninchens gefundenen Bacillus pneumonicus agilis wies Neu¬ 
mann (Zeitschr. f. klin. Med. 1887) in einem Falle von fibrinöser Pneu¬ 
monie bei Variola beim Menschen, und zwar in Gemeinschaft des A. Fraen- 
kel’sehen Pneumoniecoccus, nach. Der Autor hat die Biologie des erst¬ 
genannten Bacillus genauer studirt. — Ribbert (diese Wochenschr. 1887, 
No. 8) entdeckte einen neuen, für Kaninchen pathogenen Bacillus, den „Ba¬ 
cillus der Darmdiphtherie der Kaninchen“. Derselbe fand sich bei 
einer eigenthümlichen Erkrankung dieser Thiere (serös-fibrinöse Peritonitis, 
punktförmige weisse Knötchen in Leber und Milz, Schwellung der Mesen¬ 
terialdrüsen, Verdickung der Wand des Dünndarms mit nekrotischem Belage), 
und zwar in den Knötchen der Organe, in den Mesenterialdrüsen und in 
der Darmwand. Der Bacillus wächst ohne Verflüssigung bei Zimmertem¬ 
peratur auf Gelatine. 

UI. Spirillen. 

Choleraspirillen 

Eine grosse Reihe von Mittheilungen beschäftigt sich mit dem sogenannten 
„Choleraroth“. Bujwid (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2. 1887) war es zuerst 
aufgefallen, dass Cholerabouillonculturen, die 10 bis 12 Stunden bei 37° C 
cultivirt waren, auf Salzsäurezusatz eine rothe Färbung erhielten, während 
die Culturen von Finkler-Prior’schen Kommabacillen eine ähnliche, aber 
nicht ganz so präcise Reaction gaben. — Dunham (ebenda) fand dann, 
dass die Finkler-Prior’schen und die Deneke’schen Kommabacillen bei 
Anwendung von concentrirter Schwefelsäure die Reaction nur auf vorher¬ 
gehenden Salpetersäurezusatz geben, während bei den Choleraculturen dieser 
Zusatz nicht nothwendig ist. Jedoch ist es, wie Dunham weiter fand, zum 
Eintreten der Reaction unerlässlich, dass die Nährflüssigkeit Pepton enthält. 
— Brieger, (diese Wochenschr. 1887, No. 15) isolirte das Choleraroth aus 
den Choleraculturen: dasselbe ist basischer Natur und bildet braunrothe, 
bei 215° C schmelzende, nicht sublimirbare, in Wasser und Aether unlös¬ 
liche, in Benzol lösliche, ungiftige Blättchen. Brieger (diese Wochenschr. 
1887 No. 22) fügte dann hinzu, dass das Choleraroth ein Indolderivat ist. 
Er fand endlich (diese Wochenschr. 1887 p. 602) noch einen zweiten Farb¬ 
stoff in mit Schwefelsäure behandelten Choleraculturen, das „Cholerablau“, 
welches zum Unterschiede vom Choleraroth in Benzol unlöslich ist und ein 
charakteristisches Absorptionsspectrum bietet. — Die Specifität der Cholera- 
rothreaction ist dann von Ali-Cohen (Fortschr. d. Med. 1887, No. 17) 
bestritten worden. — Jedoch hat Salkowski (Virch. Arch. Bd. 110. 1887) 
den endgültigen Nachweis geliefert, dass bei Anwendung von reinen Säuren 
allerdings nur die Choleraculturen die Reaction geben. Die Cholera- 
rothreaction ist nämlich nichts weiter als die gewöhnliche Indol reaction, 
welche dann eintritt, wenn Indol mit salpetriger Säure behandelt wird. 
Verwendet man nun ganz reine, salpetrige Säure nicht enthaltende, Mineral¬ 
säuren, so kommt die Reaction in den Choleraculturen deshalb zu Stande, 
weil die letzteren fortwährend Indol und salpetrige Säure produciren, die in 
den Culturen in der Form von Nitriten vorhanden ist und bei Zusatz einer 
stärkeren Säure frei wird. Den übrigen Komraabacillenarten kommt zwar 
die Indolbildung, nicht aber die Nitritbildung zu, und deshalb tritt in ihnen 
bei Anwendung reiner Mineralsäuren die genannte Reaction nicht ein. — 
Schuchardt (Virch. Arch. Bd. 110 1887) hat dann die historisch interes¬ 
sante Notiz gebracht, dass bereits vor 40 Jahren Virchow in einem Fil¬ 
trate von Choleradejectionen auf Salpetersäurezusatz eine rothe, sehr deut¬ 
liche Färbung gesehen hat. — Die Stoffwechselproducte des Cholera¬ 
bacillus überhaupt hat Brieger (Berl. Klin. Woch. 1887, No. 44) in den 
Bereich seiner Studien gezogen. 

Mit Thierversuchen beschäftigte sich Hueppe (Berl. klin. Woch. 
1887 No. 9—12). Der Autor spritzte den Thieren intraperitoneal Cholera¬ 
culturen ein, sah die Thiere darauf constant zu Grunde gehen und fand 
hinterher Kommabacillen im Darm. — Die Versuche wurden von Vin- 
cenzi (diese Woch. 1887 No. 17) wiederholt, jedoch mit sorgfältiger Er¬ 
öffnung der Bauchhöhle durch Laparotomie und Einführung der Culturen 
mittels einer stumpfen Pipette. Hier blieben die Thiere constant gesund. 
Vincenzi hat es wahrscheinlich gemacht, dass für die Hueppe’schen 
positiven Resultate noch irgend welche von Hueppe nicht berichteten 
Nebenumstände verantwortlich zu machen sind; denn er zeigte (diese Woch. 
1887 No. 26), dass intraperitoneale, subkutane, intravenöse oder intra- 
pulmonale Einspritzungen von Cholerabacterien dann zu tödtlicher Er¬ 
krankung des Thieres führen, wenn der Darm auf irgend welche Weise ge¬ 
reizt oder verletzt (kauterisirt, abgebunden, in die Bauchwunde eingebun¬ 
den etc.) wird. Die Kommabacillen gelangen dann mit den an der ge¬ 
reizten Stelle stets eintretenden capillären Blutungen in das Darmlumeu 
und kommen dort zu der für das Thier tödtlichen Vermehrung. — Es hat 
sich über diese Fragen eine längere Polemik zwischen Hueppe und Vin¬ 
cenzi entsponnen, in die auch A. Pfeiffer und Lustig eingegriffen 
haben. 

Prof. Tizzoni und Fräulein Cattani in Bologna haben in einer Reihe 
von vorläufigen. Mittheilungen (Riforma medica und Centr. f. d. med. Wiss. 


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23. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


699 


1887) ebenfalls über Cholerathierversuche berichtet, deren ausführliche 
Publication in Aussicht gestellt ist. 

Zum sicheren Nachweis der Choleraspirillen in schwierigen Fällen 
(z. B. wenn die Untersuchung erst Tage lang nach dem Tode vorgenommen 
werden kann und vielfache andere Bacterien vorhanden sind) empfiehlt 
Gruber (Wiener raed. Woch. 1887 No. 7, 8) auf Grund persönlicher Er¬ 
lebnisse das von H. Büchner angegebene Verfahren, bei dem die Cultur 
in steriler, choleraptomainhaltiger Fleischbrühe vorgenommen wird. In 
diesem Nährboden vermehren sich nämlich die Choleraspirillen viel besser 
als zufällig anwesende saprophytische Organismen. — A. Pfeiffer (diese 
Woch. 1887 No. 11) hat den durch Kühne erhobenen Befund von wirk¬ 
lichen (mehrgliedrigen) „Spirillen“ in der Darmwand in einem Cholera- 
sectionsfalle (aus der Finthener Epidemie des Jahres 1886) mitgetheilt. 

Ueber die letztgenannte Epidemie hat Gaffky (Arb. a. d. k. Gesundh.-A. 
Bd. 2 1887) eingehend berichtet. — An derselben Stelle (Bd. 3 1887) ist 
auch der ausführliche Bericht von R. Koch und Gaffky „über die Thätig- 
keit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Egypten und 
Indien entsandten Commission“ erschienen. — Unser gesammtes Wissen von 
der Cholera hat Riedel (Die Cholera etc. Berlin 1887) in prägnanter 
Weise in monographischer Form zusammengestellt. — Ausführliche Cholera¬ 
studien sind ferner von Lustig (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 3 1887) publicirt. 
Der Autor ist durch seine im Jahre 1886 bei Gelegenheit der Cholera¬ 
epidemie in Triest gesammelten Beobachtungen und Erfahrungen zu Re¬ 
sultaten geführt worden, die ganz mit den Ergebnissen der Forschungen 
R. Koch’s coincidiren. 

IV. Andere pathogene Bacterien. 

Als Ursache des Finge rer ysipelo i ds (Erysipelas chronicum, Ery¬ 
thema migrans), einer bei Wildhändlern, Köchinnen etc. nach Fiugerver- 
letzung auftretenden localeu, mit Röthung und Schwellung der Haut ver¬ 
bundenen, langsam fortschreitenden, juckenden, nach 1—3 Wochen spontan 
aufhörenden, fieberloson Erkrankung, wies Rosenbach (Chirurgencongress 
Berlin 1887) ein Cladothrix-ähnliches Bacteriura nach, welches er künstlich 
zu cultiviren vermochte, und dessen Impfung auf den gesunden Arm die 
specifische Erkrankung zur Folge hatte. 

V. Actlnomyceten. 

Einen Fall von acuter Actinomykose beschrieb Kapper (Wiener 
med. Presse 1887 No. 3). Hier wurde bei dem fieberhaft erkrankten 22jäh- 
rigen Patienten eine acut entstandene Phlegmone der Weichtheile über der 
Submaxillardrüse incidirt, und es wurden dabei die charakteristischen 
Actinomyceskörner entleert. — Einen Fall von L ungenactinomykose 
mit Durchbruch durch das Diaphragma in die Leber publicirte Sk erlitt 
(Amer. Journ. of med. sc. 1887). — Einen ähnlichen Fall, bei welchem der 
Process von den Lungen aus durch die Pleura und die darüberliegenden 
Weichtheile nach aussen fortschritt und zu einem sich spontan eröffnenden 
Abscesse der Brustgegend Veranlassung gab. beschrieb v. Sommer (Riv. 
internaz. di med. e di chir. 1887 No. 2, 3). Der Fall war zugleich der 
erste in Neapel beobachtete Fall von Actinomykose. — Ueber einen Fall 
von primärem actinomykotischen Hirntumor berichtete Bollinger (Münch, 
med. Woch. 1887 No. 41). — Ullmann (K. K. Ges. der Aerzte in Wien, 
4. Nov. 1887) hält die Eiterung bei der Actinomykose für eine secundäre 
Erscheinung, durch Eitercoccen bedingt. In mehreren derartigen Fällen 
fand er den Staphylococcus aureus. 

Zur Färbung des Actinomyces musculorum suis empfiehlt Ba¬ 
rartski (diese Woch. 1887 No. 49) Picrocarmin. Die Actinomycesrasen 
werden gelb, das Gewebe roth. 

VI. Hyphomyceten. 

Ueber die systematische Stellung des Soorpilzes arbeitete Plaut 
(Neue Beiträge etc. Leipzig 1887). Der Autor hält den Pilz mit Monilia 
candida Bonorden für identisch. — An den epilirten Haaren von der 
Peripherie der kahlen Stellen bei Alopecia areata fand Schütz (Mon. f. 
prakt. Derm. 1887 No. 3) Sporen und Mycelfäden, die er als zu Tricho¬ 
phyton tonsurans gehörig ansieht. — Story (Lancet. 1887 vol. 1) be¬ 
richtete über einen Fall von plötzlicher, in einer Nacht beim Verweilen im 
dumpfigen Zimmer, eintretender Taubheit. Am nächsten Tage wurden 
Pfropfe von Aspergillus nigricans aus dem äusseren Gehörgange ent¬ 
fernt Darauf trat Heilung ein. — W. Roux (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1887) 
fand in Knochenschliffen der Rippen der im vorigen Jahrhundert aus¬ 
gestorbenen Seekuh (Rhytina Stelleri) Fadenpilze, die er Mycelites ossifragus 
nennt, die aber bis jetzt noch nicht bekannt sind. Der Fadenpilz würde 
- im Seewasser zu suchen sein._(Fortsetzung folgt.) 

VL Feuilleton. 

Dem Andenken Julius Cohnheim’s. 

Im Nachstehenden geben wir die bei der Enthüllung des 
Denkmals von Julius Cohnheim am 3. Juni d. J. gehaltenen 
Ansprachen wieder: 

Ansprache von Prof. W. His. Verehrte Anwesende! Mit 
nächstem 15. August sind es 4 Jahre, seitdem Julius Cohnheim 
von uns geschieden ist. Der eine Mann hatte in harmonischer 
Verbindung eine Summe trefflichster Eigenschaften in sich vereinigt, 
und tief ist auch heute noch die Lücke, welche sein Tod uns 
Ueberlebenden gelassen hat. 

Einen ungewöhnlich begabten und glücklichen Forscher hat 
unsere Wissenschaft in Julius Cohnheim verloren. Zunächst 
im Gebiete der feineren Anatomie, dann aber, und in ganz be¬ 
sonders ausgiebiger und schöpferischer Webe in demjenigen der 
experimentirenden Pathologie haben seine Arbeiten unsern Schatz 


an thatsächlichen Kenntnissen erheblich bereichert, unsere Vor¬ 
stellungsweisen nach wichtigen Seiten hin tief umgestaltet, uud der 
fortschreitenden Untersuchung breite neue Bahnen eröffnet. Mitten 
in fruchtbringender Verfolgung dieser Bahnen ist Cohn heim ge¬ 
fallen, einem Feldherrn gleich, der in siegreichem Vormarsch be¬ 
griffen war. 

Unserer jüngeren Generation ist in dem Dahingeschiedenen der 
geistvolle Lehrer hinweggenoramen worden, welcher mit packender 
Gewalt seine Zuhörer für die von ihm vertretenen Fächer zu be¬ 
geistern gewusst und der es verstanden hat, gerade die tüchtigeren 
Kräfte unter seiner Leitung zu sammeln, sie zu selbstständiger Ar¬ 
beit anzuregen, sie zu zielbewussten Forschern, sowie zu methodisch 
durchgebildeten Aerzten zu erziehen. 

Unsere Universität und insbesondere unsere medicinische Fa- 
cultät beklagen in Julius Cohnheim den an Menschenkenntniss 
reichen Collegen, auf dessen gesunden und klaren Blick, auf dessen 
Umsicht und auf dessen Zuverlässigkeit sie bei schwierigen Ver¬ 
handlungen stets hatten bauen können. 

Wir Alle aber, die wir das Glück gehabt haben, dem Ver¬ 
storbenen in der einen oder anderen Weise näher zu treten, wir 
betrauern in ihm den vorzüglichen Menschen, feinsinnig und an¬ 
regend im Verkehr, treu in seiner Freundschaft und charaktervoll 
in jeder Stellung seines Lebens. Die Erinnerung an den Verkehr 
mit Julius Cohnheim bleibt uns Allen eine unauslöschliche. 

Dem dankbaren Gefühl für den dahingeschiedenen Forscher, 
Lehrer, Genossen und Freund einen dauernden Ausdruck zu 
geben, hat sich bald nach Julius Cohnheim’s Tod als ein weit 
verbreitetes Bedürfnis kund gegeben. In diesem Sinne ist an 
dessen Freunde und Schüler von hier aus ein Aufruf zur Errich¬ 
tung eines Denkmales erlassen worden. Der Aufruf hat allerwärts, 
sowohl in Deutschland, als auch im Auslande lebhaften Anklang 
gefunden. Die Liste derer, die sich an dem zu errichtenden Denk¬ 
mal betheiligen wollten, zählt an die dreihundert Namen, und 
Manche haben den Anlass ergriffen, um in rührenden Worten ihre 
Pietät gegen den Verstorbenen auszusprechen. 

So sind wir schon kurze Zeit nach Versendung des Aufrufes 
in den Stand gesetzt worden, uns in betreff des Denkmales mit 
einem Künstler ersten Ranges, Herrn Prof. R. Siemering in 
Verbindung zu setzen und wir betrachten es als ein besonderes 
Glück, dass Herr Siemering auf unseren Gedanken bereitwillig 
eingegangen ist und dass er dessen Ausführung seine volle Hin¬ 
gebung geschenkt hat. 

Heute stehen wir dem vollendeten Werke gegenüber und wir 
hegen die Zuversicht, dass dasselbe der lebenden, sowie den kom¬ 
menden Generationen in würdiger Weise Zeugniss ablegen wird von 
der Verehrung, welche Julius Cohnheim bei seinen Freunden 
und bei seinen Schülern genossen hat. 

Nicht ohne Empfindung besonderer Wehmuth vertrete ich heute 
die Unterzeichner des seiner Zeit erlassenen Aufrufes. Drei Namen 
hatten unter demselben gestanden, von den dreien sind nur zwei 
übrig geblieben. Vor wenigen Monaten ist auch Ernst Wagner 
von uns geschieden. Cohnheim’s Vorgänger im Amte, hatte 
Wagner dessen Hierherkommen mit besonderer Freudigkeit be- 
grü8st, sich dem jüngeren Collegen warm angeschlossen und ein¬ 
trächtig mit ihm zusammen gearbeitet. Ein treuer Berather und 
Pfleger während Cohnheim’s langer Krankheit, hat er nach dessen 
Tod mehr denn ein Anderer dafür gethan, sein Andenken zu ehren 
und seinen Angehörigen den Schmerz über den Verlust nach Kräften 
zu mildern. Mit Sehnsucht denken wir Leipziger Genossen an die 
glücklichen Jahre zurück, da Julius Cohnheim und Ernst 
Wagner unter uns geweilt und in treuem Vereine mit einander 
gewirkt haben, zwei Naturen, sehr verschieden nach ihrer Veran¬ 
lagung und nach ihrem Bildungsgauge, beide gleich treffliche Men¬ 
schen und in schönster Weise sich ergänzend. 

Ansprache von Prof. 0. Ribbeck. Wenden wir unsere Ge¬ 
danken von der Vergangenheit zu der heutigen Feier. Sie alle, 
hochverehrte Anwesende, die Sie unserer Einladung, zum Theil aus 
der Ferne, gefolgt sind und durch Ihre Anwesenheit aufs Neue be¬ 
zeugen, wie hoch Sie den einstigen Genossen, den Lehrer, den 
Freund schätzen, wie treu Sie die Liebe zu ihm im Herzen tragen, 
— wir heissen Sie an dieser geweihten Stätte willkommen und 
danken Ihnen für den Antheil, welchen Sie dem Gelingen unseres 
Werkes geschenkt haben. 

Ehe wir nun die Handlung, auf welche Ihre Erwartung ge¬ 
spannt ist, vollziehen, gestatten Sie, dass ich das Bild, welches dem 
Andenken unseres Unvergesslichen für Mit- und Nachwelt gewid¬ 
met ist, mit wenigen Worten zuvor an Ihrem inneren Auge vor¬ 
überführe. 

Keine der Wirklichkeit sich eng anschmiegende Nachbildung 
seiner Gesichtszüge werden Sie erblicken: zu solchem Versuche 
fehlten die unerlässlichen Vorbedingungen. Und doch ist genug 
gethan, um an die persönliche Erscheinung des Theuren traulich 


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700 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34 


zu erinnern. Mil dichterischer Freiheit hat der sinnige Künstler 
einen dramatischen Vorgang geschaffen, welcher einen idealen 
Höhepunkt des Lebens und seinen Abschluss wie in einem gesät¬ 
tigten Augenblick zusamraenfasst. Wir sehen den gelehrten For¬ 
scher in faltenreichem bequemem Hausgewande an seinem Schreib¬ 
tisch sitzen, über dem sich eine brennende Leuchte erhebt, um¬ 
wunden von der Schlange Aeskulaps, gekrönt vom Vogel der 
Minerva. Noch eben ist er in emsige Arbeit vertieft gewesen: da 
hat er, ergriffen von einer Entdeckung, die in seiner Seele aufging, 
sich umgewandt und begeistert, wie verklärt, vom Drang freudiger 
Mittheilung getrieben, blickt er auf zu einer keusch verhüllten, 
holden Frauengestalt deren mild schönes Antlitz mit dem Ausdruck 
unendlicher wehmüthiger Liebe ihm zugewendet ist. ln lebhafter 
Bewegung hat er ihre Hand umfasst, und sie legt ihre andere sanft 
ermuthigend auf seinen Arm. So gehören sie sich au und halten 
einander, als ob nichts sie trennen könnte. Harmonie und ein 
Glanz hoher Reinheit ist über die rührende Gestalt ausgegossen. 
Sie hat keinen Namen, ihre Züge gleichen keiner der Lebenden, 
auch kein Attribut eines überirdischen Wesens bezeichnet sie: 
jedoch man fühlt, sie ist die beseligende Macht seines Lebens. Aber 
während die so Vereinten in einander versunken sind, ist vou der 
anderen Seite ein ernster, schwer beflügelter Bote eingetreten. Mit 
der erhobenen Linken löscht er die Flamme, mit einem Finger der 
Rechten rührt er über den Arbeitstisch hinüber leise den herab¬ 
hängenden Arm des ahnungslos Abgekehrten. Die eherne Noth- 
wendigkeit, die sich in Haltung und Miene des strengen Jünglings 
ausdrückt, steht in bedeutendem Gegensatz zu dem weichen Fluss 
der Linien, welche die Gruppe drüben verbinden. Indessen sein 
Haupt ist bekränzt, um den Sieg zu verkünden, welchen der abzu¬ 
rufende Held über die Vergänglichkeit davou getragen hat. Und 
diese weihevolle Scene ist eingefügt in das Innere eines antiken 
Heiligthumes, an dessen mit zarten Blumencapitälen gekrönten Pi¬ 
lastern zu beiden Seiten hoch hinansteigend aus schönen Gefässen 
je ein fruchtreicher Lorbeerzweig sich erhebt. Zwei schmale In¬ 
schriftstreifen auf hellen Metallplatten, die noch nicht ausgeführt 
werdeu konnteu, werden in monumentaler Sprache oben Namen und 
Beruf des Verewigten, unten die Widmuug nebst den Grenzpunkten 
seiner Zeitlichkeit angeben. 

Und nun falle die Hülle, damit Sie mit eigenen Augen das 
edle Kunstwerk schauen, dessen herrliche Vollendung dem Meister 
Dank und Bewunderung bei uns den Lebenden, wie bei kommenden 
Geschlechtern sichert. 

Ansprache von Prof. B. Fraenkel. Verehrte Anwesende: 
Herr Geheimrath Prof. Virchow, der durch anderweitige Pflichten ver¬ 
hindert ist, hier zu erscheinen, und sich dieserbalb entschuldigen 
lässt, hat, als Vorsitzender der Berliner medicinischen Gesellschaft, 
mich beauftragt, Namens der Gesellschaft an seiner Statt heute 
einen Lorbeerkranz auf dieses Grab zu legen. Die Berliner medi- 
cinische Gesellschaft hat nicht aufgehört, Julius Cohnheim als 
ihr Familienmitglied zu betrachten. In Berlin hat er seine hoch¬ 
aufstrebende Entwickelung genommen, und viele der Arbeiten, die 
seiuen Weltruf begründeten uud seinen Namen für ewig der Ge¬ 
schichte der Medicin einverleibten, hat er zuerst in der Berliner 
medicinischen Gesellschaft vorgetragen uud damit veröffentlicht. 
So wie er unter uns wandelte, ein edler Mann von humaner Ge¬ 
sinnung und vornehmem Charakter, ein zuverlässiger Freund, so 
wie wir ihn verehrten als berufenen Lehrer und hervorragenden 
Förderer unserer Wissenschaft, so wie wir zu ihm anfblickten als 
mächtigem Mehrer des Reichs der experimentellen Pathologie, die 
nach seinem, ihres genialen Vertreters, allzufrühen Tode fast ver¬ 
waist erscheint, so habeu und werden wir in Dankbarkeit und 
Treue ihn in der Erinnerung behalten! Zum Zeichen dessen lege 
ich diesen Kranz hier nieder! 


VH. Referate und Kritiken. 

Rosenthal. Vorlesungen über die öffentliche und private 
Gesundheitspflege. 599 S. mit 64 Abbildungen. Erlangen, 
E. Besold, 1887. Ref. 0; Riedel. 

Die „Vorlesungen“ waren im Winter 1886/87 von einem Zu¬ 
hörer niedergeschrieben worden und wurden dann, von Rosefithai 
durchgesehen uud ergänzt, dem Druck übergeben. Verf. bezweckte, 
in seinem Buche speciell das für den Arzt Wichtige und Wissens- 
werthe aus dem umfangreichen Gebiete der öffentlichen und der 
privaten Hygiene zusammenzustellen. Bisher hatte er bei seinen 
Vorträgen den Mangel eines geeigneten, dem Unterricht zu Grunde 
zu legenden Lehrbuches fühlbar empfunden uud hofft nunmehr, 
diesem Bedürfnisse durch sein Buch abzuhelfen und mehr Zeit für 
die Darstellung der experimentellen Seite uud der Untersuchungs¬ 
methoden in den Vorlesungen zu gewinnen. 

Es kam dem Verf. bei seinem Werke weniger darauf an, ein 
reichhaltiges Material iu erschöpfender Weise zu behandeln, als 


vielmehr das als nothwendig Erachtete zu einem klaren Verstau d- 
niss zu bringen. In 57 Capiteln werden die eiuzelneu Gebiete der 
Gesundheitspflege besprochen, für deren eigenartige Anordnung und 
Behandlungsweise dem Verf. wesentlich didactische Gründe be¬ 
stimmend waren. 

Nachdem in einer Einleitung Wesen und Umfang der Hygiene 
und ihre Beziehungen zu anderen Wissenschaften dargelegt sind, 
beginnt Verf. mit der Betrachtung des Bodens, der Grund luft 
und des Grundwassers. Es schliessen sich hieran an die dem Boden 
drohendeu Verunreinigungen durch Abfälle und Fäcalien, die auf 
Beseitigung letzterer hinzielenden verschiedenen Systeme, speciell 
die Canalisation, die Feldberieselung und die anderweitige Behand¬ 
lung von Canalwässern. 

Es folgt die Besprechung der Atmosphäre, ihres Wasser¬ 
gehaltes, der Druck- und Temperaturverhältuisse, die Lehre von 
Wind, Wetter uud Klima. Von den abnormen Bestandteilen der 
Luft werden mit besonderer Ausführlichkeit die schädlichen Gase 
und ihre Wirkungen behandelt. Hieran knüpfen sich die gegen 
diese zu ergreifenden Vorsichtsmaassregeln und die Wiederbelebung 
Asphyktischer. 

Die Betrachtung der Luft in Wohnräumen weist auf die 
Bedeutung der Baumaterialien hin und führt zu einer umfassenden 
Darstellung der natürlichen und künstlichen Ventilation, wie zur 
Besprechung der Heizung. 

Als fernere Schutzmittel gegen atmosphärische Einflüsse kommen 
die Kleidung und die natürliche Wärmeregulation des 
Menschen in Betracht. Letztere hängt wieder eng zusammen mit 
der Aufnahme von Nahrungsmitteln. Der ausführlichen Er¬ 
örterung der Nahrungsmittel folgen die Genussmittel, die durch Miss¬ 
brauch dieser entstehenden schädlichen Folgen und ihre Bekämpfung. 

Es folgt die Betrachtung des Wassers, seiner Zusammensetzung, 
seiner Verunreinigungen und der Arten der Wasserversorgung. 

Nach einer Besprechung der Gefahren und Schädlichkeiten, 
welche von Speisen, Genussmitteln und Gebrauchsgegenstäuden her 
für die Gesammtheit wie für den Einzelnen in Betracht kommen 
können, und nach Erläuterung der einschlägigen Bestimmungen des 
Nahrungsmittelgesetzes führt uns Verf. zur Lehre von den „Schäd¬ 
lichkeiten der Beschäftigung“, den Fährlichkeiten, denen be¬ 
stimmte Klassen iu Folge ihres Berufes im Besonderen ausgesetzt 
sind — ein Gebiet, welches sonst mit dem nicht genügend um- 
fasseuden Namen der Gewerbehygiene bezeichnet wird. 

Es reiht sich daran an die Schulhygiene und schliesslich 
die Erörterung der natürlichen und künstlichen Beleuchtung. 

Endlich kommen die menschlichen Infectionskrankheiten 
und die Zoonoseu zur Betrachtung. Es giebt dies Veranlassung 
zur Darstellung der Abwehrmaassregelu und der Desinfections- 
verfahren. Nachdem auch noch der bei der Erbauung von 
Krankenhäusern gültigen Principien gedacht worden, wird das 
Schlusscapitel einer Besprechung der Leichenbestattuug gewidmet. 

Dem ganzen Buche, welches sich einer anregenden, leichtver¬ 
ständlichen Darstellungsweise erfreut, ist ein stark physiologisches 
Gepräge aufgedrückt. Die im letzten Jahrzehnte zu so grosser 
Bedeutung gelangten Methoden und Resultate der bacteriologischen 
Forschung hätten an manchen Stellen vielleicht etwas ausführlichere 
Würdigung finden können. So wäre es wohl augezeigt gewesen, 
bei der Frage über die Güte eines Wassers und bei der Beurthei- 
lung der Wirksamkeit von Filteranlagen auf die bacteriologische 
Wasseruntersuchung als ein wichtiges Hülfsmittel und einen unter 
Umständen sogar Ausschlag gebenden Factor näher einzugebeu. 
Auch mit den gelegentlich der Desinfection als wirksam empfohle¬ 
nen Mitteln und Maassnahmen (Chlor, schweflige Säure) können 
wir uns nicht immer einverstanden erklären. 

Entsprechend der Form der Vorlesungen ist auf Literatur¬ 
hinweise völlig, auf Namennennung häufig Verzicht geleistet, doch 
hätte z. B. bei dem beschriebenen und in Abbildung wiedergege¬ 
benen Hesse’sehen Luftuntersuchungsapparat der Name des Er¬ 
finders wohl genannt werden können. 

Das sauber ausgestattete, mit 64 schematischen Abbildungen 
versehene Buch dürfte nicht nur den vom Verf. vorgezeichneten 
Zweck erfüllen, sondern auch dazu geeignet sein, in weiteren, 
naturwissenschaftlich einigerraaassen vorgebildeten Laienkreisen In¬ 
teresse und Verständniss für Wesen, Bedeutung und Ziele der 
Hygiene zu wecken uud zu fördern. 


Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. II. Bd. 1. 
u. 2. Heft. Berlin, Julius Springer. 1887. Ref. A. Pfeiffer. 

1. M. Hochstetter. Ueber Mikroorganismen im künst¬ 
lichen Selterwasser 1 ) nebst einigen vergleichenden Un- 

*) Wenn, wie anzunehmen, die Bezeichnung künstliches Selterswasser 
im Gegensatz zu dem natürlichen in Niederselters. Reg.-Bez. Wiesbaden, 
quellenden kohlensauren Wasser gebraucht werden soll, so dürfte auch für 
das künstliche die Schreibweise Selterwasser als richtiger vorzuziehen sein. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


701 


23. August. 

tersuchuugeu über ihr Verhalten im Berliner Leitungs¬ 
wasser und im destillirtcn Wasser. 

In dem ersten Abschnitt der Arbeit, welcher von dein bacte- 
riologischen Verhalten frisch bereiteten uud verschieden lang auf be¬ 
wahrten künstlichen Selterswasser handelt, kommt H. zu dem 
Resultat, dass sich im Allgemeinen die künstlichen Selterswässer 
als ausserordentlich keimreich erweisen und diesen Gehalt an ent¬ 
wicklungsfähigen Keimen lange Zeit behalten können. 

Deu Grund zu dem Reichthum an Bacterieu sieht Verfasser in 
der ungenügenden Reinigung der Gefässe, Flaschen etc. und iu der 
schlechten Beschaffenheit des zur Herstellung verwendeten Wassers. 
Der Verschluss, ob Kork- oder Patentverschluss, schien keinen Unter¬ 
schied im Gehalt an Bacterieu zu bedingen, doch sei im Allgemeinen 
auf die quantitative bacteriologische Untersuchung des künstlichen 
Selterswassers keiu allzugrosser Werth zu legeu, und das Wasser 
wegeu eines grossen Gehalts au harmlosen Wasserbacterieu gewiss 
nicht als gesundheitsschädlich zu betrachten. 

Der zweite Abschnitt enthält die Versuche über das Verhalten 
von künstlich dem Sei ters wasser zugefügten Mikro¬ 
organismen, zu welchen nicht pathogene und von den pathogenen 
der Mikrococcus tetragenus, Kaninchensepticämie, Milzbrand mit und 
ohne Sporen, Typhus, Cholera, Finkler, und Sporen des Aspergillus 
flavescens verwandt wurden. 

Alle zeigten grosse Unterschiede bezüglich ihrer Lebensdauer 
und Hessen sich in 3 Gruppen eintheilen, von denen die erste die 
Mikroorganismen umfasst, welche im Selterswasser höchstens einige 
Stunden leben bleiben, zu welchen neben Kauinchensepticämie Milz¬ 
brand und Finkler vor allem die Cholerabacillen, welche 
stets innerhalb der ersten 26 Stunden abgestorben 
waren, gehören. 

Zur zweiten Gruppe, bei der sich die Mikroorganismen einige 
Tage bis wochenlang erhielten, gehört neben Tetragenus namentlich 
der Typhusbacillus. Die dritte Gruppe bilden die sporentragenden 
Bacterieu uud Pilze, welche noch nach Monaten entwickelungsfahig 
blieben. 

H. schliesst aus diesen Versuchen, dass eine Verbreitung von 
Infectiouskrankheiten durch künstliches Selterswasser, so z. B. von 
Typhus, nicht bestritten werden könne, während die Gefahr bei 
Cholera viel geringer sei, so dass ein unter starkem Druck stehendes 
Selterswasser, welches mehrere Tage lang gelagert habe, in Cholera¬ 
zeiten ohne Gefahr einer Infection genossen werden könne. Ueber 
die Ursache dieser Erscheinuug, welche mit der langen Lebensdauer 
der Cholerabacillen im gewöhnlichen Leitungswasser (392 Tage) in 
auffallendem Widerspruch steht, hat H. ermittelt, dass es haupt¬ 
sächlich die CO 2 ist, welche die Cholerabacillen tödtet, und dass 
die Zeit, in welcher sie dieses vermag im umgekehrten Verhältnis 
zur Menge der CO 2 im fraglichen Wasser steht. 

2. Gaffky. Die Cholera in Gonsenheim und Finthen 
im Herbste 1886. 

Nach Besprechung des den Lesern d. W. bereits bekannten 
eigenthümlichen Auftretens der asiatischen Cholera in Gonsenheim 
und Finthen im Herbst 1886, welches durch den Nachweis der 
Koch’schen Commabacillen von Seiten des Referenten zuerst con- 
statirt worden war, bespricht G. die einzelnen Erkrankungen in den 
beiden Ortschaften, welche sich auf 19 Fälle mit 14 Todesfällen 
beziffern. 

Wie bekannt sein dürfte, hatte sich die hessische Medicinal- 
behörde bei dem letzten letalen Fall auf Grund des Sections- 
befundes gegen Cholera asiatica ausgesprochen, uud so sei es, 
sagt G., ausschliesslich der bacter iologischen Unter¬ 
suchung zu danken gewesen, dass der wahre Charak¬ 
ter der Krankheit erkannt worden ist. 

Seine Untersuchungen hätten ferner mit hoher Wahrscheinlich¬ 
keit ergeben, dass in vielen Fällen eine Uebertragung von Person 
zu Person stattgefunden habe. 

Ueber den Weg der Einschleppung sei nichts Sicheres zu er¬ 
mitteln gewesen, doch dürfte die Annahme die grösste Wahr¬ 
scheinlichkeit für sich haben, dass der Krankheitskeim zuerst nach 
Mainz eingeschleppt worden sei, dass sich dort (gerade wie Anfangs 
in Gonsenheim und Finthen. Ref.) einzelne Fälle der Kenntniss 
entzogen hätten, und dass sich die Infection des ersten in Gonsenheim 
vorgekommenen Falles auf Mainz zurückführen lasse, womit die 
Thatsache übereinstimme, dass der zuerst erkrankte Mann wieder¬ 
holt mit Mainzer Latrineninhalt zu thun gehabt habe. Darüber, 
wie der Krankheitskeim nach Mainz gekommen sei, haben auch 
die Untersuchungen G’s. Nichts ergeben. Ich glaube, dass man 
doch, wie ja auch G. andeutet, in letzter Linie wieder auf den leb¬ 
haften Verkehr mit dem damals allgemein inficirten Italien eventuell 
auch Ungarn zur Erklärung des isolirten Auftretens der Krankheit 
zurückgreifen muss. 

Bei den unzähligen Möglichkeiten, mit denen man bei der 
Verschleppung eines mit unseren gewöhnlichen Sinnesorganen nicht 


controlirbareu Krankheitserregers rechnen muss, kann man, wie wir 
aus der Gaffky’schen Arbeit sehen, selbst bei unseren wohlgeord¬ 
neten Verkehrsverhältnisseu nicht immer den Weg der Infection 
bestimmen, insofern bieten die Gonseuheimer und Finthener 
Erkrankuugsfälle einen werthvollen Fingerzeig für die kritische 
Beurtheilung der Entstehung und Verbreitung früherer Cholera- 
epidemieen. 

3. Ergebnisse des Impfgeschäftes im Deutschen 
Reiche für das Jahr 1883. Zusamrnengestellt aus den Mit¬ 
theilungen der einzelnen Bundesregierungen. 

A. Erstimpfungen. 

Im Jahre 1883 waren 1481582 Kinder = 3,28% der orts¬ 
anwesenden Bevölkerung zur Erstimpfung vorzustelleu. Von diesen 
wurden befreit: 

1. Weil sie die natürlichen Blattern überstanden hatten 486 

2. Weil bereits im Vorjahre geimpft. 114145 

Im Ganzen also 114631 

Von den demnach impfpflichtig gebliebenen 1367569 wurden 

a. mit Erfolg geimpft . . 1190163 == 87,03% 

b. ohne Erfolg geimpft . 32230 

c. mit unbekannten Erfolg 5517 
Es blieben demnach ungeimpft 139611. 

Am günstigsten war das Ergebuiss im Re¬ 
gierungsbezirk Schwaben mit.97,17% erfolgreichen 

Impfungen am ungünstigsten in Bremen mit 70,63 „ 

Mit Menschenlymphe wurden geimpft . . . 1081782 
Mit Thierlymphe wurden geimpft . . . . 145526 

oder 11,73% aller'geimpften gegen 7,62% im Vorjahre. 

Ueber deu Erfolg der Thierlymphimpfungen im Allgemeinen 
wird angegeben, dass derselbe sehr verschieden, was eine Folge der 
Verschiedenheit io der Gewinnung und Conservirung der Lymphe, 
sowie in der Impftechnik sei, und dass zu erwarten stehe, dass mit 
der Verbesserung der Methoden sich auch der Erfolg der Impfungen 
mit animaler Lymphe besser gestalten dürfe, wie dies z. B. im 
Grossherzogthum Hessen bereits der Fall sei. 

B. Wiederimpfungen. 

Vorzustellen waren 980237 = 2,17% der ortsanwesenden Be¬ 
völkerung. Hiervon waren befreit: 

a. Weil sie während der vorhergegangenen 5 Jahre die 


natürlichen Blattern überstanden. 1024 

b. Weil bereits in den vorhergegangenen 5 Jahren mit Er¬ 
folg wiedergeimpft. 10346 

Es blieben demnach impfpflichtig 968867. Hiervon wurden 
wiedergeimpft 

a. mit Erfolg. 820336 

b. ohne Erfolg .... 104869 

c. mit unbekanntem Erfolg 5527 
ungeimpft blieben demnach 38086. 

Am günstigsten war das Resultat in Schaumburg-Lippe mit 


97,33% erfolgreichen Wiederimpfungen, am ungünstigsten in der 
Provinz Rheinhesseu mit 64,61%. 

Aus dem Kapitel „vorschriftswidrig der Impfung entzogen“ 
ist hervorzuheben, dass nach dem Bericht der Widerstand gegen 
das Impfgesetz bei den betheiligten Personen in stetem Abnehmen 
begriffen ist. 

Mit Menschenlyraphe wurden geimpft . . 851072 

Mit Thierlymphe wurden geimpft .... 96404 

Im Allgemeinen wird bemerkt, dass das Impfgeschäft im Berichts¬ 
jahre einen günstigen Verlauf genommen habe. Wenn auch bei 
den Erstimpfungen die Erfolge im- Allgemeinen etwas gegen die 
Ergebnisse des Vorjahres zurückgeblieben seien, so müsse doch 
hinzugefügt werden, dass dieser geringe Zurückgang im Bereiche 
deijenigen Schwankungen liege, welche bei den verschiedenen 
Methoden der Impfung, der grösseren oder geringeren Geschicklich¬ 
keit der Impf&rzte etc. nie zu vermeiden sein würden. Dagegen 
zeigten die bei den Wiederimpfungen erzielten besseren Resultate 
einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt. 

Die Zahl der mit Thierlymphe ausgeführten Impfungen habe 
bei den Erst- und Wiederimpfungen nicht unbeträchtlich zuge¬ 
nommen. 

Die nun folgenden Mittheilungen über einzelne Vorkommnisse 
bei den Impfungen bieten des Interessanten viel, ihre Mittheiluug 
dürfte aber den Rahmen eines Referats überschreiten. 

Nur das Kapitel der Impfschädigungen verdient noch eine 
besondere Erwähnung. Hervorzuheben ist, dass in keinem Falle 
der Zusammenhang von Erkraukungs- oder Todesfällen mit der 
vorausgegangenen Impfung zweifellos erwiesen werden konnte, und 
dass eine Uebertragung von Syphilis durch die Impfung nirgends 
beobachtet wurde. (Fortsetzung folgt.) 


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702 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34 


L. Löwe. Das Ohr, seine Pflege und seine Behandlung. Mit 

Holzschnitten. Berlin, Steinitz, 1887. Ref. Hauptmann (Cassel). 

Anscheinend für Laien bestimmt, dürfte hier doch der Ort sein, 
auf diese kleine Schrift aufmerksam zu machen, aber lediglich um 
den Arzt zu veranlassen, dass er seine Kranken gegebenen Falls 
warne, sich mit dem Studium derselben näher zu befassen: sie ge¬ 
hört sicherlich zu denjenigen, welche mehr Schaden als Nutzen 
stiften. 

Es hat wohl kaum in der Absicht des Verfassers gelegen, seine 
ohrenleidenden Mitmenschen von einer specialärztlicheu Behandlung 
abzuschrecken: und doch ist nicht zu zweifeln, dass ein gebildeter 
Laie es sich wohl überlegen würde, ob er eine Hülfe in Anspruch 
nehmen solle, deren Ausübung in so gewaltthätiger Weise geschildert 
wird, wie es in vorliegender Schrift geschieht. — Der Ersinner des 
nach ihm benannten, durch seine Einfachheit sich auszeichnenden 
und jedem Arzte wohl bekannten Politzer’sehen Verfahrens wird 
nicht wenig erstaunt sein, über die hier dargestellte Ausführung 
desselben. An den mit dem Rücken gegen die Wand gestellten 
Patienten („damit er, wenn der Luftstrom mit Gewalt durch die 
Nase durchgepresst wird, mit dem Kopfe nicht zurückweichen kann“!) 
tritt zuerst der Arzt heran, den linken Zeigefinger „mit einem Hand¬ 
tuch umwickelt“, um damit das rechte Nasenloch fest zuzudrücken; 
„zugleich führt er mit seiner rechten Hand einen Gummiballon von 
ungefähr Kindeskopfgrösse, an welchem ein central durchlochtes, 
olivenförmiges Endstück angesetzt ist, in das linke Nasenloch des 
Patienten“. (Einen kindskopfgrossen Gummiballon in die Nase 
führen — stylistisch ebenso bedenklich, wie in der praktischen 
Ausführung schwierig.) Nun beginnt die Thätigkeit eines rechter- 
seits „aufgestellten“ Assistenten, welcher beim Wasserschluck den 
Ballon „mit beiden Händen kräftig zusammendrückt“. 

Ein noch weit umständlicheres Unternehmen ist die Ausspritzung 
des Ohres. Zu derselben sind ausser dem „Operateur“ nicht weniger 
als zwei Assistenten „nothwendig“: der eine zum Halten des 
Beckens, der andere zur „Bedienung“ der Spritze, „am besten 
einer gewöhnlichen Klystirspritze“, deren Spitze — an anderer Stelle 
„Mund (!)-stück“ genannt — er mit beiden Händen „fast“ (?) [so 
„fast“ auch der Operateur den oberen Rand der Ohrmuschel] und 
deren „Kolbenstange er sich auf die Brust setzt“. Die Führung 
des Ansatzrohrs fällt dem Operateur zu. Das Ausspritzen soll 
„forcirt“, „mit voller Kraft“, „mit voller Gewalt“ geschehen; ein 
eingeschaltetes Stück Gummischlauch sorgt dafür, dass bei diesem 
Verfahren „kein Schaden angerichtet werden kann“. 

Bei Besprechung der Nasendouche und ihrer Anwendung wäre 
angemessene Gelegenheit gewesen, aus allbekannten und recht triftigen 
Gründen den Laien zur Vorsicht zu mahnen. Statt dessen wird 
empfohlen, das Gefäss „zwei Fuss oberhalb des Kopfes“ anzubringen, 
damit das Wasser kräftig in das eine Nasenloch einströme und 
aus dem anderen „im Strahle hervorschiesse“! 

Diese Beispiele genügen und sind bezeichnend für das Ganze. 
Zuweilen wird der Leser zweifelhaft "sein, ob Verf. nicht doch auch 
für den Arzt habe schreiben wollen, denn es fehlt nicht an Winken 
und Mahnungen, wie derselbe sich zu verhalten habe, z. B. beim 
Bougieren der Tuba Eustachii, bei den verschiedenen Unter¬ 
suchungen u. 8. w. 

Die beigegebenen anatomischen Abbildungen sind zum Th eil 
für den Laien unverständlich, zum Theil aber von einer geradezu 
abschreckenden Widernatürlichkeit. 

Wie ganz anders nach Form und Gehalt die an sich gewiss 
schwierige Aufgabe, in allgemein verständlicher Weise, ohne Ueber- 
schreitung der gegebenen Grenzen den in Frage stehenden Stoff zu 
bearbeiten, lösbar ist, hat K. Lichtenberg, Docent in Budapest, 
mit einem kürzlich (Berlin, Hampel 1888) erschienenen kleinen 
Buch gezeigt, welches den Titel führt: „Die Ohrenkrankheiten, 
deren Verhütung und hygienische Behandlung.“ 


VIII. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 21. Februar 1888. 

(Schluss aus No. 33.) 

3. Herr Thost demonstrirt a) das Präparat von einem Larynx, 
der wegen eines vom linken Stimmbande ausgehenden Epithelial- 
carcinoms im Jahre 1885 von Störk in Wien total exstirpirt wurde. 
An dem zum Zwecke mikroskopischer Uni ersuchungen vielfach zerlegten 
Larynx lassen sich zwei durch Form uud Farbe äusserlich unter¬ 
scheidbare Arten von Stücken erkennen. Neben den eigentlichen 
Laryuxtheilen mit Knorpel und infiltrirter Schleimhaut finden sich 
Gewebspartikel, die härter, heller sind und drüsenartig oft mehrere 
Millimeter lange fingerförmige Fortsätze zeigen, und deren äussere 
Form von Papillomen nicht zu unterscheiden ist. Solche Massen 
füllten das ganze Kehlkopfinnere aus. Die von diesem Falle gefer¬ 
tigten aufgestellten mikroskopischen Präparate zeigen unten einen 


grösseren Tumor, der das typische Bild eines Epithelialcarcinoms 
bietet, an diesen angrenzende Stellen, wo auf einer mit zahlreichen 
Rundzellen infiltrirten submucösen Schicht eine enorm verdickte, oft 
zu Zapfen und Fortsätzen ausgebildete Epithelschicht sich erhebt. 

Aehnliclie Epithelwucherungen und ganze Geschwülste finden 
sich in der Umgebung von tuberculösen und syphilitischen Ge¬ 
schwüren. Sie können oft, namentlich bei Tuberculose, in so be¬ 
trächtlicher Menge und Ausbreitung sich bilden, dass ihre operative 
Entfernung vom Munde her nöthig wird. Diese Neubildungen sind 
anatomisch von wahren Papillomen nicht immer zu unterscheiden, 
und in einigen Fällen, die Vortragender operirte und genau unter¬ 
suchte, war es nicht möglich, Tuberkel und Riesenzellen oder Tu¬ 
berkelbacillen aufzufinden. Es ergiebt sich daraus, dass eine Probe- 
excision bei zweifelhafter Diagnose, selbst wenn man grössere Stücke 
erhält, sehr irreführen kann, zumal diese Theile, die mit der ur¬ 
sprünglichen Erkrankung nicht in direktem Zusammenhang stehen, 
gerade am oberflächlichsten liegen und für Instrumente am leichtesten 
zu erreichen sind. 

Nach des Vortragenden Ansicht rufen gewisse pathologische 
Reize im Kehlkopf circumscripte Wucherungen des Papillarkörper« der 
Schleimhaut hervor, die von Papillomen oft nicht unterschieden wer¬ 
den können. Dies ist nicht nur der Fall in der Umgebung carri- 
nomatöser, syphilitischer und tuberculöser Geschwüre, bei letzteren 
namentlich, wenn sie eine gewisse Neigung zur Heilung zeigen, son¬ 
dern auch bei den noch in der Tiefe liegenden minimalen Anfängen 
einer malignen Neubildung. Wenn eine solche papilläre Neubildung 
immer wieder an derselben Schleimhautstelle (vorzüglich am wahren 
Stimmband) sich zeigt, wenn dann die unterliegende Schleimhaut 
sich zu infiltriren beginnt, dann kann man mit Sicherheit auf eine 
vorliegende und bösartige Neubildung die Diagnose stellen. 

Die Wichtigkeit dieser Verhältnisse für die Indication zur totalen 
oder partiellen Exstirpation des Kehlkopfes leuchtet ein. Auf diese 
Art mögen sich auch viele Fälle von angeblicher Umwandlung gut¬ 
artiger Geschwülste in bösartige erklären. Letztere Frage, ob gut¬ 
artige Tumoren im Kehlkopf ähnlich wie auf der Oberhaut in bös¬ 
artige sich umwandeln können, ist eine gegenwärtig in laryngolo- 
gischen Kreisen vielfach discutirte. Ein englischer Ohrenarzt und 
Laryngologe hat die völlig unerwiesene Behauptung aufgestellt und 
veröffentlicht, dass gutartige Kehlkopftumoren eine „specifische Nei¬ 
gung“ hätten, nach operativen Eingriffen sich in maligne zu ver¬ 
wandeln. Dieser völlig haltlosen Bemerkung, die die ganze intrala- 
ryngeale Chirurgie bei gutartigen Tumoren umstossen würde, ist denn 
auch sofort widersprochen worden, und Felix Semon hat seinen 
ganzen Zorn über den Betreffenden ausgegossen und eine Sammel¬ 
forschung angeregt, deren Schema der Vortragende vorlegt. Nach 
ungefährer Schätzung sind von 3000 wegen gutartiger Neubildung 
operirten Fällen nur 6 gefunden, wo eine Umwandlung in bösartige 
beobachtet sein soll.- 

Das Nebeneinandervorkommen von scheinbar gutartigen Tumoren 
neben malignen zeigen makroskopische und mikroskopische Präpa¬ 
rate in eclatanter Weise. 

Ebenso interessant, wie das Präparat, ist auch die Kranken- 
und Operationsgeschichte des Falles. 

Der Patient befindet sich nämlich heute noch unter den Leben¬ 
den, erfreut sich sogar eines besonderen Wohlbefindens, isst, trinkt 
wie ein gesunder Mensch, und was das Beraerkenswertheste ist, er 
spricht mit etwas rauher, aber klar verständlicher Stimme. Der Fall 
ist von Störk beschrieben in der Wiener medicinischen Wochen¬ 
schrift No. 49 und 50 vom letzten Jahr und ist kurz folgender: 

David Franzos aus Tarnopol (Galizien) stellte sich Störk 
im Jahre 1873 zum ersten Male vor mit einem Papillom im vorderen 
Drittel des linken wahren Stimmbandes. Störk exstirpirte die 
Neubildung, dieselbe recidivirte aber mehrere Male immer an der¬ 
selben Stelle. Als Patient im Jahre 1883 sich wieder mit den alten 
Beschwerden einfaud, war der Befund wesentlich anders, es fand 
sich jetzt die Basis derselben infiltrirt, die bewegliche Geschwulst war 
sessil geworden. Diagnose: Carcinom. Vorschlag der partiellen Kehl¬ 
kopfexstirpation, die vom Patienten verweigert wird. 

Patient fühlt sich, in die Heimath zurückgekehrt, bald schlechter, 
die Tracheotomie wird nöthigi; Patient kommt zu Störk zurück. 
Billroth sah den Patienten und wollte sich nicht zur Operation 
entschlossen. Den Bitten des Patienten nachgebend, beschloss nun 
Störk, selbst den Patienten zu operiren, sich der Hülfe Dr. Ger- 
suny’s dazu versichernd. 

Störk wollte, um Schluckpneumonieen, die nach seiner reichen 
Erfahrung am häufigsten die guten Chancen der Totalextdrpation ge¬ 
fährden, zu vermeiden, die Operation so ausführen, dass die Platte des 
Ringknorpels und die Aryknorpel mit Muskeln und Schleimhaut er¬ 
halten bleiben sollten. 

Operation am 13. Januar 1885. Einlegen der Trendelen- 
burg’schen Tamponcanüle. Längsschnitt vom Zungenbein bis zur 
Trachealöffnung. Das auf dem Schildkuorpel aufliegende Gewebe 


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23. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


703 


zeigt sich speckig infiltrirt, so dass man auf ein Ergriffensefn der 
Knorpel selbst schloss. Diese Annahme wurde jedoch durch spätere 
genaue mikroskopische Untersuchungen bestimmt widerlegt. Mau 
beschloss daher, alle Knorpeltheile mit dem Raspatorium so heraus¬ 
zuheben, dass die Schleimhaut der hinteren Larynxwand mit Mus¬ 
kulatur erhalten bliebe. Die Aryknorpel und Ringknorpelplatte 
wurden gleichfalls herausgeschält, die beiden dadurch entstandenen 
Lappen wurden aneinander genäht, ebenso die erhaltene gesunde 
Epiglottis mit dem seitlichen Rand au die Arcus vernäht, überhaupt 
die Oeffnung, die denrAditus ad laryngem entsprach, nach Möglich¬ 
keit verkleinert, die ganze Höhle wurde mit Jodoformgaze austam- 
ponirt. Fieberloser Verlauf. Patient nimmt am 4. Tage bereits feste 
Nahrung ohne Schluudrohr über den Tampon hinweg. Letzterer 
bleibt bis zur vollständigen Heilung liegen. Einlegen einer Schorn- 
steincanüle. Es zeigt sich nun, dass Patient nicht nur ohne Hinder¬ 
niss essen und trinken, sondern auch recht verständlich sprechen 
kann; es hatte sich ein Sphincter gebildet mit 2 querliegeuden 
Lippen, deren vordere das Tuberculum epiglottidis darstellte, während 
die stehen gebliebene Muskulatur der hinteren Larynxwand (M. M. 
postici, obliqui und. M. transversus) die hintere Lippe lieferte. Ein¬ 
legen einer Tamponcanüle. Patient reist am 4. Februar in seine Heimath. 

Bald aber stellte sich Patient wieder vor. Durch Retraction 
hatte sich nämlich die Canüle verschoben, war im oberen Theil zu 
lang und scheuerte am Kehldeckel. Einlegen einer entsprechend 
veränderten Canüle. Im Spiegel zeigt sich folgende Veränderung: 
Aus der quergestellten Spaltöffnung war eine längsgestellte elliptische 
Spalte entstanden, durch Zug der seitlich am Laryux ansetzeuden, 
denselben hebenden Muskulatur. So konnte Patient mit diesen an 
wulstige falsche Stimmbänder erinnernden Lippen mit rauher aber 
deutlicher Stimme sprechen. 

Vortragender sah den Patienten in diesem günstigen Zustand, 
in dem er sich noch heute befindet, October letzten Jahres wieder¬ 
holt in Wien. — 

Herr Bülau glaubt, dass Carcinome und Papillome von Hause aus 
verschieden seien; Redner hat viele Fälle von Papillomen gesehen, die oft 
und lange Zeit recidivirt sind. Ein Fall von Papillom des linken Stimm¬ 
bandes yurde 1867 eudolaryngeal operirt, bis 1873 traten immer Recidive 
auf, seither ist Pat. gesund. Papillome treten schon im frühesten Alter auf, 
sie verwandeln sich jedoch nie in bösartige Geschwülste. Tritt auch eine 
Infiltration in dem befallenen Kehlkopf auf, dann sei die Sache verdächtig, 
jedoch der Verlauf sei auch in diesem Falle langsam. Im Falle Hirschfeld 
verlief die Krankheit mehr unter dem Bilde des Papilloms, dauerte vor der 
Operation 5—6 Jahre, es wurden mehrmals operative Eingriffe gemacht., da 
locale Recidive auftraten. Einen Uebergang von Papillom in Carcinom hat 
Redner nicht gesehen. 

Herr Thost glaubt, dass das bestehende Carcinom zur papillomatösen 
Wucherung Anlass gebe. 

Herr Bülau ist mit Herrn Thost einer Meinung. Jedoch hat er nie 
Tuberculose des Kehlkopfes gesehen, die mit Papillom verwechselt werden 
konnte. 

Herr Frankel betont, dass in der Regio interarytänoidea die tuber- 
culösen Wucherungen sitzen, sie haben keine Aehnlichkeit mit warzigen 
Gebilden, sondern es findet sich eine Infiltration im submucösen Gewebe 
mit käsigen Partieen. Bacillen seien nicht immer nachweisbar. Ob aber 
bei der Tuberculose auftretende ulcerative Processe in Larynx bacillärer Natur 
seien, bedürfe jedenfalls noch der Untersuchung. Pathologisch'-anatomisch 
haben diese tuberculösen Erkrankungen mit Papillom nichts zu thun. Herr 
Thost hat gleichfalls keine Bacillen gefunden, er bemerkt, dass man über 
der infiltrirten Schleimhaut gewucherte Epithelschicht finde. 

b) Herr Thost demonstrirt eine Form von Medicamenten, 
die besonders häufig in England mit gutem Erfolge augewendet 
wird, Trochisci, die aus einer Fruchtpaste dargestellt sind. Die 
Paste wird gewonnen aus der schwarzen Johannisbeere und ist in 
England als Black Currant Paste bekannt. Der Vorzug dieser 
Paste besteht darin, dass dieselbe erstens wegen des säuerlichen 
Fruchtgeschmacks den Patienten angenehmer ist, w'ie Gummizucker 
oder Tragacanthpastillen, die den Magen belästigen und daher oft 
mit Widerwillen und Schaden genommen werden. Der grösste Vor¬ 
zug der Pastillen aber vor den übrigen im Handel gebräuchlichen, 
die der Vortragende selbst versuchte, besteht darin, dass die aus 
Black Currant Paste hergestellten Trochisci äusserst lange im Munde 
sich erhalten, sie sind so zäh, dass man sie nicht zerbeissen kann, 
sie legen sich leicht an eine Stelle der Schleimhaut an und können 
Stunden lang langsam sich auflösend liegen, so dass eine lang¬ 
dauernde Einwirkung der beigefügten Medicamente auf die Schleim¬ 
haut erzielt wird. Dazu wird durch die häufigen Schluckbewegungen 
gewissermaassen eine Selbstmassage der Pharynxschleimhaut ange¬ 
regt und die Entleerung der gefüllten Drüsen und Follikel und Re¬ 
sorption der entzündlichen Exsudate in der Schleimhaut begünstigt. 
Mit der Fruchtpaste können fast alle Arzneistoffe verbunden werden. 
Vortragender zeigt Pastillen mit Acidum benzoicum 0,03 pro Pastille, 
mit Tannin 0,09, mit Morphin 0.001, mit Cocain 0,005. 

Die Pastillen mit Cocain haben sich bei Keuchhusten recht gut 
bewährt. Es war von vornherein anzuuehmen, dass Cocain beim 


Keuchhusten vorzügliche Dienste leisten würde, indem es den Reiz 
zum Husten milderte. Trotzdem zeigten Cocainpinselungen keinen 
Erfolg, weil, wie Vortragender meint, durch den grossen Reiz der 
Pinselung die gute Wirkung des Cocains aufgehoben werde; die 
Pastillen aber haben diesen Nachtheil nicht und werden von den 
Kindern gut vertragen und gern genommen. Apotheker Dr. Sick 
fertigt die Pastillen. 


IX. Aus dem allgemeinen ärztlichen Verein 

in Köln. 

Herr Georg Sticker: Pathologisch-anatomische Demon¬ 
strationen. a) Erweichungsheerd im Pons Varoli, acut ent¬ 
standen, höchst wahrscheinlich auf arteriosklerotischer Grundlage 
durch Thrombose. 

Der klinische Verlauf des Kraukheitsfalles, welcher eiu 
56jähriges Fräulein betrifft, war in aller Kürze dieser: Die Dame 
erkrankte vor 8 Jahren au einer linksseitigen Mittelohrentzündung 
mit Perforation des Trommelfells und zeigte damals während meh¬ 
rerer Wochen cerebrale uud psychische Symptome, die hauptsäch¬ 
lich als Krampfanfälle an den Extremitäten und als psychischer 
Dämmerzustand sich äusserten. Nachher blieb eine an Intensität 
wechselnde erotische Verrücktheit von rein platonischem Charakter 
zurück, die bis in die letzten Lebenswochen zeitweise hervortrat. 

Ende Juni kam die Kranke zum ersten Male in die Behand¬ 
lung Sticker’s wegen seit etwa 3 Wochen periodisch auftretender 
Anfälle von Herzklopfen, Asthma, Ohnmacht, die als Symptome 
einer rein centralen Vagusneurose gedeutet werden mussten und 
unter dem Gebrauch der ätherischen Valeriana- und Digitalis- 
tinctur nachliessen. 

Vier Wochen nach der ersten Consultation wurde Redner plötz¬ 
lich Morgens V 26 Uhr zu der Patientin, die sich inzwischen recht 
wohl befunden hatte, gerufen. Er fand sie mit ungetrübtem Be¬ 
wusstsein, aber etwas somnolent, klagend über Kopfweh und schies¬ 
sende Schmerzen im rechten Beine; letzteres war eiskalt, geschwol¬ 
len, cyanotisch und total gelähmt, zeigte eine ausgesprochene An¬ 
ästhesie dolorosa. Tiefer Druck in die Kniekehle war etwas em¬ 
pfindlich. Es bestand Brechneigung, 96 schwache Pulse bei etwa 
200 Herzsystolen. Abends 80 gespannte Pulse und ebensoviele 
Herzschläge. Athmung 30 —36. Urin frei von Eiweiss und Zucker, 
mit reichlichem Niederschlag harnsaurer Salze. 

• Am anderen Tage im Wesentlichen dasselbe Bild, nur ist die 
Somnolenz nicht mehr vorhanden. Hinzugesellt haben sich ausge¬ 
sprochene Kau- und Schlinglähmung, articulatorische Sprechstörungen 
bei erhaltenem Sprachvermögen. Puls an Frequenz und Intensität 
sehr wechselnd; Morgens 76; Mittags 112; Abends 90 (keine Er¬ 
scheinungen mehr von „Heinisystolie“). Spontane Stuhlentleerung. 

Am dritten Tage Morgens rechtsseitige Facialislähmung mit Be¬ 
theiligung des Stirnastes, die am Mittag verschwindet, Abends 
wiederkehrt Abends totale Anästhesie der rechten Gesichtshälfte, 
namentlich auch der Cornea. Lagophthalmus paralyticus. Zungen¬ 
deviation nach rechts; Gaumensegellähmung. Bereits Mittags Klage 
über Doppelsehen; Abends wird incomplete Abducenslähmung 
rechterseits constatirt. Am Abend ist ausser dem rechten Bein 
auch der linke Arm motorisch und sensibel gelähmt, geschwollen, 
cyanotisch; die Kranke klagt über reissende Schmerzen in dem¬ 
selben und über Jucken der Hand an ihm. Zeitweise treten clo- 
nische Zuckungen und mitunter tonischer Flexorenkrampf in dem¬ 
selben auf, letzterer zum Theil in Form von Mitbewegung oder 
Reflexaction. Puls am Abend 100; Herzsystolen ca. 200. Athmung 
38. Stertor paralyticus. 

Am vierten Tage Ist eine fast völlige Taubheit vorhanden, da 
nur mehr ganz schwache Gehörsempfindung auf dem linken (früher 
schon ziemlich schwerhörigen) Ohre besteht. Die Lähmungserschei¬ 
nungen und Circulationsstörungen am linken Arme und rechten 
Beine sind fast völlig verschwunden! Dagegen ist die rechte Hand 
paretisch, ödematös geschwollen. Die rechtsseitige Facialis- und 
Trigeminuslähmung ist complet; links besteht unvollkommener Lid- 
scliluss uud aufgehobenes Stirnrunzeln, sowie abgeschwächte Sensi¬ 
bilität; beiderseits vollkommene Abducenslähmung. Die Kranke 
schlummert meistens, unruhig, von clonischen Zuckungen bewegt, 
die regellos die Extremitäten mit Ausschluss der linken unteren 
befallen. Puls 160, klein, ganz unregelmässig. Athmung stertorös, 
30. Augenspiegelbefund uegativ, wenigstens am rechten Auge, das 
seit Mittag statt der bisherigen Mydriasis starke Myosis zeigt. 
Linkerseits war die Erkennung des Augenhintergrundes wegen 
starker reflectorischer Verengerung der sonst mittelweiten Pupille 
nicht möglich. Der Lagophthalmus linkerseits besteht fort, rechter¬ 
seits ist er in Ptosis palpebrae verkehrt. Abends Sopor, «1er bei 
völliger Anacusie nicht durch Anrufen, aber Kneifen in das linke 
Bein und den linken Arm kurz unterbrochen werden kann. Mo¬ 
torische Paraplegie der unteren Extremitäten, Hemiplegie des rech- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34 


ten Armes. Harnverhaltung seit gestern: der Abends 10 Uhr mit 
dem Katheter entleerte stark gesättigte Harn enthält eine Spur 
Eiweiss. 

Am fünften Tage Morgens 1 Uhr erfolgte der Exitus letalis 
unter zunehmendem Coma. 

Die klinische Diagnose, welche nur am ersten Tage zwischen 
Hysterie und einer anatomischen Läsion, speciell einer Läsion im 
Pons Varoli oder in der Medulla oblongata, schwankte, lautete be¬ 
reits am dritten Tage mit ziemlicher Bestimmtheit: Läsion der 
Varolsbrücke (und? der Medulla oblongata), am wahrscheinlichsten 
durch Thrombose oder Apoplexie. Embolie wurde Mangels eines 
nachweislichen Ausgangspunktes für einen Embolus ausgeschlossen, 
zumal da die Affectiou des rechten Beines am ersten Tage der Er¬ 
krankung im Laufe der Beobachtung den Anschein einer durch 
locale Embolie oder Thrombose hervorgerufeneu Störung verlor. 

Bei der 18 Stunden post mortem ausgeführten Section wurde 
gefunden: eine geringe, narbige Retraction an dem hinteren Zipfel 
der Mitralklappe (ohne sichtliche Störung für deren Function), eine 
mässige, auf den Anfangstheil der Aorta und auf die basalen Ge¬ 
hirnarterien beschränkte Arteriosklerose, alte embolische Narbenkeile 
in den Nieren, ein gleicher in der Milz; ferner venöse Hyperämie 
der Hirnhäute; abgelaufene Pachymeningitis interna hämorrhagica 
im Bereich des Hinterhauptes mit entsprechender oberflächlicher 
Atrophie der Gehirnrinde in geringerem Grade. Die starkgefüllten 
Sinus der Sehüdelhöhle waren vollkommen frei; die basalen Hirn- 
arterieu, sowie die A. vertebrales und basilaris mit ihren Ab¬ 
gängen durchaus wegsam. Die Schenkelgefässe, soweit sie von der 
Bauchhöhle aus zugänglich waren, erwiesen sich ebenfalls frei, die 
äusseren und inneren Genitalien befanden sich im jungfräulichen 
Zustande. 

Die Gehirnsection ergab ausser den erwähnten atrophischen 
Stellen im Bereich der Gehirnrinde der Gyri parietales supp, und 
occipitales supp, und raedii bei einem sehr mässigen Blutgehalte 
des ganzen Gehirns keinerlei Abweichung von der Norm bis auf 
die Brücke, welche eine sehr herabgesetzte, fast fluctuirende Con- 
sistenz zeigte nnd behufs genauerer Untersuchung sammt der Me¬ 
dulla oblongata und dem Kleinhirn in Müller’sche Flüssigkeit ge¬ 
legt wurde, worin das Präparat 3 Monate verblieb. 

Die danach ausgeführte Section des Präparates ergab Folgendes: 
Kleinhirn und Medulla oblongata iutact. In der Brücke ein centraler 
Zertrümmerungsheerd, der, von Gestalt und Grösse eines Aprikosen¬ 
kerns, ziemlich scharf umschrieben und symmetrisch das Centrum 
des Pons derart einnimmt, dass er nach vorn bis an den Frontal¬ 
schnitt reicht, welcher dicht hinter dem zweiten Vierhügelpaar, vor 
dem Zutritt der Processus cerebelli ad Corpp. quadrigem. geführt 
ist, nach hinten bis zu einem Parallelschnitt sich ausdehnt, den 
man sich durch die Recessus laterales des vierten Ventrikels gelegt 
denkt. An dem Präparat setzt sich die erkrankte Stelle dadurch 
gegen das gesunde Gewebe scharf ab, dass sie bei der Anwendung 
eines ganz schwachen Wasserstrahles aus der Spritzflasche durch 
Wegspülung der Gewebstrümmer zu einer Höhle wird. Man gewahrt 
an einem Verticalschnitte mitten durch den Zertrümmerungsheerd, 
dass die Zerstörung sich aufwärts bis in den Aquaeductus Sylvii 
erstreckt, aber das Velum medulläre anter. noch verschont; sie lässt 
nach unten die Pyramidenbahnen, deren Zeichnung an dem Präparat 
sich deutlich für das unbewaffnete Auge heraushebt, unbetheiligt, 
hat aber die Fortsetzung der Haube des Pedunculus cerebri beider¬ 
seits ergriffen. 

Die mikroskopische Untersuchung der nekrotisirten Substanz 
ergiebt dieselben Elemente, wie man sie bei der nekrotischen Er¬ 
weichung im ersten Stadium findet: zahlreiche normale Nerven¬ 
röhren neben reichlichem Detritus, Myelintropfen, wenige Fett- 
köruchenconglomerate, vereinzelte Ganglienzellen gut erhalten, 
viele rothe Blutkörperchen, letztere jedoch nicht in der Anhäu¬ 
fung und Menge, wie man sie etwa bei der rothen Erweichung 
findet; hie und da vereinzelte capillare Gefässreste mit verfetteten 
Zellen. 

Klinische Diagnose und anatomischer Befund decken sich be¬ 
züglich der Ponserkrankung also vollkommen. 

Epikritisch begründet Sticker die Krankendiagnose, indem er 
zunächst die Zurückführung der Symptome auf einen einheitlichen 
Krankheitsherd als nothwendig darzuthun und sodann die Localisi- 
rung des Herdes zu treffen versucht. Bei einer Localisirung der 
Krankeitserscheinungen, unter denen Vagussymptome, anfangs wech¬ 
selnde, dann endgültig complete motorische und sensible Lähmungen 
der Extremitäten und des Gesichts, und zwar beiderseitige Facialis- 
lähmung und Trigeminuslähmung, weiterhin Dysartherie, Dysphagie 
und masticatorische Paralyse, also ausser Lähmung des Facialis und 
Vagus solche des Hypoglossus, des Glossopharyngeus (?), der moto¬ 
rischen Portion des Quintus, weiterhin Paraplegie des Abducens und 
des Acusticus, endlich partielle Lähmung des Oculomotorius in 
rascher Aufeinanderfolge sich entwickeln, — bei einer Localisirung 


solcher gehäufter und in gewisser Folge auftreteuder Ausfallserschei¬ 
nungen können in Betracht kommen nur das verlängerte Mark und 
die Brücke. Ersteres ist zuvörderst bei der Diagnose auszuschliessen. 
wenn man bedenkt, dass bei einer Ausbreitung der Läsion in der 
gedachten Weise die Zerstörung lebenswichtiger Centra schneller als 
in 5 Tagen zum Tode führen würde, wenn man weiterhin erwägt, 
wie die Vagus- und Glossopharyngeussymptome wesentlich an Inten¬ 
sität gegen die anderweitigen Erscheinungen zurücktraten. Die Demon¬ 
stration schematischer Aufrisse über die topographischen Verhält¬ 
nisse der Nervenbahnen und Nervencentren in Brücke und verlän¬ 
gertem Mark machen das Angedeutete klarer. Die unstäten Vagus- 
symptome, welche in einem auffallenden Wechsel der Herzaction 
und Athmung als Reizzustände und Schwächezustände sich kund¬ 
geben, machen besonders die Annahme eines entfernteren Heerdes, 
der durch Druckwirkung oder Circulationsstörungen die Medulla 
oblongata beeinflusst, wahrscheinlicher als die einer direkten localen 
Verletzung ihres Centrums. 

Hervorzuheben ist das gleich zu Anfang hervortretende charak¬ 
teristische Verhalten des Facialis für die Diflferentialdiagnose zwi¬ 
schen Hemisphären- und Ponsverletzung; nämlich die Lähmung des 
Stirnastes, die ja bei Facialislähmung, abhängig von Erkrankungen 
des Grosshirns zu fehlen pflegt und erst bei Läsionen der Facialis- 
bahnen in der Brücke, wie bei peripheren Erkrankungen auftritt. 
Eine Hemiplegia alternans, von Millard für Heerdverletzungen im 
Pons als pathognomonisch erkannt, lässt sich am dritten Krankheits¬ 
tage aus den Erscheinungen herauslösen. 

Die Cyanose und hydropische Schwellung der Extremitäten 
glaubt Redner bei der Schnelligkeit ihres Eintrittes und Verschwin¬ 
dens nicht ganz aus der motorischen Lähmung allein erklären zu 
dürfen, sondern dafür vasomotorische Einflüsse, ausgehend von der 
Medulla oblongata (?), mit verantwortlich machen zu sollen. 

Die Deutung des Zertrümmerungsherdes in der Brücke als 
thrombotische Erweichung auf dem Boden arteriosklerotischer Ver¬ 
änderungen versucht Redner aus dem klinischeu Verlauf und dem 
mikroskopischen Befunjjl, soweit möglich, wahrscheinlich zu machen. 
Die rapide Ausbildung einer so ausgedehnten Zertrümmerung als 
Folge blosser Ischämie findet ihr Analogon in Beobachtungen 
Traube’s. 

Zur Beleuchtung des Leichenbefundes an der Dura mater und 
Grosshirnrinde, an der linken Herzkammerklappe und den Nieren 
sowie der Milz wirft Redner einen Rückblick auf die anamnestischen 
Daten und betont, dass diese Befunde mit dem terminalen Symp- 
toraencomplex durchaus nichts zu thun haben. (Fortsetzung folgt) 


X. Siebenter Internationaler Congress für 
Ophthalmologie zu Heidelberg vom 8. bis 
11. August 1888. 

(Originalbericht.) 

2. Sitzung am 9. August 1888. 

Die Sitzung beginnt mit der Discussion über Staaroperation. Der 
Referent Gay et (Lyon) spricht sich dahin aus, dass die Cataract nur durch 
Operation geheilt werden kann, und zwar die weiche Cataract durch Discision, 
die harte durch Depression oder Reclination, welches Verfahren aber voll¬ 
ständig verlassen ist, und die Extraction. Hierzu ist eine Eröffnung des 
Bulbus erforderlich in einer Gegend, welche mit der vorderen Kammer cor- 
respondirt, am besten am Comeoscleralrand. Der Lappenschnitt ist dazu 
am geeignetsten, dessen Grösse analog dem Durchmesser der Cataract sein 
muss. Eine Iridectomie auszuführen ist nicht nöthig, aber zuweilen nütz¬ 
lich. Die Discision der Linsonkapsel kann mit dem Messer beim äusseren 
Schnitt ausgeführt werden, da das Einführen irgend eines Instrumentes in 
die vordere Kammer zu vermeiden ist. Vermittelst massirender Bewegung 
werden die Linse und die Corticalreste entbunden. Alle vorzunehmenden 
Manipulationen sind leicht und schmerzlos auszuführen unter Cocain. Die 
Anwendung von Atropin und Eserin ist an bestimmte Indicationen gebunden. 
Die einzige Gefahr bei der Cataractextraction ohne Iridectomie ist Irisprolaps, 
der in Folge von Drängen, glaucomartigen Zuständen und beim Heraus¬ 
befördern der Corticalreste eintreten kann. 

Der Correferent Schweigger giebt einen kurzen historischen Rückblick 
über die Entstehung der Entwickelung des peripheren Linearschnittes und 
den allmählichen Uebergang in einon flachen Lappenschnitt, welcher aber 
wegen seiner auf das geringste mögliche Maass reducirtcn Grösse und immer¬ 
hin noch sehr peripheren Lage die Iridectomie erforderte. Darauf folgt eine 
Charakterisirung der üblichen Staarstatistik und ein Bericht über die von 
ihm in seiner Privatanstalt operirten Fälle von Cataracta senilis. Das Er¬ 
gebnis war, dass vor Einführung der Antiseptik der sogenannte periphere 
Linearschnitt mit Iridectomie kein erheblich besseres Resultat ergab, als vor¬ 
her mit dem Lappenschnitt ohne Iridectomie erreicht worden war. Erst 
nach Einführung der Antiseptik erfolgt die Rückkehr zum Lappenschnitt 
ohne Iridectomie, dessen Resultate eben so gut sind, als bei peripherer 
Schnittführung mit Iridectomie. Schliesslich beschreibt Schweigger seine 
jetzige Operationstechnik und bezeichnet es als die nächste Aufgabe, die¬ 
jenigen Fälle vor der Operation erkennen zu lernen, bei deuen die Verbin¬ 
dung der Cataractextraction mit der Iridectomie wirkliche Vortheile bietet. 


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23. August. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT._ 705 


In der nun folgenden sehr lebhaften Discussion spricht sich de Wecker 
und Galezowski für die Beibehaltung des Graefe’schen Messers bei der 
Extraction ohne Iridectomie aus und empfiehlt dabei die Anwendung des 
Eserins. Wicherkiewicz warnt vor Atropineinträufelung vor Ausführung 
der Operation. Critchett macht die Extraction mit Irisexcision. Laqueur 
macht darauf aufmerksam, dass die zu häufige Instillation von Cocain, 
Trübung der Cornea und glaucomatöse Zustände veranlassen kann. Chibret 
sah selbst von einer 20 procentigen Cocainlösung keine Nachtheile. Graefo 
bemerkt, dass Atropineinträufelung nach Cataractextractionen durchaus nicht 
gefährlich, vielmehr oft indicirt ist wegen Gefahr der Iritis. Er hat bei 
446 Extractionen mit Iridectomie keinen Verlust gehabt. 

Knapp hat unter 190 Extractionen ohne Iridectomie nur zwei Verluste 
gehabt. Er macht mit dem Graefe’schen Messer durch den durchsichtigen 
Cornealrand den Schnitt nach oben, bildet bei Conjunctivalleiden einen Con- 
junctivallappen. Prolabirt die Iris, so reponirt er dieselbe mit einer ge¬ 
knöpften Sonde. Die Pupille muss rund und central liegen. 

In der Nachmittagssitzung, 2*/a Uhr, sprach II. W. Jessop (London) 
Uber die physiologische Wirkung der intraoeularen Muskeln. Darauf 
theilt Coccius seine Untersuchungen Ober die vollständige Wirkung des 
Tensor chorioideae mit. Schon vor 20 Jahren beachtete er ein Schwanken 1 
des hinteren Bildchens der Linsenfläche bei Anspannung der Accominodation. 
Dieselbe beruht auf einer Glaskörperschwankung in Folge einer Anspannung 
des Tensor chorioideae. Atropin hebt das Phänomen auf, da dasselbe den 
Glaskörperdruck verändert, während Eserin jenes deutlicher macht. Bei 
Enge der Pupille ist es nicht zu constatiren. 

de Wecker (Paris) spricht über die Thränendrilsenexstirpatlon 
bei Thränenträufeln und erzielte hierdurch gute Resultate. Eversbusch 
kann dies bestätigen. 

H. Cohn (Breslau) zeigt Blitzphotographieen des Auges. 

Crainiccau (Bukarest) berichtet über Untersuchungen der Augen 
von Schulkindern , und zwar über äussere Leiden, sowie über Re- 
fraction. 

Dürr (Hannover) theilt die pathologisch-anatomischen Untersuchungen 
von fünf Fällen von Megalophthalmns mit. 

Ausserdem demonstrirte Knies (Freiburg) die Farbengrundempfin¬ 
dungen, Dinkler (Heidelberg) Gonococcen im Hornhaut- und Irisgewebe 
nach perforirender Keratitis in Folge von gonorrhoischer Keratitis, und 
Ernst (Heidelberg) Präparate des Bacillus Xerosis und seiner Sporen¬ 
bildung. 

3. Sitzung am 10. August. 

Die Sitzung beginnt mit dem Referat über Glancom. Der Referent 
Priestley Smith (Birmingham) giebt eine Definition des glaucomatösen 
Processes. Derselbe besteht in einer abnormen Erhöhung des intraoeularen 
Druckes. Derselbe ist ein essentieller Factor. Ein Glaucom ohne erhöhte 
Tension ist wahrscheinlich ein während der Intermission erhöhter Tension 
untersuchtes Glaucom. Der intraoeulare Druck wird von 3 Umständen be¬ 
dingt, von dem Zustande der secernirenden Organe des Auges, von dem der 
Abflusswege und der Beschaffenheit der Flüssigkeiten des Auges. Das 
Kammerwasser und die Glaskörperflüssigkeit werden secemirt vom ciliaren 
Theil des Uvealtractus. Das Kammerwasser entweicht am vorderen Kammer¬ 
winkel, die Glaskörperflüssigkeit an der Pupille. Die Hauptursachen, welche 
eine Erhöhung des intraoeularen Druckes herbeizuführen im Stande sind, 
bestehen somit in vermehrter Absonderung der Ciliarfortsätze, Obstruction 
des Filtrationswinkels und seröser Beschaffenheit der Augenmedien. Hyper- 
secretion mag bisweilen zu einem Glaucomanfall den Anstoss geben, doch 
lässt sich der glaucomatöse Process schwerlich nach der Hypothese an¬ 
dauernder Hypersecretion erklären. In den meisten Fällen von Glaucom 
lässt sich eine Obstruction des Filtrationswinkels nachweisen, derselbe ist 
entweder comprimirt oder verschlossen. Bei manchen Formen des Glaucoms 
ist das Kammerwasser serös, ein wichtiger Factor des Secundärglaucoms 
bei Iritis serosa und Keratoiritis. In diesen Fällen ist der Filtrationswinkel 
weit offen und die vordere Kammer tief. Bei geschlossenem Filtrations¬ 
winkel sind die Ursachen nachweisbar oder unbekannt, man unterscheidet 
demnach Secundär- und Primärglaucom. Bei ersterem lässt sich häufig der 
Grund des Verschlusses des Kammerwinkels nachweisen, so Quellung der 
Linse nach Verletzung, Luxation derselben in die vordere Kammer u. s. w. 
Im primären frischen Glaucom zeigt sich die Irisbasis von den ange¬ 
schwollenen Processus ciliares comprimirt und diese wieder von der Linse 
und Zonula nach vom gedrängt. Als prädisponirender Umstand des Glau¬ 
coms ist in erster Linie eine Beschränkung des die Linse umgebenden Raumes 
zu suchen. Die mit dem Alter wachsende Prädisposition erklärt sich zu¬ 
nächst durch die mit dem Alter zunehmende Grösse der Linse. Die Dis¬ 
position des Glaucoms bei Hyperraetropischen ist wohl auf die stärkere 
Prominenz der Ciliarfortsätze nach der Linse hin zurückzuführen. Senile 
Veränderungen des Glaskörpers mögen auch die Filtration nach der vor- | 
deren Kammer erschweren, ebenso die senile Regidität der Sclera und die 
senile Degeneration der Gefässe- Anlass zu Glaucom geben alleMomente, welche 
den Blutgehalt im Uvealtractus steigern und allgemein Störungen, welche 
Stauung im venösen System hervorrufen. Die Ciliarfortsätze schwellen da¬ 
bei an, pressen die Irisbasis gegen die Cornea und schliessen den Filtrations- 
winkol ab. Atropin ruft unter prädisponirenden Umständen Glaucom her¬ 
vor durch Verdickung der Iris an ihrer Peripherie. Das Glaucom stellt 
einen Circulus vitiosus dar, indem der erhöhte Druck Stauung in den ' 
Chorioidealvenen, Congestion der Ciliarfortsätze und Verschluss des Filtra¬ 
tionswinkels bewirkt. Die anatomische Anlage und die Störung der Circu- | 
lation ergänzen sich gegenseitig in verschiedenem Verhältniss. Das acute 
Glaucom stellt das Maximum, das chronische nicht congestive das Minimum 
der Circulationsstörung dar. 

Der Correferent II. Snellen (Utrecht) bespricht besonders die Therapie 
des Glaucoms. Dasselbe lässt sich klinisch in zwei besondere Krankheits¬ 
bilder trennen, das Glaucoma posterius mit seichter vorderer Kammer, und 
das Glaucoma anterius mit tiefer vorderer Kammer. Bei ersterem nützen 


die Myotica, indem sie difreh Anspannung der Iris und Contraction «ler 
meridionalen Fasern des Ciliarmuskels die Fontana’schen Räume erweitern, 
während sie bei letzterem schaden, da sie die Oberfläche der Iris ver- 
grössern und ihre Verklebung mit der Linsenkapsel begünstigen. Die Scle- 
rotomie ist in allen Fällen von erhöhter Tension indicirt, da sie durch Ent¬ 
leerung der serösen Flüssigkeit die Befreiung der Irisperipherie und die 
Wiederherstellung der gestörten Circulation bewirkt. Dieselbe wird am besten 
mit dem Lanzenmesser ausgeführt. Bei ihr sind die Myotica unerlässlich. 
Die Ausschneidung eines Irisstückes ist nur von secundärer Bedeutung 
und nur dann geboten, wenn Neigung zu Irisprolaps auftritt und Ansamm¬ 
lung von Flüssigkeit hinter der Iris besteht. Das Beibehalten des Sphincter 
iridis dabei befördert die nöthige Streckung der Irisperiphio. Glaucoma com- 
pletum erfordert die Enucleation, in Rücksicht auf die drohenden Schmerzen 
und das zuweilen dabei Vorkommen von Chorioidea. Die Enucleation verdient 
den Vorzug vor der Exenteration schon im Interesse der pathologisch-ana¬ 
tomischen Untersuchungen. 

Darauf spricht Schön (Leipzig) über die accommodative Excavation 
nnd Glaucoma slmplex, sowie über den Accommodationsmechanlhiiiu* 
nnd Glaucoma acutum. 

Straub (Utrecht) theilt seine Untersuchungen über die Chorioidea 
als elastisches Organ im normalen und kranken Auge mit. Während 
man beim Auge bei der Accommodation ein Zurückziehen der Chorioidea 
beobachtet, ist dies beim glaucomatösen nicht der Fall. — Die Uvea theilt 
sich nach vorn in die Descemetis und Iris; erstere geht aus der Glasmembran 
des Ciliarkörpers hervor, sie wird coutrahirt bei Contraction des Ciliar- 
muskels und dient zur Ernährung der Hornhaut. — Die elastischen Platten 
des Kammerwinkels decken den Canalis Schlemmii. Bei normalem Verhalten 
kann alsdann die Lymphe direkt in denselben eindringen. 

Wallfors (Helsingfors) demonstrirt sein von ihm construirtes Tono¬ 
meter und berichtet über Druck und Druekmessung im menschlichen 
Auge. 

In der Discussion spricht sich de Wecker für die Ausführung der 
Sclerotomie mit dem Graefe’schen Messer aus und hatte dabei niemals 
Irisprolaps. Pflüger (Bern) macht auf Glaucom in jüngeren Jahren auf¬ 
merksam, das durch Syphilis veranlasst wurde, da die Symptome nach anti- 
specifischer Cur verschwanden. Leber (Göttingen) ist ein Anhänger der 
Retentionstheorie. Es findet sich immer ein Verschluss des Filtrations¬ 
winkels, auch bleibt das glaucomatöse Auge nach der Enucleation hart. 
Beim Glaucoma simplex finden sich immer primäre Entzündungen im Kammer¬ 
winkel. Die Sclerotomie ist als ein hinreichend grosser Entspannungsschnitt 
anzusehen. — Samelsohn (Köln) hält die Secretionstheorie für die einzig 
richtige zur Erklärung des Glaucoms. Dafür spricht das Glaucom bei Linsen¬ 
luxation. Die Sclerotomie verwirft er total und empfiehlt die Iridectomie. 
Stilling (Strassburg) sucht den Grund des Glaucoms ebenfalls nicht im 
Verschluss des Kammerwinkels. 

C. Hess (Prag) theilt in der Nachmittagssitzung experimentelle 
Stadien Ober Blitzkatarakt mit. Mit Hülfe der Entladungsschläge einer 
Leydener Flasche suchte er die Blitzwirkung am Auge nachzuahmen. Es 
ergab ein in allen Punkten ähnliches klinisches Bild. Die an den ver¬ 
schiedenen Bulbustheilen hervorgebrachten Veränderungen lieferten den 
Beweis, dass die bisherigen Theorieen über die Genese der Blitzcatarakt 
nicht richtig oder doch unzureichend sind. Die wesentliche Ursache der ein 
sehr mannichfaltiges klinisches Bild bietenden Staarbildung bestand in 
einem mehr oder weniger ausgedehnten Untergang von Kapselepithel, wo¬ 
durch eine vermehrte Flüssigkeitsaufnahme durch die vordere Kapsel, 
Quellung und Zerfall der Fasern bedingt ist. So wird ein innerer Zusam¬ 
menhang zwischen dieser und den übrigen Cataraktformen (insbesondere 
den Massagecatarakten) hergestellt. 

Bernheimer (Heidelberg) spricht über Sehnenrenkreuzung im 
Chiasma. Er konnte entgegen der Ansicht von Michel eine Semidecussa- 
tion der Nervenfasern nachweisen, nur im unteren Theil des Chiasma fanden 
sich gekreuzte Bündel. 

Schmidt-Rimpler (Marburg) berichtet über eine linksseitige 
Hemianopsie nach Verletzung des rechten Hinterhauptlappens. Ophthal¬ 
moskopisch war kein Befund. Die Section ergab eine Narbe im rechten 
Hinterhaupt- und Scheitellappen. 

Howe (Petersburg U. S.) fand, dass die infectiöse Angenentzttndnng 
in Aegypten eine Conjunctivitis purulenta acuta ist, nicht Trachom, welche 
Neigung hat auf die Cornea überzugehen. Durch nicht bemerkbare Läsionen 
des Auges, durch Sand und Hitze ist ihre Entstehung zu erklären. Fliegen 
sind wahrscheinlich die Infectionsträger. 

Schneller (Danzig) bespricht die Formveränderungen des Auges 
bei Convergenz- and Abwärtsbewegungen der Augenaxen. 

Weiss (Heidelberg) theilt seine anatomischen Untersuchungen über 
die Eintrittsstelle des Nervus opticus und die Verziehung des Sehnerven¬ 
kopfes temporalwärts mit. Letztere ist um so stärker, je kürzer der Seh¬ 
nerv ist. _ (Schluss folgt.) 

XI. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

7. 

Kriege. Ueber das Verhalten der Nervenfasern in 
den multiplen Fibromen der Haut und in den Neuromen. 
Virch. Arch. Bd. 108, p. 466. 

Westphalen. Multiple Fibrome der Haut und der 
Nerven mit Uebergang in Sarkom und Metastasenbil- 
dung. lb. 110, p. 29. 

Philippson. Beitrag zur Lehre vom Fibroma mollus- 
cum. Ib. 110, p. 602. 


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706 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3 J- 


Pomorski. Ein Fall von Rankenneurom der Inter¬ 
rostalnerven mit Fibroma raolluscum und Neurofibro¬ 
men. Ib. 111, p. 60. 

Für die Untersuchung der in den vier Arbeiten beschriebenen 
multiplen Tumoren waren die durch v. Recklinghausen begrün¬ 
deten Vorstellungen über die Entstehung der multiplen Hautfibrome 
maassgebend, denen zufolge sie sich häufig mit multiplen falschen 
Neuromen combiniren und wie diese von Nerven, und zwar von 
den feineren Hautnerven, ihren Ursprung nehmen. Kriege be¬ 
schreibt zunächst einen Fall, in welchem als zufälliger Befund bei 
einem 62jährigen Frauenzimmer zahlreiche Hautfibrome, kleine 
Neurome der Nerven der unteren Extremitäten und ein erbsen¬ 
grosser Tumor am rechten Zungenrande gefunden worden. Es er¬ 
gab sich, dass die Nerven- und Hautgeschwülste in ihrer Zusammen¬ 
setzung ganz der von v. Recklinghausen beschriebenen entspra¬ 
chen, dass insbesondere in der Dissociation der einzelnen Nervenfasern 
durch das Turaorgewebe eine charakteristische Eigentümlichkeit 
gegeben war. Besonders interessant war das Geschwülstchen der 
Zunge; weil es denen der Haut gleich gebaut war, bei dem Fehlen 
aber von Schweissdrüsen und Haarbälgen in dem Mutterboden und 
bei nur geringen Gefässveränderungen vou dem Nervenplexus der 
Zungenschleimhaut abgeleitet werden musste und dadurch eine 
Stütze für die entsprechende Entstehung der Hautfibrome abgab. 
Verfasser untersuchte ferner 3 solitäre Neurome, zunächst einen 
kleinen rundlich erhabenen Tumor der Wangenschleimhaut eines 
fünfjährigen Mädchens, der einen plexiformen Aufbau zeigte. Die 
eiugeschlossenen Nerven waren deutlich verdickt durch ein aus 
Proliferationsprocessen des Endoneuriums hervorgegangenes fibrilläres 
Bindegewebe. Aus den ausserordentlich vielfachen Windungen der 
Nervenfasern musste aber auf, eine erhebliche Hypertrophie der 
Primitivfasern geschlossen werden, wohingegen eine Hyperplasie 
nicht nachweisbar war. Es handelte sich also um ein echtes ter¬ 
minales Neurom. Mit diesem Tumor stimmte, abgesehen von dem 
Fehlen der Hypertrophie und dem zellreichen Charakter des 
Bindegewebes, eine flache Geschwulst von der Stirn eines Mannes 
überein. Ihre Entwickelung ging deutlich aus von dem Eudo- 
neurium der zahlreichen eingeschlossenen Nervenfasern. Ein wei¬ 
teres altes Sammlungspräparat zeigte das Hervorgehen des Tumor¬ 
gewebes aus einem Nerven gleichfalls sehr klar. Ein dicker 
Nervenstamm war in zahlreiche Aeste gespalten, deren jeder durch 
Bindegewebe eine spindelige Anschwellung erhielt und die durch 
eine fibröse Hülle unter sich zusammengehalten wurden. End¬ 
lich beobachtete Kriege einen mannskopfgrossen Tumor des 
Medianus eines 19jährigen Mädchens, der ein Fibrosarkom dar¬ 
stellte. Ueber die Hälfte seines Umfanges zogen die Aeste des 
Nerven oberflächlich hinweg, während kleinere Stämmchen auch 
in das Geschwulstgewebe hinein verfolgt werden konnten. 

Westphalen beschrieb bei einem 35jährigen weiblichen In¬ 
dividuum zahlreiche Fibrome peripherer Nerven, sowie des Phre- 
nicus, Vagus und Sympathicus mit den bekannten histologischen 
Eigenthümlichkeiten, ferner zahlreiche Fibrome der Haut, unter 
denen die kleineren deutlich die charakteristischen Beziehungen 
zu Hautnerven aufwiesen. Von Bedeutuug war nun hauptsächlich 
das gleichzeitige Vorhandensein eines maunskopfgrossen, knolligen, 
weichen Tumors der Regio poplitea, der sich als Spindelzellensarkom 
erwies. Die mikroskopische Untersuchung machte es höchst wahr¬ 
scheinlich, dass der Tumor von dem fibroinatös entarteten Endo- 
neurium des Nervus peronaeus ausgegangen war, dass also eine 
maligne Metamorphose einer sonst gutartigen Geschwulstbildung 
vorlag. wie sie bisher in Combination mit multiplen Fibromen nur 
zweimal beobachtet wurde. Als Metastasen des Sarkoms fanden 
sich weiche, markige Tumoren in den Lungen. 

Eine bis jetzt nur einmal beschriebene Complication der mul¬ 
tiplen Fibrome untersuchte Pomorski. Neben zahlreichen Ge¬ 
schwülsten der Nerven und neben weichen Hauttumoren fanden 
sich nach Entfernung der Brustorgane auf der Innenfläche des 
Thorax beiderseits zahlreiche spindelige dichtgedrängte Geschwülste, 
die sich rankenartig aneinanderreihten. Im Zusammenhang damit 
fand sich eine, das klinische Bild bestimmende, hämorrhagische 
Pleuritis. Die rankenförmigen Tumoren hatten sich um die Inter¬ 
oostalnerven entwickelt, die in einer Spindel auf dem Durchschnitt, 
in den übrigen Tumoren dagegen nicht mehr nachzuweisen und 
wohl durch Druck des neugebildeten Bindegewebes zu Grunde ge¬ 
gangen waren. Die spindeligen Geschwülste liefen vielfach in feiue 
Stränge aus, die Zweige der Intercostalnerven darstellen. Die 
Neurome der peripheren Nerven ergaben die bekannten Bilder, 
während in den Hautfibromen meist gleichfalls keine Nerven auf¬ 
zufinden waren, und das Gewebe sich hier hauptsächlich um die 
Schweissdrüsen, seltener auch um die Gefässe und Haarfollikel ge¬ 
bildet hatte. 

Während die drei besprochenen Untersuchungen im Grossen 
und Ganzen die Anschauungen v. Recklinghausens über die 


Genese der multiplen Hautfibrorae zu bestätigen geeignet sind, 
schliesst sich Philippson den Anschauungen L ah man n’s an, der 
aus seinen Beobachtungen geschlossen hatte, dass neben den Nerven 
gleichberechtigt auch Blutgefäss-, Drüsen- und Lymphgefässscheiden 
den Ausgangspunkt bilden könnten. Er beschreibt zwei Beob¬ 
achtungen, in denen die Geschwulstbildung unabhängig von Nerven¬ 
fasern erfolgt war. In dem einen Falle insbesondere, in welchem 
es sich um ausserordentlich zahlreiche, über die Haut des ganzen 
Körpers zerstreute, kleinere und grössere, theils nur wenig vor¬ 
ragende, theils an Stielen hängende fibröse Geschwülste bei einem 
51jährigen Manne handelte, nimmt Verfasser die bindegewebigen 
Hüllen der Blutgefässe als die Ursprungsstätteu der Tumoren an. 
Mit keiner der gebräuchlichen Methoden konnten Nervenfasern iu 
ihnen nachgewieseu werden. Ribbert. 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

7. 

F. Winckel. Ueber den Verlauf und die Behandlung 
des Abortus und Partus praematurus. Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1888, No. 28. 

Winckel giebt auf Grund seiner Erfahrungen folgende Vor¬ 
schriften für die Behandlung des Abortes und Partus praematurus: 
In der grössten Mehrzahl der Fälle ist beim Abort und Part 
immatur. die Ausstossung des Eies der Natur zu überlassen. Nur 
bei Fieber oder starken Blutungen oder Jauchungen ist 
das Ei möglichst bald wegzunehmen, und zwar geschieht 
die Wegnahme schonender und sicherer mit den Händen durch 
Expression und Abschälung des Eies nach vorgängiger gründlicher 
Ausspülung des Uterus mit Borsäure oder Creolin. Die Anwendung 
des Curettement ist nur da auzuwenden, wo ohne vorhandene Jauchung 
kleinere festere Eireste mit der Hand nicht von der Uteruswand 
entfernt werden können. Bei verjauchtem Ei sind nach manueller 
Entfernung der grösseren Theile nicht leicht abzulösende kleinere, 
durch häufige antiseptische Ausspülungen des Uterus unschädlich 
zu machen und nach und nach zum Abgang zu bringen. S. G. 

Frommei. Zur Therapie und Anatomie der Tuben¬ 
schwangerschaft. Festschrift Prof. Zenker zur Feier seines 
25jähr. Prof.-Jubiläums gewidmet. Deut. Arch. f. kl. Med. 42 Bd. 
1.—3. Heft. 1887. 

Anknüpfend an einen Fall von frischer Ruptur eines tubaren 
Fruchtsackes, den Verf. ca. 12 Stunden nach der Ruptur operirte 
und der bereits vou Sander in der Münch, med. Woch. No. 16 
u. 17 188 7 pnblicirt wurde, äussert sich Fr. dahin, dass man stets 
bei der Ruptur einer graviden Tube, wenn der Collaps nicht allzu 
stark ist, die blutende Tube unterbinden und exstirpiren solle. Das 
von Fr. genau makro- und mikroskopisch untersuchte Präparat er¬ 
gab als Resultat die Beobachtung, dass bei Tubenschwangerschaft 
das Epithel sich wenigstens zum Theil an der Deciduabildung 
betheiligt. Wie das geschieht, ob direkte Kerntheilung oder 
regressive Metamorphose hier eine Rolle spielen, lässt Verf. dahin¬ 
gestellt sein. Im leeren Theile der Tube konnte Deciduabildung 
nicht nachgewiesen werden, wohl aber fand man sie in der Tuben¬ 
anschwellung anfangs in dünner Schicht, bald aber immer mehr an 
Dicke zunehmend. Iu dem tubaren Hohlraum war nur in der nach 
dem Mesosalpinx hin gerichteten Stelle Epithel vorhanden. Das 
obere Drittel des Hohlrauraes hatte keine Epitheldecke gehabt. 
Hier waren auch einzelne Chorionzotten in Verbindung mit der 
Decidua zu sehen. Verf. nimmt an, dass an der epithelfreien Stelle 
die Implantation des Eies stattgefunden habe. Als Ursache der 
Ruptur nimmt Verf. die Beratung eines oberflächlichen, blutüber¬ 
füllten Gefässes der Tubenwand an. Ausser diesen Beobachtungen 
hat die Arbeit Frommel’s noch ein wichtiges Resultat ergeben. 
Bis auf den heutigen Tag war es keineswegs entschieden, ob 
sich bei der Tubarschwangerschaft eine Decidua reflexa bildet. 
Rokitansky, Leopold, Wyder haben dieselbe nie gesehen, 
Winckel, J. Veit haben solche beobachtet. Verf. machte, um 
diese Frage endgültig zu entscheiden, eine Reihe von Serienschnitten 
und wies in ihnen zweifellos einen Rest der Reflexa nach. Das 
der Arbeit unter anderen beigefügte mikroskopische Bild ver¬ 
anschaulicht die Reflexa deutlich. Wir sehen an ihr keinen Epithel¬ 
überzug. Das Epithel der Decidua vera geht bis zu derjenigen 
Stelle hin, wo die Grenze zwischen Vera und Reflexa sich befindet. 
Verf. macht auf die stark tingirten mehrfachen Kerne iu seinen 
Präparaten aufmerksam und ist fast geneigt sie für Zeichen einer 
regressiven Metamorphose anzusehen. Ref. ist der Ansicht, dass 
die vierfache Tinction nach Gaule, bei derartigen Präparaten äu- 
gewendet, uns sicherlich wichtige Aufschlüsse über die Ent¬ 
wickelungsart der Deciduae geben würde. Cf. die Arbeiten Ogata's 
Stolnikow’s und Lukjanow’s in dem Archiv für Phys. u. Auat. 
(physiol. Abtheilung). v. Swiecicki (Posen). 


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23. Aagast. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


707 


XII. Therapeutische Mitteilungen. 

Ueber Snlfonal. 

In der Sitzung des Psychiatrischen Vereins zu Berlin vom 10. Juli d. J. 
theilte Dr. Otto-Dalldorf seine Versuche über die hypnotische Wirkung 
des Sulfonals bei Geisteskranken mit. Dieselben, gleich nach Erscheinen 
der Arbeit Kast’s „über Sulfonal, ein neues Schlafmittel“ angcstellt, be¬ 
trafen 16 Patientinnen der Irren-Siechen-Anstalt mit 77 Dosen. Die weitere 
und heute noch fortgesetzte Anwendung des Sulfonals kann das günstige 
Resultat nur bestätigen, welches damals gefunden wurde. Unter den 
16 Kranken waren 8 senile demente und 4 paralytische Frauen mit Auf¬ 
regungszuständen und Schlaflosigkeit, 3 Epileptische mit nervöser Schlaflosig¬ 
keit, eine Paranoia mit Angst und Schlaflosigkeit. Gegeben wurde Sulfonal 
zu 1, meistens 2 g, und zwar Abends möglichst früh oder in den späten Nach¬ 
mittags stunden. Misserfolge waren selten. Der Schlaf trat im Durchschnitt 
etwas über 1 Stunde nach dem Einnehmen ein und dauert 7 l /a Stunden. 
Bei sonst unruhigen Kranken hielt oft nach Aufhören des Schlafes ein 
ruhiger Zustand noch einen Theil des nächsten Tages an. Schädliche 
Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Eine Steigerung der Dose inner¬ 
halb 10 Tagen war nicht nöthig. Unangenehme Erscheinungen nach der 
einmaligen Dose yoii 2 g Sulfonal waren in seltenen Fällen fauch von 
Rosin und Schwalbe) beobachtet: Dusel im Kopf am anderen Morgen, 
Schwindel, Müdigkeit, Taumeln beim Stehen und Gehen. Sie verschwanden 
bald wieder. Vortragender findet sich im Allgemeinen in Uebereinstimmung 
mit den übrigen Autoren (Rabbas, Salgo, Oesterreicher) bezüglich der 
günstigen hypnotischen Wirkung des Sulfonals bei Geisteskranken und kann 
es nur empfehlen. 

Sodann bringt Vortragender seine Beobachtungen über die beruhi¬ 
gende Wirkung des Sulfonals bei länger dauernden Erregungs¬ 
zuständen Geisteskranker. Zu Versuchen nach genannter Richtung 
wurde er durch die Wahrnehmung veranlasst, dass in manchen Fällen nach 
einer einmaligen hypnotischen Dosis, sobald der Schlaf vorüber war, noch 
ein Zustand von Beruhigung bei sonst erregten Kranken mehr oder weniger 
lange anhielt. Es handelt sich bei diesen Versuchen um 19 Fälle (Frauen): 

2 Idiotie mit dauernder Erregung, 4 senile und periodische Manien, 4 
senile ängstlich erregte Kranke, 3 erregte Paralysen, 1 melancholische 
durch Sinnestäuschungen ängstlich erregte Kranke, 2 sehr ängstliche Hallu- 
cinantinnen auf hysterischer Basis, 3 Epileptische mit tobsüchtigen Er¬ 
regungszuständen von längerer Dauer. Die Erregung bestand in allen 
Fällen längere Zeit und in heftigem Grade, auch war meist Schlaflosigkeit 
vorhanden. Gegeben wurde das Sulfonal (nach vielen fruchtlosen Ver¬ 
suchen mit verzettelten Dosen von verschiedener Grösse) in kleinen Dosen 
(*/a g) und in mehrstündigen Intervallen den Tag über (2 l /a—3—4—5 g 
pro die). Hierbei trat gewöhnlich schon am ersten oder zweiten Tage eine 
auffallende Beruhigung ein, zuweilen stellte sich auch bei Tag etwas 
Schlaf ein und der Nachtschlaf wurde, obgleich Abends gewöhnlich auch 
nur eine kleine Dosis gegeben wurde, fest und andauernd. Diese günstige 
Wirkung nahm zu, wenn das Sulfonal in der angegebenen Weise mehrere 
Tage fortgegeben wurde, sie hielt an, selbst wenn die Zahl der Dosen ver¬ 
ringert wurde, und machte sich meist noch mehrere Tage nach dem Aus¬ 
setzen des Sulfonals geltend. Unter 120 Tagen, während welcher Sulfonal 
in der genannten Weise den unruhigen Kranken gegeben wurde, waren 95 
als ruhige zu bezeichnen und an den übrigen war die Erregung nicht so 
stark als sonst. Am besten war die Wirkung bei den senilen, paraly¬ 
tischen und epileptischen, dann den periodischen und idiotischen Kranken, 
am geringsten bei den Hallucinantinnen. Es wurden keine schädlichen 
Folgen beobachtet. Uebelkeit, Erbrechen, Diarrhöen in einzelnen Fällen 
dürften weniger dem Sulfonal zu Last fallen. Unangenehme Erscheinungen 
waren Schwindel, Mattigkeit, Taumeln, so dass manchmal Gehen und Stehen 
behindert war. Sie traten manchmal schon nach 3 g Sulfonal pro die auf. 
Ataxie war nicht vorhanden, das Verhalten der Kniephänomene gewöhnlich. 
Auch bei 3 ruhigen kräftigen Kranken trat nach Dosen von 5 g pro die 
Schwindel und starkes Taumeln auf. Vortragender räth deshalb zunächst 

3 g pro die (‘/a g in mehrstündigen Intervallen) zu versuchen und nicht 
ohne weiteres zu überschreiten, sobald aber Beruhiguug eingetreten ist, 
mit der Gesammtdose herunterzugehen. Vortragender kann die Anwendung 
des Sulfonals als Beruhigungsmittel bei Erregungszuständen Geisteskranker 
nur empfehlen, und zwar in der oben beschriebenen Weise. Zur Anwendung 
kam für die letzten Versuche das Präparat von J. D. Riedel (Berlin) 
neben dem von Fr. Bayer <fc Cie. (Elberfeld), für die ersten das letzt¬ 
genannte allein. Ein Unterschied beider war nicht zu constatiren. Ein¬ 
genommen wurde in Wasser, Milch, Honig und Kapseln. Vortragender 
konnte auch die Zweckmässigkeit der 1 g Sulfonal enthaltenden Tabletten 
von J. D. Riedel hervorheben. 


— Ueber Desinfeetion des weiblichen Genitalcanals hatStefferle 
(Centralbl. f. Gynäk. No. 28) Versuche mit bacteriologischer Gegenprüfung 
angestellt. Er kommt zu folgenden Schlüssen: 1) Eine Desinfeetion des 
Genitalcanals für geburtshülfliche Zwecke ist nicht in einer Sitzung, sondern 
nur allmählich zu erzielen; 2) durch eine Auswaschung der Vagina und 
des untersten Cervicalabschnittes mit 1 1 V3 0 oigen Sublimats oder 3° oigen 
Carbois und durch in 2stündigen Intervallen erfolgende Ausspülungen der 
Vagina mit je 1 1 des Desinficiens muss es gelingen, die Fälle von soge¬ 
nannter Selbstinfection auf ein Minimum zu reduciren. 

— Antipyrin soll in Dosen von 0,5 nach Dujardin-Beaumetz (Bull, 
gen. de therap. 30. Juni) die Milchabsonderung sofort vermindern. 

— Eine merkwürdige Nebenwirkung des Cocains beobachtete Potter 
bei einer sonst gesunden Frau, die nach Einpinselung einer 2—4%igc 
Lösung in die Nase von einem nicht zu beherrschenden Stuhldrang befallen 
wurde. Die Beobachtung konnte drei Monate fortgesetzt werden. (Buffalo 
jned. f. surgic. Journal 1883.) 


XIII. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln 1888. 

Die Geschäftsführer der 61. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte Prof. Dr. Bardenheuer und Th. Kyll haben das Programm für 
die Versammlungstage zur Versendung gebracht, und entnehmen wir dem¬ 
selben folgende Daten: vom 18. bis 22. September finden die allgemeinen 
und Abtheilungssitzungen statt und zwar 3 allgemeine Sitzungen am 18., 
20. und 22. September im grossen Gürzenichsaale: die Sitzungen der 30 
Abtheilungen vom 18.—22. September werden in den Räumen des Real¬ 
gymnasiums, Kreuzgasse 2—4, und der höheren Töchterschule, St. Apern- 
strasse 53—59, abgehaltpn. Die Referate über die gehaltenen Vorträge wer¬ 
den erst später, etwa nach 14 Tagen bis 3 Wochen im wissenschaftlichen 
Theile des Tageblattes nach den Abtheilungen geordnet zur Kenntniss der 
Theilnehmer gebracht. Mit der Versammlung ist eine Ausstellung ver¬ 
bunden, welche — Dank den emsigen Arbeiten des Ausstellungsausschusses 
und der bereitwilligen und thatkräftigen Unterstützung des Berliner Local- 
eomitees — eine erfreuliche Entwickelung nimmt und eine sehr reichhaltige 
zu werden verspricht. Die Ausstellungsräume befinden sich in der Volks¬ 
schule Kronengasse-Elogiusplatz. Die Ausstellung wird vom 10. bis 24. Sep¬ 
tember geöffnet bleiben. Bis heute sind folgende Anmeldungen für die all¬ 
gemeinen Sitzungen eingegangen: Professor Dr. Binswanger, (Jena) Thema 
Vorbehalten: Prof. I)r. Weismann (Freiburg), Thema Vorbehalten; Prof. 
Dr. Waldeyer (Berlin), Das Studium der Medicin und die Frauen; Prof. 
Dr. Meynert (Wien), Ueber die allgemeinen Denkfehler der Menschen: Dr. 
von den Steynen (Düsseldorf), Ueber den Culturzustand heutiger Stein¬ 
zeitvölker in Centralbrasilien (Zweite Schingiiexpedition). Die Vorausbestellung 
von Legitimationskarten kann seitens der auswärtigen Mitglieder gegen Ein¬ 
sendung von 12 Mark für die Mitgliedkarte und 6 Mark für die Damenkarte 
an den Vorsitzenden des Finanzausschusses, Herrn Banquier Moritz Selig¬ 
mann, Kasinostrasse 12 und 14, erfolgen. Alle Geschäftslocale befinden sich 
in unmittelbarer Nähe des Centralbahnhofes, Bahnhofstrasse 6: die Büreaux 
des Empfangs-, Wohuungs- und Auskunftsausschusscs. Dieselben sind vom 
15. September ab von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends geöffnet. 


XTV. 14. Versammlung des Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege in Frank¬ 
furt a. M. vom 13.—16. September 1888. 

Der Tagesordnung der XIV. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege entnehmen wir Folgendes: Donnerstag, den 
13. September, erste Sitzung im grossen Saale des Dr. Hoch’.sehen Cou- 
servatoriums: I. Maassregeln zur Erreichung gesunden Wohnens, Referenten: 
Oberbürgermeister Dr. Miquel (Frankfurt a. M.), Oberbaurath Professor 
Baumeister (Karlsruhe). 11. Oertliche Lage der Fabriken in den Städten. 
Inwieweit hat sich ein Bedürfniss herausgestellt, von der Bestimmung des 
§ 23 Abs. 3 der Deutschen Gewerbeordnung Gebrauch zu machen? Referenten: 
Sanitätsrath Dr.I-ent(Köln), Stadtrath Hendel (Dresden). Freitag, den 14.Sep¬ 
tember, zweite Sitzung: III. Welche Erfahrungen sind mit den in den letzten 
Jahren errichteten Klärvorrichtungen städtischer Abwasser gemacht worden? 
Referenten: Stadtbaurath Lindley (Frankfurt a. M.), Gas- und Wasserwerk¬ 
direktor Winter (Wiesbaden), Stadtbaumeister Wiebe (Essen a. R.), Stadt¬ 
baurath Lohausen (Halle a- S.). Sonnabend, den 15. September, dritte 
Sitzung: IV. Welchen Einfluss hat die heutige Gesundheitslehre, besonders 
die neuere Auffassung des Wesens und der Verbreitung der Infections- 
krankheiten auf Bau, Einrichtung und Lage der Krankenhäuser? Referent: 
Krankeuhausdirektor Professor Cursch mann (Hamburg-Leipzig). V. Strassen- 
befestigung und Strassenreinigung. Referenten: Regierungs- und Stadtbau- 
meister Heuser (Aachen), Dr. R. Blasis (Braunschweig). 


XV. Die. in dem Berichte der deutschen Aerzte über die Behandlung 
des Kaisers Friederich Seitens Sir Morell Mackenzie’s niedergelegten 
Thatsachen geben der schwedischen medicinischen Zeitschrift „Eira“ Anlass 
zu den folgenden Betrachtungen: -Was haben wir aus dieser in so mancher 
Beziehung tragischen Geschichte zu lernen? — Vom rein medicinischen 
Standpunkte nur, dass eine sowohl in physischer wie in psychischer Hinsicht 
so durch und durch gesunde und kräftige Person, wie der Verstorbene 
war, auch von einem Epithelialkrebs angegriffen werden kann, und zwar an 
einer so ungewöhnlichen Stelle wie im Kehlkopf, sowie dass diese Krank¬ 
heit auch ihren gewöhnlichen geraden Weg geht, wenn die vollständige 
Exstirpation der Geschwulst nicht geschieht. Hierüber kann man somit 
dieselben Worte sagen, mit denen der Bericht der deutschen Aerzto 
schliesst: -Einer Epikrisis bedarf es nicht“. Etwas für die ärztliche 
Wissenschaft Herabsetzendes iu der tragischen Geschichte kann der unpar¬ 
teiische Forscher nicht finden. Man kann nicht von der Unsicherheit der 
Wissenschaft oder der Uneinigkeit der „Aerzte“ sprechen, weil ein Specialist 
in Kehlkopfkrankheiten sich in einer Krankheit irrt, deren richtige Be- 
urtheilung gründliche allgemeine medicinische und vor allem chirurgische 
Kenntniss erfordert, da der Sitz der Krankheit im Kehlkopf ein seltene/ 
Ausnahmefall ist. Alle die verwirrenden Notizen und die vielen Krankheits¬ 
namen hatten ja ihren Grund in dem bis zum Ende und bis zum Unsinnigen 
gehenden Versuch, seine erste Ansicht aufrechtzuerhalten, ja, sie wieder 
aufzunehmen, nachdem er sie sowohl mündlich wie schriftlich aufgegeben 
hatte. Den Antheil, den Professor Virchow an der Sache hatte, mag man 
bedauern, er ist ab^r weder für ihn noch für die Wissenschaft herab¬ 
setzend und rechtfertigt Mackenzie in keiner Weise, denn der patholo¬ 
gische Anatom kann nur über das urtheilen, was seinem Mikroskop über¬ 
liefert wird. Mit dem klinischen Bilde der Krankheit hat er nichts zu 
schaffen. Dass der in Frage stehende Fall sich schliesslich so genau als 
das erwiesen hat, was er vom ersten Anfang war, und dass die deutschen 


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708 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34 


praktischen Aerzte damals richtig urtheilten und richtig riethen, werden 
jetzt wohl Virchow und alle anderen Aerzte, einige englische Aerzte 
vielleicht ausgenommen, zugeben. So viel über die Angelegenheit vom 
medicinischen Standpunkte. Vom psychischen Standpunkt aber kann der 
Bericht der deutschen Aerzte Anlass zu einer ausführlichen Epikrisis geben, 
um die Frage zu beantworten: Wie ist es möglich, dass eine Persönlichkeit 
mit so überlegener Urtheilskraft wie der des Verstorbenen — da er von 
vielen tüchtigen Aerzten mit noblem Charakter umgeben war, welche zu 
Anfang der Krankheit (Mai) sowohl hinsichtlich der Diagnose wie hinsicht¬ 
lich der 'einzig richtigen rationellen Behandlung vollständig einig sind — 
sich dennoch sozusagen blindlings einem einzigen ausländischen Arzte über¬ 
liefern kann, welcher von Anfang an sowohl in theoretischer Einsicht und 
praktischer Fähigkeit wie später auch hinsichtlich des Charakters hinter den 
deutschen Aerzten so bedeutend zurückstand? Von dieser Seite betrachtet 
ist die Krankheitsgeschichte am traurigsten. Sie beweist nämlich, auf 
welche Weise den überlegensten Persönlichkeiten gegenüber das übermüthige 
Auftreten und die selbstgefällige Sorglosigkeit den Sieg über wirkliche 
Sachkenntniss davontragen kann. Man mag sagen, dass wir nicht urtheilen 
sollten, bevor wir den anderen Theil gehört haben. Aber im Falle nicht 
die zehn bis zwölf deutschen Aerzte, welche mit dem Verstorbenen zu tbun 
hatten, eine in sich verschworene Bande gemeiner Lügner bilden, die so¬ 
wohl den Krankheits- wie Sectionsbericht vollständig erdichtet haben, was 
anzunehmen unsinnig ist, dann kann Sir Morell Mackenzie keine Auf¬ 
klärungen geben, welche etwas daran zu ändern vermöchten, dass sowohl 
seine theoretische Auffassung wie seine Behandlung der Krankheit durch 
und durch ein Fehlgriff gewesen ist. Inwieweit das traurig consequente 
Festhalten an diesem Fehlgriff bis zum Schlüsse auf einem unglaublich 
halsstarrigen Charakter, auf einem cynisch weit getriebenen Egoismus oder 
auf anderen besseren Gründen beruht — das ist das einzige, was durch 
Mackenzie’s möglicherweise erscheinende Enthüllung in verschiedenes 
Licht gestellt werden kann. Gegenwärtig stellt sich die Sache für uns so, 
dass mau sich, da Herr Mackenzie jetzt sagt, dass er durch einen höheren 
Willen zum Schweigen verpflichtet ist, zu fragen geneigt fühlt: kann dieser 
hoho Wille einem zuvor schlafenden, aber jetzt schliesslich erwachten Ge¬ 
wissen entspringen?“ _ 


XVI. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Paul Boerner’s Reichsmedicinalkalender, im Ver¬ 
lage von Georg Thiemo in Leipzig und Berlin, herausgegebeu vom Redacteur 
dieser Wochenschrift, ist heute mit seinem Theil I. und dem dazugehörigen 
Beiheft erschienen. Durch Neugruppirung des Stoffes, sowie durch Kürzungen, 
ferner durch besseres Papier ist es gelungen, das Geschäftsbuch, und nicht 
auf Kosten seines allgemein bewährten Inhaltes handlicher als bisher zu 
gestalten und damit vielfach ausgesprochenen Wünschen nachzukommen. 
Das Beiheft enthält an neuen Beiträgen: „Die Iudicationen für die in den 
letzten Jahren in die interne Therapie neu eingeführten Mittel“; „Die 
üblichen diätetischen und physikalisch-mechanischen Heilmethoden“; „Die 
neueren Methoden der Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten“; 
„Therapeutische Notizen für Hautkrankheiten und Syphilis“. Die in den 
früheren Beiheften gesammelten kurz gefassten Essays über wichtige Kapitel 
aus der medicinischen Praxis, welche sich im Besitz der bisherigen Abon¬ 
nenten des Kalenders befinden, sind in einem Bändchen gesammelt und zu 
einem mässigen Preise den neu hinzutretenden Abonnenten zugänglich ge¬ 
macht. Der Theil II. erscheint erst Anfang Octobcr, um die neuere Gesetz¬ 
gebung und die Personalien in möglichster Vollständigkeit und in der bis¬ 
herigen Zuverlässigkeit zu bringen. 

— Für die Errichtung des Langenbeck-Hauses sind in den 
Einzelstaaten Localcomites zum Behufe der Sammlung von Beiträgen für 
dasselbe zusammengetreten. 

— Wir berichtigen die uns zugegangene und in No. 33 von uns ge¬ 
brachte Nachricht von einem geplanten dermatologischen Congress dahin, 
dass vielmehr behufs Begründung einer deutschen dermatologischen 
Gesellschaft die Professuren Ncisser (Breslau) und Pick (Prag) Ein¬ 
ladungen an die Fachgenossen erlassen haben. Der mit den Vorarbeiten be¬ 
traute provisorische Ausschuss besteht aus den Professoren Caspary (Königs¬ 
berg), Doutrelepont (Bonn), Kaposi (Wien), Lewin (Berlin), Lipp 
(Graz), Neisser (Breslau), Neumann (Wien) und Pick (Prag). Es wird 
beabsichtigt, jährlich zu Pfingsten eino Versammlung abzuhalten, deren Ort 
von Jahr zu Jahr bestimmt wird. 

— Bonn. Für die Neubesetzung der durch den Tod Rühle’s erledigten 
Stelle eines Professors der inneren Medicin und Direktors der medicinischen 
Klinik wurde nach der M. med. Wchschr. von der medicinischen Facultät 
au erster Stelle Liebcrmeister-Tübingen, an zweiter und dritter Stelle 
Riogel-Giessen und Quincke-Kiel vorgeschlagen. 

— Zur Erinnerung an die ausgezeichnete Wirksamkeit Prof. Rühle’s 
wollen seine Schüler eine Büste des Verstorbenen in den Räumen der me¬ 
dicinischen Klinik aufstellen. 

— Jena. Prof. Karl Bardeleben erhielt die Berufung als ordent¬ 
licher Honorar-Professor an der medicinischen Facultät. Die von uns seiner 
Zeit gebrachte Mittheilung von der Schaffung einer neuen Stelle für Prof. B. 
mit einem bestimmten Lehrauftrage scheint sich nicht zu bestätigen. 

— Die British Medical Association hielt am 7. bis 10. August in Glasgow 
ihre 56. Jahresversammlung ab. Zum diesjährigen Präsidenten wurde Dr. 
Gairdner gewählt. Der Besuch war ein ausserordentlich zahlreicher; über 
3000 Mitglieder hatten sich eingefunden. Der Vortrag Prof. William 
Mac Ewen’s über die Chirurgie des Gehirns und Rückenmarkes in der 
llauptsitzung, sowie der von Anderson in der Scction für Medicin ge¬ 
haltene Vortrag über Diagnostik und Behandlung der syphilitischen Affec- 
tionen des Nervensystems fanden ungethcilten Beifall. Wir werden demnächst 
über die gehaltenen Vorträge berichten. 


— Von den „Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte“ ist 
soeben im Verlage von Julius Springer der vierte Band erschienen. Er 
umfasst: Ueber den Reinlichkeitszustand der natürlichen und künstlichen 
Faser, von Dr. Heyroth; Die .Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche 
während der Jahre 1875 bis 1877, von I)r. Würzburg; Ueber Brannt¬ 
wein, seine Darstellung und Beschaffenheit im Hinblick auf seinen Gehalt 
an Verunreinigung, ferner über Methoden zu deren Erkennung, Bestimmung 
und Entfernung, von Geheimrath Prof. Dr. Seil; Die Heilanstalten des Deut¬ 
schen Reiches nach den gemäss Bundesrathsbeschluss vom 24. Octbr. 1875 
stattgehabteu Erhebungen der Jahre 1883, 1884 u. 1885, von Regierungrath 
Dr. llahts. Eingehendere Besprechungen folgen demnächst. 

— Die F>age, ob der Kropf erblich sei, beantwortet Dr. A. T. 
Hoon bejahend. In 12 Fällen war der Kropf 8 mal erblich, oft ist er sogar 
angeboren. (Brit. med. Journ.) 

— Chinesisches Nahrungsmittel. M. F., Missionär, erzählt, dass 
er oft gesehen habe, wie die Puppen der Seidenwürmer als Nahrungsmittel 
verwandt wurden. Er selbst hat sie gekostet und das Gericht von zartem 
und erfrischendem Geschmack gefunden. Nachdem die Seide vom Cocon 
abgehaspelt ist, werden die Puppenhülsen auf dem Ofen getrocknet, die 
Schale entfernt sich leicht, und man sieht kleine gelbe Massen, ähnlich dem 
Rogen der Karpfen. Man brät sie in Butter, Speck oder Oel und macht 
sie mit ein wenig Bouillon schmackhaft. Die Aermeren begnügen sich mit 
einem Zusatz von Pfeffer, Salz oder Essig. (Journ. d 1 Hygiene) 

— Cholera. Die Choleraepidmio in Chile ist als erloschen zu be¬ 
trachten. Im Jahre 1887 starben daselbst an Cholera 18503 Menschen, au 
den Blattern im gleichen Jahre 1146 Personen. Die Bevölkerung des Landes 
ist auch wegen der grossen Kindersterblichkeit erheblich zurückgegangen. 

— Universitäten. Breslau. I)r. Eduard Kaufmann habilitirte 
sich als Privatdocent für pathologische Anatomie. Seine Habilitationsschrift 
führt den Titel „Die Subliinatintoxication.“ — Wien. Der Privatdocent 
der Hygiene Dr. Kratschmer wurde zum ausserordentlichen Professor der 
Hygiene ernannt. — Graz. Der ausserordentliche Professor Dr. Gottlieb 
Haberlandt ist zum ordentlichen Professor der Botanik ernannt worden. 
— Krakau. Prof. Witkowski von Lemberg wurde die Professur der 
Physik übertragen. — Rom. Dr. F'ortunati wurde zum Privatdocenteu 
für Ophthalmologie ernannt. — Turin. Zu Privatdocenten wurden ernannt: 
Dr. F. Boncm für pathologische Anatomie, Dr. Gallenga für Ophthal¬ 
mologie. — Pavia. Dr. Mazza wurde zum Privatdocenten für Dermatologie 
und Syphilis ernannt. __ 

XVÜ. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem prakt. Arzt Dr. Hertel in Bonn den Charakter 
als Sanitätsrath zu verleihen. — Niederlassung: Der Arzt Dr. Kayser 
in Reichenbach O./L.— Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Demmer von 
Heidelberg nach Frankfurt a. M., Dr. Liebert von Christianstadt nach 
Berlin, Dr. Kiossler von Breslau nach Dresden, Dr. Methmer von Halle 
und Dr. Kobrack von Berlin nach Breslau, Dr. Kuegler von Rosslau nach 
Schweidnitz, Dr. Laskowski von Pietschen nack Reichthal, Dr. Schinke 
von Stroppen nach Usedom, Bornhard von Schleswig nach Cörlin, Dr. Hahn 
vonSchivelbein nach Pyritz, Dr. Campe von Lyck nach Brandenburg, Stabs¬ 
und Bat.-Arzt Dr. Herrmanu von Stettin nach Lyck, Dr. Falk von Berlin 
nach Marggrabowa, dio Ober-Stabsärzte Dr. Gründler von Insterburg nach 
Halberstadt und Dr. Schweiger von Memel nach Insterburg, Dr. Latz von 
Polch nach Mayen, Dr. Gott.sacker von Kempenich nach Mayen, Dr. 
Kuhlmanu von Rheinbollen nach Dorsten, Dr. Lindner von Langen¬ 
lonsheim nach Obormoschel, Dr. Thomas von Glogau nach Magdeburg. 
Hammel von Hasslinghausen nach Elberfeld, Dr. Meyer von Elberfeld 
nach Eitorf, Dr. Stadler von FHberfeld nach Straelen, Bahl von Same nach 
Hamburg, Dr. Bogge von Berlin nach Lissa, v. Kiedrowski von Kempen 
nach Dombrowa, Dr. Alkiewicz von Kurnik, Stabsarzt Dr. Schwarze von 
Berlin nach Posen, Dr. Joskowski von Pieschen nach Kempen, Weber von 
Lesum, Dr. Witten von Helmstedt nach Morsam, Dr: Holtendorf von 
Achim nach Magdeburg, L)r. Renner von Gnarrenburg, Buchholz von 
Gross Wanzlebcn nach Gnarrenburg, Dr. Hoppe von Berlin nach Neu¬ 
stadt W..'Pr., Dr. Kruse und Dr. Plath nach Danzig, Dr. Voelsch von 
Danzig nach Königsberg. Die Zahnärzte: Voigt von Wiesbaden nach 
Salzbrunn, Müller von Düsseldorf nach Elberfeld, Zimmermann von Allen- 
steiu nach Berlin. — Verstorben sind: Die Professoren Geheime Me- 
dizinal-Räthe Dr. Rühle in Bonn und Dr. Budge in Greifswald. Die 
Aerzte: Sanitätsrath Dr. Plastwich in Elbing, Dr. Groeschner in 
Rankau, Zeidler in Reichenbach i. Schl., Geh. Sanitätsrath Dr. Methner 
in Breslau, Dr. Wilhelm Justus Jacoby in Bockenheim, Sanitätsrath Dr. 
Hartmann in Wiesbaden, Dr. Brach in Bonn, Generalarzt z. D. Dr- 
Büttner in Berlin, Oberstabsarzt Dr. Goldhorn in Trier, Dr. Deutsch 
und Dr. Franz Wolff in Berlin, Dr. Nolda in Graudenz, Dr. Lüne mann 
in Goettingen, Dr. Pi es bergen in Bramsche, Dr. Galczowski in Düssel¬ 
dorf, Dr. Koenig in Emmerich, Dr. Gustav Schulze in Berlin, Dr. 
Mohr in Frankfurt a. M., Dr. Henke in Höchst, Dr. Lammers in Beve¬ 
rungen, Dr. Humpert in Grumbach. 

2. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Ernennung: Dr. L. Gla¬ 
ser in Roth a. S. z. Bez.-A. I. CI. in Neustadt a. S. — Ruhestands Ver¬ 
setzung: Bez.-A. I. CI. Dr. J. K. Köpf in Füssen, Bez.-A. I. CI. Dr. 
J.Seissiger in Hassfurt. — Niederlassungen: Dr. E. Siobortin Ludwigs¬ 
hafen, Dr. Lindner in Obermoschel, Dr. H. Schickhardt in München, Dr. 
Otto Eckarius in Markleuthen (Amt Wunsiedel). — Vorzogen: Dr. 
Frobenius von München nach Barmen, Dr. Kreichgauer von Rheinzabern 
nach München, Dr. Wilhelm von Rülzheim nach Rheinzabern, Dr. Lö¬ 
wenheim von Annweiler nach Rülzheim, Dr. Burger von Pfreimd. — Ge¬ 
storben: Dr. J. Rapp in Ichenhausen, Dr. Büdenbender in Würzburg. 


Gedruckt bei Julina Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag JW 35 . 30. August 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen MedicinalWesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thlerae, Leipzig-Berlin. 


I. Zur Kenntniss der Galle. 1 ) 

Von Prof. Dr. A. Kossel in Berlin. 

Seitdem man im dritten und vierten Decennium unseres Jahr¬ 
hunderts begonnen hat, die VerdamtngsVorgänge systematisch und er¬ 
folgreich zu erforschen, ist die Frage nach der Betheiligung der Galle 
au den Processen der Verdauung und der Resorption Gegenstand man¬ 
cher Untersuchung gewesen. Während wir über die physiologische Rolle 
des Speichels, des Magensaftes, des Pankreassecrets ira Wesentlichen 
aufgeklärt sind, haben wir nur ungenügende Vorstellungen über den 
Einfluss, den die Galle auf die Vorgänge im Darmkanal ausübt. 
Und doch beweist die tägliche Erfahrung, dass dieser Einfluss ein 
beträchtlicher ist. Seihst den meisten Laien ist es bekannt, dass 
der Ausschluss der Galle vom Darm eigenthümliche Störungen der 
Verdauung bewirkt und die Physiologen wissen seit langer Zeit, dass 
man durch Unterbindung des Ductus choledorhus dieselben Symptome 
bei Thieren hervorrufen kann. Man hat diesen Erscheinungen um 
so mehr nachgespürt, da es sich hier um eine Frage handelt, deren 
Interesse für die praktische Medicin ohne Weiteres einleuchtet. Wenn 
es gelingt, eine genaue und theoretisch wohl begründete Kenntniss 
zu gewinnen von den Veränderungen, welche die Processe im Darm¬ 
kanal erleiden, sobald der Zutritt der Galle behindert ist, dann haben 
wir auch eine Grundlage für eine rationelle Therapie dieser Zustände. 
Insbesondere dürfen wir erwarten, dass diese Untersuchungen uns 
Aufschluss darüber geben, welche Nahrungsmittel die zweckmäßigsten 
sind für diejenigen Patienten, deren Verdauungsapparat ohne die 
Galle zu arbeiten gezwungen ist. 

Wenn man nun die genannte Frage einer Untersuchung unter¬ 
werfen will, so muss man zwei verschiedene Möglichkeiten in s Auge 
fassen. Die Vorgänge im Darmkanal, die von der Galle, beeinflusst 
werden können, siud zweierlei Art, es ist erstens die Verdauung, 
die Lösung oder die chemische Umwandlung der Nahrungsstoffe und 
zweitens ist es die Resorption, die Aufsaugung des Speisebreies. In 
beiden Richtungen sind Versuche augestellt, und zwar mit ungleichem 
Erfolge. Es ist klar und unwiderleglich bewiesen, dass die Resorp- 
tionsprocesse eine eigenthümliche Störung erfahren, wenn die Galle 
fehlt, hingegen haben die Versuche über den Eiufluss dieses Secrets 
auf die Verdauung bisher noch nicht zu befriedigenden Resultaten 
geführt. 

Bereits die ersten Versuche über den Einfluss der Unterbindung 
des D. choledochus, die von Brodie angestellt und im Jahre 1823 
publicirt wurden, führten zu einem wichtigen Ergebniss. Brodie 
führte dies Experiment bei Katzen aus. Er beobachtete, dass nach 
der Operation Gelbsucht eintrat, dass die Verdauung im Mageu 
nicht gestört war, dass aber die Bildung des Chvlus nicht mehr 
stattfand. Weder in den Saugadern des Darms noch im Ductus 
thoracicus war weisser Chylus enthalten. Tiedemann und Gmelin 
haben im Laufe ihrer berühmten Untersuchungen über die Ver¬ 
dauung diese Beobachtung bestätigt, wenn sie derselben auch keine 
Bedeutung beimessen. Bei Hunden, die nach Unterbindung des 
Gallenganges getödtet wurden, enthielten die Saugadern des Dünn¬ 
darms eine heile durchsichtige, nicht weisse Flüssigkeit, während 
der Inhalt dieser Gefässe bei einem zum Vergleich untersuchten, 
nicht operirten Thierc, welches sich sonst unter gleichen Verhält¬ 
nissen befunden hatte, opak und weisslich war. Tiedemann und 
Gmelin bezweifeln trotz dieses Befundes, dass der Galle, wie 
Brodie behauptet, ein bedeutender Einfluss auf die Bildung des 

*) Vortrag, gehalten im Vereiu für innere Mediciu. 


Chylus zukomme. „Höchstens lässt sich annehmen, dass aus dem 
Darmkanal weniger Fett aufgenommen wird, wenn die Galle nicht 
in denselben gelangt.“ Auch auf die Verdauung im Magen und 
Darm soll die Galle nur geringen Einfluss ausüben, denn die Con- 
tenta beider erwiesen sich nicht wesentlich verschieden von denen, 
die bei normalen Thieren gefunden wurden. Nur in einem Punkt 
war ein wichtiger Unterschied zu constatiren, der Inhalt des Dick¬ 
darms hatte eine abweichende Beschaffenheit von der normalen, 
derselbe roch viel übler und fauliger wie sonst und die Excremente 
waren weiss. Nach Tiedemann und Gmelin ist die Galle haupt¬ 
sächlich als ein Excret zu betrachten, welches nebenbei eine die 
iSecretion und die Peristaltik befördernde, die Darmfäulniss vermin¬ 
dernde Wirkung ausübt, welches ferner die Säure des Magensaftes 
im Darm neutralisirt. 

Es war erst den Untersuchungen Schwann’s Vorbehalten, die 
tiefgreifende Wirkung darzuthun, welche der Mangel der Galle im 
Darmkanal hervorrufen kann. Schwann modificirte zunächst die 
Operationsmethode. Man konnte der älteren Versuchsanordnung 
den Einwand machen, dass nicht der Abschluss der Galle vom 
Darmkanal, sondern die Aufstauung dieses Secrets in den Organen 
die Ursache mancher durch das Experiment hervorgerufenen Er¬ 
scheinungen sei. Diesem Einwand begegnete Schwann dadurch, 
dass er dem nach Unterbindung des Gallenganges aufgestauten 
Secret einen Ausgang verschaffte, er legte eine Fistel an, durch 
welche die Galle sich nach aussen ergoss. Die nach diesem Ver¬ 
fahren operirten Hunde gingen — wenn die Operation überhaupt 
glückte — alle nach längerer oder kürzerer Zeit zn Grunde. Die 
Thiere magerten ab, es stellte sich allmählich eine grosse Muskel- 
schwäche ein, die Haare gingen aus — genug sie boten das Bild 
der Inanition. 

Diese Versuche sind nun vielfach wiederholt wordeu und zwar 
mit verschiedenem Erfolg. Blondlot erhielt ein Thier, welches 
in der angegebenen Weise operirt war, mehrere Jahre am Leben. 
Ein Hund, den H. Nasse operirte, ging nach fast einem halben 
Jahr zu Grunde. Nasse beobachtete, dass dies Thier sehr ge¬ 
fräßig war, aber schlecht verdaute. Zu ähnlichen Resultaten ge¬ 
langten auch Bidder und Schmidt. Auch hier zeigte sich jene 
Abmagerung, jene Gefräßigkeit, die eigenthümliche Färbung der 
Fäces, die schmierige Consistenz, der überaus faulige Geruch der¬ 
selben, das Kollern im Leibe, der Abgang übelriechender Flatus, 
ein aashafter Geruch der Exspirationsluft vervollständigten das Bild 
der Erkrankung. Nach 27 bis 34 Tagen starben die Thiere und 
die Ergebnisse der Section wiesen ebenso wie die Erscheinungen 
an den lebenden Thieren darauf hin, dass dieselben durch Inanition 
zu Grunde gegangen waren. 

Bidder und Schmidt heben zum ersten Male die wichtige 
Thatsache hervor, dass die Verdauung und Resorptiou der Kohle¬ 
hydrate und der Eiweisskörper nicht beeinträchtigt sei, wohl aber 
die des Fettes. Sie legen ferner Gewicht auf die antiseptische 
Wirkung der Galle im Darmkanal. Die Störungen, welche nach 
Abschluss der Galle vom Darmkanal eintraten, bedingen natürlich 
eiuen Ausfall in der Ernährung des ganzen Organismus. Dieser 
Ausfall kann durch Mehraufnahiue von Nahrung gedeckt werden, 
und zwar durch solche Nahrungsmittel, deren Verdauung und Re¬ 
sorption nicht von der Galle abhäugig ist, also durch Eiweissstoffe 
und Kohlehydrate. Die Gehässigkeit, welche die Thiere mit gallen¬ 
freiem Darrakanal zeigen, entspringt also aus dem Bedürfnis einer 
Compensation. 

Noch schärfer als Bidder und Schmidt definirte Arnold 


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710 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 35 


diese Erscheinungen. Arnold erwies insbesondere den Unterschied 
zwischen der Wirkung fettfreier und fettreicher Nahrung. Im 
ersteren Falle, also bei Fütterung mit fettarmem Fleisch oder mit 
Brot, konnte das Thier nicht nur vor weiterer Abmagerung ge¬ 
schützt werden, sondern das Gewicht nahm sogar bei solcher Er¬ 
nährung trotz des Ausschlusses der Galle zu. 

Zu den nämlichen Resultaten gelangte auch Voit durch seine 
mit der grössten Exactheit ausgeführten Versuche. Die Thiere 
wurden von ihm zunächst im normalen Zustand, sodann nach An¬ 
legung der Gallenfistel untersucht und es zeigte sich, dass die Re¬ 
sorption und die Ausnutzung von Eiweiss, Kohlehydrat und Leim 
durch den Mangel der Galle nicht gestört war. Der Hund braucht 
im normalen Zustand dieselben Mengen Nahrung wie nach Anlegung 
der Fistel, um seinen Körper auf dem Bestand zu erhalten, wenn 
diese Nahrung aus Fleisch oder Brot besteht. Besteht hingegen 
die Nahrung zum Theil aus Fett, so hat das Thier nach Anlegung 
der Gallenfistel mehr nöthig. als vor dieser Operation, weil das ' 
Fett für ihn nicht verwerthbar ist, sondern unbenutzt und unver¬ 
ändert abgeht. 

Die bisher von mir angeführten Beobachtungen waren alle 
an operirten Thieren angestellt worden, durch die Untersuchungen 
des Herrn F. Müller wurden diese Thatsachen auch auf die 
menschliche Pathologie übertragen. Herr Müller zeigte durch 
seine umfassenden Beobachtungen, dass bei Abschluss der Galle 
vom Darm die Resorption der Amylaceen gar nicht, die der Eiweiss- 
stoffe meist nur in ganz geringem Grade, die der Fette sehr be¬ 
deutend leidet. Während bei Gesunden 6 bis 10 o/ 0 des Nahrungs¬ 
fettes im Koth wiedererscheinen, wurden in denjenigen Fällen, wo 
der Zufluss der Galle abgeschnitten war, 55 bis 78 o/o m it dem 
Koth entleert. 

Ich brauche an dieser Stelle nicht darauf hinzuweisen, welche 
Bedeutung diese Thatsachen für die Beurtheilung und Regelung 
der Ernährungsverhältnisse solcher Patienten, deren Galle vom 
Darmkanal ganz oder theilweise abgeschlossen ist, beanspruchen. 
Die gewonnenen Resultate haben nach der praktischen Seite hin 
einen gewissen Abschluss gebracht, aber die Ursache der Störung 
ist durch sie nicht klargelegt. Es wäre gewiss von grosser Wichtig¬ 
keit, zu wissen, weshalb die Fettresorption von der Gegenwart der 
Galle abhängig ist, denn wären wir darüber aufgeklärt, so können 
wir auf rationeller Grundlage nach Heilmitteln suchen, die im Stande 
sind, die fehlende Galle zu ersetzen, und die Resorptionsverhältnisse 
in acholischen Darmkanal normal zu gestalten. 

Die Wirkung der Galle auf die Resorption kann in mehrfacher 
Weise gedacht werden. Es kann sich entweder um einen direkten 
Einfluss dieses Sekrets auf die Fettresorption handeln, oder es kann 
die Wirkung eine indirekte sein, indem bei Abwesenheit der Galle 
die Zersetzungsprocesse im Darmkanal einen abnormen Verlauf 
nehmen und die abnorm gebildeten Producte secundär die Resorp¬ 
tionsvorgänge beeinträchtigen. 

Man hat den Einfluss der Galle im Darmkanal nach beiden 
Richtungen hin untersucht. - Ich darf die mannigfachen Vermuthun¬ 
gen nicht unerwähnt lassen, durch welche man die Bedeutung dieses 
Secrets für die Fettverdauung zu erklären versuchte. Man beobach¬ 
tete, dass thierischc Membranen, die mit Galle benetzt sind, dem 
Fett nicht allein eine Adhäsion, sondern sogar einen leichteren 
Durchtritt gestatten. Man konnte in dieser Thatsache eine Erklä¬ 
rung für die Einwirkung der Galle finden, so lange man die Fett¬ 
resorption als einen grob mechanischen Act betrachtete. Heutzutage, 
da man weiss, dass das Phänomen der Fettaufnahme im Darmkanal 
nicht durch die Eigenschaften todter Membranen zu erklären ist, 
sondern dass das lebendige Protoplasma der Epithelzellen diese 
Vorgänge bewirkt und regulirt, können wir in diesem Experiment 
kaum noch eine Erklärung finden. Man hat ferner hervorgehoben, 
dass die Galle im Stande ist, Fett aufzulösen — man benutzt ja 
aus diesem Grunde bekanntlich die Galle um Fettflecke aus Zeug 
zu entfernen — die aufgelöste Menge ist aber ausserordentlich gering 
im Verhältniss zu den grossen Fettmassen, die täglich im Darmkanal 
eines Menschen resorbirt werden. Es ist ferner in Anschlag ge¬ 
bracht worden, dass die Galle im Stande sei, eine Emulsion des 
Fettes im Darmkanal hervorzurufen. Das Fett wird bekanntlich 
vom Pankreassaft zerspalten in Glycerin einerseits und Fettsäuren 
andererseits. Bringt man nun Fett, welches diese Zersetzung 
theilweise erfahren hat, mit irgend einer alkalischen Flüssigkeit, 
auch mit Galle, zusammen, so bildet sich sofort eine Emulsion. 
Man könnte diesem Umstande eine Rolle für die Aufnahme des 
Fettes durch die Zellen der Darmwandung zuschreiben, wenn es 
nicht durch die neueren Untersuchungen von J. Munk, Cash, 
Will und Müller überhaupt zweifelhaft geworden wäre, ob die 
Fette sich im Darmkanal in Emulsion befinden und ob die Emul- 
girung eine nothwendige Bedingung für die Resorption derselben ist. 

Da man demnach in den direkten Wirkungen der Galle gar 
keinen Anhalt für die Erklärung ihres eigenthümlichen Einflusses 


findet, so sind wir gezwungen, uns nach den indirekten Wir¬ 
kungen dieses Secrets umzusehen. 

Ich habe vorhin hervorgehoben, dass die Thiere, deren Galle 
nach aussen abgeleitet ist, einen Koth produciren, der (Tie Zeichen 
einer abnormen Fäuluiss an sich trägt. Diese Thatsache hat die 
Aufmerksamkeit von Tiedemann und Gmelin, von Bidder und 
Schmidt auf sich gelenkt und ist für viele Versuche maassgebend 
gewesen. Wir wissen, dass die Zersetzung unserer Nahrungsmittel, 
wenn sie durch bestimmte Mikroorganismen hervorgerufen wird und 
wenn sie in bestimmten Richtungen verläuft, zur Bildung giftiger 
Producte führt. Im Darmkanal findet eine Fäulniss statt; wir müssen 
annehmen, dass im normalen Zustand irgend eine Regulation existirt, 
welche die Fäulniss innerhalb gewisser Grenzen hält, welche ver¬ 
hindert, dass schädliche Producte in grösserer Menge gebildet wer¬ 
den. Nach den erwähnten Befunden liegt gewiss die Vermuthung 
sehr nahe, dass es die Galle ist, die normaler Weise in gewissem 
Grade eine antiseptische Wirkung ausübt und dadurch die Zer¬ 
setzungsprocesse im Darmtractus regelt. Fehlt dieselbe, so fuhren 
die Zersetzungen zu abnormen Producten. Es ist leicht verständ¬ 
lich, dass abnorme Zustände der Darmschleimhaut, wie sie durch 
solche Producte zunächst hervorgerufen werden können, zu Störun¬ 
gen der Fettresorption führen werden, denn diese Function wird 
erfahrungsgemäss überhaupt am leichtesten beeinträchtigt, wenn die 
Verdauung gestört ist. 

Die antiseptische Wirkung der Galle ist natürlich nicht in der 
Weise aufzufassen, als ob durch dieses Secret jede Bacterienwirkung 
im Darmkanal unterdrückt sei. Hoppe-Seyler hat mit Recht 
darauf hingewiesen, dass die Galle selbst fault. Ihr Einfluss kann 
somit nur darauf beruhen, dass die Fäulniss gemässigt und die Zer¬ 
setzungsprocesse in bestimmte Bahnen gelenkt werden. 

Aus der Annahme, dass die Galle die Fäulniss im Dannkanal 
regulirt, folgt auch nicht etwa, dass nach Abschluss der Galle in 
jedem Falle sofort eine intensive und abnorme Fäulniss eintritt. 

Es macht sich vielmehr der Ausfall der Galle nur dann bemerk¬ 
bar, wenn die Anforderungen, welche durch die Art der Nah¬ 
rung an den Darmkanal gestellt werden, eine gewisse Grenze über¬ 
schreiten. So lange man ein Gallenfistelthier mit Brot und Fleisch 
füttert, lassen sich die Symptome einer abnormen Fäulniss im Darm 
nicht bemerken. Die Versuche Röhmann’s zeigen dies sehr deut¬ 
lich. Enthält indess die Nahrung viel Fett, dann treten die er¬ 
wähnten pathologischen Erscheinungen auf. 

Wenn man nun die Einwirkung irgend eines Stoffs auf die 
Fäulnisserreger untersuchen will, so muss man zwei verschiedene 
Fragen scharf von einander unterscheiden, zunächst die Frage, ob 
die Mikroorganismen durch irgeud ein Mittel unter vorgeschriebenen 
Bedingungen getödtet werden, und zweitens, ob sie ihre Lebens- 
thätigkeit unter diesen Bedingungen eiustellen. Es würde nun für 
unsere Frage ohne Interesse sein, wenn wir festzustellen versuchten, 
ob die Galle gewisse Bacterien tödtet, denn das Schicksal der in 
den Fäces entleerten Bacterien interessirt uns hier nicht, wir wollen 
ausschliesslich wisseu, ob sie die chemischen Wirkungen der Fäul¬ 
nisserreger im Dannkanal beeinträchtigt. Die Beurtheilung der anti- 
septischen Wirkung ist in diesem, wie in vielen anderen Fällen, 
ausschliesslich Aufgabe einer exacten chemischen Untersuchung. 

Die Kriterien, welche man bisher zur Beantwortung dieser Frage 
herangezogen hat, waren meist nur oberflächliche. Maly und 
Emich stellten Versuche über die autiseptische Wirkung der Galle 
an, indem sie einem faulnissfähigcn Stoff Gallensäuren hinzufügten 
und die Einwirkung dieses Zusatzes nach dem Fäulnissgeruch 
und der mikroskopisch sichtbaren Bacterienmengen beurtheilten. 
Sie kamen zu dem Schluss, dass 0,2 % Gallensäure die Ent¬ 
wickelung von „Baoterium termo“, w'ie sich die Autoren ausdrückeu. 
„dem charakteristischen Fäulnisspilz“ im Muskelinfus verhindert. 
Beim Pankreasgewebe sollen grössere Mengen Taurocholsäure, 
0,5%, nöthig sein, um die „Fäulniss völlig aufzuhalten“. Lind¬ 
berger, der sich derselben Kriterien bediente, benutzte frische 
Rindsgalle und konnte unter den von ihm angewandten Bedingungen 
eine fäulnisswidrige Wirkung der Galle nicht beobachten, solange 
die Reaction des Fäulnissgemisches neutral war. War hingegen die 
Reaction sauer, wie es in den oberen Theilen des Dünndarmes der 
Fall ist, so entfaltet die Galle eine kräftige fäulnisswidrige Wirkung. 

Der Umstand, dass die antiseptische Wirkung der Galle oder 
anderer Stoffe mit chemischen Hülfsmitteln bisher noch nicht in 
genügender Weise untersucht ist, lag an dem Mangel einer hierzu 
geeigneten Methode. Herr Dr. Limbourg hat nun auf meine Ver¬ 
anlassung diese Frage mit Hülfe eines Verfahrens untersucht, welches 
mir einer allgemeinen Anwendung für die Beurtheilung antiseptischer 
Wirkungen fähig zu sein scheint. Man muss fordern, dass das 
Verfahren einen Einblick in den Gang des Fäulnissprocesses ge¬ 
statte, dass nicht nur eine Unterbrechung, sondern auch eine Ver¬ 
langsamung des Fäulnissprocesses zur Anschauung gebracht werde. 
Herr Dr. Limbourg bediente sich für den gedachten Zweck eines 


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30. August. 


Verfahrens, welches von Herrn Dr. Hirschler auf meinen Vor¬ 
schlag früher ausgearbeitet ist, und zur Bestimmung der bei der 
Pepsin- und Pankreasverdauung gebildeten Producte gedient hat. 
Es wurden für diese Versuche möglichst einfache Bedingungen 
gewählt, als Substrat diente Propepton oder Albumose, ein dem 
Eiweisskörper nahestehender Stoff. Sieht mau vom Indol, dem 
Skatol und einigen Stoffen, die nur in geringer Menge entstehen, 
ab, so lassen sich die stickstoffhaltigen Producte der Eiweissfäulniss 
zum Zweck dieser Versuche in drei Gruppen eintheilen. Die erste 
Gruppe umfasst die Propeptone und Peptone, zur zweiten gehören 
die Amidosäureu z. B. Leucin und Tyrosin, die dritte Gruppe 
hat nur einen Repräsentanten, nämlich das Ammoniak. Die erste 
Gruppe enthält die bei der Fäulniss zunächst gebildeteu Pro¬ 
ducte, schreitet der Zersetzungsprocess fort, so werden ‘aus den 
Körpern der ersten Phase mehr und mehr die Substanzen der 
zweiteu und dritten Phase gebildet. Wenn man also aus eiuem 
faulenden Gemisch zu verschiedenen Zeiten Proben herausniramt 
uud nun uaehsieht, ein wie grosser Bruchtheil des gesammten Stick¬ 
stoffs sich iu Form der ersten, zweiten uud dritten Gruppe befindet, 
so hat mau ein Bild von dem Fortschreiten des Fäulnissprocesses. 
Wenn man zwei mit Fäulnisserregern inficirte Proben anstellt, die 
eine mit dem zu untersuchenden Antisepticum beschickt, die andere 
ohne Zusatz lässt und nun beide unter gleichen Bedingungen der 
Fäulniss anheimgiebt, so wird man durch die Analyse der entnomme¬ 
nen Proben den Wirkungswerth desselben kennen lernen. In dieser 
Weise stellte Herr Limbourg seine Versuche au. Zur Bestimmung 
des Ammoniaks diente die Sch lösin g'sche Methode, zur Trennung 
von Propepton und Pepton einerseits und deu übrigen Producten an¬ 
dererseits diente die Phosphorwolframsäure in der von Herr Hirsch 1er 
benutzten Weise. Die zur Untersuchung bestimmte Flüssigkeits- 
inenge wurde in zwei Theile getheilt, im ersten Theil wurde die 
Gesammtmenge des Stickstoffs nach der Kjeldahl'scheu Methode 
bestimmt. Der zweite Theil diente zur Bestimmung des Ammoniaks, 
die vom Ammoniak befreite Flüssigkeit wurde daun mit einem be¬ 
kannten Volum einer wässerigen Lösung vou phosphorwolframsaurem 
Natron unter Zusatz von Schwefelsäure versetzt. Durch Phosphor¬ 
wolframsäure werden nur die der ersten Gruppe angehörigen Körper 
gefällt, die der zweiten Gruppe nicht. Filtrirt man nun ab, so be¬ 
finden sich im Filtrat die Körper der zweiteu Gruppe. Vou dem 
so erhalteneu Filtrat wurde ein aliquoter Theil genau abgemessen 
und hierin wiederum eine Stickstoffbestimmung gemacht. Mau 
erfuhr durch diese Versuche also zunächst den Gesammtstickstoff 
der faulenden Masse, daun den Stickstoff der Körper der zweiten 
Phase, ferner den als Ammoniak vorhandenen Stickstoff; aus dieseu 
Daten lässt sich natürlich der Stickstoff der Körper aus der ersten 
Gruppe leicht berechnen. 

Bevor ich die von Herrn Lim bourg gewonnenen Resultate an¬ 
führe, muss ich erwähnen, dass für diese Versuche nicht dieGalle selbst, 
sondern zunächst nur ein Bestandteil derselben, dieCholalsäure, diente 
Wenn der Galle eine autiseptische Wirkung zukommt, so muss die¬ 
selbe durch die gallensauren Salze bedingt sein, zur Vereinfachung 
des Versuchs wurden nur diese gewählt, selbstverständlich müssen 
die Experimente später mit der Galle selbst wiederholt werden. 
Vou den Gallensäureu wurde die Cholalsäure, die im Darmkanal 
aus der Taurocholsäure gebildet wird, für die Versuche ausge¬ 
wählt. Während des Versuchs wurde die Luft möglichst durch Be¬ 
deckung mit einer Oelschicht abgehalteu. 

Die zum Fäulnissversuch benutzte Substanz war Witte’sches 
„Pepton 14 , von welchem genau abgewogene Mengen iu Wasser ge¬ 
löst wurden. Die Versuchsflüssigkeit wurde mit Pankreasiufus ver¬ 
setzt um die Fäulniss zu erleichtern und die Processe denen im 
Darrakanal ähnlich zu gestalten. Zu einigen der so vorbereiteten 
Proben wurde cholalsaures Natron hinzugefügt, zu anderen uicht. 

Ich möchte Sie, meine Herren, nicht mit der Anführung der 
Details dieser Versuche ermüden; als Resultat ergab sich, dass dies 
cholalsaure Natron iu der That die Fäulnissprocesse verlangsamt, 
die Wirkung ist erkenubar, selbst wenn die Lösung nur 74% cholal¬ 
saures Natron enthält. 1 ) 

Selbstverständlich ist durch diese Versuche die Frage nicht 
zum Abschluss gebracht, sondern es ist erst eine Grundlage für 
weitere Untersuchungen gewonnen. Jedenfalls bestätigen diese Versuche 
die von Tiedemaun undGmelin, sowie v. Bidder und Schmidt 
ausgesprochene Ansicht, dass der Galle eiue autiseptische Wirkung 
im Darmkaual zukommt. 

Vor Allem möchte ich darauf hiuweisen, dass wir nicht darauf 
angewiesen sind, bei der Prüfung antiseptischer Mittel, uns mit 
mikroskopischen Untersuchungen oder mit äusseren Schätzungen zu 
begnügen. Die Beurtbeilung eines fäulnisswidrigen Mittels braucht 
nicht allein in der Feststellung derjenigen Concentration zu bestehen, 


’) Ausführliche Mittheilung der Versuche erfolgt in der Zeitschrift für 
physiologische Chemie, herausgegeben von Hoppe-Seyler. 


durch welche der Tod der Fäulnisserreger herbeigeführt wird. Es 
stehen uns exacte chemische Methoden zu Gebote, welche die Mög¬ 
lichkeit geben, um Schritt für Schritt die Einwirkung zu verfolgen, 
welche die fäulnisswidrigen Substanzen auf die chemische Lebeus- 
thätigkeit der Bacterien ausübeu, auf diejenige Thätigkeit, welche 
zur Bildung der Ptomaine führt und welche den Pathologen haupt¬ 
sächlich interessireu sollte. — 

II. Aus dem städt. allgemeinen Krankenhause Friedrichs¬ 
hain, Abtheilung des Herrn Prof. Fürbringer. 

Zur Kenntniss der apoplectiformen Bulbär- 

paralyse. 

Von Dr. Julius Schwalbe, Assistenzarzt. 

Trotz der umfangreichen Literatur, welche der einen eigenen 
Reiz gewährende Symptomencomplex der „acuten apoplectiformen 
Bulbärparalyse“ gezeitigt hat, trotzdem in neuerer Zeit Nothnagel 
in seiuem bekannten Buche 1 ), in neuester Zeit Oppenheim und 
Siemerling 2 ) sich mit Erfolg bemüht haben, aus der Literatur und 
eigenen Beobachtungen die typischen Symptome zu sammeln und 
unter grössere Gesichtspunkte zu gruppiren, entbehrt die Darstellung 
des Charakters unserer Krankheit jener scharfen und präcisen Ab¬ 
grenzung, welche eiue Reihe anderer Affectionen des Centraluerven- 
svstems in klinischer und anatomischer Hinsicht schon gewonnen 
hat. Gerade aus der citirten Arbeit vou Oppenheim und Siemer¬ 
ling gewinnt man den Eindruck, dass es bisher noch nicht gelungen 
ist, die Fragen genügend zu klären, deren Lösuug allein im Stande 
wäre, statt des klinischen unbestimmten Krankheitsbegriffs eine exacte 
anatomische Diagnose zu statuiren. Wir sind gezwungen, den Nameu 
„acute Bulbärparalyse“ selbst da zu gebrauchen, wo die Zunge, ein 
iutegrireudes Glied in der Reihe der hier in Betracht kommenden 
Hauptorgane, vou der Lähmung gar nicht betroffen ist 3 ) oder der 
Schlingact vollkommen normal sich vollzieht 4 ), und doch geht dauu 
der Vergleich uud die Verwandtschaft mit der wirklichen Bulbär- 
paralyse, der chronischen progressiven Paralysis glossopharyngo-la¬ 
bialis, offenbar in wesentlichen Punkten verloren. Damit aber nicht 
genug, stellt sich uns noch in maunichfachen Publicationen der Be¬ 
griff „Pseudobulbärparalyse“ entgegen, der erst recht Unklarheit 
und Unbestimmtheit in sich birgt. Haben wir oben gesehen, dass es 
eine acute Bulbärparalyse gebeu kann, welche die Hauptbahnen des 
Bulbus intact lässt, so tritt in der Pseudobulbärparalyse ein 
Symptomencomplex auf, der iu manchen Einzelheiten an unsere 
Affection erinnert, anscheinend aber überhaupt keine Erkrankung 
des Bulbus 5 ) darstellt, sondern nur durch die Affection von Gross¬ 
hirnbahnen hervorgerufen wird. Ich sage „anscheinend“; denn wie 
aus der citirten Arbeit von Oppenheim und Siemerling hervor¬ 
geht (und das scheint mir das wesentlichste und vorzügliche Ver¬ 
dienst derselben zu sein), hat sich in Fällen von sogenannter Pseudo¬ 
bulbärparalyse, in Fällen, wo bei den Symptomen der Bulbärpara¬ 
lyse die makroskopische Betrachtung des Cerebrum nur eine Affection 
des Grosshirns ergeben hat, nachträglich bei mikroskopischer 
Untersuchung eine wesentliche Betheiligung des Pons resp. 
der Medulla oblongata herausgestellt. 

Wenn demnach so das Gebiet der Pseudobulbärparalyse ein¬ 
geschränkt wordeu ist und auch fernerhin durch exacte Unter¬ 
suchungen begrenzt werden wird, so bleiben gleichwohl noch Fälle 
übrig, in denen hervorragende Autoren bei sorgsamer makro¬ 
skopischer und mikroskopischer Exploration nur eine Erkrankung 
des Grosshirns —, Pons und Medulla indessen frei gefunden haben. 
Vielleicht gelingt es aber der nächsten Zukunft, Merkmale zu fin¬ 
den, die eine Affection der Grosshirnbahnen von derjenigen des 
Pons und der Medulla zu unterscheiden im Stande sind, damit 
wenigstens der verwirrende Begriff der Pseudobulbärparalyse über 
Bord geworfeu werden könnte. 

Auch dafür, dass das andere Desiderat erfüllt werde, nämlich 
den klinischen Begriff der acuten Bulbärparalyse jedesmal durch 
einen anatomischen zu ersetzen und vor allem in jedem speciellen 
Falle mit Gewissheit zu bestimmen, ob der Pons oder die Medulla 
oblongata als Sitz der Erkrankung aufzufassen sei, auch dafür muss 

’) Topograph. Diagnostik der Gehirnkrankheiten. Berlin 1879. 

*) Charite-Annalen 1887. 

3 ) Vergl. z. B. den Fall Leydeu’s in Westphal’s Archiv VII. 

4 ) z. B. in Eisen!ohr’s Fall 6, WestphaPs Archiv 1879 u. a. m. 

5 ) Ich möchte an dieser Stelle besonders darauf hinweisen, dass ich in 
meiner Arbeit das Wort „Bulbus“ für Medulla und Pons gebrauche: ent¬ 
sprechend der Thatsache, dass ja eine Bulbärparalyse ihren anatomischen 
Sitz sowohl im Pons wie in der Medulla oblongata haben kann. Dieser er¬ 
weiterte Begriff ist aber nur in klinischem Sinne angewendet: seine ana¬ 
tomische Beschränkung auf die Medulla oblongata ist selbstverständlich nie 
gebraucht. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35 


uoch die weitere Forschung durch Auffindung differential - dia¬ 
gnostischer Momente in wesentlicher Weise wirken. Die Schwie¬ 
rigkeit der genaueren Diagnose gründet sich besonders auf die in 
gewissen wesentlichen Theilen gleichartige Bildung von Medulla 
und Pons. Beiden Theilen des Centralnervensystems ist ein ge¬ 
wisser Grundstock von Leitungsbahnen gemeinsam, und jeder wird 
erst durch ein eigenthümliches Plus zu dem specifischen Nerven¬ 
körper erhoben. Pons sowohl wie Medulla besitzen die Pyramiden¬ 
bahnen, die Sensibilitätsbahnen, einen Theil der Hiruuerven [Tri¬ 
geminus, Abdueens, Facialis, Acusticus, Hypoglossus]. Für den 
Pons kommen von den Hirunerveu der Oculomotorius und der 
Trorlilearis — für die Medulla der Glossopharyugens, Vagus und 
Aecessorius als charakteristisch hinzu. Weun nun einer dieser 
differenzirenden Bestandtheile mitbetheiligt ist, werden wir im all¬ 
gemeinen leichter im Staude sein, zu entscheiden, ob der Sitz der 
Erkrankung in den einen oder den anderen Theil zu verlegen ist. 
Das aber ist viel mehr Gegenstand der Untersuchung, bei (an¬ 
scheinend) alleiniger Erkrankung eines beiden Nervenkörperu ge¬ 
meinschaftlichen Bestandtheiles eventuell unterschiedliche Symptome 
aufzufinden, die das eine Mal den Pons, das audere Mal die Me¬ 
dulla als geschädigt erkennen lassen. Dies Ziel lässt sich nicht 
anders erreichen, als auf der Basis eines gut studirten Materials von 1 
Krankheitsfällen. Jeder casuistische Beitrag wird darum — betrifft 
er nur wohlcharakterisirte, klinisch allseitig beobachtete uud ob- j 
jectiv erschlossene Erscheinungsformen unserer relativ seltenen 
Krankheit — die Berechtigung der Veröffentlichung in sich tragen. 
Umsomehr, wenn derselbe eine Reihe besonderer und interessanter 
Eigenthümlichkeiten auf sich vereint. Diese F^rwägung veranlasst ! 
mich, einen mir von Herrn Professor Fürbringer gütigst zur Ver- | 
fügung gestellten Fall in extenso zur Kenntniss des nachsichtigen 
Lesers zu geben, obwohl ihm — erfreulicherweise möchte ich sagen 
— eine anatomische Bestätigung durch die Section nicht zur 
Seite geht. 

Der Patient, W. Koch, ein 32 jähriger, unverehelichter Maurer, wird 
am Abend des 11. Januar 1888 im bewusstlosen Zustande in das Kranken¬ 
haus Friedrichshain eingeliefert. Er liegt comatös da, reagirt auf Reize ab¬ 
solut nicht. Bei OefTnung der Augenlider fixiren die Augen nicht, sind 
geradeaus gerichtet. Pupillen sind gleichweit, von mittlerer Grösse, reagireu 
reflectorisch gut. Athmung regelmässig, nicht beschleunigt. Lippen werden 
dabei wie beim Tabakspfeifenblasen vorgeworfen. Puls mittelhoch, von etwas 
beschleunigter Frequenz, regelmässig. Temperatur 37,6. Aeussere Ver¬ 
letzungen nicht zu constatiren. Foetor alcoholicus nicht vorhanden. 

Am 12. Januar Morgens ist Patient aus seinem Coma erwacht und 
völlig klar. Dagegen vermag er nicht zu sprechen — wie im weiteren Ver- j 
laufe der Untersuchung deutlich wird — in Folge motorischer Zungen- | 
läbmung. Seine Mittheilungen und die Beantwortung der an ihn gerichteten 
Fragen führt er theils durch die Schrift, theils durch Geberden aus. 

Anamnestisch habe ich zu eruiren vermocht, dass Patient, hereditär 
nicht nervös belastet, sich vor 5 Jahren syphilitisch inticirt und damals 
(bei secundären Symptomen) eine regelrechte Sublimatinjectionscur (30Spritzen) | 
in der Charite durchgemacht hat. Seitdem will er nie Krankheitserschei¬ 
nungen, die auf syphilitischen Ursprung zurückgeführt werden könnten, ge¬ 
habt haben. Seine geistigen und körperlichen Functionen seien soweit 
normal gewesen, dass er seinen Beruf in vollkommener Weise hätte erfüllen 
können, und niemals hätte er Störungen cerebraler Natur bemerkt. Kopf¬ 
schmerzen, Schwindelerscheinungen, Krämpfe, Schwäche in einer Extremität 1 
seien nie aufgetreten. Am gestrigen Nachmittage habe er sich nur einige i 
Minuten etwas unwohl gefühlt; Abends sei er plötzlich mitten in j 
der Arbeit bewusstlos umgefallen. 

Was die augenblicklichen subjectiven Beschwerden des Patienten 
betrifft, so giebt derselbe an: 

1. dass er nicht sprechen könne, weil ihm die freie Beweglichkeit der 
Zuuge fehle. Die Worte, die er hervorbringen wollte, seien ihm völlig 
klar, er wisse auch, wie er sie aussprechen müsste, aber die Zunge gehorche 
seiner Intention nicht. 

2. Ferner habe er Beschwerden im Kehlkopfe, sobald er zu sprechen 
versuche. 

3. Schlingbeschwerden seien nur in geringem Maasse vorhanden. 

4. Entgegen einer guten früheren Hörfähigkeit hätte sich Schwerhörig- i 
keit, besonders auf dem linken Ohre, eingestellt. 

5. Es bestehe eine beträchtliche Schwäche im linken Arm und lin¬ 
ken Bein. 

6. Die Fingerspitzen der linken Hand seien ihm wie abgestorben. 
Sonstige Schmerzen oder Parästhesieen verneint er. Auch habe er weder 
Kopfschmerzen, noch Schwindelgefühl. 

Objectiver Befund. 

Patient ist ein Mann von kräftiger Constitution, ziemlich guter Ernäh¬ 
rung, kräftigem Knochenbau, ziemlich gut entwickelter Muskulatur. 

Haut überall von normaler Farbe, hat keine Exantheme oder Oedeine. 

Geschwollene Lymphdrüsen nicht vorhanden. Keine Knochenauftrei- 1 
bungen. 

Terap. normal, 36,8. . 1 

Resp. ruhig, etwas tief, regelmässig. 

Puls von mittlerer Frequenz, mittelhart, regelmässig. ! 

Lungen, Herz normal. 

Leberdämpfung normal. 

Augenlider können gleichmässig bewegt werden, die Augen werden I 


beiderseits fest geschlossen. Stirnrunzeln findet auf beiden Seiten in 
gleichem, ausgedehntem Maasso statt. 

Die rechte Nasolabialfalte ist etwas verstrichen, der rechte Mundwinkel 
steht etwas tiefer. Die Action der mimischen Muskeln der rechten Ge¬ 
sichtshälfte ist völlig aufgehoben, die der linken uneingeschränkt. 
Beim Aufblasen der Backen wird die rechte stärker als die linke ausge¬ 
baucht. Beim Versuch zu pfeifen wird die Unterlippe nach links gezogen, 
und der linke Theil des Sphineter oris zieht sich viel mehr zusammen als 
der rechte. Die Lippen können nicht sehr fest auf einander gepresst 
werden. Spitzen des Mundes findet nur in unvollkommener Weise statt. 
Pfeifen kann Patient (im Gegensatz zu früher) nicht. 

Zunge ist blass, leicht belegt, stark feucht, zeigt am Rande Zahn- 
abdrücke, zittert beim Herausstrecken. Sie wird langsam uud zögernd, wie 
mit besonderer Anstrengung, aber vollkommen gerade, herausgestreckt, 
im Ganzen nur 3'/a cm von den Oberkieferzähnen aus gerechnet. Die breit 
herausgestreckte Zunge vermag Patient nicht zu spitzen; innerhalb des 
Mundes gespitzt, kann sie nur bis zum Unterlippenrand vorgebracht werden. 
Die herausge.streckte Zunge vermag die Spitze nicht zu heben. Innerhalb 
des Mundes vermag sie sich nach rechts und links zu bewegen, auch Rotatio¬ 
nen um die Längsachse in geringem Maasse auszuführen. Den Rücken gegen 
den Gaumen anzudrücken vermag die Zunge nicht. Ihre Sensibilität ist 
normal (auch bei den späteren Untersuchungen). 

Das Velum palatinum hängt ziemlich schlaff herab. Beim Intooiren 
verharren die Arcus palatoglossi in dieser schlaffen Stellung, während die 
Arcus palatopharyugei mit Uvula in die Höhe steigen. Letztere wird dabei 
etwas nach links gezogen. Die Sensibilität des weichen Gaumens ist etwas 
herabgesetzt. Ebenso der Schling- und Würgreflex. Der Schlingact 
geht nach der Angabe des Patienten etwas schwieriger als früher von 
statten. Doch verschluckt sich der Patient nicht, es kommt auch keine 
Speise aus der Nase zurück. 

Die Verdauungsthätigkeit ist gut. Appetit stark. 

Urinexcretion ungestört; Urin von normaler Menge, Farbe, spec. Gewicht, 
enthält weder Eiweiss noch Zucker. 

Die Prüfung des Geschmacksiuues ergiebt keine deutliche Alte¬ 
ration. 

Die Hörfähigkeit erweist sich auf beiden Seiten etwas herabgesetzt, 
links stärker als rechts. Pat. behauptet, im linken Ohre ein beständiges 
Summen zu verspüren. 

Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt eine geringe Parese 
des rechten Stirambandes, so dass beim Intoniren ein schmaler Spalt in der 
Mitte zwischen beiden Stimmbändern übrig bleibt. Die Phonation erzeugt 
nur Fisteltöne (während Pat. früher in einem Gesangverein U. Tenor ge¬ 
sungen hat). 

Die Spracho des Pat. ist beinahe vollkommen aufgehoben. Beim 
Versuch zu sprechen bringt er fast nur gurgelnde Laute hervor. Man er¬ 
kennt, dass Pat. die für die Bildung der betr. Laute nöthige Stellation der 
Zunge, Lippen etc vorzunehmen bemüht ist, dass jedoch die Parese der 
agireuden Elemente — besonders der Zunge — zu beträchtlich ist, als dass 
eine Wirkung derselben erzielt werden könnte. Zungen- und Lippenconso- 
nanten, H und die Vocale werden am schlechtesten ausgesprochen. Der 
Klang der Sprache ist nasal. 

Aphasie besteht durchaus nicht. 

Psyche (des intelligenten Pat.) nicht afficirt. Neigung zum Weinen, 
Schluchzen oder Lachen tritt niemals hervor. 

Bewegungen der Augen nach allen Richtungen hin frei und gleich- 
mässig. 

Pupillen sind gleich weit, mittelgross und reagiren reflectorisch und 
accommodativ gut. Dioptrische Medien durchsichtig. Gesichtsfeld normal 
(bei grober Prüfung). Auf dem linken Auge: Papilla optica schief oval, im 
aufrechten Bilde der grösste Durchmesser von links nach rechts. Der Grund¬ 
ton derselben normal. 

Am rechten Auge erscheint die Papilla optica etwas abgeblasst. 
Stauungserscheinungen an beiden Augen nicht sichtbar. 

Die Motilität ist am linken Arm und Bein beschränkt. Pat. schlappt 
das Bein beim Gehen.nach und vermag die Bewegungen mit dem linken 
Arm nicht so schnell auszuführen wie mit dem rechten. Auch die motorische 
Kraft ist an den linken Extremitäten etwas herabgesetzt. 

Die Sensibilität ist an der Stirn auf beiden Seiten wohlerhalteu. 
Dagegen ist dieselbe an der ganzen rechten Gesichtshälfte bis zur Mittellinie, 
einschliesslich der rechten Ohrmuschel, stark herabgesetzt. Ebenso besteht 
eine Hyperästhesie an der rechten Wangen- und Mundschleimhaut. Am 
linken Bein ist die Sensibilität in etwas weniger beträchtlichem Grade ver¬ 
mindert, ebenso am linken Arm. Am Rumpf sind keine Sensibilitätsstü- 
rungen. 

Die Hautreflexe sind an den hyperästhetischen Stellen fast ganz er¬ 
loschen, an den übrigen Körperstellen normal. 

Sehnenreflexe sind vorhanden. 

Ebenso Sphincterenreflexe. 

Romberg’sches Phänomen nicht deutlich zu constatiren. 

Auscultation der Proc. mastoidei lässt kein Geräusch hören. 

Behandlung: Sehmiercur. 

Kalium jodatum. 

In den ersten Tagen blieb der Zustand unverändert. Nur wurde eruirt, 
dass zeitweise leichte Zuckungen in der Muskulatur des rechten Arms auf¬ 
traten. Dieses Moment gab Veranlassung, noch einmal die rechten Extre¬ 
mitäten genau zu prüfen, und es ergab sich, dass die motorische Kraft 
auch im rechten Bein etwas herabgesetzt war. Die Sensibilität 
verhielt sich nicht abweichend von der Norm. — Nach etwa 5 Tagen war 
eine deutliche Besserung in der Sprache zu constatiren, die fast vou Tag 
zu Tag zunahm. l at. lernte fast systematisch wieder die einzelnen Laute 
und Lautcompositioneu hervorbringen, und nach etwa 3 Wochen schon 
sprach er einige Sätze ziemlich geläufig hinter einander. Immer aber be- 


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30. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


713 


wahrte die Sprache den Charakter der Dyslalie, immer liess ein plötzliches 
Stocken und Stammeln mitten im Worte, häufiger im Beginn desselben er¬ 
kennen, dass die Zunge in ihrer Motilität noch beschränkt war. Durch eine 
solche leichte Parese war dieselbe auch noch am Tage der Entlassung des 
Pat. (nach 8 Wochen) afficirt. 

Nach ca. 12 Tagen hatte sich die Hörfähigkeit so sehr gebessert, da>s 
Pat. keine Abweichung mehr gegen früher constatiren konnte. Die Besserung 
der Motilität der rechten Gesichtshälfte und der linken Extremitäten machte 
dagegen nur langsame Fortschritte. Am 11. Februar wurde das elektrische 
Verhalten der Muskeln und Nerven geprüft. Damals ergab sich: 

R. Gesichtsmuskulatur direkt und indirekt auf faradischen und gal¬ 
vanischen Strom etwas stärker reagirend als links. 

Normale Zuckungsformel und Zuekuugsart. Zunge auf direkte und 
indirekte Reizung normal. 

Extremitäten geben beiderseits gleiche normale Reaction. 

Am 12. Februar. Beträchtliche Herabsetzung der Sensibilität an der 
rechten Gesichtshälfte und den linken Extremitäten. Deutliche Veränderung 
des Temperatursinns an den afficirten Theilen. Deutliche Ataxie am 
linken Arm und Bein, Herabsetzung des Muskelgefühls an den¬ 
selben Extremitäten. 

Action der rechten Gesichtsmuskulatur wesentlich gebessert. Weicher 
Gaumen hängt nicht mehr so schlaff herab, Arcus palatoglossi zeigen bei 
der Phonation nur noch mässige Parese. Rechtes Stimmband straff bei der 
Intonirung, kein Spalt mehr in der Mitte. Stimme des Pat. ist lauter, 
klarer, tiefer. 

16. Februar. Augenbefund (durch Herrn Dr. Gutmann): Rechts 
grauweisse Verfärbung der temporalen Papillenhälfte. 

Links Maculae corneae. Papilla schief oval. 

Sehschärfe R. ‘/c 
L. '/so 

Gesichtsfeld beiderseits etwas eingeengt. 

Am 17. Februar. Indirekte galvan. Reizung giebt in der rechten Gesichts¬ 
hälfte stärkere Reaction als links, faradische rechts gleiche oder sogar 
etwas schwächere als links. Direkte galvan. und faradische Prüfung geben 
beiderseits gleich starken Ausschlag. Zuckungsqualität normal. An den 
Extremitäten normale Reaction und keine Differenz zwischen rechts und links. 

Am Rumpf ist Aesthesie und Motilität normal. 

Rechte Gesichtshälfte: Algesie stark herabgesetzt. (Hautreflexe auf 
Stich weder rechts noch links zu erhalten. Cornealretlexe beiderseits normal.) 
Aesthesie herabgesetzt. Drucksinn ebenso. Temperatursinn stark verändert. 
(Kalt und warm wird nicht empfundeu. Ein brennendes Streichholz, das 
die Barthaare versengt, wird als leicht warm empfunden, verursacht keinen 
Schmerz, löst keinen Reflex aus.) 

Am linken Arm und Bein Algesie, Aesthesie und Hautreflexe herab¬ 
gesetzt. Rechts normal. Kitzelreflex an der Flusssohle links schwächer als 
rechts. 

Am 25. Februar. Leichte Nystagrausbeweguugen bei den Eudstellungen 
der Augen nach innen und aussen — dieselben verschwinden schon nach 
einigen Tagen. 

Am 10. März wurde Pat. nach 8wöchentlicher Behandlung als wesent¬ 
lich gebessert entlassen. Sein Status an diesem Tage war kurz resurairt 
folgender: 

Hörfähigkeit normal. 

Sprache wesentlich gebessert zeigt nur geringe Störungen im Rede¬ 
fluss und der Bildung mancher Consonanten; ist laut und fast so tief wie 
früher. 

Motilität in der rechten Gesichtshälfte und den linken Extremitäten 
deutlich, doch nur um etwa 50% gebessert. Im rechten Bein kaum noch 
eine Schwäche bemerkbar. Ebenso ist die Sensibilität um etwa die Hälfte 
gebessert. 

Ataxie besteht in massigem Grade in den linken Extremitäten. 

Atrophie der Muskulatur ist in keinem paretischen Bezirke vorhanden. 

In der rechten Gesichtshälfte besteht auf direkten und indirekten 
faradischen und galvanischen Reiz deutlich eine stärkere Reaction als links. 
Reactiousqualität normal. Zunge und Extremitäten geben auch in der 
Reactionsintensität keine Differenz auf beiden Seiten. 

Dass wir es liier mit dem Bilde der sogen, acuten apoplecti- 
formen Bulbärparalyse zu thuu haben, das beweist der Symptomen- 
complex, das lehrt uus die acute gleichzeitige Affeetion derjenigen 
Hirnuerven, die wir bei der chronischen Paralysis glossopharyngo- 
labialis betheiligt finden: also wesentlich die Lälunung des Hypo- 
glossus und Facialis. Ob der Glossopharyngeus hier wirklich ver¬ 
letzt ist oder nicht, ist für unsere Frage nicht von grossem Belaug, 
denn ich habe oben erwähnt und dargelegt, dass es anatomisch 
bewiesene Fälle von acuter Bulbärparalyse giebt, in denen eben¬ 
falls der Glossopharyngeus, ja in denen sogar der Hypoglossus 
ausserhalb des Bereiches der Affeetion gelegen hat. 

Wesentlicher ist die Frage, ob hier nicht eine Pseudobulbär- ! 
paralyse vorliegt, d. h. ob nicht der Erkrankuugsherd im Grosshirn \ 
resp. mehrere Herde in ihm und dem Bulbus statuirt. siud. Ein ! 
entscheidendes Merkmal für die Lösung dieser Frage ist bisher aus j 
allen Beobachtungen noch nicht gewonnen worden, und die 
Schwierigkeit der Differentialdiagnose wird von allen Autoren an- ; 
erkannt. Indessen dürfte in unserem Falle die sofortige Restitution ; 
der Intelligenz, ohne Spur von geistiger Depression zu hinterlassen, 
noch mehr aber die Betheiligung des Kehlkopfes, als gewichtiges 
Moment gegen die Anuahme einer blossen Grosshirnaffectiou hervor¬ 
treten. In demselben Sinne dürfte die typische Ausbreitung sowohl 
der Hirnnervenaffection als besonders der alternirenden motorischen 


und sensiblen Lähmung zu verwertheu sein. — Andererseits ist der 
apoplectische Beginn mit Bewusstscinsverlust, der häufig als ein 
Symptom der Pseudobulbärparalyse angeführt wird, in etlicheu 
Fällen auch bei der wahren acuten Bulbärparalyse beobachtet 
worden. 

Was nun die Ursachen für den plötzlichen, vollkommen acuten 
Beginu unseres vorliegenden Krankheitsfalles betrifft, so kämen fol¬ 
gende Momente in Betracht: 1) Tumor, 2) Aneurysma, 3) Blutung, 
4) Embolie oder Thrombose. 

Von einer acuten Entzündung des Pons in der Meduila oblou- 
gata, wie sie auch als anatomischer Befund bei einer acuten Bulbär- 
paralyse beschrieben worden ist,können wir hier abseheu, weil 
bei dieser der betr. Symptomencomplex sich mindestens erst in 
einigen Stunden ausbildet und der apoplectiforme Charakter kaum 
so hervortritt wie in unserem Falle. Ausserdem pflegen auch bei 
der acuten Myelitis gewisse Symptome der Bulbärlähmung vorher- 
zugeheu. 

ad 1. Einen Tumor, in der Substanz des Bulbus oder ausser¬ 
halb derselben, den Bulbus bloss comprimirend, dürfte man kaum 
mit vollkommener Sicherheit ausschHessen können. Es siud genug 
Fälle beschrieben, wo sich Geschwülste im Gehirn und speciell auch 
im Pons entwickelt haben, ohne dass je während des Lebens durch 
sie Krankheitssymptome bedingt worden sind, oder die mit fast voll¬ 
kommen acutem Beginn in die Erscheinung getreten sind. Indessen 
gehören doch diese Beobachtungen zu den Seltenheiten, und diese 
Thatsache zusammengehalten mit dem vollkommenen Mangel 
von Hirnsymptomen vor der jetzigen Erkrankung dürfte uns 
hier von einer Geschwulst absehen lassen. Man könnte einwerfeu, 
dass die rechtsseitige geringe Atrophie der Papilla optica das Re¬ 
sultat einer früheren Stauung sei und so mittelbar für einen Tumor 
in Anspruch genommen werden könne (zumal der Krankheitsherd 
hier rechts sitzen muss, cf. unten), allein sicherlich hätten bei einer 
Wirkung auf den N. opticus schon weitere Hirnsymptome (Kopf¬ 
schmerzen etc.) deutlich werden müssen. Eineu Tumor könneu wir 
hier also, wenn auch nicht sicher, so doch mit Wahrscheinlichkeit 
aussch Hessen. 

ad 2. F'ür ein Aneurysma der Art. basilaris sind keine An¬ 
zeichen vorhanden. Das Gerhardt’sclie Geräusch bei der Aus- 
cultation der Proc. mastoidei war nicht hörbar. Atheromatose der 
Arterien bestand, soweit dies aus den Körperarterien eruirbar ist, 
nicht. 

ad 3. Hämorrhagieen in den Pons oder gar in die Meduila 
oblongata gehören zu den Raritäten, zumal weun das Leben bei 
ihnen erhalten bleibt, und zu der Annahme einer Hirnblutung wird 
man sich bei einem 32jährigen kräftigen Manne, der sonst keine 
Erkrankung der Organe darbietet, gewiss nur verstehen, wenn jede 
andere Möglichkeit als nicht annehmbar erscheint. 

Wir wären also auf dem Wege der Exclusion dahin geführt, 
in dem letzten der oben angegebenen 4 pathologischen Zustände die 
erklärende Ursache für das Zustandekommen unseres Krankheits- 
bildes zu suchen, nämlich in der Embolie oder Thrombose eines 
die Brücke resp. die Meduila ernährenden Gelasses. Von diesen 
beiden (’ireulationsstörungen, die an sich in ihrer Wirkung absolut 
nicht zu unterscheiden sind, ja die häufig auf dem Leichentische 
nicht ohne weiteres differencirt werden können, sind wir aus zwei 
Gründen im Stande, die Thrombose als die wahrscheinlichere Ver¬ 
änderung voranzustellen. Der eine Grund ist ein negativer und 
besteht darin, dass wir hier keine Ursprungsstätte für einen Em¬ 
bolus anzugeben vermögen; Pat. leidet weder an Atheromatose der 
Arterien, noch au einem Vitium eordis etc. Der positive Grund, 
der uns zur Annahme der Thrombose drängt, ist die Angabe des 
Pat., dass er vor 5 Jahren Syphilis aequirirt und in ihren seeuu- 
dären Erscheinungen durchgemacht hat. 

Wir wären also durch negative und positive Gründe bestimmt 
worden, als anatomische Grundlage für unser Krankheitsbild eine 
Thrombose einer den Bulbus versorgenden Hirnarterie, also der 
Art. basilaris resp. vertebralis oder der kleineren Zweige, zu suppo- 
niren, die ihrerseits bedingt ist durch eine Eudarteriitis syphilitica. 

Und nun wären wir nur noch vor die Lösung der Haupt- und 
schwierigsten Frage gestellt, nämlich ob in unserem Falle der Sitz 
der Encephalomalaeie, die sich gewöhnlich an eine Thrombose an- 
sehliesst, im Pons oder in der Meduila oblougata zu suchen sei. 
Das Hiilfsmittel, das wir uns oben klargestellt haben, uämlich die 
Betheiliguug eines deu Pons oder die Meduila charakterisirendeu 
specifischen Bestaudtheils suchen wir vergebens. Abducens-) Troeh- 
learis und Oculomotorius ist einerseits gar nicht betheiligt: Augen- 

*) cf. Leyden, Klinik der Rückenmarkskrankheiten, II, 157. 

a ) Obwohl der Abducenskern direkt am Faeialiskeru gelegen ist und 
der Facialis sowohl bei Pons- wie Medullaaffectionen betroffen wird, sind 
Störungen in den Augenbewegungen doch nur bei Erkrankung des Pons 
und zwar meistens der vorderen Ponshälfte beobachtet worden. 


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714 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35 


bew-egungen und Pupillen sind vollkommen normal. Andererseits 
besteht auch keine wesentliche Alteration des Vagus, Glossopharyn- 
geus und Aceessorius. Soweit dieselbe vorhanden ist, möchte ich 
sie uur als Feruwirkuug auffasseu, als Reizerseheiuungen, wie sie 
in der einen oder anderen Weise häufig bei Affectioneu von Pons 
und Medulla beobachtet worden sind und für die sich nachher 
keine anatomische Parenchymveränderung gefunden hat. 1 ) Die 
leichte Parese des rechten Stimmbaudes, die leichte Heiserkeit, die 
nach ca. 14 Tagen geschwunden ist, die Parese des Velum palatinum, 
die zum Theil auf den Facialis, zum grösseren Theil allerdings auf 
den Glossopharyugeus bezogen werden muss, sie sind wegen ihrer 
relativ geringen Intensität, der Kürze des Bestehens und der voll¬ 
kommenen Heilung nicht im Stande, eine Affection des Vago- 
Accessorius und Glossopharyugeus durch den Erweichungsherd 
selbst annehmen zu lasseu. Dazu kommt, dass von den Respi- 
rationsstörungen, die bei wesentlicher Affection des Vagoaccessorius 
beobachtet werden (Cheyne-Stockes’sehes Phänomen), ferner von 
den Circulatiousstörungen etc. hier nichts in die Ersclieiuung ge¬ 
treten ist. 

Auch die Beeinträchtigung der Hörfahigkeit, die hier merk¬ 
würdigerweise auf der dem Krankheitsherde entgegengesetzten Seite 
(cf. unten) stärker war, ist wohl nur als eine Fernwirkung aufzu¬ 
fassen: nach kaum 14 Tagen war Pat. in vollkommenen Besitz 
seines guten Gehörs gelangt. 

Der eigentliche Krankheitsherd dürfte demnach in der unteren 
(hinteren) Hälfte des Pons liegen, und zwar wesentlich auf 
der rechten Seite. Rechts muss sich der Herd befiudeu, weil 
die die besonders gelähmten linken Extremitäten versorgenden Nerven¬ 
bahnen im Pons noch auf der rechten Seite verlaufen. 

In der unteren Hälfte des Pons sitzt die Erweichung, weil — 
um dasselbe nochmals zu wiederholen — einerseits Oeulomotorius 
und Trochlearis, die im vorderen Theile entspringen, und der Ab- 
ducens ganz unbetheiligt sind, andererseits schon der Acusticus und 
Glossopharyugeus, noch mehr Vagus und Aceessorius ausserhalb des 
wesentlichen Erkrankungsbezirkes sich befiudeu. Ferner muss der 
Herd unterhalb der Facialiskreuzung liegen, da der Facialis der 
rechten, dem Tumor entsprechenden Seite von der Lähmung be¬ 
troffen ist. 

Indem wir also den Krankheitssitz in den unteren Theil des 
Pons, zwischen Facialiskreuzung und Acusticusursprung verlegen, 
sind wir im Stande, fast sämmtliche Krankheitssymptome zu erklären. 

1. Paralysis N. facialis dextri inferioris. 

Dieselbe ist, wie schon bemerkt, hier bedingt durch die Affection 
des rechten Facialis unterhalb seiner Kreuzuugsstelle. Die Facialis- 
paralyse bildet überhaupt, w r eun auch nicht ein absolutes, aber doch 
häufiges uud wesentliches Charakteristicum für das Bild der Pons- 
lähmung. Auch hier wie in den meisten andereu Fällen von acuter 
Bulbürparalyse ist der Stirufacialis von der Affection vollkommen 
frei geblieben, und diese Beschränkung wird ja als meistens charak¬ 
teristisch für eine centrale Läsion des Facialis angesehen. Um so 
auffallender ist hier die Veränderung der elektrischen Erregbarkeit, 
nämlich eine ziemlich coustante, wenn auch nicht sehr beträchtliche 
Steigerung sowohl der faradischen wie galvanischen Reactiou (bei 
normaler Zuckungsqualität), wie sie sonst nur manchmal bei frischen, 
peripheren Lähmungen vorkommt. 

Dieser Befund weicht von denjenigen aller frühereu Fälle ab 
— wenigstens soweit mir etwas darüber bekannt geworden ist. In 
deu meisten Fällen ist die elektrische Erregbarkeit normal, oder es 
bestellt eine partielle oder gar totale Entartungsreuetion. 2 ) Eine Er¬ 
klärung für unsern Befund zu geben, bin ich nicht im Stande. 

Die Lähmung des rechten Gesichtsfacialis bediugt den Begriff 
der alternirendcn motorischen Lähmung zusammen mit der 

2) Paresis extremitat. sinistr., die ihrerseits hervorgerufen 
ist durch eine Erkrankung der rechten Pyramidenbahnen. 

3) Die Parese der Zuuge lässt uns noch eine genauere 
Localisirung des Herdes insofern bestimmen, als wir wissen, dass 
der Hvpoglossus in der Raphe verläuft; der Herd muss sich also 
bis ganz dicht an die Mittellinie erstrecken. Diese Annahme ist um 
so gerechtfertigter, als die Zunge nicht nur halbseitig, sonderu 
doppelseitig paretisch ist. Ein Uebergreifeu der Erkrankung über 
die Mittellinie hinaus auf den anderen, linken Hvpoglossus ist nicht 
nothweudig. Denn wie der interessante Fall von Leyden 3 ) lehrt, 
kann auch bei einseitigem Herde eine totale Zuugenparese Vorkommen. 
Hier wird eine Fernwirkung des Herdes auch auf die linke Seite 
durch die leichte Parese des rechteu Beins und des linken Acusticus 
als sicher hingestellt. 

4) Die Hyperästhesie in den gelähmten Theilen setzt einmal 

') Wernicke, Westphal’s Archiv f. Psychiatrie 1877, p. 513 fl. 

'*) Vergl. Fi sc hl, Fall 1 Prager ined. Wochenschrift 1879, p. 33 ff. 

3 ) Westbphal’sArchiv 1877, Fall 1, ferner Fall von Hughling’s Jackson 
citirt bei Oppenheim und Siemerling 1. c. 


eine Betheiligung der rechten, im Pons schon gekreuzten Extremi¬ 
täten - Sensibilitätsbahnen voraus, andererseits eine Affection von 
rechten sensiblen Trigeminusfasern. Durch diese alternirende Sensi¬ 
bilitätsstörung fällt übrigens unser Fall unter den engeren Begriff 
der „coineidirenden alternirenden Lähmungen. ul ) Was den Ort der 
Seosibilitätsbahneu im Pons betrifft, so verlegt mau denselben ge¬ 
wöhnlich in seinen lateralen Theil — eine sichere Bestimmung ist 
aber bis jetzt noch nicht möglich geworden; trotzdem lehrt die Er¬ 
fahrung, dass gerade Sensibilitätsstörungen als wichtiges Symptom 
bei Brückeuerkrankuugen aufzufassen siud. 

Ueber die Läsion der sensiblen Gesichtstrigeminusfaseru bei der 
acuten apopleetiformeu Bulbärparalyse ist in vielen Fallen berichtet; 
allein in nur wenigen erhalten wir durch einen Sectionsbefund über 
die anatomische Ursache derselben sicheren Aufschluss. 

Die sensible Portion des Trigeminus hat bekanntlich verschie¬ 
dene Wurzeln: die eine entspringt aus dem Lobus coeruleus der 
andern Seite, das ist die absteigende gekreuzte Wurzel. Ferner be¬ 
steht eine absteigende Radix, die ihren Ursprung wahrscheinlich aus 
den vorderen Vierhügeln nimmt. Eine dritte entstammt muthmaass- 
lich der Substantia reticularis gelatinosa in der Gegend des zweiten 
Cervicalnerveu im Rückenmark, das ist die aufsteigende, die uuge- 
kreuzt bis zur Confluenz mit den andern Wurzeln verläuft. Endlich 
sind noch Fasern aus dem Kleinhirn und der Mitte von Medulla und 
Pons erwähnt. In unserm Falle ist uun die rechte aufsteigende 
Wurzel wahrscheinlich diejenige, welche von der Erweichung betrotfeu 
ist. Denn nach den Bestimmungen, die wir für die Lage des Krank¬ 
heitsherdes gelten lassen, ist derselbe wesentlich unterhalb der 
Trigeminuskerne zu suchen, und auf diesem Wege kann eigeutlich 
nur die genannte Wurzel lädirt werden. Dass jedenfalls die Beschä¬ 
digung der Radix ascendens oder der Substantia gelatinosa, die als 
ihre Ursprungsquelle gedeutet wird, allein wirklich im Stande ist 
eine Lähmung des zweiten resp. dritteu seusibleu Trigeminusastes, 
hervorzurufen, beweisen die Fälle von Leyden 2 ), Senator 3 ) u. a. 

5. Die Betheiligung des Vagus, des Glossopharyugeus 
und Acusticus lässt sich, wie oben bemerkt, als eine secundäre 
Wirkung der Circulatiousstörungen auffassen, die sich an die Throm¬ 
bose dev Art basilaris ungeschlossen habeu. Die Gründe für diese 
Deutung habe ich oben kurz angegeben. Hervorzuheben wäre uur 
die Betheiligung des Acusticus. Eine solche ist nämlich nur selten 
in der Literatur erwähnt, 4 ) und nirgends bestand — soweit ich ge¬ 
funden habe — eine völlig andauernde Taubheit. Auffallend ist iu 
unserem Falle, dass die Störung, objectiv und subjectiv, auf dem 
linken, dem Krankheitsherde entgegen ge.sefy.teu Ohre beträcht¬ 
licher war. 

(>. Als letzte und am schwierigsten deutbare Erscbeiuuug käme 
die Ataxie der linken oberen und unteren Extremität in Betracht. 
Eine eigentliche Coordinatiousstörung konnte nicht beobachtet werdeu: 
die typischem ausfahreuden Bewegungen der Extremitäten bei Tabes 
wurden in unserem Falle nicht ausgeführt. Dagegen bestand eine 
deutliche Störung des Muskelgefühls: während der rechte Zeigefinger 
mit vollkommener Sicherheit bei geschlossenen Augen au die Nasen¬ 
spitze fuhr, tappte der linke regelmässig erst vorbei. Aehnlich ver¬ 
hielt sich die linke Fussferse, wenn sie das rechte Knie berühren 
sollte. Auch über die Lage der linken unteren Extremität wusste 
Pat. bei geschlossenen Augen nichts Sicheres auzugeben. Auf 
welche anatomischen Veränderungen nuu diese Störungen zurückzu¬ 
führen sind, das vermag ich in diesem Falle um so weniger anzu¬ 
geben, als die Ursache für dieselben auch in den Fällen nicht sicher 
stellt, in denen die Sectiou über den Sitz des Herdes genaueren 
Aufschluss gegeben hat. Von den verschiedenen Erklärungen sucht 
diejenige Leyden’s iu Fall 2, Westphal’s Archiv 1877, die Ur¬ 
sache in der Affection der Raphe uud Fibrae arcuatae. (Freilich 
bestanden hier mehr Coordiuatiousstörungen als Ataxie.) In einem 
Falle Voisiu’s 5 ) wird die Ataxie vielleicht auf eine bei der Section 
gefundeneAffeetiou der mittlerenKleinhirnscheukel bezogen. Kahler 6 ) 
glaubt sie auf eine Läsion der centripetalleitendeu Bahneu im Pous 
zurück führeu zu können. 

Fassen wir noch einmal die Haupteigenthüralichkeiten unseres 
Falles zusammen, so müssen wir als solche bezeichnen: 1) die Com- 
bination von alteruirender motorischer und sensibler Lähmung. 
2) die Betheiligung des Acusticus, 3) die Ataxie iu deu motorisch 
uud sensibel gelähmten Extremitäten — 4) die Heilung der un¬ 
wesentlichen, die schnelle und beträchtliche Besserung der wesent¬ 
lichen Ausfallserscheinungen. 

’) Nothnagel f. c., vgl. auch Leyden, Zeitschrift f. klin. Med. 1882, 
V, 176. 

*) Westphal’s Archiv 1887, Fall 1. 

3 ) Westphal’s Archiv 1883. 

4 ) vgl. darüber die Literatur bei Nothnagel I. c. 

5 ) s. bei Nothnagel 1. c. 

6 ) Prager med. Wochenschr. 1879 pag. 16. 


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30. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


715 


Meinem hochverehrten Chef, Herrn Prof. Fürbringer, statte 
ich auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ab für das gütige 
Interesse, das er meiner Arbeit gewidmet hat. 

III. Die Therapie der Reconvalescenz nach 
Morphium- und Cocainentziehungen. 

Von Dr. Willibald Theodor Levinstein in Jena. 

Die Arbeiten über Morphium und Cocain haben in den letzten 
Jahren einerseits die verschiedensten Versuche über die rationellste 
Art der Entziehung zu ihrem Inhalte gehabt, anderseits haben sich 
die einzelnen Autoren bemüht, ein möglichst umfassendes und 
charakteristisches Bild der lntoxieationssymptome zu geben. Hieran 
schlossen sich neben Betrachtungen in socialer, forensischer und 
hygienischer Hinsicht Angaben über Vermeidung des Rückfalls, 
wohldurchdachte Vorschläge, die Prognose der Heilung der Mor¬ 
phiumsucht günstiger zu gestalten. 

Mag man eine Morphium- resp. Cocainentziehung nach dieser 
oder jener Methode leiten, mag man die modificirte oder plötzliche 
Entziehung, diejenige mit oder ohne Cocain oder die allmähliche 
anwenden: überall ist der Zweck erreicht, nämlich, der Kranke ist | 
von seiner Morphiumvergiftung geheilt worden. Ich will hier 
nicht über die Vorzüge, Humanität. Ungefahrlichkeit der einen oder ! 
anderen Art das Morphium zu entziehen, streiten, da jede Methode 
in der Hand des erfahrenen Arztes sich brauchbar erweisen kann, 
wenn auch eine extrem lange Dauer des Entziehungsverfahrens, 
wie sie Burkart vorschlägt, nach der allgemeinen Erfahrung die 
wenigsten Vortheile zu bieten scheint. 

Alle bisher in dieser Hinsicht geführten Controversen, die trotz¬ 
dem noch zu keinem abgeschlossenem Urtheil geführt haben, scheinen 
mir für den Zweck der Kur von nebensächlicherer Bedeutung zu 
sein. Nach meiner Meinung liegt der Schwerpunkt der 
ganzen Behandlung der Morphium- und Cocainsucht in 
der Therapie der Reconvalescenz nach Entziehung des 
Morphiums oder Cocains. Darin stimmen alle Autoren über¬ 
ein, dass mit der Entziehung des Morphiums die Behandlung der 
Morphiumvergiftung beendet ist; dass aber die der Morphium¬ 
sucht nach Vollendung der Entziehung „dem Arzte noch viel zu 
thun übrig lässt“. Das Entscheidende der ganzen Frage 
liegt in der absoluten Heilung des Morphiumsüchtigen, 
in der definitiven Verhütung des Rückfalls. 

Der Procentsatz der rückfälligen Morphinisten ist ein so hoher, 
dass, wie ich glaube, auf diesen eminent bedeutungsvollen Punkt 
noch nicht das nöthige Gewicht gelegt worden, dass die Wichtig¬ 
keit dieser Thatsache noch nicht genügend betont ist. 

Der Zweck einer Kur ist doch die Heilung eines Menschen 
von seiner Krankheit, die völlige Wiederherstellung seiner Gesundheit. 

Haben wir es mit einem Reconvalescenten zu thun, der ein 
körperliches Leiden überstanden hat, d. h. liegt cs nicht im Be¬ 
reiche unserer Kräfte, den wieder hergestellten Clienten vor einem 
Recidiv schützen zu können, so haben wir genug gethan, wenn wir 
ihn von seiner Krankheit geheilt, wenn wir ihn wieder für 
Ausübung seiner Thätigkeit hergestellt haben, er wird daun 
ohne unsere weitere Ueberwachung sich mehr und mehr 
erholen und kräftigen. Nur eine zufällige Disposition zur Aufnahme 
des Krankheitskeimes würde ihn event. recidiviren, oder in eine 
neue Krankheit verfallen lassen. 

Etwas anderes ist. es mit der Heilung eines Morphinisten oder 
Cocai'nisten; hier haben wir es nicht mit einer körperlichen AfFec- 
tion zu thun, mit einer anatomisch nachweisbaren Veränderung der 
Texturverhältnisse, sondern in erster Linie mit einer Erkrankung 
des Centralnervensystems und erst, in später Folge mit histologischen 
Veränderungen der vegetativen Organe. 

Wie ich schon anfangs hervorhob, ist „mit der Beendigung der 
Entziehung und dem Verschwinden und Erlöschen der Abstiuenz- 
svmptome der Kranke keineswegs endgültig geheilt. 

Im Gegentheil, der Zustand des Patienten, der sich nach 
Vollendung der eigentlichen Morphiumentziehung herausbildet, er¬ 
heischt eingehende ärztliche Beobachtung und fortgesetzte Behand¬ 
lung. Am besten vergleicht man ihn mit der Reconvalescenz nach 
einer schweren, acuten, fieberhaften Krankheit. 

Das Wesen dieser Reconvalescenz ist die reizbare Schwäche, 
oder die körperliche Schwäche mit erheblicher neuro-psychischer 
Erregbarkeit. Es ist eine functionelle Störung der Nervensub- 
stanz, die sich in abnormer Reizbarkeit, stark herabgesetzter 
Leistungsfähigkeit, krankhaft leichter Erschöpfbarkeit des Nerven¬ 
systems, kurz, in „nervöser Schwäche“ documentirt. 

Mit diesem Syraptomencomplex eines schw r er afficirten Nerven¬ 
systems ist das Individuum ausgestattet, dessen weitere Behandlung 
der Inhalt der vorliegenden Arbeit ist. 

Um Irrthiimer zu vermeiden, wollen w r ir erst feststellen, was I 


! wir unter Reconvalescenz nach Morphium- und Cocainentziehungen 
! verstehen, von welchem Zeitpunkt der Abstinenzkur an wir von 
i einer Reconvalescenz sprechen können? 

Beide Fragen lassen sich damit beantworten: Man kann von 
J einer Reconvalescenz reden, wenn die Symptome der Entziehung 
ihren Höhepunkt überschritten haben, wenn die Entziehungserschei¬ 
nungen abzuklingen anfangen. Diese Reconvalescenz dauert aber 
: nicht nur bis zum vollständigen Erlöschen der Symptome, also un¬ 
gefähr 14 Tage bis 4 Wochen nach Vollendung der Entziehung, 
sondern gerade die der scheinbar vollständigen Genesung folgende 
Zeit ist es, welche unsere ganze Sorge und Aufmerksamkeit er¬ 
fordert; diese Zeit ist gerade für Recidive prädisponirend. Bei der 
Entlassung aus der Anstalt müssen der Patient und seine Angehörigen 
resp. diejenigen, welche die weitere Sorge für seine Gesundheit 
übernommen haben, darauf aufmerksam gemacht werden, dass der 
Kranke von der Morphiumsucht keineswegs absolut geheilt, sondern 
dass er innerhalb einer Reihe von Monaten noch Attacken ausge¬ 
setzt ist, in denen es ihm schwer fallen wird, dem Morphiumverlangen 
nicht nachzugeben. 

Es ist nun unsere Aufgabe, den Morphium- oder Cocainsüchtige 
behandelnden Oollegen den Rath zu ertheilen, ja ihr ganzes An¬ 
sehen, Wissen, Können und Wollen aufzubieten, den Kranken und 
ihren Angehörigen die Gefährlichkeit, dieser Zeit für Rückfälle in 
die alte, das Farailiengliick, den Beruf, die sociale und gesellschaft¬ 
liche Stellung untergrabende und zerstörende Leidenschaft vor Augen 
zu halten. Die schwärzesten Farben sind nicht dunkel genug, um 
das Unglück eines Recidives entsprechend darzustellen. 

Um ein möglichst anschauliches Bild von dem körperlichen 
und seelischen Zustande eines Morphinisten oder Cocai'nisten, nach¬ 
dem die Abstinenzsyraptome ihren Höhepunkt erreicht haben, zu 
geben, möge folgende Charakteristik dienen: Die ganze äussere Er¬ 
scheinung ist noch die eines Schwerkranken, der Appetit ist gering, 
die Zunge belegt, bei der geringsten körperlichen Bewegung tritt 
leichte Ermüdung ein, der Schlaf fehlt vollständig oder doch 
so gut, wie vollständig. Die Stimmung ist erregt, unzufrieden, 
reizbar. „Die Patienten haben tausend Wünsche, sie sind un¬ 
empfänglich gegen Belehrungen und wohlmeinenden Rath der Aerzte“; 
sie sind sogar misstrauisch gegen den Arzt; oder, hat der behan¬ 
delnde Arzt geistvolle Collegen, die die Entziehung schon öfter 
durchgemacht haben, vor sich, so treten sie ihm mit ihrer sog. 
Erfahrung in dünkelhafter, überhebender Weise gegenüber, tadeln 
oder belächeln sogar seine Verordnungen. 

Bei ihrer Reizbarkeit und Erregung sind sie unruhig, uugedul- 
dig, kommen vom Hundertsten in’s Tausendste, haben kein „Sitz¬ 
fleisch“ für irgendwelche dauernde Beschäftigung; sie sind unfähig, 
ein gutes Buch in die Hand zu nehmen, zu correspondiren, wollen 
beständig abreisen, aber nur, um sich eine Abwechselung zu be¬ 
reiten oder um sich Morphium oder Cocain zu verschaffen; sie sind 
absolut widerstandslos gegen unbedeutende, dem gesunden Menschen 
kaum zum Bewusstsein kommende körperliche Affectionen, wie 
leichte Diarrhoeen, unbedeutende Gastralgieen etc., sie verlangen 
gegen jedes noch so kleine Unbehagen sofort schleunige Hülfe, aber 
natürlich nur durch — Narcotica. 

Zur Erkenntniss des Wesens derartiger Kranker führe ich die 
Worte Erlenmeyer’s an: „Das Gefühl für Anstand und gute 
Sitte geht gerade in dieser Krankheitsperiode vielen Patienten 
leicht verloren; ich kenne keine Kranken, die in ihrem äusseren, 
vom gesellschaftlichen Standpunkte aus betrachteten Verhalten so 
widerwärtig sind, wie die Morphiophagen in der ersten und 
zweiten Woche der Entziehung. Dazu kommt die grosse Neigung zum 
Alkohol, dem die meisten — Herren wie Damen — sehr zusprechen, 
gegen dessen Wirkung sie aber gerade jetzt eine sehr geringe Wider¬ 
standskraft besitzen. Will es das Unglück (diese Worte Erlen- 
meyer’s sind bezeichnend), dass man mehrere Morphiophagen in 
der geschilderten Krankheitsperiode zu gleicher Zeit in der Anstalt 
hat, dann bilden diese gleichartigen „schönen“ Seelen bald ein 
Complott; sie halten zusammen, trennen sich von den übrigen Kur¬ 
gästen, sprechen in rücksichtsloser Weise immer nur von ihrer 
Morphiumsucht, intriguiren und hetzen gegen ihren Arzt, über¬ 
schreiten dessen Verordnung rücksichtslos, beliigeu und betrügen 
ihn, suchen die Hausordnung zu durchbrechen, kurz, benehmen sich 
so zügellos, unpassend und unanständig, dass sich jeder Gebildete 
mit Ekel und Abscheu von ihnen zurückzieht.“ 

Hier muss der Arzt sein ganzes Ansehen aufbieten; er muss in 
seineu Anordnungen bestimmt sein, streng und energisch in Betreff 
der Befolgung derselben, stets aber in einer den gesellschaftlichen 
Ton nicht ausser Acht lassenden Form und, wenn es angebracht 
ist, mit freundlichem, theilnehmendem Wesen. Im Einzelnen wird 
es immer von dem Gefühl und dem Tact des Arztes und der Qua¬ 
lität des Patienten abhängen, wie er sich zu demselben stellen soll. 
Eben in dieser individualisirenden Aufgabe liegt das Interessante, 
aber zugleich das Schwierige der psychischen Heilkunst. 


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716 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35 


Der Arzt darf jedoch im Allgemeinen diese humanen An¬ 
schauungen, diese freundlichen Beziehungen nicht zu sehr auf die 
Dauer in den Vordergrund treten lassen; das streng sachliche Auf¬ 
treten wird zu sehr beengt, die diesen Kranken gegenüber absolut 
nothwendige Superiorität wird durch allzu intimen Verkehr in Frage 
gestellt, die Disciplin gelockert. Und doch wird der Arzt leicht in 
diese Lage kommen, wenn es ihm durch seine Kunst gelungen ist, 
einen Menschen, der ausserhalb der Freuden der Welt und der Ge¬ 
sellschaft in Folge seiner Leidenschaft gestanden hat, der Familie, 
dem Berufe wiedergegeben, ihm seinen Platz in der menschlichen 
Gesellschaft, wieder erobert zu haben. Denn Rcconvalescenten aus 
einer Morphium- oder Cocai'nentziehung sind es gerade, welche wie 
neugeboren mit allen Fasern ihres wiedererwachten Denkens und 
Handelns jedes Mittel freudig ergreifen, durch welches sie hoffen, 
sich wieder in die frühere Stellung und die Achtung ihrer Mit¬ 
menschen zu bringen. Der Arzt darf sich durch diese scheinbaren 
Erfolge seiner Kunst nicht täuschen lassen und etwa weichmüthig 
den Wünschen des Kranken nachgeben. Seiner vielleicht etwas 
schwankend gewordenen Energie und Objectivität kommt der gleich- 
mässige Mechanismus der von ihm geleiteten Anstalt und ihre Haus¬ 
ordnung zur Aufrechterhaltung der Disciplin zu Hülfe. Die man¬ 
nigfaltigen und oft quälenden Beschwerden der Kranken, 
welche zur Hyperästhesie im weitesten Sinne gerechnet werden 
können, bedürfen in der Regel keiner besonderen localen Behand¬ 
lung. höchstens könnte man durch elektrische Bäder, einfache oder 
elektrische Massage, oder durch Anwendung der von 0. Binswangcr 
modificirten Weir-Mitscheir.schen Methode eine Erleichterung von 
unangenehmen Parästhesieen hervorrufen. „Von grosser Bedeutung 
ist es, dem Kranken im Verlaufe der Behandlung die Ueberzeugung 
beizubriugen, dass dauernde Besserung des Zustandes durch 
die eigene Willensthätigkeit herbeigeführt werden muss, dass 
der Arzt nicht im Stande ist, Wunder zu thun, sondern dass er es 
nur vermag, den We£ anzudeuten, auf welchem der Kranke durch 
eigene Anstrengung zur Besserung gelangen kann.“ 

Unter den abklingenden Symptomen der Abstinenz tritt besonders 
eines hervor, welches den Reconvalescenten am meisten quält und 
dem Arzte einige Schwierigkeiten in der Fortführung der Behand¬ 
lung macht: die mitunter allen Mitteln trotzende absolute Schlaf¬ 
losigkeit. Hier giebt es nur einen Rath: „Abwarten.“ Durch Unter¬ 
stützung mit Hypnoticis, welche nebenbei noch ganz individuelle 
Wirkung haben, und durch beginnende körperliche Arbeit stellt sich 
nach und nach der Schlaf wieder ein. Diese Abstinenzerscheinung 
ist es gerade, welche häufig den Patienten in eine verzweiflungsvolle 
Stimmung versetzt und die ganze Autorität des Arztes beansprucht. 

Die Behandlung kann nur dann auf bedeutende Erfolge rechnen, 
wenn sie von dem Gesichtspunkte ausgeht, dass die Kraukheit im 
Wesentlichen eine Störung der psychischen Functionen darstellt, und 
dass deshalb auch die Behandlung in der Hauptsache in psychischen 
Einwirkungen bestehen muss. Für viele Kranke ist schon die 
Beaufsichtigung eines Arztes, welcher die Krankheitserschei¬ 
nungen richtig beurtheilt, von heilsamer Wirkung. 

Die Prädileetionszeit für den Rückfall ist die erste Zeit nach 
der Entziehung. 

Die Reconvalescenten fühlen sich frisch und behaglich, sie be¬ 
finden sich in einer gewissen Euphorie, Appetit und Schlaf sind 
normal, — plötzlich fangeu die Zeieheu der Besserung an abzu- 
uehmen, es tritt Unruhe ein, die Kranken gerathen in Angstzustände, 
das Interesse an jeder Beschäftigung verliert sich, die Patienten 
selbst fühlen sich krank; da erinnern sie sich, dass das Morphium 
sie mit einem Schlage aus dieser Misere erretten kann. Sind sie 
sich jetzt selbst überlassen, so falleu sie sofort in ihre alte Leiden¬ 
schaft zurück. Denn zwischen Gedanken und That duldet die dä¬ 
monische Macht des Morphium fast keine Pause. 

Deshalb dürfen Individuen, die eine Morphiumentziehung durch¬ 
gemacht haben, nicht vor Ablauf einer gewissen Zeit die Anstalt 
verlassen, sie müssen vielmehr unbedingt unter ihrem Schutz und 
ihrer Aufsicht noch einige Wochen bleiben. Die Dauer des Anstalts¬ 
aufenthalts ist ungefähr auf f> — 8 Wochen festzusetzen. 

So lange die Recouvalescentep die Pflege der Anstalt gebrauchen, 
müssen die Verhältnisse so geordnet und eingerichtet werden, muss 
die Pflege eine so individualisirende sein, dass der Patient 
sich körperlich und geistig wohl fühlt. Dem Vorschläge Erlen- 
meyer’s, dass nach der Vollendung der Entziehung der Patient 
noch weitere 4 — 5 Monate unter denselben Verhältnissen fortdauern¬ 
der Ueberwachung in der Anstalt verbleiben soll; den Rest der ge- 
sammten Kurzeit, also dann noch weitere ?> — 4 Monate zur weiteren 
Kräftigung, entsprechend der Jahreszeit entweder an der See, im 
Gebirge oder in südlichem Klima zubringen soll, möchte ich nicht 
beistimmen. 

Wie Erlenmeyer selbst angiebt, bilden diese Individuen, wenn 
sie sich näher kennen lernen, leicht Complotts, sitzen immer bei 
einander und sprechen nur von ihrer Morphiumsucht. Ich halte je¬ 


doch nichts für verderblicher für eine Erstarkung der Willenskraft, 
für ein Vergessen der alten Leideuschaft, als gerade die Unterhaltung 
über das Morphium. 

In jeder Anstalt giebt es eine alte Garde dieser Individuen, die 
zum achten Male, vielleicht noch öfter behufs einer Entziehungskur 
sich dort befindet. Es genügt schon ein Glied dieser Gesellschaft, 
um alle übrigen zu demoralisiren. Eine solche Person ist sofort das 
Haupt, man möchte den Ausdruck gebrauchen „der Bande“, sie hat 
die grössten Erfahrungen im Betrügen der Aerzte, Bestechen des 
Warte Personals. Da ihr Ehrgefühl vollständig geschwunden ist, so 
spricht sie mit einer gewissen Abscheu erregenden Frivolität von 
ihrem früheren Morphiumraisshrauch, ihren immer wieder eingetre¬ 
tenen Rückfällen, ihren Schmuggeleien und Betrügereien der Apo¬ 
theker, Droguisten, Aerzte, Wärter; sie giebt den Widerstandslosen 
und bei dem Worte „Morphium“ aufhorcheuden und vor wieder¬ 
erwachtem Verlangen nach dem Gifte mit leuchtenden Augen da¬ 
sitzenden Leidensgenossen in renommistischer Weise die Mittel an. 
mit denen es ihr vielleicht ein Mal gelungen ist, Morphium von 
aussen her in die Anstalt zu schaffen oder es iu der Anstalt selbst 
zu stehlen. 

Ist ein solches Individuum nicht ein Unglück für die ganze 
Anstalt, für die Hausordnung, die Disciplin, für die Autorität der 
Aerzte? Wird nicht durch einen solchen Habitue der Morphium¬ 
abtheilungen, alle menschenfreundliche Fürsorge und Gewissen¬ 
haftigkeit des Arztes illusorisch? 

Ich könnte aus verschiedenen Instituten zahlreiche solche, durch 
das Morphium schwachsinnig und fast unzurechnungsfähig gewordene 
Personen aufzählen, welche nicht nur für den behandelnden Arzt, 
sondern auch für das ganze Getriebe der Austalt eine wahre Land¬ 
plage gewesen sind und es uoch sind. Bei" ihrem jedesmaligen 
Wiedereintritt bekommen die Aerzte und selbst das Wärterpersonal 
einen erneuten Schreck, und doch kann man diese im wahren 
Sinne des Wortes tief bemitleidenswerthen Individuen, die durch 
ihre Leidenschaft jede Energie und Willenskraft, jedes Bewusstsein 
von Pflicht ihrer Familie und den übrigen Menschen gegenüber 
verloren haben, nicht abweiseu oder ihnen gar in rauher Weise 
ihre geistige und körperliche Versunkenheit vorwerfen: im Gegen- 
theil, sie müssen mit gleicher Humanität, vielleicht mit noch grösserer 
Objectivität behandelt werden als andere. 

Da man nicht die Macht hat, einen solchen Patienten von den 
anderen auszuschHessen, so giebt es nur ein Mittel, sich dieser In¬ 
dividuen zu entledigen, nämlich sie höchstens 6 — 8 Wochen iu der 
Anstalt zu behandeln. Diese Zeitdauer muss man auch auf alle 
übrigen, in der Reconvalcscenz befindliche Kranken anwenden. Es 
ist dann auf einer Morphiuraabtheilung ein beständiger Wechsel, 
ein beständiges Kommen und Gehen; somit ist den Kabalen und 
Intriguen, den Betrügereien und Bestechungen von vorneherein die 
Spitze abgebrochen; ein Complottiren der einzelnen Kranken unter 
einander unmöglich. 

Wir kommen jetzt zu der überaus wichtigen Frage: „Warum 
und welcher Art soll die weitere Behandlung der Recon- 
valeseenten ausserhalb der Anstalt sein“, und „Giebt 
sie eine bessere Prognose auf absolute Heilung von der 
Morphiumsucht?“ 

Ich glaube auf die erste Frage schon eine hinreichende Antwort 
gegeben zu haben; will aber doch gewissen möglichen Einwürfen 
gegenüber das Thema vollständig erschöpfen. 

Angenommen, es gäbe eine Anstalt, in der solche moralisch 
verkommene Patienten nicht wären, sondern wo der Reconvalescent 
bei ruhiger Wiedererstarkung seines Willens, ohne dass er durch 
Erinnertwerden an seine Leidenschaft in das frühere labile Gleich¬ 
gewicht gerathe, die vom Arzte und dem Mechanismus der Anstalts¬ 
maschine vorgeschriebene Lebensweise führen könnte, so würde 
ein möglichst langer Anstaltsaufenthalt das Meiste für sich haben. 

Ehe ich auf das Weiter eingehe, will ich eine kurze Charak¬ 
teristik von dem Modus vivendi geben, wie er von fachmännischer 
Seite vorgeschlagen worden ist. 

Die Vorschriften in Bezug auf die Lebensweise laufen auf eine 
Art vom Training des Geistes und Körpers hinaus. Der Recon¬ 
valescent soll nach und nach wieder leistungsfähig werden; er soll 
zwar noch auf das Strengste überwacht und beobachtet, in ge¬ 
wisser Hinsicht aber wieder zu einer, wenn auch noch so geringen 
geistigen und körperlichen Thätigkeit hingeleitet werden. 

Wenn sich diese Vorschläge verwirklichen Hessen, so würde 
damit viel erreicht werden; ich habe jedoch die Beobachtung ge¬ 
macht, dass fast alle in der Reconvalescenz befindlichen Morphi¬ 
nisten mit sehr wenigen Ausnahmen die auf die Entziehung folgen¬ 
den nächsten Monate gar nicht fähig sind, sich irgendwie geistig 
oder körperlich zu beschäftigen. Kleinere körperliche Anstrengungen 
sind noch am ersten zu erreichen, jedoch von einer Beschäftigung 
mit Lectüre, Correspondenz, Musik, Malerei etc. ist nur bei den 
allerwenigsten die Rede. Nach meinen Erfahrungen thun sie weiter 


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30. Angnst, 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


717 


nichts, als schlagen im wahren Sinne des Wortes mit Essen und 
Nichtsthun die Zeit todt. In der nach der Entziehung eintretenden 
gesteigerten Lebensfreudigkeit, die man vielleicht mit dem Worte 
„Euphorie“ am besten charakterisirt, ist ihr Handeln ein rein explo¬ 
sives. Sie wollen alles Mögliche beginnen, halten sich zu Allem 
fähig, und kommt es zur Ausführung einer Handlung, zu der 
eine gewisse Conoentration des Geistes, gewisses cohärentes und 
concinnes Denken erforderlich ist. wie z. B. zum Schreiben eines 
Briefes, so zeigt sich in evidenter Weise ihre geistige und körper¬ 
liche lnsufficienz. 

Wir sehen hieraus, dass es keineswegs leicht ist. ja fast unmög¬ 
lich, einen Reconvalescenten kur/, nach der Entziehung auf eine 
allmählich wieder beginnende Thätigkeit hinzulenken. 

Die ganze Therapie für die unmittelbar einer Entziehung fol¬ 
gende Zeit ist in folgende 3 Hauptpunkte zusainmenzufassen: 

1. Genaue Ueberwachung und Beobachtung. 

2. Strengste Vermeidung von Alkoholmissbrauch. 

3. Möglichste Fernhaltung aller unaugenehmen psy¬ 
chischen Eindrücke. 

Sind diese drei Erfordernisse eine gewisse Zeit erfüllt, so hat 
der Arzt und die Anstalt alles gethan, was getban werden kann, 
lind der Reconvalescent kann getrost von jetzt an ausserhalb der 
Anstalt den für sein weiteres Wohlergehen verantwortlichen und 
geeigneten Händen übergeben werden. Ein längeres Verweilen in 
der Anstalt hat nur Miissiggang zu Folge; daran schliessen sich jene 
Uebelstände an, deren Gefährlichkeit wir genügsam erwähnt haben; 
das Herurabummeln hat nur Manipulationen zur Folge, welche j 
weiter nichts bezwecken, als sich heimlich Morphium oder Cocain 
zu beschaffen. 

Welcher Art soll nun die weitere Behandlung eines 
Reconvalescenten seiu? 

Erlenmeyer giebt an, dass er ungefähr 8—10 Tage nach 
vollendeter Entziehung ein Familienmitglied zur Gesellschaft und 
Ueberwachung des Patienten kommen lässt und, da es sich meist 
um verheirathete Männer handelt, die Ehefrau. 

Ich halte eineu Anstaltsaufenthalt für Familienmitglieder, sei es 
auch, an welcher AfFection der betreffende Patient leiden mag, nicht 
für richtig, und vor Allem nicht bei Morphinisten. Erstens passt 
in den Rahmen einer Anstalt keine Person, die nicht unter dem 
Befehl des Dirigenten steht, sondern die machen und thun kann, 
was ihr beliebt, also, welche die Discipliu stört; und zweitens weiss 
man nicht, auf welcher Bildungsstufe eine derartige Person steht, 
ob sie ausserdem die Kraft und Energie und vor Allem das Ver¬ 
ständnis» für die Art der Krankheit hat. Ich glaube nicht zu irren, 
wenn ich behaupte, dass gerade diese Frauen häufig durch An¬ 
spinnen von Intriguen, durch Aufhetzen ihres eigenen Mannes gegen 
den Anstaltschef den ärztlichen Leiter einer Anstalt zwingen, sowohl 
Reconvalescenten wie Gattin aus dem Institut zu weisen. Nur 
kein dauernder Aufenthalt von Personen, und besonders 
von Frauen, in einer Anstalt, die nicht hineingehöreu, 
die nicht unter dem direkten Befehle des Chefarztes 
stehen. 

Eine Ueberwachung der Reconvalescenten durch ein Familien¬ 
mitglied, besonders durch die Ehefrau, innerhalb der Anstalt ist aus 
den angeführten Gründen nicht geeignet. Ausserhalb derselben ist 
die Gesellschaft und Controle durch die Ehefrau das Beste. 

Die Gattin ist die beste Pflegerin, vorausgesetzt, dass sie eine 
energische, willenskräftige Frau ist, dass sie ihren Gatten wahrhaft 
liebt und zur Erhaltung seiner Gesundheit alles aufzuopfern fähig 
ist; sie muss aber auch eine kluge Frau sein; denn sie muss genau 
mit den geistigen und körperlichen Eigentümlichkeiten eines Recon¬ 
valescenten aus der Morphiumentziehung vertraut sein. Nur die 
Ehefrau ist im Stande und sie hat vor Allem auch das Interesse 
und die Ausdauer, ihren Mann weder Tag noch Nacht, wo es auch 
immer sei, aus ihrer Obhut und Obacht zu lassen. 

Handelt es sich um Unverheiratete, so solleu sie sich eine 
sympathische Person aus ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreise 
wählen, die bekannt mit den Eigentümlichkeiten der Morphium¬ 
sucht, sie nie alleiu lässt und sie bei Anwandlungen des Morphium¬ 
verlangens abzuleiten sucht. Diese Person muss dass volle Vertrauen 
des Patienten haben, damit letzterer rückhaltlos offen ihr gegenüber 
ist; dagegen darf kein gegenseitiges Vertrauen bestehen, wohl aber I 
ein wechselseitiges Interesse. 

Findet sich eine derartige Person nicht so ist es am besten, 
dass der Reconvalescent, falls er sich in guten Vermögensverhält¬ 
nissen befindet, von einem Arzte begleitet und überwacht wird. 

Jetzt ist die Zeit gekommen, wo man mit dem Beginne einer 
anhaltenden, den körperlichen Verhältnissen und der socialen Stellung 
entsprechenden Arbeit dem Miissiggang, welcher das Morphiumver- j 
langen rasch zur That zeitigt ein Ende machen kann. Tritt von 
selbst das Verlangen nach Thätigkeit auf geistigem oder körper¬ 
lichem Gebiete ein, so ist das ein prognostisch gutes Zeichen für 


die wieder eintretende Willenserstarkung, für den Beginn eines 
neuen Lebens. 

In der Auswahl der Beschäftigung muss dem Patienten völlig 
freie Hand gelassen werden, mag er den Sport, die Kunst oder die 
Wissenschaft als Gegenstand seiner Beschäftigung wählen. 

Selbstverständlich muss die Grösse des täglichen Arbeits¬ 
pensums von dem Arzte so begrenzt werden, dass keinerlei Be¬ 
lästigung oder Erschöpfung des Patienten entsteht. Ebenso selbst¬ 
redend ist die Vermeidung jeden Zwanges. Dieses ruft Miss¬ 
stimmung und Verstimmung mit der Umgebung hervor; und das 
gerade ist auf jede Weise zu vermeiden. 

ln all’ den Fällen, in welchen Reichthum und Mangel au 
einer regelmässigen Thätigkeit Hand in Hand gehen, sind Monate 
lang ausgedehnte Reisen mit kurzen Aufenthaltspunkten, besonders 
Seereisen, natürlich unter der nöthigen Ueberwachung anzurathen. 

Vor der Rückkehr des Reconvalescenten in die eigene Häuslich¬ 
keit ist es empfehlenswert!!, umfassende Veränderungen in den 
früher bewohnten Räumen vorzunehmen, und wenn möglich den 
Schrank, den Schreibtisch oder sonstiges Möbel, in welchem der 
Betreffende das Morphium aufzubewahren pflegte, aus dem Bereich 
seiner Augen zu entfernen, wenn man es nicht vorzieht, ihm über¬ 
haupt andere Wohnungsräume anzuweisen. 

Fassen wir noch einmal in Kürze die Therapie der Morpbium- 
reeonvalescenz zusammen, so ergiebt sich das einfache Resultat: 

Sechs- bis achtwöchentlicher Anstaltsaufenthalt 
unter den nöthigen Cauteleu, weitere Reconvalescenz 
bei beginnender, womöglich spontan sich einleitender 
Thätigkeit unter Aufsicht der Ehefrau, eines guten 
Freundes oder eines Arztes. Dauer der Ueberwachung 
individuell verschieden lang, nicht unter einem Jahre. 

Literatur. 

1) Klinische Vorträge von Prof. Dr. H. v. Ziemssen: „Der Arzt und 
die Aufgaben des ärztlichen Standes.“ Leipzig, 1 Vortrag, 1887. 

2 ) Krafft-Elbing: Lehrbuch der Psychiatrie, Ed. II, Stuttgart 1883. 

3) Neisser: Die Nervenschwäche (Neurasthenia), ihre Symptome, 
Natur, Folgezustände und Behandlung. Ed. II, Leipzig 1883. 

4) Rudolf Arndt: Die Neurasthenie, ihr Wesen, ihre Bedeutung und 
Behandlung. Leipzig uud Wien 1885. 

5) Erlenmeyer: Die Morphiumsucht und ihre Behandlung. Ed. III, 
Berlin, Leipzig, Neuwied 1887. 

G) K. Burkart: Die chronische Morphium Vergiftung und deren Be¬ 
handlung durch allmähliche Entziehung des Morphiums. Bonn 1880. 

7) Derselbe: Weitere Mittheiluugen über chronische Morphiumver¬ 
giftung. Bonn 1881. 

8) E. Levinstein: Die Morphiumsucht. Ed. III, Berlin 1883. 

9) Strümpell: Lehrbuch der spec. Pathologie u. Therapie. Tom. II, 
Ed. IV, Leipzig 1887. 

10) Lieberraeister: Vorlesungen über spec. Pathologie und Therapie 
Tom. II, Leipzig 1886. 

11) Eichhorst: Handbuch der spec. Pathologie u. Therapie. Tom III, 
Ed. III, Wieu und Leipzig 1887. 

12) R. T ho rasen: Zur Casuistik der combinirteu Morphium-Cocaiu- 
psychosen. Chariteannalen, XII. Jahrg. 

13) 0. Binswanger: Ueber das Weir-MitchelUsche Heilverfahren. 
Therap. Monatshefte, 1887, Juli-August. 

14) Cf. meine Originalmittheilung „Frühzeitige Atrophie des gesammten 
Genitalapparates in einem Fall von Morphiummissbrauch“. Centralblatt für 

i Gynäkologie No. 40 u. 52 1887. 

IV. Der Neisser’sche Gonococcus. 

Von J. H. Schuurmans Stekkoven in Utrecht. 

Im Wintersemester 1886/87 beschäftigte ich mich mit einer 
Studie über den Gonococcus von Neisser. Die von mir gewonnenen 
Resultate habe ich zu jener Zeit nicht publicirt und möchte dieses 
jetzt nachholen, da ich mit den interessanten Untersuchungen von 
Lustgarten und Mannaberg 1 ) bekannt wurde. Diese Autoren 
weisen auf die Ungewissheit der morphologischen Diagnose der 
Gonoeoccen; meiner Ueberzeugung nach darf hier von Ungewissheit 
keine Rede mehr sein, sondern es ist eine feststehende Thatsache, 
dass, auch wenn man specifische Gonoeoccen anniramt, eine morpho¬ 
logische Diagnose zu den Unmöglichkeiten gehört. Die Anzahl der 
für diese meiue Behauptung erbrachten Beweise ist zu gross, als 
dass man jetzt noch zweifeln dürfte. Es sei mir erlaubt, dieses in 
aller Kürze zu beweisen. 

Bumm, der solch eine ausführliche und exacte Untersuchung 
über den Gonococcus gemacht hat, widmet acht Seiten der diagnosti¬ 
schen Bedeutung dieses Mikroorganismus. 2 ) 

Als feststehende Thatsachen, die für die diagnostische Bedeu¬ 
tung des Neisser’schen Coccus von Wichtigkeit sind, giebt er an: 

’) Ueber die Mikroorganismen der normalen männlichen Urethra u. s. w. 
Vicrteljahresschrift für Dermatologie uud Syphilis. 1887. Heft 4, p. 905. 

a ) Wo Bumm citirt wird, ist seine Monographie: Der Mikroorganismus 
der gonorrhoischen Schleimhauterkrankungen (1885) gemeint. 


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718 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35 


1. „Die Diplococcengestalt ist für den Gonococcus nicht charak¬ 
teristisch, sondern es giebt noch andere pathogene und nicht patho¬ 
gene Diplococcen, welche von den Tripperpilzen nur schwer und zum 
Theil gar nicht unterschieden werden können. Ebensowenig be¬ 
sitzen wir in der Grösse (und in der Reaction auf Farbstoffe) ein 
brauchbares Kennzeichen, indem einestheils bei diesem selbst die 
Ausbildung beträchtlich schwankt, anderentheils andere Diplococcen- 
arten ganz dieselben Grössen- (und Farbe-) Verhältnisse darbieten 
können.“ 

Dieses muss man mit Burnra als feststehende Thatsache an¬ 
nehmen. Die Meinung der früheren Untersucher, die dem Gono¬ 
coccus eine charakteristische Gestalt zuschreiben, ist von Bumm 
genügend widerlegt. Die Mittheiluugen von Roux 1 ) über eine be¬ 
stimmte Farbstoffreaction beruhen nur auf seiner Unkenntniss der 
Bumm'schen Resultate, deren Exactheit in dieser Frage nicht zu 
bezweifeln ist. 

2. „Dagegen sind die Tripperbacterien durch eine Fähigkeit 
ausgezeichnet, welche allen formähnlichen Arten abgeht; sie vermö¬ 
gen in das lebende Zellprotoplasma einzudringen, sich daselbst zu 
vermehren und jene rundlichen Anhäufungen um die Kerne zu bil¬ 
den, wie sie sich bei anderen Diplococcen in dieser Weise niemals 
vorfindeu. 

Dass die Gonococcen durch die Thätigkeit des Zellprotoplasina 
selbst in das Innere aufgenommen, d. h. also, wie dies von Farbstoff¬ 
partikeln und dergl. bekannt ist, verschlucktwerden, halte ich(Bumrn) 
für sehr unwahrscheinlich. Dagegen spricht schon der Umstand, dass 
andere, nicht pathogene Diplocooenformen, auch wenn sie zahlreich 
in frischem Eiter vorhanden sind, nichts von einer Aufnahme in den 
Zellkörper erkennen lassen.“ 

Diese Behauptung ist eine irrige. 

Von ihrer Unrichtigkeit kann man sich allerdings nicht über¬ 
zeugen, wenn man nur das gonorrhoische Secret untersucht, wohl 
aber, wenn man der allbekannten Thatsache gedenkt, dass bei zahl¬ 
reichen Processen, welche mit Gonorrhoe nichts zu schaffen haben, 
die Anwesenheit von Mikrococceu im Inneren der Leucocyten con- 
statirt ist. Ich weise nur auf die Mittheilungen von Me tschnfkoff, 2 ) 
Fehleisen und Birsch - Hirschfeld, Loeffler, 3 ) Bonome 4 ) 
und Leichtenstern 5 ). Bei Loeffler, der selbst so genaue Unter¬ 
suchungen über den Gonococcus angestellt hat, 6 ) finden wir die 
sichere Angabe, dass die von ihm beobachteten, coccenhaltenden 
Leucocyten ganz übereinstimmten mit denen, welche man in dem 
gouorrhoischen Secret findet. 

Somit verfällt auch das Bumm’sche Motiv 7 ), um die Ursache 
der „Häufchenbildung im Zellleib“ in die Bacterien zu verlegen, und 
man hat also auch kein Recht, um für den Gonococcus die Fähig¬ 
keit zu supponiren, in das lebende Zellprotoplasma einzudringen. 

Dass nicht die Pilze, sondern die Leucocyten die active Rolle 
spielen, wird noch durch folgendes bewiesen: 

Bumm hat zahlreiche Conjunctivae in den verschiedensten 
Stadien der Entzündung und Abheilung mikroscopisch untersucht. 
Bei einem solchen Processe kann man nun drei Stadien unterschei¬ 
den: Im ersten Stadium müssen die schädlichen Ursachen (in casu 
die Mikroorganismen) den Kräften überlegen sein, die der Organis¬ 
mus ihren Einwirkungen entgegensetzt. 

Im zweiten Stadium sind obengenannte Kräfte stärker als die 
Krankheitserreger. Im dritten Stadium sind diese ganz eliminirt und 
wird das Gewebe ad integrum restituirt. 

Wenn nun, wie im gonorrhoischen Secret, solch eine innige 
Verbindung zwischen Bacterien und Leukocyten beobachtet wird, so 
ist die Annahme gewiss sehr gerechtfertigt, dass diese gerechnet 
werden müssen zu den Mitteln, deren sich der Organismus ganz be¬ 
sonders zur Bekämpfung der Bacterien bedient. 

Geht man nun von der Voraussetzung aus, dass die Bacterien 
activ in das Protoplasma eindriugen, dann müsste dies besonders 
während des ersten Stadiums geschehen, in welchem die Spaltpilze 
noch die Oberhand haben über die Leukocyten; im zweiten Stadium 
aber dürften sich dann keine Bacterien in den Eiterzellen mehr fin¬ 
den lassen, da dann die ersten ira Streite zu Gunsten der letzteren 
unterlegen sind. — Sind aber die Leukocyten activ bei diesem Pro- 
cess und nicht d e Pilze, dann müsste man gerade im ersten Sta- 

*) Sur un procede techuique de diagnose des gonococci. Compt. rend. 
T. C. III. 19. 

а ) Virchow's Archiv 1887. 

3 ) Untersuchungen über die Bedeutung der Mikroorganismen. Mitthei¬ 
lungen aus dem Kais. Gesundheitsamt Bd. II. p. 455. 

4 ) Beitrag zum Studium des Lungenbrandes. D. Med. Wochenschrift 
1886. p. 932. Contribution ä l’ötude des staph. pyogenes. Arch. ital. d. 
Biol. 1887. I. 10. 

б ) Deutsche Med. Wochenschrift 1S85, No. 23 und 31. 

6 ) Loeffler und Leistikow. Charite-Annalen Jahrg. VII, p. 750. — 
Berliner klin. Wochenschrift 1882, p. 500. 

*) Bumm p. 41. 


dium in den Leukocyten keine Bacterien finden können, im zweiten 
dagegen müssten die eoccenhaltende Eiterzellen reichlich vor¬ 
handen sein. 

Und was haben nun die mikroskopischen Präparate, welche 
Bumm so genau beschrieben hat, gelehrt? 

Sie zeigten uns, dass in dem ersten Stadium keine, im zweiten 
ziemlich viele eoccenhaltende Eiterzellen in dem Gewebe gefunden 
werden. Im dritten Stadium fehlten natürlich diese. Wenn wir nun 
den Leukocyten, wie bei vielen anderen Processen, auch bei der 
Gonorrhoe die active Rolle zuschreiben müssen, so hat man gar 
keinen Grund, um die Anwesenheit von Mikrococcen im Protoplasma 
der Eiterzellen als ein Charakteristicuin für jene Spaltpilze zu be¬ 
trachten. Und wenn nun im gonorrhoischen Secret ein Theil der 
Mikroben innerhalb, und ein Theil ausserhalb der Leukocyten ge¬ 
funden wird, so darf man daraus keine Differenz zwischen den Pilzen 
ableiten, ebensowenig als die in einer Eiterzelle sich befindenden 
Schizomyceten nothwendig als gleichartige zu betrachten sind. 

Es giebt keinen einzigen Beweis für eine Vermehrung der 
Tripperbacterien im lebenden Zellprotoplasma. Ist dieses aber ab¬ 
gestorben, dann können die Bacterien, kraft ihnen noch gebliebener 
Lebensenergie, sich weiter vervielfältigen. 

3. „Vorausgesetzt, dass keine desinficirende Behandlung vorher¬ 
gegangen ist, sind Gonococcen im Secret jeder gonorrhoischen Schleim¬ 
hautentzündung nachweisbar.“ 

Wenn man mit dem Ausdruck Blennorrhoe eine Schleimhaut¬ 
entzündung bezeichnet, welche sich auf infectiöser Basis entwickelt, 
und selbst ein Secret liefert, das sich wieder in ungezählten Gene¬ 
rationen und mit ungeschwächter Kraft infectiös erweist, so müssen 
auch im Secret einer gonorrhoischen Schleimhautentzündung die 
krankheitserregenden Spaltpilze zu finden sein (aber etwas charakte¬ 
ristisches brauchen sie nicht zu besitzen) und so muss auch jedes 
coccenfreies Secret Schleimhäuten gegenüber nicht infectiös wirken. 

Man hat aber kein Recht, um mit Bumm zu behaupten, dass 

4. Gouococcenfreies Secret Schleimhäuten gegenüber nicht in¬ 
fectiös wirkt. 

Dass es Zweifel. Welander und Bumm nicht gelungen 
ist mit anderen, selbst eiterigen oder jauchigen Flüssigkeiten eine 
Blennorrhoe zu erzeugen, beweist doch nicht, dass dies unmöglich 
ist. — Man vergesse doch nicht, dass die Schleimhaut sich bei 
solchen Iufeclionsversuchen unter ganz anderen Umstanden befindet 
als beim Coitus. — Ausserdem ist auch die Mehrzahl der Ophthal¬ 
mologen anderer Meinung, da sie den meisten Secreten der Con- 
jnuctiva iufectiöse Eigenschaften zuschreibt. — (Schweigger, 
Handbuch der Augenheilkunde, p. 245.) 

5. „Gonococeenhaltiges Secret bewirkt an empfänglichen Schleim¬ 
häuten in minimer Quantität und mit absoluter Sicherheit die blen- 
norrhoische Entzündung.“ 

Wenn man die Richtigkeit dieser Bumm’schen Resultate nicht 
bezweifeln darf, dann beweisen sie doch noch nicht die Infectiösität 
aller Spaltpilze, welche sich im Secrete iu dem Protoplasma der 
Eiterzellen befinden, und die Möglichkeit, dass in den Zellen neben 
pathogene aucht nichtpathogene Mikroben anwesend sind, darf nicht 
ausgeschlossen werden. 

Und lässt sich diese Möglichkeit nicht ausschliessen. so hat man 
auch gar kein Recht um aus der Anwesenheit von Neisser schen 
Gonococcen einen infectiösen Ursprung des Schleimhautleidens zu 
fol ern. 4 ) 

Und weil die Züchtung der wirklich infectiösen Mikroben so 
grosse Mühe verursacht, und eine mikroskopische Diagnose unmög¬ 
lich ist, kann die Gonorrhoe nur aus den klinischen Symptomen 
diagnosticirt werden. Das war auch schon die Meinung Sänger’s. 2 ) 

Den zahlreichen Mittheilungen über das Vorhandensein von 
Gonococcen im Gelenkexsudat bei Arthritis gonorrhoica u. s. w., muss 
jeder Werth abgesprochen werden. Man hat den, die Gonorrhoe 
verursachenden Mikroben noch die Eigenschaft zuschreiben wollen, 
dass sie in das intacte Epithel eindringen können. 3 ) Dies ist aber 
ein Irrthum, wie uns die Beschreibung, welche Bumm von seinen 
Präparaten giebt, deutlich zeigt, Ueberall, wo die Spaltpilze in das 
Gewebe hineintraten, war eine Auseinanderdrängung der Epithel¬ 
zellen durch die Leukocyten vorausgegangen. 4 ) Diese letzteren 

') Ein schönes Beispiel liefert der von Zeissl (lieber den Diplococcus 
Neisser’s- Wiener Klinik 1886) mitgetheilte Fall. Bei oinem älteren Herrn 
wurde ein Catheter ä demeure eingebiacht. Eine eiterige Urethritis entstand, 
wobei in dem Secret die sogenanuten Neisser’schen Gonococcen gefunden 
wurden. Nach Entfernung des Catheters wich auch bald die Entzündung. 

2 ) Heber gonorrhoische Erkrankung der Uterusadnexe. Arch. f. Gyn. 
XXV, p. 126. 

3 ) Baum garten. Lehrbuch der pathologischen Mykologie. 1886. p. 81. 

4 ) Ich verweise nach Bumm p. 76 Präp. N«. 1, p. 77 Präp. No. 2, 
p. 86 Präp. No. 6, p. 91 Präp. No. 10, p. 95 Präp. No. 13, p. 97 Präp. 
No. 15, p. 98 Präp. No. 16, p. 100 Präp. No. 17 u. s. w. 


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30. Aügust. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


719 


hatten also Lacune und Spalten gemacht 1 ), um deu Bacterien den 
Zugang in das Gewebe zu öffnen. 

Zum Schluss möchte ich die Frage äussern, ob Gonorrhoe wirk¬ 
lich auf Infection mit einem specifischen Mikroorganismus beruht. 
Bewiesen ist solches gewiss nicht und ausserdem ist es auch nicht 
wahrscheinlich. 

Den Entzündungen des Unterhautzellgewebes liegen mehrere, in 
Gestalt mit einander übereinstimmende Mikroorganismen zu Grunde. 
Bei den katarrhalischen Entzündungsformen sind bereits zwei Mikroben¬ 
arten nachgewiesen, 2 ) hat man dann wohl Recht, für die Gonorrhoe 
einen specifischen Spaltpilz vorauszusetzen, während Cultur und 
Impfversuche noch so wenig übereinstimmende Resultate geliefert 
haben? 

Die Beweiskraft der zwei Bumm’schen Impfungen mit Rein- 
culturen lässt sich doch wohl noch bezweifeln. Solche Impfungen 
bei Virgines iutactae sind, meiner Ueberzeugung nach, unerlaubt; 
auf Feminae nuptae haben sie geringen, auf Puellae publicae gar 
keinen Werth. Es ist mir leider nicht bekannt, worauf Bumm ex- 
perimentirt hat. 

V. Verstellbare Beinschienen 

von Dr. Mfigge, Arzt des Krankenhauses in Stade. 

Die wohl jetzt in jedem Krankenhause und von jedem prak¬ 
tischen Arzte benutzten v. Volkmanu’schen Beinschienen (j_-Scbie- 
neu) leiden au einem Mangel. Will man nämlich jedem Menschen, 
welcher für ein Beiuleideu diese Schiene benutzen soll, gerecht wer¬ 
den, so ist es nöthig. eine sehr grosse Anzahl Schienen vorräthig 
zu haben, lu grossen Krankenhäusern ist dieser Anforderung leicht 
zu genügen, iu kleineu schon weniger, und für einen praktischen 
Arzt ist es kaum möglich, einen solchen Schatz von Schienen vor¬ 
räthig zu haben, dass er für jeden Menschen in seiner Praxis ver¬ 
kommenden Falls eiue passende Beiuschiene liefern kann. Wie viele 
Dislocationen vou Fracturen, welche uuter der Hand des Arztes 
entstehen, sind wohl eher der nicht passenden Schiene, als der Un¬ 
geschicklichkeit des Arztes zuzuschreiben! Ich habe mich bemüht, 
einen einfachen Mechanismus zu finden, welcher es ermöglicht, ein 
und dieselbe Schiene beliebig verlängern und verkürzen zu können, 
ohne dass die Haltbarkeit derselben darunter leidet. 


Um jeder Beiulänge, von der eines Kindes von etwa 3 Jahren 
: bis zu der des grössten Menschen genügen zu können, hat man bei 
I den so coustruirten Schienen eine Garnitur von 4 Schienen nöthig. 
Die Kleinste ist, wenn der obere Theil ganz eingeschoben ist, 35 cm 


Figur 2. 



laug, beim vollständigen Ausziehen 46 cm, die darauffolgende 
47 cm und 60 cm, die dritte 61 cm und 76 cm und die vierte 
77 cm und 96 cm. Die Schienen sind aus Zinkblech verfertigt und 
von Herrn Instrumentenmacher Ernst in Stade (Provinz Hannover) 
1 sowohl einzeln, wie in Garnituren ä 4 Stück zu beziehen. 


Figur 1. 



Die so construirte Schiene (Fig. 1) hat im Ganzen dieselbe i 
Gestalt, wie die v. Volkman nasche. Sie besteht indessen aus 2 
Theileu, einem untern (Fig. 1 und 2, a) und einem oberen (Fig. 1 ! 
und, 2, b). Der untere, welcher das Fussbrett und das J_'Stück ; 
trägt, endigt nach oben mit einem scharfen Rande (Fig. 2, f). Der , 
obere endigt nach unten mit einem scharfen Rande (Fig. 2, e) und 
ist am oberen Ende umgebogeu. Die seitlichen Ränder beider 
Theile (Fig. 2, g, h) sind umgebogeu, und zwar so, dass der Rand 
des oberen um den Rand des unteren gebogen ist und sich auf die¬ 
sem hin- und herschieben lässt. Der obere Theil ist auf diese 
Weise so an den unteren gefügt, dass die äussere Fläche des oberen 
auf der inneren des unteren liegt. Um nun deu oberen Theil in 
kleinen Zwischenräumen unverschieblich auf dem unteren befestigen j 
zu können und so für den jedesmaligen Zweck eine feste Schiene 
herstellen zu könneu, ist an der einen Seite der äusseren Fläche 
des unteren Theils eiue rundliche Leiste mit Löchern angebracht 
(Fig. 1 und 2, c), und an dem umgebogeuen Rande des oberen 
eine kleine Klappe (Fig. 1 und 2, d), welche nach oben mit einem j 
Scharnier und am unteren Ende mit einem kleinen Stift versehen 
ist, welcher bei Niederdrücken der Klappe in eins der Löcher der 
Leiste eingreift. 

*) Solches ist auch von Stühr, Lieber den Bau der Conjunctiva Palpe¬ 
brarum, Sitzungsberichte der phys.-medicinischen Gesellschaft zu Würz- i 
bürg. 1885. No. 2 u. 3. p. 34, an normalen Schleimhäuten iu geringem Maasse j 
beobachtet. 

*) Bockhart. Ueber die pseudo-gonorrhoische Entzündung der Harn¬ 
röhre und des Nebenhodens. Monatshefte f. Dermat. 1886. No. 4. 

Weeks. Der Bacillus des acuten Bindehautkatarrhs. Arch. f. Augen¬ 
heilkunde. 1887. p. 318. 


VI. Die wichtigsten Vorkommnisse des 
Jahres 1887 auf dem Gebiete der Bacteriologie. 

Von Dr. Carl Günther in Berlin. 

(Fortsetzung aus No. 34.) 

VII. Protozoen. 

Die im Blute von Malariakranken beobachteten, zu den Protozoen 
gerechneten amöboiden Gebilde („Plasrnodion“) sind vou Mosso (Virch. 
Arch. Bd. 109, 1887) als blosse Degenerationsproducte aufgefasst worden, 
die man an gesundem Blute künstlich erzeugen könne.' Diese Ansicht 
wurde von Marchiafava und Celli sowohl (Bull, accad. med. Roma 1887) 
wie von Cattaueo und Monti (Med. Congr. zu Pavia 1887) experimen¬ 
teller Nachprüfung unterzogen und als unbegründet zurückgewiesen. Mar¬ 
chiafava und Celli ergänzten ihre früheren Malariastudien durch eine 
neue Arbeit (Atti accad. med. Roma 1887), welche die Kenntniss der für 
die parasitäre Natur jener amöboiden Gebilde sprechenden Thatsachen er¬ 
heblich erweitert. Bezüglich der genannten Arbeiten verweise ich auf 
mein über die Malariafrage in Kurzem an dieser Stelle erscheinendes 
Referat 

Von L. Pfeiffer (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2, 1887) wurde mitgetheilt, 
dass er die „March iafava’sehen Plasmodien“ im Innern der rothen 
Blutkörperchen von Vaccinirten und von Scharlachkranken beobachtet habe. 
Eine Spaltung derselben, sowie das Heraustreten aus den rothen Blut¬ 
körperchen wurde aber nicht beobachtet. Der Autor knüpft keine weiteren 
Urtheile an den Befund. — Weiter fand L. Pfeiffer im Pockeninhalt, 
und zwar bei echten Menschenpocken und bei Vaccinationspocken verschie¬ 
dener Thiere eigenthümliche monadenartige Gebilde, die er zur Gattung 
Sporozoa Lcuckart rechnet. — Aehnliche Befunde bei Vaccina sowohl 
(Mon. f. prakt. Denn. 1887, No. 5) wie bei Variola vera (ebenda 1887, 
No. 10) sind auch von van der Loeff beschrieben worden. 

Die von Kartulis (1886) bei Dysenterischen gefundenen „Dysen¬ 
terie-Amöben" wurden von Hlava (Ceutralbl. f. Bact. Bd. 1, 1887, 
p. 537, 704) ebenfalls nachgew iesen und von K artul is (ebenda Bd. 2, 
1S87, No. 25) im Eiter dysenterischer Leberabscesse aufgefunden. 

VIII. Anhang; Hnndswuth. 

Die epochemachenden Entdeckungen Pasteur’s, welche sich auf deu 
Sitz des Tollwuthvirus in dem erkrankten Thierkörper und auf die 
mannichfachen Veränderungen beziehen, denen dieses Virus durch willkür¬ 
liche Manipulationen unterworfen werden kann, haben das allgemeine medi- 
cinische Interesse der letzten Jahre in besonderem Maasse auf diese Krank¬ 
heit gelenkt. Trotzdem ist es bisher nicht gelungen, über die Natur des 
Tollwuthgiftes etwas Näheres zu erfahren. — Experimentelle Untersuchungen 
führten di Vestea (La Rif. med. 1887, No. 157) dazu, anzunehmen, dass 
der klinische Verlauf der Krankheit von dem Sitze der Infectionsstelle ab¬ 
hängig ist. Derselbe Autor (Med. Congr. zu Pavia, Sept. 1887) fand, dass 


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720 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. Nb. 35 


die Krankheit auf dem Wege der Nerven fortgeleitet werden kanu, und 
dass sich bei Einimpfung des Giftes in den Nerven hinein durch Resection 
eines Nerveustückes der Ausbruch der Krankheit mitunter verhüten lässt. — 
Perron cito und Caritä (Centralbl. f. Bact. Bd. 1, 1887, No. 11) fanden 
von zwei Föten eines tollwüthigen Kaninchens den einen mit Wuth in- 
ficirt, den anderen nicht inficirt. — Högyes (Centralbl. f. Bact. Bd. 2, 
1887, p. 92) theilte mit, dass das Wuthgift auch auf Frösche mit Eifolg 
übertragbar ist. Die von Pasteur entdeckte Steigerung des Virus 
beim Durchgang durch den Kaninchenkörper fand er bei Anwendung junger 
Thiere viel schneller eintreteud als bei älteren Thieren. — Derselbe Autor 
(ebenda Bd. 2, 1887, No. 19) entdeckte auch eine neue Methode der hn- 
munisirung von Hunden gegen nachfolgende Tollwuthinfection, welche 
darin besteht, dass die Thiere mit verschieden concentrirten, in der Con- 
centration allmählich steigenden, wässerigen Lösungen des Virus fixe nach 
einander subcutan geimpft werden. 

Die von Pasteur aus seinen wichtigen Entdeckungen gezogenen weit¬ 
gehenden Folgerungen, welche zu ausgedehnter Ausübung von Tollwuth- 
Schutzimpfungen nach erfolgtem Bisse führten, haben bisher eingehenden 
kritischen Prüfungen nicht Stand halten können. Bezüglich der Kritik vou 
v. Frisch (Die Behandlung der Wuthkrankheit etc. Wien 1887) verweise 
ich auf mein in dieser Wochenschrift (1887 p. 538) gegebenes Referat. 
Von französischer Seite haben besonders Lutaud (M. Pasteur et la rage. 
Paris 1887) sowie Peter (Journ. de micrographie 1887 No. 15) in scharfer 
Weise die über das Ziel hinausschiessenden, wissenschaftlich nicht genügend 
begründeten Folgerungen Pasteur’s kritisirt. Die Autoren sind darüber 
einig, dass die Hundswuth bei den Geimpften häufig erst in Folge der 
Impfung auftritt („rage du laboratoire“). Auf der anderen Seite ist es be¬ 
sonders Bardach (Ann. de l’inst. Pasteur 1887 No. 2) gewesen, der für 
die Pasteur’sche Methode in die Schranken getreten ist. 

Anhangsweise möge hier erwähnt sein, dass Mottet, und Protopopoff 
(Centr. f. Bact. Bd. 2. 1887. No. 20) in dem trüben Hirnhauterguss eines 
Kaninchens, welches an paralytischer Tollwuth zu Grunde gegangen war. 
einen feinen, künstlich cultivirbaren Bacillus fanden, dessen Rcincnltur, 
subdural oder subcutan auf Kaninchen oder auf Hunde verimpft, dieselben 
an einer der paralytischen Tollwuth ähnlichen Krankheit in etwa 12 Stunden 
resp. 7 Tagen eingehen Hess. Diese Krankheit, soll jedoch mit der Toll¬ 
wuth nichts als die Erscheinungsweise gemein haben. 

B. Allgemein-Bacteriologisohes und saprophytische 
Mikroorganismen. 

I. Schicksale der in den Tliierkörper eingefilhrten Mikroorganismen. 

Metschnikoff. der Begründer der PhagocytenI eh re, hat in dem 
verflossenen Jahre wieder eine Reihe von Beobachtungen veröffentlicht, 
welche seiner Lehre zur Stütze dienen sollen. So studirte er den „Kampf 
der Zellen gegen Erysipelcoccen“ (Virch. Arch. Bd. 107. 1887) und das 
Verhalten des Aftenorganismus bei der Infection mit Rückfalltyphus (ebenda 
Bd. 109. 1887). Durch die genannten Arbeiten sollen neue Beweise dafür 
erbracht werden, dass gewisse Körperzellen (Phagocyten) activ die Bacterien 
angreifen und auffressen. Dass aber durch alle diese experimentellen 
Untersuchungen die Hauptfrage, nämlich ob die Bacterien wirklich im lebens¬ 
frischen Zustande von den Phagocyten aufgenommen werden, oder ob dies 
erst während des Absterbens der Bacterien geschieht, nicht gelöst ist, hat 
Weigert (Fortschr. d. Mod. 1887. p. 732) klar ausgesprochen. — Eine Reihe 
anderer Autoren hat sich ebenfalls mit den Schicksalen der in den Thier¬ 
körper eingeführten Organismen beschäftigt. Ribbert (Der Untergang 
pathogener Schimmelpilze im Körper. Bonn 1887) injicirte Sporen von 
Aspergillus flavescens in den Kanincheukörper und sah die Sporen in den 
inneren Organen innerhalb von Leueocytenansammlungen zu Grunde gehen. — 
Hess sah Staphylococcus aureus (Virch. Arch. Bd. 108. 1887) sowie 
Milzbrandbacillen (ebenda Bd. 109. 1887) von Leucocyten resp. von 

Leucocyten und Endothelzellen aufgenommen werden. — Auch Banti 
(Med. Congr. zu Pavia Sept 1887) hat über derartige Ergebnisse berichtet. 
Ucber die ausführliche, kürzlich erschienene Arbeit des Autors wird dem¬ 
nächst referirt werden. — Laehr (Inaug.-Diss. Bonn 1887) injicirte 
Kaninchen Staphylococcus aureus durch die Trachea in die Lunge und sah 
kleine Verdichtungsherde auftreten, innerhalb deren sowohl in Leucocyten 
wie in Epithelien die Coccen eingeschlossen gefunden wurden. — Galle- 
maerts (Bull. ac. royale de med. de Belg. 1887) brachte Culturen von 
Bacillus subtilis mit Froschlymphe zusammen und sah unter dem Mikroskope 
direkt die Bacillen von den Leucocyten aufgenommen werden. — 
v. Christmas - Dirckinck - Holmfeld (Fortschr. d. Med. 1887. No. 13) 
sieht nach seinen Untersuchungen die Eiterbildung als das Mittel an, 
dessen sich der Organismus zur Eliminirung eingeführter Bacterien bedient ; 
alier es sind nach seiner Ansicht nicht phagocytische Vorgänge bei der 
Zerstörung der Bacterien das Wesentliche, sondern es stehen hier Wirkungen 
chemischer Natur in erster Reihe. — Aehnlich fasst auch Fodor (diese 
Wochenschr. 1887 No. 34) die von ihm constatirte primäre Abtödtung von 
Milzbrandbacillen, die in frisch aus dem Thierkörper entnommenes Blut 
eingebracht werden, auf. — Emmerich und di Mattei (Fortschr. d. 
Med. 1887 No. 20) fanden im weiteren Verfolge der bekannten Versuche 
des erstgenannten Autors (Arch. f. Hvg. Bd. 6. 1887), dass Kaninchen die 
subcutane Einverleibung von Milzbrandbacillen resp. -Sporen überstellen, 
wenn ihnen vorher virulente Erysipelcoccen in’s Blut injicirt werden. Es 
zeigten sich hier die Milzbrandbacilleu nie über die Injectionsstelle hinaus 
verbreitet und in kurzer Zeit abgestorben. Die Autoren sind der Ansicht, 
dass die Körperzellen, durch die Erysipelcoccen augeregt, ein Gift produ- 
ciren, welches die Vernichtung der Stäbchen bewirkt. — Pawlowsky 
(Virch. Arch. Bd. 108. 1887) fand, dass milzbrandempfängliche Thiere, denen 
Milzbrand- und zugleich andere, pathogene und nicht pathogene, Bacterien 
injicirt werden, grösstentheils am Leben blieben. 

Dass Milzbrandbacterien im Blute von künstlich gegen Milzbrand re- 
fraetär gemachten (schutzgeimpften) Hammeln eine Abschwächung erfahren, 


wies Metschnikoff (Ann. de l’inst. Pasteur. 1887 No. 1) nach. — Anhangs¬ 
weise sei hier erwähnt, dass A. Gottstein (Fortschr. d. Med. 1887, Bei¬ 
lage p. 134 — 135) Oultureu von Bac. fluorescens und Penicillium glaucum, 
die er in saftreiche Theiie von Topfgewächsen injicirt hatte, nach wenigen 
Tagen mikroskopisch in den Schnitten nicht mehr nachzuweisen vermochte. 

Malvoz (Sur le mecanisme du passage des bacteries de la mere au 
foetus. Bruxelles 1887) stellte systematische Untersuchungen an zur Klar¬ 
stellung der Frage, unter welchen Bedingungen Mikroorganismen von der 
Mutter auf den Foetus übergehen. Er injicirte trächtigen Kaninchen 
Culturen pathogener und nicht pathogener Organismen sowie anorganische 
(Färb-) Partikelchen und kam zu den Resultaten von Wyssokowitsch, 
dass Placentarläsioneu eintreteu müssen, bevor der Uebergang der Organis¬ 
men aus dem mütterlichen Blute in das fötale stattfiuden kann. 

Hier muss die wichtige Mittheilung von Chamberland und Roux 
(Ann. de l’inst. Pasteur 1887 No. 12) Erwähnung finden, dass man Pferde, 
Esel, Hammel und Hunde gegen malignes Oedem (vibrion septique) immun 
machen kann durch Einverleibung von bacillenfreien Culturen des genannten 
Organismus (d. h. den gelösten Ptomainen). 

II. DeRiufection und Antiseplik. 

Bezüglich der desinficirenden Subl imatlösungen wurde von Angerer 
(Centr. f. Ghir. 1887 No. 7) die wichtige Mittheiluug gebracht, dass ein Zu¬ 
satz von Kochsalz (in gleicher Menge wie Sublimat) die Anwendung nicht 
destillirten Wassers zur Bereitung der genannten Lösungen gestattet, da 
dann die Bildung von Niederschlägen, die sich sonst bei Benutzung nicht 
destillirten Wassers stets einstellen, ausbleibt. — Lanlace (diese Wochen¬ 
schrift 1887 No. 40) fand, dass bei Zusatz von Va"/o Salzsäure zu der 
\')o°, ; oigen Sublimatlösung auch mit. eiweisshaltigen Flüssigkeiten (Blut etc.) 
die Bildung von Niederschlägen ausbleibt. 

P. Guttmann und Merke (Virch. Arch. Bd. 107. 1887) empfahlen 
Sublimatlösung zur Desinfection von Wohn räumen. — Krupin (Zeitschr. 
f. Hyg. Bd. 3. 1887) empfahl zu gleichem Zwecke eine Flüssigkeit, bestehend 
zur Hälfte aus '/io%iger Sublimat-, zur Hälfte aus 5%iger Carbolsäure- 
lösung. 

Behring (diese Wochenschr. 1887 No. 37—38) studirte die antisepti¬ 
schen Eigenschaften von Silberlösungen, Riedel (Arb. a. d. k. Ges. A. 
Bd. 2. 1887) die des Jodtrichlorids. — Von Langenbuch (Berl. klin. 
Wochenschr. 1887 No. 40) wurde der letztgenannte Körper zur Anwendung 
in der Chirurgie empfohlen. — E. v. Esmarch (Centralbl. f. Bact. Bd. 2. 
1887 No. 10—11) studirte das neue ungiftige Antisepticuin Creolin, welches 
dann von Kortüm (Berl. klin. Wochenschr. 1887 No. 46) Empfehlung in 
der Chirurgie fand. — Liborius (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2. 1887) empfahl 
den Aetzkalk als vorzügliches Desinfectionsmittel. — A. Gottsteiu (Berl. 
klin. Wochenschr. 1887 No. 48) fand, dass das Lanolin bacterienfeindliche 
Eigenschaften besitzt. — E. v. Esmarch (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2. 1887) 
studirte den mit strömendem Wasserdampf von 100° C arbeitenden 
Henneberg’schen Desinfectionsapparat — Wassiljew (ebenda Bd. 3. 1887; 
prüfte einen mit gespannten Wasserdämpfen arbeitenden Apparat, der zur 
Desinfection von Choleradejectioneu in Hospitälern bestimmt, ist. 

Ueber den Keiragchalt der Wände unserer Wohnungen und die Des¬ 
infection derselben stellte E. v. Esmarch (Zeitschr. f. Hygiene. Bd. 2. 1887; 
Untersuchungen an. Zur Entfernung der Keime von den Wänden wurde 
am zweckmässigsten die Abreibung der letzteren mit Brot gefunden. 

Eine ausserordentlich grosse Reihe von Arbeiten hat sich mit der Wir¬ 
kung des Jodoforms beschäftigt. Es ist in der That ein typisches Ge¬ 
präge, welches die medicinische Literatur des Jahres 1887 durch diese Jodo¬ 
formarbeiten erhalten hat. Veranlasst wurden dieselben hauptsächlich durch 
eine Mittheilung zweier dänischer Forscher Heyn und Rovsing (Fortschr. 
d. Med. 1887, No. 2), welche nachwiesen, dass das Jodoform, längere Zeit 
mit Culturen von Staphylococcus aureus in inniger Berührung gelassen, 
auch nicht, die allermindeste Wirkung auf die Virulenz und auf die Ueber- 
tragbarkeit der Staphylococcen ausübt. Die Autoren sprachen dem Jodo¬ 
form nach diesen Erfahrungen jedwede antiseptische Wirkung ab und er¬ 
klärten es für völlig nutzlos in der Chirurgie. Wenn nun die Autoren mit 
diesem letzteren Schlüsse ganz erheblich über das Ziel hinausgeschossen sind, 
so hatten doch ihre Beobachtungen erstens an und für sich einen bleibenden 
Werth, und zweitens regte die Mittheilung derselben zu weiterer experimen¬ 
teller Prüfung der Jodoformwirkuug an. Zunächst wurde constatirt, dass 
das Jodoform in der That kein Autisepticum der gewöhnlichen 
Art, d. h. kein an und für sich bacterientödtender Körper ist. Von 
Baumgarten (Berliner klin. Wochenschr. 1887, No. 12) wurde nachge¬ 
wiesen, dass es, gleichzeitig mit Tuberculosebacillen in den Thierkörper ge¬ 
bracht, die Tuberkelentwickelung nicht verhindert Dies wurde durch Rov¬ 
sing (Fortschr. d. Med. 1887, No. 9) ebenfalls festgestellt. In ähnlicher 
Weise wurde durch Baumgarten (Berliner klin. Wochenschr. 1887, No- 20' 
auch für Milzbrand- und für Kaninchensepticämiebacillen das Jodoform 
als indifferenter Körper erkannt: die Mitteilungen hinsichtlich der Wirkungs¬ 
losigkeit. auf Staphylococcen wurden durch diesen Autor sowie durch Lüb- 
bert (Fortschr. d. Med. 1887, No. 11) bestätigt. — Kronacher (Münch, 
med. Wochenschr. 1887, No. 29) fand Erysipelcoccen und Milzbrandbacillen 
weder innerhalb noch ausserhalb des Thierkörpers durch Jodoform in der 
Entwickelung gehemmt. — Auch Tilanus (Münch, med. Wochenschr. 1887. 
No. 17) und Schnirer (Wiener med. Presse 1887, No. 36—38) konnten 
eine direkte Einwirkung des Jodoforms auf die Entwickelung pathogener 
Bacterien nicht constatiren. — Im Gegensätze dazu wurde durch Senger 
(Chirurgencongress Berlin 1887. — Diese Wochenschr. 1887, No. 33, 34 > 
eine Abschwächung der Virulenz der Milzbrandbacillen in Gelatineculturen 
durch Jodoform nachgewiesen. — Auch de Ruyter (Langenbeck’s Arch. 
Bd. 35. 1887) constatirte eine durch Jodoform bewirkte Verlangsamung in 
der Entwickelung von Milzbrandbacillen und Bacillen des malignen Oedems. 
— v. Bruns und Nauwerck (Therap. Monatsh. 1887, No. 5) traten für 
eine antituberculöse Wirkung des Jodoforms ein. — Eine Beeinflussung von 
Tuberculosebacillenculturen durch Jodoform beobachtete auch Behring (diese 


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30. August. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


721 


Wochenschr. 1887, No. 20). — H. Büchner (Münch, raed. Wochenschr. 
1887, No. 25) coustatirte Hemmung des Wachsthums von Choleraculturen 
durch Jodoformdämpfe. — Neisser (Virchow’s Arch. Bd. 110. 1887) 
sah ebenfalls eine energische Wirkung des Jodoforms auf Cholerabacillen. 
— Kronacher (1 c.) sah Rof/.bacillen durch Jodoform in der Entwickelung 
bedeutend gehemmt. 

Wenn nun die citirten Mittheilungen lediglich unzweideutige Folgerungen 
durchaus nicht zulassen, so ist doch soviel unbestreitbar, dass das Jodoform 
den Ruf, den es sich in der praktischen Chirurgie errungen hat, durchaus 
nicht der Eigenschaft als bacterientödtendes Mittel in dem gewöhn¬ 
lichen Sinne verdankt; denn diese Eigenschaft kommt ihm nicht zu. Um 
die entschieden günstigen Wirkungen, die das Jodoform als Wundbehaud- 
lungsmittel entfaltet, zu erklären, hat man deshalb besondere Hypothesen 
coustruireu müssen. Die Autoren nehmen an, dass das Jodoform unter dem 
Einfluss der Lebensvorgänge iu dem Gewebe Zersetzungen erfährt, welche 
die Entstehung antiseptischer Substanzen veranlassen (Binz, Föten), ferner 
dass die bei dem Wachsthum der Bacterieu gebildeten Ptomaine mit dem 
Jodoform wechselseitige Zersetzungen eingehen. wodurch antiseptisch wirkende 
Körper entstehen (de Ruyter, Behring, Sattler); auch die austrock- 
neude Eigenschaft des Jodoforms auf die Wundflächen wird als wesentlich 
für die Jodoformwirkung herangezogeu (König, Lübbert, Schnirer). 

(Fortsetzung folgt.) 

VH. Referate und Kritiken. 

Heinrich Janke. Die willkürliche Hervorbringung des Ge¬ 
schlechtes bei Mensch und Hausthieren. 495 Ss. Berlin u. 
Leipzig, Heuser, 1887. Ref. J. Muuk. 

Verfasser, seines Zeichens ein praktischer Jurist, den zunächst 
sein Amt als Untersuchungsrichter medicinischen Fragen näher ge¬ 
bracht und der sich dann dem Gebiete der Züchtungslehre zu¬ 
gewandt hat, flbergiebt dieses Werk „als das Resultat und zugleich 
als den Schlussstein von durch mehrere Jahrzehnte hindurch fort¬ 
gesetzten theoretischen, überwiegend jedoch praktischen Studien auf 
dem speziellen Gebiete der Züchtung und später der Zeugung“ der 
Oeffentlichkeit. Bei dieser Sachlage kann er darauf rechnen, dass ihm 
hei der Beurtbeilung auch seitens der Nichtjuristen Milderungsgrüude 
zugebilligt werden. Zweifellos hat er umfassende anatomisch-physio¬ 
logische Vorstudien gemacht, insbesondere auf dem Gebiete der 
Zeugung, Befruchtung und Vererbung; allein er ist, wie es scheint, 
meisteutheils nicht bis an die Quellen vorgedrungeu, sondern hat, 
nicht selten wird dies sogar im Citate angegeben, aus Referateu 
Belehrung gesucht; kein Wunder, wenn er Manches nicht voll¬ 
ständig oder gar missverständlich erfasst hat. Immerhin ist der 
ausserordentliche Fleiss, mit dem Verf. gearbeitet, rühmend auzu- 
erkennen; er hat sehr reichhaltiges Material von überall her zu¬ 
sammengetragen, nur schade, dass die Sichtung und Verwerthung 
desselben im Allgemeinen vor der objektiven Kritik nicht Stand zu 
halten vermag. Gilt dies schon da, wo Verf. als Berichterstatter 
über die Leistungen und Theorieen Anderer auftritt, so ist es vollends 
der Fall bei der neuen, wie er meint, auch praktisch verwerthbareu 
Lehre, die er selbst aufstellt. Die bekannten Erfahrungen, die bis¬ 
her nur für die Bienen, Ameisen und einige Wespenarten vorliegen, 
wonach die Weiheheu im unbefruchteten Zustande (Parthenogenesis) 
nur männliche Sprösslinge und erst nach Paarung mit den Männchen 
weibliche Sprösslinge hervorbringen, verallgemeinernd, nimmt Verf. 
an, dass die Eizelle an sich nur für die Entwickelung männlicher 
Nachkommen veranlagt ist, dagegen das Sperma in sich die Be¬ 
dingungen für Erzeugung weiblicher Geburten trägt. Bei der Be¬ 
gattung wird durch das Sperma der Keim zur Erzeugung weiblicher 
Sprösslinge auf die ursprünglich nur für männliche Nachkommen¬ 
schaft veranlagte Eizelle übertragen, und es kommt, nach vom Verf. 
und Anderen versuchter Deutung, bei der Züchtung der Haus¬ 
siere zu einem Kampf der sich Begattenden um die Bestimmung 
des Geschlechtes der zu erzeugenden Nachkommen, bei dem es zur 
Entwickelung einer männlicheu Frucht kommt, wenn das Weibchen 
obsiegt, bei dem eine weibliche Frucht entsteht, wenn das Männchen 
obsiegt. Von den beiden sich Begattenden geht derjenige als Sieger 
hervor, dessen Zeugungskraft stärker und dessen libido et impetus 
eoeuudi leidenschaftlicher ausgebildet ist. Auch hierfür liefert Verf. 
eine Reihe von Belägen durch Erfahrungen an Tbieren und Menschen. 
Verf. bleibt indessen bei diesen theoretischen Aldeitungeu nicht 
steheu, sondern giebt uns noch in möglichster Detailmalerei genaue 
Recepte zur „Knabeuhervorbringung“ einer- und zur „M&dcheu- 
erzieluug* andererseits; dieserhalb sei auf das Original (p. 455 ff.) 
verwiesen. 

Verf. versichert, dass bei genauer Befolgung der von ihm auf- 
gestellten Regeln sich, je nach Wunsch, die .Zubereitung“ von 
Knaben bezw. Mädchen erzielen lasse; „es komme aber, wie so oft 
im Lehen, darauf an, dass man die Sache iu der richtigen Weise 
anfasst und zweckentsprechend durchführt“ (p. 495). Nach diesem 
Extraete aus des Verf.’s Lehren überlassen wir getrost dem Leser 
die Kritik; es werden sich ihm hei der an sich nicht uninteressanten 
Lectüre sofort die allerstärksten Bedenken aufdröngeu, allein schon 


deshalb, weil die angeblich empirische Grundlage, auf der Verf. 
baut, als dürftig und zumeist uusicher zu erachten ist. Als ein 
Versuch indess, die interessante und dunkle Frage aufzuhellen, ist 
dem mühevollen Streben des Verf.’s ein gewisser, allerdings sehr 
begrenzter Werth nicht abzusprechen. 


W. Behrens. Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen 
Arbeiten. 76 Seiten. Preis Mk. 2,40. Braunschweig, Harald 
Bruhu, 1887. Ref. Carl Günther. 

Die vorliegende, zum praktischen Gebrauche im Laboratorium 
des Mikroskopikers bestimmte Zusammenstellung umfasst 54 Tabellen, 
von deneu die ersten 38 physikalische und chemische Notizen ent¬ 
halten (Gewichte, Maasse, Thermometer, Schmelz- und Siedepunkte, 
Kältemischungen, specifisches Gewicht. Atomgewichte, Maassanalyse, 
Löslichkeit von Oeleu, Harzen und Balsamen, Verhalten der ge¬ 
bräuchlichsten Anilinfarben, optische Tabellen). Die übrigen 16 Ta¬ 
bellen beziehen sich auf die mikroskopische Präparation im Speciellen, 
und zwar sowohl des thierischen wie des pflanzlichen Gewebes (Er- 
härtungs-, Fixirungs-, Aufhellungs-, Beobachtungs- und Conser- 
virungsmittel, Verschlusslacke, Einbettungs-, Aufklebe-, Maceratious-, 
Eutkalkuugs- und Entkieselungsmittel, Injectionsmassen, mikrosko¬ 
pische Reagentieu im Allgemeinen, Tinctions- und Imprägnations¬ 
mittel). Die Zusammenstellung entspricht sicher einem Bedürfnisse; 
mit Leichtigkeit und Schnelligkeit orientirt sich der Mikroskopiker 
daraus über die mannichfachen, beim praktischen Arbeiten sich 
aufdrängenden Fragen. Er ist z. B. iu den Stand gesetzt, den Ge¬ 
halt seiner Reagentieu zu bestimmen, er findet die Vorschriften für 
die Herstellung der Farblösungen, er unterrichtet sich über die 
Wirksamkeit derselben, ohne erst die jedesmaligen Fachwerke auf- 
schlageii zu müssen. Kleine Ungenauigkeiten und Auslassungen, auf 
die wir als Mediciner aufmerksam wurden, werden sich bei einer 
zweiten Auflage leicht vermeiden lassen. So z. B. wird in der 
52. Tabelle die Zusammensetzung der Ehrl ich’schen Aniliuwasser- 
«entinnaviolettlösung präciser anzugeben sein, ferner wird die 
Löffler’sclie Methyleublaulösung, nach der wir vergebens suchen, 
aufzunehmen seiu, statt „Rosanilin“ wird in derselben Tabelle „salz¬ 
saures Rosanilin“ zu schreiben sein. 

Durch eiu sorgfältig verfasstes Register wird der Gebrauch des 
Büchleins, das sich durch geschmackvolle äussere Ausstattung aus- 
zeichuet, erleichtert. Dasselbe sei den Mikroskopikeru bestens emp¬ 
fohlen. 


Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. II. Bd. 1. 

u. 2. Heft. Berlin, Julius Springer. 1887. Ref. A. Pfeiffer. ' 
(Fortsetzung aus No. 34.; 

4. Wolffhiigel. Ueber blei- und zinkhaltige Ge- 
brauchsgegeustände. Technische Erlüuteruugeu zu dem Entwurf 
eines Gesetzes, betreffend den Verkehr mit blei- und ziukhaltigeu 
Gegenständen. 

Iu vorliegender umfangreicher Arbeit dürfte uns hauptsächlich 
das Capitel Gesundheitsschädiguugeu in Folge des Gebrauchs von 
blei- bezw. zinkhaltigen Gegenständen interessiren, der Möglichkeiten, 
wie der Mensch seinen Organismus alltäglich auf diesem Wege mit 
Blei und Zink inficiren kann, sind viele. Namentlich die Bleiröhreu 
stehen wegen ihrer vielfachen Anwendung hier obenan. Blei- 
gefässe. iu denen sauere Speisen längere Zeit aufbewahrt wurden, 
haben ebenfalls häufig zu Vergiftungen Veranlassung gegeben. 
Ferner sind von Gebrauchsgegenständeu. deneu gelegentlich eben¬ 
falls ihres Blei- oder Ziukgehaltes wegen, die Schuld einer Gesuud- 
heitsschädigung aufgebürdet werden muss, zu nennen: mit Blei 
oder bleihaltigem Kitt ausgebesserte Mühlsteine, bleihaltige Schrote, 
welche beim Flaschenreinigen verwendet, werdeu, bleihaltige Maschineu- 
theile von Fleisehhackmaschiuen, bleihaltige Verpackung von Nah¬ 
rungs- und Genussmitteln, bleihaltige Zinngeschirre, und mit blei¬ 
haltigem Zinn verzinnte Speisegeräthe, Destillirapparate, Bierdruck- 
leituugen, Syphongarnituren aus Blei, bleihaltige Glasureu, Kaut- 
schakgegeustände etc. Zur Feststellung der gesundheitspolizeilicheu 
Ansprüche stellt der Bericht folgende zwei Sätze auf: 

1. Wo durch eine unbegrenzt lange Berührung, wie bei deu 
Verpackungsmaterialien, oder wo durch hohe Temperatur wie beim 
Kochgeschirr die Aufnahme von Blei begünstigt wird, ist der Sicher¬ 
heit halber, wenn thunlich der völlige Ausschluss einer Beimengung 
von Blei zu verlaugeu. 

2. Dagegen ist bei Gerätheu, wie ziuuerneu Flüssigkeitsmaasseu, 
sowie Ess- und Trinkgeschirren, deren Gebrauch zur Aufnahme 
von Blei gewöhnlich weuiger günstige Bedingungen darbietet, ein 
geringer Bleigehalt zuzulassen, jedoch dabei der Feingehalt so hoch 
zu normiren. als es im äussersten Falle mit den eollidireuden 
Interesseu der Gewerbe und des Handels verträglich ist. 

5. Wiirzburg. Die Säuglingssterblichkeit im Deut¬ 
schen Reiche während der Jahr 1875- 1877. Mit 2 Tafeln. 

Die Ergebnisse dieser mit grosser Sorgfalt unternommenen und 


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722 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35 


unter Ueberwindung bedeutender Schwierigkeiten durch geführten 
überaus interessanten Arbeit fasste W. in folgenden Sätzen zu¬ 
sammen. 

1. Die Säuglingssterblichkeit, welche im deutschen Reiche für 
die Jahre 1875—1877 ermittelt wurde, erweist sich in hohem Grade 
abhängig von der geographischen Lage der einzelnen Theile. Inner¬ 
halb grösserer Gebiete ist sie je nach der Oertlichkeit erheblichen 
Schwankungen unterworfen. 

2. Die Säuglingssterblichkeit nimmt im Allgemeinen in der 
Richtung von Nordwesteu nach Südosteu zu. 

3. Unbeschadet dieses allgemeineren Verhaltens kaun mau drei 
Gebiete mit vergleichsweise höherer und höchster Säuglingssterblich¬ 
keit unterscheiden, ein südliches (Bayern, Würtemberg), ein süd¬ 
östliches (sächsisch- und schlesisch - böhmische Grenze) und ein 
drittes weiter nördlich in Brandenburg. Diese Gebiete werden als 
Centreu von einer Reihe Zonen umgeben, deren Säuglingssterblich¬ 
keit im Grossen und Ganzen um so mehr abuimrat, je weiter peripher 
dieselben gelegen sind. Die läugs der Ostsee, durch ganz Mittel¬ 
und Westdeutschland bis zur äussersteu Grenze des Reiches in 
theils geringerer Mächtigkeit sich hinzieheude Zone mit einer Säug¬ 
lingssterblichkeit von 15,01 bis 20,00 auf je 100 Lebendgeborene 
und die weiter nordwestlich, zumeist in Schleswig, Oldenburg, 
Hannover und Westfalen gelegene mit einer Säuglingssterblichkeit 
bis zu 15,00 auf 100 Lebendgeborene können als äusserste periphere 
Schichten aller drei Centren mit hoher Säuglingssterblichkeit an¬ 
gesehen werden. Das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen der 
Säuglingssterblichkeit in den südlich vom Main und östlich vom 
Rhein gelegenen und derjenigen in den übrigen Gebieten bestand 
während der Berichtszeit iu dem Unterschiede der Sterblichkeit 
unter den ehelichen und ausserehelichen Säuglingen, welcher in 
den erstereu im Allgemeinen geringer, theilweise sehr gering, iu 
den letzteren fast durchgeheud ziemlich stark ausgesprochen war. 
Eine zweite unterscheidende Eigenthümlichkeit dieser letzteren 
Länder war, unbeschadet der oben festgestellten Ausnahmen, ein 
auffallendes Hervortreten der städtischen vor der ländlichen Säug¬ 
lingssterblichkeit, während im Süden auch in dieser Beziehung eine 
grössere Uebereinstiminung beobachtet wird. 

Bezüglich der Sterblichkeit der ehelichen und ausserehelichen 
Säuglinge, sowie des Einflusses der geographischen Lage hierauf, 
erhält W. ferner folgende bemerkenswerthe Daten: 

1. Die besonders hohe Sterblichkeit im südlichen Centrum 
wurde dadurch hervorgerufen, dass sehr zahlreiche Säuglinge, so¬ 
wohl eheliche als aussereheliche, in Stadt- uud Landgemeinden 
einem frühzeitigen Tode verfielen. In einigen oberbayerischen Be¬ 
zirksämtern ging dabei die Sterblichkeit der ausserehelichen Säug¬ 
linge noch weit über die schon sehr beträchtliche Sterblichkeit der 
ehelichen Säuglinge hinaus. 

2. Die hohe Sterblichkeit im brandenburgischen Ceutrum be¬ 
traf der Hauptsache nach die ausserehelichen Säuglinge, uud zwar 
sowohl iu den Stadt- als iu den Landgemeinden. Jedoch über¬ 
ragte meistens die städtische Säuglingssterblichkeit noch diejenige 
der Landgemeinden. 

3. Auch iu dem sächsisch - schlesischen Ceutrum waren vor¬ 
nehmlich die ausserehelichen Säuglinge an der hohen Sterblichkeit 
betheiligt. Was dieses Centrum von dem vorigen unterscheidet, 
ist der Umstand, dass hier die Sterblichkeit der ehelichen Säug¬ 
linge ziemlich häufig Grade erreichte, welche schon als hohe be¬ 
zeichnet werden müssen. Im Uebrigeu blieb die Sterblichkeit der 
ehelichen Säuglinge, wie in dem vorerwähnten Ceutrum, in der 
Regel hinter derjenigen der ausserehelichen uud die ländliche Säug¬ 
lingssterblichkeit hinter der städtischen merklich zurück. 

4. Die hohe Säuglingssterblichkeit in dem östlichen und west¬ 
lichen Centrum hat das Charakteristische, dass sie ausschliesslich 
die ausserehelichen Säuglinge iu den Stadt- wie in den Landge¬ 
meinden, iu erstereu gewöhnlich weitaus stärker, betraf. Dagegen 
waren die ehelichen Säuglinge wenig oder doch nur in massigem 
Grade gefährdet. Dieser letztere Umstand unterscheidet die in Rede 
steheuden Centren von dem ihnen am nächsten stehen branden¬ 
burgischen, welches eine wenn auch nicht hohe, doch immerhin 
ansehnliche Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge besass. 

5. In den Bezirken mit geringer Sätiglingssterblichkeit kamen 
höhere Sterbeziffern eutweder überhaupt nicht oder nur bei den 
ausserehelichen Säuglingen iu den Stadtgemeiuden vor. 

Im Einzelnen fanden sich vielfache Uebergänge zwischen dem 
Verhalten der Säuglingssterblichkeit in diesen Gegenden uud dem¬ 
jenigen im Ost- und Westcentrum, insofern eiue höhere Sterblich¬ 
keit der ausserehelichen Säuglinge nicht nur die Stadt-, sondern 
auch die Landgemeinden betraf. 

6. Die Bezirke mit mittelhoher Gesammt-Süuglingssterblichkeit 
wiesen in der Regel weder besonders niedrige, noch besonders hohe 
Sterbeziffern auf. Dabei bestand durchschnittlich eine etwas höhere 


Sterblichkeit in den Stadt- gegenüber den Landgemeinden und unter 
den ausserehelichen gegenüber den ehelichen Säuglingen. 

(Fortsetzung folgt.) 

VIII. Siebenter Internationaler Congress für 
Ophthalmologie zu Heidelberg vom 8. bis 
11. August 1888. 

(Originalbericht.) 

(Schluss aus No. 34.) 

4. Sitzung am 11. August 1888. 

Die Tagesordnung begann mit der Discussion über die Bedeutung 
der Bacteriologie für die Augenheilkunde. 

Der Referent Th. Leber (Güttingen) führt aus, dass für die roeisteu 
Entzündungen des Auges ein mycotischer Ursprung anzunehmeu, für 
einen Theil derselben erwiesen ist. Das Auge wird bei seiner offenen Lage 
am häufigsten von aussen her von Mikrobien befallen, seltener aus dem Inneren 
des Körpers. Dieselbe Art von Mikrobien kann auf beiderlei Wegen zum 
Auge gelaugeu. 

Gewisse Mikrobien haben die Eigenschaft, dass sie nur auf Wunden 
oder iui Inneren der Gewebe des Körpers Entzündung erregen; andere rufen 
auf der unverletzten Schleimhaut mehr oder minder heftige Entzündung hervor. 

Die zu Verletzungen und Operationen am Auge hinzutretende eiterige 
Entzündung ist mit wenigen Ausnahmen mikrobischen Ursprungs und entsteht 
: sehr oft durch die auch sonst als Erreger eiteriger Entzündung bekannten 
Staphylococcus- oder Streptococcus-Arten. 

Versuche über die mycotische Entzündung der Hornhaut und nament- 
i lieh die Aspergilluskeratitis gehen den besten Aufschluss über die Wirkung 
der Mikroorganismen und über die Entstehung der reactiven Entzündung. 
Ein auf die liornhautmitte beschränkter Pilzhoord übt auf die benachbarten 
gefässhaltigen Tlieilo eine Art von Fernwirkung aus, die zur Auswanderung 
von Eiterkörpe che» in das llornhantgewehe und in die vordere Augen- 
! kununer fühlt, und die nur durch die Annahme erklärt werden kann, dass 
die Pilze enlzünduiigseriegende Stoffe erzeugen, welche in gelöster Form in 
die Umgebung diffuudiren. 

Diese Annahme wird gestützt durch den Nachweis, dass eiterige Ent¬ 
zündung durch reine chemische Substanzen, wie Kupfer oder Quecksilber 
entstehen kann; sie wird erwiesen durch die geluugene Extraction und Rein¬ 
darstellung solcher Stofl'e, unter anderem aus rein cultivirtem Staphylococcus. 

Die Gegenwirkung des Organismus äussert sich zunächst in Auswande¬ 
rung der weissen Blutkörperchen aus den Gefässen oder Anhäufung der¬ 
selben ain Orte des Reizes. Sie scheinen dahin geführt zu werden durch 
I eiue Attraction vou Seiten der entzündungserregendon Substanz, die am 
; Orte des Reizes selbst, in eine Art von Lähmungswirkung übergeht, wodurch 
die Eiterkörperchen, in ihren Bewegungen gehemmt, daselbst liegen bleibeu. 

Als weitere Vorgänge, welche zur Beseitigung der Mikrobieu uud der 
, von ihnen bewirkten Störungen dienen, kennen wir die Phagocytose und 
die als llistuly.se zu bezeichnende Erweichung der von Eiterkörperchen 
infiltrirteii Gewebe, welche die Demarcation und Abstossung nekrotischer 
Theileverniit.te.lt und auf einer Fermentwirkung der Eiterkörperchen 
zu beruhen scheint. 

Die Pilzwuchening kann jedoch die Gegenwirkung des Organismus 
| überwinden und unbegrenzt weitergehen. 

Auch die intensive Wirkung gewisser auf der intacteu Biudehaut 
wachsender Mikrobien (Gonococcen, Diphtheriecoutagieu) erklärt sich durch 
die Annahme, dass die Pilze chemische Substanzen hervorbringen, die wie 
das aus Staphylococcus dargestellte Phlogosiu schon die unverletzte Binde¬ 
haut angreifen. 

Die Art und Wirkungsweise der hei den verschiedenen Conjunctival- 
uud (’ornealerkrankungen auftretenden Mikroorganismen bedarf noch viel¬ 
fach genauerer Erforschung. 

Die nichttraumatischeu Entzündungen der tieferen Theile 
des Auges haben ihre Ursache zumeist in Schädlichkeiten, die durch den 
Blutstrom herbeigeführt werden und sind sicher zum grössten Theil 
mikrobiseher Natur. Es ist dabei zu unterscheiden zwischen Embolie vou 
I septischem Material und blosser Adhäsion im Blute kreisender 
Mikrobien an die Gefässwand. 

Seltener ist Verbreitung von Mikrobien durch die Lytnphw’ege, 
l und die sog. sympathische Ophthalmie ist höchst wahrscheinlich eiue 
| durch die Lymphräuine der Opticnsscheiden zum zweiten Auge fortgeleitete 
; mikrobische Entzündung. 

Hierbei' gehört auch die Fortpflanzuug eiuer Cocceuinfection vou der 
Orbita auf den Sinus cavernosus längs der Scheide des Nervus abduceus 
nach Enucleatio bulbi; vielleicht beruht auch der Herpes zoster auf der 
Fortleitung einer mikrobischen Neuritis bis zur Körperoberfläche. 

Die Verletzung des Oiliarkörpers bedingt an sich keine Gefahr syrn- 
j pathiseher Ophthalmie; diese hängt nur ah vou Infection der Wunde, die 
| zuweilen schwierig zu erkennen ist. 

Es giebt bei Fremdkörpern iin Auge, besonders aus Kupfer, eiterige 
Endzünduugen ohne Mikrobien, deren Diagnose durch Culturversuehe mit 
| dem Eiter gesichert werden kann. In solchen Fällen kann durch Extraction 
j des Fremdkörpers das Auge und mitunter ein Theil des Sehvermögens ohne 
Gefahr für das andere Auge erhalten werden. 

, Der Correferent H. Sattler (Prag) bespricht zuerst die Gruppe der 

: mykotischen Erkrankungen des Auges, bei welchen die Infec- 
I tionskeimo durch die intacte Oberfläche hindurch ihre schädi- 
! gende Wirkung entfalten. Hierher gehört: 

a) Die acute Bindehautblenorrhoe. Der Gonococcus producirt 
; ein intensiv wirkendes, chemisches Gift, wodurch sein Eindringen ermöglicht 
I und die heftigen Entzündungserscheinuugeu verursacht werden. 


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30. Augo8t. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


723 


b) Das Trachom. Hier spielen locale und individuelle Momente eine 
einflussreiche Rolle. Der Mikrobe ist noch nicht mit. voller Sicherheit er¬ 
kannt. 

c) Die Croup und Diphtherie der Bindehaut. Die Krankheits¬ 
erreger sind unbekannt. Derselbe scheint aber ein heftig wirkendes, che¬ 
misches Gift zu erzeugen, welches das Epithel der Schleimhaut, ja sogar die 
oberflächlichen Schichten der letzteren selbst ertödtet. 

d) Der acute infeetiöse Katarrh. Bacillen von Weeks. Fast 
regelmässiges Vorkommen pyogener Staphylococcen im Bindehautsecret. 

Nicht pathogene Mikroorganismen im Bindehautsacke sind ein 
dem Staphylococcus pyogenes albus ähnlicher Coccus und der sog. Xerosis- 
Bacillus. 

Darauf behandelt S. die Gruppe bacteritischer Erkrankuugeu, bei wel¬ 
chen eine Coutiuuitätstrenuuug für das Eindringen und die Ent¬ 
wickelung der Kranheitskeime erforderlich ist: 

a) Primär syphilitische Indurationen an der Bindehaut, h) Tuberculose 
der Bindehaut, c) Eiterungsprocessc. 

Zum Unterschied gegen die subcutane Application der Eitercoccen ge¬ 
nügen im Auge schon minimale Mengen, um progressive Eiterungen zu er¬ 
zeugen. Bei den durch Fremdkörper verursachten Eiterungsprocessen kommen 
weniger die am Fremdkörper haftenden Mikroorganismen, als die im Binde¬ 
hautsacke und an den Fingern befindlichen in Betracht. Unter den Bac- 
terien des Ackerbodens fanden sich keine pyogenen Mikroorganismen. 

Es giebt auch einige wenige, progrediente Eiterung erregende Bacillen¬ 
arten. Es kommeu ferner Bacterien vor, die zwar Eiterung hervorzu¬ 
rufen im Stande sind, doch fehlt dieser Eiterung vollständig 
die Tendenz zu weiterer Verbreitung. Ein Prototyp hierfür ist der 
sogen. Mikrococcus prodigiosus. 

Auch gewisse chemische Stoffe haben die Fähigkeit, eine Eiterung 
zu erzeugen, der die Fähigkeit zu weiterer Verbreitung abgeht. Hierher ge¬ 
hören einige organische .Stoffe aus der Gruppe der N-haltigeu, organischen 
Basen und von organischen Körpern, vor Allem das Quecksilber. Andere 
reizende Substanzen, wie Terpentinöl, Crotonöl, rufen überhaupt nicht Eite¬ 
rung, sondern fibrinöse Exsudation hervor. 

Den Schluss bildet die Gruppe mykotischer Krankheitsprocesse, bei 
welchen die Krankheitserreger auf dem Wege des Blut- oder 
Lymphstromes dem Auge zugeführt werden 

Gewisse, ohne bekannte Veranlassung auftreteude Eiteruugsprocesse im 
Auge finden auf metastatischem Wege, ihre Erklärung. Eiterbacterien, die 
von irgend einer Körperstelle aus in den Blutstrom gelangen, können im 
Auge zum Haften kommen, wenn daselbst aus irgend welchen Ursachen eine 
locale Circulationsstörurig, eine Thrombose eines umschriebenen Gefässbe- 
zirkes und dergl. sich etablirt hat. 

Die Erreger sympathischer Ophthalmie können nicht Eiterbac¬ 
terien sein. Ein vom Referenten gefundener Mikrococcus scheint zu der¬ 
selben in näherer ätiologischer Beziehung zu stehen. 

Chibret (Clermond-Ferrand) empfiehlt die Anwendung des Queck- 
silbercyanur als Antisepticum. — Deut sch manu (Hamburg) spricht sich 
gegen die Specifität der sympathischen Entzündung aus Er glaubt, dass 
alle Mikroorganismen auf den Lymphwegen in das zweite Auge gelangen 
können. — Knapp (New-York) macht darauf aufmerksam, dass mau be¬ 
sonders bei der Discision mit den grössten antiseptischen Cautelen Vorgehen 
muss, da es hier gerade sehr leicht möglich ist, mit der Staarnadel iufec- 
tiöse Stoffe einzuimpfen. — Schmidt-R impler (Marburg) erwähnt, dass 
eine Blennorrhoe, die bei einem Kinde gutartig war, auf ein älteres über¬ 
tragen, bösartig wurde. 

In der Nachmittagssitzung spricht. Dor (Lyon) Uber Colobom der 
oberen Lider, Knapp (New-York) über Meridianbezeichnung' beim 
Verschreiben von Cylinderbrillen und Landolt (Paris) macht Vor¬ 
schläge über eine vortheilhaftere Bezeichnung der in der Augenheilkunde 
verwandten Prismen. 

Demonstrationen hielten ausserdem: 

Haab (Zürich) „l.’eher Erkrankungen der Macula lutea“. — Gutmann 
(Berlin) „Ueber Lymphbahnen der Cornea“. 

Um 5 Uhr wurde der Cougress geschlossen und gleichzeitig beschlossen, 
den VIII. internationalen ophthalmologischen Congress im Jahre 1894 in 
Edinburg abzuhalten. 

IX. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die neue preussische Ministerialverfugung, die Privat¬ 
irrenanstalten betreffend, 

von Dr. A. Schmitz in Bonn. 1 ) 

Die „Deutsche medicinische Wochenschrift“ brachte in No. 7 und 8 
d. J. eine Verordnung der Minister des Innern (v. Puttkamer), 
der Justiz (Friedberg) und der geistlichen etc. Angelegenheiten 
(Gossler) d. d. Berlin den 19. Januar 1888, durch welche die Auf¬ 
nahmebedingungen von Geisteskranken in Privatirrenanstalten einheitlich 
geregelt werden solleu, weil, wie es im Eingänge heisst, die Bestimmungen, 
welche über die Aufnahme von Geisteskranken in Privatirrcnanstalten, über 

*) Die Aerztekamraer der Rheinprovinz hat am 16. April d. J. betreffend 
die MinisterialVerfügung vom 19. Januar folgenden Beschluss gefasst: „Die 
Aerztekammer beschliesst, sich in Betreff der Ministerialverfügung vom 
19. Januar 1888 mit den übrigen Aerztekammern, sowie mit dem Verein der 
deutschen Irrenärzte in Verbindung zu setzen und insbesondere ihren Aus¬ 
stellungen gegen obige Verfügung dahin Ausdruck zu geben, dass dieselbe 
einmal in der Bezeichnung „zuverlässig“ eine durch nichts berechtigte 
Kränkung der praktischen Aerzte enthält, und ferner in ihrer praktischen 
Ausführbarkeit zu schweren Bedenken Veranlassung giebt.“ 


die Entlassung derselben, sowie über die staatliche Beaufsichtigung solcher 
Anstalten zu verschiedenen Zeiten ergangen wären, nicht überall gleich- 
massig ausgelegt, und gehandhabt würden uud zum Theile auch einer Er¬ 
gänzung bedürften. Es sind dieses Motive, welche ich an verschiedenen 
Stellen meines Buches: „Die Privatirrenanstalt u. s. w.“ 1 ) zur Begründung 
der Nothwendigkeit einer einheitlichen Regelung dieser Vorschriften schon 
früher angeführt habe. Da bis jetzt keine. Besprechung dieser Verfügung 
j mir in der Fachliteratur begegnet ist, ich die Sache aber für wichtig genug 
halte, von einem grösseren Leserkreise beachtet zu werden, so will ich mich 
j der Arbeit uuterzieheu und darlegen, ob durch diese Verordnung die 
| Uebelstände beseitigt, die Bedürfnisse befriedigt, die gehegten Hoffnungen 
erfüllt wurden, zeigen, wie die Anstalten und ihre Leiter, die praktischen 
Aerzte und endlich das Publikum mit seinen Kranken dabei fortgekommen 
sind. Um so eher glaube ich dieses wagen zu dürfen, als ich seit langer 
Zeit mich mit dem Thema der Irrengesetzgebung der verschiedensten 
Länder beschäftigt habe, durch manche freundlichst ’zugesandte Kritik 
meiner erwähnten Arbeit das Urtheil freier und sicherer geworden ist und 
i ich ausserdem nicht den Verdacht erwecken kann pro domo zu sprechen, 
! da Kranke mit ausgesprochener Seelenstörung in meine „Heilanstalt für Ner- 
! venkranke“ nicht aufgenommeu werden, also mein Institut von dem Erlasse 
nicht berührt wird. 

Die Verfügung handelt zunächst von der Aufnahme Geisteskranker in 
Privatirrenanstalten und von der Entlassung derselben. 

Nicht nur den Fachmann, soudern jeden gebildeten Laien muss es 
eigentümlich berühren, dass die Urheber dieses Ministerialerlasses noch an 
das Schreckgespenst der widerrechtlichen Freiheitsentziehung zu glauben 
scheinen, indem sie sagen, es müsse verhindert werden, dass Personen als 
geisteskrank in Irrenanstalten gebracht und darin behalten würden, welche 
nicht geisteskrank wären. Diese Furcht sollte ein längst überwundener 
Standpunkt sein; sie war im vorigen Jahrhundert bei der Unkenutniss der 
] ' erhältuisse wohl entschuldbar, sie passt aber nicht mehr in unser Zeitalter 
der Humanität, wo die Kranken möglichst schuell in geeignete, ihrem Zu¬ 
stande augepasste Bedingungen gebracht werden sollen, damit sie je eher, 
je lieber die verlorene Gesundheit wieder erlangen. Wie es mit. diesen 
Anschuldigungen steht, muss doch auch höheren Ortes hinreichend hekannt 
sein-. Neben dem betreffenden Capitel in meinem Buche p. 5 verweise ich 
noch auf dio Erklärungen des psychiatrischen Vereins zu Berlin vom 15. De- 
cember 1886' und 15. Januar 1887 (cfr. diese Wochenschrift 1887, No. 10, 
p. 205). Oder sollte mit dieser Hypothese die Vorschrift des amtlichen 
ärztlichen Aufnahmeattestes begründet werden? In der Regel ist nämlich 
für die Aufnahme ein auf Grund eigener Untersuchung des Kranken aus¬ 
gestelltes Attest des Physikus oder aes pro physicatu geprüften Kreiswund¬ 
arztes desjenigen Kreises, in welchem der Kranke seinen Wohnsitz hat, 
darüber erforderlich, dass der Aufzunehmende geisteskrank ist: Wir begeg¬ 
nen hier also demselben Verlangen wie in dem Gutachten der wissenschaft¬ 
lichen Deputation vom 13. Jauuar 1886 und in den Polizeiverordnungen 
von Berlin und Breslau. Meine auch in Regierungskreisen getheilten Be¬ 
denken gegen diese Forderung des amtsärztlichen Attestes habe ich in 
obigem Werke p. 77 uud p. 135 u. f. ausführlich dargelegt, und habe heute 
noch dieselben Ansichten. Zunächst muss es auffallen, dass nur zur Auf¬ 
nahme in Privatanstalten diese Atteste verlangt werden, während bei den 
meisten öffentlichen Irrenanstalten die praktischen Aerzte noch zuverlässig 
genug sind das erforderliche Zeugniss auszustellen. In die ersteren Kranken¬ 
häuser werden freilich meistens nur Personen der besseren Stände aufge- 
noinmon, welche die Diäten des Physikus schon zahlen können, trotzdem der 
ftausarzt vielleicht an Ort und Stolle wohnt. Allerdings ist den beamteten 
Aerzten dadurch eine neue, in manchen Bezirken sogar reichliche Einnahme- 
1 quelle eröffnet worden, jedoch zum Nachtheile der praktischen Aerzte, 
zum Nachtheile des Publikums, abgesehen davon, dass die exacte Durchfüh¬ 
rung dieses Punktes der Verordnung oft genug schlechterdings unmöglich 
1 sein wird. Bei der Wahl zu den Aerztekammern trat, der Gegensatz zwi¬ 
schen beamteten und nichtbeamteten Aerzten allenthalben scharf zu Tage, 
höheren Orts sollte man Bedacht darauf nehmen diesen Gegensatz nicht noch 
mehr zu verschärfen und das an manchen Orten bestehende gute Verhäitniss 
zwischen beamteten und praktischen Aerzten nicht zu stören. Die Regierung 
sollte das Attestwesen nicht zum Monopol der Physiker machen, was es bis 
jetzt doch auch nicht gewesen ist, wozu aber die besten Aussichten vorhan- 
i den sind. Aber nicht nur gegen die praktischen Aerzte richtet sich dieser 
Angriff, sondern auch gegen die Privatirrenanstalten, trotzdem dieselben laut 
• dem erwähnten Gutachten der wissenschaftlichen Deputation in den letzten 
I 11 Jahren zu begründeten Klagen keine Veranlassung gegeben haben. Statt 
I bei einem leichtgläubigen und skandalsüchtigen Publikum das Misstrauen 
] gegen diese nothwendigen Anstalten zu beseitigen, wird durch solche Ver¬ 
fügungen dasselbe eher wachgerufen und genährt, die Leiter der Anstalten, 
geachtete Männer der Wissenschaft, werden ohne jeden Grund verdächtigt, 
ihre ohnehin mühevolle Stellung wird erschwert uud durch die geforderten 
Schreibereien hin und her ihre Zeit, welche sie besser im Dienste ihrer Kran¬ 
ken verwenden könnten, zum guten Theil in Anspruch genommen. Ausser 
den Anzeigen von der erfolgten Aufnahme oder Entlassung an die verschie¬ 
densten Behörden ist der Polizeibehörde des Wohnortes des Kranken, wenn 
die Aufnahme ohne deren Genehmigung erfolgt ist, „secrete“ Mittheilung 
zu machen. Dieselbe Forderung finden wir auch in dem Gutachten der 
wissenschaftlichen Deputation. Was heisst „secret“? Aus solchen Schrift¬ 
stücken sollten Fremdwörter doch wegbleiben, die höchstens zu einer ver¬ 
schiedenen Auslegung durch die Unterbehörden führen können. Auch heute 
sehe ich nicht ein, was der Bürgermeister, Amtmann und Gemeindevorsteher 
mit der Erkrankung eines Menschen, gerade so wenig eines Geistes- als eines 
chirurgischen Krauken zu thun haben soll, so lange kein Verbrechen vor¬ 
liegt. Wenn aber die Behörde einmal bei der Aufnahme mitwirken soll, so 

') A. Schmitz, Die Privatirrenanstalt vom medicinal- und sanitäts¬ 
polizeilichen Standpunkte. Leipzig und Wien 1887. 


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794 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35 


halte ich den bis dahin hierorts bestandenen Modus, dass auf Grund eines 
ärztlichen Attestes von der Behörde die Genehmigung zur Aufnahme ertheilt 
wird, für den einfachsten, am schnellsten auszufürenden und deshalb im 
Interesse des Kranken am besten. 

Auch die Beaufsichtigung der Privatirreuanstalteil hat eine 
Veränderung dahin erfahren, dass dieselbe von jetzt ab zu den Obliegen¬ 
heiten des zuständigen Physikus, und nicht mehr des llegieruugsmedicinal- 
rathes gehört. Es wird wohl keiner zu behaupten wagen, dass dem Irren- 
wcsen durch diese Zersplitterung der Beaufsichtigung ein Vortheil erwachsen 
kann. Gewiss hat der Staat seine Beamten und auch seine Physiker zu 
seinen Angelegenheiten, wie es in einer mir zugegangenen Kritik heisst, es 
muss ferner mit Freuden begrüsst werden, wenn im Interesse der Kranken 
die Revision recht gründlich vorgenommen werden soll, aber immerhin darf 
es als wüuschenswerth bezeichnet werden, dass in so wichtigen Dingen der 
Revisor das Krankenhaus- und Irreuhauswesen aus eigener Erfahrung kenne. 

Um mich kurz zu fassen, durch die neue MinisterialVerfügung sind die 
betheiligten Kreise schwer enttäuscht worden, statt der erwarteten möglich¬ 
fiten Vereinfachung der Bestimmungen, statt der Gleichstellung der Privat¬ 
irrenanstalten in Bezug auf Aufnahme, Revision und Anzeige mit 'len öffent¬ 
lichen sind für jene die bestandenen Verordnungen in nicht oder doch schlecht 
motivirter Weise verschärft worden. Solche Fehlgriffe sind zu bedauern, 
aber nur dadurch am besten zu vermeiden, wenn die Bearbeitung des Irron- 
wesens einem eigenen Decerneuten im Ministerium übertragen, in die Hände 
eines erfahrenen, theoretisch und praktisch ausgebildeten Irrenarztes gelegt 
wird. Dagegen scheinen bei der neuen Verfügung, welche die guten Privat¬ 
irrenanstalten in ihrem Wirken eher hemmt als fördert und die schlechten 
nicht beseitigt, die Anstaltsleiter verdächtigt, den praktischen Aerzten eine 
weitere Erwerbsquelle verschliesst, die Kranken mit ihren Anverwandten nur 
schädigen kann, ich sage hei der ergangenen Ministerialverfügung scheinen 
die in der Psychiatrie erfahrenen und ergrauten Männer, die Stützen und 
Zierden dieser Special Wissenschaft kaum gehört, jedenfalls ihre Worte un¬ 
berücksichtigt verhallt zu sein. 


— L. Dieterich. Die Krankenkassen des Regierung*• Bezirks 
Stettin im Jahre 1886. Leipzig, Georg Thieme, 1887. 

Der Verfasser hat sich der dankenswerthen Aufgabe unterzogen,' die 
bei der Regierung oingegangenen Berichte über die Krankenkassen über¬ 
sichtlich zusammenzustellen und das Material durch Berechnung von Ver- 
hältnisszahlen so zu bearbeiten, dass eine Vergleichung der Ergebnisse so¬ 
wohl der gleichartigen Kassen unter sich, als auch der verschiedenartigen 
Kassen unter einander möglich ist. Die Arbeit soll, wie der Verfasser in 
einem Vorwort, hervorhebt, den Kassenvorständen des Bezirkes die Möglich¬ 
keit bieten, die Ergebnisse ihrer Kasse mit denen der Gesammtheit zu 
vergleichen und die bessernde Hand an manche Einrichtungen ihrer Kasse 
zu legen. Darüber hinaus erfüllt die Zusammenstellung aber auch sicher 
den weitergehenden Zweck, ein bereits geordnetes und gesichtetes Material 
für die zweifellos zu erwartenden allgemeinen Ermittelungen über die Wirk¬ 
samkeit der Krankenkassen überhaupt, zu liefern. Von diesem Gesichtspunkte 
aus beansprucht die Arbeit auch ein allgemeineres Interesse. 


— Tuberculose bei Schlachttliieren. Im Jahre 1887 sind im 
Schlachthofe zu Chemnitz 8252 Rinder, 28178 Schweine, 23557 Kälber, 
10776 Schafe, 75 Ziegen, und in der Pferde- und ITundeschlächterei 398 
Pferde und 211 Hunde, zusammen 71447 Thiere geschlachtet und davon 
422 Rinder, 79 Schweine, je 2 Schafe und Kälber tuberculös befunden 
worden. (Vierter Bericht der Direction des Schlacht- und Viehhofes zu 
Chemnitz). — ln demselben Jahre sind in Nürnberg 11227 Mastochsen, 
165G Stiere, 13*9 Kühe, 598 Jungrinder, 30477 Kälber, 18860 Schafe: 
3968 jüngere Lämmer, 59932 Mast-, 3900 mindergewichtige Schweine und 
445 Pferde, zusammen 132 452 Thiere geschlachtet worden. Davon wurden 
51 Ochsen, 45 Kühe, 8 Stiere, 3 Jungrinder und 1 Kalb, zusammen 108 
Stück als tuberculös beanstandet. (Wochenschr. für Thierheilkunde und 
Viehzucht 1888 p. 135). — In Bamberg sind im Jahre 1887 von den 
4781 geschlachteten Grossviehstücken 49 Rinder wegen Tuberculose be¬ 
anstandet worden. (Rundschau a. d. Geb. d. Thiermedicin etc. 1888 p. 101.) 

X. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

8 . 

Roux etChambcrland. Immunite contre lasepticeraie 
conferee par des substances solübles. Annales de i’institut 
Pasteur, Decembre 1887. 

Verff. haben gefunden, dass die in Kalbsbouillon bei Abschluss 
der Luft eingeimpfte Oedemflüssigkeit oder das Herzblut eines an 
malignem Oedem zu Grunde gegangenen Meerschweinchens, in den 
ersten 3—4 Tagen eine unter Gasbildung einhergehende Cultur 
giebt, dass aber nach Ablauf dieser Zeit die Gasbildung aufhört 
und die Entwickelung der Bacillen eingestellt wird, obgleich der 
Nährboden noch Nährmaterial enthält. Wird die Flüssigkeit dieser 
Cultur durch ein Porzellanfilter filtrirt und neuerdings mit Bacillen 
des malignen Oedems beschickt, so tritt keine Entwickelung mehr 
ein. Verff. glauben den Grund dieser Sterilität nicht in der Er¬ 
schöpfung des Nährmaterials. sondern in der Gegenwart eines vom 
Bacillus erzeugten, seiner eigenen Existenz feindlichen Stoffes ge¬ 
funden zu haben, denn wenn man einer anderen Bouillon eine ge¬ 
ringe Quantität der ersteren hinzufugt, so wird auch diese für die 
Entwickelung des Bacillus des malignen Oedems weniger geeignet. 
Verff. dachten nun, diese Producte des Bacillus im Thierkörper zu 


1 accumuliren und auf diese Weise Immunität gegen das maligne 
! Oedem zu erzeugen. In der That gelang ihnen dies durch Injection 

■ einer ältereren Bouillon-Cultur des malignen Oedems, die überdies, 
um sie gewiss von allen Keimen zu befreien, auf 105—110° durch 
10 Minuten erhitzt oder durch ein Porzellanfiltrum filtrirt wurde. 
Injicirt man Meerschweinchen 3 Tage je 40 ccm einer erhitzten 
6—8 Tage alten Cultur in die Bauchhöhle und inficirt man 2 Tage 

1 später die Thiere mit dem Blute eines an malignem Oedem gestor- 
| benen Thieres. so bleiben die geimpften (ich gebrauche diesen Aus- 
: druck der Kürze halber. Ref.) Meerschweinchen am Leben, wäh¬ 
rend die mit demselben Blute inficirten Controllthiere in weniger 
als 18 Stunden zu Grunde gehen. Die so ertheilte Immunität ist 
um so grösser, je grössere Quantitäten der schützenden Flüssigkeit 
injicirt werden. Bezüglich der Dauer dieser Immunität konnten 
Verff. constatircn. dass Meerschweinchen, die 2 mal zu 80 ccm Bouillon- 
Cultur erhalten hahen, nach 30 Tagen einer lnfection Widerstand 
leisteten, w’elohe Controllthiere in 18 Stunden tödtete. 

Es lag nun die Frage nahe, ob die Oedemflüssigkeit der an 
' malignem Oedem verstorbenen Thiere dieselbe Wirkung hat, wie die 
I Bouillon-Cultur. Injicirt man 40 ccm einer solchen filtrirten und 
! von Bacillen freien Flüssigkeit, so stirbt das Thier binnen wenigen 
j Stunden. Injicirt man aber täglich nur 1 ccm dieser Flüssigkeit, 

; so gelingt es nach 7—8 Injectionen, das Thier gegen das maligne 
I Oedem immun zu machen. 

E. Roux, Immunite contre le charbon symptomatique 
conferee par des substances sol übles. Annales de Finstitut 
Pasteur, Fevrierl888. 

Nach Analogie der vom Verf. im Verein mit Chamberland 
' angestellten und an dieser Stelle bereits besprochenen Versuche, 
Thieren Immunität gegen malignes Oedem zu ertheilen, hat Roux 
| unternommen, Thiere auch gegen Rauschbrand immun zu machen. 
Bekanntlich sind die Rinder und die Schafe die empfänglichsten 
Thiere für den Rauschbrand, hingegen sind die Meerschweinchen 
resistent gegen Rauschbrand. Ärloing, Corneviu und Thomas 
ist es jedoch gelungen, auch bei Meerschweinchen Rauschbrand 
. durch Injection einer Aufschwemmung von Rauschbrandbacillen in 
einer 20%igen Lösung zu erzeugen. Das von Roux zur Erzielung 
von Immunität gegen Rauschbrand eiugeschlagene Verfahren besteht 
j in 3 maliger intraperitonealer Injection, in Zwischenräumen von zwei 

■ Tagen, von je 40 ccm einer auf 115° erhitzten Cultur von Rausch- 
| brandbacillen. Die so geimpften Meerschweinchen können dann 

ohne Schaden für ihre Gesundheit mit in 20 % Milchsäurelösung 
aufgeschwemmten Rauschbrandbacillen inficirt werden, während 
nicht geimpfte Meerschweinchen in Folge einer solchen lnfection in 
weniger als 24 Stunden an Rauschbrand zu Grunde gehen. 

| Das Erhitzen scheint indess die in den Culturen von Rausch- 
I brandbacillen enthaltenen activen Substanzen zu verändern, denn 
[ die durch Porzellanfilter durchfiltrirten Culturen wirken besser als 
die erhitzten. Ebenso lässt sich die Immunität erzeugen durch 
Injection des von Bacillen befreiten Muskelsaftes und der Oedem¬ 
flüssigkeit eines an Rauschbrand verstorbenen Thieres. 

Die Aehnlichkeit, die zwischen den Bacillen des malignen 
Oedems und denen des Rauschbrandes existirt, veranlasst« Roux 
i zu untersuchen, ob die gegen malignes Oedem geimpften Thiere 
| auch gegen Rauschbrand immun sind und umgekehrt. Es zeigte 
sich, dass die gegen Rauschbrand geimpften Thiere häufig auch 
gegen malignes Oedem immun siud, nicht aber umgekehrt. 

Schnirer. 

Innere Medicin. 

12 . 

Grob, Ueber Bradykardie. Deutsch. Arch. f. kl. Medicin. 

| Band 42, Heft, 6. 

Während das Capitel der Pulsbeschleunigung Tachykardie 
| eingehend erörtert worden ist, fehlt ein gleiches für die Pulsverlang¬ 
samung, welche Grob mit dem Namen „ Bradykardie“ bezeich¬ 
net. Und doch wird dieselbe häufig theils physiologisch, theils pa¬ 
thologisch beobachtet. Verfasser stellt nun 100 eigene Beobach¬ 
tungen und 40 aus der Literatur zusammen. Das männliche Ge¬ 
schlecht muss mehr dazu neigen, als das weibliche, da von den 
140 Beobachtungen 131 Männer betreffen. 

Von den 100 Beobachtungen des Verfassers betrafen: 

I. Physiologische Bradykardie 6 

II. Idiopathische „ 1 

III. Symptomatische „ 93. 

Betreffs der physiologischen Verlangsamung bemerkt er. 
dass sich bei einzelnen Menschen, ja bei ganzen Familien nur 50 
Schläge in der Minute finden, ohne dass die Gesundheit gestört ist. 
Die Bradykardie ist bald eine andauernde, bald eine vorübergehende. 
Ich sah bei einer Dame regulär 36 — 40 Schläge in der Minute bei 
ungestörtem Allgemeinbefinden. Häufig tritt bei gesunden Wöchne¬ 
rinnen Verlangsamung auf. 


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30. August. DEUTSCHE MEDICINISCFF WO CHENSCHRIFT. _725 


Olshausen und Blot beziehen sie auf einen abnormen Fett¬ 
gehalt des Blutes. 

Ferner tritt sie auf bei Hungernden. 

Die idiopathische, mit mehr oder wenigerschweren Sympto¬ 
men, Kopfschmerz, Athemnoth, Bewusstseinsstörungen, Ohnmacht 
etc. einhergehende Bradykardie ist seltener. Grob verzeichnet einen 
Fall, aus der Literatur erwähnt er J1 Fälle. Die Pulszahl kann 
auf 11—12 Schläge in der Minute herabsinken. Meist handelt es 
sich um Männer jenseits der 50 Jahre. Man wird die idiopathische 
Bradykardie als eine Herzneurose aufzufassen haben. 

Die symptomatische Bradykardie ist eine häufige Erschei¬ 
nung. Die 93 Beobachtungen Grob's lassen sich je nach dem 
Sitze der Krankheit folgendermaassen gruppirien: 

1. Gelenkrheumatismus mit 24 Beobachtungen. 

2. Erkrankung des Oirculationsapparates mit 1 Beobachtung. 

3. Erkrankung des Verdauungstractus mit 10 Beobachtungen. 

4. Erkrankung der nervösen Centralorgane und der periphe¬ 

ren Nerven mit 6 Beobachtungen. 

5. Chronische Infeetions- und Constitutionskrankheiten mit 

9 Beobachtungen. 

6. Reconvalescenz nach acuten fieberhaften Erkrankungen 

mit 43 Beobachtungen. 

Wegen der Details müssen wir auf das Original verweisen, wir 
wollen nur erwähnen, dass der Gelenkrheumatismus besonders oft I 
damit vergesellschaftet ist, dass in der Reconvalescenz acut fieber¬ 
hafte Erkrankungen der Typhus abdominalis das grösste Contiugent 
stellte, vielmehr als Pneumonie. Die Hauptsymptome sind Ohu- 
machtsanfälle, Beklemmung mit Herzklopfen, epileptische und epi- 
leptiforme Anfälle, Schwindel und Schwächeanfälle, apoplectiforme 
und dyspnoetische Anfälle. Kopfschmerz; Symptome, welche meist j 
combinirt sich vorfinden. 

In den 140 Fällen, welche der Arbeit zu Grunde liegen, war 
die Bradykardie 28 mal eine audauerde (mit Symptomen 15, ohne 
Symptome 13), 112 mal eine vorübergehende (mit Symptomen 17, 1 
ohne Symptome 95). 

Gustav Seitz. Zur Therapie der Lungenblutung. 
Deutsch. Arch. f. kl. Med. Bd. 42, Heft 6. 

Bei der Behandlung der Lungenblutung wird nach 3 .Methoden 
verfahren. j 

Es werden entweder angewandt: 1) Kälte, Adstringentia und 
Styptcia, oder 2) Nauseosa, oder 3) Laxantia und Hautreize (Blut¬ 
egel, Schröpfköpfe, Aderlass). Häufig werden auch die Methoden j 
combinirt verwendet. Sie reichen bekanntlich alle nicht aus. Die 
Kälteapplicatiou hat nach Seitz keinen besonderen Werth, da sie | 
nicht tief genug wirkt. Der Aderlass ist in Misscredit gekommen, 
auch häufig nicht verwendbar, weil man geschwächten Krankeu 
nicht noch mehr Blut entziehen kann. | 

Seitz empfiehlt nun eine seit Alters her bekannte, aber wie- i 
der vergessene Methode des „Bindens der Glieder.“ Schon 
zu Hippokrates Zeiten wurde die Methode geübt, ebenso em¬ 
pfahlen sie Chrysippos von Knidos und Erasistratos. Als 
Gegner des Bindeus werden Asclepiades und Scribonius genannt, 
während Celsus es lobte. Auch Aretaeus und Galen waren j 
Anhänger des Bindens. Dann wurde die Methode vergesseu. Erst I 
Traube berichtet wieder darüber; er sagt: „es ist nicht nur die < 
dem Herzen zuströmende Flüssigkeitsmenge, sondern auch der Zu- l 
fluss derjenigen Stoffe, welche theils natürliche Stimuli für die [ 
Herznerven, theils Lebensbedingungen für den Herzmuskel sind, i 
vermindert.“ 

Auf Grund von Experimenten, welche zu dem Zwecke au- i 
gestellt sind, die Traube’sche Anschauung zu erhärten, sehliesst 
sich Seitz den theoretischen Bemerkungen Traube’s an. Um 
den Werth der Methode des Bindens der Glieder bei Lungen¬ 
blutung zu erhärten, werden zwei Krankengeschichten angeführt. 
Es werden mittelst Strumpfbändern oder ähnlichen Bandagen, Liga¬ 
turen an beiden Oberschenkeln dicht über dem Knie, sowie an 
beiden Oberarmen etwa in deren Mitte angelegt.. Beim Schluss der 
Binde ist eine mittlere Constriction auzuwenden, der Radialpuls 
muss z. B. deutlich fühlbar bleiben, weil bei Verlegung auf die 
Arterien das Gegentheil eintreten würde. Die Binden dürfen nicht 
länger als höchstens 3 /4 — 1 Stunde liegen bleiben, weil sonst in den ab- ; 
geschnürten Extremitäten in Folge zunehmender Oedeme unange¬ 
nehme Nebenerscheinungen auftreten. Die Lösung der Binden 
muss allmählich geschehen, Verfasser machte es innerhalb 10 Minuten. ! 
Bei Recidiven greift man aufs Neue zur Binde. 

In den geschilderten Fällen stand die Blutung prompt nach 
wenigen Minuten. Da der Effect der Binden genau überwacht wer¬ 
den kann, auch das Anlegen von Seiten der Laien bis zur Ankunft 
des Arztes ausgeführt werden kann, so dürften weitere Versuche 
mit dieser, so weit man sieht, ungefährlichen Methode angezeigt sein. 

ijEine Methode, die sich Jahrhunderte lang gehalten, kann nicht ; 
absolut werthlos sein. Buchwald. | 


Geburtshülfe und Gynaekologie. 

8 . 

Vassalli. Caso di gravidanza sesquigemellare. — 
Gazzetta medica Italiana-Lombardia 1888. 

Der bisher noch niemals beobachtete Fall von Sechslingen wird 
aus Castagnola bei Lugano berichtet. Dr. Vassalli und die im 
Referate genannten Luganoer Aerzte bezeugen die Richtigkeit der 
Beobachtung. 

Ein etwas genaueres Referat über diesen, soweit uns bekannt, 
in der deutschen medicinischen Presse noch nicht veröffentlichten 
Fall wird den Lesern unserer Zeitschrift gewiss willkommen sein: 

Frau R. gebar im ersten Jahre ihrer Verheirathung ein Kind, 
welches sie 11 Monate säugte. Im 7. Monate der Lactationszeit 
trat die Menstruatiou wieder ein und kehrte dieselbe wieder bis zum 
24. December 1887. Conception wahrscheinlich Mitte Januar 1888. 
Bereits Ende Januar traten subjective Schwangerschaftssymptome 
auf und eine auffallende Kraftlosigkeit, welche die Frau abhielt, die 
sonst gewohnte häusliche Arbeit genügend zu verrichten. Die ersten 
drei Monate der Schwangerschaft heftiges Erbrechen, wodurch der 
Krätteverfall nur noch zunahm. Der Leib hatte in kurzer Zeit einen 
ausserordeutlich grossen Umfang gewonnen; Ende des vierten 
Schwangerschaftsmonats glich der Uterus bereits einem hochschwan¬ 
geren. Oedeme und Venenschwelluugen der unteren Extremitäten 
wareunicht vorhanden. Kindesbeweguugen wurden nicht beobachtet. 

Ara 4. Mai, der Berechnung nach am 115. Tage der Schwanger¬ 
schaft ging, während Frau R. eine leichte Beschäftigung ausführte, 
Fruchtwasser ab uud es entstand ein Drang nach unten. Die schnell 
herbeigerufene Hebamme entwickelte eine aus der Schamspalte mit 
den untereu Extremitäten heraushängende Frucht. Jetzt wurde Dr. 
Vassalli zur Geburt gerufen: Leib noch sehr ausgedehnt. Durch 
die Bauchdeckeu liessen sich mehrere kleiue Kindstheile fühlen. 
Die innere Untersuchung ergab den Scheidentheil verstrichen. 
Muttermund auf 3 cm Weite eröffnet. Dahinter eine Blase ohue 
fühlbare Kindestheile. 

Da Wehen zu fehlen schienen, so glaubte Vassalli, es werde 
nicht zu einem Aborte der zweiten Frucht kommen.. In der That 
verbrachte die Frau auch eine Nacht ziemlich gut und stand am 
Morgen auf, um ihrer Beschäftigung uachzugehen. Gegen Mittag 
wurde sie jedoch von Frost und Schmerzen im Leibe befallen, auch 
trat Blutabgaug ein. Dr. Vassalli wiederum gerufen, constatirte 
eine Temperatur von 38,7. Wehen waren vorhanden; Blutverlust 
beträchtlich. 

Die Umstände veranlassten den anwesenden Arzt, die Geburt zu 
beschleunigen. Er sprengte die Blase uud fühlte die Füsse einer 
zweiten Frucht; dieselbe wurde extrahirt. Eiue nun bis in den 
Uterus vorgeuommene Untersuchung liess eiue weitere Blase er¬ 
kennen, die ebenfalls gesprengt wurde, worauf ein dritter Fötus 
hervorgezogen wurde. Dasselbe wiederholte sich noch zweimal und 
lieferte die vierte und fünfte Frucht. 

Bei mangelhafter Contraction des Uterus und der Furcht, es 
könne eine Blutung die an sich schon geschwächte Halbeutbundeue 
schädigen, ging Vassalli an die manuelle Entfernung der Placenta. 
Dieselbe gelang ihm nicht und er musste Hülfe aus Lugano requi- 
riren. Es erschienen die Doctoren Biauchi, Reali und Solari, 
von denen der letztere die Placenta manuell entfernte. Auf der 
Placenta befand sich noch ein nicht geöffneter Sack, in welchem 
der sechste Fötus lag. — Alle Föten waren bei der Geburt lebend, 
starben aber nach wenigen Secundeu. Sie wogeu zusammen 1730 g. 
Der erstgeborene, kräftigste wog 305 g, der kleinste 240 g. Länge 
schwankte zwischen 22 bis 26 cm. Alle, 4 Kuaben, 2 Mädchen, 
hatten eiue gemeinschaftliche Placenta mit 6 Fruchtsäckeu. Das 
Präparat wurde dem Museum der R. Scuola Ostetricia (Direktor 
Porro) zu Mailand übersendet. 

Die Fruchtbarkeit in der Familie speciell, in jener Landschaft 
überhaupt, scheint ziemlich gross zu sein. Fünf Vettern, Brüder, 
wären Väter von Zwillingen. Die Schwester der Mutter der Sechs- 
linge hat ebenfalls Zwillinge geboren. 

In der Gemeinde Castagnola mit 585 Einwohnern sind vom 
1. Januar 1876 bis 10. Mai 1888 247 Geburten gemeldet: Einfache 
Früchte 228, Zwillinge 5, Drillinge 1, Sechslinge 1. A. 

XI. Therapeutische Mittheilungen. 

Nachträgliche Bemerkungen über die Sulfonalwirkung. 

Von Dr. Julius Schwalbe 

Assistenzarzt am städt. allgem. Krankenhause Friedrichshaiu, Abtheilung des 
Herrn Prof. Fürbringer. 

In meinen fortgesetzten Versuchen über den Umfang und die Art der 
Sulfonalwirkung habe ich mein Hauptbestreben darauf gerichtet, die Lücke 
auszufüllen, die in meiner ursprünglichen Untersuchungsreihe, 1 ) offen ge¬ 
blieben war, nämlich den Effect hoher und höchster Dosen des Mittels 

*) Deutsche med. Wochenschrift No. 25. 


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726 


DEUTSCHE MEDICINISC1TE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35 


festzustellen. Ich hatte damals die Vermuthung ausgesprochen, dass da, wo 

2 — 2,5 g Sulfonal gar kein Resultat erzielten, mit grösster Wahrscheinlich¬ 
keit auch von höheren Gaben ein nennenswert her Erfolg sich nicht erwarten 
Hesse, und es galt nun in objectiver Weise an der Hand einschlägiger Er¬ 
fahrungen diese Annahme auf ihre Richtigkeit zu prüfen Gleichzeitig bot 
diese Versuchsanordnung mit höchsten Dosen mehr als die bisherige Ge¬ 
legenheit, etwaige Nebenwirkungen des Schlafmittels, von denen mir einige 
ja schon in 6 Fällen entgegengetreten waren, auf die Stärke ihres Einflusses 
hin zu beobachten. 

Ich habe meine diesmaligen Untersuchungen mit dem mir von der 
hiesigen Firma J. Riedel freundliehst zur Verfügung gestellten Sulfonal 
ausgeführt (dasselbe unterscheidet sich von dem Sulfonal Bayer in keiner 
Weise, von einem für empfindliche Personen etw'as unangenehmen Geruch 
und einem geringen bitteren Geschmack abgesehen.) 

Was das gewonnene Endergebniss betrifft, so differirt dasselbe im 
Allgemeinen bezüglich der Indicationen durchaus nicht von demjenigen, 
welches ich in meiner ersten Arbeit darzulegen versucht habe. Nur fühle 
ich mich veranlasst, hervorzuheben, dass ich doch auch bei einigen Patienten 
mit massiger cardialer Dyspnoe nach mittleren Dosen einen subjectiv und 
objectiv befriedigenden Schlaf habe eintreten sehen Bei stärkerer Athem- 
noth freilich hat das Medicament auch diesmal wiederholt im Stich gelassen. 

Die höchsten Dosen nun von 3 und 4 g habe ich natürlich nur einige 
Male anwenden können. Es liegt, diese Beschränkung einmal in der Natur 
der Sache, denn das Sulfonal hat bei kleinen und mittleren Dosen diesmal 
unter 40 Fällen nur 11 X = 27,5°/o relaltiv völlig versagt. Andererseits 
aber wurde ich durch die Erscheinungen in 2 hinter einander folgenden 
Fällen bestimmt, im Interesse der Humanität von weiteren Versuchen nach 
dieser Richtung hin abzustehen. So habe ich im ganzen nur 5 x je 3 g, 

3 X je 4 g Sulfonal verabreichen können, und zwar haben 3 g 

1 Patient, mit. Irritatio spinalis (mässige Schmerzen), 

1 „ , Insuff. valv. Aortae (beträchtliche Dyspnoe), 

1 „ „ lnsuff. valv. mitralis et Aortae (mässige Schmerzen), 

1 „ ., Emphysem (Dyspnoe und Husten), 

1 „ „ Phthisis pulmonum (hohe Dyspnoe) 

4 g haben 

1 Patient mit Insuff. valv. mitralis et Aortae (frische Endocarditi.O 
1 „ , Myocarditis und Arterioselerose (Stenocardie), 

1 „ „ Pneumonie und Delirium 

erhalten. Von den 5 ersteren Patienten hatten No. 1 und 2 vorher kleinere 
Dosen ohne Erfolg, No. 3 solche mit Erfolg, No. 4 und 5 vorher noch kein 
Sulfonal genommen. Bei 3 g hat nun von den beiden ersten einer (Irritatio 
spinalis) gut geschlafen. Der Pat. mit Insuff. valv. Aortae und Dyspnoe hat 
gar keine Einwirkung verspürt. — Der Pat.. mit Insuff. valv. mitral et Aortae, 
der auch bei geringeren Dosen Schlaf fand, schlief natürlich auch bei der 
verstärkten Verordnung. — Von den beiden übrigen hat der Phthisiker 
gar nicht, der Emphysematiker ziemlich gut geschlafen. An Nebenwirkungen 
ist bei keinem Pat. weder subjectiv noch objectiv etwas zu verzeichnen 
gewesen. 

Unter den 3 Patienten mit je 4,0 g Sulfonal hatte No. 1 schon vorher 
1—2 g mit Erfolg, No. 2 und 3 ohne Erfolg gebraucht. Der erste schlief 
nach seinen Pulvern sehr gut und hatte gar keine Nebenwirkung, verspürte 
nicht einmal Müdigkeit am anderen Tage. Bei dem Deliranten war die 
Medication erfolglos (derselbe erhielt um 8 Uhr 2,0 Sulfonal, um 9 Uhr 
0,01 Morphium, um 11 Uhr 2,0 Sulfonal, um 3 '/a Uhr 4,0 Sulfonal), und 
es Hessen sich objective Nebenerscheinungen nicht constatireu (von sub- 
jectiven Angaben musste man natürlich absehen). Bei dem dritten Pat. 
endlich trat zwar eine mässige Schlafwirkung ein, doch waren die Begleit¬ 
symptome so ausserordentlich beträchtliche, dass es mir werthvoll erscheint, 
das Versuchsprotokoll ausführlich darzulegen. 

Müller, 54 Jahre, Myocarditis, Arterioselerose. Stenocar- 
dische Anfälle. 

Nachdem Pat. am Juli 10. 1,0, am 11. Juli 2,0 Sulfonal ohne 

irgend einen Effect erhalten hat, bekommt er am 12. Juli Abends 9 Uhr 4,0. 

Bis 11 Uhr kein Schlaf. Pat. ist sehr unruhig. Von 11— 3 /<l‘2 Uhr 
Schlaf, dann erwacht Pat., stöhnt, wirft sich umher. 

1 Uhr Morph. 0,005 

Aq. amygdal. amar. 1,0 
(sonst immer von beruhigender Wirkung). 

Bis 2 l /> Uhr ist Pat. wach, sehr unruhig. Im Bette sitzend taumelt 
er von einer Seite zur anderen, gesticulirt, phantasirt, ergeht sich in 
— sonst nie beobachteten — Schimpfreden 

Von 2\'j—6 Uhr ruhiger Schlaf. (Puls und Respiration war weder in 
diesem noch in einem der vorhergehenden Fälle alterirt,) 

Am anderen Tage fühlt er sich sehr elend, klagt über starken 
Schwindel, Uebelkeit, Kopfschmerz und Benommenheit. 

Ein 8tenocardischer Anfall trat aber weder des Nachts noch am folgen¬ 
den Tage auf. Ich möchte diesen Umstand hervorheben, um der Ver- 
muthung zu entgehen, dass die unangenehmen Erscheinungen durch die 
eigentliche Krankheit des Pat., die Stenocardie, hervorgerufen wären, etwa 
wie in dem von Sch me y 1 ) mitgetheilten Falle. Die Thatsache, dass mein 
Patient weder vorher noch nachher bei 2,0 Sulfonal irgend welche Neben¬ 
wirkungen gezeigt bat, lässt auch die durch den einzigen Fall so schwankend 
gestützte Warnung Sc hm ey’s, sich vor der Anwendung des Sulfonals bei 
Arterioselerose zu hüten, in zweifelhaftem Lichte erscheinen. Um so mehr, 
als ähnliche Nebenerscheinungen wie die obigen leider auch in anderen 
Fällen, wo von Arterioselerose keine Rede sein konnte, selbst bei geringeren 
Dosen zur Beobachtung gelangt sind. So hat ein 30jähriges Mädchen mit 
Oophoritis und Parametritis nach 2,0 g während einer Stunde ziemlich be¬ 
trächtliche Aufregung, Unruhe, Bestreben, das Bett zu verlassen, Uebelkeit 
gezeigt und sich am nächsten Tage über Dumpfheit im Kopfe beklagt. 

') Therapeut. Monatah. No. 7. 


Ebenso unangenehme Symptome hat Herr Prof. Fürbringer in 
einigen wenigen Fällen seiner Privatpraxis verzeichnen müssen (bei einer 
Hysterica ziemlich heftiges Erbrechen, selbst flüchtige Sinnestäuschungen). 
Ja, er ist durch die ziemlich häufigen Klagen über geringe Uebelkeit und 
Kopfschmerzen nach der Verabreichung von Sulfonal zu der Ueberzeugung 
gelangt, dass das Mittel doch in der Privatpraxis im Allgemeinen mehr 
subjective Nebenwirkungen hervorrufe, als bei den mehr oder weniger indo¬ 
lenten Patienten unseres Krankenhauses. 

Jedenfalls aber möchte ich nach meiuen Versuchen von der An¬ 
wendung hoher Dosen (von 4,0 g, bei schwächlichen Individuen, 
Frauen etc. auch von 3,0 g) abrathen, einmal, weil meistens in den 
Fällen, wo geringere Dosen erfolglos geblieben sind, auch durch jene kein 
Eflect erzielt werden wird, andererseits aber mit Rücksicht auf die Inten¬ 
sität etwaiger Nebenwirkungen. (Die Angabe in dem jüngst erschienenen 
Sulfonal-Prospect der Firma J. Riedel [pag. 18] über günstige Ergebnisse 
meiner mit grösseren Gaben angestellten Versuche muss auf einem Miss- 
verständniss beruhen.) 

Nichtsdestoweniger behält meiner Meinung nach das Sulfonal seinen 
Werth als Schlafmittel für viele Fälle, und es ist in diesen gerade bei der 
gewöhnlich nur geringfügigen Intensität der Nebenwirkungen kleinerer 
Dosen, bei seiner relativ fast absoluten Geruch- und Geschmacklosigkeit, 
bei seiner Gefahrlosigkeit für das Herz den meisten anderen Schlafmitteln 
vorzuziehen. 


- Resorcin bei Nnsenkatarrhen wird von L)r. Thrasher im Med. 
Record empfohlen. Dasselbe besitzt eine grosse Affiuität zum Sauerstoff 
und absorbirt denselben aus den Gefässen, reducirt die Congestion durch 
Zusammenziehung der Gefässe. Die W'irkung dieses Mittels ist eine 
dauernde, während die des Cocains eine temporäre ist. Es be¬ 
währt sich auch bei infectiösen Hautkrankheiten als Antisepticum, da es 
die Haut durchdringt und die Keime tödtet. Es ist auch deshalb dem 
Cocain vorzuziehen, weil dieses die Secretioneu aufhebt und die Func¬ 
tionen der Schleimhaut hemmt, während bei Anwendung des Resorcin die 
normalen Functionen fortdauern. Wenn es auch langsamer wirkt, so sind 
doch seine Wirkungen andauernd. Verfasser räth zuerst die Nasenschleim - 
haut mit Boraxlösung zu reinigen und dann eine zweiprocentige Lösung 
mit Vaseline mittelst Haarpinsel anzuwenden oder auch eine solche Lösung 
als Spray zu gebrauchen. Wenn der Patient das Mittel ohne den Arzt an- 
wendet, dann verordnet er eine vierprocentige Mischung alle zwei Tage zu 
gebrauchen. Innerhalb 2—6 Wochen verbürgt er eine vollständige Heilung 
der Röthe, Congestion, der Anschwellung sowie des Katarrhs der Nasen¬ 
schleimhaut. Bo. 

— Ueber Simulo (Früchte von Capparis corriacea am Kap einheimisch' 1 
als Antepilecticuin und Antihystericnm berichtet Eulenburg in den 
Therapeut. Monatsheften, dass nach seinen Erfahrungen die Simulotinctur 
als Antepilecticum für nicht gerade gänzlich wirkungslos anzusehen ist. 
dass dieselbe jedoch nicht entfernt den Brompräparaten gleichzustellen ist. 

_ S. G. 

XII. Ueber den modernen Stand der 
Immunitätsfrage. 

II. Sahli in Bern fasst in einem Vortrage: über den modernen 
Stand der Immunitätsfrage l ) die durch die bacteriologischen Arbeiten 
der letzten Jahre gewonnenen neuen Gesichtspunkte zusammen und geben 
wir dieselben in ihren wesentlichen Zügen wie folgt wieder: Unter der Be¬ 
zeichnung Immunität verstehen wir in der Lehre von den lnfections- 
krankheiten jenen Zustand, welcher den betreffenden Organismus un¬ 

empfänglich gegen eine bestimmte Infectionskrankheit macht. Die Immuni¬ 
tät kann primär oder angeboren sein und der Species, der Rasse 

oder blos einzelnen Individuen anhaften. Die gesammte Thierwelt besitzt 
Speciessimraunität gegen Syphilis. Die Berberschafe sind gegenüber anderen 
Schafrassen, wenn auch nicht absolut, so doch relativ immun gegen Milz¬ 
brand. Ueber die individuelle Immunität hat der Arzt bei jeder Epi¬ 
demie Gelegenheit Erfahrungen zu sammeln. Es giebt Krankheiten 

(Pocken, Masern), für welche eine primäre Immunität entweder gar nicht 
oder doch sehr selten vorkommt, bei denen aber dafür die durch ein¬ 
maliges Ueberstehen der Krankheit erlangte sogenannte erworbene 
Immunität eine um so grössere Rolle spielt. Wie erklärt sich die 
erworbene Immunität durch einmaliges Ueberstehen einer 
Infectionskrankheit? Heilung und lmmunisirung in ihrem Wesen sind 
eigentlich identische Vorgänge, da in den meisten Fällen die Heilung 
einer Infectionskrankheit nur zu erklären ist durch gewisse Veränderungen 
des Organismus, welche dahin führen, dass die Pilze den Geweben nichts mehr 
anthun können. Man versuchte diese Veränderung des Körpers während der 
Heilung durch zwei verschiedene Theorieen zu erklären. Nach der einen 
Theorie entzieht die einmalige Invasion der pathogenen Pilze dem Körper dau¬ 
ernd gewisse zu ihrer Vegetation nothwendige Stoffe. Es ist dies die sog. Er 
schöpfungstheorie. Nach der anderen Theorie producirt die Bacterien- 
vegetation im Körper gewisse Substanzen. Diese chemische Veränderung des 
Körpers durch die betreffenden Giftstoffe sollte ebenfalls eine dauernde sein uud 
auch die spätere Immunität erklären. Dies ist die sog. Gifttheorie. Bei 
der Aufstellung dieser chemischen Theorieen von Heilung und Immunität 
übersah man, dass der Organismus keineswegs einem todtenCulturmedium an die 
Seite zu stellen ist. Näher liegt die Annahme, dass der Körper sich seiner Feinde 
durch gewisse vitale Eigenschaften seiner Elemente, der Zellen, im activem 
Kampf erwehrt. Letztere Auffassung kann man im Gegensatz zu dCr che¬ 
mischen als vitalistische Theorie bezeichnen. Der erste rationelle 
Versuch, diesen Kampf zwischen Körper und Pilz zu erklären, stammt von 

’) Schweizer Corresp.-Blatt vom 15. August 1888. Siehe auch Garre, 
diese Wochenschrift No. 33. 


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3 0. A qgast. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


727 


Metschnikoff'), welcher seine Beobachtungen zunächst an einer eigenthüm- 
lichen, durch einen Sprosspilz verursachten Krankheit der Wasserflöhe oder 
Daphniden machte und nachwies, dass, sobald Sprosspilzsporen in den Körper 
des Wasserflohs eindringen, sich Blutkörperchen um dieselben schaaren und in 
den günstig verlaufenden Fällen die Sporen iu ihr Inneres aufnehmen und dort 
zerstören, also, wie sich M. ausdriickt, die pathogenen Pilze direkt auffressen. 
(Phagocytismus oder Phagocyto.se, die agirenden Zellen Phagocyten 
oder Fresszellen). Bei Milzbrand, Erisypel und Recurrens, ja selbst bei 
Lepra und Tuberculose sollen gewisse Körperzellen, hauptsächlich aber nicht 
ausschliessich weisse Blutkörperchen als Phagocyten fungiren und durch Auf¬ 
fressen der Pilze den Kampf zum günstigen Abschluss bringen. In ungünstigen 
Fällen soll der Phagocytismus ausbleiben, bei Thieren mit erworbener Immu¬ 
nität soll er dagegen ganz besonders deutlich sein und so stark wirken, dass 
die Krankheit gar nicht ausbricht. Mschnikoff erklärt also mittelst der 
Phagocytenlehre sowohl Heilung als Immunität. Die letztere soll darauf 
beruhen, dass in dem einmal erfolgreich durchgeführten Kampf die Phago¬ 
cyten durch Uebung eine Kraft erlangt haben, die es ihnen ermöglicht, bei 
einem neuen Angriff die Bacterien sofort zu bewältigen. Damit ist nicht 
vereinbart, dass der Befund bactorienhaltiger Zellen bei Infectionskraukheiten 
doch im Ganzen ein recht dürftiger ist, und sehr häufig ist die Auffassung 
durchaus nicht ausgeschlossen, dass es sich dabei nicht um ein Aufgefressen¬ 
werden der Bacterien Seitens der Zellen, sondern iin Gegentheil um einen 
Angriff der Bacterien handelt. Durch die Aufnahme der Pilze in die Zelle 
ist für den Organismus erst dann etwas geleistet, wenn die Pilze hier defi¬ 
nitiv vernichtet werden und um dies zu erklären, müssen wir auch bei Zu¬ 
grundelegung des Phagocytismus gewisse vitale Desinfectioriskräfte in An¬ 
spruch nehmen. Es liegt am nächsten, anzunehmen, dass die Zellen die 
Pilze durch chemische Einflüsse vernichten. Wir müssen dann voraussetzen, 
dass die Wirkung der chemischen Stoffwechselproducte der Zellen da¬ 
durch erhöht wird, dass sie im Status nascens zur Wirkung gelangen. 
Man kann bei der Vernichtung von Pilzen im Körper auch an Fermentwir¬ 
kungen denken und die Anhänger der M etschnikoff'sehen Theorie be¬ 
dienen sich nicht selten der mit dein Begriff der Fresszellen eonformen Aus¬ 
drucksweise, die Pilze werden im Zellinnern verdaut. Bis jetzt fehlt es an 
dem Nachweise antiseptischer Fermente, d. h. solche, welche gegen lebendige 
Pilze wirken. Bei der Heilung der Infectionskrankhciten könnte es sich 
darum handeln, dass die antiseptischen Eigenschaften der lebendigen Zelle 
schliesslich die Oberhand gewinnen über die Pilze. Das Wesen der Immu¬ 
nität dagegen besteht darin, dass die Zellen durch den einmal durchge¬ 
führten Kampf in dieser ihrer antiseptischen Function durch Uebung so 
erstarkt sind, dass sie später eindringende Pilze gar nicht zur Entwickelung 
gelangen lassen. So sind die Erfolge der Schutzimpfung aufzufassen als 
das Resultat! systematisch geloitetcr Zollübung und die neugewonnenen 
Principien der Schutzimpfung beginnen mit Impfungen mit abgcsehwäch- 
tem Virus. Das zweite Princip ist das der Impfung mittelst einer ganz 
geringen und deshalb ungefährlichen Menge des unabgeschwach¬ 
ten Virus und das dritte endlich das der Einverleibung des ebenfalls un¬ 
geschwächten Virus an einer ungewöhnlichen und einen milden Ver¬ 
lauf bedingenden Körpersfelle (Rauschbrandimpfung) au der Schwanz- 
spitze, percutaue Variolation). Um nun gleichzeitig Gefahrlosigkeit, und 
Sicherheit des Impfschutzes zu erreichen, bedient man sich in manchen 
Fällen (gegen Milzbrand, Hühnercholera und Lyssa) der Methode der mehrfachen 
successiv stärkeren Impfung. Eine Impfung schützt hier jeweilen gegen die 
Gefahr der nächstfolgenden stärkern, bis schliesslich der volle Impfschutz 
erreicht ist. Daraus geht hervor, dass eine schwache Impfung auch nur 
schwach immunisirt, was merkwürdiger Weiso bei der prak¬ 
tisch wichtigsten Impfung, bei der Kuhpockenimpfung, meist 
vergessen wird. 

Die Lehre von den Schutzimpfungen ist durch neuere Arbeiten in ein anderes 
Licht gestellt und zwar durch die Versuche über Immunisirung durch ge¬ 
löst e c h e m i s c h c S u b s t a nz e n. R o u x und Chamberlan d 3 ) wiesen nach, dass 
man gegen malignes Oedcm, sowie gegen Rauschbrand Immunität auch durch 
Injection sterilisirter Oulturen des betreffenden Virus erzeugen kann, also 
es mit einer Wirkung der Stoffwechselproducte der Bacterien, der Ptomaine 
zu thuu hat, wobei dieselben nicht durch ihr Verbleiben im Körper, sondern 
nur dadurch wirken, dass sie im Stande sind, das Zellleben dauernd zu 
modificiren. Jedenfalls werfen die erwähnten Versuche ein bedeutsames 
Streiflicht auf die Genese der Immunität durch wirkliche Impfung. Die 
Stoffwechselproducte der Bacterien dürften wohl den Anlass geben zu der 
functionelleu Umprägung der Körperzellen Die Immunisirung auf che¬ 
mischem Weg besitzt praktisch eine sehr grosse Tragweite. Wenn es 
einmal gelingt die iminunisirende Ptomaine rein darzuseilen, so wird uns 
die genaue Dosirung dieser Substanzen die Immunisirung in exactester 
Weise ohne Impfverluste ermöglichen. 

Die durch Acclimatisation erworbene Immunität ist am bekanntesten 
für das gelbe Fieber und erklärt sich vielleicht durch eine andauernde Auf¬ 
nahme kleinster Virusmengen uud dadurch bedingte successive unmerkliche 
Impfung. Die in manchen Fällen scheinbar primäre Immunität dürfte in 
Wirklichkeit auf die erworbene zurückzuführen sein. 

Dieser interessanten Zusammenfassung des gegenwärtigen Standes der 
obigen Frage fügen wir die in der Sitzung der Academic des Sciences 
am 20. d. Mts- von Pasteur gemachten Mittheilungen an, nach welchen wir 
nunmehr auf Grund der Experimente des russischen Arztes Gamal eia eine 
zuverlässige Methode der Präveiitivimpfung der asiatischen Cholera haben. 
Gamaleia arbeitete nach den beiden jetzt geltenden Principien der ex- 

') Siehe diese i\o. p. 720: Schicksale der in den Thierkörper ein¬ 
geführten Mikroorganismen. 

2 ) Siehe diese No. p, 724: Roux et Chamberland, Immunite contre 
la septicemie conferee par des substances solubles. — Roux, Immunite 
contre le charbon symptomatique conferee par des substances solubles. An- 
nales de Pinstitut Pasteur. Decbr. 1887, fevrier 1888. 


perimentellen Methode, derjenigen der progressiven Virulenz und derjenigen 
der Immunisirung durch chemische Vaccine. Die gewöhnlichen Culturen 
der Choleravibrionen haben, wie Koch hervorgehoben, eine sehr geringe 
Virulenz, aber es ist leicht dieselben mit einer extremen Virulenz auszu- 
statten. Zu dem Behufe ist es nun nothwendig, den Choleravibrio nach 
seiner Passage durch das Meerschweinchen auf Tauben zu übertragen, welche 
Cholera sicca mit Exfoliation des intestinalen Epithels acquiriren und zu 
Grunde gehen. Gleichzeitig erscheinen die Mikroben im Blute der Tauben. 
Nach wenigen Passagen erhält der Choleravibrio eine solche Virulenz, 
dass das Blut der Tauben in Dosen von 1 bis 2 Tropfen alle frischen 
Tauben binnen 8 bis 12 Stunden tödtet. Dieses Gift tödtet auch in mini¬ 
malen Dosen die Meerschweinchen. Impft man eine Taube zweimal mit einer 
gewöhnlichen nicht virulenten Cultur: das erste Mal in die Peetoralmuskeln, 
das zweite Mal in die Bauchhöhle, dann ist die Taube gegen eine erneute 
mit dem extrem virulenten Blute ausgeführten Infection refraetär. 

Cultivirt man das Virus in Nährbouillon und erhitzt die Cultur auf 
120° während 20 Minuten, um alle darin enthaltenen Mikroben zu tüdten, 
dann constatirt man, dass in der sterilisirten Cultur eine äusserst active 
Substanz zurückgeblieben ist. Impft man mit dieser Substanz Tauben oder 
Meerschweinchen, dann tritt sofort ein Sinken der Temperatur und der Tod 
in 20—24 Stunden ein. Impft man jedoch die Quantität der den Tod 
bringenden Substanz statt auf einmal getheilt in 3—5 Tagen, dann tödtet 
dasselbe nicht mehr, sondern macht die geimpften Thiere refraetär gegen 
die Cholera. (Jamaleia glaubt, dass seine Schutzimpfung auch auf 
Menschen anwendbar sein müsse. Er drückt den Wunsch aus nach 
Paris zu kommen, um seine Versuche vor einer wissenschaftlichen Com¬ 
mission zu wiederholen, auch will er in ein von Cholera heimgesuchtes 
Band gehen, um an sich selbst die Schutzimpfung zu versuchen. Auf den 
Vorschlag Pasteurs, der von den Ausführungen Gamaleia’s vollständig 
überzeugt zu sein scheint, forderte die Akademie Herrn Gamaleia auf 
nach Paris zu kommen. Seine Denkschrift ist der Commission des Preises 
,Breant“ überwiesen, die für ein wirksames Choleramittel 200 000 Franken 
ausgesetzt hat. Nun, wir wollen es ruhig abwarten und uns gewiss der 
grossen Erfolge freuen. Allein mit dem etwas übereilten Tempo Pasteur’s, 
hält Koch und seine Schule nicht Schritt. — uud dies gewiss mit Recht, 
wie die Zurückweisung der angeblich mit der Schutzimpfung schon erzielten 
praktischen Erfolge auf dem letzten internationalen hygienischen Congress in 
Wien deutlich erwiesen hat, — und auchkeineswegs zum Schaden für das An¬ 
sehen der Wissenschaft, welche durch das methodische Vorgehen der durch 
Koch in Deutschland und in der Welt inaugurirten Schule vor Uebereilung und 
Enttäuschungen geschützt ist. S. Guttmann. 


Xm. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Der XVI. deutsche Aerztetag wird am 17. September h. a. 
in Bonn abgehalten. In der letzten Nummer des ärztlichen Vereinsblattes 
wird und mit vollem Recht über die Kürze der Zeit für die auf dem Aerzte- 
tage zu verhandelnden Gegenstände geklagt, und es dürfte an der Zeit sein, 
wenn die Arbeiten des Aerztages eine ergiebigere Förderung erfahren sollen, 
durch eine auf dem diesjährigen Aerztetage herbeizuführende bezügliche Be¬ 
schlussfassung nach dieser Richtung Wandel zu schaffen. 

Die zur Tagesordnung des 16. Aerztetages gestellten Anträge betreffen 
Kunstfchler, Ref. Deneke (Flensburg); Abänderungsvorschläge zum Kranken¬ 
kassengesetz, Ref. Busch (Crefeld); Regelung des Geheimraittelhandels; 
daran sollen sich, ohne zu weiteren Beschlüssen zu führen, die Erörterung 
über das Verhältnis des Staates zu den ärztlichen Standesvertretungen, die 
Stellung der Aerzte zum Unfallversicheruugs- und in Verbindung damit zum 
Entwurf des Alters- und Invalidenversicheruugsgesetzes schliessen. Zu den 
ersten beiden Gegenständen der Tagesordnung liegen eingehende orientirende 
Artikel in letzter Nummer des Aerzte-Vereinsblattes vor. Zu der bevor¬ 
stehenden Abänderung des Krankenkassengesetzes bleibt vor Allem, wie das 
A.-V.-Bl. ausführt und worauf auch wir hingewiesen haben, zu bedauern, 
wenn in der Commission, welche die Abänderung berathen bezw für die Ge¬ 
setzgebung vorbereiten soll, wieder derjenige Stand unvertreten bleibt, der 
für wichtige Theile des Stoffes sachverständig ist und der ausserdem in seinen 
ganzen Lebensverhältnissen so tief von dem Gesetz berührt wird, der Stand 
der Aerzte. 

— Die 17. Generalversammlung des deutschen Apothekervereins zu 
Berlin findet am 10., 11. und 12. September 1888 in den Räumen der Ge¬ 
sellschaft zur Unterhaltung, Oranienburgerstr. 18, statt. 

— Frankfurt a. M. Herr Dr. Sioli, bisher Direktor der Prov.-Irren 
anstalt zu ßunzlau, bekannt durch seine literarische Thätigkeit, seine Ver¬ 
dienste um die familiäre Irrenpflege und sein Organisationstalent, ist die 
Chefarztstelle der hiesigen städtischen Irrenanstalt übertragen worden- 

— Nürnberg. Medicinalrath Dr. Merkel in Nürnberg hat die Be¬ 
rufung zum Direktor des Hamburger Krankenhauses abgelehnt. 

— Paris. Dujardin-Beaumetz ist. mit der Mission betraut worden, 
in den grosseu Krankenhäusern Russlands und an den Hauptcentren des 
inedicinischen Unterrichts dieses Landes die Bchandlungsweise und die Fort¬ 
schritte der Therapie zu studiren. — Viault (Bordeaux) ist mit dem Auf¬ 
träge betraut die Einrichtungen des Unterrichtes in Spanien zu studiren. 

— Budapest. August Trefort, Königl. ungarischer Minister für 
Cultus und Unterricht, der sich speciell um das Aufblühen des medicinischen 
Unterrichts und der öffentlichen Gesundheitspflege in Ungarn die grössten 
Verdienste erworben hat, ist im Alter von 72 Jahren gestorben. 

— Zum nächstjährigen Versammlungsort der Deutschen anthropo¬ 
logischen Gesellschaft ist Wien gewählt worden. Die Zeit der Ver¬ 
sammlung soll in den September verlegt werden. Zum ersten Vorsitzenden 
ist Geh. Rath Virchow, zum zweiten Geh. Rath Waldeyer und zum 
dritten Vorsitzenden Geh. Rath Schaffhausen gewählt worden. 

— Der erste Congress amerikanischer Aerzte und Chirurgen findet vom 
18.—20. September in Washington statt. 


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728 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35 


— Die Accaderaia roedico-fisica fiorentina hat folgende Preisfrage aus¬ 
geschrieben: „Die Chirurgie des Gehirns, des Rückenmarks und 
deren Umhüllungen.“ Die Prämie für die beste diesbezügliche Arbeit 
ist auf 500 Krcs. festgesetzt. Die Arbeiten müssen entweder in italienischer 
oder französischer oder lateinischer Sprache verfasst sein. — Nach den testa¬ 
mentarischen Bestimmungen des verstorbenen italienischen Arztes Toina- 
soni ist für das Jahr 1889 ein Preis von 5000 Lire demjenigen Autor zu¬ 
gesichert. welcher die beste Arbeit über die historische Entwickelung 
der experimentellen Methode in Italien schreiben wird. — Die Societe 
d’Hvgiene in Bordeaux hat für die beste Arbeit über ein bestimmtes hygie¬ 
nisches Thema einen Preis von 500 Frcs. für das Jahr 1889 ausgeschrieben. 
-- Die medicinisch-chirurgische Gesellschaft des (’anton’s Bern stellt fol¬ 
gende Preisfrage: „Inwieweit sind die Vorwürfe wegen Ueberbürdung der 
Kinder in den Schulen eines bestimmten schweizerischen Territoriums vom 
ärztlichen Standpunkt aus gerechtfertigt?“ Für die Präraiirung der ein¬ 
gehenden Arbeiten steht eine Summe von 800 Fr. zur Verfügung. 

— In Rom wird demnächst eine italienische Gesellschaft für 
innere Medicin gegründet, welche sich die Aufgabe stellt, die praktischen 
wie wissenschaftlichen Interessen der inneren Medicin durch Abhaltung von 
Congressen zu fördern. Unter den Förderern dieser Gollschaft befinden 
sich Baccelli, Cantani. Bozzolo, de Ronzi, Cardarelli u. a. Un¬ 
verkennbar ist diese Neubegrüudung eine weitere Folge des Anstosses, 
welchen Leyden mit der Gründung des Vereins für innere Medicin gegeben 
hat. Der erste Congress wird in diesem Jahre vorn 15. —18. October in Rom 
tagen. Von den bereits angekündigten Vorträgen sind zu nennen: l'eber 
Diabetes und dessen Behandlung (lief.: Prof. Cantani): Ueber die Aetio- 
logie und Therapie der Pneumonie (Ref.: Prof. Bozzolo und Prof. Mara- 
gliano): Zur Behandlung der Tuberculose (Ref.: I)r. de Renzi und I)r. 
Riva); Ueber Fieber und Antipyrese (Ref.: Dr. Murri und Er. Rossoni): 
Ueber die Therapie der Herzkrankheiten (Ref.: Dr. de Giovanni und Dr. 
Rum rao). 

— Der hundertjährige Gedenktag Buffon’s wird in seiner Vaterstadt 
Montbard feierlich begangen werden. Die Academie des Sciences ist zu der 
geplanten Feier eingeladen worden. 

— Prof. Cantani wurde von der Academie de medicine zum corre- 
spondirenden Mitgliede ernannt. Von fremden Gelehrten sind jetzt corre- 
spondirende Mitglieder: Helmholtz, Hyrtl, Donders, Brown-Sequard, 
Beneden. 

— Aus Untersuchungen über die Verbreitung ansteckender 
Krankheiten durch Leihbibliotheken ergab sich, dass ein zwei¬ 
tägiges Einlegen dieser Bücher in UOgrädigen Spiritus, welcher 10 Procent 
reine Carbolsäure enthält, ausreicht, um alle vorhandenen Pilzkeime zu 
tödten, ohne dass die Bücher dadurch geschädigt werden. Es ergiebt sich 
hieraus, dass die Gefahr der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch 
das Ausleihen von Büchern sehr gering ist. Es empfiehlt sich aber, jedes 
solcher Bücher vor dem Lesen abzustäuben und auszuklopfeu. und jeden 
falls die Seiteu des Buches stets mit trockenem Finger umzuwenden, niemals 
dagegen den Finger zur Erleichterung des Umwendens mit dem Munde zu 
benetzen. 

— Die von Dr. Engel in Kairo heraasgegebene wöchentliche Statistik 
des Gesundheitsamtes weist für die letzte Juliwoche einen unerhörten 
Procentsatz von Sterbefällen auf. In Kairo starben vom 20. bis 26. Juli 
574 Personen, davon die Hälfte an Magenkrankheiten. Von deu 574 Ver¬ 
storbenen waren indess 438 Kinder bis zu fünf Jahren. Die aussergewöhn- 
liche Hitze, welche Wärmemaxima bis 40 u C erreichte wird als Hauptgrund 
dieser entsetzlichen Verhältnisse angesehen. 

— Der Gesundheitsrath für das Seinedepartement hat auf Grund des 
von Olivier erstatteten Berichtes die Aufmerksamkeit der Schulärzte auf 
die mögliche Ansteckungsfähigkeit des Impetigo und Ecthyma bei den die 
Schule besuchenden Kindern gelenkt. 

— Vergiftung durch Brot. J. Robertson berichtet in „The 
Lancet“ über folgenden bemerkenswerthen Fall: Ein 40jähriger Mann und 
5 seiner Kinder im Alter von 8—18 Jahren erkrankten plötzlich unter den 
Symptomen einer acuten Intoxication, welches zweifelsohne auf deu Genuss 
schlechten Brotes zurückgeführt werden konnte, zumal die Frau des Hauses, 
wie jene Kinder, welche von dem Brote nicht gegessen hatten, gesund blieben 
Die Untersuchung der Brotreste ergab, dass dasselbe kein mineralisches Gift 
enthielt, wohl aber säuerlich und schimmelig war. Unter dem Mikroskope 
zeigten sich Mucor, Aspergillus, Penicillia und viel Sporen. Robertson 
ist der Meinung, dass mancher Fall acuter Darmkatarrhe mit dem Genüsse 
schlechten Brotes im Zusammenhänge steht. 

— Ueber den Einfluss der Schule auf die physische Ent¬ 
wickelung. Albitzki (Wratsch. 1887, No. 52, p. 997) kommt in einer 
ausführlichen Abhandlung auf Grund fleissiger Untersuchungen zu folgendem 
Resultat: „Die physische Entwickelung der Schüler vollzieht sich vorherr¬ 
schend in den schulfreien Sommermonaten. Der Einfluss der Schulzeit 
äussert sich hauptsächlich auf den Brustumfang und die Lungencapacität, 
deren Entwickelung während dieser Zeit fast still steht. Am ausgesprochen¬ 
sten ist dieser Einfluss in dem Herbstquartal. 

— Ein neues Fett, frei von allen störenden Begleitsub¬ 
stanzen. Schon lange war es das Bestreben, die festen vegetabilischen 
Fette so rein darzustellen, dass sie zu Speisezwecken benutzt werden könnten. 
Namentlich lud hierzu ein das in dem Mark der Cocosnuss enthaltene Fett 
(Oleum Cocois), weil seine Zusammensetzung derjenigen der Milchbutter am 
nächsten kommt. Schon Liebig hatte auf diese Thatsache hingewiesen. 
Grosse technische Schwierigkeiten standen indessen bisher einer Verwerthuug 
des Cocosnussöls zu genanntem Zweck entgegen. Erst in neuerer Zeit ist 
es einem Chemiker Dr. H. Schlinck in Ludwigshafen a. Rh. gelungen, aus 
den Cocosnüssen ein geruchloses Fett darzustellen, welches in praktischer 
Hinsicht als chemisch reines bet rächt et werden kann In Verbindung mit der 
Firma P. Müller <fc Söhne in Mannheim, wird das neue Verfahren von 


Herrn Dr. Schlinck fabrikmässig ausgeführt. Das Product dieser Fabrik 
enthält nach Analysen, welche von Geh. Hofrath Dr. R. Fresenius in 
Wiesbaden, dem chemischen Laboratorium der technischen Hochschule in 
Karlsruhe, u. A. vorgenommen worden sind: 

Fett. 99,979 

Wasser.U,O20 

Mineralstofle.0,001 

wobei constatirt wird, dass freie Fettsäuren und Mineralsäuren nicht vor¬ 
handen sind. Die Abwesenheit jeder freien Fettsäure und jedes ätherischen 
Ooles in diesem Fett macht es zu einem sehr bemerkenswerthen Nahrungs¬ 
mittel und Speisefett. Namentlich wird es überall zu empfehlen sein, wo 
Störungen der Verdauung eine sorgfältig ausgewählte Kost bedingen. Wie 
sehr es sich auch in dieser Beziehung bereits bewährt hat, bestätigt der 
Chefarzt der W iel’scheu Anstalten für Magen- und Darmleidende in Zürich, 
wo es ausschliesslich verwendet wird. Das Fett selbst, von den Fabrikanten 
Cocosnussbutter genannt, ist so rein von Geschmack, dass die damit be¬ 
reiteten Speisen keinerlei unangenehmen Beigeschmack haben und sich von 
solchen, zu deren Darstellung frische Milchbutter verwendet worden ist, 
nicht unterscheiden lassen. Aus diesem Grunde kann man es zur Bereitung 
aller Speisen, Bäckereien u. s. w. gebrauchen, und es wird vielleicht bald ein 
werthvolles Nahrungsmittel werden, weil sein Preis ein äusserst beschei¬ 
dener ist. 

— Universitäten: Bonn Geheime-Rath Prof. Dr. Clausius, der als 
Physiker auf dem Gebiete der Wärmelehre sich die hervorragendsten Ver¬ 
dienste erworbon hat, ist am 24. d. Mts. gestorben. — Stockholm. Der 
Physiker Prof. Erik Edlund ist im Alter von 63 Jahren gestorben. Der¬ 
selbe hat sich auf dem Gebiete der Elektricität wissenschaftliche Verdienste 
erworben. — Liverpool. Dr. M. A. Barrow ist zum Professor der Pathologie 
am University College ernannt. — Manchester. Dr. W. Hare ist zum Pro¬ 
fessor der Chirurgie am Owens College ernannt. — Amiens. Dr. Molien, 
bisher Professor der Anatomie, hat deu Lehrstuhl für klinische Medicin hierselbst 
erhalten. — Lille. Dr. Debierre erhielt die ordentliche Professur für 
descriptive Anatomie. — Poitier. Dr. Roland ist zum ordentl. Professor 
der Physiologie ernannt worden. — Budapest. Prof. Geza Antal hat die 
Abtheilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten erhalten. — Basel. Dr. 
F. Sieben mann hat sich als Privatdocent für Otiatrie und Laryngologie 
niedergelassen. — Gent. Dr. van Ermengen ist zum Professor der Hy¬ 
giene und Baeteriologie ernannt worden. — Dr. Poirier, Professor der 
innereu Pathologie und der Klinik der Hautkrankheiten und Syphilis an der 
medicinischen Facultät in Gent ist gestorben. — Padua. Dr. 0. Bassino 
ist zum Professor der chirurgischen Klinik ernannt. 

XTV. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem prakt. Arzt Dr. Böer zu Töpliwoda den Charak¬ 
ter als Sanitäts- Rath, sowie dem Oberstabsarzt I. 01. a. D. Dr Puhl mann 
zu Potsdam den Kgl. Kronenorden III. CI. zu verleihen. — Ernennung: 
Der prakt. Arzt Dr. Hansen zu Gramm ist zum Kreis-Physikus des Bezirks 
Gramm ernannt worden. — Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Seyler 
in Sternberg, Dr. Weber, Dr. Cr am er, Dr. Weinbaum ia Marburg, 
Dr. Ueberholz in Bieber, Dr. Albrecht in Sonnborn, Dr. Specht in 
Grumbach, Dr. Wolf in Baumholder. — Verzogen sind: Die Aerzte: 
Dr. Schnabel von Daun nach Breslau, Dr. Braschosz von Neumageu 
nach Oedt, Dr. Steding von Hannover nach Dannenberg, Dr. Oppermann 
von Berlin nach Hannover, Dr. Arends von Elzarh nach Norden. Er. Loe- 
ber von Battstadt nach Barchfeld. Dr. Heilbroun von Fulda nach Schlüch¬ 
tern. Dr. Stoll von Marburg nach Gladenbach. Dr. Mirbach u. Dr. Braun 
von Jena nach Marburg. Grevemeyer von Rchburg nach Sachsenhagen. 
Dr. Roth von Cassel nach Rinteln, Dr. Niggemann von Sonnborn, I)r. 
ßohrs von Hoyer nach W'ächtersbach, Ob. Stabsarzt I. CI. Dr. Kühne 
von Hofgeismar nach Charlottenburg, Ob. Stabsarzt II. CI. Dr. Nagel von 
Greifswald nach Hofgeismar, Dr. Meyer von Elberfeld nach Eitorf, Dr. 
Becker von Rosbach nach Waldbroel, Dr. Wink haus von Marburg nach 
Lüdenscheid. Dr. Voss von Hilchenbach nach Barmen. Marten von Stern¬ 
berg. Der Zahnarzt Metzger von St. Johann nach Saarlouis. — Ge¬ 
storben sind: Landphysikus a. D. Wiebalck in Ottemdorf, Dr. v. Rut- 
kowski in Gostgyn, Dr. Bremer in Laar, Dr. Budenbender in Kirchen. 
Dr. Franz Wolf und Dr. Schiffer in Berlin, Geh. Med.-Rath Prof. Dr. 
Rühle und Dr. Brach in Bonn, Geh. Sanitäts-Rath Dr. Voigt und Dr. 
Fricke in Hannover. Der Zahnarzt: Siedentop in Danzig. — Vacante 
S’tellcn: Oberamts-Physikat. Gammertingen, Kreis-Wundarztstelle Schroda, 
Kreis-Wundarztstelle Ohlau, die Kreis-Wundarztstellen der Kreise Flatow 
uud Borken, Kreis-Wundarztstelle des Kreiss Templin, Kreis-Wundarzt¬ 
stelle des Kreises Bomst, die Physikatsstellen Wehlau, Schildberg und 
Neutomischel, die Kreis-Wundarztstellen der Kreise Tilsit und Tuchei. 

2. Sachsen. (Corr-Bl. d. ärztl. Kr.- und Bez.-Ver. i. Kgr. Sachsen.) 

Verzogen: Dr. Dittrich von Grosschennersdorf nach llerrenhut. — Gestor¬ 
ben: Dr. C. P. Uhlig in W T olkenstein, Dr. L. Löhr in Zwickau, Dr. C. 
A. Hille in Dresden. _ 


3. Baden. (Aerztl. Mitth. a. Baden.) Ruhestandsversetzuug: 
Bez.-A. Med.-R. J. Goller in Wierioch unter Verl. d. Ritterkr. I. CI. des 
Ord. d, Zähringor Löwen. — Niederlassungen: Dr. A. Fix in Durmers¬ 
heim, Dr. Höninger (von luowrazlaw) in Pforzheim, Dr. Ph. Feld bausch 
in Mannheim, Dr. L. Fischer in Karlsruhe, Dr. C. E. II. Winkelmann 
in Langensteinbach, Arzt Berberich in Stühlingen, Dr. Longard in Mann¬ 
heim. — Verzogen: Dr. Roller von Odenheim nach Liedolsheim, Dr. 
Niemeyer von Villingeu nach~Odeuheim, Dr. Beck von Stühlingen nach 
Messkirch, Dr. Gut mann von Möhringen nach Donaueschingen. — Ge¬ 
storben: Der praktische Arzt S. Hermann in Mannheim. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld ln Berlin W. 


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Donnerstag JW 3G. 6. September 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner« 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Aus der medicinischen Klinik zu Zürich. 

Zur Symptomatologie und Pathogenese des 
Morbus Basedowii. 1 ) 

Von Dr. Armin Hnber, 

Secundararzt der medicin. Klinik in Zürich. 

Am 24. Januar 1888 wurde auf die medicinische Klinik des 
Herrn Professor Eichhorst eine Kranke mit Morbus Basedowii 
hereingeschickt, deren aussergewöhnliches Symptomenbild vielleicht 
beanspruchen darf, für kurze Zeit die Aufmerksamkeit auf sie zu 
lenken. Es liegt mir durchaus ferne, bei diesem Anlasse eine er¬ 
schöpfende Darstellung der Basedow’sehen Krankheit geben zu 
wollen, sondern mein Zweck ist lediglich der, einige Punkte etwas 
näher zu betrachten, die bei der Untersuchung unserer Kranken in 
die Auge fallen. 

Die Anamnese, wie sie klinisch aufgenommen wurde, ist folgeude: 
Emma G., 19 Jahr alt, Plätterin. Der Vater der Patientin starb in seinem 
47. Jahre an einem Schlaganfalle; Mutter und ältere Geschwister der Patientin 
leben und sind gesund. Pat. selbst will als Kind stets gesund und kräftig 
gewesen sein und hat keine Kinderkrankheiten durchgemacht. In ihrem 
13. Jahre litt die Kranke mehrere Monate an Bleichsucht, mit grosser 
Schwäche, vielem Herzklopfen und Schwindelgefühl. Dabei bestand sehr 
heftiges und häufiges Erbrechen, neben grosser Appetitlosigkeit. 

ln ihrem 15. Jahre traten die Menses bei der Patientin ein und 
damit wieder eine heftiger werdende Bleichsucht, an welcher Patientin in 
leichtem Grade immer noch litt. Die Periode trat stets unregelmässig auf 
(oft in Zwischenräumen von 8 Wochen) und war stets schwach und von 
kurzer Dauer. Oefters setzte dieselbe ein ganzes V* Jahr aus. 

Das jetzige Leiden der Patientin soll im Sommer 1884 seinen Anfang 
genommen haben. Die Kranke machte damals (im Juli) einen Ausflug. 
Sie wurde von einem Gewitter überrascht, sass dann in der Zugluft, nachdem 
sie ziemlich stark hatte laufen müssen, und glaubt sich dabei erkältet zu 
haben. Noch an dem gleichen Tage bekam sie einen „Krampf“ in der 
linken Hand, wobei sich die Finger zur Faust ballten. Patientin konnte 
bis zum Mittag des anderen Tages die Hand nicht öffnen. Noch in der 
gleichen Woche bemerkte Patientin beim Stricken ein Zittern ihrer linken 
Hand und verspürte auch häufig Schmerzen und Zuckungen in den Fingern 
derselben. Patientin konnte in der Folgezeit nicht mehr stricken und nähen 
wegen des andauernden Zitterns, fiel auch im Hause oft durch ihre Unge¬ 
schicklichkeit auf (zerbrach sehr viel Geschirr). Auch stellten sich in der 
Folgezeit Anfälle von tonischen und klonischen Krämpfen im linken Arm 
ein. Bald waren nur die Finger zur Faust geballt und die Hand konnte 
dann kurze Zeit nicht geöffnet werden, bald war der Arm in\ Ellenbogen- 
und Handgelenk maximal flectirt und vollständig steif in dieser Haltung, 
bald trat ein Zittern der Hand oder auch des ganzen Armes ein. Die An¬ 
falle traten in wechselnden Zwischenräumen (1—8 Tage) und dann immer 
zu mehreren an einem Tage ein. Eine Ursache für ihr Auftreten weiss Pa¬ 
tientin nicht anzugeben; geistige Aufgeregtheit und körperliche Anstrengung 
sollen dieselben nicht hervorgerufen haben, doch giebt die Kranke an, dass 
die Anfälle bei Regen und Kälte (dieselben Umstände, bei denen der aller¬ 
erste Anfall eingetreten war) häufiger gewesen seien. 

Im Frühjahr 1885 wurde Patientin von einer Freundin darauf aufmerk¬ 
sam gemacht, dass ihr linker Arm kürzer als der rechte und auch die linke 
Hand etwas kleiner als die andere sei. Patientin giebt zu, dass dies damals 
in der Tbat schon der Fall gewesen, aber nicht so auffallend wie jetzt. Im 
Mai 1885 consultirte Patientin einen Arzt, eben wegen dieser Verkürzung; 
dieser legte aber wenig Werth darauf und gab ihr etwas zum „Einreiben“. 
Der Zustand besserte sich in keiner Weise. Patientin wurde deshalb in 
der Folgezeit gar nicht mehr ärztlich behandelt. 

*) Nach einem Vortrag mit Demonstration, gehalten in der Gesellschaft 
der Aerzte von Zürich. 


Es fiel unserm Kranken im Jahre 1886 auf, dass das Heben des linken 
Armes über die Horizontale hinaus ihr unmöglich und der Versuch allein 
schon schmerzhaft war. 

Im Frühjahr 1887 bemerkte Patientin, dass die leichte Struma, die sie 
schon ziemlich lange besass, anfing zu schwellen. Sie machte deshalb Ein- 
i reibungen mit Jodsalbe. Herzklopfen bestand nicht in vermehrtem Maasse 
j und überhaupt nur bei Anstrengungen, wie Patientin es seit ihrer Erkrankung 
an Bleichsucht nicht anders gewohnt war. Auch soll ein Hervortreten 
der Bulbi damals nicht beobachtet worden sein. 

Im November 1887, als die Schwester der Patientin krank war und 
der Arzt in’s Haus der Patientin kam, wurde nun wieder eine Behandlung 
i derselben begonnen, vorerst mit dem faradischem Strome, später mit dem 
i constanten Strome, indem ein Pol in die Gegend der Halswirbelsäule, der 
andere 5 Minuten lang auf die Kreuzbeingegend und dann labil auf der 
Wirbelsäule aufgesetzt wurde. Inzwischen hatten sich noch Schmerzen in 
der Halswirbelsäule eingestellt. Es wurde der Patientin vom Arzte dauernde 
Bettruhe verordnet. Diese Behandlung wurde sieben Wochen lang fort¬ 
gesetzt, da aber die Kranke glaubte, dass sich ihr Zustand dabei verschlim¬ 
merte, wurde damit sistirt. Die Patientiu glaubte bemerkt zu haben, dass 
während dieser Zeit das Zittern in den Beinen zuerst aufgetreten sei, auch 
sollen jetzt der Umgebung die „grossen Augen“ unserer Kranken aufgefalleu 
sein. Patientin hat auch oft während dieser Zeit schlecht geschlafen, wurde 
viel durch schreckhafte Träume geweckt, ist auch einige Male in der Nacht 
aufgestanden, und im Hause herumgelaufen. 

Auch die Mutter unserer Kranken bestätigt vollständig die Aussage 
der Kranken, dass vor Allem neben dom Zittern eine ganz allmählige Ab¬ 
magerung des linken Arms, besonders in der Hand, aufgefallen sei, die erst 
sehr spät zu einer ganz allmählig und nicht hochgradig sich entwickelnden 
Schwäche in der Hand und im Arm geführt hätte. 

Druck auf die Muskulatur des linken Arms sei, wie die Patientin sagt, 
nie schmerzhaft gewesen, auch seien die Schmerzen im Arme, von denen 
sie gesprochen, nur jeweilen in Verbindung mit Zuckungen ganz vorüber¬ 
gebend aufgetreten. 

Status praesens. Wir haben es zu thun mit einer Kranken von 
mässig kräftigem Knochenbau, ziemlich gut entwickelter Muskulatur und 
i eher etwas stark entwickeltem Panniculus adiposus. 

Die Pat. fallt sofort auf durch einen erstaunten, fast entsetzten 
Gesichtsausdruck, dessen Aetiologie unzweifelhaft in einer Protrusio bulbi 
; mässigen Grades zu suchen ist. Der Exophthalmus ist beiderseitig gleich 
, stark entwickelt, von der Sclera sieht man beim Geradeausseheu unten 
I beiderseits etwa einen Streifen von 1 mm Breite. Incongruenz der Mit- 
I bewegung der Oberlider mit Veränderung der Visirebene (Graefe’s 
! Symptom) besteht nicht. Die Bulbi sind nach allen Seiten frei beweglich. 
Beide Pupillen sind gleich weit, reagiren gut, sind kreisrund. Die Skleren 
rein weiss. Conjunctiven von etwa normaler Injection. Der Augenhinter¬ 
grund erscheint intact, kein Arterienpuls wahrzunehinen. Die Gesichtshaut 
bietet mit Ausnahme reichlicher Epheliden kaum etwas Abnormes, Kopfhaar 
dünn, etwas spärlich, normale, beiderseits gleiche Wangenröthung. Paj. hört 
und sieht gut, nur giebt sie an, dass ihr beim Lesen häufig Schwarz vor 
den Augen werde, und dass sie dabei leicht ermüde. Die Zunge, dio 
gerade heraus gestreckt wird, zeigt leichte Zitterbewegungen. Was nun 
weiter an der Pat auffällt, das ist eine ganz bedeutende doppelseitige 
Struma, die links etwa Gänseeigrösse, rechts etwa Ilühnereigrösso erreicht. 
Beide Strumen fühlen sich derb elastisch, glatt an, Druck auf die rechts¬ 
seitige ist etwas schmerzhaft, aber nirgends Röthung der Haut wahrzunehmen. 
Ziemlich lebhaftes Carotidenhüpfen beiderseits. Um uns gleich nach dem 
dritten Merkmal der allbekannten Symptomentrias der Basedow’schen 
Krankheit umzusehen, nämlich der beschleunigten Herzaction, so ist der 
Spitzenstoss des Herzens sehr kräftig, hebend und verbreitert im 5. Inter- 
costalraum zu fühlen, am deutlichsten in der Mammillarlinie, aber nach 
links noch mindestens 2 cm über dieselbe hinaus zu verfolgen. 

Ueber der ganzen Herzgegend fühlt man einen kräftigen diffusen 
Herzstoss. Die grosse Herzdämpfung beginnt am oberen Rande der dritten 
Rippe, reicht nach rechts 3 cm über den rechten Sternalrand, nach links 
mit dem Spitzenstoss abschliessend, ebenso nach unten. Die Herztöne sind 
völlig rein, sehr kräftig. Der Radialpuls ist ganz bedeutend beschleu- 


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DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT 


No. 36 


nigt, ich zähle gegenwärtig 128 Schläge in der Minute, sodann ist der 
Puls etwas inäqual, es wechseln geringere und stärkere Elevationen, während 
die Reihenfolge der Pulse eine ziemlich regelmässige zu sein scheint. Die 
Füllung des Arterienrohres ist eine mässig gute. Ich habe mehrfach den 
Radialpuls sphygmographisch gezeichnet. Man sieht an dieser Curve, dass 
neben etwas inäqualer Beschaffenheit und doch etwas unregelmässiger 
Folge der Pulswellen derselbe kaum etwas Abnormes darbietet. 


Es fällt aber sofort bei unserer Kranken noch etwas auf, nnd das ist 
ein sehr lebhaftes, schnelles Zittern mit geringen Excursionen in beiden 
Armen und Händen, das bei ausgestrecktem Arm wohl am deutlichsten an 
den Fingerphalangen zu verfolgen ist, links ohne Zweifel etwas stärker als 
rechts Aber nicht nur an den oberen Extremitäten besteht dieser Tremor, 
sondern man kann ähnliches Zittern auch an den Beinen, selbst durch die 
Kleider hindurch, deutlich wahrnehmen 

Wenn die Pat. steht, zittert eigentlich die ganze Person, da sich eben 
der Tremor der Beine und Arme dem ganzen Körper mittheilt. 

Ich hätte aber keine Veranlassung gehabt, diese Kranke zu demon- 
strireu, würde die-elbe nicht noch ganz andere Störungen aufweisen, die ich 
ebenfalls als zu derselben Krankheit gehörend glaube auffassen zu müssen 
und die bereits in der Anamnese angedeutet wurden. 

Betrachten wir nämlich die beiden oberen Extremitäten, so springt in 
die Augen, dass der linke Arm etwas kürzer und vor Allem dünner 
ist als der rechte. 

Bei adducirtem Arm misst die Entfernung vom Process. corac. znm 
Epicondyl. ext. hum. rechts 26 cm, links 25. Vom Oberarm bis zum Capit. 
rad. rechts 22*/», links 21. Vom Epicondyl. int. zum Proc. styl, ulnae rechts 
22'/s, links 20,7 cm. Auch die linke Hand erscheint auffällig kleiner als 
die rechte. 

Der Umfang der Hand in der Höhe der Daumenbeuge gemessen, beträgt 
rechts 19, links 17,8 cm. Länge vom Cap. radii bis zur Spitze des Mittel¬ 
fingers rechts 18, links 17 cm. Umfang des Oberarms, in der Mitte (schlaffer 
Arm) recbts 23'/s, links 23 cm Umfang des Unterarms rechts 20,5, links 
18,4 cm. 

Der linke Deltoideus erscheint deutlich flacher als der rechte. Wenn 
man den linken Deltoideus zwischen die Finger nimmt, so ist derselbe 
deutlich dünner als der rechte, während der Panniculus zum mindesten so 
stark entwickelt ist als rechts. Im Biceps und Triceps sind Differenzen in 
ihrem Volumen mit Sicherheit nicht festzustellen. 

Dagegen fallt am linken Vorderarm schon durch die Inspection deut¬ 
lich die Atrophie auf und ergiebt sich auch bei der Palpation der Streck- 
wie Beugemuskeln. 

An der linken Hand fehlt der Daumenballen eigentlich vollkommen, 
während er rechts zwar vorhanden ist, aber ebenfalls nur geringe Entwicke¬ 
lung zeigt. Nicht nur, dass man an Stelle des linken Daumenballens eine 
convexe Hervorwölbung sieht, es besteht sogar eine muldenförmige Vertie¬ 
fung im Bereich des Metacarpus des Daumens, die direkt den Knochencontour 
des Daumenmetacarpus wiedererkennen lässt. 

Anch der Kleinfingerballen ist links sehr wesentlich schwächer ent¬ 
wickelt als rechts, doch nicht so völlig atrophirt wie der tbenar. 

Was die Mm. interossei anbetrifft, so verdeckt zwar das Fettpolster der 
Haut ein Erscheinen tiefer Gruben, allein beim Durcbtasten der Interosseal- 
gegend kann msn unschwer eine viel geringere Entwickelung der Interossei 
links erkennen als rechts. 

Auch die Finger erscheinen links unstreitig schlanker als rechts. 

Umfang der Basisphalanx des Mittelfingers links 5,6, rechts = 5,9bis 6,1 cm. 

Die Haut beider Arme sieht und fühlt sich auf beiden Armen voll¬ 
kommen gleich an. Normal temperirt. 

Pat. vermag mit dem rechten Arm im Schultergelenk, Ellbogen, Hand- 
und Fingergelenken alle Bewegungen auszuführen, doch fällt dabei der, schon 
früher erwähnte Tremor noch stärker auf und alle Bewegungen machen den 
Eindruck, als ob sie nur mit Mühe ausführbar wären und immer begleitet 
von kleinen Zitterbewegungen. 

Den linken Arm dagegen bringt Pat. nicht einmal bis zur Horizontalen. 
Die Scapula steht dabei ruhig. Zeichen von Serratuslähmung bestehen nicht. 

Beim Versuch passiv den Arm bis zur Senkrechten in die Höhe zu 
heben, äussert Pat. Schmerzen im Schultergelenk zu empfinden, ohne dass 
gerade Veränderungen in der Gelenksgegend wahrzunehmen wären. Es handelt 
sich wohl um geringe Gelenksveränderungen, die durch die Inactivität des 
linken Arms bedingt sein mögen. 

Active Beugung im linken Ellbogengelenk gelingt nicht vollkommen 
und auch partiell nur unter sehr starker Anstrengung und bedeutend stär¬ 
keren Zitterbewegungen als rechts. Zudem fällt bei dieser Beugung auf, 
dass dabei die Kranke aufs Energischste die Hand hyperextendirt, wenn die 
Beugebewegung bei pronirtem Vorderarm vor sich geht, und ebenso intensiv 
volarflectirt, wenn die Hand in Supinationsstellung gehalten wird. 

Pro- und Supination können, wenn auch langsam and unter Anstren¬ 
gung, ausgeführt werden. 

Dorsal- und Volarflexion der Hände kann links wohl gerade so gut aus¬ 
geführt werden wie rechts, aber der Tremor ist dabei links stärker. 

Bildung der Faust ist links nicht möglich, indem vor Allem die Grund¬ 
phalangen der Finger fast gar nicht gebeugt werden und der Daumen auch 
nicht bis zur Berührung dem zweiten Finger genähert werden kann. 

Pat. kann links die Finger nicht spreizen, ebensowenig bei gestreckter 
wie bei gebeugter Grundpbalanx. 


Die Muskeln des linken Hypothenar sind, fast vollkommen gelähmt, nur 
noch eine Spur von Abduction möglich, während Flexor und Opponens 
digit. V. völlig gelähmt sind. 

Die Muskeln des Daumenballens links sind vollkommen gelähmt: Pat. 
kann den Daumen weder bei gebeugter erster und gestreckter zweiter Pha¬ 
lanx nach vorn und innen stellen, noch bei gestreckter erster und leicht ge¬ 
beugter zweiter an die Aussenfläche des zweiten Fingers anlegen, noch kann 

endlich der Metacarpus des Daumens so 
nach vorn und innen gestellt werden, dass 
er demjenigen des zweiten Fingers direkt 
gegenüber steht (M. opponens Wirkung). 

Pat. hält den linken Daumen meistens 
in die Hand eingeschlagen, es gelingt ihr, 
denselben etwa in eine mittlere Adduc- 
tion8steIlung zu bringen und auch die 
Endphalange zu strecken und zu beugen. Andere Daumenbewegungen 
können überhaupt nicht ausgeführt werden. 

Der Extensor pollic. longus et brevis sind völlig gelähmt, ebenso der 
Abductor und Adductor pollicis. 

Schreibfederstellung der linken Hand ist nicht möglich. 

Der Händedruck ist links äusserst schwach, rechts stärker, aber auch 
viel zu gering im Verhältniss zur Constitution der Kranken. Ebenso ist 
links der Widerstand, der einer Beugung oder einer Streckung des Armes 
entgegengehalten wird, ein äusserst geringer. Die Sehnenreflexe sind am 
linken Arm zum Mindesten so stark ausgebildet wie rechts. Alle Gelenke 
sind vollkommen schlaff. Nirgends Andeutungen von Contracturen. Bei der 
Sensibilitätsprüfung zeigte sich, dass, wie ich hier gleich der weiteren Unter¬ 
suchung vorwegnehmen will, eine geringe Hemianästhesie nicht nur im 
Bereiche des linken Armes, sondern der ganzen linken Körperhälffe 
besteht. 

Was nun die Verhältnisse an den Beinen anbetrifft, so lässt sich durch 
das Auge so wenig wie durch das Maassband irgend eine Differenz in der 
Länge oder im Umfang des rechten und linken Beines erkennen. Die Beine 
zeichnen sich aus durch fettreiche Haut und gute, derbe Muskulatur. Was 
aber auch hier wieder sofort auffällt, das ist einmal derselbe Tremor, dem 
wir schon an den Armen begegnet sind und der besonders zu Tage tritt, 
wenn Pat. entweder im Bett aufsitzt oder auf einen Stuhl sitzt oder steht, 
oder aber im Bette liegend das eine oder andere Bein erheben will. 

Und andererseits fallt auf, dass Pat. beide Beine nicht ad maximum 
erheben kann, sondern nur etwa gegen 30—40 cm von der ßettunterlage, 
und dass die Beuge- und Streckbewegung in den Knieen sehr langsam 
und mit bedeutendem Tremor vor sich gehen. Diese allgemeine Schwäche 
in beiden Beinen ist ungefähr rechts und links dieselbe, ebenso ist der 
Widerstand, der dem passiven Beugen und Strecken der Beine entgegenge¬ 
bracht wird, ebenfalls links und rechts in gleich bedeutendem Maasse her¬ 
abgesetzt. Die Bewegungen in Fuss- und Zehengelenken sind vollkommen 
frei. Auch Peroneusbewegung links und rechts ausgiebig möglich. Nirgends 
Zeichen von Muskelsteifigkeit. 

Die Patellarsehnenreflexe sind beiderseits gleich stark, normal, ebenso 
Dorsalclonus und Fusssoblenreflex. Pat. kann gut gehen. Der Gang ist 
durchaus nicht spastisch. 

Die elektrische Prüfung der gelähmten atrophischen Muskeln wurde 
mehrmals ausgeführt und ergab folgendes Resultat: 

An den Nervenstämmen (am Oberarm gereizt) besteht links gegenüber 
rechts faradische und galvanische Herabsetzung der Erregbarkeit. Dasselbe 
Resultat bei direkter Reizung der nur wenig atrophirten Muskeln. Dagegen 
exquisite Entartungsreaction mit Spuren von direkter galvanischer Reaction 
in Form träger ASZ bei starken Strömen und völligem Erloschensein ba¬ 
discher Erregbarkeit im Flex. digit. subl. und dem Flexor digit. minim., voll¬ 
ständiges Erloscbensein der duckten galvanischen und faradischen Erregbar¬ 
keit in don Muskeln des Daumenballens und der Interossei. 

Lungen und Abdominalorgane zeigen nichts Besonderes. 

Liegt Pat. zu Bett, so ist sie eigentlich keinen Moment ruhig, sondern 
wirft sich fortwährend von der einen Seite zur anderen, richtet sich auf, 
legt das Kisseu anders, macht sich irgend was zu schaffen, sie zeigt, kurz 
gesagt, hochgradigste körperliche Unruhe, aber ohne dass irgend einmal 
incoordinirte Bewegungen constatirt werden könnten. 

Im Allgemeinen ist die Stimmung der Kranken eine heitere, doch hat 
sie sich auch des Oefteren auf der Abtheilung gezankt und überhaupt ein 
sehr reizbares Wesen zur Schau getragen. 

Die Kranke hat wenig Appetit, viel Durst, der Schlaf ist sehr aufgeregt 
wegen eines unbestimmbaren Angstgefühls, und klagt Pat. viel über Kopf¬ 
schmerz und häufiges Ohrensausen. 

Die Diurese ist normal, der Harn ist eiweiss- und zuckerfrei. Es be¬ 
steht Neigung zu Obstipation. 

Am 1. Tag, als Pat. hereinkam, hatte sie Fiebertemperaturen bis 38,3, 
am 2. Tage noch 37,6 als Max., seither nur noch ein einziges Mal 37,8, 
sonst immer Temperaturen unter 37,5. 

Auswärts soll die Kranke, sowohl nach ihren eigenen Aussagen, als 
auch denjenigen des behandelnden Arztes, ohne sonstige nachweisbare Ur¬ 
sachen, öfters und sogar hoch gefiebert haben. 

Die Pulsfrequenz schwankte zwischen 90 und 160 Schlägen in der Mi¬ 
nute, meist betrug sie 112—120. 

Als Pat. aufgefordert wurde zu schreiben vor den Augen des Arztes, 
und nachdem gerade eine genaue Untersuchung der Kranken vorge¬ 
nommen worden war, brachte sie unter hochgradigem Zittern der Hand nach¬ 
stehende Schriftprobe (I) zu Stande, während sie acht Tage früher iu aller 
Ruhe dieses zweite Schriftstück (II) geliefert hatte, an dem man kaum eine 
Spur von Tremor wahrnehmen kann. 


FiK l. 





Pulscurve du Radiatis du Emma G. (120 Pulse). 


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6. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


731 



Schriftprobe I: Emma Gnggeob&hl von Uitlkon. 





Schriftprobe U. 

Wenn wir in wenig Worten die Resultate unserer Untersuchung 
zusammenstellen, so haben wir es mit einem bald 20 jährigen Mäd¬ 
chen zu thun, das früher mit Ausnahme von Bleichsuchterscheinun¬ 
gen stets gesund gewesen, das dann im Sommer 1884 nach Erkäl¬ 
tung mit eigeuthümlichen Krampfzuständen 
und Zittern und ganz allmählicher Ab¬ 
magerung und Schwäche im linken Arm, 
besonders der Hand, erkrankte. Im Verlauf 
dieser Veränderungen am linken Arm stell¬ 
ten sich dann im Frühjahr 1887 stärkere 

Schwellung der früher nur geringen und we- zittercurv 

nig beachteten Struma ein; im Herbst 1887 fielen die „grossen Augen“ i 
der Kranken der Umgebung auf, die Kranke fing jetzt auch an in I 
den Beinen zu zittern; fortwährende Verschlimmerung des Zustandes, j 

Gegenwärtig zeigt Patientin bedeutende Struma, Exophthalmus, 
Tacbycardie, leichte Fieberbewegungen, allgemeine psychische Er- : 
regtbeit, Tremor und Schwäche in allen Extremitäten, linksseitige 
Hemianästhesie; exquisite Atrophie und Lähmung in bestimmten 
Muskeln des linken Arms. 

Dass wir es in diesem Falle mit Morbus Basedow, zu thun 
haben, darin wird man sicherlich mit mir einig gehen. 

Ueber die drei bisher in der Literatur immer wieder urgirten 
und breit getretenen Cardinalsymptome des Exophthalmos, der 
Struma und der Tachycardie gehe ich nicht weiter ein, sie liegen 
ja hier zu Tage. Dagegen sind wir einem Symptom begegnet, auf 
das erst in neuester Zeit die Aufmerksamkeit gelenkt wurde und 
das ist der allgemeine Tremor. 

Charcot hat zuerst auf dieses Symptom aufmerksam gemacht, 
das bald eine, bald alle Extremitäten befallen kann. 

Marie 1 ) hat dann im Jahre 1883 dieses Zittern genauer studirt, 
es ist nach ihm eines der häufigsten Symptome der Basedow’schen 
Krankheit. Bei der graphischen Darstellung dieses Zitterns hat 
Marie gefunden, dass die einzelnen Schwingungen sich in gleicher 
Schnelligkeit folgen, dass sie kleine Perioden der Zu- und Abnahme 
in der Grösse zeigen, und dass ungefähr 8—9 Oscillationen auf die 
Secunde kommen. 

Marie kam zu dem Schlüsse, dass Zittern ein sehr häufige«, 
wahrscheinlich coustantes Symptom des Basedow darstelle, dass 
dieses Zittern seine charakteristischen Symptome habe, dass Exoph¬ 
thalmos und Kropf zur Charakterisirung des Morbus Basedow, nicht 
nothwendig seien, dass hingegen andauernde Tachycardie und Zittern 
(ohne dass dabei Temperatursteigerung bestehe) bereits allein die 
Diagnose Morbus Basedow, sehr wahrscheinlich machen. 

Vor l 1 /* Jahren wurde auf unserer Klinik ein 46 jähriger Buch¬ 
drucker behandelt, der bezüglich dieser 4 Symptome eigentlich ein 
Ebenbild der Patientin von heute genannt werden muss: Dieselbe 
Struma, derselbe Grad von Exophthalmos, dieselbe Tachycardie, 
derselbe Tremor. 


Ich versuchte damals diesen Tremor graphisch darzustellen und 
ich zeige hiervon 2 Curven herum, die so gewonnen wurden, dass 
ich den Marey’schen Sphygmographen auf dem Handrücken auf¬ 
setzte und nun den Hebel desselben die Zitterbewegungen auf dem 
vorbeirollenden berussten Papier aufzeichnen Hess. Man kann hier 
die überaus schnellen, in ihrer Höhe und Ausbildung mit Marie’s 
Beschreibung übereinstimmend zu Gruppen angeordneten, in ihrer 
Frequenz auffällig gleichmässigen Zitterausschläge erkennen. 

Ich berechnete, da Inir die Zeit der Abwickelung des Papier¬ 
streifens bekannt war, die Frequenz der Zitterbewegungen und fand 
in völliger Uebereinstimmung mit Charcot und Marie dieselbe 
zwischen 8—9 in der Secunde schwankend. 

Genau dieselbe Curve gewann ich von unserer heutigen Kran¬ 
ken. Es dürfte schwer fallen, dieselbe von derjenigen des früheren 
Patienten zu unterscheiden. Auch hier ist die Frequenz dieselbe: 
9 Zuckungen in der Secunde. 

Es ist also zu ersehen, dass man iu der That diesem Tremor 
in dem Symptomenbild des Morbus Basedow, eine ganz bedeutende 
Rolle einräumen muss, so dass damit eigentlich bereits die klassische 
Symptomentrias zu Fall gebracht ist. 

Fig. 3. 




K 



eu vom linken Vorderarm der 19jährigen Emma G. SU 1. ISS». 

Unsere Patientin zeigt aber noch eine weitere Symptomengruppe, 
bei der wir schon stutzig werden müssen, ob wir sie überhaupt dem 
Krankheitsbild der Basedow’schen Krankheit ein verleiben dürfen: 
Es ist dies die ausführlicher geschilderte Atrophie und 
Lähmung einzelner Muskeln im Bereich des linken Armes. 

Als wir die Literatur zu Rathe zogen, waren wir überrascht 
von einigen Beobachtungen aus der neuesten Zeit, die grosse Aehn- 
lichkeit mit unserem Falle zeigten, so dass wir in der That glaubeu 
nicht anstehen zu dürfen, dieses Symptom ebenfalls dem Morbus 
Basedow, gutzuschreiben. 

So berichtet Ballet 1 ) über die Combination von Lähraungs- 
erscheinungen mit Morbus Basedow. In einem Falle seiner Beob¬ 
achtung trat Lähmung erst im einen, dann im andereu Bein ein, 
ohne Sensibilitätsstörungen. Ferner citirt er Fälle aus der Literatur, 
in denen Schwäche des rechten Arms, Parese der rechten Glieder 
mit klonischen Zuckungen bestanden hatten. Auch hätten in an¬ 
deren Fällen ausser Lähmung Sensibilitätsstörungen — Hemian¬ 
ästhesie, Hyperalgesie bestanden. Ballet meint, dass es ausser dem 
gewöhnlichen Morbus Basedow., einer Neurose, möglicherweise eine 
zweite Form der Krankheit gebe, bei welcher organische Störungen 
in der Oblongata und in der Brücke vorliegen. 

Ferner hat Silva 2 ) einen Fall von Basedow beobachtet, der 
mit Muskelatrophie, besonders der Interossei, complicirt war. Diese 
Atrophie fasst der Autor als Trophoneurose auf. 

Dreyfus-Brisac 3 ) stellt die Motilitätsstörungen, die im Ver¬ 
lauf des Morbus Basedow. Vorkommen, zusammen und äussert sich 
darüber folgendermaassen: 

Bald handelt es sich um mehr oder weniger vorübergehende 
Hemiplegieen, bald um eine unvollständige Paraplegie der Beine, 
bald endlich sind es umschriebene Paresen, im Gesicht zum Beispiel 
(Potain, Rosenthal) oder der oberen Extremität (Oardarelli); 
oft verbinden sich mit motorischen sensible Störungen (Anästhesie) 
oder trophische Erscheinungen, wie Atrophie gewisser Körperab¬ 
schnitte. 

Der genannte Autor führt dann eine eigene Beobachtung an, 
in der eine Frau durch Erkältung während der Menses neben 
Struma, Tachycardie und Exophthalmus, Parese des rechten Arms 
bekam, mit fast ununterbrochenem Zittern, Attaquen von Contrac- 
turen in beiden Händen, Atrophie vom rechteu Vorderarm, vom 
Daumen- und Kleinfingerballen und der Interossei. Die Sensibilität 
war im ganzeu Bereiche des Ulnaris vermindert. Seine Muskeln 
reagirten weniger auf den galvanischen Strom. Uuter Gaben von 
Antispasmodica trat Besserung der Herzpalpitationen, der Struma 
und der Glotzaugen auf. 

Dreifus-Brizac kommt zu dem Schlüsse, dass erst eine reich¬ 
liche Casuistik das Urtheil werde fällen können, ob wir es beim 
Morb. Basedow, mit einer Neurose oder einer Läsion der Medulla 
oblong, oder bald mit dem einen, bald mit dem anderen zu thuu 
haben. 


Flg. L Zittercuiveu vom llnkeu Haaü rucken des 46jaariKeu Jacob K. L’i. ui. iööo. 


*) Contribution a l’etude et au diagnostic des formes frustes de la 
maladie de Basedow, Paris, aux bureaux du „Progres medical“. 


*) Ueber einige centrale Störungen bei Morbus Basedow. Revue de 
tned. III 1880 ref. Schmidt’s Jahrb. Bd. 202 p. 22. 

*) Sul morbo di Basedow, Gaz. delle Clin. II. 1885, ref. Schmidt’s 
Jahrbüchern Bd. 210, p. 32. 

®) Gazette hebdomadaire de med. et de chir. Tome XXII, 1885. p. 271. 


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732 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36 


Du Cazal 1 ) hat eine 53jährige Frau an Basedow behandelt, 
die allgemeine Muskelatrophie im Gesicht, Rücken, Brust und Ex¬ 
tremitäten zeigte, neben Zittern und den drei anderen Symptomen. 

Cazal glaubt in diesem Falle wirklich, dass eine Affection des 
Bulbus rachit. und des Pons bestehe. 

Cardarelli' 2 ) sah bei einer an Basedow leidenden Frau neben 
sonstigen nervösen Symptomen Atrophie der Handmuskeln und bei 
einem 12jährigen Knaben zu gleicher Zeit mit Basedow alle Sym¬ 
ptome der Pseudohypertrophia musculorum. Endlich theilt Jendras- 
sik 3 ) 2 Fälle von Morbus Basedow, mit, die mit Oculomotorius- 
und Facialislähmung complicirt waren, so dass der Autor überzeugt 
ist, dass der Morbus Basedow, seinen Sitz habe in der grauen Sub¬ 
stanz des verlängerten Marks, höchst wahrscheinlich in der Höhe 
des 7. Kernes, jedoch abgesondert von den Kernen der Gehirnnerven. 

Dies die dürftige aber immerhin sprechende Literatur über 
solche motorische Störungen bei Basedow! 

In unserem Falle sind wir offenbar auch berechtigt, die be¬ 
schriebenen Veränderungen im linken Arm als centrale Verände¬ 
rungen aufzufassen, die die grösste Aehnlichkeit haben oder wohl 
identisch sind mit denjenigen, welche bei der reinen spinalen pro¬ 
gressiven Muskelatrophie auftreten. Nur fibrilläre Muskel¬ 
zuckungen haben wir vermisst, ob sie aber zu Hause bestanden 
haben, wissen wir nicht. Die sensiblen Störungen müssen wir, da 
ja eine allgemeine Hemianästhesie besteht, wieder trennen von den 
atrophischen Zuständen, und die Hemianästhesie eben als ein Sym¬ 
ptom für sich, das sich den anderen Symptomen des Basedow hinzu¬ 
gesellt hat, betrachten. Hat doch auch Ballet (1. c.) Fälle von Fendi 
und Panas citirt, in denen Hemianästhesie oder Hyperästhesie bestand. 

Der Umstand, dass wir Entartungsreaction in den atrophischen 
Muskeln gefunden, spricht durchaus nicht gegen den centralen Ur¬ 
sprung der Atrophie und etwa für einen neuritischen Process, da 
schon von mehreren zuverlässigsten Autoren, so von Erb und 
Bernhardt bei progressiver Muskelatrophie ausgebildete Entartungs¬ 
reaction in den atrophirten Muskeln gefunden wurde. Auch die 
Schwäche in den anderen Extremitäten und beginnende Abmagerung 
in der rechten Hand weisen mit grösster Wahrscheinlichkeit auf 
ein centrales Leiden hin. 

Noch ein Wort über das Fieber! 

Temperaturerhöhungen sind bei Morbus Basedow, durchaus 
keine Seltenheit und ist dieses Symptom auch schon verwertbet 
worden zur Localisation der Krankheit in die Medull. oblongata. 
Beinahe als Curiosum füge ich bei, dass der schon früher erwähnte 
männliche Patient unserer Klinik genau wie das Mädchen von heute 
auch nur am Tage der Aufnahme über 38° (38,1) Körpertemperatur 
zeigte, nur noch vereinzelte Male 37,8 und 37,7. 

Sehr ungewöhnlich ist in unserem Falle die Reihenfolge, in der 
die Symptome der Krankheit auftraten: Zuerst Tremor, Atrophie, 
Schwäche im linken Arm und erst später die Basedow-Symptome 
par excellence. Die spärlichen Beobachtungen, die in der Literatur 
verzeichnet sind, geben immer entweder ein gleichzeitiges Hereiu- 
brechen der motorischen Störungen mit den übrigen Symptomen an, 
oder aber erst ein nachträgliches Auftreten der ersteren. Dass aber 
in unserer Beobachtung eine Zusammengehörigkeit zwischen Mus¬ 
kelatrophie und „Basedow im gewöhnlichen Sinne des Wortes“ ange¬ 
nommen werden muss, scheint mir, abgesehen von den einschlägigen 
citirten fremden Beobachtungen, deshalb höchst wahrscheinlich, weil 
die Erkrankung im linken Arm gleich nach jener Erkältung, mit 
der Patientin ihre Krankheit im Zusammenhang bringt, mit jenem 
eigeuthümlichen Zittern begann, das bis heute noch fortdauert, und 
in dem wir das Zitteru kennen gelernt haben, das für Basedow'sche 
Krankheit charakteristisch sein soll. Der Kranken kann beschleu¬ 
nigte Herzthätigkeit entgangen sein, die sich damals einge¬ 
stellt haben mag, und dann hatten wir es mit einer „Forme fruste“ 
von Basedow im Sinne Charcot’s und Marie’s zu thun, bis 
dann im Jahre 1887 Struma und Exophthalmos das Krank¬ 
heitsbild vervollständigten. 

Wenn man neben diesen des Weiteren erörterten Motilitäts- und 
trophischen Störungen berücksichtigt, dass Fi lehne und neuerdings 
Durdufi 4 ) experimentell durch Läsion einer bestimmten Stelle der 
Oblongata Tachycardie, Exophthalmos und Struma, allerdings nicht 
alle diese Symptome gleichzeitig, sondern nacheinander, erzeugen 
konnten, so wird man ja kaum der Stimme ganz die Ohren Ver¬ 
schlüssen können, die einen Zusammenhang des Centralnervensystems 
mit dem Morbus Basedow, befürworten. Hält man aber dann wieder 
diesen Thatsachen das Factum entgegen, dass es Rehn, 5 ) Tillaux 6 ) 

*) Gazette hebdomad. de med. et de chir Bd. XXII, 1885. p. 345. 

a ) Uefer. in Archiv für Psychiatrie. Bd. XVII, 1886. p. 319. 

3 ) Archiv für Psychiatrie. 1886. Bd. XVII. 

4 ) Deutsche med. Wochenschr. 1887, No. 21. 

5 ) Berl. klin. Wochenschr. XXI, 11, 1884. 

®) Bull, de l’acad. de medeciu., Avril 1880; ref. Schmidt’s Jahr¬ 
bücher 1886. 


und Dubrueil 1 ) gelungen ist, durch Exstirpation der Struma Base¬ 
dow zum Schwinden zu bringen, und andererseits von Virchow, 
Möbius u. A. hervorgehoben wurde, wie eigentlich der Morbus 
Basedowii als Gegenstück des Myxödems aufgefasst werden könne, 
in Bezug auf seine Symptomatologie, so wird man zugeben müssen, 
dass es heute noch unmöglich ist, ein endgültiges Urtheil abzugeben 
über den Sitz und das Wesen dieses interessanten Krankheitsbildes. 


IL Zur Lehre von der Trichterbrust. 2 ) 

Von Dr. G. Klemperer, 

Assistent der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin. 

M. H.! Gestatten Sie mir, Ihnen eine merkwürdige und seltene 
Missbildung des menschlichen Brustkorbes vorzuführen, von welcher 
in der Literatur bisher knapp ein Dutzend Fälle beschrieben sind. 
Die DifForraität, von der ich Ihnen drei Fälle vorstellen kann, 
besteht darin, dass sich an der medialen Partie der vorderen Brust¬ 
wand und des obersten Theiles der vorderen Bauchwand eine trichter¬ 
förmige Einsenkung oder Excavation befindet, so dass also der Thorax 
in eine der Hühnerbrust (Kielbrust, Pectus carinatum) vollkommen 
entgegengesetzten Weise verändert ist. Dieser Anomalie hat Prof. 
Ebstein, welcher 1882 einen Fall derselben in sorgfältigster Weise 
analysirte, 3 ) den ausserordentlich zutreffenden Namen Trichterbrust 
beigelegt. Sie sehen in der That an meinen Patienten, dass die 
Einsenkung an der Vorderfläche der Brustwand eine fast vollkommen 
symmetrische, nur in verticaler Richtung ein wenig ovale Trichter¬ 
form bildet. 

Ganz charakteristisch ist an meinen wie an allen bisher mit 
dieser Difformität beobachteten Patienten, dass das Sternum bereits 
vom Jugulum an nach innen einsinkt; hierdurch unterscheidet sich 
die Trichterbrust scharf von der sog. Schusterbrust oder Töpfer¬ 
brust, bei welchen in Folge dauernden Gebücktsitzens an der Grenze 
des Corpus sterui der Processus xiphoideus nach innen sich ab¬ 
knickt. Wo bei der Trichterbrust Manubrium und Corpus sterni 
sich berühren, bekommt die Einsenkung eine stärkere concave Bie¬ 
gung und erhält ihre grösste Tiefe entsprechend dem untersten Ende 
des Sternums, um sich von dieser Stelle an in gleichmässiger Stei¬ 
gung zu erheben, indem die Seitenwandung von den Rippenknorpeln, 
die untere Wand von der Bauchdecke gebildet wird. Anatomisch 
bemerkenswerth ist, dass der tiefen Einsenkung an der Vorderwand 
keine correspondirende Hervorwölbung an der Wirbelsäule ent¬ 
spricht; dagegen ist eine stärkere Entwickelung des Thorax im 
Querdurchmesser in den verschiedenen Höhen desselben an den 
früheren Patienten festgestellt worden und auch an meinen zu con- 
statiren. 

Gehe ich nach diesen einleitenden Bemerkungen zu meinen 
Patienten über, so ist zuerst bemerkenswerth, dass zwei derselben, 
Herr stud. math. A. und Herr Gymnasiallehrer A., Brüder sind. 
Bei dem jüngeren (19 Jahre) ist die Missbildung stärker ausgeprägt, 
wie bei dem älteren (23 Jahre). Bei dem jüngeren beträgt die 
grösste Tiefe des Trichters 5 cm, der Grund hat einen Durchmesser 
von 2 cm; bei dem älteren ist die Tiefe 3 l /2 cm, der Grund l l /2 cm. 
Die anderen Maasse sind die folgenden (die eingeklammerten Zahlen 
betreffen den jüngereu): Entfernung der tiefsten Stelle der Trichters: 
von der Incisura jugularis 17 cm (17 cm), vom Nabel 21 cm (21 cm). 
Circumferenz des Thorax in Exspiration in Höhe der Achselgrube 
83 (84 l /2), io der Höhe der Brustwarzen, folgend der Excavation 
82 (81), ohne Rücksicht auf dieselbe 79 (77), Sternovertebraldurch- 
messer in Höhe des Manubrium 15 (13), in Höhe der Warzen 14 
(13), an der tiefsten Stelle des Trichters 14 (12 l /a), Tiefendurch¬ 
messer in der linken Mamillarlinie, in Höhe des Manubrium 13 
(15 l /2), der Brustwarzen 13 l /-j (167z), des Proc. xiphoideus 14 l /2 
(I6V2), Tiefendurchmesser in der rechten Mamillarlinie in Höhe des 
Manubrium 14 (1472), in Höhe der Brustwarzen 14V2 (1572), des 
Proc. xiph. löVs (15V2)- Querer Durchmesser in Höhe der Warzen 
25 (27), der Axilla 25,5 (27), in Höhe der Insertion des 7. Rippen¬ 
knorpels 2472 (2472), Länge des Sternums 17 (17), Länge des 
Manubrium sterni 6 (5). Körperlänge beträgt 171 (173). 

Auf die genauere Besprechung der Zahlen will ich nicht ein- 
gehen, weil sie im wesentlichen dasselbe besagen, wie die von den 
früheren Autoren erhaltenen Werthe; vielmehr möchte ich gleich 
auf das besondere Interesse, das diesen Fällen innewohnt, Ihre 
Aufmerksamkeit lenken. 

Die beiden Brüder geben mit voller Bestimmtheit an, mit die¬ 
ser Missbildung geboren zu sein. Sie wissen das um so sicherer, 
als in ihrer Familie dieselbe seit langer Zeit eine gewisse Rolle 


*) Gaz. de Par. LVIII, 1887; ref. in Schmidt’s Jahrb. Bd. 216, H. 3, 
p. 242. 

a ) Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 

3 ) Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 30, p. 411. 


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6. Septem ber. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


733 


spielt. Der Grossvater der Patienten, ein emeritirter Pastor, der 
mit ausgeprägter Beobachtungsgabe diesem „Spiel der Natur“ in 
seiner Familie stets grosses Interesse gewidmet bat, giebt an, dass 
seiue Gattin, also die Grossmutter dieser Patienten, ebenfalls diese 
Deformität besessen habe; „sie konnte ihre beiden Fäuste bequem 
in die trichterförmige Grube in der Brust legen.“ Bei der Mutter 
seiner Gattin, also der Urgrossmutter der Patienten, habe die Miss¬ 
bildung ebenfalls ausgeprägt bestanden. Uebrigens sei seine Schwie¬ 
germutter in den dreissiger Jahren an einem acuten Lungenleiden, 
seine Gattin ebenso jung im achten Wochenbett gestorben. Von 
seinen 8 Kindern ist nur eins mit der missbildeten Brust zur Welt 
gekommen; diese Tochter ward später die Mutter der Patienten. 
Als sie erwachsen war, soll die Einsenkung der Brust ihre geballte 
Faust haben fassen können. Besondere Beschwerden hatte sie an¬ 
geblich nicht, ist aber auch, noch nicht 30 Jahre alt, angeblich an 
acuter Brustfellentzündung gestorben. Von 5 Kindern boten nur 
zwei, eben unsere Patienten, bei der Geburt die Difforraität dar. 
Beschwerden von Seiten der Brustorgane sind bei beiden Herren 
nicht vorhanden gewesen. 

Von grossem Interesse erscheint es ferner, dass in der weib¬ 
lichen Ascendenz der Patienten mehrfache Geisteskrankheit vor¬ 
gekommen ist. Eine Schwester der Grossmutter ist im Irrsinn ge¬ 
storben, bei einer Tante sind wiederholte Melancholieen beobachtet 
worden, eine Schwester der Patienten, 25 Jahre alt, wird von mir 
in der Dr. Klinsmann’sehen Heilanstalt wegen erworbeuen 
Schwachsinns behandelt. Die junge Dame hat einen normalen 
Thorax, bietet aber eine ganz eigenthümliche Schädelbildung dar, 
indem bei kindlichen Stirnhöckern die Stirn flach zurücktritt und 
der fronto-occipitale Durchmesser sehr verkürzt ist. Die hier vor¬ 
gestellten Herren sind geistig völlig normal; epileptische Anfalle 
niemals dagewesen; von nervös-hypochondrischen Beschwerden sind 
sie indess viel gequält worden und klagten namentlich von Zeit zu 
Zeit über lebhaftes Herzklopfen; der jüngere hat ein systolisches 
Geräusch, das indess wohl von einem vor 3 Jahren überstandenen 
Gelenkrheumatismus herrührt. 

• Der dritte Patient, den ich Ihnen vorstelle, bietet die trichter¬ 
förmige Einsenkung der vorderen Brustwand in exquisitester Weise 
dar. Bei ihm beträgt die Tiefe des Trichters 9 cm, der Durch¬ 
messer des Trichtergrundes 3 cm. Der Patient stammt aus der 
städtischen Irrenanstalt in Dalldorf, wo er wegen Epilepsie Unter¬ 
kunft gefunden hat. Der Direktor der Anstalt, Herr Medicinalrath 
Dr. Sander, dem ich für seine Güte zu ausserordentlichem Dank 
verpflichtet bin, hat mir gestattet, den Patienten hier vorzustellen. 
Derselbe ist 36 Jahre alt, giebt mit voller Bestimmtheit an, mit 
der Tricbterbrust geboren zu sein; seine Mutter soll ihm das oft 
gesagt haben. Ueber die Ascendenz weiss er nichts bestimmtes an¬ 
zugeben, seine Geschwister sollen ganz normal gebaut sein. Seit 
seiner frühesten Kindheit leidet er an epileptischen Anfällen und 
Zuständen von postepileptischem Irresein. 

Im Anschluss an die Vorstellung dieser drei Fälle möchte ich 
kurz auf die Wichtigkeit derselben für die Aetiologie sowie für die 
allgemeine Bedeutung der Trichterbrust hinweisen. Hinsichtlich 
der Aetiologie dieser Difformität sind bisher zwei Theorieen auf¬ 
gestellt worden. Die eine mechanische, von Prof. Zuckerkandl, 
welcher durch den Druck des fötalen Unterkiefers auf den unteren 
Theil des Sternums im Uterus sich die Anomalie entstanden denkt. 
Diese Anschauung wird gestützt durch die Beobachtung von Prof. 
Ribbert 1 ), welcher der medicinischen Gesellschaft in Bonn ein 
wenige Tage nach der Geburt verstorbenes Kind mit Trichterbrust 
demonstrirte, bei welchem in die Trichtergrube genau das Kinn 
hinein passte, während den Armen entsprechende Längsrinnen am 
Thorax, sowie die übereinandergeschobenen Schädelknochen gleich¬ 
zeitig von der starken Raumbeengung im Uterus sprachen. Ein 
weiterer Beweis für die Möglichkeit mechanischer Ursachen liegt in 
einem Falle von Vetlesen*), wo bei einem Kinde die trichter¬ 
förmige Excavation nicht sofort nach der Geburt, sondern erst am 
Ende des ersten Lebensjahres bemerkt wurde. „Bei der Geburt, 
die sehr schwierig war (2—3 Tage Wehen), jedoch ohne Kunst¬ 
hülfe sich vollzog, war das Kind asphyktisch, weswegen die Heb¬ 
amme längere Zeit hindurch kräftiges Drücken auf die Brust aus¬ 
übte.“ 

Es muss also als erwiesen betrachtet werden, dass in manchen 
Fällen von Trichterbrust die Difformität durch mechanische Ur¬ 
sachen, entweder intrauterinen Druck oder Eindrücken des Sternums 
bald nach der Geburt, hervorgerufen ist. 

Demgegenüber stehen andere Fälle, in welchen mechanische 
Ursachen ebensowenig nachweisbar sind, als etwaige pathologische 
Processe, die vielleicht zu einer Deformität führen könnteu, wie 
Rhachitis, Mediastinitis oder dgl. mehr. Eine Anzahl dieser ohne 


*) Berl. klin. Wochenschrift 1884, No. 42. 
a ) Centralblatt f. klin. Medicin 1886, No. 43. 


ätiologisches Moment mitgetheilten Fälle sind mit der Trichterbrust 
geboren (Gazette des höpitaux Hagmann, VetlesenI), bei einem 
Patienten entwickelt sich die Missbildung 4 Wochen nach der Ge¬ 
burt (Eggel), bei dem Kranken von Ebstein im zweiten 
Lebensjahr, bei dem Fall von Flesch erst im achten Lebensjahr. 
Für das Verstäudniss dieser Fälle stellt Ebstein die Hypothese 
auf, dass es sich um ein verspätetes, zu langsam fortschreitendes 
Wachsthum des Sternums handele, indem gleichzeitig dasselbe un¬ 
gewöhnlich lange in einer zu weit zurückgesunkenen Stellung ver¬ 
harre. Die Ursache dieser Wachsthumshemmung sieht Ebstein 
mit Hüter in einer fötalen Anlage, über deren Art Zuverlässiges 
nicht bekannt ist. „Da sich übrigens weder Vererbung noch 
Familiendisposition nach weisen lässt“, überdies doch eine ganze 
Reihe von Fällen erst längere Zeit nach der Geburt eustanden sind, 
spricht Ebstein sich über die fötale Anlage mit einer gewissen 
Reserve aus. Vor einiger Zeit hat Vetlesen 1 ) einen Fall publi- 
cirt, wo Trichterbrust bei Vater und Sohn aufgetreten ist. Hierzu 
kommen meine Fälle, wo. zwei Brüder diese Deformität darbieten, 
welche sich durch drei Generationen der weiblichen Ascendenz hin¬ 
durch verfolgen lässt. Es kann danach kein Zweifel sein, dass 
gegenüber den Fällen von „traumatischer Trichterbrust“ eine zweite 
Kategorie von „Trichterbrust durch fötale Anlage“ zu construiren ist. 

Welcher Art diese Anlage ist, und wie sich die Missbildung all¬ 
mählich aus dem Keim bis zur Vollendung entwickelt, dürfte 
Gegenstand speciell anatomisch entwickelungsgeschichtlicher Studien 
sein. Ich habe den hierauf bezüglichen scharfsinnigen Bemerkungen 
Ebstein’s auf Grund meiner Fälle nichts hinzuzufügen. 

Nicht unwesentlich erscheinen mir indess die allgemeinen Ge¬ 
sichtspunkte, die die Betrachtung meiner Fälle ergiebt. Die zwei 
Brüder mit Trichterbrust stammen aus einer psychisch tief be¬ 
lasteten Familie. In der weiblichen Ascendenz, durch die sich die 
Trichterbrust fortgeerbt hat, ist mehrfaches Irresein vorgekommen; 
dabei eine geringe Widerstandsfähigkeit im Kampf um’s Dasein; 
wenig Frauen aus der Familie sind über 30 Jahre hinweggekommen. 
Aus der Generation, der die beideu Brüder angehören, ist ein Mit¬ 
glied idiotisch. Die Patienten selbst sind gesund; die Schädel¬ 
bildung freilich ist einigermaassen verdächtig mit der flachen kurzen 
Stirn und dem wenig ausgebildeten Vorderschädel. Indess sind es 
nur leichte Erscheinungen reizbarer Schwäche, die die Patienten 
darbieten. • 

Der dritte Patient, der die Trichterbrust am stärksten hat, ist 
von Geburt an epileptisch und geistig zerrüttet. Ueber seine Eltern 
Hessen sich keine bestimmten Angaben erheben. 

Sehen wir unter diesem Gesichtspunkt die bezügliche Literatur 
nochmals durch, so kommen wir zu dem bemerkenswerthen Ergebniss, 
dass in mehreren Fällen ausdrücklich bemerkt wird: die beschrie¬ 
benen Kranken sind neuropathisch schwer belastet, vielfach Epi¬ 
leptiker. 

Der Patient von Flesch war epileptisch; die Missbildung des 
Thorax entwickelt sich im siebenten Lebensjahre gleichzeitig mit 
dieser ziemlich heftig auftretenden Neurose. Ebstein’s Patient 
hat atrophische Lähmung beider Extremitäten, an beiden Füssen 
sind zwei Zehen verwachsen, er bietet schwere nervöse Störungen 
dar, hat vor der Beobachtung einen Krampfanfall überstanden. 
Der eine Kranke von Vetlesen litt im zweiten bis dritten Lebens¬ 
jahre an Anfällen von Weinkrampf mit darauffolgender halbstündiger 
Bewusstlosigkeit. 

Hierzu kommen meine Patienten; zwei aus psychisch schwer 
belasteter Familie stammend, z. T. mit missbildeten Schädeln. Der 
dritte epileptisch und zu Zeiten irre. 

Es paart sich also in vielen Fällen die Trichterbrust mit an¬ 
deren somatischen Anomalieen, besonders aber mit Symptomen ner¬ 
vöser Degenerirtheit, die ebenfalls auf ererbter Grundlage ruhen. Diese 
Betrachtung erhebt in vielen Fällen die Trichterbrust aus der 
Sphäre einer anatomischen Curiosität und macht sie zum Ausdruck 
gleichzeitig bestehender hereditärer neuropathischer Belastung oder 
psychischer Degeneration. 

- III. Aus der Chirurg. Abtheilung des Augusta-Hospitals. 

Ein Fall von Myositis ossifleans 
lipomatosa. 

Von Dr. Carl Lehmann, Assistenzarzt. 

Am 31. August 1887 wurde die 36jährige Auguste Regel, Frau 
eines Restaurateurs aus Züllichau, in das Augusta-Hospital aufgenommen. 
Sie giebt an, eine Geschwulst an der hinteren Seite des linken Ober¬ 
schenkels zu haben. Dieselbe besteht, wie sie sagt, 17 Jahre und war als 
ein länglicher harter Körper im Fleisch zu fühlen. Patientin, die neun 
Mal geboren, das letzte Mal vor acht Wochen, beobachtete vor jeder Ent- 


') Central blatt f. klin. Medicin 1886, No. 4. 


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734 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 36 


bindung ein starkes Anscbwellen des Tumors. Ganz besonders aber ver- 
grösserte sich derselbe während der letzten Schwangerschaft. Zu dieser 
Zeit nahm die durch den Tumor bedingte Schmerzhaftigkeit, die seit längerer 
Zeit vorzüglich beim Gehen sich bemerkbar gemacht hatte, einen besonders 
hohen Grad an und trieb die Patientin in’s Krankenhaus. 

Status: 31. August 1887. Blühende kräftige Frau mit reichlich ent¬ 
wickeltem Fettpolster und Krampfadern an beiden Beinen. An der hinteren 
Seite des linken Oberschenkels, dicht unterhalb der Glutäalfalte, ein doppelt 
faustgrosser, ziemlich derber Tumor mit unregelmässiger Oberfläche. Der¬ 
selbe ist gegen die Umgebung nicht abzugrenzeD, die Haut darüber nicht 
verschieblich. Von demselben strahlen Schmerzen bis an’s Knie aus. Das 
Patellarphänomen deutlich vorhanden; keine Gefühlsstörungen. 

Herr Professor Küster, der die Geschwulst für ein diffuses Lipom 
mit theilweiser Verkalkung ansehen zu müssen glaubte, exstirpirte dieselbe 
in folgender Weise: Durch einen 20 cm langen Schnitt wird die Haut über 
dem Tumor gespalten, und der letztere durch Abpräpariren des Pannikulus 
etwas frei zu legen gesucht. Das, was einem zunächst zu Gesicht kommt, 
sind Fettmassen, durchzogen von breiten Bindegewebszügen mit herdweisen 
Verkalkungen respective Verknöcherungen. Es wird nun der Haupttheil 
dieser Fettmassen, in welchen sich die Oberschenkelfascie mit eingebettet 
findet, herausgeschält, was an verschiedenen Stellen nur mit Hülfe des 
Messers möglich ist. 

Bei dem jetzt folgenden Act, den Tumor an seiner Basis abzutragen, 
dringt das Messer gegen steinharte Massen. Letztere gehören dem Musculus 
biceps femoris au, der bis auf wenige umhüllende Reste an dieser Stelle 
durch die harten Massen ersetzt ist. Auf ihre Exstirpation wird zunächst 
noch verzichtet, und vorläufig erst die über ihnen liegende Haupmasse der 
Geschwulst als ein kindskopfgrosser lipomatöser Tumor mit breiter Basis 
abgetragen. 

Endlich werden auch jene harten Massen und mit ihnen der grösste 
Theil des Musculus biceps mühsam entfernt. Und es ist nun im hinteren 
Umfange des Oberschenkels eine grosse muldenförmige Wunde geschaffen. 
Die Blutung ist mässig. Die grosse Wunde wird mit Jodoformmull ausge¬ 
füllt und darüber genäht. Verband. Aseptischer Verlauf. Blutige Ver¬ 
haltung mit zwei Tage andauernden erheblichen Temperaturerhöhungen. 
Nach Entfernung des Jodoformmulls glatter Verlauf. Am 27. September 
1887 wird Patientin als geheilt in ihre Heimath entlassen. 

Pathologisch anatomischer Befund: Der Tumor ist, nachdem seine bei¬ 
den durch die Operation willkürlich getrennten Theile wieder aneinander 
gefügt worden, von mehr als Kiudskopfgrösse und macht, von oben be¬ 
trachtet, den Eindruck einer grossen Masse lipomatösen Gewebes. Dasselbe 
ist netzartig durchsetzt von unregelmässigen Partieen eines anscheinend 
interstitiell und parenchymatös veränderten Muskelgewebes. Letzteres, an 
dem die normale schön braun-rothe Farbe einem mehr unbestimmten, ver¬ 
waschen grau-rothen Tone Platz gemacht hat, ist gelb gefleckt und ge¬ 
streift und von einem grauen derben fibrösen Gewebe um- und durch¬ 
wachsen. Die ganze Masse fühlt sich derb an. An der unteren Fläche 
derselben fühlt man einen etwa 10 cm langen harten Strang durch, an¬ 
scheinend von der Dicke eines kleinen Röhrenknochens, der sich leisten¬ 
artig aus dem lipomatösen Gewebe eraporhebt. Diese anscheinende Knochen¬ 
leiste ist an ihrer hervorragenden Partie von einer dünnen Muskelplatte wie 
von einer Decke umhüllt, welche die oben geschilderten fibrösen und paren¬ 
chymatösen Veränderungen zeigt und sich in dem lipomatösen Gewebe ver¬ 
liert. Auf dem Querschnitt zeigt sich im Grossen und Ganzen derselbe 
Gewebscharakter: ein von Muskelresten durchsetztes lipomatöses Gewebe, 
das, nach der Tiefe zu von immer stärkeren fibrösen Zügen durchflochten, 
endlich in eine sehr unregelmässig gestaltete, zackige Knochenspange aus¬ 
läuft, die, wenn auch aus einem makroskopisch von dem normalen sehr ab¬ 
weichend aussehenden Knochengewebe gebildet, doch streckenweise deutlich 
eine solidere Rinden- und eine gelbliche Markschicht unterscheiden lässt. 
Sie stellt jene oben beschriebene Knochenleiste dar und senkt sich mit 
unregelmässigen Ausläufern in die ebenfalls oben beschriebene Muskel¬ 
platte ein. 

Ueber den histologischen Bau lässt sich aus Schnitten, durch die ver¬ 
schiedensten Partieen des Tumors gelegt. Folgendes sagen: 

Was die eigentliche Knochenspange anlangt, so ist in derselben ein 
gut ausgebildetes lamellöses Knochengewebe, wie es die compacte Substanz 
am normalen Knochen darbietet, vorherrschend. Grosse Lamellensysteme 
sind von kleinen und kleinsten Lamellensystemen in scharf hervortretenden 
Appositionslinien durchbrochen. Die einzigen Unterschiede, die hier im 
Vergleich zu der normalen compacten Substanz der Röhrenknochen hervor¬ 
treten, sind die grosse Unregelmässigkeit in der Anordnung der verschie¬ 
denen Lamellensysteme zu einander und die ausserordentliche Verschieden¬ 
heit ihrer Grösse und ihres Alters. Ein etwas buntes Durcheinander in 
der Zeichnung deutet darauf hin, dass die Knochenbildung hier nicht unter 
ganz normalen Verhältnissen abgelaufen ist. Noch unregelmässiger gestaltet 
sich die Zeichnung durch die erhebliche Antheilnahme des nicht lamel- 
lösen Gewebes an dem Knochenaufbau. Und in diesem Moment liegt auch 
ein wesentliches Unterscheidungszeichen des heterotop entwickelten Knochen¬ 
gewebes vom normalen, wo nicht lamellöses Gewebe nur sehr spärlich sich 
vorfindet. Ein nicht lamellöses, oft sehr unregelmässig gestaltetes Knochen¬ 
gewebe fast durchweg ist es auch, welches in den harten Partieen der den 
Tumor durchsetzenden muskulös-bindegewebigen Züge angetroffen wird. 
Ein anderes Mal ist es auch eine Spange fertigen lamellösen Knochen¬ 
gewebes, die ganz vereinzelt inmitten eines faserigen Gewebes erscheint. 
Noch ein anderes Mal findet sich ein Gewebe, das eine Zwischenstufe 
repräsentirt zwischen Bindegewebe und fertigem Knochen. Man kann es 
wohl osteoides Gewebe nennen, insofern in ihm die zackige, sternförmige 
Figur des Knochenkörperchens deutlich hervorzutreten beginnt, während die 
Verkalkung, wie gefärbte Präparate erkennen lassen, unvollkommen ist. 
Es finden sich überhaupt in den muskulös-fibrösen Strängen die mannich- 
faltigsten Transformationen von Bindegewebe neben einander. 


Einer sehr bemerkenswerthen Erscheinung ist endlich noch zu geden¬ 
ken, durch welche das Gewebe der oben beschriebenen Knochenleiste aus¬ 
gezeichnet ist, und der dasselbe zum nicht geringen Theil seinen eigen¬ 
tümlichen histologischen Bau verdankt. Dies ist das Auftreten zahlreicher, 
das Knochengewebe nach den verschiedensten Richtungen durchsetzender 
Ganaliculi. Von der Peripherie der compacten Substanz sowie von mark¬ 
raumartigen Hohlräumen innerhalb derselben, die wahrscheinlich selbst nur 
erweiterte Canaliculi sind, dringen die gefassfnhrenden Canälchen quer in 
das Knochengewebe hinein, indem sie zum Theil sich erweitern und 
grössere Hohlräume bilden, zum Theil unter einander anastomosiren und 
so ein vielverzweigtes Canalnetz durch den Knochen herstellen. 

Soweit das neugebildete Knochengewebe. 

Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit den beiden übrigen noch in’s 
Auge fallenden Bestandtheilen des Tumors zu, den noch erhaltenen Muskel¬ 
resten des Biceps und dem quantitativ am meisten hervortretenden lipoma¬ 
tösen Gewebe. 

Was von Muskulatur des Biceps noch übrig geblieben ist, zeigt mikro¬ 
skopisch die bemerkenswerthesten Veränderungen; Veränderungen, die einer¬ 
seits das Parenchym, die quergestreiften Muskelprimitivbündel, andererseits 
das interstitielle Gewebe betreffen. 

Von den Muskelprimitivbündeln ist nur ein kleinerer Theil sichtlich 
intact geblieben; die meisten weisen in verschiedenem, zum Theil sehr er¬ 
heblichem Grade pathologische Veränderungen auf. Das klassische Kenn¬ 
zeichen der intacten Muskelfaser, die scharf markirte gleichmässige Quer¬ 
streifung, ist zum grössten Theile verloren gegangen. Bei den am wenig¬ 
sten veränderten Muskelfasern ist die Querstreifung im Begriff, undeutlich 
zu werden; die Muskelbündel zeigen einen Anflug von Trübung. Bei 
schwerer veränderten verwischt sich die Querstreifung mehr und mehr und 
ist in einzelnen Fällen nur noch soeben sichtbar. Endlich verschwindet 
sie ganz, und die bis dahin nur wenig hervortretende Längsstreifung wird 
jetzt recht deutlich. Es ist dies der Zustand, den man streifige Degeneration 
des Muskels genannt hat. Schon hier treten in grösserer oder geringerer 
Anzahl, meist in Reihen angeordnet, sehr feine, theils dunkle, theils glän¬ 
zende Körnchen auf, die in noch höheren Graden der Degeneration niemals 
vermisst werden. Denn die Veränderungen der Muskelfaser stehen auch 
auf diesem Punkte noch nicht still. Endlich ist auch von der Längsstreifung 
nichts mehr zu sehen; das ganze Muskelprimitivbündel ist homogen trübe, 
es sieht wie gebrüht aus; und man beobachtet an ihm quer verlaufende 
Spalten und Einrisse. Eine wirkliche fettige Degeneration dagegen habe 
ich an keinem Muskelbündel wahrnehmen können. Hand in Hand mit 
diesen Degenerationsprocessen der contractilen Substanz geht eine Ver-* 
mehrung der Muskelkerne in den Sarkolemmschläuchen. Dieser Kern¬ 
wucherung, die charakteristisch ist für den atrophirenden Muskel, geht im 
interstitiellen Gewebe eine reichliche Zellenproliferation parallel, die sich 
in herd- und reihen weiser Anhäufung jungen Biudegewebes äussert. Dieses 
junge Bindegewebe macht nun im Verlaufe seiner weiteren Reifung die 
mannichfachsten Umwandlungen durch, bis endlich aus ihm jenes eigea- 
thümliche Faser- und Knochengewebe wird, das wir oben geschildert 
haben. 

Wie nun einerseits zwischen den Muskelfasern eine interstitielle Binde- 
gewebshyperplasie Platz greift, so beobachtet man andererseits zwischen 
jenen die Entwickelung von Fettgewebe. In einzelnen, doppelte^ und end¬ 
lich vielfachen Reihen sieht man die Fettzellen zwischen den Muskelprimitiv¬ 
bündeln angeordnet, letztere auseinander drängend und zur Atrophie 
bringend. Endlich tritt in dem lipomatösen Haupttheile des Tumors das 
Fettgewebe fast so ausschliesslich auf, dass nur noch hier und da ein 
atrophisches Muskelbündel zwischen demselben angetroffen wird. Im übrigen 
zeichnet sich dieses Fettgewebe in nichts aus vor dem, wie es der Panni- 
culus adiposus darbietet. 

Das Ganze halte ich für das Product einer chronischen inter¬ 
stitiellen Myositis, die ihren Ausgang genommen hat einerseits in 
Bildung lipomatöser Massen, andererseits in Bildung von Knochen¬ 
substanz. 

Die Annahme einer chronischen interstitiellen Myositis lässt 
sich vollkommen rechtfertigen aus den histologischen Befunden, 
welche sich decken mit dem, was Fried reich 1 ) in seiner be¬ 
kannten grossen Arbeit von der progressiven Muskelatrophie schil¬ 
dert, die auf Grund der Ausführungen dieses Autors für eine chro¬ 
nische interstitielle Myositis zu halten ist. Die Sarkolemmschlfiuche 
zeigen eine Vermehrung der Kerne; und in dem gewucherten inter¬ 
stitiellen Gewebe sind die massenhafte Entwickelung von Fettgewebe 
und die ausgebildeter Knochensubstanz auch schon sonst bei dieser 
Krankheit beobachtete Vorkommnisse. Die Pseudohypertrophie der 
Muskeln, wo es in Folge massenhafter Fettentwickelung zu einer 
Volumszunahme des betreffenden Gliedes kommt, ist derselbe Pro- 
cess, der bei der progressiven Muskelatrophie spielt; nur dass sich 
bei letzterer Bindegewebe entwickelt statt Fettgewebe. Uebrigens 
werden auch bei der wahren progressiven Muskelatrophie zuweilen 
ganz beträchtliche interstitielle Fettentwickelungen beobachtet. 
Friedreich sagt darüber an einer Stelle seines oben citirten 
Werkes: „Auch ereignet es sich nicht selten, dass innerhalb des 
mehr oder weniger vollständig zu einer fibrösen Masse degenerirten 
Muskels nachträglich eine Entwickelung von Fettgewebe bis zu 
einem solchen Grade erfolgt, dass einzelne Partieen oder selbst 
der ganze Muskel uragewandelt werden zu einem dem Panuiculus 
adiposus oder dem Lipom durchaus identischen Gewebe, ein Vor- 

‘) Friedreich. Ueber progressive Muskel&trophie — über wahre und 
falsche Muskelhypertrophie. Berlin 1873. 


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6. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


735 


gang, welchen man passend als „lipomatöse Degeneration“ be¬ 
zeichnen könnte.“ 

Dass sich die Fettmassen aber innerhalb des Musculus biceps 
femoris gebildet haben, dafür sprechen deutlich die Reste von 
Muskulatur, die sich in den die Fettmassen durchziehenden fibrösen 
Strängen finden. 

Die Entwickelung von Knochen andererseits im Muskel als 
Ausgang einer chronischen interstitiellen Entzündung ist in dem, 
was man Myositis ossificans progressiva nennt, längst bekannt. 
Der sogenannte Exercierknochen, wie er sich als das Product 
eines intensiven gleichmässigen chronischen Reizes im Musculus 
biceps brachii besonders in früheren Zeiten häufig bildete, reprä- 
sentirt diesen Process. Von diesem aber abgesehen, ist das Auf¬ 
treten einer Knochenbildung im Muskel eine nicht gerade häufig 
beobachtete Erscheinung. Münchmeyer 1 ) hat in seiner Abhand¬ 
lung über Myositis ossificans progressiva im Ganzen 12 Fälle aus 
der Literatur zusammengestellt. In neuerer Zeit sind allerdings 
wieder die interessantesten Beobachtungen über Knochenbildung, 
besonders in der Rücken- und Nackenmusknlatnr, gemacht und 
mitgetheilt worden. Die histologischen Untersuchungen dieser Bil¬ 
dungen sind aber bis dato nur sehr dürftige gewesen. Das einzige, 
was Münchmeyer darüber sagt, ist Folgendes: „Die verknöcherten 
Partieen zeigten in den mikroskopisch untersuchten Fällen voll¬ 
ständig die Structur compacten normalen Knochengewebes, besassen 
Ernährnng8löcher und neugebildete Gefässe.“ 

Ueber den histologischen Bau dieser Knochenbildungen sind 
denn auch durchaus noch keine sicheren Kenntnisse verbreitet. Von 
berufenster Seite wurde auf Grund mikroskopischer Präparate, die 
ich zufälliger Weise vorlegen durfte, bezweifelt, dass man es in 
dem vorliegenden Falle mit neugebildetem Knochen zu thun habe. 
Und doch ist dem so. Es ist ganz undenkbar, dass die Knochen¬ 
leiste bei dem sich hier etablirenden Processe etwa vom Femur 
abgetrennt worden wäre. Denn abgesehen davon, dass man darauf 
hinweisende Zeichen bei der Operation gesehen haben müsste, 
macht die einfache Betrachtung des Präparates eine solche An¬ 
nahme unmöglich. Das zackige und überhaupt ganz eigentümlich 
aussehende Knochenstück ist annähernd prismatisch gestaltet, hat 
eine Art Markhöhle und ist gerade an seinem, dem Femur zuge¬ 
kehrten Umfange von Muskulatur umhüllt. Ein Zweifel also, dass 
wir es in demselben mit dem Product eines im Musculus biceps 
stattgehabten Knochenneubildungsprocesses zu thun haben, kann 
nach dieser Betrachtung gar nicht bestehen. Durch den ganzen 
Tumor zerstreut finden wir ja übrigens, wie wir gesehen haben, 
die analogen Bildungen, nur in viel beschränkterer und unvoll¬ 
kommenerer Entwickelung. 

Den vorstehenden Fall habe ich mitgetheilt, einmal, weil er 
einen der eigenthümlichsten und seltensten combinirten Vorgänge 
repräsentirt, die sich im Muskelgewebe abspielen, sodann, weil er 
mir Gelegenheit gab, zur Kenntniss des noch so wenig studirten 
histologischen Baues dieser eigenartigen Producte chronischer Muskel¬ 
entzündung etwas beizutragen. 


IV. Ueber das Verhalten von Neurosen nach 
gynäkologischen Operationen. 2 ) 

Von Dr. Rudolf Gnanck. 

Bei dem immer reger werdenden Interesse für den Zusammen¬ 
hang zwischen Nerven- und Geschlechtskrankheiten konnte es nicht 
ausbleiben, dass Gynäkologen und Neuropathologen eine gemein¬ 
same Arbeit begannen, deren Früchte sich von Jahr zu Jahr 
mehren. Dass diese Arbeit eine recht schwierige, ergiebt sich 
immer mehr. Dies liegt zum grossen Theile daran, dass das Gebiet 
der Neurosen noch lange nicht so geklärt vor uns liegt, als es 
wünschenswerth wäre. Abgesehen davon, dass uns pathologisch¬ 
anatomische und histologische Grundlagen der sogenannten functio- 
nellen Nervenkrankheiten vollständig fehlen, sind wir vor der Hand 
auch genöthigt, viele dieser Zustände unter bestimmte Sammelnamen 
unterzubringen, deren diagnostischer Werth ein zweifelhafter sein 
muss. 

In demselben Maasse unsicher sind unsere Kenntnisse von den 
Beziehungen der Nervenkrankheiten zu den Geschlechtskrankheiten, 
und die Erfahrung muss das meiste lehren. Ab und zu sind es 
wohl Erkrankungen der Nervenstämme und Nervenendigungen, 
welche hier in Betracht kommen, meistens jedoch sind es functioneile 
Störungen der Nerven, und ich möchte mich gegen einen von 
He gar und seinen Schülern gebrauchten Ausdruck wenden, welcher 
die Vorstellung wachrufen könnte, als ob es sich zumeist um 

*) Münchmeyer: Myositis ossificans progressiva. Zeitschrift für ratio¬ 
nelle Medicin. 3. Reihe. Bd. XXXIV. 1869. 

8 ) Vortrag, gehalten in der gynäkologischen Gesellschaft zu Berlin, 


Rückenmarkserkrankungen handle. He gar braucht den Ausdruck 
„Lendenraarkssymptome“ für einen nervösen Systemcomplex, welcher 
bei Geschlechtskrankheiten häufig vorkommt. Diese Symptomen¬ 
gruppe, bestehend in Kreuzschraerzen, Schmerzen in Hüften und 
Beinen, Parese der Beine, Beschwerden bei der Harn- und Stuhl¬ 
entleerung etc. kann einer Lendenmarkserkrankung angehören, 
allein in Verbindung mit Geschlechtskrankheiten ist dies häufiger 
nicht der Fall und es handelt sich um Neurosen oder höchstens 
Affectionen der peripheren Nerven. Es dürfte daher ein solcher 
Ausdruck nicht nutzbringend sein. Indessen ist derselbe dafür be¬ 
zeichnend, wie man beiderseitig geneigt ist, den Gegenstand aufzu- 
fasseu: gynäkologisch sagt man, Geschlechtserkrankung mit Lenden- 
markssymptomeu; neuropathologisch sagt man, Neurose mit Ge¬ 
schlechtskrankheit. Beiden Arten der Anschauung geben zahl¬ 
reiche Fälle ihre Berechtigung: der ersteren Art dann besonders, 
wenn einzelne nervöse Symptome vorliegen, deren Ursache wahr¬ 
scheinlich die Sexualerkrankung abgiebt. Ist aber ein mehr oder 
weniger abgerundetes Krankheitsbild vorhanden, so dürfte die 
letztere Anschauungsweise — einige wenige Fälle ausgenommen — 
eine grössere Berechtigung haben. Es kommen allerdings Combina- 
tionen in derWeisevor, dass eine Erkrankung des Geschlechtsapparates 
das primäre gewesen ist und Veranlassung zum Auftreten nervöser 
Symptome gegeben hat. Allmählich aber entwickelt sich das Bild 
einer wirklichen Neurose, wobei die Geschlechtserkrankung geheilt 
sein oder noch bestehen kann; im letzteren Falle tritt dieselbe 
meistens in den Hintergrund und allein die der Neurose nun ange¬ 
hörenden nervösen Anfangssymptome erinnern an die Entstehung 
der Krankheit. 

Wie wichtig es ist, eine möglichste Klärung dieser Verhältnisse 
anzustreben, kommt erst dann recht zum Vorschein, wenn man an 
die Behandlung solchen combinirten Erkrankungen geht; nach dieser 
Richtung hin erlaube ich mir, einen Beitrag zu liefern. 

Da bisweilen auch Operationen am gesunden Geschlechts- 
äpparate ausgeführt werden, so müsste man diese eigentlich von 
denjenigen am kranken Geschlechtsapparate trennen und gesondert 
besprechen. Allein, da es sich hier im Wesentlichen nur um die 
Castration im Sinne von Martin handelt, füge ich dies einem 
späteren Abschnitte ein. 

Was die Häufigkeit der Erkrankungen des Geschlechtsapparates 
bei Neurosen betrifft, so habe ich beobachtet, dass ungefähr ein 
Drittel derselben derartige Störungen zeigt. Bei dieser immerhin 
grossen Zahl solcher Erkrankungen wären bestimmte Indicationen 
in Bezug auf die Form der Neurose sehr erwünscht; allein, diese 
zugeben, ist nicht möglich. Man kann nicht bestimmte Neurosen 
bezeichnen, welche sich für die Behandlung der vorhandenen Er¬ 
krankungen des Geschlechtsapparates besonders eignen oder beson¬ 
ders nicht eignen; man muss daher suchen, der Frage von einer 
anderen Seite näher zu treten. 

Legt man sich die Verhältnisse vom Standpunkte des Neuro¬ 
pathologen aus zurecht, so kann man dreierlei unterscheiden: 

1. Man schreitet zu einer gynäkologischen Behandlung oder 
Operation in der Aussicht, eine Neurose oder eine Gruppe von ner¬ 
vösen Symptomen oder ein einziges solches zu heilen. 

2. Man thut dies trotz der vorhandenen Neurose, da eine un¬ 
abweisbare Indication vorliegt. 

3. Man thut dies, da bei einer Neurose eine Erkrankung des 
Geschlechtsapparates vorliegt, deren Beseitigung möglicher Weise 
fördernd auf die Heilung der Neurose wirken, resp. deren Bestehen¬ 
bleiben die Heilung erschweren könnte. 

Was die erste Gruppe betrifft, so ist es sehr häufig gelungen, 
durch gynäkologische Eingriffe Heilung herbeizuführen, wenn ein 
einzelnes nervöses Symptom oder eine Gruppe solcher vorhanden 
war. Die Heilung einer wirklichen allgemeinen Neurose wird durch 
diese Verfahren kaum gelingen; gewöhnlich handelt es sich auch 
dann nur um das Verschwinden eines hervorragenden Symptomes 
oder mehrerer solcher. 

So entsinne ich mich einer hysterischen Dame, welcher eine rechts¬ 
seitige apfelgrosse Ovarialgeschwulst entfernt und das linke Ovarium rese- 
cirt worden war. Abgesehen von localen Beschwerden litt die Kranke an 
grosser allgemeiner Nervosität und an ohnmachtartigen Zufällen und zeigte 
starke Hyperästhesie und Hyperalgesie (besonders auf der rechten Seite), 
sehr erhöhte Reflexe, erhöhte Sebnenphänomene, Fussclonm. Nach der 
Operation waren die localen Beschwerden und die Ohnmachtszufälle ver¬ 
schwunden, die übrigen Erscheinungen bestehen geblieben. Die Neurose 
war nicht geheilt, allein es waren doch schwere, sehr störende Symptome 
zum Verschwinden gebracht. 

In dieser Weise äussert sich der momentane Erfolg bei allge¬ 
meinen Neurosen meistentheils. Indessen die Bedeutung einer sol¬ 
chen Operation ist oft weiter reichend; die Erkrankung im Sexual¬ 
apparate trägt nicht selten zu dem Fortbestehen der nervösen Er¬ 
krankung bei und lässt jede Allgemeinbehandlung fehlschlagen. 
Erst nach Heilung der ersteren vermag eine weitere geeignete Be¬ 
handlung auch Heilung der Neurose herbeizuführen. Aehnlich sind 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36 


wohl die geheilten Fälle von Flecksig und Sänger aufzufassen, 
bei denen übrigens psychische Störungen prävalirten. 

Wohl werden Heilungen allgemeiner Neurosen in Folge gynäko¬ 
logischer Operationen angegeben, allein dieselben waren meist nur 
scheinbare. Es handelte sich um hysterische Erkrankungen und 
bei diesen erlebt man ja das sonderbarste. 

So entsinne ich mich einer Hysterischen, welche unter Anderem alles 
Genossene sofort erbrach. Dies hauptsächlichste Symptom — und mit ihm 
auch die bedeutende Abmagerung — verschwand vorübergehend nach dem 
Tragen eines Uterinstiftes, nach der Castration im Sinne Martin’«, nach 
dem innerlichen Gebrauche von Cocain, kehrte aber immer, wenn auch in 
langen Zwischenräumen, wieder, und zwar auf ganz geringfügige Veran¬ 
lassungen. Während einer solchon Phase ging die Kranke zu Grunde. 

Eine andere Kranke litt an Zwangsvorstellungen, welche sich zum 
Theil auf das sexuelle Gebiet bezogen. Es erfasste sie in Gegenwart von 
Männern immer die Angst, sie solle gemissbraucht werden; zugleich hatte 
sie in der Vagina eine krampfhafte und aufregende Empfindung. Eine 
gynäkologische Untersuchung ergab am Hymen eine verdickte, schmerzhafte 
Stelle, bei deren Berührung nach der bestimmten Angabe der Patientin jene 
Empfindung ausgelöst wurde. Das betreffende Stück des Hymen wurde 
excidirt und ganz allmählich trat ein vollständiges Verschwinden der Sen¬ 
sationen in den Genitalien und ein beträchtlicher Nachlass der Zwangsvor¬ 
stellungen ein. Bald aber kehrten die Erscheinungen wieder und es wurde 
eine neue Exploration behufs eventueller Operation vorgenommen. Letztere 
unterblieb, da nichts Abnormes mehr zu finden war; allein schon die Unter¬ 
suchung hatte sehr erregend gewirkt und acht Tage darauf begann eine 
Reihe ganz neuer Erscheinungen aufzutreten, Anfälle von Zittern, Schütteln, 
welche sich allmählich zu grossen hysterischen Anfällen ausbildeten. Diese 
letzteren bestehen — seit mehreren Jahren — zur Zeit noch, ja, die Hysterie 
hat sich zu einer recht schweren Form ausgebildet. Die Sensationen in 
den Geschlechtstheilen sind gleichfalls geblieben, nur unter gewisser Ver¬ 
änderung der dabei auftretenden Vorstellungen. 

Bei keiner anderen Neurose begegnet man eben grösseren 
Ueberraschungen als bei der Hysterie und das momentane Ver¬ 
schwinden dieses oder jenes noch so schweren Symptomes spielt 
in Bezug auf die wirkliche Heilung nur eine untergeordnete Rolle. 

Manchmal bleibt nach gynäkologischen Eingriffen der momen¬ 
tane Erfolg ganz aus. So litt eine Hysterische an Krampfanfällen, 
die gerade zur Zeit der Menses am häufigsten auftraten. Die 
Menses selbst waren unregelmässig, dauerten sehr lange, mit sehr 
starkem Blutverlust. Der Coitus löste stets Anfälle aus. Eine 
bedeutende Verschlimmerung des Leidens war nach einer normalen 
Entbindung eingetreten. Die Sexualorgane waren normal, nur 
ziemlich hyperästhetisch. Nach einer versuchsweise vorgenomme¬ 
nen Auskratzung des Uterus Hessen die raenstrualen Blutverluste 
wohl nach, allein die hysterischen Anfälle und zugleich die Hyper¬ 
ästhesie der Sexualorgane nahmen zu. Erst eine W. Mitchel- 
sche Cur brachte bedeutende Besserung, die später in Heilung überging. 

Bei dem zweiten Punkte handelt es sich um gynäkologische 
Eingriffe einer unabweisbaren Indication zufolge. 

Solche Fälle werden immer Schwierigkeiten bieten, da eine 
Verschlechterung des ganzen Zustandes bisweilen kaum zu ver¬ 
meiden ist. Vorwiegend werden es Blutungen, Geschwülste, uner¬ 
trägliche Hysteralgieen und Aehnliches sein, welche ein Eingreifen 
nöthig machen, und ich greife zwei derartige Fälle heraus. 

Eine Kranke mit langjähriger Hysterie hatte unter anderen zahlreichen 
Beschwerden heftige Schmerzen von Seiten des Magens und Unterleibes 
und sehr profuse Blutungen während der meist zu zeitig auftretenden 
Menses. Die gynäkologische Untersuchung ergab eine bewegliche Retro- 
flexio bei grosser Empfindlichkeit des hinteren Scheidengewölbes, der Serosa 
der hinteren Uteruswand und der retrouterinen Ligamente. Man sah daher 
zuerst von grösseren Eingriffen ab und legte ein Pessar ein, das aber 
schlecht vertragen wurde und auch sonst nichts besserte. Wegen erneuter 
starker Blutungen wurde dann die Auskratzung des Uterus vorgenommen. 
In der That nahmen die Blutungen ab, desgleichen die Empfindlichkeit des 
hinteren Scheidengewölbes, allein die subjectiven Beschwerden wurden eher 
vermehrt, das Allgemeinbefinden schlechter. — Die grosse Ueberempfind- 
lichkeit der Kranken musste von vornherein Bedenken erregen, ob man 
eine Operation wagen solle. Denn wenn auch die Auskratzung des Uterus 
an sich als ein kleiner Eingriff angesehen wird, so verhält sich dies bei 
Nervenkranken doch anders und schon ein solcher übersteigt oft ihre 
Kräfte. Dennoch war es hier wohl nothwendig, die schwächenden Blut¬ 
verluste zu beseitigen, da im anderen Falle eine Besserung noch weniger 
zu erwarten stand. 

In einem anderen Falle handelte es sich um eine Kranke, welcher 
eines Tumors wegen Uterus und Ovarien entfernt worden waren. Sie hatte 
seit Jahren immer mehr zunehmende Beschwerden: Schwere, Druck im 
Unterleibe, Gefühl, als ob Alles herausfallen solle, nach den Schenkeln 
ausstrahlende Schmerzen, Erschwerung des Gehens, Stuhlverstopfung, in 
der letzten Zeit Gefühl, als ob ein Wasserkissen sich in der Lendengegend 
befinde, in welches hinein Alles fliesse, was sie trinke. Seit l‘/s Jahren 
Angstzustände mit starkem Reize in den äusseren Genitalien verbunden, der 
sie zum Onaniren trieb. Seit 1 Jahre psychische Erscheinungen. Pat. 
glaubte an ein Complot ihrer Umgebung und meinte sich von einem Ge¬ 
heimnis umgeben, in welches sie nicht eindringen könne; und Aehnliches. 
Indessen hielt die Kranke diese Vorstellungen vor ihrer Umgebung geheim 
und wünschte selbst die Operation, weil sie durch dieselbe zugleich von 
der Onanie befreit zu werden hoffte. 


Wie die Operation auf die psychische Erkrankung wirken 
werde, war nicht zu bestimmen; dennoch war sie geboten und man 
konnte vermuthen, dass durch dieselbe wenigstens die mit dem 
onanistischen Reize verbundenen Angstzustände beseitigt würden. 
In den ersten Wochen nach der Operation schienen alle Erschei¬ 
nungen, auch die psychischen, fast verschwunden. Allein im 
zweiten Monate kehrten alle, abgesehen von den durch die Ge¬ 
schwulst bedingt gewesenen Druckerscheinungen, stärker als früher 
zurück. Die Angstzustände mit dem Reiz zur Onanie schwanden 
allmählich im vierten Monate, das Gefühl des Wasserkissens auf 
dem Rücken im sechsten Monate. Die psychische Erkrankung 
blieb bestehen, ja, es traten neue Wahnvorstellungen hinzu, so der 
Gedanke, sie könne nur gesund werden, wenn die Periode wieder 
eintrete; da dies unmöglich geworden sei, habe sie auch zu jenem 
keine Aussicht. Erst im zweiten Jahre nach der Operation ver¬ 
blassten die psychischeu Erscheinungen allmählich. 

Wenn die gynäkologische Operation auch nicht direkt zur 
Heilung der psychischen Erkrankung beigetragen hat, so doch 
sicher indirekt durch die darauf folgende Hebung der Ernährung 
und der Kräfte. Auch verschwanden die den sexualen Reiz be¬ 
gleitenden Angstzustände nach einigen Monaten. Dass sich an das 
Verschwinden der Menstruation eine krankhafte Vorstellung an- 
schliesst, ist ganz interessant, bedeutet aber selbstverständlich 
nichts. 

In Fällen dieser zweiten Kategorie wird der gynäkologische 
Eingriff nicht zu umgehen sein. Es wird sich darum handeln, den 
richtigen Zeitpunkt für beide Erkrankungen zu wählen und eine 
geeignete Weiterbehandlung für die nervöse oder psychische Er¬ 
krankung nicht zu unterlassen. 

Endlich kann man zu einem gynäkologischen Eingriff sich ent¬ 
schlossen, weil eine Erkrankung vorliegt, deren Beseitigung mög¬ 
licher Weise fördernd auf die Heilung der Neurose wirken, deren 
Bestehenbleiben die Heilung beeinträchtigen könnte. 

Nervenkranke Frauen, auch wenn sie keine grossen Unterleibs¬ 
beschwerden haben, gehen häufig zuerst zum Gynäkologen, und so 
werden die letzteren vor die erste Entscheidung dieser Frage viel 
häufiger gestellt als die Neurologen. Liegen Beschwerden vor oder 
besteht auch nur der dringende Wunsch einer gynäkologischen 
Untersuchung, so pflege ich demselben Rechnung zu tragen und 
entscheide gemeinsam mit dem Gynäkologen. Bisweilen kommt 
man dabei in eine kritische Lage. So wnrde mir eine Kranke mit 
ziemlich schwerer Hypochondrie, mit zahlreichen Sensationen im 
Unterleibe geschickt. Es fand sich ein Katarrh und eine Retroflexio 
des Uterus, jedoch wurde gynäkologischer Seits der Neurose wegen 
eine Behandlung vor der Hand nicht für geboten gehalten. Die 
Kranke war indessen von dem Gedanken, dass ihr nur durch eine 
Behandlung der Unterleibsstörungen zu helfen sei, so beherrscht, dass 
sie heimlich davonging und von neuem einen Gynäkologen auf¬ 
suchte. Vielleicht hätte man in diesem Falle unter gemeinsamer 
Controle eine gynäkologische Behandlung versuchen können; allein 
gerade bei hypochondrischen Kranken hat dies zwei Seiten. Häufig 
schiebt man dadurch eine krankhafte Sensation in den Hintergrund 
nur, um einer anderen, neuen Platz zu machen. Man muss sich hüten, 
solchen Kranken zu viel nachzugeben, da es sonst mit W r ünschen der 
Behandlung in’s unendliche geht. Auf den Grad der Hypochondrie 
kommt hier sehr viel an und ich kenne eine Anzahl schwerer hypo¬ 
chondrischer Kranken, welche theils von einem, theils von mehreren 
Gynäkologen einer Behandlung unterzogen wurden und gerade 
auf diese eine Verschlechterung ihres ganzen Befindens zurückführten. 

In Bezug auf die Wichtigkeit der Diagnose des Nervenleidens 
erwähne ich etwas, was mir einige Male begegnet ist. Es kamen 
Kranke zu mir, welche ohne Erfolg gynäkologisch behandelt wareu 
— Fälle von beginnender Dementia paralytica. Ich meine nicht, 
dass die Behandlung von nachtheiligem Einfluss gewesen ist; nur 
erklärt die zu Grunde liegende Krankheit den Misserfolg. Die Pa¬ 
ralyse bei Fraueu ist häufiger, als man meint; allein die Diagnose 
der Anfangsstadien ist sehr schwierig. 

Bei den mir hier vorschwebenden Fällen ist es vorher sehr 
schwer zu sagen, ob ein gynäkologischer Eingriff nützlich ist 
oder nicht, und für beide Erkrankungen ist ein genauestes Ab¬ 
wägen der vorliegenden Verhältnisse nothwendig. Vornehmlich 
kommt es auf den Charakter, die Schwere, das Vorgeschrittensein 
der Neurose an, besonders auch auf die Empfindlichkeit und Reizbar¬ 
keit der Sexualorgane. Ferner scheint es wichtig, ob die Erkran¬ 
kung durch einen einzigen Eingriff oder nur durch eine längere 
Behandlung zu beseitigen ist, auch, ob schon derartige Behandlungen 
vorangegangen sind. Gerade die Ueberempfindlichkeit der Sexual¬ 
organe zu beachten ist sehr wichtig, und ich kenne Fälle vou Neu¬ 
rosen, bei denen schon durch eine oder durch eine wiederholte 
Untersuchung heftige Hysteralgieen hervorgerufen wurden, welche 
Anfangs jeder Behandlung trotzten und erst nach vielen Monaten 
allmählich verschwanden. 


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ß. September. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 737 


Man erlebt es, dass ganz unbedeutende Dinge, wie geringe 
Erosionen am Muttermund, geringer Cervixkatarrh und Aehuliches 
bei Neurosen lange behandelt werden, manchmal nur um etwas zu 
thun oder um eine psychische Wirkung hervorzubringeu. Ich halte 
ein solches Verfahren uicht nur für unrichtig, sondern bei Neurosen 
auch für bedenklich. Abgesehen davon, dass man auf andere Weise 
auf die Kranken psychisch einzuwirkeu vermag, kann man auch 
direkte Verschlimmerungen hervorrufen. So entstanden bei einer 
Kranken mit einer Erschöpfungsneurose, welche gar uicht über 
Unterleibsbeschwerdeu geklagt hatte, aber dennoch wegen unbe¬ 
deutender Dinge gynäkologisch behandelt wurde, in direktem An¬ 
schlüsse daran Zuckungen hysterischer Natur im linken Arme. Die¬ 
selben verschwanden allmählich nach dem Aufgeben der Behand¬ 
lung, kehrten aber sofort wieder, als die gynäkologische Behandlung 
zum zweiten Male aufgenommen wurde. 

Genügt eine einfache, nicht zu eingreifende gynäkologische Be¬ 
handlung, so vermag eine solche die Behandlung von Neurosen ent¬ 
schieden zu unterstützen. Am besten scheint sie begonnen zu 
werden, weun die Neurose sich anfängt zu bessern; ich führe dafür 
ein Beispiel au. Bei einer Kranken, welche an einer Verbindung 
von Melancholie und Hypochondrie litt, wurde die Behandlung einer 
Parametritis versucht, zumal dieselbe viel Beschwerden machte. 
Allein die vorhandenen Augstzustände vermehrten sich und die 
Kranke wurde zuerst meiner Behandlung überwiesen. Nach einigen 
Monaten war die nervöse Erkrankung bedeutend gebessert und 
die gynäkologische Behandlung kam mit bestem Erfolge zu ihrem 
liechte. 

Nicht immer ist der Erfolg ein so guter. So entsinne ich mich einer 
Kranken mit einer ziemlich schweren Erschöpfungsneurose, welche eine gut 
reponirbare Retroflexio hatte. Da die nervösen Beschwerden gerade zur 
Zeit der spärlichen Menses sehr stark waren, sandte ich die Kranke in 
gynäkologische Behandlung zur Anlegung eines Pessars. Dies schien auch 
Anfangs von gutem Erfolge zu sein. Allein das Pessar war schwierig fest 
zu legen, musste häutig gewechselt werden, und diese wiederholten Manipu¬ 
lationen riefen grössere Erregungen hervor, so dass davon abgesehen wer¬ 
den musste. 

Eine andere Kranke litt an hysterischer Parese der Beine und ab und 
zu auftretenden Krampfanfällen. Ausserdem wurde ein starker Katarrh des 
Uterus und eine grosse Empfindlichkeit der vergrösserten Ovarien con- 
statirt. Da die Kranke von diesen Störungen ziemliche Beschwerden hatte, 
wurde gynäkologischerseits eine Behandlung versucht. Allein während der¬ 
selben trateu sehr bald anfallsweise psychische Störungen in der Form eines 
hysterischen Aequivalents auf, so dass die Behandlung sistirt werden musste. 
Ich bin weit entfernt, zu glauben, dass die gynäkologische Behandlung an 
sich diese psychischen Störungen verursacht habe; dieselben wären bei 
anderer Gelegenheit auch aufgetreten, zumal in diesem Falle. Die Krankheit 
entwickelte sich so weiter, dass alle anderen hysterischen Erscheinungen 
verschwanden und sich eine Verrücktheit mit hysterischer Färbung aus- 
bildete. Ich erwähne nur, dass auch eine gynäkologische Behandlung ein¬ 
mal die Gelegenheitsursache zur Entwickelung psychischer Störungen bei 
Hysterischen abgeben kann. 

Einer anderen Krauken, welche an einer Erschöpfungsneurose mit 
hypochondrischer Färbung litt, war wegen eines eiterigen Cervicalkatarrhs 
und breiter Erosionen beider Muttermundslippen ein tiefer Ccrvicalriss ge¬ 
näht worden. Die Operation beseitigte den Katarrh, allein von Stund’ an 
trat eine Verschlimmerung der Neurose ein. Die Kranke gab an, sogleich 
nach der Operation habe sie gefühlt, dass eine Veränderung mit ihr vorge¬ 
gangen sei; sie habe auch deutlich gefühlt, wie die letztere von der Stelle 
der Operation ausgehe, und fühle dies noch. Diese Veränderung in ihrem 
Körper, welche sie nicht näher beschreiben konnte, war verbunden mit 
zahlreichen neuen Sensationen, welche gleichfalls alle von der Stelle der 
Operationen auszugehen schienen, und zwar ausstrahlend nach Rücken, 
Kopf, Beinen etc. 

Es erscheint bemerkeuswerth, dass eine immerhin kleine der¬ 
artige Operation eine bedeutende Verschlimmerung einer Neurose 
liervorrufen kann. Ohne Zweifel war für die Operation durch den 
vorhandenen schwächenden Cervicalkatarrh eine ludicatiou gegeben; 
allein solch’ ein Fall mahnt zur Vorsicht, bei ausgeprägten Neurosen 
überhaupt zu operiren, wenn nicht unabweisbare lndicatiouen vor¬ 
liegen. Sicherer ist es, man lässt erst eine Behandlung der Neu¬ 
rose eintreten und schliesst dann die Operation an, wenn sie noch 
nothwendig erscheint. Ich möchte hierbei auf die Veröffentlichungen 
von Play fair hinweisen, welcher in ähnlichen Fällen gleichfalls 
zuerst von eiuer gynäkologischen Behandlung absah und die Neu¬ 
rose behandelte, und zwar mit dem W. Mitchel’schen Verfahren 
oft so erfolgreich, dass eine gynäkologische Behandlung unnöthig 
wurde. Ich glaube nicht, dass dies immer der Fall ist; sicher aber 
werden durch diese und ähnliche Behandlungsweisen die Nerven 
von neuem so widerstandsfähig gemacht, dass sie eine gynäkolo¬ 
gische Behandlung ohne Nachtheil ertragen. 

Ich komme zu einer Reihe von Fällen, welche dem Neurologen 
die schwierigsten Aufgaben bieten. Es sind dies Neurosen, welche 
lange Zeit, Jahre lang einer gynäkologischen Behandlung unter¬ 
worfen wurden und zum Schlüsse dem Neurologen überantwortet 
werden, Fälle von Neurasthenie, Hypochondrie, Hysterie oder Misch¬ 
formen dieser. Die Kranken haben Flexionen, Katarrhe, Senkungen, 


Adhäsionen des Uterus, Reste von Exsudaten etc. und sind gewöhn¬ 
lich schon mehrfach gynäkologisch behandelt. Ich bin weit ent¬ 
fernt anzunehmen, die gynäkologische Behandlung sei nicht indieirt 
gewesen, denn es liegen immer beachtenswerthe Erkrankungen vor: 
auch lassen sich oft ganz direkte Beziehungen zwischen Neurose 
und Erkrankung des Geschlechtsapparates nachweisen — allein die 
Beobachtungen, welche man an diesen Kranken macht, geben zu 
denken. Die so behandelten Kranken zeigen besonders häufig eine 
ungemeine Ueberreizung des ganzen Nervensystems, so dass sie auf 
alle Medicationen in abnorm erhöhtem Maasse reagireu und oft 
die schwächste derselben nicht vertragen. Es kommt diese Erschei¬ 
nung auch bei anderen Nervenkranken vor, allein dann ist dies 
entweder durch Anwendung auderer, theils ungeeigneter, theils über¬ 
trieben forcirter Behandlungsmethoden hervorgerufen oder es handelt 
sich um ganz bestimmte Formen von Neurosen, welche schon im 
Beginn der Erkrankung diese Eigentümlichkeit zeigen. 

Dies ist aber bei den hier vorschwebenden Fälleu nicht zu cou- 
statiren. Dieselben zeigen ausserdem eine grosse Hyperalgesie und 
Hyperästhesie des Geschlechtsapparates, so dass jede locale Unter¬ 
suchung fast unmöglich geworden ist. Dies bestand keineswegs 
von Anfang der Erkrankung an, sondern die Kranken leiten den 
Beginn des Zustandes von ganz bestimmten Zeitabschnitten inmitten 
einer gynäkologischen Behandlung her. 

Endlich haben diese Kranken häutig Sensationen, welche sie 
in die Gegend der Geschlechtsteile verlegen, besonders des Scheiden¬ 
gewölbes und der äusseren Geschlechtsteile. Es ist dies an sich 
kein seltenes Vorkommniss, bei den vorliegenden Fällen aber ge¬ 
hören auch diese Erscheinungen einer späteren Periode der Krank¬ 
heit an, einer Zeit, hiuter welcher schon eine längere gynäkologische 
Behandlung liegt. 

Man wird hier vor die Frage gestellt, ob nicht die gynäkolo¬ 
gische Behandlung als die Ursache solcher schweren Erscheinungen 
anzusehen ist. Denn schwere Erscheinungen sind es, wenigstens 
mit Rücksicht auf die Schwierigkeit oder die Unmöglichkeit erfolg¬ 
reicher Behandlung. Ich führe kurz einige Beispiele an. 

Bei einer neurastheuischeu Kranken, welche, abgesehen von vielen 
anderen Erscheinungen, grosse allgemeine .Schwäche und Apathie zeigte, 
wurden eine bewegliche Retroversio und ausgebreitete Erosionen am Mutter¬ 
munde gefunden. Man nahm deshalb die Excisio labiorum vor. Da die 
Erosionen jedoch wiederkehrteu, wurde zuerst von demselben Gynäkologen, 
dann von einem zweiten solchen 1 */a Jahre laug versucht, dieselben durch 
verschiedene Methoden, Aetzen etc. zu bekämpfen. Bald nach der Operation 
nahm die Schwäche in der That ab, allein während der darauf folgenden 
Behandlung stellte sich allmählich eine Aufregung ein, die immer mehr zu- 
nahra und besonders bei jeder Untersuchung per speculum, zuletzt schon bei 
jeder Ausspülung sich steigerte. Bisweilen traten so grosse Erregungen ein, 
dass die Kranke für Augenblicke die Oontrole über sich vollständig verlor. 
Erst als die Behandlung ausgesetzt wurde und ein dritter Gynäkologe nur 
ein Pessar einlegte (welches ich später auch entfernte), liessen die Erregungen 
nach; allein die Neurose hatte sich im Ganzen bedeutend verschlimmert. 
3 l /s Jahre nach dem Bcgiun der gynäkologischen Behandlung kam die Kranke 
zu mir. Sie bot das Bild ungemeiner nervöser Ueberreizung und die einfachsten 
Maassnahmen riefen Anfangs bei ihr sofort ohnmachtartige Zustände, Anfälle von 
Atherabesehwerden (ähnlich dem Stoke’sehen Phäuomeu) und dergleichen 
Erscheinungen hervor. Erst ganz allmählich konnte sie Maassnahmen ver¬ 
tragen, welchen Nervenkranke gewöhnlich sehr gut gewachsen sind. 

Bei einer zweiten neurasthenischen Kranken, welche unter vielem An¬ 
deren Schmerzen und Ziehen im Leibe, im Rücken, in den Extremitäten, 
besonders beim Gehen, hatte, w'urde wegen Enge der Vagina eine allmähliche 
Weitung der letzteren vorgenommen und zugleich eine wenig bewegliche Retro¬ 
flexio behandelt. Während dessen zeigte sich eine Zunahme derallgemeinen Ner¬ 
vosität und auch der Schmerzen in Kreuz und Leib. Nach einigen Jahren wurde 
eine neue Behandlung der Retroflexio vorgenommen, und zwar längere Zeit 
mit der Sonde. Dieselbe blieb ohne Erfolg, und es begann von da ab eine 
Reihe neuer nervöser Erscheinungen an den verschiedensten Körperstellen 
aufzutreten, die immer mit den Sexualorganen in Verbindung standen und 
daselbst bald ihren Anfang, bald ihr Ende nahmen. Als die Kranke zu mir 
kam, zeigte auch sie jene übermässige Reizbarkeit des ganzen Nerven¬ 
systems; auch sie reagirte auf die geringsten Medicationen mit heftigen 
Beschwerden. Besonders gross war die Reaction an sich ganz indifferenter 
Mittel auf fast alle Schleimhäute; daselbst vertrug sie selbst Wasser nur in 
bestimmter mittlerer Temperatur und der geringste Zusatz rief heftiges 
Brennen hervor — und Aehuliches. Diese mehr hypochondrischen Zustände 
lähmten jeden Versuch einer Behandlung. 

Fälle, wie dieser, sind meist nicht zu heilen, und auch Curen, 
wie die W. Mitchell’sche sind nicht mehr anwendbar. Dabei 
ist es ohne Zweifel ein sehr erschwerendes Moment, dass die gynä¬ 
kologische Erkrankung überhaupt nicht zu beseitigen ist. 

Eine andere Frage ist es, ob man in solchen Fällen auf die 
gynäkologische Behandlung verzichten und so die Verschlimmerun¬ 
gen vermeiden konnte. 

Im letzterwähnten Falle erforderten die vorhandenen Sexual- 
erkrankuugen, welche mehr direkte nervöse Neigungen hervor- 
riefeu, sicher eine Behandlung, wenigstens musste eine solche ver¬ 
sucht werden. 

Nach dem ersten Versuche, welcher nicht zum Ziele führte, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36 


trat eine Verschlimmerung der Neurose ein. Man musste daher 
von dem zweiten Versuche einer Behandlung, wenn er auch erst 
nach einigen Jahren gemacht wurde, abstehen, zumal von einer 
ziemlich eingreifenden und lange fortgesetzten Behandlung mit der 
Sonde, denn auf diese ist wahrscheinlicher Weise grössten Theils 
jene bedeutende Verschlimmerung der Nervenkrankheit zurückzu- 
führeü, mit welcher die Möglichkeit einer Heilung verloreu ging. 

ln dem ersterwähnten Falle war es möglich, die Verschlimme¬ 
rung zu vermeiden. Die erste Operation, die Excitio labiorum, war 
gerechtfertigt und auch ohne Nachtheil. Allein die angeschlossene 
langjährige Behandlung war fehlerhaft und bat ohne Zweifel die 
grosse Erregung und allgemeine L'eberreiztheit zur Folge gehabt. 

Ich lege hierbei den Nachdruck auf die Länge der Behand¬ 
lung. Gesunde Nerven vertragen eine solche wohl längere Zeit, 
kranke kaum. Im Ganzen ist irgend eine bestimmte Art der gy¬ 
näkologischen Behandlung gewiss weniger schädlich, als eine zu 
lange, auf Jahre ausgedehnte. 

Wie nachtheilig langdauernde solche Behandlungen bisweilen 
wirken können, sah ich bei einer leicht ueurasthenischen Kranken; 
bei ihr stellte sich unter einer solchen ein unerträglicher Reiz 
ein, welcher zur Onanie Veranlassung gab. Die letztere wiederum 
verschlimmerte die Neurose bedeutend und fügte ein neues, sehr 
nachtheiliges Moment hinzu. 

Ich schliesse noch einen Fall an, welcher insofern von In¬ 
teresse ist, als sich bei einer im Ganzen gesunden Frau im An¬ 
schluss an eine gynäkologische Operation eine schwere Neurose 
entwickelt hat. 

Der betreffenden Kranken waren 1873 und 1874 Dainmrissoperationeu 
gemacht worden, welche nicht vollständig gelangen. Seitdem war sie leichter 
angegriffen, konnte nicht mehr so viel vertragen wie früher, fühlte sich aber 
im Uebrigen gesund. Beschwerden hatte sie nur bei dünnem Stuhlgang, 
den sie nicht gut halten konnte. 

Frühjahr 1886 klagte sie über Schmerzen in der rechten Seite des 
Leibes, die im Anschluss an die Periode auftraten und sich beim Gehen 
vermehrten, und über zu starke Menstrualblutung; es wurde daher im April 
der Uterus ausgeschabt und dabei ein Schleimpolyp entfernt, wonach sich 
die Kranke ganz gut befand, besonders auch gut schlief. Nach drei Wochen 
wurde eine zweite Operation zur Verbesserung der früheren Dammrissope¬ 
ration vorgenommen. «Der noch klaffende After wurde dadurch verengert, 
dass eine nach hinten verlaufende Flächennarbe, die von einer Durchschnei¬ 
dung des Sphincter herrührte, obertlächlich ausgeschnitten und die Wunde 
genäht wurde. 1 ) 

ln unmittelbarem Anschlüsse an diese Operation begann die nervöse 
Erkrankung. Sofort, als die Kranke aus der Narkose erwachte, hatte sie das 
Gefühl, als ob im After Alles verändert, Alles zerschnitten sei, als ob ihr 
dort Alles fehle und sie ruinirt sei. ln der ersten Woche nach der Ope¬ 
ration hatte sie eine fortwährende Unruhe im Darm und rasende Schmerzen 
an der Stelle der Operation; seitdem verlor sie den Schlaf. Als am Ende 
der ersten Woche Stuhlgang erfolgte, fehlte ihr sogleich das Gefühl des 
Afterflusses; sie fühlte, dass sie den Stuhlgang weder durch Druck befördern 
noch zurückhalten konnte. Dabei hatte sie nie das Gefühl des Fertigseins, 
der Ruhe im Darm, sondern immer das Gefühl des Drängens. 

Als sie nach drei Wochen aufstand, fühlte sie sich sofort im ganzeu 
Körper verändert. Es fehlte ihr das Selbstgefühl und es war ihr, als ob sie 
eine Andere sei. Ihr Wesen war verändert; in der Nähe sah sie Alles wie 
durch einen Schleier, in der Ferne Alles wie stereoskopisch. Für nichts 
hatte sie mehr Interesse, Angst und Unruhe trieb sie hin und her. Am 
meisten regten sie die Beschwerden in der Aftergegend auf: dort sei Alles 
abgestorben und sie fühlte im After einen fortwährenden Reiz, der sich den 
Rücken entlang bis zum Kopf fortpflanze und ihr einen unerträglichen Zu¬ 
stand schaffe. 

Die Untersuchung ergab keine besonderen Abnormitäten. Auch die 
Sensibilität am Damm, in der Aftergegend und auf der Darmschleimhaut 
war vollständig normal erhalten. Pat. konnte ziemlich gut pressen und der 
in den After eingeführte Finger wurde ziemlich fest uraschnürt. 

Obgleich die Kranke sich unter geeigneten Maassnahmen körperlich 
bald sehr erholte, wurden die krankhaften Sensationen stärker und ab und 
zu traten vollständige hypochondrische Anfälle auf. Pat. drang auf noch¬ 
malige Operation, weil sie mit diesen Beschwerden nicht weiter leben könne. 
Da von der ersten Operation ein kleiner Stichcanal zwischen Darm und 
Scheide offen geblieben war, konnte man ihrem Drängen scheinbar nach¬ 
geben und den Stichcanal schliessen. Der Erfolg war ein negativer. Die 
Kranke gab an, dass sie nun auch den letzten Rest von Gefühl bei der 
Stuhlentleerung verloren habe und dass der Reiz im Darm noch stärker sei 
als früher. 

Der Fall ist dadurch interessant, dass sich an die zweite Ope¬ 
ration direkt eine schwere hypochondrische Erkrankung anschliesst, 
und zwar beziehen sich die hauptsächlichsten krankhaften Empfin¬ 
dungen und Vorstellungen direkt auf die Stelle der Operation und 
gehen von ihr aus. Als sonstige Ursache dieser auffallenden Er¬ 
scheinung läfst sich wenig auffinden. Die Operation selbst war 
eine leichte und wenig eingreifende. Allerdings war einige Wochen 
vorher schou ein Uteruspolyp entferut worden. Allein auch dies 
kann man kaum als schwächendes Moment anführen, da die Kranke 
sich danach ganz wohl fühlte. Sie hatte keine Disposition zu ner- 

*) Sitzungsbericht der gynäkologischen Gesellschaft zu Berlin, 1887. 


vösen Erkrankungen, allein ihr allgemeiner Kräftezustand war mit 
den Jahren durch verschiedene schwächende Eiuflüsse ein schlech¬ 
terer geworden. Wenn dies auch bei der Beurtheilung beachtens¬ 
wert!) ist, so scheint es doch nicht als Erklärung für das Auftreten 
einer so schweren Erkrankung nach der Operation zu genügen. 

Bei der Operation wurden ziemlich grosse Mengen Jodoform 
angewendet und man könnte vermuthen, dass das letztere die hy¬ 
pochondrische Erkrankung hervorgerufen habe. Allein die Intoxi- 
cationen durch Jodoform haben meist einen anderen Charakter, 
mehr denjenigen acuter psychischer Störungen mit Sinnestäuschun¬ 
gen. Es kommen allerdings uach der Anwendung mancher Mittel 
Intoxicationsneurosen vor. So sah ich nach dem Einträufeln von 
Atropin in die Augen Zwangsvorstellungen sich entwickeln. Allein 
dies geschieht nur, wenn solche Mittel längere Zeit hintereinander 
applicirt worden sind, während im vorliegenden Falle es sich um 
eine kurzdauernde Anwendung des Jodoforms handelt. 

Die Chloroformnarkose ist manchmal die Gelegeuheitsursache 
für das Auftreten uervöser Symptome. So sah ich eineu Kranken 
mit Zwangsvorstellungen, bei welchem bald nach dem Erwachen aus 
der Narkose zum Zwecke einer kleinen Operation zahlreiche hypo¬ 
chondrische Vorstellungen auftraten, welche vorher nicht existirt 
hatten. Allein die uns beschäftigende Kranke hatte kurz vorher bei 
der ersten Operation eine Narkose gut vertragen, und so fällt dies 
Moment fort. 

Es bleibt als hauptsächlichste Ursache der Erkrankung uur 
die Operation übrig. Wie man sich dies zurechtlegen könnte, lasse 
ich bei Seite und erwähne nur, dass es im Bereiche der Neurosen 
eigentümliche Analoga giebt. 

So sah Westphal bei einem vorher ganz gesunden Mädchen 
eine Hypochondrie entstehen nur in Folge des Anblicks einer 
Hämoptoe, welche ein neben ihr gehendes Mädchen bekam. Die 
hypochondrischen Vorstelluugeu bezogen sich vorwiegend auf die 
Brust. 

Ich weiss eine neurastheuische Kranke, bei welcher in Folge 
Anblicks eines epileptischen Anfalles vorher nicht dagewesene hy¬ 
pochondrische Erscheinungen auftraten und von da ab das Krauk- 
heitsbild beherrschten. 

Bei Betrachtung des vorliegenden Falles drängt sich einem die 
Frage auf, ob nicht gelegentlich auch eine gynäkologische Behand¬ 
lung bei sonst Gesunden nervöse Symptome oder eine Neurose 
hervorrufen können. Bei einer uicht zu lange anhaltenden Behand¬ 
lung geschieht dies wohl niemals, allein bei einer sehr lange 
dauernden und wiederholten solcheu dürfte die Möglichkeit nicht 
ganz ausgeschlossen sein; bei dem Nervenreichthum des Ge¬ 
schlechtsapparates ist dies schon denkbar. Analoga dazu bieten 
andere Organe, z. B. die Sinnesorgane. So sah Remak nach 
einer sehr lauge dauernden Behandlung eines Ohrenleideus eine 
Hypochoudrie sich entwickeln. Allerdings ist für das Gebiet der 
functionellen Nervenkrankheiten der Begriff des Gesunden ein sehr 
dehnbarer und Viele gelten noch für gesund, welche kurz vor dem 
Ausbruche einer Neurose stehen oder wenigstens den sicheren Keim 
einer solchen schon in sich tragen. Es sind dies Personen, 
welche entweder nervös belastet sind oder allmählich durch schäd¬ 
liche Einflüsse eine nervöse Disposition erworben haben. Bei 
diesen kann jede eingreifende Behandlung au nervenreicheu Or¬ 
ganen die Gelegenheitsursache zum Ausbruche einer Neurose wirkeu. 
also auch eine gynäkologische Behandlung. 

So weiss ich eine Kranke, welche von Jugend auf sehr 
schwächlich und leicht erschöpft war. Dieselbe klagte über ziehende 
Schmerzen im Unterleibe, die nach dem Rücken ausstrahlten, Be¬ 
schwerden, die sich zur Zeit der Menses steigerten. Objectiv liess 
sich ziemliche Empfindlichkeit des Leibes und ein geringer Uterus¬ 
katarrh aufweisen. Es wurde nun eiue lange gynäkologische Be¬ 
handlung vorgenommen, unter welcher sich eine wirkliche Neurose 
entwickelte, zuerst eine Neurasthenie, später eine schwere Hypo¬ 
chondrie, welche Jahre zur Besserung brauchte. 

Man sieht daraus, eine wie wichtige Vorbedingung das Vor¬ 
handensein eines gesunden, unbeschädigten Nervensystems es ist. 
um ohne Nachtheil eine eingreifende und länger dauernde Behand¬ 
lung nervenreicher Organe einleiten zu können. 

Y. Die wichtigsten Vorkommnisse des 
Jahres 1887 auf dem Gebiete der Bacteriologie. 

Von Dr. Carl Günther in Berlin. 

(Fortsetzung aus No. 35.) 

III. Gährung und Fäuluiss. PtoniaTne. 

Brieger (diese Woehenschr. 1887, No. 22) erhielt durch Einwirkung 
von Bacterien aus menschlichen Fäces auf Gelatine ein Ptomain, welches 
identisch ist mit dem früher von dem Autor aus faulen Heringen und 
Barben dargestellten Gadinin. Meerschweinchen zeigten sich für das Gift 
nur wenig empfänglich. Bei grossen Gaben kam Prostration und Paralyse 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


739 


6. Septe mber. 

zu Stande. Brieger räth, bei der paralytischen Form der Fischver¬ 
giftung beim Menschen auf Gadinin zu achten. — Ueber das „Tyro- 
toxikon“, eine äusserst giftige Substanz, welche sich unter dem Einflüsse 
von Fermenten (Buttersäureferment) in der Milch bildet, hat Vaughan 
eine Reihe von Mittheilungen gemacht. Der Autor berichtete (Med. News. 
1887) über eine Anzahl von Vergiftungsfällen (zum Theil mit tödtlichem 
Ausgange), welche durch den Genuss von verdorbener Milch veranlasst 
waren, in der das genannte Gift (durch Aether extrahirbar) nachzuweisen 
war. Auch in Vanille-Eis, nach dessen Genuss eine Reihe von Personen 
erkrankt waren, wies der Autor (Arch. f. Hyg. 1887) das Tyrotoxikon nach, 
und ebenso in einer Probe von Milch, die bei einem Säugling acuten 
Brechdurchfall erzeugt hatte. Vaughan ist der Ansicht, dass der 
acute Brechdurchfall des Säuglingsalters sehr häufig auf den Genuss in 
derartiger Weise verdorbener Milch zu beziehen sei. — Durch Wallace 
(Med. News 1887) wurde das Tyrotoxikon auch in Käse nachgewiesen, 
durch dessen Genuss Vergiftungsfalle stattgefunden hatten. 

Sternberg (Med. News 1887) fand, dass bei dem Wachsthum solcher 
Bacterien, die die Gelatine verflüssigen, eine lösliche chemische Substanz 
gebildet wird, die, in sehr kleinen Mengen grossen Quantitäten unveränderter 
flüssiger Gelatine zugesetzt, der letzteren die Fähigkeit nimmt, bei niedriger 
Temperatur zu erstarren. — Rietsch (Journ. de Pharm, et de Chim. 1887) 
bewies experimentell die fibrinverdauendo (peptonisirende) Kraft der 
in Culturen von Cholerabacillen und in solchen von Staphylococcus aureus 
gebildeten Fermente. Den Fermenten, die sich in Typhus- und Tuber- 
culosebacillenculturen finden, kommt diese peptonisirende Eigenschaft 
nicht zu. 

Rosenheim (Fortschr. d. Med. 1887, No. 11) züchtete aus einem 
Cystitisurin, der starken Schwefelwasserstoffgehalt darbot, einen 
kurzen Bacillus, der die Gelatine nicht verflüssigt und sich an den Enden 
stärker färbt als in der Mitte. Reinculturen dieses Bacillus, in sterilen 
normalen Drin verimpft, verursachten in dem letzteren Schwefelwasserstoff¬ 
entwickelung. Woher der Schwefel stammt, lässt der Autor noch dahin¬ 
gestellt. — Müller (Berl. klin. Wochenschr. 1887, No. 23 — 24) wies in 
einem schwefelwasserstoffhaltigen Urin bei einer phthisischen Person zwei 
verschiedene Arten von Mikrococcen nach. Es bestand in dem Falle 
Blasenscheidenfistel. 

Linduer (Wochenschr. f. Brauerei 1887, No. 23) isolirte ein neues, 
iu Malzmaischen vorkommendes, Milchsäure bildendes Ferment, 
«Pediococcus acidi lactici“. Dasselbe besteht aus 0,6 bis 1,0 ß im Durch¬ 
messer haltenden, meist in Tetraden angeordneten Cocceu. — Mit den Or¬ 
ganismen der Buttersäuregährung beschäftigte sich Gruber (Centralbl. 
f. Bact. Bd. 1, 1887, No. 12). — Alvarez (C. r. acad. des sc. Paris 1887) 
fand, dass die Ursache der Indigobildung bei den Pflanzen aus der 
Gattung Indigofera Gährung ist, die durch einen bestimmten, 3 ß langen, 
l,o ß dicken, beweglichen Bacillus, den -Bacillus indigogenus“, ver¬ 
anlasst wird. Derselbe lässt sich leicht züchten. Sterile Abkochungen der 
Blätter vou Indigofera bleiben unverändert; der eingeimpfte Bacillus ver¬ 
anlasst sofort Indigobilduug. Die Bacillen werden dann nach einiger Zeit 
selbst gefärbt. Die Bacillen sind wie die der Pneumonie von einer Kapsel 
umgeben. Controlversuche mit Pneumoniebacillen zeigten, dass auch diese 
die Indigobildung veranlassen, während anderen Bacterien diese Fähigkeit 
nicht zukommt. Der Bacillus indigogenus ist für Versuchstiere pathogen. 

Bei Ozaena fand Hajek (K. K. Ges. d. Aerzte in Wien 1887) ausser 
verschiedenen anderen pathogenen und nicht pathogenen Organismen auch 
einen kurzen, paarweise oder in Ketten auftretenden Bacillus, „Bacillus 
foetidus ozaenae“, welcher organische Substanzen unter Entwickelung 
scheussliclien Gestankes zersetzt und für Thiere pathogen ist. Ozaena konnte 
nicht damit hervorgerufen werden. 

IT. Allgemein •Biologisches. 

H. Büchner, Longard und Riedlin (Centr. f. Bact. Bd. 2. 1887. 
No. 1) stellten Untersuchungen über die Vermehrungsgeschwindigkeit 
der Bacterien, speriell des Cholerabacillus, an; sie fanden, dass bei 37° C 
in je 20 bis 40 Minuten eine neue Generation der Cholerabacillen ge¬ 
bildet wird. 

Ganz ausserordentlich wichtige und überraschende Beobachtungen ver¬ 
öffentlichte Globig (Zeitschr. f Hyg. Bd. 3. 1887). Der Autor wies durch 
Züchtung auf Kartoffeln, und zwar unter Anwendung einer bestimmten, dazu 
ausgearbeiteten Methode, in den oberflächlichen Bodenschichten in weitester 
Verbreitung das regelmässige Vorhandensein von Mikroorganismenkeimen 
nach, welche bei Temperaturen von 50—70° C sich zu entwickeln 
vermögen. Die untere Temperaturgrenze für das Wachsthum der einzelnen 
Arten (fast ausschliesslich Bacillen, 2 Schimmelpilze) ist sehr verschieden. 
Nur eine Art wuchs auch bei Zimmertemperatur auf Kartoffeln. — Bei Ge¬ 
legenheit dieser Untersuchungen fand derselbe Autor (ebenda) einen am 
besteu bei 45° wachsenden Kartoffelbacillus, „rother Kartoffel¬ 
bacillus' 4 , welcher durch niedrige, feine und dicht gedrängte Falten, durch 
eine röthlichgelbe, oft rosenrothe Farbe, welche er der Kartoffeloberfläche er- 
theilt, und durch einen eigentümlichen, an gekochten Schinken erinnernden 
Geruch sich kennzeichnet. Die Sporen desselben haben eine ganz un¬ 
gewöhnliche Widerstandsfähigkeit. Sie werden durch Vio 0 /oige 
.Sublimatlösung erst in 90 Minuten getüdtet, durch 5°/o ige Carbolsäurelösung 
nach 14 tägiger Einwirkung noch nicht. Im strömenden Wasserdampfe von 
100° C werden sie erst nach 5 w j bis 6 Stunden vernichtet, in Dampf von 
109—113° in J /i Stunden noch uicht, in Dampf von 113—116° aber in 
25 Minuten, von 122—123° in 10 Minuten, von 126° in 3 Minuten, von 
127° in 2 Minuten, in Dampf von 130° augenblicklich zerstört. — Aehnlich 
resistente Keime fand E. v. Esmarch (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2. 1887) ge¬ 
legentlich der Prüfung des Henneberg’schen Dampfdesinfectionsapparates: 
In der Erde kommt eine Art kleiner langsam wachsender Bacillen vor, deren 
Sporen erst durch 85 Minuten lange Einwirkung des strömenden Dampfes 
von 100° C vernichtet werden, während eine 80 Minuten lange Einwirkung 
hierzu nicht genügt. 


Manfredi (Rendic. della R. Acc. dei Lincei 1887) fand, dass ein Zu¬ 
satz von Fett zum Nährboden die Vermehrungsfähigkeit der Bacterien 
und ihre Virulenz beeinträchtigt. Virulente Milzbrandculturen, die in Agar 
eingeimpft wurden, welchem ! / 3 seines Volumens Fett zugesetzt war, zeigten 
sich nach 2 bis 3 tägigem Stehen bei 37° C ihrer Virulenz beraubt. Bei 
28—30° C sind 20—3ü Tage, bei 19 — 20° G 25—45 Tage nöthig, um diese 
extreme Abschwächung hervorzubringen. Die Abschwächung besteht dann, 
wenn man die Culturen weiterzüchtet, durch Generationen unverändert in 
demselben Grade fort. Meerschweinchen und Mäuse sind durch Vaccinatiou 
mit diesen Culturen nicht immun zu machen gegen virulente Milzbrand¬ 
culturen; bei Kaninchen glückt die Imraunisirung bisweilen. Der Autor ver¬ 
mochte auch die Barbonebacterien (cf. diese Wochenschr. 1888 No. 33, p. 677) 
durch Cultur auf fetthaltigem Nährboden abzuschwächen. Meerschweinchen, 
Mäuse, manchmal auch Schafe gelang es mit den abgeschwächten Culturen 
immun zu machen gegen Infection mit virulentem Material. Der Grad der 
Virulenz lässt sich bei den Barbonebacterien aber nicht (wie beim Milzbrand) 
künstlich weiterzüchten. 

Ueber „Antagonismus unter den Bacterien 14 berichtete Garre 
(Correspondeuzbl. f. Schweizer Aerzte, 1887, No. 13). Er fand, dass es 
Bacterien giebt, deren Gultivirung auf einem bestimmten Nährboden den 
letzteren ungeeignet macht für die Ansiedelung bestimmter anderer Bacterien. 
So z. B. gelang es dem Autor, Gelatine durch darauf vorgenommene Culti- 
virung des Bacillus fluorescens putidus Flügge „immun“ zu machengegen 
Staphylococcus aureus, Typhusbacillus, Friedländer's Bacillus, Rosahefe. 

— Prudden (Med. Record. 1887) stellte Untersuchungen an über den 
Einfluss, den das Einfrieren auf Bacterien hat. Staphylococcus aureus 
und Typhusbacillus vertragen, wie sich zeigte, den Einfluss höherer Kälte¬ 
grade ausserordentlich lange. — Arloing (Semaine med. 1887, No. 10) 
fand, dass Milzbrandsporen in Bouillon durch die Einwirkung direkten 
Sonnenlichtes in wenigen Stunden ihre Keimfähigkeit einbüssen. 

Schottelius (Festschr. f. A. v. Kölliker Leipzig 1887) publicirte 
„Biologische Untersuchungen über den Mikrococcus prodigiosus“, welche 
von ganz allgemein-biologischem Interesse sind. Der Autor constatirte 
unter Anderem, dass der Mikrococcus prodigiosus in dünnflüssigen Nähr¬ 
medien und bei höherer Temperatur lebhafte Eigenbewegung darbietet. Der 
Farbstoff befindet sich innerhalb der Zellen; erst beim Absterben 
diffundirt derselbe in die Umgebung. Der Autor wies ferner nach, dass die 
Gultivirung bei höherer Temperatur (38—39°C) farblose Colonieeu liefert, 
die, in gewöhnliche Temperatur zurückgebracht, zunächst ihre Farbe bald 
wiederbekommen. Wird jedoch eine Reihe von 10 — 15 Umzüchtungen hinter 
einander vorgenommeu, so wird dann die Farbe nicht an allen Stellen derColonie 
durch niedrige Temperatur wiederhergestellt. Schottelius studirte ferner 
die Eiuwirkung verschiedener Gase auf die Entwickelung des genannten 
Pilzes. In reinem Sauerstoff wird zunächst gar kein rother Farbstoff ge¬ 
bildet; erst wenn sich andere gasartige Stoffwechselproducte gebildet haben, 
tritt die Pigmentbildung ein. Die Gulturen hleibcn aber stets hinter den in 
atmosphärischer Luft gezüchteten zurück. In Wasserstoff wächst der Pilz 
ausgezeichnet und bildet den brillantesten Farbstoff; in Kohlensäure wächst, 
er farblos, im luftleeren Raume gar nicht. Farbenbildung und Production 
vou Trimethylamin gehen bei dem Mikrococcus prodigiosus stets Hand in 
Hand. Der Mangel der Sporenbildung bestimmt Schottelius, den Pilz 
nicht, wie es Flügge thut, zu den Bacillen zu rechnen, sondern hei den 
Mikrococcen zu belassen. 

Cahen (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2 1887) studirte das Reductions- 
vermögen der Bacterien, indem er den Nährböden Lackmus zusetzte. 
Durch die reducirende Thätigkeit der Bacterien kommt dann Entfärbung 
des Nährbodens zu Stande. Der Autor fand, dass diejenigen Bacterien, die 
die Gelatine verflüssigen, auch reducirend wirken. Von den nicht ver¬ 
flüssigenden Arten reduciren die einen, die anderen reduciren nicht. Auch 
streng „anaerobe“ Bacterien, wie die Bacillen des malignen Oedems, wir¬ 
ken reducirend; d. h. sie brauchen Sauerstoff zu ihrer Entwickelung, ver¬ 
mögen denselben aber wahrscheinlich nur in statu nascendi zu assimiliren. 

— In ähnlicher Weise benutzte Spina (Centr. f. Bact. Bd. 2 1887 No. 2 
bis 3) Indigoblau oder Methylenblau, um bei dem Bacterienwachsthum 
stattfindende ReductionsVorgänge nachzuweisen. — Birch-Hirschfeld 
(Tagebl. der 60. Vers. d. Naturf. u. Aerzte, Wiesbaden 1887, p. 275—276) 
empfahl sowohl zu Unterrichtszwecken wie zu biologischen Studien Bacterien 
in gefärbten (Fuchsin, Dahlia, Victoriablau, Phloxinroth, Benzopurpurin etc.) 
Nährsubstraten zu züchten. Die Bacterien nehmen den Farbstoff auf. Ge¬ 
färbte Milzbrandbacillen waren ebenso virulent wie ungefärbte. An den 
Typhusbacillen konnte durch diese Färbungsmethode mit Sicherheit Sporen¬ 
bildung nachgewiesen werden. — Auch d'Abundo (La Rif. med. 1887 
No. 293—294) studirte das Wachsthum von Bacterien in (mit Anilinfarben) 
gefärbten Nährsubstraten. — Zu diagnostischen Zwecken will Nögge- 
rath (Tagebl. d. 60. Vers. d. Naturf. und Aerzte, Wiesbaden 1887, p. 276 
bis 277) gefärbte Nährmedien zur Anwendung bringen. Er mischt verschie¬ 
dene Anilinfarben in wässeriger Lösung zusammen, so dass ein indifferentes 
Grau entsteht. Damit wird Nährgelatine gefärbt und darauf nun mittelst 
Impfstriches die Bacterienaussaat vorgenommen. Die entstehenden Culturen 
nehmen dann je nach den verschiedenen Bacterienarten verschiedene Farbe 
an. — Auch von v. Rozsahegyi (Centr. f. Bact. Bd. 2 1887 No. 14) 
wurde die Anwendung gefärbter Nährböden als für diagnostische Zwecke 
werthvoll gefunden. Es wurde dadurch ermöglicht, einander sehr ähnliche 
Bacterienarten von einander zu unterscheiden. Kaninchensepticäraiebacillen 
z. B. wuchsen in Gentianaviolett nicht, Hühnercholerabacillen dagegen gut; 
letztere wuchsen in Vesuvin nicht, Kaninchensepticämie gut; Mäusesepticämie 
wuchs in Methylenblau kräftig, Schweinerothlauf kümmerlich. 

Ueber die chemische Constitution des Bacillus subtilis stellte 
Vincenzi (Arch. p. 1. sc. med. 1887) Untersuchungen an. Aus denselben 
geht hervor, dass der Bacillus subtilis keine Spur von Cellulose enthält; 
der Stickstoffgehalt ergab sich in verschiedenen Versuchen verschieden, und 
zwar zwischen 5,34 und U,l5°,'o schwankend. — Winogradski (Bot. 


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740 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 36 


Ztg. 1S87) behandelte die biologischen Verhältnisse der Schwefelbac- 
terien (Beggiatoa etc.), d. h. derjenigen Bactcrien, welche in ihrem Proto¬ 
plasma Schwefelkörncheu führen. Ihre Existenz ist an die Gegenwart 
freien Schwefelwasserstoffs gebunden, den sie durch einen Oxydationsprocess 
zunächst in Schwefel, dann in Schwefelsäure überführen. (Schluss folgt.) 


VI. Feuilleton. 

Der Tnbercolose-Congress in Paris. 

(Originalbericht.) 

(Schluss aus No. 33.) 

Ueber die letzten Sitzungen des Congresses bin ich nicht in ! 
der Lage, einen ausführlichen Bericht zu erstatten, eines Theils 
weil eine grosse Reihe von deu gemachten Mittheilungen sich nicht 
in den engen Rahmen eines Resume's bringen lässt, anderen Theils 
weil sie ein allgemeines Interesse nicht darbieten. 

Ich beginne mit der bis zu einem gewissen Punkte tröstlichen 
Mittheilung von Strauss und Wurtz, welche sich versichert haben, 
dass der Magensaft nach einem Contacte von 6 Stunden die Virulenz 
tuberculüser Substanzen aufhebe. Diese Thatsache erklärt, wie 
mit tuberculösen Substanzen gefütterte Thiere unversehrt bleiben 
können. Allein inan darf nicht vergessen, dass im Allgemeinen 
wohl selten der Magensaft 6 Stundeu im Contact bleiben dürfte 
mit dem eingefiihrteu Nährmaterial. Die genannten Autoren haben 
ihre Versuche mit dem Mageusaft des Hundes und Tuberkelculturen 
gemacht. SoIIes hat eine Reihe von Versuchen angestellt über 
die Heredität der Tuberculo.se bei den Meerschweinchen. Er 
konnte feststellen, dass, wenn die Männchen oder Weibchen tuber- 
culös waren, die Descendenten immer mit Tuberculose behaftet 
waren. Ob Solles sich genügend vor Irrthümern geschützt hat, 
welche so leicht bei der Cohabitation und auch bei der Ernährung 
gegeben sind, ist umsomehr zu fragen, als Galtiere von Lyon 
tuberculose Kaninchen beobachtet hat, deren Junge gesund ge¬ 
blieben sind. Malvoz, welcher letzthin Versuche über den Durch¬ 
gang der Bacterien von der Mutter zum Fötus gemacht hat, erklärt, 
dass die Placenta kein Organ sei, in welchem der Koch’sche Bacillus 
mehr als die Mehrzahl anderer Organismen sich leicht ansiedelt, 
dass der llebergang vielmehr abhängig ist von den verschiedensten 
Umständen. Nach ihm ist das neugeborene Kind nicht mit dem Keime 
der Phthise behaftet. Legroux, Arzt in einem Kiuderhospital von 
Paris, führt aus, dass bei den Kindern die Tuberculose sich fast 
immer schleichend entwickele. Sie zeige sich selten offen, am 
häufigsten im Schoosse anderer Affectionen. Nach ihm sind fast alle 
Kinder, welche in dieHospitäler der Vorstädte von Paris kommen, mehr 
oder weniger Caudidaten der Tuberculose. lin Uebrigen dürfe man 
sich darüber nicht wundern; es ist dies eben im Wesentlichen die 
Consequeuz mangelhafter Ernährung. Man möge sich ferner auch nicht 
durch das blühende Aussehen von Kindern täuschen lassen. Er er¬ 
innert an ein Kind, welches bei einem Wettbewerb der Kinder deu 
zweiten Preis erhalten hat und nach 2V-j Jahren an Tuberculose 
zu Grunde gegangen ist. — Bang hält auf Grund zahlreicher Beobach¬ 
tungen und Untersuchungen die Erblichkeit für mehr gefährlich wie 
die Ansteckung. 

Hierauf discutirte der Congress die verschiedenen Formen der 
Tuberculose, oder vielmehr die bei den Tbieren verschiedene Empfäng¬ 
lichkeit für dieselbe. Nach Arloing bieten hierfür die besten Beispiele 
das Kaninchen und das Meerschweinchen. Während bei zehn bei 
den Meerschweinchen gemachten Impfungen kein einziger Misserfolg 
zu verzeichnen war, verhielten sich beim Kaninchen viele refraetär. 
Es sei daher immer das Meerschweinchen zu wählen, wenn man 
feststellen will, ob ein Product tuberculös ist oder nicht. Die 
Regel ist bei dem Meerschweinchen die Tuberculisation der Milz. 
Leloir konnte niemals mit den Producten des Lupus Kaninchen 
tuberculös machen, während er bei Meerschweinchen bei Einimpfung 
in die Bauchhöhle immer positive Resultate hatte. Auch Solles 
glaubt, dass man sich immer des Meerschweinchens bedienen solle, 
wenn der mikroskopische Befund die Gegenwart des Koch’schen 
Tuberkelbacillus nicht festgestellt hat und man sich vergewissern 
will, ob ein Product tuberculös ist oder nicht. 

Nach Clado genügt es, ein wenig von der tuberkelvcrdächtigen 
Masse mit einer durch die Flamme gezogene Pipette zu aspirireu, eine 
sehr kleine Stelle der Haut des Bauches des Thieres zu rasiren, sodann 
mit einem sehr scharfen Instrument eine kleine OefTnuug in die 
Haut oder das Peritoneum zu machen und sodann das in der Pipette 
enthaltene Product in diese Oeffnung zu inoculireu. Die Oeffnung 
vernarbt, wenn sie exact ausgeführt ist, in 2—3 Tagen, und wenn 
die eingeführten Producte tuberculös waren, constatirt man in 8 Tagen 
die Bacillen in der Milz. 

Valude demonstrirt seine zum Behuf der Tuberculisation des 
Thränensaekes gemachten Versuche. Die Tuberculisation des Thräueu- 
sackes ist eine äusserst seltene und mau glaubt, dass die Thränen- 
flüssigkeit den Bacillus zerstöre. Valude glaubt, dass die destructive 
Eigenthümlichkeit der Thräuenflüssigkeit an der Gegenwart anderer 


zahlreicher Mikroorganismen liege, welche die Entwickelung des 
Koch’schen Bacillus verhindere. Dieselben Vorgänge verhindern 
nach ihm auch seine Entwickelung in der Mundhöhle. 

Die letzte Sitzung des Congresses war der Behandlung der 
Tuberculose gewidmet. Unter den mannigfachen bekannten Mitteln, 
welche als mehr oder weniger gut gepriesen wurden, heben wir 
die Behandlungsweise von Raimondi hervor, welcher Fluorwasser¬ 
stoffsäure inhallirt und mit dieser Behandlung zahlreiche Erfolge er¬ 
zielt haben will, trotzdem die Versuche, welche Granchi letzthin 
in der Gesellschaft der Biologie vorgetragen hat, zeigen, dass die 
Fluorwasserstoffsäure keinen Einfluss auf den Tuberkelbacillus habe 
und dass die Thiere, welche sie einathmen, ebenso schnell sterben 
als die anderen. 

Hierauf votirte der Congress die folgenden Beschlüsse: 

1. Zu deu Befugnissen der Sanitätsbehörden sollen alle Fragen 
gehören, welche sich auf ansteckende Krankheiten unserer Haus¬ 
siere beziehen, auch auf solche, die gegenwärtig nicht auf den Men¬ 
schen übertragbar erscheinen. Zu Kuhpocken, Rotz, Hundswutb, 
Milzbrand, Tuberculose können später noch andere infectiöse All¬ 
gemeinerkrankungen kommen, welche ebenfalls allgemeine Schutz¬ 
maassregeln erfordern. 

2. Mit allen zu Gebote stehenden Mitteln — die Schadlos¬ 
haltung der Betroffenen inbegriffen — muss das Princip festgehalten 
werden, dass von tuberculösen Thieren stammendes Fleisch in Be¬ 
schlag zu nehmen und zu vernichten ist, gleichviel ob die speci- 
fischen Localbefunde am Thiere leichtere oder schwerere seien. 

3. Es sind populäre Instructionen abzufassen und massenhaft 
zu verbreiten, welche lehren, durch welche Mittel man sich am 
besteu der Gefahr der tuberculösen lufection durch die Nahrung 
erwehren kann und wie die gefährlichen Keime im Spucknapf von 
Tuberculösen zu zerstören sind. 

4. Die Milchcuranstalten sind ganz besonders zu überwachen, 
damit gar keine Milch von kranken Kühen zur Verwendung kommen 
kann. — Das zweite Votum ist herbeigeführt worden durch die 
Initiative des Herrn Monod, des Generaldirektors des öffentlichen 
Sanitätswesens in Frankreich, welcher unter grossem Beifall ausführte, 
dass es wünschenswerth sei, dass der Congress bei seiner demnächstigen 
Versammlung die Frage der Hospitalisation zur Discussion stellen 
möge, um Maassnahmen zu gewinnen, welche die Billigung der 
Majorität der medicinischen Welt haben. 

Der nächste Congress wird nach zwei Jahren einberufen 
werden. Zum Präsidenten desselben wurde Villemin gewählt. 
Bis dahin soll ein ständiges Organisationscomite über die Durch¬ 
führung der vom diesjährigen Congress angenommenen Beschlüsse 
wachen uud über die erzielten Erfolge Bericht erstatten. 

Die Leistungen des Congresses dürfen wir mit Recht dahin zu¬ 
sammenfassen, »lass derselbe die Aufmerksamkeit des grossen 
Publicums, auf die grossen Gefahren der Ansteckungsfahigkeit ge¬ 
lenkt hat — und dass diese von so berufener Seite vermittelte 
Propagation gegenüber der bisherigen Passivität des grossen Publi¬ 
cums sicher ihre guten Früchte tragen wird. 

VII. Referate und Kritiken. 

Handwörterbuch der gesammten Medicin. Herausgegeben 
von A. Villaret. Zwei Bände. Verlag von Ferdinand Enke. 
Stuttgart. Ref. S. Guttmann. 

Villaret hat es unternommen unter Mitwirkung einer statt¬ 
lichen Reihe bekannter Gelehrter und Praktiker ein Handwörter¬ 
buch der gesammten Medicin, d. h. aus der kaum fassbaren Masse 
der früher vorhandenen und neu errungenen Thatsachen, eine kritische 
Ausw'ahl uud Deutung desjenigen, was eine einleuchtende Beziehung 
zur Gesammtmedicin hatte und neuerdings hierzu erworben hat,auf dem 
massigen Raum zweier nicht allzustarker Bände — der erste liegt 
uns nunmehr vor — zu schaffeu. Und das ist in der That dem 
Herausgeber in vollstem Maasse gelungen. Man stelle an den Inhalt 
des vorliegenden ersten Bandes die weitgehendsten Forderungen. 
Dieselben werden, soweit nur die Grenzen eines Handwörterbuches 
es gestatten, erfüllt werden, d. h. der Nachschlagende wird, wie es 
bisher in Deutschland iu ähnlicher Art kaum möglich war, iu sach- 
! Heilster Weise orientirt. Der Zuwachs an neuen Errungenschaften, der 
sich wie ein Strom in den letzten Jahrzehnten und Jahren über 
: die Medicin ergoss, hat die peinlichste Berücksichtigung erfahret] 
i und jeder berechtigte Zufluss hat auch seiuen Platz gefunden. 
Phrasenlos, klar und objectiv sind die Thatsachen scharf in der 
reichen Fülle des Gegebenen gezeichnet, jede wesentliche Bezeich¬ 
nung ethymologisch uud in den (’ultursprachen wiedergegeben. Die 
Wiedergabe des eineu oder anderen Artikels würde am beredtsten 
Zeugniss davon ab legen, wie dieses Handwörterbuch am zweckent¬ 
sprechendsten zur Orieutirung, zur Vorkenntuiss und dem Anhalt 
für das Verständniss führt; doch das dürfte uns aus dem erlaubten 
Rahmen des Referates herausführen. Eine solche Lösung einer so 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


741 


6. September. 

schwierigen und grossen Aufgabe ist der wohlverdiente Lohn für 
die Arbeit und Mühe des Herausgebers, der freilich neben dem riesen¬ 
haften Fleisse auch das vollendete Geschick für diese Aufgabe er¬ 
setzen konnte. Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses von der 
bekannten Verlagshandlung in vorzüglicher Weise ausgestattete Hand¬ 
wörterbuch Gemeingut der Aer/te werden wird. 


George Kolb, Beiträge zur Physiologie maximaler Muskel¬ 
arbeit, besonders des modernen Sports. Berlin, A. Brauu 
u. Co., 1888. Ref. von l)r. P. Grfitzner (Tübingen). 

Der Verfasser, welcher Mediciner und Sportsrnann zugleich und 
beides mit gleicher Neigung ist, hat sich der schwierigen und über¬ 
aus dankenswerthen Arbeit unterzogen, den modernen Sport physio¬ 
logisch zu untersuchen und auf seinen wahren Werth zu prüfen. 
Des Genaueren wird der Rudersport untersucht, das schlanke 
Bot und die Art und Weise beschrieben, auf welche es durch die 
Thätigkeit der Ruderer in den Fluthen dahinschiesst. Die hierbei 
übliche Lange der Bahn beträgt 2000—2500 m, und da das Boot 
4,5 in in der Secunde zurücklegt, 7—9 Minuten. Nahezu während 
dieser ganzen Zeit strengt sich die Mannschaft — namentlich wenn 
es sich um eine Wettfahrt handelt — auf dass äusserste an. Zur 
Verwendung kommen nächst den Muskeln der Arme auch die 
Streckmuskeln der unteren Extremitäten, da die Küsse gegen eiu 
Widerlager angestemmt werden, sowie die Strecker der Wirbelsäule. 
Mit weit geringerer Kraft arbeiten natürlich auch ihre Antagonisten, 
da ja immer wieder zu der ursprünglichen Haltung zurückgekehrt 
werden muss. Wahrend dieser Thätigkeit macht sich wiederholt 
hochgradige Ermattung und Athemnoth bemerklich. Namentlich 
kommt am Ende der zweiten Minute eiu Moment, in dem man 
glaubt, nicht mehr weiter zu können. Ich möchte darauf hinweisen, 
dass Jeder, der eine einigermaassen andauernde Muskelthätigkeit 
ausführt, wie Bergsteigen, Laufen, Schwimmen, wohl an sich selbst 
dieselbe höchst merkwürdige Erscheinung beobachtet hat. Ist man 
über diese Schwierigkeit hinüber, so geht es ohne allzugrosse An¬ 
strengung eine geraume Zeit verhältnissmässig gut vorwärts. Worauf 
diese Thatsache beruht, ist mir nicht klar, ob. wie Kolb andeutet, 
lediglich in erhöhter Schweisssecretion, mir nicht wahrscheinlich. 

Eine eingehende Besprechung wird dem „Training“ zu Theil, 
d. h. der methodischen Schuluug und Vorbereitung zu einer gewal¬ 
tigen und audauernden Muskelthätigkeit wie einer Wettfahrt, einem 
Wettlauf u. s. f. Die zu trainirenden .jungen Leute in den zwanziger 
Jahren haben sich zunächst den vorschriftsmässigen Uebungen zu 
unterziehen, gut zu nähren (sie bevorzugen instinctiv Kohlenhydrate) 
und vollständig des Alkohols, des Tabaks und der Liebe, d. h. der 
geschlechtlichen, zu enthalten. Während dieses Regimens nehmen 
sie an Körpergewicht (an Fett) ab, an Muskelkraft und Ausdauer 
zu und werden lediglich durch diese Vorübungen zu jenen späteren 
gewaltigeu Leistungen befähigt. 

Besonders geschult und in ihrer Thätigkeit erhöht wird hier¬ 
durch, wie es scheint, dieAthmung. Zunächst ist die vitale Capa- 
cität der untersuchten Sportsliebhaber (Rennruderer) durchweg sehr 
gross; während des Trainings aber nimmt dieselbe noch weiter 
zu und die Athemzüge werden im allgemeinen vertieft und erfolgen 
seltener als in der Norm (10 gegen 12); der Gasaustausch wird 
nichts desto weniger lebhafter. Es gelingt den trainirten Leuten 
den Atheiu lange, über 4 Minuten, anzuhalten. Nach der Methode 
von Vierordt angestellte Gasanalysen, durch welche die ausgeath- 
meten Kohlensäureraengen bestimmt wurden, ergaben Kolb, dass 
bei einer Rennfahrt der Gaswechsel wohl um das Zwanzigfache ge¬ 
steigert sein dürfte. 

Die Untersuchung des Kreislaufs bestand im wesentlichen 
in der Aufnahme von Pulscurven, aus denen auf die Zahl und zum 
Theil auch auf die Art der Herzschläge, sowie auf den mittleren 
Blutdruck geschlossen wurde. Zunächst hebt Kolb hervor, dass 
unter allen ihm bekannten Rennruderern uud Sportsleuten kein 
einziger irgend welche Störungen des Herzens oder des Kreislaufs 
darbot. Das scheint mir ziemlich natürlich; denn wer nur irgend¬ 
wie herzschwach ist. würde binnen kürzester Zeit den an ihn ge¬ 
stellten Anforderungen des Sports erliegen. Schon vor dem Trai¬ 
ning oder in den allerersten Versuchen des Trainings findet eben 
die entsprechende Auslese statt. Merkwürdig ist die geringe Puls¬ 
frequenz, welche sich in Folge des Trainings in den Morgenstunden 
einstellt (63 im Durchschnitt gegen 69 in der Minute), doch gehören 
Fälle von 45 Schlägen in der Minute nicht zu den Seltenheiten. 
Nach der Hauptmahlzeit steigt bei den Rennruderern die Frequenz 
auf 80—85 (normal bis auf 83), sinkt dann im Laufe des Nach¬ 
mittags bis auf 70, bleibt nach dem Rennen einige Stunden über 
90 und sinkt in der Nacht allmählich wieder auf 63. Die Tem¬ 
peratur im Rectum gemessen betrug nach dem Reunen 38,2 bis 
38,8° C., sank aber sofort und war Abends vor dem Schlafengehen 
37,1, Morgens nach dem Aufstehen 36,2—36,4° C. 

Weiter werden eine Reihe von Sphygmogrammen mitgetheilt, 


aus denen hervorgehen soll, dass durch das Training neben der 
Frequeuzverminderung auch eine Druckverminderung gesetzt wird; 
als unmittelbare Folge des Rennens (während desselben waren 
Pulscurven natürlich nicht zu gewinnen) zeigt sich dagegen hohe 
Frequenz bis über 120, geringer Druck und niemals luterinissiouen 
des Herzschlags. Wenigstens glaubt Kolb den geringen Blutdruck 
aus den Pulscurven scliliessen zu dürfen, welche einen höheren 
Grad von Dikrotie zeigen, als die gewöhnlichen,- vor dem Rennen 
gewonnenen. Ob diese Schlüsse berechtigt sind, ist mir zum min¬ 
desten sehr zweifelhaft. Meiner Meinung sind wir noch lange nicht 
soweit, lediglich aus der Gestalt der Pulscurven derartige Schlüsse 
auf den mittleren Blutdruck zu ziehen. Wenn weiter der angeb¬ 
lich in Folge einer Rennfahrt bestehende niedrige Blutdruck dadurch 
höchst heilsam beeinflusst und gesteigert werden soll, dass „die 
trainirenden Mannschaften, wenn sie sch weisstriefend vom Rennen 
kommen, unter eine kalte Douche von 10° R und etwa 5 — 15 Se- 
eunden Dauer geschickt werden“, so möchte ich zwar nicht an der 
Wirksamkeit, wohl aber doch an der Nützlichkeit eines derartigen 
Verfahrens um so mehr zweifeln, als noch lange nach diesem ge¬ 
waltigen Eingriff — wie beigegebene Sphygmogramme lehren — 
das Herz längere Zeit hindurch ausserordentlich schwach und häufig 
schlägt und sich erst ganz allmählich wieder und in einzelnen Ab¬ 
sätzen zu normalen ruhigen Schlägen erholt. Das sind starke 
Schädigungen des Organismus, deren Folgen sich zw'ar nicht sogleich 
bei kräftigen jugendlichen Leuten zu zeigen brauchen, die aber auf 
die Dauer sicher nicht ungestraft bleiben. Es wäre nicht un¬ 
interessant, die Puls- und Athemcurven von all’ jenen Sporthelden 
nach etwa 20—25 Jahren zu sehen, und es ist hier der Ort gerade, 
den Sportfreunden nichts dringender zu rathen, als Maass zu 
halten, wenn sie eine an und für sich gute Sache nicht in das 
Gegentheil verkehren wollen. 

Weiter spricht für diese meine Auffassung die ebenfalls mit- 
getheilte Thatsache, dass der Harn, namentlich in der ersten Zeit 
des Trainings, ei weisshaltig wird, offenbar in Folge der hochgradigen 
Athemnoth, die sich bei der allzustarken Muskelanstrengung ein¬ 
stellt; denn die Xierenepithelien sind sehr empfindlich gegen unge¬ 
nügende Sauerstoffzufuhr. Uebrigens werden den zu Trainirenden 
nur geringe Flüssigkeitsmengen gestattet. 

Von grossem Interesse sind schliesslich die Willenscurvon, 
welche den Eiufluss der Ermüdung und des Willens zeigen. Durch 
sinnreiche Apparate wird die durch jeden Ruderschlag dem Schiffe 
ertheilte Geschwindigkeit verzeichnet und schliesslich eine ganze 
Wettfahrt graphisch dargestellt. 

Die anderen Sportarten (Wettlauf, Gewichtheben. Tanzen, Rad¬ 
fahren, Schwimmen) werden ebenfalls in ähnlicher Weise, wenn 
auch nicht so eingehend, untersucht, vornehmlich ihre Wirkung auf 
Herz und Lunge geprüft und — warum, ist mir nicht recht verständ¬ 
lich — auch der Coitus in den Bereich des Sports gezogen und Puls¬ 
curven vor, während und nach jener wichtigen Action mitgetheilt, 
die jedenfalls den Beweis liefern, dass es besagten Sportliebhabern 
selbst in den verschiedensten Lebenslagen an ausserordentlicher 
Geschicklichkeit und Gewandtheit nicht gebricht. 

Schliesslich wird der Sport unserer Meinung nach allzusehr, 
namentlich im Verhältniss zum Turnen, verherrlicht und unter 
Anderem die gewiss ungerechtfertigte Behauptung aufgestellt, dass 
beim Turnen sich mehr Unglücksfälle ereignen, als beim Sport. 
Das mag richtig sein, wenn man die absoluten, aber nicht, wenn 
man die relativen Zahlen vergleicht; denn am Turnen betheiligen 
sich heutzutage sehr viele ohne Auswahl, am Sport nur wenige und 
mit Auswahl. Nichtsdestoweniger macht das Buch, trotzdem wir 
noch verschiedene andere Folgerungen und Schlüsse keineswegs zu 
den unsrigen machen, den Eindruck liebevoller und eingehender 
Forschung und ist gewissermaassen als ein Zeichen der Zeit zu be¬ 
trachten und, wie wir meinen, insofern als kein schlechtes, als es 
zeigt, dass die bessere deutsche Jugend neben dem allzusehr ge¬ 
pflegten Sport im Alkohol endlich auch noch andere Sportarten zu 
würdigen beginnt. Nur hat man allzuhäufig die Empfindung, den 
meisten aller Sportsleute ein firjdh’ u/rcr zuzurufen, denn ohne 
Maass betrieben, wäre der Sport schliesslich nur noch in einer Be¬ 
ziehung gut, indem er mit dem unsterblichen Bräsig zu reden, 
zeigte, was die menschliche Creatur Alles aushält. 


Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. 11. Bd. 1. 

u. 2. Heft. Berlin, Julius Springer, 1887. Ref. A. Pfeiffer. 

(Fortsetzung aus No. 34.) 

6. Rahts. Ergebnisse einer Statistik der Pocken- 
todesfälle im Deutschen Reiches für das Jahr 1886. 

Im Ganzen gelangten innerhalb des Deutschen Reiches 155 
Todesfälle au Pocken oder 3,3%o zur amtlichen Kenntniss, 
welche sich auf die einzelnen Staaten des Reiches so vertheilen, 
dass auf Preussen 97. auf Bayern 7, auf Sachsen 29, auf Würtem- 
berg 2, Baden 2, Bremen 1 und Hamburg 17 entfallen. % dieser 


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742 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 36 


Todesfälle kommen auf Grenz- oder überhaupt solche Bezirke, 
welche mit dem Auslande durch einen regen Verkehr verbunden 
sind. Von diesen Punkten aus war meistens keine Weiterverbreitung 
zu constatiren, so dass Verf. schliesst, der eingeschleppte Krankheits¬ 
stoff müsse eine sehr unempfindliche Bevölkerung getroffen haben. 
Interessant sind die Verhältnisse der Todesfälle zu der Impfung 
resp. Wiederimpfung. Zuerst ist zu erwähnen, dass etwa 40% aller 
Todesfälle auf das 1. Lebensjahr fallen, demnach zum grössten 
Theil ungeimpfte Kinder von der Krankheit betroffen wurden. Die 
12 Todesfälle, welche auf das Alter von 2—25 Jahren kommen, 
betrafen die Hälfte ungeimpfte Ausländer, während in der Zeit 
vom 13. Lebensmonat bis zu vollendetem 12. Lebensjahre 
nur 1 im Deutschen Reich geborenes Kind in Hamburg 
starb. 

Dieser auffallende Schutz der Impfung, der aus den Zahlen 
zweifellos hervorgeht, ist um so bemerkenswerther, als fast die 
Hälfte aller Lebenden der Altersklasse von 0=22 Jahren angehört. 

Bezüglich der Berufsarteu der verstorbenen erwachsenen Per¬ 
sonen überwogen in Sachsen die Handwerker, in Ostpreussen die 
Feldarbeiter und Laudwirthe. 

Soweit ein Vergleich mit der Pockensterblichkeit mit derjenigen 
der grösseren Städte der übrigen Staaten Europas erlaubt ist. er¬ 
reichte die Sterblichkeit in den Städten Oesterreichs das 81 fache, 
Ungarns das 607fache, der Schweiz das 54fache, Belgiens das 
48 fache, Englands das 19 fache. Mit Ausnahme Englands besteht 
in den betreffenden Staaten kein Impfzwang. 

7. Ergebnisse des Impfgeschäfts im Deutscheu Reiche 
im Jahre 1884. Zusammengestellt nach den Mittheilungen 
der Bundesregierungen. 

A. Erstimpfungen. 

Im Jahre 1883 waren 1.469,799 = 3,25% der ortsanwohnenden 
Bevölkerung zur Erstimpfung vorzustellen. 

Von diesen wurden von der Impfung befreit: 

1. Weil sie die natürlichen Blattern überstanden 407 

2. Weil bereits im Vorjahre mit Erfolg geimpft 113,675 

3,783 

117,458 

Hierauf verblieben demnach lmppfflichtige 1,352,522, von diesen 
wurden geimpft: 

a) mit Erfolg. 1,168,596 = 86,4% 

b) ohne Erfolg .... 36,349 

c) unbekannter Erfolg . . 5,334 

es verblieben demnach ungeirapft . 142.142 

Die günstigsten Resultate hat wieder der Regierungsbezirk 
Schwaben mit 97.00%. am ungünstigsten stellt sich die Sache 
wieder in Bremen mit nur 66,73%. 

a) Mit Menschenlyraphe wurden geimpft 964,242 

b) Mit Thierlymphe. 245,017 = 20,04% 

c) Mit nicht näher bezeichneter Lymphe 13,422 

Bezüglich des Erfolges der Thierlympbimpfungen wird ange¬ 
geben. dass derselbe wohl noch immer von der Handhabung der 
Thierlymphe, mit der die Irapfärzte zum Theil nicht genügend ver¬ 
traut seien, abhänge. Auch die Haltbarkeit der Thierlymphe lasse 
noch viel zu wünschen übrig, doch stelle sich der Erfolg jedes Jahr 
günstiger, so dass er in Hessen z. B. 1884 bereits 92,79% gegen 
63,44% in 1882 erreicht habe. 

B. Wiederimpfungen. 

Vorzustellen waren 1,119,351 (der Procentsatz gegenüber der 
Bevölkerung fehlt). 

Davon waren befreit: 

a) weil sie während der letzten 5 Jahre die Blattern 

Überstunden.. 629 

b) weil bereits im Vorjahre mit Erfolg wiedergeimpft . 11.195 

Es blieben demnach impfpflichtig: 1,107,527. 

Hiervon wurden geimpft: 

a) mit Erfolg . . 942,205 

b) ohne „ . . 117,774 

c) unbekannt „ . . 5,615 

Ungeimpft blieben demnach 41,853. 

Am günstigsten war das Resultat wieder in Schaumburg-Lippe, 
98,61 %, und am ungünstigsten in Rheinhessen mit 66,85%. 


Ueberhaupt wurden geimpft: 

a) mit Menschenlymphe. 872,852 

b) mit Thierlymphe. 188,996 

e) mit nicht näher bezeichneter Lymphe . 3,796 


1,065,594 

Im Allgemeinen bemerkt der Bericht, dass die 1885 erzielten 
Erfolge der linpfungeu hinter denen des Vorjahres nicht zurück¬ 
geblieben seien. Interessant sind die speciellen Mittheilungen über 
die Thierlyraphimpfung. Fälle von übergeimpfter Syphilis 
kamen nirgends zur Beobachtung. 


8. Die Thätigkeit der Impfinstitute des Königsreichs 
Sachsen im Jahre 1886, aus den Jahresberichten der 
Vorstände zusammengestellt im Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamt. 

In den Bezirken Dresden, Leipzig und Bautzen, sowie für den 
Bezirk Zwickau in Frankenberg, bestehen königliche Institute, welche 
sich mit der Gewinnung von Thierlymphe beschäftigen. Die Be¬ 
richte erstrecken sich über das Personal der Anstalten, die Be¬ 
triebskosten (welche sich auf circa 2000 Mark belaufen), die Räum¬ 
lichkeiten, die Zahl der verwendeten Thiere (im Ganzen 100), die 
Impfung der Thiere, Beschaffenheit der Pusteln, Abnahme und 
Aufbewahrung des Impfstoffes (Verreiben mit reinem oder ver¬ 
dünntem Glycerin mit und ohne Zusatz von Thymol oder Salic.yl- 
säure in mit Lack verschlossenen oder zugeschmolzenen Glasröhr¬ 
chen, welche möglichst kühl gehalten wurden; im Ganzen wurden 
circa 23,000 Röhrchen verschiedenen Calibers gefüllt), Verwendung 
des gewonnenen Impfstoffes, über die Haltbarkeit und Wirksamkeit 
desselben (90 = 97% Erfolg), über krankhafte Erscheinungen, 
welche nach der Verimpfung der Thierlymphe beobachtet wurden. 
(Nicht seltenes Auftreten eines allgemeinen Erythems). 

Keinerlei bedenkliche Complicationen. 

Rein wissenschaftliche Untersuchungen fehlen in den Berichten. 

(Schluss folgt.) 

VIII. Verhandlungen des 56. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

(Original bericht.) 

Glasgow wird häufig — besonders von Schotten — für die zweite Stadt 
des vereinigten Königreiches erklärt, während viele Engländer diesen Rang 
eher Manchester oder Li\erpool zugestehen würden. Wie man jedoch über 
diese Frage auch denkt, es lässt sich nicht leugnen, dass Glasgow sich in 
jeder Beziehung gut für Oongresse eignet; und es wurde auch den Mitgliedern 
der British Medical Association, welche dein Oongresse beiwohnten, viel Gutes 
und Interessantes geboten und grosse Gastfreundlichkeit erwiesen. Dem Fest¬ 
essen wohnten etwa 500 Theilnehmer bei und wurden die betreffenden Toaste 
säinmtlich mit Enthusiasmus aufgenommen. Es fiel allerdings Manchem auf, 
dass bei einem inedicinischen Diner drei der wichtigsten Toaste von Pastoren 
ausgebracht wurden; doch ist das geistliche Element für Schotten in jeder 
Beziehung ein unerlässliches, wie sich auch schon daraus ergab, dass die 
Antrittsrede des Präsidenten mit einem Bibelsprüche schloss. Unser öster¬ 
reichischer College Benedict brachte einen Toast auf die Damen aus und 
definirte dabei die Damen als einen „biologischen Punkt“, wogegen sich 
unter anderen Verhältnissen als dem Ende eines reichlich mit Champagner 
angeheiterten Diners möglicherweise Einwürfe hätten erheben lassen. Bene¬ 
dict erhielt, beiläufig erwähnt, die Doctorwürde utriusquo juris von der 
Glasgower Universität zuertheilt und wurde in der betreffenden Ansprache 
des Decans der Universität besonderer Nachdruck auf seine anthropologischen 
Untersuchungen sowie auf sein grosses Werk über Therapie (womit wahr¬ 
scheinlich Elektrotherapie gemeint war) gelegt. Von Ausländern erhielten 
eine ähnliche Auszeichnung noch Ball aus Paris und Fordyce Barker 
aus New-York. 

In den Generalversammlungen wurden allgemein inedicinische Vorträge 
von dem Präsidenten, Prof. Gairdner, Dr. Clifford Allbutt aus Leeds, 
Prof. Macleod aus Glasgow (Chirurgie), Prof. Mac Kendrick aus Glasgow 
(Physiologie) gehalten; in diese recht interessanten Vorträge einzugehen, ge¬ 
stattet mir der Raum aber nicht. Der Dank der Versammlung für diese 
Vorträge wurde in Ausdrücken votirt, welche geradezu extravagant waren. 
Sämmtliche Tugenden und Talente, welche im Wörterbuche Vorkommen, 
wurden den Vortragenden als etwas ganz Selbstverständliches zuerkannt. 

Am meisten Interesse erregte jedoch ein, von Demonstrationen geheilter 
Patienten, begleiteter Vortragdes bekannten Chirurgen William MacEwen 
in Glasgow über die operative Chirurgie des Gehirns und 
Rückenmarks. Wenn man bedenkt, wie selten noch vor Kurzem am Ge¬ 
hirn operirt wurde, wenn nicht gerade eine äussere Schädlichkeit vorlag, so 
ist es sehr erfreulich zu hören, dass, ganz abgesehen von Schädelbrüch6n 
und anderen Schädlichkeiten, Mac Ewen in 21 Fällen der verschiedensten 
Gehirnkraukheiten operirt hat, wovon nur 3 Fälle tödtlich abliefen: die 3 
betreffenden Patienten waren ausserdem in extremis, als operirt wurde. Von 
diesen betrafen zwei Operationen Abscess des Gehirns, wobei in einem der 
Eiter bereits in die Seitenventrikel durchgebrochen war, während in dem 
anderen suppurative Thrombose des Sinus lateralis zu Pyämie und septischer 
Pneumonie geführt hatte. In dem dritten Falle handelte es sich ausser einer 
grossen subduralen Cyste über der einen Hemisphäre um ausgedehnte Er¬ 
weichung an dem Sitze einer Gehirnquetschung an der gegenüberliegenden 
Hemisphäre, wozu sich noch Oedem des Gehirns gesellt hatte. 

Um gute Resultate in dieser Branche zu erhalten, war es durchaus 
nöthig, der sonst so unheilvollen Entzündung gebieten zu können, und eine 
genauere Kenntniss der Localisation im Gehirn zu haben als früher. Durch 
den Historismus war es möglich geworden, complicirte Schädelbrüche und 
grosse Substanzverluste im Schädelgewölbe, selbst wenn sie mit bedeuten¬ 
dem Verluste von Hirnsubstanz verbunden waren, zur Heilung zu bringen. 
Um so leichter musste es erscheinen, sorgfältig ausgeführte chirurgische 
Operationen aseptisch zu günstigem Ende zu führen. Wenn äussere Schäd¬ 
lichkeiten antiseptisch behandelt wurden, war eine frappante Erscheinung 
die Abwesenheit der falschen Hemia cerebri, welche früher eine so häufige 
Coinplication von Gehirnwunden im Menschen bildete, und welche so oft 
den Erfolg physiologischer Experimente vereitelt hatte, indem dio Zone der 


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6. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


743 


Reizung vergrüssert und letaler Ausgang gesetzt wurde. Zugleich hatten 
die mit der Broca’schen Entdeckung beginnenden Forschungen über die 
Localisation der Functionen des Grosshirns zu gewissen definitiven Resultaten 
geführt, welche, obwohl die Auslegung derselben noch streitig blieb, doch 
unzweifelhafte diagnostische Anhaltspunkte lieferten. 

Mac Kwen beobachtete im Juli 1876 einen Fall, in welchem gewisse 
Herdsymptome die Diagnose auf Krankheit der Broca’schen Windung ge¬ 
statteten; er schlug die Operation vor, welche jedoch von den Eltern des 
Fat. nicht zugegeben wurde. Fat. starb, und Mac Kwen machte dann am 
(’adaver die Operation, welche er am Lebenden hatte ausführen wollen, 
mit dem Resultat, dass auf Incision der Broca’scheu Windung sich eine 
beträchtliche Menge Eiter entleerte. Der Fall war zugleich interessant, 
weil eine äussere Narbe einen anderen Sitz des wahrscheinlichen Abscesses 
anzudeuten schien. Im Jahre 1879 kam ein anderer Fall vor, in welchem 
Jackson’scho Epilepsie und temporäre Hemiplegie Läsion der vorderen 
Centralwindung wahrscheinlich machten; hier wurde operirt, zwei Unzen 
geronnenes Blut aus dem entsprechenden Theile des Subduralraumes ent¬ 
leert, mit dem Resultat, dass Fat. sich vollkommen erholte. Im Jahre 1883 
wurde u. A. ein syphilitischer Tumor des Lobulus paracentralis, der zu 
Monoplegia cruralis geführt hatte, entfernt; innerhalb einer Woche hatte 
Pat. den Gebrauch des Beines wieder erhalten, und kann noch jetzt weite 
Entfernungen gehen. 

In einem weiteren Falle handelte es sich um Symptome, die auf Läsion 
des Centrum facio-linguale hindeuteten; bei der Operation fand sich eine 
Cyste in dem betr. Theile, nach deren Entfernung alle Symptome auf¬ 
hörten; Pat. ist jetzt vollkommen gesund, ln einem anderen Falle beob¬ 
achtete Mac Ewen Protospasmus der grossen Zehe, welchem sensorische 
Eindrücke vorausgingen, und Lähmung folgte; die Operation erwies einen 
tuberculösen Knoten im oberen Theile der hinteren Centralwindung, von 
der Grösse einer Haselnuss, welche enucleirt wurde. Nach einer Woche 
verloren sich allmählich sämmtliche Symptome, und Pat. ist jetzt gesund. 
Weitere Fälle waren psychische Blindheit mit Melancholie, und Trieb zum 
Mord und Selbstmord, durch Operation am Gynis angularis beträchtlich 
gebessert etc.; im Ganzen 18 Fälle, welche curirt wurden. Sechszehn von 
«lieseu Pat. leben jetzt noch, und sind bei ihrer Arbeit; einer starb acht 
Jahre nach der Operation an Bright’scher Krankheit; ein anderer starb 
47 Tage nach der Operation an einem acuten Anfalle von tuberculöser 
Enteritis. 

Mac Ewen hat zugleich versucht, Knochendefecte in der Sehädelwand 
nach äusseren Schädlichkeiten oder Operationen wieder auszufüllen. Ge¬ 
wöhnlich giebt sich der Chirurg keine Mühe, die entstandene Lücke wieder 
gut zu macheu, und bleibt der Defect dann permanent. Die dünne Haut, 
welche sich über dem expouirt gewesenen Gehirn gebildet hat, ist keine 
genügende Bedeckung, und Pat. muss dann lebenslang irgend eine Platte 
als Schutz gegen Schädlichkeiten tragen. Seit 1873 hat M. daher Theile 
von Schädeln, welche er entfernt hatte, aufbewahrt, aseptisch gemacht, in 
kleine Stückchen zertheilt, und plastisch verwerthet. Wo es nicht zur Eite¬ 
rung kam, wuchsen diese Stücke an, und bildete sich eine continuirliche 
Knochenwand. In einem Falle war fast die ganze Hälfte der linken vor¬ 
deren Schädelmasse in kleine Stücke zertrümmert, welche mit Gehirnsub¬ 
stanz, Fetzen von Häuten, Haaren, Trümmern von Kalk und Blut vermischt 
waren. Die Knochenstückchen wurden ausgesucht, aseptisch gemacht und 
eingepflanzt, so dass sich eine Art Mosaik bildete. Mit Ausnahme von zwei 
Stückchen, in denen es zur Eiterung kam, wuchsen alle anderen fest an, und 
bilden jetzt eine feste Knochenwand, welche vollkommenen Schutz gewährt. 

Noch interessanter, weil noch origineller waren M.’s Mittheilungen 
über seine Operationen am Rückenmark für die Cur der Para¬ 
plegie, welche durch Druck auf das Mark bedingt war. Es hat sich heraus¬ 
gestellt, dass die Rückenmarkshäute und das Mark selbst blossgelegt und 
Neoplasmen und anderweitige raumbeschränkende Vorkommnisse aus dem 
Canal entfernt werden können, ohne das Leben ungebührlich zu gefährden. 
Die Autoren sind durchweg gegen solche Operationen als zu gefährlich, 
schwierig, lang und zu Blutungen führend; sie behaupten, dass Pat. keinen 
Vortheil davon haben könnte, und dass überhaupt noch nie ein von Erfolg 
gekrönter Fall berichtet sei. Alle diese Punkte haben aber jetzt ihr Ge¬ 
wicht verloren. Die ersten derartigen Operationen M.’s fanden für Fälle 
von Paraplegie in Folge von Rückgratsverkrümmungen statt. Es findet ein 
solcher Druck auf das Mark statt entweder durch bindegewebige Neu¬ 
bildungen, oder durch direkte Dislocation der Wirbelkörper, welche das 
Lumen des Canals verengern. Wenn man die Laminae von den afficirten 
Theilen forthob, konnte die Geschwulst entfernt und das gedrückte Mark- 
erleichtert werden. Ein Einschnitt wurde an den Spitzen der Dornfortsätze 
gemacht, die sehnigen Verbindungen getrennt, und dann die Weichtheile 
mittelst periostealer Elevatoren vom Knochen abgelöst; die Blutung war so 
gering, dass sie sich meistentheils durch Druck von Schwämmen stillen 
Hess, und war die Operation eine verhältnissmässig leichte. 

Im Jahre 1882 kam ein 9jähriger Knabe in Behandlung, der an voll¬ 
ständiger motorischer und sensorischer Paraplegie, mit Incontinenz des 
Urins und der Fäces, mehr als 18 Monato gelitten hatte. Er hatte drei 
Jahre eine Verkrümmung des Rückgrats, besonders zwischen dem fünften 
und siebenten Rückenwirbel gehabt, und war mit Extension und Gyps- 
jacken behandelt worden. Als er eintrat, war die Curvatur durch Ankylose 
der Wirbelkörper fixirt. Trotzdem wurde Extension und Gypsjacken noch 
einmal versucht, jedoch ohne irgend welchen Erfolg Die Glieder waren 
kalt, bläulich, spastisch zusammengezogen, und die Muskeln atrophisch ge¬ 
worden. Die Laminae des fünften, sechsten und siebenten Brustwirbels 
wurden nun entfernt. Der blosgelegte Theil des Markes zeigte keine Pul¬ 
sation. Zwischen der Theca und dem Knochen fand sich eine fibröse Neu¬ 
bildung etwa Vs Zoll dick, die fest an die Theca geheftet war und ungefähr 
zwei Drittel ihres Umfanges bedeckte. Diese wurde sorgfältig heraussecirt; 
das Mark konnte sich nun nach hinten ausdehnen, und fing an zu pulsiren, 
besonders dem fünften Brustwirbel gegenüber. 24 Stunden nach der Ent¬ 


fernung des Druckes hatten die Glieder ihre bläuliche Farbe verloren, 
waren wärmer, weniger coutracturirt, und die verschiedenen Arten der Em¬ 
pfindung waren besser. Nach 8 Tagen konnte Pat. die Glieder wieder be¬ 
wegen, und bald darauf stellte sich die Controle über die Sphincteron wie¬ 
der ein. Nach 6 Monaten konnte er ohne Unterstützung gehen. Er ist 
jetzt im Stande in der Schule an allen athletischen Spielen theilzunehmen, 
und fühlt sich ganz stark. Drei andere Fälle, zum Theil noch schlimmer, 
wo es sich um Geschwülste und Schädlichkeiten handelte, wurden gleichfalls 
curirt. Zwei andere Pat. sind gestorben, einer durch Ausdehnung von 
Tuberkeln, Monate laug, nachdem die Wunde geheilt war, eiuer vielleicht 
in Folge der Operation, welche indessen unter den ungünstigsten Bedingungen 
vorgenommen war. Zu diesen Fällen kam kürzlich der bekannte von 
Horsley und Gowers. Ein entschiedener Fortschritt in der operativen 
Chirurgie kann somit offenbar verzeichnet werden. 

Ich wende mich nun zu den Verhandlungen der Sectioucn: 

A. Me di ein. 

Der Präsident dieser Sectiou, MacCall Anderson, eröffnete die Ver¬ 
handlungen mit einer Ansprache über die Diagnose und Behandlung 
der syphilitischen Nervenkrankheiten. Die Syphilis wurde heut¬ 
zutage öfter für eine verhältnissmässig mild gewordene Krankheit erklärt; 
man behauptete, dass schwere Organerkrankungen seltener würden, und dass 
man «len Merkur für die schwereren Formen «Ter Erkrankung aufsparen solle. 
Seine Erfahrung widerspräche jedoch diesen Ideen ganz und gar, da er fände, 
dass gerade die milderen Formen derselben oft nachlässig behandelt würden, 
und dann Veranlassung zu ernsten Krankheiten, besonders des Nervensystems, 
gälten. Die hauptsächlichsten Gründe für die Annahme iles syphilitischen 
Charakters der Nervenaffection seien die folgenden: 1) Die Geschichte syphi¬ 
litischer Ansteckung; hierbei sei negative Evidenz werthlos, da Pat. öfter 
die Quelle der Krankheit verheimlichte, oder selbst nicht kannte; je länger 
«lie Krankheit latent bliebe ohue curirt zu werden, desto geneigter würden 
die Organe zu Erkrankungen: und könnte das Nervensystem auch in Folge 
von ererbter Lues leiden. 2) Die Entdeckung weiterer Symptome der Sy¬ 
philis in der Haut, den Schleimhäuten u. s. w. Hierbei müsse man nach 
tuberculösen und serpiginösen Ausschlägen, tiefsitzenden Verschwärungen 
der Kehle und Zunge, Periostitis, amyloide Erkrankung ohue ersichtliche 
Ursache, Narben am Penis, am Mundwinkel, Gaumen, Perforation des Septum 
narium etc. forschen. 3) Anwesenheit von Schmerzen in den Knochen, «lein 
Kopfe u. s. w., besonders wenn des Nachts schlimmer, und am Tage geringer. 
4) Schmutzige, erdfahle Gesichtsfarbe. 5) Alter und Geschlecht der Patienten: 
besonders das mittlere Lebensalter leide, und Männer zu Frauen im Verhält¬ 
nis« von 20 zu 4. 6) Beschäftigung; geistige Arbeiter leideten am meisten. 
7) Vielfältigkeit der Läsionen. 8) Veränderlichkeit der Symptome. 9) An¬ 
wesenheit gewisser fumlamentaler Typen oder Symptomengruppen. 10) An¬ 
wesenheit von Augenleiden, besonders Ophthalmoplegia externa und Iritis 
duplex. 11) Abwesenheit von Syphilis anderer Organe. 12) Resultate der 
Behandlung Er empfahl besonders den Merkur, selbst in den späteren Sta¬ 
dien, und v^o Jodkali im Stiche gelassen hatte, besonders mittelst Inunction 
und subcutaner Einspritzung; für die erstere dieser Methoden gab er dem 
ölsauren Merkur Shoemaker's, und für die letztere einer Sublimatlösung 
von 1 in 120 destillirtem Wasser den Vorzug. 

Drummond (Newcastle) sprach besonders über die pathologische Seite 
und nahm drei Arten von Erkrankungen an. 1) Pachymeningitis; 2) Gefass- 
krankheiten; 3) Gumma, welches letztere am häufigsten vorkomme. Die Ver¬ 
bindung von Kopfschmerz, Schlaflosigkeit und Aufregungszuständen sei wich¬ 
tig, doch hat man sich zu sehr auf das Vorkommen von Kopfweh verlassen. 

Grainger Stewart (Edinburgh) stellte eine Patientin mit einer höchst 
eigentümlichen syphilitischen Gehirnerkrankung vor. Sowie sie die Augen 
schloss oder überhaupt ihr das Licht entzogen wurde, hatte sie einen eigen¬ 
tümlichen Anfall von Krampf der Glottis, aufwärts gezogenen Augen, voll¬ 
ständige Anästhesie und Bewusstlosigkeit; der Anfall dauerte nur ein paar 
Secunden und sie wusste nichts davon. Sie hatte jeden Abend, wenn sie 
einschlief, einen solchen Anfall. 

Clouston (Edinburgh) sprach über die geistigen Störungen, welche bei 
der Hirnsyphilis Vorkommen. Dieselben Hessen sich in vier Classen theilen. 
1) Kurzes Delirium während des zweiten Stadiums, analog dem Delirium 
der fieberhaften Krankheiten, besonders wo starke geistige und nervöse 
Erblichkeit bestände; es wäre vorübergehend, leicht und heilbar. 2) Geistige 
Reizbarkeit, Illusionen, bewusstlose Manie; diese rührten von schuell 
wachsendem Syphilom her, und Hirnnekrose welche sich nach oben weiter 
verbreitete; Tod träte gewöhnlich innerhalb 14 Tagen ein. 3) Langsame 
schleichende Arterienentzündung, mit consecutiver Nekrose gewisser Rinden¬ 
felder; dies führte zu Unsittlichkeit, impulsiver Handlungen, Delusionen und 
schliesslich Blödsinn. 4) Eine nicht genau charakterisirte Classe, in welcher 
die Hirnhäute, Knochen u. 8. w. litten. Er sprach sich gegen die Ansicht 
von Hughlings Jackson aus, dass die Nervensubstanz niemals direkt 
afficirt sei. 

Alex. Robertson (Glasgow) empfahl Percussion des Schädels für 
diagnostische Zwecke, und wiederholte Vesicatore für die Behandlung. 
Ziem88en (Wiesbaden) hielt die Prognose im Allgemeinen für günstig und 
empfahl ausgiebige Inunction. Byrom Bramwell (Edinburgh) legte Ge¬ 
wicht auf die Mannigfaltigkeit der Symptome, die Thatsache, dass die Gehirn¬ 
rinde am meisten litte und Alter und Geschlecht der Patienten. Wo nur 
dft Gefässe litten, könnte Kopfweh fehlen. Percussion des Schädels wäre 
werthvoll. 

Byrom Bramwell und Milne Murray (Edinburgh) demonstrirten 
dann ihre graphische Methode zur Angabe der genauen Zeitverhältnisse 
der Herztöne und Aftergeräusche. Strachau (Dollar) sprach über 
pemieiöse Anämie; Affleck (Edinburgh) über die Raynaud’sche Krank¬ 
heit; Jones (Harrogate) empfahl Cactus grandiflorus in asthenischen Zu¬ 
ständen des Herzens; Finlay (London) sprach über die Behandlung der 
Bronchiektasie mittelst Incision und Drainage. (Fortsetzung folgt.) 


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744 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT._ __ No. 36 


IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 6. Marz 1888. 

Vorsitzender: Herr Schede; Schriftführer: Herr Nonne. 

Fortsetzung der Discussion über den Vortrag des Herrn Cursoh¬ 
in ann: Statistisches und Klinisches über den Unterleibs¬ 
typhus in Hamburg. 

Herr Leudesdorf hält es für empfehlenswertli, dass Aerzte Hamburgs 
mit Apothekern zusammen Beobachtungen über den Stand des (Irnnd- 
wassers machen betreffs Gewinnung eines zuverlässigen und ausreichenden 
Materials. 

Herr Höpffner legt 4 graphische Darstellungen vor, aus denen eine 
grosse Aelmlichkeit des Verlaufes der Curven, welche den jährlichen Wechsel 
des Elbwasserstandes und den Gang dos Typhus repräsentiren, ersicht¬ 
lich ist. 

Kr hat die Monatsmittel für Hochwasser, Niedrigwasser und Fluthgrösse 
nach den Beobachtungen von 27 Jahren (1843 —1869) zusammengestellt und 
glaubt in diesen Zahlen einen constanten Ausdruck für die periodischen Be¬ 
wegungen im Wasserstande der Elbe erkennen zu sollen. 

Daneben sind die Summen der monatlichen Typhuserkrankungen aus 
den Jahren 1872—1875 eingetragen. 

Höpffner geht zunächst kurz auf die im Laufe der Discussion ent¬ 
wickelten Ansichten ein und constatirt, dass bisher nur ein thalsächlicher 
Beweis angeführt worden sei, nämlich der Versuch mit dein Schwimmer, der 
gegen eine Infectiou des Trinkwassers zu sprechen scheine. Indess dürfte 
diesem Versuch vielleicht kein allzu hoher Werth beizulegen sein, da er an¬ 
scheinend von einer unrichtigen Prämisse ausgehe. Die von anderer Seite 
dagegen angeführten Gründe, dass noch 2 andere Sielauslässe zwischen den 
Stainmsielen und der Wasserkunst liegen, deren Inhalt vielleicht in das 
Trinkwasser gelangen könnte, und dass auch die Fortpflauzung der Bacillen 
innerhalb der Leitung nicht ohne Einfluss auf die Verbreitung der Krankheit 
sein dürfte, sind ohne Begründung geblieben, obgleich doch nachzuweisen 
gewesen wäre, durch welche Kraft jener Sielinhalt 5 km stromauf getrieben 
würde, und andererseits, warum gerade in den kalten Monaten October-Fe- 
bruar, die doch erfahrungsgemäss der Fortpflanzung der Bacillen ungünstig 
sind, die Zahl der Erkrankungen höher sei, als in den wärmeren Monaten 
Mai-August. 

Höpffner argumentirt nun-so: eine Typhusepidemie kann nur ent¬ 
stehen, wenn einem gewissen Träger für längere Zeit ein bestimmtes mini¬ 
males Quantum an Typhuskeimen beigemischt ist; für Hamburg wird als 
Träger ziemlich allgemein das Wasser anerkannt, zumal von keiner Seite 
geläugnet werden kann, dass täglich aus den Sielen Typhusbacillen in die 
Elbe entleert werden. Dass nun in der Nähe der Trinkwasserstation eine 
Art Brutstätte von Typhuskeimen bestehen sollte, lässt sich bei der fort¬ 
währenden Strömung im Flusse nicht annehmen, auch würde damit das 
periodisch regelmässige Steigen und Fallen der Epidemie nicht in Einklang 
zu bringen sein; man muss vielmehr zu der Annahme gelangen, dass zu 
Zeiten einer Epidemie täglich frische Zufuhren dem Trinkwasser beigemischt 
werden. Ein einmaliges, vorübergehendes Hineingelangen infectiösen Elbe 
wassers in die Leitung, wie es bei einer besonders hohen Sturmfluth viel¬ 
leicht denkbar wäre, könnte nur ein schnelles Steigen der Krankenzahl auf 
kurze Zeit, nie eine Monate, ja Jahre dauernde Epidemie hervorrufen. Zu 
einer solchen ist eine Kraft erforderlich, die vielleicht langsam, aber an¬ 
dauernd wirkt und die alljährlich zu derselben Zeit zu grösserer oder ge¬ 
ringerer Entwickelung gelaugt. Da wir nun in der Elbe zwei sich abwech¬ 
selnde Strömungen haben, Ebbe und Fluth, so würde die Frage zu ent¬ 
scheiden sein, welche von beiden führt die Bacillen herbei? 

Dass aus der Oberelbe ein nennenswerthes Quantum an pathogenen 
Pilzen stammen sollte, ist von keiner Seite behauptet worden; rühren sie 
aber aus dem Theile unterhalb der Wasserkunst, so würden wir zu der An¬ 
nahme gedrängt werden, dass es eine Periode der Fluth geben müsse, welche 
der Ebbe an Kraft überlegen wäre. Den Nachweis einer solchen sucht nun 
Höpffner aus seinen graphischen Darstellungen zu führen. 

Eiue Verstärkung der Fluth, wie sie durch Stürme herbeigeführt wird, 
kann wegen der Unregelmässigkeit ihres Auftretens und der Länge ihrer 
Dauer hier nicht in Betracht kommen. Anders die Verstärkung der Fluth¬ 
grösse durch Verminderung des Widerstandes. Bekanntlich ist die Fluth¬ 
grösse abhängig von dem Wasserstande der Elbe: sie ist um so niedriger, 
je höher das Niveau der Elbe steht, und um so höher, je mehr der Wasser¬ 
spiegel sinkt. Die graphische Darstellung lässt dies klar erkennen, wenn 
man die Monate Januar-Mai ausser Betracht lässt, in denen der Eisgang und 
die Ueberschweminungen der Oberelbe uncontrollirbare Verschiedenheiten her¬ 
vorrufen. Die Curve der Fluthgrösse steigt vom Mai zum Juni stark an, hält 
sich dann bis zum October auf ziemlich gleicher Höhe und sinkt dann lang¬ 
sam bis zum Jahresschluss herab. Ob diese höhere Fluthgrösse in der That 
kräftiger wirkt als d : e correspoudirende Ebbe, ist bisher experimentell nicht 
nachgewiesen. Indess zeigt Lentz (lieber Ebbe und Fluth des Meeres) an 
' einem Beispiel, dass eine Tide bei niedrigerem Wasserstande ira Durchschnitt 
um 57 Minuten kürzere Zeit dauert, als bei höherem, und dass die Fluth 
dabei nur 11 Min., die Ebbe 46 Min. einbüsst. Bedenkt man dabei, dass 
die Strömung des Flusses bei niedrigem Wasserstande an Geschwindigkeit 
verliert, so dürfte die Annahme, dass zu solchen Zeiten die Fluth die Ebbe 
an Kraft überwiegt, nichts Gewaltsames haben. Betrüge auch das Ueber- 
gewiclit der Fluth in einer Tide nur 100 m, so würde in 100 solcher Tiden 
ein frei in der Elbe schwimmender Körper 10 km stromaufwärts zurücklegen 
können, d. h. mit anderen Worten, der Sielinhalt der Stammsiele würde in 
50 Tagen bis weit über die Trinkwasserstation hinausgelangen können. Ab- 
strahirt man von den ganz willkürlich gewählten Zahlen, so wird man sich 
nach unserer Annahme einen Zeitpunkt vorstellen können, in welchem die 
Elbe oberhalb und unterhalb der Wasserkunst reichlich Bacillen enthält, 


so dass bei jedem Pumpen, bei Ebbe oder Fluth, ein mehr oder weniger 
grosses Quantum Bacillen dem Trinkwasser beigemischt wird. 

Vergleichen wir nun mit dieser Curve die Typhuscurve, so finden wir, 
dass die Krankenzahl iin Mai das Jahresminimum erreicht, im Juni kaum 
merklich, etwas stärker im Juli austeigt, dann aber im August einen jähen 
Sprung macht, um im langsameren Tempo im October das Jahresmaximum 
zu erreichen; November und December zeigen dann einen geringen Abfall. 
Berücksichtigen wir nun, dass nach uuserer Annahme die höhere Fluthgrösse 
nur eine langsame Kraft ist, welche vielleicht Wochen gebraucht, um einen 
iu der Elbe schwimmenden Körper von den Sielen zur Wasserkunst zu 
treiben, dass also ihre im Juni beginnende Thätigkeit. erst im Juli und 
August in die Erscheinung tritt, so werden wir über den so merkwürdigen 
Parallelismus zwischen beiden Curven nicht mehr frappirt sein. 

Von diesem Standpunkt aus erklärt es sich auch, warum wir bei doch 
sonst gleich bleibender Zusammensetzung des Wassers der Elbe in einem 
Jahr epidemischen, im anderen nur sporadischen Typhus haben: denn nur 
bei andauernd sehr niedrigem Klbwasscrstande sind die für die Entwickelung 
einer Epidemie erforderlichen günstigen Bedingungen gegeben. Damit stimmt 
auch die öffentliche Meinung von der gesundheitsförderlichen Einwirkung des 
Regens: denn jede Erhöhung des Wasserspiegels der Elbe wirkt ja der 
Fluth und damit dem Typhus entgegen. Auch das Zusammenfällen der 
Typhusepidemieen mit. niedrigem Grundwasserstande lässt sich aus dem Ge¬ 
sagten sehr einfach erklären: denn wenn auch der Stand des Gmudwasserx 
nicht direkt von der Elbe und ihren Zuflüssen abhängig ist, so liegt doch 
die Annahme nahe, dass dieselben meteorologischen Verhältnisse, welche 
einen niedrigen Elbwasserstanij bedingen, in gleicher Weise auch auf das 
Grundwasser eiuwirken werden. Endlich scheinen auch die Typhusverhält- 
nisse Altonas unsere Ansichten zu stützen: Altona liegt unterhalb der 
Stammsiele und erfreut sich gerade in den Monaten, wenn Hamburg am 
meisten unter Typhus leidet, einer relativ guten Gesundheit; existirte die 
von uns angenommene stärkere Fluth nicht, so wäre nicht abzusehen, waruui 
Altona nicht mindestens ebenso stark an Typhus laboriren sollte wie unsere 
Stadt, zumal wir noch sehen werden, dass hei besonders starker Ebbe- 
strömung die Zahl der Typhuskranken in Altona ganz bedeutend ansteigt. 

Liess sich schon aus dein Parallelismus zwischen hoher Fluthgrösse und 
Typhus ein gewisses Abhängigkeitsverhältniss des letzteren von ersterer ab- 
leiteu, so wird dies noch ferner unterstützt durch das Verhalten der Krank¬ 
heit zur Zeit der kleineren Fluthgrösse, d. h. zur Zeit der verstärkten Ebbe. 
Diese wird in wirksamster Weise verursacht durch das Steigen des Wassers 
in der Ohereibe. 

Ein Blick auf die graphische Darstellung ergiebt, dass der Wasserstaud 
der Elbe sein Jahresmaximum im Februar erreicht, im März etwas fallt, im 
April von Neuem steigt, um vom Mai al> permanent zu fallen. 

Die Typhuscurve lässt im Februar einen kaum merklichen Abfall er¬ 
kennen; sie sinkt beträchtlicher im März und April und zeigt ihren nie¬ 
drigsten Stand im Mai. 

Die Wirkung der verstärkten Ebbe in der vorliegenden Frage ist eine 
dreifache: 

1. hemmt sie die Fluth und damit die Zufuhr frischer Bacillen; 

2. bewirkt sie durch Zuleitung reinen, infectionsfreien Wassers zur vor¬ 
handenen bacilienhaltigen Wassermasse eine relative Verminderung der 
Bacillen; 

3. schwemmt sie allmählich das bacillenhaltige Wasser stromab und 
bewirkt eine vollständige Wassererneuerung in der ganzen Strecke. 

.Auf diese Weise lässt sich die regelmässige Abnahme des Typhus zu 
dieser Jahreszeit leicht und zwanglos erklären. Vielleicht wird diese An¬ 
schauungsweise Manchem plausibler erscheinen, als jene zuerst entwickelte, 
obgleich die zweite ohne die erstere gar keinen Sinn hätte, denn eine Reini¬ 
gung ohne vorangegangene lufection ist doch nicht deukbar. 

Diese Ansicht erhielt noch eine kräftige Unterstützung durch das so 
plötzliche uud bisher unerklärliche Auwachsen der Typhuserkrankuugen in 
Altona während der Monate Februar und März. So lange die Ebbe nämlich 
keine besondere Stärke erlangt, kann höchstens derjenige Theil der Siel¬ 
effluvien bis zur Altonaer Pumpstation gelangen, welcher zur Ebbezeit das 
Siel verlässt; eine verstärkte Fluth würde auch dies hindern. Sobald aber 
eine verstärkte Ebbe eintritt, wie dies iu den Monaten Februar-April der 
Fall ist, treiben alle Sieleffluvien stromabwärts, und dazu kommt noch die¬ 
jenige Wassermasse, die schon oberhalb Rothenburgsort gestandeu und, wie 
wir annahmen, Typhusbacillen enthalten hatte. Eine so plötzliche massen¬ 
hafte Zufuhr von Infectiouskeimen muss nothwendig jenen Zustand iu Altona 
erzeugen. 

Höpffner ist sich wohl bewusst, in dem Gesagten keinen Beweis 
dafür geliefert zu haben, dass die Quelle des Typhus in der Elbe zu suchen 
sei; er glaubt aber, dass der auffallend gleichmässige Verlauf der Typhus- 
und Elbwasserstandscurven, sowie die Möglichkeit, von diesem Standpunkt 
aus alle bisher unerklärlichen Erscheinungen im Gange der Typhusepidemie 
zu erklären, von Neuem die Aufmerksamkeit auf das hiesige Trinkwasser 
lenken muss. Je inehr die Ueberzeugung von der verderbenbringenden 
Wirkung des Trink wassers, auch ohne strikten Beweis, zum Durchbruch 
kommt, desto schneller wird die Stadt zu einein besseren Gesundheitszu¬ 
stände gelangen. 

Herr Schede schlügt vor, jetzt einzutreten in die Discussiou 
über den Verlauf und die Nachkrankheiteu des Typhus. 

Herr Schede berichtet, dass er ausser Vereiterungen von Drüsen, 
Strumen, Gelenken, Muskeln während der Epidemie der letzten Jahre öfter 
auch Vereiterungen des Knochenmarks gesehen habe, ganz ähnlich 
wie bei der infectiösen multiplen Osteomyelitis. 

Das Beobachtungsinaterial des Vortragenden umfasst 10 Fälle dieser 
Art. Die Vereiterung des Knochenmarks wurde z. Th. schon während des 
Typhus diagnosticirt, z. Th. entwickelte sie sich erst nach Ablauf desselben. 

Es handelte sich um: 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


745 


6. September. 


a) 2 Fälle von Vereiterung des Warzenfortsatzes hei früher ganz ge¬ 
sunden jungen Personen; in beiden Fällen Heilung. 

b) 2 Fälle von Osteomyelitis des Oberarms bei einem Kinde und einem 
jungen Manne, der erste dieser Fälle entstand während des Typhus: Incision 
<les subpcriostalen Abscesses in der vierten, Aufmeisselung der Markhöhle 
in der siebenten Woche der Erkrankung; nach 6 Monaten konnte die Se- 
questrotomie gemacht werden; Ausgang in Heilung. 

Der zweite Fall entwickelte sich in der zweiten Woche des Typhus und 
führte nach 5 Monaten zu einem typischen Knochenabscess. Ausgang in Heilung. 

In einem weiteren Falle handelte es sich um eine Ostitis acuta puru- 
lenta des Os naviculare carpi, in einem anderen Falle um eine Ostitis der 
Metacarpalknochen, die zu Epiphysenlösung führte. Patient ging an einer 
Pneumonie zu Grunde; im Darm fanden sich noch zahlreiche Typhus¬ 
geschwüre. 

Bei dem folgenden Falle entwickelte sich erst 'U Jahr nach der Ent¬ 
lassung des geheilten Patienten ein Abscess von ca. 20 cm Länge in der 
Diapbvse des rechten Femur; Heilung nach Aufmeisselung des Knochens. 

In einem weiteren Falle handelte es sich um einen Knaben, der im un¬ 
mittelbaren Anschluss an einen Typhus einen Erguss in’s rechte Kniegelenk 
bekam, der durch Punction und Auswaschung geheilt wurde. Trotzdem 
dauernde Functionsstörung und zunehmende Ankylose unter allmählicher Ent¬ 
wickelung einer starken Vereiterung des unteren Endes des Oberschenkels; 
endlich nach l l ,s Jahren subperiostaler Abscess. Aufmeisselung des Knochens 
und Eröffnung eines circa wallnussgrossen Granulationsheerdes an der typi¬ 
schen Stelle dicht über der unteren Epiphysenlinie. 

Die neunte Beobachtung betrifft einen Abscess im Caput tibiae. Beginn 
der Entwickelung 3 Monate nach Anfang des Typhus. Aufmeisselung des 
geschlossenen Knochenabscesses 9 Monate später. Heilung unter Blutschorf 
in 14 Tagen. 

Im letzten Fall entwickelten sich bei einer Dame '/* Jahr nach Ablauf 
eines Typhus Knochenabscesse der rechten Ulna und Tibia; ‘/* Jahr später 
sehr heftige Schmerzattaken an der linken Hüfte und im Nacken, die ohne 
Aufbruch vorübergingen; wieder */a Jahr später ein ausgedehnter, ca. 15 cm 
langer centraler Kuochenabscess in der Diaphyse des linken Femur unter 
sehr grossen Schmerzen. Aufmeisselung und Heilung unter höchst augen¬ 
fälliger Besserung des bisher stets gestörten Allgemeinbefindens. 

Die bacteriologische Untersuchung ergab fast ausnahmslos das Vor¬ 
handensein des gewöhnlichen weissen und gelben Eitercoccus. An Stelle des¬ 
selben wurde nur in den zuerst auftretendeu Abscessen der Ulna und Tibia 
des letzten Falles von E. Fränkel ein anderer Coccus gefunden, dessen 
Natur nicht näher festgestellt werden konnte. Es handelt sich aber offenbar 
auch hier in der Regel nicht um etwas Specifisches, sondern um eine ge¬ 
wöhnliche metastatische Eiterung mit seltener Localisation. 

Herr Bülau. Man soll immer einen scharfen Unterschied machen 
zwischen den Erkrankungen, die wirklich mit dem Typhus Zusammenhängen, 
und denen, die als zufällige Complicationen aufzufassen sind. Von diesen 
Eiterungen, die nach den Untersuchungen E. Fränkel’s auf die gewöhn¬ 
lichen Eitercoccen zurückzuführen sind, werden vorzugsweise weniger re- 
sistonzfahige Individuen befallen. Die verschiedenen Typhusepidemieen sind 
übrigens sehr verschieden nach dem Grad des Befallenseins der verschie¬ 
denen Darmabschnitte; in der letzten Epidemie handelte es sich oft um eine 
auffallend geringe Affection des Darms. 

Vortragender hebt folgenden Fall hervor: Ein zehnjähriges Kind bekam 
in der zweiten Woche des Typhus einen lividen Fleck von Haudtellergrösse 
auf dem Abdomen, dann livide Flecke am Rande beider Ohrmuscheln und 
am Handrücken; aus der Gangrän entwickelten sich Geschwüre, die schliess¬ 
lich in Heilung ohne Narbenbildung übergingen. Einen ähnlichen Fall 
beobachtete Vortragender vor Kurzem bei einem zwölfjährigen Knaben 
gegen Ende der zweiten Woche eines Typhus: an den Ohrmuscheln und auf 
der linken Backe entwickelten sich livide Flecke; auch hier trat Heilung, 
ohne Narbenbildung, ein. Man muss bei solchen Fällen an die Möglichkeit 
von Embolieen der Typhusbacillen in die Hautcapillaren denken. 

Herr R. Wolff hat 4 Fälle von Osteomyelitis im Anschluss an Typhus 
gesehen; im ersten Falle handelte es sich um centrale Nekrose in einer 
Tibia bei einem Knaben; im zweiten Falle bei einer Frau um centrale Nekrose 
in beiden Tibien; in einem dritten Falle um einen Process in der linken 
Tibia, bei dem es nicht zur Eiterung, sondern nur zur Bildung fungöser Massen 
kam, und im letzten Falle um einen ähnlichen Process in der linken Ulna. 

Herr Vermeil hat früher ebenfalls einen im Anschluss an Typhus sich 
entwickelnden osteomyelitischen Process in einer Tibia, der zu Sequesterbil¬ 
dung führte, gesehen. 

Herr Ratjen bemerkt, dass er vor längerer Zeit einen Fall von Typhus 
beschrieben hat, in dem es zu Gangrän zweier Zehen gekommen war. 

Herr Schede betont Herrn Bülau gegenüber, dass er bei seinen 
Fällen auch keine Typhusbacillen gefundeu habe und die Typhusosteomve- 
litis durchaus nicht als zum Bild des Typhus gehörig, sondern nur als zu¬ 
fällige Complication auffasse. Die jetzige Epidemie habe nur eine sehr auf¬ 
fallende Disposition für diese Complication gezeigt; eine Epidemie gewöhn¬ 
licher Osteomyelitis, wie sie sonst nicht selten beobachtet werde, habe zur 
Zeit nicht bestanden. 

Herr Fränkel fasst Herrn Schede’s Fälle nur zuin Theil als Com- 
plicationen, zum anderen Theil als Nachkrankheiten auf, in Herrn Wolff’s 
und Herrn Vermeil’s Fällen möchte er keinen ätiologischen Zusammenhang 
mit dem Typhus annehmen. Ob Herrn Bülau’s Fälle als specifisch typhös 
anzusehen seien, sei mindestens fraglich; die einzige Analogie wären die 
Roseolen, auch diese verschwänden ohne Desquamation. — Die grössere oder 
geringere Anhäufung von Darmgeschwüren stehe vielleicht in Zusammenhang 
mit der verschiedenen Entwickelung der Darmfollikel überhaupt. In dieser 
Epidemie seien die Geschwüre nach einer ungefähren Schätzung gleichmässig 
auf Dünn- und Dickdarm vertheilt gewesen. 

Herr Schede glaubt, dass man doch kaum zwischen Complicationen 
und Nachkrankheiten einen so scharfen Unterschied machen könne, wie Herr 


Fränkel. Aetiologisch seien seine sämmtlichen Beobachtungen sicherlich 
von dem gleichen Gesichtspunkt aus aufzufassen und alle als Complica¬ 
tionen zu betrachten. 

Herr Curschmann will die Fälle von Herrn Bülau auch in Zu¬ 
sammenhang mit dem Typhus bringen; auch bei Pocken und Fleckfieber hat 
Vortragender blutige Suffusionen und Gangrän der Haut gesehen. Die Beob¬ 
achtung von Ne uh aus, der Typhusbacillen im Blute der Roseolen nachwies, 
hat Herr Curschmann nicht bestätigen können, übrigens zeigte es sich 
auch bei den Arzueiexanthemen, dass es sich nicht um embolische Processe 
handle, sondern dass chemische Agentien an verschiedenen Stellen der Haut 
eben verschieden wirkten. 

Herr Fränkel will Herrn Schede gegenüber doch einen Unterschied 
zwischen Complicationen und Nachkrankheiten gemacht wissen; so sei eine 
Parotitis und eine Furunculosis als Complication, eine Lähmung aber 
als Nachkrankheit aufzufassen; betreffs der Aetiologie der Osteomyelitis 
stimme er mit Herrn Schede überein. 

Herr Körting erwähnt, dass er im letzten Jahre unter ca. 70 Fällen 
von Typhus dreimal eine Thrombose der unteren Extremität gesehen hat 
und bittet Herrn Curschmann um Mittheilung seiner Erfahrungen in 
diesem Punkte. 

X. Jouraal-Revue. 

Chirurgie. 

6 . 

Gross. A. clinical study of carcinoma of the breast 
and its treatment. The amer. journ. of raed. Sciences XCV. 
3 u. 4 (March., April). 

Sehr lesenswerthe, auf der Analyse von 1842 Fällen basirende 
Arbeit, welche wegen der vielen statistischen darin zur Besprechung 
kommenden Angaben zu einem ausführlichen Referat wenig geignet 
ist; es sei darum nur auf die wesentlichsten Gesichtspunkte hinge¬ 
wiesen. 

In dem Capitel „Aetiologie“ betont der Verf. die Wichtigkeit 
des Alters, localer Reizungen und der Erblichkeit in dem Sinne, 
dass mit letzterer eine Uebertragung gewisser Gewebseigenthüm- 
lichkeiten gemeint sei, als die einzigen, mit einiger Klarheit ver¬ 
wertbaren Factoren. Hinsichtlich des Sitzes der Krebse in der 
Mamma ist zu erwähnen, dass die Gegend der Brustwarze und der 
obere äussere Quadrant der Brustdrüse am häufigsten ergriffen sind; 
unter 820 Fällen, über welche in Bezug auf diesen Punkt Notizen 
vorliegen, erwies sich die erste erwähnte Localität 231, die letztere 
206 mal befallen. Hervorgehoben zu werden verdient das meist 
rapide Wachsthum der Maramakrebse im Verlauf der Gravidität. 
Als ein frühes Symptom des Brustkrebses soll namentlich 
bei oberflächlichem Sitz des Tumors, ein grubenartiges Einsinken 
der Haut zu beobachten sein, welches nicht auf Verwachsung der 
Geschwulst mit der Hautdecke, sondern auf eine Retraction der 
von Astley Cooper sogenannten Lig. suspens. mammae zu be¬ 
ziehen ist. Die Neigung des Brustkrebses auf die benachbarten Ge¬ 
webe überzugreifen ist bekannt; ebenso die Betheiligung der nächst¬ 
gelegenen Lymphdrüsen an der Erkrankung. Metastatische Ab¬ 
lagerungen werden am häufigsten an den Organen des Ver- 
dauungs- und Respirationstracts, sowie des Knochen- und Nerven¬ 
systems beobachtet, an den Lungen häufiger als an der Leber. Mit 
dem Uebergreifen auf die Nachbarschaft und dem Auftreteu von 
Metastasen entwickelt sich die Krebskachexie, welcher die Patienten 
schliesslich erliegen. Recht bemerkenswerth sind die statistischen 
Angaben über die Lebensdauer der operirten und nicht operirteu 
Patienten; die der ersteren betrug im Durchschnitt 38,5, der letzteren 
28,6 Monate. Die Schlussfolgerungen des Verf.’s hinsichtlich der Prog¬ 
nose des Mammacarcinoms lauten folgendermaassen: Die sich selbst 
überlassenen Mammakrebse führen unvermeidlich zum Tode. Von den 
Operirten sterben 14° 0 , während 11,83 %, also annähernd eben so 
viele dauernde Heilung durch die Operation erfahren; ein Frei- 
bleibeu von Recidiven 3 Jahre p. operat. betrachtet der Verf. als 
dauernde Heilung (in dieser Allgemeinheit ist der Satz des Verf.’s 
nicht haltbar, da leider nicht ganz selten Ausnahmen von dieser 
Regel Vorkommen. Ref.). Die Ausräumung der Achselhöhle ver¬ 
schiebt oder verhütet das Eintreten von Recidiven. Gerade dieses 
der Prognose gewidmete Capitel zeigt eine Reihe ‘sehr interessanter, 
tabellarischer Zusammenstellungen. 

Der auf die Diagnose bezügliche Abschnitt enthält nichts 
Neues; bei der Besprechung der Behandlung legt der Verf. auf 
die jedesmalige Entfernung der Achseldrüsen und auf die möglichst 
weit im Gesunden vorzunehmende Exstirpation mit Recht grossen Werth. 
Hinsichtlich der Technik cf. Original. E. Fraenkel (Hamburg). 

Psychiatrie und Neurologie. 

2 . 

Starr. Syringomyelia: its pathology and clinical 
features. American Journal of medical Sciences Vol. XCV, 
5. May 1888. 

Der Verf. macht auf die grosse Variabilität des Krankheitsbildes, 
welche sich aus der Localisation und der Ausdehnung der Höhle 


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746 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36 


im Rückenmark unschwer erklärt, aufmerksam und führt ausser 
8 fremden eine eigene Krankengeschichte an, welche die wechselnde 
Symptomatologie und die Schwierigkeit der Diagnose zu illustriren 
im Stande sind. 

Ueberwiegend motorische Erscheinungen treten auf, wenn, was 
nicht selten ist, die Vorderhörner in die Erkrankung eiubezogen 
sind. Unter 56 von Bäumler analysirten Fällen waren ein oder 
beide Vorderhörner 24 mal ergriffen. 

Störungen auf sensorischem Gebiet, charakterisirt durch Verlust 
der Temperatur- oder Schmerzempfindung, werden bei Befallensein 
der Hinterhörner angetroffen; unter 56 Fällen boten 32 eine der¬ 
artige Läsion. 

Vasomotorische und trophische Symptome sind im Allgemeinen 
bei Erkrankung der centralen grauen Substanz zu erwarten, sei es, 
dass durch Ausdehnung der Höhle die graue Substanz schon zer¬ 
stört oder nur comprimirt ist. 

Erscheinungen spastischer Paralysen, bald ein-, bald doppelseitig 
auftretend, sind auf Affection der Seitenstränge durch die im Rücken¬ 
mark bestehende Höhle zu beziehen. Sind die Hinterstränge iu Mit¬ 
leidenschaft gezogen, dann können atactische Symptome im Krauk- 
heitsbild prävaliren. 

Es ist daher rathsam. in irgend einem Falle von Rückenmarks¬ 
erkrankung, in welchem eine abnorme Combination von Krankheits- 
erscheiuungen gegenwärtig ist, an die Möglichkeit des Bestehens 
einer Syringomyelie zu denken. 

Die Aetiologie des Leidens ist dunkel. Traumen, Ueberanstren- 
gung, Erkältung sind als Ursache für Syringomyelie augeführt 
worden und Naunyn und Eich holt haben experimentell durch 
Verletzungen des Rückenmarks bei Hunden syringomyelieähnliche 
Veränderungen hervorgebracht. Bisweilen hat sich die Erkrankung 
im Gefolge von Typhus, Intermitteus, Rheumatismus und bei syphi¬ 
litischen Individuen entwickelt, so dass die Möglichkeit eiues Zu¬ 
sammenhangs zwischen den genannten Allgeraeiuaffectionen und dem 
Spiualleiden nicht von der Hand zu weisen ist. — Eine radicale 
Behandlung der Krankheit kennt mau nicht. 

Eug. Fraeukel (Hamburg). 

v. Krafft Ebing. Ueber Neurasthenia sexualis beim 
Manne. Wiener med. Presse 1887, No. 5 und 6. 

Unter Neurasthenie (Nervenschwäche) versteht man einen krank¬ 
haften Zustand des Nervensystems, dessen Grunderscheinungen kli¬ 
nisch eine abnorm leichte Anspruchsfähigkeit und überaus rasche 
Erschöpfbarkeit der Nerveufunction darstellen, wahrscheinlich als 
Ausdruck gestörter Ernährung des Centralnervensystems, welche un¬ 
genügende Ansammlung von Spannkräften bedingt und für die ver¬ 
brauchten nur ungenügend Ersatz bietet. Je nach dem primären 
Ergriffensein einzelner Abschnitte des Nervensystems kann man eine 
N. cerebralis, spinalis und visceralis unterscheiden, von der letzteren 
bildet die N. sexualis eine Unterabtheilung. Reizbare Schwäche 
in Form von gehäuften unfreiwilligen und der vorzeitigen intendirten 
Samenergiessungen kann auf zweierlei Weise zu Stande kommen. 
Entweder handelt es sich um Reizzustände auf Grund von Hyper- 
ämieen, Katarrhen des Genitalschlaucbes, welche reflectorisch die 
Erregbarkeit des Ejaculationscentrums steigern, oder das letztere ist 
primär in seinem Tonus geschwächt und fuuetionirt in krankhafter 
Weise. Die sexuelle Neurasthenie lässt sich durch ineinander über¬ 
gehende Stadien genetisch verfolgen, deren erstes als genitale 
Localneurose, deren zweites als Lendenmarksneurose, deren 
drittes als Verallgemeinerung der spinalen Asthenie sich be¬ 
zeichnen lässt. 

ad I. Es bestehen unfreiwillige Samenergiessungen bei erigirtem 
Penis während des Schlafes, präcipirte Ejaculation beim Coitus und 
locale Beschwerden: Hyperästhesie der Urethra, schmerzhafte Sen¬ 
sationen im Gebiete des Plexus sacralis. Die Kranken verlieren das 
Selbstvertrauen, halten sich für impotent, werden hypochondrisch 
und melancholisch. Die Prognose ist günstig. Die Behandlung be¬ 
steht in Beseitigung der localen Ursachen, speciell der Katarrhe, 
Hyperämieen der Urethra durch Kühlsonde, Adstringentien, Sitz¬ 
bäder, Suppositorien, ferner in diätetischen Anordnungen und psy¬ 
chischer Einwirkung. 

ad II. Das zweite Stadium ist eingetreten, wenn sich die 
Centren im Lendenmark andauernd in einem Zustande reizbarer 
Schwäche befinden, so dass geringfügige Reize schon genügen, um 
Ejaculation zu bewirken. Der Coitus wird unmöglich, die Potenz 
ist geschwächt, der Kranke ist müde, abgeschlagen, geistig unlustig 
und verstimmt, es treten excentrische Paralgieen und Neuralgieen 
im Bereiche des Plexus lurabosacralis auf. Die Prognose ist günstig, 
die Behandlung gegen die reizbare Schwäche des Lendenmarks ge¬ 
richtet: hydropathische Eingriffe, Elektricität in Form der Anoden¬ 
behandlung mit dem galvanischen Strome längs des Rückens; To¬ 
nika: Chinin, Secale (als Extract. aquos. bis 0,5 pro die), Strychnin, 
Arsen etc. Eine fernere Indication ist die Schonung des Ejacula¬ 
tionscentrums durch Diätetik, Meiden des Coitus, Bekämpfung der 


Neigung zu Pollutionen durch Sedativa. Unter den letzteren ver¬ 
dienen die Brorasalze die meiste Beachtung (4,0—6,0 pro dosi). 

ad III. Die Verallgemeinerung der Neurose findet sich wahr¬ 
scheinlich nur bei erblich belasteten neuropathischen Individuen. 
Das Krankheitsbild ist eigenartig gefärbt durch das scheue gedrückte 
Wesen des Kranken, durch tief herabgesetztes Selbstgefühl, Todes¬ 
furcht, schlaffe Haltung, Intentions- und Verlegenheitszittern, Dys¬ 
pepsie, Herzpalpitationen etc. Die oben beschriebenen Lendenmarks¬ 
symptome beherrschen das Krankheitsbild, Pollutionen vermehren 
die Beschwerden, oft treten auch Spermatorrhoe, Anästhesieen und 
Parästhesieen der äusseren Genitalien ein. Die Prognose ist un¬ 
günstig. Heilung ist möglich, eine Cur lässt sich aber nur in Sana¬ 
torien für Nervenkranke durchführen. Eickholt. 

Hautkrankheiten und Syphilis. 

2 . 

G. Riehl. Ueber acutes umschriebenes Oedem der 
I Haut. Wien, inedic. Presse No. 11 u. ff., 1888. 

Beobachtungen des in der Ueberschrift genannten Krankheits- 
bildes sind nicht gerade häufig und deshalb verdient jede neue Be¬ 
reicherung dieses Gebietes das vollste Interesse. Riehl beschreibt 
2 Fälle von acutem umschriebenem Oedem der Haut, welche in¬ 
sofern von dem bisher bekannten Bilde etwas abweichen, als es hier 
bereits zu bleibenden Veränderungen gekommen war. Bei dein einen 
Pat., einem 51 jährigen Manne, traten die ersten Oedeme nach dem 
Tode seiner Frau auf und später war es in Folge des häufig reci- 
divirenden Oedems an der Haut der Lider zu einer bleibenden 
Dehnung gekommen. Der zweite Pat., ein 33jähriger Mann, be¬ 
merkte die ersten Oedeme an seiner linken Wange in Folge von 
körperlicher Anstrengung und Einwirkung von Zugluft, später kam 
es ebenfalls zu einer leichten Verdickung der Wangenhaut. Im 
Uebrigen bildeten die Oedeme der Haut und der Pharynx- und 
Larynxschleimhaut in diesen wie in 2 anderen kurz beschriebenen 
Fällen die einzigeu Symptome der Krankheit. Verf. hält diese 
Affection der Urticaria nahe verwandt. Die Therapie war bisher 
dem Leiden gegenüber machtlos. Ueber die Ursache wissen wir 
ebenfalls nichts, Riehl scheint sich der Anuahme zuzuneigen, dass 
eine vom Centralnervensystem ausgehende Störung der vasomoto¬ 
rischen Functionen die Ursache der Anfälle ist. 

Unna. Beiträge zur Anatomie und Pathogenese der 
Urticaria simplex und pigmentosa. Dermatologische Studien, 
3. Heft, 1887. 

Gegenstand dieser Untersuchung bildete eine bei einem zwei¬ 
jährigen Kinde beobachtete Urticaria pigmentosa, welche im dritten 
Lebeusmonate am ganzen Rumpfe und vereinzelt auf den Extremi¬ 
täten unter der Form von rothen Quaddeln auftrat.. Dieselben 
wurden nach einigeu Tagen flach und verfärbten sich allmählich 
braun. Diese brauuen Flecke, etwa 40 an der Zahl, waren etwas 
erhaben, fühlten sich sammetartig an und zeigten eine fein ge¬ 
furchte Oberfläche, auf ihnen liess sich eine Urticaria factitia er¬ 
zeugen. Zwei vorher gereizte Quaddeln wurden excidirt und mikro¬ 
skopisch untersucht. Die Hauptpunkte früherer Arbeiteu, Rarefaction 
und reticuläre Umwandlung des subepidermoidalen Bindegewebes 
und eine dichte Einlagerung iu dasselbe von eigentümlich gestal¬ 
teten, runden oder polygonalen grossen Zellen konnte zunächst be¬ 
stätigt werden. Diese Zellen sind Mastzellen, sie sind nach Unna's 
Ansicht das Bestimmende, Charakteristische im histologischen Bilde 
dieser Affection und die flachen Papeln können direkt als eine Ge¬ 
schwulst von Mastzellen bezeichnet werden. 

Im Anschlüsse hieran nahm Unna das anatomische Studium 
der gewöhnlichen Urticaria auf und excidirte eine an sich selbst 
mit Brennnesseln erzeugte Quaddel. Die einzigen Veränderungen 
zeigten sich hier innerhalb des kollagenen Gewebes, besonders in 
der Umgebung der grössereu Blutgefässe des unteren Cutisabschnittes. 
Hier zeigte sich eine Menge grosser, ovaler Hohlräume, welche Er¬ 
weiterungen vorgebildeter Lymphspalteu darstellen. Das Exsudat 
befand sich also im unteren Cutisabschnitte. Als Ursache hierfür, 
wie als Grund bei allen Quaddelausschlägen, nimmt Unna „ve- 
nösen Spasmus“ an. Die Disposition hierfür sei in centralen oder 
peripherischen Reizen zu suchen. 

Budor. Contribution ä l’etude du caucer de la 
vessie ä marche lente. Annal. des malad, des org. gen.-urin. 
November 1887. 

Diese Krankengeschichte ist wegen eines sehr langsam wach¬ 
senden Blasenkrebses interessant, welcher während seines wahr¬ 
scheinlich 24jährigen Bestehens keine anderen Symptome machte 
als Hämaturie und Schmerzen in der Lendengegend. Gegen Ende 
des Lebens trat Cachexie ein. Sonach ist es gerathen, jede Häma¬ 
turie, selbst bei einem jungen Menschen, stets mit einer gewissen 
Reserve zu beurtheilen, denn sie kann das erste Anzeichen einer 
in der Folge sich entwickelten organischen Veränderung sein. 

_ Joseph (Berlin). 


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6. September. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 747 


XI. Therapeutische Mittheilungen. 

lieber die locale Anwendung der Kanipfersänre. 

Von Dr. Max Reichert, 1 ) 

Specialarzt für Hals- und Nasenkrankheiten zu Berlin- 

Meine Herren! Die von Kosegartenschon 1785 *) dargostellte, jedoch 
hinsichtlich ihrer therapeutischen Einwirkung wenig bekannte Kampfersäure 
habe ich seit ca. l'/j Jahren für die locale Behandlung von acuten und 
chronischen Krankheiten der Schleimhaut des Mundes, der Nase, des Rachens, 
des Kehlkopfes und der Luftröhre, ferner bei chronischen Erkrankungen der 
Bronchien rcsp. der Lunge, endlich auch bei einzelnen acuten und chroni¬ 
schen AfFectionen der äusseren Haut, so weit ich hierzu Gelegenheit hatte, 
verwerthet. Die Veranlassung hierzu wurde dadurch geboten, dass ich im 
Anschluss au die günstigen Resultate, welche die örtliche Anwendung einiger 
ätherischer Oele, insbesondere des Öl. Mentb. pip., bei Tracheal- und Bron¬ 
chialkatarrhen mir ergeben hatte, zunächst den Kampfer für die laryngosko- 
piscbe Behandlung tuberculüser Larynxgeschwüre zu benutzen versuchte 
und hierauf durch eine Notiz bezüglich der Arbeit von Sormani 8 ) und Bru- 
gnatolli über die Neutralisation des Tuberkelbacillus zur entsprechenden 
Anwendung der Kampfersäure angeregt wurde. 

Bekanntlich hat in dieser ebenso mühevollen wie verdienstlichen Arbeit 
Professor Sormani vom hygienischen Institut zu Pavia im Verein mit Dr. 
Brugnatelli eine Reihe von 36 Substanzen, von denen die meisten mehr 
oder weniger gebräuchliche Arzneimittel sind, einzelne jedoch bisher keine 
therapeutische Verwendung gefunden haben, hinsichtlich ihrer Einwirkung 
auf die Tuberkelbacillen in der Weise geprüft, dass von einem nachgo- 
wiesenermaassen Tuberkelbacillen enthaltenden Sputum je 1 ebera mit ab¬ 
gemessenen Öuautitäten der betreffenden Versuchsmittel gemischt und hier¬ 
von eine bestimmte Menge mittelst Pravaz’scher Spritze Kaninchen in das 
Unterhautzellgewebe des Rückens, hin und wieder auch intraperitoneal in- 
jicirt wurde. Die betreffenden Thiere wurden, wofern sie nicht an Krank¬ 
heiten starben, nach Verlauf von 2—3 Monaten getödtet und sämratlich pa¬ 
thologisch-anatomisch, namentlich auch mikroskopisch auf Tuberkelbacillen 
untersucht. Nach dem Ergebuiss dieser Untersuchung haben die Verfasser 
die erprobten Substanzen in 4 Gruppen unterschieden: 1) diejenigen, welche 
keine Einwirkung auf den Bacillus zeigten (Jodsilber, Jodäthylen, starkes 
Bromwasser, Bromkampfer, Aluminium, Ziucum suipho-carbolicum, Natr. benz., 
Natr. salicyl., Naphtalin, Borneol, Chin. bisulphuricum in gesättigter wäss¬ 
riger Lösung, Ozon und Akohol), 2) solche, welche wegen ihrer ätzenden 
oder giftigen Wirkung kein verwendbares Resultat ergaben (Jodmethyl, Eu- 
calyptol, Goldchlorür und Platinchlorür), 3) jene, welche nur eine ab¬ 
schwächende Wirkung auf die Entwickelung der Tuberkelbacillen ausübten 
Jodpropyl, Jodäthyl, Eucalyptol, Chlor, Methylsalicyl, Helenin und vielleicht 
Jod), 4) endlich diejenigen, welche zweifellos die Entwickelung der Tuber- 
culose verhinderten und nach der hierzu nothwendigen Minimalgewichts¬ 
menge classificirt von den Verfassern in der folgenden, von den schwächeren 
zu den stärkeren Mitteln aufsteigenden Reihe aufgezählt werden: Milchsäure, 
Kampfersäure in gesättigter alkoholischer Lösung (von jeder 1 ebem auf 
1 ebem Sputum'', Kampfer in gesättigter alkoholischer Lösung (0,7), Brom¬ 
äthyl (0,5 \ Naphthol ß (0,2), la treraentina (0,25), Chlorpalladium (0,1), 
Naphthol a (0.05), Acid. carbolic. (0,05), Hydrarg. bichlor. (0,005). 

Die eben erwähnte Constatiruug der Wirkung der Kampfersäure gegen 
die tuberculöse Infection beruht allerdings nur auf einem einzigen Versuche, 
indem von den vier zu diesem Zwecke inficirten Kaninchen zwei auf nicht 
angegebene Weise verloren gingen, das dritte wenige Tage nach der intra- 
peritonealen Injeelion an Peritonitis starb, und nur das vierte, welchem das 
mit alkoholischer Kampfersäurelösung gemischte tuberculöse Sputum in das 
Unterhautzellgewebe des Rückens injicirt worden war, gesund und wohl¬ 
genährt blieb, auch die Obductiou des 74 Tage später getödteten Thieres 
keine Spor von Tuberkeln oder Tuberkelbacillen erkennen Hess. Die the¬ 
rapeutische Anwendung der Kampfersäure hatte mir jedoch sehr erfreuliche 
Resultate schon bedeutend eher ergeben, als ich hier in Berlin nach meiner 
Uebersiedelung von Rostock das Original der erwähnten Arbeit von Sor¬ 
mani und Brugnatelli einsehen konnte. Demgemäss glaubte ich, uicht 
erst eine weitere experimentelle Bestätigung der Wirkung der Kampfersäure 
gegen Tuberkelbacillen beibringen, sondern die therapeutische Benutzung 
dieses Medicameuts weiteren Kreisen zugängig machen zu müssen. 

Die Kampfersäure, bekanntlich dargestellt durch Oxydation des Kampfers 
mittelst Salpetersäure, krystallisirt in farblosen Rhomben oder Nadeln, 
schmeckt ein wenig bitter und schwach sauer, ist in kaltem Wasser ziemlich 
schwer löslich (ca. 0,9 auf 100,0), in heissem Wasser erheblich leichter, 
sehr leicht in Alkohol und Aether, ca. zu 2 o/o auch in fetten Oelen, nach 
den in der hiesigen Belle-vue-Apotheke angestellten Versuchen. Schon 
aus der 1 procentigen Lösung der Kampfersäure in heissem Wasser, welche 
beim Stehen in gut warmem Zimmer tagelang keinen Niederschlag zeigt, 
scheiden sich nach dem Erkalten bei niedrigerer Zimmertemperatur oder 
VVasserverdunstung Kampfersäurokrystalle in geringerer oder etwas grösserer 
Menge aus, weshalb es zweckmässig erscheint, zur Herstellung mehrprocen- 
tiger und seihst einprocentiger Lösungen entsprechende Alkoholmengen zu¬ 
zusetzen. Ich habe es wegen der allmählichen Alkoholverdunstung noth- 
wendig gefunden, um stets niederschlagsfreie Lösungen zu haben, für je 
1 °/o Kampfersäure 10 resp. 11% Spir. viui. rectif. zu verwenden, wenngleich 
die betreffenden Lösuugen mit relativ geringeren Alkoholzusätzen berzustellen 
sind, und auch die zur Lösung nothwendigen Alkoholmengen nicht in genau 

*) Vortrag gehalten in der Berl. med. Gesellschaft am 30. Mai 1888. 

*) cfr. Hermann Kolbe, Lehrbuch der organischen Chemie. 1868. 
Bd. II, p. 586. 

3 ) Sormani und Brugnatelli: Ricerche sperimentali sui neutraliz- 
zanti del bacillo tuberculare a scopo profilattico c terapeufico. Aunali uni- 
versali di medic. e Chirurg. Vol. 271. Fa.sc. 812. Febbraio 1885. 


gleichem Verhältniss wie die Procentsätze der Kampfersäure sich ändern. 
So bleibt die cinprocentige Lösung in warmer Jahreszeit schon bei 6 % 
Alkoholzusatz gewöhnlich ohne Niederschlag, während eine 2%ige Lösung 
zwar schon mit 17% Alkohol herzustellen ist, jedoch nach kaum 24 Stunden 
einen geringen Niederschlag giebt. 

In der örtlichen Wirkung der Kampfersäure coinbiuirt sich anscheinend 
die adstringireude Eigenschaft der Säure mit einer geringen, au den 
Kampfer erinnernden Reizung, wozu in den alkoholischen Lösungen der 
Einfluss des Alkohols sich gesellt. Hieraus resultirt sowohl au leicht ge- 
rötheten Stellen der äusseren Haut als auch an normalen Schlcimhautstellcn 
sehr bald nach der etwa 2 Minuten dauernden Application einer passend 
gewählten, am besten 3—6%igen Kamphersäurelösung eine Zusammen¬ 
ziehung und eine blässere oder weissliche Färbung der betreffenden Stelle, 
welche Erscheinungen auf der äusseren Haut, dem rothen Lippensaume, 
der Mund-, Rachen- und Nasenschleimhaut sehr gut zu beobachten sind, 
auf der Kehlkopf- und Luftröhrenschleimhaut aber weniger deutlich sich 
bemerkbar machen, weil hier die applicirte Flüssigkeit nicht lange genug 
mit derselben Schleimhautstelle in Berührung bleibt. Diese adstringireude 
Einwirkung der Kamphersäurelösungen, welche keineswegs dem Alkohol¬ 
gehalte derselben zuzuschreiben und auch nach der Application 0,9procen- 
tiger alkoholfreier Lösuugen wenn auch weniger deutlich erkennbar ist, ver¬ 
anlasst im Bereiche entzündeter Partieen der Haut und der genannten 
Schleimhäute stundenlang das subjective Gefühl der Erleichterung, der Ab¬ 
schwellung und der Linderung resp. Beseitigung der Schmerzempfindung, 
objectiv die Mässigung der En'zündungserscheinungen. Ausserdem vereinigt 
die Kampfersäure die sehr werthvollen Eigenschaften, 1) dass schon 
schwache Lösungen derselben aseptisch sind, da die alkoholfreie 0,9%ige 
Lösung nach wochenlangem Stehen keine Pilzbildung zeigt, dass sie 2) die 
Granulationsbildung und Vernarbung anregt und 3) innerhalb sehr weiter 
Grenzen keine unangenehmen, stark ätzenden oder giftigen Neben¬ 
wirkungen hat, wie solche bei Anwendung der meisten metallischen Adstrin- 
gentieen und mancher Antiseptica im Rachen und Kehlkopf wohl zu berück¬ 
sichtigen sind. 

Unter den Krankheiten, gegen welche ich die Kampfersäure empfohlen 
möchte, erwähne ich zunächst die acute Angina faucium und tonsillitis, 
wobei der etwa 3 stündlich wiederholte Gebrauch einer 1 bis 2 pro¬ 
centigen Kampfersäurelösung als Gurgelwasser oder Spray nach meinen 
Erfahrungen wesentlich besser als das chlorsaure Kali, die Bor- oder die 
Salicylsänre wirkt und bei frühzeitiger Anwendung gewöhnlich die Eiterung 
verhindert. Bei Diphtheritis dagegen habe ich in den wenigen Fällen, in 
welchen ich die Kampfersäure allerdings nur in 1 %iger Lösung mittelst 
Sprayapparates anwendete, einen b.-sonders günstigen Einfluss nicht wahr¬ 
nehmen können, so dass in den betreffenden Fällen die früher von mir 
empfohlene Einstäubung einer Lösung von Salicylsäurementhol mit 01. raenth. 
pip. 1 ) zweckmässiger erschien. (Schluss folgt). 


— Oh. Bail ly lässt einen Strahl von Chlormethyl auf einen aus 
trockener Watte und peripherisch von trockener Seide umgebenen Tampon 
wenige Secunden lang auffallen; der Wattebausch nimmt alsbald eine Tem¬ 
peratur von 23—55° C unter Null an und behält diese Temperatur V*—1 
Stunde lang. Mit einer Ebonitpincette gefasst, kann diese Vorrichtung, 
welche einige Secunden über die Hautstellen, wo man einwirken will, entlang 
geführt wird, überall hingebracht werden; man erzeugt so fast momentane 
Schmerzlosigkeit für «ine Menge kleinerer chirurgischer Operationen 
und vermag auch sofort heilend auf eine Reihe anderer schmerzhafter Zu¬ 
stände (Neuralgieen der verschiedensten Nerveubezirke) einzuwirken; beson¬ 
ders bei sogenannten Muskelrheumatismen werden die fast wunderbaren 
Erfolge gerühmt (Lumbago, Torticollis). Auch Gastralgieen, Leber(GalIen- 
stein-)koliken, selbst ein Fall von Tetanus wurden durch dieses Verfahren, 
dem Vf. den Namen „Stypage“ giebt, günstig beeinflusst. (Centralbl. f. 
med. Wissensch.). 

—- Dr. UI brich macht auf Chloroformwasser (1:10, gut aufgeschüttelt) 
als wirksames Haemostaticum bei Blutungen au» den Zahnalreolen nach 
Extractionen aufmerksam. Aber nicht, nur als Haomostaticum, sondern 
auch als Antiseptieum und Anodynum empfiehlt sich das Chloroformwasser 
bei schmerzhaften und mycotischen Mundaffertionen. Es wurde auch die er¬ 
probte Anwendung dieses Mittels gegen lebhafte Magenscbmcrzen der 
Neurastheniker erwähnt. 

Die Verschreibung in diesen Fällen lautet: 

Aq. Chloroform». 100,0 

„ cort. Aurant. 

„ Menthae pip. aa 50,0 
Früh, Mittags und Abends 1 Esslöffel voll zu nehmen. 2 ) 

(Prag. med. Wochenschr No 32). 

— (»egen Kinder-Dlarrhoen, besonders gegen die grünen, unverdauten 
Caseinreste enthaltenen Ausleerungen empfiehlt. Zinnis (Union med.) neben 
Enthaltung von allen mehligen Stoffen folgende Vorschrift: 

R. Aqu. Foenic. 75,0 
Aqu. Calc. 6,0 

Bism. subuitr. 3,0 
Svr. Aur. flor. 15,0 
D. S. 

2stdl. I Kaffeelöffel. 

*) Rp. Acidi salicylici, Mentholi ana 1,0, solve in 01. raenth. pip. 5,0, 
Glycerini 10,0, Aq. destill. fervid. 9,5 ad 200,0. MDS. stündlich einzu¬ 
stäuben. cfr. Reichert, D. Arch. f. klin. Med., 1885, Bd. 37, p. 477 und 
Dornblüth sen., Ueber Behandlung von Diphtheritis. Vortrag und Dis- 
cussion im Rostocker Aerzteverein. Allgem. med. Centralzeitung 1885, No. 55. 

a ) Vgl. E. Salkowski: Ueber die autisept. Wirkung des Chloroforms. 
Diese Wochenschrift No. 16. 1888. 


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748 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 36 


XII. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Das äusserst verdienstvolle Werkchen des Professors an der 
Königl. Thierarzneischule in Dresden Dr. A. Johne, Der Trichinenschauer, 
Leitfaden für den Unterricht in der Trichinenschau und für den mit der 
Controle der Trichinenschauer beauftragten Veterinär- und Medicinalbeamten 
ist soeben im Verlage von Paul Parey, Berlin, in zweiter Auflage erschienen. 

Wie bei der ersten, so hat den Autor auch bei der Bearbeitung der 
zweiten Auflage die Absicht geleitet, nicht allein einen Leitfaden für die 
Trichinenschauer zu schreiben, sondern er hat stets das Ziel vor Augen 
gehabt, auch den Studirenden der Thier- und Menschenmedicin 
einen gedrängten Ueberblick der gesammten Trichinenschau zu geben, 
für welchen ihnen eine Unterlage bisher noch thatsächlich fehlte. Von 
jedem derselben wird m n im Examen mit Recht verlangen können, dass er 
von der Trichinenschau zum mindesten alles das weiss, was im vor¬ 
liegenden Leitfaden enthalten ist und er findet auch in gedrängter Form 
und doch erschöpfend das, was er wissen muss. Es wäre wünschenswerth, 
wenn mehr berufene Männer, von der Qualität Johne’s, in ähnlicher Weise 
bei vielen im praktischen Leben so wichtigen Capiteln der Medicin und 
der öffentlichen Gesundheitspflege, die nothwendige Führung übernehmen 
würden. Wir weisen ausdrücklich die Studirenden der Medicin, nicht minder 
die Praktiker, auf diesen Leitfaden hin, der eine zuverlässige Führung und 
Leitung gewährt. 

— Bonn. Prof. Schultze (Dorpat) ist an Stelle Rühle’s berufen 
worden. Sc hui tze war bereits in Bonn und besichtigte die Klinik und 
dürfte es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass derselbe die Berufung an- 
nimmt. Wie wir hören erging au Erb eine nochmalige Anfrage, welche 
derselbe ebenfalls ablehnte. Danach müsste, entgegen anderen Nachrichten, 
Erb primo loco von der Facultät vorgeschlagen sein. 

— Halle. Herr Prof. Dr. Kaltenbach ist zum Geh. Medicinalrath 
ernannt worden. 

— Paris. Am 31. August, trat der Akademiker Ohevreul sein 103. Le¬ 
bensjahr an. Der greise Gelehrte isst, trinkt und schläft wie ein gesunder 
Greis, fahrt täglich zwei Stunden spazieren, aber er ist schwach in den Beinen 
geworden. Der Tag ist im Stillen als engstes Familienfest gefeiert worden. 

— San Remo. Hierselbst ist ein Comite zur Gründung eines deutschen 
Krankenhauses zusammengetreten, zu welchem von den hier prakticirenden 
Aerzten die Herren Golz und Secchi gehören. Der Aufruf zur Aufbringung 
der nothwendigen Kosten, wird in Deutschland gewiss warmen Widerhall 
und demgemäss reichlichen Ertrag finden. Von Winter zu Winter ist die 
Zahl der deutschen Kranken gewachsen, welche an den sonnigen Gestaden 
der Riviera, besonders in San Remo, Hilfe für ihre Leiden suchen. Aber 
Eines vor Allem, so heisst es in dem Aufruf, fehlt noch, thut noth: 
ein deutsches Krankenhaus, in welchem sowohl unbemittelte wie 
bemittelte Kranke deutscher Nationalität, aber auch, soweit es der Raum 
gestatten wird, Angehörige anderer Nationen, ohne Unterschied der Reli¬ 
gion, Aufnahme und Pflege finden können. Ein solches deutsches Kran¬ 
kenhaus wollen wir gründen und handelt es sich also jetzt darum, die 
ersten Einrichtungskosten, die auf etwa 4000 Frcs. zu veranschlagen sind, 
sowie die jährlichen Unterhaltungskosten des Hauses, soweit sie nicht 
durch zahlungsfähige Kranke selbst gedeckt werden können, zusammenzu¬ 
bringen. Nachdem Se. Majestät der Kaiser Friedrich einen namhaften Bei¬ 
trag für dieses Krankenhaus huldvollst bewilligt hat, bittet das Comite Alle, 
welche ein Interesse an San Remo haben, besonders die, welche mit Dank¬ 
barkeit auf ihren hiesigen Aufenthalt zurückblicken können, vor Allem un¬ 
sere deutschen Landsleute, Beiträge zur Gründung und Unterhaltung 
dieses deutschen Krankenhauses au eins der obengenannten Vor¬ 
standsmitglieder gelangen zu lassen. 

— Die Akademie von Lausanne ist laut Beschluss des Staatsrathes in 
eine Universität uragewandelt worden. 

— Die Jahresversammlung des Allgemeinen mecklenburgischen Aerzte- 
vereius hat, betreffend die Einrichtung einer Aerztekammer für 
Mecklenburg-Schwerin und Strelitz, mit 29 gegen 6 Stimmen be¬ 
schlossen, folgenden Antrag au die beiden Landesregierungen zu richten: 
„Hochdieselben wollen für die beiden Grossherzogthümer von den Aerzten 
selbst gewählte ärztliche Standesvertretungen einführen, wenn thunlich eine 
gemeinschaftliche für beide Grossherzogthümer, und zwar auf Grund des 
bereits unter dem 30. September 1883 eingereichten Entwurfs, eventuell 
unter Zugrundelegung des Wahlrechts aller Aerzte in Verbindung mit mög- 
•lichst ausgiebigen disciplinarischen Befugnissen.“ 

— Die fünfte Jahresversammlung des Vereins gegen den Miss¬ 
brauch geistiger Getränke findet den 13. und 14. September h. a. in Gotha 
statt. Die Tagesordnung umfasst die folgenden Themata: das Verhältniss 
des Schnapses zur Volksernährung (Referent Will ich-Cassel und Thomas- 
Gotha); der Antheil der höheren Stände an dem Missbrauch geistiger Ge¬ 
tränke in Deutschland und die denselben deshalb obliegende Verantwortlich¬ 
keit (Ref. Dreyer und Emminghaus-Gotha); die richtige Art des Unter¬ 
nehmens von Volkskaffeehäusem (Ref. Osius). 

— In Holland ist eine Commission constituirt worden zum Studium 
und zur Bekämpfung der Beri-beri. Präsident des Comite’s ist: Mac Gil- 
lavry, Professor der Anatomie und Hygiene in Leyden, zu den Mitgliedern 
gehören Pekelharing, Professor der Medicin in Utrecht und Präsident der 
ersten hierzu gebildeten Commission, van Leest, Med.-Inspektor der Marine 
und andere Militärärzte. 

— Ueber das Erythema caloricum, ein von unsern Lehrbüchern 
wenig berücksichtigtes Hautleiden, berichtet Prof. Fürbringer in einer 
Reiseskizze „Aus den Walliser Alpen nach dem Lago maggiore“. Das 
Leiden, in minderen Graden Jedermann bekannt, der in der Sonnengluth, 
selbst der Ebene eine Reihe von Stunden gewandert, und durchaus harm¬ 
los, d. h. mit 1—2 Tagen schmerzhaften Brennens und nachträglicher 
oberflächlicher Abschilferung abgethan, gewinnt bei höheren Graden ent¬ 


schiedene Bedeutung, weil die intensive Entzündung von Haut und Unter¬ 
hautgewebe mit Blasenbildung, selbst Eiterung sich vergesellschaftet und 
die Rückbildung erst jenseit des dritten Tages zu beginnen pflegt, eine 
höchst schmerzvolle, meist schlaflose Periode abschliessend. Glaubwürdige 
Führer in den Alpen berichten sogar von lebensgefährlichen Fällen, die 
freilich auf Infection der Wunden von aussen beruht haben mögen. Die 
Entstehungsweise dieses Gletscherbrandes — sogenannt, weil die Gletscher¬ 
wanderungen in der Aetiologie weitaus obenan stehen, obschon auch die 
brennende Felsenwand in der Höhe respectable Formen erzeugen kann, 
weshalb „Sonnenbrand“ zutreffender wäre — ist noch nicht aufgeklärt. Mit 
der Annahme einer besonderen Empfänglich- resp. Empfindlichkeit des 
Hautsystems ist es nicht gethan. Auch die in der That bestehende Wahr¬ 
heit, dass die Haut, so lange sie schwitzt, trotz des intensivsten Hitzegefühls 
von den Sonnenstrahlen nicht geschädigt wird, vielmehr die Verbrennung 
gerade dann eintritt, wenn beim Ausruhen der Wind die Haut trocknet, 
man sich also angenehm abgekühlt fühlt und auch die objective Wärme 
des exponirten Hautbezirkes keine bedeutende ist, erklärt als einfache 
Consequenz des Gesetzes der Kältebildung durch Verdunstung noch keines¬ 
wegs die hohen Differenzen der Brandwirkungen auf den hohen Bergen und 
in der Ebene. Wir müssen nothgedrungen eine andere als die direkt 
thermische Wirkung der Sonnenstrahlen voraussetzen und da hat man denn, 
wie Fürbringer glaubt, mit vollem Recht die stärker brechbaren, chemisch 
wirksamen Strahlen des Sonnenlichtes in der Höhe für die Brandwirkung 
ganz wesentlich verantwortlich gemacht. Die blauen und violetten Strahlen 
des Sonnenspektrums sind die Unholde, welche auf den Höhen der Berge 
der Ebene gegenüber wohl das Zehnfache betragen mögen. Die einzig 
sichere Prophylaxe besteht in einer Beschattung des Gesichts durch Tücher, 
feucht brauchen sie nicht zu sein. Ist der Gletscherbrand erst einmal ent¬ 
wickelt, prickelt es verdächtig und sticht’s ira Gesicht und Hals, dann 
giebt es kein specifisches Heilmittel mehr. Die Verbrennungsentzündung 
macht ihre Stadien durch, alle die empfohlenen Fette, Oele, Salben mit 
Borax, Salicylsäure, Zinkblume etc. — am empfehlenswertesten ist Bor¬ 
glycerin — vermögen nur die subjectiven Beschwerden zu lindern. 

— Den 20. Juni d. J. starb zu Gentilly (Seine) an der Hundswutb, 
3G Tage nach dem Bisse, ein Kind von 18 Monaten. Das Kind, Namens 
Berton, wurde den 15. Mai 1888 gebissen, zwei Tage darauf begann man 
im Institut Pasteur mit den Impfungen, welche während 24 Tagen fort¬ 
gesetzt wurden. Die ersten Symptome zeigten sich 7—8 Tage nach dem 
Beginne der Behandlung mit den gegen den Ausbruch der Krankheit gerich¬ 
teten Impfungen. 

— Der Generalrath des Departement Gard hat den Beschluss gefasst, 
dass die Laboratorien, welcbeu die Beurteilung über die der Gesundheit 
mehr weniger schädlich angesehenen Weine obliegt, die jedesmaligen Motive 
und die bei der Untersuchung befolgte Methode veröffentlichen sollen. 

— Nach den letzten Zusammenstellungen des statistischen Central- 
büreaus giebt es in Russland 189000 Blinde, unter welchen 95830 Frauen 
sind, d. h. auf 100 Männer kommen 101,9 Frauen, im Mittel 30 Blinde auf 
10000 Einwohner. Von Hundert Blinden haben 53 das Gesicht durch Oph¬ 
thalmie, 24 durch andere Krankheiten verloren; 7 wurden blind geboren oder 
wurden es bald nach der Geburt, 16 verloren das Gesicht durch andere Ursachen. 

— Mozambique. Die Cholera ist am Bord des Transportschiffes 
India unter den in Mozambique eingeschifften Soldaten ausgebrochen. Man 
hat 38 Fälle constatirt, von welchen 24 in 48 Stunden der Krankheit erlagen. 

— Universitäten. Prof. Witkowski (Lemberg) wurde die Professur 
in Krakau übertragen. — Wien. Die Doctoren Frühwald und Unger 
sind als Privatdocenten für Kinderheilkunde an der mediciniscben Facultät 
zugelassen worden. — Budapest. Der Professor der Augenheilkunde Dr. 
Josef Fabricius ist im Alter von 53 Jahren gestorben. — Madrid. Prof. 
Don Amalio Jimeno erhielt die Lehrkanzel für Hygiene. 

XHI. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem ordentl. Professor in der medic. Fac. d. Univer¬ 
sität Halle, Dr. Kaltenbach den Charakter als Geh. Medicinal-Rath, dem 
prakt. Arzt Dr. Co 1 las zu Graudenz den Charakter als Sanitäts-Rath, sowie 
dem Sanitäts-Rath Dr. Cohn zu Elbing den Kgl. Kronen-Orden III. CI. zu 
verleihen. — Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Lindenborn in 
Frankfurt a./M., Dr. Horn in Gr. Ziegenort, Kunz in Doelitz. — Ver¬ 
zogen sind: Die Aerzte: Dr. Wengler von Grävenwiesbach nach Gan- 
tesblem, Dr. Staats von Herford nach Süd-Amerika, Dr. Putzer von 
Königsberg nach Weida, Dr. Völsch von Danzig nach Königsberg i. Pr., 
Dr. Schroeder von Kortau nach Graudenz, Dr. Ehrenthal von Allenberg 
nach Königsberg i. M., Dr. Reinhard von Königsberg nach Allenberg, Dr. 
Humburg von Bederkesa nach Bockhorn, Dr. Konrich von Hocksiel nach 
Lehe, Dr. Schreuer von Lehe nach Wilhelmshaven, Dr. Richter von 
Wilhelmshaven nach Lehe, Dr. Overham von Aachen nach Burtscheid, 
I)r. Lang von Burtscheid, Dr. Jackle von Berlin nach Düren. — Ver¬ 
storben: Der Arzt Dr. Brüning in Dörum. — Vakante Stelle: Kreis- 
Wuudarztstelle des Kreises Wipperfürth. 

2. Bayern. (Münch, med. Wocheuschr.) Niederlassungen: Fritz 

St ein heil, Dr. Jul. Reichel in München, Dr. Müllner in Glanmünch¬ 
weiler. — Gestorben: Dr. Ferd. Walter in München, Dr. Carl Schmidt 
aus Regensburg in Hamburg. _ 


Berichtigung: 

In No. 84 d. W. Seite 708, Spalte rechts von oben, soll es heissen: „Ueber 
den Reinlichkeitszustand des natürlichen und künstlichen Eises“ 
statt: Ueber den Reinlichkeitszustand der natürlichen und künstlichen Faser. 

In No. 35 d. W. Seite 714, linken Spalte, unterste Zeile muss es 
„H y paesthesie“ statt Hyperaesthesie heissen. 


Gedruckt bei Julius 8ittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 97 


13. September 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet yon Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. 8. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


£1. Kritische Bemerkungen zur Fieberlehre. 

Von Prof. Uiiverricht in Jena. 

Gerade auf dein Gebiet der Therapie, welche nur schleppend 
und langsam den Fortschritten unserer pathologischen Erkenntniss 
zu folgen pflegt, sehen wir zu allen Zeiten das Bestreben, durch 
den kühnen Flug der Phantasie Strecken mühelos zurück zu legen, 
deren Durchmessung nur einer beharrlichen und rastlosen Geistes¬ 
arbeit beschieden ist. Hier mehr wie anderswo begegnen wir den 
Versuchen, auf dem Wege der Hypothese dem erstrebten Ziele schnell 
näher zu treten. 

Wenn nicht gerade in der Medicin die Hypothese meist schnell 
aus dem Studirzimmer den Weg in die Praxis nähme, dann könnte 
man ruhig die langsame Klärung der Ansichten abwarten. Aber da 
selbst in unserem Jahrhundert der exactesten Bestrebungen die 
hypothetische Anschauung das therapeutische Handeln mehr als 
zulässig beherrscht, hat die Wissenschaft die Aufgabe, möglichst 
frühzeitig zu verhindern, dass den praktischen Aerzten statt der 
Fackeln der Wissenschaft blendende Irrlichter den Weg bei seinen 
Heilbestrebungen beleuchten. 

Es hat die Hypothesenmacherei aber noch einen zweiten 
schweren Nachtheil. Mit der Hypothese verlassen wir den Pfad 
des exacten Wissens und betreten den unsicheren Boden des Glaubens. 
Wo aber der Glaube herrscht, da fehlt auch nie der Fanatismus, 
und so sehen wir bis in die jüngsten Tage gerade auf dem Gebiete 
der Therapie, die von den Fortschritten der exacten Erkenntniss 
verhältnissmässig wenig Nutzen gezogen hat, den Fanatismus aller- 
wärts noch in üppiger Blüthe. 

Die Geschichte der Fieberlehre ist dafür ein sprechendes Bei¬ 
spiel. Seit den frühesten Zeiten der Medicin hat man sich mit dem 
Probleme des Fiebers abgequält, ohne zu einem entscheidenden Re¬ 
sultat zu kommen, aber nie hat es an Hypothesen gefehlt, und 
häufig genug sind dementsprechend die Wogen des therapeutischen 
Fanatismus gar mächtig angeschwollen. Ich brauche nur an die 
hlutsaugerische Richtung zu Beginn unseres Jahrhunderts zu er¬ 
innern, einer Zeit, welche sich nicht entblödete, Aerzte vor Gericht 
zu schleppen, wenn sie ihren Fieberkranken nicht Blut durch Ader¬ 
lass entzogen 1 ). 

Bis auf den heutigen Tag haben wir noch keineu endgültigen 
Einblick in das Wesen des Fiebers erlangt, wenn auch vielleicht 
keine Zeit die Lösung der schwebenden Fragen in nähere Aussicht 
zu stellen scheint, als die gegenwärtige, wo mit der Erkenntniss der 
Hauptursachen des Fiebers hoffentlich auch bald der nähere Me¬ 
chanismus desselben klar gelegt werden wird. Trotzdem hat sich 
auf dem Gebiet der Fieberbehandlung ein lästiger Fanatismus breit 
gemacht. Das neue Dogma lautet: Fieber ist Temperatur¬ 
erhöhung des Körpers, diese muss bekämpft werden, 
denn fast alle Gefahren der fieberhaften Processe hängen 
von ihr ab. 

Es wurde diese Anschauung mit einer Siegesgewissheit vor¬ 
getragen, als wenn der lange gesuchte Stein der Weisen endlich ge¬ 
funden und die letzte Frage der Fieberlehre damit endgültig gelöst 
sei. Dieser Siegestaumel bat berauschend auf die Massen gewirkt, 
und die Bekämpfung der erhöhten Körperwärme hat bis in die 
neueste Zeit hinein der Behandlung fieberhafter Erkrankungen den 


') J. Kali sch. Medicinisch gerichtliche Gutachten der Königlichen 
Preußsischen wissenschaftlichen Deputation f. d, Medicinalwesen aus den 
Jahren 1840—1850. 


Stempel aufgedrückt. Der ruhigen Kritik konnten die hypothetischen 
Grundlagen dieser Behandlungsmethode von Anfang an nicht Stand 
halten, und so habe ich bereits im Jahre 1882 in einem Vortrage, 
welcher in No. 5 dieser Wochenschrift vom Jahre 1883 abgedruckt 
ist, die Argumente zusammen getragen, welche mir gegen die Zweck¬ 
mässigkeit unserer modernen Antipyrese zu sprechen schienen. 
Freilich war diese Zeit solchen Anschauungen noch wenig günstig. 

Inzwischen aber haben sich die Erfahrungen gemehrt, dass die 
energische Antipyrese den versprochenen Erfolg nicht zu erfüllen 
vermag. Gerade die Auffindung energisch die Temperatur herab¬ 
setzender Mittel war der Erkenntniss günstig, dass man mit der 
Verminderung der Körperwärme dem Fieberkranken wenig nützt, 
unter Umständen sogar schadet, und es haben sich in Folge dessen 
die Stimmen derer, welche die Zweckmässigkeit der Wärmedepression 
bei fieberhaften Krankheiten anzweifelten, so ausserordentlich ver¬ 
mehrt, dass ich im Jahre 1886 nicht mehr auf eigener Meinung 
fussen brauchte, sondern aus den zahlreichen Stimmen der medi- 
cinischen Literatur den Thüringer Aerzteu in einem zu Jena 
gehaltenen Vortrage 1 ) den Umschwuug der Meinungen illustriren 
konnte. 

Wenn nun Herr Liebermeister, der den oben berührten 
Standpunkt in der Fieberlehre am einseitigsten vertreten hat 
und der als Führer der modernen Antipyretiker betrachtet wird, 
gerade diesen Vortrag zum Gegenstände einer Polemik gemacht 
hat, so entnehme ich daraus die schmeichelhafte Anerkennung, 
dass ich die Achillesferse seiner Fieberlebre am empfindlichsten 
getroffen habe. Ich könnte mich mit diesem Erfolge bescheiden, 
aber Herr Liebermeister hat in seinem Artikel soviel irr- 
thümliche Anschauungen und Behauptungen vorgetragen, dass ich 
es bei einer Frage von solcher Wichtigkeit nicht unterlassen 
möchte, seinen Auseinandersetzungen einige Worte der Entgegnung 
zu widmen. Gerade für den praktischen Arzt, zu dessen Auf¬ 
klärung meine Vorträge in erster Reihe geschrieben waren, ist 
die offene und freie Discussion einer Frage, die ihn auf das Leb¬ 
hafteste interessiren muss, von grosser Bedeutung. Diesem Bestreben 
und nicht der Sucht, durch kritische Zersetzung billige wissenschaft¬ 
liche Lorbeern zu pflücken, sind bereits obige Vorträge entsprungen 
und entstammen auch folgende Zeilen. 

Der ganze zweite Theil des Liebermeister’schen Artikels ist 
ein wörtlicher Abdruck aus seinem Kopeuhagener Vortrage über das 
Fieber, der wohl als hinlänglich bekannt erachtet werden kann. Da 
sich gerade gegen diese Anschauungen meine frühere Polemik wandte, 
so müsste ich hier einen wörtlichen Abdruck dieser Artikel geben. Ich 
will mich deshalb auf die erste Hälfte seiner Auslassungen be¬ 
schränken. 

Wer diese liest, ohne mit der Literatur der Fieberfrage ver¬ 
traut zu sein, könnte leicht durch die Liebermeister’sche Dar¬ 
stellung zu der Anschauung kommen, als wären meine Erörterungen 
vage Speculationen, die sich weit von den Erfahrungen der Praxis 
entfernen. Wenn Herr Liebermeister diesen Weg der Polemik 
nach meinem ersten Artikel im Jahre 1883 eingeschlagen hätte, 
dann hätte er vielleicht sich grossen Erfolg davon versprechen 
können. Jetzt bin ich in der glücklichen Lage, die Erfahrungen so 
vieler bewährter und allgemein anerkannter Forscher für mich 
sprechen zu lassen, dass es dem Leser leicht werden wird, in dem 
Für und Wider der Meinungen die Stimmen abzuwägen. 


*) Ueber moderne Fieberbehandlung. Deutsche med. Wochenschrift 
1887, No. 21-22. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


Die folgenden Zeilen beabsichtigen nichts, als dem nicht Ein¬ 
geweihten das actenmässige Material in der Fieberfrage vorzulegen, 
auf Grund dessen er sich seine persönliche Meinung zu bilden 
vermag. 

Zunächst möchte ich betonen, dass die Polemik des Herrn 
Liebermeister sich nicht gegen meine Hauptangriffe seiner Lehren 
richtet, sondern gegen einzelne Argumente, die ich bei diesem An¬ 
griffe in’s Feld geführt habe. Um darüber keine Unklarheit auf- 
kommen zu lassen, möchte ich hier nochmals betonen, dass meine 
Artikel sich gegen folgende Sätze richteten. 

1. Fieber ist Temperatursteigerung des Körpers. 
Alle übrigen Fiebersymptome sind Folgen der erhöhten 
Eigenwärme. 

2. Die Gefahren der fieberhaften Processe beruhen 
hauptsächlich in der Wärmestauung. 

3. Die Herabsetzung der erhöhten Eigenwärme be¬ 
seitigt die Hauptgefahren der fieberhaften Erkrankungen. 

Ich habe zu zeigen versucht, dass diese drei Sätze sich nicht über 
den Werth von Hypothesen erheben, und dass sie mit unseren mo¬ 
dernen Erfahrungen unvereinbar sind. Es giebt keine oberfläch¬ 
lichere Auffassung des Fieberbegriffes, als die, dass das Fieber nur 
Wärmestauung sei, und es wird diese Anschauung in modernen 
wissenschaftlichen Arbeiten kaum noch vertreten. 

Ferner habe ich zu zeigen versucht, dass die Schädlichkeit er¬ 
höhter Eigenwärme noch lange nicht so bewiesen ist, wie man 
gewöhnlich glaubt. Wo wir erhöhte Eigenwärme des Organis¬ 
mus haben, wie bei den Infectionskrankheiten, denen unsere dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen fast ausschliesslich entnommen sind, da 
wirkt auf den Körper eine schädliche Noxe, und es ist ganz will¬ 
kürlich, die üblen Consequenzen dieser Processe der Wärmestauung 
und nicht der Wirkung der Gifte auf den Körper zuzuschreiben. 

Endlich habe ich die Erfahrungen aus modernen Kliniken und 
Krankenhäusern citirt, welche den Beweis liefern, dass mit der 
Wärmedepression die Mortalität nicht besser wird, dass sogar nach 
dem Ausspruch kritischer Forscher die Krankheitsprocesse hin¬ 
geschleppt werden und die Sterblichkeit steigt. 

Es entspricht also nicht ganz den Thatsachen, wenn Herr 
Liebermeister sagt: Man kann die Einwendungen, welche Herr 
Unverricht gegen die moderne Auffassung des Fiebers und ins¬ 
besondere gegen die moderne Fieberbehandlung erhebt, in der Haupt¬ 
sache auf drei Behauptungen zurückführen. Herr Unverricht sagt: 

1. Die kalten Bäder wirken gar nicht antipyretisch; 
sie setzen die febril gesteigerte Temperatur nicht herab. 

2. Die antipyretischen Medicamente wirken anti¬ 
pyretisch, es ist dies für den Kranken nicht nützlich, 
sondern schädlich. 

3. Die hohe Temperatur im Fieber ist überhaupt nicht 
nachtheilig für den Kranken; sie ist im Gegentheil nütz¬ 
lich, indem sie ihm hilft die Krankheit zu überstehen. 

Jeder einzelne dieser Sätze ist übertrieben, ausserdem sind dies 
nicht meine Hauptangriffe gegen die moderne Fieberlehre, sondern 
es sind nur einzelne herausgegriffene Argumente, welche ich in der 
Discussion mit in’s Feld führte. Ich weiss nicht, ob ich aus dem 
Umstande, dass Herr Liebermeister sich nur gegen diese Sätze 
wendet, schliessen darf, dass er mit meinen sonstigen Einwänden 
einverstanden ist. 

Ich will mich heut darauf beschränken, obige drei Punkte in 
freier Folge, den Auslassungen des Herrn Liebermeister gegen¬ 
über klarzustellen. 

Zunächst zu Punkt 2. Die logische Consequenz der Lehre 
von der Schädlichkeit der Temperatursteigeruug scheint mir zu sein, 
dass diejenigen Methoden die zweckmässigsten sein müssen, welche 
ohne schädliche Nebenwirkung die gesteigerte Eigenwärme 
des Körpers am sichersten zur Norm zurückführen. Diese Conse¬ 
quenz haben auch fast alle modernen Kliniker gezogen, welche 
Angesichts der geringen und unzuverlässigen die Temperatur ver¬ 
mindernden Wirkung der kalten Bäder die Wanne bei Seite stellten 
und ihre Kranken mit den ungleich kräftiger und zuverlässiger 
wirkenden modernen antipyretischen Mitteln behandelten, welche 
uns jetzt bereits fast in den Stand setzen, Fieberkrankheiten bei 
beliebig hoher Temperatur verlaufen zu lassen. 

Der Erfolg für den Kranken hat sich als ein negativer heraus¬ 
gestellt, und es bleibt nach den Gesetzen der Logik kein anderer 
Schluss übrig, als dass ein Lehrsatz, dessen logische Ausspiunung 
zu Unrichtigkeiten führt, selbst falsch sein muss. Ich schloss also 
aus den Erfahrungen, die wir mit den antipyretischen Mitteln ge¬ 
macht haben, dass die Wärmestauung nicht das Verderben brin¬ 
gende in fieberhaften Krankheiten sein kann. Diesen Schluss haben 
seitdem eine grosse Reihe namhafter Forscher gezogen, und auf dem 
vierten medicinischen Congresse in Wiesbaden fand diese Thatsache 
so lauten Ausdruck, dass auch draussen im Lande der Wiederhall 
nicht gefehlt hat. 


Da mir in erster Reihe daran liegt, die Aerzte über den 
Wandel in den Anschauungen über Fieberbehandlung zu belehren, 
so halte ich es nicht für überflüssig, ihnen hier eine Blüthenlese 
aus den Arbeiten und Aussprüchen moderner Autoren vorzuführen. 
Sie werden am besten illustrireu, dass ich jetzt nicht mehr wie 
vor 6 Jahren mit meinen Anschauungen isolirt dastehe, sondern 
dass erfahrene und bewährte Kliniker sich mehr oder weniger meinem 
Standpunkt nähern. Sie werden dem Praktiker auch ein eigenes 
Urtheil gestatten und ihm die Entscheidung erleichtern, welcher 
Fahne er zu folgen hat. 

Wir knüpfen vielleicht am zweckmässigsten an die Fieberdis- 
cussion auf dem Congresse für innere Medicin in Wiesbaden im 
Jahre 1886 an, weil hier zum ersteu Male der Protest gegen den 
in der Fieberbehandlung eingerissenen Schematismus lauten und be¬ 
redten Ausdruck fand. 

„Die zahleichen Versuche, sagte v. Jak sch, welche ich Jahre 
hindurch mit antipyretischen Mitteln an dem reichen Material der 
Prager Kliniken, in den letzten Jahren an der Klinik des Prof. Noth¬ 
nagel gesehen habe, haben in mir die Meinung hervorgerufen, dass 
wir mit Mitteln, welche blos antipyretisch wirken, im Ganzen und 
Grossen bei der Behandlung der bei uns am häufigsten vorkommen¬ 
den acuten Krankheiten, als Typhus, Pneumonie, Erysipel, wenig 
Nutzen erzielen. 

Ich möchte in Bezug auf die Wirksamkeit und den Nutzen der 
Antipyrese folgende Fragen aufstellen: 

1. Können wir durch Darreichung von Antipyreticis 
die Intensität eines acut - fieberhaften Krankheitspro- 
cesses mildern oder seine Dauer abkürzen? 

2. Bringen wir vielleicht dem Kranken durch ein sol¬ 
ches Vorgehen subjectiv eine Erleichterung? 

3. Schädigen wir nicht vielleicht gar durch eine zu 
forcirte Antipyrese den menschlichen Organismus, in¬ 
dem entweder der Krankheitsprocess länger dauert, üble r 
abläuft oder die Reconvalescenz sich länger hinaus¬ 
schiebt. 

Was die erste Frage betrifft, so muss ich sie nach mei¬ 
nen Erfahrungen für die Pneumonie und das Erysipel 
verneinen. 

Auch durch Tage lang fortgesetztes Darreichen von Antipyre¬ 
ticis, als z. B. Chinin, Antipyrin und Thallin, • wird die Intensität 
und Dauer der Krankheit nicht abgekürzt, und es hat sich mir des¬ 
halb eine solche Therapie bei den typisch verlaufenden Fällen von 
Pneumonie und Erysipel als nutzlos erwiesen. 

Versuchen wir nun die zweite Frage in Anwendung auf die 
Pneumonie und das Erysipel zu beantworten, so glaube ich, dass 
dem Kranken durch Anwendung der Antipyretica wenig, 
ja vielleicht gar keine Erleichterung geboten wird. 

Ich war erstaunt, als ich sah, dass Pneumoniker, dass Indivi¬ 
duen, die an Erysipel litten, bei welchen ich durch fortgesetzte 
Darreichung von Antipyrin oder Thallin — Mittel die ja gerade 
für solche Beobachtungen sich eignen, weil sie viel geringere 
Nebenwirkungen hervorrufen, als alle anderen uns bekannten Fieber¬ 
mittel — die Temperatur bis zur Norm herabdrückte und stunden¬ 
lang auf 37 bis 37,8° C erhielt, dass sich solche Individuen 
nicht im geringsten wohler fühlten, ja ebenso klagten 
' wie früher, obwohl ein Symptom des Fiebers, die Fieberhitze, 
i vollständig fehlte. 

Ich möchte deshalb die zweite Frage für das Erysipel und 
die Pneumonie im Wesentlichen verneinen, wenn ich auch zu¬ 
geben will, dass unter meinen Beobachtungen sich einzelne be¬ 
finden, bei welchen eine solche Therapie von Euphorie be¬ 
gleitet war. 

Viel schwieriger, meine Herren, ist schon die Beantwortung der 
dritten Frage in Bezug auf das Erysipel und die Pneumonie. Ich 
habe mich bemüht, auf Grund meines Materials zu einem halbwegs 
brauchbaren Resultate zu kommen. 

Ich bin dabei so vorgegangen — und zwar stammen diese 
Versuche zum grössten Theil noch aus meiner Prager Dienstzeit 
auf der Klinik meines Vaters —, dass ich eine Reihe von Pneu- 
monieen, die in demselben Zeiträume vorkamen, rein exspektativ, 
eine andere Reihe mit den damals am meisten gebräuchlichen 
Fiebermitteln, dem Chinin und der Salicylsäure, behandelte. Ich 
habe durch diese Beobachtungen die Ueberzetigung gewonnen, dass 
die exspektativ behandelten Fälle ebenso günstig — oder ebenso 
ungünstig — es hing dies von der Intensität der Epidemie ab — 
als die mit Antipyreticis behandelten verliefen; wenigstens war das 
Mortalitätsprocent, desgleichen auch das Heilungsprocent für beide 
Kategorieen von Fällen vollständig gleich. 

Dagegen zeigte sich eine andere sehr merkwürdige Differenz in 
Bezug auf die Dauer der Recon valescenz. Die Fälle von 
Pneumonie, auch von Erysipel, die mit grossen Dosen 
Chinin und mit grossen Dosen Salicylsäure behandelt 


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13. September. 


DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


751 


worden waren, brauchten viel längere Zeit bis zur voll¬ 
kommenen Genesung, als jene, welche rein exspektativ 
behandelt worden waren, und zwar betrug der Unter¬ 
schied in der Dauer der Reconvalescenz zwischen 4 bis 
6 Tagen. 

Schon diese Beobachtungen riefen in mir den Verdacht wach, 
dass wir bisweilen durch die Antipyrese mehr schaden 
als nützen; diese Ansicht aber gewann ueueu Boden, als ich sah, 
dass bei einer energisch fortgesetzten Kairinbehandlung, weiter bei 
der Thallin- und Antipyrintherapie, wie sie in den letzten Jahren 
zu Studienzwecken auf der Klinik des Herrn Prof. Nothnagel 
üblich war, wo also bisweilen die Kranken Tage lang kein oder 
nur höchst unbedeutendes Fieber zeigten, solche Fälle im Durch¬ 
schnitt zwar nicht ungünstiger abliefen, als solche, bei denen nur 
wenige Male Antipyretica gereicht wurden, dass aber die Recon¬ 
valescenz in diesen Fällen entschieden länger dauerte. 

Ich möchte demnach für die Pneumonie und das Erysipel die 
dritte Frage dahin beantworten, dass es nach meiner Meinung 
deu Anschein hat, als ob wir durch eine zu energische An¬ 
tipyrese durch chemische Agentien dem kranken Orga¬ 
nismus mehr schaden als nützen, da die Reconvalescenz- 
periode durch ein solches Vorgehen verlängert wird.“ 

Bezüglich des Typhus kommt v. Jaksch, der gelegentlich 150 
Fälle bei rein exspektativer Behandlung genesen sah, zu dem auf¬ 
fälligen Resultat, dass durch antipyretische Mittel die Intensität der 
Krankheit nicht vermindert, dagegen die Dauer abgekürzt werden 
kann, ein Resultat, das mit anderweitigen Erfahrungen uicht im 
Einklang steht. 

Au diesem Punkte müssen wir uns von v. Jaksch, dessen 
Auslassungen wir in so grosser Breite mittheilen, weil sie sich Wort 
für Wort mit eigenen Erfahrungen decken, ganz entschieden treunen. 
Trotz der günstigen Erfahrungen, die er mit der exspektativen Be¬ 
handlung gemacht hat, macht er dem antipyretischen Eingreifen 
Zugeständnisse unter Umständen, bei welchen es kaum je selbst von 
euragirten Antipyretikern vertheidigt worden ist. 

„Die Dauer des contiuuirlichen Fiebers, sagt, v. Jaksch, können 
wir zwar durch eine solche Therapie nicht beeinflussen, wenn da¬ 
gegen dieses Stadium bereits abgelaufen ist, wenn die Temperatur 
Morgens bereits normal ist, in diesem Stadium hat es mir den Ein¬ 
druck gemacht, als ob durch einige grössere Gaben Chinin oder 
Salicylsäure, welche in jener Zeit, als die Temperatur bereits im 
Ansteigen war, gereicht wurden, die neuerlichen Abendexacer¬ 
bationen nicht nur für diesen Tag coupirt, sondern überhaupt durch 
eine solche mehrere Tage fortgesetzte Therapie das Eintreten der 
allabendlichen Exacerbationen vermieden und das Eintreten der 
Reconvalescenz beschleunigt würde. 

Ich möchte deshalb für das Stadium der Lysis des Typhus die 
Anwendung von Antipyreticis empfehlen.“ 

So viel uns bekannt ist, hat diesen Standpunkt nur noch 
Finkler vertreten, während gerade Liebermeister immer betont 
hat, dass es bei der Fieberbehandlung nicht sowohl darauf ankommt, 
das Fieber dauernd herab zu drücken, als Depressionen zu schaffen, 
in welchen sich der Organismus von den Fieberstrapazen ausruhen 
kann, dass also im Stadium der steilen Curven, wo die Natur selbst 
diese Remissionen schafft, die antipyretische Behandlung überflüssig 
sei. „Im Stadium der Lyse oder der steilen Curven halte ich die 
antipyretischen Medicamente in der Regel für gänzlich über¬ 
flüssig,“ 1 ) sagt Liebermeister. Freilich ist das Postulat auch 
nichts als Compromisspolitik, es wurde zu einer Zeit aufgestellt, 
als die Antipyrese im besten Falle im Stande war, Einknickungen der 
Temperaturcurve zu erzeugen, und da man sich wahrscheinlich sagte, 
man würde nie im Stande sein, die Temperaturerhöhung dauernd zu 
bannen, so schloss man ein Compromiss mit seinen Fieberan¬ 
sebauungen und begnügte sich mit einzelnen Tbälern in der Fieber- 
curve. Der Arzt kommt nun in arge Bedrängniss, zu welcher Zeit 
er mit seinen Fiebermitteln losziehen soll. Ich für meinen Theil 
rathe ihm, dass erste Stadium des Typhus nach Finkler und 
v. Jaksch, das zweite nach Liebermeister zu behandeln, er 
wird so im Stande sein, sein Thuu in jedem Falle durch gewichtige 
Autoritäten zu decken. 

Strümpell erklärte in derselben Sitzung sein vollständiges 
Einverständniss mit den Auseinandersetzungen v. Jaksch’s. 

„Es ist mir, sagte er, beim Durchlesen der letzten beiden 
grossen Fieberdiscussionen hier in Wiesbaden und in Kopenhagen 
aufgefallen, dass diejenige Anschauung, welche, wie ich aus dem 
mündlichen Verkehre weiss, sich in den letzten Jahren viel An¬ 
erkennung verschafft hat, gar nicht zur Sprache gekommen ist, und 
ich freue mich daher, dass endlich auch hier die Frage aufgeworfen 
ist, ob mit der Herabsetzung der Eigenwärme au sich 

*) Liebermeister. Verh. des 4. Congresses für innere Med. Wies¬ 
baden 1885 p. 187. 


dem Kranken wirklich etwas genützt, ob wirklich der 
Krankheitsverlauf dadurch günstig beeinflusst wird. 
Und ich muss sagen, „die Antwort, die ich auf diese Erage geben 
würde, müsste ebenso lauten, wie die des Collegen v. Jaksch: 
Ich halte es mindestens für zweifelhaft, wenn nicht für 
unwahrscheinlich. Ich habe, speciell beim Abdominaltyphus, 
bei allen einzelnen Todesfällen stets die Frage zu beantworten ge¬ 
sucht, woran eigentlich die Kranken gestorben sind, was die Todes¬ 
fälle von denjenigen Fällen unterschieden hat, welche behandelt 
oder unbehandelt mit Heilung geendet haben. Ich habe nur eine 
kleine Zahl von Fällen gefunden, wo ich sagen konnte, das Fieber 
oder die allgemeine Infection als solche habe den Tod verursacht. 
Eine grosse Anzahl von Todesfällen betraf dagegen theils Compli- 
cationen, die im Krankheitsverlauf liegen, und die wir nicht durch 
irgendwelche Mittel beeinflussen können, tödtliche Darmblutungen 
etc., theils secundäre Complicationen, welche nicht von der pri¬ 
mären Krankheitsursache abhängig sind.Ich habe oft 

gesehen, dass die Kranken, die mit antipyretischen 
inneren Mitteln behandelt wurden, sich eigentlich viel 
schlechter befanden, als solche Kranke, die gar nicht 
mit Antipyreticis behandelt wurden.“ 

Auf die von Rossbach angeregte Frage, warum, wenn es auf 
die Wärmeentziehung ausschliesslich ankommt, die chemischen 
Mittel nicht ebenso gut sein sollen wie die Bäder, bemerkte 
Heubnjer: „Ich glaube gar nicht, dass es überhaupt auf 
deu Wärme entziehenden Effect ankommt. Es ist das eine 
Frage, in der ich mich von je nicht mit Herrn Liebermeister im Ein¬ 
klang befunden habe.“ 

Dies die Ergebnisse der Fieberdebatte auf dem vierten Cou- 
gresse für innere Medicin. 

Man wird daraus wohl kaum den Eindruck gewonnen haben, 
dass bezüglich der Zweckmässigkeit chemischer Fiebermittel bei der 
Behandlung fieberhafter Erkrankungen sich ein einmüthiger Enthu¬ 
siasmus verrathen hätte, ja, da auch Herr Liebermeister einen 
logischen Sprung machte mit der Erklärung, dass die kalten Bäder, 
also eine Methode, die, wie wir später zeigeu werden, von den 
meisten modernen Aerzten gar nicht ihrer Wärme entziehenden 
Eigenschaften wegen angewendet wird, bei der antipyretischen 
Behandlung die Grundlage bilden und die chemischen Mittel nur 
als Reserven herbeigezogen werden sollen, so wird der geehrte 
Leser mit mir sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass 
bezüglich der Antipyrese gerade aus diesen Verhandlungen ein 
deutliches Grabgeläute herausklingt. 

Aber wir wollen uns mit diesen Citaten nicht begnügen und 
noch weitere Zeugen vernehmen. 

Da ist zunächst Fräntzel, welcher in einem lesenswerthen 
Aufsatze über die Behandlung des Unterleibstyphus 1 ) sagt: „Ganz 
ablehnend muss ich mich gegen den Gebrauch der soge¬ 
nannten Antipyretica aussprechen. Es steht entschieden fest, 
dass man mit einer grossen Zahl derselben die Körpertemperatur 
auf einige Stunden herabsetzen, zuweilen sogar vorübergehend bis 
zur Norm zurückführen kann. Was haben wir damit erreicht? 
Wir liefern den Angehörigen des Kranken bezw. den Kranken selbst 
wohl einen Beweis unseres ärztlichen Könnens, es gelingt, die Tem¬ 
peratur herunter zu drücken, aber andererseits auch unseres Unver¬ 
mögens, die Temperatur niedrig zu erhalten. Dabei ist die Anwen¬ 
dung aller dieser Mittel direkt nachtheilig für den Kranken. 

Ich rathe von den Antipyreticis keinen Gebrauch zu machen, um 
so mehr, als sich auch das subjective Befinden der Kranken beim 
Gebrauch dieser Medicamente sowohl durch den bei dem Sinken 
der Temperatur eintretenden Collaps, als durch das oft mit Schüttel¬ 
frost einhergehende Wiederansteigen der Temperatur sehr ungünstig 
gestaltet. Der günstige Eindruck, den der nach Effect haschende 
Arzt bei der Umgebung der Kranken durch das Herabdrücken der 
Temperatur macht, wird reichlich durch diese Störung des subjec- 
tiven Befindens aufgewogen.“ 

Und in einem anderen Artikel 2 ) über die Behandlung der 
Pneumonie sagt Fräntzel: „Bei allen diesen Mitteln — Antipyreticis 
— ist niemals auch nur der Schatten eines Beweises erbracht, dass 
der das Fieber erzeugende Krankheitsprocess in irgend einer Weise 
günstig beeinflusst wird. Es ist, glaube ich, die Zeit gekommen, 
wo man in dem Gebrauch aller dieser Medicamente endlich inne¬ 
halten muss. Denn die Zahl der Beobachtungen ist schliesslich 
gross genug geworden, um die Nutzlosigkeit dieser Medicamente und 
ihre gleichzeitige Gefährlichkeit anzuerkennen. Mit grossem Fleiss 
und grossem Eifer sind die Gelehrten an die Erforschung der hier 
in Betracht kommenden Fragen gegangen. Die gewonnenen Resultate 


l ) Bemerkungen über die Behandlung des Ileotyphus. Deutsche militär 
ärztliche Zeitschrift 1886 Heft 3. 

®) Einige Bemerkungen zur Behandlung der croupösen Lungenentzün¬ 
dungen. Deutsche militärirztl. Zeitschr. 1887. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


haben ein hohes wissenschaftliches Interesse, für die Praxis aber 
leider keinen Nutzen gehabt. 

Nun aber gar bei der Pneumonie zu diesen Mitteln zu greifen, 
halte ich für mehr als verwegen. Wir fürchten bei dieser Krank¬ 
heit ja gerade den durch Herzschwäche bedingten Collaps, der jeden 
Moment hervortreten kann uud gegen den wir stets gewappnet da- 
steheu sollen. Wer will es dann wagen, Medieamente zu reichen, 
die, wenn sie gegen die Temperaturerhöhung wirksam sein sollen, 
immer einen nennenswertlien Collaps, immer eine beträchtliche 
Schwächung der Leistungsfähigkeit des Herzens herbeiführen. 
Günstig verlaufende Fälle von Pneumonie werden durch Gebrauch 
von Antipyreticis nur in ihrem Verlauf gestört, schwere Fälle ver¬ 
fallen nur um so sicherer dem Tode.“ 

Prof. Stiller 1 ) in Budapest sagt: „Ich war selbst im Bliithe- 
stadium der Antipyrese kein Anhänger derselben und habe ich 
diesen meinen haeretischeu Standpunkt, seitdem ich die Venia do- 
cendi besitze, auch vor meinen Hörern stets betont. Ja, ich ge¬ 
stehe es ein, dass ich jenes seit Jahren übliche und jetzt Gottlob 
schon im Niedergange begriffene Heilverfahren, wonach man den 
Kranken, sobald er eine Temperatur über 39° hat, alsogleich in 
kaltes Wasser steckt, oder ihn mit Chinin, Salicylsalzen, Kairin und 
jüngstens mit Antipyrin vollstopft, und zwar Tags über so oft, als 
das Thermometer die unglückseligen 39° zeigte, für ein natur¬ 
widriges, rohes uud handwerksmässiges hielt. Hierin wenigstens 
liegt noch Methode; doch was sollen wir zu jenen wilden Auti- 
pyretikern sagen, die zu einem fiebernden Kranken gerufen, ohne 
dass sie noch eine Ahnuug von der Krankheit haben, ihn blindlings 
mit Antipyreticis bestürmen?“ 

Eich hörst Hess seinen Assistenten Ernst'-) erklären: „Auf 
der Züricher Klinik gilt nicht das Princip, vor Allem 
gegen hohe Temperatur anzukämpfen, um sodann Allem 
ruhiger entgegen sehen zu können. Dass hohe Temperaturen an 
sich in ihrer Wirkung auf den Organismus nicht mehr überschätzt 
werden, sondern in vielen Fällen sogar nur in zweiter Linie Be¬ 
achtung verdienen, ist eine Ueberzeugung, die sich doch mehr uud 
mehr Bahn zu brechen verspricht. Und gerade unsere Epidemie 
hat wieder zur Evidenz erwiesen, wie wenig manchmal mit blosser 
Entfieberung geleistet ist. Die Delirieu, kurz alle Zeichen schwerster 
Allgemeiniufeetion kehren sich nicht daran, dauern unvermindert fort.“ 

Sara Welt 3 ) berichtet etwas später aus derselben Klinik, dass 
man diesem Princip uicht untreu geworden ist. „Auf der medici- 
nischen Klinik in Zürich wird bei der Behandlung von fieberhaften 
Krankheiten und namentlich von fieberhaften Infectionskrankheiten 
ganz und gar nicht allein dahin gestrebt, die erhöhte Körper¬ 
temperatur möglichst schnell und vollkommen herab zu setzen .... 
Gerade die grösste Züricher Typhusepidemie des vorigen Jahres 
(1884) lehrte wiederum sehr eindringlich, dass bei fieberhaften In¬ 
fectionskrankheiten keineswegs ungewöhnlich häufig die hohe Tem¬ 
peratur das Leben des Kranken bedroht“. Wenn trotzdem anti¬ 
febrile Mittel zur Anwendung kamen, so geschah es aus dem 
berechtigten Bestreben, die Wirkung dieser Mittel genau zu 
studiren.“ 

Eich hörst, der später selbst über die fragliche Typhusepidemie 
berichtet hat 4 ), betont ausdrücklich: „da die Typhusepidemie sehr 
bald auftrat, nachdem ich die Direetion der Klinik übernommen 
hatte, so war meine damalige Assistenz namentlich mit der Dar¬ 
reichung von Fiebermitteln erst freigebiger, als dies heut auf meiner 
Klinik geschieht .... Vielfach starben Kranke bei andauernd 
niederen Temperaturen uud sonstigen geringen Localsymptomen 
unter überhandnehraeudem Kräfteverfall. Hohe Temperaturen von 
längerer Dauer wurden nur selten beobachtet, und 9 Typheu ver¬ 
liefen vollkommen afebril.“ 

Schulz, Vorstaud der medicinischeu Abtheiluug des herzog¬ 
lichen Krankenhauses zu Braunschweig, kam bei seinen Unter¬ 
suchungen über das Kairin zu dem Schlüsse, dass die Kranken 
sich ohne dasselbe wohler fühlen, obgleich sie während des Ge¬ 
brauchs desselben niedriger temperirt sind. „Das Kairin scheint die 
Krankheitsdauer beim Typhus abdominalis zu verlängern. Recidive 
traten in 40% (!) aller Fälle ein. Liegt es da nicht nahe, 
an eine teleologische Bedeutung des Fiebers zu denken? Ange¬ 
nommen , der Typhus abdominalis verdanke seine Entstehung 
einer Infection des Körpers durch die Typhusbacillen, welche die 
Typhusgeschwüre und die hohen Temperaturen verursachen, welche 

*) Bemerkungen über Abdominaltyphus. Fester medicinisch - chirur¬ 
gische Presse 1885. 

^ Ernst. Antipyrinexanthem, Cbl. f. kliu. Med. 1884 No. 33. 

:! ) Die Behandlung des Typhus abdominalis mit Kairin. Deutsches Archiv 
f. kl. Medizin. B. 35. 

*) Klinische Beobachtungen über die antifebrile Wirkung des Anti¬ 
pyrin und Thallin nebst Bemerkungen über individuelle Antipyrese. D. 
Arch. f. klin. Med. B. 38. Ibidem B. 39 die Typhusepidemie in Zürich 
während des Sommers 1884. 


aber auch durch die hoben Temperaturen nach und nach vernichtet 
werden, so liegt der Gedanke nahe, ob uicht die durch Kairin er¬ 
zielten niedrigen Temperaturen dem Naturheilungsprocess entgegen¬ 
wirken, die Lebensfähigkeit und ProductionsfÜhigkeit der Bacillen 
erhalten und so einerseits einen bedeutend längeren Verlauf herbei¬ 
führen und andererseits den Eintritt von Recidiven begünstigen.“ 

Wenn die Zahl der Beobachtungen vielleicht etwas zu gering 
ist, um die weittragenden Schlüsse daraus zu ziehen, dass die Krank- 
heitsdauer durch das Kairin verlängert und der Eintritt von Reci¬ 
diven begünstigt wird, so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass 
diese Schlüsse, die sich dem unbefangen urtheilenden klinischen 
Beobachter an einem relativ kleinen Material aufdräugten, auch für 
ein grösseres volle Berechtigung haben. Zum Mindesten wird man 
eingestehen müssen, dass die Ergebnisse nicht für die Zweckmässig¬ 
keit sprechen, beim Typhus die Temperatur mit Kairin herabzu¬ 
setzen. 

Damit steht im Einklang, dass auch Guttmann bei seinen 
Kairinuntersuchungen 4 ) zu dem Schlüsse kommt, dass „der Krank¬ 
heitsverlauf unter der antifebrilen Einwirkung des Kairin nicht inj 
Geringsten verändert wird in Bezug auf Dauer der Krankheit und 
ihre Erscheinungen.“ 

Senator 2 ) giebt an, dass im Augusta-Hospital keine Kalt¬ 
wasserbehandlung und keine methodische Antipyrese angewendet 
würde. Er sagt: „Wenn ich von den hvgienischeu Rücksichten, 
wie sie wohl in jedem gut eingerichteten Krankeuhause jetzt beob¬ 
achtet werden, von Waschungen mit spirituösen Flüssigkeiten oder 
Salzwasser, Eisblasen auf dem Kopf oder Leib absehe, hat über¬ 
haupt eine sogenannte methodische Behandlung uicht stattgefuudeu. 
Hunderte von Kranken sind überhaupt einer eingreifenden speei- 
fischen Behandlung nicht unterworfen worden, obgleich sie viele 
Tage hindurch 39 — 40° und darüber zeigten. Trotzdem sind, 
das glaube ich doch aussprechen zu dürfen, im Augusta- 
Hospital, wenn uicht bessere, so doch ganz gewiss keiue 
schlechteren Resultate erzielt, als in den anderen Kran¬ 
kenhäusern.“ 

Er betont ferner, dass aus seiuen früheren Untersuchungen 
hervorgeht, dass „die erhöhte Temperatur doch nicht die 
Wichtigkeit hat, die ihr von den Vertheidigeru der me¬ 
thodischen Antipyrese zugeschrieben wurde.“ 

Gläser, 3 ) der sich in einer neueren Arbeit meinen Ansichten 
über Fieber und Fieberbehandluug in allen Stücken anschliefst, hat 
sich die Mühe gegeben, zu untersuchen, ob denn thatsächlich die 
Typhen, welche letal enden, in Folge der erhöhten Eigenwärme 
diesen fatalen Ausgang nehmen, und es hat sich an dem grossen Ma¬ 
terial des allgemeinen Krankenhauses zu Hamburg die interessante 
Thatsache ergeben, dass unter etwa 3000 Typhen bei 200 Todes¬ 
fällen nur iu 15 sich behaupten liefs, dass sie unter „hohen Tem¬ 
peraturen“ verlaufen seien, wenn man unter höheren Temperaturen 
solche versteht, welche die beim regulären milden Abdominaltyphus 
übertreffen. Aber unter diesen 15 fand sich kein Fall mit Tempe¬ 
raturen, unter denen nicht schon Jeder Typhuskranke hätte genesen 
sehen. Angesichts dieser Thatsachen ruft Gläser aus: „Wo bleibt 
da die Gefahr der hohen Temperaturen?“ 

Für Fischl 4 ) hat das Antipyreticum keinen höheren Werth 
als irgend ein beliebiges anderweitiges Medicament, das man gegen 
ein hervortretendes Symptom in Anwendung zieht. „Ich glaube 
weder an die Gefahr der hohen Temperatur, noch daran, dass die 
Krankheitsdauer durch Antipyretica abgekürzt werden könne. Die 
Hauptgefahr bei den febrilen Krankheitsprocessen liegt in der In- 
fectiou.“ 

Curschmanu 5 ) äussert sich bezüglich der antipyretischen Be¬ 
handlungsmethode des Unterleibstyphus, der Bäderbehandluug und 
der mit antipyretischen Medicamenten, dass er ein Gegner der noch 
vielfach geübten und verfochtenen allzu schematischen Anwendung 
derselben sei, dieselbe sei einem Standpunkt entsprungen, der mit 
der modernen Auffassung der Natur der Infectionskrankheiten schwer 
vereinbar wäre. Die mehr und mehr sich erweiternden Kenntnisse 
der Natur- und Lebensverhältnisse der pathogenen Mikroorganismen 
müsse die rein symptomatologische Behandlung der ge¬ 
steigerten Körperwärme resp. des Fiebers als nicht mehr 
entsprechend bezeichnen. Von diesem Standpunkte aus be¬ 
trachte Verfasser das überhastet wachsende Bestreben, Temperatur 

! ) Ueber die antifebrile Wirkung des Kaiiin. Berl. klin. Wochenscb. 
1883 No. 31. 

2 ) Senator, Ueber Typhusbehandlung. Deutsche med. Wochenschrift 
1885, No. 43. 

®) Gläser, Bericht über die Temperaturverhältnisse in 200 tödtlich 
verlaufeneu Typhusfällen, nebst einigen ketzerischen Bemerkungen über 
Antipyrese. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 41. 

*) Fischl, Ueber Antipyrese. Klinische Zeit- u. Streitfragen. If. Bd. 
Heft 2. 1888. p. 81. 

6 ) Deutsche med. Wochenschr. 1888. No. 21. 


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DEUTSCHE MEDICINI8CHE W0CHEN8CHRIFT. 


753 


1 3. September . 

herabdrückende Mittel zu finden und zu erproben, als verhältuiss- 
raässig steril. 

Naunyn 1 ) kann die Anschauung, welche die Gefahren des 
Fiebere hauptsächlich ln der Ueberhitzuug des Körpers sucht, seit 
lange nicht für richtig halten und hält sich für verpflichtet, seiner 
abweichenden Ansicht Ausdruck zu geben, nachdem auch gelegent 
lieh der Discussion auf dem Congress für innere Medicin im Jahre 
1882 sich ein entschiedener Vertreter für die Opposition nicht ge¬ 
funden hat. „Es muss sonst scheinen, als wäre die Lieber- 
meister’s.che Lehre von den Gefahren der Ueberhitzuug wirklich 
den wiederholten und thätsächlich gut begründeten Einwendungen 
von Obermeier, Riess, Fräntzel, Uuverricht uud zahlreicher 
anderer Autoreu zum Trotz von den Aerzteu allgemein auerkannt. 
Dem muss öffentlich widersprochen werdeu, schon und hauptsäch¬ 
lich deshalb, damit nicht später mit der Theorie die anscheineud 
von ihr getragene Therapie falle.“ (Fortsetzung folgt.) 

II. Alis der I. med. Universitätsklinik des Herrn Geheiin- 
ratli Prof. Leyden in Berlin. 

Ueber Lymphosarcomatose mit recurriren- 
dem Fieberverlauf. 2 ) 

Von Stabsarzt Dr. Renvers. 

Meine Herren! Ich habe die Ehre Ihnen heute über den 
eigenartigen klinischen Verlauf eiues auf der 1. medicinischen 
Klinik beobachteten Krankheitsfalles Bericht zu erstatten, der ein 
besonderes Interesse insofern darbietet, als gerade in deti letzten 
Jahren (Berl. klin. Wochenschrift 1885 u. 1887) von Pel und 
Ebstein ein ähnliches Krankheitsbild beobachtet uud von letzterem 
als eine neue Infectionskraukheit unter dem Namen ^chronisches 
Rückfallfieber“ beschrieben worden ist. — 

Die Krankheit betrifft den 31 jähr. Eisendreher Robert K., der am 
20. October 1887 in die Charite aufgenommen wurde und daselbst am 

14. Februar 1888 verstarb. Seine Mutter ist an Lungenschwindsucht 
gestorben, sein Vater und seine Geschwister sind angeblich gesund. 
Ausser den Kinderkrankheiten hat er in seiu'em 11. Lebensjahre die 
Pocken überstanden, will von da ab niemals bis zu seiner jetzigen 
Erkrankung bettlägerig krank gewesen sein. Seitdem er die Pocken 
überstanden, litt er bis zum Jahre 1883 zuweilen an rasch vorüber¬ 
gehenden Ohnmachtsanfälleu, die ohne Krampfzustände verlaufend, 
namentlich nach Gemüthserregungen sich einstellten. 

In auskömmlichen Verhältnissen lebend, hat Pat. stets gesunde 
Wohnung und gute Nahrung gehabt, ist seit mehreren Jahren ver¬ 
heiratet und hat gesunde Kinder. Im Jahre 1881 zog er sich 
eine Gonorrhoe und Schanker zu die local behandelt wurden. Se- 
cundärerscheinungen hat er nie gehabt. Schnaps hat er nur selten, 
Bier nur in geringen Quantitäten zu sich genommen. Das Leiden, 
welches Pat. der Anstalt zuführte, datirt er auf den Beginn des 
vorigen Jahres 1887 zurück. Damals verspürte Pat. leichte kolikartige 
Schmerzen im Leibe, die bis in die Lendeuwirbelsäule hinzogen 
und zuweilen bis in den Hodensack ausstrahlten. Sein Appetit 
wurde schlechter, dabei fortwährend Klagen über mangelhafte Stuhl¬ 
entleerung. Die Kolikbeschwerdeu steigerten sich allmählich so, 
dass er im Juli die Arbeit aufgeben musste. Man deutete seine 
Leiden als Bleikolikanfälle und glaubte, trotzdem Pat. selbst nie mit 
Blei arbeitete, sich zu dieser Annahme insofern auch berechtigt, als 
neben der Werkstätte des Pat. eine Bleigiesserei bestand. Die Be¬ 
handlung war vou vorübergehendem Erfolge, allein schon im August 
waren die Kolikschmerzen wieder so heftig, dass er ein Kranken¬ 
haus aufsuchte. Hier stellten sich nun zu den krampfhaften Be¬ 
schwerden im Unterleibe noch unregelmässige Zuckungen der 
Muskeln ein, die zu seltsamen Verbiegungen der Wirbelsäule 
geführt haben sollen. Pat. giebt an, dieselben Zuckungen bei 
Katzen in seiner alten Wohnung gesehen zu haben und glaubte 
ebenso wie diese vergiftet worden zu sein. 

Sein Ernährungszustand wurde immer schlechter, sein Körper¬ 
gewicht war seit Anfang 1887 von 135 Pfd. auf 120 Pfd. gesunken. 
Mitte September stellte sich zum ersten Mal ein heftiger Frostanfall 
mit nachfolgendem Hitzegefühl ein, welches mehrere Tage anhielt, 
danach besserte sich sein Befinden. Pat. verliess das Krankenhaus, 
versuchte zu arbeiten, allein schon nach wenigen Tagen trat von 
neuem ein Fieberanfall ein, der den Pat. so herunter brachte, dass 
er das Bett nicht mehr verlassen konnte. 

Am 20. October suchte Pat. die Charite auf, mit deu Klagen 
über grosse Schwäche, Appetitmangel, Schmerzen im Abdomen 
uud Stuhlverstopfung. 

*) Naunyn, Kritisches und Experimentelles zur Lehre vom Fieber und 
von der Kaltwasserbehandlung. Arch. f. exp. Pathologie und Pharmak. 
Bd. 18. p. 50. 

a ) Vortrag, gehalten im Verein f. innere Medicin. 


Die Untersuchung des gracil gebauten muskelschwacheu Mannes 
ergab bei dürftigem Ernährungszustand und spärlichem Fettpolster an 
per gut elastischen normal gefärbten Haut eine Temperatursteigeruug 
auf 38 0 - Die Haut an den Wangen war leicht geröthet, die sicht¬ 
baren Schleimhäute vou blassrother Farbe. Kein Exanthem und 
Oedem vorhanden. Puls an der dünnwandigen mittelweiten Radial¬ 
arterie von mässiger Spannung und Füllung regelmässig, auf 
120 Schläge beschleunigt. Sein Sensorium war vollkommen frei, 
die Sinnesorgane uormal, Motilitäts- uud Seusibilitätsstöruugen nicht 
vorhanden. Sehnen- und Hautreflexe leicht erhöht. Schlaf angeblich 
unruhig. Brust gut gewölbt. Lungen überall lufthaltig, Luugen- 
ränder gut beweglich. Kein Husten. Herzdärnpfung nicht ver- 
grössert. Spitzenstoss nach Innen von der Mamillarlinie im 5. Inter- 
costalraum. Herztöne laut und rein. 

Zunge grauweiss belegt, Zahnfleisch etwas aufgelockert, ohne 
Bleisaum, Appetit während der letzten Tage angeblich sehr gering, 
soll etwas angeregter sein. Permanentes Durstgefühl. Abdomen leicht 
gewölbt, bei Druck in der Mageugegend empfindlich, überall weich, 
zeigt bei der Palpation keine nachweisbaren Veränderungen. Leber¬ 
dämpfung in der Mamillarlinie zwischen unterem Rand der VI. Rippe 
und unterem Rippenrand, überragt diesen in der Parasteruallinie um 
4 cm, die Mittellinie uach links um etwa drei Finger breit. — Milz 
in der mittleren Axillarlinie zwischen achter und eilfter Rippe, über¬ 
ragt die vordere Axillarlinie nicht, ist nicht palpabel. Urin wird 
spontan entleert, 800 /io 2 o, frei von Eiweiss und Zucker, ist vou brauu- 
rother Farbe. An den Genitalien keine Veränderung nachweisbar. 
Die Inguinaldrüsen nicht vergrössert, sind beiderseits als erhsen- bis 
bohnengrosse Knötchen fühlbar. Cervical-, Cubital- und Submaxillar- 
drüsen nicht vergrössert. 

Die erste Untersuchung ergab mit Ausnahme der nur massigen 
Verbreiterung der Milz demnach nur wenig Anhaltspunkte für die 
Deutung des beim ersten Blick ohne Zweifel ernsten Krankheits¬ 
zustandes. Noch complicirter wurde das Krankheitsbild, als in den 
ersten Tagen seines Krankeuhausaufentbaltes die in der Anamuese 
bereits angedeuteten hysterischen Muskelkrämpfe auftraten, die Pat. 
willkürlich zu jeder Zeit hervorrufen konnte. Bei ruhigem Verhalten 
im Bette schienen in den ersten Tagen die Beschwerden im Abdomen 
nachzulassen, zumal vom 23. bis 30. October normale Temperatur 
eingetreten und für regelmässige Stuhl entleer ung gesorgt worden. 
Dabei hatte sich die Esslust und damit auch das Allgemeinbefinden 
gehoben. 

Schon am 1. November beganneu wieder die Klagen über Leib¬ 
schmerzen und dabei stieg vom 1. bis 3. November staffelförmig 
die Temperatur auf 39,5° herauf. Der auch während der fieberfreieu 
Tage etwas frequente (80—90) Puls zeigte eine Steigerung auf meist 
110—120 Schläge. Da gleichzeitig der Urin eine deutliche Diazo- 
reaction darbot, so wurde die Krankheit als ein Typhus abdo¬ 
minalis aufgefasst und die Weiterentwickelung desselben erwartet. 
In der That konnte auch eine geringe Grössenzunahme der Milz con- 
statirt werden, allein schon nach wenigen Tagen begannen deutliche 
Morgen-Remissionen und ein staffelförmiges Sinken der Temperatur 
trat ein. Dabei blieb auffallender Weise die Diazoreaction bestehen, 
auch selbst während der nun wieder folgenden fieberlosen Periode. 
Pat. erholte sich ziemlich rasch, trotzdem die Klagen über Schmer- 
zeu im Leibe, die bis in die Wirbelsäule uud in die Hoden aus¬ 
strahlten, nicht nachliesseu. Bei wiederholter Untersuchung des 
Abdomens liess sich nunmehr eine etwa kibitzeigrosse glatte, fest 
elastische Geschwulst in der linken Fossa iliaca constatiren, die, im 
Verlauf der Gefässe gelegen, bisher nicht gefühlt worden war. Eine 
Blutuntereuchung ergab mikroskopisch keine Abweichungen, die 
Untersuchung mit dem Blutfarbmesser ergab 86% Haemoglobiu- 
gehalt. Die fieberfreie Periode dauerte nur vom 9. bis zum 14. No¬ 
vember, dann wieder unter Frösteln und Zunahme des allgemeinen 
Krankheitsgefühls eine 7 tägige Fieberzeit mit langsamem staffelför¬ 
migen Anstieg und Abfall bis zum 21. November. Während dieser 
Zeit wurde eine weitere Milzvergrösseruug constatirt und konnte 
dieselbe nunmehr deutlich als eine dicke stumpfrandige, festweiche 
Geschwulst am vorderen Rippenbogen palpirt werden. Gleichzeitig 
vergrösserte sich die Leber, deren Rand in der Mamillarlinie den 
Rippenrand um 2 Finger breit überragte. Druck auf Leber und 
Milz war nicht schmerzhaft, dagegen die Palpation der Nabelgegend 
empfindlich geworden. Auch die Geschwulst in der linken Fossa 
iliaca, deren probatorische Punction mit negativem Resultat aus¬ 
geführt wurde, nahm an Grösse zu. Das Körpergewicht hatte 
seit seiner Aufnahme stets abgenommen und betrug am 21. Februar 
nur noch 112 Pfd., dabei war eine fortschreitende Anämie und 
Kachexie nicht zu verkennen. Das Krankheitsbild war allmählich 
ausgeprägter geworden, zumal im weiteren Verlaufe sich wieder 
fieberlose Perioden abwechselteu mit Perioden remittirendeu Fiebers. 
Es wurde nun mit Rücksicht auf die vou Pel und Ebstein iu der 
Berliner Klinischen Wochenschrift mitgetheilten Fälle von „infectiöser 
Pseudoleukämie“ bezüglich „chronischem Rückfallfieber“ die Krank- 


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754 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


heit des Pat. als eine Lymphosarcomatose der retroperitonealen 
Drüsen, sowie der Milz und Leiter aufgefasst. Bei dieser Annahme 
fanden die andauernden Klagen des Pat. über die ausstrahlendeu 
Bauchschmerzen ihre Erklärung in dem Druck der Drüsengeschwulst 
auf die Bauchnerven. 

Vom 21. November ab bis 28. November war Pat. wieder 
fieberfrei, daun folgte eine 6tägige Fieberperiode, dieser wieder 
eiue 8tägige fieberfreie und vom 17.—19. December die Fieberzeit, 
deren Begiun Pat. gewöhnlich auf den 7. Tag vorher ankündigte. 
Mit jedem neuen Fieberanfall eine deutliche Zunahme der Milz- und 
Leberschwellung und langsamer Weitervergrösserung der jetzt auch 
schon in der Nabelgegend zu palpirenden retroperitonealen Drüsen. 
Die wiederholten Blutuntersuchungen ergaben keine Vermehrung 
der weissen Blutkörperchen, wohl aber einen stetig abnehmenden 
Hämoglobingehalt, der am 19. December nur noch 54 % des nor¬ 
malen beträgt. Dabei zeigt der Harn andauernd starke Diazoreae- 
tiou. Das Körpergewicht auf 109 gesunken. 

Vom 19. December ab beginnt eine fieberlose Periode mit meist 
subuormalen Temperaturen, die zum ersten Mal 14 Tage bis zum 
1. Jauuar 1888 audauert. Pat. erholt sich bei besserem Appetit 
zusehends, während objectiv eine Verkleinerung der augeschwollenen 
Organe nicht nachzuweisen ist. Am 14. Tage wieder eine neue 
Fieberperiode, die 11 Tage bis zum 11. Januar andauert. 9 Tage 
bleibt Pat. fieberfrei, dann folgt auf eine neue 7tägige Fieberzeit 
nochmals eine ötägige freie Periode, in der Pat. meist theilnahmslos, 
kaum noch Nahrung verlangend, in seinem Bette liegt. Die Anämie 
und Kachexie ist inzwischen immer stärker geworden, der Hämoglo- 
biugehalt des Blutes auf 45 % gesuuken. Die Leber ist stark 
geschwollen, in Nabelhöhe palpabel, die Milz reicht bis zur ver¬ 
längerten linken Parasternallinie. 

Am 2. Februar beginnt eine letzte Fieberperiode, während 
welcher bei andauernd hohem Puls (125 —142 P) und Athem- 
frequenz (30—45 R) sich unter zunehmender Blässe der Schleim¬ 
häute, Oedem der unteren Extremitäten und am 12. Februar Icterus 
einstellen. Nachdem Pat. namentlich während der letzten Tage 
noch über zunehmende Schmerzen in der Milzgegeud geklagt, stellte 
sich am 13. Februar Ooma eiu. in welchem er um 14. Fe¬ 
bruar 1888 starb. 

Die Section ergab in der That eine lymphosarkomatöse Ver¬ 
änderung der beträchtlich geschwollenen retroperitonealen und 
mesenterialen Lymphdrüsen mit metastatischeu gleichartigen Ver¬ 
änderungen in der Milz und der Leber. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung konnte nur die makroskopisch bereits gestellte Diagnose 
der Lymphosarkombildung bestätigen. Die bacteriologische Unter¬ 
suchung ergab mit deu gegenwärtig bekannten Methoden keinen 
Anhaltspunkt für die jedenfalls zu vermuthende parasitäre Natur der 
Erkrankung. 

Vergegenwärtigen Sie sich, meine Herren, in Kürze nochmals 
den Verlauf der soeben beschriebenen Erkrankung, so handelte 
es sich also im Wesentlichen um eine in Jahresfrist verlaufende 
allmählich zunehmende Anämie und Kachexie, die klinisch durch 
periodenweise auftretendes Fieber, durch Anschwellung der Leber, 
Milz und retroperitonealen Lymphdrüsen, durch die permanent 
andauernde Diazoreaction des Harns, charakterisirt ist. Dabei keine 
Vermehrung der weissen Blutkörperchen aber stetig zunehmende 
Verminderung des Hämoglobingehaltes. Wenn Sie jetzt noch einmal 
einen Blick auf die vom 22. October 1887 bis 14. Februar 1888 
aufgezeichnete Temperaturcurve werfen, so sehen Sie, dass Pat., 
der aber seinen Angaben nach bereits vorher au Fieberfrösten ge¬ 
litten haben will, in dieser Zeit 7 Fieberperioden von meist 7tägiger, 
nur einmal lltägiger Dauer durchgemacht hat. Zwischen den 
Fieberperioden, deren stark remittirender Typus durch Antipyrin- 
verabreichung entstanden, liegen ebenso viele fieberfreie Intervalle, 
die je zweimal 6 und 8, je einmal 7 und 9 und einmal 13 Tage 
andauern. 

Während der gauzen Dauer der Erkrankung bestand eine ver- 
hältnissraässig hohe Pulsfrequenz, die nie unter 85 herunterging, 
meist auch iu der fieberfreien Zeit 96—110 Pulse betrug. Auch 
die Athemfrequenz war ohne nachweisbare Erkrankung der Lungen 
meist auf 24—30 erhöht. Andauernd bestand Verstopfung und 
namentlich während der Fieberanfälle häufiges Erbrechen bei voll¬ 
ständigem Appetitmangel. Die Klagen bezogen sich fortdauernd 
auf zunehmende Schwäche und kolikartige Schmerzen im Abdomen, 
die iu die Wirbelsäule und Genitalien ausstrahlten. 

Diese Ihnen soeben geschilderte Krankheit ist nun keineswegs 
eiu bisher iu der Litteratur unbeschriebenes Krankheitsbild. Das¬ 
selbe ist klinisch und auch pathologisch-anatomisch in England 
genau, namentlich in Bezug auf die Eigenthümlichkeit des recur- 
rirenden Fiebers, von Go wer s und Murchison bereits erkannt 
und der grossen Classe von Anämieen zugezählt worden, die ohne 
Vermehrung der weisseu Blutkörperchen mit Drüsenschwellungen 
eiuhergehend, als Hodgkin'sehe Krankheit oder Pseudolenkämie 


bezeichnet werden. Pel hat im Jahre 1885 und 1887 zuerst wieder 
die Aufmerksamkeit auf diese Fälle vou Pseudoleukämie geleitet, 
die er im Gegensätze zu den übrigen pseudoleukämischeu Fällen 
als eiue besoudere infectiöse Form bezeichnet. Ebstein hat dann 
in seiner 1887 erschienenen Publication (Berl. klin. Wochenschrift 
Nr. 31 u. 45) diese Erkrankung in Deutschland zum ersten Male 
beobachtet und als eine neue lufectionskrankheit bezeichnet, die er 
chronisches Rückfallfieber nannte. 

So lauge wir das ätiologische Moment der Erkrankung nicht 
kenneu, glaube ich, sind wir nicht berechtigt, dieselbe als eine 
infectiöse Form der Pseudoleukäraieen zu bezeichnen, zumal unter 
dem Sammelnamen der Pseudoleukämie anatomisch die verschiedensten 
hyperplastischeu und malignen Formen der Drüsenanschwellungen 
zusammengefasst werden. Allein auch der Name chronisches Rück¬ 
fallfieber ist verwirrend, da dieser Kraukheitsname längst für eine 
wohlgekanute ätiologisch ergründete Erkrankung vergeben ist. 

Mustern wir die in der Litteratur bereits mitgetheilteu Fälle 
unserer soeben beschriebenen Erkrankung, so haben alle zwei Cha¬ 
raktere gemeinsam, nämlich die Lymphosarcomatose und das 
recurrirende Fieber. So lange wir ätiologisch die Erkrankung 
nicht besser kennen, schlage ich vor, dieselbe als „Lymphosarco¬ 
matose mit recurriren d em Fieberverlauf“ oder kürzer 
„Recurrireudes Lymphosarcoin“ zu benennen. 

Herr Jastrowitz bemerkt, dass es irreguläre Typhen oder typhoide 
Erkrankungen giebt, deren Verlauf, wenn auch nicht mit ganz regelmässig 
auf- und absteigender, recidivirender Kieberwelle, so doch annähernd ähnlich 
demjenigen ist, welches Herrlienvers bei multipler Sarcombildung geschildert 
habe. Auch hier sei eine Wochen-, selbst monatelange Dauer vorhanden, 
die anderweiten Anzeichen des Abdominaltyphus: Milzschwellung, Diarrhoeeu, 
der charakteristisch gestaltete Zungenbelag könnten auch fehlen, Roseola pflege 
vorhanden zu ein, das Fieber indess zeichne sich durch wellenförmige Er¬ 
hellungen aus, welche in remittireudem Typus bis zur Akme ansteigen, um 
dann remittirend abzufallen. Statt aber zur Norm zurückzukehren, bleibe 
eine geringe Temperaturerhöhung bestehen, welche dann abermals uach 
8—14 Tagen oder nach noch längerer Zeit, ganz ebenso zu einer über di¬ 
verse Tage sich erstreckenden Temperaturwelle anwachse, um abermals re¬ 
mittirend abzusiukeu. Das Wellenthal könne indess auch von ganz nor¬ 
malen Temperaturen gebildet werden und die Temperaturwellen sich erst 
nach Wochen wieder anfinden, so dass das Leiden dann wie ein wirkliches 
Recidiv aussähe. Ikterus sei in 3 Fällen, welche er im letzten Jahre beob¬ 
achtet habe, nicht vorhanden gewesen. 

Herr Renvers: Ich habe in der Litteratur vergeblich ähnliche Fälle 
aufgesucht, mir ist nur eine einzige Krankheit bekannt geworden, welche 
typisch mit recurrirendein Fieber verlaufen soll, nämlich die von Weil be¬ 
schriebene Parenchymatöse der inneren Organe. 

III. Ueber einige Ernährungsstörungen nach 
Nervenverletzungen.*) 

Von Rudolf Arndt in Greifswald. 

Es ist bekannt, dass, wenn man Meerschweinchen den N. ischia- 
dicus durchschneidet, sie danach epileptisch werden. Es ist bekannt, 
dass die einschlägigen epileptischen Anfälle durch Reizung von Haut¬ 
nerven ausgelöst werden, aber nicht von den hei der Ischiadicus- 
durchschneidung nothwendiger Weise raitdurchschnitteneu oder über¬ 
haupt verletzten des betreffenden Oberschenkels her, sondern vou 
den ganz unversehrt gebliebenen der gleichnamigen Halsgegend 
aus. — Wenn man nämlich einem Meerschweinchen den einen N. 
ischiadicus durchschneidet, so entwickelt sich nach 14—20 Tagen 
bei ihm eine Neigung zu leichteren oder schwereren Krampfanfällen, 
welche durch Kneifen, Quetschen der entsprechenden Halsseite, 
unter dem Ohre, hinter dem Unterkieferwinkel, hervorgerufen werden. 
Nach 6—8 Wochen sind die einfachen Krampfanfälle echte epi¬ 
leptische geworden: das Thierchen stürzt, wenn man jene Stelle 
auch nur ganz leicht kneift, unter lebhaftem Aufschreien zu Boden 
und, offenbar bewusstlos, mit halb gebrochenem Auge, zuckt es 
minutenlang in deu heftigsten Convulsionen, bis nach einiger Zeit 
dieselben aufhören, das Bewusstsein wiederkehrt, und einige Se- 
cunden später das Thierchen wieder das alte zu sein scheint. 

Die Krämpfe, die Art des Eintritts derselben, ihr Verlauf, ihr 
Aufhören können sehr verschieden sein. Darauf soll indessen heute 
nicht näher eingegangen werden. Nur so viel soll noch angeführt 
werden, dass sie im Ganzen, als Ausdruck desjenigen krankhaften 
Zustandes, den wir mit Epilepsie bezeichnen, wieder verschwinden. 
Ein durch Ischiadicusdurchschneidung epileptisch gemachtes Meer¬ 
schweinchen kann wieder gesunden, selbst wenn auch ein ganzes 
0,5 cm langes Stück Ischiadicus bei der Durcbschneiduug entfernt 
worden ist. Ein vorgezeigtes, im November 1887 in der besproche¬ 
nen Art epileptisch gemachtes Meerschweinchen, das im Winter 
1887/88 von deu heftigsten, mit Bewusstlosigkeit gepaarten Krämpfen 
befallen wurde, wenn es an der bezeichneten Stelle am Halse ge¬ 
kniffen worden war, lässt jetzt, nachdem die Neigung zu den Krampf- 

') Vortrag, gehalten im Oreitawalder medicinischen Verein. 


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13. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


755 


anfällen seit dem Frühjahr 1888 sich mehr und mehr verringert 
hatte, keine Spur mehr von solchen zu erkennen; man mag machen, 
was man wolle. Die Epilepsie ist somit heilbar und allein 
die Zeit und die Veränderungen, welche sie mit sich 
bringt, kann sie heilen, etwas, was ja übrigens die Erfahrungen 
vom Menschen auch lehren. 

Die Stelle, von welcher aus die fraglichen epileptischen An¬ 
fälle zur Auslösung gebracht werden können, hat man die epi- 
leptogene Zone genannt. Dieselbe ist sehr empfindlich. Ihre sen¬ 
siblen Nerven befinden sich in einem Zustande erhöhter Erregbar¬ 
keit, sind aber darum in ihrer Ernährung beeinträchtigt. Sie, die 
fragliche Stelle, ist aber auch sonst sehr widerstandslos und deshalb 
leicht verwundbar und zu weiteren Ernährungsstörungen geneigt, ln 
Folge der öfter wiederholten Kniffe und Quetschungen, welche sie er¬ 
fährt, um die besprochenen epileptischen Anfälle herbeizuführen, ent¬ 
wickeln sich in ihrem Bereiche Wunden. Schrunden, Schorfe, ober¬ 
flächliche Verschwärungen, welche an anderen Stellen, obwohl sie 
in gleicher Weise gereizt wurden, ausbleiben; sodann fallen an ihr 
leicht die Haare aus: kurz, es zeigt sich in ihr der Ernährungs¬ 
vorgang nach raannichfachen Richtungen herabgesetzt; es entwickelt 
sich daraufhin in ihr die Neigung zu Entzündungen, torpiden Ent¬ 
zündungen, und einer Art von Alopecie. 

Doch das ist alles bekannt. Nicht so bekannt dürfte dagegen 
sein, dass auch dazu die Neigung wieder verschwindet. Das vor* 
gezeigte, näher besprochene Meerschweinchen hat die übergrosse 
Empfindlichkeit und sonstige Verwundbarkeit seiner einstigen epi- 
leptogenen Zone verloren. So oft und so viel es in jüngster Zeit 
da auch gequetscht und gekniffen worden ist, von den abnormen Ernäh¬ 
rungsstörungen einer früheren Zeit ist an und in ihr nichts wieder bisher 
beobachtet worden. Eines aber ist geblieben: in ihrem ganzen 
alten Umfange ist der Haarwuchs ein anderer geworden. 
Die Haare sind kürzer, dünner als die am übrigen Körper, dazu 
anscheinend etwas gekräuselt. Die ganze Stelle, die einstige epi- 
leptogene Zone, markirt sich dadurch als einen nach vorn offenen, 
halbmondförmigen Fleck, dessen vordere Grenze am Halse anfangend 
hinter dem Unterkieferwinkel, dem Ohre nach aufwärts bis zur 
Mitte des Rückens verläuft und von da ab unter spitzem Winkel 
über die Schulter wieder nach dem Halse abwärts zieht, sie markirt 
sich als einen halbmondförmigen Fleck, an welchem der Haarwuchs 
sich in ähnlicher Weise verändert zeigt, wie an den Brandmalen 
von Pferden, die aus staatlichen oder entsprechenden Gestüten her¬ 
vorgegangen sind. 

Worauf es nun endlich aber bei der ganzen Angelegenheit an- 
kommtj ist, dass nach einer Verletzung eines peripherischen Nerven, 
beim Meerschweinchen nach der Durchschneidung des N. ischiadicus, 
sich eine schwere Constitutionsanomalie ausbilden kann, die unter 
Anderem, z. B. wieder beim Meerschweinchen, iu der Form einer 
mehr oder minder schweren Epilepsie zum Ausdruck kommt. 
Diese Constitutionsanomalie kann wieder einen Ausgleich erfahren, 
ihre Symptome können verschwinden; volle Rückkehr zur Gesund¬ 
heit ist ermöglicht. Neben dieser, den ganzen Körper und seine 
Ernährung betreffenden Veränderung bilden sich aber auch noch 
auf einzelne seiner Stellen beschränkte Ernährungsstörungen aus. 
Weit ab vom Orte der Verletzung, beim Meerschweinchen nach 
der Durchschneidung des N. ischiadicus bildet sich eine besonders 
widerstandslose, leicht verwundbare Stelle, die epileptogene Zone, 
an der entsprechenden Halsseite aus. Nicht bloss die bezüglichen 
epileptischen Anfälle werden von ihr aus eingeleitet sie ist auch 
der Sitz sonstiger, deutlich sichtbarer Ernährungsstörungen, z. B. 
leicht eintretender Entzündungen, veränderten Wachsthums der 
Epidermoidalgebilde. 

Wie lässt sich das erklären? Durch locale Vorgänge im Sinne 
der modernen Zellenlehre nicht. Wenn etwas, so beweisen die 
geschilderten Vorgänge das Bedingt- und Abhängigsein der einzelnen 
Zellen von einander. Sie beweisen, dass sämmtliche Zelleu 
eines organischen Körpers botmässig sind, und dass sie, 
die Zellen, je nach den Einflüssen, welche auf sie, oft aus ganz ent¬ 
fernten Provinzen, wirken, so oder anders sich bethätigen. Diese 
Einflüsse jedoch werden vermittelt durch das Nerven¬ 
system, durch sogenannte Reflex Vorgänge, und das 
Nervensystem erweist sich somit recht eigentlich als das 
Organ, welches wenn auch nicht selbstständig, autonom, 
so doch im Aufträge des ganzen Körpers, functionär, 
seine einzelnen Zellen in der schuldigen Botmässigkeit 
erhält. _ 

IV. Zur Behandlung des runden Magen¬ 
geschwürs. 

Von Dr. P. Cornils in Lugano. 

Es dürfte vielleicht manchen der Leser der D. med. Wochen¬ 
schrift die Mittheilung interessiren, dass ich zu wiederholten Malen 


während einer Erkrankung an einem Magenleiden, dass von mir 
und mir befreundeten Collegen nicht anders, denn als ein rundes 
Magengeschwür gedeutet werden konnte, durch Experimentiren an 
mir selber zu ähnlichen Schlüssen bezüglich der Behandlung ge¬ 
kommen bin, wie Herr Prof. Gerhardt in seinem in No. 18 dieser 
Zeitschrift reproducirten Vortrag, den ich erst nach Ablauf der dritten 
Erkrankung gelesen habe. 

In den drei Frühjahren 1885, 1886 und 1888 bin ich plötzlich 
nach einer Erkältung an einem Magenleiden erkrankt, das die ersten 
zwei Male circa 4 Wochen, das dritte Mal circa 6 Wochen gedauert 
hat. Das letzte Mal war ich noch nicht ganz von einem 1887 über¬ 
standenen mit Pleuritis complicirten Typhus erholt, was wohl die 
längere Dauer der Krankheit erklärt. Das erste Mal gab eine Sec- 
tion auf einem Kirchhof im Freien bei Regenwetter, bei der ich 
lange gebückt stand, das zweite Mal mehrere Stunden dauerndes 
Sitzen bei vornübergebeugter Körperhaltung in einem schlecht- 
geheiztem Local, das dritte Mal zu frühes Ablegen der Winter¬ 
kleider, während der plötzlich eingetretenen Hitze in der Mitte April 
dieses Jahres, die Veranlassung zu meiner Erkrankung. Das erste 
und zweite Mal hat also neben der durch die Erkältung der äusse¬ 
ren Haut bewirkten Fluxion zu den inneren Organen eine längere 
Zeit lang dauernde Compression der Uuterleibsorgane die Erkran¬ 
kung veranlasst, das letzte Male die Fluxion zu den Unterleibs¬ 
organen allein. Ich erwähne noch, dass, mit Ausnahme einer Magen¬ 
erkrankung im Jahre 1864, die von Prof. Bartels in Kiel auch als 
Ulcus rotundum angesehen wurde, ich bis zum Jahre 1885 nie an 
ernsten Magenerkrankungen gelitten, Magenkatarrh nur nach Diät¬ 
fehlern acquirirt und mich im Ganzen stets einer guten Verdauung 
erfreut habe. 

Von den Symptomen will ich nur die wichtigsten hier an¬ 
führen. In den ersten Tagen gestörte Verdauung und Appetitlosig¬ 
keit. Während mehrerer Tage schwarzer Stuhl, ohne dass Medica- 
mente oder Speisen dazu Veranlassung gegeben hätten; sehr viele 
Ructus; Schmerzen in der Gegend des Pylorus und Duodenum spon¬ 
tan und auf Druck. Allmählich entstehende Dilatation des Magens 
und starke Zunahme der Ructus. Das Merkwürdige dabei war, dass 
während einiger Zeit gar keine Gase den Pvlorus zu passiren schienen. 
Jedesmal, wenn der Magen sich mit Gasen gefüllt hatte, was auf der 
Höhe der Krankheit während der Zeit der Verdauung, wenn ich 
mich irgendwie bewegte, alle 10—15 Miuuten der Fall war, empfand 
ich kolikartige Schmerzen im Magen, hauptsächlich in der Pylorus- 
gegend, die mit Entleerung der Gase nach oben schwanden. Ich 
hatte dabei das deutliche Gefühl von Audräugen und sich Stauen 
der Gase am Pylorus, so oft ich die kolikartigen Schmerzen empfand. 
Ich kann mir diese Erscheinung nicht anders erklären, als durch 
Vorlagerung einer Falte der Schleimhaut iu oder vor dem Pylorus 
und so entstandenen klappenartigen Verschluss desselben für Gase, 
oder durch in Folge der Senkung und Ausdehnung des Mageus und 
besonders der unteren Magenwand entstandene, vorübergehende Ab¬ 
knickung des Pylorus. Dieses subjective Getühl eines Hindernisses 
am Pylorus verbunden mit dem gänzlichen Fehlen von Flatulenz 
und Meteorismus trotz der fortwährenden Zersetzungsvorgänge im 
Magen Hess mich schliessen, dass der Pylorus zeitweise für Gase 
so gut wie undurchgängig sein musste. Die Ructus und die Schmerzen 
wurden wesentlich vermindert und gelindert durch Ruhe, sei es in 
sitzender, zurückgelehnter Lage, sei es durch Liegen im Bett und sehr 
vermehrt durch jede Art von Bewegung. Am stärksten wurden sie 
3V-> bis 4 Stunden nach den Mahlzeiten, nach Ablauf welcher Zeit 
der Magen sich ziemlich ruhig verhielt und das besonders in der 
Nacht. Nach dem Mittagessen (1 Uhr) pflegte ich mich in einen 
Sessel so zu setzen, dass ich bequem darin ruhte, und bis gegen 
5—6 Uhr sitzen zu bleiben, wobei ich ausser einem Gefühl von 
Druck im Magen und zeitweiligem, mässigem Aufstossen keine Be¬ 
schwerden hatte. Nur wenn ich mich nicht ganz ruhig ver¬ 
halten konnte, traten stärkere Schmerzen und stärkeres Aufstossen 
und besonders 372 bis 4 Stunden nach der Mahlzeit ein. Nach 
Verlauf von einigen Wochen machten die kolikartigen 372 bis 
4 Stunden nach den Mahlzeiten auftretenden Schmerzeu einem 
stechenden, nur einen Augenblick dauernden und mit peristalt Be¬ 
wegung des Magens verbundenem Schmerz, (also offenbar der Ent¬ 
leerung des Mageninhalts ins Duodenum), dem ein Gefühl von Er¬ 
leichterung und Entlastung des Magens folgte, Platz, bis schliesslich 
auch dieser stechende Schmerz ausblieb und ich den Magen nicht 
mehr fühlte. 

Erbrechen habe ich dann und wann zu verschiedenen Tages¬ 
zeiten. während der letzten Erkrankung immer mehrere Stunden 
nach dem Essen, gehabt. Das Erbrochene war während der ersten 
Erkrankungen öfter blutig tiugirt, während der letzten nicht. Es 
bestand, je nach der Zeit, die nach der Krankheit verstrichen, aus 
Speisebrei und Schleim oder aus reinem Schleim. Der letztere 
hatte einen intensiv sauren Geschmack. In den ersten Wochen 
war die Zunge ziemlich rein; schleimiger Belag der Zunge und des 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


Rachens mit Verstrichensein der Zungenpapillen stellte sich erst in 
den nächsten Wochen ein, wohl in Folge der permanenten Zer¬ 
setzungsvorgänge im Magen. Verstopfung stellte sich gleich mit 
Beginn der Erkrankung ein. Bald nach Beginn des Leidens war 
jedesmal eine starke Dilatation des Magens nachzuweisen. In der 
Pylorusgegend schien eine etwas diffuse leichte Verdickung, die 
dem Pylorus entsprechen konnte, vorhanden zu sein. Mein Allge¬ 
meinbefinden wurde jedesmal ziemlich stark angegriffen. Ziemlich 
rascher Kräfteverfall, Abmagerung und Erblassen der Schleimhäute 
stellten sich ein. Doch hob sich das Allgemeinbefinden mit dem 
Nachlass der localen Beschwerden ziemlich rasch wieder, so dass 
ich mich in 2—4 Wochen nach der Besserung der letzteren wieder 
ganz wohl fühlte. 

Was die von mir eingeschlagene Behandlung betrifft, so war 
dieselbe wesentlich eine diätetische. Ich nahm täglich 3 Mahl¬ 
zeiten zu mir, aber jedesmal nur so viel Nahrung, als zur noth- 
dürftigen Stillung des Hungers genügte. Auch sorgte ich durch 
gutes Kauen der Nahrung dafür, dass dieselbe die Schleimhaut des 
Magens nicht mechanisch reizen konnte. Am meisten Schwierig¬ 
keiten machte es mir, ein meinen schwachen Verdauungskräften 
entsprechendes Frühstück ausfindig zu machen, da ich aus Er¬ 
fahrung von früher her wusste, dass mein Magen eine ausschliess¬ 
liche Milchdiät schwer, Eier zum Frühstück gar nicht verträgt, 
und ich gegen jede Art von Brod und Gebäck, welches ich, 
wenn ich gesund bin, sehr gerne esse, während der Erkrankung 
einen ausgesprochenen Widerwillen hatte. Ausser diesem Wider¬ 
willen gegen Brod und brodartige Nahrungsmittel hatte ich gegen 
Caffee und Cigarren, die in meinen gesunden Tagen zu meinen 
Lieblingsgenussmitteln gehören, eine so ausgesprochene Idiosynkrasie, 
dass der Geruch derselben mich übel machte und mich zum Er¬ 
brechen gebracht hätte, wenn ich demselben nicht jedesmal aus 
dem Wege gegangen wäre. Da der Genuss von Caffee und das 
Rauchen von Cigarren in gesunden Tagen bei mir rasch peristal¬ 
tische Bewegungen der Eingeweide zur Folge hat, so denke ich 
mir, dass jene Genussmittel bei krankhaftem Zustande der Unter¬ 
leibsorgane leicht Anlass zu antiperistaltischen Bewegungen geben 
und dadurch Uebelkeitund Erbrechen veranlassen können. Während 
der ersten zwei Erkrankungen war der Widerwille gegen Brod 
übrigens nicht so stark, wie während der letzten Erkrankung, so 
dass ich 1 bis 2 kleine Schnittchen Brod mit ein weuig Butter 
und geschabtem Ziegenkäse oder mit Anchovis (die den Brod- 
gesehraack maskirten), und eine kleine Tasse starken Thees mit 
sehr wenig Rahm uud Zucker als Frühstück zu mir nehmen konnte. 
Oder ich nahm statt der Brodschnittchen 1 bis 2 Zwiebacke im 
Thee eingeweicht. Während der letzten Erkrankung konnte ich 
alles dieses nicht vertragen. Nach längerem Hin- und Herprobiren 
fand ich als einigermaassen erträglich für mich aus: entweder eine 
kleine Tasse gekochter Milch mit einem englischen Biscuit, das 
ich uneingeweicht essen konnte, oder eine kleine Tasse eines 
Gemenges von 3 A Milch und V '4 in Wasser gekochten Cacaos mit 
einem englischen Biscuit. Meine Mittagsmahlzeit hatte ich um 
1 Uhr. Als mir zusageude Speisen zum Mittagsmahl fand ich 
aus von Suppen: Reissuppe nach italienischer Art, die sogenannte 
Minestra (der Reis in derselben wird nur 15 Minuten gekocht), 
Griessuppe, Sagosuppe und Kartoffelsuppe, immer mit einem Zu¬ 
satz von etwas Cibirschera oder Maggi’schem Fleischextract; 
das Kemmerich’sche Pepton schmeckte mir nicht, in welcher 
Form ich es auch nahm, und schien mir nicht gut zu thun; von 
Fleisch: Beafsteak, halb roh und etwas gehackt, Kalbscotelett, 
nicht zu stark gebraten, Huhn auf dem Rost gebraten oder ge¬ 
kocht und Kalbsmilch; von Gemüsen oder Zukost zum Fleisch: 
Kartoffelpüree, Reis 1 ), nach italienischer Weise nicht ganz weich 
gekocht, sogenannten Risotto (weich gekochten Reis fand ich 
schwer verdaulich) und die italienische Polenta (eine Art Kuchen 
aus Maismehl). Von grünen Gemüsen vertrug ich einigermaassen 
Spargelköpfe (besonders in der Suppe) und frische gelbe Rüben. 
Abends um 7 Uhr hatte ich meine Abendmahlzeit. Während 
der zwei ersten Erkrankungen und im Anfang der dritten Er¬ 
krankung konnte ich eine der Fleischsorten, die ich Mittags ass 
und Kartoffelpüree oder Reis vertragen. Dieses Essen machte 
mir jedoch während der dritten Erkrankung bald so starke Be¬ 
schwerden, dass ich es aufgab und zur Milchdiät überging. Ich 
nahm Abends l / 3 I gekochter Milch und etwas Griesbrei oder 
Hafermuss oder 1 bis 2 Zwiebacke zu mir. Doch vertrug ich 
auch die Milch Abends nicht lange und ging nach 8 bis 10 Tagen 
wieder zu meinem früheren Regime über, welches ich daun 

') Während der schweren Erkrankung des an Diabetes und Bulbär- 
paralyse leidenden Königs von Brasilien in Mailand, im Monat Mai dieses 
Jahres, bei der Charcot, Semmola und andere italienische und brasilia¬ 
nische Aerzte die Cur leiteten, bildete, wie die Mailänder „Italia“ berich¬ 
tete, Huhn mit Reis, trotz dem Diabetes, die Basis aller Mahlzeiten in der 
Reconvalescenz. 


besser vertrug. Zum Mittag- und Abendessen trank ich ein Glas 
Roth wein. Nur wenn ich während der Tageszeit starke Ver¬ 
dauungsbeschwerden gehabt hatte, beschränkte ich meine Mittags¬ 
und Abendmahlzeit auf einen kleinen Teller Reis-, Gries- oder 
Sagosuppe mit Zusatz von etwas Fleischextract. Dieses Regime 
hielt ich während der eisten Hälfte der Krankheit ein und nahm 
zwischen den 3 Mahlzeiten nichts zu mir. Da dasselbe jedoch 
nicht genügte, meine Körperkräfte auf die Dauer zu erhalten, so 
fing ich allmählich an ein wenig Nahrung in der Zwischenzeit zu 
mir zu nehmen und zwar um 12 Uhr oder 12 V 2 Uhr etwas rohen 
Schinken mit einer Brodkruste, Nachmittags um 5 l /2 Uhr ein halbes 
oder ein ganzes Glas Milch mit etwas Apollinariswasser vermischt 
und Abends um 11 Uhr bei kaltem Wetter ein Glas gewärmten 
Rothweins, bei warmem Wetter ein Glas Marsala mit Selters¬ 
wasser. Mit beginnender Besserung fing ich an Mittags und Abends zum 
Dessert einen sogenannten Zabbaione (das Gelbe von einem bis zwei 
Eiern mit gewöhnlichem weissem Wein oder mit Marsala und etwas 
Zucker verrieben und dann gekocht) zu nehmen, den ich sehr gut 
vertrug. Daun giug ich allmählich beim Nachtisch zu leichten 
Mehlspeisen und aus frischen Kirschen bereitetem Compot über. 
Was ich von deu angeführten Gerichten am besten vertrug, war: 
Beafsteak oder gekochtes Huhn mit Risotto, und von süssen Speisen 
den Zabbaione. 

Von Medicamenten habe ich während der ersten Erkrankung, 
bei der mir die Diagnose, ob es sioh um einen Katarrh oder ein 
Ulcus handelte, noch zweifelhaft war, verschiedene probirt. Die 
einzigen, die mir die Krankheit günstig zu beeinflussen schienen, 
waren Mittel, die den Stuhlgang regulirten und leichte Bitter¬ 
mittel. Die Salzsäure ist mir jedes Mal schlecht bekommen. 
Sie schien die Verdauungsthätigkeit des Magens entschieden zu 
stören. Condurangowein bekam mir während der ersten Er¬ 
krankung gut, während der beiden letzten Erkrankungen nicht. 
Fernet-Branca, der in ganz Italien von Laien und Aerzten und 
sogar von ärztlichen Autoritäten als Panacee gegen alle mög¬ 
lichen Krankheiten und besonders auch gegen die Cholera ge¬ 
priesene Bitterliqueur, schien mir während der beiden ersten Er¬ 
krankungen gut zu thun (wahrscheinlich wegen seiner leicht ab¬ 
führenden Wirkung), das letzte Mal nicht. Das einzige Bitter- 
mittel, was die Verdauung jedesmal günstig beeinflusste und was 
ich deshalb in allen drei Erkrankungen öfters vor dem Mittags¬ 
und Abendessen genommen habe, war Tr. amara oder eine Mischung 
von Tr. Absinthii 3 Thl. und Tr. Aurant. cp. 1 Thl. Ich nahm 
von diesen Mitteln jedesmal V 2 Theelöffel mit ein wenig Wasser. 
Zum Zweck der Darmentleerung habe ich während der ersten 
Erkrankungen jeden Morgen V 2 — 3 A Glas Hunyadi-Janos genommen 
und stets einen prompten Erfolg davon gehabt. In der letzten 
Erkrankung wirkte dieses Mittel sehr unsicher. Ich nahm deshalb 
zum künstlichen Carlsbader Salz meine Zuflucht. Da ich aber 
bei ausschliesslicher Benutzung dieses Salzes zum Zweck der 
Stuhlentleerung ziemlich viel davon hätte nehmen und dadurch 
meinen Magen eine ziemlich grosse Quantität Flüssigkeit hätte 
einverleiben müssen, was ich vermeiden wollte, besonders auch 
deshalb, weil ich morgens nicht spazieren und dadurch die 
Flüssigkeit leichter und rascher assimiliren konnte, so nahm ich 
Abends 5—20 ctg Extr. Rh ei. comp, und Morgens nach Bedürfniss 
1 bis 2 Theelöffel Carlsbader Salz und erzielte dadurch, sowie 
später, nachdem die Intensität der Symptome etwas nachgelassen 
hatte, durch eine leichte Massage des Unterleibes am Morgen regel¬ 
mässigen Stuhlgang. Uni einen breiigen, reichlichen Stuhlgang zu er¬ 
zielen, massirte ich mir Morgens beim Erwachen, nachdem ich Abends 
vorher eine Dosis Extr. Rhei. cp. genommen hatte (meistens kam ich 
mit 5—10 ctg aus), den Unterleib, wenn ich um die Zeit des Er¬ 
wachens (gegen 5 Uhr Morgens) oder während der Nacht keine 
peristaltischen Bewegungen verspürt hatte, circa l / 3 Stunde lang, mit¬ 
unter auch etwas länger, gewöhnlich bis zum Eintritt leichter peri- 
staltischer Bewegungen. Hatte ich hingegen in der Nacht oder beim 
Erwachen peristaltische Bewegungen verspürt, so unterliess ich die 
Massage. Dann wartete ich bis 7 Uhr mit dem Einnehmen des 
Carlsbader Salzes. War die Peristaltik nach der Massage stärker 
gewesen, so nahm ich nur wenig Salz (V 2 —1 Theelöffel), war sie 
schwächer gewesen 1—2 gehäufte Theelöffel, wobei ich mein Ziel 
sehr prompt erreichte. Die Massage schien auch die anfangs druck¬ 
empfindliche, erkrankte Partie des Magens am Pylorus günstig zu 
beeinflussen. Zur Milderung der Schmerzen reichte, ausser Ruhe, 
die Anwendung trockener Wärme, in Form einer heissen Kruke auf 
den Magen, aus. Narkotica habe ich nie genommen, dieselben 
jedoch oft Patienten, die sich während der Cur nicht genügend 
Ruhe gönnen konnten, verschrieben und stets einen guten Erfolg 
bezüglich der Linderung der Schmerzen und keinen in die Augen 
fallenden Nachtheil bezüglich Verzögerung der Heilung des Ge¬ 
schwürs davon gesehen. Ich verschreibe gewöhnlich das schon 
vor längerer Zeit von Dujardin-Beaumetz und Ilertzka em- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


757 


13. Se ptember. 

pfohlene Chloralhydrat, dem ich eine kleine Dosis Morphium zu¬ 
setze (Chloralhydrat 5,0, Morph, muriat. 0,05, Aq. dest. 120,0, 
Syr. cortic. Aur. 30,0; bei einem Schmerzanfall einen Esslöffel zu 
nehmen, wenn nöthig nach 10 Minuten einen zweiten und nach 
20 Minuten einen dritten Esslöffel). Die Autoren, welche das 
Chlorhydrat vor circa 10 Jahren empfohlen haben, legten ausser 
der narkotischen Wirkung auch der leicht ätzenden Wirkung des 
Mittels einen besondeien Werth bei. Ich halte es für besser in 
allen Fällen, in denen die Patienten sich den grössten Th eil des 
Tages ganz ruhig verhalten können, von den Narkoticis .wegen ihrer 
die Fortbewegung des Darminhaltes verzögernden Wirkung, ganz 
zu abstrahiren. 

Was die Behandlung der jedesmal bald nach Beginn der Er¬ 
krankung bei mir eingetretenen Magenerweiterung anbetrifft, so that 
mir jedesmal das Tragen einer breiten Binde (einer aus Flanell oder 
einem festen leinenen Stoff verfertigten Leibbinde) sehr wohl und 
bestand hierin, sowie in der Beschränkung der Zufuhr von Flüssig¬ 
keiten die Behandlung dieses Leidens. Nachts unterstütze ich 
diese Behandlung noch durch die Application eines Priess- 
nitz’sehen Umschlags auf den Magen. Diese Behandlung hatte den 
Erfolg, dass mit dem Nachlassen des Grundübels auch die Dila¬ 
tation des Magens rasch sich zurückbildete. Ich halte das Tragen 
einer breiten Binde bei Magenerweiterung für sehr wichtig. Die¬ 
selbe giebt den erschlafften Magenwänden einen gewisseu Halt, 
ähnlich wie Bandagenvorrichtungen andere erschlaffte oder vor¬ 
gefallene Organe stützen und halten und vor weiterer Erschlaffung 
und Ausdehnung bewahren. Zudem kommt bei der Leibbinde 
jedenfalls auch die Warmhaltung des Magens als wichtiger Factor 
in Betracht. 

Adstringenden habe ich weder bei mir noch bei meinen Patien¬ 
ten je angewandt. Ich halte deren Nutzen für sehr problematisch 
und glaube, dass dieselben durch Zurückhaltung des Darminhalts 
und durch die dadurch bewirkte venöse Stauung in den Magen¬ 
wandungen mehr Schaden stiften, als sie nützen durch ihre Wirkung 
auf den Grund des Geschwürs. 

Wenn ich die an mir und anderen Kranken gemachten Er¬ 
fahrungen zusammeufasse, so komme ich zu dem Schluss, dass man 
in vielen Fällen vonMagengeschwürenMedicamente, mit Ausnahme von 
Abführmitteln, entbehren kann und die diätetische Behandlung 
neben der Sorge für womöglich täglichen Stuhlgang genügt. Bei 
einer Kost, die wenig Residuen hinterlässt, wie bei ausschliesslicher 
Milchdiät oder bei der Ernährung mit der Leube-Rosenthal- 
schen Fleischsolution dürfte es nicht so nöthig sein, für tägliche 
Stuhlentleerungen zu sorgen. Aber bei gemischter Kost scheint es 
mir wichtig, die Därme täglich zu entlasten und dadurch Stauungen 
in den Gefassen des Magens vorzubeugen. Ich befand mich stets 
weniger gut an den wenigen Tagen, an denen ich bei mir keinen 
Stuhlgang erzielte. Das Hunyadijanoswasser habe ich mit Aus¬ 
nahme der Zeit meiner letzten Erkrankung, bei mir und meinen 
Patienten immer mit gutem Erfolg angewandt und ich begreife die 
Aengstlichkeit von J. Wiel in seinem „Tisch für Magenkranke“ nicht, 
wenn er sagt: „Solange das Geschwür nicht geheilt ist, sollte man 
nicht einmal an ein i nn er 1 ich es Abführmittel denken, geschweige 
denn ein salziges (Bitterwasser) verordnen.“ Das Hunyadijanoswasser 
hat mir nie die geringsten Beschwerden gemacht und ich habe es allen 
anderen Mitteln bis jetzt vorgezogen und bin in der Behandlung 
meiner letzten Krankheit nur deshalb zum Carlsbader Salz über¬ 
gegangen, weil schon Fälschungen des Wassers vorgekommen sind 
und die bei mir ausbleibende Wirkung desselben mir den Verdacht 
einflösste, es möchte nicht echt oder zu alt sein. Die Massage des 
Unterleibs, bei der ich die Pylorusgegend zu berühren vermied, hat 
bei mir nur das erste Mal ein Gefühl von Unbehagen in der Magen¬ 
gegend zur Folge gehabt, nie eigentliche unmittelbare Schmerzen 
verursacht oder zur Folge gehabt und scheint mir, wie ich oben 
schon erwähnte, günstig auf den Krankheitsprocess eiugewirkt zu 
haben. 

Was die Ernährung und das übrige diätetische Verhalten der 
Kranken betrifft, so wäre es natürlich rationell, die in den Lehr¬ 
büchern empfohlene reizloseste Kost, die an die Verdauungsorgane 
die geringsten Anforderungen stellt, zu verordnen, aber jeder Magen 
verträgt dieselbe nicht oder nicht auf die Dauer. Kunze sagt sehr 
richtig in seinem Lehrbuch, „dass es.allseitig anerkannt ist, dass 
der Magen die Veränderung liebt, die Heilung meist schneller ein- 
tritt nach Umänderung der Diät und sowohl beim chronischen 
Katarrh wie Geschwür des Magens der Instinct des Kranken oftmals 
einen sicheren Wegweiser abgiebt als eine fein ausgedachte Theorie“. 
Während der ersten 2 Erkrankungen, die ich durchgemacht habe, 
habe ich Speisen, die sonst nicht für leicht verdaulich gelten, wie 
Butterbrod mit Ziegenkäse und Anchovis, allerdings nur in geringer 
Quantität, gut vertragen, während ich manche für leicht verdaulich 
angesehene Nahrungsmittel nicht vertrug. 


Was das sonstige diätetische Verhalten betrifft, so ist eine mög¬ 
lichst ruhiges Verhalten der Kranken (je nach der Intensität der 
Krankheit Bettlage oder Ruhen auf dem Sopha oder im Lehnstuhl) 
von der grössten Wichtigkeit, sowohl zur Beruhigung der Schmerzen 
als zur Heilung des Geschwürs, weil durch das ruhige Verhalten 
des Körpers zugleich auch die Ruhestellung des Magens erzielt 
wird. Ferner scheint es mir wichtig, die Anzahl der Mahlzeiten 
und das jedesmalige Quantum der einzelnen Mahlzeiten möglichst 
zu beschränken, um dem Magen nach Beendigung der Verdauungs- 
thätigkeit möglichst grosse Ruhepausen zu verschaffen. Bei einem 
frischen Falle von Ulcus rotundum genügen für ein paar Wochen 
3 kleine Mahlzeiten am Tage vollständig. Das bei dieser leichten 
Entziebungscur an Kraft und Gewicht Verlorene holt der Körper, 
sobald die Krankheit anfängt sich zu bessern, leicht und bald wieder 
ein. Zieht sich die Krankheit iu die Länge, so kann man allmäh¬ 
lich anfangen, zwischen die Hauptmahlzeiten ein kleines zweites 
Frühstück und eine Vesperstärkung einzuschieben. Ich hatte am 
meisten Bedürfnis nach einem zweiten Frühstück; den aus Milch 
bestehenden Vespertrunk nahm ich nicht regelmässig, da ich um 
die Zeit nicht immer das Bedürfnis fühlte, etwas zu mir zu nehmen. 
Was die Zeit des zweiten Frühstücks betrifft, so zog ich es vor, 
dieselbe der Zeit des Mittagessens möglichst nahe zu rücken. Da¬ 
durch fiel die Zeit des zweiten Frühstücks gewissermaassen zusammen 
mit der des Mittagessens und dem Magen nur eine Arbeitsleistung 
zu, wobei auch der Umstand in Betracht kam, dass der Schin¬ 
ken ein den Appetit reizendes Nahrungsmittel ist. Mit der Milch 
verhält es sich anders und ich nahm sie deshalb etwas länger 
vor dem Abendessen. Spät Abends genügte mir ein Schluck Wein 
als Stärkungsmittel vollständig. 


V. Die wichtigsten Vorkommnisse des 
Jahres 1887 auf dem Gebiete derBacteriologie. 

Von Dr. Carl Günther in Berlin. 

(Schluss aus No. 35.) 

V. Bacterien ln Luft, Wasser and Boden. 

1. Luft. 

Eine neue Methode, Bacterien und Pilzsporen in der Luft 
nachzuweisen und zu zählen, hat Petri (Geutralbl. f. Bact. Bd. 2. 1887. 
No. 5—6. — Zeitschr. f. Hyg. Bd. 3. 1887) ausgearbeitet. Der Autor saugt 
die Luft mit Hilfe einer Wasserstrahl- oder Handluftpumpe durch ein Sand - 
filter, in welchem die Keime zurückgehalten werden. Die mit den Keimen 
beladenen Filter werden auf flache Glasschälchen von 9 cm Durchmesser 
gebracht, der Sand dann mit Nährgelatine vermischt. Die sich entwickelnden 
Colonieen können dann gezählt und weiter untersucht werden. Der Sand hat 
eine Korngrösse ven 0,25—0,5 mm und wird vor der Verwendung ausgeglüht. 
Derselbe wird in Form von zwei durch kleine Drahtnetze gestützten Pfrüpfchen 
von je 3 cm Länge und 1,5—1,8 cm Durchmesser in ein 8—9 cm langes 
Glasrohr eingebracht und in dieser Anordnung zum Filtriren verwendet. Nicht 
mehr als 5 — 10 Liter Luft pro Minute werden durch das Filter gesaugt, so 
dass die Geschwindigkeit des Luftstromes im Filter 0,7 m pro Secunde nicht 
übersteigt. Bei den einzelnen Bestimmungen werden 50 — 100 Liter Luft 
zur Untersuchung filtrirt. Bei den zahlreichen, mit Hilfe der neuen Methode 
von dem Autor ausgeführten Luftuntersuchungeu wurden während der einzelnen 
Versuche stets Controlgelatineschälcheu der Luft exponirt, um einen Vergleich 
der Filtrirmethode mit der Absitzmethode möglich zu machen. Es zeigte sich 
hierbei constaut, dass bei der Filtrirmethode relativ mehr Pilzsporen, bei 
der Absitzmethode relativ mehr Bacterienkeime gefunden werden, eine Er¬ 
scheinung, für welche der Verfasser in der grossen Verschiedenheit dos 
8pecitischen Gewichts der Keime (die Pilzsporen sind sehr leicht, die 
bacterientragenden Stäubchen specifisch viel schwerer) eine ausreichende 
Erklärung findet. Ein besonderes Interesse erweckt noch der Befund, dass 
die an einem und demselben Stäubchen anklebenden Bacterienkeime 
relativ selten verschiedenen Arten zugehören. Mehr als drei Species hat 
der Verfasser überhaupt noch nicht an der Absatzstelle eines Luftstäubchens 
sich entwickeln sehen. — Frankl and (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 3. 1887) hat 
über eine Methode der bacteriologischen Luftuntersuchung berichtet, bei 
welcher Glaswollenfilter zur Verwendung kommen. 

2. Wasser. 

Rosenberg (Arch. f. Hyg. 1887) untersuchte das Mainwasser ober¬ 
und unterhalb der Stadt Würzburg bacteriologisch. Unterhalb der Stadt 
zeigte sich das Wasser ganz ausserordentlich viel reicher an Mikroorganismen 
als oberhalb, und es wurden hier besonders reichlich Bacillen, namentlich 
verflüssigende Arten, ferner Spross- und Schimmelpilze angetroffen, während 
oberhalb der Stadt hauptsächlich Mikrococceu gefunden wurden. Diese Beob¬ 
achtung wird dadurch erklärt, dass die Coccen geringere Lebensansprüche 
an den Nährboden stellen als die Bacillen, die erst iu dem dem Maine 
innerhalb der Stadt zugeführten organischen Material den rechten Boden für 
ihre Vermehrung finden. — Plagge und Proskauer (Zeitschr. f. Hyg. 
Bd. 2 1887) lieferten einen ausführlichen Bericht über die von ihnen während 
der Zeit vom 1. Juni 1885 bis 1. April 1886 regelmässig vorgenommenen 
Untersuchungen des Berliner Leitungswassers. Bezüglich dieser Arbeit 
verweise ich auf mein ausführliches in dieser Wochenschrift erscheinendes Re¬ 
ferat. — Maschek (Jahresber. d. Oberrealschule zu Leitmeritz. 1887) unter¬ 
suchte die Trinkwässer (Brunnen und Quellen in der Stadt und ihrer 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


Umgebung) von Leitmeritz in Böhmen. Die Brunnen und die in der 
Nähe der Stadt entspringenden Quellen waren viel reicher au Bacterien als 
die entfernt von der Stadt entspringenden Quellen. — Hochstetter (Arb. 
a. d. K. Ges.-A. Bd. 2. 1887) fand, dass das künstliche Selterwasser ge¬ 
wöhnlich sehr reich ist an Bacterienkeimen (meist Bacillen). Pathogene 
Bacterien. die dem künstlichen Selterwasser absichtlich zugesetzt wurden, 
hielten sich meist sehr lange entwickelungsfahig. Nur Cholerabacilleu 
zeigten sich nach sehr kurzer Frist abgestorben. Als das die letztgenannten 
Organismen schädigende .Moment wurde die Kohlensäure erkannt. — Fazio 
(Giornale interna/., dolle sc. mcd. 1887) untersuchte verschiedene natür¬ 
liche Mineralwässer Italiens. Mehrere Quellen wurden keimfrei oder 
nahezu keimfrei befunden, z. B. die Acqua solforosa di Telese. welche reich 
an Schwefelwasserstoff und Kohlensäure ist. und die Thermen von Ischia, i 
welche eine Temperatur von 60—70° C besitzen. — Mit Eis unter- i 
suchungen beschäftigte sich Bordoni-Uffreduzzi (Oentralhl. f. Bact. 
Bd. 2 1887. Nr. 17). Er fand, dass das Eis immer etwa 90 % weniger 
Mikroorganismen enthält als das Wasser vor dem Gefrieren; terner cou- 
statirte er, dass die Menge «ler Mikroben im Eise auch während einer Dauer 
von 6 Monaten unverändert dieselbe bleibt. 

3. Boden. 

Eine sehr werthvolle Arbeit über bacteriologische Boden Unter¬ 
suchung hat C. Kraenkel (Zeitschr. f Uygiene. Bd. 2. 1887) geliefert. 
Der Autor construirte sich ein besonderes Bohrinstrument, welches gestattet, 
Erdproben aus beliebiger Tiefe ohne jede Verunreinigung zur Untersuchung 
heraufzuholen. Er fand, dass sofortige Untersuchung der Proben nothweudig 
ist, weil sonst in der Probe selbst uncontrolirbare Vermehrung einzelner ( 
Mikroorganismenarten stattfindet. Die obersten Bodenschichten erwiesen sich j 
sowohl bei jungfräulichem wie bei bebautem Terraiu als sehr keimreieb. i 
Dieser Keimreichthum erfährt constant in etwa l';4 m Tiefe eine plötz- j 
liehe Abnahme. Die Schicht des Grundwasssers fand der Autor meist 
keimfrei. 

VI. Neue Sapropliyten. 

Hauser (Festschr. f. Prof. v. Zenker. Leipzig. 1887) studirte die bei 
vielen Erkrankungen der Lunge als rein saprophytischer Organismus vor- ! 
kommende Lungonsarcine in ihrer Biologie. Er constatirte bei diesem 
coccenartigen Mikroorganismus endogene Sporen bi Idung. Nach den 
Sporcufärbungsmethoden lassen sich sehr schöne Doppelfärbungeu erzielen. 

— Die Reincultur eines echten Spirillum gelang E. v. Esmarch 
(Centr. f. Bact. Bd. 1. 1887. No. 8). Der Organismus, welcher aus einem i 
gefaulten und daun vertrockneten Mausekörper gezüchtet wurde, producirt 
bei Sauerstoffabwesenheit einen rothen Farbstoff (-Spirillum rubrum 1 *). — 
Weibel (Centr. f. Bact. Bd. 2. 1887. No. 16) gelang die Reinzucht dreier 
neuer Vibrio-Arten. Die erste, -Nasenschleimvibrio* 4 , züchtete er 
aus seinem Nasenschleim. Sie stellt ein sehr dickes, plumpes, unbeweg¬ 
liches, gekrümmtes Stäbchen dar, welches in Bouillon, auf Gelatine und 
Agar bei gewöhnlicher Temperatur langsam, im Brütofen schnell wächst. 
Verflüssigung der Gelatine findet nicht statt. Auf Kartoffeln wächst der 
Vibrio nicht, nach Gram lässt er sich nicht färben. In Bouillon gezüchtete 
Stäbchen färben sich nur an den Enden, wie Hühnercholera. In Agar bilden 
sich die maunichfachsten Schnörkel- und Schraubonformen, bis zu 30 Win¬ 
dungen enthaltend. Pathogene Eigenschaften scheinen dem Stäbchen nicht 
zuzukommen. Vibrio No. 2 und 3 stammen aus Heuinfus und lassen sich 
nicht ohne Weiteres, wohl aber mit Hülfe der Verdünnungsmethode rein¬ 
züchten. Beide zeigen lebhafte Eigenbeweguug. No. 2 („Heuvibrio a “) i 
ist bedeutend dünner als der Nasenschleimvibrio, aber dicker als No. 3 („Heu¬ 
vibrio ß~). Beide wachsen auf den gewöhnlichen Nährböden, bei gewöhn¬ 
licher Temperatur sehr langsam, bei Brüttemperatur schnell, verflüssigen die 
Gelatine nicht. « bildet grössere Colonieeu als ß. Beide wachsen auch auf 
Kartoffeln, und zwar a üppig als gelbröthlicher, allmählich dunkelbraun 
werdender Schleimbelag, ß als dünner, schmutziger, dunkler Belag. — So- 
rokin (Centr. f. Bact. Bd. I. 1887. No. 16) entdeckte eine neue Spirillen¬ 
art (-Spirillum endoparagogicum“), welche endogene Sporen bildet, 
die noch innerhalb der Mutterzelle auskeimen. 

Ernst (Zeitschr. f. Hyg. Bd. 2 1887) fand in 4 Fällen von blauem 
Eiter auf der chirurgischen Klinik zu Heidelberg eiuen neuen Bacillus des 
blaue» Eiters, „Bacillus pyocyaneus /9“, welcher sich von dem ge¬ 
wöhnlichen Bacillus des blauen Eiters, dem „Bacillus pyocyaneus a“, durch 
bestimmte Merkmale unterscheidet. — Prove (Cohn’s Beitr. z. Biol. d. 
Pli. B'l. 4 1887) isolirte aus Harn einen neuen Spaltpilz, „Mikrococcus 
ochroleucus“, welcher ein intensiv schwefelgelbes Pigment producirt. Der 
Ooccus tritt theils isolirt, theils in Kettenform auf, wächst am besten auf 
schwach alkalischem, stickstoffreichen Nährboden; das Temperaturoptimum 
liegt bei 22,5° C; zwischen 27° und 36 u werden endogene Dauersporen ge¬ 
bildet. Die Pigmentbildung ist au den Zutritt von Licht gebunden. 

Ueber mehrere reingezüchtete Arten von lichtentwickelnden, 
ph osphoresci renden Spaltpilzen berichtete B. Fischer (Zeitschr. f. Hyg. 
Bd. 2 1887). Der Autor fand im Meerwasser eiuen in seiner Gestalt an 
den Bacillus der Kaninchensepticaemie erinnernden, in seinen Uulturen mit 
bläulich weissem Lichte leuchtenden Spaltpilz, „Bacillus phosphores- 
cons“. Derselbe wächst und leuchtet nur bei Sauerstoffzutritt, am besten 
bei 20—30° 0, verflüssigt die Gelatine langsam, ist für Thiere nicht pa¬ 
thogen. Eiuen zweiten phosphorescirenden Bacillus, welcher stärker als der 
erste und mit grünlichem Lichte leuchtet, fand der Autor auf todten See¬ 
fischen. Das Temperaturoptiraum für das Wachsthum dieses Bacillus liegt 
erheblich niedriger als das für den ersten; die Gelatine wird nicht ver¬ 
flüssigt. — Auch Förster (Centr. f. Bact. Bd. 2 1887 No. 12) berichtete 
über einen reingezüchteten phosphorescirenden Bacillus. 

VII. Methoden. 

Ein Verfahren, Reinculturen auf festem Nährbodeu dauernd zu 
conservireu, publicirte Soyka (Centr. f. Bact. Bd. 1 1887 No. 18.) — 
Fi sc hl (Fortschr. d. Med. 1887 No. 20) empfahl eine neue Methode zur 


Anfertigung mikroskopischer Präparate aus Reagenzglasstich- 
culturen, bei der die Cultur selbst in situ in der Gelatine besleheu bleibt. 

Hey den reich (Zeitschr. f. wiss. Mikr. 1887) empfahl zu Sterili¬ 
sationen für bacteriologische Zwecke den Dampfkochtopf (Papin’schen 
Topf.) — A. Pfeiffer (diese Woch. 1887 No. 42) beschrieb einen kleinen 
Kühlapparat zum schnellen Erstarren der Gelatineculturplatten. — Für 
Plattenculturen empfahl Petri (Centr. f. Bact. Bd. 1 1887 No. 9) an¬ 
statt der Glasplatten kleine Doppelschälchen von 10—11 cm Durchmesser. 

— Lipez (ebenda No. 13) empfahl zu gleichem Zwecke besondere, platt 
ausgezogene Culturgläser, Wilfarth (diese Wochenschr. 1887 No. 28) flache 
Flaschen. — Eine Reihe von practischen Winken zur Verwerthung im bac- 
teriologischeu Laboratorium gab Schottelius (Centr. f. Bact. Bd. 2 1887 
No. 4). 

E. v. Esmarch (Centr. f. Bact. Bd. 1. 1887 No. 1) beschrieb eine 
neue einfache Methode der Zubereitung der Kartoffel als Nähr¬ 
boden für Mikroorganismen. — Auch Bolton (Med. News. 1887) gab eine 
solche Methode an. — Bockhart (Tagebl. d. 60. Vers. d. Nat. u. Aerzte. 
Wiesbaden. 1887. p. 347) empfahl Fleisch als festen Nährboden für 
Mikroorganismen. — Ueber einen neuen Nährboden, welcher Blutserum 
und Agar enthält, berichtete Hueppe (Centr. f. Bact. Bd. 1. 1887 No. 20). 

— Schenk (Allg. Wien. med. Ztg. 1887 No. 18) gab einen neuen durch¬ 
sichtigen, festen Nährboden an, der zum grössten Theile aus Vogel- 
eiweiss besteht. 

Bezüglich der Bacterienfärbung verdanken wir Unna eine hoch¬ 
wichtige Arbeit (Dermatol. Stud. 4. Heft. 1887). Der Autor theilte Unter¬ 
suchungen mit über das Verhalten der Rosaniline und der Pararosaniline 
den Bacterien gegenüber, speciell bei gleichzeitiger Einwirkung von Jod, d. b. 
bei der Gram’schen Methode. Die Rosaniline sowohl wie die Pararosaline 
leiten sich ab von dem aus dem Methan CH« bergeleiteten Triphenylmethan 

.C 6 II 5 
nf ■ CeHs 
°\ CeHs 
MI 

aus dem durch Einführung dreier Amidogruppen und .einer Hydroxylgruppe 
das farblose Para-Rosanil in oder T ri amidot rip h eny 1 kar bino I 

CeHeNHa 
r .CsHeNHs 
GsfhNHs 
OH 

wird. Das salzsaure Salz des letzteren ist eins der färbenden Pararosani¬ 
line uml hat die Zusammensetzung 

(«H 4 NH 3 
- Ce H 4 NH 2 
C Cell 4 

NHjCI 

Die Rosaniline unterscheiden sich dadurch von den Pararos&nilinen, 
dass statt einer der drei Pbenylgruppen eine Toluylgruppe (statt C«Hs also 
C 6 H 4 CH 3 ) in das Methan eintritt. Nur die Pararosanilinverbindungen, 
nicht die Rosanilinverbindungen sind, wie der Autor nachweist, bei den 
Jodmethoden (Gram’sche etc.) anwendbar. Der Grund hierfür ist die 
stärkere Verwandtschaft der Pararosaniline zum Jod. Der Autor 
empfiehlt, das Jod nicht nach der Gram’schen Vorschrift anzuwenden, 
sondern mit Hilfe von Wasserstoffsuperoxyd, das man der Jodkalium¬ 
lösung zugefügt hat, in die Gewebe einzuführen. 

Eine neue Methode zur Färbung von Fibrin und von Mikroor¬ 
ganismen gab Weigert (Fortschr. d. Med. 1887, Nr. 8) an. Die Me¬ 
thode ist eine Modification der Gram’schen. Anstatt des Alkohols dient 
Anilin (Anilinöl) zur Differenzirung. — Eine andere Modification der 
G ram’scheu Methode, bei welcher ganz kurze Einwirkung von Salzsäure- 
Alkohol behufs der Differenzirung statthat, ist von dem Ref. (diese 
Wochenschr. 1887, No. 22) angegeben worden. 

VIII. Lehrbücher, Zusammenstellungen etc. 

Es ist hier an erster Stelle des ausgezeichneten Werkes von Klebs 
(Die allgemeine Pathologie etc., I. Theil. Allgemeine pathologische Aetiolo- 
gie, Jena 1887) zu gedenken. — Von den bekannten „Vorlesungen über 
Bacterien“ dos nun leider verstorbenen A. de Bary erschien die zweite 
Auflage (Leipzig 1887), ebenso von dem „Grundriss der Bacterienkunde* 
von Carl Fraenkcl (Berlin 1887). — Das umfangreiche Gebiet der Schutz¬ 
impfungen behandelte Beumer in einer besonderen Monographie (Wies¬ 
baden 1887). — Ferner erschien der 2. Jahrgang (für 1886) des Baum¬ 
gar ten’scheu Jahresberichtes (Braunschweig 1887). 

Zum Schlüsse gedenke ich der „Vorlesungen über die geschichtliche 
Entwickelung der Lehre von den Bacterien. Erster Theil. Bis zum 
Jahre 1878“ von F. Löffler (Leipzig 1887). Früher schon hatte ich Ge¬ 
legenheit, dieses Werk au dieser Stelle eingehender zu besprechen. Dasselbe 
ist eine der schönsten Gaben, die wir verdanken dem 

Jahre 1887. 

VI. Feuilleton. 

! Ueber deu Unterricht in der Poliklinik. 

Von Prof. Dr. Theodor v. Jurgensen, 

1 Vorstand der Poliklinik zu Tübingen. 

Die Bedeutung des poliklinischen Unterrichts für die praktische 
Ausbildung der Mediciner ist neuerdings wiederholt erörtert wor¬ 
den. — Möge es auch mir gestattet sein darüber ein Wort zu sagen. 

Wenn man sich eine feste Clientei und damit ein ausreichendes 
I Material sichern will, muss die Poliklinik als Ganzes alle Pflichten 


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13. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


759 


des praktischen Arztes, am besten die des ständigen Hausarztes 
der Familien übernehmen. Sie besucht und behandelt ebensowohl 
den bettlägerigen Kranken in seiner Wohnung, wie sie eine Sprech¬ 
stunde hält, in welcher sich die leichter Erkrankten vorstellen. Sie 
kann sich nicht ausschliesslich auf die innere Medicin beschränken, 
sie muss sich auch der leichteren chirurgischen, gynäkologischen, 
ophthalmiatrischen Fälle annehmen, welche in ihrer Clientei Vor¬ 
kommen, — in schwereren bleibt die Consultation des Fachmanns 
oder die Aufnahme iu dessen Klinik. 

Entschieden vorzuziehen ist es, beiderseits vollkommene Frei¬ 
heit zu gewähren; kein Kranker sollte gezwungen werden, sich an 
die Poliklinik zu wenden, ebensowenig aber sollte diese genöthigt 
sein, Jeden aufzunehmen. Wer mit dem Volk verkehrt, weiss, wie 
unberechtigt und raaasslos die Ansprüche Einzelner an deu Arzt 
werden können, dessen Hülfe gewährt werden muss. Andererseits 
hat es seine schweren Bedenken, Jemanden an einen bestimmten 
Arzt zu binden. — Ein wirklich gutes auf gegenseitigem Vertrauen 
ruhendes Verhältniss ist durch Zwang nicht leicht herbeizuführen. — 
Soweit ist die Stellung der Poliklinik der des Arztes gleich; es 
kommt aber ein Weiteres und Besonderes hinzu: der von der Poli¬ 
klinik Behandelte muss als Gegenstand des Unterrichts dienen und 
ist dabei Unbequemlichkeiten ausgesetzt, welche dem vom Arzte 
Behandelten erspart bleiben. Hier ist ein Ausgleich nöthig. Als 
entsprechende Gegenleistung dient die in möglichst breitem Umfang 
zu gewahrende Unentgeldlichkeit der poliklinischen Behandlung. 
Nicht nur die ärztliche Thätigkeit im engeren Sinne und die Liefe¬ 
rung der Arzeueien, auch die Krankenpflege, ja wo es nöthig, die 
Beköstigung müssen ohne Zahlung dem sich der Poliklinik Anver¬ 
trauenden gewährt werden. 

In je höherem Maasse dies gelingt und je geringer die unver¬ 
meidlichen Belästigungen der Kranken sind, desto eher wird die 
Poliklinik auf ein ihren Zwecken entsprechendes Material rechnen 
dürfen. Wenigstens sind das die äusseren Bedingungen, welche es 
gelingt in den Ansatz zu bringen. Unwägbar und unmessbar er¬ 
scheint das mit dem Worte Vertrauen bezeichnete Etwas, welches 
für die Poliklinik ebenso schwer wie für den Arzt in die Wage fällt. 
Dieses Vertrauen führt der Tübinger Poliklinik eine nicht kleine 
Zahl von Personen zu, die ganz wohl im Stande wären jene Geld¬ 
opfer zu bringen, welche mit schwerer und langdauernder Erkran¬ 
kung verknüpft sind. Kommt es doch vor, dass der Hausarzt 
* besserer“ Bürgerfamilien einstweilig ausser Thätigkeit tritt, wenn 
ein ernstes Leiden eines ihrer Mitglieder ergreift. Dass in solchen 
Fällen kein Unterschied gemacht wird, dass der Erkrankte sich 
auch dann, wenn er seine Arznei und die Krankenpflege aus eigenen 
Mitteln bestreitet, dem Unterricht zur Verfügung stellen muss, ist 
selbstverständlich. 

Für die Werth sch ätzuug der Poliklinik iu weiteren Kreisen sind 
Kranke dieser Art von sehr grosser Bedeutung. Wenn sich Leute 
von ihr behandelu lassen, die es zweifellos „nicht nöthig haben“, 
folgt Mancher nach, der es wirklich nöthig hat, aber sich scheute 
in den Ruf zu kommen, dass er es nöthig hätte. Aus dem vorüber¬ 
gehenden wird dann öfter ein bleibendes Verhältniss. 

Es ist dies ein Grund mehr dafür, dass die Poliklinik nicht ex 
officio die Pflichten eines Armenarztes übernimmt. Sie muss aus¬ 
schliesslich Unterrichtsanstalt bleiben und nur vom Staate unter¬ 
halten werden. 

Dass die Durchführung solcher Grundsätze beträchtliche Mittel 
erfordert, ist sicher; mein Budget betrug 16321 Mk. Es fragt sich, 
steht denn der Werth des poliklinischen Unterrichts im richtigen 
Verhältniss zu dem Aufwande? Ich glaube, dass die Antwort eiue 
bejahende sein wird, sobald die gegebenen Verhältnisse klar ge¬ 
legt sind. 

Ich rede zunächst nur von Tübingen und rechne mit Tübinger 
Bedingungen - allein Vieles wird auch anderswo seine volle Gel¬ 
tung haben. 

Der Staat verlangt von dem Mediciner die volle praktische 
Ausbildung in allen Fächern, er soll vertraut sein mit dem, was das 
Leben bringt, so vertraut, dass er nach bestandener Prüfung selbst¬ 
ständig zu handeln vermag. Was bringt nun das Leben dem prak¬ 
tischen Arzt? Darauf geben die Aufuahmen der Polikinik die 
Antwort. 

ln der Tübinger Poliklinik finden sich: 

Kinder unter 15 Jahren 44% der Gesammtaufnahme, Er¬ 
wachsene vom löten bis 50 Jahren 24% der Gesammtaufnahme. 
Erwachsene über 50 Jahre 17% der Gesammtaufnahme. 

Diese Verhältnisse werden so ziemlich überall die gleichen sein; 
man wird die dem Alter der Kraft angehörenden Kranken nicht 
höher als Vs» Kiuder und Greise zusammen auf % der Gesammt- 
zahl veranschlagen dürfen. 

Wie steht es mit dem für die Zwecke des Unterrichts verwend¬ 
barem Material der klinischen Hospitäler? Es werden in dieselben 
ältere Leute ohne Weiteres aufgenommen — aber in einer den 


wirklichen Verhältnissen entsprechenden Weise finden sie sich 
dort nicht. Für die mit lang sich hinschleppenden Leiden behafteten 
Siechen ist kaum Raum vorhanden, die acut Erkrankenden wollen 
zu Hause sterben, oder sie mit ihren Angehörigen halten es nutzlos 
und nicht der Mühe werth, ärztliche Hilfe ausserhalb des Hauses 
zu suchen, da der Tod ohnehin in kürzester Zeit bevorstehe und 
das Leben weder für den Kranken selbst, noch für die Seinen einen 
Werth haben könne. Welche Beweggründe vorliegen mögeu, in 
den klinischen Krankenhäusern — die chirurgischen ausgenommen — 
sind alte Leute keine häufigen Insassen. 

Jüngere Kinder sind von der Aufnahme so gut wie ausge¬ 
schlossen, wenn man nicht eigens für sie eingerichtete Spitäler oder 
wenigstens besondere Abtheiluugen errichtet hat. Das liegt in der 
Natur der Sache — mit dem gewöhnlichen Wartepersonal kann man 
nicht ausreichen, sobald die Bedürfnisse der ersten Lebensjahre Be¬ 
friedigung verlangen. Uebrigens weisen die Zusammenstellungen 
aller Hospitäler eine verhältuissraässig sehr kleine Zahl von Kindern, 
auch vou älteren Kindern nach. 

Wenn immer bei Erwachsenen die gleichen Erkrankungen vor¬ 
kämen wie bei Kindern, wenn das Lebensalter keine oder doch nur 
geringe Unterschiede in der Form und in dem Verlauf derselben 
bedingte, wäre dann das von den stationären Kliniken für die prak¬ 
tische Ausbildung Gebotene genügend? Nein, meine ich; aber mau 
braucht hier nicht zu streiten, denn diese Voraussetzungen treffen 
nicht zu, jedes Lebensalter hat ihm eigenartige Erkrankungen und 
jedes Lebensalter führt bei allen zu Abweichungen in der Er¬ 
scheinungsform. Als schwerwiegende Thatsaohe reiht sich an, dass 
die Technik der physikalischen Untersuchung bei Kindern wie bei 
Greisen schwieriger ist und besonders geübt werden muss. 

Aus diesen nicht wohl anfechtbaren Nachweisen dürfte der 
Schluss hervorgehen, dass bei den gegenwärtigen Einrichtungen, 
falls nicht anderweitig vorgesorgt wurde, das von der Poliklinik 
gelieferte Material unentbehrlich ist, sobald der junge Arzt eine 
Ausbildung erhalten soll, die ihn befähigt, nach bestandener Prüfung 
sich selbstständig am Krankenbette zurechtzufinden. 

Ich glaube, dass dies allein vollkommen ausreichen würde, um 
sehr beträchtliche Geldopfer des Staats als wohl zu rechtfertigende 
erscheinen zu lassen — handelt es sich doch dabei um die Mehrzahl 
der Kranken überhaupt. 

Allein es kommt noch Anderes hinzu: 

Die Poliklinik bietet in weitaus höherem Grade Gelegenheit, 
die ersten Anfänge der Krankheit kennen zu lerueu, sie zeigt leich¬ 
teste neben den schweren Fällen, sie kann den ganzen Verlauf vom 
Beginn bis zum Ende in ununterbrochenem Zusammenhang vor¬ 
führen. Jeder Kundige wird einräumen, dass Solches in den sta¬ 
tionären Kliniken nur in recht beschränkter Weise möglich ist. — 
Was für den Einzelfall, gilt auch für die epidemischen Krankheiten, 
deren Werden und Vergehen in der Poliklinik stets verfolgt werden 
kann. Freilich ist das auch iu manchen klinischen Spitälern, aber 
doch lange nicht in allen möglich. 

Die Tübinger Verhältnisse stellen der Poliklinik noch eine be¬ 
sondere Aufgabe: Unsere medicinische Klinik erhält bei sonst 
beneidenswerthem Material eine für den Unterricht kaum aus¬ 
reichende Zahl von Fällen der Iufectionskrankheiten. Aus weiterer 
Entfernung kommen solche nicht und die Bevölkerung der Stadt 
hat von Alters her ein Vorurtheil gegen das Hospital, welches so 
tböricht wie schwer besiegbar ist. Daher haben Herr College 
v. Liebermeister und ich uns einrichten müssen. An dieser 
Stelle möchte ich übrigens dankbar hervorheben, wie selbstlos 
Liebermeister mich bei der ganzen Neugestaltung der Poliklinik 
unterstützt hat. _ _ (Fortsetzung folgt.) 


VII. Referate und Kritiken. 

Meiner. Ueber Resorption corpusoulärer Elemente durch 
Lungen und Pleura. Virch. Arch. 112, p. 97 und 282. Ref. 
Ribbert. 

Unter Zugrundelegung und zur Ergänzung der in dieser Wochen¬ 
schrift (1886, No. 277) referirten Versuche Arnold’s über Staub¬ 
inhalation unternahm Verfasser eine grössere Reihe von Unter¬ 
suchungen über die Resorption von Tusche, sowie von Blut, welches 
entweder aus der Carotis des Versuchsthieres direkt in die Trachea 
geleitet, oder anderen Thieren entnommen und defibrinirt eingespritzt 
wurde, durch Lunge und Pleura. 

Als erstes Resultat wird angeführt, dass von Seiten der Schleim¬ 
haut der Trachea und grösseren Bronchen keine Aufnahme jener 
Substanzen stattfindet. Verfasser möchte daher mit Arnold an¬ 
nehmen, dass die von diesem zwischen dem Epithel gesehenen 
staubhaltigen Zellen auswandernde Elemente seien. 

In dem Lungengewebe selbst entstanden verschieden grosse 
und verschieden gelagerte blut- resp. tuschehaltige Herde. Die 
bronchialen Lymphdrüsen, niemals aber die höher gelegenen peri- 


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760 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHWFT. 


No. 37 


trachealen, waren durch das aufgenommene Blut dunkelroth oder 
durch Tusche schwarz gefärbt, trotzdem in den Versuchen mit 
Ueberleitung des Carotisblutes nur wenige Minuten, iu den anderen 
höchstens 16 Minuten bis zum Tode des Thieres verflossen 
waren. Auch Nothnagel hat schon die in wenigen Minuten er¬ 
folgende Aufnahme aspirirten Blutes in die Wurzeln der Lungen- 
lymphgefässe festgestellt. 

Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Blutkörperchen, 
resp. Tuschekörnchen durch das Epithel der Alveolen bis in das 
Bindegewebe uud bis in die grösseren peribronchialen Lymphgefässe 
verfolgt werden konnten, dass sie aber fast ausnahmslos frei, nicht 
an Zellen gebunden, transportirt wurden. Ein Theil des Staubes 
gelangt zur Ablagerung in den pulmonalen, peribronchialen und 
perivasculären Lymphknötcheu, die Arnold genau studirt hat und 
die er zu einer Ausscheidung der corpusculären Elemente durch 
die Schleimhaut in das Bronchialluraen in Beziehung setzt. Ein 
kleiner Theil der aufgenoramenen Substanzen gelangt aus den sub¬ 
pleuralen Alveolen in die oberflächlich unter der Pleura gelegenen 
Lymphbahneu, von wo aus sie zum Hilus transportirt werden und 
in die ebendort vorhandenen Lymphknötchen, von denen Verfasser 
vermuthet, dass sie die Körper in die Pleurahöhle auszuscheiden 
vermöchten. 

In den grösseren Lymphdrüsen dringen die resorbirten Massen 
von den Vasa afferentia aus in die peripheren Lymphsinus vor, von 
hier allmählich zwischen den Follikeln hindurch in die centralen 
Drüsenabschnitte und gelangen hier auch spärlich in die Follicular- 
stvänge. Im Allgemeinen war das Blut stets weiter vorgedrungen 
als die Tusche, was sich wohl daraus erklärt, dass jenes dem Drüsen¬ 
gewebe nicht «o fremdartig ist, wie diese. 

Verfasser schliesst noch einige Bemerkungen über die Resorption 
von Flüssigkeiten durch die Lungen an. Er beobachtete in seinen 
Versuchen mit Aspiration von Tusche eine sehr schnelle Resorption 
des Wassers in Uebereinstimmung mit den von anderen Seiten ge¬ 
machten Erfahrungen, denen zufolge die Aufsaugung von Flüssig¬ 
keiten ausserordentlich schnell und in grossen Quantitäten erfolgt. 
Es wird deshalb unter pathologischen Verhältnissen der Feuchtig¬ 
keitsgehalt der Lungen nicht entfernt den wirklich ausgeschiedenen 
Flüssigkeiten entsprechen (z. B. bei Hämoptoe, bei Stauung). 

Der zweite Theil der Arbeit beschäftigt sich mit der Resorption 
corpusculärer Elemente durch die Pleura. Es wurde unter Ver¬ 
meidung einer Lungenverletzung und eines Eindringens von Luft 
defibrinirtes Blut uud Tuscheaufschwemmung in die Pleurahöhle 
eingebracht uud das Thier 5-45 Minuten nach der Infusion ge- 
tödtet. Es hatte stets eine Aufnahme der körperlichen Elemente 
in das Lymphgefässsystem stattgefunden, und zwar je nach der Zeit¬ 
dauer in wechselndem Umfange. An der Resorption war stets nur 
die Pleura costalis und mediastinalis, niemals auch die'pulmonalis 
betheiligt. Direkt unter dem Endothel gelangten die Substanzen 
gleich in die Anfänge des Lymphgefässsystems, an ihrer Aufsaugung 
waren in der Pleura mediastinalis die hier vorhandenen kleinen 
Lymphknötchen lebhaft betheiligt. Von der Eintrittsstelle aus 
wurden dann die Partikel zu den zugehörigen Drüsen geführt, und 
zwar aus der Pleura costalis zu den neben der Wirbelsäule und 
um die Mammargefässe gelegenen, aus der Pleura mediastinalis zu 
den mediastinalen, peritrachealen und oft auch supraclavicularen 
Lymphdrüseu. Die Bronchialdrüseu waren stets frei, wie anderer¬ 
seits bei Einbringung jener Substanzen in die Lungen nur sie 
Pigment resp. Blut enthielten. 

Diese Thatsachen sind von Bedeutung, da man bisher annahm, 
dass die peritrachealen uud höheren Lymphdrüsen ihren Staub etc. 
durch Vermittelung der Bronchialdrüseu erhielten, welche demnach 
für Staub durchlässig sein müssten. Nach diesen Untersuchungen 
wird man nunmehr annehmen müssen, dass bei Pigmentirung jener 
Lymphdrüsen das Pigment nur von der Pleura aus aufgenommen 
sein kann. Es fragt sich nun, wie es in die Pleurahöhle gelangt. 
Das kann einmal geschehen durch membranäre Verwachsungsstränge 
zwischen den beiden Pleurablättern, durch welche stets reichliches 
Pigiuent iu die Costalpleura Übertritt, sodann aber auch nach des 
Verf. Vorstellung dadurch, dass die pulmonalen pleuralen Knötchen 
ihr aus der Lunge erhaltenes Pigment in die Pleurahöhlen abschei- 
deu und so die Lunge entlasten, ebenso wie wahrscheinlich die 
bronchialen Drüsen ihren Staub in das Bronchiallumen abgeben. 

ln einem dritten Abschnitt vergleicht Verf. die gewonnenen 
Resultate mit den pathologischen Zuständen des Meuschen und 
findet iu diesen eine Bestätigung seiner Vorstellungen. Bei Lungen- 
hämorrhagieen sah er das Blut iu den Lymphbahnen bis zu den 
Lymphdrüsen vorrücken. Auch die Resorptionsverhältuisse des 
Pigmentes entsprachen den experimentellen Ergebnissen und ergaben 
speciell, dass zu der Aufsaugung aus der Pleurahöhle die oben er¬ 
wähnten Lymphdrüsen in Beziehung stehen. Am meisten Pigment 
gelangt in die Pleura costalis und wird in dieser weiter befördert 
bei Pseudomembranen zwischen beiden Blättern. Aber auch eine 


Ausscheidung aus der Pleura pulmonalis in die Pleurahöhle nimmt 
Verf. an. 

In pathologischen veränderten Lymphdrüsen sah Verf. keine 
Resorption des Blutes, die Vasa afferentia waren bis in den Hilus 
gefüllt, dann aber von hier ausgehend auch Lymphbahnen, die um 
die Drüse herumliefen, nicht in sie eindrangeu. Solche patholo¬ 
gischen Veränderungen hindern also die Resorption corpusculärer 
Elemente und müssen überall von Bedeutung sein, wo, wie z. B. 
bei croupöser Pneumonie, hohe Ansprüche an die Aufsaugung durch 
das Lymphsystem gestellt werden. Bekannt ist es, wie langsam die 
Aufsaugung von Exsudat bei Tuberculösen vor sich geht. 

Es ist wahrscheinlich, dass die für die Resorption corpusculärer 
Elemente ermittelten Thatsachen auch für die Aufnahme von Mikro¬ 
organismen von Wichtigkeit sein können. Verf. begnügt sich jedoch 
am Schlüsse der Arbeit mit einem Hinweis auf diese Frage. 


Arbeiten ans dem Kaiserlichen Qesundheitsamte. II. Bd. 1. 

u. 2. Heft. Berlin, Julius Springer, 1887. Ref. A. Pfeiffer. 

(Schluss aus No. 36.) 

9. Riedel. Versuche über die desinficirendeu und 
antiseptischen Eigenschaften des Jodtrichlorids wie über 
dessen Giftigkeit. 

Verfasser kommt nach seinen Arbeiten zu dem Gesammt- 
ergebniss. 

1. Das Jodchlorid ist iu wässeriger Lösung ein wirksarne- 
Desinfectiousmittel, da es selbst in grosser Verdünnung (1 : 1000 
widerstandsfähige Bacillensporen in verhältnissmässig kurzer Zeit 
zu tödten im Stande ist. Lösungen in Alkohol oder Oel sind uns 
wirksam. 

Die sporeutödtende Kraft des Jodchlorids übertrifft bei weitem 
die der Carbolsäure, das Jodtrichlorid steht in dieser Hinsicht unter 
den gebräuchlichen Desinfectionsmitteln dem Sublimat am nächsten. 

2. ln seinem Verhalten gegenüber sporenfreien Bacillen und 
gegenüber Coccen zeigte das Jodtrichlorid in einer Lösung von 
1 °/oo ungefähr dieselbe Wirksamkeit wie eine Carboisäurelösung 
von 3 %. Bei weiteren Verdünnungen der genannten beiden 
Mischungsverhältnisse zeigte sich in einigen Versuchen das Jodtri¬ 
chlorid der Carbolsäure überlegen. 

3. Die antiseptischen entwickelungshemmenden Eigenschaften 
des Jodtrichlorids kommen gegenüber den Mikroorganismen der 
Wundinfectionskrankheiteu zur Geltung, wenn das Jodtrichlorid im 
Verhältniss von 1 : 1200 zur Nährgelatine hinzugefügt ist. 

4. Die an Kaninchen mittelst intravenöser, iutraperitonealer 
und subcutaner Einverleibung angestellten Versuche geben im Gegen¬ 
satz zu den bei Verwendung von Sublimat oder Carbolsäure er¬ 
haltenen Resultate keinen Anhalt dafür, dass bei einer Verwerthung 
des Jodtrichlorids in der chirurgischen Praxis Vergiftungsgefahren 
zu befürchten wären. 

5. Die Ergebnisse der Desinfectionsversuche an Seidenfäden, 
welche mit sporenfreiem Material imprägnirt waren, liefern einen 
Beweis dafür, wie sehr die Abtödtung soust nicht widerstandsfähiger 
Mikroorganismeu durch mechanisch ungünstige Bedingungen er¬ 
schwert werden kann. 

6. Mit Rücksicht darauf, dass die zur Prüfung der Desinfections- 
wirkung zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Beobachtern 
hergestellten Objecte nicht gleichwerthig sind, empfiehlt es sich, 
um einen sicheren Maassstab für die Wirksamkeit eines neu zu 
prüfenden Desinfectionsmittels zu gewinnen, dasselbe in Parallel¬ 
versuchen mit einem bekannten Desinfectionsmittel (z. B. einer Carbol- 
säurelösung von einer bestimmten Concentration) zu vergleichen. 

7. Hinsichtlich der älteren Erfahrungen, welche über die 
Wirksamkeit von Desinfectionsmitteln durch Versuche au impräg- 
nirten Seidenfädeu unter Feststellung des Erfolges durch Gelatine- 
culturen gewonnen worden sind, erscheint zum Theil eine Nach¬ 
prüfung bezw. Bestätigung durch ein Verfahren wünschenswerth, 
bei welchem für eine gründliche Entfernung etwa noch anhaftender 
Spuren des Desinfectionsmittels, für eine innige Durchtränkung der 
Seidenfäden mit Nährgelatine und für eine lange fortgesetzte Be¬ 
obachtung der Culturenversuche Sorge getragen wird. 

10. Wolffhügel. Wasserversorgung und Bleiver¬ 
giftung. Gutachten über die zu Dessau im Jahre 1886 
vorgekomineneu Vergiftungsfälle. 

Verfasser kommt nach einer ausführlichen Schilderung seiner 
Untersuchungen zu dem Ergebniss, dass 

1. die unter der Bevölkerung von Dessau im Sommer und 
Herbst des Jahres 1886 vorgekommenen zahlreichen Erkrankungen 
au Bleivergiftung in einem ursächlichen Zusammenhänge mit dem 
Bleigehalte des Leitungswassers, und zwar des seit Februar 1886 
der Stadt vom Kiebitzheger zugeleiteten Wassers stehen, 

5. Bei Ermittelung der Ursache eines Bleigehaltes des Leitungs¬ 
wassers erfahrungsgemäss als Bedingungen des Angriffes in Betracht 
zu kommen haben: 


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13. September. 

a. Die Mitwirkung der Luft. 

b. Die chemische Zusammensetzung des Wassers. 

c. Die Beschaffenheit des Rohrmaterials. 

d. Die Zeitdauer der Berührung. 

e. Der Bewegungszustand des Wassers. 

f. Die Temperatur des Wassers bezw. der Umgebung der 
Bleirohrleitung, 

7. Das Leitungswasser uur nach längerem Verweilen in der 
Rohrleitung bleihaltig wird, 

8. Die Ursache des Bleigehaltes nicht blos in der auffallend 
reinen und salzarmen Beschaffenheit des Leitungswassers, sondern 
auch in einer Mitwirkung anderer Bedingungen des Angriffs, aber 
namentlich im Zutritt der Luft und eiuer Unzulänglichkeit der 
Menge des in der Vertheilungs - Rohrleitung deu Grundstücken zu- 
fliessenden Wassers zu suchen ist, 

9. Die Ursache letzterer in einer für die Flächenausdehuung 
der Stadt nicht mehr zureichenden Rohrweite der Hauptstränge 
des Vertheilungs-Rohrnetzes besteht. 


Vm. Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 7. Juli 1888. 

Vorsitzender: Herr Schirmer; Schriftführer: Herr Peiper. 

1. Herr Schirmer: M. H.! Es ist eine alte schöne Sitte, 

derjenigen ehrend zu gedenken, welche unserem Verein durch den 
Tod entrissen sind. Wie viel mehr drängt es aber heute unsere 
Herzen, einen Ausdruck zu suchen für die Trauer, in welche wir 
durch den Heimgang unseres vielgeliebten Kaisers Friedrich ver¬ 
setzt sind, um welchen mit uns das ganze Vaterland tief erschüttert 
klagt. Ward auch der hochselige Kaiser in die steinerne Gruft zu 
seinen erhabenen Vorfahren gebettet, wir tragen ihn warm in unse¬ 
rem Herzen. Die Liebe lässt nicht von ihm; denn er war der 
Liebling des Volkes. Seine' männlich schöne Erscheinung, seine 
selbstlose Menschenfreundlichkeit gewann alle Herzen im Sturme. 
Mit besonderer kreude erinnere ich mich noch der Zeit, wo der 
jugendliche Prinz Friedrich Wilhelm neben seinem ritterlichen 
Vater und seinem regierenden Oheim. König Friedrich Wilhelm IV, 
die 400)ährige Feier des Bestehens unserer Hochschule im Jahre 1856 
zu einem grossartigen Feste machte. • 

Herzgewinnend war seine Erscheinung, noch mehr aber sein 
Wesen und sein Wort. So wandelte er im Sonnenschein des Glücks 
und verkündete selbst Freude und Glück, wo er auftrat. Als Kron¬ 
prinz hat er hauptsächlich dazu beigetragen, dass in dem kaum 
vereinigten Deutschland der Norden und der Süden fest sich in- 
einanderschloss. Seiue Heldenthaten und seine Leutseligkeit gegen 
Jedermann brachten ihm Bewunderung und Liebe entgegen. Und 
nicht anders war es, als der Kronprinz Italien und Spanien mit sei¬ 
nem Besuche erfreute. Mit Stolz rief da der Deutsche wiederholt 
aus: Das ist unser Kronprinz! 

Und da nahte die tückische, unheilvolle Krankheit dem Liebling 
des Volkes. Mit einem Aufschrei des Schmerzes vernahmen wir die 
erste Kunde hiervon, wir mochten es erst nicht glauben, und dann 
verfolgten wfr mit Herzensangst den weiteren Verlauf. Den heiteren 
Tagen des Glückes folgten die dunklen Tage des Unglücks. Es ist 
gewiss kein Zeichen der Gottgefälligkeit für den, welchem immer 
glückliche und freudenvolle Tage beschieden sind, auch der Edle 
und kromme wird von Leidenstagen heimgesucht, nur darum kann 
es sich handeln, wie die guten und wie die bösen Tage getragen 
werden. Und wahrlich, wohl keiner, der einen Thron innegehabt, 
hat so bewundernswerth, so gleichraässig edelgesinnt, so selbstlos, 
so christlich ergeben die Wechsel des Geschickes ertragen. Bei der 
schwersten körperlichen Pein noch die freundliche, gewissenhafte 
Pflichterfüllung, die Sorge für das Wohl des Landes. 

Nach kurzer Regierung, bei heldenmässigem Widerstand gegen 
die täglich wachsenden körperlichen Leiden schloss Kaiser Friedrich 
seine liebeverkündenden Augen für immer. Es schied der Liebling 
von seinem Volke! Erschüttert stehen wir da nach solchem Ver¬ 
lust. Wie viele Hoffnungen, wie viele schöne Zukunftsaussicbteu 
sind mit diesem Edlen zu Grabe getragen. Nur die Zuversicht 
kann uns stärken, dass der Sohn des so bewundernswerthen, all¬ 
gemein geliebten Kaisers Friedrich seinem hochseligen Vater nicht 
unähnlich sein kann. Wir schauen getrost in die Zukunft. Die 
allmächtige Liebe verlässt uns nicht. 

2. Herr Rinne: Ueber eine seltene Aetiologie der Du- 
puytren’schen Fingercontractur. Die früher so häufigen Con- 
tracturen und Ankylosen der Hand- und Fingergelenke nach Fractur 
der unteren Radiusepiphyse hat man im Laufe der Zeit durch 
zweckmässige Verbesserungen der Verbandtechnik fast vollständig 
zu vermeiden gelernt. Um so mehr dürfte Sie daher eine Be¬ 
obachtung interessiren, welche ich bei einem, im Uebrigen durchaus 
normal und günstig verlaufenen Falle der gedachten Fractur ge¬ 
macht habe, und welche ich Ihnen sogleich demonstriren will. 


761 

Der Patient, ist im Februar 1887 beim Turnen auf die hyperexteudirte 
Hand gefallen und hat sieh dadurch eine typische Fractur der carpaleu 
Radiusepiphyse zugezogen. Ich legte unmittelbar nach der Verletzung eine 
Schede’sche Schiene an, und die Heilung erfolgte in etwa vier Wochen, 
ohne dass eine nennenswerthe Contractur an der Hand eingetreten wäre. 
Patient spielte nach Abnahme des Verbandes zur Uelmng der Finger auf 
mein Anrathen sehr eifrig Clavier ohne Beschwerden. An der Hand war 
nichts Abnormes zu sehen. Als der Patient mir im April dieses Jahres nach 
ca. 7 monatlicher Abwesenheit von Greifswald seine Hand wieder zeigte, 
fanden sich einige interessante Veränderungen, die ich Sie bitten möchte, 
genauer iu Augenschein zu nehmen. Zunächst bemerken Sie eine Con- 
tractur des kleinen Fingers in stumpfwinkliger Beugestellung. Bei Streck¬ 
bewegungen fühlt man einen derben, sich anspannenden Strang iu der Haut 
der Unterseite, welcher nach dem ulnaren Rande hin über der I. und II. 
Phalanx sich zu einem harten, knotigen, länglichen Wulst verdickt. Diese 
Verdickungen hängen mit der Haut innig zusammen; von ihnen aus zieht 
sich ein harter fibröser Strang nach der Vola hin, in der Richtung des 
letzten Spat, interosseum. Ueber der Mitte des letzteren sieht man bei 
Streckung der Finger eine uabelförmige Einziehung entstehen, ein Beweis, 
dass die Haut mit der Unterlage verwachsen ist. Sie fühlen ferner mehrere 
derbe Knoten in resp. unter der Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. 
Im Ganzen ist die Haut in der Vola etwas trockener und spröder, als an der 
gesunden Hund. Man erkennt bei den Bewegungen deutlich, dass die Seimen 
mit den erwähnten Indurationen nicht Zusammenhängen. Auch auf der 
Rückenseite finden sich oinige harte Knötchen in der Haut. 

Diese sämintlichen Veränderungen haben sich allmählich im 
Laufe des Herbstes und Winters herausgebildet, uachdem die Hand 
mouatelang vollkommen gesund gewesen war. Handbäder, passive 
Bewegungen und Massage haben keine Besseruug bewirkt. 

Es ist zweifellos, dass wir es hier mit einer beginnenden Con¬ 
tractur der Palmaraponeurose (Dupuytren) zu thiyj haben. Das 
Interesse des Falles liegt in der unzweifelhaft traumatischen Aetio¬ 
logie der »Schrumpfung. Ob nun fibrilläre Zerreissungen in der 
Vola bei dem Trauma oder ob der Druck am Schieueurand uud 
Binde die Ursache abgegebeu zu dev chronischen Entzündung und 
nachherigeu Iuduratiou uud Schrumpfung, lässt sich nicht ent¬ 
scheiden. Dass der Druck der Binde mitgewirkt, beweisen die 
Indurationen am Handrücken. 

Ich habe diese typische Contractur nach Radiusfractur noch 
nicht beobachtet, und sie ist, soweit ich mich aus der Literatur 
iuformireu konnte, jedenfalls ein sehr seltenes Vorkommoiss nach 
genannter Verletzung. Dass Verletzungen für ihre Entstehung ver¬ 
antwortlich gemacht werden, ist eine bekannte Sache, doch sind es 
meistens chronisch wirkende Traumen. 

Herr v. Preuschen: Von Herrn Rinne sind traumatische Einflüsse 
als ätiologisches Moment des Leidens hingestellt worden. Dem gegenüber 
erinnere ich au einen vor Jahren von dem verstorbenen Professor Hueter 
in diesem Verein mitgetheilteu Fall, der einen Officier betraf, bei dem sich 
iu Folge einer Verletzung eine solche Contractur an der linken Hand ge¬ 
bildet hatte. Bei diesem Officier kam es nun im Laufe der nächsten Jahre 
ohne jede örtliche Veranlassung zu einer analogen Contractur au den cor- 
respoudirenden Fingern der anderen Hand. Ich glaube überdies, dass der¬ 
artige Beobachtungen häufiger gemacht sind. 

Herr Rinne erwidert, dass die Bemerkungen des Herrn v. Preuschen 
richtig uud allgemein bekannt seien. Er habe aus Rücksicht auf den an¬ 
wesenden Patienten die Frage der Therapie und Prognose nicht berührt, 
sondern deu Fall nur wegen seines ätiologischen Interesses demonstrirt. 

Herr Arndt: Dass manche, zunächst unilateral aufgetreteuen krank¬ 
haften Zustände im weiteren Verlauf bilateral symmetrisch werden, ist un¬ 
zweifelhaft richtig. Ebenso, dass eine besondere Disposition dazu gehört. 
Vielleicht hängt es von der Entwickelung dieser Disposition ab, ob die 
fraglichen Zustände unilateral bleiben oder bilateral werden. Dass diese 
Disposition central begründet sei, ist anzunehmen; doch folgt daraus nicht, 
dass durch sie allein auch, gewissermaassen vom Centrum aus angefacht, 
auch die bezüglichen Zustände eingeleitet und fortgebildet werden. Im 
Gegentheil veranlasst werden sie oft von der Peripherie her durch Ver¬ 
letzungen, wenn dieselben auch so geringfügiger Art sind, dass sie leicht 
übersehen werden, oder in keinem Verhältniss zu ihnen zu stehen scheinen. 
Was den Verletzungen an Kraft und Stärke abgeht, ersetzt eben die be¬ 
zügliche Disposition. 

So glaube auch ich, dass die Dupuy tren’sche Fingercontractur, wie 
selbstständig sie auch oft zu entstehen und sich fortzuentwickeln scheint, 
doch zum wenigsten in solchen kleinsten Verletzungen oder verletzenden 
Einwirkungen ihren Grund hat. Warum entwickelt sie sich in der Regel 
vom Ringfinger her? In den wenigen Fällen, wo ich ihre Entstehung zu 
beobachten in der Lage war, entwickelte sie sich auch vom Ringfinger her. 
In dem einen Falle, wo der an ihm getragene Trauring abgefeilt wurde, 
machte sie Halt und schritt nicht weiter vor. Ich selbst habe in den eisten 
Jahren, dass ich meinen Trauring trug, denselben oft wegen ziehender, 
zerrender Schmerzen, welche in dem Finger entstanden und zum Beugen 
veranlassten, abstreifeu müssen. Wie ich dazu zuerst kam, weiss ich nicht; 
aber das ist sicher, dass die ziehenden Schmerzen verschwanden, wenn ich 
den Ring ablegte. Allmählich trat Gewöhnung an den Ring ein, und seit 
Jahr und Tag habe ich nichts mehr von jenen Schmerzen verspürt. Auch 
in dem Falle, wo durch Abfeilen des Ringes die Dupuy tren’sche Finger¬ 
contractur in ihrem Fortschreiten aufgehalten wurde, hatten unangenehme 
Empfindungen in dem Finger zeitweilig bestanden. 

Ein Ring allein kann so meinem Dafürhalten nach die besagte Con¬ 
tractur veranlassen. Wem das abenteuerlich erscheint, deu erinnere ich an 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


die durch Burq u. A. bekannt gewordenen gewaltigen Erscheinungen, 
welche das Auflegen von Metallplatten an disponirten Personen verursacht. 
Auf die bezügliche Disposition kommt es allerdings au. Sie macht viel, 
aber nicht Alles. Durch Beseitigung der die bezüglichen Affectionen sonst 
bedingenden Ursachen können diese in ihrer Weiterentwickelung aufgehalten 
und so auch je nach ihrem sonstigen Wesen geheilt werden. 

Herr H. Schulz: Zu den Ausführungen des Herrn Arndt möchte 
ich mir erlauben, eine Angabe aus der l.iteratur beizufügeu, die mir bei 
dieser Gelegenheit einfallt. Es handelte sich um eine hartnäckige Cou- 
tractur der Hand beziehungsweise der Finger, die nach vielen vergeblichen 
Versuchen, erst dann definitiv, wenn auch langsam verschwand, als der 
Patient das Tragen eines Stockes mit kugeligem, aus Blei angefertigtem 
Knopfe dauernd unterliess. Ob hier auch durch Resorption bedingte Blei- 
intoxication mit in Frage gekommen ist, ist mir nicht mehr erinnerlich. 

3. Herr v. Preuschen: Weitere Erfahrungen über die 
Behandlung des Vorfalles der Gebärmutter durch Gymnastik 
der Beckenmuskulatur und methodische Uterushebung. Seit 
Vorstellung des ersten geheilten Falles in der Februarsitzung des 
Vereins (Centralblatt t'iir Gynäkologie 1888, No. 13) hat der Vor¬ 
tragende 3 weitere Fälle von Prolaps dieser Behandlungsmethode 
unterzogen und in allen 3 Fällen vollkommene Heilung erzielt. 
Einen dieser Fälle, der eine seit 40 Jahren an Prolaps leidende, 
71jährige Frau betrifft, stellt der Vortragende geheilt vor. (Aus¬ 
führlichere Publication wird im Centralblatt für Gynäkologie er¬ 
folgen.) 

4. Herr Arndt: Ueber einige Ernährungsstörungen nach 
Nervenverletzungen. (Der Vortrag ist an anderer Stelle dieser 
Nummer zum Abdruck gelangt.) 

ft. Herr Pomorski: Zur Aetiologie der Melaena vera 
neonatorum. In Gemeinschaft mit Herrn Professor v. P reusehen 
hat. Pomorski einen Fall von blutigem Erbrechen bei einem Neu¬ 
geborenen beobachtet, die anatomischen Veränderungen bei dieser 
Erscheinung durch die Section festgestellt und weiterhin durch 
Thierversuche die Ursachen der Melaena aufzuklären versucht. 
Das Kind, ein Mädchen, von einer 22 jährigeu Primipara stammend, 
mit der Zange extraliirt und vollständig normal entwickelt, war am 
dritten Lebenstage unter Bluterbrechen gestorben. 

Die Section ergab Hyperämie und punktförmige Blutungen der 
Magenschleimhaut, Uebergänge der letzteren zu Erosionen, so dass 
der Austritt freien Blutes in das Magenlumen auf Gefässzerreissun- 
gen im Gebiete der Drnsenschicht bezogen werden musste. Die 
linke Lunge war sehr blutreich, roth hepatisirt, die rechte enthielt 
an mehreren Stellen hämoptoische Infarcirung. 

Iu der rechten Kleinhirnhemisphäre, in den Bindearmen und 
den Kleinhiruschenkeln fanden sich Blutungen, ebenso im Ependym 
des vierten Ventrikels und ein freier Bluterguss in dessen Lumen. 
Pomorski weist nun nach, dass die Befunde in den Lungen und 
dem Magen von einem einheitlichen Gesichtspunkte aus zu betrach¬ 
ten sind, dass sie sich durch eine traumatische Verletzung der vaso¬ 
motorischen Centra, welche durch den Geburtsdruck und die Zaugen- 
wirkung zu Stande gekommen ist., erklären lassen. Die Läsion des 
Gehirns ist demnach iuter partum erfolgt, die Blutungen in 
Lungen und Magen sind secundäre Folgeu dieser primären 
Verletzung. 

Wenn die Deutung richtig war, so musste es gelingen, durch 
Verletzung der genannten Gehirngegend bei Thieren ähnliche Hä- 
morrhagieen willkürlich hervorzubringen. Es wurden daher 19 Ver¬ 
suche an Kaninchen gemacht, wobei das vasomotorische Centrum 
a) von der Membrana obturatoria posterior, b) durch einen Stich 
in das Plateau des Occiput und die Crura cerebelli ad corpus 
quadrig. et ad pontem durch einen Stich vor dem knöchernen 
äusseren Gehörgang verletzt wurden. Das Resultat der Versuche 
ist als ein sehr günstiges zu bezeichnen. In den meisten Fällen 
trat Hyperämie oder Hämorrhagie in den Lungen und Hyperämie, 
Hämorrhagie und Geschwürsbildung im Magen ein. In einem Falle 
wurde ein gleicher Befund beim Kaninchen mit dem Sectionsbefunde 
beim Kinde erzielt, so dass neben der Ulceration auch ein Blut¬ 
extravasat in das Lumen des Magens erfolgt war. 

(Eine ausführliche Mittheilung wird in der Zeitschrift für Geburts¬ 
hülfe und Gynäkologie veröffentlicht werden.) 

IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 20. März 1888. 

Vorsitzender; Herr Schede; Schriftführer Herr Sick. 

1. Herr Alsberg stellt a) eine 57jährige Patientin vor, bei 
der er vor 3 ’/o Monaten wegen eines hochsitzenden Oesophagas- 
carcinoms die Oesophagotomia externa und Anlegung einer 
Oesophagusfistel ausgeführt hat. 

b) Derselbe demonstrirt ferner einen cystischen retroperito- 
nealen Tumor (Cystosarkom), der für einen Milzechinococcus an¬ 
gesehen worden war. (Vgl. Sitzung des ärztlicheu Vereins vom 
3. Mai 1887.) Bei der Section fanden ‘.»ich multiple Metastasen 


in der Leber und beiden Lungen, und es fand sich ferner eia 
Cystosarkom des linken Hodens, das zu Lebzeiten des Patienten 
durch die bestehende grosse Hydrocele verdeckt worden war. Es 
handelte sich daher mit der grössten Wahrscheinlichkeit um ein 
primäres Cystosarkom des linken Hodens, das zur Bildung 
eines secundäreu Tumors im retroperitonealen Raume und 
zu multiplen Metastasen geführt hatte. Ueber ähnliche Fälle, iu 
welchen erst die Section nachwies, dass grosse Abdominaltumoren 
von nicht nachweisbaren oder übersehenen Hodeutumoren ihren 
Ausgang genommen hatten, berichten Nepveu (Squirrhe du testi- 
cule, Archives generales de medecine, Fevrier 1879) und Kocher 
(Deutsche Chirurgie, Lief. 50b, p. 484). 

2. Herr Eisen 1 ohr demonstrirt zwei Präparate pathologischer 
Veränderungen des Centralnervensystems. 

a) Die linke Grosshirnhemisphäre eines 55 jährigen Mannes, 
der an mehrfachen apoplektischen Attaken gelitten, zuletzt folgenden 
Symptomencomplex geboten hatte: Linksseitige Hemiplegie mit 
Contracturen, rechtsseitige Parese des unteren Facialis, motorische 
Aphasie mit völlig erhaltenem Sprachverständniss, guter Intelligenz, 
vollem Krankheitsbewusstsein. Daneben vollkommene Blindheit 
im weitaus grössten Theil des Gesichtsfeldes; erhalten nur 
ein geringer Rest des G. F. im rechten unteren Qua¬ 
dranten. Normaler ophthalmoskopischer Befund. 

Die linksseitige Hemiplegie war mehrere Wochen zuvor aufge¬ 
treten, vor zwei Jahren war eine apoplektische Attake mit rechts¬ 
seitiger Lähmuug, Sprach- und Sehstörung vorausgegangen. Letztere 
hatte sich nach der zweiten Attake wesentlich gesteigert; eine ge¬ 
nauere Feststellung der ersten Phase (Gesichtsfeld) war nicht ge¬ 
schehen, der Patient erst nach dem letzten Anfalle zur Beobachtung 
gekommen. Durch mehrere Tage liess sich, bei klarem Sensorium 
des Patienten, der erhobene Befund bestätigen. Daun trat Sopor. 
Cheyue-Stokes’sche Respiration und am 11. Tage uach der 
Aufnahme der Tod ein. * 

Die Obduction ergab eine frische rothe Erweichung der ge- 
sammten rechten Grosshirnhemisphäre, speciell des Hinterhaupt- 
und Scheitellappens mit Einschluss der grauen Rinde. Links kleine 
ältere Herde gelber Erweichung im Marklager nächst der Balken¬ 
einstrahlung und in der Riude des oberen Scheitelläppchens, ferner 
die Innenseite des Occipitallappens, uud zwar die zwei hinteren 
Drittel des Cuneus, der Lobus fusiformis und lingualis durch eine 
alte cystische Höhle substituirt, während die Aussen fläche des 
Occipitallappehs normale Configuration, erhaltene Furchen und Win¬ 
dungen zeigte. 

Der Vortragende vindicirt seiner Beobachtung keine beweisende 
Kraft für die Lage des „Sehcentrums“ im Hinterhauptslappen, 
glaubt aber, dass an der Hand anderer Fälle mit präciserer Lo- 
calisation, speciell solcher „doppelter Hemianopsie“ oder „totaler 
Rindenblindheit“ die Erklärung der Sehstörungen in seinem Falle 
gegeben werden könne. Das Erhaltenbleiben eines kleinen Ab¬ 
schnittes des rechtsseitigen Gesichtsfeldes ist danach mit gross« 
Wahrscheinlichkeit auf die Intactheit eines Theiles des linken Oc¬ 
cipitallappens, speciell des Cuneus zu beziehen. Die anatomische 
Veränderung hier war derart, dass man mit Sicherheit eine Fern- 
wirkuug, eine indirekte Störung ausschliessen konnte. 

b) Derselbe demonstrirt einen Kleinhirntumor; ein ca. 
bohnengrosses Gliom des Oberwurmes mit Höhlenbildung iu 
beiden Kleinhirnhemisphären. Der Tumor ist derartig placirt 
dass er zum Theil die Decke des vierten Ventrikels, zum Theil die 
Wand der obengenannten Höhlen bildet; letztere erstrecken sich 
ziemlich symmetrisch in die centrale Markmasse der Kleinhirnhemi- 
sphäreu und hatten einen gallertigen Inhalt gehabt. 

Das klinisch Bemerkenswerthe des betreffenden Falles, eines 
21jährigen Mannes, war gewesen, dass vor acht Jahren unter me- 
ningitischen Symptomen innerhalb einiger Monate völlige Erblindung 
eingetreten war, dann eine Periode von ca. 6 Jahren ohne specielle 
Symptome und Beschwerden, als Kopfschmerz, Schwindel und Mo¬ 
tilitätsstörung siph eingeschoben hatte, und erst in den letzten drei 
Manaten wieder Zeichen eines Cerebralleidens sich gezeigt hatten. 
Letztere bestanden in anfallsweise auftretenden Hinterkopfschmerzen 
mit Schwindelgefühl, einige Male mit Hinstürzen und vereinzelt mit 
Erbrechen. Intervallär war keine Spur von Schwanken, von cere- 
bellarer Ataxie, keine Störungen von Seiten der Hirn- und Extremi¬ 
tätennerven zu constatiren — abgesehen von einer auf doppel¬ 
seitiger completer Opticusatrophie beruhender absoluter Amaurose 
Die Percussion des hinteren Schädelabschnittes war etwas empfind¬ 
lich. Trotz der mangelnden cerebellaren Ataxie musste die Dia¬ 
gnose auf einen Cerebellartumor gestellt werden. Der Tod erfolgt«- 
in einem der genannten Anfälle plötzlich. Die Obduction ergab 
ausser dem genannten Tumor mit Cystenbildung nichts Bemerkens¬ 
werth es, speciell keine Veränderung im Rückenmark. 

Der Vortragende weist kurz auf die Besonderheiten des Falles, 
das lange symptomenlose Intervall und den, angesichts des Sitzes 


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13. Se ptembe r. 


DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


763 


des Tumors im Oberwurme und beiden Hemisphären, auffallenden j 
Mangel der cerebellaren Ataxie bin. 

3. Fortsetzung der Discussion über den Vortrag des Herrn 
Cursch mann: Statistisches und Klinisches über den Unter¬ 
leibstyphus in Hamburg. 

Herr Ratjen: Meine Herren! Da der von uns Allen gewiss mit dem 
grössten Interesse angehörte Vortrag des Herrn Curschmann in dem mit der 
Behandlung des Typhus sich beschäftigenden Theile nicht ganz mit alten, mir 
liebgewordenen Ansichten übereinstimmt, und da es mir nicht gleichgültig 
erscheint, ob die ausgesprochenen Principien unwidersprochen in dieser 
Versammlung bleiben oder nicht, erlaube ich mir, zu diesem Theile der , 
Discussion das Wort zu nehmen, obwohl ich Ihnen nur Resultate über ein 1 
viel kleineres Material vorlegen kann, welches ich in den drei letzten Jahren 
im Marienkrankenhause beobachtete. 

Dem Ausspruche des Herrn Cursehmann, dass es Zeit sei, die von | 
Wunderlich empfohlene Calomelbehandlung im Beginne der Krankheit ! 
aufzugeben, schliesse ich mich vollkommen an; sie erzeugt leicht Stomatitis, | 
welche nicht gleichgültig ist, besonders nicht, seitdem wir wissen, dass ! 
Typhusbacilleu auch im Munde Vorkommen; von jeher hat die Reinhaltung 
des Mundes und des Pharynx für sehr wichtig gegolten, dieselbe wird durch 
diese Medication nur erschwert. Ferner kann die Oalomelbehandlung einen 
Reizzustand des Darmes hervorrufen, welcher durch den ganzen Verlauf der 
Krankheit nicht wieder verschwindet. Eine einzige Dosis Rieinusöl halte 
ich für zweckmässiger, sie möge nicht wiederholt werden ohne dringenden 
(irund; ein Typhuskranker entfiebert ebenso gut, wenn er 10 bis 14 Tage 
ohne Stuhlgang ist. Sogenannte coupirte Fälle sehen wir nach anfänglichen 
Dosen Rieinusöl ebenso gut, wie nach Calomel und auch ohne Beides. 

Den Auseinandersetzungen des Herrn Cursehmann über die möglichst 
direkte Zufuhr frischer Luft, über die Diät, über die Reizmittel, das Opium 
bei Diarrhöen und Darmblutungen schliesse ich mich ebenso vollkommen 
an. In Betreff der direktesten Zufuhr frischer, reinster Luft möchte ich 
noch an dieser Stelle bemerken, dass ich auf dieselbe den allergrössten 
Werth lege und glaube, dass die besseren Resultate der Typhusbehandlung 
in der Privatpraxis theilweise darauf beruhen, dass dieses Princip sich strenger 
in einzelnen Zimmern durchführen lässt als in Sälen für 10 bis 20 Kranke. 

Weniger einverstanden jedoch bin ich mit dem, was Herr Cursch- 
mann von sich und seinen Herren Collegen vom Allgemeinen Krankenhause 
über die antipyretische Methode sagte. — Die durch Brand, Bartels, Jür- 
gensen, Liebermeister und Andere in den letzten 25 Jahren zur Geltung 
gelangte hydriatische Methode fertigte er kurz ab. und zwar hauptsächlich aus 
dem Grunde, weil dieselbe dem Pflegepersonal angeblich die Behandlung 
der Kranken in die Hand gebe. Er erklärte sich und seine Herren Collegen 
vom Allgemeinen Krankenhause für Anhänger der exspectativen Methode 
bis zur Entdeckung eines Specificums gegen das Typhusgift. Im Antipyrin 
meinte der Herr Vortragende eine Annäherung zu einem solchen Specificum 
gefunden zu haben. Während manche Anhänger der hydriatischen Methode, 
besonders Brand, nicht allein auf die Wärme entziehenden Eigenschaften 
der kühlen Bäder Werth legen, sondern die dauernde Wirkung auf das 
Allgemeinbefinden und die umstimmende Kraft derselben hervorheben, be¬ 
sprach Herr Cursehmann nur die direkte antipyretische Wirkung des 
kühlen Bades. Ich möchte diesen Punkt hier besonders hervorheben, weil 
er sehr wichtig ist. Meine Herren, die speeifische, umstimmende Wirkung 
der abkühlenden Bäder ist praktisch nur zu beobachten bei der Behand¬ 
lung einer grossen Anzahl Typhen hintereinander; einzelne Bäder und ein¬ 
zelne Beobachtungen machen sie nicht klar; theoretisch muss sie erkenn¬ 
bar sein durch die statistische Vergleichung und Nebeneinanderstellung der 
Mortalität und besonders der durchschnittlichen Verpflegungsdauer einer 
möglichst grossen Zahl von Kranken derselben Epidemie, welche zum Theil 
exspectaliv und zum anderen Theile mit abkühlenden Bädern behandelt sind. 

Ich lege, wie Herr Cursehmann es thut, grossen Werth auf die Be¬ 
rechnung der durchschnittlichen Verpflegungsdauer, jedoch nicht, um durch 
dieselbe die Schwere der Hamburger Epidemie zu beweisen, im Vergleiche 
zu der anderer Städte, z. B. Münchens, sondern, um das Resultat für die 
Beurtheilung der Behandlungsmethode zu verwerthen. Der Erfolg der ärzt¬ 
lichen Thätigkeit und der tüchtigen Pflege im Kampfe gegen die (’onsumtion 
der Kräfte unserer Typhuskranken lässt sich mehr erkennen durch die Be¬ 
rechnung der durchschnittlichen Verpflegungsdauer mehrerer hundert Typhus¬ 
kranker eines Hospitals als durch die Berechnung der Mortalität, ohne die 
Wichtigkeit der letzteren zu unterschätzen. Gelingt es mir nun, den Nach¬ 
weis zu führen, dass bei einer nur gelinde durchgeführten Behandlung mit 
ab kühlenden Bädern ceteris paribus die durchschnittliche Behandlungs¬ 
dauer wesentlich kürzer und die Mortalität günstiger sich stellt, so fallt 
•loch wohl der von Herrn Cursehmann der hydriatischen Methode ge¬ 
machte Vorwurf, welchen er in dem Satze ausspricht: „wir behandeln unsere 
Kranken selbst und überlassen sie nicht dem Wartepersonal“ in sich zu¬ 
sammen. — Die Einführung der Antiseptik in die Geburtshülfe ist auch 
nur durch. Schulung der Hebammen und des Pflegepersonals möglich ge¬ 
worden: für die Wartung der Typhuskranken bedarf es ebenfalls eines be¬ 
sonders gut geschulten, der Pflege sich mit Liebe hingehenden Personals. 
Bei der exspectativen Methode der Typhusbehandlung sowohl, wie bei der 
hydriatischen muss dem Pflege- und Wartepersoual Vieles überlassen werden; 
ihrer Aufmerksamkeit und Geduld ist bei der erstereu eher mehr in die Hand 
gegeben als bei der letzteren, weil bei jener die Reinigung der Kranken, 
die Verhütung des Decubitus weit schwieriger ist. Das Antipyrin kann in 
den Händen der Pflegerinnen und Wärter von Typhuskranken ebenso ge¬ 
fährlich werden, wie ein unpassend gegebenes Bad; einen Nachtheil durch 
letzteres habe ich jedoch noch nie gesehen. Im (Tebrigen beobachten und 
behandeln wir die Kranken ebenso gut und ebensoviel selbst, wie die exspec- 
tativ behandelnden Herren Collegen. Hiernach betrachte ich diesen Eiu- 
wurf als ungerechtfertigt und zurückgewieseu. 

Im weiteren Verlaufe seines Vortrages glaubte Herr Cursehmann der 


hydriatischen Methode noch einen zweiten Stoss versetzen zu müssen, indem 
er erklärte, „nicht allein im Allgemeinen Krankenhause in Hamburg gelte 
dieselbe nichts, sondern auch in der grossen wissenschaftlichen Welt Deutsch¬ 
lands habe sie an Ansehen verloren, besonders Liebe rineister. einer ihrer 
Anhänger, sei davon zurückgekommen“. Dieses wäre gewiss von grossem 
Belange, da Lioberineister seit 20 Jahren für dieselbe gewirkt hat. Es 
muss jedoch dieser Behauptung ein Irrthum zu Grunde liegen, da Lieber¬ 
meister in No. 1 der Deutschen uicdicinischen Wochenschrift vom 5. Ja¬ 
nuar d. .J. bei Gelegenheit einer Polemik gegen Prof. Cnverricht sagt, 
dass er an den Thesen festhalte, welche 18S2 in Wiesbaden auf dem C"n- 
gresse allgemeine Anerkennung gefunden. Prof Unverricht hatte 
in derselben Wochenschrift jede Antipyrese verurtheilt. weil die Fieberhitze 
heilsam und nicht nachtheilig sei. Dagegen hält Liebermeister au seinen 
Thesen fest wie folgt: 

„I. In vielen Fällen von fieberhaften Krankheiten besteht eine Gefahr 
für den Kranken in der Steigerung der Körpertemperatur. 

2. In solchen Fällen ist es Aufgabe des Arztes, durch entsprechende 
Maassregeln die Temperatursteigerung zu bekämpfen. 

3. Die Grundlage der antipyretischen Behandlung bilden die direkten 
Wärmeentziehungen durch abkühlende Bäder. 

4. In manchen Fällen ist daneben die Anwendung von antipyretisch 
wirkenden Medicamenten zweckmässig.“ 

Auf der letzten Versammlung der Naturforscher und Aerzte in Wies¬ 
baden hatte ich Gelegenheit, auch von einem anderen Direktor einer süd¬ 
deutschen Universitätsklinik ein durchaus zustinunendes l’rtheil zu der 
Bäderbehandlung des Typhus nach Brand zu hören. 

Ein dritter Einwurf, dass die Methode auf Kranke augewondet werde, 
welche derselben nicht bedürfen zu ihrer Genesung, mag noch an dieser 
Stelle erwähnt werden. Ich glaube, Herr Cursehmann schätzte die Fälle, 
welche von selbst genesen, auf 75%, 25% seien überhaupt nur gefährdet. 
Eine Notiz, in einer der ersten Schriften Brand’s aus dem Jahre 1868 
lautet: „ich bin mir wohl bewusst, dass von 100 Typhen 60—70, ja noch 
mehr der Wasserbehandlung nicht bedürfen, sondern auch ohne sie in Ge¬ 
nesung endigen“; ich erwähne sie, weil sie die richtige Auffassung Brand’s 
zeigte, die bisher in Hamburg noch wenig anerkannt ist. Jeder gewissen¬ 
hafte Arzt wird aber mit Brand ebenso übereinstimmend'zugeben, dass in 
den ersten 8 Tagen sich nicht entscheiden lässt, ob ein Typhusfall unter 
die gefahrlosen oder unter die 25% gefährdeten gehört. Bei der Aufnahme 
unserer Typhuskranken an einem Abende in einem Krankenhause kann der 
scharfsinnigste Arzt sich über die Prognose der einzelnen Fälle selbst für 
den anderen Tag täuschen. Ein bei Tage aufgenommener Kranker, der 
seiner dumpfen Krankenstube entführt, durch die Luft gefahren, dadurch 
erfrischt ist, kann dem Arzte einen günstigen Eindruck Vortäuschen, in der 
Nacht delirirend durch Haus und Corridor wandern und sich durch Ver¬ 
letzungen grossen Schaden zufügen. Meine in mehr als 20jähriger Praxis 
gewonnenen Beobachtungen haben mir auch ergeben, dass rechtzeitig be¬ 
gonnene Behandlung die Complicationen durch Hypostasen in den Lungen 
seltener macht. Es ist deshalb richtig, die Bäderbehandlung sofort 
zu beginnen, wenn die Diagnose feststeht. Im weiteren Verlaufe 
kann das Verfahren modificirt werden; in der guten Privatpraxis mag auch 
noch mehr ohne Nachtheil iudividualisirt werden können Für ein Kranken¬ 
haus halte ich eine allgemein durchgreifende Vorschrift für nothwen- 
dig: man soll verhüten, dass die Complicationen eintreten, und Vorbeugen 
dem Beginne der Betäubung, dem Zustande, welcher der Krankheit ihren 
Namen gegeben hat, dem stillen im Nebel Dahinliegen. 

— Wir haben im Marien-Krankenhause die antipyretische Behandlung 
für die Typhen des jugendlichen und kräftigen Alters so eingerichtet, dass 
leichtere Fälle 4—5stündlich, schwerere zweistündlich gemessen werden: 
bei der Messung von 39,5 in der Achselhöhle werden die Kranken in ein 
Bad von 24° R gesetzt, bleiben 10 Minuten, unter Umständen länger 
in demselben, welches während dieser Zeit auf 14—15° abgekühlt wird: 
ausserdem erhalten sie zur Einleitung einer kräftigeren Athmung 3 mal eine 
kalte Regendouche von je einer Minute Dauer. Schwer betäubte Kranke 
werden schon bei 39° in der leeren Badewanne begossen. Wenn bei einer 
grösseren Anzahl zu badender Kranken die Badezimmer nicht ausreichen, 
treten an die Stelle der Bäder vereinzelte kalte Wasserkissen; des Nachts 
wird nur mit Wasserkissen gekühlt. Ich habe das Erreichbare dem Wünschens- 
werthen vorgezogen, meiner mir durch Beobachtung als Assistenzarzt auf 
der Kieler medicinischeu Klinik unter Geh. Rath Bartels gebildeten Ueber- 
zeugung nach würde ich auch Nachts baden. Innere Antipyretica habe ich 
in letzter Zeit sehr wenig gegeben. Das Antipyrin habe ich bei Typhus¬ 
kranken als nicht vorteilhaft zu erkennen geglaubt und seit mehr als einem 
Jahre ganz verlassen, weil es denselben nach wenigen Tagen zuwider wird, 
auch per Klysma gegeben Brechreiz erzeugt und einen anhaltenden Erfolg 
nicht giebt. Grössere Chinin-Dosen nach Liebermeister haben noch 
immer eine bessere, manchmal nachhaltende Wirkung und würden vorzu¬ 
ziehen sein, wo Bäder nicht regelmässig gegeben werden können. 

Die eben geschilderte Methode ist am conscquentesten gehandhabt im 
Jahre 1887, in den Jahren 1885 und 1886 war die Behandlung noch eine 
gemischte; wir verliessen uns neben den Bädern noch auf das Antipyrin. — 
Es sind in den drei Jahren 1885, 1886, 1887 behandelt worden 364 Typlms- 
kranke, davon sind gestorben 21 Kranke = 5,7% gegen 11,5% im Allge¬ 
meinen Kraukeuhause (berechnet, nur für 1886). Auf die einzelnen Jahre 
vertheilt, stellen sich die Zahlen folgenderinassen: 

1885 starben von 71 Kranken 4 = 5*/a%, 

1886 „ „118 „ 10 = 8%"/ö, 

1887 „ „ 175 7 = 4 °/o, 

so dass sich das letzte Jahr, in welchem die hydriatische Methode so streng 
als möglich durchgeführt wurde, am besten stellt. Die Todesursachen in 
den 21 Fällen vertheileu sich wie folgt: 

6 Fälle von Darmblutungen verliefen tüdtlich, während ebenso viele 
günstig endigten; mehrere Fälle kamen schon mit Darmblutungen zur Auf- 


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764 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


nähme; ein Fall starb an Perforation; zwei Fälle gingen an Pyämie mit 
multipeln Hantabscessen zu Grunde: Periearditis, Pneumonie, Pleuritis waren 
je ein Mal die Todesursache, und zwar endete der letztere Fall plötzlich tödtlich 
mehrere Wochen nach Ablauf des Typhus, ich habe ihn aber dennoch mit¬ 
gezählt unter die Typhustodesfälle. Pat. war in der Nacht aufgestanden und 
starb in einem Anfalle von Synkope, die Section ergab eine geringe Pleuri¬ 
tis. — Herzschwäche und fettige Degeneration des Herzmuskels waren Ver¬ 
anlassung des Todes bei zwei Recidiven, welche 10 respective 22 Tage nach 
der ersten Entfieberung sich entwickelten; ferner bei einem Potator, bei 
einem 75jährigen Greise, zwei jungen Mädchen, einem Kinde, im Ganzen in 
7 Fällen. Bei einem 40jährigen Manne, welcher früher schon wegen Delirium 
tremens das Krankenhaus besucht hatte und bald danach am Typhus erkrankte, 
fanden wir amyloide Degeneration der grossen Unterleibsdrüsen; er starb 
am 45. Tage. Ein Fall endete tödtlich an Nephritis. Vom Personal des 
Hauses sind 6 erkrankt und alle genesen. Von den Gestorbenen waren 
10 männlich, 11 weiblich, obwohl mehr männliche Kranke behandelt wurden 
als weibliche. Das Material setzt sich aus denselben socialen Classen zu¬ 
sammen wie dasjenige des Allgemeinen Krankenhauses: es besteht aus 
Kranken der Armenverwaltung, männlichen und weiblichen Dienstboten, 
Handwerkern, angehenden jungen Kaufleuten, niederen Angestellten der 
Post und der Eisenbahn, vorzüglich aus fremden, welche in den letzten 
Jahren nach Hamburg eingewandert. Einzelne Kranke wurden in desolatem 
Zustande und späten .Stadien der Krankheit aufgenommen, die meisten Fälle 
im Beginne der 2. Woche. Als Typhen gerechnet sind mir diejenigen 
Kranken, welche Fieber, Roseolen und Milztumor aufzeigten. — Will man 
das Material an Typhuskranken in zwei Krankenhäusern vergleichen, so 
kommen 3 Gesichtspunkte in Betracht: 

1. Die sociale Stellung der Kranken, weil man von ihr auf den Er¬ 
nährungszustand schliesst und daraus Schlussfolgerungen macht; darüber 
habe ich schon gesprochen. 

2. Die Altersclassen; für eine besonders gefährdete gilt mit Recht 
die Altersclasse über 40 Jahren; wir haben unter unseren Kranken 6°/o 
im Alter über 40 Jahren; es starben von denselben 6 im Alter von je 75, 
60, 56, 50 und 2 von 43 Jahren. In dem Jahresbericht des Allgemeinen 
Krankenhauses von 1886 sind unter den Erkrankten noch nicht 3°/o über 
40 Jahre alt aufgeführt. Eine zweite nach G riesinger gefährdete Altersclasse 
sind die Mädchen zwischen 15 und 20 Jahren bald nach der Pubertäts- 
eutwickelung, davon starben uns 5 in drei Jahren. Die Hälfte aller unserer 
Todesfälle wird durch Todte dieser beiden gefährdeten Altersclassen gebildet. 

3. Wie verhält sich der Beginn der Behandlung zu der Dauer der 
Krankheit? Ich erwähnte schon, dass unsere Kranken meistens im Beginn 
der zweiten W’oclie in Behandlung traten, während ich in dem Berichte aus dem 
Allgemeinen Krankenhause von 1886 über diesen Punkt keine Aufklärung 
finden konnte. 

Verhältnissmässig viele Krankheitsfälle haben eine sehr lange Ver¬ 
pflegungsdauer selbst bis zu einem halben Jahre aufzuweisen, 60 Kranke 
blieben 2 volle Monate im Krankenhause, darunter Einzelne, welche chirur¬ 
gische Eingriffe erforderten; unter diesen befanden sich doppelseitige und 
einfache Parotitis, Abscesse in den Bauchdecken, eine Vereiterung der 
Zellen des Processus mastoideus, eine Coxitis, eitrige Strumitis; die Ver- 
pflegnngstage dieser Kranken sind denen der Typhen angerechnet. Es stellt 
sich nun die durchschnittliche Verpflegungsdauer der Typhus¬ 
kranken im Marienkrankenhause für das Jahr 1885 auf 43 :1 /4 Tage, für 1886 
auf 42 3 /3 Tage, für 1887 auf 42 Tage, während Herr Curscbmann in dem 
Bericht des Allgemeinen Krankenhauses für 1886 eine durchschnittliche 
Verpflegungsdauer von 55,65 Tagen angiebt. — 

Die Schlüsse, welche ich aus diesen Zahlen glaube ziehen zu dürfen, 
habe ich schon vorangeschickt — Schliessen will ich in der Hoffnung, dass 
ich bei Ihnen meine Herren einiges Interesse für die Kaltwasserbehandlung 
iles Typhus gefunden habe, und richte an Herrn Curschmann die Bitte, 
dass er, dessen Energie und Organisationstalent Hamburg die neuen Heil¬ 
anstalten verdankt, in denselben, welche mit den nöthigen Mitteln reichlicher 
ausgestattet sind als das alte Krankenhaus, das Problem der Typhusbe¬ 
handlung dadurch löst, dass er '/a Tausend Kranker derselben Epidemie, 
derselben Alters- und Bevölkerungsdassen exspcctativ und eine gleiche An¬ 
zahl mit schematisch kühlen Bädern behandle. Regelmässige Körpergewichts- 
Bestimmungon während und nach der Krankheit wären neben der Ver¬ 
gleichung der Mortalitätsziffern und der durchschnittlichen Behandlungsdauer 
im Stande, die von mir vertretene Ansicht, dass die exspeemtive Me¬ 
thode mehr Körporge wichtsverl ust und langsamere Recon- 
valcscenz zur Folge habe, zu bestätigen oder zu verwerfen. Die Sectionen 
mögen ergehen, ob bei der exspectativen Methode mehr Complicationen 
besonders von Seiten der Athmungsorganc eintreton oder nicht. 

Herr Curschmann erklärt gegenüber Herrn Ratjen, dass er die 
hydriatische Methode geübt, jedoch gefunden habe, dass die Antipyrinmethode 
besser sei. Herr Curschmann ist kein principieller Gegner der Wasserbe¬ 
handlung, sondern der schematischen Wasserbehandlung. Redner badet, wo 
es nothwendig ist, sonst nicht. Man müsse das Individuum, und nicht die 
Krankheit behandeln. Die Zahlen des Herrn Ratjen seien zu klein, um 
aus denselben Schlüsse zu ziehen. Herr Curschmann hat gruppenweise 
Fälle von je 100 Erkrankungen zusammengestellt, und da zeigte es sieh, 
dass die Verhältnisse sehr variiren, dass es in einem Hundert 3 u ,o, im andern 
bis 15% Todte giebt. Man kann nur aus ganz grossen Zahlen entscheidend 
Schlüsse ziehen. 

Herr Kisenlohr bemerkt gegen Herrn Ratjen, dass dessen Behandlungs¬ 
methode mit Bädern weder als strenge Kaltwasserbehandlung nach Brand be¬ 
zeichnet werden könne, noch den von Liebermeister gestellten Anforderungen 
entspreche, letzeres nicht, weil Herr Ratjen Nachts nicht baden lasse. Gegen¬ 
über der Statistik des Herrn Ratjen weist Herr Kisenlohr auf den geringen 
Werth hin, den solche Mortalitätsziffern aus wenigen Hunderten von Fällen 
im Allgemeinen haben, speciell aber auf eine, auf grösseren Zahlen beruhende 
Zusammenstellung des Typhustnaterials aus dem allgemeinen Krankenhause 


von Dr. Gläser, die mit vergleichender Berücksichtigung der Zeiten 
regulärer Badebehandlung und solcher symptomatischer Therapie gemacht 
ist und keine entscheidende Differenz zu Gunsten der ersteren ergiebt. Herr 
Eisenlohr glaubt nicht, dass die Mortalität einer Typbusepidemie eine Grösse 
ist, die — abgesehen von allgemeinen hygienischen Principien und deren 
Fortschritt in der Behandlung — durch eine besondere Art der Therapie 
wesentlich beeinflusst wird. Als stimulirendes, die Thätigkeit des Nerven¬ 
systems u. s. w. günstig urastimmendes Mittel wendet Herr Eisenlohr die 
Bäder verschiedener Temperaturen, wie Herr Curschmann, vielfach bei der 
Typhusbehandlung an, aber im Gegensatz zur schematischen Behandlungs¬ 
weise nur aus in jedem Einzelfall gegebener Indication. — Zur Be¬ 
handlung einzelner Complicationen des Typhus übergehend, bespricht 
Herr Eisenlohr zunächst das an seinem Material der letzten Epidemie be¬ 
obachtete V orkommen und die Eigenthümlichkeiten der sog. hämorrhagischen 
Diathese nach Typhus, eines Zustandes, wie er von früheren und gegen¬ 
wärtigen Beobachtern, neuerdings von E. Wagner und Gerhardt be¬ 
schrieben ist. Herr Eisenlohr hat dabei nur den Zustand im Auge, der im 
späteren febrilen Verlauf schwerer Typhusfälle, oder in der beginnenden 
Keconvaleszenz solcher eintritt und sich durch zahlreiche Blutungen unter 
der Haut, aus den Schleimhäuten, besonders des Mundes, Rachens und der 
Nase, verbnndeu mit einer scorbutischen zur oberflächlichen Gangränescenz 
tendirenden Affectiou des Zahnfleisches, ferner durch eine hochgradige 
Anämie mit Oedemen, Schwäche der Herzaction und grosse Apathie, kenn¬ 
zeichnet. Von den in der gegenwärtigen Epidemie ebenfalls ausserordentlich 
häufigen Neigung zu subcutanen Blutungen allein, speciell in den unteren 
Extremitäten, selbst wenn sie in recht ausgesprochener Weise, als wahre 
Purpura hämorrhagica, auftreten, ohne den skizzirten Allgemeinzustand, sieht 
der Vortr. dabei ab. Ebenso glaubt er die in früheren Stadien schwerer 
Typhusfälle, auf septischen Processen beruhenden Blutungen abtrennen zu 
müssen. Der Vortr. führt 3 Fälle an, in denen der beschriebene Zustand 
im höchsten Grade ausgebildet, war; einmal war derselbe in der fünften 
Woche während der continuirlichen Fieberperiode, einmal in der Recon- 
valescenz nach zwei Recidiven und einmal ebenfalls im Beginn der fieber¬ 
freien Zeit nach einem Typhus mittlerer Dauer und Intensität aufgetreten. 
Einmal begleitete einfache Albuminurie, einmal leichte Nephritis die Coin- 
plication, in einem Falle waren ausgeprägte Oedeme (des Gesichts, der Ex¬ 
tremitäten) vorhanden. In zwei Fällen kam es zu äusserst hartnäckiger 
scorbutähnlicher Erkrankung des Zahnfleisches mit Lockerung und Ver¬ 
schorfung, einmal zu bedrohlicher Blutung ans der Schleimhaut, von Mund¬ 
höhle, Gaumen, Nase. In den zwei in der Nachperiode von der hämorrhagischen 
Diathese betroffenen Fällen wurde ein Nachfieber beobachtet, das jedenfalls 
nicht mit dem eigentlichen Tvphusprocess in Verbindung zu bringen war. 
Herzschwäche höheren Grades war in allen Fällen vorhanden, ebenso eine 
grosse psychische Depression und Apathie. Die Blutuntersuchung ergab in 
einem Fall eine auffallend dünnflüssige und wässerige Beschaffenheit, geringe 
Färbekraft, aber keine Poikilocytose. Einfluss von vorhergegangenem 
Alkoholmissbrauch licss sich nicht nachweisen, eher eine gewisse vor¬ 
her schon bestehende auämische Constitution, die nnter der städtischen 
Arbeiterbevölkerung häufig getroffen wird. Die Dauer der Complication er¬ 
streckte sich in zwei Fällen über viele Wochen bis zu zwei Monaten. Mehr 
als von allen diätetischen und mcdicamentösen Maassuahmen hat der Vor¬ 
tragende von einer einfachen hygienischen Maassregel Erfolg, und zwar 
raschen Erfolg in diesen Fällen gesehen, eine Maassregel, die sein Vor¬ 
gänger am Krankenhause, Dr. Bülau, bei schweren Typheu in Fieber¬ 
periode anwendete. Es ist die möglichst, ausgiebige Zuführung frischer Luft 
durch Verbringen der Krankeu geradezu in’s Freie oder in offenen Veranden, 
wo sie ohne Rücksicht auf Temperatur der Luft den grössten Theil des 
Tages zubringen. Der Effect war gerade in den drei geschilderten schwersten 
Fällen ein frappanter in Bezug auf alle Symptome. Die nächste Ursache 
scheint dem Vortragenden in einer durch den Kraukheitsprocess bedingten 
Blutveränderuug zu liegen, die ihrerseits zu Brüchigkeit der Gefäss- 
wände etc. führt. Ob die gebräuchliche, vorwiegend animalische Kost 
der Typhuskranken, wie Gerhardt vermuthet, dabei eine Rolle spielt, 
scheint dem Vortragenden fraglich. 

Herr Ratjen erklärt, dass er nicht schematisch verfahre, sondern 
individualisire. Kr lasse die Bäder warm beginnen und bis auf 14 Grad 
abkühlen. 

X. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

9. 

Bostroem. Das geheilte Aneurysma dissecans. Fest¬ 
schrift für Prof. Dr. v. Zenker, Deutsches Arch. f. klin. Med. 
Bd. 42. Heft 1—2, p. 1. 

Verfasser liefert eine allseitig erschöpfende Monographie des ge¬ 
heilten Aneurysma dissecans an der Hand einer Reihe in der Lite¬ 
ratur verzeichneter und vier von ihm selbst beobachteter Fälle. 
Während das Aneurysma dissecans, also jene Erkrankung der Arte¬ 
rien. speciell der Aorta, bei welcher es in Folge Einrisses der inne¬ 
ren Arterienhäute zu einer Einwühlung des Blutes zwischen die 
Wandschichten des Gefasses und dadurch zu einer grössereu oder 
geringeren Ablösung der äusseren Lagen von den inneren kommt, 
gewöhnlich durch Ruptur der äusseren Wandung des entstandenen 
Sackes zum Tode führt, wird in einer kleinen Reihe von Fällen 
eine Heilung beobachtet. 

Der erste von Bostroem mitgetheilte FalUtf^b daP’.r.i °hu ;U?- 
gezeichnetes Beispiel. Es handelte sich um eir jährigen Mann, 

der an einer Häraorrhagie des Balkens zu Grüne 7 jngund während 


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13. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


765 


des Lebeus keine Erscheinungen von einer Erkrankung der Aorta 
geboten hatte. Es fand sich 1,6 cm unterhalb des Abganges der 
Subclavia ein ringsherumgehender Querriss der Intima und Media. 
Durch diesen Riss hatte sich das Blut eingewühlt und bis zur Ar- 
teria mesaraica superior an der linken und vorderen Seite die äusse¬ 
ren Wandschichten abgelöst. Der so entstandene aneurysmatische 
Sack stand durch vielfache Oeffnungen mit dem Aortenrohr in Ver¬ 
bindung, welches als bandartiges Gebilde, für den kleinen Finger 
durchgängig, an der hinteren Fläche des aufgeschnittenen Aneurysma 
verläuft und oben noch durch eine schmale Intimabrücke mit dem 
Rande des Aortenrisses zusammenhängt. Letzterer, sowie die Innen¬ 
fläche des Aneurysmas sind völlig abgeglättet, nicht rauh, wie es bei 
dem acut zum Tode führenden Aneurysma dissecans der Fall ist. 

Verfasser erörtert nun zunächst die Bedingungen, unter denen die 
Heilung eines solchen Processes zu Stande kommen kann. Nach¬ 
dem er gezeigt hat, dass die Differenz im Verlauf nicht auf den 
Sitz des Risses, nicht auf die Tiefe desselben (denn die Unter- 
wühlung der Gefässwand erfolgt in allen Fällen innerhalb der 
Media, und zwar in den der Adventitia näheren Lagen), nicht auf 
seine Ausdehnung allein bezogen werden kann, kommt er zu dem 
Schluss, dass nur dann eine Heilung möglich ist, wenn, wie in dem 
ersten Fall, sehr rasch durch weitere, tiefer 'abwärts gelegene Ein¬ 
risse der inneren Schichten ein Zurückströmen des Blutes in die 
Aorta und damit eine Ausgleichung des Blutdruckes stattfindeu 
kann. Die Communicationsöffnungen entstehen an den Stellen, an 
denen abgehende Arterien durchrissen werden. 

In der vorliegenden Beobachtung war die Ausheilung sehr 
weit vorgeschritten, die äussere Wand des Aneurysma bestand aus 
einer der normalen Intima ähnlichen Innenschicht mit vollständigem 
Endothelbelag, aus einer elastisch-muskulären Lage, den abgerisse¬ 
nen äusseren Mediaschichten entsprechend, und einer Adventitia. 
Es konnte so der Eindruck einer congenitalen Aortenverdoppelung 
hervorgerufen werden. Ein solcher Irrthum kann unter Umständen 
dadurch begünstigt werden, dass auch pathologisch-anatomische 
Veränderungen der Aneurysmawand gefunden werden, die ganz denen 
der Aorta entsprechen können (Atherom, Aneurysmabildung etc.). 

Im Anschluss an den ersten Fall beschreibt Verfasser nun noch 
drei weitere, die im Grossen und Ganzen die gleichen Verhältnisse 
zeigten und nur in Bezug auf Sitz und Ausdehnung des Aneurysmas 
Differenzen darboten. In zweien der Beobachtungen war auch hier 
im Leben von einer Arterienerkrankung nichts bekannt, in einem 
dritten, in welchem das Aneurysma im aufsteigenden Theil der 
Aorta sass, waren allerdings Geräusche und eine Herzhypertrophie 
constatirt worden. Stets lag der Sack zwischen den äusseren Blät¬ 
tern der Media, war innen völlig abgeglättet, nach aussen geschlossen 
und mit der Aorta durch Oeffnungen in Verbindung. 

Diese Schilderung ergänzt Verfasser durch eine Uebersicht über 
die in der Literatur bereits mitgetheilten Beobachtungen, die nicht eben 
häufig sind, da eine Ausheilung unter 178 beschriebenen Fällen nur 
18 mal vorkam. Die kritische Zusammenstellung bestätigt durchweg 
die Ausführungen des Verfassers über das Verhalten des Aneurysma 
zu den Häuten der Aorta und über die Bedingungen der Heilung. 

In einem Schlusswort bespricht Bostroem noch die Ursachen 
des Aneurysma dissecans. Er ist der Ansicht, dass Erkrankungen der 
Gefässwand kaum eine Rolle spielen, dass vielmehr fast ausnahms¬ 
los ein Trauma die Veranlassung ist. Auch in dem ersten Falle 
konnte ein allerdings 22 Jahre zurückliegendes Trauma nachgewiesen 
werden. Ribbert. 

Innere Medicin. 

13. 

Packard. Report of thirty one cases of heat fever 
treated at the Pennsylvania Hospital during the summer 
of 1887. American Journal of medical Sciences. Vol. XCV, 
6. June 1888. 

Der Verf. hatte die gewiss seltene Gelegenheit, 31 Fälle von 
Hitzschlag zu beobachten, von denen 12 letal verliefen; Sectionsbe- 
funde liegen nur über 2 Fälle vor, leider in recht unvollkommener 
Weise. Der Beschäftigung nach waren 5 Arbeiter, 4 Bäcker, 
3 Strassenpflasterer, 3 Arbeiter in Zuckerfabriken; diesen ihrer Be¬ 
schäftigung nach entschieden zum Hitzschlag Disponirten stehen 
16 andere gegenüber, wo der Beruf für das Eintreten des Ereig¬ 
nisses nicht verantwortlich gemacht werden kann. In Bezug auf 
Alkoholgenuss gaben 11 an, stramme Trinker zu sein, 2 leugneten 
Alkoholgenuss, bei den übrigen 18 konnte hinsichtlich dieses Punktes 
nichts festgestellt werden. Am häufigsten erkrankten die Leute 
zwischen Mittag und 6 Uhr Nachmittags, 18 mal war die Sonnen¬ 
hitze allein für den Anfall verantwortlich, 11 mal handelte es sich 
um künstliche Hitze, 2 mal wirkten beide Factoren gleichzeitig. 
20 Patienten waren bewusstlos, 8 vollkommen bei Bewusstsein, 3 
benommen. In <le-.ijenigen Fällen, wo die Temp. unter 108° F war, 
war das Bewus^ -in auch erhalten. Die Pupillen zeigten 24 mal 


Myosis, 5 mal natürliche, 1 mal abnorme Weite. Die mit Pupillen¬ 
enge verbundenen Fälle waren mit Ausnahme von 3 auch mit Be¬ 
wusstlosigkeit verbunden; Krämpfe wurden nur 6 mal beobachtet. 
Der Puls war sehr different, Respiration beschleunigt, in den schweren 
Fällen stertorös, Cheyne-Stokes bestand in keinem Falle. In den 
durch abnorm hohe Temperaturen ausgezeichneten Fällen litten die 
Patienten an Recess. inscii, die entleerten Massen hatten einen pene¬ 
tranten Geruch. Im Durchschnitt gelang es, in 10—15 Minuten nach 
der Aufnahme der Patienten in’s Hospital die Temperatur zur Norm 
zurückzubringen, die grösste Zeitdauer betrug eine Stunde. Der 
Ausgang des einzelnen Falles wurde nach der Schwierigkeit oder 
Leichtigkeit, mit welcher der Rückgang der Temperatur zur Norm 
erzielt wurde, beurtheilt. Von den 12 letal verlaufenen Fällen starb 
einer unmittelbar nach der Aufnahme, einer mehrere Tage später 
an Cholämie, einer an Meningitis, 2 an Delir, trem., der Tod er¬ 
folgte unter meist gleichzeitigem Sistiren von Puls und Respiration. 
Dem Alter nach stellte das Decennium zwischen 20 und 30 Jahren 
das Hauptcontingent. Der älteste Patient war 80, der jüngste 20 J. 
Die Behandlung der Patienten bestand in ruhiger Lagerung auf ein 
wasserdichtes Bett und Einpackung des Körpers und der Extremi¬ 
täten in Eis, subcutan 15—20 Tropfen Tinct. digit. Diese Therapie 
wurde fortgesetzt, bis die Temperatur auf 104° F fiel. Wurde dann 
mit der Eisbehandlung fortgefahren, so traten Collapstemperaturen 
ein, welche Anwendung von Excitantien und Wärme erforderlich 
machten. Die Eisbehandlung wurde bei allen Fällen, welche Tem¬ 
peraturen über 106 2 /5° F zeigten, in Anwendung gezogen; bei Tem¬ 
peraturen nicht über 106° Eiskappe und Abwaschungen mit einer 
Mischung aus 1 Thl. Alkohol und 4 Thl. Eiswasser, einzelne be¬ 
sondere Symptome machten auch Extra maassrege ln erforderlich, so 
Convulsionen Morphium subcutan. starke Turgescenz Aderlass. Die 
anatomischen Befunde der 2 zur Section gelangten Fälle beschränken 
sich auf die Angaben über das Bestehen von parenchymatösen Ver¬ 
änderungen in Leber und Nieren. Eug. Fraenkel (Hamburg). 


XI. Oeffentliches Sanitätswesen. 

— Ueber internationale Maassregeln gegen Verfälschungen lässt 
sich Dr. van Hamei Roos in der von ihm redigirten Revue internationale 
des falsifications in folgender Weise aus: Die bedauerlichen Ereignisse, 
welche hinsichtlich der Verfälschungen in der letzten Zeit constatirt wurden, 
erheischen nach meiner Ansicht mehr als je entweder ein sofortiges Ein¬ 
schreiten der Regierungen oder Maassregeln von Privatleuten. Ich brauche 
nicht auf eine nähere Beschreibung des grässlichen Ereignisses zu Hyeres 
einzugehen; es kennt wohl Jedermann durch Zeitungen etc. diesen fürchter¬ 
lichen Fall, wobei unmittelbar ein tödtlich wirkendes Gift (Arsenik) dem 
Weine zugesetzt wurde. — Ich will bloss an diesen Fall die folgenden 
Betrachtungen anknüpfen. Wenn Herr de Villeneuve, der Verkäufer der 
giftigen Weine zu Hyeres, seine Producte nach verschiedenen Ländern 
geschickt hätte, wären ohne Zweifel sehr viele Personen die Opfer geworden, 
ohne dass die Ursache so leicht entdeckt worden wäre, wie es zu Hyeres 
möglich war, weil dort verschiedene Personen in dem nämlichen Ort er¬ 
krankten. Welch ein dringendes Argument für die These der Expertise an 
den Grenzen, welche ich die Ehre hatte, während des letzten Congresses 
in Wien zu vertheidigen! Und die Fälle, welche in der vorigen Lieferung 
unserer Revue erwähnt sind, bezüglich der Vergiftungen durch bleihaltiges 
Mehl und Verfälschungen von Reismehl durch Marmorstaub? Nöthigen diese 
Ereignisse uns nicht — um von vielen anderen zu schweigen —, ohne 
Aufschub die Hand an’s Werk zu legen, weil ein längeres Zögern vielleicht 
eine noch grössere Anzahl Opfer fordern würde? 

Wohlan, — indem wir vertrauensvoll die Arbeiten des internationalen 
Comites des Wiener Congresses, sowie die repressiven Maassregeln der 
verschiedenen Regierungen abwarten, erlaube ich mir, mit Rücksicht auf die 
(vielleicht sehr nothwendige) Langsamkeit dieser Arbeiten eine Maassregel 
vorzuschlagen, welche ohne die Hülfe eines officiellen (sehr mächtigen aber 
auch nothwendigerweise sehr langsamen) gouvemementalen Patronats ge¬ 
nommen werden könnte. Ich wünsche die Gründung von internationalen 
Gesellschaften für den Verkauf unverfälschter Lebensmittel 
vorzuschlagen. Diese Gesellschaften hätten sich der Hülfe competenter 
Chemiker zu versichern, welche sich mit der Untersuchung aller Artikel be¬ 
schäftigen würden, bevor dieselben in den Handel gelangten, und 
speciell mit denjenigen Artikeln, welche für den Export be¬ 
stimmt sind. Wenn derartige Gesellschaften in allen Ländern existirten und 
wenn sie übereinkämen, nur unter sich zu verkaufen, hätte das Publicum 
wirklich ernsthafte und unschätzbare Bürgen. Ich plaidire hier keinenfalls 
etwa für ein Monopol, — ich bin überzeugt, dass die ernsthaften Händler 
sehr bald dem Beispiel der Gesellschaften folgen und ebenfalls ihre Waaren 
einer fortwährenden Controle unterwerfen würden — und die Fälscher 
würden je länger je mehr ohne Kundschaft bleiben. Ich weiss sehr wohl, 
dass die wissenschaftlichen Personen, welche dieses lesen, sich nicht in 
Handelsunternehmen begeben möchten, und ich habe auch keinenfalls die 
Absicht, sie dazu aufzufordern. Mein einziger Zweck ist, die Aufmerk¬ 
samkeit des Publicums auf die eben in groben Zügen skizzirte Maassregel 
zu lenken, in der Hoffnung, dass die grösseren Zeitungen Propaganda für 
dieselbe machen werden. 

Wenn die Gesellschaften sich einmal etablirt haben, darf ich hoffen, 
dass die Hygieniker aller Länder einem Plan ihre mächtige Hülfe verleihen 
werden, dessen Zweck ist: der Schutz der Völker gegen die verwerfliche 


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766 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


Praxis der Betrüger und gegen die schrecklichen Folgen, welche ihre 
Thaten für die öffentliche Gesundheit haben können. 


— Mediclnalwcsen im Königreich Sachsen. Bericht des Landes- 
Medicinal-Collegiums auf das Jahr 1886. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1888. 

Der an das Kgl. Ministerium d. In. erstattete 18. Jahresbericht über 
das Medicinalwesen im Königreich Sachsen schliesst sich den bisherigen Be¬ 
richten in Form und Inhalt an. In der Einleitung wird auf die Mass¬ 
nahmen hingewiesen, welche von den Organen der Medicinalverwaltung, den 
ärztlichen sowohl, als auch den behördlichen, im Jahre 1886 getroffen worden 
sind. Der erste Abschnitt giebt allgemeine Notizen über die ärztlichen und 
pharmazeutischen Organe der Medicinalverwaltung. Das öffentliche Gesund¬ 
heitswesen betreffend, enthält Abschnitt II zunächst Angaben über die Sterb- 
lichkeits- und Krankheitszustände im Allgemeinen. Die Mortalität des 
Jahres 1886 war etwas weniger günstig (96179) als die des Vorjahres (90768), 
sie steht derjenigen des Jahres 1884 gleich; auf 1000 Lebende trafen 
30,0 Sterbefalle (gegen *28,6). Die Geburtenfrequenz ist im Zunehmen ge¬ 
wesen (44,23 gegen 43,60 auf Tausend im Vorjahre). Von den Alters¬ 
klassen zeigten namentlich das Säuglingsalter und das Alter 14 bis 20 
Jahre eine auffallende Vermehrung, im Vergleich mit den gleichzeitig Leben¬ 
den sind gestorben von 1000 innerhalb der ersten 10 Lebensjahre 72,4 
(gegen 69,8 im Vorjahr), indess erreicht das Mortalitätsverhältuiss noch 
nicht die Höhe vom Jahre 1884. Von den Todesursachen kommen hier 
in erster Linie diejenigen an Infcctionskrankheiten in Betracht. Es 
starben an: Pocken 30 (gegen 18 im Jahre 18S5), Masern 923 (552), Schar¬ 
lach 1038 (1018), Dipbtheritis und Croup 6483 (6778), Keuchhusten 706 
(1044), Unterleibstyphus 671 (614), Kindbettfieber 696 (743), Lungen¬ 
schwindsucht 7983 (7915). Es haben demnach nur Masern und Pocken, 
auch wohl Typhus eine Zunahme gezeigt, eine Abnahme dagegen besonders 
Dipbtheritis, Keuchhusten und Kindbettfieber. Bemerkt sei im Allgemeinen 
bezüglich der ärztlichen Beglaubigung der Todesursachen, dass 
solche nur bei 47,4 % der eingegangenen Leichenbestattungsscheine statt¬ 
gefunden hat, wahrscheinlich ist im Bezug auf dieses Resultat (gegen 48% 
im Vorjahre), dass die erhöhte Säuglingssterblichkeit nicht ohne Einfluss 
gewesen ist, da bekanntlich bei dieser Altersklasse die ärztliche Beglaubigung 
am spärlichsten vorkommt. Von Interesse ist ein Vergleich zwischen der 
Mortalität in den grösseren Städten (mit mehr als 8000 Einwohnern) und 
im übrigen Lande, danach ist auch während des Berichtsjahres in den kleine¬ 
ren Städten und auf dem platten Lande, abgesehen von Masern, nur die 
Mortalität an Lungenschwindsucht erheblich geringer (22,0 auf 10000 Le¬ 
bende) als in den Städten gewesen (32,0). — Die Anordnung und Durch¬ 
arbeitung des Gesammtmaterials zeigt auch in diesem Bericht wiederum eine 
aDerkennenswerthe Uebersichtlichkeit, die sich stets in den Grenzen objec- 
tivster Darstellung hält. _ P. 


— Krieger. Jahrbach der Medicinal- Verwaltung in Eisass- 
Lothringen. I. Bd., Jahrgang 1888. Im amtlichen Auftrag herausgegeben. 
Strassburg, C. F. Schmidt’s Universitätsbuchhandlung (Frdr. Bull), 1888. 

Die für die Reichslando früher erschienenen Arbeiten von Medicinal- 
rath Dr. Wasserfuhr über die Gesundheitsverhältnisse haben durch den Ver¬ 
fasser eine durchaus ebenbürtige Fortführung erfahren und zählen die Ar¬ 
beiten Krieger’s zu den besten auf dem Gebiete der Medicinalverwaltung; 
auf seine Anregung hat eine Aenderung in der Publication der auf Elsass- 
Lothringen bezüglichen Nachrichten auf dem Gebiete der Gesundheitspflege 
stattgefunden, so dass an die Stelle der bisher unter dem Titel „Gesund¬ 
heitszustand in Elsass-Lothringen“ erschienenen Veröffentlichungen das „Jahr¬ 
buch der Medicinalverwaltung“ tritt. Ueber die Organisation des Medicinal- 
und Aerztewesens giebt der erste Abschnitt Auskunft mit zahlreichen Notizen 
über die historische Entwickelung desselben, auch enthält dieser Theil die 
Ergebnisse der statistischen Aufnahme des Heilpersonals. Die nächsten Ab¬ 
schnitte verbreiten sich über das Apothekerwesen, Hebeammenwesen, die 
Nahrungs- und Genussmittelcontrole. Abschnitt 5 giebt die Verhandlungen 
der Gesundheitsräthe. In Abschnitt 6 werden die hygienischen und sani¬ 
tätspolizeilichen Einrichtungen und Anlagen geschildert. Abschnitt 7 ist den 
Bevölkerungsverhältnissen, den Geburten, Sterbefällen und Todesursachen 
gewidmet, denen sich in Abschnitt 8 die Witterungsverhältnisse anschliessen. 
Die Einwohnerzahl hat sich während des Jahres 1885 um rund 6000 Seelen 
vermindert, noch erheblicher erscheint diese Einbusse, wenn man berück¬ 
sichtigt, dass im Zeitraum 1881/85: 52929 mehr geboren wurden, als Sterbe¬ 
fälle vorkameu Die Geburtenziffer hat gegenüber 1878/82 abgenommen, 
indem sie von 33,3 auf 32,7 (auf 1000 Lebende) sank. Die Sterblichkeit 
war im Jahre 1886 (37482) geringer als im Vorjahr, sie kam beinaho den 
ausnahmsweise günstigen Jahren 1883 und 1884 gleich, indess war die 
Kindersterblichkeit diesmals grösser als 1878/82, was der grossen Hitze und 
der damit zusammenhängenden hohen Zahl von Todesfällen durch Krank¬ 
heiten des Verdauungsapparates zuzuschreiben ist. Unter den Todes¬ 
ursachen fällt die Abnahme der Sterblichkeit an Typhus gegen die beiden 
Vorjahre auf, auch Scharlachtodesfälle waren geringer, Croup und Diphthe- 
ritis weisen immer noch beträchtliche Opfer auf; die Sterblichkeit an Lungen¬ 
schwindsucht bleibt sich in den letzten Jahren annähernd gleich, zwischen 
4 908 und 4 547. Der Werth der Angaben über die Todesursachen war viel¬ 
fach von grosser Ungenauigkeit. Den Schluss 1)ilden in Abschnitt 9 die 
Auszüge aus den Berichten der Kreisärzte über den Gesundheitszustand. 
Im Anhang wird ein alphabetisches Namensverzeicbniss der Medicinalpersonen 
geboten. — _ P. 

— Noock, Fünfter Generalbericht Uber das öffentliche Gesundheits¬ 
wesen des Regierungsbezirks Oppeln für die Jahre 1883/85. Oppeln, 
Raabc, 1887. 

Den bisherigen Generalberichten, deren beide ersteren für 1871/75 
und 1876/80 vom Medieinalrath Dr. Pi.stör verfasst sind, schliesst sich der 
letzte nach Form und Inhalt im Grossen und Ganzen an. In 13 Capiteln 


werden die für die öffentliche Gesundheitspflege in Betracht kommenden 
Punkte in ausführlichster Weise behandelt, wobei der Verfasser es nicht 
unterlassen hat, die für die Medicinal beamten besonders wichtigen Momente 
hervorzuheben, so z. B. in den specielleu Darstellungen über das Auftreten 
der Infectionskrankheiten. Während des Jahres 1885 blieb die Mehrzahl 
der Kreise von Pockenerkrankungen verschont, die Zahl der Gesammt- 
erkraukungen betrug 97 mit 12 Todesfällen, von den Ungeimpften er¬ 
krankten 15, starben 6, von den einmal Geimpften erkrankten 71, starben 3. 
Der Abdominal-Typhus zeigte eine Abnahme (1143 im Jahre 1885 
gegen 2248 im Vorjahr). Der Flecktyphus, welcher zwar vielfach durch 
Vagabunden aus Russisch-Polen eingeschleppt wird, entsteht unzweifelhaft 
auch im Bezirk genuin und besitzt eine hochgradige Contagiosität bei ver- 
hältuissmässig geringer Sterblichkeit; im Jahre 1885 waren 7 Kreise infi- 
cirt, namentlich Gleiwitz und Kattowitz. Au Rückfalltyphus sind 1885 
überhaupt 113 Fälle vorgekommen. Was die Kindersterblichkeit an¬ 
langt, so wird dieselbe von der Mehrzahl der Kreisphysiker als eine sehr 
erhebliche bezeichnet; es hat in der That den Anschein, als wenn die 
Schaaren der Kinder, welche als an Krämpfen verstorben bezeichnet sind, 
die allgemeine Sterblichkeit bedeutend belasten, indess bleibt der Antheil 
der Säuglinge doch noch erheblich hinter dem in den Grossstädten zurück. 

Ueber die Wohnstätten äussert sich der Verfasser, dass ein Fort¬ 
schritt zum Bessern, wie auf fast allen Gebieten der oberschlesischen Ver¬ 
hältnisse, so auch auf dem Gebiete der Wohnungen unverkennbar sei, 
jedoch vermögen die in den letzten Jahren zahlreich entstandenen Neubauten 
noch bei Weitem nicht dem rapiden Anwachsen der Bevölkerung im In¬ 
dustriebezirk zu genügen. Soweit die Sanitätsberichte über das Schul¬ 
wesen Auskunft geben, sind im Laufe der letzten Jahre die neu erbauten 
Schulhäuser in hygienischer Beziehung wesentlich besser geworden, als es 
die älteren besonders in Bezug auf Luft und Licht waren. — Die Zahl 
der Aerzte betrug Ende 1885 überhaupt 249, der Apotheken 81, so dass 
im Durchschnitt 18483 Einwohner auf eine Apotheke treffen; Hebeammen 
waren 787 vorhanden, ausserdem befanden sich noch 58 Heilgehülfen im 
Bezirk. _ P. 

— In 194 deutschen Städten mit mehr als 15000 Einwohnern starben 
im Jahre 1887 überhaupt 243094 oder 23,8 von 1000 Lebenden; die Zahl 
der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder betrug 83 275, das ist von je 
1000 Lebendgeborenen 234. Unter den Todesursachen ragen in erster 
Linie hervor die Lungenschwindsucht mit 31527 Opfern oder 3,1 von 1000 
Lebenden, demnächst die acuten Erkrankungen der Athmungsorgane 26626 
oder 2,7, dann die acuten Darmkrank beiten, einschliesslich Brechdruchfall, 
23948 oder 2,3, Diphtheritis und Croup 10990 oder 1,1, Masern 3676 oder 
0,4, Scharlach 2488 oder 0,2, Unterleibstyphus 2394 oder 0,2 von 1000 
Lebenden. Nach der Jahreszeit entfällt das Maximum der Säuglings¬ 
sterblichkeit auf die Monate August: 12500 oder 41,2, Juli mit 10921 oder 
36,6 und September mit 8154 oder 27,4 von 1000 Lebendgeborenen, das 
Mininum auf den November. Die Gesammtsterblichkeit erreichte ihren Höhe¬ 
punkt im Monat August 28,6 pro mille, Juli 27,6, die niedrigste Sterblich¬ 
keit wiesen die Monate October und November (20,8) und September und 
December (22,3) auf. _ P. 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

Ueber die locale Anwendung der Kampfersäure. 

Von Dr. Max Reichert, 

Specialarzt für Hals- und Nasenkrankheiten zu Berlin. 

(Schluss aus No. 36.) 

Von sehr wohlthätiger Wirkung erweist sich ferner die Kampfersäure 
bei acuter und subacuter Pharyngolaryngitis und Tracheitis, bei welchen 
Krankheiten mit Rücksicht auf die verschiedene Empfindlichkeit der be¬ 
treffenden Schleimhäute anfänglich schwächere, % bis l°/oige. später 
2 bis 3°/oige Lösungen einzuspritzen oder einzustäuben sind. Für die 
Trachea ist es anfänglich jedenfalls zweckmässiger, bei Application stärkerer 
Lösungen aber geradezu nothwendig, sich hierzu eines geeigneten Ein- 
stäubungsapparates, etwa in der von mir angegebenen Form, zu bedienen. 
Auch die Inhalation 1 bis 2%iger Kampfersäurelösungen mittelst Dampf 
oder Doppelgebläse hat bei dieser Krankheitsgruppe einen wenn auch ge¬ 
ringeren, doch oft zur Heilung führenden Erfolg. Schliesslich habe ich 
hier noch den acuten Schnupfen zu erwähnen, welcher in seiner Zeitdauer 
und Intensität unter Anwendung der Kampfersäure durch Einbringung 
2 bis 4%iger Lösungen auf Watte erheblich vermindert, bei frühzeitiger 
Anwendung nicht selten coupirt wird. l ) 

Die chronischen Entzündungen der genannten Schleimhäute sind gleich¬ 
falls sehr wohl der Kampfersäurebehandlung zugängig, indem entweder die 
Lösungen derselben in stärkerer Concentration für sich angewendet oder mit 
Höllenstein resp. Tannin combinirt werden. Wenn auch meine Erfahrungen 
in dieser Beziehung noch nicht ausreichend sind, insofern ich stärkere als 
6%ige Lösungen bisher nur ganz selten und in geringer Ausdehnung an¬ 
gewendet habe, so glaube ich doch constatiren zu können, dass die Kampfer¬ 
säure nur ein milderes Adstringens ist und bei ihrer verhältnissmässig 
schweren Löslichkeit in Wasser zu recht energischer Einwirkung auf wider- 

*) Zur Nasendouche habe ich die Kampfersäure zumeist in Lösungen 
von 1 bis 2 pro mille anwenden lassen; stärkere Lösungen schienen bei 
dieser Gebrauchsweise unangenehm empfunden zu werden. Zur Eiupulverung 
in die Nase und den Kehlkopf ist die Vermischung von 1 Theil Acid. 
camphoricum mit 10 bis 6 Theilen Acid. boric. zweckmässig, ein stärkerer 
Zusatz von Kampfersäure nicht zu empfehlen. Doch ist bei acuten und 
chronischen Entzündungen der Nasenschleimhaut die Anwendung der 
Kampfersäure durch Einbringung 2 bis 6%iger Lösungen auf Watte nach 
meinen Erfahrungen entschieden zweckmässiger als die Application mittelst 
Nasendouche oder Einpulverung. 


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13. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


767 


standsfähigere Schleimhäute weniger sich eignet. Dagegen bewährt sich die¬ 
selbe recht gut, soweit durch mildere Einwirkungen und an empfindlicheren 
Schleimhäuten eine chronisch-katarrhalische Entzündung zu beseitigen ist, 
und in dieser Begrenzung habe ich 2- bis 6%ige Kampfersäurelösungen 
sowohl bei chronischer Pharyngitis, Laryngitis und Tracheitis, als auch bei 
chronischen Entzündungen der Nasenschleimhaut und des Nasenrachenraums 
vielfach mit dauerndem Erfolge verwerthet. 

Diese bei sehr geringer Reizung doch recht erheblich adstringirende 
und desinficirende Wirkung macht die Kampfersäure auch vorzugsweise 
geeignet zu der von mir angegebenen örtlichen Behandlung der chronischen 
Bronchitis.*) Die reichliche Absonderung von Eiter und Schleim, welche so 
oft bei Bronchiectasieen, bei chronisch gewordenen Bronchialkatarrhen, bei 
Verdichtungen der unteren Lungenlappen, chronischen Pneumonieen und der 
chronisch verlaufenden Lungentuberculose die Bronchialröhren erfüllt, asth¬ 
matische Beschwerden und quälenden Husten verursacht, auch durch die 
faulige Zersetzung fiebererregend wirken kann, erfordert nach allgemeingül¬ 
tigen therapeutischen Principien vor Allem die möglichst vollständige, regel¬ 
mässige Entleerung der Absonderungsproducte, ferner, soweit ausführbar, 
eine desinficirende und adstringirende Behandlung der Bronchialschleimhaut. 
Da selbst in derartigen Fällen nicht selten laryngoskopisch die Bifurcations- 
stelle der Trachea und ebenso der die Bronchialmündung passirende Flüssig¬ 
keitsstrahl deutlich zu sehen ist, kann es sich hierbei nur um die Frage 
handeln, ob die in die Hauptbronchien hineingelangende Flüssigkeit auch 
auf nicht direkt berührte Lungenbezirke *) eine therapeutische Wirkung aus¬ 
üben könne. Ich bin der Ansicht, dass ähnlich wie eine dauernde so auch 
die zeitweilige Veränderung im Füllungszustande der Blutgefässe der grösse¬ 
ren Bronchien, wenn auch in geringerem Maasse, nach den Bronchiolen und 
Lungenbläschen hin sich geltend machen muss, dass ferner die allmähliche 
Verbesserung der Luftzufuhr, die Beschränkung der Absonderung in den 
grösseren Bronchien und die Diffusion der eingespritzten Flüssigkeiten hier¬ 
bei von günstigem Einfluss sein wird. Dieser Annahme entspricht auch die 
von derartigen Patienten oft gehörte Angabe, dass sie jedesmal nach diesen 
Trachea]- oder Bronchialeinspritzungen sich vorzugsweise wohl und 4 bis 
6 Stunden lang frei von Athembeschwerden fühlten, eine Beobachtung, 
welche keineswegs allein auf die reichlichere Expectoration zurückzuführen 
ist. Die hierbei mit der Kehlkopfspritze und nicht mit dem Einstäubungs- 
apparat applicirten Kampfersäurelösungen waren meist 1 bis 2, selten 3”/o, 
zu deren Herstellung stets gekochtes destillirtes Wasser angewendet wurde. 
Bei dieser Gelegenheit darf ich nicht unerwähnt lassen, dass auch Max 
Schäffer 3 ) in Bremen die locale Behandlung der Trachea und der Bronchien, 
welche er vorzugsweise durch Einpulverungen von Borsäure, aber auch durch 
Einspritzungen von Flüssigkeiten ausführt, dringend empfiehlt, und dass eine 
ähnliche Behandlung dieser Organe, wie ich aus einem Vortrage des Herrn 
Collegen Landgraf*) in der Gesellschaft der Chariteärzte über „Katheterismus 
der grossen Luftwege“ ersehen habe, schon 1858 von Herrn Geheimrath 
Gerhardt in einem Falle von Bronchiectasie nach dem Vorgänge von 
Horace Green unter Einführung eines elastischen Katheters durch die Glottis, 
jedoch ohne Laryngoskopie, angewendet worden ist. 

Auch bei Geschwüren ist die locale Anwendung der Kampfersäure, so¬ 
weit ich dies zu beobachten in der Lage war, von augenscheinlichem Nutzen, 
indem der Schmerz wesentlich gelindert, die Secretion beschränkt, die Ver¬ 
narbung befördert wird. Entsprechend der von Sormani und Brugnatelli 
constatirten Einwirkung der Kampfersäure auf Tuberkelbacillen habe ich 
dieselbe in mehreren Fällen ausgesprochener Kehlkopftuberculose mittelst 
Einspritzungen oder Einstäubungen von 2 bis 6°/oiger Lösung möglichst 
täglich angewendet und jedesmal die Heilung der etwa 8 bis 12 Wochen 
lang behandelten Geschwüre erreicht, hierbei aber auch wiederum die be¬ 
kannte Erfahrung gemacht, dass in solchen Fällen, namentlich bei zeitweiser 
oder gänzlicher Unterbrechung der Behandlung und sehr unregelmässigem 
Leben der Patienten öfters an anderen Stellen von Neuem Geschwüre ent¬ 
stehen, welche die erneuerte Behandlung erfordern und die definitive Heilung 
erheblich verzögern. 

Ebenso zeigte sich bei anderen Geschwüren der Mund-, Nasen- und 
Kehlkopfschleimhaut, ferner bei kleinen Wunden, Geschwüren und Pustel¬ 
ausschlägen der äusseren Haut die Kampfersäure von auffallend günstigem 
Einfluss, besonders aber bei jener sonst so hartnäckigen, wohl als Eczema 
narium bezeichneten Pustelbildung im Bereiche der Haarbälge der Vibrissae. 
Schliesslich möchte ich zu bemerken mir noch gestatten, dass die örtliche 


*) Max Reichert, Ueber eine neue örtliche Behandlung der chroni¬ 
schen Lungentuberculose und der chronischen Bronchitis. (Nach einem am 
7. Juni 1884 auf der Versammlung des Allg. meckl. Aerztevereins gehaltenen 
Vortrage.) D. Arch. f. klin. Med. 1885, Bd. 37, H. 5, p. 465 etc. 

2 ) Hierbei erscheint es zweckmässig, dass die Patienten während dieser 
Tracheal- oder Bronchialeinspritzungen sich möglichst stark nach der Seite 
hinneigen, welche der allein oder vorzugsweise afficirten Lungenseite ent¬ 
spricht, eine Maassnahme, welche Sehrwald als Assistent der Rossbach- 
schen Klinik bei der percutaneu Injection von Flüssigkeiten in die Trachea 
an Thieren in sehr eingehender Weise durchgeführt und beschrieben hat. 
cfr. Ernst Sehrwald, Ueber die percutane Injection von Flüssigkeiten in 
die Trachea etc. Deutsches Archiv für klin. Medicin 1886, Bd. 39, 1 u. 2. 

*) Max Schäffer, Die locale Behandlung der Erkrankungen der 
Trachea und Bronchien. Monatsschrift für Ohrenheilkunde, sowie für Kehl¬ 
kopf-, Nasen-, Rachenkrankheiten 1887, No. 4. 

*) Landgraf, Ueber Katheterismus der grossen Luftwege. Berl. klin. 
Wochenschr. 1887, No. 6. 

Anwendung der Kampfersäure auch in 2 Fällen von chronischer Urethritis 
mit Prostataschwellung (1:100), ferner in einem Falle von leichterem Ery¬ 
sipel (1 und 2%), endlich in 3 Fällen von Acne (3 - 6°/o) die betreffenden 
Patienten recht befriedigte, und dass besonders bei der Acne rosacea die 
sehr günstige Wirkung der Karapfersäurebehandlung auch objectiv zweifel¬ 
los war. 


Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass die Kampfersäure nicht nur für 
die specialistische Behandlung der Erkrankungen der Luftwege, sondern auch 
auf anderen Gebieten der Medicin, vielleicht auch als innerlich anzuwen¬ 
dendes Arzneimittel Verwerthung finden wird- 

Phenacetin gegen Migräne. 

Von Sanitätsrath Dr. J. Rabuske. 

Ohne Frage gehört die Behandlung der Migräne zu der drückendsten 
crux medicorum, und in dem Bestreben den Leidenden zu Hülfe zu kommen 
und ihre Klagen verstummen zu machen, sind im Laufe der Jahre die ver¬ 
schiedensten Mittel, leider oft ohne allen Erfolg, angewendet worden. 

Wenn ich mir nun gestatte, in Kürze auf ein neueres Präparat hin¬ 
zuweisen, welches mir in einem, in mehrfacher Hinsicht interessanten Falle 
von jahrelang dauernder und schwerer Migräne die überraschendsten Resul¬ 
tate geliefert hat, so ist dies vielleicht einem oder dem anderen Herrn Col¬ 
legen ein Fingerzeig in gleicher Weise vorzugehen, wenn er sich vergeblich 
bemüht hat mit anderen Mitteln das bezeichnete Leiden zu bannen. 

Es handelte sich um eine etwa 33jährige, verheirathete, seit Jahren 
nicht mehr menstruirte Dame. Dieselbe stammt aus gesunder Familie, hat 
früher an Ulcus ventriculi gelitten, welches ohne Residuen zu hinterlassen 
heilte, und ist nun seit langer Zeit von der Hemicrania sympathico- 
tonica (du Bois-Reymond) genannten Form des halbseitigen Kopfschmerzes 
befallen. Die Anfälle traten in letzter Zeit jeden Morgen beim Erwachen 
ein, dauerten ununterbrochen bis zum Abend, wo dieselben nachliessen, und 
gingen mit allgemeinem Kältegefühl, Mattigkeit und Blässe des Gesichtes 
einher. Der oft bis zur Raserei gesteigerte intensive Schmerz, welcher 
seinen Sitz in der rechten Kopf- und Gesichtshälfte hatte und als bohrend 
und spannend bezeichnet wurde, strahlte mitunter in die linke Seite des 
Kopfes aus und brachte die Kranke zur Verzweiflung. Ihr Appetit schwand, 
sie wurde von Tag zu Tag hinfälliger und das Leben ihr zur Qual. 

Der lange fortgesetzte Gebrauch des Chinin in grossen Dosen, des 
Arsenik, der Coffeinpräparate; des Antipyrin, des Antifebrin, die Application 
des inducirten und constanten Stromes, die Anwendung der Eisenwässer, 
der Genuss der See- und Gebirgsluft — kurz alle Maassnahmen vermochten 
nicht das Leiden, welches in letzter Zeit immer heftiger auftrat, zu heben. 

Da verordnete ich, durch die Arbeit des Herrn Dr. B. Rohden 
(Treben S. A) in No. 18 dieser Wochenschrift darauf aufmerksam gemacht, 
der Kranken Phenacetin in der Dosis von 0.5 in einem Esslöffel Wasser 
gelöst Abends und ebensoviel Morgens beim Erwachen zu nehmen, una nach 
dem Verbrauch 6 solcher Dosen, welche, ohne irgend welche unangenehme 
Nebenwirkungen hervorzurufen, sehr gut vertragen wurden, blieben die An¬ 
fälle weg, die Kranke fühlte sich wie zu neuem Leben erstanden. 


— Gegen Migräne empfiehlt J. Little (Roy. Acad. of Med. of Ire- 
land) Natrii salicyl. 1,0 in Wasser zu lösen und Coffeini nitrici, einen 
Kaffeelöffel voll. 

— Infusion Ton BohnenblOthen gegen Nierenkolik. Dr. Bou- 
lomiö in Paris hat bei mehreren Fällen von Nierenkolik mit einem Auf¬ 
guss trockener Bohnenblüthen sehr gute Wirkung gesehen. Ein bis zwei 
Tassen reichen zur Beseitigung der Schmerzen aus. Jede enthielt 50 bis 
60 Blüthen. (Bullet, medical 3. Juni 1888.) 

— Eröffnung retropharyngealer Abscesse. (Ctralbl. für Chi¬ 
rurgie, 4.) Burckhardt in Stuttgart hat in drei Fällen mit gutem 
Erfolge retropharyngeale Abscesse durch Einschnitt vom Halse aus eröffnet. 
Haut und Platysma werden in der Höhe des Kehlkopfs parallel dem vor¬ 
deren Kopfnickerrande durchtrennt, die Halsgefässe nach aussen gedrängt, 
dann dringt man zwischen diesen und dem Kehlkopf mit Kornzange gegen 
die Abscesshöhle vor. Die Vortheile dieser Methode bestehen in Möglich¬ 
keit der Narkose, leichter Drainage und antisoptischer Behandlung der Ab¬ 
scesshöhle. 

— Antipyrininjectionen zu 0,5 empfiehlt Aug. Wolff (Ther. 
Mthft.): 1) für das Gebiet des Muskelrheumatismus „des • Reissens“. 
Die Behandlung mit subcutanen A-Injectionen führen am schnellsten zur 
Heilung; 2) für die Brustschmerzen der Phthisiker; 3) für die Neural- 
gieen oberflächlich gelegener Nerven; 4) zur Erleichterung einer sicheren 
Diagnostik; 5) bei asthmatischen Anfällen; 6) bei schmerzhaften Zu¬ 
ständen, bei denen Morphiuminjectionen aus irgend einem Grunde contra- 
indicirt sind, als Ersatz für diese, besonders also bei Kindern und bei den 
Patienten, die Morphium schlecht vertragen. 

— Calcinmchlorid in lo/oigcr Lösung, d. i. Calcaria muriatica, nicht 
aber Calcaria chlorata, empfiehlt J. Klemperer (Zeitschr. f. klin. Medicin, 
XIV, 3. H.) bei Verdauungsstörungen, weil es die organischen Säuren 
niederschlägt, und dementsprechend Salzsäure gebildet wird, welche eine weitere 
Milchsäure- oder Buttersäurebildung verhindert — besonders aber bei Milch¬ 
diät, weil unter seinem Einfluss der Käse durch das Labferment rascher aus¬ 
gefällt wird. 

— Wirkung der Sehlaftnittel auf den Verdannngsvorgang. Die 

diastatische Wirkung gemischten Mundspeichels, wie die fibrinverdauende 
Wirkung künstlichen Magensaftes wird, nach Versuchen von Cramer, von 
schwachen Lösungen (Chloral, Paraldehyd, Amylenhydrat und Sulfonal) in 
nicht bemerkbarer Weise beeinflusst. Doch tritt bei concentrirten Lösungen 
deutliche Verzögerung der Verdauung ein. (Ther. Mthft.) 


XIII. 01. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Köln 1888. 

Nach den Berichten, die uns aus Köln zugehen, verspricht die dies¬ 
jährige Naturforscherversammlung einen durchaus glänzenden Verlauf zu 
nehmen. Ausser den im Programm bereits aufgeführten Vorträgen siud 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37 


für die Seetionen noch nachträglich deren eine ganze Reihe angemeldet 
worden, so u. a. für die Seetionen für Physiologie von Prof. Exner 
(Wien); Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie 
von Prof. Birch-Hirschfeld (Leipzig); Innere Medicin von Prof. 
Litten (Berlin), Dr. 0. Silbermann (Breslau), Prof. Gärtner (Jena), 
Dr. Wette (Köln), Dr. Krull (Güstrow), Dr. Lender (Berlin), Dr. Rieth 
(Schluchsee-San Remo); Chirurgie von Dr. Kemperdick (Solingen), 
Dr. Willemer (Ludwigslust), Priv.-Doc. Dr. Hoffa (Würzburg), Dr. Nitze 
(Eisenach), Dr. Thiem (Cottbus); Gynäkologie und Geburtshülfe: 
von Prof. Lahs (Marburg), Dr. Schücking (Pyrmont), Dr. Thiem (Cott¬ 
bus), Dr. Krukenberg (Bonn), Dr. Dick (Willmenroth); Neurologie 
und Psychiatrie: von Dr. Schnopfhagen (Linz a. D.), Prof. Mendel 
(Berlin), Dr. Brosius (Bendorf), Dr. Bartelberger (Eichberg); Otiatrie: 
von Prof. Steinbrügge (Giessen), Dr. Szenes (Budapest), Dr. Jacob¬ 
son (Berlin), Prof. Guye (Amsterdam), Dr. Krakauer (Berlin); Laryngo- 
und Rhinologie: von Prof. Schnitzler (Wien); Dermatologie und 
Syphilis: von Dr. B uz zi (Hamburg), Dr. v. Düring (Hamburg), Dr.Eich- 
hoff (Elberfeld), Dr. Unna (Hamburg). 

Die wissenschaftliche Ausstellung ist bereits am 10. d. M. 
eröffnet und umfasst, wie aus einem uns zugegangenen Auszuge aus dem 
Kataloge hervorgeht, trotz der voraufgegangenen Ausstellungen in Berlin 
und Wiesbaden, eine grosse Anzahl hervorragender technischer Neuheiten 
aus den Gebieten der Präcisionsmechanik, Mikrologie und Photographie, 
Chemie, Pbarmacie, Geologie, Mineralogie, des naturwissenschaftlichen Un¬ 
terrichts, der Geographie und Ethnographie, Biologie, Entomologie, Anthro¬ 
pologie, sowie der medicinischen Wissenschaften. 


XIV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Der Privatdocent Dr. Trautmann ist zum ausserordent¬ 
lichen Professor an der medicinischen Facultät der Friedrich-Wilhelms-Uni¬ 
versität zu Berlin ernannt worden. Trautmann hat sich auf dem Gebiete 
der Ohrenheilkunde durch seine literarische und praktische Thätigkeit einen 
hervorragenden Platz erworben. Wir beglückwünschen den strebsamen 
Forscher und bewährten Praktiker zu der wohlverdienten Anerkennung und 
freuen uns gleichzeitig mittbeilen zu können, dass Professor Trautmann 
nach langwierigem Leiden, welches er sich durch eine Verletzung bei einer 
Operation zugezogen hatte, nunmehr in voller Frische und Gesundheit seine 
segensreiche Thätigkeit im vollen Umfange wieder aufgenommen hat. — Dem 
Privatdocenteu an der hiesigen Universität Dr. Horstmann ist das Prädicat 
„Professor“ verliehen worden. Unserem geschätzten, langjährigen Mitarbeiter 
bringen wir zu der ihm zu Theil gewordenen Auszeichnung unsere herzlichsten 
Glückwünsche dar. 

— Soeben ist im Verlage von Julius Springer eine „Anleitung 
zur Gesundheitspflege an Bord von Kauffartheischiffen“, auf 
Veranlassung des Staatssecretärs des Innern bearbeitet im 
Kaiserl. Gesundheitsamte, erschienen. Der in der Hauptsache von 
dem Professor Dr. Gaertner in Jena ausgearbeitete Entwurf obiger An¬ 
leitung ist nach Begutachtung durch die Regierungen der Bundesseestaaten 
im Gesundheitsamte unter Zuziehung einiger dem Gebiete des Seewesens 
nahestehenden ausserordentlichen Mitglieder einer Revision unterworfen worden 
und hat in der vorliegenden Fassung die Zustimmung der botheiligten 
Regierungen gefunden. Der erste Theil umfasst die Gesundheitspflege am 
Bord, Regelung der Schifiskost, Vorschriften zur Abwehr seuchenartig auf¬ 
tretender Krankheiten etc., der zweite Theil die Krankenpflege. Die An¬ 
leitung enthält in der geeignetsten Weise Rathschläge für den Schiffs¬ 
führer zur Verhütung von Krankheiten und soll ihn ferner befähigen, auf 
Grund der in der Navigationsschule erworbenen Vorkenntaisse, da, wo 
geeignete ärztliche Hülfe fehlt, auch- in Krankheitsfällen zweckentsprechende 
Maassnahmen zu treffen. 

— In den Zeitungen der jüngsten Tage, welche ln der von Mackenzie 
und seinen Creatureu beliebten Weise für die in der nächsten Zeit erschei¬ 
nende Broschüre die Redametroramel fleissig rührten, war auch die auffallende 
Angabe verbreitet, das Erscheinen der Broschüre werde dadurch verzögert, dass 
die Königin von England die Correcturbogen derselben zur Durchsicht verlangt 
habe. Es war diese Nachricht, wie nahezu alle von Mackenzie verbreiteten, 
eine vollständig erlogene. Die Königin hat im Court circular, das von ihr selbst 
geschrieben wird, dem widersprechen lassen und die Angabe für vollständig 
unbegründet erklärt. Mackenzie und sein Stab lassen es sich dennoch nicht 
nehmen, dieselbe Nachricht trotz des erhaltenen Dementi weiter und weiter 
zu verbreiten. Die Beziehungen zwischen Mackenzie und der Königin 
dürften daher schwerlich die besten sein. 

— Der Verein für Gesundheitstechnik hält vom 10.—12. September 
seine Hauptversammlung in Düsseldorf ab. 

— Jena. Prof. Biedermann (Prag) hat den Ruf als ordentlicher 
Professor der Physiologie erhalten und angenommen. 

— Greifswald. Der Privatdocent und Kreisphysikus Dr. Beumer 
in Greifswald ist zum ausserordentlichen Professor ernannt worden. 

— Budapest. Die 24. Wanderversammlung der ungarischen 
Aerzto und Naturforscher, welche vom 23. bis 28. Aug. in dem Karpathen- 
curorte Tatra-Füred (Schmecks) stattgefunden hat, war von 233 Mitgliedern be¬ 
sucht; angemeldet und nicht erschienen waren 27. Eröffnet sowie geschlossen 
wurde die Versammlung durch den Präsidenten Bischof Csätzka. Von den 
abgehaltenen Vorträgen heben wir hervor, den des Prof. Fodor „über die 
Rolle der Frau in der Gesundheitspflege,“ in welchem auf Grund statistischer 
Daten nachgewieseu wird, dass die Lebensdauer der Frauen in Ungarn eine 
kürzere ist als die der Männer. Dr. Schwarzer sprach „über die Hebung 
des ärztlichen Standes“ und beantragte die Bildung von „Aerztekammem“ 
in Ungarn, welche Proposition auch angenommen wurde. Prof. Tau ff er 
erörterte ..die therapeutische Indication und die Prognose einiger Uuter- 


leibstumoren. Dr. Jelenffy erging sich „über Nasenausspülung;“ Prof. 
Poor sprach über Jodkali als sicheres und unschädliches Mittel bei Syphi¬ 
lis.“ In der Schlusssitzung wurde Gross wardein als nächster Zusammen¬ 
kunftsort der Versammlung gewählt, welche 25. Wanderversammlung im 
Jahre 1890 stattfinden wird, da dieser Congress in Ungarn nur je nach 
zwei Jahren Zusammentritt. Zum Präsidenten dieser 25. Wanderversammlung 
wurde wieder ein Bischof (Lorenz Schlauch) gewählt, zum zweiten Prä¬ 
sidenten der Obergespan Baron Dory, zu Vicepräsidenten der Bürgermeister 
von Gr.-Wardein, Franz Sal, und der Budapester Universität^-Professor 
Kezmarszky. Nicht unerwähnt darf gelassen werden der in der Schluss¬ 
sitzung gehaltene Vortrag des Operateurs Dr. Schächter .über die Frei¬ 
heit des menschlichen Willens,“ der mit grossem Beifall aufgenommen 
wurde. Schliesslich sei noch erwähnt, dass aus Berlin Begrüssungsschreiben 
eingelaufen sind von den Universitäts-Professoren: Leyden, Westphal, 
Gerhardt, Waldeyer und Liebreich. 

— Brescia. Am 1. September hat in Brescia ein hygienischer 
Congress getagt. 

— Auf dem letzten Congress polnischer Aerzte und Natur¬ 
forscher hat sich auf Antrag Prof. Rydygier’s eine „Gesellschaft polni¬ 
scher Chirurgen“ gebildet, deren erste Zusammenkunft im nächsten Jahre 
anlässlich der Eröffnung der neuerbauten chirurgischen Klinik in Krakau 
stattfinden wird. 

— Die Buchhandlung von Emil Strauss in Bonn versendet soeben unter 
dem Titel: Bibliotheca psychiatrica ein circa 2000 Nummern um¬ 
fassendes Verzeichniss ihres antiquarischen Bücherlagers, Abtheilung: Psy¬ 
chiatrie, Psychologie, Gehirn- und Nervenphysiologie und -pathologie. Das 
selbe enthält sowohl die ältere als auch in seltener Vollständigkeit die 
neuere psychiatrische Literatur Deutschlands, Englands, Frankreichs und 
Italiens; sämmtliche psychiatrische Zeitschriften der Welt meistens in kom- 
pleten Serien. Die genannte Buch- und Antiquariatshandlung versendet 
diesen Catalog überallhin gratis und franco. 

— Soeben ist das 5. Heft des bekannten Atlas der Anatomie des Men¬ 
schen von Professor Bock in 7. Auflage in der Rengers’schen Buchhand¬ 
lung, Leipzig, erschienen. Auch dieses Heft theilt alle jene Vorzüge, der 
Umarbeitung, der Verbesserung, der Erweiterung, namentlich der mit allen 
Hilfsmitteln der neueren Technik ausgoführten Abbildungen, welche wir be¬ 
reits bei der Besprechung der vorangegangenen Hefte hervorgehoben haben. 

— Ueber die geistige Befähigung der Kinder von Aerzten im Verhält- 
niss zu anderen Kindern hat Gal ton sehr merkwürdige Thalsachen gefunden. 
Es ergab sich aus einem Studium der Nachkommen der Mitglieder einiger 
bedeutender wissenschaftlicher Londoner Gesellschaften, dass die Juristen 
die begabtesten Kinder und die wenigsten Idioten zur Welt bringen. Dann 
kommen die Aerzte und endlich die Geistlichen, welche am meisten Idioten 
und Schwachköpfe und am wenigsten Talente produciren, so dass aus der 
Geistlichkeit sechsmal soviel Idioten stammen, wie aus der Rechtsgelehrsam¬ 
keit. (The med. Record, Wiener kl. Wochenschr.) 

— Altersgrenze der Universitäts-Professoren. Derfranzösische 
Unterrichtsminister hat den auch in Oesterreich üblichen Modus, die Pro¬ 
fessoren bei Erreichung des 70. Lebensjahres zu pensioniren, acceptirt und 
hat jüngst Dr. Toundes, Professor der gerichtlichen Medicin und Decan 
der Facultät zu Nancy, in Pension gehen lassen und ihm bei diesem An¬ 
lasse den Titel eines „Ehren-Decans“ der besagten medicinischen Facultät 
verliehen. Die französischen Fachblätter loben diese Maassregel, welche jüngst 
auch bei den berühmten Professoren Bouchardat und Hardy in Anwen¬ 
dung gebracht wurde, und wünschen nur, dass sie im Interesse eines ge¬ 
deihlichen Unterrichtes an den Hochschulen allenthalben zur Durchführung 
gelangen möge. — Eine ähnliche gesetzliche Verfügung wäre auch in Ungarn 
dringend nötig — so ergänzt d. Pest. chir. Presse die obige derselben ent¬ 
lehnte Mittheilung. 

— Die Doctoren der Medicin haben in dem Lehrjahre 1886/87 durch 
die 20 deutschen Universitäten für Deutschland einen Zuwachs von 847 
erhalten, das voraufgegangene Jahr lieferte 687. In Frankreich haben die 
sechs medicinischen Facultäten 546 Doctoren im Jahre 1885/86 und 624 
im Jahre 1886/87 creirt. 

— Cholera. Während des Juli sind unter den europäischen Soldaten 
der französischen Armee in Tonkin 27 Choleratodesfälle vorgekommen. 

— Pocken. Die Pocken-Epidemie in Havanna ist seit Ende Juli er¬ 
loschen. Während der 15 monatlichen Dauer hat die Zahl der Pockentodes¬ 
fälle in der Stadt Havana 2227 betragen. In einzelnen Bezirken der Insel 
tritt die Krankheit mit noch andauernder Heftigkeit auf. (V. d. K. G.-A.) 

— Universitäten. Bonn. Der bisherige Prosector am Institut für 
vergleichende Anatomie in Würzburg Dr. 0. Schultze hat sich als Privatdocent 
in Bonn habilitirt. — Wien. Dr. Josef Nevinny ist als Privatdocent für 
Pharmakognosie, Dr. H. Paltauf als Docent für gerichtliche Medicin bestätigt 
worden. Dr. A. Obalinski ist zum a. o. Professor der Chirurgie an der 
Universität Krakau ernannt. Dr. H. Klotz ist zum a. o. Professor der Gy¬ 
näkologie an der Universität Innsbruck ernannt Dr. Ludwig v. Langer, 
Privatdocent, ist gestorben. — Bukarest. Dr. J. Fabricius, Professor 
der Ophthalmologie an der medicinischen Facultät, ist gestorben. — Rom. 
Dr. Pagliani, Professor der Hygiene zu Turin und Direktor des Sanitäts¬ 
wesens im Ministerium des Innern, ist zum Direktor der mit dem Institute 
der experimentellen Hygiene verbundenen Fortbildungsschule für öffentliche 
Gesundheitspflege berufen worden. — Helsiugfors. Dr. Sievers ist zum 
Docenten für innere Medicin, Dr. Wahlfors zum a. o. Professor für Ophthal¬ 
mologie ernannt worden. — Tomsk. Zu Professoren der am 22. Juli eröffneten 
Universität Tomsk sind vorzugsweise Privatdocenten der Kasan’schen Uni¬ 
versität ernannt worden und zwar Dr. N. Malijew — für den Lehrstuhl 
der Anatomie; Dr. A. Dogel — für Histologie; A. Saizew — für Mine¬ 
ralogie und Geologie; E. Lehmann — für Pharmarcie; E. Korshinski 
— für Botanik; Jesechus — für Physik und E. Pölzam — zum Custos 
des zoologischen Cabinets. 


Gedruckt bei Julias Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


jw am 


20. September 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheiiungen, der Öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet yon Dr. Pani Börner. 

Yierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttraann in Berlin W. Verlag von Georg Thierae, Leipzig-Berlin. 


I. Zur Behandlung der Syphilis mitlnjectionen 
von Calomelöl und Oleum cinereum. 1 ) 

Von Prof. Dr. Dontrelepont in Bonn. 

Obwohl mehr denn je in den letzten Jahren die verschiedenen 
auf die Therapie der Syphilis bezüglichen Fragen erörtert wurden, 
so sind dieselben dennoch bis jetzt zu einem definitiven Abschluss 
nicht gelangt. So ist es keineswegs noch ausgemacht, ob es mög¬ 
lich ist, durch gründliche Zerstörung des Initialaffectes, sei es durch 
Exstirpation oder durch Aetzen, das Auftreten der Allgemeininfection 
zu verhüten: wissen wir ja noch nicht einmal, ob beim Vorhanden¬ 
sein der Primärinduration das Virus schon in die Lymphbahn, oder 
sogar in die Blutbahn eingetreten ist oder nicht. Wann die Allge¬ 
meinbehandlung beginnen soll und wie lange sie durchzuführen ist, 
darüber sind die Ansichten ebenso getheilt, als die Forscher sich 
darüber noch nicht geeint haben, ob exspectativ gegen die Syphilis 
verfahren werden soll, oder ob gleich das specifisch wirkende Queck¬ 
silber gegen die Syphilis anzuwenden ist. Auch die Frage, in wel¬ 
cher Form das Quecksilber als Hauptmittel applicirt werden soll, 
ob durch den Magen, percutan oder subcutan resp. intramusculär 
und, falls man sich zu letzterer Anwendungsweise entschliesst, welche 
Präparate, die schnell oder langsam resorbirbaren, zu gebrauchen 
sind, wird noch verschieden beantwortet, zumal die Untersuchungen 
über Schnelligkeit und Dauer der Elimination des Quecksilbers durch 
die Excrete noch in vollstem Gange begriffen sind. — Dass bei der 
Erörterung all’ dieser Punkte wenigstens versucht wurde, festzu 
stellen, welche Methoden am sichersten vor Recidiven schützen, ist 
mehr wie begreiflich. 

Bei diesem Stand der Dinge sind wir gewiss berechtigt, auch 
hier wenigstens in Kürze zu präcisiren, welchen Standpunkt wir ein¬ 
zunehmen haben gegenüber diesen principiellen Fragen. 

Dass wir non hinsichtlich der oben angedeuteten Punkte noch 
so wenig vorwärts gekommen, obwohl diese Fragen schon auf dem 
internationalen Congress zu Kopenhagen im Jahre 1884, in den 
Sectionen für Dermatologie und Syphilis der Naturforscherversamm- 
lnngen in Strassburg, Berlin und Wiesbaden, sowie auf dem Congress 
für innere Medicin auf der Tagesordnung standen, und ebenda sowie 
in der späteren Literatur lebhaft erörtert wurden, liegt nicht zum 
wenigsten daraD, dass uns bis jetzt eine genaue Statistik fehlt. — 
Schon Neisser hatte auf dem Wiesbadener Congress hervorgehoben, 
wie nothwendig gerade für die Syphilistherapie eine Art Sammel¬ 
forschung sei, „eine Sammelforschung, welche freilich sich nicht 
darauf beschränken dürfte, das vorhandene Material zu ordnen und 
zusamraenzustellen, sondern welche, mehr als eine Art Sammelarbeit 
von gemeinschaftlichen Grundsätzen ausgehend, die Syphilistherapie 
der nächsten Jahre und Jahrzehnte nach bestimmten vereinbarten 
Grundsätzen leiten müsste und so ein gut und lange beobachtetes 
Material und damit die Grundlage für eine wirklich brauchbare 
Statistik schaffen würde.“ 

Auf der Berliner Naturforscherversammlung wurde dann diese 
Frage einer Sammelforschung von Köbner aufgenommen, der schon 
ein Schema dazu Vorschlag, und auf seinen Antrag wurde eine 
Commission zur Vorberathung gewählt, welche dann auf der Wies¬ 
badener Versammlung ein fertiges Schema mittheilte, nach welchem 
ietzt allgemein wissenschaftlich gearbeitet werden soll. Als Mitglied 


*) Nach einem auf der Aerzteversammlung des Regierungsbezirks Köln 
gehaltenen Vortrage. 


der Commission bitte ich Sie, sich an dieser Sammelforschung zu 
betheiligen: Sie hauptsächlich als Familienärzte, welche Jahrzehnte 
hindurch Ihre Patienten zu beobachten Gelegenheit haben, können 
die wichtigsten Aufklärungen in den dunklen Fragen geben. Das 
Schema der Commission finden Sie in fast allen deutschen medici- 
nischen Zeitschriften veröffentlicht. 

Die Zeit fehlt mir, die einzelnen oben erwähnten Fragen näher 
zu erörtern. Es mag hier genügen, Ihnen die Grundsätze mitzu- 
theilen, nach welchen ich, auf Grund der Erfahrung, die Behandlung 
der Syphilis leite. 

Was zunächst den Primäraffect betrifft, so empfehle ich die 
Exstirpation desselben, so lange dieselbe gründlich vorgenommen 
werden kann, denn dadurch ist die Möglichkeit wenigstens gegeben, 
das Gift ganz oder doch zum Theil aus dem Körper zu schaffen. 
Wenn ich auch bei den von mir ausgeführten Exstirpationen die 
Allgemeininfection nicht habe verhindern können, so scheint in den 
betreffenden Fällen der weitere Verlauf der constitutionellen Syphilis 
nur ein milder gewesen zu sein. 

Ist die gründliche Exstirpation nicht mehr möglich, so behandele 
ich die Initialaffecte und indolenten Bubonen durch locale Appli¬ 
cation von Empl. hydrargyri und reiche innerlich Jodkali. Dabei 
sieht man die Induration meistens schnell schwinden. Unter dieser 
Behandlung warte ich gewöhnlich das Auftreten der ersten Secun- 
därsymptome ab. — Eine Präventiv-Allgemeinbehandlung wende ich 
nur selten an: die Erfahrung hat mir gezeigt, dass hierdurch für 
gewöhnlich das Auftreten der Secundaria zur bestimmten Zeit nicht 
verhindert wird, und wenn dies auch einmal geschieht, dass sie 
später doch noch erscheinen, oder dass an ihrer Stelle schwere ter¬ 
tiäre Formen sich einstellen können. 

Dabei bleibt nur zu bedauern, dass gerade die Bubonen, in 
denen wir doch wohl während der zweiten Incubation das Virus 
hauptsächlich zu suchen haben, der Quecksilber Wirkung so hart¬ 
näckig widerstehen; vermuthlicb dringt der Mercur bei unseren ge¬ 
wöhnlichen Methoden nicht in dieselben ein, so dass er eine ener¬ 
gische Wirkung auf dieselbe nicht entfalten kann. 

Sobald jedoch die ersten Symptome der Syphilis secundaria 
sich zeigen, bin ich gegen jede weitere exspectative Behandlung. 
Das sicherste Mittel, von dem wir wissen, dass es das syphilitische 
Virus zerstört oder jedenfalls sehr schwächt, muss gleich energisch 
in Anwendung kommen. Der Gebrauch des Quecksilbers muss 
dann so lange fortgesetzt werden, bis alle Symptome völlig ge¬ 
schwunden, die erkrankten Stellen ganz zur Norm zurückgekehrt 
sind. Hat doch Neumann durch seine Untersuchungen nach¬ 
gewiesen, dass mit dem Schwinden der klinischen Erscheinungen 
nicht immer die anatomischen Veränderungen gewichen sind, dass 
in der Tiefe der Cutis noch lange Exsudatzellen, selbst Pigmenti- 
rungen Zurückbleiben, wo das Auge des Klinikers nichts Krankhaftes 
mehr zu finden vermag. Diese Thatsache fordert auf, nicht zu früh 
mit dem Gebrauch des Quecksilbers aufzuhören. 

Ich lege daher auf eine gründliche Beseitigung aller Symptome 
bei der ersten Cur sehr grosses Gewicht. Bei der Entlassung der 
Patienten lasse ich gewöhnlich noch einen Monat Jodkali nehmen. 
Durch die Untersuchungen von Stuchow wissen wir, dass dieses 
Antisyphiliticum die Elimination des Quecksilbers durch den Harn 
hindert, oder wenigstens vermindert. 

Früher rieth ich nur dann zu einer erneuten Quecksilbercur, 
wenn sich ein Recidiv zeigte, da ich es für wichtig hielt, klar sehen 
zu können, ob man den Kranken als geheilt betrachten solle, oder 
nicht, um dann bei jedem Recidiv wieder so energisch wie früher 


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770 


Deutsche medicinische Wochenschrift. 


No. 38 


mit Mercur vorzugehen. Seit Fournier seine chronisch - intermit- 
tirende Behandlung empfohlen, zu welcher er durch die Erfahrungen 
seiner langen Praxis geführt wurde, schliesse ich mich dieser ganz 
und gar an. Dabei bleibt es nur zu bedauern, dass man im prak¬ 
tischen Leben so wenig Gelegenheit hat, dieselbe gründlich durch- 
zuführqn, da die Patienten häufig sich für gesund halten, weil sie 
keine Symptome an sich beobachten. Besonders, wenn die Kranken 
an eine Heirath denken, muss mit aller Energie diese chronische 
Behandlung durchgeführt werden. 

Quecksilber ist entschieden das sicherste Antisyphiliticum. Jod¬ 
kali wende ich nur nach Quecksilbercuren, wie oben bemerkt, an 
und dann im tertiären Stadium, wo dieses Mittel häufig, energisch 
gebraucht, die schönsten und schnellsten Erfolge aufzuweisen hat, 
während der Mercur bei zerfallenen Gummata oft nicht gut ertragen 
wird und den Zerfall nur begünstigt. Erst bei Nichterfolg des Jod¬ 
kali entschliesse ich mich zur Quecksilberbehandlung bei tertiären 
Erscheinungen und combinire dann das Hydrargyrum mit Jodkali. 

Von allen Methoden der Anwendung des Mercur muss die 
Schmiercur als in ihrer Wirkung noch nicht übertroffen hingestellt 
werden. Ihr nahe kommen die Quecksilberinjectionen. Seit Lewin 
die Sublimatinjectionen in die Praxis eingeführt hat, ist die Anzahl 
der zur Injection verwandten Hydrargyrumpräparate eine sehr grosse 
geworden. Ich will sie hier nicht alle anführen: nur das eine sei 
hervorgehoben, dass man, aus Furcht vor der reizenden Wirkung 
der Sublimats, dasselbe durch Verbindungen des Quecksilbers mit 
Kochsalz, Pepton, Albumen, Amiden, Blutserum u. s. w. zu mildern 
suchte und dadurch den Mercur schneller zur Resorption bringen 
wollte. 

Diese Präparate werden, wie die betreffenden Untersuchungen 
bewiesen, zwar leicht resorbirt, aber auch verhältnissmässig schnell 
aus dem Körper eliminirt und werden wohl in Folge dessen eine lang 
anhaltende Wirkung auf das syphilitische Gift kaum entfalten können, 
wenn sie auch, wie es scheint, die Symptome vielleicht schneller 
zum Schwinden bringen. Von der Schmiercur wissen wir, dass 
Quecksilber noch 6 Slonate nach beendigter Cur im Urin gefunden 
wurde. Anhaltende Wirkung erwartet man jetzt mehr von Injec- 
tionen unlöslicher Hydrargyrumpräparate, welche, erst im Körper 
allmählich in eine lösliche Form verwandelt, als solche resorbirt 
werden, wie man es bei der Schmiercur sieht. 

Schon 1864 empfahl Scarenzio die Injectionen von Calomel 
gegen Syphilis, ohne damals damit durchzudringen. Der Grund 
hiervon war wohl das häufige Auftreten von tiefen Infiltrationen, 
Abscedirungen und Schmerzhaftigkeit. Wenigstens habe ich deshalb 
früher diese Injectionen nur selten angewendet. Erst in der neuesten 
Zeit, besonders durch die Empfehlungen von Smirnoff, welcher 
sehr günstige Resultate veröffentlichte, Watraszewski, Saffian- 
tini, einem Assistenten Scarenzio’s, und in Deutschland durch 
Neisser’s Empfehlungen ist das Vorurtheil geschwunden, und seit 
der Zeit ist eine grosse Anzahl empfehlender Arbeiten über Calomel- 
injectionen in der Literatur erschienen. 

Scarenzio hatte das Calomel zur Injection in Gummilösung 
suspendirt, Smirnoff in Glycerin, Neisser in Kochsalz mit und 
ohne Gummizusatz. Balzer empfahl dann eine Suspension von 
Calomel (0,05) in Vaselinöl (1,0), zu gleicher Zeit, als Neisser 
schon angefangen hatte, nur Oelsuspension anzuwenden, und zwar 
Calomel vapore paratum (1,0) in Olivenöl (10,0) suspendirt; es ist 
deshalb nur das so bereitete Calomel zu gebrauchen, weil das andere 
sich leicht ballt und die Canäle beim Einspritzen verstopfen kann. 
Von diesem Calomelöl spritzt man alle acht Tage eine Pravaz’sche 
Spritze, also 0,1 g Calomel ein. Zur Beseitigung der Symptome 
braucht man gewöhnlich 4—6 Injectionen. Als Ort der Injection 
wählt man jetzt ziemlich allgemein die Glutäalgegend, und zwar 
spritzt man am besten hinter dem Trochanter in die Muskulatur 
selbst, weshalb die Spritze mit langer Canüle versehen sein soll. 
Die Suspension muss natürlich vorher stark geschüttelt werden, um 
das Calomel gleichmässig im Oel zu vertheilen. — Selbstverständlich 
sind die Injectionen unter allen antiseptischen Cautelen auszuführen, 
um keine heftigen Entzündungen zu beobachten. Die Resultate, 
welche wir in Klinik und Poliklinik erzielt haben, sind von 
Dr. Bender 1 ) veröffentlicht worden. 

Seit der Zeit haben sich unsere Erfahrungen sehr vermehrt 
und sind, wenn möglich, noch günstiger ausgefallen. Den Satz 
von Neisser, dass die Calomelölinjectionen neben Inunctionscur die 
wirksamste und energischste Methode der Syphilisbehandlung sind, 
bestätige ich vollständig. Sie stellen eine sicher und schnell 
wirkende, aber auch lange nachwirkende Methode der Queck¬ 
silberanwendung dar; die Untersuchungen des Harns nach diesen 
Injectionen haben ergeben 2 ), dass schon bald nach denselben, aber 


') Vierteljahresschrift für Dermatologie und Syphilis 1888, p. 55 ff. 
a ) I.andsborg, lieber Ausscheidung von Hg aus dem Organismus mit 
besonderer Berücksichtigung des Calomel. Inaug.-Diss., Breslau 1886. 


auch noch nach mehreren Monaten Hydrargyrum im Harne sich 
findet. Recidive fehlen bei dieser Methode ebensowenig, wie bei 
der Inunctionscur; sie scheinen mir jedoch, wenigstens nach meiner 
bisherigen Erfahrung, seltener zu sein, als nach den Injectionen der 
löslichen Quecksilberpräparate. Ein definitives Urtheil hierüber 
lässt sich jedoch bis jetzt nach dieser verhältnissmässig kurzen Zeit 
der Anwendung und in Anbetracht des so chronischen Verlaufes 
der Syphilis nicht fällen. — Die Methode bietet aber, um dies noch 
einmal hervorzuheben, neben der ausgezeichneten Wirksamkeit den 
Vortheil grosser Bequemlichkeit dar. Der Patient braucht sich nur 
alle 8 Tage dem Arzte zu zeigen, er kann seiner gewöhnlichen Be¬ 
schäftigung ohne zu grosse Belästigung nachgehen, weshalb ich 
schon früher die Calomelinjectionen in den Fällen verwandte, wo 
der Patient sich einer regelmässigen Cur nicht unterziehen, sich 
nur selten vorstellen konnte. Die damals häufiger beobachteten 
Infiltrationen und Abscedirungen sind durch die Einführung des 
Calomelöl sehr verringert; Abscesse haben wir überhaupt nicht 
mehr beobachtet; wenn aber auch Abscedirung eintritt, so heilt sie 
sehr schnell, wie wir es früher bei Anwendung anderer Calomel- 
suspensionen erfahren haben, unter antiseptischem Verbände ohne 
grössere Belästiguug. 

Meiner Ansicht nach ist das Entstehen eines Abscesses immer 
auf einen Mangel der nothwendigen Asepsis zurückzuführen. In¬ 
filtrate, Schmerzen, sowohl spontan, als auch bei Druck, kommen 
vor, sind jedoch zu ertragen; nur ganz ausnahmsweise, bei sehr 
empfindlichen Patienten, muss deshalb die Methode der Behandlung 
geändert werden. Die Infiltrate sind bald schmerzlos und werden 
allmählich resorbirt. Stomatitis wird hier, wie bei jeder Anwendung 
des Quecksilbers beobachtet. Bei Injection unlöslicher Mercurprä- 
parate muss natürlich besondere Vorsicht bezüglich der Stomatitis 
obwalten, weil hierbei eine grössere Menge Quecksilber in den 
Körper geschafft wird, welche erst allmählich sich in lösliche Prä¬ 
parate verwandelt, deren Resorption selbstredend nur langsam vor 
sich geht, und die wir, sobald die Stomatitis beginnt, nicht mehr 
aus dem Körper entfernen können. 

Neuerdings hat Lang, von der Anschauung geleitet, dass das 
Quecksilber in der Form, in welcher es in der grauen Salbe ent¬ 
halten ist, das wirksamste antisyphilitische Mittel darstellt, ein ähn¬ 
liches Präparat zur Injection empfohlen. 

Seine Formel ist folgende: 

Hydrargyrum 
Lanolin ana 3,0 
01. olivar. 4,0. 

Früher verwandte Lang statt des Lanolin Ungt. simpl. oder 
Vaselin. 

Ueber die Dosirung und Wirksamkeit des Präparates bemerkt 
der Autor, dass er bei mittelschweren Formen von Lues 0,3 ccm 
grauen Oels per Woche 2—3 Wochen hindurch anwenden musste, 
um die Symptome zum Schwinden zu bringen. — Für gewöhnlich 
injicirte er während der genannten Zeit alle 5—8 Tage an 2 Stellen 
je 0,1—0,15 ccm in die Nates, hierauf ward nach 14—20tägiger 
Pause, in etwas grösseren Zeitintervallen mit denselben Dosen, oder 
in geringeren Intervallen mit kleineren Dosen die Behandlung fort¬ 
gesetzt. — Im Allgemeinen beseitigten l l / 2 —2 ccm die Symptome 
ganz. Lang hebt mit Recht als Vorzüge dieses grauen Oels die 
genaue Dosirung, die bequeme Anwendungsweise und die geringe 
Reaction hervor: Vereiterung der Injectionsstelle wurde nie beob¬ 
achtet. Nach seinen Erfahrungen macht Oleum cinereum noch ge¬ 
ringere Reactionserscheinungen, wie Calomel: die Knotenbildung an 
der Injectionsstelle beginne am ersten bis zweiten Tage, dauere nur 
2—5 Tage, um in 6-8 Tagen ganz zu schwinden. 

Hinsichtlich der Wirksamkeit bemerkt Lang besonders, dass er 
sehr günstige Erfolge von seinem Präparate bei schweren Formen 
der Syphilis der Nervencentren gesehen habe. — Die Erfahrungen, 
welche wir in der Klinik mit dem Oleum cinereum (nach der ur¬ 
sprünglichen Formel) gemacht haben, sind besonders in der letzten 
Zeit sehr zufriedenstellend gewesen. — Nur in der ersten Zeit hatten 
wir einen Abscess beobachtet; jetzt, nach Behandlung von etwa 
35 Patienten, haben wir überhaupt keine Abscedirungen mehr ge¬ 
sehen. Die Infiltrate, die allerdings fast regelmässig sich einstellen, 
sind von so wenig Bedeutung, dass wir ernstliche Klagen kaum je 
darüber hörten, geschweige denn, dass wir durch sie veranlasst 
worden wären, die Behandlungsmethode zu ändern. 

Was die Wirksamkeit betrifft, so möchte ich das Oleum einer, 
nach unseren Erfahrungen fast gleich dem Calomelöl erklären; glaube 
allerdings eine schnellere Wirkung beim letzteren constatirt zu 
haben. — Nach unserer Erfahrung können wir aber die beiden Prä¬ 
parate, das Calomelöl und das Oleum cinereum, als zwei sehr ener¬ 
gische und langdauernde Wirkung entfaltende Präparate zur Behand¬ 
lung der Syphilis empfehlen. 


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DEDTSCHK MEDICiNlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


m 


20. September. 

II. Aus dem Hamburger Allgemeinen Krankenhause. 
Abtheilung des Herrn Direktor C ursch mann. 

Die Meningitis cerebrospinalis epidemica in 
Hamburg. 1 ) 

Von Dr. Felix Wolff, prakt. Arzt in Hamburg. 

Meine Herren! In einem kürzlich hier gehaltenen Vortrage 2 ) 
versuchte ich, Ihnen Aufklärung über das Wesen der Meningitis 
cerebrospinalis in ihrer sporadischen Form sowie in ihrem Verhält¬ 
nis zu anderen InYectionskrankheiten zu geben — heute möchte 
ich Ihnen die Ergebnisse meiner Studien über die epidemische Me¬ 
ningitis in Hamburg in Kürze mittheilen, wobei es mein Bestreben 
sein wird, io erster Linie die Aetiologie dieser Krankheit nach Mög¬ 
lichkeit zu berücksichtigen, zweitens diejenigen Punkte der Sympto¬ 
matologie und des Krankheitsverlaufes hervorzuheben, die sich durch 
Zusammenstellung und Vergleichung mehrjähriger gleichmässiger 
Beobachtung klarstellen lassen. 

Es wird Ihnen bekannt sein, meine Herren, dass seit einer 
Reihe von Jahren — seit Ausgang der 70 er Jahre — alljährlich 
Fälle von epidemischer Meningitis in Hamburg beobachtet werden; 
weniger bekannt dürfte Ihnen sein, dass schon Tüngel 3 ) vereinzelte 
Fälle von Meningitis aus den Jahren 1845—1863 beschreibt, die 
nach Art des klinischen und anatomischen Befundes offenbar der 
epidemischen Form angehörten, ohne dass man diese damals er¬ 
kannte. Es liegt die Vermuthung nahe, dass die Seuche nach Ham¬ 
burg aus dem benachbarten Scandinavien eingeschleppt ist, wo sie 
um die Mitte der 40 er Jahre grassirte. 

Für meine Studien über Meningitis epidemica nun benutzte ich 
das Hamburger Krankenhausmaterial aus den Jahren 1880—1886, 
d. h. 132 Fälle, die sich in sehr verschiedener Weise auf die ein¬ 
zelnen Jahrgänge vertheilen, so dass z. B. aus dem Jahre 1883 nur 
3 Fälle, aus dem Jahre 1885 dagegen 49 Fälle stammen. Zur 
Beantwortung einzelner Fragen ergänzte ich mein Material durch 
die von Jaffe in unserem Krankenhaus beobachteten Fälle ans dem 
Jahre 1879, sowie durch Meldungen im Medicinalbüreau aus den 
Jahren 1885 und 1886. 4 ) Auf diese Weise erreichte mein Material 
die Höhe von 180 Krankheitsfällen aus den Jahren 1879—1886. 
Zur Aetiologie. 

Das seltene Erscheinen von Meningitisfällen in unserem grossen 
Krankenhausmaterial, die scheinbare Unregelmässigkeit in der Zeit 
der Erkrankung und der Herkunft der Kranken Hessen mich diese 
beiden letzteren Fragen näher verfolgen. 

Eine Tabelle, auf der die 180 Kranken mit ihren Wohnungen 
und nach der Zeit ihrer Erkrankung (Jahr und Monat) zusammen¬ 
gestellt waren, führten hier zum Ziele. Der Fehler, die Wohnungen 
als alleinigen Erkrankungsort anzusehen, konnten uns umgekehrt zur 
Beseitigung einiger Punkte unserer Statistik dienlich sein. 

Bei Durchsicht jener Tabelle fiel die regelmässige Wiederkehr 
bestimmter Strassen auf, eine Betrachtung der Karte liess verschie¬ 
dene Strassencomplexe in den verschiedensten Gegenden der Stadt 
als Krankheitsherde auffinden, während weite Strecken ohne Er¬ 
krankung gebüeben, nur an wenigen Orten vereinzelte Krankheits¬ 
fälle notirt waren. 

Weiter ergab sich, dass 180 Erkrankungen in 131 Strassen sich 
vertheilten, diese letztere Zahl etwa Vs der Anzahl Hamburger 
Strassen entspricht, mithin also nur äusserst wenige Strassen Menin¬ 
gitiserkrankungen lieferten. Unter diesen fehlten wiederum mehrere 
der volkreichsten Strassen (über 2000 Einwohner), und ebenso wenig 
waren die Stadttbeile der Zahl ihrer Einwohner gemäss an den Er¬ 
krankungen betheiligt. 

War somit zunächst erwiesen, dass, unabhängig von ihrer Ein¬ 
wohnerzahl, die einzelnen Regionen der Stadt im Laufe der Jahre 
von Meningitis frei geblieben waren resp. Erkrankungen geliefert 
hatten, so galt es den Nachweis bestimmter Eigenschaften der infi- 
cirten Stadttbeile resp. deren Bewohner. 

Mit Hülfe von statistischen Angaben über die Stadt Hamburg 
konnte die Dichtigkeit des Wohnens als ätiologisches Moment aus¬ 
geschlossen werden, da die am dichtesten bevölkerten Stadttheile 
keineswegs die meisten Erkrankungen producirten, umgekehrt mehr¬ 
fach Gegenden mit weitläufig wohnender Einwohnerschaft Infections- 
herde beherbergten. 

Da inan nun von der Dichtigkeit des Wohnens einen Rück¬ 
schluss auf den Vermögensstand der Einwohner und die dadurch 


*) Nach einem im ärztlichen Verein zu Hamburg gehaltenen Vortrage. 

a ) Vgl. diese Zeitschrift 1887, No. 50. 

3 ) Klinische Mittheilungen von der medicinischen Abtheilung des All¬ 
gemeinen Krankenhauses in Hamburg, 1862—1863. 

4 ) Vgl. Jaffe, Beiträge zur Kenntniss der epidemischen Cerebrospinal¬ 
meningitis (Deutsches Archiv für klin. Medicin Bd. XXX). — Die Ueber- 
lassung der Meldungen danke ich der Güte des Herrn Med.-Rath Kraus. 


hervorgerufenen hygienischen Lebensbedingungen recht wohl ziehen 
darf, so liess sich also auch constatiren, dass diese letzteren so 
wenig wie die Art der Bevölkerung überhaupt Einfluss auf Menin- 
gitisepidemieen habe. 

Der Versuch, bei Berücksichtigung der Bodenbeschaffenheit und 
Höhenlage für die inficirten Stadtgegenden besondere Eigenschaften 
nachzuweisen, blieb von negativem Erfolg; — atmosphärische Ein¬ 
flüsse Hessen sich für vereinzelte Regionen nicht auffinden. 

Müssten wir uns demnach zunächst mit der Erfahrung be¬ 
gnügen, dass das Virus der Meningitis in Hamburg an ganz be¬ 
stimmte Regionen gebunden sei, unabhängig von den Eigenschaften 
ihrer Bevölkerung, nur wenig sich in der Umgebung der eigent¬ 
lichen Herde ausdebne, mithin also ein Miasma von geringer 
propagativer Fähigkeit sei, so konnten wir weitere Eigen¬ 
schaften dieses Miasmas bei Berücksichtigung der auf der erwähnten 
Tabelle notirten Zeit der Erkrankungen eruiren. 

Es ging aus ihr hervor, dass die einzelnen Erkrankungen in 
denselben Stadtregionen durch Zeiträume der verschiedensten Dauer 
getrennt waren. In einzelnen Infectionsherden trat alljährlich die 
Krankheit in vereinzelten Fällen auf, durch Monate lange Pausen 
von einander getrennt, in anderen bUeben Jahr und Tag Erkrankungen 
aus, um dann wohl gar in derselben Strasse wie früher neue Krank¬ 
heitsfälle zu produciren. Als Beispiel diene der Stadttheil Hohen¬ 
felde, eine nebenbei bemerkt von guter Bevölkerung bewohnte 
Region, wo 1879 und 1880 Meningitisfälle beobachtet wurden, wo¬ 
rauf die Epidemie verschwand, um 1884 in einer früher inficirt ge¬ 
wesenen Strasse wieder aufzutauchen und in den nächsten Jahren 
(1885 und 1886) dort und in nächster Umgebung anzudauern. 

Dass — anscheinend der Regel, dass nur gewisse Gegenden 
Meningitis produciren, entgegengesetzt — manche örtlich isolirte 
Fälle auf der Tabelle übrig bleiben, lässt sich auf verschiedene 
Weise z. B. durch Annahme eines Contagiums, ferner dadurch, dass 
uns wohl nicht sämmtliche Fälle Hamburgs zur Verfügung standen, 
erklären. Die einfachste Annahme aber bleibt die, dass die ein¬ 
seitige Berücksichtigung der Wohnung der Kranken als Infections- 
gelegenheit eine Fehlerquelle bildet. 

Für diese letztere Annahme vermochte ich einen Beweis da¬ 
durch zu bringen, dass ich eruirte, wie mehrere Kinder, die ganz 
zerstreut in einigen fast nicht inficirten Gegenden wohnten, zur Zeit 
ihrer Erkrankung dieselbe, in schwer inficirter Gegend liegende 
Schule besuchten. Da sie nicht dieselbe Classe besuchten, nicht 
zur selben Zeit erkrankten, ferner auch keins der zufällig recht 
zahlreichen Geschwister erkrankte, so sind diese Thatsachen auch 
eine Bestätigung, dass das Miasma ein am Boden haftendes ist und 
nicht leicht verschleppt wird. 

Hält man dazu, dass, wie vorher erwiesen, auch nach Jahr 
und Tag in früheren Herden neue Erkrankungen auftreten, so darf 
man als weitere Eigenschaft des Miasma der Meningitis eine grosse 
Tenacität annehmen. 

Jenes Beispiel der erkrankten Schulkinder warnt sehr nach¬ 
drücklich vor der Annahme contagiöser Eigenschaften des rnenin- 
gitischen Virus. Wie man in diesem Falle geneigt sein konnte ein 
Contagium anzunehmen, so nahe liegt diese Annahme auch bei von 
uns beobachteten Fällen, wo Schiffer auf ihren Elbschiffen erkrankten, 
wo Leute, wegen leichter Affectionen im Krankenhause, daselbst an 
Meningitis erkrankten (2 mal) — aber überall, wie auch bei mehreren 
Erkrankungen derselben Familie, desselben Hauses, ist eine Erklärung 
möglich durch gemeinsame Quellen der Erkrankung oder durch ein 
uns ja unbekanntes, langes Stadium der Incubation. 

Wie man nun auch die Frage nach der Contagiosität des me- 
ningitischen Virus beantworten mag — die erwähnten Eigenschaften 
des Miasma erforderten ein weiteres ätiologisches Moment, dass da¬ 
durch Erkrankungen und Epidemieen zu Stande kämen. Hier meteoro¬ 
logische Factoren zu Hülfe zu nehmen, lag nahe, da auch nach 
unseren Erfahrungen die Meningitisfälle im Frühjahr (bis Juni), dar¬ 
nach im Winter am zahlreichsten Vorkommen, dagegen im Sommer 
so gut wie verschwanden, im Herbst spärlich waren. Weil diese 
Reihenfolge bei uns Jahre hindurch sich beobachten liess, die An¬ 
gaben über die atmosphärischen Ursachen der Meningitis ganz be¬ 
sonders unklar waren, und überdies hier in Hamburg uns die vor¬ 
züglichen meteorologischen Beobachtungen der Deutschen Seewarte 
zu Gebote standen, so wurden die Studien durchgeführt, obwohl sie 
lange Zeit durchaus keinen Erfolg versprachen. 

Wenn meine Voraussetzungen, dass das Meningitisvirus ein am 
Boden haftendes sei, und dass, wie die Bacteriologen lehren, nur die 
obersten Bodenschichten die Krankheitsträger der Infectionen be¬ 
herbergen, keine verkehrte waren, so durften eine Reihe meteoro¬ 
logischer Factoren von vornherein als belanglos bei Seite gelassen 
werden. So der Barometerstand und die Bevölkerungsverhältnisse; 


') J. Appel hat in seiner Inaug.-Diss. (Kiel 1884) für Kiel ähnliche 
Verhältnisse gefunden. 


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772 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 3 & 


aber auch von der Richtung und Stärke des Windes war keine 
Beeinflussung auf den Boden bestimmter Stadtregionen zu er¬ 
warten. 

Eine solche liess sich nur von der Feuchtigkeit der Luft, den 
Niederschlägen und der Temperatur voraussetzen. War nun wieder¬ 
um von der letzteren an sich schon ein lang dauernder Einfluss auf 
Luft- und Bodenbeschaffenheit nicht denkbar, so konnte auch des¬ 
wegen Hitze und Kälte nicht als ätiologisches Moment für die Me¬ 
ningitis angesehen werden, weil die Epidemieen der Krankheit in 
warmer und kalter Jahreszeit beobachtet werden. — Weiter ge¬ 
nügten der Forderung, dass sie in beiden Jahreszeiten gleichmässig 
wirkten, nicht die Factoren der absoluten und relativeu Feuchtigkeit, 
weil ihre Wertbe mit der Temperatur wachsen und fallen, und es 
blieb schliesslich nur das Verhalten atmosphärischer Niederschläge 
einer eingehenden Berücksichtigung werth. 

Bei näherer Betrachtung Mess jedoch auch dieser Factor mich 
im Stich, weil die Bestimmung der Summe der Niederschläge der 
Correctheit entbehrt, und die Höhe derselben wiederum von den 
Temperaturverhältnissen abhängt. 

Endlich gelang es mir, in dem von Meteorologen und Hygienikern 
wenig beachteten Begriff des „Sättigungsdeficits“ (S. D.) einen Factor 
zu finden, der meinen Forderungen genügte. Flügge und nach 
ihm Deneke 1 ) definiren das S. D., „als die Wasserdampfmeuge, 
welche unter jeweiligen Verhältnissen von der Luft noch auf- 
genoramen werden kann. Dieselbe wird berechnet dadurch, dass 
man von der der jeweiligen Temperatur entsprechenden maximalen 
Feuchtigkeit (in mm Hg) die wirklich vorhandene absolute Feuchtig¬ 
keit (ebenfalls in mm Hg) abzieht; die Differenz in mm Hg re- 
präsentirt das Sättigungsdeficit“. Somit entspricht ein hohes Sätti¬ 
gungsdeficit einer austrocknenden, ein niederes einer durchfeuchten¬ 
den Luft. 

Diesen bisher in der Epidemiologie noch nicht verwendeten 
Factor bei der Aetiologie der epidem. Meningitis anzuwenden, dazu 
ermuthigte mich schon die einfache Ueberlegung, dass bei mässig 
hohen resp. niederen Temperaturen und bei reichlichen resp. spär¬ 
lichen Niederschlägen in den warmen wie in den kalten Jahreszeiten 
ähnliche oder gar gleiche Feuchtigkeits- und Trockenheitsverhältnisse 
Vorkommen müssten. 

Thatsächlich liess sich diese Annahme bei Berechnung des S. D. 
bestätigen; zwar wurde das durchschnittliche S. D. der trockenen 
sommerlichen Monate nur selten im Winter, dagegen das S. D. der 
feuchten winterlichen Monate sehr häufig auch im Frühjahr und 
Herbst, zuweilen auch im Sommer erreicht. Mithin war also das 
einzige meteorologische Moment gefunden, das mit der Zeit der 
Meningitisepidemieen sich in Zusammenhang bringen liess, da wirklich 
die genannten Jahreszeiten, in denen niedriges S. D. (d. h. grosse 
Feuchtigkeit) vorkommt, auch die Meningitisepidemieen erzeugen. 

Leicht wäre nun ein Nachweis der Wirkung des S. D. auf das 
Wachsen und Verschwinden der Epidemie gewesen, wäre ich nicht 
belehrt worden, dass die Mittelwerthe der Meteorologen in der Tem¬ 
peratur und der absoluten Feuchtigkeit, für das Jahr, die Halbjahre, 
Monate und Wochen berechnet, vollständig ohne Bedeutung für den 
Epidemiologen sind. 

Einzig liess sich für meine Untersuchungen das auffällige Factum 
verwerthen, dass Hamburg ein sehr niedriges S. D. im Durchschnitt 
besitzt (annähernd dem Seeklima) und unter einer grossen Reihe 
deutscher Städte 2 ) nur von Königsberg hierin erreicht wird, wo 
thatsächlich wie in Hamburg die Meningitis endemisch herrscht 3 ). 

Unklar darüber, wie lange ein meteorologischer Factor auf Luft 
und Boden einwirken muss, um die die Erkrankungen oder Epide¬ 
mieen begünstigende Momenten hervorzurufen, durften wir uns, nach 
der Erfahruug, dass durchschnittlich das erste Halbjahr bei Weitem 
mehr Kranke producirt, um ein Geringes aber nur feuchter ist als 
das zweite, doch sagen, dass man mindestens 1—2 Monate zurück- 
recbnen müsse, um den Zeitpunkt zu finden, wo die maassgebenden 
Witterungverhältnisse herrschten. 

Unter dieser Voraussetzung darf man als Bestätigung unserer 
Ansicht von der Bedeutung der Feuchtigkeit (des niedrigen S. D.) 
die Thatsache betrachten, dass nicht in den kalten und feuchten 
Monaten am Ausgang und Beginn des Jahres die meisten Er¬ 
krankungen auftreten, dass diese sich vielmehr häufen, nachdem 
Monate hindurch die schädigende Wirkung bestanden hat. Daher 
haben wir vom Februar bis Juni incl. die meisten Fälle zu 
verzeichnen, eine Folge der im September beginnenden 
und erst im April abnehmenden Feuchtigkeit; daher 

*) Flügge, Lehrbuch der hygienischen Untersuchungsmethoden; 
Deneke, Ueber die Bestimmung der Luftfeuchtigkeit (Zeitschrift für Hy¬ 
giene. I. Bd. 1888.) 

3 ) Hamburg hat im Mittel 1,6 mm Hg S. D. 

Königsberg * * „ 1,8 „ , „ 

Berlin „ „ „ 2,6 „ „ * 

) Vgl. Leyden, Rückenraarkskrankheiten. 


haben wir umgekehrt im Juli spärlich, im August fast 
gar keine Erkrankungen, nachdem die sommerliche 
Trockenheit seit Mai gewirkt hat. Im October erst, wenn 
bereits die Feuchtigkeit auf den Boden gewirkt hat, erscheinen 
wieder vereinzelte Fälle, und der frühere Turnus beginnt. 

Möchte ich nun auch schon einen Beweis für die Richtigkeit 
meiner Annahme darin suchen, dass in jedem Jahr, wo Meningitis 
vorkam, jene Regel bestätigt wurde, ja dass im Jahre 1883 die 
einzigen Fälle im Mai beobachtet wurden, — so erübrigt es doch, 
einige scheinbare Ausnahmen durch auffallende Feuchtigkeitsmenge 
in sonst nicht feuchter Jahreszeit zu erklären. % 

Nach der Erfahrung, dass Durchschnittswerthe für die Feuchtig¬ 
keit während der Dauer eines Monats und einer Woche völlig un¬ 
sichere und mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmende Resultate 
ergeben, musste die Berechnung des S. D. für jeden einzelnen Tag 
eines Jahres unternommen wurden. — Hierzu wurde das Jahr 1886 
mit den zahlreichsten Meningitiserkrankungen in Hamburg, die me¬ 
teorologischen Beobachtungen von Morgens 8 Uhr gewählt, letztere 
nicht als maassgebend für die Feuchtigkeit des ganzen Tages, aber 
werthvoll durch Vergleich derselben Beobachtungszeit eines jeden 
Tages. 

Hier wurde nun die Unsicherheit der Mittelwerthe besonders 
klar: während nämlich im September 1885 gegen die Regel viele 
Meningitiserkrankungen vorkamen, so war allerdings der Sep¬ 
tember 1886 der feuchteste in 7 Jahren, der August dagegen, im 
Durchschnitt berechnet, ein ziemlich trockener. Bei näherer Be¬ 
trachtung ergab sich jedoch, dass 4 Tage des August mit auffallend 
grosser Trockenheit (4,0 mm und mehr), 6 mit einer mittleren 
(2—4,0 mm) das Durchscbnitts-S.D. zu einem hohen machten, wäh¬ 
rend an 21 Tagen das durchschnittliche S.D. ein geradezu winter¬ 
liches von 1,06 mm war. — Trotzdem wird man sich hüten müssen, 
das Anwachsen der Epidemie im September 1885 einfach auf die 
auffallende Feuchtigkeit des August zu beziehen; — vielmehr ist 
die meist grosse Feuchtigkeit des Frühjahrs 1885 zu beschuldigen, 
und es vermochte eben nur der August nicht die genügende Aus¬ 
trocknung zu Stande zu bringen, obwohl der Juli ein recht trockener 
gewesen war. 

Die Möglichkeit, ausser dem Anwachsen der Endemie auch das 
Entstehen oder vielleicht mögliche Erlöschen durch meteorologische 
Verhältnisse zu erklären, musste bezweifelt werden, da wir nach 
unseren bacteriologischen und früher erörterten klinischen Erfah¬ 
rungen ein ununterbrochenes Fortbestehen des Meningitisvirus in 
Hamburg annehmen müssen und ein Erlöschen auch nur bei voll¬ 
ständiger Aenderung des Hamburger Klimas voraussetzen könnten. 

Dagegen dürften wir nachforschen, ob im Jahre 1883, wo die 
Endemie in Hamburg dem Erlöschen nahe war, dem an Erkran¬ 
kungen reichen Jahre 1885 entgegengesetzte meteorologische Ver¬ 
hältnisse bestanden. 

Wir dürften uns nach unseren Erfahrungen dabei nicht darauf 
verlassen, dass die Durchschnittswerthe des S.D. in beiden Halb¬ 
jahren wie im ganzen Jahr 1883 ziemlich niedrige waren, zumal 
andere Halbjahre darin die Semester von 1883 übertrafen, — viel¬ 
mehr müssten wir auch hier wiederum das S.D. der einzelnen Tage 
des Jahres 1883, wie früher vom Jahre 1886, aufstellen. 

Die Herstellung einer Tafel sowie einer Curve mit der Zu¬ 
sammenstellung des S.D. an den einzelnen Tagen beider Jahre er¬ 
möglichte den Nachweis, dass das Jahr 1883 in der That ein weit 
trockeneres gewesen ist, als das Jahr 1885, wenn es auch unserem 
Klima gemäss immerhin noch ein feuchtes war. 

Nach unseren bisherigen Erörterungen war dabei nicht zu 
grosses Gewicht darauf zu legen, dass in einer Reihe von Tagen 
im Jahre 1883 ein höheres S.D. wie im Jahre 1886 zu constatiren 
war, sondern als das Maassgebende für die grössere Trockenheit 
des Jahres 1883 anzusehen, dass im Jahre 1883 eine weit geringere 
Zahl von Tagen feuchter als der Durchschnitt anderer Jahre war, 
und dass auch jeder dieser Tage wiederum im Mittel weniger feucht 
war wie die entsprechenden Tage des Jahres 1885. 

Diese Auseinandersetzungen betreffs des Einflusses meteorolo¬ 
gischer Factoren auf die Meningitisendemie Hamburgs mögen hier 
ihr Ende erreichen — glaube ich doch nachgewiesen zu haben, 
dass der einzige meteorologische Factor, der länger dauernden Ein¬ 
fluss auf den Boden hat, der zu jeder Jahreszeit wirkt, bei der Me¬ 
ningitis vorkommt, das niedrige S. D., d. h. die durchfeuchtende 
Wirkung der Luft, ist. Wir haben dafür Beweise anführen können, 
wenn man eine lange dauernde, über Monate sich erstreckende 
Durchfeuchtung des Bodens als krankheitserregendes Moment an¬ 
nahm. Den allgemein bekannten Thatsachen über die persönliche 
Disposition zu Meningitiserkrankungen haben wir nicht viel nach 
unseren Erfahrungen hinzuzufügen: zunächst dass bei der geringen 
Zahl der Erkrankungen, der grossen Menge der Menschen, die sich 
der Einwirkung des Miasma aussetzt, die Disposition nicht weit 
verbreitet sein kann. Von hohem Interesse erscheint mir ferner — 


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DEUTSCHE HEDICIN18CHE WOCHENSCHRIFT. 


773 


20. Septemb er. 

namentlich bei der Erinnerung an die bekannte Combination von Pneu¬ 
monie mit Meningitis —, dass in 11 von 132 Fällen die Kranken 
früher Lungenentzündung, einige Male deren mehrere durchgemacht 
hatten, ein^ Zahl, die sich zweifelsohne würde bei genauer Anam¬ 
nese in dieser Richtung vergrössem lassen. 

Nicht uninteressant ist schliesslich — nur ein derartiger Fall 
findet sich in der Literatur — dass wir ein und denselben Patienten 
1880 und 1885 an Meningitis, und zwar mit höchst auffälligen tro- 
phischen Störungen erkranken sahen —, mithin also „Durchseuchung“ 
mit dem Krankheitsgift nicht vor einer zweiten Erkrankung schützt. 

Dass dieses „Gift“ nun, bisher von uns der Kürze wegen als 
„Miasma“ bezeichnet, in letzter Linie auf einen Mikroorganismus und 
dessen Producte zurückzuführen ist, ist ja kaum zweifelhaft; die 
vorher entwickelten ätiologischen Momente können nicht nur in Zu¬ 
sammenhang mit den Erfahrungen der Bacteriologen gebracht wer¬ 
den, sondern vermögen diese auch in ihren Forschungen zu unter¬ 
stützen. 

Muss man doch trotz der jüngsten Veröffentlichungen Weichsel- 
baum’s, den Diplococcus intercellularis meningitidis betreffend, die 
bacteriologische Kenntniss über die Meningitis acuta für keineswegs 
abgeschlossen halten. Da Weichselbaum neben dem Fränkel- 
scben Diplococcus auch den Friedländer’schen Pneumococcus als 
Krankheitserreger gewisser Pneumonieen ansieht, diesen letzteren 
mehrfach in den Nasenhöhlen der Nasen Gestorbener, Thost 1 ) je- 
jedoch auch bei Lebenden constatirte, so sei kurz erwähnt, dass 
analog früheren Angaben Weigert’s und Strümpell’s 2 ) auch wir 
mehrfach Meningitiden mit intensivem Schnupfen beginnen sahen, 
wobei die Möglichkeit, dass das Virus durch die Nasenhöhle zu den 
Hirnhäuten seinen Weg gefunden habe, ja nahe liegt. 

Meine Herren! Die genaue Durchsicht unseres Meningitismate¬ 
rials hat mich belehrt, dass betreffs Symptomatologie und klinischen 
Verlaufs das Thema nahezu vollständig erschöpft ist. Nur wenige 
Punkte sind der Erwähnung werth. So die auffallende Thatsache, 
dass eine ganze Reihe unserer Kranken den Beginn der Krankheit 
mit einer körperlichen, öfter noch mit einer psychischen Erschütte¬ 
rung in Zusammenhang bringen. Als eclatantestes Beispiel fiel mir 
das eines 23 jährigen Dienstmädchens auf, das schon einige Tage 
nicht wohl, bei der Explosion einer Petroleumlampe bewusstlos hin¬ 
stürzte, sodann eine typische Meningitis durchmachte. Die Annahme, 
dass durch die Erregung in solchen Fällen das im Blut kreisende 
Virus im Hirn sich localisire und die klinischen Symptome mit 
Heftigkeit zum Ausbruch bringe, schien mir in den Lehren der 
Syphilidologen betreffs Hirnlues eine Stütze zu finden. 

Ueber Incubation Hess sich nichts Sicheres eruiren, wiewohl 
manche Beobachtung für eine sehr kurze spricht; dagegen sahen wir 
in nahezu der Hälfte unserer Fälle mehr oder weniger deutliche 
Prodromi meist von 8—14 tägiger Dauer, oder auch erhebbch länger. 
Der plötzliche heftige Beginn schien prognostisch ungünstig. 

Dagegen Hess sich auch bei uns der Herpes als ein günstiges 
Zeichen für den Verlauf begrüssen. — Das von Kernig kürzlich 
beschriebene Symptom*) konnten wir in den letzten Jahren häufig 
(in 21%) beobachten. Steigerung, sowie Herabsetzung bis zum Er¬ 
löschen der Sehnenreflexe mit späterer Heilung konnten wir mehr¬ 
fach constatiren. 

Ischurie und Albuminurie fanden wir häufig unter solchen Ver¬ 
hältnissen — freies Sensorium, geringes Fieber —, dass wir sie zu 
den spinalen Symptomen rechneten. — Ebenso waren uns die ab¬ 
normen Ernährungsverhältnisse unserer Kranken nur durch neuro- 
pathische Affection erklärlich. 

Betreffs Verlauf und verschiedener Formen der Meningitis stim¬ 
men unsere Erfahrungen mit denen anderer Forscher im Ganzen 
überein, nur schien uns gegen die Annahme einer recidivirenden 
Form (wie Strümpell 1. c. will) ein Fall zu sprechen, wo ein 
junges kräftiges Mädchen annähernd 5 Monate an immer wieder¬ 
kehrenden manifesten meningitischen Symptomen (4 mal Herpes¬ 
eruption, häufig Fieber) erkrankte, in der ganzen Zeit auch bei zeit¬ 
weisem Verschwinden der Krankheitserscheinungen äusserst elend 
war. Intermissionen oder andauernde menfngitische Reizungen schie¬ 
nen uns bezeichnender für derartige Zustände. 

Die Erkrankungen der einzelnen Jahrgänge waren stets beson¬ 
ders cbarakterisirt: in den Jahren hoher Mortalität starben die Kran¬ 
ken nach kurzem oder äusserst langem Verlauf und genasen nur 
nach letzterem. Die Todesfälle und Genesungen in den günstigen 
Jahren endeten nach mittlerer Krankheitsdauer. Unsere Mortalität 
betrug im Allgemeinen 41%, schwankt aber in den einzelnen Jahr¬ 
gängen zwischen 33% und 69%. 

Betreffs der Complicationen, theils auch betreffs der Differential¬ 
diagnose darf ich auf meinen früher hier gehaltenen Vortrag hin- 
weisen. 

') Deutsche med. Wochenschr. 1887, No. 35. 

a ) Deutsch. Archiv f. klin. Medicin Bd. XXX. 

3 ) Vgl. Berl. Klin. 1884 p. 829. 


Pathologisch-anatomisch Hessen sich für die einzelnen Jahrgänge 
keine anderen Differenzen auffinden, als die von der verschiedenen 
Krankheitsdauer bedingten. 

Betreffs aller weiteren Details muss ich auf meine später in 
extenso erscheinende Arbeit hinweisen. 


III. Aus der Universitätspoliklinik für Hals- und Nasen¬ 
krankheiten. 

Ueber Kehlkopfsyphilis. 

Von Dr. Grabower, Arzt in Berlin. 

Wenn ich aus dem poliklinischen Material der Universitäts- 
polikHnik die syphilitischen Erkrankungen des Kehlkopfs zum 
Gegenstand dieser Mittheilungen erwählt habe, so bin ich mir dabei 
bewusst, dass gerade auf diesem Gebiet ein fortlaufender Bericht 
über Beginn und Entwickelung der Krankheitserscheinungen noch 
weniger möglich ist, als bei anderen polikHnisch behandelten Er¬ 
krankungen des Kehlkopfs. Denn die in der frühen Periode der 
Syphilis auftretenden Kehlkopfserkrankungen kommen dem Laryngo- 
logen nur selten zu Gesicht, und auch die in späteren Perioden 
auftretenden verlaufen oft mit so geringen subjectiven Erscheinungen, 
dass die Kranken ihrethalben sich nicht veranlasst sehen, die Poli¬ 
klinik aufzusuchen. Ja man erstaunt nicht selten, wie gewaltig der 
(Jnterschied ist zwischen den schweren objectiven Veränderungen 
im Kehlkopf und den geringen Beschwerden der Patienten. In den 
vorgeschrittensten Fällen freilich, in denen massige Narbencontrac- 
tionen und Nekrotisirungen der Knorpel die Erscheinungen der 
Dyspnoe hervorrufen, entsprechen auch meist die subjectiven Sym¬ 
ptome den objectiven Veränderungen. So kommt es, dass das 
diesbezügliche Material ein beschränktes ist. Es umfasst zum grös¬ 
seren Theil die weniger belangreichen, mehrere Jahre nach erfolg¬ 
reicher syphilitischer Cur recidivirenden secundären Erscheinungen, 
zum kleineren Theil die vorgeschrittensten Formen. In der ersteren 
Reihe der Fälle ist es die Heiserkeit, seltener der Schmerz, der 
die Patienten in die Poliklinik führt, in der letzteren sind es Be¬ 
schwerden der Deglutition und Respiration. Es sind seit dem nun¬ 
mehr % jährigen Bestehen der Universitätspoliklinik unter der Zahl 
von 2000 Hals- und Nasenkranken überhaupt an syphilitischen Er¬ 
krankungen des Halses und der Nase 60 Patienten behandelt 
worden. Hiervon entfallen auf die syphilitischen Erkrankungen 
des Kehlkopfes 12 Patienten. Diese 12 Erkrankungen waren zum 
Theil mit Affectionen in Rachen und Nase combinirt, theils für sich 
allein aufgetreten. Unter diesen 12 Erkrankungen des Kehlkopfes 
wird freilich ein Theil ein hervorragendes Interesse nicht bean¬ 
spruchen, immerhin jedoch der Erwähnung werth sein; es sind dies 
die Fälle von recidivirenden Katarrhen mit geringen Ulcerationen 
der Schleimhaut oder auch ohne dieselben. Ein anderer Theil der 
Krankheitsfälle hingegen scheint mir wegen der Seltenheit ihrer 
Erscheinungsformen eine ganz besondere Würdigung zu verdienen, 
es sind dies besonders die Fälle, welche durch massenhafte Narben¬ 
bildungen, sowie durch Entzündung und Nekrose der Knorpel zu 
bedeutenden Deformitäten und dadurch erzeugten bedrohlichen Er¬ 
scheinungen geführt haben. 

Der besseren Uebersicht wegen wird es sich empfehlen, die 
einzelnen Fälle unter dem Gesichtspunkt ihrer besonderen Eigen¬ 
tümlichkeiten mitzutheilen. 

Was den syphüitischen Katarrh betrifft, so ist er als solcher 
aus der Farbe der congestionirten Schleimhaut wohl nicht zu er¬ 
kennen. Es bedarf dazu jedenfalls verschiedener Hülfsmomente, 
sei es des gleichzeitigen Bestehens von Ulcerationen im Larynx 
oder sicherer Zeichen von Lues im Pharynx u. a. m. Hat man die 
Gewissheit, dass der Patient, wenn auch vor vielen Jahren, an 
Syphilis geHtten hat, so kann man die Diagnose des syphilitischen 
Katarrhs dadurch stellen, dass letzterer allen anderen Behandlungs¬ 
weisen hartnäckig widersteht, während er auf Jodkalium rasch 
verschwindet. So verhielt es sich m folgendem Fall: 

1. H. P., Beamter, 43 Jahre alt, klagt am 7. Juni 1887 über seit fünf 
Wochen bestehende Heiserkeit. 

Befund: Stimmbänder gleichmässig geröthet und erheblich verdickt, 
Taschenbänder geschwollen. Vor 20 Jahren hatte Patient Syphilis acquirirt, 
vor 8 Jahren hatte er eine Affection cerebraler Natur, die nach einer In- 
unctionscur gewichen ist. 

Unter dem Gebrauch von Jodkalium und täglicher Einspritzung von 
Sol. Lugol. in den Larynx nimmt die Röthung und Schwellung schnell ab, 
die Stimme wird klar. 

Dieser Fall beweist von Neuem, dass die Kehlkopfsyphilis auf- 
treten kann, wenn sehr viele (20) Jahre seit der Infection hinge¬ 
gangen und die Lues längst erloschen zu sein schien. Dasselbe 
beweist folgender Fall: 

2. K., Steinsetzmeister, zeigt am 8. Juli 1887 Verdickung und Röthung 
des rechten Stimmbandes, das bei der Respiration der Mittellinie angenähert 
stehen bleibt. 


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774 


DEUTSCHE KEDIClNtSCHE WOCHENSCHRIFT. 


Ko. 38 


Vor 10 Jahren hat Patient Syphilis acquirirt. 

Patient genas rasch unter antisyphilitischer Behandlung, die Beweglich¬ 
keit des afficirten Stimmbandes wurde wieder normal. 

Im Gegensatz zu den voranstehenden, spät aufgetretenen Fällen 
konnte in folgendem Falle von früher Kehlkopfsyphilis die Diagnose 
durch gleichzeitig bestehende syphilitische Erscheinungen auf der 
Haut gesichert werden. 

3. M. M., Näherin, 18 Jahre alt, ist seit sechs Wochen heiser. Vor 
3 */a Monaten hatte sie die syphilitische Primäraffection. 

Befund: Taschenbändor geröthet und geschwollen, Stimmbänder schlaff 
leicht geröthet. Hintere Larynxwand dick, theils grau verfärbt'. An der 
Haut deutliche Roseola. 

Nach 25 Sublimatinjectionen wird Patientin nach achtwöchentlicher 
Behandlung geheilt entlassen. 

Einer hartnäckigen Heiserkeit entspricht nicht selten ein Befund 
im Larynx, welcher im Wesentlichen in einer Infiltration der 
Schleimhaut und des submucösen Gewebes besteht; es kann dies 
als eine Folgeerscheinung des syphilitischen Katarrhs betrachtet 
werden, wobei das in das submucöse Gewebe ergossene Transsudat 
Verdickungen der Stimmbänder, der Taschenbänder und sogar der 
Knorpelhaut hervorruft. Sind hierbei keine sonstigen Zeichen von 
Lues vorhanden, so wird die durch eine antisyphilitische Behandlung 
hier ganz besonders rasch bewirkte Abschwellung aller Theile die 
Natur des Leidens klarstellen. Von dieser Art ist folgender 
Krankheitsfall: 

4. E. R., Arbeiterin, 38 Jahre alt, erscheint am 26. October 1887, ist 
seit drei Monaten heiser und hustet ebenso lange mit morgendlichem, dick 
eitrigem Auswurf; ebenso lange besteht erschwertes Schlucken, insofern als 
die Patientin genöthigt ist, oft Scbluckbewegungen zu wiederholen, um den 
Bissen herunterzubringen. Auf der linken Seite der Zunge, den Rand 
Vs cm überragend, sieht man einen elliptischen, etwas über 3 cm langen 
und 2 1 /a cm breiten Tumor. Der ganze weiche Gaumen ist absolut unbe¬ 
weglich und macht einen lederartigen Eindruck (Infiltration). Sensibilität 
desselben normal, Druck auf denselben etwas schmerzhaft. 

Die rechte Seite des Kehlkopfes zeigt normale Verhältnisse. An Stelle 
des linken Taschenbandes sieht man einen prallen, cylindrischen Wulst von 
lividrother Farbe, auch das linke Stimmband ist walzenförmig, dunkelroth 
und ist so geschwollen, dass es bei der Phonation sich vorn über das rechte 
Stimmband hinüberlegt. Die Gegend des linken Aryknorpels zeigt nicht 
die schlanke Form desselben, sondern ist geschwollen und ödematös durch¬ 
tränkt, die linke Seite der hinteren Larynxwand ist vorgewölbt und sieht 
ebenfalls ödematös aus. 

Die Glottis ist bei der Respiration durch das medianwärts Hervor¬ 
gedrängtsein des linken Stimmbandes viel schmaler als normal. Das linke 
Stimmband steht bei der Phonation vollkommen still, und nur das rechte 
Stimmband geht nach links herüber. Die Untersuchung des Sputum auf 
Tuberkelbacillen fiel negativ aus. 

Diagnose: Gummigeschwulst der Zunge; syphilitische Infiltration des 
weichen Gaumens, des linken Taschen- und Stimmbandes. Perichondritis 
arytaenoid. sinistr.; ob auch Perichondritis der Platte des Ringknorpels bleibt 
unbestimmt 

Es wird eine Sol. Kal. jodat. innerlich verordnet, danach erfolgt rasche 
Besserung. 

19. November. Das linke Taschenband zeigt nur noch geringe Schwel¬ 
lung. Das linke Stimmband hat die normale Gestalt fast ganz wieder an¬ 
genommen, zeigt nur noch etwas Röthung. Die hintere Larynxwand ist 
bedeutend abgeschwollen, so dass die Glottis fast die normale Weite hat. 
Die Infiltration des weichen Gaumens ist fast ganz zurückgegangen. Das 
linke Stimmband zeigt wieder, wenn auch noch nicht so ausgiebige, Be¬ 
wegung wie das rechte. Auch die Gummigeschwulst der Zunge ist erheblich 
zurückgegangen. — Später wurde die Patientin völlig geheilt entlassen. 

Bemerkenswertn ist an diesem Falle, dass trotz bedeutender 
Schwellung der ganzen linken Kehlkopfhälfte und mechanischer Be¬ 
hinderung der Beweglichkeit des linken Stimmbandes die Patientin 
niemals an Dyspnoe zu leiden hatte, sowie das rasche Abschwellen 
der infiltrirten Partieen auf Kal. jodat 

Waren die bisher geschilderten Krankheitsfälle solche, welche 
durch den blossen Kehlkopfbefund keinen absolut sicheren Schluss 
auf die syphilitische Natur des Leidens zuliessen, so kommen wir 
nun zu Erscheinungen, welche der syphilitischen Larynxerkrankung 
eigenthümlich sind und durch sich allein die syphilitische Natur des 
Leidens manifestiren. Es sind dies die Wucherungen im Kehlkopf, 
welche einige Autoren als condylomatöse auffassen, während andere 
sie als solche nicht gelten lassen wollen, weil sie überhaupt das 
Vorhandensein von Condylomen im Larynx in Abrede stellen. 

Ich kann nicht prätendiren, durch die wenigen diesbezüglichen 
Fälle, welche ich beizubringen im Stande bin, etwas zur Entschei¬ 
dung dieser Streitfrage beizutragen, allein bei der Wichtigkeit der 
Sache ist auch der kleinste Beitrag von einigem Werth. 

5. Kaufmann S., 27 Jahre alt, klagt am 19. Juli 1887 über empfind¬ 
liche Schmerzen im Halse beim Schlucken und Sprechen. 

Befund: Die Gegend beider Aryknorpel stark geschwollen, besonders 
des linken. An der inneren Fläche zeigt sich ein erbsengrosser Tumor mit 
graulicher, halb durchscheinender Obeifläche; die Berührung desselben mit 
der Sonde ist schmerzhaft. Lues wird nicht zugegeben, Tuberculose ist 
nicht vorhanden. Es besteht Schwellung und Infiltration der Gaumenbögen 
und der Uvula. Therap.; Einpulverung von Borsäure in den Larynx. Kurze 
Zeit später findet sich auf der correspondirenden Stelle des rechten Ary¬ 


knorpels eine ebensolche Erhöhung wie links, nur erschien an dieser Stelle 
die Oberfläche uneben und mehr opak. 

Nun wurde eine antisyphilitische Therapie eingeschlagen, Kal. jodat. 
innerlich und Einspritzung von Sol. Lugol. in den Larynx; darauf ver¬ 
schwinden die Tumoren innerhalb dreier Wochen völlig. Nach einiger Zeit 
wachsen sie wieder, verschwinden jedoch alsbald unter der fortgesetzten 
antisyphilitischen Behandlung. 

Der Schlussbefund lautet: Die Schleimhautfläche, an welcher die Tu¬ 
moren gesessen, ist vollkommen normal, von einem Tumor in der erkrankten 
Gegend ist nichts mehr wahrnehmbar. 

Der Sitz der Tumoren auf der Schleimhaut der Aryknorpel, ihr 
Auftreten in einer frühen Periode der Syphilis, der Umstand, dass 
sie, ohne zu exulceriren, auf Kal. jodat. verschwunden sind, und 
zwar mit Zurücklassung einer glatten, resp. normalen Schleimhaut¬ 
fläche, scheint mir, wie ich weiter unten auseinandersetzen werde, 
für ihre Natur als Condylome zu sprechen. 

Ein zweiter hierher gehörender Fall ist folgender: 

6. H. S., Wächter, 37 Jahre alt, erscheint am 27. October 1887, ist 
seit 2 Monaten heiser. Vor 3 Monaten inficirte sich Patient und machte 
eine Inunctionscur durch. 

Im Rachen sind Plaques vorhanden. 

An der hinteren Larynxwand, dicht neben dem linken Aryknorpel, sieht 
man eine graulich-weisse Geschwulst von über Erbsengrösse, welche bei der 
Phonation zwischen beide Aryknorpel gepresst wird. Die Stimmbänder sind 
röthlich verfärbt und verdickt. Therapie: Jodkalium innerlich. 

Patient kam nicht wieder in die Poliklinik, die eingezogeneu Erkundi¬ 
gungen ergaben, dass alsbald eine Besserung der Symptome, insbesondere 
der Heiserkeit eingetreten ist. 

Auch in diesem Falle rechtfertigt sich die Annahme eines Con¬ 
dyloms durch das Erscheinen des Tumors in der frühen Periode 
der Syphilis, durch das gleichzeitige Auftreten von Plaques im 
Rachen und das alsbaldige Verschwinden der durch ihn gesetzten 
Symptome. 

Unter den Autoren, welche das Vorkommen von Condylomen 
im Larynx überhaupt in Abrede stellen, scheint mir Lewin der¬ 
jenige zu sein, der allein für diese Behauptung einen Grund ange¬ 
führt hat, welcher als solcher discutabel ist. Denn wenn die an¬ 
deren Autoren behaupten, sie leugnen Condylome im Larynx, weil 
sie dieselben dort noch nie angetroffen haben, so ist dieser Grund 
um so weniger maassgeblich, als noch unter den Autoren Differenzen 
darüber bestehen, wie ein Condylom im Larynx eigentlich aussehen 
müsste, ja dieselben Autoren sehen bisweilen die verschiedensten 
Gebilde für Condylome an. So bezeichnen sie Gerhardt und 
Roth als »papilläre Vorsprünge“, dann als »ganz feine Zacken“, 
ein ander Mal als »breite, flache, rothe Wülste mit Excrescenzen 
bedeckt“, ferner als »blasse Wülste von Stecknadelkopfgrösse“ u. a. m. 
Lew in denkt sich die Condylomata lata im Larynx, wenn sie vor¬ 
handen wären, als »rudimentär ausgebildet und sehr bald oberfläch¬ 
lich exulcerirt“, da sie »der Reibung und dem Druck ausgesetzt 
sein würden“. Mackenzie hat sie unter 118 Fällen von Kehlkopf¬ 
syphilis 44 mal gesehen und beschreibt sie als »platte, gelbe, manch¬ 
mal runde, häufiger aber als ovale Hervorragungen, die selten so 
weiss sind wie im Pharynx und eine geringe Neigung zu oberfläch¬ 
lichen Ulcerationen zeigen“. 

Allein Lewin führt gegen die Condylome im Larynx noch die 
Erwägung in’s Gefecht, dass die Condylome, die zu den homogenen 
Geschwülsten gehören, durch Hyperplasie der präexistirenden Pa¬ 
pillen gebildet werden, also nur da entstehen können, wo Papillen 
vorhanden sind. Letztere finde man aber nur an den mit Pflaster¬ 
epithel, nicht mit Flimmerepithel überzogenen Regionen. Das 
Pflasterepithel reiche aber nur einige Linien über den Kehlkopfein¬ 
gang hinaus, und nur ein ganz schmaler Saum davon setze sich vom 
Rachen her über die Incisura interarytänoidea und den freien Rand 
der Stimmbänder fort; unter diesem Epithel, ebenso wie an den 
Spitzen und äusseren Rändern der Giessknorpel finde man nur 
einzelne Papillen hervorragen. Dem gegenüber bin ich in der Lage, 
zu behaupten, dass keineswegs die Papillen im Larynx so dünn 
gesät sind, wie Lewin dies angiebt. Herr Prof. B. Fraenkel hat 
eine grosse Reihe diesbezüglicher Präparate angefertigt und die Güte 
gehabt, mir dieselben zu zeigen. Diese Präparate lehren aufs 
Ueberzeugendste, dass die Stimmbänder ihrer ganzen Länge nach 
eine sehr grosse Zahl von Papillen tragen. Auf sehr vielen durch 
Taschenband und Stimmband angefertigten Querschnitten sieht man 
in der Nähe des freien Stimmbandrandes nicht nur in der Mitte 
und am hinteren Theil des Stimmbandes, sondern auch am vor¬ 
dersten Ende desselben, dicht an der vorderen Commissur, Papillen 
in grosser Zahl. Ich habe an einem Präparat, das der letztgenannten 
Stelle entnommen war, auf einem Gesichtsfelde 12 bis 15 wohl aus¬ 
gebildete Papillen nebeneinander gesehen, wohl noch mehr waren 
ihrer in der Mitte des Stimmbandes; gegen das hinterste Ende des¬ 
selben, beim Uebergang auf die hintere Kehlkopfwand, nahm ihre 
Zahl zwar ab, sie waren jedoch auch hier noch ziemlich zahlreich 
anzutreffen. Andere Präparate stellen Horizontalschnitte durch den 
ganzen Kehlkopf dar, und an diesen befinden sich auch auf der 


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20. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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hinteren Wand, zwischen den hinteren Enden der Stimmbänder, 
Papillen zu drei und mehr nebeneinander. — Was übrigens die 
Ausbreitung des Pflasterepithels anlangt, so befindet sich dieses nicht 
nur auf den Stimmbändern, sondern, wie schon Rh einer 1 ) festge¬ 
stellt hat, auch entlang der ganzen inneren Fläche der Aryknorpel. 

Hiernach können die histologischen Verhältnisse des Kehlkopfes 
keinen Hinderungsgrund für das Auftreten von Condylomen in 
demselben abgeben, im Gegentheil können sehr ausgedehnte Ge¬ 
biete des Kehlkopfes den Mutterboden für Condylome liefern. 
Nachdem so zwar die Möglichkeit für die Bildung von Condylomen 
im Kehlkopf erwiesen, andererseits aber über ihr Aussehen die 
verschiedensten Anschauungen herrschen, werden wir nach beson¬ 
deren Kriterien suchen müssen, um die Diagnose von Kehlkopf- 
Condylomen zu sichern. Ich meine, dass zu diesem Zweck die 
klinischen Symptome die besten Unterscheidungsmerkmale von an¬ 
deren Geschwülsten bieten. Nach der von verschiedenen Autoren 
gegebenen Charakteristik der Condylome bei Syphilis laryngis 
scheinen mir folgende Eigenschaften derselben übereinstimmend an¬ 
genommen zu werden: Die Condylome treten in einer frühen Pe¬ 
riode der Syphilis auf, oft zugleich mit Plaques in der Mundhöhle 
und iin Rachen, sie haben wenig Neigung zu exulceriren, sie ver¬ 
schwinden sehr bald, entweder spontan oder alsbald nach der ein¬ 
geleiteten antisyphilitischen Behandlung mit Zurücklassung einer 
glatten Schleimhautfläche. Diese Eigenschaften besitzt keiner der 
übrigen syphilitischen Tumoren des Larynx. Das hauptsächlichste 
Syphilid, die gummöse Geschwulst, tritt in einer späten Periode der 
Syphilis auf und neigt zu tiefen Ulcerationen, welche mit Hinter¬ 
lassung ausgedehnter Narben schrumpfen; die Folliculargeschwulst 
tritt zwar auch in einer frühen Periode auf, exulcerirt jedoch regel¬ 
mässig; endlich die Schleimhautschwellungen in Folge von submu- 
cösen Infiltraten, ebenfalls zwar in einer frühen Periode der Syphilis 
auftretend, haben die Eigenschaft, in geschwungen Zerfall überzu¬ 
gehen. Hiernach sind die Geschwülste des Kehlkopfes, welche man 
unter dem Namen Condylome zusammenfasst, durch ihr klinisches 
Verhalten wohl charakterisirt. Gemäss diesem Verhalten rechtfertigt 
sich auch die Auffassung der in den Fällen 5 und 6 beschriebenen 
Tumoren als Condylome. — 

Was die syphilitischen Ulcerationen des Kehlkopfes anbetrifft, 
so sind sie meist hervorgegangen aus dem theils oberflächlichen, 
theils tieferen Zerfall irgend einer Intumescenz, sei es einer ein¬ 
fachen Follicularhyperplasie, oder einer Schleimhauthypertrophie 
oder eines Neoplasma, insbesondere einer Gummigeschwulst. Je 
nach diesen verschiedenen Quellen werden die Ulcera im Kehlkopf 
von verschiedenen Dimensionen angetroffen, von einer oberfläch¬ 
lichen Ulceration bis zu tiefgreifenden, nicht nur die Schleimhaut 
und Muskellagen, sondern bis auf die Knorpel durchdringenden 
Verschwärungen. Das syphilitische Geschwür hat an sich wenig 
Pathognostisches. Sein am meisten charakteristisches Kennzeichen ist 
für die tiefergehenden Formen die Vernarbung und das Weiter¬ 
greifen in die Umgebung. Weitere Hülfsmittel für die Diagnose 
siud die begleitenden syphilitischen Erkrankungen anderer Organe 
wie des Rachens, der Knochen u. a., sowie der Erfolg der anti¬ 
syphilitischen Behandlung. Die Diagnose ist in neuerer Zeit dadurch 
erheblich erleichtert worden, dass wir im Stande sind, die Geschwüre 
des Kehlkopfes, die ausser den syphilitischen die häufigsten sind 
und mit denselben am leichtesten verwechselt werden können, die 
tuberculösen, durch den Nachweis der Tuberkelbacillen als solche 
zu erkennen. — In Folgendem theile ich einen Fall von syphili¬ 
tischer Larynxulceration mit, in dem sich die Verbreitung des Ulce- 
rationsprocesses per continuitatem vom Munde aus über die Zungen¬ 
basis nach der Epiglottis, von da über die Ligamenta aryepiglottica 
in den Kehlkopf hinein verfolgen lässt. 

7. A. D., Näherin, 26 Jahre alt, erscheint am 13. Februar 1888. Am 
Palatum durum auf der linken Seite dicht neben der Mittellinie ist eine 
beinahe centimeterlange Spalte der Schleimhaut, durch welche hindurch die 
Sonde auf rauhen Knochen stösst. An der Zungenbasis rechts befindet 
sich eine grosse geschwollene Drüse mit käsigem Heerde. Der freie Rand 
der Epiglottis ist mit tiefen Ulcerationen besetzt, die auf die Taschenbänder 
und die aryepiglottischen Falten übergreifen. Es ist eine Schwellung beider 
Aryknorpel vorhanden. Halsdrüsen sind leicht geschwollen. Stimmbänder 
geröthet verdickt. Therapie: Jodkalium innerlich. 

28. Februar. Die Schwellung der Aryknorpel hat nachgelassen. Des¬ 
gleichen sind die Ulcerationen auf den aryepiglottischen Falten und den Taschen¬ 
bändern nicht mehr sichtbar. Die Ulcerationen der Epiglottis sind etwas 
geschrumpft. Subjective Beschwerden geringer. Vom harten Gaumen haben 
sich zwei kleine Knochenstücke abgestossen. Die Ulceration beginnt daselbst 
zu heilen. 

Von einigem Interesse ist vielleicht auch folgende Beobachtung 
eines ziemlich ausgedehnten und isolirt gebliebenen Geschwürs dicht 
über der Epiglottis und an dieser, welches sich uns als runde 
strahlige Narbe präsentirte. 

*) Rheiner, Die Ausbreitung der Epithelien im Larynx. Verhandl. 
der physik. und med. Gesellsch., Würzburg 1852, p. 222. 


8. E. K., Schleifer, 42 Jahre alt, klagt über Kratzen im Halse. Vor 
10 Jahren hat Patient Syphilis überstanden. In der linken Vallecula und 
auf die vordere Fläche der Epiglottis übergreifend, findet sich eine etwas über 
20 Pfennigstück grosse rundliche, weisslich strahlende Narbe, über die schräg 
von aussen und unten nach oben und innen ein bläulichrother, schmaler 
Streif (Gefäss) zieht. 

Folgender Fall zeigt ziemlich beträchtliche Folgen des ulcera- 
tiven Prozesses in Form eines grossen Defects an der Epiglottis und 
theilweiser Verwachsung der falschen Stimmbänder; ich will den¬ 
selben hier anführen, obgleich er auch für die Perichondritis ver- 
werthbar ist: 

9. M. H., Schneiderin, 44 Jahre alt. Vor 3 Jahren erfolgte die syphili¬ 
tische Infection; Patientin klagt über Heiserkeit und Schmerzen im Halse. 
Befund: Grosser Defect der Epiglottis, besonders auf der rechten Seite, so 
dass der höchste Punkt des freien Randes der Epiglottis nicht in der Mittel¬ 
linie, sondern weit nach links liegt und von hier steil nach hinten rechts 
abfällt. Die Taschenbänder sehr stark geschwollen und geröthet, von un¬ 
ebener, höckeriger Oberfläche, zeigen vorn Verwachsung. Die Stimmbänder 
sind, besonders das linke, stark geröthet und rundlich verdickt. An der 
hinteren Larynxwand sieht man einen stumpfkegeligen, in die Glottis hinein¬ 
ragenden Tumor von Erbsengrösse. Das linke Stimmband steht der Mittel¬ 
linie angenähert, das rechte ist in seiner Bewegung nach aussen ebenfalls 
beschränkt. Nach 10 tägigem Gebrauch von Jodkalium zeigt sich der Wulst 
an der hinteren Larynxwand erheblich kleiner; die Taschenbänder, besonders 
das rechte, noch verdickt. Die Schmerzen verloren sich. — Die Patientin 
war mit dieser Besserung zufrieden und blieb aus der Behandlung fort. 
Nach 6monatlicher Abwesenheit erscheint Patientin wieder und klagt über 
Luftmangel und Heiserkeit. Sie ist vollständig aphonisch. 

Befand: Beide Taschenbänder mächtig geschwollen, das linke verdeckt 
nicht nur vollständig das gleichseitige Stimniband, sondern legt sich auch 
über die Mittellinie hinweg über das rechte Stiramband herüber, so dass von 
letzterem nur ein Theil seiner hinteren Hälfte bei der Phonation sichtbar 
wird. Auf der vorderen Fläche der hinteren Kehlkopfwand zeigt sich eine 
erbsengrosse, graulich weisse, breit aufsitzende Erhebung. Die durch diese 
sowie durch die Schwellung der Taschenbänder gesetzte Verengerung der 
Glottis lässt letztere nicht weiter erscheinen als den Umfang eines Raben¬ 
federkiels. Die Aryknorpel sind in ihrer Beweglichkeit nicht unbeträchtlich 
gehindert. Eine ihr angeordnete Schmiercur scheint der Patientin von 
Nutzen gewesen zu sein, wie aus ihrem abermaligen Fortbleiben aus der 
Behandlung geschlossen werden darf. 

Die Verwachsungen, die in dem letztbeschriebenen Fall nur eine 
geringe Ausdehuurg erreichen und nur auf einen Theil der Taschen¬ 
bänder beschränkt sind, können in Fällen von sehr ausgedehnten 
Ulcerationen so grosse Dimensionen annehmen, dass die merkwürdig¬ 
sten Formen Veränderungen der Organe daraus resultiren. In dieser 
Hinsicht beansprucht der folgende Fall ein ungewöhnliches Inter¬ 
esse. Denn in demselben haben, höchstwahrscheinlich in der ersten 
Kindheit abgelaufene, ausgedehnte Ulcerationen der Mundhöhle und 
des Rachens hier und am Kehlkopfeingang Veränderungen gezeitigt, 
wie sie wohl nur äusserst selten angetroffen werden. Ich habe in 
der mir zugänglichen Literatur nur wenige Fälle 1 ) beschrieben ge¬ 
funden, welche sich, was die Seltenheit der gesetzten Forraver- 
änderungen betrifft, neben diesen Fall stellen dürften. Unser 
Kranheitsfall betrifft die 

10. 15jährige Margar. V., Kaufmannstochter; sic macht den Eindruck 
eines 10jährigen Mädchens. Sie klagt am 29. November 1887 über Schnarchen 
während des Nachtschlafes, über ,dicke“ Sprache und über ein Hinderniss 
beim Schlucken. Die Sprache der Patientin ist eintönig und klanglos. Im 
Pharynx zeigt sich folgendes Bild: 

Der weiche Gaumen mit der Uvula befinden sich in einer Ebene mit 
dem harten Gaumen, so dass die Spitze der Uvula fortdauernd nach hinten 
sieht und nahezu die hintere Rachenwand berührt. Die beiden Gaumen¬ 
bögen links sind mit der hinteren Rachenwand in ihrem unteren Abschnitt 
narbig verwachsen An Stelle des rechten Arcus palato-pharyngeus sieht 
man eine rothe, wulstige Masse, welche mit ihrem untersten Theil ebenfalls 
an der hinteren Rachenwand narbig anhaftet, so dass von der hinteren 
Rachenwand nur ein dreieckiges Stück zur Erscheinung kommt, welches 
ebenfalls als narbige Fläche erscheint. Die Spitze dieses Dreiecks liegt 
nach unten, die beiden Seiten werden durch die in das Narbengewebe herein¬ 
gezogenen Arcus palato-pharyngei gebildet, und die Basis durch eine etwa 
1V» cm breite Linie, welche dem Zäpfchen gegenüberliegt. Der Zungen¬ 
grund ist vollständig glatt. An Stelle des laryngoskopischen Bildes sieht 
man eine Membran, die sich vom Zungengrund zur hinteren und seitlichen 
Rachenwand ausspannt und nur in der Mitte eine kleine ovale Oeffnung 
zeigt, deren Längsdurchmesser von vorn nach hinten ca. 3 mm und deren 
Querdurchmesser 2 mm betragen dürfte. Von einer Epiglottis ist nichts zu 
sehen. Durch die eben bezeichnete Oeffnung sieht man eine grauröthliche 
Masse, die sich bei der Phonation bewegt und den weiteren Einblick hindert. 

Bei stärkeren Anstrengungen stellt sich bei der Patientin starkes 
Röcheln ein, besonders beim Treppensteigen. Sie ist fast nur im Stande 
Flüssigkeiten zu gemessen und muss harte Substanzen mit viel Flüssigkeit 
vermengen. Die Mutter giebt zu, dass der verstorbene Vater der Patientin 
syphilitisch gewesen. Diagnose: Diaphragma des Pharynx. 

30. November. Herr Professor Fraenkel geht mit einem geknöpften 
Messer in die Oeffnung ein und spaltet die Ränder der Membran - hinten 

*) Vgl. Gerhardt <fc Roth. Virch. Archiv No. 21. p. 40, Fall 19. 
Türk, Klinik der Krankh. des Kehlkopfes, p. 397, Fall 138. Sechtem, 
Beobachtungen an der Poliklinik des Dr. Schnitzler, Wiener med. Presse 
1878. No. 31. 


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DEUTSCHE MBDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38 


und seitlich, sie schneidet sich schwer. Darauf wird mit dem Zeigefinger 
eingegangen und das Loch gedehnt. 

28. December. Die vorstehende Operation wurde 8 Tage nach der 
ersten wiederholt und seitdem mehrfach das Loch mit dem Finger gedehnt. 

Schon nach der ersten Operation konnte die Patientin besser schlucken, 
nach der zweiten erfolgt das Schlucken auch fester Speisen ungehindert. 

Heute gelingt es, durch das Loch den Kehlkopf zu sehen, und zwar 
erscheint die linke Seite desselben im Bilde. Was bisher das Gesichtsfeld 
nach unten abschloss, eine blassröthliche, stets mit eitrigem Secret bedeckte, 
rundlich vorspringende Schleimhaut, erweist sich als ein Tumor, der an¬ 
scheinend der Epiglottis entspricht und von rechts her in das Gesichtsfeld 
hereinragt. 

19. März 1888. Der Spalt, dessen Ränder sich etwas geschrumpft 
zeigten, wird heute wiederum durch das Messer erweitert, so dass man nun 
bequem die Stimmbänder und deren Bewegung übersehen kann. 

Hier haben also wahrscheinlich sowohl auf dem Zungengrund 
wie auf den Tonsillen und der hinteren Rachenwand ausgedehnte 
syphilitische Ulcerationen bestanden, bei deren Vernarbung sich 
brückenartige Membranen vom Zungengrund nach dem Rachen 
hinüber gebildet haben mit Freilassung jenes kleinen ovalen Spaltes, 
der in den Kehlkopf und die Speiseröhre führt. Der Pharynx 
scheint in seiner ganzen Ausdehnung ulcerirt gewesen zu sein, denn 
sogar das, von der membranösen Verwachsung frei gebliebene, oben 
beschriebene dreieckige Stück erscheint als narbige Fläche. — 
Uebrigens zeigt die weitere Beobachtung des Falles, dass die Bildung 
von Narbenzügen noch nicht abgeschlossen ist. Vor wenigen Tagen 
erst konnte ich mich überzeugen, dass von den Seiten her sich 
rechts und links zwei neue brückenförmige Stränge nach dem Velum 
hinüber gebildet haben, so dass die oben beschriebene Basis des 
Dreiecks, welches das noch sichtbar gebliebene Stück der hinteren 
Pharynxwand umschreibt, z. Z. nicht mehr wie am 29. November 1887, 
IV 2 cm, sondern nur noch wenig mehr als 1 cm misst; es scheint 
hiernach allmählich durch weitere Narbenbildung zu einem voll¬ 
ständigen Verschluss des Isthmus pharyngo-nasalis kommen zu wollen. 

Wir kommen nun zu der Reihe der syphilitischen Erkrankungen, 
welche das Kehlkopfgerüst, die Knorpel, befallen. Die Entstehungs¬ 
weise kann eine doppelte sein. Es kann die Entzündung des Peri- 
chondriums und des Knorpels die ursprüngliche Erkrankung sein, 
oder die Ulcerationen der Schleimhaut können secnndär eine Peri- 
chondritis mit Blosslegung und Necrotisirung der Knorpel hervor- 
rufen. Es ist klar, dass diese Erkrankungen, durch welche die 
Weichtheile, insbesondere die Muskeln und Stimmbänder, ihre Stütz¬ 
punkte verlieren, die gefährlichsten Zufälle für die Respiration her- 
vorrufen können. Dies beweist folgender Fall von congenitaler 
Syphilis, welcher eine wiederholte Tracheotomie nothwendig ge¬ 
macht hat: 

11. Emilie K., Korbmacherstochter, 15 Jahre alt, erscheint am 22. No¬ 
vember 1887 in der Poliklinik. Vor 7 Jahren, also 8 Jahre alt, bekam Pat. 
eine allmählich zunehmende Anschwellung und Röthung des äusseren Halses 
wie auch der „Mandeln“, die ihr grosse Athemnoth verursachte; sie wurde 
in Folge dessen tracheotomirt, trug die Canäle 4 Wochen, darauf war die 
Athmung frei. Nach 3*/j Monaten musste jedoch die Tracheotomie wieder¬ 
holt werden. Während dieser ganzen Zeit hustete Pat. mit gelb eitrigem 
Auswurf; einige Male sollen feste „Knochenstückchen“ (Knorpel) ausgehustet 
worden sein. Gleichzeitig mit der zweiten Tracheotomie wurde eine Incision 
in die linke Seite des Nasenrückens am Uebergang in den Infraorbitalrand 
wegen „Anschwellung und Röthung“ gemacht, wobei sich mehrere Knochen¬ 
stückchen mit Eiter entleerten. Jetzt klagt Pat. über Athembeschwerden und 
Brustschmerzen. 

Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt: Das linke Stimmband er¬ 
scheint verkürzt; der linke Aryknorpel liegt etwa 2 bis 3 mm vor dem 
rechten, er ist Dach vorn herübergelagert, so dass er mit seiner Spitze bei¬ 
nahe die Epiglottis berührt und auch den Rand des rechten Stimmbandes 
verdeckt. Das linke Stimmband ist unbeweglich. Der rechte Aryknorpel, 
der also hinter dem linken steht, legt sich bei der Phonation unmittelbar 
an die hintere Fläche des linken und weicht bei der Respiration nur unbe¬ 
deutend nach aussen. Eine Glottis ist auf diese Weise kaum sichtbar, zu¬ 
mal auch das rechte Stimmband zwischen Mittel- und Cadaverstellung be¬ 
findlich ist. 

Nase: Sattelnase; eine etwa 2 markstückgrosse längliche Narbe, die 
dem linken Nasenbein adhärent ist. Bei der Rhinoskopie sieht man im 
vorderen Theil des Septum eine bohnengrosse, fast kreisrunde Perforation. 

Diagnose: Abgelaufene Perichondritis der Platte des Ringknorpels. 
Diese wird bewiesen durch Aushusten von Knorpelstücken und den Verlust 
des Stützpunktes des linken Aryknorpels. Was die Unbeweglichkeit des 
rechten Stimmbandes anlangt, so kann intra vitam nicht entschieden werden, 
wie weit Veränderungen des Cricoarytänoidgelenks oder der Ansatzpunkte 
des M. crico-arytänoideus posticus solche bedingen. 

Der folgende Fall von Perichondritis cricoidea, welcher eben¬ 
falls wegen gefahrdrohender Erscheinungen die Tracheotomie erfor¬ 
dert hat, ist dadurch bemerkenswerth, dass trotz der Schwere des 
Krankheitsfalles, in Folge der antisyphilitischen Behandlung sowohl 
die Phonation wie die Respiration sich bedeutend gebessert, ja bei¬ 
nahe zur Norm zurückgekehrt sind, obwohl auch hier bereits leichte 
Stellungsveränderung eines Aryknorpels und Parese beider Stimm¬ 
bänder auf vorhandene Veränderungen der beiden Crico-arytänoid- 
gelenke hinwiesen. 


Der Fall betrifft die 

12. Restaurateursfrau Sch., 37 Jahre alt. 10. Jan. 1888. Pat. klagt über 
Husten und Schmerzen beim Schlucken. Lar. Befund: Das rechte Stimmband 
steht der Mittellinie angenähert vollständig unbeweglich. Das linke Stimmband 
ist in seiner Beweglichkeit nach aussen gleichfalls beschränkt, so dass bei In¬ 
spiration nur ein ganz kleiner Spalt für die Athmung vorhanden ist, daher der 
schon im Sitzen sehr deutliche in- und exspiratorische Stridor Das linke Stimm¬ 
band ist wesentlich verdickt, besonders an seiner unteren Fläche, es macht bei 
der Phonation eine Bewegung nach der Mittellinie zu, doch weicht es bei der 
stärksten Inspiration um höchstens 2—3 mm nach aussen. Der rechte 
Aryknorpel steht mit der Spitze nach vorn übergeneigt. Unter dem rechten 
Stimmband bemerkt man eine sich auf die hintere Larynxwand hinziehende 
pralle rothe Anschwellung. Ungefähr in der Mitte des harten Gaumens, 
dicht an der Mittellinie, befindet sich eine etwa 1 cm lange, , /s cm breite, 
tief eingezogeue Narbe, welche den Ausgang einer hier früher bestandenen 
Perforation bezeichnet. Seit 14 Tagen besteht starker Stridor und ein ge¬ 
wisser Grad von Heiserkeit. Vor 14 Jahren war Patientin verbeirathet mit 
einem wahrscheinlich an Lues leidenden Manne. 

Die Patientin wird der chirurgischen Universitätsklinik überwiesen und 
dort tracheotomirt, darauf mit einer Inunctionscur behandelt. 

Am 7. März 1888 stellt sich Patientin wieder vor, sie trägt noch die 
mit einem Pfropf verschlossene Canüle. Die Athmung ist frei, die Sprache 
klar. Die Glottis erweitert sich bei der Inspiration zur normalen Breite; 
leicht subglottische Schwellung vorhanden. 

Hieran möchte ich einen Fall anreihen der von Herrn Professor 
B. Fraenkel früher beobachtet wurde, und dessen Präparat sich 
in der Sammlung der Poliklinik befindet. Der Fall betraf einen 

13. 35 jährigen, blinden Korbflechter. Patient kam mit heftigen Athem¬ 
beschwerden in die Behandlung. Es zeigte sich eine Verwachsung des Velum 
mit der hinteren Pharynxwand. Auf der Epiglottis befand sich eine wall¬ 
nussgrosse syphilitische Geschwulst, die den Einblick in den Aditus laryngis 
verdeckte und bei der Inspiration ein deutliches Ventilgeräusch hervorrief. 
Der Tumor wurde entfernt, wodurch das Ventilgeräusch verschwand, der 
Stridor jedoch und die Athemnoth blieben bestehen. Es stellte sich nun 
heraus, dass die Stimmbänder in permanenter juxtapositiö standen. Nun 
wurde in einem Krankenhause die Tracheotomie gemacht, der der Patient 
in Folge einer Mediastinitis erlag. 

Das Präparat zeigt den Kehlkopf hinten aufgeschnitten, auf der Schnitt¬ 
fläche bemerkt man in einer circa 1 cm dicken, derben, bindegewebigen 
Schwarte dünne nekrotische Knochenstücke. Diese entsprechen der Platte 
des Ringknorpels. Ausserdem zeigen sich die Gelenkflächen der Aryknorpel, 
die hinteren Flächen des Schildknorpels und das Zungenbein nekrotisch. 
Von den nekrotischen Knorpeln und Knochen aus führen mehrere Fistel¬ 
gänge nach hinten in den Oesophagus hinein. Die Knorpel sind zum gröss¬ 
ten Theil verknöchert. Die Mm. arytaenoidei postici sind fettig degenerirt. 
Die Epiglottis stellt einen kleinen unförmigen Stumpf dar. 

Ausserdem zeigt das Präparat die Verwachsung des Velum palatinum 
mit der hinteren Rachenwand und ausgedehnte strahlige Narben an den¬ 
selben. 

Zuletzt noch einige Worte über das Zusammentreffen von Sy¬ 
philis und Phthisis. Die grossen Schwierigkeiten, welche in früheren 
Jahren die Unterscheidung eines syphilitischen Ulcus im Larynx von 
einem tuberculösen gemacht hat, sind nun, wie schon oben erwähnt, 
durch die Entdeckung des Tuberkelbacillus glücklich überwunden; 
selbst in solchen Fällen, wo Auswurf nicht vorhanden ist, wird es 
nach dem Vorschläge von B. Fraenkel 1 ) immer möglich sein, den 
Kehlkopfgeschwüren Secret zu entnehmen und dasselbe auf Tuberkel¬ 
bacillen zu untersuchen. Trotzdem giebt es Fälle genug, deren Deu¬ 
tung Schwierigkeiten bereitet. Es sind diejenigen, in welchen Sy¬ 
philis und Phthisis sich combiniren, Fälle, in denen das Vorhanden¬ 
sein von Tuberculose nicht angenommen werden kann, da die öfter 
wiederholte Untersuchung des Sputum keine Bacillen ergeben hat, 
und die Ulcera im Kehlkopf doch mehr den Eindruck von tuber¬ 
culösen als von syphilitischen machen. Oefter noch kommen die 
Fälle zur Erscheinung, in denen das Vorhandensein von Lungen¬ 
phthise durch das Auffinden der Tuberkelbacillen im Sputum fest¬ 
steht, und dennoch die Ulcera im Larynx den Eindruck von syphi¬ 
litischen machen, zumal wenn sie noch von ähnlichen, ausgesprochen 
syphilitischen Erscheinungen im Rachen und anderen Organen be¬ 
gleitet sind, und wiederholt ihnen entnommenes Secret ein negatives 
Resultat bezüglich der Tuberkelbacillen ergeben hat. In solchen 
Fällen wird die Darreichung von Jodkalium auf die richtige Fährte 
führen, , Es gelingt dies allerdings nicht immer sogleich, aber die 
lange fortgesetzte antisyphilitische Behandlung bringt doch endlich 
die gewünschte Aufklärung. So verfügt die Poliklinik über zwei 
hierher gehörige Fälle, von denen der eine 2 ) Ulcera in grosser Zahl 
von zweifelhaftem Charakter an der Epiglottis, an den Taschen- 
und Stimmbändern bis weit hinunter in die Regio subglottica auf¬ 
wies und nach mehrmonatlichem Stillstand trotz antisyphilitischer 
Behandlung endlich in Folge einer energischen, laDge fortgesetzten 
antisyphilitischen Therapie in entschiedene Besserung überging und 

*) B. Fraenkel, Die Diagnose des tuberculösen Kehlkopfgeschwürs. 
Berl. klin. Wochenschrift 1883, No. 4 und: Ueber die Färbung des Koch- 
schen Bacillus und seine semiot. Bedeutung für die Krankh- der Respir.- 
Organe, ebendas. 1884, No. 13. 

■) Dieser Fall ist von Dr. A. Rosenberg im August-Heft der »Thera¬ 
peutischen Monatshefte* ausführlich mitgetheilt. 


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DEUTSCHE MEDICINISCI1E WOCHENSCHRIFT. 


777 


20. September. 

so seine syphilitische Natur erwies. Ein anderer Fall war durch 
das Auffinden von Tuberkelbacillen im Sputum und die entsprechen¬ 
den Erscheinungen bei der Auscultation als lungentuberculös er¬ 
kannt, als nach einiger Zeit sich Ulcera im Rachen zeigten, welche 
als syphilitische imponirten und durch antisyphilitische Behandlung 
sich besserten. Der Fall ist folgender: 

14. Wittwe M., 36 Jahre alt. 28. Jan 1888. Pat. klagt seit längerer 
Zeit über Husten und Heiserkeit. Epiglottis stark verdickt, unförmig, starr, 
zeigt am Rande einige Ulcerationen. Das rechte Taschouband vollständig 
ulcerirt. Lungen: Rechts vorn oben Bronchialathmen und Dämpfung. Liuks 
vorn oben Knistern, unbestimmtes Athmen. Das Sputum enthält zahlreiche 
Bacillen, im Gesichtsfeld durchschnittlich 30—40. .Therapie: Einspritzung 
von Menthol in den Laryni. 

9. Februar. Die Ulcera an dem hinteren Theil des rechten Taschen¬ 
bandes fangen an sich zu reinigen, die Geschwüre an dem Rande der Epi¬ 
glottis vernarben. 

5. März. An der hinteren Rachenwand sieht mau an der rechten 
Seite und auch in der Mitte Ulcera mit gelblich schmierigem Secret bedeckt. 
Dieselben sind oval, haben zum Theil einen Längendurchmesser von 3 cm 
und erstrecken sich, besonders rechts, ziemlich weit in die Tiefe. Daneben 
sieht man noch mehrere stecknadelkopfgrosse und kleinere Ulcera. In den 
Rändern derselben lassen sich an keiner Stelle graue miliare Knötchen 
nachweisen. Von den grösseren Ulcerationen wird an drei verschiedenen 
Tagen Secret behufs mikroskopischer Untersuchung entnommen. Das Re¬ 
sultat bezüglich der Tuberkelbacillen ist stets ein negatives. 

Darauf wird Jodkalium innerlich verordnet; danach am 

26. März werden die Ulcera kleiner, vernarben und sind alsbald voll¬ 
kommen geheilt Lungenbefund unverändert. 

Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, dem verehrten 
Direktor der Universitätspoliklinik, Herrn Professor B. Fraenkel, 
für die mir bereitwilligst gegebene Erlaubniss zur Mittheiluug vor¬ 
stehender Fälle und die mir gewährten mannigfachen Anregungen 
meinen Dank auszusprecben. 

IV. Zwei Fälle von primärem Pankreaskrebs, 

Von A. Seebolim in Pyrmont. 

Die Pathologie der Bauchspeicheldrüse nimmt, wie überhaupt 
in der Medicin, so besonders in den Beobachtungen des praktiscbeu 
Arztes keine hervorragende Stelle ein. Die Erkrankungsfälle des 
Organs sind an sich selteu — die Lage der Drüse hinter uud 
zwischen anderen lebenswichtigen Theilen, sowie die Thatsache, 
dass Hemmungen und Störungen ihrer Secretion in ihren Folgen 
der Abschätzung sich mehr oder minder entziehen — alles dieses 
erschwert die Erschliessung und Differenzirung ihrer pathologischen 
Verhältnisse. Rechnen wir noch hinzu, wie selten dem Praktiker 
zur Klärung etwaiger Zweifel Autopsieen zu Gebote stehen, so er¬ 
klärt sich weiter das geringe klinische Interesse, welches diese 
Leiden im Allgemeinen bieten. Auch wir hatten in einer langen 
Zeit praktischer Thätigkeit kaum Veranlassung, ihrer Existenz zu 
gedenken, bis im vorigen Jahre ziemlich gleichzeitig die folgenden 
zwei Erkrankungsfälle unsere Aufmerksamkeit fesselten. 

Fall 1. Patient 6 j Jahre alt, früher Soldat und Gendarm, seit 20 Jahren 
Bademeister im Fürstlichen Salzbadhause, hager aber ausdauernd, war bis 
dahin nie eigentlich krank, nie luetisch, von mässigen Lebensgewohnheiten, 
auch im Genuss von Tabak und Alkohol. Krebs ist in der Familie nicht 
vorgekommen, doch leidet gleichzeitig mit dem Vater die älteste verheirathete 
Tochter an einem schmerzhaften Tumor der descendirten rechten Niere (?) 
und ist unter schneller Zunahme kachektischer Symptome einige Monate 
später entfernt von hier gestorben. Patient sieht seit kurzer Zeit weniger 
gut aus, hält sich in auffälliger Weise, besonders beim Gehen, vornüber. 
Klagen werden dabei nicht laut, Stimmung und Appetit bleiben gut. Im 
Juni 1886, im Beginn seiner anstrengenden Berufstätigkeit, setzen heftige 
und schmerzhafte Durchfalle plötzlich ein, bleiben eine Zeit lang hartnäckig 
und weichen erst dem andauernden Gebrauch des Opium — dies Symptom 
ist nachdem nicht wieder beobachtet. Fader Geschmack, Appetitmangel, 
Widerwillen gegen Fleisch, Gefühl der Völle, Aufstossen ohne Erleichte¬ 
rungsgefühl etc. machen sich dafür geltend und werden zunächst als func- 
tionelle Restbestände der eben erwähnten Störung genommen. Unter Per- 
sistenz derselben traten indess bald ernstere Beeinträchtigungen des Allge¬ 
meinbefindens, der Ernährung in den Vordergrund. Patient nimmt rapide 
ab, sieht anämisch aus und verliert den Lebensmuth. Die Entwickelung 
eines malignen Tumors im Bereiche der Abdominalorgane wird plausibel, 
gestützt durch ein eigenartiges Wehgefühl, über welches Patient als sehr tief, 
hinter dem Magen sitzend (sic!) klagt. Zugleich sind Neuralgieen im Be¬ 
reiche der Lumbalwirbel besonders qualvoll, rauben den Schlaf und weichen 
nur vorübergehend dem Morphium. Erbrechen hat nie stattgefunden — 
die Zunge tadellos — Untersuchung auf Salzsäuregehalt des Magensafts 
nicht zu ermöglichen — die sparsamen Sedes nach Form und Consistenz 
normal. Die ausgiebige Abtastung giebt keinen Anhalt für eine genauere 
Diagnose. So verläuft der Juli- Im Laufe des August fügen die Symptome 
des behinderten Gallenabflusses obigem Bilde sich hinzu — die Fäces werden 
farblos, der Urin überladen mit Gallenfarbstoff, Haut und Conjunctiva nach 
und nach tief broncefarben. In dieser Zeit auch werden höckerige Geschwulst¬ 
massen durch die noch nachgiebigen Bauchdecken unter der Leber fühlbar 
— letztere vergrössert sich, Gontour derselben gleichmässig derb abzutasten. — 
Weiter werden mässige Transsudate in der Bauchhöhle nachweisbar, 
Oedeme treten hinzu, die Abmagerung steigert sich. Wir glaubten die 


Diagnose auf Krebs in der Bauchspeicheldrüse stellen zu dürfen. Die Scene 
entwickelte sich in dieser Weise weiter durch August und September und 
endete gegen Mitte October. 

Bei Eröffnung der Bauchhöhle — auf letztere muss sich die Autopsie 
in beiden Fällen beschränken — fliessen geringe Mengen ikterisch gefärbter 
Flüssigkeit ab. Netz und vorliegende Darmstücke massig blutreich, von 
livider Färbuug, Darmrohr zusammengezogen, leer — ähnliches Verhalten 
bietet der Magen —, die Innenfläche desselben mit festem Schleimbolag, 
unter diesem die stark faltige Mucosa unverletzt. Die Ocffuungen des Magens 
frei, den Nachbarorganen nicht pathologisch adhärent. Leber überragt den 
Rippenbogen um 4—5 cm, ist durchgehends vergrössert, von derber Consistenz, 
zeigt auf der Vorderfläche des rechten Lappens vier gelblich weisse Ein¬ 
lagerungen, welche, kaum prominent und in ihrer Mitte etwas weicher, das 
Gewebe */a cm tief durchsetzen. Die Schnittflächen beider Lappen ergeben 
reichlichen Blutgehalt der raässig ikterisch gefärbten acinösen Structur. An 
der unteren Leberfläche ist die Gallenblase nach vorn in ihren Membranen 
erhalten, leer, um ein Concrement von Haselnussgrösse zusammengezogen, 
nach hinten ist ihre Structur in flachen derben Wucherungen aufgegangen, 
welche das angrenzende Lebergewebe 1 cm tief durchsetzen, weiter auf die 
Gallenwege übergehen. Der Duct. choledochus, ein harter Strang von un¬ 
gleicher höckeriger Beschaffenheit und mit der Nachbarschaft vielfach ver¬ 
wachsen, leitet zu einem alsbald sichtbaren, etwa Gänseei grossen Tumor, 
dessen Sitz dem Kopf des Pankreas entspricht. Die Masse der Geschwulst 
ist dem Duodenum nach seinen drei Schaufeln angelagert und pathologisch 
adhärent, verlegt indess das Lumen des Darmes nicht wesentlich und durch¬ 
setzt auch nirgends dessen Structur vollständig. Die Isolirung der Geschwulst 
ist schwierig, nach hinten sitzt dieselbe mit starken fibrösen Strängen an 
der Wirbelsäule fest. Nach beendeter Ausschälung liegt das in seinem 
Kopftheil entartete Pankreas vor — aus der Form der Geschwulst ist die 
vorwiegende Wachsthumsenergie derselben nach vorn und oben ersichtlich 
— ihre Rückseite hat im Wesentlichen die platte Fläche der normalen Drüse 
beibehalten. Die durch die Geschwulst gelegten Schnitte treffen ein hartes, 
narbenähnliches Gewebe von gleichmässig faseriger, alveolärer Structur mit 
den charakteristischen Einlagerungen epitheloider Zellen — dazwischen 
sparsame Ueberreste der körnigen Drüsensubstanz in den zum Körper der 
Drüse übergehenden Partieen. Ductus Wirsungiauus und choledochus voll¬ 
ständig in der Geschwulst aufgegangen, das Bild also des primären harten 
Drüsenkrebses im Kopf des Pankreas, welcher mit dem Duct. choledocb. 
zur Leber gezogen ist. Metastasen innerhalb der Bauchhöhle nicht weiter 
nachweisbar. 

Fall II. Patient, 64 Jahre alt, Familienvater, ursprünglich zart, neigte 
vielfach zu dyspeptischen Beschwerden und Verstopfung, hält sich stets 
schlecht, vornüber (11. Proc. spinös, prominent.). Lebensgewohnheiten vor¬ 
sichtige, speciell quoad Tabak und Alkohol. Lues und erbliche Belastung 
ebenfalls ausgeschlossen. Mit dem Sommer 1886 beginnt ein andauernd 
schlechteres Befinden mit dyspeptischen Symptomen und Rückenschmerzeu, 
dabei weniger gutes Aussehen, Magerwerden, Stimraungsdruck des etwas 
hypochondrisch veranlagten Mannes. Das rapide Fortschreiteu dieser All¬ 
gemeinsymptome stempelt den Fall sehr bald schon zu einem ernsten. Nach 
Ablauf einiger Monate wird die Entwickelung einer malignen Neubildung 
innerhalb des Abdomens als Ursache der Kachexie von uns angenommen, 
über den Sitz derselben giebt die Untersuchung trotz leicht abtastbarer 
• Verhältnisse keinerlei Anhaltspunkt. Von subjectiven Beschwerden wird 
auch hier ein Gefühl schmerzhaften Unbehagens tief in der Herzgrube, sowie 
Rückenschmerzen im Bereich des Lumbaltheiles der Wirbelsäule geklagt. 
Appetit mässig, launisch, nicht absolut schlecht. Geschmack fade. Er¬ 
brechen nicht beobachtet, ebensowenig sonstige, eine Hemmung im Magen¬ 
oder Darmlumen andeutende Symptome. Stuhl angebalten, durch Injectionen 
leicht zu regeln. 

So verging der Herbst — trotz leidlich zureichender Ernährung macht 
die Kachexie doch stetige Fortschritte. Die ursprüngliche Annahme eines 
Carcinoma ventriculi etwa in Form eines krebsigen Infiltrates der Magen¬ 
wand ist inzwischen wankend geworden, die Möglichkeit eines Pankreasleidens 
wird erwogen, vielleicht mit unter dem Einfluss des ersten, gerade abge¬ 
laufenen Falles. Bald nun geben direkte locale Symptome letzterer An¬ 
nahme weiteren Halt: Ikterisches Aussehen, gallenreicher Urin, Entfärbung 
der Faeces, dabei Auftreten freier Flüssigkeit im Baucbraume, welche, bei 
leichter Empfindlichkeit des letzteren gegen Druck, langsam, aber stetig bis 
zur Herzgrube ansteigt — weiter hämorrhoidale Stasen und Knotenbildung, 
Oedeme der Beine etc- So verlaufen noch mehrere Monate, bis gegen Ende 
März 1887 der Tod den aufs Aeusserste abgemagerten Patienten erlöst. 

Eine erhebliche Menge freier Flüssigkeit von ikterischer Färbung und 
theiiweise flockiger Beschaffenheit wird vorher aus der Bauchhöhle abge¬ 
lassen — alsdann zeigt sich bei Eröffnung letzterer das grosse Netz nach 
rechts dislocirt und gefaltet, von livider Färbung, das Gekröse mit er¬ 
weiterten Venenzügen und zahlreichen vergrösserten Drüsen — der Magen 
.leer, contrahirt, von normaler Beschaffenheit, ähnlich die sichtbaren Darm¬ 
stücke. Die Oberfläche der relativ kleinen Leber faltig, auf der Schnitt¬ 
fläche der acinöse Bau der Drüse weniger ausgeprägt, gallig gefärbt, blut¬ 
reich, die Gallenblase prall gefüllt. Die Verbindungen zwischen Leber und 
Zwölffingerdarm (Ligam. hepat. duod.) resistenter als normal. Das Duo¬ 
denum selbst , dem Pankreaskopf durchweg adhärent, aber ohne sichtbare 
texturielle Veränderung seiner Häute, ist in seinem Lumen intact, Schleim¬ 
haut leicht katarrhalisch geschwellt. Das Pankreas, in seinen Maassen sonst 
nicht verändert, zeigt in situ eine annähernd kugelige Schwellung, etwa 
Hühnerei gross, im mittleren Theile, dem Körper der Drüse. Letztere ist 
durch derbe, bindegewebige Stränge an die Wirbelsäule geheftet, ihre Ver¬ 
bindung mit der Milz von normaler Resistenz, die Milz selbst klein mit 
faltiger Oberfläche, auf dem Durchschnitt die Septa sehr deutlich. Die 
herausgenommene Bauchspeicheldrüse erscheint härter, ihre gelappte Ober¬ 
fläche mehr gebuckelt als normal, die Geschwulst im Körper der Drüse 
nach allen Seiten gleichmässig entwickelt, auch nach der Rückseite uud dem 


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778 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38 


unteren Rande derselben, die für Aufnahme der Ven. port. und Vas. 
mesaraic. bestimmten seichten Rinnen daselbst mehr verstrichen. Auf Durch¬ 
schnitten der Geschwulst findet sich das reich entwickelte Bindegewebs- 
gerüst mit den durchsetzenden Epithelnestern des harten Drüsenkrebses, 
welches sich in vereinzelten Zügen nach dem Kopfe der Drüse fortsetzt, so 
indess, dass erhebliche Bestände secretionsf&higen Gewebes hier bestehen 
bleiben. Im Uebrigen normale Verhältnisse der Baueborgaue. 

In einigen kurzen Schlussbemerkungen bestätigen wir also aus 
uuseren Fällen das Ergebniss der Statistik, welches für den primä¬ 
ren Pankreaskrebs sein fast ausschliessliches Vorkommen als harter 
Bindegewebskrebs, sowie die vorwiegende Disposition der höheren 
Jahre in Anspruch nimmt. 

Wenn weiter physiologische Versuche der letzten Zeit die Ver- 
rauthung nahe gelegt haben, als sei die Ausschaltung der Bauch¬ 
speicheldrüse, der theilweise oder gänzlich behinderte Zutritt ihres 
Secrets zum Chymus für die Körperökonomie vielleicht nicht sehr 
wesentlich —, so spricht die Syroptomenreihe unserer Fälle, der 
schnelle Ablauf letzterer in 5 resp. 9 Monaten eiuigerraaassen gegen 
eine solche Anschauung und für die Lebenswichtigkeit des betroffenen 
Organs. Auffallend indess bleibt auch für unsere Fälle die Ab¬ 
wesenheit wesentlicher functioneller Störungen im Tract. digestivus, 
auch jener für Erkrankungen des Pankreas vielfach als charakte¬ 
ristisch beschriebenen Erscheinungen (Fettstühle etc.) Es ist des¬ 
halb auch uns verständlich gewesen, dass für diesen rapiden Verfall, 
für die so bald schon auffällige aussergewöhnliche Abmageruug und 
Anämie unserer Kranken andere Umstände vielleicht noch maass¬ 
gebend waren, und zunächst wohl ist hier an die Nach bar Verhält¬ 
nisse der kranken Drüse zu dem Plex. coeliac. dem Gangl. solar, zu 
denken. Ohne weiteres können wir einräumen, dass auch leichtere 
Störungen im anatomischen oder functioneilen Gleichgewicht dieser 
centralen Apparate sehr wohl auf direkt nervösem Wege eiue pa¬ 
thogene Beeinflussung jener grossen, vitalen Vorgänge des Stoff¬ 
wechsels nach sich ziehen können. Auf diese Lageverhältnisse der 
krebsigen Drüse ist noch ein anderes Symptom, die Lumbalneuralgie 
unserer Kranken, mit einiger Sicherheit zu beziehen. Schon die 
normale Drüse liegt den Körpern der oberen Lendenwirbel ziemlich 
straff auf — durch ihre Schwellung, durch die strangartige Ent¬ 
wickelung ihrer hinteren Ligamente wird sonach der Rückfluss aus 
den hier reich vertretenen Venennetzen erschwert, und Stasen mit 
den consecutiven Reizerscheinungen sensibler Nervenbahnen sind er¬ 
klärlich. Die bei unseren Kranken einigermaassen auffällige Diffe¬ 
renz in den Obstructionserscheinungen der Gallenwege, der Ven. 
port. und Vas. mesaraic. findet, wie wir sahen, in dem verschiede¬ 
nen Sitz und der besonderen Entwickelung jener Geschwülste ihre 
Erklärung. 

Im Ganzen verliefen diese beiden, unserer Beobachtung gleich¬ 
zeitig und von ihrem Beginn ab zugänglichen Krankheitsfälle mit 
einer Gleicbmässigkeit der Symptome, welche zum grossen Theil 
zur Stellung der Wahrscheinlichkeitsdiagnose Veranlassung gab. 
Ueber die Schwierigkeit, Pankreasleiden zu erkennen, haben wir 
oben uns geäussert. Auch hier geben wir gern zu, dass, wenn viel¬ 
leicht die Bestätigung der Diagnose nicht ganz und gar dem Zufall 
zuzurechnen wäre, ihre Begründung doch an Exactheit viel zu 
wünschen übrig lässt. 

Y. Kritische Bemerkungen zur Fieberlehre. 

Von Prof. Unverricht in Jena. 

(Schluss aus No. 37.) 

Wir haben also gesehen, dass trotz der staunenswert!)en Be¬ 
reicherungen, welche unser antipyretisches Können gerade in den 
letzten Jahren erfahren hat, die Zahl derer im raschen Wachsen 
begriffen ist, welche die Herabsetzung der Fieberhitze überhaupt 
für unzweckmässig halten. Und während ich bei meinen ersten 
Veröffentlichungen nur das Bestreben hatte, der ruhigen Kritik in 
der Fieberlehre zu ihrem Rechte zu verhelfen, ist es mir heute 
vergönnt, aus der Erfahrung competenter und nüchterner Beobachter 
eiue praktische Bestätigung meiner Ansichten bachzuweisen. 

Freilich hat Herr Liebermeister ein anderes Urtheil über 
den kritischen Geist dieser Autoren, sonst würde er sich nicht mit 
der Redewendung an sie richten, dass auch er die antipyretischen 
Mittel für mehr schädlich als nützlich hält, wenn sie „in leicht¬ 
fertiger und unzweckmässiger Weise angewendet werden. 
Anders verhält es sich freilich, wenn man diese Medicamente, wie 
es dem verständigen Arzte ziemt, mit Umsicht und in zweckmässiger 
Weise anwendet. Wer wird denn den Gebrauch des Messers, 
welches in der Hand des Unvorsichtigen häufig Unheil anrichtet, 
den erfahrenen und umsichtigen Chirurgen verbieten?“ 

Da selbst oben citirte bewährte Kliniker von Herrn Lieber¬ 
meister zu denen gerechnet werden, welche Antipyretica in „leicht¬ 
sinniger und unzweckmässiger Weise“ anwenden, so muss ich es 
dem Selbstvertrauen jedes Arztes überlassen, ob er sich noch mit der 
Hoffnung trägt, in düe Reihe derer aufgenommen zu werden, welche 


im Stande sind, „mit Umsicht und in zweckmässiger Weise“ Fieber¬ 
mittel anzuwenden. 

Fassen wir nochmal das Ergebniss unserer Auseinanderset¬ 
zungen zusammen, so sehen wir, dass eine grosse Anzahl be¬ 
achtenswerter Forscher auf Grund der Erfahrungen , die 
sie mit der Antipyrese gemacht haben, nicht nur zu dem 
Schlüsse gekommen sind, die chemischen Fiebermittel 
zu verwerfen, sondern auch die Ueberzeugung gewonnen 
habeu, dass die Herabminderung der erhöhten Eigen¬ 
wärme in fieberhaften Krankheiten nicht den Angelpunkt 
der Therapie bilden darf. 

Ad Punkt 1. Herr Liebermeister schwärmt für die kalten 
Bäder. Er machte wie viele Andere die Beobachtung, dass Fieber¬ 
kranke, d. h. auch wieder nur oder fast ausschliesslich Typhuskranke, 
sich bei Anwendung kalter Bäder besser befanden, wie bei heroischer 
chemischer Antipyrese, und deshalb wurden dieselben in seinen 
Fieberhypothesenbau aufgenommen, ln diesen lassen sie sich natür¬ 
lich nur einfügen, wenn sie eine sichere und praktische Methode 
der Wärmeentziehung darstellen. Das hat Herr Liebermeister 
auch klar erkannt und sich grosse Mühe gegebeu, den Wärme 
entziehenden Effect der kalten Bäder zu beweisen. Mir selbst 
drängte sich früh die Ueberzeugung auf, dass, wenn die kalten 
Bäder überhaupt Nutzen schaffen, es nicht in ihrem antipyretischen 
Effect beruhen kann, denn dieser ist geradezu kümmerlich, ver¬ 
glichen mit der Wirkung chemischer Agentieu, vorausgesetzt natür¬ 
lich, dass man sich in seinem therapeutischen Thun nicht bis zur 
Rohheit fortreissen lässt. Denn dass man mit Gewalt einen 
Temperaturabfall erzwingen kann, wenn man den wehrlosen Kranken 
erbarmungslos im kalten Wasser festbält, das zu bezweifeln ist mir 
nie eingefallen. 

Aber Herr Liebermeister begnügt sich mit 16° R warmen 
Bädern und einer Dauer von 10 Minuten. Dass man aber bei 
solcher Einschränkung kaum noch von Antipyrese sprechen kann,, 
habe ich aus den eigenen Zusammenstellungen des Herrn Lieber¬ 
meister nachzuweisen gesucht, die ja Sicher nicht zu niedrige 
Wertbe enthalten werden. Herr Liebermeister fand 2 Ständen 
nach dem Bade bei Weibern als mittleren Ternperatureffect einen 
Abfall [um 0,37°. Nun könute man freilich sagen, dass, wenn 
jedes Mal nach 2 Stunden die Temperatur um 0,37° niedriger 
gefunden wird, nur 6 Bäder nöthig wären, um die Temperatur 
von 400 bis nahe zur Norm zurückzuführen, und dass man dann 
vielleicht mit weniger als zweistündliclien Bädern im Stande sein 
würde, die Temperatur dauernd auf normaler Höhe zu erhalten. 
Dieser Ansicht scheint auch Herr Liebermeister zu sein, denn 
er sagt: „es ist doch wohl klar, dass bei solcher Wirkung es nur 
der genügend häufigen Wiederholung der Bäder bedarf, um jede 
für nöthig erachtete Herabsetzung der Temperatur zu erreichen.“ 
Aber diese Ansicht ist irrig, und ich kann mir nur vorstellen, 
dass Herr Liebermeister überhaupt nicht versucht hat die Ent¬ 
fieberung so weit zu treiben, sonst würde er sich schnell von der 
Unmöglichkeit überzeugt haben, bei einigermaassen schweren Fällen 
die Temperatur mit Hilfe von Bädern auch nur für wenige Stunden 
in der Nähe der Norm zu erhalten. Herr Liebermeister stellt 
trotz seiner tiefgewurzelten Ueberzeugung von der Schädlichkeit 
der Temperatursteigerung den willkürlichen Satz auf, dass die Anti¬ 
pyrese gar nicht die Aufgabe habe, die Wärmestauung ganz zu 
bannen, sondern dass es nur darauf ankomme, vorübergehende 
Einknickungen der Fiebercurve zu erzeugen. 

Dieselben Erfahrungen, die ich mit dem antipyretischen Effect 
der Bäder gemacht habe, scheinen sich in neuerer Zeit gleichfalls 
zu mehren, und es wird gewiss dem Leser nicht uninteressant sein, 
wenu ich mich nicht darauf beschränke, meine subjective Meinung 
auszusprechen, sondern auch hier wieder die Erfahrungen Anderer 
reden lasse. 

v. Jaksch 1 ) äussert bezüglich der kalten Bäder seine Ansicht 
dahin, dass „nicht sowohl die antipyretische Wirkung der Bäder, 
als vielmehr andere Umstände, als z. B. die energische Erregung der 
Hautfunction, vielleicht mit einem Worte gesagt, die tonisirende Wir¬ 
kung derselben überhaupt es sind, durch welche Bäder bei der The¬ 
rapie gewisser acuter Krankheiten, insbesondere des Typhus, äusserst 
günstig wirken.“ 

Strümpell 2 ) betont, dass die Anwendung der kalten Bäder 
nicht in erster Linie sich richten soll nach der Iudication der Wärme¬ 
entziehung, sondern zur möglichsten Vermeidung der secundäreu Cow- 
plicationen. Die Bäderbehandlung ist gewissermaassen eine prophy- 
lactische, denn durch die Anregung der Respiration, durch den Ein¬ 
fluss auf das Nervensystem, auf die Reinhaltung der Haut u. s. w. 
verhindert sie das Auftreten von Complicationen und dadurch die 
möglichen Ursachen eines schlimmen Ausgangs. 

‘) Verhandlungen des Congresses für innere Medicin. Wiesbaden 1885. 
p. 159. 

*) ibidem p. 166. 


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20. September. 


DEUTSCHE MEDICtNtSCHE WOCHENSCHRIFT. 


779 


Heubner, 1 ) der gar nicht glaubt, dass es auf den Wärme ent¬ 
ziehenden Effect ankommt, meint, wir müssen baden bei 38°, bei 
38,2°, weil die Gefahr nicht sowohl in der erhöhten Temperatur 
besteht, als in dem Ergriffenseiu des Organismus durch die Infection 
und speciell der Respirations- und Circulationscentren, und weil die 
Anregung und Belebung dieser Centren durch nichts in gleich aus¬ 
giebiger Weise herbeizuführen ist, wie durch Bäder und besonders 
durch kalte Uebergiessungen. „Ich bade nicht, sagt Heubner, 
weil Fieber vorhanden ist, sondern weil eine acute In- 
fectionskrankheit vorhanden ist, auch dort häufig, wo gar 
keine Temperaturerhöhung vorliegt, nur bade ich dort nicht kalt, 
sondern warm, lege aber grosses Gewicht auf die kalten Ueber¬ 
giessungen.“ 

Fräntzel 2 ) wandte die Kaltwasserbehandlung im Berliner Gar- 
nisonlazareth an und fand dabei die Resultate viel ungünstiger, als 
er sie bis dahin erfahren hatte. Es gab eine nicht unbeträchtliche 
Zahl von Kranken, welche erst in der vierten Woche Morgens einen 
Nachlass des Fiebers unter 39° zeigten und welche dann noch, oder 
ohne diesen Nachlass überhaupt zu zeigen, zu Grunde gingen, ohne 
dass intra vitam oder post mortem nennenswerthe Com plicationen 
vorhanden gewesen wären. „Nur im Darm sah man neben in der 
Vernarbung begriffenen Geschwüren frische markige Schwellungen, 
neben gereinigten Geschwüren eben erst gebildete Schorfe. Ich hatte 
den Eindruck, als wenn gerade bei diesen so oft und so kalt ge¬ 
badeten Kranken immer wieder neue und neue Schübe der Darm¬ 
erkrankung entstanden wären. Seit dieser Zeit habe ich keine wei¬ 
teren Versuche mit letzterer Methode gemacht. Ich bin auch schon 
damals zu der Ansicht gekommen, dass die Bäder nicht anti¬ 
pyretisch wirken, sondern als excitans frigidum, dessen Wir¬ 
kung leicht übertrieben werden kann durch zu häufige Anwendung 
und durch die Grösse des Reizes (zu kaltes Wasser). Wir sehen 
ia erstens, dass oft unmittelbar nach dem Bade die Tempe¬ 
ratur höher ist als vor dem Bade; hier kann also wohl von 
einer antipyretischen Wirkung nicht die Rede sein. Andererseits 
wisseu wir aber, dass sich Typhuskranke mit Temperaturen von 
40° und mehr, wenn sie frei von Complicationen bleiben und wenige 
Bäder von 22 0 C ihr Sensorium ziemlich frei erhalten, trotz der 
hohen Temperatur leidlich wohl fühlen, während Kranke mit auf¬ 
fallend niedrigen Temperaturen uns von vornherein den Eindruck 
machen, als ob sie viel kränker sind. Wir sind ja bei der verän¬ 
derten Anschauung, welche wir über die Infectionskrankheiten seit 
der Entwickelung der Bacterienlehre bekommen haben, immer mehr 
zu der Ueberzeugung gelangt, dass zum Verlauf dieser Bacterieu- 
erkrankungen, zum plötzlichen oder allmählichen Absterben 
der Mikroben oft beträchtliche Temperaturerhöhungen 
nothwendig sind.“ 

Während also beim Typhus Fräntzel die Bäder nur als ex¬ 
citans frigidum verwendet wissen will, verwirft er sie vollständig 
bei der Pneumonie, 3 ) und man darf wohl sagen, dass sie sich hier 
nur bei ganz wenigen enragirten Kaltwasserfanatikern eingebürgert 
haben. 

„In den leichten Fällen, sagt Fräntzel, die ohne jede Therapie 
heilen, verschlimmert man nur die Krankheit, in allen ernsteren 
Fällen bringt man den Kranken mindestens an den Rand 
des Grabes. Wenn ein Pneumoniker, dem man kalte Bäder ge¬ 
geben hat, gesund wird, so ist er trotz der Bäder und nicht 
durch dieselben gesund geworden.“ 

Auch Eichhorst 4 ) behandelte seine Typhuskranken rein sym¬ 
ptomatisch, namentlich wurde mit Absicht von einer schematischen 
Kaltwasserbehandlung Abstand genommen. 

Senator’s 5 ) Meinung über die Kaltwasserbehandlung ist wört¬ 
lich citirt folgende: „Das kalte Bad ist gar kein antipyreti¬ 
sches Mittel par excellence. Als antipyretisches Mittel steht 
es dem Chinin, dem Antipyrin und Thallin weit nach. 

Wie gering die Temperatur erniedrigende Wirkung der Bäder 
ist, geht ja eben schon daraus hervor, dass man sie auf der Höhe 
der Krankheit so oft wiederholen muss. Ihre Wirkung liegt, wie 
neuerdings schon von verschiedenen Seiten hervorgehoben worden 
ist, auf einem ganz anderen Gebiete. Sie haben in erster Reihe 
eine anregende Wirkung auf das Nervensystem, sodann auf die Cir- 
culation und Athmung.“ 

Es sind, betont Senator mit Recht, nach diesen Gesichts¬ 
punkten die Indicationen für die Anwendung der kalten Bäder viel 
schwerer zu stellen, als wenn man nur nach dem Thermometer zu 
sehen braucht. Das war auch unsere Meinung. Wenn man sich 
erst von der Idee losgemacht haben wird, dass die Bäder nicht 

ibidem p. 175. 

a ) Bemerkungen über die Behandlung des Ileotyphus 1. c. p. 121. 

3 ) Einige Bemerkungen zur Behandlung der croupösen Lungenentzün¬ 
dung 1. c. p. 12. 

4 ) 1. c. p. 347. 

5 ) 1. e. p. 734. 


gegen die erhöhte Eigenwärme wirken sollen, dann wird man auch 
zu einer rationellen Verwendung dieses so souveränen Diaeteticums 
gelangen. 

Goltdammer, 1 ) Direktor des Krankenhauses zu Bethanien in 
Berlin, hat „unter dem Eindruck zahlreicher Misserfolge und einiger 
unbefriedigender Jahre die immerhin strengere Methode allmählich 
ganz verlassen und unter Aufgabe erst der Bäder von 16°, 
dann auch der von 18°, die er nur noch in Ausnahmen anweudet, 
sich mehr und mehr einer individualisirenden Behandlung mit lauen 
und kühlen Bädern von meist 20—24° bedient.“ „Auch ich habe, 
sagt Goltdammer, den Eindruck gewonnen, dass die antipy¬ 
retische Wirkung der Bäder überschätzt und zu einseitig 
betont worden ist, dass diese einseitige Betonung der Antipyrese 
zu einer schematischen, in nicht seltenen Fällen zu überflüssiger 
Bäderbehandlung geführt hat.“ 

Bezüglich der Antipyretica, sagt Goltdammer, um dies hier 
noch anzuschliessen, dass „zu vorsichtiger Anwendung derselben ge- 
rathen werden muss, wenn man vor trüben Erfahrungen bewahrt 
bleiben will.“ 

Gläser, 2 ) Primärarzt am Allgemeinen Krankenhause in Ham¬ 
burg, sagt von der Kaltwasserbehandlung: „Wie sorgsam und folge¬ 
recht auch ihre theoretische Begründung durch Liebermeister u. A. 
ausgebaut ist, bleibt schliesslich doch alle Theorie grau, und in der 
Therapie mehr als anderswo wird es am Ende aller Enden heissen: 
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Aus der Analyse von 
3285 Typhen, die in den Jahren 1869 bis 1877 im Allgemeinen 
Krankenhause auf den verschiedenen Stationen theils mit, theils 
ohne Wasser behandelt wurden, zieht Gläser den Schluss, dass 
die Bäderbehandlung auf die Mortalität ohne Einfluss ist. 

Auch Fischl 3 ) hat ein wenig günstiges Urtheil für die kalten 
Bäder. „Ich vermag weder auf der Basis der im Krankenhanse, noch 
der in der Privatpraxis gewonnenen Erfahrungen über günstige Wir¬ 
kungen der kalten Bäder (nach Brand, Jürgensen und Bartels) 
beim Typhus abdominalis zu berichten und möchte daher eine Pro- 
cedur, gegen die sich die meisten Kranken gleichsam instinctartig 
aus allen Kräften wehren (in den gewöhnlichen nicht hyperpyreti- 
schen Formen), nicht anwenden, so lange nicht eine auf ein überaus 
reiches Material sich gründende Uebereinstimmung der Beobachter 
erzielt, oder wenigstens eine theoretische Erklärung der Wirkungs¬ 
weise der kalten Bäder gewonnen worden ist.“ 

Curschmann 4 ) ist für eine streng individuelle, aber gegen 
jede schematische Anwendung des kalten Wassers. Er müsse es 
für einen Windmühlenkampf erklären, wenn man noch 
heute vielfach sähe, dass ein Typhuskranker ohne Rück¬ 
sicht auf die übrigen Verhältnisse nur darum in ein kaltes 
Bad gesteckt würde, weil er 39,5 oder darüber habe. Die 
Gefahr des Typhus sei im Grossen und Ganzen absolut nicht pro¬ 
portional der Temperaturhöhe. 

Naunyn 5 ) sagt bezüglich der Kaltwasserbehandlung: „Die 
hauptsächliche Wirkung der Kaltwasserbehandlung der fieberhaften 
Krankheiten darf ohne besonderen Beweis nicht iu der Beseitigung 
oder Verminderung der krankhaften Ueberhitzung gesucht werden.“ 
„Wäre dies der Fall, so müsste diejenige Methode der Anwendung 
des kalten Wassers am günstigsten auf den Verlauf und die Morta¬ 
lität der Typheu einwirken, welche in der Herabsetzung der krank¬ 
haft erhöhten Körpertemperatur am meisten leistet. Dies scheint aber 
keineswegs der Fall zu sein.“ 

„Ferner wäre zu erwarten, dass in ähnlich günstiger Weise wie 
die hydriatiscbe Behandlung auch andere Mittel wirken müsssten, 
welche die fieberhafte Ueberhitzung beseitigen.“ 

„Es ist ferner festzuhalten, dass der günstige Einfluss auf die 
Mortalität der Erkrankten bisher nur für eine einzige fieberhafte 
Krankheit, und dies ist der Typhus abdominalis, nachgewiesen ist.“ 
„Bisher ist es nicht gelungen, zu erweisen, dass die Kaltwasserbe¬ 
handlung bei Pneumonie, Scarlatina u. s. w. die Mortalität im 
Grossen und Ganzen in eiuer nennenswerthen Weise beeinflusst.“ 
Die Wirkung des kalten Bades beruht nach seiner Ansicht in seiner 
Eigenschaft als Hautreiz. Dadurch wirke es erregend auf die Cir- 
culation, beschleunige und vertiefe die Athmung und belebe das 
Sensorium. 

Ziehen wir das Resume aus den eben citirten Aeusserungen, so 
finden wir, dass durchweg das kalte Wasser nicht mehr als Anti- 
pyreticum, sondern als Excitans verwendet wird, und auch als 
solches ausschliesslich beim Unterleibstyphus. Bezüglich, des 
Einflusses der Kaltwasserbehandlung auf die Mortalität gehen 

') Goltdammer, Ueber Typbusbehandlung. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1885, No. 44. 

3 ) Gläser, Zur hydriatischen Behandlung des Abdominaltyphus. Berl. 
klin. Wochenschr. 1883, No. 14. 

*) 1. c. p. 73. 

4 ) Deutsche med. Wochenschr. 1888, No. 21. 

5 ) 1. c. p. 109. 


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780 


DEUTSCHE HEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 88 


die Ansichten weit auseinander. Der Ausspruch Brand’s, dass 
die Kaltwasserbehandlung „die Möglichkeit gewährt, einen 
bestimmten Kranken, an dessen Leben besonders viel 
liegt, mit Sicherheit zu erhalten“, ist längst dem Curiosi- 
tätenkabinet der mediciniscben Literatur überwiesen und hat einer 
kühleren Beurtheilung Platz gemacht, welche selbst bei aner¬ 
kannt nüchternen und erfahrenen Praktikern nahe an eine Ver¬ 
werfung dieser Methode streift. Doch dies nur nebenbei. Die Frage, 
wie weit die Kaltwasserbehandlung im Stande ist, die Mortalität zu 
beeinflussen, wird erst durch weitere ausgedehnte und nüchterne 
statistische Untersuchungen mit Berücksichtigung aller hier in Frage 
kommenden Fehlerquellen möglich sein. Eins ist jedenfalls schon 
heute sicher, dass diese Methode nicht so sinnfällige Erfolge aufzu¬ 
weisen hat, um alle Skepsis zu besiegen, und dass es deshalb be¬ 
greiflich ist, dass praktische Nationen wie die Engländer, die sich 
leichter von dem Banne von Theorieen freimachen, der Methode bis 
jetzt Thor und Thür verschlossen haben. 

Worauf es uns aber bei unserer Blüthenlese aus der Literatur 
besonders ankam, das ist der Nachweis, dass selbst bei Kli¬ 
nikern, welche das kalte Wasser zu schätzen wissen, 
die Ansicht allgemein verbreitet ist, dass es nicht durch 
seine kümmerlichen antipyretischeu Wirkungen nützt, 
sondern durch seine diätetischen Einflüsse. Mehr habe 
ich selbst nicht behauptet. Wie wichtig es aber ist, diesen prin- 
cipiellen Unterschied vor Augen zu halten, brauche ich natürlich 
nicht zu betonen. Wer die Bäder als Diäteticum verwendet, der wird 
nicht den Kranken die Nachtruhe rauben, sondern er wird der 
Ueberzeugung sein, dass der Schlaf ein ebenso wichtiges diätetisches 
Mittel ist, wie das kalte Wasser. Er wird sich andrerseits frei- 
halteu von den Ausschreitungen jener Fanatiker der Antipyrese, 
die, um einen Temperaturabfall um jeden Preis zu erzielen, ihre 
Kranken erst aus dem Wasser nehmen, wenn „eine bläuliche 
Röthe des Gesichts oder eine hochgradige Schweratmigkeit wahr¬ 
nehmbar sind“ 1 ), und welche selbst zweistündliche Bäder von 
12° R und 15 Minuten Dauer für nicht genügend erachten zur Be¬ 
friedigung ihrer antipyretischen Schwärmereien. 

Was den dritten Punkt anlangi, so habe ich nicht behauptet, 
dass „die hohe Temperatur im Fieber von Nutzen sei für den 
Kranken, indem sie ihn befähige, mit Erfolg gegen die Krankheit 
anzukämpfen.“ Wenn Herr Liebermeister weniger erregt an die 
Lectüre meines Vortrags gegangen wäre, so hätte er gefunden, dass 
ich gesagt habe, die alte Ansicht von der Nützlichkeit des Fiebers, 
wonach dieses für deu Organismus ein Kampfmittel gegen gewisse 
-Feinde sei, oder dass, wie Pflüger sagt, das Fieber heilt durch 
Feuer reinigend, „findet in unseren modernen Erfahrungen ge¬ 
wisse Stützen“. Ob die Erhöhung der Eigenwärme etwas nützt, 
weiss ich ebensowenig wie Herr Lieberraeister das Gegentheil, 
und es wird wohl noch ausführlicher Untersuchungen bedürfen, ehe 
man einen solchen Satz endgültig widerlegt oder ihm sichere 
wissenschaftliche Fundamente gegeben haben wird. 

Eine Lehre aber, meine ich, muss man aus diesem Stande 
unserer Anschauungen doch nothgedrungen ziehen, dass es nicht 
rationell sein kann, gegen die Wärmestauung zu Felde zu ziehen, 
wo nicht nur die Schädlichkeit der geringen Temperaturerhöhungen, 
mit denen wir es gewöhnlich zu thun haben, nicht bewiesen ist, 
sondern sogar gewichtige Autoren mit nicht ohne Weiteres wider¬ 
legbaren Gründen sich für die Ansicht ausgesprochen haben, dass 
das Fieber eine jener Reactionsformen sei, welche der menschliche 
Organismus im Laufe seiner phylogenetischen Entwickelung er¬ 
worben hat, und welche ihm im Kampfe um’s Dasein gegen gewisse 
typische ihn bedrohende Schädlichkeiten helfend zur Seite stehen. 

Ich glaube nur den Gesetzen der Logik gehorcht zu haben, 
wenn ich schloss: so lange der Satz, dass das Fieber eine zweck¬ 
mässige Einrichtung der Natur ist, nicht widerlegt ist, dürfen wir 
es nicht bekämpfen. 

Herr Liebermeister ist anderer Ansicht, er ist, wie er sich 
ausdrückt, „vorsichtiger“ gewesen, er hat sich davor gehütet zu 
meinen, „weil die Temperatursteigerung unter gewissen Umständen 
und in gewissen Grenzen für den Menschen zuträglich sein könnte, 
so müsste es überhaupt in jedem Falle und in jedem Maasse für 
nützlich erklärt werden. Auch der Schmerz kann ja mit 
allem Recht als der „Wächter der Gesundheit“ bezeich¬ 
net werden; welchem Arzt aber wird es einfallen, zu behaupten, 
der Schmerz sei unter allen Umständen nützlich für den Kranken 
und dürfe niemals bekämpft werden. Um zu verstehen, dass die 
Teraperatursteigerung unter Umständen nützlich sein könne, dass 
aber ein Uebermaass trotzdem schädlich und tödtlich wirkt, braucht 
man ja nur an die Wirkung der gewöhnlichsten Arzneimittel und 
anderer Agentien zu denken; es kommt eben bei allen diesen 


‘) Vgl. Vogel, Typhuatherapie im Münchener Garnisonlazarethe. D. Arch. 
f* Hin. Med. Bd. 3G. 


Dingen auf die besonderen Umstände und namentlich auf 
die Quantität oder Intensität der Einwirkung an. Durch 
Feuer lassen sich die Parasiten in einem Hause sicher zerstören, 
aber es brennt dabei leicht das ganze Haus ab.“ 

Es ist nicht leicht, sich durch diesen Passus durchzuarbeiten, 
jedenfalls wird der Arzt mit diesem Orakelspruch wenig anzufangen 
wissen. Wenn es bewährten Klinikern nicht gelungen ist, die 
chemische Antipyrese „mit Umsicht und in zweckmässiger Weise“ 
wie der Chirurg sein Messer zu handhaben, so wird auch der 
Arzt wohl häufig nicht im Stande sein, „die besonderen Umstände 
und namentlich die Quantität und Intensität der Einwirkung“ 
richtig zu beurtheilen. 

Die Auffassung des Fiebers als „Wächter der Gesundheit“, 
welches ähnlich wie der Schmerz auf die Gefahr aufmerksam macht, 
ist neu und originell. Ich weiss nicht, ob diese Vorstellung viele 
Anhänger finden wird. 

Ich habe in meinen Arbeiten nicht nur die Ansicht vertreten, 
dass die Nützlichkeit des Fiebers noch nicht widerlegt ist, sondern 
ich habe mit noch grösserem Eifer wissenschaftliche Beläge dafür 
beizubringen versucht, dass die Schädlichkeit der Temperatur¬ 
steigerung um 2—3° nicht bewiesen ist. Fast nirgends sehen wir 
Temperatursteigerung uncomplicirt auftreten, so dass wir ohne 
Fehlerquellen ihren Einfluss auf den Organismus studiren könnten, 
und ich meine deshalb, dass unter den vielen Beobachtungen von 
Temperatursteigerung des Körpers diejenigen am reinsten die 
Wirkung der febrilen Wärmestauung wiederspiegeln, 
welche die wenigsten Symptome machen, und wenn wir 
auf der einen Seite aseptisch fiebernde Kranke von Genzmer und 
Volkmann 1 ) 14 Tage lang und mehr Temperaturen von 40° 
haben und dabei sich prächtigen Wohlbefindens erfreuen, guten 
Appetit zeigen, Karten spielen, lärmen und umhergehen sehen, 
so werden wir bei dem Typhuskranken, der besinnungslos bei der¬ 
selben Temperatur mit zitternder Hand an der Bettdecke zupft, 
schliessen, dass es nicht die Temperatur ist, welche sein Sensorium 
trübt, sondern dass die specifischen Gifte in derselben Weise seine 
Hirnfunctionen schädigen, wie sie seine Wärmeregulation in Unord¬ 
nung gebracht haben. 

Es dürfte für den Leser vielleicht nicht uninteressant sein, 
wenn ich, wie dies auch schon Naunyn gethan hat, einige 
Aeusserungen desjenigen Maunes wiedergebe, welcher als der grösste 
Kenner der Eigenwärme in Krankheiten zu betrachten ist. Aeusse¬ 
rungen, welche beweisen, wie klar dieser nüchterne Beobachter 
schon die Unabhängigkeit der Temperatursteigerung von den übrigen 
febrilen Symptomen erkannt hat. Wunderlich sagt aufSeitel72 
seines klassischen Werkes über „das Verhalten der Eigenwärme in 
Krankheiten“: „es ist gegenüber von manchen anders lautenden Be¬ 
hauptungen mit der grössten Bestimmtheit hervorzuheben, dass 
zwischen der Höhe der Temperatur einerseits und der Art und dem 
Grade der übrigen Erscheinungen andererseits weder im Ganzen 
noch hiusichtlich einzelner Phänomene irgend ein Parallelismus zu 
bestehen braucht, dass also weder das Gefühl der Niederlage, noch 
das des Durstes, noch die Beschaffenheit und Frequenz des Pulses, 
noch die Blässe und Injection der Haut, noch deren Secretionen, 
noch die Respirationsfrequenz, noch die Beschaffenheit und Menge 
des Harns und seiner einzelnen Bestandteile, noch die Functionen 
des Nervensystems, noch endlich die Abnahme des Körpergewichtes 
in irgend einem allgemeinen graduellen Verhältniss mit der Tem- 
peratursteigerung zu stehen brauchen.“ 

Ferner führte ich zum Beweise, dass die Temperatursteigerung 
nicht das Verderbenbringende im Fieberprocesse darstellt, die in¬ 
teressante Erfahrung an, dass die Körperwärme hohe Grade er¬ 
reichen kann, ohne dass das Leben erlischt „Es sind, betonte ich, 
wiederholt Fälle beobachtet worden, wo die Temperatur ohne Schaden 
für den Kranken weit über 44° hinausging.“ Herr Liebermeister 
bezeichnet diese Mitteilungen als „Märchen, welche nur zeigen, 
dass die Betreffenden nicht wissen, was zu einer zuverlässigen Tem¬ 
peraturbestimmung gehört.“ Ich halte eine Temperaturbestimmung 
nicht für so schwierig, kann mich also nicht so leichten Herzens 
über die Mitteilungen Anderer hinwegsetzen. Doch ich will auch 
hier den Leser urteilen lassen und einige der mir gerade zugäng¬ 
lichen Fälle von Hyperpyrexie aus der Literatur mittheilen. 

Das Maass von Vertrauen, welches die Beobachtungen Anderer 
verdienen, kann weder von Herrn Liebermeister noch von mir 
abgesteckt werden. Es kommt mir auch nicht in den Sinn, für 
alle Beobachtungen von exorbitanten Körpertemperaturen eine Bürg¬ 
schaft zu übernehmen. Ich bin nur zu der Meinung gelangt, dass 
bereits so viele Mitteilungen vorliegeu, in welchen die von Herrn 
Liebermeister gezogene Temperaturgrenze straflos überschritten 
wurde, dass ich mir nicht den skeptischen Ruck zu geben ver- 


*) Genzmer und Volk mann, Ueber septisches und aseptisches 
Wuudlieber. Volkmann’s Samml. klin. Vorträge No. 121. 


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20. September. 

mochte, ohne weiteres alle diese Beobachtungen bei Seite zu schie¬ 
ben. Doch ich ziehe auch hier vor, den Leser selbst urtheilen zu 
lassen. Selbst wenn wir alle diese Beobachtungen mit dem grossen 
Schwamme der Skepsis aus der Literatur fortwischen, ist noch lange 
nicht die Gefährlichkeit der Temperatursteigerung so sicher erwiesen, 
als man anzunehmeu geneigt ist. 

Es ist mir übrigeus eine grosse Genugthuung, in meiner Ansicht 
über hyperpyretische Temperaturen mich mit Naunyn zu begegnen, 
in diesem Forscher also einen Genossen meines Glaubens an Märchen 
zn begrüssen. Er sagt: l ) „Viele Autoren haben aus den Erfahrungen 
an fieberkranken Menschen den Schluss gezogen, dass der Mensch 
Erhöhungen der Eigenwärme über 42—45,5° nicht überlebe, (Bären¬ 
sprung; Liebermeister u. s. w.), doch ist dies seitdem als 
unrichtig erwiesen. Bei der Febris recurrens sind Temperatur- 
Steigerungen über 42,5° ohne tödtlichen Ausgang gar nicht ganz 
selten. Es werden sogar Fälle mit viel weitergehender Temperatur¬ 
steigerung, ohne tödtlichen Ausgang berichtet: Riess fand in einem 
Falle von Intermittens vorübergehend 44,6° ohne tödtlichen Ausgang. 
Bassanowitz theilt einen Fall von Intermittens mit, in welchem 
die Temperatur auf 46° stieg. Hier hielt sie 8 Minuten an, fiel dann 
auf 41,8° und blieb % Stunden auf 41°; dabei fehlten alle 
psychischen Störungen.“ Naunyn nimmt also keinen Anstand, durch 
diese Mittheilungen die Bärensprung-Liebermeister’sche These 
für erschüttert zu erklären. 

Aber wir besitzen noch weitere Beobachtungen. Dass ich selbst 
im Intermittensanfalle eine Temperatur von 43,6° beobachtet habe, 
soll nnr nebenbei erwähnt sein. 

Ein Fall wurde von Dr. James Little 2 ) im Adelaide Hospital 
zu Dublin beobachtet, welcher eine 23jäbrige weibliche Person mit 
Fractur der Halswirbelsäule betraf, an welcher Temperaturen mit 
einem „certified registeriug thermometer“ bis zur Höhe von 130,8° F 
= 54,9° C in der Vagina zu wiederholten Malen beobachtet wur¬ 
den. Ich will diesen Fall gern der Skepsis opfern, weil er doch 
allzu sehr herausspringt aus Allem, was uns über die Wärme¬ 
verhältnisse des Organismus bekannt, ist und weil es auch unter¬ 
blieb, mit mehreren Thermometern zu untersuchen, aber Dr. J. 
Mackenzie 3 ) macht gelegentlich dieses Falles Mittheilung von 
einer Beobachtung im London Hospital, bei welchem die Temperatur 
in der Achselhöhle bis 120,8° F = 49,3° C in die Höhe ging, 
„ohne dass der Patient irgend welche sonstigen Symptome darbot, 
welche einer so hohen Temperatur entsprochen hätten.“ 

Der Fall, auf den Samuel 4 ) recurrirt bei seiner Bemerkung, 
dass gelegentlich eine Steigerung der Körperwärme bis 46o C be¬ 
obachtet worden ist, ist wohl identisch mit dem schon citirten Fall 
von Bassanowitz. 

Einen anderen Fall citire ich aus der Arbeit von Gläser, 5 ) 
da mir die Lancet vom 6. März 1875 augenblicklich nicht zur 
Hand ist. Derselbe wurde in der Clinical society of London von 
J. W. Teale vorgetragen und ist, ausser von Anderen, auch von 
dem bekannten Teale in Leeds beobachtet worden. 

Es handelte sich um eine junge Dame, die auf der Jagd mit 
dem Pferde stürzte und einen Bruch einer Rippe mit Erschütterung 
event. Entzündung des Rückenmarks erlitt. Die mit 7 verschiedenen 
Thermometern — darunter 4 Normalthermometer — unter allen 
Cautelen gegen etwa beabsichtigte Täuschung gemessene Temperatur 
erreichte in der Achselhöhle 49,9° C, blieb 7 Tage lang zwischen 
45 und 47° € und ist 7 Wochen lang nicht unter 42,2 C gefallen. 
Die Kranke befand sich während der ganzen Zeit nicht auffallend 
leidend, ihr Puls ging nie über 120, und sie genas Bchliesslich. 
Der Fall wurde in der Gesellschaft, in welcher die ersten Londoner 
Aerzte — z. B. Hutchinson — vertreten sind, nicht beanstandet, 
und der Präsident knüpfte an die Mittheilung des Dr. Teale die 
Bemerkung, man müsse schon auf diesen einen Fall hin die An¬ 
schauung verlassen, dass die Temperaturhöhe an und für sich ein 
Element der Gefahr sei. 

Derselben Quelle entnehme ich einen Fall von Donkin (Lancet 
1878, Mai 11) mit einer Maximaltemperatur von 44,6° die in der Re- 
convalescenz von einem Unterleibstyphus auftrat und einen anderen 
von Greig Smith (Lancet 1879 März 15), in welchem sich bei Ulcus 
ventriculi nebst Ovarialaffection mit Menorrhagie die Temperatur — 
oft mit plötzlichem Abfallen zur Norm — durch 7 Wochen um 
41,6° bewegte; ferner einen Fall von Cheadle (Lancet 1879, März 22) 
ebenfalls in der Reconvalescenzperiode vom Typhus eine Temperatur 
von 43,8° C darbietend. 


') 1. c. p. 56. 

*) Med. times and gazette 1880 B. 1 p. 458, 482, 510, 585. 

3) Ibidem p. 620. 

*) Samuel, Antipyrese. Realencyclop. von Eulenburg II. Aufl. 

6 ) Gläser, Bericht über die Temperaturverhältnisse in 200 tödtlich 
verlaufenen Typhusfällen, nebst einigen ketzerischen Bemerkungen über 
Antipyrese. Mittheilungen vom Hamburger allgemeinen Krankenhause. D. 
Arch. f. klin. Med. Bd. 41. 


781 

Freilich ist es ja misslich, sich auf ein Terrain zu begeben, 
auf welchem man so sehr der Zuverlässigkeit der Menschen über¬ 
liefert ist, wie auf dem seltener mediciniscber Vorkommnisse, die 
man nicht jeder Zeit controlliren kann, und man wird meist für 
einen kritischen Kopf gehalten, wenn man ein solches Terrain gar 
nicht betritt oder die Thatsachen, welche sich der Schablone 
nicht fügen, sich durch eine kräftige Skepsis vom Leibe hält. Ich 
möchte nicht weniger vorsichtig sein als Herr Liebermeister. 
Eins aber wird mir Herr Liebermeister zugeben müssen, dass 
der Lehrsatz, 42,5° C wäre die höchste Temperatur, welche ein 
Mensch auszuhalten vermag, ein vollkommen in der Luft schwe¬ 
bendes und durch die Erfahrungen nicht bestätigtes Dogma ist. 
Und andererseits wird Herr Liebermeister meiner Argumentation 
eine gewisse Berechtigung nicht versagen, dass es auffällig wäre, 
wenn, wie das allzu häufig beobachtet ist, die Temperatur nach 
unten 10 und mehr Grad sinken könnte, während nach oben zu so 
enge Grenzen gesteckt sein sollen. 

Jedenfalls ist, so weit ich das Gebiet der experimentellen uud 
beobachtenden Pathologie überblicke, noch nie der exacte Beweis 
erbracht, dass eine Temperatur von 42,5° C zum Untergange des 
Individuums führt. 

Den Rath, die Wirkung von Fiebertemperaturen im russischen 
Dampfbade zu studiren, muss ich aus dem einfachen Grunde 
ablehnen, weil ich kein Freund von Experimenten bin, bei denen 
unmöglich etwas herauskommen kann. Ich halte die Wärmestauung 
im Dampfbade für principiell verschieden von der febrilen Wärme¬ 
stauung, und es ist mir unbegreiflich, dass Liebermeister, der 
sich 30 Jahre lang mit der Fieberfrage beschäftigt hat, dieser 
Unterschied, auf den schon Cohn heim aufmerksam gemacht 
hat und der neuerdings erst wieder nachdrücklich von Naunyn, 
Bauer 1 ) und vielen Anderen betont, vollkommen entgangen zu 
sein scheint. Gerade unsere moderne Fieberlehre hat als wichtigsten 
Erwerb den Nachweis zu verzeichnen, dass nicht, wie es Traube 
wollte, die febrile Temperatursteigerung durch Behinderung der 
Wärmeabgabe bedingt ist, sondern dass die Wärmeabgabe so¬ 
wohl als auch die Wärmebildung über die Norm gestei¬ 
gert ist. 

Nichts davon sehen wir beim Menschen im Dampf bade! Hier 
wird die Wärmeabgabe weit unterhalb jener Grenze gehalten, 
welche für normale Verhältnisse gilt, ja es wird dieselbe nahezu 
gänzlich verhindert. Der Stoffwechsel andererseits wird auf ein 
Minimum reducirt, wenn wir den Untersuchungen Litten’s, die 
noch unter Cohnheim’s Aegide gemacht wurden, Glauben schenken 
dürfen. 

„Es ist nicht erlaubt, sagt Naunyn 2 ), ohne Weiteres anzu¬ 
nehmen, dass der kranke Mensch durch die beim Fieber statt¬ 
habende Ueberhitzung in gleicher Weise gefährdet sei, wie das Ka¬ 
ninchen durch die Ueberhitzung im Wärmekasten; hier im Experi¬ 
ment wird die Ueberhitzung erzwungen, trotzdem die Mechanismen 
der Wärmeregulirung mit allen Kräften dagegen arbeiten, dort beim 
Fieber kommt die Ueberhitzung zu Stande, weil die Mechanismen 
der Wärmeregulirung ihre Schuldigkeit nicht thun; ein solches im 
Wärmekasten überhitztes Thier verhält sich wie ein im Dampfbade 
oder im römischen Bade überhitzter, aber nicht wie ein fieberkranker 
Mensch. Die Beschleunigung der Respiration und der 
Herzaction der überhitzten Thiere ist viel bedeutender 
wie im Fieber; die Wärmevertheilung ist bei ihnen geradezu 
verkehrt, die Peripherie ist erheblich heisser, wie die inneren Theile. 
Ein solches durch Ueberhitzung im Wärmekasten auf 42° (in recto) 
gebrachtes Thier ist nirgends unter 42° warm, gerade in der Peri¬ 
pherie noch viel wärmer; ein Mensch oder Thier mit 42° Fieber¬ 
temperatur ist keineswegs durchweg 42° warm, sondern seine 
äusseren Weichtheile sind erheblich kälter.“ 

Aus Litten’s Beobachtungen, die bezüglich der Stoffwechsel¬ 
verhältnisse neuerdings erst wieder von Bauer bestätigt wurden, 
geht übrigens ein weiterer grundsätzlicher Unterschied zwischen der 
febrilen Wärmestauung und der durch Retention bedingten hervor. 
Thiere, welche im Wärmekasten unter Temperatursteigerung ihren 
Tod gefunden haben, zeigen keineswegs den Befund von Fieber¬ 
leichen. Sie bieten die Symptome der Verfettung der inneren Or¬ 
gane dar, während bekanntlich bei Fieberkranken die inneren Or¬ 
gane jene eigenthümliche Veränderung zeigen, die mau als paren¬ 
chymatöse Degeneration bezeichnet hat. Freilich hat sich bekanntlich 
auch bezüglich dieser letzteren Herr Liebermeister bemüht, ihre 
Abhängigkeit von der Temperatursteigerung nachzuweisen, doch ist 
dieser Nachweis als gänzlich gescheitert zu betrachten, seitdem 
Pathologen von der Autorität Cohnheim’s und Andere fanden, dass 
bei gewissen febrilen Zuständen z. B. der croupösen Pneumonie diese 
parenchymatöse Schwellung fast regelmässig vermisst wird, während 


’) Verhandlungen des Congresses etc. 
a ; I. c. p. 55. 


DEUTSCHE MED1C1N1SCHE WOCHENSCHRIFT. 


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782 DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. No. 38 


auf der anderen Seite Affectionen, die afebril zu verlaufen pflegen, 
wie die Arsenik- und Pbosphorvergiftung, dieselben Veränderungen 
därbieten können. 

Wir lernen also aus allen diesen Beobachtungen verschiedene 
Bedingungen kennen, welche neben den verschiedensten anderwei¬ 
tigen Erscheinungen die eine gemeinsame zeitigen, dass die Körper¬ 
temperatur in die Höhe geht. Man muss thatsächlich auf dem ganz 
einseitigen Standpunkte stehen, dass das Fieber nichts sei als Tem¬ 
peraturerhöhung des Körpers, um alle die verschiedenen Zustände, 
welche die Körperwärme in die Höhe treiben, kritiklos in einen 
Topf zu werfen. 

Soviel zur Rechtfertigung meiner früheren Fieberartikel! 

Mit guter Absicht habe ich in den vorhergehenden Zeilen meine 
Ansichten möglichst zurückgehalten und Andere für mich sprechen 
lassen, deren wissenschaftliche Autorität allgemein anerkannt ist. 
Hoffentlich ist mir der Beweis gelungen, dass der Standpunkt in 
der Fieberfrage, den ich schüchtern im Jahre 1882 zu vertreten wagte, 
nunmehr von einem grossen Heer anerkannt kritischer Forscher 
getheilt wird, dass man heute nicht mehr auf dem Standpunkte 
steht, dass die Temperaturcurve ausschliesslich das ärztliche Han¬ 
deln in fieberhaften Krankheiten zu leiten hat, und dass man 
mehr und mehr von jenen Fieberanschauungen zurückkommt, wo¬ 
nach die Temperatursteigerung die ausschliessliche Ursache aller 
sogenannten Fiebersymptome darstellt. 

An dieser Thatsache wird man nichts mehr zu ändern ver¬ 
mögen. Ich für meinen Theil begnüge mich mit dem Verdienst, den 
Umschwung der Meinungen möglichst bekannt zu machen, denn 
ich glaube damit der ärztlichen Toleranz einen wesentlichen Dienst 
zu leisten. Wenn der Praktiker sich erst bewusst ist, dass er bei 
seinem antipyretischen Handeln sich nicht auf dem Gebiete 
exacter Wissenschaft, sondern dem der Hypothese bewegt, dann 
wird er auch Nachsicht üben gegen den Collegen, der nicht zu 
derselben Fahne schwört. 


VI. Feuilleton. 

Ueber den Unterricht in der Poliklinik. 

Von Prof.Dr.Th. v. Jürgen se n, Vorstand d.Poliklin.zuTübingen. 

(Schluss aus No. 37.) 

Wie soll nun der poliklinische Unterricht gegeben 
werden? Die Meinungen darüber gehen auseinander und müssen 
auseinander gehen, weil an den verschiedenen Orten die Bedürfnisse 
nicht die gleichen sind. In den Grossstädten finden sich ja ganz 
andere Bedingungen als in den kleineren, und Nichts wäre ver¬ 
kehrter, als die Uebertragung von hier auf dort. 

Eine wichtige Frage ist die, in welchem Umfange die 
Praktikanten sich an der eigentlichen Krankenbehand¬ 
lung zu betheiligen haben? Man kann zwei Einrichtungen 
unterscheiden: Der Praktikant ist der eigentliche behandelnde Arzt, 
als überwachende, gegebenen Falles consultirende Aerzte sind die 
Assistenzärzte und der Leiter der Poliklinik thätig. Oder aber: 
dem Praktikanten ist nur die Beobachtung des einzelnen ihm über¬ 
wiesenen Kranken frei gelassen, mit der Behandlung hat er Nichts 
zu schaffen; dieselbe wird von den Assistenzärzten besorgt. — Ich 
kenne beide Systeme aus langjähriger Erfahrung, mein Urtheil geht 
dahin: Wo die Verhältnisse so liegen, wie in Tübingen, ist es 
ausserordentlich schwierig, vielleicht unmöglich, die Krankenbehand¬ 
lung den Praktikanten zu übergeben, wenn die Clientei der Poli¬ 
klinik erhalten und die wissenschaftliche Verwerthung der Beob¬ 
achtungen ermöglicht werden soll. 

Das medicinische Studium stellt gegenwärtig zu hohe Anforde¬ 
rungen an die Zeit und die Kraft, um dem werdenden Arzt noch 
nebenher zu gestatten, sich ganz und voll der Thätigkeit 
am Krankenbette hinzugeben. Und das ist nöthig, wenn wirklich 
etwas Ordentliches herauskommen soll. Der behandelnde Praktikant 
muss, wie der Arzt, jeder Zeit zur Verfügung sein — dies fordert 
Opfer, die in keinem richtigen Verhältnisse zu dem Gewinn stehen, 
der mit dem selbstständigen Behandeln verbunden ist. Sobald der 
Assistenzarzt aushelfend eingreift, ist der Praktikant in Wirk¬ 
lichkeit nicht mehr behandelnder Arzt Das Publicum wendet sich 
natürlich lieber an den ihm länger bekannten und älteren Assistenz¬ 
arzt; muss dieser zunächst an den Praktikanten verweisen, welcher 
vielleicht gerade nicht zur Hand ist, so giebt das Unzuträglichkeiten. 
Solche sind überhaupt sehr schwer zu vermeiden, da der Assistenz¬ 
arzt berechtigt sein muss, in schwereren Fällen einzuschreiten, so¬ 
bald Irrthümer und Fehler des Praktikanten vorliegen. Dabei soll 
dem Kranken gegenüber sein behandelnder Arzt geschont werden, 
und doch darf der Kranke selbst nicht unter dieser Schonung 
leiden. Man kann kaum verlangen, dass unter den manchmal 
schwierigen Verhältnissen immer das Richtige getroffen wird. Häufig 
genug ist das Ende dieses: ein anderer Arzt wird gerufen, und die 


Poliklinik geht leer aus; bei dem besseren Theil ihrer Clientei ist 
das die Regel. 

Ich schildere nach eigenen Erlebnissen, die mich bestimmten, 
während der letzten Jahre meiner Thätigkeit in Kiel lieber nur 
mit Praktikanten zu arbeiten. Die Einrichtung war dort seit langer 
Zeit so, dass jedem der Praktikanten eine bestimmte Gegend der 
Stadt zugetbsilt war — alle Kranken dieses „Reviers“ hatten sich 
bei dem betreffenden Herrn zu melden, der verordnete und nur in 
schweren Fällen oder, wenn er sich nicht zu helfen wusste, gleich, 
sonst am nächsten Tage berichtete. — Assistenzärzte waren nicht 
vorhanden. Die Ueberwachung und Leitung kostete mich viele 
Zeit — ich hatte schon einen Rundgang ähnlich dem jetzigen 
in Tübingen (s. u.) eingerichtet —, aber es ging auch, freilich 
nicht immer so, wie ich es gewünscht hätte. Namentlich war die 
wissenschaftliche Verwerthung des reichen Materials nicht möglich, 
obgleich ich, besonders während der letzten Semester, ganz hervor¬ 
ragend tüchtige und opferwillige Praktikanten hatte. Es liegt das 
in der Sache selbst. Will man klinisch arbeiten, dann sind gute 
und genau geschriebene Krankengeschichten unerlässlich. Wer 
weiss, wie schwierig es ist, die jungen Mediciner daran zu gewöhnen, 
weiss ebenso gut, dass es bei irgend grösserem Krankenstände für 
den Vorstand einer Poliklinik unmöglich ist, die Führung der 
Krankengeschichten zu überwachen. — Handelt es sich doch nicht 
nur um die einmalige Aufnahme des Befundes, sondern oft genug 
um sich durch Monate erstreckende tägliche Aufzeichnungen. — 
Die wissenschaftliche Verwerthung der klinischen Beobachtungen 
ist an die Mitwirkung des pathologischen Anatomen gebunden. Mit 
welchem Rechte könnte man demselben zumuthen, dass er seine 
Zeit an eine feinere mikroskopische oder bacteriologische Unter¬ 
suchung vergeude, wenn der klinischen Beobachtung die Schärfe 
fehlte? — Soll denn nicht auch dem Vorstand der Poliklinik Gelegen¬ 
heit geboten werden, selbst zu lernen? Ich glaube Wenige werden 
bei aller Pflichttreue mit voller Frische und ganzer Hingebung als 
Lehrer thätig sein können, falls sie nicht in der Lage sind, Neues 
zu sehen und Neues zu finden. Die Gefahr zum Routinier herab¬ 
zusinken, liegt nahe genug, sobald das Verjüngungsbad der wissen¬ 
schaftlichen Forschung versagt wird. — Ich gebe gern zu, dass der 
als behandelnder Arzt thätige Praktikant einige Selbstständigkeit sich 
zu erwerben vermag —, aber dieser Vortheil scheint mir im Ver- 
hältniss zu den Nachtheilen der Einrichtung zu gering zu sein, als 
dass man das Bessere seinethalben opfere. 

Was bleibt und bleiben muss, ist die Beobachtung der Kranken 
durch die Praktikanten. Man sagt wohl, wenn der Praktikant 
nichts verordnen dürfe, werde er von dem Kranken, den er nur 
besuche, um ihn zu untersuchen, als einfache Belästigung angesehen, 
vielleicht gar nicht zur Untersuchung herangelassen. Darin 
liegt ja etwas Wahres. Allein diese Schwierigkeiten sind zu be¬ 
seitigen. Ich habe oft genug Gelegenheit zu sehen, mit welcher 
Geduld unsere Kranken sich einem weniger geschulten aber eifrigen 
Praktikanten zur Untersuchung überlassen, selbst wenn diese mehr 
als eine Stunde währt. Dass Klagen laut werden, kommt doch 
nur selten vor. — Wenn man die jungen Aerzte von vornherein 
daran gewöhnt hat, in den ihnen Uebergebenen in erster Linie lei¬ 
dende Menschen und nicht Lernobjecte zu sehen, wenn man 
ihnen die im Einzelfalle vielleicht nöthige besondere Rücksicht¬ 
nahme an’s Herz legt und Sorge trägt, dass nicht ein ganz Un¬ 
geübter an einem schwer Kranken seine Erstlingsversuche anstellt, 
dann geschah, was nöthig ist. Die Kranken nehmen die Unter¬ 
suchung durch den Praktikanten als ein nothwendiges Uebel hin, 
das nun einmal mit der poliklinischen Behandlung verbunden ist. 
und die Praktikanten lernen die Rücksicht kennen, welche jeder 
Leidende beanspruchen darf. Das ist für die spätere ärztliche 
Thätigkeit auch etwas werth. — 

Allein meiner Ansicht nach ist dies Alles von geringerer Be¬ 
deutung. Ich lege den Schwerpunkt des poliklinischen Unterrichts 
auf die Visite, welche die Praktikanten mit mir machen, und auf 
die der Besprechung der Fälle bestimmte klinische Stunde. — Da 
diese Einrichtung der Poliklinik, soweit mir bekannt, nur in Tübingen 
besteht, will ich mir erlauben, dieselbe im Ganzen vorzuführen. 

Zwei Assistenzärzte haben jeder sein besonderes Gebiet, der 
eine die Stadt Tübingen, der andere das grosse Dorf Lustnau, 
— sie werden durch zwei Assistenten — ältere Candidaten der 
Medicin, meist in den letzten Semestern — unterstützt. Die 
Assistenzärzte besorgen die Behandlung der Kranken, die*gewöhn¬ 
lichen chemischen, mikroskopischen Untersuchungen, die Führung 
der Krankengeschichten und etwaige Operationen — für die 
Assistenten sind sie, soweit sie sich deren Hülfe bedienen, ver¬ 
antwortlich. — Bei der Krankenpflege sind Diakonissen thätig. 

Morgens 10 Uhr beginnt die poliklinische Rundfahrt. Die 
Assistenzärzte haben die schweren und die neu anfgenommeneu 
Kranken in den Stunden vorher besucht und mir berichtet Für 
die Rundfahrt theilen sich die Praktikanten nach eigener Wahl in 


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20. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


783 


Gruppen, so dass auf jeden Wochentag eine bestimmte, möglichst 
gleiche Zahl fällt. Nur an dem von ihm selbst bestimmten Tage 
hat der Praktikant das Recht sich anzuscbliessen. Währeud der 
letzten Semester waren in jeder Abtheilung 10—12 Praktikanten, 
mit den Assistenzärzten und mir kamen also 13—15 Leute zu¬ 
sammen an das Krankenbett. Das ist immerhin eine verhältniss- 
mässig grosse Schaar — allein unsere Clientel ist an diese Besuche 
gewöhnt. Wenn die Wohnräume zu eng sind, hilft ein Nachbar 
aus, in dessen Zimmer der Kranke für die Untersuchung berüber- 
gebracht wird, oder es wird der hindernde Hausrath zeitweilig ent¬ 
fernt; überflüssige Zuschauer, lärmende Kinder verlassen ohne Wei¬ 
teres die Stuben. Genug, mit gutem Willen, der nicht fehlt, ge¬ 
lingt es, die Bedingungen für eine genaue Untersuchung (mit ver¬ 
schwindend seltenen Ausnahmen) zu schaffen. 

Je nachdem der Fall es erfordert, stelle ich denselben vor, 
oder ich lasse einen der Herren selbst untersuchen und diagnosti- 
ciren. Immer untersuchen alle Tbeilnehmer; mit ganz kurzen Worten 
wird die Diagnose und die Therapie besprochen. 

Wenn ein Einzelner nicht gar zu lange Zeit in Anspruch nimmt, 
lassen sich in den 3 Stunden, welche für die Rundfahrt bestimmt sind, 
recht gut 6—7 Kranke besuchen — braucht man doch nicht bei 
Jedem den ganzen Apparat der physikalischen Diagnostik. Selbst¬ 
verständlich halte ich daran fest, dass genau untersucht wird — 
lieber einen Fall weniger vorstellen als lottern. Der Lehrer hat 
bei dieser Einrichtung in hohem Grade Gelegenheit, die individuellen 
Mängel seiner Schüler kennen zu lernen und zu verbessern. 

Die Wahl der Fälle, welche täglich besucht werden, ist durch 
Mancherlei bedingt. Abgesehen von denen, die wegen noch nicht 
sicherer Diagnose und wegen schwierigerer therapeutischer Aufgaben 
mein persönliches Erscheinen wünschenswert machen, oder von 
denen, die wegen ihres kurzdauernden Verlaufs rasch gezeigt werden 
müssen, theile ich gern so ein, dass eine Anzahl gleicher oder doch 
nahe verwandter Erkrankungen vorgeführt wird. Bei den verhält- 
nissmässig starken Schwankungen in der Zahl der jeweilig in Be¬ 
handlung Stehenden ist es immerhin schwer, sei es mit einer Ueber- 
zahl fertig zu werden, sei es mit einer Minderzahl auszukommen — 
hier liegt eine Schattenseite der Poliklinik in kleineren Städten vor. 
Es gehört etwas, ich möchte sagen, Erfahrung der Hausfrau dazu, 
um eine gewisse Abwechselung durchzuführen und nicht durch täg¬ 
liches Einerlei zu ermüden. 

Weiter sehe ich darauf, dass die Praktikanten den Verlauf des 
Einzelfalles genügend zu verfolgen im Stande sind. Die Poliklinik 
kann in den chronischen Fällen ihre Beobachtung über längere 
Zeiten ausdehnen, als es meist in den stationären Kliniken möglich 
ist. Es macht bei uns keine Schwierigkeiten, Jemanden, der vor 
Jahren in Behandlung war, wieder zur Untersuchung oder zur Vor¬ 
stellung zu bewegen. Ebenso werden kaum Einwände erhoben, 
wenn man die Section eines vielleicht plötzlich Verstorbenen wünscht, 
der seiner Zeit poliklinisch behandelt wurde. 

Selbst bei sehr hohem Krankenstände müssen leichte Er¬ 
krankungen vorgeführt werden; neben der Diphtherie hat die Angina, 
neben der Pneumonie die Bronchitis ihr Recht; ebenso wie die 
acuten Exantheme muss der praktische Arzt Floh- und Wanzenbisse 
kennen. 

Die Nachmittagsstunde von 3—4 Uhr steht der klinischen Be¬ 
sprechung ganz zur Verfügung. Da sämmtliche Praktikanten die 
Fälle gesehen haben oder nächstens sehen werden, kann ich jeden 
derselben in den ihm eigenartigen Zügen zu Grunde legen und daun 
auf die gesammte Pathologie und Therapie der betreffenden Krank¬ 
heit übergehen. Die nöthigen Demonstrationen: Temperaturcurven, 
Pulsbilder, mikroskopische Objecte, chemische Reactionen u. s. w. 
reihen sich hier ungezwungen ein. Der oder die Praktikanten, deren 
Kranke besprochen werden sollen, werden gewöhnlich den Tag vor¬ 
her benachrichtigt. Dieser Theil des Unterrichts unterscheidet sich 
nur dadurch von dem in der stationären Klinik gegebenen, dass der 
besprochene Kranke nicht anwesend ist. 

Hin und wieder wird ein Fall in pleno vorgestellt, welcher dem 
unmittelbar vorher von den Assistenzärzten abgehaltenen Ambula¬ 
torium entnommen ist. Ich beschränke mich dabei auf Krankheits¬ 
formen, die keine lange Untersuchung erfordern: Hautleiden u. dgl. 
Denn von dem Zeitverlust ganz abgesehen — was kommt dabei 
heraus, wenn 50—60 Leute hintereinander auscultiren. Bei der 
unvermeidlichen Unruhe hört Keiner was Rechtes, und der Kranke 
wird nutzlos belästigt. 

Die Leichenöffnungen werden in der Tübinger Poliklinik 
niemals unterlassen — unsere Clientel weiss, dass wir die Section 
unbedingt und ausnahmslos beanspruchen. Mehr und mehr, aber 
immer ist die Zahl der Fälle noch eine beschränkte, gelingt es, die 
Leichen in das pathologische Institut zu schaffen. Ich vermeide 
grundsätzlich jeden Zwang, zweifle aber nicht daran, dass es sich 
doch nur um eine Frage der Zeit handelt. Tübingen besitzt kein 
Leichenhaus, und so sind meine Herren Collegen Ziegler und 


Nauwerck genöthigt, in der Mehrzahl der Fälle innerhalb der 
Wohnräume der Verstorbenen zu obduciren. Ueber Uebelwollen der 
Angehörigen haben wir nicht zu klagen — ich bin überhaupt im 
Laufe von 15 Jahren nur 2 mal genöthigt gewesen, bestimmt ein¬ 
zugreifen, um meinen Willen durch zusetzen. — Aber es lässt sich 
nicht mehr Licht und nicht mehr Raum schaffen, als vorhanden ist. 
Da fällt nun freilich die Thatsache in die Wage, dass ein Mituehmen 
der Präparate selten auf Schwierigkeiten stösst. Meine Herren Col¬ 
legen kommen mir, wie der verstorbene Schüppel es ebenso that, 
mit der denkbar grössten Liebenswürdigkeit entgegen, und es lässt 
sich auch nach dieser Richtung hin das poliklinische Material wirk¬ 
lich so verwerthen, wie es die Wissenschaft verlangt. 

Ein Theil der Leichenöffnungen wird während der für die Rund¬ 
fahrt bestimmten Zeit gemacht: jene Fälle, die häufig genug den 
tödtlichen Ausgang nehmen, um es wahrscheinlich zu machen, dass 
jeder Praktikant Gelegenheit hat, einer solchen Obduction beizu¬ 
wohnen. Hier fehlt es an Raum nicht — wohl aber, und manchmal 
in hohem Grade ist dem so, wenn eine wichtige und seltnere ana¬ 
tomische Demonstration vor dem versammelten Volk stattfinden soll. 
Dazu wird die klinische Stunde von 3—4 gewählt, in welcher Jeder 
der Hörer anwesend sein kann. Trotz aller äusseren Schwierig¬ 
keiten kommen wir dennoch zum Ziel. 

Ich möchte schliesslich über einige Aeusserlichkeiten berichten. 

Die poliklinische Rundfahrt fallt in die für die chirurgische, 
neuerdings in die für die medicinische Klinik bestimmte Zeit. Es 
ist dies nicht zu ändern, und meine Tübinger Herren Collegen haben 
sich, ebenso wie seiner Zeit die Kieler, mit grossem Entgegenkommen 
einverstanden erklärt, dass ich ihnen au jedem Tage eine bestimmte 
Zahl ihrer Zuhörer entführe. Der Ordnung halber empfangen sie 
am Anfang des Semesters meine Praktikantenliste mit der Gruppen- 
theilung. 

Ich habe von einer Rundfahrt, nicht von einem Rundgang ge¬ 
sprochen, die recht bedeutenden räumlichen Entfernungen bediugen 
den Gebrauch der Wagen. Früher habe ich Alles zu Fuss gemacht, 
jetzt ist das wegen der grösseren Praktikantenzahl nicht mehr mög¬ 
lich, denn 10 Leute brauchen für die Untersuchung mehr Zeit als 
zwei; durch die Wagenbeförderung wird diese Zeit gewonnen. 

Die Diakonissenpflege ist so eingerichtet, dass in der Stadt 
Tübingen vier Schwestern, in dem Dorfe Lustnau eine stationirt 
sind — die ersteren stehen mir freilich nicht alle zur Verfüguug, 
allein im Nothfall helfen sie einander aus, oder ihre Zahl wird vor¬ 
übergehend vermehrt, so dass der poliklinische Dienst stets regel¬ 
mässig besorgt wird. Das Mutterhaus in Stuttgart erhält vom Staate 
eine bestimmte Summe, die Wohnungen werden von den Gemeinden 
gestellt. — Die Diakonissen besorgen die Nachtwachen, die Bäder, 
die Zubereitung der etwa verordneten besonderen Speisen und Alles, 
was sonst zur Krankenwartung gehört. Die Einrichtung hat sich 
gut bewährt. 

Die Räume der Poliklinik befinden sich bis jetzt in dem Ge¬ 
bäude der geburtshülflich-gynäkologischen Klinik, deren Hausmeister 
die Abgabe von Wein, Eis, Milch u. s. w. an die Krankeu gegen die 
Anweisungen der Assistenzärzte besorgt. 

Bei dieser Organisation ist es möglich, die Behandlung der 
Kranken ganz nach Wunsch durchzuführeu, ebenso lassen sich die 
Beobachtungen mit voller Schärfe anstellen. 

Aeussere Erfolge sind nicht ausgeblieben: die Zahl der Kranken 
hat sich gegen früher etwa verdreifacht, die der Praktikanten ist 
ungefähr die gleiche wie in den stationären Kliniken. Auch die 
Mittheilungen aus der Tübinger Poliklinik haben Beachtung ge¬ 
funden. — Mögen die Leser dieser Zeitschrift die Arbeiten freundlich 
aufnehmen, welche ihnen die Tübinger Poliklinik bringeu wird. 


VII. Referate und Kritiken. 

Baumgarten. Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre 
von den pathogenen Mikroorganismen. Dritter Jahrgang 
1887. Braunschweig, Harald Bruhn, 1888. Ref. Ribbert. 

Der dritte Jahrgang des Baumgarten’schen Jahresberichtes zeugt 
wieder von einer erstaunlichen Arbeitskraft des Verfassers. Ein 
ausserordentlich grosses Material ist hier in ausführlichen Referaten 
zusammen gestellt. Die Zahl der besprochenen Arbeiten hat mit 
817 die des vergangenen Jahres um 300 überflügelt, trotzdem aus 
dem laufenden Jahre so gut wie keine aufgeuommen, und obgleich 
die das Gebiet der Pflanzenpathologie betreffenden Arbeiten ganz bei 
Seite gelassen wurden. Es ist daher nicht merkwürdig und durchaus 
zu entschuldigen, dass der Bericht etwas verspätet erscheint. 

Die grosse Zahl der Arbeiten auf dem bacteriologischen Gebiete 
könnte leicht die Befürchtung aufkommen lassen, dass andere me¬ 
dicinische Arbeitsgebiete geschädigt würden. Verf. weist deshalb 
in der Vorrede darauf hin, dass die anderen Zweige durch die 
Bacteriologie wichtige neue Anregungen empfangen, und führt als 
bestes Beispiel die pathologische Histologie an. 


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784 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38 


Es ist bei der Anlage des Buches, das ja in erster Linie nur 
referiren will, selbstverständlich nicht angezeigt, auf den Inhalt im 
Einzelnen einzugehen. Es mag daher nur darauf hingewiesen wer¬ 
den, dass die Anordnung des Stoffes dieselbe ist, wie im vergangenen 
Jahre (vergl. unsere damalige Besprechung dies. Woch. p. 717). Es 
folgt nach einer Uebersicht über die Lehrbücher und Compendien 
die Besprechung der Originalabhandlungen, darunter die pathogenen 
Mikroorganismen, eingetheilt nach Coccen, Bacillen, Spirillen, Acti- 
nomyces, Hyphorayceten, Protozoen, dann die saprophytischen Mikro¬ 
organismen, die allgemeine Mikrobienlehre und die allgemeine Me¬ 
thodik. 

Die wichtigsten Vorzüge des Buches seien hier kurz wiederge¬ 
geben. 

Der erste besteht in der denkbar grössten Vollständigkeit des 
Stoffes. Es wird sicherlich keine irgendwie beraerkenswerthe Mit¬ 
theilung aus dem In- und Auslande unerwähnt geblieben sein, eine 
Thatsache, die nur dadurch erklärlich ist, dass dem Verf. von 
Seiten der Fachgenossen und Verleger alle Arbeiten im Original 
zugingen. Nur wenn das auch weiterhin geschieht, kann die gleiche 
Vollständigkeit erreicht werden. 

Die Referate sind ferner bei prägnanter Ausdrucksweise so aus¬ 
führlich, dass sie völlig orientiren und alles Wissenswerthe wieder¬ 
geben. 

Sie finden sich weiterhin auch innerhalb der einzelnen Capitel 
nicht locker aneinandergereiht, sondern nach ihrem Inhalt zusammen¬ 
gestellt und lassen sich so mit besonderem Vortheil im Zusammen¬ 
hang lesen. 

Endlich gewinnt die Lectüre des Buches und regt beständig 
zum Nachdenken an durch die zahlreichen kürzeren und längeren 
Anmerkungen, in denen Verf., ohne den Referaten selbst eine sub- 
jective Färbung zu geben, seine eigenen Anschauungen niederlegt, 
an die besprochenen Arbeiten Einwände oder zustimmende und er¬ 
gänzende Bemerkungen anknüpft. 

Es ist nach vorstehenden Bemerkungen kaum noch nothwendig, 
empfehlende Worte anzufügen. Wer alle bisherigen Jahresberichte 
gelesen hat, wird das Erscheinen des Neuen freudig begrüssen, und 
wer ihn zum ersten Male in die Hand nimmt, wird sich bald über¬ 
zeugen, dass das Werk von Denen nicht entbehrt werden kann, die 
auf dem Gebiet der Bacteriologie selbstständig arbeiten oder sich 
nur orientiren wollen. 


Philipp Stöhr. Lehrbuch der Histologie und der mikrosko¬ 
pischen Anatomie des Menschen mit Einsohluss der mikro¬ 
skopischen Teohnik. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. 
293 S. 8°. 209 Holzschn. Preis 7 Mark. Jena, G. Fischer, 1888. 
Ref. K. Bardeleben. 

Wie sehr das vorliegende Buch den praktischen Bedürfnissen 
der Mediciner entspricht, zeigt die Thatsache, dass innerhalb des 
kurzen Zeitraums von anderthalb Jahren eine neue Auflage sich 
nöthig gemacht hat. Diese hat nach verschiedenen Seiten hin Ver¬ 
besserungen und Erweiterungen erfahren. Vorzugsweise betrifft dies 
den descriptiven Theil, von dem einige Capitel (Zelle, Knochen, 
Samenfäden, Haarwechsel, Labyrinth) neu bearbeitet worden sind. 

Im technischen Theile sind keine wesentlichen Vermehrungen 
eingetreten; nur eine kurze Vorschrift zur Handhabung des Mikro¬ 
toms hat Verfasser beigefügt, obwohl er ein solches für die Her¬ 
stellung der in dem Buche abgebildeten Präparate für durchaus 
überflüssig hält. 

Neu ist noch eine am Schlüsse der technischen Vorschriften 
angefügte Tabelle, welche die Vorschriften nach der Schwierigkeit 
der Ausführung und Beobachtung ordnet und den Anfänger vor 
misslingenden Versuchen, die ihn abschrecken könnten, möglichst 
zu bewahren bestimmt ist. 

Die Holzschnitte sind um einige vermehrt worden. 

Die Ausstattung des Buches ist wiederum eine ausgezeichnete, 
der Preis ein sehr mässiger. 

W. Kroll. Stereoskopische Bilder. Fünfundzwanzig (zumeist 
farbige) Tafeln. II. Auflage. Hamburg und Leipzig, Leopold 
Voss, 1888. Ref. R. 

Die stereoskopischen Tafeln von Kroll, die gegenwärtig in 
zweiter Auflage vorliegen, sollen dazu dienen, das Sehvermögen 
schielender Kinder zu kräftigen und vor dem Verfalle zu bewahren, 
und zwar durch Separatübungen des schielenden Auges, wie sie 
bei den Uebungen am Stereoskope sich ergeben. Das Sehen 
mittelst Stereoskopes stärkt die Augenmuskeln. In Bezug auf 
weitere Angaben über die Verwendung der stereoskopischen Bilder 
in der Behandlung des Schielens muss auf die, den Bildern bei¬ 
gelegte Erläuterung verwiesen werden. Die gewöhnlichen stereosko¬ 
pischen Bilder sind zu Heilzwecken nicht zu verwerthen, da der 
Begriff des körperlichen Sehens Kindern nicht klar zu machen ist. 


Meinhard Schmidt. Aerztlioher Bathgeber für Schiflfeführer. 
II. Auflage mit 9 Abbildungen. 144 S. Hamburg und Leipzig, 
Leopold Voss, 1888. Ref. R. 

Zweck des Buches ist, den Schiffsführern erprobte Rathschläge 
zu ertheilen, wie die Krankheiten, denen der Seeraaun in und 
durch seinen Beruf besonders ausgesetzt ist, vermieden resp. geheilt 
werden können. Das Buch ist für die Führer hainburgischer 
Schiffe obligatorisch. Die vorliegende zweite Auflage ist durch 
einen Abschnitt „Gesundheitspflege auf Schiffen“ vermehrt und ent¬ 
hält alles für den Zweck des Seemanns Passende in deutlicher, für 
den Laien leicht verständlicher Sprache. Wer sich informiren will, 
was nöthig ist, um den Anforderungen der Medicin und Hygiene 
auf Schiffen, für Seereisen und den Aufenthalt in tropischen Län¬ 
dern zu genügen, findet hier alles Wissenswerthe kurz und bündig 
zusaramengestellt. 

VHL 14. Versammlung des Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege in Frank¬ 
iert a. M. vom 13—10. September 1888. 

(Original bericht.) 

Nachdem der Verein seine Versammlung im vorigen Jahre mit Rück¬ 
sicht auf den Wiener internationalen Congress für Hygiene auf den Wunsch 
des Wiener Congressvorstandes hatte ausfallen lassen, wurde für dieses Jahr 
mit Rücksicht auf das Tagen der deutschen Naturforscherversammlung in 
Köln (vom 18. September ab) der Verein von seinem Ausschüsse nach 
Frankfurt a. M. einberufen, wo er vor nunmehr 15 Jahren, am 15. Sep¬ 
tember 1873, besonders unter dem maassgebenden Einflüsse des verstor¬ 
benen Geheimen Sanitätsraths Dr. Varrentrapp, mit der ausgesprochenen 
Absicht, die Lehren der öffentlichen Gesundheitspflege im praktischen Leben 
zur Geltung zu bringen, gegründet war. 

Schon am 12. d. M. Abends versammelten sich ca. 150 Frankfurter 
und auswärtige Mitglieder in dem prächtigen Saale des „Frankfurter Hofes* 
zu gegenseitiger Begrüssung, und gestaltete sich schon dieser Vorabend 
durch die grosse Theilnahme bekannter und hochangesehener Mitglieder des 
Vereins zu einer vielversprechenden Versammlung. Unter den Tbeil- 
nehmern, die bis Freitag auf 362, bis zur letzten Versammlung (Sonnabend) 
auf ca. 400 sich beliefen, bemerkte man unter anderen hervorragenden Mit¬ 
gliedern: Kreisphysikus Wallichs (Altona), Geh. Oberregierungsrath 
Huebner (Berlin) (Vertreter des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten), 
Med.-Rath Flinzer (Chemnitz), Med.-Rath Wernich 'Cöslin), Geb. Rath 
Günther und Generalarzt Roth (Dresden), G. S.-R. Dr. Graf (Elber¬ 
feld), die Oberbürgermeister Breslau (Erfurt) und Miquel (Frankfurt a./M.), 
Oberingenieur Meyer (Hamburg), Professor Wolffhügel (Göttingen), 
Professor Gaertner (Jena), Ober-Med.-Rath A rns per ge r und Oberbaurath 
Baumeister (Karlsruhe), Oberbürgermeister Becker und San.-Rath 
Dr. Lent (Köln), Med.-Rath Dr. Siegel (Leipzig), Oberbürgermeister 
Boetticher (Magdeburg), Prof. Soyka (Prag), Dr. Hueppe (Wiesbaden). 

Am Donnerstag (13.) begann Morgens 9 Uhr die erste Sitzung in dem 
sehr geeigneten, mit Blattpflanzen und der Büste Kaiser Wilhelms II. 
prächtig geschmückten grossen Saale des neuerbauten Dr. Hoch’sehen 
Conservatoriums. Den Vorsitz während der diesjährigen Sitzungen führte 
Herr Oberbürgermeister Becker (Köln) als Vertreter, bezw. Nachfolger des 
leider im Frühjahr verstorbenen eigentlich gewählten Vorsitzenden, Ober¬ 
bürgermeister Dr. v. Erhard (München). Er begrüsste den Verein und 
wies darauf hin, dass derselbe seine offen zu Tage liegenden Erfolge 
ausser der Thätigkeit so hervorragender Mitglieder, wie Varrentrapp und 
Erhard ganz besonders dem Umstande zu danken habe, dass er, aus Ver¬ 
tretern der drei hauptsächlich auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege zur Thätigkeit berufenen Stände, Aerzte, Verwaltungsbeamte, Inge¬ 
nieure bestehend, stets nur auch wirklich Erreichbares angestrebt 
habe. Sodann begrüsste Oberbürgermeister Miquel die Versammlung im 
Namen Frankfurts, der Geburtsstätte des Vereins, mit dem Hinweise darauf, 
dass die den Mitgliedern überreichte, mit dem Bilde Varr ent rapp’s ge¬ 
schmückte Festschrift über die hygienischen Einrichtungen Frankfurts den 
Beweis dafür bringen könne, dass Frankfurt wie die Mutter, auch eine 
treue Schülerin des Vereins sei, indem die Stadt sich eifrig bemühe, das 
allgemeine Wohl zu verbessern, indem sie zunächst vorzugsweise die 
weniger bemittelten Stände berücksichtigte, die nicht aus eigenen Mitteln 
dazu im Stande seien, ihre sanitäre Lage zu verbessern. 

Nachdem dann der Vorsitzende zu Beisitzern den Oberbürgermeister 
Miquel und Baudirektor Berger (Wien), den San.-Rath Dr. Wallichs 
(Altona) zum Stellvertreter des ständigen Schriftführers Dr. Spiess (Frank¬ 
furt) berufen, verlas letzterer zunächst den Jahresbericht, aus dem wir nur 
hervorheben wollen, dass, obgleich in den zwei Jahren seit der letzten Bres¬ 
lauer Versammlung 126 Mitglieder ausgeschieden, wovon 35 durch den Tod, 
durch den Beitritt von 156 neuen die Zahl der Mitglieder auf 1120 ange¬ 
wachsen ist. 

Sodann wurde dem Oberbürgermeister Miquel das Wort zu seinem 
Vortrage über Maassregeln aur Erreichung gesunden Wohnens ertheilt, 
dessen geistvoller und formvollendeter Inhalt wohl eine ausführlichere 
Wiedergabe verdiente, als sie hier möglich ist. In Uebereinstimmung mit 
seinem Mitberichterstatter, Oberbaurath Professor Baumeister (Karlsruhe), 
hat Miquel folgende Thesen aufgestellt, die später auch von der Versamm¬ 
lung mit einer nur ganz unbedeutenden Abänderung („Gesetzgebung“ statt 
„Gesetzes“) einstimmig angenommen wurden: 

„I. Der deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hält zur Be¬ 
kämpfung der auch in Deutschland uud nicht bloss in den grossen Städten 
bestehenden schweren Missstände im Wohnungswesen und der hieraus für 


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20. Se ptember. _ DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. _78T) 


die menschliche Gesundheit erwachsenden grossen Nachtheile und Gefahren 
neben den unablässig fortzusetzenden und zu erweiternden Bestrebungen der 
Staaten, der Gemeinden, der Vereine und grösseren Arbeitgeber für die Ver¬ 
mehrung, Verbesserung und Preisermässigung der Wohnungen namentlich 
der arbeitenden Classen den Erlass einer einheitlichen Gesetzgebung in Bezug 
auf das Wohnungswesen für ganz Deutschland oder mindestens für die Einzel¬ 
staaten für möglich und dringend erwünscht. 

II. Eine solche Gesetzgebung müsste unter insoweitiger Abänderung 
und Ergänzung der verschiedenartigen und theilweise durchaus ungenügenden 
Bauordnungen 

1. Die im Interesse der Herstellung gesunder Wohnungen bei Neu- 
uud Umbauten zu stellenden Miudest-Anforderungen vorschreiben. 

2. Das Bewohnen unzweifelhaft ungesunder Wohnungen verbieten und 
unter den nöthigen Garantieen für die Eigenthümer zur Durchführung dieses 
Verbotes den Polizei- und Communalbehörden genügende Befugnisse ein¬ 
räumen, insbesondere die Beachtung der baupolizeilichen Zweckbestimmungen 
bei der Benutzung der Localitäten sichern. 

3. Vor Allem die gesundheitswidrige Ueberfüllung der Miethwohnungen 
und die übermässige Verringerung des Luftraumes, namentlich in Schlaf¬ 
stellen, zu verhindern geeignet sein.“ 

Zur Begründung dieser Sätze hebt Redner hervor, dass die Wohnuugs- 
frage, eines der ältesten und schwierigsten Probleme, periodisch, wenn durch 
das Zuströmen der arbeitenden Classen in die grossen Städte schreiende 
Uebelstände eingetreten, oft schon in Angriff genommen sei, dass aber schwere 
Vorurtheile und bestehende Gesetze sich stets hemmend entgegengestellt. 
Unrichtig sei z. B. die Annahme, dass die Wohnungsfrage identisch mit der 
Lohnfrage: dann wären die Bemühungen dieses Vereins in dieser Frage aus¬ 
sichtslos. Aber es könnten die Wohnungen gleichzeitig billig und gut, 
schlecht und theuer sein, ebenso wie die Nahrungsmittel. Zahlreiche Vor¬ 
arbeiten, z. B. die statistischen Erhebungen des Vereins für Social politik, 
im Jahre 1886, hätten ergeben, dass die Wohnungsnoth keineswegs vorüber¬ 
gehend, sondern ständig sei, namentlich in den Grossstädten, dass aber auch 
durch eine Reihe von gesetzgeberischen und administrativen Maassregeln die¬ 
selbe wirksam bekämpft werden könne. Die Thesen beschränkten sich natür¬ 
lich auf die eine Seite der Wohnungsfrage; sie beträfen nur die Her¬ 
stellung und Erhaltung gesunder Wohnungen und ihre gesundheits- 
geinässe Benutzung. Sie verlangen ein Gesetz über die Wohnungs¬ 
frage und behaupten, dass ein solches für das ganze deutsche Reich oder 
mindestens die Einzelstaaten möglich sei. Natürlich müssten aber gleich¬ 
zeitig mit diesem Gesetze wirksame Maassregeln zur Verbesserung und Ver¬ 
billigung der Wohnungen nebenher gehen, da dieselben sonst eben durch 
ein solches Gesetz allein vermindert und vertheuert werden könnten. Nur 
die Hülfe der Gemeinden könne hier wirken, denn die Privatbauthätigkeit 
habe nur die besseren und grösseren Wohnungen (von 3 und mehr, 
nicht die von 2 Zimmern und 1) in annähernd genügender Zahl bisher be¬ 
schafft, weil zur Herstellung genügend zahlreicher kleinerer guter Woh¬ 
nungen zu bedeutende Capitalien erforderlich, die Gefahr unpünktlichen Ein¬ 
gangs der Mietheu zu gross, solche Häuser auch schwer verkäuflich seien. 
Fast in allen Grossstädten, wenn auch z. B. in Königsberg und Breslau in 
höherem Maasse als in Frankfurt und Köln, herrsche dieser Mangel an kleinen, 
gesunden Wohnungen. Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz habe 
geschadet, indem es den Kampf der Gemeinden gegen einander entfacht und 
die Furcht erregt habe, durch bessere kleine Wohnungen könnten Arme 
herbeigelockt werden. Leider auch spare die arbeitende Bevölkerung eher 
an der Wohnungsmiethe und pferche sich in ungesundester Weise zusammen, 
als an Kleidung und Nahrung, besonders bei den Getränken. — 

Was können nun die Gemeinden dagegeu thun? Sie können das Be¬ 
bauungsfeld möglichst ausdehnen, damit durch vermehrtes Angebot und 
zweckmässige Besteuerung die Preise für Bauplätze und Wohnungen nicht 
künstlich in die Höhe getrieben werden. Sie können auch, wie Frankfurt 
in Sachsenhausen es gethan, als Arbeitgeber z. B. durch die Herstellung 
billiger und guter, durch zweckmässige Verkehrsmittel leicht erreichbarer 
Wohnuugen für Unterbeamte dafür sorgen, dass diese gut, gesuud, ge¬ 
sichert und in zusagender Gesellschaft wohnen. Auch der Staat müsse für 
seine zuständigen Arbeiter geeignete Wohnungen bauen, und die grossen 
Arbeitgeber, nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den Städten, und 
gemeinnützige Gesellschaften fänden hier ein weites Feld für eine segens¬ 
reiche Thätigkeit, wie es schon mehrfach von ihnen in Angriff genommen. 
Aber auch Zwangsmittel, wie jede Bauordnung sie anwende, würden sehr 
bald als Wohlthat empfunden, sobald man einsähe, dass nicht nur Einzelne, 
sondern Alle in der willkürlichen Verfügung über ihr Eigenthum in Grund 
und Boden beschränkt würden, was Allen gegenseitig zu Gute komme. Doch 
seien diese Zwangsvorschriften vor Eintreten von Uebelständen zu erlassen, 
denn ihnen vorzubeugen, sei im Bauwesen sehr leicht, sie später zu be¬ 
seitigen, sehr schwer und sehr kostspielig. Aber nicht nur wie bisher 
seien Vorschriften über die Herstellung der Gebäude, sondern für ihre 
Benutzung auch zu geben und durchzuführen, da die Ausnutzung der 
Wohnungsräume in Deutschland vielfach eine haarsträubende sei, während 
man in England und Frankreich schon vielfach dagegen einschreite. Aber 
die Rechtsfrage könne zweifelhaft erscheinen, nicht nur die Organe zur Auf¬ 
sichtführung in dieser Beziehung fehlen, deshalb müsste den Gemeinden 
durch die Gesetzgebung das Recht gegeben werden, die Willkür in Ver- 
werthung der Mietwohnungen vorsichtig und maassvoll einzuschränken und 
die Vorschriften, welche von einzelnen Polizeibehörden und in ganzen Re¬ 
gierungsbezirken, z. B. in Schlesien, Westphalen, der Rheinprovinz über die 
Einrichtung. Lüftung. Grösse, die Lufträume und Aborte der Logirhäuser 
und Schlafstellen gegeben seien, haben sich vortrefflich bewährt und be¬ 
wiesen, dass es möglich sei, ziemlich weit mit solchen Vorschriften zu gehen, 
ohne die Schlafstellen auch nur um einen Pfennig zu vertheuern. Auch 
könnte der Staat zum Neubau von Arbeiterwohnungen billig den Gemeinden 
und Kreisen Gelder leihen. Aber es müssten vorsichtige Uebergangsbe- 
stimmungen erlassen werden, um nicht zahllose Familien plötzlich obdachlos 


zu machen, z. B. Fristen von vielleicht 5 Jahren gewährt werden u. dgl. m. 
Schwer werde es freilich sein, die herbeiströmenden Massen unterzubringen, 
wenn grosse Nachfrage nach Arbeitern entstehe, aber Redner hält viele 
Maassregeln, die geeignet sind, die Zeiträume stossweiser uneingeschränkter 
Ausbeutung geschäftlicher Conjuncturen und vollständiger Arbeitslosigkeit 
mehr auszugleichen, für eine grosse Wohlthat. 

Aber ein Wohnungsgesetz dürfe nur Minimalforderungen aufstellen, 
über welche Provinzen, Kreise, Städte und Gemeinden hinausgehen können: 
dann kann es einheitlich für das Reich oder doch ein Land erlassen werden, 
und die heutigen sanitären Uebelstände der Wohnungen würden wesentlich 
gebessert werden können, wenn durch solch’ einheitliches Gesetz sich ein 
allgemeines Rechtsbewusstsein entwickele, und die allgemeine Gesetzgebung 
würde klärend und bessernd einwirken auf die polizeilichen Vorschriften für 
jede Gemeinde in Stadt und Land. 

Dieser mit grösstem Beifall aufgenommenen Rede des hervorragenden 
Socialpolitikers und Parlamentariers Miquel folgte die nähere Begründung 
einer grossen Reihe wohldurchdachter Sätze, welche der Mitberichterstatter 
| Oberbaurath Baumeister (Karlsruhe) als „technische Einzelvorschläge“ für 
l das zu erlassende Reichsgesetz aufgestellt. Es ist aber unmöglich, in dieser 
Zeitschrift diese sehr beaehtenswerthen Vorschläge auch nur wiederzugeben, 
und müssen die geehrten Leser auf den Abdruck derselben in dem Berichte 
über die Frankfurter Versammlung (in der Vierteljahrsschrift für öffentliche 
Gesundheitspflege) verwiesen werden, wo sie auch das Nähere über die an¬ 
deren Vorträge auf der Frankfurter Versammlung finden werden, von denen 
wir hier nur über diejenigen ausführlicher berichten können, welche für uns 
Aerzte von besonderer Bedeutung scheinen. (Fortsetzung folgt.) 

IX. Verhandlungen des 50. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

, (Originalbericht.) 

! (Fortsetzung aus No. 36.) 

Theodore Williams (London) eröffnete eine Discussion über den 
Werth von Inhalationen in der Behandlung der Lungenkrank¬ 
heiten, welche er folgondermaassen classificirte: — 1) Inhalation von 
Gasen, wie Sauerstoff, Lustgas, verdichtete oder verdünnte atmosphärische 
Luft, Dämpfe gewisser Arzneien bei niedriger Temperatur, wie Aether, 
Chloroform, Amyl-Nitrit, Aethyl-Jodid u. s. w. 2) Feuchte warme Inhala¬ 
tionen. 3) Trockene Räucherungen. 4) Afomisirter Spray. 5) Respiratoren 
mit antiseptischen Substanzen. Mit der ersten dieser Methoden erhielt man 
die vollständigen physiologischen Wirkungen der verschiedenen Mittel. „Wenn 
antiseptische Substanzen in eben solchen Dosen gegeben werden konnten, 
würden die Resultate der Behandlung der Lungenkrankheiten gewiss besser 
werden als sie jetzt sind.“ Die zweite Methode hätte den grossen Nachtheil, 
dass man die Luft mit Wasserdarapf sättigte, und wäre es sehr fraglich, ob 
ein irgendwie beträchtlicher Theil der so angewandten Arzneien den Krank- 
I heitsheerd erreichte. Sie wäre nützlich bei Croup, Pharyngitis, Laryngitis, 

I weniger bei eapillärer Bronchitis und Phthise. Experimente hätten ihm ge- 
| zeigt, dass Terpentin resorbirt würde, Jod aber nicht. In Verbindung 
mit diesen Experimenten hätte er oft Blutspucken beobachtet. Die 
dritte Methode käme zur Anwendung als Himrod’s Pulver, medicinische 
Cigaretten, Einathmung von Joddämpfen u. s w. Die Erfahrung zeigte, dass 
diese Mittel besser wirkten, wenn sie per os gegeben wurden. Die vierte 
Methode, der Spray, war nicht im Stande, die angewandten Medicamente 
früh genug eindringen zu lassen, und disponirte zu Blutspucken. Die fünfte 
Methode war eine jetzt sehr beliebte, hatte aber den radicalen Fehler, dass 
sie die freie Athmung behinderte, da der Pat. sich wie ein Hund mit einem 
Maulkorbe fühlte. Vortr. kam daher zu den folgenden allgemeinen Schluss¬ 
folgerungen: 

■1. Der Erfolg raedicinischer Inhalation hängt davon ab, ob die angewandten 
und für nützlich angesehenen Substanzen sich leicht in Gase oder Dämpfe 
verwandeln lassen. 

2. In Folge dessen werden Substanzen, welche bei gewöhnlichen Tein 
peratureu flüchtig werden, leichter von den Lungen aufgesogen als andere, 
welche in Verbrennung untergehen müssen, ehe sie die Gasform annehmen 
können. 

3. Alle feuchten Inhalationen, wobei Dampf, Wasserdampf oder Spray 
das Vehikel ist. werden nur langsam von den Lungen absorbirt und treten 
nur in kleinen Mengen in’s Blut über, zuweilen aber auch gar nicht, wobei 
das langsame Verhältniss der Lungeu-Resorption einen auffallenden Gegen¬ 
satz zu der raschen Magen-Resorption bildet, wie sich aus dem Auftreten 
der betreffenden Substanzen im Urin nachweisen lässt. 

4 . Inhalationen sind nützlicher bei Krankheiten des Pharynx und der 
grösseren Bronchien als bei Affectionen der Alveolen und des Lungen¬ 
parenchyms. 

5. Bei Lungenkrankheiten üben antiseptische Respiratoren keine dauernde 
Heilwirkung auf den pathologischen Zustand ans und schaden durch Be¬ 
hinderung der Freiheit des Athems, während sie andererseits allerdings 
Husten und Auswurf verringern. 

Smart (Edinburgh) zeigte eine neue Inhalationsmaschine, welche 
in die Nase passt, und sprach sich sehr zu Gunsten einer solchen Therapie 
aus, besonders mit Kreosot. Lindsay (Belfast) glaubte, dass dieselbe 
allerdings günstig auf die Bronchien, aber nicht auf die Lungen selbst 
einwirke. Bei acuter Bronchitis war die Einathmung gewöhnlichen Wasser¬ 
dampfes ein ausgezeichnetes Mittel, welches den Krampf verringerte und die Ab¬ 
sonderung beförderte. Ebenso wären Inhalationen von Terpentin, Karbol¬ 
säure und Kreosot sehr werthvoll bei chronischer Bronchitis, wo die Art des 
Auswurfes günstig beeinflusst würde. Die wahre Streitfrage wäre jedoch, 
ob eine ähnliche Behandlung günstig auf die Schwindsucht einwirkte. Er 
hatte dieselben mit beträchtlichen Hoffnungen begonnen, doch wurde er 


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786 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38 


vollkommen enttäuscht. Pat. hätten eine active Behandlung, neue Mittel etc. 
.sehr gern, und sprächen sich deswegen öfter zu günstig über deren Wirkung 
aus. Die Einwäude gegen die bacillusvernichtende Therapie der Schwind- 
Micht sind nach ihm folgende: 

1. Der Tuberkel bacillus hätte ein zu zähes Leben, um durch solche 
Inhalationen, wie wir sie geben können, getödtet zu werden. 

2. Selbst angenommen, dass man den Bacillus vernichten könnte, so 
bliebe doch die Empfänglichkeit des Pat. für frische Ansteckungen bestehen, 
und bliebe deswegen die Sache im Ganzen beim Alten. 

3. Die Anwendung warmer Inhalationen, die Benutzung von Inhala¬ 
tionskammern etc. sei sehr ungünstig in Bezug auf die allgemeine hygieni* 
sehe Behandlung der Phthise, deren Werth allgemein anerkannt sei. Die 
besten Resultate habe er bei dieser Krankheit immer dadurch erhalten, dass 
er, gerade im Gegensatz zu dem Obigen, den allgemeinen Kräftezustand zu 
bessern und die Empfänglichkeit des Pat. zu verringern gesucht habe; 
durch allgemeine Verhaltungsmaassregeln, Diät, tonisirende Mittel, und wo j 
möglich einen Wechsel des Klimas. 

Ireland (Edinburgh) sprach über die Heilerfolge, welche der Aufent¬ 
halt in den Fichtenwäldern der Himalaya-Gebirge bewirkte. Denison 
.Colorado) bestätigte, dass die Wirkung der Inhalationen geringer würde 
je mehr wir von den grossen Bronchien zu den Alveolen fortschritten. 
Man müsse beachten, dass bei der Schwindsucht eine Heilung durch Ent¬ 
wickelung fibrösen Gewebes zu Staude komme, und gingen die Inhalationen 
deswegen wahrscheinlich zu den offenen Alveolen, d. h. eher zu den ge¬ 
sunden als den kranken Lungeutheilen. Das Allernützlicbste sei kalte, 
trockene Höhenluft — ein Agens, welches gar kein Medicaraent enthalte. 

In trockenen Klimaten würde weit mehr Feuchtigkeit aus der Lunge ent¬ 
leert als in feuchten, und die ausgeathmete Feuchtigkeit wäre ein Vehikel [ 
zur Entfernung der Bacillen. Gibson (Newcastle) empfahl trockene Ein- 
athmungen von Pulvern, wie Silbersalpefer, Kupfervitriol, welche mit Zucker 
oder Lycopodium verdünnt werden sollten. 

Pavy (London) sprach über neuritische Symptome in Ver¬ 
bindung mit Diabetes. Dieselben ähnelten sehr den Symptomen der 
Tabes dorsalis. Es käme zur Ataxie, Taubheit oder Hyperästhesie, blitz¬ 
ähnlichen Schmerzen, und Verringerung oder Verlust des Kniephänoraens. 
Er behauptete, dass diese Symptome von einer peripherischen Neuritis ab¬ 
hingen. Man beobachte dieselben fast ausschliesslich bei den milderen 
Formen des Diabetes, welche bei älteren Leuten vorkämen, und Hessen sie 
sich erfolgreich mit Jodkali behandeln. Man könne diesen Zustand dadurch 
von Tabes unterscheiden, dass der Patient ganz gut mit geschlossenen 
Augen stehen könnte. (? Ref.) 

B. Chirurgie. 

Der Präsident, Dr. George Buchanan (Glasgow), hielt eine kurze 
Ansprache über die Tendenz der modernen Chirurgie, worauf Pridgin 
Teale (Leeds) eine Discussion über die chirurgische Behandlung der 
Lungenabscesse und des Empyems eröffnete. Er berichtete über 
vier Fälle aus seiner eigenen Praxis, wo Lungenabscesse sich in die 
Pleura geöffnet hätten; zwei derselben wurden mit reichlichen Einschnitten 
und Drainage behandelt, die anderen beiden starben. Er kam zu den folgen¬ 
den allgemeinen Schlussfolgerungen: 

1. Es wird jetzt nicht mehr für so gefährlich gehalten wie früher, das 
Brustfell bloszulegen. 

2. Das Schlimme bei dem Zutritt der atmosphärischen Luft in die 
Höhle der Pleura ist nicht, dass die Oberfläche der Membran der Luft aus¬ 
gesetzt wird, oder dass die Lunge durch den Zutritt der Luft collabirt, son- 
gem dass, wo sonst die Lunge und Pleura in ziemlich gutem Zustande sind, , 
die Eintreibung der Luft den mechanischen Einfluss der Brustwand auf die ; 
Athmung erheblich verringert. 

3. In solchen Fällen muss man eine Methode wählen, wodurch die Wunde 
gegen den Zutritt der Luft geschützt wird, zugleich allerdings ausreichende 
Drainage in’s Werk setzen. 

4. Abscesse, welche sich besonders für chirurgische Behandlung eignen, 
sind solche, welche in der Gegend des Zwerchfelles sitzen. 

5. Solche Abscesse kann man mit grosser Sicherheit von dem unteren 
Winkel des Thorax aus angreifen, vorausgesetzt, dass am Sitze der Punctur 
sich ein matter Percussionsschall findet. 

6. Antiseptische Auswaschungen der Höhle eines grossen pleuralen 
Lungen- oder Leber-Abscesses sind wahrscheinlich in den früheren Perioden 
nützlich, wenn die Flüssigkeit übelriechend ist, stören aber späterhin das 
Wohlbehagen der Patientin zu sehr, und sind unnöthig, wo man wirksam 
Drainage anwendet. 

7. Ueber Excision von Rippentheilen hat Vortragender keine persön¬ 
liche Erfahrung, hält aber dafür, dass man ein solches Verfahren auf spe- 
cielle und ausnahmsweise Fälle beschränken sollte. 

Spencer Wells (London) referirte über den Fall eines Patienten, der 
im Jahre 1843 in Malta in seine Behandlung kam und scheinbar an Phthise 
zu Grunde ging. Ein Abscess hatte sich in der rechten Achselhöhle ge¬ 
bildet: dieser wurde geöffnet, Luft und Eiter kamen heraus; er blieb längere 
Zeit offen, doch erholte sich Patient schliesslich und ist jetzt nach 45 Jahren 
am Leben und gesund. Redner hatte schon vor 40 Jahren Incision der 
Lunge in Fällen von Abscess empfohlen. 

Jessop (Leeds) bemerkte, dass die Gefahr der Eröffnung der Pleura 
mehr auf Einbildung als auf Wirklichkeit beruhe. Er hatte zweimal die be¬ 
treffende Höhle zufällig eröffuet; Luft trat massenhaft zu, aber die Lunge 
behielt ihre Lage, Grösse und Gestalt ohne ein Zeichen des Collapses, und 
beide Patienten erholten sich vollständig. 

Cousins (Portsmouth) sprach über die Schwierigkeit der Wieder¬ 
ausdehnung der Lungen und den Schluss der Pleurahöhle in Fällen von 
Empyem. Er behandelte solche Fälle mit frühen und ausgiebigen Ein¬ 
schnitten und Drainage. Im kindlichen Alter hatte dies vorzüglichen Er¬ 
folg. Bei Erwachsenen brauchte er in den ersten paar Wochen keine 
Drainagep>hren, und hielt die Schnittwunde offen durch Erweiterung mit 


Kautschukblasen. In Fällen von Empyem mit Lungenfisteln und Absonde¬ 
rung und Ausfluss empfahl er Excision eines Stückes der Rippe. 

Duncan (Edinburgh) hielt dafür, dass Thoraxabscesse gerade wie alle 
anderen Abscesse mit Oeffnuug und Drainage behandelt werden sollten. 
Dies wäre bei Kindern ganz hinreichend; bei Erwachsenen müsste man oft 
auch einen Saugapparat anwenden, welchen Redner vorzeigte; während in 
alten Fällen, die leicht an amyloider Entartung zu Grunde gingen, Excision 
eines Theiles der Rippe erforderlich sei. Er berichtete über 4 Fälle dieser 
Art, welche günstig abgelaufen waren. 

Edmund Owen (London) rielh zu der Röhrenbehandlung mittelst 
Incision und Resection von etwa Vs Zoll der Rippe, worauf Drainage immer 
von Erfolg begleitet wäre. Röhren schlüpften öfter in die Höhle der Pleura, 
weil sie schlecht fixirt wären. Das Ende einer grossen Röhre sollte in 
4 Theile gespalten, durch ein Loch in einem Stück Mackintosh gesteckt 
und ihre Enden mit Silberdraht angeheftet werden. 

Lund (Manchester) eröffnete dann eine Discussion über die opera¬ 
tive Behandlung des Klumpfusses. Während in leichten Fällen sich 
selten Schwierigkeiten darböten, käme es in schwereren zu grosser und per¬ 
manenter Missbildung der Knochen, welche Excision oder Resection er¬ 
forderte. Er wäre der Erste gewesen, der in solchen Fällen den Astragalus 
herausgeschnitten hätte, und er stellte jetzt den Pat., 16 Jahre nach der 
Operation, vor. Die Bewegungen und die Gestalt des rechten Fusses wären 
sehr gut, da sich blos eine leichte Depression vorn und an der äusseren 
Seite des Knöchels fände. Der linke Fuss wäre jedoch steif und noch etwas 
missgestaltet; Pat. ginge auf den Zehen, als ob es sich um Ankylose han¬ 
delte; die Muskeln beider Waden seien stark atrophisch. Lund hielt die 
Entfernung des Astragalus für den wichtigsten Theil der Behandlung. 

Parker (London) hat gefunden, dass die einzige constante anato¬ 
mische Veränderung in solchen Fällen in Verkürzung der Ligamente des 
Fusses bestehe. Die Gestalt der Knochen wäre nicht immer verändert. In 
frischen Fällen fände sich gewöhnlich der Astragalus so verändert, dass er 
sich dem Affentypus näherte. Alle Kinder hätten gewissermaassen etwas 
Talipes und könnten den Fuss etwas supiniren, doch käme es nicht zum 
permanenten Talipes, wenn sich die Ligamente nicht verkürzten. Die 
Knochen würden in ihren Beziehungen zu einander und in ihrer Gestalt 
durch den Druck verändert, und nur in sehr späten und schweren Fällen 
könnte es erforderlich sein, sio zu excidiren. Die Behandlung des Klnmp- 
fusses sollte so früh wie möglich eingeleitet werden; man sollte den Fuss 
gewaltsam gerade machen und dann in Gyps fixiren, für 14 Tage auf ein¬ 
mal. W'enn dies mehrere Male wiederholt würde, so erhielte inan ein gutes 
Resultat. Die Tcnotomie wäre durchaus unnöthig und setzte blos an die 
Stelle der Deformität eine mangelhafte Entwickelung der Knochen. 

Ogstou (Aberdeen) hat 173 Fälle von Talipes operirt und fand, dass 
eine Methode sich nicht für alle schickte. Talipes wäre kein Defect oder 
Lähmung von Sehnen und könnte nicht durch Tenotomie curirt werden. 
Tenotomie der Sehnen in ihren Scheiden wäre lächerlich, da niemals Ver¬ 
einigung stattfände. Strecken der Sehnen Hesse sich leicht bei Kindern 
machen; wenn das Kind 6 Wochen alt wäre, sollte man dem Fuss gewaltsam 
die richtige Form geben und ihn dann 6 Wochen lang in Gyps fixiren. 
Hierauf sollte die Achillessehne getrennt werden, und, wo nöthig, auch die 
Fascia plantaris. Je nach dem Alter der Pat. wären 3 bis 8 Sitzungen 
nöthig für die Rectificirung der Adduction, und l bis 3 zu der der Incur- 
vation. Er hätte 5 Mal den Astragalus herausgeschnitten, und mit grossem 
Erfolg; es wäre leicht zu machen, und die Rectificirung sei grösser als nach 
irgend eiuer anderen Operation. 

Es wurden in dieser Section noch eine beträchtliche Anzahl anderer 
Abhandlungen verlesen, welche mir der Raum nicht gestattet anzuführen. 

(Fortsetzung folgt.) 


X. Therapeutische Mittheilungen. 

Die antisyphilitische Schmierern*. 

Nach einem klinischen Vortrag gehalten von Prof. Fournier in Paris. 

Zuerst wird der Kranke einem tonisirenden Regime unterworfen, ab¬ 
führende Mittel werden nicht verschrieben, der Kranke isst Fleisch, so viel 
er will, geht aus, macht Spaziergänge; man empfiehlt ihm sogar, sich viel 
in der freien Luft zu bewegen, und man verschreibt auch die Hydrotherapie 
und die Meerbäder. 

Unter den Salben für die Einreibungen ist die Merkursalbe des Doppel¬ 
salzes oder das Unguentum neapolitanum, frisch bereitet, vorzuziehen, ln 
neuester Zeit sind Seifen, wie jene Spillmann’s, aus Quecksilber und 
Seife zu gleichen Theilen zusammengesetzt, vorgeschlagen worden. Diese 
Seifen haben jedoch das Unangenehme, dass sie zur Einreibung zu lange 
Zeit fordern. 

Die Dosis der Salbe (Ungt. neapolit.) muss Anfangs 4,0 sein; in der 
Folge wird man sie bis 6,0 und 8,0 steigern können. Bei Frauen und Kindern 
müssen, entsprechend der leichteren Intoleranz, die Dosen kleiner genommen 
werden. Bei Kindern darf die Menge von 3,0 nicht überschritten werden. 

Diese Dosis ist manchmal unentbehrlich, und man halte fest, dass man 
auch bei Säuglingen von wenigen Tagen 1 bis 2,0 für jede Einreibung ohne 
Schaden verschreiben kann.') In Fällon von schwerer Syphilis (Syphilis 
des Gehirns) und während der Cur mit Schwefelbädern kann man bei Er¬ 
wachsenen die oben angegebene Menge überschreiten. 

Es ist angezeigt, dass der Kranke jede Einreibung mit einer ganz 
bestimmten Menge der Salbe vornehme; so wird man z. B. für eine Woche 
verschreiben: Ung. mercur. 28,0, getheilt in sieben gleiche Theile. 

Im Allgemeinen sollen die Einreibungen nur einmal des Tages vor¬ 
genommen werden, am besten vor dem Schlafengehen. 

') In Deutschland wendet man bei Säuglingen die Schmiercur nicht 
an. (Anm. d. Ref.) 


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*20. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


787 


Fournier macht die Frictionen an den Seiten des Thorax. Hier steht 
eine breite Fläche zur Verfügung, und der Kranke kann die Einreibung selbst 
vornehmen. 

Bei der Vornahme der Einreibungen sind zwei Vorsichtsmaassregeln zu 
beobachten: 

1. Serotum, Leistengegend. Schamgegeud und Achselhöhlen dürfen 
nicht eingerieben werden, weil diese Regionen zu leicht das Quecksilber re- 
sorbiren. 

2. Zur Vermeidung von Hautirritationen muss man den Ort der Appli- 
cationen wechseln und abwechselnd bald die linke, bald die rechte Brust¬ 
seite, oder aber die innere Fläche der Arme oder der Oberschenkel ein¬ 
reiben. Die Einreibung wird eine Viertelstunde für 4,0 der Salbe dauern 
und eine halbe für 6,0 bis 8,0. 

Die Friction darf nicht eine einfache Einsalbung sein, sondern die 
Haut muss wirklich gerieben werden, aber nicht mit viel Kraft. 

Auf den eingeriebenen Theil legt man Watte, Leinwand oder Flanell 
und bedeckt dann die Theile mit einer Leibbinde, wenn die Friction auf 
der Brust vorgenommen wurde; mit einem Hemdärmel, [wenn der Arm ein¬ 
gerieben wurde, etc. Die Salbe bleibt die ganze Nacht hindurch auf dem 
eingeriebenen Theil liegen und wird am Morgen darauf mit etwas Seife und 
Wasser weggewaschen. Zweimal in der Woche ein Reinigungsbad. 

Bezüglich der Zahl der Einreibungen lässt sich nichts Absolutes an¬ 
geben. Wenn der Kranke beobachtet werden kann, soll man die Cur bis 
zwei und bis vier Monate fortsetzen. Im Allgemeinen ist man einig darüber, 
sie nicht auf zu lauge Zeit fortzusetzen, weil das Quecksilber nach einer 
gewissen Zeit von dem Organismus nicht mehr vertragen wird. 

Bei widerstrebenden Individuen setzt man einige Tage mit den Ein¬ 
reibungen aus, um sie dann wieder aufzunehmen. (Rev. gen. de clinique 
et therapeut.) R. 


Ein neuer Inhalationsapparat. 1 ) 

Von E. Jahr. 

Wie ich aus der Litteratur ersehen habe, wird von ärztlicher Seite 
schon lauge der Mangel eines Inhalationsapparates empfunden, durch welchen 
es ermöglicht wird, namentlich flüchtige Medicamente bei Krankheiten der 
Lunge, als auch der oberen Luftwege in rationeller Weise zur Wirkung zu 
bringen. Neuerlich noch beklagte sich ein hervorragender Forscher darüber, dass 
die allgemein üblichen Methoden, flüchtige Medicamente zu verdampfen resp. 
mit Wasserdarapf zur Inhalation zu bringen, äusserst primitive sind, und 
dass es an einem leicht handlichen, für die Verdampfung von flüchtigen 
Medicamenten geeigneten Inhalationsapparat mangele. 3 ) 

Ich habe mich nun mit dieser Frage eingehender beschäftigt und durch 
Construction eines Apparates, welchem die gedachten Mängel weniger an- 
hafton dürften, es unternommen, diese Lücke auszufüllen. 

Belehrt man sich über die Art und Weise, in welcher die Inhalation 
von Medicamenten meist erfolgt, so findet man, dass dies in nicht rationeller 
Form geschieht, weil den dabei in Betracht kommenden physicalisehen Ge¬ 
setzen viel zu wenig Rechnung getragen wird. 

Zumeist dürfte wohl die Inhalation von flüchtigen Arzneistoffen mittelst 
der sogenannten Gesichtsmasken und mit dem Siegle’sehen Zerstäubungs¬ 
apparate erfolgen, die sonst noch üblichen Verfahren weichen in den hier 
in Betracht kommenden Punkten von diesen so wenig ab, dass sie hier nicht 
besonders erwähnt zu werden brauchen. Berücksichtigt man, dass 

1. nach deu Untersuchungen von Va lentin 3 ) und Krieger 4 ) eingeathmete 
Luft von + 19° C Temperatur und beliebigem Feuchtigkeitsgehalte in 
den Respirationsorganon auf eine Temperatur von 4-36,7° C erwärmt 
und mit Wasserdampf vollständig gestättigt wieder ausgeathmet wird: 

2. nach Jelinek 5 ) der höchste Dunstdruck im Niveau des Meeres bei einer 
Temperatur von 4- 19° 0 (gewöhnliche Zimmerwärme — eine so hoch 
temperirte Luft kann bei der Inhalation mittelst der Gesichtsmaske nur 
in Betracht kommen —) = 36,7 mm und bei einer Temperatur von 
-+- 36,7° C = 45,42 mm beträgt: 

3. die Zahl der mm Dunstdruck nach Renk 6 ) ungefähr der Gewichts- 
menge Wasser in g entspricht, welche 1 Kubikmeter Luft enthält, 

so wird klar, wenn man selbst annehmen wollte, dass die Luft, welche man 
durch die mit Medicamenten beschickten Gesichtsmasken einathmet, sich 
vollständig mit Dämpfen gesättigt hätte, diese, statt einen Theil ihres Gehalts 
an Feuchtigkeit resp. medicamentösem Dampf in den Lungen zu conden- 
siren, denselben noch unter Umständen Wasser entziehen muss, da ja die 
Spannung der Luft innerhalb der Luftwege und Lungen noch bedeutend 
erhöht wird. 

Nicht viel anders liegen diese Verhältnisse in den Fällen, wo man 
eineu Siegle'sehen Inhalationsapparat zu der Hineinbeförderung von 
flüchtigen Medicamenten in die Lunge benutzt. 

Die von mir angestellten Untersuchungen dieser letzteren Verhältnisse 
ergaben Folgendes: 

In einem Zimmer, in welchem in einer Höhe von 1,5 m eine Tempe¬ 
ratur von 20° C vorhanden war, wurde ein solcher Inhalationsapparat in 
Thätigkeit gesetzt. Die zur Zerstäubung kommende Flüssigkeit war auf 

*) Vergl. d. Verh. d. Brit. med. Assoc. diese No. p. 785. 
a ; Schreiber, Studium und Grundzüge zur rationellen localen Be¬ 
handlung der Krankheiten des Respirationsapparates. Zeitschr. J. klin. Medicin. 
Bd. 13 p. 321. 

3 ) Valentin, Lehrbuch der Physiologie. 1847. 2. Aufl. S. 222. 

4 ) Krieger, Untersuchungen und Beobachtungen über die Entstehung 
entzündlicher und fieberhafter Krankheiten. Zeitschr. für Biologie. Bd. 5 
p. 483. 

& ) Jelinek, Psychrometertafeln für das hunderttheilige Thermometer 
nach II. Wild’s Tafeln. Leipzig. 1887. 3. Aufl. 

6 ) Renk, Die Luft. Leipzig. 1886. p. 14. 


nahezu 100° C erwärmt worden, um die möglichst günstigen Bedingungen 
bezüglich der Temperatur des von dem Apparate ausgehenden Dampfstromes 
zu erzielen. 

Der hiernach von dem Apparate abgegebene Dampfstrom hatte in einer 
Entfernung von 3 cm von seinem Ausgangspunkte eine Temperatur von 
50° C, in einer Entfernung von 10 cm aber nur noch 35° C. (In letzterem 
Falle also schon ein niedrigeres Spannungsvermögen, wie sie die in deu 
Athmungsorganen erwärmte Luft besitzt). 

Bedenkt man nun, dass ein solcher Dampfstrom gleichzeitig mit einer 
viel grösseren Menge Luft von einer niedrigeren Temperatur als dieser selbst 
eingeathmet wird, diejenige Menge eines flüchtigen Medicaments aber, welche 
j sich in Dampfform in der Luft zu erhalten vermag, in der Weise von der 
i Temperatur dieser abhängig ist, dass die Quantität Dampf mit zunehmender 
Temperatur sich vergrössert und umgekehrt, so muss einleuchten, dass ein 
mit Dämpfen in der vorbeschriebenen Art geschwängerter und eingeathineter 
Luftstrom keineswegs bedeutende Mengen des mitgeführten Dampfes in den 
Lungen zu belassen vermag. Allerdings werden in diesem, wie auch in 
dem erst beschriebenen Falle, da sämmtliche Wände der Luftwege normal 
mit Feuchtigkeit überzogen sind, die eingeathmete Luft in den Respirations¬ 
organen aber vollständig mit Wasserdampf gesättigt wird, in denjenigen 
Theilen der Lunge, welche der eingeathmete Luftstrom nach erfolgter 
Sättigung passirt oder besser, in welchen er einige Zeit in diesem Zustande 
zu einer gewissen Ruhe kommt, sich geringe Mengen des mitgeführten 
Dampfes niederschlagen; denn aus mit Dampf gesättigter Luft, wenn diese 
einen Raum anfüllt, in dem Flüssigkeit vorhanden ist, werden in einer 
I Zeiteinheit ebensoviele Moleküle Dampf niedergeschlagen, wie Moleküle 
Dampf die Oberfläche der Flüssigkeit verlassen. 5 ) Die Quantität der durch 
diesen Vorgang in die Respirationsorgane hineingelangenden und dort zur 
Wirkung kommenden Medicamente kann bei den so geübten Verfahren der 
Inhalation selbstverständlich nur sehr gering sein. Nimmt man z. B. an, 
dass bei der Inhalation mittelst Gesichtsmaske die Patienten eine mit Medica¬ 
menten vollständig gesättigte Luft von 19° C Temperatur eingeathmet 
hätten, und die ganze Quantität dieses in der eingeathmeten Luft enthaltenen 
medicameutösen Dampfes sich in den Respirationsorganen, nach dem er¬ 
wähnten Gesetz bezüglich des Verhaltens von mit Dampf gesättigter Luft 
in Räumen, in denen Flüssigkeit vorhanden ist, niedergeschlagen worden 
wären, so würde die Quantität Dampf, abgesehen von derjenigen Menge, 
welche während der Dauer der Inhalation von den Geweben etc. resorbirt 
wurde, doch nicht grösser sein können, als dasjenige Volum Luft, welches 
in den Respiratiousorganen überhaupt Platz hat, also 3700 ccm, bei 19° C 
Temperatur zu halten vermag; was, wenn Medicamente von der Fähigkeit 
sich zu verflüchtigen, welche denen des Wassers gleichkommt, verwandt 
wurden, höchstens 0,06 g betragen kann. (1 cbm = 1000000 ccm Luft 
von 19° C Temperatur im Niveau des Meeres enthält bei vollständiger 
Sättigung etwa 16 g Wasser in Dampfform). Die Menge des so zur Wirkung 
kommenden Medicaments wird nun selbstverständlich von der Spannkraft 
der Dämpfe der verschiedenen zur Verwendung gelangenden Stoffe in der 
Weise abhängig sein, dass mit der Grösse der Spannkraft eines Medicaments 
bei den vorgedachten Temperaturen die zur Wirkung gelangende Menge 
zunimmt. (Schluss folgt.) 


— Statt des grauen Oels empfiehlt Harttung (Vierteljahrssehr, für 
Dermatologie und Syphilis) folgende Mischung: Hydrargyri 20, verrieben bis 
zur völligen Verdunstung des Aethers mit Benzoeäther (Aeth. sulf. 40,0, 
Benzoes 20,0, 01. amygd. dulc. 5,0 Solv. filtr.), dazu 40,0 Paraffin, liq. puriss. 
I ccm enthält 0,766 g Hg. Man injicirt in die Muskulatur 0,25 ccm in acht¬ 
tägigen Zwischenräumen (Prager med. Wochenschr. No. 27) 

— Aetlier gegen Pediculi pnbis. In den Monatsh. f. prakt. Der¬ 
matologie wird vorgeschlagen, Filzläuse durch einmalige Application von 
Aether (Spray) zu tödten. Dies Verfahren ist unschädlicher für die Haut, 
als die Anwendung von Chloroform, die gleichfalls zum Ziele führt. 

— Theerwasser bei HSmorrbflgleen wurde von Dr. Corneille de 
Saint Marc für ebenso wirksam befunden, wie Hamamelis und andere Hümo- 
statica. Dasselbe wird in Quantitäten von 30—40 g innerhalb 24 Stunden 
bei Blutungen aus der Lunge, der Nase oder des Uterus mit bestem Erfolge 
gereicht. Selbst bei Phthisis in vorgerücktem Stadium mit heftigen Blutungen 
soll das Mittel als praktisch sich bewähren. 

— Seitz empfiehlt bei Lungenblntnng die schon zu Zeiten Hippokrates’ 
geübte Methode des Abbindens der Glieder, und zwar der oberen Extremi¬ 
täten ungefähr in der Mitte des Oberarmes, dann der unteren Extremitäten 
in der Mitte des Oberschenkels oder unmittelbar unter dem Knie mit 
Assalin’schen Binden, 2 cm breiten aus Seidenschnüren bestehenden Binden, 
oder im Nothfalle mit Tüchern jeder Art. Durch die herbeigeführte Ab¬ 
sperrung resultirt herabgesetzte Spannung am linken Ventrikel und Con- 
traction der Gefässe am kleinen Kreislauf. Der Zeitraum von nur Va Stunde — 
so lange bleiben die Binden liegen — genügt, an der blutenden Stelle einen 
Thrombus entstehen zu lassen. Der obige Vorschlag resultirt aus experimen¬ 
tellen Untersuchungen. (Arch. f. klin. Medicin). 


XI. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Den Sanitätsräthen Dr. Ohrtmann und Stadtphysikus 
Dr. Math. Schulz ist der Charakter als Geh. Sanitätsrath verliehen worden. 

— Prof. Dr. E. Küster ist verhindert, in diesem Herbst deu im Lections- 
verzeichniss der Ferieucurse angekündigten Operationscurs zu halten, wird 
dafür aber dreimal, statt bisher nur zweimal wöchentlich, klinischen Unter¬ 
richt ertheilen, und zwar Montag, Mittwoch und Sonnabendvon 12—3 Uhr. 


V Naumann, Gmelin’s Handbuch der anorganischen Chemie. 1877. 
Bd. 1 Thl. 1 p. 463 u. Jahresbericht über die Fortschritte der Chemie. 
1867. p. 92. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38 


788 


— Bonn. Professor Dr. Fr. Schultze (Dorpat) ist zum ordentlichen 
Professor an der medicinischen Facultät und zum Direktor der medicinischen 
Klinik und Poliklinik ernannt. Derselbe wird iin Wintersemester die Stelle 
übernehmen. 

— Greifswald. Prof. Bardeleben (Jena) ist zum Nachfolger Budge’s 
in Greifswald in Aussicht genommen. (Münch, inedic. Wochenschr). 

— Köln. Die seinerzeit von Virchow auf der Berliner Naturforscher- 
Versammlung gestellten Anträge, der Versammlung einen stabileren Boden 
zu schaffen, welche von der Berliner, wie von der nächstjährigen Wiesbadener 
Versammlung vertagt wurden, weil die Verhandlungen der ad hoc gewählten 
Commission noch nicht zu bestimmt formulirten Anträgen an das Plenum ge¬ 
führt hatten, dürften hoffentlich auf der diesjährigen Versammlung endgiltig 
zum Austrag gebracht werden. Allerdings sind über das „Wie“ in dieser 
Frage die leitenden und auch die weiteren Kreise noch immer nicht eins, doch 
dürften dieselben wohl darin eines Sinnes sein, dass es so, wenn die Ver¬ 
sammlung der Naturforscher und Aerzte ihre bisherige Stellung wahren will, 
einfach nicht weiter geht. Bekanntlich handelt es sich nach den Vorschlägen 
Virchow’s um folgende Statutenänderungen: Jeder, der einmal Mitglied einer 
deutschen Naturforscherversammlung gewesen ist, kann durch Zahlung eines 
laufenden Jahresbeitrages Mitglied der Gesellschaft deutscher Naturforscher und 
Aerzte werden. Diese Gesellschaft kann Vermögen und Eigenthum erwerben. 
Die Leitung der Gesellschaft wird einem Vorstande übertragen, der aus einem 
Vorsitzenden, zwei Stellvertretern desselben, einem Generalsecretär und einem 
Schatzmeister besteht. Je einer der Vorsitzenden muss der naturwissenschaft¬ 
lichen und einer der ärztlichen Richtung angehören. Die jeweiligen Geschäfts¬ 
führer sind als solche Mitglieder des Vorstandes. Die Vorsitzenden werden 
alljährlich, der Generalsecretär und Schatzmeister alle drei Jahre in öffentlicher 
Sitzung der Naturforscherversammlung durch absolute Majorität der anwesen¬ 
den Mitglieder erwählt. Der Vorsitzende führt auch in der Naturforscher- 
Versammlung den Vorsitz. Der Genoralsecretär und der Schatzmeister er¬ 
statten in derselben Bericht über das abgelaufene Geschäftsjahr. In der 
Zwischenzeit zwischen den Versammlungen bereitet der Vorstand die wissen¬ 
schaftlichen Verhandlungen vor, welche in der Versammlung stattfinden 
sollen, erledigt die ihm durch besondere Beschlüsse der Gesellschaft über¬ 
tragenen Angelegenheiten und stellt mit den Localgeschäftsführern das all¬ 
gemeine Programm der nächsten Versammlung fest. Im Uebrigen bleiben 
die Bestimmungen des bestehenden Statuts durch die Reformvorschläge un¬ 
berührt. — Au Vorträgen für die Sectionen sind weiter angemeldet für 
die Section für innere Mediciu Vorträge von Dr. Krönig und Dr. Leo 
(Berlin), Prof. Leichtensteru (Köln), Dr. Schetelig (Homburg). 

— Stettin. Am 8. August d. J. hielt die Aerztekammer .der 
Provinz Pommern ihre zweite Sitzung ab, in der dieselbe in erster Linie 
Satzungen und Geschäftsordnung berieth und über die Aufbringung der 
Kosten für die Aerztekammer- Beschluss fasste. Nebeu anderen Punkten, 
die zur F.ntscheidung standen, gelangte die Verhandlung der Frage 
der Schulärzte, die im Medicinal-Collegium der Provinz Pommern 
stattgefunden hat, zur Sprache: In Folge eines Erlasses des Herrn Ministers 
hat sich das Medicinal-Collegium in einer Sitzung, an welcher die Herren 
Steffen und Sauerheriug als Vertreter der Ärztekammer Theil nahmen, 
mit der Frage der ärztlichen Schulaufsicht beschäftigt. In dieser Sitzung 
hat das Medicinal-Collegium gutachtlich die Anstellung von Schulärzten für 
nothweudig erklärt und diejenigen, die Gesundheit beeinflussenden Factoren 
in der Schule bezeichnet, bei welchen die Beaufsichtigung der Aerzte un¬ 
bedingt notwendig ist, und bei welchen sie entbehrt und den Lehrern über¬ 
tragen werden kann. Der Berichterstatter Herr Sauerhering, führte die 
Aufsichtsobjekte an, welche zu der einen oder zu der anderen Kategorie ge¬ 
rechnet worden sind, und theilte den Entwurf des Organisationsplanes für 
die ärztliche Schulaufsicht mit, deren Uebertraguug nach der Ansicht des 
Medicinnl-Collegiums nur an beamtete Aerzte und zwar auf Kosten des Staates 
erforderlich ist. 

— Wien. Dr. E. Zuckerkand!, bisher in Graz, ist zum ordentlichen 
Professor der Anatomie, Dr. v. Ebner, ebenfalls bisher in Graz, zum ordent¬ 
lichen Professor der Histologie, und der ausserordentliche Professor an der 
Wiener Universität Dr. Theodor Puschmann zum ordentlichen Professor 
der Geschichte der Medicin, sämmtlich an der Universität in Wien ernaunt 
worden Diese Ernennungen sind sämmtlich gegen die Vorschläge des Wiener 
medicinischen Professorencollegiums erfolgt. 

— Dem Andenken Prof. v. Gudden’s, der als ein Opfer seines Be¬ 
rufes in so tragischer Weise endete, soll durch die Herausgabe seiner ge¬ 
sammelten, zum Theil nachgelassenen Abhandlungen ein würdiges litera¬ 
risches Denkmal gesetzt werden. 

— Ueber Unglücke in der Chirurgie (Dritte Auflage, Leipzig, 
Engelmann 1888) giebt v. N’ussbaum, der Nestor der Chirurgen, in dem 
kleinen Rahmen von 42 Seiten Fingerzeige, welche er aus der reichen Fülle 
seiner Erfahrungen schöpft und welche so viel Beherzigenswerthes enthalten, 
dass wir dieselben nicht allein in den Händen des Chirurgen, sondern in denen 
jedes Praktikers wissen möchten. Leider ist, wie v. Nussbaum einleitend 
in seinem so äusserst verdienstvollen Werkchen ausführt, die menschliche 
Eitelkeit Schuld daran, dass fast nur glückliche Ereignisse veröffentlicht und 
alle Unglüeksfälle verschwiegen werden, obwohl Ein Unglück viel mehr 
lernen lässt, als 10 glückliche Ausgänge. — Vivant sequentes in der Publi- 
oation ihrer Erfahrungen über Misserfolge und Unglücksfälle! 

— Der 10. Jahresbericht des Schulsanatoriums „Frideri- 
cianurn“ in Davos für das Schuljahr 1887/88 ist erschienen. Demselben 
ist beigefügt ein -Aerztlicher Bericht (Krankengeschichten)“ von Dr. 0. Peters 
und Dr. L. Spengler jr., Curärzten in Davos, dem wir Folgendes ent¬ 
nehmen: Auf die Gefahr der Infection, die an derartigen Ourorten für Lungen¬ 
kranke, namentlich für die Anfangsstadien bestehen soll, glauben die ge¬ 
nannten Autoren kein grö-seres Gewicht legen zu sollen. Ueber die Erfolge 
des Davoser Aufenthalts wird ein 138 Fälle umfassender Krankenbericht in 
Aussicht gestellt. Des weiteren verbreitet sich der Bericht über die Ein¬ 


richtungen der Anstalt, die Diät der Zöglinge, die Principien der Behand¬ 
lung, wie sie in Davos innegehalteu werden, die Indicationen für -den Auf¬ 
enthalt in Davos, wozu neben den bekannten auch die Kreislaufsstörung-en 
im Oertel’schen Sinne gezählt werden. Den Schluss bildet eine Tabelle 
über den Verlauf von 16 Fällen. 

— Der vom 18.—20. September d. J. in Washington tagende C'on- 
gress of American Physicians and Surgeons bildet die Vereinigung 
einer Reihe der hervorragenden amerikanischen Specialvereiue von Aerzten 
zu einer gemeinschaftlichen Sitzung, und zwar nehmen an dieser Vereinigung 
Theil: Die Association of American Physicians, die American Surgical Asso¬ 
ciation, die Americau Ophthalmological Association, die American Otological 
Association, die American Association of Genito-Urinary Surgeons, die Ameri¬ 
can Orthopedie Association, die American Climatological Association, die 
American Physiological Society, die Americau Laryngological Association 
und die American Dermatological Association. Drei allgemeine Sitzungen 
werden die sämmtlichen Theilnehmer des (Kongresses vereinigen, die ausser¬ 
dem in Sectionen, die durch die theilnehmendeu Einzelvereinigungen ge¬ 
bildet werden, tagen. Ausser der Elite der amerikanischen Aerzte, werden 
an dem Congress eine grössere Anzahl ausländischer, namentlich englischer 
Aerzte theilnehmen. John S. Billings wird den allgemeinen Sitzungen 
des Congresses präsidiren. 

— Der dritte Congress der italienischen hygienischen V er- 
eine, der soeben in Brescia abgehalten worden ist, hat zum Ort der nächsten 
Versammlung im Jahre 1890 Padua bestimmt. 

— Bei Gelegenheit des 102. Geburtstages des Chemikers Chevreuil 
constatirten Pariser Blätter, dass auch andere Chemiker ein beträcht¬ 
liches Alter erreichten. Von den jetzt lebenden ist Bunsen in Heidel¬ 
berg 77 Jahre alt, Ko pp, der Geschichtschreiber der Chemie, 71 Jahre. 
A. W. Hofmaun 70 Jahre, ebenso Fresenius in Wiesbaden, Wühler 
starb als 84 jähriger Greis, Dalton erreichte ein Alter von 78 Jahren, Fa- 
raday von 76 Jahren, Gustav Rose von 75, Regnault und Berthollet 
von 7.4, Gay-Lussac von 72, Priestley von 71 und I.iebig von 70 Jahren. 

— Universitäten. Neapel. Das italienische Unterrichtsministerium 
hat die Errichtung einer Lehrkauzel für Laryngologie in Neapel 
beschlossen und den Concurs für die Stelle eines a. o. Professors ausge¬ 
schrieben. — Rio de Janeiro. Dr. F. Ribeiro de Mendonea. 
a. o. Professor an der medicinischen Facultät in Rio, ist gestorben. 

XII. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem prakt. Arzt Dr. Hantel zu Elbing den Rothen 
Adler-Orden IV. CI. zu verleihen, dem ordtl. Prof. Med.-Rath Dr. 
Karsch zu Münster den Charakter als Geh. Med.-Rath, sowie dem Poliz. 
Bez.-Phys. Dr. Schmiedel zu Breslau und den prakt. Aerzten Dr. 
Schmeidler z. Breslau und Dr. Gluszczewski zn Bukowitz den Charakter 
als Sanitätsrath, ferner dem bish. Kr.-Pkys. Prof. Geh. Med.-Rath Dr. 
Haeckermann zu Greifswald den Kgl. Kronen-Ordeu III CI., dem Geh. 
Med.-Rath Prof. Dr. Hartmann zu Berlin und dem prakt. Arzt Dr. Müller 
zu Harzburg den Rothen Adler-Orden IV. CI. zu verleihen, endlich dem 
Director der Prov. Irren-Anstalt Dr. Paetz zu Alt-Scherbitz zur Anlegung 
des Ritterkreuzes I. CI. des Sachsen Eruestinischen Hausordens und dem Ober- 
Stabsarzt a. 1). Dr. Ridder in Bückeburg zur Anlegung des Fürstl. Reussisehen 
Ehrenkreuzes II. CI. die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen. — Ernen¬ 
nungen: Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht, den prakt. Arzt 
Dr. Rehder zu Flensburg zum Kreis-Physikus des Kreises Apenrade, d. Phys. 
des Landkreises Wiesbaden Dr. Pfeiffer daselbst zugleich zum Physikus de> 
Stadtkreises Wiesbaden zu ernennen. — Niederlassungen: Die Aerzte: 
Dr. Marquardt in Geuthin, Herzfeld in Salzwedel, Dr. Rohden und Dr. 
Kehr in Halberstadt, Dr. Simon und Dr. van Perstein in Cöln, Dr. G raeser 
in Bonn, Dr Holtz in Barmen, Dr. Linkenheld in Barmen; In Berlin di** 
Aerzte: Dr. Maass, Dr. Reinaeh, Dr. Vorster, Dr. Lazarus, Dr. Laehr. 
Dr. Meyer, Dr. Nathan, Spandow, Weinstock. Dr. Carow, Dr. Klein, 
und Dr. Cohn, Dr. Sehandel in Köpenick, Dr. Hadelich in Erfurt. 
Klotzsch in Lamstedt, Dr. Schüermeyer in Laer. Die Zahnärzte: 
Abbot und Heinzmann in Berlin. — Verzogen siud: Die Aerzte: 
San.-Rath Dr. Groethuysen von Berlin nach Neuenheim, Dr. Hünefeld 
von Greifswald nach Berlin, Dr. Esselsbrügge von Berlin nach Düsseldorf. 
Dr. Hoven von Berlin nach Schlebusch, Dr. Mackenberg von Berlin nach 
Kettwig, Dr. v. Lukowitz von Blumfeld nach Elberfeld, Dr. Dickmann von 
Neuss nach Hamburg, Dr. Paschen von Elberfeld nach Neukirchen, Dr. 
Scabell vonLinn nach Oevelgönne, Dr. Classen von Rastede nach Brarascln-, 
Dr. v. Gostkowski von Schmiedeburg nach Gehrde, Dr. Bublitz von Greif>- 
wald nach Stolp i. Pr., Prof. Dr. Rump ff, von Bonn nach Marburg, l>r. 
Denks von Königsberg nach Kreuznach, Dr. Ludwig Zwick von Schön- 
hausen, Dr. Ahlefeld von Wiesbaden nach Salzwedcl, Dr. Schwalbe von 
Magdeburg nach Amerika, Dr. Göricke von Magdeburg nach Stuttgardt. 
Dr. Konietzko von Hamburg nach Trotha, Dr. Spiethoff von Lübeck 

i nach Mühlhausen in Th., Dr. NVachsmuth von Celle nach Walsrode, Di. 
Buckert von Wolffhagen nach Stade, Dr. Dreck er von Rheine nach 
Recklinghausen, Nothnagel von Wesel nach Münster i. W., Dr. Becker 
von Walsrode, Dr. Brandewiede von Laer. Der Zahnarzt: Löhers von 
Berlin nach Steele. — Gestorben sind: Die Aerzte: Dr. Reinhardt 
in Neuss, San.-Rath Dr. Lublinsky, Dr. W'olff, Dr. Schultze, San.-Rath 
v. Gustorf und Dr. Büttner in Berlin. — Vakante Stelle: Kreis-Wutid- 
arztstelle des Kreises. Reichenbach in Schl., das Physikat des Kreises Lohe 

2. Sachsen. (Corr-Bl. d. ärztl. Kr.- und Bez.-Ver. i. Kgr. Sachsen.) 
Verliehen: Med.-Rath Prof. Dr. Leopold in Dresden das Comthurkrou* 

! 2. CI. des Sachsen-Ernestinischen Hausordens, Dr. Marchner in Dresden 

i das Ritterkreuz 2. CI. desselben Ordens. — Gestorben: Oberstabsarzt /.. D. 

I Ernst Ilelbig in Dresden, Hofrath Dr. Hermann Cramer in Bad Elster. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld lu Berlin W. 


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Donnerstag 


JW& 9 


27. September 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwosens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteor Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Liebermeister in Tübingen. 

Symptomatologie. Das pathologisch-anatomische Verhalten 
der tuberculösen Lungenschwindsucht lässt erwarten, dass dieselbe 
auch in Bezug auf die Erscheinungen und den Verlauf eine äusserst 
vielgestaltige Krankheit sein muss. Wenn man berücksichtigt, wie 
verschieden der Boden ist, auf welchem der Tuberkelbacillus sich 
ansiedelt, wie in manchen Fällen die Tuberculose in einem durch 
Katarrhe oder durch verschiedene Formen der chronischen Pneumonie 
vorbereiteten Respirationsapparat sich entwickelt, in anderen Fällen 
dagegen erst selbst Katarrhe und verschiedenartige chronische Pneu- 
raonieen hervorruft, und wie sie endlich ausserdem noch in der Form 
der Miliartuberculose auftreten kann, so ist es leicht verständlich, dass 
die einzelnen Krankheitsfälle mancherlei Verschiedenheiten darbieten 
werden. In der That sind zuweilen diese Verschiedenheiten so 
gross, dass es schwer oder unmöglich sein würde, aus der blossen 
Symptomatologie die Zusammengehörigkeit der einzelnen Fälle zu 
erkennen. Wesentlich anders dagegen zeigt sich dieses Verhältniss, 
wenn wir nur diejenigen Fälle betrachten, welche als die gewöhn¬ 
liche Form der Lungenschwindsucht bezeichnet werden können, und 
welche bei weitem die Mehrzahl bilden; wir finden dann doch 
manche gemeinschaftliche Eigenthümlichkeiten. In den gewöhnlichen 
Fällen ist das Krankheitsbild wenigstens in den gröberen Zügen so 
weit übereinstimmend, dass sie eine gemeinschaftliche Beschreibung 
zulassen, und dass von je her vom symptomatologischen Standpunkt 
aus die Lungenschwindsucht als eine Krankheitseinheit erkannt 
werden konnte. Wir werden im Folgenden uns zunächst mit, den 
Erscheinungen und dem Verlauf der Krankheit beschäftigen, wie sie 
in der Mehrzahl der Fälle sich darzustellen pflegen. Nachher werden 
wir dann die wichtigsten der Abweichungen von dem gewöhnlichen 
Typus besprechen, durch welche in besonderen Fällen das Krank¬ 
heitsbild wesentlich verändert wird. 

Bei den gewöhnlichen Fällen können wir den Verlauf der 
Lungenschwindsucht in drei verschiedene Stadien eintheilen, die 
aber nicht durch scharfe Grenzen von einander geschieden sind. 
Die ersten Anfänge der Krankheit, bei denen die Erscheinungen 
noch wenig deutlich sind und der Diagnose noch Schwierigkeiten 
darbieten, werden als Phthisis incipiens bezeichnet. Wenn dagegen 
die Erscheinungen so deutlich sind, dass die einfacheren diagnosti¬ 
schen Hülfsmittel ansreichen, um die Krankheit mit Sicherheit zu 
erkennen, so reden wir von Phthisis confirmata. Der höchste Grad 
der Krankheit endlich, bei welchem schon grössere Zerstörungen in 
den Lungen nachgewiesen werden können und zu den Erscheinungen 
von Seiten der Lunge auch noch Störungen von Seiten anderer Or¬ 
gane hinzutreten, wird als Phthisis consummata (ad summum pro- 
vecta) bezeichnet. — Bei ausgebildeter Krankheit vermag die Therapie 
nur wenig zu leisten, während es bei den Anfängen der Krankheit 
in vielen Fällen gelingt, wenn die erforderlichen Massregeln durch¬ 
geführt werden, die Krankheit zum Stillstand zu bringen und Heilung 
zu erzielen; es ist daher für den Kranken von entscheidender Be¬ 
deutung, dass die Krankheit möglichst früh mit Sicherheit erkannt 
werde, und für den Arzt ist gerade die Diagnose der beginnenden 
Lungenschwindsucht eine besonders wichtige Aufgabe. 

1. Phthisis incipiens. Die Krankheit beginnt in der Regel 
schleichend, am häufigsten in Form eines Katarrhs, der weniger 
durch Intensität oder ausgedehnte Verbreitung, als durch lange 
Dauer oder häufiges Wiederkehren sich auszeichnet. Es besteht 
leichter Husten, anfangs mit geringem schleimigem, später mit 


j schleimig-eiterigem Auswurf. Der Zustand wird in hohem Grade ver- 
I dächtig, wenn dabei zeitweise abendliche Fieberexacerbationen mit 
! Temperatursteigerung auf 38° bis 39° sich zeigen, und wenn Ab¬ 
magerung, blasse Hautfarbe, Kurzathmigkeit bei Anstrengungen hin¬ 
zukommen. Diese Erscheinungen werden um so mehr beachtens- 
werth sein, w'enn es sich etwa um einen Menschen handelt, in dessen 
Familie Lungenschwindsucht oder andere tuberculöse Affectionen 
vorgekommen sind, oder der durch näheren Umgang mit Schwind¬ 
süchtigen der Gefahr einer Infection ausgesetzt war. Auch das 
Vorhandensein des früher beschriebenen Habitus phthisicus muss zu 
grösserer Aufmerksamkeit auffordern. Ferner sind früher überstan¬ 
dene Krankheiten zu berücksichtigen, so z. B. wiederholte Katarrhe, 
leichtere oder schwerere Erkrankungen an Pleuritis, an Pneumonie 
und auch Masern oder Keuchhusten, wenn darauf chronische Pneu¬ 
monie gefolgt war, ebenso eine frühere Scrophulose, auf welche 
etwa durch die Anamnese, durch Lymphdrüsen-Anschwellungen oder 
Narben am Halse, durch abgelaufene oder noch vorhandene Affec¬ 
tionen der Knochen und Gelenke hingewiesen würde. 

Von entscheidender Bedeutung für die Erkenntniss der Krank¬ 
heit ist die physikalische Untersuchung. Dieselbe lässt aber ge¬ 
wöhnlich im Anfang der Krankheit noch keinerlei auffallende oder 
charakteristische Veränderungen nachweisen, und es ist deshalb die 
frühzeitige Erkenntniss der Krankheit nur dann möglich, wenn man 
auch die geringfügigen Abweichungen von der Norm, welche ver¬ 
einzelt nicht zur Diagnose ausreichen würden, durch sorgfältige 
Untersuchung feststellt, jedes einzelne Zeichen in seiner Bedeutung 
richtig würdigt und aus der Gesammtheit derselben seine Schlüsse 
zieht. Da die Phthisis gewöhnlich in den oberen Lungenabschnitten 
beginnt, so müssen diese einer besonders genauen Untersuchung 
unterzogen werden. 

Die Percussion lässt nur dann deutliche Abnormitäten nach¬ 
weisen, wenn es schon zu Infiltrationen in der Lunge gekommen 
ist. Man findet dann etwa eine leichte Dämpfung in der einen 
Lungenspitze im Vergleich mit der anderen, entweder hinten oben 
oder auch vorn oberhalb oder unterhalb des Schlüsselbeins. In 
einzelnen Fällen findet man auch, dass der volle Schall auf der 
einen Seite des Halses nicht so hoch hinaufreicht als auf der 
anderen; es beruht dies entweder auf einer Infiltration in der 
l äussersten Spitze der Lunge oder auch auf einer Retraction der- 
j selben in Folge älterer Narbenbildung oder interstitieller Pneumonie. 

J Um dabei auch kleine Verschiedenheiten deutlich erkennen zu 
können, ist es zweckmässig, die Percussionsgrenze nach oben, 
welche normaler Weise einen von der Wirbelsäule aus aufsteigenden 
und gegen den Kehlkopf wieder abfallenden Bogen bildet, mit 
farbigem Stift zu zeichnen. Es ist dann nicht nöthig, wie man 
vorgeschlagen hat, noch besondere Messungen vorzunehmen, um zu 
erkennen, ob auf der einen Seite des Körpers die höchste Stelle 
der Percussionsgrenze von dem Ohrläppchen oder andererseits von 
dem Acromialrande des Schlüsselbeins weiter entfernt sei als auf 
der anderen: das Augenmaass genügt vollständig; denn wenn die 
Verschiedenheit nicht so gross ist, dass sie mit blossem Auge mit 
Sicherheit erkannt werden kann, so hat sie überhaupt keine Be- 
j deutung. Auch kann es Vorkommen, dass in der einen Lungen¬ 
spitze hinten oder vorn der Percussionsschall etwas tyrapanitisch 
! ist, oder dass der Stimmfremitus auf der einen Seite stärker ist. 
In vielen Fällen giebt die Percussion noch kein oder kein deutliches 
Resultat; deshalb ist in der Regel die Auscultation noch wichtiger; 
und häufig wird auch eine geringe Verschiedenheit der Ergebnisse 
I der Percussion in den Lungenspitzen erst dann bedeutungsvoll, wenn 


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790 


DEUTSCHE MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


durch die Auscultation das Vorhandensein einer Abweichung vom 
normalen Verhalten bestätigt wird. 

Durch die Auscultation kann in vielen Fällen schou früh das 
Vorhandensein eines Katarrhs an einer beschränkten Stelle in den 
oberen Theilen der Lungen nachgewiesen werden. Ein solcher 
Katarrh der Lungenspitzen ist um so verdächtiger, je mehr die 
übrigen Theile der Lungen von Katarrh frei sind, und ferner, je 
mehr man sich überzeugt, dass er hartnäckig an der gleichen Stelle 
fortbesteht; in diesem Falle ist nämlich die Vermuthung berechtigt, 
dass es sich nicht um einfachen Katarrh haudle, sondern dass der¬ 
selbe durch tiefergreifende Veränderungen an der betreffenden Stelle 
unterhalten werde. Es ist deshalb in manchen Fällen die einmalige 
Untersuchung des Kranken nicht ausreichend; vielmehr muss solche 
von Zeit zu Zeit wiederholt werden. Ein andauernder Lungen¬ 
spitzenkatarrh kann fast mit Sicherheit als beginnende Tuberculose 
gedeutet werden, wenn gleichzeitig die eben angeführten Erschei¬ 
nungen, namentlich zeitweise auftretendes abendliches Fieber und Ver¬ 
schlechterung des allgemeinen Ernährungszustandes vorhanden sind. 
— Die auscultatorischen Zeichen, aus welchen auf das Bestehen 
eines Spitzenkatarrhs geschlossen werden kann, sind gewöhnlich im 
Anfänge wenig auffallend. Von einiger Bedeutung ist es schon, 
wenn man in der einen Lungenspitze das Vesiculärathmen rauh 
oder verschärft findet, während es in der anderen normale Ver¬ 
hältnisse zeigt; auch eine merkliche Verlängerung und Verschärfung 
des Exspirationsgeräusches ist verdächtig und ebenso ein schwaches 
Vesiculärathmen oder unbestimmtes Athmen: das letztere würde an 
sich noch keinen bestimmten Schluss zulassen; wenn es aber nur 
in der einen Lungenspitze gehört wird, während in der anderen 
normales Vesiculärathmen besteht, so zeigt es das Vorhandensein 
einer Abnormität an. Zuweilen hört man in den Lungenspitzen 
oder auch sonst am Thorax sogenanntes abgesetztes oder saccadirtes 
Athmen (Respiration saccadee), bei dem die im Uebrigen vesiculäre 
Inspiration in mehreren Absätzen erfolgt. Dieses Athemgeräusch ist 
früher oft, namentlich von französischen Aerzten, die bei der An¬ 
wendung der Percussion und Auscultation lange Zeit auf die Auf¬ 
findung pathognomonischer Zeichen ausgingen, welche ohne weitere 
Ueberlegung die Diagnose einer bestimmten Krankheit ermöglichen 
sollten, für ein sicheres Zeichen der Phthisis incipiens erklärt worden, 
und es lässt sich nicht läugnen, dass es bei solcher häufig gehört 
wird. Aber es kann auch unter vielerlei anderen Verhältnissen 
auftreten und beweist an sich nichts anderes, als dass die Inspirations¬ 
muskeln sich nicht ganz stetig und gleichmässig contrahiren; es ist 
dies hauptsächlich dann der Fall, wenn die Iuspirationsmuskeln 
schwach sind, was freilich bei beginnender Phthisis, aber auch bei 
vielen anderen Zuständen vorkommt. Endlich als sicheres Zeichen 
eines Katarrhs können kleinblasige Rasselgeräusche oder Rhonchi 
sibilantes vorhanden sein. Die Rasselgeräusche finden sich in 
manchen Fällen nur vereinzelt, werden vielleicht nur bei tiefer In¬ 
spiration oder nach einem Hustenstoss gehört und sind oft so leise, 
dass nur ein geübter und sorgfältiger Beobachter sie wahrnimmt. 
In weiter vorgeschrittenen Fällen können sie reichlicher sein und 
deutlich gehört werden, häufig bei der Inspiration, zuweilen auch 
bei der Exspiration. Für die Diagnose der Phthisis incipiens sind 
sie von uin so grösserer Bedeutung, wenn sie bei wiederholter Unter¬ 
suchung immer wieder in der gleichen Gegend sich nachweisen 
lassen. Wenn schon Verdichtungen der Lunge durch Infiltration 
vorhanden sind, können die Rasselgeräusche klingend werden, und 
es kann daneben Bronchialathmen gehört werden; auch kann Broncho- 
phonie vorhanden sein. Solche Fälle bilden dann schon den Ueber- 
gang zur Phthisis confirmata. Endlich kommen neben den klein¬ 
blasigen Rasselgeräuschen auch mittelblasige oder grossblasige zu 
Stande. 

Für die Diagnose der Phthisis incipiens kann in einzelnen 
Fällen die Untersuchung des Auswurfes auf Tuberkelbacillen von 
Bedeutung sein. Es kommt vor, dass solche schon gefunden wer¬ 
den zu einer Zeit, wenn die übrigen Symptome noch einen Zweifel 
übrig lassen, und ein solches positives Ergebniss giebt dann immer 
eine sichere Entscheidung. Aber es ist dies keineswegs die Regel. 
Selbst in Fällen, bei welchen nach dem übrigen Verhalten an dem 
Vorhandensein einer Phthisis incipiens nicht mehr zu zweifeln ist, 
kann es geschehen, dass lange Zeit gar kein Auswurf herausbefördert 
wird, oder dass derselbe keine Bacillen aufweist, weil noch kein 
Zerfall eingetreten ist. Immerhin wird, wenn während langer Zeit 
der Befund immer ein negativer ist, dadurch das Bestehen einer 
tuberculösen Phthisis immer weniger wahrscheinlich. 

Von geringerer Bedeutung für die Diagnose sind die ander¬ 
weitigen Störungen, welche bei dem Kranken sich einstellen. In 
der Mehrzahl der Fälle gehört ein gewisser Grad von Abmagerung 
und Blutarmuth zu den schon früh auftretenden Erscheinungen, 
und beim weiblichen Geschlecht wird die Phthisis incipiens nicht 
selten für Chlorose gehalten, namentlich wenn, wie es häufig der 
Fall ist, zugleich die Menstruation seltener oder spärlicher wird. 


Der Appetit und die Verdauung pflegt beeinträchtigt zu sein, und 
manche Kranke glauben nur an Dyspepsie zu leiden oder behaupten 
auch, ihr Husten gehe vom Magen aus. Die Herzaction zeigt sich 
oft leicht erregbar, so dass sowohl durch etwaiges abendliches 
Fieber als auch durch Anstrengungen und Aufregungen die Puls¬ 
frequenz mehr als normal gesteigert wird. Einzelne Kranke sind 
verstimmt, zu einer zu ungünstigen Beurtheilung ihres Zustandes 
und selbst zu hypochondrischen Vorstellungen geneigt, andere und 
vielleicht die meisten zeigen eher Neigung, die Krankheit leicht zn 
nehmen, und man hat Mühe, sie zu einer eingezogenen Lebensweise 
zu bestimmen und von Gesellschaften, Lustbarkeiten oder selbst 
Excessen zurückzuhalten. Manche Kranke haben keinerlei Schmerzen, 
bei anderen kommen Schmerzen vor an verschiedenen Stellen der 
Brust, die meist flüchtig sind und wohl für rheumatisch erklärt 
werden, die aber zeitweise auch an einzelnen Stellen und nament¬ 
lich in der unteren seitlichen Gegend des Thorax sich festsetzen 
und nicht selten von leichter trockener oder auch von exsudativer 
Pleuritis herrühren. Husten ist meist schon im Anfang der Krank¬ 
heit vorhanden, und auch bei solchen Kranken, welche auf Be¬ 
fragen zunächst in Abrede stellen, dass sie Husten haben, erfährt 
man bei genauerem Ausfragen von ihnen selbst oder von den An¬ 
gehörigen, dass ein vielleicht nicht quälender und darum nicht 
beachteter Husten oder ein gewohnheitsmässiges trockenes Hüsteln 
schon seit langer Zeit besteht. Das Fieber wird zuweilen von den 
Kranken selbst oder ihren Angehörigen bemerkt an der Neigung 
zum Frösteln, welche gegen Nachmittag, und der Hitze der Hand¬ 
teller oder der umschriebenen Röthe der Wangen, welche gegen 
Abend sich einstellt. Sicheren Aufschluss giebt nur das Thermo¬ 
meter. Das Fieber pflegt zeitweise aufzutreten und dann für längere 
Zeiträume wieder aufzuhören. Gewöhnlich ist die Temperatur am 
Morgen normal und nur am Abend etwas gesteigert. Bei einzelnen 
Kranken kommen schon früh Anschwellungen einzelner Lymph- 
drüsen in der Supraclaviculargegend vor. Bei Schwindsüchtigen 
findet man etwas häufiger als bei anderen Menschen auf der Brust 
oder auf dem Rücken die gelblichen oder gelbbräunlichen Flecke 
der Pityriasis versicolor, deren Ansiedelung möglicherweise durch 
das häufige Schwitzen begünstigt wird. 

2. Die Phthisis confirmata geht allmählich und ohne 
scharfe Grenzen aus der Phthisis incipiens hervor, indem im Laufe 
der Zeit die Erscheinungen der Percussion uud Auscultation so 
deutlich werden, dass eine Infiltration der Lungen leicht mit Sicher¬ 
heit erkannt werden kann. In der einen oder auch in beiden 
Lungenspitzen ist eine Abschwächung des Percussionsschalles deut¬ 
lich nachzuweisen, bei der Auscultation findet man Bronchialathmen 
oder auch mehr oder weniger reichliche kleinblasige oder gemischt- 
blasige Rasselgeräusche, die zuweilen klingenden Charakter haben 
und bald mehr feucht, bald trocken sind; es besteht mehr oder 
weniger starke Bronchophonie. Der Stimmfremitus ist meist ver¬ 
stärkt. Im weiteren Verlauf können auch schon Erscheinungen 
sich einstellen, welche auf das Vorhandensein von Cavernen schliessen 
lassen (s. u.) 

Der Husten ist häufiger, und es wird inehr Auswurf herausge¬ 
fördert, der eine schleimig-eiterige Beschaffenheit hat; später kommen 
darunter auch kugelige, zusammengeballte, fast rein eiterige Klumpen 
vor, deren Oberfläche höckerig oder leicht fetzig erscheint, die auf 
ebener Fläche zu annähernd kreisrunden Figuren sich ausbreiten 
(münzförmige Sputa) oder, wenn sie in Wasser entleert werden, 
darin zu Boden sinken, weil sie keine Luft enthalten (Sputa globosa 
fundum petentia). Diese Eigentbümlichkeiten lassen darauf schliessen. 
dass jene Klumpen an einer Stelle sich geballt haben, wo keine 
Luft durch dieselben hindurchstreicht; sie deuten deshalb auf das 
Vorhandensein von Cavernen hin. Häufig sind in dem Auswurfais 
Ueberbleibsel zerfallenen Lungengewebes elastische Fasern aufzu¬ 
finden. Dieselben zeichnen sich aus durch scharfe Contouren und 
geschwungenen Verlauf; wo sie mehrfach zusammen liegen, erinnern 
sie in ihrer Anordnung oft noch deutlich an einen Querschnitt 
durch die Lungenalveolen. Von Leinwand- oder Baumwollefäden, 
die zufällig in das Präparat gekommen sind, und ebenso von aut 
der Kante stehenden Pflasterepithelien aus der Mund- und Rachen¬ 
höhle sind sie leicht zu unterscheiden; etwas mehr Aufmerksamkeit 
erfordert die Unterscheidung von den zuweilen irn Auswurf sich 
findenden langen Fettkrystallen, die ebenfalls scharf contourirt und 
häufig etwas gebogen sind. Man findet die elastischen laseru 
zuweilen, wenn man aus dem Sputum die einzelnen mehr grauun 
undurchsichtig erscheinenden Partikel direkt unter das Mikroskop 
bringt Am sichersten werden sie gefunden, wenn man, wie ic 
es seit dem Jahre 1860 ausfuhre, grössere Mengen des Auswun 
mit reichlichem Zusatz von schwacher Natronlauge in einer, grosse 
Flasche schüttelt, nach dem Absetzen die obeustehende Flüssigkei 
abgiesst, noch einmal oder mehrmals schwache Natronlauge zuse 
und wieder schüttelt und endlich den in einem'Spitzglase sich a 
setzenden Bodensatz untersucht. Wo reichliche elastische rase 


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27. September. 

sich finden, da kann man mit Bestimmtheit auf ausgedehnten ne¬ 
krotischen Zerfall des Lungengewebes schliessen; wenn sie aber 
spärlich sind oder ganz fehlen, so ist daraus noch nicht ohne 
weiteres auf langsamen oder fehlenden Zerfall zu schliessen; denn 
die tuberculöse Zerstörung der Gewebe pflegt eine so vollständige 
zu sein, dass dabei selbst das elastische Gewebe, welches gegen 
chemische Reagentien so ausserordentlich widerstandsfähig ist, zum 
bei weitem grössten Theil bis zu Detritus aufgelöst wird, und immer 
nur verhältnissmässig wenige Fasern dieser Auflösung entgehen. — 
Im Auswurf sind ferner Tuberkelbacillen nachzuweisen. Dieselben 
sind gewöhnlich sehr reichlich vorhanden, so lange der Zerfall in 
schnellem Fortschreiten begriffen ist; sie können spärlich sein oder 
zeitweise ganz fehlen, wenn die Erweichung nur langsam weiter 
geht. Wenn die Bacillen im Auswurf anhaltend vermisst werden, 
so ist zu vermuthen, dass es sich entweder gar nicht um tuber¬ 
culöse Lungenschwindsucht handle, oder dass dieselbe zur Zeit 
vollständig zum Stillstand gekommen sei, und diese Vermuthung 
ist um so mehr berechtigt, je häufiger und während je längerer Zeit 
das negative Ergebniss sich findet. (Fortsetzung folgt.) 

n. Ueber resorbirbare antiseptische 
Tamponade. 

Von Prof. Dr. Gluck in Berlin. 

Auf dem Chirurgencongresse des Jahres 1881 referirte ich über 
Experimente, bei denen es mir gelang, Peritonealdefecte, welche durch 
Massenligatur nicht geschlossen werden konnten, in der Weise zu 
überbrucken, dass ich antiseptisches organisches Material (Catgut¬ 
platten, dänisches Leder) in die geschaffenen Defecte sorgfältig ein¬ 
nähte. 

Ich drückte mich damals folgendermaassen aus: „Die in den 
Peritonealdefect eingenähte Catgutplatte darf ein Aequivalent der 
Massenligatur genannt werden. Selbst wenn sehr bald die Re¬ 
sorption eingeleitet werden sollte, würde das implantirte Material 
einen resorbirbaren, antiseptischen Occlusivverband der Peritoneal¬ 
höhle für die Dauer der Wundheilung bilden.“ Schon damals ge¬ 
lang es mir, neben diesen Versuchen recht grosse Volumina ver¬ 
schiedenen desinficirten Materiales in die Abdominalhöhle von 
Thieren einzuheilen. 

In späteren Versuchsreihen unternahm ich es, nach Exstirpation 
von Organen, in specie Milzexstirpationen (bei Hunden), den ligirten 
Stiel, insonderheit vor Nachblutung durch einen antiseptischen 
Jodoformäthertarapon zu schützen. Nach der Exstirpation und 
Stielversorgung wurde der Tampon eingeschoben, durch eine Reihe 
von Nähten an die äussere Haut sorgsam fixirt und darüber ein 
Occlusivverband angelegt. Ich gab diesem Verfahren den Namen 
der iutraperitonealen Tamponade. Neben der Möglichkeit, den 
Tampon einzuheilen, erschien es mir als bemerkenswerthes Resultat, 
dass ich im Stande war, den Tampon aus den mittlerweile gebil¬ 
deten peritonealen Adhäsionen nach verschieden langer Zeit extra¬ 
peritoneal auszuschälen und die Thiere am Leben zu erhalten. 

Die Idee der intraperitonealen antiseptischen Tamponade ist 
gewiss eine durchaus berechtigte. Dieselbe ist von Herrn Prof. 
Küster bereits 1885 nach einer Laparom-Myomotomie zur Anwendung 
gebracht worden, und Prof. Mikulicz hat sie in einem Vortrage 
„Ueber die Ausschaltung todter Räume aus der Peritonealhöhle“ etc. 
im April 1886 angeregt und an klinischen erfolgreichen Beispielen 
erörtert. 

Meine Versuche datiren aus einer früheren Zeit, und ich konnte 
über dieselben, ausser in dem erwähnten Vortrage im April 1881, 
am 11. Mai 1886 der Gesellschaft für Heilkunde berichten. Mi¬ 
kulicz’ Erörterungen und erfolgreiche klinische Beweise für seine 
Methode wurden mir erst später bekannt. 

Dem antiseptischen Tampon vindicirte ich, ähnlich wie dies 
Mikulicz that, folgende Eigenschaften: vorzügliche Blutstillung, 
ausgezeichnete Drainage, sichere Antisepsis und endlich Veranlassung 
zur Bildung peritonealer Adhäsionen, welche die Wuudhöhle von 
der Peritonealhöhle abschliesst. 

Stellen wir uns beispielsweise die Exstirpation einer degene- 
rirten Milz vor bei Malaria oder lienaler Leukämie, so ist es ja 
bekannt, dass, während frische Verletzungen, z. B. traumatische Pro¬ 
lapse der Milz, falls nur die Antisepsis streng durchgeführt wird, 
eine glatte Heilung ermöglichen, die Exstirpation pathologischer 
Milzen mit wenigen Ausnahmen tödtlich verlief. 

Das ist wohl begreiflich; denn selbst wenn die Stiel Versorgung 
gelingt und von da aus eine Nachblutung nicht eintritt, werden 
die zahlreichen durchtrennten Adhäsionen des degenerirten Organes 
mit den Nachbarorganen und Rumpfwandungen zu Blutungen Ver¬ 
anlassung geben. 

Einmal würden in einem solchen Falle die peristaltischen Be¬ 
wegungen der Därme die Blutung unterhalten, ein Theil der Blu¬ 


tung würde aber auch nach Entferuuug des grossen Organes als 
Blutung ex vacuo aufzufassen sein. 

In der That sind es nun die Blutungen, welche das tödtliche 
Ende bei einer antiseptisch ausgeführten Exstirpation einer degene¬ 
rirten Milz veranlassen. 

Weder Compressivverbände, noch auch Massenligaturen können 
vor diesen tödtlichen Nachblutungen sicher schützen. Die intra¬ 
peritoneale antiseptische Tamponade würde diesen Zweck zu er¬ 
füllen im Stande sein; sie würde nebenbei die Bildung todter 
Räume mit zersetzungsfähigem Inhalte im Sinne von Mikulicz 
intra cavum peritonei unmöglich machen und somit für diese Fälle 
gewiss zu versuchen sein. 

Ein zufälliges Ereigniss veranlasste mich nun, die Versuche aufs Neue 
wieder aufzunchmen. Ich hatte bei einer 16jährigen Patientin in aus¬ 
gedehntester Weise Lymphomata colli exstirpirt. 8 Monate nach der Opera¬ 
tion stellte sich die Patientin wieder vor mit glatten Narben und einem 
kleinen Tumor im linken unteren Halsdreieck. Ich vermuthete ein Lymphom 
und exstirpirte zu meinem und meiner Herren Zuhörer nicht geringem 
Erstaunen einen gut abgekapselten, etwa wallnussgrossen SJulltampon, an 
welchem noch Jodoform in Krystallen zu sehen war und schon als solches durch 
den Geruch sich documentirte, ein Umstand, der für die gelegentlich ungemein 
langsame Resorption des Jodoform sprach und auch dadurch allein schon 
interessant war. 

Dieser klinische Befund drängte mir Deue praktische Gesichts¬ 
punkte für die Anwendung der Tamponade auf. Hatte ich das 
in Peritonealdefecte eingenähte organische Material in meinem 
Vortrage (April 1881) einen antiseptischen resorbirbaren Occlusiv¬ 
verband der Peritonealhöhle genannt, so kam mir jetzt der Gedanke, 
die temporäre antiseptische Tamponade, bei deren Anwendung, wie 
ich experimentell bewiesen, ein Jodoformäthertampon sogar intra¬ 
peritoneal einheilt und gelegentlich auch am Menschen, wie der 
oben Erwähnte Fall mir zeigte, ein ähnlicher Tampon reactionslos 
in Wundhöhlen einzuheilen vermag, wenn auch nicht zu ersetzen, 
so doch zu ergänzen und zu vertiefen durch die Einführung der 
definitiven resorbirbaren antiseptischen Tamponade. 

Zu diesem Zwecke dürften streng desinficirte und mit Jodo¬ 
formätheralkohol und Jodoforrapulver präparirte Schwämme, Catgut¬ 
knäuel oder Catgutplatten, endlich Seidenbündel mit oder ohne 
Catgut in verschiedener Form und Grösse zu verwenden sein. 

Der Name antiseptischer resorbirbarer Tampon im eigent¬ 
lichen Sinne des Wortes dürfte nur dem Catgut zukommen, und 
diesem in dieser Hinsicht besonders der Vorzug zu geben sein, falls 
es gelingt, diese Tampons absolut aseptisch zu gestalten und oben¬ 
drein zu desinficiren. 

Solche Tampons würden sich zur intraperitonealen Tamponade 
recht eignen, besonders dann, wenn die Blutstillung das wesentliche 
Moment bildet und es gelungen ist, das Operationsgebiet sicher zu 
desinficiren. 

Der resorbirbare Tampon wird abgekapselt, von Granulationsge¬ 
webe um- und durchwachsen und durch Bindegewebe allmählich sub- 
stituirt. Ich habe bei Thieren an den verschiedensten Körperregionen 
resorbirbareTampons von ganz enormen Volumen implantirt und diesel¬ 
ben sind reactionslos eingeheilt; ich habe den Thieren ausgedehnte Hals¬ 
wunden beigebracht, grosse und kleine Gefässe (V. jugularis com¬ 
munis) verletzt und querdurchschnitten, die Gefässe zum Theil nicht 
unterbunden, sondern mit Hülfe verabreichter Tampons die Blutung 
gestillt und darüber die äussere Wunde vereinigt; ähnlich wurde 
an anderen Körpergegenden verfahren, und ich konnte mich über¬ 
zeugen, wie vollkommen die resorbirbaren Tampons die Blutung 
stillten und wie reactionslos dieselben einheilten. 

Fand bei absichtlich nicht vollkommen, sondern nur locker aus¬ 
geführter Tamponade eine Nachblutung statt, so war dieselbe nicht 
erheblich, und das Blutcoagulum sowohl, wie die Catgutbündel, welche 
von demselben durchsetzt waren, bildeten eine verfilzte, aseptische und 
reizlose organische Masse, welch« in keiner Weise den Verlauf der 
Wundheilung störte und die Narbenbildung keinesfalls ungünstig beein¬ 
flusste. 

Diese vielfach variirten Versuche haben mir die Ueberzeugung auf¬ 
gedrängt, dass die resorbirbare Tamponade eine eingehende Erörte¬ 
rung verdiene, um auch klinisch gewürdigt und verwerthet zu werden. 

Nach einer Laparotomie in die Linea alba eingeschaltet, würde 
ein solcher längsgestalteter Tampon schon durch seine Anwesenheit 
reichliche Entwickelung von Bindegewebe — bei seiner allmählichen 
Substitution unter der Hautnarbe veranlassen und Entwickelung der 
Ventralhernien und der Hernien der Linea alba nach Laparotomie 
verhüten. 

Nach der Radicaioperation von Hernien würde man in der 
Lage sein, die Bruchpforte durch einen solchen entsprechend ge¬ 
stalteten Tampon zu obturiren, den Tampon in der Bruch pforte zu 
invaginiren, denselben durch tiefgreifende Nähte zu fixiren und dar¬ 
über erst dann die Czerny’sche Naht anzulegeu. Ein solcher eiu- 
geheilter resorbirbarer Tampon, au dessen Stelle auf dem Wege 
der Substitution eine derbe Bindcgewebsnarbe resulliren dürfte, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


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würde gewiss ein Recidiv nach der Radicaloperation der Hernien 
verhüten. Dieselbe Absicht wurde ja verfolgt bei der Einpfropfung 
des Netzes in den Leistencaual, wie ich sie ebenfalls bei Radical¬ 
operation von Epiplocele scrotalis einmal angeweudet habe. 

Aber diese Netzeinpfropfung kann peritoueale Reizung oder 
auch Veraulassung zu erneuter Incarceration geben, indem das ein¬ 
gepfropfte Netz mittelbar oder unmittelbar Darmschlingen abknickt 
oder abschnürt und die fäcale Circulatiou ganz oder theilweise be¬ 
hindert. Mit Recht ist daher vor dieser an sich rationellen Methode 
gewarnt worden. 

Dahingegen dürfte sich ein antiseptischer resorbirbarer Tampon 
zur Radicalcur der Hernien gewiss eignen. 

Haben wir bei sonstigen Operationen, um nur ein Beispiel zu 
wählen, Strumectomieen, grosse Höhlenwunden geschaffen, so besteht 
die Gefahr neben der Zersetzung und progredienter Phlegmone des 
Mediastinum anticum in einer Nachblutung, welche beispielsweise 
durch ein relativ geringes substernales Hämatom suffocatorischen 
Tod bei aseptischer Wunde veranlassen kann. Diesen beiden Ge¬ 
fahren steuert die antiseptische Tamponade. Entfernen wir jedoch 
den Tampon, dann kann immerhin trotz secundärer Naht und Com- 
pression von aussen eine Nachblutung resultiren. Es wäre schon 
aus diesem Grunde angenehm und wichtig, wenn die temporäre 
wiederholte antiseptische Tamponade in gewissen Fällen wenigstens 
durch die einmalige definitive resorbirbare Tamponade ersetzt werden 
resp. mit letzterer combinirt werden könnte. Es würde dann beim 
Verbandwechsel der oberflächliche Tampon entfernt und über dem 
tiefen resorbirbareu Tampon die secundäre Naht angelegt, falls nicht 
unmittelbar nach dem Eingriff die äussere Wunde über dem defini¬ 
tiven Tampon mit Suturen vereinigt werden dürfte. 

Haben wir eine Unterschenkelamputation mit vorderem Lappen 
ausgeführt, und droht dem herunterhängenden Lappen trotz schräger 
Absägung der Tibia die Gefahr der Nekrose, dann vermögen wir 
den Lappen mit einem resorbirbaren Tampon in zweckentsprechender 
und definitiver Weise zu unterfüttern und somit vor pruckgangrän 
zu bewahren. Ich brauche wohl nur auf die Gelenkoperationen und 
die Operationen bei Osteomyelitis hinzuweiseu, um neue Gebiete für 
die Anwendung der resorbirbaren Tamponade anzudeuten. 

Ich bin von Anfang an ein sehr eifriger Anhänger der anti¬ 
septischen Jodoformäthertamponade gewesen; ja ich habe sogar die 
Drainage mit Draiuröhren seit etwa vier Jahren völlig verlassen und 
drainire auch bei schweren Phlegmonen von ausgiebigen Incisionen 
aus nur mit Jodoformäthertampons und bin mit diesem Verfahren 
durchaus zufrieden. 

Zum Zwecke der Drainage würden die resorbirbareu Tampons 
in entsprechender Form und Länge sich natürlich ebenfalls ver¬ 
wenden lassen. 

Bei plastischen Operationen, um die durch die Lappenbildung 
entstandenen Defecte auszufüllen, würden sich die resorbirbaren 
Tampons eignen: In dieser Richtung ist ja bereits das Aufheilen 
desinficirter Schwämme auf granulirende Flächen (bei Geschwürs¬ 
flächen in Folge von Ulcera cruris varicosa) versucht worden. 

Die Behandlung gewisser bis jetzt chirurgisch schwer angreif¬ 
barer Aneurysmen dürfte durch die Einführung resorbirbarer Tam¬ 
pons ermöglicht und gefördert werden. Die Drainage mit resorbir- 
barem Material (Catgut) ist bereits von englischen Chirurgen em¬ 
pfohlen. Hall wachs, Rosenberger (Würzburg), Tillmanns 
(Leipzig) haben in verschiedener Absicht die Schicksale aseptischer 
Fremdkörper, todteu und lebendigen, in die Abdominalhöhle implan- 
tirten Materials studirt. 

Der so früh verstorbene Ha 11 wachs hat in Czerny’s Klinik 
zu Heidelberg auch angedeutet und hervorgehoben, dass wohl diesen 
Versuchen eine hervorragende praktische Dignität gebühre. 

Ich selbst habe mich seit fast 10 Jahren gerade mit Implan¬ 
tat ionsversuchen mit besonderer Vorliebe beschäftigt, und die Idee 
der resorbirbaren Tamponade ist eine der praktischen Consequeuzen, 
welche ich aus meinen mannichfach variirten Versuchsreihen ziehen 
zu können glaubte. 

Der resorbirbare Tampon ist ein ungemein weiches, elasti¬ 
sches, sich fest anschmiegendes Material. Imbibirt er sich mit 
Blut, so wird er die combi nirten Vorzüge der Sehe de’sehen Me¬ 
thode der Heilung unter dem feuchten Blutschorf und der resorbir¬ 
baren Tamponade in sich bergen. Fürchten wir nicht mehr das 
Blutcoagulum in einer aseptischen Wunde als zersetzungsfahiges 
Material, sondern sehen wir mit Schede mit Recht darin ein vor¬ 
treffliches indifferentes Gerüst und Kittsubstanz, so besitzen wir in der 
resorbirbaren Tamponade ausserdem noch einen Regulator der Blu¬ 
tung. Nach Schede soll ja aber die Wundhöhle sich mit Blut 
fülleu, und das Coagulum iu der,Wunde wird nicht als schädliches 
Moment, sondern ira Gegentheil als für die Wundheilung nützlich 
und wesentlich erachtet. — Der resorbirbare Tampon hält nun die 
Blutung in Schranken, oder macht sie unmöglich. 

Im ersteren Falle würden, wie gesagt, combinirte Vorzüge der 


Wundheilung unter dem feuchten Blutschorfe und der resorbirbaren 
Tamponade zu verzeichnen sein; im letzteren würde der resorbir¬ 
bare Tampon allein eine ähnliche Rolle wie das Blutcoagulum in 
der Wunde spielen, da er ebenfalls als aseptischer Fremdkörper 
substitutions- und organisationsfähig ist. Es würde mithin die 
Wundheilung unter dem feuchten Blutschorfe durch diejenige unter 
resorbirbarer Tamponade in gewissen Fällen zu ersetzen und letz¬ 
ter Methode noch der Vorzug der Blutersparniss, resp. des Ver- 
hinderns einer allzu starken Blutung einzuräumen sein. Würde bei 
der Sehe de’sehen Methode in dem einen Falle die Blutung excessiv 
werden, so kann sie in anderen Fällen für den angestrebten Zweck 
unzureichend sein, während man Grösse, Form und Gestalt des 
resorbirbaren antiseptischen Tampons den individuellen Indicationen. 
sowie den räumlichen Verhältnissen der Wunde resp. Wundhöhle 
völlig zu adaptiren vermag. 

Das Catgut und Seidenbündel, welches nach meinen nunmehr 
bestätigten und anerkannten Versuchen Muskel, Sehnen und Nerven- 
defecte zu überbrücken und auszugleichen befähigt ist, bedeutet 
genau genommen auch nichts anderes als ein resorbirbares, sub¬ 
stitutions- und organisationsfähiges Material, welches daher auch 
als indifferente Bau- oder Gerüstsubstanz, als Spalier, für die ver¬ 
schiedenen lebendigen, in Proliferation begriffenen Gewebe des 
Organismus, welche die Regeneration, die Wundheilung und Narben¬ 
bildung bedingen, anzusehen ist. 

Selbstverständlich erfüllt das implantirte Material bei der 
Sehnen- und Nervenplastik ganz andere Zwecke, als sie bei der 
resorbirbaren Tamponade angestrebt werden. 

Ich empfehle den Fachgenossen die resorbirbare Tamponade 
recht warm zu experimentellen, dann aber, nachdem sie sich von 
deren Anwendbarkeit überzeugt, zu klinischen Versuchen. Ueber 
die Indicationen kann ich mich nur im Allgemeinen äusseru, da 
ich eben ja nur eine von mir lange vorbereitete, wesentlich experi¬ 
mentelle und nur durch wenige klinische Fälle gestützte Studie zur 
Kenntnissnahme bringe und zur Nachprüfung empfehle. 

Sollten, wie ich überzeugt bin, die von mir vertretenen Gesichts¬ 
punkte eine Bestätigung erfahren, dann würde die von Schede 
empfohlene Heilung unter dem Blutschorf, combinirt mit der von 
mir anempfohlÄnen resorbirbaren Tamponade zur Anwendung ge¬ 
langen können. Die Interposition eines Fremdkörpers würde der 
Wundheilung ebensowenig schaden, wie das Blutcoagulum vou 
Schede, welch’ letzteres ebenfalls wesentlich ein caput mortuum 
darstellt. 

Nach Analogie der verlorenen oder versenkten resorbirbareu 
Nähte und Ligaturen würden wir nun verlorene oder versenkte, 
resorbirbare respective durch lebendes organisches Gewebe zu sub- 
stituirende Tampons besitzen und im individuellen Falle anzuwenden 
vermögen. 

Haben wir eine Höhlenwunde mit einem solchen Tampon aus¬ 
gefüllt respective unterfüttert, und die Haut bis auf den unteren 
Wundwinkel, aus welchem ein Ende des Tampons herausragt, ver¬ 
näht, dann vermögen wir beim Verbandwechsel aus dem Mangel 
stärkerer Secretion und irgend welcher Reizerscheinungen zu ent¬ 
scheiden, ob überhaupt und wieviel von dem Tampon aus dem un¬ 
teren Wundwinkel durch sanften Zug mit der Kornzange zu ent¬ 
fernen ist. Im günstigsten Falle überlassen wir jedoch den ein- 
geheilteu Tampon dem Substitutions- und Umbildungsprocesse 
innerhalb der vernarbenden Wunde. Ich betone nochmals, dass 
der resorbirbare Tampon als todter Fremdkörper ebensowenig reizt, 
wie das Blutcoagulum vou Schede. Ob man den Substitutions- 
process, der bei dem resorbirbaren Tampon ebensowohl wie bei 
dem Blutcoagulum sich abspielt, Organisation des Coagulums respec¬ 
tive Fremdkörpers nennen will oder nicht, ist theoretisch sehr 
wichtig, für die Beurtheilung der praktischen Verwendbarkeit der 
Methode jedoch belanglos. 

Welche Art von Wunden sich besonders zur Verwerthung 
resorbirbarer Tampons eignen dürften, wird die praktische Erfah¬ 
rung wohl am besten lehren. , 

Wenn ich oben die Anwendungsweise kurz skizzirt und auch 
gewisse Gesichtspunkte für die Application der resorbirbaren 
Tampons aufgestellt habe, so geschah dies nur, um meinen eigenen 
Standpunkt in dieser Frage, welche sich mir bei meinen Implantations¬ 
versuchen aufgeworfen hat, zu präcisiren. ., 

Ich halte die Frage der resorbirbaren Tamponade jedenfa > 
für wichtig genug, um von den Fachgenossen geprüft zu _ wer< v ’ 
und stelle daher als vollste Ueberzeugung die These „über 
Werth und die Anwendbarkeit der resorbirbaren Tamponade in ? 
Chirurgie“ zur Discussion. Zum Schluss will ich nicht unterlas^ 
nochmals hervorzuheben, dass es mir in letzter Zeit gelang, zu 
resorbirbare Tamponade auch in klinischen Fällen mit Erfolg 
verwerthen. 


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27. September. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 793 


UI. Beiträge zur Bauchchirurgie. 

Von Dr. G. Krieger, 

Erster Hausarzt am deutschen Hospital zu New-York. 

I. Ueber einen Fall von operativ geheiltem Milzabscess. 

Wenn schon in neuerer Zeit die Organe des Unterleibes wegen 
gewisser pathologischer Zustände häufig einer operativen Behand¬ 
lung unterworfen worden sind, so ist dieselbe auf die Erkrankungen 
der Milz, speciell auf die Abscesse derselben, doch erst so selten 
angewandt resp. bekannt geworden, dass der folgende Fall einer 
kurzen Mittheilung werth sein dürfte. 

Der 39jährige Schneider M. Huth kam mit der Diagnose: „Koprostase 
und circumscripte Peritonitis“ am 21. März d. J. auf die innere Abtheilung 
des hiesigen deutschen Hospitals. 

Anamnese: Nach längerem rheumatischem Leiden seit Mitte Juli 1887 
bis Mitte December 1887 bald geringerer, bald stärkerer Schmerz in der linken 
Regio epigastrica, zeitweise über das ganze Abdomen und hinauf bis zur 
linken Schulter ausstrahlend. Daneben stets Obstipation. Seit Mitte De¬ 
cember fühlte Patient unter dem linken Rippenbogen eine auf Druck 
schmerzhafte, allmählich wachsende Geschwulst. 

Stat. praes.: Magerer, kachektischer Mann, macht den Eindruck eines 
an Carcinoma ventriculi Leidenden. Erdfahle Gesichtsfarbe, aufgetriebener 
Leib, Druckschmerz in und unterhalb der linken Reg. epigastr. Respiration 
rein costal, Athmungsgeräusche normal, nur an der linken unteren Lungen¬ 
grenze von schwachem pleuritischem Reiben begleitet. Herztöne rein. 
Milzdämpfung erheblich vergrössert, in der Mammillarlinie von der sechsten 
Rippe bis 10 cm unter den Rippenbogen, von der Axillar- bis über die 
Medianlinie reichend und von der Leberdämpfung nicht genau zu trennen. 
Die ganze Partie sehr resistent, Fluctuation nirgends zu fühlen. 

Die Diagnose schwankte zwischen Leber- und Milztumor, event. Echino¬ 
coccus. Die besonders im Hinblick auf letztere Möglichkeit von dein 
Assistenzarzt Dr. H. König etwa in der Mitte des vorderen Därapfungs- 
bezirks mittelst Pravaz'scher Nadel vorgenommene Probepunction ergab 
circa 3 cm unter der Oberfläche eine blutig-seröse fade riechende Flüssig¬ 
keit, deren mikroskopisches Bild neben rothen und überaus reichlichen 
weissen Blutkörperchen einige Eiterzellen, Hämatoidinkrystalle und farblose 
länglich-spindelförmige, den Leyden-Charcot’schen Crystallen äusserst 
ähnliche, von Quain 1 ) und Delafield-Prudden 2 ) beschriebene octae- 
drische Crystalle, jedoch weder die gesuchten Hakenkränze noch C'holestearin- 
tafeln aufwies. Die grosse Menge weisser Blutkörperchen und das Vor¬ 
handensein jener Crystalle , die nach obigen Autoren sich sehr häufig in 
den Leichen Leukämischer finden, berechtigte zu der Annahme, dass wir 
es mit einem in der Milzsubstanz befindlichen, wahrscheinlich abgestorbenes 
Gewebe enthaltenden Hohlraum zu thun hätten. 

Trotzdem derselbe seinem Inhalte nach nicht eigentlich als Abscess 
aufgefasst werden konnte, hielt der derzeitige consultirende Chirurg Dr. 
Lange, auf dessen Abtheilung der Patient inzwischen transferirt wor¬ 
den war, doch die Eröffnung durch Incision für indicirt, die wir denn 
auch am 25. März Vornahmen, zumal Patient unter den Erscheinungen 
acuter Entzündung, Temperaturerhöhung, kleinem frequentem Pulse, rascher 
oberflächlicher Respiration immer mehr von Kräften kam. 

Nach möglichster Entleerung des Darms und der Blase wurde die 
vordere Dämpfungspartie desinficirt und derart mit Carboltüchem bedeckt, 
dass nur ein kleines viereckiges Operationsfeld frei blieb. Darauf Incision 
in der Mammillarlinie vom Rippenbogen an 12 cm nach abwärts und bis 
aufs Peritoneum. Nach dessen Durchtrennung zeigte sich die enorm ver- 
grösserte, mit dem Peritoneum vielfach verlöthete Milz und im oberen 
Winkel des Gesichtsfeldes eine bräunlich verfärbte fluctuirende Partie. 
Durch eine in diese geführte Aspirationsnadel wurde wieder die oben be¬ 
schriebene Flüssigkeit gewonnen und von letzterer sofort circa 150 g ent¬ 
fernt. Dann wurde innerhalb eines behufs Aufsaugung ringförmig um 
diese Stelle gelegten Schwammes die Höhle incidirt und die nicht einen 
Tropfen Blut enthaltende vordere Wand mit der Scheere abgetragen. 
Darunter lag nun ein circa faustgrosser Hohlraum, begrenzt von nekrobioti- 
schem Gewebe mit zum Theil schon vollständig abgestossenen graubraunen 
Fetzen. Nach Entfernung der letzteren wurde die Höhle in Seitenlage des 
Patienten unter gutem Abschluss gegen die Bauchhöhle mit Borsalicyl- 
lösung irrigirt, mit Jodoformgaze tamponirt und ohne Anlegung einer Naht 
in der gewöhnlichen Weise verbunden. In den folgenden Tagen fand 
ziemlich reiche Secretion jener rothbraunen, jetzt aber mit mehr Eiter ver¬ 
mischten Flüssigkeit statt, sodass der Verband täglich gewechselt werden 
musste. Die Temperatur ging bald auf die Norm zurück, und das Allge¬ 
meinbefinden besserte sich. Die Milzoberfläche legte sich fest an die 
Bauchdecken an und bildete mit den circa 6 cm weit klaffenden Wund¬ 
rändern schon nach fünf Tagen einen guten Abschluss gegen die Bauch¬ 
höhle. Die Höhlenwandung hatte noch vier Wochen lang ein schmutzig¬ 
graues Aussehen und war äusserst morsch und zerreisslich. Am 14. April, 
also am Ende der dritten Woche p. op., stiess sich ein fast taubeneigrosses 
Stück nekrotischen Gewebes ab. Mehrere kleinere von gleicher Beschaffen¬ 
heit, in denen mikroskopisch spärliche Reste von Milzgewebe, meist aber 
Detritus und wenige jener spindelförmigen Crystalle sich fanden, folgten 
später nach, und allmählich nahm die Auskleidung der ganzen Höhle eine 
mehr rothe Farbe an, es entwickelten sich gute Granulationen, und auch 
die äussere Wunde zog sich bis auf ein Viertel ihrer anfänglichen Grösse 
zusammen. 


*) R. Quain, Dictionary of medicine. 

*) Fr. Delafield und T. M. Prudden, Pathological Anatomy and 
Histology. 


Nach weiteren vier Wochen erlitt Patient aus der Stelle, woher die 
Blutprobe durch Punction entnommen war, eine nicht unerhebliche Blutung, 
überstand dieselbe jedoch gut und nahm bei stetiger Verkleinerung der 
Höhle so zu, dass er von der neunten Woche an ausser Bett zubringen 
konnte. Fieber hatte sich während der ganzen Zeit niemals eingestellt, der 
Appetit begann schon in der zweiten Woche sich zu heben, der Stuhlgang 
wurde normal, und Patient ist jetzt, Ende der elften Woche, nahezu völlig 
hergestellt. 

Betreffs der Aetiologie dieses Falles ist wie bei den drei bis¬ 
her beschriebenen operativ behandelten 1 ) die Ursache mit Sicher¬ 
heit nicht anzugeben. Den von Lauen stein angeführten als Für 
Milzabscesse ätiologisch wichtigen Krankheiten möchte Verfasser 
noch die Leukämie hinzufügen, bei der die Vergrösserung der Milz 
wie beim Typhus abdom. und recurrens wohl als prädisponirendes 
Moment nicht nur zu Abscedirungen, sondern hauptsächlich zu 
Hämorrhagieen in Folge der leichten Zerreisslichkeit des Gewebes 
gelten dürfte. So scheint auch im obigen Falle eine Hämorrhagie 
in die Milzsubstanz stattgefunden zu haben, wenigstens spricht da¬ 
für die noch gefundene Menge blutig-seröser Flüssigkeit, während 
die wandständige Nekrose wohl nur durch mangelnde Ernährung 
des betr. Gewebes zu erklären ist. 

Bei der Diagnose bot das Uebergehen der Milzdäinpfung iu die 
der Leber sowie, die den Leberaffectionen eigcnthümlichen, nach der 
Schulter hin ausstrahlenden Schmerzen einige Schwierigkeit, doch 
Hessen die — bei Abscedirungen intraperitoneal gelegener Organe 
wohl nie fehlenden — acuten Entzündungserscheinungen eine pyo¬ 
gene Ursache vermuthen, und das Resultat der Probepunction war 
wie gesagt für die Localisation maassgebend. 

In der operativen Behandlung dieses Falles wie der Milzabscesse 
überhaupt könnten dieselben Methoden wie bei derjenigen der Leber- 
abscesse in Frage kommen, also 1) die einfache Punction nach 
Sachs (Kairo), 2) die Semon’sche Doppelpunction, 3) das Little- 
sche Verfahren, 2 ) die direkt in die Leber durchgeführte eiuzeitige 
Incision, 4) die praeparando vorzunehmende Lindemann’sche, 
5) die v. Volkmann’sche zweizeitige Incision. Von diesen hält 
Verf. auf die*Milz nur die beiden letzten anwendbar, und zwar des¬ 
halb, weil das Gewebe der Milz viel mehr als das der Leber zu 
heftigen Blutungen und zum Zerfall geneigt ist, nach einer nicht 
antiseptischen Incision oder grösseren Punction (Sachs) also die 
Gefahr des Nachfliessens und Abstossens von nekrotischen Fetzen 
in die Bauchhöhle unbedingt mehr Vorsicht gebietet. Im obigen 
Falle war der wohl sicher infectiöse Herd von der Abdominalhöhle 
nur durch eine 8 mm starke Decke nekrotischen, überaus morschen 
Gewebes getrennt, das bei der geringsten Veranlassung den Austritt 
des Inhalts gestattet und dann zweifellos septische Peritonitis invol- 
virt hätte. Unter solchen und ähnlichen Verhältnissen ist es daher 
von Wichtigkeit, dem abgestossenen Gewebe ebenso wie dem flüssi¬ 
gen Inhalt, gleichviel welcher Beschaffenheit derselbe ist, einen Weg 
nach aussen zu schaffen, und dies geschieht am sichersten — wo 
nicht periculum in mora — durch die zweizeitige Incision. Doch 
lässt sich auch bei der einzeitigen durch Anwendung genügender 
Vorsichtsmaassregeln, als Verminderung der Spannung durch vor¬ 
herige Aspiration (Lauensteiu), Seitenlagerung des Pat. während 
der Eröffnung und genauer Aufsaugung des Inhalts, die Gefahr der 
Infection, wie obiger Fall beweist, umgehen. Statt der Incision 
wird, wenn Lagen von intactem Milzgewebe den Abscess bedecken, 
nach Lauenstein’s Vorgang der Thermokauter dem Messer vorzu¬ 
ziehen sein. Wegen der Möglichkeit einer grösseren Blutung hält 
Verf. die primäre Ausräumung der Höhle von noch adhäreuten 
Fetzen für gefährlich. Während der Operation verfallende Netz- 
partieen müssen, sobald der Abscess eröffnet ist, unbedingt resecirt 
werden, aber auch vor der Eröffnung ist die Reposition nicht rath- 
sam. ln der Wahl der Antiseptica gelten die für alle Laparotomieen 
bestehenden Grundsätze. Da endlich der Abschluss gegen die Bauch¬ 
höhle nach einzeitiger Eröffnung nie ganz sicher ist, selbst trotz der 
meist vorhandenen entzündlichen Adhäsiouen, so muss der Verband 
dementsprechend häufig controllirt werden. Zur Nachbehandlung 
ist eine breite elastische Leibbinde zu empfehlen. 

n. Ueber einen Fall von Cholecystectasie in Folge 
Carcinoma des Pankreas. 

Unter den mehr und mehr in das Gebiet der operativen 
Chirurgie hineingezogenen Krankheiten der Unterleibsorgane nehmen 
diejenigen der Leber und ihrer Adnexe eine hervorragende Stellung 
ein, nicht nur weil sie bei weitem am häufigsten auftreten, sondern 
auch weil in neuerer Zeit überraschend gute Resultate durch deren 
operative Behandlung erzielt worden sind. Wenn demgegenüber 
der folgende Fall auch nicht so günstig verlief, so ist derselbe doch 


’) P. Barbieri, s. Centralbl. f. Chir. 1876, No. 30. — A. S. Parze wski» 
s. Centralbl. f. Chir. 1884, No. 8. — C. Lauenstein, Deutsche med- 
Wochenschr. 1887, No. 51. 

2 ) s. Mabboux, Leberabscesse. Revue de chir. 1887, No. 5 u. 6. 


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DEUTSCHE MEDlClNlSCflE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


in casuistischer wie in therapeutischer Hinsicht von einigem In¬ 
teresse. 

Er betrifft die 46jährige verheiratheteWäscherin Sophie Tjarks, im hie¬ 
sigen deutschen Hospital aufgenommen am 9. März 1888. Anamnese: Pat., aus 
gesunder Familie, 21 Jahre, verheirathet, Mutter von 3 Kindern, war bis 
vor 4 Jahren stets gesund. Von da an Rheumatismus an Armen und 
Beinen, zeitweise mit so starkem Oedem, dass die prallgespannte Haut auf¬ 
brach. Seit einem Jahre öfters heftige Schmerzen in der Magengegend. 
Zuweilen Erbrechen nach der Mahlzeit. Letzteres wurde häufiger seit De- 
cember 1887. Gleichzeitig trat Icterus auf. In den letzten 4 Monaten folgte 
fast jeder Mahlzeit ein Brechanfall, so dass Pat. sehr herunterkam. Die an¬ 
fänglich harten, nachher mehr flüssigen Stuhlgänge waren während dieser 
Zeit grau, übelriechend. Schüttelfröste will Pat. nie gehabt haben, dagegen 
sollen die „Magenschmerzen“ manchmal einen kolikartigen Charakter ange¬ 
nommen haben. 

Stat. praes.: Magere, stark ikterische Frau. Wangen eingefallen, Ge¬ 
sichtsausdruck leidend. Lippen und Conjunctivalschleimhaut blass, leicht 
gelblich verfärbt. Zunge ziemlich trocken und belegt. Athmung beschwert. 
Links oben trockenes, kleinblasiges Rasseln, hinten unten Dämpfung und 
pleuritisches Reiben, rechts überall etwas verschärftes Athmungsgeräusch. 
Herztöne rein, Dämpfung nicht verbreitert. Puls klein, intermittirend, 
ca. 90 per Minute. Temp. 38,8. Abdomen stark aufgetrieben, unterhalb 
des Nabels Meteorismus. Leberdämpfung von der 6. Rippe bis 3 Finger 
breit unter den Rippenbogen und von der Axillar- bis über die Medianlinie 
reichend. Milzdämpfung ebenfalls vergrössert Im rechten Hypochondrium 
lebhafter Druckschmerz, der sich nach abwärts bis zur Inguinalgegend er¬ 
streckt. Unterhalb des Rippenbogens von der rechten Mainmillarlinie nach 
innen ist ein glatter prallgespannter Tumor zu palpiren, dessen Grenzen 
sich nicht genau bestimmen lassen. Die Palpation der Nieren in der Lum¬ 
balgegend ist schmerzfrei. Am Genitalapparat ist nichts Abnormes nachzu¬ 
weisen. Der Urin enthält wenig Eiweiss, viel Gallenpigmente. Mikroskopisch 
Cylinder und Epithelien. Die unteren Extremitäten sind schlaff, ödematös; 
an den Unterschenkeln starke Vuricen. Füsse geschwollen. 

Die Diagnose wurde gestellt auf Verschluss des Ductus choledochus 
durch Gallensteine oder einen Tumor. 

Da von einem exspectativen Verfahren keine Besserung zu erwarten 
war, wurde am 12. März d. J. zur Cholecystotomie geschritten. Nach mög¬ 
lichst genauer Umgrenzung des im rechten Hypochondrium fühlbaren Tumors 
wird der Mitte desselben entsprechend längst des Rippenbogens incidirt. 
Das Peritoneum ist geschwollen und mit den Bauchdecken leicht verklebt. 
Darunter zeigt sich die enorm vergrösserte Gallenblase. Bei der Digital¬ 
exploration der Nachbarorgane stösst der Finger hinter der Gallenblase auf 
einen höckerigen Tumor, der Lage nach dem Pankreas entsprechend. Die 
Gallenblase wird jetzt mit dem Peritoneum in einem handtellergrossen Be¬ 
zirke vernäht, und durch Punction etwa 1500 g sehr zäher, fast schwarzer 
Galle entleert. Darauf Incision in der Längsaxe der Gallenblase und in der 
Seitenlage der Patientin, Entleerung weiterer 600 g. Zuletzt war die Flüssig¬ 
keit stark blutig tingirt, so dass die sehr dilatirte Gallenblase, in welcher 
ein Fremdkörper nirgends zu finden war, sofort mit Jodoformgazetampons 
gefüllt werden musste. Zwischen diesen wurde ein starkes Drainrohr ein¬ 
gelegt und mit langem Abzugsschlauch versehen. Hierdurch entleerten sich 
in das am Ende desselben befindliche Gefäss nur wenige Tropfen, dagegen 
erforderte eine erhebliche Nachblutung bald einen Verbandwechsel, wobei 
grosse Mengen von Blutcoageln aus der Gallenblase entfernt wurden. Das¬ 
selbe geschah an den 3 folgenden Tagen. Pat. ist danach sehr erschöpft, 
geniesst wenig, klagt beständig über Durst und hat starken Foetor ex ore. 
Am 16. März, nach ziemlich ruhiger Nacht, wird Pat. sehr erregt, verfällt 
darauf in Coma und geht um 4 h. Nachmittags ad exitum. 

Sectionsbefund: Operationswunde frisch, ohne Belag. Naht der Gallen¬ 
blase mit dem Peritoneum intact. Das Peritoneum rechterseits mit Fibrin¬ 
faden überzogen. An den Intestinis viele kleine und grössere Ecchymosen, 
hier und da mit dem Peritoneum und untereinander Verklebungen. Geringe 
Menge Ascitesflüssigkeit im Abdomen. Bei Eröffnung der Pleurahöhle zeigt 
sich rechts Verwachsung der Pleurablätter, links ca. 200 g seröser Flüssig¬ 
keit. Die rechte Lunge ist collabirt, der untere Lappen ikterisch verfärbt 
und wenig lufthaltig. Die linke Lunge anämisch. Der Oberlappen emphy¬ 
sematos, der untere z. Th. mit der Pleura verwachsen. Pericard mit 
Schwarten bedeckt, an einer Stelle mit dem Herzen fast adhärent, enthält 
ca. 100 g Flüssigkeit. Herz etwas vergrössert, Muskulatur blass, Klappen 
normal. Die Leber ist stark ikterisch, der rechte Lappen um das Doppelte 
vergrössert. Der Ductus hepaticus und die Gallenblase sind sehr dilatirt, 
der Ductus choledochus dagegen sehr verengt und kaum für eine feine Sonde 
durchgängig. Das ihn umgebende Gewebe ist äusserst resistent und bildet 
eine mit dem Duodenum innig verwachsene faustgrosse Geschwulst, die sich 
als Carcinom des Pankreaskopfes erweist An der Mündung des Ductus 
choledochus befindet sich eine Verdickung, welche das Lumen des Ductus 
vollständig verlegt. In der ganzen Umgebung sind die Lymphdrüsen erheb¬ 
lich geschwollen und verhärtet. Der Magen und der übrige Theil des In- 
testinaltractus bietet nichts Abnormes. 

Es handelte sich somit um eiu den Kopf des Pankreas ein¬ 
nehmendes Carcinom, das sich bis auf den Ductus choledochus hin 
erstreckte und letzteren vollständig verschloss. Ehe dasselbe 
diagnosticirt werden konnte, wurde an das Vorhandensein von 
Gallensteinen, als der gewöhnlichen Ursache von Gallenblaseu- 
hydrops durch Verlegung des Ductus cysticus gedacht. Doch ergab 
weder die Digitaluutersuchuug der Gallenblase noch die Section 
einen Gallenstein. Diese Thatsache ist nun sowohl in klinisch¬ 
diagnostischer Beziehung als auch insofern von Bedeutung, als 
gerade das gleichzeitige Vorkommen von malignen Tumoren und 
Gallensteinen mehrfach betont worden ist (s. Klebs, Handbuch d. 


pathol. Anat., Bd. I, 1. Abth., p. 490; Frerichs, Klinik der 
Leberkrankh.; Pean, Tumoren des Unterleibes). Trotzdem habe 
ich beim Nachforschen in der einschlägigen Casuistik doch nur 
einen Fall gefunden, in dem die Coincidenz beider Krankheiten 
nachgewiesen wurde, beschrieben von Gross (A case of nephrec- 
tomy for medullary carcinoma and partial cholecystotomy for cal- 
culus in the same object. Medical News, June 9 1883). Hier wurde 
gelegentlich der Laparotomie behufs Entfernung des Nierencarcinoms 
in der erweiterten Gallenblase ein haselnussgrosser Stein entdeckt 
und durch Incision herausbefördert. Ein anderer Fall, mitgetheilt 
von Wetzel (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. XXI, p. 159) kann 
nicht hierhergehörig genannt werden, da neben den Gallensteinen 
ein maligner Tumor nur vermuthet, aber nicht nachgewiesen wurde. 
Die betreffende Patientin war wegen eines im Mesogastrium liegen¬ 
den beweglichen glatten Tumors laparöfomirt worden, worauf 
sich 360 Gallensteine in der prall gespauuten Blase fanden. Nach 
deren Entleerung und im übrigen ungestörtem Heilungsverlauf 
blieben aber die ziehenden Schmerzen wie früher bestehen, so dass 
„die von Trendelenburg geäusserte Ansicht, es müsse sich wohl 
um eine, unseren diagnostischen Hülfsmitteln nicht zugängliche maligne 
Neubildung in der Tiefe handeln“, sehr wahrscheinlich wurde. 
Patientin wurde indessen bald entlassen, und eine Section, als sie 
3 Monate später verstarb, nicht gemacht, wodurch jene Ansicht 
hätte bestätigt werden können. Wetzel hält die Annahme einer 
malignen Geschwulst schon durch die progressive Cachexie und die 
Verschiedenheit der Schmerzen gegenüber den vor der Operation 
bestehenden für begründet. 

Ausser diesen beiden Fällen wird mehrfach die Möglichkeit 
eines Carcinoms erwähnt, wo nachher durch die Operation nur 
Gallensteine constatirt wurden, so von L. Tait (Medico-chir. trans- 
actions Vol. LXII1), ferner in dem von Sims operirten Fall (Brit. 
med. Journ. 1878 Vol. I). Es muss hiernach erscheinen', dass die 
Coincidenz von Carcinom und Gallensteinen doch nicht so häufig 
vorkommt, vielmehr der beiden Krankheiten für sich zukommende 
Symptomencomplex öfters zu der irrigen Annahme ihrer Coincidenz 
geführt bat. 

Umgekehrt gegenüber den eben angeführten Fällen kann, wie 
der unserige zeigt, der vermuthete Gallenstein fehlen und statt 
dessen allein eine maligne Neubildung vorliegen. Der operative 
Eingriff, die eiu- resp. zweizeitige Cholecystotomie hat hier zunächst 
nur einen palliativen Werth, und der Versuch der Exstirpation er¬ 
schien einem Chirurgen wie Pean sogar unzulässig; dennoch fragt 
es sich, ob nach Langenbucli’s Vorgang die Gallenblasenexstir¬ 
pation nicht berechtigt und zu empfehlen wäre. Anders verhält es 
sich natürlich, wenn die Neubildung von den Nachbarorganen aus¬ 
geht oder sich auf dieselben soweit erstreckt, dass eine vollständige 
Entfernung nicht mehr möglich ist. In diesem Falle käme die 
Cholecystenterostomie in Frage, die bereits von Kappeier (s. 
Correspondenzblatt f. Schweizer Aerzte 1887 No. 17) mit Erfolg 
ausgeführt wurde. Hier lag, wie in unserm Falle, ein vor der Ope¬ 
ration nicht sicher diagnosticirbarer Pankreastumor vor, der den 
Choledochus comprimirte und so Gallenstauung veranlasste. Kap¬ 
pel er fixirte durch Nähte die nächstliegende Dünndarmschlinge an 
die Gallenblase, nachdem beide incidirt worden waren und schloss 
gleich nach deren Versenkung die Bauchhöhle. Der bestehende 
Ikterus verschwand bald, und Patientin genas. 

Somit hat Kappeier die Zulässigkeit der Operation erwiesen, 
und dürfte dieselbe wohl mit gleichem Rechte wie die Gasteroenteros- 
tomie bei nicht exstirpirbaren Tumoren dieser Gegend für indicirt 
gelten. 

UI. Ueber einen Fall von Blntnng in die Abdominalhöble 
nach Banchstich. 

Die Seltenheit einer Blutung von aussen in die Bauchhöhle und 
die Möglichkeit diagnostischer Irrthümer in solchem Falle veranlasst 
mich, den folgenden, an sich nicht ungewöhnlichen Fall zu ver¬ 
öffentlichen. 

Die 34jährige verheirathete Patientin wurde am 13. Februar d. J. in 
das hiesige deutsche Hospital aufgenommen. Aus der Anamnese ist zu er¬ 
wähnen, dass sie bis zum 20. Lebensjahre vollständig gesund gewesen, von 
da an viel über „unregelmässigen Herzschlag und Herzklopfen“ zu klagen 
gehabt habe. Ihre 4 Geburten verliefen normal, die letzte vor 3*/s Jahren. 
Ein halbes Jahr darauf bemerkte Pat. eine allmählich wachsende Anschwel¬ 
lung ihres Abdomens. Dieselbe verschwand während der 3 monatlichen Be¬ 
handlung in einem hiesigen Hospital. Ebenso ein bald nach der Entlassung 
entstandenes Recidiv. Ein Vierteljahr später führte eine abermalige An¬ 
schwellung die Pat. hierher. 

Die schmächtig gebaute Frau hat starke Dyspnoe, Cyanose des Gesichts 
und Ascites. Der Spitzenstoss befindet sieb unter dem Proc. xyphoid., ist 
sehr verstärkt und von präsystol. stark blasendem Geräusch begleitet Auch 
der Aortenton ist hauchend. Herzdämpfung erheblich verbreitert, nach rechts 
bis über den rechten Sternalrand, nach links bis zur Papillarlinie. Puls 
klein, frequent, unregelmässig. Lungenschall normal, links geringes crepi- 
tirendes Rasseln. Abdomen prall gespannt, fluctuirend, bis über die Sym¬ 
physe herabhängeud. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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27. September. 

Neben der iuneren Behandlung der bestehenden Klappenfehler wurde 
sofortige Punction des hochgradigen Ascites vorgenommen, und zwar ca. 10 cm 
rechts von der Linea alba und ebenso weit unter Nabelhöhe. Die anfangs 
rein seröse Flüssigkeit wurde während des Abfliessens immer blutiger, so 
dass nach Entfernung von ca. 6000 g die weitere Entleerung sistirt werden 
musste. Pat. war ziemlich erschöpft, erholte sich aber nach häufiger Gabe 
von Excitantien. Der Verband musste, weil schnell mit blutig-seröser 
Flüssigkeit durchtränkt, oft gewechselt werden. Am folgenden Tage deutete 
der immer kleiner werdende Puls, der Kräfte verfall, die blasse Farbe und 
die wieder eintretende Anschwellung des Abdomens auf eine innere Blutung, 
weswegen ich sofort die Laparotomie vornahm. Noch vor Eröffnung des 
Peritoneums zeigto sich in der Bauchwand eine kleine blutende Vene, deren 
Inhalt sich durch die Punctionsöffuung sowohl nach aussen als in die Ab¬ 
dominalhöhle ergoss, ln letzterer fanden sich denn auch ca. 600 g Blut- 
coagula und noch flüssiges dunkles Blut vor, nach dessen schneller Ent¬ 
fernung die Bauchhöhle sofort wieder geschlossen wurde. 

Pat. überstand die im Ganzen 20 Min. dauernde Operation gut, blieb 
fieberfrei, bekam jedoch trotz Stimulantien keinen besseren Puls und ging 
am 5. Tage unter den Erscheinungen des Shoks zu Grunde. Die Section 
wurde nur in soweit gestattet, als man durch Eröffnung der Laparotomie¬ 
wunde kommen konnte. Peritonitis war nicht vorhanden. Die Intestina 
hatten normales Aussehen, nur hier und da fanden sich kleine Blutcoagula 
und ca. 300 g blutig-seröser Flüssigkeit. 

Der Fall dürfte nun insofern von Interesse sein, als derselbe 
leicht zu der Diagnose entweder auf innere Verletzung durch den 
Trokar oder auf intraabdominelle Blutung in Folge der Druckherab- 
setzung führen konnte, jedenfalls eher als zu der Annahme, dass 
die Ruptur einer kleinen Hautvene eine so erhebliche Blutung ver¬ 
anlasst hätte. Ferner glaube ich, der möglichst frühzeitigen Explo¬ 
rationslaparotomie in derart zweifelhaften Fällen das Wort reden zu 
müssen, an die wohl passend, noch bevor Anzeichen des Shoks 
eintreten, nach grösserem Blutverlust Kochsalzinfusionen anzuschliessen 
wären. Ob freilich in Fällen mit so ausgesprochenen Klappenfehlern, 
wie in dem unsrigen, ein günstiger Ausgang erreicht wird, muss 
dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber ist, sobald eine innere Blutung 
anzunehmen, gleichwohl woher sie komme, deren Quelle aufzusuchen, 
worauf auch Edler in seiner recht eingehenden Arbeit über trau¬ 
matische Veiletzungen parenchymatöser Unterleibsorgane (Archiv f. 
klin. Ohir. Bd. XXXIV) hindeutet. 

IV. Ueber Laparotomie bei Tubengravidität, 
besonders nach Ruptur des Fruchtsackes. 

Von Dr. Carl Hollstein, prakt. Arzt in Berlin. 

Die abgekapselten Blutgeschwülste in der Bauchhöhle, die 
früher fast ausschliesslich exspectativ behandelt wurden, sind in 
neuester Zeit Gegenstand mehrfacher Discussion in Bezug auf ihre 
Behandlung geworden. Bekanntlich trennt man im Allgemeinen 
die Blutergüsse, welche in die freie Bauchhöhle erfolgen, ziemlich 
streng von den abgekapselten, wenn es auch nicht zweifelhaft sein 
kann, dass die letzteren aus ersteren hervorgehen können. Diese 
Abkapselung erfolgt besonders häufig bei denjenigen freien Blu¬ 
tungen in die Bauchhöhle, welche der Ruptur einer tubaren Gra¬ 
vidität ihre Entstehung verdankeu, und repräsentirt zugleich den 
günstigsten Ausgang der Tubengravidität, falls nicht etwa vorher 
spontan durch den Fruchttod oder operativ durch die Tubenexstir¬ 
pation mit dem Fruchtsack dem Eintritt der Ruptur rechtzeitig 
vorgebeugt wurde. Da die Behandlung der Tubenschwangerschaft 
in neuerer Zeit mehrfach erörtert, und in mancher Beziehung noch 
keine definitive Uebereinstimmung erzielt worden ist, so möchte 
ich vorerst hier näher auf dieselbe eingehen. Die Zahl der bisher 
beobachteten Eileiterschwangerschaften ist immer noch eine verbält- 
nissmässig zu geringe, als dass daraus statistisch resultirte, welches 
Verfahren im concreten Fall die günstigsten Chancen bietet. Der 
Grund für die kleine Statistik liegt aber nicht etwa darin, dass 
Tubenschwangerschaften selten Vorkommen, sondern dass sie in der 
Mehrzahl der Fälle nicht diagnosticirt werden oder vielmehr nicht 
mit Sicherheit diagnosticirt werden können. 

Mit diesem letzteren Zusatz gebe ich in gewissem Sinne der 
von Wyder betonten diagnostischen Schwierigkeit vollkommen 
Recht, aber nur für bestimmte Fälle. Die Regel muss doch bleiben, 
dass man Tubenschwangerschaften diagnosticiren kann. Jedenfalls 
muss man sich bemühen, hierzu zu gelangen, uud das wird man 
um so leichter, je mehr man priucipiell von der Möglichkeit ihrer 
Diagnose überzeugt ist. 

Man hat nun für die Behandlung geuau zu unterscheiden, ob 
der Tubensack noch intact, oder ob bereits Ruptur einge¬ 
treten ist. 

Im ersteren Falle bei intactem Tubentumor, handelt es sich 
wesentlich um die Frage, ob die Frucht noch als lebend anzu- 
nehraen oder ob sie schon abgestorben ist. Für den Fall, dass die 
Tubenschwangerschaft rechtzeitig diagnosticirt und die Frucht noch 
am Leben ist, wies zuerst J. Veit 1 ) auf die Nothwendigkeit früh. 

*) J. Veit. Die Eileiterschwangerschaft. F. Enke, 1884. 


zeitiger Laparotomie hin; ebenso kann es nach den Mittheilungen 
von Lawson Tait, an die sich neuerdings die Arbeiten von 
Wyder, Werth 1 ) und Frommei schlossen, keinem Zweifel unter¬ 
liegen, dass der principielle Vorschlag, • der Entwickelung einer 
Tubengravidität durch die Exstirpation derselben Einhalt zu thun, 
als richtig anerkannt ist. Die sonstigen Behandlungsmethoden 
können wohl als abgethan angesehen werden. Die Operation hin¬ 
gegen bietet in diesen Fällen meist Ireine Schwierigkeiten und 
sichert die Schwangere jedenfalls vor allen späteren Eventualitäten, 
deren Ausgänge sich doch mit Sicherheit nicht Vorhersagen lassen. 
Fälle der Art sind jetzt auch bereits hinreichend veröffentlicht. 

Ist hingegen bei intactem Tubentumor der Fruchttod einge¬ 
treten, so kann man von jeder activeu Therapie Abstand nehmen, 
da die Erfahrung lehrt, dass in den meisten Fällen durch allmäh¬ 
liche Resorption des Eies Genesung sicher zu hoffen ist. 

Allerdings kann die differentielle Diagnose, ob die Frucht 
lebend oder todt ist, unter Umständen sehr schwer sein; inan thut 
im zweifelhaften Falle besser, die Laparotomie zn machen. Denn 
ein aseptischer Bauchschnitt bringt der Frau weniger Gefahr, als 
die Möglichkeit der Ruptur, falls die Frucht doch zur Zeit etwa 
noch lebend wäre. — Denselben Standpunkt sollte man überhaupt 
auch in allen den Fällen einnehmen, in denen die Diagnose der 
Tubengravidität sehr wahrscheinlich, aber nicht absolut sicher ist. 

Weit schwieriger als bei intactem Tubentumor liegen aber die 
Verhältnisse nach Berstung des Fruchtsacks. Diese sind nun aber 
gerade die für den Arzt wichtigsten Fälle, bei welchen seine Hülfe 
bei weitem öfter als bei intactem Tubensack requirirt wird, und er 
keine Zeit hat, länger zu überlegen, welche Therapie die richtige ist. 

Unter den Ausgängen der Tubengravidität nach diesem immer 
sehr gefährlichen Ereignisse der Ruptur ist der gefiirchtetste die 
Blutung in die Bauchhöhle, die zum Tode führt. Dieser Ausgang, 
den man früher als den einzigen ausah, ist in neuerer Zeit als der 
keineswegs regelmässige erkannt worden. Zuerst ist von Gallard 
und nach ihm vielfach betont worden, dass die Blutung sich ab¬ 
kapseln resp. stehen kann. Dann haben wir das Bild der 
Haematocele. Diese Anschauung, welche seit der Arbeit Gallard’s 
sich immer mehr Bahn gebrochen hat, muss auf Grund der ana¬ 
tomischen Untersuchungen von Werth eine gewisse Einschränkung 
erfahren durch die weiteren Ausgänge, die meistens nur kurz er¬ 
wähnt werden, aber häufig Vorkommen und übrigens das klinische 
Bild des Haematom Vortäuschen können. Es wird immerhin Vor¬ 
kommen können, dass eine Ruptur der Tubeuschwangerschaft 
zwischen die Platten des Lig. latum erfolgt, oder dass die an sich 
intraligamentäre Entwickelung einer Tubenschwangerschaft, die nach 
diesem Autor relativ häufig vorkommt, auch das Bild eines ab¬ 
gekapselten Blutergusses, der intraperitoneal zu liegen scheint, Vor¬ 
täuschen kann, wenn das Ei abstirbt; aber eine wesentliche Be¬ 
einträchtigung erfährt die gewöhnlich angenommene Entstehung der 
Haematocele aus einer Tubengravidität deshalb noch nicht. Es 
bleiben immer noch häufig genug Fälle übrig, in denen der freie 
Bluterguss sich abkapselt, oder in denen er überhaupt niemals 
frei erfolgte, sondern zwischen Adhäsionen stattfand. Es ist im 
Allgemeinen angenommen, dass es bei einer Blutung, die frei in 
die Bauchhöhle erfolgt, durch Abkapselung nach oben zur Haematocele 
kommt. Ob dies wirklich vorkommt, wird allerdings mehrfach be¬ 
stritten, und man kann sich ganz gut vorstellen, dass präexistireude 
Adhäsionen den Sack abkapseln. Bei letzterer Annahme wird man eine 
anatomische Grundlage für die verschiedenen Ausgänge finden 
können. Im Einzelnen auf den Mechanismus dieser Abkapse¬ 
lung einzugehen, ist hier nicht der Ort. Ich möchte aber nur 
betonen, dass der freie intraperitoneale Bluterguss sich in eine 
Haematocele umwandeln kann. Jedenfalls sind fast alle die 
Fälle von Ruptur nach Tubeugravidität, wo es zur Bildung 
einer Haematocele resp. eines Haematoms kommt, prognostisch 
recht günstig und glücklicherweise auch sehr häufig. Hier¬ 
bei ist ein rein exspectatives Verhalten anzurathen, und tritt 
später durch Resorption des abgekapselten Blutergusses meist voll¬ 
ständige Heilung ein. Eventuell kann hier bei sich verzögernden 
Fällen mit Vortheil die Incision von der Vagina aus versucht werden, 
wie dies Gusserow und Zweifel 2 ) vorgeschlageu haben. 

Tritt keine Hämatocelenbildung ein, so bleibt bei den Fällen 
von acuter, nicht augenblicklich tödtlicher Verblutung nichts übrig, 
als zuerst abzuwarten, ob die Blutung durch Ruhe, Eis, Compression 
mittelst Sandsack und schliesslich durch das Sinken der Herzkraft 
selbst steht. Als ultimnm refugium bleibt die Laparotomie; doch 
wird die Eruirung dieser Frage selten nöthig, da die Blutung glück¬ 
licherweise in den meisten, wenn auch nicht in allen Fällen unter 
der eben angegebenen Behandlung steht. 


') 0. Werth, Beiträge zur Anatomie und zur operativen Behandlung 
der Extrauterinschwangerschaft. Stuttgart, F. Enke, 1887. 

2 ) Archiv für Gynäkologie. Bd. XXII. Heft 2. 


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796 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Wann im concreten Fall operirt werden soll, ist sicherlich oft 
eine recht schwer zu beantwortende Frage. Während J. Veit wegen 
der grossen Gefahr der Operation in diesen Fällen die Laparotomie 
nur unter Indicatio vitalis fnr angebracht hielt, sucht jetzt Frommel 
im Anschluss an einen durch Operation geretteten Fall sofortiges 
Operiren als leitendes Princip für alle diese Fälle einzuführen. Er 
hält Veit’s Bedenken für übertriebene Aengstlichkeit, während die¬ 
selben sich doch vorzugsweise auf die bisherigen traurigen Resultate 
der Operation gründeten. Es handelt sich nur um die Frage, soll 
man ab warten oder operiren? Keines von beiden ist unter 
allen Umständen richtig. Wenn eine Patientin ohne Operation 
spontan durchkommt, so ist sie besser daran, trotzdem die Hämato- 
cele, wie Zweifel übrigens mit Recht hervorhebt, noch nachträg¬ 
lich zum Tode führen kann; meist wird man auch hier noch helfen 
können. Die sofortige Operation ist, wie auch in dem von Froramel 1 ) 
operirten Falle unbedingt zugegeben werden muss, indicirt, wenn 
die Zeichen der Anämie nicht abnehmen, sondern zunehmen. Als 
Princip kann aber für alle Fälle von Blutungen nach Ruptur das 
Operiren nicht zugegeben werden. So lange der Operateur noch 
Aussicht hat, eine Patientin ohne Operation durchzubringen, ist es 
meiner Ansicht nach kein Zeichen von Aengstlichkeit, wenn er vor¬ 
läufig mit der Operation wartet, hingegen dauernd einen Arzt am 
Bette der Kranken hält und Alles zur Laparotomie vorbereitet, um, 
wenn das exspectative Verfahren die Aussicht auf Erfolg verliert, 
sofort zu operiren. 

Wenn man aber stets bei jeder Ruptur operirt, so thut man 
jedenfalls gut, der Umgebung die Sachlage klar zu machen, weil 
man es doch einmal erleben kann, dass die Patientin, trotzdem 
man die Operation für nöthig erklärt, dieselbe verweigert und doch 
durch kommt. 

Operirt man aber nur nach den oben erwähnten Grundsätzen, 
so hat der Operateur wenigstens nachher das Bewusstsein, weder 
durch unnöthiges, noch durch versäumtes Operiren den eventuellen 
Tod der Frau verschuldet zn haben. Grundsatz muss allerdings bei 
allen Fällen bleiben, dass ohne Laparotomie eigentlich keine Patientin 
hierbei sterben darf. 

Es giebt übrigens auch Fälle, wo sich die Verblutung in die 
Bauchhöhle nach Ruptur des Fruchtsackes recht langsam vollzieht, 
oder wo selbst nach Bildung einer Hämatocele es wieder anfängt 
weiter zu bluten. 

Was soll hier der Arzt thun, wenn der von der Scheide aus 
zu fühlende weiche Tumor, welcher das in die Bauchhöhle ergossene 
Blut repräsentirt, von Tag zu Tag grösser wird, und die Patientin 
wachsbleich, ohne Puls, moribund daliegt? In solchem Falle lässt 
das in stetiger Progression zunehmende Blut in der Bauchhöhle, so¬ 
wie der ebenso stetig progressiv abnehmende Puls über den sicheren 
Ausgang keinen Zweifel. Zeit zum Handeln ist genügend vorhanden, 
da die Verblutung sich über Tage hinziehen kann. Soll der Arzt 
nun müssig den Verlauf mit ansehen? 

Das Bestreben, in den letzten Fällen, ebenso wie bei der ersten 
Ruptur nach Ausführung des Bauchschnittes die blutende Stelle zu 
unterbinden, scheint auf den ersten Blick vollständig gerechtfertigt. 

Die bisher von den Gynäkologen geübte Behandlung hat trotz¬ 
dem die Ausführung der Laparotomie principiell verworfen. 

Erstens hoffte man mit Recht, auch ohne dieselbe in manchen 
Fällen auf Rettung. Zweitens hielt man sie für zu gefährlich und 
noch dazu für nutzlos. 

Als Grund dafür ist so Manches geltend gemacht worden. 
Erstens die ungünstigen Umstände und die Störung der Operation 
durch Andauer der Blutung. Dies betonte J. Veit schon 1878, 2 ) 
wo er einen Todesfall nach Laparotomie veröffentlichte, und wies 
dann später in seiner Arbeit über „die Eileiterschwangerschaft“ 3 ) 
noch besonders hin auf die Schwierigkeiten des Transports solcher 
Patientinnen aus ihrer Wohnung in einen aseptischen Saal und da¬ 
her auch auf die Schwierigkeit der Asepsis in solchen Fällen über¬ 
haupt. Veit wollte daher zur Zeit die Laparotomie nur auf die 
verzweifeltsten Fälle dieser Art beschränkt wissen und erklärte die 
Operation nach Ruptur und Blutung in die Bauchhöhle für eminent 
gefährlich. 

Auch Schröder führt in seinem Lehrbuch unter Anderem 
gegen die Laparotomie an, dass man dabei das ergossene Blut ent¬ 
fernt, welches bei exspectativem Verfahren sonst doch resorbirt wird. 
Doch hält er als ultimum refugium einen Versuch durch den Bauch¬ 
schnitt für gerechtfertigt. 

Auch Litzmann 4 ) räth ab, bei Zerreissung des Fruchtsackes, 


*) Münch, med. Wochenschr. 1887, No. 17. 

'■*) J. Veit, Zur Therapie der Tubenschwangerschaft. Deutsche Zeit¬ 
schrift für prakt Medicin No. 49. 

^ J. Veit, Die Eileiterschwangerschaft; ein Beitrag zur Pathologie 
und Therapie derselben. Stuttgart, F. Enke, 1884. 

*) Archiv für Gynäkologie Bd. XVI p. 3. 


No. 39 


erwiesem Tode des Kindes und drohenden Erscheinungen seitens 
der Mutter die Laparotomie zu machen, da sie nutzlos sei. 

Wenn wir nun so auf der einen Seite vor der Operation 
warnende Stimmen hören, so werden andererseits in der Literatur 
auch mannigfache Todesfälle ohne Operation durch Ruptur berichtet. 
So theilt Barnes 1 ) einen Fall mit von Verblutung an Ruptur einer 
Tubengravidität in der 8. Schwangerschaftswoche. 

Hayes 2 ) erlebte einen Fall von Ruptur und Tod einige Tage 
später. 

Bang 3 ) fand bei der Section eine Tubenschwangerschaft mit 
Ruptur und Blutung, an die sich diffuse Peritonitis angeschlossen 
hatte. 

Langerhaus und Conrad 4 ) beobachteten einen durch Ruptur 
tödtlichen Fall im 2 . Monat. Ich unterlasse, hier weiter auf die 
Erfahrungen einzugehen, welche die verschiedenen Autoren mit und 
ohne Operation gemacht haben und verweise in dieser Beziehung 
auf einen im ärztlichen Verein zu München in diesem Jahre von 
Dr. Carl Sander gehaltenen Vortrag, 5 ) worin die Literatur in er¬ 
schöpfendster Weise angegeben und zugleich ein dem hier unten 
veröffentlichten sehr ähnlicher von Frommei operirter Fall mit 
Ausgang in Genesung mitgetheilt wird. 

Resümire ich das Erwähnte, so sind also bisher die Aussichten, 
sowohl ohne als auch mit Operation wenig tröstliche gewesen, bis 
Lawson Tait 6 ) im Jahre 1884 fünf Fälle von Tubenschwanger¬ 
schaft berichtete, in denen er nach Eintritt der Ruptur 4 Kranke 
durch die Laparotomie rettete. Er fand dabei drei Mal nur Ei- 
theile, während der Fötus wohl ohne Nachtheil im Abdomen zu¬ 
rückblieb. 

Diesen 4 glücklich operirten Fällen folgten im Jahre 1885 drei 
neue, die im Brit. med. Journ. 7 ) berichtet wurden. 

Daher ist es von Interesse, einen neuen derartigen, immerhin 
sehr seltenen Fall mit Ausgang in vollkommene Genesung zu ver¬ 
öffentlichen. 

Es gehört der nunmehr folgende Fall in die letzte Kategorie 
der oben gemachten Eintheilung: also zu der nach Ruptur und 
Bildung einer Haematocele nachträglich erfolgenden langsamen Ver¬ 
blutung in die Bauchhöhle. Hier, wo bei dem sicher drohenden 
Exitus ein Eingriff dringend indicirt erschien, hielten wir es für 
richtig, obgleich man sich früher so energisch gegen die Operation 
in solchen Fällen ausgesprochen, nunmehr die Laparotomie zn ver¬ 
suchen. 

Da dieser Versuch die Patientin vom sicheren unvermeidlichen 
Verblutungstode rettete und sie zur vollständigen Genesung führte, 
so wird es wohl von einem gewissen Interesse sein, denselben aus¬ 
führlich mitzutheilen. 

Die unverehelichte 0. S., 37 Jahre alt, ist stets etwas bleichsüchtig 
gewesen. Die Menstruation bekam sie zuerst im 14. Lebensjahre und dann 
stets regelmässig weiter, aber mit Schnurzen verbunden. Vor 4 Jahren 
wurde sie von einem Mädchen entbunden, welches nach 4 Wochen starb. 
Im Wochenbett erkrankte sie an Puerperalfieber, von dem sie nach 5 
Wochen wieder hergestellt wurde. Ein Jahr später wurde sie im städtischen 
Krankenhause zu Moabit an einer entzündlichen Affection des Unterleibes 
behandelt. 

Seitdem war sie vollständig gesund und regelmässig menstruirt bis 
zum November 1886, wo die Menses ausblieben. Es stellte sich Uebelkeit 
und Appetitlosigkeit ein. Als auch im December die Menses nicht wieder¬ 
kehrten, und sich Schmerzen im Unterleib sowie Kreuzschmerzen hinzu¬ 
gesellten, suchte Patientin am 13. December 1886 die Poliklinik auf. 

Die Untersuchung der mageren und anämischen Patientin ergiebt fol¬ 
genden Befund: 

Uterus vergrössert, weich, retroflectirt mit Adhäsionen in der Um¬ 
gebung. Beide Tuben verdickt, besonders die rechte, welche daumendick 
sich im Bogen an einen rechts neben und etwas hinter dem Uterus lie¬ 
genden kleinen apfelgrossen Tumor anschliesst. Links hinten ein etwas 
kleinerer ovaler elastischer Tumor. 

Die Untersuchung in Narkose ergiebt, dass der linke Tumor das yer- 
grösserte Ovarium ist, an welches herangehend man die verdickten Ligf 
ovarii fühlt. 

Für den rechten Tumor musste die Deutung als Tubentumor mH 
grösster Wahrscheinlichkeit gestellt werden. 


*) Barnes, Two Experiments illustrating two forms or causes of intra- 
pelvic blood-effusions. Obst. Transact. XX. 

*) Hayes, Uterus and its appendixes enveloped in a large amoun 
of blood-clot and false membrane. Obst. Trans. XX. 

3 ) Bang, To Tilfaelde of Tubarsvangerskab. Gynaek. og obstet. Meddelei-er 
udg. af F. Howitz. Bd. 1. Heft 2 p. 84. 

4 ) Archiv für Gynäkologie IX, 3. 

5 ) Carl Sander, Ueber Eileiterschwangerschaft und deren Therapie 
in den ersten Monaten, mit Mittheilung eines Falles von Ruptur, . x ^ tir 
pation des Fruchtsackes mit Ausgang in Genesung. Münchener Med. \N och» n 
Schrift 1887 No. 17. 

e ) Lawson Tait, Five cases of extrauterine preguancy operatea upon 
at the time of rupture. Brit med. Journal 1884 Juni 21. . 

7 ) Lawson Tait, Notes on three cases of tubal pregnancy successni 
operated upon at the period of rupture. Brit. med. Journal 1885 April • 


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27. S-eptember. DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT 79? 


Mit Rücksicht auf die Anamnese musste jedenfalls die Möglichkeit im 
Auge behalten werden, dass eine rechtsseitige Tubengravidität in der Mitte 
des dritten Monats vorlag und wurde dann als eine in der Rückbildung 
befindliche angenommen, weil der Tumor sehr hart war. 

Es wurde daher vorläufig weiter beobachtet, und blieb der Zustand 
bis Neujahr im Wesentlichen unverändert. Insbesondere wuchs der Tumor 
nicht, nahm vielmehr an Härte zu, so dass mit immer grösserer Sicherheit 
die Diagnose auf abgestorbene Tubenschwangerschaft gestellt und des¬ 
halb nicht operirt wurde. 

Am 5. Januar wurde ich zu der Patientin gerufen. Die Schmerzen 
hatten derart zugenommen, dass sie im Bette bleiben musste. Ich verord- 
nete ihr absolute Ruhe, Morphiumsuppositorien und Eisblase. Die Krank¬ 
heit bot das wechselvolle Bild einer Hämatocele. Nachdem nun wieder in 
den nächsten Tagen etwas Erleichterung eingetreten war, traten am 
13. Januar unter leichten Fieberbewegungen und Schwindelanfällen beson¬ 
ders rechts heftige Beschwerden und wehenartige Leibschmerzen auf; ausser¬ 
dem blutete die Patientin etwas aus der Scheide. 

Da die Diagnose auf Tubengravidität nun immer wahrscheinlicher 
wurde, so wurde sie am 15. Januar in die Klinik aufgenommen. Bei der 
Untersuchung von der Scheide aus fanden wir den Uterus jetzt antevertirt, 
— der rechtsseitige Tumor war nicht mehr deutlich herauszupalpiren, — 
jedoch hinter dem Uterus einen diffusen Tumor, der in den rechtsseitigen 
Tumor überzugehen schien. 

Die Scheide enthielt etwas flüssiges und coagulirtes Blut, ausserdem 
lag gerade in der Scheide eine Decidua, die einen vollkommenen Abguss 
der Uterusinnenfläche mit beiden Tubenecken des Uterus bis zum inneren 
Muttermund darstellte. Chorionzotten waren unter dem Mikroskop nicht 
aufzufinden. 

Die nunmehr sichere Diagnose lautete: Graviditas tubaria dextra, 
Hämatocele retrouterina. 

Wir beobachteten ein exspectatives Verfahren, da wir hofften, die Häma¬ 
tocele werde den gewöhnlichen günstigen Ausgang nehmen. Während der 
folgenden Tage, wo die Schmerzen noch fortdauerten, blutete Patientin 
immer noch etwas aus der Scheide; die Temperatur ging nicht über die 
Norm; der Puls war etwas beschleunigt, aber doch ziemlich kräftig. 

Am 20. Januar begann die Temperatur über 38° zu steigen und be¬ 
wegte sich auch in den folgenden Tagen zwischen 38° und 39®. Patientin 
sah recht anämisch aus, und der Puls wurde frequenter und kleiner. 

Der Leib vergrösserte sich von Tag zu Tag. Da eine Blutung in die 
freie Bauchhöhle angenommen werden musste, so wurde der Patientin ein 
schwerer Sandsack auf den Leib gelegt, um die Blutung durch Compression 
zu stillen. Ausserdem Kampher- und Aetherinjectionen abwechselnd. Am 
26. Januar stieg die Temperatur über 39°, der Puls war fast unzählbar 
und kaum fühlbar. Mit todtenbleichem Gesicht lag die Patientin stöhnend 
und wimmernd im Bette. Die gläsernen Augen und die verzerrten Züge 
Messen keinen Zweifel, dass man es mit einer Sterbenden zu thun hatte. 

Schon in den vorhergehenden Tagen hatten wir die Frage der Laparo¬ 
tomie in Erwägung gezogen, sie aber der Ansicht Anderer und Herrn Dr. 
Veit’s eigenen Erfahrungen und Grundsätzen entsprechend, wieder fallen 
lassen, da sie doch nur den Exitus beschleunigen würde. 

Am Morgen des 26. Januar aber, wo wir die Patientin in dem oben¬ 
geschilderten Zustande vorfanden, mussten wir zu der Ueberzeugung kommen, 
dass die Blutung in die Bauchhöhle, entsprechend dem grossen fühlbaren 
Tumor, unaufhaltsam weiter gehen werde. Die absolut gesunkene Herzkraft, 
die sich durch den geschwundenen Puls documentirte, hatte ebenfalls nicht 
vermocht, die Blutung definitiv zu stillen Der Anämie und drohenden 
Herzlähmung konnten wir auch nur in beschränkter Weise mit Excitantien 
entgegentreten, da diese erfahrungsgemäss in solchen Fällen die Blutung 
steigern. . 

Unter diesen Umständen also glaubte Herr Dr. Veit es verantworten 
zu können, wenn er hier als ultimum refugium die Laparotomie versuchte. 

Da wir nicht annehmen konnten, dass die Patientin ohne Operation 
«len Abend noch erleben würde, so wurde in einigen Stunden Alles zur 
Laparotomie Nothwendige schnell vorbereitet. 

Die Patientin erhielt trotz ihrer Unruhe noch in aller Eile ein kurz¬ 
dauerndes Reinigungsbad, und dann wurde zur Laparotomie geschritten, wo¬ 
bei die Narkose mit Rücksicht auf die fast Pulslose mit grösster Vorsicht 
geleitet wurde. 

Die dünnen Bauchdecken wurden leicht durchtrennt; bei Eröffnung des 
Peritoneum stürzte massenhaft flüssiges Blut von dunkler Farbe aus der 
Bauchhöhle hervor. Erst nach Losung von Netzadhäsionen wurde auch aus 
der Haematocele viel coagulirtes. Blut entleert. Rechts in der Tube fand 
sich die Rissstelle, lateralwärts wurde sie umstochen, medianwärts 
wurde die Tube exstirpirt, und nach Allem muss angenommen werden, dass 
der Sack dicht am abdominalen Ende oder in diesem selbst sass. Das 
Ovulum lag in der Haematocele, die Frucht war nicht darin. Die Tube 
wurde mit einem Theile des geborstenen Tubensackes am uterinen Ende 
abgebunden und exstirpirt. Dabei fiel das hühnereigrosse Ovulum heraus. 
Die Blutung stand nunmehr vollständig. Nach Schluss der Bauchdecken 
folgte der Verband. 

Die Besichtigung des durch die Laparotomie gewonnenen Präparats 
ergab das am uterinen Ende abgebundene Stück der Tube, dessen Länge 
ca 2 cm bis zum Beginn des Sackes misst. Die Tubenwandungen sind ver¬ 
dickt; nach Aufschneiden des Canals sieht man, dass das Lumen’ direkt in 
den dünnen in der Mitte geborstenen Sack hineinführt; ein Hinderniss oder 
einen Verschluss konnten wir im Tubencanal nicht entdecken. 

Das hähnereigrosse Ovulum, in dem der Fötus nicht mehr in der Ei¬ 
höhle aufzufinden war, zeigt reichlichen Bluterguss in die Chorjonzotten. 

Der Puls war nach der Operation noch immer äusserst frequent, aber 
doch wieder fühlbar. Wegen der extremen Anämie durch den ungeheuren 
Blutverlust wurde Patientin jetzt reichlich mit Excitafitien behandelt und 
der Körper durch Wärmflaschen und warme Tücher - zu erwärmen gesucht. 


Ausserdem wurde, wie wir es bei Laparotomie stets zu thun pflegen, durch 
einen Sandsack die Compression ausgeübt. 

Abends fiel die Temperatur auf 38,1°, am nächsten Morgen auf 36,8°. 
stieg aber am Abend wieder bis auf 39,2° und schwankte dann während 
der folgenden Tage stets zwischen 38° und 39°. Der Puls schwankte 
zwischen 110 und 120 und war noch immer recht klein. Die Patientin sah 
natürlich äusserst anämisch aus, und am 2. Tage nach der Operation stellte 
sich deutlicher Icterus ein, der wohl von Blutresorption herrührte - und nach 
einigen Tagen wieder verschwand. 

Am 7. Tage nach der Operation wurde der Verband gewechselt und 
zeigte sich die Wunde per primani reactionslos verheilt. Auch der Puls 
begann kräftiger zu werden; unter fortdauernden Fieberbewegungeu stellte 
sich jetzt eine diffuse Bronchitis ein, die am Tage mit Expectorantien, Nachts 
mit Morphium behandelt wurde, um den intensiven Husten zu beschwichtigen. 

Durch diese Lungenaffection glaubte ich mir das Fieber erklären zu 
können, bis ich am 9. Tage eines Besseren belehrt wurde. Als ich Abends 
an das Krankenbett trat, um den Leib zu palpiren, die Bettdecke und das 
Hemd lüftete, zeigte sich der Verband mit Blut und serös-eiteriger Flüssig¬ 
keit vollständig durchtränkt. 

Nach Abnahme des Verbandes sah man ungefähr in der Mitte der per 
primam verheilten Wunde eine kleine Oeffnung, aus der auf Druck sich 
eine bräunliche, übelriechende Flüssigkeit entleerte. 

Ausserdem zeigte sich am Kreuz ein circa 5 cm grosser Decubitus. 

Nachdem beide Stellen vorläufig antiseptisch verbunden waren, gingen 
wir am nächsten Morgen mit dem Finger in die Oeffnuug der Bauch wunde 
ein und constatirten rechts einen abgekapselten Abscess, der wohl der ehe¬ 
maligen Hämatocele entsprach und den wir nach beiden Seiten etwas inci- 
dirten. Sodann wurde von der Bauch Wundenöffnung ein Troicart bis in 
die Scheide vorgestossen und dieser Canal dann drainirt. 

Es entleerte sich reichlich schmutzig jauchige Flüssigkeit Wir 
nahmen an, dass es sich hierbei um Vereiterung der ehemaligen Hämatocele 
handelte. 

Der Decubitus wurde mit Jodoform verbunden und die Patientin auf 
einen Gummiring gelegt. 

Von nün ab wurde täglich mehrmals mit Sublimatlösung und Car- 
bollösung abwechselnd von der Bauchwunde durch das Drainrohr nach der 
Scheide zu durchgespült. 

Der Decubitus demarkirte sich bald recht gut, und wurdeu nunmehr 
die gangränösen Bautstücke abgeschnitten und das Ganze mit Jodoformsalbe 
verbunden; 

Trotz aller dieser Zwischenfälle begann sich die Patientin allmählich 
zu erholen, und nachdem zwei Wochen nach der Operation die Temperatur 
zur Norm herabzusinken begann, besserte sich auch das Aussehen der 
Patientin auffallend. Der Appetit begann sehr rege zu werden, der Puls 
war kräftig und regelmässig. Erst nachdem die desinficirenden Ausspülungen 
noch fast zwei Monate nach der Operation fortgesetzt worden waren und 
sich fast kein Eiter mehr entleerte, konnten wir das Drainrohr, nachdem es 
vorher noch einige Zeit aus der Bauchwunde entfernt und nur nach der 
Scheide zu gelegt worden wat, schliesslich gänzlich fortlassen. 

Nunmehr heilte der Canal rasch zu, und es blieb nur noch eine schmale 
Fistel, die mit Argentum behandelt wurde. 

Auch der Decubitus hatte sich, nachdem die Patientin auf ein grosses 
Wasserkissen gelegt und die granulirende Fläche mit einer Salbe verbunden 
worden, zusehends verkleinert. 

Patientin, welche schon mehrere Wochen vor der Entlassung auf¬ 
gestanden war und sich im Zimmer hatte umher bewegen können, wurde 
am 14. April, nachdem sie an Körperfülle bedeutend zugenommen, geheilt 
entlassen. 

Die Mittheilung dieser Krankengeschichte soll nnn keines¬ 
wegs den Zweck haben, die Aerzte zu veranlassen, entgegen den 
bisherigen wohl begründeten Anschauungen, bei drohender Ver¬ 
blutung aus rupturirten Tubengraviditäten, sofort Laparotomie zu 
machen. Es muss eben dabei bleiben, dass man bei Ruptur ab¬ 
wartet, aber sich vorbereitet, den Bauchschnitt eventuell rasch 
ausführen zu können. Da man erfahrungsgemäss gegründete Aus¬ 
sicht hat, dass eine grosse Anzahl dieser Blutungen, wenn auch 
spät, doch noch spontan zum Steheu kommt, so hat man nicht das 
Recht, so fort die Laparotomie zu machen, wenigstens so lange 
die Zahl der glücklich verlaufenen Operationen eine so kleine, wie 
bisher bleibt. 

Im Vorliegenden war nur meine Absicht, zu zeigen, dass die 
Laparotomie bei extremster Anämie ein ultimum refugium ist, und 
zwar kein so absolut hoffnungsloses, wie es bisher allgemein ange¬ 
nommen wurde. Es wird vielmehr im Hinblick auf die vereinzelten 
bereits veröffentlichten Erfolge, vielleicht doch auch fernerhin 
manchmal gelingen, eine an geplatzter Tubenschwangerschaft sich 
rettungslos Verblutende am Leben zu erhalten. 

Was also die Therapie der Eileiterschwangerschaft, in : Rück¬ 
sicht auf ihre möglichen Ausgänge, betrifft, so möchte ich zum 
Schluss recapituliren, dass bei rechtzeitig gestellter Diagnose einer 
Tubenschwangerschaft mit lebender Frucht, sofort die Laparotomie 
zu machen ist, weil der eventuelle Ausgang sich nicht sicher Voraus¬ 
sagen lässt. Bei abgestorbener Frucht hingegen ist ein exspectatives 
Verfahren am Platze, da dann meist Resorption eintritt. Ist Ruptur 
eingetreten, so ist, wenn der Tod nicht sofort eintritt, das Wahr¬ 
scheinlichste der spontane Stillstand der Blutung und zwar 1) durch 
Hämatombildung, d. h. Blutung in die Ligg. lata, 2) durch Hftma- 
tocelenbildung in Adhäsionen, 8) durch -freie Blutung, die spontan 


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DEUTSCHE MEDICDH8CHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3f 


steht. Wegen der Möglichkeit dieser Ausgänge besteht die Therapie 
der Blutung nach eingetretener Ruptur vorerst im Abwarten und 
Vorbereitung zur Laparotomie. 

Bei acuter, deutlich zunehmender Verblutung und Anämie, 
sowie bei chronischer Verblutung, die, wenn auch selten, selbst 
noch nach Bildung der Hämatocele eintreten kann, soll man die 
Laparotomie machen, sobald die Patientin ohne dieselbe sicher 
verloren scheint, d. h. sobald die Zeichen der Anämie nicht ab¬ 
nehmen, sondern zunehmen. 

Jeder Arzt, welcher bei Ruptur einer Tubenschwangerschaft 
nicht operirt, übernimmt die Verpflichtung, dass Patientin zur Ge¬ 
nesung gelangt. Treten im Laufe des Abwartens bedenkliche Er¬ 
scheinungen ein, so muss operirt werden. Unoperirt sollte 
keine Frau an Verblutung in die Bauchhöhle zu Grunde 
gehen. 

Y. Referate and Kritiken. 

v. Krafft-Ebing. Lehrbuch der Psychiatrie. Auf klinischer 
Grundlage für praktische Aerzte und Studirende. 3. umgearb. 
Aufl. 734 Seiten. Stuttgart, F. Enke, 1888. Ref. Mendel. 

Einem Lehrbuch der Psychiatrie, welches im Verlaufe eines 
Decenniums die dritte Auflage erlebt, ein besonders empfehlendes 
Wort mit auf den Weg zu geben, erscheint als eine Arbeit, die 
kanm der Mühe lohnt. 

Die vox populi hat gerichtet, und der specialistische Psychiater 
kann aus jener Thatsache nur den Schloss ziehen, dass das Studium 
der Psychiatrie, wenn diese Disciplin auch nicht zu den Zwangs- 
collegieu gehört und obwohl sie nicht im Staatsexamen geprüft wird, 
doch für eine sehr grosse Zahl von Studirenden und Aerzten An¬ 
ziehung genug besitzt, wenn sie nur so gelehrt wird, dass die Sprache 
verständlich und der Standpunkt derjenige der übrigen klinischen 
Fächer der Medicin ist. 

Ich schreibe den Erfolg des Krafft-Ebing’schen Lehrbuches 
der klaren Sprache desselben zu, in der die klinischen Thatsachen, 
nicht aber psychologische oder metaphysische oder verfrühte ana¬ 
tomische Speculationen vorgebracht werden. 

Mit dem Ausbau der Klinik der Geisteskrankheiten, auf welche 
das Buch besonders hinweist, hat die Psychiatrie vollauf noch zu 
thun; die Förderung dieser scheint unsere Aufgabe, nicht, wie es 
oft genug in unseren Tagen versucht wird, mit dem Ausfall gewisser 
Ganglienzellen oder Nervenfasern bestimmte Veränderungen der 
Psyche erklären zu wollen. Wissen wir doch noch nicht einmal, 
ob Ganglienzelle oder Nervenfasern die Hauptrolle beim „Denken“ 
übernehmen. 

Das 734 Seiten umfassende Buch (erste Auflage 1879: 479, 
zweite Auflage 1883: 727 Seiten) hat 3 Theile, von denen der erste 
Einleitung (Hülfswissenschaften und Geschichte der.Psychiatrie 44 S.), 
der zweite die allgemeine Pathologie und Therapie des Irreseins 
(264 S.), der dritte die specielle Pathologie und Therapie (393 S.) 
bringt 

In Bezug auf die letztere ist besonders hervorzuheben, dass die 
Eintheilung der Psychosen (aus dieser ist am ernten der Standpunkt 
des Verfs. zu erkennen) in der neuen Auflage gegen die vorange¬ 
gangene unzweifelhaft eine erhebliche Verbesserung erfahren hat. 
Während früher unter den „psychischen Entartungen“ auch das epi¬ 
leptische Irresein, das Irresein der Hysterischen, das hypochondri¬ 
sche Irresein mit einbegriffen wurde, sind dieselben jetzt in passen¬ 
der Weise als „aus constitutioneilen Neurosen entstandene Geistes¬ 
krankheit“ in Abschnitt III ausgesondert und haben dabei einen 
Zusatz durch das Irresein auf neurasthenischer Grundlage erhalten. 

Die psychischen Entartungen enthalten nun nur noch die drei 
Gruppen der Folie raisonnante, der Paranoia, des periodischen Ir¬ 
reseins. Ich möchte dabei dahin gestellt sein lassen, ob überhaupt 
„die psychische Entartung“ als solche in jenen Formen genügend 
charakteristische klinische Zeichen bietet, um als Eintheilungsgrund 
benutzt werden zu können, und ob nicht bei anderen psychischen 
Erkrankungen, besonders bei der Idiotie, in einer Reihe von Fällen 
die „psychische Entartung“ viel deutlicher hervortritt, als in den 
meisten ^er unter jene Kategorie gehörigen Fällen. Dass die Para¬ 
noia „ausschliesslich bei Belasteten“ vorkommt (p. 433), dürfte wohl 
bestritten werden können. 

Doch es ist bekanntlich bei der Psychiatrie viel leichter an 
jeder Eintheilung der dahin gehörigen Krankheiten Ausstellungen zu 
machen, als eine allseitig befriedigende Eintheilung selbst zu geben, 
was bekanntlich noch Keinem gelungen ist. 

Die „Hirnkrankheiten mit vorwaltenden psychischen Sympto¬ 
men“ der zweiten Auflage haben jetzt in zwei Abteilungen als 
„organische Hirnkrankheiten mit vorwaltenden psychischen Sym¬ 
ptomen“ und als „chronische Intoxicationen“ eine zweckentsprechende 
Ueberschrift erhalten, und bei den letzteren ist dem chronischen 
Alkoholismus neu die Besprechung des Morphinismus. hinzugefügt, 


wie es die hervorragende Bedeutung, welche derselbe in der Psy¬ 
chiatrie leider erlangt hat, verlangte. 

Einzelne Abschnitte, wie z. B. die Paranoia, die Paralyse u. a 
haben eine Umarbeitung erfahren, welche den neueren Erfahrungen 
Rechnung trägt. 

Diese kurzen Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, dass 
der Verfasser sich nicht blos bestrebt hat, das Gute zu bewahren, 
sondern es auch den Fortschritten der Wissenschaft entsprechend 
weiter auszubilden, und dass ihm dies gelungen ist, ohne den Um¬ 
fang des Werkes irgendwie nennenswerth zu vergrössern, ist ein 
Verdienst, das besonders für ein Lehrbuch von grosser Bedeutung ist. 

Die Ausstattung entspricht der rühmlichst bekannten Verlags¬ 
buchhandlung. 

H. Vierordt. Anatomische, physiologische und physikalische 
Daten und Tabellen zum Gebrauche für Medieiner. 303 

Seiten. Jena, G. Fischer, 1888. Ref. Fürbringer. 

Obiges „Nachschlagebuch“ befriedigt ein entschiedenes Bedürf¬ 
nis, welchem die medicinische Welt, und zwar die schreibende und 
lehrende nicht weniger als die prakticirende, mit dem progressiven 
Anschwellen unserer Literatur und der Niederlegung ihrer Daten 
an immer disperseren Orten längst wachsenden, wenn auch nicht 
immer lauten Ausdruck verliehen. Baut sich der Inhalt auch fast 
ausschliesslich auf „literarischem“ Studium auf, so dürfte doch di' 
originelle Art der Gliederung der reichen Materie und der Cen 
tralisation der zahllosen Einzelbeobachtungen der gleich mühevolle; 
wie verdienstlichen Arbeit den Charakter des Selbstständigen nack 
mancher Richtung wahren. 

Ein „anatomischer“ Theil bringt Dimensionen und Gewichts 
Verhältnisse des Körpers und seiner Organe, der zweite „physiolo¬ 
gische und physiologisch-chemische“ Abschnitt Zahlen und Maassr 
in Dingen des Blutes, der Athmung, Verdauung, Se- und Excre- 
tionen, des Stoffwechsels, der Bewegung, der Sinne, Zeugung und 
Sterblichkeit, während der dritte „physikalische“ Theil Thermometer¬ 
skalen, atmosphärische Luft, Wärme, Spectrum, elektrische Maasse 
und Aebnliches behandelt. Ein „Anhang“ endlich bringt praktisch- 
medicinische Analecten (klimatische Curorte, Incubationszeit Maxi- 
maldosen, Medicinalmaasse, Maassstäbe für Sonden, Boogies. Ka¬ 
theter etc.). Ein ausführliches Register kommt der Auffindung de- 
Gewollten in sehr zweckentsprechender Weise zu Hülfe. 

Die Ausstattung ist eine ganz vorzügliche; der Satz, der 
ungewöhnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, gewährleist#/ 
eine handliche, von derlei Tabellen gewöhnlich versagte Uebersicbt 

G. Hayem. Revue des soienoes mddioales en France et a 
l'dtranger. Tome XXX, 2; XXXI, 1, 2; XXXII, 1. 

G. Masson. Ref. Fürbringer. 

Die Redacteure der Revue, deren besondere Vorzüge wir schon 
mehrfach hervorzubeben Anlass nahmen, entledigen sich prompt 
ihrer programmmässigen Aufgabe und halten mit den neuest« 
Erzeugnissen der in- und ausländischen Literatur steten Schritt 
Die vorliegenden 4 Halbbände umfassen die Fortschritte der Medicin 
vom October 1887 bis Ende Juli d. J. Der elastische Umfang der 
unter der Spitzrnarke Revue generale veröffentlichten Originahen 
hat es wiederum gestattet, dass jeder QuartalbaDd genau 400 Seiten 
zählt, und bringt seinerseits sehr bemerkenswerthe Bearbeitungen 
zeitgernässer Tbematen. An erster Stelle finden wir die medi¬ 
cinische Bacteriologie, ihre Methoden und Fortschritte durch Barte 
behandelt. An sie schliesst sich eine kürzere Uebersicht de? 
Wissenswerthen über das Antifebrin, von Chouppe besorgt 
Roussy bat in einem längeren Aufsätze die Bearbeitung der 
Ptomaine und Leukomai'ne übernommen. Der letzte Band entnai 
eine klinische und therapeutische Abhandlung über die durch 
Projectile kleinkalibriger Geschosse veranlassten Darmwunden an¬ 
der Feder Verchere’s. Allenthalben muthet die klare und den 
Autoren aller Herren Länder gerecht werdende Darstellung an. 

R. Roose. Die Gioht und ihre Beziehungen zu den KrsD * f 
heiten der Leber und. der Nieren. Autorisirte de üben 
Uebersetzung (von Isid. Krakauer) der vierten Original-Aufl*? 
114 Seiten. Wien und Leipzig, Urban u. Schwarzenberg, l®®' 
Ref. Fürbringer. .. 

Ref. hat schon im Vorjahre Gelegenheit gehabt, die 3. Aull p 
des Titelwerks im Originaltext in dieser Wochenschrift (1887 p- 4 
zu besprechen lind die Vorzüge wie Nachtheile der Schrift an 
deuten. Beide haben in der vorliegenden Auflage eine ^wesentuc 
Aenderung nicht erfahren. Die „sorgfältige Durchsicht“ hat m 
einmal gehindert, dass Ebstein’s vielgenannte Monographie n 
wie vor für den Verf. eine Terra incognita geblieben. 
verständige und unbefangene Leser hat fast auf jeder S <vw 
unerquickliche Empfindung, dass englische und nicht eng ' n( . 
Literatur ihre besonderen, getrennten Bahnen wandeln, und na 


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27. September. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


799 


lieh die Wege der deutschen Publicistik für den Autor in unab¬ 
sehbare Ferne gerückt sind. 

Die vortrefflich besorgte Uebersetzung lässt für den Deutschen 
noch unmittelbarer als der Urtext die klare, concinne und durch¬ 
sichtige Art der Darstellung Roose’s erkennen. Ref. muss sich 
dem „Recht gut geschrieben“ des Medical Chronicle anschliessen, 
kann sich aber unmöglich mit den auf der letzten Seite des Buches 
abgedruckten hoebgehenden Urtheilen der übrigen englischen Fach¬ 
blätter d’accord erklären. 

Die Ausstattung giebt jener der Originalausgabe an Stattlich- 
keit kaum Etwas nach. 


VI. 01. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte, Köln 18—23. Sept. 1888. 

(Originalbericht.) 

1887 waren in Wiesbaden zum Sitze der diesjährigen Naturforscherver- 
sammlung Köln und zum ersten Geschäftsführer der bekannte Chirurg 
Bardenheuer, zum zweiten der uns Aerzten weniger bekannte Chemiker 
(und Stadtverordnete) Th. Kyll gewählt worden, und hat Köln denn auch 
seine grosse Anziehungskraft und geeignete Lage dadurch bewiesen, dass 
diese Versammlung wieder eine überaus zahlreiche aus allen deutschen Gauen, 
freilich überwiegend aus dem Westen Deutschlands, geworden ist Es sind 
ungefähr 1500 Mitglieder- und Theilnehmer- und ca. 300 Damenkarten ge¬ 
nommen worden, doch war die Theilnahme an den einzelnen Sitzungen eine 
sehr verschieden grosse, da Viele erst nach den ersten Sitzungen kamen 
oder schon früh wieder abreisten. Viele besuchten offenbar nur gelegent¬ 
lich die Versammlung, da Köln von ihnen während einer längeren Reise in 
diesen Tagen leicht erreichbar war. Die Theilnahme der Kölner selbst war 
offenbar, namentlich an den allgemeinen Sitzungen, und noch viel mehr an 
den für Alle zugänglichen abendlichen Gartenfesten eine überaus grosse 
und hinderte, wie gewöhnlich in grossen Städten, die Mitglieder und Theil- 
neluner etwas sehr, sich „unter sich“ zu fühlen und gegenseitig sich finden 
und aussprechen zu können, wozu die „Sitzungen“ ja niemals ausreichend 
dienen können. Will mau diesen Uebelstand vermeiden, wird man stets 
kleinere Orte wählen müssen: sobald aber überhaupt noch von der Versamm¬ 
lung eine Geldbeihülfe von der Stadt oder Provinz oder dem Staate ange¬ 
nommen wird, muss man wohl auch die Berechtigung der möglichst aus¬ 
gedehnten Theilnahme des Publicums wenigstens an den Festen anerkennen. 

In diesem „vorläufigen“ Berichte will ich für die heutige Nummer 
dieser Zeitung nur das Hauptsächlichste über den äusseren Verlauf der 
Versammlung mittheilen, während ich mir theilweise eingehende Berichte 
über die Vorträge in den allgemeinen Sitzungen, von welchen mir zum Theil 
die Herren Vortragenden selbst in höchst liebenswürdiger und dankens- 
werther Weise Auszüge zur Verfügung gestellt haben, für die nächsten 
Nummern Vorbehalten. 

Am Sonnabend den 17. September fand schon eine überaus zahlreich, 
namentlich auch von Köluern besuchte Begrüssungsversammlung in den 
festlich geschmückten Räumen des bereitwilligst zur Verfügung gestellten 
Civilkasinos statt Am 18. September, Morgens 9 Uhr, eröffnete Professor 
Bardenheuer statutenmässig die erste allgemeine Sitzung in dem gross¬ 
artigen, prächtig geschmückten grossen Gürzenigsaale, dessen Hauptschmuck 
seit einigen Jahren die farbenprächtigen Darstellungen aus dem grossen 
Festzuge bilden, den die Kölner bei der Feier der Dombauvollendung (1880) 
dem damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm vorführten. ln seiner An¬ 
sprache berührte Bardenheuer zunächst das seit der letzten Versamm¬ 
lung erfolgte Ableben Kaiser Wilhelms des Siegreichen und Kaiser Friedrichs 
des Edlen, erinnerte daran, dass Köln zum ersten Male Sitz der Versamm¬ 
lung sei, wohl weil es vor seiner Stadterweiterung kaum einer so grossen 
Versammlung genügende Räume zur Verfügung stellen konnte, und schloss 
mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf Kaiser Wilhelm II., an dessen 
Majestät sodann ein Huldigungstelegramm von der Versammlung gerichtet 
wurde. 

Im Aufträge des verhinderten Oberpräsidenten und Regierungspräsi¬ 
denten begrüsste sodann Herr Oberregierungsrath v. Tischowitz Namens 
der Staatsregierung die Versammlung, ferner in launiger Weise Herr Ober¬ 
bürgermeister Becker im Namen der Stadt Köln, indem er betonte, dass 
Köln seit seiner Befreiung von dem früheren engeren Festungsgürtel be¬ 
müht sei, die sanitären Aufgaben zu lösen, denen es vorher nicht genügen 
konnte. Auch die nahe Universität Bonn begrüsste durch ihren Rector, 
Herrn Professor Dr. Schoenfeid, die Versammlung, und ebenso der Vor¬ 
sitzende des rheinischen Aerztevereins (wie des Aerztetages), Geh. San.-Rath 
Dr. Graf (Elberfeld), Namens dieses Vereines mit herzlichen Worten. 

Vor Eröffnung der Sitzung erwähnte Professor Bardenheuer, dass seit der 
Wiesbadener Versammlung von vorzugsweise hervorragenden früheren Theil- 
nehroern Langenbeck, de Bary (Strassburg), Clausius (Bonn), vom 
Rath (Köln) gestorben seien, welch’ letzterer u. A. durch hochherzige Stif¬ 
tungen sich um Köln ein dauerndes Verdienst erworben. 

Der 2. Geschäftsführer, Herr Kyll, theilte darauf mit, dass der Stadt¬ 
rath von Heidelberg für das nächste Jahr einlade, und ebenso nach Stuttgart 
der Verein für Hebung des Fremdenverkehrs, dessen Einladung die stür¬ 
mische Heiterkeit der Versammlung erregte. Es folgten nun die Vorträge 
des Herrn Professor Binswanger (Jena) „über Verbrechen und Geistes¬ 
störung“, des Herrn Privatdocenten Dr. Lassar (Berlin) „über die Cultur- 
aufgabe der Volksbäder“ und zuletzt des Herrn Dr. von den Steinen 
(Düsseldorf) „über den Kulturzustand heutiger Steinzeit Völker in Central¬ 
brasilien“ (zweite Schingu-Expedition). (Forsetzung folgt.) 


VII. Sechzehnter deutscher Aerztetag, 
Bonn 17. September 1888. 

(Originalbericht.) 

Der XVI. deutsche Aerztetag fand unter seinem Vorsitzenden. Geh. San.- 
Rath Dr. Graf (Elberfeld) in Gegenwart von 95 Delegirten, die circa 
8300 Stimmen vertraten, am 17. September d. J. in Bonn in den Räumen 
der Lesegesellschaft statt, in der schon am Abend vorher eine zahlreich be¬ 
suchte Begrüssungsversammlung stattgefunden. Zur Eröffnung (8 Uhr Morg.) 
hielt Dr. Graf eine kernige, prächtige Rede, in der er auch der Trauertage 
Deutschlands und der Krankheit Kaiser Friedrich’s, der letzteren mit fol¬ 
genden Worten gedachte: „Auch für uns, für die Aerzte Deutschlands, war 
es eine traurige, dunkle Zeit, deren wir nur mit trauriger Wehmuth ge¬ 
denken können. Neben dem allgemeinen Kummer, der jedes deutsche Herz 
bewegte, empfanden wir es besonders bitter und tief, dass die hohe Aufgabe 
des Arztes, zu helfen und zu retten, hier durch fremdartige Einflüsse ge¬ 
hemmt und behindert werden sollte. Wenn auch über jene Vorgänge die 
Acten noch nicht geschlossen sind, so dürfen wir doch jetzt schon sicher 
sagen: Die Versuche, auf die deutsche ärztliche Kunst und ihre Vertreter 
einen Makel zu werfen, sind schmählich gescheitert; jene Angriffe sind macht¬ 
los abgeprallt und auf ihre Urheber zurückgefallen; aber dennoch kann unser 
Stand nur mit Trauer auf jene Tage zurückblicken.“ 

Sodann wurde an Kaiser Wilhelm folgendes Telegramm abgesandt: 
„Die zum XVI deutschen Aerztetage versammelten Abgeordneten ärztlicher 
Vereine, Vertreter von mehr als 1000t) deutschen Aerzten, senden Eurer 
Kais, und Königl. Majestät ehrfurchtsvollen Gruss und wagen zugleich die 
Bitte zum Ausdruck zu bringen, Euer Majestät wollen ihrem Verbände, 
welcher in der nationalen Zusammengehörigkeit wurzelt und von echt deut¬ 
schem Geiste getragen ist, Huld und Wohlwollen zuwenden.“ 

Ueber die Verhandlungen des Aerztetages glaube ich im Uehrigen mög¬ 
lichst kurz berichten zu können, da alle jene Collegen, die sich für seine 
Verhandlungen und für das Vereinsleben überhaupt interessiren, den vor¬ 
läufigen Bericht darüber in der nächsten Nummer des Yereiusblattes schon 
ca. 14 Tage später, als diese Zeitung erscheint, erhalten. 

Dr. Grat berichtete zunächst, dass über den vorjährigen Dresdener Be¬ 
schluss, wonach die freie Ausübung der Heilkunde durch Jedermann als eine 
verfehlte und schädliche Maassregel bezeichnet wird, eine Eingabe an den 
Bundesrath oder Reichstag nicht gemacht, da nach gründlicher Besprechung 
mit Reichstagsmitgliedern sehr geringe Aussicht auf Erfolg bestände. Noch 
herrsche leider in weiten und einflussreichen Kreisen das unrichtige Vor- 
urtheil, diese Bestrebungen seien nur darauf gerichtet, für den ärztlichen 
Stand Vorrechte und Monopole zu erlangen, denen gegenüber dann auch be¬ 
stimmte Zwangspflichten als berechtigt und nothwendig erscheinen müssten. 
Eine unter Mitwirkung der Aerztekammern zu erlassende deutsche Aerzte- 
ordnung müsse das Endziel unserer Bestrebungen sein. 

Sodann wurde auf Antrag des San.-Rath Wallichs, des Redacteurs 
des Vereinsblattes, beschlossen, das diese Verhandlungen enthaltende Blatt 
an sämmtliehe Aerzte Deutschlands zu schicken und den Preis des Blattes 
für die (nur 58!) Einzel-Abonnenten von 5 Mark auf 2,50 Mark herabzusetzen. 

In den Geschäftsausschuss wurden darauf Aub, Graf, Wallichs, 
Brauser, Pfeiffer (Weimar), Sigl, Bardeleben, Cnyrim (nach der 
Anzahl der erhaltenen Stimmen geordnet) und in Stichwahl Krabler (gegen 
Becher (Berlin)) gewählt. (Heinze (Leipzig) ist also nicht wieder ge¬ 
wählt.) Ausser Becher verstärkte sich der Ausschuss noch im Laufe des 
Tages durch Eschbacher (Freiburg), Huellmann (Halle), Neubert (Leip¬ 
zig), Szmula (Zabrze), Thorspeken (Bremen) und wählte sodann Graf 
zum Vorsitzenden, Aub zum Stellvertreter, Wallichs zum Redacteur und 
Geschäftsführer, Huellmann zum Cassirer. 

Deüeke (Flensburg) eröffnete dann als Berichterstatter die Erörterung 
über seinen (wesentlich vereinfachten!) Antrag: „Der Aerztetag wolle aus¬ 
sprechen: „Es ist nothwendig, dass bei Anklagen gegen Aerzte wegen Kunst¬ 
fehlers vor der Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens (d. h. im Stadium 
der Erforschung des Sachverhalts) von der Anklagebehörde ein Gutachten 
eines ärztlichen Collegiums eingeholt wird,“ über welchen er im Vereinsblatt 
schon ausführlich berichtet. 

Die Berliner Philipp, Jarislowski und Rüge erblicken hierin einen 
unberechtigten Eingriff in die freie Entschliessung des Untersuchungrichters 
und beantragen bei der Aussichtslosigkeit eines solchen Gesuchs Uebergang 
zur Tagesordnung; ebenso Grandhomme: „in der Erwartung, dass bei der 
Erforschung des Thatbestandes die Untersuchungsbehörden der Stellung des 
Angeklagten als Arzt gebührend Rechnung tragen werden. 

Der Verein Heilbronn verlangt „die vorausgehende Beurtheilung durch 
ein der Standesvertretung entnommenes Collegium.“ Nach eingehender Be¬ 
sprechung (die Antragsteller, Kessler (Carlsruhe), Wallichs, Linde¬ 
mann (Mannheim), Neubert (Leipzig), Landsberger (Posen), Stumpf 
(München) (von Wallichs ab alle gegen die Tagesordnung) wird der An¬ 
trag Deneke angenommen, nachdem der Berliner Antrag gegen eine kleine, 
der Grandhomme’8 gegen eine grosse Minderzahl abgelehut. 

Weiter wurden en bloc [Antrag Pauli (Lübeck)] angenommen die 
Thesen der Geheimmittelcommission, in sehr eingehender, stellenweise in 
humoristisch-wohlthuender Weise befürwortet von Becher (Berlin), nach¬ 
dem Grandhomme, Pauli, Landsberger, Meinel (Metz), Wernich 
(Cöslin) und Aub an der Erörterung Theil genommen: Sie sind und werden 
wieder im Vereinsblatte abgedruckt. Meinel (Metz) betonte namentlich, 
dass man in den Reichslanden die verzwickte Reichsgewerbeorduung fürchte, 
die im nächsten Jahre dort eingeführt werde, während man bisher dort sehr 
gut mit den einfachen bezw. französischen Gesetzen ausgekommen sei, die 
das Ankündigen und den Verkauf von Geheimmitteln und dem Apotheker 
das Abgeben eines zusammengesetzten Medicamentes oder einer Drogue ohne 
ärztliches Recept einfach untersagten. 

Sodanü wurden nach einem höchst verdienstlichen Berichte des iu 
Oassensaehen schon bewährten Busch (Crefeld), dessen (im Vereinsblatte 


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800 


DEUTSCHS MEDICINISCHB WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


abgedruckten) Thesen angenommen, die den Gesetzentwurf über die Alters¬ 
und Invalidenversicherung der Arbeiter betreffen. Busch fordert vor Allem, 
dass sich die Alters- und Invalidenversicherung an die Krankenkassen an- 
schliesse, wodurch die Sache billiger, einheitlicher und erfolgreicher sich ge¬ 
stalten werde. An den langen Erörterungen nahmen Neubert, Olden- 
dorff (Berlin), Kunschert (Fraulautern), Braehmer (Berlin), Kuger 
(St. Blasien), Aub und Kr ab ler Theil. 

Nach einer Frühstückspause begannen dann die fast 4ständigen, gera¬ 
dezu erschöpfenden Verhandlungen betreffend Aenderungen des Kranken¬ 
versicherungsgesetzes, über welche wiederum Busch (Crefeld) „der Unermüd¬ 
liche“ einen höchst mühevollen Bericht erstattete. Von den vielen Anträgen 
von Aerztekammern und Bezirksvereinen aller Bundesstaaten, die hierzu 
Vorlagen, wurden nach lebhaften Erörterungen, an denen sich namentlich 
die Berliner rege betheiligten, u. A. angenommen ein Antrag Leipzig, wonach 
der freiwillige Beitritt zu Krankenkassen nur solchen gestattet sein soll, 
deren Einkommen nicht über 2000 Mark beträgt; ferner ein Antrag der 
rheinischen Aerztekammer, dass unter ärztlicher Behandlung stets die Be¬ 
handlung durch einen approbirten Arzt zu verstehen und das ausdrücklich 
gesagt werden soll. Endlich war die reichliche Tagesordnung erschöpft, 
was nur durch die, wie immer, im höchsten Sinne „schneidige“ Geschäfts¬ 
leitung Dr Graf’s und die von der Versammlung auf Graf’s Antrag als 
höchst dankenswerth anerkannte Vorbereitung durch Busch (Crefeld) ermög¬ 
licht war. Besonders günstig wirkte es auch schliesslich meiner Meinung 
nach auf die sehr erwünschte Abkürzung der Besprechungen ein, dass für 
den Aerztetag zwischen der Frankfurter und der Kölner Versammlung nur 
ein Tag frei geblieben. Die Länge der Erörterungen wäre bei der Aus¬ 
dehnung auf zwei Tage gewiss noch ermüdender geworden. 

Nachmittags stärkte ein frohes Mahl die fast vollzählig erschienenen 
Vereinsvertreter, dem auch viele von ihren Damen beiwohnten, und das 
durch manche Tischreden, namentlich Graf’s packenden Trinkspruch auf 
Kaiser Wilhelm gewürzt wurde. Manche Tischgäste entführte schon vor 
Schluss des Mahles das'Dampfross nach Köln zur Naturforscher-Versammlung. 

Nötzel (Colberg). 

VIII. Jahr es Sitzung des Vereins deutscher 
Irrenärzte, Bonn, 16. und 17. September 1888. 

(Originalbericht.) 

De. Vorsitzende Herr Westphal (Berlin) eröffnet die Versammlung; Herr 
Nass e (Bonn) heisst dieselbe in den Räumen der Bonner Anstalt willkommen. 

1. Bericht der Commission über den Vortrag von Prof. Jolly (Strass¬ 
burg): Ueber geminderte Zurechnungsfähigkeit, a) Referent Herr 
Mendel (Berlin) beweist zunächst, dass in den parlamentarischen Verhand¬ 
lungen und den Commissionsberathungen bei Gelegenheit der Einführung des 
deutschen Strafgesetzbuches die Frage der geminderten Zurechnungsfähigkeit 
wohl erwogen sei. An Stelle dieser habe man dann die mildernden Um¬ 
stände gesetzt. Zwar seien diese nicht bei allen Delicten zulässig, doch sei 
dieser Umstand nicht so bedenklich, wie Jolly gemeint habe. Von den 
177 Delicten, bei denen mildernde Umstände nicht zulässig sind, kommen 
104 nicht in Betracht, bei denen ein Strafminimum überhaupt nicht ange¬ 
geben ist, also im gegebenen Falle auf 1 Tag Haft oder 3 Mk. Geldstrafe 
erkannt werden kann. Für andere, z. B. für Meineid, komme der Fahrlässig- 
keitsparagraph in Betracht. Die Aufnahme des Begriffes der geminderten 
Zurechnungsfähigkeit würde eine Umänderung des Strafgesetzbuches in Bezug 
auf die mildernden Umstände nothwendig herbeiführen. Auch die Aus¬ 
dehnung der mildernden Umstände auf alle Delicte würde heutzutage wohl 
kaum gelingen: die geminderte Zurechnungsfähigkeit sei von bedeutenden 
Psychiatern und Juristen verurtheilt, sie würde wohl oft dazu führen, un¬ 
zweifelhaft Geisteskranke für zurechnungsfähig zu erklären und sie mit 
Unrecht zu bestrafen. Wenn man trotz dieser Bedenken an dem principiellen 
Standpunkte eine Lücke im Strafgesetzbuch festhalten wolle, so müsse man 
statt Raisonnements Beweise für diese Lücke beibringen, das sei bisher 
nicht, auch nicht durch Jolly, geschehen. 

b) Correferent Herr Grashey (München) hebt hervor, dass nach der 
Ansicht Jolly’s die Hauptschwierigkeit darin liege, dass man für die Zu¬ 
lassung des § 51 des Str.-G.-B. nicht, nur Geistesstörung, sondern einen er¬ 
heblichen Grad derselben nachweisen müsse, und dass man nicht wisse, wo 
man beginnen solle, diese Erheblichkeit anzuerkennen. Für die unter dieser 
Grenze liegenden Fälle verlange er geminderte Zurechnungsfähigkeit. Diese 
Schwierigkeit bestehe aber nicht Die Erheblichkeit bestehe nach dem Ge¬ 
setze da, wo die freie Willensbestimmung ausgeschlossen sei. Man müsse 
also in jedem Falle nach dem Zusammenhänge zwischen incriminirter That 
und krankhaften Ideen suchen: nur da sei die freie Willensbestimmung aus¬ 
geschlossen, und das Verbrechen nicht vorhanden, wo dieser Zusammenhang 
nachzuweisen sei. Halte man sich an diese Grundsätze, so sei die gemin¬ 
derte Zurechnungsfähigkeit nicht nöthig. sie könne ausserdem dazu führen, 
dass Jemand wegen ein und desselben Delictes zunächst bestraft würde und 
dann als gemeingefährlich in eine Irrenanstalt wandere. 

In der Discussion, an der sich die Herren Schäfer (Lengericb), 
Finkelnburg (Bonn), Krafft-Ebing (Graz), Schüle (Illenau) u. A. be¬ 
theiligen, wetiden sich die 3 letzteren Redner gegen die Ansicht Gras he y’s 
von der Nothwendigkeit eines nachweisbaren Zusammenhangs zwischen That 
*md krankhaften Ideen. Krafft-Ebing erwähnt, dass man für solche Fälle 
(Schwäche des Verstandes) in Oesterreich generell mildernde Umstände habe 
und damit sehr zufrieden sei. Da fast alle Redner in Bezug auf die be¬ 
treffende Frage eine Lücke im Str.-G.-B. anerkennen, so wird schliesslich 
auf Antrag. Schüle-Mendel’s folgende Resolution einstimmig angenommen: 
Die Versammlung erkennt an, dass für die forenkische Behandlung gewisser 
psychischer Anornalieen Schwierigkeiten bestehen. Dieselbe müssten entweder 
durch die Annahme mildernder Umstände, für alle Leute oder durch die Zu¬ 
lassung der geminderten Zurechnungsfähigkeit gehoben werden. Zunächst 
hält sie aber die Beibringung von Thatsachen für das Bestehen dieser Lücke 


erforderlich und ersucht deshalb die Mitglieder, alle einschlägigen Fälle aus¬ 
führlich Herrn Prof. Krafft-Ebing mitzutheilen, der sie sammeln und in 
Druck legen soll. 

2. Der Entwarf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutoehe 
Belch. a) Referent Herr Mendel (Berlin). § 28. Eine Person, die des 
Vernunftgebrauches beraubt ist, kann wegen Geisteskrankheit entmündigt 
werden. — Hört der im ersten Absätze bezeichnete Zustand auf, so wird die 
Entmündigung wieder aufgehoben.“ Unter Anerkennung der Fortschritte 
gegen die frühere Fassung, wird der Ausdruck „des Vemunftgebrauche? 
beraubt“ (mente captus) bemängelt: er sei weder juristisch noch philoso¬ 
phisch zu erklären und von den Psychiatern perhorrescirt. Er schlägt vor: 
„Eine Person, welche wegen Geisteskrankheit nicht im Stande ist, für sich 
oder ihr Vermögen gehörig zu sorgen, kann entmündigt werden.“ Schwach¬ 
sinnige will der Entwurf nicht entmündigen, ebensowenig Gewohnheitstrinker: 
das seien noch Desiderata, dienach dem heutigen Standpunkte der Psychiatrie 
unabweislich seien. — In § 64 wird die correcte Auffassung der lucidn 
intervalla betont, auch hier sei der Ausdruck „des Vernunft gebrauche? 
beraubt“ zu bemängeln. Es könnte statt dessen derselbe Ausdruck wie in 
§ 51 des Str.-Ges.-B. angewendet worden. 

b) Referent Herr Pelm an (Grafenberg) hat nur über den § 708 zu 
berichten. Er enthält die Beschränkung, dass eine des Vernunftgebrauche? 
beraubte Person für angerichteten Schaden verantwortlich ist, wenn der Ver¬ 
nunftgebrauch durch selbstverschuldete Betrunkenheit ausgeschlossen war. 
Dieser Fortschritt ist mit Freuden zu begrüssen: es bleibt anerkannt, dass 
ein intensiver Rausch die Zurechnungsfähigkeit aufhebt, aber auch dieser 
entschuldigt nicht, wenn er selbst verschuldet war. 

c) Referent: Herr v. Krafft-Ebing (Graz). Nach § 1440 des Entwurfs 
ist unheilbare Geisteskrankheit als Ehescheidungsgrund nicht mehr zulässig, 
was ja früher in den meisten deutschen Städten war. Auch der Code civilt 
enthält diese Bestimmung, und auch in England sei man dafür eingetreten. 
Referent erörtert die wissenschaftlichen Verhandlungen, die in Frankreich 
gelegentlich dieser Frage gepflogen sind; ebenso die Gründe der deutschen 
Commission in Bezug auf die Aufhebung der Zulassung dieses Grundes zur 
Ehescheidung. Nach Krafft-Ebing sprechen für die Zulassung der Ehe¬ 
scheidung bei unheilbarer Geisteskrankheit Rücksichten auf das sittliche und 
materielle Wohl des gesunden Theiles, denn die Geisteskrankheit ist. der 
körperlichen nicht gleichzustellen; dagegen: Rüchsichten auf das ideale In¬ 
stitut der Ehe, humane Rücksichten auf den Kranken, die Möglichkeit einer 
dolosen Speculation durch Verheirathung mit geisteskranken Individuen und 
vor allem die Unsicherheit der Prognose in Bezug auf die Heil- resp. Uu- 
heilbarkeit. Referent stellt schliesslich folgende Thesen auf: 

1. Die principielle Ausschliessung der Geisteskrankheit als Ehescheidung 
muss als ein Rückschritt bezeichnet werden. 

2. Als relativer Ehescheidungsgrund und facultativ sollte die Geistes¬ 
krankheit beibehalten werden. 

3. Nur geistiges Siechthum mit Untergang der früheren gesunden Per¬ 
sönlichkeit, bei sachverständigem Nachweis der Aussichtslosigkeit der Wieder¬ 
herstellung und nach 5 jähriger Krankheitsdauer, sollte als Ehescheidungs¬ 
grund civilrechtlich anerkannt werden. 

4. Ist die Krankheit durch Verschulden des gesunden Ehegatten ent¬ 
standen, so kann sie kein Scheidungsgrund sein. 

5. Sollte die Gesetzgebung keine Möglichkeit der Codification der 
Geisteskrankheit als Ehescheidungsgrund finden, so möge § 1440 nur körper¬ 
liche Krankheit als fehlenden Scheidungsgrund annehmen. Damit bleibt dann 
die Frage wegen Geistesstörung eine offene, dem richterlichen Ermessen 
überlassene, wie in England. Eventuell könnte sie der landesherrlichen 
Entscheidung überlassen werden, gleichwie andere seltene im Gesetze nicht 
vorgesehene Ehescheidungs- Opportunitäten. 

§ 1221 nimmt Rücksicht auf die im geisteskranken Zustande ge¬ 
schlossenen Ehen, die er für ungültig erklärt. Hier könnte anstatt des 
Criteriums des „mangelnden Vernunftgebrauchs“, besser das der „Ein¬ 
willigung, resp. freien Entschliessung“ eintreten. — § 1232 verlangt bei 
Eheschliessung in der Geschäftsfähigkeit .Beschränkter die Einwilligung des 
gesetzlichen Vertreters. Hier wäre es vielleicht gut, auch eine ärztliche 
Untersuchung wegen Zulässigkeit der Ehe in Bezug auf event. zu erwartende 
kranke Nachkommenschaft \orzunehmen. — Unter § 1259 fällt die Ungültig¬ 
keit der Ehe bei wissentlichem Verschweigen event. Psychosen oder Neu¬ 
rosen. Referent weist auf die eventuelle Schwierigkeit des Nachweises der 
Wissentlichkeit in solchen Fällen hin. 

Eine Discussion findet nicht statt. Die Versammlung beauftragt den 
Vorstand, die vorstehenden Verhandlungen, sowie ihm etwa schriftlich zu¬ 
gehende abweichende Ansichten möglichst bald gedruckt den Mitgliedern zu 
übersenden und bis zur nächsten Versammlung für nöthig gehaltene Schritte 
bei der Commission für das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch selbstständig 
zu thun. 

3. Herr Pelman (Grafenberg): Die MinlsterlalVerordnung in Preussen 
vom 18. Januar 1888: Die Aufsicht über die Privatanstalten. Nach 
dieser Verordnung haben bekanntlich nur mehr die Physici das Recht, 
Atteste für die Aufnahme Kranker in die Privatanstalten auszustellen, Vortr. 
weist auf frühere Verhandlungen und Publicationen in dieser Frage hin 
und erörtert nur kurz, dass die betr..Verordnung die Interessen der Kranken, 
der praktischen Aerzte und der Direktoren der betr. Anstalt schädige und 
durch nichts begründet sei. In der Discussion differiren zwar die Meinungeu 
in etwas in Bezug auf den Grad der Schädigungen, doch ist im Allgemeinen 
die Versammlung einstimmig der Ansicht, dass die betreffende Verordnung 
abzuändern resp. aufzuheben sei, und beauftragt den Vorstand, die erforder¬ 
lichen Schritte zu thun. 

4. Herr Finkelnburg (Bonn): Ueber Phrenasthenie. Der Begriff 
Neurasthenie wird nach Ansicht des Redners heute zu weit gefasst. F. sucht 
ihn einzuschränken und sondert zunächst einmal 2 Formen ab: a) einfache 
Erschöpfbarkeit der Arbeitskraft = torpide Form; b) Erschöpfbarkeit der 
Hemmungsscentren = erethische Form. Die erste Form entsteht besonders 


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27. September. DEUTSCHE MEDICINISC HE WO CHENSCHRIFT. 


nach intellectuellen Ueberanstrengungen und nach Infectionskrankheiten, sie 
führt zu melancholischem und hypochondrischem Irresein: meist ist sie reine 
Cerebrasthenie. Die 2. Form verlangt ätiologisch ausser intellectuellen Ueber¬ 
anstrengungen emotive Reize, sie betheiligt stark das spinale und vasomo¬ 
torische System, zeigt Unmöglichkeit Gemüthsbewegungen zu beherrschen etc. 
Sexuelle Excesse führen bei Männern moist zu der torpiden, bei Frauen zu 
der erethischen Form. In der ersten Form genügt einfache Fernhaltung der 
Schädlichkeiten: bei der zweiten muss eine mehr active Therapie (offene An¬ 
stalten) eintreten. Statt des barbarischen „Cerebrasthenie“ schlägt F. den Aus¬ 
druck „Phrenasthenie“ vor. 

5. Herr Bumm (Erlangen): Experimontelle Beiträge zur Kennt¬ 
nis» des Corpus trapezoldes beim Kaninchen. B. operirte nach Gudden- 
scher Methode. Die hintere Acusticuswurzel lässt sich bis zum vorderen 
(accessorischen) Kern verfolgen, weiter, z. B. zur gekreuzten oberen Olive, 
gelang der Nachweis nicht. Die vordere Wurzel geht in der inneren Ab¬ 
theilung des Corpus restiforme zum Kleinhirn, und zwar zum Wurm. Sie 
steht ausserdem in Verbindung mit einem feinen Fasernetz, das die Fort¬ 
setzung der inneren Abtheilung des Kleinhimstieles bildet und ventral vom 
Deiter’schen Kerne liegt. 

6. Herr Wildermuth (Stetten): Untersuchungen Uber den Musik¬ 
sinn der Idioten. (Mit Vorzeigung von Momentaufnahmen). Bei 180 
Idioten aller Grade wurde, soweit das möglich, Ilarmoniesinn und Musik- 
gedächtniss untersucht. Bei den Blödsinnigen konnte allerdings nur der 
allgemeine Eindruck beobachtet werden, er war bei 25 von 30 ein freudiger. 
Bei Vergleich der Schwachsinnigen mit 85 normalen Kindern fand sich, 
wenn man annimmt I = guter Musiksinn IV = 0. 

Schwachsinnige Idioten. Gesunde Kinder. 

I = 27 % I = 60 % 

II = 36 u /o II = 27 % 

III = 26 % HI = il u 0 

IV-ll°/o IV* 2% 

Also relativ sehr guter Musiksinn bei den Idioten. Was das Verhält- 
niss des Musiksinnes zur Aphasie bei Idioten anbetrifft, so berührt intellec- 
tuelle Aphasie (Aphrasie-Kussmaul) den Musiksinn nicht, motorische Aphasie 
hebt ihn meist auf. 

7. Herr Jehn (Merzig): Zweifelhafte Geistesstörungen nach Kopf¬ 
verletzungen unter Berücksichtigung der Haftpflichtfrage. J. will nur 
diejenigen incoustanten und wechselnden Symptome berühren, wie sie nach 
Eisenbahnunglücken in Deutschland besonders von Oppenheim und Bern¬ 
hardt beschrieben sind, die aber auch nach anderen Kopfverletzungen Vor¬ 
kommen. Die Störungen sind der Hauptsache nach psychischer Natur, und 
der Psychiater der richtige Arzt für diese Kranken. Die vom Vortragenden 
vorgeführten Symptome psychischer und somatischer Natur decken sich ganz 
mit den von Oppenheim angegebenen. Als neues fügt J. intermittirende 
Albuminurie hinzu. Er bemerkt übrigens ausdrücklich, dass die betreffenden 
Symptome zweifelhafte nur in dem Sinne sind, als sie dem Nichtpsychiater 
leicht so erscheinen. 

8. Herr Füth (Bonn): Ueber symmetrische Affeetionen der Glied¬ 
massen bei Geisteskranken. 2 Fälle: a) Störungen des Nagelwachsthums 
bei einer alkoholischen Psychosfe Die Störungen waren ganz symmetrisch, 
sie verschlimmerten sich bei Zunahme der psychischen Störungen, b) Chro- 
nisch-hallucinatorisches Irresein. Symmetrische Gangrän mit Abstossung 
der Finger. Hier waren Erscheinungen localer Schweisse, localer Asphyxie 
und localen Rubors, sowie an den Radiales sphygmographische Symptome 
der Geflsswandlähmung constatirt worden. 

9. Herr Brie (Bonn): Ueber plötzliche Todesfälle bei Psychosen. 

B. hat in mehreren Fällen plötzlichen Todes bei verschiedensten Psychosen 
Fettdegeneration des Herzens und Atheromatose der Gefässe gefunden, die 
im Leben keine Symptome gemacht hatten. Er vermuthet, dass dies auch 
in anderen beschriebenen Fällen so sei, natürlich abgesehen von solchen, 
wo der Tod die direkte Folge der Psychose ist, wie bei Delirium acutum 
resp. alkoholicum. Bruns (Hannover). 

IX. 14. Versammlung des Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege in Frank- 
fürt a. M. vom 13—10. September 1888. 

(Originall ericht.) 

(Fortsetzung aus No. 38.) 

Die schliesslich nach reger Debaite, an der namentlich der Vorsitzende 
des Centralvereins deutscher Grundbesitzer Herr Rechtsanwalt Dr. Strauss 
(M. Gladbach), Oberingenieur Meyer (Hamburg), Stadtbaurath Lindley 
(Frankfurt), Stadtrath Flesch (Frankfurt) wesentlich iu zustimmendem Sinne 
theilnahmen, wie erwähnt, einstimmig angenommenen allgemeinen Thesen 
der Referenten über die Wohnungs-Reichsgesetzgebung sollen noch (Antrag 
Miquel) der Reichsregierung zur Kenntniss gebracht werden, uud (Antrag 
Meyer und Lindley) die technischen Einzelvorschläge Baumeister’» einer 
nach § 8 der Vereinsstatuten gewählten Commission von ca. 8 überwiegend 
technischen Mitgliedern zur näheren Durchberathung und Berichterstattung 
in der nächsten Versammlung übergeben werden. 

Sodann wurde in die Berathung der Frage der örtlichen Lage der 
Fabriken in den Städten (Referenten: San.-Rath Dr. Lent [Köln] und 
Stadtrath Hendel [Dresden]) eingetreten, namentlich über die Frage: 
In wieweit hat sich ein Bedürfnis» herausgestelli, von der Bestimmung 
des § 23 Absatz 3 der deutschen Gewerbeordnung Gebrauch zu machen!* 
(Es ist darin die Landesgesetzgebung ermächtigt, durch Ortsstatut 
zu bestimmen, in wie weit einzelne Bezirke eines Ortes vorzugsweise zu An¬ 
lagen zu bestimmen, welche (§ 16—22 d. R.-G.-O.) durch die örtliche Lage 
oder die Beschaffenheit der Betriebe für die Nachbarn oder das Publicum 
überhaupt erhebliche Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen 
können.) Referent hält es für genügend, wie er eingehend begründet, von 


bestimmten Bezirken derartige Fabriken fern zu halten. Preussen hat die 
Anwendung von § 23 Absatz 3 abgelehnt, ebenso Bayern, nur Sachsen davon 
Gebrauch gemacht, ebenso auch Württemberg und Baden und einzelne 
kleinere Bundesstaaten. Viele grosse Städte wünschen aber solche Orts¬ 
statute zu erlassen, wie auf ein Befragen angegeben. Nachdem auch Stadt¬ 
rath Hendel (Dresden) sehr eingehend und erschöpfend die Erfahrungen, 
die Dresden gemacht, die grösste Stadt, die ein solches Ortsstatut besitzt 
und scharf durchführt, und den Erlass eines solchen für zweckmässig erklärt 
hatte, wenn vorher Alles darin auf’s Peinlichste erwogen, um nicht, wie in 
Dresden, unangenehme Erfahrungen zu machen, wurden nach kurzer Be¬ 
rathung (Baumeister (Karlsruhe) und Miquel) einstimmig die vorher 
von beiden Referenten mitgetheiten Thesen unverändert angenommen. Sie 
lauten: 

1. Die öffentliche Gesundheitspflege verlangt für grössere Gemeinden 
eine gesetzliche Handhabe, um von bestimmten Theilen des Gemeindebezirks 
gewerbliche und industrielle Anlagen, welche durch Ausdünstungen, Rauch 
oder durch lärmenden Betrieb die Gesundheit der Bewohner oder die An¬ 
nehmlichkeit des Wohnens beeinträchtigen, fern zu halten. 

2. Die §§ 18 und 19 der deutschen Gewerbeordnung haben in vielen 
deutschen Städten nicht ausgereicht, um diese Forderung der öffentlichen 
Gesundheitspflege zu erfüllen. 

3. Der Absatz 3 des § 23 der deutschen Gewerbeordnung bietet die 
Gelegenheit, dieser Forderung im Wesentlichen gerecht zu werden. Es ist 
daher das Verlangen, dnreh Landesgesetzgebung in den deutschen Bundes¬ 
staaten den Gemeinden die Möglichkeit der Erfüllung jener Forderung zu 
gewähren, durchaus gerechtfertigt. 

Den Nachmittag des 13. September füllten (nach Wahl) Besichtigungen 
des Ventilationsthurmes der städtischen Sielanlage, der Milchcuranstalt, des 
Hochbehälters der Quellwasserleitung, des Volksbrausebades, des allgemeinen 
städtischen Krankenhauses, des Armenhauses, des Hauptauslasssiels und der 
Grundwasserleitung im Stadtwalde aus. 

Abends vereinigte in dem schön geschmückten Saale des zoologischen 
Gartens ein Festessen mit den üblichen Tischreden die überwiegende Mehr¬ 
zahl der Vereinsmitglieder mit ihren zahlreich erschienenen Damen, nachdem 
man vorher den reichhaltigen Thierbestand, uud viele Theilnehmer auch eine 
Vorstellung der früher in Berlin vorgeführten Beduinenkarawane mit Inter¬ 
esse angesehen. 

Nachdem amMorgen des zweiten Versammlungstages (14.September) 
die meisten Mitglieder die hochinteressanten Heiz- und Ventilationseinrich- 
tungen des Opernhauses, die wohl im Wesentlichen denen des Wiener Opern¬ 
hauses nachgebildet sind, unter sachkundigster Führung eingehend besichtigt, 
erstatteten in der 2. Sitzung die 4 Stadtbaumeister Lindley (Frankfurt 
a./M.), Winter (Wiesbaden), Wiebe (Essen a./R.) und Lohausen (Halle 
a./S.) eingehend Bericht über „die Erfahrungen, welche in den letzten Jahren 
an den Orten ihrer Wirksamkeit mit den Klärvorrlchtnngen der städti¬ 
schen Abwässer gemacht werden.“ 

Lindley erläuterte seine lichtvollen Ausführungen durch prachtvolle 
Zeichnungen der Frankfurter Anlagen, welche einem Gebiete von ca. 10 qkm 
mit 150000 Bewohnern und täglich 25 — 30000 cbm Abwässern und mit 
ca. 30000 Closets dienen. Seit 1887 sind die Klärbeckenanlagen, die aber 
nur unter der Bedingung genehmigt wurden, dass auch eine chemische 
Reinigung der Abwässer eingeführt werde, im Betriebe. Sie kosteten im 
Ganzen ca. 200000 Mark durch Grunderwerb und ca. 700000 Mark durch 
die Baulichkeiten; an Betriebskosten sind jährlich ca. 150000Mark erforder¬ 
lich, wovon die eine Hälfte für Chemikalien, die andere für die Löhne und 
den Maschinenbetrieb verwendet werden. Jährlich sind auf den Kopf der 
Bevölkerung im Ganzen 1 Mark Kosten zu rechnen, was zwar hoch, aber 
für eine Grossstadt wie Frankfurt doch noch nicht zu hoch sei. 

Winter (Wiesbaden) führte aus, dass Wiesbaden auf Verlangen der 
Regierung, um den Klagen der Anwohner des durch die städtischen Ab¬ 
wasser arg verpesteten Salzbaches abzuhelfen, Klärbecken habe anlegen 
müssen, da an eine Berieselung dort nicht zu denken war. Die Anlage befindet 
sich je ca. 1800 m von Wiesbaden und Biebrich entfernt am Salzbache und 
reicht aus für 15000 cbm Abwässer; gewöhnlich ist nur die Hälfte zu 
klären. Die Anlage ist der in Frankfurt ähnlich; es ist eine der 7 Mühlen 
am Salzbache dazu umgebaut und benutzt. Die Anlagekosten betragen 
ca. 2000ö0 Mark (Baulichkeiten 60000 Mark, Maschinen 13000 Mark) = 
3‘/s Mark pro Kopf der Bevölkerung. Die Betriebskosten 60 Pf. pro Kopf 
(ca. 36000 Mark), 84 Pf. wenn Zinsen und Amortisation mitgercchnet werden. 
Da das Wasser des Salzbachs mitgeklärt werden muss, sind die Kosten 
höher, als sonst nöthig wäre. Als chemisches Klärmittel wird nur Kalk¬ 
milch verwendet, was genügt. Der Verkaufswerth des gewonnenen Kalk¬ 
schlammes sei nur ein geringer. Einfrieren der Klärbecken war bisher nicht 
eingetreten, wohl z. B. wegen des Salzgehaltes des Salzbaches. Der Gesund¬ 
heitszustand der Arbeiter war gut. Ueber die hygienischen Vortheile der 
Wiesbadener Kläranlage hat Herr Geheimrath Dr. Robert Koch (Berlin) 
folgendes dienstliche Gutachachten erstattet, dessen Wortlaut folgt, da es 
namentlich für uns Aerzte sehr viel allgemein Wichtiges enthält. 

Er sagt: „Die Reinigung städtischer Abwässer hat eine doppelte Auf¬ 
gabe zu erfüllen; erstens sollen alle etwa darin vorhandenen Infectionsstoffe 
unschädlich gemacht werden, und zweitens sind die Abwässer in einen Zu¬ 
stand zu versetzen, welcher verhindert, dass sie bei ihrer Ableitung in stin¬ 
kende Fäulniss übergehen. 

Inwieweit diese Forderungen in der Praxis zu erreichen sind uud that- 
sächlich erreicht werden, das hängt in jedem einzelnen Falle von dem zur 
Anwendung kommenden Verfahren und von den besonderen örtlichen Ver¬ 
hältnissen ab. 

Auch das beste der zur Zeit benutzten Verfahren, die Berieselung, er¬ 
reicht selbst unter den günstigsten Verhältnissen das gesteckte Ziel nicht 
weil bei etwas stärkerem Regenfall bedeutende Mengen an nicht desinficirten 
Stoffen, insbesondere auch Fäkalien, durch die Nothauslässe den öffentlichen 
Wasserläufen zugeführt werden müssen. Es darf dies nie ausser Acht ge- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


lassen werden bei der Beurtheilung anderer Reinigungsverfahren, welche 
gewissermaassen nur einen Ersatz der Reinigung durch Berieseln bilden und 
schon aus diesem Grunde eine etwas weniger strenge Beurtheilung erfahren 
sollten. 

In Wiesbaden liegen die Verhältnisse so, dass die Schmutzwasser der 
Stadt sich in den Salzbach ergiessen, durch dessen Wasser erheblich ver¬ 
dünnt werden und so zur Kläranlage gelangen, wo sie mit Kalk behufs Des- 
infection und Klärung behandelt werden. 

Es würde sich also darum handeln, ob durch dieses Verfahren die Ab¬ 
wässer sowohl von etwa vorhandenen Infectionsstoffen befreit, als auch vor 
dem Eintritt von stinkender Fäulniss bewahrt werden. 

Was zunächst den letzteren Punkt anbetrifft, so kann kein Zweifel dar¬ 
über entstehen, dass die Kläranlage in dieser Beziehung ihre Aufgabe voll¬ 
kommen erfüllt, da bei einer unvermutheten Revision an einem heissen 
Sommertage das Wasser des Salzbaches von der Kläranlage bis zur Ein¬ 
mündung in den Rhein geruchlos befunden wurde, und in dem Bericht der 
königlichen Regierung zu Wiesbaden vom 31. December v. Js. ausdrücklich 
erwähnt ist, dass Klagen über den Zustand des Salzbaches weder von Be¬ 
hörden noch von Adjacenten in letzter Zeit geäussert sind. 

Es bleibt somit nur die Frage, inwieweit eine Desinfection der Ab¬ 
wässer statt hat. Um dies zu ermitteln, darf das Schmutzwasser nicht allein 
an der Eintritts- und Austrittsstelle der Kläranlage untersucht werden, da 
es nach anderweitigen Erfahrungen recht wohl möglich ist, dass die dem 
Wasser zugesetzten Chemikalien das Wasser keimfrei machen, also vollstän¬ 
dig desinficiren können, und dass dasselbe erst beim Hindurchfliessen durch 
die weiteren Abschnitte der Kläranlage aus den abgelagerten bacterienreichen 
Schlammmassen von Neuem Mikroorganismen aufnimmt, die sich bald zu er¬ 
heblicher Zahl vermehren. Ich erlaube mir in dieser Beziehung ganz ge- 
horsamst auf die Resultate hinzuweisen, welche bei der Untersuchung des 
Schwartzkopff’schen Reinigungsverfahrens erhalten wurden; bei diesem 
Verfahren wird eine nahezu vollständige Desinfection erreicht, und dennoch 
ist die Klärflüssigkeit beim Austritt aus der Anstalt in Folge nachträglicher 
Aufnahme von Mikroorganismen in den Filteranlagen wieder ebenso keim¬ 
reich, wie diejenige der Wiesbadener Kläranlage bei ihrem Austritt aus der¬ 
selben. Daraus, dass an der Ausflussstelle die Klärflüssigkeit wieder sehr 
keimreich ist, darf nicht geschlossen werden, dass das Klärverfahren die ur¬ 
sprünglich in der Flüssigkeit vorhandenen Keime in unzureichender Weise 
beeinflusst habe. Dann ist aber noch weiter zu berücksichtigen, dass, wenn 
das Schrautzwasser einmal wirklich desinficirt ist, eine nachträgliche, von 
Neuem eintretende Bacterienentwickelung, wenn dieselbe nur nicht die Ent¬ 
wickelung stinkender Zersetzungsproducte zur Folge hat, vom hygienischen 
Standpunkte aus nicht bedenklich erscheinen kann. Denn es handelt sich 
dann nur um das Auftreten von unschädlichen, in jedem Flusswasser mehr 
oder weniger reichlich vorhandenen Mikroorganismen. So enthält beispiels¬ 
weise die Spree bei ihrem Eintritt in die Stadt Berlin, und zwar dort, wo 
die Entnahme des Wassers für die Versorgung der Stadt geschieht, mitunter 
mehr als 100000 Keime im Cubikcentimeter. Dem gegenüber wird man 
doch unmöglich verlangen können, dass das Abwasser einer Stadt auf seinem 
ferneren Laufe bacterienarm oder gar bacterienfrei sein soll. Die einzige 
berechtigte Forderung in dieser Beziehung ist. nur die, dass es von Infec¬ 
tionsstoffen befreit sein muss. Die bisherigen Untersuchungen der Wies¬ 
badener Kläranlage geben, wie bereits bemerkt, hierüber keinen Anhaltspunkt. 

Sollte sich nun aber auch (was ich nach den mir zur Verfügung stehenden 
Andeutungen über den Betrieb der Anstalt sogar als wahrscheinlich halten 
möchte) herausstellen, dass die derzeitige Desinfection ungenügend ist, so 
würde dies zunächst nur ein Beweis dafür sein, dass der Betrieb der Anstalt, 
insbesondere die Verwendung der zur Klärung und Desinfection dienenden 
Chemikalien eine nicht zweckentsprechende ist. In Wiesbaden wird zur 
Klärung Kalkmilch benutzt, ein Desinfectionsmittel ersten Ranges, welches 
in genügender Concentration alle in den Abwässern etwa enthaltenen Infec- 
tionsstoffe in wenigen Minuten zu vernichten im Stande ist. Es kann mit 
aller Bestimmtheit angenommen werden, dass bei einem hinreichenden Zusatz 
von Kalk auch eine vollkommene Desinfection zu erzielen ist. Allerdings 
tritt der Wirkung des Desinfectionsmittels unter den dortigen Verhältnissen 
die Verdünnung des Schmutzwassers durch das Bachwasser, vielleicht auch 
die Beimengung des salzreichen Thermalwassers, hindernd entgegen. 

Diese Hindernisse sind aber durch einen so hohen Kalkzusatz, dass 
immer noch ein genügender Ueberschuss von freiem Kalk in Lösung bleibt, 
leicht zu überwinden. Die störende Verdünnung des Wassers wird übrigens 
nur eine zeitweilige sein, da die jetzige Einrichtung, bei welcher das Schmutz¬ 
wasser vor der Klärung in den Salzbach geleitet wird, nur eine provisorische 
ist. Später soll das Wasser in einem Hauptsammelcanal abgefangen, und 
direkt, also unverdünnt, der Kläranlage zugeführt werden. 

Es würde also nur erforderlich sein, experimentell diejenige Menge von 
Kalk zu ermitteln, welche unbedingt erforderlich ist, um das Wiesbadener 
Schmutzwasser unter den dort bestehenden besonderen Verhältnissen zu des¬ 
inficiren.“ 

Sodann besprach Wiebe (Essen) sehr ausführlich die dortigen Klär¬ 
einrichtungen. Das Canalisirungsnetz der Stadt Essen ist seit mehreren 
Jahren vollendet, der vor 1886 nur gestattete Anschluss der Gebäude seit¬ 
dem ein Zwang; die bisher nicht erlaubte Einführung der Fäcalien in die 
Canäle ist anzustreben, da die Abwässer genügend geklärt werden. In Essen 
ist das bekannte Roeckner-Rothe’sche mechanisch-chemische Reinigungs¬ 
verfahren seit ca. 1 Jahre durchgeführt. Die Kosten der Anlagen betrugen 
250000 Mark (für 4 Reinigungscylinder), die jetzt 10—11000 cbm Abwässer 
klären, aber auch für 18000 cbm noch genügen. Im Sommer ist kaum Ge- 1 
ruch zu bemerken, im Winter kein Einfrieren erfolgt. Zur Klärung wird 
anscheinend überwiegend Kalk verwendet. Die Kosten betragen incl. Zinsen 
und Amortisation 62 Pf. pro Kopf der Bevölkerung und Jahr. An Beriese¬ 
lung, die anerkannt beste Klärmethode, war in Essen bei der dortigen Be- 
völkerungsdichtigkeit nicht zu denken. 

Lohausen (Halle a./S.) berichtet, dass auch Halle nur gezwungen 


eine Kläranstalt eingerichtet, vorläufig aber nur für den einen (von 7) Be¬ 
zirk im Süden der Stadt (ca. 3000 cbm Abwässer, vorzüglich Wirthschafts- 
wässer) mit Anwendung von Chemikalien nach dem Patente der Firm» 
Mueller-Mansen mit sehr gutem Erfolge, wie verschiedene wissenschaft¬ 
liche Gutachten der Chemiker Trenkmann, Teuchert und von Professor 
Koenig bewiesen. Es musste aber wegen Belästigung der dicht bebauten 
Nachbarschaft eine Verbrennung der entwickelten übelriechenden Gase ein¬ 
geführt werden. Der gewonnene Schlamm wird unentgeltlich zur Dnngun» 
abgeholt. Der Betrieb ist noch durch allerlei Versuche bisher gestört. Die 
Baukosten erforderten 25000 Mark, die Maschinen 10000 Mark, der Betrieb 
für 10000 Anwohner jährlich 66 Pf. pro Kopf, incl. Zinsen u. s. w. 83 Pf.; 
diese Kosten werden aber durch Ausdehnung der Anlage auf die 6 übrigen 
Canalsysteme, die nöthig werde, auf ca. 75 Pf. wohl sich ermässigen lassen. 

In der nun folgenden Berathung wies Dr. Hueppe (Wiesbaden; 
nachdrücklich darauf hin, dass die Kalkmilch, wie durch wissenschaft¬ 
liche Versuche genügend nachgewiesen, das einzige für diese Zwecke (im 
Grossen) brauchbare Desinfectionsmittel sei, das sicher wirke. Hulwa 
(Breslau) erwartet von der Zukunft die Anerkennung, dass nur das Eisen¬ 
chlorid anzuwenden sei, und- begründet dies kurz in etwas wunderlich 
erscheinender Weise. Nachdem noch Dr. Lepsius (Frankfurt) näher das 
Klärverfahren (chemisch und bacteriologisch) besprochen, begründet Stadt¬ 
baurath Bokelberg (Hannover) folgenden Antrag, der auch, nachdem 
leider durch ein Missverständniss die Referenten nicht zu einem Schluss¬ 
worte zugelassen worden, von der Versammlung mit grosser Mehrheit ange¬ 
nommen wurde: 

„Die Versammlung nimmt mit grossem Interesse von den bei den ver¬ 
schiedenen künstlichen Reinigungsverfahren der Abwässer gemachten Fort¬ 
schritten Kenntniss; sie ist aber auch jetzt noch der Ansicht, dass keines 
dieser Verfahren sich bisher schon vollkommen bewährt hat, namentlich auch 
die schwerwiegende Frage der Verwendung der Rückstände noch nicht ge¬ 
löst ist. Die Versammlung muss daher umsomehr an ihrem in Breslau ge¬ 
fassten Beschlüsse festhalten, als auch der Kostenpunkt bei der künsllicheu 
Reinigung ein hoher ist.“ 

Der bezügliche in Bresiau 1886 angenommene Satz (No. 3) lautete: 

„Die Reinigung der städtischen Abwässer vor ihrer Zuführung in die 
Flussläufe bleibt nach wie vor anzustreben. Bei dem jetzigen Stande der 
Technik und den erheblichen, mit jeder Reinigung verbundenen Kosten 
empfiehlt es sich jedoch, die Forderung der Reinigung nur in denjenigen 
Fällen zu erheben, wo gesundheitliche Missstände zu befürchten sind, oder 
sonstige erhebliche Uebelstände sich fühlbar machen, und nur in einem 
solchen Umfange, als zur Beseitigung der Uebelstände nöthig ist.“ 
(Fortsetzung folgt.) 


X. 5. Congress polnischer Aerzte und Natur¬ 
forscher zu Lemberg, 18.—22. Juli 1888. 

(Original bericht.) 

1. Herr Dr. Theodor Heryng (Warschau): lieber anatomisch* 
Beweise der Heilbarkeit der Kehlkopftnbnrcnlose. 

2. Herr Dr. Sokolowski (Warschau): Ueber Heilbarkeit und Be¬ 
handlung der Kehlkopftuberculose. 

Die ersten beiden Fälle ausgeheilter Kehlkopftuberculose, welche Prof. 
V irchow und Brodowski gesehen haben, haben Heryng angespomt, seine 
Behandlungsmethode in weiteren Fällen, von denen er genaue Angaben in 
seiner .Specialabhandlung „Ueber Kehlkopftuberculose“ macht, zu probiren- 
Milchsäure und Curettement brachten den besten Erfolg. In der letzten Zeit 
hat sich auch Bepinselung mit Jodoformätheremulsion gut bewährt. 

Sokolowski bestätigt die Heilbarkeit der Kehlkopftuberculose auf 
Grund eigener 10 Fälle, in denen er beide oben erwähnten Mittel anwendete. 
In allen 10 Fällen hatte er mit fibröser Form von Lungentuber- 
c ul ose zu thun; Sokolowski ist geneigt, diesem letzten Umstande, wie 
auch der Allgemeinbehandlung und der in einigen Fällen gleichzeitig durch¬ 
gemachten klimatischen Cur den Hauptantheil an der Heilung zuzuschreiben. 
Von 10 Fällen erfolgte in 4 vollkommene Heilung nach der Behandlung, m 
6 ohne dieselbe. 

3. Herr Docent Dr. Obrzut (Prag): Ueber Nephritis Mmorrbagic* 
and die Bedeutung der HSmorrhagieen im Nierenparenchym. Der Vor¬ 
trag bildete nur ein Resume seiner in dieser Hinsicht noch nicht beendeten 
Untersuchungen, über welche in der nächsten Zeit eine umfangreiche un 
ginalarbeit aus dem Laboratorium des Prof. Hlava (Prag) erscheinen soll 
Es sollen, wie seine bisherigen Untersuchungen lehren, die rothen Blut¬ 
körperchen jm Nierenparenchym nicht durchaus regressiven, sondern au*' 
progressiven Metamorphosen unterliegen können, es soll sogar, was jedenfalls 
sehr interessant wäre, nachgewiesen werden, dass die Amyloidsubstanz aus 
dem Blute direkt entstehe. 

4. Herr Dr. Braun (Krakau): Ueber drei in den letaten 85 JanTM 
an der Krakauer Klinik in vlris ausgefflhrte Kaiserschnitte, hu 

Jahre 1870 führte Prof. Madurowicz Kaiserschnitt an einer Gebärenaeu 
wegen Verengerung des kleinen Beckens durch ein vom Nervus ischiadicus 
ausgehendes grosses Neurom, nach classischer Methode, aus. Nach 3 Tagen 
starb die Mutter an innerer Verblutung und Peritonitis, das Kind würfle 
ain Leben erhalten. Im Schuljahre 1877/88 wurde Sectio caesarea in nTI 
zwei Mal wegen stark verengter, flacher, rhachitischer Becken mit giänzeu 
dem Erfolge, sowohl für die Mutter als auch für das Kind ausgeführt. E> u 
mal nach Porro, das zweite Mal nach Sänger. Post mortem wurde i e 
selbe Operation über 30 Mal ausgeführt. . _ 

5. Herr Dr. Stroynowski (Lemberg): Ueber die Verwendung 
Massage bei Prolapsus uteri nach der Methode Thure-Brandt s. ‘ * 
Vortragende referirt über zwei von ihm nach Thure-Brandt’s Methode 
handelte und mit Erfolg geheilte Fälle von Prolapsus uteri. Man ^ 
handelt durch diese Methode nicht nur den Uterus als solchen, sondern 


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27. September. 


DEÜT8CHE MEDI0INI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


803 


stärkt zugleich die Adductores am Femur und die Perinealmuskeln, welche 
den weiteren Vorfall verhindern. Beide geheilten Frauen wurden demonstrirt. 

6. Herr Dr. Rolle (Kamieniec-Podolien): Ueber Vaccine und Yaccl- 
nation. Nach Darstellung der Impfstofffabrication in Kamieniec und Impf¬ 
ergebnisse in seinem Kreise, macht Vortragender auf die Schwierigkeit der 
Erhaltung der Vaccine durch längere Zeit aufmerksam und befragt die an¬ 
wesenden Bacteriologen, welches Mittel sie als das geeignetste empfehlen 
würden. Der bekannte Bacteriologe Bujwid glaubt, dass reines Glyce¬ 
rin in 20-30 u /o Lösung das Beste wäre. 

7. Herr Dr. Jakowski und Chrostowski (Warschau): Ueber epi¬ 
demische croupöse Pneumonie. Es ist dies, seit der bacteriologischen Aera, 
erst die dritte in der Literatur bekannt gewordene Pneumonieopidemie; die 
erste ist die von Emmerich, die zweite die von Dreschfeld beschriebene. 
Die dritte hatten beide Vortragenden Gelegenheit, ira Warschauer Spitale 
zu beobachten. Dieselbe brach beim Graben einer Grube aus, befiel zu 
gleicher Zeit 5 Individuen, und nachher stellte sich heraus, dass aus dem 
nächst der Grube gelegenen Hause alljährlich einige Pneumoniefälle in’s 
Spital kamen. Friedländer’s Pneumoniecoccen konnten in der 
Erde der erwähnten Grube bacteriologisch und als Krankheits¬ 
erreger experimentell an Thieren nachgewiesen werden. 

8. Herr Baracz (Lemberg): Ueber eine neue Operatioiismethode 
der Nasopharyngealpolypen. Baracz referirt über einen mit Erfolg 
nach König’s Methode (mit Hinzugabe eines Schnittes in der oberen Lippe) 
operirten Falles von Nasopbaryngealpolyp; Vortragender glaubt, dass die¬ 
selbe ganz Gussenbauer’s Methode (durch die Mundhöhle) und Langcn- 
beck’s Methode (durch Oberkieferresection) ersetzen wird, ja sogar manche 
Vorzüge vor jenen beiden hat. 

9. Herr Dr. Braun (Krakau): Ueber einen Fall ron Uterusincar- 
ceration durch ein submucöses Fibrom. Die gewöhnliche Ursache von 
Uterusincarceration (Beschwerden bei der Urinabgabe und Defäcation in Folge 
dessen Vergrösserung) ist Gravidität vom 4. Schwangerschaftsmonate an¬ 
gefangen, wenn die Gebärmutter nicht in der Richtung gegen die Bauch¬ 
höhle sich vergrössert. Im vorliegenden Falle gab zur Uterusincarceration 
ein submucöses Fibrom desselben Anlass. Anfangs schwankte die Diagnose 
zwischen Gravidität und Fibrom, als aber nach einer Zeit dieselbe sicher¬ 
gestellt wurde, wurde in 2 Sitzungen ein grosses Fibrom per vaginam 
exstirpirt. Secale comutum brachte hierauf die Gebärmutter zu genauer 
Contraction und alle Beschwerden hörten ganz auf. 

10. Derselbe: Creolln in der Gynäkologie, ln der Zeit, als man 
für das neue Antisepticum so grosse Reclame machte, wurde dasselbe auch 
an der Krakauer gynäkologischen Klinik geprüft In allen sich dazu eignen¬ 
den Fällen, nämlich in solchen, in denen eine grössere Wundfläche irrigirt 
werden musste und wo, nach den in der letzten Zeit publicirten Fällen 
von Sublimatintoxication, jeder Arzt mit dem letzteren etwas vorsichtiger 
umgeht, bediente man sich des Creolins. Besonders eclatant war der Erfolg 
in zwei Fällen von Uterustympanites, wo bereits ein ziemlich hohes 
Fieber bestand. Die durch einige Tage täglich dreimal gemachten Irrigationen 
der Gebärmutterhöhle mit 2o/o Creolinlösung brachten beide Patientinnen in 
kurzer Zeit zur völligen Heilung. 

11. Dr. Neugebauer (Warschau): Ueber Spondylolystesis. 

_ (Schluss folgt.) 

XI. Verhandlungen des 60. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

(Originalbericht.) 

(Fortsetzung aus No. 38.) 

C. Anatomie und Physiologie. 

Der Präsident, Prof. Cleland, sprach über die Wichtigkeit der Tera¬ 
tologie, indem sie den Einfluss der Naturgesetze unter unnatürlichen und 
ungewöhnlichen Verhältnissen erläutere. Schwere Deformitäten könnten 
sich in gewissen Körpertheilen durch localisirte Reizung bilden, welche 
übermässige Wucherung in ungewöhnlich frühen Perioden verursache, was 
zu doppelten Monstrositäten führe. Diese Monstrositäten Hessen sich in 
drei Classen abtheilen, nämlich die abcranialen, die abcaudalen, und die 
Verbindung beider mit einander. Die relative Häufigkeit der Polydaktylie 
Hesse sich verstehen, wenn man die frühzeitige Entwickelung des Carpus 
und Tarsus im Vergleich mit der Zeit der Verlängerung der Glieder berück¬ 
sichtigte. Gerade, sowie Modificationen der Umgebungen Individuen und Rassen 
modificiren, ebenso tragen äussere Agentien Schuld an der Entstehung der 
Monstrositäten. Nur wenig Gewicht Hesse sich auf Behauptungen legen, 
dass Schreck oder starke Eindrücke auf das Gemüth der Mutter Einfluss 
auf die Production von Monstrositäten habe. Um diesen Punkt zu erläutern, 
zeigte Vortr. ein anencephalisches Monstrum, dessen Deformität von den Eltern 
der Wirkung eines Halswirbels eines Pferdes zugeschrieben wurde, welcher 
so gemalt war, dass er einem Geistlichen mit ausgestreckten Armen und 
Kopfe glich, der auf einem Baumstamme sass — und erklärte die De¬ 
formität viel einfacher durch Wassersucht der Cerebrospinalaxe, welche 
sich nach der Section des Cerebrospinalcanals entwickelt hätte, mit nach¬ 
folgender Ver8chlie88ung der Hirnbläschen. Monstrositäten dürften nicht 
als Lu8us naturae aufgefasst werden, sondern enthielten werthvolle Er¬ 
läuterungen über das Wirken der Naturgesetze. Er zeigte seine Sammlung 
von 441 Präparaten. 

Lockwood zeigte Präparate, welche die Entwickelung derCircu- 
lations- und Respirationsorgane am Kaninchen erläuterten. Lane 
besprach den Einfluss von Ueberanstrengung auf Muskeln und Bänder. 
Benedikt (Wien) demonstrirte seine Methode der craniometrischen und 
cephalimetrischen Untersuchung. Howard (New-York) demonstrirte die Be¬ 
ziehungen des Zungenbeins und zeigte, dass dasselbe den Schlüssel für 
die Erhebung der Epiglottis, mittelst ihrer muskulären und ligamentösen 


Verbindungen, oben mit dem Unterkiefer und unten mit dem L&rynx und 
der Epiglottis, bilde; ferner wie, wenn man blos den Kopf soweit als möglich 
nach hinten beugt, die Epiglottis in die Höhe steigt, und ein weiter post¬ 
ovaler Luftweg zwischen der Nase und dem Larynx gebildet wird. 

D. Geburtshülfe und Frauenkrankheiten. 

Der Präsident, More Madden (Dublin), erÖffnete die Sitzungen mit 
einem historischen Rückblick auf die Geschichte der ars obstetricia und 
sprach sich dann über einige brennende Fragen aus, wie z. B. die elektro¬ 
lytische Behandlung der Myome des Uterus, die operative Entfernung der 
Adnexa der Gebärmutter u. s. w.; worauf Simpson (Edinburgh) eine Dis- 
cussion über den intra-uterinen Tod eröffnete, dessen Pathologie und 
Verhütung. Er ging die verschiedenen Ursachen mit Bezug auf deren 
Häufigkeit und Wichtigkeit durch; empfahl dringend den fortgesetzten Ge¬ 
brauch des chlorsauren Kali, und, wo man Syphilis argwöhnte, Heber den 
Mann als die Frau zu behandeln. Barnes (London) empfahl die künstliche 
Frühgeburt, sowie sich Albuminurie zeigte, und machte einen Unterschied 
zwischen fettiger Entartung und fettiger Metamorphose. Bei Frauen, die zu 
jung oder zu schwach seien Kinder zu gebären, käme es häufig zur Blutung 
in die Placenta. Byers (Belfast) sprach sich für den Gebrauch einer Mi¬ 
schung von eisen- und chlorsaurem Kali aus, wo keine syphilitischen An- 
tecedentien vorlägen, auch bei Schwangerschaft in vorgerückterem Alter. 
Manche Fälle von Abortus seien von hartnäckiger Stuhlverstopfung herzu¬ 
leiten. Fordyce Barker (New-York) glaubte, dass viele Fälle von Abortus 
von mangelhaftem Wachsthum der Placenta herrührten, da nicht genug Blut 
in den Uterus ginge, und die Frau dabei fettleibig wurde. Magere Diät 
und reichliche körperiiche Bewegung hälfen in solchen Fällen. Parvin 
(Philadelphia) sprach sich dafür aus, dass einfache übergrosse Reizbarkeit 
des Uterus zu Fehlgeburt führe, und empfahl für diesen Zustand das 
Viburnum prunifolium, welches schon vor langer Zeit von den Negerinnen 
am Mississippi gebraucht wurde, ehe es dem Arzneischatz einverleibt wurde. 

Roth (London) sprach über Kopfweh aus dem Becken herrührend: 
in Regionen des Uterus würde dasselbe durch den Gebrauch des intrauterinen 
Stabes curirt. Stephenson empfahl das übermangansaure Kali für die Be¬ 
handlung der Amenorrhoe; Eierstocksschmerzen und hartnäckiges Kopfweh 
wichen gleichfalls diesem Mittel. 

Halliday Croom (Edinburgh) eröffnete dann eine Discussion über 
obstructive Dysmenorhoe und Sterilität, ln vielen Fällen sei Dys¬ 
menorrhoe von gewissen Diathesen, wie’Gicbt und Rheumatismus, abzuleiten. 
Er glaubt nicht an obstructive Unfruchtbarkeit, sondern ist der Ansicht, 
dass die Sterilität von Congestionen des Endometrium abhängt, und dass 
die Fälle, in welchen mechanische Eingriffe nützten, solche waren, in denen 
der congestionirte und anderweitig ungesunde Zustand des Endometrium 
gebessert wurde. Barnes (London) sprach sich ebenso entschieden für 
die Existenz der obstructiven Dysmenorrhoe aus als Ursachen der Unfrucht¬ 
barkeit, und sei dieselbe von Atresie und Flexionen des Canals abhängig. 
Die Dysmenorrhoe und Sterilität hingen aufs Genaueste zusammen. Discision 
war die beste Behandlung ohne die spätere Anwendung intrauteriner Stäbe. 
Duke (Dublin) empfahl Erweiterung, wodurch der Abgang von Flüssigkeiten 
aus der Gebärmutterhöhle befördert würde. Stephenson (Aberdeen) emp¬ 
fahl den innerlichen Gebrauch des Apiols. Heywood Smith (London) 
zog die Incision des inneren Muttermundes mit darauf folgender Erweite¬ 
rung vor. 

Reid (Dublin) zeigte ein Instrument für rapide Erweitening des Mutter¬ 
halses vor, welches aus einer graduirten Serie konischer Schrauhen mit 
prominenten aber ziemlich stumpfen Fäden bestände. Wo es sich um die 
schnelle Zerstörung einer organischen Strictur handelte, müssten Fasern 
vernichtet werden, und leistete sein Instrument hierfür ausgezeichnete Dienste. 
Duke (Dublin) zeigte ein anderes zu demselben Zwecke construirtes Instru¬ 
ment, welches aus zwei dünnen aber starken Blättern bestand, die durch 
einen Keil zwischen ihren basalen Scheiben ausgedehnt würden. Mehrere 
der anwesenden Gynäkologen erklärten diese Operation für sehr gefährlich. 

Barnes (London) sprach dann über Analogieen zwischen Menstruation 
und Schwangerschaft und Puerperium, in ihren physiologischen und patho¬ 
logischen Beziehungen. Gewisse Formen von Kindbettfieber wären von 
Stoffen abzuleiten, welche im Körper der Pat. entständen, und dies würde 
durch gewisse Thatsachen aus der Lehre von der Menstruation bewiesen. 

More Madden (Dublin) Hess sich dann über die schnelle Heilung der 
Cystitis bei Frauen aus. Dies sei eine häufige ungefährliche Krankheit und 
würde, nach Ausschluss organischer Affectionen der Niere und Harnleiter, 
am besten durch vollständige Erweiterung des Canals der Harnröhre be¬ 
handelt, so dass die Blase etwa 8 oder 10 Tage vollkommene Ruhe hätte. 
Die meisten folgenden Redner erklärten ihre Uebereinstimmung mit dieser 
Behandlungsmethode. 

Für Apostoli (Paris) wurde dann eine Abhandlung über neue 
elektrothe rapeutische Verfahren in der Gynäkologie gelesen. 
Schmerzen würden mittelst Galvanopunctur mit negativen und positiven gol¬ 
denen Nadeln gelindert, besonders bei perimetritischer Entzündung, welche 
Myome des Uterus begleitete. Bei Blutung brauchte er einen speciellen ge¬ 
latinösen Stromgeber, auch einen von Gaskohle. Die Dosirung des Stromes, 
die Anwendungsmethode und die Sensibilität des Mutterhalses wurden weiter¬ 
hin besprochen. In der Discussion sprachen sich ungefähr ebensoviele Gy¬ 
näkologen für wie gegen diese Methode aus. (Fortsetzung folgt.) 

XL Journal-Revue. 

Anatomie. 

2 . 

Bardeleben. Ueber die Lage der weiblichen Becken¬ 
organe. Anatom. Anzeiger 1888, No. 19—21. 

Der Autor fasst in seinem Vortrage, den er auf der zweiten 
Versammlung der Anatomischen Gesellschaft gehalten hat, die lite- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


804 


rarische Uebersicht, sowie die Ergebnisse seiner eigenen Unter¬ 
suchungen an Leichen (Situs, Schnitte, Präparation) und Lebenden 
in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Die Gebärmutter liegt bei leerer oder wenig gefüllter 
Blase normal antevertirt, bei Kindern und Jungfrauen ist sie 
ausserdem anteflectirt. Sie richtet sich nach der Blase, so dass 
sie bei stärkerer Füllung derselben nach oben und nach hinten ge¬ 
drängt, aufgerichtet wird und so auch normalerweise hinter der 
Beckenaxe liegen kann. 

Der Uterus ist gewöhnlich asymmetrisch gelagert, nach 
rechts (häufiger) oder nach links gedreht und gerichtet. Der Grund 
ist in der Füllung des Mastdarms und des S. romanum zu suchen. 

Der äussere Muttermund liegt in der Höhe einer geraden Linie, 
welche man vom oberen Rande der Symphyse zum unteren Ende 
des Kreuzbeins zieht. 

Warum liegt der Uterus antevertirt? 1) Aus entwickelungs¬ 
geschichtlichen Gründen (Engigkeit des Beckens); 2) aus vergleichend 
anatomischen Ursachen (bei den Vierfnssern liegt er, dem Gesetz 
der Schwere folgend, stets ventral); 3) mechanisch: ausser dem 
intraabdominalen Druck und den „Bändern“, besonders dem Lig. 
rotundum, macht B. im Wesentlichen das Bauchfell selbst ver¬ 
antwortlich, das fest am Fundus geheftet ist und in Folge seiner 
glatten Muskulatur, die der Nachdehnung widersteht (vgl. B.’s 
Arbeiten über Arterien- und Venenwandung), bei Füllung der Blase 
den Uterus an diese heranziehen bezw. an ihr festhalten muss. 
Die pathologischen Adhäsionen sind sonach mechanisch nur eine 
weitere Durchführung dieses Princips und somit für das eben Ge¬ 
sagte beweisend. — Hierzu ko mm t, für die aufrechte Stellung der 
Frau (Stehen, Gehen, Sitzen) die Schwere des Uterus, die Drehung 
um eine horizontale quere Axe. 

2. Die Form der weiblichen Blase kann sein: kuglig, ovoid, 
spindelförmig (bei jüngeren Individuen), sagittal comprimirt, mit 
seitlichen Ausbuchtungen, von oben eingedrückt, auf dem Median¬ 
schnitt dreieckig u. s. w. Der Uterus bringt durch seine (asymme¬ 
trische) Auflagerung allmählich einen Eindruck hervor, der sowohl 
im gefüllten Zustande, als an der aufgeblasenen, herausgeschnittenen 
Blase nachweisbar ist, und den B. „Impressio uterina“ zu nennen 
vorschlägt 

3. Die Verbindung zwischen Blase und Cervix ist variabel 
hoch, sie beträgt in der Medianebene zwischen einigen Millimetern 
bis gegen 2 cm. Sie besteht aus lockerem Bindegewebe mit zahl¬ 
reichen Gefässen. Diese Verbindung ist um so weniger Grund der 
Vorwärtslagerung des Uterus, als sie im Gegentheil das Zurücktreten 
des Cervix und die Vorwärtsbewegung des Körpers bis zu einem 
gewissen Grade verhindert. Sie wirkt gewissermaassen als Feder 
gegen übertriebene Anteversion, giebt jedoch bald nach. 

4. Die verschiedenen Angaben über den Verlauf des Mast¬ 
darms, sein Uebertreten in die rechte oder linke Körperhälfte er¬ 
klären sich durch Alters-, individuelle und Füllungsdifferenzen. Man 
muss drei Abschnitte unterscheiden, einen oberen, mittleren und 
unteren. Beim Kinde macht der Mastdarm in seinem oberen Theile 
eine Convexität nach rechts, derart, dass auch der mittlere Theil 
noch nach rechts abweichen kann. Beim Erwachsenen hat sich der 
Darm durch Längenwachsthum und durch rein mechanische Dehnung 
und Ausbuchtung nach oft wiederholten Ueberanfüllungen und 
Ueberanstrengungen verlängert, und sind seine Krümmungen stärker 
und zahlreicher geworden. Ausser der Convexität des oberen Drittels 
nach rechts finden wir nunmehr eine Convexität des mittleren Ab¬ 
schnittes nach links. Ausser diesen Verhältnissen des Mastdarms 
ist aber die oft sehr auffallende Verlängerung des S. romanum 
wichtig für die Stellung des Uterus. Es hängt häufig eine lange, 
oft mit Koth gefüllte Schlinge vom Psoasrande der linken Seite in 
die hintere obere Partie des kleinen Beckens herab und drängt so 
den Uterus und den linken Eierstock (direkt oder indirekt, vgl. 
oben) nach rechts und vorn. Die Blase weicht dann mehr nach 
links aus. 

5. Die Eierstöcke liegen so, wie es Schultze, His undWal- 
deyer übereinstimmend angegeben haben, und wie B. nach Pal¬ 
pation an der Lebenden und zahlreichen Untersuchungen an der 
Leiche bestätigen kann. 

6. Betreffs der Tuben stimmt B. der Darstellung von His 
und Waldeyer bei und möchte nochmals die Aufmerksamkeit der 
Anatomen, Physiologen und Gynäkologen auf die Bildung einer Art 
von Bauchfelltasche, auch beim Menschen, hinlenken. 

7. Betreffend den Verlauf der Ureteren schliesst B. sich im 

Wesentlichen der Beschreibung von Holl an. S. G. 

Physiologie. 

6 . 

S. 8. Salessky. Vom Einfluss der Nahrung auf die Zu¬ 
sammensetzung der Frauenmilch. Wratsch, 1887, No. 37—40. 

Die Resultate der fleissigen,Arbeit sind folgende: 


1. Zu fette Frauenmilch kann schädlich auf Entwickelung und 
Ernährung des Säuglings einwirken. 

2. Reichliche, vorherrschend aus Eiweiss bestehende Kost be¬ 
dingt eine sehr beträchtliche Vermehrung der Fette in der Frauen¬ 
milch, während gleichzeitig der Zucker abnimmt. Der Einfluss auf 
die übrigen Bestandtheile der Milch ist weniger bedeutend. Es ist 
sehr möglich, dass alkoholische Getränke in gleicher Weise wirken. 

3. Wenn wir die Lebensweise und Ernährung der Mutter 
ändern, so können wir bis zu einem gewissen Grade eine Zusammen¬ 
setzung der Milch erreichen, wie sie für die günstige Entwickelune 
des Kindes geeignet ist. 

4. Die Nahrung beeinflusst die Zusammeusetzung der Milch 
bei den Frauen augenscheinlich ebenso wie bei den Thiereu. 

5. Das Milchfett bildet sich, direkt oder indirekt und wahr¬ 
scheinlich in sehr grossen Quantitäten, aus dem Eiweiss der Nahrung. 

M. Schmidt (Riga). 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

9 . 

Krafft-Ebing. Ueber pollutionsartige Vorgänge beim 
Weibe. Wiener med. Presse. No. 14. 

Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass das Wollustgefühl des 
Weibes dadurch zu Stande kommt, dass die durch Friction gesetzte 
sensible Reizung des Genitalschlauchs reflectorisch durch ein dem 
Ejaculationscentrum des Mannes analoges Centrum sich in einen 
peristaltischen Contractionsvorgang der Muskelfasern der Tuben und 
des Uterus umsetzt, wodurch der Tuba- und Uterinschleim ausgepresst 
wird. Zu Gunsten dieser Annahme spricht der Umstand, dass Frauen, 
bei welchen durch den Reiz einer Traumvorstellung dieser pollutions¬ 
artige Vorgang herbeigeführt wird, beim Erwachen eine Nässe in 
den äusseren Genitalien gewahr werden. Unvollkommener, nicht 
zur Befriedigung, d. h. zum Ejaculationsgefühl, gelangender Coitus 
ist Ursache häufiger Nervenleiden beim Weibe. Der Befund ist oft 
dabei: Chronische Endometritis, Metritis, Oophoritis, es sind dies 
nur concomitirende Störungen. Die Therapie besteht in Herstellung 
hygienischer Bedingungen des Coitus und in Behandlung der Neurose. 
Fere (Arch. d. Neurologie 1883, p. 131) hat eine Kranke gesehen, 
die in der Gegend des oberen Theils des Sternums eine erogene 
Zone darbot, Druck auf diese Zone rief eine reichliche Secretion 
vulvo-vaginaler Flüssigkeit hervor. Neurosen können bei Frauen 
und jungen Mädchen die Folge einer psychischen und manuellen 
Onanie sein, sodann bei Wittwen, bei denen durch Tod oder er¬ 
worbene Impotenz bei mächtiger Libido Enthaltsamkeit erzwun¬ 
gen war. 

Wie beim Manne das betreffende Centrum im Rückenmark auch 
durch vom Gehirn kommende Reize in Action versetzt werden kann 
(Pollutionen), so kommt offenbar Gleiches auch beim Weibe vor. 
Ausgelöst wird der Vorgang stets durch lascive Traumvorstelluugen. 
Beim Manne ist der Vorgang entschieden physiologisch, bei gesunden 
WeibernkonnteKrafft-Ebingnichts derartiges constatiren, wohl aber 
bei nervenkranken und zwar sexuell asthenischen Weibern. Dahin ge¬ 
hören auch die Coitushallucinationen und Klagen irrsinniger Weiber 
über nächtlicherweise ihnen widerfahrene Schändung. Die Behand¬ 
lung solcher genitalen Neurose besteht in Halbbädern von 23—19°* 
Suppositorien von Camphora monobromata 0,6 mit Extr. Bellad. 
0,04, Br Na 3,0—4,0 Abends, Pulver aus Caraphora 0,1, Lupulin 
0,6, Extr. secal. bis 0,08, 2 mal täglich. R- 

R. Altmann. Ueber die Inactivitätsatrophie der weib¬ 
lichen Brustdrüse. Virchow’s Archiv Bd. 111, Heft 2. 
p. 318-340. 

Die Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahre ist in der 
schwäbisch-bayerischen Hochebene stets eine verhältnissmässig be¬ 
deutende, und der ärztliche Verein in München war schon im 
Jahre 1876 der Ansicht, dass die hohe Säuglingssterblichkeit ihren 
Grund in der fehlerhaften Pflege der Säuglinge habe, und zwar 
vor Allem in der Entziehung der Mutterbrust. Die eigentliche 
Ursache des Mangels einer genügenden Milchsecretion erachtete 
Escherich sen. als Folge topographischer Verhältnisse, Kuli hielt 
es für eine Rasseneigenthümlichkeit, und v. Kerschensteiner und 
Bollinger nahraeu eine vererbte mangelhafte Anlage der Drüse 
in Folge ihrer Inactivität an. Ob man berechtigt sei, eine vererbte 
mangelhafte Anlage des Drüsengewebes in Folge des Nichtstillens 
anzunehmen, suchte Verf. durch genaue anatomische und histologische 
Untersuchungen an 34 Fällen zu eruiren. 

Verf. berücksichtigte bei seinen Studien die Drüse als Ganzes- 
das Verhältniss des Drüsengewebes zum umgebenden Bindegewebe 
und die Structur des Drüsengewebes selbst. Er theilt sein Matena 
in 5 Gruppen ein. Zur ersten rechnet er Nulliparae aus Bayern- 
zur zweiten Frauen aus Bayern, die geboren und nicht gesu 
haben, zur Dritten die Puerperae (nur ein Fall), zur vierten hraue 
aus Bayern, die gestillt haben und zur fünften Gruppe enai 
diejenigen bayerischen Frauen, die geboren und unvollständig 
gar nicht gestillt haben. 


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DKUTSCTIE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


805 


27. September. 


Die Milchdrüse als Ganzes betrachtet ergab in 29 Fällen bei 
ihrer Gewichtsbestimmung ein höheres Gewicht als 100 g nur in 
8 Fällen. (Hennig giebt als Gewicht der weiblichen Mamma 160 
bis 556 g an). Verf. will aber keineswegs aus seinen Gewichts¬ 
bestimmungen den Schluss ziehen, als ob die Mehrzahl der von 
ihm gewogenen Drüsen functionsunfähig wäre, können ja Frauen 
mit kleinen Brüsten sehr gut stillen, auch könne die Grösse der 
Drüse in dem stark entwickelten Bindegewebsstroma ihren Grund 
haben. Das Verhältniss des Drüsengewebes zum umgebenden 
Bindegewebe ist ein äussert variables. Bei nulliparen Frauen war 
das Bindegewebe stets sehr reichlich, die Milchgänge und Acini da¬ 
gegen spärlich. Die Brüste zweier nulliparen Schlesierinnen, von 
denen die eine an chron. Tuberculose verstarb, ergaben zahlreichere 
Drüsenelemente, die in einem derben fibrillären Bindegewebe ein¬ 
gebettet waren. In dem Bindegewebe selbst waren viele Gefässe 
vorhanden und traten von allen Seiten an die Drüsenläppchen her¬ 
an. In der Schwangerschaft wird das Drüsengewebe stärker, spär¬ 
licher dagegen das Bindegewebe. Am Ende der Gravidität wird die 
Wucherung der Milchgänge und der Acini so stark, dass das Binde¬ 
gewebsstroma um die Acini herum nur eine dünne Schicht bildet. 
Stillt die betr. Person nicht, dann schrumpfen die Acini, und das 
Bindegewebe fängt zu wuchern an. Je länger eine Drüse 
fnnctionirt, desto geringer ist die Schrumpfung der Drüsenläppchen. 
Die Brust einer Frau, die ihre Kinder nicht stillt, unterliege 
einer Inactivitätsatrophie, während die Drüse derjenigen Mutter, die 
stets ihre Kinder gestillt habe, sich in einem ruhenden aber zur 
Secretion leicht geneigten Zustande befindet. 

Auf Grund der Vererbungslehre scbliesst Verf. aus seinen 
Untersuchungen, dass, wenn das Stillen durch viele Generationen 
unterlassen wird oder nur hin und wieder geschieht, es zu einer 
Inactivitätsatrophie der Milchdrüse kommen muss. Seine pathologisch- 
anatomischen Untersuchungen haben die v. Kerschensteiner- 
Bollinger’sche Hypothese, dass der Mangel einer genügenden 
Milchsecretion bei den bayerischen Frauen hauptsächlich in der 
Inactivitätsatrophie der Milchdrüse zu suchen sei, vollauf bestätigt. 

Inwieweit etwa ausserdem noch Rasseneigenthümlichkeiten die 
Functionen der Milchdrüse beeinflussen, lässt Verf. dahingestellt 
sein. Ref. glaubt, dass die Rasseneigenthümlichkeiten bei der¬ 
artigen Fragen mit Recht stets im Auge behalten werden müssen. 
So ist z. B. bei den Holsteinerinnen und Engländerinnen der quere 
Beckendurchmesser verhältnissmässig recht gross, überhaupt giebt 
das Studium der Rassebecken bestimmte Anhaltspunkte dafür, dass 
Rasseneigenthümlichkeiten sicherlich bei der Entwickelung der ein¬ 
zelnen Organe eine Rolle spielen. Ref. erinnert sich bei dieser 
Gelegenheit aus dem Colleg einer Aeusserung Spiegelberg’s, nach 
welcher der grössere Theil der Schlesierinnen kurze Scheiden habe. 
Spiegelberg führte dies auf eine Rasseneigenthümlichkeit zurück. 

v. Swiecicki (Posen). 

Conrad. Ueber den Gonococcus Neisser und seine 
Beziehungen zur Gonorrhoe des Weibes. Corresp.-Blatt für 
Schweiz. Aerzte Jahrg. XVII. 

Verf. weist zunächst auf die grosse Häufigkeit der Gonorrhoe des 
Weibes (Vs— Vo »Her gynäkologischen Fälle) und ihre schweren, manch¬ 
mal das Leben bedrohenden Complicationen hin, und geht dann kurz 
auf die Entdeckung des Gonococcus ein, dessen specifische Natur durch 
die erfolgreichen Impfungen von Bumm endgültig erwiesen wurde. 

Um nun diese Resultate für die Praxis verwendbar zu machen 
d. h. um die Frage zu entscheiden, ob wir es im gegebenen Falle 
mit einem nicht specifischen Katarrh oder mit einer gonorrhoischen 
Infection zu thun haben, begann er im Vereine mit 3 anderen 
Aerzten eine Reihe von Untersuchungen, welche sich auf 60 klinische 
Fälle erstreckten und einen Zeitraum von 2V - 2 Jahren umfassten. 
Es fanden sich im ganzen in 5 frischen Fällen und in zwei chronischen 
charakteristische Gruppen von Gonococcus Neisser, die wirklich 
beweisend waren. Das Resultat der Untersuchungen fasst Verf. 
endlich in Folgendem zusammen: 

1. Der Nachweis des Gonococcus gelingt häufiger und leichter 
beim Manne als beim Weibe, zum Theil aus anatomischen, zum Theil 
aus anderen verschiedenartigen Gründen (spätes Nachsuchen ärztlicher 
Hülfe, vorherige Urinentleerung, vorgehende Behandlung etc). 

2. Während man in frischen Fällen von Gonorrhoe der weib¬ 
lichen Genitalien den Gonococcus Neisser mit seltenen Ausnahmen 
stets findet, ist dies in chronischen Fällen häufig nicht möglich; es 
müssten denn vielleicht sehr zahlreiche Untersuchungen in grösseren 
Zwischenräumen vorgenommen werden, was aber in der Praxis 
schwer durchführbar ist. 

3. Es können demnach ohne die Möglichkeit des Nachweises 
bei der Frau acute und chronische gonorrhoische Erkrankungen be¬ 
stehen, und wir sind häufig allein auf die ätiologische und klinische 
Beobachtung angewiesen. Immerhin ist so oft wie möglich nach dem 
Gonococcus zu forschen, da sein Nachweis von grossem Nutzen für 
Diagnose etc. sein kann. 


Zum Schlüsse giebt Verf. noch in Kürze die Therapie an, welche 
in den gebräuchlichen Mitteln besteht, und stellt als Hauptsache 
die Prophylaxis hin. Strenge Beaufsichtigung der Prostitution; so 
lange beim Manne noch Spuren eines Trippers bestehen, ist ihm 
die Ehe resp. der Coitus zu untersagen und auf energische Behand¬ 
lung auch des letzten Restes zu dringen. Sehr oft wird noch der 
Tripper als eine unbedeutende Affection leichthin aufgefasst und zu 
wenig auf die schlimmen Folgen aufmerksam gemacht, welche er 
für die Frau und die Kinder haben kann. Görges. 

Boldt (New-York). Herzneurosen in Zusammenhang 
mit Erkrankungen der Ovarien und des Uterus. American. 
Joum. of Obstetrics. 

Boldt ist der Ansicht, dass Herzneurosen sehr viel häufiger 
bei Erkrankungen des Uterus und der Ovarien anzutreffen sind, 
als man gewöhnlich annimmt. Er fand sie in circa 8 % seiner 
Fälle, nicht selten als einziges Symptom eines Unterleibsleidens. 
Die Affection des Herzens zeigt sich als Palpitation, als Arhythmie 
und Aussetzen des Pulses, in einigen Fällen als Störung, die als 
Angina pectoris bezeichnet werden muss. Die Symptome unter- 
i scheiden sich nicht von denen, wie sie Herzneurosen aus anderen 
Ursachen zeigen. Verf. empfiehlt, in allen Fällen, wo eine sonstige 
Ursache für das Vorhandensein der Neurose nicht aufzufinden ist, 
eine genaue Untersuchung der Genitalien vorzunehmen. Neun einer 
grossen Anzahl von Patientinnen entnommene Fälle und deren 
Krankengeschichten erläutern die Anschauungen des Verf. Fast 
in allen Fällen handelte es sich um Continuitätstrennungen des 
Dammes und Cervix, sowie um Lageveränderungen des Uterus. 

Munde (New-York). Behandlung der Beckenabscesse 
der Frauen durch Incision und Drainage. American. Journ. 
of Obstetrics. 

Unter 400 gelbstbeobachteten Fällen von Perimetritis und Para- 
metritis konnte Munde 48 Mal Beckenabscesse nachweisen. Von 
denselben brachen 23 spontan durch (14 in’s Rectum, 5 in die Vagina, 

! 3 in die Blase, 1 durch die Bauchwand). 16 Fälle wurden erfolg¬ 
reich mit Aspiration behandelt. In acht Fällen endlich wurde 
Incision und Drainage angewandt, 6 mal mit Eröffnung des Ab- 
scesses von den Bauchdecken, einmal von der Vagina aus. Sämmt- 
liche operirte Fälle kamen zur Heilung. Die an diesem reichen 
Material gewonnenen Erfahrungen lassen Munde zu folgenden 
Schlussfolgerungen gelangen: 

1. Beckenabscesse sind im Vergleich zur Häufigkeit von Becken¬ 
exsudaten ziemlich selten. Sie finden sich in etwa 10 % aller 
Fälle, während die meisten Exsudate zur Resorption kommen. 

2. Beckenabscesse sind eutweder extraperitoneal (Folge von 
Parametritis) oder intraperitoneal (Folge vou Beckenperitonitis). 
Intraperitoneale Abscesse können durch adhäsive Entzündung so 
abgekapselt werden, dass sie praktisch als extraperitoneal zu be¬ 
trachten sind. 

3. Kleine, tiefliegende Abscesse und kleine multiple Abscesse 
des Parametriura können oft dauernd geheilt werden durch Ent- 

! leerung mit dem Aspirator. Die Exsudation in der Umgebung wird 
; dann rasch resorbirt. 

4. Ungefähr die Hälfte aller Beckenabscesse bricht spontan 
nach einer der typischen Stellen durch. Alsdann kann Heilung 

1 ohne weitere Behandlung erfolgen, oder die weiterbestehenden 
Abscesshöhlen müssen auf chirurgischem Wege beseitigt werden. 

5. Mehr als zwei Unzen Eiter enthaltende Abscesse sind durch 
' breite Incision zu eröffnen, mit Finger oder Curette von ihrem 

Inhalt zu befreien, alsdann zu drainiren und eventuell auszu¬ 
spülen. 

6. Die Incision soll dort gemacht werden, wo der Eiter am 
deutlichsten vordringt, also meistens im Scheidengewölbe. 

7. In einer Anzahl von Fällen sucht sich der Eiter durch die 
Bauchdecken, gewöhnlich in der Fossa iliaca Luft zu machen. 
Die Incision muss gross sein und freie Drainage ermöglichen. 

8. Wenn der Eiter tief iu’s Becken vorgedruugen ist und eine 
Sonde durch die Bauchincision bis zum Scheidengewölbe reicht, 
muss in demselben eine Gegenöffnung gemacht und von der Bauch¬ 
wunde in die Vagina durchdrainirt werden. Verletzungen der Blase 
sind zu vermeiden. 

9. Die Eröffnung des Beckenabscesses durch die Bauchwand 
ist nicht gefährlicher als die Incision von Abscessen an anderen 
Körperstellen. Da das Peritoneum nicht eröffnet wird, darf man sie 
nicht als Laparotomie ansehen. 

10. Alte chronische Beckenabscesse, die seit längerer Zeit durch¬ 
gebrochen sind, sind sehr schwer zu heilen, besonders, wenn der 
Durchbruch in dem oberen Theil des Rectum erfolgt ist. Hier 
schlagen die meisten Heilversuche fehl. 

11. Verwechselt kann der Beckenabscess mit einem perityphli- 
tischen Abscess werden. Die Behandlung ist dieselbe. 

12. Die meisten Beckenabscesse kommen zur Heilung. Die 

Mortalität ist gering. Bokelmann. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39 


806 


Garrigues. Laparotomie wegen Uterusruptur. Phila- 
delpb. med. News, März 1888. 

Patientin war eine 32jährige Multipara. Die Wehen begannen 
am normalen Ende der Schwangerschaft einige Tage nach einem 
bösen Fall. Etwa 32 Stunden nach Beginn der Wehen glich ihr 
Arzt eine ausgesprochene Schieflageruug des Uterus nach links aus, 
der Blasensprung erfolgte nach 4 Stunden, aber der Kopf rückte 
nicht vor. Eine Stunde nachher traten krampfartige Schmerzen 
ein ohne Shock, und die Vagina fand man voller Blutklumpen. 
Man machte Laparotomie und fand die Placenta frei in der Bauch¬ 
höhle, daneben 1 1 flüssiges Blut, das Kind war todt, gross und 
blutig. Der Riss ging durch die ganze vordere und einen Theil der 
hinteren Wand, er reichte vorn zu tief, um die Porro’sche Ope¬ 
ration auszuführen; es wurde nach Schröder’s Verfahren mit 37 
tiefen und oberflächlichen Seidenligaturen genäht, die Bauchhöhle 
mit warmem Wasser ausgespült, die Uterushöhle mit heisser Subli¬ 
matlösung (1:5000). Zum Unglück lebte Patientin in einem Logir- 
haus niederen Grades, und ihre Wartung war schlecht, so dass ihr 
bei einer Gelegenheit gestattet wurde, das Bett zu verlassen. Tod an 
Peritonitis vier Tage nach der Operation. R. 

Cutts (Washington). Die Nothwendigkeit einer vorbe¬ 
reitenden Behandlung für das Wochenbett. Americ. Journ. 
of Obstetrics. 

Verf. macht auf die Nothwendigkeit aufmerksam, dass der prak¬ 
tische Geburtshelfer schon während der Schwangerschaft die von 
ihm zu Entbindende kennen lerne, während er thatsächlich dieselbe 
selten vor Beginn der Entbindung zu sehen bekommt. Er hält es 
demgemäss für nothwendig, dass der Geburtshelfer bereits im neunten 
Monat Gelegenheit erlangt, sich von dem allgemeinen Gesundheits¬ 
zustand, etwaigen ererbten oder erworbenen Krankheiten, speciellen 
Schwangerschaftsbeschwerden, dem Bau des Beckens, dem Zustande 
des Abdomens und der Vagina, der Lage und Haltung der Frucht 
in Kenntniss zu setzen. Eine Reihe unangenehmer Ueberraschungen 
bei der Entbindung würden sich, nach Ansicht des Verfassers, durch 
diese Vorhersorge vermeiden lassen, ebenso manche Erkrankungen, 
die vernachlässigt, erst mit dem Beginne der Entbindung zum vollen 
Ausbruch kommen. 

Malcolm MClean (Xew-York). Die Behandlung der 
Placenta praevia. American Journal of Obstetr. 

Verf. bespricht die verschiedenen früher und heute gebräuch¬ 
lichen Methoden der Placenta praevia-Behandlung. Er führt einen 
Fall aus der eigenen Praxis an, in welchem er nach instrumenteller 
Erweiterung des Cervicalcanals die combinirte Wendung machte und 
die baldige Extraction bei ungenügend erweiterten Weichtheilen 
anschloss. Kind todt geboren. Bedeutende Zerreissungen der müt¬ 
terlichen Weichtheile. Tod der Mutter am 17. Wochenbettstage an 
Embolie. Verf. macht sich selbst den Vorwurf, nicht lange genug 
mit der Extraction gewartet zu haben, und kommt zu folgenden 
Schlüssen, die Behandlung der Placenta praevia betreffend: 

1. Alle Styptica sind zu verwerfen. 

2. Es muss zunächst für Anregung energischer Wehenthätigkeit 
gesorgt werden. 

3. Bei I paris und Kreissenden mit rigiden Weichtheilen soll 
die Vagina mit Colpeurynter oder Tampon erweitert werden. 

4. Zur Erweiterung des Cervix dient am besten Barnes Dilatator. 

5. Bei lateralem Sitz der Placenta combinirte Wendung nach 
Braxton Hicks, ausser wenn 

6. Nach Fruchtwasserabfluss der vorliegende kindliche Kopf fest 
auf den Cervicalcanal drückt. 

7. Im Allgemeinen ist die Wendung der Application des Forceps 
vorzuziehen. 

8. In Ausnahmefällen, bei ungenügender Assistenz etc., kann 
von der Vaginaltamponade Gebrauch gemacht werden. 

9. Die Gefahren septischer Infection bei Anwendung der Tam¬ 
ponade sind gering. 

10. Die Dilatation der mütterlichen Weichtheile und schliess- 
liche Entbindung soll, um Zerreissungen zu vermeiden, langsam vor¬ 
genommen werden. 

Wegen der grossen Neigung zu Blutungen und septischer In¬ 
fection stellt die Behandlung der Placenta praevia ganz besonders 
grosse Anforderungen an die Reinlichkeit und Antisepsis des Prak¬ 
tikers. _ Bokelmann. 


XHI. Therapeutische Mittheilungen. 

Ein neuer Inhalationsapparat. 

Von E. Jahr. 

(Schluss aus No. 38.) 

Nach diesen hier vorangestellten Erörterungen muss die l'eberzeugung 
Platz greifen: 

1. Dass zur Inhalation sich am besten eignen Stoffe, welche leicht ver¬ 
dampfen und auch solche, von denen bei einer Temperatur von etwa 


4- 40 bis 4- 500 C bedeutendere Mengen in der atmosphärischen Luft 
sich dampfförmig erhalten lassen, und 
2. Dass nur durch ein Luftgemenge, welches eine Temperatur von über 
37o C hat und vollständig mit Dampf von ad 1 bezeichneten Stoffen 
gesättigt ist, die Bedingungen geboten werden, unter denen bedeuten¬ 
dere Mengen Medicamente in selbst kranke Lungentheile d. h. in solche 
mit verminderter Aspirationsfähigkeit, durch Inhalation hineinbefördert 
werden können. 

Es wird nämlich, wenn man einen vollständig mit Dämpfen gesättigten 
Luftstrom von über Körpertemperatur einathmet, da in den Respirations¬ 
organen die Spannkraft eines solchen Luftstroms naturgemäss sinkt, sich 
hier ein Theil des Dampfes condensiren. Unter Berücksichtigung der Spann¬ 
kraft des betr. zur Verwendung gelangenden Dampfes und der zur An¬ 
wendung kommenden Temperatur, lässt sich dann die Quantität des Dampfes 
resp. des Medicaments bestimmen, welche man mit einem bestimmten Vo¬ 
lumen aspirirter Luft in die Respiratiousorgane einzuführen und niederzu¬ 
schlagen wünscht. Ausserdem würde man, um das niedergeschlagene Quan¬ 
tum des Medicaments in den Respirationsorganen zu erhalten, worauf doch 
besonders Bedacht genommen werden muss, mit Wasserdampf gesättigte Luft 
von Körperwärme nachinhaliren können, wodurch ein zu schnelles Entweichen 
des inhalirten Medicaments verhindert wird; denn mit Wasserdampf ge¬ 
sättigte Luft vermag gewöhnlich nur einen kleinen Theil von Dämpfen 
flüchtiger Stoffe aufzunehmen. *) 

Dieser letztere Umstand, welcher die Dauer der Einwirkung solcher 
dampfförmigen Stoffe auf die betr. Organe zu bestimmen gestattet, fällt bei 
vergasten Medicamenten fort, da Luft, welche vollständig mit Feuchtigkeit 
gesättigt ist, bekanntlich dasselbe Volumen Qas aufzunehmen vermag, wie 
solche ohne Wasserdampf. 2 ) 

Unter Zugrundelegung des Princips, dass vollständig mit Dampf ge¬ 
sättigte Luft von über Körperwärme, wenn dieselbe eingeathmet wird, einen 
Theil ihres Dampfgehaltes in den Athraungsorganeu niederschlagen muss, 
habe ich den in Figur 2 im Verticalschnitt, in Figur 1 in der Seitenansicht 
abgebildeten Apparat construirt. 



(Fig. 2) a ist ein cylinderischer Kessel in welchen ein zweiter etwas 
kleinerer, ebenfalls cylinderischer Kessel b derart eingesetzt ist, dass die 
Wandungen des letzteren von den Wandungen des erstereu überall einige 
cm abstehen. Der so gebildete Hohlraum wird mit Wasser gefüllt. Dieses 
Wasser wird mit Hülfe eines Gas- oder Spiritusbrenners auf die gewünschte 
Temperatur gebracht Zwischen den Böden und Wandungen der beiden 
Kessel o und b ist ein mehrfach gewundenes Rohr c eingelegt, dessen eines 
Ende durch die Wandung des Kessels o bei A (Fig. 1) hervorragt und mit 
der Luft communicirt, während dessen anderes Ende c 1 (Fig. 2) in den 
Kessel b einmündet. Gegenüber der Mündung c l ist in dem oberen Drittel 
der Wandung des Kessels b, welcher mit einem aufklappbaren Deckel b l 
verschlossen wird, ein horizontaler Stutzen B (Fig. 1) angebracht, durch 
dessen Mundstück C (Fig. 1) die in b erwärmte und mit Dampf gesättigte 
Luft von dem Patienten eingeathmet wird. Der Wassermantel des Apparates 
setzt sich ih den Stutzen B (Fig. 1) fort. Auf diese Weise wird die aus 
b abgesaugte Luft während ihres Weges durch den Stutzen B vor Ab¬ 
kühlung bewahrt. Vor die Oeffnung A (Fig. 1) lässt sich nach Bedarf ein 
Filtrationsapparat für die eintretende Luft anbringen. Die Thermometer E 
und D (Fig. 1) gestatten die Beurtheilung der Wärme des Mantelwassers 
wie der einzuathmenden Luft. Durch einen au der äusseren Seite des Ap¬ 
parates angebrachten kleinen Dampfkessel d (Fig. 2) wird die erwärmte Luft 


*) Vergl. u. And. Wülluer, Compundium der Physik. Leipzig 1879. 
Bd. 2 p. 208. 

J ) Wüllner, I. c. Bd. 2. p. 207. 


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27. September. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 807 


nach Bedarf mit medicanxentösen Dämpfen geschwängert. Der durch den 
Zerstäuber e (Fig. 2) in den Kessel b eingeleitete Dampf setzt zugleich den 
Ventilator h in Thätigkeit. Die innerhalb des Kessels b etwa zur Conden- 



sation kommenden Dämpfe sammeln sich in einer in der Mitte dieses | 
Kessels befindlichen Vertiefung f (Fig. 2), aus welcher sie durch das Rohr | 
g (Fig. 2) wieder bis zu dem Zerstäuber e gesaugt werden und hier wieder | 
zur Zerstäubung gelangen. 

Zur Therapie der Magenerweiterung. 

— Für die Therapie der Magenerweiterung macht Prof. Ott (Würt. j 
tuedicin. Correspond. No. 26) die folgenden beherzigenswerthen Bemer¬ 
kungen: Die Therapie muss immer eine causale sein. Zur Einleitung der¬ 
selben muss man immer die Ursache der Erweiterung kennen. Eine all¬ 
gemein gültige Behandlung giebt es nicht. Wo wir die Ursache | 
beseitigen können, heilen wir auch die Erweiterung, wenigstens beseitigen j 
wir die dadurch bedingten Störungen und Beschwerden. Eine reine Stenose 
beseitigt Niemand, aber die dadurch bedingten Störungen des Chemismus 
können wir beseitigen. Das souveräne Mittel ist die Anwendung der 
Magensoude: durch das Ausspülen des Magens werden die momentanen 
Beschwerden beseitigt, und der Magen contrahirt sich nachher wieder 
leichter, wenn die ewige Belastung von ihm genommen ist. Wenn es nun 
in den Fällen der Ektasie, wo eine Stenose als Ursache vorliegt , nöthig 
ist, bis an’s Ende des Lebens den belasteten Magen auszuspülen, so gelingt 
es uns in vieleu anderen Fällen, die Störungen des Chemismus zu besei¬ 
tigen und die Ektasie zu heilen. Indicirt ist natürlich die Ausheberung 
und Axisspülung überall, wo eine Insufficienz des Pförtners besteht und die 
Erweiterung sich zxi bilden im Begriff ist. Sogar bei einer durch carcino- 
matöse Stenose des Pylorus bedingten Ektasie hat die Ausspülung einen 
grossen Werth: sie beseitigt die Gährungsproducte einer falschen Ver¬ 
dauung, die Schmerzen, die Schlaflosigkeit und verbessert den Appetit. 
Die verminderte SafLsecretion und die gestörte Eiweissverdauung fordert 
von der Diät die Darreichung von Peptonpräparaten. Bei Hypersecretion 
neutralisirt man mit dem Aushebern die überschüssige Säure, beschränkt 
die Zufuhr von Amylaceen, erleichtert der immer belasteten Muscularis die 
Arbeit und hält von der Mucosa schädliche Einflüsse fern. Der Durst ist 
sehr heftig und quälend; man giebt dagegen, wenn so auch nur das Durst¬ 
gefühl gestillt wird, Eisstückchen oder Eismilch, da es uicht erlaubt sein 
kann, die Kranken nach Belieben trinken zu lassen. Auch die Flüssig¬ 
keiten werden im erweiterten Magen nicht resorbirt. Wichtige Mittel sind 
die richtig und kunstgerecht geübte Massage des Magens, um den ver¬ 
lorenen Tonus wieder herzustellen und die Elektricität. Letztere wendet i 
man als Faradisation an, indem man einen Pol in der Gegend des linken 
Hypochondriums aufsetzt und mit dem anderen Pol streichend von der Cardia 
zum Pylorus vorschreitet. Es ist zweckmässig, einen ziemlich starken Strom 
und feuchte Elektroden zu wählen. Eine Sitzung soll ca. 5 Minuten währen. 

Unterstützt wird die Cur in sehr vortheilbafter Weise durch die Dar¬ 
reichung von Karlsbader Wasser, das man lange gebrauchen lassen kann, 
besonders auch deshalb, weil nach den Untersuchungen von Jaworski ein 
längerer Gebrauch des Karlsbader Wassers die Salzsäureabsonderung herab¬ 
setzt, ja bis zum Verschwinden verringert. Die Darreichxxng des Karlsbader 
Wassers am Morgen ersetzt eigentlich eine auch schon Morgens nöthige 
Ausheberung, so dass eine solche nur Abends vorgenommen zu werden 
braucht. Ausserdem ist die leicht nach unten eröffnende Wirkung von 
sehr wohlthätigem Einfluss. 

Der Gebrauch von Stahlmitteln, der Vorschlag des Besuches verschie¬ 
dener Bäder, unter denen Karlsbad, Tarasp, Kissingen und Marienbad ‘ 


obenan stehen, sowie von Luftkurorten etc. bleibt immer der Verordnung 
des behandelnden Arztes überlassen. 

— Dr. Felici (Gazetta degli Ospedal.) berichtet über die Wirkung 
der Salicylsäure hei Metrorrhagieen, bei welchen er iu wenigen Minuten 
mittelst eines in Salicylsäurelösung getränkten (’arbolwattetampons die allen 
anderen Mitteln trotzenden Blutungen zum Stehen brachte. 

— Debove (Societe mcdicale des höpitaux, Sitzung vom 8. Juni) em¬ 
pfiehlt Talcnm in Dosen von 2U0 g täglich gegen chronische Diarrhoe. 
Die Dosis wird in 1 Liter Milch geschüttet, vor dem Gebrauch gut umge¬ 
rührt. D. hut das Talcuin bei Diarrhöen der Phthisiker 5 Monate lang an¬ 
gewandt, der Erfolg war in allen Fällen vollständig. Auf die Diarrhoe folgte 
stets eine hartnäckige Verstopfung. Bei Tubereulösen empfiehlt sich auch 
die fortgesetzte Anwendung des Talcums, aber in kleineren Dosen. Inter¬ 
essant ist, dass die Milch mit Talcum immer gut vertragen wurde, ferner 
konnte D. manchen Kranken auf diese Weise 500 g Gel beibringen und so 
eine Ernährung mit Fetteu eiuleiten. 

— Antlpyrin gegen H&oiorrhoidalgeschwBre. Dr. J. Schreibor 
in Axissee hat von der Bestäubung der erkrankten Stellen mit fein zerriebenem 
Antipyrinpulver mittels eines Pulverbläsers günstige Wirkungen gesehen. 
Die Berührung des Pulvers mit den erkrankten Stellen rief einen mässigen, 
kurze Zeit dauernden Schmexv. hervor, danach fühlte sich Pat. behaglich und 
erfreute sich einer ruhigen Nacht, nacH' 20 Tagen wareu die Wunden ver¬ 
narbt und brachen nicht wieder auf. 

— Salol bei Blasenkatarrh im Verlauf von Detrusorlähmnng. 
Arnold (Therap. Monatshefte Juli) empfiehlt das Salol bei ßlaseukatarrh als 
sicheres Mittel. Er hat die Wirksamkeit dieses Arzueistoffes durch versuchs¬ 
weises Aussetzen entschieden sichergestellt, 3 g pro die genügten, um die 
ammoniakalische Gährung in der Blase zu verhindern und «len Urin an¬ 
haltend klar und sauer zu erhalteu. Es war nicht nöthig, zu Guben von 
6—10 g täglich zu steigen. Salol wird vom Kranken sehr gut ertragen, in 
einem Falle reinigte sich die stark belegte Zunge bei Salolgebrauch zusehends, 
der Appetit steigerte sich und blieb andauernd gut. 

— Intoxicatlon bei Injection von Jodoformäther in kalte Abscesse. 
Verneuil hatte behauptet (Bulletin medical 1888, p. 873), dass, wenn Intoxi- 
cationen bei diesen Injectionen einträten, meist Erkrankungen der Leber oder 
der Niere vorhanden seien. Dagegen hat Quenu (Sitz, der Societ«; de 
Chirurgie iu Paris vom 11. Juli) bei einem 18jährigen Mädchen nach einer 
Jodoformätherinjectiou iu einen kalten Abscess mittleren Umfangs sehr inten¬ 
sive Intoxicationserscheinungen beobachtet. Im Harn fand sich weder Zucker 
noch Albuinen, es «leutete auch nichts auf Erkrankung eines anderen Ein¬ 
geweides hin. 

— Auf dem Congress der Association franc. pour 1‘avancement des 
Sciences zu Oran empfahlen Grasset und Sarda als ausgezeichnetes 
nervenberuhigendea, schmerzstillendes Mittel das Solanin. Es em¬ 
pfiehlt sich besonders da, wo man auf das verlängerte Mark oder das 
Rückenmark depressiv einwirken will, indem es die Erregbarkeit der moto¬ 
rischen sowohl wie der sensiblen Nerven herabsetzt. Nur ist der Preis 
noch etwas hoch. 1 g kostet 10 Francs. (Journ. des soc. scient.) 

— Thompson in Bristol (Laucet 1888, Vol.I No.5) gab 0,0003—0,0006 g 
Hyoscin. hydrobromienm mit bestem Erfolg bei jeder Form von Manie. 
Auch die motorische Unruhe der Paralytiker, besonders bei geringer Urin- 
uud Schweisssecretion, wird günstig beeinflusst. 

XIV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Das .Sanatorium des Doctor Oppenheim ist vor 
einigen Tagen vou der Bülowstrasse nach der Lessingstrasse 51 in ein eigens 
für den Zweck erbautes Ilaus verlegt worden. Während Staat und Gemeinde 

f emäss den Forderungen der jetzt nahezu täglich auf dem Gebiete der 
rankenpflege gemachten Fortschritte Stätten zur Aufnahme unbemittelter 
Kranker und Reconvaleseeuten, Sanatorien für iu der Entwickelung zurück¬ 
gebliebene Kinder etc. herrichtet, blieb nach dieser Richtung und gerade in 
Berlin in den zahlreichen hier vorhandenen Privatkliniken bis auf sehr ge¬ 
ringe Ausnahmen Manches, ja man kann getrost sagen Alles zu wünschen 
übrig. Den ersten Anstoss zur Beseitigung dieser misslichen Lage gab 
Oppenheim mit der Errichtung seines Sanatoriums in der Bülowstrasse, 
welches unter seiner thatkräftigen Leitung, unterstützt durch die Mitarbeit, 
unserer berufensten Autoritäten, welche die ärztliche Behandlung in dem 
jungen Institut übernahmen, sich eines, trotz der kurzen Zeit seines Be¬ 
stehens wohl verdienten Erfolges erfreute. Allein trotz «lieses Erfolges mul 
der allseitig anerkannten Vorzüge musste das Institut — und das mochte 
der Dirigent sehr wohl fühlen — in ein eigens dazu errichtetes Haus ver¬ 
legt. werden, sollte es einmal dem wachsenden Zuspruch und dann jenen 
Anforderungen entsprechen, die in gemietheteu Räumen schwer erfüllbar sind, 
und so reifte mit dem Gedeihen des Instituts in der Bülowstrasse bald der 
Plan der Vervollkommnung desselben durch einen eigenen Bau, dem die 
Ausführung bald folgte. Das neue, in dem schönsten Theil des Thiergartens, 
Lessingstrasse 51, gelegene Sanatorium ist ein Prachtbau und mit demselben 
eine Anstalt entstanden, welcher neben allem nur erdenkbaren Comfort nichts 
fehlt, was zur Krankenpflege erforderlich ist. Wir behalten uns eine ein¬ 
gehende Beschreibung des mit allen Mitteln der neueren Technik ausge¬ 
statteten Sanatoriums vor. Dem Dirigenten desselben, Herrn Oppenheim, 
dürfen wir unsere vollkommenste Anerkennung für seine thatkrüftige Aus¬ 
dauer nicht versagen, welche gewiss ein reicher Erfolg auch fernerhin 
lohnen wird. 

— Prof. Albert Fraenkel ist zum ärztlichen Leiter der Frauen- 
siechenanstalt gewählt worden. Wir dürfen die städtische Verwaltung zu 
dieser ihrer Wahl beglückwünschen, eine bessere konnte sie nicht treffen. 
A. Fraenkel, der langjährige Assistent Leyden’s, gehört in die erste 
Reihe der jüngeren Mediciner, welche durch literarische Leistungen xxnd nicht 
minder durch ihre praktische Ausbildung sich das wohlverdiente Anrecht erwor¬ 
ben haben, eine ihren Leistungen gebührend«* klinische Stellung einzunehmen. 


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$08 

— Dr. Arthur Hartman» verlebt am 1. October seine Poliklinik 
nach Frietlrichstrasse 133a und beginnt daselbst wieder monatliche prak¬ 
tische Curse über Ohren- und Nasenkrankheiten. 

— Nach einer Kaiserlichen Verordnung finden die Bestimmungen in 
§4 No. 2 und §6 des Gesetzes betreffend den Verkehr mit blei- 
und zinkhaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887 auf das Feilhalten 
und Verkaufen von Conserven erst vom 1. October 1889 ab Anwendung, 
während das Gesetz im übrigen am 1. October 1888 in Kraft tritt. Die be¬ 
treffenden Paragraphen enthalten die Strafbestimmungen für gewerbsmässiges 
Verkaufen oder Feilhalten von Gegenständen, welche den Bestimmungen des 
Gesetzes zuwider hergestellt, aufbewahrt oder verpackt sind. 

— Die Wittwe des 1885 verstorbenen Kreisphysikus Dr. Senstius 
ih Freienwalde eröffnet am 1. October d. J. in der Königgrätzerstrasse 
No. 46 ein Pensionat. Dasselbe soll Damen, welche, nicht hier an¬ 
sässig. sich in der Behandlung hiesiger ärztlicher Autoritäten be¬ 
finden, sofern sie nicht in den Kliniken derselben Aufnahme gefunden haben, 
sowie gesunden Damen, welche einige Zeit in Berlin zu leben beabsich¬ 
tigen, ein mit der nöthigen Pflege ausgestattetes freundliches Heim bieten. 
Die Herren Professor Dr. Küster, Hollmannstrasse No. 26, Sanitäts-Rath 
Dt - . Werner, Terapelhofer Ufer No. 16, und San.-Rath Dr. Wutzer, 
Teltowerstrasse No. 9, haben sich bereit erklärt, etwa gewünschte Auskunft 
zu ertheilen. 

— Greifswald. Prof. Dr. Sommer ist an Stelle des verstorbenen 
Budge zum Professor der Anatomie ernannt worden. 

— Köln. An anderer Stelle bringen wir einen Original bericht über 
den Verlauf der ersten allgemeinen Sitzung der Naturforscher-Ver¬ 
sammlung. dem in der nächsten Nummer eingehende Berichte folgen 
werden. Aus den Verhandlungen der zweiten Sitzung sei vorläufig nur mit- 
getheilt. dass Heidelberg zum Sitz der nächstjährigen Versammlung und 
die Geheimräthe Quincke und Kühne zu Geschäftsführern derselben ge¬ 
wählt wurden. Sodann wurden die vorgeschlagenen durchgreifenden Statuten¬ 
änderungen (s. die vor. No. p. 788) mit kleiner Majorität angenommen. In 
der dritten allgemeinen Sitzung wurde die Wahl des Vorstandes vorge- 
nommeu und auf ein Jahr gewählt: Zum Vorsitzenden: Virchow mit 102 
von 121 gültigen Stimmen, zum stellvertretenden Vorsitzenden, nachdem 
Geh. Rath Fresenius eine eventuelle Wahl ahgelehnt hatte: Geh. Rath 
Bruecke (Wien) mit 60 Stimmen; zu Mitgliedern des Vorstandes: v. Petten- 
kofer (München) mit 121. Lent (Köln) mit 121. Becker (Heidelberg) mit 117, 
Hegar (Freiburg) mit 115, v. Hofmann (Berlin) mit 114. Billroth (Wien), 
ßiermer (Breslau) mit 60: zum Schatzmeister: G. Hansemann (Berlin) 
mit. 121 und zum Generalsekretär: Lassar (Berlin) mit 68 Stimmen mit 
geringer Majorität gegen Ewald (Berlin), welch letzterer aus der Versamm¬ 
lung vorgesehlagen wurde, letztere beiden auf drei Jahre. 

— Nürnberg. Medicinalrath Dr. Merkel, der bekanntlich den an 
ihn ergangenen Ruf als Direktor des städtischen Krankenhauses in Hamburg 
ablehnte, wurde von der Bayerischen Regierung durch Verleihung des Ver¬ 
dienstordens vom Heil. Michael IV. Kl. ausgezeichnet. 

— Amsterdam. Dem nach Jena berufenen Professor der Anatomie 
Max Fürbringer wurde eine warme Abschiedshuldigung dargebracht. 
Unter dem allgemeinen Ausdruck des Bedauerns, einen so ausgezeichneten 
Lehrer und einen so hervorragenden Vertreter der Wissenschaft verlieren 
zu müssen, wurde ihm von einem Studenten ein Album überreicht, in welchem 
sich 225 Photographieen von Freunden und Schülern befanden. Im Namen 
des verhinderten Rectors richtete Professor Hartog herzliche Abschieds- 
worte an den Scheidenden. 

— Wildbad. Hofrath Dr. v. Burckhardt, einer der bekanntesten 
und verdientesten Aerzte W’ildbad’s, ist gestorben. 

— Gotha. In der öffentlichen Hauptversammlung des Deutschen Ver¬ 
eins gegen den Missbrauch geistiger Getränke erstattete dorGeschäfts- 
führer Dr. Lämmer s (Bremen) den Jahres- und Kassenbericht, laut wolchem 
dem Verein 34 Bezirksvereine und 37 Vcrtretersehaften mit einer Einnahme 
von 6392 bezw. 3594 Mk. angehören. Darauf erörterten Dr. Wittich (Kassel) 
und Sanitätsrath Dr. Thomas (Gotha) das Verhältnis des Schnapses zur 
Volksernährung. Beide Redner sprachen dem Branntwein übereinstimmend 
die Eigenschaften eines zuträglichen Genuss-, Nahrungs- und Spannittels ab. 
Superintendent Dreyer (Gotha) behandelte den Antheil der höheren Stände 
au dem Missbrauche geistiger Getränke in Deutschland und die jenen des¬ 
halb obliegende Verantwortlichkeit. Als Nebeuberichterstattcr schloss sich 
Bankdirektor Dr. Einminghaus (Gotha) den Ausführungen seines Vor¬ 
redners an und betonte, dass in den unteren Ständen das Trinken nicht so 
systematisch betrieben werde wie bei den Gebildeten. Pastor Brachels 
(Bremen) verurtheilte die Schäden des heutigen Geselligkeitswesens und unter¬ 
warf die Vereinsmeierei einer scharfen Kritik. Nachdem endlich die richtige 
Art Ger Unternehmung von Volkskaffeohäusern erörtert worden war, wurden 
am Schluss der Versammlung die ausgelosten Vorstandsmitglieder wieder¬ 
gewählt. 

— Die Stadtverwaltung von Breslau hat die Einrichtung getroffen, dass 
im dortigen Allerheiligenhospital das ganze Jahr hindurch zu jeder 
Tages- und Nachtzeit Eis gegen eine Bescheinigung des Arztes, dass cs für 
einen Kranken gebraucht wird, verabreicht wird, für Arme unentgeltlich. 
Eine gewiss nachahmenswerthe Einrichtung! 

— Die gesammelten und nachgelassenen Abhandlungen 
Gudden’s, die. wie wir in der vorigen Nummer mittheilten, demnächst her¬ 
ausgegeben werden sollen (Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden), sind 
seit Jahren von dem Verstorbenen selbst sorglich vorbereitet worden. Noch 
unter seiner Leitung ist die Mehrzahl der zugehörigen Kupfertafeln von 
seinem Sohne Rudolf, einem begabten jungen Künstler, gestochen worden, 
und der Schwiegersohn und Nachfolger v. Gudden’s, Prof. Dr. Grashoy, 
Direktor der Kreis-Irrenanstalt in München, bringt die Veröffentlichung, nach 
sorgfältiger Verwerthung der nachgelassenen Präparate und alles sonstigen 
Materials, pietätvoll zur Ausführung. 


No. 39 

— I)r. Wilh. Löwenthal (Lausanne) berichtet in derSemaine niedicale 
No. 35, 1888 über Versuche mit Cholerabacillen, die ihn auf einem 
anderen Wege zu ähnlichen Resultaten geführt haben, wie sie Dr. Gamaleia 
(vgl. diese Wochenschr. No. 35) erzielte. Wenn er Culturen des Komma¬ 
bacillus, die durch vielfache Ueberimpfung auf Gelatine ihre Toxicität ver¬ 
loren hatten, auf eine Paste von bestimmter Zusammensetzung übertrug, so 
erlangten sie binnen 24 Stunden ihre Toxicität wieder, von Paste auf Paste 
übertragen, schienen die toxigenen Eigenschaften des Bacillus sich zu steigern. 
Was also Dr. Gamaleia erreicht haben will, indem er das Choleravinis 
durch das lebende Thier hindurchschickte, wäre demnach Dr. Löwenthal 
durch ein Laboratoriumsverfahren gelungen. 

— Dem russischen Arzte Dr. Gamaleia, der die Schutzimpfung gegen 
die Cholera gefunden haben will und der auf Betreiben Pasteur’s für 
den Prix Breant (200000 fr.) vprgemerkt worden ist, hät, einen Mitbe¬ 
werber in der Person des Spaniers Dr. Ferran, der bei dem letzten Auf¬ 
treten der Cholera in Spanien Tausende von Schutzimpfungen vorgenommen 
hat. Ferran behauptet, dass Gamaleia im wesentlichen nur dieselbe Me¬ 
thode verfolge, die er selbst schon früher angewandt habe, und dass ihm 
somit der Preis zustehe. Die Akadcmio der Medicin wird nun zu entscheiden 
haben, ob Gamaleia oder Ferran den Preis erhält, oder beide zusammen, 
oder — keiner von beiden. 

— Behandlung der Stuhl Verstopfung durch Körperhaltung. 
Einige amerikanische Autoren, unter anderen Abbot, weisen darauf bin. 
dass die allgemein übliche Körperhaltung bei der Stuhlentleerung eine un¬ 
physiologische sei und empfehlen die niederhockende Stellung als eine solche, 
welche dem Diaphragma, wie den Bauchmuskeln den ergiebigsten Effect ihrer 
Wirkung gestatten. Williams hebt noch besonders hervor, dass sich das 
Verfahren bewährt habe, wo Abführmittel und Klystiere sich nutzlos erwiesen. 
Die Adoption des Verfahrens dürfte eine vollständige Umänderung der Ein¬ 
richtung der Watcr-Closetts herbeiführen. Die Benutzung des Nachtgeschirrs 
entspricht nach Williams am besten dem genannten Zwecke und ist von 
ihm vielen Kranken empfohlen, welchen er auch damit genützt hahen will. 

— Universitäten. Bukarest. Dr. Falnieres, Professor der Augen- 
j heilkundc, ist gestorben — Madrid. Dr. Jimeno Cabanas ist zum Pro¬ 
fessor der Hygiene ernannt. — Tomsk. Dr. Zalewski, Assistent am Phar¬ 
makologischen Institut in Dorpat, ist zum a. o. Professor der Chemie und 
mcdicinischen Chemie an der Universität Tomsk ernannt. — Jassy. I*r. 
Bastaky ist zum Professor der Pathologie und Leiter der geburtshülf- 
Jichen Klinik ernannt worden.— Rio de Janeiro. Dr. da Rocha Faria 
ist zum Professor der Hygiene und der Geschichte der Medicin ernannt 
worden. Dr. da Fonseca wurde zum ausserordentlichen Professor für 
Pharmakologie und Materia inedica ernannt. Prof. Dr. Ribeiro de Mere- 
donca ist gestorben. . — — 

XY. Personalien. 

Preusseu: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem Sanit.-Rath Dr. Ohrtmann zu Berlin den Cha¬ 
rakter als Geheiiner-Sanitäts-Rath und den prakt. Aerzten Dr. Froehlich, 
Dr. Herold und Polizei-Stadt-Phys. Dr. Matth. Schulz in Berlin «len 
Charakter als Sanitäts-Rath sowie dem Ober-Stabsarzt I. CI. u. Reg.-Arzt Dr. 
Rothe den Kgl. Kronen-Orden 111. 01. zu verleihen. — Ernennungen: 
Der seitherige Priv. Docent Ob.-Stabsarzt a. L). Dr. Trautmann in Berlin 
ist zum ausserordtl. Professor und der prakt. Arzt Dr. Dietrich in Möckern 
zum Kreis-Wundarzt des Kreises Jerichow I. ernannt worden. — Nieder¬ 
lassungen: Die Aerzte: Dr. Rieh. Marcuse in Kortan, Dr. v. Gizveki 
in Bialla, Dr. Jolki in Spandau, Dr. Bornstein in Borek, Jul. Wolfsohn 
in Schwerin a. W., Dr. Pietrusky in Wüstegiersdorf, Dr. Schmolz in 
Wiesbaden. — Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Neumann von Branden¬ 
burg nach Wormditt, Dr. Arndt von Mensguth nach Johannisburg, Dr. 
Heusinger von Tegel nach Erdmannsdorf i. Sachsen, Fabian von Plaue 
nach Magdeburg, Dr. Zabrocki von Jarotschin nach Pogorzela, Dr. Henke 
von Anspach nach Höchst, Lazar von Erkner und Dr. Guischard von 
Brandoberndorf. — Verstorben sind: Die Aerzte: Rud. Schmidt in 
Bialla, Kr.-Phys- Geh. Sanit.-Rath Dr. Feldmann in Elberfeld. — Vakante 
Stellen: Die Physikate der Kreise Hümmling und Lennep und des Stadt¬ 
kreises Elberfeld, die Kreiswundarztstelle des Kreises Gruenberg. 


Berichtigung: In No. 37 ist in dem Feuilleton -Ueber den 
Unterricht in der Poliklinik“ von Prof. Dr. Th. v. Jürgcnsen p. 759, erste 
Spalte, Zeile 9 von unten, statt 24 °,'o zu lesen 89 %. 

ln derselben Nummer, p. 767, zweite Spalte, Zeile 43 von oben ist statt 
„Coffeüni nitrici“ zu lesen: „Coffeini citri ei.“ 

— Durch ein Versehen ist in dem Protokoll des Vereins für innere 
Medicin in No. 32 dieser Wochenschr., p. 662, unter den Rednern, die zu 
dem Vortrage des Herrn Fr. Müller über Acetphenetidin das Wort ge* 
nommen haben, Dr. Katz genannt statt Dr. Michaelis. Auch in dem 
Wortlaut der hetr. Mittheilung sind einige Irrthümer vorgekommen, wir geben 
dieselben nachstehend noch einmal in ihrer richtigen Fassung: 

Herr Michaelis: Auch ich habe nur eine kurze Bemerkung zu machen, 
welche sich ebenfalls auf die Identität der Wirkung von Antipyrin und 
Phenacetin bezieht und zwar gegen Keuchhusten. Da ich von Antipyrin bei 
dieser Krankheit öfters in Stich gelassen wurde, selbst bei grossen Gaben, 
so habe ich mehrere Fälle von Keuchhusten, im Ganzen drei, mit Phenacetin 
behandelt. Ich glaube nun nicht, dass, wie es immerhin möglich wäre, die 
ausgezeichnete Wirkung eine zufällige war. In zwei Fällen bestanden heftig«* 
und häufige Anfälle seit 14 Tagen und verschwanden nach einer Woche 
unter rascher Besserung, der dritte Fall war frischer. Die Tagesdosis be¬ 
trug zwischen einem viertel und dreiviertel Gramm, erstere bei einem Kinde 
von 1 */*, letztere bei einem Kinde von 4 Jahren. Ich möchto bitten, weitere 
Versuche mit dem Phenacetin bei Keuchhusten zu machen. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 40 


4. October 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 


Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Nierenaffectionen bei Kindern, nebst 
Bemerkungen über die Uraemie und 
Ammoniaemie.*) 

Von Prof R. y. Jak sch in Graz. 

Bei der grossen Wichtigkeit, welche die Frage der nach den 
acuten Infectionskrankheiten der Kinder auftretenden Nierenaffec- 
tiouen nicht nur für die Erkrankungen des Kindesalters, sondern für 
die Medicin überhaupt hat, halte ich es entsprechend der mir Seitens 
des Präsidiums der Gesellschaft für Kinderheilkunde gewordenen und 
mich ehrenden Aufforderung für geboten, meine eigenen, gewiss 
nur spärlichen und unvollständigen Erfahrungen über diesen Punkt 
Ihnen in möglichst gedrängter Kürze wiederzugeben, um dadurch der 
Discussion dieser Frage, von der ich Aufklärungen in den ver¬ 
schiedensten Punkten durch einen Kreis so gelehrter und erfahrener 
Praktiker erhoffe, möglichsten Spielraum zu gewähren. 

Wir haben deshalb unser Thema mit dem Herrn Correferenten 
und natürlich im Einverständnisse mit demselben so eingetheilt, 
dass ich nur einige mehr allgemeine Punkte des Themas besprechen 
werde, während der Herr College Hagenbach die nach acuten 
Infectionskrankheiten im Speeiellen auftretenden Nierenaffectionen 
behandeln wird. 

Sollten, hochverehrte Anwesende, die Worte, die ich zu sagen 
habe, zu einer animirten Discussion Veranlassung geben, so ist da¬ 
mit der Zweck meines heutigen Vortrages erfüllt, und von diesem 
Gesichtspunkte bitte ich die wenigen positiven Thatsachen zu beur- 
theilen, welche ich Ihnen heute zu bieten habe. 

Der erste Punkt, den ich berühren möchte, und der wohl zu 
den nach acuten Infectionskrankheiten auftretenden Nierenaffectionen 
im innigsten Connexe steht, ist die Frage: Wie verhält es sich 
mit der febrilen Albuminurie bei Kindern überhaupt, 
kommt sie so häufig, so constant vor, wie bei Er¬ 
wachsenen? 

Ich kann hier mit ganz bestimmten Daten dienen: Unter 68 
mit Fieber der verschiedensten Arten behafteten Kranken, die wäh¬ 
rend meiuer Dienstzeit auf der Klinik meines verehrten Freundes 
Nothnagel in den ersten Monaten des Jahres 1885 beobachtet 
wurden, wurde in 24 Fällen = 35,2 0 o febrile Albuminurie nach¬ 
gewiesen. Bei dem mir seit einem Jahre zur Verfügung stehenden 
Kindermateriale wurde unter 51 mit Fieber einhergehenden Fällen 
zehnmal Albuminurie gefunden, also in 19,6 % der Fälle. 

Beide Versuchsreihen wmrden mittelst genau derselben Methoden 
ausgeführt. Es ergiebt sich daraus, dass das Vorkommen von febriler 
Albuminurie bei Erwachsenen sich häufiger vorfindet als bei Kindern. 
Der Grund mag wohl darin liegen, dass — wie bereits von anderen 
Autoren betont wurde — die Niere des Erwachsenen durch ver¬ 
schiedene vorausgehende schädliche Einflüsse, als Missbrauch des 
Alkohols etc. geschw'ächt ist, so dass durch Krankheitsgifte, die in 
den Körper eindringen, auch die Niere mehr in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen wird. 

Die Untersuchungen von H. Lorenz 2 ) aus der Nothnagel¬ 
scheu Klinik haben uns eine neue und — wie ich glaube — sehr 
plausible Erklärung für das Auftreten dieses Symptoms gegeben; 

*) Vortrag, gehalten in der Section für Pädiatrie der 61. Versammlung 
Deutscher Naturforscher und Aerzte; das dazu gehörige Referat des Herrn 
Professor Hagen bach wird demnächst im Jahrbuch für Kinderheilkunde 
publicirt. 

*) H. Lorenz, Wien. kliu. Wochenschrift. 1, 119, 1888. 


der Verlust der Bürstenbesätze der Nierenepithelien ist es, der zu 
dieser Form der Albuminurie führt. Diese äusserst zarten Gebilde 
; scheinen nun im Kindesalter Krankheitsgiften leichter zu wider- 
I stehen als bei Erwachsenen, und dies ist dann wohl der letzte 
Grund, dass die febrile Albuminurie bei Erwachsenen häufiger vor¬ 
kommt als bei Kindern. Aber es wächst mit dieser Erkeuntniss 
auch die Wichtigkeit der febrilen Albuminurie bei Kindern über¬ 
haupt, indem ihr Auftreten unter allen Umständen und bei allen 
Krankheitsformen auf einen schweren, ja häufig lebensgefährlichen 
Kraukheitsprocess hindeutet. 

Der zweite Punkt, den ich berühren will ist: Wie steht es 
mit dem Vorkommen von Mikroorganismen in dem Harne 
! fiebernder Kinder überhaupt? 

Ich verfüge über eine Reihe von Beobachtungen, welche deu 
Urin von Kindern betreffen, die an verschiedenen acuten Infections- 
I krankheiten als Varicellen, Morbilli, Pneumonie, miliarer Tuberculose 
litten. In allen diesen Fällen war der Harn, solange hohes Fieber 
bestand, ungewöhnlich reich an Mikroparasiten der verschiedensten 
Art, ohne dass jedoch ein bestimmter Parasit, z. B. vielleicht bei 
der miliaren Tuberculose die Tuberkelbacillen, vorherrschten, son¬ 
dern ich habe auch für den kindlichen Organismus die Ueber- 
zeugung gewonnen, dass die Niere bei Bestehen von infectiösen, 
mit Fieber einhergehenden Processen ein Eliminationsorgan für 
eine grosse Reihe von theils pathogenen, theils nicht pathogenen 
Mikroorganismen ist, jedoch nicht immer von jenen, welche im ein¬ 
zelnen Falle die Krankheitssymptome hervormfen. 

Es liegen diese Verhältnisse beim kindlichen Organismus ganz 
analog, wie dies von zahlreichen Autoren, wie von Litten 1 ) etc. für 
den Organismus Erwachsener bereits vor Jahren beschrieben wurde. 

Auf eine weitere interessante Form der Nephritis bei Kindern 
ist von Letzerich 2 ) aufmerksam gemacht worden. Es scheint, 

! dass bestimmte Mikroorganismen (Bacillen) existiren, welche bei 
, Kindern eine in der Mehrzahl der Fälle günstig verlaufende, acute 
• Nephritis hervorrufen. 

Ob und in wiefern aber diese von Letzerich beschriebenen 
Formen als Krankheit sui generis anzusehen sind, müssen uns erst 
i weitere Beobachtungen lehren. Das Vorkommen von zahlreichen, 
mit Fieber verlaufenden, fast gleichzeitig eintretenden Fällen von 
j Nephritis spricht unbedingt zu Gunsten der Ansicht von Letzerich. 

Nur eins aber möchte ich heute schon mit Sicherheit behaupten, 

! und das zeigen ja auch Miroli’s 3 ) und Mannaberg’s 4 ) Beob- 
l achtungen, dass die von Letzerich beschriebenen Pilze wohl nicht 
die einzigen Mikroorganismen sind, welche in den Nieren an acuter 
Nephritis leidender Kinder Vorkommen und zu derartigen Er¬ 
krankungen in einer näheren Beziehung stehen. Ich möchte hier 
noch erwähnen die verschiedenen, mit der Sepsis in näherem 
Connexe stehenden Coccen und vor allem die Erysipelmikroorganismen, 
Parasiten, von denen es wohl keiuern Zweifel unterliegt, dass sie 
sowohl bei Erwachsenen, als auch bei Kindern schwere Nieren¬ 
affectionen, die unter dem Bilde der acuten Nephritis verlaufen, 
hervorrufen können. 

Ich komme damit zu jenen seltenen Formen von Nephritis bei 
Kindern, die streng genommen nicht in den Rahmen unserer heutigen 

*) Litten, Zeitschrift für klinische Medic. 2, 452, 1881, weitere Lite¬ 
ratur siehe v. Jak sch, klinische Diagnostik, p. 193, 1887. 

*) Letzerich, Zeitschrift für klinische Medic. 13, 32, 1887, siehe 
weiter Miroli: Centralblatt f. Bact. und Parasitenkunde (Referat), 3, 336, 1888. 

®) Miroli, 1. c. 

4 ) Mannaberg, Wiener med. Jahrbücher 1888. 


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810 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No 40 


Discussion gehören, die aber mit den nach acuten Infectionskrank- 
heiten der Kinder auftretenden Nephritiden in ihrem klinischen 
Verlaufe in engem Zusammenhänge stehen, die weiter nach meinen 
Beobachtungen in ihrer Aetiologie auch deu nach acuten Infectious- 
krankheiten auftretenden Niereuaffectionen so ähnlich sind, dass ich 
nicht Anstand nehme, ihrer hier zu gedenken, insbesondere da 
gerade in der pädiatrischen Litteratur über sie wenig bekannt ist. 1 ) 
Ich meine jene Formen, welche ein Analogon der sogenannten Er¬ 
kältungsnephritis der Erwachsenen bilden, die sich aber dadurch von 
den bei Erwachsenen vorkomraenden derartigen Nephritiden unter¬ 
scheiden, dass sie meist günstig ablaufen. 

Ich habe Gelegenheit gehabt, vier Fälle dieser Form der 
Nephritis klinisch zu beobachten, während sie in meiner Poliklinik 
noch häufiger in Beobachtung kamen. 

Ueber den ersten Fall berichtet das Krankheitsprotokoll 
folgendes : 

I. Fall. K. L., 3 Jahre alt, Mädchen, wurde am 12. Jänner in die 
Klinik aufgenommen. 

Die Anamnese ergiebt folgende spärliche Daten: Die Eltern des Kindes 
erfreuen sich des besten Wohlseins. Eine Schwester der Kranken starb 
angeblich vor 6 Jahren an Wassersucht. Das Kind wurde von der Mutter 
selbst gestillt. Es bekam die ersten Zähnchen im Alter von 8 Monaten, im 
Alter von 16 Monaten konnte es sich aufsetzen und 10 Monate alt machte 
es die ersten Gehversuche. Vor einem Jahre soll das Kind auffällig wenig 
und sehr dunklen Harn entleert haben und stand damit in ärztlicher Be¬ 
handlung. Seither war das Kind gesund, bis es plötzlich wieder einen so 
gefärbten Harn entleerte. Das Kind soll einmal einen Ausschlag, niemals 
bisher eine acute Krankheit gehabt haben. 

Die Aufnahme des Status ergab eine geringe Verbreiterung der Herz¬ 
dämpfung, die Spannung der Radialarterie war auffallend vermehrt; sonst 
war normaler Befund vorhanden, absolut keine Flüssigkeitsansammlung in 
den Körperhöhlen und keine Oedeme zu finden. 

Die Untersuchung des Harns von diesem Tage ergab, dass er reich¬ 
liche Menge Eiweiss enthielt, und zwar ergaben alle Eiweissproben ein po¬ 
sitives Resultat, desgleichen wurde durch eine approximative Bestimmung 
des Eiweissgehaltes nach Brandberg’s Methode erwiesen, dass er 0,15% 
Eiweiss enthielt. Die Dichte oetrug 1,0236. Desgleichen konnte durch die 
Holler’sc he Probe Blut nachgewiesen werden. 

Nach folgender Tabelle ergiebt sich das Verhalten des Urins: 


Datum 

Harnmenge 

Dichte 

Eiweiss 




%> 

s , 

13- 

14 

330 

1,0208 

0,15 

0,4 95 a ) 

14- 

15 

500 

1,0146 

0,05 

0,25 

15— 

16 

720 

1,0132 

0,05 

— 

16- 

17 

820 

1,0134 

? 

-*) 

17- 

18 

880 

1,0140 

— 


18- 

19 

910 

1,0144 

— 

- 4 ) 

19- 

20 

990 

1,0140 

— 


20- 

21 

680 

1.0163 

— 

— 

21- 

22 

1130 

1,0138 

— 

— 

22- 

23 

840? 

1,0120 

— 

— 

23- 

24 

540? 

1,0140 

— 

— 

24- 

25 

640? 

1,0160 

— 

— 


Zu diesen Daten ist noch folgendes zu bemerken: Das Kind 
hatte am 12. und 13. Januar nicht unbeträchtliches Fieber. 


Datum l.a.m. 4. 6. 8. 10. 12 m. 2. 4. 6. 8. 10. 

12. _ — - — 39,0 38,0 37,4 

13. 37,5 37,0 36,8 37,1 36,6 37,0 37,5 38,2 38,0 37,8 — 

14. 37,2 36,8 37,0 37,3 37,0 37,5 — - — — 38,5 

15. 36,0 36.6 37,2 37,0 — 37,0 36,8 — 36,5 36,4 — 


Bezüglich dieses Symptomes ist hervorzuheben, dass auch 
durch die genaueste Untersuchung keine Ursache für dasselbe auf¬ 
gefunden werden konnte, und ich will auch bemerken, dass die 
wiederholt vorgenommene Untersuchung der Milz keine Vergrösserung 
dieses Organes ergab. Es bleibt also nur die Annahme übrig, dass 
das Fieber mit der Nephritis in Zusammenhang stand. 

Zur Untersuchung des Harns ist noch binzuzufügen, dass die 
»Verwendung der bekannten Methoden zum Nachweise von Mikro¬ 
organismen, denen das in dünnster Schicht getrocknete Harnsediment 
unterworfen wurde, nach Gram, Löffler etc. ergaben, dass 
der ganz frisch entleerte Harn reich an Mikroorganismen, und zwar 
Bacillen und Mikrococcen, war. Durch allerdings nur unvollständige 
Culturversuche ergab sich, dass diesen Bacillen keine pathogenen 
Eigenschaften zukamen. Ich sage, dass diese Versuche unvollständig 
waren, weil ich in Ermangelung eines mir zur Verfügung stehenden 
Thermostaten genöthigt war, die Culturen immer nur in Zimmer¬ 
temperatur zu belassen. 

Wenn wir das Wesentlichste dieses Falles zusammenfassen, so 
kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich bei diesem 
Kinde um eine acute Nephritis handelte, welche jedoch nach der 

*) Siebe Ilenoch, Charite-Ant.alen 12, 631, 1887. 

a ) Mikroskopische Untersuchung ergiebt (13—14) Cylinder aus rothen, 
aus weissen Blutzellen bestehend, hyaline und granulirte Cylinder, ausge¬ 
laugte rothe Blutzellen. 

Spärliche rothe Blutkörperchen, wenig weisse Blutzellen, einige Epi- 
thelien, keine Cylinder, viele Mikroorganismen. (16—17.) 

4 ) Spärliche Nierenepithelien. (17—18.) 


Anamnese und nach den von uns angestellten Nachforschungen 
sicherlich mit keiner der uns bekannten Infectionskrankheiteu im 
Connexe stand. Die Anamnese ergiebt uns, dass der Krankheits- 
process im Laufe eines Jahres sich wiederholte, doch ist es mit 
Sicherheit auszuschliessen, dass es sich um eine chronische, recidi- 
virende Nephritis mit acutem Nachschübe gehandelt hat — Formen 
von Nierenaffectionen, die ja bei Erwachsenen sich häufig genug 
finden —, da der Process in wenigen Tagen mit Heilung ablief, 
während die obengenannten Formen bei Erwachsenen niemals zur 
Heilung führen. 

Ich glaube, es bleibt nur die Annahme übrig, dass es sich um 
eine acute Nephritis aus uns unbekannter Ursache gehandelt hat, 
welche in wenigen Tagen günstig verlief und ein Analogon zu den 
Erkältungsnephritiden der Erwachsenen bildet. 

II. Fall. Fr. B., 2 3 /4 Jahre alt, eingetreten in die Spitalsbehandlung 
am 30. Mai 1888. Der Vater des Kindes soll an Asthma leiden, die Mutter 
desselben ist gesund. Das Kind wurde mit Kuhmilch aufgezogen, die ersten 
Zähne bekam es mit 9 Monaten, zu gehen begann es mit 15 Monaten. Im 
Winter 1886 87 litt das Kind durch 3 Monate an Keuchhusten, sonst war 
es stets gesund. Um den 20. Mai herum bemerkte die Mutter des Kindes, 
dass dasselbe an einem eitrig-ähnlichen Ausflusse aus der Nase leide, und 
brachte deshalb das Kind in das Ambulatorium des Spitals. Bereits bei der 
Aufnahme ergab die Untersuchung des Harns einen Eiweissgehalt von 0,40°,'o- 
Die Aufnahme des Status vom 31. Mai 1888 ergab folgenden Befund: Das 
Gesicht des Kindes ist etwas gedunson, es ist etwas Oedem um die Knöchel, 
reichliche, eiter-ähnliche Secretion aus der Nase und etwas Eczem an der 
Nasenöffnung vorhanden. Weiterhin ergiebt die Untersuchung etwas Flüssig¬ 
keitsansammlung in der Abdominalhöhle, sonst jedoch normalen Befund. 
Vom 31. Mai bis 1. Juni entleert der Kranke 400 ccm Harn, welcher eine 
Dichte von 1,0144 besitzt, schwach alkalisch reagirt und 0,2% Eiweiss ent¬ 
hält. Im Harnsediment finden sich viele Harnsäurekrystalle, ferner einzelne 
granulirte Cylinder, welche mit Fettköpfchen und weissen Blutzellen belegt 
sind, ferner hyaline Cylinder, welche mit verfetteten Nierenepithelien ver¬ 
sehen sind und Cylindroide. Von Mikroorganismen werden gefunden: 
Schimmelpilze, auffallend viele Mikrococcen und Kettencoccen. 


Datum 

Harnmenge 

Dichte 

Eiweiss 

1-2. 

440 

(Harn verloren) 

1,0074 

0,05% *) 

2-3. 

725 

1,0130 

— 

3-4. 

1000 

1,0084 

- 2 ) 

4—5. 

1020 

1.0066 

qualitativ noch 
nachweisbar. 


An diesem Tage ist noch immer leichtes Oedem an den Unterschenkeln 
und etwas Flüssigkeitsausammlung im Abdomen nachzuweisen. 

Datum Harnmenge Dichte Eiweiss Mikroskopische Untersuchung 
5—6. 1035 L,0076 — Plattenepithelien, Bacillus 

ureae, Schimmelpilze. Harn¬ 
saure Krystalle. 

6 — 7. 1000 1,0090 Salpetersaure Hyaline Cylinder, Nieren- 

Kochprobe posi- epithelien, Plattenepithelien, 
tiv, alle anderen Eiterkörperchen, harnsaure 
negativ. Krystalle u. Tripelphosphat. 
Am 7. Juni sind die Oedeme bereits vollkommen geschwunden. 


7-8. 

820 

1,0082 

Nur die essigsaure 
Ferrocyankalium- 
probe ergiebt ein 
positives Resultat. 

Ausser verschiedenen Mikro¬ 
organismen ist im Sediment 
nichts zu finden. 

8—9. 

900 

1,0116 

Probe I positiv 3 ) 


9-10. 

800 

1,0124 

I, II, III — 

Nichts Abnormes. 

10—11. 

715 

1,0080 

1,0094 

I, II, III — 


11 — 12. 

1000 

II schwache React.. 


12—13. 

1200 

1.0092 

I, II, III — 


13-14. 

900 

1,0100 

v yy r> 


14-15. 

120 

(Harn verl.) 

1,0050 

r> 7f n 


15—16. 

550 

(Harn verl.) 

— 

* » y, ~ 


16-17. 

800 

1,0120 

n ^ - 


17—18. 

950 

1,0050 

n v 



Was das Verhalten der Temperatur in diesem Falle anbelangt, 
so verhält sie sich wie folgt: 


Datum 

8 Uhr Morgens 

12 Uhr Mittags 

4 Uhr Abends 

30. 

— 

37,5°C 

37.1 °C 

31. 

37.0 °C 

37,2°C 

37,8°C 

1 . 

38.0 °C 

37,60C 

37,400 

2. 

37,1 »C 

37,2 °C 

— 

3. 

36,4 oC 

36,8°C 

— 


Von nun an war die Temperatur immer subnormal (zwischen 
36,20C bis 36,8°C schwankend). Vom 13.—18. Juni wurden nor¬ 
male Temperaturen verzeichnet. 

Wir konnten auch kein Blut im Harne nach weisen, nichts¬ 
destoweniger spricht der rasche, in Heilung übergehende Verlauf 
dafür, dass es sich wohl nur um eine acute Nephritis gehandelt 
haben kann. Was die Aetiologie dieses Falles von Nephritis be- 

*) Mikroskopischo Untersuchung des Sediments. 

a ) Einzelne hyaline Cylinder. 

3 ) Ich bezeichne der Kürze halber mit. Probe I die salpetersaure Koch¬ 
probe, II Essigsäure-Ferrocyankaliura, III die Diuretprobe. 


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4. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


811 


trifft, so könnte man nach den hier geschilderten Symptomen vielleicht 
auf den Gedanken kommen, dass die Nephritis mit der hier beste¬ 
henden Nasenaffection im Zusammenhänge stand. Doch auch die 
genaueste Untersuchung der Nase hat nichts ergeben, was für eine 
derartige Affection der Nase, die erfahrungsgeraäss zur Nephritis 
führt, also für eine Diphtheritis gesprochen hätte. Wir müssen uns 
auch deshalb mit der Annahme bescheiden, dass auch hier eine 
Nephritis e causa ignota uns vorlag. Der Fall verlief, wie man aus 
dem Auszuge des Krankheitsprotokolles ersieht, in vieler Beziehung 
dem erst beschriebenen analog, nur bestand die Differenz darin, 
dass die Temperatursteigerungen im Ganzen viel geringer waren. 

Züchtungsversuche des pilzhaltigen Harnes ergaben auch in 
diesem Falle kein sicheres, positives Resultat. 

III. Fall. J. M., 9 Jahre altes Kind, aufgenommen am 8. Februar 1888. 

Anamnese: Die Mutter des Kindes ist gesund. Das Kind wurde mit 
Kuhmilch aufgezogen und soll, wie die genauesten Nachforschungen und die 
Angaben der sehr intelligenten Verwandten des Kindes ergeben, niemals 
krank gewesen sein. 

Vor zwei Tagen bekam der Knabe etwas Diarrhoe und klagte über 
heftige Kolikschmerzen. In der Nacht vor seinem Eintritte in das Spital 
erkrankte er an Husten und Fieber, fühlte sich morgens jedoch schon wieder 
so wohl, dass er wie alle vorhergehenden Tage noch am Tage seines Ein¬ 
trittes in das Spital die Schule besuchen konnte. 

Die Aufnahme des Status praesens am Tage seines Eintrittes 6 Uhr 
Abends ergab: 

Dor Knabe ist kräftig entwickelt, nimmt die active Rückenlage ein, das 
Sensorium ist nicht benommen. Er klagt über Kopfschmerzen und Brennen 
und Trockenheit im Munde. Die Haut ist trocken, fieberhaft geröthet, die 
Temperatur in der Achselhöhle 3'.',5° C. Die Pupillen sind gleich weit, re- 
agiren prompt auf Lichtreiz, Lippen und Zahnfleisch sind von normaler 
Beschaffenheit, die Zunge trocken, schwach belegt, Hirnerscheinungen sind 
keine vorhanden. 

Der Puls ist rhythmisch, Arterie gut gefüllt, weit, die Pulswelle hoch, 
Spannung normal, der Puls fühlbar dicrot. Die Athraung ist erschwert, 
praeinspiratorische Erweiterung der Nasenflügel vorhanden, kurz hochgradige 
Dyspnoe. Die Untersuchung der Lungen giebt an diesem Tage ausser et¬ 
was volumen pulmonum auctum normalen Befund. Die Herzdämpfung er¬ 
scheint verkleinert, die Töne über allen Ostien normal. Das Abdomen ist 
etwas aufgetrieben, gegen Druck empfindlich, Flüssigkeit in demselben nicht 
vorhanden. Es ist noch zu bemerken, dass keine Oedeme und keine Exan¬ 
theme vorhanden sind. Der Urin ist dunkelbraun gefärbt, hat eine Dichte 
von 1,0272 und enthält viel Albumin 1,2% und Blut. 

Die Temperatur zeigt an diesem Tage (8. Februar folgenden Gang: 

2p. m. 4. 6. 8. 10. 

39.2 39,5 39,0 39,7 39,8o C. 

Pulsfrequenz 140. Respirationsfrequeuz 40. 9. Februar: Physikalischer 
Befund im wesentlichen unverändert, nur über beiden Lungen reichliches 
Rasseln, die Untersuchung der Milz ergiebt au diesem Tage eine geringe 
Vergrösserung derselben. Die chemische Untersuchung des Urins ergiebt 
denselben Befund, wie am 1. Beobachtungstage (Eiweiss und Blut), die 
Dichte des Urins beträgt 1,0264. Menge von 2 Uhr Mittags den 8. Februar 
bis 8 Uhr früh den 9. Februar beträgt 3u0 ccm. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Harnsedimentes zeigt folgende Formelemente: 1) stark pigmeu- 
tiite Nierenepithelien, 2) Plattenepithelien der Harnblase, Uretheren u. s. w. 
entstammend. 3) rothe, 4) weisse Blutzellen, 5) zahlreiche gelblich gefärbte, 
mit Nierenepithelien belegte granulirte Cylinder, Bruchstücke von Detritus- 
cylinder. Die Untersuchung des Harnsedimentes in dünnster Schicht in mit 
alkoholischem Methylviolett gefärbten Deckgläschen zeigt, dass die angeblich 
aus Detrituscylindern bestehenden Bildungen aus feinsten, dicht gedrängten 
Bacillen bestehen. 

Der Temperaturverlauf an diesem Tage hatte folgenden Gang: 
la. ra. 4. 6. 8. 10. 12 m. 2. 4. 6. 8. 10. 

39,6 39,8 39,0 38,7 38,6 39,0 39,8 39,7 39,5 — 37,2 

Um 8 w j Uhr p. m. dieses Tages wird folgender Status notirt: Ueber 
beiden Lungen rückwärts ausgesprochene Dämi fung, die Auscultation zeigt 
reichliche mittelgrossblasige Rasselgeräusche, ferner Pfeifen und Schnurren. 
Der Kranke ist hochgradig dyspuoetisch. Er hat starken Hustenreiz und 
expectorirt ein zähes, schaumiges, etwas blutig tingirtes Sputum. Es wird 
dem Kranken ein starkes Infus. Ipecac. verabreicht mit Cognac, und als der 
Zustand sich nicht bessert, wird ihm ein Bad von 34° C verordnet und 
einige kalte Uebergiessungen gemacht. Bald nach dem Bade werden jedoch 
die Erscheinungen des Lungenödems noch manifester, und der Kranke erliegt 
seinem Leiden. Wir diagnosticirten demgemäss eino acute Nephritis. Die 
Section (Prof. Eppinger) ergiebt eine acute Nephritis, Dilatation und fettige 
Degeneration des Herzens, beiderseitigen Hydrothorax, Hydropcricardium 
und leichten allgemeinen Hydrops. Vergrösserung der Milz. 

Dass wirklich eine acute Nephritis vorhanden, wird von Prof. 
Eppinger durch die mikroskopische Untersuchung der Niere be¬ 
kräftigt. Zahlreiche Schnitte aus dieser in Alkohol gehärteten Niere 
nach der Methode von Gram behandelt, ergaben mir wider Er¬ 
warten, dass keine Mikroorganismen in den Nieren nachgewiesen 
werden konnten. 

Unter den bis jetzt mitgetheilten Fällen erheischt wohl diese 
Beobachtung das grösste Interesse. Ein vollkommen gesunder, nor¬ 
mal entwickelter Knabe von 27,3 kg Gewicht, erliegt binnen kaum 
48 Stunden, nachdem absolut keine acute Erkrankung, ja nicht 
einmal eine Halsentzündung vorangegangen war, unter in wenigen 
Stunden eintretendem Hydrops der Pleurahöhlen und Lungenödem 
einer Nephritis. Das Ergebniss der Section weist die Annahme, 


dass es sich um in Entstehung begriffenes acutes Exanthem handelte, 
sicher zurück, wir finden keine Hämorrhagieen in den Organen, 
ausser in den Nieren. Es bleibt also blos die Annahme übrig, dass 
die acute Nephritis hier den raschen Tod herbeigeführt hat. 

IV. Fall. V. E., 3 Jahre alt, aufgeuommen in die Klinik am 26. Juni 
1S88. Die Anamnese ergiebt. folgendes: 

Eltern und Geschwister des Knaben sind gesund. Er wurde an der 
Brust ernährt. Die ersten Zähne bekam er mit 13 Monaten, mit einem 
Jahre lernte er gehen. Bis jetzt hat er keine schweren Krankheiten, vor 
allem keine Ausschlagskrankheiten gehabt. Nur litt er häufig an Ilals- 
schmcrzen, ohne dass es jedoch zu bedeutenderen Schwellungen der Hals¬ 
gebilde oder zu Halsentzündungen gekommen wäre. Bei der im Ambu¬ 
latorium am 25. Juni 1888 vorgenommenen Untersuchung wurde mit allen 
drei bekannten Proben das Vorhandensein von Eiweiss constatirt. 

Die Aufnahme des Status praesens vom 26. Juni ergab: Das Kind ist 
kräftig entwickelt, die Hautfarbe blass, die Hautdecke etwas bräunlich pig- 
mentirt. An den Lippen ist eine Spur von Cyanose vorhanden. In den 
Lungen, der Leber, der Milz normaler Befund, desgleichen sind die Raclieu- 
gebilde normal. Die Herzdämpfung ist nicht verbreitert, doch hört man 
über dor Pulmonalis ein deutliches systolisches Geräusch. In den abhängigsten 
Partieen des Abdomens constatirt man etwas Dämpfung. An diesem Tage 
wird mit verschiedenen Proben Eiweiss nachgewiesen, desgleichen am 28. Juni. 
Die mikroskopische Untersuchung des Harns von diesem Tage ergiebt: 
1) Cylinder, welche aus Epithelieu, 2) Cylinder, die aus weissen Blutzellen be¬ 
stehen, 3) Cylindroide, 4) Leukocyteu. Die Harnmengen zeigen folgende Werthe: 


Datum 

Menge 

Dichte 

Eiweiss 

27. 

— 

— 

I. und II. Probe positiv III.? 1 ) 

28. 

240 

— 

I. und 11. positiv 

29. 

5S5 

1,0173 

— 

30. 

710 

1,0140 

- 2 ) 

1 . 

450 

1,0150 


2. 

470? 

1,0148 

I. u. 11. Probe schwach pos. III. neg. 

3. 

550? 

1,0150 

derselbe Befund 3 ) 

4. 

660 

1,0135 

nur Probe II. schwach pos. 

5. 

1000 

1,0082 

Probe I. ? II. und III. — 

6. 

850 ? 

1,0112 

— mit allen Proben 

7. 

1090 

1,0064 

n n » n 


Die Temperatur war in diesem Falle im ganzen Verlaufe normal. 
Die oben beschriebenen Geräusche an der Pulmonalis waren am 
2. Juli schon ausserordei-tlich leise zu hören, am 3. bloss ein 

dumpfer I. Ton, und am 7. constatirten wir normalen Befund. 

Auch hier ergab weder die Anamnese noch der Befund irgend 
welche Anhaltspunkte für die Annahme einer voraufgegangenen 

acuten Krankheit. Diphtherie ist mit Sicherheit auszuschliessen, 
auch eine Angina war trotz der Angabe von Halsschmerzen nicht 
vorhanden. Ich gebe allerdings die Möglichkeit zu, dass schliesslich 
auch nach eiuer katarrhalischen Angina Nephritis eintreten kann. 
Doch erscheiut mir diese Angabe wenig plausibel, und deshalb 
führe ich den Fall allerdings mit einiger Reserve an. Ueber die 
Natur des systolischen Geräusches über der Pulmonalis wage ich 
nicht ein bestimmtes Urtheil abzugeben. Vielleicht auch kann es 
sich um eine an der Mitralis zu localisirende Endocarditis ge¬ 

handelt haben. 

Auch in diesem Falle handelte es sich, da der Fall in 

wenigen Tagen ablief, wohl um eine acute Nephritis. Bemerkens¬ 
werth scheint mir die Beobachtung, dass an einem Tage trotz 
fehlender Albuminurie Formelemente im Harne gefunden wurden. 
Es bestätigt diese Beobachtung meine an einem anderen Orte ge¬ 
machte Angabe, dass auch bei der Nephritis iutermittirende Albu¬ 
minurie vorkommt. Ferner ist beraerkenswerth, dass im weiteren 
Verlaufe bis zur Heilung wiederholt Eiweiss, aber keine Formelemente 
gefunden wurden. 

Fassen wir kurz nochmals die vier vorgeführten Krankheits¬ 
bilder zusammen, so wird man mir wohl zugeben, dass alle diese 
Bilder gemeinsame Züge aufwiesen, bei keinem derselben liess sich 
als Ursache der Nephritis eine vorausgegangene, uns bekannte acute 
Infectionskrankheit nachweisen. Alle Fälle verliefen mit mehr oder 
minder beträchtlichem Fieber, mit Ausnahme des vierten, alle waren 
durch einen raschen Verlauf ausgezeichnet, der sich in drei Fällen 
günstig gestaltete, in einem Falle zum Tode führte. 

In allen Fällen war der Urin reich au Mikroorganismen, ohne 
dass es mir gelungen wäre, den sicheren Beweis zu liefern, dass 
die beobachteten und zum Theil auch durch die bekannten Me¬ 
thoden isolirten Pilze wirklich die Krankheitserreger sind. Es 
können deshalb diese Fälle wohl sicher nicht mit der von Letzerich 
beschriebenen Nephritis bacillosa identisch sein, und ich komme auf 
das zurück, was ich bereits Eingangs meiner Auseinandersetzung 
erwähnte: Die von Letzerich entdeckten Bacillen sind 
sicher nicht die einzigen Krankheitserreger, welche bei 
den primären, acuten Nephritiden der Kinder eine Rolle 
spielen. (Schluss folgt.) 

*) Mikroskopische Untersuchung. 

s ) Spärliche, aus weissen und rothen Blutzellen bestehende Cylinder, 
hyaline Cylinder mit solchen belebt, verschiedene Mikroben. 

3 ) Keine Formeieinente._ 


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812 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40 


II. Ueber die Erfolge der chirurgischen Be¬ 
handlung der diffusen eitrigen Peritonitis 
und der peritonealen Sepsis. 1 ) 

Von Dr. 0. Witzei, Privatdocent für Chirurgie in Bonn. 

Die chirurgische Behandlung der Gruppe von Krankheitszustän¬ 
den, die wir unter dem Namen der diffusen Peritonitis zusam¬ 
menzufassen pflegen, nimmt in den letzten Jahren in hervorragender 
Weise das Interesse der Aerzte in Anspruch. — Bei uns wurde zu¬ 
erst durch Mikulicz auf der Naturforscherversammlung zu Magde¬ 
burg der Frage näher getreten in einem Vortrage, den wir Alle mit 
Freude nnd Gewinn gelesen und wiedergelesen haben. Bald darauf 
erschienen andere Publicationen; besonders betonte Krönlein in 
klarer Darstellung, dass es eine Forderung der Zeit sei, die jetzt 
herrschenden chirurgischen Principien auf die Erkrankungen der 
grössten Höhle des menschlichen Körpers zu übertragen. Eingehende 
Erörterungen, welche in den grossen Gesellschaften Englands und 
Frankreichs gepflogen wurden, zeugen von der Wichtigkeit, welche 
dem Gegenstände allseitig beigemessen wird. — Immerhin ist die 
Einzelerfahrung eine beschränkte; oft erst nach langem Zaudern, 
nach Erschöpfung des Kranken unter Anwendung anderer Methoden 
wird hier, wie beim Ileus, auf die chirurgische Hülfe recurrirt, so 
dass bisher fast regelmässig unter sehr schlechten Aussichten operirt 
worden ist. Eine richtige Werthschätzung der mechanischen The¬ 
rapie wird aber erst dann möglich, wenn es dem Chirurgen, wie 
bei der Diphtheritis, anheim gegeben sein wird, deu richtigen Zeit¬ 
punkt zu wählen. Dann werden wir auch bald in der Lage sein, 
den zwingenden Zahlenbeweis für die Berechtigung unserer Bestre¬ 
bungen zu erbringen. Vorläufig wäre es verfrüht, sogar ungerecht, 
aus der kleinen Zahl, zumal so ungleichartiger Erfahrungen, eine 
Statistik aufzustellen. Dieselbe würde nicht allzuglänzend ausfallen. 
— Zwar sind im Einzelnen schlagende Erfolge gemeldet worden; 
im Ganzen haben wir aber wohl Ursache, auf Mittel und Wege zum 
Besseren zu sinnen. Dies geschieht in erster Linie durch gewissen¬ 
haftes Studium der bisherigen Erfahrungen; zugleich ergiebt es.sich 
aber von selbst, den Thierversuch soweit als möglich zur Lösung 
schwebender Fragen heranzuziehen. — Bahnbrechend lagen vor die 
Untersuchungen von Wegner, durch welche wir in klarster Weise 
über die Transsudations- und Resorptionsverhältnisse des Bauch- 
raumes belehrt wurden. Vom bacteriologischen Standpunkte weiter 
arbeitend, stellte vor einigen Jahren Grawitz Dinge fest, die be 
sonders auf den Chirurgen geradezu verblüffend wirken mussten. 
Die gegen Grawitz neuerdings von Pawlowsky in einer vorläu¬ 
figen Mittheilung erhobenen Bedenken scheinen mir einigermaassen 
zweifelhaft nach meinen eigenen zahlreichen Versuchen, bei denen 
ich allerdings besonders die Zwecke der Therapie im Auge hielt. — 
Aufgabe dieses Vortrages soll nun sein, mit Berücksichtigung des 
bisher Geleisteten die Erfolge zu beleuchten, welche durch die 
mechanisch-chirurgische Therapie der diffnsen eitrigen Peritonitis 
und der intraperitonealen Jauchung erreicht worden sind. 

Wenn wir an die Behandlung einer über das ganze Bauchfell 
verbreiteten Jauchung und Eiterung herangehen, dann ersteht vor 
Allem die Frage: bis zu welchem Grade ist es nöthig, bis 
zu welchem Grade möglich, den differenten Inhalt aus 
dem Bauchraume fort zu schaffen, wie geschieht das 
auf die schonendste Weise? — In dieser Hinsicht würde unser 
Mühen von vornherein aussichtslos sein, wenn der Erfolg davon 
abhinge, die eitrigen und jauchigen Producte bis auf die letzten 
Spuren zu tilgen. Das ist zum Glück nicht erforderlich. Schon 
lange sind die Fälle bekannt, in denen sich das Bauchfell selbst 
gegen höchst differente Substanzen auffallend tolerant erwiesen hat. 
Denken wir daran, wie oft der verletzte, mit Koth besudelte Darm 
dürftig genäht, kaum mit Wasser abgespült, reponirt wurde, ohne 
dass die Spur einer peritonealen Reaction erfolgte. Bekannt ist der 
glatte Verlauf von Ovariotomieen, bei denen man nur nebenbei den 
Segeu der Antisepsis einem Jauchungs- und Eiterungsprocesse angedeihen 
Hess. Auch bei den direkt zur Bekämpfung diffuser Peritonitis vor¬ 
genommenen Eingriffen, die von Erfolg gekrönt waren, lesen wir, 
dass die Säuberung gewöhnlich auf die Fortschaffung der Hauptmasse 
des Exsudates beschränkt blieb. — Trotzdem können wir zweifels¬ 
ohne nicht genug thun behufs gründlicher Desinfection des Bauch¬ 
raumes. Verschiedentlich ist eine breite Eröffnung und Aus¬ 
packung der Intestina empfohlen worden, um mit einiger 
Sicherheit die im kleinen Becken, beiderseits neben der Wirbelsäule 
und zwischen den Eingeweiden angesammelten Secrete mit Schwäm¬ 
men und Servietten aufnehmen zu können. Wir werden das 
Verfahren als zu gefährlich aufgeben müssen. Schon bei Laparo- 
tomiecn, die am kräftigen, sonst gesunden Individuum vorgenommen 

l ) Vortrag, gehalten in der Section für Chirurgie der 61. Versammlung 
Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


werden, hat eine derartige Säuberung des Bauchraumes seine schwe¬ 
ren Bedenken. Bei unseren stets geschwächten Kranken muss ein 
solcher Eingriff fast nothwendiger Weise zu einem jähen Collaps 
führen, selbst eine Mors in tabula in Folge Herzstillstandes durch 
reflectorische Vagusreizung ist zu befürchten, zumal Parchanoff 
gezeigt hat, dass dieser Reflex namentlich leicht vom entzündlich 
veränderten Darme ausgelöst wird. Ich selbst habe keines der 
Thiere, bei denen so vorgegangen wurde, erhalten können; sie ver¬ 
fielen sichtlich unter den Händen, während an den Eingeweiden ge¬ 
wischt wurde, und erholten sich nicht; obeudrein musste ich mich 
bei der Section davon überzeugen, dass es doch nicht gelungen 
war, die ein gespritzten Farbstoff lösungen vollständig zu entfernen. 

Aus gleichen Gründen ist zu verwerfen eine der Roser’sehen 
Pleuraauswaschung ähnliche Methode, für welche obendrein die Ab¬ 
wesenheit von Verklebungen Vorbedingung ist. Nuss bäum und 
Tait empfahlen, von einer medianen Oeffnuug aus das Abdomen 
mit Flüssigkeit zu füllen und dann durch Umdrehen auszuschwen¬ 
ken. Macht man nun einen kleinen Schnitt, so läuft besonders bei 
geblähtem Darme nur wenig wieder heraus. Oeffnet man in grösserer 
Ausdehnung, dann fallen bei jeder Umwälzung die Intestina vor, 
und da das Verfahren des Oefteren wiederholt werden muss, so 
resultirt durch die Einpackuugsmanipulationen ein Shok, welcher 
dem bei breiter Eröffnung und Eventration zu Stande kommenden 
mindestens gleich zu setzen ist. 

Die Möglichkeit einer Durchspülung des ganzen Bauchraumes 
scheint bisher nur vereinzelt iu Betracht gezogen worden zu sein. 
Auch meine diesbezüglichen Versuche fielen anfänglich sehr schlecht 
aus; der Leib der Thiere wurde trommelartig aufgetrieben, es floss 
wenig oder gar nichts aus dem Rohr ab, welches durch dieselbe 
Oeffnung eingebracht war. So schien mir denn doch eine rapide 
Auspackung mit nachfolgender Säuberung durch Abwischen und Be¬ 
spülen noch das Beste zu sein, bis ich in der Anlegung von 
mehreren kleinen Oeffnungen und in der Einführung lan¬ 
ger Drainröhren nach verschiedenen Richtungen hin die 
Methode fand, den Bauchraum mit erwärmter physiologischer Koch¬ 
salzlösung, augenscheinlich ohne wesentliches Unbehagen der Thiere. 
selbst lange Zeit hindurch bis zu gründlicher Reinigung zu durch- 
spiilen, ohne einen schweren Collaps hervorzurufen. So hat denn 
Nussbaum doch vielleicht nicht so Unrecht, wenn er glaubt, dass 
wir bald soweit sein werden, bei schweren septischen Processen 
einen continuirlichen Wasserstrahl durch die Bauchhöhle gehen zu 
lassen, um von Minute zu Minute Alles zu entfernen, was durch 
Resorption vergiftend und schädlich wirken könnte. 

Die Empfehlung einer bestimmten, bisher kaum geübten Art 
der Säuberung des Bauchraumes schliesst eine schwere Verantwor¬ 
tung in sich; ich habe gezögert, damit hervorzutreten. Nur schwer 
lässt sich experimentell eine eitrig-adhäsive Peritonitis erzeugen; es 
fehlte mir die eingehende Vorprüfung der Methode für die mit der 
Eiteruug verbundenen schwierigen Verhältnisse. Um so angenehmer 
war es mir, die Leistungsfähigkeit derselben erprobt zu finden bei 
drei Fällen von eitrig-jauchiger Peritonitis, welche ich in diesen 
Ferien zur Operation bekam. 

Zwei meiner Fälle waren complicirt. Ich habe bei be¬ 
stehender diffuser Eiterung und intraperitonealer Gas¬ 
ansammlung einem 9jährigen Kinde den an seinerSpitze 
perforirten Processus vermiformis theilweise abgetragen und 
vernäht. Die nachfolgende Säuberung der Bauchhöhle durch Aas¬ 
spülen gelang nach multipler Drainage von einer medianen und 
zwei seitlichen Incisionen sehr schnell und sicher. Das vorher gänz¬ 
lich apathische, mit 40 kaum wahrnehmbaren Pulsen übernommene 
Kind schien sich zu erholen; es starb ganz unerwartet schnell in 
plötzlichem Collapse 15 Stunden nach der Operation. — Ein sub¬ 
acuter Ileus nach Massenreduction eines Schenkelbruch es 
complicirte den einen anderen Fall. Der 61jährige Mann 
wurde erst am dritten Tage, augenscheinlich schon septisch, mit über 
130 Pulsen zur Klinik gebracht. Nach Einnähung der theilweise 
stark veränderten Dünndarmschlinge habe ich in der gleich zu 
beschreibenden Weise das Abdomen drainirt und ausgespült, ohne 
jedoch den Tod länger als 24 Stunden hinausschieben zu können. 
— In dem dritten Falle kam es bloss auf die mechanische Säube¬ 
rung des Bauchraumes an, er war also nicht complicirt; daher 
möchte ich an ihm das Verfahren kurz erläutern. 

Es handelte sich um ein schwächliches Mädchen von 11 Jahren, wel¬ 
ches ein Jahr zuvor eine Blinddarmentzündung überstanden hatte. Dasselbe 
erkrankte 4 Tage vor der Aufnahme, mit lebhaftem Schmerze im Unterleib 
rechts; hier wurde eine resistente Schwellung gefunden. 

Ganz unvermittelt verbreitete sich am dritten Krankheitstage der Schmerz 
über den ganzen Leib; derselbe schwoll schnell an; der Puls stieg auf 140 
und war anhaltend eben fühlbar; unter schnellem Kräfteverfall stellte sich 
solche Athemnoth ein, dass 24 Stunden nach der Katastrophe kaum eine 
Antwort von dem sonst so lebhaften Kinde zu erlangen war. — Wir stellten 
die Diagnose auf Perforation eines recidivirten {faratypblitischen 
Abscesses ohne Communication zwischen Darmtractus und Bauchraum. 


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4. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 813 


Das therapeutische Bestreben brauchte also bloss auf Entleerung des 
differenten Inhaltes zu gehen. Die Ausschaltung einer abnormen Communi- 
cation nach dem Darme hin würde ich unter den schon ziemlich desolaten 
Verhältnissen nicht unternommen haben an dem zweifellos schon stark an 
Resorptionsvergiftung leidenden Kinde. 

Eine schräg über die Coecalgegend geführte Incision entleerte nahezu 
V* 1 stinkenden, dicken Eiters aus einem intraperitouealen Abscesse, der be¬ 
sonders nach dem kleinen Becken hin sich erstreckte. Der Wurmfortsatz 
war durch Auseinanderziehen der Wundränder nicht sichtbar zu machen; 
dagegen drang jetzt von der Nabelgegend her eine stark injicirte, frisch mit 
Eiter beschlagene Darmschlinge vor, und ein leichter Druck liess vom Meso- 
gastrium und vom rechten Hypochondrium her reichlich Eiter nachquellen. 
Die breite Communication nach d em freien Bauchraume hin war also un¬ 
zweifelhaft. Ich legte nun einen kurzen Schnitt unter dem Nabel, einen 
weiteren in der linken Flanke an und drängte mit dem eingeführten Finger 
schonend die leicht verklebten Intestina allseitig auseinander; dabei quoll 
immer von Neuem übelriechender Eiter nach. Von jeder Oeffuung aus wurde 
ein langes fingerdickes Drainrohr bis auf den Grund dos kleinen Beckens 
eingelegt, rechts und links wurde nach oben hin der Raum neben der Wirbel¬ 
säule drainirt und median ein Rohr unter die Leber gebracht, ferner wurde 
eine direkte Verbindung zwischen den 3 Oeffnungen quer durch den Bauch¬ 
raum hergestellt. 

20 Minuten nach Beginn der Narkose, welche nur in dieser Zeit eben 
bis zur Toleranz geführt wurde, wareu die 8 Drainrohre fixirt; es konnte 
mit der Durchspülung begonnen werden, bei welcher die Irrigatorspitze ab¬ 
wechselnd in die verschiedenen Röhren eingebracht wurde. 

5 Liter der auf Blutwärme gebrachten 0,6% Kochsalzlösung flössen noch 
schmutzig ab, die 3 folgenden förderten nur noch gelbe Flocken heraus, aus 
allen Röhren ergoss sich der Strom selbst bei geringer Druckhöhe so gleich- 
mässig, dass wir es wohl wagen durften, 2 Liter einer ganz schwachen Salicyl- 
lösung durchzulassen, um schliesslich mit der gleichen Menge Kochsalzlösung 
nachzuspülen. 

Die sorgliche Beobachtung zeigte hier, wie in den anderen 
Fällen, dass die Irrigation durchaus keine Aenderung des All¬ 
gemeinbefindens veranlasse. Mit einem einfachen Verbände wurde 
das Kind in das stark erwärmte Bett gebracht. Durch die leichte Narkose, 
den unvermeidlichen geringen Blutverlust und durch die übrigen Manipula¬ 
tionen war allerdings die Welle des Pulses so schwach, dass einige Aether- 
injectionen zur Hebung der Herzaction indicirt erschienen. Bedeutend freier 
war entschieden die Respiration. 3 Stunden nach der Operation begrüsste 
mich das Kind ziemlich laut und sagte, es ginge ihm gut; die Wärterin 
klagte sogar über Unarten, welche die Kleine versuche. Der Zustand blieb 
auch weitere 10 Stunden noch ganz leidlich; dann verfiel aber das Kind 
ziemlich schnell und starb 18 Stunden nach der Operation unter den ge¬ 
wöhnlichen Erscheinungen der Sepsis. 

Die mechanische Therapie war zur Verhütung der letzteren zu 
spät gekommen. Immerhin hatten wir bei der Section die Genug¬ 
tuung, zu sehen, wie die Säuberung des Abdomens von flüssigem 
Exsudat und die Sauberhaltung vollkommen gelungen war, zwischen 
den Falten des Netzes und des Gekröses fanden sich noch einige 
gelbe Fibrinflocken; an der Unterfläche der Leber sass ein gelber 
Belag in mässiger Ausdehnung fest auf; — es ist das nebenbei die 
Partie des Bauchraumes, die bei allen Methoden am schwersten zu 
säubern ist. Im Bereiche des primären Abscesses war der Pro¬ 
cessus vermiformis der Beckenwandung adhärent; in mittlerer Höhe 
desselben lag ein Kothstein über Kirschkerngrösse; aus der Spitze 
des in seiner unteren Hälfte erweiterten Fortsatzes quoll erst beim 
Anziehen die kleine Menge flüssigen Eiters, die überhaupt im Ab¬ 
domen war. Eine grössere Oeffnung scheint zwischen dem Abscess- 
und dem Darmanhange nicht bestanden zu haben. 

Soviel von der Geschichte unserer jüngst beobachteten Fälle. 
— Die multiple Incision und Drainage mit nachfolgender Ausspülung 
des Bauchraumes scheint mir demnach Empfehlung zu verdienen 
da, wo eine möglichst exacte Säuberung des Bauchraumes von ab¬ 
normem, flüssigem Inhalte erzielt werden soll. Bei genügender 
Sicherheit hat sie den grossen Vorzug einer Schonung, wie sie bei 
keiner anderen Methode besteht. 

Bei den nicht zu Adhäsionen führenden Jauch ungen legen 
wir zweckmässig Incisionen in der Mittellinie und besonders in den 
Flanken an, gerade gross genug, um die Application der Drains zu 
ermöglichen. Bei den diffusen Eiterungen ist eine vorsichtige 
digitale Lösung vorhandener Adhäsionen behufs Einlegung 
der langen Röhren erforderlich, die weitere Auseinanderdrängung 
können wir dem Flüssigkeitsstrome überlassen. Mit der Fort¬ 
schaffung der Hauptmasse des differenten Inhalts durch mehrfache 
Incision und Drainage können wir unter Umständen es zunächst be¬ 
wenden lassen. Dieselbe führte sogar allein zum Ziele in einem von 
Trendelenburg operirten Falle, in dem es sich um die Entleerung 
des in den Bauchraum geflossenen Inhalts eines pyonephritischen 
Sackes handelte. Wir sind ja in der Lage, die Ausspülung erst 
einige Stunden nach der Drainirung vorzunehmen, dieselbe zu wieder¬ 
holen, wo es nöthig erscheint, um die Stagnation von Flüssigkeiten 
zu verhüten, deren Aufnahme über kurz oder lang durch Sepsis 
tödten würde. 

Von besonderer Wichtigkeit scheint es mir, dass hier zunächst 
die Frage der mechanischen Säuberung des Bauchraumes besprochen 
wird; es ist das ein Angelpunkt für die künftigen Erfolge dieses 


Theiles der chirurgischen Therapie. — Werfen wir nun einen kurzen 
Blick auf das bisher Erreichte! 

Wie zu Anfang bemerkt wurde, sind die Resultate vorläufig 
nicht allzu glänzend, nicht 20%, vielleicht kaum 16% der Fälle 
sind glücklich verlaufen. Wenn wir nun gar hören, dass Schroeder, 
Czerny nur über Misserfolge berichten konnten, dann kommen die 
günstigen Ausgänge fast in die Beleuchtung des Zufalls. — Gehen 
wir nun den Gründen nach, welche so oft den berechtigten Eingriff 
scheitern Hessen, so ergiebt sich Folgendes. 

Bis zu dem Zeitpunkte, in dem es auf die eine oder andere 
Weise gelingt, den Bauchraum zu reinigen, ist stets schon eine be¬ 
trächtliche Menge toxischer Substanzen in die allgemeine 
Säftemasse übergegangen. Die Blutdissolution ist in einzelnen 
Fällen schon in tödtlichem Grade erfolgt und lässt an sich eine Er¬ 
holung, selbst nach schonendem Eingriffe, nicht mehr zu. In an¬ 
deren Fällen würde der Organismus mit der Bewältigung der Noxen 
noch recht gut fertig, wenn wir es bei der einfachen Säuberung des 
Abdomens bewenden lassen könnten, wenn wir nicht behufs Auf¬ 
findung und Verstopfung der In fectionsquellen langdauernde 
Manipulationen mit den Eingeweiden vornehmen müssen. Hier führt 
eine Curnulation der vorhandenen Vergiftung und des operativen 
Shoks das letale Ende herbei. Derartige, besonders durch Per¬ 
foration der Hohlorgane, zumal des Magens und Darms, 
complicirte Fälle bieten mithin selbst bei noch leidlichem All¬ 
gemeinbefinden schlechtere Aussichten als die in diesem Sinne nicht 
complicirten. — Eine künftige Statistik wird dem angedeuteten 
Unterschiede durchaus Rechuung zu tragen haben. 

Weiterhin ist es eine dringende Forderung der klinischen und 
pathologisch-anatomischen Erfahrungen, der Ergebnisse experimen¬ 
teller Untersuchungen, dass eine Unterscheidung festgehalteu werde 
zwischen der Jauchung im Bauchraume, der peritonealen 
Sepsis — und der diffusen Gewebserkrankung des Bauch¬ 
fells, der eigentlichen Peritonitis. 

Für den Behandlungserfolg ist es eine ganz andere 
Sache, ob wir es zu thun habeu mit der Massenentwicke¬ 
lung von eiweissspaltenden Pilzen in einem Bauchraume, 
dessen Transsudations- und Resorptionsverhältnisse im 
üebrigen wenig oder gar nicht alterirt sind — oder mit 
dem Effect der weitverbreiteten Ansiedelung von Eite¬ 
rung anregenden Coccen im Gewebe der Serosa. — Halten 
wir daran fest, dass im ersteren Falle — gleichwie bei der Jauchung 
grosser Gelenke — die Verderbniss der Säftemasse des Körpers viel 
rascher und stärker erfolgt als bei der diffusen Eiteruug. — Bei 
der peritonealen Sepsis geht der physiologische Flüssigkeitsstrom 
weiter durch den grössten Lymphspalt des Körpers, anhaltend fau¬ 
lige Substanzen aus dem Bauchraume mitschwemmend. - Bei der 
eitrigen Peritonitis führt sicher schon frühzeitig die entzündliche 
Reaction im Gewebe des Bauchfells einen Verschluss der Lymph- 
bahnen und somit einen Abschluss des Bauchraumes in sich herbei; 
die Resorption erfolgt dann, wie bei einem grossen Abscess, wesent¬ 
lich durch die Blutgefässe auf dem viel langsameren Wege der Os¬ 
mose. Bei der diffusen Peritonitis dürfen wir daher auch mit Vor¬ 
sicht Autiseptica einbringen; bei der Jauchung führt ihr Gebrauch 
ausserordentlich leicht zur Intoxication. 

In hohem Maasse verderbliche Umstände treten somit zusammen, 
um von vornherein den Ausgang unserer Bestrebungen höchst 
zweifelhaft erscheinen zu lassen bei der peritonealen Sepsis. — 
Es sind das die Fälle, die in 24—48 Stunden tödtlich enden. Bei 
der Section findet man ausser einer starken Injection der oft enorm 
geblähten Darmschliugen nur eine geringe Menge stinkender, blutig- 
seröser Flüssigkeit im Abdomen; oder es zischt bei der Oeffnung 
übelriechendes Gas aus, die Intestina sind bedeckt mit dem zer¬ 
setzten Inhalte eröffneter Hohlorgane. — Die Fälle sind gegen früher 
selten geworden durch die primäre Antisepsis bei den Bauchopera¬ 
tionen; ein frühzeitiges energisches Vorgehen bei zufälligen Ver¬ 
letzungen wird eine weitere Besserung bringen. — Das ist auch 
dringend nöthig, denn die secundäre Antisepsis bietet nur wenig 
Hoffnung. — Eiuen Erfolg nach Laparotomieen konnten Schroeder, 
Hegar und Kaltenbach, Olshausen nicht berichten. Martin 
spricht von einer nicht völligen Heilung einer Patientin aus der 
Praxis seines Vaters. Durch das Studium der Krankengeschichten 
habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass in dem oft citirten Falle 
von Köberle, in den von Peaslee mitgetheilten eine diffuse Peri- 
tonealjaucbung nicht vorlag. — Schlimmer steht es noch mit der 
secundären Antisepsis bei Jauchung im Anschluss an penetrirende 
Bauchwunden. Nach Laparotomieen kann der Entschluss schon 
eher reifen, einen Theil der Incisionswunde behufs Drainage und 
Irrigation auseinander zu drängen. Voraussichtlich meist zu spät 
kommt unsere Hülfe, wenn nach zufälliger Verletzung der — selbst 
septischen Flüssigkeiten gegenüber—so prompt wirkende Aufsaugungs¬ 
mechanismus erst soweit gestört ist, dass ein Erguss nachweisbar wird, 
und wenn der Bauch sich aufbläht durch die Paralyse der von faulender 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40 


814 


Flüssigkeit umspülten Därme. Unter solchen Umständen einem 
Schussverletzten den Bauch breit aufzuschneiden, um ein verletztes 
Hohlorgan zu schliessen oder einzunähen, halte ich für unnütze 
Quälerei. Dagegen haben wir wohl stets die Verpflichtung, auf 
schonende Weise die Jauche zu entfernen; wir gewähren so dem 
Kranken noch Chancen, mögen sie auch ebenso minimal sein, 
wie die des Patienten mit brandigem Bruche, welcher operirt wird, 
während er schon an Allgemeinvergiftung leidet. Hier an der 
Grenze des chirurgischen Könnens stehend, würden wir dem Phar¬ 
makologen ausserordentlichen Dank wissen, der uns das Mittel gäbe, 
die resorbirten Ptomai'ne unschädlich zu machen. — Sie erkennen, 
dass unser Kampf gegen die peritoneale Sepsis vorläufig ein nahezu 
verzweifelter ist. 

In besserer Lage sind wir gegenüber der Peritonitis. — Eine 
mehr oder weniger starke Allgemeinvergiftung kommt leider auch 
hier in Betracht. Der für unsere mechanische Therapie unerreich¬ 
bare Factor bleibt von unheimlicher Bedeutung bei der combinirten 
Janchung und Eiterung; er tritt noch wesentlich in Rechnung zu 
Beginn der rein eitrigen Bauchfellentzündung. Unberechenbar ist 
aber auf der anderen Seite die Widerstandsfähigkeit der verschiede¬ 
nen Individuen, und es hat der Erfolg dahin entschieden, dass wir 
solche Kranke operiren müssen, selbst wenn sie 120 und mehr 
Pulse haben. Denn die Ausübung der localen Therapie kann zum 
guteu Ende führen in den Fällen jauchig-eitriger Perforationsperito¬ 
nitis, wo ausser der Säuberung des Bauchraumes die Ausschaltung 
einer Iufectionsquelle erforderlich ist; mit relativ guten Aussichten 
dürfen wir sogar an die chirurgische Behandlung nicht coraplicirter 
diffuser Eiterungen herantreteu, indem wir mit Vorsicht die sonst 
übliche Abscessbehandlung in's Werk setzen. 

Die schönen Erfolge, welche bei eitrig-jauchiger Perito¬ 
nitis besonders nach Magen- und Darraperforation durch Mikulicz, 
Krönlein, Lücke u. A. erzielt wurden, sind Ihnen bekannt; soust 
kann ich auf die Mittheilung verweisen, welche Steinthal auf 
dem letzten Chirurgen-Congress gab im Anschluss an die von 
Czerny operirten Fälle. Von Letzterem hörten wir auf der vor¬ 
jährigen Versammlung beachtenswerthe Rathschläge, welche uns bei 
der Aufsuchung der abnormen Oeffnung leiten können. — Nach 
meinem Erachten wird man am Besten für die Säuberung des 
Bauchraumes zunächst nichts Besonderes thun, vielmehr vorab so 
schnell als möglich die Ausschaltung der Communication bewirken. 
Dann erst wird (event. unter digitaler Lösung der Verklebung) von 
verschiedenen Schnitteu her drainirt; hierbei fliesst schon die 
Hauptmasse des Exsudates ab. Bei gutem Kräftezustande kann 
sofort irrigirt werden, sonst spülen wir erst später aus ohne Narkose, 
nach Hebung des Allgemeinbefindens. — Da wo der Zustand des 
Kranken die Aufsuchung der Perforationsöffnung überhaupt verbietet, 
geben wir wenigstens einige Chancen durch Incision und Drainage 
des Abdomens. Lücke hat gezeigt, dass auch allein hierdurch 
Heilung erzielt werden kann. 

Bei der rein-eitrigen, nicht perforativen Peritonitis er¬ 
folgt meist schnell nach dem ersten, durch die intensive Reizung 
des Darmplexus bedingten Sturme ein Abschluss des Bauchraumes 
durch Verlegung der abführenden Lymphwege; wir haben es dann 
nur mit einem einfachen oder mit einem multiloculären Abscesse 
zu thun, dessen Abtheilungen jedoch nach Baur meist längere Zeit 
untereinander in Verbindung stehen. In früheren Zeiten griff man 
nur bei grossen Ansammlungen in relativ späten Stadien ein; man 
beschränkte sich darauf, den natürlichen Gang der Heilung zu be¬ 
schleunigen; es wurde punctirt und wohl auch drainirt — und 
dennoch sind schon längst durch diese unvollkommene Methode 
Erfolge gewonnen worden. Heute ist es, wie Lawson Tait mit 
Recht betonte, Pflicht des Arztes, derartige Fälle nicht zum Aeusser- 
sten kommen zu lassen, ohne den Bauchraum zu öffnen und aus- 
zuwascbeu. — Von guter Prognose erscheinen die Fälle sog. 
idiopathischer Peritonitis, in denen die Infection von einem 
alten Eiterheerde während der Menstruation von den Tuben her 
erfolgte; auch die reine puerperale Peritonitis ist des Oefteren, 
jedenfalls viel häufiger als man glaubt, durch corabinirte Behandlung 
des uterinen und des peritonealen Processes zur Heilung gebracht 
worden; bei der metastatischen puerperalen Pyämie gewährt die 
Entleerung eines massenhaften Exsudates wenigstens vorübergehende 
Erleichterung. 

Ich bin am Schlüsse meiner Uebersicht der Verhältnisse, welche 
bei diffusen Peritonealerkrankungen den Erfolg bald wahrscheinlich 
lasseu, bald erschweren oder gänzlich ausschliessen. Dass hier ein 
dankbares Feld zu bearbeiten steht, erkennt ein Jeder, welcher 
sich mit dem Gegenstände befasst. Sonder Zweifel ist es von Be¬ 
deutung, dass die besten Vertreter der chirurgischen Wissenschaft 
mit ganz ungewöhnlicher Wärme für die Berechtigung und Noth- 
wendigkeit der mechanischen Therapie eintraten, auch wenn sie nur 
Misserfolge zu verzeichnen hatten. Dieses Interesse für einen 
scheinbar verlorenen Posten findet seine Erklärung in dem tief¬ 


empfundenen Wunsche, bei verzweifelter Krankheit unseren Mit¬ 
menschen Hülfe zu bringen. Möge dieser Wunsch durch unser 
gemeinsames Vorgehen bald der Erfüllung näher kommen. 

III. Linsenernährung und Linsentrübung. 1 ) 

Von Prof. Dr. Magnus in Breslau. 

Die die Linse ernährende Flüssigkeit strömt im Linsenäquator 
ein, verbreitet sich dann dicht unter der Kapsel zwischen ihr und 
der Linse und dringt von hier aus in die Linse selbst ein. In der 
Linse fliesst der Nährstrom nicht in bestimmten präformirten Canäl- 
chen, sondern er sickert zwischen den einzelnen Linsenfasern hin¬ 
durch. Da der Strom von aussen nach innen gerichtet ist, so werden 
die äusseren Linsenschichten, der ernährenden Quelle näher liegend 
als die centralen Linsenpartieen, am besten ernährt werden, während 
das Liusenceutrum hinsichtlich der Ernährung am stiefmütterlichsten 
bedacht ist. Aus diesen Verhältnissen der Ernährung geht grössten- 
theils die sich zwischen Cortex und Kern bildende Differenziirung hervor. 
Den Beweis für die soeben dargelegten Verhältnisse suchte ich ex¬ 
perimentell in der Weise zu erbringen, dass ich Vesuvin in die 
Carotis spritzte; die gelbe Färbeflüssigkeit ist alsdann stets im 
Linseuäquator und längs der vorderen und hinteren Linsenoberfläche 
nachweisbar. Den Weg, auf dem die gelbe Färbeflüssigkeit in die 
Linse gelangt, bilden die Chorioidealgefässe. Der für die Linse be¬ 
stimmte Nährstrom stammt weder, wie Ulrich will, aus dem Glas¬ 
körper, noch aus der Vorderkammer (Schlösser), sondern wird 
direkt aus den im Corpus ciliare vorhandenen Gefässen abgeschie¬ 
den und längs der Zonula in die Linse geführt. Das Corpus 

ciliare würde also unmittelbar als derjenige Theil des Auges 
angesehen werden roüsseu, der für die Ernährung der Linse das 
Material liefert. Schliesst man experimentell durch Abtrennen der 
zuführenden Arteriae ciliares grössere Partieen der Chorioidea vom 
Blutstrom aus und spritzt dann Vesuvin in die Carotis, so wird nur 
der Theil der Linse gefärbt, der derjeuigen Partie der Chorioidea 
resp. des Ciliarkörpers entspricht, die noch Blut führt. Man sieht 
alsdann iu feinem Strahl die Farbe an dem entsprechenden Linsen¬ 
rand eintreten, während der übrige Linsenraud weiss bleibt. Man 
könnte einwenden, dass durch die Benützung der Carotis die Färbe¬ 
flüssigkeit in gewaltsamer Weise in die Linse getrieben werde und 
also auf pathologischem Wege dahin gelange. Diesem Einwand ist 
entgegenzuhalten, dass andere Färbeflüssigkeiten, in die Carotis ge¬ 
spritzt, zwar das Auge aber nicht die Linse färben, die Färbung der 
Linse bisher ausschliesslich nur mit Vesuvin gelungen ist. Wäre 
der Weg, auf dem das Vesuvin die Linse färbt., ein pathologischer, 
so wäre gar nicht einzusehen, warum nicht auch die anderen Färbe¬ 
flüssigkeiten — und es wurden 10—15 versucht — diesen patholo¬ 
gischen Weg in die Linse finden sollten. 

Die mikroskopische Untersuchung der gefärbten Linse hat er- 
gebeu, dass die färbende Flüssigkeit nur die Linsenfasern färbt, 
sich aber zwischen den Fasern nirgends Canälchen mit Farbe¬ 
flüssigkeit finden. Hierdurch ist die Ansicht, dass der Nährstrom 
der Linse nicht in präformirten Canälen in der Linse circulire, sehr 
wahrscheinlich gemacht, wenn nicht erwiesen. 

Wenn nun die ernährende Flüssigkeit unmittelbar vom Blutstrom 
ausgeschieden und durch den Blutdruck in die Linse getrieben 
wird, so kann diese den Nährstrom in die Linse befördernde Kraft 
doch nicht hiureichen, diese Flüssigkeit auch wieder zu entfernen, 
aus der Linse abzuführen. Die vielen Widerstände, welche sich 
dem Nährstrom in der Linse bieten, werden die active Kraft, mit 
der der Strom in die Linse getrieben worden ist, grösstentheils auf¬ 
brauchen. Um nun die in der Linse vorhandene Flüssigkeit aus 
derselben zu entfernen, ist die Accommodation thätig. Es ist anzu¬ 
nehmen, dass die Formveränderungen derLinsewährend der Accommo¬ 
dation einmal den Eintritt der Nährflüssigkeit in die Linse er¬ 
schweren, resp. beschränken, und weiter die in der Linse vorhandene 
Flüssigkeit ausdrücken. Dieser Mechanismus ist, berücksichtigt man 
die Gestaltsveränderungen der Linse bei derAccomraodation, leicht zu 
verstehen. In der ausführlichen Arbeit, welche von mir über „Linsen¬ 
ernährung und Linsentrübung“ demnächst veröffentlicht werden wird, 
ist die Art und Weise, wie die unter der Accommodation sich in ihrer 
Form verändernde Linse den Nährstrom aufnimmt und ausscheidet, 
genau geschildert; es mag bezüglich dieses Punktes auf jene Arbeit 
verwiesen werden. 

Als wichtiger Punkt muss hier nur betont werden, dass die 
Accommodation resp. die Veränderung, welche die Linse dabei er¬ 
leidet, für die Physiologie der Ernährung der Linse von grundlegen¬ 
der Bedeutung ist, und dass die Veränderungen, welche die Ac- 


*) Nach einem Vortrage, gehalten in der Section für Ophthalmologie 
der 61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


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4. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


commodation im Alter erleidet, den ersten Anstoss für die Entwicke¬ 
lung der Cataracta senilis bilden. Und zwar geht das so zu: 

Fängt auf Grund der senilen Linsenveränderungen die Accommo- 
dationsthätigkeit an zurückzugehen, so wird der Zufluss des Nähr¬ 
stroms zur Linse zwar nicht beschränkt, aber die Auspressung der 
Nährflüssigkeit, welche eben die Accoinmodation besorgt, wird unzu¬ 
länglich. Daraus folgt, dass die Ernährung der Linse selbst, da 
der Wechsel im Ab- und Zufluss des Nährmaterials bedeutend 
herabgesetzt wird, leidet. Die einzelnen Linsenfasern erhalten nicht 
mehr in genügender Menge das erforderliche Nährmaterial, und zwar 
werden die innersten Fasern hiervon in viel stärkerer Weise betrof¬ 
fen, wie die dem Eintritt des Nährstroms zunächst liegenden ober¬ 
flächlichen Fasern. Diese ungenügende Ernährung wird als erstes 
Symptom eine geringe Schrumpfung der Fasern, eine Abnahme ihres 
Volumens bedingen, und das ist jenes Stadium der beginnenden 
Cataract, in welchem die Linse an Gewicht verliert. Durch das 
Schrumpfen der Fasern entstehen zwischen ihr Spalten und Lücken, 
welche sich natürlich alsbald mit Nährflüssigkeit füllen. Da uun die 
Flüssigkeit wegen der geschwächten Accommodationsthätigkeit nicht 
mehr in genügender Weise aus der Linse ausgepresst wird, so stagnirt 
sie in jenen Lücken, und es kommt zu einem Diffusionsvorgang zwischen 
Faser und Flüssigkeit, welcher die Trübung der Faser bedingt, in 
der Weise, wie dies schon Becker gezeigt hat. Es lässt sich bei 
dieser Vorstellung auch verstehen, dass die Trübung der Linse zu¬ 
erst an einem bestimmten Ort, in jenen dem Kern benachbarten 
Cortexschichten erfolgen muss. Die oberflächlichsten Schichten leiden 
nämlich bei der mangelhaften Ernährung der Linse, die durch die 
unzulängliche Auspressung des Nährstromes eingeleitet wird, deshalb 
am wenigsten, da sie ja dem von aussen nach innen in die Linse 
dringenden Lymphstrom am nächsten liegen, also ihre Ernährung 
unter viel günstigeren Verhältnissen sich vollzieht, als dies bei 
den anderen Linsenfasernschichten der Fall ist. Es wird die man¬ 
gelhafte Ernährung am wenigsten schaden den äusseren Schichten, 
dann den mittleren und am meisten den inneren. Es wird also die 
Spaltenbildung, welche aus der schlechten Ernährung der Linsen- 
fasern zuvörderst resultirt, in den oberflächlichen Linseuschichten 
am schwächsten erfolgen, stärker in den mittleren und am stärksten 
in den centralen Schichten. Dringt nun der Nährstrom in diese 
Lücken, so wird die Diffusion zwischen Nährflüssigkeit und Linsen¬ 
faser natürlich da am frühesten und intensivsten erfolgen, wo die 
Fasern am weichsten sind. Die harten Fasern des Kernes erliegen 
der Diffusion sehr langsam, die mittelweichen der zwischen ober¬ 
flächlichem Cortex und Kern liegenden Schichten aber um Vieles schnel¬ 
ler. Für die Oberfläche der Linse ist zu dieser Zeit an Etablirung 
des Diffusionsvorganges noch nicht zu denken, da die Lückenbildung 
hier um diese Zeit noch gar nicht erfolgt ist. Diese Betrachtung 
ergiebt, dass bei seniler Cataract die Trübung in Schichten zuerst 
erfolgen muss, die zwischen Kern und oberflächlichem Cortex liegen, 
und diese Thatsache ist bereits seit Jahren auf die grundlegenden 
Beobachtungen von Förster hin auerkannt. Da nun aber ferner 
der Linsenäquator den Eintritt des Nährstromes in die Linse dar¬ 
stellt, so wird, sobald mit Rückgängigwerden der Accomraodation 
der Nährstrora nicht mehr genügend aus der Linse ausgepresst wird, 
gerade am Linsenäquator die der Linse zuströmende Flüssigkeit 
sich stauen müssen, da ihr ja der Abfluss in die ungenügend ent¬ 
leerte Linse erschwert ist. Die hier erfolgende Stauung führt zur 
Bildung der gerade am Aequator so reichlich und früh auftretenden 
strich förmigen Trübungen. 

Hiernach ist die erste Ursache der Bildung der Cataracta senilis 
die Störung im Ab- und Zufluss des die Linse ernährenden Stromes, 
und da nun wieder die Accomraodation den Zu- und Abfluss regelt, 
so ist die unter den senilen Veränderungen allmählich schwächer 
werdende Accoinmodation als ein wichtiges Glied für die Entwicke¬ 
lung des Altersstaares anzusehen, allerdings in einem ganz anderen 
Sinne, wie dies Schön will. 

Mit der Kenntniss des Verlaufes des Nährstromes in der Linse-ist 
uns auch für die anderen Staarformen ein befriedigendes Verständniss 
geboten. So z. B. für den sogenannten constitutionelleu Staar, als 
dessen Repräsentant der Diabetesstaar gilt. Tritt aus einem patho¬ 
logisch alterirten Blut ein gleichfalls pathologisch zusammengesetzter 
Lymphstrom in die Linse, so wird die Einwirkung dieses Stromes 
natürlich an der Eintrittsstelle in die Linse sich zuerst bemerkbar 
machen. Hier werden die in dem Strom enthaltenen schädlichen 
Stoffe zuerst die Linsenfaser angreifen; da nun dem Eintritt des 
Nährmaterials der Linsenäquator und die Linsenoberfläche zunächst 
liegen, so muss hier die Trübung zuerst erfolgen. Und bekanntlich 
ist dies für den Diabetesstaar erwiesen. Hierher gehört auch der 
Naphthalinstaar und höchst wahrscheinlich auch der Mentholstaar. 

Auch für die consecutiven nach Iridochorioiditis u. s. w. auf¬ 
tretenden Cataracte geben unsere Experimente volle Erklärung. 
Wird durch entzündliche Processe ein Theil der Gefässbahn der 
Chorioidea zerstört, so wird damit der Zufluss des Nährstromes zur 


815 


Linse ein schwächerer; besonders wird sich dies bei Processen gel¬ 
tend machen, die dem Ciliarkörper nahe gelegen sind, da ja der 
Nährstrom aus dem Ciliarkörper stammen soll. Mit der Herabmin¬ 
derung der Abscheidung des die Liuse ernährenden Lymphstromes 
muss natürlich die Ernährung der Linse leiden, und es entwickelt sich 
eine je nach der Beschränkung des Zuflusses mehr oder minder 
schnell auftretende Schrumpfung resp. Atrophie der Linsenfasern. 
Dass bei einem solchen Schrumpfungsprocess das Linsenepithel 
wuchern muss, ist nach den Erklärungen Becker’s selbstverständ¬ 
lich. Das Wachsthum des Kapselepithels ist ja, wie Becker zeigt, 
durch den Druck der Linse in Schranken gehalten; schrumpft die 
Linse nun, so fällt dieser Gegendruck der Linse gegen das Epithel 
fort, und seinem Wachsthum steht somit keine Schrauke mehr im 
Wege. Dazu kommt nun noch, dass die spärlich zufliessende Nähr¬ 
flüssigkeit dem Kapselepithel unmittelbar benachbart fliesst, dies 
also noch leidlich ernährt, wenn die tiefer gelegenen Fasern der 
Liuse von dem Nährstrom schon nichts mehr erhalten. Die von 
Iw an off für die Secundärcataracte als charakteristisch beschrie¬ 
bene Epitbelwucherung ist nach der vorgetragenen Ansicht nicht 
allein verständlich, sondern ergiebt sich geradezu als notliwendige 
Folge aus derselben. 

Auch die eigenthümliche Form, welche unter gewissen Verhält¬ 
nissen der traumatische Staar im hinteren Cortexgebiet zeigt, erklärt 
sich auf Grund der von mir soeben vorgetragenen Anschauungen 
ohne jeden Zwang. 

Im Rahmen eines Vortrages liess sich meine Theorie natürlich 
nur in allgemeinen Umrissen darstellen. Eine grosse Menge feiner 
Details, wie z. B. über die wechselnde Grösse des Linsenäquators 
bei Accommodation und Linsenruhe und über den Einfluss dieses 
Momentes auf das Einströmen der Nährflüssigkeit in die Linse; so¬ 
dann über die besondere Stellung der hinteren Cortexschichten 
zum Abfluss des Nährstromes; über den Ort, an welchem der Nähr¬ 
strom die Linse verlässt; über die Bildung von Canälchen um den 
Kern (Schlösser) und dergleicheu mehr konnte eingehend nicht 
mehr gesprochen werden, und sollen alle diese Momente in einer 
demnächst erscheinenden Arbeit eingehend zur Darstellung gelangen. 

IV. Weitere Mitteilungen zur Aprosexia 
als Folge von nasalen Störungen. 1 ) 

Von Dr. Goye, 

Professor der Ohrenheilkunde an der Universität zu Amsterdam. 

Meine Herren! In der vorjährigen Naturforscherversammlung 
zu Wiesbaden habe ich einige Fälle mitgetheilt, in welchen eine 
Störung der Gehirnthätigkeit durch nasale Störungen veranlasst war 2 ). 
Ich habe für diese Störung der Gehirnthätigkeit den Namen Apro¬ 
sexia vorgeschlagen, von npoae^eiv rbv voöv, die Aufmerksamkeit 
auf etwas lenken, weil gerade die Unfähigkeit, seine Aufmerksamkeit 
auf einen bestimmten Gegenstand zu lenken, mir als das Haupt¬ 
symptom dieser Störung erschien. An dieses Symptom knüpfen 
sich dann noch einige weitere Erscheinungen: 1. eine merkwürdige 
Vergesslichkeit, dadurch veranlasst, dass die Eindrücke, welche nur 
schwierig auf das Gehirn gemacht werden, auch leicht wieder ver¬ 
schwinden, 2. ein Kopfschmerz, welcher manchmal nur ein entweder 
anhaltendes oder auch intermittirendes Gefühl von Druck im Kopfe 
ist, aber in anderen Fällen alle Erscheinungen einer heftigen Hemi- 
cranie hauptsächlich in den Morgenstunden hervorruft. In Betreff 
der Pathogenese dieser Erscheinungen habe ich den von Axel 
Key und Retzius nachgewiesenen Zusammenhang betont, zwischen 
den subduralen Lymphräumen des Gehirns und den Lymphgefässen 
der Nasenscbleimhaut, sowie auf das zeitweise Ausfallen des Wasser¬ 
verlustes durch die Nasenschleirahaut. wenn die Nasengänge mehr 
oder weniger verlegt sind. Die Aprosexia als eine Retentionser¬ 
schöpfung habe ich daher aufgefasst, hervorgebracht dadurch, dass 
die Elimination der Stoffwechselproducte behindert ist. Ich möchte 
jetzt noch dazu die durch Ernährungsstörungen der Nasenschleim¬ 
haut veranlassten vasomotorischen Störungen mit in Rechuung 
bringeu, weil es Fälle giebt, in welchen es scheint, dass gerade 
diese abnorm erhöhten vasomotorischen Reflexe den Symptomencom- 
plex der Aprosexia zu Stande bringen. 

Die Fälle, welche mir dieses zu beweisen scheinen, sind solche, 
wo während des Anfalls eiue circumscripte Röthung der Haut 
hauptsächlich über der Nasenwurzel nachweisbar ist. 

Der Erfolg meiner Mittheilung war theilweise ein grosser. 
Ausser Referaten in der ärztlichen Journalistik haben auch politische 
und andere wissenschaftliche Zeitschriften, manchmal in mehr oder 


') Vortrag, gehalten in einer gemeinschaftlichen Sitzung der Sectionen 
für Laryngo-Rhinologie und für Otiatrie der 61. Versammlung Deutscher 
Naturforscher und Aerzte. 

*) S. Deut. med. Wochenschr. 1887 No. 43, 


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816 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40 


weniger humoristischer Form der Aprosexia Artikel oder Feuilletons 
gewidmet. Soviel ich weiss, hat aber in diesem Jahre weder von 
oto-rhinologischer noch von psychiatrischer Richtung irgend ein 
College Fälle oder eigene auf diesen Gegenstand bezügliche Er¬ 
fahrungen veröffentlicht. In früherer Zeit wohl. Es finden sich, wie 
ich auch in meinem vorigen Vortrage bemerkte, in manchen otologischen 
und rhinologischen Arbeiten Andeutungen in derselben Richtung, 
und mehr als Andeutungen. So hat mich Herr Dr. Max Schaeffer 
in Bremen daran erinnert, dass in seinen „Rhino- und laryngologischen 
Beiträgen“ einige Fälle erwähnt sind, welche offenbar Fälle von 
ausgesprochener Aprosexia sind. Ich habe aber gewünscht, gerade 
diesen Gegenstand, die durch nasale Störungen veranlassten Störungen 
in der Gehirnthätigkeit, au und für sich zu behandeln und in der 
nicht specialistischen Literatur in weiteren Kreisen bekannt zu macheu. 
Es kann meiner Ueberzeugung nach die Wichtigkeit dieses Gegen¬ 
standes wegen seines Einflusses auf die Erziehung und intellectuelle 
Bildung eines grossen Theiles der Jugend gar nicht überschätzt 
werden. 

Dieses ist der Grund, warum ich mir erlaube, heute auf den 
Gegenstand zurückzukommen und Ihnen aus einer grossen Reihe 
von Fällen, die mir im vergangenen Jahre zu Gesicht gekommen 
sind, vier Fälle in Kürze vorzutragen, melche meine Ansicht über 
Symptomatologie und Therapie der Aprosexia theilweise nur gestärkt, 
theilweise aber anch erweitert haben. 

Ich gebe mich der Hoffunng hin, dass nachher auch andere 
Collegen sich veranlasst sehen werden, etwas von den ihnen zu 
Gesicht gekommenen Fällen von Aprosexia zu veröffentlichen. 

Ein sehr wichtiger Punkt ist noch das Verhältniss der Apro¬ 
sexia zur Neurasthenie. Es ist bekannt, dass viele Autoren zum 
Eintreten der verschiedenen pathologischen Nasenreflexe eine ge¬ 
wisse neurasthenische Prädisposition für unerlässlich halten. Ein 
psychiatrischer College schrieb mir im Laufe des Jahres, er hätte 
nach meiner Mittheilung verschiedene Kranke auf Aprosexia unter¬ 
sucht und bei einer grossen Zahl den von mir angegebenen Syraptomen- 
complex gefunden. Seiner Ansicht nach wäre meine Beschreibung 
richtig, und Hessen sich viele unbestimmte Klagen der Patienten 
bei genauer Nachfrage als Aprosexia deuten. Den Namen wollte 
er auch gern adoptiren, nur scheine es ihm einfacher, die Apro¬ 
sexia als ein Symptom der Neurasthenie aufzufassen. Einfacher wäre 
dieses allerdings, aber mir scheint es doch nicht ganz richtig. Der 
Psychiater wird in seinem Material wohl die Fälle zu Gesicht be¬ 
kommen, in welchen die Aprosexia mit Neurasthenie complicirt, 
sogar als Symptom dieses allgemeinen Leidens erscheint. Meiner 
Ansicht nach kösnte man ätiologisch wenigstens drei Arten von 
Aprosexia unterscheiden: 1) eine physiologische Aprosexia, 
welche als Folge der cerebralen Ueberanstrengung, als Ermüdungs- 
aprosexia zu betrachten wäre, 2) die neurasth enische Aprosexia, 
bei welcher die Ermüdungserscheinung veranlasst wird durch patho¬ 
logische cerebrale Ermüdung, Gedankenflucht u. s. w., und 3. die 
rein nasale Aprosexia als Retentionserschöpfung. Dass zwischen 
diesen drei Arten die verschiedensten Combinationen und Compli- 
cationen stattfinden, ist selbstverständlich. 

Ich will Ihnen jetzt in Kürze die vier Fälle vortrageu, welche 
mir die Abhängigkeit der Aprosexia von nasalen Störungen anzu¬ 
deuten scheinen, und dann noch in einigen Worten die Therapie 
des Leidens, wie sie sich in meiner Praxis ausgebildet hat, mit¬ 
theilen. 

Fall I. Herr J. C. A. F. (R. 307) 18 J., kam am 12. October 1887 
in Behandlung. Er hat seit 6 Jahren ab und zu Druck in der Stirn gehabt 
mit einer gewissen Dumpfheit und ausgesprochener Aprosexia. Er hat des¬ 
halb schon seine Studien aufgeben müssen, und hat schliesslich bei einem 
Baumeister gearbeitet. Hauptsächlich wenn er im Winde gelaufen ist, 
oder wenn er im Winter aus der Kälte in ein warmes Zimmer kommt, be¬ 
kommt er einen starken Anfall. Er kann dann auch die einfachsten Sachen, 
die ihm gesagt oder auseinandergesetzt werden, nicht begreifen und behält 
auch, so zu sagen, nichts davon in seiner Erinnerung. Zugleich zeigt sich 
daun eine sehr ausgesprochene circumscripte Röthung der Haut au der Stirn 
über der Nasenwurzel. Der Anfall dauert von '/* Stunde bis zu 2 —3 Stunden, 
und geht dann allmählich vorüber. Die Nasenlöcher sind meistens abwechselnd 
verstopft. Hauptsächlich hat er Aprosexia mathematica gehabt. Uebrigens 
ist er iutelligent, gesund und zeigt sonst keine Erscheinungen, die auf Neu¬ 
rasthenie deuten. Jetzt hat er täglich einen Anfall von '/«—1 Stunde. Nur 
bei trockenem, warmem Wetter ist er manchmal eine Woche frei geblieben. 
Geruch nicht sehr fein, abwechselnd. Hörschärfe Rechts 2, Links 1 m. 

Rechts und links waren kleine harte Ohrenschmalzpfröpfe, welche ich 
entfernte, ohne besonderen Erfolg. Ich fand chronischen Nasenrachenkatarrh 
mit mässiger Hypertrophie der unteren Muscheln und keilförmige Ekchondrose 
am unteren Theil des Septum narium nach rechts. Bei Digitaluntersuchung 
fand ich grosso adenoide Wucherungen im Nasenrachenraum, welche ich mit 
dern Fingernagel zerstörte und nachher noch mit meiner gefensterten Curette 
theilweise entfernte. Einige Tage später kauterisirte ich mit Lapis die 
unteren Muscheln, erst rechts, dann links, und am 23- October entfernte ich 
mit der Säge ein bedeutendes Stück Knorpel von der Nasenscheidewand. 
Vom ersten Tage an fing der Patient an besser zn werden. Die erste Woche 
hatte er noch täglich einen leichten Anfall. Dann wurden sie seltener; am 


12. November, nachdem er eine ganze Woche frei gewesen war, bekam er 
einen Anfall, nachdem er eine halbe Stunde auf dem Bock eines Wagens ge¬ 
fahren war. Am 28. December habe ich ihm zum letzten Male links die 
untere Muschel kauterisirt, uud von der Zeit an blieben dje letzten Spuren 
von Aprosexia fort. Ich hatte ihn sonst noch 3 Mal täglich Einspritzungen 
mit Salmiak- und Salzlösungen machen lassen, welche er noch zwei Monate 
fortsetzte. Am 1. April kam er, mir zu sagen, dass er 2 Monate nichts mehr 
gethan habe und dass er sich als vollkommen geheilt betrachte. 

Es war also in diesem Falle eine chronische Unwegsamkeit der Nase 
vorhanden, ursprünglich durch Unregelmässigkeiten an der Nasenscheidewand 
und durch adenoide Wucherungen veranlasst, welche von ausgesprochenen 
vasomotorischen Reflexen begleitet war und zu einer Aprosexia führte, die 
dem jungen Manne die Ausbildung für alle Carrieren, welche intellectuelle 
Anstrengung erfordern, unmöglich gemacht hat. 

Fall II. Herr F. F. (R. 458) 26. J., Student der Rechte in Leiden* 
kam am 26 Januar 1888 in Behandlung. Er hat vor 2 Jahren eine Zeit 
lang eine verstopfte Nase gehabt und hat morgens einige blutige Sputa 
ausgeworfen. Er wurde dann eine Zeit lang mit Einspritzungen in die Nase 
behandelt. Seit der Zeit athmet er immer nur durch ein Nasenloch, und 
zwar durch das rechte, wenn er auf der linken Seite liegt, und umgekehrt. 
Deshalb muss er Nachts immer abwechselnd auf der linken und rechten 
Seite liegen. Dabei bleibt sein Mund geschlossen. Im October vorigen 
Jahres hat er eine Zeit lang Trommelhöhlenkatarrh gehabt, mit Sausen und 
Schwerhörigkeit. Die Symptome wurden mit Pölitzer’s Verfahren beseitigt. 
Auch Schwindel hat er einige Male gehabt mit Umfallen, jetzt aber sehr 
wenig. Kopfschmerz früher viel, jetzt weniger. Alkohol verursacht starke 
Congestion. Die nauptklage des Patienten ist eine Vergesslichkeit, die ihm 
das Arbeiten fast unmöglich macht. Schon zweimal hat er mit Hülfe eines 
Repetitors für sein Doctorexamen gearbeitet, hat es aber jedesmal verschieben 
müssen, weil er das, was er mit grosser Mühe gelernt hat, regelmässig 
nach zwei Wochen vollständig vergessen hat. Hörschärfe R. 0,50, L 0,60. 

Trommelfell R. und L. normal. Pharynx glatt In die Nase gespritztes 
Wasser läuft gut zum anderen Nasenloch heraus. Untere Concha r. und I. 
mässig hypertrophisch. Im Nasenrachenraum digital und instrumentell ade¬ 
noide Geschwülste entfernt. Danach und nach Politzer’s Verfahren HÖr- 
schärfe R. 0,80 L. 1 m. — 3 mal täglich Einspritzungen in die Nase. 

7. Februar. R. 1,50, L. 2. R. untere Concha mit Cocain und Lapis be¬ 
handelt. 

21, Februar. R. 2, L. 3 m. Das Arbeiten geht allmählich besser. Links 
untere Concha mit Cocain und Lapis behandelt. 

29. März. R. 2,50, L. 4 m. Das Gedächtniss ist wieder normal geworden, 
und vor 4 Tagen hat Pat. sein Doctorexamen mit gutem Erfolg gemacht 
An dom Tage entfernte ich noch mit dem Meissei einen Vorsprung an dem 
Septum nach links und sah den Pat. nicht wieder. Ich hörte nur später 
noch von Bekannten von ihm, dass sein Zustand gut geblieben sei. 

Bemerkenswert!! ist in diesem Falle erstens die erhöhte Empfindlich¬ 
keit gegen Alkoholica, welche sehr oft beobachtet wird und offenbar mit 
dem erhöhten vasomotorischen Reflex im Zusammenhang steht, zweitens das 
Altemiren der Nasenlöcher für die Athmung, und drittens das Experimentum 
Crucis, der gute Erfolg des Examens wenige Wochen nach Ablauf der Cur. 

Fall III. nerr D. J. (R. 315), 22 J., Student der Rechte in Leiden, 
kam am 14. October 1887 in Behandlung. Patient leidet seit 2 Jahren all¬ 
mählich an Verstopftheit der Nase und hat ab und zu mehrere Tage Kopf¬ 
schmerz, in der Stirn localisirt, mit vielem Niesen, manchmal 30 —40 mal 
hintereinander, und Husten hauptsächlich Morgens. Dazu kommt dann aus¬ 
gesprochene Aprosexia. Er liest dann 3—4 mal dasselbe und weiss dann 
schliesslich wohl, was er gelesen hat. Dies gilt in demselben Maasse für seine 
Studien, wie für leichte Lectüre, z. B. Zeitungen. Er ist früher vorübergehend 
schwerhörig gewesen und vor einem Jahre von einem Collegen schon gal- 
valnokaustisch in der Nase kauterisirt mit wenig Erfolg. Hörschärfe rechts 
und links 2 m. 

Trommelfell beiderseits normal. Pharynxschleimhaut ziemlich normal. 
In die Nase gespritzte Flüssigkeit läuft gut zum anderen Nasenloch heraus. 
Untere Concha rechts und links mässig hypertrophisch. Im Nasenrachenraum 
adenoide Geschwülste digital und instrumentell entfernt. Politzer’s Ver¬ 
fahren gelingt leicht: nachher Hörschärfe rechts und links 3 m. Einspritzun¬ 
gen und Contrarespirator. 

29. October. Nach 2 Wochen: Weder Kopfschmerz gehabt, noch Niesen 
oder Husten. Rechts 2,50. links 3 m. Zum zweiten Male instrumentell 
adenoide Geschwülste entfernt, viel weniger als das erste Mal. 

9. December. Nach 5 Wochen: Aprosexia und Kopfschmerz sind so 
gut als vorüber. Es werden noch einmal digital und instrumentell einige 
Reste von Geschwülsten im Nasenrachenraum entfernt und die Nachbehand¬ 
lung noch auf einige Zeit verschrieben. Später hörte ich von Freunden des 
Patienten, dass er sich als vollkommen hergestellt betrachtet. 

Wir hatten also in diesem Falle wieder einen Studenten, der in Folge 
von chronischem Naseurachenkatarrh an Aprosexia litt. Da hier die Be¬ 
hinderung des nasalen Athmens hauptsächlich ihren Grund hatte im Nasen¬ 
rachenraum, und zwar in dort anwesenden adenoiden Wucherungen, so ist 
es nicht auffallend, dass die früher vorgenommenen Kauterisationen in der 
Nase erfolglos geblieben waren. Hier waren die vasomotorischen Reflexe 
weniger hervortretend, desto mehr aber die exspiratorischeu Reflexe, das 
Niesen und Husten verstärkt. 

Fall IV. J. A. (S. 92), 14 Jahre, kam in Behandlung am 4. Mai 1888. 
Von Kindheit an hat er nach einem Anfalle von Croup viel gehustet; er 
hat früher Drüsenabscesse am Unterkiefer gehabt und immer 2—3 mal jähr¬ 
lich starken Schnupfen. Seit einem Jahre hat er oft Kopfschmerz, Morgens 
schon beim Erwachen; es wird dann in der Schule schlimmer und in der 
freien Luft besser. Dazu kommt dann Aprosexia und oft circumscripte 
Röthe auf der Stirn. Der Lehrer schickt ihn daun meistens fort und lässt 
ihn spazieren gehen, weil er in der Schule dann doch nichts lernt. Seine Mutter 
ängstigte sich über den Zustand uud hatte gerade auf den Rath ihres 


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4. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


817 


Hausarztes beschlossen, einen Psychiater zu consultiren, als ein anderer 
College ihr rieth, mir den Knaben eist zu bringen, das Leiden könnte viel¬ 
leicht doch von der Nase abhängig sein. 

Hörschärfe 11. 0,50, L. 3 m. Rechts war schwarzes Ohrenschmalz, 
welches ich sitzen Hess, und in einer folgenden Sitzung erst entfernte. Ich 
fand auf dem Pharynx längliche Infiltrationen. In die Nase gespritzte 
Flüssigkeit lief gut zum anderen Nasenloch heraus; im Nasenrachenraum 
massige adenoide Geschwülste, welche nur digital zerstört und theilweise 
entfernt wurden. Danach und nach Politzer’s Verfahren Hörschärfe 
R. 2, L. 6 m. 

11. Mai Hörschärfe R. 1,50, L. 6 m. Kein Kopfschmerz gehabt. Rechts 
ein hartes Stück Cerumen entfernt. Danach und nach Politzer’s Ver¬ 
fahren R. 2, L. 6 m. 

18. Mai R. 2, L. 8 m. Kein Kopfschmerz gehabt. 

25. Mai R 2, L. 6 m. Kein Kopfschmerz gehabt. Instrumenten noch 
eine ziemlich grosse adenoide Geschwulst entfernt. Nach Politzer’s Ver¬ 
fahren R. 2,50, L. 8 m. 

Nachher sab ich den Patienten nicht wieder; ich hörte aber, dass die 
Besserung bleibend war. Von dem ersten Tage der Behandlung hatte der 
Patient, welcher in solchem Maasse an Kopfschmerz und Aprosexia litt, 
dass man eine psychiatrische Consultation beabsichtigte, auch keinen 
Augenblick Kopfschmerz mehr gehabt, sein Gedächtuiss und seine Lern¬ 
fähigkeit waren wieder hergestellt. 

Hier ist wieder zu bemerken, dass die Behinderung des nasalen 
Athinens hauptsächlich ihren Grund fand im Nasenrachenraum. Die vaso¬ 
motorischen und exspiratorischen Reflexe waren beide mässig und ungefähr 
in gleichem Maasse verstärkt. 

Als Beweis des Hervortretens der psychischen Störung kann die in 
Aussicht genommene psychiatrische Cousultatiou gelten. Der Erfolg der 
localen Behandlung war ein durchaus befriedigender. 

Wenn ich jetzt noch in einigen Worten die Behandlung re- 
sumiren soll, welche mir befriedigende Resultate gegeben hat, so 
wäre es diese: Nach genauer Untersuchung und mit sorgfältigem 
Individualismen jedes Falles behandle ich das erste Mal den Nasen¬ 
rachenraum, nach einer Woche wenn nöthig die eine Nasenhälfte, 
und nach einer zweiten Woche die andere. Weun bedeutende Form¬ 
veränderungen des Septum vorliegeu, entferne ich diese entweder 
mit der Säge oder dem Meissei. Die Muscheln, und zwar meistens 
die unteren, kauterisire ich mit an einer silbernen Sonde ange¬ 
schmolzenem Höllenstein nach vorheriger Bepinselung der Nasen¬ 
schleimhaut mit Cocain. Unterdessen lasse ich in jedem Falle 
2—3 mal täglich mit einem Gummiballon No. 2 Einspritzungen 
von geeigneten Salmiak-Salzlösungen in die Nase machen und 
Nachts lasse ich einen Contrarespirator tragen zum Controliren der 
Nasalathmung während des Schlafes. Von inneren Mitteln kann, 
je nachdem dazu bestimmte Indicationen vorliegen, Gebrauch ge¬ 
macht werden. Bei geringer Nasensecretion lasse ich oft mit Erfolg 
Jodkalium innerlich nehmen, und zwar in Lösung 1—2 g pro die. 
Mitunter schreibe ich auch sowohl innerlich als für die Ein¬ 
spritzungen in die Nase Liq. chlor, ferri vor, und zwar ad usum 
internum 3mal täglich 5 — 10 Tropfen und als Zusatz zu den Ein¬ 
spritzungen 2—10 Tropfen auf 1 Glas lprocentiger Salzlösung. Es 
lässt sich natürlich an dieser Behandlung je nach der individuellen 
Ansicht oder Gewohnheit jedes Arztes verschiedenes verändern 
oder anders machen. Ich kann nicht besser schliessen, als damit 
dass ich sage: Macht es anders, 

Si quid novisti rectius istis; 

Si non, his utere mecum. 


V. Die vaginale Ligatur des Uterus und ihre 
Anwendung bei Retroflexio und Prolapsus 

uteri. 1 ) 

Von Dr. Adrian Schäcking zu Pyrmont. 

Als ich mich vor mehreren Jahren mit der Aufgabe beschäftigte, 
eine gefahrlose und sichere Methode ausfindig zu machen, um den 
retroflectirten und prolabirten Uterus dauernd und ohne Stütz¬ 
mittel in eine normale Lage zu bringen, boten sich mir zwei Wege, 
die geeignet schienen zu diesem Ziele zu führen. Zunächst war 
die Möglichkeit vorhanden, von der Uterushöble aus eine Ligatur 
nach den Bauchdecken zu anzulegen. Ein derartiges Vorgehen 
hätte indess die Gefahr einer Darmverletzung und einer späteren 
Darmknickung mit sich gebracht — auch war eine Infection auf 
diesem Wege nicht sicher auszuschliessen. Bei der Entfernung des 
Fundus uteri von den Bauchdecken wäre ferner bei den resultiren- 
den Spannungsverhältnissen ein dauernder Erfolg von einer Operation 
nicht zu erwarten gewesen, die nur zu einer Verklebung von geringer 
Ausdehnung führen konnte. Es war aus diesen Gründen das vor¬ 
gesteckte Ziel nicht anders zu erreichen als durch die Anlegung einer 
Naht, vermittelst deren der Fundus uteri vorn und seitlich an die 
Vaginalwand fixirt und eine Verklebung des Peritoneal Überzuges 


*) Vortrag, gehalten in der Seetion für Geburtshülfe und Gynaekologie 
der 61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


des Uterus mit dem tiefsten Theile der Vesicouterinfalte resp. mit 
dem seitlich von dieser Falte liegenden Theil des Peritoneums 
herbeigeführt wurde. — Dieses Vorgehen ermöglichte zugleich eine 
Fixirung des Uterus in schärfster spitzwinkliger Anteflexions- 
stellung. — Gerade letzteres Moment ist von grösster Wichtigkeit. 
Eine Fixirung des Uterus an die Bauchdecken wird immer nur 
eine Anteversio und Antepositio des vorher retroflectirten Organs 
zur Folge haben. Dass dieses Verhältniss bei Dehnung der Narbe 
der Entstehung einer Retroflexio weit günstiger ist, als wenn das 
Organ längere Zeit spitzwinklig anteflectirt war, und seine vordere 
Wand mit einer Narbe von grösserer Ausdehnung der vorderen 
Beckenwandung adhärent geworden ist, liegt wohl auf der Hand. 
Einer Ligatur vom Fundus uteri nach einer vorderen seitlichen 
Scheidenpartie stellten sich indess noch mehrfache Bedenken ent¬ 
gegen. War es erlaubt und ungefährlich, den Uterus unter Beob¬ 
achtung aller Vorsichtsmaassregeln mit einer starken Nadel zu per- 
foriren? Bei einem genügend desinficirten Genitalcanal und einer 
Nadel, wie sie aus dem hier demonstrirten Instrument vorspringt, 
war diese Frage unbedingt zu bejahen. Unzählige Male ist der 
Uterus bereits perforirt worden mit stumpfen, gewiss nicht selten 
schmutzigen Instrumenten und bei ungereinigtem Genitalcanal, und 
selbst in diesen Fällen, in denen die Infectionsbedingungen so 
günstig wie nur denkbar schienen, sind meines Wissens gefährliche 
Folgeerscheinungen nicht bekannt geworden. Ein anderes Bedenken 
verursachte die Nothwendigkeit der Umgehung der Blase bei An¬ 
legung der Ligatur. Aber auch dies Bedenken ist hinfällig, denn 
man kann die Blase, während die Naht angelegt wird, mit einer 
Sonde stark zur Seite drängen — sollte indess trotz aller Vorsicht 
die Nadel die Blasenwandung mit erfassen, so ist dies nach meinen 
Erfahrungen ohne grössere Bedeutung, da der feine Stichcanal nach 
Entfernung des Fadens sich sofort schliesst. Wenigstens verliefen 
die drei Fälle, in denen ich die Blasenwandung mitgefasst hatte, 
ebenso günstig, wie die zwölf anderen. Eine Darmverletzung ist 
bei diesem Vorgehen aus dem Grunde ausgeschlossen, weil der Faden 
an einer Stelle durchgeführt wird, an der sich unmittelbar vorher 
die Blase befundeu hat. Um die topographischen Verhältnisse genau 
festzustellen ist, namentlich bei adhaesiver Retroflexio, dem Eingriff 
eine Untersuchung durch den Mastdarm, eventuell auch durch die 
Blase vorauszuschicken. Endlich schien es schwierig, ein Instrument 
zu construiren, dessen Nadel man derartig rückläufig zu bewegen im 
Stande war, dass dieselbe nach Durchbohrung des Fundus wieder zur 
vorderen Scheidenwand hervortrat. Wenn der nicht prolabirte oder 
stark descendirte Uterus auch noch so tief heruntergezogen wird, so 
steht der Fundus, namentlich bei einer Vergrösserung des Organs, 
noch immer ziemlich hoch über dem Theil des absteigenden Schambein¬ 
astes, unter dem die Nadel durchgeführt wird. Dies Verhältniss 
wird natürlich um so ungünstiger ausfallen, je spitzer in dem be¬ 
treffenden Fall der Winkel des Schambogens ist. Ein weiteres De¬ 
siderat, das an das Instrument gestellt werden musste, bestand 
darin, dass die Nadelspitze während ihres Durchganges durch die 
Uterinhöhle gedeckt blieb, da es sonst kaum zu erreichen war, dass 
die Nadel, vornehmlich bei Virgines, ohne weitere Vorbereitungen 
den Fundus erreichte. Aus letzterer Veranlassung, wie auch aus 
dem Grunde, dass es rathsara war, die Perforationsöffnungen recht 
klein ausfallen zu lassen, musste das Instrument möglichst fein und 
doch haltbar genug construirt sein. 

Unter Benutzung des nach diesen Principien vom Instrumenten¬ 
macher Loewy in Berlin coustruirten Instruments gestaltete sich 
die vorzunehmende Manipulation nun folgendermaassen: Es wurde 
zunächst für gründliche Desinfection des Genitalschlauchs Sorge ge¬ 
tragen. Ich habe znr grösseren Sicherheit einige Stunden vorher 
einen mit 3 °/o Carboisäurelösung getränkten Tampon in die Vagina 
gelegt und das Endometrium vermittelst der Aluminiumsonde mit 
Jodtinctur, Carbolsäure oder Chlorzinklösung gründlich desinficirt. 
Das nicht erkrankte Endometrium pflegt ja bis zum inneren M. M. 
von Spaltpilzen frei zu sein, bei Abnormitäten der Lage beobachten 
wir indess auch fast immer pathologische Veränderungen an der 
Uterusschleimhaut. 

In den zwölf von mir operirten Fällen von Retroflexio habe 
ich achtmal die Ligatur ohne Narkose angelegt, in den 3 Fällen 
von Uterusprolaps habe ich stets ohne Narkose operirt. Während 
bei Prolaps die Narkose völlig entbehrlich ist, möchte ich dieselbe 
für die grössere Anzahl der Fälle von Retroflexio doch empfehlen. 
Das Herabziehen des Uterus kann, namentlich wenn Adhäsionen 
vorhanden, doch recht schmerzhaft sein. Pat. befindet sich in 
Steissriickenlage. Nachdem der Urin entleert und in die Vagina 
das untere Blatt eines Simon’sehen Speculums eingeführt ist, wird 
in die vordere M. M. Lippe eine lange Muzeux’sche Hakenzange 
eingesetzt, und der vorher retroflectirte Uterus vermittelst einer 
starken Uterussonde in Anteflexionsstellung gebracht. Hierauf wird 
das mit einem starken in 5 °/o Carbolsäurelösung ausgekochten 
Seidenfaden versehene Instrument bei zurückgezogener Nadel bis 


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818 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40 


zum Fundus Uteri eingeführt. Man zieht nunmehr mit der rechten 
Hand, die zugleich die Muzeux’sche Zange und den Nadelträger 
hält, den Uterus stark nach unten, und zwar so, dass der M. M. 
nach links, der Fundus etwas nach rechts steht. Unter kurzen 
hebelnden Bewegungen sucht man nunmehr den Fundus uteri so zu 
stellen, dass man mit dem Zeigefinger der linken Hand die Stelle 
bestimmen kann, an der sich die Spitze des Instruments befindet. 
Man wird gut daran thun, erst jetzt von dem Assistenten die Blase 
nach links drängen zu lassen. Jetzt wird mit dem Daumen der 
rechten Hand die Nadel langsam vorgeschoben und während dieses 
Vorschiebens das Instrument um ein Weniges stärker gesenkt, worauf 
die Nadel nicht ohne Anwendung eines stärkeren Druckes unter 
dem Zeigefinger der linken Hand zu erscheinen pflegt. Wir möchten 
ratheu, das Instrument etwas schonend zu behandeln, da dasselbe 
bei Anwendung grösserer Gewalt verbogen werden könnte. Bei 
Frauen, die geboren haben, deren Uterus nicht vergrössert und deren 
Schambogen recht flach ist, gelingt die beschriebene Manipulation 
sehr leicht — spielend leicht ist die Ausführung der kleinen Ope¬ 
ration bei Descensus uteri, sowie bei Prolapsen des Organs. Bei 
Virgines, sowie bei hypertrophischem Uterus ohne Descensus kann 
die Behandlung recht schwierig sein, so dass wir den Collegen 
dringend empfehlen möchten, das Verfahren nicht gerade unter 
solchen Umständen zum ersten Male anwenden zu wollen. Man 
ei fasst nunmehr mit einem krummen Häkchen den Faden, zieht 
diesen etwas vor und schneidet ihn von der Nadel ab. Das Instru¬ 
ment wird hierauf auf demselben Wege entfernt, auf dem es ein¬ 
geführt war, und werden dann die beiden Fadenenden mit einem 
chirurgischen Knoten fest verknüpft und nicht zu kurz abgeschnitten. 
Zum Schluss wird ein Jodoformstäbchen in die Blase und ein eben 
solches in die Scheide geschoben. Die Manipulation ist hiermit 
beendet. Zur Vorsicht habe ich nunmehr 24 Stunden lang eine 
Eisblase auf den unteren Theil des Abdomens legen, und, um 
die Spannung des Fadens etwas zu vermindern, die Beine im Hüft¬ 
gelenk etwas beugen lassen. Nach drei Tagen durften die Patienten 
bereits im Bette aufsitzen, und vom fünften und sechsten Tage an 
erlaubte ich ihnen umherzugehen. 

Bis zur Entfernung der Ligatur wurde alle 2 bis 3 Tage 
ein Jodoformstab in die Vagina gelegt. Fieber trat in keinem 
meiner Fälle ein, nur hin und wieder wurde über geringe Schmerzen 
geklagt. Eine nahezu constante Erscheinung waren in allen 12 
Fällen von Retroflexio Blasenbeschwerden — dagegen waren nach 
allen Fällen von Prolaps des Organs die früheren Blasenbeschwerden 
nach der Operation verschwunden. Wenn wir uns die topographi¬ 
schen Verhältnisse des Uterus und der Blase vergegenwärtigen und 
vor Allem in Betracht ziehen, dass bei Retroflexio uteri die Blase 
vom Druck völlig befreit war, so können solche Beschwerden un¬ 
mittelbar nach Herstellung einer spitzwinkligen Anteflexio nicht 
Wunder nehmen. In einem Falle trat nach der Operation einen 
Tag lang Incontinentia urinae auf, in einem zweiten Falle musste 
die Kranke zwei Tage lang katheterisirt werden, in 4 Fällen musste 
das erste Mal nach der Operation katheterisirt werden, in den an¬ 
deren 9 Fällen war es überhaupt nicht nothwendig nach dem 
Eingriff zu katheterisiren. Wie ich schon eben bemerkte, hatten 
sich in 3 Fällen einige Tropfen Blut in die Blase ergossen — ein 
Zeichen, dass die Blase nicht genügend zur Seite gedrängt und von 
der Ligatur mit erfasst worden war — indess zog dieser Umstand 
durchaus keine unangenehmen Folgen nach sich. In sämmtlichen 
15 Fällen waren nach Entfernung der Ligatur die Bl äsen besch werden 
völlig verschwunden. 

Die Entfernung der Fäden geschah im ersten Fall von Retro¬ 
flexio am 6., in den weiteren 11 Fällen von Retroflexio vom 9. 
bis 14. Tage. In den 3 Fällen von Prolaps wurde der Faden nach 
3 Wochen entfernt. In sämmtlichen Fällen hatte der Faden in die 
vordere Collum-, sowie in die Vaginalwand eingeschnitten, indess 
zeigte sich stets die hinter dem Faden liegende Partie wieder zu¬ 
geheilt. Es ist anzunehmen, dass in derselben Weise wie am M. M. 
und an der Vaginalwand der Faden auch am Fundus uteri langsam 
einschneidet, während das hinter ihm liegende durchschnittene Ge¬ 
webe wieder zuheilt. Diese lineare Beschaffenheit der Narbe er¬ 
klärt uns, warum die Verklebung zwischen der vorderen Corpus- 
wand und dem gegenüberliegenden Theil des Peritoneums eine so 
innige wird, trotzdem nur eine einzige Ligatur angelegt ist. Ich 
möchte nach meinen Beobachtungen annehmen, dass diese Ver¬ 
klebung von der Höhe des Fundus bis zur vorderen Umschlags¬ 
falte des Peritoneums, also bis etwa zur Gegend des inneren M. M. 
reicht. 

Das Resultat, das ich mit meiner Methode erzielte, war Folgen¬ 
des. Mit Ausnahme des ersten Falles von Retroflexio, der nicht 
mitzurechnen ist, da ich die Ligatur zu früh entfernte, erreichte ich 
in sämmtlichen Fällen von Retroflexio eine vollständige Heilung, 
eine ausgesprochene Anteflexionsstellung, und in den Fällen von 
Prolaps eine ebensolche Beseitigung des Prolapses. Bei zwei 


Retroflexionen waren Adhäsionen vorhanden, indess war der Uterus 
noch mässig beweglich. Ueber den zweiten Fall von totalem 
Prolaps, der 18 Jahre bestanden hatte, habe ich noch in diesen 
Tagen von dem behandelnden Collegen, Herrn Kreisphysikus Heil¬ 
mann in Melle, Nachricht erhalten. Die Operation war am 16. Juli 
vorgenommen, und am 14. September, also nach 2 Monaten be¬ 
richtet der Herr College, dass nach combinirter Untersuchung 
durchaus noch keine Aenderung in dem erhaltenen günstigen Re¬ 
sultat eingetreten sei. 

Mit der Beseitigung der Retroflexio waren auch die von dieser 
Anomalie herrührenden übrigen krankhaften Erscheinungen, wie 
Druck im Becken und Kreuz, Kopfschmerzen, Dysmenorrhöen und 
Menorrhagieen in den meisten Fällen verschwunden. Auch die Endo¬ 
metritis und die Metritis des Organes pflegte in ganz ausgesprochener 
Weise durch die Beseitigung der fehlerhaften Lage, günstig beein¬ 
flusst zu sein. So führte in drei Fällen die Behandlung zur 
sofortigen Beseitigung eines früher bestandenen hochgradigen Fluors. 
Ich bemerke noch, dass nach Entfernung des Fadens die spitz¬ 
winklige Ailteflexio sofort verschwindet, und der Uterus in normaler 
Stellung leicht anteflectirt gefunden wird. Sogenannte Anteflexions- 
beschwerden habe ich in keinem meiner Fälle nach Entfernunz 
des Fadens beobachtet. Ich hoffe, dass ich mit diesem Berichte 
den wesentlichsten Gesichtspunkten, von denen aus mein Vorgehen 
beurtheilt werden könnte, gerecht geworden bin. Ich glaube, dass 
kaum ein plausibles Bedenkeu gegen die vaginale Ligatur des Uterus 
vorgebracht werden könnte, das ich nicht selbst gehegt hätte, ehe 
ich mich zu der geschilderten Behandlung entschloss. Meine Er¬ 
fahrungen, sowie die Mittheilungen von Collegen (der Chefarzt der 
städtischen Krankenanstalten in Danzig, Herr Dr. Baum, theilte mir 
in diesen Tagen mit, dass er das Verfahren, soweit sich dies bis 
jetzt beurtheilen lasse, mit gutem Erfolge angewandt habe und noch 
in einer Reihe geeigneter Fälle anzuwenden gedenke) lassen mich 
annehmen, dass meine Methode in allen Fällen von beweglicher 
Retroflexio und von Uterusprolaps sowie in vielen Fällen von ad¬ 
häsiver Retroflexio eine einfache, gefahrlose und sicher zum Ziele 
führende Behandlungsweise genannt werden kann. 


VI. Aus der medicinischen Klinik des Herrn Geheimen 
Medicinalrath Professor Dr. Mosler zu Greifswaid. 

Ueber die Anwendung der Kamphersäure 
bei Katarrhen verschiedener Schleimhäute). 

Von Dr. Max Niesei, Assistenzarzt der Klinik. 

M. H.! Ich möchte Ihnen in Kürze über dinige von mir mit 
Kamphersäure gemachte Versuche berichten, einem Mittel, welches 
Reichert 2 ) in einer Maisitzung der Berliner medicinischen Gesellschaft 
besonders gegen Katarrhe des Respirationstractus warm empfohlen hat. 
Angeregt wurde ich dazu durch Herrn Geheimrath Mosler, welcher 
mir in liebenswürdiger Weise das klinische Material zur Verfügung 
stellte und meine Versuche überwacht hat. Die Kamphersäure ist 
ein Oxydationsproduct des Kamphers und wird daraus durch Be¬ 
handeln mit Salpetersäure gewonnen; sie krystallisirt in farblosen 
Nadeln, ist in Wasser sehr schwer, leicht dagegen in Alkohol und 
Aether löslich; sie schmeckt säuerlich-adstringirend, etwas unan¬ 
genehm. 

Was nun die Form der Application anlangt, so wurde sie 
sowohl intern verabreicht, als auch in Form von Inhalations-. 
Gurgel- und Pinselwasser, sodann zur Blasenausspülun? 
und zum Aussprayen der Nase verwendet. Die interne Medi- 
cation betreffend, möchte ich zunächst bemerken, dass die Kampber- 
säure, soweit meine Beobachtungen reichen, relativ unschädlich )>' 
und nur in grösseren Dosen einen Reiz auf die Magenschleimhaut 
ausübt; so beobachtete ich bei einem Patienten nach einer Dosis 
von 2,0 g Erbrechen. In kleineren Gaben wurde sie stets gut 
vertragen, wenn auch längere Zeit nach dem Einnehmen ein unan¬ 
genehmer Geschmack zurückblieb. Abgesehen von Schmerzen m 
der Nierengegend bei einem mit Cystitis und Pyelitis behafteten 
Patienten habe ich von der Kamphersäure keinerlei Nebenwirkungen 
bemerkt, trotzdem ein Patient im Laufe von etwa 4 Wochen fas 
50,0 g Kamphersäure eiugenommen hat. Bezüglich der Indicat'onen 
für die interne Medication mit Kamphersäure sind zunächst die Nac 
schweisse der Phthisiker zu erwähnen, bei denen auch Fürbringer- 
wie er in der an den Reichert’schen Vortrag sich anscbliessen ^ 
Discussion hervorhob, eine günstige Wirkung des Medicamentes z 
I verzeichnen hatte. Es stehen mir 7 Fälle von Phthisis pulmonu^ 
|zur Verfügung, bei denen ich diese Therapie eingeleitet h&V 
(Eine Wirkung ist hier nicht zu verkennen; ich habe, a ^8 es ® _ 
jvon dem schon oben erwähnten Patienten, der die Kamphers« 

‘) Vortrag, gehalten im Greifswalder medicinischen Verein. 

3 ) S. diese Wochenschrift No. 36 und 37, 


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4. Oclober. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


819 


wochenlang einnahm, dessen profuse Nachtschweisse jedoch nicht 
immer unterdrückt werden konnten, in fast allen Fällen einen 
prompten und zu weiteren Versuchen ermunternden Effect gesehen. 
Zunächst mit einer Einzeldose von 1,0 des Abends beginnend, 
habe ich dann auch 2,0 oder nach den Fürbringer’schen An¬ 
gaben dreimal des Tages 1,0 ordinirt, habe aber gefunden, dass 
schon eine Einzeldose von 1,0 in manchen Fällen eine be¬ 
friedigende Wirkung entfalte, es sei denn dass zu profuse Schweiss- 
secretion bestände. (Die Receptformel: Rp. Acidi camphorati cryst. 
1,0—2,0. D. in. Oblat. S. Abends 1 Stück). 

Mit Rücksicht auf die desinficirende und adstringirende Wirkung 
der Kamphersäure, wie sie durch die Untersuchungen von Sormani 
und Brugnatelli sowie von Reichert nachgewiesen ist, wurde sie 
von uns intern auch bei einem Falle einer ganz acuten Cystitis 
und bei einer nicht mehr ganz frischen Cystitis combinirt mit 
Pyelitis angewendet. Letzterer Fall wurde schon erwähnt, indem 
nach mehrtägigem Gebrauch von täglich 3,0 Kamphersäure 
Schmerzen in der Nierengegeud auftraten, die ein Aussetzen des 
Medicamentes nöthig machten. Bei dem ersten Falle erzielte ich 
durch die etwa durch drei Wochen fortgesetzte Ordination von 
dreimal täglich 0,5 Kamphersäure einen nicht zu unterschätzenden 
Erfolg: die ganz beträchtlichen Eitermengen im Urin verschwanden 
fast völlig, das subjective Befinden der Patientin war ein zufrieden¬ 
stellendes; ehe jedoch eine vollständige Heilung eintrat, verliess sie 
leider das Krankenhaus. 

Wenn ich nun zu der äusseren Application der Kamphersäure 
übergehe, so war es vor Allem von Wichtigkeit, die in Wasser 
schwer lösliche Kamphersäure in eine passende Lösung zu bringen. 
Diesbezügliche Versuche, dieselbe zunächst in möglichst wenig 
Alkohol zu lösen und dann mit entsprechend Wasser zu verdünnen, 
schlugen fehl, da nach einiger Zeit aus stärkeren als 1% Lösungen 
stets ein Theil der Kamphersäure wieder ausgefallen waren. Ebenso 
erwiesen sich die nach der Reichert’schen Vorschrift, sowie ich 
sie wenigstens verstanden habe — für 1% Kamphersäure Zusatz 
von 11% Spiritus vini rect. — gemachten stärkeren Lösungen für 
die Dauer als nicht recht haltbar. Besser zu verwerthen waren die 
auf den Rath des Herrn Professor Hugo Schulz, welcher mich 
überhaupt mit Rath und That unterstüzt hat, hergestellten Glycerin- 
Emulsionen, die nach Verdünnung mit Glycerin oder Wasser zwar 
keine klaren Lösungen ergaben, mit denen sich jedoch nach sorg¬ 
fältigem Umschütteln eine einigermaassen gleichmässige Mischung der 
sehr fein emulgirten Kamphersäure erzielen liess. Die besten, voll¬ 
ständig klaren und haltbaren Lösungen erhielt ich aber, worauf 
auch schon Fürbringer hinweist, durch Zusatz vou Alkalien: ich 
setzte von einer 5% Natron-bicarbonicum-Lösung so lange zu, bis 
sämratliche Kamphersäure gebunden und gelöst war, und Kohlen¬ 
säureentwickelung nicht mehr stattfand. Das Verhältnis des Natr. 
bicarb. zur Kamphers. stellte sich etwa 3 : 4. Wenn ich nun auch 
bei diesen alkalischen Lösungen auf jegliche desinficirende Wirkuug 
verzichtete, so habe ich darum keine schlechteren, ja sogar bessere 
Resultate als mit den anderen, schwer handlichen und ungenauen 
Lösungen erreicht. Unter 11 mit Pinselungen und Aussprayen be¬ 
handelten Fällen befanden sich 3 Fälle von Larynxtuberculose, 
3 von zwar nicht ganz frischen, so doch nicht schweren Katarrhen 
des Kehlkopfes und der Nase, die übrigen Fälle waren ältere und 
schwerere Laryngitiden und Rhinitiden. Eine vollständig be¬ 
friedigende Wirkung sah ich nur bei den genannten leichteren 
Erkrankungen, die nach 8 bis 14tägiger täglicher Bepinseluug resp. 
Einsprayen mit 0,5 — 1% Kamphersäurelösung (zuerst Glycerin-, 
später alkalischer Lösung) sich sehr gut zurückbildeten. Stärkere 
Reizerscheinungen stellten sich nach der therapeutischen Vornahme 
nie ein, im Gegentheil hörte ich von einigen Patienten die bestimmte 
Angabe, dass sie sich längere Zeit nachher wohl fühlten und eine 
geringere Secretion beobachteten. Freilich habe ich bei den, mit 
tieferen pathologischen Schleimhautveränderungen verbundenen 
chronischen Katarrhen der Nase und des Larynx, sowie bei den 3 
Fällen von Lungentuberculose, bei denen ich 2—4% Lösungen 
applicärte, abgesehen von subjectivem Wohlbefinden, keine Besserung 
erzielen können, trage mich aber auch nicht mit der Hoffnung, eine 
vollständige Heilung durch längere Fortsetzung der Cur zu erreichen. 

Von der Wirkung der 0,5—1% Kamphersäurelösung als Gurgel¬ 
wasser kann ich vorläufig nicht viel berichten, es bedarf dazu noch 
der längeren Beobachtung. 

Wesentlich günstiger gestalten sich die Erfolge der Inhalationen 
mit Glycerin-, vor allem aber mit alkalischen 1% Kamphersäure- 
lösungen bei Phthisis und chronischer Bronchitis. Eine Ver¬ 
minderung des Hustenreizes und des Auswurfs bei leichtem und 
freiem Expectoriren des vorhandenen Secrets waren die überein¬ 
stimmenden Angaben von fast allen Patienten. 

Zum Schluss will ich noch erwähnen und ganz besonders her¬ 
vorheben 2 Fälle von chronischer Cystitis, die ich auf die An¬ 
gaben Fürbringer’s hin mit Blasenausspülungen von Kamphersäure- 


lösungen behandelte; und zwar benutzte ich eine rein alkoholische 
20% Kamphersäurelösung, welche mit lauwarmem Wasser bis zu einer 
0,5 und später einer 1% Lösung verdünnt wurde; stärkere Lösungen 
wurden nicht gut vertragen. Nach einer mehrwöchentlichen Jlehand- 
lung war nun das Resultat bei dem einen Patienten — bei dem zweiten 
ist die Behandlung zwar noch nicht abgeschlossen, aber eine ent¬ 
schiedene Besserung zu constatiren, — ein sehr erfreuliches: im Urin 
war Eiter nicht mehr nachweisbar, der Urin von saurer Reaction 
und vollständig klar, das subjective Befinden ein sehr gutes, sodass 
denn der Patient als geheilt entlassen werden konnte. Indess kann ich 
einem hier mit Recht zu machenden Einwande, dass die desin¬ 
ficirende Alkoholwirkung mit in Betracht komme, nicht recht be¬ 
gegnen und kann mich ihm auch nicht ganz verschliessen, da mir 
Control versuche fehlen. Versuche, die ich bei demselben Patienten 
mit Glycerinlösung machte, musste ich aufgeben, weil die hierbei 
leicht ausfallende reine Kamphersäure die Blasenschleimhaut zu in¬ 
tensiv reizte. 

Fasse ich nun in einem kurzen Resume die gewonnenen Re¬ 
sultate, welche natürlich noch der weiteren Bestätigung bedürfen, 
zusammen, so dürfte sich vor allem die interne Application der 
Kamphersäure gegen die Nachtschweisse der Phthisiker behufs 
weiterer Prüfung empfehlen. Nicht minder interessant und lohnend 
wären fernere Versuche bei leichteren Katarrhen des Larynx, der 
Nares und Bronchien, sowie ganz besonders auch bei chronischen 
Cystitiden, vielleicht könnte sich die Kamphersäure in der Therapie 
dieser Krankheiten einen wichtigen Platz erringen. 

VII. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 39.) 

Häufig ist dem Auswurf Blut beigemischt, entweder nur in 
kleinen Mengen in Form von rothen Streifen oder auch mehr oder 
weniger gleichmässig mit dem schleimig-eiterigen Auswurf gemischt. 
Ausserdem kommt auch die Entleerung von reinem Blut aus den 
Respirationsorganen vor, wie sie als Hämoptoe bezeichnet wird. In 
manchen Fällen werden nur einige Male oder auch während 
längerer Zeit wiederholt kleine Blutraengen entleert, jedesmal ein 
Theelöffel voll oder ein Mund voll, in anderen Fällen ist die Ent¬ 
leerung sehr reichlich, so dass vielleicht ein Liter Blut oder mehr 
in kurzer Zeit ausgeworfen wird. Eine profuse Hämoptoe kann, da 
in Folge der Verlegung der Trachea und der Bronchien durch das 
Blut die Inspiration beeinträchtigt ist, Erstickungsgefahr bewirken, 
und ich habe schon wiederholt Kranke im Anfall von Hämoptoe 
durch Erstickung sterben sehen; es ist dies aber nicht gerade 
häufig, und meist ist überhaupt die augenblickliche Gefahr bei der 
Hämoptoe nicht so gross, als sie dem Kranken und den Umstehen¬ 
den gewöhnlich erscheint. Noch seltener erfolgt der Tod durch 
Verblutung, da gewöhnlich die Blutung aufhört, bevor es durch 
Blutmangel zu bedrohlichen Erscheinungen gekommen ist. Wenn 
die Blutung einigermaassen reichlich war, so ist das Blut gewöhn¬ 
lich hellroth, mit Luft gemischt und enthält auch nach erfolgter 
Gerinnung noch reichliche Luftblasen. Dadurch unterscheidet sieh 
das aus den Respirationsorganen kommende Blut von dem aus dem 
Magen durch Hämatemesis entleerten, welches in der Regel dunkel 
gefärbt und nicht lufthaltig ist, dagegen häufig Mageninhalt beige¬ 
mengt enthält. Ausserdem erfolgt bei Hämoptoe die Entleerung 
des Blutes unter mehr oder weniger deutlichen Hustenbewegungen, 
und wenn die reichliche Blutentleerung aufgehört hat, pflegt noch 
für längere Zeit dem Auswurf mehr oder weniger verändertes 
dunkles Blut beigemischt zu sein. In der weit überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle ist die Hämoptoe eine Folge von Tuberculose. 
Doch wird mau daran denken müssen, dass auch anderweitige 
Verschwärungen in der Mundhöhle, im Rachen, im Larynx und der 
Trachea zu reichlichen Blutungen Veranlassung geben können, dass 
ferner bei allgemeiner hämorrhagischer Diathese, bei Purpura 
hämorrhagica, bei Scorbut, Blutungen aus den Respirationsorganen 
Vorkommen, dass Lungenblutungen bei Abscess, Gangrän, hämor¬ 
rhagischem Infarct der Lungen entstehen können, und dass auch 
Aneurysmen in die Bronchien durchbrechen können. Eine weniger 
schlimme Bedeutung wird man unter Umständen der Blutung zu¬ 
schreiben können, wenn sie nach einem Trauma, welches den 
Thorax betroffen hat, oder nach einer übermässigen Anstrengung 
auftritt, obwohl auch in solchen Fällen zuweilen die Möglichkeit 
vorliegt, dass die mechanischen Ursachen nur die Veranlassung zum 
Auftreten der Blutung aus einem tuberculösen Herd gewesen seien. 
Aehnlich verhält es sich, wenn bei einer Frau die Blutung sich 
ereignet zu einer Zeit, wenn die Menstruation hätte eintreten sollen, 
aber ausgeblieben ist; man hat dabei von einer Menstruatio 
vicaria gesprochen; ob aber eine solche vorkommt ohne geschwiirige 
Lungenerkrankung, ist bisher nicht sicher erwiesen. Endlich ist 
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass, wie reichliches Nasen- 


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820 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40 


bluten ohne besonderen Grund häufig vorkommt, so vielleicht in 
einzelnen, aber gewiss höchst seltenen Fällen auch eine parenchy¬ 
matöse Blutung von der Bronchialschleimhaut erfolgen könne, die 
keine weitere Bedeutung hat. Iu der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle ist eine Lungenblutung als ein Beweis für das Vorhandensein 
tuberculöser Lungenschwindsucht anzusehen. Zuweilen ist sie das 
erste auffallende Zeichen der Krankheit; sie kann schon sehr früh 
im Stadium der Phthisis incipiens auftreten; häufiger aber gehört 
sie den späteren Stadien an und entspricht dein beginnenden oder 
auch dem schon vorgeschrittenen Zerfall des Luugengewebes. Die 
Blutung entsteht, wenn Gefässwanduugen zerfallen, bevor das 
Gefäss durch Thrombenbildung vollständig verschlossen ist; auch 
können auf der Innenwand von Cavernen Arterien zerreissen, 
nachdem sie vorher kleine aneurysmatische Ausbuchtungen ge¬ 
bildet haben. Heftiger Husten oder andere Anstrengungen können 
die Veranlassung zur Entstehung der Blutung sein. — Eine reich¬ 
liche Lungenblutung ist gewöhnlich von schlimmer prognostischer 
Bedeutung. Zunächst wird dadurch die Anämie des Kranken ge¬ 
steigert und sein Allgemeinbefinden verschlechtert. Ferner ist, 
wenn einmal eine Lungenblutung stattfand, für die Zukunft 
eine Wiederholung derselben zu befürchten. Endlich kommt es 
häufig vor, dass grössere Mengen von Blut in bisher noch freie 
Theile der Lunge aspirirt werden, w r o sie unter Umständen eine 
chronische Pneumonie mit nachfolgendem käsigeu Zerfall hervor- 
rufen köunen (s. o.). Und so ist es verständlich, dass in zahlreichen 
Fällen mit der ersten reichlichen Hämoptoe eine schlimme Wendung 
im Verlaufe der Krankheit beginnt, von der an der Kranke schnell 
verfällt. Dagegen wird von auderen Kranken wiederholte Hämoptoe 
ertragen, ohne dass dadurch ein merklicher Einfluss auf den Gang 
der Krankheit ausgeübt würde. In einzelnen Fällen kann es sogar 
Vorkommen, dass eine Hämoptoe indirekt von Vortheil ist: Wenn 
ein Kranker schon ira Stadium der Phthisis incipiens, während er 
selbst und vielleicht auch sein Arzt noch keine Ahnung von dem 
bedrohlichen Ernst seiner Krankheit hat, uud der Kranke weit da¬ 
von entfernt ist, durch Aenderung seiner Lebensweise oder durch 
anderweitige Maassregeln der Gefahr vorzubeugen, von reichlicher 
Hämoptoe befallen wird, so ist dies eine so starke Mahnung, dass 
auch der leichtsinnigste Kranke dadurch gewöhnlich veranlasst wird, 
Alles zu thun, was möglich ist, um das Fortschreiten des Leidens 
zu verhindern. Ich keune eine Reihe von Fällen, bei denen wahr¬ 
scheinlich nur das frühzeitige Eintreten einer Lungenblutung den 
Kranken gerettet hat. Uebrigens sind bekanntlich die Beispiele gar 
nicht selten, dass Personen, welche in der Jugend von Hämoptoe 
befallen wurden, ein hohes Alter erreicht haben. — Während der 
Dauer der Hämoptoe und unmittelbar nach derselben sind gewöhn¬ 
lich die Rasselgeräusche reichlicher zu hören und über grössere 
Strecken verbreitet, namentlich auf der Seite, von welcher die 
Blutung ausgeht. Einige Tage später stellt sich zuweilen Fieber 
ein, oder es erfolgt eine Steigerung des schon vorhandenen, und 
man beobachtet daun in einzelnen Fällen eine weitere Ausbreitung 
der Infiltration oder auch eine neue Dämpfung in bisher freien 
Theilen der Lunge oder selbst im ganzen Bereich eines unteren 
Lungenlappens; die damit auftretende chronische Pneumonie kann 
dann später theilweise oder vollständig zur Resorption gelangen; 
sie kann aber auch verkäsen und einen schnellen ungünstigen Ver¬ 
lauf der Krankheit zur Folge haben (s. o.). 

Bei dem Fortschreiten der Lungenerkrankung ist gewöhnlich 
Fieber vorhanden, welches meist den Typus des hectischen Fiebers 
zeigt, indem die Temperatur im Laufe des Tages steigt, gegen Abend 
den Höhepunkt erreicht und daun während der Nacht wieder ab¬ 
fällt, so dass sie am Morgen nur wenig über die Norm erhöht oder 
normal oder selbst subnormal ist. Das Steigen der Temperatur ist 
häufig mit subjectivem Frostgefühl verbunden, nachher stellt sich 
Hitze ein mit Brennen der Handteller uud umschriebener Röthe der 
Wangen, und der Abfall des Fiebers während der Nacht erfolgt ge¬ 
wöhnlich unter reichlichem Schwitzen. Diese Nachtschweisse der 
Phthisiker, welche zum grossen Theil die Folge des schnellen 
Fieberabfalls sind, gelten schon dem Laien als ein besonders 
schlimmes Zeichen. Dazwischen können, namentlich bei zweck¬ 
mässigem Verhalten der Kranken, wieder längere Zeiträume kommen, 
während deren das Fieber vollständig aufhört, und diese Zeiten 
entsprechen in der Regel einem Stillstand des Zerstörungsprocesses 
iu den Lungen. Mit dem Auftreten des Fiebers beginnt die Ab¬ 
magerung der Kranken schneller fortzuschreiteu und zu Abzehrung 
oder Schwindsucht im engeren Sinne zu führen. Die Febris hectica 
kann deshalb vorzugsweise als Zehrfieber bezeichnet werden. Die 
Abmagerung ist oft sehr bedeutend: es werden Fälle beobachtet, 
in denen die Kranken bis zum tödtlichen Ausgang nahezu die Hälfte 
des Körpergewichts verloren haben; meist ist aber der Gewichts¬ 
verlust geringer und beträgt nur etwa ein Drittel des Körpergewichts 
oder noch weniger; auch wird in manchen Fällen gegen Ende des 
Lebens durch Auftreten von Oedemen die Körpergewichtsbestimmung 


werthlos für die Beurtheilung der Abmagerung. In den fieberfreien 
Zeiten kann dagegen der Kranke bei günstigen Ernährungs- und 
Verpflegungsverhältnissen wieder an Körpergewicht und an Kräften 
zunehineu. In der hiesigen Kliuik kommt es nicht selten vor, dass 
Kranke, bei welchen schon grosse Cavernen nachzuweisen sind, in 
den fieberfreien Perioden um 10, 20 und selbst 30 Pfund an Körper¬ 
gewicht zuuehmen und eine entsprechende Besserung des gesammten 
Befindens zeigen. Mit der allgemeinen Abzehrung ist auch eine 
Abnahme der Muskulatur verbunden, und die Schwäche der Inspi¬ 
rationsmuskulatur hat die Folge, dass namentlich bei jüngeren Leuten 
mit noch nachgiebigem Thorax allmählich der Habitus phthisicus, 
wenn er nicht etwa vorher schon vorhanden war, zur Ausbildung 
kommt (s. o.). Die atrophischen Muskeln zeigen häufig bei mecha¬ 
nischer Erregung durch Anklopfen partielle idiomuskuläre Contrac- 
tionen, durch welche die als Myodesma bezeichneten umschriebenen 
Anschwellungen entstehen. 

Die Verkleinerung der respiratorischen Fläche in den Lungen 
hat eine Erschwerung des Athmens zur Folge. Eine solche zeigt 
sich weniger in der Ruhe; manche Kranke, bei welchen mehr als 
die Hälfte der Lunge functionsunfähig geworden ist, sind in der 
Ruhe frei von Kurzathmigkeit; durch die allgemeine Atrophie, an 
der auch das Blut theilnimmt, ist der GesammtstofTumsatz so 
herabgesetzt, dass, selbst wenn Fieber vorhanden ist, die athmende 
Fläche noch dem Bedürfniss genügt; aber bei jeder stärkeren Be 
wegung entsteht sogleich Athemnoth, Dyspnoe. Auch die soge¬ 
nannte vitale Capacität der Lungen zeigt sich beträchtlich vermin¬ 
dert. Dieselbe wird bestimmt durch das Spirometer oder noch 
besser durch eine für diesen Zweck construirte Gasuhr, indem man 
untersucht, wie viel der Kranke an Luft entleeren kann, wenn er 
nach vorheriger möglichst tiefer Inspiration nachher möglichst tief 
exspirirt. Diese -vitale Capacität, oder, wie man bezeichnender ge¬ 
sagt hat, das Maximum des Raumwechsels der Lungen, ist unter 
Anderem von der Länge des Thorax und damit auch von der 
Körperlänge abhängig; bei gesunden Männern zwischen 20 und 
40 Jahren beträgt sie für jeden Centimeter der Körperlänge etwa 22 bis 
24 ccm (Wintrich), so dass ein Mensch von 170 cm Körperlfinge 
uach möglichst tiefer Inspiration gegen 4000 ccm Luft ausathraen 
kaun. Bei Frauen ist die vitale Capacität etwas geringer, und im 
höheren Alter ist, zum Theil wegen geringerer Beweglichkeit des 
Thorax, eine Abnahme vorhanden. Im Uebrigen ist sie ausser von 
der Weite und namentlich von der Beweglichkeit des Thorax in 
hohem Maase ahhäugig von der Entwickelung der Muskulatur und 
besonders der Inspirationsmuskeln; sie kann durch Uebung beträcht¬ 
lich erhöht werden, ein Umstand, der wesentlich in Betracht zu 
ziehen ist. wenn man bei einem Kranken im Laufe der Zeit eine 
Zunahme der vitalen Capacität findet. Die Abnahme bei Phthi¬ 
sikern beruht häufig nur zum kleinen Theil auf der Infiltration der 
Lunge, zum bei Weitem grösseren auf der Atrophie der Inspira¬ 
tionsmuskulatur. Immerhin ist auch die Spirometrie zu den 
diagnostischen Hülfsmitteln zu rechnen, durch deren umsichtige An¬ 
wendung die Erkenntniss des Zustandes des Kranken vervollständigt 
werden kann. (Fortsetzung folgt.) 

VÜI. Feuilleton. 

Ueber Herstellung freier Mineralwassercompositionen, 
gegenüber dem Herkommen der Quellen und der 
Kohlensäure. 

Von Hofrath Dr. Ewich in Köln. 

Hochverehrte Anwesende! Zunächst möchte ich berichten, wie 
ich im Brohlthale einen Curort gründen wollte, und wodurch mir 
dies vereitelt — ich aber dann auf Grund meiner Studien auf Her¬ 
stellung freier Mineralwassercompositionen hingedrängt wurde. Hieran 
schliessen sich meine Ansichten über das Herkommen der Quellen 
und der Kohlensäure. 

Vor etwa 40 Jahren erhielt die Balneologie einen günstigen 
Aufschwung. Man fing an, die Mineralquellen nicht allein nach 
ihren durch Empirie erforschten Heilresultaten, sondern auch je 
nach der physiologischen Wirkung und Menge ihrer einzelnen Be- 
standtheile zu beurtheilen. 

Nachdem ich damals bereits 7 Jahre als praktischer Arzt ge¬ 
wirkt hatte, richtete sich 1849 meine Aufmerksamkeit auf die schon 
von den Römern hochgeschätzten, später aber dann vernachlässigten 
Brohlthalquellen, inmitten des vulkanischen Laacherseegebietes. 

Zehn derselben, welche bei Tönnisstein und Burgbrohl ent¬ 
springen, waren von Prof. Dr. G. Bischof analysirt; ihrer zwei 
zählen zu den reichen alkalischen, in den anderen überwiegt aber 
verhältnissmässig der Eisengehalt die Alkalien. 


*) Vortrag, gehalten in der Section für innere Medicin der 61. Ver¬ 
sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


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4. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 821 


Lediglich Dur im festen Vertrauen auf die Menge und phy¬ 
siologische Wirkung der Hauptbestandtheile dieser Quellen, im 
Vergleich mit ähnlichen, fasste ich den Entschluss, einen Curort im 
Brohlthale anzubahnen, der mit Carlsbad, Marienbad und Schwal- 
bach concurriren könne. 

So bezog ich in Folge dessen das Familienbesitzthum Schloss 
Burgbrohl, wo ich bis Herbst 1851 baineologischen und geologischen 
Studien, neben ärztlicher Praxis oblag, auch die Heilwirkung der 
Quellen festzustellen Gelegenheit nahm; hierauf aber bei meiner 
Niederlassung als Arzt in Köln, das Project nicht aus den Augen 
verlor, wie folgende Tbatsachen kurz audeuten sollen. 

Zunächst resultatlose Verhandlungen mit der Coblenzer Re¬ 
gierung, welcher die Hauptquellen zu und bei Tönnisstein unter¬ 
stellt waren, dann 1855 Immediateingabe an S. M. den König 
Friedrich Wilhelm IV., hierauf ministerieller Erlass an die Coblenzer 
Regierung zum Zwecke der genauen Prüfung meiner Vorschläge. 
Demnach 1856 günstiges Gutachten der „Wissenschaftlichen De¬ 
putation“ in Berlin, auch Befürwortung desProjectes durch A. v. Hum¬ 
boldt und ein Zeuguiss vom Fürsten Pückler-Muskau. Dem¬ 
nächst Einverständniss der beiden Ministerien unter Bewilligung 
einer Staatsbetheiligung von 10000 Thalern, und regierungsseitlich 
durch Anerbieten einer mässigen Pacht. Zum Schluss erfolgt dann 
1856 die Comitebildung zu einer Actiengesellschaft unter Begün¬ 
stigung und Vorsitz des Herrn Präsidenten v. Möller auf der 
Regierung zu Köln; die sofortige Actienzeichnung berechtigt zu den 
besten Erfolgen! 

Da tritt buchstäblich über Nacht eine nachhaltige Geldkrisis 
eiu, der 1857 bei Wiederaufnahme der Zeichnungen eine über 
3 Jahre andauernde Haudelskrisis, sowie 1859 die Krankheit und 1861 
am 2. Januar das Hinscheiden meines allerhöchsten Protectors folgt. 

Während dieser schwierigen 4 Jahre wird meine „Rationelle 
Balneologie“, das Resultat meiner Studien, verfasst und gedruckt. 
Dieselbe enthält als Schlussergebniss vergleichende Tabellen aller 
von mir besprochenen und auf die damals gebräuchlichen 16 Unzen 
reducirten Quellen, nach Classen und Heilwerthen selbstständig 
geordnet. 

Inzwischeu verpachtet die Coblenzer Regierung 1860 die Quellen, 
ungeachtet meiner Concurrenz an einen Kaufmann, dem sie er¬ 
laubt, die Pachtsumme für 25 Jahre zu Curhauszweckeu u. s. w. zu 
verwenden; dem Staate sollten die 10000 Thaler erhalten bleiben, 
wie der damalige Decernent mir andeutete. 

Weit entfernt, wegen Fehlschlagens meiner gemeinnützigen Be¬ 
strebungen nun den Muth zu verlieren, reift in mir der Entschluss, 
gestützt auf die in meinem Werke verfochtenen rationellen Ansichten, 
sofort eine Anstalt für künstliche Mineralwasser zu gründen, um 
gleichzeitig auch für gewisse auf Constitutionsanomalieen be¬ 
ruhende Krankheitsgruppen den natürlichen Quellen zwar analoge, 
aber an Reichhaltigkeit aufgebesserte zu schaffeu. 

Nur die bereits erforschte physiologische Wirkung der 
Hauptbestandtheile sollte letzteren Compositionen zur Richtschnur 
dienen, unter Beseitigung ungerechtfertigt, ja störend erscheinender, 
vielfach minimaler Bestandtheile, wie solche bei der natürlichen 
Quelleubildung in den Kauf genommen werden. 

Dieselben Ansichten spricht Beneke 14 Jahre später in seinen 
gediegenen „Balneologischen Briefen“ u. A. p. 44 und 128 aus, so 
dass ich seitdem damit in der Literatur nicht mehr allein stehe. 

Wie und mit welchen thatsächlichen Erfolgen mir seit 1862 
mein Verfahren mit solchen Compositionen, namentlich mit meinen 
Natron-, Natron-Litliion- und Jod-Lithion-Wassern gelungen ist, 
werden Sie aus der kleinen Broschüre ersehen können, welche hier 
zur Vertheilung bereit liegt. Dieselbe enthält auch Indicationen und 
Gebrauchsanweisung nebst Regime für Gicht und Steinleiden, Diabetes 
und Fettleibigkeit, sowie eine procentische Zusammenstellung der 
Nährstoffmittelzahlen unserer Nahrungsmittel, und kaun von Aerzten 
jederzeit gratis von mir bezogen werden. 

Zur weiteren Begründung meiner rationellen Ansichten, möchte 
ich dann noch die Zufälligkeiten der vulkanischen und der mehr 
oberirdischen Quellenbildung, sowie die im Laacherseegebiete auf¬ 
getauchte Kohlensäure-Industrie kurz berühren. Man könnte füglich 
die Quellen in 1. vulkanische, 2. halbvulkanische und 3. nicht- 
vulkanische eintheilen. 

Es ist ad 1 von Nowak, Prag 1879, an zahlreichen verbürgten 
Beispielen thatsächlich erwiesen w'orden, dass aus gewissen Meeren 
und dem Ocean, durch Spalte und Risse in der Erdkruste — welch 
letztere man auf 6 Meilen Mächtigkeit taxirt — grosse Wasser¬ 
massen, z. Th. continuirlich zum feurigen Erdkern abfliessen. Hier 
werde das Wasser, wie er m. E. glaubwürdig annimmt, im Hohl- 
raume zwischen letzterem und der Erdkruste in Dampf verwandelt, 
welcher unter colossalem Druck (Expansion) von innen mit gewissen 
Gasen und Mineralatomen geschwängert zum Erdkörper auf anderen 
Wegen zurückkehre und dort früher oder später ganz oder zum 
Theil die Wnsserforni wieder annehme. 


Unter Aufnahme resp. Auslaugung von mineralischen Stoffen 
gelauge das Wasser dann auf kürzeren Wegen als warme, auf 
längeren als kalte Quelle durch Felsspalte zur Oberfläche zurück. 
Er führt Felseninseln und nackte Höhen an, auf denen Quellen, 
sogar warme mit heissen Dämpfen hervorkommen. 

Kalte halbvulkanische Mineralquellen, wie vorzugsweise alka- 
iische und eisenhaltige, können aber schon in erreichbaren Tiefen 
ln den felsigen Schichten der Erdkruste, unter Zutritt von vulka¬ 
nischer CO 2 , bei hohem Atmosphärendruck entstehen. Dies hat 
Struve schon in den zwanziger Jahren erwiesen, indem er aus 
pnlverisirtem Basalt mit Wasser und künstlich dargestellter (’0 2 unter 
hohem Atmosphärendruck alkaliseh-salinisch-eisenhaltiges Mineral¬ 
wasser erzeugte. 

Die Quellenbildung im Laaclierseegebiet geschieht in. E. 
dadurch, dass das Tagewasser des von einem bewaldeten Gebirgs- 
ring umgebenen Laachersees — eines Erhebungkraters —, dessen 
Spiegel etwa 300' über Tönnisstein und 700' über dem Rhein liegt, 
schon beim Niedersickern mit der aus dem Erdiunern hier ge¬ 
waltsam aufdringenden COjsich verbindet und die Gesteinsauslaugung 
vollzieht, worauf es dann in den umgebenden Thälern in zahlreichen 
Mineralquellen zu Tage kommt. Zu Burgbrohl befindet sich nur 
eine Süsswasserquelle, welche oberflächliches Bergwasser führt. 

Meines Wissens existirt in Deutschland kein Ort, wo die CO 2 so 
masssenhaft aus dem Erdinnern emporsteigt und mit vielen 
Quellen ausströmt, wie solches in der Umgebung des Laachersees 
der Fall ist. Humboldt nannte dies den Nachhall der vulkanischen 
Thätigkeit, 

Schon vor mehr als 60 Jahren benutzte eine Bleiweissfabrik 
am Fusse des Burgbrohler Schlossberges die einer Eisenquelle 
stürmisch entsteigende CO 2 zur Bereitung ihres Fabrikates, auf 
Empfehlung von G. Bischof. Vor wenigen Jahren liess jedoch die 
COi-Ausströmung nach und gab Veranlassung zu einer Tiefbohrung 
(in eben dieser Quelle), welche einen COo-Strom aufschloss, desseu 
Reichthum nicht allein die Fabrik versorgt, sondern auch eiue 
Compressionsanstalt für reine CO>, aus der ich die letztere seit 
l l /-2 Jahren in schmiedeeisernen Cylindern, die auf 250 Atmosphären 
geprüft sind, für meine Anstalt beziehe. Dieselben enthalten je 
8 kg condensirte CO 2 und können ca. 800 Flaschen Mineralwasser mit 
je 4 Atmosphären resp. Volumina reiner CO 2 versehen. Auch die zu 
Obermendig. Tönnisstein und Hönningen vorgenommenen Bohrungen 
auf CO 2 hatten ähnliche Erfolge. 

Die nichtvulkanischen Quellen, meistens Süsswasserquellen, 
verdanken bekanntlich chemischen Processen ihre CO.» und pflegen 
auf längeren Wegen auch Mineralstoffe aufzunehmen. Das quellen- 
bildende atmosphärische Wasser empfangen wir aus dem vegetations¬ 
reichen Gebirge, wo es in die Tiefe sickert, bis es irgend eine un¬ 
durchdringliche, z. B. lehmige oder felsige Unterlage erreicht und 
daun an Abhängen auf solcher, oder durch eine Felsspalte zu Tage 
kommt, ja sogar einen Bach bilden — wie z.B. die Pader bei Pader¬ 
born — oder unter einem Wasserlauf ausmünden kaun. 

Das Grundwasser in Ebenen kaun dagegen direkt aus der 
Atmosphäre oder z. Th. durch seitliche Zusickerung von einem 
Wasserlauf herstammen und beim Berühren von Salzlagern, Soolen 
oder durch Auslaugung von Mergel, wie bei Püllna, Sedlitz und 
Saidschitz Bitterwasser bilden, im Kulturboden aber leicht verun¬ 
reinigt, sowie durch gewöhnliche Brunnen aufgeschlossen werden. 

Gelangt das Gebirgswasser aber ohne Unterbrechung direkt 
in grössere Tiefen, so kann man solches unter gewissen seltenen 
Umständen, wenn es sich unter einer dichten Decke anstaut — wie 
sogar in der Sahara — durch artesische Brunnen erbohren, jedoch 
im Alluvialboden meist nur durch dichtwandige Tiefbrunnen 
als reines Quellwasser erschliessen, wie z. B. hier bei Köln. 

Der erste derartige Brunnen, den ich für unser Wasserwerk 
bei der Altenburg der Stadtverwaltung schon im Januar 1867 
dringend vorgeschlagen und gegen das im September 1868 begonnene 
Rbeinwasser-Filtrirsystem noch nachträglich durchgekämpft hatte, 
wurde 1870 abgeteuft und 1872 in Betrieb gesetzt. 

Derselbe hat 16' lichte Weite, reicht 20' u. 0 des Kölner Pegels 
und versorgt, wie Vorbedingung war, die Stadt pro Tag mit 
500 000 □' reinen Quellwassers. Obwohl er mehr liefern kauu, 
wurden späterhin noch zwei solcher Reservebrunnen dort angelegt. 
Das für die Neustadt und die Vororte innerhalb der neuen Um¬ 
wallung bei der Bonnerstrasse erbaute Wasserwerk besitzt 6 Brunnen 
nach demselben dichtwandigen System. Beiläufig bemerkt, ver¬ 
minderte sich bei Zunahme der Wasseranschlüsse — wie Herr 
Hegen er, Direktor der Wasserwerke, in der hygienischen Section 
mittheilte — die Typhussterblichkeit in Köln, welche 1875 noch 1 
von 2310 betrug, bis 1887 auf 1 von 7130 der Einwohner. 

Unsere hochverehrten Gäste können also unser Wasserleitungs- 
Wasser als reines COa-haltiges Quellwasser kosten, im Gegensatz zu 
dem durch Sand filtrirten Elbwasser der Stadt Magdeburg. 


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822 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40 


IX. Referate und Kritiken. 

Fischl. Ueber Antipyrese. 2. Heft des II. Bandes der „Klini¬ 
schen Zeit- und Streitfragen.“ 41 Seiten. Wien, 1888. Ref. Für¬ 
bringer. 

Unter Verwerthung einer bedeutenden Literatur giebt Verf. in 
dieser „kritischen Studie über die neueren antipyretischen Mittel 
und Methoden“ klaren Aufschluss darüber, dass der momentane 
Stand unserer Kenntnisse noch keineswegs die Beantwortung der 
Frage zulasse, ob die Anwendung antipyretischer Mittel bei fiebern¬ 
den Individuen angezeigt oder überhaupt gestattet sei. Der Lösung 
des Problems können somit vor der Hand nur Erfahrungen am 
Krankenbette dienen. Was Fischl über die letzteren aus eigener 
30jähriger Praxis uns mittheilt, athraet durchweg Unbefangenheit 
und Ehrlichkeit und zeugt von einer seltenen — und leider immer 
seltener werdenden — Objectivität der Anschauungen, die es mit 
den Kranken gut meint. Sie prägt der Abhandlung einen bleibenden 
Werth auf. 

Aus der eingehenden, wenn auch nicht streng statistisch tabel- 
lirten Bearbeitung heben wir an dieser Stelle hervor, dass die Be¬ 
handlung des Typhus mit kalten Bädern weder eine Abkürzung 
des Krankheitsverlaufes erkennen Hess, noch eine günstige Beein¬ 
flussung des Sensoriums zur Regel zählte. „Man muss das Wider¬ 
streben der meisten Kranken, die Cyanose nach dem Verlassen des 
Bades, das fahle Gesicht, den sie schüttelnden Frost gesehen haben, 
um das Verfahren in der That als ein die Patienten quälendes zu 
erkennen.“ Verf. vermochte nicht einen einzigen den verschiedenen 
Epidemieen angehörigen Fall zu bezeichnen, der einen mit Wahr¬ 
scheinlichkeit auf die hydriatische Methode überhaupt zurückzu¬ 
führenden günstigen Verlauf dargeboten. Es gab nach wie vor die¬ 
selbe Mortalität, mochten Bäder und Einpackungen angewandt oder 
exspectativ verfahren worden sein. 

Hingegen ist Fischl den milderen hydriatischen Proceduren 
ziemlich hold, da sie selten auf Widerstand seitens der Kranken 
stossen, und die Wirkung auf Sensorium, Circulatiou und Respira¬ 
tion nach der günstigen Seite derjenigen der kalten Bäder nichts 
nachgab. 

Die innere Antipyrese anlangend constatirt Verf., der ins¬ 
besondere viel Chinin und Antipyrin gereicht, dass vor Allem die 
Bedingungen, unter welchen die Medicamente sich wirksam oder 
unwirksam, wohlthätig oder schädlich erweisen, derart durch die 
individuellen unberechenbaren Verhältnisse beherrscht werden, dass 
für jeden gegebenen Krankheitsfall die Verabreichung des Antipy- 
reticums nur ein Experiment bleibt, von dessen Gelingen oder Miss¬ 
lingen die Beantwortung der Frage abhängt, ob das Medicament 
fortgegeben oder ausgesetzt werden soll. Die medicamentöse Anti¬ 
pyrese gänzlich zu verwerfen, erachtet Verf. nicht für gerechtfertigt, 
nachdem er bei einzelnen Individuen beobachtet, dass Unruhe, 
Schlaflosigkeit, Hitzegefühl, Abgeschlagenheit den Mitteln gewichen. 

Andererseits gesteht Fischl offen, dass die unberechenbare 
Eventualität des Eintritts der bekannten peinvollen und gefährlichen 
Nebenerscheinungen, richtiger Vergiftungssymptome ihn „mit grösster 
Angst und Unruhe“ zur versuchsweisen Anwendung der Antipyretica 
schreiten liess. Im Allgemeinen haben die letzteren für ihn keinen 
höheren Werth, als irgend ein anderes symptomatisch wirkendes 
Mittel. „Denn ich glaube weder an die Gefahr der hohen Tempe¬ 
ratur in gewissen Grenzen, noch daran, dass die Krankheit durch 
Antipyretica abgekürzt werden könne.“ 


H. Lindner. Ueber die Wanderniere bei Frauen. 60 S. 

1,60 Mark. Neuwied und Berlin, Heuser, 1888. Ref. Apolant. 

Der Autor beansprucht in der ursprünglich in der Zeitschrift 
für Gynäkologie etc. veröffentlichten Schrift nur seine eigenen Er¬ 
fahrungen wiederzugeben und lässt daher Manches vermissen, was 
man in einer Monographie vereinigt sehen möchte. Indess ist noch 
genug des Interessanten da, welches zur Anregung dient. 

Nachdem der Autor darauf aufmerksam gemacht, dass die Anä¬ 
mie mehr die Folge als die Ursache des Uebels ist, führt er noch 
als Wirkungen der Wanderniere Foetor ex ore, Obstipation, Er¬ 
brechen, Schwindelanfälle und sonstige nervöse Zufälle an. Man 
kann dem Verfasser wohl nicht ganz beistimraen, wenn er derartige 
Affectionen in ungleich höherem Maasse auf die Wanderniere als 
auf Leiden des Uterus zurückführt; ebenso, wenn er die Schlaff¬ 
heit der Bauchdecken nach Schwangerschaften als ziemlich irre¬ 
levant für die Entstehung des Leidens ansieht. Dem widerspricht 
schon seine Therapie, welche in der Anlage einer meiner Ansicht nach 
etwas unvollkommenen festen Bandage mit Kissen ohne elastische 
Einlage besteht. 

Wenn er die Laparotomie mit Exstirpation der Niere, welche 
meiner Ansicht nach nur dann gemacht werden sollte, wenn das 
Leben zur unerträglichen Qual geworden ist, und wenn keine andere 
Hülfe sich darbietet, vor dem Lumbarschnitt bevorzugt, so kann 


man eine Begründung hierfür in der von ihm angegebenen Statistik 
(25 Laparotomieen 9 Todesfälle — 9 Lumbarschnitte 0 Todesfälle) 
nicht finden. Die Hahn’sche Operation hält Lindner für noch zu 
unsicher in ihren Resultaten, ebenso wie die Weir-Mitchell’sche 
Cur. Indess möchte ich der Erwägung anheimgeben, ob nicht die 
bei letzterer angewandte ruhige Lage, welche ohne Zweifel zum 
Effecte viel beiträgt, nicht doch auch in zwei der von Lindner 
operirten Fälle das wirksame Agens abgegeben hat, da eine Laparo¬ 
tomie, aber keine Exstirpatiou vorgenommen und doch eine Wirkung 
eingetreten ist. 

Im Ganzen spricht aus der Schrift die Erfahrung eines Mannes, 
der selbst gesehen und gut beobachtet hat, so dass sie verdient, 
von den Collegen gelesen zu werden. 

Zweifel. Die Stielbehandlung bei der Myomeetomie. 140 S. 

5 Mark. Stuttgart, Ferd. Enke, 1888. — Ref. Flaischleu. 

Zweck der Monographie Zweifel’s ist es, die Fachgenossen 
mit einer Nahtmethode bekannt zu machen, die er in mehreren 
Fällen von Myomeetomie mit intraperitonealer Stiel Versorgung mit 
Erfolg angewandt hat. 

In der Einleitung schlägt Zweifel vor, die von Schroeder 
eingeführte Bezeichnung Myomotomie zu ersetzen durch die ihm 
passender scheinende: Myomeetomie, und für die Myomeetomie mit 
Entfernung des gauzen Uteruskörpers den Namen Hysteromyomec- 
tomie einzuführen. 

Er giebt ferner einen geschichtlichen Ueberblick über die Ent¬ 
wickelung der Myomotomie bis zu ihrem jetzigen Stande und be¬ 
tont, dass die Frage noch nicht endgültig entschieden sei, welcher 
von beiden Arten der Stielversorgung — der extraperitonealen, 
mit Einnähen des Stieles in die Bauchwunde, oder der intra¬ 
peritonealen mit Versenkung des Stieles in die Bauchhöhle — der 
Vorzug zuzuerkennen sei. 

Dass die intraperitoneale Methode als die idealere anzusehen 
ist — wie dies Schroeder vor allen zu wiederholten Malen aus¬ 
gesprochen hat —, war der Standpunkt, dem auch Zweifel hul¬ 
digte. Um dieselbe möglichst sicher und gefahrlos zu gestalten, 
wandte er die „fortlaufende Partieenunterbindung“ an. 
Der Uterusstumpf wird iu verschiedenen Partieen von etwa Finger¬ 
breite mit einer gestielten Schiebernadel unterbunden und dann 
durch vorher abpräparirte Peritoneallappen verdeckt. Die näheren 
Einzelheiten der Methode müssen im Original nachgesehen werden. 
Zweifel näht am liebsten mit Seide. Von der Drainage des 
Douglas ist er, wie auch andere Operateure, zurückgekommen. 
Er hat 10 Fälle intraperitoneal mit fortlaufender Partieenligatur 
behandelt und nur einen Todesfall zu beklagen gehabt, während 
er unter den ersten von ihm mitgetheilten 12 Fällen (nach ver¬ 
schiedenen Methoden, meist extraperitoneal operirt) 5 verloren hatte. 
Zweifel glaubt, was Schroeder schon vor Jahren aussprach, 
dass die intraperitoneale Behandlung des Stieles bei Myomotomie 
ebenso den Platz als alleingültige Methode sich erobern wird, wie 
sie dies bei der Ovariotomie erreicht hat. Er hat deshalb auf die 
Etagennaht Schroeder’s bei Myomotomie verzichtet, weil er die 
Unsicherheit der Blutstillung fürchtet. Jedoch nur einen einzigen 
Fall hat Zweifel nach Schroeder’s Methode operirt, und er liess 
sich durch den lethalen Ausgang desselben abschrecken. Dass die 
Etagennaht, wie sie von Schroeder ausgebildet wurde, nicht so 
unzuverlässig ist, wie Zweifel sie hinstellen möchte, beweisen die 
guten Resultate von Schroeder, A. Martin n. A., welche die¬ 
selben in einer nach Hunderten zählenden Reihe von Myomotomieen 
erzielt haben. 

Den Schluss der Mittheilung bildet eine Zusammenstellung von 
408 Fällen von Myomectomieen, welche Zweifel aus der Literatur 
zusammengestellt hat. _ 


H. Schmidt-Simpler. Augenheilkunde und Ophthalmoskopie. 

Für Aerzte und Studirende. 3. verbesserte Auflage. Braun¬ 
schweig, Friedrich Wreden, 1888. — Ref. Horstmann. 

Wohl selten hat eiu Handbuch eine so erfreuliche Aufnahme 
erfahren, wie das von Schmidt-Rimpler, welches im Laufe von 
4 Jahren drei Auflagen erlebt hat. Dasselbe verdient eine solche 
im höchsten Maasse, da es gerade die den Arzt und Studirenden 
interessirenden Fragen in vorzüglicher Weise zur Anschauung bringt. 
Die jetzt erschienene 3. Auflage ist einer sorgfältigen Durchsicht 
untereogen und der beständigen Erweiterung unserer Kenntniss ent¬ 
sprechend geändert und mit Zusätzen versehen worden. 


Dr. J. F. Homer. Ein Lebensbild geschrieben von ihm 
selbst, ergänzt von Dr. E. Landolt. Frauenfeld, J. Huber’s 
Verlag, 1887. — Ref. Horstmann. 

Vorliegende Selbstbiographie hat Horner speciell für seine 
Kinder geschrieben. Das Manuscript, welches nach seinem Tode 
vorgefunden wurde, war von ihm 1886 begonnen worden, leider 


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4. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


823 


konnte er es nur bis zum Jahre 1859 fortffthren. Sein Freund und 
Schüler Landolt ergänzte es darum bis zu seinem Tode und über¬ 
gab es der Oeffentlicbkeit. Die Biographie des im Hochsommer 
seines Lebens verstorbenen Meisters in der Ophthalmologie zeigt 
uns denselben nicht nur in seiner Trefflichkeit als Arzt, Berather 
und akademischer Lehrer, sondern auch als Charakter und Menschen¬ 
freund. Das Werk ist ein werthvoller Beitrag zur Vervollständigung 
der Lebensgeschichte dieses hervorragenden Mannes, und wir sind 
Dr. Landolt für die Vervollständigung derselben und der Wittwe, 
dass sie die Herausgabe gestattete, zu grossem Danke verpflichtet. 


Ph. Sohech. Die Krankheiten der Mnndhöhle, des Rachens 
und der Nase etc. 2. Auflage. 324 S. Leipzig und Wien, Töp¬ 
litz und Deuticke, 1888. Ref. Max Schaeffer (Bremen). 

Als die 1. Auflage dieses Werkchens 1884 erschien, stellte 
Ref. demselben ein äusserst günstiges Zeugniss und gutes Prognosticon 
aus. Das erstere fand in einer englischen Uebersetzung als das 
Urtheil sogar fremder Fachgenossen seinen Ausdruck, das letztere 
bewahrheitete sich durch die so rasch nothwendig gewordene 2. Auf¬ 
lage. Verfasser hat also offenbar allen Anforderungen Derer ge¬ 
nügt, für die es bestimmt ist, für praktische Aerzte und Studi- 
rende. Damit möchte Ref. aber nicht gesagt haben, dass es den 
Anforderungen seiner Fachcollegen nicht entsprochen; im Gegen- 
theil hat, wie sich Ref. wenigstens denkt, gerade ihr immerhin 
maassgebendes günstiges Urtheil dem Werkchen den Weg in die 
weiteren ärztlichen Kreise gebahnt. — Das Werkchen hat sich um 
fast 100 Seiten vergrössert durch Einschiebung neuer Kapitel, durch 
ausführlichere Behandlung des gegebenen Stoffes. — In beiden 
Theilen hat Verfasssr den richtigen Takt bewährt und das Ziel, den 
Zweck seines Werkes immer deutlich vor Augen gehabt. 

Bei den Krankheiten der Mundhöhle ist eingeschoben eine all¬ 
gemeine Therapie derselbeu und die Leukoplakia oris. Die Krank¬ 
heiten der Speicheldrüsen sind abgesondert besprochen, und hier 
die Parotitis epidemica, die Erkrankungen der Submaxillaris und 
Sublingualis hinzugefügt. Die Krankheiten der Nase haben durch 
Besprechung der Rhinitis gangränosa eine Bereicherung erfahren. 
Ein wesentlich erweitertes Kapitel nehmen die Krankheiten der 
Nebenhöhlen ein. 

Die neue Auflage ist auch mit Abbildungen reicher bedacht: 
1. Vergrössertes Bild des Nasenrachenraumes von vorn nach Zau- 
fal. 2. Zweielementige Zinkkohlentauchbatterie nach v. Bruns. 
3. Adenoide Wucherungen mittleren Grades. 4. Ringmesser von 
Gottstein. 5. Ringmesser von Lange. 6. Ansicht der rechten 
Nasenhöhle und des Nasenrachenraumes.^ 7. Einfache und polypoide 
Hypertrophie der hinteren Muschelen*n. 8. Vom Vomer aus¬ 
gehender Nasenrachenpolyp. 9. Vom Keilbein ausgehender Nasen¬ 
rachenpolyp. Zusammen mit den früheren 5 Abbildungen genügen 
dieselben jetzt allen gerechten Ansprüchen. 

Auf Näheres einzugehen verbietet hier der Raum. Nur soviel 
sei gesagt, dass Verfassers gediegenes Urtheil in einer grossen Praxis 
erworben und erprobt und nicht auf theoretischem Wege gewonnen 
ist, und dass seine Fachgenossen ihn als eine Zierde ihres Special¬ 
faches achten. So möge das Werk ebenso viele Verehrer finden in 
seiner neuen Gestalt, wie es sich im älteren Gewände erworben hat. 


X. Greifswalder medicinisclier Verein. 

Sitzung am 4. August 1888. 

Vorsitzender: Herr Schirmer; Schriftführer: Herr Peiper. 

Als Gast anwesend: Herr Hans Schmid (Stettin). 

1. Herr Mosler stellt einen mittelst Thermocauters völlig 
geheilten Lungeneohinococous vor bei einem 32 Jahre alten 
Schlächter aus Rügen, der, nachdem er vor 7 Jahren an den Er¬ 
scheinungen von Lungenentzündung während 8 Wochen behandelt 
worden war, mit Haemoptoe grosse Mengen von Echinococcusblasen 
während mehrerer Monate entleert hatte, dadurch körperlich sehr 
heruntergekommen war. Auf Veranlassung von Herrn Mosler 
wurde in dem rechten unteren Lungenlappen durch Herrn Professor 
Paul Vogt mittelst Einführen eines Thermocauters an der be¬ 
zeichnten Stelle eine vollständige Verödung des Echinococcus¬ 
sackes herbeigeführt. In den seitdem verflossenen 6 Jahren hat 
der Kranke weder Echinococcusblasen wieder ausgehustet, noch 
überhaupt krankhafte Erscheinungen von Seiten der Lungen dar¬ 
geboten. Auch konnte mittelst physikalischer Untersuchung bei 
der Demonstration eine Anomalie der rechten Lunge nicht nach¬ 
gewiesen werden. 

Herr Hoffmann: Dem Vortrage des Herrn Mosler möchte 
ich die kurze Krankengeschichte eines Falles von Lungenechinococcus 
hinzufügen, den ich im vorigen Jahre operirt habe. 

Der Böttcher Moritz K. von hier, 42 Jahre alt, wurde am 27. Sep¬ 
tember vorigen Jahres auf die chirurgische Abtheilung aufgenommen. Nach 
seiner Angabe war er, bis dahin stets gesund, vor zwei Jahren an einer 


linksseitigen Brustfellentzündung erkrankt, die einmal recidivirte. Seine 
jetzige Erkrankung begann im August v. J. mit starken Schmerzen in der 
linken Seite, Erbrechen und quälendem Husten. Der bis dahin spärliche 
Auswurf sei seit 8 Tagen sehr copiös und übelriechend geworden. Vor 
2 Tagen wurde der Kranke auf die raedicinische Abtheilung aufgenommen, 
wo die Diagnose auf ein verjauchtes pleuritisches Exsudat mit Perforation 
in einen Bronchus gestellt wurde. Da trotz der Expectoration des ange¬ 
nommenen Empyems der Kranke immer mehr verfiel, wurde er zur Operation 
auf die chirurgische Abtheilung verlegt. 

Status praesens: Mittelgrosser Mann von kräftigem Körperbau aber 
sehr verfallenem Aussehen und hochgradiger Abmagerung. Bei starker 
Dyspnoe beständiger Husten mit reichlichem Auswurf von dünnflüssiger, 
graubräunlicher, aashaft stinkender Flüssigkeit. Der Operationssaal ist 
sofort von dem Fötor erfüllt. Die linke Thoraxseite ist nicht merklich aus¬ 
gedehnt, die Intercostalräume sind nicht vorgewölbt oder abgeflacht, die 
Athmungsexcursionen links geringer wie rechts. Liuks oben, vorn und 
hinten tympanitischer Percussionston. Links hinten unten in der Höhe 
der 6. und 7. Rippe in der Scapularlinie findet sich eine dreifingerbreite, 
undeutliche Dämpfung. Das Herz ist nicht nach rechts verdrängt. Die 
Auscultation, welche wegen des beständigen Hustens erschwert ist, ergiebt 
über der tyrapanitischen Partie metallisch-amphorisches Athraen, über der 
Dämpfung kein Athmungsgeräusch. Mehrere an der gedämpften Partio 
ausgeführte Probepunctiouen ergaben ein negatives Resultat. 

Es wird die Diagnose auf Lungenabscess (Gangrän?) mit Perforation 
in einen Bronchus gestellt und behufs Auffindung und Drainage desselben 
zur Rippenresection geschritten. 

Die Narkose ist wegen des ununterbrochenen Hustens sehr schwierig. 
Die oben beschriebene Dämpfung verschwindet während derselben an¬ 
scheinend durch die reichliche Expectoration vollständig. In der hinteren 
Axillarlinie wird von der 6. Rippe ein 6 cm langes Stück resecirt. Die 
vorliegende Pleura ist anscheinend sehr verdickt. Nach einer kleinen In- 
cision wird dieselbe mit der Kornzange stumpf perforirt. Nach Durch¬ 
trennung einer l cm dicken Schicht entleert sich schaumiges Blut, welches 
mit dem Sputum ähnlichem Secret gemischt ist. In die entstandene 4 bis 
5 cm lange Oeffnung stellt sich sofort, durch einige Hustenstösse hervor¬ 
getrieben, eine grosse flottirende Blase ein und fliegt, ehe sie noch mit 
einem Instrument gefasst werden kann, unter einigen kräftigen Exspirations- 
stössen in toto aus der klaffenden Pleurawunde heraus. Die Blase, welche 
sich als einkammeriger Echinococcussack erweist, ist gut erhalten und hat 
nur eine Oeffnung da, wo sie mit einem Bronchus communicirt haben 
muss. Aufgebläht hat sie die Grösse eines Strausseneies. Durch den ein¬ 
geführten Finger sowie durch das Auge lässt sich constatiren, dass der 
Sack mitten im Lungengewebe lag, mithin ein Echinococcus der Lunge mit 
Verwachsung der Pleurablätter und eine Perforation desselben in einen 
Bronchus vorhanden war. Um den Sack herum bestand eine gangränöse 
Entzündung des Lungengewebes. 

Da Injectionen in die Höhle stark irritirend, Hustenstösse auslösend 
wirkten, so wurde von einer Ausspülung Abstand genommen und ein 
doppeltes mit Jodoformgaze umwickeltes Drain eingeführt. Darüber Lister- 
gaze-Holzwolleverband. 

Befinden am Abend gut, keine Temperatursteigerung. Hustenreiz 
sehr gering, Auswurf gar nicht mehr vorhanden. Grosse subjective Er¬ 
leichterung. 

Wegen starker Secretion muss in den nächsten Wochen der Verband 
alle 2—3 Tage gewechselt werden. Der Fötor des Secrets war nach einigen 
Tagen verschwunden. Die Höhle schliesst sich verhältnissmässig langsam. 

Am 25. November wird der Kranke mit vollkommen geschlossener 
Wunde entlassen. Die linke Thoraxseite bleibt bei der Athmung etwas 
zurück. Der Percussionsschall über der afficirt gewesenen Lungenpartio ist 
normal. Die Athmung klingt etwas rauh. 

Bei einer Untersuchung im August dieses Jahres konnte ich das Wohl 
befinden des Geheilten constatiren. Beschwerden von Seiten der Lunge und 
Pleura sind nicht aufgetreten. Percussion und Auscultation ergeben nichts 
Besonderes. An der Stelle, wo die Rippenresection gemacht war, findet 
sich als einziges Residuum der überstandenen Krankheit eine eingezogene 
Narbe. 

Wir haben es also in unserem Falle mit einem Lungenechino¬ 
coccus zu thun, der im linken unteren Lappen seinen Sitz hatte. 
Es war anscheinend ziemlich früh unter dem Bilde einer recidivi- 
renden Pleuritis eine Verwachsung der beiden Pleurablätter zu 
Stande gekommen. Die vorhandene Dämpfung veranlasste in Ge¬ 
meinschaft mit den pleuritischen Erscheinungen die Annahme einer 
exsudativen Brustfellentzündung und später eines Empyems. Die 
um den Sack sich abspielende deraarkirende Entzündung verursachte 
das Auftreten einer putriden Bronchitis, die Perforation des Sackes 
in einen Bronchus die Expectoration eines sehr copiösen, stinkenden 
Secrets. Der Zerfall des den Echinococcus umgebendeu Lungen¬ 
gewebes erzeugte den penetranten, für Lungengangrän charakteristi¬ 
schen Geruch. Die Probepunctionen, welche nach Perforation des 
Sackes ausgeführt wurden, blieben wegen mangelnder Füllung oder 
der Schlaffheit desselben resultatlos. Nach Lage der Verhältnisse 
wäre der Kranke ohne die Operation verloren gewesen, da eine 
Expectoration des Sackes durch den Bronchus nicht erwartet werden 
konnte. 

Die Diagnose konnte vor der Operation nur auf Lungenabscess 
gestellt werden, da im Sputum keine Blasen oder Scolices gefunden 
waren, und die durch den charakteristischen Fötor nahegelegte Be¬ 
theiligung der Lungen an dem Eiterungsprocess ein einfaches Empyem 
ausschloss, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40 


2. Herr Solger giebt eine Zusammenstellung der zur Fixirung 
von Mitosen (indirekten Kerntbeilungsfiguren) von verschiedenen 
Forschern empfohlenen Beagentien sowie der zugehörigen Färbungs¬ 
methoden und charakterisirt kurz die Vorzüge, welche die ein¬ 
zelnen Vorschriften bieten, und etwaige Mängel oder Nachtheile der¬ 
selben. Es werden aufgeführt: 

I. Flemming’s Chromosmiumessigsäuregeraische, ein schwäche¬ 
res und ein stärkeres. Schwächere Mischung: 1% Osmiums 
10 Raumth., 1% Chroms 25 Raurath., 2% Essigs 5 Raumth., 
Wasser 60 Raumth., Stärkere Mischung: 1% Chromsäure 15 
Maassth., 2% Osmiumsäure 4 Maassth., Eisessig 1 Maassth. oder 
weniger. Nach Umständen zu verdünnen. Zusatz von Sublimat 
(Lösen der krystallinischen Chromsäure in l / 2 °/o Sublimatlösung) 
befördert das Eindringen dieser Flüssigkeit in die Gewebe (Pod- 
wyssozki); freilich färben sich die Schnitte auch schlechter. 
Flemming empfiehlt neuerdings zu demselben Zwecke die An¬ 
wendung eines Schüttelapparates (Arch. f. mikr. Anat., Bd. 29, 
p. 398, Anm.). Waschen in Wass., Nachhärten in Alk. (nicht 
über 2 Tage). Färb, in Safranin: 1 Th. Safr. in 100 Th. Alk. 
gelöst, nach einigen Tagen 200 Th. Wasser zugesetzt (Pfitzner). 
Auswaschen in salzs. Alk. ( 8 —10 Tropfen reine Salzsäure auf 
100 Th. Alk. absol., nach V 2 —2 Minuten in Alk. abs. auf 1 —2 
Minuten, Nelkenöl, Damarharz. 

II. Flemming's Chromessigsäure mit nachfolgender Hämatoxy- 
linfärbung, empfohlen zum Nachweis der achromatischen Spindel. 
(Mischung von 0,2—0,25% Chroms, und 0,1 % Essigs.). 

III. Platinchlorid, i/ 3 % Rabl. Färbung mit Hämatoxylin,Safranin. 

IV. Salpetersäure, von Altmann besonders zur Fixirung von 
Kerntheilungsfiguren bei Embryonen warmblütiger Thiere empfohlen. 
Man lasse eine 3 — 3 '/ 2 % Lösung (sp. Gewicht 1,02) *, 4 —4 Stunden 
einwirken. Aus der Säure direkt in starken Alkohol, Färbung in 
Hämatoxylin oder Alauncarmin (Schloesser; 0. Schirmer). 

V. Alkohol, entweder concentrirt oder in allmählich steigender 
Concentration, Arnold, Bizzozero. Bizzozero und Vasale 
(Virch. Arch. Bd. 110, p. 160) fixiren Drüsenstücke von Säuge- 
thieren in Alkoh. abs., Färbung mit Ehrlich’s Gentianaviolett für 
Tuberkelbacillen, Fixiren der Färbung in den Mitosen durch Chrom¬ 
säure oder successive durch Jod und Chromsäure. Canalis (Intern. 
Monatsschr. f. Anatomie, Bd. III, p. 205) fixirt die Mitosen regene- 
rirten Lebergewebes (Hund, Kaninchen, Meerschweinchen) in zur 
Hälfte mit Wasser verdünntem Alkohol, den er nach 24 Stunden 
mit reinem Alkohol (38°) vertauscht. Färbung mit Carmin oder 
nach der Gram’schen, durch Bizzozero modificirten Methode. 
Zusatz von Sublimat zu Alkohol empfiehlt Fiedler (Zeitschr. f. 
wissensch. Zool, B. 47) nach folgenden Verhältnissen: 1 Theil kalt 
gesättigter Sublimatlösung, 1 Tb. 70% Alk., 1 Th. dest. Wasser. 
Auswaschen mit verdünntem Alkohol. 

Zum Schlüsse handelt Vortragender von der Topographie der 
Mitosen. In den allermeisten Fällen lassen sich an Localitäten, an 
denen neue Zelleügenerationen auftreten, wo wir also Mitosen von 
vornherein erwarteten, auch solche nachweisen, z. B. im Bereiche 
der Wucherungszone und der Richtungsschicht des ossificirenden 
Epiphysenknorpels (Leser, 1888). Daneben sind aber nicht 
wenige Erfahrungen bekannt geworden, an denen, wie an regenerirten 
Epithelstrecken der Cornea, Mitosen ganz oder doch im Anfänge 
der Wundheilung vermisst wurden. Hier vollzog sich die Aus¬ 
füllung des Defects entweder durch Zellen, die auf dem Wege der 
direkten, amitotischen Theilung entstanden waren (Mayzel 1884, 
Fraisse 1885), oder es war zu einer Verschiebung oder zu einem 
Vordrängen des Epithels von allen Seiten her nach der Richtung 
des Defectes hin gekommen, wie Neese meint. Die Ausfüllung 
des Defectes wäre somit auf ausgedehntere, vom Orte des Trauma 
entferntere Strecken übertragen, auf sie gleichsam vertheilt worden. 

(Fortsetzung folgt.) 

XI. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 3. April 1888. 

Vorsitzender: Herr Oehrens; Schriftführer: Herr Nonne. 

1. Herr Eisen loh r demonstrirt ein Präparat von Aneurysma der 
Aorta descendens. Patient, ein 36jähriger Tischler, kam vor 
•74 Jahren auf mit den physikalischen Zeichen einer Aorteninsuf- 
ficienz; später gesellten sich neuralgische Schmerzen im Gebiet der 
untersten Intercostalnerven der rechten und linken Seite dazu; es 
wurde die Vermuthungsdiagnose auf ein Aneurysma der Aorta tho¬ 
racica gestellt. Seit Anfang dieses Jahres entwickelten sich Sym¬ 
ptome einer Stauung ira kleinen Kreislauf, cs traten typische An¬ 
fälle von Asthma cardiacum auf. 2 Tage ante mortem erfolgten 
unter peritonitischen Erscheinungen viele, ca. 20, blutige Stühle; 
der Tod erfolgte im Collaps. Es wurde eine Embolie einer Art. 
mesenterica diagnosticirt. 

Die Section ergab eine Hypertrophie und Dilatation des 
richten und linken Herzens, eine chronische Endarteriitis der Aorta¬ 


klappen und des Anfangstheils der Aorta ascendens; an der Aorta 
descendens fand sich in der Höhe des 9. bis 11. Brustwirbels eine 
starke sackförmige Erweiterung, welche die linke Hälfte der Wirbel¬ 
körper usurirt hatte. Die grösseren Art. mesentericae fanden sich 
frei; einzelne Partieen des Darms, besonders im S Romanuro. 
zeigten beginnende Gangrän; die zu diesen Partieen des Darms 
gehörigen Venen des Gekröses waren durch Thromben verstopft. 


2. Herr Unna demonstrirt zwei seltene Hauterkrankungen. 

a) Einen Fall von Ulcus rodens. Der 52 jährige Patient be¬ 
merkte vor 11 Jahren einen rothen Fleck auf seiner linken Wange, 
der 3—4 Jahre unverändert blieb, um dann langsam bis zur Grösse 
eines Fünfmarkstückes anzuwachsen. Dabei blieb der Fleck stets 
scharf umrandet, eben, ohne Zerfall; nur selten war geringes Nässen 
wahrzunehmen. 1882 wurde die kranke Stelle zum ersten Male, 
1884 im Laufe von 10 Wochen zum zweiten und dritten Male aus¬ 
gekratzt. Stets folgte auf jede Operation ein Stillstand mit an¬ 
scheinender Tendenz zur Ueberhäutung des Geschwürs, aber nach 
einigen Wochen war Alles beim Alten. Entmuthigt wandte sich 
Patient in den letzten Jahren der Behandlung irregulärer Thera¬ 
peuten zu, welche seinen „Lupus“ zu heilen versprachen. 

Beim Eintritt in Unna’s Klinik zeigte der ziemlich herab¬ 
gekommene Patient eine handgrosse Ulceration, welche die ganze 
linke Backe, von oberhalb der Augenbrauen, die seitlichen Be¬ 
deckungen des linken Auges mitergreifend, bis tief an den Unter¬ 
kieferrand hinunter einnahm. Diese grosse Fläche war zum Theil 
tief eingesunken, mit anscheinend frischen Granulationen hoch über¬ 
wuchert. Wahrscheinlich ist das Os frontis und zygomaticum be¬ 
reits von dem krebsigen Processe ergriffen; trotzdem sind keine 
Drüsenschwellungen vorhanden. Der bisherige Verlauf ist besonders 
dadurch interessant, dass eine Reihe transplantirter Oberhautstücke 
auf dem Geschwürboden auffallend gut anheilten. Im Anschlüsse 
hieran bespricht Unna kurz die Differentialdiagnose zwischen Ulcus 
rodens einerseits, Lupus, Syphilom und gewöhnlichem Carcinom der 
Haut andrerseits. 

b) Einen Fall von Urticaria pigmentosa. Derselbe, ein halb¬ 
jähriges Kind, bietet verschiedene Eigenthümlichkeiten gegenüber 
den bisher beschriebenen Fällen und auch demjenigen, welchen 
Unna vor drei Jahren der Gesellschaft vorstellte, dar. Erstens ist 
bei dem Kinde nach der glaubwürdigen Aussage der Mutter die 
Affection schon in geringem Umfange bei der Geburt vorhanden 
gewesen, also sicher intrauterin entstanden. Sodann sind die Flecken 
im Gesicht und auch einige ain Körper sehr erhaben und dabei 
gelb gefärbt, so dass man unwillkürlich an Xanthelasma erinnert 
wird. Der Fall eröffnet somit ein Verständniss der auffälligen Be¬ 
nennung Xanthelasmoidea, welche TilburyFox seiner Zeit der 
Affection gab. Endlich leidet das Kind au zeitweise, ohne er¬ 
kennbare äussere Veranlassung auftretenden nervösen Anfällen, 
welche sich durch dunkelcyanotische Verfärbung der Gesammthant, 
auf der die Flecke alsdann weiss hervortreten, durch Athemnoth 
und allgemein verbreiteten Juckreiz charakterisiren. Hat man irgend 
einen Fleck vor solcher Attaque durch Bestreichen gereizt, so ent¬ 
wickelt sich auf demselben später nicht wie sonst lediglich eiuc 
Quaddel, sondern eine acute Blasenerhebung der Hornschicht. 


Herr Arning bemerkt, dass auch ihm der demonstrirte Fall bekannt 
sei, und dass er vollständig mit Herrn Unna in der Diagnose überein- 
stimmo, wenn auch der Fall einige Abweichungen von dem bisher beschriebe¬ 
nen Bilde der Urticaria pigmentosa biete. Dahin rechne er neben der von 
Herrn Unna hervorgehobenen Blasenbildung das Bestehen von Efflores- 
cenzen auf der Kopfhaut. — Zur Bestätigung des von Herrn Unna ver¬ 
langten, bereits intrauterinen Vorhandenseins der Affection könne er an¬ 
führen, dass er das Kind beobachtet habe, wie es erst 5 Wochen alt war, 
und dass schon damals so starke Pigmentationen bestanden bätten,_ dass 
auf ein Bestehen der Krankheit in utero hätte geschlossen werden müssen. 
Das Kind wäre damals schlecht genährt und die Intensität der Erscheinungen 
stärker gewesen, als sie jetzt zu demonstriren seien. Besonders auffällig 
sei das bei geringen Anlässen schon eintretende allgemeine Erythema 
fugax gewesen, bei dem es regelmässig innerhalb weniger Minuten zur hohen 
Quaddelbildung auf allen und zur Blasenbildung auf den direkt gereizten 
Stellen gekommen sei. Dass es sich bei diesem allgemeinen Erythem vi- 
gleich auch um weitere nervöse Störungen gehandelt habe, glaube Arning 
daraus schliessen zu müssen, dass das Kind bei jedem derartigen Anfa 
einen ängstlichen Gesichtsausdruck mit etwas vergrösserten Pupillen un 
leichter Protusion der Bulbi bekommen habe, dem sich dann eigenthumhf 
atlietotischo Bewegungen der Kinnmuskulatur und rasch eintretende feuc 
Rasselgeräusche in den hinteren Lungenabschnitten angeschlossen hätten- 
In Bezug auf die Therapie verordneto Arning bessere Ernährung er 
stillenden Mutter und Ueberziehen der Urticariastellen mit Collodium 
Unter dem gleichmässigen Drucke der Collodiumschicht sanken die penua 
nent bestehenden, lividwächsernen und einem Xanthelasma allerdings s ^ 
ähnlichen Urticariaöderae unter das Niveau der weichen kindlichen H* ul 
und liefen auch bei Hervorrufung eines Anfalles nicht auf. — £ u . 

Wirkung der von Herrn Unna angewandten Resorcinpflaster dürfte 
wohl mehr auf den gleichmässigen Druck als auf eine medicamentose 
kung des Pflasters zu beziehen sein. Thor#* 

Herr Unna antwortet, dass er bisher die Rasselgeräusche am * 


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4. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


825 


nicht beobachtet habe, im Uebrigen aber sich noch nicht für eine der beiden 
möglichen Annahmen entscheiden könne, ob die Athemnoth durch eine all¬ 
gemeine Hyperämie der Bronchialschleimhaut oder durch eine umschriebene 
Schwellung der Kehlkopfschleimhaut entstehe. 

3. Herr F. Wolff beginnt seinen Vortrag über die Cerebro- 
spinalmeningitis in Hamburg. (Der Vortrag ist in No. 38 dieser 
Wochenschrift in extenso publicirt worden.) 


XD. Verhandlungen des 66. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

(Originalbericht.) 

(Fortsetzung aus No. 39.) 

E. Pathologie. 

Nach einer Ansprache des Präsidenten, Sir William Aitken, hielt 
Crookshank einen Vortrag über tuberculöse Kuhmilch. Er hatte die 
Milch von zwei Kühen mit unzweifelhafter Tuberculöse untersucht; in beiden 
Fällen war der Euter afficirt, hart und knotig. Er Hess die Milch stehen, 
präparirte eine kleine Menge auf Deckgläschen und fand bei Färbung 
massenhafte Tuberkelbacillen. Post mortem fanden sich tuberculöse Processe 
bei den Thieren. Etwas von der Milch wurde mit anderen Nahrungsmitteln 
vermischt und Kaninchen eingegeben, welche nach einigen Monaten an 
Diarrhoe starben, worauf tuberculöse Ulceration des Darmes und Affection 
der mesenterischen Drüsen entdeckt wurde. 

Crookshank hält den Tuberkelbacillus der Kuh für identisch mit 
dem des Menschen, und da offenbar Milch aus tuberculösen Eutern oft auf 
den Markt kommen muss, empfiehlt er, dass sofort ein Gesetz dagegen er¬ 
lassen werden sollte. Die Krankheit des Euters ist nicht bloss ein Local¬ 
zustand, sondern Theilerscheinung einer allgemeinen Tuberculöse. Die 
Wichtigkeit derselben beruht besonders darauf, dass, wenn der Euter nicht 
leidet, keine Bacillen in der Milch gefunden werden. Schlächter verkaufen 
oft Fleisch, von dem sie wissen, dass es tuberculös ist, doch würde das 
Kochen in diesem Falle es unschädlich machen, während ein solches Sicher¬ 
heitsventil für Milch nicht existirt, welche so häufig ungekocht genossen 
wird. Uebrigens sei es noch nicht einmal ganz sicher bewiesen, dass 
Kochen die Bacillen in der Milch zerstört, obwohl dies gemeiniglich ange¬ 
nommen wird. 0. bezweifelt die Annahme Klein's, dass die Grösse der 
Bacillen bei Menschen und Rindvieh variire, und erklärt Klein’s desfall- 
sige Beobachtungen für Resultate unzureichender Methoden. Er selbst 
habe gefunden, dass der Bacillus in der Milch, in Grösse sowohl als allge¬ 
meinem Aussehen, mit dem des tuberculösen Sputum identisch sei. Impfen 
mit Sputum und Milch setzten dieselben krankhaften Veränderungen und 
dieselben Bacillen bei Kaninchen. Ob das Schwein auch der Tuberculöse 
unterworfen, sei noch streitig; er habe jedoch einen Fall beobachtet, in 
welchem das betreffende Thier an Husten, Verstopfung und Entfärbung der 
Haut litt, jedoch ohne Temperaturerhöhung. Post mortem fand er Läsionen, 
welche dem unbewaffneten Auge wie Lymphadenoma erschienen, die sich 
jedoch bei mikroskopischer Untersuchung durch die Anwesenheit zahlreicher 
typischer Bacillen als tuberculös erwiesen. 

Crookshank sprach dann weiter über menschliche und beim Ochsen 
vorkommende Aktinomykose. Unter den von ihm erwähnten Fällen war 
der eines Kalbes mit einer 8x10 Zoll grossen Geschwulst in der Gegend 
der Parotis. Dieselbe entleerte aus mehreren Sinus eine Masse gelblichen 
muco-purulenten Eiters, welcher sich bei der Untersuchung als mit Akti- 
nomykosis behaftet herausstellte. Das Thier wurde getödtet und zeigte die 
gewöhnlichen Erscheinungen; in den Lungen, besonders der linken, Knötchen 
am Rande sowohl wie in der Substanz der Lappen. Dieselben sahen 
wie tuberculöse Ablagerungen aus, doch stellten sie sich bei mikroskopischer 
Untersuchung als aktinomykotisch heraus. Die Nieren, Uterus, Eierstöcke 
und Zunge waren gesund. Bei Nachfrage unter den Züchtern kam heraus, 
dass diese Krankheit in den Marschen sehr häufig, und unter gewissen 
volksthümlichen Namen, wie Wen, Stickfast u. s. w., längst bekannt sei. 
Es gäbe Verschiedenheiten, je nachdem der Mensch oder Thiere behaftet 
seien. Beim Menschen Hesse sich leicht ein Mycelium demonstriren, während 
Keulen nur schwer aufzufinden seien: dagegen Hessen sich bei Tbieren die 
Keulen leicht nachweisen; anstatt zur Bildung des Mycelium käme es aber 
eher zur Verkalkung. Es wäre daher die Frage, ob zwei verschiedene 
Organismen existirten, oder ob diese Verschiedenheit auf dem verschiedenen 
Nährboden bei Menschen und Vieh beruhten. Er hätte zahlreiche Culti- 
vationsversuche gemacht, welche aber bis jetzt nicht gelungen wären. 

Crookshank sprach schliesslich noch über den Anthrax bei Schwei¬ 
nen. Es sei zugegeben, dass Schweine sterben, wenn sie den Abfall von 
an Anthrax leidendem Rindvieh gefressen haben; doch variirten die An¬ 
sichten noch über die Todesursache, indem dieselbe von einigen als sep¬ 
tische Vergiftung angesehen würde. Untersuchte man solche Schweine, so 
fände man, dass sie in der höchst auffallenden Anschwellung der Kehle, 
welche sie charakterisirte, eine Masse gallertartiger subcutaner Infiltration 
enthielten. Die Tonsillen seien ulcerirt und in der That brandig. Dies 
hätte der Vortragende experimentell nachgewiesen. Er hätte gleichfalls 
gleiche Theile von Bouillon und Blut aus der Milz von Kühen, die an An¬ 
thrax gestorben seien, subcutan injicirt. In solchen Fällen käme es zu be¬ 
deutender Infiltration in der Kehle und dem Bauche, je nachdem die eine 
oder die andere Gegend als Injectionsstelle benutzt würde. Die Thiere krepirten, 
und man fände bei der Untersuchung purpurfarbige Flecke auf der Leber 
und localo Schwellungen in der Milz. Aehnliche Resultate erhielte man, 
wenn die Injectionsflüssigkeit von Meerschweinchen genommen würde, die 
an Anthrax eingegaugen seien, ebenso wenn die Flüssigkeit aus reinen 
Agar-Agar-Culturen entnommen würde. Entnähme man die Organismen von 
todten Schweinen, so könnte man wieder Anthrax damit bei Meerschweinchen 


erzeugen. Die^e Resultate wurden durch einen Fall bestätigt, in welchem 
festgestellt werden konnte, dass die Milz einer Kuh, welche Anthrax 
gehabt hatte, von gewissen Schweinen auf demselben Meierhof gefressen 
war. Die letzteren litten dann ganz in der oben angeführten Weise. 
Bacillen wurden von diesen Organen entnommen, cultivirt, und erzeugten bei 
anderen Thieren die nämliche Krankheit. In spontanen Fällen sei keine an¬ 
dere Ansteckungsweise als durch Fressen nachzuweisen gewesen. Die An¬ 
schwellung in der Kehle rühre wahrscheinlich von dem Fressen des Abfalls 
her, und der Bacillus dringe wohl durch die ulcerirten oder nekrotischen 
Tonsillen in den Organismus ein. Wo dagegen Einspritzung die Krankheit 
herbeiführte, würde die Infiltration von der gewählten Stelle beeinflusst. 
Der Stichcanal wäre dann brandig, und es fände starke Exsudation in der 
Umgebung statt. Die Incubationszeit wäre verschieden: in einem Falle trat 
der Tod innerhalb 24 Stunden ein, in anderen nach 4 bis 5 Tagen. Man 
müsste indessen bei diesem Experimente eine hinreichende Dosis geben; 
uml wo dieselben nicht gelungen seien, rührte dies wohl daher, dass die 
Dosis zu schwach gewesen war. (Fortsetzung folgt.) 

XUI. Jouraal-Revue. 

Psychiatrie und Neurologie. 

3. 

S. R. Hermanides. Hirnrindeuverletzung und Dia¬ 
betes. Weekblad v. h. Nederl. Tijdschrift v. Geneeskunde. 1888. 7. 

Eine Person, vom Blitz getroffen, litt seitdem an starken Kopf¬ 
schmerzen, zeigte nach 1 Jahr diabetische Erscheinungen, die bis 
zum Tode bestehen blieben, nach 2 Jahren rechtsseitige Hemianopsie 
und 6 Wochen vor ihrem Tode, fast 3 Jahre nach dem Unfall, va¬ 
somotorische Ernährungsstörungen am rechten Bein. 

Bei der Section fand sich Folgendes: Dura mater über den He- 
mispheren stark verdickt, an vielen Stellen mit der Pia verwachsen, 
letztere getrübt, mehrfach mit der Hirnrinde verwachsen, in den 
Sulcis hier und dort Exsudate. Diese Veränderungen waren links 
stärker hervortretend denn rechts und am meisten an den Lobi pa¬ 
rietales, obwohl die anderen nicht frei waren. Der linke Lohns oc- 
cipit. in allen Windungen erweicht. Gehirn sonst normal, und Tractus 
optici gesund. 

Zur Erklärung des Zusammenhangs der im Leben beobachteten 
Symptome mit dem anatomischen Befund bezieht Verfasser die 
Kopfschmerzen und die Störungen des r. Beins auf die Hirnhaut¬ 
entzündung, die Hemianopsie auf die Erweichung des Occipital- 
lappens und bringt endlich auch den Diabetes in Verbindung mit 
der Rindenläsion. Alle Diabetesfälle 6eien auf Erkrankung des 
Nervensystems zurückzuführen, derselbe sei also primär ein Nerven¬ 
leiden. Beweise hierfür seien die piqure von Bernard, viele Autop- 
sieen, die Aetiologie der Erkrankung, die vielfachen Neuralgieen, die 
der Krankheit vorhergeheu oder sie begleiten, endlich seien auch 
die Ernährungsstörungen beim Diabetes, die Abscesse, Furunkeln 
nicht durch den Zuckergehalt des Blutes, sondern primär durch 
Läsion der vasomotorischen oder trophischen Nerven zu erklären. 
Die Physiologie könne die trophischen Nerven, oder lieber die tro- 
phische Eigenschaft der Nerven nicht entbehren. Jeder secretorische 
oder motorische Nerv sei ein trophischer, insofern er in den Stoff¬ 
wechsel eingreift. Die Function eines Organs sei zugleich seine 
Ernährung. Alle chemischen Umsetzungen in den Drüsenzellen seien 
abhängig von Nerven Wirkung. Diabetes sei nur eine Störung des 
Stoffwechsels, eigentlich ein veränderter physiologischer Chemismus: 
zu viel Zucker im Blute. Es liegt nun die Folgerung nahe, den 
veränderten Chemismus beim Diabetes mit verändertem Nervenein¬ 
fluss in Verbindung zu bringen und den Diabetes primär eine 
Nervenerkrankung zu nennen. 

J. Niermeijer. Beitrag zur Lehre der Epilepsiebe¬ 
handlung. Weekblad v. h. Nederl. Tijdschrift v. Geneeskunde 
1888. 5. 

Bis vor nicht langer Zeit wurde über die elektrische Behandlung 
der Epilepsie wenig Befriedigendes gemeldet Denn so lange Ver¬ 
änderungen in Med. obl. und Pons als die Hauptursachen der Epi¬ 
lepsie galten, traf die Elektrotherapie nicht den locus morbi. Jetzt 
aber, da die Ueberzeugung mehr und mehr Raum gewonnen hat, 
dass die functionell gestörte Hirnrinde für die Epilepsie von sehr 
grosser Bedeutung ist, ja dass in ihr vermuthlich immer der Aus¬ 
gangspunkt dieser krankhaften Erscheinung zu suchen ist, sind für 
die elektrische Behandlung günstigere Bedingungen gegeben, Casu- 
istische Mittheilungen sind daher wünschenswerth. 

Verfasser hat 3 Fälle während der letzten Jahre mit dem con- 
stanten Strom und mässigen Dosen Bromkali behandelt. Dem Brom¬ 
kali darf nur nebensächlicher Werth hierbei zugerechnet werden, 
weil alle 3 Patienten schon vor der elektrischen Behandlung mehr 
weniger viel Brompräparate in der Tagesdosis von ungefähr 5,0 ge¬ 
braucht hatten, ohne dass sich beim ersten irgendwelche Verbesserung 
einstellte. Beim zweiten folgte einer monatelangen Besserung, nachher 
wieder die frühere Verschlechterung. 

I. Fall. Idiopathische Epilepsie. 17jähr. Mädchen, seit 1884 
ohne Ursache epileptische Anfälle von kurzer Dauer, meist Mor- 


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826 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40 


geDS nach dem Aufstehen. In den zwei letzten Monaten vor der 
elektrischen Behandlung 4 Anfälle. Letztere war eine allgemeine, 
in der Form von kräftigen faradischen Pinselungen eines grossen 
Theiles der Hautoberfläche und eine locale, indem die Ka. in die 
Hand gegeben, die An. labil auf der Stirne angewendet wurde, 
ferner der Strom vom Nacken diagonal zur Stirne durchgeleitet, und 
endlich die Partie über den beiden Gyri centrales der stabilen 
Anodenbehaudlung unterworfen wurde. Stromstärke wie bei den 
folgenden Fällen 4—8 Milli-Amperes bei 18 — 25 quem. Elektroden¬ 
oberfläche. Ausserdem gebrauchte Patientin täglich 3—5 g Brom¬ 
natrium. 

Die Behandlung dauerte mit Ausnahme einer mehrmonatlichen 
Pause von Juni 1885 bis April 1886. In deu 3 ersten Monaten 
kam noch je 1 Aufall, seitdem (August 1885) keiner mehr, so dass 
Patientin jetzt seit 2 l /4 Jahren von ihrer Krankheit hergestellt er¬ 
scheint. 

II. Epilepsie nach Trauma: Die 25jähr. Patientin litt seit 
17 Jahren an Epilepsie, nachdem sie im 8. Lebensjahre auf den 
Hinterkopf gefallen war. Die seitdem aufgetretenen Anfälle sind 
von ungleicher Heftigkeit, bald kurz und leicht, bald von langer 
Dauer und von starken Convulsiouen begleitet. Als Aura bestand 
grosses Oppressionsgefühl, das in krampfhafte, unwillkürliche 
Zuckungen im linken Arm überging. 

Patientin war jahrelang mit Bromkali behandelt worden, doch 
waren den dadurch erzielten anfänglichen kürzeren und längeren 
Pausen in den letzten Jahren wiedernm monatliche Anfälle gefolgt. 

Die während 10 Monaten eingeleitete Therapie bestand neben 
5,0 Bromkali pro Tag in der stabilen Anodenbehandluug der Gyri 
centrales, und als Resultat ergab sich, dass, während in deu der Be¬ 
handlung vorhergehenden 13 Monaten 14 Anfälle gekommen waren, 
in deu 25 Monaten seit der Behandlung nur 2 erschienen. Die 
längste Pause betrug 19 Monate. 

III. Vertigo epileptica. Die 33jähr. Patientin erlitt mit 27 Jahren 
einen Fall auf der Treppe, welchem Comraotio cerebri mit 17 Tage 
dauernder Bewusstlosigkeit folgte. Dann erholte sich Patientin völlig, 
um 5 Jahre später an heftiger Vertigo epileptica zu erkranken, die 
zuletzt 3—4 mal jeden Tag auftrat. Der einzelne Anfall dauerte 
1—2 Minuten, zeigte deutliche Aura mit Gedankenverwirruug, ferner 
das Stadium absentiae mit leichten clonischen Krämpfen der linken 
Extremitäten und endlich Zurückkehren zum normalen Zustand. 

Die elektrische Behandlung erstreckte sich fast ausschliesslich 
auf die Gegend der Gyri centrales mit Wechsel der Elektroden. 
Gleichzeitig wurden 5,0 Bromnatrium pro die verordnet. 

Der Erfolg der Behandlung war eclatant. Während der 2 ersten 
Wochen kamen nur 3 Anfälle per Woche, in den nächstfolgenden 
nur 2 und blieben dann völlig weg. Die Cur endigte nach 7 Wochen, 
und nach den letzten Berichten der Patientin waren keine weiteren 
Anfälle bis jetzt mehr aufgetreten. Schumacher (Aachen). 


XIII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

— Ueber die Verbreitung der Tollwutli in den letzten vier Jahren in 
Preussen enthält der Bericht der landwirtschaftlichen Verwaltung nähere 
Angaben, denen wir Folgendes entnehmen: Die Zahl der Ortsangehörigen 
Hunde, bei denen die Tollwuth festgestellt wurde, zeigte keine erheblichen 
Schwankungen und wich auch nicht wesentlich von der für das vorauf¬ 
gegangene Jahr ermittelten ab. Mithin ist die Abnahme der Tollwuth- 
erkrankungen, welche sich früher bemerklich machte, nicht weiter fort¬ 
geschritten. Es erkrankten und fielen an der Tollwuth oder wurden des¬ 
halb getödtet 1884/1885 352, 1885/1886 326, 1S86/1887 386. Die stei¬ 
gende Zahl der getödteten Hunde, welche mit tollwuthkranken in nähere 
Berührung gekommen oder von solchen gebissen worden waren (759, 822, 
1247) zeigt, dass diese Maassregel eine ihrer Wichtigkeit entsprechende 
Beachtung gefunden hat. Von den tollwuthkranken ortsangehörigen Hunden 
entfallen in den drei Jahren vom 1. August 1884 bis dahin 1887 61,64, 
70,00 und 8G,79o/ 0 auf die Provinzen Ostpreussen, Westpreussen, Posen 
und Schlesien. Die Verbreitung der Krankheit in den an Russland 
grenzenden Provinzen ist mithin von Jahr zu Jahr gestiegen, während 
dieselbe in allen übrigen Landestheilen abgenommen hat. Zieht man in 
Betracht, dass die bei weitemzahlreichsten Erkrankungen von ortsange¬ 
hörigen Hunden durch den Biss kranker, herrenlos umherschweifender 
Hunde veranlasst worden sind, und dass von den letzteren ein sehr be¬ 
trächtlicher Theil (71,19, 70,00 87,28%) auf die genannten vier Grenz¬ 
provinzen entfällt, so scheint die häufig wiederkehrende Behauptung, dass 
die bedeutende und steigende Verbreitung der Tollwuth in den östlichen 
Grenzprovinzen hauptsächlich auf die stets erneute Einschleppung der Krank¬ 
heit durch aus Russland übertretende tollwuthkranke Hunde zurück¬ 
zuführen sei, nicht des thatsächlichen Anhalts zu entbehren. Jedoch waren 
die unmittelbar an Russland grenzenden Kreise im Allgemeinen nicht 
auffallend weiter durch die Tollwuth verseucht, als die Binnenkreise der 
genannten Provinzen. Auch ist der starken Verbreitung der Seuche in 
diesen Provinzen förderlich, dass hier noch häufiger als in anderen Landes- 
theilen nutzlose, schlecht verpflegte und wenig beaufsichtigte Hunde von 
der ländlichen Bevölkerung gehalten werden. Dieses auch in anderen 
Landestheilen noch vorkommendc Halten von nutzlosen und schlecht ge¬ 
haltenen Hunden, in Verbindung mit der Abneigung vieler Hundebesitzer 


gegen die zur Tilgung der Tollwuth angeordneten Maassregeln, vergrössert 
erheblich die Schwierigkeiten, auf welche die Unterdrückung der Tollwuth 
stösst. 


— Wiens Morbidität and Mortalität an einzelnen miasmatiseh- 
contagiösen Krankheiten, hinsichtlich welcher die Anzeigepflicht besteht, zeigten 
im Jahre 1887 folgende Ziffern: 


Blattern. 

327 Erkrankungen, 

67 

Sterbefälle. 

Masern. 

7 952 


492 


Scharlach. 

3723 


390 

n 

Abdominaltyphus . . 

253 

„ 

71 


Diphtheritis .... 

951 

« 

245 

- I'. 

— Zur Epidemiologie 

des 111. 

Quartals 

1887 

In deutschen 


Städten (mit mehr als 15 000 Einwohnern) starben 66 965 entsprechend 
26,2 pro mille der Bewohner (gegen 23,6 resp. 24,1 des entsprechenden 
Vorzeitraumes); innerhalb ihres ersten Lebensjahres starben 31 575 (gegen 
18 209 resp. 17 385), womit sich die hohe Mortalität des Sommerquartals er¬ 
klärt. Unter den grösseren Städten wiesen namentlich Breslau, München, 
Dresden und Hamburg eine verhältnissmässig bedeutende Säuglingssterblich¬ 
keit auf. An Masern starben 772 (gegen 1263 resp. 780 in den vorher¬ 
gehenden Quartalen), Scharlach 517 (gegen 449 resp, 7.10), Diphthe- 
ritis 1957 (gegen 2466 resp. 3470), Unterleibstyphus 617 (gegen 433 
resp. 714), Kindbettfieber 188 (gegen 280 resp. 261), Lungenschwind¬ 
sucht 6737 (gegen 8891 resp. 8998), acuten Erkrankungen der Athmungs- 
organe 4711 (gegen 8122 resp. 7555) und an Diarrhöen, Brechdurchfall und 
Magen- und Magendarmkatarrh 23 864 (gegen 4036 resp. 3551), letztere 
machten im Sommerquartal allein 35,7°/o aller Gestorbenen aus. Innerhalb 
der österreichisch-ungarischen Monarchie starben in 64Städten24010 
Personen oder vom Tausend 30,3 (gegen 26,4 resp. 19,8) und zwar trafen 
auf Masern 355, Scharlach 328, Diphtheritis 631, Keuchhusten 128, Unter¬ 
leibstyphus 255, Lungenschwindsucht 4457, die Erkrankungen der Athmungs- 
organe 1968 und Brechdurchfall und Darmkatarrh 4450; an Pocken kamen 
250 Sterbefälle vor. In 28 englischen Städten starben 47 067 gleich 20,4 
vom Tausend (gegen 40 586 resp. 50 741), darunter im ersten Lebensjahr 
17 061 (gegen 10 586 resp. 10 970). Pockentodesfälle kamen 51 Tor, 
Masern erlagen 1024, Keuchhusten 1398, Brechdurchfall und Diarrhoe 7509, 
Scharlach 896, Diphtherie und Croup 378. P- 

— Die Pocken haben in Rio de Janeiro während des Jahres 188/ 
überhaupt 3357 Opfer gefordert, nahezu 25% aller Todesfälle. Aus den 
seit dem Jahre 1870 vorzeichneton Zahlen der Pockentodesfälle ergiebt sich, 
dass im Jahre 1887 die Zahl der Todesfälle diejenigen der früheren Epi- 
demrejahre nämlich 1872: 1017, 1873: 1629, 1878: 2175 und 1883:1366 
noch bei weitem überstieg. Ueber die Zahl der Erkrankungen liegen leider 
Angaben nicht vor, ebenso wenig über den Impfzustand der Gestorbenen. 
In den epidemiefreieu Zeiten sollen Schutzpockenimpfungen nur in geringer 
Zahl vorgenommen worden sein, da bei der Bevölkerung grosse Abneigung 
gegen die Impfung besteht, ein Impfzwang aber bisher nicht eingeführt ist. P. 


XIV. Therapeutische Mittheilungen. 

Zur Inhalation medicamentöser Flüssigkeiten dorch 
Spray.*) 

Von Dr. Victor Lange. 

Gestatten Sie mir, meine Herren, Ihre Aufmerksamkeit für einen neuen 
Apparat zum Gebrauche beim Einathmen medicamentöser Flüssigkeiten in 
Dampfform in Anspruch zu nehmen. Ich suche die Berechtigung dazu m 
dem Umstande, dass die Frage von Inhalationen oben genannter Art, meiner 
Meinung nach, halb in Vergessenheit geratheu zu seiu scheint. Aus der 
specialistischeu Literatur ersehe ich nämlich nicht, dass die Rhiuo-Laryngo- 
logen einen besonderen Werth auf die Inhalationen legen; wenigstens hat. 
soweit mir bekannt, Niemand die Bedeutung desselben mit Nachdruck her¬ 
vorgehoben. Wenn ich aus diesem vermeintlichen Stillschweigen über diesen 
Punkt Schlüsse ziehen darf, möchte ich annehmen, dass der Grund in einer 
gewissen Unzufriedenheit mit der gewöhnlichen Methode zu suchen sei. 
mich selber betrifft, so will ich gleich gestehen, dass die Inhalationen in 
meiner täglichen Praxis bis in die letzte Zeit keine Rolle gespielt haben: 
nicht, dass ich keine Versuche damit gemacht hätte, sondern weil die Er¬ 
folge mich nicht befriedigt haben. Wenn ich heute von den Inhalationen 
eine bessere Meinung hege, glaube ich den Grund dazu in einer verbesserten 
Anwendungswei.se finden zu können. Soweit mir bekannt, spielt noch beute 
der Apparat nach Siegle, wo überhaupt Inhalationen angeweudet werden, 
die grösste Rolle, und es lässt sich nicht leugnen, dass die gewählte Form 
sehr einfach und bequem ist. Fasst man indesseu die Auwendungsweise des 
Apparates näher in’s Auge, so wird mau bald den schwachen Punkt daran 
finden. Man lässt nämlich die Dämpfe durch einen vor dem Apparate ge¬ 
haltenen und in den Mund eiugeführten Glastrichter strömen. Man mu j - 
also den Trichter gleichzeitig als einen Depressor linguae brauchen. ' j p 
lange können indessen die meisten Patienten — und wir treffen ja A e 
leider zu viele unintelligento Kranke — die Zunge so heninterdrucken, 
dass die Dämpfe wirklich zu der Stelle eindringen, wo die Krankheit sitz • 
Die Zuuge sträubt sich unwillkürlich gegen den Druck, und die Folge wirda>- 
daim sein, dass die Flüssigkeiten den Gaumen, höchstens den Rachen berubreu, 
in die Luftröhre aber nicht gelangen. Nach und nach werden die Fra“ 1 ' 1 
dieser Procedur müde, sie stellen den Apparat bei Seite, und dem Arz 
werden die Misserfolge allmählich so zahlreich, dass er schliesslich uie ■ ‘ 
thode verlässt. 

*) Vortrag, gehalten in der , Section für Rhino - Laryngologie der 
61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


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4. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


827 


Es lag daher der Gedanke nahe, einen anderen Weg für die Dämpfe 
zu wählen, um so mehr, weil wir ja physiologisch nicht durch den Mund, 
sondern durch die Nase athmen. Wenn wir also diesen von der Natur an¬ 
gegebenen Weg einschlagen, werden wir dadurch einen zweiten Vortheil er¬ 
halten, indem wir die grossen Cavitäten der Nasenhöhlen und des Nasen¬ 
rachenraumes behandeln können. Ich weiss wohl, dass sich verschiedene 
Bemühungen für das Einbringen der zu iuhalireuden Stoffe auf diese Weise 
geltend gemacht haben; ich erwähne zum Beispiel die Inhalirkapsel von Feld- 
hausch und die verschiedenartigen Formen von Sprays nach v. Tröltsch 
u. A.; aber diese Apparate haben, soweit mir bekannt, keine allgemeine Ver¬ 
wendung gefunden. — Wie oben gesagt, habe ich mich von der gewöhnlichen 
Methode nicht befriedigt gefunden und hatte daher die Inlialatiouen grössten- 
theils aufgegebeu. Als ich mich später mit Inhalationen coraprimirter Luft 
— und bei dieser Gelegenheit kann ich den Herren Collegen das Schöpfrad¬ 
gebläse von Geigel und Mayer (Würzburg) bestens empfehlen — zu be¬ 
schäftigen angefaugen hatte, kam ich leicht dazu, auch die medicamentösen 
Dämpfe durch eine Maske einathmen zu lassen, auf diese Weise ist dieser 
einfache Apparat entstanden. Wie Sie sehen, meine Herren, habe ich den 
Glastrichter aus dem Siegle’scheu Apparat mit einer gewöhnlichen Maske 
nach Waldenburg verbunden. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich 
auf diese Weise in den Fällen, wo sich Inhalationen überhaupt bewähren, 
viel schönere Erfolge erreicht habe als früher. Ich habe Masken von Glas, 
Zink und Thon verfertigen lassen, um sie billiger zu haben, war mit allen 
diesen Experimenten indessen nicht zufrieden. Schliesslich bin ich bei der 
jetzigen Form stehen geblieben, nachdem es mir gelungen ist, dieselbe zu 
massigem Preise, d. h. von 3 Mk., herzustellen. 


Cocain bei Nachblutung aus der Nase in Folge von 
Nieskrampf. 

Von Dr. Ziem in Danzig. 

Bereits wiederholentlich habe ich hervorgehoben, dass ich die ge- 
wobnbeitsmässige Anwendung von Cocain bei jedwedem, selbst bei einem 
kleineren chirurgischen Eingriffe, wie bei einer Spaltung eines Thränen- 
röhrchens, bei der Sondirung des Thränenschlauches. bei Kauterisation der 
Nasenschleimhaut u. dgl. oder gar, was ja auch empfohlen worden, bei jeder 
pharyngoskopischen oder laryngoskopischen Untersuchung, sofern eine 
solche irgend welche Schwierigkeiten bereitet, für einen Missbrauch halte. 
Die Empfindlichkeit einzelner Kranken auf Cocain ist eine zu verschieden¬ 
artige, als dass man den schablonenmässigen Gebrauch desselben bei der 
geringsten sich entgegenstellenden Schwierigkeit so leichten Herzens befür¬ 
worten könnte, und selbst nach Application einer nur 2°/oigen Lösung auf 
die Conjunctiva oder den Schlundkopf sind ja mehr oder weniger unan¬ 
genehme Nebenwirkungen des Cocain beobachtet worden. 1 ) Bei einem 
kürzlich von mir operirten Kranken hat jedoch das Cocain so wesentliche 
und in mancher Beziehung so eigenartige Dienste geleistet, dass ich eine 
kurze Mittheilung hierüber nicht für überflüssig halte und für ähnliche Er¬ 
eignisse das Cocain recht warm empfehlen möchte. 

Herr W. von hier ist wegen häufiger, zuerst vor 2 Jahren aufge¬ 
tretener Niesanfälle im Juli d. J. in meine Behandlung übergegangen, nach¬ 
dem er 2 Sommer hindurch anderwärts ohne merklichen Erfolg behandelt 
worden war. Objectiv fand sich eine massig starke Eiterung der Nasen- und 
Kieferhöhlenschleimhaut beiderseits, welche letztere natürlich erst nach 
probatorischer 2 ) Eröffnung der Sinus nachgewiesen werden konnte, sowie eine 
fast bohnengrosse, gut abgesetzte Anschwellung am Vorderende der rechten 
unteren Nasenmuschel, welche eine mehrfach gefurchte, lappige Oberfläche 
deutlich erkennen Hess und ihrem ganzen Aussehen nach als papillomatüse 
Geschwulst im Sinne Hopmann’s aufzufassen war. Ueber die Berechtigung, 
die Niesanfälle weniger auf die Anwesenheit jener Geschwulst als auf eine 
Anschwellung der Schleimhaut der Kieferhöhlen und die Verlegung der 
Ostien der letzteren zurückzuführen, darüber will ich an dieser Stelle mich 
nicht eingehender äussern und ich bemerke nur noch, dass im Laufe der 
auf Beseitigung der Eiterung gerichteten Behandlung die Nasenhöhlen freier 
und dio Niesanfälle immer seltener geworden sind. Dennoch schien es mir 
in jedem Falle gerathen, auch jene Geschwulst zu entfernen, was denn auch 
Anfangs August unternommen wurde. Mittelst der Drahtschlinge Hess sich 
die Geschwulst leicht fassen und abschnüren, eigentlich ehe der Kranke 
sich dessen versehen hatte. Der Blutverlust hierbei war nur ein sehr 
geringer, er hat vielleicht 1 oder 2 Theelöffel betragen. Es wurde etwas 
Watte eingelegt, worauf die Blutung vollkommen stand, und es schien ja 
nun Alles in Ordnung zu sein. Doch wenige Minuten später erklärte der 
Kranke, dass jetzt der Niesreiz komme, der denn in der That auch un¬ 
mittelbar darauf zu einem ziemlich heftigen Anfalle, zu einem Heraus¬ 
schleudern der Watte, sowie im Anschlüsse hieran zu dem Auftreten einer 
stärkeren, ja continuirlichen Blutung Veranlassung gegeben hat. Durch 
Essigtampons wurde die letztere zwar bald gestillt, aber es währte nicht 
lange, so trat der Niesreiz und in dessen Gefolge eine stärkere Blutung von 
Neuem auf. Nun wurde unmittelbar auf die Operationswunde ein Stückchen 

l ) Vergl. hierüber meine Arbeiten über Intoxication durch Cocain 
Alig. med. Centralztg. 1885 No- 90 und über Nebenwirkungen des Cocain, 
Deutsche med. Wochenschr. 1880 No. 21. Letztere Arbeit scheint, obwohl 
auch in der Monatsschr. f. Ohren- und Nasenkrankheiten referirt, von Herrn 
Dr. Chiari in Wien, dem Verfasser eines bezüglichen Sammelartikels in 
der Wiener med. Wochenschr.. vollständig „übersehen“ worden zu sein. 

*) Vergl. hierüber meine Arbeit über das zweckmässigste Verfahren 
zur Eröffnung der Kioferhöhle, Therap. Monatshefte 1888 No. 4 u. 5. Auch 
durch die kürzlich empfohlene Probeaspiration nach Einführung einer ent¬ 
sprechend gebogenen Spritze in das Ost. maxillare kann offenbar für viele 
Fälle die Probepunction der Kieferhöhle nicht ersetzt werden; ein Weiteres 
hierüber bei anderer Gelegenheit 


Zunder applicirt, was ja in irgend einer rhinologischen Schrift kürzlich 
einmal empfohlen worden ist, und dazu die vordere Nasenhälfte mit Watte 
tüchtig tamponirt. Ausserdem erhielt der Kranke die Weisung, sowie der 
Reiz sich bemerkbar mache, die Stirnhaut und in der von Prochaska bei 
Staaroperirten empfohlenen Weise auch den vorderen Theil der Gaumen- 
Schleimhaut mit dem Finger kräftig zu reiben: aber vergebens, der Nies¬ 
anfall kam wieder und mit ihm eine neue Blutung. Es war klar, dass die 
Anwesenheit des Fremdkörpers in der Nase und der von letzterem aus¬ 
geübte Reiz nicht ertragen wurde, zu Niesanfällen, verstärkter Congestion 
nach der Nasenschleimhaut und Blutung Anlass gab; ausserdem war es aber 
iu hohem Grade fraglich, ob die Anwendung der stärkeren Styptica, dos 
Alaun, des Chloreisen, des Terpentin und anderer bei der hier vorhandenen, 
ungewöhnlich grossen Empfindlichkeit der Nasenschleimhaut einen besseren 
Erfolg ergeben würde. Für jeden Fall stand ja allerdings noch der Pac- 
quelin zur Verfügung, doch beschloss ich noch einen Versuch mit Cocain 
zu machen, mit Rücksicht auf dessen anämisirende sowohl als anästhesirende 
Eigenschaften. Ein grösserer, in 10%ige Cocainlösung getauchter Tampon 
wurde nun in die Nase eingelegt, und kurz darauf war der Niesreiz sowohl 
wie die Blutung beseitigt. Einige Stunden später wurde ich eiligst zu dem 
Kranken gerufen, weil wieder ein heftiger Niesanfall mit starker Blutung 
in seinem Gefolge aufgetreten sei, gegen welche die schon im Voraus für 
den Nothfall von mir verordnete schwächere (2o/oige) Cocainlösung sich 
machtlos erwiesen hätte. Mittelst der nun sofort von mir übersendeten 
10°/oigen Cocalnlüsung waren jedoch Blutung und Niesreiz schon gestillt, 
als ich kurz darauf selbst ankam. Auch später ist eine Blutung nicht mehr 
aufgetreten. Uebrigens steht Herr W. wegen der noch nicht gänzlich be¬ 
seitigten Eiterung der Schleimhaut noch in Behandlung. 

Zur Verhütung oder Einschränkung einer Blutung bei Operationen ist 
Cocain bekanntlich schon öfter empfohlen worden,- aber es ist mir augen¬ 
blicklich nicht erinnerlich, ob es zur Stillung einer Blutung, die durch 
eine Nasenoperation ursprünglich allerdings verursacht, aber doch erst in 
Folge von Niesreiz dann wieder aufgetreten war, ob es bei der im vor¬ 
liegenden Falle vorhandenen Indication schon Verwendung gefunden hat. 


— Tannin bei Behandlung örtlicher Tnbercnlose wird von Professor 
C-echerelli in Neapel warm empfohlen. Gestützt auf Versuche an Thieren 
sowie auf klinische Erfahrung hält er dieses für ein wirksames Mittel, das 
Tuberkelgift zu zerstören. Er fand, dass das Tannin die Fäulniss tbie- 
rischer Gewebe und Flüssigkeiten verhindert, dass die faulige Zer¬ 
setzung bei Thieren, welche bei Lebzeiten mit Tannin behandelt wor¬ 
den, hinausgeschoben wird, und beobachtete ausserdem, dass, wenn den 
mit tuberculösen Sputis geimpften Thieren zugleich Tannin eingespritzt 
oder innerlich täglich gegeben worden, keine Tuberculose sich entwickelte. 
Zwanzig Kranke, die an äusserer und innerer Tuberculose litten, behandelte 
er durch Tannin mit sehr günstigem Resultate. Als vorzüglich wirksam 
betrachtet er das Mittel bei tuberculösen Affectionen der Knochen und Ge¬ 
lenke, da bei dessen Anwendung die Geschwüre heilten, Tuberkelbildungen 
verschwanden und der Allgemeininfection des Körpers vorgebeugt wurde. 
Cecherelli zieht das Tannin dem Jodoform vor, da dasselbe weder riecht 
noch auch dem Körper irgendwie schadet. 

— SchwefeldUnste bei Lnngenphthlse. Die Gazette des Höpitaux 
vom 26. Mai bringt einen interessanten Bericht über die wohlthätigen 
Wirkungen einer schwefelhaltigen Atmosphäre bei Phthisis pulmonum. Unter 
den Truppen in Cherbourg herrschte endemo-epidemischer Typhus, und 
zwei grosse Baracken, die mit Marinetruppen belegt waren, mussten des- 
iuficirt werden. Das geschah zum Theil durch Verbrennen grosser Mengen 
von Schwefel in den Schlafräuraen, bei hermetischem Verschluss aller Aus¬ 
wege. Nach 36 Stunden wurden jedesmal die Fenster geöffnet, da die Luft 
dann völlig mit Schwefeldämpfen gesättigt war. Die ganze Procedur dauerte 
60 Tage. Danach wurde der Dienst einem Sergeanten übergeben, der aus 
den Colonieen mit einem schweren Anfall von Anämie heimgekehrt war, auch 
war bei ihm mehrmals beträchtliche Hämoptysis dagewesen. Er war ab¬ 
gemagert, hatte nächtliche Schweisse, Diarrhoe, Fieber, Appetitmangel, 
Husten, Dyspnoe, expectorirte trübes, münzenförmiges Sputum etc. Im 
Sputum fanden sich Tuberkelbacillen. Die rechte Lunge war weniger be¬ 
theiligt. Als der Mann sich zuerst in den durchräucherten Räumen aufhielt, 
nahmen seine Beschwerden zu, später aber verschwanden die schmerzhaften 
Symptome allmählich, er konnte sich ohne Nachthoil in der dichtesten 
Schwefelatmosphäro bewegen. Nach sechs Wochen hatten sich die Brust¬ 
schmerzen verringert, der Husten war fast ganz verschwunden, die Sputa 
wurden weisslich und verursachten beim Aushusten kein Erbrechen mehr. 
Die Bacillen nahmen an Zahl ab, die Diarrhoe, wie die abendliche Temperatur¬ 
steigerung waren fort. Patient konnte leichter athmen, sein Appetit war 
besser, da die Nachtscbweisse weniger reichlich. Die Percussion war links 
normal, in der rechten Fossa infraclavicularis goringe Dämpfung. Das 
Athemgeräusch war links hinten etwas scharf, rechts vom verlängertes Ex- 
spirium, rechts hinten kleinblasige, trockene, crepitirende Rasselgeräusche. 

— Gegen Nackteckwetese empfiehlt Niesei (Fürbringer) die folgende 
lteceptformel. Rp. canl phor. cryst. 1,0—2,0 

D. in oblat, S. abends 1 Stück. 

— Kohlensäurelnhalationen bei Dyspnoe. (Academie des Sciences, 
Paris, Sitzung vom 27. Februar.) Ueber diesen Gegenstand berichtete 
Edmond Weill: Versuche von Brown-Sequard haben zur Anwendung 
der Kohlensäure gegen Dyspnoe geführt, sie wurde rein eingeathmet mittelst 
des Limousin’schen Apparates. Die Sitzungen (1—2 mal täglich) dauerten 
2—5 Minuten, die Dosis für die Inhalation schwankte zwischen 2—4 1. 
Ueble Nebenwirkungen wurden nie bemerkt, vielmehr sah man sogleich eine 
eupnoische Wirkung, die auch von Dauer war. Die meisten von den so 
behandelten Kranken waren Tuberculose, die Mehrzahl mit Laryngitis und 
vorgeschrittenen Zerstörungen der Lungen. War die COa im Moment eines 
dyspnoischen Anfalls eingeathmet worden, so wurde dieser gewissermaasen 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40 


828 


coupirt und durch ein ausgesprochenes Wohlbefinden ersetzt. Geschah die 
Inhalation zwischen den Anfällen, so wurde zuerst die Athtnung viel freier, 
dann wurden auch die Anfälle seltener, dauerten kürzere Zeit und waren 
weniger intensiv. Mit gleichem Erfolg wurden die Dyspnoeanfälle bei 
Emphysem mit Albuminurie bekämpft. Weill vergleicht die Wirkung gegen 
den Schmerz mit den subcutanen Morphiuminjectionen. Nach den Inhala¬ 
tionen ist constant die Reflexerregbarkeit des Pharynx und Larynx herab¬ 
gesetzt, die Hautsensibilität wird nicht beeinflusst. 

— Antiseptische Lösung. (M. Krönlein, Semaine medicale No. 13.) 
Sublimat 100,0 

Chlornatrium 50,0 

Acidum acet. dilut. (20,4%) 50,0 
Aqua 800,0 

S. Aeusserlich. 

Die sehr coneentrirte Lösung wird auf ihr 10—20faches Volum mit 
Wasser verdünnt und zu Verbänden, Waschungen, Desinfection von Instru¬ 
menten etc. angewandt. Sie hält sich am Licht wie im Dunkeln. Vor Mo¬ 
naten und selbst mit stark kalkhaltigem Wasser hergestellt, giebt sie keinen 
Niederschlag. 

— Gegen schwer heilbare Aphthen empfiehlt Hirtz (Revue de Therap. 
März 15. 1888) Natr. salicyl., Tinct. Cocae ä 2,0, Aq. destill. 8,0, mit feiner 
Watte 1—2 mal den Mund zu reinigen. 

— Die Gazette med. de Gynecologie 1. März 1888 berichtet über fol¬ 
gendes Mittel als wirksam bei wunden Brustwarzen: Salol., Aeth. ana 3*5, 
solve. Adde Collod. 20,0. (Ref. würde dieser Mischung noch Cocain, mur. 
0,2 hinzufügen, um die empfindlichen Schmerzen der Stillenden zu be¬ 
seitigen. _______ 

XY. Beiträge zur Sublimatfrage. 

Von Dr. Lübbert, Assistenzarzt 1. Klasse und 
Schneider, Corpsstabsapotheker in Dresden. 

Der unter gleichlautender Ueberschrift auf Seite 411 dieses Jahrgangs 
der vorliegenden Zeitschrift abgedruckte Aufsatz Guillery’s veranlasst uns 
zu folgenden kurzen Entgegnungen. 

Durch zwei Veröffentlichungen im Centralblatt für Bacterioiogio 
und Parasitenkunde 1888, No. 11 und, den chemischen Theil noch aus¬ 
führlicher behandelnd, in Pharmaceutische Centralhalle 1888, No. 13 
haben wir dargethan, dass bei der Auflösung des Quecksilberalbuminats in 
Lösungen von Natriumchlorid, Ammoniumchlorid, Kaliumjodid u. s. w. eine 
Spaltung dos Quecksilberalbuminats stattfindet, indem Doppelver¬ 
bindungen des Quecksilberchlorids mit jenen llaloidsalzen zu Stande kommen, 
welche neben Eiweiss in der Flüssigkeit bestehen, da sie dasselbe nicht zu 
fällen vermögen. Die antiseptische Wirkung der Lösung solcher Quecksilber- 
chloriddoppelsalzc ist gegenüber eiweissfreien Flüssigkeiten nicht geringer 
als die der Quecksiiberchloridlösnng allein; eiweisshaltigen Flüssigkeiten 
gegenüber aber besitzt die Lösung der Quecksilberchloriddoppelsalze eben¬ 
falls die volle Kraft des Quecksilberchlorids, während dieses allein ange¬ 
wendet, Quecksilboralbuminat ausscheidet, und nur in soweit Quecksilber¬ 
chlorid zur Wirkung gelangen kann, als die eiweisshaltige Flüssigkeit (Serum) 
Natriumchlorid enthält, wodurch ein geringer Antheil von Quecksilberalbu- 
minat in oben angedeuteter Weise gespalten wird. Es ist deshalb betreffs 
der Lösung von Quecksilboralbuminat in Natriumchlorid (nach landläufiger 
Bezeichnung) entgegon der Ansicht Guillery’s sehr wohl und mit vollem 
Recht von Sublimatwirkung zu sprechen. 

Die gleichen Verhältnisse walten ob in den Lösungen des Quecksilber¬ 
albuminats in Säuren (Essigsäure, Citrononsäure, Weinsäure, sehr verdünnte 
Salzsäure); auch in diesen Fällen entstehen unter Spaltung des Quecksilber¬ 
albuminats aller Wahrscheinlichkeit nach den Quecksilberchloriddoppelsalzen 
zu vergleichende Doppelverbindungen (vergl. über die Doppelverbindung von 
Quecksilberchlorid mit Salzsäure: Gmelin-Kraut, Handbuch der organischen 
Chemie, 4. Aufl., Bd. III, p. 523). Betreffs der von uns gelieferten Beweise 
für die Richtigkeit unserer Ansicht müssen wir auf unsere eingangs erwähnten 
Originalarbeiten verweisen. 

Wenn wir auf Grund unserer Versuche zu dem Schluss gekommen sind, 
einen Zusatz*) von Natriumchlorid zu den Sublimatlösungen zu empfehlen, so 
haben wir damit, wie wir sehr wohl wissen, durchaus nichts Neues empfohlen. 
Während aber der bis dahin oft schon geübte Zusatz von Natriumchlorid 
der „Haltbarkeit“ der Sublimatlösungen wegen empfohlen wurde, möchten 
wir auch hier darauf hingewiesen haben, dass der Natriumchloridzusatz ganz 
besonders deshalb heranzuziehen ist, weil durch ihn überdies auch in eiweiss¬ 
haltigen Flüssigkeiten eine Sublimalwirkung erzielt werden kann, und zwar 
den praktischen Verhältnissen entsprechender als durch andere Körper. 

Dass sich Quecksilberalbuminat in Weinsäure (und einigen anderen 
Säuren) löst, ist richtig, dass aber derartige Lösungen beim Zukommen von 
Salzen (Serum) dem beabsichtigten Zwecke durchaus nicht mehr entsprechen, 
haben wir in unseren Originalarbeiten ebenfalls klar dargelegt. 

Dass sich ein Zusatz von Ammoniumchlorid zu den mit Brunnen¬ 
wasser bereiteten Sublimatlösungen, den Guillery empfiehlt, gar nicht 
eignet, geht aus folgender Darlegung hervor. Wird Sublimat in Brunnen¬ 
wasser gelöst, so erfolgt entsprechend dem Gehalt des Brunnenwassers an 
Calciumcarbonat früher oder später eine Ausscheidung von Quecksilberoxy- 
ehlorid; ein Zusatz von Na*riumchlorid vermag diese Ausscheidung fast voll¬ 
ständig zu verhindern und ist deshalb auch für solche Verhältnisse em- 
pfehlenswerth. Wird dem Brunnenwasser, in welchem Sublimat aufgelöst 

') Die zur Lösung von Quecksilberalbuminat, beziehentlich zur Verhin¬ 
derung eines derartigen Niederschlages in eiweisshaltigen Flüssigkeiten ge¬ 
nügende Menge Natriumchlorid beträgt das 1,3 fache der Menge des gleich¬ 
zeitig verwendeten Quecksilberchlorids. 


wird, jedoch Ammoniumchlorid (Salmiak) zugesetzt, so ist der zersetzende 
Einfluss des Calciumcarbonats auf das Quecksilberchlorid nicht aufgehoben. 
Durch Wechselzersetzung von Ammoniumchlorid und Calciumcarbonat bilden 
sich Calciumchlorid und Ammoniumcarbonat (beziehentlich Ammoniak), und 
dieses letztere wirkt auf Sublimat zersetzend ein; es erfolgt eine Ausschei¬ 
dung vou „weissem Präcipitat“ (vergl. auch Pharmac. Centralhalle 1886, 
p. 589, 598). - 

XVI. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Die zur Feier des Stiftungstages der railitärärztlichen 
Bildungsanstalten von Geh. Rath Koch gehaltene Rede: „Die Bekämpfung 
der Infectionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen“ ist soeben im 
Druck erschienen. Ueber die nach Form und Inhalt gleich ausgezeichnete 
Rede werden wir demnächst eingehender referireu. 

— Hamburg. Zum ärztlichen Direktor des allgemeinen Kran¬ 
kenhauses an Stelle des nach Leipzig berufenen Prof. Curschmann ist 
Prof. A. Käst, Freiburg i. B., berufen worden. 

— Heidelberg. Dr. Georg Rüge, Prosector und ausserordentlicher 
Professor, ist nach Amsterdam an die Stelle von Prof. Max Fürbringer, 
welcher an 0. Ilertwig’s Stelle nach Jena geht, berufen worden. Dr. 
Maurer ist Prosector, Dr. Klaatsch (Berlin) Assistent am anatomischen 
Institut geworden. An die Stelle von Dr. Klaatsch in Berlin tritt 
Dr. Wilh. Zimmermann (Greifswald). 

— München. Geh.-Rath v. Pettenkofer feiert am 3. December 
d. J. seinen 70. Geburtstag. 

— Italien. Die Redaction des „Morgagni“ hat einen zweijährigen 
Preis (Toramasi-Preis) von 500 Lire auf die beste Abhandlung über fol¬ 
gendes Thema ausgesetzt: „Es ist in gedrängter Form, aber vollständig, der 
gegenwärtige Stand der Wissenschaft bezüglich der Frage nach den Locali- 
sationen im Rückenmark auseinanderzusetzen, und es sind, wenn möglich, 
einige neue Thatsachen, die sich auf den Gegenstand beziehen, beizubringen.' 
Die Arbeiten sind bis zum 31. December 1889 an die Redaction des „Mor¬ 
gagni“, Mailand, via Chiusa 5, einzusenden (Rif. med.). 

— Paris. Dr. M. Louis Wikhain ist mit der Mission betraut worden, 
die Organisation des Unterrichts der Hautkrankheiten zu studireu. — Dr. 
Gibier ist beauftragt, das gelbe Fieber in den Vereinigten Staaten und 
speciell in Florida zu studireu. 

— In Bourg-en-Bresse ist in der vorigen Woche eine Büste von 
Charles Robin enthüllt worden. 

— In Melbourne wird vom 7.—12. Januar 1889 ein Intercolo¬ 
nialer medicinischor Congress von Australien tagen. Derselbe 
theilt sich, wie üblich, in eine Reihe von Sectionen für Medicin, Chirurgie. 
Hygiene und forensische Medicin, Anatomie und Physiologie, Pathologie, Ge¬ 
burtshülfe und Gynäkologie, Ophthalmologie, Otiatrie und Laryngologie. 
Psychiatrie, Pharmakologie, Dermatologie und Pädiatrie. Wie das Comite 
bekannt macht, wird auf Fragen, wie klimatische Verhältnisse Australiens, 
Klimafieber und ähnliche, bei den allgemeinen Discussionen besonderes Ge¬ 
wicht gelegt werden. 

— Einfluss des Nicotins auf die Schwangerschaft. Pradel 
(Societe de medecine pratique, 12. Juli) beobachtete bei einer, seit 11 Jahren 
in einer Cigarrenfabrik beschäftigten Arbeiterin binnen 3 Jahren eineu Ab¬ 
ort im 2. und 2 Frühgeburten im 8. Monat; die Kinder zeigten Spuren 
einer mehrwöchentlichen Maceration. Erworbene oder hereditäre Syphilis 
war weder beim Manne noch bei der Frau zu finden. Quinquand bat 
gleichfalls bei einer Tabakarbeitorin 3 Fehlgeburten beobachtet; nachdem 
sie diese Arbeit aufgegeben hatte, gebar sie drei Mal ausgetragene Kinder 
Danach rieth auch Pradel seiner Kranken, ihre Arbeit in der Tabakfabrik 
aufzugeben. 

— Im Schnupfensecret fand F. Oardone (Arch. ital- d. laryngol, 
Juli) am häufigsten den Fräukel-Weichselbau m’schen Diplococcus. 
den Friedländer’schen Kapselcoccus, selten den Streptococcus pyo¬ 
genes, den Staphylococcus aureus und albus. Die Uebereinstimmung mit 
den Zaufal’schen Untersuchungen ist sehr wichtig. 

— Der Schweiss bei Infectionskrankheiten ist nach G. B. j 
Queirolo in Genua für Kaninchen, subcutan eingespritzt, tödtlicb, während 
es der gesunder Menschen nicht ist. Die Reaction des Schweisses *ar I 
immer alkalisch. 

— Cholera. Nachdem schon seit längerer Zeit Sterbefälle in Ddp’ ; 
von Cholera aus Soerabaya gemeldet waren, ist die Krankheit in der ersten I 
Hälfte des August auch in Batavia aufgetreten, wo sie indess ihre Opier j 
hauptsächlich unter der inländischen Bevölkerung gefunden hat. In beson¬ 
ders heftigem Grade ist die Cholera Anfangs August in Bocleleng auf der , 
Nordküste der Insel Bali ausgebrochen (Veröff. d. K. Ges.-A.). 1 

— Gelbfieber. Im Südosten der Vereinigten Staaten von Nor j 
amerika herrscht eine erhebliche Gelbfieberepiuemie, die ihren Ausg* 0 ? 
von Jacksonville an der Ostküste von Florida genommen hat. Bis z “j® [ 
24. September waren nach einer Depesche aus New-York in Jackson' 1 1 
bereits 1878 Personen erkrankt und von diesen 212 gestorben. ^ 
Depeschen melden über den Verlauf der Epidemie Folgendes: M° n 
24. September. Das gelbe Fieber hat sich den Mississippi entlang, '* 
New-Orleans bis Louisville ausgedehnt, ln Memphis ist die schärfste W“ 1 
rantaine eingeführt, und die Miliz hindert den Eintritt aller verdächtige^ 
Personen. Dienstag, 25. September. Gestern sind in Jacksonville “f 
Fälle von gelbem Fieber aufgetreten. Das Auftreten der Krankheit in 
nandina (Ost-Florida) wird amtlich bestätigt Donnerstag, 27. efl i 

Die Berichte aus den Bezirken, in welchen das gelbe Fieber herrscht, lau 
etwas beruhigender. Aus den Südstaaten wird Frost gemeldet. ■Die V ^ 
rantaine wird weniger streng beobachtet. Aus Jacksonville werden 
103 neue Fieberfälle gemeldet; 8 Personen sind gestorben. . , ^ 

— Universitäten. Basel. Dr. F. Siobenmann hat sic 
Docent für Laryngologie und Otiatrie habilitirt. 


i 


Gedruckt bei Julias Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag j\b 41 . 11. October 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des Ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitfits-Rath Dr. 8. Gnttniann in Berlin W. Verlag von Georg Thietne, Leipzig-Berlin. 


I. Beitrag zur Vergleichung der älteren und 
neueren Methoden in der Behandlung der 
brandigen Brüche und des Anus praeter¬ 
naturalis. 

Von Dr. W. Körte in Berlin. 

Die in letzter Zeit lebhaft besprochene Frage über die beste 
Behandlung des Darms bei brandigen Brüchen ist noch immer nicht | 
vfdlig entschieden. Die primäre Resection des brandigen Stückes . 
und sofortige Vereinigung des Darms durch die Naht ist von vielen 
Seiten der ungünstigen Erfolge wegen verlassen, von Anderen aber ; 
(so Kocher, Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte 1886; Hahn, Berl. 
klin. Wochenschr. 1888, No. 26) doch wieder empfohlen. Die Mehr¬ 
zahl der Chirurgen bevorzugt die Anlegung des Anus praeternatu¬ 
ralis durch Einnähen der Darmenden, nach Abtragung des brandigen 
Theiles. — Für die Beseitigung des widernatürlichen Afters con- | 
curriren dann 2 Methoden: die der secundären Darmresection und 
-Naht, durch welche in neuerer Zeit viele glänzende Erfolge, aber 
daneben auch noch zahlreiche Misserfolge (27—37% Mortalität, vgl. 
weiter unten) erzielt worden sind — und zweitens die ältere Me¬ 
thode der Behandlung nach Dupuytren und Dieffenbach, kurz- I 
weg Klammerbehandlung genannt. 

Durch die Arbeit von.üeimann. welcher 83 Fälle von 
Klammerbehandlung aus der Literatur von Dupuytren an bis zum 
.lahre 1880 zusammenstellt (Inaug.-Diss. Bonn 1881) und vom Verf. 
dieses, der die in Bethanien zum grössten Theil von Wilms (10). 
zum kleinen Theil (2) von ihm selbst derart behandelten Fälle mit¬ 
theilte (Berl. klin. Wochenschr. 1883, No. 51), wurde die Aufmerk¬ 
samkeit wieder mehr auf das ältere Verfahren gerichtet. 

Da aus diesen Berichten Schlüsse gezogen worden sind, welche 
mir zum Theil nicht ganz richtig erscheinen, weil sie zu günstig 
sind, so möchte ich in Folgendem einen Beitrag zum Vergleiche der 
verschiedenen Methoden geben und Vorschläge machen, um zu einem i 
richtigen, statistisch verwerthbaren Material zu kommen. 

An die Mittheilungen von Heimann und mir haben sich in 
letzter Zeit verschiedene neue über diesen Gegenstand ange¬ 
schlossen. 

Kuthe (Inaug.-Diss., Berlin 1884) berichtet über 2 in v. Berg¬ 
mann’s Klinik mit günstigem Erfolge mittelst der Darrascheere be¬ 
handelte Fälle. 

C. Hertzberg (Beitr. z. klin. Chirurgie von P. Bruus, 2. Bd., 

3. Heft) beschreibt 5 von P. Bruns mittelst der elektrolytischen 
Klammer operirte Fälle. In allen Fällen wurde die Wegsamkeit des 
Darms wieder hergestellt, ein Patient starb vor völligem Schluss der 
Fistel an eitriger Bronchitis und Herzdegeneration. Die übrigen 
wurden hergestellt. - Obwohl Bruns eine Abänderung der Klammer¬ 
behandlung anwendet: der Sporn wird nicht durch allmählich ge- j 
steigerten Druck, sondern durch die ätzende Wirkung des galva- ! 
nischen Stroms, also schneller als bei Dupuytren’s Verfahren, 
zerstört, — so ist das Grundprincip doch das gleiche. 1 

Es bleibt abzuwarten, ob durch die Aetzwirkung des Stromes 
gleich haltbare Adhäsionen erzielt werden, wie durch den allmählich I 
gesteigerten Druck des Dupuytren’schen Enterotomes. i 

Koch (Deutsche Zeitechr. für Chirurgie 23. Bd., 3. u. 4. Heft) j 
hat ebenfalls in einem Falle den Sporn durch das Enterotom be- ! 
seitigt,) hernach aber den Schluss der Fistel durch eine iutraperi- \ 
toueale Operation — Anfrischung der Fistelränder und Naht in der j 
Längsrichtung — bewerkstelligt. , 


Haenel (v. Langenbeck’s Arch. 36. Bd., 2. Heft) berichtet 
über 7 vonRupprecht im Dresdener Diakonissenhause behandelte 
Fälle von Anus praeternaturalis. Dreimal trat der Tod ein, bevor 
eine Behandlung des Leidens begonnen werden konnte (Collaps; 
Inanition mit Lungenphthise complicirt; Peritonitis). Einmal wurde 
die secundäre Darmresection und -Naht vorgenommen, mit tödtlichem 
Ausgang. Dreimal kam das Dupuvtren’sche Verfahren mit nach¬ 
folgendem plastischem Verschluss der Fistel in Anwendung und er¬ 
zielte jedesmal Heilung. 

Von Despres, Heylen, Pique, A. Bidder 1 ) (s. Tabelle) 
sind dann noch einzelne Fälle mitgetheilt, in denen die störende 
Scheidewand mittelst der Darmklemme beseitigt wurde. 

Die folgende Tabelle giebt nach Heimann’s und nach meinen 
Zusammenstellungen die bis in die letzte Zeit mir zugänglich ge¬ 
wordenen Fälle von Klamraerbehandlung des widernatürlichen 
Afters. 



Zahl 

der 

Fälle. 

Geh. 

Gestorben. 

Heimann’s Zusammenstellg. excl. Wilms’ 
Fälle. Dissert. Bonn 1881. 

78 

71 

i . 7 

Burger: lieber den widernatürlichen After 
etc. Stuttgart 1847 . 

1 

1 

_ 

Hertzberg. (Bruns’ Beiträge zur klin. 
Chirurgie 2. Bd.. 3. Heft.). 

5 

4 

1 

Morse (Czerny): Wien. med. Wochenschr. 

1882, 15 ff.. 

Bayer (Heine): Prager med. Wochenschr. 
1881, 29 ff. 

1 

1 

! an intercurr. 
Kraukh. 

2 

2 


Koeberle: Bull, de l’acad. de med. 1881 . 

I 

1 

— 

Koerto (Wilms): Berl. klin. Wochenschr. 
1883, 51 . 

12 

10 

2 

Haenel (Rupprecht): v. Langenbeck’s 
Arch. 36. Bd.. 2. Heft. 

3 

3 

intercurrent 

Kuthe (v. Bergmann): Dissertation Berlin 
1884 . 

2 

2 


Koch: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 
Bd. 23, Heft 3 u. 4 ...... . 

1 

1 


Sonnenburg (Lücke): Deutsche Zeitschr. 
f. Chirurgie 12 Bd. 

1 

1 

_ 

Despres: Semaine medic. 1885, p. 53. . . 

1 

1 

— 

Heylen, R. v. Ch.: Anus contre nature. 
Enterotomie selon la methode d. Dupuy¬ 
tren. Guerison. Journal de med. d. Bru- 
xelle 1886, p. 579. (Refer. Virchow- 
Hirsch’s Jahresbericht.). 

1 

1 


Pique: Progres medic. 1883, No. 23. (Vor 
vollendeter Heilung gestorben an Tuber- 
culose.). 

1 


1 

A. Bidder: Anus colo-utero vaginal, v. Lau¬ 
genbeck’.s Archiv Band 32, 3. Heft. 
(Sporn durch Darmklemme behandelt. Fistel 
plastisch geschlossen.). 

1 

1 

iutercurrcnt 

0 

111 

100 

11 


') Bidder verschloss die Fistel; die Klemme war früher angelegt. 

®) Lieber einen weiteren günstigen Fall berichtet Koehler: Bericht von 
der Bardeleben’schen Klinik 1885. Char. Ann. 


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830 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No'41 


Es reihen sich hieran noch einige Fälle, bei denen die Opera¬ 
teure den Anus praeternaturalis mit der Darmscheere behandelten, 
aber weil die Durchgängigkeit des Darms nicht erzielt wurde, zu 
der secundäreu Resection und Darranaht übergingen, so Hofmokl, 1 ) 
Jeannel 2 ) in je einem Falle, Hahn in 2 Fällen (Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1887, p. 446), Madelung in einem Fall (s. Hei mann). 
Diese Fälle beweisen das Eine, dass die Darmscheere ungefährlich 
ist, und das Zweite, schon früher Betonte (Dieffenbach), dass sie 
nicht in allen Fällen Erfolg hat. 

Die Resultate dieser Zusammenstellung: Dass von 111 der Oeffent- 
lichkeit übergebenen Fällen von Klammerbehandlung des wider¬ 
natürlichen Afters nur 11 gestorben sind, während 100 geheilt 
worden sind, dürfen jedoch nicht so ohne weiteres verwendet werden, 
sondern bedürfen einiger Erläuterung. 

Unter Heilung ist zu verstehen, dass die Durchgängigkeit des 
Darmes hergestellt war, und der Koth per anum entleert wurde. 
In einer Anzahl von Fällen blieben Fisteln zurück (bei Heiinann’s 
Zusammenstellung in 26 Fällen; in meiner bei 4 Fällen), zum Theil 
waren die Kranken mit dem Erreichten zufrieden und wünschten 
keine neuen Eingriffe; zum Theil waren die Chirurgen früher (und 
ein grosser Theil der Fälle stammt aus der vorantiseptischen Zeit) 
nicht geneigt, grössere Eingriffe zum Schluss der Fisteln zu unter¬ 
nehmen, und wandten vornehmlich das Glüheisen an. 

Von den Todesfällen sind 5 an den direkten Folgen des 
Eingriffes (Klammeranlegung) gestorben; und zwar 4 an Peritonitis 
(s. Heimann’s Tabelle: Dupuytren 2; Gherini 1; Velpeaul;) 
1 an Pyämie (Schmidtlein-Heineke.). 

Eine 87jährige Patientin starb an „Marasmus“. (Heimann 
No. 74. 10 (!) Tage nach der Entstehung des Anus praeternat. wurde 
die Klammer angelegt!) — An intercurrenten Krankheiten starben 
bei mehr oder weniger vorgeschrittener Heilung 5. und zwar 1 an 
Indigestion (Dupuytren), 1 an Bronchitis und Herzdegeneration 
(Bruns); 2 an Tuberculose (Wilms, Pique;) 1 an Pyelonephritis 
(Wilms), von den letzten 4 ist ausdrücklich bezeugt, das der Darm 
wegsam war, der Stuhlgang per anum erfolgte, und nur noch Fisteln 
bestanden. 

Ich weiche in der Berechnung der Todesfälle etwas von 
Hcimann (1. c.) ab und möchte auch die an iotercurrenten Krank¬ 
heiten Gestorbenen nicht ohne Weiteres bei Seite lassen, weil bei 
der langen Dauer, welche die Dupuytren’sehe Methode erfordert, 
und bei den zahlreichen Schädlichkeiten, denen die Kranken während 
der Zeit ausgesetzt sind (Kothbeschmutzung; Ernährungsstörung), 
leichter Krankheiten hiuzutreten als bei den schneller wirkenden 
Methoden. 

Von 111 Kranken starben an den unmittelbaren Folgen der 
Klamraeranlegung 5, und eine bald darauf an „Marasmus“ — zu¬ 
sammen also 6 kurz nach dem Eingriff. Im Laufe der Behandlung 
noch weitere 5 an nur mittelbar mit der Behandlungsart zusammen¬ 
hängenden Krankheiten. 

Aber auch in dieser Beschränkung darf man den Zahlen keinen 
zu grossen Werth beilegen, denn weitaus die meisten Beobachtungen 
sind vereinzelt mitgetheilte „günstige Fälle“, denen gegenüber ausser¬ 
ordentlich viele ungünstige unbekannt, geblieben sein können. Die 
Heimann’sche Tabelle besteht mit Ausnahme von Dupuytren’s 
42 Fällen nur aus solchen in der Literatur zerstreuten, vereinzelten 
Beobachtungen. Auch muss man annehmen, dass die Zahl der von 
Dupuytren an bis zum Jahre 1880 beobachteten Fälle eine un¬ 
geheuer viel grössere ist, von denen eben nur eine kleine Auslese 
mitgetheilt worden. Es ist sehr misslich, aus einem solchen Aus¬ 
lese-Material statistische Schlüsse zu ziehen! Dieffenbach’s grosse 
Erfahrungen über den Gegenstand (Operat. Chirurgie Bd. I. p. 699 ff.) 
sind leider nicht zahlenmässig zu verwerthen, weil er nie Zahlen an¬ 
führt; und doch muss er ausserordentlich viele derartige Fälle ge¬ 
sehen haben, das beweisen seine erschöpfenden Darstellungen des 
Gegenstandes. 

Mehr Werth würde ich darauf legen, dass aus neuerer Zeit 32 :5 ) 
Fälle (vgl. die Tabelle) über diese „unmoderne“ Operation veröffent¬ 
licht sind, ohne einen einzigen Todesfall in Folge der Operation. 
Es ist natürlich möglich, dass ungünstige Fälle verschwiegen worden 
sind. Jedoch ist nicht zu bestreiten, dass in der Jetztzeit eine 
grössere Offenheit auch über „ungünstige“ Fälle herrscht als früher, 
und da die neueren Methoden in der Behandlung des Leidens zum 
Vergleiche aufforderten, so ist es auch hierdurch wahrscheinlicher, 
dass die meisten Fälle von Klaramerbehandlung veröffentlicht sind. 

Jedenfalls geht das Eine aus den älteren Zusammenstellungen 
und ganz besonders aus den 32 neueren Fällen hervor, dass die 
Beseitigung der die Darmcommunication störenden Zwischenwand 
beim Darmaftcr mittelst der Darmscheere bei richtigem Verfahren 
sehr wenig Gefahren bietet. 

*) Virchow-IIirsch’s Jahresber. 1885. 

a ) Revue de Chirurgie 1887, p. 928. 

3 ) Mit Bard eleben’s Fall 38. 


Aber nur in dieser Begrenzung darf man über den 'Werth 
des Dupuytren’schen Verfahrens urtheilen. 

Wenn man den Werth der verschiedenen Methoden der Be¬ 
handlung brandiger Brüche gegeneinander abwägt, so muss 
man, um den richtigen Vergleich zwischen den Ergebnissen der pri¬ 
mären Darmresection und der Dupuytren’schen Methode zu er¬ 
halten, bei letzterer nicht nur diejenigen Fälle rechnen, welche alle 
Gefahren der Anlegung des Darmafters überstanden und dann von 
diesem Leiden durch Anwendung der Darmscheere, und eventuell 
durch plastischen Schluss der Fistel geheilt wurden —, sondern man 
muss auch diejenigen Fälle mit einrechnen, welche vorher starben: 
in Folge der Erschöpfung, oder an Peritonitis, oder an Phlegmon* 
der Bauchdecken, oder endlich an Inanition. 

Wenn von zwei gleichen Gruppen von Kranken mit brandigen 
Brüchen die eine mittelst der Dupuytren’schen Methode (An¬ 
legung des Anus praeter naturam; Abwarten; dann eventuell An¬ 
legung der Darmscheere, und schliesslich Verschluss der Fistel, 
behandelt wird, die andere mittelst der primären Resection und 
Naht — so werden verrauthlich von beiden Gruppen eine gewisse 
Anzahl von Kranken unabhängig von der gewählten Methode an der 
Schwere des vorher bestandenen Leidens zu Grunde gehen (Shok: 
Peritonitis in Folge der Darmgangräu). Diese „verlorenen“ Fälle 
drücken die Resultate der primären Resection so stark herunter. Will 
man die Ergebnisse der letzteren mit denen der Dupuytren’schen 
Methode vergleichen, dann muss man auch bei dieser die gleichen 
Fälle mitzählen, sonst kommt man zu einem falschen Schluss. 

Abgesehen von diesen beiden Methoden gemeinsamen Gefahren, 
hat jede derselben noch ihre besonderen: die primäre Resection 
und Naht, die des Shoks durch die angreifende Operation, ferner 
die der Infection der Bauchhöhle, sei es durch Nachlass einer Naht 
sei es von der brandigen Wunde aus. — Während nach Anlegung 
des widernatürlichen Afters, auch wenn die ersteu Gefahren vorüber 
sind, durch Phlegmone der Wundumgebung, oder durch Ernährungs¬ 
störungen Gefahren erwachsen können —, ehe die eigentliche und 
an sich wenig gefährliche Klammerbehandlung beginnt. 

Will man beide Methoden in ihrem Gesammtresultat vergleichen, 
dann muss man dies alles in Rechnung ziehen. 

Leider ist eine derartige, richtige Gruppirung der Zahlen nur 
sehr selten gemacht, sie würde aber für künftige Zusammeustelluugen, 
wenn sie beweisend sein sollten, gefordert werdeu müssen. Nach 
meinen Zusammenstellungen aus Bethanien (1. ■ c.) starben von 
28 l ) Kranken, bei denen wegen brandigen Bruches der Darraafter an¬ 
gelegt wurde, 16; und zwar gingen 10 bald nach der Anlegung der 
künstlichen Darmöffnung an Collaps oder Peritonitis zu Grunde, kb 
habe dort auch die Vermuthung ausgesprochen, „dass diese 'IM 
noch grösser ausgefallen wäre, wenn alle derartigen, schnell nach der 
Operation gestorbenen Fälle notirt worden wären“. 18 Kranke fiber¬ 
standen die ersten Gefahren, von ihnen starben noch 6. Von diesen 
in der „secundäreu Periode“ Erlegenen starben 3 durch Infection 
von der Wunde aus, 1 an Inanition, und 2 an intercurrenten Krank¬ 
heiten (Pyelonephritis, Schwindsucht — bei beiden war die Darm- 
scheere bereits angewendet mit gutem Erfolge). Wollte man die 
Resultate von Bethanien also mit denen der primären Resection und 
Darmnaht vergleichen, so müsste man sagen: von 28 Krankeu nid 
brandigen Brüchen, die in Bethanien nach der alten Methode be¬ 
handelt wurden, starben 16, also ungefähr 57%. Die 10 gleich nach 
der Operation verstorbenen, wären vermuthlich auch bei jedem 
anderen Verfahren zu Grunde gegangen. Derartige Patienten halten 
auch die Resection und Naht des Darmes nicht mehr aus. 

Nach Reichel’s Statistik (Deut. Zeitschr. f. Chirurgie Bd. a'N. 
Heft III.) betrug die Mortalität bei jener Behandlung der brandigen 
Brüche 52%, nach Haenel (1. c.) 54,2%, war also noch um eint 
Kleinigkeit günstiger als bei dem älteren Verfahren, wenn mau "- 1 
diesem alle Fälle mitrechnet. — Sehr interessant war es mir zu 
lesen, dass Hahn (Berl. klin. Wochenschr. 1888 No. 26) zu ajtf 
liehen Schlüssen kommt. Bei Zusammenstellung von 31 von m® 
im Verlauf von 8 Jahren operirten brandigen Hernien stellte es sic 
heraus, dass, wenn man die Fälle, welche au Anus praeternatura i> 
und an den Operationen, denselben zu beseitigen, zu Grunde gebe ■ 
mit in Betracht zieht, durch die primäre Darmresection noch besse 
Erfolge erzielt sind, als durch Anlegung des Anus praeternatura m- 
sei es mit nachfolgender Klammerbehandlung, sei es mit secunda 
Darmresection und -Naht. • 

Nach B. Schmidt (Verhdl. d. Deutsch. Ges. für Chirurg^ 
1883. I. p. 11) starben nach Herniotomie mit Resection des L ar - 
und Reposition der genähten Schlinge 71,1%, bei Anlegung des -• 11 
praeternat. 85.5%. . , . ju;U . 

Es schien mir nicht unwichtig, hierauf noch einmal 
weisen. 


*) Es sind dort noch 2 Pat. mit traumatischem Au. praeternat- allL 
führt, die icli hier weglasso (beide geheilt resp. gebessert.) 


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11 . October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 831 


Vergleicht man die Resultate der secundären Resection 
und Naht mit denjenigen der Klainmerbehaudlung, so liegen die 
Verhältnisse auf beiden Seiten etwas gleich massiger. Bei der Gegen¬ 
überstellung beider Methoden kommen die von „vornherein verlo¬ 
renen“ Fälle nicht mehr in Betracht: es drohen bei beiden den 
Kraukeu gewisse Gefahren, die aus dem Kothausfluss über die 
Wunde hervorgehen: die Infeetion der Wunde (3mal bei meinen 
Fällen eingetreten) und Ernährungsstörungen (in einem meiner 
Fälle). Letztere Gefahr ist grösser bei der Dupuytren'schen 
Methode, weil dieselbe längeres Abwarten erfordert als die secuu- 
däre Resection. (Mosetig erwähnt eiuen ähnlichen Fall von 
Inanitionstod nach 20tügigem Bestehen des Leidens. Bericht des 
Krankenhauses zu Wieden 18 Ü 4). Sodann muss man zugebeu, dass 
nicht alle Fälle von Anus praeternaturalis mittelst der Klammer¬ 
behandlung (oder analoger Verfahren: mit Krücke nach Dieffen- 
bach, oder mit Gummitampon nach Meusel) geheilt werden 
können — das hat schon Dieffenbaeh (operative Chirurgie) her¬ 
vorgehoben, und Viele nach ihm. Gewisse besonders schwierige 
Fälle (starke Verwachsungen, Zwisrhenlagerung von Darmschlingen, 
Obliteration des abführenden Endes u. s. w.) widerstehen dem Ver¬ 
fahren und erfordern die Darmnaht nach Eröffnung der Bauchhöhle, 
Lösung der Adhäsionen und Anfrischung der Enden. Auch die 
drohende luauitiou würde eine Zwangsindicatiou für die letztere 
Behandlungsart sein. Es muss hervorgehoben werden, dass hier¬ 
durch die Gesammtresultate der secundäreu Resection etwas un¬ 
günstiger sich gestalten werden, weil die schwierigsten Fälle ihr 
zufallen. — Bei den Gefahren der Klammerbehandlung muss noch 
angeführt werden, dass mit der Zerstörung der Scheidewand nicht 
immer ohne weiteres volle Heilung eiutritt; in einer grossen Zahl 
vou Fällen sind noch weitere Operationen, zuweilen wiederholte, 
nothwendig. um den Schluss der Fistel zu bewirken. Auch hierbei 
sind noch Missfälle möglich, und müssten bei Berechnung der Re¬ 
sultate der Dupuytren'schen Methode mitgezählt werden. Sie 
scheinen allerdings sehr selten zu sein, denn in den vorliegenden 
Berichten ist ein Todesfall in Folge der Nachoperation nicht er¬ 
wähnt. — Endlich ist hervorzuheben, dass der längere Verlauf der 
Behandlung zahlreiche schwächende Momente mit sich führt sodass 
iutercurreute Krankheiten leichter auftreten und dem geschwächten 
Organismus gefährlicher werden. Es ist deshalb wohl richtig, bei 
Berechnung des Gesainmtresultats diese Fälle mitzuzählen. 

Verfahrt man in dieser Weise, so ergiebt sich (unter Einrech¬ 
nung aller Todesfälle), dass bei der Klaramerbehandlung des 
Anus praeter naturam von 111 Fällen 11 starben = 9,9% (nach 
Abrechnung der 5 an iutercurrenten Krankheiten verstorbenen kom¬ 
men auf 106 Fälle 6 Todesfälle = 5,6 %). Bei der secundären 
Darm-Resection und -Naht starben nach Reichel 14 von 26 = 
37.8%. Nach Hertzberg (1. c.), welcher noch neuere Erfahrungen 
berücksichtigt, w » r e die Mortalität ca. 27 %. 

Der Unterschied von 9.9 % (resp. 5,6 %) zu 27 % (resp. 37 %) 
ist ein sehr grosser und führt unter Berücksichtigung aller oben 
angeführten Momente doch immer noch zu der Erklärung: bei der 
Behandlung des widernatürlichen Afters ist nach den jetzigen Er¬ 
fahrungen die Klammerbehandlung, wo sie anwendbar ist (die Gegen¬ 
anzeigen sind oben angeführt), erheblich ungefährlicher als die se- 
sundäre Darmnabt nach vorhergehender Resection. 

Stellt man dagegen die Frage so: bei welcher Behandlung des 
Darmbrandes nach Brucheinklemmung werden die meisten Leben 
gerettet? so scheint nach meinen und Hahn’s Ausführungen, sowie 
nach Benuo Schmidt, eher noch ein kleines Plus für die pri¬ 
märe Resection und Naht herauszukommmen. Ungünstig liegen die 
Aussichten vorläufig noch auf beiden Seiten, so dass Hahn’s Vor¬ 
schlag zur Verbesserung der primären Darmresection sehr beherzigens- 
werth erscheint uud zu weiterer Arbeit an der Verbesserung der 
Methode auffordert. 

Auch die Anlegung des Anus praeternaturalis ist andererseits 
bereits gegen früher, wo die Methode einfach im Draussenliegen- 
lassen der brandigen Schlinge, eventuell unter Zuhülfenahme eines 
Fadens durch das Gekröse, bestand, erheblich verbessert worden 
und ist wohl auch noch weiterer Verbesserung fähig. Als solche 
Verbesserungen sind in neuerer Zeit empfohlen: Heraushängenlassen 
des zuführenden Darmendes aus der Wunde; Vernähen der Serosa 
des Darmes mit dem Bruchsackhals; endlich die sehr wirksame 
Tamponade mit .Jodoformgaze; der Infeetion der Wunde und der 
Bauchhöhle wird hierdurch besser vorgebeugt. Ebenso sind die se¬ 
cundären Operationen am Darme in neuerer Zeit gefördert worden 
durch Verbesserung der Technik der Darmnaht. — Klarheit kann 
in diese Verhältnisse nur dann kommen, wenn nicht einzelne gün¬ 
stige oder ungünstige Fälle veröffentlicht werden, sondern w T enn 
aus der Erfahrung einzelner oder vieler vereinter Chirurgen fest¬ 
gestellt wird: so und so oft wurde bei der Herniotomie der Darm 
brandig gefunden, und von diesen Kranken wurden ira Ganzen ge¬ 
heilt nach der oder jener Methode so und so viel. — In dieser 


Beziehung ist die von FL Hahn (1. c.) in Aussicht gestellte Mit¬ 
theilung ein grosser Schritt vorwärts. 

Durch das Zusammeustellen vereinzelter Fälle aus der Literatur 
werden zu viel Irrthiimer eingeführt; ganz besonders, wenn man 
die in den Zeiten der alten Wundbehandlung behandelten Fälle 
mitrechnet. 


II. Ueber infectiöseKolpitis kleiner Mädchen. 1 ) 

Von Prof. v. Dusch. 

Auf der Naturforscherversammlung zu Strassburg im Jahre 1885 
hat mein verehrter Herr College Hagenbach uns in einem ebenso 
lehrreichen als interessanten Vortrage seine Erfahrungen in Bezug 
auf Hausiufeetionen im Basler Kinderhospitale mitgetheilt, und ein 
ehemaliger Assistenzarzt an demselben, Herr Dr. Fahrn, hat in 
seiner Inauguraldissertation diese Ergebnisse in ausführlicherer Weise 
dargelegt. 

Ich will mir heute nun erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf 
kurze Zeit in Anspruch zu nehmen, um Ihnen meine Erfahrungen 
über eine wenn auch gerade nicht sehr ernste, doch immerhin sehr 
lästige und hartnäckige Erkrankung, die infectiöse Kolpitis 
kleiner Mädchen mitzutheilen, welche in dem Heidelberger Kinder¬ 
hospitale in sehr auffälliger Weise zu Hausinfectionen Veranlassung 
gegeben hat und, wie ich glaube, für alle Kinderärzte, namentlich 
aber für solche, welchen die Leitung eines Kinderhospitales anver¬ 
traut ist, ein besonderes Interesse haben dürfte. 

Seit dem Anfänge des Jahres 1886, bald nachdem die Heidel¬ 
berger Luisenheilanstalt für kranke Kinder in das neue, mit allen 
Hospitaleinrichtuugen wohlversehene Gebäude übergesiedelt war, 
haben wir daselbst 19 kleine Mädchen an einem infectiöseu Katarrh 
der Scheide und Vulva zu behandeln gehabt; unter diesen 19 Fällen 
befinden sich 9, also fast die Hälfte, bei welchen unzweifelhaft eine 
Spitalinfection die Entstehung der Krankheit veranlasst hat. Von 
diesen 19 Erkrankungen kamen 7 auf das Jahr 1886, 12 auf das 
laufende Jahr, ira Jahre 1887 wurde keine derartige Erkrankung im 
Hospitale behandelt. 

Die Kinder standen im Alter von IV 2 bis 12 Jahren, die 
meisten zwischen 2'/‘2 bis 4 Jahren (10). Bei allen bestand ein 
mehr oder minder reichlicher, schleimig-eitriger oder rein eitriger 
Ausfluss aus der Vagina und der gerötheten und etwas geschwollenen 
Vulva, der an den Labien zu gelblich-grauen Krusteu vertrocknete 
und nur ausnahmsweise eine stärkere Reizung der Theile zur Folge 
hatte. In dem secernirten Eiter fand sich constant und fast immer 
in grösserer Menge während der ganzen Dauer der Erkrankung der 
Neisser’sche Gonococcus oder wenigstens ein ihm vollkommen 
ähnlicher in charakteristischer Weise innerhalb der Eiterzellen ge¬ 
lagert, der sich mit Leichtigkeit in kalten Lösungen von Methylenblau 
oder Gentianaviolett färben liess. Die subjectiven Beschwerden der 
Kinder waren meistens sehr unbedeutend, bei den Hausinfectionen 
wurde der Ausfluss nicht selten zufällig entdeckt, nur in einem 
Falle waren die Reizungserscheinungen beträchtlicher, so dass das 
Gehen und Sitzen schmerzhaft war; in einzelnen Fälleu bestand 
auch Anfangs vermehrter Harndrang. Ein Unterschied in Bezug 
auf die Symptome der von Aussen aufgenomraenen und der im 
Hospitale inficirten Kinder liess sich nicht bemerken; aber fast in 
allen Fällen war die Affection eine sehr hartnäckige und wider¬ 
stand selbst der energischsten antiparasitären Behandlung. Ira 
Ganzen wurden nur 9 Fälle völlig geheilt, 4 Fälle wurden gebessert 
und 6 uugeheilt auf Wunsch der Eltern nach längerem Hospital- 
aufeuthalt entlassen. Bei den geheilten Kindern schwankte die 
Dauer der Behandlung zwischen 3 und 10 Wochen und betrug im 
Mittel 7 Wochen. Ausser wiederholten täglichen Ausspülungen der 
Vagina mit lauem Wasser vermittelst eines bis an das Scheiden¬ 
gewölbe reichenden Kautschukrohrs wurden nach solchen reinigen¬ 
den Asspülungen angewendet: Sublimatlösungen in verschiedenen 
Concentrationen von 1 : 3000 bis 1:500, Lösungen von schwefel¬ 
saurem Zink 1:600, 2% Carbollösungen und 2% Thallinlösungen 
in Gestalt von Ausspülungen. Mit Ausnahme der Thallinlösungen 
wurde stets ein grosses Quantum 1—1 Qa Liter der medicameutösen 
Flüssigkeit durch die Scheide vermittelst eines Irrigators getrieben; 
auch von der Einlegung von Jodoforrastiften nach der Empfehlung 
von Pott wurde wiederholt Gebrauch gemacht. Von all diesen 
Methoden, die zum Theil successiv bei ein und demselben Kinde 
zur Anwendung kamen, wurden Heilerfolge erzielt, ebenso oft war 
aber das Resultat ein unbefriedigendes, so dass wir keiner Methode 
den Vorzug geben können. Die rascheste Heilung wurde einmal 
mit Sublimat 1:2000 erzielt, doch bedurfte es in einem anderen 
Falle 10 Wochen bis zur Heilung bei Anwendung einer Sublimat- 


*) Vortrag, gehalten in der prädiatrischen Section der 61. Versammlung 
Deutscher Naturfoscher und Aerzte. 


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S3J 

lösiiDg von 1 : 1000, in einem nach vielen Wochen ungeheilt ent¬ 
lassenen Falle wurde sogar auf 1 : 500 gestiegen. 

Was nun die, wie ich glaube, uns am meisten interessirende 
Frage, nämlich die Aetiologie betrifft, so ergab sich für die von 
Aussen hereingekomraenen Erkrankungen, dass in drei Fällen beide 
Eltern oder wenigstens der Vater an Gonorrhoe, in 2 Fällen Ge¬ 
schwister an einer ähnlichen Affection gelitten hatten, in den 
5 übrigen Fällen dieses Ursprungs liess sich jedoch über diesen 
Punkt nichts Bestimmtes ermitteln, was auch am Ende nicht zu 
verwundern ist. Dass etwa ein Stuprura stattgefunden hätte, war 
in keinem Falle wahrscheinlich, da weder das Benehmen der Kinder 
noch die Beschaffenheit der Genitalien einen solchen Verdacht recht¬ 
fertigte. 

Dagegen gehörten alle diese Kinder den niedrigen Volksclassen 
an, bei welchen ja Nachlässigkeit, Unreinlichkeit, gemeinsames 
Schlafen von Erwachsenen und Kindern in einem Bette, der Ge¬ 
brauch gemeinsamer Waschgeschirre etc. zuhause sind. Umstände, 
auf welche Pott in seinem Aufsatze „die specifische Vulvovaginitis 
im Kindesalter“ (Jahrb. für Kinderheilk. N. F. XIX, 1883) sehr 
richtig aufmerksam gemacht hat. Ohne Zweifel stammten auch die 
in Bezug auf ihre Aetiologie dunkel gebliebenen Fälle von einer 
im eigenen Hause erworbenen Infection her. Ich will hier gelegentlich 
bemerken, dass seit dem Bekanntwerden des Neisser’schen Coccus 
ich bei allen mit Fluor behafteten kleinen Mädchen, welche poli¬ 
klinisch und ambulant zur Behandlung kamen, der genannte Mikrobe 
von uns niemals vermisst wurde. 

In Bezug auf die Hausinfectionen kann ich Folgendes berichten: 
Im Jahre 1886 kam unter 7 Fällen nur eine solche vor. Ein 
9 jähriges Mädchen, Gertrud K., welches wegen scarlatinöser Nephritis 
sich im Hospital befand und am 16. Februar geheilt entlassen worden 
war, musste 2 Tage darauf am 18. Februar wieder aufgenommen wer¬ 
den wegen Fluor aus den Genitalien. Das Kind hatte während der 
Reconvalescenz sich stets am Bette der mit Kolpitis behafteten, gleich¬ 
altrigen Emilie S. aufgehalten und mit dieser gespielt. Woher letztere 
ihre Erkrankung erworben hatte, war nicht mit Bestimmtheit zu 
ermitteln, doch stammte sie aus einer Familie, in welcher Geschlechts¬ 
krankheiten wiederholt zur Behandlung gekommen waren und ver¬ 
schiedene Kinder an congenitaler Lues gelitten hatten. Wenn wir 
auch damals hätteu im Zweifel seiu können, ob wirklich das eine 
Kind das audere angesteckt habe, so wäre dieser durch die Er¬ 
fahrungen des Jahres 1888 völlig beseitigt worden. 

Am 17. Januar 1888 wurde die 2'/-.»jährige Philipp ine R., 
deren Schwester ebenfalls an Fluor litt, wegen Kolpitis und Ure¬ 
thritis aufgenommen; am 1. Februar musste das Kind in den für 
Infectionskrankheiten bestimmten Annasaal transferirt werden, weil 
es an Racbendiphtherie erkrankt war, und blieb daselbst bis zu 
ihrer völligen Heilung an beiden Affectionen am 22. Februar. Acht 
Tage nach dem Eintritt der Philippine R. in den Annasaal er¬ 
krankte die darin seit dem 18. Januar befindliche, an Scharlach- 
uepliritis leidende 4jährige Emilie G. au Kolpitis. Am 11. und 
12. März erkrankten 2 weitere in diesem Saale schon längere Zeit 
wegen Scharlach befindliche Mädchen an Vaginalausfluss, die 274 - 
jährige Margaretha K. und die 9jährige Wilhelmine M. Letztere 
verblieb bis zum 14. April in dem Anuasaale; am 8. April wurde 
Vaginalausfluss bemerkt bei der am 29. März wegen Scharlach¬ 
nephritis undMorbillen in den Infectionssaal aufgenommenen 5jährigen 
Elise T., welche am 29. April gebessert entlassen wurde, und am 
20. April zeigte sich Fluor bei der seit dem 17. März in dem Anna¬ 
saal wegen Scharlach und Diphtherie aufgenommenen und noch an 
Nephritis leidenden 12jährigen Lina S. Diese letztere wurde am 
20. Mai geheilt entlasseu. Hiermit war die Reihe der Infectionen 
mit Kolpitis im Annasaal beschlossen. 

Ganz unerwartet aber zeigte sich am 23. Juni, also mehr als 
4 Wochen nachdem das letzte an Gonorrhoe erkrankte Mädchen 
den Annasaal und das Haus verlassen hatte, in einem auf einem 
anderen Stockwerke gelegenen Krankensaal, dem Victoriasaale, in 
welchem fast ausschliesslich an tuberculösen Knochen- und Drüsen¬ 
erkrankungen leidende Kinder untergebracht waren, bei der da¬ 
selbst wegen Coxitis schon seit dem 1. Juni befindlichen 2 7>jährigen 
Sophie D. Vaginalausfluss. Es trat derselbe alsdann auch bei 2 
anderen in diesem Saale seit längerer Zeit befindlichen Kindern, der 
2V:»jährigen Caroline L. (Lymphadenitis post scarlatinam) am 
25. Juni und der 3 '/ojährigen mit Caries des Fussgelenks behafteten 
Susanne B. am 26. Juli auf. 

Die Erklärung der Uebertragung von Kolpitis im Annasaale 
unterliegt keiner besonderen Schwierigkeit. Obwohl die Kinder 
in diesem Saale sämmtlich das Bett hüteten, so ist doch eine 
Infectiou durch das allen gemeinsame Wartepersonal leicht denkbar, 
wenn auch strenge Anordnungen getroffen wurden, um den gemein¬ 
schaftlichen Gebrauch von Thermometern (die Temperaturen werden 
im Anus gemessen) und Nachtgeschirren zu verhüten (jedes Kind 
hatte einen besonderen Thermometer und eiuen eigenen Nachttopf)* 


No. 41 

denn man wird immerhin zugeben müssen, dass in dieser Beziehung 
einzelne Versehen und Verstösse stattgefuuden haben mögen. Auch 
kann sehr wohl eine Uebertragung durch die im Saale aufbewahrten 
Spielsachen, welche von den verschiedenen Kindern benutzt werden 
erfolgt sein. 

Durchaus uuerklärlich bleibt aber das Auftreten der Kolpitis 
im Victoriasaale. Anfangs hegten wir den Verdacht, dass eine 
Wärterin, welche bisher in dem Annasaale Dienste geleistet hatte, 
am 16. Juni aber in dem Victoriasaale die Pflege übernommen 
hatte, vielleicht selbst inficirt, die Uebertragung vermittelt habe. 
Eine genaue Untersuchung ergab jedoch die völlige Grundlosigkeit 
dieser Verrauthung. 

Aus Allem geht zweifellos hervor, dass die Ansteckungs¬ 
fähigkeit dieser Kolpitisform eine sehr grosse ist für Kinder 
nicht aber für Erwachsene, wenigstens wurde keine von unseren 
Wärterinnen inficirt. Auch hat wohl die Uebertragung meist durch 
dritte Personen oder durch Gegenstände stattgefunden. 

Eine Umschau in der Literatur nach ähnlichem Vorkommnissen 
ergiebt nur wenig Ausbeute. 

Nachdem schon Pott in seinem schon erwähnten Aufsatze sich 
für die infectiöse, gonorrhoische Natur der meisten bei kleinen 
Mädchen vorkommenden Ausflüsse ausgesprochen hat, mit welcher 
Ansicht ich vollkommen übereinstimme, finden wir zunächst eine 
von Eugen Fränkel beschriebene Endemie von infectiöser 
Kolpitis auf der Kinderabtheilung des Hamburger allgemeinen 
Krankenhauses aus den Jahren 1881—84 (Virch. Arch. Bd. 99. 
und Aehnliches hat auch Cseri wie es scheint in dem Pester 
Kinderspitale beobachtet. (Pester med.-Chirurg. Presse 1885). 
Bouchut (Biedert-Vogel, Lehrb. der Kinderkrankheiten) und 
Atkinson (vergl. Fränkel’s Arbeit) haben in Mädchenpensionaten 
infectiöse Kolpitis gesehen. 

Sowohl in Bezug auf die Symptome als auch in Betreff des 
Auftretens haben unsere Fälle die grösste Aehnlichkeit mit den 
von Fränkel beschriebenen. Auch bei unseren Kranken lässt sich 
eine Prädisposition bei Scharlachkranken und solchen, die erst kurz 
vorher Scharlach überstanden haben, nicht verkennen; unter den 
9 Hausinfectionen befanden sich 7, welche theils an Scharlach 
litten (2), theils an Nachkrankheiten desselben (Nephritis 4, Lymph¬ 
adenitis 1). Bei Fränkel war der Hauptherd der Affection unter 
den Kindeni weiblichen Geschlechts auf der Scharlachabtheilung. 
Erwachsene weibliche Individuen wurden nicht inficirt. 

Fränkel ist nun der Ansicht, dass der von ihm bei der Ham¬ 
burger Endemie constant gefundene Coccus nicht der Neissersche 
Gonocoecus gewesen sei, trotz der vollkommenen morphologischen 
Uebereinstiinmung mit diesem letzteren, und zwar aus folgenden 
Gründen: 

1. weil die gewöhnlichen Symptome des Trippers beim weiblichen 
Geschlechte heftige Schmerzen beim Urinlassen und Erosionen der 
Genitalscbleimheit gefehlt hatten; 

2. weil nur geringe Mengen von Plattenepithelien in dem 
Secrete sich vorfanden, und auch bei dem chronischen Verlaufe der 
Kolpitis im späteren Verlaufe die Coccen noch in grosser Menge vor¬ 
handen gewesen waren, was bei dem chronischen Tripper des Weibes 
nicht der Fall sei; 

3. weil in einer Anzahl von Fällen die Färbung der Coccen 
mit kalter Methylenblaulösung nicht gelang, wie dies beim Neisser- 
schen Coccus mit Leichtigkeit geschieht, sondern nur in erwärmter. 

Dieser Ansicht Fränkel’s scheint auch Flügge zu sein, der 
in seinem Werke über Mikroorganismen (p. 159) den von Fränkel 
beschriebenen Coccus für den Mikrococcus flavus, der von Bumm 
im Vagiual- und Lochialsecrete gefunden worden ist, hält. 

Cseri dagegen erklärt den von ihm gefundenen Coccus fih 
den ächten Neisser’schen, und ich muss gestehen, dass auch ich 
dieser Ansicht für die Fälle meiner Beobachtung zuneige. Obwohl 
auch in diesen die Reizungserscheinungen verhältnissmüssig genug, 
die Coccen auch im späteren Verlaufe noch sehr reichlich vorhanden 
waren, so gelang doch die Färbung derselben in kalten Lösungen 
stets mit Leichtigkeit. Unter den nicht im Hospitale inficirten 
Kindern befanden sich mehrere, bei welchen eine gonorrhoische 
Infection ausserhalb des Spitals durch Erwachsene nicht wohl be¬ 
zweifelt werden kann; dieselben zeigten aber sowohl in Bezug aut 
die Symptome wie auf den Coccenbefund genau dasselbe Verhalten 
wie die im Hospitale inficirten. 

Erwägt man aber, dass die Beschaffenheit der Vaginalschleini- 
haut der Kinder wesentliche Verschiedenheiten von derjenigen bei 
Erwachseuen zeigt, dass ferner die Disposition zu manchen anderen 
Infectiouskrankheiten im kindlichen Alter eine abweichende ist, 
dürfte in diesen Umständen wohl die Verschiedenheit der Erschei¬ 
nungen ihre Erklärung finden. 

Nähere Aufklärungen können uns wohl erst spätere Unter¬ 
suchungen bringen, doch glaube ich zum Schlüsse folgende Sätze 
aufstellen zu können: 


f »KUTSCHE AJKIMCINISCHK WOCHENSCHRIFT. 


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11. October. DEUTSCHE MEDICINISCOE WOCHENSCHRIFT. 833 


1. Es giebt bei kleinen Mädchen eine virulente Kolpitis, 
verrauthlich gonorrhoischer Natur; 

2. Diese Kolpitis ist iu hohem Grade infectiös und kann 
sowohl durch Gegenstände als auch durch dritte Personen über¬ 
tragen werden; 

3. Dieselbe befällt mit Vorliebe solche Kinder, die an Scharlach 
erkrankt sind oder denselben unmittelbar überstanden haben; 

4. Ihr Auftreten in einem Kinderhospitale erfordert die so¬ 
fortige Isolirung der Erkrankten und Stellung unter eine besondere 
Pflege. 


III. Ueber Milchreis, einen neuen festen 
Nährboden. 1 ) 

Von Prof. Dr. J. Soyka in Prag. 

Die Cultur von niederen Organismen auf festem Nährboden hat 
zur Differenzirung derselben, sowie auch zur Herstellung von Rein- 
culturen wichtige Behelfe gegeben; das so ausserordentlich charakte¬ 
ristische Bild, das viele Pilze auf dem festen Nährboden geben, das 
isolirte Wachsthum der ausgesäten Keime, hat sich in sehr vielen 
Fällen ausserordentlich bewährt; doch muss man bekennen, dass die 
bisher als feste Nährmedien angewandten Materialien manches zu 
wünschen übrig Hessen; ausser der Kartoffel, die allerdings von alleu 
für diese Zwecke benützten Nährstoffen sich noch auf das Beste be¬ 
währte, finden nur noch gewisse Rübenarten, dann Früchte, wie 
Aepfel, endlich gewisse breiartige Massen, wie mit Wasser oder 
Bouillon eingerührtes Brod, endlich Kartoffelbrei Verwendung, ohne 
hierdurch die souveräne Herrschaft der Kartoffel zu beeinträchtigen. 
Allein die Kartoffel selbst ist ein Material, dem doch grosse Mängel 
anhaften, einmal durch ihre ungleiehmässige Beschaffenheit an und 
für sich und sodann wegen der durch die verschiedenen Jahres¬ 
zeiten bedingten Beschaffenheit. Es dürften wohl Viele schon die 
Erfahrung gemacht haben, dass zu Ende des Winters manche 
Reincultureu nicht gelingeu, die zu anderen Zeiten, wenn frisches 
Kartoffelmaterial vorhanden ist, vorzüglich ausfallen. Diese Unbe¬ 
ständigkeit des Materials, welche eben einmal in der verschiedenen 
Beschaffenheit der einzelnen Kartoffelsorten gelegen ist, dann aber 
auch in den Veränderungen, die die dem Boden entnommene Kar¬ 
toffel im Laufe der Zeit durchmacht, wirkt oft sehr störend. Es 
war nun mein Bestreben, ein festes Nährmaterial zu finden, welchem 
diese Variabilität entzogen ist, und ich ging mit meinen Versuchen 
zunächst an den Reis, den ich auch wegen seiner schönen weissen 
Farbe, vou welcher sich feine Farbenuüancen leicht und deutlich ab¬ 
heben müssten, in’s Auge fasste; die ersten Versuche, in welchen 
ich, analog den anderen breiartigen Nährmedien, den Reis mit Wasser 
bloss anriihrte, hatten schlechten Erfolg, das Nährraaterial war nicht 
kräftig genug; das Wachsthum erfolgte zwar, aber nicht in genü¬ 
gender Ueppigkeit. Bessere Erfolge hatten schon Mischungen mit 
Bouillon, doch entsprachen auch diese nicht vollkommen den An¬ 
forderungen, die ich an dieses Material stellte, da dadurch der Reis 
in seiner schönen weissen Farbe zu sehr beeinträchtigt wurde; end¬ 
lich wählte ich als Zusatz eine mit etwas Bouillon versetzte 
Milch, und dies gewährte mir das erhoffte Resultat. 

Es war nur noch experimentell zu ermitteln, welches Mischungs- 
verhältniss sich als das zweckmässigste herausstellen würde. Nach 
längeren Versuchsreihen wurde folgendes Verhältniss als das zweck¬ 
mässigste herausgefundeu, einmal mit Rücksicht auf die Consistenz, 
sodann mit Rücksicht auf die Farbe und endlich mit Rücksicht auf 
die Wachsthumsenergie der Bacillen. 100 Gewichtstheile Reispulver 
werden mit 210 Maasstheilen eiuer Mischung von Milch und Bouillon 
versetzt, in welcher sich das Verhältniss der Milch zur Bouillon wie 
3: 1 gestaltet. Das ergiebt dann die Combination: 5—6 Volumtheile 
Bouillon, 10 Gewichtstheile Reis, 15 Volumtheile Milch. Hervor¬ 
heben muss ich noch, dass man wirklich Reis hierzu pulvern soll, 
und nicht das im Handel vorkommende Reismehl oder Reispulver, 
da dieses häufig nur Reisstärke ist und nicht den gewünschten Er¬ 
folg giebt. Diese Masse wird nun iu der Reibschale gleichmässig 
verrieben, sodann mittelst einer Pipette in die hierzu bestimmten 
Glasschälchen gefüllt und sterilisirt. Dieses Letztere macht anfangs 
Schwierigkeiten; wegen der Farbeveränderungen und Zersetzungen, 
die besonders die Milch durch längeres Erhitzen erleidet, durfte nur 
ie ca. 20 Minuten (allerdings wiederholt an 3—4 Tagen) sterilisirt 
werden, und da entwickelten sich noch massenhaft und häufig Pilze, 
besonders ein ausserordentlich faltiger, sauer riechender und den 
Milchreis erweichender Pilz. Erst als ich es unternahm, vor der 
Mischung sowohl Milch als auch Reis gesondert zu sterilisiren, wurde 
der Enderfolg der Sterilisation wesentlich beschleunigt. Dieses Ma¬ 
terial hat nun vor den bisher angewandten folgende Vorzüge. 

1. Es ist stets gleichmässig zu beschaffen; da es genau gekannte 

*) Vortrag, gehalten in der Section für allgemeine Pathologie der 
Gl. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


und nur wenigen Schwankungen in ihrer Zusammensetzung zeigende 
organische Stoffe sind, welche gemischt werden, so wird die Mischung 
stets eine gleichmässige sein. 

2. Die Präparationsweise ist eine relativ einfache, dabei aber 
eiue viel bequemere, da man hier das Nährmaterial flüssig ein- 
füllen und daher beliebig dosiren kann, und dieses dann beim Er¬ 
hitzen im Dampftopf zu einer festen homogenen Masse erstarrt, die 
sich auch fest an die Wandungen des Gefässes anlegt, so dass sich 
das Gefass auch urastülpeu lässt, was mit Rücksicht auf den even¬ 
tuellen Trausport solcher Präparate von grosser Bedeutung ist. 

3. Das Nährmaterial ist ein derartiges, dass auf demselbeu das 
Wachsthum der Pilze zumeist ein viel üppigeres und rascheres ist, 
als auf den anderen bisher angewandten Nährböden; ja ich kenne 
bisher nur sehr wenige Pilze, die nicht auf demselben wachsen wür¬ 
den. Jedenfalls wachsen einige Pilze, die auf Kartoffeln nicht oder 
uur schwer gedeihen, auf diesem Milchreis in üppigster Weise. 

4. Die Oberfläche ist glatt, die Masse homogen und nicht wie 
bei der Kartoffel porös. Die Folge davon ist eine zweifache: a) das 
Wachsthum beschränkt sich viel mehr als bei der Kartoffel, geht 
bei den meisten Pilzen nicht weit über die Impfstelle hinaus, b) da¬ 
für wird aber auch manche Cultur, bei welcher gerade auf der 
Kartoffel charakteristische Verzweigungen entstehen, etwas weniger 
prägnant. 

5. Dagegen entwickeln sich auf dem Milchreis Wachsthuras- 
erscheinungen, welche wieder viel schärfere Unterscheidungsmerkmale 
bieten, als die Kartoffel. Abgesehen davon, dass sich auf dem Milch¬ 
reis viel mannichfaltigere und feinere Farbennüancen zeigen, als auf 
der Kartoffel, bieten manche Pilze bei ihrem Wachsthum Bilder, 
die nicht bloss überraschend für den Anblick sind, sondern auch 
neue Gesichtspunkte in Bezug auf den Lebensprocess der Pilze er¬ 
öffnen. Manche Pilze, und ich führe als Beispiel Cholera, Anthrax, 
Bac. myeoides, Schweineseuche an, bilden an der Impfstelle eigen- 
thümliche, scharf umschriebene und scharfrandige Substanzverluste; 
es treten, entsprechend jeder Impfung, mehr weniger runde, oft wie 
mit einem Locheisen ausgeschlagene, ganz senkrecht in die Tiefe sich 
erstreckende Bildungen auf, die man am besten mit Geschwüren ver¬ 
gleichen könnte, und die sich von eiuander durch den Belag unter¬ 
scheiden, mit welchem dieser „Geschwürsgrund“ bedeckt ist; das 
Material wird also in diesem Falle von den Pilzen vollständig zer¬ 
stört und ir gasförmigen Zustand überführt, denn es bilden sich eben 
iu dem Material grosse Löcher, entsprechend jeder Impfung; es ist 
die Aufgabe weiterer Untersuchungen, diese gasförmigen Stoffwechsel- 
producte zu untersuchen; es besteht für diese interessante That- 
sache wohl eine Analogie in den so rasch verdunstenden Pilzen, 
welche jetzt in der Literatur bekannt sind, doch lässt das Bild, das 
ein so sich einfressender Pilz auf dem Milchreis gewährt, mit nichts 
Bekanntem einen Vergleich zu. 

6. Ein weiterer Vortheil, der sich besonders beim Unterrichte 
bewähren wird, ist, dass man, eben wegen der Begrenzung des Wachs¬ 
thums auf einen geringen Umkreis um die Impfstelle leicht, auf einer 
kleinen Fläche mehrere von einander differente Pilze zum Wachs¬ 
thum bringen und so die Verschiedenheit des Pilzwachsthums neben 
einander demonstriren kann. Besonderen Vortheil kann man sich 
vou diesem Nebeneinanderzüchten mehrerer Organismen beim Studium 
der wechselseitigen Einwirkung der Stoffweehselproducte der Pilze 
aufeinander versprechen, und es wird wohl leicht sein, durch Neben¬ 
einanderzüchten von Aeroben und Anaerobeu diese letzteren neben 
den ersteren in einer etwas späteren Periode im verschlossenen Ge- 
fäss zum Wachsthum zu bringen. (Es wird eine Anzahl solcher mul¬ 
tipler Culturen demonstrirt.) 

7. Dieses Material, das ursprünglich flüssig ist und analog dem 
Blutserum erst durch die Hitze erstarrt, lässt sich nun durch ver¬ 
schiedene Beimengungen auch mannichfaltig variiren; ich will nur 
auf zwei von mir ausführlicher versuchte Variationen aufmerksam 
machen: a) die erste besteht darin, dass ich dem Material, resp. der 
Bouillon, noch Glycerin zusetze, wodurch für manche Organismen 
(Rotz, Tuberculose) der Nährboden noch geeigneter wird; b) sodann 
aber kann man das Nährmateiial vor seiner Erstarrung durch Zu¬ 
satz von Farbstoffen in Lösungen sehr schön und gleichmässig fär¬ 
ben und dadurch auch noch durch Farbencontraste eine schärfere 
Unterscheidung der einzelnen Wuchsformen gewinnen, aber auch deu 
Einfluss der Farbstoffe auf die Organismen und umgekehrt studiren, 
und Sie werden an einigen der hier demonstrirten Präparate sehen, 
dass auch der Farbstoff von den einzelnen Organismen angegriffen 
und zerstört wird. 

So glaube ich denn auf Grund meiner ca. 1 jährigeu Erfahrungen, 
die ich mit diesem Nährmaterial gemacht, und auf Grund der Ihneu 
hier vorgeführteuPräparate zur ausgiebigen Benutzung dieses bequemen 
und schönen Nährmaterials auffordern zu sollen, umsomehr, als es 
ja doch wieder ein neues und vielfach bedeutungsvolles Differenzirungs- 
mittel in die Diagnostik der Pilze einführt. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41 


IV. Aus der medicmischen Abtheilung des Bürgerhospitals 

zu Köln. 

Ein Fall von Antifebrinvergiftung. 

Von Di*. C. S. Freund, Assistenzarzt. 

Jakob Gliesche, Blumeninacher, “29 Jahre alt, bisher nie ernstlich 
krank, erwachte am Morgen des 20. Juli mit ziemlich heftigen Kopfschmerzen, 
ilie er auf den am vorangegangenen Abend .stattgehabten allzureichlichen 
Genuss von Bier und Wein zurückführte. Er liess sich daher aus einer 
benachbarten Droguerie „für 10 Pfennige Etwas gegen Kopfschmerzen“ holen 
und erhielt ohne nähere Bezeichnung ein unabgetheiltes weisses Pulver mit 
der Weisung, zunächst die eine Hälfte und bei ungenügender Wirkung 
später die andere Hälfte zu gebrauchen. Dementsprechend nahm er um 
11 I hr Vormittags die eine Hälfte ein. und als die Kopfschmerzen, welche 
zunächst nachgelassen hatten, um 2 Uhr Nachmittags rccidivirteu. gebrauchte 
er um 3 Uhr die andere Hälfte jenes Pulvers. Kurz nach 4 Uhr bemerkte 
zufällig die Frau des Patienten eine auffallende Blässe in seinem Gesicht., 
sowie eine dunkelblaue Verfärbung an seinen Ohren und Lippen Patient 
hatte hierbei nicht die geringsten Beschwerden und versuchte anfänglich, 
die vermeintlich auf äusserer Verunreinigung beruhende Karbe durch Wa-chen 
und Reiben zu beseitigen. Die Verfärbung nahm jedoch deutlich an Inten¬ 
sität zu, dehnte sich auch auf die Nasenspitze sowie die Fingernägel aus. 
Zugleich fühlte Patient eine leichte Steifigkeit in den Armen und Beinen, 
zumal in letzteren auf dem Wege nach dem Hospital, welchen er übrigens 
sehr schnell, aber etwas schwankend, zu Fuss zurücklegte. 

Die Hospitalaufnahme erfolgte tun ‘/aG Uhr Nachmittags. 

Status bei der Aufnahme: Mittelgrosser, kräftig gebauter Mann 
von mittlerem Ernährungszustände. 

Von der auffallend blassen, aschgrauen, fast bleifarbenen Haut setzen 
sich scharf ab durch eine dunkellivide, fast schwarzblaue Verfärbung die 
Lippen, die Nasenspitze, die Ränder beider Ohrmuscheln, die Kuppen und 
Nägel aller Finger und Zehen. Die Selera beider Bulbi zeigt eine schmutzig 
grauschwarze Schatlirung. Die Conjunctivae palpebrarum sind dunkelmth 
gefärbt und tragen ein reich entwickeltes Netz von strotzend gefüllten 
scltwarzblauen Venen. Die Zunge hat eine dunkelgraublaue Farbe. — Die 
Haut fühlt sich im Allgemeinen kühl, jedoch nicht kalt, an, ist nicht mit 
Schweiss bedeckt. 

Ausser dieser hochgradigen Cyanose, sowio einer bedeutend ver¬ 
mehrten Pulsfrequenz (s. u.) zeigt Patient keine bemerkenswertheu 
Veränderungen. 

Reine Herztöne. Normale, nicht beschleunigte Athmung. Völlig freies 
Sensorium. Keine Kopfschmerzen. Kein Sehwindelgefühl. Kein Ohren¬ 
sausen. Kein Erbrechen. Keine Brechneigung. Keinerlei Schmerzen im 
Magen oder Abdomen. Kein Durstgefühl. Weder Hitze- noch Kältegefühl. 
Keine Motilitätsstörungen. Keine Sensibilitätsstörungen, auch nicht an den 
livide verfärbten Stellen. Keine Paraesthesieen. Keine Muskeldruckschmerzen. 
Normales Verhalten der Sehnen- und Hautreflexe. Gefühl einer leichten 
Steifigkeit in den Kniegelenken, jedoch normale Beweglichkeit. Zeitweilig 
ein ganz schwacher Tremor an den Händen. Mittelweite und gut reagi- 
rende Pupillen. — Normaler Befund bei der mikroskopischen Untersuchung 
des Blutes. 

Von der anfänglich beabsichtigten Magenausspülung wurde Abstaud ge¬ 
nommen, da keine Erscheinungen von Seiten des Magens Vorlagen, schon 
mehrere Stunden nach der Aufnahme des Pulvers verflossen waren, und das 
Allgemeinbefinden des Patienten nichts zu wünschen übrig liess. Es wurde 
eine stimulirende Behandlung eingeleitet: schwarzer Kaffee, stümll. 5 Tropfen 
Aether sulfur. gegeben sowie um 7 Uhr ein Klysma. 

Die Cyanose blieb bis in die späten Nachtstunden in unveränderter 
Intensität bestehen. Die Pulsfrequenz verminderte sich bald nach der 
Hospitalaufnahme. Während um .5 Uhr 30 Min. 152 Pulse vorhanden waren, 
wurden um 5 Uhr 50 Min. 108 Pulse, um 6 Uhr 15 Min. 100 Pulse, um 
8 Uhr 104 Pulse gezählt. Die Körpertemperatur (Aftermessnngen) war 
stets — auch unmittelbar bei der Aufnahme — normal. Ueher das Ver¬ 
halten des Urins siehe unten. 

Am 21. Juli etwas geringere, aber noch sehr ausgeprägte Cyanose. 
Pulsfrequenz in der Minute 81. 

Die leichte Steifigkeit in den Kniegelenken ist ganz geschwunden, ebenso 
der minimale Tremor au den Händen. 

Am Morgen des 21. Juli aus den noch immer dunkel livide verfärbten 
Fingerkuppen entnommenes Blut zeigt eine normale rothe Farbe und lässt 
bei der spektroskopischen Untersuchung keine Auoiualieen, speciell keine 
Methämoglobinstreifen erkennen. 

Im Laufe des Tages weiteres Zurücktreten der Cyanose. 

Erst am Nachmittag des 23. Juli sind auch die letzten Spuren der Cya¬ 
nose geschwunden. 

Um die (Qualität sowie die Menge jenes Pulvers feststellen 
zu können, Hessen wir unmittelbar nach der Ankunft des Patienten 
im Hospital dessen Frau aus der uämliclien Droguerie wiederum 
für 10 Pfennige von jenem Pulver kaufen utul nach dessen Namen 
fragen. Der Droguist bezeichnete es schriftlich als Antifebrin. 
Das nunmehr erhaltene Pulver wog 6,0 g und bestand, wie der 
Norstand der Apotheke des Bürgerhospitals Herr Schack cou- 
statirte, aus reinem, von Beimengungen freiem Antifebrin 
(Acetauilid) *). Es handelt sich somit bei unserem Patienten um 


*) Nach der Preisliste der cheinisch-pliarmaceutischen Fabrik von J. I*. 
J. Monheim in Aachen kosten 100,0 g Antifebrin nur 90 Pfennige; 1000.0 
Anfifebriu (1,40 JJark. 


eiue Antifebrinvergiftung, wobei im Ganzen 6,0 g Antifebriu 
und zwar in zweimaliger Dosis ä 3,0 aufgeuommen worden sind. 

Die Richtigkeit unserer Annahme waren wir in der Lage durch 
die genaue chemische Untersuchung des Urins bestätigeu zu 
können. Wir untersuchten folgende vier Uriuportioneu: 

Erster Urin, 350 ccm, gelassen am 20. Juli, Nachmittags 6 3 /4 Uhr, 
ist von dunkelbrauurother Farbe, etwas trübe, enthält weder Albu¬ 
min noch Gallenfarbstoff, noch Zucker, reagirt sauer. Mikroskopische 
Untersuchung ergiebt keine Elementarbestandtheile. 

Zweiter Urin, 850 ccm, gelassen am 27. Juli, Abends 9 Uhr, hell¬ 
gell), specif. Gewicht 1001, verhält sich im Uebrigen wie 1 . 

Dritter Uriu, 1180 ccm, gelassen in der Nacht vom 20. zum 
21. Juli, wieder dunkel gefärbt, madeirafarbig, specif.'Gewicht 1006. 
verhält sich im Uebrigen wie 1. 

Vierter Urin, 200ccm, gelassen am 21. Juli, Morgens 6 Uhr. 
hellgelb, specif. Gewicht 1002, verhält sich im Uebrigen wie 1 . 

Da das Antifebrin (Acetanilid) gegen chemische Reagentien 
eine grosse Widerstandsfähigkeit besitzt, so beruht sein Nachweis 
auf dem Nachweise seiner Spaltungsproducte, vorzüglich des Anilins. 
Wir bedienten uns: 

1. Der Iudophenolreaction: 

Der Harn wird mit V 4 seines Volumens concentrirter Salzsäure 
im Reageusgläschen einige Minuten lang gekocht; nach dem Erkalten 
wird ein Tropfen verflüssigter Carbolsäure und hierauf mehrere ccm 
Chlorkalklösuug hinzugefügt. Bei Anwesenheit vou Antifebriu ent¬ 
steht eine zwiebelrothe Färbung, die durch Zusatz von Ammoniak 
in sehr schönes Blau übergeht. 

Diese Reactiou ergab in allen 4 Urinportionen ein positives 
Ergebniss. 

Mit Hülfe derselben Reaction gelang es auch, im Destillate 
des mit Natronlauge versetzten Harnes (der hierzu benutzte Uriu 
stammte aus der zweiten Portion) Antifebrin in Spuren nachzu¬ 
weisen. 

Dieselbe Reactiou wurde wiederholt unter Anwendung von 
Eisenchlorid an Stelle des Chlorkalks mit positivem Ergebnisse 
ausgeführt. 

2. Auf Rath des Herrn Apotheker Schack stellten wir ausser¬ 
dem die von C. Schwarz, (Elberfeld) 1 ) zum Nachweise des Auti- 
febrius empfohlene Isonitrylreaction an, welche eine Modifi- 
cation der A. W. Hofmann’schen Reaction zum Nachweise der 
primären Amine ist: Der mit Kalilauge erhitzten Urinprobe wird 
ein Körnchen Chloralhydrat hinzugefügt. Es entwickelt sich Chloro¬ 
form, und bei Gegenwart von Antifebriu tritt der stinkende Geruch 
nach Isonitryl auf. — Letzterer liess sich auf diese Weise in allen 
vier Urinprobeu zur Entwickelung bringen. 


2. Die quantitative Bestimmung der Schwefelsäureu 
im Harn hatte Herr Apotheker Schack die Freundlichkeit aus¬ 
zuführen: a) 100 ccm einer Urinprobe, welche aus gleichen Theileu 
der vier erwähnteu Urinportionen zusammengestellt wurde, enthalten, 
an praeformirter H> SO 4 :0,0273 g 
an gepaarter Ha SO 4 : 0,0375 g 
b) 100 ccm vou Uriuportion II enthalten: 

an praeformirter H 2 SO 4 :0,0065 g 
an gepaarter H 2 SO 4 : 0,0075 g 


Es sei bemerkt, dass in der fünften Urinportion, die unser Patient 
gelassen hat (am 21. Juli im Laufe des Nachmittags), mittelst der 
lndophenolreactiou noch Spuren von Antifebriu nachgewiesen werden 
konnten, dass hingegen diese Reaction bei der Untersuchung der 
sechsten Urinmeuge (gelassen in der Nacht vom 21./22. Juli) nicht 
mehr zu Stande kam. 

Die zugeführte Antifebrinmenge (6,0 g) übersteigt die gewöhn¬ 
liche Dosis (0,25 g) um das 24fache. Ihre Aufnahme erfolgte sehr 
schnell innerhalb 4 Stunden in zwei gleichen Dosen. Diese Dosis- 
wurde am Menschen bisher nur von Simpson-) überschritten, wel¬ 
cher bei Selbstversuchen mit dem Antifebrin im Ganzen 7,0 g aut- 
nahm, jedoch in 7 Eiuzeldosen ä 1,0 g in Intervallen von 2 ’/-2 Stunden. 
Weill :J ) nahm 4,0 g auf einmal. Fürbringer-Riese 4 ) haben uj 
einem Falle die Tagesdosis bis auf 6,0 g gesteigert. Unser ra 
zeichnet sich demnach nicht sowohl durch die Grösse der Dosis als 
auch durch die schnelle Aufnahme des Mittels aus. Um so bedeu¬ 
tungsvoller ist daher der Umstand, dass bei unserem Patienten 
in gleicher Weise wie in den eben citirten Fällen — bedrohlich 
Intoxicationserscheinungen gefehlt haben. Die relative Uugefährln * 
keit, die das Autifebrin für den Menschen besitzt, wurde übrigen?- 


l ) Rharmaeeutische Zeitung, Jahrgang 1888, No. 48. . 

2 ; F. T. Simpson, Some not es on Antifebrin. Now-5 ork m * • 
Ree. 1887. t .. 

3 ) VVeill, De l’aetiou physiologique et therapentique de l’acetani 1 1 

Bull gen. de therap. 1887. . . 

4 ) H. Riese, Zur Wirkung des Antifcbriiis. Deutsche inedici». " 0f p " 
schrift 1886. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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schon von Cahn und Hepp 1 ) betont, welche aus Thierexperimeuten 
den Schluss ableiten zu können glauben, dass beim Menschen 20 
bis 30 g auf einmal, oder mehrere Tage hindurch etwa 15 g nöthig 
sein würden, um schwere toxische Erscheinungen zu veranlassen. 
Von Todesfällen nach Antifebringebrauch beim Menschen ist bisher 
noch nichts berichtet worden, vermuthlich weil es seine Hauptauf¬ 
gabe als Antipyreticum schon bei minimalen Dosen erfüllt und in 
solchen gegeben zu werden pflegt. 

Auf das Auftreten von Cyan ose nach grösseren Antifebrin- 
dosen oder nach fortgesetztem Gebrauche dieses Mittels haben schon 
Cahn und Hepp hiugewiesen. Die Häufigkeit dieses Symptoms 
ist von den späteren Autoren, z. B. von Salm-), constatirt worden. 
In keinem der bisher bekannt gewordenen Fälle stand es jedoch 
so im Vordergründe der klinischen Erscheinungen wie in dem 
unserigeu. Bezüglich des Zustaudekommens der Cyanose werden 
verschiedene Ansichten geäussert. Bokai' 1 ) betrachtet sie als Folge 
von Gefässkrampf. 

Müller 4 ) bezieht sie auf Erweiterung von Venen, glaubt aber, 
dass ausserdem hierbei noch eine nicht unwesentliche Rolle der 
Methaeinoglobingehalt des Blutes spiele, welchen er im Blute mit 
Antifebrin behandelter, cyanotischer Patienten selbst mehrere Tage 
nach dem Aussetzen des Mittels constatiren konute. Cahn hat an 
den von Salm (1. c.) mitgetheilten II Fällen, welche fast alle eine 
mehr oder weuiger ausgesprochene Cvanose zeigten, in Mitte und 
gegen Ende der Antifebrinbehandlung Blutuntersuchungen angestellt, 
aber kein Methaemoglobin gefunden. Auch Bokai 7 ) wies darauf 
hin, dass bei Kaninchen zwar Cyanose. aber kein Methaemoglobin 
selbst nach letalen Dosen von Antifebrin anzutreflfen sei, und bestritt 
irgendwelche Abhängigkeit der Cyanose von der Methaemoglobin- 
bildung. Lepine 5 ) hat gezeigt, dass Acetanilid (Antifebrin), selbst 
bei direktem Zusatze zu Blut, keiue Methaemoglobinbildung veran¬ 
lasse. Auch in unserem Falle ergab die genaue spektroskopische 
Untersuchung die Abwesenheit von Methaemoglobin. Ohne uns 
auf sichere Argumente stützen zu könuen, glauben wir der Ver- 
muthuug Raum geben zu dürfen, dass jene Cyanose veranlasst 
werde durch einen Krampf kleinster arterieller Gebisse, und dass in 
Folge der hieraus resultirendenHerabsetzung desBlutdruckes ein Rück¬ 
strömen von venösem Blute in die Capillaren stattfinde. Das Bild, 
das sich darbietet, hat die grösste Aehnlichkeit mit derRaynaud- 
schen symmetrischen Asphyxie der Extremitäten. 

Nach den Beobachtungen einzelner Autoren, z. B. von Herczel ß ), 
soll das Blut mit Acetanilid vergifteter Thiere Sinken des Haemo- 
globingehaltes und Auflösen von Blutfarbstoff (im Serum bei 
Hunden) neben Methaemoglobinbildung, Abnahme des 0 und der 
Alkalesceuz erkennen lassen. 

Eine genauere chemische Untersuchung des Blutes fand in 
unserem Falle nicht statt, da das mikroskopische und das spektro¬ 
skopische Bild völlig normale Verhältnisse zeigte, und auch die ge¬ 
naue klinische Beobachtung keine Zeichen von Destruction der Blut¬ 
körperchen, etwa Haemoglobinurie, Icterus, bemerken Hess. 

Auf Temperatur sowie Perspiration und Respiration 
war das Antifebrin in unserem Falle ganz ohne Einfluss. (Un¬ 
mittelbar nach der Hospitalaufnahme ergab die Aftermessung eine 
Temperatur von 37,4°). Die diesbezüglichen Angaben der früheren 
Autoren bei toxischen Gaben stützen sich nur auf Thierexperimente. 
Es wurde ein nicht unerhebliches Absinken der Temperatur sowie 
Verlangsamung und spätere Irregularität der Athmung constatirt 
(Weill). Nur Simpson hat gelegentlich seines obenerwähnten 
Selbstversuches etwas Röthung der Haut, Steigerung der Perspiration 
sowie ein vorübergehendes Sinken der Temperatur um einige Zehn¬ 
telgrade — also eine höchst geringe Wirkung - beobachtet. 

Hingegen wurde eine deutliche Beschleunigung der Herz¬ 
schläge iu unserem Falle wahrgenomraen. Bei der Aufnahme be¬ 
trug die Pulsfrequenz 152, in den nächsten sechs Stunden 100 — 108, 
am anderen Morgen und an den folgenden Tagen aber nur 84 
resp. 72—90. Genauere Pulszählungen sind unseres Wissens in den 
bisherigen Fällen von toxischen Antifebringaben nicht angegeben 
worden. In dem Falle von J. Meyer 7 ) bestand „starkes Herz¬ 
klopfen (keine Herzgeräusche), der Puls war klein, frequent.“ Bei 
kleineren Dosen zum Zwecke der Antipyrese pflegt eiue deutliche 
Verlangsamung des Pulses einzutreteu. 

l ) Cahn und Hepp, Berliner klin. Wochenschrift 1887 No. 1 u- 2. 

'*’) A. Salm. Antifebrin als Autiepilepticum. Neurologisches Central- 
blatt 1887 No. 11. 

3 ) .4. Bokai, Kurze Beiträge zur Pharmakodynamik des Antifebrins. 
Deutsche med. Wochenschrift 1887 No. 42. 

4 ) F. Müller. Ueber Aniliuvergiftung. Deutsche med. Wochenschrift 
1887 No. 2. _ 

5 ) R. Lepine, Sur l’action physiologique et therapeutique de l’acet- 
anilide. Revuo de med. 1887. 

llercznl, Wiener med. Wochenschrift 1887. No. 31—33. 

7 ) Julius Meyer, Antifebrinvergiftung. Therapeutische Monatshefte, 
Mai 1888. 


Von Seiten des Nerven System es konnten in unserem Falle be- 
raerkenswerthe Erscheinungen nicht constatirt werden; hingegen ist das 
leichte Zittern der Hände, die unbedeutende Steifigkeit in den Unter¬ 
schenkeln sowie das geringe Schwanken beim Gehen erwähnenswerth. 

Simpson (1. c.) hat an sich Contraction und Unbeweglichkeit 
der Pupillen, etwas Schläfrigkeit uud zeitweise rasch vorübergehende 
Schmerzen in den Extremitäten beobachtet. J. Meyer, dessen 
Patient nur 4 g innerhalb 24 Stunden iu 2 Dosen geuommen hat, 
berichtet, dass sein Kranker „eine Viertelstunde nach Aufnahme 
des zweiten Pulvers ein grösseres Gefühl von Müdigkeit, Schwindel, 
Kopfbenommenheit, Angst, starkes Herzklopfen bekam. Feststehen, 
Geradegehen wurde ihm schwer, er musste sich hinsetzen, sich fest- 
halten. Die Cyanose ging nach Gebrauch von Excitantien allmählich 
vorüber, jene unangenehmen Sensationen verschwanden jedoch sehr 
langsam. Mehrere Tage blieb Patient recht matt.“ Man sieht 
hieraus, dass das Antifebrin individuell verschieden wirkt, denn in 
dem Meyer’schen Falle waren die Erscheinungen schwerer wie in 
dem uusrigen, obwohl es sich um eine kleinere und viel langsamer 
aufgenommene Dosis handelte. Nach Lepine sollen sich die von 
Weill berichteten terminalen Krämpfe nach letalen Dosen von 
Antifebrin meist auf clonische Zuckuugen der Pfoten beschränken. 
Bei geringeren Graden von Antifebrinvergiftung sollen Krämpfe fehlen, 
dagegen Aufhebung der Reflexe und Schüttelbewegungeu bemerkt 
werden. Die Thierexperiraente von Cahn und Hepp (1. c.) ergeben, 
dass hohe Dosen Mattigkeit und lähmungsartige Schwäche in deu 
Beinen hervorrufen, dass in den höheren Graden der Vergiftung 
sich Erbrechen und Krämpfe hinzugesellen, und dass der Tod 
schliesslich unter soporösen Zuständen eintritt. — Nach Weill 
sollen toxische Dosen die Medulla oblongata und das Rückenmark 
beeinflussen, das Gehirn aber intact lassen. Nach Lepine wirken 
sie lähmend auf die sensitiven Fasern des Rückenmarks (oder auf 
die periphere Sensibilität?). 

Was schliesslich das Ergebniss unserer Urinuntersuchung 
anlangt, so bestätigt sie das bereits von Cahn und Hepp (1. c.) 
sowie von Müller (1. c.) bei reichlicher Antifebrinaufnahme be¬ 
merkte Ueberwiegen der gepaarten Schwefelsäuren gegenüber den 
präforinirten. — Die Indophenolreaction wurde bereits von Müller 
zum Nachweise des Antifebrins benutzt. Jedoch gelang es diesem 
Autor nicht wie uns, auch in dem Destillate des Harns Antifebrin 
nachzuweisen. Die Isonitrylreaction wurde uuseres Wissens bisher 
noch nicht von mediciuischer Seite zum Nachweise des Antifebrins 
empfohlen. — Eine bemerkenswerthe Diurese, wie sie in einzelnen 
Fällen von Cahn und Hepp beobachtet wurde, konnten wir an 
unserem Patienten weder an dem ersten Tage noch iu der späteren 
Zeit seines Hierseins constatiren. Ebensowenig war die Urinmenge 
verringert. — Die Farbe des Urins hat nichts charakteristisches 
und wechselt häufig, wie unsere vier Urinportionen (s. o.) erkennen 
lassen. — Hingegen wurde das specifische Gewicht - analog 
den Mittheiluugen von Cahn uud Hepp (s. o.) — auffallend niedrig 
gefunden: in den ersten vier Portionen zwischen 1001 und 1006, 
am 21. Juli 1005, am 2 . Juli 1010. An den späteren Tagen wurde 
bemerkt, dass das specifische Gewicht der an den Nachmittagen 
entleerten Urinraengen niedriger war. als das der in der Nacht und 
am Morgen gelassenen. Das Gewicht der letzteren schwankte zwischen 
1016—1021, das der ersteren betrug 1011 1012. Die Menge der 

zugefiihrteu Flüssigkeiten hielt sich in normalen Grenzen. 

V. Absichtliche Vergiftungen beim Menschen 
mit Kali chloricum. 

Vou Bernhard Schucliardt zu Gotha. 

Bis iu die neueste Zeit kannte man nur solche durch die Ein¬ 
wirkung des chlorsauren Kali herbeigeführte Todesfälle beim Men¬ 
schen, welche in einem Uebermaass in der Menge des gegen gewisse 
Krankheiten, besonders gegen Diphtherie, und gegen Halskrankheiten 
überhaupt, dargereichten Salzes oder in einer Verwechselung desselben 
mit anderen Salzen, besonders mit Bitter- oder Glaubersalz, ihren 
Grund hatten. In der letzten Zeit sind zwei Fälle vorgekommen, 
in denen das chlorsaure Kali in selbstmörderischer Absicht genom¬ 
men wurde und deu Tod herbeiführte, und ein Fall hat sich er¬ 
eignet, in welchem das Chlorsäure Kali einer Schwangeren in ver¬ 
brecherischer Absicht vom Schwängerer gegeben wurde, um Abortus 
herbeizuführen, wobei aber binnen Kurzem der Tod eintrat. Ich 
theile diese drei Fälle, vou denen der zweite noch nicht veröffent¬ 
licht ist, hier ausführlich mit. 

Der erste von Men de Iso hu in Berlin mitgetheilte Fall ist 
folgender: 1 ) 

') M. Mendelsohn, Assistent der 1. medieinischen Klinik, Bericht 
über die im letzten Jahre auf der 1. medieinischen Klinik zur Beobachtung 
gekommenen Intoxicationen 1....7, Kali chloricum, Charite-Annalen Jahr¬ 
gang XII. p. 2ü(J. Berlin, 1887. 


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836 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41 


Ein 38jähriger Kaufmann, Rudolph K., hatte eine grössere Quantität 
chlorsaures Kali (in bewusstem Conamen suicidii) genommen, wieviel, entzog 
sich der Feststellung, und wurde in soporösem Zustande in die Königliche 
Charite eingeliefert. Er lag fast regungslos, in tiefem Coma im Bette, rea- 
girte nur sehr schwerfällig auf Anrufen und Fragen und nur durch Zeichen, 
doch nahm er dargebotene Nahrung auf Zureden an. Besonders auffällig 
war die fahle Verfärbung des ganzen Gesichts, während Nasenrücken, Lippen 
und Ohren blau waren. Puls kaum fühlbar, Herztöne sehr dumpf, Herz- 
contractionen sehr beschleunigt. Kein Fieber. An den Extremitäten keinerlei 
Lähmungserscheinungen. Harn, durch Katheter entnommen, braunroth, klar, 
mit mässigeu Mengen Eiweiss. Mehrmals kurz dauernde Schüttelfröste. 
Patient collabirte mehr und mehr und starb 14 Stunden nach der Aufnahme 
in die Anstalt. Autopsie hat nicht stattgefunden. 

Der zweite, noch nicht veröffentlichte Fall von Selbstmord durch 
Kali chloricum wurde mir auf mein Ersuchen durch den behandeln¬ 
den Arzt, Herrn Kreisphysikus Dr. Sabarth in Lötzen, gütigst zur 
Verfügung gestellt, wofür ich ihm meinen herzlichsten Dank aus¬ 
spreche. 

Den 3. April d. J. wurde Herr Dr. Sabarth Nachmittags 27a Uhr zu 
einem 26jährigen Manne N. in Lötzen gerufen. Derselbe batte in grosser 
Aufregung, weiche schon länger auf ihn eingewirkt hatte, deren Ursache 
hier nicht weiter in Betracht kommt, eine auf den 3. April festgesetzte Reise 
nicht angetreteu, sondern den Entschluss gefasst, sich das Leben zu nehmen. 
Er hatte, wie später ermittelt wurde, von seinem Dienstmädchen sich für 
30 Pfennige chlorsaures Kali aus der Apotheke holen lassen, und, da ihm 
diese Quantität noch nicht genügend erschien, selbst noch für 50 Pfennige 
geholt. Rechnet man den Preis des Mittels im Handverkauf zu 15 g für 
10 Pfennige, so würde die Gesammtquantität etwa 120 g betragen haben. 
N. kam am 3. April mit mehreren Freunden in einem Hotel zusammen, wo 
dem Bier und Porter tüchtig zugesprochen wurde. Da sein aufgeregtes 
Wesen von seinen Bekannten auffällig bemerkt wurde, und diese ihm mit 
Fragen zusetzten, so entfernte er sich mit einem seiner Bekannten und be¬ 
gab sich in seine in demselben Hotel belegene Wohnung. Hier Hess er 
sich Selterserwasser geben und trank in kurzen Zwischenräumen drei Gläser 
dieses Wassers, in welche er je den 3.-4. Theil des erwähnten Salzes 
heimlich, ohne dass sein Bekannter Arg daraus hatte, hineingeschüttet und 
umgerührt hatte, aus. In dem Wasserglase, welches, als der Arzt gerufen 
war, vor N. noch auf dem Tische stand, fand derselbe noch einen reichlich 
daumenbreiten Bodensatz ungelösten Salzes vor. Wenn man nun erwägt, 
dass das chlorsaure Kali bei 0« sich in 30 Theilen Wasser, bei 15° in 
167a Theilen, bei 50° in 5 Theilen löst, und dass hier zur Lösung gewiss 
Wasser von etwas unter 15° Temperatur angewendet worden ist, so darf 
man wohl annehmen, dass in einem gewöhnlichen, etwa 250 g Wasser ent¬ 
haltenden Glase nicht mehr als 30—40 g des Salzes gelöst gewesen sind. 
Wenn man nun den erwähnten Bodensatz mit etwa 30—40 g abrechnet, so 
dürfte die Gesammtmenge des Salzes, welches N. vor der Ankunft des Arztes 
zu sich genommen hat, zu etwa 80—90 g geschätzt werden können. Genauer 
lässt -sich die Quantität wohl nicht angeben. 

. Als N. diese 3 Gläser in kurzen Zwischenräumen ausgetrunken hatte, 
sagte er zu seinem Bekannten, dass er sich vergiftet habe, was dieser für 
einen Scherz hielt, da er der Meinung war, derselbe habe sich bloss Selter¬ 
serwasser mit gestossenem Zucker zurecht gemacht und wolle ihn necken. 
Erst als er bemerkte, dass N. kurz darauf in der That recht unwohl wurde, 
eilte er zu Herrn Dr. Sabarth, um dessen Hülfe in Anspruch zu nehmen. 

Bei der Ankunft des Arztes in der Wohnung des N. gegen 27s Uhr 
Nachmittags lag letzterer auf dem Sopha, das Gesicht mit den Händen be¬ 
deckend und bitterlich weinend und schluchzend. Auf die Frage des Arztes, 
was ihm fehle, erhielt derselbe zuerst keine Antwort, dann aber zeigte N. 
auf ein vor ihm stehendes Glas und theilte ihm mit, er habe Kali chloricum 
getrunken, um sich zu vergiften, er wolle und müsse sterben. Den eigent¬ 
lichen Grund zu diesem Schritte erfuhr der Arzt erst viel später. Als N. 
sich etwas beruhigt hatte, sprang er vom Sopha auf, lief zum Waschtisch 
und erbrach ganz enorme Mengen Flüssigkeit, welche einen stark sauren 
Geruch hatte, fast ganz wasserhell aussah und mit grossen, stehen bleibenden 
Luftblasen vermischt war. Das Erbrechen wiederholte sich in kurzen Pausen, 
und stets wurden grosse Mengen Flüssigkeit entleert, so dass bald ein 
grosser Porzellaneimer zur Hälfte gefüllt war. Das verschriebene und indess 
angclnngte Brechmittel wurde nun nicht gegeben, da das Erbrechen ja sehr 
reichlich erfolgt war. Zur selben Zeit stellte sich Stuhldrang ein, und da 
der Arzt inzwischen den N. veranlasst hatte, sich zu entkleiden, um sich in 
das Bett zu legen, so entleerte N. ebenfalls reichliche, breiige, stark schau¬ 
mige Kothmassen. Als er endlich in das Bett kam, fingen die bis dahin 
rothen Lippen, sowie die Schleimhaut des Mundes, der Zunge und die Haut 
unter den Finger- und Zehennägeln an, sich blau zu färben, und stieg 
schliesslich allmählich diese Färbung so, als habe er diese Theile mit dun¬ 
kelstem Blaubeerensaft bestrichen. Das Gesicht, wie überhaupt die ganze 
Haut nahm eine weisslich-graue, leichenartige Farbe an und fühlte sich zu¬ 
erst kalt, trocken und rauh an, bedeckte sich aber nach und nach mit einem 
kalten klebrigen Schweiss. Der Arzt besuchte am 3. April den Kranken, 
welcher bis zum letzten Augenblick vollkommen klar und bei vollem Be¬ 
wusstsein war, fünfmal an diesem Tage, einmal in der Nacht und am 4. April 
noch sechsmal. 

Zuerst klagte N. wenig über Schmerzen, allmählich steigerten sich die¬ 
selben in der unteren Bauchgegend, unterhalb des Nabels, so erheblich, dass 
der Arzt ihm etwa 107* Uhr Abends eine starke Morphiuminjection machen 
musste, nach welcher N. mehrere Stunden Ruhe hatte und theilweise schlief. 
Erbrechen erfolgte am 3. April noch öfters, aber nicht mehr in solcher 
enormen Menge, wie in der ersten Stunde. Die Magengegeud war wohl em¬ 
pfindlich, doch konnte ein stärkerer Druck ausgeübt werden, ehe der Patient 
wirklichen Schmerz empfand. Der Puls war voll, machte 72—76 Schläge in 
der Minute: das Herz zeigte bei der Untersuchung keine Abnormität, die 


Respiration war gar nicht behindert, die Stimme war klar und deutlich und 
wurde erst kurz vor dem Tode heiserer und rauh. Fortgesetzt quälte den 
Kranken ein unlöschbarer Durst (Eisstückchen, Selterser Wasser u s. w.) 
und ein anhaltender hochgradiger Stuhldraug, ohne dass nach der ersten 
Defäcation weitere erfolgten. Wahrscheinlich ist bei dieser ersten Defacation 
auch Urin abgegangen, welcher indessen nicht beobachtet werden konnte. 
In der Nacht sollen ein paar Tropfen sehr dunklen, fast schwarzen Urins in 
die Bettunterlage entleert worden sein, doch hat der Arzt denselben nicht 
zu sehen bekommen, da die Bettwäsche gewechselt worden war. 

Am 4. April früh war in dem Aussehen des Kranken keine Verände¬ 
rung eingetreten, nur war die dunkelblaue Färbung der Schleimhäute noch 
intensiver, die Hautfarbe noch leicheuhafter, der Durst, der Urin- und Stuhl¬ 
drang quälender geworden. Der Arzt machte ihm nochmals eine Morphium- 
injection, welche wiederum Linderung und Schmerzlosigkeit bewirkte. L>i 
die Kräfte zusehends nachliessen, wurde dem Patienten, wie gestern, starke 
Wein, echtes bayrisches Bier, starker Kaffee gereicht und mehrmals einige 
Aetherinjectionen gemacht. Stuhl und Urin blieben ferner aus, der zähe 
kalte Schweiss trat immer mehr hervor; der Pat. verlangte alle fünf Minuten 
auf den Nachtstuhl, war aber so schwach, dass er sich nicht aufrichten 
konnte. Er trank viel und noch wenige Minuten vor dem gegen 4 Uhr 
Nachmittags den 4. April (also etwa 26 Stunden nach stattgehabter Vergif¬ 
tung) erfolgten Tode trank er eine Tasse starken Kaffee, welchen er auch 
am Tage neben Portwein am liebsten nahm. Nach Essen hatte er kein Ver¬ 
langen, nur Hess der Ar/t ihn mehrfach Hafergrützeschleim trinken, hie 
Zunge war geschrumpft, trocken, schwarzblau. Das Sensorium war bis zur 
letzten Minute ganz frei, und ist er wirklich, während er sprach und sich 
mit seiner Pflegerin unterhielt, verschieden. In den letzten 3 —4 Stunden 
hatten die quälenden Unterleibsschmerzen nachgelassen. In Betreff des Urins 
hatte der Ar/t der Pflegerin ausdrücklich aufgetragen, denselben sorgfältig 
aufzubewahren, allein es war dies unmöglich, da, abgesehen von den paar 
oben erwähnten Tropfen in der Nacht, in der ganzen Zeit absolut kein Urin 
entleert wurde. 

Leider durfte die Section nicht gemacht werden. 


Herr Dr. Sabarth hat mir noch einige Beobachtungen über 
die Wirkungen des Kali chloricum mitgetheilt, welche ich an dem 
obigen Fall anzufügen mir erlaube. Im Jahre 1886 war in Lötz« 
eine über den ganzen Kreis verbreitete, sehr gefährliche Masern¬ 
epidemie, bei welcher zahlreiche Kinder an Diphtherie zu Grunde 
gingen. Diese Coraplication behandelte Herr Dr. Sabarth stet" 
mit Kali chloricum, innerlich und als Mundwasser. Ein Kind, 5 Jahre 
alt, bekam am zweiten Tage des Kali chloricum-Gebrauchs bleiches 
Aussehen, blaue Lippen, kalten klebrigen Schweiss; das Kali chlo- 
ricum wurde sofort ausgesetzt und Liquor Ammonii anis8tus ver¬ 
ordnet. Am nächsten Tage ging die blaue Farbe zurück, und das 
Kind schritt in der Genesung vor. Bei einer weiteren leichten 
Verschlimmerung der Halserscheinungen wurde wieder die Behand¬ 
lung mit Kali chloricum aufgenomraen, aber schon nach dem 3. oder 
4. Löffel voll kam die blaue Farbe der Schleimhäute wieder, und. 
es stellte sich nun klar heraus, dass das Kali chloricum die Ursache 
der dunkelen Färbung des Blutes war und nicht, wie man Anfangs 
anzunehmen geneigt war, die Diphtherie. — Einige Wochen später 
bemerkte Herr Dr. Sabarth bei einem kleinen Kinde von 3 Jahren 
dieselbe bleiche Gesichtsfarbe, blaue Lippen u. s. w. nach dem Ge¬ 
brauche von Kali chloricum. Er setzte das Mittel sofort aus und 
hatte denselben Erfolg, wie bei dem ersten Kinde. Beide kleine 
Patienten genasen vollkommen. Er hat seitdem vielfach Kali chlo¬ 
ricum innerlich verordnet, aber ähnliche Erscheinungen nicht mehr 
wahrgenommen. 

In dem dritten Falle fuugirteu Jean Alexandre Eugene 
Lacassagne, Professor der gerichtlichen Medicin an der medicim- 
schen Facultät zu Lyon als gerichtlich-medicinischer, Ferdinant 
Crolas, Professor der Pharmakologie daselbst, und Florence. 
ausserordentlicher Professor daselbst, als gerichtlich-chemische ex¬ 
perten. Die gerichtlichen Verhandlungen vor den Assisen de- s 
Isere-Departement zu Greuoble gegen den Hülfsgeistlichen T., welcne 
wegen Versuchs der Fruchtabtreibung in Anklagezustand verse z 
worden war, führten zur Verurtheilung des Angeklagten. 7 

Der Fall ist folgender: 

Marie F., 20 Jahre alt, Lehrerinnen-Schülerin, wohnte bei ihren • 
zu La Chapelle-de-la-Tour, Departement Isere in der Dauphine, un 
Hülfsgeistliche T. des Kirchspiels gab ihr Unterricht und Repetitionen, 
sie in eine Normalschule eintreten und daselbst ihre Studien ,or s ^ 
könne. Sie verbrachte sodann einige Monate in der Normalschule zu 
noble, allein ihr Gesundheitszustand nöthigte sie, den 10. December 
ihre Heimath zurückzukehren. brachte. 

Den folgenden Tag begab sie sich in das Pfarrhaus und sie 


! ) A. Lacassagne, Affaire T . . .., desservant ä La Chape ^ ^ 
Tour (Isere). Empoisonnement par le Chlorate de Potasse d une 
ceinte de cinq mois. La chatnbre des mises en accusation revoic 
T .. . . devant la Cour d’assises de l’Isere sous l’accusation de ^ ^ 
d’avortement; condamnation. Archives de 1’Anthropologie crimine ^ 
Sciences penales, etc. Paris, 1887. Juillet 13., Tom. II. No. ,; p P*' , n j son ne- 
383. — Hippolyte Chataing, Etüde raedico-legale sur ' *' ID ^ 
ment par le Chlorate de Potasse. Lyon, 6. Aoüt, 1887. 4°. (78 PP-j- ß C . 
No. 386 (auch in 8°); Observation XL pag. 28—36, und Chapitre 
cherches toxicologiques, pag. 57—71. 



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ll.October. DEUTSCHE MEDICIN'ISCITS WOCHENSCHRIFT. 837 


sei es, dass sie schon krank war, sei es aus einer ganz anderen Ursache, 
daselbst die Nacht zu. Den folgenden Morgen fand sie der Hülfsgcistliche 
T., als er vom Messelesen zurückkehrte, auf seinem Bette in seiner Kammer 
hingestreckt, in den letzten Zügen liegen; einige Augenblicke später starb sie. 

Ueber die späteren speciell gerichtlichen Verhandlungen, welche 
sich gegen den Hülfsgeistlichen T. richteten mit der Anklage, Mittel 
zur Fruchtabtreibung bei der von ihm geschwängerten Marie F. 
angewendet und dadurch den Tod derselben veranlasst zu haben, 
ist in der These von Chataing, welche mir alleiu unter den 
beiden angeführten Quellen zu Gebote stand, nichts angegeben. Es 
ist in dieser These aus der späteren Untersuchung nur noch mit- 
getheilt, dass dieses Mädchen, nachdem sie in der Apotheke zu La 
T.-du-P. Blutegel und chlorsaures Kali (150 g) gekauft hatte, zu 
Kusse nach La Chapelle-de-la-Tour zurückgegangeu war. Im Hause 
ihrer Eltern bereitete sie einige Nahrungsmittel zu, dann begab sie 
sich in die Pfarrei. Nichts zeigte in ihrem Zustande einen baldigen 
Tod an; sie hatte weder zahlreiche Stuhlentleeruugen, noch Er¬ 
brechen. 

Ueber Alles, was nun von ihrem Eintritt in die Pfarrei bis 
zu ihrem Tode vorgegaugen ist, wird in der erwähnten These nichts 
mitgetheilt. Aus späteren Mittheilungen geht nur so viel hervor, 
dass dem Mädchen Blutegel an die Brust gesetzt worden sind, dass 
in der letzten Nacht Zufälle aufgetreten sind, welche sich rasch 
steigerten und besonders in reichlichen Stuhlentleerungen und Er¬ 
brechen bestanden. Von diesen ausgeleerten Massen, von den da¬ 
mit beschmutzten Bekleidungsstücken und Bettutensilien, von dem 
von den Blutegelstichen herrührendem Blute faud sich später nichts 
mehr vor; von verschiedenen verdächtigen Spuren, welche in der 
Kammer des Hülfsgeistlichen T. gefunden und untersucht wurden, 
wird später die Rede sein. 

Dr. R., welcher den Todtenschein der Verstorbenen ausgestellt ! 
hatte, wurde aufgefordert, über die Todesursache sich zu äussern. j 
Er erstattete unter dem 14. December 1886 einen Bericht, in 
welchem er sagte: .Das Gesicht ist sehr blass; mit einer leichten 
violetten Färbung; der Tod datirt seit ungefähr 24 Stunden; die 
Todtenstarre ist an den Gliedmassen ausgesprochen; es findet kein 
Beginn der Zersetzung statt. Man findet keine Spur von Blut weder 
im Bett, noch auf der Erde. Die Betttücher sind nicht durch er¬ 
brochene Massen befleckt; nur nach innen an den Oberschenkeln 
und an den äusseren Genitalien findet man Fäcalstoffe ohne Bei¬ 
mischung von Blut und von diarrhoischer Form. Nach einer voll¬ 
ständigen Waschung legte ich die Genitalien bloss; man trifft keine 
frische Verletzung. Der in die Vagina eingeführte Finger trifft den 
Mutterhals in gewöhnlicher Höhe; derselbe zeigt keine Veränderung. 
Die Gebärmutter ist nicht vergrössert, wie es bei einer selbst wenig 
vorgeschrittenen Schwangerschaft der Fall sein würde. Der Bauch 
ist flach und zeigt keine Geschwulst bei Druck. Kurz, dieser Tod 
ist gänzlich zufällig und kann keiner strafbaren Handlung zugeschrieben 
werden.“ 

Trotz dieses Gutachtens regte sich iudessen bald weiterer Ver¬ 
dacht, dass hier ein Verbrechen vorliege, und am 24. December 1886 
begab sich das Gericht zu B. zur näheren Untersuchung mit Prof. 
Lacassagne nach La Chapelle-de-la-Tour, wo die Leiche der F. 
exhumirt wurde. Die Fäulniss war schon vorgeschritten und ist 
besonders am oberen Theile des Körpers bemerkbar; die unteren 
Gliedmaassen sind fast intact. Die Brüste sind entwickelt; sie 
zeigen einen bräunlichen Hof von etwa 33 Millimeter Durchmesser 
und geben bei Druck eine ölige, milchige Flüssigkeit von sich, was 
auf Schwaugerschaft schliessen lässt. Üm die Brüste 'herum, be¬ 
sonders um die linke, befinden sich 4 frische Blutegelstiche mit Blut¬ 
unterlaufungen um sie herum. Die oberen Theile der Oberschenkel 
sind mit Koth besudelt. Das Hymen ist gelappt. Bei der Er¬ 
öffnung des Unterleibes findet man einen schwangeren Uterus. Die 
Frucht in demselben misst 24 cm in der Länge, hat ein Gewicht 
von 300 g und eine Nabelschnur von 32 cm Länge. was einem 
Alter von etwa 140—150 Tagen entspricht. Der Magen enthält 
eine kleine Menge öliger Flüssigkeiten, aber keine Nahrungsmittel. 
Man sieht neben der Cardia zwei ecchymotische, bräunliche, ziemlich 
regelmässige Flecke; ein dritter findet sich gegen den Pylorus hin. 
Die Gedärme sind leer. Die Leber und die Nieren bieten nichts zu 
verzeichnen dar. Die Milz ist voluminös. Die Blase enthält keinen j 
Urin. Das Aussehen der Lunge ist normal. Das Herz wiegt 260 g, j 
zeigt geringe Atherome an der Aortenöffnung, keine Hypertrophie. I 
Die Ventrikel enthalten ein bräunliches, dickes Blut, ohne Gerinnsel. I 
Sonst Alles normal. — Alle wichtigeren Organe und verschiedene 1 
verdächtige Gegenstände, Flecke etc. wurden in versiegelten Ge- ! 
fassen mitgenommeu und später der chemischen Untersuchung über¬ 
wiesen. 

In der Kammer des Hülfsgeistlichen T., in welcher die F. ge¬ 
storben war, zeigten sich jetzt noch mehrere, selbst grössere Blut¬ 
flecke. Derselbe gab an, dass das Blut derselben von Nasenbluten 
herrühre, welches er eiuige Tage vorher gehabt habe. Auch zeigten ! 


einige der Fliesen, welche den Boden der Kammer bedeckten, ver¬ 
dächtige Flecke. Endlich fand man an der Matratze, auf welcher 
das junge Mädchen gelegen hatte, dass die Umhüllung derselben in der 
Mitte, wo das Gesäss aufgelegeu hatte, einen grossen Fleck zeigte. 
Man nahm alle diese Gegenstände, vou der Matratze die Mitte der 
Umhüllung mit dem Flecke und der darunter liegenden Wolle und 
Pferdehaaren zur weiteren Untersuchung mit. Weiteres konnte man 
nicht sammeln; die ausgebrochenen Massen, die Stuhlentleerungen 
waren weggeschüttet; weder das Hemd der F., noch die Betttücher, 
auf welchen diese Stoffe etwa verbreitet waren, konnten mehr vor¬ 
gezeigt werden. 

Lacassagne bespricht nun in seinem Gutachten, dass die 
Section keine innere Ursache des Todes ergeben habe, weder im 
Darracanal, noch in den Lungen, dem Herzen, dem Gehirn; die 
Nieren seieu gesund, und man könne nicht etwa an Urämie in Folge 
der Schwangerschaft denken. Er kommt demnach auf eine äussere 
Ursache. Indem er nun ausführlich die Erscheinungen der Ver¬ 
giftung mit grossen Dosen von chlorsaurem Kali, sowie die Sections- 
befunde dabei geschildert und die Uebereinstimmung derselben mit 
denen des vorliegenden Falles hervorgehoben hat, kommt er zu 
dem Schluss, dass der in jener Nacht erfolgte rasche Tod der F. 
durch Eiunehmen einer grossen Quantität chlorsauren Kalis erfolgt 
sei, wobei er bemerkt, dass die chemische Analyse vielleicht w r erde 
angeben können, ob die Organe eine gewisse Menge chlorsaures 
Kali enthalten, dass aber auch die Abwesenheit dieses Stoffes im 
Körper in keiner Weise seinen vorigen Ausspruch abschwächt. 

Die verschiedenen erwähnten Gegenstände, welche mitgenommen 
worden waren, sowie noch ein leinenes Hemd der F. und ein in 
der Kammer gefundenes Flanellstück, welches dem Hülfsgeistlichen 
T. gehörte, wurden in sorgsamster, sehr ausführlich in der erwähuten 
These mitgetheilten Ausführung von dem Experten Crolas und 
Flore nee chemisch untersucht. Sie fanden mit absoluter Gewiss¬ 
heit chlorsaures Kali in den auf der Matratze durch die Auslee¬ 
rungen der F. hervorgerufenen Flecken; auch fanden sie Spuren da¬ 
von in den Nieren. Ausserdem haben sie nirgends chlorsaures Kali 
gefunden. In Anbetracht der Schnelligkeit der Wirkung des chlor¬ 
sauren Kalis sprechen sie sich dahin aus, dass das Gift etwa 8 bis 
12 Stunden vor dem Tode eingeführt sein müsse. 

Dass in diesem Falle, wo eine Fruchtabtreibung beabsichtigt 
wurde, gerade das chlorsaure Kali gewählt worden ist, ist schwer 
zu erklären. Denn das chlorsaure Kali hat niemals in dem Rufe 
eines Abortivmittels gestanden und wird nirgends als solches er¬ 
wähnt. Im Gegentheil hat Simpson dasselbe gerade als Mittel 
gegen habituellen Abortus empfohlen, besonders wenn fettige Dege¬ 
neration der Placeuta vorliegt, und Nun es in Lissabon, J. W. Tra¬ 
der in Boston, 1 ) Bruce, 2 ) J. S. Lewis 3 ) erklären es geradezu für 
ein Antiabortivuin. Es ist zu vermuthen, dass das chlorsaure Kali 
aus Irrthum statt des schwefelsauren Kalis gekauft worden ist. Dieses 
Salz wird, besonders seit der Empfehlung durch den im vorigen 
Jahrhundert lebenden berühmten Geburtshelfer Levret, zur Ver¬ 
minderung der Milchsecretion und bei Puerperalzuständen der 
mannichfachsten Art, zumal in Frankreich, aber auch in England und 
hin und wieder anderwärts von Frauen vielfach nach Entbindungen 
angewendet. Es ist in Frankreich zu einem Volksraittel geworden, 
auch wird es daselbst und in England häufig als Mittel, um Abor¬ 
tus zu bewirken, gebraucht. Bei grösseren Dosen sind vielfach 
Störungen der Gesundheit, selbst Todesfälle eingetreten; auch wer¬ 
den Todesfälle mitgetheilt, wo das Salz als Fruchtabtreibungsmittel 
eingenommen war. ’) 

In welcher Beziehung die an die Brust der Frau angesetzten 
Blutegel zu der beabsichtigten Fruchtabtreibung stehen, darüber 
giebt die These von Chataing keinen näheren Aufschluss. Vielleicht 
ist in der dortigen Gegend der Glaube verbreitet, dass Reizungen 
der Brüste, sei es durch Saugen an den Brustwarzen mittelst einer 
Milch pumpe, sei es durch Ansetzen vou Schröpfköpfen auf die Brüste, 
im Stande seien, schwache Weheu zu kräftigen und selbst Wehen 
zur Hervorrufung der Frühgeburt oder des Abortus zu erzeugen, 
und man hat gemeint, was Schröpfköpfe leisteten, das vermöchten 
auch Blutegel. 

Es dürfte nach solchen Erfahrungen noch mehr, als dies nach 
den zahlreichen bis jetzt schon nach anderen Richtungen vorgekom- 

*) Threatened abonion; successful treatment by Chlorate of Potash and 
Opium. Boston Med. and .Surg. Journ. 1869. LXXXI. p. 287. 

■■0 On the influence of Chlorate of Potash on the foetus. Edinburgh 
Med. Journ.. 1866. XI. p. 669-672. 

3 ) Chlorate of Potash in abortion. Medical and Surg. Reporter, Phila¬ 
delphia, 1869, XX. p. 139. 

*) Vgl. A. Chevallier, Des accidents determines par le Sulfate de 
Potasse. Aunal. d’Hygiene publique etc. Paris, 1872, Juillet. 2. Ser. No. 77. 
p. 137—148, und: Bernh. Schuchardt, Die Vergiftungen in gerichts¬ 
ärztlicher Beziehung; schwefelsaures Kali, in: Masehka. Handbuch der 
gerichtlichen Medicfn. Tübingen, 1882 8° Bd. 2. p. 150-152. 


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838 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41 


menen Unglücksfällen geboten war, dringend angezeigt sein, den 
Handverkauf des chlorsauren Kali (und Natron, welches ebenso 
wirkt) in den Apotheken und Drogenhandlungen zu verbieten. 
Welche Dimensionen derselbe daselbst angenommen hat, wird kaum 
annähernd geahnt. Manche Apotheke in grösseren Städten giebt 
jährlich im Handverkauf für den Preis von 10 Pfennigen für 15 g 
mehr als 25 30 kg chlorsaures Kali ab. Ebenso müssen aber auch 

alle Präparate aus denselben, besonders die in Frankreich und Eisass- 
Lothringen so beliebten Pastilles de Dethan au Sei de Berthollet, 
von denen das Stück 0,1 g Kali chloricum, also die Schachtel mit 
100 Stück 10 g enthalten, sowie die comprimirten Tabletten von 
chlorsaurera Kali, welche je 0,2—0,3 g davon enthalten und in 
Deutschland sehr verbreitet sind, u A. von der Paulke schen Apo¬ 
theke in Leipzig in grossen Quantitäten vertrieben werden, für den 
Handverkauf auf das Strengste verboten werden. Aber auch die 
Aerzte müssten es sich zur ganz besonderen Pflicht machen, das 
Kali chloricum nur in der entsprechenden Lösung zu verschreiben 
und dieselbe in der Apotheke anfertigen zu lassen, nicht das Auf¬ 
lösen des Mittels dem Patienten oder den Angehörigen desselben zu 
überlassen. 

YI. Ueber einen Fall von vorübergehendem 
Verlust des Sehvermögens durch innerlichen 
Gebrauch von Opiumtinctur. 

Von Dr Hamnierle, Stabsarzt in Strassburg i. E. 

Ein Referat in No. 28 der Deutschen medicinischen Wochen¬ 
schrift vom 12. Juli 1888 erwähnt 2 Fälle von vorübergehendem 
Verlust des Sehvermögens durch innerliche Chininanwendung, über 
welche Nettleship in der englischen ophthalmologischen Gesell¬ 
schaft am 8. Juni berichtet hat, und einen analogen Fall von trans¬ 
itorischer Taubheit nach Kaffeegenuss, welchen Hutchinson be¬ 
schreibt (Brit. med. Journ.). 

Ich bin nun in der Lage, diesen 3 Fällen einen vierten von 
zeitweiligem Verlust des Sehvermögens durch den innerlichen Ver¬ 
brauch von 15,0 g Opiumtinctur innerhalb einer Nacht, den ich im 
Februar dieses Jahres in der Privatpraxis zu beobachten Gelegenheit 
hatte, anfügen zu können. 

Am 21. Februar gegen Abend wurde ich zu dem Anstreicher M. ge¬ 
rufen, einem kleinen, blassen, etwa 30 Jahre alten Manne, den ich schon 
wiederholt früher an Bleikolik behandelt hatte, weil sich seit mehreren Tagen 
wieder hartnäckige Stuhlverstopfung und seit einigen Stunden auch heftige 
Kolikschinerzen eingestellt hätten. Ich fand den Patienten zusaminengekauert 
im Bette liegend, laut stöhnend und jammernd vor Schmerzen mit schwachem, 
aber regelmässigem Puls und noch blasser als gewöhnlich. Ueber die Dia¬ 
gnose konnte bei dem Krankheitsbild in Zusammenhalt mit den anamnesti¬ 
schen Momenten kein Zweifel obwalten. Ich ordinirte 15,0g T. Opii simpl. 
Sstündl. 15 Tropfen 3-4 mal zu nehmen, wiederholte kalte Klystiere, um 
die Stuhlentleerung zu fördern, und zur Beruhigung der lebhaften Peristaltik 
und zur Milderung der Schmerzen ausserdem hydropathische Einwickelung des 
Abdomens Da Patient die Nacht über sich fortwährend laut stöhnend im 
Bette hemmwarf, so gab ihm seine etwas unverständige Frau, ohne auf Zeit 
und Tropfenzahl besonders zu achten, das Opium immer weiter, bis der Vor¬ 
rath zu Ende war; er hatte also innerhalb 12 Stunden die dreifache Tages¬ 
maximaldosis, 1,5 Opium, bekommen. 

Die Schmerzen Hessen darauf allerdings nach, ohne dass jedoch eine 
ausgiebige Darmentlecrung erfolgt wäre, nur wenig feste Kothballeu waren 
mit den Klystieren abgegangen Bei meinem Besuch am nächsten Morgen 
fand ich den Pat. zwar nicht vollständig in Narkose, aber doch in hohem 
Grade benommen, die sonst so blasse Gesichtshaut blauroth, die Pupillen 
bis auf Stecknadelkopfgrösse verengt und fast vollständig reaetionslos. Gegen 
Morgen hatte sich wiederholt Erbrechen eingestellt, und auch jetzt noch 
wurde über Brennen in der Magengegend geklagt. Am meisten jedoch 
wurde Pat. und Umgebung beunruhigt durch die im Laufe des Vormittags 
stetig zunehmende Verdunkelung des Gesichtsfeldes. Pat. sah mich nicht, 
obwohl ich unmittelbar vor seinem Bette stand; meiner Aufforderung, die 
dargebotene Hand zu erfassen, suchte er nachzukommen, konnte aber die 
Hand nicht finden; eine hellbrennende Petroleumlampe, ihm im verdunkelten 
Zimmer dicht vor’s Gesicht gehalten, vermochte er ebensowenig zu sehen 
und zu erfassen, es war somit vollständige Erblindung eingetreten. Der 
Puls war kleinwellig, aber hart und gespannt und schlug 120 mal in der 
Minute, das Herz und die Athinungsorgane verhielten sich normal, die 
Körpertemperatur war, dem Gefühl nach zu urtheilen, nicht erhöht. 

Ich verordnete nun 

Qroton ^gutt 3 } au ^ ^ ma ' ' m Zwischenraum von 1 Stunde, 
im Anschluss daran Pot. Riveri stündlich 1 Esslöffel voll zu nehmen, Hess 
kalte Klystiere weiter geben und ebenso die Umschläge auf das Abdomen 
fort setzen. 

Darauf erfolgte im Laufe des Tages mehrmals reichlicher Stuhl, Er¬ 
brechen stellte sich nicht wieder ein, die Schmerzen in der Magengegend 
schwanden ebenfalls, das Gesicht nahm wieder seine natürliche Farbe an, 
die Pupillen aber blieben eng. das Sehvermögen erloschen. Am 23. und 
24. Februar erfolgten auf Klystiere noch mehrere Stühle, das subjective Be¬ 
finden wurde immer besser, es stellte sich Appetit ein, die Pupillen waren 


zwar noch verengt, reagirten aber immer prompter, und auch das Gesichts¬ 
feld hellte sich immer mehr auf. Am 25. war das Sehvermögen wieder das¬ 
selbe wie vor der Vergiftung, und Pat. fühlte sieb nur noch matt und ab<-e- 
schlagen. Am 27. verliess er zum ersten Male das Bett, erholte sich von 
jetzt ab bei gutem Appetit und geregelter Verdauung ziemlich rasch, so das« 
er am 5. März vollkommen frisch und leistungsfähig die Arbeit wieder auf¬ 
nehmen konnte. 

Wie kann man sich nun diese vorübergehende, mehrere Tage 
andauernde Erblindung erklären? Nettleship führt seine beiden 
Fälle Von Chininamaurose auf Arterienkrampf zurück, uud ich wüsste 
ebenfalls nicht, wie man den vorübergehenden Verlust des Sehver¬ 
mögens nach Opiumvergiftung anders deuten sollte. Bekanntlich 
wirkt das Opium und speciell eines seiner Alkaloide, das Morphin 
in kleinen Gaben reizend auf alle nervösen Apparate, die dem 
Kreislauf vorstehen (Oscheidien). Verengerung der Arterien, Stei¬ 
gerung des Blutdrucks und Vermehrung der Pulsfrequenz sind die 
uothwendigen Folgeu. Es liegt nun die Annahme nahe, dass durch 
grosse Gaben von Opium die reizende Wirkung unter Umständen 
eine abnorme Steigerung erfährt, und dass es zu einem förmlichen 
Arterienkrampf kommt. In unserem Falle ist es allerdings auf¬ 
fallend, dass dieser Krampf partiell in den Netzhautarterien so laniir 
noch andauert, während im Darm sowohl wie im Gehirn schou Re¬ 
laxation eingetreten, das Bewusstsein klar geworden und die Kolik 
vorüber ist. Als erklärendes Moment darf wohl die schon vorher 
vorhandene Blässe und Blutarmuth herangezogen werden; die an 
uud für sich schon wenig Blut führenden Arterien der Netzhaut 
wurden durch den hinzutretenden starken Reiz nahezu geschlossen 
und dadurch das Auftreten der Amaurose begünstigt.. Für Arterien- 
krampf sprechen ferner noch die venöse Blutfülle im Gesicht, in 
Folge verminderter vis a tergo, und der beschleunigte und gespannte, 
aber keineswegs volle Puls. 


VII. Ueber Nierenaffectionen bei Kindern 
nebst Bemerkungen über die Uraemie und 
Ammoniaemie. 

Von Prof. R. v. Jakgeh in Graz. 


(Schluss aus No. 40.) 

Ich muss nun, hochgeehrte Versammlung, mich bei Ihnen ent¬ 
schuldigen, dass ich gerade diese Dinge, welche streng genommen 
nicht in den Rahmen unserer heutigen Discussion gehören, bk 
erwähnt habe. Mir scheinen aber gerade diese Formen für 
weitere Entwickelung der Lehre von der acuten Nephritis w 
grossem Interesse. Die secundären Formen der acuten Nephhtt. 
wie ich die nach acuten Infectionskrankheiten auftretenden Niercn- 
affectionen benenne, welche der Herr College Ha gen hach Ihnen 
noch schildern wird, müssen uns die Wegweiser bilden zum Ver¬ 
ständnisse der Beobachtungen, welche Letzerich, ich und andere 
zahlreiche Autoren in den letzten Jahren gemacht haben, und des¬ 
halb habe ich mir erlaubt, diese Beobachtunguu hier anzufübreu. 

Aber noch eineu weiteren Punkt möchte ich hier anführeii. 
der mir sehr der Discussion werth zu sein scheint. 

Wie verhält es sich mit der Häufigkeit des Her¬ 
kommens der primären Nephritiden hei Kindern? ln 
unseren klassischen Lehrbüchern — wie hei Henocb. Bagin^k; 
Thomas, Vogel-Biedert etc. — finden wir diese Form nur kur? 
erwähnt, und doch zeigen meine Beobachtungen, denen ich. wie 
die Natur der Sache ergiebt. noch unvollkommen beobachtete ljm f 
hinzufügen könnte, die in meiner Poliklinik in Behandlung standen, 
dass dieselben nicht so selten sind. Ich glaube, dass bei sorg¬ 
sam und systematisch durch geführten Untersuchungen des Harnt' 
die Zahl dieser Fälle sich rasch mehren dürfte, denn häutig ur ' 
laufen solche Nephritiden fast ohne jedwede klinische Syniptoni- 

Aber auch den verschiedenen Formen der chronischen Nephrite 
unterliegt das Kindesalter. 

Ich habe auf meiner Klinik ein Präparat von einer typisch 1 - 
linksseitigen Schrumpfuiere von einem fünfjährigen Kinde, ww"' 
einer tuberculösen Meningitis erlag. Der Harn zeigte in d"'-' r ™ 
Falle keinen pathologischen Befund, offenbar secernirte die kran r 
Niere keinen Urin. 

Ferner beobachtete ich durch Monate bei einem zwölfjährig'’" 
Knaben eine Affection, welche nach ihren klinischen Symptom^ 
Hydrops, vermehrte Spannung des Pulses, mässige Hypertrophie < ^ 
linken Ventrikels, normale Harnmenge mit im Durchschnitte 
mnler Dichte, Vorhandensein von mässigen Mengen Albumin. 
Nierenepithelien und granulirten Cylindern im Sedimente, uur ' ? 
chronische Nephritis aufgefasst werden kann. Auch in meiner 
klinik habe ich einen ähnlichen Fall gesehen. Wenu ich ‘ _ 
Beobachtungen überhaupt hier anführte, so geschieht dies nur ^ 
dem Zwecke, um die hochverehrte Versammlung auch über • 


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11. Oftober. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 839 


Frage zur Diseussion anzuregen, die meiner Ansicht nacli bei einer 
eingehenden Besprechung der nach acuten Infektionskrankheiten 
eintretenden Nephritiden erwogen werden muss. 

Aber noch einen weiteren Punkt der Lehre von der Nephritis 
möchte ich hier berühren. 

■ Vor allem die Frage: Welche Formen der Nieren- 
affeetinnen können wir nach unseren heutigen Kennt¬ 
nissen mit unseren heutigen klinischen Hülfsmitteln 
überhaupt diag n osti c iren? 

Furchten Sie nicht, hochverehrte Versammlung, dass ich Ihre 
Zeit und Ihre Freundlichkeit, mit der Sie mir Gehör schenken, zu 
lange missbrauchen werde. — Ich will mich ganz kurz fassen. 

Der klinischen Diagnose sind mit unseren heutigen Hülfsmitteln 
nur zugänglich: die acute Nephritis, die chronische Nephritis, bis¬ 
weilen die Fälle von chronischer Nephritis, welche mit einer Ver¬ 
fettung der Niere einhergehen, die Nierenschrumpfung, die meiner 
Ansicht nach entweder primär entstanden sein kann oder aus der 
chronischen Nephritis sich entwickelt, und die Amyloidniere. Damit 
sind wir aber auch nach meiner Ueherzeugung an das Ende unseres 
gegenwärtigen diagnostischen Könnens gelangt. Ich weiss, dass 
diese Ansicht nichts Neues Dringt, und fürchte, dass dieser Ausspruch 
auf Widerspruch stossen wird. Trotzdem hielt ich es für zweck¬ 
entsprechend. um die so wichtige Frage der acuten Nierenaffectionen 
bei Kindern hier ganz und voll zur Diseussion zu briugeu, auch 
diesen Gesichtspunkt hier zu berühren. 

Gestatten Sie mir, hochverehrte Versammlung, noch mit weni¬ 
gen Worten zweier Symptomeucomplexe zu gedenken, über deren 
Auffassung. Ursache und Verlauf die Meinungen gegenwärtig noch 
immer getheilt sind. Ich meine die Uraeinie und jenen Symptomen- 
eomplex, den mau als Ammoniaeinie bezeichnet. So häufig wir 
leider Gelegenheit haben, den ersten Symptomencomplex in den 
Kinderspitälern zu beobachten. insbesondere bei Bestehen von Schar- 
laehepideiuiceu, so selten, ja nie kommt letzterer Process bei Kin¬ 
dern vor. undjich will ihn deshalb nur soweit in die Diseussion ziehen, 
als er für die Besprechung der Frage der Uraemie Bedeutung ge¬ 
winut. 

Es kann hier nicht meine Aufgabe sein. Ihnen, hochverehrte 
Versammlung, die verschiedenen Phasen der Entwickelung, die diese 
Frage gewonnen hat. wieder vor Augen zu führen, seitdem durch 
Frerichs der Krankheitsbegriff oder Symptomencomplex der Uraemie 
aufgestellt wurde bis auf den heutigen Tag. Ich will wegen der 
Wichtigkeit der Frage nur die neueste Phase besprechen. Vielleicht 
habe ich auch einige Berechtigung, mich über diese Frage zu er¬ 
gehen, da ich mich auch mit derselben beschäftigt habe und — wie 
ich glaube — eine bemerkenswerthe Thatsache constatiren kounte: 
dass wir nämlich regelmässig beim Vorhandensein des uraemischen 
Symptomencoinplexes eine Abnahme der Blutalkalescenz constatiren 
können; ferner habe ich durch eine Reihe quantitativer Bestimmun¬ 
gen der wichtigsten Harnbestandtheile der Nephritiker nachweisen 
können, dass sehr häufig auch ohne das Vorhandensein uraernischer 
Symptome die wichtigsten Bestandtheile des Harns in bedeutend 
verminderter Menge ausgeschieden werden. 

Thierexperimente, deren Anführung im Detail hier nicht am 
Platze wäre, haben mir gezeigt, dass der Symptomencomplex, den 
wir durch die lutoxication mit Säuren bei Thieren hervorrufen, in 
seinem klinischen Bilde durchaus nicht der Uraemie vollkommen 
entspricht, so dass wir nicht in der Lage siud, aus der Verarmung 
des Blutes au Alkali diesen Symptomencomplex zu erklären, sondern 
dieses Symptom, wenngleich es bei Uraemie stets vorkommt, muss 
nur als nebensächlich, als accidentell betrachtet werden. 

Die interessanten Versuche von Bouchard über die Giftigkeit 
des Harns haben bei mir die Meinung wachgerufeu, dass, wenn 
wirklich unser Harn eine so giftige Substanz enthält, wie Bouchard 
angiebt. diese Substanz bei uraemischen Zuständen mit anderen 
harnfähigeu Substanzen retinirt wird. Diese wird im Körper Ver¬ 
giftungserscheinungen hervorrufen, vielleicht ist sie auch die Ur¬ 
sache der Verarmung des Blutes an Alkali, wahrscheinlicher aber ist 
es, dass die Retention der Säuren dieses Symptom bedingt. Es ist 
daher die uraemische Intoxication vielleicht zum Theil bedingt durch 
Retention von Säuren, zum grössten und vornehmsten Theil jedoch 
durch Retention dieser im normalen Harn vorkommenden alkaloid- 
ähnlichen Substanz. 

War diese Voraussetzung richtig, so musste dieselbe Menge des 
Harns, welche bei intravenöser Injection eben noch bei Kanincheu 
giftig wirkt, diese Wirkung versagen, wenn sie von Fällen stammte, 
wo eine Retention von Harnbestandtheilen stattgefunden hatte, wie 
vor allem von Individuen, die mit Nephritis behaftet waren und 
uraemische Zustände darboten, oder von Kranken, bei welchen aus 
anderen Ursachen eine Retention der Harnbestandtheile stattgefun¬ 
den hatte. Versuche an Thieren, die noch nicht abgeschlossen sind, 
haben mir die Richtigkeit dieser Anschauung im wesentlichen be¬ 


stätigt. Ich werde wohl in kurzer Zeit Gelegenheit haben, dieselben 
an einem anderen Orte ausführlich zu publiciren. Für heute nur 
so viel. Möge die hochverehrte Versammlung diese Anschauungen 
als eine vorläufige Mittheilung nicht ungütig aufnehmen. Für mich 
also steht es unzweifelhaft fest, dass der uraemische Symptomeucom- 
plex, der gewiss den Vergiftungen ähnlich verläuft, durch eine In¬ 
toxication mit jenen alkaloidähnlichen Körpern hervorgerufeu wird, 
die Tag für Tag der normale Mensch mit seinem Urin als ihm un¬ 
schädliche Substanz ausscheidet. 

Wie verhält es sich nun mit der sogeuannteu Ammoniaemie? 
Ich kann mich nur auf wenige eigene Versuche stützen. Gewiss ist 
es — wie ich bereits früher an auderen Orten erwähnte —, dass 
die Ammoniaemie in ihren klinischen Erscheinungen sich wesentlich 
von der Uraemie unterscheidet. Reizsymptome cerebraler Natur 
herrschen bei der letzteren vor, dies findet man bei der Ammoni- 
aemie nicht, kalte Schweisse, subnormale Temperatur, das sind 
die wesentlichsten Symptome, die ihr eigen sind. 

Wodurch nun werden dieselben bedingt? 

Fassen wir zunächst kurz zusammen, was denn das Wesen der 
Ammoniaemie constituirt: Ein in der Harnblase, also im Organis¬ 
mus zersetzter und daselbst stagnirender Harn, das ist wohl immer 
das Erste; meist werden die Mikroorganismen — und solche sind 
es wohl sicher, welche derartige Symptome hervorrufen — von aussen 
her durch unreine Instrumente etc. in die Blase eingebracht. Dieser 
zersetzte Haru wirkt reizend, entzündungserregend auf die Blase ein, 
es kommt zur Cystitis, doch diese allein ruft die schweren Vergiftungs- 
symptoiue nicht hervor, sondern der zersetzte, in der Blase stagni- 
rende Haru ist es, welcher diese Symptome erzeugt. Die Zersetzung 
des Harnes nämlich giebt Veranlassung zur Bilduug des relativ un¬ 
schädlichen kohleusaureu Ammoniaks in der Blase, daneben aber 
auch zur Bildung giftig wirkender alkaloidähnlicher Substanzen. 
Die Stagnation des Harnes in der Blase, die ihres schützenden Epi¬ 
thels durch die Eutzünduug beraubte Blase verursacht, dass daun 
diese von den die Uraemie erregenden Giften verschieden giftig 
wirkenden Substanzen resorbirt werden und jene Symptome her¬ 
vorrufen, die schon die Aerzte der Vierziger Jahrö unseres Sae- 
culums mit ihrem klinischen Scharfblicke richtig von der Uraemie 
unterschieden, obwohl ihnen alle Hülfsmittel mangelten, um durch 
chemische oder physiologische Untersuchungen die Richtigkeit ihrer 
Beobachtungen zu bestätigen. Ich habe mich — wie bereits erwähnt 
— durch eigene, desgleichen noch nicht abgeschlossene Untersuchun¬ 
gen von der Richtigkeit dieser Ihnen hier gegebenen Anschauungen 
überzeugt. Wenn ich es nun wage, derartige noch uureife und durch 
abgeschlossene, exacte Versuche noch nicht erwiesene Anschauungen 
hier vorzubringen, so möge die hochverehrte Versammlung dies erstens 
durch den Umstaud entschuldigen, dass ich mich der Hoffnung hin¬ 
gebe, gerade hier durch die Diseussion weitere Anregungen zur Bear¬ 
beitung dieser Frage zu erhalten. Ferner auch möge berücksichtigt 
werden, dass mein gegenwärtig mir zur Verfügung stehendes kliuisches 
Material mir nur wenig Gelegenheit giebt, diese interessante Frage 
der Ammoniaemie weiter zu bearbeiten. 

Fasse ich meine Ansichten über die Ammoniaemie und Uraemie 
zusammen, so gipfeln sie in folgenden Punkten: Die Ammoniae¬ 
mie wird durch alkaloidähnliche Körper erzeugt, die in 
den Harnwegen, jedoch ausserhalb der Nieren, in dem 
zersetzten Harne sich bilden und von der erkrankten 
Schleimhaut des Urogeuitaltractes in den Organismus 
zurückgeführt werden. Der toxische Symptomencomplex 
der Uraemie wird durch die in dem normalen Harne enthal¬ 
tenen T oxiue etc. bedingt, welche in Folge der Functions¬ 
unfähigkeit der Nieren durch dieses Organ den Körper 
nicht verlassen können. 

Ein weiterer Punkt der Nephritisfrage, den ich kurz berühren 
möchte und über den mir eigene Erfahrungen zu Gebote stehen — 
ich komme damit in das Capitel der Therapie derartiger Processe 
hinein — ist: Wie wirken unsere neueren Antipyretica auf diese 
Processe? Specifische Wirkungen hat mit Ausnahme der Salicyl- 
präparate — was ich noch besprechen werde — keiner dieser 
Körper. Aber auf Grund von quantitativen Eiweissbestimmungen, 
die Herr Dr. Schrack, gegenwärtig Assistent meiuer Klinik, auf 
meine Veranlassung ausgeführt hat, bin ich zu der Ueherzeugung 
gekommen, dass nicht geringe Dosen dieser Substanzen, so der 
Salicy Isäure, des Salols, Antifebrins und Thallins eine be¬ 
stehende Albuminurie gewiss nicht vermehren — oder anders gesagt, 
dass sie gewiss nicht reizend auf die Nieren einwirkeu. Es ist mit 
dieser Erkenntuiss schon Einiges gewonnen, da man vom theore¬ 
tischen Standpunkte aus, d. h. nach der Art der Zusammensetzung 
dieser Körper, ein gewiss nicht unberechtigtes Misstrauen gegen 
diese Substanzen hegen konnte,, was aber durch die oben erwähuteu 
Untersuchungen als nicht zu Recht bestehend erkannt wurde. Es 
liegt also kein Grund vor, die genannten Mittel bei einer bestehen 
den Nephritis nicht zu verwenden. 


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840 


»KUTSCHK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Haben wir nun mit diesen Mitteln bei irgend einer Form, ent¬ 
weder der Erkältungsnephritis oder den nach acuten Infectionskrank- 
heiten eintretenden Nephritiden irgend einen Erfolg .erzielt? Für das 
Kairiu, Thallin, Autipyrin. Antifebrin, Salol, und wie die 
Körper alle heissen, kann ich das mit Sicherheit auf Grund einer 
nicht geringen eigenen Erfahrung verueiueu. Nur für ein Mittel in 
Verwendung für eine Krankheit möchte ich vielleicht eine Aus¬ 
nahme machen. Ich spiele auf die Verwendung des salicylsauren 
Natriums an. Mir hat es nämlich immer den Eindruck gemacht, 
als ob eine von Anfang inaugurirte energische ^Behandlung des 
Scharlachs mit Salicylpräparaten nicht nur den Verlauf dieser ge¬ 
fährlichen Krankheit mildern, sondern auch die gefährliche Compli- 
eatiou dieser Affection, die Scharlachnephritis bannen würde. Es 
sind gerade dieses Dinge, die sich ungemein schwer beweisen lassen 
und wo auch die gewissenhafteste Beobachtung mehr oder minder 
nur auf den Eindruck, welchen eine Epidemie einer solchen Krank¬ 
heit im Ganzen auf den Beobachter ausübt, angewieseu ist. Ich 
möchte deshalb hervorheben, dass es sehr erwünscht wäre, an einer 
grossen Reihe von Fällen die Richtigkeit dieser Beobachtungen zu 
controliren. 

Was die übrigen Punkte der Behandlung der acuten Nephritis 
anlangt, so kann ich mich kurz fassen: Ich bin ein Feind jeder 
eingreifenden Cur bei diesen Fällen und glaube, dass durch ein 
solches Vorgehen den Kranken mehr Schaden als Nutzen geschaffen 
wird. Als das rationellste Mittel für die Behandlung derartiger 
Zustände muss ich noch immer in Uebereinstimmung mit einer 
Reihe anderer Autoren eine strenge Milchdiät, welche ja gerade 
von Kindern vorzüglich ertragen wird, erklären. 

Ich bin zu Ende mit meinen Auseinandersetzungen und hoffe, 
die hoch ansehnliche Versammlung thut mich nicht allzusehr in 
Acht und Bann, wenn ich es mir gestattet habe, in Anbetracht der 
Wichtigkeit der Frage vielfach über den Rahmen des uns gesteckten 
Zieles hinauszugehen. Andererseits möge die aphorismenartige 
Form des Vertrages vor diesem Forum darin seine Entschuldigung 
finden, dass ich mich bemüht habe, die spärlichen neuen Gesichts¬ 
punkte, welche meine Studien ergeben haben, Ihnen vorzuführen. 

Vin. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Liebermeister in Tübingen. 

(l'Vrtsetzuug aus No. 40.) 

Während im Stadium der Phthisis confirraata der Nachweis 
des Vorhandenseins einer chronischen Infiltration der Lungen keine 
Schwierigkeit mehr bietet, kann es in einzelnen Fällen schwer sein, 
mit Sicherheit zu entscheiden, ob es sich um wirkliche Tuberculose 
handelt oder vielleicht nur um eine chronische Pneumonie, welche 
noch nicht mit Tuberculose verbunden ist. Von dieser Unterscheidung 
ist aber die Prognose des Zustandes wesentlich abhängig (s. o.). 
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Fälle, bei welchen eine 
solche chronische Verdichtung auf Tuberculose beruht, oder wenig¬ 
stens Tuberculose dabei betheiligt ist, bei Weitem die Mehrzahl 
bilden, und dass deshalb schon der Nachweis einer chronischen 
Infiltration mit statistischer Wahrscheinlichkeit eine Tuberculose 
vermuthen lässt. Aber mit dieser Erwägung darf man sich nicht 
begnügen; vielmehr gilt es, die einzelnen Fälle, bei denen eine 
solche Voraussetzung nicht zutrifft, mit Sicherheit unter der Zahl 
der anderen zu erkennen. Für das Urtheil ist schon von Bedeutung 
die Anamnese und der Status praesens (s. o.), und diese können 
häufig sogar für die Diagnose ausreicheu. Namentlich kann das 
Vorhandensein von hectischem Fieber und die davon abhängige Ab¬ 
magerung entscheidend sein für die Annahme einer Tuberculose. 
Ebenso ist in der Regel jeder Zweifel ausgeschlossen, sobald durch 
den Nachweis von Caverneu oder durch das Auffinden von elasti¬ 
schen Fasern im Auswurf sichergestellt ist, dass bereits Zerstörungs- 
proeesse in den Lungen bestehen. Doch muss man daran denken, 
dass auch bei Bronchiektasie Caveruen Vorkommen, und dass in 
einzelnen seltenen Fällen auch Lungensyphilis oder Aktinomykose 
der Lunge zuVZerstörungsprocessen führen kann. Vollkommen ge¬ 
sichert ist^die Diagnose, wenn die Tuberkelbacillen im Auswurf ge¬ 
funden werden; es kann deshalb auch noch in diesem Stadium der 
Phthisis die Untersuchung auf Bacillen von entscheidender Bedeutung 
sein. Dagegen wird man umgekehrt das Fehlen der Bacillen nur 
mit Vorsicht für die Ausschliessung der Tuberculose verwerthen 
können. 

3. Als Phthisis consummata wird der Zustand bezeichnet, 
wenn in den Lungen bereits ausgedehnte Zeistöruugen zu Stande 
gekommen sind, und wenn auch andere Organe in secundärer Weise 
ergriffen sind. 

Die ausgedehnten Zerstörungen in der Lunge äussern sich durch 
die (physikalischen Zeicheu, welche^Tgrössere Hohlräume oder 
Caverneu erkennen lassen. Ein Theil dieser Zeichen ist so weit 
pathognomonisch, dass das Vorhandensein derselben mit Bestimmt- 


No. 41 

heit einen grösseren mit Luft gefüllten Hohlraum anzeigt: ob aber 
dieser Hohlraum ein Pneumothorax oder eine Caverne oder vielleicht 
auch nur die normale Trachea oder der Larynx sei. das lässt sich 
oft nicht direkt aus dem Verhalten der Percussions- und Ausculta- 
tionserscheinungen entnehmen, sondern muss aus anderen Umständen 
erschlossen werden. Andererseits können Caveruen vorhanden sein, 
ohne dass deshalb zu jeder Zeit und bei jeder Untersuchung 
deutliche pathognomonische Zeichen vorhanden wären. Cavernen. 
welche von der Thoraxwand entfernt in der Tiefe liegen und nicht 
sehr umfangreich sind, lassen sich oft gar nicht erkennen. Aber 
auch eiue grosse und oberflächliche Caverne wird, wenn sie mit 
Secret oder mit Zerfallsproducten vollständig gefüllt ist, Dämpfung 
des Percussionsschalles machen ohne eigentliche cavernöse Symptome. 
Während demnach, wo positive Cavernensymptome vorhanden sind, 
mit Bestimmtheit auf das Vorhandensein von Hohlräumen ge¬ 
schlossen werden kann, darf man nicht umgekehrt aus dem Fehlen 
von pathognomonischen Symptomen auf die Abwesenheit von Ca- 
veruen schliessen. Manche Symptome haben nur eine relative Be¬ 
deutung, indem sie nur unter besonderen Verhältnissen oder nur 
mit einem gewissen Grade von Wahrscheiulichke.it auf das Vor¬ 
handensein von Hohlräumen schliessen lassen. So z. B. gehören 
klingende Rasselgeräusche nicht zu den cavernösen Erscheinungen, 
da sie auch bei Infiltration der Lunge Vorkommen; wenn man aber 
an der Stelle einer alten Infiltration bei wiederholter Untersuchung 
jedesmal mittelblasige oder grossblasige klingende Rasselgeräusche 
hört, so kann man, auch wenn die eigentlich pathognomonischen 
Zeichen fehlen, mit Wahrscheinlichkeit schliessen, dass an dieser 
Stelle eine oder mehrere Cavernen vorhanden seien, und die Wahr¬ 
scheinlichkeit wird immer grösser, je häufiger man dieses klingende 
Rasseln an der gleichen Stelle hört. 

Zu den positiven Zeichen eiuer Caverne gehört zunächst das 
metallisch klingende Rasseln: ein solcher metallischer Klang kommt 
nur zu Stande, wenn ein mit Luft gefüllter Hohlraum vorhanden 
ist, an dessen Wandungen die Schallwellen reflectirt werden, also 
nur bei Cavernen oder bei Pneumothorax; dabei aber besteht die 
Bedingung, dass man nicht etwa, wie es der Anfänger nicht selten 
thut, schon ein besonders lautes klingendes Rasseln für metallisch 
kliugend erkläre, sondern diesen Ausdruck beschränke auf die 
Fälle, iu welchen der eigentlich metallische Klang deutlich vor¬ 
handen ist. Ein sicheres Zeichen ist ferner ein deutliches ampho¬ 
risches Athraen, welches ebenfalls nur bei Vorhandensein grösserer 
lufthaltiger Hohlräume, also bei Pneumothorax oder bei Cavernen 
vorkommt; aber auch hier muss davor gewarnt werden, ein unge¬ 
wöhnlich lautesBronchialathmen schon für amphorisch zu erklären. - 
Zu den pathognomonischen Zeichen, welche einen mit Luft ge¬ 
füllten grösseren Hohlraum anzeigen, gehören manche Percussions- 
erscheinungen und vor allen der metallisch klingende Percussions¬ 
schall. Ein deutlicher Metallklang wird bei der gewöhnlichen 
Percussion nur selten gehört; dagegen wird er häufig wahrge- 
uommen, wenn man während der Percussion gleichzeitig mit auf¬ 
gesetztem Stethoskop oder mit aufgelegtem Ohre auscultirt. Be¬ 
sonders zu empfehlen ist dabei die sogenanute Plessimeter-Stäbcheu- 
Percussion, welche in der hiesigen Klinik von Leichtensteru 
(1873) genauer durchgeprüft worden ist. Dabei bedient man sich 
eines kurzen und klappenden Percussionsschalles, wie er z. B. ent¬ 
steht, wenn das aufgelegte Plessimeter mit einein Bleistift, einem 
kleiuen Schlüssel oder dergl. leise angeschlagen wird. Wenn dauu 
der gleichzeitig Auscultirende bei dem kurzen Anschlag einen deut¬ 
lichen metallischen Beiklang wahrnimrat, so ist es sicher, dass ein 
mit Luft gefüllter Hohlraum vorhandeu ist, und dass die percutirte 
und die gleichzeitig auscultirte Stelle dem gleichen mit Luft ge¬ 
füllten Hohlraum entsprechen. — Häufig ist, wo eine Caverne m 
der Nähe der Thoraxwand sich befindet, der Percussionsscball 
tympanitisch; da aber tympauitischer Schall auch auf mancherlei 
andere Weise entstehen kann, so ist derselbe für sich, wenn er 
auch unter Umständen die Vermuthung, dass eine Caverne vor¬ 
handen sei, begründen kann, doch niemals ausreichend für die 
bestimmte Diagnose einer solchen. Es können aber noch besondere 
Eigenthümlichkeiten hinzukommen, welche die Diagnose sicher 
machen. Wenn der tympanitische Percussionsschall deutlich die 
Höhe wechselt bei Oeffuen und Schliessen des Mundes, und zwar 
so, dass er bei offenem Munde höher, hei geschlossenem tiefer ist 
(Wintrich’scher Schallwechsel), so ist das Vorhandensein eine.- 
Hohlraumes, der mit der Mundhöhle in offener Verbindung steht, 
sicher erwiesen. Es kann dies möglicherweise der Larynx, die Trachea 
oder ein grosser Bronchus sein, weun mau dieselben direkt per- 
cutirt, oder wenn zwischen diesen Organen und der percutirtcn 
Stelle infiltrirtes Lungengewebe sich findet, welches den Percussionsstoss 
auf die Trachea oder einen grossen Bronchus fortgepflanzt (William»- 
scher Trachealton); wo diese Organe als betheiligt ausgeschlossen 
sind, da beweist ein solcher Schallwechsel das Vorhandensein eines 
pathologischen Hohlraumes, welcher mit einem Bronchus iu offener 


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11. Oetober. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


841 


Verbiuduug steht. Auch das sogenannte Geräusch des ge.sprungeuen 
Topfes (Bruit de pot feie), welches besonders häutig an der vorderen 
Thoraxwand in den oberen Intereostalräumen verkommt und ge¬ 
wöhnlich bei offenem Munde am deutlichsten gehört wird, gehört 
zu den relativ sicheren Zeichen; es kann zwar ausnahmsweise auch 
ohne Caverne Vorkommen, wenn lufthaltiges Lungengewebe ringsum 
von infiltrirtein Gewebe umgeben ist. ferner bei theilweise compri- 
mirter Lunge oberhalb eines pleuritischen Exsudats, endlich bei 
Kindern mit sehr nachgiebigem Thorax; aber am häufigsten entsteht 
es, wenn eiue oberflächlich gelegene Caverne pereutirt wird, die mit 
einem Bronchus durch eine nicht weite Oeffnung eommunieirt. End¬ 
lich ist auch der höchste Grad der starken Bronchophouie, die 
Pectoriloquie Laeunec's. beweisend für eine Caverne. welche mit 
einem Bronchus in offener Verbindung steht. 

L eber die Grösse einer vorhandenen Caverne lässt die Unter¬ 
suchung häufig ein annäherndes Urtheil gewinnen. Im allgemeinen 
kann man annehmen, dass die meisten pathognomonischen Zeichen, 
wie namentlich das amphorische Athnien. der Wintrich’sche Schall¬ 
wechsel, der Metallklaug bei gleichzeitiger Auscultation. das Ge¬ 
räusch des gespniugeueu Topfes in deutlicher Weise nur bei grösseren 
Caveruen sich finden, d. h. bei solchen, die wenigstens 4 bis (5 cm 
Durchmesser haben. Genaueres über die Grösse lässt sich zuweilen 
schliessen aus der Ausdehnung des tympauitischen Schalles; und 
durch die Plessimeterstäbcheu-Percussion kann häufig ziemlich genau 
der Umfang des lufthaltigen Hohlraums abgegrenzt werden, indem 
man untersucht, wie weit nach jeder Richtung man bei der Aus- 
cultation sich von der percutirten Stelle entfernen darf, ohne dass 
der metallische Beiklang verschwindet. 

Eine Veränderung in der Tonhöhe des tympanitischen Schalles obei 
halb einer Caverne kann auch entstehen durch Wechsel zwischen aufrechte) 
und liegender Stellung (tierhardt'scher Schallwechsel) oder durch tiefes 
Kinathmen und Ausathtneu (Friedreich’scher Schallwechsel). Der letztere 
Schallwechsel kann auch hei anderweitig entstandenem tympanitischen Per- 
russionsschall Vorkommen, ist daher an sich kein Beweis für das Vorhanden¬ 
sein einer Caverne. 

In der Umgebung von Caverne» findet häufig eine reichliche 
Bindegewebswucherung statt, durch welche das Weiterschreiten des 
Zerfalls eingeschränkt, und die weitere Vergrößerung der Caverue 
einigermaassen behindert wird: durch Retractiou des neugebildeten 
Bindegewebes kann eine merkliche Verkleinerung der Caverne zu j 
Stande kommen. Durch diese Wucherung und Retraction des Binde¬ 
gewebes, welche in Form der interstitiellen Pneumonie sich oft auch 
über weitere Bezirke der Lunge erstreckt, erfolgt eine Verkleinerung 
der betreffenden Lungenabschnitte uud eine entsprechende Einziehung 
des Thorax und Heranziehung der benachbarten Organe; auch kann 
durch Erweiterung der benachbarten noch lufthaltigen Lungen¬ 
abschnitte ein vicariirendes Emphysem entstehen, und durch Aus¬ 
dehnung der in der indurirten Stelle verlaufenden Bronchien kanu 
sackartige Bronchiektasie mit bronchiektatischen Caveruen zu Stande 
kommen. 

Je mehr die tuberculöse Infiltration in den Lungen sich aus¬ 
breitet, desto grösser werden die Bezirke, oberhalb deren der Per¬ 
cussionsschall mehr oder weniger vollständig gedämpft gefunden 
wird, und welche bei der Auscultation Bronchialathmeu ergeben mit 
mehr oder weniger reichlichen klingenden Rasselgeräuschen, die 
meist mittel- und grossblasig, bald feucht, bald trocken erscheinen. 
Endlich kanu es dahin kommen, dass mehr als die Hälfte beider 
Lungen luftleer oder von Caveruen durchsetzt, also für die Respi¬ 
ration unbrauchbar ist. ln der Regel siud die Veränderungen in 
den oberen Theilen der Lunge viel weiter vorgeschritten als in den 
unteren. Zuweilen aber sind auch noch pleuritische Exsudate vor¬ 
handen. welche ebenfalls zur Verkleinerung des der Respiration zu¬ 
gänglichen Theiles der Lunge beitragen. (Fortsetzung folgt.) 


IX. Referate und Kritiken. 

Hildebrandt. Experimentelle Untersuchungen über das Ein¬ 
dringen pathogener Mikroorganismen von den Luftwegen 
und der Lunge ans. (Aus dem pathologischen Institut in 
Königsberg). Beiträge von Ziegler und Nauwerck. Bd. 11., 
p. 411. 

Büchner. Untersuchungen über den Durchtritt von In- 
fectionserregungen durch die intacte Lungenoberfläohe. i 
Archiv für Hygiene Bd. VIII, p. 145. Ref. Ribbert. 

Durch vielfache, zuletzt in ausgedehnter Weise von Arnold 
au,-geführte Untersuchungen über die Staubinhalation (vergl. diese 
Wochenschrift 1886, p. 277) war nachgewiesen worden, dass in 
der Athmungsluft suspendirte Staubpartikel durch das Lungengewebe 
bis zu deu Bronchialdrüsen Vordringen können. Es lag nahe anzu- 
nehraen, dass das Gleiche auch für die eingeathmeten Mikroorga¬ 
nismen Gültigkeit hat, vorausgesetzt, dass unter den gewöhnlichen 
Lebensbedingungen die iu der Luft enthaltenen Keime überhaupt 
bis in die Lungen gelangen. Denn eine dahin gehende Annahme 


ist deshalb nicht ohne weiteres zulässig, weil es sich in jenen Ver¬ 
suchen über Staubinhalation stets um so hochgradige Verunreini¬ 
gungen der Luft handelt, wie sie für gewöhnlich durch Bacterien 
nicht herbeigeführt werden. Hildebrandt prüfte zunächst diese 
Frage durch Anlegung von Cultureu und konnte feststellen, dass 
bei gesunden Thieren in Trachea und Lunge keine Keime uaclizu- 
weisen sind, dass also der reichlich mit ihnen versehene Nasen¬ 
rachenraum die in der Luft enthaltenen Orgauismen zurückhält. 

Auders lag nun die Frage, wenn die Athmungsluft künstlich 
in hohem Grade mit Pilzen verunreinigt wurde. Dann Hess sich 
wie bei hochgradiger Staubbeimengung ein Eindringen bis in das 
Lungengewebe erwarten und dann vielleicht entscheiden, ob unter 
diesen Bedingungen auch ein Uobertritt iu das Innere des Körpers 
stattfindet. Die früher von Morse, Flügge, Büchner und 
Muskatblüth angestellteu Versuche hatten nicht zu übereinstim¬ 
menden Resultaten geführt. 

Hildebrandt begann mit der Inhalation grosser Mengen von 
Sporen des Aspergillus fumigatus. Kurz nach Beendigung der Ein- 
athmung vorgenommene Untersuchung der Lungen uud Trachea 
ergab die Anwesenheit reichlicher Keime, deren Menge jedoch sehr 
verschieden war, je nachdem das Thier durch Nase resp. Mund oder 
durch eine Tracheacanüle geathmet hatte. Denu in letzterem Falle 
gelangten sie in beträchtlich grösserem Umfange in die Alveolen, 
und die durch sie hervorgerufenen Erkrankungen waren dem ent¬ 
sprechend weit hochgradiger. 

Mikroskopisch fanden sich die Sporen nicht nur im Innereu 
der Alveolen, sondern auch im Gewebe ihrer Wandung wieder, 
gelaugten jedoch niemals weiter über die Lunge hinaus in das 
Innere des Körpers, sondern gingen entweder ohne alle Keimung, 
oder nur nach unvollkommener Sprossung, wie sie zuerst vou 
Lichtheim und später von dem Ref. beschrieben wurde, zu 
Grunde. Verf. beschuldigt für diese geringe Entwickelung den 
Mangel an Raum und Sauerstoff in den innerhalb der Alveolen ge¬ 
bildeten uud die Sporen einschliessenden Exsudatpfröpfen, also die 
gleichen Momente, die von Lichtheim, Grawitz, und in aus¬ 
gedehnterer Weise für alle Organe (vergl. diese Wochenschr. No. 20 
p. 399) vom Ref. geltend gemacht wurden. Wenn die zellige Um¬ 
hüllung in der Lunge das Auskeimen hindert, so ist nicht abzu¬ 
sehen, weshalb die gleiche Erscheinung in den anderen Organen 
nicht die gleiche Wirkung haben sollte. Denn auch iu der Lunge 
haudelt es sich, wie Ref. hauptsächlich für die intravenöse Einver¬ 
leibung beschrieben, aber bei trachealer Einspritzung ganz überein¬ 
stimmend gefunden bat. um eine frühzeitig eiutretende Ansammlung 
massenhafter Leukocyten, um die Sporen, die unvollkommen gekeimt 
und ganz oder nahezu getödtet, später von epithelialen Riesenzelleu 
aufgenommeu und gänzlich vernichtet werden. 

Weiterhin wurden Experimente mit den Bacillen der Kanincheu- 
septikämie und des Milzbrandes angestellt in der Weise, dass durch 
eiue in die Trachea eingebrannte und verheilte Oeffnung in Wasser 
aufgesohwemmte Culturen injicirt wurden. Die Bacillen der Septi- 
käraie erzeugten iu 2 Fällen Erkrankungen der Lungen, drangen 
aber auch ohne eine solche in das Körperinnere vor, wo sie leicht 
nachgewiesen werden konnten. 

Die Milzbrandbacillen wurden in gleicher Weise angewandt. 
In drei Versuchen zeigten die Thiere keinerlei Krankheitserschei¬ 
nungen, in einem vierten ging das benutzte Meerschweinchen am 
7. Tage an einer pneumonischen Erkrankung ohne Allgemeininfection 
zu Grunde. Verf. schliesst daraus, dass virulente Milzbrandbacillen 
ohne Schaden in die Lungen eingebracht werden können und in 
ihr zu Grunde gehen. Kurze Zeit nach der Einspritzung vorgenom- 
mene mikroskopische Untersuchung der Lungen weiterer Versuchs¬ 
tiere ergab, dass die Bacillen in das Lungengewebe eiuzudringen 
vermögen, hier aber absterben und nicht bis in die Lymphdrüsen 
gelangen. Die Phagocytose ist bei der Vernichtung der Milzbrand¬ 
bacillen nach Ansicht des Verf. unbetheiligt. Den mit sporenfreiem 
Material angestellteu Versuchen wurden dann noch zwei weitere 
mit sporenhaltigem angeschlosseu. Sie sind indess nur unvollkom¬ 
men geluugen und daher nicht beweiskräftig für die vom Verf. aus¬ 
gesprochene Ansicht, dass auch Milzbrandsporen iu den Lungen 
nicht auszukeimen im Stande seien. 

Die aus den Untersuchungen gezogenen Schlüsse gehen dahin, 
dass nur einzelne Arten pathogener Mikroben iu der Lunge vegetiren 
und von ihr aus eine Allgemeiuinfection bewirken könnten, während 
die meisten iu ihr zu Grunde gingen. 

Zu anderen uud wegen der verbesserten Methode sicherer be¬ 
gründeten Resultaten ist Büchner in einer ausführlichen schöueu 
Uutersuchungsreihe gelangt. Er hatte schon in einer früheren Ab¬ 
handlung mitgetheilt, dass weisse Mäuse, die an gut stäubende 
Pulversorten angetrocknete Milzbrandsporen einathmeten, in Folge 
von Allgemeininfection zu Grunde gingen, die nach ihrem Verlauf 
auf das Eindringen der Sporen durch die Lungen bezogen werden 
musste, zumal eine Infection vom Darm aus mittelst verschluckter 


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842 

Sporen durch Controlversuche mit Wahrscheinlichkeit auszusch Hessen 
war. Eine Wiederholung und Ergänzung dieser Versuche schien 
aber wünschenswert und bildet den Gegenstand der vorliegenden 
Arbeit. ' 

Die ersten Experimente (Büchner und Merkel) wurden mit 
trocken zerstäubten Milzbrand sporen angestellt. Sie wurden an 
Holzkohlenpulver und an die Sporen des Riesenpulverschwammes 
(Lycoperdon giganteum) angetrocknet, die ein leicht verstäubbares 
Material darstelleu. Die Menge des verwendeten Staubes, in welchem 
auf eine Milzbrandspore 140— l(KK) Lycoperdonsporen kamen und 
die natürlich nur zum kleinen Theil aspirirt wurde, betrug bei ein¬ 
maliger Einathmungsdauer von 10 —15 Minuten für Mäuse nur 0.25, i 
für Meerschweinchen 0,5 g. Durch grössere Mengen entstand leicht 
eine Fremdkörperpneumonie. Es liefen stets zwei Versuchsreihen 
nebeneinander her, indem der zur Einathmung verwendete Staub 
in eiuer, das wirklich in die Lungen gelangende Quantum um das 
Tausendfache übertreffenden Menge an andere Thiere auch ver¬ 
füttert wurde. Trotz dieses für eine Darminfeetion weit günstigeren 
Mengenverhältnisses gingen in Folge der Inhalation ganz unverhält- 
nissmässig mehr Thiere an Milzbrand ein. als durch die Vorfütterung, 
woraus hervorgeht, dass die Allgemeininfection nach der Einathmung 
durch die Aufuahme der Mikroben seitens der Lungen erfolgt. In 
typisch gelungenen Versuchen wurde nun in den Lungen kein 
Zeichen pneumonischer Erkrankung gefunden, es musste also der 
Uebertritt der Sporen ohne gröbere anatomische Veränderungen 
der Lungen vor sich gegangen sein. Durch vergleichende Platten- 
culturen und mikroskopische Untersuchung konnten weitere Stützen 
für diese Resultate gewonnen werden. 

Eine zweite Versuchsreihe (Büchner und Enderlen) betraf 
die Inhalation nass zerstäubter Milzbrandsporen. In einem kleineren 
Raume wurde die Sporenemulsion mittelst eines Spray-Apparates 
zerstäubt, zur Inhalation aber nur der ausserordentlich feine aber 
reichliche Sporen enthaltende Nebel benutzt, der durch ein Rohr 
in ein zweites das Versuchsthier bergendes Gefäss übertrat. Die 
Ergebnisse entsprachen ganz den in den ersten Versuchen gewon¬ 
nenen; auch hier trat eine Allgemeininfection ein, die auf eine Auf¬ 
nahme der Sporen durch die Lungen ohne pneumonische Erkran¬ 
kung zurückgeführt werden musste, und zu der wieder weit weniger 
Material als bei Fütterung und wahrscheinlich auch bei subcutaner 
Infection nöthig war. Hier war auch der mikroskopische Nachweis 
exact möglich, denn es liess sich leicht ein Uebertritt der ausge¬ 
keimten Sporeu in das Blutgefässsystem der Lunge nach 23 Stunden 
uachweison, zu einer Zeit, in welcher auf Grund von Platteuculturen 
aus der Milz eine Allgemeininfectiou noch nicht nachzuweisen war. 

Versuche mit Milzbrandstäbch en ergaben bestätigende Erfolge. 
Auch hier gingen die Thiere an Milzbrand ein, aber es stellten sich 
auch mehr oder weniger heftige pneumonische Processe ein. Diese 
Experimente sind um so beweisender, als von eiuer Darminfeetion 
bei Anwendung der Stäbchen nicht die Rede sein kann. 

Endlich wurden auch Inhalationen mit Hühnerc.holerabacillen 
und Controllfütterungsversuche vorgenommen und gleichfalls ein 
Eindringen durch die Lungen ausser Frage gestellt. 

Büchner erörtert schliesslich im Zusammenhang die speciellen 
Bedingungen des Durchtritts von Infectionserregern durch die intacte 
Lungenoberfläche und bespricht zunächst die Art und Weise des 
Uebertritts. Eine Gesammtübersicht über alle Versuche ergiebt, 
dass in Folge der Inhalation 68.6%, in Folge der stets mit weit 
grösseren Mengen vorgenommenen Fütterung nur 8.9% der Thiere 
eingiugen. Diese Erscheinung und die mikroskopische Untersuchung 
stellen die Thatsache eines Eindringens durch die Lungen sicher. 
Es fragt sich nur, wie die Bacterieu iu die Capillaren. in denen 
sie nachgewiesen wurden, hineingelangen. Büchner weist für seine 
Versuche, jedoch nicht generell, eine Einwanderung in die Lymph- 
bahnen und von da iu das Blutgefässsystem zurück, spricht sich 
vielmehr für einen direkten Uebertritt in die Capillaren aus, der, 
da etwas Aehnliches bei leblosen Partikeln nicht erfolgt, als activer 
Vorgang aufzufassen ist und durch die Lücken der Gefässwände 
erfolgt. Weiter erörtert Verf. die Bedingungen, welche ein Eintreten 
in das Lungengewebe hindern, und fsieht solche hauptsächlich in 
entzündlichen Processen, wie sie unter Leitung des Referenten Lähr 
durch lnjection von Staphylococcusemulsioneu in die Trachea er¬ 
hielt. ohne dabei einen Uebertritt in das Körperinnere zu erzielen 
(vergl. diese Wochensohr. No. 2<>, p. 401). Auch die Versuche mit 
Milzbrandstäbchen, die Pneumonie und in Verbindung damit trotz 
grosser Bacillenmengen eine beträchtliche Verzögerung der Infection 
im Gefolge hatten, sprachen in diesem Sinne. Und ferner müssen 
daraus die oben besprochenen negativen Resultate Hildebrandt's 
erklärt werden. Die in reichlichen Mengeu in die Alveolen einge¬ 
schlossenen Zellen hindern den Eintritt in die Lunge und vernichten 
die Bacterien. 

Schliesslich beantwortet, Verf. die Frage, welche Arten von 
lufi-ctionserregern zum Durchtritt durch die intacteXungenoberfläche 


No. 43 

geeignet seien, dahin, dass hier vor Allem die Blutparasiten, d. h. 
die lüfectionserreger, iu Betracht kommen, die im Blute zu leben 
und sich zu vermehren vermögen, da sje allein befähigt sein wür¬ 
den. in das Blut vorzudringen. Dahin gehören die Milzbrandbacillen, 
die Bacillen der Mäuse- und Knninchenseptikämie u. A. Es wird 
noch weiter zu untersuchen sein, in welchem Umfange die Lungeu- 
infeetion bei Spontanmilzbrand in Betracht zu ziehen ist. Von den 
für den Menschen gefährlichen Infectionserregern werden die Tuber¬ 
kelbacillen vorwiegend auf dem Lympligefässwege eindringen. Es 
dürfte aber auch hier ein Uebertritt ohne Lungenerkrankung möglich 
sein, wie wenigstens aus Versuchen mit Inhalation der biologisch 
ganz ähnlichen Rotzbacillen hervorzugehen scheint. In einem Falk* 
fanden sich Rotzknötchen der Milz ohne Veränderungen in den 
Lungen. Auch für Typhus- und Cholerabacillen hält Büchner 
au der Möglichkeit einer Infection durch die Athmung fest. 

Durch die Versuche Büchners ist die Frage nach dem Ueber¬ 
tritt pathogener Bacterien durch die intacten Lungeu im bejahenden 
Sinne als gelöst anzuseheu, und die früher bei diesem Vorgänge für 
erforderlich gehaltene Erkrankung derselben als hinderlich zu be¬ 
trachten. Die angewandten Methoden kommen den natürlichen 
Infectionsmöglichkeiten sehr nahe und beweisen deshalb natürlich 
weit mehr als die unvollkommenen Versuche mit direkter Ein¬ 
spritzung der Emulsionen iu die Trachea. Fernere Beobachtungen 
müssen lehren, in wie weit der so festgestellte Modus eiuer Lungen- 
infection für die einzelnen Infectionskrankheiteu Gültigkeit hat. 

X. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 17. April 1888. 

Vorsitzender: Herr Curschmanu; Schriftführer: Herr Nonne. 

1. Herr Müller demonstrirt im Aufträge des Herrn Lauen¬ 
stein das Präparat einer bei Gelegenheit einer Fractura feraoris 
zerrissenen Arteria cruralis. 

Meine Herren! Im vergangenen Jahre hielt Prof. v. Nuss bäum 
iu Müucheu einen Vortrag über Unglücksfälle in der Praxis und 
sprach darüber, wie es Vorkommen kann, dass durch das Zusammen¬ 
treffen verschiedener eigenthümlicher Momente selbst kleinere Ver¬ 
letzungen einen unglücklichen Ausgang nehmen und Folgen nach 
sich ziehen können, welche weder für den Patienten noch den Arzt 
besonders angeuehm sind. Ist, es doch schon oft vorgekommen. 
dass der Arzt aus einem derartigen Grunde in den Anklagezustand 
versetzt wurde, in Anbetracht der vorliegendeu Verhältnisse wurde 
er wohl freigesprochen, jedoch trug ein solches Vorkommniss sicher 
nicht zur Förderung seines Ansehens bei. Besonders warnt v. Nuss¬ 
baum vor dem zu frühzeitigen Anlegen von Gypsverbänden bei 
Fraeturen, da einmal bei ungenügender Controle durch die Zunahme 
der Schwellung unter einem solchen eine Gangrän des betr. Gliedes 
eintreten kann, und danu auch durch die Verletzung selbst eine der¬ 
artige Gefässläsiou stattgefunden haben kann, welche die Circulation 
unterhalb der Fracturstelle völlig aufhebt und dadurch ein Ab- 
sterbeu des Gliedes verursacht. Wir hatten nun vor Kurzem im 
Seemannskrankenhause Gelegenheit, von einem schwer Verletzteu 
ein nach dieser Richtung hin sehr interessantes Präparat zu ge¬ 
winnen, welches ich mir Ihnen zu demoustriren erlaube. 

Am 5. April dieses Jahres wurde in dem neuen Segelschiffs¬ 
hafen dem Schauermann S. durch das Auffallen eines schweren 
Holzbloekes das linke Bein mehrfach zertrümmert. Mit einem recht 
primitiven Nothverbande versehen wurde er zwar sofort in das See¬ 
mannskrankenhaus gebracht, jedoch war der Blutverlust während 
des Transportes anscheinend nicht gering, da der Patient bei der 
Aufnahme ziemlich collabirt war. Wir fanden auf der Innenseite 
des linken Oberschenkels etwa an der Grenze zwischen mittlerem 
und unterem Drittel zwei nur kaum blutende Wunden; soweit’solches 
die Inspection erkennen liess, war das Femur hierselhst. fracturirt. 
Auf der Innenseite des Kniegelenks war die Haut von dem Innen¬ 
rande der Patella bis zur Mitte der Kniekehle zerquetscht und leicht 
nach oben und unten zurückgezogen, das Kniegelenk selbst intact. 
Vorn am Unterschenkel, etwa in dessen Mitte, ragte aus einer stark 
venös blutenden Wunde ein wohl fingergliedlanges spitzes Stück der 
Tibia — einem unteren Fragmente derselben gehörig — hervor. 
Wir legten sofort die elastische Binde oben am Oberschenkel um, 
narkotisirten den Patienten und erweiterten die Wunden am Ober¬ 
schenkel. Das Femur war hierselhst mehrfach fracturirt, mehrere 
lose Splitter, darunter ein recht grosser, welcher in der Tiefe 
zwischen der Muskulatur lag und nur schwer zu fassen war, wurden 
mit der Kornzange entfernt; die Wundhöhle gründlich mit Sublinmt- 
lösung (1.0:5000.0) in allen ihren Buchten ausgespült, und nun ge¬ 
lang es, wenn auch mit einiger Schwierigkeit, die stark dislocirten 
Fragmente in eine befriedigende Stellung zu einander zu bringen 
und so nach der von Dr. Hausmann angegebenen Methode mit 
zwei schräg über einander gelegten Blechen und je zwei Schrauben 
gegen einander zu fixireu. Dann wurde die Wunde am Unter- 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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11. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 843 


Schenkel erweitert auch hier fand sich ausgedehnte Splitterung der 
Tibia, die Fibula war nur einfach fracturirt. Die losen Splitter 
wurden entfernt, die spitze Zackt*, welche die Haut perforirt hatte, 
abgesagt, die Wundhöhle ebenfalls gründlich mit Sublimatlösung 
ausgespült, und dann das obere und untere Fragment mit einem 
Bleche und vier Schrauben verschraubt. Nun lösten wir die elasti¬ 
sche Binde, übten dabei jedoch digitale Compression der Gefasse 
in der Leistenbeuge aus, weil wir event. eine starke Blutung be¬ 
fürchteten. Anfangs blutete es auch ziemlich stark venös aus der 
Oberschenkelwunde, beim Nachlassen der Compression sahen wir 
die Art. crural. in der Tiefe der Wunde pulsiren. Nun fiel uns auf. 
dass aus der Unterschenkel wunde kein Tropfen Blut kam. dass 
überhaupt das gauze Bein von der Unterschenkelwunde an abwärts 
völlig kalt und wachsbleich war. beim Einschneiden in die Haut 
des Fusses floss kein Blut. Allmählich hörte auch das Pulsiren der 
Cruralarterien auf, und schliesslich stand auch die venöse Blutuug. 
Wir stopften nun die Oberschenkelwunde ganz leicht aus, legten 
um das ganze Bein einen dicken Mooskissenverband und lagerten 
es auf eine v. Volkmann’sche Schiene. Von einer sofortigen Am¬ 
putation des Oberschenkels sahen wir ab. da wir einestheils vor der 
Narkose dem Pat, von einer solchen nichts gesagt hatten und wir 
sie nicht ohne Einwilligung desselben vornehmen zu dürfen glaubten, 
und wir andererseits immer noch Hoffnung hatten, dass die Circu- 
lation sich vielleicht später wieder einstellen würde und wir dann 
das Bein, zumal die Verschraubung sehr gut hielt, erhalten könnten. 

Am Abend jedoch war der Verband an seinem oberen Ende 
durchblutet, der Fuss war kalt und gefühllos wie am Mittag, auch 
hatte der Pat. seine Einwilligung zur Amputation gegeben, und so 
nahmen wir dieselbe noch Nachts vor. Sie wurde mit vorderem und 
hinterem Lappenschnitte rasch ausgeführt und verlief ohne grösseren 
Blutverlust für den Patienten. Am auderen Morgen befand er sich 
ziemlich wohl; plötzlich eollabirte er jedoch, und trotz Uamphor- 
iujectionen und Kochsalzinfusion trat rasch der Exitus ein, 24 Stun¬ 
den nach der Verletzung und 12 Stunden nach der Amputation. 

Bei der Präparation des amputirten Beines fanden wir nun bald 
die Ursache, weshalb die Circulation aufgehoben war. Die Art. 
crural. war in der Höhe der Femurfractur derartig verletzt, dass die 
Adveutitia intact. die Media und Intima circular völlig abgerissen 
und auf eine Strecke von etwa 2 cm peripherwärts in das Lumen 
der Arterie eingestülpt waren, von hier aus durchsetzte dann ein 
Thrombus die Arterie, soweit solche nach dem Unterschenkel zu 
verfolgen war. 

Diese Gefässverletzung kann durch 3 Momente stattgefunden 
haben, einmal durch das Auffallen des Holzblockes selbst, durch 
die Extraction der Splitter und die Reposition der Fragmente. Das 
erste und letzte Moment hätte wohl auch ebenso leicht bei einer 
subcutanea Fractur eintreten können; hätte nun bei gleichzeitigem 
Vorhandensein einer solchen Arterienverletzung eiu Arzt, verleitet 
durch missliche Verhältnisse, einen Gypsverbaud angelegt, und wäre 
dann die Gangrän nachträglich eingetreten, so hätte ihm ohne ge¬ 
nauer** spätere anatomische Untersuchung doch leicht der Vorwurf 
gemacht werden können, dass nur der Gypsverband Schuld an 
der Gangrän sei. Es ist also auch dieser Fall ein Beweis dafür, 
dass mau mit dem Anlegen von Gypsverbänden bei Fractureu besser 
einige Zeit wartet und man sich in den ersten Tagen mit gepolsterten 
Schienen, appretirten Gazebinden etc. behilft; auf solche Weise lassen 
sich die Fragmente sehr gut fixiren, ohne dass man Gefahr läuft, 
Gangrän des Gliedes nur allein durch Druck des Verbandes ent¬ 
stehen zu sehen. 

Vortr. macht bei Gelegenheit der Demonstration des Präparats 
auf die Brauchbarkeit der H ansmann'schen Methode der Knochen¬ 
fixation aufmerksam; diese Methode findet ihre Anwendung am 
besten bei mehr iu der Längsrichtung verlaufenden Schrägfracturen; 
anfangs hielt Hansinanu eiu Blech mit 2 Schrauben für genügend 
zur Fixation, später modificirte er die Methode jedoch so, dass er 
nach Bedarf 2 Bleche nahm, aber selbst bei einem Blech stets 
4 Schrauben, da es sich herausstellte, dass 2 und selbst 3 Schrauben 
noch eine Dislocation der Fragmente ad axin und ad longitudinem 
zuliessen. 

2. Herr Thost stellt 2 Patienten vor, bei denen wegen Larynx- 
stenoae die Tracheotomie gemacht worden war, und bei denen 
durch die Anwendung der Schrötter'schen Dilatationsmethode 
der Larynx soweit wieder wegsam gemacht worden ist, dass vor , 
6 Wochen die Canüle endgültig entfernt werden konute. Behand¬ 
lungsmethode und -Dauer ist bei Beiden fast die gleiche, während 
Aetiologie, Dauer der Krankheit und' Resultat wesentlich ver¬ 
schieden ist. 

Wilhelm Knoll, 27 Jahre. Matrose, fuhr Juni 1885 mit einem 
holländischen Schiff von Rotterdam nach der chinesischen Küste 
und befand sich bis Ende März wohl, nur war er chronisch heiser, 
weshalb man ihm auf dem Schiff den Beinamen „Schorre“, ^der 
Heisere“ gab. Ende März bekam er auf der Fahrt von Swatau bis 


Li-stuan Schmerzen beim Schlucken, die sich auf der Rückfahrt 
verschlimmerten, so dass er namentlich auch wegen auftretenden 
Hustens und Atheranoth am 22. April 1886 in’s Hospital zu 
Swatau aufgenommen werden musste. 

Hier wurde er zunächst local behandelt. Am 7. Mai stellte 
sich plötzlich starke Athemnoth ein. der herbeigerufene Missions¬ 
arzt erklärte, es se iein Geschwür im Halse, und die Tracheotomie 
wurde uothwendig. Patient genas, trug aber seine Canüle weiter, 
es bildeten sich Granulationen, die beim Wechsel der Canüle häufig 
mit herausgerissen wurden. Er trat Juli 1886 die Rückreise an 
und kam am 25. September 1886 nach Hamburg. 

Hier wurde erst von chirurgischer Seite 2 Mal der Kehlkopf 
gespalten, ohne dass das gewfiuschte Resultat erreicht wurde. 
Februar 1887 kam Patient in das allgemeine Krankenhaus auf die 
Abtheilung des Herrn Dr. Schede, der Vortragendem die weitere 
Behandlung auf sein Ersuchen iu freundlichster Weise überliess. 
Die Behandlung begann im Mai und dauerte 8 Monate. 

Es wurden zunächst die Schrötter’schen Ziunbougies bis zu 
den stärksten Nummern täglich eingeführt und über Nacht oft 12 
Stunden und länger liegen gelassen. Bei Tage wurde die Störk’sche 
Dilatatiouscaniile getragen und die Canülenöffnung verstopft. 

Zu gleicher Zeit wurde galvanokaustisch von der TracheaI- 
öffnung aus und per os mit der Kehlkopfpincette von den Granu¬ 
lationen und Wucherungen möglichst Viel zerstört uud exstirpirt. 
Dann wurde damit begonnen, die Schrötter’schen Hartgummi¬ 
röhren einzuführen. Patient lernte bald diese Manipulationen selbst 
ausführen. 3 Mal täglich Einführen bis zu den stärksten Nummern. 
20 Minuten langes Liegenlassen. Vor 6 Wochen wurde die Canüle 
entfernt. Patient führt sich noch täglich 3 Mal die Hartgummi¬ 
röhre No. 10 und 12 je 20 Minuten lang ein. (Demonstration.) 

Es handelt sich in diesem Falle offenbar um eine seeuudär 
syphilitische Erkrankung. Geschwüre, die vom Rachen aus auf den 
Larynx Übergriffen und hier Perichondritis und Glottisödem er¬ 
zeugten. Von einer antisyphilitischen Behandlung wurde vor der 
Hand Abstand genommen, da das Dilatationsverfahren Patient 
ziemlich angriff, jetzt soll Jodkali gegeben werden und der Larynx 
mit resorbirenden Mitteln behaudelt werden. Patient spricht mit 
etwas heiserer, aber deutlicher Stimme mit etwas Klang. 

Die falschen Stimmbänder sind noch stark verdickt, von den 
wahren sieht man nur Rudimente. Die Trachealnarbe ist bis auf 
eine kleine Fistel geschlossen. 

Viel günstiger ist der 2. Fall. 

H. Cingelmann, 25 Jahre, Bahnarbeiter, gleichfalls von der 
Schede’schen Abtheilung des allgemeinen Krankenhauses. 

Patient, früher gesund, erkrankte gelegentlich der hiesigen 
Typhusepidemie Ende Decemher 1S86 am Typhus und wurde Anfang 
Januar in’s allgemeine Krankenhaus aufgenommen. Der Typhus 
hatte einen schweren Verlauf, Patient war während der ganzen 
Erkrankung heiser und hörte auf beiden Ohren schwer. Eine 
Ohreneiterung bestand nicht, nur klagte er über Schmerzen im 
Ohr. Am 14. Februar Nachts beim Erwachen plötzlich Athem¬ 
noth. die die Tracheotomie nöthig machte. Da die Canüle nicht 
entfernt werden konnte, wurde Patient auf die chirurgische Ab¬ 
theilung transportirt. Im Juni trat Patient in die Behandlung des 
Vortragenden. 

Die Behandlung, die im Ganzen dieselbe war, wie im ersten 
Fall, dauerte 7 Monate. Das Resultat ist ein vollkommenes. Die 
Trachealwunde ist vollkommen geschlossen, Patient spricht mit klang¬ 
voller Stimme, athmet leicht uud kann zu seiner Arbeit zurück¬ 
kehren. Hier handelte es sich um ausgebreitete sogenannte diphtheri- 
tische Geschwüre, die bei der letzten Typhusepidemie sehr häufig 
beobachtet wurden uud die sich, nach der Öhrenaffection zu schliessen, 
bis iu den Nasenrachenraum erstreckt haben müssen. 

Patient führt sich jetzt selbst 2 Mal täglich das Hartgummi¬ 
rohr No. 11 ein (20 Minuten lang). (Demonstration.) (Schluss folgt.) 

XI. 6. Hauptversammlung des Preussisclien 
Medicinalbeamtenvereins, 

Berlin, 26. und 27. September 1888. 

(Originalberieht.) 

Der Preussische Medicinalbeamtcnverein hielt am 26. und 27. September 
in Berlin seine gut besuchte Jahresversammlung ab. Die Verhandlungen, 
denen als Ehrengäste die Herren Unterstaatssecrctär Nasse und Geheimrätho 
Kersandt und Skrczeczka vom Cultusministerium beiwohnten, fanden im 
Hörsaal des hygienischen Instituts statt. 

Die Vorträge des ersten Tages crüffnetc Bezirksphysikus Becker 
(Berlin) mit einer Besprechung der Erwerbsunfähigkeit mit Rücksicht 
auf die jetzige Unfallgesetzgebung. Er bedauerte die ungenügende Be¬ 
rücksichtigung des ärztlichen Elements bei dem Unfall- wie hei dem projec- 
tirten Invaliditätsgesetz, ganz im Gegensatz zu der maassgebenden Stellung, 
die demselben von der Militärverwaltung hei Unfalls- und Invaliditätsauge- 
legenheiteu eingeräumt würde: und doch stände eiu gleich zuverlässiges 


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844 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 41 


Material, wie dieser in den Militärärzten, der Civilverwaltung in den Medi- 
cinalbeamtcn zur Verfügung. In warmer Weise trat er dafür ein, dass den 
Aerzten Gelegenheit gegeben werden möge, mitzuwirken an dem grossen 
Werk der socialen Frage im Geiste der leilendeu Idee unseres Standes, im 
Geiste der Humanität. 

Als zweiter Redner referirte Regieruugsmedicinalrath Wernich (Cöslin) 
über die preusslsche Gesetzgebung in Bezog auf dos Apolhekenwesen, 
die von Reicbswegen geregelten Punkte, Arzneibuch und Vorbildung der 
Apotheker, ausschaltend. Das preussische System beruht darauf, dass dem 
Apothekenbesitzer eine gewisse Einkommensgarantie gewährt wird, dafür aber 
von ihm eine persönliche Thätigkeit verlangt wird; auf dem Princip von 
Schutz und Leistung. Wird diese persönliche Thätigkeit nicht geleistet, so 
führt das System naturgemäss zu einer Schädigung des nichtbesitzenden 
Theils des Apothekerstandes gegenüber dem besitzenden. Redner schilderte 
weiter den alten Gegensatz zwischen realer und personaler Concession, die 
Schwierigkeiten, das Personalconcessionssystom durchzuführen gegenüber der 
Frage vom Besitzrecht. Der 1842 unternommene Versuch, wonach bei jedem 
Besitzwechsel eine Ausschreibung stattfinden und der geeignetste Candidat 
gewählt werden sollte, scheiterte in Folge des allgemeinen Sturms, den er 
hervorrief, und durch die Cabinetsordre von 1846 wurde wieder das alte 
Verfahren zugelassen, die Concession dem präsentirten Geschäftsnachfolger, 
sofern er qualificirt, ertheilt: seit 188‘I ist danu die Beschränkung einer 
IOjährigen Frist vor «lern Weiterverkauf eingeführt worden. — Eine schwere 
Schädigung des Apothekenwesens bildet das Vordrängen des mercantilen 
Elements, wie es sich in der Bevorzugung des Handverkaufs gegenüber der 
Receptur, und in cynischer Weise in dem Treiben der Apothekenagenturen, 
ilie (len Verkauf nicht nur vermitteln, sondern überhaupt erst anregen, gel¬ 
tend macht. — Es wurden ferner die Schwierigkeiten einer gerechten Rege¬ 
lung der Neuconcessionen, die Versuche Pappenheiin’s und Pistor’s, 
durch Bestimmung der Gesammtsteuern des Bezirks und der Volksdichtigkeit 
einen festen Maassstab zu gewinnen, und die nach diesen Grundsätzen letzthin 
in Berlin ausgeführte Neuconeessionirung berührt. Das Princip der freien 
Niederlassung kann nach den Erfahrungen in Eisass - Lothringen, wo unter 
der Herrschaft desselben schliesslich eine Apotheke auf 2000 Einwohner in 
den grösseren Städten und auf 1.3000 auf dem Lande kam, als endgültig be¬ 
seitigt betrachtet werden; die Fortentwickelung des Apothekenwesens müssen 
wir vielmehr auf dem Boden des preussischen Systems erwarten. Vorschläge 
bezüglich derselben zu geben vermied der Verfasser, der sich streng in den 
Grenzen eines historischen Referats hielt. 

Kreisphysikus Schmidt (Steinau) schilderte in fesselnder Darstellung 
die wahrhaft entsetzliche Lage, in der sich vielfach die fremden Ernte* 
Arbeiter (Schnitter) in einzelnen Theilen der Provinz Brandenburg 
nud Schlesien befinden. Bei ungenügender Ernährung in heissen Dach¬ 
räumen auf Stroh gelagert, mit viel zu geringem Luftraum für den Einzelnen, 
ohne Trennung der Geschlechter, ohne Aborteinrichtungen, bilden sie na¬ 
türliche Heerde infectiöser Krankheiten, speciell von Syphilis, Krätze, granu¬ 
löser Augenentzündung, Unterleibstyphus, und haben schon mehrfach auch 
eine Durchseuchung der einheimischen Bevölkerung verursacht. Dass die 
betreffenden Grundbesitzer derartige Zustände unter ihren Augen dulden, 
scheint nur erklärlich, wenn man annimmt, dass sie die fremden zumeist 
polnischen Arbeiter für eine inferiore Meuschenart halten. Redner, dessen 
Angaben in der Discussion mehrfach bestätigt wurden, verlangt deshalb eine 
generelle Regelung der Angelegenheit für die dabei in Betracht kommenden 
Provinzen. 

Den letzten Vortrag des Tages hielt Kreisphysikus Wallichs (Altona) 
über einzelne der Reform bedürftige Punkte der Medicinalbeamten* 
taxe; in der erst am nächsten Tage stattfindenden Discussion wurde der 
Vorstand beauftragt, zur nächsten Versammlung bestimmte Vorschläge zu 
formuliren. 

Die Verhandlungen des zweiten Tages begannen mit einem durch viele 
wohlgelungene Demonstrationen erläuterten Vortrag von Moll (Berlin) über 
den Hypnotismus und seine forensische Bedeutung. Redner unterschied 
Verbrechen an llypnotisirten, zumeist Geschlechtsverbrcchen, die durch die 
§§ 176 und 177 des deutschen Strafgesetzbuches getroffen würden, doch wären 
auch Gesundheitsstörungen und Vermögensschädigungen durch posthypno¬ 
tische Suggestion möglich, und Verbrechen durch Hypnotisirte. Geschehen 
letztere in der Hypnose, so kommt §51 (Bewusstlosigkeit) in Betracht; ge¬ 
schehen sie durch post hypnotische Suggestion, so können sie entweder gleich¬ 
falls bei völliger Amnesie verübt werden, was wieder unter § 51 fallen 
würde, oder im Traum- oder im ganz wachen Zustande, einem unwidersteh¬ 
lichen Impuls folgend, was vielleicht unter § 52 (unwiderstehliche Gewalt) 
fallen würde; der Hypnotiseur kann wohl immer als Anstifter gefasst werden. 
Auch eine Verfälschung von Zeugenaussagen durch sogenannte retroactive 
•Suggestion erscheint möglich, doch fand der Redner, dass die so erzeugten 
Vorstellungen gewöhnlich nicht lange Vorhalten. Die Möglichkeit einer Hyp- 
notisirung wider Willen liess er zweifelhaft; eine Hypnotisirung von Zeugen 
oder Angeschuldigten zu Vernehmungszwecken erscheint ihm nicht berechtigt 
und auch nicht zuverlässig, da durch Suggestion die Erinnerung absichtlich 
gefälscht werden kann. Die Hypnose ausschliesslich dem Arzt zu reserviren, 
ist, da auch andere Wissenschaften an derselben Interesse haben, nicht an¬ 
gängig; dagegen können folgende Postulate festgehalten werden, erstens: die 
Hypnose nur unter Aufsicht derselben kundiger Aerzte zu gestatten, zwei¬ 
tens: die Anwesenheit einer dritten, erwachsenen Person bei derselben zu 
verlangen und drittens: das Verbot der öffentlichen Schaustellungen aufrecht 
zu erhalten. — Auf die Discussion, in der Wernich seinen Scepticismus 
dem Hypnotismus gegenüber aussprach, und der Vortragende replicirte, ist 
hier näher einzugehen wohl nicht der Ort. 

Nach der Vornahme der Neuwahlen, die wieder die bisherigen Vorstands¬ 
mitglieder an die Spitze des Vereins beriefen, nahmen noch Regierungs- 
medicinalrath Peters (Bromberg) und Kreisphysikus Professor Falk (Berlin) 
das Wort. Letzterer führte aus, inwiefern einzelne den KreUphygikern 
ex officio auferlegte Arbeiten zn eiuer unbilligen Belastung derselben 


führten. Ersterer besprach das Meldewegen für infectiöge Krankheiten 
auf dem Boden des Regulativs von 1835, an das wir ja wohl noch für 
längere Zeit gebunden sein würden. Einen Haupt übelstand sieht er darin, 
dass nicht die Coustatiruug infectiöser Krankheiten und die Anordnung der 
Desinfectionsmaassregein in eine Hand gelegt wären und Schlag auf Schlag 
einander folgten. Zu ersterer würden von den Ortsbehörden die nächsten, 
nicht beamteten Aerzte zugezogen, diese ist durch den Erlass von 1884 in 
die Hände der Medicinalbeamten gelegt, und naturgemäss halten sich daher 
jene, um ein nachträgliches Desaveu ihrer Anordnungen zu vermeiden, von 
der Einleitung von Desinfoctionsmaassregeln fern. Nur in den Provinzen 
Posen und Hannover werden auch zur Constatirung von Infectionskrank- 
heiten die beamteten Aerzte herangezogeu; wenn trotzdem diese Provinzen 
in dem Verhalten der Infectionskrankheiteu keine besseren Zustände zeigen, 
als die Kreisordnungsprovinzen, so liegt das an der Langwierigkeit des Ge¬ 
schäftsganges; die Ortsbehörden dürfen nur durch Vermittelung des Landraths 
deu Physikus retjuiriren, und damit geht viel kostbare Zeit verloren. Peters 
schlägt daher vor, den Ortsbehörden das Recht zu geben, wie au den Kreis- 
thierarzt, so auch an den Kreisphysikus direkt zu berichten und diesem zu 
überlassen, über die Nothwendigkoit seiner Anwesenheit zu befinden; dass 
dadurch keine überflüssige Belastung der Staatskasse eintreten wird, dafür 
bürgt der Geist, der im preussischen Medioiualbeamtenstand herrscht. 

Dass dieser Geist ein ganz vortrefflicher, dass es der ernsten wissen¬ 
schaftlichen Strebens und treuester Pflichterfüllung ist. diesen Eindruck wird 
wiederum jeder, der den diesjährigen Verhandlungen beigewohnt hat. mit 
sich genommen haben. Fritz Strassmann. 

XII. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte, Köln 18 —23. Sept. 1888. 

(Originalbericht.) 

(Fortsetzung aus No 39.) 

Nach Schluss der 1. allgemeinen Sitzung setzten die einzelnen Abthei- 
luugen in den ihnen zur Verfügung gestellten, im Allgemeinen sehr zweck¬ 
mässigen Räumen ihre Tagesordnung fest, wählten ihre Vorsitzenden und 
hielten meist auch Nachmittags ihre ersten Sitzungen ah Für sämmtliohe 
(17) im engeren Sinne raedicinische Abtheilungen standen sehr geeignete 
Räume in dem neuen Realgymnasium zur Verfügung, dessen Wände fast 
überall, in den Classeuzimmern, den Fluren, und namentlich in dem Zeiehen- 
und dem Turnsaale in eiuer sonst wold nirgends bisher dageweseneu. aber 
gewiss höchst zweckmässigen Weise ausgenutzt worden sind, um durch Ta¬ 
bellen und Malereien den Schülern die hauptsächlichsten geschichtlichen und 
geographisch-statistischen Thatsachen, wie die Grundbegriffe der Baukunst 
und die Hauptansichten und Grundrisse der hervorragendsten Bauwerke 
aller Zeiten gleichsam spielend und unbewusst für Lebenszeit einzuprägen. 

Nachmittags von 4 Uhr ab fanden sich dann wohl die meisten Theil- 
nehmer der Versammlung mit ihren Damen in dem prächtigen Garten dev 
Gesellschaft „Flora“ ein und besuchten meist auch die angrenzende grosse 
Gartenbauausstellung. Mit Anbruch der Dunkelheit erstrahlte der Haupttheil 
des Flora-Gartens in zauberhafter Beleuchtung, und bildete dann ein gross- 
artiges Feuerwerk den Abschluss des ersten Yersammlungstages. 

Der Vormittag des 2. Tages (19. September) war ausschliesslich deu 
Abtheilungssitzungen, der Nachmittag den Besichtigungen (nach Wahl) der 
Krankenhäuser, des berühmten Hohenstaufenbades und der Oanalisations- 
einrichtungen, der Gas- und Wasserwerke, aber auch des ganzen Domes 
(mit Besteigung der Thürme) und des Domschatzes gewidmet. Um 6 Uhr 
fand das Festessen im grossen Gürzenich- (nicht Gürzeuig!) Saale statt, an 
dem ca. 800. darunter überaus viele Damen, Theil nahmen, und das durch 
die üblichen, leider nur theilweise allzu langen und den Meisten unver¬ 
ständlichen Tischreden wie häufig mehr gestört, als gewürzt wurde. 

Zu Anfaug der zweiten allgemeinen Versammlung (am 20. Septbr.) 
wurde zunächst Heidelberg fast einstimmig zum nächstjährigen Versamm¬ 
lungsorte gewählt, offenbar, weil sonst nur noch eine Einladung, die vom 
Stuttgarter Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs, vorlag, deren unge¬ 
schickte Abfassung in der 1. allgemeinen Sitzung so stürmische Heiterkeit 
erregt hatte, und Niemand aus der Versammlung einen anderen Vorschlag 
machte. So wohl geeiguet in vielen Beziehungen Heidelberg für die nächste 
Versammlung sein mag, ist es dennoch, wie auch Virchow gleich darauf 
gelegentlich hervorhob, zu bedauern, dass die Versammlung mit dieser Wahl 
von der bewährten Sitte abging, möglichst unter Städten nicht nur des 
Nordens und Südens, sondern auch des Ostens und Westens abzuwechseln. 
Jetzt werden 3 Versammlungen im äussersten Westen Deutschlands (Wies¬ 
baden, Köln, Heidelberg) in ununterbrochener Reihe auf einanderfolgen, 
während der Osten Deutschlands gewiss der durch eine solche Versammlung 
gebotenen geistigen Anregung in höherem Grade, als der Westen hedürftig 
wäre. Die Herren Geheimräthe Kuehue (Physiologie) und Quincke 
(Physik) wurden sodann zu Geschäftsführern erwählt, nachdem Geh. 
Rath Becker (Heidelberg), der berühmte Augenarzt, ihre Bereitwilligkeit 
erklärt. 

Nachdem dann der zweite Geschäftsführer, Herr Kyll, eingehend über 
die bisherige Vorbereitung der von Virchow schon auf der Berliner 
Naturforscherversamralung 1886 vorgeschlagenen Statuteuveründerung (s. diese 
Wochenschr. No. 38, p. 788) berichtet und namentlich mitgetheilt. dass im Laufe 
der letzten zwei Jahre nicht eine einzige Sitzung des bez. gewählten Aus¬ 
schusses habe ermöglicht werden können, dass aber für die geplanten Ab¬ 
änderungen 9 Mitglieder Foerster (Berlin) (Astronom), v. Hofmann 
(Berlin), Kronecker (Berlin), Quincke (Heidelberg'. Roemer (Breslau). 
Virchow, v. Zit toi und die beiden diesjährigen Geschäftsführer, dagegen 
nur die beiden Geschäftsführer der vorjährigen Versammlung in Wiesbaden. 
Fresenius sen. uud Pagenstecher, sich erklärt, begründete Yirehow 
seinen Antrag vorzugsweise mit dem Hinweise darauf, dass die Statuten 
gänzlich veraltet und bei den heutigen, gegen die Zeit der Stiftung der Ge- 


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11. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


845 


Seilschaft, ganz veränderten Verhältnissen, nicht mehr aufrecht zu halten 
seien; dass die Wahl des Ortes und der Geschäftsführer für die nächste 
Versammlung stets umsichtig vom Vorstande vorbereitet werden müsse; dass 
die Gesellschaft in die Lage gesetzt werden müsse, Eigenthum und Ver¬ 
mögen zu besitzen und zu verwalten, z. B. die bedeutenden Ueberschüsse, 
welche noch in den Händen der Geschäftsführer der Berliner Versammlung 
seien, und über die man erst nach Abänderung der Statuten verfügen könne, 
und eine, wenigstens die eigenen Veröffentlichungen der Versammlungen, 
die jetzt nur noch sehr schwer vollständig aufzutreiben seien, enthaltende 
Bibliothek; dass andere ausländische und inländische wissenschaftliche Ge¬ 
sellschaften ganz andere, ihre regelmässige Fortdauer sichernde Satzungen 
sich gegeben hätten, ohne ihre Eigenart als Wanderversammlungen und ihr 
freies Selbstbestimmungsrecht irgend zu verlieren; dass namentlich nicht 
davon die Rede sein könne, Süddeutschland durch die Norddeutschen zu 
vergewaltigen, und dass man erstreben müsse, Corporationsrechte zu er¬ 
werben. 

Darauf befürwortete auch Prof. Biermer (Breslau) als unparteiisches 
Nichtmitglied des bez. Ausschusses die Statutenänderung, indem er bekannte, i 
er sei früher gegen eine solche gewesen, durch weitere reifliche Ueber- 
legung aber dafür gewonnen und hoffe, während er eine Gefahr in der Ab¬ 
änderung in keiner Weise erblicken könne, ein ständiger Vorstand werde 
die Versammlungen viel besser, als bisher möglich, vorbereiten und auch 
eine sehr wünschenswerthe Annäherung zwischen der allgemeinen Natur- 
forscbefversammlung und den leider so zahlreich davon in den beiden letzten 
Jahrzehnten abgezweigten Specialistenversammlungen anbahnen können. 

Gegen die Vornahme der Abänderung sprach nur Herr Dr. Seidlitz 
(Königsberg), welcher die alten Statuten für völlig ausreichend erklärte, meinte, 
der nächste Versammlungsort könne immer aus der Versammlung vorge¬ 
schlagen werden (was aber meist nicht geschehen ist und erfahrungsmässig 
leicht zu weitläufigen und unfruchtbaren Verhandlungen und wirklich un¬ 
zweckmässigen Wahlen [wie auch in diesem Jahre!] führen kann): er ver¬ 
stehe die feinen (Virchow: sehr grobe!) juristischen Bedenken nicht, welche 
die Verwendung der Berliner Ueberschüsse hindern könnten; es werde un¬ 
zweckmässig sein, wenn die Mitglieder des Vorstandes nicht alle an einem 
Orte wohnten: man werde „durch die vielen Wahlen viel Zeit verlieren, viel 
disputiren und sich viel ärgern“ (Heiterkeit), und schliesslich würde, wie in 
Berlin, von einer freien Wahl nicht die Rede sein können, wo der Vorstand 
die Wahlen einfach oktrovirt und die Bitte um Gegenprobe nicht gewährt 
habe, „kurz und gut, der Verein werde dann einer Actiengesellschaft gleichen 
(.Schlussrufe!).“ Nachdem ein Schlussantrag angenommen, und Virchow die 
Berliner Geschäftsführung gegen die beleidigenden Aeusserungen des Herrn 
Dr. Seidlitz entschieden verwahrt, wurde nach einer sehr verworrenen Ge- 
schäftsordnungsdebatte, da eine unzweifelhafte Mehrheit bei der Abstimmung 
sich nicht ergab, der sogen. Hammelsprung von der Versammlung vorge- 
iinroinen. So ergab sich endlich eine Annahme der Statutenabänderung mit 
174 (gegen 144) Stimmen. Diese ganze, ca. 2 stündige Verhandlung, wie der 
Verlauf der später vorgenommenen Vorstandswahl, bei denen eine geschickte 
und eingreifende Leitung von jedem Kundigen schmerzlich vermisst werden 
musste, ergab meiner Meinung nach recht schlagend die Nothwendigkeit der 
Abänderungen, die, abweichend von den ursprünglichen Virchow’scben 
Vorschlägen, aber mit seiner Zustimmung heute in folgender Form vorgelegt 
und angenommen wurden: 

1. In Zukunft soll die Mitgliedschaft der Gesellschaft eine dauernde sein. 

2. Die Bestimmungen über die Theilnahme an den Verhandlungen 
bleiben unverändert. Insbesondere sollen auch künftig Theilnehmer in der 
bisher üblichen Weise zu den Versammlungen zugelassen werden, auch wenn 
sie nicht dauernde Mitglieder der Versammlung sind. Stimmberechtigt sind 
nur die Mitglieder der Gesellschaft. 

3 Die Gesellschaft soll eigenen Besitz und eigenes Vermögen erwerben 
können. 

4. Der Jahresbeitrag der Mitglieder beträgt 5 Mark. 

5. Die Gesellschaft wählt einen Vorstand. Derselbe besteht aus einem 
Vorsitzenden, einem stellvertretenden Vorsitzenden, den Geschäftsführern des 
jedesmaligen Versammlungsortes, einem Schatzmeister, einem Generalsekretär 
und neun Mitgliedern. 

Der Generalsekretär und der Schatzmeister werden für 3 Jahre, die 
übrigen Mitglieder auf ein Jahr gewählt. Der neugewählte Vorstand wird 
auf Grund dieser Beschlüsse den Entwurf eines neuen Statuts ausarbeiten 
und der nächsten Versammlung zur Beschlussfassung vorlegen. 

Zum Schluss der zweiten allgemeinen Sitzung folgte dann noch der 
etwa einstündige Vortrag Waldeyer’s über das Studium der Me- 
dicin und die Frauen und der von Weismann über die Hypothese 
einer Vererbung von Verletzungen. 

Am Nachmittag des 20. September fanden noch Sitzungen der Abthei¬ 
lungen statt, wie auch am 21. September Vormittags und Nachmittags, doch 
wurden die Nachmittagssitzungen meist nicht sehr zahlreich besucht, da das 
wundervolle Sommerwetter mächtig in’s Freie lockte, am 20. zum Besuche 
des reich besetzten zoologischen Gartens, auf dessen Bestand die Kölner, und 
zwar mit Recht, nicht wenig stolz sind (u. A enthält er eine Seelöwen¬ 
familie von 3 erwachsenen Thieren und zwei erst vor 8 Wochen im dortigen 
Garten geworfenen Jungen), und am 21. zu der Dampferfahrt nach dem | 
rheinaufwärts wundervoll gelegenen Vergnügungsparke -Marienburg“. Am 
20. besuchteu auch noch viele Theilnehmer mit ihren Damen die Fest¬ 
vorstellung „Don Juan“, die in überraschend guter Besetzung den Gästen 
in dem geschmackvoll eingerichteten Sfadttheater geboten wurde. 

ln der dritten allgemeinen Sitzung am 22. September wurde, ! 
nachdem Prof. I)r. Meynert (Wien) über Gehirn und Gesittung, Vir- I 
ohow über die künstlichen Verunstaltungen des Körpers gesprochen, 
die (Zettel-) Wahl des neuen Vorstandes vorgenommen, über deren Ergebniss 
schon in No. 39 dieser Woehenschr. (p. 808) berichtet worden. Während die 
übrigen Vorstandsmitglieder nach den Vorschlägen der Geschäftsführer an- . 
Staudslos mit grösserer oder geringerer Mehrheit gewählt wurden, ohne dass 


neue Vorschläge gemacht waren, erhoben höchst unzweckmässiger Weise, 
meiner Meinung nach, gegen die Wahl des Herrn Dr. Lassar (Berlin) zum 
Generalsekretär einige Mitglieder Widerspruch, indem sie zugleich Herrn 
Prof. Ewald (Berlin) vorschlugen, der als Redacteur der „Berliner klini¬ 
schen Wochenschrift“ und Generalsekretär des Vereins für Seehospize ihnen 
geeigneter erschien. Der Unterzeichnete Berichterstatter sah sich dadurch 
veranlasst, darauf hinzuweisen, dass, so geeignet Herr Prof. Ewald auch 
unzweifelhaft für diese Stellung sei, doch Niemand in der Versammlung 
wahrscheinlich wissen werde, ob er überhaupt geneigt sein würde, zu jenen 
arbeitsreichen Aufgaben und zu seiner Thätigkeit als Lehrer und Arzt am 
Augustahospitale anch noch dies neue, gewiss recht zeitraubende Amt zu 
übernehmen, auch gänzlich unbekannt sein würde, ob er, was zur Zeit recht 
unwahrscheinlich, in Berlin anwesend sei, dass also, falls die Wahl auf ihn 
fiele, die Versammlung leicht in die gar nicht mehr gutzumachende Ver¬ 
legenheit kommen könnte, dass er die Wahl nicht annähme und dann eine 
; Neuwahl überhaupt nicht mehr möglich sei. Trotz dieses Hinweises, dem 
! nicht widersprochen werden konnte, erfolgte die Wahl des Herrn Dr. Lassar, 
i wie gemeldet, nur mit geringer Majorität. Das Wahlergebniss konnte, der 
1 Zettelwahl wegen, ohnehin erst in einer nur von wenigen Mitgliedern noch 
besuchten Nachmittagssitzung mitgetheilt werden, nachdem in der Vormittags¬ 
sitzung noch Prof. Dr. Exner (Wien) und Prof. Dr. Vaihinger (Halle) 
ihre Vorträge über die typischen Denkfehler der Menschen und über 
Naturforschung und Schule gehalten. 

In der Nachroittagssitzung schloss dann Prof. Bardenheuer die Ver¬ 
sammlung, nachdem der zweite Geschäftsführer, Chemiker Kyll, ein Hoch 
auf Kaiser Wilhelm II. ausgebracht, und Prof. Zenker (Erlangen) der Ge¬ 
schäftsführung den Dank der Versammlung ausgesprochen. 

Der Abend brachte dann noch den von der Stadt Köln wiederum im 
grossen Gürzenichsaale der Versammlung in grossartigster Gastlichkeit dar- 
gebracbten Festtrunk, bei dem zugegen zu sein auch Hunderte von Damen 
sich nicht nehmen Hessen. Die meisten Theilnehmer verliessen wohl vor 
Mitternacht die gastlichen Hallen, die nebst allen Nebenräumen dicht ge¬ 
füllt waren, und in denen Herr Oberbürgermeister Becker in humorvoller 
“Weise sie begrüsst. Manche aber sollen noch das Grauen des Morgens im 
Gürzenich abgewartet haben. 

Es folgte dann noch am Sonntage, dem 23. September, eine sehr grosse 
Anzahl (3 — 400) der Theilnehmer mit vielen Damen der Einladung zu einer 
Festfahrt auf zwei reich geschmückten Salondampfern nach Königswinter, 
die bei schönstem Sommerwetter stattfinden konnte, und durch die von den 
Meisten allerdings mittelst Zahnradbahn in bequemster Weise vorgenomraene 
Besteigung des Drachenfelsen mit seiner herrlichen Rundsicht einen wahr¬ 
haft grossartigen Naturgenuss bot. Nachmittags fuhren dann beide Schiffe 
zu einem in Bonn in dem unmittelbar am Rheine gelegenen „Kaiserhofe“ 
(allerdings etwas mangelhaft) vorbereiteten Abschiedsfestmahle, und bei ein¬ 
brechender Dunkelheit dampften beide Schiffe gen Köln zurück, das noch 
die Heimkehrenden mit einer wundervollen bengalischen Beleuchtung der 
grossen eisernen Rheinbrücke und einem überaus grossartigen Feuerwerk 
ehrte, das von dem alten dicht an der Rheinbrücke gelegenen hohen Thurme 
abgebrannt wurde. Damit fand die 61. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte, die freilich ganz überwiegend zahlreich aus den Rbeinlanden 
und Westdeutschland und von ärztlichen Koryphäen im ganzen nur schwach 
besucht war, ihren glänzenden Abschluss, der viel dazu beitragen wird, allen 
Theilnehmern die Erinnerung au das alte, aber neu verjüngte, schöne und 
gastliche Köln zu einer frohen und das Leben hindurch dauernden zu 
machen. 

(Eingehende Referate über die Vorträge in den allgemeinen und Sections- 
sitzungen folgen.) Nötzel (Colberg). 


XIII. 14. Versammlung des Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege in Frank¬ 
furt a. M. vom 13.—10. September 1888. 

(Originalbericht.) 

(Schluss aus No. 39.) 

Am Nachmittag des 14. September wurden auf Einladung der städtischen 
Behörden zunächst die Klärbeckenanlagen (mittelst Dampfschiff) und dann 
die grossartigen Hafenanlagen und das riesige Lagerhaus besucht; die segens¬ 
reiche Einwirkung der letzteren Anlagen auf den gesammten Handel von 
Frankfurt erschien bei ihrer Grossartigkeit sehr glaubhaft. Zweifelhafter 
blieb die Zweckmässigkeit der ebenfalls überaus grossartigen Kläranlagen, 
da trotz ihrer sachgemässen Einrichtung die Frage augenscheinlich noch eine 
offene blieb, wohin die Stadt schliesslich mit dem Bodensätze aus den Klär¬ 
becken solle, der in Gestalt eines sehr dünnflüssigen, gährenden Schlammes 
weite Becken erfüllte und eingestandenermaassen, wie auch in den übrigen 
Städten mit Kläranlagen, sich noch nicht vortheilhaft verwenden lässt. 
Abends erprobte dann die Mehrzahl der Versammlung praktisch die Güte 
der Ventilationseinrichtungen in dem überaus prachtvoll ausgestatteten Opern¬ 
hause bei der Festvorstellung des „Cid“ von Massenet. 

Am Morgen des letzten Versammlungstages (15. September) fand 
die Besichtigung des den Bedürfnissen Frankfurts schon nicht mehr in jeder 
Beziehung genügenden Schlacht- und Viehhofes und der Frankensteiner- und 
Willemer (Doppel-) Schule statt, bei welcher namentlich die praktische Vor¬ 
führung der Schul- (Brause-) Bäder Interesse erregte. In der darauffolgenden 
dritten Sitzung hielt dann der bisherige Direktor des Hamburger Kranken¬ 
hauses, jetzige Leipziger Professor Dr.Cursch mann, seinen auf eigenerreicher 
Erfahrung beruhenden Vortrag über die Frage: Welchen Einfluss hat die 
heutige Gesundheitslehre, besonders die neuere Auffassung des Wesens 
und der Verbreitung der Infectionskrankheiten auf Bau, Einrichtung 
und Lage der Krankenhäuser? Da der Herr Berichterstatter den Haupt¬ 
inhalt seines Vortrages selbst in sogenannte Thesen zusammengefasst hat, 
welche, soeben gedruckt, der Versammlung vorgelegt wurden, so wird es 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


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wohl genügen, dieselben wortgetreu hier wiederzugeben, was sie wegen ihrer 
Wichtigkeit gerade für uns Aerzte entschieden verdienen. 

»Allgemeines. Die schon seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts 
von Einzelnen aufgestellten, hier und da auch praktisch vorwertheten sach- 
gemässen Forderungen in Bezug auf Lage, Bau und Einrichtung von Kranken¬ 
häusern sind durch die bedeutenden neueren Fortschritte auf dem Gebiet 
der Gesundheitspflege und der Erkenntniss der Krankheitsursachen so wesent¬ 
lich vertieft und befestigt, dass grundsätzliche Zweifel im Grossen und 
Ganzen nicht mehr bestehen. 

Da es heute als feststehend zu betrachten ist, dass die äusseren Lebens¬ 
verhältnisse, unter welche wir unsere Kranken bringen, von mindestens 
gleicher Wichtigkeit sind, wie das direkte ärztliche Eingreifen, so ist es 
unabweisbar geworden, der passenden Gestaltung der ersteren bei Ein¬ 
richtung von Krankenhäusern möglichst uneingeschränkt Rechnung zu 
tragen. 

Thunlichste Einfachheit iu Bezug auf System und Ausführung, gewissen¬ 
haftes Vermeiden alles Ueberflüssigen oder zweifelhaft Nützlichen ermöglichen 
es, berechtigte, sehr weit gehende ärztlich-technische Anforderungen mit den 
rückhaltlos anzuerkennenden öffentlichen, namentlich finanziellen Rücksichten 
in Einklang zu bringen und damit den Grundsatz zu verwirklichen: Das 
beste Krankenhaus ist das, welches möglichst viel mit möglichst einfachen 
Mitteln erreicht. 

Besonderes. Krankenhäuser, namentlich grosse und mittelgrosse, sind 
ausserhalb der Städte auf Plätzen zu errichten, welche der Gefahr dichter 
Umbauung nicht ausgesetzt sind. 

Der trockene, leicht zu drainirende Bauplatz soll, wenn thuulich, etwas 
erhöht und mit Rücksicht auf die herrschende Windrichtung so gelegen sein, 
dass die Zufuhr der verunreinigten Stadtluft auf das geringste Maass be¬ 
schränkt bleibt. 

Bedeutende Anforderungen sind an die Grösse des Bauplatzes zu stellen: 
mindestens 130 bis 140 qm pro Krankenbett, für Epidemie-Abtheilungeu 
bis zu 200 qm. 

Die grössere Entfernung der Krankenhäuser von den Städten macht die 
Orgai..sution eines öffentlichen, ausreichend rasch und präcis arbeitenden 
Krankentransportwesens erforderlich; eine ohnehin bestehende hygienische 
Nothwendigkeit, da die noch an vielen Plätzen übliche Verwendung von 
Droschken und anderen allgemein benutzbaren Fuhrwerken für den Trans¬ 
port acuter, oft ansteckender Kranker als ein gefährlicher Unfug bezeichnet 
werden muss. 

Während für kleinere Krankenhäuser (bis zu 80 , ja 100 Betten) eine 
Corridorbauart unter einem Dache noch sehr wohl erlaubt ist, sollte darüber 
hinaus nur ein — je nach besonderen Zwecken modificirtes — Zerstreuungs¬ 
system zulässig sein. 

Für allgemeine Krankenhäuser (ohne klinische, militärische oder 
sonstige specielle Zwecke) empfiehlt es sich, dieses Zerstreuungssystem so 
weit auszubilden, dass die grösste Zahl besonders der inneren und chirur¬ 
gischen Kranken in lediglich erdgeschossigen Pavillons (Baracken) unter¬ 
zubringen ist. 

Die Behauptung, dass durch eine solche Zerstreuung Verwaltung und 
Ueberwachung erschwert werde, ist durchaus unrichtig. Bei zweckmässiger 
»Stellung der Einzelbauten zu einander und zu den Verwaltungsgebäuden, 
passenden Wegeanlagen und practischen Diensteiurichtuugen erhöht das 
»System im Gegentheil die Uebersichtlichkeit eiuer grösseren Kraukenzahl. 

Für grössere Anstalten ist im sanitären wie dienstlichen Interesse der 
centralen Lage der Occonomie- und Verwaltungsgebäude die excentrische 
vorzuziehen, letztere (wegen des für die Kranken lästigen Rauchs) mit Rück¬ 
sicht auf die am Orte gewöhnliche Windrichtung. 

Mit Bezug auf Licht und Sonuenwärme ist eine Stellung der Pavillons 
mit der Richtung ihrer Längsachse von Süd nach Nord der vielfach üblichen 
(Frankreich) von West nach Ost wenigstens für unsere geographische Lage 
vorzuziehen. Am südlichen Ende ist am passendsten der für jeden grösseren 
Pavillon unentbehrliche Tageraum auzubringen. 

Unter Voraussetzung guten Baugrundes gehört die Errichtung der 
Krankengebäude auf einem für die äussere Luft offenen Pfahl- oder sonstigen 
Unterbau oder die totale Unterkellerung derselben zu d%n ganz unnöthigen, 
den Bau wesentlich vertheuernden Einrichtungen. 

Dasselbe gilt von jeder complicirten Dachconstruction, besonders der 
Anbringung von Zwischendecken mit dadurch entstehenden Bodenräumen. 
Das Dach — am besten ein Holz-Gementdach — soll die unmittelbare Decke 
des Kraukensaales bilden. 

Die Pavillons durch gedeckte Gänge untereinander zu verbinden, ist 
für die Kranken bei geeigneten Transportmitteln kein Erfordemiss. für 
Aerzte und Personal unnöthig, für die freie Luftbewegung ein IJiuderniss. 

Hinsichtlich der Bauart dor Pavillons sind bei nicht zu ungünstigem 
Klima einfache Fachwerkbauten, in kälterer Gegend massivo Backsteinbauten 
am vortheilhaftesten. Die Innenwändo sollen glatt, möglichst ohne Fugen, 
Ecken und Vorsprünge, nur bis zu l'/a—2 m Höhe vom Fussboden mit 
Oelfarbanstrich, Kacheln oder dergleichen versehen, im Uebrigen mit Wasser¬ 
farbe (Porenventilation) gemalt sein. 

Die ausgiebigen Thüren des Kraukensaales sowie die (nicht höher als 
0,75 m vom Fussboden begiuuendeu, bis nahe zur Decke reichenden) zahl¬ 
reichen Fenster desselben sind so anzubriugen, dass bei natürlicher Durch¬ 
lüftung nirgends eine todto Ecke bleibt. Energische Zugluft ist nicht wenigen 
Infectionsstoffen gegenüber ein wirksameres und sichereres Beseitiguugsmittel 
als manche viel gepriesenen chemischen Agentien. 

Für Herstellung des Fussbodens sind dem Holze Stein oder ähnliches 
Material, besonders Terrazzo oder Mettlacher Fliesen, weit vorzuziehen, um 
so mehr als das Hauptbedenken hiergegen, die Kälte, sich durch passende 
Heizeinrichtung beseitigen lässt. 

Die allen Ansprüchen am gleichmässigsten genügende Ueizungsart der 
Pavillons ist diejenige vom Fussboden aus, wie sie im Hamburger Neuen 
Allgemeinen Krankenhause zuerst zur Anwendung gelangte. 


Reine sogenannte Luftheizungen sind zu verwerfen, Kamin- und Ofen- 
heizuugeu ohne Nachtheil durchführbar. Wo Dampf- oder Warmwasser¬ 
heizungen gewählt werden, können dieselben entweder von einer einzigen 
Contralstelle oder von einer iu jedem Pavillon besonders eingerichteten 
Feuerstelle ausgehon. Für ausgedehnte Anstalten ist (bei Verwendung von 
wenig rauchendem Feuerungsmaterial, Coaks etc.) das letztere System vor¬ 
zuziehen. 

Bezüglich der Art «ler Ventilation ist bei dem Erdgeschosspavillon- 
system die wichtigste und für die wärmere »lahreszeit völlig ausreichende 
die natürliche durch Wände, Thüren, Fenster und Dachreiter. In Verbindung 
mit geeigneten künstlichen Vorrichtungen sollte man auf diese auch im 
Winter nur theilweise verzichten. 

Der Erleuchtung wird in Zukunft die Elektricität dienen. Schon heute 
sind die Erfahrungen und technischen Fertigkeiten auf diesem Gebiete so weit 
gediehen, dass für jeden Krankenhausueubau ihre Anwendung in Betracht 
gezogen werden muss.“ 

Wiederholt betonte der Redner nachdrücklichst, dass gerade die Durch¬ 
führung der sanitär wichtigsten Maassregeln geeignet sei, die Kosten der 
Neubauten grosser Krankenhäuser eher zu vermindern, als zu vermehren. 

Aus der auf den sehr beifällig aufgenommenen Vortrag folgenden Be¬ 
sprechung genüge es zu erwähnen, dass Herr Landesrath Fuess (Danzig), 
der soeben zum Oberbürgermeister von Kiel erwählt worden, die »Schwierig¬ 
keit hervorhob, den Curschmann’schen Anforderungen zu genügen, wenn 
es sich um Neubauten innerhalb dicht bewohnter Stadtbezirke bandelt, wie 
in Danzig, wo die Anwohner über die Ansteckungsgefahr klagten und Ent¬ 
schädigung forderten, was Cur sch manu für meist aus Gewinnsucht erklären 
möchte. Dr. Kuby (Augsburg) möchte die Unterkellerung bei Kranken¬ 
häusern nach dem für mittlere und kleinere Städte (auch nach Curschmann) 
oft passenden Corridorsystem ebenso wenig eutbehren, wie geräumige Altano 
für die oberen Stockwerke. Kreisphysikus a. D. Huepeden (Haunover) 
glaubt, dass das jetzt fast zu weit getriebene Zerstreuungssystem bald wieder 
eingeschränkt werden dürfte, da die Verwaltung der zu grossen Kranken¬ 
häuser (1000—1500 Kranke) viel zu schwierig wäre, die Ueberwachung der 
Kranken und Wärter nicht mehr möglich sei und durch das Fehlen ge¬ 
schützter Verbindungsgänge (die Curschmann für überflüssig hält) rheu¬ 
matische Erkrankungen häufig würden. Curschmann theilt diese Bedenken 
nicht, stimmt aber Aufrecht (Magdeburg) darin bei, dass, wo genügend 
grosse Bauplätze nicht zu haben seien, mehrstöckige Pavillons mit künst¬ 
licher, und erdgeschossige Baracken ohue künstliche Ventilation zusamraeu 
anzuwenden seien, da beide genügend Luft und Licht bieten. 

Nachdem dann noch Wolffhügel (Güttingen) den (durch den Verlauf 
der gegenwärtigen Versammlung gerechtfertigten) Wunsch ausgesprochen, die 
Tagesordnung in Zukunft weniger reich zu besetzen, damit die Besprechung 
der einzelnen Vorträge nicht zu sehr beschränkt werden müsse, und der Vor¬ 
sitzende, Becker (Köln), auf die »Schwierigkeit, hingewiesen, im Voraus zu be¬ 
rechnen, wie lange die Besprechungen dauern könnten, wurde die Neuwahl des 
Ausschusses vorgenommen, welche, nachdem Miquel abgelehnt und Becker 
(Köln) seinen anfänglichen Widerspruch zurückgenommen, ausser dem stän¬ 
digen Sekretär Dr. Spiess, dessen Vorbereitung der diesjährigen Versamm¬ 
lung wiederum, wie stets bisher, als mustergültig allseitig anerkannt wurde, 
durch Acclamatiou die folgenden 6 Mitglieder ergab: Oberingenieur Meyer 
(Hamburg), Landesrath Fuess (Danzig), Becker (Köln) (3 Wiederwahlen) 
und als neu gewählt: Oberbürgermeister Boettcher (Magdeburg), Geh. San.- 
Rath Graf (Elberfeld) und Ingenieur Prof. Rietschel (Berlin). 

Zu Beginn der Sitzung war schon die Mittheilung gemacht, dass Wies¬ 
baden die Versammlung für das nächste Jahr eingeladen habe, aber daran 
von Becker (Köln) und Meyer (Hamburg) die Bemerkung geknüpft worden, 
dass man auf den Ort der nächsten Naturforscherversammlung werde Rück¬ 
sicht nehmen müssen. (Nachdem inzwischen hierzu Heidelberg gewählt, wird 
Karlsruhe, wie man vielfach in Köln hörte, als nächster Versammlungsort 
in Aussicht genommen werden.) Ausserdem wurden iu die Commission zu 
näherer Borathung der Baumeister’schen Einzelvorschläge für eine künf¬ 
tige r Reichsbauordnung“ gewählt: die beiden Antragsteller: Mi quel (Frank¬ 
furt), Baumeister (Karlsruhe), die Stadtbauräthe: Stübben (Köln), 
Peters (Magdeburg), Meyer (Hamburg), Blankenstein (Berlin) und, als 
einziger Arzt, Dr. Spiess (Frankfurt), der die »Sitzungen der Commission 
berufen soll. 

Der letzte Gegenstand der Tagesordnung, Strassenbefestigung und 
i Strassenreinignng, über welchen die Herren Stadtbaumeister Heuser 
| (Aachen) und Dr. med. Blasius (Braunschweig) sehr erschöpfend berich- 
| teten, bot im Ganzen so wenig für uns Aerzte hervorragend Interessantes, 
dass ich selbst auf die Wiedergabe der (ziemlich langen) »Schlusssätze der 
Referenten hier verzichten und auf den ausführlichen Bericht in der Viertel¬ 
jahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege verweisen muss. 

Damit war zwar (gegen 3 Uhr Nachmittags!) die eigentliche Versamm¬ 
lung geschlossen, für deren energische und erfolgreiche Leitung Herr Ober¬ 
bürgermeister Boettcher (Magdeburg) seinem Specialcollegen Becker 
I (Köln) noch den Dank der Versammlung aussprach, aber es folgte zu fröh- 
i lichem Abschlüsse Nachmittags noch eine Fahrt der meisten Theilnehmer 
| mit vielen Damen nach dem benachbarten Bade Homburg, in dem vorzugs- 
; weise die Quellen und Wandelbahnen, dor prachtvolle Park, das Curhaus 
und das überraschend reichhaltige Saalburgrausoum (altrömische, in der 
nächsten Umgebung gefundene Alterthümer) besichtigt wurden, worauf dann 
ein fröhliches Abendessen und bei günstigster Sommerwitterung eine glän¬ 
zende Erleuchtung des Curgartens und zum Schluss ein grossartige.s 
Feuerwerk, von der Badedirektiou zu Ehren der Versammlung veranstaltet, 
folgten. 

Ueber die Ausflüge am »Sonntag (den 16. September), die nach Wahl 
entweder zur Besichtigung der Quelleufassung der Frankfurter Wasserleitung 
im Spessart, oder von Mainz ab zu Schiff nach Rüdesheim, wo»selbst der 
Besitzer der Rüdesheimer Schaumweiufabrik zu einem Frühstück eiugeladen, 
und Nachmittags zum Niederwalddenkmal unternommen wurden, kann ich 


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11. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


847 


Näheres nicht berichten, da ich an der Theilnahrae verhindert war. Aber 
die Zahl der Theilnehmer soll bei beiden Partieen eine nicht grosse, und 
die Freude durch die Ungunst der Witterung eine sehr gestörte gewesen 
sein. Die sonnigen 3 Tage der eigentlichen Frankfurter Versammlung aber 
werden gewiss bei allen Theilnehmeru in angenehmster Erinnerung bleiben. 

Nötzel (Colberg). 


XIV. Therapeutische Mitteilungen. 

Das zweite medico-mechanische Institut. 

Vor etwas über Jahresfrist hatten wir unsere Leser auf die Eröffnung 
eines Instituts hingewiesen, welches in Berlin der von Ling begründeten 
und so lauge Zeit mit Unrecht vernachlässigten Heilgymnastik eine ihrem 
therapeutischen Werthe entsprechende Stätte bereitete. Durch Zander hat, 
worauf wir seiner Zeit auch hingewiesen haben, die Heilgymnastik eine 
wesentliche Umgestaltung erfahren, die Hand des Gymnasten ist ersetzt durch 
von Zander erdachte, äusserst sinnreiche Maschinen, welche eine exactere 
Accommodation an die muskuläre Leistungsfähigkeit des Kranken herstellen 
und welche damit einen breiteren Indicationskreis geschaffen haben. Welchen 
Boden sich das genannte Verfahren auch hier in Berlin in kürzester Zeit 
geschaffen, erhellt wohl am besten aus der Mittheilung, dass in diesen Tagen 
neben dem in der Kaiser-Wilhelmstrasse bestehenden grossen Institut, von 
derselben nunmehr bewährten Verwaltung ausgehend, jetzt ein gleich grosses 
im Westen der Stadt in der Leipzigerstr. 130 in’s Leben getreten ist. Eine 
uns von dem leitenden Arzte Herrn Dr. Schütz zugegangene Zusammen¬ 
stellung der im Laufe des verflossenen Jahres in dem Institut zur Behandlung 
gelangten Krankheiten zerstreut wohl am besten den früheren Irrthum, als 
ob die Maschinengymnastik einfach nur eine diätetische Beweguugscur sei. 
Vielmehr ergiebt sich nach den von dem Berliner Institute und von den 
anderorts bestehenden Instituten gewonnenen Erfahrungen über erzielte Hei¬ 
lungen und Besserungen, dass die Zahl derer, welche wegen irgend eines 
Leidens Hülfe suchen, eine täglich im Wachsen begriffene ist. So waren unter 
deu in dem Berliner Institut Hülfe suchenden Patienten aus der gewiss nicht 
unerheblichen Zahl von 890 Patienten eine grosse Reihe von gebesserten Herz¬ 
krankheiten (Erleichterung bei Klappenfehlern, Heilung bei Fettherz), Besse¬ 
rungen und Heilung bei Skoliose, Neurasthenie, Anämie, habitueller Obsti¬ 
pation, allgemeiner Fettsucht, rheumatischen Affectiouen zu verzeichnen. All 
die genannten Erfolge, welche sich unter der seitens der Verwaltung den 
Aerzteu stets in zuvorkommendster Weise gewährten Prüfung und Autopsie 
vollzogen, werden da und dort noch bestehende Vorurtheile zerstreuen und 
auch dem neuen Institute die bisherige und verdiente Unterstützung der Aerzte 
sichern. S. G. 


Mittel mit der Indication, der jeweilig vorhandenen Art der Gährung ent¬ 
gegenzuwirken, steht leider die bisherige völlig unzulängliche Kenntniss 
ebensowohl dieser Gährungsvorgänge wie der Wirkungsweise der Mittel 
entgegen. Speciell über den Werth von Bismuth. salicylicum ist in einer 
unter Escherich’s Leitung ausgeführten Beobachtungsreihe von Ebring 
(Arch. f. Kinderheilk., Bd. 9) ein günstiges Urtheil abgegeben worden. 
Ebenso ist das Naphthalin von Widowitz (Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 26) 
als ein gutes Mittel bei allen von Diarrhöen begleiteten Darmkrankheiten 
der Kinder, selbst bei Darmatrophie und Darmtuberculose befunden worden, 
so dass der Verfasser nicht ansteht es auszusprechen, dass das Mittel vor 
allen anderen bei Darmkatarrhen gebräuchlichen Mitteln den Vorzug ver¬ 
dient. Nach Emmet Holt’s (New-York med. Journ. No. 29) Mitthei¬ 
lung verdient das Natrium salicylicum einen gewissen Vorzug bei der Be¬ 
handlung der kindlichen Sommerdiarrhoen vor den übrigen versuchten 
Mitteln, insbesondere vor Naphthalin und Resorcin, am wenigsten bewährten 
sich bei Kindern die Opiate. A. B. 


— Jodoform bei Hämoptoe. In No. 20 des Progres medical em¬ 
pfehlen Chauvin und Jorissenne das Jodoform bei Hämoptoe. Durch¬ 
schnittlich genügen 0,05 in Pillenform, mehr wie 8—9 Pillen wurden nie 
angewendet. Im Laufe von 10 Monaten haben Verff. keinen einzigen Todes¬ 
fall an Hämoptoe bei dieser Behandlung gehabt. Das Jodoform hat in vielen 
Fällen gewirkt, in welchen Ergotin in grösseren Dosen erfolglos blieb. Die 
kleinen Dosen von Jodoform belästigen auch den Magen nicht. 

Rp. Jodoform. 0,05 Rp. Jodoform. 0,05 

Extr. Gentian. oder Chinae oder Tannin. 0,10 

Liquirit q. s. ut. f. pil. Extr. Gent. s. Liquirit. 

D. tal. dos. 3—5 p. die. q. s. ut. fiant pil. 

D. tal. dos. 3—5 p. die. 

— Verstraeten empfiehlt gegen die Lungentubercnlose die folgende 
Kreosotformel: 


Rp. Creosot. 10,0 

01. Ainygd. dulc. 10,0 

M. Ds. 5—10 Tropfen 3—4mal tägl. in 30 g Milch oder 
Bouillon. (Semaine medicale.) 

— Behufs der Desinfection tuberculöse Sputa enthaltender Ge- 
fässe stellte Graucher (Le Progres medical 31. März 1888) Versuche mit 
verschiedenen Substanzen an. Er bediente sich der Carboisäurelösung 1:20, 
der kaustischen Kalilösung 1:20, des schwefelsauren Kupfers 1:20, des 
Zinkchlorids 1:20, des Sublimats 1:100. Von allen diesen fand er 
nur das Sublimat wirksam. Ausserdem bediente er sich noch 
bis zu 100° C erhitzten Wassers und konnte durch dieses den 
Tuberkelbacillus vernichten. 


Ueber Gährungsvorgänge bei anomaler Verdauung im 
kindlichen Alter. 

— Sehr einander widersprechend sind die Anschauungen, welche aus 
den jüngsten Mittheilungen über die Gährungsvorgänge bei anomaler Ver¬ 
dauung im kindlichen Alter hervorleuchten (s. Verhaudl. der pädiatr. Sec- 
tion in Wiesbaden - ). Pfeiffer legt den Schwerpunkt der Störungen in 
alkalische Gährung des Darminhaltes und hebt hervor, wie sehr gerade 
die Milchnahrung geeignet sei, eine solche bei Kindern zu erzeugen, auch 
führt er die grünen Fäces der Kinder auf alkalische Darmgähruug zurück. 
Die bacteriologischen Befunde bei diesen Arten der Gährung werden von 
Heubner wohl gewürdigt, indess wird aus der grossen Summe der bisher 
nachgewieseneu Darmbacterien keinem eine bestimmte Wirkung zuge¬ 
schrieben. Im Ganzen wird von Pfeiffer auf eine Säurebehandlung, von 
Heubner auf eine Behandlung der Darmgährungen mittelst aseptisch ge¬ 
machter Nahrung (im Soxhlet’sehen Milchkochapparat) hingewiesen. Dem 
gegenüber wird nun auf die antiseptischen Behandlungsmethoden der dys¬ 
peptischen Kinderkrankheiten neuerdings der Schwerpunkt gelegt, und in 
diesem Jahre erscheint auf diesem Gebiete Escherich als der Führende 
(s. 1. Vortrag in der pädiatr. Section; 2. Jahrbuch für Kinderheilk. Bd. 27; 

3 Therapeutische Monatshefte, October; 4. Centralbl. f. Bacteriologie). Im 
Wesentlichen ist Escherich’s Gedankengang in einem gewissen Gegen¬ 
sätze zu demjenigen von Pfeiffer folgender. Die primäre der Verdauung 
feindliche Gährung im oberen Abschnitte des Darmtractus der Kinder ist 
die saure, durch Vergährung der Kohlenhydrate bedingte. Gegen diese 
soll die reine Eiweissnahrung, am besten in Form der Peptone zur An¬ 
wendung kommen; die spätere, namentlich im unteren Darmabschnitt vor¬ 
handene Gährung ist durch Eiweisszerfall unter alkalischer Reaction be¬ 
dingt; gegen diese sollen dextrinhaltige Substanzen, wie Liebig’s Nahrung 
oder Kufeke’s Kindermehl verwendet werden. Leider ist aber, wie schon 
Pfeiffer’s Angaben erkennen lassen, die Gährung im Darmtractus der 
Kinder keineswegs so einfach und durchsichtig, wie Escherich sie glaubt 
darstellen zu können, noch, wären sie es wirklich, sind die einzelnen 
Phasen der Gährung sicher nicht so leicht zu diagnosticiren und Anhalts¬ 
punkte für die Anwendung und Weglassung der Kohlenhydrate zu ge¬ 
winnen, noch wäre endlich mit der Bekämpfung der Gährungsvorgänge der 
pathologisch-anatomische Process, der den Dyspepsieen (im weitesten Sinne 
des Wortes) zu Grunde liegt, definitiv bekämpft. Bemerkenswerth ist 
überdies, dass Escherich vor Anwendung von Resorcin (1 °/c) zur Magen¬ 
ausspülung warnt, weil Vergiftungen der Kinder eintreten könnten, und 
endlich, dass gelegentlich einer übersichtlichen Darstellung der Wirkungs¬ 
weise der bisher versuchten antifermentativen Mittel von ihm der Versuch 
gemacht wird, die Indicationen für die einzelnen Mittel zu finden. Im 
Gauzen wird den unlöslichen Mitteln weniger Wirkung bei Magenerkran¬ 
kungen zugesprochen, während bei diesen die löslichen Substanzen als die 
wirksameren erscheinen sollen (so Resorcin, Natron benzoicum); dagegen ! 
sollen bei dyspeptischen Erkrankungen der unteren Darmabschnitte wegen i 
ihres längeren Verweilens ira Darmtractus die unlöslichen Mittel die wirk- 1 
sanieren sein (so Jodoform. Naphthalin). Der Anwendung der einzelnen ; 


— Bei der Behandlung der phlyctännlären Angenentzflndnng em¬ 
pfiehlt Ammon als neues ausgezeichnetes äusseres Hülfsmittel das Creolln 
(*/io— V4°/o Creolinwasser). (M. med- W. No. 26.) 

— Mehrfache Anfragen veranlassen uns, mit Bezug auf die Mittheilung 
des Herrn Dr. V. Lange in No. 40 dieser Wochenschrift, p. 826, zu der 
Notiz, dass die betreffenden Inhalationsmasken bei dem Bandagisten Bjering 
in Kopenhagen, Frederiksberggade No. 1, zu beziehen sind. 


XV. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Der Generalstabsarzt der Armee, Prof. Dr. v. Lauer 
feierte gestern seinen 80. Geburtstag. Dem um Kaiser Wilhelm I. so 
hochverdienten Leibarzte, welchem an der Reform des Militär-Medicinalwesens 
kein geringer Antheil gebührt, bringen wir unsere herzlichsten Glück¬ 
wünsche dar. 

— Von den Berliner medicinisch - wissenschaftlichen Vereinen hat 
die Freie Vereinigung der Chirurgen als die erste nach langer Ferien¬ 
pause ihre Sitzungen wieder aufgenommen. Die erste Sitzung fand unter 
dem Vorsitz des Herrn v. Bergmann am 8. October statt mit folgender 
Tagesordnung: Herr Köhler: Operation einer Pylorusstenose mit Kranken¬ 
vorstellung; Herr Nicolai: Fall mehrfacher, schwerer Verletzung durch eine 
Locomotive; Herr Bramann: Doppelseitige Serratuslähmung mit Kranken¬ 
vorstellung. Psoriasis linguae mit Carcinom (Krankenvorstellung). Luxatio 
humeri retroglenoidea; Derselbe: Demonstration eines Präparates von Aneu¬ 
rysma arteriovenosum; Herr de Ruyter: Demonstration eines Präparates 
einer seltenen Kyphose; Herr v. Bergmann: Zur operativen Behandlung 
des Hirndrucks. — Die Berliner raedicinische Gesellschaft begann 
ihre Sitzungen am 10. October mit folgender Tagesordnung: Herr B. Fraenkel: 
Leontiasis ossea; Herr Ostwaldt: Ueber Chorio-retinitis syphilitica und ihre 
Beziehungen zur Hirnarterienlues; Herr Feldmann: Hypnotische Experi¬ 
mente. — Der Verein für innere Medicin welcher für den 15. October 
seine erste Sitzung ankündigt, nimmt seine Thätigkeit mit Vorträgen von 
Prof. Dr. Uorstmann, Dr. Klempererund Prof. A. Fraenkel wieder auf. 
Von den für Referate eingegangeneu Themen beben wir hervor: „Die Prognose 
der Herzkrankheiten“, welches der Vorsitzende Herr Geh.-Rath Leyden, und 
über die „Behandlung der Schlaflosigkeit“, welches Herr Dr. Jastrowitz 
übernommen hat. 

— Der Kaiserlich russische Generalstabsarzt und Chef des Militär- 
medicinalweseus Herr Dr. Remmert hat „in Rücksicht auf die Verehrung, 
welche er selbst, so wie auch sämmtliche russische Aerzte dem verstor¬ 
benen Professor B. v. Langenbeck entgegen trugen, und in Rücksicht 
auf seine hervorragenden Verdienste, welche allen Ländern zu Gute ge¬ 
kommen sind, es für möglich erachtet, die Genehmigung Sr. Majestät des 
Kaisers von Russland zu erbitten, unter den Militärärzten des russischen 
Reiches eine Collecte zu eröffnen zu Gunsten der projectirten Errichtung 
eines Gebäudes, welches zum Andenken au den berühmten Chirurgen seinen 
Namen tragen soll“. Wie Herr Geh. Rath Dr. Remmert nun dem Comit4 
zur Errichtung eines Langenbeck-Hauses in Berlin angezeigt hat, hat 


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848 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41 


Seine Majestät der Zar diese Collecte genehmigt, und ist dieselbe 
eingeleitet worden. 

— Herr Dr. Carl Günther hat die Leitung des Bacteriologischen 
Laboratoriums an der Klinik des Herrn Dr. Lassar übernommen. 

— Giessen. An Stelle des nach Würzburg berufenen Professor Dr. 
Hofmeier ist der Docent Dr. Löh lein (Berlin) berufen worden: derselbe 
hat den Ruf angenommen. Dem Ministerium waren Seitens der Universität 
primo loco: Professor Fehling (Basel), secundo loco Docent Löh lein 
(Berlin), tertio loco Docent Veit (Berlin) in Vorschlag gebracht. 

— Stettin. Die diesjährige Herbstversammlung des Vereins 
der Aerzte des Regierungsbezirks Stettin findet am Donnerstag, den 
8. November statt. Auf der Tagesordnung der Sitzung befinden sich ausser 
geschäftlichen Verhandlungen folgende Vorträge: Herr Hans Schmid 
(Stettin): Ueber Heus und die Resultate der diesbezüglichen Sammelforschung 
unter den Mitgliedern des Stettiner Bezirksvereins: Herr Zenker (Bergquell): 
Bericht über die Verhandlungen des diesjährigen Aerztetages; Herr Knecht 
(Ueckermünde): Ueber das Verhalten der Pupillen bei Geisteskranken; Herr 
Steinbrück (Züllchow): Einige Krankenkassenfragen: Herr Schulz (Stettin) 
und Herr Sauerhering (Stettin) haben sich die Themata ihrer Vorträge 
noch Vorbehalten. 

— Italien. Die neugebildete Societaitaliana di medicina interna 
hält in den Tagen vom 20. bis 23. October d. J. ihren ersten Congress 
in der Universität zu Rom ab. Die vorbereitende Commission besteht aus 
den Professoren Baccelli, Cantani, Galassi, Maragliano und Ros- 
soni. Wie wir aus dem zur Versendung gelangenden Programme ersehen, 
bestehen die Arbeiten des Congresses 1) in Discussionen über Themata, 
die von der vorbereitenden Commission festgesetzt, worden sind, 2) in ein¬ 
zelnen Mittheilungen mit sich anschliessenden Discussionen. Unter No. 1 
fallen folgende Themata: Behandlung des Diabetes, Aetiologie und Be¬ 
handlung der Pneumonie; Fieber und Antipyrese; Behandlung der 
Herzkrankheiten; Behandlung der Tuberculose; Chininvergiftung. 
Ferner sind eine ausserordentliche Anzahl von einzelnen Mittheilungen und 
Vorträgen angekündigt. Für die anzumeldenden Vorträge verlangt die Com¬ 
mission übrigens nicht nur Mittheilung des Titels, sondern auch die Einsen¬ 
dung einer vorläufigen Fassung des Textes. — Aus dem für den Con¬ 
gress festgesetzten Reglement entnehmen wir folgende Bestimmungen: der 
einzelne Redner darf in den Hauptvorträgen nicht länger als eine halbe 
Stunde sprechen. Discussionen dürfen sich nicht in die nächstfolgende 
Sitzung fortsetzen. Das Maximum der Redezeit in der Discussion ist 15 Mi¬ 
nuten für den einzelnen Redner. Die sonst angekündigten Mittheilungen 
dürfen nur je 20 Minuten beanspruchen; in den Discussionen darf jeder 
Einzelne nur ein Mal das Wort nehmen und höchstens 10 Minuten lang 
reden, lieber die Zulassung der Vorträge entscheidet die Commission. 
Mittheiluugen, die nichts mit der inneren Medicin zu thun haben, oder die 
nichts Neues bringen, sind ausgeschlossen. — Für die Congresstheiluehmer 
sind seitens der italienischen Eisenbahngesellschaften Fahrpreisermässigungen 
bewilligt worden, die zwischen 30 und 50% betragen. 

— Gallensteine oder Seife? Nachdem in verschiedenen medicinischen 
Journalen grössere Quantitäten Olivenöl als vorzügliches Mittel zur Entfernung 
von Gallensteinen empfohlen worden, und Dr. Rosenberg in der Berliner 
medicinischen Gesellschaft über Abtreibung grosser Quantitäten Gallensteine 
durch dasselbe Mittel berichtet hat, wandte Dr. Prent iss in Washington 
das Oel der Baumwollenstaude bei einem an Gelbsucht und Leberkolik 
leidenden Kranken an. Er reichte grosse Gaben dieses Oeles, und es 
wurden viele grau aussehende, balbfeste Massen zu wiederholten Malen mit 
Erleichterung des Zustandes vom Kranken entleert. Prentiss war jedoch 
im Zweifel, ob diese Massen auch wirklich Gallensteine waren 
und übertrug die Untersuchung derselben einem gewiegten Che¬ 
miker, dem Prof. Wiley. Schon vorher hatte Dr. Edes im Handbuch 
der Materia medica vom Jahre .1887 die Bemerkung gemacht, „dass nach 
grossen Gaben von Olivenöl, welche zur Abtreibung von Gallensteinen ver¬ 
ordnet worden waren, kleine und grössere balbfeste Massen entleert wurden, 
welche irrthümlicher Weise für Gallensteine gehalten, nichts Ande¬ 
res als Seifenstücke waren, gebildet durch Verbindung von Oel mit 
Alkalien der Intestinalsecrete. Die Analyse, welche Prof. Wiley machte, 
bestätigte die Angaben von Edes, dass diese Massen in der That Seifen¬ 
stücke sind. Derselbe berichtet: Die von Dr. Prentiss nach grossen Gaben 
von Wollstaudenöl entleerten zahlreichen halbfesten vom Kranken für Gallen¬ 
steine gehaltenen Massen wurden fest verpfropft dem untersuchenden Che¬ 
miker übersandt, bei der Untersuchung alsdann zu einer zähen, der Seife 
ähnlichen Masse zerflossen gefunden. Die all er genaueste chemische Ana¬ 
lyse, welche im Texte (Medical News, 12. May 188^) ausführlich beschrieben 
ist, zeigte die vollständige Verseifung des Oels mit dem Hauptbestandtheil 
Soda durch den pankreatischen Saft und Galle, so wie durch den Abgang 
grösserer Stückchen geformter Seife, welche nicht absorbirt durch den Ver¬ 
dauungscanal gegangen waren. (Die von den Aerzten, insbesondere auch 
von Dr. Rosen berg gemachten Angaben von Entleerung vieler Hunderte 
von Gallensteinen waren geeignet, Zweifel zu erregen, und dürften fortgesetzte 
Untersuchungen die Analysen von Wiley bestätigen, die fernere Dar¬ 
reichung von grossen Quantitäten Olivenöl bei Gallensteinkoliken als illuso¬ 
risch ergeben, von ferneren Verordnungen, welche, wie Ref. sich überzeugt 
hat, den Kranken lästig und in Bezug auf Gallensteinentleerung erfolglos 
sind, abhalten, zur entscheidenden Cur durch Karlsbad und Verordnung von 
Spir. aeth. mit 01. Terebiuth oder 01 Juniperi wieder zurückführen.) 

— In No. 6 des Medical Register findet sich eine sehr zu empfehlende 
Besprechung der von Jennes Miller vorgeschlagenen Reform der Frauen¬ 
kleidung. Die nach diesen Vorschlägen gefertigten Anzüge vereinigen 
hygienische Zweckmässigkeit mit ansprechender Form, ohne auffällig zu 
sein. Ueber einem wollenen Unterkleide, welches den ganzen Körper be¬ 
deckend bis zu den Handgelenken und bis zu den Knöcheln reicht, kommt 
ein Kamisol aus Muslin ohne Fischbein und Bänder. Corsets und Unter¬ 


röcke sind verpönt; statt letzterer wird ein zweites Paar Beinkleider getragen, 
welches an einer Spange und an Knöpfen des Kamisols befestigt wird: das¬ 
selbe soll nicht nur warm halten, sondern auch eine grössere Freiheit der 
Bewegung garantiren. Die Strümpfe werden unterhalb des Knies mit Hülfe 
federnder Träger befestigt. Das über dieser Unterkleidung getragene Kleid 
soll nur die einzige Bedingung erfüllen, weite Aermel zu haben und einen 
bequemen Leibtheil. Das Princip des Ganzen ist die oft wiederholte Forde¬ 
rung, die Last der Kleidung von der Hüfte und der Taille zu nehmen und 
sie den Schultern aufzubürden, um eine möglichst gleichmässige Vertheilung 
über den ganzen Körper zu erzielen. 

— Prof. Liebreich hat die Quell en von Ober Salzbrunn aufs Neue 
einer chemischen Analyse unterworfen, deren Ergebniss folgendes ist. Die 
vornehmste Stellung nimmt der Oberbrunnen ein, er enthält in 10 000 Th. 
32,14 festen Rückstand, es folgt die Louisenquelle (31,94). Mühlbrunnei 
(22,88). Kronenquelle (17,08). Einen besonderen Werth verleiht den Quelles 
ihr Gehalt an Natriumbicarbonat und an den dasselbe begleitenden Salzen. 
Die Zahlen stellen sich für 10000 Th. Oberbrunnen 21,52, Louisenquelle 
12,96, Mühlbrunnen 16,24, Kronenquelle 8,72 Natriumbicarbonat, das Ver¬ 
hältnis der begleitenden Alkalisalze ist am günstigsten für Oberbrunnen 
und Louisenbrunneu, der Gehalt an kohlensaurem Kalk beträgt in 10000 Th.: 
Oberbrunnen 4,4, Mühlbrunnen 5,2, Louisenquelle 5,4, Kronenquelle 7,1, mit 
der Abnahme des werthvollen Natriumbicarbonats steigt also der Gebalt an 
werthlosem und zweifelhaft wirkendem Oalciumbicarbonat. Auch Lithion ist 
am reichlichsten im Oberbrunnen vertreten. Danach ist der Oberbrunnen 
als die werthvollste aller Salzbrunner Quellen vom therapeutischen Stand¬ 
punkte zu betrachten. 

— In Ajou (Dep. Eure) wurde eine Büste Breant’s enthüllt, der 
einen Preis von 100000 Francs für die Entdeckung eines Heilmittels gegen 
die Cholera gestiftet hatte. 

— Gelbfieber. Trotz der rigorosen Quarantänemaassregeln, die gegen 
die Weiterverbreitung des Gelbfiebers in Wirksamkeit gesetzt werden, ver¬ 
breitet sich, wie es scheint, die Epidemie von ihrem ersten Heerde, der 
Halbinsel Florida aus, immer weiter. Die Einwohner der ergriffenen Ort¬ 
schaften fliehen in Massen und verschleppen den Keim der Seuche in die 
umliegenden Staaten. Zahlreiche Städte errichten auf eigene Faust Cordons 
und widersetzen sich mit Gewalt dem Eindringen von Flüchtlingen aus 
inficirten Gegenden. Die Sanitätscommissionen der Südstaaten haben sich 
an den Präsidenten der Vereinigten Staaten mit dem dringenden Ersuchen 
um bessere Organisation des Sanitätsdienstes gewandt. 

— Universitäten. Prag. Der ausserordentliche Professor Dr. 
Maixner wurde zum ordentlichen Professor der speciellen medicinischen 
Pathologie und Therapie, der Privatdocent Dr. Belohonbek zum Professor 
extraord. an der Universität in Prag ernannt. — Bukarest. Der Pro¬ 
fessor der Augenheilkunde Dr. F. Fatuieres ist gestorben. — Charkow. Der 
durch den Tod des Prof. Laschkewitsch erledigte Lehrstuhl der medici¬ 
nischen Klinik ist dem Prof. J. Obolensky übertragen worden, welcher 
bisher den Lehrstuhl für specielle Pathologie und Therapie in Charkow 
inne hatte. An des letzteren Stelle ist der bisherige Privatdocent l)r. 
Schiltow zum a. o. Professor der speciellen Pathologie und Therapie er¬ 
nannt worden. — In Sheffield wurde eine neue medicinische Schule für 
ca. 100 Studirende eröffnet._ 

XV. Personalien. 

Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem Direktor der Rheinischen Prov -Irren-Anstalt I)r. 
Noetel zu Andernach den Charakter als Sanitäts-Rath und dem prakt. Arzt 
Dr. Hausmann zu W'ennebostel den Rothen Adler Orden IV. 01. zu ver¬ 
leihen, sowie dem Geh. Medic.-Rath Prof. Dr. Gerhardt zu Berlin zur An¬ 
legung des Grossherzogi. Sächsischen Hausordens der Wachsamkeit oder vom 
weissen Falken, und dem Marine-Stabsarzt Dr. Thoerner an Bord S. M. Sch. 
Hohenzollern zur Anlegung des Grossherzogi. Hessischen Verdienstordens 
Philipps des Grossmüthigeu und des Kaiserl. Russischen St. Stanislaus¬ 
ordens II. CI. die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen, dem Ober-Stabs¬ 
und Reg.-Arzt Dr. Weydener in Brandenburg a. H. den Rothen Adler- 
Orden III. CI. mit der Schleife, den Ober-Stabs- und Reg,-Aerzten Dr. Ass¬ 
mann in Spandau, Dr. Lentz in Schwedt, Dr. Richter in Brandenburg a. H. 
Dr. Jarosch in Perleberg, dem Stabs- und Bat.-Arzt Dr. Hering in Frank¬ 
furt a. 0. sowie dem Bez.-Phys. Geh. San.-Rath Dr. Sieber in Berlin und 
dem prakt. Arzt Dr. Heidemann in Sonnenburg den Rothen Adler-Orden 
IV. CI., dem Oh.-Stabs- und Reg-Arzt Dr. Horn in Berlin den Kgl. Kronen- 
Orden III. CI., dem General- und Reg.-Arzt Dr. Krautwurst in Berlin das 
Kreuz der Ritter des Kgl. Hausordens von Hohenzollern zu verleihen. — 
Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Stern in Breslau, Garske in Nimptsch, 
Willerding in Hildesheim. Topp in Niedermarsberg, Dr. Mayr und ,.*r. 
Fritz Schmidt in Hagen, Kunze in Neunkirchen, Dr. Hope in Soest, 
Dr. Brandis *und Dr. Walzer in Aachen. Dr. Sjoestroem in Eschweiler, 
Dr. Haaga in Ostrach, Michels in Suhl, Dr. Koch in Herrenhausen, Dr. 
Breidenbaeh in Krefeld, Greifenhagen in Beck, Dr. Ricker in Graef- 
rath. Der Zahnarzt: Erdmann in Iserlohn, Levy in Stettin — Ver¬ 
zogen sind: Die Aerzte: Dr. Wallis von Barth nach Kolberg, Rothen¬ 
berg von Rawitsch nach Breslau, Dr. Jacobi von Breslau nach Heidelberg, 
Marteil von Breslau nach Baerstadt, Glaeser von Breslau nach Bremen, 
Ass.-Arzt Dr. Krause von Guhrau als Stabsarzt nach Landsberg a. W., Dr. 
Winkler von Rostock nach Trebnitz. — Verstorben sind: Die Aerzte: 
Dr. Frdr. Wilh. Nagel in Baumholder. Dr. Senstius in Stettin, Ob.-Stabs- 
arzt a D. Dr. P oh lenz in Kottbus, I)r. Mügge in Stade. — Vakante 
Stelle: Das Physikat des Kreises Hümmling. 

3. Württemberg. (Med. Correspondenzblatt.) Niederlassungen: 
Dr. Otto Denk als Arzt der Wasserheilanstalt in Herrenalb, prakt. Arzt 
Ferdinand Kleinertz in Herrenalb. 


Gedruckt bei Julius Silteufeld Lu Berlin W. 


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Donnerstag JW 4&. 18. October 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des Ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 


Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Ankylostoma duodenale.') 

Von Prof. Dr. Leichtenstern in Köln. 


M. H. Es sind in diesen Tagen 37 Jahre, dass Th. v. Sie¬ 
bold in der zoologischen Section der 28. Naturforscherversammlung 
zu Gotha (1851) unter Vorzeigung einiger aus Aegypten von B i 1 - 
harz bezogener Exemplare von Ankylostoma duodenale über das¬ 
selbe einen Vortrag hielt. 

In demselben begründete der berühmte Zoologe die zuerst von 
ihm 1845 diesem Parasiten zugewiesene Stellung im zoologischen 
System, indem er zeigte, dass er zur Gattung Strongylus der Ord¬ 
nung der Nematoden gehört. 

Diese kurze Erinnerung an einen berühmten Forscher auf dem 
Gebiete der Zoologie mag am Platze sein, nachdem heute zum 
zweiten Male bei Gelegenheit einer deutschen Naturforscherversarnm- 
lung auf diesen Parasiten die Rede kommt. 

Es wäre eine verlockende, aber die zeitlichen Grenzen meines 
Vortrages weit überschreitende Aufgabe, wollte ich die Entwickelung 
schildern, welche unsere Kenntniss von Ankylostoma und dessen 
pathogener Bedeutung seit den Zeiten Dubini’s und Siebold's 
bis in unsere Tage durchlaufen hat. eine auch um deswillen nicht 
undankbare Aufgabe, als die trefflichen Darstellungen der Geschichte 
der Ankylostoraiasis die Bedeutung gewisser Phasen, welche mir als 
die wichtigsten erscheinen, nicht immer mit hinreichender Schärfe 
hervortreten lassen. 

Ich habe die Namen Angelo Dubini und Th. v. Siebold ge¬ 
nannt, von welchen Ersterer den Parasiten vor nunmehr 50 Jahren I 
entdeckte, letzterer dessen Stellung im zoologischen System darlegte. 

Die zweite Phase bilden die bahnbrechenden Untersuchungen 
Griesinger’s und seines berühmten zoologischen Gefährten Bil- 
harz in Aegypten im Jahre 1861. Griesinger ist der Erste, 
welcher die krankmachende Wirkung des Eingeweidewurmes, als j 
eines gefährlichen Blutsaugers, klar erkannte und die damals in i 
Aegypten ausserordentlich verbreitete, sogenannte „aegyptische Chlo¬ 
rose - . auf den haematophagen Einfluss der Ankylostomen zurückführte, i 

Wenn wir aus den vortrefflichen Schilderungen von Grie- j 
singer und Bilharz die damals enorme Verbreitung des Parasiten in 
Aegypten erfahren, empfinden wir es als eine Lücke in unseren I 
historisch-geographischen Kenntnissen, dass wir seit jener Zeit über 
das Vorkommen des Helminthen dortselbst, über den heutigen Stand i 
der ägyptischen Chlorose und die Frage des Causalzusammenhanges '■ 
zwischen beiden ohne alle Nachrichten sind, wenn nicht Virchow , 
jüngst in seinen medicinischen Reiseerinnerungen aus Aegypten des 
Vorkommens der Ankylostomen wenigstens beiläufig gedacht hätte. 

Man hätte erwarten sollen, dass das von Griesinger auf das 
Wesen der „ägyptischen Chlorose“ geworfene Licht alsbald auch : 
erleuchtend in das Dunkel dringen würde, welches die in den | 
heissen Zonen vieler Erdtheile, zum Theil seit mindestens zwei ! 
Jahrhunderten bekannte und mit den verschiedensten Namen, am ; 
häufigsten als „tropische Chlorose“ (Hypoaemia intertropicalis) | 
bezeichnete Krankheit damals noch umgab, zugegeben auch, dass ' 
dieser Krankheitsname sehr verschiedene Ursachen umfasste. 

Es vergingen aber noch 12 resp. 15 Jahre bis 0. Wucherer in | 
Bahia (1866) — und ich bezeichne dies als die dritte Phase — in ' 
dieser mit der ägyptischen Chlorose so nah verwandten Frage das j 
Licht der Erkenntniss ansteckte. 

') Vortrag, gehalten iu der Sectiou für innere Medicin der 61. Yer- ! 
Sammlung Deutscher Naturforscher und Acrzte am 21. Sept. 1888. 


In der Leiche eines an der „tropischen Chlorose“ ver¬ 
storbenen Sclaven fand er zahlreiche Ankylostomen und sprach sich 
mit aller Entschiedenheit, nicht ohne lebhaften Widerspruch mehrerer 
brasilischer Autoritäten dahin aus, dass, ebenso wie die ägyptische 
so auch die in den verschiedensten tropischen und subtropischen 
Ländern seit Langem gekannte tropische Chlorose, jene vermeintlich 
primäre oder genuine Anaemie, mindestens in einer Anzahl von 
Fällen auf der Gegenwart der schon von Dubini als haematophäg 
erkannten Ankylostomen beruhe. 

Wucherer’s Erklärung der tropischen Chlorose rief ein nach¬ 
haltiges Interesse wach, und von verschiedenster Seite mehrten 
sich und mehren sich bis in unsere Tage die Mittheilungen, welche 
von der Richtigkeit der von Griesinger und Wu.cherer ent- ; 
deckten Aetiologie und von der Thatsache der grossen geographi¬ 
schen Verbreitung Ankylostomas in deu wärmeren und heissen Zöneu 
Zeugniss ablegen. 

Ich nenne nur in Kürze die Mittheilungen aus verschiedenen 
Orten Brasiliens, ferner von den Comoreninseln (nördlich von Ma- 
dagascar), aus französisch Guyana (Cajenne), aus niederländisch ' 
Indien (Java und Borneo), aus Japan, Indien, Abessinien, Senegam- 
bien, Ceylon und den Antillen. 

Mit diesen auf die Tropen bezüglichen Nachrichten schien der 
Parasit unseren Zonen wieder ferner gerückt zu sein, denn auch 
in Italien, wo der Wurm von Dubini entdeckt und in 20% der 
Leichen angetroffen worden war, schien derselbe selten geworden 
zu sein: wenigstens geht aus einer Mittheilung Leuckart’s hervor, 
dass er sich 1868 in Turin, Pavia, Florenz und an anderen Orten 
Italiens vergebens bemüht habe, des Parasiten habhaft zu werden. 

Es verging nun eiu weiteres Decenniura bis die Ankylostomä- 
frage eine neue und wichtige Förderung erfuhr durch die mit 
Recht berühmt gewordenen Arbeiten mehrerer italienischer Aerzte 
und Helminthologen. An der Schwelle dieser neuen Epoche, die 
sich den Namen Dubini, Griesinger und Wucherer als vierte 
Phase anreiht, begegnen wir zum ersten Mal der Anaemie der 
Ziegelarbeiter. Ich muss dies besonders hervorheben, da vielfach 
noch die Meinung verbreitet ist und Ausdruck findet, es sei die 
Erkenntniss der Ankylostomiasis der Ziegelarbeiter eine der 
Gotthardepidemie nachfolgende, durch diese hervorgerufeue- Er¬ 
rungenschaft. 

B. Grassi, C. und E. Parona in Mailand, Graziadei in , 
Florenz, Bozzolo, Concato und Perroncito in Turin, Poletti 
und Malinverni zu Vercelli überzeugten sich in den Jahren 1877/78, 
dass die in Italien seit alten Zeiten — „da tempo antico“ — be¬ 
kannte Anämie der Ziegelarbeiter auf der Anwesenheit von Anky¬ 
lostoma beruht. 

Nicht die Gotthardepidemie hat zur Erkenntuiss des Wesens 
der Ziegelarbeiter-Anämie geführt, vielmehr umgekehrt , die gerade . 
unmittelbar vor den Ausbruch dieser Epidemie fallenden Studien 
der genannten Forscher über die Ankylostomiasis der Ziegelarbeiter 
kamen nachweislich der Erkenntniss der darauf folgenden Gotthard- 
Epidemie wesentlich zu statten. 

In diese Zeit der Erforschung der Ziegelarbeiteränämie fällt 
der für die Diagnose der Ankylostomiasis hochwichtige Fund 
B. Grassi’s und C. Parona’s. welche zuerst die Eier in den 
Faeces der Kranken erkannten. Zwar hatte schon Dubini die 
Eier in den Eiröhren der Ankylostomen gesehen und beschrieben, 
desgleichen Bilharz in 'Aegypten, ; Wucherer in Bahia. J 
letzterer cultivirte sogar schon die Eier, indem er lebende An- 
kvlostomen in Gartenerde — freilich eine nicht unbedenkliche 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


Versuch8anordnung — brachte, und die nach dem Untergange der 
Mutterthiere aus den frei gewordenen Eiern sich entwickelnden 
Embryonen und Larven gesehen zu haben scheint. Merkwürdiger 
Weise versichert aber Wucherer, dass er vergeblich nach den Eiern 
in den Faeces gesucht habe, wo sie doch, wie Sie sich überzeugen 
werden, in colossalen Mengen vorhanden, so leicht und spielend zu 
finden sind. 

Es vergingen also 40 Jahre seit der Entdeckung Ankylostomas, 
bis Grassi und Parona zuerst die Eier in den Faeces fanden und 
so die Diagnose der Ankylostomiasis zu einer ebenso leichten als 
sicheren machten. Ich bezeichne diesen Fund als fünfte Phase. 

Einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Ankylostomiasis 
bildet die grossartige Epidemie, welche 1879 unter den Arbeitern 
des grossen Gotthardtunnels, zuerst auf italienischer Seite (Airolo), 
ausbrach und allmählich vielen Hunderten von Arbeitern schwere 
Anämie und langes Siechthum, zahlreichen den Tod brachte. Ich 
bezeichne diese höchst lehrreiche Epidemie als die sechste Phase in 
der Entwickelung der Erkenntniss der Ankylostomiasis und zwar: 

1. Weil die Gotthardepidemie zum ersten Male gezeigt hat, 
welche gewaltige Verheerungen der Parasit unter einer eng ver¬ 
einigten Arbeiterbevölkerung, beim Zusammentreffen der noth- 
wendigen Bedingungen (Einschleppung des Parasiten, Feuchtigkeit 
und Wärme im Tunnel, Unreiulichkeit hinsichtlich der Fäcalien, 
Verunreinigung der stagnirenden Wässer und der Trinkwässer durch 
dieselben, mangelhafte Reinigung der Hände beim Essen etc. etc.) 
anzuru teu vermag. 

2. Ein untergeordneter Punkt: weil die Gotthardepidemie die 
erste und bisher auch die einzige beim Bau eines Tunnels beob¬ 
achtete Epidemie ist. 

3. Ein wichtiger Punkt: weil diese gewaltige Epidemie zuerst, 
uud zwar in den italienischen Hospitälern, welchen die erkrankten 
Arbeiter schaareuweise zuströmten, den Anstoss gab, die bis dahin 
äusserst vernachlässigte Therapie der Krankheit, 40 Jahre nach der 
Endeckung des Parasiten und der Erkenntniss seiner gefährlichen 
Wirkungen, endlich in einen heilsamen und nachhaltigen Fluss zu 
bringen. 

Einige der erkrankten Tunuelarbeiter schlugen ihren Weg 
nördlich vom St. Gotthard ein, den damals bereits über die ganze 
ärztliche Welt verbreiteten Ruf ihrer interessanten Krankheit mit 
sich führend. So kam es, dass alsbald auch, im Anschluss an die 
von den italieu'schen Aerzteu erkannte Ursache der Gotthardauämie 
Mittheilungen über vereinzelte Fälle von Ankylostomiasis auch nörd¬ 
lich der Alpen auftauchten, so zuerst von Bäu ml er in Freiburg 
i. B., sodann aus Schwyz, Zürich, Lausanne. Bern und Strassburg. 

An die Gotthardepidemie reibt sich aus »icu„.ite Phase jene Ent¬ 
deckung an, welche ich als eine der wichtigsten in der ganzen Ge¬ 
schichte der Ankylostomiasis bezeichnen muss, wenn sie auch sehr 
spät das Licht erblickte, ich meine die Entschleierung des räthsel- 
haften Wesens der Bergwerksanaemie, der Anämia oder Cachexia 
montana. 

ln der Discussion über die Gotthardepidemie wies zuerst 
Guido Bacelli darauf hin, dass möglicherweise auch die seit 
alten Zeiten in diversen, insbesondere auch sardinischen Bergwerken 
beobachtete, zeitweise zu schweren Epidemieen anschwellende Anä¬ 
mie möglicherweise auf dem Einflüsse der Ankylostomen beruhe. 

Diesen Gedanken griff der um die Ankylostomafrage hoch¬ 
verdiente Ed. Perroncito mit dem ihm eigenen Forschungstriebe 
auf. Er reiste im December 1887 nach St. Etienne in Frankreich 
und constatirte bei dreien im dortigen Hospital liegenden kranken 
Bergleuten das Vorhandensein von Ankylostomen. 

Gleichzeitig richtete Perroncito sein Augenmerk auf die Berg¬ 
werke iu Schemnitz in Ungarn, wo die sog. Anaemia montana 
endemisch ist und wiederholt, schon im vorigen Jahrhundert, zu 
Epidemieen ähnlich der Gotthardepidemie Veranlassung gegeben 
hatte. Unterstützt von dem dortigen Bergwerksarzt Dr. Scliillinger 
constatirte er in den Fäcalproben von 4 anämischen Schemnitzer 
Bergleuten die Gegenwart von Ankylostomaeiern. 

Ich muss es mir versagen, auf die interessante, widersprechend 
beantwortete und durch das Hereinspielen einer gewissen inter¬ 
nationalen Empfindlichkeit verschärfte Frage der Anaemia montana 
näher einzugehen, kann aber nicht umhin, in wenigen Sätzen der 
Ueber/eugung Ausdruck zu geben, zu welcher ich auf Grund meiner 
Literaturstudien in dieser, von den deutschen Autoren höchst stief- . 
mütterlich behandelten Frage gelangt bin. Ich sage: 

Nicht allein die von Hoffinger gegen Ende des vorigen Jahr¬ 
hunderts geschilderten Anämieepidemieen in den Bergwerken 
von Schemnitz iu Ungarn, sondern auch die 1802 von Noel Halle 
beschriebene schwere Anämie in den französischen Bergwerken 
von Anzin, Fresnes und Vieux Cond6, ferner die Epidemieen in den i 
französischen Kohlenbergwerken von Anize, Escarpelle und Graisse- ! 
sac sind höchstwahrscheinlich Ankylostomaepidemieen. I 

Nicht minder als die französischen sind viele italienische und ! 


belgische Bergwerke Brutstätten der Ankylostomen und Infections- 
herde für die Arbeiter. 

Angeregt durch unsere Mittheilungen über die Ankylostomiasis 
der Ziegelarbeiter in der Umgebung Kölns und durch den von mir 
gebrachten Nachweis, dass die aus den belgischen Kohlenberg¬ 
werken jedes Frühjahr nach den rheinischen Ziegeleien wandernden 
Wallonen und Vlamländer-Familien die Ankylostomaträger sind und 
den Parasiten importiren, haben Firket, Masius und Francotte 
in Lüttich sowie Ed. van Bene den die Gegenwart von Anky¬ 
lostomen bei zahlreichen Bergleuten des Lütticher Grundes resp. von 
Mons dargethau, und wir werden wohl kaum fehlgehen, wenn wir 
auch für die zu Anfang unseres Jahrhunderts in den belgischen 
Bergwerken von Mons, Oharleroi, Vanneaux und Liege beobachteten 
Anämieepidemieen, welche alsbald nach der grossen Epidemie von 
Anzin ausbrachen, die gleiche Aetiologie, die der Ankylostomiasis, iu 
Anspruch nehmen. 

Die Ankylostoma-Brutstätten in den belgischen Kohlenberg¬ 
werken bilden, wie ich zuerst vor fünf Jahren gezeigt habe, den 
Ausgangspunkt für die auf zahlreichen niederrheinischen Ziegeleien 
so ausserordentlich verbreitete Ankylostomiasis. Es ist dies der 
erste Nachweis einer epidemischen Verbreitung dieser Krankheit 
auf deutschem Boden. 

Ich muss hier auf die viel Interessantes bietende Detailschilderung 
der Aukylostomiasis der rheinischen Ziegelarbeiter verzichten und 
mich hinsichtlich derselben mit wenigen Worten begnügen. 

Es ist hier vor Allem des unvergesslichen Rühle in Bonn zu 
gedenken, dessen klar sehendem Auge (zuerst 1872) das häufige 
Vorkommen einer eigenthümlichen professionellen Anämie unter 
den hiesigen Ziegelarbeitern auffiel, von welcher er ein höchst an¬ 
schauliches klinisches Bild entwarf. 

Sodann hat Menche in Bonn, der in der Klinik Bäumler's 
in Frei burg die bei einem kranken Gotthard arbeiter (Rosa) Vor¬ 
gefundenen Ankylostomen und deren Eier in den Faeces kennen 
gelernt hatte, zuerst im Juni 1882 bei einem auf die Bonner Klinik 
aufgenoramenen anämischen Ziegelarbeiter die Diagnose der Anky¬ 
lostomiasis aus den Eiern gestellt, und den Parasiten abgetrieben. 

Wenige Wochen, nachdem ich von Menche’s wichtigem Funde 
Kenntniss erhalten hatte, überzeugte ich mich von der Richtigkeit 
desselben bei einem auf meine Klinik aufgenommenen aufimischen 
Lehmarbeiter (Heinrich Hartmann, 15. September 1882). Indem 
ich meine Thätigkeit fortab nicht blos den jeweilig in mein Hospi¬ 
tal aufgenommenen Ziegelarbeitern zuwandte, sondern auf die 
Ziegelfelder selbst übertrug, und die Frage an Ort und Stelle 
studirte, gelang es allmählich ein klares Bild von der enormen 
Verbreitung dieses Eingeweidewurms auf den Kölner Ziegelfeldem 
zu gewinnen, die Einschleppung desselben durch die aus den bel¬ 
gischen Bergwerken zuwandemden Wallonen und Vlamländer 
festzustellen, die Wege der Uebertragung mit voller Sicherheit zu 
ergründen und endlich auf diese Weise durch die Empfehlung ge¬ 
wisser sanitärer Maassregeln wenigstens auf einigen Ziegeleien dem 
Umsichgreifen der Ansteckung vorzubeugen. 

Ob die deutliche Abnahme der Ankylostomiasis im vergangenen 
Sommer dem letztgenannten, schwer controlirbaren Umstande bei¬ 
zumessen ist, muss ich dahin gestellt sein lassen, da ein anderer 
mächtiger Factor gleichzeitig in Concurrenz trat, nämlich der ausser¬ 
ordentliche Regenreichthum des verflossenen Sommers, der, wie ein¬ 
fache Thatsachen iu den Culturversuchen lehren, die Entwickelung 
der Eier zu Larven ungünstig beeinflussen musste. 

Meine Untersuchungen über die Verbreitungsart der Ankylosto¬ 
men auf den Ziegelfeldern und die Wege der Infection hatten zur 
nothwendigen Voraussetzung die Kenntniss der Entwickelung der 
Ankylostomaeier im Freien. Zahlreiche Culturversuche, welche 
ich seit Jahren fast ununterbrochen und unter den verschiedensten 
willkürlich gewählten äusseren Bedingungen anstellte, ergaben in 
allen wesentlichen Punkten die volle Uebereinstimmung mit dem. 
was B. Grassi und C. Parona und besonders eingehend Per¬ 
roncito über die Entwickelung der Ankylostomaeier geschrieben 
und abgebildet haben. 

Sie überzeugen sich bei Durchmusterung der ausgestellten 
mikroskopischen Präparate 1. von der Norraalgestalt des frisch ent¬ 
leerten Ankylostomaeies. 

Unter Mikroskop II. sehen Sie die Eier in einem etwas späteren 
Stadium ihrer Entwickelung, mit den bereits deutlichen Contouren 
des Embryo, der innerhalb der Eihülle zeitweise träge, oder bereits 
lebhafte Bewegungen macht. Unter dem dritten, vierten und fünften 
Mikroskop sehen Sie verschiedene Entwickelungsstadien des aus¬ 
gekrochenen Embryo, der Larve. In III. frisch ausgekrochene, träge 
bewegliche Larven von 0,2 mm Länge; iu IV. ein weiteres Wachs¬ 
thumsstadium (0,5—0,6 mm), wobei die Larven sich viel lebhafter 
bewegen, endlich unter dem V. Mikroskop die Larve im Stadium 
der Häutung, d. h. Encystirung; die glashelle abgestreifte Embryo- 
! nalhaut persistirt und bildet eine Cyste für die Larve. Diese Ein- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


851 


19. October. 

kapselung ist das letzte Stadium im Leben der Ankylostomen im 
Freien. 

Meine Studien auf den Ziegelfeldern zwangen mich aber auch, 
verschiedenartigen, bei der Untersuchung von Lehmwässern, Tümpeln 
und anderen Käulnissherden sich darbietenden, frei lebenden Nema¬ 
toden naher zu treten, insbesondere gewissen mouogenen Rhabditiden, 
deren Jugendforinen die grösste Aehnlichkeit mit den Ankylostoma- 
larven darbieten. Es ist nicht meine Absicht, auf diesen Gegen¬ 
stand hier einzugeheu, ich will nur hervorheben, dass ich hin¬ 
sichtlich der pathogenen Bedeutungslosigkeit dieser Fäulnissrhabdi- 
tiden experimentell zu den gleichen Resultaten gelangt bin. wie 
1.. Oerley. 

Alle diese mouogenen Rhabditiden, welche die Ziegelarbeiter 
zweifellos häutig gleichzeitig mit den Ankylostomalarven in sich 
aufnehmen, sind an sich absolut unschädlich; sie können im Darm¬ 
kanal nicht weiterleben und gehen daselbst spurlos zu Grunde. 

Niemals bin ich iu den Tausenden frischer Faeces meiner 
Ziegelarbeiter, die ich untersuchte, auf lebende monogene Rhabdi¬ 
tiden gestossen. Aber ein Befund ist doch zu erwähnen. Mehrmals 
sah ich in den zu Ankvlostomaculturen bestimmten Faeces, welche 
unter sorgfältigster Abhaltung aller Verunreinigung frisch auf Glas¬ 
platten gestrichen wurden, in einem gewissen Stadium der Koth- 
fäulniss. also spät, nachdem die Ankylostomalarven sich längst en- 
cystirt hatten, plötzlich eine und zwar merkwürdiger Weise in allen 
Fällen dieselbe monogene Rbabditisart auftreten, welche Genera¬ 
tionen auf Generationen erzeugte und ausserordentlich leicht in 
Faeces weiter gezüchtet werden konnte. Es hat diese Rhabditis- 
art die grösste Aehnlichkeit mit Rhabditis aspera, von der sie sich 
aber doch durch gewisse Eigentümlichkeiten im Körperbau unter¬ 
scheidet. Da die Unterschiede von allen anderen Rhabditiden noch 
viel bedeutender sind, so halte ich dafür, dass diese von mir ge¬ 
fundene, frei lebende Rbabditisart, dereu Eier resp. Larven unter 
Umständen den menschlichen Darmkanal schadlos durchwandern 
können, eine den Kölner Ziegelfeldern eigentümliche Art ist. 
Fütterungsversuche mit dieser Rhabditisart ergaben dereu völlige 
Harmlosigkeit. Sie ist ebensowenig wie alle anderen freilebenden 
Rhabditiden im Stande, im Darmcanal des Menschen zu leben und 
sich zu vermehren. 

Noch aber war ein wichtiges Glied in der Biologie oder 
Lebensgeschichte der Ankylostomen offen. Es war die Frage noch 
nicht entschieden, ob die bekannten A.-Larven, in den menschlichen 
Darmcanal aufgenommen, sich dort, also ohne weiteren Zwischen- 
wirth, zum parasitären Ankylostoma weiter entwickeln. so wie dies 
Leuckart bezüglich des. dem Ankylostoma sehr nahe stehenden 
Dochmius trigonocephalus des Hundes gezeigt und für Ankylostoma 
duodenale als wahrscheinlich bezeichnet hatte. 

Nachdem alle meine Fütterungsversuche an Thieren, Hunden 
und Kaninchen, Affeu standen leider nicht zur Verfügung, erfolglos 
geblieben waren, ging ich zu Fütterungsversuchen am Menschen 
über, welche von durchschlagendem Erfolg gekrönt waren. 

Die encystirten lebenden Ankylostomalarven entwickeln sich 
in den oberen Dünndarmabschnitten des Menschen und zwar auf 
der Darmschleimhaut, nicht etwa, wie beim Strongylus tetracanthus 
des Pferdes, in submucösen Cysten, zum fertigen Ankylostoma. Vier 
bis fünf Wochen nach der Fütterung erscheinen die ersten, wohl 
charakterisirten Eier in den Faeces der Inficirten. 

Die positiven Ergebnisse dieser Fütterungs versuche, auf deren 
Details hier einzugeheu nicht der Ort ist, haben das letzte Glied in 
die Kette unserer Kenntnisse von der Lebensgeschichte Ankylostomas 
eingefügt. 

Die mit den Faeces abgesetzten Ankylostomaeier 
entwickeln sich ausserhalb des menschlichen Körpers zu 
rhabditisartigen Larven, welche, in einem gewissen Sta¬ 
dium ihrer Entwickelung encystirt und lebend in den 
menschlichen Darmtractus aufgeuommen, sich daselbst 
zur geschlechtsreifen parasitischen Generation, zum fer¬ 
tigen Ankylostoma entwickeln. 

n. Ueber zwei Fälle von Kopfverletzungen 
mit localen Hirnsymptomen. 1 ) 

Von Dr. L. Heusner, 

Oberarzt des Krankenhauses zu Barmen. 

Meine Herren! Ich erlaube mir, Ihnen zwei ehemalige Kranke 
aus dem Barmer Krankenhause vorzustellen, welche Kopfverletzungen 
verschiedener Art, aber an derselben Schädelgegend und begleitet 
von ähnlichen Folgen für das Gehirn erlitten haben. 

Der eine Patient, ein 6jähriger Knabe, wurde am 19. Februar, als er 
mit einem Handschlitteu einen steilen Abhang hinunter fuhr, mit dem Kopf 

’) Vortrag, gehalten in der Section für Chirurgie der Gl. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte. 


gegen eine Mauer geschleudert. Als er wenige Minuten später zu seinen 
Eltern nach Hause gebracht wurde, war er bei klarer Besinnung, wusste 
aber nicht, was mit ihm vorgefallen war, brach mehrmals, hatte Stuhldrang, 
verlangte zu schlafen und zeigte somit die gewöhnlichen Symptome einer 
leichteren Uimerschütterung. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus, welche 
kurz darauf erfolgte, kennte Patient gehen und seine Arme frei bewegen, 
gab richtige Antworten und hatte einen regelmässigen Puls. 5 ein über der 
rechten Ohröffnung. entsprechend den unteren Partieen des rechten Scheitel¬ 
beins fühlte man eine quer verlaufende Knochendepressiou von der Form 
und (irüsse eines halben Hühnereies, über welcher die Haut contusionirt 
und verschwollen war. Eine Stunde nach der Aufnahme trat eine lebhafte 
Pulsation der Weichtheile über der verletzten Stelle ein, welche am folgenden 
Morgen verschwunden war und auch nicht wiederkehrte. Im Laufe der ersten 
Tage hatte Pat. noch mehrmals Erbrechen und war etwas matt, befand sich 
aber sonst vollkommen wohl. Am 26. Februar, also 7 Tage nach der Ver¬ 
letzung, traten Schmerzen im linken Arme auf, und es stellte sich eine vom 
Daumen langsam nach oben fortschreitende Lähmung der Muskulatur ein. 
Am folgenden Tage kamen Schmerzen und Lähmung des linken Beins hinzu; 
Erscheinungen von allgemeinem Hirndrucke fehlten, namentlich blieb das 
Bewusstsein ungetrübt. Zwei Tage nach Beginn der Lähmung, also am 
9. Tage nach der Verletzung, schritt ich zur Operation, indem ich die nach 
Art einer Eischale auf mindestens 2 cm Tiefe eingedrückten 4 Scherben, in 
welche der Knochen zerbrochen war, entfernte, worauf sich das Gehirn sofort 
wieder zur normalen Höbe erhob. Eine starke Blutung aus der angeritztou 
Arteria meningea media stand nach Spaltung und Erschlaffung der Dura 
von selbst. 

Eine ebenfalls bei der Operation verletzte Vene der Pia wurde durch 
Umstechung gestillt, wobei die Hirnwunde oberflächlich durchstochen um! 
vom Faden eingeschuitten wurde. Sie zeigte sich unverletzt, ebenso wurden 
Knochensplitter oder Blutextravasate nicht gefunden. Als der Krauke sich 
von der Operation erholt hatte, waren die Lähmungserscheinungen ver¬ 
schwunden lind blieben seitdem dauernd weg. 

Der zweite Fall betrifft ein 15jähriges Mädchen, welches am 3. Mai d. .1. 
hinterrücks von einer Treppe stürzte und dabei mit der Scheitelgegend auf 
eiue Treppenkante stiess. Aus kurz dauernder Bewusstlosigkeit wieder er¬ 
wacht, klagte sie über heftige Schmerzen im gauzen Kopfe, zeigte aber sonst 
keine Oommotionserscheinungeu und eriunerte sich deutlich des Vorgegaugenen. 
Im Krankenhaus konnten wir keine Weichtheil- oder Knochenverletzung oon- 
statiren, fanden aber eine Stelle auf der vorderen Partie des rechten 
Scheitelbeins, 7 cm über dem Ohrloch und 5 cm von der Sagittalnaht ent¬ 
fernt, sehr druckempfindlich. 

Der linke Arm war paretisch und gegen jede Berührung empfindlich, 
während Nadelstiche weniger schmerzhaft gefühlt wurden als rechts. Am 
stärksten gelähmt waren wieder die Finger, wie es hei corticalen Lähmungen 
der Fall zu sein pflegt. Sie standen in halber Beugestellung und konnten 
activ fast garnicht, passiv uur mit oiuiger Gewalt und uuter lebhaften 
Schmerzen bewegt werden. Ausserdem bestaud eiue Facialisparese leichtesten 
Grades. Da hei längerem Zu warten keine Besserung, sondern eher eiue 
leichte Verschlimmerung der Erscheinungen eintrat, so wurde eine bedeutendere 
Beschädigung der Hirnrinde, etwa durch Splitterung der Tabula vitrea 
wahrscheinlich, und ich schritt 14 Tage nach der Aufnahme zur Trepanation, 
indem ich ein 2 Markstück-grosses Knochenstück an der contusionirteu Stelle 
ausschnitt. Der Knochen war unverletzt, auch wurden beim Abstichen der 
Umgebung mit der Sonde keine Splitter entdeckt. Dagegen drängte sich die 
Dura straff gespannt in das Knochenfenster hinein. Sie wurde gespalten, 
worauf das Gehirn, welches für gewöhnlich der Dura nur lose auliegt. mit 
blauroth verfärbter Oberfläche und einer prall gefüllten Blase ähnlich zum 
Vorschein kam. 

Ich machte mit einem spitzen Messer einen 2 cm tiefen Einschnitt in 
vorliegende Centralwindung, worauf einige Gramm einer schwarzrothen 
Flüssigkeit aussickerten, und die Spannung der Hirnsubstanz nachliess. Die 
auseinander klaffenden Schnittflächen erschienen durch Blutaustretungeu blau- 
grau gesprenkelt: grössere Gerinnsel liessen sich auch mit Hülfe der ein- 
geführten Sonde nicht nachweisen. Die Dura, dann die äussere Knochenhaut 
wurden jetzt über dem Gehirn lose geschlossen, die Kopfhaut drainirt und 
genäht. Die Kranke erholte sich rasch und konnte schon bei der Abend¬ 
visite die seither lahme Hand mit altera Geschick bewegen, auch die Sensi¬ 
bilität war wieder normal. Die Kraft und Ausdauer der Hand war aller¬ 
dings noch etwas vermindert und kehrte erst in den nächsten Wochen lang¬ 
sam zur Norm zurück. Die Facialisparese wurde durch die Operation nicht 
gebessert, sondern verlor sich nur langsam. 

Zur raschen und bequemen Orientirung über Grösse und Sitz 
der beiden beschriebenen Hirnverletzungen habe ich einen gefenster¬ 
ten Schädel mitgebracht, in welchen ich ein mittelst der Chlorzink- 
Glycerinmethode gehärtetes Gehirn eiugefügt habe. Der Trepa- 
»ationsdefect des Knaben ist durch einen schwarzen, jener des 
Mädchens durch einen weissen auf dem Gehirn befestigten Ga/.e- 
lappeu markirt, so genau als dies nach deu vorgenomnieueu Messun¬ 
gen an einem immerhin nicht genau den natürlichen Verhältnissen 
entsprechenden Phantome möglich ist. Beide Lappen decken sich, 
wie Sie sehen, über dem mittleren Drittel der durch rothe Färbung 
am Gehirn kenntlich gemachten motorischen Region, und es ist also 
verständlich, dass beide Verletzungen Paralyse des gegenüberliegenden 
Armes erzeugten. Dagegen passt nicht ganz in das Schema der Hirn- 
localisation, dass die bis zum Facialiscentrum abwärts reichende 
Verletzung des Knaben nicht etwa den linken Facialis, sondern das 
linke Bein in Mitleidenschaft zog, während wir umgekehrt bei dem 
Mädchen, bei welchem die contusionirte Stelle genau auf dem Arm¬ 
centrum lag, den Facialis mitbetheiligt sehen. Ich brauche auf 


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S5J DKUTSOHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42 


diese scheinbaren Abweichungen, die sich zur Genüge aus den 
unberechenbaren Fernwirkungen der einwirkeuden Schädlichkeiten 
erklären, nicht näher einzugehen, möchte aber eines anderen Punktes 
kurz Erwähnung thun. Von corapetenter Seite ist angezweifelt 
worden, ob es bei subcutanen Schädel- uud Hirnverletzungen, falls 
nicht etwa Zeichen von allgemeinem Hirndruck oder Absplitterung 
der Intima vorliegen, jemals nöthig werden könne zu trepaniren, 
da das Schicksal der lädirten Hirupartie und der Verlauf der 
gesetzten Störung ausschliesslich von der primären Schädigung der 
Gehirnoberfläche abhänge, aber wohl kaum von dem geringen 
localen Druck und Reiz einer Depression seeundär beeinflusst werden 
könne, auch leichte Störungen letzterer Art, falls sie überhaupt 
vorkämeu, von selbst ausheilten. Wenn ich nun auch zugebe, 
dass bei der Kranken Schorn, bei welcher der Verdacht einer 
Splitterverletzung des Gehirns uns zum Eingreifen veranlasste, mög¬ 
licherweise spontane Heilung eingetreten sein würde, so ist doch 
der Knabe Thöne, mag mau die am siebenten Tage nach der Ver¬ 
letzung eingetretene Lähmung auf Druckanämie oder auf entzünd¬ 
liches Oedem zurückführen, ein unanfechtbares Beispiel dafür, dass 
eine deprimirte Knochenpartie nachträglich und für sich allein die 
darunter liegenden Rindenfelder in bedenklicher Weise beeinträch¬ 
tigen und die Trepanation erheischen kann. 

II ____ 

III. Aas der chirurgischen Poliklinik des israelitischen 
Krankenhauses zu Hamburg. 

Zur operativen Behandlung des 
Lymphangioma colli cysticum congenitum. 

Von Dr. Storch, prakt. Arzt in Hamburg. 

Die chirurgische Therapie der congenitalen Lymphangiome des 
Halses hat die verschiedensten Wandlungen durchgeraacht, und 
noch heute ist dieses Gebiet nicht als ein abgeschlossenes zu be¬ 
trachten. Im Anfänge dieses Jahrhunderts hielten die meisten 
Chirurgen dieselben für unantastbar. Wutzer 1 ) besonders und 
seine Zeitgenossen sprachen sich gegen jeden operativen Eingriff 
aus. Erst als mau sich in den dreissiger Jahren mit der Leichtig¬ 
keit der Ausführung der Punction bekannt gemacht hatte, war es 
C. Hawkins, 2 ) welcher zuerst den Vorschlag machte, dieselbe bei 
den Halscysten in Anwendung zu bringen. Die Scheu vor der Aus¬ 
führung, die Furcht vor der folgenden Vereiterung liess indessen 
auch diesen Eingriff beschränkt bleibeu auf 'die Fälle, in welchen 
eine momentane Lebensgefahr bei den mit Halscysten behafteten 
Kindern durch Behinderung der Respiration etc. drohte. Man darf 
sich nicht wundern, dass man in der damaligen Zeit einen radicalen 
operativen Eingriff scheute. Und doch findet sich schon bei 
C. Hawkins ein mit Exstirpation behandelter Fall, der trotz mannig¬ 
facher Zwischenfälle zur Heilung führte. Dagegen mussten wohl 
die Erfahrungen auderer Chirurgen so wenig ermuthigend sein, dass 
selbst Wernher 3 ) die Exstirpation als einen „heroischen Eingriff 
bezeichnet, zu welcher sich kein vorsichtiger Arzt berechtigt halten 
könne." 

Mau sah indessen ein, dass die Puuction doch nur ein Palliativ¬ 
mittel bleiben würde, und forschte nach neuen Mitteln, welche das 
Uebel an der Wurzel fassen könnten. Man legte Seideufäden *ein 
nach vorheriger Punction. Indessen wurde dadurch eine so heftige 
Reactiou bewirkt, dass man dieselben in kurzer Zeit entfernen 
musste. Einzelne bei dieser Behandlungsweise erzielte Heilerfolge 
— Evans und Adel manu 1 ) — vermochten dieselbe nicht einzu¬ 
bürgern. So kam man trotz der schlechten Erfolge immer wieder 
auf die Exstirpation zurück, und in Gurlt fand dieselbe, trotz seiner 
eigenen unerfreulichen statistischen Ausführungen, wieder einen be¬ 
redten Fürsprecher. Erfolge, wie sie von Arnott’') berichtet wurden, 
ermuthigten von Neuem dazu. 

Eiue neue Phase für die Behandlung der Lymphangiome ent¬ 
stand, als Trendelenburg im Jahre 1870 die von Velpeau er¬ 
fundene Punction mit Jodinjection auf die in Rede stehenden Ge¬ 
schwülste ansdehnte. Die ausgezeichneten Resultate, welche er mit 
diesem Verfahren hatte, sicherten demselben den gebührenden Platz 
unter den Radicaloperationen. 

Die Einführung der Antiseptik schob natürlich die Exstirpation 
wieder in den Vordergrund, indessen waren die Erfolge, welche 
man mit der neuen Wundbehandlung erzielte, keineswegs so gut, 

') Wutzer. Hygroraa cellulosum am Halse eines Neugeborenen. 
Casper's Wochenschrift 1836, No. 17. 

' J ! ('. Hawkins, London medico-chirurgical transactions 1839. 

n ; Wernher, Die angeborenen Oystenhygrome. Giessen 1843. 

*} Siehe bei Gurlt, Leber die Cystengeschwülste des Halses. Berlin 1855. 

■') Arnott, siehe bei Gurlt. l’eber die Cvstengeschwülste des Halses. 
Berlin 1855. 


wie mau wohl glauben möchte, wenigstens sind in der Literatur 
noch sehr wenige Fälle von günstig verlaufenen Totalexstirpationen 
verzeichnet. Kein Zweifel, dass die eingreifende Operation an und 
für sich bei diesem zarten Kindesalter, sowie auch der Umstand, 
dass die mit Lymphangiomen behafteten Kinder oft noch andere 
Missbildungen zeigen, die Schuld daran tragen. — Daher mag es 
sich denn auch erklären, dass bis in die neueste Zeit die Ansichten 
über das einzuschlagende Verfahren auseinander gehen. König 
und Riedel 1 ) haben im Jahre 1882 die Exstirpation sehr abfällig 
beurtheilt, auch Wölfler 2 ) hebt hervor, dass nur wenige Fälle sich 
zur Exstirpation eignen, und giebt entschieden der Incision, Drainage 
und Ausfüllung mit Jodoformgaze den Vorzug. Dem gegenüber 
unterliegt es keinem Zweifel, dass das ideale Ziel der Exstirpation 
doch stets verfolgt werden wird, und mit der sich verbessernden 
Technik und Antiseptik wird derselben ein ausgedehnterer Platz 
angewiesen werden, als nach den letzten Resultaten zu befürchten 
scheint. 

Die folgende Beobachtung, die dem poliklinischen Material des 
israelitischen Krankenhauses zu Hamburg entnommen ist, mag uns 
zeigen, dass selbst unter relativ sehr ungünstigen Verhältnissen die 
Exstirpation versucht werden soll. 



Iin Februar 1886 wurde das 21 Tage alte Kind Wilhelmine Talcke iu 
die Poliklinik des israelitischen Krankenhauses gebracht. 

Die Mutter bemerkte an dem sonst wohlgebildeten Kinde eine grosse 
Geschwulst an der linken Seite des Halses. Missbildungen waren in «er 
Familie sonst nicht vorgekommen. Das Kind sollte ausser zeitweiser Behin¬ 
derung des Saugens keine merklichen Beschwerden gehabt haben, 'on 
einem Wachstlmm der Geschwulst war bei dem geringen Alter des Kinde- 
noch nicht viel zu beobachten gewesen. 

Status: Fast die ganze linke Seite des Halses ist von einer feustgro-seu 
Geschwulst eingenommen, welche nach vorn bis dicht an den Kehlkopf, n*d' 
oben bis fast zum Unterkiefer, nach unten bis zur Llavicula und nach hinten 
bis zu den Dornfortsätzen der Wirbelsäule reicht. 

Die Geschwulst hat im Ganzen die Form eines querliegenden Ov*J>. 
hat im Wesentlichen eine glatte, regelmässige Oberfläche, nur au einzelnen 
Stellen findet sich die Oberfläche mit seichten Einkerbungen versehen. 
Haut über der Geschwulst ist von normaler Beschaffenheit und nirgends ®" 
der direkt unter ihr beginnenden Geschwulst verwachsen. Die Gescbwuc 
ist von weich elastischer Consistenz, fluctuirt undeutlich und ist auf Prüf 
nicht zu verkleinern. Zur Sicherstellung der Diagnose wurde unter an»" 
septischen Cautelen eine Punction gemacht, welche eine hellgelbe, serw*e, 
beim Erkalten spontan gerinnende Flüssigkeit ergab. 

Nach dem gegebenen Befund konnte es keinem Zweifel unterliegen- 
dass wir es mit einem sogenannten Lymphangioma colli cysticum zu t 
hatten. . ... 

Am 24. Februar Operation (Dr. Alsberg), ohne Narkose. — i?0hiu 
über die ganze Ausdehnung des Tumors in querer Richtung. ... 

Nach Durchtrennung von Haut und Platysma gelangt man bald au ' ' 
Cystenwand. Der Tumor wird dann theils mit Messer und Scheere t ie 
stumpf von den umgebenden Weichtheilen abgelöst, was an einigen 
leicht, an anderen schwer gelingt: namentlich war ein sehr ,nnl £®!|. ren 
sammenhang der Cyste mit der Scheide der grossen Gefässe zu consta i ^ 
welche blos gelegt werden mussten, um die Ausschälung zu vollenden. 

') König und Riedel, Deutsche Chirurgie 1882, Heft 36. . 

*) Wölfler. Zur operativen Behandlung der Hygroma colli cysti 
Wiener medicinische Presse 1886. No. 28. 


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18. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 853 


Vena jugularis interna war durch die Abtrennung von der Cystenwand ganz 
isolirt, so dass es fast den Anschein hatte, als ob die ganze Cyste ein iute- 
grirender Bestandtheil der Gefassscheide sei. Nachdem die Geschwulst so 
zum grössten Theil von der Umgebung abpräparirt ist, sitzt sie noch an 
einem stielförmigen Fortsatz fest, welcher längs der grossen Gefässe in die 
Tlioraxapertur steigt. Der Stiel wird abgebunden, desinfieirt und versenkt. 
Die ziemlich grosse Wunde wird durch die Naht vereinigt. 

Drainage. Jodoformgaze-Torfmoosverltand. Der Blutverlust war gering, 
das Kind ertrug den ziemlich lange dauernden Eingrilf recht gut. — Heac- 
tionsloser Verlauf. 

Verbandwechsel am 28. Februar, Drain rohr entfernt. 4. März Nähte 
entfernt, vollständige Heilung per primam; das Kind wird mit einem leichten 
Schutzverband entlassen. 

Die Untersuchung des gewonnenen Präparates ergab makroskopisch, 
dass die ganze Geschwulst aus dicht neben einander liegenden Hohlräumen 
bestand, von der verschiedensten Grösse. Die Form derselben war sehr 
mannichfaltig, der Inhalt ein seröser. Alle schienen mit einander in Ver¬ 
bindung zu stehen durch verschieden grosse Oeffnungen. Die Cystenwand 
selbst war glatt, mit einzelnen leistenartigen Vorsprüugen versehen und 
ähnelte ausserordentlich dem Endocardium. 

Die mikroskopische Untersuchung zeigte, dass die Cystenwand aus 
einem faserigen, mannichfach mit elastischen Fasern durchflochtenen Binde¬ 
gewebe bestand, welches an einzelnen Stellen von spärlichen, an anderen 
reichlicheren glatten Muskelfasern durchsetzt war. Die Untersuchung an 
einem frisch mit Silber behandelten Präparat ergab eine deutliche Endothel¬ 
zeichnung, die nur an wenigen Stellen etwas verwaschen schien. An der 
Cystenwand hafteten manchmal Gerinnsel, ln der Flüssigkeit waren nur 
Uymphkörperchen und Endothelfetzen zu entdecken. Es kann nach dem 
ganzen Befund keinem Zweifel unterliegen, dass es sich um ein Lymph- 
angioma congeuitum handelte, das mit Wahrscheinlichkeit an der Scheide ' 
der grossen Gefässe seinen Ausgang genommen hatte. 

Der Fall scheint insofern bemerkenswert!), als es noch selten 
versucht und gelungen ist, die in Rede stehende Geschwulst in so 
zartem Kindesalter mit Erfolg zu exstirpiren. Jedenfalls geht daraus 
hervor, dass man die Möglichkeit der Exstirpation auch in schwie¬ 
rigen Verhältnissen in erster Linie erwägen soll. Erst wenn diese 
unmöglich erscheint, mag das \Völ fl er"sehe Verfahren der Eröffnung 
der Cysten, Drainirung und Ausfüllung derselben mit Jodoforrngaze 
au Stelle derselben treten. 


IV. Die intrauterine Chlorzinkätzung . l ) 

Von Dp. P. Uröse 

M. H.! Wenn ich an dieser Stelle über ein Thema rede, über 
die intrauterine Chlorzinkätzung, über welches ich vor einiger Zeit 
eiue Notiz in dem Centralblatt für Gynäkologie, 1887 No. 45, ver¬ 
öffentlicht habe, so thue ich es einmal deshalb, weil an mich 
zahlreiche schriftliche und mündliche Anfragen von Collegen ge¬ 
langten, welche eine ausführlichere Auskunft über diese Methode 
haben wollten, als sie in jener kurzen Veröffentlichung enthalten 
war, dann aber auch, weil ich inzwischen grössere Erfahrungen über 
diesen Gegenstand gesammelt habe und in Folge dessen noch mehr 
in der Lage bin, Ihnen diese Art der Behandlung auf das Wärmste 
empfehlen zu können. 

Die intrauterine Chlorzinkätzung wurde zuerst von Rh ein - 
Städter in seinem Buch „Praktische Grundzüge der Gynäkologie“, 
Berlin 1886, als Behandlungsart des Gebärmutterkatarrhs empfohlen, 
und seinen Angaben folge ich auch grössten Theils in der Schilderung 
der Ausführung dieser Methode. 

Ich wende diese Behaudluugsart jetzt seit 2 Jahren an zur 
Heilung des uterinen Fluors und muss Rheinstädter vollkommen 
Recht geben, wenn er behauptet, dass kein Verfahren so gut im 
Stande ist den Katarrh zu heilen, wie dieses. 

Sie wissen ja alle, wie schwer der Gebärmutterkatarrh zu be- , 
seitigen ist, sei es nun, dass er infectiöser. d. h. gonorrhoischer 
oder nicht iufectiöser Natur ist, so schwer, dass die Unmöglichkeit 
ihn auf andere Weise zu heilen, uns das Messer in die Hand 
drückte, um die erkrankte Cervixschleimhaut zu excidiren und 
den scharfen Löffel, um das ganze Endometrium zu entfernen; 
und selbst daun gelingt es nicht immer, den Fluor gänzlich zu 
beseitigen. Wenigstens habe ich Fälle, bei welchen ich, und weitere, 
bei welchen andere Gynäkologen die Excision der Cervixschleim¬ 
haut gemacht hatten, Fluor aber, wenn auch in bedeutend geringe¬ 
rem Maasse, weiter bestaud, noch mit der Chlorzinkätzung behandeln 1 
müssen, um ihn ganz zu vertreiben. Meiner Ueberzeugung nach j 
liegt häufig die Schwierigkeit, den Katarrh zu heilen, darin, dass, wenn 
man den Uterus und nicht die Scheide als Quelle des Ausflusses 
entdeckt hat und im Speculum sieht, dass der Fluor aus dem äusseren 
Muttermund quillt, dass ferner eine Erosion vorhanden ist und dass 
die Cervicalschleimhaut, soweit sie sichtbar, geröthet, gewulstet und | 
gewuchert ist — mau glaubt, man habe es nur mit einem Katarrh 

’) Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynä¬ 
kologie in Berlin. 


der Cervixschleimhaut zu thun, und deshalb nur diese behandelt. 
Ich glaube, dass in den meisten derartigen Fällen die Hypersecretion 
uieht allein aus dem Cervix, soudern auch von der Schleimhaut des 
Uteruskörpers stammt. Ich will hier nicht auf die Frage nach dem 
Secret der Uterushöhle oingehen. auf die Kiistner’srhen Versuche 
u. s. w., für mich ist vor allem die praktische Seite der Sache be¬ 
stimmend gewesen, so zu handeln, wie ich es jetzt thue. Ich be¬ 
handle jetzt jeden Gebärmutterausfluss in der Weise, dass ich den 
ganzen Uteruscanal in Angriff nehme, und seitdem ich das thue, 
heilen die Erosionen, verschwindet der Ausfluss, welchen ich sonst 
nicht beseitigeu konnte, wunderbar schnell. 

Was nun die Methode an betrifft, so bedient mau sich zur in¬ 
trauterinen Aetzung einer Lösung von Chlorzink und Aqua 
destillata ää. Das löst sich ganz gut; etwaige Trübungen, welche 
zuweilen bei längere Zeit im Gebrauch befindlichen Lösungen durch 
Ausscheidung von Ziucum entstehen, kann man leicht durch Zusatz 
von einigen Tropfen C1H beseitigen. In den meisten Fällen ist der 
Geübte im Stande, die Aetzung ohne Assistenz im röhrenförmigen 
Speculum vorzunehmen, nur in seltenen Fällen bedarf man der 
Simon’schen Specula und des Anhakens der Portio mittelst der 
Kugelzange. Zur Aetzung benutzt man am besten eine Playfair’sche 
Aluminiumsonde, welche mit entfetteter Watte oder Verbandwerg 
umwickelt wird. 

Man darf die Sonde nur ^nit sehr geringen Mengen Watte 
und zwar sehr eng umwickeln, sonst kommt mau besonders bei 
engem Uteruskanal nicht hinein. Nachdem man sich die Portio im 
Speculum eingestellt, den Schleim abgetupft und die Richtung und 
Weite des Uteruskanals mit der Sonde bestimmt hat, führt man 
die in die Chlorzinklösung getauchte Sonde in die Uterushöhle 
ein, drückt sie sanft gegen die Wände an und entfernt sie nach 
einer Minute. Man muss sich bei der Einführung sehr beeilen, 
denn der Uterus contrahirt sich auf den Reiz der Aetzung hin sehr 
schnell und ausserordentlich stark, und tritt diese Contraction ein. 
bevor man den inneren Muttermund passirt hat, so muss mau in 
den meisten Fällen den Versuch, in dieser Sitzung in das Cavum 
Uteri zu gelangen, aufgeben. Bei starken Knickungen uud Beuguugeu 
i des Uterus muss man mittelst der Kugelzange sich den Uteruskanal 
! zugänglicher machen. Ist viel Secret vorhanden, so thut man gut, 
i vor der Aetzung die Uterushöhle mit einer anderen mit Watte 
umwickelten Aluminiumsonde auszutupfen. Die Erosionen werden 
! ausserdem mit der Sonde besonders geätzt. Rheinstädter 
, empfiehlt grosse Erosionen vorher noch zu scarificiren, damit das 
Chlorzink mehr in die Tiefe dringt. Nach der Aetzung saugt man 
die etwa aus dem Cervix noch herausfliessende Flüssigkeit mit 
Wattebäuschen auf, da das Chlorzink sonst die Scheide anätzt 
| und sehr unangenehmes Brennen iu derselben hervorruft, oder 
i spült die Scheide nach der Aetzung mit Wasser aus. 

Gut thut man aus diesem Grunde uud weil nach der Aetzung 
zuweilen leichte Blutungen auftreten, einen Jodoformglyeerintampou 
vor den Muttermund zu legen. 

Es ist vollkommen genügend, diese Aetzungen alle 8 Tage zu 
wiederholen. Höchstens darf mau sie in der Woche zweimal vor¬ 
nehmen. In diesem Falle findet man gewöhnlich den Schorf der 
letzten Aetzung noch nicht abgestossen. Was die Anzahl der 
Aetzungen anbetrifft, welche nöthig sind, um den Katarrh zu be¬ 
seitigen, so habe ich in einzelnen Fällen Katarrhe mit grossen 
Erosionen nach 3—4 Aetzungen vollkommen heilen sehen. Meistens 
aber waren mehr nöthig, um das Leiden zu beseitigen, 10—12, in 
einzelnen Fällen noch mehr. 

Man kann die Aetzungen ruhig ambulant vornehmen. Nur 
müssen die Patientinnen an dem Tage der Aetzung sich nach der¬ 
selben hinlegen, sobald sie zu Hause angelangt sind. Manche 
haben bei und nach der Aetzung gar keine oder doch nur sehr 
geringe Beschwerden. Bei andereu treten heftige Uteruskoliken auf. 
Bei einer sehr nervösen Patientin traten nach dem Eingriff Ohu- 
raachtsanfälle und heftiges Erbrechen auf, welches mehrere Tage 
anhielt. Sonst habe ich sowohl, wie auch Rheinstädter, nach 
der intrauterinen Chlorzinkätzung niemals üble Folgen gesehen, 
w r enu die Patientinnen sich während der Behandlung ordentlich 
halten, sich vor Erkältungen, Excessen hüten uud die Cohabitation 
vermeiden. 

Sind Entzündungen des Peri- oder Parametriuras, Exsudatreste 
u. s. w. vorhanden, so muss man sich, wie bei jedem intrauterinen 
Eingriff unter solchen Verhältnissen, sehr damit vorsehen. Rh ein¬ 
städter verbietet die intrauterine Aetzung bei der geringsten 
Erkrankung der Umgebung des Uterus ganz. Doch habe ich in 
Fällen von alten Perimetritides posteriores oder geringer Oophoritis 
uud Perioophoritis, bei alten fixirten Retroflexionen und Retropositio- 
nen und in den meisten Fälleu ohne Schaden geätzt.. Zweimal sah 
ich allerdings eine Exacerbation d<*r Entzündung nach der Aetzung 
auftreten. Bei allen frischeren Entzündungsprocessen verbietet sich 
das Verfahren von selbst. 


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854 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


Stenosen habe ich eben so wenig wie Rheinstädter nach 
dieser Behandlung entstehen sehen. 

Man muss die Patientinnen darauf aufmerksam machen, dass 
der Ausfluss die ersten Tage nach der Aetzung verstärkt zu sein 
pflegt, auch den schleimigen Charakter verliert und wässriger oder 
eitriger, manchmal auch blutig gefärbt ist, bis sich der Aetzschorf 
abgestossen hat. Auch ist während der Behandlung die Menstruation 
stärker als sonst. Da Patientinnen, bei welchen man diese Behandlung 
vornimmt, ausserdem häufig schon an Menorrhagieen leiden, so tliut 
man gut, in diesen Fällen von Anfang an gleich Hydrastis zu geben. 
Zwei bis drei Tage vor und nach der Menstruation nimmt mau die 
Aetzungen überhaupt nicht vor, da sonst stärkere Blutungen auf- 
treten können. 

Dass die Schleimhaut des Uterus nach den Aetzungen nicht 
atrophirt, sondern zur Norm zurückkehrt, beweisen mehrere meiner 
Fälle, welche unmittelbar nach Beendigung der Cur coucipirteu. 
Bei einer Frau W., welche an starkem Uteruskatarrh und einer 
etwa Markstück-grossen Erosion litt und durch sieben intrauterine 
Aetzungen geheilt wurde, wurde am 13. April 1886 die letzte 
Aetzung vorgenommen, am 30. Mai trat die Periode noch ein, und 
am 4. Juli stellte sie sich mir als gravida vor. Eine andere Pa¬ 
tientin, Frau T., wurde am 15. September 1886 zuletzt geätzt und war 
von da an von ihrem Katarrh befreit. Am 25. Januar 1887 stellte 
sie sich wieder vor, die Periode war ausgeblieben. Der Grösse des 
Uterus uach war sie im Anfang des fünften Monats der Schwan¬ 
gerschaft. Frau H. wurde durch sechs intrauterine Chlorzink¬ 
ätzungen von einer Thaler-grosseu Erosion und starkem Fluor be¬ 
freit. Am 22. März 1888 wurde sie zuletzt geätzt. Am 12. April 
trat die Periode zum letzten Mal ein, am 7. Juni stellte sie sich 
wieder im zweiten Monat gravida vor. 

Wann man sich diese ausserordentlich günstige Wirkung der 
intrauterinen Cblorzinkätzung bei ihrer Ungefährlichkeit zu erklären 
versucht, so liegt dieselbe nicht nur in der Art und Weise der 
Application. Es sind auch mit anderen Aetzmitteln z. B. mit Liquor 
ferri und Chromsäure intrauterine Aetzungen vorgenommen worden. 
Rheinstädter erwähnt, dass er nach diesen häufiger Peri- und 
Parametritiden auftreteu sah; bei der Chlorziukätzung nicht. Es 
liegt hauptsächlich in der Vorzüglichkeit des Aetzmittels. 

Maass hat auf dem VIII. Congress der deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie über die Resorptionsfähigkeit vou Wunden uach 
Aetzungen mit verschiedenen Aetzmitteln einen Vortrag gehalten 
und hat nachgewiesen, dass viele Aetzmittel, z. B. das Glüheisen, 
der Höllenstein, reine Carbolsäure, die Resorptionsfahigkeit der ge¬ 
ätzten Granulationen ganz unverändert liessen, andere, wie z. B. 
Aetzkali, Cuprum sulfuricura, Salpetersäure und Alkohol, die Re- 
sorptionslähigkeit herabsetzten. Allein das Chlorzink hob dieselbe 
ganz auf. Die mit Chlorzink geätzten Wunden resorbirten nichts 
mehr. Die Ungefährlichkeit der intrauterinen Chlorzinkätzung er¬ 
kläre ich mir auch aus dieser Eigenschaft des Chlorzinks. Falls In- 
fectionskeime nach der Aetzung in die Uterushöhle gelangen und 
der Aetzschorf inficirt wird, wie das ja Vorkommen kann — ich 
erinnere nur daran, wie Wunden unter Umständen durch Liqu. ferri 
verschmiert und jauchig werden können —, so hat die Uterus¬ 
schleimhaut durch das Chlorzink die Fähigkeit erlangt, den Orga¬ 
nismen Widerstand zu leisten; es wird vou ihr nichts resorbirt. 

In der Stärke, wie das Chlorzink angewendet wird, ää, durch¬ 
dringt es das zähe, schleimige Secret, welches die Uteruswände be¬ 
deckt, vorzüglich und ätzt die Schleimhaut an, ohne sie gänzlich zu 
zerstören, wie das andere starke Aetzmittel, z. B. die rauchende 
Salpetersäure, so leicht thun, welche dann Stenosen hervorrufen 
können. 

Ausserdem wirkt aber bei manchen Erkrankungen des Uterus, 
welche man mit der intrauterinen Aetzung behandeln kann, eiu an¬ 
deres Moment ausserordentlich heilsam und die Cur unterstützend. 
Das ist die starke Contractionen erregende Wirkung der Behand¬ 
lungsweise. 

Betrachten wir noch einmal kurz die Erkrankungsformen, bei 
welchen man die intrauteriue Chlorzinkätzung anwenden kann, so 
ist es einmal vor allem die katarrhalische Endometritis mit ihren 
Veränderungen des Cervix, mit den verschiedenen Formen der Ero¬ 
sionen. Diese gerade heilen unter der Behandlung ausserordentlich 
schnell. Manchmal ist die Erosion schon nach 2—3 Aetzungen ge¬ 
heilt, während es allerdings, um den Fluor gänzlich zu beseitigen, 
einer häufigeren Application des Mittels bedarf. Seitdem ich 
dieses Verfahren anwende, bin ich nicht wieder in die Lage ge¬ 
kommen. durch die keilförmige Excision, eine doch immerhin ver¬ 
stümmelnde Operation, die Erosion zu beseitigen. Ausserordentlich 
wirksam ist das Mittel bei der Uterusgonorrhoe. Rheinstädter 
ist der Ansicht, man dürfe die intrauterine Aetzung erst anwenden, 
wenn mindestens 2 Monate nach Beseitigung der acuten entzünd¬ 
lichen Erscheinungen verflosseu sind, zur Heilung der zuriickblei- 
bendeu chronischen Endometritis. Er versteht unter den acuten 


entzündlichen Erscheinungen die Entzündungen der Urethra, Vagina 
und der äusseren Genitalien. Bei den meisten frischen Gonorrhoeen 
aber — eine Ansicht, welche zuerst Bumm in seinen vortreff¬ 
lichen Arbeiten über die weibliche Gonorrhoe ausgesprochen und 
bewiesen hat — kommt es entweder gar nicht oder erst secundiir 
zu Entzündungen der Vagina und Vulva. Gewöhnlich ist nur die 
Urethra und der Cervix, in vielen Fällen auch nur der Uterus 
inficirt. Wenn man sich gewöhnt hat, wie ich es thue, jeden 
Uteruskatarrh auf Gonococcen zu untersuchen — das macht gar 
nicht viel Mühe, man hält sich in der Poliklinik, in der Sprech¬ 
stunde. einige Deckgläschen und eine Platinanadel bereit und unter- 
sucht sie nach der Sprechstunde —, so wird man einsehen, wie häufu: 
gonorrhoische Uteruskatarrhe sind, und wie viele ohne jede Erkran¬ 
kung der Vagina oder der Urethra verlaufen. Auch Fälle von 
älteren Katarrhen mit grossen Erosionen, welche anscheinend aus 
dem Puerperium stammten und dann in der Zeit kurz bevor sie zur 
Behandlung kamen, exacerbirt waren, bei welchen man ohne mikro¬ 
skopische Untersuchung jeden Verdacht auf Gonorrhoe ausgeschlossen 
hätte, documentirten sich nach einer solchen als frische Ein¬ 
impfungen des Gonococcus auf eine schon durch alte Katarrhe ver¬ 
änderte Schleimhaut. 

So cousultirte mich z. B. Frau K., welche seit dem letzten 
vor 2 Jahren stattgehabten Wochenbett an ziemlich starkem 
Ausfluss litt. Seit 14 Tagen war derselbe stärker und mehr eitrig 
geworden. Bei der Untersuchung fand ich eine grosse Erosion. 
Scheide und Urethra normal, im Secret zahlreiche Gonococcen. 
Der Ehemann, welchen ich mir kommen liess, gestand, vor vier 
Wochen bei einer Puella gewesen zu sein, auch des Morgens etwas 
Secret aus seiner Urethra herausdrücken zu können, aber war sonst 
ohne jede Beschwerden oder Ahnung von seiner Gonorrhoe. Auch 
bei ihm fanden sich Gonococcen. 

Diese frischen acuten Uterusgonorrhoeen habe ich sogleich mit 
der intrauterinen Aetzung behandelt und mit den besten Erfolgen. 
In einzelnen Fällen verschwand die Gonorrhoe schon nach 3 bis 4 
Aetzungen vollkommen, in anderen dauert es länger, geheilt aber 
wurdeu alle. Der eine Fall, welchen ich schon in meiner kleinen 
Veröffentlichung im Centralblatt für Gynäkologie mittheilte und bei 
welchem die Uterusgonorrhoe nachweislich schon 8 Jahre bestand, 
erforderte 16 Aetzungen. 

Ist die Gonorrhoe von einer Kolpitis begleitet, so wird diese 
erst durch Tamponade der Vagina mit Jodoformgaze beseitigt - 
dieselbe heilt hierdurch in wenigen Tagen —, und dann sogleich die 
Uterusgonorrhoe behandelt. Ich habe bisher von diesem Verfahren 
bei der frischen Uterusgonorrhoe keinen Nachtheil bemerkt und sehe 
nicht ein, warum man zwei Monate warten soll, bis die Patientinnen 
eine Perimetritis erworben haben. 

Ferner wende ich die Aetzungen nach der Auskratzung des 
Uterus bei Endometritisfungosa statt der von Schröder empfohlenen 
nicht ganz ungefährlichen Jodeinspritzungen an, mit vorzüglichem 
Erfolge. 

Sehr günstig wirkt die intrauterine Chlorzinkätzung bei der 
Subinvolution, der mangelhaften Zurückbildung des Uterus po st 
puerperiura. Hierbei wirkt nicht nur die ätzende, den Fluor be¬ 
seitigende Eigenschaft des Mittels, hierbei ist auch die Contractionen 
erregende Nebenwirkung der Behandlung von ausserordentlich heil¬ 
samem Einfluss. 

Bei einer Frau B. z. B., welche vor 6 Wochen entbunden war. 
bei der der Uterus gross, 9 cm laug, empfindlich war, und sich eine 
über Tbaler-grosse Erosion fand, genügten 3 Aetzungen, um den 
Fluor zu beseitigen und die Erosion zur Heilung zu bringen. 1 er 
Uterus war 8 Tage nach der letzten Aetzung 6’/2 cm lang, g« nz 
unempfindlich, von normaler Consistenz. 

In gleicher Weise günstig wirkt die intrauterine Chlorzinkätzun« 
auf die, viele Uteruskatarrhe begleitende chronische Metritc 
Durch kein anderes Mittel erzielt man solche Uteruscontractiom" 
und infolgedessen solche Voluraenalmahme des chronisch entzün¬ 
deten Uterusparenchyms. 

Ich halte die intrauterine Chlorzinkätzung in der That für eim 
Bereicherung unserer gynäkologischen Therapie uud kann ihre •' 11 
Wendung allen Collegen auf das wärmste empfehlen. 

V. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzuug aus No. 41.) 

Inzwischen hat gewöhnlich die Tuberculose sich auch au *^ 
dere Organe ausgebreitet, oder es siud anderweitige secundare 1 
äuderuugen in solchen entstanden. , 

Besonders häufig wird der Kehlkopf ergriffen, indem turn 1 ^ 
löse Geschwüre entstehen, die hauptsächlich die hintere « an . ^ 
Organs einnehraen. Dadurch w r ird gewöhnlich der Hustenreiz^ 
deuteud gesteigert; auch können dadurch Schlingbeschwerden 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


855 


vorgerufen werden. Wenn die Stimmbänder von den Geschwüren 
ergriffen oder durch die Ulceration theilweise von ihrem hinteren 
Ansatz abgelöst werden, so stellt sich andauernde Heiserkeit ein, 
die sich häufig bis zu vollständiger Stimmlosigkeit (Aphonie) steigert, 
so dass der Kranke nur noch im Flüsterton sprechen kann. Uebri- 
gens kann Heiserkeit auch durch einfachen Katarrh des Kehlkopfs 
ohne Geschwürsbildung zu Stande kommen. Wenn die Geschwüre 
in die Tiefe greifen, so kann dadurch Perichondritis laryngea mit 
gefahrdrohender Stenose des Kehlkopfs hervorgerufen werden, und 
auch durch starke Schwellung iu der Umgebung der Geschwüre 
und namentlich durch Glottisödem kann solche Stenose zu Staude 
kommen. — Die Entstehung der Kehlkopfgeschwüre hat man schon 
früh (Louis) davon abgeleitet, dass anhaltend der Auswurf durch 
deu Kehlkopf hindnrehgehe. und dass dadurch eine Arrosion der 
Kehlkopfschleinihaut entstehen müsse: es wurde aber gegen diese 
Auffassung der Einwand erhoben, dass dann doch manche andere 
Arten von Auswurf, welchen man eher chemisch - ätzende Eigen¬ 
schaften zuschreiben köune. ebenfalls solche Geschwüre macheu 
müssten, dass dieselben aber z. B. bei Bronchiektasie ohne Tuber- 
culosc oder bei Lungengangrän in der Regel nicht zu Stande kom¬ 
men. Seitdem wir wissen, dass das tuberculöse Sputum ein speci- 
fisches Gift enthält, ist dieser Einwand hinfällig geworden, und es 
unterliegt gegenwärtig keinem Zweifel mehr, dass die Kehlkopf- 
tuberculose gewöhnlich die Folge einer localen Infection durch Ein¬ 
impfung tuberculösen Auswurfs ist. Es kann nur noch darüber ge¬ 
stritten werden, ob jede Kehlkopfschwindsucht in dieser Weise als 
Folge einer vorhergegangenen Lungenschwindsucht entstehe, oder ob 
es auch eine primäre Kehlkopftuberculose gebe. Die Fälle, welche 
gewöhnlich als Belege für die letztere Ansicht angeführt werden, 
bei welchen eine vorgeschrittene Kehlkopftuberculose besteht, wäh¬ 
rend Lungentuberculose noch nicht nachzuweisen ist, sind grossen- 
theils deshalb nicht beweiskräftig, weil die Anfänge der Lungen¬ 
tuberculose sich häufig der Diagnose entziehen. Aber es giebt den¬ 
noch einzelne Fälle, bei welchen es nicht wohl in Zweifel gezogen 
werden kann, dass die Tuberculöse zuerst im Kehlkopf aufgetreten 
sei; und für diese Fälle müssen wir annehmen, dass ausnahmsweise 
nicht die Lungen, sondern die Kehlkopfschleimhaut das Atrium morbi 
gewesen sei. Es kann dann vielleicht geschehen, dass später durch 
Aspiration von tuberculösem Material secundär die Lunge inficirt 
wird. — In selteneren Fällen entstehen auch tuberculöse Geschwüre 
auf der hinteren Pharynxwaud oder auf der Zunge, die ebenfalls 
als Folgen localer Infection anzusehen sind. 

Zu den häufigsten secundären Erkrankungen gehören ferner die 
tuberculösen Darmgeschwüre, die vorzugsweise im unteren 
Theile des Ileura und im oberen Theile des Dickdarms sich zu ent¬ 
wickeln pflegen. Sie entstehen aus den geschlossenen Follikeln des 
Darms, meist aus den solitären, zuweileu aber auch aus den zu 
Peyer’sehen Platten zusammengehäuften, indem sich zuerst eiue An¬ 
schwellung bildet, dann Verkäsung und endlich Zerfall eintritt. Die 
aufangs kleinen Geschwüre vergrössern sich allmählich, und durch 
Confluiren benachbarter Geschwüre können grössere ulcerirende 
Flächen entstehen, die eine sehr unregelmässige Gestalt, aber im all¬ 
gemeinen die Tendenz zu ringförmiger Ausbreitung haben: durch 
diese Ausbreitung in der Querrichtuug unterscheiden sie sich schon 
äusserlicli von den Typhusgeschwüren, die vorzugsweise die Pevei- 
schen Platten ergreifen und dementsprechend mehr in der Längsrich¬ 
tung verlaufen. Uebrigens können in einzelnen Fällen auch tubercu¬ 
löse Geschwüre sich vorzugsweise in den Peyer’sehen Platten bilden : 
es kommt dies namentlich vor bei Kindern; in Basel, wo Abdomi¬ 
naltyphus häufig ist, habe ich es auch oft bei Erwachsenen gesehen. 
Die tuberculösen Darmgeschwüre geben Veranlassung zu den hart¬ 
näckigen Diarrhöen, welche bei Phthisikern häufig Vorkommen und 
von den älteren Aerzten nebst den Nachtschweissen als colliquative 
Erscheinungen bezeichnet wurden, indem man anuahm, dass dadurch 
die Körpersubstauz allmählich verflüssigt werde (colliquescere = zer- 
fliesseu). Diese Diarrhöen sind das wichtigste Zeichen der Darm- 
phthisis; doch muss man berücksichtigen, dass dieselben fehlen 
können, auch wenn ausgedehnte Darmgeschwüre vorhanden sind, 
namentlich wenn sie nur im Ileum und nicht im Dickdarm sich 
finden; es wird dann häufig das Transsudat, welches im Dünndarm 
abgesondert wurde, im Dickdarm wieder resorbirt. Und andererseits 
kann bei Phthisikern auch aus irgend welchen anderen Gründen 
Diarrhoe zu Stande kommen. Die Geschwüre machen, so lange die 
Serosa des Darms nicht betheiligt ist, keine Schmerzen; gewöhnlich 
aber entsteht in der Serosa ein chronisch-entzündlicher Process, der 
häufig mit der Entwickelung von Miliartuberkeln in derselben uud 
namentlich in den Lymphgefassen einhergeht, und dann pflegen 
spontane Schmerzen oder Empfindlichkeit bei Druck vorhanden zu 
sein. Man kann mit grosser Wahrscheinlichkeit auf tuberculöse 
Darmgeschwüre schliessen, wenn bei einem Phthisiker neben hart¬ 
näckiger Diarrhoe auch noch Schmerzhaftigkeit bei Druck, nament¬ 
lich in der Ileocöcalgegend vorhanden ist. Durch die Diarrhöen wird 


häufig die Abzehrung in bedeutendem Maasse beschleunigt. In ein¬ 
zelnen Fällen führen die tuberculösen Darmgeschwüre zu Perforation 
des Darms und schnell tödtlicher allgemeiner Peritonitis. Sie können 
aber auch heilen, und dann kommt zuweilen durch Narbenretraction 
eine Stenose des Darms zu Stande. — Die Entstehung der Darmge¬ 
schwüre ist der der Kehlkopfgeschwüre analog, indem es sich ge¬ 
wöhnlich um eine locale Infection durch verschluckte Sputa handelt. 
Dass iu der Regel der Magen und der obere Theil des Darmkanals 
von Geschwürsbildung frei bleibt, ist wohl zum Theil auf eine des- 
infieirende und coagulirende Wirkung des Magensaftes zurückzu¬ 
führen; erst wenn durch den Darmsaft die oberflächlichen Schichten 
des Klumpens wieder aufgelöst sind, können die im Innern noch 
unversehrt vorhandenen Tuberkelbacillen oder deren Sporen zur 
Wirkung kommen. Ausserdem ist aber der untere Theil des Ileum. 
in welchem der Darmiuhalt längere Zeit zu verweilen pflegt, auch 
bei manchen anderen Infeetionen der vorzugsweise und zuerst be¬ 
fallene Theil des Darms. Uebrigens findet man zuweilen auch tu¬ 
berculöse Geschwüre in den oberen Theileu des Düuudarms und in 
freilich sehr seltenen Ausnahmefällen selbst im Duodenum und im 
Magen. In einzelneu Fällen kommt es vor, dass Darratuberculose 
sich entwickelt ohne vorhergegangene Lungentuberculose: für diese 
Fälle passt die eben gegebene Erklärung nicht; vielmehr müssen wir 
aunehmen. dass iu diesen Fällen das Gift der Tuberculöse zuerst 
mit Speisen oder Getränken in deu Darracanal eiugeführt wurde 
und eine primäre Darmtuberculose hervorgerufen hat (s. o.) — Zu 
erwähnen sind noch die bei Phthisikern relativ häufig vorkommenden 
Mastdarrafisteln. Dass dieselben, wie die alten Aerzte vielfach an- 
nahmeu, einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Lungener- 
kraukung haben, ist mindestens als zweifelhaft anzusehen. 

Die einfache Erklärung durch locale Infection in Folge mecha¬ 
nischen Transports des Infectionsstoffes. durch welche die secundäre 
Tuberculöse des Kehlkopfs und des Darms in Analogie gebracht 
wird mit der Entstehung der Tuberculöse in einem von dem ur¬ 
sprünglichen Herd weit entfernten Lungeuabschnitt durch Aspiration 
von tuberculösem Material, ist nicht mehr anwendbar zur Erklärung 
der secundären Tuberculöse in anderen Organen; vielmehr müssen 
wir dazu die Vermittelung des Blutkreislaufs in Anspruch nehmen. 
Dabei tritt die seeuudäre Tuberculöse gewöhnlich auf in der Form 
der Miliartuberculose. Wir haben schon früher unterschieden die 
locale Miliartuberculose, bei welcher das Auftreten der Miliartuberkel 
auf die nächste Umgebung der primär ergriffenen Theile sich er¬ 
streckt oder auch vermittelst der Lymphgefässe auf etwas grössere 
Entfernung sich fortpflanzen kann, uud die allgemeine Miliartuber¬ 
culose, bei welcher das Tuberkelgift, nachdem es iu das Blut ge¬ 
langt ist. durch Vermittelung des Kreislaufs in alle Organe verbreitet 
werden kann und dann gewöhnlich ebenfalls kleine knötchenförmige 
Eruptionen in Form der Miliartuberkel macht. Bei der localen 
Miliartuberculose entstehen Knötchen in der Lunge in der Umgebung 
der tuberculösen Herde, ferner in der Pleura und iu den Bronchial¬ 
drüsen; in ähnlicher Weise entstehen von tuberculösen Dannge¬ 
schwüren aus Miliartuberkel in der Serosa des Darms und in den 
Mesenterialdrüsen. Bei der allgemeinen Miliartuberculose kann die 
Tuberkeleruption, die wir am einfachsten als die Folge von kleinen 
Embolieen mit infectiösem Material deuten können, in allen mit Blut¬ 
gefässen verseheuen Organen erfolgen; die Miliartuberkel finden sich 
besonders häufig in der Milz, den Nieren, der Leber, in den serösen 
Häuten und namentlich auch in den weichen Gehirnhäuten; auch 
die allgemeine Eruption von Tuberkeln in der Pleura und in den 
Luugen, wenn dabei zugleich die von den ursprünglichen Herden 
weit entfernten Stellen betroffen werden, ist gewöhnlich auf all¬ 
gemeine Miliartuberculose zu beziehen. Das Auftreten der Miliar¬ 
tuberkel äussert sich zuweilen durch Störungen in den betroffenen 
Organen: in den weichen Gehirnhäuten kommt es bei reichlicher 
Tuberkeleruption meist zu Meningitis tuberculosa, die unter den 
gewöhnlichen Erscheinungen der Meningitis basilaris verläuft; Tu¬ 
berkel in der Milz können Anschwellung des Organs, Tuberkel in 
den Nieren Albuminurie bewirken, bei Miliartuberculose der Pleura 
können Reibungsgeräusche entstehen, eine reichliche Eruption von 
Miliartuberkeln in der Lunge hat ausgedehnte katarrhalische Er¬ 
scheinungen und stärkere Dyspnoe zur Folge, in der Chorioidea des 
Auges können in vereinzelten Fällen die Miliartuberkel durch ophthal¬ 
moskopische Untersuchung nachgewiesen werden. Mit dem Auf¬ 
treten der allgemeinen Miliartuberculose pflegt eine Steigerung des 
Fiebers zu erfolgen, und besonders häufig wird dadurch auch der 
Typus des Fiebers verändert, indem dasselbe, abweichend von der 
gewöhnlichen Febris hectica. bei welcher am Abend die Temperatur 
gesteigert, am Morgeu annähernd normal zu sein pflegt, umgekehrt 
am Morgen höher ist als am Abend. Dieser sogenannte Typus in- 
versus kommt iu der That bei allgemeiner Miliartuberculose so 
häufig vor, dass er diagnostisch verwerthet werden kann; doch kaun 
er ausnahmsweise auch vorhanden sein, ohne dass allgemeine Mi¬ 
liartuberculose besteht. Durch das Auftreteu von allgemeiner Miliar- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


856 


tnberculose wird der Zustand des Kranken beträchtlich verschlimmert; 
eine Meningitis tubercnlosa führt gewöhnlich bald /.um Tode; und 
auch in den Fällen, in welchen die Gehirnhäute frei bleiben, wird 
in der Kegel der Verfall in hohem Grade beschleunigt; doch giebt 
es einzelne Fälle, in welchen nach einiger Zeit wieder ein Stillstand 
oder selbst eine vorübergehende Besserung des Zustandes .stattfindet. 

Im Verlaufe der Phthisis kommen in manchen Organen auch 
noch secundäre Veränderungen zu Stande, die nicht zur Tnberculose. 
sondern zu den nicht-speeifischen Folgezuständen gehören (vgl. 
Vorlesungen. Bd. I. S. 40). Die Leber ist häufig eine Fettleber 
niederen oder höheren Grades; sie zeigt dementsprechend während 
des Lebens eine mehr flache Vergrösserung von weicher Consistenz. 
Es ist diese Veränderung nicht, wie es gewöhnlich geschieht, zur 
fettigen Infiltration zu rechnen, sondern, wie dies bei der Besprechung 
der Leberkrankheiten näher zu begründen sein wird, zur chro¬ 
nischen fettigen Degeneration. Seltener und meist nur dann, wenn 
chronische Eiterung in der Lunge lange bestanden hat. oder wenn 
chronische Kuocheneiterungen vorhanden waren, zeigt die Leber die 
Veränderung, welche als speckige oder amyloide Degeneration be¬ 
zeichnet wird, und dann ist damit häufig die entsprechende Ver¬ 
änderung in der Milz, den Nieren und zuweilen auch in den Lymph- 
driisen und den Darinzotten verbunden. Die Leber ist dabei ver- 
grössert. und zwar gleichzeitig im Dickendurchraesser. die Consistenz 
ist fest, die Oberfläche glatt, ln den Nieren besteht häufig ein ge¬ 
wisser Grad von chronischer parenchymatöser Degeneration der 
Corticalsubstanz und zuweilen auch amyloide Degeneration der Ge- 
fässschlingen der Glomeruli. Beide Zustände haben Eiweissgehalt 
des Harns zur Folge. Die meisten Organe des Körpers zeigen einen 
mehr oder weniger hohen Grad von Atrophie, so namentlich auch 
die willkürlichen Muskeln und das Herz; das Blut uud namentlich 
die Tothen Blutkörperchen sind in beträchtlichem Maasse vermindert. 
In der Schädelhöhle wird der durch Atrophie des Gehirns frei 
werdende Raum durch Vermehrung der Parenchymflüssigkeit und 
durch intracranielles Oedem ausgefüllt. Häufig kommen in der 
letzten Zeit auch noch oedematöse Anschwellungen der unteren 
Extremitäten zu Stande, die zuweilen von Thrombose der Vena 
cruralis herrühren, in anderen Fällen aber von der Herzschwäche 
abhängig sind und durch die Hydraemie begünstigt, werden. 

Der Verlauf der Krankheit ist bei den gewöhnlichen Fällen 
ein langwieriger. Die Krankheit erstreckt sich meist über mehrere 
Jahre und nicht selten bei Krankeu, welche sich eiuer guten Be¬ 
handlung und Pflege erfreuen, über ein oder mehrere Jahrzehnte, 
ln vielen Fällen findet eine stetige Verschlimmerung statt; aber es 
kann auch in jedem Stadium der Krankheit ein Stillstand eintreteu, 
und selbst eine vorübergehende oder auch andauernde Besserung des 
Zustandes. 

Die Prognose ist im allgemeinen als ungünstig zu bezeichnen; 
alter sie ist doch viel weniger ungünstig, als man dies in früheren 
Zeiten anzunehmen pflegte, und als es noch jetzt von manchen 
Aerzten angenommen wird. Von entscheidender Bedeutung für die 
Prognose ist das Stadium der Krankheit. Bei einer Phthisis incipiens, 
bei der noch keine nachweisbare Infiltration vorhanden ist, kann 
man mit Wahrscheinlichkeit auf Heilung rechnen, wenn der Kranke 
nicht durch erbliche Belastung oder schlechte Constitution stark 
disponirt ist. und wenn er in der Lage ist, für seine Gesundheit 
Alles zu thun. was nöthig ist. Bei einer Phthisis coufirmata sind die 
Aussichten weit weniger günstig; doch kann bei zweckmässigem 
Verhalten häufig noch eine bedeutende Besserung des Zustaudes 
erreicht werden, und in einzelnen Fällen kommt es selbst noch zur 
Heilung. Namentlich kann von den Infiltrationen, so weit sie auf 
einfacher chronischer Pneumonie beruhen, noch manches Stück re- 
sorbirt werden. Im übrigen ist bedeutende Besserung oder selbst 
Heilung um so eher zu hoffen, je mehr in den befallenen Luugen- 
bezirken interstitielle Pneumonie und Schrumpfung der Lunge zu 
Staude kommt. In vielen Fällen freilich endigt der oft Jahre lang 
mit einem gewissen Erfolg fortgesetzte Kampf gegen die Krankheit 
schliesslich dennoch mit einem weiteren Fortschreiteu derselben, 
dem der Kranke erliegt. Aber selbst in Fällen, in welchen schon 
Cavernen nachweisbar sind, ist ein längerer Stillstand der Krank¬ 
heit und selbst eine definitive Heilung noch nicht ganz unmöglich; 
dieselbe erfolgt ebenfalls durch interstitielle Pneumonie uud Verödung 
des befallenen Lungeuabsehnitts. Im Stadium der Phthisis eonsum- 
mata sind die Aussichten äusserst ungünstig. Zwar können sowohl 
tnberculose Kehlkopfgeschwüre als Darmgeschwüre für sich in ein¬ 
zelnen Fällen noch zur Heilung kommen, und auch bei allgemeiner 
Miliartubereulose ist vielleicht eine Heilung noch nicht absolut un¬ 
möglich; aber wenn mehrere dieser Erkrankungen neben einander 
bestehen, und ausserdem noch eine vorgeschrittene Lungentuberculo.se 
vorhanden ist. so ist Heilung fast sicher ausgeschlossen, und selbst 
Besserungen von längerer Dauer kommen nur selten vor. 

In früheren Zeiten wurde ein Kranker, bei welchem Lungenschwind¬ 
sucht oder Tubcrculose uachgewiesen war, als unrettbar dem Tode ver¬ 


fallen angesehen. Die Aerzte, welche die Tuberculose als eine Neubildung 
betrachteten, waren zum Theil der Ansicht, dass dieselbe der Therapie 
eben so wenig zugänglich sei als das Carcinom; und selbst diejenigen 
Aerzte, welche die Möglichkeit der Heilung behaupteten, gestaudeu zu, dass 
dieselbe als eine ausserordentliche Seltenheit zu betrachten sei. Noch 
Schönlein (1837) meinte, dass von 50—CO Phthisikern kaum eiuer genese. 
Diese Ansicht änderte sich, seitdem man häufiger Sectionen machte un-l 
dabei nicht selten als zufälligen Befund in den Lungen Narben oder ver¬ 
kalkte Herde antraf, welche als Ueherbleibsol von alten tuberculösen Herden 
gedeutet werden mussten, l'nd seitdem man durch die Fortschritte der 
Diagnostik in den Stand gesetzt war, auch ein frühes Stadium der Lungen¬ 
schwindsucht zu erkenuen, hat mau sich überzeugt, dass die Fälle von 
Heilung sogar recht häufig sind. Ueberhaupt ist die Vorstellung von der 
besonderen Bösartigkeit der Tuberculose durch die neueren Erfahrungen 
bedeutend eingeschränkt worden. An gewissen Stellen, z. B. in der Haut 
(Lupus), im Knochen, im Bindegewebe (kalte tuberculose Abscesse), in den 
Lymphdrüsen (Scrofulose), im Hoden kann sie Jahre oder selbst Jahrzehnte 
lang als rein locale Krankheit bestehen, ohne das Allgemeinbefinden des 
Kranken wesentlich zu beeinträchtigen; sie kann daselbst spontan ausheilen, 
und die chirurgische Entfernung des Krankheitsherdes hat sehr häufig voll¬ 
ständige und dauernde Genesung zur Folge. Die Vorstellung von der beson¬ 
deren Bösartigkeit der Tuberculose war wesentlich dem Verhalten der Lungen- 
tuberculose entnommen. Aber auch in der Lunge kommen kleinere tuberculöse 
Herde sehr häufig zur Heilung, und dass dies bei grösseren Herden so selteu 
geschieht und jedenfalls seltener als in den meisten anderen Organen, ist 
nicht schwer aus dem besonderen anatomischen und physiologischen Ver¬ 
halten der Lunge zu erklären. Dabei kommt namentlich in Betracht einer¬ 
seits die besondere Leichtigkeit, mit welcher durch Aspiration von Zerfalls- 
producten die Krankheit auf immer grössere Abschnitte der Lunge ver¬ 
breitet werden kann, und andererseits der Umstand, dass die Lunge niemals 
dauernd ausser Function gesetzt werden kann, vielmehr die kranken Stellen 
in derselben immerfort einer mechanischen Insultation durch Zerrung unter¬ 
liegen. Ein beliebiges Geschwür in der Hohlhand würde bei einem Arbeiter, 
der immer den Hammer zu schwingen genöthigt wäre, wohl eben so schwer 
zur Heilung kommen. Auch das Allgemeinwerden der Krankheit und die 
Entstehung der allgemeinen Miliartuberculose durch Aufnahme des Krank¬ 
heitsgiftes in das Blut erfolgt von der Lunge aus leichter als von an¬ 
deren Organen, wahrscheinlich deshalb, weil der grosse Reichthum der 
Lunge au verhältnissmässig weiten und dünnwandigen Blutgefässen leichter 
Gelegenheit zum Einbrechen von Zerfallsproducten in das Innere der Blut¬ 
gefässe giebt. — In der That ist die Prognose in dem .Stadium der Krank¬ 
heit, welches die älteren Aerzte uud noch jetzt die Laien als Schwindsucht 
zu bezeichnen pflegen, und welches etwa einer ausgebildeten Phthisis con- 
firmata oder gar consummata entspricht, eine recht ungünstige: dagegen 
kann sie bei einer Phthisis incipiens noch als relativ günstig bezeichnet 
werden, und zwar um so mehr, je früher dieselbe erkannt und in passender 
Weise behandelt wird. Freilich wird der Ar/t. wenn er die hegiuuende 
Phthisis möglichst früh erkennt und es durchsetzt, dass sofort die Lebens¬ 
weise, die Beschäftigung, der Aufenthaltsort in durchgreifender Weise ge¬ 
ändert werden, nicht immer auf Dank rechnen dürfen. Entweder es wird 
vollständige Heilung erzielt, und dann kann es geschehen, dass der Kranke 
und seine Angehörigen später zweifeln, oh denn alle diese beschwerlichen und 
kostspieligen Maassregeln wirklich nothwendig gewesen seien; oder die 
Krankheit nimmt trotz aller Bemühungen dennoch einen ungünstigen Ver¬ 
lauf, und dann wird der Fall als Beweis dafür angesehen, dass alle diese 
eingreifenden Maassregeln nutzlos seien. Selbstverständlich wird der Arzt 
sich durch solche Erwägungen in keiner Weise beeinflussen lassen. Die 
Erfahrung lehrt, dass, wer bei seiner ärztlichen Thätigkeit auf Dank aus¬ 
geht, sich sehr häufig getäuscht sieht, wer aber unbekümmert um das 
Urtheil des Publicums seine Pflicht thut, mehr Dank zu ernten pflegt, als 
er selbst verdient zu haben glaubt, l'nd wer Alles aufbietet, um die 
Phthisis möglichst früh zu erkennen und zweckmässig zu behandeln, wird 
die Genugtuung haben, dass eine grosse Zahl von Kranken geheilt wird, 
die bei Anwendung geringerer Sorgfalt bald unrettbar verloren geweseu 
wären. 


YI. Ueber Syphilisbehandlung. 

Zusaininenfasscndcr Bericht über die neuesten Erscheinungen auf diesem 

Gebiete. 

Von Dr. Max Joseph in Berlin. 

Dem praktischen Arzte, welcher heutzutage unmöglich den 
verschlungenen Pfadeu der verbesserten Methoden einzelner Special- 
gebiete folgen kann, dürfte es stets willkommen sein, wenn ihm 
von Zeit zu Zeit über die Fortschritte einer Disciplin. mit Hinweg¬ 
lassung alles Nebensächlichen und unter Betonung des vorwiegend 
Praktischen, Bericht erstattet wird. Aus diesem Grunde entspreche 
ich gern einem Wunsche der geehrten Redaction, die neuesten 
Arbeiten, die sich mit der Syphilisbehandlung befassen, einer kurzen 
Besprechung zu uuterziehen. 

Bei der Syphilis ist gerade die Art und Weise der ersten 
Behandlung von grösstem Einflüsse auf den späteren Verlauf <> er 
Erkrankung, uud der Arzt wird die besten Erfolge erzielen, welcher 
mit den kleinsten Einzelheiten der betreffenden Methoden auf da> 
beste vertraut ist. Denn das muss gleich von vornherein beton 
werden, alle neueren Fortschritte knüpfen sich nur an die * er " 
besserung der Methode der Quecksilbereinführung in den Organismus. 
Das Quecksilber ist und bleibt bisher noch immer das specinscbe 
Heilmittel der Syphilis, und alle neueren Abänderungen bezwecken 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


857 


nur, die Methode zu finden, wie mau dem Kranken, ohne ihm zu 
schaden oder ihn auch zu sehr zu belästigen, die genügende Menge Hg 
geben kann, durch welche Recidive der Erkrankung verhütet und 
so das Allgemeinleiden beseitigt wird. 

Dass die Excision des Primäraffectes überall dort nicht zu 
unterlassen ist, wo man sie ohne zu grosse Schwierigkeit ausführen 
kann, begegnet wohl jetzt keinem ernstlichen Widerspruche mehr. 
Da sie in keinem Falle schadet, eher die Vernarbung des Primär¬ 
affectes abkürzt, so wird man von ihr in der That nur da ab¬ 
stehen, w'o das Operationsterrain ein zu schwieriges ist, z. B. an 
der Glans penis selbst. Freilich sind die späteren Resultate, das 
eventuelle Ausbleiben von Secundärerscheinungen, noch immer 
zweifelhaft. Beacktenswerth scheint aber nach dieser Richtung eine 
Beobachtung Bock hart’s, welcher eine gewisse constante Beziehung 
zwischen dem Erfolge der Schankerexcision und der Art des ex- 
cidirten Schankers bemerkt zu haben glaubte. Er fand nämlich, 
dass nur nach der frühzeitigen Entfernung von Indurationen, welche 
sich im Anschlüsse an einen weichen Schanker entwickelten, Sy¬ 
philis ausblieb, während dem Auftreteu von primären Papeln, 
selbst wenn sie noch so frühzeitig excidirt wurden, stets Secundär- 
erscheiuungen folgten. Es wird gut sein, auf diesen Punkt weiter 
zu achten. Leider ist es dem Einzelnen ausserordentlich schwer, 
derartige Beobachtungen auf einen längereu mehrjährigen Zeitraum 
auszudehnen. Natürlich können sie nur dann wissenschaftlichen 
Werth beanspruchen. Aus diesem Grunde ist ein Urtheil über die 
von einigen Seiten geäusserte Ansicht nicht zu leicht zu gewinnen, 
ob die der Excision folgende Syphilis auffallend milde verlaufe. 
Referent möchte sich nach seinen eigenen Erfahrungen, natürlich 
unter Reserve, da der beobachtete Zeitraum von 2—3 Jahren noch 
ein zu kurzer sein dürfte, dem anschliessen. In jedem Falle ist 
die Excision des Primäraffectes oder auch die Cauterisation mit 
Paquelin anzurathen. 

Schwieriger ist die Frage der Weiterbehandlung der constitu¬ 
tioneilen Syphilis zu beantworten. Hier stehen sich zwei Ansichten 
diametral gegenüber. Die Anhänger der älteren Schule warten erst 
das Auftreteu sogenannter secundärer Erscheinungen ab, bis sie den 
Feldzugsplan gegen die Erkrankung eröffnen. Andere dagegen be¬ 
ginnen in dem Gedanken, dass man einer Infectionskrankheit so 
früh wie möglich begegnen müsse, sofort nach Constatirung des 
syphilitischen Initialaffectes die Allgemeincur. Welche von beiden 
Lehren Recht hat, lässt sich heutzutage noch nicht entscheiden. 
Eine gute Statistik würde gewiss hier belehrend wirken können. 
Bisher besitzen wir aber noch keine. So wird es noch immer 
jedem Einzelnen überlassen bleiben, welcher von beiden Richtungen 
er sich anschliessen will. Die eine hat so viel für sich wie die andere. 

In beiden Fällen aber tritt an den Arzt die Frage heran, 
welcher Methode er sich bei der Einführung des Hg in den Or¬ 
ganismus für die betreffenden Kranken bedienen will. Ausser der 
iuneren Darreichung, von welcher wir hier vorläufig absehen wollen, 
streiten sich nur zwei Methoden um den Vorrang, die percutane 
Inunction und die subcutane resp. intramusculäre Injection. Es ist 
bekannt genug, dass nur allein die Unbequemlichkeiten der ersteren 
Methode dazu drängten, die zweite zu begünstigen, da man mit den 
Erfolgen der Einreibungen vollauf zufrieden war, während die 
der Injectionen noch erst zu beweisen waren, wenn sie zur allge¬ 
meinen Anwendung kommen oder gar die Einreibungen ganz ver¬ 
drängen sollten. Aus Bequemlichkeitsgründen allein wäre es nicht 
gestattet, falls die Erfolge ungünstiger wären, die Injectionsmethode 
zu bevorzugen. 

Zunächst wurden die löslichen Quecksilberverbindungen in 
Anwendung gezogen, meist NaCl-Sublimatlösung. Wurde aber 
einmal schnelle Hülfe in einem ernsten Krankheitsfalle nothwendig, 
so kam man doch noch immer — trotz der angeblich genauen Be¬ 
stimmung der mittelst den Injectionen eingeführten Hg-Menge — auf 
die alte Einreibungscur zurück. Mit Recht, denn empirisch wusste 
man, dass sie schwere Krankheitserscheinungen besser als jede 
andere beseitigt. 

Nun scheint sich aber seit einigen Jahren ein kleiner Wandel 
zu vollziehen. Nicht als ob man die Inunctionen ganz verdrängen 
wollte, aber die Injectionsmethode steht doch im Begriffe, sich ein 
grösseres Terrain als früher zu erobern. Man fängt nämlich jetzt 
an, unlösliche*Hg-Verbindungen in den Körper einzuführen. Der 
Zweck hierbei würde sein, dass erst im Körper selbst eine Spaltung 
vor sich gehe, und so in statu nascendi das Hg auf das syphilitische 
Virus ein wirke, zugleich erhoffte man hierdurch eine langsamere 
Aufnahme und grössere Wirksamkeit. Daneben ist auch zu beachten, 
dass man auf diese Weise grössere Hg-Meugen in längeren Zwischen¬ 
räumen einführt. 

Der erste, welcher einen derartigen Vorschlag machte, war 
Scarenzio, und zwar injicirte er Calomel. Indess konnte man 
sich wenig mit dieser Idee befreunden, da die Beschwerden nach 
den Injectionen doch zu grosse waren. Die Patienten gaben der 


heftigen Schmerzen, und die Aerzte der häufigen Abscesse wegen 
die Methode auf. Auch Neisser, der eifrigste Verfechter dieser 
Methode in Deutschland, konute sich zuerst, so lange er das Calomel 
in Salzwassersuspension verwandte, keiner grossen Erfolge rühmen. 
Erst, seitdem er das Calomel in Oelsuspension zur Injection vor¬ 
schlug, wurde die Methode mehr Allgemeingut, da sie nun viele 
ihrer Nachtheile eingebüsst hatte. Neisser verweudet das Calomel 
in folgender Weise: 

Rec. Calom. vapor. parat. 1,0 
01. Olivar. pur. 10,0. 

DS. Vor dem Gebrauche stark zu schütteln. 

Hiervon wurdeu am besten wöchentlich je ein Mal oder alle 
zwei Wochen je zwei Injectionen auf einmal, und zwar im Ganzen 
4—6 Injectionen ä 0,1 Calomel, gemacht. 

Aeusserlich bequem ist also diese Anwendungsweise, und noch 
mehr wird man sich ihr zuneigen, wenn man hört, dass die 
Schmerzhaftigkeit nach den Injectionen eine ziemlich geringe, und 
Abscesse gauz vermieden werden können. Zu diesem Zw'ecke 
kommt es sehr viel auf die individuelle Geschicklichkeit und 
Uebung des Arztes an, der alte Boerhave’sche Satz: „Abstiue, 
si methodura nescis“ verdient auch hier die vollste Beachtung. 

Zunächst ist es gut, sich mit längeren Nadeln, als sie die ge¬ 
wöhnlichen Pravaz’sehen Spritzen haben, zu armiren. Man in- 
jicire in Bauchlage, und zwar direkt in die Glutäalmuskulatur, da 
die Injectionen intramuskulär und nicht hypodermatisch zu machen 
sind. 

Es dürfte sich empfehlen, nach der von Reinhardt in dieser 
Wochenschrift angegebenen Weise, zuerst die gut desiuficirte Nadel 
mit reinem Olivenöl ohne Calomel anzufüllen, nach dem Einstich 
die Spritze mit der Calomelölsuspension zu füllen uud zu iujiciren, 
zuletzt noch einige Tropfen reinen Olivenöls nachzuspritzen, damit 
sich kein Calomel in den Stichcanal entleere. Gut ist es übrigens, 
zu den Mahlzeiten immer reichlich Kochsalz zusetzen zu lassen, um 
die Umwandlung in Sublimat zu befördern. Nur bei eintretendem 
Durchfall muss man davon absehen. 

Eine nur unwesentliche Modification stellt die von Balzer be¬ 
liebte Suspension des Calomel in reinem Vaselinöl (0,1:1,2) dar. 
Smirnoff suspendirt die Substanz in klarem, dickem Glycerin und 
macht die Injection in das subcutane Zellgewebe des Glutäus circa 
3 cm unter dem Trochant. maj., wo sich eine deutliche teller¬ 
förmige Einseukung befindet. 

Die zweite unlösliche Quecksilberverbiudung, welche vielleicht 
eine gewisse Zukunft hat, ist das von Watraszewski zuerst vor¬ 
geschlagene Hydr. oxyd. flav., von welchem ebenfalls 4 — 6 Injec¬ 
tionen ä 0,04 — 0,06 in wöchentlichen Intervallen zu machen sind. 
Die Quecksilberoxyde enthalten den grössten Procentsatz an Hg, so 
dass zur Entfaltung ihrer Wirkung geringere Mengen nothwendig 
sind. Dazu kommt das leichte Zersetzungsvermögen und die ge¬ 
ringe örtliche Reaction. Diese letztere fallt am geringsten aus, 
wenn die Glutäalmuskulatur sich im Zustande der Erschlaffung be¬ 
findet, die Injectionsflüssigkeit erwärmt, und das Eindringen der 
Flüssigkeit in den Stichcanal durch Druck in die Tiefe vermieden 
wird. Am besten suspendirt man auch dieses Medicament in 01. 
Olivarum oder 01. Amygdal. 

Welcher Vorgang sich an den Injectionsstellen abspielt, dafür 
geben uns zwei von Balzer und du Castel zufällig ausgeführte 
Autopsieen einen Anhalt, welche allerdings gerade zu entgegen¬ 
gesetzten Resultaten führten. Balzer behandelte eine Frau, welche 
an ausgedehnten gummösen Gaumenulcerationen litt, mit 4 Injec¬ 
tionen Calomel und Hydr. oxyd, flav., ohne dass sich eine locale 
Reaction zeigte. Die Ulcerationen heilten rapide, aber die Frau 
starb an einer Phthise, und bei der Section fanden sich an den 
Injectionsstellen kleine nekrotische Heerde, welche eine eiterig aus¬ 
sehende Flüssigkeit enthielten, in der sich viel Fett und Trümmer 
von elastischem und Bindegewebe befanden. Wenn Balzer hier¬ 
nach glaubt, dass schon die Möglichkeit des Auftretens solcher Ne¬ 
krosen gegen die Calomelinjectionen einnehmen müsse, so wird 
durch die Beobachtung du Castel’s erwiesen, dass die intra¬ 
muskulären Injectionen von Calomel und Hydr. oxyd. flav., selbst 
wenn sie von entzündlichen Erscheinungen gefolgt waren, doch 
nicht die geringste Veränderung hinterlassen. In jenem Falle Bal- 
zer’s ist deshalb wohl die Constitutiousanomalie für den 
schlechten Zustand in Anspruch zu nehmen, und bei Tuberculösen 
speciell grosse Vorsicht geboten. 

Wie schon berichtet, sind die localen Reactionserscheinungen 
mit diesen verbesserten Methoden gerade keine allzugrossen, so dass 
man bei grosser Vorsicht wohl nur selten einen Abscess zu sehen 
bekommt, und gegen die Schmerzhaftigkeit an der Injectionsstelle 
wäre vielleicht der Zusatz von Cocain anzurathen. Die wesent¬ 
lichste Frage, welche sich an die allgemeinere Einführung dieser 
Methode knüpft, ist aber, wie stellt sich der Einfluss auf den 
syphilitischen Krankbeitsprocess dar? 


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858 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


Unterscheiden wir zunächst zwischen dem Einfluss auf den je¬ 
weilig bestehenden syphilitischen Process und auf die späteren 
Recidive. 

Für die Entscheidung des ersten Punktes kommen zunächst ein¬ 
mal die leichteren Formen der constitutiouellen 'Syphilis, z. B. 
Roseola und maculöse Syphilide, nicht in Betracht. Wir wissen, 
dass dieselben sich theils spontan zurückbilden, theils auch bei an¬ 
deren Behandlungsweisen nach kleinen Dosen Hg schwinden. Wie 
verhalten sich aber die schwereren syphilitischen Processe? Hier 
sehen wir nuu, dass sich, ähnlich wie bei allen neuerlich empfoh¬ 
lenen Heilmitteln, bald unter den Beobachtern zwei Lager bildeu, 
eine Anzahl Optimisten und ebenso viele Pessimisten. Die einen 
stellen die Injectionen von Calomel den Inunctionen entweder voll¬ 
kommen ebenbürtig an die Seite oder lassen sie in ihrer Werthig- 
keit der alten Methode unmittelbar folgen. Neisser und seine 
Schüler, denen sich auch Krecke anschliesst, glauben im Wesent¬ 
lichen, dass die Inunctionscur nicht schneller zum Ziele führt. 
Ko pp sah nach 2 — 4 Injectionen die schwersten syphilitischen Er¬ 
scheinungen zurückgehen, uud besonders eclatant schien ihm der Erfolg 
bei Iritis syphilitica. Pontoppidan hat sogar in Fällen, welche be¬ 
sonders refractär waren, und wo andere mercurielle Methoden versagt 
hatten, immer gute Resultate erzielt. Auch Reinhardt hat in dieser 
Wochenschrift von der überraschenden Heilwirkung der Injectionen 
berichtet, und selbst diejenigen, welche, wie Kühn, nicht besonders 
günstig urtheilen, wollen von der weiteren Anwendung nur der 
Absoesse wegen (Salzwassersuspensiou!) Abstand nehmen, rühmen 
trotzdem dieF.rfolge und möchten dasCalomel für die ambulante Praxis 
nicht missen. Nur für die gummösen Processe scheint das Calomel 
von den .lodpräparaten entschieden übertroffen zu werden. 

Das gelbe Quecksilberoxyd steht in seiner therapeutischen Wirk¬ 
samkeit dem Calomel wohl etwas nach. 

Eine andere Partei, zu welcher zunächst die französischen 
Autoren zu rechnen sind, spricht sich über ihre Erfolge nicht so 
günstig aus. So hält Besnier die Wirkung der Calomelinjectionen 
für keineswegs sehr bedeutend und glaubt mit Rücksicht hierauf, 
sowie auf die unangenehmen localen Folgen und die nicht ganz ein¬ 
fache Technik, die Methode den praktischen Aerzten nicht empfehlen 
zu können. Ihm schliesst sich Diday an, welcher leichte papulöse 
Exantheme den Injectionen Wochen laug Widerstand leisten sah. 
Auch Neu mann fand, dass sie in schwereren Fällen keinen Ver¬ 
gleich mit Inunctionen aushalten können. 

Welander begann einige Male mit den Calomelinjectionen, 
bevor sich allgemeinere Symptome zeigten. Zwei Mal trat die Roseola 
schon einige Tage nach der ersten Injection auf. ein Mal stellten sich 
28 Tage nach der letzten Plaques muqueuses im Halse ein, und ein 
Mal trat 87 Tage nach der letzten Injection sehr reichliche Roseola 
auf. Die Sklerosen heilten zwar sehr schnell, die Induration erhielt 
sich aber noch ziemlich lange. 

Bevor wir alsdann auf die Frage der Recidive eingehen, noch 
ein Wort über die bis jetzt vorliegenden Untersuchungen der Hg- 
Ausscheidung. 

Nach Injectionen von 0,2 Calomel wurde Hg bereits 16 bis 
54 Stunden nachher von Landsberg im Urin uachgewiesen. Die 
Menge steigert sich in den nächsten Tagen und erreicht am 3. bis 
5. Tage ihr Maximum, auf dem sie mit geringen Schwankungen 
mehrere Wochen bleibt, um dann allmählich wieder abzunehmen, 
bis der Nachweis schliesslich nicht mehr constant gelingt. Zwei 
Male wurde noch nach 13 resp. 10 Monaten Hg im Urin nachge¬ 
wiesen, so dass die Injectionen ihre Aufgabe, den Körper längere 
Zeit unter Hg-Wirkung zu halten, vollkommen erfüllen. Welander 
fand den Hg-Gehalt im Urin nach spätestens 14—15 Tagen sehr 
gross und beinahe immer so bedeutend, wie kaum bei einer anderen 
Behandlungsmethode. 

Im Allgemeinen zeigt also der Urin einen so bedeutenden Ge¬ 
halt an Hg, wie er nach der Anwendung keiner anderen Methode, 
ausgenommen der mit Hg-Oxyd vielleicht, je gefunden ist. 

Die Vermuthung, dass vielleicht durch den eveut. nach der In¬ 
jection eintretenden Abscess viel Hg dem Körper verloren gehe, 
wird durch die Untersuchungen Dehio’s, welcher nicht einmal V.o 
der Substanz durch die Abscedirung verloren gehen sah, nicht be¬ 
stätigt. Auch Petersen fand in dem Eiter niemals auch nur eine 
Spur von Hg, wenn 3—6 Wochen nach der Injection verflossen 
waren. 

Die Frage der Recidive nach den Injectionen ist eine der 
wichtigsten und eine der am schwersten zu beantwortenden. Es 
liegen darüber auch noch nicht viele Mittheilungen vor, weil die 
meisten Autoren eine bindende Erklärung wegen der zu kurzen 
Beobachtungszeit ablehnen. Im Allgemeinen lässt sich aber auch 
jetzt schon so viel feststellen, dass nach dieser ebensowenig wie 
nach jeder anderen Hg-Behandlung Recidive ausbleiben. Welander 
konnte 24 Male die Patienten lange genug beobachten. Von diesen 
waren 12 niemals vorher mit Hg behandelt worden, 8 von ihnen be¬ 


kamen Recidive, und zwar 50, 53, 63, 85, 91 und 100 Tage nach 
der letzten Calomelinjection, doch waren säramtliche Recidive gelind. 
Das siud also 67% Recidive. Unter den 12 Patienten, welche schon 
vorher Hg in einer oder der anderen F'orm erhalten hatten, trat in 
der verhältnissmässig kurzen Beobachtungszeit schon bei 4 ein Re- 
cidiv auf. Im Grossen und Ganzen schätzt Welander die Zahl 
der Recidive auf 50%. Diese Resultate stimmen ungefähr mit 
denen, welche im Garuisonkrankenhause zu Stockholm von Dr. 
Lundberg erzielt wurden. 

Welander kommt daher ganz richtig zu dem Schlüsse, das« 
wir in den Calomelinjectionen — und das gilt auch für das Hg-Oxyd 
— eine sehr wirksame Methode haben, dass sie aber ebensowenie 
wie irgend eine audere die Krankheit vollständig zu heben vermag 
Die Frage, ob Recidive rascher nach den Injectionen als nach den 
Einreibungen auftreten, kann nur durch eine grosse vergleichende, 
auf einen Zeitraum von vielen Jahren ausgedehnte Statistik endgültig 
entschieden werden. Ebenso bedarf es zur Beantwortung der Frag?, 
nach welcher von beiden Behandlungsarten die Recidive schwerer 
verlaufen, noch eines grösseren, länger beobachteten und besser ge¬ 
sichteten Materials, als es bis jetzt vorliegt. 

Schliesslich noch die Mittheilung, dassSzadek eine von Gam- 
berini empfohlene Verbindung, das Hydrarg. carbol. oxyd. injicirt. 
(Rp. Hydrarg. carbol. oxyd. 2,0, Mucilag. gummi arab. 4,0, Aq. 
dest. 100,0. DS. alle 2—3 Tage 1 Spritze.) In seinem Werth* 
scheint es die bekannteren Hg-Verbindungen, vor Allem das Sublimat, 
nicht zu übertreffen. 

Lustgarten injicirt Hydr. tannic. oxydul. 2,0 (10,0 Vaselin) 
mit gutem Erfolg. 

Ueber das von Lang zu Injectionen empfohlene 01. einer, 
liegen noch zu wenig Erfahrungen vor. 


VH. Referate und Kritiken. 

M. Hoftneier. Grundriss der gynäkologischen Operationen. 

Leipzig und Wien, Franz Deuticke, 1888. Ref. Flaischleo. 

Es ist der Wunsch Carl Schroeder’s gewesen, dass die 
operativen Grundsätze, die er vertrat und an einem sehr reichen 
Material erprobt hatte, einmal in einheitlicher Weise zusammen- 
gefasst würden. Auf seine Veranlassung hin hatte Hofmeier eine 
operative Gynäkologie zu schreiben begonnen. Das nach dem Tode 
seines Lehrers nun von Hoftneier beendete Lehrbuch giebt dem 
Leser in vieler Hinsicht ein getreues Bild von den Lehren und An¬ 
sichten Schroeder’s und beansprucht so von vornherein einen mi 
besonderen Werth. 

Der Besprechung der einzelnen Operationen hat Hofmeier 
einen „allgemeinen Theil“ voraufgeschickt. In demselben werden 
auf sehr anschauliche und klare Weise hauptsächlich dargestellt: 
die Antisepsis bei gynäkologischen Operationen, wie sie an der 
Scbroeder’schen Klinik ausgebildet worden war, die Wundnaht 
einzelne Verbände, wie sie namentlich nach der Laparotomie in 
Anwendung kommen, ferner den speciellen Operationen vorher¬ 
gehende vorbereitende Eingriffe an der Scheide, dem Uterus, der 
Blase und dem Mastdarm. 

Der zweite — besondere Theil — des Lehrbuches beginnt 
mit der Besprechung der Operationen an den äusseren Gescblechts- 
theilen. 

Unter den Methoden, welche zur Operation des veralteten 
Dammrisses gegeben sind, gebührt der Simon’schen triangu¬ 
lären Anfrischung als dem einfachsten und natürlichsten Verfahren 
der Vorzug. Zur Ausführung derselben ist in der letzten Zeit an 
der Schroeder’schen Klinik die fortlaufende Catgutnaht au>- 
schliesslich in Anwendung gekommen, stets mit ausgezeichnetem 
Erfolge. 

Die Indication zur Prolapsoperation sieht Hofroeier m 
solchen Fällen gegeben, wo durch unvollkommen geheilte, bis zu® 
Mastdarm gehende Dammrisse die Scheide zum weiten Klaffen ge¬ 
bracht, ferner in solchen, bei denen in Folge starker Erschlaffung der 
ganzen Weichtheile des Beckenausganges jeder Halt für ein etw 
anzuwendendes Pessar fehlt. Kolporrhaphia anterior mit eventuel l 
gleichzeitiger Entfernung des Cervix und Kolpoperineorrhaphia werde 
als die besten Operationsmethoden anerkannt. Hofmeier warn - 
das Operationsfeld mit zu starken desinficirenden Lösungen zu irn 
giren, die Prima intentio wird dadurch leicht vereitelt. Filtrirte?. 
keimfreies Wasser ist die beste Spülflüssigkeit. Die fortlaufen 
Catgutnaht ist auch hier die geeignetste Nahtmethode. 2— 3 " oc . 
müssen die Kranken das Bett hüten, damit der Erfolg der Oper* 
ein bleibender sei. Die Dauererfolge sind nicht untersehiedslo^^ ^ 
namentlich nicht in den Fällen, in denen es sich um Erschuf ^ 
der Bauchfellbefestigungen handelte. Die 
bleibende Heilung des Prolapses giebt 
sich um isolirte Erschlaffungszustände des 
bandelt. 


i beste Prognose w »• 
die Operation, wenn ' 

Scheidenschlussappar 3 * 6 - 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


In der Besprechung der Fisteloperationen lehnt sich Hof¬ 
meier wesentlich an die von Gustav Simon gegebenen Vorschriften 
an. Um hochliegende und durch Narbengewebe verlagerte Fisteln 
gut zugänglich zu machen, schlägt er vor, anstatt der Bozemanu- 
schen Dilatatorien die Vagina mit Jodoformgaze zu tamponiren und 
so allmählich zu erweitern. In 2 Fällen hat Hofmeier Ausser¬ 
ordentliches damit erreicht. 

Scheidencarcinome siud nicht so ganz selten, wie gewöhn¬ 
lich angenommen wird, die Prognose ders Iben ist fast durchweg 
eine schlechte. 

Zur operativen Behandlung der Stenose des Muttermundes 
zieht H ofm ei er der einfachen Discision die keilförmige Excision der 
Cervixschleimhaut vor; die endgültigen Erfolge sind bei Anwendung 
des letzteren Verfahrens sicherer. Die Emmet’sche Operation (An¬ 
frischung und Naht der Cervixrisse) ist nur bei tiefen Cervixrissen 
angezeigt, bei deu mittleren Gradeu von Zerreissuug und bei nicht 
mit entzündlichen Processen complicirten Zuständen ist sie nicht 
nothwendig. 

Sehroeder verband in Fällen von Ectropionirung der Lippen 
durch Cervixrisse und hochgradigem Cervixkatarrh die Emmet’sche 
Operation mit der keilförmigen Excision. So gab er der Portio ihre 
normale Form wieder, entfernte die am meisten krankhaft verän¬ 
derten Theile und ersparte so die ganze Zeit der Vorbehandlung, 
wie sie für die Emraet’sche Operation nothwendig ist. 

Ausführlich wird die von Sehroeder angegebene supra¬ 
vaginale Amputation des Cervix beschrieben. Dass diese 
Operation, deren Gefahr bei strenger Asepsis eine geringe ist, aus¬ 
reicht, um gewisse Formen des Carcinoms der Portio vaginalis voll¬ 
ständig zu heilen, hält Hofmeier auf Grund seiner Mittheilung 
(Beil. klin. Wochenschrift 1885) für erwiesen. Die Verwerfung 
dieser Operation zu Gunsten der ausschliesslichen Totalexstirpation 
des Uterus hält er wissenschaftlich für unbegründet. 

Unter den Indicationen, welche die Ausschabung des Uterus 
erfordern, hebt Hofmeier diejenige hervor, welche in der genauen 
anatomischen Diagnose der entfernten Theile mit Hülfe des Mikro¬ 
skops besteht, und welche namentlich durch die unermüdlichen 
Arbeiten CarlRuge’s wissenschaftlich begründet ist. „Ich selbst, 
sagt Hofmeier, habe zu oft Gelegenheit gehabt, mich von der 
Zuverlässigkeit dieser Methode zu überzeugen, als dass ich sie nicht 
für eine ausserordentlich werthvolle und in manchen Fällen gar 
nicht zu ersetzende Bereicherung unserer diagnostischen Hülfsmittel 
halten müsste.“ 

Mit Berücksichtigung der heutigen guten Erfolge derMyomo- 
tomie werden für diese Operation folgende Indicationen aufgestellt: 

1. Absolute Grösse der Myome, resp. cystische Entartung der- 
derselben. 

2. Starke andauernde und durch eiue andere Behandlung nicht 
zu beseitigende Blutungen. 

3. Schnelles Wachsthum, besonders in jüngeren Jahreu. 

4. Behinderung der Erwerbsfähigkeit durch die Geschwulst 
an sich. 

5. Krankhafte und für das Allgemeinbefinden bedrohliche Zu¬ 
stände, welche durch die Geschwülste an sich unterhalten oder her¬ 
vorgerufen werden. 

6. Einige seltenere Complicationen, wie z. B. Schwangerschaft 
oder Verjauchung grosser Myome. 

Die gründliche Desinfection der Uterushöhle, des Cervix und 
der Scheide vor jeder vorzunehmenden Myomotomie ist unerlässlich. — 
Hofmeier beschreibt sehr eingehend die Ausführung der intraperito¬ 
nealen Methode, die Versenkung des Stieles in die Bauchhöhle, wie 
sie bei dem verschiedenen Sitz der Geschwülste zur Anwendung 
kommt, — die von Sehroeder ausgebildete Etagennaht des Stieles, 
ferner die Euucleation der subserös liegenden Myome. Für der¬ 
artige nicht zu complicirte Fälle hält Hofmeier eine Drainage der 
Wundhöhle, aus der die Myome ausgeschält sind, nicht für noth¬ 
wendig. Wird in schwierigeren Fällen eine Drainage für nöthig be¬ 
funden, dann ist der Scheidendrainage diejenige Hegar’s durch 
den untersten Wundwinkel vorzuziehen. — Die Methode von 
A. Martin, nach Ausführung der Laparotomie einzelne Myome aus 
dem Uterus selbst zu enucleiren, um so vollkommen normale Ver¬ 
hältnisse zurückzulasseu, will Hofmeier nur für die Fälle reservirt 
wissen, in denen es sich um gauz junge Frauen handelt, bei denen 
die Möglichkeit der Conception noch nicht ganz ausgeschlossen er¬ 
scheint, in denen man ferner die Ueberzeugung hat, mit den aus¬ 
geschälten Myomen auch alles Krankhafte entfernt zu haben. In 
der Beschreibung der extraperitonealen Methode der Stielversenkung 
hält sich Hofmeier an die Vorschriften von Hegar und Kalten¬ 
bach. 

Die Prognose der Myomotomie hat sich gegen früher ausser¬ 
ordentlich verbessert. Denuoch ist die Operation eine schwierige 
uud gefahrvolle geblieben, und es ist im Einzelfalle eine genaue 


85'.» 


Abwägung der Beschwerden einerseits, der Gefahren der Operation 
andererseits dringend erforderlich. 

Hofmeier hofft, wie dies Sehroeder zu wiederholten Malen 
ausgesprochen hat, dass durch die Vervollkommnung der Technik 
der Antisepsis und der Uterusnaht die intraperitoneale Methode als 
die einfachste uud natürlichste deu endgültigen Sieg davontragen 
wird. 

Die Totalexstirpation des Uterus per vaginam ist bei der 
heute ausgebildeten Technik und der günstigen Prognose der Ope¬ 
ration nicht allein mehr bei lebensgefährlichen Erkrankungen (Car- 
cinom) berechtigt, sondern auch bei anderen, den Lebensgenuss in 
hohem Maasse beeinträchtigenden Zuständen, jedoch nur dann, wenn 
mau mit Sicherheit vou der Entfernung des gauzeu Uterus Heilung 
erhoffen kann. Kommt bei bestehendem Careinom des Uterus die 
Totalexstirpation in Frage, so muss immer der Operation eine Unter¬ 
suchung in Narkose vorangehen, um die eventuelle Verbreitung des 
Carcinoms im Beekeubindegewebe beurtheilen zu können Es ist 
oft sehr schwer, ja es kanu unmöglich sein zu entscheiden, ob Ver¬ 
dickungen in den Ligamenten entzündlicher Natur oder bereits bös¬ 
artig sind. In solchen Fällen thut man gewiss besser zu operiren, 
da die Operation die einzige Möglichkeit der Rettung der Krankeu 
giebt. — Sehroeder und Hofmeier haben in den letzteu Jahren 
den Uterus stets in situ, ohne denselben zu retroflectiren, entfernt. 
Es ist nicht zu empfehlen, die Peritonealwunde nach beendeter 
Operation offen zu lassen. Die Heilung wird dadurch sehr ver¬ 
zögert. Die Stümpfe der Ligam. lata werden in die Wunde einge¬ 
näht, und die Mitte der letzteren durch eine Naht verbunden. Pein¬ 
lichste Autisepsis, möglichst gute Freilegung des Operationsfeldes 
und sichere Unterbindung der Parametrien sind die Bedingungen, 
deren Erfüllung den Erfolg der Totalexstirpation sichert. Die Sta¬ 
tistik, die Hofmeier aufstellt, umfasst 336 Fälle mit nur 37, also 
11% Todesfällen. 

Die Alexander’sc he Operation (Verkürzung der Ligamenta 
rotunda vom äusseren Leistencanal aus) zur Heilung der Retro- 
flexio uteri hat in Deutschland keinen festen Boden fassen können. 
Der augenblickliche, noch mehr der endgültige Erfolg der Operation 
ist ein unsicherer. In schweren Fällen dürfte sie dennoch Beach¬ 
tung verdienen, ebenso wie die Anheftung des Uterus an die vordere 
Bauchwand nach ausgeführter Laparotomie. 

Die sichere differentielle Diagnose der Tuben ge sch wülste 
zu stellen, ist nicht immer gauz leicht. Die Diagnose auf Tubar- 
Schwangerschaft wird ausser dem örtlichen Befund wesentlich 
mit Hülfe der Anamnese zu stellen sein. Der Mortalitätsprocentsatz 
der Salpingotomie beträgt nach Hofmeier’s Zusammenstellung 13,7. 
Die endgültigen Erfolge der Operation sind dabei gar nicht immer 
günstig, so dass noch immer grosse Vorsicht in der Auswahl der 
zur Operation kommenden Fälle dringend wünschenswerth ist. 

Die Indication zur Ovariotomie ist stets mit dem Augenblicke 
gegeben, in welchem mau sich überzeugt zu haben glaubt, dass 
eine wirkliche Neubildung und kein Hydrops der Graaf’.sehen 
Follikel vorliegt. Ovarialgeschwülste wachsen unaufhörlich. Gross 
ist ferner die Gefahr der malignen Entartung derselben. Unter 6«M) 
von Sehroeder ausgeführten Ovariotoinieen waren 100 Tumoren 
bösartig. 

Hat man einen Ovarialtumor als malign diagnosticirt, so soll 
man die Operation im Interesse der Kranken versuchen, wenn auch 
nur die geringste Möglichkeit vorliegt, die Operation zu vollenden. 
In der eingehendsten und klarsten Weise bespricht Hofmeier die 
Technik der Ovariotomie, wie sie au der Sehroeder’scheu Klinik 
ausgebildet worden ist. Bemerkenswerth ist die günstige Prognose 
der Ovariotomie bei bestehender Schwangerschaft. Sehroeder 
hat 16 Mal während der Schwangerschaft operirt mit glücklichem 
Ausgang. 

Die Indicationen, die Hofmeier für die Vornahme der Castra¬ 
tion aufstellt, siud folgende: 

1. Missbildungen oder erworbene Erkrankungen des Uterus, bei 
denen eiue Menstruation oder Conceptiou unmöglich ist. während 
durch die normal vor sich gehende Ovulation heftige Beschwerden 
uuterhalten werden. 

2. Pathologische, mit heftigen Blutungen einhergehende Zu¬ 
stände des Uterus, welche nachgewiesenermaassen mit der Thätig- 
keit der Ovarien im Zusammenhang stehen. (Die Castration bei 
Myomen ist daher der Myomotomie vorzuziehen, dann, wenn bei 
nicht zu grossen Geschwülsten die Blutung ganz in den Vorder¬ 
grund tritt). 

3. Oophoritische und perioophoritisohe Processe, welche durch 
die Thätigkeit der Ovarieu audauernd unterhalten uud verschlim¬ 
mert werden. 

4. Schwere Neurosen, welche sich, soweit nachweislich, an 
deu Ovulationsprocess anschliessen oder von ihm abhängen. 

Die Tuben sollen bei der Castratiou unter allen Umständen 
mit entfernt werden. Der Mortalitätsproceutsatz schwankt zwischen 


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800 DEUTSCHE MEDTCINISCnH WOCHENSCHRIFT. No. 42 


10 lind 20%. Es ist die Castration gewiss eine Operation, die nur 
nach strengster Indication ausgeführt werden sollte. 

Bei dem Bestehen von eitrigen Ergüssen in den Binde- 
gewebsräumen in der Umgebung des Uterus will Hof¬ 
meier dann operativ eingreifen, wenn die Eiteransammlungen in der 
Nähe der Oberfläche sich befinden, und wenn bei versteckten Eiter- 
heerden andauernd consumirendes Fieber besteht, und der Gesammt- 
zustand des Körpers eine Beendigung des Processes dringend wün- 
scbenswerth erscheinen lässt. 

Die Frage ist gegenwärtig noch offen, ob man am Ende der 
Gravidität bei bestehender Extrauterinschwangerschaft — und 
lebendem Kinde den noch immer sehr gefährlichen operativen 
Eingriff wagen soll oder besser thut, das Kind absterben zu lassen, 
um dann nach einiger Zeit mit wesentlich besserer Aussicht auf 
Erhaltung des mütterlichen Lebens zu operiren. Es ist ferner oft 
sehr schwer, sich für oder gegen die Laparotomie zu entscheiden, 
wenn in frühen Monaten durch Platzen eines extrauterinen Sackes 
eine innere Blutung mit schweren Allgemeinerscheinungen eintritt. 
Operiren soll man dann, wenn bei aufmerksamer Beobachtung der 
Zustand solcher Kranker sich nicht nur nicht erhält, sondern zu¬ 
sehends verschlimmert. 

Die Versuche, die infectiöse Peritonitis auf operativem 
Wege zu heilen, sind bisher resultatlos verlaufen. Diejenigen For¬ 
men der Peritonitis, bei denen vielfach operative Eingriffe von gutem 
Erfolge begleitet waren, sind die zu Abkapselungen neigenden, 
welche mehr oder weniger grosse, abgeschlossene Geschwülste bil¬ 
den. Besonders die tu bereu löse. Peritonitis ist in den letzten 
Jahren mit ausgezeichnetem Erfolge operativ behandelt worden. Der 
gute Effect der Laparotomie bestand hier einfach in der Entleerung 
des Ascites. Die vielfach angewandte Einstreuung von Jodoform in 
die Bauchhöhle war jedenfalls an der Heilung ganz unschuldig. 

Den Schluss des Buches bilden einige Bemerkungen über Ope¬ 
rationen an der Blase. 

Das Lehrbuch Hofineier’s zeichnet sich durch übersichtliche, 
klare, anschauliche Darstellung in hohem Maasse aus. In jedem 
Capitel sieht man das Bestreben des Verfassers, möglichst bestimmte, 
durch eigene Erfahrungen erprobte Vorschriften zu geben und den 
Leser nicht durch Aufzählung der verschiedensten Anschauungen 
der einzelnen Autoren zu verwirren und zu ermüden. Aus dem 
Werk wird nicht allein der Student und der praktische Arzt viel 
lernen, es wird auch dem Gynäkologen von Fach eine willkommene 
Gabe sein. Hofmeier’s vorzügliches Lehrbuch wird voraussicht¬ 
lich viele Auflagen erleben. 


VIII. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. 

Sitzung am 8. October, im Königlichen Klinikum. 

Vorsitzender: Herr v. Bergmann; Schriftführer: Herr Sonnenburg. 

Als Gäste anwesend: Herr Griffiths aus Cambridge, Herr Will aus 
Königsberg. 

1. Herr A. Köhler: Operation einer Pylorusstenose (mit Kranken¬ 
vorstellung). Köhler stellt nach Aufzählung der verschiedenen bei Pylorus¬ 
stenose empfohlenen Verfahren einen Patienten vor, den Bardeleben vor 
2*.o Monaten auf dieselbe Weise operirt hatte, wie Heinecke und Mikulicz 
in je einem Falle. 

35 Jahre alter Klempner trank Anfangs Juni rohe Salzsäure, nach 
14 Tagen Symptome der Pylorusstenose. Gewichtsverlust in 5 Wochen von 
130 auf 76 Pfund, äusserste Schwäche. Am 25. Juli Laparotomie, Längs¬ 
spaltung des Pylorus, quere Vereinigung der Wunde. Ganz reactionsloser 
Verlauf, schnelle Erholung. Nach 4 Wochen Körpergewicht 83, jetzt 89 Pfund. 
Patient hat keine Beschwerden und arbeitet seit seiner Entlassung (5. Sep¬ 
tember, also seit 5 Wochen) fast wie vor dem Unfall. Bei narbigen Stric- 
turen, welche, auf den Pylorus beschränkt, von gesunder Magen- und Zwölf- 
fingerdarrawand umgeben sind, ist dieses einfache und kurzdauernde Verfahren 
allen anderen vorzuziehen. 

2. Herr Nicolai: Mehrfache schwere Verletzung durch eine 
Locomotlve (mit Krankenvorstellung). Bruch des Schulterringes und des 
Brustkorbes durch Eindrücken des Brustbeines; Verletzung der Lunge. Bruch 
des linken Oberarmes, Lähmung des N. radialis. Bmch des Beckens, Lähmung 
des Mastdarmes und der Blase. Heilung. 

Pionier R. vom Eisenbahnregiment, llülfsheizer, wollte am 24. März 
d. J., bevor die Maschine den Schuppen verliess, sich noch auf den Führer- 
sland schwingen, kam aber zu spät und wurde von der Ecke des Tenders 
gegen die Ecke der Thorwegmauer gedrückt und durch die enge Spalte 
zwischen diesen Beiden hindurchgezwfingt. Hierbei erhielt er obige Ver¬ 
letzungen. 

Befund im Lazareth: Tiefer Verfall, halb leblos, blaugraues verfallenes 
Antlitz, Blick gebrochen, Pupillen aber reagirend, Athem stockend, röchelnd, 
30 bis 32 pro Minute. Puls klein, verschwindend, 100 bis 104 pro Minute. 
Athemgeräusch auf beiden Seiten der Lunge vesiculär, links von mittel- und 
grossblasigem Rasseln begleitet, jedenfalls von Blut herrührend. —■ Kein 
Pneumothorax nachweisbar. — Ausgeworfen wurde nichts, obwohl Hustenreiz 
vorhanden war und Hustenstösse erfolgten. Diese waren, wie die Athmung 
überhaupt, erfolglos, weil das Brustbein beim Ausatbmen und beim Husten 
sich auf blähte, beim Einathmen aber einsenkte und somit einen Eintritt von 
Luft in die Brust vereitelte. Es war hiermit eine hochgradige Iusufficienz 


der Athmung bedingt, welche um so bedenklicher war, als wahrscheinlich 
noch Blut in die Lunge floss, ohne expectorirt werden zu können, und daher 
Suffocation drohte. Die blasse und blaue Färbung der Lippen, der ver¬ 
schwindende, kleinePuls deuteten auch die Hochgradigkeit des Lufthungera an. 

Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen erwies sich folgender Verband 
als zweckmässig. Auf einem Bogen Pappe wurde das Muster eines Vorder¬ 
kürasses projizirt und ausgeschnitten, dann mit Wasser benetzt und mit 
Binden einem gesunden Manne von der ungefähren Figur des Verletzten auf 
die blO'Se Brust gebunden. Nachdem der Panzer getrocknet war, hatte er 
vollkommen die Form des Modells angenommen. Nun wurde die Innenfläche 
des Panzers mit geschmolzener Heftpflastermasse bestrichen und derselbe 
auf die Brust des Verletzten geklebt. Einige Bindenzüge mit breiten Heft¬ 
pflasterstreifen vollendeten die Haltbarkeit desselben. Die Schulterstücke 
des Panzers wurden über die Schultern des Verletzten gelegt, die Achsel¬ 
löcher waren soweit von einander entfernt, dass die Schultern nicht nach 
vorn genommen, und somit die Schlüsselbeine nicht weiter verschoben werden 
konnton, die Bruchstücke der Rippen klebten vermittelst ihrer Weichtheile 
an der starren Pappwand an, welche somit eine Art äusseren Skelettes dar¬ 
stellte. Der Athemtypus wurde hierauf sofort abdominal, die Wangen und 
Lippen, welche bisher immer noch bläulich und bleich aussahen, gewannen 
alsbald ein frisches Roth. Der Husten ging leicht von Statten, der Auswurf 
wurde ohne Schmerzen entleert. Die Lungeublutung hörte nach 5—6 Tagen 
gänzlich auf. 

Unter diesem Verbände, welcher 4 Wochen liegen blieb, heilten die 
Rippen und Schlüsselbeine in der Vollkommenheit, dass jetzt die Bruch¬ 
stellen noch mit Mühe wiederzufinden sind. Patient hatte 81—89 cm Brust¬ 
umfang, also 8 cm Spielraum. Bei der Umlagerung des Kranken stellte 
sich später heraus, dass auch der N. radialis am linken (gebrochenen 
Arme gelähmt sei. Freilegung und Loslösung des Nerven durch Operation, 
später Anwendung von Elektricität. Am 2-t. Juni (3 Monate nach der Ver¬ 
letzung) konnte zum ersten Male eine deutliche Reaction der Vorderarm- 
muskulatur und eine leise Bewegung der Hand bemerkt werden. Zur Ver¬ 
besserung der Girculations- und Ernährungsverbältnisse wurde noch Massage 
des Armes und der Brustmuskulatur in einer Reihe von Dampfbädern ver¬ 
ordnet. Unter fortgesetzter Anwendung dieser Behandlung ist nunmehr die 
Beweglichkeit des Handgelenkes, und zwar der Basalgelenke der Finger sowohl, 
w ie auch das Spreizen des Daumens und der Finger bei Dorsalflexion der 
Hand, wieder vollkommen und in alter Kraft möglich. 

Jetzt sieht der Mann seiner Entlassung entgegen, er wird seinen Dienst 
wieder aufnehmen und hofft dereinst Locomotivführer zu werden. 

Discussion. 

Herr Israel erwähnt in Hinsicht auf die Radialislähmung bei Fracturen 
zwei derartige Fälle, die mit günstigem Erfolge operativ beseitigt wurden 
und die Eigenthümlichkeit zeigten, dass bei dem einen der Fälle nach 6 Wochen 
unter galvanischer Behandlung die Function wiederkehrte, in dem anderen 
Falle nach demselben Zeiträume ohne galvanische Behandlung ein gleich gute 
Resultat erzielt wurde. 

Herr v. Bergmann betont, dass die Wiederkehr der Function vor dem 
90. Tage eine Seltenheit sei. 

3. Herr Bra mann: Doppelseitige Serratuslähmnng (mit Kranken- 
Vorstellung). Die 16jährige Patientin stammt aus gesunder, neuropthisch 
nicht veranlagter Familie und ist bis vor 3 Jahren stets gesund gewesen. 
Vor drei Jahren machte sie eine schwere Diphtherie durch, von der sie 
langsam, aber vollständig genas. Vor 2 Jahfen bemerkte sie angeblich pilz¬ 
lich und ohne eine Ursache angeben zu können, eine Schwäche in ihren 
Schultern und war nicht im Stande, die Arme vollständig zu erbeben. 

Auf den ersten Blick bietet die Pat. das Bild einer Serratuslähmung 
dar, das vor Allem in dem charakteristischen flügelförmigen Abstehen der 
Schulterblätter besteht. Bei genauerer Untersuchung dor Pat. aber ergeben 
sich doch erhebliche Abweichungen von jenem Bilde. Während bei derun- 
complicirten Lähmung jenes Muskels der untere Winkel des Schulterblattes 
bei ruhig herabbängeudem Arm um ein Weniges der Wirbelsäule genähert, 
und der innere Rand, wenn auch nicht immer, so doch in deu meisteu 
Fällen ein wenig vom Thorax absteht, ist, bei derselben Haltung des Amts, 
die Entfernung der Schulterblätter von der Wirbelsäule über Hand breit, 
und der innere Rand steht nun fast 3 Finger breit vom Thorax ab, zugleich 
ist das Schulterblatt sehr nach dem Nacken zu in die Höhe gerückt und 
steht mit seinem unteren Winkel etwa in der Höhe des fünften Intercostal- 
raumes. Die Region zwischen Schulterblättern und Wirbelsäule erscheint 
muldenförmig, die langen llückenmuskeln scheinen atrophisch. Die Schulter 
ist stark nach unten gesunken, das Acromion sehr abschüssig, das acroroi- 
ale Ende der Clavicula steht tiefer als das sternale, das letztere fast su 
luxirt. Versucht die Pat., ihren Arm in Abduction zu erheben, was nie 
ganz bis zur Horizontalen gelingt, so rücken die Schulterblätter, die beider 
einfachen doppelseitigen Serratuslähmung sich mehr und mehr der Wirbe 
säule nähern, ohne auch jetzt vom Thorax wesentlich abzustehen, hier 
mehr von der Mitte ab und werden zugleich sehr stark in die 
gezogen, ihr innerer Rand steht weit vom Thorax ab, während eine DrehuDg 
des Schulterblattes nicht erfolgt. „ 

Während dieses Vorganges spannen sich die laterale Portion des 
cullaris der fast normal erscheint, sehr stark an und scheint fast ausschlie» 
lieh die geringe Erhebung des Schulterblattes zu besorgen. Beide e 
dei, sowie die Muscul. suprasp. und infrasp. erscheinen sowohl in > 
Entwickelung wie in ihrer Function normal. _ 

Versucht die Patientin, die in dieser Abductionsstellung befind_i ^ 
Arme nach vorn zu führen, was ebenfalls nur ganz unvollkommen 
ist, so rückt die Scapula nur noch etwas mehr nach aussen, behält aber 
Uebrigen obige Stellung bei. . . ^ i 

Von vorn betrachtet, erscheinen die Fossac supra- und infraclavic 
abgeflacht, ebenso wie die oberen vorderen Thoraxpartieen, zum %„* 
Bereiche der Pectorales, deren Function ebenfalls beeinträchtigt ersc ^ 
da die Patientin den Arm nicht über den Thorax, und die Hand » 


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18. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 861 


andere Schulter zu legen vermag. Der Arm, vielleicht mit Ausnahme des 
Triceps beiderseits, erscheint wie die Hände und die unteren Extremitäten 
normal. 

Aus obigem folgt, dass es sich bei dieser Patientin um den Functions¬ 
ausfall und Atrophie folgender Muskeln beiderseits handelt: des Sen-at. 
ant. major, der Rhomboidei, der medianen Hälfte des Cucullaris, des Pecto- 
ralis major und minor und wahrscheinlich auch des Latissimus dorsi. Durch 
elektrische Reizung zeigten alle diese Muskeln eine erhebliche Herab¬ 
setzung ihrer Erregbarkeit, von den Serrati war nichts nachzuweisen und 
die langen Rückenstrecken erschienen ebenfalls afficirt. 

Es handelt sich somit um die von Erb als juvenile Muskelatrophie be- 
zeichnete Form der myopathischen progressiven Muskelatrophie, bei welcher 
zwar der Serratus am meisten, mit ihm aber zahlreiche andere Muskeln 
afficirt sind. 

Die für die spinale progressive Muskelatrophio charakteristischen Reiz¬ 
erscheinungen, die fibrillären Muskelzuckungen, die Erhöhung der Reflexe 
und andere, fehlen hier. 

4. Derselbe: Psoriasis lingnae mit Carclnoin (mit Krankenvorstel¬ 
lung). Bramann stellt sodann einen Patienten vor, welcher seit 16 Jahren 
an einer ausgedehnten Leucoplacia linguae leidet und bei welchem 
vor etwa 4 Monaten ein Carcinom der linken Wangenschleimhaut sich ent¬ 
wickelt hat. Die hier vorwiegend die ganze Zunge und die Wangenschleim¬ 
haut überziehende Form der Leucoplacie, die hauptsächlich bei Rauchern 
und deshalb fast nur bei Männern vorkomrat, hat mit Syphilis nichts zu 
thun und besteht in chronischen Entzündungsprocessen der Schleimhaut mit 
Verhornung der oberflächlichen Epithelmassen. In hochgradigen Fällen 
kann sie wegen Verdickung der Zunge, Wangen und Lippen sehr lästig 
werden. Das beste und wirksamste Mittel dagegen ist der Paquelin, wie 
v. Volkmann schon vor Jahren betont hat. Mehrere hartnäckige Fälle 
sind auf diese Weise geheilt. Wie bei diesem Patienten war noch bei 16 
anderen mit Leucoplacie behafteten Patienten der v. Bergmann’schen 
Klinik Carcinom zur Eutwickeluug gekommen, womit durchaus nicht gesagt 
sein soll, dass die an und für sich unschuldige Afleetion sich direkt in 
Carcinom umgewandelt hätte, sondern dass ein jahrelanges Bestehen dieses 
Leidens die Entstehung von Carcinom in derselben Weise begünstigt, 
wie die Eezeme bei Schornsteinfegern, Paraffinarbeitern und Andere. 

5. Derselbe: Luxatio humeri retroglenoidea (mit Krankenvor¬ 
stellung). (Der Vortrag wird in extenso erscheinen.) 

Discussion. 

Herr Sonnenburg erwähnt eines Falles einer Luxatio retroglenoidea 
humeri, den er als poliklinischer Assistent im Königlichen Klinikum beob¬ 
achtete, bei dem der Arm gleichfalls in Adduction, der Vorderarm in Pro¬ 
nation stand. 

Den von Herrn Bramann zuletzt vorgestellten Fall von Luxatio intra 
partum möchte er nicht ohne Weiteres als solche gelten lassen; denn die 
hochgradige Verkürzung (Wachsthumshemmung) des Humerus würde sich 
nicht erklären lassen. Sonnenburg glaubt es hier möglicherweise mit dem 
Folgezustand einer intra partum erfolgten Epiphysenlösung zu thun zu haben. 
Die in Folge dieser Verletzung verursachten Aenderungeu der Pfanne und 
des Humeruskopfes (Atrophie desselben) erklären genügend die bei Be¬ 
wegungen wahrzunehmende scheinbare Leerheit der Pfanne. 

Herr v. Bergmann: Soweit man es durch die Palpation erkennen 
kann, scheint die Pfanne leer Uebrigens konnte wohl nur durch das Sec- 
tionsmesser in diesem Falle entschieden werden, ob Luxation oder Epiphysen¬ 
lösung vorhanden sein. 

Herr Küster bemerkt, dass solche Fälle von Luxatio retroglenoidea, 
welche beim neugeborenen Kinde Vorkommen und die der Vortragende als 
während der Geburt entstanden ansieht, zum Theil auf angeborene Verhält¬ 
nisse zu beziehen sind. Sie bilden dann eine Analogie zu der Lux. coxae 
congenita. 

Vor 10 Jahren hat Küster einen solchen Fall gesehen und beschrieben: 
Die Luxation war doppelseitig; da sich später Gelegenheit fand, den Fall 
anatomisch zu untersuchen, so konnte Küster sich davon überzeugen, dass 
es sich dabei um angeborene Anomalie der Pfanne und des Kopfes handelte. 

Herr Nicolai beobachtete vor Kurzem eine Luxatio humeri retrogle¬ 
noidea und macht besonders auf die auf der vorderen Seite auffallende 
Abflachung zur Sicherung der Diagnose aufmerksam. 

Herr Schüller betont, dass die Luxatio retroglenoidea nach seinen 
Versuchen nur durch Erhebung des Armes mit Rotation bei der Leicho zu 
Stande käme. 

6. Herr v. Bergmann stellt ein 17jähriges Mädchen von gracilem 
Körperbau, anämischer Hautfarbe und schwächlich entwickelter Muskulatur vor, 
die ganz symmetrisch eine Subluxation beider Hände nach der Beugefläche 
des Vorderarmes zeigt. Die untere Gelenkfläche der Ulna zeichnet sich 
deutlich durch die Haut, während von der unteren Radiusepiphyse bloss 
der obere Rand deutlich durchzufühlen ist, also die Gelenkfläche der ersten 
beiden Carpalknochen noch theilweisen Contact mit der entsprechenden Ge¬ 
lenkfläche des Radius hat. Die Hand kann volarwärts in vollem Umfange 
gebeugt, nicht aber dorsalwärts gestreckt werden. An der Volarseite 
des Gelenkes springen die Sehnenstränge des Palmaris und Ulnaris sehr 
auffällig vor. Eine traumatische Genese ist ausgeschlossen, denn die Sublu¬ 
xation hat sich ganz allmählich entwickelt. Die Entwickelung war mit hef¬ 
tigen, noch jetzt andauernden Schmerzen verbunden. Der Vortragende zeigt, 
wie eine Radiusfractur, eine Arthritis deformans und auch eine sogenannte 
Caries sicca ausgeschlossen werden können. 

Der Fall gehört, seiner Ansicht nach, zu den von Madelung auf dem 
IV. Congresse deutscher Chirurgen besprochenen Luxationen der Hand nach 
vorn. Für diese ist die allmähliche und schmerzhafte Entstehung in den 
letzten Jahren des Wachsens, nicht vor dem 13. und nicht nach dem 23., 
charakteristisch. Die Schmerzen hören mit der Zeit auf, die Luxation aber 


bleibt irreponibel. Sie ist, wie in dem vorgestellten Fall, oft doppelseitig 
und betrifft sehr gewöhnlich blutarme und muskelschwache Individuen. 

Zwei Mal haben, einmal in dem Falle von Madelung, anatomische 
Untersuchungen stattfinden können. Beide haben die Luxationen, einmal 
als vollständige, das andere Mal als unvollständige constatirt. 

Räthselhaft ist noch die Ursache der Störung. Nicht immer, so gewiss 
nicht in dem vorgestellten Falle des gut situirten Mädchens, handelt es sich 
um Ueberaustrengungen oder schwere Arbeiten, die im Missverhältnis zur 
Muskelkraft der Kranken stehen. Sicher ist nur das Vorkommen im Alter 
des Wachsens. Hierin liegt eine grosse Analogie mit dem sogenannten 
entzündlichen, oder, wie man wohl besser sagt, schmerzhaften Plattfusse der 
Jünglingszeit, eine Analogie, die daran denken lässt, die Krankheit als eine 
durch „Wachsthumsstörungen“ bedingte anzusehen. Hierfür würde im ge¬ 
gebenen Falle die ebenfalls symmetrische, d. h. beide Hände betreffende 
Verkürzung des Ringfingers sprechen. Verkürzt ist der Metacarpalknochen 
der beiden Finger. 

Die Behandlung hat bis jetzt keine Resultate gehabt. Die Luxation 
pflegt mit der Zeit immer vollständiger zu werden, während glücklicher 
Weise die Schmerzen nachlassen. Da die Flexion der Hand frei bleibt, ist 
die Arbeitsbehinderung eine nur mässige. 

In der Discussion hält Bidder es nicht für ausgeschlossen, dass die 
in Rede stehende Affection der Handgelenke sich aus einer im frühesten 
Alter entstandenen Goyrand 1 sehen Luxation entwickelt habe. 


IX. Greifswalder medicini scher Verein. 

Sitzung am 4. August 1888. 

(Schluss aus No. 40.) 

3. Herr Hans Scbraid (Stettin): lieber totale Kehlkopf¬ 
exstirpation, laute, vollkommen verständliche Stimme. 

Der Arbeiter Throm aus Scholwin bei Pölitz (Pommern) war 
in den ersten Tagen des Jahres 1886 in Bethanien aufgenommen 
Worden, nachdem er seiner Angabe nach erst seit 14 Tagen krank 
geworden, seine Militärzeit, in der er speciell nie eine Geschlechts¬ 
krankheit gehabt haben will, gut durchgemacht, und später als 
Arbeiter sich sein Brod verdient hatte, ohne je durch Krankheit 
behindert zu sein. Die im Journal verzeichnete Diagnose lautet: 
Kehlkopfschwindsucht; in einigen kurzen Bemerkungen ist von 
einem Tumor der Cartilago thyreoidea die Rede. Am 25. Februar 
1886 wurde wegen zunehmender Athemnoth die Tracheotomie 
nöthig; am 2. März 1886 wurde die Laryngofissur von Herrn 
Dr. Maske ausgeführt, und der genannte Tumor zum Theil excidirt, 
zum Theil thermokauterisirt; am 7. Juli 1886 wurde der Patient 
ohne Canüle scheinbar geheilt entlassen, und es findet sich noch 
die Bemerkung vor: Keine Anzeichen von Lues; eine mikroskopi¬ 
sche Untersuchung des Tumors ist nicht verzeichnet. 

Am 7. September 1886 wurde Throm wieder aufgenommen 
uud sofort tracheotomirt wegen heftiger Dyspnoe; die Geschwulst 
an der Cartilago thyreoidea sin. war von aussen als wieder zu 
Wallnussgrösse gewachsen fühlbar, und als laryngoskopischer Be¬ 
fund diesmal verzeichnet: Starke Verdickung der Epiglottis; kreb- 
sige Wucherungen im Larynx, keine Ulceratiouen. Am 
28. October 1886 unternahm Herr Stabsarzt Dr. Ziegel die Total¬ 
exstirpation des ganzen Kehlkopfes mit Wegnahme des ganzen Kehl¬ 
deckels; an 2 Stellen wurde der Oesophagus eröffnet und wieder 
vernäht. — Trotzdem die Nähte wieder aufgingen, Patient lange 
Zeit sehr elend war, Ernährung und Athmung viel Schwierigkeiten 
machteu, erholte er sich doch einigermassen, um freilich bald 
wieder herunterzukommen. Iu diesem Zustande übernahm ich ihn 
mit meiner Thätigkeit in Bethanien Januar 1887; er wurde mir 
vorgeführt als: Totalexstirpation des Kehlkopfes wegen Carcinom. 
An letzterer Diagnose zweifelte man damals nicht, wenn auch 
wegen eines Versehens die mikroskopische Untersuchung der Ge¬ 
schwulst am herausgenommenen Kehlkopf leider nicht gemacht 
worden war. Ich selbst hatte um so weniger Ursache, an der Diagnose 
Carcinom zu zweifeln, als ich Anfangs Februar eine kleine Ulcera- 
tion in der Umgebung der Wuude als Carcinomrecidiv zu ent¬ 
fernen hatte. Pat. war aber sehr elend; alle Versuche, die obere 
Oeffnung weit genug zu halten durch Bougiren, Einlegen von ver¬ 
schiedenen Instrumenten, Canülen etc., um eine Beziehung des 
peripheren Endes der Luftröhre zu der Oeffnung des Schlundes 
für den später einzulegenden künstlichen Kehlkopf zu erhalten, resp. 
zu gewinnen, scheiterten an den Schmerzen und dem Widerstand 
des Mannes, so dass ich endlich dem Drängen desselben nachgab 
und ihn in seine Heimath mit einer gewöhnlichen Canüle entliess, 
weil ich ihn seine vermeintlich nach Monaten zählende Lebenszeit 
bei den Seinen zubringen lassen wollte. 

Dieser Mann nun, den Sie jetzt vor sich sehen, stellte sich uns 
im Frühjahr 1888 zu unserem Staunen nicht nur scheinbar ganz 
gesund wieder vor, sondern er sprach auch so laut und verständ¬ 
lich, dass er nunmehr der Gegenstand genauer Untersuchungen und 
Ueberlegungen unsererseits wurde, um Anhaltspunkte dafür zu ge¬ 
winnen, wie theoretisch diese auffallende Thatsache des deutlichen 


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862 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


Sprechens nach Exstirpation des ganzen Kehlkopfes zu erklären 
sei, und an diese Thatsache knüpften sich naturgemäss weitere 
Ueberlegungen und Schlüsse praktischer Natur, welche weiterhin 
Erwähnung finden. 

In erster Linie sei hier vorweg erwähnt, dass an dem Patienten 
nichts von einem Recidiv von Carcinom zu constatiren ist; im Sinne 
der Statistik für die Erfolge der Operation wegen Carcinom jedoch 
ist der Fall nicht verwerthbar, da die sichere mikroskopische 
Diagnose fehlt, und die Möglichkeit, ja vielleicht Wahrscheinlichkeit, 
dass es sich doch um Lues gehandelt hat, dadurch wächst, dass 
der Mann im Laufe des vorhergehenden Jahres ein grosses Haut¬ 
geschwür in der Gegend des Manubrium sterni gehabt hat, welches, 
unter seiner eigenen Behandlung zur Heilung gelangt, nunmehr 
eine Narbe hinterlassen hat. die den nach specifischen Geschwüren 
entstandenen, namentlich nach der Färbung, sehr ähnlich sieht. — 
Beweist demnach dieser Fall nichts für die Heiluug und deren 
Dauer bei Carcinom des Kehlkopfes durch Totalexstirpation des¬ 
selben, so büsst er doch dadurch nichts ein von seinem hohen 
theoretischen wie praktischen Interesse im Sinue der gleich zu er¬ 
örternden Punkte. 

Die äussere Untersuchung des Mannes ergibt zunächst — ab¬ 
gesehen von dem Fehlen jeder Ulceration oder Verhärtung oder 
Drüsen, abgesehen von der schon erwähnten Narbe — an Stelle des 
Kehlkopfs eine Vertiefung; die narbenreiche Haut überall frei 
beweglich, und darunter der Eingang in die Luftröhre nicht schräg 
nach oben und vorn, sondern ziemlich gerade nur nach vorn ge¬ 
richtet; in ihr sitzt die gewöhnliche Canüle, die Patient oft zum 
Reinigen wechselt, sie aber nicht gern lange herauslässt, da auch 
jetzt noch eine Tendenz zur Verengerung besteht. Von der früher 
so lange und mühsam offengehaltenen und bougirteu Fistel nach 
dem Schluud zu ist nichts mehr zu sehen. Die genauesten Unter¬ 
suchungen mit verschiedenen Mitteln und Instrumenten ergaben zur 
Evidenz, dass die Luftröhre nur diese eine genannte Oeffuung für 
die Canüle hat, und somit gar keiue Beziehung zwischen 
Lunge einerseits, Schlund und Mund andererseits (auch 
nicht etwa durch die Speiseröhre) besteht. Weiterhin ergibt die 
Untersuchung per os und die laryugoskopische Untersuchung, dass 
keine Spur vom Kehldeckel mehr vorhanden ist, nirgends eine 
Ulceration; hinter dem Zungenrücken geht es in eine etwas Speichel 
enthaltende kraterförmige Vertiefung nach unten direkt iu die Speise¬ 
röhre; Untersuchung von hier auf die eventuelle Beziehung zur 
Luftröhre ergibt nichts Anderes. 

Betrachten wir den Mann nuu in Bezug auf seine Sprache, auf 
die wir gleich zu sprechen kommen, und auf den Sprechact, im 
Munde etc. und von aussen, so fallt eine starke Eutwickelung der 
Wangenmuskulatur auf, der Zungenrücken scheint hoch gewölbt. 
Tonsillen gross und stark vorspringend; die Gaumenbögen ebenso 
und wie sehnig glänzend. Beim Sprechen lebhaftes Spiel der Ge¬ 
sichtsmuskeln, der Mann spricht und liest laut verständlich, nicht 
unterbrochen, ohue Mühe; keine Cyanose dabei, kein Schnappen 
nach Luft; beliebig lang; er lacht dabei, kurz braucht sich keine be¬ 
sondere Mühe dabei und nicht besonders Obacht zu geben. Man hört 
die Athmung zwischen dem Sprechen, weil die Luft durch die 
Canüle streicht, und dadurch das bekannte Geräusch erzeugt wird; 
gerade weil Athmung und Sprechen nicht wie beim normalen 
Menschen eine Beziehung, resp. Abhängigkeit von einander haben, 
kann er ganz unabhängig von der Athmung sprechen, und hält 
mau den Eingang der Canüle zu, so spricht er wie vorher und 
ebenso weiter, so lange als er es eben aushalten kann, ohne Ath¬ 
mung zu existiren. Er spricht ferner ganz ebenso, wenn man die 
Nase zuhält; er raucht, saugt also, wie jeder Andere; isst und 
trinkt ebenso; er kann aber beim Essen nicht sprechen, muss den 
Mund ganz leer dazu haben; ebenso kann er nur wenige Laute und 
diese nur mit Anstrengung hervorbringen, wenn er den Mund offen 
hält. Er spricht das ganze Alphabet, ohne dass ihm ein Buchstabe 
fehlt. Der Ton der Stimme ist massig laut, absolut und auf 
grössere Entfernung klar verständlich; ohne jede Modulation, ganz 
gleich im Timbre, rauh und etwas krächzend. Sie steht ihm zur 
Verfügung, wie er will, er muss nicht etwa erst ansetzen oder 
irgend welche merkliche Vorbereitungen machen; sie macht ihm 
gar keine Mühe, bessert sich noch in Stärke und Timbre von 
Monat zu Monat, und während er Anfangs nur mit Mühe flüsternd, 
tonlos sich für Umstehende verständigen konnte, ist erst allmählich 
durch fleissiges Ueben der Ton und die Stärke und die Mühelosig¬ 
keit gekommen. Das Arbeiten in staubigen Fabriken und auf dem 
Felde schadet ihm nichts, und er betrachtet sich als gesuuder 
Mann. Im Vergleich mit den Sprachresultaten eines künstlichen 
Kehlkopfs ist seine Sprache glänzend; im Vergleich mit der nor¬ 
malen Stimme ist sie nicht schön lautend, aber vollkommen ge¬ 
nügend für ihn und die Umgebung, zu jedem Verkehr, eveut. auch 
dem geschäftlichen, und ohne eine Spur von Etwas den Laien etwa 
unangenehm Berührendem; nur für einen Mann, dessen Beruf ganz 


speciell abhängig ist von einer normalen, gesunden und kräftigen 
Sprache (Pastor, Abgeordneter, Schauspieler, Advocat, Lehrer etc.) 
ist sie ungenügend; ein Arzt, Richter, Kaufmann, Beamter etc. 
würde seinem Beruf damit nachzugehen im Stande sein. Im Ge¬ 
danken endlich daran, dass ihm das Hauptorgau zum Sprechen, im 
Sinne des Tönens und Lautens, in toto fehlt, ist dieses Resultat 
ein staunenswerthes und ungemein glückliches, das uns zu mehr¬ 
fachen Reflexionen und daraus zu ziehenden praktischen Schlüssen 
Veranlassung giebt. 

Die theoretische Erklärung, wie überhaupt ein Laut, ein Klang 
und damit die Sprache möglich ist, im physiologischen Sinn glaubte 
ich nach eingehender Rücksprache mit Herrn Prof. Rosenthal in 
Erlangen, der den Mann allerdiugs nicht sah, darin finden zu 
könuen, dass in der Ausbildung der Gaumenbogen, des Zungen¬ 
rückens, der dazu iu Beziehung stehenden Muskeln, ferner der 
Tonsillen, und der Fähigkeit, diese genannten Gebilde in bestimmte 
und wechselnde Stellung zu einander zu bringen, gewissermaassen 
ein Organ geschaffen ist, das annähernd den Kehlkopf ersetzt; man 
kann, wenn auch kurz und mangelhaft, so doch etwas beim An¬ 
lauten bei geöffnetem Munde sehen, wie in dieser Gegend die ein¬ 
zelnen Theile so aneinandergepresst und zu ein andergestellt werden, 
dass annähernd eine Stimmritze zu Stande kommt, davor das An¬ 
satzrohr, dahinter das Windrohr. 

Mau kann ferner sehen, wie alle hier befindlichen muskulösen 
Organe ausgebildet sind uud mithelfen beim Sprechact. Und wenn 
in Obengenanntem nun vielleicht ein Ersatz für den Kehlkopf ge¬ 
geben, so fragt es sich noch immer: woher kommt die Luft, welche 
die hier eventuell zur Schwingung geeigneten Organe regelmässig 
in Schwinguug versetzt? — Herr Prof. Rosenthal nun hält es für 
möglich, dass Jemand das, was wir Alle haben, die Flüsterstimme, 
so üben kann, dass er es zu einem Resultat bringt, wie es hier zu 
hören ist. Ich bin geneigt, dies für meinen Fall als theoretische Er¬ 
klärung des Vorhandenen auzunehmen, und halte diese Erklärung 
für möglich und die Thatsachen erklärend. Physiologen werden 
den hier vorliegenden Verhältnissen und der Erklärung derselben 
vielleicht näher treten. 

Viel wichtiger aber noch sind für uus die praktischen Conse- 
quenzen! Wenn eine solche Sprache nach totaler Entfernung des 
Kehlkopfs und damit ein solcher Ersatz für das Verlorengegangene 
möglich ist, dann wird mau sich die Frage vorzulegen haben, ob 
man nicht in der Erwartung, dass ein solches Resultat nicht ver¬ 
einzelt dazustehen hat, soudern durch systematische, frühzeitige 
Uebung immer, mehr oder weniger gelungen, zu erzielen ist, von 
vornherein darauf hinarbeiten soll? Dann wird man auf die Eiulegung 
eines künstlichen Kehlkopfs mit seinen darauf lange vorher schon 
hinzielenden Vorbereitungen verzichten; dann wird man auch auders 
operiren und anders nachbehandelu, und damit wird wieder die Ge¬ 
fahr der Operation und die Schwierigkeit der Nachbehandlung mit 
dem eventuell zu erlangenden viel besseren functioneilen Resultat 
sehr herabgesetzt, — Punkte, um derentwillen es sich wohl lohnt, 
dieser Sache näher zu treten und vielleicht einer Krankheit und 
der durch sie bedingten Operation zu besseren Resultaten zu ver¬ 
helfen, als es bisher möglich war, und dieser Operation damit auch 
mehr Vertrauen zu verschaffen, als sie bis jetzt genossen. — Ist, 
wie oben gesagt, dieser Fall auch nicht für die Carcinomstatistik 
heranzuziehen, so doch natürlich für die der totalen Kehlkopfexstir¬ 
pation, gleichgültig aus welcher Ursache sie ausgeführt werden 
musste, und es ist nicht abzusehen, warum nicht ein gleich gutes 
functionelles Resultat zu erzieleu ist, wenn Carcinom die Total¬ 
exstirpation erheischt, wenn anders die Operation nur zur rechten 
Zeit gemacht wird! 

Rechnet man aber von vornherein auf die Entwickelung einer 
Stimme, wie sie bei unserem Patienten entstanden ist, verzichtet man 
von vornherein auf die Eiulegung eines künstlichen Kehlkopfs und 
damit auf die Aufrechterhaltung, resp. Herstellung einer Beziehung 
und Verbindung zwischen dem peripheren Ende der Luftröhre einer¬ 
seits, und dem Schlunde und Rachen andererseits, so wird man bei 
der Operation selbst zunächst das Ende der Luftröhre etwas ab- 
präpariren, herauslegen und so in die Wunde befestigen, dass das 
Lumen derselben nicht nach oben, sondern möglichst nach vorn 
zu stehen kommt; ferner wird man die übrige Wunde, namentlich 
die Oeffnnng nach dem Schlunde zu, durch Hautnähte, weun mög¬ 
lich ganz scbliessen; oder wenn dies nicht möglich, fest mit Jodo¬ 
formgaze tamponiren, jedenfalls durch diese Massnahmen eine mög¬ 
lichst schnelle Heilung erzielen und jede Beziehung der Wunde zur 
Luftröhre, und damit die Hauptgefahr der ganzen Operation, die 
Fremdkörperpneumouie, ganz bedeutend reduciren. 

War bei der Operation endlich die Eröffnung der Speiseröhre 
nicht zu vermeiden, oder wird aus anderen Gründen die Ernährung 
des Patienten vermittelst eines eingelegten Rohres gewünscht, so 
kann auch dieses so gelagert werden, dass die Gefahr der Be¬ 
ziehung zur Luftröhre nicht gross ist, und die sonstige Heilung der 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


863 


Wunde durch die Naht oder doch die Abschliessung derselben von 
der Luftröhre durch die Tamponade nicht gehindert wird. — Wer 
Kehlkopfexstirpationen gemacht und nach behandelt hat, wird sich 
unschwer vorstelleu können, wie durch obige Massnahmen die Ope¬ 
ration an Gefahr verliert, und die Nachbehandlung vereinfacht wird. 
Wer nach Obigem weiterhin einigermassen sich von der Möglich¬ 
keit auch eines besseren functioneilen Resultates überzeugen kann, 
der wird gewiss gern den Versuch, uach diesen Vorschlägen zu 
handeln, in einem gegebenen Falle machen, und dann wird die von 
mir gewünschte Kritik der Vorschläge auch nach der praktischen 
Seite hin nicht lange auf sich warten lassen; möchte das Resultat ein 
solches wie im geschilderten Falle werden, zum Wohl des jeweiligen 
Patienten, zur Unterstützung dieser Methode und zur Rettung aller 
Patienten, die an einem solchem Uebel leiden, welches die opera¬ 
tive Entfernung eines ganzen Organes uöthig macht, eine Therapie, 
die alleiu den Betreffenden vor dem sichern und sehr qualvollen 
Tode retten kanu, zu der sich aber Patient und Arzt leichter ent- 
schliessen werden, wenn die Gefahr viel geringer, und der Ersatz 
für das Verlorengegangeue verhältnissmässig so zufriedenstellend ist. 

(Der Vortrag erscheint demnächst in Langenbeck’s Archiv, 
und mit ihm zugleich eine Arbeit von Herrn Landois und Herrn 
Strübing über die physiologische Erklärung und Bedeutuug dieses 
Falles.) 

Herr Landois ergreift im Anschlüsse an die laut vernehm¬ 
baren Stimm- und Sprachleistungen des vorgestellten Patienten das 
Wort zur physiologischen Erklärung des im hohen Grade über¬ 
raschenden Phänomens der Erhaltung der Stimme bei 
völligem Fehlen des Kehlkopfes. Es handelt sich nicht um 
eine Flüstersprache, sondern der Patient erzeugt in dem Mundrachen¬ 
raum ein monotones, lautes, rauhheiser klingendes Stenosengeräusch, 
also gewissermaassen eine Pseudostimme, w r elche die Schwingungen 
der Stimmbänder in so auffälliger Weise vertritt. Es entweicht die 
in Absätzen in die Mundhöhle eingenommene Luft durch eine ver¬ 
engte Stelle, deren Begrenzungen durch Muskelwirkuugen gegen ein¬ 
ander gedrängt werden. Eiue genaue Untersuchung muss lehren, 
wie der Mechanismus dieser Pseudostimmbildung im Einzelnen er¬ 
folgt. 

Dies ist am folgenden Tage vom Vortragenden im Verein mit 
dem Laryngologeu Herrn Docenten Dr. Strübing ermittelt worden, 
und soll darüber eine genauere Veröffentlichung erfolgen. 

4. Herr Landois spricht über die Veränderung der Körper¬ 
temperatur in Folge chemischer Beizung der motorischen 
Regionen der Grosshirnhalbkugeln beim Hunde. — Durch 
die Untersuchungen des Vortragenden ist die Thatsache ermittelt 
worden, dass sich durch die direkte Auwendung verschiedener che¬ 
mischer Substanzen, zum Theil auch solcher, welche durch den 
Harn aus dem Körper ausgeschieden werden, anfallsweise auftretende 
klonische Convulsionen der Körpermuskulatur erzeugen lassen, welche 
den eklamptischen Convulsionen der Urämiker überaus ähnlich sind. 
Ganz besonders muss betont werden, dass nicht dariu die Bedeutung 
dieser Versuche belegen ist, dass nach Application reizender Agen- 
tien auf das centrale Nervensystem allgemeine Krämpfe hervorbrechen, 
sondern darin, dass diese Convulsionen nach Verlauf einiger Zeit 
erst schwach beginnen, daun, von völligen Ruhepauseu unterbrochen, 
aussetzen und immer aufs neue typisch recidiviren. um schliesslich 
wieder allmählich schwächer werdeud zu verschwinden. Bei starker 
chemischer Reizung kann auf der Höhe des eklamptischen Anfalles, 
bei völligem Erloschensein des Bewusstseins, der Tod eintreten. 

Nach den Beobachtungen der Kliniker steigt im acuten uräm¬ 
ischen Anfalle meist die Temperatur: so notirte E. Wagner 38 bis 
39,5° C, und zwar sowohl während der urämischen Convulsionen, 
als auch im Stadium des Coma. Seltener werden Steigerungen bis 
auf 41° und selbst 42° C beobachtet. Besonders beachtenswerth 
ist weiterhin der freilich nur sehr vereinzelt nach dem Anfalle an¬ 
getroffene abnorme Niedergang der Körpertemperatur bis auf 35°, 
ja selbst bis auf 34° C. 

Im Anschluss an die Besprechung eiues Versuches an einem 
Hunde, welchem in der Aetherbetäubung der rechte Gvrus post- 
cruciatus mit Kreatin in Pulverform bestreut worden war, wird 
Folgendes über den Gang der Körpertemperatur, welche im Beginn 
des Versuches normal war, mitgetheilt: 

Das Versuchtsthier zeigte nach der Auftragung zuerst eine er¬ 
hebliche Unruhe und einen gesteigerten motorischen Drang, jedoch 
keine Störung des Bewusstseins. Nach Verlauf von 36 Minuten 
traten allgemeine Krämpfe auf, einem starken epileptischen Anfalle 
vergleichbar, welche zuerst im linken Vorderfusse erschienen. Schaum 
tritt vor das Maul, viel Speichel wird secernirt, die Athraung erfolgt 
stossweise mit den klonischen Erschütterungen der Körpermuskulatur. 
Nachdem der Anfall 6 Minuten gedauert hat, lässt er nach und 
wir<l schnell schwächer. Das Thier ist apathisch, sehr empfindlich, 
und das Bewusstsein ist noch vorhanden. Gehbewegungen sind 
möglich, das Thier lässt sich anrufen, legt sich aber erschöpft bald 


wieder hin. — Ungefähr 10 Minuten später erfolgt ein neuer über¬ 
aus heftiger Anfall allgemeiner Convulsionen, das Maul ist weit ge¬ 
öffnet, die Athmung stossweise erfolgend und sehr beschleunigt. So 
stellen sich mit Ruhepausen untermischt noch mehrere Anfälle ein, 
von denen der ungefähr 1V 2 Stunde nach dem Beginn des Versuches 
erscheinende sich durch besondere Heftigkeit auszeichnet. Starker 
Opisthotonus tritt auf, die Athmung ist von lautem Trachealrasseln 
begleitet, blutiger Schaum tritt vor das Maul, das Thier ist völlig 
comatös, die Reflexthätigkeit ist aufgehoben bis auf einen geringen 
Cornealreflex. Die Körpertemperatur ist jetzt bis auf 45° C 
gestiegen, die Athemzüge sind 72 in 1 Minute, der Puls beträgt 
240 Schläge. Ungefähr 2*/2 Stunde nach Beginn des Versuches 
treten Zeichen der Agone ein, die Athmung wird schwach und un¬ 
ergiebig. das Herz schlägt unregelmässig, zuletzt unter deutlichem 
Pulsus bigeminus, die Temperatur sinkt innerhalb 50 Minuten von 
der höchsten Höhe bis auf 42,3° C wieder herab, und das Thier 
verendet. Schon 3 Minuten nach dem Tode sind die Nackenmuskelu 
todtenstarr. Die Oberfläche des Gyrus postcruciatus und 2—3 mm 
dahinter ist stark injicirt; die Lungen sind sehr blutreich und zeigen 
in dem unteren Theile Hypostase und Atelectase. 

Was nun den Gang der Körpertemperatur aubetrifft, so erklärt 
sich die relativ schnelle enorme Steigerung auf 450 C einmal aus 
der colossalen, krampfhaften Muskelaction, durch welche viel 
Wärme producirt wird. Unterstützend wirkt jedoch wohl ein die 
Reizung der thermisch wirksamen Region der Hirnrinde, 
welche gerade an der Stelle der Application mit gereizt wurde. Hier¬ 
durch mussten sich die Getasse der Extremitäten contrahiren, so dass 
die Wärmeabgabe aus deu Hautbezirkeu derselben vermindert sein 
musste. Endlich wirkte für die Steigerung der Temperatur die be¬ 
hinderte Athmung. Denn wenn diese auch sehr schnell erfolgte, 
so waren dennoch die einzelnen Athemzüge bei ihrer ausgesprochenen 
Kleinheit ungenügend, um eine entsprechende Abkühlung des Blutes 
zu bewirken. Es ist wahrscheinlich, dass die enorm gesteigerte 
Temperatur den tödtlichen Ausgang durch Lähmung des centralen 
Nervensystems mit verursacht hat. 

5. Herr Niesei: üeber die Anwendung der Kamphersäure 
bei Katarrhen verschiedener Schleimhäute. (Der Vortrag ist 
in No. 40 dieserWochenschrift veröffentlicht). 

X. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 17. April 1888. 

(Schluss aus No. 41.) 

3. Herr Rudolph Wolff demonstrirt das Präparat einer mit 
Erfolg exstirpirten Pyelonephrose. 

Frau J., 29 Jahre alt, wurde am 6. März d. J. wegen heftiger 
Schmerzen in der linken Hüfte ins Freimaurer-Krankenhaus auf- 
genomraen. 

Die Anamnese ergiebt, dass Pat. von einem tuberculösen 
Vater abstammt. Mutter und Geschwister sind gesund. Pat. selbst 
war ebenfalls immer gesuud. Sie hat 2 Mal geboren, zuletzt vor 
5 Monaten. Kinder gesund. Vom letzten Wochenbett an datirt ihre 
Krankheit, welche sich anfänglich in Durchfällen, Schweissen und 
heftigem Stechen in der linken Hüfte äusserte. 14 Tage vor der 
Aufnahme in’s Krankenhaus trat ein Schüttelfrost und Fieberanfälle 
auf, und die Stiche gingen in einen constanten Schmerz an eben 
derselben Stelle über und strahlten bis in den linken Ober¬ 
schenkel aus. 

Status bei der Aufnahme: Pat. ist eine mittelgrosse, zart¬ 
gebaute, magere Frau mit feiner, blasser Haut. Thorax abgeflacht. 
Herz und Lungen normal. Puls kräftig und voll, 88. An dem 
schlaffen, mit Schwangerschaftsnarben bedeckten Leib sieht man 
4 cm oberhalb der r. Inguinalfalte eine starke, geradlinige Ein¬ 
ziehung der Bauchdecken und über dieser Linie eine Hervorwölbung, 
als deren Ursache die palpirende Hand einen prall gespannten Tu¬ 
mor erkennt. Die Geschwulst macht die Athembewegungen nicht 
mit. Von der Leber lässt sich dieselbe nicht genau abgrenzen. 
Die innere Untersuchung unter Chloroformuarkose ergiebt, dass der 
Uterus und die Ovarien frei sind. Die Ligg. rotunda sind deutlich 
zu fühlen, das rechte, welches sich als einen kleinfingerdicken, der¬ 
ben Strang darstellt, besonders deutlich. Stuhl angehalten. Im 
Urin, welcher sauer reagirt und ganz klar ist, kein Eiweiss, kein 
Zucker. Temp. 37,90. 

Veränderungen bei der weiteren Beobachtung: Die 
Schmerzen steigern sich und betreffen allmählich auch die rechte 
Hüfte, doch beziehen sich die Hauptklagen der Pat. immer noch 
auf die linke Hüfte. Der Tumor nimmt auch im weiteren Verlauf 
der Krankheit an den Athembewegungen nicht theil. Die wieder¬ 
holte, in Chloroformnarkose angestellte äussere und innere Unter¬ 
suchung stellt fest, dass der Tumor ungefähr strausseneigross, rund¬ 
lich, von glatter Oberfläche, etwas fluctuirend und von hinten nach 
vorn ein wenig verschieblich ist. Der Tumor nimmt den ganzen 


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864 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42 


Raum zwischen rechtem unteren Rippenrand und vom Darmbein¬ 
kamm ein. Die inneren Genitalieu erweisen sich auch jetzt als frei. 
Der anfänglich für das r. Lig. rot. gehaltene kleiufingerdicke 
Strang spannt sich bei Empordrängen der Geschwulst an und wird 
wieder locker, wenn man dieselbe ihrer natürlichen Lage überlässt. 
Pat. fiebert. Abendtemperatureu von 39,0° sind das Gewöhnliche, 
doch sind auch einzelne Remissionen vorhanden. Puls meistens 
klein und frequent. Urin sauer, klar, mikroskopisch untersucht 
nichts Abnormes (Rundzellen, Nierenbeckenepitbelien, Cylinder oder 
dergl.) enthaltend, kein Eiweiss, kein Zucker. Plötzlich stellen 
sich starke Durchfälle ein. Die Entleerungen enthalten viel Schleim 
und Rundzelleu, von rothen Blutkörperchen durchsetzt. Zugleich 
scheint der Tumor kleiner zu werden, gewinnt an Fluctuation und 
scheint jetzt die Athembewegungen mitzumachen. Das Fieber geht 
mit den Durchfällen etwas herunter. Die Schmerzensäusserungen 
der Pat. beziehen sich schliesslich nicht mehr auf die beiden Hüften, 
sondern lediglich auf den Darm. 

Diagnose wird auf Nierentumor gestellt, und dessen Exstirpa¬ 
tion auf den 14. April festgesetzt. 

Operation: Da bei der ungewöhnlichen Lage, bei dem Fehlen 
charakteristischer Erscheinungen und bei der zuletzt noch aufgetre¬ 
tenen Theilnahme des Tumors an den Athembewegungen der Nieren¬ 
tumor nicht sicher bewiesen war, so wird, um jeder Ueberraschung 
bezüglich der Zugehörigkeit desselben (Leber, Gallenblase, Mesen¬ 
terialplatten) zu eutgehen, folgendes Verfahren eingeschlagen. Es 
wird ein 10 cm langer Probeeinschnitt an der vorderen Bauchfläche 
am äusseren Rande des r. Rectus abdom. bis zum Peritoneum ge¬ 
macht, ohne jedoch letzteres zu eröffnen. Bei der Durchsichtigkeit 
des letzteren lässt sich direkt erkennen, dass es sich nur um die 
Niere handeln kann, weshalb von dem weiteren Vorgehen in dieser 
Richtung abgesehen, und die Wunde nach Vereinigung der Fascia 
transversa und der Muskeln durch Catgutnaht vorläufig mit Jodo- 
formgaze ausgestopft wird. 

Hierauf wird in linker Seiteulage der Pat. ein Schnitt 4 cm 
vom vorderen Ende der 12. Rippe nach vorn, innen unten bis 
2 Finger breit über der Spina aut. sup. oss. ilei gemacht. Nach 
Durchtrennung der Muskeln und Fascia transversa liegt ein starkes 
Fettgewebe bloss, und der durch die Wunde eindringende Finger 
findet den Platz, wo normaler Weise die Niere liegt, neben der 
Wirbelsäule frei. Auch die Leber war abzutasten. Das Fettgewebe 
ist also sicher die perirenale Fettkapsel. Aus dieser wird nun der 
Tumor herauspräparirt. Derselbe wird behufs Verkleinerung punk- 
tirt, und es entleert sich eine grosse Menge Eiter und käsiger Massen. 
Jetzt wird der etwas verkleinerte Tumor mit der Muzeux’sehen 
Zange gefasst. Doch reisst dieselbe aus. Ebenso lässt sich auch 
mit der Nelaton’sehen Zange die Geschwulst bei der Morschheit 
ihres Gewebes nur mit Mühe fixiren. Nachdem der Tumor theils 
mit dem Messer, theils mit dem Finger ohne Verletzung des Peri- 
toueums frei präparirt ist, kann er aus der Wunde so hervorgezogen 
werden, dass er nur noch an den Gefässen, Ureter, Art. u. Ven. 
hängt. Letztere werden sorgfältig unterbunden, was beim Ureter 
jedoch unmöglich ist, da jede Ligatur durchschneidet. Es wird 
derselbe deshalb in der Wunde angenäht. Die Wunde wird mit 
5 % Carbol ausgewaschen und vorläufig mit Jodoformgaze aus- 
gestopft. Tags darauf werden beide Wunden von der Gaze befreit 
und mit fortlaufender Catgutnaht genäht, die vordere vollständig, 
die hintere bis auf einen oberen Theil. 

Pat. hat nach der Operation noch 8 Tage leicht gefiebert. Am 
9. Tage ist sie vollständig fieberfrei. Die Schmerzen sind gänzlich 
verschwunden. Appetit und Allgemeinbefinden sehr gut. Urin- 
raengen durchschnittlich 1000 ccm. Kein Eiweiss. 

4. Herr Felix Wolff fährt in seinem Vortrage: Die Cere- 
brospinalmeningitis in Hamborg fort. (Der Vortrag ist im 
Zusammenhänge in dieser Wochenschrift No. 38 pag. 771 ver¬ 
öffentlicht.) 


XI. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte, Köln 18.—23. Sept. 1888. 

(Originalbericht.) 

Vorträge in den allgemeinen Sitzungen. 

Sehr mangelhaft waren diesmal die Berichte im Tageblatte. Von vorn¬ 
herein hatte man darauf verzichtet, nicht nur, wenn auch nur kurze Berichte 
über die in den Abtheilungen gehaltenen Vorträge schon während der 
Dauer der Versammlung zu bringen, sondern mau hatte wunderlicher Weise 
auch sogar darauf verzichtet, die in den allgemeinen Sitzungen gehaltenen 
Vorträge abzudrucken, welche die meisten Redner in ihrer eigenen Nieder¬ 
schrift der Geschäftsführung einhändigen konnten. Nur die geschäftlichen 
Vorgänge aus den allgemeinen Sitzungen fand man im Tageblatto abgedruckt; 
die Vorträge sollen erst (und nur auf besonderes Verlangen und gegen Er- 
legung von 50 Pf. Porto) „nach einigen Wochen“ dem Theilnehmer nach- 
gesendet werden. Die Tagesordnungen für die Abtheilungssitzungen waren, 
vielleicht durch Saumseligkeit der betreffenden Schriftführer, oft nicht recht¬ 


zeitig abgedruckt, so dass man nie wusste, was man in den Sitzungen zu 
erwarten hatte. Auch das Mitgliederverzeichniss war höchst lückenbafi 
anfangs und wohl bis zuletzt, da nur Diejenigen darin aufgefübrt wurden, 
welche noch besonders ihre Wohnung in Köln angaben, wenn sie auch 
wochenlang vorher ihre Karten gelöst, und sehr häufig waren mündlich von 
den Geschäftsführern Irrthümer und Versehen zu berichtigen, die im Tage¬ 
blatte sich gedruckt fanden und also Alle irreführen mussten, welche nicht 
selbst die mündliche Berichtigung hören konnten. Hoffentlich werden diese, 
bisher nur bei der Kölner Versammlung hervorgetretenen, sehr wesent¬ 
lichen Mängel von dem neugewählten Vorstande stets vermieden werden 
können. 

Um so dankenswerter war unter diesen Umständen die liebenswürdige 
Bereitwilligkeit, mit der manche von den Rednern in den allgemeinen Sit¬ 
zungen mir eigenhändige Aufzeichnungen für diese Zeitschrift zur Verfügung 
stellten. So u. A. auch Herr Prof. Binswanger (Jena), der den ersten 
Vortrag in der ersten allgemeinen Sitzung Aber Verbrechen und Geistes¬ 
störung hielt. Dem unendlichen Reichthum in der individuellen Gestaltung 
der geistigen Entwickelung entspricht die grosse Mannichfaltigkeit der Ab¬ 
weichungen des geistigen Geschehens. Die grösste Schwierigkeit bietet die 
Aufgabe, den verschlungenen Pfaden nachzugehen, auf welchen Verbrechen 
und Geistesstörung Zusammenflüssen, und gerade diese Grenzgebiete zwingen 
dem Arzte die verantwortungsreichsten Fragen auf. Der Vortragende ent¬ 
wickelt die heute gültigen Lehren der Psychiatrie über die Beziehungen 
bestimmter Geistesstörungen zu verbrecherischer Lebensführung. Er hebt 
hierbei hervor, dass die Forschungsergebnisse der Psychiatrie in engster 
Anlehnung an die heute gültigen Strafrecbtslehren betrachtet werden müssen, 
falls wir eine praktische Verworthung derselben überhaupt erreichen wollen. 
„Denn hier, wo wir dem Richter bei der Beurtheilung des strafrechtlichen 
Werthes einer incriminirten Handlung und der Erkenntniss des geistigen 
Zustandes eines Angeschuldigten mit unserer Erfahrung zur Seite stehen 
sollen, ist es nicht angängig, die Rechtsnormen selbst — sie mögen vom 
Standpunkte des inductiv denkenden und naturwissenschaftlich folgernden 
Psychiaters noch so anfechtbar sein — einer Kritik zu unterziehen Die 
Begriffe der Willensfreiheit und der Zurechnungsfähigkeit werden also so 
lange vollgültige Werthe in der Criminalpsychologie und -Psychiatrie bleiben 
müssen, als die geltende Rechtsanschauung dieselben zur Grundlage ihrer 
Thätigkeit macht“ 

Unter Berücksichtigung dioser Gesichtspunkte werden dann weiterhin 
die Begriffe des Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrechers, des angeborenen 
und des gewordenen Verbrechers einer kritischen Untersuchung unterzogen: 
Der Vortragende wendet sich dann zu einer Erörterung der leitenden Ge¬ 
sichtspunkte behufs Schaffung einer Verbrecherbiologie. „Die Erforschung 
des angeborenen Verbrechers wird mit der Ergrnndung der sittlichen Ge¬ 
setze der ganzen Menschheit und des Einzelnen, mit der Ueberlegung der 
diese Gesetze beherrschenden allgemeinen Naturerscheinungen — der phy¬ 
siologischen Anpassung und Vererbung und der pathologischen Verkümme¬ 
rung — beginnen müssen. Welch’ reichen, fast überwältigenden IbM. 
welche Schwierigkeiten bieten diese Aufgaben!“ 

Im weiteren Verlaufe des Vortrages wendet sich Binswanger gegen 
die voreiligen Schlussfolgerungen der italienischen Schule der Criminalpsy¬ 
chologie, welche in Cesare Lombroso einen unermüdlichen Vorkämpfer 
besitzt. -Von dor durch Nichts bewiesenen Annahme ausgehend, dass die 
„wilden“ Völker der Jetztzeit und der Vergangenheit körperlich und geistig, 
insbesondere aber sittlich geringer veranlagt und entwickelt sind und waren, 
folgern die Anhänger dieser anthropologischen Lehren mit einem kühnen 
Sprung der Phantasie, dass der angeborene Verbrecher des modernen Staates 
einem Rückschläge auf Menschen im Urzustände moralischer Beschaffenheit 
sein Dasein verdanke.“ 

Die Arbeiten Lombroso’s und seiner Schule werden dann einer ge¬ 
naueren kritischen Besprechung unterzogen und insbesondere der Nachweis 
geliefert, dass es heute noch unmöglich ist, auf Grund des vorhandenen 
Beobachtungsmaterials einen besonderen Verbrechertypus aufzustellen. „Deber- 
all werden morphologische und physiologische, anthropologische und psy¬ 
chiatrische Erfahrungstatsachen und Erwägungen vermengt. Alle Methoden 
der Forschung werden in lockerem Zusammenhänge herangezogen und ihre 
Ergebnisse in einseitiger Weise verwerthet. Aber trotz der fast erdrückenden 
Fälle ziffemmässiger Belege und der im Gewände exacter Methodik einher- 
schreitenden Schädelmessungen verräth der ganze Aufbau und die Verwer- 
thung der Zahlenbataillone eine nur geringe Kenntniss der wirklich fest¬ 
stehenden Ergebnisse anthropologischer Forschung.“ 

Zum Schluss wendet sich Binswanger mit besonderer Schärfe gegen 
die Bestrebungen Lombroso’s, die verbrecherische Thätigkeit des gebore¬ 
nen Verbrechers mit den Krankheitsäusserungen des moralischen Irrsinn 
und der epileptischen Geistesstörung zusammenzuwerfen. „Die grösste Sumin 
geistiger Arbeit und eindringlicher klinischer Forschungsweise ist auf > 
Begründung der Lehre vom moralischen und epileptischen Irrsinn v ® r . w “ 
worden, und diese ganze mühevolle Arbeit wird von Lombroso leicb * 
Sinnes über den Haufen geworfen, und das klinische Beobacbtungsmaten 
in einseitiger Beleuchtung zur Aufstellung vorschneller Behauptungen v 
werthet. Also schon um unseren Besitzstand wissenschaftlicher Begrün g 
des psychiatrischen Lehr- und Wissensgebietes zu wahren, und eine Ge 
fluthung desselben mit unklaren und in ihrer Allgemeinheit nichts «wg e ° . 
Begriffsbestimmungen zu verhüten, ist eino scharfe Hervorkebrung des 
lieh Bewiesenen und eine Aufdeckung der Irrwege der modernen crun 
psychologischen Schule von Nöthen gewesen.“ _ . .... 

Allgemeiner und lebhafter Beifall lohnte dem durch eine Fülle ^ 
essanter Beispiele und Einzelheiten belebten Vortrage, dessen Wert te 
sonders den Aerzten und vor Allen den Gerichtsärzten einleuchten 
die wohl daran thun werden, den vollständigen Abdruck dieses 
eingehend zu studireu. Weniger wichtig für uns Aerzte, aber foi r p d 1 ua-üm 
gemeine Versammlung und ihr stark mit Damen untermischtes ru ^ 
leichter verständlich und vielleicht auch anziehender, waren die beiden fo ff 6 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


865 


Vorträge der ersten allgemeinen Sitzung, die des Herrn Dr. med. Las sar (Berlin 
(des später gewählten neuen Generalsecretärs): Ueber die Caltnrmnfgabe 
der Volksbäder und des Herrn Dr. von den Steinen (Düsseldorf) 1 Ueber 
den CaltorznsUnd heutiger Steinzettvölker in Brasilien (2. Tsohingu- 
expedltion). Herr Dr. Las sar führte in sorgfältig geschmückter Rede des 
Näheren aus, dass nicht nur im Alterthum schon alle bekannten Culturvölker, 
namentlich die Griechen und Römer, ein wohlausgebildetes Badewesen und 
Bäder von fast unglaublicher Pracht und Grösse besessen haben, sondern 
dass auch wir Deutsche im Mittelalter, wenn nicht schon in der Urzeit, viel 
mehr für die Hautpflege durch Bäder gethan haben, als in der späteren Zeit. 
Er wies in der uns Aerzten aus seineu früheren bez. Schriften und Vor¬ 
trägen, z. B. auf der Breslauer Versammlung des deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege (1886), schon bekannten Weise nach, wie ent¬ 
setzlich vernachlässigt das öffentliche Badewesen heutzutage in Deutschland 
fast überall sei, und dass allerdings jetzt schon eine bessere Zeit heranzu¬ 
brechen beginne, seitdem die billigste und deshalb empfehlenswertheste Form 
des Volks brau s ebades, meist nach dem von Herrn Dr. Lassar auf der 
Berliner Hygieneausstellung vorgeführten Modelle, nicht nur von gemein¬ 
nützigen Gesellschaften, sondern namentlich von der Armeeverwaltung und 
einzelnen Schulen (zuerst in Göttingen) in’s Leben geführt worden. 

Von dem ebenfalls mit lebhaftem Beifalle aufgenommenen, höchst an¬ 
ziehenden Vortrage des Herrn Dr. von den Steinen glaube ich, da er für 
Aerzte nicht gerade ein besonderes Interesse hatte, um so weniger Näheres 
berichten zu dürfen, da er sich, wie jede Schilderung, kaum im Auszuge wieder¬ 
geben lässt. _ (Fortsetzung folgt.) 


XII. Verhandlungen des 56. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

(Originalbericht.) 

(Fortsetzung aus No. 40.) 

F. Oeffentliche Gesundheitspflege. 

Der Präsident, Littlejohn (Edinburgh), hielt eine Ansprache, worin er 
besonders auf die jetzt noch hier zu Lande bestehenden Mängel in der Ge¬ 
setzgebung hinwies und deren Abstellung verlangte; er sei entschieden der 
Ansicht, dass der Gesundheitsbeamte nicht zugleich prakticiren dürfe. Von 
den ihm folgenden Rednern wurde die Anstellung eines Gesundheits- 
Ministers als unerlässlich angesehen. 

Waliey (Edinburgh) sprach dann über das Wesen der Krank¬ 
heiten, welche von Thieren auf Menschen übertragen werden. 
Anthrax verursachte in dieser Beziehung schreckliches Unheil. Im Jahre 
1881 brach eine Epidemie von Rabies in Edinburgh aus, welche binnen 
8 Monaten mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurde, und ebenso könnte man 
den Anthrax binnen 6 oder 12 Monaten ausrotten. Die wichtigste Pest 
jedoch sei augenblicklich ohne Frage die Tuberkulose, welche fortwährend 
durch Ingestion, Inhalation und direkte Impfung von Menschen auf das Vieh, 
und umgekehrt wieder zurück, mitgetheilt würde. Von 13 Thieren, die 
kürzlich in Edinburgh wegen Pleuropneumonie getödtet wurden, litten 6 
an Tuberkulose. Hühner litten zu Tausenden an dieser Krankheit, welche 
durch den Genuss der Eier verbreitet werden könnte. Er beantragte die 
Errichtung einer Commission, welche officiell diesen Gegenstand gründlich 
untersuchen sollte. Crookshank hat Tuberkulose sehr häufig bei Schweinen, 
Kühen und Hühnern gefunden. So vergiftete Milch tödtet oft Kinder. Er 
ging auch auf die Frage ein, ob acute Infectionskrankheiten, wie Diphtheritis 
und Scharlach, nicht von der Kuh herrührten. Brown (Carlisle) berichtete 
über eine Epidemie von Typhus in einer Milchanstalt, der eine fieberhafte 
Krankeit der dort gehaltenen Kühe vorausgegangen war. Hirne (Bradford) 
sprach über das Milch-Scharlachfieber, und Carpenter (Croydon) behauptete, 
dass 80% v <>n allem Fleisch, welches auf den Londoner Markt käme, 
tuberculös sei!! Caird (Edinburgh) hielt diese Annahme für zu hoch und 
glaubte, dass es etwa 25o/o sein möge. (Schon zu viel! Ref.) 

Rüssel (Glasgow) sprach über die Drainage dieser Stadt, welche durch 
Erweiterung und Vertiefung des Bettes des Clyde-Flusses sehr verbessert 
sei, indem der Unrath jetzt weit schneller in das Meer befördert werde. 
Drysdale (London) behauptete, dass die einzige rationelle Methode den 
Unrath zu behandeln und die Reinheit der Flüsse wiederherzustellen sei, 
denselben für den Ackerbau zu verwerthen, wie es jetzt in Berlin, Paris, 
Croydon, Birmingham u. a. 0. geschehe. Eine längere Abhandlung von 
Sutherland (Glasgow) über Hospitalverwaltung'beschloss die Arbeiten dieser 
Section. 

G. Kinderkrankheiten. 

Der Präsident Che adle (London) bemerkte in seiner Ansprache, dass 
noch viel zu wenig Gewicht auf den klinischen Unterricht auf diesem Gebiete 
gelegt würde, und sprach sich gegen die Thatsache aus, dass Kinder unter 
zwei Jahren gewöhnlich nicht in Kinder-Hospitäler aufgenommen würden, 
während doch gerade in dieser Periode sich die so äusserst wichtigen an¬ 
geborenen Structurfehler und ererbten Krankheiten am deutlichsten zeigten. 

Jacobi (New-York) eröffnete dann eine Discussion über Diphtheritis 
und sprach besonders über Aetiologie und Behandlung. Das Gift träte 
leicht in den Organismus ein, wenn das Epitbelium der Schleimhäute ver¬ 
loren gegangen sei, und die Structur der verschiedenen Schleimhäute sei 
von Wichtigkeit, da sie die Resorption des auf ihre Oberflächen gebrachten 
Giftes verzögern oder beschleunigen' könnten. Er sprach über Autoinfection 
und die Mittel, wodurch dieselbe verhindert werden könnte, wobei besonders 
die Abrasion der Schleimhäute eine beträchtliche Rolle spielte. Unter den 
Arzneimitteln hielt er die Perchloride des Eisens und Merkurs für die 
besten. Parker (Birmingham) behandelte besonders die chirurgische Be¬ 
handlung der Krankheit. Er versucht, die Trachea mit einem einzigen 
Schnitte zu öffnen, nachdem die subcutanen Gewebe aussecirt waren, da, je 


weniger man die Structuren störe, desto geringer die Gefahr der Resorption 
von den Schnittflächen sei. Er zöge die hohe Operation und die Tracheotomie 
der Intubation vor. Er glaubte, dass es in einigen Fällen erlaubt wäre zu 
operiren, ehe es zur Dyspnoe gekommen sei, da man dadurch die Inhalations- 
Pneumonie, welche gewöhnlich letal endigte, vermeiden könnte; diese An¬ 
sicht wurde indessen von den meisten späteren Rednern zurückgewiesen. 
Ranke (München) wies darauf hin, dass Emmerich einen für die Diphtheritis 
charakteristischen Micrococcus entdeckt habe. Der Einfluss der Canalisation sei 
sehr gross; seitdem man dieselbe in München tüchtig in Angriff genommen 
habe, gäbe es so gut wie keinen Typhus mehr, obwohl Diphtheritis noch 
vorkäme. Seine Statistik der Resultate der chirurgischen Behandlung wäre 
sehr günstig. Waxham (Chicago) demonstrirte die Intubation, womit er 
vortreffliche Resultate erzielt hätte; er zieht dieselbe der Tracheotomie vor. 

Cheadle (London) eröffnete dann eine Discussion über Rhachitis. 
Dieselbe ist seiner Ansicht nach eine Allgemeinkrankheit, und die Ursachen, 
welche gewöhnlich angegeben werden, wie schlechte Umgebungen u. s. w., 
seien alle der Hauptursache, nämlich mangelhafter Ernährung, untergeordnet. 
Wenn Kinder mit dem Löffel aufgefüttert würden, käme es leicht zu der 
Krankheit, besonders wenn die Nahrung reich an Amylum sei; nicht etwa 
wegen Anwesenheit der Stärke, sondern wegen Abwesenheit durchaus 
wesentlicher Substanzen, worunter das Fett die Hauptrolle spiele, woran 
erst nachher stickstoffhaltige Nahrungsmittel und phosphorsaurer Kalk sich 
anreihten. Syphilis hätte keinen wesentlichen Einfluss auf dio Entstehung 
der Rhachitis, accentuirte aber dieselbe wenn sie vorhanden wäre. Vortr. 
stützt seine Ansichten mit den Resultaten der Ernährung der jungen 
Löwen im Londoner Zoologischen Garten. Die Verbindung der Rhachitis 
mit infantilem Scorbut und das späte Auftreten der Krankheit wurde gleich¬ 
zeitig besprochen, wobei sich Redner nicht verhehlte, dass der letzte Um¬ 
stand einigermassen gegen seine Theorie spräche. Die Vergrösserung der 
Leber und Milz hielt er durchaus nicht für ein wesentliches Charakteristicum 
der Krankheit, sondern glaubte, dass sie von gleichzeitiger Syphilis abzuleiten 
sei. Die Behandlung der Krankheit bestehe in richtiger Ernährung, und 
seien Milch, Sahne und rohes Fleisch besser als Eisen und Leberthran. 

Ogston (Aberdeen) sprach über die chirurgischen Verhältnisse, be¬ 
sonders des'Pes planus und der Rückgratsverkrümmung. Ranke (München) er¬ 
klärte sich für, aber Jacobi (New-York) gegen Cheadle. Der letztere be¬ 
hauptete, dass die Beschaffenheit der Blutgefässe und des Herzens mit Bezug 
auf Congestivzustände eine wichtigere Ursache sei, als die Ernährung, und 
in der Behandlung der Rhachitis sei der reine Phosphor ein ausgezeichnetes 
Mittel. Asheby (Manchester) hält die Rhachitis für eine ererbte Dyspepsie, 
welche eine gute Ernährung verhindert. Die Vergrösserung der Milz sei 
rein anämischen Ursprungs. (Fortsetzung folgt.) 

Xm. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

10 . 

M. J. Afanassiew. Aetiologie und klinische Bacterio- 
logie des Keuchhustens. (Aus dem klinisch-bacteriol. Labora¬ 
torium des klin. Instituts der Grossfürstin Helena Pawlowna zu St. 
Petersburg). Wratsch 1887, No. 33—35, 37—38. 

Die Veranlassung zu dieser Arbeit gaben mehrere in der Familie 
des Verfassers selbst gleichzeitig aufgetretene Fälle von Keuchhusten. 
Das Sputum, dem Stadium convulsivum entnommen, wurde unter 
den sorgfältigsten Cautelen zunächst einer genauen mikroskopischen 
Untersuchung unterworfen, und im Schleim und unter den Eiter¬ 
zellen meist zerstreute, kurze Stäbchen (0,6—2,2 ,«) gefunden, 
die theils einzeln lagen, theils zu zwei gepaart, oder in langgezogenen 
Ketten und in Häufchen sich präsentirten. Ausser diesen anscheinend 
gleichartigen Bacterien konnte man hier und da auch noch anders 
gestaltete Mikroben, grösstentheils Coccen erkennen, die jedoch äusserst 
spärlich vertreten waren und im Gesichtsfelde neben den Stäbchen 
geradezu verschwanden. — Gestützt auf diese ersten, stets sich 
wiederholenden Befunde, schritt Verfasser behufs näherer Unter¬ 
suchung der morphologisch-biologischen, sowie pathogenen Eigen¬ 
schaften zur Isolirung oben erwähnter Stäbchen mittels des Platten¬ 
verfahrens. Nach etwa 2—3 Tagen waren bei Zimmertemperatur auf 
allen 4 Plättchen Bacteriencolonieen in grosser Zahl zu sehen, welche 
fast gleichartig waren. In jedem Präparate fanden sich im Ganzen 
4 Arten von Mikroorganismen vor, die einzeln gezüchtet und im 
isolirten Zustande studirt werden konnten. Unter ihnen wurde nament¬ 
lich die schon früher im Sputum aufgefallene und auch hier das 
Gesichtsfeld beherrschende Bacterie auf verschiedenen Nährböden 
cultivirt und einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen. Kein 
einziger Nährboden wurde von ihr verflüssigt. Sie gedieh 
auf verschiedenen Nährböden, und zwar schon bei gewöhnlicher 
Temperatur. Ihr Wachsthum ist ein relativ langsames, 
recht rasch dagegen im d’Arsonval’schen Thermostaten (bei 37 bis 
38 o C). Auf Gallerte ist das Wachsthura schwächer als auf Agar- 
Agar und sehr ergiebig auf Kartoffeln. In der Gallerte er¬ 
scheint sie kleiner und dünner als auf Agar und Kartoffeln. Die 
Colonieen selbstsind rund oder oval, von hellbrauner Farbe, 
mit mehr platten, nicht gezackten Rändern. Die ovalen Colonieen 
pflegten intensiver gefärbt und nach der Mitte zu dunkler als nach 
aussen zu sein. Die jüngsten Colonieen waren dagegen farblos. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab in allen diesen Colonieen 


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866 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


Reincultnren derselben Stäbchenbacterie, wie sie un¬ 
mittelbar im Keuchhustenauswurf zu finden war. 

Es war nun wichtig zu entscheiden, ob diese Bacterie patho¬ 
gener Natur und bei Thieren einen dem Keuchhusten wenigstens 
annähernd ähnlichen Krankheitszustand zu erzeugen im Stande sei. 
Im Ganzen sind bisher in dieser Richtung 18 Versuche (12 an 
jungen Hunden und 6 an jungen Kaninchen) angestellt worden. Um 
den Bedingungen der natürlichen Ansteckung möglichst zu folgen, 
wurden die Bacteriencolonieen aseptisch in die Luftröhre und in die 
Bronchien eingespritzt, ungefähr nach derselben Methode, welcher 
man sich bei der künstlichen Erzeugung der croupösen Pneumonie 
bedient. Bei diesen Versuchen erkrankten sämmtUche Thiere, wo¬ 
bei ein Theil sich bald wieder erholte, ein anderer schon nach 2—3 
Tagen zu Grunde ging; endlich bei einer dritten Gruppe waren 
die Thiere längere Zeit krank, bis sie schiesslich ebenfalls krepirten. 
Was die Krankheitserscheinungen anbetrifft, so waren die¬ 
selben im Grossen und Ganzen ähnlich denjenigen des Keuch¬ 
hustens. Bei der Section zeigten sich die meisten Veränderungen 
in den Lungen und Bronchien: in den Lungen fanden sich wieder¬ 
holt bronchopneumonische, erbsen- bis pflaumengrosse Knoten, 
in den Bronchien; und in der Luftröhre war die Schleimhaut stark 
geröthet und mit klebrigem durchsichtigem Schleim bedeckt. 
Wurde die Section sofort ausgeführt, so fand man in den broncho- 
pneumonischen Knoten und im Schleim der Respirationswege 
Reinculturen der eingespritzten Bacterie. 

Verfasser bezieht die in seinen Versuchen beobachteten Resultate 
direkt auf die Wirkung der hier beschriebenen Bacterienculturen. 
Er untersuchte weiter das Sputum von noch anderen 8 Fällen von 
Keuchhusten und fand jedesmal sowohl mikroskopisch, als durch 
Herstellung von Reinculturen und durch Ueberimpfung, dieselben 
Bacterien. Bei Complication mit Bronchopneumonie traten letztere 
manchmal geradezu in Reinculturen auf. Wo der Fall rein verlief, 
war die Stäbchenbacterie trotzdem im Sputum vorhanden. Die 
schon mehrmals erwähnte Stäbchenbacterie scheint ihre Lebensfähig¬ 
keit im Reagensgläschen ziemlich lange zu behalten: noch nach etwa 
4 Wochen konnte man Ueberimpfungen aus einem solchen Reagens¬ 
gläschen mit Erfolg anstellen, obschon der Nährboden und folglich 
die Culturen bereits nach 1—2 Wochen zu vertrocknen beginnen. 

Professor Afanassiew hatte Gelegenheit, vier an Keuch¬ 
husten verstorbene Kinder zu seciren (davon 2 mit Com- 
plicationen) und ihre Organe auf die uns hier interessirenden Bac¬ 
terien zn untersuchen. Aus dem Safte, den er den hepatisirten 
Lungentheilen resp. bronchopneumonischen Knoten entnommen 
hatte, und aus dem Schleim der Luftwege verfertigte er entsprechende 
Präparate resp. stellte mit diesem Material Impfversuche auf ver¬ 
schiedenen Nährböden an. Alle vier Sectionen lieferten, ebenso wie 
eine später noch ausgeführte fünfte, ein mehr oder weniger positives 
Resultat. 

Die Ergebnisse seiner Untersuchungen resümirt Professor 
Afanassiew in folgenden Sätzen: 

1. Im Sputum von am Keuchhusten Erkrankten findet sich 
stets ein zarter, kurzer Bacillus vor, welcher von den bisher be¬ 
kannten pathogenen und nicht pathogenen Bacterien sich durch 
gewisse sowohl morphologische als biologische Eigenschaften unter¬ 
scheidet. 

2. Diese Bacterie erwies sich an jungen Hunden, nach Ein¬ 
spritzung durch die Luftröhre oder unmittelbar in die Lunge, als 
pathogen. Die so künstlich erzengten Krankheitserscheinnngen 
waren am ehesten denjenigen beim Keuchhusten gleichznstellen. 
In manchen Fällen war die auf diese Weise zu Stande gebrachte 
Krankheit mit Bronchopneumonie complicirt. 

3. Bei den inficirten Thieren haftete die betreffende Bacterie 
auf der Schleimhaut der Luftwege. 

4. Diese Bacterie konnte auch in den Leichen von Kindern 
nachgewiesen werden, die an Keuchhusten zu Grunde gegangen 
waren, und zwar in den Lnngen und im Schleim der Athmnngswege. 

5. Auf Grund aller dieser Befunde glaubt Verfasser berechtigt 

zn sein, die betreffende Bacterie als Bacillus tussis convul- 
sivae ansprechen zu dürfen. Zederbaum. 

D. G. Ssemtschenko. Zur Frage der Keuchhusten- 
bacterie. St. Petersburger med. Wochenschr. 1888, No. 22 u. 23. 

Auf Anregung des Prof. Afanassiew, des Entdeckers der 
Keuchhustenbacterie, hat Verf. im klinisch-bacteriologischen Labora¬ 
torium des klinischen Heleninstituts in St. Petersburg diese Frage 
näher studirt und ist zu dem Resultat gekommen, dass die Bacterie 
Afanassiew’s in der That eine specifische ist, dass sie sich vom 
vierten Tage an im Auswurf findet und vor dem gänzlichen Aufhören 
der Anfälle aus dem Auswurf schwindet. Complicirende katarr¬ 
halische Pneumonie, die verschieden ist von der uns bisher bekann¬ 
ten Form von Pneumonie, wird von einer sehr grossen Vermehrung 
der Bacterien im Auswurf begleitet. M. Schmidt (Riga). 


XIV. Oeffentliches Sanitatswesen. 

Die neueste Ministerialrerordnung bezüglich der Privat- 
Irrenanstalten. 

Von Prof. Falk in Berlin. 

Die Verfügung der Minister des Innern, der Justiz und der geistlichen 
pp. Angelegenheiten vom 19. Januar d. J. „betreffend die Aufnahme ton 
Geisteskranken in Privatirrenanstalten und deren Entlassung“ ist, nachdem 
sie kaum in die Oeffentlichkeit gelangt und in Kraft getreten war, zum 
Gegenstand lebhaften Angriffes geworden, der, von Irrenanstaltsleitem aus¬ 
gehend, auch mehrere Aerztevereine im Westen des Königreichs in Anspruch 
genommen hat Auch diese Zeitschrift hat solchen anstaltsärztlichen Be¬ 
klemmungen Raum gewährt. Ich stehe nun nicht an, von vorn herein zu 
erklären, dass ich diesen Ansturm nicht für begründet erachte und gerade 
die besonders angefochtenen Bestimmungen jener Verordnung nach wie vor 
mit Freuden begrüsse. Obwohl ich mich über diese und verwandte Fragen 
anderwärts bereits wiederholentlich geäussert habe, so will ich mich doch 
wieder, voraussichtlich jetzt für längere Zeit zum letzten Male, auslassen. 
da der Gegenstand vielleicht in noch weitere ärztliche Kreise getragen werden 
könnte, ohne dass dabei sachlich Neues zu Tage trete. Ich kann mich hier 
durchaus unbefangen aussprecben; ich habe zwar im Medicinalbeamtenverein 
im Jahre 1885 sowie in der 57. und 58. Versammlung des psychiatrischen 
Vereins zu Berlin zufällig ähnlichen Anschauungen Ausdruck gegeben, wie 
sie jene Verordnung nun zur Geltung bringt, aber ich bin — selbstverständ¬ 
lich — bei der Abfassung in keiner Weise direkt oder mittelbar betheiligt 
gewesen, und, da unschönerweise auch der Punkt in der Presse berührt 
worden ist, ich habe durch die Verordnung keinen materiellen Vortheil, da 
der Medicinalbeamte der Heimath der Kranken in erster Reihe in Action 
tritt, und ich jetzt gegen früher nur einen Bruchtheil der Aufnahmeatteste 
auszustellen habe. Ich kann bei den nachstehenden Erörterungen es kaum 
vermeiden, früher von mir Gesagtes mitunter wörtlich zu wiederholen. 

Eine generell regelnde Verfügung der Centralbehörden war thatsächlich 
erforderlich, wie dies Irrenärzte selbst aussprachen iip eigenen Interesse 
ihrer Anstalten, denn die Sachlage war derart, dass nahe bei einander, aber 
in verschiedenen Verwaltungsgebieten belegene Institute von einander ganz 
abweichende Aufnahmebedingungen, die eine strenge, die andere milde hatten. 
Ich selbst habe seiner Zeit die Angelegenheit auf diesbezügliche Anregungen 
von Anstaltsärzten (und von Verwaltungsbeamten) zur Sprache gebracht 

Es kommt hinzu, dass Besitz und Leitung von Privatirrenanstalten jetzt 
nicht mehr blos in Händen von fleissigen, specialistisch geschulten Aerzten 
liegt, sondern mehrfach zu einer Art von Speculation geworden ist oder, 
richtiger, in Hoffnung auf wirtschaftlichen Vortheil von Aerzten erstrebt 
wird, die der Irrenheilkunde bisher fern gestanden, überdies auch die ZaW 
der von Nichtärzten verwalteten Anstalten eine anwährende Zunahme ec 
fährt. Dies sind Gründe genug, eine umsichtige Controle sämmtlichcr Pn«!- 
irrenanstalten herbeizuführen, und in dieser Richtung erscheint jene ’«■ 
Ordnung zweckdienlich und anerkennenswerth. 

Ich glaubte nun, dass, nachdem man die Angelegenheit in Vereinen, 
in Berichten der Verwaltungsbehörden und schliesslich in Beratungen de 3 
höchsten medicinisch-technischen Collegii erörtert hatte, und als Frucht dieser 
Mühen die Verordnung herauskam, man zunächst erst hätte abwarten können, 
ob dieser Erlass wirklich „schädlich für die Anstalten“, und seine »Aus¬ 
führung ungeahnt schwierig“ sei. Statt dessen wird dies ohne Erfahrung 
schlankweg behauptet. Hätte man aber bisherige Erfahrung zu Rathe ge¬ 
zogen, ganz andere Schlussfolgerungen wären entstanden. Die am Rhein 
jetzt so stark bekämpften Bestimmungen sind fast in ihrem ganzen Umfangt 
seit Jahren im diesseitigen Verwaltungsbezirke maassgebend, und in gl* ic 
langem Zeiträume hat sich erwiesen, dass diese Einrichtungen „die Krankt“ 
nicht schädigen“, die Angehörigen, deren Interesse doch noch höher ste 
als die Rücksicht auf Bequemlichkeit der Anstaltsbesitzer, nicht behellig« 1 ' 
und dass auch letztere nicht beeinträchtigt werden, lehrt nun die Thatsacöe, 
dass wohl nirgends im deutschen Vaterlande das Privatirrenanstaltswesen m 
so üppiger Blüthe emporgediehen ist, wie in und nahe der Reichshauptsta 
Sonach dürfte auch anderwärts daraus kaum ein Hinderniss für ®| Ie “ 
der Irrenanstalten erstehen. Gerade Leiter besonders grosser Privatinstitu 
haben in Vereinsdiscussiouen hier erklärt, durch jene Bestimmungen in jure 
Berufsthätigkeit sich nie im mindesten gehemmt oder belästigt gefühlt i 
haben. 

Die Verordnung entspricht, um dies auch hier zu betonen, an k,rf "r p 
noch lange nicht den Anschauungen, und seien dies auch Vorurteile, we ^ 
sogar im gebildetsten Laienpublicum über das Anstaltswesen herrschen. ^ 
ist denn auch nicht so rigoros wie denselben Gegenstand betreffende neu 
liehe Anordnungen in anderen CulturStaaten, die sogar dem 
sehen Elemente einen breiten Raum der Mitwirkung bei der Beaufsichtigu^ 
der Anstalten gewähren.' Gerade in dieser Beziehung erscheint “Jf. 
Ministerialverordnung in vortheilhaftestem Lichte, indem sie das *- ^ 

gewicht auf die medicinisch-technische Autorität legt. Schon von J e . w ® 
Polizei, wenn ihr die Aufnahme aus irgend einem Grunde, unter ^ 
weil ihr das privatärztliche Attest gleichviel weshalb unzuverlässig pr _’ 
berechtigt, ihrem Vertrauensmann die Untersuchung des der Anstalt ^ 
gebenen zu überweisen. Sie konnte hierzu den Medicinalbeamten verW , 
wie ich aber Fälle kenne, betraute sie auch höhere Verwaltung 8 in 
oder sogar Subalterne. Andererseits stand auch dem Kreisphysikns, ^ 
hiesigen Bezirken die Aufnahmen unter Uebersendung der mitge 
ärztlichen Atteste angezeigt wurden, die Befugniss zu, wenn ihm 6 . „ 

nahmeattest nicht ausreichend erschien, sich an Ort und Stelle zu 
und sein Votum als maassgobend auszusprechen. Welcher Wilnstimmmf 
hierdurch die Thür geöffnet, und alledem bricht eben die neueste Be 
die Spitze ab, wonach einfach immer ein medicinal-amtlichcs Aougsi *• 
gatorisch ist, und merkwürdigerweise richten sich gerade geg®“ g^im- 
jene Angriffe fast ausschliesslich, während andere, eher anfechtbar 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHB W0CHEN8CHRIFT. 


867 


inungen, die ich zum Schlüsse kurz erwähnen darf, ruhig in den Kauf ge¬ 
nommen werden. 

Die grundsätzliche Vorschrift eines amtsärztlichen Attestes (nicht blos 
das Physikatszeugniss, auch das eines Kreiswundarztes genügt) soll „beleidi¬ 
gend für die praktischen Aerzte“ sein. Nun erscheint es doch sonderbar, 
dass die jetzige Agitation, gegen welche ich mich wende, nicht aus dem 
Schoosse der Praktiker hervorgeht, sondern von Besitzern privater Anstalten 
angefacht ist Ich glaube oft genug bemerkt zu haben, dass gerade be¬ 
sonders „zuverlässige“ praktische Aerzte jeder Attestschreiberei abhold sind, 
und dies oft recht leidige Geschäft gern den Medicinalbeamten überlassen. 
Nun müsste es doch als recht auffällig gelten, dass, während zu verhältniss- 
mässig harmlosen Erklärungen, Badeurlaub, Vertretung, Stipendiener- I 
langung u. a. Beibringung von Physikatsattesten verlangt und auch noch 
von keinem Aerztevereine angefochteu wird, das Attest für die Aufnahme in 
Irrenanstalten von jedem, ich sage trivial, beliebigen Arzte ausgestellt werden 
dürfte, ein Zeugniss, welches mindestens zeitweiligen Verlust der Freiheit 
rechtfertigen soll, Anlass zur Einsetzung einer Pflegschaft gewähren, Einleitung 
eines Entmündigungsverfahrens begründen kann. Schon wegen der foren¬ 
sischen Bedeutung des die Ueberführung in die Anstalt begründenden 
Attestes erscheint der Ausspruch des Beamten, weil Gerjchtsarzt, unerläss¬ 
lich. Ist es denn entehrend für die Civilärzte, einschliesslich der Medicinal¬ 
beamten, dass für militärische Zwecke das Zeugniss auch des trefflichsten 
Arztes nicht entscheidet, sondern für die Militärbehörde die Erklärungen der 
Militärärzte maassgebend sind? Jene Aufaahmeatteste sind eben auch für 
öffentliche Behörden bestimmt, daher das Erforderniss des amtsärztlichen 
Zeugnisses eigentlich so gut wie selbstverständlich, wie ja auch private Ver¬ 
bände ihre Vertrauensärzte wählen. 

Dazu kommt die besondere Vorbildung der Beamten. Dass nicht jedem 
Arzte ohne Weiteres die volle wissenschaftliche Zuverlässigkeit eingeräumt 
werden könne, hat auch die 57. ordentliche Generalversammlung des Vereins 
der Aerzte des Regierungsbezirks Köln am 15. Mai 1888 zu erkennen ge¬ 
geben, in welcher doch der Ansturm am heissesten gewesen zu sein scheint; 
der Verein hat beantragt, dass das privatärztliche Attest für Aufnahme eines 
Individuums in die Irrenanstalt Geltung haben solle, unter der Voraussetzung, 
dass hinfort sämmtliche Aerzte (soll wohl heissen: Candidaten der Medicin) 
„eine Prüfung in der Psychiatrie abzulegen haben“. Zunächst würden dann 
die nach den bisherigen Bestimmungen der Prüfungsordnung examinirten 
Aerzte ausfallen. Es ist aber auch jenes neuerliche Verlangen nach obliga¬ 
torischer Prüfung der angehenden Aerzte in Psychiatrie nicht zu unterstützen. 
Nach eingehenden Erwägungen haben die entscheidenden Behörden jene 
Forderung abgewiesen, auch würde deren Erfüllung die Begehrlichkeit an¬ 
derer Specialitäten erwecken. Hingegen sind die Medicinalbeamten schon 
von je anlässlich der Physikatsprüfung genöthigt, sich mit jenem Fache zu 
beschäftigen, und wenn die Irrenärzte noch eine Verschärfung dieses Examens 
wünschen, nun ich habe kein Bedenken hiergegen. 

Ausser der wissenschaftlichen kommt es aber bei der Wichtigkeit des 
Attestes auch auf die moralische Qualification des Ausstellers an. Nun ist 
gewiss diese moralische Zuverlässigkeit der Herren, welche jetzt die Agitation 
schüren, über allen Zweifel erhaben; können sie dasselbe aber von allen 
Aerzten behaupten? Doch wohl nicht. Da sich auch Aerztekammern un- 
nöthigerweise mit der uns hier beschäftigenden Materie befassen mussten, 
so genügt wohl der Hinweis darauf, dass die Verordnung bezüglich der Ein¬ 
führung von Aerztekammern in Preussen die Verhängung von Disciplinar- 
strafen (für räudige Schafe) in’s Auge gefasst hat. 

Und schon hat in ihrer zweiten Sitzung die Pommersche Aerztekaminer 
die in der Verordnung den Kammern zugewiesene Disciplinarcompetenz 
nicht für ausreichend erklärt! Und da soll man, bei dem beängstigenden 
Wachsen der Zahl der Aerzte, einem jeden die „Zuverlässigkeit“ zusprechen. 
Und wonach soll nun die Behörde die Zuverlässigkeit des noch dazu wer 
weiss wie fern wohnenden Arztes ermessen? Wie bei anderen Anlässen, so 
ist auch hier die einfachste und richtigste Lösung: nur ein amtsärztliches 
Attest hat Gültigkeit. Wenn ein solches ungenügend sein sollte, nun, dem 
Beamten können in dieser Beziehung bindende Vorschriften gemacht werden, 
den privaten Aerzten nicht, auch nicht den Psychiatern. 

Bedenklicher Zeitverlust braucht durch die Hinzuziehung der Medicinal- 
Beamten nicht besorgt zu werden, denn Kreisphysikus und Kreis Wundarzt 
sind hier gleichberechtigt, und einer von beiden wird doch bei heutigen 
Verkehrsverhältnissen leicht zu erreichen sein. Dass die Discretion durch die 
amtsärztliche Untersuchung nicht gefährdet ist, erscheint selbstverständlich; 
wenn ein Beamter sie schädigt, so würde sein Verfahren eher Ahndung zu 
gewärtigen haben, als eine Taktlosigkeit, die sich ein Privatarzt hat zu 
Schulden kommen lassen. Allen Weiterungen ferner gestattet die Verordnung 
zuvorzukommen, indem sie für eine ganze Anzahl von Fällen ermöglicht, die 
Kranken zunächst ohne amtsärztliches Attest aufzunehmen, wenn solches nur 
bald nachgeschafft wird. Dass nun der Beamte in der Anstalt den Kranken 
untersucht, ist nichts weniger denn störend; auf Grund reicher Erfahrung 
trete ich nachdrücklich dem entgegen, dass durch nunmehriges Hinzukommen 
„eines von den Angehörigen nicht beanspruchten Arztes“ diese gekränkt oder 
unangenehm berührt würden. Im Gegeutheil, dieselben sind meist sehr 
zufrieden, wenn, sei es im Einklänge, sei es im Widerspruch mit ihrer 
eigenen Ansicht, der Hausarzt und der Anstaltsarzt die Aufnahme in der 
Anstalt empfohlen haben, und nun noch ein ganz unbeteiligter, mit staat¬ 
licher Autorität versehener Arzt sich zu äussem hat. Und je häufiger der 
Beamte die Anstalt zu betreten Anlass hat, um so besser, und der Leiter 
einer Anstalt, der sein Institut in Ordnung hält, kann sich nur freuen, dies 
immer wieder durch den Augenschein bekunden zu lassen. — So wiederhole 
ich, dass theoretische Erwägungen und Analogieen für die Nothwendigkeit 
des Angeordneten sprechen, und dass unser aller Lehrmeisterin, die Erfahrung, 
die Ausführbarkeit der festgesetzten Maassnahmen klar dargethan hat. 

Sollte hier das amtsärztliche Attest nicht obligatorisch bleiben, so 
lohnt es kaum, für andere Zwecke auf solchem zu bestehen; nirgends erachte 
ich es für bedeutsamer, und zwar, ebenso wie die Zuziehung der Medicinal¬ 


beamten zu Entmündigungstenninen, nicht um dadurch Psychiatrie zu lernen 
oder in ihr grössere Sicherheit zu erlangen, sondern weil es sich so recht um ' 
Ausübung staatlicher Functionen handelt, gleich wie z. B. die Untersuchung 
Gestellungspflichtiger Militärärzten zufällt. 

Ein „Dualismus“ im civil ärztlichen Personal wird dadurch nicht ge¬ 
schaffen, er ist schon da, so lange es ein medicinisches Beamtenthum giebt, 
und das Ziel aller Aenderungs-, bezw. Besserungsbestrebungen ist, noch 
schärfer private und beamtete Aerzte zu sondern. 

Wenn übrigens angeführt worden ist, dass nun auch für Aufnahme in 
öffentliche Anstalten amtsärztliche Atteste gefordert werden müssten, so habe 
ich bereits früher geäussert, dass ich gegen jene Ausdehnung gar nichts 
anzuführen hätte. Schon jetzt finden hier mehrfach derartige Aufnahmen 
auf Grund von der Ortspolizeibehörde nachgesuchter Physikatsatteste statt. 

Ich komme nun zum Revisionswesen. Nun dass Revisionen nöthig sind, 
werden wohl auch Fanatiker der Gegenpartei nicht bestreiten, sind doch 
auch alle anderen Krankenanstalten regelmässiger Coutrole unterworfen. 
Gerade auch in Bezug auf die Revision hat, wie erwähnt, die Preussische 
Ministerialverordnung ungewöhnliche Vorzüge vor ähnlichen Vorschriften in 
anderen Staaten, da sie nur ärztliche Persönlichkeiten mit der Revision be¬ 
traut; dass dies lediglich Medicinalbeamte sein müssen, sollte wirklich gleich¬ 
falls selbstverständlich sein: wenn schon die Psychiatrie nicht, eine Art von 
eleusinischen Mysterieu, nur der kleinen Gemeinde der Anstaltsärzte geoffenbart 
ist, so kommt es bei jenen Revisionen vollends nicht auf praktisch-psychiatrische, 
sondern wesentlich auf hygienische und administrative Dinge an, und dass 
diese von den Medicinalbeamten ausreichend beherrscht werden, können die 
Anstaltsärzte schon zuzugeben die Güte haben, der Beamte genügt ohne 
jeden Beistand. Schon immer hatte übrigens der Physikus das Recht und 
die amtliche Obliegenheit, die Irrenanstalten im Kreise zu revidiren, und 
auch der Regierungsmedicinalrath waltete gelegentlich dieses Amtes. Hierin 
wird jetzt nichts geändert, eine „Zersplitterung der Beaufsichtigung“ nicht, 
höchstens deren Vertiefung herbeigeführt. 

Ich habe mich seiner Zeit auch gegen den Beschluss des psychiatrischen 
Vereins zu Berlin erklärt, dass „die Berufung eines erfahrenen Irrenanstalts¬ 
direktors in die Ministerialinstanz zum Decementen für Irrenpflege der 
Monarchie ein unabweisbares Bedürfniss“ sein solle. 

Einer solchen Vermehrung des bureaukratischen Apparates wäre ent¬ 
gegenzutreten; das bisherige Medicinalbeamtenthum in allen seinen Instanzen 
reicht noch vollkommen hin. Soll denn für das übrige Krankenhauswesen 
ein früherer Hospitaldirigent, für die pharmaceutiscben Angelegenheiten ein 
ci-devant Apotheker u. s. f. berufen werden? eins ist so wichtig wie das 
andere. Uebrigens steht ja der Ministerialbehörde eine technische Deputation 
begutachtend zur Seite, in deren Schoosse sich auch hohe irrenärztliche 
Autoritäten befinden, und dieser angesehenen Vereinigung entstammt ja auch 
die neue dankenswerthe Ministerialverordnung. 

Allerdings glaube ich, dass letztere u. a. noch manches nicht unbedingt 
erforderliche Schreibwerk verlangt, und dass ohne Noth eine Anzahl von Be¬ 
hörden in Anspruch, genommen wird. Ich bin nach wie vor der Ansicht, 
dass es genügen könnte, lediglich Medicinalbeamte und die Staatsanwaltschaft 
von den Aufnahmen in die Irrenanstalten zu verständigen. Aber diese kleinen 
Ausstellungen können nicht veranlassen, schon jetzt wieder eine Aendenmg 
oder gar Aufhebung der Verordnung zu erlangen, welche, wie schon die 
Mitwirkung mehrerer Ministerien darthut, den verschiedensten Rücksichten 
Rechnung tragen musste. Ich fordere ihre volle Beibehaltung, nicht blos 
wegen wünschenswerther Stetigkeit von behördlichen Verordnungen, sondern 
auch wegen der Zweckdienlichkeit der wichtigsten Bestimmungen. Auch die 
Gegner sollten es doch wenigstens auf eine „ehrliche Probe“ ankommen 
lassen; dass diese alle Betheihgten beruhigen und befriedigen kann, ist mir 
unzweifelhaft. 

XV. Therapeutische Mitteilungen. 

Die Behandlung der Seekrankheit. 

Von Dr. Hoenig, Schiffsarzt, Norddeutscher Lloyd. 

Die ersten Symptone der Seekrankheit, Schwindel und Blässe, können 
schon in den ersten 10 Minuten der Fahrt auftreten, wenn das Schiff in 
kaum merkbare wiegende Bewegung geräth. Der Puls ist normal, eher ver¬ 
langsamt als zu schnell, und wird erst nach heftigen Brechanfällen beschleunigt. 
Mit dem Erbrechen pflegt sich Kopfschmerz einzustellen; indessen kann auch 
die ganze Krankheit in Schwindelgefühl und Kopfweh bestehen und in dieser 
Form während der ganzen Reise andauern. Nach starkem und wiederholtem 
Erbrechen tritt Flimmern vor den Augen, Schwäche in den unteren Extremi¬ 
täten und Gefühl von Drehen und Schweben hinzu; die Kranken werden 
gleichgültig gegen ihre Umgebung, bleiben irgendwo sitzen, oder öfters liegen, 
und erbrechen auf Deck oder in ihren Cabinen auf den Fussboden, wenn 
auch Geschirre bereitstehen. Meist tritt Verlangen nach kaltem Wasser auf, 
da das saure Erbrochene in der Speiseröhre ein brennendes Gefühl hervor¬ 
bringt Schnell getrunkenes Wasser wird nach wenigen Minuten wieder er¬ 
brochen und reagirt dann stark sauer; die Secretion des Magensaftes scheint 
vermehrt zu sein. Flüssigkeiten werden bald ausgebrochen, Speisen abgelebnt. 
Die Seekrankheit befällt ohne Unterschied Starke und Schwache, Erwachsene 
und Kinder. Starke Raucher sind entschieden praedisponirt, Alkoholiker und 
Betrunkene durchaus nicht immer. Kleine Kinder, besonders Säuglinge, 
können meist nach kurzem Uebelbefinden und wenigen Brechanfällen wieder 
Nahrung nehmen und bleiben darauf frei von Seekrankheit. Es giebt absolute 
Immunität, wie mein eigenes Beispiel beweist, während ich andererseits alte 
Seeleute bei schwerem Sturm wiedererkranken sah. Stark Fiebernde werden, 
nach der Mittheilung eines Collegen, nicht seekrank. Bei niedrigem See¬ 
gang folgt in weitaus den meisten Fällen nach 12 bis 48 Stunden Wohl¬ 
befinden und vorzüglicher Appetit. Bei dauernd hoher See wird das Er¬ 
brechen vom dritten Tage ab selten, und die Ernährung daher wenig gestört; 
jedoch nöthigt auch weiterhin Kopfschmerz und Schwindel Viele zu Einbal- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


tuug horizontaler Lage. Schwer* Erschöpfung ist auch nach wochenlanger 
Seekrankheit selten, doch trat in einzelnen Fällen Gliederzittern, Frieren, 
häufiges Gähnen auf. Einmal beobachtete ich eine günstige Wirkung der 
Seekrankheit: Eine ältere Dame mit Bronchitis und täglichen asthmatischen 
Anfällen war während achttägigen rauhen Wetters fortwährend seekrank und 
erbrach bis zuletzt täglich mindestens drei Mal. Während der letzten vier 
Tage der Fahrt, bei ruhiger See, erholte sich die Kranke völlig, und die 
asthmatischen Anfälle blieben seit Jahren zum ersten Male aus. Ueber die 
Dauer der Heilung war leider nichts zu erfahren; die versprochene Postkarte 
blieb aus. Hier hatten wohl die vereinigten Brech- und Hustenbewegungen 
das zähe Bronchialsecret flüssiger gemacht und herausbefördert. 

Für die Kranken wird die Bewegung des Schiffes am unangenehmsten bei 
schnell aufziebendem Sturme von vorn. Das Schiff wird von den kurzen 
hohen Wellen in Schwingungen um die Queraxe versetzt und erhält öfters 
einen plötzlichen hemmenden Ruck, wenn nämlich eine heranlaufende Welle 
die Spitze des Schiffes in der Zeit erreicht, wo dieselbe sich senkt. 

Starkes Schwindelgefühl, welches die Kranken veranlasst die Augen zu 
schliessen, tritt besonders bei „alter See“ ein, wenn lange Dünung das 
Schiff in ziemlich regelmässige seitliche Schwingungen versetzt. Man glaubt 
alsdann bald in die Höhe gehoben zu werden, bald fühlt man den Boden 
unter den Füssen schwinden. In jedem Falle befinden sich die Kranken 
um so besser, jo näher sie der Mitte des Schiffes sind. 

Bei Seekranken sind verfrühte und profuse Periode nicht selten, Abor- 
tus und Frühgeburt relativ häufig. Geburten gehen auf der See schnell und 
leicht von Statten. Auftreten von Querfurchen auf den Fingernägeln nach 
Seekrankheit (Wilks) scheint sehr selten zu sein; Nesselausschlag wurde, 
von mir wenigstens, nur bei Cajütpassagieren, bei diesen allerdings mehrfach 
beobachtet, und ist wohl auf Genuss von Hummer zurückzuführen. 

Was die Behandlung der Seekrankheit betrifft, so sind die von Laien 
angewandten Mittel meist starke Alkoholica. Einige Zeit vorher genommen, 
mögen sie — auch psychisch — von Nutzen sein, sonst werden sie, zumal 
süsse Weine, bald wieder ausgebrochen. Engländer nehmen, einer Empfehlung 
gemäss, welche ira vorigen Jahre alle Journale durchlief, vielfach schon Tage 
vor dem Antritt der Reise Bromkali, werden aber dennoch von der See¬ 
krankheit ergriffen. Ob dieselbe dabei später oder gelinder auftritt, als sie 
es sonst gethan hätte, ist nicht zu ergründen, zumal das Nauseometer noch 
nicht erfunden ist. Der Versuch, durch Opium den Magen ruhig zu stellen, 
ist vergeblich, selbst wenn das Mittel die nächsten zehn Minuten darin ver¬ 
weilt. Magenschmerzen werden besser durch Morphin gestillt, welches ausser¬ 
dem subcutau die schlafraubenden Kopfschmerzen meist lindert. Cocain, 
per os gegeben, mildert in.vielen Fällen sämmtliche Symptome (0,1:50 Aq., 
viertelstündlich einen Theelöffel), dagegen hatte es, zu 0,05 subcutau, in fast 
der Hälfte der Fälle unangenehm aufregende Wirkung. 

Fasst man die Seekrankheit als verursacht durch Hirnanämie auf, so 
rechtfertigen sich Versuche mit Einathmung von Aether, Chloroform und 
Amylnitrit. Einige Züge Aether oder Chloroform hatten stets gute, aber 
kurzdauernde Wirkung; ersterer wurde, wenn beides versucht war, stets vor- 
gozogen. Amylnitrit, 3—4 Tropfen (in den bekannten Röhrchen), hatte 
länger dauernde Wirkung, doch nicht über eine Stunde hinaus. Und selten 
versucht es zum zweiten Male, wer einmal nach dem Gebrauche des Mittels 
das Gefühl gehabt hat, als würde ihm heisses Wasser in’s Gesicht gegossen 
und dabei der Hals zugehalten. 

Coffein zeigte zu 0,1 stündlich bis zu 5 Doseu niemals sicher zu con- 
statirende Wirkung. Jodkali, sowie das Atropin-Strychnin-Recept wurde 
nicht versucht. Bei einer Krankheit wie die hier besprochene, welche jeden 
Augenblick ohne alle Behandlung schwinden kann, ist es misslich, von er¬ 
reichter Heilung zu reden. Bis jetzt kann mau weder den Ausbruch der 
Seekrankheit verhindern, noch bei vielen Personen zugleich durch Anwendung 
eines und desselben Mittels dieselbe coupireu. Meist kommt man ohne jedes 
Arzneimittel aus. Wenn man Gelegenheit dazu hat, gebe man Reisenden 
den Rath, etwa vier Stunden vor zu erwartender Seekrankheit recht gut zu 
essen und zu trinken. Seekranke sollen sich wenn möglich in freier Luft 
platt hinlegen und die Augen schliessen; der saure Geschmack im Munde 
wird mit kleinen Mengen kalten Wassers vertrieben, Sodbrennen mit Brause¬ 
pulver, von dem man einen Theil der Säure weggenommeu. Cognac wird 
von Leuten, welche an Branntwein gewöhnt sind, gut vertragen, während er 
bei anderen die Sache verschlimmert. Damen, des Trostes bedürftig, ver¬ 
spüren regelmässig guto Wirkung von Aqua destillata, halbstündlich sieben 
Tropfen. 

Die ersten Essvorsuche nach Seekrankheit werden am besten mit gut 
gesalzenem und gepfeffertem rohen Rindfleisch und geröstetem Weissbrot 
gemacht und mit Pepsinsalzsäuredragees unterstützt. Bei Schwachen kann 
man mit Beaf-tea, oder mit Bouillon beginnen, in welche geriebener Schweizer¬ 
käse eingerührt ist. 

AJs Ursache der Seekrankheit ist also höchst wahrscheinlich eine 
Anämie des Gehirns anzuseheu, welche hier wie bei anderen Schaukelbewe¬ 
gungen mit Schwindel und Blässe einsetzt und ähnlich wie bei Schädel¬ 
brüchen mit Depression. der Fragmente, subduralen Blutungen, Hirnge¬ 
schwülsten etc., Erbrechen zur Folge hat. Ob die eigenthümliche Bewegung 
des Schiffes, dem Menschen mitgetheilt, zunächst nur diejenigen Organe 
beeinflusst, welche uns die Begriffe von unserer Körperstellung geben (Bogen¬ 
gänge im Gehörorgan), oder ob das Erbrechen eine direkt vom Gehirn aus 
gehende Vaguswirkung darstellt, ist nicht sicher zu entscheiden. 

Bei rauher See mag wohl das Schwindelgefühl sich dadurch verstärken, 
dass das Auge Alles um sich her schwanken und strömen sieht; daher öffnen 
Seekranke nur ungern die Augen. Heftige Erschütterung des Körpers, 
bezw. des Gehirns, ist auf See ausgeschlossen; der stärkste Ruck, welchen 
ein Dampfer, Segler oder Nachen erfährt, ist nichts, verglichen mit dem 
Stossen der Eisenbahnwaggons. Gegenüber der Anschauung, 1 ) dass die See¬ 
krankheit Reflexwirkung vou Seiten der gezerrten Intestina sei, möchte ich 


’) Deutsche med. Wochenschr. 1887, No. 48. 


fragen, wodurch denn die Intestina gezerrt werden, wenn man in völliger 
Ruhe dasitzt oder daliegt, während das Schiff so ruhig dahinzieht, dass man 
mit geschlossenen Augen zwanzig Schritte gehen kann. Der Umstand, dass 
Leute, die bei mehr als halbstündiger Kahnfahrt nichts von Uebelkeit em¬ 
pfanden, an Bord des „hohen Schiffes“ angekommen, alsbald seekrank 
werden, lässt vermuthen, dass die Schwingungsweite wenig, die Grösse des 
beim Schwingen vom Schiffsdeck zurückgelegten Bogens viel ausmacht. Ein 
grosser Seedampfer ragt etwa 25 Fuss aus dem Wasser; und da sein Schwer¬ 
punkt naturgemäss unter dem Wasserspiegel liegt, so beschreibt das Deck 
schon bei einer Schwingungsweite von wenigen Graden einen ziemlich langen 
Bogen. 

Noch komischer ist die (c. 1.) Ansicht, dass ein „Unduliren der Cere¬ 
brospinalflüssigkeit“ Ursache der Seekrankheit sei. Wie steht es denn damit 
— auch bei der „Zerrung der Intestina“ — beim Galoppiren, Tanzen. 
Turnen? Werden die Intestina mehr gezerrt, wenn man auf einer Bank 
liegt, oder wenn man beim „kleinen Riesenschwung“ — mit dem ganzen 
Körpergewicht — mit dem Bauche gegen die Stange des Turnreckes fliegt ? 
Sind die Examinatoren des „Candidaten Jobses“, welche nach jeder Ant¬ 
wort des Examinanden ihre Cerebrospinalflüssigkeit in Undulationen ver¬ 
setzten, davon seekrank geworden? 


— Die Behandlung der Constipatlon mittelst naturgemäßer Steh 
lang bei der Defftcatlon bespricht Dr. Williams in dem Boston Medical 
and Surgical Journal vom 23. August d. J., der wir Folgendes entnehmen. 
Der Act der Defäcation gleicht dem Geburtsact, und bestehen die austrei¬ 
benden Kräfte bei beiden Thätigkeiten insbesondere in der Contraction des 
Zwerchfelles und der Bauchmuskeln, während die Uterusthätigkeit und die 
Peristaltik der Därme nur eine untergeordnete Rolle bei normaler physiolo¬ 
gischer Wirkung spielen. In der Geburtshülfe wurde bereits auf die Lage 
und Bettung der Gebärenden, wenn der Act normalphysiologisch vorgeheu 
soll, Rücksicht genommen, und wir sehen auch bisweilen, wie Frauen in- 
stinctiv das Bett verlassen, um auf der Erde hockend die Geburt zu be¬ 
schleunigen. Auch bei der Defäcation müssen die Muskeln in Thätigkeit 
kommen, welche den Inhalt herauszubefördem im Stande sind, und die Stel¬ 
lung dabei eine solche sein, dass dies ermöglicht wird. Wenn Jemand mit 
der Zeitung in der Hand und mit der Cigarre im Munde auf dem Closet 
längere Zeit behaglich sitzt und, ohne alle Bauchmuskeln, die Quadrati lum- 
borum und Psoas, anzustrengen, nur das Diaphragma in Thätigkeit setzt, so 
erfolgt eine nur unvollkommene Entleerung, und es häufen sich die Reste 
der Kothmassen nach und nach im Colon an. Wenn dieselben Personen 
sich auf dem Lande oder in der Nähe des Waldes aufhalten, in ein nahes 
Dickicht sich begeben, dort weder sitzend noch stehend, sondern 
hockend auf physiologische Weise ihre Nothdurft verrichten, dabei die 
Rücken- und Bauchmuskeln in Thätigkeit bringen, dann wird der Stuhlgang 
leicht und vollkommen eintreten und das Wohlbefinden danach ein behag¬ 
liches sein. Auch bei Thieren und bei jungen Kindern sehen wir, wie die 
selben, dem Triebe der Natur und dem Instinct folgend, bei der Defäcation 
eine physiologisch gebotene Stellung einnehmen. Es folgt daraus, dass bei 
passiver Constipation eine correctere Stellung während der Stuhlentleerung 
eingenommen werden muss, als dies bis jetzt der Fall war. Das Sitzen auf 
den Klosets muss untersagt und die Vornahme einer hockenden Stellung ge¬ 
boten werden. Wenn die Closets nicht derartig eingerichtet sind, so mössen 
sie so geändert werden, dass weite Oeffnungen und Raum für die Füsse ge¬ 
schaffen wird. Am besten wäre es, die hohen Sitzbretter ganz abzuschaffen, 
nur ausgehöhlte grössere Stein- oder Marmorbretter mit Löchern herzustel¬ 
len und auf diesen in hockender Stellung die Entleerung zu verrichten. 
Wenn erst Ingenieure auf diese naturgemässe Entleerungsweise aufmerksam 
gemacht werden, dann werden sie bald zweckmässige und elegante Appar¬ 
tements einrichten und dem Verfahren der Hinterwäldler nachahmen. Für 
das weibliche Geschlecht, welches zu Constipationen hinneigt, ist es ratbsam. 
zur Vermeidung derselben sich des Nachtgeschirres bei der Defäcation zu 
bedienen, weil dabei die physiologische Stellung befolgt werden kann. Veit 
hat 20 Jahre lang in seiner Clientei darauf gesehen, dass Männer wie Frauen 
seine Anordnungen in Bezug auf die bei Defäcation innezuhaltende Stellung 
befolgen, und er hatte niemals Ursache, Arzneien zu verabreichen, wenn Diai 
und Bewegung im Freien zu gleicher Zeit diese Methode unterstützten. Sehr 
selten nur wurde die Anwendung des Irrigators in Gebrauch gezogen, u® 
der sich selbst helfenden Natur nachzuhelfen. Dieser vom Verf- angeregten 
Frage wurde von Dr. Ab bot und anderen noch weitere Aufmerksamkeit ge¬ 
widmet, und dürfte es auch erwünscht sein, wenn in Deutschland dieselbe 
Berücksichtigung fände. ® 0 ' 


— M. Matthes kommt in einer, in der Ziemssen’schen 
Müncheu angestellten Versuchsreihe über die hypnotische Wirkung ® e 
Sulfonals (Centralblatt für klin. Med. 1888, No. 40) zu folgenden Schluss¬ 
folgerungen: 1) Sulfonal ist ein brauchbares, wenn auch in seiner Wirkung Dich 
absolut sicheres Hypnoticum. 2) Es bietet anderen Hypnoticis gegenüber deu 
Vorzug der Geruch- und Geschmacklosigkeit und der negativen Wirkung au 
lebenswichtige Organe. 3) Unerwünschte Nebenwirkungen treten in einer nu 
geringen Zahl der Fälle auf und sind meist unbedeutend. 4) Die Dosirung 
des Mittels muss eine sehr verschiedene sein und ist individuell auszupro- 
biren. Für die Mehrzahl der Fälle ist 1,0 g genügend, um ausreiclien 
hypnotische Wirkung ohne Nebenerscheinungen zu erzielen. Beim Au ft re e 
von Nebenerscheinungen sind die Dosen herabzusetzen. 5) Es ist rätn u . 
das Mittel, da seine Wirkung eine langsame ist, mindestens eine Stunde 
dem Schlafengehen zu geben. 6) Wenn Schmerzen auf nicht neuralgisc 
Basis oder quälender Husten der Grund der Agrypnie sind, so ist die 
Wendung des Sulfonals unzweckmässig. Bei manchen Neuralgieen dageg 
scheint es mit Erfolg verwendet werden zu können. 


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18. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Die Schmähschrift Sir Morell Mackenzie’s. 

Vom ärztlichen Standpunkte beleuchtet von Sanitäts Rath Dr. 8 . Guttmann. 


In der tragischen Krankheitsgeschichte Kaiser Friedrich’s giebt 
es nichts herabsetzenderes, als die mit den verwerflichsten Mitteln 
der Reclame in Scene gesetzte Schmähschrift, welche sich in offen¬ 
kundiger und schmachvoller Lüge an das bis zum heutigen Tage 
von Sir Morell Mackenzie und Genossen irregeführte Publicum 
wendet — und der Verfasser hat wohlweislich das grosse Publicum 
in’s Auge gefasst, dem er sich verständlich machen will. Jedem 
Arzte muss die Schamröthe in’s Gesicht steigen, weun er von dem 
Inhalte dieses Pamphlets Kenntniss nimmt und sieht, wie ein Arzt, 
nach all’ den verlogenen Berichten und nach allen den in die Welt 
gesetzten Krankheitsnamen, nunmehr die Stirn besitzt, zu bestreiten, 
die Welt, die Umgebung des Kaisers, über den Zustand desselben 
getäuscht zu haben — zu bestreiten, er habe jemals gesagt, die 
Krankheit sei nicht der Krebs! Ueber die an den Tag gelegte Un¬ 
wissenheit mit Bezug auf eine Krankheit, deren richtige Beurtheilung 
allgemein raedicinische und vor allem chirurgische Kenntnisse er¬ 
forderte, soll nunmehr, da dieselbe sich schliesslich als das erwiesen 
hat, was von den deutschen Aerzten von Anfang an erkannt worden 
war, eine aus dem früheren Lügenconvolut hergeleitete neue Lüge 
hiuweghelfen. Sie soll Sir Morell Mackenzie hinweghelfen über 
seinen Fehlgriff, über sein, nur cynischem Egoismus entspringendes 
starres Festhalten an seinem Fehlgriff, die richtige Diagnose erst 
dann gestellt zu haben, als es „zu spät“ war, noch helfen zu können. 
Das Unerquickliche einer nochmaligen Analyse dieses für den Sehen¬ 
den leicht eutwirrbaren Lügengewebes können wir uns leider nicht 
ersparen. 

Es theilt sich das Pamphlet in drei Abschnitte: einen histo¬ 
rischen, einen polemischen und einen statistischen. In dem histo¬ 
rischen Theil bestreitet Mackenzie, jemals gesagt zu haben, 
die Krankheit Kaiser Friedrich's sei nicht der Krebs. Hat Herr 
Mackenzie wirklich vergessen, dass er strikt und bündig der Pall 
Mall Gazette die Erklärung abgegeben hat, dass er nach dem mi¬ 
kroskopischen Befunde Virchow’s für die gutartige Natur der Ge¬ 
schwulst einstehen müsse, trotzdem Virchow s. Z. in seinem Gut¬ 
achten keineswegs die maligne Natur der Geschwulst ausschloss? 
Hat Herr Mackenzie alle seine günstigen Berichte vergessen, in 
welchen er fort und fort versprach, in nicht allzu langer Zeit das 
Uebel des hohen Kranken zu beseitigen? Der Reichsanzeiger vom 
27. Mai berichtet, dass Sir Morell Mackenzie nach wiederholt 
ausgeführten Untersuchungen den Zustand des hohen Patienten nicht 
so besorgnisserregend gefunden, und dass er hoffe, in nicht zu langer 
Zeit durch eine zweckentsprechende Behandlung das Uebel beseitigen 
zu können. Wir verweisen ferner auf die in unserem Artikel in 
No. 26 der Wochenschrift aufgeführten, von den englischen medi- 
cinischen und anderen Zeitschriften als authentisch und von Macken¬ 
zie herrührend bezeichneten Berichte. Aus dem Vielen sei es uns 
gestattet, auf den Bericht im British medical Journal vom 16. Juli 
1887 nochmals hinzuweisen, in welchem es wörtlich heisst: „Seit 
unserem letzten Bericht hat der Kronprinz die befriedigendsten 
Fortschritte zur völligen Wiederherstellung gemacht, die Stimme 
hat sehr viel an Stärke und Resonanz gewonnen und ist fast gänz¬ 
lich frei von Heiserkeit, er kann sie bei gewöhnlicher Conversation 
ohne Ermüdung gebrauchen. Die Beweglichkeit des Stimmbaudes 
ist jetzt vollkommen bis auf eine kleine Unebenheit am Rande 
des linken, wo die Neubildung gesessen hat. Man sieht dort nichts 
Abnormes bis auf einen kleinen Vorsprung, dem Sitz der Einpflanzung 
des Tumors entsprechend . . . Die Wiederherstellung seiner 
Stimme hat den günstigsten Einfluss auf die Stimmung des Fürsten ge¬ 
übt . . . Sein Allgemeinbefinden ist so vortrefflich, dass er ohne einen 
Arzt am Orte auskommen kann.“ Ferner auf den Bericht vom 7. Ja¬ 
nuar 1888, welcher sagt: „Mit inniger Befriedigung hören wir aus zu¬ 
verlässigster Quelle (on the highest authority), dass die Symptome, die 
Anfang November so viel Beunruhigung hervorriefen, fast gänzlich ver¬ 
schwunden sind . . . Wir sind in der Lage zu berichten, dass nach 
Ansicht Sir Morell Mackenzie’s die Erscheinungen im Halse des 
Kronprinzen jetzt mit der Annahme der schwereren Form der 
chronischen Laryngitis vollständig vereinbar sind, (the appearances 
in the Crown Prince’s throat are now quite compatible with the 
more severe form of chronic laryngitis).“ Um dies zu erläutern, 
wird eine Stelle aus Mackenzie’s Werk: „Diseases of the throat“ 
Bd. I. p. 288, angeführt: „Zu congestiver Schwellung der Mucosa 
und Submucosa kommt in einigen seltenen Fällen eine organische 
Verdickung oder Hypertrophie der Weichtheile (soft structures) 
hinzu, ferner trifft man oft knotige Excrescenzen als Resultat chro¬ 
nischer Entzündung,“ vermutlich in den seltenen Fällen, auf die 
eben angespielt wurde (Bemerkung des Brit. med. J.) Dann heisst 


es weiter: „Diese Worte wurden vor 8 Jahren geschrieben, und der 
Fall des Kronprinzen scheint ein vollkommenes Beispiel des dort 
beschriebenen krankhaften Zustandes zu sein. Neben dem chronisch 
entzündlicheu Process ist zweifellos auch Perichondritis vorhanden. 
Bei dieser Affection hat Mackenzie (op. cit. p. 391) die Aufmerk¬ 
samkeit gelenkt auf die Häufigkeit, in der dabei die Bewegung 
qines oder beider Stimmbänder beeinträchtigt ist, wobei man sich 
erinnern wird, dass beim Kronprinzen seit Monaten die Bewegung 
des linken Stimmbandes mangelhaft ist.“ 

In dem polemischen Theil tritt Mackenzie zunächst der Be¬ 
schuldigung Ger har dt’s, dass er bei der zweiten Operation das rechte 
Stimmband verletzt habe, gegenüber. Ein solcher Unfall wäre .ihm 
bei seiner langen Praxis fast unmöglich gewesen; selbst Anfängern 
passire dies nicht. Da Patient aber niemals über Schmerzen oder 
Unbehagen geklagt habe, sei kein objectiver Beweis, dass eine solche 
Verletzung stattgefunden habe, erbracht. Was sagt demgegenüber 
die Brochure der deutschen Aerzte? Gerhardt untersuchte sofort 
nach dem bekannten ßiugriff, fand beide Stimmbänder stark geröthet, 
das rechte in voller Ausdehnung mit Blut unterlaufen, am Rande 
des rechten Stimmbandes vor der Mitte eine schwarzrothe An¬ 
schwellung in der Glottis hervorragend. Gerhardt sagte Macken¬ 
zie bestimmt, er habe statt des linken das rechte, seither gesunde 
Stimmband mit der in Frage kommenden Zange stark gefasst, ge¬ 
quetscht und gerissen. Im Verein mit Wegner legte er ihm auf, 
die Nacht in Potsdam zu bleiben, und letzterer nannte ihm einen 
Militärarzt iu Potsdam, der bei einer etwa nöthigen Tracheotomie 
assistiren könne. Der hohe Kranke war von da an bis lange Zeit 
während seines Aufenthaltes in England stimmlos, er hatte in den 
nächsten Tagen Schmerzen beiderseits im Halse. Während er früher 
heiser, aber nie länger als drei Stundeu stimmlos war, blieb er es 
von dem Eingriff Mackenzie’s ab viele Wochen bis zum 8. Juli, 
und später wurde es in England als ein Triumph ärztlicher Kunst¬ 
leistung gefeiert, dass der Kronprinz die heisere Stimme wieder be¬ 
kam. — Die Thatsache also, dass der Kronprinz nach seinem Ein¬ 
griff stimmlos geworden ist, dass der objective Thatbestand einer 
Verletzung von den anderen Aerzten, Gerhardt, Tobold, v. Berg¬ 
mann und Landgraf, constatirt worden ist, gilt für Herrn 
Mackenzie nicht. Mit eiserner Stirn beschuldigt er Gerhardt, 
wissentlich eine falsche Anklage erhoben zu haben, um das Ver¬ 
trauen des Kronprinzen zu erschüttern. 

Das geradezu Unerhörte leistet Mackenzie mit der weiteren 
Behauptung, dass seine deutschen Collegen vollständig die Verant¬ 
wortlichkeit für die angewandte Behandlung mit ihm getheilt hätten. 
Für wie lange, sagt freilich Herr Mackenzie nicht. Er sagt viel¬ 
mehr, wenn sie ihm misstraut hätten, hätten sie sich doch offen von 
ihm lossagen sollen. — Vielfach ist man der Annahme, dass Macke nzie 
auf den Rath der deutschen Aerzte berufen sei. Letzteres ist durch¬ 
aus nicht zutreffend. Die Berufung desselben wurde nicht von den 
deutschen Aerzten angeregt, sondern nur von ihnen nicht ab¬ 
gelehnt, und sie sahen sich, so lange sie sich ihr Urtheil über 
diesen Mann nicht auf Grund persönlicher Beobachtung gebildet 
hatten, durch nichts bestimmt, diesem Vorschläge zu widersprechen. 
Bald sollten sie allerdings erkennen, dass Herr Mackenzie ein 
zweifelhafter Arzt und ein zweideutiger Charakter sei! Herrn 
Mackenzie verlässt das Gedächtniss. Er denkt nicht daran, dass 
mit dem Moment, wo er den Kronprinzen in seine Behandlung nahm, 
er die Annäherung jedes deutschen Arztes verhinderte. Die Reise 
nach England war eine beschlossene Sache, von der ausser Mackenzie 
keiner von den Aerzten wusste. In einer nachträglichen Consultation 
wurden die Maassnahmen formulirt, welche, da man die Reise nach 
England nicht verhindern konnte, die deutschen Aerzte für die 
weitere Behandlung als nothwendig erachteten. Zu jener Zeit neigte 
sich die bei dem Schweigen der deutschen Aerzte ausschliesslich von 
Mackenzie beeinflusste öffentliche Meinung unter Aerzten und Laien 
der Auffassung zu, dass die deutschen Aerzte irrthümlich Krebs an¬ 
genommen und eine verderbenbringende Operatien geplant hätten, 
dass dagegen Mackenzie dem hohen Patienten das Leben gerettet 
habe. Der Daily Telegraph vom 25. Mai 1887 und nach ihm die 
gesammte Presse, feierte Mackenzie als Retter des Kronprinzen von 
der ebenso gefährlichen als unnützen Operation. Erst zu einer Zeit, 
wo der hohe Kranke unrettbar verloren war, rief Mackenzie 
nach deutschen Aerzten, um ihnen die Verantwortlichkeit aufzu¬ 
bürden. Ara besten wird durch den in den Daily News ver¬ 
öffentlichten Brief an Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich illustrirt, 
wie er es verstanden hat, in unerhört incollegialer und frevelhafter 
Weise die deutschen Aerzte von dem Kranken fernzuhalteu, das 


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870 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42 


Vertrauen der hohen Frau zu missbrauchen. In dem Briefe heisst 
es, die vorgeschlagene Operation biete grosse Gefahr, man setze das 
Leben aufs Spiel, und selbst wenn sie gelinge,, bringe man den Kranken 
in eine so schreckliche Lage, dass die Aussichten für den hohen 
Patienten günstiger seien, wenn die Operation unterbleibe. Es 
geht also aus diesem Briefe hervor, dass Mackenzie der damaligen 
Kronprinzessin hinter dem Rücken seiner Collegen die Sache so dar- 
gestellt hat, als werde von diesen die Totalexstirpation des 
Kehlkopfs in Aussicht genommen, was doch derzeit bekanntlich nicht 
der Fall war. Und so hat er es zu Wege gebracht, die Verein¬ 
barung, nach welcher eine neue Consultation mit den Berliner Aerzten 
von ihm herbeigeführt werden sollte, sobald die Geschwulst wuchs, 
vom Juni bis December zu durchbrechen. Obgleich Landgraf in 
England feststellte, dass die Geschwulst wuchs, wurde die letzte 
Frist für eine wahrscheinlich erfolgreiche Operation ungenützt ge¬ 
lassen. 

Bernhard Fraenkel liess sich gelegentlich über diesen Punkt 
in folgender Weise aus: „Ich kann mir nicht denken, dass irgend 
ein Arzt der Welt die nach reiflicher Ueberlegung und ausführlicher 
Begründung kundgegebene Diagnose der Berliner Aerzte durchaus 
in den Wind geschlagen haben sollte. Während der ganzen Dauer 
der Behandlung musste Mackenzie es als eine stetige Mahnung 
zur Anspannung seiner ganzen Aufmerksamkeit empfinden, dass 
seine Berliner Collegen, abweichend von seiner Meinung, die bei 
dem Kronprinzen beobachtete Geschwulst für Krebs erklärt hatten. 
Bei der von Hovell am 14. September zuerst entdeckten und von 
Mackenzie nachher zugegebeuen, einen halben Zoll unterhalb des 
Stimmbandes auftretenden Verdickung konnte er sich auch nicht 
mehr auf das Gutachten Virchow’s berufen. Denn die Pachy- 
dermia verrucosa kommt einen halben Zoll unterhalb der Stimm¬ 
bänder nicht mehr vor. Was hat ihn also bewogen, der Ent¬ 
wickelung des Tumors unthätig zuzusehen? Die zeitlich ent¬ 
sprechenden Mittheilungen des British medical Journal versichern 
auf das bestimmteste, dass lediglich ein chronischer Katarrh mit 
Neigungen zu Congestionen vorliege, und dass kein irgendwelches 
Recidiv der Geschwulst vorhanden sei. Will ich Mackenzie nicht 
schlechte Motive durchaus verwerflichen Eigennutzes oder auf die 
Dauer unmöglicher Rechthaberei unterlegen, so kann ich zur Er¬ 
klärung dieses Verschleppens der Diagnose nur annehmen, dass 
sein Wissen nicht ausgereicht hat, eine richtige Auffassung der vor¬ 
liegenden Verhältnisse in ihm aufkommen zu lassen.“ 

Mackenzie hat jede weitere Consultation durch die von ihm 
ausgestreute Saat des Misstrauens gegen die deutschen Aerzte zu 
vereiteln gewusst. 

In der weiteren Anklage gegen Gerhardt wird ausgeführt, dass 
seine Behandlung geeignet gewesen sei, ein gutartiges Uebel in ein 
bösartiges zu verwandeln. Herr Mackenzie vergisst, dass er selbst 
die Geschwulst, die Gerhardt gebrannt hatte, lange nachher für 
durchaus gutartig erklärt hat, dass er sie darauf exstirpirte, und dass 
dieselbe von Virchow untersucht worden ist. Es fand sich kein 
Krebs darin. In diesem Falle ist also nach der Schilderung Macken¬ 
zie ’ s der anatomische Beweis erbracht, dass der Krebs nicht durch 
die Eingriffe Gerhardt’8 entstanden ist. „In jedem Falle, so führt 
Gerhardt in der Brochüre aus — und wo gäbe es einen Fachmann, 
der ihm entgegen treten könnte — in jedem Falle einer kleinen dem 
Stimmbandrande aufsitzenden Neubildung noch unbestimmten Charak¬ 
ters wird es Pflicht sein, sie zu entfernen. Welcher Arzt würde mit 
verschränkten Armen Zusehen wollen und sie ruhig wachsen lassen, 
nur damit sie nicht bösartig werde? Wird die Neubildung zerstört 
und wächst mit einer bedrohlichen Schnelligkeit wieder, so wird 
man allerdings nicht säumen dürfen, sie durch die Spaltung des 
Kehlkopfes frei zugänglich zu machen und mit Stumpf und Stiel 
auszurotten.“ Oder wollte — worauf sich Mackenzie in seinem 
Pamphlet bezieht — Lennox Browne etwa ganz besonders der 
galvanokaustischen Behandlung die Fähigkeit Zutrauen, aus Polypen 
Krebse zu machen, mehr noch als Herrn Mackenzie’s Zange, die 
später diesem Kehlkopfe grobe Verletzungen zufugte? Warum hat 
Mackenzie später selbst die Galvanokaustik angewandt? Gesetzt, 
es wäre bewiesen, dass mit irgend erheblicher Häufigkeit, sogar selbst 
in Ya °/o der Fälle gutartige Geschwülste in Krebs des Kehlkopfes 
sich umwandeln, dann wäre immer noch nicht bewiesen, dass irgend 
eine Behandlungsweise auf diesen Process einen begünstigenden oder 
verhütenden Einfluss ausübe, noch weniger aber, dass dies in diesem 
Falle stattgehabt habe. Nach den neuesten Zusammenstellungen ist 
im übrigen den von Lennox Browne aufgestellten Behauptungen 
von Semon u. A. jeder Boden entzogen worden. 

Die windige Anklage gegen Bramann, er habe die Luftröhre 
3 mm rechts von der Mittellinie geöffnet, übersteigt jede Vorstellung 
von der wissenschaftlichen Qualität dieses Mannes, dem die leitende 
Behandlung des hohen Patienten leider anvertraut war. Gerhardt 
hat also den Krebs verschuldet, Bramann hat die Tracheotomie I 
schlecht ausgeführt, unzweckmässige Canülen haben das Leiden ver- | 


schlimmert, und am 12. April hat v. Bergmann dem hohen Kranken 
den Todesstoss gegeben. Woher nimmt dieser Mann — ich wieder¬ 
hole es — die Stirn zu solch’ frevelhaftem Gebahren? Will er 
das Aerzten sagen? Doch nein, es handelt sich ja nur darum, die 
alten Lügen und Schwindeleien, welche dem grossen Publicum Tag 
aus, Tag ein erzählt worden sind, demselben noch einmal zu unter¬ 
breiten. Mit diesen Behauptungen nagelt sich nunmehr Hen 
Mackenzie noch selbst fest als den Urheber aller der ähnlichen 
Vorwürfe in den englischen Zeitungsnachrichten. Allein an dem 
Sectionsprotokoll scheitert das ganze elende Verfahren, 
und das vollste Licht fällt auf das Treiben dieses in den 
Augen eines jeden einsichtigen Arztes geächteten Mannes. 

Zum weiteren Beweis dieser Behauptung müssen wir auf die nn- 
qualificirbaren Angriffe, welche Mackenzie gegen v. Bergmann 
richtet, etwas näher eingehen. Dieselben gipfeln in der Behauptung, 
dass letzterer am 12. April durch forcirtes Einfuhren der Canüle eint 
Phlegmone des Zellgewebes im Jugulum und Mediastinum anticum 
herbeigeführt habe. Auf diesen Vorwurf musste man gefasst sein. 
Schon-in der Brochüre schreiben die deutschen Aerzte: „Es zieht 
durch die tieftraurige Leidensgeschichte unseres mit Geduld undSeibst- 
verläugnung Alles ertragenden Kaisers Friedrich das Bemühen Sir 
Morell Mackenzie’s, jede Verschlimmerung im Zustande des hohen 
Kranken nicht der Krankheit und ihrem naturgemäss nothwendigen. 
unausbleiblichen Fortschreiten, sondern einem seiner mithinzuge- 
zogenen Collegen zur Last zu legen. Gerhardt sollte zuerst die 
ursprünglich unschuldige Geschwulst durch seine Aetzungen in eine 
bösartige verwandelt haben. Als im November und im Februar 
neben Schrötter und statt Kussmaul seine Hinzuziehung von 
v. Bergmann gewünscht wurde, hiess es, der könne unmöglich 
genommen werden, der sei ja an der ganzen schlimmen Wendung 
schuld. Bramann hatte durch falschen Schnitt, Schräder durch 
einen ungeschickten Canülenwechsel und v. Bergmann durch Wahl 
einer unpassenden Canüle zur Nachbehandlung den blutigen Aus¬ 
wurf und den Decubitus in der Trachea besorgt. Schliesslich trug 
v. Bergmann’s forcirtes Ein führen der Canüle am 12. April die 
Schuld an der ungünstigen, aber schon am 6. April bestehenden 
Wendung der Krankheit, indem es einen grossen flaschenför- 
migen Abscess des Mediastinum verursacht haben sollte'’ 
Infolge dessen hat, wie in Berliner ärztlichen Kreisen allgemein 
bekannt geworden ist, v. Bergmann Virchow bei der Sechen 
aufgefordert, hierauf sein besonderes Augenmerk zu richten, und 
das Sectionsprotokoll sagt, dass in dem betreffenden Gewebe nur 
normale Verhältnisse seien, und dass das Mediastinum anticuni p* 
nicht verändert sei. „In dem Gewebe um die Trachea keine 
narbigen Zustände, sondern normale Verhältnisse.'* Also 
diese ganze Phlegmone konnte wohl erdichtet werden, wenn die 
Section nicht ausgeführt worden wäre. Nun sie aber ausgeführt 
worden ist, hätte sich doch Herr Mackenzie wohl hüten sollen, so 
grob zu lügen. Die grosse Menge von Eiter, welche der Hohe Kranke 
aushustete, entstammte nach dem Sectionsbericht aus dem gangrä¬ 
nösen Zerfall der Neubildung. Bardeleben sagt in der Brochüre: 
„Die weit klaffende Luftröhrenfistel, aus welcher die Canüle entfernt 
war, erschien am Rande nur von einigen kleinen harten Höckern 
besetzt. Es gelang leicht, eine grosse Masse fauliger Granulationen 
aus der sehr erweiterten und nur von nachgiebigen Wänden be¬ 
grenzten Höhle des Kehlkopfes zu entfernen, indem man Watte¬ 
bäusche in dieselbe einführte und wieder herauszog.“ 

Es ist der gewöhnliche typische Verlauf aller Kehlkopfkrebs- 
wie aller Krebse überhaupt, dass sie anfangs harte, solide Ge¬ 
schwülste bilden, die mit der Zeit den Erweichungs- und Ulcerations- 
process durchmachen. Dann werden Stücke gangränös, und der Zertai 
schreitet vorwärts. Die Gangrünescenz des Carcinoms im Kehlkop 
Kaiser Friedrich’s zeigte sich nom 15.—17. Januar, bis am 1L«J* B - 
der hohe Kranke ein nekrotisches Gewebsstück, welches drei 
lang flottirend im Kehlkopf beobachtet worden war, ausbustew- 
Dasselbe wurde Virchow zur Untersuchung übersandt. Auch 
Ergebniss dieser Untersuchung ist publicirt worden. Am 4. März, - 
Waldeyer untersuchte, schloss er aus dem, was er nnter d* 
Mikroskop sah: „Es muss ein ausgedehnter ulcerativer und uekro 
scher Zerfallsprocess an der krebsigen Neubildung vorhanden sei 
Dieser Process hat auch bereits das befallene Organ, den .v£‘ 
ergriffen. Dafür spricht: a) das Vorkommen so zahlreicher won 
Krebskörper neben Detritus, Eiter und Blut im Auswurf; W ' 
Vorkommen von elastischen und Bindegewebsfasern (in den t> 
mann’chen Präparaten); c) die Vorgefundenen, mit Resorpti 
lücken versehenen Knorpelstückchen.“ weiter* 

Vom 4. März bis zum Tode stetige und fortschreitende 
entwickelung. Daher war auch jeden Augenblick zu erwarten, 
die von dem ulcerirenden und gangränösen Kehlkopf in die D* 
hinabfliessenden Massen eine Schluckpneumonie, von deren U | 
Herr Mackenzie, der Verfasser des grossen Handbuches über 
kopfkrankheiten, keine Ahnung zu haben scheint, entstehen ® 


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18. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


871 


Und sie ist schliesslich entstanden, und noch auf der Höhe ihrer 
Entwickelung ist der hohe Kranke seinem Leiden erlegen. Das Sections- 
protokoll ist auch hierin unwiderlegbar. Es schildert eine frische 
Pneumonie: „Auf dem Durchschnitt zeigen sich eine grössere Zahl von 
Heerden im Innern des Lappens, von denen die meisten eine stark hä¬ 
morrhagisch infiltrirte Umgebung mit granulirter Schnittfläche haben, 
während im Centrum eine grössere Zahl kleiner, gruppirt stehender, 
gelbweisser Knötchen liegen.“ Wer etwas pathologische Anatomie 
versteht, der muss wissen, was diese Schilderung bedeutet. Da¬ 
mals hat, wie wiederum allgemein bekannt geworden ist, v. Berg¬ 
mann Virchow direkt gefragt: „Wie alt schätzen Sie diese Pneu¬ 
monie?“ Und Virchow antwortete unzweideutig: „Etwa 6 bis 
8 Tage.“ Ebenso Waldeyer. Hiernach ist es klar, wodurch 
6 Tage vor dem Tode die tödtliche Lungenentzündung entstand: 
einzig und allein durch die Fortschritte des Kehlkopfkrebses. 
Wenn Mackenzie den Tod dennoch auf die 60 Tage vorher statt¬ 
findende Manipulation v. Bergmann’s bezieht, so deckt sich dies 
mit dem perfiden Verfahren, welches Herrn Mackenzie auch bei 
anderen Gelegenheiten kennzeichnet, und auf welches wir wiederholt 
im Vorhergehenden hingewiesen haben. 

Es kommt eben Herrn Mackenzie nur darauf an, das Pub¬ 
licum zu betrügen. Dass er Aerzte nicht täuschen kann, dürfte 
sich wohl Herr Mackenzie selbst sagen. Man braucht nur ein 
Handbuch der Kehlkopfkrankheiten aufzuschlagen, um zu erfahren, 
dass, sowie die Wucherungen sich abwärts in die Trachea ziehen, 
sie sich mitunter derart vor den Wundcanal legen, dass das Hinein¬ 
führen der Canüle auf die von Herrn Mackenzie in seinem be¬ 
kannten Brief an v. Bergmann erwähnten Schwierigkeiten stösst. 
Diese Wucherungen sind nun zu beseitigen, und mit deren Be¬ 
seitigung unter den verhängnisvollen Umständen hat v. Bergmann 
am 12. April eine lebensrettende That geleistet. Wie sehr aber 
dieser Umstand schon in’s Auge gefasst war, zeigt der Hinweis auf 
die NothWendigkeit der tiefen Tracheotomie in der deutschen 
Brochure; Bramann hat diese auch so tief wie möglich gemacht, 
und die Länge der eingeführten Canüle, sowie ihre zweckmässige 
Krümmung haben und hätten ferner den hohen Patienten 
vor den Störungen bei dem Tieferherabwachsen des Ge¬ 
wächses geschützt, wenn nicht gerade Herr Mackenzie es 
gewesen wäre, der immer neue und, wie er selbst zugiebt, 
kurze Canülen probiren wollte. Dieses Herumprobiren mit un¬ 
passenden Canülen ist ein ebenso grosser Fehler in der Behandlung 
der hoffnungslosen Krankheit gewesen, wie das Hineinstreuen aller 
der reizenden Mittel, Sabina, chlorsaures Kali, Ferrum sesquichloratum, 
Bismuthum subnitricum, Tannin, und wer weiss was alles. — Die Erfah¬ 
rungen von Leyden zeigen ausreichend, dass Monate lang selbst in 
Mitten eines wachsenden Speiseröhrenkrebses Dauercanülen ohne 
Schaden liegen können. Ebenso hätte die äussere Canüle bei dem 
hohenKranken ruhig liegen bleiben sollen. Aber Herr Mackenzie 
wusste es ja besser! Nach ihm scheint die reizende Behandlung, das 
ewige Manipuliren an einem ulcerirenden Carcinora, die Kunst zu 
sein, durch welche er alle seine deutschen Collegen so sehr 
übertroffen hat. 

Wenn wir nun ein Facit aus diesem polemischen Theil der 
Schrift des Herrn Mackenzie ziehen, was ist von dem Ver¬ 
fasser enthüllt worden? Sehr viel! Es ist enthüllt worden, dass 
Herr Mackenzie von dem klinischen Bilde der Krankheit keine 
Ahnung hatte. Es ist ferner enthüllt worden, dass er patho¬ 
logisch-anatomische Kenntnisse - was er übrigens wiederholt frei¬ 
willig zugestanden hat — garnicht besitzt. Enthüllt ist, dass ihm 
gründliche allgemein medicinische und vor allem chirurgische Kennt¬ 
nisse abgehen, und dass er zu jener traurigen Art von Specialisten 
gehört, welche der neueren Medicin schon so viele Wunden ge¬ 
schlagen haben. Enthüllt ist die Fälschung, welche er sich mit 
dem Sectionsprotokoll erlaubt hat. Alles liegt Mackenzie daran, 
v. Bergmann in den Verdacht zu bringen, dass er einen tödtlichen 
phlegmonösen Prozess vor der Trachea durch sein forcirtes Ein¬ 
fuhren der Canüle erzeugt habe. Zu dem Zweck lässt er in seiner 
Schmähschrift gesperrt drucken und abbilden, dass eine 5 cm lange 
Höhle vor oder neben dem Kehlkopfe gesessen habe. Davon steht 
jedoch, wie wir oben hevorgeboben haben, kein Wort in dem Vir- 
chow’schen Sectionsprotokolle. Die Höhle, von welcher der Sec- 
tionsbericht spricht, war eben die Kehlkopfhöhle selbst, 
deren Wandungen theils aus Krebsknoten, theils aus gangränösen 
Gewebsfetzen bestanden. Enthüllt ist das geflissentliche Verschwei¬ 
gen der in dem Virchow’schen Protokoll beschriebenen frischen 
Pneumonie. Mackenzie würde für seine Anklagen vielleicht 
Gläubige finden, wenn die Section nicht gemacht wäre. Das Sec¬ 
tionsprotokoll enthüllt in beredtster Weise seine Verläumdungen und 
Lügen. Unwiderleglich enthüllt ist endlich die Art seines colle- 
gialen Verhaltens, seine Widersprüche, welche ihn selbst mit seinen 
Landsleuten und mit Franzosen in ihm keineswegs günstige Conflicte 
brachten. 


Diesem polemischen Theil schliesst sich nun eine von Herrn 
Mackenzie gefälschte Statistik an, welche sein Verhalten deeken 
soll. Ueber diese Statistik, sowie über die Diagnose und Behandlung 
der Kehlkopfkrankheiten habe ich Anlass genommen, eine unserer 
berufensten Kräfte anzugehen, sich etwas ausführlicher zu äussern. 
In bereitwilligster Weise ist mir die Zusage ertheilt worden, und die 
Arbeit wird demnächst erscheinen. 


XVH. Die Neugestaltung der naturwissen- 
schaftlich-medicinischen Institute der 
Universität Giessen. 

Es dürfte vielleicht auch in weiteren Kreisen Interesse erregen, dass 
unsere Hochschule, deren wissenschaftliche Institute sich lange Zeit durch 
die Ungunst äusserer Umstände in beschränkten Verhältnissen halten mussten, 
in den letzten Jahren durch die Freigebigkeit der Regierung und die 
Bereitwilligkeit der Kammern in dieser Hinsicht ausserordentlich bereichort 
und derart ausgestattet worden ist, dass sie darin mit den neuen Ein¬ 
richtungen der meisten anderen Hochschulen in jeder Hinsicht concurriren 
kann. Es sind besonders naturwissenschaftlich-medicinische Anstalten, deren 
Errichtung wir uns hier zu erfreuen haben. — Das physicalische und 
mineralogische und pharmakologische Institut, das in dem neu er¬ 
richteten Universitätsgebäude Platz gefunden, besteht bereits mehrere Jahre, 
in diesem Semester wird nun das neue chemische Laboratorium, ein 
allen neuen Anforderungen entsprechender Bau, eröffnet und die alte Stätte, 
in der Justus von Liebig seine weltberühmten Arbeiten vollendete, nun¬ 
mehr verlassen. Die vor einem Jahre begonnenen neuen klinischen An¬ 
stalten geben gleichfalls ihrer Vollendung entgegen. Auf einer leichten 
Anhöhe, im Südende der Stadt, in schönster Lage, erheben sich bereits 
drei mächtige Gebäude, das pathologische Institut, die geburts¬ 
hilflich-gynäkologische Klinik und die medicinische Klinik, 
daneben eine Baracke für die letztere, und die noch im Bau begriffenen 
Verwaltungs- und Oekonomiegebäude, ein gewaltiger Complex, der sich vor¬ 
aussichtlich in den nächsten Jahren noch um andere Anstalten vermehren 
wird, deren Pläne zur Zeit noch bearbeitet werden. — Alles in grossem, 
den gesteigerten Bedürfnissen des heutigen klinischen Unterrichts völlig ge¬ 
recht gewordenem Massstabe, die Frauenklinik, ein dreistöckiges Gebäude 
für 80—90 Insassen, die innere für ca. 110, nebst der für ca. 30 Infections- 
kranke bestimmten Doppelbaracke, gleichzeitig die Poliklinik und grosse 
Räume für das klinische Laboratorium mit * allen hierher gehörigen Lehr¬ 
zwecken enthaltend; das pathologische Institut schliesslich mit geräumigen 
Sälen für mikroskopische und andere Arbeiten und fast einem ganzen Stock¬ 
werk zur Unterbringung der hiesigen altberühmten, durch kaum eine zweite 
deutsche übertroffene pathologisch-anatomische Sammlung. — Der innere 
Ausbau und die Einrichtung der Gebäude wird wohl noch ein Jahr in An¬ 
spruch nehmen, so dass die Eröffnung derselben im Beginn des Winter¬ 
semesters 1889 vor sich gehen kann. Das hiesige klinische Krankenmaterial, 
das sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt und gleichzeitig auch 
mit der Fülle an Vielseitigkeit zugenommen hat, zumal es sich nicht nur 
aus der Stadt, sondern vor allem aus einem ausgedehnten bei weitem 
grösseren als provinziellen Umkreis rekrutirt, wird wohl in den schönen 
Neubauten noch weitere Vergrösserung erfahren. — Durch die Neuerrichtung 
eines Lehrstuhles für die Hygiene — ein Institut hierfür ist vorläufig in 
den Räumen des alten chemischen Laboratoriums untergebracht — ist auch 
für dieses immer wichtiger werdende Arbeitsfeld Gelegenheit zu eingehenden 
Studien geboten. — Auf diese Weise wird unsere Hochschule in kürzester 
Zeit unter den neu aufblühenden Pflanzstätten deutscher Wissenschaft einen 
hervorragenden Platz einnehmen können. 


XVm. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Die für den nach Giessen berufenen Prof. Dr. Löhlein 
am 13. d. M. im Englischen Hause stattgehabte Abschiedsfeier gewährte 
durch die selten grosse Betheiligung von Mitgliedern des medicinischen 
Lehrkörpers der Universität und Berliner Aerzten einen Maassstab für die 
Verehrung und Liebe, deren sich der Gefeierte in Berlin erfreut. Nachdem, 
wie immer, wo deutsche Männer sich zusammenfinden, dem kräftigen Horte 
der Wissenschaft, unserem Kaiser, in einem mit Begeisterung aufgenommenen 
Trinkspruch die freudige Huldigung dargebracht war, kam in warmen Worten 
das Gefühl der Anerkennung für die ausgezeichneten Eigenschaften des 
Scheidenden als hilfreicher Arzt, als Lehrer, als wissenschaftlicher Forscher 
in den Reden A. Martin’s, Bernhardts, B. Fraenkel’s, Veit’s, 
Jacquet’s zum Ausdruck. Tiefgerührt dankte der Scheidende für die ihm 
entgegengebrachte, in solcher Weise nicht erwartete Theilnahme, welche er 
mehr als seinem eigenen dem Verdienst seiner Lehrer, die ihm den Weg 
gezeigt, den Anregungen, die ihm die Berliner geburtshülfliche Gesellschaft 
stetig gegeben, dem Entgegenkommen seiner Collegen, der Berliner Aerzte, 
verdankte. Das Fest nahm einen solennen Verlauf und wird den Theil- 
nehmem eine schöne und dauernde Erinnerung bleiben. 

— Die American Gynäkological Society hat den Privatdocenten an der 
hiesigen Universität Dr. August Martin zu ihrem Ehrenmitglied, und das 
Medico-chirurgische Collegium in Philadelphia denselben zum Socius ernannt. 

— Der zur Dienstleistung im Kaiserlichen Gesundbeitsamte comman- 
dirte Königlich Sächsische Assistenzarzt I. CI. Dr. Berckholtz ist aus seinem 
Dienstverhältniss zu dem genannten Amte ausgeschieden, und an seine Stelle 
der Königlich Sächsische Assistenzarzt I. CI. Dr. Trenkler getreten. 

— Unser geschätzter Mitarbeiter Dr. T hie me, früher in Mentone, hat 
sich nach längerem Aufenthalte in Paris als Curarzt in Nizza niederge¬ 
lassen. 


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872 

— Die von den Preussischen Acrztekammern in die Wissen¬ 
schaftliche Deputation für das Modicinalwesen dclegirten Mitglieder 
sind zu der am 24. d. M. statttindenden Sitzung der Wissenschaftlichen 
Deputation einberufen worden. Eine Vorbesprechung der zwölf Delegirteu 
findet am 23. Oetober Abends statt. 

— Bekanntlich wird der Verband der Deutschen Berufsgenossen¬ 
schaften demnächst mit dem deutschen Aerztetage über die Abfassung der 
ärztlichen Gutachten in Unfallversicherungsangelegenheiten in 
Verhandlung treten. Der Verbandsausschuss hatte, um eine Directive für dieses 
sein Vorgehen zu erhalten, vorher an sämmtliche Berufsgenossenschaften ein 
Rundschreiben erlassen, in welchem dieselben um Mittheilung der fühlbar 
gewordenen Mängel, sowie um Einsendung der von der Genossenschaft für 
die Ausstellung ärztlicher Gutachten etwa benutzten Formulare ersucht wurden. 
Soweit das Ergebniss dieser Ermittelungen jetzt vorliegt, herrscht zunächst 
Einstimmigkeit darüber, dass in den ärztlichen Zeugnissen alle dem Laien 
unverständlichen Kunstausdrücke möglichst zu vermeiden sind. Ueber die Frage, 
ob es zweckmässig sei, den Aerzten einen bestimmten Fragebogen zur Aus¬ 
füllung vorzulegen, gehen die Ansichten der Berufsgenossenschaften ausein¬ 
ander ; die einen haben solche Formulare eingeführt, die anderen halten sie für 
überflüssig. Die sächsische Textilberufsgenossenschaft hat ein vollständig 
mündliches Verfahren bei der Feststellung der Entschädigungen durchgeführt 
und lässt den untersuchenden Arzt sowohl wie den Verletzten der jedes¬ 
maligen Sitzung ihres Entschädigungsausschusses persönlich beiwohnen. Bei 
den meisten Berufsgenossenschaften ist ein solches Verfahren aber praktisch 
nicht durchführbar. Die Frage, ob es dem Arzte überlassen werden soll, in 
seinem Gutachten zugleich ein Urtheil über den Grad der Erwerbsunfähigkeit 
des Verletzten abzugeben, wird von der weitaus grössten Zahl der Berufs¬ 
genossenschaften verneint, jedoch wird den einzelnen Genossenschaften das 
Recht Vorbehalten, in den ihnen geeignet erscheinenden Fällen das Gutachten 
des Arztes auch über diese Frage einzuholon. 

— Dorpat. Bei der Wioderbesetzung der durch F. Schultze’s Be¬ 
rufung nach Bonn erledigten Professur der medieinischen Klinik kamen, wie 
die M. med. W. mittheilt, in die engere Wahl: Fleischer (Erlangen), 
v. Me ring (Strassburg), Unverricht (Jena); Letzterer wurde von der Facultät 
gewählt. 

— Paris. Dr. Gamaleja ist nach Paris gereist, um in der Akademie 
sein Impfverfahren gegen die Cholera vorzuzeigen. Im Monat März 
wird der Gelehrte nach Indien reisen, um die Wirksamkeit seines Mittels an 
Cholerakranken praktisch zu erproben. 

— Budapest. Das 52. Vereinsjahr der ».königlichen Gesell¬ 
schaft der Aerzto“ wurde am 13. Oetober 1. J. eröffnet. In seiner kurzen 
Ansprache gedachte der PräsidentMinisterialrath I>r.Ludwig Markusovszky 
in pietätvoller Weise des verstorbenen Vicepräsidenten Professor Koloman 
Balogh und des Verlustes, den der Verein durch das Ableben des Cultus- 
ministers Trefort. erlitten hat. Darauf wurde der „Orovsihetilap-Preis“ der 
in dieser Wochenschrift erschienenen anatomisch-physiologischen Arbeit des 
Prosectors Dr. Otto Pertik zuerkannt, und ein neuer Preis auf eine der 
besten’ Arbeiten ausgeschrieben, welche bis Mai 1889 in derselben Wochen¬ 
schrift über Hygiene erscheinen wird. Den Schluss dieser Plenarversammlung 
bildete eine Gedenkrede, welche Professor Wilhelm Schulek über Pro¬ 
fessor Arlt gehalten, der correspondirendes Mitglied des Budapester königl. 
Vereines der Aerzte gewesen ist. Der Sitzung folgte diesmal ein zahlreich 
besuchtes gemeinschaftliches Souper im Hotel Frohner. Am nächstwöchent¬ 
lichen Samstag nahmen die regelmässigen wissenschaftlichen Vorträge ihren 
Anfang, über welche wir nach wie vor kurz referiren werden. 

— Bei den zwanzig Universitäten des deutschen Reichs und der 
Akademie zu Münster waren im vergangenen Sommerhalbjahr insgesammt 
29 190 Studirendo eingeschrieben. Von diesen studirten 9046 die Heilkunde. 
Am meisten besucht von allen Universitäten war Berlin, wo 4767 Hörer ein¬ 
geschrieben waren; es folgen München mit 3809 Studirenden und Leipzig 
mit 3208. Mehr als tausend Hörer hatten von den anderen Universitäten: 
Würzburg (1547), Halle (1489), Tübingen (1449), Breslau (1343), Bonn (1313), 
Freiburg (1125), Greifswald (1066) und Güttingen (1016). Die übrigen Hoch¬ 
schulen reihen sich in Hinsicht auf die Hörerzahl wie folgt aneinandei 
Heidelberg 984, Marburg 928, Erlangen 926, Königsberg 844, Strassburg 828 
Jena 634 Kiel 560, Giessen 546, Münster 451 und Rostock 347. Die höchsl' 
Zahl der Studirenden der Heilkunde wies München auf mit 1599; es folgt Berlin 
mit 1159, welchen noch 250 Studirende der militärärztlichen Bildungsanstalten 
zuzuzählen sind. Bei einzelnen Universitäten hat eine bestimmte Facultät 
im Verhältnisse zu den andereu besonders viele Hörer: so in Halle, Tübingen 
und Erlangen die theologische, in Würzburg und Greifswald die medicinische, 
in Heidelberg die juristische. Für die 29190 deutschen Studirenden waren 
insgesammt 2283 Docenten bestellt, nämlich 1026 ordentliche Professoren, 
470 ausserordentliche, 57 Honorarprofessoren und Akademiker und 609 Privat- 
doceuten. Die meisten Docenten, 320, hat Berlin, es folgt Leipzig mit 179, 
München mit 167. Die wenigsten Docenten, nur 42, hat Rostock. 

— Hage (Weekblad for Geneeskunde 1888 I.) berichtet über ein 
Exanthem bei Diphtherie. Es handelt sich um ein Kind yon 
4 s /t Jahren mit Diphtheria faucium. Der Ausschlag trat am zwölften Tage 
auf, zuerst im Gesicht und an den Streckseiten der Extremitäten, dann am 
Stamm. Er verschwand nach drei Tagen. Das Kind genas- Die Medication 
blieb während und nach dem Auftreten des Ausschlags dieselbe, also ist 
Arzneiexanthem nicht wahrscheinlich. Hage glaubt an einen Zusammen¬ 
hang des Ausschlags mit der diphtheritischen lnfection. 

— Vergiftung mit Gaultheria-Oel. Eine Frau hatte zum Zweck 
der Abtreibung eine Unze 01. Gaultheriae genommen. Gleich darauf trat 
Wchgefühl im Kopf, zwei Stunden später starker Schwciss, Leibschmerz, 
Harndrang und Abführen ein. Nach weiteren sechs Stunden Krampfanfall, 
wonach die Füsse flectirt blieben, dann trat Unempfindlichkeit gegen 
Licht und Schatten ein, dann Bewusstlosigkeit. Tod nach 15 Stunden. Die 
Section ergab starken Rigor mortis, Magen- und Darmreitzung, das Blut 


No, 42 

war schwarz und flüssig, Nieren congestionirt. (Boston med. and surgica! 
Journal. 8. Dec. 1887.) 

— Zur Nahrungsmittelverfälschung. In den Proben, welche als 
„Ilirabeerlimonade“ den Chemikern des Gesundheitsamtes in Amsterdam im 
Laufe des vorigen Jahres zur Untersuchung übergeben wurden, fand sich 
nur ein einziges Mal wirklicher Himbeersaft. Meist hatte man es mit einem 
Gemisch von Zuckerwasser, Stärkezucker (Glykose), Weinsäure und etwas 
Kunstäther zu thun, das durch Fuchsin gefärbt war. In anderen Fällen war 
noch etwas Citronensäure zugesetzt, während Carmin zur Färbung diente. 
Das Gebräu, welches unter dem Namen „Champagnercider“ verkauft wird, 
besteht aus Zuckerwasser, Stärkezucker, Weinsäure und Kunstäther. Viel¬ 
leicht ist auch bei uns ähnlicher Apfelweinchampagner zu finden. 

— Universitäten. München. Professor Bollinger wurde zum 
Ehrendoctor der Universität Bologna ernannt — Budapest. Der ehe¬ 
malige Professor der Medicin an der Budapester Universität, Dr. F. X. Linz¬ 
bauer ist im 81. Lebensjahre in Mödling bei Wien gestorben. — Jassy. 
Dr. Bastaki ist zum Professor der Pathologie und zum Leiter der geburts¬ 
hilflichen Klinik ernannt worden. 


XIX. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem Vorstand der Kaiserl. Kgl. Universitätsklinik für 
Laryngologie, Professor Dr. Ritter Schrötter v. Kristelli zu Wien den 
Rothen Adler-Orden II. CI., dem ordentl. Prof. Geh. Med. Rath Dr. Jacob¬ 
son in Königsberg i. Pr. den Rothen Adler-Orden III. CI. m. d. Schleife, 
den praktischen Aerzten Geh. San.-Rath Dr. Cohen zu Hannover und Dr. 
Kelle zu Hildesheim den Rothen Adler-Orden IV. CI., dem seitherigen 
Kreisphysikus Med.-Rath Dr. Bickel zu Wiesbaden und dem San.-Rath 
Dr. Guercke zu Bunzlau den Kgl. Kronen-Orden III. CI., dem Ass.-Arzt 
a. D. Schaller zu Alvenstedt den Kgl. Kronen-Orden IV. CI. zu verleihen, 
sowie dem Stabsarzt a. D. Dr. Gloscin zu Berlin zur Anlegung des Ritter¬ 
kreuzes II. CI. des Grossherzogi. Baden’schen Ordens vom Zähringer Löwen 
mit Eichenlaub und dem Zahnarzt, Grossherzogi. Mecklenburgischen Hofrath 
und Hofzahnarzt v. Guerard zu Berlin zur Anlegung des Grossherrlich 
Türkischen Medschidje-Ordens IV. CI. die Allerhöchste Genehmigung zu er- 
theilen. Dem Priv.-Doc. der med. Fac. Dr. Horstmann zu Berlin ist das 
Prädikat Professor verliehen worden. — Ernennungen: Der seitherige 
Priv.-Doc. der medieinischen Facultät Gen.-Arzt II. CI. a. D. Dr. Traut¬ 
mann zu Berlin ist zum ausserordentlichen Professor in der genannten 
Facultät, der commissarische Verwalter des Physikats des Kreises Alfeld, 
Dt. Lemmer zu Alfeld definitiv zum Kreisphysikus dieses Kreises, 
der prakt. Arzt Dr. Bückling zu Wolgast zum Kreisphysikus des Kreises 
Neustadt a. R., der prakt. Arzt Dr. Haase zu Lippene unter Belassungin 
seinem Wohnsitz zum Kreiswundarzt des Kreises Soldin, der prakt. Arzt 
Dr. Ellervogt zu Bocholt unter Belassung in seinem Wohnsitz zum Ereis- 
wundarzt des Kreises Borken und der commissi Verwalter der KreiswunJ- 
arztstello dos Kreises Rybnik Dr. Thiene 1 zu Sohrau (O.-Schl.) deäuitiv 
zum Kreiswundarzt dieses Kreises ernannt worden. — Niederlassungen'. 
Die Aerzte: Grätz in Stutthof, Cohn, Lippmann, Dr. Bruck, Flato», 
Lasker, Dr. Busch, Dr. Oswald, Dr. Karo, Dr. Engel, Dr. Hermes. 
Dr. Lehmann, Dr. Hesse und Dr. Schott in Berlin, Dr. Kayser in 
Reichonbach a. L., nellmann iu Ketschdorf, Dr. Reinhard iu Rothen¬ 
burg a. 0., Dr. Falck in Schwanebeck, Dr. Simson in Belgern, Dr. Esser 
in Kessenich, Dr. Quos iu Köln, Dr. Holtkamp iu Eitorf, Dr. Demmet 
in Kirchen, Dr. Strauscheid in Bendorf. DieZahnärzte: Boneko und 
Weidomann in Berlin. — Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Bussen 
von Warburg nach Lippstadt, Dr. Ebben von Aachen nach Hoch, Bern¬ 
hard von Koerlin nach Kolonie Meierei, Dr. Tolks von Ilversgehofen nach 
Koerlin, Dr. Eisfeld von Mühlhausen i. Th. nach Grüningen, Dr. He • 
bing von Weissenborn nach Herzberga. H. Dr. Bickenbach von Düssel¬ 
dorf nach Wülfrath, Loose von Essen nach Hamborn-, Dr. Hennig (öD 
Olvia nach Danzig, Dr. Bluth von Berlin nach Lutter, Dr. Becker von 
Guben nach Berlin, Kalkstein von Seelow nach Kammin i. Pomm., tu- 
riesohn von Kriescht nach Seelow, Ob.-Stabsarzt a. D. Dr. Rie bau vo 
Hagenau i. E. nach Görlitz, Dr. Teupel von Rothenburg a. 0. nach Letp 
zig, Dr. Schräder von Wernigerode, Dr. Kühne von Aschersleben, ■ 
Schomborg von Gutenswegen, Sanität s rath Dr. Bennecke von Mägde u r 
nach Göttingen, Dr. Eisfeld von Mühlhausen i. Th. nach Groningen • 
Liehr von Mühlberg i. E. nach Oderberg i. N. M. Die Zahnarz ^ 
Hamecher von Berlin nach Kottbus und Thomas von Berlin nach üu 
— Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Markasg in Hirschberg i- • 
Kreisphysikus a. D. Dr. Rothschild in Drossen. — Vakante e 
Das Physikat des Kreises Hümmling. 


2. Hamburg. Niederlassung: Dr. A. Olshausen. 

3. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Auszeichnung«“' ^ 

Arthur Schröder und Dr. Anton Mayer beide in München duren ^ 
dienstorden vom hl. Michael IV. CI., d. Gen.-Stabsarzt d. Arm- Dr- • 
Lotzbeck durch Verd.-Ord. v. Heil. Michael H. CI. — Ernenn 8 ^ 
Bez.-A. I. CI. Dr. W. G- Schmittberger in Wolfstein z. Bex--A- • 'p r 
Miltenberg, Dr. F. Grub er in Heman z. Bez.-A. I. CI. in **°7 UI nl g. 
A. Riederer in Wolfrathshausen z. Bez.-A. I. CI. in Krambac 2,^0 
Brand in Füssen z. Bez.-A. I. CI. in Füssen, Dr. D. Albert m TreUl h 

z. Bez.-A. I. CI. in Hassfurt, der II. Ass.-A. a d. Kr.-Irr.-A: nst-■ * en: 

Dr. A. Weirschmidt zum I. Ass.-A. a. d. Anstalt.. — Niederla || er 
Dr. E. Leopolder in Eggenfelden; Dr. A. Pfeiffer in Hof; “• . pr. 

in Markt Redwitz; Dr. K. Engelberger in Bercning. — Verz Kj tjn4DU . 
H. Schmid von München nach Donauwörth; Dr. Althammer eB . 

stein unbek. wohin; Dr. 0. Schloth von Stadtlaurtngen nach^i^^--- 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Donnerstag 


25. October 1888 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactear Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Zur Behandlung des Schielens. 1 ) 

Von H. Schmidt-Rimpler, Professor in Marburg. 

ln neuerer Zeit ist bei höhergradigeu Fällen von Schielen die auf 
Ein Auge beschränkte Operation mehr in Aufnahme gekommen, in¬ 
dem nach Abtrennung des verkürzten Muskels noch der Anta¬ 
gonist beziehentlich dessen Tenou’sche Kapsel vorgenäht wird; I 
sie hat die doppelseitige Teuotomie, wie sie besonders A. v. Graefe ! 
und Alfr. Graefe empfohlen und genauer in ihrem Wirken studirt 
haben, etwas in den Hintergrund gedrängt. 

Wenn man dieserOperationsmethode auch ihre volle Berechtigung 
bei starkem Auswärtsschielen zuerkenuen muss, da wir erfahruugs- 
gemäss wissen, dass selbst eiue erhebliche Uebercorrigirung und Nach- 
innenstellung des Auges sich später verringert, so bedarf ihre Ver- j 
Wendung doch bei Strabismus convergens — abgesehen von den 
geradezu monströsen Formen — grosser Vorsicht, da hier schon nach 
einfacher Tenotomie die Neigung zu einer secundären Vermehrung 
des Operationseffectes vorhanden ist und die Gefahr späteren Aus¬ 
wärtsschielens droht. Wenn man aber nach der Tenotomie des In¬ 
ternus sofort den Externus vornäht, so bringt man den Augapfel 
durch die bezüglichen Nähte in eine noch stärkere Auswärtsstellung 
und veranlasst so, dass die Internussehne an einem verhältnissmässig 
weit rückwärts gelegenen Punkte anheilt. Die Operation verursacht 
demnach,neben der Stärkung derExternuswirkung, eiue. das gewöhnliche 
Maass einfacherer Tenotomieen erheblich übersteigende Schwächung 
der Internnszugkraft. Will man. wie es wünscheuswerth ist. letzteres 
vermeiden, so ist die Operation nicht, wie es jetzt geschieht, gleich¬ 
zeitig, sondern in gewissem zeitlichen Zwischenraum, etwa nach 6 bis 
8 Tagen, auszuführeu, wenn die Internussehue nach der Tenotomie 
bereits wieder zur Anheftung gekommen ist: näht man jetzt den 
Externus vor, so erhöht mau seine Zugkraft, ohne die Convergenzbe- 
wegung allzusehr zu schwächen. Iu der Mehrzahl der Fälle wird 
aber bei Strabismus convergens immer noch die doppelseitige Teno¬ 
tomie beider Interni vorzuziehen sein, und zwar so. dass mau nach 
der ersten Tenotomie mehrere Monate verstreichen lässt, um einen 
Einblick in den dauernden Effect zu gewinnen. Nur hei sehr be¬ 
deutender Schwachsichtigkeit eines Auges ist es vorsichtiger, dieses 
allein, und zwar hei höheren Graden mit der Vornähung, wie oben er¬ 
wähnt, in 2 Tempi zu operiren, um das gesunde Auge nicht in Ge¬ 
fahr zu bringen; bei strenger Antisepsis und sorgfältiger Nachbehand¬ 
lung dürfte allerdings nach einfacher Tenotomie kaum je ein übler 
Zufall zu befürchten sein, und meine ich, dass in den wenigen Fällen, 
bei denen ein Auge durch diese Operation geschädigt wurde, nach 
der einen oder anderen Richtung Fehler begangen sind. 

Ich halte die Anschauung, dass durch die gewöhnliche x\rt der 
Vornähung der Internus zu sehr geschwächt wird, für um so be¬ 
gründeter, als wir seihst nach den mässigen Rücklagerungen, wie sie 
die einfache und vorsichtige Teuotomie des Internus bewirkt, nicht 
selten im Laufe der Jahre Uebercorrection erleben. Jeder Ophthal¬ 
mologe wird aus eigener und fremder Praxis derartige Fälle in hin¬ 
reichender Zahl gesehen haben; je längere Zeit man die Operirten 
beobachtet, um so mehr kann man diese Veränderungen des pri¬ 
mären Operationseffectes verfolgen. Ein Beispiel möge genügen. 
Ich operirte 1871 ein 18jähriges Mädchen wegen Strabismus con¬ 
vergens concoraitans; bei H x /20 betrug die Sehschärfe rechts 1, 

*) Nach einem Vortrage, gehalten in der Section für Ophthalmologie der 
61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


links -/a- Nach der Operation blieb längere Zeit Strabismus con¬ 
vergens von 2 mm bestehen, der allmählich sich in dynamisches, 
nur bei Verdecken eines Auges hervortretendes Schielen bei sonst 
vorhandenem binocularem Sehact umwandelte. Lange Jahre war voll¬ 
kommen correcte Stellung vorhanden, und ich freute mich jedesmal, 
wenn ich die junge Dame sah, über den schönen Erfolg. Als sie 
aber in die Mitte der zwanziger Jahre gekommen war, bemerkte 
ich zuerst ein leichtes Abweicheu des linken, operirten Auges, 
wenn sie nicht recht acht auf sich gab; bei entsprechendem 
Willensimpuls bestand noch correcte Stellung. Allmählich wurde 
jedoch die Abweichung constant, und jetzt hat sie einen ausge¬ 
prägten Strabismus divergens des linken Auges von 2—3 mm. Hier 
war also innerhalb der 17 Jahre die Verwandlung eines nach 
der Operation zurückgebliebenen und länger bestandenen Strabis¬ 
mus convergens iu Richtigstellung und schliessliche Divergenz 
erfolgt. Bei Augen mit starker Amblyopie und fehlendem Binocular- 
sehen kommt dies noch häufiger vor; hier habe ich selbst hohe Grade, 
vou 3—4 mm Convergenz nach der Operation, in Divergenz über¬ 
schlagen sehen. Zum Theil trägt die Aenderung der Refraction, 
indem aus einer ursprünglichen Hyperopie sich Erametropie und Myo¬ 
pie entwickelt, und somit die zur erhöhten Accomrnodation dem 
Hyperopen nöthige Convergenzstellung überflüssig wird, die Schuld; 
zum Theil aber auch scheint mit dem Alter das Uebergewicht der 
Externi zuzunehmen: es spricht dafür die Beobachtung, dass bei ein¬ 
seitiger Erblindung im kindlichen Lebensalter meist Convergenz¬ 
stellung, bei späterer Erblindung meist Divergenzstelluug eintritt. 
Aber auch eine ganz erhebliche Reihe von Convergent-Schielenden 
heilt von seihst ohne Operation und sogar ohne eine diesbezügliche 
optische Therapie. Hierbei ist nicht immer, wie erwähnt, eine in 
Betracht kommende Refractionsänderung vorhanden. Ein jetzt acht¬ 
zehnjähriger Gymnasiast, desseu Vater als Kiud geschielt hatte, zur 
Zeit aber vollständig correcte Augenstellung besitzt, und dessen beide 
Geschwister ebenfalls schielen, zeigte in der Kindheit Strabismus con- 
verg. ocul. siuistri; das rechte Auge hatte Hyperopie 0,5, S = 1. Das 
linke war stärker hvperopisch und astigmatisch; es wurden damit 
Finger in ca. 1 Meter gezählt. Im Jahre 1883 betrug der Strabismus 
convergens noch 7 mm. Allmählich verringerte sich nun derselbe; 
1886 war, selbst unter der deckenden Hand, keine Schielstellung 
mehr zu constatiren. Zur Zeit aber ist bereits Divergenz eingetreten; 
das binoculare Sehen ist sehr gering, iedoch können bisweilen ge¬ 
kreuzte Doppelbilder hervorgerufen werden. Dabei besteht noch 
dieselbe Hyperopie. Natürlich bin ich sehr erfreut, früher die Schiel- 
operatiou abgelehnt zu haben; vorzugsweise wurde ich dadurch be- 
I stimmt, dass beim Vater eine Spontanheilung eingetreten war. 

Wenn wir derartige spontane Veränderungen schielender Augen 
i beobachten, so haben wir Anlass, in der Vorausbestimmuug unserer 
| Schieioperationserfolge besonders vorsichtig zu sein. In der Mehrzahl 
i der Fälle tritt bei Strabismus convergens eine Zunahme der Wirkung 
j in späteren Jahreu ein, gelegentlich, aber seltener, kann auch bei 
| vorhandener Hyperopie eine Verringerung des Effects, die sich aber 
| durch Tragen vou Convexbrillen meist vermeiden lässt, Vorkommen. 
; Es ist demnach die alte Regel immer wieder zu betonen, noch eiue 
! Convergenz von mehreren Millimetern nach der Operation stehen zu 
lassen; die noch weniger in ihren Endwirkungen berechenbare Vor¬ 
nähung sollte nur in Ausnahmefällen gemacht werden. Für die Scbiel- 
I operirten, welche zu den dankbarsten Patienten des Augenarztes 
gehören, ist es zwar ziemlich gleichgiltig, ob das Auge schliesslich 
ein wenig nach aussen oder nach innen ab weicht; für den Operateur 
ist aber eine Uebercorrection immerhin unangenehmer als ein zu 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


874 


No 43 


geringer Effect, zumal sich letzterer durch Nachoperationen leichter 
heben lässt. 

Eine vollkommen correcte Stellung wird in der Mehrzahl der 
Fälle nur erreicht, wenn die Kranken zu einem binocularen Sehen 
gelangen. Aber es kommt noch ein anderer Factor hinzu, der, wie 
es scheint, bisher noch nicht genügende Würdigung gefunden hat: 
das ist der Wille zur binocularen Fixation. Es unterliegt gar 
keinem Zweifel, dass dieser Mangel an Willen häufig die Abweichung 
veranlasst. Besonders wird hierdurch die Divergenzstellung unter¬ 
stützt und vorbereitet. Der sogenannte „verlorene Blick“ mit aus¬ 
geprägter Divergenz findet öfter nur hierin seine Hauptursache. In 
Einzelfällen ist nicht einmal eine Insufficienz der Recti interni nach¬ 
weisbar. So wünschte beispielsweise ein junges Mädchen wegen zeit¬ 
weiligen Auswärtsschielens operirt zu werden; das linke, etwas 
sehschwachere Auge wich, wie objectiv beim Ansehen erkennbar, 
nach aussen ab. Es bestand beiderseits hyperopischer Astigmatismus. 
Wenn die Patientin wollte, hatte sie jedoch vollkommen correcte 
Stellung. Die vorgenommene Prüfung zeigte derartigen Einfluss auf 
ihren Willen, dass selbst unter dem vor ein Auge gelegten Prisma, 
Basis nach unten, keine dynamische Divergenz eintrat: für die Ferne 
waren im Gegentheil die Bilder sogar gleichnamig (also Convergenz- 
stellung), für die Nähe standen sie gerade übereinander. Ebenso 
bei Verdeckung eines Auges correcte Stellung. Binoculares Einfach- 
und körperliches Sehen waren vorhanden; sogar der Hering’sche 
Fallversuch wurde bestanden. Es handelte sich demnach nur um 
eine Willensinsufficienz. Im Gegensatz hierzu beobachten wir gar 
nicht selten bei einseitiger Schwachsichtigkeit und wenig ausgebil¬ 
detem oder sogar ganz fehlendem binocularen Sehen gute Stellung 
der Augen. 

Der „Wille zur binocularen Fixation“ ist als ein wichtiges 
und bestimmendes Moment — neben den bisher vorzugsweise 
betonten des Muskelgleichgewichts, der Accoramodation und des 
binocularen Sehens — für eine correcte Augeneinstellung von 
grösster Bedeutung, und sollte dessen Entwickelung und Wirkung in 
der Behandlung, des Schielens mehr Beachtung finden. Auch unter 
physiologischen Verhältnissen tritt der Einfluss desselben auf die 
Augenstellung zu Tage; wenn wir ophthalmoskopiren oder mikro- 
skopiren, lassen wir das eine Auge willkürlich abweichen, um etwa 
unsere Accommodation in ersterem Falle leichter zu erschlaffen, unter 
Unterdrückung des Bildes dieses Auges, oder auch um im anderen 
Falle vielleicht gerade binocular zu sehen, um das im Mikroskop 
wahrgenommene Bild zu zeichnen. Ja wir können sogar umgekehrt 
willkürlich genau die Augen einstellen und doch binocular doppelt 
sehen. Prüft man z. B. ein Fernglas ä double vue auf seine Ver- 
grösserung, so sieht man den Maassstab mit dem einen Auge durch 
das Fernrohr vergrössert, mit dem anderen in seiner natürlichen 
Grösse; die Bilder stehen anfänglich meist neben einander. Durch 
Willensimpuls stellen wir die Augen dann so ein, dass die Bilder 
aufeinander fallen und sich decken, um einen exacten Vergleich 
ihrer Grösse machen zu können: hier also haben wir correcte 
Fixation desselben Gegenstandes durch beide Augen und dennoch 
Doppelsehen, indem wir die verschiedenen, auf die Maculae beider 
Augen fallenden Bilder uns zum Bewusstsein bringen. 

Prüfen wir Schielende nach derOperatiou mit den stereoskopischen 
Javal’schen Proben (siehe unten), so geschieht es gar nicht selten, 
dass sie gleichzeitig sowohl die Oblaten auf der rechten Seite als 
auf der linken Seite sehen, aber die mittleren, gleichartigen Oblaten 
nicht stereoskopisch zur Deckung bringen können, — erst wenn sie sich 
Mühe geben und ordentlich ihren Willensimpuls anwenden, bringen 
sie das Einfachsehen zu Stande. Abgesehen von dem bekannten 
Einfluss derartiger Uebungen auf die Ausbildung des binocularen 
Einfachseheus und des körperlichen Sehens, dienen sie demnach 
auch dazu, den Willen zur binocularen Fixation zu stärken. Es ist 
dies für mich ein Grund mehr, um sie nach Schieioperationen lange 
und dauernd in Anwendung zu ziehen. Sie unterstützen in hervor¬ 
ragender Weise die Einleitung und Beibehaltung einer dauernden 
correcten Augenstellung — durch unsere Operationen können wir nur 
die Möglichkeit einer solchen Stellung geben, da wir ein voll¬ 
kommenes muskuläres Gleichgewicht nur recht selten erreichen, 
keinenfalls vorher mit Sicherheit bestimmen können. Auch vor der 
Operation haben in leichteren Fällen diese Uebungen ihre Bedeutung; 
daneben wird man aber gegen die Willensinsufficienz noch direkt 
durch Zuspruch und psychischen Einfluss vorzugehen suchen: man 
wirkt in dieser Weise ebenso bessernd, wie etwa bei schiefer Haltung 
der Kinder durch öfteres Erinnern und Anregen. 

Die Uebungen, um das binoculare Einfachsehen und das Kör¬ 
perlichsehen zu erreichen, sind methodisch durchzuführen. Man wird 
übrigens gut thun, sich vorerst einmal über die verschiedenen Be¬ 
zeichnungen, welche nach der Richtung üblich sind, etwas zu ver¬ 
ständigen. Als binoculares Sehen im eigentlichen Wortsinne sollte 
man das gleichzeitige Sehen mit beiden Augen bezeichnen; wenn 
also ein Schielender nicht das Bild des einen Auges unterdrückt, 


sondern Doppelbilder sieht, so hat er binoculares Sehen. Genauer 
wird man hier von binocularem Doppelsehen sprechen. Können 
die Doppelbilder zur Verschmelzung gebracht werden, so besteht 
binoculares Einfachsehen Wenn im Stereoskop die gewöhn¬ 
lichen stereoskopischen Bilder als Körper gesehen werden, so ist 
stereoskopisches Sehen vorhanden. Wenn Jemand die Tiefen¬ 
dimensionen exact wahrnehmen kann, so hat er Körperlichsehen. 
Letzteres kommt übrigens durchaus nicht allein den Binocular- 
Sehenden zu; wir haben bedeutende Maler, geschickte Operateure, 
die nur mit einem Auge sehen und doch sehr wohl die Tiefen¬ 
dimensionen erkennen: Bild und Körper ist ihnen durchaus nicht 
gleich, und selbst geringere Verschiedenheiten der Tiefendimen¬ 
sionen nehmen sie wahr. Es kommt ihnen beim einäugigen 
Sehen hierbei zu Statten: die Accommodation — für das Nähert 
wird stärker accoramodirt als für das Fernere —; der Convergenz- 
impuls — stärkere Contraction der Recti interni für näher Ge¬ 
legenes — und noch manches Andere, wie z. B. auch die Ver¬ 
schiedenheit des Bildes, je nachdem man einen Gegenstand von der 
rechten oder linken Seite sieht, indem sie leichte Kopfbewegungen 
ausführen. Allerdings wird immerhin der Einäugige gegenüber dem 
Binocular-Sehenden bei der Schätzung der Tiefendimension etwa« 
im Nachtheil sein. Einmal sieht letzterer ohne Kopfbewegung sofort 
von verschiedenen Seiten; besonders aber kommt noch folgendes 
Moment in Betracht. Fixirt der Binocular-Sehende einen bestimmten 
Punkt, so erscheint ihm ein vor diesem gelegener näherer Gegenstand 
in gekreuzten Doppelbildern, da er für diesen näheren Punkt mit 
seinen Augen eine Divergenzstellung einnimmt; — ein ferner gelegener 
in gleichnamigen. Diese meist unbewusst bleibenden Verschieden¬ 
heiten haben sich durch die Erfahrung so unserer Sinnesempfindnna 
eingeprägt, dass sie einen ausserordentlich feinen und exacten Maass¬ 
stab für die schnelle Tiefenschätzung und das sofortige körperliche 
Sehen geben. Hierauf muss natürlich der Monocular-Sebende ver¬ 
zichten. Diese Fähigkeit wird aber verlangt, wenn man den Hering'- 
sehen Fallversuch bestehen will, wo man bei binocularer Fixation einer 
Perle, die sich etwas entfernt vom Ende einer Röhre befindet, durch 
welche man sieht, sofort erkennen soll, ob vor oder hinter derselben 
andere Perlen herabfallen. 

Man beobachtet nun an Schiel-Operirten oder Schielenden, 
welche die, wenn auch nur durch einen stärkeren Willensimpuls zu 
erzwingende Möglichkeit einer correcten Einstellung beider Angen 
besitzen, nicht selten eine der dargelegten Stufenfolge des Binocular- 
sehens entsprechende allmähliche Ausbildung. Selbst bei solchen, 
bei denen vor der Operation in keiner Weise binoculares Bopptl- 
sehen, nicht einmal in der Form des von Alfr. Graefe ab regio¬ 
när bezeichneten zu erreichen war, kann es zur Ausbildung de 
höchsten Grades des Binocular-Sehens, wie es das Bestehen dfc 
Hering’schen Versuches erfordert, kommen. 

Zu den ersten Uebungen bedient man sich eines ausschiebbaren 
Stereoskops. Als erste Uebung dient die Javal’sche Sehprobe: 
ein Blatt, auf dessen beiden Hälften in der Mitte — gleich weit 
von der Mitte entfernt — eine rothe Oblate geklebt ist; auf der 
linken Hälfte darüber etwa eine grüne, auf der rechten Hälfte 
darunter etwa eine blaue. Werden beide Hälften gleichzeitig und 
nebeneinander gesehen, so besteht binoculares Doppelsehen; wo es 
nicht vorhanden ist, lässt es sich erregen, indem man das fixireude 
Auge anfänglich verdeckt, um das ausgeschlossene erst zur Wahr¬ 
nehmung der ihm zukommenden Bilder zu bringen. Kann durch 
exacte Stellung der Augen, indem also das Bild der rothen Oblate 
jeder Hälfte auf die linke und rechte Macula lutea fällt, eine Ver¬ 
schmelzung der beiden rothen Oblaten erzielt werden, — es werden 
alsdann drei über einander stehende Oblaten (grün, roth, blau, 
gesehen — so ist binoculares Einfachsehen erreicht. Ich habe an 
Stelle der Oblaten auf der Vorlage bunte Blechplättchen äuge 
bracht, die in einer Rinne seitlich (resp. auch durch Verrückung 
einer Hälfte, der Höhe nach) verschiebbar sind. 1 ) Hier kann der 
Schielende durch Seitwärtsstellung, d. h. grössere oder geringere 
Entfernung von der Mittellinie, der Plättchen eine, seiner noch vor¬ 
handenen Schielstellung entsprechende Lage des rothen Plättchen.' 
erreichen und so trotz seines Schielens binocular einfach sehen. 
Nähert er, während er so einfach sieht, die rothe Platte 


zeitig mit der darüber oder darunter befindlichen grünen 


oder 


blauen) allmählich der correcten Stellung und Entfernung von > e 
Mittellinie, so zwingt er durch den im Einfachsehen liefen ^ 
psychischen Impuls den contrahirten Muskel zur Erschlaffung 11 “ 
erreicht Richtigstellung der Augenachsen. Hat man das erzl f 
benutze man die von Rabl-Rückbard angegebenen und 
Bure har dt (zur Entdeckung der Simulation) herausgegebenen stw 
skopischen Vorlagen. Dieselben werden, trotzdem sie ebenfalls dw 
Gleichartigkeit der Hauptumrisse der Figuren beider Seiten ein 1,1 
culares Einfachsehen fordern und erzwingen, nicht immer einfach F 


') Verfertiger: W. Holzhauer,^Marburg. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


875 


25. October. 


sehen, selbst wenn bereits die Javal’sche Probe dauernd bestanden 
wird. Ja, selbst in der Verschmelzungsmöglichkeit der einzelnen 
Burchardt’schen Tafeln lassen sich Unterschiede nach weisen: so 
wird Tafel 3 leichter zu einem Sammelbilde vereinigt als etwa 
Tafel 4 oder 1; doch bringt Uebung hier nach und nach eine wei¬ 
tere Ausbildung des binocularen Einfachsehens. 

Die neuerdings von Kroll herausgegebenen stereoskopischen 
Vorlagen halte ich für diese Zwecke wenig geeignet, da bei ihnen 
der durch gleichartige Figuren beider Hälften gegebene Impuls zur 
Verschmelzung zu Einem Bilde — ein Impuls, der immer auftritt, 
wenn wir gleichgestaltete Doppelbilder dicht neben einander sehen 
— vollkommen fehlt; der in der Art der abgebildeten Gegenstände, 
dass z. B. auf einer Hälfte eine Maus, auf der anderen ein Käfig, 
auf einer Hälfte ein Tintenfass, auf der anderen eine Feder u. s. f. 
sich befinden, liegende psychische Antrieb zu einer Vereinigung ist 
doch von sehr untergeordneter Bedeutung; ich fühle gar keinen Zwang, 
mir die Maus immer in einem Käfig vorzustellen, oder gar die Feder 
immer im Tintenfass — im Gegentheil würde es mir manchmal 
lieber sein, wenn sie ausserhalb des Tintenfasses geblieben wäre. 1 ) 

Eine noch höhere Stufe zeigt sich in der Fähigkeit, die ge¬ 
wöhnlichen stereoskopischen Bilder mittelst des Stereoskops als wirk¬ 
liche Körper zu sehen; selbst jüngere Kinder geben diesen Unter¬ 
schied genau an. Durch die Verschiedenheit der Bilder bieten 
derartige Uebungen natürlich viel Interesse und Unterhaltung; wird 
wirklich stereoskopisch gesehen, so ist auch bereits das Körperlich¬ 
sehen eingeleitet. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass sofort 
der Hering’sche Fallversuch richtig bestanden werden könnte; all¬ 
mählich aber gelangen Viele, welche die Vorstufe des stereoskopischen 
Sehens erreicht haben, auch hierzu und erfüllen damit die höchsten 
Ansprüche, die man an einen Binocular-Sehenden machen kann. 
Oefter kommen Schiel-Operirte selbst in recht kurzer Zeit hierzu; in 
anderen Fällen werden nur die geringeren Stufen des Binocular- 
Sehens erreicht. Immerhin sind diese Uebungen von grösster Be¬ 
deutung, und lässt sich die methodische Durchführung derselben 
nur empfehlen, wenn man soweit als möglich die Heilung des 
Schielens zu einer wirklich vollkommenen und dauernden machen will. 

Eine zu frühzeitige Operation der in geringem Grade Schielen¬ 
den halte ich nicht für angezeigt, da man öfter, wie erwähnt, ein 
spontanes oder durch obige Mittel erzieltes Verschwinden des Uebels 
beobachtet; andererseits kann ich nicht finden, dass die durch Uebun¬ 
gen im Binocular-Sehen nach der Schieioperation erreichten Erfolge 
schlechter waren, wenn erst im 9. oder 10. Lebensjahre operirt 
wurde. Allerdings muss man durch Separatübungen die Sehfähig¬ 
keit beider Augen und eventuell auch das Binocular-Sehen, wenn 
auch in seinen niedrigsten Graden, zu erhalten suchen. 


II. Bacteriologische Methoden mit besonderer 
Berücksichtigung quantitativer bacteriologi- 
scher Untersuchungen. 2 ) 

Von Prof. Dr. J. Soyka iu Prag. 

M. H. In der Geschichte der Bacteriologie, in der Entwicke - 
lung der letzteren zur Wissenschaft, spielt die Piattenmethode Koch’s 
eine wichtige Rolle; ihr haben wir zum grössten Theil die Möglich¬ 
keit der Isolirung und Differenzirung der Pilze zu verdanken. Ich möchte 
Ihnen nun heute über einige Modificationen derselben berichten, die 
den Zweck haben, diese Methode noch exacter und gleichzeitig be¬ 
quemer zu gestalten. 

1. Zunächst sei über einige Neuerungen berichtet, die sich auf 
die Anwendung der Plattenmethode auf die Wasseruntersuchung 
beziehen. 

Die bacteriologische Wasseruntersuchung kämpft mit Schwierig¬ 
keiten, wenn sich das zu untersuchende Object nicht an Ort und 
Stelle der Untersuchungsstätte befindet. In einem jeden Transport 
dieses Untersuchungsmaterials liegt eine Quelle von Fehlem, indem 
die bereits vorhandenen Keime auf dem Transport in ihrer Zahl oder 
auch in ihrer Lebenstüchtigkeit Veränderungen erleiden können, sei 
es durch die Veränderuug der Temperatur, welche sie erfahren, in¬ 
dem entweder durch Aufbewahrung auf Eis künstlich eine Ernie¬ 
drigung derselben hervorgerufen wird, oder dass die äussere Tempe¬ 
ratur eine höhere ist, als die an der Entnahmestelle. Auch die Be¬ 
wegung beim Transport kann ja von Einfluss sein. Endlich ist auch 
die wechselnde Zeit, die dann zwischen Entnahme und Wasserunter¬ 
suchung verfliesst, von wechselndem Einfluss. Diese Umstände hatten 
das Bedürfniss hervorgerufen, derartige Wasseruntersuchungen sofort 

*) Wie mir Herr Kroll brieflich mittheilt, wird er aus Anlass meines 
Vortrages in Köln seinen Vorlagen in Zukunft auch solche beifügen, die 
eine binoculare Verschmelzung anregen. 

*) Vortrag, gehalten in der Section für allgemeine Pathologie der 61. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


an Ort und Stelle vorzunehmen, die Platten gleich dort auszugiessen. 
Zu diesem Zwecke bediene ich mich nun runder, sehr dünn ge¬ 
schliffener, aus Glas angefertigter Glasschälchen von 1,5 mm Dicke, 
die einen Flächeninhalt von genau 50 cm besitzen, mit eiuem ca. 3 
bis 5 mm hohen Rande, der abgerundet in die Grundfläche übergeht. 
Als Decke dient ein ganz ähnliches, nur im Durchmesser etwas weiteres 
Schälchen. Die Anwendung dieser Schälchen hat den Vortheil, dass 
sie vor Allem einen Nivellirapparat, sowie ein Kühlgefäss zum raschen 
Erstarrenlassen der Gelatine entbehrlich macht, dass aber dabei die 
so gedeckten Schälchen vollständig leicht transportabel sind, un¬ 
unterbrochen direkt sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch, 
ohne dass sie geöffnet werden müssten, beobachtet werden können, 
dass ferner bei Abnahme des oberen Schälchens die Untersuchung 
und die Verarbeitung der einzelnen Colonieen gleichfalls in ähnlich 
leichter Weise sich ausführen lässt, wie bei deu gewöhnlichen Glas¬ 
platten. Die mikroskopische Untersuchung ist von zwei Seiten mög¬ 
lich, mit sehr schwachen Vergrösserungen von oben her, da ja eben 
die deckende Glasschule nur 3—5 mm über die Gelatine emporragt. 
Nach Umstülpung des Doppelschälchens lässt sich aber auch mit 
starken Vergrösserungen von unten her mikroskopisch die Platte 
untersuchen. 

Sehr zweckmässig erscheint für Wasserabnahme aus grösseren 
Tiefen, Schächten, die Anwendung der ehemaligen Pasteur'sehen 
Pipetten, denen nur behufs grösserer Sicherheit eine kleine Modifi- 
cation beigegeben wurde. Diese Pipetten bestehen, wie bekannt, 
aus einem Art Reagensgläschen, das oben in ein engeres etwas ge¬ 
krümmtes Rohr ausgezogen ist, und nun seitlich etwas unterhalb der 
Stelle, wo das Reagensglas zum schmalen Rohr ausge¬ 
zogen ist, ein angeschmolzenes, enges, nach unten zu 
offenes Ansatzrohr besitzt, welches ungefähr so tief her¬ 
abreicht, wie das Reagensgläschen selbst. Dadurch, dass 
nun unmittelbar unter dem Abgänge dieses Röhrchens 
dasselbe zu einer Kugel ausgezogen ist, wird verhindert, 
dass beim Einsaugen in jenen Fällen, wo das Niveau 
der Flüssigkeit plötzlich unter das Niveau der Ausfluss¬ 
öffnung sinkt, mit Luftblasen vermischtes Wasser in das 
Innere der Eprouvette emporgeschleudert wird, da diese 
Luftblasen, sowie sie in die Kugel gelangen, daselbst platzen, und 
nun das Wasser nach unten abfliesst. 

Im Anschlüsse hieran möchte ich auch noch eine bacterio¬ 
logische Spritzflasche deraonstriren, die den Vortheil hat, aus einem 
Stück Glas angefertigt zu sein, mit Vermeidung eines jeden Propfens 
oder Schlauches. Sie besteht aus einem oben zu einem gekrümmten 
Glasröhrchen ausgezogeuen Erlenraeyer’schen 
Kölbchen, wo unmittelbar oberhalb des Flaschen¬ 
bodens ein Röhrchen angeschmolzen ist, welches 
sich senkrecht nach oben bis in die Höhe des 
Flaschenhalses erstreckt, und von dort bis zur 
Mitte der Flasche umbiegt. Auch dieses Rohr bat 
unterhalb dieser Umbiegungsstelle eine kugelförmige 
Erweiterung. Dieses Fläschchen hat den Vortheil, 
dass in demselben ohne Mühe Flüssigkeiten steri- 
lisirt werden und nun leicht ebenso wie bei 
einer Spritzflasche ausgetrieben werden können. 
Es eignet sich besonders für das Arbeiten mit sterilisirtem, destil- 
lirtera Wasser, Gelatine, Bouillon, Agar u. s. w. und beruht ja nur 
auf dem von Hofmann-Pasteur erkannten Princip, dass durch An¬ 
bringung von nach abwärts gerichteten Krümmungen, die Gegenstände 
unverschlossen vor dem Eindringen von Keimen bewahrt werden 
können. Auf eins muss aufmerksam gemacht werden: der Watte¬ 
pfropf, der in das Rohr, welches die Verlängerung der Flasche bildet, 
eingeführt wird — darf nicht zu dicht sein, oder muss vor dem je¬ 
weiligen Sterilisiren entfernt werden, da er sonst dem Austritt der 
Luft einen zu grossen Widerstand bietet, so dass diese dann wohl die 
Flüssigkeit aus der Flasche hinaustreibt. 

2. Die Plattenmethode war jedoch verbesserungsfähig nicht blos 
mit Rücksicht auf die Wasseruntersuchungen an Ort uud Stelle, 
sondern es Hessen sich mit Rücksicht auf die Gefahren der Verun¬ 
reinigungen, auf die Unsicherheit des Resultates, so weit es sich um 
die Zähl und die Grösse der entwickelten Colonieen handelt, endlich 
auf den Verbrauch des Materials Modificationen schaffen, welche ein 
rasches, sicheres Arbeiten ermöglichen. Der erste Versuch, den ich 
in dieser Richtung anstellte, war der, dass ich die auf Platten zu 
verarbeitende, pilzhaltige Flüssigkeit nicht mehr in den Gelatine- 
resp. Agarröhrchen selbst verdünnte, sondern ausserhalb derselben 
in Bouillon. Es war ein besonderer Anlass, der auch zu dieser 
Methode führte, es handelte sich für mich darum, Dauerpräparate von 
Plattenculturen zu schaffen, mit möglichst wenig und möglichst 
grossen, isolirten Colonieen; zu diesem Behufe wurden auf eine ste- 
rilisirte Glasplatte 6 Tropfen Bouillon aus einer sterilisirten Pipette auf¬ 
getropft, und diese nun successive geimpft, und zwar jede nächst¬ 
folgende von der vorhergehenden; es etablirte sich auf diese Weise eine 




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871! DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43 


geometrische Progression der Verdünnung, und bei einiger Uebung hatte 
man es in der Hand, in der fünften und sechsten Bouillonverdünnung 
die Colonieen in der gewünschten Anzahl und Isolirung vorzufinden. 
Von dieser aus konnte dann in die Gelatine geimpft werden. Der 
Vortheil lag darin, dass statt des unbequemen Aus- und Einführens 
der Oese in das Reagensglas eiu einfaches Verreiben gesetzt war; 
es war damit sowohl die Arbeit beschleunigt, als auch mit grösserer 
Sicherheit angestellt, da bei dem Verreiben auf der Glasplatte, be¬ 
sonders wenn man letztere in den Pausen mit einer Glocke bedeckte, 
viel weniger leicht eine Infection zu Stande kam, als bei der bis¬ 
herigen Methode. Um nun dieses Verreiben und Vermischen sorg¬ 
fältiger und auch gleichmässiger vornehmen zu können, bediente ich 
mich dazu Glasplatten von etwas mehr, als dem zweifachen Flächen¬ 
inhalt der gewöhnlichen Objectträger, in welche ich 6 resp. 8 Ver¬ 
tiefungen einschleifeu liess. Es waren dies also 8fach hohlgeschliffene 
Objectträger. Diese Methode ergab nun sehr schöne Resultate, mit 
Rücksicht auf die Menge und Grösse der Colonieen, besonders, wenn 
man etwas genauer die quantitativen Verhältnisse berücksichtigte; 
arbeitete man stets mit denselben Fliissigkeitsmengen, die man ja 
aus einer auf die Tropfengrösse geaichten Pipette zufliessen lassen 
kann, und bediente man sich stets derselben Oese, deren Wasser¬ 
fassung man ja auch durch Wägung ermitteln kann, so konnte man 
auch annähernd berechnen, wie gross die jeweilige Verdünnung in 
jedem einzelnen Tropfen war. 

Es ist natürlich, dass die Verdünnung in geometrischer Pro¬ 
gression fortschreitet, so dass, wenn x 0 die ursprüngliche Anzahl 
Keime in der unverdünnten Pilzflüssigkeit bezeichnet, die bei der 
n tcn Verdünnung noch vorhandene Anzahl x n durch einen Bruch 

bezeichnet wird x n = x 0 ° ( 0 .f a ) ^ wobei a die Menge des Flüssig¬ 

keitstropfens bezeichnet, mit welcher verdünnt wird und o die Menge 
der Flüssigkeit, welche die Platinöse fasst, und da diese gewöhnlich 
so minimal genommen wird, so wird die Formel (o = o) vereinfacht 
in x n = x 0 ( ‘)“ . 

In den meisten Fällen genügt schon diese Methode, um mit 
grosser Sicherheit und Raschheit und auch mit einer gewisseu Er¬ 
sparnis an Material schöne Platten zu bekommen. Allein für ge¬ 
wisse Untersuchungen, wo man des Resultates doch unsicher ist, und 
man möglichst viele Verdünnungsgrade zu gleicher Zeit anweuden 
will, habe ich folgendes einfache Verfahren eingeschlagen. Ich 
wende abermals Doppelschälchen an, wie ich sie für die Wasser¬ 
untersuchung an Ort und Stelle habe construiren lassen, nur ist das 
untere, die gelatinirende Masse aufnehmende Schälchen mit 7 (oder 
auch mehr) eingeschliffenen runden Vertiefungen. Höhlungen ver¬ 
sehen. Auf diese Weise erhält man nun eine Platte, welche eigent¬ 
lich aus 7 oder mehr Platten besteht; nun wird das etwas erwärmte 
uutere Schälchen in seinen Höhlungen mittelst einer genau calibrirten 
Pipette mit flüssiger Gelatine oder Agargelatine beschickt, und rasch 
mit der geaichten Oese die Verdünnungen in der Gelatine etc. selbst 
vorgenommen. Die Schale wird dann mit der oberen zugedeckt und 
ist nun nicht nur vor jeder Verunreinigung geschützt, sondern kann 
auch direkt von oben — mit schwachen, und — umgestülpt — von 
unten mit stärkeren Vergrösserungen untersucht, kann auch even¬ 
tuell mit Paraffin verschlossen und dann für unbestimmt lange 
Zeit conservirt werden. Es liegt also die Möglichkeit vor, aus einem 
Gemische von Pilzen sofort in der kürzesten Zeit, mit Vermeidung 
fast aller Hülfsapparate und mit einem minimalen Verbrauch an 
Nährmaterial, eine grosse Anzahl von allerdings kleinen Platten an¬ 
zulegen, die aber ausserordentlich regelmässige Abstufungen in der 
Zahl (und auch in der Grösse) der Colonieen zeigen und bei einiger 
Uebung und Aufmerksamkeit zur vollständig isolirten Colonieenbildung 
führen. Sie sehen hier einige solcher Gelatine- und Gelatineagar¬ 
platten mit 7—9 Verdünnungen, mit den quantitativen Abstufungen 
bis zu 5,3 und auch 0 Colonieen in einer Platte, und dabei sehen Sie 
auch, wie die Grösse der Colonieen mit der Abnahme ihrer Zahl 
zunimmt. 

Es lässt diese Methode in Bezug auf Vermeidung von Verun¬ 
reinigung, auf Zuverlässigkeit des Resultates, auf Ockonomie des 
Raumes, des Materials und der Zeit alle bisherigen Modificationen 
weit zurück und erleichtert ganz ausserordentlich das bacteriologische 
Arbeiten, wo es sich um Auffindung und Isolirung der Organismen 
hsndelt. 

III. Aus der Klinik für Syphilis und Hautkrankheiten 
des Herrn Geheimrath Doutrelepont zu Bonn. 

Ueber die gonorrhoische Schleimhautaffection 
beim Weibe. 

Von Dr. Fabry, Assistenzarzt. 

Die Anschauungen über die Tripperinfection beim Weibe haben 
sich bekanntlich seit der Entdeckung des Gonococcus durch Neisser 


(1879) einer grossen Umwandlung unterziehen müssen; man hat 
um es mit wenigen Worten zu sagen, den Begriff der Blennorrhoea 
vaginae im frühereu Sinne fallen gelassen und erkennen gelernt, das* 
der eigentliche Tripperprocess an anderen Stellen zu suchen ist, im 
Cervix, in der Urethra und in den Barth olin’schen Drüsen. Man 
geht gewiss nicht zu weit, wenigstens eine allgemeinere Verbreitung 
und Anerkennung der neueren Ansichten über die Gonorrhoe beim 
Weibe von der Zeit herzudatiren, wo man anfing die gonorrhoischen 
Secrete auf den specifischen Erreger des Ausflusses zu untersuchen. 
Denn, wenn es auch nicht an einzelnen Beobachtungen gefehlt hat 
die durch das klinische Bild allein zu der Annahme kamen, das 
bei frischer Gonorrhoe auf der Scheidenschleimhaut abgelagerte 
Secret sei in der Mehrzahl der Fälle kein eigentliches Product 
derselben, sondern stamme aus dem Cervicalcanal (vergl. hierüber 
das Capitel über Gonorrhoe in dem Lehrbuch von Fritsch), so 
entbehrten doch diese Ansichten hinreichender pathologisch-anato¬ 
mischer Begründung. Eine weitere wichtige Errungenschaft bacterio- 
logischer Forschung auf diesem Gebiete war die schärfere Scheidung 
des gut- und bösartigen Fluors, die eine so grundverschiedene Pro- 
gnosticirung und Therapie erheischen. 

Welche vergleichsweise Bedeutung nun den als Prädilections- 
stellen der Gonorrhoe beim Weibe bezeichneten Theilen zukommt 
darüber herrscht in den neueren diesen Punkt berührenden Ab¬ 
handlungen keine Uebereinstiramung, und es dürfte vielleicht nicht 
ganz unberechtigt erscheinen, über in dieser Richtung seit längerer 
Zeit angestellte Untersuchungen einiges mitzutheilen. 

Eine jüngst erschienene Publication aus der Breslauer Klinik 1 ) 
hat ganz auffallende, von den früheren Erfahrungen abweichende 
That^gchen ermittelt, und müssen wir auf dieselbe kurz eingehen. 
Während bei einer gonorrhoisch Inficirten klinisch die Entzündung 
der Schleimhaut des Cervicalcanals das am häufigsten und deut¬ 
lichsten in die Augen springende Symptom ist, ergaben die Unter¬ 
suchungen von Steinschneider, dass der Cervix allerdings bei 
einer grossen Anzahl von Kranken den Gonococcus in sich beher¬ 
bergt, dass jedoch in der überwiegend grösseren Mehrzahl der 
Fälle der Sitz der Gonorrhoe in der Urethra zu suchen ist. Bei 
säramtlichen 34 an frischer Gonorrhoe erkrankten Individuen gelang 
ihm der Nachweis von Gonococcen in der Urethra, dagegen in nur 
16 von diesen Fällen im Cervix. Die Untersuchung erstreckte sich 
auch auf 20 Patientinneu mit anderweitiger venerischer Erkrankung: 
auch bei diesen gelang der Nachweis der Gonococcen immer in der 
Urethra, niemals im Cervix; bei drei Fällen chronischer Gonorrhö 
Hessen sich in der Urethra keine Gonococcen auffinden, woW aber 
bei zweien von diesen ira Cervix. 

Bumm 3 ) registrirt zwar auch die weibliche Harnröhre unter 
den Theilen der weiblichen Geschlechtsorgane, wo Gonococcen Vor¬ 
kommen, fügt jedoch hinzu, dass daneben fast regelmässig andere 
Spaltpilzformen vorgefuuden werden, und zwar um so mehr, je 
näher dem Orificium ext. Urethrae das Secret entnommen ist AL' 
Lieblingssitz aber der chronischen Gonorrhoe beim Weibe wird der 
Cervix bezeichnet und hervorgehoben, dass die Entzündung*- 
erscheinungen des genannten Abschnittes der Gebärmutter völlig 
geschwunden sein, nnd sich trotz alledem auch im glasigen Cervical- 
schleim Gonococcen in grosser Menge vorfinden können. 

Lomer 3 ) weist, indem er das Vaginalsecret als zur Inter- 
suchung auf Gonococcen untauglich erklärt, nur auf den Cervix als 
eigentlichen Sitz der gonorrhoischen Schleimhautaffection hin. fr 
geht aus alledem hervor, dass die Ergebnisse der Untersuchungen 
Steinschneiders der weiblichen Harnröhre eine grössere Be¬ 
deutung beilegen als es bisher geschehen war. Der zuletzt ge¬ 
nannte Umstand veranlasste zu Controluntersuchungen, bei denen 
mein hochverehrter Lehrer und Chef Herr Geheimrath Doutrele¬ 
pont mich zu unterstützen die Freundlichkeit hatte. 

Bevor zur Aufzeichnung der Resultate der mikroskopischen 
Untersuchungen geschritten wird, sei zuvor die Art des hier¬ 
bei eingeschlagenen Verfahrens mitgetheilt. Zur Untersuchung 
verwendeten wir Deckglaspräparate, welche in bekannter ^eise 
luft- und feuertrocken gemacht worden waren. Alle benutzten In¬ 
strumente wurden selbstverständlich vor und nach dem Gebrauche 
durch Glühen oder Einlegen in starke Carboilösungen desinficirt 
Zur Entnahme des Secretes aus dem Cervix bedienten wir uns 
langer Platinnadeln oder sog. Curetten. In sorgfältigster Weise wur f 
ferner für Desinfection der Umgebung des zu untersuchenden I er ' 
rains Sorge getragen. Sodann legten wir Werth darauf ^ u . rc ^.^ 
wischen der zuerst erscheinenden Secrettropfen mit desinficirtf 
Watte, Material aus den hinteren Partieen des Cervix und der 

*) Steinschneider, Ueber don Sitz der gonorrhoischen Infection he 1 ® 

Weibe, Berliner kiin. Wochenschr. No. 17 1887. . 

2 ) Bumm*, Der Mikroorganismus der gonorrhoischen Schleimhauter 

kung, Gonococcus Neisser, 1887. II. Auflage. 

3 ) Lomer, Ueber die Bedeutung und Diagnose der weiblichen Gonorr • 

Deutsche raed. Wochenschr. No. 43 1885. ; 


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25 October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


877 


thra zu erhalten, Als Färbeflüssigkeiten wurden in einigen Fällen 
Fuchsin- und Safraninlösungen, letztere in der von Neisser em¬ 
pfohlenen Zusammensetzung, für gewöhnlich V 4 %ige wässerige Gen- 
tianviolettlösung verwendet. Die Einbettung erfolgte in Glycerin 
oder Canadabalsam. 

Da vor Allem nach den Untersuchungen von Bumra 1 ) die 
Semmelforra des Neisser’scheu Coccus, ferner seine Grössenver¬ 
hältnisse absolut kein Characteristicum für denselben abgeben, viel¬ 
mehr einer Reihe von Coccenarteu zukommen, von denen es ihm 
gelang, 6 verschiedene, zumTheil pathologische, zumTheilunschuldige 
aufzufinden uud zu beschreiben, da ferner durch die Färbemethoden 
Unterschiede sich nicht auffinden lassen, so würden nur zu leicht 
bei Secretuntersuchungen Fehler sich einschleichen können, wenn 
nicht die Thatsache feststäude, dass nur dem wahren Gonococcus 
die Eigenschaft zukommt, die bekannten in Zellen eingeschlossenen 
Häufchen zu bilden. 

Auf den ersten Blick werden dem Leser einige Differenzen 
zwischen unserer Zusammenstellung und deijenigen Steinschneider’s 
aufstossen. Es sind zunächst in unserer Tabelle einige Patientinnen 
mit aufgeführt, bei denen die Endometritis cervicis klinisch schon 
abgelaufen war. ferner erstreckten sich unsere Untersuchungen nicht 
nur auf die Patientinnen mit Gonorrhoe, sondern auch auf solche 
stationäre Kranke, die wegen Lues recipirt waren. Auf diese Weise 
kamen zur Untersuchung im Ganzen 55 Patientinnen, von denen bei 
51 Cervix und Urethra auf Gonococceu untersucht wurden, bei 12 
von diesen Patientinnen untersuchten wir das Secret der Bartho- 
linischen Drüsen. Die übrigen 4 Fälle betrafen Kinder, die wegen 
Blennorrhoea vaginae in unsere Behaudlung kamen, und dies waren 
die alleinigen Fälle, bei deuen wir Vaginalsecrct untersuchten. 

Selbst bei frischer Urethritis mit ziemlich profuser eitriger Se- 
cretion darf man nicht erwarten, dass das Auffinden der Gonoeoccen 
immer so ganz leicht und schnell gelingt, selbst unter diesen Um¬ 
ständen ist eiue wiederholte Untersuchung nicht selten von Xoth- 
wendigkeit. Zahlreicher fanden wir bei specifischer Schleimhaut- 
affection der Harnröhre im Secret zerstreut vereinzelte oder in 
kleineren Gruppen zusammenliegende Diplococcen mit Semmelform. 
Dass das Auffinden der letzteren allein uns nie veranlasst hat, ein 
positives Resultat zu verzeichnen, wurde schon erwähnt, vielmehr 
setzten wir im gegebenen Falle die Untersuchung so lange fort, bis 
die charakteristischen in Zellen, zumeist Eiterkörperchen einge¬ 
schlossenen Häufchen von Coccen nacbgewiesen wareu. Ueberall 
nun, wo eine Urethritis schon gemäss der klinischen Feststellung 
allein vorlag, bestätigte das Mikroskop die Diagnose, allerdings 
dauerte es manchmal ziemlich lange und bedurfte wiederholter 
Durchsicht von Deckglaspräparaten, ehe der mikroskopische Beleg 
für das Vorhandensein einer Gonorrhoe erbracht wurde; insbesondere 
gilt dies für den Nachweis chronischer oder sog. latenter Gonorrhoe. 
Wir mussten bei einer ziemlichen Anzahl von Patieutinneu, w-elche 
wegen Endometritis des Cervix in unserer Behandlung waren, und 
bei denen nicht die geringsten Symptome einer Entzündung der 
Harnröhrenschleimhaut vorhanden waren, nach längerer Zeit täglich 
vorgenommenen Untersuchungen nichtsdestoweniger eine solche an¬ 
nehmen und kamen gleich wie Steinschneiderzu der Ueberzeugung, 
dass bei der Gonorrhoe des Weibes dem Mitbetheiligtsein der Harn¬ 
röhre eine grössere Aufmerksamkeit zu schenken ist, dies um so 
mehr, da eine Beseitigung der Urethritis beim Weibe weit weniger 
Schwierigkeiten bietet wie beim Manne, eine absolute Vernach¬ 
lässigung derselben dagegen, selbst wenn alle anderen Symptome 
durch eine noch so energische Therapie beseitigt wurden, nur zu 
leicht ein Recidiviren der Erkrankung bedingt. 

Weniger oft wie in der Urethra gelang der Nachweis der Go- 
nococcen in dem Cervix; wir sahen mehrere Fälle, wo die Cervical- 
schleimhaut sich in heftigem entzündlichen Reizzustand befand uud 
ziemlich profus eitriges Secret absonderte, und doch gelang es nicht, 
trotz eifrigstem Suchen durch das Mikroskop die Gonorrhoe zu 
constatiren, was bei denselben Fällen für die Harnröhre gelungen 
war. Steinschneider hebt in seinem Aufsatze hervor, dass lange 
Zeit nachdem die Gonoeoccen aus dem Urethralsecrete verschwunden 
sind, sie sich noch im Cervix und Corpus Uteri vorfinden. Dies 
erklärt vielleicht die folgenden Befunde; während wir im Allge¬ 
meinen immer, wenn im Cervicalschleim die Mikrococcen der Go¬ 
norrhoe vorhanden waren, sie in nicht allzulanger Zeit in der Ure¬ 
thra sahen — zumeist gelang es in der Harnröhre leichter — miss¬ 
lang uns dies in 2 Fällen chronischer Gonorrhoe, von denen der 
eine längere Zeit in klinischer Beobachtung war. Es handelt sich 
um eine Prostituirte, welche wegen Fluor in die Klinik aufgenommen 
wurde, und bei welcher im Cervicalschleim gleich bei der ersten 
Untersuchung auffallend viel Gonococcenhaufen sich nachweisen 
Hessen. Patientin wurde längere Zeit mit desinficirenden Lösungen 
sowie Adstringentien behandelt, nur ganz allmälich wurde die Se- 


*) Burnm, 1. c. 


cretion schleimig und hielt sich auf diesem Stande recht lange Zeit. 
Zur Annahme eines symptomatischen Fluors lag keine Berechtigung 
vor, da Secretuntersuchungen stets das Vorhandensein von Gouo- 
coccen ergaben. Pat. befand sich, als wir mit den Untersuchungen 
anfingen, bereits 4 Monate in unserer Behandlung, es bestand zu 
dieser Zeit noch immer echte Cervixgonorrhoe, in der Urethra war 
das Suchen nach Gonoeoccen vergebeus. In diesem Jahre circa 
10 Monate nach ihrer Entlassung gelangte Pat. abermals wegen 
Fluor zur Aufnahme, und es waren im Cervix und diesmal auch in 
der Urethra zahlreiche Gonoeoccen vorhanden. Wenn auch eine 
direkte Uebertragung des Trippervirus durch den Coitus auf die Cer- 
vicalschleimhaut und eiue Localisation auf letzterer allein au und 
für sich nicht so ganz unwahrscheinlich erscheinen könnte, so 
sprechen dennoch die durch die Arbeit Steinschneider’s er¬ 
mittelten Thatsachen, mit denen unsere Ergebnisse übereinstimmen, 
eher für die Annahme, dass in dem angeführten Falle spontan das 
Gift aus der Harnröhre eliminirt worden ist. Ob es sich bei 
unserer Patientin, da sie zum 2. Male Aufnahme fand, um ein Re¬ 
cidiviren der zuerst vorhandenen Gonorrhoe oder um eine Rein- 
fection handelt, wagen wir schon aus dem Grunde nicht zu ent¬ 
scheiden, da dieselbe sich in der Zwischenzeit unserer Beobachtung 
eutzogeu hat. 

Es ist schon von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen 
worden, dass die mit mehrschichtigem Plattenepithel bedeckte Va¬ 
ginalschleimhaut keine günstigen Bedingungen für das Eiunisten der 
Gonoeoccen bietet; dass für die Scheide beim Kinde andere Verhält¬ 
nisse vorliegen, hatten wir zu beobachten die schönste Gelegenheit. 

Eine Frau brachte uns ihre zwei Kinder im Alter von 2 und 
4 Jahren mit der Angabe, dass denselben Würmer abgingen und 
dass dieselben an den Geschlechtstheileu wund seien. Die objective 
Untersuchung Hess uns keine Oxyuren auffinden, dagegen das be¬ 
kannte bei dieser Erkrankung beobachtete Eczem der äusseren Ge¬ 
schlechtsteile und eine Blennorrhoe der Scheidenschleimhaut. Die 
Secretuntersuchung ergab sofort typische in Eiterzellen eingelagerte 
Gonococcenhaufen in grosser Zahl, und zwar in jedem Gesichtsfeld 
mehrere. In welcher Weise die Uebertragung stattgefunden hatte, 
hauen wir nicht erfahren können. Bei zwei anderen kleinen Pa¬ 
tientinnen mit Blennorrhoea vaginae war das Resultat der Unter¬ 
suchung auf Gonococceu ein negatives. 

Den Bartholin’schen Drüseu und ihren Ausführungsgängen so¬ 
wie ihrer Mitbetheiligung an der gonorrhoischen Schleimhauter¬ 
krankung haben wir, veranlasst durch ein von Fürbringer 1 ) ge¬ 
gebenes Referat über die Untersuchungen Steinschneider’s, unsere 
Aufmerksamkeit geschenkt. Abscedirungen der Drüse haben wir 
bei dem uns zur Verfügung stehenden Material nicht beobachtet und 
konnten somit der Frage, ob es sich bei diesen Vereiterungen um 
Erscheinungen handelt, die durch den Gonococcus selbst verursacht 
sind, oder um sogenannte Mischinfectionen, nicht näher treten. Bei 
zwei Fällen Irischer Gonorrhoe lieferten die Ausführungsgänge der 
Glandula Bartbolini spärliches eitriges Secret, welches Gonoeoccen 
enthielt, bei den übrigen 10 war es nicht möglich, dieselben aufzu¬ 
finden, obgleich wir auch hier die Geduld nicht verloren und mehr¬ 
fach die Untersuchungen wiederholten. Trotz der negativen Be¬ 
funde sind wir mit Fürbringer der Ueberzeugung, dass manche 
Fälle chronischer Gonorrhoe eben in dem in deu Ausführungsgängen 
der B ar th o 1 i n’schen Drüsen latent verlaufenden gonorrhoischen Ent- 
züudungsprocess, der von Zeit zu Zeit exacerbiren kann, ihre Er¬ 
klärung finden. 

Tabellarische Uebersicht der Ergebnisse der Secret¬ 


untersuchungen. 


Untersucht wurde 

Cervix und Urethra bei. . . 

51 

Pat. — 

davon pos. Gonococcenbefund . 

38 


und zwar im Cervix allein bei. 

2 


in der Urethra allein bei . . 

20 

”] also Urethra 36 

im Cervix und Urethra bei 

16 

Glandula Bartholini bei. . . 

12 


pos. Befund. 

2 


Vagina. 

4 


pos. Befund. 

2 

n 


Zu welchen Schlussfolgerungen berechtigen nun die Ergebnisse 
der obigen tabeilarischen Zusammenstellung im Zusammenhang mit 
der klinischen Beobachtung. Hierauf sei es gestattet, zum Schluss 
unserer Abhandlung noch mit weuigen Worten einzugehen. Die 
Urethra ist neben dem Cervix, wie aus Steinschneider’s uud 
unseren übereinstimmenden Resultaten hervorgeht, am häufigsten 
der Sitz der gonorrhoischen Entzündung beiin Weibe. Selbst in^ 
acuten Stadium kann die Entzündung der Harnröhrenschleimhaut 
ohne sehr deutliche Symptome verlaufen, die Patientinnen haben 
kaum Beschwerden, und oft gelingt es nur mit Mühe, spärliches 


*) Fürbringer, Fortschritte d. Med. 1887, p. 568. 


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878 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43 


eitriges Secret durch Streichen von hinten nach vorn am Orificium 
externum urethrae nachzuweisen. Ein spontaner Ausgang in Heilung 
scheint bei Urethritis vorzukoinmeu, nichtsdestoweniger ist die Ure¬ 
thritis auch in der Therapie mehr zn berücksichtigen und für die 
Beseitigung jener geringfügigen Entzüudungserscheinungen Sorge zu 
tragen, will man vor dem Eintreten eines Recidivs der Gonorrhoe 
absolut gesichert sein. 

Die Gonorrhoe der Cervicalschleirahaut, das am häufigsten beob¬ 
achtete Symptom der gonorrhoischen Erkrankung beim Weibe, lässt 
sich durch den Nachweis der Gonococcen im Secret des Cervix am 
sichersten von dem benignen Ausfluss scheiden; auch für die Fälle, 
wo der Nachweis der Gonococcen in der Harnröhre allein gelingt, 
können wir nicht umhin, etwa vorhandene Eutzündungserscheiuungen 
im Cervicalcanal auf Gonorrhoe zurückzuführen, im Secret des Cer¬ 
vix scheinen die Gonococcen schwieriger nachzuweisen zu sein. 

IV. Aus der Universitätsklinik für Augenkrankheiten 

zu Berlin. 

Zur Therapie der syphilitischen Augenleiden. 

Von Dr. Paul Silex, erstem Assistenten. 

Obwohl in den meisten Lehrbüchern der Syphilis (Zeissl, 
Bäumler, Lang) der lnunctionseur als der in ihren momentanen 
und ihren Enderfolgen vorzüglichsten Methode das Wort geredet 
wird, obwohl Kaposi auf dem Congress in Wiesbaden 1886 sich 
dahin präcisirte, dass die Einreibungscur das wirksamste uud ver¬ 
lässlichste Heilmittel sei, sowohl rücksichtlich der örtlichen Affec- 
tioneu, als auch der Dyscrasie selbst, d. i. auch hinsichtlich des 
dauernden Erfolges, und dass sie in allen Fällen am Platze sei, wo 
Gefahr im Verzüge, einer Ansicht, der sich auch Neiss er in seinem 
Correferat ausehloss, ich sage, obwohl über diesen Punkt gewiSser- 
maassen eine Uebereinstimmung herrscht, ist es mir doch bei Ver¬ 
tretung desselben Standpunktes hier in Berlin in meinen Curseu 
sehr häufig passirt, dass meine Zuhörer ungläubig den Kopf schüt¬ 
telten und erklärten, es gäbe nach der Berliner Schule andere Be¬ 
handlungsmethoden, wie z. B. die der Sublimatinjectionen, die der 
Frictiouseur mindestens gleich stehen, ja dieselbe übertreffen sollten. 
Hiermit stimmten nun meine im Laufe der Jahre an Hunderten von 
Patienten in der Universitäts-Augenklinik gewonnenen Erfahrungen 
durchaus nicht überein. Da aber die in der täglichen Praxis er¬ 
langten Eindrücke, namentlich wenn sich gelegentlich einmal Fälle 
häufen, die für die eine oder für die andere Ansicht sprechen, oft¬ 
mals täuschen, habe ich zur Beurtheilung der Frage eine Zeit lang 
über die grosse Mehrzahl der syphilitischen Patienten, welche die Poli¬ 
klinik besuchten, Buch geführt und andererseits die Krankengeschich¬ 
ten zu Rathe gezogen, welche über die auf der Station behandelten 
Patienten Auskunft ertheilen. Vorweg will ich bemerken, dass es 
mir durchaus nicht in den Sinn kommen kann, mir ein Urtheil 
über die Behandlungsmethoden der Syphilis im Allgemeinen zu er¬ 
lauben — denn dazu fehlt mir die Erfahrung —, ich will vielmehr 
einfach berichten, welche Resultate ich als Augenarzt zu sehen Ge¬ 
legenheit hatte. 

Tagtäglich kommen ein oder mehrere Patienten, was bei einer 
Frequenz von 9700 im Jahre nicht zu verwundern ist, mit Augen¬ 
leiden in unsere Klinik, welche sich auf Syphilis zurückführen 
lassen. Da finden sich Keratitis, Iritis, Chorioiditis, Retinitis, Neu¬ 
ritis, Scleritis, Lähmungen etc. Einzelne der sich darbietenden 
Krankheitsbilder sind absolut für Syphilis charakteristisch, z. B. 
das Gumma iridis, andere präsentiren sich bei verschiedenen Ur¬ 
sachen in derselben Form, und erst durch Anamnese und Herbei¬ 
ziehung anderer Momente wird der eventl. syphilitische Charakter 
des Leidens erschlossen (Neuritis). Diese letzteren Affectionen sind 
nun bei der in Betracht kommenden Frage mit grosser Vorsicht zu 
beurtheilen und sind wegen gewisser Unsicherheiten nur dann von 
mir in Rechnung gezogen worden, wenn die Lues sich anderweitig 
deutlich documentirtc. Ich will das Nähere an zwei Beispielen er¬ 
läutern. Eine 30jährige Frau, die an Uterinalstörungen leidet, 
und die vor 10 Jahren Lues acquirirte, dieselbe behandeln Hess 
und seitdem frei von syphilitischen Erscheinungen war, kommt 
wegen Iridochorioiditis zur Klinik. Eine andere 30jährige behielt 
vou einer Iritis im 20. Lebensjahre hintere Synechien zurück; im 
Alter von 25 Jahren Lues, keine Behandlung, am Körper jetzt 
keine Symptome von Syphilis, wohl aber wieder Iritis. In beiden 
Fällen bleibt es zweifelhaft, auf welchen Factor das Leiden zurück¬ 
zuführen ist; im letzteren wird der eine gestehen, dass er die Ur¬ 
sache der Krankheit nicht ergründen kann, der zweite wird sie auf 
die noch immer sehr beliebte Zerrung von Seiten der hinteren 
Synechien, und der dritte auf die Iufectiou beziehen. Atropin¬ 
instillationen während einiger Tage führen oftmals eine Heilung 
herbei, der Patient bleibt frei von ferneren Attaquen, und am Körper 


lässt sich unmittelbar darauf und auch in späteren Jahren nichts 
uachweisen, was auf Syphilis bezogen werden könnte. Eine der¬ 
artige Iritis darf nun meiner Ansicht nach, was oftmals geschieht, 
nicht als eine auf Lues beruhende Erkrankung aufgefasst werden; 
thut man es indessen und verw'erthet man sie vielleicht gar zu einer 
Statistik, so möchte ich einer solchen wenig Werth beilegen. Ich 
habe deshalb die irgend wie zweifelhaften Fälle nicht berücksichtigt 
und mein Augeumerk namentlich auf Gumma iridis, die im Grossen 
und Ganzen typische Retinitis specifica und auf einige Fälle von 
Neuritis gerichtet. Hinzugenommen habe ich dann noch die ecla- 
tantesten Fälle von der Chorioiditis, welche Förster als die ge¬ 
wöhnlichste Form, in der die Chorioidea bei Syphilis erkrankt, 
bezeichnet, der von ihm sog. Chorioiditis diffusa serosa, die sich be¬ 
sonders durch diffuse Glaskörpertrübungen, Hyperämie der Papille. 
Herabsetzung der Sehschärfe, Defecte im Gesichtsfeld, Hemeralopie 
und langfortbesteheude subjective Lichtempfindungen zu erkennen 
giebt. 

Mehr als die Hälfte der Kranken kam mit den Augenleiden 
ohne vorhergegangene antisyphilitische Behandlung, andere nachdem 
sie die verschiedensten Curen, wie Sublimat- und Calomelinjectionen. 
Frictionen, Schwitz-, Kaltwasser-, Jodeuren und Schwefelbäder be¬ 
nutzt hatten. Bei der Mehrzahl fanden sich neben den Augen¬ 
erkrankungen noch Haut- und Drüsenveränderungen u. s. w. vor. 
andere hielten sich für vollständig gesund und wurden von einem 
specifiscben Augenleiden Jahre uud Jahrzehnte nach der Infection 
heimgesucht. Die Zeit des Eintrittes der verschiedenen Affectionen 
wollen wir jedoch nicht weiter berücksichtigen, vielmehr jetzt an 
die uns interessirenden Punkte näher herantreten. Indem wir uns 


der hier in Berlin herrschenden Ansicht anschliessen, dass in der 
Therapie der Syphilis dem Quecksilber die erste Stelle einzuräumen 
ist, und dass alle anderen Mittel nur als Adjuvantia des Hydrar- 
gyrum zu betrachten sind, wollen wir die nach den oben ausein¬ 
ander gesetzten Principien ausgesuchten und uns vorliegenden 81 
Krankengeschichten, die sich bis auf das Jahr 1880 erstrecken, 
daraufhin durchmusteru, welche Art der Quecksilbereinverleibung 
die besteu Erfolge geliefert hat, wobei unter Beiseitelassung der 
wenig benutzten Calorael- und Sublimatpillen vorzüglich die In- 
unctionen und die Sublimatinjectionen nach Lewiu einer Beleuch¬ 
tung zu unterziehen sind. Eine Einschränkung der ersten Hälfte 
des vorstehenden Satzes glaube ich für den Fall geltend machen 
zu müssen, dass es sich um die Spätform der congenitalen Lue» 
handelt, welche sich als Keratitis interstitialis oftmals documenlirt. 
Einige Autoren haben in neuerer Zeit bei der Behandlung derselben 
Grossartiges von den Sublimatinjectionen gesehen, auch ich habe 
dieselben angewandt, kann aber nicht sagen, dass ich eine besondere 
Beeinflussung des Leidens davon verspürt hätte. Nach wie vor 
möchte ich bei dieser Krankheit dem Jodkali den Vorrang lassen, 
in welcher Anschauung ich mich in Uebereinstimmung mit sehr 
vielen Ophthalmologen, vor allen aber mit Förster, befinde. 

Von den erwähnten 81 Patienten litten 23 an unzweifelhafter 
Iritis syphilitica, 14 an Gumma iridis, 16 an Chorioiditis, 19 an 
Retinitis, 9 an Neuritis. Davon hatten eine specifische Cur durch¬ 
gemacht 31, und zwar 3 Jodkali (40—50 g), 8 hatten 30—50 g. 2 
andere 90 g Uugt. ein. verbraucht, 3 hatten Sublimatpillen, 1 Calomel¬ 
injectionen, und 14 Sublimatinjectionen von berufenster Hand erhalten. 
2 Patienten von den 14 hatten in einem Zeitraum von ca. lVa Jahren 


zwei Spritzeuren (ä 40 Injectionen) durchgemacht, und ihnen war 
von dem behandelnden Arzte eine dauernde Heilung als sicher 
hingestellt worden. Die Anzahl der verabfolgten Injectioneu bei 
den anderen Patienten schwankte zwischen 40 und 68. Acht Tage 
bis U/o Jahr nach dem Zeitpunkt, an welchem diese Patienten 
als vorläufig oder auch dauernd geheilt entlassen worden waren, 
kamen sie wegen ihrer Augenleiden in die Klinik und präsentirteU' 
2 mal Iritis, 3 mal Gumma iridis, 5 mal Retinitis, 3 mal Chorioiditis. 
1 mal Neuritis (= 14) uud wurden von Neuem einer specifiscben 
Cur unterzogen. Was die anderen vorher behandelten Patienten 
anlangt, so trat während des Gebrauches des Jodkali 1 mal Chori¬ 
oiditis, 1 mal Retinitis und 1 mal Iritis auf, ebenso zeigten sich m 
der Regel ganz kurze Zeit nach der ungenügenden Schmiercur die 
verschiedenen Augenübel (4 Iritis, 2 Chorioiditis, 1 Gumma, 1 Retini¬ 
tis). Aehnlich stand es bei denen die Sublimatpilleu genommen 
hatten. Der Application von 90 g Üngt. ein., welche zu Hause 
verrieben worden waren, folgte einmal unmittelbar Neuritis, das 
andere Mal Iritis. 10 Calomelinjectiouen hinderten nicht nac 
1 Jahr das Auftreten von Iritis. 50 Patienten hatten ihre Syphms 
nicht behandelu lassen und sahen sich erst durch Schmerzen u“ 
Auge und durch die Abnahme des Sehvermögens zum Arzt z 
gehen veranlasst. Bei denjenigen namentlich, welche an Iritis um 
Chorioiditis litten, fanden sich die verschiedenen Hautsyphilide, 
den anderen ermöglichte, abgesehen von dem ziemlich ebarakten» 
sehen ophthalmoskopischen Befund, erst die genauere Körperune 
suchung im Verein mit der Anamnese die sichere Diagnose. 


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25. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


879 


meisten dieser Patienten wurden unseren Grundsätzen gemäss dazu 
vermocht, sich aufnebmen zu lassen, was übrigens bei dem aus¬ 
gedehnten Kassenweseu nur selten Schwierigkeiten verursacht, und 
energischen Curen unterworfen. Viele blieben bis zu ihrer völligen 
Genesung, andere setzten die begonnenen Medicationen, nachdem 
sie deren Anwendung gründlich erlernt hatten, zu Hause fort und 
wurden poliklinisch weiter verfolgt. Dass dabei mancher sich der 
genaueren Controle entzieht, namentlich wenn es ihm gut geht, 
und dass es nicht immer möglich ist, sich die Patienten herbei zu 
citiren, weiss jeder der in einem frequenten Ambulatorium gear¬ 
beitet hat und der den häufigen Wohnungswechsel der kleinen Leute 
in der Grossstadt kennt. Indessen ist es mir doch gelungen, bei 26 
von den 50 Patienten theils schriftlich, zum grössten Theil aber aus per¬ 
sönlicher Anschauung mir über ihren Zustand ein Urtheil zu bilden. 
24 von ihnen sind seit mindestens 1 V> Jahren frei von allen Er¬ 
scheinungen geblieben. Sie hatten gelitten: 4 an Neuritis, 6 an 
Retinitis, 3 an Iritis, 4 an Chorioiditis, 7 an Gumma iridis. 2 von 
den an Neuritis erkrankt gewesenen sind insoforn beraerkenswerth, 
als bei ihnen ausgesprochene Gehirnsymptome Vorlagen: der eine 
Fall betrifft einen Mann von 30 Jahren, der 1884 im November in 
unsere Klinik kam. 1878 Lues, keine Behandlung. September 1884 
heftige, oft Tage lang anhaltende Kopfschmerzeu, zu denen sich 
häufig Erbrechen gesellte. Ausserhalb als Intermittens mit Chinin 
behandelt. Da keine Besserung eintrat, Schwäche in der linken 
Körperhälfte noch hinzu kam und auch das Sehen abnahm, reiste 
Patient nach Berlin. Auf dem Bahnhof zu Thorn fiel er bewusstlos 
um und wurde daselbst in ein Krankeuhaus gebracht. Die ein¬ 
geleitete antisyphilitische Cur hob die Lähmungserscheinungen, die 
Kopfschmerzen aber, das Erbrechen und das schlechte Sehen blieben. 
26. November 1884 Aufnahme in die Klinik. Bds. S 6 / 3 g. Gesichts¬ 
feld frei. Farben erkannt. Ophthalm: Neuritis. Nach 5 Wochen 
entlassen. S 6 /i »—9, 105 g Ungt. einer., 20 g Jk verbraucht, 22 mal 
geschwitzt. Neuritis noch angedeutet. Patient nahm zu Hause noch 
80 g Jk. Vor 1 fo Jahr circa Bds S = %, normales Aussehen 
der Papille, völlige Euphorie, kein Recidiv. — Die andere Kranke, 
eine Frau von 28 Jahren, die von einer Infection nichts wissen 
will, nahm wegen Doppelsehens unsere Hülfe in Anspruch. Es fand 
sich rechts unvollständige Oculomotoriuslähmung und Herabsetzung 
der Sehschärfe auf l /n- Links S dagegen %. Die Verschlechterung 
des Sehens seit ca. 4 Wochen, seit welcher Zeit sie von spontanen 
und bei Druck sich steigernden Kopfschmerzen derartig geplagt 
wurde, dass sie des Lebens überdrüssig war. Daneben so starker 
Schwindel, dass sie frei nicht stehen konnte, und mehrmaliges täg¬ 
liches Erbrechen. Ophthalmosk. bds. typische Stauungspapille. Da 
Anamnese und Drüsenschwellungen den Verdacbt auf Lues er¬ 
weckten, wurde in der Anstalt eine Schmiercur vorgenommen. 100 g 
Ungt. einer, und 120 g Jk. Das Sehvermögen rechts hob sich auf l /s, 
beide Optici nahmen das normale Aussehen wieder an, und alle 
sonstigen Erscheinungen gingen vollständig zurück. Die Patientin 
ist bis jetzt frei von jedwedem Rückfall geblieben. 

Nicht so wie bei jenen 24 Patienten gestaltete sich die Heilung 
bei 2 anderen, welche trotz der in der Anstalt durch geführten Curen 
nach ca. V 2 Jahr Recidive bekamen, sonderbarer Weise waren dies 
aber Kranke, die vorher schon mit Sublimatinjectioneu behandelt 
worden waren. Eine erneute Schmiercur hat seit ca. 2 Jahren das 
Wiederauftreten von syphilitischen Erscheinungen verhindert. Als 
Curiosum und zum Beweis dafür, dass ich mir wohl bewusst bin, 
dass keine Behandlungsmethode durchaus von Erfolg gekrönt ist, 
führe ich noch eine 60jährige decrepide und vor ’/ 4 Jahr inficirte 
Frau an, bei der mit Abbruch der Quecksilberbehandlung das er¬ 
reichte Sehresultat sofort wieder schwand. Sie litt beiderseits an 
frischer Chorioiditis und Resten vor Iritis und hatte ein Sehver¬ 
mögen von Vioo- Nachdem 225 g Ungt. einer, zu Hause verrieben, 
war das Sehvermögen im December auf 6 /36 gestiegen. Mitte Januar 
wurden nur Handbewegungen dicht vor dem Auge gesehen. Subli¬ 
matpillen und später Jk blieben ohne Einfluss. Im März nochmals 
80 g Ungt. ein. und wieder Steigerung des Sehvermögens auf <; / 3 f„ 
was sich bis jetzt gehalten hat. 

Stellen wir nun die gewonnenen Zahlen gegenüber, so finden 
wir, dass 14 Patienten, von denen 2 zu wiederholten Malen mit 
Sublimatinjectionen bedacht worden waren, dennoch specifische 
Augenübel acquirirten. und zwar spätestens nach IV 2 Jahren, 
während von 50 anderen Patienten durch unsere einmalige Cur das 
Wiederauftreten von Augenentzündungen bei mindestens 24 in einem 
Zeitraum von wenigstens IV 2 Jahreu verhütet wurde, eine Zahl, 
die dadurch noch an Bedeutung gewinnt, dass ein einmal entzün¬ 
detes Auge im Durchschnitt sehr empfindlich ist und leicht zu Re- 
cidiverkrankungen neigt. Trotzdem es mir nur bei 26 Patienten 
möglich war, mich von ihrer Gesundheit zu überzeugen, glaube ich 
es doch auch von der Mehrzahl der Uebrigeu deswegen annehmen 
zu dürfen, weil sonst verschiedene uns wieder aufgesucht haben 
würden. 


Den Grund für dieses günstige Verhältniss werden wir in der 
von Herrn Geh. Rath Schweigger inaugurirten Behandlungsweise 
zu suchen haben. Wie schon gesagt, wir legen grosses Gewicht 
darauf, dass der Patient in die Anstalt kommt, weil erfahrungsge- 
raäss nur sehr wenige Kranke zu Hause die Einreibungen in sach- 
gemässer und consequenter Weise vornehmen. Die Einzeldosis be¬ 
trägt in der Regel 3 g, und diese wird unter Aufsicht der Wärterin 
verrieben. 5 Frictionen bilden einen Cyclus, dann kommt ein 
warmes Bad, und am Tage darauf werden die Einreibungen fortge¬ 
setzt. Meist lassen wir 90—100 g verbrauchen, wozu also ca. 30 
bis 35 Tage in Anspruch genommen werden. Zu gleicher Zeit, 
und darin scheint mir ein wesentlicher Factor zu liegen, wird 
eine Schwitzcur durchgeführt, derart, dass an 2 Tagen geschwitzt 
wird, worauf dann eine eintägige Pause folgt. Die Patienten trans- 
spiriren mittelst Natron salicylicura, das event. noch durch eine 
Tasse warmen Thees unterstützt wird, und bleiben 2— 2 V 2 Stunden 
in wollene Decken eng eingewickelt liegen. Während des vier¬ 
wöchentlichen Aufenthaltes lassen wir gewöhnlich 20—25 mal 
schwitzen. Wie energisch eine solche Schwitzcur den Stoffumsatz 
beeinflusst, mag daraus erhelleu, dass ein Patient, der wegen einer 
rheumatischen Episcleritis eine solche hier durchmachte, durch die¬ 
selbe auch einen Tic douloureux verlor, der seit Jahren von einer 
grossen Anzahl von Specialisten für Nervenleiden erfolglos behandelt 
worden war. Eine kräftige Diät ist natürlich während der Zeit er¬ 
forderlich. Mit Jodkalium, das wir oft schon während der Anwesen¬ 
heit hierselbst verordnen und von dem wir ca. 100 g in nicht er¬ 
höhter Dosis (5,0: 200,0) verabfolgen, ganz gleich ob noch Symptome 
sich vorfinden oder nicht, wird der Patient entlassen. Dass wir 
natürlich nicht schematisch verfahren, sondern nach der allgemeinen 
Körperconstitution individualisiren, braucht wohl nicht erst besonders 
hervorgehoben zu werden. Bemerken will ich noch, dass wir die 
schlechtesten Resultate bei solchen Kranken zu verzeichnen hatten, 
die vorher unzweckmässig oder ungenügend behandelt worden waren. 

Die Frage, woran es liegt, dass die Wirkung bei der Schmier¬ 
cur eine energischere ist als bei der direkten Application des Subli¬ 
mat, ferner jene andere, ob es für den Patienten empfehlenswerth 
ist, sich alljährlich ca. 5 Wochen ambulant behandeln zu lassen, 
während welcher Zeit er doch in Folge der Schmerzen und sonstiger 
Umstände auch ein gutes Theil seiner Arbeitsfähigkeit einbüsst, oder 
einmal in ein Krankenhaus zu gehen und nur seinen Leiden zu 
leben, was unter bestimmten Verhältnissen allerdings fast zur Un¬ 
möglichkeit werden kann, wollen wir hier füglich unerörtert lassen. 
Es lag mir daran, sine ira et studio das zu beschreiben, was ich 
beobachtete, und dies der gefälligen Kritik des Lesers zu unterbreiten, 
wobei ich nicht verschweigen will, dass es mich freuen würde, wenn 
ich hierdurch den jüngeren Collegen etwas von ihrer Geringschätzung 
der „veralteten Methode der Schmiercur“ genommen hätte, und wenn 
letztere womöglich ira Verein mit der Schwitzcur wieder zu einigen 
Ehren gelangte. 

V. Der gegenwärtige Stand der Frage von 
der Aetiologie der Malaria. 

Von Dr. Carl Günther in Berlin. 

In der letzten Zeit haben sich eine Anzahl namentlich italienischer 
Autoren eingehender mit der Frage von der Aetiologie derMalaria 
beschäftigt, und es ist nicht ohne Interesse, an diesem Orte fest¬ 
zustellen, was wir in dieser Frage bisher wissen. Ich recapitulire 
kurz die bekannte Thatsache, dass es zwei einander entgegen¬ 
stehende Ansichten giebt. Die eine, vertreten durch Tommasi- 
Crudeli und Klebs, sieht einen Bacillus als die Ursache der 
Malaria an. Derselbe wurde, neuerdings wieder durch Dr. Schia- 
vuzzi in Pola (Istrien), aus der Luft von Malariagegenden ge¬ 
züchtet, er wurde von Klebs abgebildet. Die zweite Ansicht, 
vertreten durch Marchiafava, Celli und Golgi, erblickt in 
einem protozoen-artigen Gebilde, dem sogenannten Plasmodium 
malariae, die Ursache der genannten Erkrankung. Dasselbe 
wird im Blute des Malariakranken gefunden, und zwar in der 
Regel im Innern der rothen Blutkörper. Nun wurden von dem 
bekannten Turiner Physiologen Mosso Beobachtungen veröffent¬ 
licht, nach denen man in gauz gesundem Hundeblut, welches man 
Vögeln in die Bauchhöhle einspritzt, nach Verlauf weniger Tage 
genau dieselben Veränderungen an den rothen Blutkörperchen be¬ 
merken kann, wie sie Marchiafava und Celli als charakteri¬ 
stisch für die Malariainfection in Anspruch genommen haben. 
Diese Veröffentlichung wurde von den Anhängern der Bacillen¬ 
theorie mit Freuden begrüsst und als der Todesstoss gegen die 
Plasmodientheorie angesehen. Ich will zunächst mehrere neuere, 
auf die in Rede stehenden Fragen bezügliche Arbeiten hier refe- 
rirend wiedergeben, um dann einige epikritische Bemerkungen an- 
zuschliessen. 


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880 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43 


Marchiafava und Celli. Ueber die Beziehungen zwi¬ 
schen den Veränderungen des in die Bauchhöhle von 
Vögeln eingeführten Hundeblutes und denendes mensch¬ 
lichen Blutes bei der Malariainfection. Bulletino della 
R. Acc. med. di Roma 1887, 8 p. 

Die Autoren wiederholten unabhängig von einander die 
Mosso’sehen Versuche und kamen übereinstimmend zu dem Schlüsse, 
dass die Veränderungen der Vögeln in die Bauchhöhle injicirten 
Hundeblutkörperchen und die Veränderungen der Blutkörperchen 
hei Malaria vielfache und principielle Differenzen darbieten. Bd der 
Malaria handelt es sich um Wachsthum der Plasmodien innerhalb 
der rothen Blutkörperchen, bei dem den Vögeln in die Bauchhöhle 
injicirten Hundeblute dagegen um Detritusbildung. Die Autoren 
machen darauf aufmerksam, dass Mosso selbst angegebeu hat, er 
kenne das Malariablut nur aus Abbildungen und habe selbst kein 
Malariablut untersucht. 

A. Cattaneo und A. Monti. Degenerative Veränderun¬ 
gen der rothen Blutkörperchen und Malariaveränderungen 
derselben. Arch. p. 1. scienze mediche, Bd. 12, 1888, p. 99 bis 
116. Mit 2 Tafeln. 

Die Autoren prüften das Verhalten der Hundeblutkörperchen 
im Huhu, indem sie die Mosso’scheu Versuche genau in der 
Weise Mosso’s üachmachten. Sie wiederholten ferner die Mara- 
gliano’sehen Versuche, bei denen es sich um Einleitung von 
Degenerationsvorgäugen an den Blutkörperchen durch chemische 
Agentien handelt. Sie fanden, dass die degenerirteu Blutkörper¬ 
chen in keiner Weise verwechselt werden können mit den Ver¬ 
änderungen bei Malaria. Die letzteren finden sich ferner bei keiner 
anderen Krankheit. Als das differentielle Hauptcliarakteristicum 
für die Malariaveränderungen muss die typische, in einem be¬ 
stimmten und constanten Zeitraum vor sich gehende Entwickeluug 
der Malariaparasiten augesehen werden. 

E. Marchiafava und A. Celli. Ueber die Malariainfec¬ 
tion. Vierte Mittheilung. Archivio per le scieuze mediche. 
Bd. 12, 1888, p. 153—189. Mit 1 Tafel. 

Die neue Arbeit der Autoren besteht aus zwei Theilen. Der 
erste Theil ist bereits 1887 in Italien erschienen und in den Ver¬ 
handlungen der K. medicin. Akademie zu Rom abgedruckt. 

In dem ersten Theile machen die Autoren folgende Mitthei¬ 
lungen: Sie konnten an mehreren im Winter 1886 beobachteten 
Malariafällen die von Golgi beobachtete Thatsache der Spaltung 
der Plasmodien kurz vor Eintritt des Anfalls bestätigen. Durch 
die Spaltung werden Gruppen von Körperchen geschaffen, „die neue 
Generationen parasitärer Elemente, bereit, ueue rothe Blutkörper¬ 
chen zu befallen, uud so den nächsten Fieberanfall vorbereitend, 
darstellen dürften.“ Die Spaltung tritt iu der Regel erst dann ein, 
wenn die Substanz des rothen Blutkörperchens ganz aufgezehrt ist; 
bei pernieiösen Fiebern findet man jedoeb immer vorzeitige 
Spaltung der Plasmodien, d. h. Spaltung, die schon eintritt, 
wenn noch ein Theil der rothen Blutscheibe intact ist. In manchen 
Fällen, in denen kurz vor dem Anfall nur iu Spaltung begriffene 
* pigmentirte Plasmodieu angetroffen wurden, fanden sich darauf 
nur uupigmentirte, kleine Plasmodien (die neue Generation) in 
grosser Zahl. Das Zugrundegehen der rothen Blutkörperchen kommt 
gewöhnlich dadurch zu Stande, dass die Plasmodien denselben das 
Hämoglobin entziehen und dasselbe in schwarzes Pigment umwan¬ 
deln. Aber auch ohne diese Entziehung des FarbstofFs können die 
befallenen Blutkörperchen zu Grunde gehen (sie werden kleiner, 
schrumpfen ein, sehen dunkler aus). — In einem frischen Blut¬ 
präparat beobachteten die Autoren, wie ein pigmentirtes, frei da¬ 
liegendes Plasmodium von einem weissen Blutkörperchen durch aus- 
gestreckte Fortsätze ergriffen und in den Körper des Leukocyten 
aufgenommen wurde. Auf derartige Vorgänge beziehen die Autoren 
die Vernichtung der Plasmodien im Körper des Erkrankten über¬ 
haupt und die spontane Heilung des Malariafiebers. In schnell 
tödtlich verlaufenden Fällen von Perniciosa comatosa fand sich das 
Blut äusserst reich an Plasmodien. In allmählich zum Tode füh¬ 
renden Fällen wurde das zuerst an Plasmodien sehr reiche Blut 
allmählich ärmer au denselben. Die Autoreu weisen auf die 
hierin bestehende Analogie mit Typhus hin und machen die sich 
bildenden toxischen Körper für den letalen Ausgang verantwort¬ 
lich. — Gegenüber den ihren Studien geschehenen Angriffen 
machen die Autoren mit Recht darauf aufmerksam, dass, um eine 
bacterielle Ursache der Malaria annehmen zu können, zu allererst 
es gelingen müsste, bestimmte Bacterien im Körper des Malaria¬ 
kranken, und besonders im Blute desselben, nachzuweisen. Diese 
Versuche sind aber bisher vergeblich gewesen. — Sie machen weiter 
darauf aufmerksam, dass es intermittirende Fieber giebt, in denen 
der Plasmodienbefund fehlt, die also eine andere Ursache als die 
Malaria haben müssen. Aus dem Befunde eines einzigen PIas- 
modiurns kann man die Diagnose auf Malaria stellen. 
C'ontagiös ist die Malaria nicht, da die Plasmodien in dem Blute 


des Erkrankten zu Grunde gehen und nicht vermögen, weder durch 
die Se- noch durch die Excrete, den Körper zu verlassen. 

Der zweite Theil der Arbeit ist eine Erwiderung auf eine 
neuere Arbeit von Laveran. An der Hand einer objectiven ge¬ 
schichtlichen Darlegung der Studien über die Malariaplasmodien 
entwickeln die Autoren ihre Priorität bezüglich der Entdeckung der 
protoplasmatischen, pigmentlosen, mit lebhafter amöboider Beweguue 
versehenen, leicht färbbaren Körperchen im Innern der rothen Blul- 
scheiben des Malariakranken. 

C. Chenzinsky. Zur Lehre über den Mikroorganismus 
des Malariafiebers. Centralbl. f. Bact. Bd. 3, 1888, No. 15. 

Der Autor theilt mit, dass er in mehreren Krankbeits- und einem 
Sectionsfalle von Malariafieber (die Fälle stammten aus Süd- 
Russland und wurden in Odessa untersucht) die von Marchia¬ 
fava und Celli beschriebenen Gebilde im Blute resp. den Organen 
gefunden habe. Er färbt Trockenpräparate mit folgender Flüssig¬ 
keit: 1 Vol. conc. wässrige Methylenblaulösung, 1 Vol. Wasser. 
2 Vol. 60%iger Alkohol, der l / 2 % Eosin enthält Die Präparate 
werden nach der Färbung mit Wasser abgespült. Die Blutscheiben 
werden rosa, die Malariaparasiten und Leukocyten blau. 

C. Golgi. Der Phagocytismus bei der Malariainfec¬ 
tion. La Riforma medica 1888, No, 123—125. 

Der Autor richtete sein Augenmerk auf die in dem Blute Ma- 
lariakrauker zu beobachtenden Phagocyten (weisse Blutkörperchen, 
die in ihrem Innern Malariaparasiten eingeschlossen haben) und fand, 
dass die phagocytischen Formen etwa 3 bis 4 Stunden nach Beginn 
des Fieberaufalles deutlich zur Erscheinung kommen und einige 
Stunden nach dem Ende des Anfalles wieder verschwunden sind 
Im Ganzen sind sie. während einer Periode von 8—12 Stunden bei 
jedem Anfall zu sehen. Man bemerkt reife Plasmodien innerhalb 
der weissen Blutkörperchen, die sich innerhalb der letzteren theilen. 
Der Autor hält dafür, dass seine Beobachtungen die Metschnikoff- 
sche Ansicht hinsichtlich des Phagocytismus zu stützen geeignet sind. 

W. J. Councilmafn Neuere Untersuchungen über La- 
veran’s Organismus .der Malaria. Fortschr. d. Med. 1888. 
No. 12-13. 

Der Autor giebt nach eigenen im Armenhause der Stadt Bal¬ 
timore angestellten Beobachtungen eine Beschreibung von .Lave- 
rau’s Organismus der Malaria“. Der Autor unterscheidet 1" 
verschiedene Formen, die sich in dem Entwickelungsgange des Ma¬ 
lariaorganismus zeigen: 1) amöboide Körper im Innern der rothen 
Blutkörper; 2) pigraeutirte amöboide Körper im Innern der rothen 
Blutkörper; 3) freie pigmentirte Körper; 4) in Segmentation be¬ 
griffene Körper; diese sind immer dicht vor, während oder nach 
dem Schüttelfrost, sonst nie zu fiuden; 5) freie, nicht pigmeMiru 
Körper; diese sind die kleinen, von der Segmentation herstaminefi 1 ^ 
Gebilde. Diese 5 Formen bilden einen fortschreitenden Entwicke- 
lungsgang. Sie sind bei intermittirenden typischen Wechselfiebern 
stets zu finden. — Der Autor wiederholte Mosso’s N ersu'he. 
konnte hier aber niemals Formen finden, die den Malariafornw) 
ähulich waren. — Weiterhin beschreibt der Autor eine Anzahl von 
Formen, die bei der Malariacachexie im Blute gefunden werden: 
6) halbmondförmige, stark lichtbrechende Körper, pigmentirt; 7) ähn¬ 
liche, jedoch mehr runde Körper, von den letzteren sich ableitend: 
8) pigmentirte, mit 1—6 langen, sich lebhaft bewegenden Geisseln 
versehene Körper; die Geisseln waren in getrockneten und gefärbt 
Präparaten nie nachweisbar; 9) freie Geisselfäden mit lebhafter Bf 
wegung; 10) Halbmonde mit lebhaft wellenförmig sich bewegend 
Peripherie (nur einmal gesehen). Das Milzblut (mit Pravazscht 1 
Spritze entnommen) ist wesentlich reicher an den parasitischer 
Formen als das Fingerblut; namentlich die geisseltragenden formen 
finden sich hier reichlich. — Der Autor fand die Malariaorganismfc 
in 150 untersuchten Fällen (die kein Chinin bekommen hatten) ohne 
irgend eine Ausnahme. Er konnte bei negativem Befunde die Dia¬ 
gnose Malaria mit Sicherheit ausschHessen. — Culturen der Grga 
nismen gelangen nicht. 

Schlussbetrachtung. 

Die Untersuchungen von Marchiafava und Celli haben 
lehrt, dass das Blut der Malariakranken eigeuthüraliche ^ eraD 
rungen darbietet. Innerhalb der rothen Blutscheiben finden *>' 
amöboide Gebilde, dieselben bewegen sich, sind färbbar; sie wa> 

sen, sie spalten sich; und dieser gesamrate Entwickelungscycms 0 ^ 

die Reihe dieser Veränderungen spielt sich, wie Golgi gezeigt • 
innerhalb der Zeit ab, welche von einem Anfall bis zum aD fr^ r 
vergeht. Der ganze Habitus, die successiven Veränderungen 
kleinen, innerhalb der rotheu Blutkörperchen beobachteten Oe 1 
sowie der Umstand, dass dieselben bei anderen Erkrankungen n 
gesehen werden, liess dieselben als selbstständige Organismen. 
die wahrscheinlichen Erreger des Malariafiebers auffassen. ^ ^ 
wesentliche Stütze für die letztere Anschauung fehlt bisher: es 
lang auf keine Weise, die genannten Körperchen, die „Plasni° Ir ^_ 
künstlich zu cultiviren und damit ein Mittel in die Hand zu 




25. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 881 


kommen, sie auf ihre pathogenen Eigenschaften weiter zu prüfen. 
— Der Einwurf erscheint aber nach den neueren Untersuchungen 
mit Sicherheit von der Hand zu weisen, dass es sich im Malaria¬ 
blut lediglich um Degenerationsvorgänge handelt, wie sie auch im 
Hundeblut entstehen, wenn man es dem Huhn in die Bauchhöhle 
spritzt. 

Die Untersuchungen von Tommasi-Crudeli und Klebs und 
von Schiavuzzi haben in der Luft von Malariagegenden einen 
Bacillus auffinden lassen, der sich künstlich cultiviren lässt und für 
Kaninchen pathogen ist. Es ist der Anspruch erhoben worden, dass 
dies der wahre Erreger der Malaria sei. Es ist für diese Ansicht 
sogar die gewichtige Autorität eines Ferdinand Cohn in die 
Schranken getreten. Trotzdem erscheint hier die allergrösste Re¬ 
serve am Platze. Der „Bacillus Malariae“ ist aus der Luft culti- 
virt. Er ist aber nie und nimmer in dem malariakranken Organis¬ 
mus gefunden worden. Es fehlt also die Erfüllung des ersten Postu¬ 
lats, welches dann in Frage kommt, wenn es sich darum handelt, 
eine Krankheit für eine parasitäre zu erklären: der Nachweis des 
Parasiten in dem kranken Organismus. So lange aber dieser Nach¬ 
weis bezüglich des „Malariabacillus“ nicht geliefert ist, so lange 
wird derselbe eine problematische Existenz bleiben und auf allge¬ 
meine Anerkennung nicht zu rechnen haben. Für das March ia- 
fava’sche Gebilde, dessen selbstständige organische, d. h. para¬ 
sitäre, Natur höchst wahrscheinlich ist, fehlt ja auch noch die 
künstliche Cultur; aber man kann das Ding doch sehen und im 
kranken Menschen stüdiren. Und so wie für das Rückfallfieber 
die 0bermeier’sche Spirochaete als der veranlassende Parasit an¬ 
gesehen wird, obgleich dieselbe noch kein Mensch ausserhalb des 
menschlichen resp. des AfFenorganisraus cultivirt hat, so dürfte es 
das Logischere sein, sich in dem Streit um den Malariaparasiten 
auf diejenige Seite zu stellen, welche in dem Gebilde den wahr¬ 
scheinlichen Parasiten sieht, das im Körper des Malariakranken 
gefunden wird, und welche einem aus der Luft cultivirten Bacillus, 
der im Körper des Malariakranken nie zu sehen ist, keine weitere 
Bedeutung in der Malariafrage beimisst. 


VI. Referate und Kritiken. 

R. Frommei. Ueber die Entwickelung der Pl&centa von 
Myotus murinus. Gr. Q. 41 S. Text, XII. chromol. Tafeln. 
Wiesbaden, J. F. Bergraannn. 1888. Ref. Waldeyer. 

In klarer, trefflicher Schilderung und mustergültiger Ausstat¬ 
tung giebt uns Frommei die erste überhaupt vorhandene Dar¬ 
stellung der Entwickelung der Placenta einer und derselben Thier¬ 
art von den ersten Spuren ihrer Entstehung an bis zur 
vollständigen Ausbildung. Die Arbeit ist um so werthvoller, 
als Hand in Hand mit der Placentarentwickelung auch die des 
Embryo berücksichtigt wird. Die Abbildungen geben uns für 
alle wichtigen Stadien den Embryo in situ zum Uterus und zur 
Placenta. 

Auf den Rath K. Kupffer’s, dem auch die Arbeit gewidmet 
ist, wählte Frommei eine Flederraausart, Myotus murinus (früher 
„Vespertilio murinus“ — gemeine Fledermaus, Mäuseohr). 

Die Fledermäuse besitzen eine Scheiben-Placenta, wie der 
Mensch, und es erschien somit im Interesse der Anatomie der 
menschlichen Placenta wichtig, bezüglich eines solchen Thieres über 
eine möglichst umfassende und genaue Vorarbeit zu verfügen. 

Der zweihörnige Uterus der Fledermaus zeigt, entsprechend 
der Anheftung des Mesometriums, eine in Längsfalten vorspringende 
Partie; hier münden vorzugsweise die Uterindrüsen. Das sich ent¬ 
wickelnde Ei heftet sich nun (wie beim Maulwurf und Igel, Lieber¬ 
kühn, Strahl und Hubrecht) ungefähr gegenüber dieser Stelle, 
an der glatten Wand des Uterus fest, so dass die Drüsenraün- 
dungen stets frei bleiben, und zwar, wie sofort bemeikt werden 
mag, bis zur völligen Ausbildung der Placenta. So fand denn auch 
Frommei nur ein einziges Mal, dass eine fötale Placentarzotte in 
eine Uterindrfise hineinwuchs, und erscheint diese Thatsache dem 
Ref. bezüglich der Beurtheilung der Uterindrüsen wichtig. Fleisch¬ 
mann hat in neuerer Zeit für die Carnivoren raitgetheilt, dass die 
fötalen Zotten sich sehr häufig in die Uterindrüsen hineinentwickeln. 

Dem Ref. ist dies bei früheren zahlreichen Untersuchungen an 
Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Rindern und Schafen nicht vor¬ 
gekommen, oder doch so selten, dass es — wie auch der Frommel’- 
sche Fund wohl aufgefasst werden darf — als etwas Zufälliges an- 
sehen werden muss. Demnach kann die Function der Uterindrüsen 
nicht in Beziehung zur Placentarentwickelung gebracht werden (Ref.). 

Anfangs, wann sich das in der Entwickelung begriffene Ei noch 
im Stadium der zwei blättrigen Keimblase befindet, liegt es völlig 
frei im Cavum uteri, freilich, wie bemerkt, näher der fast drüsen¬ 
freien glatten Wand. 

Im folgenden Stadium nimmt die blasenförmige Frucht eine 
langgestreckte Gestalt an und lagert sich dichter an die genannte 


Wand. Am Uterus zeigen sich nunmehr nachstehende Verände¬ 
rungen : 

Das Uterinepithel, an welchem Flimmercilien nicht nacbge- 
wiesen werden konnten, plattet sich stark ab, da, wo das Ei an¬ 
liegt. Das Ectoderm der Keimblase verbindet sich durch Zellen¬ 
brücken, die aus kleinen, zu 2—3 aneinandergelegten Zellen be¬ 
stehen, mit dem abgeplatteten Uterinepithel. (In der bezüglichen 
Zeichnung — Fig. 4 — ist das so dargestellt, als ob die Zellen 
der Brücken Auswüchse der embryonalen Ectodermzellen wären, 
die dann andererseits durch völlige Verschmelzung mit den Uterin¬ 
epithelzellen organisch verbunden wären. Es wäre im allgemein¬ 
histologischen Interesse von hohem Werthe, wenn die Sache bei 
eingehender, auf diesen Punkt speciell gerichteter Prüfung in der 
That sich so heraussteilen sollte). 

Unmittelbar unter dem Uterinepithel zeigt sich in diesem Sta¬ 
dium schon eine zellenreiche Zone; die Zellen dieser Zone sind 
epithelähnlich, wie Verfasser des öfteren hervorhebt; diese Lage 
soll vom Epithel nicht abgesetzt sein. Ref. findet jedoch in der 
betreffenden Figur (Fig. 4, Taf. 1) die Unterscheidung leicht; hat 
also der Zeichner getreu nach dem Präparate gearbeitet, so ist 
— um diese Zeit wenigstens — diese Schicht noch sehr wohl vom 
Epithel zu unterscheiden. Dieses Zellenlager wird später zur eigent¬ 
lichen Decidua, und es tritt die höchst bemerkenswerthe Verän¬ 
derung ein, dass die Zellen mit ihren Protoplasmaleibern verschmel¬ 
zen — ein sogenanntes „Syncytium“ bilden. In dieses Lager 
wachsen auch die fötalen Zotten hinein uud gehen auch später 
nicht über dasselbe hinaus. 

Was die Herkunft dieser wichtigen Lage anlangt, so bleiben 
wir bedauerlicher Weise darüber im Dunkeln. Wie es scheint, 
neigt Verf. dazu, sie vom Uterinepithel abzuleiten, spricht sich aber 
nirgend bestimmt darüber aus (Vgl. z. B. p. 7, 8 u. 39). 

Bleiben wir gleich bei der Bildung der Placenta, so folgt auf 
das deciduale Syncytium eine mit zahlreichen Gefässen ausgestattete 
Lage, die man als „Gefässschicht“ der Placenta bezeichnen kann; 
übrigens fehlen die Blutgefässe auch in dem Syncytium selber nicht. 
(Es soll über die Gefässe später im Zusammenhänge berichtet wer¬ 
den.) Dann folgt eine Schicht längerer faserartiger Spindelzellen, 
an welche sich die Muscularis uteri anschliesst. Eine strenge Ab¬ 
grenzung der Placentarschichten untereinander besteht aber nicht. 
Frommei lässt das Uterinepithel überall da, wo sich das Keim- 
blasenectoderrn anlegt, alsbald zu Grunde gehen, wozu Ref. be¬ 
merken möchte, dass dies nach Strahl’s neuesten Angaben (Mar- 
burger Sitzungsberichte, Juli 1888) bei Hunden, Kaninchen und 
Maulwürfen nicht der Fall ist. 

Was die bereits kurz erwähnten Blutgefässe der mütter¬ 
lichen Placenta anlangt, so sieht man von Anfang an: 1) Gefässe 
in dem decidualen Syncytium unmittelbar unter der uterinen Ober¬ 
fläche, d. h. also dicht unter dem anliegenden fötalen Ectoderm. 
Da aus diesem Ectoderm bekanntlich das spätere Chorion hervorgeht, 
so nennt Verf. diese Gefässe die subchorialen. 2) Mehr zur Mus- 
cularis uteri hin, etwa an der Grenze des decidualen Syncytium 
gegen die äussere Faserzellenschicht der Placenta, zeigt sich eine 
sehr starke Gefässentwickelung; diese Gefässe gleichen später weiten 
Blutlacunen: lacunäre Gefässschicht der Placenta. 3) In 
späteren Stadien, wann die eigentliche Decidua an Dicke zuuimmt 
und die fötalen Chorionzotten sich hineinerstrecken, sieht man zahl¬ 
reiche schmale, radiär gestreckte Verbindungsgefässe zwischen den 
subchorialen und den lacunäreu Blutbahnen auftreten. 4) Die 
mütterlichen Uterinarterien senden von der mesometrialen Seite her 
Aeste durch das Uterin- und Placentargewebe geradeswegs hindurch 
zu den subchorialen Gefässen, diese sind also als arterielle 
Bahnen aufzufassen, während die lacunären Gefässe mit den Uterin¬ 
venen verbunden sind, also venöse Bahnen darstellen. 5) In 
einem späteren Stadium der Placentarbildung fliessen diese letzt¬ 
genannten venösen Bahnen zu einer grösseren spaltförmigen Lacune 
zusammen, welche die Placenta sinusartig umschliesst. Noch später 
wachsen von der lateralen Wand dieser Lacune deren wandständige 
Zellen wieder in das Lumen in grösseren Mengen hinein und durch¬ 
setzen dasselbe derart, dass es sich wieder in eine Menge kleinerer 
Bluträume zurückverwandelt und somit eine Art Blutschwamm dar¬ 
stellt. Im Bereiche dieses spongiösen Gewebes fiudet verrauthlich die 
Lösung der Placenta statt. 6) Von besonderer Wichtigkeit sind die 
Angaben Frommel’s über die Structur der Gefässwandungen 
und über Beziehungen der letzteren zu einer Neubildung 
von Blut. 

Schon frühzeitig sollen die Endothelzellen der mütterlichen 
subchorialen Gefässe, welche in dem Bereiche der späteren Decidua 
liegen, ferner alle in der Folge hier neugebildeten Gefässe eine 
eigenthümliche Veränderung ihrer endothelialen Wandungsfcellen 
zeigen. Letztere werden nämlich grösser, ihre Kerne färben sich 
stärker, und die Zellen nehmen ganz den Charakter von Epithel¬ 
zellen an, sodass die Durchschnitte der Gefässe den Durchschnitten 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


der Uterindrüsen gleichen, nur, dass sie mit Blut gefüllt sind. An 
den meisten Gefässen zeigen sich weiterhin verschieden gebaute 
Strecken, indem die Endothelzellen hier und da sich wieder ab¬ 
platten, an anderen Stellen wieder dicker bleiben. Endlich meint 
Verf., sollen die endothelialen Zellen ganz schwinden, und die 
sämmtlichen, unter 1—3 im vorliegenden Referate aufgeführten Blut¬ 
bahnen nur von dem Protoplasma des Syncytium begrenzt sein, 
also einer eigenen Wand entbehren. Dabei ist aber wohl zu merken, 
dass, ungeachtet dessen, niemals die fötalen Chorion¬ 
zotten in diese Blutlacunen eindringen, sodass sie direkt 
vom Blute bespült würden: stets liegt eine deutliche 
deciduale Syncytiumlage zwischen Zotte und Blut. 

Was die erwähnte Neubildung von Blut im Gebiete der 
mütterlichen Placenta angeht, so meint Verf. dasselbe von den er¬ 
wähnten epithelähnlich veränderten Endothelzellen der Blutgefässe 
ableiten zu sollen. Mit Entschiedenheit wenigstens behauptet er 
dies von der erwähnten grossen sinusartigen Lacune, welche peri¬ 
pher die Placenta umgreift. Deren äussere — zur Uterinmuskulatur 
hingewendete Wandung besteht nämlich stets aus solchen grossen 
Endothelzellen, und zwar in mehrfacher Schicht. Verf. schildert 
hier die Umwandlung der Zellen in rothe Blutkörperchen mit fol¬ 
genden Worten: (p. 21.) 

„Die Umwandlung der Elemente in Blut vollzieht sich, indem 
innerhalb des Zellkörpers kleine Kügelchen auftreten, die sowohl 
durch Boraxkarmin als Safranin dunkelroth gefärbt werden; 
dieselben vermehren sich, ob durch Theilung oder Neubildung, mag 
dahin gestellt bleiben. Im weiteren Verlaufe des Processes schwin¬ 
den diese intensiv roth gefärbten Kügelchen, und man gewahrt an 
ihrer Stelle grössere Kügelchen, die jene Färbung nicht mehr zei¬ 
gen und den Farbstoff gar nicht festhaiten, sondern in der Blutfarbe 
erscheinen. Je nach späteren Stadien sind alle Zellgrenzen ver¬ 
schwunden, die Zellkerne nicht mehr zu sehen, und die Masse der 
Nester besteht aus dicht zusammengelagerten, kernlosen Blutkörper¬ 
chen normaler Grösse.“ Verf. fügt hinzu: „Ich schildere hier den 
Vorgang, wie er sich an solch’ einem Neste in allen diesen ver¬ 
schiedenen Umwandlungsstadien erkennen lässt, ohne mich im 
Speciellen auf eine Analyse des sehr complicirten Processes ein¬ 
lassen zu wollen, der ein specielleres Studium erfordern würde.“ 

Nichts desto weniger fährt er fort: „Ich constatire aber die 
Thatsache der Blutbildung innerhalb dieses Epithellagers (es ist 
die verdickte Endothelschicht des grossen Blutsinus gemeint, Ref) 
mit aller Entschiedenheit und möchte speciell den Satz hervor¬ 
heben : 

„Die mittlere Schicht der Placenta von Myotus murinus ist 
ein mütterliches Blutbildungsorgan“. — Ref. erinnert daran, 
dass Verf. bereits vor einigen Jahren dasselbe für die Mäuseplacenta 
behauptet hat (Mitth. der morphol. physiol. Gesellschaft zu München 
1883), und dass bereits früher Creighton und Swaen und Mas- 
quelin eine Blutbildung in der Placenta, wenn auch in anderer 
Weise als Frommei, behauptet haben. Ref. selbst glaubte vor 
Jahren auch beim Kaninchen ähnliche Erfahrungen gemacht zu 
haben, gelangte aber zu keinem ihn völlig überzeugenden Er¬ 
gebnisse. 

Bei der Wichtigkeit der Sache möchte Ref. einige Bedenken 
nicht verschweigen. Es ist schon auffallend, dass Frommei diese Blut¬ 
bildung an dem Sinus mit Entschiedenheit annehmen zu können glaubt, 
während er sich bei den übrigen Gefässen der Decidua, wo er sonst 
ganz dieselben Veränderungen sah, im Zweifel befindet. Es wäre 
ferner eine einzig in ihrer Art dastehende Neubildung rother Blut¬ 
körperchen, wie sie'hier beschrieben wird; überall sonst, wo wir 
etwas bestimmtes über die Erythrocytogenese wissen, gehen die 
rothen Körperchen durch eine kernhaltige Vorstufe hindurch. 

Endlich wäre zu wünschen gewesen, dass Verf. seine Befunde 
auch an frischen Präparaten mit Aufbietung aller neuen Hülfsmittel 
controlirt hätte; Ref. glaubt nicht, dass ohne jenes speciellere 
Studium, von dem Verf. spricht, die Blutbildung in der mütterlichen 
Placenta jemals wird bewiesen werden können. Die Schilderung 
Frommel’s macht auf den Ref. vorerst noch den Eindruck einer 
Zerfallserscheinung. — 

Gehen wir nun noch in Kürze über zu den sehr interessanten 
Vorgängen von Seiten des Embryo. 

Wir sahen, dass das Ectoderm der Keimblase sich schon sehr 
frühzeitig dicht an die Uterinwand anlegt, und dass im Bereiche 
dieser Anlagerung das Uterinepithel völlig schwindet (wenn man 
nicht das deciduale Syncytium von ihm ableiten will). Nur an zwei 
Stellen, da, wo die Längsfalten mit den Drüsenmündungen (Drüsen- 
leistc Verf.) sich finden, wohin später die Dotterblase zu liegen 
kommt, und genau gegenüber, dem Rücken des Embryo entspre¬ 
chend, wohin später das Amnion sich entwickelt, liegt zunächst das 
Keimblasenectoderm der Utcrinwand nicht an. Pari passu mit der 
Entwickelung des Amnion kommt es aber — als seröse Hülle — 
auch i n diesem zuletzt genannten Bereiche an die. Uteruswand zu 


liegen, und nach Schluss des Amnionnabels ist, mit Ausnahme der 
vorhin genannten Gegend der Drüsenleiste, überall die Uterininnen¬ 
fläche mit dem Ectoderm des Embryo verwachsen. An der Gegend 
der Drüsenleiste kommt es überhaupt niemals zu einer solchen 
Verwachsung, und bleibt hier überall das Uterinepithel auf eine 
kleine Strecke erhalten. Hier münden die meisten Uterindräsen, 
und es liegt dieser Stelle der Dottersack gegenüber. Es bleibt 
also hier ein Stück Cavum uteri frei und kann hierhin von den 
Drüsen eine etwa ernährende Secretion (Uterinmilch) erfolgen. & 
kommt somit niemals zur Bildung einer Decidua reflexa, wie sie 
Reichert und Rolleston augenommen hatten. Bezüglich der 
Verhältnisse der Amnionbildung bestätigt Verf. die neuere Darstel¬ 
lung von E. van Beneden und Julin (Archives de BiologieT. V.). 
weicht aber bezüglich der Vascularisation des Chorion in einzelnen 
Punkten ab. 

Das mit dem Uterus verwachsene fötale Ectoderm wird ah 
Exochorion primitivum bezeichnet. Dasselbe treibt bald rein 
epitheliale Zotten in das deciduale Syncytium hinein. Mit Be¬ 
ginn des Amnionschlusses wächst nun vom inzwischen entwickelten 
fötalen Mesoderm — noch bevor die Allantois erscheint oder gut 
ausgebildet ist, und es ist dies einer der bedeutsamsten Befunde 
des Verfassers — eine dünne Zellenlage, concentrisch dem Exochorion 
primitivum sich auflegeud, an letzteres heran und schickt gleicher¬ 
weise zottige Auswüchse je in die ebengenannten rein-epithelialen 
primitiven Zotten hinein. Aber, diese mesoderraalen Zotten- 
axen sind zur Zeit ihrer Bildung niemals vascularisirt. 
Frommei beschreibt bei dieser Gelegenheit unter dem Namen einer 
„Cuticula“ noch ein feines Häutchen, welches indessen aus „rund¬ 
lichen oder sternförmigen Zellen“ bestehen soll (p. 30). Bei der 
Beschreibung des Stadium VII. spricht Verf. noch von dieser dem 
Ref. etwas zweifelhaft erscheinenden Cuticularschicht; dieselbe ist 
aber an der hierzu gehörenden Abbildung (Fig. 13, Taf. VI.) nicht 
wahrzunehmen. Diese Cuticula plus der eben erwähnten mesoder¬ 
malen Schicht bezeichnet Verf. als „Endochorion primitivum“ und 
zwar als „parietales“, so weit es im Bereich des amniotischen Be¬ 
zirkes, als „viscerales“, so weit es im Bereich des Dottersackes 
liegt. 

Die Vascularisation der Zotten beginnt erst mit dem \or- 
wachsen und der Ausbreitung der Allantois am Endochorium pri¬ 
mitivum. Die fötalen placentaren Zottengefässe entstammen also 
ausschliesslich der Allantois, während da$ sie umgebende mesoder- 
male Gewebe der Zottenaxe, wie wir sahen, zum Theil, wen iestM 
in seiner ersten Anlage, unabhängig von einer besonderen Mesodenn- 
ausbreitung geliefert wird. Nach stattgefundener Vascularisation wird 
aus dem Chorion primitivum das Chorion defiuitivum. 

Wie schon bemerkt wurde, gehen auch bei voller Ausbildung 
der Placenta die Zotten nicht über das Bereich des decidualen 
Syncytiums hinaus und ragen nie unmittelbar in die mütterlichen 
Gefässe hinein. 

Der Dotterkreislauf erhält sich bei Myotus ungewöhnlich lange, 
selbst dann noch, wann die Dotterblase sich zurückzubilden be¬ 
ginnt. Eine Gefässverbindung zwischen dem Dotterkreislauf und 
dem Allantoiskreislauf, wie sie z. B. von Robin angegeben wird, 
findet nicht statt. 

Dass bei einem so verwickelten Processe nicht sofort alle Seiten 
der Sache einwandfrei erledigt werden können, das sieht Jeder, 
der einmal auf diesem Gebiete selbst gearbeitet hat, am besten 
ein — mögen in diesem Sinne auch die Bedenken des Ref. aufge¬ 
fasst werden und mögen sie das Interesse darthun, welches er selbst 
an der trefflichen Arbeit des Verfassers genommen hat. 

E. Henooh. Vorlesungen über Kinderkrankheiten. IV. Auflage. 

870 S. Berlin, A. Hirschwald, 1889. Ref. Silbermann. 

Unter den im letzten Decennium erschienenen Werken über 
Kinderkrankheiten nimmt dasjenige Henoch’s wohl den erste 
Rang ein, und zwar vor allem deshalb, weil es, hervorgegangen a u> 
einer ungewöhnlich grossen Beobachtungsreihe, für den Studirenaeu. 
wie für den praktischen Arzt zum sicheren Führer auf de 
Gebiete der Pädiatrik wird. Obgleich das vorliegende Buc • 
wie der Verf. selbst hervorhebt, fast ausschliesslich seine 
liehen Erfahrungen, welche während einer mehr als 40jähr. rf 3 ^ 
gesammelt wurden, enthält, spiegelt es dennoch die objecti^ 
Krankenbeobachtung wieder und wird gerade hierdurch für 
Leser so werthvoll. Das in einem vier Jahrzehnte umfassenden > 
raum geprüfte klinische und therapeutische Material wird *n 
gesichtet dem Leser vorgeführt, und eben deshalb kann “ erS y er . 
den wirklich empfohlenen Behandlungsmethoden das vollste 
trauen entgegenbringen. Henoch ist in therapeutischer B e “ e ,^ 
durchus kein Nihilist, aber er prüft, und dies mit vollstem f 
streng und empfiehlt nur Heilmittel, die sich bei dieser in u r ^ 
heutigen Zeit mehr denn je nothwendigen Auffassungsweise 
bewährt haben. Der Verf. hebt den therapeutischen Effect 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


883 


25. October. 


Blutentziehungen in Form von blutigen und trockenen Schröpf¬ 
köpfen an einzelnen Stellen seines Werkes, so beispielsweise heim 
Capitel der Bronchopneumonie und der eitrigen Meningitis, ganz 
besonders hervor und empfiehlt dieselben (ganz in Uebereinstimmuug 
mit den Erfahrungen des Referenten) als äusserst wirksame Anti- 
phlogistica. Ferner redet Henoch auf Grund seiner reichen Erfah¬ 
rungen bei allen acuten, fieberhaften, die Körperkräfte rasch consumi- 
reuden Processen, besonders bei den acuten Infectionskrankheiteu vor 
Allem den Excitantien das Wort, während derselbe — und mit ihm 
wohl viele andere objective Beobachter — von der Anwendung der 
modernen Fiebermittel (Antipyrin, Antifebrin) keine besonders 
günstigen Erfolge für den Krankheitsverlauf gesehen hat. Bezüglich 
der Behandlungsweise der kindlichen Neurosen — um nur noch eine 
der reichen therapeutischen Erfahrungen Heuoch’s anzuführen —, lobt 
derselbe besonders die Wirksamkeit des Arsenik, welche von ihm 
in Gemeinschaft mit Romberg schon vor einer Reihe von Jahren 
constatirt werden konnte. 

Die Darstellungsweise des Autors, seine Anschauungen über das 
Wesen, den klinischen Verlauf und die Therapie der einzelnen 
Krankheitsprocesse sind scharf und klar, und frei von allem hypo¬ 
thetischen Beiwerk. Die Hauptpunkte seiner klinischen Beobachtun¬ 
gen illustrirt Henoch sehr zweckmässig durch Einschaltung casui- 
stischer Mittheilungen, die selbst dem erfahrenen Arzt noch vielLehr- 
reiches bieten. 

Der Inhalt des Buches zerfällt in zehn Abschnitte, dem Ganzen 
vorangestellt ist die Untersuchungsmethode kranker Kinder. Das 
erste Capitel enthält die Krankheiten der Neugeborenen, das zweite 
die Affectionen des Säuglingsalters, das dritte die des Nervensy¬ 
stems. Hieran schliessen sich die Abschnitte über die Krankheiten 
der Respirations - und Circulatiousorgane, des Magen-Darmcanals, 
des uropoetischen Systems, die Infectionskrankheiten, die consti- 
tutionellen Erkrankungen und schliesslich die der Haut. Besonders 
bezeichnend für die grosse Erfahrung und scharfe klinische Beobach¬ 
tung des Verfassers sind die Capitel über die Magen-Darmaffec- 
tiou, die Infectionskrankheiten und die Scharlachnephritis. — Die 
eben nur kurz angedeuteten Vorzüge des He noch’sehen Werkes 
erklären wohl auch den äusseren Erfolg des Buches, das Aerzten und 
Studirenden warm empfohlen werden kann. 


VII. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 15. October 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden; Schriftführer: Herr P. Guttmann. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und angenommen. 

Vor der Tagesordnung erhalten das Wort zu Demonstrationen: 

1. Herr George Meyer: M. H. Gestatten Sie, dass ich 
Ihnen einige histologische Präparate von Magenphthise, wie ich 
die bisher sogenannten Zustände von Magenatrophie zu benennen 
Vorschläge, kurz demonstrire und die von Herrn Prof. Ewald nach 
jenen Präparaten gezeichneten Abbildungen herumgebe. Hergestellt 
wurden die Schnitte nach der Behandlungsmethode von Heiden¬ 
hain und Sachs und mittelst Färbungen mit Alaun- und Picrocarmin. 

Die Schleimhaut ist bei der Magenphthise gegen die Norm stark 
verschmälert, das interglanduläre Bindegewebe stark hypertrophisch; 
die Lücken für die Drüsendurchschnitte liegen ein Stück vom freien 
Rande der Schleimhaut entfernt. In diesem Raum und in den 
Stützbalken zwischen den Räumen für die Drüsendurchschnitte findet 
sich kleinzellige Infiltration; die Lücken sind fast überall leer, selten 
sind vereinzelte Drüsenzellenreste darin. Die Muscularis mucosae 
ist meist geschwunden. Bei weiterem Fortschritt des Zustandes be¬ 
steht die Schleimhaut nur aus bindegewebigem Faserwerk mit Ein¬ 
lagerung zahlloser Rundzellen, und endlich wird die Schleimhaut 
in einen bindegewebigen Strang verwandelt. Ist dieser Zustand 
im ganzen Magen vorhanden, so hört die Salzsäure-, Labferment-, 
Pepsinproduction auf. Die Symptome intra vitam sind denen 
der pernieiösen Anämie sehr ähnlich und führen zum Tode. Die 
Salzsäure etc. fehlt auch noch in anderen Fällen im Mageninhalte, 
ohne dass Phthisis oder Carcinoma ventriculi vorliegt (Ewald und 
Wolff, Jaworski). Unter dem einen Mikroskop liegt das Prä¬ 
parat eines von jenen beiden ersten Autoren untersuchten Falles, 
wo Magenphthise post mortem erwartet wurde, sich jedoch Zeichen 
chronischer Entzündung mit Uebergang zur Phthise zeigten. Die 
sichere Diagnose der Affection ist daher wohl stets nur mit dem 
Mikroskop zu stellen und im Leben nur zu vermuthen. 

Die chronische Entzündung führt zur fettigen Degeneration der 
Drüsen und zur Phthise des Magens. Letztere wird vielleicht noch 
durch Verschleimung der Drüsenzellen bedingt, auf welche 
ich von Herrn Prof. Ewald aufmerksam gemacht wurde. In der 
Literatur ist dieser Zustand nur in Ewald’s Klinik der Verdauungs¬ 
krankheiten II. erwähnt, wo die Schilderung nach diesen Präparaten 


geschieht; sonst ist nirgends Aehnliches beschrieben oder abgebildet. 
Man erkennt auch hier Uebergangsstadien und normale Drüseu- 
schläuche, solche mit beginnender und ausgebildeter Verschleimung 
der Zellen. Letztere macht iu Längsschnitten den Eindruck von 
Rosenkränzen oder Perlschnüren, auf Querschnitten ist der Zelleu- 
leib geschlossen oder durch einen freien Saum gegen das Lumen 
des Drüsenschlauches abgegrenzt. Auch liier ist interglanduläre 
Biudegewebswucherung mit kleinzelliger Infiltration vorhanden. Diese 
Verschleimung wurde zwei Mal unter zahlreichen, auch sofort nach 
dem Tode gemachten Obductionen gefunden: Der eine Magen 
(Obd. 20 Minuten nach dem Tode) stammt von einer Patientin 
mit Cirrhosis ventriculi (Inhalt des Magens 180 ccm); das andere 
Präparat wurde bei eiuer Pylorusresection wegeu Carcinom gewon¬ 
nen und lebenswarm in Alkohol befördert. Nach Nothnagel, 
Ewald, B. Lewy finden sich bei Cirrhosis und Carcinoma ventri¬ 
culi die beschriebenen phthisischeu Zustände, vielleicht sind sie da¬ 
her auch eine Folge der geschilderten Verschleimung der Zellen. 

(Die ausführliche Veröffentlichung über Phthisis ventriculi er¬ 
folgt demnächst.) 

2. Herr Litten: Ein Pall von primärem Sarkom des 
Pankreas mit enormen Metastasen bei einem vierjährigen 
Knaben. (Der Vortrag wird in einer der nächsten Nummern ver¬ 
öffentlicht werden.) 

Zur Tagesordnung erhält das Wort: 

3. Herr Horstmann: Lieber Neuritis optica speoifloa. (Der 
Vortrag wird in einer der nächsten Nummern veröffentlicht werden.) 

Discussion. 

Herr Thorncr: Bei der grosse^ Seltenheit und der Wichtigkeit dieser 
Erkrankung möchte ich auch einen derartigen Fall aus meiner Praxis er- 
wähuen, der aber einige Besonderheiten bot, indem eine Complicatiou die 
Diagnose sehr erschwerte. Es handelte sich um eiuen auswärts wohneuden 
ca. 48jährigen Mann, der wegen ziemlich starker beiderseitiger Conjunctivitis 
zu mir kam. Nach Atropinisirung zeigte sich, dass beiderseits bei sonst 
negativem Augenspiegelbefund stark hyperämische Papillen vorhanden 
waren, und dass erhebliche Sehstörungen bestanden. Der nun von mir zu¬ 
gezogene Specialist diagnosticirte syphilitische Entzündung des Sehnerven. 
Der Kranke wurde sehr häufig geschmiert, bekam daneben Jodkaüum, und 
der Zustand besserte sich langsam. Die Zeit der Infection lag bei dem 
Patienten mindestens 7 Jahre zurück, auch hatte er schon einmal zuvor 
geschmiert Bemerkenswerth erschien mir die ätiologisch nicht recht aufge¬ 
klärte Conjunctivitis, die die Sachlage, da sie ja scheinbar einen genügenden 
Grund für die Sehstörungen abgab, so verschleierte, dass die Gefahr nahe 
lag, dass ohne die genaue Untersuchung durch den Fachcollegen der Fall 
in seiner ätiologischen Bedeutung nicht genügend gewürdigt worden wäre. 
Damit wäre aber die Erblindung des Patienten sicher gewesen. 

Herr G. Gutmann: Meine Herren! Herr Prof. Horstmann hat in 
seinem Vorträge davon gesprochen, dass die Prognose bei Atrophia optici 
syphilitica absolut infaust ist. Ich möchte auf einen erst kürzlich von mir 
behandelten Fall aufmerksam machen, welcher den Werth einer antisyphi¬ 
litischen Behandlung bei Erkrankungen des retrobulbären Theiles des Seh¬ 
nerven in’s rechte Licht, setzt. Während meiner Reise im August dieses 
Jahres wurde eine 49jährige Frau vom Collegen Dr. Neumann aus Potsdam 
in meine Poliklinik geschickt. 

Seit 2 Tagen wollte Patientin Nebel vor den Augen bemerkt haben, 
der zusehends dichter wurde. Die Sehschärfe war rechts Finger in l'/a in, 
2 

mit + 4,5 Dgg, links Finger in m. Das Gesichtsfeld war unregelmässig 

eingeengt, blau und roth wurden erkannt, grün nicht, rechts bestand ein 
kleines centrales Skotom. 

Ophthalmoskopisch fanden sich die Papillengrenzen zart verschleiert, 
zwischen Macula lutea und Papille des linken Auges hellrosafarbene kleine 
Herde, in der Macula lutea des rechten Auges feinste Stippchen. Die Papillen 
reagirten prompt. 

Die Anamnese ergab, dass Pat. seit l‘/a Jahren nach der Menopause 
Schmerzen im Rücken, Leib- und öfters Kopfschmerzen gehabt habe, auch 
jetzt waren seit 5 Tagen heftige Kopfschmerzen aufgetreten. Sonst will Pat. 
immer gesund gewesen sein. Von 14 Kindern sind 8 im ersten Jahre ge¬ 
storben, 3 mal hat die Frau abortirt. Im Urin wurde Eiweiss gefunden, und 
demgemäss die Affection als eine beginuende albuminurische Retinitis ge¬ 
deutet und dem behandelnden Arzte die antinephritische Behandlung em¬ 
pfohlen. 

Am 5. September, also 3 Wochen nach Beginn der Sehstörung, sah ich 
Pat. selbst zum ersten Male und nahm folgenden Status auf: 

Die Pupillen, über mittelweit, reagiren auf Licht weder direkt noch in¬ 
direkt, auf Aceommodation gering. Die Papillengrenzen sind bis auf den 
inneren Rand, der zart verschleiert erscheint, ganz scharf, die Gefässe normal 
weit, die Venen etwas geschlängelt. Die maculäre Hälfte der Sehnerven ist 
grauweiss. Die früher beschriebenen Herde sind deutlich vorhanden und, 
wie mein Assistent sagt, unverändert. 

Das Gesichtsfeld war kaum aufzunehmeu, es wurden beiderseits excen¬ 
trisch nur noch in einem kleinen Abschnitt der linken Gesichtsfeldhälfte 
Handbewegungen erkannt. Pat. musste geführt werden und erkannte rechts 
Finger in l 1 /» Fuss unsicher, links nur noch Handbewegungen in nächster 
Nähe. 

Die Anamnese Hess daran denken, dass hier vielleicht Lues im Spiele sei 
und ich Hess Pat. vom Collegen Dr. Blaschko untersuchen. Der objective 
Befund war negativ. Immerhin rieth ich dem Hausarzte, auf Grund der 
Anamnese noch einen Versuch mit der Inunctionscur zu machen, hielt freilich 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


No. 43 


die Prognose bei dem hochgradigen Verfall der Sehschärfe und der ausge¬ 
sprochenen Opticusatrophie für sehr ungünstig. Am 22. September sah ich 
Pat. wieder. Sie konnte sich im Raume leidlich zurechtfinden, sah beider¬ 
seits Finger in 2 m, die Gesichtsfelder waren normal weit, ein kleines cen¬ 
trales Skotom bestand, von Farben werden blau und roth in zwar noch ein¬ 
geengten Grenzen erkannt. 

Die Pupillen reagirten beiderseits träge, aber deutlich auf Licht, die 
.Sehnerven waren noch fahl. Pat. hatte vom 7. bis 11. September 15,0 Ung. 
ein. verrieben, dann wegen zunehmender Kopfschmerzen und wegen mercu- 
rieller Symptome die Salbe ausgesetzt. Die Kopfschmerzen Hessen auf 
Antifebrin nach. Vom 13. September bis heute war die Sehschärfe zusehends 
besser geworden. 

Am 29. September erkannte Pat. rechts Finger in 2'/* m, links in 3 in, 
die centralen Skotome waren aber grösser geworden, und roth und grün 
werden nicht erkannt. Es war also bei längerem Aussetzen der Schmiercur 
wieder eine Verschlechterung eingetreten. Sofort wurde wieder auf meinen 
Rath zur Inunction geschritten, und am 5. October sah Pat. rechts Finger 
in 3, links in 4 m, die centralen Skotome waren kleiner. Links war die 
direkte Pupillarreaction noch herabgesetzt, die iudirekte Reaction war links 
prompt, rechts herabgesetzt. Die Blässe der Sehnerven war noch deutlich 
ausgesprochen. 

Am 13. October zählte Patientin bei freiora Gesichtsfeld und kleinsten, 
ca. 1—2° grossen centralen Skotomen beiderseits Finger in öV'a m, grün 
und roth wurden noch nicht erkannt, mit 4- 3,0 D wurde Sn V in 5 Zoll 
mühsam gelesen. Die Pupillenreaction auf Licht war bedeutend prompter 
geworden. Die Sehnerven waren noch blass, aber die maculären Randtheile 
der Papillen zeigten einen sehwachen, rosafarbenen Schimmer. Der Eiweiss¬ 
gehalt des Urins war geringer. 

Offenbar handelte es sich hier, meine Herren, um einen Fall von Neu¬ 
ritis retrobulbaris auf syphilitischer Grundlage, bei dem die antisyphilitische 
Behandlung erwiesen hat, dass die Prognose bei Atrophia optica e neuritide 
retrobulbari nicht absolut infaust ist, lind dass man gut daran thut, unter 
solchen verzweifelten Umständen nicht gleich die Flinte iu’s Korn zu werfen, 
sondern noch eine energische Schmiercur zu versuchen. 

Herr Leyden: Ich bitte den Herrn Vortragenden noch um die Be¬ 
antwortung einiger Fragen: erstens, ob und inwiefern der ophthalmo¬ 
skopische Befund bei Gehirnleiden die Diagnose eines syphilitischen 
Ursprungs begründen oder unterstützen kann. Die Diagnose der Ursache 
einer Hemiplegie ist öfters recht schwierig; es kommt gerade für die einzu¬ 
schlagende Therapie darauf an. zu entscheiden, ob ein syphilitischer Process 
(Erweichung oder Gumma) als die Ursache anzunehmen, und ob in Folge 
dessen eine antisyphilitische Cur angezeigt ist. In den meisten zweifelhaften 
Fällen werden wir natürlich einen Versuch mit der antisyphilitischen Cur 
machen, aber es wäre doch wichtig, für eine sichere Diagnose noch mehr 
Anhaltspunkte zu gewinnen, als wir bisher besitzen. Ich frage daher Herrn 
H'orstmann, ob und in welchen Fällen der Retinalbefund zur Unterstützung 
oder Begründung der Diagnose einer syphilitischen Hemiplegie dienen kann. — 
Zweitens möchte ich die Frage stellen, ob sich die syphilitische Atrophie 
iles Opticus von der sklerotischen unterscheidet. Dies hat ausser dem 
allgemeinen wissenschaftlichen Interesse für mich noch insofern eine specielle 
Bedeutung, als der Zusammenhang der Syphilis mit chronischen Rücken- 
marksleideu mehrfach angenommen wird, daher es sehr erwünscht sein müsste, 
im ophthalmoskopischen Befunde Anhaltspunkte für die Diagnose des syphi¬ 
litischen Ursprungs zu gewinnen. Ist also die syphilitische Atrophie des 
Opticus von der sklerotischen, welche z. B. öfters bei der Tabes dorsalis 
sich entwickelt, zu unterscheiden? 

Herr Horstmann: Herrn Thorner möchte ich bemerken, dass es 
sich in seinem Falle um Chorioretinitis specifica, nach dem ganzen Verlauf 
zu urtheilen, handelt und nicht um Neuritis optica. 

Herr Thorner: Die Auffassung des Herrn Collegen Horstmann 
ist wohl aus dem Grunde nicht zutreffend, weil mit Ausnahme der schon 
erwähnten Röthung der Papillen der Augenspiegelbefund an Retina und 
Chorioidea negativ war. 

Herr Horstmann: Mit Herrn Gutmann stimme ich darin überein, 
dass bei gewissen Formen von Atrophie des Nervus opticus Besserung durch 
geeignete Behandlung erzielt werden kann, doch sind dieselben sehr selten. 

Was den ophthalmoskopischen Befund bei Gehirnleideu und Hemi¬ 
plegie angeht, so sind wir da noch so weit zurück, dass wir keine Diagnose 
aus dem Augeuspiegelbefunde stellen können. Etwas anderes ist es mit dem 
Verhältniss des ophthalmoskopischen Befundes bei Gehirn- beziehungsweise bei 
Spinalleiden. Wir beobachten bei Atrophia nervi optici zwei Formen, eine 
neuritische und eine genuine. Die erstere ist die Folge einer Neuritis, einer 
Stauungspapille. Finden wir also erst das Bestehen einer Stauungspapille, 
beziehungsweise einer Neuritis descendens, so können wir mit Sicherheit, 
unnehmen, dass ein Process, falls Lues vorhanden ist, im Gehirn vorliegt, 
beziehungsweise in seinen Häuten, vielleicht auch in der Orbita oder im 
Canalis opticus. Bildet sich dagegen eine genuine Atrophie aus in Folge 
von Lues, so haben wir das spezifische Bild einer weissen Verfärbung der 
Papilla nervi optici und Verengerung der Gefässe; dann ist immer daran 
zu denken, dass wir auch auf ein spinales Leiden zu fahnden haben. 
Alexander hat in seiner Zusammenstellung eine ganze Reihe von Fällen 
von Atrophia nervi optici auf Tabes zurückgeführt, wo Syphilis vorhanden 
und Lues direct nachzuweisen war. Ich kann also nur sagen, wenn eine 
genuine Atrophie, die sich erst immer im sogenannten tertiären Stadium ent¬ 
wickelt, vorliegt, so ist es möglich, dass man auf einen spinalen Process 
schliessen kann; wenn aber im secundären Stadium sich eine Neuritis ent¬ 
wickelt, so haben wir es mit einem intracraniellen Process zu thun. 


VIII. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 10. October 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow, später Herr Henoch. 

1. Herr B. Fraenkel: Vorstellung eines Falles von Leontiasis ossea. 
Die Patientin, ein 12jähriges Mädchen, war bis vor 4 Jahren, abgesehen von 
einigen Kinderkrankheiten, gesund. Sie ist Waise und über die Todesur¬ 
sache der Eltern nichts Gewisses zu eruiren: bei dem Vater ist überstamhti- 
Lues nicht ausgeschlossen. Vor 4 Jahren fiel die Kleine auf die rechte Seitr 
der Stirn in der Gegend des Tuber frontal. Sie bekam hier eine Geschwuk 
die sich zunächst weich aufühlte, später hart wurde und Schmerzen verur¬ 
sachte. Ein Jahr später bemerkten die Verwandten und das Kind selbst, 
dass sich Verhärtungen an anderen Kopfknochen erstellten, und so hat sich 
allmählich der gegenwärtige Zustand herausgebildet. An der Stirn, in der 
Gegend der Tubera finden sich zwei grosse, sehr harte Höcker, die Pr«, 
nasales des Oberkiefers sind ausserordentlich stark entwickelt und ragen « v 
weit vor, dass dio Nase nur sehr wenig über dieselben vorzustehen scheint. 
Der ganze Körper des Unterkiefers ist mit Ausnahme eines ganz kleinen 
Stückes in der Gegend des Winkels in eine sehr dicke, compacte Knochen¬ 
masse verwandelt. Was das Kind in die Behandlung des Vortr. führte, 
eine sehr erhebliche Nasenstenose, bedingt durch eine Hyperostose der Nasen- 
muscheln und des Nasenfortsatzes des Oberkiefers. Geistig ist das Kind 
normal, wenn nicht über normal entwickelt. Sie hört vollkommen gut. Un¬ 
verkennbar ist ein geringer Exophthalmus vorhanden; das Riechverroögeii 
ist sehr erheblich reducirt, der Geschmack normal. Es besteht also in 
diesem Falle eine Hyperostose fast sämmtlicher Knochen des Schädels uni 
vorzüglich des Gesichtes, eine Affection, die Virchow mit dem Nam.-n 
der Leontiasis ossea bezeichnet hat. 

Da das Nähere über den Fall demnächst In einer Dissertation ver¬ 
öffentlicht werden soll, fügt Herr Fraenkel nur noch hinzu, dass, »ma 
auch in allen bisher publicirteu derartigen Fällen Lues keine Rolle iu der 
Aetiologie der Erkrankung gespielt zu haben scheint, doch eine Jodkaliiun- 
therapie versucht wurde, die jedoch erfolglos blieb. 

2. Herr Löwenmeyer demoustrirt Präparate eines Falles von Epi- 
thelialkrebs. Der Patient, dem die Präparate entstammen, war ein früher 
angeblich gesunder, hereditär nicht, belasteter, 75 jähriger Mann, der im 
vorigen Frühjahr mit Husten und Auswurf erkrankte und, in das Kranken¬ 
haus aufgenoinmen, ein Exsudat der rechten Pleura und eine Infiltrutivu 
der rechten Lunge erkennen liess. Das rasche Zurückgehen des Allgemein¬ 
befindens legte die Diagnose auf eine maligne Erkrankung der Lunge nähr. 
Sichere Zeichen von Tuberculo.se waren nicht vorhanden. Die Auto^ir 
ergab, bei völliger Iutactheit der linken Lunge, ein Carcinom der reehtri. 
Lunge, welches theils in circumseripten Knoten, theils in einer Iufiltratw 
der Lunge in dem grössten Theil ihres Umfanges bestand, ferner i>- 
Carcinomknoten der Dura Mater, die den Schädel durchlöchert hatten ufl-i 
durch dieselben durchgewachsen waren. Hirnorscheinnngen hatten wir* 
vitam nicht, bestanden. 

Herr Virchow macht auf das besondere Interesse aufmerksam, »d' 1 " 
dieser Fall einmal wegen der Grösse der angerichteten Verheerungen- 
aber auch wegen der eigenartigen Localisation beansprucht. Die me- 
skopische Untersuchung zeigte sowohl in den Geschwülsten au der Dura j 1- 
auch in den secundären Knoten, welche sich in grossem Umfange im 
spirationsapparat entwickelt hatten ungewöhnlich hochgradig eulwtck- 
Epithelzellen. , . . 

3. Herr Ostwaldt: Ueber Chorlo-retlnitlg syphilitica. Nach einig*» 

einleitenden Worten über die bisher gewonnenen Erfahrungen über die >? 
philitische Retinitis, die noch in keiner Weise zu einer übereinstinimen « 
Auffassung über das Wesen derselben geführt haben, theilt der Vortrag* ^ 
die Ergebnisse eigener Beobachtungen mit, die er als Assistent jier. pu'- 
berg’sehen Augenklinik zu machen Gelegenheit hatte. Eine ausführliche “ 
cation über den Gegenstand erfolgt in den Verhandlungen des Internaten ^ 
Ophthalmologencongresses. (Die Discussiou über diesen Vortrag wir 
die nächste Sitzung vertagt.) , ... 

4. Der übrige Theil der Sitzung wurde ausgefüllt durch angeblich 
tische Experimente, die ein Dr. phil. Feld mann aus Tiflis der Gese s ^ 
vorführte. Die ganze Schaustellung begegnete einem ziemlich unverno 
W'iderspruch in der Versammlung, den Herr Körte unter allgemeine 
Stimmung dahin formulirte, dass die Gesellschaft in dem eben O« ^ 
kein wissenschaftliches Experiment, sondern eine gewöhnliche Schau • 
erblicke. Gerichtet vor diesem Forum, dürfte wohl diesem ganzen 

in Deutschland der Boden entzogen sein. 


Sitzung am 17. October 1888. 

Vorsitzender: Herr Siegmund. v tr | u ; 

1. Herr Hirschberg: Ueber Retinitis syphilitica. ^ e L|| e ST phr 
während einer etwa 20jährigen Beobachtungszeit etwa S—™ 0 4 ^iikranl* 
litischer Retinitis gesehen; 3—4 Fälle kommen auf 1000 ^ U ij e privat 
(nicht auf 1000 Syphilitische, wie behauptet worden). Namentlicn ^ g e . 
praxis gab Gelegenheit zu frühzeitigen und genügend lange affection 

obachtungen, um ein genaues Krankheitsbild der in Rede stehen ^ e ; n(r 
zu gewinneu. Woran erkennt nun der praktische Arzt das 11111 j^elbc 
syphilitischen Retinitis, und unter welchen Umständen hat er j^tion 
erwarten? Es brauchen nicht immer 1—2 und mehr Jahre sei nach 

zu verstreichen; Herr Hirschberg sah die Erkrankung wiederno ^ n f an gan 
4—6 Monaten eintreten. Man darf auch nicht glauben, dass '° u j c hi 
eclatante Erscheinungen vorhanden sein müssen. Ueberhaupt » t j azU ein 
leicht, die ersten Anfänge der Erkrankung festzustellen: es K e ^„„theh*- 
sehr aufmerksamer Patient, denn im Beginn ist nicht eine Jghr sub- 
jedenfalls keine hochgradige Sehstörung vorhanden, sondern nu ^ p u „kte 
jective Lichterscheinungen. Die Kranken klagen, dass^ sie sch fiiaiineru- 
sehen; ferner ist ein ausserordentlich charakteristisches Zeichen ^ aU f der 
das dem Beginn der Sehstörungen Monate lang vorhergeben ’ 


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25. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 885 


Höhe der Krankheit sehr deutlich ist und dieselbe noch Monate und Jahre 
lang überdauern kann. (Es dürfte sich dabei um einen gehinderten Blut¬ 
zufluss zu einer bestimmten, centralen Stelle der Netzhaut handeln.) Wenn 
die Kranken bei Tage noch ganz gut feine Schrift lesen, sind sie Abends 
schon erheblich behindert. Die Sehstörung wird, wenn die Mitte der Netzhaut 
befallen wird, stärker. Die Patienten sehen auch bei Tage einen Nebel, mit¬ 
unter sehen sie die Gegenstände wie durch eiu Sieb oder Gitter; verzerrt, 
verkleinert. Die ärztliche Prüfung ergiebt eine zunächst nicht sehr bedeutende, 
aber zunehmende Herabsetzung der Sehschärfe, namentlich aber eine Herab¬ 
setzung des Lichtsinnes. Es ergiebt sich ein dunkler oder mehrere dunkle 
Flecke in der Mitte des Gesichtsfeldes. Wenu die Krankheit hartnäckig ist, 
nimmt die Sehschwache zu, es kommt zu gröberen Ausfällen des Gesichts¬ 
feldes, das Gesichtsfeld wird inselförmig; es verschwindet eine Insel nach 
der anderen, endlich tritt völlige Blindheit ein. Das Augcnspiegelbild ist von 
Jacobson und A. v. Graefe (1866) vorzüglich als diffuse Retinitis, von 
Förster (1874) klassisch als Chorioiditis beschrieben worden. Beide finden 
•sich in den Lehrbüchern, es ist aber ein und dieselbe Krankheit. — 
-Mit «lern Namen Chorioditis wird in den Büchern überhaupt ein gewisser Miss¬ 
brauch getrieben, — als ob nur die Aderhautentzündung Trübungen des 
Glaskörpers und Piginentveränderuug bewirken könnte! — Es sind bei der 
in Rede stehenden Krankheit (Pautophthalmia specif.) fast alleTheile des 
Auges befallen: zunächst die Hornhaut; dann kommen auch punktförmige 
Veränderungen des Pupillenrandes, ja sogar punktförmige Trübungen der 
Binse vor. Ganz regelmässig aber ist die staubförmige Trübung des Glas¬ 
körpers, die auch sehr spät, oft Jahre nach der Heilung noch nicht ge¬ 
schwunden ist. In der Netzhaut findet man kleine umschriebene Heerde 
einerseits in der Peripherie des Augengrundes, andererseits in der Mitte. Um 
diese zu verstehen, muss man beobachten, wie sie entstehen. Vortr. hat im 
Jahre 1871 diese Beobachtung gemacht und dieselbe 1874 veröffentlicht. Ziem¬ 
lich rasch entstehen bei der Affectiou zahlreiche rundliche, zarte, milchweisse 
Flecke unzweifelhaft in der Netzhaut selbst, welche an den Netzhautgefässen 
haften, wie die Beeren einer Traube am Stiel. Wenn diese Flecke länger be¬ 
stehen, werden sie rosafarben, dann gelblichweiss, endlich rein weiss. Sie sind 
scharf umschrieben, nicht oder sehr wenig pigmentirt, sei es am Rande, sei 
es in der Mitte. Sie haben geringe Neigung zum Zusammenflüssen. Nach 
des Vortr. Beobachtungen geht, es nicht an, diese Flecke einfach als Ader¬ 
hautheerde zu bezeichnen. Schwerer ist es, die kleinen Flecke in der Netz- 
hautmitte zu sehen. Vielfach werden diese Veränderungen selbst von Ge¬ 
übteren übersehen. Doch hat Hirschbergschon vor 10 Jahren auch diese 
Heerde und ihre Lage an den feinen Netzhautgefässen beschrieben. 

Die Therapie der Krankheit ist im Anfang eine sehr erfolgreiche. Die¬ 
selbe kann nur eine merkurielle sein. Augen, welche fast erblindet waren, 
werden durch eine, einige Wochen bis zwei Monate fortgesetzte kräftige 
Schmiercur soweit geheilt, dass die Patienten feinste Schrift losen können, 
und die Heilung bleibt oft eine dauernde. Vortr. hat derartige Heilungen 
mit einer Dauer bis zu 18 Jahren (d. h. bis heute) beobachtet. Doch sind i. A. 
Rückfalle sehr häufig. Anfangs können auch diese noch gebessert, bezw. beseitigt 
werden, dann giebt es aber Ausnahmefälle, in denen, trotz energischer und 
wiederholter Gur, das Uebel nicht heilbar ist. Die Sehstörung schreitet 
fort, der Sehnerv wird atrophisch, die Blutgefässe werden eng, der ganze 
Augengrund entartet, und das Auge wird unrettbar blind. Zehn bis zwölf 
Jahre kann es zu diesem Verlauf in Anspruch nehmen. Die Schwere 
der Erkrankung zeigt sich auch in begleitenden und nachfolgenden Hirn¬ 
erkrankungen, Schlaganfällen mit tödtlichem Ausgang bei noch jugend¬ 
lichen Individuen. Schon im Jahre 1876 hatte Vortr. einen solchen Fall, 
in dem ein 27jähriger Patient an einer linksseitigen Hemiplegie, trotz aller¬ 
gründlichster Cur starb. Das linke Auge war vollkommen blind geworden, 
das andere ganz gesund. Die syphilitische Netzhautentzüudung kann 
durchaus einseitig bleiben, im Gegensatz zur Retinitis albuminurica, die 
immer doppelseitig ist. Vortr. hat in einer Abhandlung in Eulenburg’s 
Realencyklopädie') auf die Analogie der Netzhauterkrankung mit der der 
Hirnarterien und auf den Ausgang derselben von arteriellen Erkrankungen, 


') Aus meinem Artikel „Ophthalmoskopie“ in der Eulenburg’schen 
Realencyklopaedie heben wir folgende Sätze hervor: 

„Den Blutgefässen der Netzhaut muss die grösste Aufmerksamkeit 
zugewendet werden, nicht blos, um die meist falschen Diagnosen auf Leere 
oder Ueberfüllung zu vermeiden, die auf Verstopfung (Thrombose und Em¬ 
bolie) richtig zu stellen, sondern auch um die feinereu Caliberuuregelmässig- 
keiten, die sogenannte Arteriocapillarifibrosis retinae, zu erkennen, 
welche das Netzhautleiden bei Nierenerkrankuug eiuleitet oder begleitet 
Die syphilitische Netzhauterkrankung geht häufiger von den 
Blutgefässen aus, als die Lehrbücher ahnen lassen.“ 

„Die häufigste Veränderung wird von umschriebenen kleinen Heerden 
in der Peripherie des Augengrundes dargestellt; sie sind an sich so häufig 
und bei syphilitischen in dem späteren Verlauf der Erkrankung so gewöhn¬ 
lich, dass sie (ebenso wie die Verwachsungen des Pupillenrandes) in unklaren 
Fällen die Erkenntniss des Grundleidens zu stützen im Stande sind. Sie 
entstehen als rundliche zartmilchweisse Flecke der Netzhaut, 
an deren Gefässen, wie Beeren einer Dolde an den Stielen, haf¬ 
tend, werden später rosafarben, dann gelblich weiss, endlich rein weiss.“ 
„Trotz sorgfältiger Behandlung nimmt mitunter das Sehvermögen erheb¬ 
lich ab, der Sehnerv wird atrophisch, die Netzhautgefässe verengt, der Augen- 
gnind völlig verfärbt. Die Schwere der Erkraukung zeigt sich gelegentlich 
in dem Auftreten von Hirnerscheinungen, Schlaganfällen bei jugendlichen 
Kranken und selbst im tödtlichen Ausgang.“ 

„Ich habe schon hervorgehoben, dass die rundlichen Flecke Beziehun¬ 
gen zu den Netzhautgefässen besitzen; mitunter vermochte ich den nach 
unseren heutigen Vorstellungen von der Natur der Grundkrankheit und nach 
den ähnlichen Erfahrungen am Gehirn zu vermuthenden Ursprung der Ver¬ 
änderungen von den Netzhautarterien unzweifelhaft nachzuweisen (Endar- 
teritis retinae)“. 


sowie auf das Zusammenvorkommen beider hingewiesen. Hab in Zürich 
! machte 1886 eine Mittheilung, dass er die. syphilitische Arterienerkrankung 
; in der Netzhaut entdeckt habo; 1876 hatto bereits Hock davon gesprochen, und 
l 1882 beschrieb Vortr. einen Fall syphilitischer Netzhautarterienerkrankung. 

Herr Schweigger möchte zwei Formen auseinandergehalten wissen, 
die eine, die sich wesentlich kennzeichnet durch diffuse Trübung der Retina 
— eine Form, die Herr Schweigger mehr zu den frühzeitigen Formen 
rechnet — und die von Gräfe zuerst beschriebene recidivirende Form, die 
gewöhnlich — und wohl mit Recht — als Chorioiditis bezeichnet wird. Bei 
dieser Form geht im weiteren Verlauf die Netzhauttrübung zurück, und dem¬ 
entsprechend werden Chorioidealveränderungen sichtbar. Noch ist zu er¬ 
wähnen eine Form von syphilitischem centralem Gesichtsfelddefect, der 
meistens von vornherein in Form des sogen, positiven Skotoms auftritt. 
Diese positiven Skotome sind fast ausnahmslos bedingt durch Veränderungen 
der Retina und Chorioidea, während negative Skotome ausnahmlos durch 
Sehnervenveränderungen entstehen. Was den Zusammenhsng solcher Augen- 
affectionen mit dem Allgemeiuleiden anlangt, so wird derselbe wahrscheinlich 
in den meisten Fällen durch Gefässerkrankungen vermittelt. 

Herr Ostwaldt replicirte auf die Auslassungen der beiden Vorredner, 
abgesehen davon, dass seine Einwände thatsäcblich durchaus der Begründung 
entbehrten, der Form nach in einer so unqualificirbaren Weise, dass die Ge¬ 
sellschaft ihr Missfallen deutlich zu verstehen gab. Wir wollen hoffen und 
wünschen, dass eine derartige Discussionsweise, wie bisher, so auch ferner 
auf diesen Ausnahmefall beschränkt bleibt. 

2. Herr Landau: Ueber intermlttlrende Hydronephrose. Die Er¬ 
örterungen des Vortr. beschränken sich auf diejenigen Fälle von interraitti- 
render Hydronephrose, in denen mit einer an Gewissheit grenzenden Wahr¬ 
scheinlichkeit nur ein ideelles Hindemiss in der Hamexcretion angenommen 
werden kann, welches kommt und geht. Solche ideellen Hindernisse sind 
bekannt; der allermerkwürdigste Fall ist der neuerdings beobachtete Spas¬ 
mus dar Harnleiter, der sogar Anurie bedingen kann. Hier soll von zwei 
anderen Verschlussarten der Ureteren die Rede sein: Verschluss der Harn¬ 
leiter durch direkten Zug und Heranpressen derselben an den Arcus pubis 
und Verschluss durch Torsion einerseits, durch spitzwinkelige Insertion 
andererseits. Das erste Hinderniss, auf das Virchow zuerst 1846 aufmerk¬ 
sam gemacht hat, intra vitara zu beobachten, ist dem Vortr. bisher nicht 
möglich gewesen, es ist bei Erwägung der anatomischen Verhältnisse 
auch thatsächlch kaum anzunehmen, dass man jemals in der Lage sein 
wird — wie es Virchow an der Leiche demonstriren konnte —, intra 
vitam bei Prolapsus uteri zu constatiren, dass sich im Nierenbecken der 
Harn staut, weil die Ureteren au die Symphyse gedrückt werden. Die 
beiden anderen Hindernisse bedingen dagegen, wie Vortr. glaubt, ziem¬ 
lich häufig Hydronephrose. Dieselbe kommt in der Weise zustande, dass 
die Niere sich senkt, während der obere am Nierenbecken entspringende 
Theil des Harnleiters fixirt bleibt; der Harn bleibt solange gestaut, bis er 
bei horizontaler Lage des Patienten und Reposition der Niere ablaufen kann. 
So wiederholt sich das Spiel, bis die Elasticität des Nierenbeckens leidet 
und dieses zu einem grossen Sacke auswächst. 

Ein weitere Frage ist nun die: wie kommt die spitzwinkelige Insertion 
des Harnleiters zu Stande? Virchow hält sie für congenital, Simon ist 
der Meinung dass sie Folge der Hydronephrose, nicht Ursache derselben 
sei. Allein, wenn auch Simon den Nachweis führt, dass spitzwinkelige 
Insertion des Harnleiters als Folgeerscheinung einer Hydronephrose auftritt, 
wo vor dem Auftreten der Hydronephrose spitzwinkelige Insertion nicht 
bestand, so folgt daraus noch nicht, dass nicht umgekehrt eine primär 
bestehende spitzwinkelige Insertion des Harnleiters nicht auch die Ursache 
für Hydronephrose sein kann. Von einem congenitalen Vorkommen solcher 
spitzwinkeligen Insertion wird allerdings kaum in einer grosseu Zahl von 
Fällen die Rede sein können, sonst müsste ein solcher Befund bei Sectionen 
von Neugeborenen häufiger erhoben werden. Auffallend ist, dass sich solche 
Hydronephrosen vorzugsweise bei Frauen und vornehmlich auf der rechten 
Seite finden. Herr Landau nimmt als ätiologisches Moment für die Ent¬ 
stehung der spitzwinkeligen Insertion, resp. für die Möglichkeit der Knickung 
und Torsion des Harnleiters — und hierfür sprechen die fünf von ihm be¬ 
obachteten Fälle — bewegliche Nieren an. Senkt sich die Niere, so folgt 
der Harnleiter entweder mit, und es entsteht eine Krümmung oder Kuickung, 
oder er geht nicht mit, und es treten dann die oben geschilderten Verhält¬ 
nisse ein, die zur Bildung einer Hydronephrose führen. 

Was die Symptomatologie der intermittirenden Hydronephrose anlangt, 
so dürfte der einzelne Beobachter kaum in der Lage sein, ein einheitliches 
Bild der Erkrankung zu fixiren. In den fünf Fällen des Vortragenden klag¬ 
ten die Kranken übereinstimmend über zeitweises Unbehagen, über das Ge¬ 
fühl eines Fremdkörpers, sie hatten kaum ernstliche Beschwerden von seiten 
der Excretion oder Secretion. Die eine Patientin hatte Sehmerzanfalle, welche 
durchaus das Bild einer Nierenkolik boten. Im übrigen waren die angege¬ 
benen Zeichen so verschwommen, dass sie ebensogut auf eine hysterische 
Affectiou oder auf eine leichte Gallensteinkolik oder auf etwas Aehnliches 
bezogen werden konnten. Naturgemäss sind die objectiven Symptome im 
Anfang gleichfalls in keiner Weise eclatant. Erst wenn das Leiden einen 
solchen Grad erreicht hat, dass objectiv das Vorhandensein eines Tumors 
constatirt werden kann, wird man eine Hydronephrose diagnosticiren können, 
die sich dann aus den Angaben noch durch fortgesetzte Beobachtung der 
Kranken als eine interraittireude erschliessen lässt. Aber selbst angenommen, 
dass das Vorhaudensein eines Tumors feststeht, so lassen doch häufig noch 
die diagnostischen Hülfsmittel im Stich. Vortr. konnte in seinen sämmt- 
lichen fünf Fällen — entgegen den bisherigen Angaben — niemals Fluc- 
tuation wahrnehraen, im Gegentheil die Tumoren zeichneten sich durch grosse 
Härte aus, und was die Probepunction anlangt, so darf man nicht immer 
erwarten, dass der Inhalt des hydronephrotischen Sackes Harnbestandtheile 
ergiebt Wenu der Harn über eine gewisse Zeit stagnirt hat, werden seine 
Harnbestandtheile resorbirt, und die Puuction ergiebt ganz dieselbe wasser¬ 
helle, von Formbestandtheilen freie, chemisch nicht charakterisirbare Flüssig- 


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886 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43 


keit, wie ein Echinococcensack. Nur in zwei von seinen Fällen konnte Vortr. 
Harnhestandtheile nachweisen, einmal Harnstoff, das andere Mal Harn¬ 
säure. Einigen Anhalt giebt hier und da die Roaction der Flüssigkeit; wenn 
sie sauer reagirt. handelt- es sich sicher um Harn, weil im Organismus 
sonst keine Flüssigkeit vorkommt, welche diese Reaction hat. 

Zu der Frage der Therapie steht Vortr. so, dass er die Nephrektomie 
von vornherein für contraindicirt hält. An sich ist eine Hydronephrose 
einer Niere kein unbedingt gefahrbringendes Ereigniss. Ganz unbedenklich 
ist sie jedoch keineswegs. Vortr. sah in einem Falle eine Pyonephrose aus 
derselben werden. Jede intermittirende Hydronephrose kann sich ferner in 
eine dauernde verwandeln, und dann liegt in der Erkrankung auch der 
anderen Niere eine direkte Lebensgefahr vor. Deshalb darf man, sowie sich 
bedenkliche Erscheinungen bemerkbar machen, vor einem operativen Eingriff 
nicht zurückschrecken. Vortr. hat in zwei Fällen eine Nierenbecken-Bauch- 
fistel angelegt, die in einem Falle schon acht Jahre ohne weiteren Nachtheil 
besteht, in dem anderen Falle geheilt ist und zur Beseitigung der Hydrone¬ 
phrose geführt hat. Als eine zweite erfolgverheissende Operation dürfte hier 
die Annähung des hydronephrotischen Sackes analog dem Hahn’schen 
Verfahren in’s Auge zu fassen sein. Zwei von den Patientinnen des Vortr. 
konnten durch Hochlagerung des Körpers den Inhalt des Nierensackes voll¬ 
kommen in die Blase entleeren, was auf die Möglichkeit einer geeigneten 
orthopädischen Behandlung hinweist. Beide Kranke sind noch in Beobachtung. 

Die Discussion über den Vortrag des Herrn Landau wird vertagt. 


IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 1. Mai 1888. 

Vorsitzender; Herr Schede; Schriftführer: Herr Nonne. 

1. Herr Krukenberg demonstrirt ein Präparat von einem 
Falle eines intra vitam erkannten Situs transversus viscerum. 
Der betreffende Kranke, der wegen einer fötiden Bronchitis in das 
allgemeine Krankenhaus aufgenommen wurde, war sonst wohlgebaut 
und nicht linkshändig Drei Kinder desselben zeigten normale 
Lage der Eingeweide. Die Diagnose war dadurch erschwert, dass 
Lungenemphysem bestand, wodurch rechterseits die Herzdämpfung 
vollständig verdeckt war, während links an der Stelle der nor¬ 
malen Herzdämpfung eine auf einer hier gelegenen Verdichtung der 
Lunge beruhende Dämpfung vorhanden war. Die Section bestätigte 
die Annahme und vollständigen Situs transversus der sonst wohl 
ausgebildeten Brust- und Baucheiugeweide. 

Die bis jetzt aufgestellten Theorieen zur Erklärung des Situs 
transversus hält Krukenberg für unzureichend, da sie, wie schon 
Köster hervorgehoben hat, in einem zu späten Entwickelungs¬ 
stadium einsetzen. Um die Zeit der ersten Anlage des Situs trans¬ 
versus zu bestimmen, muss man die Fälle mit in Betracht ziehen, 
wo sich ausserdem noch weitere Missbildungen finden. Da, wo sich 
diese aceidentellen Missbildungen ausbildeteu, war jedenfalls auch 
schon der Keim zu dem Situs transversus gelegt. Fälle, in denen 
sich neben Heterotaxie noch Fehlen der Niere auf der einen Seite 
und mit einander verwachsene Nieren auf der anderen Seite oder 
nur ein Herzventrikel und dergleichen finden, weisen entschieden 
darauf hin, dass der Situs transversus aus einem früheren Ent¬ 
wickelungsstadium datirt, als eine abnorme Drehung der Nabel¬ 
schnur (Virchow) oder eine abnorme seitliche Lagerung des 
Dotterbläschens (Schnitze). Letzteres sind secundäre Theil- 
erscheinungen des Situs transversus. 

2. Herr Fränkel spricht unter Demonstration einschlägiger 
Präparate über Erkrankung der Schilddrüse und erörtert zu¬ 
nächst die im Anschluss an bestehenden Kropf sich ent¬ 
wickelnden respiratorischen Stenosen. Ein grosser Theil der¬ 
selben ist nach Fränkel bedingt durch Druck der Struma auf den 
N. recurrens vagi, der ja die Eigentümlichkeit hat, auf eine ihn 
betreffende Compression so zu reagiren, dass zunächst, was jetzt als 
endgiltig bewiesen angesehen werden darf, die für den Glottis¬ 
erweiterer bestimmten Fasern erlahmen. Bei Druck auf beide 
Kecurrentes entwickelt sich so, und zwar unter Umständen in höchst 
acuter Weise, Glottisschluss, und Fränkel ist geneigt, eine Anzahl 
der als Kropftod bekannten Fälle auf dieses verhängnissvolle Er¬ 
eigniss zuriiekzufuhreu. Die in Rede stehenden Fälle unterscheiden 
sich demnach von jenen anderen, bei denen das Athemhinder- 
niss unterhalb der Glottis, in der Trachea liegt und zu- 
sammeuhängt mit der als Säbelscheiden-Trachea bekannten 
Formveränderung der Luftröhre. 

Man findet nun vielfach die Anschauung verbreitet, dass als 
Vorbedingung für das Zustandekommen dieser Luftröhrendifformität 
eine Erweichung der Trachealringe vorhanden sein muss; indess es 
ist das entschieden unrichtig, und Fränkel behauptet, dass diese 
Chondromalacia trachealis bei Säbelscheiden-Trachea 
mindestens ebenso häufig fehlt, als sie vorhanden ist. 
Ja, man kann sich sogar davon überzeugen, dass bei der genannten 
Form Veränderung der Trachea die Trachealringe an Consi- 
stenz nicht nur nicht ab-, sondern sogar zugenommen haben, 
ohne an Elasticität einzubüssen. Im Gegentheil, wenn man 
sich bemüht, die Knickung durch Zug auszugleichen, dann gelingt 


das nicht, ohne dass man einen Widerstand zu überwinden hat, und 
bei Nachlass des Zuges fahren die Trachealwände nach der ge¬ 
knickten Stelle zurück (Demonstration). 

Fränkel hält es für wahrscheinlich, dass die Erweichungs- 
Vorgänge an den Trachealringen nicht die Ursache, sondern 
die Folge der Knickung sind und auf durch die Knickung 
wohl zweifellos veranlassten Circulations- und Ernährungsstörungen 
beruhen. Als Stütze für diese Anschauung legt. Fränkel ein 
Präparat vor, an welchem jenseits der Knickungsstelle, um 
Uebergang der seitlichen in die hintere Trachealwand, die Schleim¬ 
haut tiefe Usuren zeigt, welche, symmetrisch beiderseits in den 
Zwischenräumen zwischen den Trachealringen und diesen parallel 
verlaufend, der Mucosa ein gegittertes Aussehen verleihen; die von 
den Sch leimhau tdefecten aus sicht- und fühlbaren peripheren Ab¬ 
schnitte der Trachealringe sind gelblich gefärbt und weicher als 
die Knorpelpartieen am Knickungswinkel. 

An eine Rückbildung der geschilderten Veränderungen, ins¬ 
besondere wenn es zur Knorpelerweichung gekommen ist, ist kaum 
zu denken, und die betreffenden Patienten sind eveut. zum dauern¬ 
den Tragen einer Canüle, auch nach Beseitigung des Gruudübels. 
genöthigt. In dieser Beziehung verhalten sich die in die erste 
Kategorie (Respirationshinderniss durch Posticuslähmuug) gehörigen 
Fälle günstiger; Fränkel hat sich mehrfach durch klinische Be¬ 
obachtung davon überzeugen können, dass nach Beseitigung der 
Struma auch die durch Recurrenscompression ausgelöste Lähmung 
der Glottiserweiterer völlig rückgängig geworden ist. Selbstverständ¬ 
lich darf der Nerv nicht zu lange unter dem Druck der Struma 
gestanden haben, weil sich sonst degenerative Veränderungen ent¬ 
wickeln, welche einer Reparation nicht mehr fähig sind. 

Gegenüber diesen auf rein örtliche Organläsionen zu beziehenden 
Symptomen sind Allgemeinerscheinungen im Gefolge von gewöhn¬ 
lichen Strumen nur selten beobachtet, und Fränkel erwähnt in 
diesem Sinne den berühmten Cohnheim 5 sehen Fall, in welchem 
ein einfacher Gallertkropf zur Metastasenbidung Anlass gegeben 
hatte. Die letztere findet sich dagegen häufig im Verlauf der 
malignen sowohl sarkomatösen als carcinomatösen Stru¬ 
men, welche sich ausserdem durch die Neigung, frühzeitig sehr 
feste Verwachsungen mit Nachbarorganen (Trachea, Nerven. 
Gefässe) einzugehen, auszeichnen. Die maligne Neubildung kann 
sich übrigens auch in einer nicht strumös vergrösserten Schilddrüse 
entwickeln. Fränkel legt als Illustration ein Präparat m 
medullärem Rundzellensarkom der Schilddrüse vor, welches «xbr 
mässigen Metastasen nach den Lungen Anlass gegeben hatte. e> 
bestand in dem Falle ausserdem ein fester, obturirender Thrombu? 
an der Vereinigungsstelle der rechten Ven. jugularis und subclavia 
mit consecutivem Oedem des rechten Arms und hochgradigem Oedem 

der ary-epiglottischen Falten, welches in letzter Instanz den Tod der 

jugendlichen Patientin herbeigeführt hatte. 

In Bezug auf die Therapie warnt Fränkel vor Jod 
injectionen in solchen Fällen, für welche die Exstirpa¬ 
tion in Aussicht genommen ist, da im Gefolge der Injectionen 
entzündliche Processe entstehen, welche zu ausserordentlich fester 
Verlöthung der Struma mit der Umgebung führen und die Exstir¬ 
pation erheblich erschweren, und empfiehlt eine, soviel ihm be¬ 
kannt, von M. Schmidt (Frankfurt) angegebene Methode, welche 
in der innerlichen Anwendung von Jodkalium, der Aufpinselun« 
von Jodtinctur und einer consequenten Application von Eis- 
während mehrerer Stunden am Tage und durch Wochen fortgesetzt 
besteht. Fränkel hat damit, namentlich bei weichen Kröpteu 
jugendlicher Individuen, vortreffliche Resultate erhalten und ins¬ 
besondere auch das Zurückgehen von durch Posticuslähmuug be¬ 
dingten Respirationsstenosen beobachtet. 

Fränkel legt ferner ein Präparat von Struma pe trificata. 
welche einen zufälligen Sectionsbefund darstellt, vor, und endlicn 
ein Präparat von Abscessbildung in beiden Schilddrüsen¬ 
lappen. Es ist dieses Ereigniss im Verlauf der letzten Typnu>- 
epidemie einzelne Male beobachtet worden. Der Fall, von welchem 
das vorliegende Präparat stammt (Abtheilung des Herrn Direktor 
Curschmann) ist ätiologisch insofern nicht eindeutig, als es sic 
um eine Puerpera, welche Typhus überstanden hatte und i 
Puerperium zu Grunde gegangen war, handelt. Jedenfalls aber h 
man es hier mit einer secundären Abscedirung einer nie 
vergrösserten Schilddrüse (Thyreiditis suppurativa) zu thun; 

Eiter enthielt keine specifischen Mikroorganismen, sondern nur Loco 

3. Herr Felix Wolff beendet seinen Vortrag über di fl 
demisohe Cerebrospinalmeningitia in Hamburg- (U er .. 
trag ist im Zusammenhang in No. 38, p. 771 dieser Wochensc 
veröffentlicht.) 

Herr Herschel bemerkt zu dem Vortrage des Herrn ^°! , 

Redner habe das Sättigungsdeflcit als den „Factor“ der Cerebrospinalme 
hingestellt. Da man absolut nicht wisse, welchen Umständen dasJ*. j B 
und Absinken der Krankheit zu verdanken sei, so sei auch Keun 


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25. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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grosser Verlegenheit gewesen. Um sich nun zu helfen, habe er Umschau 
gehalten, ob er in irgend einem ausserhalb der Krankheit liegenden Ver¬ 
hältnisse Ziffern finden konnte, welche zeitlich mit der Zahl der Erkrankungs¬ 
fälle zusaminenfielen. Aus einer unbegrenzten Anzahl von Möglichkeiten, aus 
welchen eine derartige Gleichmässigkeit der Curven construirt werden konnte, 
sei er zufälliger Weise auf das unglückliche „Sättigungsdeficit“ verfallen. 
Da dessen Curve mit der Meningitiscurve einigermaassen übereiustimme, 
so habe Redner beide durch eine Verticale verbunden. Diese Verticale 
besage, beide Curven stehen nun in einem unabänderlichen und unauflös¬ 
lichen Abhängigkeitsverhältnisse. Nicht nur das. Redner sei soweit gegangen, 
nach Beendigung der Verbindung beider Curven durch eine Verticale, zu 
behaupten die oben stehende Curve sei der „Factor“ der darunter befind¬ 
lichen Meningitiscurve. Es sei dies eine so positive Bezeichnung, dass die¬ 
selbe doch nur dann eine Berechtigung haben dürfte, wenn es dem Redner 
gelungen wäre, ein bis an die Grenze des Unumstösslichen reichendes Gesetz 
zu construiren. Seine Meinung aber wäre von einer „Hypothese“ noch 
meilenweit entfernt. 

Eine derartige Construction sei aber für eine unbegrenzte Möglichkeit 
von tellurischen und atmosphärischen Verhältnissen gegeben gewesen. Er 
erinnert nur an die kürzlich im Vereine vorgezeigten Curven der Höhen 
der Flutwellen und Tiefe der Ebbethäler im hiesigen Hafen, welche mit 
den Curven der Typhusfrequenz in Zusammenhang gebracht worden seien. 
Er frage den Redner, ob er auch zwischen Ebbe und Fluth und Meningitis 
eine Aehnlickeit herausfinden konnte. 

Fernerhin aber sei der Meningitis noch der weitere Zwang auferlegt 
worden, sich nur an das Sättigungsdeficit um 8 Uhr Morgens zu binden. 
Weshalb sei nur diese Zeit die maassgebende. Es habe dem Redner eon- 
vonirt, aus den 1440 Minuten des Tages sich gerade diese 5 Minuten am 
Morgen für seine Bestimmungen zu wählen, und so sei die Krankheit ge¬ 
zwungen worden, sich an die Feuchtigkeit der Luft zwischen 8 Uhr und 
8 Uhr 5 Minuten Morgens zu halten, während jene an den übrigen Tages¬ 
zeiten absolut belanglos sei. Man brauche aber den Hamburgern kaum vor¬ 
zuhalten, wie unendlich wechselvoll der Feuchtigkeitsgehalt der Luft binnen 
24 Stunden hier sei. 

Ferner habe Redner in seinem Vortrage für gut befunden, eine Schule 
für die Propagirung der Meniugitiskeiine verantwortlich zu machen. Da 
dieselbe in der Strasse der „grossen Drebbahn“ sich befunden habe, in 
welcher noch andere Krankheiten Vorkommen, so sei dies der Grund, dass 
2 Schüler, welche täglich 3 Stunden lang im Schullocale sich aufhielten, 
daselbst inficirt wurden. Er frage den Redner, ob denn festgestellt sei, 
dass Personen, welche sich Tag und Nacht daselbst aufgehalten hätten, wie 
der Schuldiener und dessen Familie, von der Erkrankung befallen worden 
seien. Dies scheine nicht der Fall gewesen zu sein. Plausibler erscheint 
die Annahme, dass die Schüler eher unter den Einfluss ihrer elterlichen 
Wohnungen gestellt seien. Redner glaubte einen solchen ausschliessen zu 
sollen, da dieselben in Pöseldorf gelegen seien, das frei von Erkrankungen 
nach des Redners Ansicht geblieben sein solle. Nun sei er aber im Stande, 
dem Redner allein 3 Fälle von Cerebrospinalmeningitis aus seiner nächsten 
Nachbarschaft in Pöseldorf namhaft zu machen. 

Er hätte gewünscht, Redner sei mit seiner Beschuldigung vorsichtiger 
gewesen. Gerede die Aerzte hätten sich zu hüten, in den allgemeinen Ruf, 
der täglich auf dem Markte und den Strassen vom Volke ertöne: „Nur die 
Schulen seien an allen Krankheiten Schuld“ mit einzustimmen, namentlich 
wo es sich um absolut unbewiesene Verhältnisse handle. 

Noch auf einen Umstand müsse er aufmerksam machen. Wenn Redner 
einen mehrstündigen Aufenthalt in der inficirten Strasse der „Drehbahn“ 
für so günstig gehalten habe zur Acquirirung der Erkrankung, so seien aus 
diesem Grunde Tausende von Hamburgern gefährdet gewesen. Das Stadt¬ 
theater liege unmittelbar an der „grossen Drehbahn“, und so hätte dies 
ebenso gut, wie die Schule unter ihren Schülern, unter ihren Angestellten und 
Besuchern die Krankheit verbreiten müssen. Er frage den Redner, ob ihm 
das Stadttheater vielleicht immun erschienen sei, und ob ihm Beispiele be¬ 
kannt geworden seien, in welchen das Entstehen der Krankheit dem Besuche 
des Stadttheaters zuzuschreiben gewesen sei. 

Herr Wolff will auch nur dem Grund und Boden, auf dom die 
Schule steht, Schuld geben; der Zeitpunkt Morgens 8 Uhr ist der allgemein 
von Metereologen gewählte. Vortragender hat trotz eifriger Bemühungen bei 
anderen Curven, ausser den in Rede stehenden beiden eben keinen Paralle¬ 
lismus finden können. 

Herr Voigt vermisst, auf der Karte die Aufzeichnung vereinzelter ihm 
bekannter Fälle und ist der Ansicht, dass nicht alle Erkrankungen mit der 
nöthigen Regelmässigkeit gemeldet werden; zuverlässiger seien die Mel¬ 
dungen der Meningitistodcsfälle. Herr Voigt fragt den Vortragenden, ob 
bei alleiniger Berücksichtigung der Todesfälle die Verkeilung der Erkran¬ 
kungen in der Stadt dieselbe sei. 

Herr F. Wolff gesteht die Berechtigung dieser Einwände zu, vermag 
die Frage momentan nicht zu beantworten, will in dieser Richtung aber 
seine Arbeit vervollständigen. — Uebrigens liegt die von Herrn Voigt ge¬ 
wünschte Bestätigung der Verkeilung der Erkrankungen darin, dass die 
Krankenhausfälle allein in der beschriebenen Weise vertheilt waren, die 
übrigen dem Medicinalbureau gemeldeten Fälle diese Verkeilung bestätigten. 

X. Wiener medicinischesDoctoren-Collegium. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 15. October 1888. 

Vorsitzender: Herr Reder. 

Herr Schnitzler: Zur Frage der endolarjngealen Behandlung 
des Kehlkopfkrebses. Redner berichtet über einen Fall von Kehlkopfkrebs, 
der vor mehr als 20 Jahren von ihm operirt wurde; die Trägerin dieses 
Leidens, die damals schon dem baldigen Tode unrettbar verfallen schien, 
wandelt noch heute unter den Lebenden. Es handelt sich um eine Patien¬ 


tin, die zum ersten Male im Juli 1867 in die Behandlung des Vortragenden 
gekommen war, nachdem sie von Türck zweimal ohne Erfolg operirt worden 
war. Ihre Leiden hatten im Jahre 1865 mit Heiserkeit und Husten begon¬ 
nen ; die Beschwerden steigerten sich derart, dass sie ihren Beruf als Schau¬ 
spielerin aufgeben musste. Pat. war anämisch, abgemagert, hustete und 
hatte Athembeschwerden, so dass sie den Eindruck einer Phthisikerin machte. 
Die Untersuchung der Lunge ergab jedoch nichts Abnormes. Die Stimm¬ 
bänder waren geröthet und verdickt, am inneren Rande derselben theils 
mattgraue, theils geröthete kleinere und grössere Wucherungen von körnigem 
Aussehen, die besonders am rechten Stimmbande fast den ganzen freien 
Rand einnahmen und das Lumen der Glottis um so mehr beengten, als die 
Stimmbänder nur geringe Ezcursionen machten. Die aus diesem Bilde ge¬ 
stellte Diagnose Epitheliom wurde durch die von den Assistenten Roki- 
tansky’s, DDr. Biesadecki und Scheuthauer, durchgeführte mikrosko¬ 
pische Untersuchung eines exstirpirten Partikelchens der Geschwulst vollauf 
bestätigt. Die gleiche Diagnose hatte auch Türck gestellt, und diese wurde 
ebenfalls durch die Untersuchung der exstirpirten Partieen von W edl be¬ 
stätigt. 

Die Kranke wurde auf der Oppolzer’schen Klinik in mehreren Sitzungen 
mittelst Galvanocaustik so lange und so oft operirt, bis sich Redner des Er¬ 
folges wenigstens für einige Zeit sicher glaubte. Die Stimmbänder waren 
nach wiederholtem energischem Brennen mit dem Glühdraht zu förmlichen 
Narbensträngeu umgewandelt, man sah nichts vom Neugebilde, aber auch 
nicht, viel mehr von dem normalen Gewebe der Stimmbänder. Nachdem 
Pat. bis auf die Heiserkeit sich vollständig geheilt glaubte, verliess sie Wien. 

Am 13. September kam Pat. von Prag zu dem Vortragenden, welcher bei 
genauer Untersuchung Folgendes constatiren konnte: Die Krankheit sah ver- 
hältnissraässig gut aus, doch fiel beim Sprechen ihre heisere Stimme sofort 
auf. Sie hatte jenen eigenthümlicben Fistelton, der für einseitige Stimmband¬ 
lähmung fast charakteristisch ist. Thatsächlich erzählte Pat., dass sie in 
den letzten Jahren wiederholt wegen Stimmbandlähmung elektrisirt wurde. 
Bei der laryngoskopischen Untersuchung fand sich auch eine schon vermin¬ 
derte Beweglichkeit des rechten Stimmbandes; doch war diese nicht als Pa¬ 
ralyse im strengeren Sinne des Wortes, d. h. nicht als neuropathische Läh¬ 
mung, sondern mehr als mechanisch behinderte Beweglichkeit aufzufassen, 
indem sich bei genauerer Prüfung der rechte Aryknorpel vergrössert und in 
seiner Form verändert zeigte, das rechte Stimmband selbst aber bedeutend 
verschmälert und weit dünner als das linke erschien, dasselbe war zugleich 
vom Taschenbande meist so überdeckt, dass man es nur schwer zu Gesichte 
bekam. Die naheliegende Idee, dass das Taschenband .selbst verdickt sein 
und so das Stimmband theilweise verbergen dürfte, erwies sich bei näherer 
Prüfung unberechtigt, indem, wie sich dies bei genauer Untersuchung 
mittelst Sonnenlichtes zeigte, thatsächlich das Stimmband selbst schmäler 
und dünner war, ein Zustand, der ebenso wie die Formveränderung 
und die verminderte Beweglichheit des rechten Aryknorpels unstreitig 
auf den früher beschriebenen, nunmehr längst abgelaufenen Process 
zurückzuführen war. Die Heilung war somit eine vollkommene. Aus dieser 
Beobachtung lässt sich der Schluss ziehen, dass der Kehlkopfkrebs nicht 
schon von vornherein eine Gegenanzeige für jede endolaryngeale Behandlung 
bildet, und nicht schon jeder Versuch, die Neubildung auf endolaryngealem 
Wege zu entfernen, als ärztlicher Kunstfehler angesehen werden darf, wie 
dies jetzt so vielfach behauptet wird. Redner spricht sich vielmehr dahin 
aus, dass man selbst bei bösartigen Neubildungen im Kehlkopfe immer erst 
diese auf dem natürlichen Wege, d. h. ohne blutige Eröffnung der Luftwege, 
zu entfernen suchen sollte, indem damit durchaus nicht geschadet wird, 
wenn nur der Eingriff rechtzeitig und richtig geschieht. Ein Erfolg kann 
selbstverständlich nur dann mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden, 
wenn das Leiden noch localisirt ist, so lange das Neugebilde nicht zerfallen, 
und der Krankheitsstoff noch nicht bis in die angrenzenden Lymphdrüsen 
gedrungen ist; ebenso selbstverständlich ist. es, dass nicht nur das Neu¬ 
gebilde gründlich entfernt, sondern auch der Boden, auf dem dieses ge¬ 
wuchert hat, möglichst zerstört werden muss. Dazu eignet sich am besten 
die Galvanocaustik. Wohl darf man sich keinen überschwenglichen Hoff¬ 
nungen hingeben, aber in einzelnen Fällen gelingt es immerhin, in dieser 
Weise das Leben des Kranken um Monate, um Jahre zu verlängern, und 
mehr erreicht man ja bei der extralaryngealen Behandlung auch nicht; weder 
durch die partielle Resection, noch durch die totale Exstirpation des Larynx. 

Was die Umwandlung gutartiger Neubildungen in bösartige durch 
Reizung betrifft, so stellt Redner nicht in Abredo, dass einzelne Fälle Vor¬ 
kommen, wo vielleicht ein früher gutartiges Neugebilde in ein bösartiges 
umgewandelt wurde, doch ist ein solches Vorkommen jedenfalls höchst selten, 
indem er unter hunderten von Fällen dasselbe nur etwa 3 mal mit Sicherheit 
constatiren konnte, und da müsse man sich noch fragen ob nicht schon ur¬ 
sprünglich der Keim zur bösartigen Wucherung vorhanden gewesen sei. 
Am meisten spricht aber gegen die Umwandlung gutartiger Neubildungen in 
bösartige die Erfahrung, die wir bei der Behandlung der Nasenrachenkrank¬ 
heiten machen, wo, trotzdem diese Leiden so viel mittelst Galvanocaustik be¬ 
handelt werden, man doch nie einen derartigen durch Aetzen und Brennen 
hervorgerufenen Umwandlungsprocess mit Sicherheit constatirt hat. M. 


XI. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte, Köln 18.—23. Sept. 1888. 

(Originalbericht.) 

Vorträge in den aUgemeinen Sitzungen. 

Der erste Vortrag in der zweiten allgemeinen Sitzung wurde von dem 
Berliner ausgezeichneten Anatomen Prof. Waldeyer Aber das Stadium 
der Medicin und die Frauen gehalten. Er behandelte sein Thema beson¬ 
ders vom naturwissenschaftlichen Standpunkte aus und brachte in dieser 
Beziehung manches Neue, obgleich das Thema sonst in den letzten Jahr¬ 
zehnten schon vielfach behandelt worden, ln einer langen historischen Ein- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43 


leitung, die theilweiso Altbekanntes brachte, suchte Redner zunächst nach- Studium und die Ausübung der Medicin durch die Frauen) das (um 130 bis 

zuweisen, dass nur irrthümlich angenommen werde, es hätten die Frauen 150 g) grössere absolute Hirngewicht dei Männer betont. Damals hatte Prof, 

im Alterthume und Mittelalter, wenigstens bei allen Culturvölkem, nicht Rüdinger in München freilich noch nicht die Thatsache aufgedeckt, dass 

ungehindert Gelegenheit gehabt, sich in Kunst und Wissenschaft auszu- beim männlichen Geschlecht die Hirnwindungen, selbst beim Neuge- 

zeichnen, ja die höchsten Stollen im Staate als Regentinnen und Mitregen- borenen, schon deutlich mehr entwickelt sind, und damit eine Vergrösserun; 

tinnen, ja selbst als Ileerführerinnen zu erreichen, wenn auch die Frage der Oberfläche der grauen Substanz gegeben ist, die man als Sitz der In 
der allgemeinen „Frauenemaneipation“ erst seit der französischen Revolution, telligenz annimmt. 

vorzugsweise in unserem Jahrhundert, angeregt worden sei. Aber aus diesen Verschiedenheiten schliesst Waldeyer noch nicht auf 

Bis zur Gegenwart seien in vereinzelten Fällen Frauen von den ver- eine geistige Unterordnung des Weibes, denn wenn der Mann auch mehr zur 

schiedensten Universitäten mit dem Doctorhute ausgezeichnet worden, doch Initiative, zur Tbat, zur Production neuer Gedanken und Ideen neigt, k 

sei erst seit ca. 1870 ein Massenandrang von Frauen zum Studium der Me- doch die Psyche des Weibes wieder nach vielen anderen Seiten reicher hean- 

dicin, namentlich aus Russland, vereinzelt aus England und Amerika, und lagt. Aber das Experiment vieler Jahrtausende lehrt, dass der Mann mehr 

zwar besonders nach Zürich, erfolgt, wo aber mit wenigen Ausnahmen das befähigt ist, eine Wissenschaft und Kunst höher zu treiben und rascher v. 
Resultat so unbefriedigend war, dass die russische Regierung ihre Unter- fördern, und deshalb muss man im Interesse der Wissenschaft selbst *ün 

thaninnen zurückberief, und die Universitäten Strassburg, Rostock, Giessen sehen, dass die Medicin, wie bisher bei den Culturvölkem, in den Händeu 

und Erlangen die Ausbildung von Studentinnen ablehnten. der Männer bleibt. 

Obgleich nun Waldeyer vollkommen zugiebt, dass ein wohlberech- Was kann es aber schaden, sagen die Freunde der Frauenemancipatiiiii. 

tigter Trieb nach erweiterter Erwerbsfähigkeit. auf welchen der Staat Rück- wenn neben den Männern auch einige Tausend Frauen den ärztlichen Rem! 

sicht nehmen müsse, die Frauen zum Studium der Medicin treibe, da die ausüben? Der Staat hat keinerlei Interesse daran, da eher Ueberfluss al> 

Aussicht zur Erfüllung des vornehmsten Berufes der Frauen, der Ehe und Mangel an jungen Männern besteht, die Medicin studiren, und wenn da> 

der Kindererziehung, bei Weitem nicht für Alle eine gesicherte sei, ver- Studium der Medicin den Frauen freigegeben würde, was grosse Kosten 

weigert er doch den Frauen den Eintritt in den ärztlichen Stand, und verursachen würde, da sie wegen zahlreicher Bedenken nicht zusammen 

zwar im Interesse der Wissenschaft, der Frauen selbst, und der mit Männern das Studium betreiben könnten, würden bald weniger Männe: 

gesammten Menschheit. Medicin studiren und damit eine langsamere Förderung der Wissenschaft 

Wenn auch seit der Urzeit den Frauen die Ausübung der Heilkunde, eintreten, die doch erst in ihren Anfängen stehe, trotz unleugbarer grosser 

lange Zeit sogar ausschliesslich, anheimfiel, und sie Jahrtausende lang Fortschritte, und erst seit Kurzem eine echte Naturwissenschaft geworden, 

allein Geburtshälfe trieben und Frauenkrankheiten behandelten, ist doch Aehnlich spreche sich auch Karl Vogt in Genf aus seiner reichen Er- 

nach dem Urtheile des bedeutenden Frauenarztes Prof. Dr. Freund in fahrung in der Schweiz, wo gegenwärtig 155 Frauen (66 in Zürich, 57 n 

.Strassburg Alles, was die heutige Geburtshülfe als Wissenschaft und Kunst Bern, 32 in Genf) Medicin studiren, aus. Er sagt, die Frauen halten >i:i 

stempelt, erst das Ergebniss männlicher Arbeit und Forschung. Die wenig- im Allgemeinen in den Vorlesungen musterhaft, und es komme nnr seit« 

sten Frauen haben es auf diesem Gebiete über geschickte Handleistungeu zu Unzuträglichkeiten durch das gemeinsame Hören mit Männern, hi' 

hinausgebracht. Auch in den verschiedensten Künsten, welche die Frauen Frauen zeigen für das Gewöhnliche ein leichtes Auffassungsvermögen, gute* 

doch zu allen Zeiten betrieben, haben sie es nie zu bahnbrechenden Lei- Gedächtniss, musterhaften Fleiss. Aber — dabei bleibe es auch. Ei* 

stungen gebracht. Kein Kunstwerk einer Frau stehe in erster Reihe; Querfrage bringe sie meist aus der Fassung. Man erhalte bei den Prüfung«, 

kein Musikstück, nicht ein kleines Lied von bleibendem Werthe sei von nur dann gute Resultate, wenn man im Gleise des Vorgetragenen bleik 

einer Frau geschallen, obwohl doch wahrlich sattsam Musik von ihnen ge- „Es ist sehr merkwürdig, sagt Karl Vogt, aber Resultat der Erfahrur:: 

trieben wird. in allen unseren Laboratorien, chemischen wie anatomischen und mikro>t- 

Waldey er bestritt nun noch weiter mit geschichtlichen Daten, wie pischen: Die Damen sind ungeschickt mit ihren Händen, unfähig sich seihe 

mir scheinen wollte, aber doch nicht mit überzeugenden Beweisen, dass die zu helfen, wenn sie auf irgend eine Schwierigkeit stossen. Die Assistestec 

Stellung der Frauen, wenigstens bei den Culturvölkem, eine ungünstigere, den Laboratorien klagen einstimmig ihre Noth; sie werden mit Irapt 
als die der Männer gewesen sei, was allerdings sie hätte hindern können, über die geringsten Dinge verfolgt und haben mit einer Dame mehr Arb 1 .' 

in socialer und wissenschaftlicher Beziehung ähnliche Erfolge, wie die als mit drei Studenten. ^ Es giebt selbstverständlich Ausnahmen, aber <ft* 

Männer im Gebiete der ihnen völlig frei gegebenen Kunst- und Wissens- bleiben Ausnahmen.“ 

zweige zu erreichen. Hätten seit ältesten Zeiten Frauen (doch nur sehr Die Ablehnung des frauenärztlichen Studiums mit Rücksicht auf !;o 

ausnahmsweise!) zur Herrscher- ja zur Feldherrnwürde gelangen können, Frauen selbst führt Waldeyer auf folgende Gründe zurück: In allen ff 

so sei nicht einzusehen, was ihnen in politischer und socialer Hinsicht bildeten Classen geniesst die Frau bei allen Culturvölkem hohe Jrto 

fehlte. Das kunstliebende und politisirende Hetärenthum Athens zur Zeit und Rücksichtnahme, man überlässt ihr das Führeramt in Haus 

von dessen höchster Kunst- und Wissensblüthe beweise, dass damals, milie, wenn sie raii de dessen waltet. Es ist richtig, die Er««- 

selbst in dem jonischen, der Frauenemaneipation wenig holden Attika, den heit und die sociale Stellung der Frauen aller Schichten mehrnbieu 
Frauen alle Unterrichtsmittel ohne Einschränkung zu Gebote standen. und zu bessern, aber — „wenn die Frau in Allem die Weit 

Freier noch war die Stellung der Frauen bei den Dorern und Aeolern, Mannes wandeln will, dann wird der Platz für beide zn en 5 

und bei den Lacedämoniern erstreckte sich diese Freiheit sogar in bedenk- Dann greift statt Fürsorge unerbittlich die Concurrenz ein, und überall *■' 

lichster Weise auf das Eheverhältniss und führte zu schlimmen Aus- ist das Weib unterlegen, wo Mann und Frau in freiem Wettbetriebe iut 

schreitungen. demselben Felde stritten. Ein Rückschritt, nicht ein Fortschritt in der'»e- 

Auch in dem noch sittenstrengen Rom konnte der ältere Cato bei samratstellung des Weibes würde die Folge sein. Auch die anderen sin¬ 
der Frauenrevulotion gegen das Oppische Kleidergesetz sagen: „Allo Männer schaftlichen Berufe, einschliesslich der Theologie, trotz des mulier taceat in 

herrschen über ihre Weiber, wir herrschen über alle Menschen, über uns ecclesia müssten dann den Frauen geöffnet werden, denn für jede Wi*«.- 

aber unsere Weiber“. Schaft hätten sie dieselbe, freilich geringere Beanlagung, wie für die **■ 

Später, in der römischen Kaiserzeit, einem Zeitraum von ca. 400 Jahren dicin - Nur deshalb hätten die Frauen bisher in Europa die Media 

höchster Cultur, der nicht so schlimm gewesen, als er gewöhnlich in den bevorzugt, weil durch den Hebammenstand eine alte Tradition fortgepflaci: 

ad usum Delphini verfassten Geschichtswerken dargestellt werde, bestand für sei > und weil hier keine Staatsstellung erforderlich, sondern Jeder frei » 

die Frauen gar keine hemmende Schranke hinsichtlich ihrer socialen Glück versuchen könne. 

Stellung und der Theilnahme an der allgemeinen Cultur. Sie hatten volles Auch im Interesse der Gosammtcultur des Menschengeschlechtes «ns* 

Vorfügungsrecht über ihr Eingebrachtes und hätten in hervorragenderer Weise, das ärztliche Frauenstudium abgelehnt werden, denn das Princip der Arbeit 

als sie es gethan, in Kunst und Wissenschaft sich auszeichnen können, da theilung, und dann der noch wenig beachtete Satz, dass die Zwei¬ 
selbst Sklaven und Freigelassene das vermochten. Im Mittelalter waren die geschlechtigkeit dos Menschenstammes an sich eins der grössten, 'in- 

Frauen sogar längere Zeit geradezu die besser unterrichteten. Während ,eicbt das bedeutendste der culturfördernden Elemente sei, spreche dagegen 

von den Männern nur wenige des Lesens und Schreibens kundig, waren In der Natur spiele überall das Princip der Arbeitstheilung eine gr-»' 

die Frauen darin besser unterrichtet, kannten Musik und Sprachen und bei den gesellig lebenden Bienen, Wespen, Ameisen, Termiten h.’ 

übten auch die Heilkunde. Die Frauenklöster waren Sitze von Kunst und u - s - w - werde durch jenes Princip eine grössere Vollkommenheit der 

Wissenschaft, wie die Nonnen der Herrada von Landsperg, der Hroswitha ungen erzielt. Schliesslich beruhe ja jede höhere Organisation auf Arbeit- 

von Gandersheim, der Hildegard von Rupertsberge beweisen. Es hat den theilung. 

Frauen zu keiner Zeit an den Vorbedingungen zu ebenbürtigem Wettstreit Bei a,len höheren Geschöpfen sei eine Vertheilung der einzeiu- 

mit den Männern gefehlt, und doch haben sie sich nie zu dem Niveau Functionen auf verschiedene „Organe“, die nur einer Leistung dienen.^ 

dieser erhoben, wenn sie auch zu allen Zeiten und in allen Zweigen der Gegensatz zu den niederen eingetreten, wo alle Functionen an eine eiii/tS' 

Künste und des Wissens (gelegentlich) höchst Ehrenvolles und Anerkennens- Leibessubstanz geknüpft. Alle Organe zusammen orst bilden den J in "' 
werthe8 geleistet haben. liehen „Organismus“. Die Vertheilung der Menschheit auf zwei GeschleoiU' • 

Das muss in der natürlichen Organisation des Weibes tief von denen jedes mit besonderen Gaben und Fähigkeiten, mit besonder-" 

begründet sein, denn die Lust am Herrschen wohnt ebenso dem Neigungen ausgerüstet sei, stellt eine der grossartigsten Arbeitstheilunr- 

Weibe wie dem Manne inne, und dazu hat das weibliche Geschlecht noch v ° r und w ‘ rd als solche dem Ganzen nutzbar, wenn jeder Theil seine « 

den Vortheil der überwiegenden Zahl. Die rohe physische Kraft aber, durch von de r Natu r zugewiesene Aufgabe innerhalb ihrer Grenzen getreu culti'i 

welche der Mann meistens dem Weibe überlegen ist, thut’s mit Nichten! Für die Culturgeschichto ist ohne Zweifel die verschiedene Beanlasrui'i- 

Des Menschen wirksamste und furchtbarste Waffe, mit. der er und Ausstattung der beiden Geschlechter von grösster Bedeutung und dar 
die Welt erobert und beherrscht, ist sein Gehirn. In der eigen- nicht verwischt worden durch die Emancipation der Frau. Wie es für den 
artigen Verschiedenheit geistiger Veranlagung bei Mann und bei Weib, einzelnen Menschen wichtig, dass — es ist das auch eine Arbeitstheiluug " 

die den Mann mehr productiv, das Weib mehr receptiv gestaltet, liegt seine beiden Körperhälften verschieden in ihrer Leistungsfähigkeit, Danie¬ 

der tiefste Grund ihrer verschiedenen socialen Stellung und der geringeren lieh beide oberen Extremitäten, so ist es auch für die ganzo Menschheit vor- 
börderung von Wissenschaft und Kunst seitens der Frau. Das hat sich bis- theilhafter, dass sie aus zwei ungleichen Hälften besteht. Freilich. *' e 

her hcrausgestellt und wird wohl bis an’s Ende der Welt bleiben. Darin Linkshänder giebt, giebt es wohl noch öfter Frauen, welche die „Obernau 1 

stimmt Waldeyer mit dem verstorbenen v. Bischoff überein, der freilich haben. , 

in seinem Eifer gegen die Frauenemaneipation zuweilen über das Ziel hin- Die ganze hohe Entwickelung des Menschengeschlechtes beruht »' 

ausgeschosseu hat, z. B. wenn er in seiner 1872 erschienenen Schrift (Das allein auf der Differenzirung der Geschlechter, welches grosse Princip " 


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25. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Natur bei den weitaus meisten Lebewesen, Pflanzen wie Thieren, inne¬ 
gehalten ist. Eins der grössten Probleme ist es, die Frage zu lösen, 
warum mit der höheren Ausbildung der Organismen die Differenzirung der 
Geschlechter eintreten muss, ohne welche die organische Welt immerhin 
auch in ihrem Fortbestände gesichert bleiben konnte. Mit ihr ist für die 
Menschheit offenbar ein ungemein mächtiges Culturelement gegeben. Die 
schönsten Blüthen unserer Dichtkunst, der Sculptur und Malerei, den ganzen 
veredelnden Einfluss des Familienlebens verdanken wir jener Einrichtung 
der Natur. Deshalb müsse der Mann ebenso wie die Frau in ihrem eige¬ 
nen Wirkungskreise bleiben. Dann werde die Frau dem Manne begehrens- 
werth erscheinen, wie der in seiner Sphäre tüchtige Mann dem Weibe. 

Waldeyer warnt daher, die jetzige Strömung der Frauen zum medi- 
cinischen Studium zu unterstützen. Einzelne besonders begabte und für 
das Studium begeisterte Frauen mögen immerhin sich ärztlich, juristisch 
oder anderweitig ausbiiden und mit akademischen Titeln und Würden be- 
liehen werden. Aber den Facultäten möge der einzelne Fall zur Erwägung 
überlassen werden. 

Nicht alle Frauen können ihren höchsten und edelsten Beruf, den der 
Hausfrau und Mutter erreichen, und ihnen andere Lebens- und Existenz¬ 
bedingungen zu sichern, sei eine ernste Aufgabe, an welche alle mitwirken 
sollen, eingedenk der Worte unseres Dichterfürsten über die hohen und 
schweren Aufgaben des Weibes 

„Zwanzig Männer verbunden, ertrügen nicht diese Beschwerden, 

Und sie sollen es nicht, doch sollen sie dankbar es einsehn.“ 
(Fortsetzung folgt.) 


XII. Journal-Revue. 

Pharmakologie. 

1 . 

H. Schulz. Studien über die Wirkung des Chinins 
beim gesunden Menschen. Virchow’s Archiv. CIX. Band. 

Verfasser hat die Methode, am gesunden Menschen zu experi- 
mentiren, unter Hervorhebung ihrer Vortheile gegenüber dem Thier¬ 
versuch wieder aufgenommen. An 10 älteren Studirenden der 
Medicin, welche in annähernd gleichen äusseren Lebensverhältnissen 
standen, wurden Versuche über die Wirkung des Chinins angestellt. 
Es wurden ganz kleine Dosen Chinin, mit Zucker verrieben oder 
in Alkohol gelöst (Chinin, muriat. 0,005 — 0.01 — 0,02 pro die, 
0,22—0,58 in toto), Morgens und Abends nüchtern 3—4 Wochen 
lang genommen; der Puls (3 mal am Tage gezählt), die Temperatur 
(Früh und Abends gemessen), sowie die im Allgemeinbefinden und 
von Seiten der einzelnen Organe beobachteten Störungen wurden 
genau verzeichnet. Bei den meisten früheren Versuchen mit Chinin 
am gesunden Menschen waren verhältnissmässig grosse Dosen zur 
Verwendung gekommen. Es ergab sich ein Wirkungsbild von deut¬ 
licher Intensität, aber verhältnissmässig kurzer Dauer. Durch Dar¬ 
reichung kleiner Dosen sollte nicht bloss die schnelle Ausscheidung 
des Alkaloids und der Reiz auf die Harnwerkzeuge vermieden, 
sondern auch die allmähliche Entwickelung der einzelnen Ver¬ 
änderungen, wie sie nach Aufnahme einer grösseren Chinindosis in 
ihrer Gesammtheit sich zeigten und mit dem Ausdruck „Chinin¬ 
rausch“ bezeichnet wurden, erzielt werden. 

Nach Wiedergabe der Versuchsberichte werden die daraus zu 
entnehmenden Einzelerscheinungen gruppenweise zusammengestellt, 
und zwar werden der Wirkung des Chinins im Wesentlichen zu¬ 
geschrieben 1. mit Bezug auf das centrale Nervensystem: Druck- 
gefübl und Schwere im Kopf, Depression, Unlust zu jeder Thätig- 
keit, melancholische Stimmung, Aufreguugszustände, Störung der 
Nachtruhe, Angstanfälle; 2. Augen und Ohren: Flimmern vor den 
Augen, Dick- und Schwerwerden der Augenlider, Injectiou der 
Conjunctivalgefässe, gedunsenes Aussehen des Gesichtes, — Ohren¬ 
sausen, dagegen kein Läuten und Klingen in den Ohren; 3. Nervus 
trigeminus: Neuralgieen; 4. Haut: nur in 2 Fällen starkes Jucken; 
5. Magen und Darm: fast ausnahmslos leichte Reizsymptome, welche 
sich bis zu Migendarmkatarrh steigerten; 6. Urogenitalapparat: 
entweder eine Verminderung oder Vermehrung des Bedürfnisses zur 
Harnausscheidung; 7. Körpertemperatur: keinerlei Schwankungen. 
Die Wirkung des Chinins auf das Gefässsystem, welche durch Puls- 
curven übersichtlich dargestellt ist, wird vornehmlich in einer Ver¬ 
änderung der Herzthätigkeit (in 6 Fällen Steigerung), sowie des 
Tonus der Gefässe (periodische Zu- und Abnahme der Spannung) 
gesehen. Auf Veränderungen innerhalb des Gefasssystems werden 
die anderen Wirkungsbilder zurückgeführt. 

Verfasser hält die Methode, an einer grösseren Zahl gesunder 
Individuen mit fortgesetzten kleinen Dosen eines Medicamentes zu 
experimentiren, für geeignet, brauchbares Material zur Arznei¬ 
wirkungslehre zu liefern. Die Gesammtwirkung des Chinins auf den 
gesunden Organismus gehe aus den gemachten Versuchen klar her¬ 
vor. Er verkennt nicht die Nachtheile der Methode, welche haupt¬ 
sächlich in der Eigenart des Beobachtungsmaterials liegen. 
Das von ihm gewählte Beobachtungsmaterial scheint aber nicht 
gerade besonders geeignet für solche subtile Untersuchungen mit 
Dosen, wie sie grössere von hunderten täglich, allerdings in Ver¬ 
bindung mit Eisen (Rp.: Ferri reduct.4,0— 6,0, Chinin, mur. 2,0 Extract. 


Nuc. vomic. 0,4, Pulv. e Succ. Liquirit. q. s. ut f. pilul. No. 60 8. 3 x 
täglich-2Pillen — Biermer = 0,033 pro pilul.; 0,2 pro die) genommen 
werden, ohne dass auch nur eine über obige, dem Chinin zugeschriebene 
Beschwerden klagte. Studirende derMedicin, auch wenn sie älter sind 
und das Versprechen, keine Excesse in baccho zu begehen, halten, führen 
doch ein mehr oder weniger unregelmässiges Leben, ferner, mit den 
Wirkungen des Chinins vertraut, sowie zu Hypochondrie neigend, 
laufen sie Gefahr, mancherlei in sich hinein zu beobachten. Sollte 
sich nicht die Wahl eines stabileren Materials, welches gleichzeitig 
einer scharfen objectiven Controle unterliegen kann, empfehlen? 
Ich denke hierbei an die Zöglinge von Pensionaten, Waisenhäusern, 
Kadettenanstalten u. s. w., wo Kost, Lebensweise, körperliche und 
geistige Anspannung Woche für Woche fast dieselben sind, die Ver¬ 
suchspersonen vor, während und nach dem Versuch genau be¬ 
obachtet werden, die Angaben also controlirt werden können. Nur 
wenn das Material ebenso subtil gewählt und ebenso subtil beob¬ 
achtet wird, wie die gegebenen Dos$fa klein sind, können grössere 
Fehler und Trugschlüsse vermieden werden. Kleinwächter. 

Innere Medicin. 

14. 

P. A. Walter. Ueber Assimilirung der Fette bei Ikte- 
rischen. Wratsch 1887, No. 47. 

Als Resultat der mühevollen Untersuchungen ergiebt sich: 

1. Die Assimilirung der Nahrungsfette ist bei katarrhalischem 
Ikterus sehr verringert. 

2. Die Assimilirung der Stickstoffbestandtheile der Nahrung ist 
auch verringert, doch nicht in dem Maasse, wie die der Fette. 

3. Alkalische Mineralwässer, Grande Grille (Vichy) und Sprudel 
(Karlsbad), zu 2 Gläsern täglich verabreicht, erhöhen einigermaassen 
die Assimilirung sowohl der Fette, als auch des Stickstoffs. 

P.A.Walter. Zur Frage der Assimilirung von Eisen¬ 
präparaten bei gesunden Menschen. Wratsch 1887, No. 46. 

An 7 gesunden Menschen hat Verfasser in der Weise experi- 
mentirt, dass jeder Versuch in zwei Perioden zerfiel. In der ersten 
Periode wurde die Quantität des Eisens in der Nahrung und in den 
Auswurfstoffen Harn und Koth — bestimmt; in der zweiten 
Periode wurden die gleichen quantitativen Bestimmungen gemacht 
und gleichzeitig Eisenpräparate gereicht, entweder Ferr. hydrogenio 
red. oder Tct. Ferri acet. aeth. Der Eisengehalt der Medicamente 
wurde ebenfalls bestimmt. Jede Periode dauerte in der Regel drei 
Tage. Das Ferr. hydrog. red. wurde in Gaben bis zu 0,8897 pro 
die gegeben, die Tct. Ferri acet. aeth. von 0,340 bis 0,6814 g 
pro die. 

Die Resultate sind folgende: 

1. Bei Anwendung von Ferr. hydrog. red. steigt die Assimi¬ 
lation des Eisens zuweilen ein wenig (in zweien von drei Ver¬ 
suchen); bei Anwendung von Tct. Ferri acet. aeth. hingegen ist die 
Assimilation immer verringert (in allen drei Versuchen). 

2. Eisen ruft Verstopfung hervor, bei welcher der Procent¬ 
gehalt des Kothes an Wasser beträchtlich verringert ist. 

K. L. Ssirsky. Psoriasis als eins der Symptome der 
Tabes dorsalis. St. Petersburger medic. Wochenschrift No. 3, 
1888. 

In der Klinik des Prof. Polotebnow ist der vorliegende sehr 
genau beobachtete Fall von Psoriasis bei Tabes dorsalis behandelt 
worden. Es handelte sich neben allen charakteristischen tabetischen 
Störungen auch noch um sehr ausgesprochene vasomotorische Stö¬ 
rungen, welche in gleichem Maasse schwanden, wie der Ausschlag 
abnahm. Derselbe verlor sich spontan, ohne jegliche Behandlung. 
Dieser Fall bestärkt Prof. Polotebnow noch mehr in seiner schon 
früher ausgesprochenen Meinung, dass die Psoriasis sich in direkter 
Abhängigkeit von verschiedenen Erkrankungen des Nervensystems 
befindet, und dass sie eine vasomotorische Neurose der Haut ist. 

M. Schmidt (Riga). 

Reiersen. Ueber die Behandlung von Nasendiphthe- 
ritis. Nordiskt Med. Arkiv, Bd. XIX. 

Da es in vielen Fällen, namentlich bei Kindern, sehr schwer 
ist, die Nase mit desinficirenden Flüssigkeiten zu durchspritzen, so 
hat Verfasser Bacillen aus Borsäure UBd Cocain machen lassen. 
Diese werden so tief in die Nasenlöcher geführt, dass sie aus den 
Choanae posteriores herausragen. Sie wirken nach Verfasser’s An¬ 
sicht sowohl durch den Druck, den sie ausüben, als auch durch 
die desinficirenden Eigenschaften der Borsäure, die beim Schmelzen 
der Stäbchen sich senkt und auch noch im Magen ihre desinfici- 
rende Wirkung auf die verschluckten Membranen fortsetzen kann. 

Buch (Willmaustrand, Finnland). 

Kentaro Miura. Ueber den Bothriocephalus ligu- 
loides Leuckart. Chügai Iji Shinpö. No. 181—182. 1887. 

Nach Miura wurde Bothriocephalus liguloides Leuckart bis 
jetzt fünfmal bei Menschen beobachtet: 1) vom Engländer Manson 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43 


in Araoy (China); 2) vom Deutschen Dr. Botho Scheube in 
Kyoto (Japan); 3) vom Japaner Hizu Miyake in Osaka (Japan); 
4) von M. selbst in Utsunomiya (Japan) und 5) in Echigo (Japan). 
Im 2., 3. und 5. Fall zog man den Parasiten aus der Harnröhre, im 
4. aus dem inneren Augenwiukel heraus. Nur Manson fand ihn in 
der Brusthöhle und im subperitonealen Gewebe eines an Dysenterie 
und Oesophagusstrictur gestorbenen Chinesen. Das Verweilen des 
Parasiten im Harnwege verursachte zweimal (3. und 5. Fall) Hä¬ 
maturie. Miura sieht das interstitielle Gewebe als Hauptwohnsitz 
des Parasiten an, von welchem er in den Harnweg und wohl auch 
in den Augenwinkel gerathen könne. Ein unbekannter, von Dr. Disse 
in Tokyo (im subcutauen Gewebe der linken Abdominalgegend) 
beobachteter Parasit könnte vielleicht auch Bothriocephalus liguloides 
gewesen sein. R. Mori. 

Chirurgie. 

7. 

F. Schrakarap. Beiträge zur Indication, Methode 
und Nachbehandlung der Tracheotomie bei Croup und 
Diphtherie. Jahrb. f. Kinderheilk. 1887. 

Auf einer Studienreise fiel dem Autor die bedeutende Meinungs¬ 
verschiedenheit in Bezug auf Indication, Methode und Nachbehand¬ 
lung der Tracheotomie bei Croup und Diphtheritis auf. Ist sie 
wirklich so gross? Bei uns in Norddeutschland doch wohl nicht, 
seitdem uns Roser, v. Langenbeck« Wilms und Hüter 1 ) ihre 
Lehren gegeben haben. Immerhin sind wir dem Autor dankbar, 
dass er aus D O Tracheotomieen des Stuttgarter Kinderspitals vom 
Jahre 1885 und 1886 (erstes Halbjahr) zu Schlüssen kommt, mit 
denen wir vollkommen übereinstimmen. Croup und Diphtheritis 
sind ihm verschiedene, durch die gleiche Ursache bewirkte Krank¬ 
heitsformen, die man im Hospitale zusainmenlagcrn kann. „Diphtherie“ 
ist ihm die Infectionskraukheit, daher das Wort „Scharlach-Diphtherie“ 
zu verwerfen ist. Die prophylaktische Tracheotomie, wie sie neulich 
Passavant empfahl, kauu er nicht empfehlen. Mit Recht! Das 
Gleichuiss mit der Schutzpockeuimpfung hinkt wirklich. „Ich 
möchte wohl behaupten, dass unter den operativen Eingriffen, 
welche der praktische Arzt an Kindern auszuführen im Stande sein 
muss, es kaum einen für das Leben momentan bedenklicheren giebt, 
als diesen; ein jeder weiss, wie leicht Fehler bei der Ope¬ 
ration Vorkommen können.“ So sehr wir jedes dieser Worte 
unterschreiben, so wenig theilen wir den Grund: die Möglichkeit 
der Allgemeininfection durch die Operation. Eine solche wird 
erfahrungsgemäss, trotzdem die Operationswunde sich belegt, nicht 
bewirkt. Die Halsaffection hat eutweder schon eine solche bewirkt, 
oder der Patient neigt überhaupt nicht dazu. Auch mit der Moti- 
viruug, während einer bereits bekannten Epidemie im Einzel¬ 
falle früher zu operiren. sind wir vollkommen einverstanden; ebenso 
mit dem Lehrsatz: es giebt keine Contraindication der Tracheo¬ 
tomie (Alter, Grad der Infection, Pneumonie, Uuwahrscheinlichkeit 
des Erfolgs).-) Das Wort Koenig’s: Das Unterlassen des Vor¬ 
schlags zur Tracheotomie ist als Fahrlässigkeit des Arztes zu be¬ 
zeichnen, soll uns heilig sein. Was die Operationsmethoden betrifft, 
so ist die Ausführung mit dem Glüheisen ein Rückfall in arabische 
Chirurgie, sit venia verbo, eine Spielerei in einem Krankenhause, 
übrigens ebenfalls unsicher; nichts kann das Messer und gute 
anatomische Kenntnisse ersetzen. Damit verwerfen wir aller¬ 
dings die neuerdings noch von Prof. Störk erwähnte französische 
Methode, in einem Tempo die Lig. couoid. zu durchschneiden. 
Wenn wirklich im Westen jeder Landarzt diese doch keineswegs 
so einfache Technik besitzt (denn es kommt doch darauf an, wirk¬ 
lich mit Chassaignac's gerieftem Haken das untere Ende des 
Schildknorpels hervorzuzieheu), so möchte ich mich wenigstens dort 
nicht tracheotomiren lassen. Unsere Aerzte werden vorziehen, tuto 
schichtweise zu operiren, und unsere Kliniker sollen nicht müde 
werden cs zu lehren, resp. durch ihre Assistenten es lehren zu 
lassen. Dagegen sind wir ganz der Meinung von Schrakamp, 
dass die Präconisirung der Trachea superior als stets einpfehlens- 
werthe Methode nicht richtig ist; wer tracheotomiren will (und 
jeder Arzt sollte es gründlich lernen), muss die Inferior ebenso 
üben können wie die Superior. Den Modus, bei der Inferior stumpf 
vorzugehen (die Fascien bloss anzuschneiden), hatten schon Max 
Bartels und Paul Gueterbock aus der Wilms'sehen Praxis 
trefflich geschildert (cfr. dasselbe Jahrbuch 1868 und 1873). Iu 
Bezug auf die Canülen dürfte für die Trachea superior die Hage- 
dorn’sche recht zu empfehlen sein, ausserdem No. 2, 4 und 5 der 
Scala. Die mit Recht gerühmten Inhalationen auf Trousseau 
und — Bretonneau zurückzuführen, geht doch wohl nicht an; 
ersterer bepinselt die Trachea mit Höllensteinlösung. Uebrigens 

*) Es ist wohl überflüssig, auf die klassische Monographi * in Billroth- 
Lficke’8 Deutscher Chirurgie von Schüller hinzuweisen; sic sollte in der 
Hand jedes Arztes sein. 

*) Man kann selost Säuglinge durohbringen. A. d. Ref. 


dürften die von Trendelenburg zur Nachbehandlung empfohlenen 
Einträufelungen durch die Canüle für die Privatpraxis bequemer 
sein. Dass die Prognose dubia ist, — ist einstweilen noch ganz 
gut. Wir müssen eben dann noch alles operiren, was zu ersticken 
droht. Die Nachbehandlung kann noch manches erreichen. 

- Pauly (Posen). 

Xin. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Ueber Impfschäden. 1 ) 

Von Dr. Voigt, Oberimpfarzt. 

Meine Herren. Die in den Veröffentlichungen des Reichsgesundheits¬ 
amtes erscheinenden Berichte über die Ergebnisse des Iinpfgeschäftes während 
der Jahre 1883 und 1884 bringen zum ersten Male ein Gesammtbild über die 
Art und Weise der Wirkung der Impfung im Grossen, sie ermöglichen uns 
aber auch einen Ueberblick über die Schattenseiten der Impfung. 

Die Ansichten über die Impfschäden gehen bekanntlich sehr weit aus¬ 
einander, die Impfgegner bauschen die Vorkommnisse enorm auf, die Impf¬ 
freunde wollen nur Schäden als Irapfschäden gelten lassen, welche wirklich 
in Folge der Impfung entstehen; sie heben mit Recht hervor, dass auch 
Geimpfte verwundbar sind, und dass ein bei ihnen vorkommender, aber von 
der Impfung unabhängiger Schaden, nicht als Impfschaden gelten darf. 
Manche mögen in dem „nicht sehen wollen“ eines Impfschadens hie und da 
zu weit gegangen sein, aber den Berichten des Reichsgesundheitamtes wird 
man eine dankenswerthe Objectivität, die allseits nur segensreich wirken 
mag, nicht absprecheu können. 

Diese Schilderungen weisen uns darauf hin, wo wir die bessernde 
Hand an unser Verfahren bei der Impfung anlegen können und müssen, 
und sie lehren uns auch den Werth und den Unwerth der schon einge¬ 
führten Verbesserungen kennen. Der einzelne Arzt, ja der einzelne lmpf- 
arzt sieht so äusserst wenig vom Impfschaden, dass er aus eigener Er¬ 
fahrung sich kein Unheil über das Gesammtgebiet machen kann, und selbst 
so grosse Impfbezirke, wie unser Hamburger einer ist, ermöglichen doch 
erst nach jahrelanger Beobachtung freien Ueberblick. 

I>er Umfang des gauzen Impfgeschäftes ist eben ein colossaler. In 
Deutschland sind im lahre 1884 geimpft resp. wiedergeimpft: 

Er>tiinpflingo. 1210 279 

Wiederimpflinge.1 085 594 

Zusammen 2 275 873 

Dem entsprechend muss auch bei der notorischen Unvollkommenheit 
aller irdischen Dinge eine stattliche Reihe unliebsamer Beobachtungen vorge- 
kommen sein, und hieran ist denn auch kein Mangel. Wie die Jahresberichte 
melden, ist es nicht ohne Todesfälle abgegangeu, denn es sind im Ansclil'i« 
an die Impfung im Jahre 1883 17 oder 18 Todesfälle, im Jahre I8$i 
17 Todesfällo gemeldet. Es liegt auf der Hand, dass von den 2 Millionen 
geimpften Kindern auch noch sonst manche gestorben siud, aber die meisten 
der obigen Todesfälle sind Impfschäden, sie würden wohl nicht votze- 

koinmen sein, wenn die Kinder nicht geimpft worden wären. 

Die 35 Todesfälle vertheilen sich folgeudermaassen: 19 Todes&lle an 
Erysipel, etwa die Hälfte Späterysipele, 8 Todesfälle an Verschwärung oder 
Gangrän «ler Impfpusteln. 2 Todesfälle an Entzündung uud Eiterung des 
Uuterhautzellgewebes, 3 Todesfälle an Blutvergiftung und 3 Todesfälle an 
exanthematisehen Processen. 

Gleich hier sei hervorgehoben, dass die meisten dieser Todesfälle 
nicht dem eigentlichen Imptact, d. h. der Ausführung der Impfung oder 
einer tadelhaften Beschaffenheit der Impflymphe in die Schuhe geschoben 
werden können, aber einige Fälle würden sich nicht ereignet haben, wenn 
ein vorsichtigeres Verfahren bei der Impfung gewaltet hätte. 

Nach Ctbigem kämen in Deutschland auf 10 Millionen Einwohner 
jährlich etwa 4 Todesfälle nach der Impfung. Diesen gegenüber stehen 
nur 10 Mal so viel Todesfälle an den Blattern in Deutschland gegenüber, 
aber das ohne Impfschutz gebliebene Oesterreich hatte im Jahre 1884 z. B- 
5100 Pockentodte auf 10 Millionen Seelen, und in Prag kamen deren 260 auf 
loOOOU Einwohner, auf 10 Millionen würde es dort 26 000 Pockentodte ge¬ 
geben haben. Wir haben a'so mit. der Impfung in Deutschland einen enormen 
Erfolg erzielt, denn die überhaupt in Deutschland vorgekomraenen Pocken¬ 
todesfälle, welche sich im Jahre 1886 auf 197 beliefen, sind grössesten 
Theils verschuldet durch zureisende, an den Pocken erkrankte Personen, w 
das Reich: sie kamen aus Gegenden, in denen kein Impfzwang herrscht. 
Unsere Bevölkerung scheint jetzt wirklich gegen eine ernste Pockengefahr 
geschützt zu sein. Ein solches Resultat wiegt manches auf, Deutschland 
w ürde tausendfältig mehr geschädigt werden, wollten wir vom Impfen lassen. 

Meine Herren. Gestatten Sie mir, mit wenigen Worten auf deu 
Pustelungsprocess der Vaccine einzugehen. Ihnen ist bekannt, dass > 
klare humanisirte Vaccinelymphe dem Serum des Blutes entspricht. 1 
Eiterbildung beginnt von den Zellen des Rete Malpighi, von den Geiassen 
und vom Bindegewebe der Pustel. Die Eiterkörperchen füllen die gan 
Höhle der Pustel, sie sterben ab, ebenso die Decke der Pustel und, m ^ 
das Serum aufgesogen wird, bildet sich der Schorf, der nach 3 Wochen a 
gestossen ist. . 

In der frischen wasserklaren humanisirten Impflymphe sind ausser 
und weissen Blutkörperchen manche Sporen minimaler Grosse u ° (1 ' er 
wenige Coccen zu finden. In älterer Lymphe finden sich, sowohl innerha 
Capillaren von Glas, wie in dem schon trüberen Inhalte der _F U ® ^ 
des 8. Tages, zahlreichere Coccen, die sich aus den Sporen gebii 
haben scheinen, und Protozoen, deren Bedeutung für den « 
process noch nicht klargestellt ist. Von den Coccen findet man in ^ 
Sorten der Vaccine constant weisse oder weissgraue, auch bräunlic e 
gelbe. Die weissen verflüssigen die Gelatine nicht, sie sind nicht P al fc 

*) Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Hamburg. 


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25. October. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 891 


Die gelben Coccen verflüssigen die Gelatine, sie sind etwas grösser als die 
weissen und ähneln sehr dem Staphylococcus pyogenes aureus. Den Aureus 
selbst hat Guttmann aus der Variolalymphe dargestellt. 

Das Vaccinecontagium scheint sich den Coccen anhaften zu können, 
denn ausser mir haben Garre und Caronichall die weissen Vaccine- 
coccen mit Erfolg auf Kälber verimpft, während Marotta in Neapel die 
gelben Coccen der Variola noch in der 7. Generation der Reincultur auf 
Kälber mit Erfolg verimpft hat. 

Hiernach ist es wahrscheinlich, dass in jeder Vaccine- und Variola¬ 
pustel eine Reihe verschiedenartiger Mikroben vorhanden sind, die einander 
beeinflussen und nicht nur das Contagium bilden, welches den Pocken- oder 
Impfschutz liefert, sondern die auch den Eiterungsprocess in der Pustel be¬ 
dingen; ferner ist es wahrscheinlich, dass es wenigstens zum Theil von der 
jeweiligen Menge dieser verschiedenen Mikroben abhängt, wie sich die Be¬ 
gleiterscheinungen der Pustelung gestalten. Ein zu grosser Eitergehalt 
der Kalbspusteln verträgt sich z. B. nicht mit der Fonpflauzungstähigkeit 
des Impfstoffes, und bei Verimpfung humanisirter Impflymphe pflegt es zu 
entzüudlichen Erscheinungen zu kommen, wenn dieselbe von Pusteln kam, 
welche von einer entzündeten Areola umgeben waren. 

Für gewöhnlich läuft der Vaccineprocess ab mit massigem Fieber von 
38,5 bis 40° C von nur 2 bis 3tägiger Dauer und uuter massigen Be¬ 
schwerden, und die Areola pflegt am 10. oder 11. Tage post vaccinatiouera, 
d. i. mit dem Eintritt der Immunität abzublassen, die Abborkuug binnen 
3 Wochen zu erfolgen. 

Die Intensität des Fiebers erreicht während der Blüthezeit der Pusteln 
bei Millionen Geimpfter keine gefährliche Höhe, doch sind hie und da 
während derselben Convulsionen vorgekommen Ob der Ausbruch der Con- 
vulsionen sich zufällig hinzugesellte oder ob er vom Vaccineprocess hervor¬ 
gerufen wurde, bleibt fraglich. Immerhin ist es gerathen, solche Kinder, 
welche zu Convulsionen oder zu Laryngismus stridulus neigen, nicht zu 
impfen. Auch die örtlichen Erscheinungen des Pustelfeldes schwanken. 
Der Umfang der Areola, das Bersten und gelegentliche Eiterung der Pusteln, 
die Anschwellung der Ach eldrüsen wird manchmal unangenehm, doch für 
gewöhnlich zu keinem Impfschaden. Ebenso dürfen wir nicht von eigent¬ 
lichen Impfschäden sprechen, wenn, in Folge der in den Impfterminen unver¬ 
meidlichen Anhäufung vieler Menschen, hie und da unliebsame Erlebnisse 
entstehen. Im Gedränge des Impftermins kommt es nicht selten zu Ohn¬ 
mächten unter den Revaccinirten. 

Auch der z. Z. der Pustelreife nicht ganz selten vorkommende allge¬ 
meine Vaccineausschlag ist kein linpfschaden, seine kleineu Pusteln pflegen 
rasch wieder abzutrocknen. Noch rascher verschwinden andere flüchtige 
Exantheme, namentlich das nicht so ganz seltene, den Masern höchst ähn¬ 
liche fleckige Exanthem; von den Masern zu unterscheiden an dem Mangel 
der Begleiterscheinungen, als Schnupfen etc. 

Die Impfung kaun schaden, wenn sie zur Unrechten Zeit vorgenommen 
wird. In den heissen Sommerwochen verläuft die Pustelung stürmischer, 
werden die localen Erscheinungen entzündlicher, und es gesellen sich gern 
vaccinale Reizungen zu dem durch die Sommerhitze entstandenen llitze- 
ausschlag. Andererseits ist die Fortführung der Impfsitzungen bis zum 
Jahresschluss im Winter misslich, da der Transport der kleinen Impflinge 
zur Revision dann manchmal bei entsetzlichem Wetter vorgenommen werden 
müsste. Daher sollte in den heissen Sommerwochen und im Winter 
thunlichst nicht geimpft werden. Die altbekannte Thatsache, dass durch 
das Zusammenströmen vieler Menschen allerlei Unheil entsteht, hat sich 
auch bei den Impfterminen gezeigt, z. B. der Physikus in Wiesbaden 
berichtet a. a. 0.: der dortige Impfarzt habe im Jahre 1883 Blattem- 
fälle beim Impfen verbreitet. Aus Posen heisst es 1883: Der Impfarzt 
hat beobachtet, dass an 2 Orten einer Impfstation sämmtliehe Erstimpflinge 
von dem daselbst herrschenden Scharlach und Diphtherie, sowie von Diph¬ 
therie der Impfpusteln befallen wurden. Ob die Ansteckung im Impf¬ 
termin erfolgte, wird zwar nicht ersichtlich, doch ist solches nicht unmöglich, 
wie ein im Jahre 1884 in Leukutschen beobachteter Fall zeigt. Dort war 
am Tage vor der öffentlichen Impfung ein Kind des Krugwirthes am Schar¬ 
lach gestorben, und die Leiche lag in einem schwach verschränkten Raume 
neben dem Zimmer, in welchem Impftermin abgehalten wurde. Wenige 
Tage nach der Impfung erkrankten und starben mehrere der dort geimpfteu 
Kinder am Scharlach. — Der Impfarzt erhielt eine Rüge, weil er sich nicht 
genügend nach den örtlichen Verhältnissen erkundigt habe. — Das in eine 
Wunde dringende Scharlachcontagium ruft in wenigen Tagen den Ausbruch 
des Exanthems hervor, daher ist es wahrscheinlich, dass hier die Ansteckung 
bei der Impfung erfolgt ist. Dass auch die Masern in den Impfterminen 
Gelegenheit finden, sich auszubreiten, braucht bei der Beschaffenheit dieses 
Contagiums kaum erwähnt zu werden. Man muss letzteres bedauern, wird es 
aber nicht ganz verhindern können. Masern und Vaccine scheinen sich 
gegenseitig nicht sehr zu verschlimmern, aber man wird doch der Ausbreitung 
der Masern entgegen zu wirken suchen und es anders machen als der Impf¬ 
arzt in Cammin, der im Impftermin d. Js. 1884 mehrere Kinder mit deut¬ 
lich ausgeprägtem Masernausschlag vaccinirt hat. Er berichtet sogar selbst 
darüber: die Schutzpocken hätten sich normal entwickelt, und der Masem- 
ausschlag sei bei der Revision verschwunden gewesen! 

Gegen die Wiederholung solcher Uebelstände wirkt jetzt die im Jahre 
1886 zur Giltigkeit gelangte Verordnung, welche bestimmt, dass an Orten, 
wo Masern, Scharlach, Diphtherie, Croup, Keuchhusten, Flecktyphus in grosser 
Verbreitung herrschen, die Impfung nicht vorgenoramen werden soll, dass 
die Impfäizte an solchen Orten das Impfgeschäft unterbrechen sollen, und 
dass letztere auch dafür zu sorgen haben, dass sie selbst kein Contagium 
in den Impfsaal verschleppen. 

Ferner werden jetzt die Angehörigen der Impflinge schon vor der 
Impfung darauf hingewiesen, dass sie keine Kiuder aus inficirten Häusern 
in den Impfsaal bringen dürfen, auch die Kinder sauber halten sollen u. s. w. 

Das sind Ermahnungen, die auch hier in Hamburg ausserordentlich am 
Platze waren und hoffentlich nun gute Früchte tragen werden. 


Ich komme jetzt zu den Schäden, welche durch den Impfact selbst oder 
in der Impflymphe vermittelt werden können. 

Syphilis, Tuberkulose, Lepra, Erysipelas, Eitercoccen, septische Stoffe, 
endlich acute oder chronische Exantheme sollen mit der Impflymphe verimpft 
worden sein. 

Dank der immermehr zur Verwendung gelangenden animalen Vaccine 
sind in den genannten Jahren keine Fälle von Impfsyphilis mehr in 
Deutschland vorgekommeu. 

Der einzige zur Cognition gekommene Fall hat sich in Tauberbischoffs- 
heim am 19. September 1885 ereignet. Dort zeigten 4 mit humanisirter 
Lymphe geimpfte Kinder etwa 4 bis 6 Wochen nach der Impfung Sym¬ 
ptome der Syphilis. Der Abimpfling wurde als nicht syphilitisch befunden, 
obwohl er bei einer syphilitischen Pflegemutter in Kost gegeben war. Die 
nach der Impfung syphilitisch gefundenen 4 Kinder stammten — bis auf 
eins — von syphilitischen Eltern. Ihre Syphilis konnte also von den 
Eltern vererbt und — wenn auch latent — bei der Impfung von ihnen — 
durch die ungereinigte Lanzette auf das 4. Kind übertragen worden sein. 
Der Impfarzt wurde freigesprochen, aber er würde, wenn die Sache jetzt erst 
zur Verhandlung gekommen wäre, haben nachweisen müssen, dass er seine 
Impflanzette nach der Impfung eines jeden Kindes Vorschrift.smässig zu 
reinigen pflege. Die dahin zielende Verordnung ist erst 1887 in Kraft ge¬ 
treten, konnte also für obigen Fall noch nicht gelten. Bei richtiger Aus¬ 
führung der Impfung und bei vorsichtiger Ausw-ahl der Abimpflinge kann 
keine Impfsyphilis Vorkommen, aber wenn man hinreichend vorsichtig aus¬ 
wählt, kann man ohne animale Vaccine nicht die für die Massenimpfung 
nöthige Impflymphe beschaffen. Daher ist denn die animale Lymphe ein¬ 
geführt. Der Einwurf der Impfgegner, auch die animale Vaccine schütze 
nicht gegen die Syphilis und andere Krankheiten, weil auch die Kälber von 
Kindern geimpft würden, und wenn diese Kinder syphilitisch oder ander¬ 
weitig krank wären, so würde auch die Kalbslymphe in entsprechender 
Weise ungesund ausfallen, ist falsch, denn bei Verwendung von Kalbslymphe 
braucht man nur sehr wenig Abimpflinge, und man vermag diese wenigen 
Abimpflinge in untadeliger Beschaffenheit zu stellen. Ausserdem verpflanzt 
sich die Syphilis bekanutermaassen nicht auf Thiere. 

Die Tuberkulose ist bis jetzt mit der Vaccine noch nicht verimpft 
worden. Zwar hat sich bei einigen Impflingen bald nach der Impfung Ba- 
silarmeningitis eingefundeu, aber solche Fälle reihen sich an das Auftreten 
der Miliartuberkulose nach den Masern und sind uns verständlich geworden, 
wenn man mit Weigert annimmt, dass die Kapseln tuberkulöser Drüsen 
durch den Masernprocess locker werden. Die Träger solcher Drüsen dürften 
auch ohne die Vaccine ihrem inneren Siechthum über kurz oder lang er¬ 
liegen. Daher ist das Auftreten von Basilarmeningitis bei früher Geimpften 
kein Impfschaden, aber es soll uns ein Fingerzeig sein, die Impfung tuber¬ 
kulöser oder scrophulöser Kinder nur in dringlichen Fällen vorzunehmen. 

Als bekannt daif ich voraussetzen, dass die vom Zufall gewollten Ex¬ 
perimente es dargefhan haben, dass Tuberkelkeime sich cutan mit Erfolg 
verimpfen las'en, doch mit der Vaccine gleichzeitig geschah dieses noch 
nicht, und alle Versuche, Tuberkelbacillen in der Vaccinelymphe tub rknlöser 
Individuen zu finden, blieben bisher erfolglos. Trotzdem ist jetzt die Unter¬ 
suchung der Irapfkälber durch einen Thierarzt nach der Schlachtung des 
Thieres obligatorisch. Daher ist jede Gefahr der Verimpfung der Tuber¬ 
kulose in animaler Lymphe, welche von perlsüchtigen, d. h. tuberkulösen 
Thieren kommen könnte, ausgeschlossen. Wer Lymphe kauft, sichere sich, 
ob seine Bezugsquelle diese gesetzliche Bestimmung einhält. 

Der Vollständigkeit wegen will ich hier die Möglichkeit der Ueber- 
fragung der Lepra bei Gelegenheit der Schutzpockenimpfuug erwähnen. 
Heimische Beobachtungen liegen begreiflicher Weise nicht vor. Jüngst wird 
aus Trinidad ein Fall von Gairdner (Lancet 1887) berichtet. G. sagt: in 
Trinidad habe ein Arzt rein europäischer, also leprafreier Abstammung, 
seinen eigenen Sohn mit der Lymphe eines zwar noch gesund aussehenden, 
aber einer Leprafamilie entstammenden Kindes vacciuirt. Sein eigener Sohn 
dient als Abimpfling für das Kind eines ebenfalls rein europäischen Schiffs- 
capitäns. Beide — der Sohn des Arztes und der des Schiffscapitäns — 
werden nach etwa 2 — 3 Jahren leprös. Dem Vernehmen nach soll dort 
mehrfach binnen etwa 2 — 3 Jahren nach der Impfung Lepra ausgebrocheu 
sein, nachdem schon bald nach der Impfung sich hartnäckige llautausschläge 
zeigten. Die Lepra soll nach Dr. Black in Trinidad ebenso übertragbar 
sein wie Syphilis, Tuberculose und Krebs. Ihre Uebertragung auf Thiere 
ist jedesmnl missglückt, doch bei der bekanntlich von unserem Collegen 
Arning vorgenomraenen Leprosirung eines ihm zu diesem Zwecke vom König 
Kalakaua überlieferten Verbrechers haben sich dem Vernehmen nach erst seit 
Kurzem, also nach 2—3 Jahren die Erscheinungen der Lepra gezeigt. Ar- 
niug impfte ferner Lepröse mit Vaccine, sah die Vaccinepusteln aufgehen, 
fand in der Impfpustellymphe Leprabacillen und hält die Uebertragung der 
Lepra mit der Vaccine für möglich. (Fortsetzung folgt.) 


— Die Sterblichkeit der Grossstädte im Jahre 1887. Zur Beur- 
theilung des Gesundheitszustandes des abgelaufenen Kalenderjahres liegt 
eine Anzahl Sterblichkeitsberichte für die grossen Städte vor, aus denen in 
der nachstehenden Tabelle die hauptsächlichsten Daten zusammengestellt 
sind. In den 31 europäischen Grosstädteu betrug die durchschnittliche 
Jahressterblichkeit 25.10 auf KMO Lebende; unter den 8 deutschen weisen 
Leipzig und Frankfurt a./M. die niedrigste Sterbeziffer auf, während Breslau 
und München bei nahezu 30,0 pro mille am ungünstigsten dastehen, Berlin 
zeigte in diesem Jahre auffallend günstige Verhältnisse. Die 3 Städte der 
Österreich-ungarischen Monarchie zeichnen sich durch eine verhältnissmässig 
hohe Sterbeziffer aus, obenan steht Pest. Von den Städten Italiens zeigen 
die hier aufgeführten nur eine mittlere Sterbeziffer. Die 4 englischen Gross¬ 
städte haben mit Ausnahme von Dublin eine günstige Mortalität aufzuweisen. 
Unter den 3 französischen Städten fallt Marseille auf. Güustig gestaltete 
sich die Sterbeziffer für die belgischen und holländischen Städte. Ebenso steht 
die der Nordstaaten da. Für Russland erschienen die hier genannten » Städte 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48 


auch mit günstiger Sterbeziffer. In den 6 Städten der Vereinigten Staaten 
von Nord-Amerika war die mittlere Sterbeziffer 23,5, darunter blieben Brooklyn, 
Philadelphia und Chicago, in New-York und Boston war sie höher. Unter 
den 3 Städten Ostindiens ragte Madras mit einer Mortalität von 40,0 pro 
mille hervor, auch die beiden egyptischen Orte zeigten sehr hohe Sterbe¬ 
ziffern, insbesondere steht Cairo mit 45,7 wohl am ungünstigsten da. Was 
die hauptsächlichsten Todesursachen anlangt, so haben Pocken nament¬ 
lich in Oesterreich-Ungarn, Italien, Frankreich und Russland zahlreiche 
Todesfälle aufzuweisen, in den anderen Ländern, aus denen hier Städte 
aufgeführt sind, kamen nur sporadische Todesfälle vor, doch dürften die 
angegebenen aus den aussereuropäischen Ländern unvollständig sein. Masern 
und Scharlach forderten verhältnissmässig überall nur geringe Anzahl von 
Opfern, dagegen wies Diphtheritis mit Croup in einzelnen Städten sehr hohe 
Sterbeziffern auf, so namentlich in New-York, Paris, Chicago und Berlin. 
Keuchhusten forderte namentlich in London sehr viele Opfer. Beim Typhus 
fallt die hohe Zahl der Sterbefälle in den indischen Orten auf, unter den 
europäischen Städten steht Paris obenan, demnächst folgt Petersburg, die 
deutschen Städte zeichnen sich, mit Ausnahme von Hamburg, durch eine 
sehr niedrige Sterbeziffer des Typhus aus. Die sommerlichen Brechdurch¬ 
fälle und Diarrhöen wiesen in einzelnen Grossstädten sehr zahlreiche Todes¬ 
fälle auf, so namentlich in Paris, Petersburg und New-York, auffallend 
niedrig erscheint die Zahl in den Städten der Niederlande und Dänemark. 


Stadt 

Ge¬ 

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husten 

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Ty¬ 

phus 

Diarr¬ 
höe u. 
Brech¬ 
durch¬ 
fall 

Berlin. 

30 325! 21,9 

3 

22 t 

257 

1 444 

535 

193 

4 377 

Hamburg(Stadt) 

13 397 

27,1 

3 

71 

78 

567 

125 

465 

l 839 

Breslau . . . . 

9 124 

29,6 

2 

159 

381 441 

46 

51 

1 071 

Köln. 

4 355 

26,0 

— 

116 

117 

84 

41 

25 

461 

Dresden . . . . 

5 530 

21,8 

— 

58 

23 

330 

99 

I 28 

557 

Leipzig .... 

3 452 

19,3 

— 

17 

42 

215 

31 

i 22 

331 

München .... 

8 057 

29,6 

1 

547 

79 

204 

58 

, 28 

1 447 

Frankfurt a./M. 

3 1331 19,5 

— 

74 

33 

230 

— 

10 

238 

Wien. 

20 549 

25.9 

65 

490 

390 

455 

74 

78 

1487 

Pest. 

13817 

32,0 

374 

108 

151 

511 

38 

155 

1 384 

Prag. 

8 729 

29,8 

259 

53 

179 

416 

142 

97 

283 

Rom. 

10613 

28,8 

425 

359 

43 

125 

25 

206 

810 

Turin. 

7 67h 

26,7 

52 

118 

51 

163 

66 

105 

? 

Venedig . . . . 

3 765 

25,6 

30 

61 

2 

15 

— 

61 

457 

London .... 

82 208 

19,6 

9 

2 894 

1 447 

1 558 

2 928 

624 

3 773 

Edinburg . . . 

5 097 

19,8 

— 

46 

145 

55 

274 

52 

148 

Glasgow .... 

12 128 

23,2 

— 

305 

238 

156 

648 

135 

299 

Dublin . 

10 777 

30,6 

1 

514 

260 

36 

159 

192 

460 

Paris . 

52 799 

23,4 

389 

1 686 

228 

1 570 

417 

1 356 

4 382 

Lyon. 

8 688 

21,6 

9 

86 

50 

181 

24 

116 

465 

Marseille .... 

10 967 

29,2 

63 

185 

12 

545 

54 

482 

985 

Brüssel .... 

4 183 

20,9 

2 

187 

16 

71 

99 

72 

954 

Amsterdam . . 

8 348 

22,1 

4 

193 

21 

139 

97 

56 

? 

Rotterdam . . . 

4 134 

21 8 

— 

66 

25 

3 

58 

14 

52 

Haag. 

2 852 

19,9 

— 

17 

4 

12 

20 

9 

16 

Kopenhagen . . 

7 128 

24,2 

— 

593 

106 

279 

217 

31 

397 

Stockholm . . . 

4 728 

2', ,6 

— 

300 

167 

200 

13 

37 

476 

Christiania. . . 

3 153 

23,6 

— 

166 

172 

439 

105 

9 

315 

Petersburg. . . 

25 742 

27,8 

228 

383 

472 

507 

294 

767 

3 730 

Warschau . . . 

11 735 

27.2 

668 

118 

277 

310 

40 

150 

1 663 

Big». 

4 738 

25,8 

190 

173 

197 

368 

103 

63 

188 

New-York . . . 

38 933 

26,4 

99 

767 

589 

2 167 

188 

323 

3 762 

Brooklyn . . . 

17 035 

22,9 

17 

168 

270 

94s 

59 

143 

1 632 

Philadelphia . . 

21 719 

21.9 

— 

358 

160 

415 

130 

621 

1 067 

Chicago .... 

15 4t>9 

21,9 

3 

341 

190 

1 405 

104 

387 

1 827 

Baltimore . . . 

8 872 

19,2 

— 

85 

36 

149 

98 

156 

725 

Boston. 

10 222 

25,6 

— 

112 

208 

415 

71 

185 

600 

Calcutta .... 

10 771 

24,9 

2 

24 

— 

17 

17 

3 146 

1 163 

Bombay .... 

20 287 

26,3 

113 

538 

— 

— 

— 

5 7oo 

1 635 

Madras. 

16014 

40,3 

13 

73 

— 

— 

— 

4 028 

2 9u9 

Cairo. 

17 067 

45,7 

50 

6 

— 

121 

419 

831 

5 982 

Alexandrien . . 

8718 

37,8 

63 

4 

1 

59 

133 

478 

2 118 


P. 


— Die ErkrankangsTerbUtaitwe der Elseabnhnbeanite». Von Seiten 
des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen sind die Ergebnisse der sta¬ 
tistischen Erhebungen über die Morbidität bei den dem Verein angehörenden 
Bahnverwaltungen soeben für 1886 veröffentlicht worden. Diese Beobach¬ 
tungen haben, mit Ausnahme einiger schon früher für die rheinischen Bahn- 
verwaltungen vorhandenen, mit dem Jahre 1880*) begonnen; nachdem die 
vom Kai.serl. deutschen Gesundheitsamt für das Jahr 1879 geplante Bear- 

*) Eine Gesammtübersicht der auf dem Gebiete der Erkrankungsverhält¬ 
nisse der Eisenbahnbeamten vorhandenen Beobachtungen findet sich in dem 
Aufsatz von Dr. J. Petersen: „Die Erkrankungs-, Invaliditäts- und Sterb- 
lichkeitaverhältnisse der Eisenbahnbeamten“ im „Deutschen Wochenblatt für 
Gesundheitspflege und Rettungswesen“ 1884 No. 17 u. 18. 


beitung aufgegeben worden, wurde vom Verein deutscher EiaenbahnverWei¬ 
tungen durch Beschluss der Generalversammlung im Jahre 1881 die facul- 
tative Führung einer Erkrankungsstatistik eingeführt. Während sich im 
Jahre 1880 21 Bahnen mit circa 60 000 Beamten betheiligten, stieg ihre 
Zahl im Jahre 1886 bereits auf 34 (darunter 6 österreichische uod die 
niederländische Staatsbahn) mit circa 100 000 Beamten. Während der ein¬ 
zelnen Berichtsjahre betrug die Zahl der Erkrankungen, bezw. die 
Erkrankungsziffer beim 



1880 

1881 

1882 

1883 

1884 

1885 

1886 

Gesammtpersonal . . . 

34502 

32534 37502 

39534 41392 45730 55062 

von je 100 Beamten . . 

54 

53 

47 

49 

47 

48 

51 

und zwar: 

a) Zugförderungsbearate 

88 

87 

79 

82 

85 

83 

89 

b) Zughegleitungsbeamte 

79 

78 

62 

64 

63 

65 

66 

c) Bahnbewachungs- uud 
Bahnunterhaltungs¬ 
beamte . 

46 

45 

34 

37 

34 

40 

42 


Ausser diesen drei Bearatengruppen werden seit 1885 noch besonders 
unterschieden: Statiousbcamte, Beamte für den niederen Stationsdienst, 
Weichenwärter und Bureau- und sonstige nicht benannte Beamte. Die 
Schwankungen der Erkrankungsziffer bei den 3 angeführten Beamtengruppen 
sind in diesen Jahren keine grossen gewesen. Was nun die einzelnen Krank¬ 
heitsformen betrifft, so entfallen die meisten Erkrankungen auf die allge¬ 
meinen und Blutkrankheiten (1886: 16 551 oder 30%) darunter rheuma¬ 
tische Leiden allein 10 179 Fälle, Diphtheritis 251. Dann folgen die Krank¬ 
heiten des Verdauungsapparats mit 13 448 oder 24,4%, darunter des Magens 
6533. Die Erkrankungen der Athmuugsorgane weisen 9420 Fälle oder 17% 
auf, darunter Lungen- und Brustfellentzündung 1114, des Kehlkopfs 713 und 
Lungenschwindsucht 530. — Erkrankungen des Nervensystems kamen 3300 
vor (6%), darunter 56 Geisteskranke. Auf die Kranheiten der äusseren 
Bedeckungen fallen 3054 Fälle oder 5,5%. — Die Zahl der Verletzungen 
im Dienst betrag 3670 oder 6,6% der Erkrankungen. Selbstmorde kamen 
32 vor. Fälle von Simulation gelangten 6 zur Beobachtung (1885: 14). — 
Die Ergebnisse dieser auf sicheren Grundlagen beruhenden Erkrankungs- 
Statistik bietet auch für den Arzt ein anschauliches Bild von dem Umfang 
und dem Maass, in welchem die Anforderungen des Dienstes an die Eisen- 
bahnbeamteu herantreten. Im Interesse der allgemeinen Gesundheitspflege 
sind diese Beobachtungen aber von um so höherem Werthe, als sie gerade 
eine Berafsklasse betreffen, deren Thätigkeit in hohem Grade körpetliehe 
und geistige Gesundheit erfordert. P. 

XTV. Therapeutische Mittheilungen. 

Das Ichthyol und seine Präparate in therapeutischer 

Hinsicht. 

Von Dr. Carl Pauli in Cöln. 

Ueber den Werth des vorstehenden Mittels sind bis jetzt die Ansichten 
der Aerzte getheilt, denn, indem es einige für ein ganz werthloses halten, 
schätzen es andere wiederum sehr hoch. 

Zu letzteren gehört zunächst Unna, der neuerdings einer mooographi- 
sehen Bearbeitung diesen Stoff unterzogen und denselben, innerlich und 
äusserlich gebraucht, gegen verschiedene Affectionen, besonders g«ga» ge¬ 
wisse Hautausschläge, warm empfohlen hat. 

Hieran schliesst sich Lorenz, dem seinen an dieser Stelle (1885, No.23) 
niedergelegten Erfahrungen zufolge das Ichthyol, „ein unübertroffenes, 
äusserlich entzündungswidriges Agens“, bei acutem und chronischem Gelenk¬ 
rheumatismus, bei Gicht, Mastitis, Panaritien und Contusionea „geradezu 
erstaunliche“ Dienste geleistet hat. 

Einen gleichen Standpunkt vertritt sodann Klony (Therapeutische 
Notizen von Rabow, 1. c. 1886, No. 9), welcher bei der grossen Zahl 
der au Pernioneu — auf offener See — leidenden Subjecte mit „geradezu 
überraschendem“ Erfolge sich einer Mischung von Ammon, icbthyolk. mit 
01. Terebinth. bediente. 

Nach ihm verschwindet ferner nach sofortiger Anwendung der frag¬ 
lichen Substanz bei Verbrennuugen 1. und 2. Grades der intensive Schmerz, 
uud bleibt an den damit bestrichenen Stellen Blasenbildung aus. 

Des Weiteren spricht sich fast ebenso günstig Klamann (Mittbei¬ 
lungen aus der Praxis. Zur Behandlung des Erysipels mit Ichthyol. AHg. 
med. Central-Zlg, 26. März 1887) aus, welcher, obgleich dieses Mittel bei 
Erysipelas einige gute Resultate erzielte, doch meint, dass es nicht überall 
dem Fortschritt dieser Infectionskrankbeit Halt zu gebieten im Stande sei, 
weshalb er in einzelnen schweren Fällen zu seinem alten Mittel, dem 
Terpenthinphenol, neben der innerlichen Darreichung von Natr. salicylic. 
mit Tinct. Aconit, zurückgegriffeu habe. 

Während nach ihm beim chronischen Gelenkrheuma der quäst. Stoff 
keine besondere Heilwirkung erkennen lie68, wirkte er gegen acute Synovitis 
in einzelnen Fällen recht gut, in anderen weniger gut. 

Nicht unerwähnt bleibe, dass diese Drogue, wie Klamann angiebt, 
den Nachtheil involvirt, dass sie bei manchen Personen eia so heftiges 
Brennen hervorruft, dass dieselben nicht zu bewegen sind, jene weiter an¬ 
zuwenden. 

Zu diesen günstigen Erfahrungen kommen endlioh noch die roeinigen, 
welche dahin lauten, dass es kein Mittel giebt, welches bei Distorssonen 
und Contusionen mehr zu leisten vermag als die extern applicirten Icbthyol- 
präparate. 

Dasselbe gilt vielleicht — nur 3 Fälle kamen zur Behandlung — von 
Lymphangitis. 

Daher lag der Gedanke nahe, damit auch gegen Erysipelas einzuschreiten. 

Indess der Rath Oppolzer’s: Man soll am Alten, wohl Bewährten 
nicht rütteln: bestimmte mich, die ursprüglich von Schwimmer *ur Ver¬ 
hütung von Pockennarben angegebene und dann von Gayza Faludi (Zur 


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25. October. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Behandlung des Erysipels. Pester med. chir. Presse 1882 No. 3) gegen 
die genannte zymotische Krankheit empfohlene Verbindung; Acid. carbolic. 
2,0, 01. Olivar. 4,0, Cretao albissira. q. s. ut f. pasta mollis: auch ferner bei¬ 
zubehalten. 

Ueber die Wirksamkeit der Ichthyolpräparate bei Hautleiden stehen 
mir keine Erfahrungen zur Seite, jedoch ist anzunehmen, dass sie sich hier 
ihres Schwefelgehaltes wegen unter Umständen nützlich erweisen. 

So sollen sie nach Unna da, wo das salicylsaure Natron und das 
Atropin gegen chronische Nesselsucht im Stiche lassen, innerlich und äusser- 
lich mit ziemlicher Sicherheit für diese Mittel eintreten. 

Betreffs des Nutzens jener Präparate bei chronischem Gelenkrheuma¬ 
tismus harmoniren im Allgemeinen meine Beobachtungen mit denen Kla¬ 
ra an n’s; doch sei der Hinweis gestattet, dass eine ältere Dame, seit länger 
als 20 Jahren an diesem Uebel in hohem Grade leidend und in Folge dessen 
gegen alle dagegen angepriesenen Mittel sehr skeptisch, das von mir ver¬ 
ordnte Ichthyol trotz angeblicher Erfolglosigkeit doch schon seit vielen 
Monaten, wie mir ihre Tochter vertraulich inittheilte, jeden Abend in die 
schmerzenden Gelenke einreibe, weil sie hiernach besser schlafe. 

Aus diesem Grunde möchte der Versuch, unter solchen Umständen, 
welchen wir so rathlos gegenüberstehen, auch ferner au eine gleiche Enchei- 
reee zu recurriren, immerhin eine gewisse Berechtigung haben. 

Anlangend noch den Wirkungsmodus des fraglichen Medicaments, so 
erweitert dasselbe, in’s Blut gebracht, im Widerspruch mit Unna nach 
H. Thomson in Dorpat (Ueber die Beeinflussung der peripherischen Ge- 
fässe durch pharmakologische Agentien. Petersh. med. Wochschr. VII. 27. 28. 
1887) ebenso wie Tannin und Resorcin die Blutgefässe, was es auch 
nach Treu (Inaugur.-Diss. Dorpat 1887) bei cutaner Anwendung thut. 


— Nach den Erfahrungen Rabe’s (Adam’s Wocheusehr. f. Thierheilk 
XXXI No. 9) ist eine Salbe von 50,0 Lanolin mit 3.0 Ichthyol in Verbin¬ 
dung mit einem Geruchscorrigens als vorzügliches Mittel gegen das Ekzema 
intertriglnoseui und das Erythema exfolintivum der Gesichtshaut zu 
empfehlen. (Ref. von Johne, Fortschr. d. Med. 1888, No. 20.) 


— Artmann's Creolln, von Medicinalrath Prof. Robert Otto in Braun¬ 
schweig (Pharruaceutische Centralhalle 1888, No. 39). Die Mittheilungeu 
Otto’s betreffen das neuerdings von einem Braunschweiger Theeriudustriel- 
len, Artmann, dargestellte und mit dem englischen (Jeyes’schen) chemisch 
vollkommen identische Creolinpräparat; sie bezwecken zugleich, r dem deut¬ 
schen Creolin die Stellung anzubahnen, welche ihm neben dem englischen 
logischer Weise gebührt“, wenn man sich berechtigt hält, das letztere als 
ein so werthvolles Antisepticum anzusehen, wie dies bekanntlich neuerdings 
von verschiedenen Seiten geschieht (vgl. z. B. Neudörfer, Internat, klin. 
Rundschau 1888, No. 10). 

Das Artmanu’sche Präparat wird aus dem nach Entfernung der Car- 
bolsäure bleibenden, etwa zwischen 180 und 220° siedenden Autbeil des 
schweren Steinkohlentheeröls nach einem Verfahren dargestellt, welches die 
völlige Abscheidung der noch vorhandenen Reste der Carbol- 
säure, die Ueberführung eines geringen Theils der höheren, angeblich nicht 
giftigen Phenole — Kresole etc. — in Alkalipbenolate, sowie auch die Ver¬ 
wandlung der etwa in geringer Menge erzeugten Sulfonsäuren der Phenole 
und basischen pyridinartigeu Beimengungen in salzartige Verbindungen zur 
Folge hat. Es giebt, wie das englische Creolin, mit Wasser eine stark 
milchige, schwach alkalische Flüssigkeit, die ihren emulsionsar¬ 
tigen Charakter erst nach längerem Stehen verliert. Das Artmann’sche 
Creolin stellt, gleich dem Jeyes’schen Präparate, eine dickliche, dunkel¬ 
braune, vollkommen klare Flüssigkeit dar, von 1,10 spec. Gew. bei 20". mit 
Alkohol in jedem Verhältnisse zu einer nicht fluorescirenden Lösung misch¬ 
bar. Es hinterlässt 3,3$ Asche, die namentlich aus Natriuiusulfat und Chlor¬ 
natrium, sowie Natriumcarbonat besteht. Die milchige Trübung in Wasser 
wird durch wasserunlösliche oder schwerlösliche, dem Präparate mittelst 
Aether, Benzol u. 6. w. eutziehbare Substanzen bedingt und durch Zusatz 
ven Salzsäure, Schwefelsäure, auch von Natronlauge sofort aufgehoben. Der 
aus Creolin und Wasser hergestellten und dann mit Natronlauge bis zur 
öligen Abscheidung der ein ul giften Stoffe versetzten Milch konnten durch 
Aetber ungefähr 47$ Kohlenwasserstoffe und 2$ basische Verbindungen ent¬ 
zogen werden, so dass in dem Creolin gegen 50$ Phenole angenommen wer¬ 
den müssen. — Auf welchen Bestandtheilen die emulgirenden Eigenschaften 
des Artmann’schen Creolins beruhen, lässt sich mit Sicherheit zur Zeit 
nicht angeben; jedenfalls nicht auf den Alkaliphenolaten — eher vielleicht 
auf den in kleiner Menge beigemischten phenolsulfonsauren und pyridinsul- 
fonsauren Alkalisalzen. 

Schliesslich bemerkt Otto, dass, ,welcher Zukunft das Creolin auch 
entgegengehen möge, den Nutzen man ihm wenigstens nicht wird absprechen 
können, auf die Förderung unserer Kenntnisse von der desinficirenden 
■Wirkung der früher kaum beachteten höheren Phenole der 
schweren Theeröle in hohem Grade anregend gewirkt zu haben.“ Die 
werthvollen Bestandtheile der genannten, massenhaft zur Verfügung stehen¬ 
den Producte der Theerindustrie dürften mit der Zeit unzweifelhaft eine 
dauernde Verwerthung, sei es im Creolin, oder in einer anderen, von werth¬ 
losen Beimengungen des jetzigen Präparates noch mehr befreiten, geeigneten 
Form finden. A. Eulenburg. 

— Auf Grund einer Reihe von Versuchen kommt Behring (D. Militär- 
ärztl. Zeitschr. No. 8) Ueber deji antiseptiseben Werth des Creolins und 
Bemerkungen Ober die Glftwlrknng antiseptischer Mittel zu folgendem 
Resume: 

I. Zur Orientirung über den antiseptischen Werth eines Mittels, welches 
in der Wundbehandlung Verwendung finden soll, ist die Prüfung seiner ent¬ 
wickelungshemmenden und bacterientödtenden Fähigkeit in einem ei weiss¬ 
haltigen Nährsubstrat zu fordern. 

II. In eiweisshaltigen Flüssigkeiten hat das Creolin sehr viel geringere 


antiseptische Wirkung als in ei weissfreien; in eiweisshaltigem Nährsubstrat 
leistet es 3 bis 4 Mal weniger als die Carbolsäure. 

III. Zur Desinfection von inficirten Wunden, bezw. von Wundflüssig¬ 
keiten und Eiter, erweist sich 2%ige wässerige Creolinemulsion als ganz 
ungenügend. 

IV. Creolin ruft bei Mäusen und Meerschweinchen, subcutan injicirt, 
charakteristische Giftwirkungeu hervor; die tödtliche Dosis ist etwa 4 mal 
grösser, als bei der Carbolsäure. 

V. Auf den antiseptischen Werth im Blutserum und Blut bezogen, ist 
für kleinere Thiere die relative Giftigkeit des Creolins, der Carbolsäure, des 
Sublimats etc. ungefähr gleich gross. 

VI. Für grössere Thiere ist es schwer, in kürzerer Zeit die tödtliche 
Creolindosis subcutan beizubringen. Das Creolin wird schnell wieder aus- 
geschieden und darf bei vorübergehendem Gebrauch für grössere Thiere 
als ungiftig angesehen werden. 

VII. Bei fortgesetztem Gebrauch des Creolins ist auch für grössere 
Thiere und für den Menschen die Gefahr der Erkrankung nicht auszuschüessen; 
und es empfiehlt sich, bei ausgedehnterer längerer Anwendung dieses Mittels 
regelmässige Harnuntersuchungen vorzunehmen. 

— Znr Behandlung der Paraphimose gebraucht Penkin (Med. 
Obsr. 9 u. 10) an Stelle der bis jetzt üblichen, ziemlich weitläufigen und 
nicht rasch heilenden Methoden (Einsclmeiden des eingeschuürten Ringes 
und Druck vermittelst einer elastischen Binde mit nachträglicher Reposition) 
eine Methode, welche von englischen Aerzten vorgeschlagen, doch nicht die 
Verbreitung, welche sie verdient, gefunden hat. Man nimmt am besten eine 
Schnur, wie sie in den Apotheken zum Verbinden der Flaschen gebraucht 
wird und wickelt damit in Touren den geschwollenen Penis von der Eichel 
bis etwa zur Mitte des Gliedes ein, nach 2—3 Minuten wird die Schnur 
abgewickelt, worauf die Eichel mit der grössten Leichtigkeit reponirt werden 
kann, wovon sich Penkin in einer grösseren Zahl von Fällen überzeugt 
hat. Die Kranken verfügten sich sofort nach erfolgter Reposition nach 
Hause und waren in 2—3 Tagen vollkommen gesund (Ref. i. d. St. Petersb. 
med. Wochenschr. 1888, No. 39). 

— Auf dein jüngst stattgefundenen Congress der französischen Gesell¬ 
schaft für Laryngologie empfahl Dr. Ru nult die Behandlung der Ozaena 
mit Naphtol. Er irrigirt die Nasenhöhle 3—4 Mal täglich mit folgender, 
unmittelbar vor jeder Ausspülung frisch zu bereitenden Lösung: Zu einem 
Liter Wasser wird ein Löffel einer Lösung von 

Natr. borac. 

Natr. biearb. aa. p. aeq. 
und ein Kaffeelöffel einer Lösung von 

Naphtol ß 12,0 
Alcohol. (900) 84,0 

zugesetzt. In sehr hartnäckigen Fällen wird nach vorausgegangener Aus¬ 
spülung ein mit folgender Lösung getränkter Wattetampon in die Nase 
eingeführt und 1 /t Stunde darin gelassen: 

Rp. Naphtol ß 12,0 
Tinct. Quillayae 88,0 
Aq. dest. 400,0 

Die Vorzüge dieser Behandlung sind ein rasches Schwinden des Geruches 
und eine bedeutende Verminderung der Secretion. Der einzige Nachtheil 
des Naphtols ist ein unmittelbar nach dessen Gebrauch sich einstellendes 
leichtes Brennen, das aber sehr bald aufhört. 

— Havilland Hall (Clinical society of London) empfiehlt bei acuter 
parenchymatöser Tonsillitis. Pinselungen mit einer 20°, o Cocalnlösnng. 
Er hat davon in mehreren Fällen mit erheblichen Erscheinungen ausgezeich¬ 
nete Erfolge gesehen. Die Kranken, die vorher gar nicht schlucken, konnten 
nach der Pinselung gleich Nahrung zu sich nehmen. Vor der Pinselung 
wendet Hall einen Spray von 2.5%iger Sodalösung an, weil dann das Co¬ 
cain besser einwirkt. Sowie die Kranken besser schlucken, bekommen sie 
Eisenchlorid mit etwas Chinin. 


— G. N. Stephen empfiehlt (Brit. med. Journal 9. Juni) das Antipyrin 
gegen Cerebrospliialinenlngltls. Die Erfolge, die er damit erzielt hat, 
sind so ausserordentlich zufriedenstellende, dass er nicht ansteht, das Mittel 
als das einzig wirksame „Heilmittel“ zu bezeichnen, das wir gegen diese 
Krankheit besitzen. Er giebt 3,25 g Antipyrin tägl. in 3 Theile getheilt. 

— Von der Beobachtung ausgehend, dass das Antipyrin die Harn- 
secretion vermindert, hat Huchard das Antipyrin gegen Diabetes ange¬ 
wendet. In der Sitzung der Pariser therap. Gesellschaft vom 28. Februar 
berichtete er über folgenden Fall: Eine 38jährige Frau, die seit 20 Jahren 
an Meningomyelitis nach Abdominaltyphus litt, war seit einigen Monaten 
von einer enormen Polydypsie gequält und entleerte täglich 24—28 1 Harn. 
Huchard gab ihr Antipyrin, und zwar bis zu 8 g täglich, und nach 9 Tagen 
entleerte die Patientin nur 5 1 Harn täglich. In der Sitzung derselben Ge¬ 
sellschaft vom 11. April theilte Huchard ferner die Krankengeschichte eines 
Diabetikers mit, der 10 1 Harn täglich mit 800 g Zucker entleerte. In den 
ersten Tagen, während welcher Patient 6 g Antipyrin täglich bekam, war 
kein Erfolg wahrnehmbar, aber schon am 4. Tage sank die Urinmenge auf 
5 l /a 1 und die des Zuckers auf 303 g. Nun wurde die Dosis des Antipyrins 
herabgesetzt, worauf die Harnmenge auf 4 900 g und die Zuckermenge auf 
271,08 g sank. Sowie das Antipyrin ganz ausgesetzt wurde, stieg wieder die 
Harn- und Zuckermenge. Auch Dujardin-Beaumetz erzielte bei 3 Dia¬ 
betikern mittelst 2 g Antipyrin täglich eine bedeutende Herabsetzung der 
Ham- und Zuckermenge. Diese Thatsachen finden ihre Erklärung in den 
von Lepine und Porteret in der Pariser Academie des Sciences in der 
Sitzung vom 3. April mitgetheilten Versuchen, aus welchen hervorgeht, dass 
das Antipyrin die Umwandlung des Glykogens der Leber in Zucker hemmt. 


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894 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43 

XV. Die partielle Kehlkopfexstirpation. 

Von Max Scheier, prakt. Arzt. 


Sir More 11 Mackenzie veröffentlicht in der Schrift „Friedrich 
der Edle und seine Aerzte, Styrum 1888“ eine Statistik (p. 119 
und folgende) über die Erfolge der operativen Behandlung des 
Kehlkopfkrebses. Diese Statistik weicht erheblich von derjenigen 
ab, die ich in No. 23 d. J. dieser Wochenschrift veröffentlicht habe. Ich 
muss jedoch die von mir angegebenen Zahlen nebst den 
daraus gezogenen Schlüssen iu jeder Weise aufrecht er¬ 
halten und die von den meinen abweichenden Angaben 
Mackenzie’s für irrthümlich erklären. 

Es kommt hierbei wesentlich auf die Erfolge oder Misserfolge 
der partiellen Kehlkopfexstirpation au. Ich benutze deshalb 
die Statistik dieses Operationsverfahrens, um den Leser dieser 
Wochenschrift in den Stand zu setzen, sich selbst über diese Frage 
ein Urtheil zu bilden. 

Die Statistik Mackenzie's, die partielle Kehlkopfexstirpation 
betreffend, lautet nebst der Analyse der Tabelle wörtlich: 

„Th eil weise Ausschnei düng des Kehlkopfes. 

NB. Dies ist die Operation, welche nach Prof. Berginanu’s Zuge¬ 
ständnis (siehe „die Krankheit Kaiser Friedrich 111.“ Seite 23) derselbe 
wahrscheinlich vorzuuehmen genöthigt gewesen wäre. 


o 1 

73 


I| 

R 



£ 6 
= Z 

.3 

Operateur 

j.8 

— « 
<0. 

3 

5 

Krankheit 

Verlauf der Operation 

1 

Billroth . . . 

50 

1878 

Epitheliom 

Tod nach 16 Monaten; Recidiv 
nach 6 Monaten. 

2 

Revher . . . 

57 

1880 

Krebs 

Kein Recidiv nach 14 Monaten. 

3 

Billroth . . . 

65 

1881 


Tod 5 Wochen nach der Operation. 

4 

Schede . . . 

42 

1882, Epitheliom 

Lebte noch 17 Monate nach der 
Operation. 

5 

Skliffkowski. . 

47 

1882 

Krebs i 

* Recidiv in 3 Monaten. 

6 

Wagner . . . 

53 

1883 


Tod den 12. Tag nach der Operat. 

7 

Halm.... 

54 

1883 

n 

Tod nach 16 Monaten nach 2. 
Operation, welche zufolge Reci- 
divs nothweudig war. 

8 

Billroth . . . 

60 

1883 

Epitheliom 

Tod 5 Wochen nach der Operation. 

9 

Billroth . . . 

60 

1884 

Krebs 

Lebte noch 3 Monate darauf, 
musste aber Canüle tragen. 

10 

Billroth . . . 

58 

1884 

Ti 

Tod; Recidiv nach 7 Wochen, er¬ 
streckte sich auf die Drüsen. 

11 

Billroth . . . 

46 

1884 


+Als in 6 Wochen geheilt gemeldet. 

12 

Hahn .... 

43 

1884 


Tod nach 4 Tagen, an Pneumonie. 

13 

Stoerk . . . 

— 

1885 

Epitheliom 

Lebte noch im November 1887. 

14 

Bergmann . . 

46 

1885 

Krebs 

Lebte noch 1886. 

15 

Billroth . . . 

— 

1885 


Resultat unbekannt. 

16 

Salzer . . . 

65 

1885 


Tod nach 5'/a Wochen an Pyämie. 

17 

Salzer . . . 

60 

1885 


Tod nach 6 Wochen an Pneumonie. 

18 

Salzer . . . 

58 

1885 


Recidiv nach 7 Wochen. 

19 

Salzer . . . 

41 

— 

Epitheliom 

Recidiv nach 2 Monaten. 

20 

Pick .... 

— 

1886 

Krebs 

Tod 10 Woehen nach der Operation. 

21 

Socin.... 

56 

1886 

» 

Tod nach 13 Wochen, eine zweite 
Operation wurde nothweudig 3 
Wochen vor dem Tode. 

22 

Hahn .... 

68 

1886 


Tod am 11. Tage. 

23 

Hahn .... 

52 

1886 

Epitheliom 

Geheilt. 

24 

Butlin . . . 

50 

1886 


Lebte 5Monate uaeh der Operation. 

25 

Lennox Browne 

61 

1886 


Tod nach 13 Monaten. 

26 

Kraske . . . 

— 


Krebs 

Recidiv nach 16 Monaten. 

27 

Kraske . . . 

— 


n 

Recidiv in 4 Monaten. 

28 

Mikulicz . . . 

— 

— 


Lebte 1 Jahr nach der Operation. 

29 

Penn .... 

oi 

1887 

Epitheliom 

§Tod am 15. Tage an Darmver¬ 
schlingung; Recidiv hatte statt¬ 
gefunden. 

30 

Hahn . . . 

43 

1887 


Tod am 15. Tage. 

31 

Simanowski 



Krebs 

Lebte 1 Jahr später. 

32 

Hahn .... 

36 

1887 

_ 

Kein Recidiv nach 5 Wochen. 

33 

Rushton Parker 

39 

1887 Epitheliom 

Tod nach 4 Monaten. 

34 

Multanowski 

47 

1882 

Krebs 

Recidiv nach 3 Monaten. 

35 

nuhn .... 

42 

IS8S 

Ti 

Nachfolgende Tracheotomie. Die 
Drüsen sehr vergrössert. 


*) Da die Krankheit Krebs ist, so müssen alle Recidive als Todesfälle 
angeführt werden. 

f) In 6 Wochen „geheilt“ hat keinen anderen Siuu, als dass der Patient 
nicht durch die üperution getödtet wurde. 

§) Obgleich dieser Patient 15 Tage nach der Operation starb, ist er 
doch nicht unter den Todesfällen eingeschlossen, die unmittelbar aus der 
Operation erfolgten. Zu gleicher Zeit ist es durchaus nicht sicher, dass der 
auf die Operation folgende Husten die wirkliche Ursache der Darmver¬ 
schlingung war. 


Analyse der Tabelle. 

Diese Tabelle zeigt, dass von 35 Operationen 15 tödtlich ausfielen, 
also 42.8 Procent. 

Der Tod trat als unmittelbare Folge der Operationen in 8 Fällen ein: 
in 1 Fall am 4. Tage, in 1 am 11., in 1 am 12., in einem am 15. Tage, 
zweimal in 5 Wochen, iu 1 Fallo in 5 l /a Wochen und in 1 Falle in 6 
Wochen. Die unmittelbare Sterblichkeit war also 8 Fälle aus 35 oder 
22.8 Procent. In den übrigen Fällen trat der tödtliche Ausgang ein ein¬ 
mal in 7 Wochen, einmal in 10 Wochen, einmal in 13 Wochen, einmal 
in 4 Monaten, einmal iu 13 Monaten und zweimal zu Ende von 16 Monaten. 
In den übrigen Fällen sind keine Details gegeben, oder die Patienten lebten 
noch zur Zeit, als der Bericht ausgegeben wurde. Ein Patient lebte 2 Jahre. 

Recidiv trat iu 9 Fällen ein. aber in manchen Fällen wird über diesen 
Punkt keine Auskunft gegeben. In 1 Falle (No. 4) heisst es: „Der Kranke 
lebt noch“, iu einem andern: „Der Patient musste noch die Canüle tragen*. 
Dies beweist, dass entweder das Gewächs zur Zeit der Operation unvoll¬ 
ständig weggenominen wurde, oder, dass das Recidiv sofort eintrat. Bei 
einem anderen Falle wird berichtet: geheilt nach 6 Wochen, was einfach 
besagt, dass der Patient nicht an den unmittelbaren Folgen der Operation 
starb. In einem anderen Falle (No. 15) ist das Resultat unbekannt; eigent¬ 
lich kann bei dieser Tabelle das wirkliche Verhältniss der Recidive nicht 
festgestellt werden. E> ist jedoch wahrscheinlich, dass nach dieser Operation 
die Recidive nicht nahezu so häutig eintreten, wie in dem Fall der 
Thyreotomie, weil tlieilweise Ausschneidung viel günstigere Bedingungen 
für die Wegschaffung des ganzen Gewächses darbietet, als die einfache 
Thyreotomie. Bezüglich des Falles No. 35 hörte ich am 28. Juli 1888 von 
einem Berliner Correspondouten, dass der Patient, welcher im Monat Februar 
von Dr. Hahn operirt worden war. am 7. April mit grosser Dyspnoe wieder 
in das Hospital aufgenommen wurde. Tracheotomie musste vorgenommen 
werden. Es hiess, dass die Drüsen auf beiden Seiten des Halses sehr ge¬ 
schwollen waren. 

Erfolg trat nur in einem einzigen Falle (No. 23) von 35 Fällen ein 
oder 2.8 Procent. Dieses ist der einzige erfolgreiche Fall nach der 
Operation theilw« iser Ausschneidung des Kehlkopfes, aber man dürfte 
finden, dass die Operation vielleicht viel erfolgreicher ist, als einfache Thy- 
reotomie aus den Gründen, welche soeben angegeben wurden, als wir das 
Thema der Recidive behandelten.“ 

Dom gegenüber verweise ich auf die von mir in No. 23 dieser 
Wochenschritt gegebene Tabelle und recapitulire zu diesem Behuf 
in kurzem wie folgt: 

Aus der Litteratur hatte ich vom Jahre 1880 bis Mai 1888 
folgende Fälle von partieller Exstirpation des Larynx gesammelt: 

A. Fälle, die innerhalb der ersten 14 Tage post operationem 
starben: Fall 31.') Hahn. 32. Wagner. 

B. Fälle, die iu der 3. bis 6. Woche p. op. starben: Fall 33. 
Salzer. 34. Hahn, 35. Salzer. 

C. Fälle, die die Operation überstanden, aber später Recidiv 
bekamen: Fall 36. Salzer, 37. Salzer, 38. Parker, 
39. Multanowski, 40. Hahn. 

D. Geheilte Fälle, die zu kurze Zeit beobachtet worden sind: 
Fall 41. Hahn, 42. Salzer, 43. Browne, 44. Hahn, 
45. Salzer, 46. Butliu, 47. Demons, 48. Foulis- 
R e y h e r. 

E. Geheilte Fälle, die länger als 18 Monate unter Beobachtung 
standen: Fall 49. Semon, 50. Schede, 51. StÖrk, 
52. Fraenkel, 53. Hahn. 

Vergleichen wir die Tabelle Mackenzie’s mit der meinigen. 

! so fehlt in der ersteren zunächst der von mir unter No. 52 
! (B. Fraenkel) angeführte Fall. Es ist dies derjenige Fall, der in 
| der Denkschrift der deutschen Aerzte p. 20 von Geheimrath 
i v. Bergmann besonders hervorgehoben wird, indem v. Bergmann 
erwähnt, dass der betreffende Patient, Czygan mit Namen, während 
der Abfassung des Schriftstücks neben ihm stehe. 2 ) Es ist kaum 
anzunehmen, dass dieser Fall Mackenzie entgangen sein sollte, 
uud muss deshalb das Verschweigeu desselben anderen unbegreif- 
; liehen Gründen zugesebrieben werden. Schon aber dieses Falles 
wegen ist der gesperrt gedruckte Satz der Mackenzie’scheu Ana¬ 
lyse, dass „nur ein einziger erfolgreicher Fall nach der 
Operation theilweiser Ausschneidung des Kehlkopfes existire“, hin¬ 
fällig. 

') Die Zahlen entspiechen den laufenden Nummern meiner Statistik. 

■) Auf p. 113 seiner Schrift bemerkt Mackenzie in Bezug hierauf: 
„Ich hörte nie von dem Fall, bis ich von demselben in dem deutschen 
Pamphlet las“. Der Fall ist aber von Prof. B. Fraenkel auf dem XV. Chi- 
rurgeucongress 1886 bereits vorgestellt und von ihm im 34. Bande von 
Langenbeck’s Archiv veröffentlicht worden. Jedenfalls hätte er in der 
Mackenzie’schen Tabelle nicht fehlen dürfen, da Mackenzie durch obigen 
Ausspruch zeigt, dass er vor der Publication seiner Tabelle ihm bekannt 

g eworden ist. Der von ihm unter No. 14 aufgeführte Fall ist ein anderer. 

erselbe wurde von Dr. Bergmann (Riga) operirt und stellt eine Total¬ 
exstirpation dar. 


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25. October. 

Aber auch die anderen von mir als dauernd geheilten Fälle 
sind durchaus als solche aufrecht zu erhalten. Fall No. 50 (Schede) 
meiner Tabelle wird von Mackenzie uuter No. 4 damit abgefer¬ 
tigt, dass er sagt, „lebte noch 17 Monate nach der Operation“. 
Dieser Fall wurde aber von Schede auf dem XIII. Chirurgeucon- 1 
gress (Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1884, j 
p. 91) l 1 /? Jahre nach der Operation als vollkommen geheilt und i 
ohne Recidiv uud mit .vollkommen lauter natürlicher Stimme 
sprechend“ vorgestellt. Er machte den Eindruck eines durchaus ge¬ 
sunden Mannes, und es ist mir unerfindlich, warum er nicht als 
dauernd geheilt betrachtet werden soll. 

Der Störk'sche Fall (No. 51 meiner Tabelle) war 2'/4 Jahr nach 
der Operation recidivfrei. trug zwar eine Canüle, dies aber mehr 
aus Gewohnheit als aus Nothwendigkeit. Wenigstens konnte er bei 
geschlossener Canüle gut athmen. Den Fall Hahn (No. 53 meiner 
Tabelle) führt Mackenzie ebenso wie Hahn unter den Totalex¬ 
stirpationen auf. obgleich ich in meiner Arbeit ausdrücklich bemerkt 
habe, dass derselbe sein rechtes Stimm band noch besitzt und das- j 
selbe in normaler Weise bewegt, und auch Hahn selbst auf dem ’ 
XIII. Chirurgencongress (Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft 1 
für Chirurgie p. 87) sagt, dass hei ihm ..die Hälfte des Ring- 1 
knorpels und die halbe Cartilago thyroidea, ein grosser Theil des j 
Zungenbeins und die Epiglottis“ entfernt wurde. 

Es sind also in der That 5 Fälle von Kehlkopfkrebs durch | 
die partielle Exstirpation dauernd geheilt worden. 

Was nun meine Rubrik D. anbelangt, so fertigt Mackenzie i 
sie dadurch ab, dass er sagt, eine frühe Publication eines geheilten ; 
Falles beweise nur. „dass der betreffende Patient durch die Ope- j 
ration nicht getodtet sei.“ Dies ist. durchaus willkürlich. Denn ! 
nur die fernere Beobachtung des Patienten kann über die Frage, i 
ob die Operation vorübergehenden oder dauernden Erfolg gehabt ] 
habe, entscheiden. In dieser Beziehung erwähne ich z. B., dass j 
Hahn in seiner neuesten Publication (Arch. f. kliu. Chir. 1888) an- 
giebt. dass Fall No. 41 und No. 44 6 resp 3 Monate recidivfrei 
wareu, während ihre Heilung sowohl von Mackenzie als von mir 
nach der früheren Publicatiou Hahn's nur nach Wochen gezählt wird. 
Wir müssen also die als geheilt beschriebenen, aber zu j 
früh veröffentlichten Fälle unter dieser Rubrik solange j 
statistisch aufführen, bis wir über das weitere Schicksal I 
der Patienten Nachrichten erhalten, und wir können solche I 
Fälle nicht einfach unter die Todten werfen. 

Ein weiteres Beispiel hierfür bildet der Fall Bergmann No. 14 j 
der Mackenzie’schen Tabelle. Mackenzie sagt von ihm „lebt 
noch 1886“. Derselbe wurde aber noch 1888 auf dem Chirurgen- 
congresse in Berlin lebend und recidivfrei erwähnt. Wir müssen 
jedoch hier von ihm absehen, da er eine Totalexstirpation (No. 119 
meiner Statistik) darstellt und von Mackenzie irrthümlich uuter 
den partiellen erwähnt wird. Derartige Dinge zeigen, wie ungenau 
die Mackenzie'sche Statistik ist, obgleich er sie für absolut sicher 
hinstellt. 

Ich habe aber meinen Augen kaum getraut, als ich beim 
Studium der Mackenzie’schen Tabelle an eine Anzahl un¬ 
glücklich verlaufener Operationsfälle kam, die er doppelt 
aufführte. Die Fälle Billroth's siud von dem Assistenten des- j 
selben „Salzer“, der Fall Skliffkowski von Multanowski publi- I 
cirt worden. Mackenzie führt nun diese Fälle sowohl unter dem 
Namen ihrer Operateure, Billroth’s No. 3, No. 8. No. 10 und 
Skliffkowski’s No. 5, wie unter dem Namen des Publicirenden, 
Salzer No. 16. No. 17. No. 18 und Multanowski No. 34 auf, hat 
jedoch vorsichtiger Weise das Datum der Operation geändert. 

Auf diese Weise schafft er 4 in der Wirklichkeit nicht 
existirende Beobachtungen von unglücklichen Fällen, was die pro- 
centischen Verhältnisse der Statistik bei einer so geringen Gesammt- 
zahl wesentlich verschiebt. Hierzu kommt, dass er einen Fall von 
Hahn mit tödtliehera Ausgange bei der partiellen Exstirpation, 
No. 12 seiner Tabelle, aufführt, der unter die Totalexstirpationen 
gehört und von ihm allerdings auch hier unter No. 81 angegeben ist. 

Während also in der Mackenzie’schen Tabelle auf 
der einen Seite dauernd geheilte Fälle einfach ver¬ 
schwiegen oder weginterpretirt werden, wird auf der 
anderen Seite die Anzahl der unglücklich verlaufenen ■ 
Fälle in vorstehend angeführter, bei der Wichtigkeit der 
Sache höchst erstaunlicher Weise vermehrt. 

Den Fall No. 1 der Mackenzie’schen Statistik hatte ich in 
meiner Tabelle nicht angeführt, da derselbe vor dem Jahre 1880 
operirt war. Ueber die Fälle No. 15, 20, 21, 26, 27, 2S, 29, 31 
in Mackenzie’s Statistik vermag ich nichts auszusagen, da ich 
dieselben trotz beharrlichen Sucheus in der mir zugänglichen Literatur \ 
nicht gefunden habe. Die Mackenzie’sche Tabelle leidet an dem 
Mangel, dass in derselben überhaupt kein Hinweis auf die 
literarische Quelle gemacht wird. So muss man zur Controle 
unbekannter Fälle sich an die Sammelwerke halten. Ich habe auf 


895 


genannte Fälle im internationalen Centralblatt für Laryngologie etc. 
und im Jahresbericht von Virchow-Hirsch uoch einmal gefahndet, 
sie aber nicht finden können. 

Nehmen wir aber einmal an, die Fälle existirten in 
Wirklichkeit, so würden durch dieselben, da darunter sich noch 
2 Fälle befinden, die noch 1 Jahr nach der Operation geheilt sein 
sollen, die Endresultate nur unwesentlich von meinen Angaben ab- 
weicheu. Wir würden nur dann statt 56% % Heilungen 50% 
haben. Das Resume meiner Tabelle war, dass „9 % Todesfälle 
durch die Operation, 13 1 /-» °/o Todesfälle durch die Nachbehandlung 
eintraten, dass Recidiv in 21 1 /->% und schliesslich in 5672% Heilung 
erfolgte, von denen wegen zu früher Publication 35 % subtrahirt 
werden müssen. Was die Recidive anbelangt, so muss hervor¬ 
gehoben werden, dass in diesen Fällen die Operation das Leben bis 
zum Eintritt des Rccidivs, also in einem Falle bis 16 Monate ver¬ 
längert hat.“ 

Bei der Wichtigkeit, die die Frage der halbseitigen Exstirpation 
des Kehlkopfes bei Krebs hat, habe ich es für meine Pflicht ge¬ 
halten, Vorstehendes der Oeffentlichkeit zu übergeben. 

XVI. Die unsererseits gegen Herrn Mackenzie gemachten 
Ausführungen erhalten durch nachstehende Erklärung einen weiteren 
Commentar: 

Die Unterzeichneten erklären: 

1. Dass in dem Sectionsprotokolle, welches zu Schloss Friedrichs- 
kron am 16. Juni 1888 aufgennmmen wurde, von einer Abscess- 
höhle gar keine Rede ist. 

2. Dass die. Seite 101 des Berichts erwähnte, grosse, mit morti- 
fieirten Fetzen bedeckte Fläche von 9 cm Länge derselben 
einzigen Vorgefundenen Höhle angehört, von welcher auch 
zu Anlänge des Protokolles die Rede ist, nämlich der, durch 
die. bei der Einbalsarnirung eingeführte Watte, ausgedehnten 
Höhle des Kehlkopfes und oberen Trachealabschnittes, welche 
durch Zerfall und Geschwürsbildung innerlich zerstört waren. 

3. Dass aus dem Obductionsprotokolle nicht gefolgert werden 
kann, es habe jemals eine Abscesshöhle bestanden. 

4. Dass dasjenige Gewebe, in welchem nach Sir Morell Macken¬ 
zie’s Bericht und Figur p. 80 seiner Brochüre die Canüle auf 
falschem Wege liegen und der fragliche Abscess vorhanden ge¬ 
wesen sein soll, bei der Section als normal und ohne narbige 
Veränderungen vorgefunden wurde. Vgl. p. 102 des Berichts 
der deutschen Aerzte, Alinea 3. 

5. Dass die Luftröhre in ihrer ganzen Ausdehnung bis zu den 
Bronchien eröffnet worden ist. (Vgl. p. 102 des Berichts der 
deutschen Aerzte, Alinea 9, „nächstdem folgt normale Schleim¬ 
haut über den noch erhaltenen Trachealringeu.“) 

Berlin, den 17. October 1888. 

Rud. Virchow’. Wilh. Waldeyer. 


XVII. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Seine Majestät der Kaiser haben geruht, dem Geh. Medi- 
cinalrath Prof. Dr. v. Bergmann die Erlaubuiss zur Anlegung des ihm von 
Seiner Königlichen Hoheit dem Grossherzog von Sachsen verliehenen Com- 
thurkreuzes mit dem Stern des Ordens vom Weissen Falken zu ortheilen. 

— Prof. C. A. Ewald, Herausgeber der Berliner klinischen Wochen¬ 
schrift. ist zum Ehrenmitglied der Gesellschaft finnischer Aerzte ge¬ 
wählt worden. 

— Dr. Th. Weyl ist zum eorrespondirenden Mitgliede der Reale Acca- 
demia di Medicina in Rom ernannt worden. 

— Der Geh. Sanitätsrath Dr. M. Steinthal, der Nestor der Berliner 
Aerzte, feierte am 22. d. Mts. seinen 90. Geburtstag. Steinthal hat sich 
durch seine unermüdlichen Bestrebungon, die Fürsorge für Wittwen und 
Waisen verstorbener Aerzte zu regeln und zu heben, um den ärztlichen 
Stand das grösste Verdienst und auch als medicinischer Schriftsteller einen 
Namen erworben. Er schrieb: Uebor Tabes dorsalis; Medicinische Analekteu 
— eine Auswahl ausgezeichneter Krankheitsfälle; Encephalopathieen des 
kindlichen Alters (1843): Ueber Nervenfieber', Carcinosen und Psychosen; 
sowie casuistischo Mittheilungen in verschiedenen Fachjournalen; ferner eine 
Rückschau auf seine 50jährige Wirksamkeit. Auch veranstaltete or neue 
Ausgaben von Hufeland’s Makrobiotik (1870, 1873). Seit Jahren wirkt er 
als Vorsitzender der llufeland’schen Gesellschaft. Wir bringen dem ver- 
Jubilar unsere herzlichsten Glückwünsche dar. 

— Am 17. November wird im Hoichstagsgebäude, Leipzigerstrase 4, 
eine Sitzung der Aerztekammer des Stadtkreises Berlin und der 
Provinz Brandenburg stattfinden, für die der Vorstand folgende 
Tagesordnung festgesetzt hat: 1) Geschäftliche Mittheilungen; 2) Antrag des 
C.-A. der ärzlichen Bezirksvereine: Die Aerztekammern mögen die wohl¬ 
berechtigten Interessen der praktischen Aerzte der ministeriellen Verfügung 
vom 19. Januar 1888 betreffend die Aufnahme von Geisteskranken in Privat¬ 
irrenanstalten gegenüber in entschiedener W r eise wahrnehmen. — 3) Ueber 
nothwendige Geburt- und Wochenbetthygiene (confer. No. 5 des ärztlichen 
Vereinsblattes und die bezügliche Denkschrift der sächsischen Kammer). 
Referent A. Martin. — 4) Die in Berlin und der Provinz Brandenburg 
bestehenden ärzlichen Unterstützungskassen. Referent Sei borg. 


DEUTSCHE MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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896 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43 


— Der vierundvierzigste Jahresbericht des Eli sab eth -Kinde rhospi • 
tals liegt uns vor. Dasselbe befindet sich seit März vorigen Jahres indem 
schönen Neubau an der Uasenheide und konnte sich in den Räumen dessel¬ 
ben auf das Gedeihlichste entwickeln. Dem ärztlichen Theil des Berichtes, 
der von dem Anstaltsarzt Sanitätsrath Dr. Schütte erstattet ist, entnehmen 
wir, dass vom 1. Januar 1886 bis 31. März 1887 250 kranke Kinder an 
18736 Pflegetagen in der Anstalt behandelt wurden, durchschnittlich täglich 
41—42 Kinder. In der Poliklinik für Augenkranke, die mit dem Elisabeth- 
Kinderhospital verbunden ist und der Prof. Dr. Horstmann vorsteht, wur¬ 
den in demselben Zeitraum 1336 Augenkranke behandelt, darunter 987 Kin¬ 
der unter 12 Jahren. 

— Greifswald. Am 19. October starb der Geh. Medicinalrath Prof. 
Dr. W. Haeckermann im Alter von 71 Jahren. Der Verstorbene war seit 
1850 Privatdocent und seit 1870 Professor e. o. der medicinischen Facultät 
der Universität Greifswald und bekleidete lange Jahre hindurch das Amt 
eines Kreisphysikus des Kreises Greifswald. 1863 gab er ein Lehrbuch der 
Medicinalpolizei heraus. 

— Wien. Professor Zuckerkandl hielt am 18. d. M. seine An¬ 
trittsvorlesung, in welcher er programmatisch ein Bild der anatomischen 
Methodik in Vergangenheit und Gegenwart entwickelte. — Professor Stoerk 
wurde zum Mitgliede der Leopoldinisch-Karolinischen Deutschen Akademie 
der Naturforscher in Halle gewählt. — 

— Der niederösterreichische Landtag hat in seiner Sitzung 
vom 13. October beschlossen, dass jede Ortsgemeinde verpflichtet ist, ent¬ 
weder für sich allein oder im Vereine mit anderen Gemeinden einen Arzt 
zu bestellen. Nach dem beschlossenen Gesetzentwurf, führt die Wiener med. 
Wochenschrift aus, sei die Organisirung des Sanitätsdienstes eingeleitet 
worden, und sie drückt die Hoffnung aus, dass der L indtag dabei nicht 
stehen bleiben werde. Das Gesetz will damit dem Mangel an Aerzten ab¬ 
helfen, Dicht mehr; nur die curative Seite der ärztlichen Thätigkeit soll 
höher gestellt werden, die hygienische bleibt vorläufig ausser Betracht. Was 
also das Reichssanitätsgesetz verlangt, dem ist durch das Gesetz nicht Rech¬ 
nung getragen. 

— Paris. In feierlicher Weise wurde am 17. d. Mts. die Büste Ch. 
Robin’s, des Begründers des Studiums der Histologie in Frankreich, 
enthüllt. 

— Vom 4.-8. August 1889 findet in Paris ein internationaler 
Congress für criminelle Anthropologie statt. Das Ehrenpräsidium 
wurde Prof. Brouardel übertragen. Die aufgestellten Themata sind folgende: 
1) Giebt es für Verbrecher charakteristische anatomische Merkmale (Ref.: 
Dr. Manouvrier). 2) Atavismus bei Verbrechern (Ref.: Bordier). 3) Kann 
man nach Ucberführung eines Verbrechers durch die criminelle Anthro¬ 
pologie die Art des Verbrechens sicherstellen? (Ref.: Baron Garxfeld, 
Staatsanwalt). 4. Uober moralische und affective Verirrungen u. a. m. 

— Der Conseil d’hygiene publique des Seinedepartements hat in 
seiner Sitzung vom 13. October eine Commission ernanut, die sich über den 
Werth der Terpentindämpfe als prophylaktisches Mittel gegen 
Phosphornekrose der Arbeiter in Zündholzfabriken Auskunft verschaffen 
soll. Zu dieser Commission gehören die Herren Trost, Lancereaux, 
Trelat, Brouardel, Riehe und Poligot. 

— Zur Feier von Donders’ 70 Geburtstage hat dem berühmten 
Forscher die „Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde“ eine mit seinem 
Bild in Medaillonform geschmückte Festschrift überreicht (Feestbundel aan 
Franciscus Cornelis Donders), die einen stattlichen Band von 546 
Seiten darstellt und mit zahlreichen trefflichen Tafeln und Abbildungen aus¬ 
gestattet ist. Der Band enthält vierzig meist ophthalmologischo Aufsätze 
theils in holländischer, theils in französischer Sprache, die von den hervor¬ 
ragendsten Universitätsprofessoren, Docenten und Aerzten der Niederlande, 
zum Theil auch des Auslandes geliefert sind. Wir nennen: Pel, über die 
Verdoppelung des zweiten Herztous bei Mitralstenose, Doyer, die Brillen¬ 
frage, Engelmann, der Mikrospectrometer, Talma, pathologische Ab¬ 
weichungen des Hcrzstosses, Broodgeest, Einfluss des Anemonins auf den 
thierischen Organismus, Guye, über die Wahrnehmung des Gehörschattens 
bei der Bestimmung der Gehörschärfe, M. Snellen, Einfluss erdmagnetischer 
Störungen auf galvanische Messungen, Mac-Gillavry, Nierenatrophic und 
Herzhypertrophie, Braara-Houckgeest, der Musculus obl. sup., Landolt, 
Cöcite verbale, Klinkert, Gallonsteinkolik und Albuminurie. 

— Zur medicinischen Publicistik. Vom 1. Januar 1889 an wird 
in Posen eine neue raedieinische Zeitung in polnischer Sprache erscheinen 
unter dem Titel: Medicinische Neuigkeiten. Die Zeitung wird von dem Po- 
sener Chirurgen Dr. Zielewicz redigirt werden und in Monatsheften er¬ 
scheinen. 

— Das Augustheft der Revue Internationale des falsifications bringt 
Mittheilungen aus dem jüngsten Jahresbericht der Gesundheitsbehörde des 
Staates Massachusetts in Nordamerika. Besondere Aufmerksamkeit widmete die 
Gesundheitsbehörde der Kunstbutter (Oleoraargarin und Butterin), die 
von der Arbeiterbevölkerung sehr viel gegessen wird Man fand die Roh¬ 
stoffe, zu denen auch Schweinefett, Baumwollensamen- und Seesam-Oel ge¬ 
hören, vollständig rein und gesund und hatte auch an der Sauberkeit und 
Reinlichkeit der Verarbeitung nichts auszusetzen. Die Haupt- und wahr¬ 
scheinlich einzige Gefahr besteht bei der Kunstbutter nach dem Berichte 
darin, dass das Fett von Thieren verwandt wird, welche mit Trichinen, 
Blasenwürmem und Tuberculose behaftet sind. Doch ist von Trichinen und 
Blasenwürmem schwerlich etwas zu befürchten, da sie einerseits ihren 
Ilauptsitz in den Muskeln haben, und nur sehr wenige sich in das Fett ver¬ 
irren, und da andererseits die Art und Weise, wie die Kunstbutter hergestellt 
wird, diese Schmarotzer vernichten muss. Bezüglich der Tuberculose- oder 
sonstiger Krankheitskeime lässt sich nur feststellen, dass bis jetzt noch 
keine Erkrankung infolge des Genusses von Kunstbutter bekannt geworden 
Ist. Eine Reihe von Verdauungsversucben mittelst Pankreassaft ergab, dass 
die Kunstbutter allerdings etwas weniger — aber ganz unbeträchtlich 


wenige:* leicht verdatft Wird als Naturbutter, so dass die geringere Ver¬ 
daulichkeit höchstens bei Personen mit geschwächtem Verdauungsvermögen 
in Betracht, kommen kann. 

— Ueber extreme Lebensdauer. Die Hundertjährigen von 
1886. In der Sitzung der Academie des Sciences vom 9. Juli berichtete 
Herr Levasseur über diesen Gegenstand wie folgt: Hundertjährige sind 
selten, seltener als man vermuthen sollte, denn die Greise haben durchweg 
die Schwäche, sich älter zu machen, wie junge Frauen sich jünger zu 
machen belieben. Die Volkszählung ergab 1877 in Bayern 37 Hundert¬ 
jährige, mit Zuhülfenahme der Geburtsregister ergab sich indessen, dass 
nur eine Frau darauf Anspruch hatte. In Canada ergab sich, dass von 82 
Personen, die hundertjährig gestorben sein sollten, in Wirklichkeit nur 5 
so alt geworden waren. In Frankreich ergab eine genaue Prüfung nicht 
184 Hunderjährige, wie nach dem Census, sondern nur 83. Von diesen 
waren nur für 16 schriftliche Beglaubigungen ihres Alters vorhanden, von 
67 nahm man es auf Versicherung ihrer Angehörigen hin an, ein in 
Spanien geborener Greis war Anfang Juni 1888 118 Jahre alt. Unter den 
Hundertjährigen sind die Frauen in der Mehrzahl (52:31), Wittwer und 
besonders Wittwen herrschen vor, im Südwesten von Frankreich, am Fusse 
der Pyrenäen, trifft man die meisten Hundertjährigen. Abgesehen von allen 
Uebertreibungen giebt es etwa 50 wirklich Hundertjährige in Frankreich, 
zieht man die Geburten von 1771 — 1779 in Betracht, so hat von 18000 
Personen eine die Chance, 100 Jahre alt zu werden. 

— Durch Gesetz ist verfügt worden, dass im Bereiche des Staates New- 
York vom 1. Januar 1889 ab die Hinrichtung durch Elektricität vollzogen 
werden soll. 

— Herr Dr. Leopold Besser in Pützschen bei Bonn theilt uns mit, 
dass sein im Juni 1887 durch Brand bis auf die Gewölbe und Umfassungs¬ 
mauern gänzlich zerstörtes Asyl für nerven- und gemüthskranke Herren, ver- 
grössert und mit allen Verbesserungen der Neuzeit versehen, wieder er¬ 
öffnet ist. 

— Cholera. Zeitungsnachrichten zufolge herrscht in Macao die Cho¬ 
lera. Auf dem am 12. August von Macao nach Timor abgefahrenen portu¬ 
giesischen Transportdampfer „India“ starben im Hafen schon 8 Seeleute, auf 
der See binnen 48 Stunden weitere 30 Mann der Besatzung. Der Capitain 
kehrte nach Macao zurück, woselbst die Mannschaft in Zelten und Hütten 
untergebracht und ein Cordon um das Lager gezogen wurde. — In der 
Stadt Calcutta sind nach dem Bericht des Health-Office für das zweite 
Quartal 1888 516 Choleratodesfälle vorgekommen. Die mittlere Temperatur 
war in diesem Vierteljahr, ganz besonders aber im Juni, höher wie in den 
letzten 24 Jahren. Es kamen ausser den Choleratodesfällen 697 Todesfälle 
an Fieber, 200 an Dysenterie und Diarrhoe und 1327 in Folge anderer Ur¬ 
sachen vor. (Veröff. d. Kais. Ges.-A.) 

— Universitäten. Greifswald. Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Landois 
ist zum correspondirenden Mitgliede der Königlichen Akademie der Medicia 
zu Rom gewählt worden. 

XYIII. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem stellvertretenden Leibarzt Ihrer Majestät der 
Kaiserin und Königin Augusta, Sanit.-Rath Dr. Schliep in Baden-Baden 
den Rothen Adler-Orden III. CI. und dem prakt. Arzt Geheimen Sanitäts- 
Rath Dr. v. Steinau-Steinrück zu Berlin den Königl. Kronen-Orden 
III. CI. zu verleihen. — Niederlassungen: Dio Aerzte: Patrzek in 
Guttentag, Dr. Proske in Myslowitz, Dr Moeser in Neisse, Dr. Frank 
in Tillowitz, Dr. Tiralla in Karlsruhe O./Schl., Dr. Burwinkel inFreren, 
Dr. Ide in Neuenrade. Der Zahnarzt: Lochers in Bochum. — Ver¬ 
zogen sind: Die Aerzte: Dr. Hlubek von Neisse nach Ujest, 
Dr. Klamka von Neustadt O./Schl. nach Tharand bei Dresden, Dr. Hae¬ 
gele von Breslau nach Leschnitz, Dr. Freisei von Trachenberg nach 
Leschnitz, Dr. Pohl von Neudeck, Dr. Legal von Breslau nach Neudeck, 
Dr. Kluge von Rotenburg (Stade) nach Jena, Dr. Wieger von Winzenheim 
(Elsas.s) nach Rotenburg (Stade), Dr. Bahn von Neuenrade nach Köln. 
Dr. Marten von Usseln (Waldeck) nach Freienohl, Dr. Lüsse von Lühnde 
nach Sassendorf, Dr. Heinsen von Apenrado nach Süderstapel, Dr. Schueler 
von Küstrin nach Berlin, Dr. Ernst von Brakei nach Warburg, Dr. Kaiser 
von Roerkempen nach Laffeld. — Verstorben sind: Die Aerzte: 
Dr. Muegge in Stade. Dr. Willimski in Leschnitz, Kr.-Phys. a. D. San.- 
Rath Dr. v. Heer in Karlsruh in O./Schl., Kr.-Phys. Sanitäts - Rath 
Dr. Kalkoff in Koelleda, Mitglied der Aerztekammer des Reg.-Bez. Merse¬ 
burg. — Vakante Stellen: Das Physikat des Kreises Eckertsberga, die 
Kreis-Wundarztstelle des Kreises Angermünde. 

2. Reuss j. Linie. Niederlassungen: Die DDr. Welcher, 

Teichmann, Koerner, Grasemann, Wideburg, Weissker, Hampe 
in Gera. _ 

3. Sachsen. (Corr-Bl. d. ärztl. Kr.- und Bez.-Ver. i. Kgr. Sachten.) 
Gestorben: Dr. V. Scbieck in Döbeln. 


4. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Niederlassungen: Dr' 
Menzzer in Dachsbach. Dr. F. K. Müller-Lyer in München. — Ver¬ 
zogen: Dr. J. M. Hart eis von Dachsbach nach Nürnberg. Dr. B. Gres- 
beck von Eggenfelden nach München. — Gestorben: Dr. Johann 
Strüpf, Bezirksarzt in München, Dr. Carl Herold prakt. Arzt in Dirm¬ 
stein, Dr. J. Seubcrt in Nordhalben, Bez.-A. I. CI. Dr. J. Schmidtmüller 
in Karlstadt, Bez.-A. a. D. Dr. L. Zinn in Bamberg, Bez.-A. a. D. Dr. 
I’h. Worr in Uffenheim, Dr. W. Popp in Regensburg, Dr. W. Diet¬ 
rich aus Aschaffenberg in Malaga, Dr. A. Hellberg in Hof. — Abschied 
bewilligt: Dem Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Ekl und dem Ob.-St.-A. 1. CI. Dr. 
Ullmann, beiden unter Verl. d. Char. als Gen.-A. II. CI. 


Gedruckt bei Juliua Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


1. November 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des Ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner, 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber die Aetiologie der Pericarditis. 

Von Dr. G- Banti, 

Prn.sector am Anatomisch-Pathologischen Institut in Florenz. 

Im Januar 1887 hatte ich in der Zeit von wenigen Tagen 
Gelegenheit, 3 Leichname zu seciren, welche unter anderen anato¬ 
mischen Veränderungen eine ausgedehnte Pericarditis zeigten. Ich 
studirte die drei Fälle in den ätiologischen Beziehungen und machte 
einige Experimente an Thieren, zögerte aber immer, die Resultate 
meiner Untersuchung zu veröffentlichen, in der Hoffnung, die Ca- 
suistik mit weiteren Beobachtungen zu bereichern. Durch einen 
eigenthümlichen Zufall begegneten mir seitdem keine weiteren Bei¬ 
spiele acuter Pericarditis. Daher entschloss ich mich zu dieser 
Veröffentlichung, welche ein Beitrag zum Studium der Aetiologie 
der Pericarditis sein soll. 

Ich erörtere kurz die drei Fälle: 

I. Fall. G. Tommaso. 48 Jahre alt, zeigte seit mehreren Jahren Er¬ 
scheinungen der chronischen Nephritis (Dyspepsie, Polyurie, leichte Albumi¬ 
nurie etc.); starb am 15. Januar 1887 an einem Anfall von Urämie nach 
beinahe zweiwöchigor Krankheit. Eine Woche vor dem Tode Auftreten der 
Erscheinungen von Pericarditis. 

Autopsie. Feingranulirte indurirte Schrumpfniere. Bindegewebige 
Verwachsungen zwischen Pleura costalis und puimonalis. Atheromasie der 
Aorta. Uratablagerungen in verschiedenen Gelenken. Hypertrophie des 
linken Ventrikels. Ausgedehnte fibrinöse Pericarditis; die Oberfläche des 
Pericardiums ist von fibrinösem Exsudat bedeckt, wodurch sich der Anblick 
des Cor villosum darbietet; die fibrinösen Schichten lassen sich mit der 
Messerklinge leicht abstreifen, und die Oberfläche des Pericardiums erscheint 
glanzlos. 

Deckglaspräparate des Pericardiumexsudats Hessen keine Bacterien er¬ 
kennen. Zur grösseren Sicherheit wendete ich verschiedene Methoden der 
Färbung an; die Färbung in den Wasserlösungen von Gentiana-Violett oder 
von Fuchsin, in Ehrliches und Löffler’s Lösungen; die Gram’sche und 
sogar die Färbungsmethode der Tuberkelbacillen. Ich liess einige Deck¬ 
gläser über *24 Stunden in der farbigen Lösung, ohne bessere Resultate zu 
erzielen. 

Auch die Untersuchung der Schnittpräparate nach der Verhärtung in 
Alkohol bewies die vollständige Abwesenheit von Bacterien. 1 ) Mit dem Ex¬ 
sudat machte ich Culturen auf Gelatine, Agar und erstarrtem Blutserum; 
die Gelatineculturen wurden 22° C ausgesetzt, die anderen 35°; alle blieben 
steril. Mit den Fragmenten des Exsudats impfte ich zwei Meerschweinchen 
und ein Kaninchen, welche in der Folge keine Erscheinungen von Krank¬ 
heit zeigten. 

II. Fall. A. Irene, 31 Jahre alt, erkrankte an Pneumonie den 1. Ja¬ 
nuar 1887; am 6. Januar wurde das Auftreten des pericarditischen Reibe¬ 
geräusches constatirt; starb am 10. Januar. 

Autopsie. Croupöse Pneumonie (graue Hepatisation) auf der hinteren 
Seite des oberen und unteren Lappens der rechten Lunge; rothe Hepatisa¬ 
tion auf der hinteren Seite des unteren Lappens der linken Lunge. Fibri¬ 
nöse Pleuritis an den betreffenden kranken Theilen; die dem Pericardium, 
dem Mediastinum und den vorderen Theilen entsprechende Pleura ist unver¬ 
sehrt. — Ausgedehnte fibrinöse Pericarditis. 

Die mikroskopische Untersuchung des Exsudats der Lunge, der Pleura 
und des Pericardiums bewies in allen die Gegenwart von Kapselcoccen, 
meist paarweise als Diplococcen, seltener in Ketten, die mit der Gr am’sehen 
Methode gefärbt blieben. 

Die Gelatineculturen blieben bei 20° C steril; in den Culturen auf 
Agar und auf geronnenem Blutserum bei 35° zeigte sich eine sehr feine 
Vegetation, Thautropfen ähnlich, die dem Diplococcus pneumoniae von 

*) Die mikroskopischen Untersuchungen wurden immer mit dem 
Abbe’3chen Beleuchtungsapparat und dem Object. */n homog. Immers. 
Zeiss gemacht. 


Fränkel eigen ist. — Die mit den Culturen geimpften Kaninchen starben 
an Sputumsepticämie. 

An derselben Septicämie starben 2 Kaninchen, von welchen das eine 
mit dem Pericardiumexsudat, das andere mit dem Exsudat der linken Lunge 
geimpft war. 

III. Fall. N. Clotilde, 55 Jahre alt, erkrankte an Pneumonie den 
11. Januar 1887; am 19. zeigten sich die Erscheinungen der Pericarditis; 
starb am 23. Januar. 

Autopsie. Fibrinöse Pneumonie (röthlieh-graue Hepatisation) auf 
der hinteren Seite der linken Lunge, über die obere und zum grossen Theil 
auch die untere Hälfte ausgedehnt. Pleuritis auf der linken Seite mit 
fibrinös-eiterigem Exsudat (etwa l’/a 1). Die dem Pericardium entsprechende 
seröse Haut ist entzündet und von dem Exsudat bedeckt — ausgedehnte 
Pericarditis; die Höhle des Pericardiums enthält ein dichtes, cremeartiges, 
fibrinös-eiteriges Exsudat. 

Die mikroskopische Untersuchung des Lungenexsudats ergab die Gegen¬ 
wart zahlreicher Coccen, die zu Paaren, Ketten und unregelmässigen Haufen 
vereinigt auftraten. Bei einigen war die Kapsel erkennbar, anderen fehlte 
sie. — Im Exsudat der Pleura und des Pericardiums sah man ebenfalls 
Coccen, aber bei keiner gelang es, die Kapsel nachzuweisen. 

Auf Gelatineplatten des Lungenexsudats erhielt ich den Staphylo- 
coccus pyogenes aureus und albus; von diesem letzteren jedoch nur 
wenige Colonieen. Auf Agarplatten entwickelten sich die zwei Staphylo- 
coccen und verschiedene Colonieen des Diplococcus pneumoniae von 
Fränkel. Mit solchen Colonieen machte ich Einimpfungen auf schräg¬ 
erstarrtem Agar, und es ergab sich die für den Diplococcus charakteristische 
Vegetation; mit dieser erzielte ich nachher bei Kaninchen den Tod an 
Sputumsepticämie. — Die Strichculturen auf Blutserum des Lungenexsudats 
gaben nicht so gute Resultate wie die Agarplatten, weil die reichlichere 
Vegetatien der Staphylococcen diejenige des Diplococcus pneumoniae 
verdeckte. 

Auf den Gelatineplatten des Pleuraexsudats entwickelten sich Staphylo- 
coccus aureus und albus. Durch einen unglücklichen Zufall gingen die 
Culturen auf Agar und Blutserum verloren. 

Auf den Gelatine- und Agarplatten des Pericardiumexsudats entwickel¬ 
ten sich Staphylococcus aureus und albus. Es fehlte dor Diplo¬ 
coccus pneumoniae, und da vier Agarplatten vorhanden waren und alle 
das gleiche negative Resultat gaben, so kann man mit Sicherheit annehmen, 
dass im Pericardiumexsudat nur die Staphylococcen vorhanden waren. 

Die dargelegten Fälle sind zu dürftig, um auf sie die Lehre 
von der Aetiologie der Pericarditis zu gründen: nichtsdestoweniger 
scheinen sie mir hinreichend, um einige Schlüsse zu erlauben. Diese 
Fälle legen klar, wie man für die Aetiologie zwei Gruppen von 
Pericarditis unterscheiden kann: die nicht-infectiöse Pericarditis 
und die infectiöse. 

Der erste Fall ist ein Beispiel von nicht infectiöser Pericarditis, 
indem die Untersuchung des Pericardiumexsudats die vollständige 
Abwesenheit eines jeden Mikroorganismen bewiesen hat. Dieses 
Factum hat eine gewisse Wichtigkeit, weil es nochmals das Vor¬ 
kommen von acuten Entzündungen innerer Organe beweist, die 
nicht an die Gegenwart von Bacterien gebunden sind. Es ist im 
allgemeinen sicher, dass es nicht-parasitäre acute Entzündungen 
geben kann, wie jene, welche von der Jequirity, vom Terpentinöl etc. 
herrühren; doch wäre nach Bauragarten zu bestreiten, dass 
flogistische, nicht-parasitäre Krankheiten, die spontan auftreten, 
existiren. Der berichtete Fall lässt, wie mir scheint, keinen Zweifel 
hierüber. Es ist andererseits bemerkenswerth, dass das Exsudat 
fibrinös war, ohne eine Spur von Eiterung zu zeigen. 

Das Auftreten der Pericarditis ist meiner Meinung nach in 
vorliegendem Falle der Nierenkrankheit zuzuschreiben. Im Verlaufe 
der chronischen Nephritis sind die Entzündungen der serösen Häute 
sehr häufig, welche im Allgemeinen einen langsamen Verlauf haben 
ohne auffallende Symptome und sich bei der Autopsie durch das Vor- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


So. 44 


handensein von Verdickungen, Verwachsungen etc. zu erkennen 
geben: manchmal aber nehmen sie einen acuten Gang au, wie in 
dem berichteten Falle. Die Ursache dieser Entzündung ist vielleicht 
chemischer Natur und hängt von besonderen Substanzen ab, welche, 
wenn nicht gehörig von den kranken Nieren ausgeschieden, im Blute 
Zurückbleiben und durch ihre Anwesenheit gewisse Gewebe reizen, 
ja sogar ihre Entzündung hervomifen. Es sind endlich urämische 
Entzündungen, obschon zu ihrer Hervorbringung ein starker Anfall 
von Urämie nicht nöthig ist: die chronischen Formen treten sogar 
mit Vorliebe bei leichter, sich hiuziehender Urämie auf, welche oft 
unbeachtet bleibt oder mit Dyspepsie etc. verwechselt wird. Die 
acuten Entzündungen hingegen sind häufigere Complicationen bei 
schweren urämischen Anfällen, wie gerade im angeführten Falle 
nachgewiesen wurde. Uebrigens lassen sich bei Nephritischen auch 
parasitäre Entzündungen nachweisen, wie die eiterigen etc. 

Der zweite und dritte Fall gehören zur Gruppe der infectiösen 
Pericarditis. Beide entwickelten sich während einer fibrinösen 
Pneumonie: doch während im zweiten Fall die Pericarditis der¬ 
selben Bacterie zuzuschreiben war, welche die Pneumonie ver¬ 
ursacht hatte und eine secundäre Localisation des Diplococcus 
neumoniae bildete, war im dritten Falle die Pericarditis die 
olge einer Infection, die der pneumonischen beigesellt war. ln 
diesem Falle war die Pneumonie den Pneumococcen zuzuschreiben, 
welche sich in der That im Lungenexsudat befanden, doch waren 
entweder gleichzeitig oder in der Folge auch andere Bacterien, wie 
Stapbylococcus aureus und albus, iu die Lungen eingedrungen. 
Diese letzteren waren es, welche eine Complication im Pericardium 
herbeiführten, und auf diese Weise hatten sich in demselben Indi¬ 
viduum zwei von Natur aus verschiedene, wie sehr auch in gewisser 
Beziehung mit einander verknüpfte Infectioneu entwickelt. Es war 
dies ein Beispiel von jenen Mischinfectionen, von welchen wir so 
viele andere Beispiele in der Pathologie der infectiösen Krankheiten 
beobachten. Vielleicht könnten diejenigen verschiedener Meinung 
sein, welche behaupten, dass die fibrinöse Pneumonie nicht immer 
durch den Pneumococcus Fränkel’s veranlasst wird, sondern manch¬ 
mal auch durch andere Bacterien, z. B. die Staphylococcen. Für 
jene würde der dritte Fall mit dem zweiten identisch sein, und Peri¬ 
carditis und Pneumonie würden verschiedene Localisationen des 
gleichen Krankheitserregers sein. 

Ich will mich nun nicht bei der Lehre von den verschiedenen 
Ursachen der fibrinösen Pneumonie aufhalten, da ich mir diesen 
Gegenstand für eine spätere Arbeit Vorbehalte. Es genüge zu 
sagen, dass ich durch das Material, das ich gesammelt habe, be¬ 
rechtigt bin zu behaupten, dass in allen Fällen von fibrinöser Pneu¬ 
monie das Vorhandensein von Fränkel’s Pneumococcus constant ist. 
Keineswegs wäre Grund vorhanden, die angeführte Lehre bei vor¬ 
liegendem Falle zu citiren, bei welchem es logischer ist, die Ent¬ 
wickelung der Pneumonie dem vorhandenen Pneumococcus zuzu¬ 
schreiben. 

Eher könnte man eine andere Einwendung machen, dass nämlich 
die Pneumococcen ursprünglich auch im Pericardium waren, sie 
jedoch im Verlaufe der Krankheit zu Grunde gegangen seien. Ich 
habe keine Beweisgründe, mich dieser Hypothese absolut zu wider¬ 
setzen, aber sie scheint mir sehr wenig wahrscheinlich. Weshalb 
sollten die Kapselcoccen im Pericardium schon todt sein, während 
sie in der Lunge immer noch lebten, wo die Krankheit älter war? 
Ihren Tod könnte man nicht der gleichzeitigen Anwesenheit der 
Staphylococcen zuschreiben, weil die letzteren sich auch in der 
Lunge mit den Pneumococcen zusammen befanden. 

Auf welchem Wege sind im zweiten und dritten Fall die Bac¬ 
terien vom primären Herde der Lunge in das Pericardium gelangt? 

Beim dritten Fall existirte eine ausgedehnte Pleuritis, und auch 
deijenige Theil der Pleura, welcher das Pericardium bedeckte, war 
entzündet, im Fleuraexsudat befanden sich die Staphylococcen in 
gleicher Weise wie in dem des Pericardiums. Deshalb ist es sehr 
wahrscheinlich, dass sich die Entzündung von der Pleura auf das 
Pericardium fortgepflanzt habe. 

Ich glaube nicht, dass man dasselbe für den zweiten Fall 
behaupten kann. Auch hier war die Pleuritis vorhanden, aber sie 
blieb auf den hintern Theil der Brusthöhle beschränkt, und der 
Theil der Pleura, welcher dem Pericardium. dem Mediastinum etc. 
entsprach, war vollständig gesund. Es ist daher wahrscheinlich, dass 
die Pericarditis in diesem Falle hämatogeuen Ursprungs war. Um 
diese Art von Ursprung besser aufzuklären, habe ich versucht, ob 
es möglich wäre, die Pericarditis bei Thieren experimentell hervor¬ 
zubringen, indem ich mich des Diplococcus pneumoniae bediente. 

Es ist bekannt, dass diese Bacterie, unter die Haut der Kanin¬ 
chen eingespritzt, eine rapid tödtliche Septikämie hervorbringt. 
Manchmal findet man bei todten Thieren eine fibrinöse Peritonitis, 
in deren Exsudat sich die Kapselcoccen in grosser Anzahl vorfinden. 
Obgleich ich für meine Studien Über diese Bacterien eine beträcht¬ 
liche Anzahl von Kaninchen geopfert habe, ist es mir doch niemals 


gelungen, Pericarditis zu finden, wenn die Septikämie acut verlief. 
Diese erzeugte sich nur, wenn ich die Culturen durch die Brustwand 
direkt in die Lunge oder in die Pleura einspritzte. In gleicher 
Weise erfolgte Pericarditis, wenn die Pneumococcen in das Pericardium 
eingespritzt wurden, aber diese Art von Infection ist zu verschieden 
von derjenigen, welche sich in der Pathologie des Menschen ereig¬ 
net, als dass die erhaltenen Resultate ernstlich in Betracht gezogen 
werden könnten. 

Ich unternahm nun zu untersuchen, ob es möglich wäre, die Peri¬ 
carditis zu erzeugen, indem ich die Pneumococcen unter die Haut der 
Kaninchen einführte. Wenn man die Thiere durch die Haut inficirt. 
so ist es sicher, dass die verursachte Pericarditis eine hämatogene 
ist und eine Localisation der Bacterien darstellt, welche beim Auf¬ 
treten der Septikämie im Blute circuliren. 

Ich befolgte eine jener analoge Methode, welche sich so gut 
bei der experimentellen Erzeugung von Osteomyelitis, Endocarditis etc. 
bewährt hatte, d. h. ich machte künstliche Verletzungen im Peri¬ 
cardium. Zu diesem Zwecke legte ich bei den Kaninchen den Sack 
des Pericardiums bloss. Die Ausführung der Operation gelingt ziem¬ 
lich leicht, wenn man den Schnitt correspondirend mit dem dritten 
linken Intercostalraura ausführt. Man durchschneidet die Brust- und 
Intercostalmuskelfasern, erfasst mit einer Pincette die Art. mamm. 
int. und dreht sie, um den Bluterguss zu vermeiden. Um die 
Höhle der Pleura nicht zu öffnen, muss man sich nicht zu sehr vom 
Rande des Brustbeins entfernen; auf diese Art trifft man auf den 
freien Theil des Pericardiums. Manchmal bedeckt die Thymus das 
Pericardium, aber es ist leicht, sie in die Höhe zu schieben. 

Zuerst vergewisserte ich mich von den Folgen, die mau erhält, 
wenn man ein oder zwei Tropfen Terpentinöl in die Höhle des Pe¬ 
ricardiums einspritzt oder indem man das Parietalblatt mit einer 
weissglühenden Platinnadel kauterisirt. 

Die Ausführung der Operation war immer unter der gewissen¬ 
haftesten Beobachtung der antiseptischen Cautelen vor sich gegangen. 
Die Injection von ein oder zwei Tropfen Terpentinöl in die Pericar- 
dialhöhle verursacht eine fibrinöse Entzündung, welche auf die 
vom Terpentinöl berührten Theile beschränkt ist und die Tendenz 
sich auszubreiten nicht hat. Das Exsudat enthält keine Bacterien. 
Die Kauterisation des Parietalblattes des Pericardiums mit einer 
weissglühenden Platinnadel veranlasst eine kleine Eschara, ringsum 
welche sich ein Streifen von reagirender Entzündung bildet. 

Nach diesen Controlversuchen führte ich andere aus, bei wel¬ 
chen ich, nachdem ich das Terpentinöl eingespritzt oder das Peri¬ 
cardium kauterisirt hatte, die Pneumococcen unter die Haut injichte. 

Es wäre zu umständlich, alle Experimente hier zu beschreiben, ich 
beschränke mich darauf, zwei davon herauszugreifen, welche als 
Typen dienen können. 

I. Experiment. Am 8. August wird einem Kaninchen mit 
Anwendung der antiseptischen Cautelen das Pericardium blossgelegt; 
mit sterilisirter Spritze wird in die Höhle des Pericardiums ein Tropfen 
Terpentinöl eingespritzt. Ich mache die Naht der Muskeln und der 
Haut und bedecke die Wunde mit Jodoformcollodium. Am 10. August 
mache ich einen kleinen Einschnitt auf den Rücken in der rechten 
Nierengegend, erhebe die Haut in Form einer Tasche und führe 
einige Fragmente von Agar mit den zweitägigen Culturen von Dipl, 
pneumoniae ein. Ich schliesse die Wunde mit einer Kopfnaht und 
mit Jodoformcollodium. 

Das Kaninchen stirbt am Morgen des 13. August an Sputum- 
septikämie. Massenhafte Anwesenheit kapseltragender Coccen im 
Blute; Milztumor; Peritoneum, Pleura und die Luugen sind gesund. 
Ausgebreitete Pericarditis; die Oberfläche der serösen Haut ist über¬ 
all von fibrinösem Exsudat bedeckt, welches sie uneben und rauh 
macht. Das Exsudat des Pericardiums enthält in sehr grosser An¬ 
zahl und ausschliesslich Kapselcoccen. 

Die Cultur auf Agar veranlasst die charakteristische Vegetation, 
welche, einem Kaninchen eingeirapft, Septikämie hervorruft. 

II. Experiment. Am 14. August lege ich einem Kaninchen 
das Pericardium bloss und kauterisire das Parietalblatt mit einer 
weissglühenden Platinnadel. Ich wende die gewohnte Behandlung 
an und führe am folgenden Tage die Agarculturen des Pneumococcus 
in eine Hauttasche ein. Das Kaninchen stirbt am 17. August an 
Septikämie, wie durch die Anschwellung der Milz und die Anwesen¬ 
heit der Kapselcoccen im Blute angezeigt wird. Peritoneum, Pleuren 
und die Lungen sind gesund. Ausgebreitete Pericarditis mit fibri¬ 
nösem Exsudat, welches demjenigen des I. Experimentes ähnlich ist. 
Das Exsudat enthält eine sehr grosse Anzahl von Kapselcoccen. 
deren Cultur auf Agar bei anderen Kaninchen den Tod an Septikämie 
herbeiführt. 

Durch diese Experimente und durch andere ähnliche, die ich 
hier nicht berichte, wird bewiesen, wie man bei Kaninchen eine hä¬ 
matogene Pericarditis durch die Action des Diplococcus pneumoniae 
erzeugen kann. 

Die vorgängige Verletzung, verursacht durch Terpentinöl etc., 


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1. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


899 


scheint die Localisirung des Diplococcus im Pericardium zü be- i 
günstigen und als prädispouireudes Moment zu wirken. Ohne ; 
Zweifel entwickeln sich einige hämatogene parasitische Entzündungen 
ohne eine besondere Disposition des Organs dazu, welches erkrankt, ; 
sondern nur deshalb, wie in den bekaunten Experimenten Ribbert’s 1 
über die Endocarditis, weil die pathogenen Bacterien in jenem 
Organ Zurückbleiben. Ich halte es übrigens nicht für richtig, dieses ! 
als allgemeines Princip gelten zu lassen, sondern nehme vielmehr 
an, dass bisweilen für die Entwickelung hämatogener Infectionskrank- ! 
heiten ein besonderer Zustand des Organs nöthig ist, in welchem die 
Bacterien sich aufhalten, welcher den Parasiten erlaubt, sich zu ver¬ 
mehren und ihre pathogene Thätigkeit zu entfalten. 

Aber worin dieser besondere Zustand bestehe, entgeht nur zu 
oft unseren Mitteln der Nachforschung. 

Auf welche von diesen beiden Arten im Kaninchen die künst¬ 
liche Verletzung des Pericardiums wirke, ob sie die Pericarditis nur 
deshalb erleichtere, weil sie das Zurückbleiben der Diplococceu be¬ 
wirkt, oder weil sie in gewisser Weise die Resistenz des Gewebes 
schwächt, wage ich aus Mangel an positiven Beweisgründen nicht 
zu erörtern. Gewiss sind die Kauterisation, die Injection von Ter¬ 
pentinöl grobe Verletzungen im Vergleich zu denen, welche im 
natürlichen Verlauf der Infectionskrankheiten die Localisation der 
Parasiten hervorrufen und welche wir mit den unbestimmten Namen: 
geringere, grössere Prädispositiou bezeichnen. 

Die experimentelle parasitische Pericarditis ist leicht zu er¬ 
zeugen, wenn man 24—48 Stunden zwischen der Injection des 
Terpentinöls, der Kauterisation und der Injection der Pneumococcen 
vergehen lässt. Wenn man eine Operation gleich nach der anderen 
ausführt, erreicht man manchmal den Zweck nicht. 

Es ist sicher, dass das Pericardium. so selten es auch bei der 
gewöhnlichen Sputumseptikämie betroffen wird, der Localisirung 
der Diplococcen günstigere Bedingungen darbietet, als einige andere 
Organe des Kaninchens. So habe ich umsonst versucht, mit einer 
jener analogen Methode, welche ich für die Pericarditis anwendete, 
die Meningitis hervorzubringen; alle Experimente gaben negative 
Resultate. 

In ihrer Abhandlung über die Aetiologie der epidemischen 
cerebro-spinalen Meningitis berichten Prof. Foä und Dr. Bordoni- 
Uffreduzzi 1 ), in einigen Fällen von Sputumseptikämie bei Kanin¬ 
chen Pericarditis gefunden zu haben. Diese Fälle unterscheiden 
sich jedoch sehr von der von mir erzeugten experimentellen Peri¬ 
carditis. Die von Prof. Foä nnd Dr. Bordoni-Uffreduzzi beob¬ 
achtete Pericarditis war ein sehr seltenes Ergebniss und scheint sich 
vorzüglich bei Septikämie-Erkrankungen von längerem Verlaufe ein- 
zustellen; überdies war sie von Peritonitis, Pleuritis, Mediastinitis 
begleitet Bei meinen Experimenten hingegen war die Entzündung 
des Pericardiums die einzige Localisation, und die Pleuren, das Peri¬ 
toneum, das Mediastinum waren unverletzt; sie trat in Fällen sehr 
acuter Septikämie auf. Ohne zu behaupten, dass sie constant sei, 
kann ich wenigstens sagen, dass sie niemals ausblieb, wenn ich in 
der von mir angegebenen Weise verfuhr. 

n. Ueber Neuritis optica specifica. 2 ) 

Von Prof. Dr. Uorntmann. 

Es ist eine bekannte Thatsache, dass der Sehnerv bei Gebirn- 
und Orbitalleiden häufig in Form der sog. Stauungspapille oder der 
Neuritis descendens in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Er 
wird aber auch, wie andere periphere Nerven, von entzündlichen 
Processen befallen, welche nicht mit Gehirn- oder Orbitalleiden 
direkt in Verbindung stehen. Hierher gehören rheumatische oder 
Erkältungseinflüsse, Syphilis, Intoxicationen, besonders Bleivergiftung, 
schwere fieberhafte Krankheiten, Menstruationsstörungen, Chlorose, 
starker Blutverlust, neuropathische Disposition und hereditäre Ein¬ 
flüsse. Ophthalmoskopisch findet sich alsdann entweder das Bild 
einer mässig ausgesprochenen Neuritis oder Neuroretinitis, niemals 
aber ist eine so hochgradige venöse Hyperämie uud Schwellung der 
Papilla nervi optici vorhanden, wie bei intracraniellen Leihen. 
Nicht selten sind die Veränderungen au der Papille nur sehr gering 
und beschränken sich auf leichte Trübung und Schwellung der¬ 
selben und geringe Verbreiterung der Venen. Die Arterien sind 
ebenfalls bald ausgedehnt, bald normal oder auch in verschiedenem 
Grade verengt. 

Die Sehstörung, welche durch Neuritis optica hervorgerufen 
wird, steht häufig in keinem Verhältnisse zum ophthalmoskopischen 
Befund. Auffallende Veränderungen der Papillen sind oft mit ge¬ 
ringen Sehstörungen verbunden, während umgekehrt beträchtliche 
Functionsstörungen sich zuweilen bei geringem Augenspiegelbefund 
finden. Nicht selten treten während des Krankheitsverlaufs erheb- 


*) Arch. per le scienze mediche, Vol. XI, p. 885. 
a ) Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 


liehe Veränderungen der Sehschärfe auf, ohne wesentliche Ver¬ 
änderungen des ophthalmoskopischen Bildes, oft zeigt sich auch das 
umgekehrte Verhalten. Die Entwickelung der Sehstörung erfolgt 
gewöhnlich allmählich, manchmal aber auch mit erstaunlicher 
Schnelligkeit, sodass bei vorher gutem Sehvermögen im Verlauf 
weniger Stunden vollständige Erblindung eintritt. Die Prognose der 
Neuritis ist verschieden, im Allgemeinen keine günstige. Totale 
Erblindung oder doch Schwachsichtigkeit sind meistens ihre Folgen, 
nur in seltenen Fällen wird das Sehvermögen wieder gänzlich her¬ 
gestellt. 

Bekanntlich beruhen eine grosse Reihe von Augenerkrankungeu 
auf syphilitischer Basis. Nach Alexander’s Zusammenstellungen 
sind es etwa 2,16 % aller Augenleiden. Fast kein Theil des Auges 
wird von luetischen Affectionen verschont, auch nicht der Seh¬ 
nerv. Alexander beobachtete 568 Mal Erkrankungen des Seh¬ 
nerven auf syphilitischer Basis, 40,93 % der vou ihm beschriebenen 
specifischen Augenaffectionen, doch traten dieselben grösstentheils in 
Form der Stauungspapille, Neuritis descendens oder Atrophia nervi 
optici, als Theilerscheinungen von centralen und orbitalen Affectionen 
auf. Eine relativ seltene Erkrankung ist die Neuritis optica bez. 
Neuroretinitis, bei der sich allein eine Entzündung des Sehnerven 
findet, ohne dass sich an irgend einem anderen Theile des Auges 
oder der Orbita oder der Centralorgane Spuren einer syphilitischen 
Erkrankung zeigen. 

Die syphilitische Sehnervenentzündung kann die Folge eines 
Gumma in der Schädelhöhle sein, alsdaun zeigt sich das Bild der 
sog. Stauungspapille, oder sie kann als Neuritis descendens auf- 
treten, sobald sich entzündliche Zustände von den Meningen nach 
dem Opticus und seinen Häuten hin weiter verbreiten. Hier¬ 
von zu unterscheiden ist die eigentliche Neuritis specifica, bei der 
sich im Stamme des Opticus der Sitz einer luetischen Entzündung 
findet. Auch können die Sehnerven bez. das Cbiasma in eine 
gummöse Wucherung hineingezogen und davon durchwachsen werden. 

Im Laufe der letzten 15 Jahre hatte ich Gelegenheit 8 Mal 
primäre specifische Entzündungen des Opticus zu beobachten, und 
zwar 3 Mal doppelseitig und 5 Mal einseitig. Bei sämmtlicben 
Kranken Hess sich kein Symptom nachweisen, das auf ein Ergriffen¬ 
sein des Gehirns und seiner Häute oder der Orbita zu schliessen 
gestattete. 

Der I. Fall betraf einen 42jährigen Handwerker, welcher sich im 
Winter 1874 in der Universitätsaugenklinik in Berlin einfand mit der Klage, 
dass sich sein Sehvermögen im Laufe der letzten Woche bedeutend ver¬ 
mindert habe. Derselbe war stets vollständig gesund, hatte sich aber vor 
1 */a Jahren syphilitisch iuficirt. Er wurde daraufhin von dem Gewerksarzte 
mit Sublimatinjectionen behandelt. Bei der vorgenommenen Untersuchung 
betrug die Sehschärfe des rechten Auges ®/36, die des linken 5 /6o, das 
Gesichtsfeld war beiderseits concentrisch eingeengt, die Farben wurden 
richtig erkannt, die Muskeln functionirten normal, die Pupillen reagirten 
auf Licht- und accommodative Reize. Ophthalmoskopisch zeigte sich beider¬ 
seits das Bild einer ausgesprochenen Neuroretinitis. Ueber Kopfschmerzen 
oder andere vom Centralorgan ausgehende Beschwerden hatte Patient nicht 
zu klagen. Neben localer Bluteutziehung wurde eine Inunctionscur ein¬ 
geleitet. Daraufhin besserte sich im Laufe von 3 Monaten der Zustand in 
der Art, dass sich das Sehvermögen beiderseits allmählich auf & /is hob. Eine 
weitere Besserung derselben trat auch nach weiteren 4 Monaten nicht ein. 
Das Gesichtsfeld war zwar etwas weiter geworden, aber doch immer noch 
erheblich concentrisch eingeengt. Von der Neuroretinitis war nichts mehr 
zu sehen, nur erschien der Opticus beiderseits blässer als normal, die 
Retinalgefässe hatten nahezu das normale Kaliber. 

2. Fall. Ein 35jähriger, sonst gesunder Schreiber, der vor 3 Jahren 
an Lues gelitten hatte, stellte sich im Sommer 1875 mit der Klage vor, 
dass er kaum mehr seinem Berufe nachkomraen könnte. Das Sehvermögen 
des rechten Auges war auf 5 /36, das des linken auf Fingerzählen in 
3 Metern reducirt. Das Gesichtsfeld zeigte eine hochgradig concentrische 
Einengung. Die Muskeln functionirten richtig, und die Pupillarreaction war 
genau vorhanden. Ophthalmoskopisch zeigte sich beiderseits das Bild einer 
Neuritis optica. Trotz einer energischen antispecifischeu Cur gelang es nicht, 
eine wesentliche Besserung zu erzielen. Nach Ablauf eines halben Jahres 
war die Sehschärfe dieselbe geblieben, das Gesichtsfeld hatte sich nicht 
verändert, ophthalmoskopisch erschien der Sehnerv blässer, und die Netzhaut- 
gefässe etwas schmäler als normal. Niemals hatten sich Symptome con- 
statiren lassen, welche auf eine Mitbetheiligung der Ceutralorgane oder der 
Orbita hätten schliessen lassen. 

3. Fall. Ein 24jähriger Kaufmann klagte im Sommer 1877 über Ab¬ 
nahme der Sehkraft seines rechten Auges. Er hatte sich vor einem halben 
Jahre syphilitisch inficirt und danach eine Schmiercur durcbgemacht. Das 
linke Auge war vollständig intact, hatte volle Sehschärfe, normales Gesichtsfeld 
und normalen ophthalmoskopischen Befund. Rechts betrug die Sehschärfe b /u, 
das Gesichtsfeld zeigte einen sectorenförmigeu Defect nach unten innen, die 
Pupille reagirte prompt, die Muskeln functionirten richtig, mit dem Augen¬ 
spiegel erschien der Opticus getrübt und geschwollen; die Trübung erstreckte 
sich etwa 2 Papillendurchmesser in die umgebende Netzhaut. An den 
anderen Organen Hessen sich keine krankhaften Erscheinungen constatiren. 
Nach Einleitung einer energischen Schmiercur hob sich die Sehschärfe dieses 
Auges nach Ablauf von 4 Monaten auf 5 /#> der Gesichtsfelddefect hatte sich 
erheblich verkleinert. Ophthalmoskopisch erschien der Opticus etwas blässer. 
Eine weitere Besserung trat nicht ein. 


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900 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


4. Fall. Eine 86 jährige Verkäuferin, welche vor s /4 Jahren eine anti- 
specifische Cur in Form von subcutanen Sublimatinjectionen durchgemacht 
hatte, klagte, dass seit 3—4 Wochen die Sehkraft ihres linken Auges be¬ 
deutend abnehme, während die des rechten intact war. Die Patientin war 
sonst vollständig gesund, niemals hatte sie an Chlorose oder Kopfschmerzen 
gelitten. Während das rechte Auge nicht die geringste Abnormität zeigte, 
war links die Sehschärfe auf b j 36 reducirt, und dabei das Gesichtsfeld er¬ 
heblich concentrisch eingeengt. Die Pupille sowie die Augenmuskeln func- 
tionirten richtig. Ophthalmoskopisch fand sich das Bild einer ausgesprochenen 
Neuritis. Nach längerem Gebrauche einer Inunctionscur hatte sich das Seh¬ 
vermögen im Laufe von 5 Monaten auf 5 /m gehoben und die concentrische 
Gesichtsfeldbeschränkung sehr gebessert. Die Papille erschien etwas blässer 
als normal. Eine weitere Veränderung trat nicht ein. 

5. Fall. Ein 30jähriger, sonst völlig gesunder Mechaniker hatte sich 
vor 7 Monaten specifisch inficirt und war dauach in ärztlicher Behandlung 
gewesen. Seit 14 Tagen bemerkte er eine Verschlechterung des Sehver¬ 
mögens des linken Auges, während das rechte völlig intact war. Die Seh¬ 
schärfe links betrug 724 , das Gesichtsfeld zeigte eine concentrische Ein¬ 
engung, ophthalmoskopisch erschien das Bild einer Neuroretinitis An der 
Grenze des schwach geschwollenen Sehnerven fanden sich einige streifen¬ 
förmige Blutungen. Trotz sofort angewandter Schmiercur ging die centrale 
Sehschärfe im Laufe der ersten 14 Tage auf 5 /eo herunter, um danach all¬ 
mählich sich zu heben. Nach 5 Monaten betrug dieselbe 5 /», nur eine ge¬ 
ringe concentrische Einengung des Gesichtsfeldes war noch vorhanden. Der 
Sehnerv erschien etwas blässer als normal. 

6 . Fall. Ein 45 jähriger Mann, der bereits 2 Mal wegen Syphilis eine 
Inunctionscur durchgemacht hatte, das letzte Mal vor 2 Jahren, klagte seit 
etwa einem Monat über allmähliche Abnahme des Sehvermögens beider 
Augen. Dasselbe betrug beiderseits 5 /s«> beide Gesichtsfelder zeigten sectoren- 
förmige Defecte. Die Muskeln sowohl wie die Pupillen functionirten genau. 
Anzeichen von centralen Affectionen waren nicht vorhanden. Ophthalmos¬ 
kopisch zeigte sich beiderseits das Bild einer ausgesprochenen Neuritis 
optica. Weder durch eine Schmiercur, noch Gebrauch vou Jodkali Hess sich 
eine Besserung erzielen, doch verschlimmerte sich der Zustand auch nicht. 
Nach 3 /t Jahren erschien der Opticus beiderseits blass und die Retinalgefässe, 
wenn auch nicht erheblich, verengt. 

7. Fall. Ein 25 jähriger Kaufmann batte sich vor Jahren syphi¬ 
litisch inficirt. Seit etwa 14 Tagen bemerkte er eine Verschlechterung der 
Sehkraft des rechten Auges, das linke war intact. Die Sehschärfe betrug 5 /i 8 , 
das Gesichtsfeld zeigte eine concentrische Einengung, die Pupille und Muskeln 
functionirten genau. Ophthalmoskopisch fand sich eine ausgesprochene 
Neuritis optica. Am linken Auge Hess sich nicht die geringste Abnormität 
nachweisen, ebenso keine krankhaften Erscheinungen von irgend einem 
anderen Theile des Körpers. Trotz sofort angewandter Schmiercur vermin¬ 
derte sich die Sehkraft im Laufe der nächsten 14 Tage auf 5 /s 6 , um danach 
allmählich wieder zu steigen. Nach 5 Monaten betrug dieselbe 5 /e» das 
Gesichtsfeld war nur in sehr geringem Maasse concentrisch eingeengt. Der 
Sehnerv war unbedeutend blässer als links. 

Der 8 . Fall betraf ebenfalls einen sonst gesunden jungen Mann von 
29 Jahren, welcher sich vor 8 Monaten specifisch inficirt hatte und danach 
in ärztlicher Behandlung war. Derselbe bemerkte seit etwa 3 Wochen eine 
Verschlechterung der Sehkraft des linken Auges, das rechte war intact. Die 
Sehschärfe des ersteren betrug s /is, das Gesichtsfeld war concentrisch ein¬ 
geengt, die Muskeln functionirten regelmässig, ebenso die Pupille. Ophthal¬ 
moskopisch fand sich links eine Neuroretinitis, die Trübung reichte etwa 
einen Pupillendurchmesser in die umgebende Netzhaut, während sich rechts 
absolut normale Verhältnisse zeigten. Nach Anwendung einer Schmiercur 
und folgendem Gebrauch von Jodkali trat allmählich Besserung ein, sodass nach 
4 Monaten die Sehschärfe 5 /s betrug, und allein das Gesichtsfeld unbedeutend 
eingeengt erschien. Der Sehnerv war etwas blässer als rechts. 

In allen hier beschriebenen Fällen von Sehnervenentzündung 
handelt es sich um Neuritis bezw. Neuroretinitis syphilitica. Dafür 
spricht in erster Linie die Anamnese. Sämmtliche Patienten hatten 
an Lues gelitten und bereits eine antiluetische Cur durchgemacht. 
Ausserdem spricht dafür die Therapie: durch eine Schmiercur bezw. 
Gebrauch von Jodkali wurde die Krankheit gehoben oder gebessert 
bezw. zum Stillstand gebracht. Ein anderes ätiologisches Moment, 
als Syphilis liegt nicht vor. Bei dieser Krankheit werden, wie oben 
bereits erwähnt, eine Reihe von entzündlichen Zuständen des Opti¬ 
cus beobachtet. Wohl am häufigsten beobachtet man dabei die 
Stauungspapille, welche sich bei intracraniellen Gummata entwickelt. 
Doch kommt dieselbe stets doppelseitig vor, auch bestanden in 
keinem unserer Fälle irgend welche Symptome, welche den Schluss 
auf intracranielle Tumorenbilduug gestatteten. Ausserdem sprach der 
ophthalmoskopische Befund gegen Stauungspapille. Nirgends fand 
sich die hochgradige Schwellung der Papilla optica, wie sie bei 
derselben beobachtet wird. Die Folge der Stauungspapille ist in der 
Regel absolute Amaurose oder sehr hochgradige Amblyopie aufAtrophia 
nervi optici beruhend. Wenn auch bei unseren Fällen fast immer 
eine Verminderung des Sehvermögens zurückblieb, so war dasselbe 
doch nicht so herabgesetzt, wie es bei Atrophie in Folge von 
Stauungspapille der Fall ist. Aus diesen Gründen ist hier die 
Diagno.se Stauungspapille wohl eine unrichtige. Bei Lues wird weiter 
eine Neuritis descendens beobachtet, welche, von den Meningen aus¬ 
gehend, sich auf die Hüllen des Opticus weiter fortpflanzt. Wenn 
diese Form, welche auch einseitig vorkommt, keine so ungünstige 
Prognose hat, wie die Stanungspapille, und oft nach Rückgang der 
Neuritis ein relativ gutes Sehvermögen beobachtet wird, so können 


unsere Fälle doch nicht dahin gerechnet werden, da sich bei keinem 
auch nicht die geringsten Spuren einer intracraniellen Affection 
zeigten. Die dritte Möglichkeit wäre, dass specifische Processe von 
der Orbita ausgehend, die entzündlichen Erscheinungen im Opticus 
veranlasst hätten. Da aber keine Krankheitserscheinungen, welche 
einen pathologischen Process dort veranlassen könnten, nachzuweisen 
waren, so muss auch diese Möglichkeit ausgeschlossen werden. Es 
bleibt uns daher nur noch übrig, den Krankheitsprocess im Opticus 
selbst zu suchen. Dass Gummata im Sehnerv vorkommeu und da¬ 
selbst zerfallen, ist von Horner anatomisch nachgewiesen. Warum 
soll nicht eine Neuritis optica primär auftreten, ohne dass Gehirn¬ 
syphilis oder syphilitische Affectionen der Orbita bestehen? Wirken- 
uen ja eine specifische Iritis, Chorioiditis und Retinitis, welche schon im 
Beginn des sog. secundären Stadiums der Syphilis auftreten können. 
Bei dem 3.. 4., 5., 7. und 8. Fall trat eine einseitige Neuritis auf, 
ehe noch ein Jahr seit der Infection verflossen war. In allen diesen 
Fällen ging die Entzünduug nach Verlauf von 4—8 Monaten zurück, 
und die Sehschärfe hob sich ganz bedeutend, im Falle 8 wieder 
zur Norm. Freilich blieben bei allen, wenn auch nur in geringem 
Maasse, Gesichtsfeldbeschränkungeu zurück, ebenso erlangte der 
Opticus nirgendswo seine normale Farbe wieder, war vielmehr 
immer etwas weisslich verfärbt. Im Falle 1, wo die Infection 
IV 2 Jahr vorher aufgetreten war, trat die Neuritis beiderseitig auf. 
Hier erhob sich das Sehvermögen von bez. :, /eo nach 3 Monaten 
auf r Vi8- In allen diesen Fällen muss eine primäre Entzündung 
des Opticus vorliegen. Bei Fall 2 und 6, welche ebenfalls doppel¬ 
seitig waren, wurde nach längerer Beobachtung keine Besserung des 
Sehvermögens bemerkt, obgleich die Neuritis sich vollständig zurück¬ 
gebildet hat. Da die syphilitische Infection hier bereits vor 

2 bez. 3 Jahren stattgefunden batte, ist es möglich, dass Gummata 
im Opticus die Veranlassung der Entzündung waren. Dafür spricht 
vielleicht, dass eine Verbesserung des Sehvermögens, sowie der Ge¬ 
sichtsfeldbeschränkung nicht eintrat. Doch lässt sich darüber auf 
Grund der sonst beobachteten Symptome kein Schluss ziehen. Was 
die Lage der entzündeten Nervenfasern anlangt, so müssen dieselben 
im Centrum des Opticus um die Centralgefösse liegen, da sich 
allenthalben eine concentrische Einengung des Gesichtsfeldes fand. 
Bekanntlich versorgen diese Fasern die Peripherie der Netzhaut. 
Vielleicht können entzündliche Erscheinungen von den Wänden der 
Gefässe aus auf die umgebenden Nervenfasern übergegriffen haben. 
Hierüber kann allein die mikroskopische Untersuchung Aufschluss 
geben. Die concentrische Gesichtsfeldbeschränkung spricht dagegen, 
dass der entzündliche Process von den Scheiden des Opticus auf 
ihn übergegangen ist, sonst müssten sich auch centrale GesichtsfeW- 
defecte finden. 

Die primäre Neuritis optica auf specifischer Basis kann somit 
einseitig sowohl wie doppelseitig auftreten; sie befallt Patienten, 
welche sich noch vor nicht zu langer Zeit specifisch inficirt haben. 
Bei geeigneter Behandlung tritt in der Mehrzahl der Fälle, obgleich 
der Verlauf der Krankheit ein langsamer ist, eine Besserung, zu¬ 
weilen auch vollständige Herstellung des Sehvermögens ein, das 
Gesichtsfeld freilich bleibt in der Regel, wenn auch nur in geringem 
Grade, eingeschränkt. Ist die Infection vor schon längerer Zeit als 
einem Jahre erfolgt, so ist die Aussicht auf Restitutio ad integrum 
eine geringere, doch gelingt es auch hier zuweilen, durch geeignete 
Behandlung einen Stillstand des Processes zu bewirken. Ungünstiger 
liegen die Verhältnisse, wenn specifische Processe von der Orbita 
oder dem Canalis opticus aus auf den Opticus einwirken, ebenso 
wenn eine Meningitis in Form von Neuritis descendens sich auf Jeu 
Opticus fortpflanzt. Hier ist die Folge häufig Atrophia nervi optici. 
Die Stauungspapille hat fast immer Amaurose oder doch hoch¬ 
gradige Amblyopie zur Folge. Alle diese letzteren Formen treten 
indessen erst auf, wenn Syphilis schon längere Jahre bestanden bat. 
Die schlimmste Form von specifischer Erkrankung des Sehnervs ist 
die nicht entzündliche Atrophia nervi optici, welche auf Erkrankungen 
des Gehirns und Rückenmarks beruht, die durch Syphilis veranlasst 
sind. Hier tritt immer, oft sich langsam entwickelnd, trotz aller 
antispecifischen Behandlung totale Amaurose auf. 

Zum Schluss noch einige Worte über die Häufigkeit der speci- 
fischen Erkrankungen des Auges. Wenn wir vom äusseren Auge 
einschliesslich Corriunctiva, Cornea und Muskeln absehen, so wirrt 
unzweifelhaft der Uvealtractus, in erster Linie die Iris, von syphi¬ 
litischen Entzündungen befallen, darauf die Netzhaut und am selten¬ 
sten der Sehnerv. Hier wird wieder die primäre Neuritis specibca 
am wenigsten beobachtet, weit häufiger die sog. Stauungspapille und 
die Atrophia nervi optici. Dass Alexander eine so ausser¬ 
ordentlich grosse Anzahl syphilitischer Erkrankungen des Sehnerven 
beobachtet hat, kann nur darin seinen Grund haben, dass allen den In¬ 
glücklichen, welche an Atrophia nervi optici leiden und bei denen 
irgend ein, häufig wohl auch unbegründeter Verdacht auf Lues vorliegt, 
als ultimum refugium der Gebrauch einer antisyphilitischen Cur in 
Aachen empfohlen wird. _ 


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1. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


901 


III. Ein Fall von primärem Sarkom des 
Pancreas mit enormen Metastasen bei einem 
vierjährigen Knaben. 1 ) 

Von Prof. Dr. M. Litten. 

M. H.! Der Fall, welchen ich mir erlauben werde, Ihnen zu 
präsentireu, ist nach zwei Richtungen hin eine Rarität, sowohl in 
pathologisch-anatomischer Bezieliuug als auch in ätiologischer. 

Der Fall betrifft einen 4 jährigen, aus ganz gesunder Familie stammen¬ 
den Knaben, welchen ich in der Mitte des September zum ersten Mal sah, 
damals noch in einem sehr guten körperlichen Zustande. Der Leib war 
etwas aufgetrieben, aber die allgemeine Ernährung sehr gut, und die 
Mutter gab an, dass der Knabe auch in genügender Weise Nahrung zu sich 
nehme, nur dass hin und wieder Durchfälle aufträten. Im übrigen lagen 
keine Krankheitserscheinungen vor, nur klagte der Knabe über Schmerzen 
beim Druck und auch wohl über spontane Schmerzen im Abdomen. Bei Be¬ 
tastung des letzteren konnte man mächtige Geschwulstmassen mit einzelnen 
Vorsprüngen, Kämmen und isolirten Knoten deutlich erkennen. Dieselben 
reichten bis zum Nabel, erstreckten sich quer durch das ganze Abdomen, 
so dass die untere Thoraxapertur erweitert erschien, und boten vermehrte 
Resistenz und fast steinharte Consistenz dar. Der untere Abschnitt des 
Cavum abdominis erschien frei von Geschwulstmassen. Ich fuhr darauf zur 
Naturforscherversammlung nach Köln, und als ich nach 14 Tagen den Knaben 
wiedersah, war er bis zum Skelett abgemagert, der Leib enorm vorgewölbt, 
und trotz der colossalen Abmagerung hatte er 8 — 10 Pfund an Gewicht 
zugenommen. Das Abdomen war höchlichst ausgedehnt, mau sah durch die Haut 
hindurch mächtige Tumormassen, die sich zum Theil firstartig abgreuzten, und 
fühlte harte Ränder und Knoten, so dass der Gedanke, dass es sich um eine Neu¬ 
bildung handele, sofort hervortreten musste, und zwar um eine maligne Neubil¬ 
dung wegen des enorm schnellen Wachthums. Man hätte allenfalls noch an.11 y- 
datiden denken können; doch war davon keine Rede, denn es lag weder eine 
nachweisbare Ursache dafür vor, noch war an irgend einer Stelle Fluctuatiou zu 
fühlen; der Tumor war überall gleich fest, hart und consistent. Dabei ver¬ 
schoben sich die Tumormassen deutlich mit der Respiration. Bei der 
unzweifelhaft vorhandenen Malignität des Tumors nahm ich mit Wahr¬ 
scheinlichkeit an, dass der Ausgangspunkt die rechte Niere wäre, und zwar 
einmal auf Grund der bekannten Erfahrung, dass bei Kindern in den ersten 
Lebensjahren maligne Tumoren krebsiger Natur häufiger von der Niere aus¬ 
gehend, Vorkommen, und dann, weil ich durch genaue Percussion nachweisen 
konnte und auch durch die Palpation bestätigt fand, dass der Tumor vom 
Abdomen aus nach rechts herum ging und deutlich bis zur rechten Niere 
verfolgt werden konnte. Die ganze rechte Nierengegend gab überall ge¬ 
dämpften Percussionsschall, und von dem sonst vorhandenen Uebergang des 
letztem in den tympanitischen Schall des aufsteigenden Dickdarms Hess sich 
nichts nachweisen. Der Tumor war spontan und bei Berührung sehr schmerz¬ 
haft, steinhart und von solcher Ausdehnung, dass er das ganze Abdomen bis 
weit unter die Nabelhöhle vollständig ausfüllte. Einzelne Metastasen in Knoten¬ 
form konnte man durch die Bauchdecken an den verschiedensten Stellen hin- 
durcbfühlen, ohne dass dieselben zu bestimmt abgreuzbaren Organen in 
einem nachweisbaren Verhältnis» gestanden hätten. Der Darm musste sehr 
comprimirt oder verschoben sein, da nirgends im Bereich der Neubildung 
eine Spur von Darmton nachgewiesen werden konnte; überall bestand ab¬ 
solute Dämpfung. Ascites war nicht vorhanden. Der Knabe, der wie 
gesagt, zum Skelett abgemagert war, nahm seit längerer Zeit keine Nahrung 
zu sich; trotzdem bestanden Diarrhöen. Der Urin war constant normal. 

Der Knabe ging in wenigen Tagen zu Grunde, und die Section, 
die ich unter sehr grossen Schwierigkeiten ausserhalb Berlins aus¬ 
führen musste, ergab in der That das Vorhandensein einer enormen 
krebsartigen Neubildung, welche bei der Eröffnung des Abdomens 
die ganze Bauchhöhle ausfüllte. Vorzugsweise sah man drei mächtige 
doppeltmannesfaustgrosse markige, mit Hämorrhagieen durchsetzte 
Geschwulstmassen, welche durch krebsig degenerirtes Gewebe ver¬ 
bunden waren, ganz oberflächlich zu Tage liegen, je eine in jedem 
Hypochondrium, und die dritte und grösste in der Mitte, d. b. in der 
Regio umbilicalis. Der sehr zusammengefallene Darm war mit den 
Tumormassen überall verwachsen und ganz zurückgedrängt, sodass 
überall mächtige grosse Geschwulstknoten Vorlagen. Bei der weiteren 
Untersuchung konnte ich dann nachweisen, dass in der That die 
Tumormasse ohne Unterbrechung bis zu den Nieren reichte, und zwar 
derart, dass die Nieren so vollständig in die Krebsmassen einge¬ 
bettet waren, dass ich sie nur mit grosser Mühe aus denselben 
herausschälen konnte. Beim Aufschneiden der Nieren ergab sich 
aber sofort, dass der Ausgangspunkt des Neoplasma weder die rechte 
noch die linke Niere gewesen sein konnte, denn die Neubildungen, 
die sich in diesen Organen selbst zeigten, waren sofort als Metastasen 
zu erkennen, während die markigen Krebsmassen überall bis in den 
Hilus hineingewuchert waren. Da beide Ureteren durch den Druck 
der Geschwulst leicht comprimirt waren, fand ich beiderseits eine 
Hydronephrose mässigen Grades, während das Parenchym, abgesehen 
von den circumscripten, scharf abgegrenzten Metastasen überall 
intact erschien. Es war ausserordentlich schwer, herauszubekommen, 
von wo der Tumor eigentlich ausgegangen war. Ich füge hinzu, 
dass Leber, Milz und Magen absolut intact waren und keine Spur 
von pathologischen Veränderungen zeigten. Dagegen war die ganze 
Masse des Pancreas in eine mächtige Geschwulst umgewandelt, die in 

l ) Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 


der Concavität des Duodenum topographisch so schön dalag, wie man 
dies nur bei irgend einer normalen Leichenöffnung sehen kann, wo 
man das Hufeisen des Duodenum und den Kopf des Pancreas in der 
Concavität desselben liegend vorfindet. Es handelte sich aber nicht 
nur um eine Erkrankung des Kopfes des Pancreas, sondern um 
eine solche der ganzen Drüse und der gesamraten pancreatischen 
Gruppe, welche in eine mächtige Tumorn asse verwandelt war, aber 
an der Geschwulstanordnung und dem aciuösen Bau noch deutlich 
erkennen Hess, dass es sich wirklich um das enorm vergrösserte 
Paucreas handele. Von hier zogen die Krebsmassen weiter nach dem 
Mesenterium zu, welches, soweit es den Dünndarm betraf, durch¬ 
weg mit der Geschwulstmasse verlöthet war, der Art, dass die 
markigen Neubildungen überall bis dicht an den mesenterialen Ansatz 
des Darms herantraten und stellenweise in den letzteren durchge- 
gebrochen waren, sodass man an sehr vielen Stellen des aufgeschnit- 
teuen verdickten und erweiterten Dünndarms die grossen Geschwulst¬ 
knoten durch die Schleimhaut des Ueum und Jejunum hindurchragen 
sah. Vielfach waren diese Knoten bereits ulcerirt, sodass es sich hier 
um grosse Krebsgeschwüre handelte, welche stellenweise zu 4 bis 
5 zusammenlagen und theilweise mit nekrotischen und gangrä¬ 
nösen Gewebsfetzen bedeckt waren. Solcher Geschwüre waren 
wenigstens 20 bis 30 vorhanden. Herr Geh. Rath Virchow, der 
die Güte hatte, den Darm noch weiter aufzuschneiden, brachte eiue 
weitere grosse Anzahl derselben zum Vorschein. Von dem Mesenterium 
ging die Geschwulstmasse weiter auf die retroperitonealen Lymph- 
drüsen über, die enorm vergrössert uud in markige Geschwulstmassen 
verwandelt w'aren. Die normalen netzförmigen Anhänge des Dick¬ 
darms (Appendices epiploicae) waren in ihrer Totalität in mächtige 
kolbige, total krebsig degeuerirte Fortsätze verwandelt, welche 
überall als steife, conisch geformte Massen vom Darm abstanden. Bei 
der Untersuchung des Präparats, welche Herr Geh. Rath Virchow 
selbst vorzunehmen die Güte hatte, stellte es sich heraus, dass es 
sich um ein kleinzelliges Sarkom handelte, welches grosse Aehnliehkeit 
mit einem Lymphosarkom darbot. Stellenweise und namentlich bei der 
dem Pancreas augehörigen Geschwulstmasse sind die Zellen in feinen 
anastomosirendeu Strängen angeordnet. Zum grossen Theil Hessen 
die Geschwulstzellen Veränderungen regressiver Natur erkennen. 
Bemerkenswerth ist, dass das krebsig degeuerirte Pancreas, welches 
Sie hier vor sich sehen, in seiner Anordnung makroskopisch voll¬ 
ständig das Bild einer in’s Riesenhafte vergrösserten Bauchspeichel¬ 
drüse darzubieten scheint, nur mit dem Unterschiede, dass an die 
Stelle der normalen Drüsenzellen Geschwulstelemente getreten sind. 

Wenn wir hier die wichtige Frage entscheiden sollen, von welchem 
Organ die Geschwulst ausgegangen, so Hegen die Möglichkeiten vor, 
dass die Neubildung ihre Entwickelung vom Pancreas oder den retro¬ 
peritonealen Lymphdrüsen aus genommen habe. Wenn schon vom ana¬ 
tomisch-pathologischen Standpunktaus ersteres das Wahrscheinlichere 
ist, wie auch Herr Geh. Rath Virchow nach eingehender Prüfung des 
Präparates hervorhob, so tritt dieser Ausgangspunkt vom klinischen 
Standpunkt aus als der wahrscheinlichere uoch mehr hervor. Als ich 
deu Knaben zuerst sah, war der Mittelpunkt der Geschwulstbildung un¬ 
zweifelhaft die Gegend des Pancreas, während, wie ich schon hervorhob, 
der untere Abschnitt des Abdomen noch ganz frei war, und von hier 
aus verbreitete sich die Geschwulst in rapiHem Wachsthura nach Theilen 
des Unterleibes und hatte nach wenigen Wochen ein Gewicht von ca. 15 
Pfd. erreicht. Schon 14Tage nach der ersten Untersuchung war dieselbe 
eine so generalisirte, dass die Möglichkeit einer auch nur annäherungs¬ 
weisen Bestimmung des Ausgangspunktes vollständig unmöglich war. 

Das Interesse des Falles gipfelt darin, erstens dass es sich um eine 
so .grosse krebsige Neubildung bei einem 4 jährigen Kinde handelte, 
zweitens dass der Process so rapide in wenigen Wochen von Anfang bis 
zum Ende verlief, und drittens, dass trotz der totalen Erkrankung des 
Pancreas keine Erscheinungen von Störung derVerdauung eintraten, so¬ 
lange das Kind scheinbar noch gesund war, aber auch nicht zur Zeit der 
manifesten Krebserkrankung. Das letztere ist allerdings keine so grosse 
Seltenheit. Ich habe vor 10 Jahren mehrere Fälle von totaler krebsiger 
Degeneration des Pancreas beschrieben (Charite-Annalen Bd.V), die 
lange beobachtet wurden, und bei denen ebenfalls keine einzige Störung 
derVerdauung auftrat. Das anatomisch bedeutsamste und seltenste aber 
ist ein primäres Sarkom des Pancreas, das bisher noch niemals beschrie¬ 
ben worden ist. Schon primäre Carcinome des Pancreas sind bekannt¬ 
lich selten genug, und zumal bei Kindern. Aus dem Rokitanski’- 
schen Institut ist vor vielen Jahren ein Fall von totaler carcinomatöser 
Degeneration des Pancreas bei einem Neugeborenen von Berg be¬ 
schrieben worden. Dies ist aber der einzige Fall, den ich habe finden 
können. Primäres Sarkom des Pancreas ist überhaupt noch niemals be¬ 
schrieben worden. Ein einziger Fall ist von Paulitzki angeführt 
worden, wo angeblich im Kopf des Pancreas bei einem Tuberculösen 
ein kleiner Sarkomknoten gefunden wurde. Hier sind aber die Angaben 
auch nicht bestimmt genug, und es fragt sich, ob es sich wirklich 
um ein Sarkom und nicht vielmehr um eine tuberkulöse Erkrankung 
gehandelt habe. _ 


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902 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


IV. Zur bacteriellen Diagnostik und 
Prognostik der Mittelohreiterungen. 1 ) 

Von Prof. Dr. Moos in Heidelberg. 

E. Zaufal hat das Verdienst darauf hingewieseu zu haben 
(Prag. med. Wochschr. 1887 No. 27, 1888 No. 8), dass höchst wahr¬ 
scheinlich bei der Entstehung der genuinen Otitis media acuta, 
welche bei sonst gesunden Individuen in Folge von Erkältung auf- 
tritt und von Rhinitis und anderweitigen Erkrankungen der Luft¬ 
wege begleitet ist. die bisher bekannten Erreger, der Pneumonie¬ 
bacillus Friedländer und der Diplococcus A. Fraenkel-Weichsel¬ 
baum, eine Rolle spielen. Zaufal hat ferner das Verdienst (ibid. 
1888 No. 20 und 21) darauf hingewiesen zu haben, dass der Strep¬ 
tococcus pyogenes, wenn auch nicht ausschliesslich, bei den von 
der Otitis media abhängigen ernsten resp. lebensgefährlichen Com- 
plicationen eine bedeutende Rolle spielt, resp. sie veranlasst, dass 
also der Nachweis des Streptococcus pyogenes im Mittelohrsecret 
prognostisch von der allerhöchsten Wichtigkeit ist Die Richtigkeit 
dieser Angaben Zaufal's kann ich nach eigenen Untersuchungen, 
welche den unten genauer zu schildernden casuistischen Mittheilungen 
entnommen sind, bestätigen. 

Erster Fall. Diabetes, Otitis media purulenta chronica 
dextra. Exacerbation des Leidens mit Entzündung der Zellen 
des rechten Zitzenfortsatzes. Wilde’scher Schnitt. Heftige 
Blutung. Heilung. 

Pat., 55jähriger Kaufmann, leidet seit 3 Jahren an Diabetes mellitus 
(nach der vorgenommenen Untersuchung enthält der Urin 2,97% Zucker). 
Seit 5 Monaten besteht Otitis med. purulenta dextra, die in den ersten 10 Tagen 
acut war. In den letzten 14 Tagen wiederholte Schmerzen im rechten Ohr und 
rechten Warzenfortsatz. Status am 13. Juni 1888: Hörweite in der Luftleitung 
Null. Knochenleitung für alle Tonquellen; alle Stimmgabeln rechts. An¬ 
schwellung am Proc. mast, ohne Röthung der Haut, aber schmerzhaft. Ge¬ 
hörgang in der Tiefe schlitzförmig durch eine teigige Anschwellung an der 
hinteren und oberen Wand verengt. Kein Fieber. 

Obgleich operative Eingriffe bei Diabetikern theils wegen der Arterien¬ 
sklerose, theils wegen abnormer Mischung der Parenchymsäfte 2 ) gefürchtet 
sind, so entschloss ich mich doch, schon mit Rücksicht auf die zu befürch¬ 
tende Eiterseukung, zur Operation am gleichen Tage. Narkose. Wilde- 
sclier Schnitt. Viel Eiter. Starke, 3 /< Stunden nicht zu bewältigende Blu¬ 
tung, die erst durch anhaltende Digitalcompression gestillt werden kann, mich 
alter bestimmte von jedem weiteren Eingriff, ausser der Iucision der be¬ 
schriebenen Anschwellung im äusseren Gehörgang, abzustehen. Es wurdeu 
3 Nähte und ein Sublimatverband angelegt, die bei günstigem Wundverlauf 
ohne Fieber am 16. Juni (am 4. Tage) wieder entfernt wurdeu. Am 20. Juni, 
nachdem Heilung per primam erfolgt war, trat von Neuem eine Anschwellung 
in der Schläfengegend über dem Ohre, ein neuer Abscess, auf. Die Wunde 
wurde mit der Sonde geöffnet, und durch die Oeffnung vermittelst der Hart- 
mann’scheu Canüle eine Sublimatausspülung (1:4000) der Abscesshöhle vor- 
geuommen, das Gleiche fand am 12. Juli statt. Defiuitive Heilung am War¬ 
zenfortsatz am 31. Juli. Kein Ausfluss, keine Vorwölbung im Gehörgang 
mehr. Perforation im hinteren oberen Quadranten des Trommelfells besteht 
noch. Hörschärfe gebessert, aber noch vermindert. 

In dem aus dem Warzenfortsatz entleerten Eiter fanden sich 
zahlreiche Streptococcen und Diplococcen und zwar (vgl. die be¬ 
treffende Abbildung 3 ) Diplococcus Fraenkel-Weichselbaum; der 



Friedländer’sche Diplobacillus ist bekanntlich viel dicker und 
länger. Auch verschwindet nach Ehrlich bei der Gram’schen 
Behandlung die Färbung des Friedländer’sehen Doppelbacillus, 
während die des Fraenkel-Weichselbaum’schen sich erhält. 

*) Schriftliche Mittheilung an die Section für Otiatrie der 61. Versamm¬ 
lung Deutscher Naturforscher und Aerzte. — In Folge eines Beschlusses der 
otiatrischeu Section sollte keino schriftliche Mittheilung zur Verlesung 
kommen. Ich bringe die meinige, der freundlichen Aufforderung der Re- 
dactiou dieser Zeitschrift Folge leistend, hiermit zur Veröffentlichung. 

2 ) Angeregt durch einen Vortrag Kirchner’s wurde auf dem Baseler 
internationalen otologischen Congress die Frage discutirt, ob bei Diabetes 
die Eröffnung der Zellen des Warzenfortsatzes nicht coutraindicirt sei. Die 
“eisten Herren Collegen sprachen sich gegen die Operation aus. 

8 ) Ich verdanke dieselbe meinem Zuhörer, Herrn Collegeh Dr. Werner. 


Zweiter Fall. Otitis media acuta dextra mit Vorwölbuug 
des hinteren unteren Quadranten des Trommelfells. Wieder¬ 
holte Incisionen der vorgewölbten Membran. Entzündung der 
Zellen des Zitzenfortsatzes in der siebenten Woche. Wilde¬ 
scher Schnitt. Heilung. 

Pat., 35jähriger Weber; aufgenommen 19. Juni 1888. Erkrankt am 
20. Mai 1888 mit Nasenkatarrh. Vier Tage später nach Schnäuzen Schmer¬ 
zen im rechten Ohr. Subjeetive Gehörsempfiudungen pulsirenden Charakters, 
besonders Nachts quälend. Schmerzen 6 Tage, ausstrahlend nach der betr. 
Schädel hälfte, bis Ausfluss eintritt. 

Status präsens: Wenig Eiter im äusseren Gehörgang, Trommelfell ge- 
röthet, im hinteren unteren Quadranten vorgebaucht, auf der Spitze der Vor¬ 
bauchung bei dem Zug mit der Piucette ein stark fadenziehender Eiterpfropf 
innerhalb einer kleinen Perforation. Incision der vorgebauchten Stelle. Sei. 
viele Streptococcen im Eiter. Wiederholte Vorbauchungen machten wieder¬ 
holte Incisionen nöthig, am 30. Juni einen Kreuzschnitt. Am 1. Juli Schmer¬ 
zen im Warzenfortsatz. Am 5. Juli grosser Abscess in der Regio mastoidei. 
Wilde'scher Schnitt in der Chloroformnarkose, ln dem entleerten Eiter 
viele Streptococcen und Diplococcen, gleich denen im vorigen Fall. 
Am 14. Juli wird Patient völlig geheilt entlassen. 

Dritter Fall. Otitis media purulenta chronica sinistra mit 
Polypen- und Cholesteatombildung combinirt. Oaries. Phle¬ 
bitis und Thrombose des Sinus lateralis. Septische Throm¬ 
bose im Bulbus venae jugularis. Meningitis purulenta der 
Basis. Kleinhirnabscess. 

Pat., 37jähriger Arbeiter, kam am 28. Juni 1888 in die Ohrenklinik. 
Leidet seit der Kindheit an linksseitigem Ohrenfluss, der noch fortbestellt. 
Erst in der letzten Woche haben sich heftige linksseitige Ohr- und Kopf¬ 
schmerzen eingestellt, besonders hinter dem Ohre, ln den letzten 4 Tagen 
Stuhlverstopfuug, Appetitlosigkeit, kein Erbrechen, Schwindel, wiederholte 
Schüttelfröste. 

Status praesens: Gehörvermögen links völlig erloschen. Stimm- 
gabelpereeptiou nur auf der gesunden Seite. Aeusserer Gebörgatg 
durch polypöse Wucherungen und cholesteatomatöse Massen verstopft, auf Druck 
entleert sich nur wenig Eiter. Warzenfortsatz etwas geschwollen, auf Druck 
schmerzhaft. Temperatur 38,3 (Mittags 12 Uhr), Puls 60. Keine Pupillen¬ 
veränderung. Während der Untersuchung Schüttelfrost. Patient 
wird der internen Klinik übergeben mit der Diagnose: Caries, Mastoiditis 
Phlebitis und Thrombose des Sinus lateralis (Meningitis?), und von der 
internen Klinik der chirurgischen, wo am 30. Juni durch Lähmung des 
Athmungscentniras der Tod eintrat. 

Anatomische Diagnose (Gell. Rath Professor Dr. Arnold): Me¬ 
ningitis purulenta der Basis. Thrombose des Sinus lateralis mit 
Perforation seiner hinteren Wand. Käsepfropf im Sinus. Perforation 
über dem Sinus. Communication mit einem jauchigen Kleinhirn- 
abscess. Septische Thrombose im Bulbus ven. jugularis. Oblitera- 
tion der linken Pleura. Acuter Milztumor. 

Untersuchungsergebniss des Felsenbeins: Nach Ab¬ 
hebung der Dura 0,5 cm von der Sut. petro-squamosa entfernt ewt 
2 mm grosse Oeffnung am Dach der Paukenhöhle. Eine in dies* 
eingeführte Sonde gelangt auf die Aussenfläche des Pr. mastoid<?o>. 
Hintere Wand des äusseren Gehörgangs cariös; die defecte Stelle 
durch Granulationen und Cholesteatom. Massen ausgefüllt welch 
letztere einerseits bis in die Paukenhöhle, andererseits bis iD die 
Zellen des Warzenfortsatzes reichen. Auch die vordere Wand de? 
Gehörgangs ist cariös. Von der in der anatomischen Diagnose genannten 
cariösen Oeffnung im Sulcus lateralis gelangt eine eingeführte Sonde 
in den cariösen Defect der hinteren Wand des äusseren Gehörgangf 
Grosse Mengen von Streptococcen in den cholesteato- 
matösen Massen. Das Labyrinth sollte zur Schonung des tw 
das pathologische Institut bestimmten Präparates nicht untersucht 
werden. 

Wenn auch im dritten Falle eine bacterielle Untersuchung der 
Theile vom Cavum cranii nicht angestellt wurde, so ist es doch ini 
höchsten Grade wahrscheinlich, dass in den zwei ersten Fällen dir 
Warzenfortsatz-Affection und im dritten Falle die beschriebenen Com- 
plicationen, welche den Tod des Patienten herbeigeführt haben, 
durch den Streptococcus pyogenes bedingt waren. . 

Im zweiten Fall, der ganz acut verlaufen und mit Rhinitis be¬ 
gonnen hat, wurde die genuine Otitis höchst wahrscheinlich, w 
es Zaufal annimmt, durch den beschriebenen Diplococcus nerbei- 
geführt; höchst wahrscheinlich aber auch im ersten Fall. 

Alle 3 Beobachtungen zusammengenonimeu bestätigen die 
der Einleitung citirten Angaben Zaufal's, und so dürfen wir 
sagen, dass wir mit Hülfe derselben sowohl in der Diagnose »» 
Prognose der Mittelohreiterungen einen wesentlichen Schritt vorwa 
gekommen sind. 

V. Ueber die Pathogenität der Bacterien bei 
eitrigen Processen des Ohres. 1 ) 

Von Docent Dr. Rohrer in Zürich. 

Nachdem das Secret der Mucosa der Mundhöhle und 
Rachenrauraes als Nährboden einer grossen Anzahl verscni 

l ) Vortrag, gehalten in der Section für Otiatrie der 61. Vertan»® 1 “ 11 * 
Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1. November. 


artiger Bacterien nachgewiesen worden, war zu erwarten, dass bei 
den eitrigen Processen des Ohres eine reiche mykotische Fauna sich 
finden werde. Die durch die Tuba zum Mittelohr ascendirendeu 
katarrhalischen und infectiösen Entzündungen haben durch die 
Arbeiten von Moos, Bezold -und Habermann in klinischer und 
pathologisch-anatomischer Beziehung eine eingehende Würdigung 
gefunden. Die Localisirung im Gehörorgan erfolgt per continuitatem 
und per contiguitatem direkt durch die Tuba oder auf dem Wege 
des Blut- und Lymphgefässsystems. Bei perforirtem Trommelfell 
und abgeschlossenem Ostium tympanicura tubae, ist der Zutritt der 
Luft durch den Meatus externus zur Paukenhöhle für die Invasion 
parasitischer und saprophytischer Bacterien von Bedeutung. Die 
Morphologie derselben suchte ich festzustellen durch Untersuchung 
der eitrigen Secrete bei 100 Patienten mit Mittelohraffectionen und 
bei 10 Patienten mit Dermatosen des Meatus externus. 

Durch diese Arbeit war es möglich, bestimmte pathogene 
Bacterien nachzuweisen. Eine weitere Prüfung auf Pathogenität 
erfolgte, indem eitriges Secret und Culturen zu Thierexperimenten 
benutzt wurden. 

Zur Injection in die Paukenhöhle nach Perforation des Trommel¬ 
felles und zur Injection in die Ohrvenen wurden Kaninchen benutzt, 
während die Einspritzungen in die Bauchhöhle bei Meerschweinchen 
erfolgten. — Culturen von Dermatosen der Concha und des äusseren 
Gehörganges wurden auf depilirte Kaninchenohren eingerieben. 

Das morphologische Verhalten der Bacterien war ein wesentlich 
verschiedenes bei fötiden Secreten gegenüber den nichtfötiden, und 
ebenso beim Secret acuter Fälle gegenüber den chronischen Formen. 

„Bei den fötiden Secreten waren stets Coccen und 
Bacillen vorhanden, bei nichtfötiden Secreten waren stets nur 
Coccen zu finden.“ Die Formen wurden doppelt nachgewiesen, 
indem direkt aus Paukenhöhleneiter Ausstreichpräparate auf Deck¬ 
gläschen hergestellt wurden,, welche zur Controle der aus Culturen 
gewonnenen Präparate dienten. 

Die Secrete der acuten Fälle zeigten nur dann Bacillen, wenn 
sie bereits fötid geworden waren. Das Verhältnis der gefundenen 
Formen ist folgendes: Coccen 72 %, Bacillen 28 %. Die Coccen be¬ 
trafen: Monococcen 12 %, Diplococcen 21 %, Staphylococcen 37 
Streptococcen 2 %. Die Bacillen bewegten sich in der Grösse von 
0,07 fj : <>,02-0,05 bis zu 0,12 f i : 0,05—0,07 ft. 

Bei den chronischen Formen waren 49 % Coccen, 51 % Ba¬ 
cillen. Die Coccen bestanden aus: Monococcen 12 %, Diplococ¬ 
cen 22 Staphylococcen 11 *£, Streptococcen 4 %. — Die Bacillen 
zeigen die obigen Grössenverhältnisse. 

Aus den fötiden Secreten werden nachgewiesen 42 % Coccen 
und 58 % Bacillen. Die Coccen vertheilen sich auf: Monococcen 
9 %, Diplococcen 21 %. Staphylococcen 8 ©, Streptococcen 4 %. 

Die nicht fötiden Secrete ergaben nur Coccen und zwar: 
Monococcen 19 %, Diplococcen 26 o, Staphylococcen 50 3>, 
Streptococcen 5 %. 

Die experimentelle Prüfung der Culturen und Eiteremulsionen 
ergab zur Evidenz, dass die Bacillenformen, deren ich 8 verschiedene 
classificirte, nicht pathogen waren, sondern als Saprophyten bei der 
fötiden Zersetzung des Ohreiters betheiligt waren. Die Injection in 
die Paukenhöhle, in die Ohrvene und in die Bauchhöhle erzeugte 
eine kaum nennenswerthe Reaction, und die Thiere sind jetzt nach 
2 Monaten vollkommen muuter und iutact. Ueber die Pathogenität 
der Coccenformen kann kein Zweifel walten, und wird es sich zu¬ 
nächst darum handeln, die pathogene Bedeutung der Diplococcen 
genauer festzustellen. Es dürfte diese Aufgabe um so eher zu 
Resultaten führen, da die Diplococcen augenscheinlich auch bei den 
Dermatosen des äusseren Ohres eine grosse Rolle spielen und in 
der I* orm der Pneumococcen im Nasenrachenraum und Ohr von 
besonderer Bedeutung sind. 

Bei den Dermatosen des Meatus externus und der Concha 
fanden sich 82 % Coccen und 18 % Bacillen. Es war immer der 
gleiche Bacillus von 0,07:0,04 /«. Die Coccen betrafen: Mono¬ 
coccen 10 %, Kapselcoccen 8 3>, Diplococcen 35 %. Pneumococcen 2 %, 
Staphylococcen 21 %, Streptococcen 6 %. 

Bei den fötiden Dermatosen war das Verhältniss der Coccen 
zu den Bacillen = 67 %: 33 ©. Die Coccen betrafen: Monococcen 
7 %, Kapselcoccen 4 % Diplococcen 33 % Staphylococcen 15 1 
Streptococcen 8 %. 

Die nichtfötiden Dermatosen ergaben nur Coccen und zwar: 
Monococcen 13 %, Kapselcoccen 14 «, Diplococcen 36 %, Pneumo¬ 
coccen 5 Staphylococcen 27 $, Streptococcen 4 %. 

Die Einreibung von Diplococcencultur auf depilirte Ohrmuscheln 
von Kaninchen erzeugte an den betreffenden Stellen eine Ekzem¬ 
eruption, aus welcher durch Serumpräparate und Cultur wieder 
Diplococcen nachgewiesen werden konnten. 


903 


VI. Zur Frage der Existenz der acuten 
Darmwandeinklemmung. 

Von Dr. Carl Lauenstein, 

Oberarzt des Seemannskrankenhauses, dirig. Arzt der chirurgischen Abthei¬ 
lung des Diaconissenhauses Bethesda zu Hamburg. 

In der neuesten Auflage seines Lehrbuches bestreitet König, 
„dass man — und am wenigsten auf Grund der bis jetzt dafür 
beigebrachten Sectionen — berechtigt ist, die Existenz einer acut 
entstehenden Einklemmung eines kleinen, vorher nicht sackförmig 
präformirten Theiles eines Darmes anzunehmen.“ Auch durch die 
Monographie von Lorenz, 1 ) der das Vorkommen acuter Einklem¬ 
mung der Darmwand bei präexistentem Bruchsacke für unzweifelhaft 
hält, ist König, wie er sagt, im Wesentlichen nicht bekehrt wor¬ 
den. Während auch Reichel 2 ) auf Grund seiner Beobachtungen 
an der Breslauer Klinik das Vorkommen acuter Darmwandincarce- 
ration für erwiesen hält, bleibt Roser 11 ) bei der von ihm seit 1844 
verfochtenen Anschauung stehen, dass es sich bei der Annahme der 
acuten seitlichen Einklemmung eines Darmwandtheiles in einer 
Bruchpforte um einen Beobachtungsfehler handele. Und zwar sträubt 
sich Roser gegen die acute seitliche Darmeinklemmung hauptsäch¬ 
lich deshalb, weil man dieselbe weder physikalisch erklären, noch 
experimentell erzeugen könne. Die verwachsenen Darmwandbrüche 
dagegen giebt Roser zu, indem er selbst eine Theorie über ihr 
Brandigwerden aufstellt. 

Bei einem solchen Widerstreit der Autoren ist der Einzelne ge- 
nötbigt, sich auf den Boden seiner eigenen Erfahrung zu stellen und 
auf Grund derselben sich ein eigenes Urtheil über die betreffende 
Frage zu bilden. Eine einwandfreie positive Beobachtung beweist 
unter solchen Umständen mehr, als eine ausschliesslich negative 
Begründung durch die theoretische Unmöglichkeit physikalischer Er¬ 
klärung oder experimenteller Erzeugung. 

Es interessirte mich sonach ganz besonders, nachdem ich den 
verwachsenen, brandig gewordenen Darmwandbruch bereits früher 
durch eigene Beobachtung kennen gelernt hatte, vor kurzem den 
nachfolgend mitgetheilten Fall zu behandeln, der meiner Ucber- 
zeugung nach nur als eine acute Darmwandeinklemmung bei prä- 
formirtem Bruchsack angesehen werden kann. 

Die Patientin, welche ich am 3. Mai d. J. mit dem Hausarzt, Herrn 
Dr. Dahmann, zusammen sah, war 44 Jahre alt und Mutter mehrerer zum 
Theil bereits erwachsener Kinder. Vor 3 Jahren im Wochenbett acquirirte 
sie eine linksseitige Hernie, begab sich jedoch erst ein Jahr später in ärzt¬ 
liche Behandlung. Es wurde ihr ein Bruchband verordnet, welches sie je¬ 
doch in den letzten 4 Monaten nicht mehr getragen hatte. Im allgemeinen 
hatte Patientin in den letzten Jahren regelmässige, aber stets träge Oeffnung, 
meist alle 1—2 Tage ein Mal. Patientin, die in ihrem Haushalte sehr thätig 
war, spürte seit. 3 Tagen Schmerzen im Leibe, hatte jedoch noch am Abend 
des 2. Mai Oeffnung gehabt. In der Nacht vom 2. zum 3. Mai steigerten 
sich die Leibschmerzen, die ihren Ausgangspunkt von dem bestehenden 
Bniche nahmen, und es gesellte sich sehr häufiges Erbrechen hinzu. Patientin 
gab an, dass sie während der Nacht etwa 12 Mal erbrochen habe, im ganzen 
etwa ein halbes Nachtgeschirr voll. Das Erbrochene schmeckte bitter und 
war von grünlicher Farbe. 

Als ich am Mittage des 3. Mai hinzugerufen wurde, bestand ein links¬ 
seitiger, praller, taubeneigrosser Schenkel brach. Bei der in Narkose aus¬ 
geführten Hemiotomie fand sich vor dem Bruchsack eine bohnengrosse 
Lymphdrüse, und oberhalb derselben eine beträchtliche Fettansammlung. Der 
Bruchsack enthielt trübes, röthliches, nicht riechendes Serum in reichlicher 
Menge. Nach Abfluss desselben bemerkte man, während der ausgiebig ge¬ 
spaltene Sack weit auseinander gezogen wurde, in der Tiefe des Bruchsack¬ 
trichters, d. h. nach dem Halse zu, eine kleinkirschgrosse, braunrothe, glatte 
Geschwulst, die unverkennbar vom Darme herrührte. Nach der Einkerbung 
der sehr engen Bruchpforte in der Richtung nach oben wurde der Darm 
vorgezogen, und es zeigte sich, dass es sich um eine Dünndarmschiingo 
handelte, von der nur ein etwa markstückgrosses, länglich ovales Stück der 
dem Mesenterialansatze entgegengesetzten Wand incarcerirt gewesen war. 
Dasselbe war durch eine deutliche tiefschwarze Einschnüningsfurche scharf 
abgegrenzt von dem übrigen Darm, der in unmittelbarer Nähe desselben leicht 
röthlich glänzend aussah, sonst aber sowohl oberhalb und unterhalb, als 
nach dem Mesenterium zu von völlig gesunder Beschaffenheit und speciell 
normalem Tonus war, gegenüber der abgeschnürt gewesenen Wandpartie, 
welche ausgesprochen paralytisch war und in ihrer Mitte einen im Aussehen 
der Schnürfurche gleichenden dunkelen Fleck von über Linsengrösse zeigte. 
Fasste ich die Darmschlinge oberhalb und unterhalb der incarcerirten Partie 
mit den Händen, spannte dann die Schlinge durch Schliessen meiner Finger, 
so trat die betreffende innerhalb der Schnürfurche liegende Darmpartie, die 
kaum die Hälfte der Darmcircumferenz einnahm, flachbuckelförmig vor, 
während sie beim Nachlassen des inneren Luftdruckes durch Oeffnen der 
Finger schlaff und dellenartig einfiel. 


l ) Lorenz, Ueber Darmwandbrüche. Wien und Leipzig, Urban und 
Schwarzenberg, 1883. 

*) Reichel, Die Lehre von der Brucheinklemmung. Ferd. Enke, 1886. 
*) Hemiologische Streitfragen. Marburg, Elwert’sche Buchhandlung, 1887, 


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904 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


Als ich noch überlegte, 
was zu thun sei, wurde die 
Schnürfurche unter unseren 
Augen weniger dunkel und 
nahm allmählich, eben so 
wie der Fleck in der Mitte, 
eine mehr röthliche Färbung 
an, während die Schlaffheit 
der abgeschnürten Partie 
mehr nachzulassen schien. 

An dem Mesenterium des 
der Einklemmung entspre¬ 
chenden Dannstückes war 
keine Verändening beob¬ 
achtet worden. Der durch 
Aufstreuen einiger Kochsalzkrystalle bei a angestellte NothnageVsche 
Versuch ergab eine leichte, sich auch über die abgeschnürt gewesene Partie 
in der Richtung des Pfeiles erstreckende peristaltischo Bewegung. Damit 
schien mir die Lebensfähigkeit des Darmes gesichert. Ich schob die Darrn- 
schlingo nach Desinfection mit schwacher Carbolsäurelösung in die Bauch¬ 
höhle zurück und schloss die Radicaloperation an, indem ich den Bruch¬ 
sackhals dicht vor der Bruchpforte mit einem doppelten Catgutfaden durch¬ 
stach, umschnürte und den Bruchsack abtrug. Die Haut wurde mit Offen- 
lassen des unteren Wundwinkels genäht. 

Die Kranke machte eine in jeder Beziehung ungestörte, fieberfreie Re- 
convalescenz durch. Boi der Entfernung des 1. Vorbandes, am 7. Tage nach 
der Operation, fand sich die Wunde in ganzer Ausdehnung per primam, 
ohne Secretbiidung verheilt, und Patientin konnte bald darauf das Bett 
verlassen. 

Dieser Fall ist meiner Ansicht nach ein typisches klinisches Bild 
der acuten Darmwandeinklemmung und beweist in meinen Augen 
die Existenz derartiger Brüche. Dass bis zum Vorabend der Ope¬ 
ration noch regelmässige Stuhlentleerung vorhanden war, spricht für 
deu acuten Charakter der Incarceration, der übrigens auch aus dem 
Befunde am Darm während der Operation deutlich und klar hervor¬ 
geht. In diesem Befunde liegt der Schwerpunkt unserer Beobach¬ 
tung. Die Schnürfurche am Darm war zweifellos durch den sehr 
engen Schenkelring, der jedenfalls der Sitz der Einklemmung war, 
hervorgebracht worden. Nach der Einkerbung desselben liess sich 
der Darm mit Leichtigkeit vollends vorziehen, und man musste, ohne 
dem Befunde Zwang anzuthun, constatiren, dass nichts weiter als 
die betreffende umschriebene Darmwandpartie abgeschnürt gewesen 
war. Die Holzschnitte, welche Roser seiner letzten Arbeit über 
diesen Gegenstand 1 ) beigefügt hat, würden für unseren Fall nicht 
entsprechen. Wollte ich versuchen, die Verhältnisse unserer Beob¬ 
achtung durch eine Skizze wiederzugeben, so würde dieselbe unge¬ 
fähr so ausfallen müssen. Es exi- 
stirte in unserem Falle kein ein¬ 
schnürender Canal, wie ihn die 
Roser’schen Figuren abbildeu und 
wie er bekanntlich beim Leisten¬ 
bruche den Sitz der Einklemmung 
darstellen kann, sondern lediglich 
der scharfe einschnürende Rand des 
Schenkelringes. 

Von einer Täuschung über den 
Befund an der Darmschlinge, welche 
etwa 10 Minuten lang vor unseren 
Angen lag, bis wir uns von ihrer 
noch bestehenden Lebensfähigkeit 
überzeugt hatteu, konnte nicht wohl die Rede sein. Die bei der 
Operation anwesenden beiden Herren Collegen konnten sich auf 
Grund eigener Beobachtuug der Annahme einer acuten Darmwaud- 
einkleramung nur anschliessen. Bezüglich der Eutstehung einer ver¬ 
wachsenen Darmwandhernie — deren Vorkommen Roser zugiebt — 
in einem dem obigen ähnlichen Falle würde nun meiuer Auffassung 
nach keinerlei Schwierigkeit vorliegen. Ist z. B. nicht rasch chirur¬ 
gische Hülfe bei der Hand, so wird die Umwandlung einer solchen 
Hernie in eine verwachsene resp. gangränöse Darmwandhernie sehr 
leicht möglich sein. 

Zum Schlüsse möchte ich für Herniotomieen überhaupt, als An¬ 
haltspunkt für die Orientirung über die Lebensfähigkeit des Darms, 
den Nothnagel’schen Versuch dringend empfehlen. Das Aussehen 
der Darmwand allein kann trügerisch sein; tritt aber eine deutliche 
Contraction der Darmwandmuskulatur durch den Reiz des Noth- 
nagel’schen Versuches ein, so können wir mit Sicherheit die be¬ 
treffende Darmpartie als lebensfähig betrachten und mit gutem Ge¬ 
wissen in die Bauchhöhle zurücklagern. 

*) W. Roser, Ueber Darmwandbrüche. Verhandlungen der deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie, 1886. 


VEL Zwei Fälle von Fussgangrän bei 
Diabetes mellitus. 

Von Dr. Schuster, prakt. Arzt in Aachen. 

In den Tageblättern liest man nicht selten von rasch ein- j 
getretenen Todesfällen nach scheinbar unbedeutendsten Verletzungen, 
z. B. nach Stich mit einer Stahlfeder, nach Hühneraugenschnei- 
deu etc. Der Gedanke ist ja nun gewiss zulässig, dass dem In¬ 
strumente anhaftende septisch wirkende Mikroben in die Wunde bis 
dahin Gesunder eindringen und zum Tode führende Infection be¬ 
dingen können. Das Publicum denkt dabei gewöhnlich mit Rück¬ 
sicht auf die auch ihm bekannten bedeutenden Fortschritte der 
Chirurgie, seitens des behandelnden Arztes müsse gleich im An¬ 
fänge wohl etwas verfehlt worden sein. Den erwähnten Fällen 
liegen jedoch vielleicht häufiger, als bis jetzt angenommen wird', 
constitutioneile Bedingungen zu Grunde, die den auffälligen dele¬ 
tären Verlauf kleiner Verletzungen verständlicher machen. 

Eine dieser Bedingungen ist der Diabetes mellitus, der die Ge¬ 
webe zu brandiger Entzündung nach unbedeutendsten Verletzungen 
geeignet macht, dessen Diagnose aber zuweilen erst lange nach 
ausgebrochener Gangrän gestellt wird. Letzterer wohl von jedem 
Arzte zugegebene Umstand, sowie die grosse Wichtigkeit, welche 
der Diabetes mellitus in der allgemeinen Praxis unserer Tage er¬ 
langt hat, lassen die Veröffentlichung folgender von mir in letzter 
Zeit beobachteten Fälle gerechtfertigt erscheinen; sie dürften mit 
dazu beitragen, dass der behandelnde Arzt bei Gangrän nach un¬ 
bedeutenden Verletzungen sofort auf Zucker im Harne untersuche, 
aber auch nicht minder, dass er die richtige Stellung zur Behand¬ 
lung der ausgebrochenen Gangrän einnehme. Zwar hat Herr Prof. 
Koenig in No. 13 des Centralblattes für Chirurgie 1887 letzteren 
Punkt besonders klar gestellt; aber gerade der zweite von mir be¬ 
obachtete und so unglücklich verlaufene Fall ist ein Beweis der 
geringen Verbreitung seiner Lehre. 

1. Fall. Frübamputation des Fusses bei beginnender Gangrän der 
Zehen; spätere Gangrän in der Amputationswunde. Entdeckung des Dia¬ 
betes; schliessliche Heilung. 

Im Januar 1886 wurde ich zti einer etwa 60jährigen corpulenten Pa¬ 
tientin gerufen, die beim Aufstehen aus dem Bette drei Tage vorher mit 
dem rechten Fusse in die Spitze eines im Teppiche befindlichen Na gels ge¬ 
treten hatte. Dio früher an Fettsucht, Schwindel- und Ohnmacbtanfi/Ien 
und aussetzendem Pulse leidende Kranke hatte ich durch eine Enffettungs- 
cur so weit gebracht, dass sie wieder ihr Zimmer verlassen und allein 
ausgehen konnte, was jahrelang vorher unterblieben war. Die hierbei ver- 
ordnete Diät war eine gewissermaassen antidiabetischo, trotzdem ich wegen 
der Corpulenz an Diabetes nicht gedacht hatte. 

Ich fand im oberen Drittel der Planta pedis unterhalb des zweiten 
Zehenballens eine Stichöffnung von schwärzlicher Farbe; es fiel mir der 
stinkende Geruch der heraussickernden Flüssigkeit auf. Der etwa l l /i cm 
lange Wundcanal wurde gespalten; er zeigte eine grauschwarze übel¬ 
riechende Wandung. Ich schnitt das Gangränöse weg, desinficirte mit 
Sublimatlösung und füllte die kleino Höhle mit Jodoform aus. Den folgen¬ 
den Tag waren die Wandungen wieder schwarz; ich musste wohl nicht 
alles Gangränöse entfernt haben; wiederholte dieselbe Behandlung. Den 
dritten Tag fand ich wieder schwarz ausgekleidete Höhle, bei deren Säu¬ 
berung ich schon an die Sehnenscheide der zweiten Zehe kam und mir der 
beginnenden ernsten Möglichkeiten bewusst war. Am vierten Tage war die 
Zehe an einer kleinen Stelle schwarz; ich zog unseren Chirurgen, Herrn 
Dr. Riedel hinzu. Am fünften Tage Morgens fand er die Entfernung der 
zweiten Zehe erforderlich; als dieses denselben Morgen ll l /s Uhr geschehen 
sollte, war die Gangrän auch bis zur dritten Zehe und nach unten fortge¬ 
schritten. In der Chopart’schen Linie hätte man noch in gesundem 
Gewebe operirt, aber die Bildung eines durchaus gesunden Plantarlappens 
war erschwert. Um sich bei dem raschen Fortschreiten der Gangrän 
möglichst zu sichern, schlug er die Amputation des ganzen Fusses vor, die 
denn auch um 1 Uhr Mittags von ihm nach Pirogoff in der Wohnung 
der Kranken vorgenommen wurde. Durch verschiedene unerwartete Zu¬ 
fälligkeiten, so z. B durch Zusammenbrechen des Operationstisches mag 
wohl dio strengste Durchführung der Antisepsis erschwert gewesen sein. 
Denn als am siebenten Tage bei der fieberlosen Kranken der antiseptische 
Verband zum ersten Male entfernt wurde, zeigte sich zu unserem grossen 
Erstaunen längs der Wundränder wieder gangränöser Belag. Jetzt erst 
kam der Verdacht auf Diabetes mellitus; die jetzt veranlasste Untersuchung 
des Harnes ergab 5 % Zucker. Es gelang erst sehr allmählich, die Gangrän 
zu bekämpfen und den Fersenstumpf zu erhalten. In Folge Abstossung 
feiner Knochensplitter blieb längere Zeit ein Fistelgang bestehen; es kam 
20 Monate nach der Amputation, im August 1887 zu bleibender Heilung. 
Seit October 1887 begann die Krauke ihre ersten Gehversuche und kann 
heute, 2 Jahre nach vorgenommener Amputation, auf zwei Stöcke sich 
stützend, leidlich gut durchs Zimmer gehen. Pat. sieht wohlgenährt aus. 
trinkt Morgens Thee mit Cognac, isst Mittags Fleisch mit etwas Gemüse, 
trank bis jetzt Abends eine geringe Menge Bier und nimmt Fleisch als 
Abendessen. Der Puls ist regelmässig. Patientiu klagt in letzter Zeit 
über oft auftretonde nicht heftige Schmerzen in der Ferse des gesunden 
Fusses. Die Kniereflexe sind nur angedeutet. 

2. Fall. Gangrän des ganzen Fusses im Verlaufe von 5 Wochen nach 
einem sehr unbedeutenden operativen Eingriff an einer Zehe. Entdeckung 
des Diabetes 9 Tage vor dem Tode. Passive Behandlung. Tod nach 
6 Wochen. 




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1. November. • deutsche medicinische Wochenschrift. 905 


Der 2. Fall betrifft einen Herrn von einigen 50 Jahren und kleiner 
Figur, den ich zuerst am 18. Januar dieses Jahres. Abends um 9 Uhr 
.sah, und über den das Gerücht ging, dass er in Folge einer Hühner- 
augenoperation lebensgefährlich erkrankt sei. Der Bericht der Angehörigen 
ergab Folgendes: Patient, scheinbar gesund, klagt seit dem Sommer 1887 
über grosse Schmerzen im Fusse, insbesondere der vierten Zehe. Der 
Hausarzt, ein in seiner mittelgrossen Stadt und Umgebung gesuchter 
Chirurg, Geburtshelfer und Arzt, erklärte die Klagen für übertrieben und 
stellte, da er nichts fand, seine Besuche ein. Anfangs November bildete 
sich an der 4. Zehe eine weissliche runde Hervorraguug, die von einem 
zweiten Arzte weggeschnitten wurde: die hierdurch entstandene kleine Wunde 
wurde mit Salbe verbunden und wegen ihrer Unhedeutcndheit den Ange¬ 
hörigen zur Behandlung übertragen. Da der zweite Arzt seine Besuche 
eingestellt hatte, die W’unde aber nicht zur Heilung kam, die Schmerzen 
dagegen andauerten, so wurde ein dritter Arzt gerufen, der einen Wund¬ 
gang entdeckte, in den er eine Flüssigkeit injicirte. Hierauf schwoll der 
Fuss erysipelatös bei gleichzeitigem stärkeren Fieber an. Jetzt wurde der 
erste Arzt wieder gerufen, der, wie gesagt, in seinem Bezirke den Ruf eines 
grossen Chirurgen geniesst. Unter seiner Behandlung schwand die Schwel¬ 
lung des Fusscs, aber es bildeten sich wiederholt Blasen, die aufgeschnitten 
wurden, und die Zehen wurden brandig. Am 8. Januar wurde die im Ab¬ 
fallen begriffene gangränöse kleine Zehe weggeschnitten. Der zweite Arzt 
war auch wieder mit hinzugezogen worden. Am 11. Januar wurde ein etwa 
3 cm langer Einschnitt in die Fusssohle behufs Kiterentloerung gemacht, 
Lister’scher Verband 1- bis 2 mal täglich erneuert. Patient delirirte 
wiederholt. Am 12. Januar wurde zum ersten Male auf Zucker unter¬ 
sucht — der behandelnde Arzt hatte bereits vor 3 Jahren den Kranken an 
angeblich vorübergegangener Zuckerruhr behandelt — es fanden sich 10 u /o 
Zucker im Harne. Ara 14. Januar wünschte die Familie die Hinzuziehung eines 
Professors der Chirurgie. Dieses Verlangen wurde merkwürdigerweise von 
den Aerzten als nutzlos und überflüssig (nach Angabe der Familie) zurück¬ 
gewiesen. Am 18. Januar sah ich auf Wunsch der Angehörigen den mir 
persönlich bekannten Patienten nach 6 ständiger Eisenbahnfahrt abends 
9 Uhr. Ich traf den ersten Arzt am Krankenbette, der einem Krankenbruder 
die Anlage des Verbandes übertrug, weil er selbst noch zu einer Gebärenden 
musste. Auf dem Tische lag Lister’sches Verbandzeug, dem selbst das 
„Protcctif silk“ nicht fehlte! Der ganze Fuss erschien brandig, die Planta 
pedis war von der Ferse bis zu den Zehen schwarz, hatte in der Mitte einen 
Längsschnitt, aus dom brandig stinkende Jauche sich entleerte. An Stelle 
der kleinen Zehe war eine breite, schmutzig graue, weiche, stinkendo Wund¬ 
fläche. längs dem dunkelrothen, geschwollenen Fussrücken hatte sich eine 
hühnereigrossc Epidermisblase mit eitrig wässrigem Inhalt gebildet. Der 
Unterschenkel war infiltirt, der Oberschenkel noch frei. Mit Rücksicht 
hierauf machte ich, trotzdem der wenig fiebernde Patient somnolent und 
abgemagert war, den Vorschlag der möglichst bald, längstens andern Morgens 
früh auszuführeuden Oberschenkelamputation; dieselbe wurdo aber von dem 
in seiner Zeit sehr beschränkten Collegen, der zudem nicht sicher war, zu 
welcher Zeit er andern Morgens den Kranken besuchen könne, als aussichts¬ 
los abgelehnt. Andern Tages fand ich den Patienten bei sehr massigem 
Fieber, sehr beschleunigtem Pulse, somnolent und bei Halbbewusstsein, die 
Obersehcnkelhaut erschien leicht ödematös, der verbundene Fuss verbreitete 
einen septischen Gestank, und ich reiste unter dem Eindrücke, dass das 
weitere, jetzt bereits 5 Wochen andauernde Gehenlassen der Gangrän dem 
Patienten bald das Leben kosten werde, nach Hause zurück. Zwei Tage 
darauf kam die schriftliche Nachricht, die brandige Entzündung habe sich 
begrenzt, am folgenden Tage traf die telegraphische Todesnachricht ein. 

Ich erlaube mir nun zur besseren Klarstellung der Frage über 
die Behandlung des Gaugrän bei Diabetikern aus der erwähnten 
Arbeit König’s, wonach zwei hierhergehörige Fälle mit äusserst 
schwerem Verlauf durch seinen kühnen operativen Eingriff zu 
rascher Heilung geführt wurden, folgende Sätze anzuschliessen: 

„Ganz besondere. Verlegenheiten bereitet dem Chirurgen die 
Frage nach der Zulässigkeit von Operationen bei Diabetikern; ich 
will hier von der Berechtigung der grösseren Operationen, zumal 
der Amputationen sprechen, welche bei Diabetikern nicht selten zur 
Beseitigung brandiger Glieder nöthig werden.“ Er giebt dann die 
beiden Krankheitsfälle, wo trotz comatösen Zustandes, trotz Phleg¬ 
mone und diabetischer Dyskrasie und hohen Fiebers und trotz hohen 
Alters die mit peinlichster Antisepsis möglichst ohne Blutverlust 
ausgeführte Amputation des Oberschenkels zu rascher Beseitigung 
aller schweren Krankheitserscheinungen zur Rettung des Kranken 
führten, und schliesst mit folgenden "Worten: „Auf jeden Fall ge¬ 
bieten meine Beobachtungen, dass man dem Satz, nach welchem 
schwere Operationen bei Diabetikern erst vorzunehmen wären, wenn 
die Erscheinungen des Diabetes rückgängig geworden sind, eine 
nicht unerhebliche Einschränkung hinzufügt. Diese Einschränkung 
lautet: 

„Wenn bei diabetischem Brand trotz antidiabetischer Cur und 
antiseptischer Localbehandlung die allgemein diabetischen und die 
local phlegmonösen Erscheinungen nicht zurückgehen, so dass ein 
weiteres Abwarten erhebliche Gefahr für den Kranken bedingt, so 
muss durch eine radicale, aber mit der grössten Peinlichkeit durch¬ 
geführte antiseptische Operation — in der Regel wird es sich um 
Amputation handeln — die Lebensrettung des Kranken versucht 
werden.“ 

Wenn dieser aus so gewichtigem Munde kommende Ausspruch 
noch irgend einer Stütze bedürfen sollte, so glaube ich, dass die 
beiden von mir geschilderten Fälle als solche geltend gemacht wer¬ 


den können. Insbesondere scheint mir hierzu der 2. Fall geeignet, 
in dessen ganzem mehr als 5 wöchentlichem so logisch traurigem 
Verlaufe genannter Ausspruch unberücksichtigt blieb. 


VUL Ueber den Einfluss einer Sinneserre¬ 
gung auf die übrigen Sinnesempfindungen. 

Znsammengestellt vom Dr. P. Grfitzuer in Tübingen. 

Im Jahre 1873 veröffentlichte J. A. Nussbaumer, 1 ) stud. phil. 
in Wien, so viel mir bekannt, zum ersten Mal und mit einer ge¬ 
wissen, leicht erklärlichen Schüchternheit eine höchst eigenthüm- 
liche Erscheinung, die er an sich und seinem Bruder von frühester 
Jugend an beobachtet hatte und die er selbst folgendermaassen 
schildert: „Ich und mein um 2 Jahre älterer Bruder, mein Spielgenosse, 
wählten, um uns zu ergötzen, nicht selten und besonders zur Winters¬ 
zeit das sogenannte Glockenspiel. Einrichtung und Ausführung be¬ 
stand in Folgendem: Löffel, Gabeln und andere klingende Gegen¬ 
stände wurden einzeln au einem Schnürchen befestigt, und eine 
solche Gabel am Bindfaden war nun eine Glocke. Ein Jeder der 
Spielenden nahm nun 5 oder 6 solcher Glocken in die Hand, und 
nun giug das Läuten los, welches darin bestaud, dass jeder der 
Glockenträger 2 oder 3 solcher Glocken schwang und an die Mauer 
anprallen liess. Das in Folge dessen erzeugte Klingen der Glocken 
war das Vergnügen an der Sache, und wurden wir nicht müde 
dieses Läuten stundenlang fortzusetzen. Nua erinnere ich mich deut¬ 
lich des Umstandes, dass schon damals sowohl mein Bruder als auch 
ich die Töne und Klänge nach Farben benannten; auch erinnere 
ich mich ganz genau, dass dieses Glockenspiel zwischen uns 5 bis 
7 Jahre alten Knaben oft mit brüderlichen Differenzen endigte, in¬ 
dem Jeder behauptete, die Farbe (also der Tou) seiner eigenen 
ersten Glocke (Hauptglocke) wäre schöner als die Farbe der Glocke 
des Anderen, und schliesslich wurde von Jedem für die Ehre seiner 
Glocke zum Kampfe gerüstet.“ 

Diese eigenthümliche Eigenschaft, mit bestimmten Klängen noth- 
wendig und zwangsweise bestimmte Farben zu verbinden, so dass 
diese gewissermaassen zu unmittelbaren Eigenschaften des betreffen¬ 
den Klanges werden, verblieb beiden Brüdern bis in ihr Jünglings¬ 
alter, bis zu welchem die Berichte reichen. „Eine jede Gehörs¬ 
empfindung, sei sie nun Klang oder Ton oder aber Geräusch, sei 
sie auf dein gewöhnlichen Wege durch das Gehörorgan oder aber 
durch innere Reizung vermittelt, sei sie subjectiv oder objectiv, 
eine jede Gehörsempfindung erregt uns zugleich auch 
eine Lichtempfindung,“ berichtet Nussbaumer weiter. Ja so¬ 
gar im Traume findeu dieselben zwangsmässigen Verknüpfungen 
zwischen Gehörs- und Farbenempfindung statt. 

Dabei ergab sich weiter, dass Nussbaumer für jeden bestimm¬ 
ten Ton auch immer eine bestimmte, und zwar immer ein und die¬ 
selbe Farbe empfand. So macht Nussbaumer der Ton-a (das kleine a) 
am Pianoforte die Farbenempfindung chamoisgelb, seinem Bruder 
duukelpreussischblau, der Ton e (kleines e) jenem die Empfindung 
dunkelblau, dunkler als der vorige Ton, diesem lederdunkel, 
schweinsledergelb im Anschlag, im Ausklingen etwa kornblumenblau. 
Der Ton F (das grosse F) erscheint Nussbaumer unentschieden 
dunkel grau, welches bei aufmerksamer Betrachtung sich dadurch 
entstanden erweist, dass auf dunkelkastanieubraunem Grunde etwas 
hellere und dunkelgraue Linien aufgetragen sind. Am meisten treten 
bei Beiden die Farben blau und gelb auf, seltener braun und violett. 
Nur einmal hat Nussbaumer einen grünen Ton gehört. Er sass 
im Juli im Garten und hörte das Geräusch, hervorgebracht durch 
das Scharffeilen einer Säge. Um demselben zu entgehen, wechselte 
er seinen Platz. Da hörte er plötzlich einen eigenthümlichen Strich, 
der sich von allen anderen Strichen dieses Geräusches unterschied; 
denn er verursachte ihm die Empfindung von Grün. Sofort rief 
er aus: „das war grün“. Er wusste sich später dann wohl der 
Farbe zu erinnern (es war ein sehr blasse?, durchscheinendes glän¬ 
zendes Grün), aber nicht mehr des Tones. „So sehr hatte die 
Farbenempfindung mein Bewusstsein in jenem Momente für sich in 
Anspruch genommen, dass darüber die Empfindung des Tones für 
das Bewusstsein verloren ging.“ 

Obwohl Nussbaumer nach Angabe von Prof. Brühl in 
Wien nicht musikalisch ist und nicht die Fähigkeit besitzt, einen 
ihm als a oder g u. s. w. bezeichneten Ton als solchen wiederzu¬ 
erkennen, so hat er doch immer, als Brühl die betreffenden Töne 
auf einem Harmonium angegeben, bei mannichfachster Prüfung sie 
mit den gleichen Farbenempfindungen verknüpft: a war eben 
immer gelb, e immer blau u. s. f. Dabei können natürlich mehrere 
Töne dieselbe Nüance von Gelb haben, die eine sieht sich glänzend, 
die andere rauh, die andere waschgelb an. 

*) Wiener medic. Wochenschrift. 23. Jahrgang Wien 1873, S. 4 und 
Mittheilungen des ärztl. Vereins in Wien Bd. 2, No. 5 (Letzterer mir nicht 
zugängl ich.) 


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906 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


Jeder, der derartige Schilderungen zum ersten Mal liest oder 
hört, wird, da jeder Sehact doch mit einer räumlichen Vorstellung 
verknüpft ist, weiter fragen: „Wo seht Ihr denn die Farben? Ist 
etwa der tönende Körper bunt, oder erscheinen die Farben in einem 
Nebel um Euch, wie etwa in einem Zimmer, das bunte Glasfenster 
hat?“ Nussbaumer sagt hierüber: „Wie alle anderen, nicht durch 
direkte und gewöhnliche Einwirkung durch das Sehorgan erzeugten 
Lichtempfindungeu tritt also auch diese Farbenempfindung beim An¬ 
hören von Tönen nicht so auf, dass die Farben ausser mir ge¬ 
sehen, sondern eben in mir, von mir im Bewusstsein empfunden 
werden.“ 

Diese merkwürdige Thatsache blieb meines Wissens — wie ja 
auch in der Natur der Sache gelegen — ziemlich unbeachtet, bis 
einige Jahre später wiederum ein Studirender, ohne von den An¬ 
gaben Nussbaumer’s eine Ahnung zu haben, dieselbe Erscheinung 
an sich beobachtete und in Gemeinschaft mit einem Collegen aus¬ 
führlich und sorgfältig beschrieb. Den Austoss hierzu gab folgender 
Umstand. E. Bleuler, cand. med. in Zürich, half sich eines Tages, 
als er von seinem Freunde K. Lehmann, ebenfalls cand. med., nach 
dem Aussehen der Ketone gefragt wurde, mit der schnell hingewor¬ 
fenen Bemerkung: „Die Ketone sind gelb, weil ein 0 darin ist.“ 
Der wesentliche Inhalt dieser sorgfältigen Untersuchung von Bleuler 
und Lehmann (Zwangsmässige Lichtempfinduugen durch Schall j 
und verwandte Erscheinungen, Leipzig 1881) ist folgender: 

Die Verfasser belegen jene Erscheinung und ihr ähnliche, z. B. i 
die umgekehrte (zwangsweise Schallvorstellung bei Wahrnehmung I 
eines Lichtes) mit dem Namen der Secundärempfindungen j 
oder Secundärvorstellungen und nennen insonderheit eine | 
Lichtvorstellung in Folge einer Schallempfindung ein Schall- 
photisma, eine Schallvorstellung bei Gesichtswahrnehmungen ein 
Lichtphotisma und unterscheiden dann entsprechend weiter: 
Geschmacksphotismen und Geruchsphotismen, sowie Farben- 
und Formvorstellungen für Schmerz-, Wärme- und Tastempfindungen 
und Farbenvorstellungen für Formen. » 

Bei denjenigen Personen, die sich durch jene zwangsmässigen 
Verknüpfungen auszeichnen und welche von deu Verff. als „Posi¬ 
tive“ im Gegensatz zu der grossen Mehrzahl der „Negativen“ be¬ 
zeichnet wurden — sie untersuchten deren 77 —, ergab sich im 
Wesentlichen die Tonhöhe als wesentlich für die Art des Photisma, 
indem im Allgemeinen die hohen Töne hellere, die tiefen dagegen 
dunklere Lichtempfindungen hervorrufen. Diese Lichtempfindungen 
aber sind in der Nüance, Intensität, Durchsichtigkeit und Ober¬ 
flächenbeschaffenheit ausserordeutlich von einander verschieden; so 
ist z. B. für Bleuler c, auf dem Clavier gespielt, „sehr lebhaft 
gelblich-w'eiss, ohne gerade zu glänzen, fast ganz durchsichtig, in 
die Umgebung sich nach und nach verlierend. Der gleiche Klang 
auf der Violine (forte gespielt) ist bloss etwas durchscheinend, von 
mattem Glanze und etwas rauh, etwa wie gewöhnliches Schreib¬ 
papier, die Begrenzung ist schärfer; auf der Flöte dagegen ist er 
von der klarsten Durchsichtigkeit und ebenfalls ziemlich scharf be¬ 
grenzt.“ Von weiterem Einfluss ist ferner die Art des An- und 
Ausklingens und was damit zusammenhängt, die Zahl und Art der 
Obertöne. Bei gewissen Positiven hat nicht der einzelne Klang, 
sondern die Melodie und die Tonart ein Photisma zur Folge. Auch 
Geräusche wirken ähnlich, und zwar sehr verschieden uacli ihrer 
Intensität. Während z. B. bei Bleuler ein Flötenton seine durch¬ 
sichtige Klarheit auch beim stärksten Forte nicht im Mindesten ver¬ 
liert, erweckt ein zischendes Geräusch, wenn es leise ist, etwa die 
Vorstellung eines gleichmässig vertheilten, hellgraueu Dampfes; hört 
man es aber recht laut, so lässt sich das Photisma am .ehesten 
einem Klumpen (durchsichtigen) rauhen Silbers vergleichen. 

Betreffs des Ortes, wo jene Photismen gesehen werden, ver¬ 
legen sie fast alle Gewährsleute, wie die akustische Empfindung : 
nach aussen, „aber nicht etwa analog einer Hallucination in’s Ge¬ 
sichtsfeld. sondern in’s Gehörsfeld.“ „Bei einer Guitarre umgeben 
Klang und Photisma in der Vorstellung die gerissenen Saiten; das | 
helle Photisma eines Tones, der eben einer Pfeife entlockt wird, 
wird au ihre Oeffnung loealisirt; die Farben der Clavierklänge j 
kommen etwas hinter den Tasten aus dem Instrumente, wenn nicht 
bei sehr kräftigem Spiel dieses als Ganzes mittönt, sodass auch das 
Photisma in der Vorstellung das ganze Clavier zu erfüllen scheint.“ 
Ich möchte gleich hier die Bemerkung einschalten, dass ich jene | 
Schilderungen nicht recht verstehe, denn entweder sehe ich die , 
Karbe in dem klangerzeugenden Instrument oder irgendwo in seiner | 
Nähe — also hallucinatorisch — oder ich sehe sie garnicht. Wie | 
eine Lichterscheinung in s „Gehörsfeld“ verlegt werden soll, ist mir 
nicht recht verständlich. Nur zwei Personen verlegten das Photisma 
in den Kopf. Der einen war es, als ob bei einzelnen Tönen ein 
Farbcnstreifen. von der Schläfe ausgehend, gegen die Mitte der Stirn i 
zöge; ähnlich der Lichterscheinung, die in Folge der Durchleituug 
eines elektrischen Stromes durch den Kopf beobachtet wird. Bei 
einer Menge von Tönen aber schienen innerlich eine Masse farbiger 


Blitze aufzuleuchten. Eine andere verlegte die Farben über die 
Augen iu die Stirn, was für einen Negativen verständlicher klingt. 
Offenbar handelt es sich (soweit Unsereiner, ein Negativer, darüber 
ein Urtheil haben kann) bei diesen Secundärempfindungen weniger 
um ein wirkliches Sehen, als um ein zwangsmässiges lebhaftes Vor¬ 
stellen einer Farbe. 

Aehnlich den musikalischen Klängen verhalten sich die Vocale, 
und es haben im Allgemeinen die hohen Vocale i und e helle, das 
tiefe u dunkle Farben, a uud o stehen betreffs Tonhöhe und Far¬ 
benhelligkeit in der Mitte. Auch beeinflusst unter Umständen das 
Lautzeichen des Vocals sein Photisma. Weiter haben eiuzelne 
Wörter, und zwar je nach der Art ihrer Betonung, verschiedene, 
und ganze Sätze ihre eigenen Photismen oder können sie haben. — 

Wir wenden uns weiter zu den Phonismen, also den durch 
Lichtempfindung erzeugten Schallwahrnehmungen. Sie sind 
viel seltener und zeigen insofern eine ähnliche Gesetzlichkeit, wie 
die Photismen, als sich helle Lichter im Allgemeinen mit hohen 
Töuen verknüpfen. Mit den Farben der wahrgenommenen Licht¬ 
erscheinungen verbinden sich iu der Regel bestimmte Vocale. mit 
ihren Bewegungsformeu aber mehr bestimmte Geräusche. Sieht 
z. B. Bleuler den Vollmond durch ein dunkelrothes Glas an, so 
hört er ein L-ähnliches Geräusch, vereint mit einem tiefen, dumpfen 
O-Klang. Phonisma uud Photisma sind nicht ohne Weiteres um¬ 
kehrbar, d. h. wenn ich z. B. mit dem Vocal o die Farbe gelb ver¬ 
knüpfe, so höre ich nicht etwa nothwendigerweise, sobald ich die 
entsprechende gelbe Farbe sehe, ein o. Bei Bleuler gehört es 
weiter zu den alltäglichsten Erscheinungen, dass er sich eiues akusti- 
scheu Eindrucks, auf den er beim Anhöreu kein besonderes Gewicht 
legte, später nur noch iu seinem Farbenbild eriunert (ganz ähnlich 
wie Nussbaumer mit der Erinnerung an den grünen Sägestrich) 
und „dass er dann selten ohne Ueberlegung, und auch so oft nur 
mit Mühe den entsprechenden Schall reconstruiren kann, was doch 
ganz von selbst geschehen müsste, wenn die Farbenvorstellung wieder 
genau die ursprüngliche Tonvorstellung hervorriefe. 1 )“ 

Mit Geschmacks- und Geruchswahrnehmungen ver¬ 
knüpfen sich gleichfalls Lichtempfindungen, Photismen. Sie treten 
etwas häufiger als die Phonismen und am ehesten dann auf, wenu 
die Betreffenden vou der Geruchsempfindung überrascht werden 
(z. B. beim Aufstossen von Magensaft), und es scheinen im Allge¬ 
meinen angenehme, feine Gerüche und Geschmäcke auch angeneh¬ 
mere und feinere, nicht so sehr gesättigte Farbeu (wie rosa, lila, 
hellblau) wachzurufen. Für salzig und süss domiuiren helle Farbeu. 
während bitter fast stets dunkelbraun bis schwarz erscheint; für 
sauer werden helle und dunkle Farbeu gleich häufig angegebeu. 
Die gesehene Farbe, das betreffende Photisma wird in die Mund¬ 
höhle beziehungsweise in die Nase versetzt. Häufig denkt man 
sich auch den duftenden Körper davon umgeben, oder den Raum, 
den der Geruch erfüllt, auch von dem zugehörigen Lichte erfüllt. 

Auch durch den Tastsinn werden Phouismen etwa so häufig 
wie durch den Geruchs- und Geschmackssinn wachgerufen, und es 
erscheinen gewöhnlich punktförmige Tastempfindungen heller, als 
ausgebreitete oder schwer localisirbare. Schmerzen haben meist 
lebhafte, glänzende, oft geradezu grelle Farben. 

Alle diese Secundärempfindungen, also die Lichteindrücke her- 
vorgerufeu durch Gehör, Geschmack, Geruch und Hautsensibilität, 
ferner die Schalleindrücke vermittelt durch das Gesicht, sind, wie 
schon oben augedeutet, durchaus zwangsmässige, sie begleiten 
mit Nothwendigkeit immer die primären Wahrnehmungen, und zwar 
derart, dass den gleichen Primäreindrücken stets die nämlichen 
Secundärempfindungen entsprechen (s. auch oben bei Nussbau¬ 
mer). Der Wille oder die Einbildungskraft hat nur insofern einen 
Einfluss hierauf, als sie aus irgend einer Primärempfindung wesent¬ 
lich dies oder jenes heraussieht oder -hört, wie etwa einen oder 
den anderen Partialton aus einem Klange u. s. w. Diese Vorgänge 
sind durchaus centraler Natur; ein durch einen Klang hervorge- 
rufeues und wahrgeuommenes grelles Licht, welches, wenu wir es 
unmittelbar sähen, heftig blenden und unsere Pupillen verändern 
würde, lässt dieselben hiernach völlig unverändert. 

Um die Verbreitung dieser Erscheinungen festzustellen, fragten 
Bleuler uud Lehmann 596 Personen (383 männliche und 
213 weibliche) auf das Vorkommen von Secundärerscheinungen aus 
und fanden 76 (nämlich 45 männliche und 31 weibliche), das ist 
l2 l /2 % Positive und 87 1 /2 % Negative. Vornehmlich waren es ge¬ 
bildete jüngere Leute, welche diese Eigenschaften besassen. Von 
19 Franzosen zeigte kein Einziger eine Spur von Secundärvor- 
stellungen. Die Anlage zu Secundärempfindungen ist in hohem 
Grade erblich, ohne dass dieselben deshalb, wie Benedikt be¬ 
hauptet, durchaus zu den psychopathischen Erschcinungeu zu zählen 

') Nur ein besonderes Phonisma findet sich häufig. Es ist das Gefühl 
der akustisrhen .Stille, sobald die Sonne untergegangen, obgleich Alles ganz 
gleieh gut gehört wird, wie vorher. 


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1. November. DEUTSCH K MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 907 


sind. Denn von 31 Positiven waren 26 vollkommen unbelastet und 
nur 5 plisychopathisch belastet. 

Von den Erklärungsversuchen jener eigenthümlichen Er¬ 
scheinungen sei hier kurz Folgendes mitgetheilt. Dass es sich uicht 
um einfache Associationen handelt, geht schon aus all dein Mitge- 
theilten hervor. Man könnte sich z. B. deuken, es mache ein be¬ 
liebiger Ton und eine bestimmte Farbe ganz denselben angenehmen 
oder unaugeuehinen Eindruck auf mich; höre ich nun diesen Ton, 
so werde ich an die betreffende Farbe erinnert, die mir dieselbe 
Empfindung wach rief. Schon das Zwangsmässige des ganzen Vor¬ 
ganges, sowie die genaue Gestaltung des Photisraa (s. die obigen 
Beispiele), ferner das Auftreten aller dieser Erscheinungen in früher 
Jugend sprechen nach Bleuler und Lehmann, sowie nach meiner 
Meinung dafür, dass diese Vorgänge viel unmittelbarere centrale 
Ursachen haben müssen. Die z. B. dem Hörnerv entlang gehende 
Erregung, so muss man sich eben die Sache vorstellen, gelangt 
zwar normalerweise in diejenigen Theile des Hirnes, welche diese 
Erregungen in bewusste Gehörsempfindungen umsetzen, sagen wir 
kurz in das Gehörcentrum. Zu gleicher Zeit aber werden auf diesem 
Wege von einer oder mehreren Stellen seiues ganzen Verlaufes 
regelmässig Nachbarstationen, und zwar sehr kräftig, mit an¬ 
geläutet, und auf denselben Wegen immer dieselben Nachbar- 
statioueu. Der Wille kann jene Nebenwege weder absperren, noch 
auch andere Nebenwege eröffnen. Bei der Mehrzahl aller Menschen, 
den Negativen nach Bleuler und Lehmann, wird zwar ebenfalls . 
bei jeder Sinneserregung, die im Hirn ihren Ablauf fiudet, an anderen 
Stationen angeläutet, aber nur ausserordentlich schwach und ausser¬ 
dem je nach dem Willen bald mehr hier, bald mehr dort. Wir 
associiren bewusst (oder auch unbewusst) mit einer Sinnesempfindung 
irgend eine andere, aber sie tritt nicht als etwas Wesentliches in 
unser Bewusstsein, wir werden vielmehr au sie nur erinnert und 
stellen sie uns mehr oder weniger lebhaft vor. Ein ganz ähnlicher 
Unterschied besteht offenbar zwischen einem normalen Menschen, 
der sich einen Löwen vorstellt, und einem Hypnotisirten, dem er 
vorgestellt wird. Bei Letzterem wird, um in diesem Bilde zu 
I»leiben, so stark angeläutet, dass er deu Löwen nicht blos sich vor¬ 
stellt. sondern ihn wirklich sieht. Bei den Positiven kommt es auch 
in Folge einer Sinnesempfindung zu einer zwangs- und gesetz- 
massigen starken Miterregung benachbarter Centralapparate, die dann 
aber zu einer Seoundärempfindung die Veranlassung geben. 

In neuerer Zeit hat H. Steinbrügge, ein Negativer, besagtes 
Thema bearbeitet und alles ihm bekannte Material sorgfältig gesammelt 
und gesichtet (Ueber secundäre Sinnesempfindungen von H. Stein- [ 
brügge, Wiesbaden 1887). Unter anderem beschreibt er einen inter- j 
essanten Fall von einem 16jährigen Priesterzögling, der ein ausge¬ 
sprochener Positiver war und ausserdem noch eine merkwürdige Zwangs¬ 
vorstellung hatte. Er sah nämlich bei jedem Gebete eine in ver¬ 
schiedenen Richtungen des Raumes aufsteigende Linie.' Stein brügge 
erklärt sich ebenfalls diese Secundärernpfindungen, wie man es wohl 
kaum anders kann, als bedingt durch ein eigentümliches Ueber- 
springen eines Reizes auf benachbarte Gebiete. Er meint, dass be¬ 
stimmte centrale sensorische Zellen eine zu bedeutende Erregbarkeit 
haben und den in sie einbrechenden Reiz auf abnorme Bahnen 
überleiten. 

Um nun weiterhin diesen Fragen etwas näher zu treteu uud den 
Einfluss einer Sinneserregung auf die übrigen Sinuesempfindungen 
auch in physiologischer Beziehung bei deu Negativen, also der Mehr¬ 
zahl aller Menschen festzustellen, hat kürzlich V. Urbantschisch 
in Wien (Pflüger’s Archiv Bd. 42, p. 154) eine Reihe von Unter¬ 
suchungen angestellt, aus denen wir Folgendes kurz hervorheben: 

Betrachtet Jemand kleine verschieden gefärbte Felder, die von 
der Versuchsperson so weit aufgestellt werden, dass die einzelnen 
Farben undeutlich oder gar nicht wahrgenommen werden, und lässt 
man, während dies geschieht, auf eiu Ohr oder auf beide Ohren 
einen Stimmgabelton einige Secundeu einwirken, so lässt sich bei 
der Mehrzahl der Versuchspersonen eine nicht selten auffällige Be¬ 
einflussung der Farbeuempfindung durch die gleichzeitig stattfindende j 
Gehörserregung feststellen. Zuerst werden alle Farben durch hohe 
und tiefe Töne undeutlicher wahrnehmbar, gleich darauf aber be¬ 
deutend deutlicher. Hohe Töue erhöhen die Helligkeit der Farbeu- 
felder, wobei die Farben weisslicher werden; tiefe dagegen lassen 
die Farbenfelder gesättigter erscheinen, namentlich das Roth. In 
ähnlicher Weise wird die Sehschärfe durch gleichzeitige Erregung 
des Acusticus verbessert. Auch auf Geruch uud Geschmack wirken 
Gehörsempfindungen ein, jedoch nicht in eindeutiger Weise und, 
wie es scheint, nicht so häufig; desgleichen auf Tast- und Tempe¬ 
raturempfindungen. Erwähnt sei hier das Auftreten von Schmerz 
in bestimmten Zähnen in Folge bestimmter Töne. 

Aehnlich den Gehörsempfindungen wirken Gesichtsempfindungen 
zurück auf die übrigen Sinnesempfindungen, ln der Regel hört 
inan besser, wenn zugleich das Sehorgan gereizt wird. Verschluss 
der Augen bedingt eine Schwächung des Hörvermögens. Ein Lau¬ 


schender öffnet weit die Augen. Auch subjective Gehörsempfin¬ 
dungen können durch Erregung des Opticus beeinflusst werden. 
Verschluss der Augen, sowie Vorhalten eines gelben und blauen 
Glases vor dieselben schwächt sie; rotli verstärkt sie in bedeuten¬ 
dem Grade — wenigstens bei einigen Versuchspersonen. Dass 
Geschmacksempfindungen durch Licht und Farben in auffälligem 
Maasse beeinflusst werden, ist längst bekanut. So wurde bei einer 
Versuchsperson der Geschmack des Süssen durch Roth und beson¬ 
ders durch Grün gesteigert, herabgesetzt durch Gelb und Blau. In 
ähnlicher Weise wurde der salzige, saure und bittere Geschmack 
sowie die Erregung der Hautnerven durch bestimmte Farbenwahr¬ 
nehmungen beeinflusst. Das an verschiedenen Körperstellen ver¬ 
mittelst eines Haares erzeugte Kitzelgefühl wird herabgesetzt durch 
Verschluss der Augen; das durch Eintauchen der Hand in warmes 
Wasser erzeugte Wärmegefühl wird durch Roth oder Grün und 
jede intensive Beleuchtung erhöht, durch Blau und Violett dagegen 
vermindert, wie denn überhaupt nach Angabe älterer und neuerer 
Autoren die verschiedenen Farben in verschiedener Weise auch 
unmittelbar auf die Gemüthsstimmung einwirken sollen. 

Schliesslich werden noch Einflüsse der Geruchs-, Geschmacks¬ 
und Hauterapfinduugen auf die anderen Sinnesorgane beschrieben, 
aus denen in gleicher Weise die Beeinflussung eines Sinnesorganes 
durch ein anderes auf das Deutlichste hervortritt, ludessen sind 
alle diese Erscheinungen, wenn auch den Secundärernpfindungen 
ähnlich, doch lange nicht mit ihnen auf eine Stufe zu stellen, und 
auch das Auftreten von farbigen Flecken oder Streifen, wenn man 
ein graues Papier fixirt und zu gleicher Zeit ein Stimmgabelton 
deu Ohren zugeführt wird, hat mit den Secundärernpfindungen 
offenbar ziemlich wenig zu thun. Deun erstens erscheint die sub¬ 
jective Farbenerscheinung in Folge längeren Fixirens auch ohne 
gleichzeitige Erregung des Hörnervs, und andererseits hat sie eben 
durchaus nicht das bestimmte Zwangsmässige und Wesenhafte, wie 
es offenbar bei den Positiven die Photismen aufweisen. Nichts 
desto weniger gehören alle diese Thatsachen einem Gebiete an, 
und je mehr und je sorgfältiger diese verschiedenen Einzelheiten 
festgestellt werden, um so sicherer ist der Fortschritt und um so 
aussichtsvoller sind die Erklärungsversuche. 


IX. Referate und Kritiken. 

Eppinger. Pathogenesis, Histogenesis und Aetiologie der 
Aneurysmen, einschliesslich des Aneurysma equi vermi- 
cosum. Mit 9 lithographirten Tafeln. Berlin, 1887. Referent 
Ribbert. 

In der Einleitung zu der ausführlichen, nahezu 600 Seiten 
umfassenden Monographie giebt Verfasser zunächst eine Definition 
dessen, was er unter Aneurysma verstanden wissen will. Er be¬ 
zeichnet als solches eine auf eine streng umschriebene Stelle einer 
Arterie beschränkte Ausbuchtung, die sich durch eine deutliche 
Grenze gegen das übrige Arterienlumen absetzt, deren Wand aber 
in die Wand der Arterie, unbeschadet des Fehlens einzelner Schichten 
derselben, coutinuirlich übergeht. Es folgt dann eine Schilderung 
der Vorstellungen, die man sich bisher über die Entstehung der 
Aneurysmen gemacht hat und aus denen hervorgeht, dass man 
ziemlich allgemein eine auf verschiedenem Wege zu Stande ge¬ 
kommene Schwächung oder einen Schwund der Media als Ursache 
angenommen hat. Verfasser unterscheidet nun scharf zwischen der 
elastischen Gewebslage und dem vorwiegend muskulären Abschnitt 
der Media und findet das gemeinsame Moment aller Aneurysmen 
darin, dass in jedem Falle das elastische Gewebe an der Ücber- 
gangsstelle der Arterien in die Aneurysmawand abgesetzt ist, un¬ 
beschadet der Coutinuität der sämrutlichen oder einzelnen übrigen 
Arterien wandschichten. 

Er führt diese Auffassung zunächst durch für die congeni¬ 
talen Aneurysmen. Darunter werden nicht eben häufig beob¬ 
achtete, multipel auftretende, von Kussinaul und Maier als Peri¬ 
arteriitis nodosa, von P. Meyer als multiple Aneurysmen der mitt¬ 
leren und kleineren Arterien beschriebene Formen verstanden. Die¬ 
selben bilden sich an Stellen, an denen die Elastica defect ist. 
Hier erfolgt, die Ausbuchtung, die Media wird verdünnt, dann auf 
der Höhe des Sackes und schliesslich bis au den Rand desselben 
ganz zur Atrophie gebracht, und so besteht dann die Wand des 
Aneurysma nur aus der verdickten Intima und Adventitia. Der 
Defect der Elastica muss danach als Grund für die Ausbuchtung 
angesehen werden. Aus verschiedenen Gründen (jugendliches Alter 
der betreffenden Individuen, grosse Menge und weite Verbreitung 
der Aneurysmen etc.) wird es wahrscheinlich, dass derselbe auf 
der Basis einer Entwickelungsstörung der Arterien zu Stande kommt, 
durch welche die elastische Lage entweder von vornherein fleck¬ 
weise garnicht oder zu schwach angelegt wurde. Dieser Umstand 
gab die Veranlassung zu dem Namen „congenitale Aneurysmen“. 


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908 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


An zweiter Stelle werden die parasitären und darunter zu¬ 
nächst die mykotisch-embolischen Aneurysmen besprochen. 
Dieselben entstehen da, wo ein von einer Endocarditis herrührender, 
aus mykotischen Thronibenmassen bestehender Embolus sich fest¬ 
setzt. Derselbe erregt eine acute zeitige Periarteriitis, die auf die 
Media und Intima übergreift und diese streckenweise zerstört. Der 
Blutdruck buchtet dann die entzündlich infiltrirte Adventitia 
zu einem Aneurysma aus, an dessen Rand die Elastica vollständig 
abgesetzt erscheint, während die Muscularis in manchen Fällen noch 
eiue Strecke weit mit in die Wand des Sackes eingeht, in anderen 
aber ganz fehlt. Das Ausschlaggebende für diesen Vorgang liegt 
in der Zerstörung der Elastica. Wenn diese erhalten ist, entwickelt 
sich nur ein arterielles Geschwür ohne Aneurysma. Verfasser 
konnte acht hierher gehörige Fälle untersuchen. Er wendet sich 
sodann zu dem Wurmaneurysma der Pferde, dieser von Bol- 
linger bereits genau untersuchten Erkrankung, die darauf beruht, 
dass der Strougylus armatus im Larvenzustande in die Gekröse- 
arterieu gelangt, sich in die Intima eiubohrt und entzündliche Ver¬ 
änderungen hervorruft. Diese bestehen in einer Infiltration der 
Media, die gegen die Intima vorschreitet und zu einer Lockerung, 
N'ekrotisirung und Abstossung der entzündeten Schichten, darunter 
auch der Elastica führt. Die so veränderten Stellen werden dann 
ausgebuchtet, und die Wandung der dadurch entstehenden Aneurys¬ 
men besteht aus Resten der Media und aus der Adventitia. Die 
Elastica schneidet am Rande der Ausbuchtung scharf ab. — Unter 
die parasitären Aneurysmen reiht Verfasser auch das Arrosions- 
aueurysma in Lungencavcrneu ein. Hier handelt es sich um 
den Folgezustand des Eindringens von Tuberkelbacillen von aussen 
in die Arterienwand, um Tuberkelbildung, Hyalisirung und Ver¬ 
käsung der Wandschichten und im Anschluss daran um allmähliche 
Abschilferung der Adventitia und Media. Ist dieser Process so 
weit vorgeschritten, dass nunmehr auch die Elastica ergriffen wurde, 
so wird jetzt die inzwischen mehr oder weniger verdickte und 
hyalinisirte Intima durch den Blutdruck nach aussen vorgetrieben, 
und so entsteht das Aneurysma. 

Die weitere Hauptgruppe wird gebildet durch das Aneurysma 
simplex (traumaticura). Es ist dies die Form, um welche sich haupt¬ 
sächlich der Streit wegen der Genese des Aneurysma dreht. Von 
der einen Seite (Virchow, v. Recklinghausen) wurde eine 
mechanische Entstehungsweise auf Grund eines Risses der inneren 
Arterienhäute, von der anderen (Köster) eine entzündliche, auf 
der Basis eines Ersatzes der elastisch-musculären Wandschichten 
durch weniger widerstandsfähiges, entzündlich neugebildetes Binde¬ 
gewebe angenommen. Verfasser kommt zu der Ansicht, dass die 
letztere Erklärung nicht richtig sein könne. Unter Anderem seien 
fleckweise Umwandlungen jener Schichten im Narbengewebe ausser¬ 
ordentlich häufig zu beobachten, ohne alle Aneurysmenbildung. 
Er führt vielmehr das Aneurysma simplex auf ein traumatisches 
Moment, auf eino an ganz umschriebener Stelle erfolgende Zer- 
reissung der Intima, Elastica und theilweise auch der Media zu¬ 
rück. Der durch den Riss entstandene Defect wird zwar durch 
eine von der Intima ausgehende Wucherung iu gewissem Umfange 
verheilt, aber die betreffende Wandstelle ist widerstandsunfähiger 
und wird durch den Blutdruck ausgebuchtet. Da die Media von 
vornherein fehlt oder durch die Vorwölbung allmählich zur Atro¬ 
phie gebracht wird, so besteht die Wand des aneurysmatischen 
Sackes nur aus der Adventitia und dem durch die Intimawucherung 
neugebildeten Gewebe. Zu dieser durch anatomische Untersuchung 
gewonnenen Erklärung, welche auch durch einzelne klinische Be¬ 
obachtungen gestützt wird, die freilich nicht ausreichen, um eine 
für alle Fälle genügende Vorstellung über die Art der mechanischen 
Einwirkung zu gewinnen, gelangt Verfasser auf Grund einer grösseren 
Reihe von Beobachtungen, von denen mehrere die Möglichkeit einer 
traumatischen Entstehung jener Risse, andere das Hervorgehen von 
Aneurysmen aus solchen Partieen, andere das Aussehen fertiger 
Aneurysmen erläutern. 

Einige Bemerkungen über die miliaren Hirnarterienaneurysraen, 
die Verfasser aus der Reihe der Aneurysmen streichen möchte, 
schliessen die Abhandlung. 

ln Vorstehendem konnten naturgemäss nur die Grundgedanken 
der ausführlichen Abhandlung niedergelegt werden. Wegen des 
Genaueren muss das Original eingesehen werden. Referent möchte 
schliesslich nur die Frage aufwerfen, ob nicht die Unterscheidung 
zwischen Elastica und Muscularis vielleicht zu scharf durchgeführt 
und demgemäss auf die Zerstörung der ersteren ein zu grosser 
Nachdruck gelegt ist, ferner ob Verfasser in der völligen Verwer¬ 
fung der Genese des Aneurysma simplex auf Grund von entzünd¬ 
lichen Veränderungen der elastisch-musculären Wandschichten nicht 
zu weit geht? Die Monographie behält aber unter allen Umständen 
ihre Bedeutung für die Genese der Aneurysmen. Sie ist mit 
grösster Gründlichkeit durchgearbeitet und liefert mit ihrer genauen 
Beschreibung sehr zahlreicher Fälle und mit den auf 9 Tafeln ver¬ 


theilten 55 Abbildungen eine werthvolle Darstellung der Lehre vou 
den Aneurysmen. __ 

George H. Savage. Klinisches Lehrbuch der Geisteskrank¬ 
heiten und der Psychoneurosen. Ein Handbuch für Aer/.te 
und Studirende. Deutsche autorisirte Ausgabe, bearbeitet um! 
durch Zusätze erweitert von Dr. med. Adolf Knecht, Oberarzt 
an der Irrenanstalt Colditz. Leipzig, Arnoldi’sche Buchhandlune. 
Ref. Seeligmüller. 

Wer in dem uns vorliegenden Buche ein systematisches Lehr¬ 
buch der Psychiatrie, etwa nach Art der 3. Auflage der Schüle- 
schen „Klinischen Psychiatrie“ zu finden glaubte, würde sich sehr 
täuschen. Vielmehr begegnen wir darin der mehr oder weniger 
zwanglosen Schilderung der Beobachtungen und Erfahrungen, welche 
Dr. Savage während einer 12jährigen Thätigkeit als Direktor de- 
Bethlem Hospital in London gesammelt hat. Dementsprechend ist 
die Schreibweise des Verfassers mehr unterhaltend, als didactisch. 
und die Anordnung des Stoffes ebenso zwanglos und weniger idealen 
Principien als der Bequemlichkeit und dem praktischen Bedürfnis* 
angepasst. Der Vollständigkeit halber sind von dem deutschen Be 
arbeiter einige vou dem Verfasser mangels eigener Erfahrung zu kurz 
oder gar nicht besprochene Capitel erweitert bezw. neu hinzugefuet, 
so im 5. Capitel, welches von der acuten Manie handelt, eine Schil¬ 
derung des circulären Irreseins, im 6. eine solche der Zwangsvor¬ 
stellungen und der Folie du doute u. s. w. Ausserdem wird der 
Bearbeiter in gelegentlichen Fussnoten den Anschauungen deutscher 
Psychiater gerecht und hat auf der anderen Seite mit Recht das 
Schlusscapitel des Originals, welches rein englische Anstaltsange¬ 
legenheiten bespricht, vollständig weggelassen. Vielleicht hätte aber 
der Bearbeiter in Bezug auf die Behandlung der einzelnen Formen 
von Geisteskrankheiten, die wir nur hier uud da erwähnt finden, 
mancherlei.hinzufügen können. 

Ob das sehr hübsch ausgestattete Buch überhaupt dazu geeignet 
ist, einen nicht psychiatrisch geschulten Leser in die Psychiatrie 
einzuführen, ist mir mehr als zweifelhaft; wohl aber kann es für 
einen solchen, der eine gewisse Uebersicht über die Geistesstörungen 
durch klinischen Unterricht oder Beobachtung in einer Anstalt ge¬ 
wonnen hat, eine Quelle weiterer Anregung zum Studium derselben 
werden und schliesslich dem erfahreneren Psychiater mancherlei 
neue Gesichtspunkte eröffnen. 


Eichbaum. Ueber subjective Gehörs walarnehmungen und 
deren Behandlung. 32 S. gr. 8°. Berlin und Neuwied, Heusers 
Verlag, 1888. Refer. Hauptmaun (Cassel). 

Wesen, Ursache und Behandlung der subjectiven GeWs- 
empfindungen finden sich iu dieser Schrift in übersichtlicher ^eise 
abgehandelt. Verfasser beschränkt sich dabei auf eine Zusammen¬ 
stellung der aus den Lehrbüchern bereits bekannten Thatsachen 
und Anschauungen, ohne in der Lage zu sein, denselben Neues hin¬ 
zufügen zu können. Bezüglich der Behandlung ist zu erwähnen, 
dass derselbe vou der Anwendung des constanten Stromes, unter 
Beobachtung der näher angegebenen Cautelen, bei den ursächlich 
verschiedensten Arten von Ohrgeräuschen im Ganzen gute Erfolg* 
zu verzeichnen hatte. (Die kleine Schrift ist reich an störenden 
Druckfehlern.) _ 


A. Sternfeld. Ueber Bissarten und Bissanomalieen. Mönchen. 
Knorr und Hirth, 1888. Ref. M. 

Unter dem Ausdruck „Biss“ versteht Verf. „die Art des Zu¬ 
sammentreffens der unteren Zahnreihe mit der oberen, oder einzelner 
unterer Zähne mit einzelnen oberen, im engeren Sinne auch db* 
Stellung eines bezahnten zu einem nicht bezahnten Kiefer, sowie 
jene gänzlich zahnloser Kiefer zu einander.“ , 

Verf. betont die grosse Bedeutung des Bisses hinsichtlich er 
Prothese ' und versucht diese in erster Linie in vorliegender Arbe- 
zu beleuchten. 

Die Arbeit wird in folgende Capitel eingetheilt: A. Der um 
male Biss und die Abarten desselben: a) Der normale Biss. •>). 
arten des normalen Bisses, c) Combinationen einzelner Bissau* ■ 
d) Das Milchgebiss, e) Prophylaxis und Therapie. — B- Bissau^ 

raalieen: a) Primärerscheinungen, b) Secnndärerscheinungen ( me ' 

clianische Veränderungen). _ 


L. Warnekros. Das Füllen der Zähne bei intacter 
mit besonderer Berücksichtigung der Verwendung v 
cohäsiver Goldfolie. Berlin, C. Ash und Sons, 1888. N® 1 - *' 
Vorliegendes, dem zahnärztlichen Institut der Universität 3 er 
gewidmete Werk umfasst 107 Seiten mit 150 in den Tex 
druckten Abbildungen, zum Theil in Golddruck. Es besprich. 
bis jetzt in der deutschen Literatur nur mangelhaft behände 
Thema und wird daher den Zahnärzten, sowie den Studirennen 
Zahuheilkunde sehr willkommen sein. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


909 


1. November. 


X. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 24. October 1888. 

Vorsitzender: Herr neuoch. 

1. Herr Küster demoustrirt ein Nierenpräparat, von einem 22jähr. 
Mädchen herstammend, welches vor sechs Tagen operirt worden. Die Pat. 
kam fiebernd mit stark eiterhaltigem Urin in das Krankenhaus. Die Dia¬ 
gnose war nicht ohne Weiteres klar, die ursprüngliche Annahme eines 
Blasenkatarrhs erwies sich bei der Untersuchung der Blase nach Erweiterung 
der Harnröhre als hinfällig, und es musste auf einen höheren Sitz der Er¬ 
krankung geschlossen werden. Die Untersuchung des Urins ergab zahlreiche 
Tuberkelbacillen. Ohne Narkose der Pat. war der genaue Sitz des Leidens 
nicht zu eruiren, da eine Schwellung der einen oder anderen Niere nicht 
nachzuweisen war; doch ergab sich bereits ein Anhaltspunkt, indem die 
Kranke, wenn links palpirt wurde, jedesmal über heftige Schmerzen in der 
Harnröhre klagte. Die Untersuchung in der Narkose ergab denn auch eine 
Schwellung der linken Niere. Katheterismus der Niere misslang. Vortr. 
entschloss sich zur Operation. Es wurde der von ihm angegebene Schnitt 
in der Mitte zwischen 12. Rippe und Darmbeinkamm geführt. Die Operation 
war nicht leicht, weil die Niere mit der fibrösen sowohl wie mit der Fett¬ 
kapsel sehr fest verwachsen war. Der Verlauf war ein durchaus guter, in 
den ersten vierundzwanzig Stunden wurden nur massige Mengen, in den 
nächsten Tagen erheblichere Quantitäten Urin gelassen. Die Kranke befindet 
sich zur Zeit des Vortrages so gut, dass sie wohl als ausser Gefahr be¬ 
trachtet werden kann. 

Die Betrachtung der exstirpirten Niere ergiebt, dass besonders die cor- 
ticale Substanz ergriffen ist, und zwar namentlich der obere Pol. Es finden 
sich daselbst zum Theil bereits verkäste Tuberkel und ausserdem in der ganzen 
Niere kleine Käseknoten. Auch das Nierenbecken ist ergriffen, und das ist 
wohl der Grund, weshalb von vornherein so zahlreiche Tuberkelbacillen im 
Urin gefunden wurden. Es scheint, als ob die Niercntuberculose immer 
von den Papilleu der Niere und vom Nierenbecken ihren Ausgang nehme. 

2. Discussion über den Vortrag des Herrn Landau: lieber Inter* 
mlttirende Hydroneplirose. 

Herr J. Israel betont die grosse Seltenheit des Vorkommens typischer 
Fälle von intermittireuder Hydroneplirose. Ihm selbst kam erst ein solcher 
Fall zur Beobachtung, im März 1882 consultirte ihn eine 22jährige, seit 
2 Jahren verheirathete, gesund aussehende Frau, welche über zeitweise auf¬ 
tretende Schmerzen und Geschwulstbildung im Leibe klagte. Sie datirte 
dieses Leiden mindestens 11 Jahre zurück. In 1—4wöcbigen Intervallen 
trat Druck- und Schmerzempfindung in der rechten Bauchhälfte auf, ver¬ 
bunden mit Kältegefühl und Uebelkeit, welch letztere sich zeitweise bis zum 
Erbrechen steigerte. Die Anfälle hatten ein- bis viertägige Dauer. Während 
derselben verminderte sich die Urinexcretion, gleichzeitig entwickelte sich ein 
von der Pat. selbst gefühlter Tumor in der rechten Leibeshälfte. Mit dem 
Ende des Anfalles verschwand der Tumor sehr rasch unter reichlicher Ent¬ 
leerung eines ganz klaren Urins. Vortr. sah die Kranke gerade im Anfall 
und konnte mit grosser Leichtigkeit an der rechten Seite des Leibes einen 
grossen, deutlich fluctuirenden Tumor mit allen Characteren eines Nieren¬ 
tumors wahrnehmen: Beim Versuch einer bimanuellen Untersuchung ent¬ 
schwand der Tumor plötzlich unter der Hand, und gleichzeitig stellte sich 
lebhaftes Druckgefühl in der Blase ein. An Stelle des Tumors fand sich 
eine nur wenig vergrösserte Niere. 

Als jedesmalige Veranlassung eines solchen, von Herrn Israel wieder¬ 
holt beobachteten Anfalles konnte Pat. angeben: langes Stehen, Genuss von 
blähenden Speisen und gashaltigen Getränken. Der Genuss von Hülsen- 
früchten erzeugte mit experimenteller Sicherheit einen Anfall. Dies erklärt 
sich unschwer so, dass die bewegliche Niere sich durch langes Stehen senkt, 
bezw. dass die durch die Einführung Gas erzeugender Nahrungsstoffe bedingte 
starke Auftreibung des Darms durch direkten Druck die Niere dislocirt, und dass 
die Lageveränderung der Niere eine Hemmung des Abflusses zur Folge hat. 
In dieser Erwägung verordnete Herr Israel der Pat. einen bruchband¬ 
artig wirkenden Pelottenapparat, der die Niere in ihrer Lage halten sollte. 
Die Anfälle traten darauf mehrere Monate hindurch nicht mehr auf, nach 
Ablauf deren die Pat. sich wieder vorstellte, diesmal im 5. Monat gravida. 
Nun Hess Vortr. den Apparat fort, in der Annahme, dass der emporsteigende 
Uteru$ die Niere fixiren würde. Seit jener Zeit ist Pat. fast ganz von ihrem 
Leiden befreit gewesen. Erst in allerjüngster Zeit ist einer der früheren 
Anfälle wiedergekehrt, der Tumor, der auf Druck sofort verschwand, ist aber 
kleiner als damals, und im Gegensatz zu der früheren Beweglichkeit 
fixirt. Vortr. weist auf die engen Beziehungen zwischen Beweglichkeit der 
Niere und intermittirender Hydronephrose hin, welche durch seine Beobach¬ 
tung deutlich illustrirt werden. Wenn aber abnorme Beweglichkeit des 
Organs eine zureichende Ursache für das in Rede stehende Leiden wäre, 
so müsste bei der grossen Häufigkeit der Wanderniere die intermittirende 
Hydronephrose viel häufiger Vorkommen. 

Vortr. hält es daher für möglich, dass ausser der Beweglichkeit noch 
angeborene Anomalieen des Uterus eine Rolle spielen, wie solche bei einer 
nicht geringen Zahl von Hydronephrosen beobachtet werden. Solche Ano- 
malieen mögen vielleicht für gewöhnlich nur sehr unvollständige Abfluss¬ 
hindernisse bilden, welche ja zeitweilig zu vollkommenen unter dem Einfluss 
einer Verlagerung der Niere werden können. 

Herr Fürbringer stimmt mit dem Vorredner darin überein, dass die 
intermittirende Hydronephrose ein sehr seltenes Vorkomraniss ist. Er selbst 
sah nur 3 Fälle. Von diesen betrafen zwei Weiber und boten im Wesent¬ 
lichen das typische Bild, welches die Vorredner geschildert. Der dritte Fall 
bot ein höheres Interesse. Er betraf einen 33jährigen Schriftsetzer, der am 
4. Mai 1886 in das Krankenhaus Friedrichshain aufgenommen wurde. Pat. fiel 
im November 1885 auf der Pferdebahn bewusstlos um und wurde nach Betha¬ 
nien gebracht. Dort konnte er zwei Tage keinen Urin lassen, zugleich 
schwoll, wie er angab, die Leber an; der Harn, der nachher gelassen wurde, 


war blutroth. Seit dieser Zeit trat jedesmal, wenn er kalt trank oder sich 
sonst erkältete, ein ähnlicher Anfall auf, in der letzten Zeit vor der Auf¬ 
nahme sehr häufig. Es lag nahe, an paroxysmale Haemoglobinurie zu den¬ 
ken, allein die Untersuchung ergab, dass es sich um echte Haematurie han¬ 
delte. In der nächsten Nacht erbrach der Pat. plötzlich unter heftigen 
Schmerzen in der Lebergegend, am nächsten Morgen war er im höchsten 
Grade matt, die Schmerzen dauerten fort, die Blase war leer- In der rechten 
mittleren Bauchgegend war eine derbe Geschwulst zu fühlen, die mit der 
Respiration durchaus verschieblich war und continuirlich in die Leberdäm¬ 
pfung überging. Der Tumor lag der Bauchwand völlig an, fluctuirte nicht; 
von einem Darüberherlaufen des Dickdarmes war keine Rede. Herr Für- 
briuger neigte deshalb zu der Annahme eines Leber- bezw. Gallenblasen¬ 
tumors. Am 10. Mai lässt Pat. '/< 1 blassen, kaum trüben, ziemlich eiweiss¬ 
reichen Harns vom spec. Gew. 1012. Das Sediment besteht aus Cylindern, 
nur spärlich Leukocyten vorhanden. Weiterhin Schlafsucht, Erbrechen; im 
Erbrochenen viel Harnstoff; also nephritische Urämie. Am 11. Mai geht 
Pat. im Coma zu Grunde. 

Die Section ergab unter dem rechten Leberlappen einen faustgrossen 
Tumor, welcher das Colon ascendens medianwärts vollkommen zur Seite ge¬ 
drängt hatte. Derselbe erwies sich als hydronephrotische Niere. Der rechte 
Ureter war von der Stärke eines Kinderdarmes, und die genaueste Unter¬ 
suchung desselben ergab nicht die mindeste mechanische Grundlage für die 
Hydronephrose; die Passage war vollkommen frei. Die linke Niere, von 
fast normaler Grösse, war ebenfalls hydronepbrotisch. — Herr Für¬ 
bringer deutet die Möglichkeit an, dass die Hydronephrose in diesem Falle 
auf vorübergehende Verschlüsse durch Nierensteine zurückzuführen sei. 

Herr Küster, bestätigt, dass durchaus nicht immer das Colon über die 
Mitte des Tumors hinüberzulaufen brauche. Schon Simon hat Fälle ange¬ 
führt, in denen das Colon vollkommen nach einwärts verschoben war. Hin¬ 
sichtlich der Aetiologie der Erkrankung dürfe man nicht von einem ein¬ 
seitigen Gesichtspunkt ausgehen. Sowohl die von Herrn Landau angenom¬ 
mene, als auch die von Herrn Fürbringer angedeutete Entstehungsweise 
sei in Betracht zu ziehen, aber in einer weiteren Reihe von Fällen könne 
zweifellos nur die Erklärung herbeigezogen werden, dass ein Katarrh des 
Nierenbeckens die Veranlassung zu einer Hydronephrose gebe, imdem die 
geschwollene Schleimhaut sich in Falten lege, sich nach abwärts verschiebe 
und so ein mehr oder weniger vollkommenes Ventil erzeuge. 

Herr J. Israel hat, mit Ausnahme derjenigen Fälle von Pyonephrose, bei 
denen die Septa zwischen den einzelnen erweiterten Calices ausserordentlich 
dick, hypertrophisch und mit Fettgewebe gefüllt sind, immer Fluctuiren des 
Tumors constatiren können, wenn er in Narkose untersuchte. Beweglichkeit 
der Niere wird rechts häufiger gefunden als links, wohl deshalb, weil die" Be¬ 
wegung des Zwerchfells durch die Leber auf die Niere rechts leichter über¬ 
tragen wird als links. Von der Beweglichkeit der Niere, die durch die 
Respiration bedingt wird, ist eine andere Art. der Bewegung, die manuell 
oder durch Lagerung hervorgerufen werden kann, zu unterscheiden. Bei 
Berücksichtigung dieses Umstandes wäre in dem Fürbringer’schen Falle 
vielleicht die Diagnose zu stellen gewesen. Lagert man nämlich den Pat. 
auf die linke Seite, so sinkt die Geschwulst etwas nach der Mittellinie, so 
dass der enge Contact mit der Leber etwas gelüftet wird. Daun gelingt es 
bisweilen bei sorgfältiger Untersuchung, mit der Fingerspitze sich zwischen 
die untere Leberfläche und die obere Fläche des Tumors zu zwängen und 
so zu constatiren, dass es sich um zwei getrennte Organe handelt. Ein 
weiteres diagnostisches Hülfsmittel zur Erkennung von Nierentumoren ist 
das von Guyon angegebene „Bailottement“. 

Lagert man den Pat. flach auf den Rücken, ausgestreckt auf einen 
Tisch, schiebt die eine Hand unter die Lumbargegend der kranken Seite, 
während man die andere gegenüber auf die Bauchwand auflegt und leicht 
deprimirt, so fühlt man das Anschlägen des Nierentumors an letztere, wenn 
man mit der erstgenannten Hand kurze Schläge gegen die Lumbargegend 
ausübt. Ein Lebertumor giebt nie die Sensation des Ballottement, weil er 
nie der Lumbargegend aufruht. Die Verschiebung des Colon ascendens an 
die Innenseite eines rechtseitigen Nierentumors ist ein gar nicht selten an- 
zutreffeuder Befund, während linkerseits das Colon descendens viel constan- 
ter vor der Geschwulst hinabläuft. Der Grund dieser Verschiedenheit liegt 
nach den Untersuchungen von Guillet, einem Schüler Guyon’s, in dem 
verschiedenen Verlauf zwischen dem Mesocolon der rechten und der linken 
Seite. Während letzteres von der oberen Spitze der Niere beginnend an 
ihrem ganzen äussern Rand hinabsteigt, steigt das Mesocolon der rechten 
Seite nur wenige Centimeter über den unteren Rand der rechten Niere 
hinauf und verläuft schräg von unten aussen nach oben innen über den 
untersten Theil ihrer Vorderfläche. So kommt es, dass bei ihrer Vergrösse- 
rung das Colon ascendens leicht an ihre innere oder untere Seite ver¬ 
schoben wird. 

Herr P. Guttmann betont, dass hydronephrotische Tumoren bei der 
Respiration dieselbe Bewegung zeigen können, wie Lebertumortm. Das von 
Herrn Israel angegebene differentialdiagnostische Zeichen ist für eine An 
zahl von Fällen deshalb nicht entscheidend, weil man häufiger beobachten 
kann, dass hydronephrotische Tumoren rechterseits mit der Leber verwachsen 
sind. Was das Moment der Fluctuation anlangt, so lehrt die pathologisch¬ 
anatomische wie die klinische Erfahrung, dass es Fälle giebt, wo Fluctuation 
nicht nachgewiesen werden kann, selbst in solchen Fällen, wo der hydro¬ 
nephrotische Sack ziemlich gross ist. 

Herr Fürbringer constatirt, dass ihm das von Herrn Israel ange¬ 
gebene Verfahren bekannt gewesen sei, dass er es aber mit Rücksicht auf 
den Zustand des Pat. nicht habe anwenden können, und dass es schon um 
deswillen Nichts gefördert haben würde, weil die Section ein ausserordent¬ 
lich festes Verwachsensein des Tumors mit der Leber ergeben hätte. 

Herr Landau hält gegenüber den von den verschiedenen Rednern an¬ 
gegebenen diagnostischen Hülfsmitteln die Probepunction für das sicherere. 
Fluctuation war in seinen Fällen bestimmt nicht vorhanden; dass sie in 
anderen Fällen beobachtet werden könne, bestreite er nicht. Auch hinsicht- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


lieh der Aetiologie will Herr Landau sich nicht auf einen einseitigen 
Standpunkt stellen, obwohl ihm der Umstand, dass Herr Für bringe r bei 
der Section keine spitzwinkelige Insertion des Ureters fand, keineswegs zu 
beweisen scheint, dass eine solche während des Lebens nicht bestand. Beim 
Aufsebneiden des Sackes wird die Situation der Theile eben verschoben. Was 
die von mehreren Seiten bestrittene relative Häufigkeit der Affection betrifft, 
so geht Herr Landau sogar soweit anzunehmen, dass die meisten Fälle von 
definitiver Hydronephrose intermittirend waren oder noch sind. Es fehlt 
nur, um dies zu constatiren, in der Mehrzahl der Fälle an einer genügend 
langen Beobachtungszeit. Er selbst behandelt gegenwärtig noch 2 Fälle von 
intermittirender Hydronephrose, welche er schon längere Zeit beobachtet. 


XL Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 15. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Schede; Schriftführer: Herr Nonne. 

1. Herr Deutsch mann demonstrirt a) einen operativ entfern¬ 
ten Cysticercus taeniae mediocanellatae suboonjunctivalis. Er 
betont die ausserordentliche Seltenheit dieses Falles, b) Einen 
Cysticercus von taenia solium. Patient kam mit eitriger Iridocy- 
clitis; Vortragender konnte bei genauer Berücksichtigung der Anam¬ 
nese per exclusionem die Wahrscheinlichkeitsdiaguose stellen. Die 
Diagnose wurde nach der Exstirpatio bulhi bestätigt, c) Ein 
Kaninchen mit Impftuberculose der Iris. Vortragender hatte das 
Material hierzu von einer Patientin gewonnen, an der er wegen 
Iristuberculose die Enucleatio bulbi vorgenommen hatte. 

2. Herr Eisenlohr demonstrirt a) ein Gehirnpräparat mit Aneu¬ 
rysma der Arteria fossae Sylvii dextra. Patient, ein 66jähriger 
Mann mit hochgradiger Arteriosclerose, war vor einem halben Jahre 
unter den Erscheinungen einer linksseitigen Hemiplegie erkrankt. 
Bei seiner Aufnahme Mitte April fanden sich neben hochgradiger 
Herabsetzung der Intelligenz und dysarthrischer Sprachstörung etwas 
Erhöhung der Sehnenreflexe und ein leichter Grad von Spannungen, 
sowie eine geringe Facialisparese der linken Seite. Der Kopf war 
beständig nach rechts gedreht, die Augen fast immer nach rechts 
gewendet. In der letzten Zeit trat eiue geringe Schwäche des 
rechten oberen Augenliedes sowie ein geringer Grad von Spannung 
in den Extremitäten der rechten Seite auf. Patient erlag eiuer 
hypostatischen Pneumonie. Bei der Section fand sich unter der 
Dura mater der linken Convexität, hauptsächlich im Bereich des 
Parietallappens eine Pachymeningitis hämorrhagica interna mit 
frischem Bluterguss, Atheromatose der Pia-Gefässe. Die linke Art. 
vertebralis, sowie die Art. basilaris und die Carotiden sehr stark 
atheromatös. Ebenso die Anfangsstücke beider Art. fossae Sylvii 
stark atheromatös verändert. Im Verlaufe der rechten, 2 l /2 cm von 
ihrem Ursprung entfernt, innerhalb der Spitze des rechten Schläfen¬ 
lappens, ein stark kirschgrosses, mit einigen Höckern versehenes, 
mit schwarzbraunen Gerinnseln vollkommen gefülltes Aueurysma. 
Die Wand desselben ist stark verdünnt, ohne Continuitätstrennung 
und geht direkt, aber mit scharfem Absatz in den basalen Abschnitt 
der Wand der Art. fossae Sylvii über. Die Umgebung des aneurys¬ 
matischen Sacks innerhalb der zweiten und dritten Schläfenwindung 
ist erweicht und theilweise braungelb gefärbt. Ein Längsschnitt 
durch die linke Hemisphäre zeigt innerhalb des Nucleus caudat. 
und der grauen Masse des Linsenkerns mehrere linsen- resp. hirse¬ 
korngrosse braune Erweichungsheerde. Ein entsprechender Längs¬ 
schnitt durch die rechte Hemisphäre zeigt keine Veränderung. 
Ebenso sind alle anderen Abschnitte des Gehirns normal. 

b) Das Präparat eines Ulcua ventriculi, welches intra vitam 
die Erscheinungen eines Magencarcinoras gemacht hatte. Patientin, 
eine 46jährige Frau, hatte seit vielen Jahren an Appetitlosigkeit und 
Magenschmerzen gelitten. Seit 10 Monaten Neiguug zu Verstopfung. 
Patientin war schlecht genährt, sehr blass uud nervös erregbar, die 
inneren Organe zeigten keine palpablen Veränderungen. Patientin 
war zuerst afebril, zeigte dann ein mässig, morgendlich remittiren- 
de8 Fieber. Später wieder nur subfebrile Abendtemperaturen. Bald 
nach ihrer Aufnahme traten wieder heftige Neuralgieen ira Bereiche 
der 8., 9.,. 10. Intercostalnerven auf. Hinten neben der Wirbel¬ 
säule in den Axillarlinien und weiter im vorderen Verlaufe der 
Intercostalnerven bestand lebhafter Druckschmerz. Kein Erbrechen, 
stets Anorexie, keine objective Veränderung ira Epigastrium. Die 
verschiedensten Antineuralgica brachten keine Besserung. Anfang 
Februar wurde bei der Temperatursteigerung an eine beginnende 
Spondylitis gedacht, obgleich circumscripte Anaesthesiecn fehlten. 
Anfang März war im Epigastrium objectiv noch nichts nachweis¬ 
bar. Ende März trat im Epigastrium eine harte Spannung auf, der 
Leib war eingezogen, niemals meteoristisch. Von Ende März wurdeu 
die Schmerzen continuirlich mit Exacerbation, complete Anorexie. 
Ein Tumor konnte nicht mit Sicherheit gefühlt werden. Eine Probe¬ 
ausspülung des Magens konnte wegen des schlechten Allgemein¬ 
befindens nicht vorgeuommen werden. Iu den letzten Tagen kam 
es zu einer reichlichen Haeraateraesis sowie zu blutigen Stühlen. 
Exitus nach einer durch mehrere Tage protrahirten Agone. Bei 


der Section fand sich nach Eröffnung der Bauchwand ein grosser 
Defect der vorderen Magenwand. Dieselbe war mit den Decken 
des linken Epigastriums hart neben dem linken Rippenbogen ver¬ 
wachsen in der Ausdehnung von ca. 8 Dem. Die 8. und 9. linke 
Rippe sind an ihrem vorderen Ende auf 2—3 cm Länge blossgelegt, 
usurirt und völlig entkalkt, das sie umgebende Gewebe ist nekro¬ 
tisch. Die entsprechenden Stücke der 8. und 9. Intercostalnerven 
sind in diese Veränderung mit ein bezogen. Weiter nach hinten zu 
erscheinen die Nerven bei mikroskopischer Besichtigung normal. 
Bei Eröffnung des Magens längs der grossen Curvatur zeigt sich in 
der vorderen Magenwand von der kleinen Curvatur abwärts bis 
wenige cm über den Rand der grossen Curvatur hinaus ein von 
den genannten Adhäsionen begrenzter Substanzverlust der Magen¬ 
wand. Dieser Substanzverlust der vorderen Magenwand geht con¬ 
tinuirlich über in einen entsprechend gelegenen an der hinteren 
Magenwand, der gleichfalls von der kleinen Curvatur bis etwas 
oberhalb der unteren Magengrenze reicht, ovale Form und ca. 9 cm 
Breite von rechts nach links besitzt. Die hintere Magenwandung 
ist rund herum in Form eines leichten Walles an das Pancreas 
geheftet. Letzteres bildet mit deutlich sichtbaren, höckerig vor- 
springeuden Läppchen den Grund und Abschluss der Defectes. Am 
oberen Rande dieses Grundes liegt die stark federkieldicke, an der 
Vorderfläche eröffuete Art. lienalis. Die Oeffnung ist etwa linsen¬ 
gross, der abführende und zuführende Abschnitt des Gefässes ist 
mit grauroihen leicht lösbaren Thromben gefüllt. Das Lumen des 
Gefässes ira weiteren Verlaufe ist frei. Der Pylorustheil des Magens 
uud der Fundus sind frei von Geschwüren, leer, contrahirt, die 
Schleimhaut blass, keine Blutcoagula. Die übrigen Organe bieten 
nichts beim vorliegenden Falle in Frage kommendes. Vortragender 
betont, dass eine eventuelle Probeausspülung im vorliegenden Falle 
schwere Gefahren hätte bringen können. Die mikroskopische 
Untersuchung der in den Geschwürsbereich übergehenden 
Nervenenden ergiebt an Osmiumpräparaten eine ziemlich hoch¬ 
gradige Degeneration des Nervenmarks in Form spindelförmiger 
Schollen und feinkörnigen Detritus sowie stellenweiser completer 
Atrophie. An einzelnen Stellen finden sich die Nervenfasern auch 
in Fetttröpfchen verwandelt. 

Der 8. Intercostalnerv, in seinem weiteren Verlauf bis zur hinteren 
Axillarlinie mikroskopisch untersucht, bot keine Degeneration der 
Nervenfasern und keine sonstigen Anomalieen, die Veränderung der 
Nerven beschränkte sich vielmehr auf das in die Ulceration ein¬ 
bezogene Stück. 

Der Vortr. erwähnt, dass typische Intercostalneuralgieen als 
Symptome des runden Magengeschwürs schon mehrfach beobachtet 
seien und besonders von Traube nähere Würdigung gefuuden 
haben. Traube bezog dieselbe auf Irradiation von den sensiblen 
Vagusfasern des Magens aus. Im Falle des Vortragenden war die 
Pathogenese durch die Section und mikroskopische Untersuchung in 
der durchsichtigsten Weise klargelegt. Die Neuralgie in der Bahn 
der betr. Intercostalnerveu entstand zweifellos durch die Irritation 
der in das Ulcus sozusagen eintauchenden Endverzweigungen der in 
Frage kommenden Intercostalnerven. 

3. Herr Lauenstein demonstrirt: a) einen 34jähr. Matrosen, 
welcher am 26. Januar 1888 mit geheilter subcutaner Humerus- 
fractur und oompleter Radialislähmung aufgenommen wurde. 
Er war 2 Monate zuvor von einer Schoote gegen den rechten Arm 
geschlagen worden und hatte einen Bruch des Humerus dicht unter¬ 
halb der Mitte und eine Fractur beider Vorderarmknochen an der 
Grenze zwischen mittlerem und unterem Drittel erlitten. Der Arm 
wurde vom Steuermann geschient; Pat. fühlte unmittelbar nach der 
Verletzung, dass das Gefühl im rechten Daumen taub sei. 

L. legte den Nervus radialis, da wo er sich um den Humerus 
schlägt, in l l /2 Finger Länge frei und fand ihn plattgedrückt und 
durch schwieliges Narbengewebe fest an den Callus geheftet Nur 
dadurch, dass mau den oberhalb und unterhalb in seiner Con- 
figuration normalen Nerven aufsuchte und nach der Fractur zu in 
seinem Verlaufe verfolgte, gelang es ihn überhaupt zu unterscheiden. 
Er wurde sorgfältig und vorsichtig herauspräparirt, dann der Callus 
unter ihm abgemeisselt, sodass jede Spannung des Nerven beseitigt 
wurde. Nach Unterbindung sämmtlicher Gefasse, liess L. die Wund¬ 
höhle parenchymatös vollbluten und erstrebte Blutschorf heilung nach 
Schede, indem er jede Compression vermied. Dadurch suchte er 
einer Wiederverwacbsung zwischen Nerv und Knochen vorzubeugen 
und erzielte auch, dass die Weichtheile der Narbengegend am 
Knochen verschieblich blieben. Unter consequenter Anwendung von 
Elektricität traten nach 4 Wochen die ersten Zeichen der Besserung 
ein. Jetzt ist die Hand normal beweglich und auch kräftig; nur 
der Zeigefinger bleibt bei der Streckung ein wenig zurück, was L. 
auf eine minimale, unabsichtliche, bei der Operation passirte Ver¬ 
letzung des Nerven an seinem vorderen Umfange zurückführt. 

b) Einen 24jähr. Matrosen mit einem den grössten Theil der 
Calotte (namentlich der linken Seite) einnehmenden Sarkom der 


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1. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


911 


Diploe, welches allmählich entstanden, zu Lähmungserscheinungen 
der rechten Körperhälfte, Erblindung in Folge Atrophie der Nervi 
optici und aphasischeu Symptomen geführt hat. Ein Eingriff, den 
der Kranke lebhaft wünscht, ist in diesem Falle nicht iudicirt. 

c) Das Präparat einer Magendünndarmflstel in dem der Dünn¬ 
darm dadurch, dass eine beliebige Schlinge entnommen war, ganz 
tief unten, 40 cm oberhalb der Klappe, angeheftet war. In Folge 
der während des Lebens aufgetretenen Verdauungsstörungen starb 
die Pat. au Entkräftung. L. betont die NothWendigkeit eines prä- 
cisen Verfahrens, um eine hohe Jejunumschlinge zur Fistelbildung 
zu verwenden. (Dieser Fall wird im Central bl. für Chir. ausführlich 
besprochen werden.). 

4. Herr Kümmell hält seinen Vortrag über die Badical- 
behandlung der Prostatahyertrophie. (Der Vortrag wird in 
dieser Wochenschrift in extenso veröffentlicht-werden.). 

XII. Erster Congress der Kanonischen Gesell¬ 
schaft für innere Medicin zu Rom. 

(Originalbericht.) 

Am 20. October d. J. Vormittags fand die Eröffnungssitzung des ersten 
Congresses der neugebildeten Societä italiana di medicina interna 
in der grossen Aula der Universität zu Rom statt. Das Präsidium führten 
die Proff. Baccelli (Rom) (Präsident der Gesellschaft), Ca u t an i-Neapel 
(Vice-Präsideut), Maragliano-Genua (Secretär) und Galassi-Rom (zeitiger 
Rector der Universität). Prof. Baccelli hielt zunächst eine Eröffnungsrede, 
in welcher er auf drei Gebiete hinwies, welche für die moderne innere 
Medicin von ganz besonderer Bedeutung sind und derselben ein specifisches 
Gepräge verleihen: die bacteriologischen Forschungen, die thera¬ 
peutischen Bestrebungen, die Fortschritte der Neuropathologie. Mit 
einem Hoch auf König IIumbert, als den „Primo cliuico morale 
d’Italia“ schloss Baccelli seine Rede. 

1. Tomaselli (Catania) spricht über das icterlsch-haeraatnrisehe 
Fieber in Folge von Chiningebrauch. Schweres, in Paroxysmen auf¬ 
tretendes, mit grosser Abgeschlagenheit verbundenes, 24—48 Stunden dauern¬ 
des Fieber mit Icterus und Haemoglobinurie, bisweilen geradezu Haema- 
turie. Es handelt sich dabei um acute Chininvergiftung nach Art der ge¬ 
wöhnlichen durch chemische Körper zu Stande kommenden Vergiftungen, 
welche auf das Blut wirken. Die Vergiftung tritt nach verschieden hohen 
Chiniudosen ein. Bei Individuen, die vorher Malaria hatten, genügen schon 
kleinste Dosen; es ist aber eine besondere Disposition erforderlich, welche 
meist erblich ist. Beim Aussetzen des Chinins tritt. Heilung ein. Die Ver¬ 
giftung ist selten. Der Redner beschreibt einen nach Chininiujection beob- | 
achteten Fall. 

Bozzolo (Turin) fragt, nach dem Plasmodieubefunde in dem Toma¬ 
sel li’schen Falle. 

Tomaselli giebt an, die Untersuchung auf Plasmodien nur ein Mal 
gemacht zu haben. Er fand wenige Plasmodien, während in den vorherge¬ 
gangenen Malarialieberanfällen viele gefunden wurden. 

Card&relli (Neapel) sah Chininvergiftung und Haematurie bei pseudo¬ 
leukämischen und nicht malarischen Kindern; er glaubt, dass die beschriebene 
Krankheitsform eine bestimmte infectiöse Ursache hat, und dass sie oft epi¬ 
demisch auftritt. 

Marchiafava (Rom) sah Krankheitsformen wie die von Tomaselli be¬ 
obachtete; dieselben waren aber ausgesprochen malarischer Natur und wurde% 
durch Chinin geheilt. 

Sonzino hielt sich 12 Jahre laug in Egypten auf und sah dort ähn¬ 
liche Formen, hält dieselben aber für Typhus icteroides Griesinger und i 
damit für sicher infectiös. 

Baccelli meint, dass es derartige Krankheitsformen giebt, die sicher 
infectiösen Ursprunges sind, epeciell mit der Malaria in ursächlichem Zu¬ 
sammenhang stehen. Es könne jedoch nicht geleugnet werden, dass durch 
Chininvergiftung ein derartiges Krankheitsbild zu Stande kommen könne. 

2. de Renzi (Neapel) giebt eine Uebersicht über die verschiedenen 
zur Heilung oder Vorbeugung der Tubereulose angewendeten und vor¬ 
geschlagenen Mittel; speciell erwähnt er das Naphthaliu, das Naphthol. das 
Jod, Jodoform etc. Keins kann als absolutes Heilmittel betrachtet werden, 
nur einzelne Symptome werden bekämpft, wenn die Krankheit nicht allzu¬ 
weit vorgeschritten ist. Meerschweinchen werden nach wiederholten Ein¬ 
spritzungen von Jod in gewisser Weise refraetär gegen Tuberculose. 

3. Riva spricht über die chirurgischen Methoden, die zur Be¬ 
kämpfung der Lungentnberculose angewandt wurden. Er selbst schlägt 
vor, eine lange mit seitlichen Oeffnungen versehene Canüle durch den Tho¬ 
rax durch und durch zu stechen, dann zu befestigen und so Flüssigkeiten 
einzuführen. Mit Campherchloral sowie mit Sublimat hat er so Behandlun¬ 
gen durchgeführt. Die sogenannten parenchymatösen Injectionen sind nicht 
gleichgültig. In einem Falle beobachtete Riva Gehirnembolie. Seine Me¬ 
thode bezeichnet er als Inundationsmethode. 

Ampugnani und Sciolla (Genua) loben ihre Fluorwasserstoff¬ 
inhalationen bei Lungentuberculose. 

Arata hatte mit diesen Fluorwasserstoffinhalationen ebenfalls 
Erfolge, aber nur bezüglich des Allgemeinbefindens. 

4. Bozzolo (Turin) spricht über die Actiologie der Pneumonie. 
Meist ist der A. Fraenke l’sche Organismus die Ursache, aber auch anderen 
Mikroorganismen, unter ihnen dem Friedlaender’schen, schreibt Bozzolo 
die Möglichkeit zu, Pneumonie zu erzeugen. Die Complicationen (Meningitis, 
Endocarditis etc.) haben mit der Pneumonie ein und dieselbe Ursache. Die 
Pneumonie ist immer der Ausdruck einer allgemeinen Infection, und so wie 
es Variola ohne Pockenausschlag, Morbillen ohne Masernausschlag giebt, so 


giebt es auch ein pneumonisches Fieber ohne Pneumonie. So 
sah Bozzolo einen Mann an Pneumonie erkranken. Nach seiner Genesung 
erkrankte seine ihn pflegende Tochter, nach deren Genesung der behandelnde 
Arzt, endlich dessen Frau au einer acuten Infection, ohne Lungenlocali- 
sationen. 

5. Maragliano (Genua) spricht über die Behandlung der Pneumonie. 
Er sieht für den Aderlass (abgesehen von den mechanischen, das rechte 
Herz betreffenden Verhältnissen) unter Umständen deshalb eine Indicatiou, 
weil er die Herzschwäche bei der Pneumonie gewöhnlich als durch Vergif¬ 
tung des Blutes mit toxischen, von den infectiösen Mikroorganismen stam- 
! menden Producten bedingt ansieht. In der Indication des Aderlasses be¬ 
steht hier also eine Analogie der Pneumonie mit der Uraemie. Mit inneren 
antiparasifäron Mitteln (Jodkalium, Calomel, graue Salbe) ebenso wie mit 
parenchymatösen Injectionen wurden Erfolge nicht erzielt. Kalte Bäder sind 
oft nützlich. Von den Antipyreticis ist das nützlichste das Chinin. Alkohol 
ist nicht zu entbehren. Ipecacuanha ist dem Herzen schädlich. 

Cardarelli meint, man könne aus der Ausdehnung einer pueumoni 
sehen Infiltration nicht ohne Weiteres darauf schliessen, ob das rechte Herz 
einen Aderlass nöthig habe oder nicht; es sei also schwer zu sagen, ob im 
speciellen Falle das Fortschaffen toxischer Producte durch den Aderlass die 
günstigen Wirkungen des letzteren bedinge. Was die Ipecacuanha angehe, 
so sei dieselbe allerdings ein Herzgift; es könne aber durch ihren Einfluss 
auf die Bronchien und damit auf den Lungenkreislauf ihr Nutzen unter Um¬ 
ständen grösser sein als der durch sie angerichtete Schaden. 

de Renzi stellt sich in Bezug auf die Aetiologie der Pneumonie auf 
den Standpunkt Bozzolo’s. Er erinnert au die bekannte Variabilität der 
Virulenz des A. Fraeukel’schen Mikroorganismus, die z. B. durch geringe 
Temperaturunterschiede zu Stande kommt, und sucht aus dieser Variabilität 
Schlüsse auf die verschiedene klinische Schwere der Pneumoniefälle zu ziehen. 
— Meerschweinchen erhalten durch Ueberstehen der Krankheit nach seinen 
Erfahrungen eine Immunität, die sich nach Monaten wieder verliert, um einer 
erhöhten Empfänglichkeit Platz zu machen 

Serafini experimentirte mit dem Friedlaender’schen Mikroorga¬ 
nismus an Kaninchen und Hunden. Machte man nach der Impfung den 
Thieren einen Aderlass, so trat nachher der Mikroorganismus im Blute auf. 

Cantani spricht seine Bedenken gegen den Werth des Aderlasses bei 
der Pneumonie als Mittel, die Materia peccans fortzuschaffen, aus; die Ur 
sache der Intoxication bestehe ja weiter. Bezüglich der mechanischen Be¬ 
dingungen des rechten Herzens sei der Aderlass rationell, komme aber sehr 
selten überhaupt in Frage. 

Bianchi (Florenz) konnte in vielen Pneumoniefällen durch Percussion 
Vergrösserung des rechten Herzens, besonders bei Kindern, feststellen. Er 
schliesst daraus, dass der Aderlass bei der Pneumonie häufig indicirt sein 
kann. 

Baccelli empfiehlt therapeutisch sehr die wiederholten Inhalationen von 
Sauerstoff. (Fortsetzung folgt.) 

XIII. Verhandlungen des 66. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

(Original bericht.) 

(Fortsetzung aus No. 42.) 

H. Psychologie (Geistes- und Nervenkrankheiten). 

Der Präsident Howden (Montrose) legte in seiner Ansprache Gewicht 
auf den Beistand, welchen wir in der Behandlung der Geisteskrankheiten 
von der Physiologie erhalten. Die Gehirnchirurgie werde ohne Zweifel 
künftig praktisch wichtig werden, z. B. in Fällen von epileptischem Wahn¬ 
sinn in Folge von Knochendepression; gleichfalls bei Ansammlung von 
Eiter u. s w., doch würden im Ganzen wohl immer nur wenige Fälle mit 
Vortheil auf diese Weise behandelt werden können. Die psychische Behand¬ 
lung der Patientin sei die wichtigste, besonders die frühzeitige Entfernung 
aus ungünstigen Umgebungen. 

Turnbull (Fife) sprach dann über die Unterbringung verarmter 
Geisteskranker in Familien, welche er besonders daun für indicirt 
hält, wenn Aufenthalt in der Anstalt nicht mehr nöthig sei, in milden 
Fällen von Blödsinn u. s. w. Die Vortheile wären, dass Pat. natürliche 
und gesunde Beschäftigung bekomme; es wäre billiger und die Anstalten 
würden nicht so überlauten. Hack Tuke (London) wies auf die Übeln 
Folgen hin, welche ein solches System besonders auf die Kinder der betr. 
Familien, in denen Verrückte untergebracht werden sollten, haben müsste. 
Stearns (Hartford) bemerkte, dass dieser Plan in den Vereinigten Staaten 
nicht acceptirt sei. Man hätte dort, in Verbindung mit den eigentlichen 
Staatsanstalten, zwei Annexe für männliche und weibliche chronische Kranke, 
welche unter der unmittelbaren Aufsicht der Beamten der eigentlichen Anstalt 
ständen; diese Metho.'e liefere gute Resultate. 

Wiglesworth sprach dann über die Pathologie der delusionelleu 
Verrücktheit (Monomanie), und bemerkte, dass bei dieser Affection Hallu- 
cinationen immer primär, und Delusionen secundär seien, und dass man es 
im Anfang nur mit einem Leiden der untergeordneten Centren zu thun 
habe, während die höchsten Cent reu gesund blieben. Yellow lees be¬ 
hauptete dagegen, dass es keinen Monomanen ohne Störung der höchsten 
Centren (Urtheilskraft) gäbe. 

I. Pharmakologie und Therapie. 

Der Präsident, Mort.on (Glasgow), sprach sein Bedauern darüber aus, 
dass man die unter richtetsten Pharmaceuten nicht unter den Aerzten, 
sondern unter Apothekern und Droguenhändlern fände. Die Fortschritte 
in der Pharmacie, welche neuerdings sehr bedeutende seien, Hessen sich 
besonders auf den Unternehmungsgeist und die Concurreuz pharmaceutischer 
Firmen, weniger auf die Untersuchungen und Entdeckungen wissenschaft¬ 
licher Aerzte zurückführen. Man müsse sich in Bezug auf die Reinheit 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


der gebrauchten Arzneimittel jetzt mehr als je auf die Geschicklichkeit 
und Redlichkeit der betr. Handlungen verlassen. Unter diesen Umständen 
sei es durchaus nöthig, dass die Regierung sich um die Sache bekümmere, 
und dass jeder Student der Medicin während oder vor seinen Studien ein 
pharmaceutisches Colleg besuche. 

Cash sprach über die antipyretischen, analgetischen und anti¬ 
septischen Wirkungen der Carbolsäure, des Antipyrins und 
Antifebrins; worauf eine ausführliche Abhandlung von Dujardin- 
Beaumetz über Phenacetin verlesen wurde. Es gäbe 3 Phenacetine, 
das Meta-, Para- und Ortho-Acetphenetidin. Das erste von diesen habe 
keine therapeutischen Wirkungen, und das zweite sei stärker und besser als 
das dritte. Da es unlöslich sei, könne das Mittel nicht subcutan iujicirt 
werden, was die Untersuchung erschwere. Es besitze keine oder nur 
geringe giftige Wirkungen. Therapeutisch habe es zweierlei Wirkungen, 
nämlich die Temperatur zu reduciren, besonders in der Pyrexie, und den 
Schmerz zu lindern. Die Dose des Parasalzes sei 1,5 bis 2 g pro die, die 
des Orthosalzes etwas grösser. Man sollte diese Präparate dem Autipyrin 
vorziehen: 1) weil sie nicht giftig sind; 2) weil sie in der Hälfte der Dosen 
wirksam sind; 3) weil sie halb so billig sind; und 4) weil die Fabrication 
kein Monopol ist. 

Leech (Manchester) behauptete, dass diese Dehydroxylpräparate ge¬ 
legentlich so schlechte Wirkungen hervorriefen, dass man Antipyrin und 
Antifebrin doch vorziehen müsse. 

Macdonald (Liverpool) meint, dass alle Infectionskrankheiten rationell 
nur durch Antisepsis behandelt werden können; dass es unsere Aufgabe 
sei, die antiseptische Substanz zu entdecken, welche dem jeweiligen Mikro¬ 
organismus der betreffenden Krankheit am antagonistischsten sei, und dass 
wir allerdings den menschlichen Organismus nicht sterilisiren, aber 
doch die Lebensthätigkeit der Krankheitskeirae verringern und Vergiftung 
des Organismus durch die Excremente der Keime verhindern könnten, 
lllingworth (Accrington) bemerkt, dass die Wirkung des Antipyrin und 
analoger Substanzen die sei, die Bildung des Faserstoffes zu verhindern. 
Dies sei bewiesen durch die von solchen Mitteln hervorgerufeue Cyanose, 
und die Verringerung des Oxyhämoglobins. Man dürfte also diese Mittel 
niemals bei Krankheiten an wenden, bei welchen der Faserstoff vermindert sei, 
wie Typhus und die meisten Infectionskrankheiten; es sei nur erlaubt, die¬ 
selben in der Pyrexie aus katarrhalischen Ursachen zu reichen. Kirk (Glasgow) 
hat gefunden, dass bei Pneumonie, Typhus und allgemeinen fieberhaften 
Zuständen mit hoher Temperatur, Carbolsäure mit vollkommener Sicher¬ 
heit in Dosen von 0,25 alle 4 Stunden gegeben werden kann, bis die 
Temperatur von 41° und 40° bis auf 38° gesunken ist. Das Allgemein¬ 
befinden der Pat. hebe sich zu gleicher Zeit, und die Wahrscheinlichkeit 
der Wiederherstellung werde grösser. 

Shoemaker (Philadelphia) reichte eine Abhandlung über Betanaphtbol 
ein, welches in den Mengen, in welchen es therapeutisch zur Anwendung 
kommt, ein vollkommen unschädliches Mittel sei; das vielgerühmte Ilydro- 
naphthol sei blos unreines Betanaphtbol. 

Fraser (Edinburgh) sprach dann über den ralativen Werth von Cocain, 
Morphin und Atropin bei Diabetes mellitus. Macpherson (London) 
wies auf den Mangel an gleichförmiger Stärke der Arzneimittel 
hin. Besonders die activen Substanzen sollten eine definitive und uniforme 
Stärke haben, was allerdings in der Pharmakopoe verlangt sei, in Wirklich¬ 
keit aber nicht vorkomme. Schicke man dasselbe Recept in 50 verschiedene 
Londoner Apotheken, so sei es 17 mal falsch gemacht (Schluss folgt.) 

XTV. Jouraal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

11 . 

Bardach. Nouvelles recherches sur la rage. Annales 
de l’institut Pasteur No. 1, 1888. 

Von den neuen im bacteriologischen Institut zu Odessa ge¬ 
machten Untersuchungen des Verf. seien hier zunächt die Impfungen 
in das Nervengewebe erwähnt. Da das Nervengewebe der beste 
Nährboden für die Cultur und die Fortpflanzung des Wutkgiftes 
ist, so ist es natürlich anzunehmen, dass die Uebertragung auf dem 
Wege des peripheren Nervensystems stattfindet. Diese Annahme 
bestätigt sich auch in einigen vom Verf. angestellten Versuchen. 
So bekamen von 7 unter das Neurilemm des N. radialis mit Virus 
fixe geimpften Hunden zwei die Wuthkrankheit nach einer Incuba- 
tionszeit von 14 Tagen: die übrigen widerstanden der Impfung. 
Die Resistenz der Majorität der Hunde erklärt Verf. dadurch, dass 
der N. rad. in seinem vorderen Antheil von einem Gefässnetz um¬ 
geben ist, und dass die durch die lnjection erzeugte Spannung der 
Gefässe eine Anzahl Phagocyten austreten lässt, welche sich der 
Wuthmikroben bemächtigen. — Auch klinische Beobachtungen 
sprechen für die Uebertragung der Wuth auf dem Wege der peri¬ 
pheren Nerven. So erwähnt Verf. eines Falles von Wuth in Folge 
eines Wolfbisses an der Theilungsstelle des linken Radialis. Es 
entwickelte sich, während der Patient noch ass, trank und eine 
normale Temperatur hatte, eine Geschwulst, welche dem Kranken 
ein Gefühl von Ameisenlaufen verursachte. Der Kranke starb, und 
Verf. verimpfte das untere Viertel des N. rad. durch Trepanation 
an zwei Kaninchen, welche nach einer Incubationszeit von 14 bis 
16 Tagen zu Grunde gingen. Leider wurden in diesem Falle keine 
Controllversuche mit dem anderen unverletzten Radialis vorge¬ 
nommen. Dies geschah aber in einem zweiten Falle. Hier handelte 
es sich um zahlreiche Bisswunden in der Gegend des Medianus 


und Ulnaris. Die Verimpfung des Med. der verletzten Seite er¬ 
zeugte bei den geimpften Thieren nach 14—15 Tagen die Wuth, 
ebenso die Verimpfung des Ulnaris. Die Controllimpfungen mit 
den Nerven der unverletzten Seite ergaben ein negatives Resultat. 

Verf. beschäftigte sich auch mit der Frage über das Vorhanden¬ 
sein des Wuthgiftes im Speichel, oder was dasselbe ist in den 
Speicheldrüsen von wuthkranken Personen. Es wurden die Speichel¬ 
drüsen von 8 solchen Personen 12-24 Stunden nach deren Tode 
durch Trepanation Hunden und Kaninchen eingeimpft. Gleichzeitiir 
wurden Parallelversuche mit dem verlängerten Marke dieser Indi¬ 
viduen vorgenommen; es zeigte sich bei diesen Versuchen (22 an 
Zahl), dass alle Kaninchen an Wuth zu Grunde gingen nach einer 
Incubationszeit von 32 Tagen. Die Verlängerung der Incubations¬ 
zeit erklärt Verf. durch die geringe Quantität des in deu Speichel¬ 
drüsen enthaltenen Virus; es scheint somit die von Pasteur aus¬ 
gesprochene Meinung, dass die Wuth durch den Biss wuthkranker 
Menschen übertragbar sei, eine experimentelle Grundlage gewonnen 
zu haben. 


E. Roux. Notes de laboratoire sur la presence du 
virus rabique dans les nerfs. Annales de l’institut Pasteur 
No. 1 1888. 

Roux stellt sich ebenfalls die Frage, ob das Wuthgift durch 
die peripheren Nerveu übertragbar ist. Er impfte die Nerven 
des Oberarmes eines am Arm gebissenen und an Wuth gestorbenen 
Kindes einem Hunde und einem Kaninchen ein. Beide starben an 
Wuth. ln diesem Falle war also das Wuthgift in den Nerven des 
Oberarmes enthalten. Es entsteht nuu die Frage, ob das Virus von 
der Bissstelle ausging oder ob es sich durch das Rückenmark in 
die Nerven fortgepflanzt habe, wie dies bei den durch Trepanation 
geimpften Thieren stattfindet, deren Nerveu oft viruleut sind. Die 
Entscheidung dieser Frage brachten die folgenden Versuche, in 
welchen sowohl die Nerven der gebissenen als auch die der ge¬ 
sunden Seite verimpft wurden. Der Ulnaris, Medianus uud Radialis 
beider Arme einer an Wuth verstorbenen Frau, die am Vorderarm 
von einem wüthenden Hunde gebissen wurde, wurden durch Tre¬ 
panation einem Kaninchen eingeimpft; weder die Nerven der ge¬ 
sunden noch die der kranken Seite vermochten das Thier zu intimen. 
In einem zweiten Versuche wurde das Nervenpaquet des gebissenen, 
sowie dasjenige des gesunden Oberarmes eines an Wuth vereodeten 
Kindes an zwei Kaninchen durch Trepanation verimpft. Oie mit 
den Nerven der gebissenen Seite geimpften Thiere bekamen die 
Wuth nach 34 Tagen, die anderen nach 65 Tagen. Es scheint also 
in diesem Falle das Wuthgift iu den Nerven des gebissenen Armes 
in grösserer Quantität enthalten gewesen zu sein, als in denjenigen 
des gesunden Armes. In eiuem dritten ähnlichen Versuche er¬ 
zeugten ebenfalls sowohl die Nerven der gesunden als auch die der 
kranken Seite die Wuth. 

Die Gegenwart des Wuthgiftes in den Nerven der gesunden 
und der gebissenen Seite beweist noch nicht, dass das Virus vom 
Rückenmarke aus in die Nerven gelaugt ist. Es könnte ja das 
' Gift sich zuerst in dem gebissenen Arme entwickelt habeu, von 
hier aus in’s Rückenmark und dann in die Nerven der anderen 
Seite übergegangen sein. Um die Fortleitung des Virus von der 
Wunde aus Dach den Nervencentren verfolgen zu können, war es 
nothwendig, die Untersuchung der Nerven während der Incubations¬ 
zeit vorzunehmen. Verfasser hat daher Hunde am Schwanzende 
inficirt; wenn das Wuthgift den Nervenbahnen folgt, so musste sieh 
bei diesen Thieren der Beginn der Wuth durch Symptome äussern. 
die vom unteren Abschnitte des Rückenmarkes ausgehen, und dieser 
Theil des Rückenmarkes müsste das Virus früher enthalten, als dir 
oberen Theile. Einer dieser Hunde, der 25 Tage nach der Infec- 
tion die ersten Symptome der rasenden Wuth zeigte, wurde au 
diesem Tage getödtet, und das verlängerte Mark, das Brustmark. 
das Lendenmark sowie die Submaxillardrüsen verimpft. Bas mit 
dem verlängerten Mark geimpfte Kaninchen bekam die Wuth nach 
20 tägiger Incubationszeit, das mit dem Brustmark geimpfte na<a 
22tägiger, das mit dem Lendenmark geimpfte nach 19 tägiger un< 
das mit den Speicheldrüsen inficirte nach 21 tägiger Incubationszeit- 
Dieser Versuch spricht scheinbar gegen die Fortpflanzung 
Wuthgiftes durch die Nerven, alleiu mau kann auch annehmea 
dass das Wuthgift das Rückenmark durchziehen konnte, wie <*> 
einen Nerven durchströmt, ohne Symptome zu erzeugen, 
diese Anschauung richtig ist, zeigt am besten folgender Nersuoi- 
Wurde ein am Schwanzende inficirter Hund, 7 Tage nach der lu* 
fection, vor Ausbruch der W r uth getödtet, so bekam das mit de 
Rückenmarke dieses Hundes inficirte Thier die Wuth nach 
Tagen, das mit dem Brustmark geimpfte entging gänzlich der "• 
fection, während das mit dem Lendenmark inficirte schon nacli 
Tagen die Wuth hatte. Auch durch weitere Versuche * oDn 
Roux nach weisen, dass das Wuthgift im latenten Zustande in 

xt—— —*v_n— i.«— Schnirer. 


Nerven enthalten sein könne. 


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1. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


918 


Innere Medicin. 

15. 

Emile Parmentier. L’ic-tere catarrhal d’apres les 
travaux receuts. Gaz. des Hop. 188’, No. 136. 

Die Wahrnehmung, dass viel häufiger gastro-intestinaler Katarrh 
als Icterus eatarrhalis vorkommt, dass letzterer nicht selten spora¬ 
disch oder epidemisch auftritt, und dass der entzündliche Process der 
Schleimhaut des Darms sich nicht leicht auf die Gallenwege fort¬ 
pflanzt, legte den Gedauken nahe, diese Icterusform von einem gif¬ 
tigen Agens, welches entweder von aussen in den Organismus ge¬ 
langt oder sich aus den im Darmtractus vorhandenen Mikroorganis¬ 
men entwickelt, herzuleiten, wobei man von der Voraussetzung 
ausgeht, dass jenes Agens, vielleicht weil in zu grosser Menge 
vorhanden, die Leber nachtheilig beeinflusse, iu ihr einen Reiz¬ 
zustand und consecutiv einen Katarrh der Gallenwege resp. Ver¬ 
schluss derselben bewirke. In Folge letzteren Vorganges wird die 
Galle, deren Zweck, eine faulige Zersetzung des Darrainhaltes zu 
verhindern und die peristaltischen Bewegungen des Digestiouscanals 
anzuregen, vereiteltet und so die Reihe bekannter Symptome hervor¬ 
gerufen. 

Nach Bouchard sind es bei Retention der Galle deren Salze 
sowohl, als auch deren Farbstoff, welche sich im Körper wie Gifte 
verhalten. 

Diese Wirkung kommt jedoch dadurch nicht zur Geltung, dass 
das Bindegewebe einen Theil dieses Farbstoffs fixirt, während den 
anderen mit den Gallensalzen resp. deren Derivaten die Nieren 
aliminiren. 

Sind diese nicht iutact, so sistirt die Lebersecretion und damit 
die Bildung der beiden genannten Giftstoffe, - es entsteht Auto- 
intoxication-Icterus gravis, der sich dem Gesagten zufolge nur dem 
Grade nach von Icterus eatarrhalis unterscheidet. 

Reclus. De la fievre de croissance. — Gaz. des Höp. 
1887, No. 140. 

Das Wachsthumfieber, der Ausdruck einer durch körperliche 
Anstrengung hervorgerufenen Entzündung der grösseren und gegen 
Druck schmerzhaften Gelenke, befällt junge Leute ira Alter von 
12—15 Jahren, erscheint plötzlich nach einem vorausgegangenen 
Schüttelfrost und tritt, von Schmerzen in den Gliedmassen be¬ 
gleitet, nachdem die Temperatur eine Höhe von 40—41 Grad er¬ 
reicht hat, unter Zurücklassung allgemeiner Abgeschlagenheit, in 
das Stadium der Defervescenz nach einer Dauer von 1—2 Tagen ein. 

In andereu Fällen thut jenes Fieber, das unter solchen Um¬ 
ständen alle Charaktere eines beginnenden Typhus zur Schau trägt, 
dies erst nach 5—7 Tagen. 

Oder dasselbe ist ein leichteres, welches nur einige Stunden 
andauert, aber während einiger Monate in grösseren oder kleineren 
Zeitabschnitten wiederzukehren pflegt und in diesem wie in ande¬ 
ren Fällen eine Körperverlängerung von 1—3 cm zur Folge hat. 

Pauli (Cöln). 

Psychiatrie und Neurologie. 

4. 

A. Eulenburg. Zur Aetiologie und Therapie der 
Migräne. Wien. med. Presse 1887, No. 1 u. 2. 

Die Migräne ist noch immer eine ihrem Wesen nach dunkle 
und vieles Räthselhafte darbietende Affection. Während früher die 
vasomotorischen Theorieen gang uud gebe waren, hat man neuer¬ 
dings der Migräne ihren Platz neben der Epilepsie anweisen wollen 
und sie als Cephalalgia epileptica bezeichnet. Mau hat sie iu Be¬ 
ziehungen zu Erkrankungen des Genitalsystems, des Digestions- 
tractus und der Nasenhöhlen gebracht und dementsprechend die 
Therapie eingerichtet. Auch eine myopathische (myogene) Form 
ist aufgestellt worden. In diesen Fällen würde es sich um eine 
direkt mechanische Schädigung gewisser Muskeln des Kopfes und 
Halses durch Ueberanstrengung, Dehnung, Zerrung und um einen 
dadurch bedingten Schmerz der Muskeln selbst resp. ihrer Sehnen¬ 
enden handelu. 

Immerhin bleiben noch zahlreiche Fälle idiopathischer Hemi- 
cranie über. Der schmerzerregende Factor ist, wie Verfasser schon 
früher dargclegt hat, verrauthlich in starken uud mit einer gewissen 
Acuität sich vollziehenden Schwankungen des endocraniellen Blut¬ 
gebaltes zu suchen, wodurch die sensiblen Trigeminusendigungen 
in Dura und Pia neuralgisch irritirt werden. Diese Circulations- 
schwankungen werden sich im Einzelfalle pathogen um so wirk¬ 
samer gestalten, je mehr die sensibeln Nervenendigungen der Hirn¬ 
häute schon von vornherein mit anomaler Erregbarkeit ausgestattet, 
hereditär und congenital krankhaft präformirt sind. Verfasser hat 
in der letzten Zeit zur Bestimmung des Einflusses allgemeiner und 
örtlicher Circulationsstörungen bei Migränekranken zahlreiche Unter¬ 
suchungen gemacht, welche unter Zuhülfenahme des galvanischen 
Stromes auf die Bestimmung des sogenannten relativen Wider¬ 
standsminimums herauslaufen. Auf die Methode kann hier 


nicht näher eingegangen werden. Es fanden sich nicht selten 
ausser der allgemeinen Erhöhung des Leitungswiderstandes auch 
mehr oder weniger erhebliche asymmetrische Differenzen desselben 
an beiden Schädelhälften sowohl ausserhalb wie besonders wäh¬ 
rend der Anfälle. 

Was die Therapie betrifft, so hat die Massage bei der soge¬ 
nannten myopathischen Form recht erfreuliche Erfolge aufzuweisen, 
doch empfiehlt es sich, dass der Arzt die Behandlung selbst leitet. 
— Eine den speciellen Causalmomenten nachgehende Behandlung 
wird öfters in der Lage sein, nachhaltige Resultate bei der Migräne 
zu erzielen. Verfasser weist hier auf einen Fall hin, der unter 
Berücksichtigung der vorhandenen Kreislaufstörungen nach Oertel- 
scher Methode geheilt wurde. — Vou medicamentösen Mitteln ver¬ 
dient das Autipyrin 1,0 pro dosi alle Berücksichtigung. In manchen 
Fällen war die Anwendung der statischen Elektricität mittelst der 
sogenannten Glockenvorrichtung von unverkennbarem Nutzen. 

Eickholt. 

Th. Ziehen (Jena). Beitrag zur Frage des Zusammen¬ 
hanges zwischen progressiver Paralyse und Syphilis. 
Neurol. Centralbl. No. 9, 1887. 

Die Durchsicht vou 1500 Krankenjournalen der Landesirren¬ 
heilanstalt Jena ergab 100 Fälle von Paralyse bei Männern und 
13 bei Frauen. Das Durchschnittsalter der paralytischen Männer 
war bei der Aufnahme 39% Jahre, das der paralytischen Frauen 
45 Jahre. Erbliche Belastung lag sicher bei 45% der paralytischen 
Männer vor, directe Vererbung der Paralyse vom Vater auf den 
Sohn in 2 Fällen, vou der Mutter auf den Sohn in einem Falle. 
Bei 2 paralytischen Frauen wurde Paralyse des Ehemannes fest¬ 
gestellt. Ein der Paralyse unzweifelhaft vorausgegangener Alkohol¬ 
missbrauch fand sich bei 17% der Männer. Auffällig war die re¬ 
lative Häufigkeit von Alkoholismus als Belastung väterlicherseits. 
Psychische Ursachen waren bei 35% vorhanden. — Was den 
ätiologischen Eiufluss der Syphilis betrifft, so bestimmte Ziehen 
zwei Zahlen, eine, die jedenfalls grösser, und eine, die jedenfalls 
kleiner ist als der wirkliche Procentsatz der Syphilitischen. Die 
erste Zahl ergab sich durch Zurechnung aller nur irgend verdäch¬ 
tigen Fälle, die letztere aus der Zusammenstellung nur solcher 
Fälle, in denen mehrere dringend verdächtige Momente zusammen¬ 
trafen. Nach dieser Rechnung liegt der Syphilisprocentsatz der 
männlichen Paralytiker zwischen 33% und 43%, der der männ¬ 
lichen Nichtparalytiker zwischen l*/o und 13%, der der para¬ 
lytischen Frauen zwischen 30% und 46%. Danach ist also die 
Syphilis nicht als die alleinige Ursache der Paralyse anzusehen. 
Letztere ist vielmehr fast stets die Folge mehrerer Ursachen. (In 
den 100 Fällen liess sich nur 5 mal keine andere Ursache als 
Syphilis uachweisen.) Die Erblichkeit disponirt zu Geisteskrank¬ 
heiten überhaupt, die Syphilis speciell zur Paralyse. — Iu 4 Fällen 
mit voraufgegangener Syphilis spielte Kopftrauma wahrscheinlich 
die Rolle der Gelegenheitsursache. Ein charakteristisches Merkmal 
für die syphilitischen Paralysen fand sich nicht. 8 solcher Fälle 
hat Verfasser mit Quecksilber behandelt. In 6 derselben trat eine 
mehrmonatliche Remission ein. In einem Falle mit Verlust des 
Kniephänomens liess sich dasselbe nach einer energischen Schmier- 
cur in schwacher Weise wieder zum Vorschein bringen, um bei 
Eintritt eines Recidivs abermals zu schwinden. Bei Jodkalium¬ 
behandlung trat nur in der Hälfte der Fälle eine Remission ein. 
Bei nichtspecifischer Behandlung ergaben sich nur in etwa 20% 
der Fälle raehrmonatliche Remissionen. Ergotinbehandlung schien 
den körperlichen Verfall zu beschleunigen. Die Quecksilbercur 
wurde sehr energisch (bis zu 400,0 Ung. einer.) mit Lanolin als 
Salbenconstituens und unter Anwendung von Massage durcbgeführL 

Krön. 

W. S. Play fair. Einige Bemerkungen zur Neurasthenie. 
British med. Journ. 1349. 

Verfasser hält die Neurasthenie für eine neue Krankheit, die 
noch nicht lange bekannt ist und weniger iu den Hospitälern wie 
in der Privatpraxis zur Beobachtung kommt. Es handelt sich um 
Individuen, deren Nervensystem in hohem Grade zerrüttet ist, 
keineswegs um Störungen, die auf eine beginnende Affectiou 
des Nervensystems zurückzuführen sind. Er theilt einige Fälle mit, 
bei denen man schwere und unheilbare Organerkrankungen diaguosti- 
cirt hatte, und welche durch geeignete Behandlung geheilt wurden. 
Ueberhaupt feiert hier, wenn irgendwo, eine geeignete Behandlung 
ihre Triumphe. Leider vergisst man heutzutage oft, dass der Kranke 
nicht wegen der Diagnose, sondern wegen der Heilung zum Arzte 
kommt. Verfasser, der Professor der Geburtshülfe ist, kann seine 
Specialcollegen nicht ganz vou dem Vorwurfe frei sprechen, durch 
unnöthige Localbehandlung zur Entstehung der Neurasthenie beizu¬ 
tragen. 

Mairet et Combemale. Ueber den Gebrauch des 
Hypnons bei Geisteskranken. Arch. de Neurol. XIII, No. 37. 

Conolly Norman. Beiträge zur beruhigenden Wirkung 


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914 


DEUTSCHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


des Acetophenons (Hypnon). Journ. of ment. Science 1887 
Januar. 

Mairet und Combemale gaben das Hypnon innerlich, und 
zwar in Dosen von 0,25—4,0 als Emulsion mit Oleum Amygdalar. 
dulc. (1:4) oder Glycerin (1:12) mit etwas 01. Menth, pip. oder 
Citri. Der Erfolg als Hypnoticum war ein durchaus negativer, da¬ 
gegen wirkte das Mittel in einigen Fällen entschieden beruhigend, 
indem es krankhafte, von inneren Organen ausgehende Sensationen 
unterdrückte und die motorische Unruhe mässigte. 

Norman giebt das Hypnon subcutan, und zwar 0,3—0,5—0,7 
und will recht befriedigende Erfolge gesehen haben. Es tritt Schlaf 
ein, beim Erwachen ist der Kranke frisch und frei von Kopf¬ 
schmerzen. Der innerliche Gebrauch ist weit weuiger zu empfehlen. 

Ref. wendet das Hypnon subcutan an, und zwar 1 Thl. Hypnon 
zu 2 Theilen Oleum Amygdalar. dulc. in Dosen von 0,2—0,6, der 
hypnotische Erfolg ist gering, dagegeu lässt sich eine sedative Wir¬ 
kung bei aufgeregten Geisteskranken constatireu. Eickholt. 

G. Lehmann. Zur Wirkung des Amylenhydrats. Neur. 
Centralbl. No. 20, 1887 

Verfasser berichtet über 149 Versuche, die er an 26 weiblichen 
Irren mit Amylenhydrat angestellt. Die Dosen schwankten zwischen 
1 und 5 g (nur einmal wurden 6,0 gegeben). Die Form bestaud in 
einer Schüttelraixtur mit Wasser und Himbeersyrup. Voller Effect trat 
124 mal ein, mangelhafter 20 mal, keiner 5 mal. Eine entschieden 
gute Wirkung zeigte sich also in 83,20/®. Dieselbe pflegt nach 5 
bis 15 Minuten einzutreten und ist eine intensiv hypnotische. 
Der Schlaf dauert 6 bis 8 Stunden. Unangenehme Folgeerschei¬ 
nungen wurden mit Ausnahme leichten Uebelseins und Magen¬ 
drückens (dies auch nur in zwei Fällen) nicht bemerkt. Den üblen 
Geruch und Geschmack theilt das Amylenhydrat mit dem Paral- 
‘dehyd, doch hat es vor diesem, abgesehen davon, dass es vielleicht 
noch etwas stärker wirkt, den Umstand voraus, dass es nur ausnahms¬ 
weise und in nur ganz geringem Grade üblen Exhalationsgeruch 
hervorruft. Krou. 

XV. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Ueber Impfschäden. 

Von Dr. Voigt, Oberimpfarzt. 

(Fortsetzung aus No. 43.) 

Nach obigem brauchen wir uns bei Verimpfung animaler Vaccine und 
unter Anwendung der nöthigen Vorsicht in Betreff der Reinigung der Impf¬ 
lanzette vor der Vornahme einer jeden Impfung weder vor der (Jebertragung 
der Syphilis, noch der Tuberculose und Lepra zu fürchten. Aber auch das 
Impferysipel, die gefürchtetste Complication des Impfprocesses, lässt sich 
mit der animalen Vaccine kaum übertragen, sofern nur ein vorsichtiges Ver¬ 
fahren obwaltet, wenn wir Aerzte die unerlässliche Selbstcontrole stets vor 
Augen haben und weder uns selbst noch unsere Instrumente zu Trägem 
des Infectionsstoffes des Rothlaufes werden lassen. Reine Unglücksfälle 
mögen sich zwar nicht immer vermeiden lassen, aber die animale Impf¬ 
lymphe wird schwerlich je der Träger dieses Contagiums werden, denn die 
Kälber haben keine Neigung zum Erysipel. Ich habe selbst wohl gegen 
2500 Kälber impfen lassen und an ihnen nur ein einziges Mal auf dem 
Pustelfelde eine Hautentzündung beobachtet, welche allenfalls als Erysipel 
gedeutet werden konnte. Das fieberhafte Thier wurde selbstverständlich nicht 
als Abimpfling benutzt, und wohl keiner der Aerzte, welche sich mit der 
Züchtung animaler Vaccine abgeben, würde Derartiges übersehen. Bis jetzt 
ist sonst von keiner Seite jemals eine wirkliche Rose beim Rinde auf dem 
Impffelde beschrieben, obwohl das Erysipel beim Rinde vorkommt, nament¬ 
lich auf den helleren Partieen der Haut der Rinder deutlich ausgesprochen 
ist, und fieberhaft verläuft. 

Man darf beim Menschen das Impferysipel nicht mit der Entzündung 
nach der Impfung verwechseln. Die entzündliche Reaction um die Vaccine¬ 
pustel hat einen typischen Verlauf, sie begränzt sich am 11. Tage p. vacc. 
und darf aus diesem Grunde als eine specifische Entzündungsform angesehen 
werden, obwohl ihr ganzer Verlauf sehr an das Erysipel erinnert und oft 
kaum von Erysipel zu unterscheiden ist. 

Da oft oder vielleicht regelmässig pyogene und phlogogene Stoffe in 
der Vaccine Vorkommen, so ist es denkbar, dass die vaccinale Derma¬ 
titis vorzugsweise von diesen und nicht nur von dem eigentlichen Träger 
des Vaccinecontagiuras, welchen wir noch nicht kennen, abhängt. Solche 
Annahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, dass nach alter 
Erfahrung die Lymphe entzündeter Vaccinepusteln nicht verimpfbar ist, weil 
entzündliche Erscheinungen folgen würden. Immerhin ist die vaccinale Der¬ 
matitis keine Rose. Das mässige Fieber, der Verlauf, die Begränzung mit 
dem 11. Tage, an dem die Immunität oder die Sättigung des Körpers er¬ 
reicht ist, lassen sie als keine Rose gelten, aber wir müssen sie als eine 
der Rose analoge Form anseheu und müssen zugeben, dass die Rose sich 
dem entzündlichen vaccinalen Process hinzugesellen und ihn wesentlich ver¬ 
schlimmern kann. 

Die Rose kann sich als sogen. Früherysipel gleich nach der Impfung 
mit Schüttelfrost etc. einstellen, oder nachträglich als Späterysipel zur Zeit 
der Pustelreife hinzugesellen. Im ersten Falle gelangten die Rosencoccen 
mit der Impflymphe oder durch unreine Instrumente oder unreine Luft, 
Kleider und dgl. in die frische Impfwunde, im anderen Falle später in die 
geborstenen Pusteln. 


In beiden Fällen besteht grosse Neigung zur Entwicklung einer Phleg¬ 
mone, zu Abscedirungen der Achseldrüsen etc., und wir müssen diese Com- 
plication als sehr ernst ansehen. Nach dem Berichte des Reichsgesund¬ 
heitsamtes erlagen im Jahre 1883 11 Impflinge, 1884 8 Impflinge dem vacci¬ 
nalen Erysipel. 

Beispielsweise erkrankten in den Dörfern Bühren und Duensen, Amt 
Neustadt, Hannover, 10 Kinder am Früherysipel, und es starben daran 3. 
In Mögeldorf bei Nürnberg erkrankten 1883 von 106 Erstimpflingen 68. 
davon 36 an Erysipel, das binnen 2 — 3 Tagen sich entwickelte, also ein 
Früherysipel war. Da in Bayern beide Arme geimpft werden, so bekamen 
14 Kinder das Erysipel gleich an beiden Armen, 22 nur an einen Arm. 
Ein Kind starb nach 3 Tagen. Unter 70 Schulkindern kam es dort nur zu 
3 Fällen von Früherysipel. Im selben Jahre kamen noch 4 sporadische 
Fälle in Sachsen, bei Merseburg und bei Aachen vor, wie es scheint, von 
dem Verfahren bei der Impfung ganz unabhängig. 

Merkwürdig ist ein trauriges Ereigniss in Möglingen, Württemberg. 
Dort dienen 5 Kinder als Abimpflinge, eins von ihnen bleibt gesund, die 
anderen 4 erkrankten unerhörter Weise binnen 24 Stunden schwer am Ery¬ 
sipel, und 3 starben. 

Die im Jahre 1884 gemeldeten 8 Todesfälle ereigneten sich sporadisch, 
aber auch in diesem Jahre kam es au mehreren Orten zu gehäuften vacci¬ 
nalen Erysipelen, so in Prieros bei Potsdam. Dort war eine Frau mit Ery- 
sipelas capitis am Tage vor der Impfsitzung im Impflocal gewesen. Ihre 
Tochter hatte mit einem Kinde mit dieser Frau verkehrt und hatte dieses 
Kind nachher zur Impfung gebracht, ausserdem hatten auch die anderen Impf¬ 
mütter den Verkehr mit der Erkrankten aufrecht erhalten. Hiernach er¬ 
krankten 5 Impflinge an Früherysipel. Hier wurde die Ursache aufgefunden, 
anders in Offenburg. Dort dient ein gesundes und auch nach der Abimpfung 
gesund gebliebenes Kind als Abimpfling. Auch die Familie des Kindes war 
gesund, und die Lymphe schien besonders empfehlenswerth. Mit Glycerin 
vermischt wird sie in 3 Dörfern auf 26 Kinder übertragen, und 25 Kinder 
erkranken am Früherysipel. Die Krankheit verlief in einzelnen Fällen schwer, 
aber in allen Fällen trat glücklicherweise Genesung ein. 

Die Früherysipele werden darum so bedenklich, weil sich vaccinale 
und erysipelatöse Reizungen summiren, aber auch Späterysipele können ernst 
ablaufen. 

Dringend nöthig ist es, dass der Impfarzt keine Gelegenheit zum Aus¬ 
bruch des Erysipels giebt.. Man vermeide zunächst jede Abimpfung von 
Pusteln, welche schon eine gerüthete Areola haben, man beobachte alle Vor¬ 
sicht der Asepsis bei der Herstellung der animalen Conserven und übe die 
nöthige Selbstcontrole für die eigene Person und die eigenen Instrumente. 
Die Behörden haben jetzt jeden Impfarzt verpflichtet, jeden Impftermin zu 
schlossen, so bald sich auch nur einzelne Fälle von Impfrothlauf zeigen. 
Gleichzeitig ist das Verbot erlassen, dass Menschen, deren Hausgenossen an 
der Rose leiden, zur Impfanstalt gehen. Würden diese Regeln beobachtet, 
so würden die Früherysipele wohl ausbleiben, aber die Späterysipele kann 
man nur durch accurate Behandlung der Impfpusteln vermeiden. Hierin 
versäumen unzählige Eltern sehr viel, indem sie die ihnen gegebenen An¬ 
weisungen für die Behandlung der Pusteln uubefolgt lassen. Dadurch aber 
nehmen die Angehörigen die Verantwortung für solche Schäden auf sich. 

Die Anweisung, man solle nur von Pusteln abimpfen, welche keine 
geröthete Umgebung haben, ist bisher nicht überall anerkannt und kann 
doch nicht genug beherzigt werden, denn die Eiter bildende, Entzündung 
verursachende Kraft der Vaccine bildet sich mit dem Wachsen der Areola 
immer kräftiger aus. 

Ich komme nun zu den durch Eitercoccen und dgl. veranlassten Impf¬ 
schäden. Es sind das die einfachen entzündlichen Processe, die Absce¬ 
dirungen des Unterhautzellgewebes, die Phlegmonen, Bubonen. Hieran 
reihen sich: das Geschwürigwerden der Pusteln, die Gangrän- und die soge¬ 
nannte Blutvergiftung. 

Dass derariige Schäden aus verkehrter Beschaffenheit der Impflyraphe 
hervorgehen können, ist denkbar, und bei den mit der Impfung verbundenen 
verschiedenen Proceduren möglich, aber ein höchst selten vorkommendes 
Ereigniss. Häufiger haben wir die Ursache solcher Erscheinungen in den 
die Pusteln nachträglich treffenden Schädlichkeiten zu suchen. Im ersten 
Falle handelt es sich meistens um gehäufte, in letzterem Falle um 
sporadische Fälle. 

Einfache entzündliche Complicationen bleiben meistens sporadisch, doch 
sind gehäufte Fälle vorgekommen, z. B. in Schmerbach bei Gotha. Dort 
bekamen im Jahre 1883 sämmtliche in einem Impflokal Geimpfte eine zu 
starke Entzündung und Eiterung der Impfpusteln, während die nämliche 
Impflymphe in anderen Lokalen normale Pustelung hervorrief. 

Aehnlich in Giessen, wo nach Verimpfuug animaler Vaccine auf 
8 Kinder bei 7 dieser Kinder Phlegmone entstand (kein Todesfall). Solche 
Entzündungen führen eben gelegentlich zur Phlegmone, zur Abscedirung der 
Achseldrüsen, aber auch Abscedirungen in der Morenheituschen Grube, unter 
den Pect, major kommen vor, rufen ernste Erscheinungen hervor, laufen 
aber bei guter Behandlung gut ab. 

Liegt die Ursache solchen Irapfschadens in der Impflymphe, und wurden 
beide Arme geimpft, so geräth der Impfling in eine missliche Lage- In 
Berlin und in Tuflingen sind je ein Kind auf diese Weise zu Gruude ge¬ 
gangen. Der einer Untersuchung unterzogene Berliner Impfarzt wurde frei- 
gesprochen. Solche Fälle sprechen für die Impfung nur eines Armes. 

Bei Revaccinirten kommt cs nach der Impfung s. o. überhaupt g. ru 
zu weiterer Ausbreitung der Entzündung und, wenn die so belasteten Arme 
contusionirt werden, auch zu Schlimmerem. So wird von zahlreichen Fällen 
von Phlegmone berichtet unter den Schülern der Realschule zu Metz. . Die 
Zöglinge hatten nach der Impfung und vor der Revision einen Schulausflug 
gemacht und sich an Ring- und Faustkämpfen betheiligt. 

Um das Entstehen solcher Entzündungen zu verhüten, benutze man 
nur untadelige Pusteln an Mensch und Vieh zur Abimpfung, man vermeide 
eiterige und geborstene Pusteln und lieber auch die Fl&chenimpfung. Wird 


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1. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


915 


vom Impfarzt ferner die Rücksicht auf die eigene persönliche Asepsis im Auge 
behalten, und vorschriftsraässig geimpft, wird das Publicum, so wie jetzt 
geschieht, rechtzeitig belehrt über die nüthige Reinlichkeit und über die Be¬ 
handlung der Impfpusteln, so würden solche Irapfschäden selten werden. 

Verschwärungen und Gangrän können sich aus der Ueberimpfung 
schädlicher StofTe entwickeln, doch geschieht das offenbar sehr selten, eher 
gesellen sich solche Erscheinungen zu den Anfangs normalen Pusteln hinzu, 
entweder als Folgen des Imports schädlicher StofTe in die geborstenen Pusteln 
oder als eine Wirkung latent in der Haut schlummernder Keime. Selten 
handelt es sich um gehäufte Fälle. Aus Osthavelland wird berichtet, dass 
dort im Jahre 1884 während einer Scharlach-und Diphtheritis-Epidemie Impf¬ 
termine gehalten wurden. Es erkrankten nun von den um diese Zeit dort 
geimpften Kindern mehrere an dieser Krankheit, viele andere Impflinge 
(in einem Dorfe die Hälfte aller Geimpften) bekamen nur lebhafte Ent¬ 
zündung an der Impfstelle mehrfach mit Geschwürsbildung, aber ohne All¬ 
gemeinerkrankung am Scharlach, und 2 Kinder starben. 

Im Jahre 1883 sind in Deutschland an Verschwärung der Impfpusteln 
2 Kinder erlegen, 1884 sollen 6 daran gestorben sein, nämlich obige 2 im 
Reg.-Bez. Potsdam, Kreis Osthavelland, 3 sporadische Fälle in Sachsen, 

1 Fall in Hessen. In einzelnen Fällen Hess sich die Ursache des Unglückes 1 
ausfindig machen, so bei einem Impfling in Leipzig, dessen Schwester an 
Diphtherie krank lag. In den meisten Fällen Hess sich die Ursache nicht 
entdecken. 

Unter der Rubrik Blutvergiftung sind in Deutschland glücklicherweise 
kaum Impfschäden vorgekommen. Wenn z. B. im Jahre 1883 berichtet wird, 
dass ein vor 8 Wochen geimpftes Kind die Masern bekommt und nach 
weiterem 7 Wochen langem Krankenlager an dieser Krankheit, zu der sich 
ein Wiederwundwerden der Impfborken und Erysipel gesellte, stirbt, so dürfen 
wir das keinen Impfschaden nennen. Im Jahre 1884 sind 2 sporadische 
Fälle von Septicaemie mit. tödtlichem Ausgange beobachtet; der eine bei 
Magdeburg, der andere bei Merseburg, beide im Anschluss au die Impfung 
und von den Pusteln ausgehend. 

Im Auslande sind 2 Fälle zu trauriger Berühmtheit gelangt. Der eine 
kam anno 1874 in Italien vor in St. Quirico d’Orcia. Dort erkrankten 38 
Kinder, welche mit fauliger Lymphe geimpft worden waren. Viele starben. 
Man hatte reife Kalbspusteln ausgeschnitten und sie mit Glycerin in Foder- 
posen verschickt. Es ist anzunehmen, dass diese Sendung unterwegs ver¬ 
dorben war. 

Ein 2. Fall ist im März 1885 in Asprieres. Frankreich, vorgekomraen. 
Dort werden 42 Kinder geimpft, alle erkranken, folgenden Tages starben 
schon 6. 

Dio Untersuchung hat ergeben, dass die verhängnissvolle Impflymphe 
schon in den früheren Generationen eine schädliche Beimischung erkennen 
Hess. Die 1. Generation normal, die 2. rief starke Entzündung, die 3. Phleg¬ 
mone, die 4. sofortiges Fieber hervor. Erst die folgende 5. Generation liess 
die septischen Eigenschaften voll zur Entwickelung gelangen. Pasteur, 
dem die Lymphe zur Untersuchung gegeben, konnte keine maligne Mi¬ 
kroben aus ihr hersteilen. Die Kinder erkrankten binnen 4 — 10 Stunden, 
das Fieber dauerte bei denen, welche geheilt wurden, bis zu 4 Tagen und 
war von Erbrechen und Durchfall begleitet. Dio Gegend der Impfstiche 
röthete sich intensiv, secernirte stark, und es entstand schliesslich eine von 
der Impfstelle ausgehende Impetigo. Dieser Fall illustrirt die Sorglosigkeit, 
mit der früher, wie zum Theil noch jetzt, mit der Vaccine verfahren wurde. 

_ _ (Schluss folgt.) 

XVI. Therapeutische Mitteilungen. 

Znr „Wirkung des Chinins beim gesunden Menschen.“ 

Von Hugo Schulz in Greifswald. 

In No. 43, p. 889 dieser Wochenschrift hat Klein Wächter meine 
Arbeit über die Wirkung des Chinins beim gesunden Menschen einer ebenso 
eingehenden als sachgemässen Besprechung unterzogen. Es ist für den Autor 
ein angenehmes Gefühl, wenn er aus dem Referat über seine Arbeit sofort 
erkennen kann, dass der Referent sie wirklich gründlich gelesen hat. Zu 
Ende seines Berichtes äussert nun Kleinwächter Bedenken hinsichtlich 
des bei meinen Versuchen betheiligt gewesenen „Materials“. Mir wäre es 
selbst angenehmer gewesen, wenn ich die Beobachtung auf weitere Kreise 
hätte ausdehnen können, und ich zweifle nicht daran, dass die Resultate noch 
deutlicher ausgefallen wären, hätte mir für die Versuche nach Klein- 
wächter’s Vorschlag eine grössere Anzahl unter möglichst gleichen äusseren 
Lebensbedingungen stehender Individuen zur Verfügung gestanden. Das war 
und ist aber unter den hiesigen Verhältnissen einmal nicht der Fall. 

Die Frage: Kann Chinin, in täglichen Dosen von 0,01 — 0,02 etwa 
4 Wochen laug genommen, in der Tliat dio von 10 älteren Studirenden der 
Medicin beobachteten und von mir geschilderten Symptome und Verände¬ 
rungen im Befinden sonst gesunder Menschen hervorrufen? nimmt, wie ich 
annehme, das Interesso eines jeden Arztes in Anspruch. Mir liegt vor allen 
Dingen daran, in dieser Frage die Wahrheit festzustellen, und so erlaube 
ich mir denn in dieser Angelegenheit an die Leser dieser Wochenschrift fol¬ 
gende Bitte zu richten: 

Jeder, der sich für die in Rede stehende Frage interessirt 
und geneigt ist, Eigenes darüber zu eruiren und so zu ihrer 
weiteren Klärung beizutragen, möge 4 Wochen lang täglich 
0,01—0,02 Chinin nehmen und mir die in dieser Zeit beobach¬ 
teten Veränderungen des Befindens zur Verfügung stellen. Ich 
werde dieselben nachdem insgesammt veröffentlichen und an 
der Hand des so gewonnenen, hoffentlich recht reichlichen Ma¬ 
terials die Frage definitiv zu klären versuchen, das Resultat 
mag ausfallen, wie es will. 

Für diejenigen Herren Collegen, die geneigt sein sollten, mich in dieser 
für die Arzneiwirkungslehre hochwichtigen Frage durch eigene Beobachtungen 


zu unterstützen, erlaube ich mir noch folgende kurze Bemerkung: Das Chinin 
wird als Chiuinum hydrochloricum in Alkohol 2,0:100,0, pro dosi 10 bis 
20 Tropfen =0,01—0,02 Chin. hydrochloric. oder mit Zucker als Pulver in 
entsprechender Dosirung dispensirt. Die Aufnahme des Chinins geschieht 
Morgens kurz vor dem Frühstück und Abends zwischen 6 und 7 Uhr. Soll 
pro die 1 cg eingenommen werden, so werden Morgens und Abends je 
5 Tropfen der — für diese Versuche besonders bequemen — alkoholischen 
Lösung in Wasser genommen, oder die Pulver entsprechend getheilt. Nach 
8 bis 14 Tagen wird, wenn mit 1 Centigrammdosen begonnen wurde, die 
doppelte Dosis genommen. Eisenpräparate dürfen während der Zeit, in 
welcher das Chinin eingeführt wird, selbstverständlich nicht gebraucht werden. 
— Es wird mir eine grosse Genugthuung sein, wenn mein Vorschlag bei 
den Herren Collegen Anklang finden sollte, im Interesse der Sache spreche 
ich schon hier Jedem, der sich der Mühe eigener Beobachtung unterziehen 
will, meinen besten Dank aus. 


— Hirsch hat in 11 Fällen snbentane Antipyrininjectionen an 

Stelle von Morphin benutzt, bei rheumatischen Gelenkschmerzen, Muskel¬ 
schmerzen aus gleichem Anlass, bei Neuralgieen, gastrischen Krisen, Angina 
pectoris. Durch diese Injectionen sind die Schmerzen rasch verschwunden. 
Injicirt wurde eine volle Pravaz’scbe Spritze einer 50o/oigen Lösung. Nach 
der Injection muss die Nadel mit 5o/ 0 Carbollösung sorgfältig gewaschen 
werden, damit sie sich nicht verstopft. 

— Wirkung des Antipyrins auf die ZBhne. Zu den unangenehmen 
Nebenwirkungen des Antipyrins gehört nach Dr. Galippe Schwärzung der 
Zähne, die bei internem Gebrauch des Mittels bisw'eilen eintritt. Dr. Ga¬ 
lippe, ein Zahnarzt, vermag über diese Erscheinung keine wissenschaftliche 
Aufklärung zu geben, er fand, dass die Zähne um so rascher schwarz werden, 
je mehr sie ihren Schmelz verloren haben. Die Schwärzung ist jedoch vor¬ 
übergehend und durch Reiben der Zähne mit sauerstoffhaltigem 'Wasser zu 
beseitigen. (Lancet October 20. 1888.) 

— Bei einer Choleraepidemie in Japan 1879 wandte Dr. Theobald 
0. Palin häufig Inhalationen von Amylnltrit mit grossem Erfolge an. Die 
Hautgefässe sollen dadurch erweitert, und die Congestion nach den Einge- 
weiden dadurch vermindert werden. 

— Ueher Vergiftung dnreb Amylnltrit berichtet Roesen (Central¬ 
blatt. für klinische Medicin No. 43, 1888) und hebt hervor, dass in dem von 
ihm beobachteten Falle die alleinigen Folgen des Genusses von nahezu 
12 —15 g waren: Magenkatarrh, leichte Anätzung der Schleimhäute, welche 
das Präparat passirt hatte, eine leichte Affection des Centralnervensysteras 
und etwas beschleunigte Herzthätigkeit. Das Mittel war dem Patienten, der 
an Epilepsie litt, zur Coupirung des erwarteten Anfalls in der üblichen Dosis 
zum Inhaliren verschrieben worden. Der Anfall ist mit dem Genüsse der 
obengenannten Quantität neben den genannten Erscheinungen coupirt worden; 
es blieb bei der Aura und einer fast momentanen Bewusstlosigkeit. Danach 
hat sich eine kräftige Gabe Amylnitrit vom Magen aus nur wenig giftig er¬ 
wiesen, und dio Coupirung des erwarteten Anfalls dürfte angethan sein, zu 
weiteren und ausgiebigen Versuchen mit innerer Darreichung des Medica- 
ments in geeigneten Fällen zu ermuntern. 

— Nitroglycerin bei Epilepsie. William Osler berichtet 
(Journal of Nervous and Mental Disease) über seine Erfahrungen 
mit dem genannten Mittel. Es wurde bei Epilepsie zuerst von Dr. Weir- 
Mitchell und Hammond angewendet. Sie haben in passenden Fällen 
gute Erfolge gesehen. Osler hat es in 19 Fällen angewendet, in 13 dieser 
Fälle waren heftige epileptische Anfalle vorhanden, 6 waren Fälle von 
petit-mal mit gelegentlichen Convulsionen. Osler wandte es in l°/o-Lösung 
(3 mal täglich 0,3 g) oder in Pillen zu 0,0006 g, täglich 2—3 Pillen, an. 
Die richtige Dose ist auszuprobiren, Gefühl von Glühen im Gesicht, Völle 
im Kopf und eine angenehme Wärme über den Körper zeigen an, 
dass die richtige Dose erreicht ist. Bei manchen Patienten genügen 1 bis 
2 Pillen, um das zu erzeugen, bei anderen erst 6 — 8. Als Nebenerschei¬ 
nungen wurden einmal Kopfschmerz und Gefühl von Schwindel beobachtet. 
Es wurde in den 19 Fällen 6 Wochen bis 6 Monate angewandt, in 6 Fällen 
von grosser Epilepsie und dreien von petit-mal verringerte sich danach 
die Zahl der Anfälle, die Wirkung trat nach 8 — 10 Tagen ein. In einigen 
Fällen, in denen es zuerst vortrefflich zu wirken schien, Hess die Wirkung 
nach, es musste nach 1 - 2 Monaten verlassen werden. In allen Fällen 
war die Wirkung nicht anhaltend, ein Patient blieb zwei Monate lang frei. 
Im Ganzen sind Osler’s Erfahrungen nicht sehr ermuthigend. Wo die 
Bromide keinen Erfolg haben oder ihre Wirksamkeit zu verlieren anfangen, 
kann das Nitroglycerin mit Vortheil gebraucht werden. Vom Natr. nitros. 
sah Osler nur geringe Wirkung. 

XVÜ. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Den Geh. Medicinalräthen Proff. v. Bergmann und 
Gerhardt wird seitens der Studentenschaft der Berliner Universität eine 
Ovation dargebracht werden. Der Ausschuss der Studirenden hat beschlossen, 
den beiden hochverehrten Lehrern vor ihren Wohnungen eine Wagenauffahrt 
zu veranstalten. 

— Dem Geh. Medicinalrath und Direktor der Universitäts-Frauenklinik, 
Prof. Dr. Olshausen ist das Kreuz der Ritter des Hausordeus von Hohen- 
zollem verliehen worden. 

— Der Privatdocent der Kinderheilkunde Dr. Ad. Baginsky ist zum 
Mitglied der Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen Acaderaie der Natur¬ 
forscher in Halle ernannt worden. 

— Prof. Dr. Brieger, der langjährige Assistent von Frerichs und 
Leyden, hat eine Poliklinik für innere Krankheiten in der Elsasserstr. 27 
eröffnet. 

— Am 24. v. Mts. fand im Ministerium der geistlichen, Unter¬ 
richts- und Medicinalangelegenheiten die erste gemeinschaftliche Sitzung der 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


916 


Wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen und der 
zwölf von den Aerztekammern zu diesem Behuf delegirten ausserordent¬ 
lichen Mitglieder statt. Auf der Tagesordnung der Sitzung befanden sich 
l) die Berathung der Grundsätze, deren Beachtuug bei Anordnungen der 
Verwaltung zur Verhütung einer gemeinschädlichen Verunreinigung öffent¬ 
licher Wasserläufe vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege für 
erforderlich erachtet wird, 2) die Erörterung der sogen. Schularztfrage. .Die 
Zuziehung der Aerztekammern zu den Sitzungen der Wissenschaftlichen De¬ 
putation hat den Anstoss zu einer neuen Geschäftsanweisung gegeben, die 
Stellung und Aufgaben der Deputation in folgender Weise festsetzt: 

§ 1. Die Wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen ist eine 
berathende wissenschaftliche Behörde. Sie hat die Aufgabe, der Medicinal- 
verwaltung für ihre Zwecke die Benutzung der zu jeder gegebenen Zeit 
durch die Entwickelung der medicinischen Wissenschaft gelieferten Ergeb¬ 
nisse zu erleichtern und als oberste sachverständige Fachbehörde in gericht¬ 
lich medicinischen Angelegenheiten thätig zu sein. 

Die Wissenschaftliche Deputation hat demgemäss 

1. Ueber alle ihr vom Minister der Medicinalangelegenheitcn zur Begut¬ 
achtung vorgelegten Verhandlungen, Vorschläge oder Fragen sich vom Stand¬ 
punkt der medicinischen Wissenschaft zu äussern, und insbesondere die vom 
Minister ihr auf Ersuchen der Gerichtsbehörden aufgetragenen gerichtlich- 
medicinischen Obergutachten zu erstatten; 

2. Aus eigenem Antrieb dem Minister der Medicinalangelegenheitcn 
Vorschläge zur Abstellung von Mängeln zu machen, welche nach 
ihrer Ansicht bei vorhandenen Einrichtungeu für die Zwecke der öffentlichen 
Gesundheitspflege bestehen, auch neue Maassnahmen in Anregung zu 
bringen, welche ihr geeignet erscheinen, die Zwecke der Medicinalverwal- 
tung zu fördern. 

§ 2. Ausserdem hat die Wissenschaftliche Deputation die Prüfungen 
der Aerzte behufs Erlangung der Befähigung zur Anstellung als Medicinal- 
beamte gemäss den bestehenden Vorschriften auszuführen. 

Die Deputation besteht nach § 3 aus einem Direktor, den ordentlichen 
und ausserodentlichcn Mitgliedern, ferner dürfen „zu einzelnen Berathungen 
nach erfolgter Genehmigung des Ministers von dem Direktor besondere 
Sachverständige (Gelehrte, Techniker) hinzugezogen werden, von deren 
Betheiligung eine förderliche Information der Deputation über den zur Be¬ 
rathung stehenden Gegenstand zu erwarten ist.“ Der Zusammentritt der 
„erweiterten“ Deputation ist nach § 11 der Geschäftsordnung jedes Jahr ein¬ 
mal in Aussicht genommen. 

— Dr. A. Steinbach’s Formulare zur Geschäfts- und Buch¬ 
führung des praktischen Arztes im Verlage von Georg Tliieme in 
Leipzig haben in den weitesten ärztlichen Kreisen wohlverdiente Ver¬ 
breitung gefunden. Vornehmlich verdienen es die Pultmappe und die Kranken¬ 
besuch» Listen, nicht minder die heigelegten Krankenbeobachtungs-Forraulare 
(Formulare für Temperaturcurven etc., Skizzen zum Einzeichnen von Tu¬ 
moren etc.), in den Händen jedes Praktikers zu sein, weil dieselben in der 
zweckentsprechendsten Weise den Bedürfnissen der Aerzte Rechnung tragen und 
wohl geeignet sind, nach der wirtschaftlichen Seite eine umständliche 
und zeitraubende Buchführung zu beseitigen und nach der wissenschaft¬ 
lichen durch die Krankenbeobachtungsformulaie für die Feststellung des 
Krankheitsverlaufes, für die zweckmässige Sammlung der behandelten Fälle 
wiederum zeitraubende Notizen für das Krankenjournal zu sparen. 

— Vom Index medicus, dem bekannten amerikanischen bibliogra¬ 
phischen Sammelwerk, ist das neunte Heft des X. Bandes erschienen. Dass 
dasselbe alle Vorzüge der bisher erschienenen Lieferungen theilt, bedarf 
kaum eines besonderen Hinweises. 

— Der Congress der Vereinigten Staaten von Nordamerika hat die 
Errichtung einer Quarantainestation in San Francisco beschlossen, um 
die Einschleppung von Infectionskrankheiten, so der Cholera, die jüngst in 
Hongkong gewüthet hat, und der Blattern, die nicht seifen an Bord chinesi¬ 
scher Auswandererschiffe herrschen, zu verhindern. 

— Den Aerzten in Elsass-Lothringen ist eine Verfügung zugegaugeu, 
wonach sie sich in Zukunft bei ihren Ordinationen der lateinischen oder 
deutschen Sprache zu bedienen haben. Der Gebrauch der französischen 
Sprache ist nur ausnahmsweise in Gegenden mit specifisch französischer Be¬ 
völkerung gestattet. 

— Gefahren dos Hypnotismus von Dr.Verneuil. (La clinique de 
Bruxelles 1. März 1888). Es handelt sich um eine Beobachtung bei einem 
16—17jährigen Mädchen, zu welcher Vcrneuil im November vorigen Jahres 
gerufen wurde. Sie weinte fortwährend, schrie und gesticulirte dabei und 
stiess unzusammenhängende Worte aus. Schliesslich war sie in Schlummer 
verfallen mit völliger Erschlaffung der Glieder, als Dr.Verneuil hinzukam 
seit etwa 3 ;i Stunden. Seit 14 Tagen war sie in ihrem Wesen verändert. 
Verfasser brachte schliesslich heraus, dass sie vor einiger Zeit von einem 
Studenten der Medicin in Schlaf versetzt worden war, der gewohnheits- 
mässig seine Bekannten hypnotisirte. Bei diesem jungen Mädchen war es 
erst in der zweiteu Sitzung gelungen, sie einzuschläfern. Durch Anblasen 
der Bulbi wurde sie von Dr. Verneuil wieder erweckt. Nach einigen 
Augenblicken verfiel sie wieder in Schlummer, der ebenso beendigt wurde. 
Eine Kri>e trat in Folge eines Besuches einer gleichfalls oft hypnotisirton 
Freundin ein. Bei Gelegenheit neuer Anfälle verfiel die Kranke wieder in 
den Zustand der Lethargie, einmal ( 0 Stunden lang. Sie erwachte von 
Zeit zu Zeit und nahm dann Nahrung zu sich, sie behielt seitdem eine 
Anästhesie der rechten Seite. Die Heilung hielt 8 Tage an, dann bekam 
sie Blutbrechen und Dyspnoe, Symptome, die auf Anwendung von Bromkali 
wieder verschwanden. Verneuil sieht diese Erscheinungen als direkte 
Folgen der Hypnose an, das Mädchen hatte bis dahin nicht die geringsten 
Erscheinungen von Hysterie dargeboten. Auch Verneuil gehört zu den 
zahlreichen Aerzten, die mit Recht verlangen, dass hypnotische Versuche 
ausserhalb des medicinischen Unterrichts und der ärztlichen Behandlung 
verboten werden. Auch bei einem 12jährigen Mädchen, das wegen Inconti¬ 


nentia urinae hypnotisirt wurde, um durch Suggestion die Krankheit zu 
heilen, wurde 2—3 Stunden nach der zweiten Sitzung ein heftiger hysteri¬ 
scher Anfall beobachtet, während anscheinend das Kind vorher niemals 
ähnliche Anfälle gehabt hat. 

— G. H. Roger in Paris hat an Kaninchen Versuche angestellt über 
den angeblichen Antagonismus gewisser Gifte. Roger hat gefunden, 
dass in gewissen Mischungen jede darin enthaltene Substanz entsprechend 
ihrem toxischen Aequivalent wirkt, wie wenn man jede isolirt injicirt* 
(Morphin und KCl). Meistens wirken die Gifte combinirt, und ihre speci- 
fischen Giftwirkungen addiren sich (Morphin und Atropin, Chinin uni 
Morphin, Atropin und Chinin). Mitunter ist die Mischung aber auch giftiger 
als die Summe der Componenten ergeben würde (Chinin und Kaliumchlorid 
Die mit den vier Substanzen erzielten Resultate gestatten nicht, einen 
toxischen Antagonismus odor Neutralisation eines Giftes durch das ander>- 
anzunehmen. Die Gifte wurden den Thieron stets in eine Raudveue des 
Ohrs injicirt. — Im Gegensatz zu den obigen Ergebnissen von Roger be¬ 
richtete Mr. Chouppe, iu derselben Sitzung der Societe de Biologie, das? 
nach Versuchen, die er austollte, Hunde, denen or mehr als die kleinste 
tödliche Dose Strychnin intravenös injicirte, stets am Leben blieben, wenn 
er vorher auf demselben Woge eine starke Dosis Autipyrin oiugeführt hatt>\ 
Ist das Thier bereits dem Strychnismus verfallen, so kann man durch ein* 1 
stärkere Dosis Autipyrin die Stacht der Couvulsiouen verringern und häufig 
das Thier vom Tode retten. Gloiches gilt vom Nicotin und Autifebrin, aber 
nicht vom Nicotin und Autipyrin. Mit Chloral und Autipyrin konnte 
Chouppe auch den Tod »trychniuisirter Meerschweinchen verhindern. Diese 
Wirkungen sind nach Ch. denkbar, ohne dass man gerade einen Antagonismus 
der Toxicität zweier Substanzen annehmen müsse. 

— Der Schritt in den verschiedenen europäischen Armeen. 
Nach einem Bericht des preussischeu Kriegsministeriums beträgt die Länge 
des Soldatenschritts in der deutschen Armee 80 cm, iu der französischen, 
österreichischen, belgischen, schweizerischen und schwedischen Armee 75 cm. 
in der russischen 71 cm. Nach derselben Statistik macht der deutsche Soldat 
in einer Minute 115 Schritte, der italienische 120, der französische 112—116. 
der österreichische 112, der belgische 110. Endlich legt im gleichen Zeit¬ 
raum ein italienisches Regiment 90 in, ein deutsches 89, ein französisches 86. 
ein englisches 84 m zurück. (Revue gen. de clinique und Prov. medicale.! 

— Dr. G. Laudien (Kissingen) wird diesen Winter in Nervi prakti- 
zireu, nachdem derselbe zwei Jahre in Pegli als Arzt thätig war. Derselbe 
bittet uns, mitzutheilen, dass lediglich die Wohnungsfrage den Ortswechsel 
veranlasst hat, und ersucht die CoIIegen, keine Rückschlüsse auf den Curort 
Pegli zu ziehen, den er seiner höheren relativen Feuchtigkeit wegen für 
manche Patienten höher schätzt, als die anderen Gurorte der Riviera. 

— Cholera. In Calcutta gelangten während der vier Wochen vom 
29. Juli bis 25. August d. J. 36 Todesfälle an der Cholera zur amtlichen 
Konntniss, 6 weniger als durchschnittlich in dem entsprechenden Zeitraum 
der letzten 5 Jahre, und 17 weniger als in den unmittelbar vorhergegangenen 
vier Wochen des Monat Juli. Vom 26. August bis zum 8. September d. J. 
wurden 18 Choleratodesfälle gemeldet. 

— Universitäten. Giessen. Prof. Himstedt, vom Polytechnikum 
iu Darmstadt ist an Stelle des nach Würzburg übergesiedelton Prof. Rönt¬ 
gen zum ordentlichen Professor der Physik ernannt. — St. Petersburg. 
Der ciniritirte Professor der Physiologie an der med.-Chirurg. Akademie. 
Geh.-Rath I)r. A. Zagorski. ist im 81. Lebensjahre gestorben. — Der Professor 
der Chirurgie an der militär-medicinischen Akademie, Geheimrath Bogda- 
uowsky, ist gestorben. — New-York. Dr. Thomas Sabine, Professor 
der Anatomie am College of Physicians and Surgeons ist gestorben. 

XVm. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem Krois-Physikus, seitherigen Direktor der Prov.- 
Hebammen-Lehranstait, Geh. San.-Rath Dr. Wachs zu Wittenberg den Kgl. 
Kronen-Orden III. CI. zu verleihen, sowie dem San.-Rath Dr. Cohn zu Wies¬ 
baden und dem dirig. Arzte der Maison de sante zu Schöneberg, Dr. Jastro- 
witz zu Berlin zur Anlegung des Kgl. russischen St Annen-Ordens III. Ci 
die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen. — Ernennung: Der Krei?- 
Physikus Dr. Zimmermann in Lübon ist aus dem Kreise Lüben in den 
Kreis Kalbe mit dem Wohnsitz in Schönebeck versetzt worden. — Nieder¬ 
lassungen: Die Aerzte: Dr. Besser in Steinau a. 0, Stein in Nieder- 
Wüstegiersdorf, Dr. Claus in Bettenhausen, I)r. Wonderoth in Alien¬ 
dorf a- 0., Dr. Harttung in Fritzlar. — Verzogen sind: Die Aerzte: 
Dr. Laser von Marggrabowa und Ob.-Stabsarzt Dr. Schueler von Pliesen- 
burg nach Lyck, Dr. Zepler von Conradswaldau nach Brieg, Dr. Sachs 
von Brieg nach Breslau, Ob.-Stabsarzt Dr. Schultze von Halle nach Militsch. 
Dr. Klinke von Breslau nach Leubus, Dr. Weber von Görbersdorf nach 
Breslau, v. Gostkowsky von Gehrde, Dr. Herz von Kassel nach Betten¬ 
hausen, Dr. Ruckert von Wolfhagen uach Stade, Dr. Jorcs von Hückes¬ 
wagen nach Kastellaun, Dr. Oskar Müller von Eisenach nach Treffurt. — 
Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Aron in Nieder-Wüstegiersdorf. 
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Hackermann in Greifswald. 


2. Baden. (Aerztl. Mitth. a. Bad.) Ernennungen: Bez.-A. J. G. 
Schüler in Säckingen zum Bez.-A. in Wiesloch. Badearzt E. Jäger- 
schiuid in Petersthal z. Bez.-A. iu Säckingen. — Niederlassungen: 
Die prakt. Aerzte W. Springer in Möhringen, Dr. M. Dressier und 
Dr. A. Elsässer in Karlsruhe, Dr. K. Besser in Badenweiler, Dr. A. 
Brinkmann in Pforzheim. — Verzogen: Med.-R. Dr. v. Pochhamraer 
von Gernsbach nach Oppenau, Arzt Billig von Malsch nach Karlsruhe 
Dr. Scheid von Neckarbischofsheim, Dr. Ott von Badenweiler, Dr. Al. 
Fischer von Baden. 


Gedruckt bei Julia* Sittenfeld ln Berlin W. 


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Donnerstag 


JW4L& 


8. November 1888. 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des Ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Rodactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Th lerne, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Herzkrankheiten bei Tabes. 1 ) 

Von Prof. E. Leyden. 

l>ie Demonstration, welche ich in der Tagesordnung angekündigt 
habe, bezieht sich auf einen Fall von Tabes dorsalis mit Herzkrank¬ 
heit. welcher zur Autopsie gekommen ist. sodass nicht allein die 
Diagnose, die ja nicht schwer ist, vollkommen sichergestellt wurde, 
sondern dass wir auch an den Befund der Autopsie einige Reflexionen 
und Prüfungen über das Verhältnis dieser beiden Krankheiteu zu 
einander auknüpfeu dürfen: ich hoffe, dass es von einigem Interesse 
sein wird, diese Prüfungen hier vor der Gesellschaft vorzutragen. 

Das Zusammentreffen von Tabes mit Herzkrankheiten ist ein 
nicht gar häufiges, und erst seit einigen Jahren ist die Aufmerk¬ 
samkeit auf dies Verhältnis gelenkt worden. Bisher haben sich 
nur wenige Autoren an dieser Frage betheiligt. Das Verhältnis 
zwischen Tabes und Herzkrankheit schliesst sich an eine Reihe sehr 
manniehfaltiger analoger Symptome an, welche die Tabes begleiten. 
Diese häufigste und bekannteste Rückenmarkskrankheit bietet eine so 
ausserordentliche Mannichfaltigkeit der Symptome dar, dass, trotzdem 
sie schon lange studirt und bekannt ist, immer noch neue sympto¬ 
matische Bereicherungen gewonnen werden können. Namentlich 
haben in den letzten Jahreu die sogenannten visceralen Com- 
plicationen der Tabes ein lebhaftes allseitiges luteresse erregt, ge¬ 
rade durch die Besonderheit und die ausserordentliche Mannichfal¬ 
tigkeit der sie begleitenden Symptome. Die visceralen C'omplicationen 
sind Erscheinungen, welche die verschiedenen Provinzen der Einge¬ 
weide betreffen, also Organe, welche zunächst mit dem typischen 
Kraukheitsbilde und mit dem anatomischen Befunde der Tabes gar- 
nicht in einem offenkundigen Zusammenhänge stehen. 

Die erste Gruppe derartiger Erscheinungen, welche bekannt 
wurde, sind die Anfälle von Erbrechen, die von Charcot als 
Crises gastriques beschrieben und jetzt allgemein bekannt sind. 
Gharcot erkannte zuerst deu Zusammenhang zwischen dieseu 
Crises gastriques und dem Processe der Tabes. Es finden sich 
allerdings auch schou iu früheren Krankengeschichten die betref¬ 
fenden Symptome angegeben, ich selbst habe schon einen solchen 
Fall gesehen, als ich meine erste Arbeit über die graue Degeneration 
der hinteren Rückenmarkstränge schrieb, ich weiss noch recht gut, 
dass mir der Fall damals Kopfzerbrechen machte; aber der Zusammen¬ 
hang zwischen diesen-Anfällen von Erbrechen mit der Tabes ist erst von 
Charcot erkannt und durch eine Reibe von Beobachtungen fest¬ 
gestellt worden. Später ist die Sache dann vielfach bestätigt, nud 
heute besteht kein Zweifel über den Zusammenhang der Symptome. 
An die Crises gastriques schliessen sich noch andere Erscheinungen 
des Intestinalcanals an, intestinale Crisen, auf die ich hier nicht 
weiter eingeheu will. 

Nun lassen aber auch die anderen Eingeweide eine ähnliche 
Betheiligung an dem Krankheitsbilde der Tabes erkennen. Der 
Respirationsapparat ist betheiligt durch Laryngokrisen und Bronchio- 
krisen. Der Harnapparat durch Nierenkrisen und solche, welche 
den Blasenhals betreffen. Mit dem Ausdruck Krisen werden schmerz¬ 
hafte oder krampfartige Anfälle bezeichnet, wie sie in Bezug auf 
die gastrischen Krisen allgemein bekannt sind. 

Endlich schliessen sich noch die Symptome von Seiten des 
Herzens an. Von diesen Symptomen, welche mit der Tabes in 
Zusammenhang zu bringeu sind, ist am spätesten etwas bekannt 
geworden; Charcot machte darauf aufmerksam, dass bei der Tabes 

') Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 


in der Regel eine erhöhte Pulsfrequenz beobachtet wird. Diese Er- 
höhnng der Pulsfrequenz ist eine dauernde und hat also mit Krisen, 
mit Anfällen nichts zu thun. 

Vor einigen Jahren haben Berger und Rosenbach eine Reihe 
von Beobachtungen initgetheilt, auf die ich sogleich näher eingehen 
will, weil der vorliegende Fall sich darauf bezieht. Ich selbst habe 
dann vor nicht langer Zeit (im Jahre 1887) einen kleinen Aufsatz 
j über die Herzaffectionen bei Tabes veröffentlicht, den ich in einigen 
Exemplaren herumgebe. In diesem habe ich drei Formen von Herz¬ 
affectionen unterschieden, erstens die erhöhte Pulsfrequenz, zweitens 
jene Klappenfehler, die zuerst von Berger und Rosenbach mitge- 
| theilt sind, und endlich Anfälle von Angina pectoris. Diese letztere 
i Affection besteht in schmerzhaften Anfällen in der Herzgegend, sehr 
analog den Anfällen von typischer Angina pectoris, verbunden mit 
eiuem mehr oder minder ausgesprochenen Angstgefühl. Diese Anfälle 
sind zuweilen ausserordentlich stark und führen sogar zu Ohnmächten, 
wodurch die Analogie mit dem Symptomencoraplex der Angina pectoris 
noch vollständiger wird. Ich habe einen Fall gesehen, der letal endete, 
und einen anderen der mit sehr schweren Symptomen verlief, beide 
habe ich 1. c. mitgetheilt. Da beide Fälle relativ jugendliche In¬ 
dividuen betreffen, von denen übrigens der eine mir sehr bekannt 
und noch am Leben ist, so ist kein Zweifel, dass es sich hier nicht 
um die arteriosklerotische Angina pectoris handelt, sondern um 
eine Form, die der Tabes dorsalis eigenthümlich ist. Diese Angina 
pectoris ist also das vollständigste Analogon der Krisen, d. h. 
sie stellt Anfälle von neurotischen Symptomen vor, welche mit 
mehr oder minder grosser Heftigkeit anftreten und durch freie 
Intervalle getrennt sind. Mit grosser Wahrscheinlichkeit darf man 
diese Anfälle von Angina pectoris bei Tabes auf eine Betheiligung der 
cardialen Aeste des N. vagus beziehen, analog der Betheiligung an¬ 
derer sensibler und sympathischer Nervenbahnen bei Tabes. 
Dr. Grödel in Nauheim, welcher kürzlich ebenfalls einen kurzen 
Aufsatz über die Herzaffection der Tabes veröffentlicht hat 1 ), schliesst 
sich meiner Deutung an. 

Ich gehe nun auf diejenige Form näher ein, welche hier zur 
Demonstration kommen soll. Rosenbach und Berger haben in der 
Berliner klinischen Wochenschrift (1879) eine kurze, aber sehr in- 
i teressante und anregende Publication gegeben. Sie berichten über 
7 Fälle von ausgesprochener Tabes mit ausgesprochenen Symptomen 
der Insufficienz der Aortenklappen. Ohne dass sie gerade eine 
ganz bestimmte Deutimg geben, zeigen sie sich doch geneigt, beide 
Affectionen in Zusammenhang zu bringen, weil es sich bei allen 
untersuchten Tabischen stets um denselben Klappenfehler, Insuffi¬ 
cienz der Aortenklappen, gehandelt hat, und die gewöhnliche Aetiolo- 
gie (Gelenkrheumatismus) nicht vorlag. Unter diesen Patienten 
| waren fünf weibliche und nur zwei männliche. Weitere Erfahrungen 
j können erst entscheiden, welche von beiden Erkrankungen die Basis 
I für die andere abgiebt. Die Autoren sind also geneigt, eine gewisse 
Beziehung zwischen Tabes nud Insufficienz der Aortenklappen au- 
zunehmen. Die Basis für dieseu Zusammenhang könnte gefunden 
werden in sogenannten trophischen Erscheinungen, welche ja auch 
bei der Tabes Vorkommen, und welche ebenfalls ein grosses Inter¬ 
esse haben. Die trophischen Erscheinungen der Tabes sind erstens 
Atrophieen der Muskeln, dann die Ihnen gewiss sehr bekannten 
I Geleukaffectiouen, Arthropathieen. Es kommen auch Ulcus perforans 
I pedis, es kommen Ausschläge u. s. w. vor, nicht sehr exquisite, aber 
doch mannichfaltige Symptome, welche als trophische gedeutet wer- 

') Deutsche liied. Wochenschrift 1888, No. 20. 


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918 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


den und welche alle auf einen schrumpfenden atrophischen Process 
hinauszulaufen scheinen. Es ist also die Combination, wie ich 
durchaus gern anerkenne, eine geistreiche und überraschende, 
welche die Frage hiustellt, ob nicht im Zusammenhang mit der 
Tabes auch an den Klappen analoge trophische Processe vor sich 
gehen könnten, welche zu einem Herzfehler führen. Wenn man 
dies auch gern anerkennt, so muss man andererseits sagen, dass 
ein derartiger Vorgang in anderen ähnlichen Krankheiten noch gar 
keine Analogie findet, und wenn man wieder in Betracht zieht, dass 
sowohl die Tabes wie die Insufficienz der Aortenklappen relativ 
häufige Krankheiten sind, und zwar Krankheiten im mittleren Alter, 
so kann es nicht gerade sehr überraschen, dass zuweilen Herzkrank¬ 
heiten und Tabes zusammen Vorkommen, ohne dass man einen in¬ 
neren Zusammenhang anzunehmen berechtigt ist. 

Es muss noch hervorgehoben werden, dass die Insufficienz der 
Aortenklappen nicht der einzige Klappenfehler ist, der bei Tabes 
vorkommt. Von französischen Autoren sind auch Mitralfehler be¬ 
obachtet worden. Dieser Einwand würde freilich wenig bedeuten, 
weil man sagen könnte: die anderen, die Mitralfehler, rechne ich 
nicht zu den trophischen, sondern nur die Aortenfehler. Es muss 
auch anerkannt werden, dass eine relativ grössere Anzahl von Herz¬ 
krankheiten bei Tabes beobachtet sind ohne die gewöhnlichen Ur¬ 
sachen, namentlich ohne vorangegangenen Gelenkrheumatismus, ohne 
Ueberanstrengung u. dgl. Aber gerade die Insufficienz der Aorten¬ 
klappen kommt schon bei beginnender Arteriosklerose vor; demnach 
würde sich die Frage so stellen, ob sich durch Autopsie wahr¬ 
scheinlich machen lässt, dass die Insufficienz der Aortenklappen auf 
einem arteriosklerotischen Process beruht oder nicht. Wenn das 
Ergebniss der Autopsie ganz negativ wäre, so würde die Combination 
der Herren Berger und Rosenbach mehr an thatsfichlicher Basis 
gewinnen. Ich füge gleich hinzu, dass ein Fall natürlich nach keiner 
Seite hin etwas entscheiden würde; aber ich glaube, dass die Frage, 
die von Berger und Rosenbach angeregt ist, doch nur durch 
Autopsieen und Prüfung der Befunde gelöst werden kann. 

In dem vorliegenden Falle war ich intra vitam nicht abgeneigt, 
die Insufficienz der Aortenklappen als eine trophische (dystrophische) 
anzusehen; denn die Patientin, welche den Symptomencomplex dar¬ 
bot, hatte weder Gelenkrheumatismus überstanden, noch bot sie 
irgend ein Symptom, welches mit Bestimmtheit auf Arteriosklerose 
schliessen liess. Freilich wissen wir, dass die sklerotischen Processe 
gerade an den Aortenklappen ohne anderweitige Arteriosklerose Vor¬ 
kommen können. Ich will nun die kurze Krankengeschichte vor¬ 
lesen. 

Patientin, eine 48jährige Nähterin (ccp. 28. November 1887, + 5. Ja¬ 
nuar 1888), hatte vor 12 Jahren zum ersten Mal rheumatische Schmerzen 
am Oberschenkel, welche seither nie ganz verschwanden, zeitweise nachliessen 
und exacerbirten. Pat. weiss keine Ursache anzugeben, sie hat gute Wohnung 
gehabt, nicht Noth gelitten, ihre Arbeit bestand im Maschinennähen. Seit 
2 Jahren wurde ihr das Gehen schwerer, besonders beim Treppensteigen 
bekam sie Herzklopfen und Luftbeschwerden. Vor 1 Jahr wurde sie in einer 
Klinik wegen Rheumatismus 3 mal wöchentlich elektrisirt: ohne Erfolg. Seit¬ 
dem blieb sie fast immer zu Hause und betrieb die Hauswirthschaft, weil 
ihr jede Bewegung schwer wurde. Wegen Steigerung der Luftbeschwerden 
kam sie zur Charitö. 

Status praesens: Ziemlich grosse, stark gebaute Frau, mässig fett, 
schlaffe Muskulatur, starke Dyspnoe, Pat. sitzt meistentheils, Lippen blass, 
cyanotisch. Oedema pedum. Puls 100, celer et altus, Rad. art. nicht rigide, 
Hüpfen der Carotiden. Spitzenstoss im 5. Intercostalraum breit und hoch. 
Man hört an der Herzspitze ein langes, ziemlich laut und rauh klingendes (diasto¬ 
lisches) Geräusch, keinen Ton. Ueber der Basis der Aorta diastolisches 
Geräusch. In der Carotis systolisches Geräusch, kein diastolischer Ton. 
Tönen der Cruralis. 

Ueber den Lungen vesiculäres Athmen, nur in den hinteren unteren 
Partieen kleinblasiges trockenes Rasseln. 

Das Nervensystem betreffend, so ist eine deutliche Coordinationsstörung 
nicht zu constatiren. Der Gang ist unsicher, schwerfällig und schleppend. 
Die Sinnesorgane intact. Pupillen von mittlerer Weite, reflectorische Pu¬ 
pillenstarre. Herumziehende Schmerzen, gegenwärtig am lebhaftesten in der 
rechten Hand; an dieser ist auch das Gefühl für die Lage herabgesetzt. 
Kniephänomene fehlen beiderseits. 

Autopsie 7. Januar 1888 (Herr Dr. Langerhans): Herz stark ver- 
grössert, beide Ventrikel dilatirt und hypertrophisch, besonders der linke. Die 
Aortenklappen etwas verdickt und retrahirt, besonders die Schliessungs¬ 
linien. Papillarmuskeln dünn, schlaff, die Trabekel platt, z Th. bindegewebig. 

Die Aorta dicht über den Klappen ist weit, die Intima am Aortabogen 
verdickt, vielfach in Fettmetamorphose begriffen und atheromatös verändert. 
Nieren gross, von derber Consistenz. 

Das Rückenmark zeigt bei makroskopischer Betrachtung wenig Auffälliges. 
Die Arachnoidea an der hinteren Fläche des Rückenmarks ist stark verdickt, 
die nintersträngo sehen nicht rein weiss aus. Die etwas grau erscheinenden 
Theile liegen in der oberen Partie des Rückenmarks peripherisch, im Lenden¬ 
mark mehr central. 

Wenn ich mit ein paar kritischen Bemerkungen auf diesen Fall 
eingehe, so ergiebt die kurze Krankengeschichte mit genügender 
Sicherheit, dass die ersten Symptome der Tabes bereits seit 12 Jahren 
bestellen, ohne bis zu einem erheblichen Grade fortgeschritten zu sein. 


Die Patientin hat nur Schwäche in den Beinen, sie hat Pupillen¬ 
starre, am stärksten afficirt sind die oberen Extremitäten, dort sind 
die Schmerzen am heftigsten, in der rechten Hand besteht Anaesthesie 
und leichte Coordinationsstörung. Bei dieser Patientin also findet 
sich gleichzeitig eine evidente Insufficienz der Aortenklappen. Die 
Symptome sind klar: Dilatation, diastolisches Geräusch, Pulsus celer 
u. 8. w. Nun ist es in der That bemerkenswert!!: wie kommt die 
Patientin zu dieser Insufficienz? Arteriosklerose war nicht nachweis¬ 
bar. Patientin ist Nähterin, hat Maschine genäht, sie hat aber keine 
schwere Arbeit geleistet, ohne besonderen Grund stellte sich bei ihr 
in den letzten Jahren eine allmählich zunehmende Kurzathmigkeit 
ein. Wenn man in Betracht zieht, dass der Halstheil am stärksten 
vom tabischen Process inficirt war, so konnte man sich wohl die 
Frage vorlegen: Haben wir nicht die Insufficienz auf trophische 
Symptome zurückzuführen? Ich war auf die Autopsie also sehr ge¬ 
spannt; nach dem Sectionsbefund bin ich jedoch der Meinung, dass 
es sich dennoch um einen arteriosklerotischen Process handelt, dass 
die Vorgefundenen Symptome nicht trophische, sondern arterioskle¬ 
rotische sind. Das Herz ist stark dilatirt, und an mehreren Stellen 
sind fibröse Degenerationen vorhanden. Die Klappen zeigen verhältniss- 
mässig wenig Erkrankung, nur Verdickung der Schliessungsränder, 
aber am deutlichsten ist die Arteriosklerose am Anfangstheil der Aorta, 
dieser ist dilatirt, und, wie ich vorgelesen habe, deutlich mit skle¬ 
rotischen Flecken durchsetzt. Es wird nicht möglich sein, diese 
Arteriosklerose am Anfangstheil der Aorta für eine dystrophische 
zu erklären, sondern ich glaube, dass dieser Fall zu Gunsten der An¬ 
sicht spricht, die ich auch in meinem Aufsatz über Tabes in der En- 
cyklopädie von Eulenburg ausgesprochen habe und der sich auch 
Herr Grödel angeschlossen hat: dass wir nicht berechtigt sind, die 
Klappenfehler bei Tabes als einen Effect des tabischen Processes anzu¬ 
sehen, sondern dass die bisher vorliegenden Thatsachen den Schluss 
rechtfertigen, dass es sich um eine zufällige Complication mit Arterio¬ 
sklerose handelt. Wenn die Herren Berger und Rosenbach auch 
noch auf die Möglichkeit eines umgekehrten ätiologischen Verhältnisses 
hiuzuweisen scheinen, dass die Arteriosklerose an der Tabes Schuld 
sein könnte, so würde ich dafür noch weniger ein thatsächliches 
Fundament sehen. Aber wenn ich mit den Herren auch nicht über¬ 
einstimme, so verkenne ich nicht, dass sie sich mit der Anregung 
der interessanten Frage ein Verdienst erworben haben. 

Ich habe auch noch mikroskopische Präparate von der Tabes mit- 
gebracht, welche Herr cand. med. Bein nach den Weigert’schen Me¬ 
thoden angefertigt hat. Sie bieten zwar nicht etwas Besonderes, sind 
aber sehr gut gelungen: sie lassen erkennen, dass der Tabesprocess 
schon ziemlich weit fortgeschritten ist, dass sich eine ziemlich starke 
Degeneration in den Hintersträngen zeigt, obgleich die Patientin 
noch kaum eine deutliche Coordinationsstörung darbot: sie ging h® 
Zimmer vollständig gut umher. 


II. Aus der medicinischen Klinik des Herrn Prof. Rieg^ 

in Giessen. 

Ein Beitrag zur Kenntniss der Herzneurosen. 

Von Dr. G. Honigmann, Assistenzarzt. 

So reichhaltig auch die physiologischen Erfahrungen über die 
iueinandergreifenden Beziehungen der Herzinnervation sind, so haben 
doch die seither gemachten klinischen Beobachtungen über die 
Störungen dieser Vorgänge im Einzelnen noch soviel Lücken für die 
Erklärung übrig gelassen, dass es im Interesse einer später zusammen- 
zustellenden Klinik der Herzneurosen dankbar erscheint, das castu- 
stische Material um jeden einzelnen Fall zu bereichern, der für die 
Beurtheilung derselben einige neue oder auch nur die Bestätigung 
früher gewonnener Gesichtspunkte bringt. Aus diesem Grunde dürtte 
es nicht überflüssig erscheinen, einen hierher gehörigen, in der hiesigen 
Klinik beobachteten Fall genauer zu berichten. Derselbe gehört in 
das Gebiet der sogenannten „paroxysmalen Tachycardie un 
hat ein besonderes Interesse wegen der gleichzeitig damit verbunde¬ 
nen Störung der Athmungsinnervation. .. 

Der Patient, ein 31 jähriger Bauer aus dem Westerwald, giebt an, ^ 
auf eine im 13. Jahre überstandene Lungenentzündung in seiner Jugen 
erkrankt gewesen zu sein. In seinem 23. Lebensjahre litt er “ iehrei 2. n]0j 
nate an einer nach seiner Schilderung zweifellos als Gelenkrbeuma s ^ 
aufzufassenden Erkrankung, in deren Begleitung sich gleich im An taug ^ 
scheinungen von Seiten des Herzens geltend machten, meist in Ges ^ 
Herzklopfen. An den genaueren zeitlichen Verlauf derselben weisä ^ 
nicht mehr sicher zu erinnern; nur betont er mit Bestimmtheit, d 
seitdem ausserordentlich häufig bei ihm Anfälle von Herzklopfen . Q . 
haben, die, ohne mit wirklicher Athemuoth verbunden zu sein, stets ein 
thümliches Gefühl von Beklemmung und Benommenheit des Kopt® 3 ^ 
riefen. Patient wurde selbst darauf aufmerksam, dass seine ru 8 ge j tc | fin 
derartigen Zuständen eine ungewöhnliche Höhe aufwies. ffew esen 

verflossenen 8 Jahren will er nicht eine Woche frei von AnfHllen ^ 
sein. Er war mehrfach in ärztlicher Behandlung und hat narb 


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8. November. 


DEUTSCHE MEDlClNlSCfiE WOCHENSCHRIFT. 


919 


brauch von Digitalis gewöhnlich für einige Zeit hinsichtlich der Häufigkeit 
und Stärke der Anfälle Milderung verspürt, in der letzten Zeit auch nicht 
mehr. Die Anfälle kamen und gingen ohne äussere Ursachen, Patient glaubt 
sie oft durch Tieflagerung des Kopfes unterdrückt zu haben. Anschwellungen 
der Glieder, Bluthusten und dergleichen waren nie vorhanden. — In den 
letzten Tagen vor der Aufnahme kamen die Anfälle besonders häufig. 

Als der Kranke, von dem diese Anamnese sich erst später im Zu¬ 
sammenhang eruiren Hess, zum ersten Male kurz nach seiner Aufnahme 
untersucht wurde, war an ihm nur ein Herzfehler festzustellen, und zwar eine 
ziemlich gut compensirte Insufficienz der Mitralklappe. — Der etwas blasse 
und schmächtige, aber im Ganzen gut gebaute Mann sah nicht besonders 
cyanotisch aus. Der Herzspitzenstoss war im 6. Intercostalraum jenseits der 
Mamillarlinie deutlich sichtbar, die Herzdämpfung reichte von der 4. bis 
6. Rippe, nach rechts etwas über den linken Sternalrand, nach links bis zur 
Stelle des Herzshoks. Die Herzaction regelmässig, nicht besonders be¬ 
schleunigt, an der Herzspitze war ein scharf einsetzendes systolisches Ge¬ 
räusch zu hören, das mit einem klappenden Ton schloss, der 2. Pulmonalton 
accentuirt. Der Puls voll, mässig gut gespannt; an den Lungen nichts be¬ 
sonderes, ebensowenig an den Abdominalorganen und Extremitäten. — Als 
nach noch nicht einer Stunde der Kranke von Herrn Professor Riegel unter¬ 
sucht wurde, war das Bild ganz verändert; er sah cyanotischer aus, die 
Herzthätigkeit war äusserst beschleunigt, 160 Schläge in der Minute, bei 
der Auscultation Hess sich nur ein einziges acustisches Phänomen, ein 
dumpfes kurzes Rauschen, wahrnehmen, der Puls klein, schlaff, leicht unter¬ 
drückbar. 

Dieser eigenthümliche Wechsel der Erscheinungen war für uns um so 
bedeutungsvoller, als der Kranke, welcher aus äusseren Gründen an diesem 
Abend nicht noch einmal untersucht werden konnte, bis zum nächsten Mor¬ 
gen eine äusserst reichhaltige Diurese aufwies. Am nächsten Tage befand 
er sich, so oft eine Untersuchung vorgenommen wurde, in dem Zustande 
stark beschleunigter Herzaction. Dabei war keine subjective Dyspnoe oder 
Beschleunigung der Athmungsfrequenz vorhanden, nur ein eigenthümliches 
beklemmendes Gefühl und leichte Cyanose. Gegen Abend dieses Tages 
steigerte sich die Pulsfrequenz unvermittelt zu abnormer Höhe, über 210 
Schläge, an der Radialis war nur ein Schwirren, keine Pulserhebung mehr 
fühlbar, in der Herzgegend bestand starkes Schmerzgefühl. Allmählich kam 
es hier auch zu wirklichem Lufthunger, Pat. wurde blau, die Extremitäten 
kühl, kurz, er bot das Bild eines erheblichen „Herzcollapses“, so dass 
die stärksten Excitantien gereicht wurden. Allmählich verlor sich die 
Dyspnoe, der Puls blieb aber zunächst noch abnorm hoch zwischen 150 
und 160. 

Ein wirklicher Wechsel in der Herzthätigkeit konnte von uns erst wieder 
3 Tage nach seiner Aufnahme wahrgenommen werden, nachdem er am 
zweiten und dritten Tage je 0,5 Pulv. Digitalis genommen hatte. Nun 
zeigte sich bald eine völlig normale Frequenz der Herzpulsationen, von 
68—96 schwankend, bei vollem, gut gespanntem Pulse: bald trat ohne 
irgend welche Ursache eine Vermehrung der Schlagzahl um das Doppelte 
und Dreifache ein. Den unvermittelten Eintritt dieser eigentümlichen 
Steigerung konnte ich bisweilen selbst beobachten. Einmal hatte ich bei 
der Visite die Herzgrenzen percutirt, den Puls mit 92 Schlägen gezählt, 
als in dem Moment, da ich das Hörrohr auf die Herzspitze setzte, die 
Pulszahl auf 164 Schläge stieg. — Die Anfälle dauerten 1 bis 2 Stunden, 
bisweilen länger, bisweilen auch kürzer; so unvermittelt sie kamen, so 
plötzlich hörten sie auch gewöhnlich auf; sehr oft gelang es, anfänglich 
fast immer, durch Druck auf den rechten Vagus, seltener auf den linken, 
die abnorm gesteigerte Zahl der Herzschläge auf das normale Maass herab 
zu drücken und damit den Anfall 
zu unterbrechen. Die anfallsfreie 
Zeit währte dann gewöhnlich nicht 
kürzer, wie wenn die Paroxysmen 
von selbst aufbürten. Während 
desselben hatte Pat. jenes eigen¬ 
thümliche, von Dyspnoe stets 
scharf unterschiedene Beklem¬ 
mungsgefühl ; in dem Moment, w r o 
der Anfall entweder von selbst 
oder durch Vaguscompression auf¬ 
hörte, spürte er jedesmal ein Hitze¬ 
gefühl im Kopf, und sofort nahm 
sein Gesicht einen veränderten 
Ausdruck an, das den Uebergang 
aus dem psychischen Unbehagen 
in den Normalzustand deutlich 
spiegelte. Von den während ver¬ 
schiedener Zeiten von mir auf¬ 
genommenen Spbygmogramiuen, 
möchte ich nur zur Illustration der 
Anfälle einige Curven beizufügen 
mir erlauben. 

Figur 1 und 2 sind an dem¬ 
selben Tage aufgenommen; 1 um 
2 Vs Uhr während des tachycardi- 
schen Anfalles bei 164 Pulsen, 2 
bei 68 Pulsen um 5 Uhr Nach¬ 
mittags. — Figur 3 stellt die Wir¬ 
kung der Vaguscompression dar. 

Bei dem Zeichen (f) wurde der 
Vagus comprimirt, entsprechend dem erfolgenden momentanen Herzstillstand 
sinkt die Curve während einiger Zeitmomente unter die Abscisse und erhebt 
sich dann, entsprechend dem verlangsamten, vollen Puls. Die zweite Curve 
in Figur 3 ist sofort nach der ersten aufgenommen, ist also als direkte Fort¬ 
setzung derselben aufzufassen. 


Bei allen Anfällen bot nun das Verhalten der Lungen bemerkenswerthe 
Erscheinungen dar. Bei den zuerst beobachteten Anfällen war es uns auf¬ 
gefallen, dass während derselben die Lungen einen deutlichen Tiefstand 
zeigten, rechts bis zum unteren Rand der 7., links bis fast zur 5. Rippe in 
der Papillarlinie. Im Hinblick auf die früher von Riegel gemachten, weiter 
unten citirten Erfahrungen richteten wir daher unsere Aufmerksamkeit darauf, 
ob in den anfallsfreien Zeiten sich die Lungen ebenso verhalten würden. 
Zur Bestimmung hierfür hielten wir uns mehr an die Grenzpercussion 
der rechten Lunge, weil bei der gleichzeitigen Herzvergrösserung die Ab¬ 
grenzung des linken Lungenrandes sich weniger scharf vornehmen Hess. Es 
wurde nun ausnahmslos festgestellt, dass in den Zeiten normaler Herzthätig¬ 
keit die Lungenränder stets in die normalen Grenzen zurückgegangen waren. 
Da es sehr vom Zufall abhing, gerade im Moment eines entstehenden An¬ 
falls zugegen zu sein, war es natürlich nicht immer möglich, das allmähliche 
Herabtreten der Ränder festzustellen, stets aber war der Unterschied zwischeu 
dem Zwerchfellstand im gewöhnlichen und herzbeschleunigten Zustand sehr 
augenfällig, er bewegte sich zwischen dem unteren Rand der 6. Rippe einer¬ 
seits und dem unteren Rand der 8. Rippe andererseits. Die Veränderungen 
bedurften bis zu ihrer Vollendung gewöhnlich mehrerer Minuten. 

Sonstige Lähmungs- oder Reizerscheinungen fehlten bei dem Kranken 
vöUig, die Stimme war unverändert, es bestand kein Husten, keine bronchi- 
tischen Geräusche, der Magen wies keine Veränderungen auf. Die Tempe¬ 
ratur war stets normal. 

In den ersten 8—10 Tagen nach Darreichung der Digitalis schienen 
die Anf älle seltener und von kürzerer Dauer zu sein, die Diurese war 
immer sehr reichlich, das subjective Befinden in den anfallsfreien Zeiten 
sehr gut. 

Aus der Krankengeschichte möchte ich zur Orientirung noch einige 
Notizen herausgreifen: 

28. Juli (14 Tage nach der Aufnahme). Den ganzen Nachmittag über 
erhöhte Pulsfrequenz, Tiefstand des Zwerchfells, rechts: unterer Rand der 
7. Rippe. Vaguscompression mehrmals ohne Erfolg versucht. Einige Male 
Aufhören des Anfalls von selbst. 

29. Juli. Sehr unruhige Nacht, während derselben fortwährend hohe 
Pulsbeschleunigung. Früh 160 Pulse. Rechte Lunge bis zum oberen Rand 
der 8. Rippe. Starkes Unbehagen. Nach Compression des rechten Vagus 
Unterbrechung des Anfalls, Puls 64. Nach */« Stunde steht der rechte 
Lungenrand am unteren Rand der 6. Rippe. Nach 2'/s Stunde neuer Anfall 
mit eben solchem Tiefstand, derselbe wurde durch Vagusdruck aufgehoben. 

31. Juli. Den Tag über Wechsel zwischen normaler und beschleunigter 
Herzthätigkeit in gewöhnlicher Weise. Abends wurde Patient in der medici- 
nischen Gesellschaft vorgestellt, wobei die Pulszahl 160 durch Compression 
nioht vermindert wurde. */* Stunde später, als Patient sich zu Bett legte, 
steigerte sich der Anfall. Patient wird sehr cyanotisch, hat starke, zu¬ 
nehmende Athomnoth, Respiration beschleunigt, Rasseln beim Athmen hörbar. 
Starker Schmerz in der Herzgegend. Herzaction regelmässig, über 
210 Schläge, Puls schwirrend. Herzstoss deutlich sichtbar. Dämpfung un¬ 
verändert, auscultatorisch nur ein kurzes dumpfes Geräusch wahrzunebmen. 
Starke Herzangst. Rechter Lungenrand am unteren Rand der 8. Rippe. 
Vaguscompression ruft nur auf Secunden Pulsverlangsamung hervor, sofort 
darauf tritt wieder der alte Zustand ein. Nach '/* Stunde Nachlass der Er¬ 
scheinungen, besonders der Dyspnoe, Gefühl eines gewöhnlichen Anfalls. 

In den nächsten Tagen wurden wieder, aber nicht mehr so starke An¬ 
falle beobachtet, zum Theil wurden sie vom Kranken selbst durch die all¬ 
mählich gelernte Vaguscompression unterdrückt. Oft genug blieb der Erfolg 

der Compression aus oder hielt 
nur auf Viertelstunden vor. Digi¬ 
talis, Strophanthus, Coffein erwie¬ 
sen sich als wirkungslos. Nach 
einigen Tagen verlässt Patient die 
Klinik, in der er sich nicht län¬ 
ger halten lässt. 

Für die Beurtheilung des 
Falles sind folgende 3 Punkte 
wichtig: 

1. Es bestand ein Herz¬ 
fehler. 

2. Es bestand anfallsweise 
auftretendePulsbeschleunigung 
(paroxysmale Tachycardie). 

3. Gleichzeitig mit den 
Anfällen wurde Tiefstand des 
Zwerchfells beobachtet, der in 
den anfallsfreien Zeiten ver¬ 
schwand. 

Der zuerst genannte Um¬ 
stand bietet für die Erklärung 
der Erscheinungen allerdings 
gar keine Handhabe. Dass ein 
Herzfehler bei dem Pat. be¬ 
stand, ist sicher, er hatte alle 
Zeichen der reinen Mitralin- 
sufficienz; nach der Anamnese 
des im Ganzen recht intelli¬ 
genten Kranken war auch anzunehmen, dass der Herzfehler vor 
8 Jahren im Anschluss an einen Gelenkrheumatismus sich bildete, 
und gleichzeitig damit die tachycardischen Anfälle auftraten. Aus- 
zuschliessen ist daher nicht, dass zwischen beiden, zwischen den 



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920 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


Anfällen und dem Herzfehler, irgend eine genetische Beziehung 
besteht; in welcher Weise, ist allerdings nicht einmal der Hypothese 
zugänglich zu vermuthen. — Keinesfalls aber lässt sich an einen 
causalen Zusammenhang zwischen beiden im Sinne einer direkten, 
durch den Herzfehler bedingten Störung denken, da die Herzactiou 
im Zustande der Compensation bei einem.Mitralfehler unter nor¬ 
malen Verhältnissen nie derartige Pulszahlen aufweist. Vermehrun¬ 
gen der Frequenz sind nur ein Symptom der Unzulänglichkeit des 
Herzmuskels, dann aber auch ein beständiges, das sich gewöhnlich 
auch mit Störungen des Herzrhythmus verknöpft. Bei compensirten 
Herzfehlern ist eine derartige Pulsfrequenz nur unter der Einwirkung 
grosser Anforderungen und Anstrengungen für das Herz denkbar. 
Beide Momente passen für unseren Fall nicht im Mindesten. Hier 
wechselten die hohen Zahlen des stets regelmässigen Pulses mit den 
gewöhnlichen unvermittelt ab, gleichviel ob bei Ruhe oder Bewegung 
des Kranken. 

Es ergiebt sich hieraus, dass die Anfälle, gleich ähnlichen, von 
anderer Seite früher publicirten, direkt durch eine selbstständige 
Störung der Herzinnervation entstanden sein müssen. 

Die speciellere Frage, ob bei solchen und ähnlichen Formen 
es sich um eine Lähmung der hemmenden Vagusfasern oder um 
eiue Reizung der Beschleunigungsnerven handelt, ist in letzter Zeit 
auf Grund des vorliegenden Beobachtungsmaterials von Nothnagel 1 ) 
dahin beantwortet worden, dass sowohl die eine wie die andere 
Ursache dafür verantwortlich gemacht werden könne. — Für die 
erstere, die Vagusläbraung, spreche im Einzelfalle sehr hohe 
Pulsfrequenz bei ganz regelmässiger Schlagfolge und sehr schwachem 
Herzirapuls, das Fehlen anderweitiger Symptome, bezw. wenn die¬ 
selben erst als Folge der ungenügenden Herzentleerung eintreten, 
schliesslich das Vorhandensein anderer Lähmungen im Gebiete des 
Vagus — für Reizung der Accelerantes kräftiger Herzimpuls, 
gute Füllung und Spannung der peripheren Arterien und ausge¬ 
sprochene andere Reizerscheinungen seitens vasomotorischer Nerven¬ 
bahnen im Anfall. 

Auch unser Fall muss, wenn auch nicht alle der oben er¬ 
wähnten Merkzeichen auf ihn passen, in den Rahmen der Vagus¬ 
lähmungen eingefügt werden. Die Höhe der Pulszahlen, die zeit¬ 
weise 200 überschritten, genügen wohl allein, um eine Reizung der 
Beschleunigungsnerven bei intactem Vagus auszuschliessen, bei wel¬ 
cher nach den physiologischen Erfahrungen die Beschleunigung der 
Herzthätigkeit sich in den Grenzen zwischen 30 und 70% bewegt,' 2 ) 
also in Zahlen, jenseits deren erst die von uns beobachteten liegen. 
Auch der Umstand, dass nach dem zuerst von Czermak 3 ) am 
Menschen angewendeten Verfahren Druck auf einen der beiden Vagi, 
also ein starker Vagusreiz, den Anfall so und so oft unterbrach, 
weist darauf hin, dass dieselben durch einen Nachlass im Vagus¬ 
tonus entstauden, dass der Sitz ihrer Ursache in einem Theil dieses 
Nerven zu suchen sei. Hier aber ist auch der Punkt, bis zu dem 
unsere diagnostischen Erwägungen gehen dürfen, jede weitere An- 
gahme, welcher Vagus, welcher Theil desselben, ob der periphere 
Stamm oder das Vaguscentrum diesen „Sitz der Erkrankung“ bildet, 
liegt bereits zu sehr im Bereich der Hypothese; um so mehr, als 
in unserem Falle weder der Recurrens, noch sonst welche Fasern 
vom Vagus oder Accessorius gleichzeitig mit den Herzfasern desselben 
ergriffen schienen. 

Dagegen wirft ein Umstand, wenn auch nicht gerade auf die 
Localisation der Erkrankung, so doch auf ihre sonstige Beurtheilung 
einiges Licht; es ist dies die zu dritt genannte Thatsache, dass gleich¬ 
zeitig mit dem Anfall ein Tiefstand des Zwerchfells einherging. Das 
was wir zusammen mit jedem Anfall an den Lungen zu beobachten 
Gelegenheit hatteu, kann nur als eine acute Lungenb'lähung 
bezeichnet werden. Gelang es uns auch nicht so prompt, wie im Be¬ 
ginn eines bronchialasthmatischen Anfalls, innerhalb weniger Minuten 
die Lungenränder bis an den Rippenbogen herabsteigen zu sehen, 
so waren doch die Differenzen zwischen dem Zwerchfell im 
Anfall und kurz nach seiuem Aufhören so in die Augen springend 
und so ständig, dass sie nur in Zusammenhang mit dem Anfall 
selbst gebracht werden konnten. In dieser Hinsicht bildet unser 
Fall, wie schon obeu angedeutet, ein Seitenstück zu den bereits früher 
von Riegel in Köln und in der hiesigen Klinik beobachteten und 
von seinen früheren Assistenten Tuczek 4 ) uud Kredel"’) veröffent¬ 
lichten Fällen, in denen sich gleichzeitig Tachycardie mit acuter 
Lungenblähung vorfand. In der vor und seit diesen Publicationen 
erschienenen, nicht mehr so spärlichen Literatur der -paroxysmalen 

’) Wiener med. Blätter 1887, 1—3. 

a ) Aubert in Hermann’s Handbuch der Physiologie IV, 1, p. 390. 

J ) Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaften 18G5, 
f>. 384. 

4 ) Deutsches Archiv Bd. XXI. 

n ) Ibidem Bd. XXX. 


Tachycardie“ haben wir dasselbe Verhalten nur in zwei Fällen 
bei Gerhardt 1 ) und Langer' 2 ) angegeben gefunden, in fast allen 
anderen war der „Lungenbefund normal“, oder es bestanden katarr¬ 
halische Bronchialaffectionen, gelegentlich auch Lungenödem oder 
hämorrhagischer Infarct. Eine Angabe, ob der Zwerchfellstand nor¬ 
mal war, findet sich bis auf diese Ausnahmen nirgends. Bei der 
Wichtigkeit der Beziehungen zwischen Herz und Athmungsinncr- 
vation, die zur Erkenntniss der meisten als Angina pectoris und 
Cardialasthma benannten Erscheinungen von nicht zu unterschätzen¬ 
dem Werth sind, dürfte es daher bei jedem künftigen Falle geboten 
sein, ein besonderes Augenmerk gerade auf diesen Punkt zu richten. 

Die Erklärung dieses Zusammentreffens ist von Tuczek und 
Kredel versucht worden, natürlich unter Betretung des Bodens der 
Hypothese. Diese Erklärungen beider Autoren standen damal? 
unter dem Einflüsse der Biermer'sehen Bronchialasthraatheork 
zu deren eifrigsten Verfechtern Riegel in dieser Zeit noch gehörte. 
Dieselbe fusst bekanntlich darauf, dass der asthmatische Anfall 
durch eineu Vaguskrampf hervorgerufen werde, und dass die dazu 
gehörige Lungenblähung als direkte Folge des durch den Reizzu¬ 
stand der pulmonalen Vagusfasern erzeugten Bronchialmuskelkrampfes 
aufzufassen sei. — Tuczek nahm nun an, dass dieselbe Ursache, 
vielleicht eine entzündete Bronchialdrüse, durch Druck auf den Vagu* 
sowohl eine Lähmung der Herzfasern, wie eine Erregung der Lungen- 
fasern hervorbringe. Kredel schloss sich dieser Anschauung an. 
liess aber noch einer anderen Raum. Unter Zuhülfenabme des be¬ 
kannten He ring’sehen Experimentes, dass bei Aufblähung der 
Lungen durch die Reizung der sensiblen Lungenfasern im Vagus 
reflectorisch eine Herabsetzung des Tonus im Vaguscentrum und da¬ 
durch Pulsbeschleuuigung aufträte, nahm er auch für seine Fälle 
die Möglichkeit in Anspruch, dass irgend eine schädigende Ursache, 
z. B. der Druck einer entzündeten Drüse, die motorischen Bronrhial- 
äste des Vagus reizen, dadurch secundär Lungenblähung und durch 
diese wiederum in gleicher Weise wie beim Experiment, reflectorisch 
Lähmung des Vaguscentrums, Pulsbeschleunigung entstehen könnte. 
— Die eigenen, späteren Versuche Riegel’s und Edingers, 3 ) die 
in der Absicht die Biermer’sche Theorie zu stützen unternommen 
wurden, haben jedoch gelehrt, dass eine Volumenszunahme der 
Lungen nie direkt durch Vagusreizung, sondern nur reflectorisch zu 
Stande kommen könne, und dass ihre direkte Ursache in einer 
Reizung des Phrenicus zu suchen sei, welche allerdings reflecton.^ 
durch Vagusreizung entsteht. — Ohne hier in eine Würdigung dieser 
Thatsacheu für die Erklärung des Bronchialasthmas einzugehen, die 
ja für die Beurtheilung unseres Falles keine weitere Bedeutung hat 
ist für diese die Thatsache festzuhalten, dass dieser Zwerchfells¬ 
tiefstand nur eine Folge direkter oder reflectorischer Phrenicnsreizune 
sein konnte. Dass in unserem Falle die Phrenicusreizung das pri¬ 
märe war, können wir keineswegs annehmen, dagegen spricht schou 
allein der Umstand, dass die Wirkung derselben erst deutlich siebt- 
bar wurde, wenn der tachycardische Anfall einige Zeit bestand, ab¬ 
gesehen davon, dass der Zwerchfellsnerv nie in einem Grade er¬ 
griffen war, der die Athmung nachtheilig beeinflusste, mit Ausnahme 
der beiden oben berichteten, noch später zu besprechenden mit 
Athemnoth verbundenen Anfälle. 

In Folge dessen hat die Hereinziehung des Hering’schen Ex¬ 
perimentes für unseren Fall keine Bedeutung. — Wir müssen an¬ 
nehmen, dass die Phrenicusreizung secundär eintrat, und somit er¬ 
scheint es am wahrscheinlichsten, dass sie ähnlich wie beim bron¬ 
chialasthmatischen Anfalle reflectorisch durch Vagusreizung hervor- 
gerufen wurde. Wir stehen hierbei allerdings vor der Nothwendigkei 
der Annahme, dass ein und dieselbe Ursache, sagen wir z. B. im 
Verlaufe des peripheren Vagusstammes, auf die centrifugalen kar¬ 
dialen Vagusfasern lähmend, auf die centripetalen Bahnen, dum 
die der Reflex zum Phrenicus seinen Weg nimmt, erregend wirk*- 
Dieser Erklärungsversuch, der bereits von Tuczek für seinen ra 
benutzt wurde, steht nicht unangefochten da; so haben besonn^ 
Pelizaeus 4 ) und Pröbsting 6 ) (aus Gerhardts Klinik) sich & 
gegen gewandt, wie mir scheint, mit Unrecht: denn dass die 
dialen Fasern bezw. das cardiale Centrum des Vagus ausserorden ^ 
leicht erregbar und daher auch leichter zu lähmen ist, als 3 * 
anderen, ist nicht nur eine physiologische Thatsache, sondern ei^ 
sich täglich wiederholende klinische, ja vulgäre Erfahrung. 
nügt doch die leiseste psychische Erregung, die oft nur i° 

Form eines Erinnerungsbildes oder einer Vorstellung das llewuss^ 
streift, um den Puls zu verlangsamen oder zu beschleunigen- 
um sollte da nicht ein Reiz, der stark genug ist um die Lrre, 

*) lieber einige Angioneurosen. Vnlkmanu's klin. ’ 

(Fall 4). 

V Wiener med. Wochenschrift XXXI, 1881. . ih.mr.n 

3 ) Zeitschrift für klin. Medicin; Bd. V, Heft 3. Cfr.auch \ orlian*i 
des Congresses f. inn. Med. IV. — 

4 ) Vaguslähmungen. In.-Diss. W r ürzburg 1880. 

6 ) lieber Tachycardie. In.-Diss. Dlsch. Archiv XXXI. 


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8. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 921 


veflectorisch vom Vagus auf den Phrenicus zu überpflanzeu, auch 
genügen um die cardialen Fasern zeitweise zu lähmen. Ich 
möchte als ein klinisches Analogon hierfür das von Nothnagel 1 ) 
zum Vergleich mit der Tachycardie durch Lähmung des Vagus¬ 
centrums, wenn auch nicht ganz in unserem Sinne herangezogene 
Beispiel des epileptischen Anfalls auführen. Auch bei diesem 
wird durch den gleichen schädlichen Reiz eine Lähmung und Er¬ 
regung anatomisch wenn auch nicht identischer, so doch an dieselben 
Systeme gebundener und physiologisch verschwisterter Gebiete er¬ 
zeugt, Bewusstseinspause einerseits und klonische Krämpfe der Körper¬ 
muskulatur oder ein Aequivalent andererseits. Ein grundsätzlicher 
Einwand lässt sich daher wohl gegen unsere Anschauung nicht er¬ 
heben. l'nd da durch die oben erwähnten Riegel-Edinger’schen 
Versuche die Möglichkeit eines Reflexbogens, der vom centralen 
Vagusstumpf zum Phrenicus verläuft, erwiesen ist, so hat die Hypo¬ 
these, die wir so zu sagen über die Anordnung der Störungen 
in unserem Erkrankungsfalle ausgesprochen, immerhin keinen so 
schwanken Grund. 

Dass die Anfälle gewöhnlich ohne Atheranoth eiuhergingen, be¬ 
darf demnach keiner weiteren Auseinandersetzung. So lange die 
Pulsbeschleunigung keinen so hohen Grad annahm, dass sich das 
Herz ungenügend entleeren musste, war kein Grund für eine -,car- 
diale Dyspnoe- vorhanden — und dass die Phrenicusreizung allein 
nicht zur Hervorrufung von Respirationsstörung genügt, ist durch 
die Riegel-Edinger’schen Versuche (1. c.) gezeigt worden. — Die 
beiden hier beobachteten Anfälle, bei denen wirklich Atheranoth 
und Cyanose bestanden, zeichneten sich dadurch aus, dass einmal 
die Pulszahlen ganz ungewöhnlich hoch waren, so dass der Puls 
sich gar nicht mehr fühlen liess, dass gleichzeitig ein Schmerz in 
der Herzgegend auftrat, und schliesslich, dass der grösste Tiefstand des 
Zwerchfells dabei zur Beobachtung kam, — alles Hinweise darauf, 
dass die Stärke der Schädlichkeit, die in diesem Augenblicke den 
Vagus traf, ausserordentlich gross sein musste, so gross, dass sie 
einmal den Tonus der Cardialfasern auf die kleinste Schwelle herab¬ 
drückte, dass sie auch die sensiblen Fasern ergriff und dass sie 
auch den Phrenicus stärker wie sonst reizte. — Durch die unge¬ 
nügende Herzentleeruug kam es zur Blutüberfüllung, durch die Un¬ 
beweglichkeit des Zwerchfells zur Contractionsbehindernng der 
Lungen, so dass von zwei Seiten her die Athmung arge Einbusse 
erlitt. — Worin schliesslich die Schädlichkeit bestand, welche die 
ganze Erkrankung hervorrief, lässt sich auch nicht vermuthungs- 
weise aussprecheu. Ebensowenig liess sich therapeutisch ein sicherer , 
Anhaltspunkt gewinnen. Es schien allerdings, als ob Digi¬ 
talis anfänglich auf die Häufigkeit und Stärke der Anfälle einen 
mildernden Einfluss ausübte, doch liess es uns das zweite Mal irn 
Stich. Es ist dies freilich auch eine bei Herzfehlern bisweilen zu 
machende Erfahrung, dass die Wirksamkeit der Digitalis auf den 
Kranken sich leicht abschwächt. Auch andere Mittel, wie Coffein 
und Strophauthus, blieben ohne Erfolg, ebenso die elektrische Reizung 
des Vagus am Halse oder im Präcordium. Das einzige, was am 
seltensten versagte, war der mechanische Druck auf den Vagusstaram, 
der gewöhnlich rechts vorgenomraen wurde. Aber auch er schien 
mit der Zeit seine Wirksamkeit einzubüssen. 

Herrn Prof. Riegel sage ich schliesslich für die freundliche 
l’eberlassung dieses Falles an dieser Stelle meinen aufrichtigen 
Dank. 

III. Zur Casuistik und Pathogenese der 
angeborenen Herzfehler. 2 ) 

Von I>r. med. Richard Schmaltz in Dresden. 

Die klinische Mittheilung eines Falles von angeborenem Herz¬ 
fehler. selbst wenn derselbe durch gewisse Besonderheiten ausge¬ 
zeichnet sein sollte, erscheint an sich wenig geeignet, Interesse zu 
erwecken. Die anatomischen Veränderungen, welche den Fällen 
dieser Art zu Grunde liegen, sind häufig so verwickelt, und die 
Bedingungen für das Zustandekommen diagnostisch verwerthbarer 
Erscheinungen oft so complicirter Natur, dass es bis jetzt nicht ge¬ 
lungen ist, abgerundete klinische Bilder zu abstrahiren, und dass 
eine genauere Diagnose im einzelnen Falle nicht selten unmöglich 
erscheint. 

Daher kommt es, dass das wissenschaftliche Interesse auf diesem 
Gebiete vorläufig noch wesentlich mehr dem anatomischen Theil der 1 
Forschung zugewendet ist. 

Wenn ich es dennoch wage, in dem Folgenden in Kürze einen 
Fall von Vitium cordis congenitum klinisch mitzutheilen, so geschieht 
dies, weil ich, anknüpfend an diesen Fall, auf ein Werk hinweisen 
möchte, welches, trotz seiner grossen Bedeutung für die uns be- 

l ) 1. c. 

J ) Nach einem in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden 
gehaltenen Vorträge. 


schäftigende Frage, wie mir scheint, in der bezüglichen Literatur 
noch nicht die gebührende Berücksichtigung gefunden hat. 

Es sei mir zunächst gestattet, mit Weglassung aller Neben¬ 
sachen, meinen Krankheitsfall mitzutheilen: 

lt. H.. 7j. Knabe. Die Grossmutter väterlicher Seits und der Vater 
| des Knaben hatten Herzfehler; die Mutter des Kindes, sowie 2 ältere Ge- 
| schwister sind gesund. An dem Kranken wurde schon von der Geburt an 
eine bläuliche Färbung der Lippen bemerkt. Im 14. Monat, 8 Tage nach 
der Vaccination, erkrankte derselbe, angeblich im Anschluss an einen starken 
Schnupfen, an allgemeinen Convulsionen, die 24 Stunden anhielten und eine 
vollständige Lähmung der ganzen rechten Körperhälfte zurückliessen; damals 
wurde durch einen Arzt das Vorhandensein eines Herzfehlers constatirt. Die 
Lähmung besserte sich dann allmählich, Krämpfe traten nie wieder auf. Im 
Mai d. J. konnte ich folgenden Status aufnehmen. 

Gutgenährter, körperlich seinem Alter entsprechend entwickelter Knabe; 
Intelligenz entschieden herabgesetzt, doch ist das Gedächtniss für That- 
sachen gut, und das Kind denkt in gewisser Beziehung scharf, vermag 
aber nichts zu lernen und steht im Allgemeinen auf der geistigen Ent¬ 
wickelungsstufe eines 3j. Kindes. Sprache unvollkommen, Wortschatz sehr 
klein, Satzbildung beschränkt. Auffallend ist eine grosse Neigung zu tob- 
, suchtartigen Zornesausbrüchen. 

Die gesammte Körperoberfläche, namentlich die sichtbaren Schleimhäute, 
stark cyanotisch; Lippen intensiv blauroth gefärbt. Ausgeprägte Trommel¬ 
schlägelfinger. Nirgends Oedeme. 

Im Gesicht ist ein deutliches Hängen der rechten Nasolabialfalte be¬ 
merkbar: au der Zunge starke, landkartenartige Epithelverdickungen. Zähne 
rechterseits genau bis zur Mittellinie, oben vollständig, unten fast vollständig, 
durch Caries zerstört. Starke Salivation. 

Am Halse, ausser geringer Struma, nichts Abnormes; speciell Fehlen 
abnormer Pulsationen. Venen nicht auffallend stark gefüllt. 

Thorax wohl gebildet, Herzgegend nicht vorgetrieben. Lungenbefund 
normal; bei allen heftigen Bewegungen starke Dyspnoe. 

Herz: Der Ilerzstoss ist im 5. I. Icr. in einer Ausdehnung von ca. 
3 cm deutlich hebend fühlbar, seine Mitte fällt in die Papillarlinie. 

Die relative Herzdämpfung gebt rechts 1 Finger breit über den rechten 
Sternalrand hinaus, oben bis zum oberen Rand der 3. R., links bis 1 Finger 
breit jenseits der Papillarlinie. Die absolute Dämpfung wird durch den I. 
Sternair., den oberen Rand der 4. R. und die Papillarl. begrenzt. 

Die Auscultation ergiebt über dem ganzen Herzen ein, neben dem ersten 
Ton einhergehendes, lauggezogenes, rauhes Geräusch, das bei Weitem am 
lautesten 1. v. Sternum, etwa im 2. Icr. und von hier aus gegen die 
Schulter hin fortgeleitet hörbar ist. In den Halsgefässen ist das Geräusch 
leise hörbar, aber kaum lauter, als an anderen, gleich weit vom Orte seiner 
präsumptiven Entstehung abgelegenen Stellen. — Zweiter Pulmonalton sehr 
leise; zweiter Aortenton wesentlich lauter. 

Puls regelmässig, leidlich kräftig, aber klein, 128 in der Minute (der 
Knabe bewegt sich ziemlich viel herum.) 

Figur t. 


Abdominalorgane normal, Leber und Milz nicht vergrössert. Harn 
spärlich, enthält Albumin in geringen Mengen, spec. Gew. 1,023. 

Der rechte Arm wird rechtwinklig gebeugt gebalten, mit adducirtem 
Oberarm; langsame Hebung des Oberames bis fast zur Senkrechten, sowie 
Streckung des Unterarmes ist activ und passiv möglich, nur fühlt man bei 
passiven Bewegungen einen geringen, gleichbleibenden Widerstand. 

Die Hand steht in unlösbarer, rechtwinkliger Beugecontractur. Dio 
Finger stehen theilweise, am meisten der dritte, mit der Grundphalanx dor¬ 
sal-, mit den anderen Phalangen leicht volarflectirt; an den Fingern sind 
passiv sämmtliche Bewegungen in annähernd normaler Weise ausführbar; 
die zweiten Phalangen lassen sich sogar an manchen Fingern weit dorsal- 
wärts überstrecken. Der Daumen steht in Opposition fest. Die ganze Hand 
ist kühler und stärker cyanotisch, als die linke, ihre Haut ist anscheinend 
hyperästhetisch. 

Eine genaue Messung der Knochen des rechten Armes ergiebt eine 
Verkürzung des Humerus und der Ulna um je 1 cm gegen links. Der Umfang 
des Oberarmes ist r. um 2 cm, der des Unterarmes um 1 '/9 cm kleiner als I. 

Das rechte Bein wird beim Gehen etwas steif und in kleinem Halb¬ 
kreis vorgesetzt; dabei wird der äussere Fussrand nicht ganz genügend ge¬ 
hoben, die Fussspitze kommt etwas einwärts zu stehen, aber die kleine Zehe 
schleift nicht am Boden. 

Die active Beweglichkeit scheint in allen Gelenken völlig frei zu sein, 
die passive ist es entschieden. Patellarreflexe normal. Grobe Sensibilitäts- 
Störungen sind auszuschliessen. In den Längenverhältnissen und bezüglich 
des Umfangs des Ober- und Unterschenkels finden sich analoge Differenzen 
gegen das andere Bein, wie am Arme. 

(Von einer elektrischen Untersuchung musste wegen der grossen Erreg¬ 
barkeit des Knaben abgesehen werden.) 

Ehe ich auf eine Besprechung der an dem Herzen dieses Kran¬ 
ken wahrscheinlich vorhandenen Abnormitäten eingehe, möchte ich 
nur ganz nebenbei auf gewisse, nicht uninteressante Besonderheiten 
des Falles hinweisen. 

Zunächst ist hervorzuheben, dass der Vater des Knaben und 
des ersteren Mutter Herzfehler gehabt haben (wenigstens nach der 
glaubhaften Versicherung der sehr intelligenten Angehörigen). Nun 


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922 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


ist zwar die Erblichkeit vou Herzaffectionen, zumal die Erblichkeit 
einer Disposition zu Erkrankungen des Herzens, jetzt allgemein an¬ 
erkannt; doch verdient immerhin die Thatsache Beachtung, dass 
hier im dritten Gliede, vielleicht durch Vererbung begünstigt oder 
ververanlasst, ein angeborenes Leiden dieser Art auftrat. Die 
Mutter unseres Kranken hatte vor dessen Geburt, bis zu der, übrigens 
rechtzeitig erfolgten Entbindung, an ungewöhnlich heftigem, an¬ 
geblich das Leben bedrohendem Erbrechen zu leiden; vielleicht hat 
auch dieses Moment eiuen“ Einfluss auf die Entwickelung des fötalen 
Herzens gehabt. 

Ferner verdient die bestehende, halb geheilte Hemiplegie Be¬ 
achtung. Es würde zu weit führen, wenn ich auf die Frage nach 
dem Lrsprung der Lähmung näher eingehen wollte; es wird sich 
dabei um eine Differentialdiagnose zwischeu cerebraler Kinderläh¬ 
mung und Gehirnembolie handeln, und ein Entscheid schwer zu 
treffen sein. Der bestehende Herzfehler, die Betheiligung des Fa¬ 
cialis, der Mangel motorischer Reizerscheinungen dürfte die Annahme 
einer Embolie begünstigen, während gewisse andere Einzelheiten, 
wie der Beginn mit Convulsionen, die Ueberstreckbarkeit der Fin¬ 
gerglieder vorzugsweise bei Kinderlähmung beobachtet worden sind. 

Beachtenswerth ist noch der Verlust fast sämmtlicher Zähne 
der gelähmten Seite, genau bis zur Mitte. 

Was nun das Herz anlangt, so bieten sich folgende Anhalts¬ 
punkte für die Diagnose. Wir haben eine hochgradige, von Geburt 
an bestehende Cyanose, Trommelschlägelfinger, Dyspnoe bei Anstren¬ 
gungen, leichte Stauungserscheinungen von Seiten der Nieren, und 
am Herzen die Zeichen einer geringen Dilatation und Hypertrophie 
des linken Ventrikels (vgl. v. Starck: „Die Lage des Spitzenstosses 
und die Percussion des Herzens im Kindesalter“, Arch. f. Kindhlk. IX.) 
neben einem lauten, rauhen, systolischen Geräusch, das im linken 
zweiten Icr. am lautesten gehört wird. 

Ich glaube, dass wir unter diesen Umständen berechtigt sind, 
eiuen congenitalen Herzfehler anzunehmen und die Vermuthung aus¬ 
zusprechen, dass es sich wahrscheinlich um eine Stenose des Pul- 
monalostiums handeln werde. Mit dieser Wahrscheinlichkeitsdia¬ 
gnose müssen wir uns, wie ich glaube, begnügen. Wie schwer es in 
manchen Fällen von angeborenem Herzfehler ist, eine richtige Dia¬ 
gnose zu stellen, ist bekannt und wurde schon oben erörtert; immer¬ 
hin erscheint in unserem Falle die Wahrscheinlichkeit, dass eine 
Pulmonalstenose vorliegt, ziemlich gross. Zwar verraisseu wir die 
Zeichen einer Dilatation und Hypertrophie des rechten Ventrikels, 
die eigentlich durch eine Verengerung des Pulmonalostiums postu - 
lirt wird, aber unter gewissen Voraussetzungen ist es möglich, dass 
eine concentrische Hypertrophie vorhanden ist. Wenn nämlich ein 
Defect im Vorhofseptum vorliegt, so tritt ein Theil des Blutes, wel¬ 
ches normaler Weise dem rechten Ventrikel Zuströmen müsste, direkt 
aus dem rechten in das linke Atrium über, so dass der rechte Ven¬ 
trikel weniger, als in der Norm gefüllt wird; in solchen Fällen bil¬ 
det sich bei Pulmonalstenosen eine concentrische Hypertrophie des 
rechten Ventrikels aus [Mann, 1 ) Rokitansky 2 )]. Natürlich wird 
durch eiu solches Ueberströmen von Blut aus dem rechten in den 
linken Vorhof eine Mehrbelastung des linken Ventrikels bedingt, die 
ja auch in unserem Falle in einer Dilatation und Hypertrophie 
dieser Herzkammer ihren klinischen Ausdruck gefunden hat. Ob 
ausserdem etwa noch ein Defect im Ventrikelseptum vorhanden ist 
(wie dies ja bei Pulraonalstenosen häufig vorkommt), lässt sich nicht 
entscheiden, doch fehlen dafür alle Anhaltspunkte, unter Anderem 
die Fortleitung des Geräusches in die Aorta [Scheele 3 )] u. s. w. 

Die Lehre von der Entstehung angeborener Herzfehler, die schon 
im vorigen Jahrhundert durch Senac (1749) und Morgagni (1762), 
besonders aber später durch Hunter, Meckel und Kreysig in 
grundlegender Weise bearbeitet worden ist, hat weiterhin eine Reihe 
von Wandlungeu durchgemacht, auf welche hier nicht näher einge¬ 
gangen werden kann (vgl. Rauchfuss, Die angeborenen Entwicke¬ 
lungsfehler und die Fötalkrankheiten des Herzens und der grossen 
Gefässe; Gerhardt’s Handbuch IV). Es genügt hervorzuhebeu, dass 
schon von den ersten Forschern auf diesem Gebiete die Bedeutung 
von Heramungeu oder Anomalieen der fötalen Entwickelung für das 
Zustandekommen solcher Fälle gewürdigt worden ist. 

Im Jahre 1875 erschien nuu die berühmte Abhandlung von 
C. v. Rokitansky über die Defecte der Scheidewände des Her¬ 
zens, welche in vieler Beziehung neue Gesichtspunkte eröffnete und, 
wenn ich nicht irre, bis heute die Anschauungen noch ziemlich all¬ 
gemein beherrscht. Rokitansky gründete auf eigene Untersuchun¬ 
gen an Hühnerembryouen und die dabei gewonnenen Resultate eine 
neue Theorie von dem Zustandekommen der Septumdefecte und 
ihren Zusammenhang mit anderen Entwickelungsfehlem des Herzens 

') Manu, Zwei Fälle von angeborenem Herzfehler. Jhrb. der Ges. f. 
Nat. u. Heilk. in Dresden, 1887/88. 

•) Rokitansky, Die Defecte der Scheidewände des Herzens, p. 119. 

:t ) Scheele, lieber congenitale Pulnionalstenose mit Kammerscheide- 
"andfistel. Deutsch, med. Wochenschr. 1888, No. 15. 


und der grossen Gefässe und corrigirte damit unter Anderem auch 
seine eigenen früher ausgesprochenen Ansichten nach verschiedenen 
Richtungen hin. In den letzten Jahren sind dann eine Reihe von 
Veröffentlichungen erschienen, welche ein grösseres oder kleineres 
Material bieten und der Mehrzahl nach die Ausführungen Roki- 
tansky’s zu Grunde legen. 

Es finden sich aber auch Stimmen, welche geltend machen, 
dass die Lehre Rokitansky’s nicht auf alle Fälle anwendbar 
sei. So Wichmann in einer Arbeit, betitelt „Anatomische Studien 
über angeborene Herzfehler“. 1 ) Dieser Autor theilt unter Anderem 
einen Fall mit, in welchem der Befund (Defect im „hinteren Theil 
des vorderen Septums“ bei normaler Lage der Aorta) mit der Theo¬ 
rie Rokitansky’s im Widerspruch stehe, und citirt einen gleichen 
Fall von Orth. 

Nun ist in den Jahren 1880—1885 ein Werk 2 ) erschienen, in 
welchem His die Resultate seiner Untersuchungen an menschlichen 
Embryonen niedergelegt hat; Untersuchungen, wie sie wohl noch 
nie in annähernd gleicher Weise an einem so reichen Material an.*- 
geführt worden sind. Diese Untersuchungen haben auch auf dem 
Gebiet der Entstehungsgeschichte des Herzens manches Neue erge¬ 
ben und sind deshalb für die uns beschäftigende Frage zweifellos 
von der grössten Bedeutung. 

Da nun, wie mir scheint, das eben erwähnte Werk von His 
noch nicht die Berücksichtigung gefunden hat, die ihm offenbar za- 
kommt, möchte ich mir erlauben, in Kürze die uns hauptsächlich 
interessirenden Punkte daraus zusaramenzustellen und zu erörtern, in¬ 
wiefern die in demselben niedergelegten Forschungsresultate von 
denen Rokitansky’s abweichen. 

Die Consequenzen für die ganze Anschauung von der Pathoge¬ 
nese der Entwickelungsfehler des Herzens, zu denen die Lehren 
His’ etwa führen könnten, vermag ich dabei nur anzudeuten. 

Bekanntlich stellt das Herz in den früheren Stadien seiner Ent¬ 
wickelung einen schlauchförmigen Körper dar, dessen beide Enden 
sich schleifenartig aufwärts krümmen, der Art, dass jenes Ende, 
welches den späteren Vorhöfen entspricht, hinter das Aortenende 
(Bulbustheil) zu liegen kommt. Ersteres trägt als grosse, seitliche 
Ausbuchtungen die Herzohren und ist in seinem Mittelstück mit dem 
mittleren, dem Ventrikeltheil durch den Canalis auricularis verbun¬ 
den. Im Canalis auricularis (Ohrcanal) wulstet sich die dem Herz 
innern nur locker anhaftende Endothelauskleidung vorn und hinten 
faltenartig in das Lumen vor und bildet mit der darunter liegenden 
Bindegewebsmasse die „Atrioventricularlippen“ (Lindes), welche sich 
später an der Anlage der venösen Klappensegel betheiligen, ln 
diesem Stadium haben wir also im Innern des fötalen Herzens eint 
gemeinsame Ventrikelhöhle, welche aus dem gleichfalls noch nnct- 
theilten Vorhof durch den Canalis auricularis seinen Zufluss erhält, 
und deren Inhalt durch den Bulbustheil in eine einzige Arterie 
entleert wird. 

Bis hierher stimmen die Anschauungen His’ mit denen Roki¬ 
tansky’s in den Hauptzügen, wenigstens soweit unsere Frage be¬ 
rührt wird, überein; bei der Lehre von der Bildung der Hetz- 
Scheidewände aber zeigen sich schwerwiegende Differenzen. J* 
nun gerade diese Frage von der wesentlichsten Bedeutung ist. m 1 -" 
es mir gestattet sein, etwas näher auf dieselbe einzugehen. 

Rokitansky stellt die Vorgänge bei der Entstehung des Sep¬ 
tum atriorum in folgender Weise dar: 

Am hinteren Umfang des Vorhofes (den Embryo stehend t r j- 
dacht) inserirt sich ein einfacher, gemeinschaftlicher Venensatt- 
dessen Wand in die obere Wand des Vorhofs, und zwar seine? 
Mittelstückes, übergeht. Von der Stelle, an welcher die obere um 
die linke Wand dieses Venensackes Zusammentreffen, gehen nur. 
zwei Leisten aus, von welchen die eine längs der hinteren Lan¬ 
des Vorhofs bis zur hinteren, die andere längs der oberen und vor¬ 
deren Wand bis zur vorderen Atrioventrikularlippe hinwächst; 
so, dass von dem Venensack ein täschchenartiger Theil nach Im'“ 
abgetrennt wird (die erste Anlage der Lungenvene). Die obere «lcr 
eben beschriebenen Leisten wächst dann nach unten zu aus um- 
bildet eine Art Vorhang, der auf die Mitte des Ostium veno»um 
herabhängt. Dieses Ostium hat sich inzwischen, durch eine Annähe¬ 
rung der vorderen und hinteren Atrioventrikularlippe, spaltartigy r ' 
engt und in der Mitte sogar geschlossen. Das vorhangartig» 1 ^P 
tum trifft an dieser Stelle auf und verwächst senkrecht zur quen* 
Spaltrichtung des Ostiurns mit den Atrioventrikularlippen. 

„provisorisch e Septum“ (Rokitansky) ist durch kleine Loc f 
gitterartig durchbrochen und nach links hin ausgebuchtet. 

Weiterhin wächst in das provisorische Septum von den 
selbe rahmenartig umschliessenden, oben erwähnten Leisten nei* 
masse hinein, und zwar der Art, dass sich der vordere uud hm 1 


1 ) Ref. in Schmidt’s Jahrb. No. 208, p. 194. . y ö #el, 

*) His, Anatomie menschlicher Embryonen I—HI. Leipzig, ü 

1880—85, mit 2 Atlanten. 




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8. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


923 


Tbeil dieses „Fleischrahmens“ scheerenblattartig fibereinanderschie- 
ben. Die dabei bleibende Lücke wird zunächst noch durch den 
nach links ausgebuchteten Rest des häutigen Septums ausgefüllt, 
dessen Defecte sich allmählich schliessen, bis auf einen grossen, 
halbmondförmigen vorderen Spalt, welcher bekanntlich die Coramu- 
nication beider Vorhöfe während des Fötallebens offen hält. 1 ) 

Nach His entsteht das Vorhofsseptum folgenderraaassen: 

Ungefähr in der Mitte der Vorhofsanlage drängt sich von deren 
oberer Wand eine annähernd vertical verlaufende Falte in das 
Lumen vor („Septum superius“), welche sichelförmig die obere 
Wand des Vorhofs umgreift und gegen die Atrioventrikularlippeu 
hin nach vorn und hinten ausläuft. Rechts von dieser Falte, und 
unabhängig von derselben, findet sich an der Rückwand der 
rechten Vorhofshälfte ein annähernd dreieckiges Feld, in dessen 
Bereich die Muskelwand des Herzens eine Unterbrechung zeigt. 
Diese Lücke in der Muskelwand des Herzens, die „Porta vestibuli“, 
wird nach rechts und oben zu durch die Einmüuduug des „Sinus 
reuniens“ ausgefüllt. Der Sinus reuniens nimmt seinerseits das 
Blut aus den zuleitenden Venen auf; wir brauchen hier auf diese 
Verhältnisse nicht näher einzugehen. Der übrige, nach unten und 
links von der Einmündung des Sinus reuniens gelegene Theil der 
Porta vestibuli enthält eine, aus dem Gekröse des Herzens stam¬ 
mende, bindegewebige Masse, die „Area interposita.“ Der Sinus 
reuniens schiebt nun seine Oeffnung noch weiter in den Vorhofs¬ 
raum hinein, und es stülpen sich dadurch zwei Falten in das Lu¬ 
men vor, welche durch die Umwandung der Sinusöffnung rechts 1 
und links gebildet werden. Diese Falten laufen nach unten in die 
Area interposita aus; die rechte derselben wird zur Valvula Eu- 
stachii, die linke nennt His „Valvula sinistra Vestibuli.“ 

Aus der Area interposita wächst nun einBindegewebskeil in dieVor- 
hofshöhle hinein, die „Spina vestibuli“, welcher, nach unten gegen 
den Ohrkanal hin weiter wachsend, das „Septum intermedium“ 
bildet. Die Rolle, welche das Septum intermedium im Ohrkanal 
übernimmt, werden wir weiter unten verfolgen; jetzt interessirt uns 
sein Verhalten zu der Vorhofsscheidewand. Die Spina vestibuli 
und deren Verlängerung, das Septum intermedium, ver¬ 
binden sich nämlich mit dem vorderen Schenkel des 
oben erwähnten Septum superius und constituiren mit 
demselben den vorderen Theil des Septum atriorum, die 
vordere Umrahmung des Foramen ovale. Der hintere Theil des 
Septums entsteht dadurch, dass die Valvula sinistra (die in 
die Area interposita und die Spina vestibuli auslaufende linke Rand¬ 
falte der Oeffnung des Sinus reuniens) sich nach links zu unter 
dem Septum superius durchbauscht und mit diesem an 
ihrer Rückfläche verwächst. Sie bildet dadurch die Valvula 
foraminis ovalis (His I. c. III. Es ist ausserordentlich schwierig, 
diese verwickelten Verhältnisse in so gedrängter Form klar darzu¬ 
stellen, ich hoffe aber, dass es mir gelungen ist, wenigstens die 
Hauptzüge des Vorgangs verständlich wiederzugeben). 


Figur 2. 



Schum« der 8 e p t u m b i 1 (1 u n g: Si. r. = Sinns rennieos: V. E. = V»lv. Euitachii; C. a. 
= Canalis auric; Spt. if. = Septum iuferius; Spt. i. = Septum intermedium; 8. v. = 
Spina vestibuli; V. s. = Valr. sinistra; Spt. s. -- Septum superius. 

Es ist ersichtlich, dass die Vorgänge, welche zur Bildung des 
Septum atriorum führen, nach His wesentlich complicirter sind, 
als Rokitansky sie sich dachte. Während dieser Forscher in 
einem annähernd ringförmigen System von Leisten durch Auswachsen 
einer derselben ein häutiges, provisorisches Septum entstehen lässt, 
dessen Masse später vom Rand her durch Fleisch ersetzt wird, be¬ 
theiligen sich nach His an der Septumbildung mehrere • Gebilde 
verschiedenen Ursprunges: das fleischige Septum superius, die Spina 
vestibuli und die Valvula sinistra. 


V Rokitansky 1. c. 


Am kindlichen Herzen kann man die 
Spuren der Durchbauschung der Valvula 
sinistra, vor dem hinteren Schenkel des Sep¬ 
tum superius vorbei nach links zu, noch 
deutlich erkennen. Nebenstehende Skizze 
ist nach dem Herzen eines Neugeborenen ge¬ 
zeichnet; dieselbe stellt das Septum atri¬ 
orum, vom linken Vorhof gesehen, dar. 
Man sieht hier, wie zwischen der sich vor¬ 
wölbenden Valv. for. oval. (Valvula sinistra) 
und dem fleischigen, hinteren Septum¬ 
schenkel sich ein tiefer Einschnitt findet; 
vor dem Punkt a, der an dem Präparat 
durch eine deutliche Furche markirt ist. 
liegt offenbar der Theil, welcher der, die Valvula sinistra mit 
sich führenden Spina vestibuli entspricht. Nach oben zu ist die 
Umschlagung der Valvula sinistra um das Septum superius voll¬ 
endet. 

Ich unterlasse es, zu erörtern, welche Art von Defecten des 
Vorhofsseptums durch Entwickelungshemmuug des einen oder an¬ 
deren der Bestandtheile, welche dasselbe (nach His) constituiren, 
bedingt sein können, und in welcher Richtung die Eintheiluug Ro- 
kitansky’s in Defecte des primären und solche des secundären 
Septums geändert werden muss. Derartige Untersuchungen haben 
nur dann Werth, wenn sie an der Hand eines anatomischen Mate¬ 
rials ausgeführt werden. Fälle aus der Literatur zusammenzustellen 
und in diesem Sinne zu verwerthen, würde kaum von Erfolg sein 
und jedenfalls über das Ziel hinausgehen, das ich mir bei dieser 
Arbeit gesteckt habe. 

Nur Eins möge mir gestattet sein: der Hinweis auf die von 
Rokitansky selbst in seinem Werke angeführten Fälle. 

Es ist in hohem Grade interessant, dieselben mit den von His 
gegebenen, entwickelungsgeschichtlichen Daten zusammenzuhalten, und 
es überrascht, wie leicht und ungezwungen einzelne jener Fälle 
durch diese Daten erklärt werden. Ich möchte in dieser Beziehung 
nur einen hervorheben (Fall 17, p. 50—51). Hier fand sich „an 
Stelle der Fossa ovalis eine, von einem hinten .... verflachten 
Fleischrahmen begrenzte, 21 mm Durchmesser haltende Oeffnung, 
welche in einen fast 26 mm tiefen, in den Luugenvenensack (d. h. 
linken Vorhof) .... hineinragenden Beutel führt, welcher sich 
hinten über den verflachten Fleischrahmen hin in die 
innere (linke) Wand der Vena cava asc. verläuft. . . . Am 
äussereu (rechten) Umfang des Ostium cavae asc. eine in den Lim- 
bus foss. oval. (L. Vieussenii) verlaufendes, aus 2 Lamelleu be¬ 
stehendes .... Rudiment der Eustachischen Klappe.“ (Vgl. Ro¬ 
kitansky 1. c. Fig. 16 A. u. B.) Hier ist also der Zusammenhang 
zwischen der, sackartig nach links ausgebauschten Valvula sinistra 
(His) mit der Wand des Sinus reuniens über den hinteren Schen¬ 
kel des Septum superius hinweg erhalten geblieben. 

Wir kommen jetzt zur Entstehungsgeschichte des Septum veu- 
triculoram. 

Nach Rokitansky umkreist das primitive Septum, als eine aus 
den Fleischbalken hervorragende Leiste, die innere Fläche der Ven¬ 
trikelanlage, wobei es sich hinten und vorn an die entsprechende 
Atrioventricularlippe inserirt. Vorn liegt dieses Septum an der lin¬ 
ken Seite des, nach oben gehenden gemeinsamen Arterienconus. 

Die Atrioventrikularlippen stossen über dem sichelförmigen, freien 
Rande des Septums zusammen und verwachsen in der Mitte völlig, 
hierdurch ein rechtes und linkes Ostium venosum bildend. Darun¬ 
ter bleibt eine Communication zwischen den beiden Ventrikeln, 
durch den nicht verwachsenen oberen Ausschnitt des Septum ven- 
triculi, bestehen. Im rechten Ventrikel verwächst nun die, klappenartig 
über diesen Ausschnitt herabhängende Atrioventrikularlippe längs ihrem 
freien Rande mit der rechtsseitigen Fläche des Septums von hinten 
nach vorn, und zwar derart, dass vorn eine, durch die überhängende 
Lippe zwar verdeckte, aber offene und vom linken Ventrikel aus 
ohne Weiteres zugängliche Oeffnung bleibt. Diese Oeffnung, durch 
welche jetzt das Blut der linken Kammer allein entweichen kann, 
wird später zum Aortenzugang, und zwar in folgender Weise (p. 74): 
Im Beginn des fünften Brütetages erhebt sich von der inneren 
Fläche des Truncus arteriosus communis, links und etwas hinten, 
oberhalb des Ansatzpunktes des vorderen Schenkels des Septum 
ventriculi, ein senkrecht gestellter, leistenartiger Wulst, welcher nach 
rechts und etwas nach vorn hin wächst, so dass der Truncus in 
einen vorderen, etwas links, und einen hinteren, etwas rechts gele¬ 
genen Theil gesondert wird; ersterer ist die Anlage der Arteria 
pulmonalis, letzterer die der Aorta. Dieses „Septum trunci“ hört 
unten mit einem freien Rande auf, so dass unterhalb desselben die 
Aorten- und Pulmonalis - Bahn noch nicht getrennt sind. Hier er¬ 
folgt die Trennung und zugleich die Einbeziehung der Aorta in den 
linken Ventrikel dadurch, dass sich an der rechten Seite des vor¬ 
deren Septumschenkels, da, wo das Septum trunci aufhört, ein Wulst 


Flirur 3. 



*/, der natürlichen Grösse. 


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924 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


bildet, der längs des freien unteren Randes des Septum trunci hin¬ 
wächst, die Aortenwurzel von vom und rechts her umgreift und 
sich mit dem vorderen (die Pars membranacea septi bildenden) Ende 
der Atrioventrikularlippe vereinigt, dadurch die von dieser noch offen 
gelassene Stelle im Septum schliessend. Dieses, wulstartig aus dem 
vorderen Septum hervorwachsende Gebilde wird zugleich zu der 
hinteren Wandung des Conus arteriosus dexter; Rokitansky be¬ 
zeichnet dasselbe als „hinteren Theil des vorderen Septums“. 

Die Darstellung von His weicht nun in wesentlichen Punkten 
von der Rokitansky’s ab; in kürzester Form und mit Ueber- 
gehung aller für uns unwesentlichen Dinge ist sie folgende: 

Bei Embryonen von 5 mm findet sich schon im Ventrikeltheil 
eine, durch die Schleifenbildung des Herzens entstandene, sichel¬ 
förmige, leistenartige Hervorragung, das „Septum inferius“; dasselbe 
liegt vorn der linken Seite des Conus arteriosus communis, hinten 
der rechten Seite des Conus venosus an. Ferner bildet sich durch 
Einfaltung der oberen Wand zwischen dem Conus arteriosus und 
dem Ohrcanal eine einspringende Leiste, das Septum superius. Beide 
Septen berühren einander mit ihren Enden und bilden zusammen 
ein annähernd ringförmiges Diaphragma, dessen verschiedene Theile, 
in Folge einer windschiefen Krümmung des Septum inferius, nicht 
genau in einer Ebene liegen. Es wurde vorhin erwähnt, dass aus 
der Area interposita des Vorhofes ein Bindegewebskeil, die Spina 
vestibuli, hervorwachse, welche sich über den Ohrcanal hinweg mit 
dem vorderen Theil des Vorhofsseptums vereinigt. Dieser Binde¬ 
gewebskeil lässt nun einen starken, stempelartigen Fort¬ 
satz in den Ohrcanal hineiugelangen, das Septum inter- 
medium, während sich zugleich die Wand des Ohrcanals in die 
Ventrikelhöhle einstülpt und dadurch seine Oeffnung dem Septum 
inferius ventriculi nähert. 

Nach His wird also die Trenuung des Ohrcanals in zwei ve¬ 
nöse Ostien nicht durch eine Verwachsung der Atrioventrikularlippen, 
sondern durch ein eigenes Septum eingeleitet, welches seinerseits 
vorn und hinten mit den Atrioventrikularlippen verwächst. 

Nach unten trifft das stempelartige Ende des Septum interme- 
dium auf den hinteren Theil des Septum inferius auf und bethei¬ 
ligt sich an der Trennung der Ventrikelhöhlen (vgl. 
Fig. 2.). Seine seitlichen Wülste nehmen später an der Bildung 
der venösen Klappensegel Theil. Es bleibt jetzt noch der vordere 
Theil der Oeffnung im Septum ventriculi bestehen. Derselbe wird, 
wie schon Lindes und Rokitansky fanden, zum Aortenzugang, 
und zwar schildert His den dabei stattfindenden Vorgang in fol¬ 
gender Weise: 

Im Anfangstheil des Aortenbulbus, der auch äusserlich durch 
eine Einschnürung abgesetzt ist (Fretum Halleri), bildet sich eine 
Abplattung des, dem Muskelrohr nur locker anliegenden Endothel¬ 
schlauches aus; es entstehen zwei seitliche Leisten, die einander 
entgegenwachsen und dadurch im Lumen ein hinteres und ein vor¬ 
deres Rohr trennen. Und zwar findet diese Leistenbildung in leicht 
spiraliger Richtung statt, so dass die entstehenden Arterien¬ 
rohre hierdurch eine Drehung um eine gemeinsame Axe er¬ 
halten, während auf dem Querschnitt am Conusende die beiden 
Oeffnungen sagittal stehen, findet sich weiter oben die vordere (Pul- 
monalis) nach links, die hintere (Aorta) nach rechts verschoben. 

Die linke der eben erwähnten Leisten lässt sich nun weiter nach 
abwärts in den Ventrikelraum hinein verfolgen; sie stellt daselbst 
als „Septum aorticum“ eine Binde ge websleiste dar, welche einen 
nach vorn und rechts gelegenen Sulcus pulmonalis und einen nach 
hinten und links gelegenen Sulcus aorticus trennt. Das Septum 
aorticum wächst nun dem Septum inferius entgegen, verwächst mit 
demselben längs dessen freiem Rande und verwächst auch mit dem 
Septum intermedium, sich so an der Bildung der Pars mem¬ 
branacea septi betheiligend. In dieser Weise findet die Ver¬ 
vollständigung des Septum ventriculorum und die Einbeziehung der 
Aorta in den linken Ventrikel statt.“ 

Man sieht, dass die Darstellung von His auch hier wesentlich 
von der Rokitansky’s abweicht. Es ist dies hauptsächlich in zwei 
Punkten der Fall: 

Vollständig neu ist bei His die Betheiligung des Septum inter¬ 
medium, ein Gebilde, welches Rokitansky nicht kannte. Während 
nach Rokitansky der hintere Theil der, in dem Septum inferius 
offen gebliebenen Lücke durch die, rechts über dasselbe herab¬ 
hängende Atrioventricularlippe ausgefüllt wild, geschieht dies nach 
His durch den Stempel des Septum intermedium. Die Trennung 
der beiden Herzhöhlen geht also hier von dem das Blut zuführen¬ 
den Canal aus. 

Ferner, und dies ist ein Punkt, der wohl für die Deutung 
einer grossen Kategorie von Septumdefecten von grösster Bedeu¬ 
tung werden dürfte, erfolgt nach His auch die Schliessung des 
vorderen Theils des eben erwähnten Ausschnittes im Septum infe¬ 
rius in anderer Weise, als Rokitansky annimmt. Rokitansky 
glaubte, dass im Herzen selbst, an das untere Ende des Septum 


trunci sich anschliessend, die Anlage einer Scheidewand von dem 
Septum ventriculorum ausgehe. His fand, gleich Lindes. al»r 
unabhängig von diesem, dass das Septum aorticum allein, ohne Be- 
theilignng des Septum ventriculorum, und der Herzwand überhaupt, 
die Trennung der beiden Gefässbahnen vollende; das Auftreten 
von Fleischmasse in der vorderen Partie dieses Theiles der Hm- 
Scheidewand sieht His als einen secundären Vorgang an. Der Ver¬ 
schluss des vorderen Theiles des Septums erfolgt nach His v..n 
dem das Blut abführenden Canal aus, von oben nach unten for¬ 
schreitend. 

Es leuchtet eiu, dass diese Verschiedenheit der Auffassunn 
eiue gänzlich verschiedene Basis für die Erklärung einer ganzen 
Kategorie von Entwickelungshemraungen des Herzes bedingen mus« 
Nehmen wir z. B. die von Rokitansky als „Defeote im hin¬ 
teren Theil des vorderen Septums“ bezeichneteu Missbildungen 
Dieser Forscher nimmt an, dass dieselben fast immer mit Reclit>- 
stellung der Aorta verbunden und durch diese Rechtsstellung be¬ 
dingt seien: das Septum, welches längs des unteren freien Ramie' 
des Septum trunci um die vordere und rechte Seite der Aorten¬ 
wurzel herumwachsen und sich hier mit der Pars membranacea septi 
(welche durch die Atrioventricularlippe gebildet werde) vereinigen 
soll, vermag diese letztere wegen der Rechtsstellung der Aort.i 
nicht zu erreichen, es bleibt eine Lücke. Nach His braucht man. 
ohne Rücksicht auf die Lage der Arterien, nur anzunehmen. da>- 
das Septum aorticum, nach unten wachsend, das Septum inferiu-. 
nicht erreicht hat. Dies wird bei abnormer Stellung der Aorta 
leichter eintreten, als bei normaler, ist aber auch in letzterem Fall- 
völlig erklärlich. Nun giebt es thatsächlich Fälle, in denen, trotz 
Defectes im vorderen Septum, eine Rechtsstellung der Aorta fehl! 
(Wichmann 1. c., auch daselbst Orth citirt), welche daher nur 
schwer durch Rokitansky’s Theorie, und viel leichter, wie mir 
scheint, durch die von His erklärt werden. 

Dasselbe gilt für gewisse Fälle von abnormer Stellung der Gr 
fässe, bei vollkommen ausgebildetem Septum. 

Ich möchte mir da wiederum gestatten, auf eineu der von Ko- 
kitansky angeführten Fälle (1. c. Fig. 41. p. 84) zu verweisen. 

Hier ist es kaum erklärlich, wie — eine normale Schleifeubilduuv 
vorausgesetzt, bei der abnormen Gefassstellung das vorhandene 
Septum als eine, von dem fleischigen Septum inf. ausgehende, selbst¬ 
ständige Bildung zu denken wäre, während die Septumbildung leicht 
verständlich ist, wenn man sie auf eine Verlängerung des Septum 
trunci selbst zurückführt. 

Was die Fälle von Stenose oder Atresie der Lungenanerie mit 
Defect im Septum anlangt, so scheint durch die Arbeiten von Hi» 
die früher von Lindes (Rokitansky p. 115; das Buch von Lind« 
war mir leider nicht zugänglich) ausgesprochene, von -Rokitan?k> 
aber zurückgewiesene Ansicht eine Bestätigung zu finden. Lind« 
erklärte diese Abnormität durch eine Abweichung der, das Septum 
trunci art. bildenden Gewebsleisten nach vorn zu und sieht hit-nn 
den Grand für die abnorme Enge der Pulmonalis und, wenn di> 
Septum aorticum nach unten zu diese abnorme Richtung beibehält, 
auch für deu Defect im Septum. 

Für die Erklärung des Zustandekommens einer anderen Keilu' 
von Heramungsbildungen ist die Entdeckung des Septum intermedium 
von Bedeutung. Ich denke dabei vor Allem an jene complicirte« 
Fälle, in denen, neben einem Defect in der KammerscheidewanJ 
eine vollständige Trennung der Ostia venosa und ein Defect im 'ur- 
liofsseptum vorhanden ist: 

In den 4 Fällen von „Defect des hinteren Septum» 
(ventriculorum), die Rokitansky in seinem Werk be¬ 
schreibt, findet sich überall auch ein Defect d« 
Septum atriorum, sowie mangelhafte oder fehlend 1 
Trennung der venösen Ostien. Der Defect im Vorbofsseptuiu 
betrifft in diesen Fällen stets dessen unteren Abschnitt. 
rend der obere theilweise ganz gut ausgebildet ist: das Septum 
ventr. zeigt einen oberen, sichelförmigen Ausschnitt, an dessen Kan 
theilweise seitlich Klappentheile anhaften. Auch unter deu 
Fällen, die als Defecte des Vorhofsseptums angefunr 
werden, sind ähnliche Befunde enthalten; nur sind hier 
die Lücken im Septum ventr. verhältnissmässig kleiu. Aber au ' 
bei ihnen fehlt eine normale Ausbildung der Trennung 
eines rechten und linken Ostium venosum. 

Rokitansky giebt für diese Fälle keine einheitliche fcrM 
rung, ja er vereinigt sie nicht einmal in eine Rubrik. Mir scueiu 
dass sich diese Fälle sämmtlich in der gleichen 'y 1 - 
erklären lassen, uämlicli durch eine völlig mangel" 1 
oder verkümmerte Bildung der Spina vestibuli oder wen- 
stens des Septum intermedium. 

Weun das Septum intermedium fehlt, so muss der UII,tr j' 
Theil des Vorhofsseptums, ferner der die vordere uud hintere-^ 
ventrikularlippe verbindende Gewebsstreifen mit den zugebyiy 
Klappentheilen und endlich ein Theil der Kammerscheidewaw 11 


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8. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


entwickelt bleiben: eine Combination, wie sie gerade durch jene 
Fälle geboten wird. 

Ich glaube deshalb, dass man genöthigt sein wird, 
diese Art von fehlerhafter Bildung: Defect im unteren Th eil 
des Septum atr. uud im oberen und hinteren Theil des 
Septum ventr., bei mangelhafter Treunung der Ostia ve¬ 
no sa — als eine besondere, auf einer gemeinsamen Ursache 
beruhende Kategorie hinzustellen. 

Es kann ja nicht fehlen, dass bei künftigen Untersuchungen auf 
dem so interessanten Gebiete der congenitalen Herzfehler His’ Ar¬ 
beiten berücksichtigt werden, und es wird dann vielleicht, wie in 
manchen anderen Fragen, auch hier die pathologische Forschung 
die anatomische zu unterstützen im Stande sein. 


IV. Ueber Veränderungen in der Paukenhöhle 
bei Perforation der Shrapnell’schen | 
Membran. 1 ) 

Von Dr. Arthur Hartniann in Berlin. 

Eine besondere Stellung in der Pathologie der chronischen . 
Mittelohreiterung nehmen diejenigen Processe ein, bei welchen eine 
Perforation der ShrapueH’scheu Membran besteht. Bei der un- j 
günstigen Lage der Perforation ist der Secretabfluss erschwert, wo¬ 
durch leicht gefährliche (Jomplicationen eiutreten können. Der Sitz 
der Eiterung ist schwer zugänglich, sodass für die Behandlung be- : 
sondere Eingriffe erforderlich sind. In einer verhältuissmässig 
grossen Anzahl von Fällen gelingt es nicht, vermittelst der durch 
die Eustachischen Röhre vorgenommenen Lufteintreibungen den 1 
Eiter durch die Oeffnung in der Shrapneil’sehen Membran aus¬ 
zutreiben. da eine Communication zwischen beiden nicht besteht. 

Von Prussak und von Politzer wurde nachgewiesen, dass 
zwischen der Shrapneil’sehen Membran und dem Hammerhais ein 
oder mehrere von zarten, dünnen Membranen umkleidete, kleine 
Hohlräume sich befinden. Von Kretschraann wurde neuerdings 
eiu etwas grösserer Raum geschildert, der als Hammer-Amboss- 
Schuppenraum bezeichnet wird. Diese anatomischen Erfahrungen 
führten zu der Annahme, dass in diesen Hohlräumen die Eiter¬ 
ansammlung stattfinde und bei Abschluss derselben nach der Pauken¬ 
höhle zu die Communication zwischen Eustachi scher Röhre und 
Perforationsöffnung aufgehoben sei. 

In meiner Sammlung pathologischer Präparate fand ich nun . 
5 Schläfenbeine, an welchen die an der Leiche zu beobachtenden 
Veränderungen sich ersehen lassen. Von vier Präparaten mit Per¬ 
foration der Shrapnell'schen Membran entstammen drei Patienten, 
welche durch Hirnabscess, und eins einem Patienten, welcher durch 
Sinusthrombose das Leben einbüssten. Bei dem Inhaber eines 
fünften Präparates bestand während des Lebens nicht complicirte 
chronische eitrige Mittelohrentzündung mit Perforation des Trommel¬ 
fells vorn unten und einer Narbe in der Shrapnell’schen Membran. 

In der Paukenhöhle bestanden folgende Veränderungen. Es 
fand sich in drei Fällen der obere Theil der Paukenhöhle, den die 
Amerikaner als „Attic“ bezeichnen, für den ich den Namen „Kuppel- 
raum“ wählen möchte, abgeschlossen von dem unteren Theil durch ! 
Membranen, welche in der Höhe des Hammerhalses nach vorn und 
uach hinten von demselben sich zwischen innerer und äusserer ; 
Paukenhöhlenwand ausspannten. Die Membranen erstrecken sich 
von der Tensorsehne nach vom über die tympanale Oeffnung der 
Eustachi’scheu Röhre, nach hinten bis zur unteren Wand des 
Zuganges zum Warzenfortsatz. In einem Falle ist die Abschliessung 
eine vollständige, in zwei Fällen besteht eine kleine Oeffnung vor 
der Tensorsehne zwischen vorderem Theil des Kuppelraumes und 
vorderem unterem Theil der Paukenhöhle. Ausserdem bestehen in 
diesen Fällen membranöse Verbindungen zwischen Trommelfell und 
Paukenhöhlenwand. 

Unter solchen Verhältnissen ist. die Communication zwischen 
Eustachi’scher Röhre und der Perforationsöffnung in der Shrap- i 
nell : sehen Membran gehindert. Eine gründliche Entfernung von 
eingedickten Secreten und angesammelten Massen im Kuppelraum , 
kann nur durch Ausspülungen vermittelst der Paukenröhre erwartet 
werden. 

In dem vierten Fall bestehen Verwachsungen zwischen Trommel¬ 
fell und Amboss einerseits, und Amboss und innerer Paukenhöhlen- ; 
wand andererseits, durch welche der hintere Theil des Kuppelraumes ! 
von dem unteren hinteren Theil der Paukenhöhle abgeschlossen ist. 

Bei dem fünften Präparate mit Narbenbildung in der Shrap- 
nell’schen Membran gehen sowohl vom Hammer als vom Amboss ■ 
membranöse Stränge nach der äusseren Wand des Kuppelraumes. 


') Nach einem Vertrage, gehalten in der Section für Otiatrie der 
61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


925 


Dieselben lassen einen nach oben offeneu Gang zwischen sich, der 
mit einem Exsudatpfropf ausgefüllt ist. 

Nach den vorliegenden Präparaten scheint es nicht, dass die 
vorgebildeteu Prussak’schen, Politzer’schen, Kretschmann’schen 
Hohlräume, die von sehr zarten Membranen umschlossen werden, eine 
wesentliche Rolle spielen, es scheint vielmehr, dass da, wo sich ein¬ 
gedickte Eiter- oder Epithelmassen ablagern oder Granulationen sich 
bilden, sich iu der Umgebung membranöse Stränge entwickeln, welche 
die als Fremdkörper wirkenden Massen von dem übrigen Theil der 
Paukenhöhle abzuschliessen suchen. 

Aus den verschiedenfachen Neubildungen membranöser Stränge 
zwischen Paukenhöhlenwandungen uud Gehörknöchelchen ergiebt 
sich die weitere therapeutische Schlussfolgerung, dass, wenn es sich 
darum handelt, das Trommelfell mit den Gehörknöchelchen zu ent¬ 
fernen (Kessel’sehe Operation), die Verbindungsstränge erst aus¬ 
giebig gelöst werden müssen, um die Entfernung gelingen zu lassen. 


V. Ein Fall von Larynxcarcinom, Exstirpation 
der erkrankten KehlkopfMlfte, Tod. 

Von Dr. Richard Kayser in Breslau. 

Mein Bruder M. K., 35 Jahre alt, war bis zum Sommer 1887 im 
Wesentlichen gesund gewesen. Er hatte mit 9 Jahren die Masern, im 16. 
Jahre eine leichte Variolois durchgemacht. Eine erbliche Anlage ist nicht 
nachweisbar, die Mutter lebt noch, der Vater ist im 37. Lebensjahre an 
Diabetes gestorben, die beiderseitigen Grosseltern haben ein hohes Alter 
erreicht, in der ganzen Familie ist mir nur ein Fall von C'arcinom — bei 
einer Schwester des Vaters ein Carcinom des Uterus — bekannt. Von 
früher Jugend zeigte M. K. Neigung zu Conjunctivalkatarrhen, auch war 
er massig hyperopisch. Obwohl er als Politiker von Fach seine Stimme 
mehr als gewöhnlich austrengte, bestand doch keinerlei Neigung zu Heiser¬ 
keit und Katarrh der Luftwege. Er war ein sehr massiger Raucher und 
dem Genuss alkoholischer Getränke entschieden abhold. 

Ende Juni 1887 klagte Patient über Halsbeschwerden, wie sie einem 
leichten Rachenkatarrh entsprechen, die laryngoskopische Untersuchung 
ergab nichts als eine massige Hyperämie. Im Juli und August trat eine 
hartnäckige und zunehmende Heiserkeit ein. wegen derer der Kranke sich 
in die Behandlung von Herrn Dr. Schmaltz in Dresden begab. Derselbe 
hatte die Freundlichkeit, mir auf meine Anfrage am 22. September 1887 in 
ausführlicher Weise folgenden Befund mitzutheileu: «Beide Stimmbänder 
stark geröthet, aufgelockert, das rechte nicht scharfrandig, die Aryknorpel 
in ihrem l'eberzug ebenfalls geschwellt, in der Interarytaenoid-Partie etwas 
Secret, nach dessen Entfernung die Wand ebenfalls entzündet und etwas 
geschwellt erschien.“ Nach einigen InsufFlationen gingen die Entzündungs¬ 
erscheinungen erheblich, am wenigsten am rechten Stimmbaude zurück, 
es zeigten sich nun bei ruhiger Inspiration, an der Hinterwand übrigens 
mehr nach links zu, ein oder zwei sehr kleine, spitze Hervorragungen, 
welche verdächtig erschienen, dem für tuberculöse Processe charakteristischen 
Typus — papilläre Infiltration — zu entsprechen." 

Nach einiger Zeit berichtete Herr Dr. Schmaltz, dass .die Auflockerung 
der Stimmbänder wesentlich abgenomraen habe und die etwas verdächtige 
Auflockerung bez. Infiltration der hinteren Larynxwaud entschieden zurück- 
gefangen sei.“ lndess bestand die hochgradige Heiserkeit noch fort, und 
Patient consultirte in Zürich Herrn Prof. Meyer-Hüni. Dieser gab am 
21. Octobor 1887 folgenden Krankheitsbericht: .Es bestand eine Interary- 
taenoidfalte. die galvanokaustisch nivellirt wurde, ferner eine Schwellung 
über dem rechten I’roc. vocaiis (ebenfalls cauterisirt): die ungeheilt gebliebene 
Heiserkeit scheint auf einer Störung des rechten Stimmbandes nicht ent¬ 
zündlicher Natur zu beruhen, eine leichte Minderung der Abdnction. etwas 
dickliches Aussehen des rechten Stimmbandes, ohne Rüthung, ohne An¬ 
schwellung des rechten AryWulstes, vielleicht eine Verdickung des Schleim- 
hantsaumes unter dem rechten Stiinmband, vielleicht ein Proeess im Ventric. 
Morgagni, kurz eine nicht klar zu bestimmende unbedeutende Störung der 
Motilität des fechten Stimmbandes.“ 

Der Zustand des Patienten blieb nun im Wesentlichen unverändert, 
anhaltende hochgradige Heiserkeit. keinerlei Schmerz oder Beschwerde beim 
Schlingen, keinerlei Drüsenanschwellung! keine sonstigen Störungen. Ende 
Januar 1888 merkte der Patient eine gewisse Athembeengung. ohne dem 
aber weitere Beachtung zu schenkeu. Am 29. Januar 1888 Abends trat 
aber ein Anfall heftiger Erstickungsnoth ein, der Kranke wurde nach dem 
Dresdner städtischen Krankenhause geschafft, und dort die (hohe) Tracheo¬ 
tomie ausgeführt. Am 31. Januar untersuchte ich den Kranken und fand: 
rechtes Stimmband verdickt, geröthet, unbeweglich, linkes Stimmhand etwas 
geröthet und anscheinend beweglich: die Rima glottidis ist ausgefüllt von 
einer Geschwulstinasse, am hinteren Ende zeigt sich eine glatte kugelige 
Erhabenheit, nach vorn zu in der Tiefe unter dem Stimmband eine diffuse 
Masse, die Oberfläche der Geschwulst ist blass-roth, glatt, nirgends ein 
Geschwür, bei tieferer Inspirationsbewegung hebt sich das linke Stimmhand 
ein wenig von der Geschwulst ab, so dass ein sehr schmaler Spalt zum 
Vorschein kommt. Auf mein Anrathen wurde der Kranke einer Schmierern - 
unterworfen. Er war zwar seit l'j Jahren verheirathet, die Frau und das 
Snionatliche Kind völlig gesund, doch hatte er vor ca. 8 Jahren ein spe- 
eifisches Ulcus und danach ein flüchtiges Exanthem gehabt. Wegen 
heftiger Stomatitis musste die Schmiercur bald aufgegeben werden, und der 
Kranke kam am 21. Februar 1888 nach Breslau. Hier wurde der laryngo- 
skopisehe Befund vom 31. Januar durch Herrn Dr. J. Gottstein vollkommen 
bestätigt. Die inneren Organe waren völlig gesund, nur der Herzschlag 
auffallend schwach, nicht zu sehen und kaum zu fühlen, ebenso der Puls 


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92C> 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


klein, ohne dass jedoch, wie auch Herr Dr. Buchwald bestätigte, irgend 
eine plausible Ursache hierfür nachzuweisen war; der Harn frei von Eiweiss 
und Zucker, nirgends am Halse war eine vergrösserte Lymphdrüse zu fühlen. 
Der Kranke war bei gutem Appetit, sein Aussehen war im Gesicht ein gutes, 
jedoch zeigte der früher starke, mit reichem Fettpolster versehene Mann 
am Körper eine beträchtliche Abmagerung; es bestand eine besonders des 
Nachts quälende Bronchitis mit schleimig-eitrigem (von Tuberkelbacillen 
freiem) <uveil<-n blutig tingirtem Auswurf, kein Fieber. 

Der Kranke wurde zunächst mit .Jodkalium behandelt, das er auch in 
grossen Dosen (6 g pro die) sehr gut vertrug. Die Geschwulst im Kehl¬ 
kopf veränderte sich wenig. Anscheinend flachte sich die am hinteren Ende 
der Glottis befindliche kugelige Erhabenheit etwas ab, und es zeigte sich am 
äussereu Rande der Geschwulst ein gelblicher, nicht wegwischbarer Punkt, 
von dem im Laufe einiger Tage ein gelblicher schmaler Streif nach vorn 
zu sich erstreckte. Ein Einstich in diese Stelle ergab keine Entleerung von 
Eiter. Am 1*2 März 1888 wurde von Dr. J. Gott stein mittelst der von 
ihm angegebenen Röhrenzange nach vorheriger Cocainisirung ein Stückchen 
der Geschwulst abgerissen. 

Herr Medicinalrath Professor Ponfick hatte die Güte, das Stückchen 
zu untersuchen. Es zeigte sich sowohl am frischen wie am gehärteten Prä¬ 
parate, dass das exstirpirte Stückchen fast ausschliesslich aus sehr grossen 
Zellen bestand, die zwar verschiedene Gestalt belassen, indess der Haupt¬ 
sache nach durchweg elliptisch oder bimförmig gestaltet waren. Ihre Kerne 
waren auffallend gross, das Protoplasma meist feinkörnig, hier und da mit 
gröberen Fetttröpfchen erfüllt. Das hier, us gebildete, fast völlig faserlose 
Gewebe enthielt eine massige Menge weiter und dünnwandiger Gefässe Die 
geschilderten Zellen reichten an letztere nicht mir unmittelbar heran, sie 
hier in Längszügen begleitend, sondern sie waren es auch allein, welche 
deren Wandung zusammensetzten. Alveoläre Structur liess sich nirgends 
nachweisen Die Untersuchung eines zweiten, mehrere Tage später exstir- 
pirten, kleineren Stückchens orgab das gleiche Resultat. Aus diesem Be¬ 
funde war der Schluss berechtigt, I) dass es sich im vorliegenden Falle um 
ein Neoplasma handle, 2) da>s dieses nicht gutartig, möglicherweise ein 
Sarkom sei, und 3) dass die einzige Möglichkeit einer Lebensrettung in der 
Exstirpation des ergriffenen Theiles, also wahrscheinlich der rechten Kehl¬ 
kopfhälfte liege. 

In der That entschloss sich der Kranke, diese Operation an sich 
ausführen zu lassen. 

Ara 18. März wurde die ziemlich enge Oeffnung der Trachealwunde 
durch Einführung einer mit jodoformirtom Pressschwamm umwickelten Canüle 
erheblich erweitert, und am *20. März die Operation von Herrn Primärarzt 
Dr. O. Riegner unter Assistenz mehrerer Acrzte ausgeführt. Durch die 
TrachealöfTnung wurde eine starke, mit jodoformirtem Pressschwamm um¬ 
wickelte IIahn’sehe Tamponeauüle eingeführt, über das äussere Ende des¬ 
selben ein .Schlauch gezogen und an dessen offenem trichterförmigem Ende 
ein Tnchstreif zur Aufnahme des Chlorstromes befestigt. Sodann wurde 
zunächst die Laryngofissur gemacht. Dieselbe war sehr erschwert, einmal, 
weil seiner Zeit die hohe Tracheotomie gemacht, also der Raum sehr bcergt 
war, und dann, weil sich der Kehlkopfknorpel stark verknöchert erwies. 
Nach Eröffnung des Kehlkopfes fühlte man grosse Tumormassen an der 
rechten Seiten- und Hinterhälfte des Kehlkopfes, während die linke Seite 
sich als frei erwies. Es wurdo nun der ganze rechte Schild- und Ary- 
knorpel, sowie ein grosser Theil des Ringknorpels nebst den Geschwulst¬ 
massen entfernt, ein Schlauch von der Wunde aus in den Oesophagus ge¬ 
führt und die Wunde mit Jodoformgaze tamponirt und verbunden. 

Der Kranke bestand die (incl. Chloroformirung) ca. zwei Stunden 
dauernde Operation, die noch besonders durch die wiederholte Untersuchung 
und Erwäguug, wie viel vom Kehlkopf stehen bleiben dürfe, verzögert 
wurde, ganz gut, nur klagte er über heftige Schmerzen bei jeder Schluck- 
beweguug und erbrach die ihm durch den Schlauch eingeflösste Nahrung 
häutig. Die Schlingschmerzen Hessen nach einigen Tagen nach, die Wund¬ 
höhle, deren Verband mindestens täglich einmal gewechselt wurde, zeigte 
ein gutes Aussehen. Fieber bestand nicht, nur trat am vierten Tage öfters 
Schlucken (Singultus) ein, das zuweilen eine halbe Stunde und länger au- 
hielt. Auch war der Puls klein und schwach. 

Die anatomische Untersuchung der exstirpirten Kehlkopfhälfte ergab, 
dass zwei knotige Geschwulstmassen an der Seiten- und llinterwand des 
Kehlkopfes tief herahreichend vorhanden waren. Bei der mikroskopischen 
Untersuchung erwiesen sich dieselben durch ihren alveolären Bau, reichliches 
Fasergewebe etc. als Carcinoma fibrosutn (Scirrhus). 

Professor Poufick spricht sich über das Verhältniss des Befundes an 
den exstirpirten Probestückchen zu dem der Geschwulst selbst folgender- 
maasseu aus: „Damals hatte ich eine von unten her secundär in Mit- 
leideu.'chaft gezogene Partie erhalten, die einen zwar unstreitig gewächs¬ 
artigen Eindruck machen musste, aber nicht — d. h. wohl noch nicht — 
die dem Carcinom eigentümliche diflerenzirte Anordnung darbot. Sulche 
gleichsam unreife Bezirke kommen bei jedem grösseren Krebse, zumal an 
den Deckflächen und sonstigen Grenzschichten vor.“ Ponfick hebt weiter 
hervor, dass er bei dem Probestückchen bereits auf grosse Zellen verdäch¬ 
tiger Art aufmerksam gemacht habe, die in das Sarkombild nicht recht 
hineinz.upa-.sen schienen, die indess gleichwohl — nach unseren jetzigen 
strengeren Ansprüchen — nicht für die Diagnose Carcinom verwertet 
werden durften, so lange daneben nicht alveoläre Gruppirung etc. nach¬ 
weisbar wurde. 

Einige Tage nach der Operation zeigte sich, dass au dem obersten 
Tiachealring von den Granulationen der Trachealwunde verdeckt noch ein 
kleiner Kret.sknoten vorhauden war, worauf auch das auatomGciie Präparat 
liiiidcutete. Es wurde nun am "27. Müiz, al>o acht Tage nach der Haupt¬ 
operation, dieser Knoten mit>ammt dein ent>prechendeu Theile des Tracheal- 
ringes unter Chloroform in 1 abündiger Operation entfernt, so dass jetzt 
die Wuiidhöhle bis an die Trachealcaiiülo heranreiehte. Der Kranke über¬ 
müd diesen verhältnisstnässig unbedeut<-ndeu zweiten Eingriff ganz gut, 


auch war er nun fähig, ohne wesentlichen Schmerz auf natürliche Weise 
zu schlingen, so dass am *28. März der Schlauch aus dem Oesophagus ent¬ 
fernt werden konnte. Allein trotz normaler Temperatur (37,5—38,0) war 
der Puls beschleunigt (120 Schläge per Minute) und dabei äusserst klein 
Das Erbrechen liess nach, aber der Singultus wollte nicht aufhören. Zu¬ 
gleich trat eine fortschreitende Trübung des Sensoriums auf. Der Kranke, 
der sich fast aussehliosslich schriftlich verständigte, bekam Erscheinungen 
von Agraphie, schrieb unorthographisch oder immerfort dasselbe halb 
vollendete Wort, z. B. Mill, Mill, Mill statt Milch. Die Anwendung der 
verschiedensten und kräftigsten Analeptica vermochte nicht den Zustand zu 
bessern. Am 20. März, also neun Tage nach der Operation, verschlimmerte 
sich der Zustand noch mehr, der Athera wurde flach und beschleunigt, 
selbst auf Berührung der Trachealschleimhaut trat kein merklicher Reflex 
mehr ein, der Singultus hörte auf, der Puls wurde fadenförmig, und Nach¬ 
mittags 3 Uhr trat unter den Erscheinungen der Herzparalyse der Tod ein. 

Dem raitgetheilten Krankheitsfälle will ich nur wenige epi¬ 
kritische Bemerkungen anschliessen. Zunächst ein Wort über die 
Schwierigkeit der Diagnose des Larynxcarcinoms. Sie war im vor¬ 
liegenden Falle besonders erschwert durch das jugendliche Alter 
des Patienten, den subchordaleu Sitz der Geschwulst und durch 
die äussere Beschaffenheit der Geschwulstoberfläche. Nicht bios 
vor, auch nach der Tracheotomie des Kranken war eine sichere 
Diagnose des Kehlkopfleidens nicht möglich. Selbst ein so be¬ 
währter und erfahrener Laryngologe wie Dr. J. Gottstein war 
längere Zeit geneigt, die Geschwulst im Kehlkopf als Ausdruck 
eines chronisch-entzündlichen Processes — vielleicht auf luetischer 
Basis — anzusehen. Die glatte, bis zuletzt kein Zeichen des Zerfalles 
zeigende Oberfläche der Geschwulst, die Thatsache, dass gewisse 
supraehordale Veränderungen, wie sie zwei so zuverlässige Beobachter, 
wie Schmaltz und Meyer-Hüni, gesehen hatten, wieder mehr 
oder minder zurückgegangen waren, schienen eine solche optimistische 
Annahme zu rechtfertigen. Erst die absolute Erfolglosigkeit des 
Jodkali und das Auftreten von nekrotischen Punkten an der Ober¬ 
fläche, ohne dass auf einen Einstich sich Eiter entleerte, brachte 
die relativ günstigere Auffassung der Krankheit zum Schwanken. 
Besonders beachtenswerth ist, dass auch die Untersuchung des es- 
stirpirten Probestückchens der Geschwulst nicht den Befund eines 
Carcinoms ergab. Es beweist dies aufs Neue, mit welcher Vor¬ 
sicht man aus diesem anscheinend wichtigsten und zuverlässigsten 
diagnostischen Hülfsmittel weitere Schlüsse ziehen muss. Es i>t 
eben möglich, dass hei Krebsen, die sich von der Tiefe her ent¬ 
wickeln, die Oberfläche, resp. die Schleimhaut des Kehlkopfes längere 
Zeit Veränderungen zeigt, welche nichts für das Carcinom Charakte¬ 
ristisches haben, ja theil weise wieder verschwinden können. Die« 
Möglichkeit muss man im Auge behalten, insbesondere gegenüber 
der Behauptung, dass sich eine gutartige Geschwulst in eine bös¬ 
artige umgewandelt habe. 


VI. Feuilleton. 

Der Leibarzt Karls Y. nnd Philipps II. und der PIpst* 
Paul III. und Julius III., Andres Laguna. 

Am 20. Juni 18G9 sah Madrid ein ungewöhnlich glänzende» 
Fest: die Asche der berühmtesten Männer Spaniens wurde in die 
zum Nationalpantheon erhobene Kirche San Francisco el Grande 
hinübergeführt. Unter den Wagen, die die sterblichen Reste grosser 
Spanier trugen, war einer mit einem prachtvollen Lorbeerkranz un 
der Inschrift geschmückt: 

Gloria de su patria fue 
en Medicina y eu fe. 

(Seines Vaterlandes Ehr’ 

Wie als Arzt als Christ war er.) 

Auf diesem Wagen, den vier Rosse zogen und dem Student« 1 » 
der Medicin und der Pharmacie das Geleit gaben, waren noch die 
Inschriften folgender Werke zu lesen: Metodo anatömico, EjP ,toine 
de Galeuo, De herba panacea, Auotaciones ä Dioscörides. Es 
der Wagen Andres Laguna’s, des hochgefeierten Arztes uo 
Schriftstellers. Philosophen, Redners und Naturforschers, der auf den 
Antrag des Staatsmannes Salustiano de Olözaga durch Cortes* 
Schluss der Ehre würdig befunden worden, an der Seite eines La 
deron, eines Gran Capitan. eines Garcilaso, Ercilla, Lauuza. 
Quevedo und Gravina zu ruhen. .. { 

Aber was so pietätvoll und patriotisch begann, wnrde n»^ 
fortgesetzt, der schöne Gedanke eines Nationalpanthcons nicht 
wirklicht, und Segovia forderte die Gebeine seines grossen .* 
zurück: Laguna hat dort in der Grabstätte seiner Familie- 
der Mutter Gottes-Capelle der Kirche San Miguel, die Ruhe ttie 1 
gefunden. . r 

Kein Geringerer als Cervantes hat den berühmten Segovia 
ehrenvoll erwähnt als den, der in Cicero’» Tusculum des Diosror 4 
Werk über die Heilkraft der Pflanzen und die tödtlicheu Gifte _ 
dem Griechischen in’s Spanische übersetzt und mit Erläuterung 
versehen (Don Quijote Cap. 18, Bd. 2). 


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8. November. 


D RUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


927 


Vou Königen und Päpsten geehrt, von den Gelehrten seiner ! 
Zeit hochgeschätzt, gehört Laguna dein Jahrhundert des Para- | 
celsus, des Kanzlers Bacon und des Copernicus an, einer Zeit. ; 
in der die spanische Arzneikunde und ihre Hiilfswissenschaften in j 
höchstem Ansehen standen, iu der die Spanier auf allen Gebieten 
sich auszeichneten. Fray Luis de Leöu, Argensola, Herrera ! 
und Garcilaso Heroen der Literatur waren, Mariano und Meu- ' 
doza als Geschichtsschreiber, Antonio Nebrija und Francisco 
Sänchez als Humanisten glänzten, Monzön die Mathematik, Alonso j 
Barba die Chemie betrieb und Cordoba sich der Astronomie wid- j 
mete, in der Philosophie Gines de Sepiilveda und Luis Vives 
strahlten und die Rechtswissenschaft durch Covarrubias blühte. 
In diesem Zeitalter der Renaissance ward Spaniens Ruhm durch 
Andres Laguna erhöht. 

Auch Deutschland hat die edle Wirksamkeit des gelehrten 
Spaniers, des trefflichen Arztes, Hellenisten, Lateiners und Diplo¬ 
maten kennen gelernt, in Metz und Köln hat er gelebt, und ebenso 
wie Bologna und Rom, haben Gent und Metz ihn geehrt. Daher 
ist die historische Studie, die der Professor der Pharmacie an der 
Madrider Hochschule, D. Joaquin Olmedilla y Puig, ihm gewidmet 
(Estudio histörico de la vida y escritos de Andres Laguna. 
Madrid 1887), auch in Deutschland und besonders in Köln, dessen 
Universität er nahestand, mit Dank zu begrüsseu. Es sei hier an 
der Hand dieser lehrreichen Schrift in kurzen Zügen mitgetheilt, 
was Andres Laguna für seine Zeit und die Wissenschaft gethan. 

In der Stadt Segovia, die ihrer römischen Wasserleitung sich 
rühmt, wurde Andres Laguna, der Leibarzt der Köuige und der 
Päpste, als der Sohn des Arztes und Edelmannes D. Diego 
Fernändez Laguna im Jahre 1499 geboren. Er besuchte die 
Schule seiner Vaterstadt, hörte dann Philosophie auf der Universität 
Salamanca und studirte Griechisch und Medicin zu Paris, wo er 
seine ersten Werke und Uebersetzungen schrieb, bis er 1536 nach 
Spanien zurückkehrte. 1539 erwarb er sich auf der Hochschule von 
Toledo den Doctorgrad und wurde im selben Jahre vom Kaiser 
Karl V. berufen, der Entbindung der Kaiserin beizuwohnen. Wohl 
starb diese und ihre Leiche wurde nach Granada unter der Führung 
des Herzogs von Gandia gebracht, den nachmals die Kirche unter 
dem Namen Francisco de Borja unter ihre Heiligen versetzt. 
Laguna musste 1539 als Leibarzt des Kaisers diesem nach Deutsch¬ 
land folgen, wohin ihn die Genfer Unruhen gerufen. 5 Jahre 
weilte Laguna iu Metz und leuchtete dort wie der Friedensbogen 
nach dem Ungewitter. Von Metz unternahm er 1542 eine Reise 
nach Köln und quartierte sich bei seinem Freunde, dem Rechts- 
gelehrteu und Philosophen Adolph Eichholtz, dem Rector der 
Kölner Universität, ein. Hier widmete er dem Doradechanten ; 
Heinrich Stolberg das am 11. December 1542 zu Kölu gedruckte 
Büchlein über das Leben der türkischen Kaiser und die Sitten des 
türkischen Volkes. Hier übersetzte er aus dem Griechischen in’s 
Lateinische ein Werk des Aristoteles und Hess es unter dem 
Titel „De virtutibus“ in Köln erscheinen, indem er es mit vielen 
Maxiineu, Beispielen aus der Geschichte und volkstümlichen Er¬ 
zählungen bereicherte. Am Schlüsse des Buches findet sich La- j 
guna’s Bild. In Köln übersetzte er auch aus dem Griechischen 
in’s Lateinische eine Abhandlung des Constantinus Caesar 
Pogonatus und veröffentlichte seine Uebersetzung 1543 in Köln. 
Sie heisst „Geoponicon, sive de agricultura tractatus* und ist vom 
Uebersetzer in einer iu elegantestem Latein geschriebenen Vorrede 
dem Kaiser Karl V. gewidmet. Dem Kölner Consistorium aber 
widmet er seine Uebertragung des Aristotelischen Boches „Von 
den Pflanzen* und am Abend des 22. Januar 1543 hielt er in der 
Aula der Kölner Universität, wie ein Grabredner mit der schwarzen 
Kapuze der Trauer angethan und rings von Fackeln umgeben, vor 
der hochansehnlichsten Zuhörerschaft, vor Kirchenfürsten und Doc- 
toren, angesichts eines Tumulus, eine meisterhafte Rede über Euro- 
pa’s Noth. Sie erscheint ihm als eine bleiche Jungfrau iu Trauer 
und spricht zu ihm mit kaum vernehmbarer Stimme: „Ja, ich bin’s, 
die unglückselige Europa, die du so oft in ihrem Glanze bewun¬ 
dert, so oft in alles andere vergessender Begeisterung betrachtet, 
die mit ihrer Anmuth und Schöne dein Auge geblendet und die ! 
Liebe der ganzen Welt sich erworben. Jetzt bin ich ein Bild des 
Schreckens, ein wandelnder Leichnam. Und wem dank’ ich diese 
Veränderung? Den christlichen Fürsten! Sie vergessen das Beispiel 
der Carthager, sie gedenken nicht der Spartaner un i Athener, die ] 
durch Bürgerkrieg sich zu Grunde richteten, sie achten nicht auf 1 
weise Antwort des Tirtesius, der, von Scipio dem Afrikaner be- ! 
fragt, warum Numancia, die alle Stadt Spaniens, die immer uube- 
sieglich, zuletzt unterlegen, erwiderte: „Vereint siegten sie, aber 
uneins wurden sie zu Sclaven!* 

Energisch tadelt Laguna das Benehmen der kriegführenden 
Heere. Beide tragen auf ihren Fahnen das Zeichen des Kreuzes, 
nur die Farbe ist verschieden, und um so verwerflicher ist der 
Geist der Vernichtuug, der sie beseelt, als alle Werke des Schöpfers, 


ebenso die fernen Sterne, die im Himmelsraume kreisen, als das 
unsichtbare Insect und die unbedeutendste Pflanze harmonischen 
Gesetzen unterworfen sind, während der mit Vernunft begabte 
Mensch an Krieg, Mord und Revolution und allen Mitteln der Zer¬ 
störung und Vernichtung seines Gleichen sich freut. 

So mit feuriger Beredtsamkeit sprach der Spanier in Köln. 
Die Universität von Bologna verlieh ihm den Doctortitel. Er wirkte 
in ihr als Professor, bis ihn 1545 der Kaiser mit sich nach Rom 
nahm, wo er als Arzt der Päpste Paul III und Julius III. mit 
Auszeichnungen überschüttet wurde und beinahe 12 Jahre ver¬ 
blieb, erinnerte ihn doch der blaue Himmel Italiens an das eigene 
Vaterland, und die süsse Sprache Dante’s an den harmonischen 
Tonfall des Idioms von Castilien. 

Das Landhaus Cicero’s bot ihm die ersehnte Einsamkeit, um 
in ihm im Jahre 1548 das Leben Galen’s zu schreiben. Sein 
Epitome Galeni pergameni operum in quator partes digesta, welches 
sich in der Bibliothek des Escorial befindet, erwarb ihm solchen 
Ruhm, dass er der spanische Galen genannt wurde. Der erste 
Theil desselben ist dem Cardinal Mendoza, der zweite dem Papste 
Paul III., der dritte Cos me de Medicis, der vierte dem Bischof 
von Jaen gewidmet. Dem Papste Julius III. aber widmete er 
sein lateinisches Werk: De articulari morbi Comraentarius, welches 
1551 iu Rom erschien. 

Nach «lern Tode Julius III., im Jahre 1555, verliess er die 
ewige Stadt und begab sich nach Antwerpen, wo bald darauf eine 
Epidemie ausbrach, die ihm Veranlassung zu seiner Abhaudluug 
über die Pest gab. Seine Mutter Catalina Velazquez Hess die¬ 
selbe eiuige Jahre nach dem Tode ihres Sohnes 1566 in Salamanca 
im Druck erscheinen. 

Im November 1557 endlich kehrte er nach seiner Vaterstadt 
Segovia zurück; aber er hatte dort den Schmerz, bald nach seiner 
Ankunft seinen Vater sterben zu sehen. Auf seiner Reise nach 
Frankreich, wohin er deu Duque del Infantado begleitete, hatte er 
einen heftigen Anfall seines Hämorrhoidalleidens, das 1560 seinen 
Tod herbeiführte. Er starb in Segovia oder doch wenigstens in 
der Nähe seiner Heimath. Trotzdem er so hervorragende Aemter 
bekleidet und stets den Werth der Stunde zu schätzen gewusst, ist 
er arm gestorben. Der Canonicus des Domes von Segovia, D. Jose 
de Aldema, widmete ihm die Grabschrift: 

Hic jaret: inmensumque brevis jain terra Lacunam 
Absorbere valet; si tarnen ulla valet. 

Es schmückt ihn der ewig grünende Kranz der Unsterblichkeit, 
der sich nicht erbitten und nicht suchen lässt, den aber dem 
Würdigen, der ihn besitzt, keine Macht der Erde streitig machen 
kann. 

Das Hauptwerk des Laguna, das ebenso wichtig für deu Arzt, 
den Pharmaceuten und den Chemiker ist und zugleich ein hohes 
literarhistorisches Interesse hat, ist seine spauische Uebersetzung 
und Erklärung des bedeutendsten Werkes des römischen Militär¬ 
arztes Dioscörides aus der Zeit des Antouius und der Cleo¬ 
patra. Das spanische Buch erschien 1555 in Antwerpen unter 
dem Titel „Pedacio Dioscörides Anazarbeo acerca de la Materia 
medicinal y de los venenos mortiferos*. In der Biblioteca Nacional 
zu Madrid befindet sich das Exemplar, welches Laguna 1555 
Philipp II. widmete, als derselbe noch Erbprinz war. Diese 
Arbeit des Spaniers ist die Frucht langer Jahre emsigsten Studiums 
und reiflichster Analyse. Wie viele seltene Substanzen musste er 
sich aus Griechenland, Egypten und der Berberei kommen lassen, 
um ihre Eigenschaften sorgfältig zu prüfen! Es ist nur verdient, 
wenn Luis de la Cerda dieses Werkes wegen in der Salamantiner 
Ausgabe desselben den grossen spanischen Arzt, dem auch der 
Humor nicht gefehlt, einen neuen Aesculap und gelehrten Apollo 
nennt. 

Unter den vielen Artikeln sei besonders der über die Rebe 
hervorgehoben. Da hören wir, wie Homer den Hector zu Hecuba 
sprechen lässt: „Mutter, gieb mir nicht süsse Weine zu trinken, 
die die Kraft der Seele und des Leibes stumpf machen." Da ver¬ 
nehmen wir, wie Plato den Kriegern irn Heere und den Richtern 
in der Stadt Wein zu trinken verbot. Aber trotz alles Uebels, 
welches der Wein anrichtet, nennt ihn Laguna doch den Versöhner 
der Feinde, den Wiedereroberer der Freundschaft, und darum hat 
auch der Herr, als er die Herzen seiner Schüler zu Eins ver¬ 
schmelzen wollte, aus dem Saft der Rebe seiu eigenes Blut ge¬ 
macht. 

Vieles natürlich in diesem spanischen Buche ist, im Licht 
unserer heutigeu Erkenntnis* nach den unendlichen Fortschritten 
der Naturwissenschaften betrachtet, veraltet; wer aber, wie Laguna, 
im Don Quijote fortlebt, ist unsterblich! 

Johauues Fastenrath. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


928 


No. 45 


VII. Referate und Kritiken. 

Lesser. Lehrbuch der Haut- und G-eschleohtskrankheiten. 

Zweiter Theil. Geschlechtskrankheiten. 3. Aufl. Leipzig, Vogel, 
1887. Ref. Joseph. 

Dem ersten Theile des Lesser’schen Lehrbuches folgt in 
einem kurzen Zwischenräume bereits der zweite Theil in seiner 
dritten Auflage. Ausser einer Anzahl erweiternder Zusätze und ver¬ 
bessernder Umänderungen ist dieselbe durch die Einfügung eines 
Capitels über die gonorrhoische Conjunctivitis vermehrt worden. 
Den breitesteu Raum nimmt naturgemäss das Capitel „Syphilis“ 
ein. Lassen sich gegen manche Einzelheiten Einwände macheu, so 
wird man doch die knappe und das ganze Gebiet möglichst um¬ 
fassende klare Darstellung anerkennen müssen. 


Schuster. Die Syphilis, deren Wesen, Verlauf und Be¬ 
handlung. Berlin, 1887. Ref. Joseph. 

Die Schrift Schuster’s. eine Umarbeitung und Erweiterung 
seiner bereits im Jahre 1874 erschienenen „Bemerkungen zur Be¬ 
handlung uud Heilung der Syphilis“ verlangt vor allem wegen der 
darin enthaltenen therapeutischen Grundsätze Beachtung. Schuster 
hat nie gesehen, dass die Kxcision des Primäraffects die secundären 
Erscheinungen aufhält, indessen giebt er doch zu, dass dieselben 
milder verlaufen, aber auch wenn zunächst keine Folgeerscheinungen 
sich einstellen, räth er, eine nachträgliche allgemeine Cur nicht 
ausser Acht zu lassen. Gewiss ist nichts gegen diesen Standpunkt 
einzuwenden, indess bleiben in diesem Falle Arzt und Patient im 
Ungewissen, ob sich nun nach der Excision Syphilissymptome ge¬ 
zeigt haben oder uicht, daher werden gewiss viele Aerzte erst das 
Erscheinen von manifesten Symptomen abwarten und alsdann zur 
allgemeinen Behandlung übergehen. Die Allgemeinbehandlung ist 
stets von dem Augenblicke an indieirt, wo die Krankheitssymptome 
als specifische erkanut werden. 

Für die spätere Zeit empfiehlt sich am meisten eine inter- 
mittireude Cur, deren 2—3 malige Wiederholung dann einzuleiten 
ist, wenn die Hg-Ausscheidung ihrem Ende entgegengeht oder eben 
beendet ist. Neben den Inunctionen mit den verschiedensten Hg- 
Präparaten wendet Schuster die Injectiouen nur als Unterstützung 
da an, wo die Aufnahme des Hg durch die Haut eine mangel¬ 
hafte ist. 


Foumier. Die öffentliche Prophylaxe der Syphilis, übersetzt 

v. Edm. L’esser. Leipzig, Vogel, 1888. Ref. Joseph. 

Vor Kurzem hat Herr Fournier in der Pariser Akademie der 
Medicin als Berichterstatter einer Commission, welche die für die 
öffentliche Prophylaxe der Syphilis erforderlichen Reformen und 
Neuenmgen studiren sollte, ein ausführliches Resume über die diesen 
Gegenstand betretfenden Verbesserungen und Vorschläge gegeben. 
Lesser glaubte mit Hinblick darauf, dass auch bei uns eine ener¬ 
gische Agitation für diese wichtige, das ganze Volk betreffende An¬ 
gelegenheit erst betrieben werden könne, wenn es gelungen sein 
wird, ein allgemeines Interesse für dieselbe zu erwecken, deu 
Fournier’sehen Bericht in’s Deutsche übersetzen zu sollen. Es 
lässt sich darüber streiten, ob hierzu ein wirkliches Bedürfniss vor- | 
lag und so das Gewünschte erreicht werden wird, jedenfalls hat 
aber eine grosse Anzahl Thatsachen, welche einen wesentlichen 
Theil des Berichtes ausmachen, für uns nur ein geringes Interesse, ' 
weil sie allein die localen Pariser Verhältnisse berühren. So gehen 
die ausführlichen Erörterungen über die unzweckmässige Einrichtung ' 
von Saint-Lazare und die Besetzung gewisser ärztlicher Stellen durch , 
WettbeWerbung spurlos an uns vorüber, weil sie für unsere Ver- j 
hältnisse gleichgültig sind. Auch nicht einmal die von Fournier mit 
grosser Breite vorgetragenen Beschwerden über die Anlockung auf ; 
der Strasse könneu uns derartig in Harnisch bringen, weil bei uns 
die Polizei Macht genug besitzt, um Ausschreitungen entgogenzu- | 
treten, und in Berlin hat, sie dies auch bewiesen. 

Dagegen kann der Abschnitt, welcher sich mit der Unter- ! 
bringung in Krankenhäusern und der Behandlung befasst, voll und i 
ganz auf unsere Verhältnisse übertragen werden. Hier können wir i 
Fournier unbedingt beistimmen. Die beiden Vorschläge, dass die Zahl ! 
der für die Behandlung der venerischen Kranken bestimmten Betten ■ 
augenblicklich notorisch ungenügend ist, und dass diese Vermehrung 
nicht durch die Einrichtung besonderer Abtheilungeu in den allge¬ 
meinen Krankenhäusern, sondern durch neue Specialkrankenhäuser, 
welche stets ausserhalb des Weichbildes der Stadt gelegen sein sollen, 
geschehe, seien auch bei uns der besonderen Berücksichtigung der 
betheiligten Behörden empfohlen. 

Braus. Die Syphilis und ihre steigende sociale Gefahr. 

Düsseldorf, F. Hagel, 1887. Ref. Joseph. 

Braus beabsichtigt in seiuer populär gehaltenen Broschüre j 
ebenfalls die Prophylaxe, welche wir heute zu üben im Stande sind, i 


zu besprechen. Ausser einer Anzahl nur für das grosse Publikum 
bestimmter Bemerkungen wird man in diesen Blättern freilich kaum 
irgend etwas Neues finden. 


Oberlaender. Zur Kenntniss der nervösen Störungen am 
Harnapparat des Mannes. Sammlung klin. Vorträge von 
Volkmann. No. 275. 

O. hat weniger bekannte, zum Theil wissenschaftlich noch ganiichi 
beschriebene nervöse Beschwerden und Erkrankungen in dieser Schrift be¬ 
sprochen. Es handelt sich dabei nicht immer um Neurosen im eigentlichste:! 
Sinne des Wortes, auch um exquisite nervöse Beschwerden bei gering¬ 
gradigen Schleimhauterkrankungen, die in Form von Reflex- und irradürtei 
Neurosen auftreten. Als solche Schleimhauterkrankungen nennt er gering¬ 
fügige Tripperreste, ferner chronische Reizzustände der Schleimhaut der 
Harnwege nach dyskrasischen Urinentmischuugen und chronischen dyspep- 
tisclieu Zuständen. Ebenso häufig lassen sich solche Anzeichen nicht 
constatiren, und man muss dann annehmen, dass der Harnapparat bei 
solchen Patienten gewissermaassen ein Locus minoris resistentiae ist Alle 
Altersclassen können an den Neurosen leiden, bevorzugt ist das Mittelalter, 
und zwar häutig Personen mit ererbter oder erworbener neuropatbischer 
Constitution. Die geringfügigen Schleimhauterkrankungeu im Harucanal. 
welche solche neurotische Erscheinungen hervorrufen, können in ihrer 
genauen Beschaffenheit zumeist uur durch das Endoskop festgestellt werden, 
und giebt 0. dem Elektroeudoskop System Nitze-Leiter, an dem er 
verschiedene wesentliche Verbesserungen angebracht hat, den unbedingten 
Vorzug, da man nur durch die direkte seitliche Beleuchtung die patholo¬ 
gischen Details constatiren kann. Die einzelnen Formen dieser Schlein.- 
hauterkrankungen. fast sämmtlich zum ersten Male in dieser Form von <> 
beschrieben, sind im Originale nacbzulescu. Zur Feststellung der Diagmi'C 
ist auch die Beschaffenheit des Urins genau zu untersuchen auf etwaig 
Bestaudtheile von Tripperfaden, diffusen Schleim, Epithelschollen, Sperma: 
qualitativ können sich finden: vermehrte phosphor-saure und oxalsaur. 
Salze, geringe Mengen Albuinen bei Abwesenheit, von XierenerkraukiiDtri-tt 
und alkalische Reaetiou. Boi der Behandlung vertritt 0. stricte een 
Standpunkt der örtlichen Behandlung, sobald auch nur die geringsten 
Anzeichen einer örtlichen Complieation oder auch uur der Verdacht daran: 
vorhanden sind. Nur muss sorgfältig individualisirend und vorsichtig 'er¬ 
fahren werden, dann involvire sie aber keine vermehrte Reizung uud \ ?t- 
schlechterung, sondern Heilung. Bei vorhandenen Tripperresten ode 
anderen vorausgegangeuen Schleimbauterkraukuugen besteht O.’s Therapie 
in einer Hyperdilatation der betreffenden Particen mit von ihm angegebene:. 
Dilatatorien, die nur mit (iummiüberzügen versehen, angewendet werdet.. 
Die Dehnung geschieht allmählich bis ca. 35 Fil. Cham., auch noch darüber: 
den Dehnungen folgen schwächere oder stärkere Kauterisationen 
Höllenstein ‘/so—‘/so in Substanz oder kauterisirenden Ausspülungen in der 
Stärke von ’/ioo—Vsooo. Man soll immer mit den schwächsten 

beginnen, von denen inan nach 0. noch stets die angenehmste, wenn 
nicht immer gleich anhaltendste Wirksamkeit zu erwarten habe. Audi bei 
nicht vorhandenen örtlichen Schleimhautaffeetioneu solle man so seine Be¬ 
handlung beginnen. Bei sensiblen Erscheinungen und motorischen Störungen 
erweisen sich rationell angewandte constanto Ströme mit Berücksichtigung 
der grösseren Nervenstämme, ebenso Faradisirung ausserordentlich nützli* > 
und sehr oft unentbehrlich, ferner die passenden Formen der Hydrotherap-- 
Anstaltsbehandiung und Citren in Wildbädern. Die neuropathische Anlac 
und der nervöse Allgemeinznstand erfordern selbstverständlich stets ein 1 
besondere Beachtung und Behandlung, doch erreicht man, wie schon er 
wähnt, nicht allein dadurch Heilung. 

Die Specialbesprechung der einzelnen Formen, von denen jede tnit 
einer reichhaltigen und treffenden Casuistik und einer nochmaligen Be¬ 
sprechung der Therapie versehen ist, umfasst Folgendes: Als trophoueur.- 
tische Erkrankung den chronischen Herpes der Genitalgegend und de- 
Herpes der Harnröhrenschleimhaut als uretheoskopische Curiositar. 
Ferner die cutanc Neuralgie der Genitalien und die Neuralgie der 
Harnröhre, welche sich durch Schinerzen beim Uriuiren und Cohabiu- 
tionen, beim Einführen von Instrumenten und in hochgradigen Fällen in 
fortwährender Schmerzhaftigkeit mit Störungen beim Gehen, Sitzen, Fahren 
kennzeichnet. Die Neuralgie des Hodens und Saamenstrange* 
kann durch örtliche Erkrankungen und durch Excesse hervorgerufen werden, 
ist zumeist chronisch und ebenso wie die vorhergehende bei ausgesprochen 
neuropathisrhen Individuen. 

Eine wissenschaftlich noch nicht beschriebene chronische IIyp 0r ’ 
ästhesie «ler Blascnschleimhaut besteht in Schmerzhaftigkeit der 
Blasengegend, zumeist dem Blasenhalse entsprechend, mit Ausstrahlungen 
in Ureteren, Urethra und Funiculi, in hochgradigen Fällen constante un i 
sehr starke, sonst intermittirende nach Diätfehlorn auftretende Schmerzen 
Geschildert ist ein besonders hochgradiger und durch starke kaustisch' 1 
Injectionen prompt heilender Fall. 

Die motorischen Neurosen zerfallen in solche der harntreibenden 
und der die Blase schliesseiulen Muskeln. Die Functionsträgheit de- 
Harnröhrenschliesstnuskels erzeugt das Nachträufeln* des Urins be. 
chronischen Entzündungen dieser Partieen. Es giebt eine habituell- 
Functionsträgheit und einen Krampf der Blasenschliessmuskeln 
Ersterer in geringen Graden nicht pathologisch und ein Attribut des be¬ 
ginnenden Marasmus. Die Patienten können nur schwer und keines« t“-'" 
immer und sofort dem Willensitnpul.se entsprechend uriuiren. 0. bat ram 
nach der Pubertät und anscheinend nach Tripper beobachtet. Der Kramt- 
der Blasenschliessmuskeln kommt acut bei acuten, periodisch uud chroutM 
bei chronischen Entzündungen vor. auch scheinbar ohne jede bestimmt-- 
Aetiologie und ist zumeist ein sehr angreifendes Leiden, combinirt zeit¬ 
weise mit tonischen Krämpfen Gor Damm-. Gesäss- und Obersclienkelmu.->*em 
Bei Beginn und am Sehlus.se des Mictiousactes finden schmerzhafte Teno- 


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8. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


929 


men statt, dünner Urinstrahl, oft ist das Urinlassen auch ganz unmöglich. — 
Beginn des Leidens zumeist plötzlich, aber allmähliches Verschwinden. 
Ein Fall mit fünfjährigem Bestehen und mit undeherer Aetiologie durch 
allgemeine, nervenberuhigende Behandlung geheilt, ein zweiter mit fünf¬ 
zehnjährigem Bestehen, bei einem Tripper entstanden, wie der erste 
und durch starke kaustische lnjectionen geheilt. Die spastische 
Strictur ist eine anhaltende krankhafte Contraction dieser Muskeln und 
hat dieselbe Aetiologie. In allen diesen Fällen soll man immer sorgfältig 
auf Entlastung des Unterleibes und leeres Rectum achten. Am häufigsten 
sind nervöse Affectionen der Harn austreibenden Muskeln, deren habi¬ 
tuelle Schwäche als „Blasenschwäche“ oder „schwache Blase“ bekannt 
ist. Der Krampf der Blasendetrusoren oder Harnzwang kommt vor 
in Begleitung von acuten und chronischen Erkrankungen der Urogenital¬ 
sphäre und des Rectums, mindestens ebenso häufig ist er rein nervösen 
Ursprungs als Symptom nervöser und psychischer Reizzustände auch in 
Folge, von Excessen und Masturbation. Der schmerzlose Urindrang 
kommt dabei aller 15, 5, 3, *2 Minuten, und wenn demselben nicht nachge¬ 
geben wird, läuft der Urin theilweise von selbst ab. Ara Tage oder Abends 
sind die Aufalle am schlimmsten, beim Einschlafen sistirend, nach Erre¬ 
gungen oder Alkoholgenuss, oder Aussicht auf nicht Befriedigung des 
Dranges sich steigernd. Sehr oft ist auch eine anhaltende geschlechtliche 
Erregung vorhanden. Mit Besserwerden des nervösen Allgemeinbefindens 
wird immer auch der Spasmus besser. Bei Anwesenheit von entzündlichen 
Zuständen u. s. w. müssen diese in der oben angegebenen Weise be¬ 
seitigt werden. 

Vm. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 29. October 1888. 

Vorsitzender: Herr Leyden; Schriftführer: Herr P. Guttmann. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird verlesen und ange¬ 
nommen. 

Als Gäste sind anwesend die Herren William Stark und 
Oscar Stark aus Cincinnati (Ohio) und Manges aus New-York. 

1. Herr Leyden: Ueber Herzkrankheiten bei Tabes (mit 
Demonstration). (Der Vortrag ist an anderer Stelle dieser Nummer 
abgedruckt.) 

Discussiou. 

Herr Remak: Seitdem Rosenbach und Berger auf das Zusammen¬ 
vorkommen von Aortenklappeninsufficienz mit Tabes aufmerksam gemacht 
haben, ist diese Frage in Frankreich mehr als bei uns berücksichtigt wor¬ 
den. Von deutschen Autoren hat zunächst nur Anjel ein Jahr später dar¬ 
auf aufmerksam gemacht, dass auch rein functioneil bei Tabes durch Muskel- 
insufficienz des Herzens nach Anstrengungen vorübergehend die Erscheinungen 
der Aorteninsuffirienz auftreten können; er hat in 12 Fällen von Tabes be¬ 
obachtet, dass diastolische Geräusche nur nach Anstrengungen vorkamen, 
dagegen, wenn die Kranken ausgeruht batten, diese Geräusche verschwunden 
waren. Von den Franzosen ist die Frage des Zusammenhanges ausgiebiger 
behandelt worden; aber weder ist klar gestellt, ob ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang überhaupt besteht, ob überhaupt Aorteninsufficienz bei Tabes¬ 
kranken häufiger ist als bei anderen Individuen, noch, wie Herr Leyden 
schon hervorgehoben hat, wenn ein solcher Zusammenhang bestehen sollte, 
in welcher Weise er zustande kommt. Die Annahme, dass lediglich Aorten¬ 
insufficienz vorkommt, ist schon von Joubert widerlegt worden; es kommen 
ebensogut auch Mitralerkrankungen vor. Die Theorieen über den Zusammen¬ 
hang waren mannichfaltig. So wurden von Grasset die Sehmerzanfälle für 
die Entstehung der Aorteninsufficienz verantwortlich gemacht, von 
Anderen ein trophischer Zusammenhang angenommen, dann eine Coin- 
cidenz der Ursachen, indem vielleicht primäre Arterienerkrankung beide 
Processe hervorrufen sollte. Bemerkenswerth aus dem klinischen Verlauf 
ist. dass sehr häufig diese Aortenerkrankungen ganz latent sich entwickelt 
hatten, dass sie zufällig entdeckt waren, und diejenigen ätiologischen Mo¬ 
mente, welche sonst für Herzfehler bekannt sind, wie Gelenkrheumatismus, 
Syphilis u. s. w., aus der Anamnese ausgeschlossen werden konnten. Nach¬ 
dem 1879 die Arbeit von Berger und Rosenbach erschienen war, habe 
ich selbst in meinem Tabesmaterial vielfach darauf geachtet, habe aber nie¬ 
mals in den ersten Jahren vermocht, solche Fälle nachzuweiseu. Da nun 
bei der Tabes so ausserordentlich viel zu untersuchen ist, und die Schwierig¬ 
keit, Alles zu berücksichtigen, bei poliklinischen Beobachtungen besonders 
gross ist, so muss ich zugestehen, dass mein Beobachtungsmaterial für 
die Frage der Frequenz der Herzaffectionen bei Tabes nicht verwerthbar ist, 
da mir leicht dieser oder jener Fall in dieser Beziehung entgangen sein 
kann. 

Dieser Fall, den ich auf Grund der Tagesordnung hierher bestellt habe, 
ist auch nur zufällig in Bezug auf seine Herzerkrankung zu meiner Kennt- 
niss gekommen. Es handelt sich um eiuen 44jährigen Stellmacher, der am 
15. März dieses Jahres in meine Poliklinik aufgenommen wurde. Er will 
niemals einen Schanker gehabt haben, hat 5 gesunde lebende Kinder 
und war mehrfach Erkältungen ausgesetzt. Vor zwei Jahren will 
er den Winter hindurch nach links hin doppelt gesehen haben. Seit 3 /* Jahren 
hat er Urinbeschwerden, ebenso lange schmerzhaftes Zucken in den Beinen. 
Seit einem halben Jahre hat er seine Potenz verloren. Als Fall von Tabes 
bietet Pat. nicht viel Besonderes. Er hat enge Pupillen mit reflectorischer 
Pupillenstarre. Seinen Klagen über Oppressionsgefühl entspricht eine wohl 
charakterisirte Hautsensibilitätsstörung am Thorax, welche von der Höhe der 
zweiten Rippe bis zum Rippenrande abwärts für alle Qualitäten der Empfin¬ 
dung nachweisbar ist. Er schwankt etwas mit geschlossenen Augen, aber 
nicht sehr erheblich, und bat sich darin etwas gebessert. Er geht etwas 
unsicher, namentlich beim Umdrehen. Er kann zur Noth noch auf den Stuhl 


steigen. Das Kniephänomen fehlt beiderseits vollkommen, auch mit dem 
Jendrassik’schen Handgriff. Es sind leichte Sensibilitätsstörungen an den 
unteren Extremitäten zu ermitteln, besonders verlangsamte Schraerzempfin- 
dung. Ich hatte den Kranken bis Mitte September d. J. galvanisch be¬ 
handelt, als mir zufällig eines Tages, während er unbekleidet vor mir sass, 
die sichtbare schnellende Pulsation der Arteriae brachiales auffiel, wodurch 
ich nun erst auf das Herz aufmerksam wurde. Ich fand ein lautes diasto¬ 
lisches Geräusch auf dem ganzen Sternum, eine Verschiebung der Herzspitze 
nach links und einen exquisiten Pulsus celer. Es wäre mir lieb, wenn einer 
der Herren, welche competenter in der Herzuutersuchung sind, so freundlich 
wäre, die Thatsache der Aorteninsufficienz zu bestätigen. 

Herr Leyden: Es liegt vor: Dilatation des linken Ventrikels, systoli¬ 
sches und diastolisches Geräusch, Pulsus celer. 

Herr Remak: Natürlich ist auch dieser Fall, eine ausgesprochene 
Aorteninsufficienz bei Tabes, namentlich nachdem wir gehört haben, dass 
selbst der anatomische Befund keine bestimmte Auskunft darüber geben kann, 
nicht zu verwerthen für die Frage ursächlichen Zusammenhanges. Ich habe 
aber doch geglaubt, ihn vorstellen zu dürfen, weil schon die Coincidenz 
dieser Dinge an und für sich weniger bekannt ist. Bemerkenswerth ist 
vielleicht noch, dass neben der immerhin ungewöhnlichen Sensibilitätsstörung 
am Thorax auch noch leichte atactische Erscheinungen von Seiten der oberen 
Extremitäten bestehen, indem der Patient beim Knöpfen Schwierigkeit hat, 
lange herumgreift u. s. w., dass also bei den verhältnissmässig geringen 
Störungen der unteren Extremität die Möglichkeit vorhanden ist, dass der 
tabische Process im oberen Dorsalmark bis in das Halsmark verhältniss¬ 
mässig stärker entwickelt ist. 

Herr P. Guttmann: Ich bin mit Herrn Leyden durchaus einver¬ 
standen, dass es keinen ätiologischen Zusammenhang giebt zwischen Iusuffi- 
cienz der Aortenklappen und Tabes. Einen Hauptgrund hat Herr Leyden 
schon selbst genannt, den nämlich, dass in seinem heut besprochenen Krank¬ 
heitsfälle bei der Section diejenige Veränderung an der Aorta sich vorfand, 
welche am allerhäufigsten die Ursache für Insufficicnz der Aortenklappen 
ist, die Sklerose der Aorta. Deshalb nämlich ist sie die Ursache, weil 
derselbe endarteritiscbe chronische Process, der an der Aorta ascendens im 
etwas späteren Alter seinen Anfang nimmt, sich sehr häufig auch auf die 
Aortenklappen nach unten fortsetzt und so die Verdickung, selbst kalkartige 
Degeneration herbeiführt, welche die Insufficienz der Aortenklappen bedingt. 

Ein zweiter Grund, der gegen den ätiologischen Zusammenhang zwischen 
Tabes und Insufficienz der Aortenklappen spricht, ist, dass dieser Klappen¬ 
fehler, der als alleinige Affection so ausserordentlich häufig vorkommt, 
bei Tabes selten ist. Ich habe seit der Mittheilung von Berger und Ro¬ 
se nbach darauf geachtet. Unter etwa 100 Fällen von Tabes habe ich 
meiner Erinnerung nach nur 3 KlappenafTectionen gesehen. Zwei davon 
konnte man als Insufficienz der Aortenklappen deuten, es waren aber keine 
ausgesprochenen Fälle. Nun ist aber die Insufficienz der Aortenklappen eine 
genuin so häufig vorkommende KlappenafFection, dass man, wenn sie hier 
und da bei Tabes gefunden wird, doch zunächst nur an ein Nebeneinander 
dieser beiden Affectionen wird denken müssen, nicht an eiuen causalen 
Zusammenhang. In Bezug auf die Häufigkeit der Aortenklappeninsufficienz 
möchte ich noch erwähnen, dass man oft bei Obductionen Veränderungen 
an den Aortenklappen findet, welche geeignet erscheinen, dass sie im Leben 
die klinischen Symptome der Insufficienz hätten hervorrufen müssen, und dass 
trotzdem während des Lebens kein diastolisches Aortengeräusch da war, 
beziehungsweise kein anderes der charakteristischen Symptome. Drittens 
möchte ich noch erwähnen: wenn selbst Fälle angeführt werden würden, 
wo mau bei Tabes combinirt mit Insufficienz der Aortenklappen bei der 
Section den atheromatösen Process nicht in der Aorta findet, sondern bloss 
die Veränderungen an den Aortenklappen (fibröse Verdickung u. s. w.), so 
sage ich auch dann: hier ist kein ätiologischer Zusammenhang mit Tabes, 
denn man findet, freilich viel seltener, als bei Sklerose der Aorta, auch ohne 
Sklerose der Aorta eine Insufficienz der Aortenklappen, hervorgerufen durch 
die Folge von chronisch - entzündlichen Processen (fibrösen Verdickungen 
u. 8. w.) an den Aortenklappen. 

Herr Aronsohn: Ich richte an Herrn Leyden die Frage, ob vielleicht 
auch, zumal die Patientin über Athemnoth geklagt hat, die Beweglichkeit 
der Stimmbänder geprüft wurde; denu es ist bekannt, dass bei Tabes eine 
Erweiterungsinsufficienz der Stimmbänder nicht selten gefunden wird. Es 
wäre in diesem Falle zur Entscheidung der angeregten Frage, ob die 
Insufficienz der Aortenklappen in Zusammenhang zu bringen ist mit der 
Tabes oder einem sklerotischen Process, von Bedeutung, wenn gleichzeitig 
mit der Insufficienz der Aortenklappen eine solche der Stimmbänder vor¬ 
handen gewesen wäre. 

Herr Leyden: Solche Symptome sind nicht constatirt worden. 

Herr Oppenheim: In 4 Fällen habe ich sicher das Zusaramenvor- 
kommen der Aorteninsufficienz und der Tabes dorsalis beobachtet, und zwar 
bestand gewöhnlich eine allgemeine Arteriosklerose gleichzeitig. Kein Fall 
von diesen kam zur Autopsie. Dagegen habe ich in meiner letzten Mit- 
tbeilung „Neue Beiträge zur Pathologie der Tabes dorsalis" (NVestphal’s 
Archiv Bd. XX, Heft 1) einen Fall mitgethoilt, in welchem eine sehr schwere 
allgemeine Arteriosklerose bestand neben der Tabes, während eine lu- 
sufficienz der Aortaklappen intra vitam nicht bestimmt constatirt werden 
konnte. Die Autopsie zeigte neben der Hinterstrangdegeneratiou eine sehr 
schwere Atheromatose, besonders der Hirngefässe und der Aorta mit In¬ 
sufficienz der letzteren. In diesem Falle war eine specifische Infection 
vorausgegangen, und wenn ich auch keineswegs dafür eintreteu möchte, dass 
ein direkter Zusammenhang zwischen der Insufficienz der Aortenklappen und 
der Tabes dorsalis besteht, so könnte man doch an ein Bindeglied denken, 
nämlich an eine gemeinschaftliche Aetiologie, und diese in der syphilitischen 
Infection suchen. 

Nachtrag zum Protokoll: Eine nachträglich vorgenommene Durch¬ 
sicht der von mir beobachteten Fälle von Tabes dorsalis ergiebt, dass in 6 
neben der Tabes eine Insufficienz, resp. Stenose und Insufficienz der Aorta 


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DRUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


bestand, und zwar gewöhnlich verknüpft mit allgemeiner Arteriosklerose. 
Einmal gab sich dieselbe auch kund durch eiue aneurysmatische Erweiterung 
der Carotiden, besonders der rechten. 

Der schon erwähnte Fall, in welchem bei der Autopsie ausser Tabes 
eine schwere Arteriosklerose gefunden wurde, ist mitgetheilt in meiner Ab¬ 
handlung: Neue Beiträge zur Pathologie der Tabes dorsalis (Westphal’s 
Archiv Bd. XX, H. 1). Es heisst im Obductionsprotokoll: Endocarditis chro¬ 
nica fibrosa retiahens aortica (lnsufficientia) sowie: „Gefässe an der Hirn- 
basis und in der Fossa Sylvii durchweg erweitert mit vereinzelten sklero¬ 
tischen Herden.“ (Im Status praesens heisst es: Der 1. Ton über der Aorta 
leicht blasend, der zweite verstärkt und etwas klingend.) 

In einem zweiten dort mitgetheilten Falle fand sich: „Spitzenstoss 
fingerbreit ausserhalb der Mammillarlinic, hebend, Töne an der Herzspitze 
laut und klappend, der zweite Aortenton etwas verstärkt und tönend, peri¬ 
phere Arterien deutlich rigide und geschlängelt. Im Obductionsprotokoll: 
Atheromatöso Degeneration der grossen Gefässe. 

In beiden Fällen war eine frühere Infection (im ersten „harter 
Schanker“, im zweiten „Schanker“) zugegeben. 

Ferner finde ich unter den von Siemerling und mir raitgetheilten 
Fällen von Tabes dorsalis vier, in denen p. m. eine Endarteritis chronica 
deformans und speciell eine Atheromatose der Aorta gefunden wurde. 
— Zweimal habe ich ausserdem die Aorteninsufficienz bei Dementia para- 
lytica gefunden. 

Herr Remak: Für meinen Fall betone ich noch einmal, dass hier 
Lues sicher nicht vorausgegangen ist. Sodann bemerke ich noch nach¬ 
träglich, dass der Kranke fast gar keine Erscheinung von seinem Herz¬ 
leiden hat. Er giebt. nur zu, dass, seitdem die Schwäche in den Beinen 
vorliegt, auch beim Treppensteigen die Luft ihm etwas knapp wird, was er 
aber mit dem Oppressionsgefühl des Thorax in Beziehung bringt. Ebenso 
ist Gelenkrheumatismus nicht voraufgegangen. Nach dem hier mitgetlieilten 
Befunde bleibt also die Thatsache bestehen, dass die Aorteninsufficienz zu den 
zwar seltenen klinischen Complicationen der Tabes gehört Auch andere 
Visceralerkrankungen, wie die gastrischen Krisen, die Kehlkopfkrisen und 
Lähmungen sind übrigens seltene Begleiterscheinungen der Tabes und ge¬ 
hören keineswegs zu ihrem gewöhnlichen Kraukheitsbilde. 

Herr Leyden: Ich habe zum Schluss meinen Ausführungen nichts 
hinzuzufügen und beschränke mich auf die kurze Bemerkung, dass, wie die 
Discussion gelehrt hat, wir es in der That mit eiuem recht interessanten 
Problem über den Zusammenhang von Herzkrankheiten und Tabes zu thun 
haben. 

Herr Klemperer: „Ueber die motorisohe Thätigkeit des 
menschlichen Magens.“ (Der Vortrag wird in dieser Wochen¬ 
schrift publicirt werden.) 

IX. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 31. October 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

Herr Virchow macht der Gesellschaft Mittheilung von dem Ableben des 
Mitgliedes Geh. Sanitätsrath Dr. E. Cohn. — An Stelle des aus der Ge- 
sellchaft ausgeschiedenen Geh. Sanitätsrath Dr. Wegscheider wird Sanitäts¬ 
rath Dr. It. Rüge in dio Aufnahmecommission gewählt. 

1. Herr Ehrenhaus demonstrirt ein Kind mit Hydrocepholos und 
bringt dabei die Frage in Anregung, ob in solchem Falle die Punction mit 
nachheriger Compression angezeigt sei. 

Herr Henoch ist der Ansicht, dass gegen die Punction nichts einzu¬ 
wenden sei, man dürfe sich indess nicht zuviel davon versprechen. Er 
selbst habe in fünf Fällen von Hydrops wiederholt, in einem Falle sechsmal, 
puuetirt, in einem Falle sogar nachher eine Jodinjection gemacht, ohne den 
geringsten günstigen Erfolg davon zu sehen. 

2. Herr Küster stellt einen 45jährigen Mann vor, dem am 31. August 
d. J. von dem ersten Assistenten des Vortragenden, Herrn Dr. Barth, der 
halbe Kehlkopf exstirpirt wurde, d. h. es wurde die Hälfte des Schild¬ 
knorpels entfernt, während der Ringknorpel erhalten blieb. Im Augenblick 
ist noch ein Katarrh im übriggebliebeneu Kehlkopf vorhanden, so dass die 
Stimme jedenfalls noch besser werden wird. Trotzdem ist eine leidliche 
Function derselben zu constatiren. Im Anschluss an diesen Fall demonstiirt 
Herr Küster das Präparat eines zweiten Falles, von einem 57jährigen 
Manne, welcher am 8. und 10. September in zwei Absätzen operirt wurde. 
Der Fall schien von vornherein nicht sehr geeignet zur Operation, und Herr 
Küster entschloss sich nur auf das dringende Verlangen des Patienten zu 
derselben. Es war bereits eine sehr grosse carcinomatöse Lymphdrüseu- 
infiltration am Halse vorhanden, deren Exstirpation als erster Act am 8. 
vorgenommen wurde. Dabei musste der Nervus laryngeus superior resecirt 
werden. Es stellte sich danach eine sehr hefiige Brouchitis eiu, und Vor¬ 
tragender nahm nun, weil der Patient sonst verloren geweseu wäre, die 
Exstirpation der Hälfte des Kehlkopfes zwei Tage später vor. Die Bron¬ 
chitis verschwand sofort. Es ging dem Patienten dann Wochen lang gut, 
er sprach vorzüglich, dann trat allmählich eino langsam zunehmende Bron¬ 
chitis mit stark eitrigem Auswurf ein, schliesslich war eine Pneumonie nach¬ 
weisbar, der der Kranke 7 Wochen nach der Operation erlag. Die .Section 
ergab, dass er bereits Metastasen in der Lunge hatte, und dass auch lokal 
ein kleines carcinomatöses Kuötchen vorhanden war, von welchem aus der 
Katarrh sich vielleicht entwickelt hatte. 

Der Vortragende hebt hervor, dass er niemals, wenn es nicht durchaus 
nothwendig war, mehr als die eine Schildknorpclhälfte exstirpirt habe, und 
dass er stets den Ringknorpel zu erhalten suche. Er habe nie danach 
Schluckbesch werden eintreten sehen, wie Hahn es in seinem Buche ausge¬ 
sprochen habe. Es sei ferner in letzter Zeit häufig behauptet worden, dass 
bei Kehlkopfkrebs recht selten Drüseninfiltrationen beobachtet würden. In¬ 


dessen bei 5 Fällen, die Herr Küster wegen Krebs operirt hat, seien 3mal 
Drüseninfiltrationen vorhanden gewesen. Bemerkenswerth ist in dem Falk 
desson Präparat Herr Küster demonstrirte, dass eine schwere Bronchitis 
sich an diu Resection des Nervus laryngeus superior anschloss, die im 
Augenblick verschwand, wo der halbe Kehlkopf exstirpirt war. 

3. HerrBiondi (Rom) theilt die Ergebnisse seiner anatomischen Unter¬ 
suchungen an Schilddrüsen von Thieron mit, die er am hiesigen Patho¬ 
logischen Institut ausgeführt hat. Der Redner war leider im einzelnen 
schwer verständlich. Im allgemeinen gehen seine Befunde dahin, dass sich 
innerhalb der Acini das von der Drüse producirte Secret (die colloide 
Substanz) zunächst ansammelt, dass dann die Acini ihren Inhalt in die 
Lymphdrüsen entleeren, von denen die Drüse, wie der Vortragende 
demonstriren konnte, eineu ungewöhnlichen Roichthum besitzt. 

4. Herr W. Manasse stellt eine Patientin vor mit dem eigenthömlichen. 
als Myxödem bezeichneten Symptomencomplex. Pat. ist 54 Jahre alt und 
hereditär nicht belastet Sie leidet seit früher Jugend an Stockschnupfen, 
hat im '-'0. Jahre Lues acquirirt. 28 Jahre alt. gebar sie zwei todte Kinder 
Im 41. Jahre hatte sie einen Anfall von Kopfrose. Sie war bis zum 49. Jahre 
menstruirt. Im 44. Jahre bezog sie eine feuchte Wohnung, hatte andauernd 
schwer zu arbeiten, gestörte Nachtruhe und anhaltenden Aerger. Nach Verlauf 
von drei Jahren traten eigentümliche Schwellungen auf, zuerst an den 
Füssen, dann an den Händen, zuletzt im Gesicht. An der Pat. fallt zu¬ 
nächst der voluminöse Kopf auf: sie macht den Kiudruck einer stupiden Person. 
An Stirn, Wangen, Kinn, an den Ohren und am behaarten Kopf finden sich 
die bekannten Anschwellungen, die beim Fingerdruck keine Delle zurück¬ 
lassen; es macht den Eindruck, als ob man auf eine gallertartige Masse 
drückt. Die Haare sind stark ausgegangen Die oberen Augenlider sin! 
ebenfalls angeschwollen, die Zunge verbreitert Die Haut ist zart weiss, 
wachsähnlich, mit rothen Flecken auf den Wangen. Der Rumpf ist mit über¬ 
reichem Fettpolster versehen, an den Händen finden sich ebenfalls, nament¬ 
lich an den vorderen Phalangen, Auftreibungen. Die Hände sind stets kalt. 
Taubheitsgefühl in denselben, unfähig zu feinerer Arbeit. Die Fnsse sind 
geschwollen, schwellen aber hier und da ab. Die Sensibilität der Haut ist 
im Grossen und Ganzen normal, ebenso die Sehnenreflexe, dagegen sind 
Druck-, 'Fast-, Temperatursinn verändert. Die Eigentemporatur der Pat. ist 
stets subnormal. Pat. leidet an Rhinitis chronica atrophicans, Fötor ex ore. 
grosser Appetitlosigkeit und hartnäckiger Obstipation. Ihr Gang ist schwer¬ 
fällig, ohne deshalb atactisch genannt werden zu können, sie verliert 
allerdings leicht das Gleichgewicht , wenn man sie schnell aus einer Lage 
in die andere zu bringen sucht. Die Pat. spricht langsam, monoton uni 
schwerfällig, ihr ganzes Wesen ist höchst apathisch, sie sitzt stundenlang 
ohne sich zu rühren, schläft mitunter bis 18 Stunden lang, ohne aufzuwachen 
Eine Untersuchung des Blutes hat ergeben, dass dit weissen Blutkörperchen 
im Verhältnis zu den rothen vermehrt sind. Von einer Schilddrüse ist k; 
der Patientin keine Spur zu entdecken, während auf einer Photographie, 
welche vor 14 Jahren angefertigt ist und auf welcher die Pat. itn Gegensatz 
zu heute als eine Person mit ebenmässigen Gesichtszügen und öpp'? ?m 
Haarwuchs erscheint, eine Struma zu erkennen ist. 

Herr Lassar bezweifelt, oh man den vorgestellten Fall ohne Weiteres 
unter den Begriff des Myxödems stellen darf. Der als Myxödem beschriebene 
Symptomencomplex begreift auch schwere psychische Veränderungen in sich, 
während die vorgestellte Kranke vollkommen intelligent ist. Herr Lassar 
zeigt die Photographie eines ganz ähnlichen Falles, der in die Kategorie der 
erysipelatöson Oecieme gehört. Man könnte in dem Falle des Herrn Manasse 
daran denken, dass die bestehende Ozaena die Quelle für fortdauernde der¬ 
artige Nachschübe bilde. 

Herr Virchow findet bei der Pat. eine so grosse Aehnlichkeit mit den 
Fällen, die er früher geseheu hat, dass er sich den Bedenken des Herrn 
Lassar nicht anschliessen kann. Die von letzterem demonstrirte Photo¬ 
graphie bietet allerdings manche Abweichungen von dem charakteristischen 
Bilde dar, so sind u. A. so hochgradige Anschwellungen, namentlich de r 
oberen Augenlider, vorhanden, wie Herr Virchow sie bei keinem der frü¬ 
heren Fälle gesehen hat. 

5. Herr Leo hält die erste Hälfte seines angekündigten Vortrages Bker 
die Function de» Magens and die therapeutischen Erfolge der Mag*®' 
aasspUiang bei Kindern. (Wir werden über den Vortrag im Zusammen¬ 
hang berichten.) 


X. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 29. Mai 1888. 

Vorsitzender: Herr Curschmaun; Schriftführer Herr Noone. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung macht Herr Curschmann 
der Versammlung Mittheilung von dem Ableben des Herrn Dr. Unna 
Der Vorsitzende widmete ihm einige warme Worte der Erinnerung- 
Die Versammlung ehrt sein Andenken durch Erheben von den Sitzen- 

1. Herr G. Cohen zeigt im Anschluss an den Vortrag de? 
Herrn Kumme 11 in voriger Sitzung, ein Prii parat von Postati- 
hypertrophie. Das Präparat stammt von einem 90jährigen Manne, 
welcher in seinem 57. Jahre au Harnbeschwerden erkrankte. M aD 
constatirte damals bei ihm eine hochgradige Strictur der Harnröhre, 
unter specialistischer Behandlung besserte sich der Zustaud, soda-«s 
der Urin wieder 3 Stunden lang gehalten werden konnte. Einig' 1 
Jahre später zeigten sich die ersten Symptome einer beginnenden 
Prostatahypertrophie. Abwechselnde Verschlimmerung und Besserung¬ 
zeitweiliger Catheterismus. Einige Jahre später trat ausserordentlu 
profuse und hartnäckige Haematurie mit consecutiven Schwebe¬ 
zuständen auf. 1872 traten Nierenkoliken auf. 1881 wurden u<h 


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8. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


931 


bedeutende Mengen kleiner Nierensteine entleert. Das Blasenleiden I 
hatte inzwischen keine weiteren Fortschritte gemacht, obwohl die ' 
vergrösserte Prostata inter vitam als fast mannesfaustgrosser Tumor | 
zu constatiren gewesen war. Patient ging au einer croupösen Pneu- j 
monie zu Grunde. Bei der Section fand sich eine ausserordentlich I 
starke Hypertrophie des Mittellappens der Prostata; die Blasen- ' 
Schleimhaut war nicht hypertrophisch, die Uretheren und das Nieren¬ 
becken etwas erweitert, die Rindensubstanz der Nieren etwas 
atrophisch. 

Ferner berichtet Vortragender über einen 78 Jahre alten Mann, 
der an eiuer Prostatahypertrophie leidet, und, obgleich er seit 
10 Jahren deu Catheter braucht, bei recht gutem Allgemeinbefinden 
ist. Angesichts dieser 2 Fälle will Vortragender die Prognose bei 
Prostatahypertrophie günstiger gestellt wissen, als Herr Kümmel 1 
iu seinem Vortrag getlian hat. 

2. Herr Fraenkel stellt unter Bezugnahme auf die Demon¬ 
stration des Herrn Eisenlohr in voriger Sitzung a) das Präparat 
eines Aneurysma der Arteria cerebr. communicans poster. 
sinistra vor. Es handelte sich um einen zutalligeu Nebenbefuud 
bei einer an Gaugraeua senilis zu Grunde gegangenen Frau. Vor¬ 
tragender erwähnt, dass Lebert in 8G Fällen von Erkrankungen 
der Gehirnarterien die Art. coramunic. poster. nur 7 Mal erkraukt 
fand, sowie dass diese Arterie in der Häufigkeitsskala der Erkrankung 
die 4. von 5 Stufen einnimmt. 

b) Das Präparat eines Ulcus ventriculi, welches durch die 
Bauchdecken perforirt war. Herr Fraenkel sah diesen Aus¬ 
gang nur einmal. Er gewann das Präparat vor 5 Jahren von einer 
20jährigen Frau. Im Anschluss daran bespricht er die augen¬ 
blicklich herrschenden Theorieen über die Aetiologie des Magen¬ 
geschwürs und geht speciell auf die Frage der Hyperacidität ein. 

c) Einen Unterkiefer mit Osteomyelitis. Patient hatte sich 
vor 2 Tagen einen Backenzahn des r. Unterkiefers entfernen lassen. 
Es wurde bei der Extraction die Erkrankung des Unterkiefers con- 
statirt. Auf der Abtheilung des Herrn Schede nahm die Infection 
auf rapideste Weise ihren Weg durch deu Boden der Mundhöhle 
durch das retrotonsilläre Gewebe, gelangte in’s Mediastinum und 
führte durch Befallen der Pleurahöhleu und des Pericards zum Tode. 
Die Exsudate waren fötid. Es ist dies die 3. Beobachtung, die 
Herr Fraenkel zu machen Gelegenheit hatte. 

Herr Schede kennt ca. 8 Fälle. Er hält dieselben von Anfang an für 
rettungslos verloren, da er bisher alle letal endigen sah. Die Patienten 
gingen entweder an acuter oder mehr chronischer Sepsis zu Grunde, ltn 
vorliegenden Falle betrug die Dauer der Krankheit kaum mehr als 24 Stunden 

3. Herr Kümmell stellt einen Patieuten vor, bei welchem er 
ein Sarcom der rechten Tonsille, des Gaumenbogens und eines 
Theiles des Pharynx operativ entfernt hat. Der 28 Jahre alte 
Patient bemerkte zu Aufaug dieses Jahres an der rechten Seite 
des Halses eine bewegliche, ca. wallnussgrosse Geschwulst, welche, 
da sie schnell an Grösse zunahm, operativ entfernt wurde. Inuer- 
halb weniger Wochen, nachdem die Wunde kaum vernarbt war, 
zeigte sich von Neuem eine von Tage zu Tage zunehmende Schwel¬ 
lung an der rechten Seite des Halses. Als Kümmell deu Pat. 
Anfangs Februar zuerst sah, wurde die rechte Halsseite vou der 
Clavicula bis zum Proc. mastoideus vollständig von einer derben, 
unbeweglichen, über mannsfaustgrossen Geschwulst eingenommen. 
Bei dem günstigen Kräftezustaud des Patienten glaubte Kümmell 
den Versuch zur operativen Eutferuuug der Geschwulst wagen zu 
müssen. Der Tumor wurde durch einen langen von der Clavicula 
bis zum Ohr reichenden Schnitt fi eigelegt, und zunächst die Carotis 
dicht oberhalb der Anonyma unterbunden. Dadurch gelang es mit 
relativ sehr geringem Blutverlust zu operiren, deu N. vagus uud 
recurrens aus der Geschwulstmasse herauszupräpariren und deu bis 
zu den Wirbeln reichenden Tumor in toto zu exstirpiren; die Ab¬ 
lösung von der Schädelbasis bot einige Schwierigkeit. Die grosse 
Wundhöhle wurde mit Jodoformgaze ausgefüllt, uud die Secundär- 
naht nach 48 Stunden geschlossen. Der Heilungsverlauf war ein 
reactiousloser. Patient konnte nach 3 Tagen das Bett verlassen. 
Die Wuude war nach lü Tagen bis auf eiu granulireudes Hautloch, 
nach 12 Tagen verheilt. Anfang April war eine rasch zunehmende 
Schwellung der rechten Parotis und eine die rechte Tonsille, die 
rechten Gaumenbögen bis zur Uvula und einen Theil der hinteren 
Pharynxwand einnehmende zerfallende Geschwulst zu constatiren; 
der Kräftezustand des Patieuten war ein immerhin guter zu nennen, 
obwohl eine wesentliche Abmagerung eingetreten war. Kümmell 
hoffte nach Entfernung der rechteu Parotis zwischen dem Kiefer¬ 
winkel und vorderen Rande des Sternocleidomastoideus in die Tiefe 
bis zur Tonsille Vordringen zu können. Da jedoch auf diese Weise 
nicht genügend Raum geschafft werden konnte, durchtrennte Küm¬ 
mell nach voraufgegangener Tracheotomie und Tamponade des 
Kehlkopfes vom Muude aus in bekannter Weise die rechte Seite 
des Unterkiefers und durchschnitt, da das Operationsfeld noch nicht 
in genügender Weise freigelegt war, die rechte Wange. Auf diese 


Weise wurden die erkrankten Rachenpartieen sehr leicht zugäng¬ 
lich, und es gelang, die erkrankte Tonsille, die rechten Gauineu- 
bögeu bis zur Uvula und einen Theil der hinteren Pharynxwand 
ohne wesentliche Schwierigkeiten zu eutfernen. Die Wangenwunde 
wurde durch Schleimhaut- und äussere Nähte geschlossen, und der 
Unterkiefer durch zwei Hans mann’sehe Schrauben mit einem 
Silberstreifen fest vereinigt. Nach Schluss der übrigen Hautwunden 
durch die Naht wurde das Ganze mit einem antiseptischen Ver¬ 
bände bedeckt. Patient war nach der Operation, welche l'.'a Stunden 
in Anspruch nahm, sowie durch den Blutverlust stark collabirt, erholte 
sich jedoch schon am folgenden Tage wesentlich. Die Tracheotomie- 
Canüle konnte am vierten Tage entfernt werden. Die Ernährung 
machte in den ersteu Tagen grosse Schwierigkeiten, da Patient die 
Einsetzung der Schluudsonde energisch verweigerte. Ernährende 
Klystiere wurden während der ersten zwei Tage angewandt; dann 
vermochte Patient mit Mühe einige breiige Speisen, auf der linken 
Seite liegend, zu schlucken. Allmählich wurde die Nahrungsauf¬ 
nahme eine immer leichtere. Der weitere Wundverlauf war eiu 
günstiger. Die tiefen Wunden der rechten Tonsillenwand sind, 
ohne tiefe Defecte zu hinterlasseu, fest vernarbt. Die Wangenwunde 
ist liuear verheilt. Die noch im Unterkiefer befindlichen Schrauben 
sollen morgen eutfernt werden. Kümmell stellte den Patienten 
vor Beseitigung der Hansmann’schen Schrauben vor, um die 
günstige Wirkung und leichte Handhabung derselben und die da¬ 
durch erzielte, vou jeder Dislocatiou freie Adaption und feste 
Vereinigung der Unterkieferfragraente darzulegen. Was die Tampo¬ 
nade der Trachea anbetrifft, so giebt Kümmell der Schwamm- 
canüle, wie sie in letzter Zeit von Hahn häufig und mit grossem 
Vortheil angewaudt, vor allen auderen deu Vorzug. 

Herr Michael: Betreffs der von Herrn Kümmell in seiner Mitthei¬ 
lung erwähnten Schwammcauüle möchte ich mir die Bemerkung gestatten, 
dass dieselbe nicht von Hahn, sondern vou mir angegeben und im Jahre 
18 ö 2 hier und auf dem Chirurgencougress deraoustrirt worden ist. Hahn 
hat nur deu Gummiüberzug fortgelassen; durch diese Modification wird dem 
flü>sigen Secret der Eintritt in die Lunge gestattet, der von der Cauüle er¬ 
strebte Zweck des Schutzes gegen Fremdkörperpneuraonie also zum Theil 
illusorisch gemacht. Durch eiuen einfachen Versuch (man bringt einen 
Schwamm iu eiue Glasröhre und füllt dieselbe oben mit blutig-schleimiger 
Flüssigkeit) kann man sich leicht vou der Richtigkeit dieser Thatsache 
überzeugen. 

Herr Kümmell will Herrn Michael die Priorität seiner Methode 
nicht aberkaunt haben. 

4. Herr Curschmann demonstrirt im Aufträge des Herrn 
Weberling braune Kuchen, deren jeder eine Abkochung vou 2 g 
Cortex frangulae enthält, für eiu Kind soll ein Kuchen, für Er¬ 
wachsene 2—3 abführende Wirkung üben. Vortragender empfiehlt 
dieselben zu allgemeinem Gebrauche. 

5. Herr Voigt begiunt seinen Vortrag: Ueber Impfsohäden. 
(Der Vortrag ist in dieser Wochenschr. No. 43 und folgende ver¬ 
öffentlicht.) 

XI. Erster Congress der Italienischen Gesell¬ 
schaft iür innere Medicm zu Rom. 

(Uriginalbericht.) 

(Fortsetzung aus No. 44.) 

6. Cardarel 1 i (Neapel) spricht über Herzkrankheiten. Er macht darauf 
aufmerksam, dass jedes Herz eiue gewisse Reservekraft besitzt, welche daun 
zur Verwendung kommt, weuu sich die Circulationshiudernisse steigern. 
Diese Reservekraft ist beim gesunden Herzen grösser als beim krankeu. Er 
empfiehlt zum Studium dieser Thatsacheu die Pulscurven zu beobachten, 
welche eutsteheu, weuu die Aa. cruralis comprimirt werden. Curdarelli 
macht ferner darauf aufmerksam, dass das organisch kranke llerz nebenher 
noch der Sitz von unabhängig davon bestehenden Neurosen sein kann, die 
entweder durch Reizuug oder durch Lähmung des Vagus zu Stande kommen. 
Im ersten Falle sind Atropiu, im zweiten Digitalis resp. analog Wiikende 
Mittel am Platze. 

de Giovaunini (Padua) spricht sich über die Oertel’sche Cur bei 
Herzkranken aus. Bevor man Herzgymnastik versucht, solle man sich zu¬ 
nächst vou der dem Herzeu iunewohuenden latenten Kraft überzeugen. Dies 
geschieht, indem Strychnin gereicht und die Unterextremitäteu eiugewickelt 
werden. Stellen sich hiernach keine auf Hyposystolie schliesseu lassende 
Störungen des Pulses, der Athmuug, der Nieren- uud Darmtbätigkeit ein, so 
kann mau Herzgymuastik versuchen. 

Rumino (Neapel) theilt Ergebnisse von Untersuchungen mit, die er 
über die Wirksamkeit der verschiedensten Herzmittel angestellt hat. Mau 
muss bei dieser Wirksamkeit die Wirkung auf das Myocard von der Wirkung 
auf das Herzuervensystem trennen. In diesen beiden Punkten unterscheiden 
sich die verschiedenen Herzmittel ebenso von einander wie in der Wirkung 
auf die vasomotorischen Nerven. Auf Grund dieser Uutersuchuugsergebnisse 
setzt Rumino die Gesichtspunkte auseinander, nach denen indem einzelnen 
Krankheitsfalle die anzuwendenden Mittel auszuwählen sind. 

7. Murri (Bologna) spricht über Fieber. „Fieber“ ist kein einheit¬ 
licher Begriff. Auch der Umstand, dass ein jedes Fieber mit Temperatur¬ 
steigerung verbunden ist, berechtigt uns nicht, den Mechanismus der Ent¬ 
stehung des Fiebers als überall deu gleichen anzuseheu. Während mail ge¬ 
wöhnt ist, hierfür die Reizung bestimmter thermogener nervöser Centren 


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932 __ ______ DEUTSCHE MEDICINI8CHK WOCHENSCHRIFT. ___________ No. 45 


(Corp. striat. etc.) vorauszusetzen, gelingt es, wie Uurri fand, auch bei ent* 
hirnten Thieren, durch lujection pyrogener Substanzen Temperatursteigerung 
hervorzurufen. Mit dem Fallen der Einheit des „Fiebers“ sieht Murri auch 
der brennenden Frage nach der allgemeinen Opportunist der Antipyrese den 
Boden entzogen. Man müsse jede Art des Fiebers, jede Art der Infection 
für sich hinsichtlich dieser Frage prüfen. 

Maragliano (Genua) und Bozzolo (Turin) vertreten den Standpunkt, 
dass die Antipyrese stets nützlich sei und die Mortalität verringere. 

Cantani (Neapel) nimmt einen anderen Standpunkt ein. Er halt nur 
sehr hohe Temperaturen für schädlich für den Organismus und will eine 
Bekämpfung des Fiebers nur da zulassen, wo man (und zwar sind dies sel¬ 
tene Fälle) mit dem Fieber zugleich seine Ursache bekämpft (bei Malaria, 
Syphilis, acutem Gelenkrheumatismus etc.). 

Baccelli (Kom) spricht seine Ansicht dahin aus, dass es einerseits 
Fieber giebt, weiche dem Organismus nützlich sind, andererseits aber Fieber, 
welche mehr oder weniger direkt die Kräfte und schliesslich die Existenz 
des Kranken bedrohen, namentlich die nervösen Centralorgane und das Herz 
in Anspruch nehmen, und iu denen die Antipyrese von dem Kranken und 
dem Arzte gepriesen wird. Baccelli verwendet die gewöhnlichen internen 
Autipyretica, noch mehr aber Applicationen kalter Tücher in grösserer oder 
geringerer Ausdehnung; besonders nützlich hat sich ihm die Application von 
Eis auf bestimmte Stellen (Fossa occipitalis, seitliche Halsgegend etc.) erwiesen. 

8. Cantini (Neapel): Theorie des Diabetes. (Der Vortrag wird in 
dieser Wochenschrift publicirt werden.) 

Cardarelli (Neapel) sahneurogenen Diabetes nach einem Trauma 
am Hinterhaupt. Der Zucker verschwand hier bei zweckentsprechender Diät. 
Bei Kindern mit Enuresis nocturna fand er den Urin häufig diabetisch; dies 
war dann häufig ein Initialsymptom von Meningitis tuberculosa. 

Baccelli (Kom) nimmt auf Grund schlagender Fälle seiner Beobachtung 
ebenfalls einen auf nervöser Basis entstehenden Diabetes an. Es handelt 
sich dabei um wirklichen Diabetes; die Kranken bleiben lange am Leben 
und machen die verschiedenen Phasen des Diabetes bis zum Tode durch. 
Baccelli hält die Existenz eines nervösen Centrums für möglich, von wel¬ 
chem die ersten Metamorphosen der Principien der Ernährung abhängen. 

9. Pensuti (Kom) berichtet über drei Fälle von Leberecbinocoeeiis, 

bei denen durch lujection von 0,01—0,05 g Sublimat in 5—9 Tagen die 
Tumoren vollständig zum Schwinden gebracht wurden. Die Methode wurde 
von Prof. Baccelli erdacht. (Schluss folgt.) 

XII. Verhandlungen des 56. Jahrescongresses 
der British Medical Association in Glasgow 
im August 1888. 

(Urigmalbericht.) 

(Schluss aus No. 44.) 

K. Ophthalmologie. 

Thomas Rcid (Glasgow) bedauerte in seiner Ansprache, dass wegen 
des Heidelberger Congresses so wenige Ophthalmologen vom Continent an¬ 
wesend seien. Carter (London) eröffnete dann eiue Discussion über die 
Behandlung der senilen Cataract. Der Werth der vielen Modifica- 
tioneu der Extraction hänge von der persönlichen Gleichung des Operateurs 
ab. Er empfiehlt frühzeitig zu operiren, und glaubt nicht, dass die An¬ 
wesenheit von etwas Kiudeusubstanz in der Kapsel nach der Extraction so 
viel schade, als man früher angenommen hatte. Er ziehe Cocain der all- 
gemeiueu Anästhesie vor und neutralisire die Erweiterung der Pupille 
durch Instillation von Eserin, ‘/a Stunde vor der Operation. Wo es nach 
Extraction zur Eiterung komme, liege die Schuld an unreinen Instrumenten, 
besonders der Zähne der Zange und der Schulter des Cystotoms. Er wasche 
den Coujunctivalsack mit einer l5procentigen Lösung von Barft’s Boro- 
glyceride aus und vermeide mercurielle Salze, welche jetzt so viel an¬ 
gewandt werden, da diese leicht Schmerzen und Anschwellung verursachen. 
Er operire mit einem Messer, das eine schmale Klinge habe, und bestreiche 
es, um leicht zu schneiden und das Entweichen von Humor aqueus so viel 
wie möglich zu vermeiden, mit einer Mischung von gleichen Theilen Olivenöl 
und Kicmusöl, wozu 5 Procent Eukalyptusöl hinzugefügt werden. Er hält 
die Iridektomie vor oder gleichzeitig mit der Extraction für durchaus nöthig, 
da das Resultat sicherer und optisch ebensogut sei, als wenn man die 
Iris nicht anrühre. Auswaschung der vorderen Kammer nach der Extrac¬ 
tion hält er für überflüssig und glaubt, dass, wenn die iridektomie gemacht 
sei, und es doch in Folge von Zurückbleiben von etwas Rindensubstanz zu 
einer Iritis komme, diese daun der Behandlung leicht weiche. 

Wolfe (Glasgow) demoustrirt sodann seine Methode der Staarextraction. 
Er macht vorher Iridektomie nach unten, und extrahirt nach ein bis zwei 
Wochen. v Er braucht ein federndes Speculum, um die Augenhaut zu trennen, 
wobei der Patient auf dem Rücken liegt, wendet aber weder Chloroform 
noch Cocaiu an. Nachdem das Speculum eingeführt ist, führt er ein scharfes 
Uraefe’sches Messer durch die vordere Kammer, wobei Punctur und Gegen- 
punctur in der Hornhaut sind. Diese Trennung der Hornhaut ist aber 
nicht vollständig, sondern er lässt eine Brücke. Das Speculum wird alsdann 
entfernt, und während die Lider mit dem Zeigefinger und Daumen getrennt 
werden, wird ein Cystotom in die vordere Kammer eingelührt und die 
Kapsel getrennt. Ein stumpfes Graefe’sches Messer wird jetzt durch die 
früher gemachte Punctur und Gegenpunctur geführt, und die Hornhaut¬ 
brücke zerschnitten. Die Entfernung der Linse geschieht durch sanften 
Druck von oben nach unten mit den Fingern. Mit dieser Methode ist nur 
sehr wenig Risiko eines Entweichens von Glaskörper verbunden, und sollen 
die Resultate überhaupt vorzüglich sein. 

Mackay sprach über das Studium der Hemianopsie centralen Ur¬ 
sprung«, mit specieller Beziehung auf acquirirte Farbenblindheit; Karl 
Urosamann über Farbenblind heit mit Demonstration meiner neuen Pro¬ 
ben; Carter über die Eröffnung der Scheide des Sehnerven zur 


Entfernung von Druck; Bickerton über Matrosen und ihre Sehkraft 
u. 8. w. 

L. Otologie. 

Der Präsident Barr (Glasgow) hielt eine Ansprache, die sich über 
Ziele dieses Wissenszweiges verbreitete, und stellte zwei Patienten vor, an 
welchen er mit Erfolg Gehirnabscesse infolge von Ohrenkrankheiten 
operirt hatte. Macbride (Edinburgh) sprach dann über die Zustände, bei 
welchen man die Perforation des Processus mastoideus vornehmen 
muss, und die besten Operationsmetboden. Warden (Birmingham) be¬ 
richtete über einen Fall von angeborener Ohrenkrankheit, welche Abscess 
im Zitzenfortsatz und Gesichtslähmung bewirkt hatte. Lennox ßrovne 
(London) eröffnete eine Discussion über adenoide Gewächse im Nasen¬ 
rachenraum, ihren Einfluss auf das mittlere Ohr und ihre Behandlung. 
Hill (London) sprach über die Rolle der Tonsilla pharyngea beim ge¬ 
sunden und kranken Menschen, und Bronner (Bradford) über die Ent¬ 
fernung adenoider Gewächse mittelst des Fingernagels und der Hart¬ 
man n’schen Curette. Matheson (London) wies auf die symptoma¬ 
tischen Beziehungen zwischen Stottern und Krankheiten der 
Nase und des Nasenrachenraums hin. Purves (London) eröffnete 
dann eine Discussion über den therapeutischen Werth der Hür- 
instrumente, welche gewöhnlich als „künstliche Trommelfelle“ bezeichnet 
werden. 

M. Laryngologie und Rhinologie. 

Der Präsident, Semon (London), gratulirte der Gesellschaft dazu, 
dass ihre Disciplin zum ersten Male zu einer vollständigen Section ge¬ 
macht sei, anstatt, wie früher, in dem kühlen Schatten einer Subsection zu 
sitzen, und dass die Laryngologie überhaupt unter den Aerzten allgemein 
in besserem Ansehen stehe als vor 10 oder '20 Jahren. Dies sei besonders 
dem Umstande zuzuschreiben, dass die Laryngologen sich neuerdings 
weniger auf den kleinen ihnen eigentlich zukommenden Raum beschränkt, 
sondern versucht hätten, die Ergebnisse laryngologiscber Untersuchungen 
für gewisse allgemeine Fragen der Medicin zu verwertheu. Er ?.prach sich 
gegen specielle laryngologische Vereine aus und betonte, dass nur An¬ 
schluss an die allgemeine Medicin heilbringend für die Specialität sein könnte. 

Hall (London) sprach sodann über den Gebrauch und Missbrauch 
der Localbehandlung bei Krankheiten der oberen Luftwege, und wies 
besonders auf die energische Weise hin, in welcher die Nase von Enthu¬ 
siasten angegriffen sei. Man müsse hoffen, dass diese Begeisterung nach 
und nach ein bischen verrauchen und dass man die Nase mehr, wie in der 
letzten Zeit geschehen, in Ruhe lassen werde. Eine grosse Anzahl von 
Rednern folgte, und sprachen sich dieselben einstimmig dafür aus, dass 
locale ohne allgemeine Behandlung verwerflich sei. 

Macintyre (Glasgow) zeigte dann ein Präparat des mensch¬ 
lichen Larynx, in welchem vier hyoepiglottische Muskeln blossgelegt 
waren, zwei mittlere und zwei seitliche, und beschrieb deren Ursprung und 
Ansatz. Er zeigte dieselben Muskeln auch in Präparaten von cwge- 
thieren. Luschka bemerkte, dass zwei mittlere Muskeln 1743 von Mor- 
gagni beschrieben seien, aber von seitlichen sei nicht die Rede, ln 4en 
gewöhnlichen Handbüchern der Anatomie und Chirurgie würden dieselben 
garnicht erwähnt. 

Derselbe Specialist eröffnete sodann eine Discussion über nasale Ste¬ 
nose, sprach über die Symptome, die Pathologie und Behandlung de* 
fachen Katarrhs der Ossa turbinata, und behandelte dabei besonders die 
Frage der Retiexneurosen. Er legte Gewicht auf die Prophylaxe, die besonueß 
auf den Familienarzt falle, und auf allgemeine sowohl wie locale Behand¬ 
lung. Für die letztere zog er das galvanische Cauterium vor und zeigte 
eine Anzahl von ihm erfundener Instrumente. Schliesslich sprach er über 
nekrosirende Ethmoiditis. Baber (Brighton) beschrieb die Wirkungen der 
Nasenverengerung auf die Physiognomie, Stimme und Brust, sowie den 
Geruch und Geschmack. Für Schleimpolypen empfahl er Entfernung ® 11 
der kalten Schlinge und Galvanokaustik, für adenoide Vegetationen Ent¬ 
fernung mit dem Fingernagel oder der Zange. 

Percy Kidd (London) eröffnete dann eine Discussion über Blutungen 

aus dem Pharynx und Larynx, und bemerkte, dass, abgesehen von ver¬ 
schwörendem Krebs, Eiterung und Trauma, Blutung aus den genannten 
Theilen sehr ungewöhnlich, tast immer leicht und praktisch unwichtig sei. 
In den meisten Fällen, in welchen eine solche Blutung angenommen werde, 
komme das Blut aus der Lunge, der Nasenhöhle oder dem Munde. Hodg¬ 
kin son (Manchester) behauptete dagegen, dass die Blutung sehr wichtig 
sei, theilweise wegen des moralischen Eindruckes den sie mache, aber 
hauptsächlich als Anzeichen schwerer organischer Krankheiten. Es sei 
öfter sehr schwierig, die Symptome genau zu deuten, nicht nur weil klein 1 
Hämorrhgieen aus der Lunge verkommen, ohne dass die thermische oder 
sthetoskopische Untersuchung Aufschluss darüber gebe, sondern auch, wei 
die anatomischen Beziehungen der betreffenden Theile so enge seien, u»»' 
das Blut leicht aus einer Gegend in die andere fliesse. ln zweifelhaft* 1 
Fällen sei es besser anzunehmen, dass das Blut aus der Lunge komme, un 
Pat. danach zu behandeln, als aus der Kehle. 

Das Museum enthielt wie gewöhnlich einen reichen Schatz von Prä¬ 
paraten und Instrumenten, welche in 6 Abtheilungen untergebracht waren, 
nämlich 1) Nahrungsmittel und Droguen, 2) Pathologie, 3) Anatomie. 
4) Physiologie, 6) Instrumente und Bücher, 6) Sanitäre Einrichtungen. 

XIII. Journal-Revue. 

Hautkrankheiten und Syphilis. 

3. 

Markuse. Ueber den jetzigen Stand der Sypbwij* 
und Smegmabacillen-Frage. — Viertelj. f. Dermat u. Syph 
1888. 3. Heft. . 

Die Resultate seiner sehr fleissigen Untersuchungen in dieser 
viel umstrittenen Frage fasst Verf. dahin zusammen, dass die Lust- 


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8. November. 


»DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


933 


garten’schen Bacillen nicht constant in den Secreten syphilitischer 
Producte Vorkommen, dass sie sich allerdings in der Mehrzahl der 
Fälle finden, aber dann auch in wechselndem Verhältnis, in ein¬ 
zelnen Producten zahlreich, in anderen desselben Kranken garnicht. 
Aehnliche Bacillen kommen im normalen Sraegma vor. Möglich 
und vielleicht wahrscheinlich ist es, dass sie eine vollkommene 
Verschiedenheit darbieteu, bisher ist es aber noch nicht gelungen, 
genaue Unterschiedsmerkmale anzugeben, so dass zwar die Identität 
dieser beiden BacilUnarten bis jetzt uoch nicht bewiesen ist, 
andererseits aber auch der Träger des Syphilisgiftes nicht mit Be¬ 
stimmtheit in dem Lustgarten’schen Bacillus zu erkennen ist. 

Schwimmer. Die Grundlinien der heutigen Syphilis¬ 
therapie. Monatsh. f. prakt. Dermat. Ergänzuugshel't 11. 1888. 

Eine Schrift, wie die vorliegende, in welcher ein Autor seine 
langjährigen Erfahrungen in der Behandlung der Syphilis der 
Oeffentlichkeit übergiebt und den Gegenstand nach deu verschieden¬ 
sten Seiten hin beleuchtet, wird stets die verdiente Anerkennung 
finden und ihren Nutzen schaffen. Für diejenigen, welche selbst 
keine grosse Beobachtung hinter sich haben, wird es erspriesslich 
sein, wenn sie sich auf die bewährten Grundsätze eines vorsichtigen 
und geschätzten Therapeuten stützen könuen. Die Maassnahmen, 
welche Schwimmer als Richtschnur aufstellt, fasst er selbst etwa 
in folgeudeu Schlusssätzen zusammen: 

Die Quecksilbertherapie ist möglichst frühzeitig einzuleiten, 
nämlich in jenen Fällen, wo schwere Initialaffecte bestehen, kurze 
Zeit nach stattgefundener Infection, in leichteren Fällen etwas 
später, jedenfalls aber vor Ausbruch der Haut- und Schleimhaut- 
erscheiuungen. Die Hg-Mittel sollen in erster Zeit wenigstens zwei 
bis drei Monate hindurch zur Verwendung gelangen in einer Form 
und Auswahl, wie sie in einer Auzahl Gapitel dieses Buches er¬ 
örtert wird. Wir brauchen darauf hier nicht weiter einzugehen, 
da sie von deu allgemein bewährten Grundsätzen nicht weseutlich 
abweichen. Darauf folge die Jodbehaudlung in einer Dauer von 
zwei Monaten. Nach vier- bis fünfmonatlicher Behandlung tritt 
eine zwei- bis dreimonatliche Ruhepause ein. Etwaige Local- 
erscheinuugen werden in bekannter Weise örtlich behandelt. Bei 
wesentlicheren Nachschüben der Erkrankung wiederhole man deu 
ersten Turnus der Behaudluug in möglichst gleicher Weise doch 
mit kürzerer Dauer (drei Monat); erfolgt jedoch im ersten Halb¬ 
jahre nach begonnener Behandlung kein Recidiv, so ist der ge¬ 
nannte zweite Behandlungsturnus auf den achten bis zehnten Monat, 
von der Constatirung der Erkrankung au gerechnet, zu setzen. 
Die Cur mit Decocteu ist am hülfreichsten bei Erkrankungen der 
Parenchymorgane ohne Rücksicht auf die Dauer des Leidens, zeigen 
sich trotz zweimaliger eingreifender Hg- und Jodcur anderweitige 
Krankheitsnachschübe, so gelange diese Methode zur Anwendung. 
Bade- uud Kaltwassercuren bilden den eigentlichen Abschluss der 
ganzen 8ypbilisbehandlung. Ziehen sich die Krankheitserscheinungen 
trotz dieser dauernden Behandlung in das zweite Jahr, so ist selbst 
bei geringfügigen Zufällen eine zwei- bis dreimonatliche Hg-Jodcur 
durchzumacheu. Vor Eingehung einer Ehe sei die Cur noch aus¬ 
dauernder. Eineinhalb bis zwei Jahre eiuer derartigen Behandlungs¬ 
weise mit den entsprechenden Pausen führen in den meisten Fällen 
zu vollkommen befriedigendem Resultate. Einen möglichst ver¬ 
lässlichen Maasstab für die Wahrscheinlichkeit eingetreteuer Ge¬ 
nesung kann der Umstand bieten, dass sich acht bis zwölf Monate 
nach dem letzten Kraukheitssymptome keine weiteren pathologischen 
Erscheinungen einstellen. Natürlich werden vernachlässigte Krank¬ 
heitszustände, exspectatives Vorgehen, systemlose Behandlung sowie 
Affectionen bei älteren Individuen und zarten oder anderweitig 
leidenden Constitutionen eine andere Prognose darbieten. 

Joseph (Berlin). 

XIV. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Heber Impfschäden. 

Von Dr. Voigt, Oberimpfarzt. 

(Schluss aus No. 44.) 

Noch in den 70er Jahren war es üblich, die humanisirte Impflymphe 
in kleine Fläschchen zu füllen, sie mit Glycerin zu mischen und kühl auf- 
zubewahren. Die Lymphe vieler Kinder wanderte in die nämliche Flasche 
— hier in Hamburg ist das nie üblich uud auch nie erlaubt gewesen. 
Wenn nun in eine solche Flasche etwas Schädliches hineingelangte, so ver¬ 
darb das den ganzen, für viele Hunderte bestimmten Lymphenvorrath. Dieses 
machte sich z. B. im Jahre 1878 in Grabnick geltend: Der dort fungirende 
luapfarzt batte u. A. auch ein ekzematöses Kind als Abimpfling benutzt und 
die demselben entnommene Lymphe in sein Lymphfläschcheu gelullt, welches 
er einfach verkorkt in der Tasche trug und wochenlang hie und da be¬ 
nutzte. ln Grabnick wurdou 90 Erstimpflinge, GO Wiederimpfliuge von ihm 
geimpft. Die Wiederimpflinge blieben gesund, aber von den Erstimpfliugen 
erkrankten 53 und 5 starben. Es entwickelten sich Erysipele, Phlegmonen, 
Abscedirungen, Exantheme scarlatinöser und morbillöser Art, also multiple 
Erkrankungen in ernster Weise. 


Ein derartiges Verfahren ist mit unserer jetzigen Anschauung von 
Asepsis absolut unvereinbar, dürfte sich nicht wiederholen. Die Durch¬ 
bildung der Aerzte im Dienste der Asepsis muss ihre segensreichen Früchte 
tragen. Mau wird keine faule oder der Fäulniss ausgesetzte Lymphe ver¬ 
schicken oder verimpfen. Man darf keine Lymphe weiter verimpfen, welche 
schädliche Keaction herbeigeführt hat, wie es in Asprieres geschah, und man 
muss alle Aufmerksamkeit darauf verwenden, dass die animalen Vaccine- 
conserven in ausgiebiger Weise gegeu jede Zersetzung bewahrt bleiben. 
Hierin lassen einige Anstalten zur Gewinuung animaler Vaccine es an der 
nöthigen Vorsicht fehlen, z. B. die so viel empfohlene Ae hie’sehe Lymphe 
wird uoch in Gänsekiele gefüllt und verschickt, die doch gewiss kein ste¬ 
riles Material sind. 

Unbequem kann unter Umständen die Verbindung der humani¬ 
sirte n wie der animalen Vaccino mit dem Gontagium der 
Impetigo und des Eczems werden. 

Hier in Hamburg kam im Jahre 1878 ein solcher Fall vor. Ein ge¬ 
sundes Kind mit recht reifen Pusteln dient als Abimpfling. Nach der Ab¬ 
impfung bleibt das Kind gesund, seine Pusteln borken in normaler Weise 
ab, das Kind hatte zur Zeit der Pustelreife wie auch nachher nirgends 
einen Ausschlag, uud in der Wohnung des Kindes — der Vater ist ein 
Klempner — sah es sauber aus. Die ihm abgenommene Lymphe wurde in 
Röhrchen gesammelt und aus diesen sofort verimpft, aber auch direkt vom 
Arm zum Arm venmpft auf 7 kleine Kinder und 17 Zwölfjährige. Alle mit 
der Lymphe geimption kleinen Kinder wurden 2 Tage nach der Impfung 
unruhig, lieberüatt, die lmpfstiche entzündeten sich, und am Tage der Re¬ 
vision standen die Pusteln auf entzündetem Boden, waren z. Th. zerplatzt, 
z. Th. zu grossen gelben Blasen geworden. Ein multiformes herpetisch 
ekzematöses Exanthem hatte sich mit lebhaftem Jucken in der Nachbarschaft 
des Pustelfeldes verbreitet uud grill' rasch um sich, auf Rumpf und Gesicht, 
hauptsächlich durch Coutact. Die Kinder waren unruhig fieberhaft. Auch 
bei deu Revacciuirteu war es zu stürmischeren Erscheinungen, als sonst 
üblich, gekommen, die Pusteln sahen entzündet aus, waren zum Theil ge¬ 
borsten, und das Impffeld juckte stark. Das Eczem war bei den Zwölf¬ 
jährigen weniger autfällig. Nur 2 Revaccinationen waren erfolglos ge¬ 
blieben, uud in die»eu beiden Fällen fand sich an der Impfstelle nach 7 
Tagen eine weissliche Abschelberuug. Die Impflinge wurden sämmtlich unter 
ärztliche Obhut genommen und besserten sich rasch, z. Th. bei indifferenter 
Behandlung, z. l'h. erwiesen sich Umschläge uud Waschungen mit ver¬ 
dünntem Ohlorwasser sehr dienlich. 

in diesem Falle lag die Ursache des Impfschadens entschieden in der 
Impflymphe. Die Pusteln des Abimpflings waren schon ziemlich reif, werden 
woul schon Randröthe gehabt haben, — ich bin seit jenem Falle strenger 
in diesem Punkte geworden — im übrigen waren die Pusteln ganz normal, 
untadelig. Von eiuer infection der Impfpusteln des Abimpflings durch die 
Lanzette des abimpfenden impfarztes konnte keine Rede sein, da er an 
diesem Tage andere Lymphe ohne unangenehme Nebenwirkung verimpft hat. 
Ebenso unwahrscheinlich war eine infection der impflinge durch die Lanzette 
oder die Haud des Impfarztes oder die Utensilien der Anstalt, da die fragliche 
in Röhrchen gefüllte Lymphe von den anderen beiden lmptärzten überall 
mit dem gleichen ungünstigen Resultate verimpft wurde, und ua alle drei lmpf- 
ärzte au diesem Tage andere Lymphe ohne solche unangenehme Folgen 
verimpft haben. 

im Kleinen ist dieses Vorkommniss ein Bild der grösseren impfschäden, 
wie sie unter Verwendung humauisirter und animaler Impflymphe bei der 
Vornahme von Masseuimpfungen beobachtet sind. 

Auf der Halbinsel Wittow auf Rügen erkrankten in 8 Dörfern 342 
Personen, darunter 17 Erwachsene, nach der Impfung. Die Stammlymphe, 
aus dem Impfinstitut in Stettin bezogen, wurde einigen gesunden Kindern 
eiugeimpfi, welche als Abimpflinge dienten und nach der Abimpfung gesund 
blieben. Die ihnen abgenommeue Lymphe kam, mit Glycerin vermischt, in 
Uapiliarröhreu zur Verwendung. Die Erscheinungen waren genau die von 
•uns beobachteten, aber der grossen Zahl der Geimpften entsprechend machte 
die Sache Aufsehen. Auch hier lag die Schuld offenbar an der lmpllymphe, 
denn der Impfarzt hatte anderen Impfstoff ohne solche unangenehme Folgen 
verimpft. Eine Untersuchungscommission stellte fest, dass in der Gegend 
von Wittow auch ohne Zusammenhang mit der Impfung vielfach alleruand 
Ausschlagsformen vorgekommen seien, so auch in dem Heimathsort der Ab- 
impflinge, und sie kam zu der Ansicht, dass die Krankheit der Geimpften 
mit der Impfung im ursächlichen Zusammenhang sieben müsse, dass aber 
nicht zu ermitteln sei, worin die fehlerhafte Beschaffenheit der lmpllymphe 
bestanden habe. Der Impfschaden wurde als Impetigo contagiosa oder Herpes 
touaurans bezeichnet, in uoch viel weiterem Umfange kam es bei Ver¬ 
impfung animaler Lymphe zu ganz ähnlichen Erscheinungen in der Gegend 
von Kleve im Jahre 1885 und im verflossenen Jahre in Elberfeld, ln Kleve 
kam es zu ungefähr llKX) Erkrankungen bei Verimpfung der Aehle’schen 
Lymphe, ln Elberfeld zu 600 bis 800 Schäden durch die Lymphe des In¬ 
stituts von Dr. Protze, ln beiden Fällen blieb weitaus die Mehrzahl der 
Geimpften gesund. (Dieses veranlasste mehrere Beobachter zu der gewiss 
irrigen Annahme, es handle sich hier um eine unabhängig von der Impfung 
entstandene Schädigung.) Der ebenfalls als Herpes tonsurans oder Impetigo 
contagiosa oder Eczema contagiosum benannte Ausschlag verbreitete sich 
auch auf Angehörige der Impflinge, zeigte sich dort aber mancherorten auch 
unabhängig von der Impfung, und der präsumtive Träger des Gontagiums, 
der Pilz Trichophyton tonsurans, wurde in den Ausscblugpusteln Geimpfter 
aufgefunden. 

Die Massenbaftigkeit der Fälle darf uns nicht wundern, denn die Vaccine 
wird jetzt fabrikmässig hergestellt und im Grossen verschickt. Es ist mög¬ 
lich, dass die animale Vaccine schädliche derartige Beimischung bekommt, 
wenn Thiere mit unreiner Haut zur Vaccinezucht verwendet werden, denn 
der Herpes tonsurans kommt beim Rinde vor und ist bei den Thieren in 
seinen ersten Anfängen gewiss ebensowenig auffällig, wie bei den Menschen. 
Mehrfach habe ich beobachtet, dass Kälber mit rauher Haut nach der 


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934 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45 


Impfung lauter eitrige, zur Abimpfung uutaugliche Pusteln bekamen, oder 
dass nur einzelne Gebiete ihres Impffeldes dann mit solchen Pusteln be¬ 
standen war. Sulche Kälber impfe man lieber gar nicht. Zeigt sich nach 
dem Rasireu des Kälberbauches keine zarte, weiche Haut oder eine solche, 
welche mit einzelnen kleinen Knötchen bestanden ist, so gebe mau das 
Thier fort. Ferner impfe man nur von ganz untadeligen Pusteln ab, dann 
dürfte solcher Schaden vermieden werden. 

Derartige Ausschläge können, wenn man sie vernachlässigt, unter Um¬ 
ständen bedenklich werden, so ist z. B. im Jahre 1884 in Halle ein bis 
dahin gesuudes 4 Monate altes Kind gestorben, aas mit 14 anderen geimpft 
worden war. 8 Kinder erkrankten 2 Tage später an einem ansteckenden 
coufluirendeu Blasenausschlag. Aber nicht immer trägt die Lymphe die Schuld. 

Ich selbst habe einen vereinzelten Fall gesehen, der zwar gut ablief, 
aber misslich genug aussah. Ein etwa 2 Jahre altes Kind, gleichzeitig mit 
1U0 anderen geimpft, ohne dass bei der Revision etwas Auffälliges beobachtet 
wäre, wird (j Wochen später noch einmal zur Impfaustalt gebracht. Ich 
finde ein schwaches, abgemagertes Kind mit einem multiplen Ausschlag, 
phlyktänöser Conjunctivitis und einem Abscesse am nicht geimpften Arme. 
Der Abscess war nach einer Contusiou entstanden, wurde aber als Impf¬ 
schaden vorgestellt. Der Grund der Erkrankung dieses Kindes wurde erst 
später offenbar, als seine ältere Schwester erzählte: sie habe seit Jahren 
einen Kopfausschlag, der sich nun bei der Besichtigung als der präsumtive 
Träger des Contagiums für den geimpften Bruder erwies. Der Knabe wurde 
übrigens hergestellt. 

Auch der umgekehrte Gang der Ansteckung kann stattfinden. Im 
vorigen Jahre erkrankt hier in Hamburg ein 9 monatliches Kind an einem 
Eczem und schläft mit seinem älteren geimpften Bruder in einem Beite. 
Der Impfling bleibt unbehelligt vom Ekzem, aber das kleine Kind bekommt 
etwa lt Tage nach der Impfung des Bruders zwischen und neben seinen 
Ekzemkrusteu, welche Gesicht, \ orderarme und Hände bedecken, zahlreiche 
wohl ausgebildete Vacciuepusteln, die 10 Tage später sich im Stadium der 
Eiterung und Eintrocknung befinden. Auch die Mutter der Kinder bekommt 
iin Gesicht, auf den Augenlidern, an Fingern und Vorderarmen, an zahl¬ 
reichen des Epithels beraubten Stellen zahlreiche Vacciuepusteln, die in 
normaler Weise abheilen. Weitere Verbreitung fand nicht atatt. 

Nach obigem vereinigen sich Vaccine und Ekzem oder Impetigo zu 
einem combinirteu Krankheitsbild. Einerseits erobert das Ekzem unter Mit¬ 
wirkung des V acciuecontagiums in kurzer Zeit weite Strecken der Hautober¬ 
fläche, aber mit dem Ablauf der Frist vaccinaler Reizung, also etwa mit 
dem 12. Tage, hört dieses bösartige Umsichgreifen auf. Andererseits gewinnt 
die Vaccine au Contagiosiiät und au der Fähigkeit, locale Erscheinungen hervor¬ 
zurufen, wahrscheinlich unter Eiubusse au ihrer Schutzkraft gegen die Blattern. 

Mau vermeide also die Impfung aller mit Ausschlag behafteten Kinder, 
und mau verwerthe alle Erfahrungen auf dem Gebiete der huinauisirteu und 
animalen Vaccine, um die Wiederkehr solcher Schäden zu verhindern. Zur 
Behandlung des Ekzems kann Bleiwasser, und als besonders wirksam das 
mit 2 Theileu Wassers verdünnte Chlorwasser anempfohlen werden. Carbol 
und Sublimatwasser eignen sich nicht zum beliebigen Gobrauch. 

Die Vacciue ruft überhaupt eine Neigung zu Eruptionen auf der Haut 
hervor. Bald nach der lmptung findet man als sogen. Frühexanthem 
das Auftreten einer Roseola oder einer Urticaria, welche etwa den Arzeuei- 
exanthemen entsprechen würden, und die wir als ein Symptom dafür an- 
selien dürfen, dass etwas Fremdes in den Körper hineingelaugt ist. Nach 
der Bustelreife, oder mit derselben gleichzeitig tritt als Spätexantbem die 
geueralisirte Vaccine auf. Zwischen dem 8. und 10. Tage finden wir ihre 
frischen Bläschen, welche meistens ohne Narben abblattern. Unerwünschter 
sind Furunkeln, die wir in viel schlimmerem Grade nach der Variola treffen. 
Andere Ausschlagtormeu pflegen moditieirte Ekzeme zu se.n, welche man für 
Pemphigus Urticaria halten darf, sie pflegen sämmtlich bei einiger Fliege 
bald zurückzugeheu. 

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass gehäufte Fälle von Icterus bei 
Wiedergeimpften sowohl in Bremen wie in Merzig vorgekomraen siud, dass 
aber zwischen Impfung und Icterus der Causalnexus gänzlich unaufgeklärt 
geblieben ist. 

Meine Herren! Ich habe Ihnen einen Ueberblick über die Impfschäden 
und die Art und Weise ihrer Entstehung zu geben versucht und glaube gezeigt 
zu haben, dass es sich um eine nicht unbedeutende Sache handelt. Fragen wir 
aber: wie verhält sich die Zahl der Impfschäden und die Zahl der Impfungen 
zu den allgemeinen Erkrankungs- und Sterbeziffern des Theiles der Bevölkerung, 
welcher sich in dem zur Vornahme der Impfung vorgeschriebeuen Alter 
befindet, so muss man gesteheu, dass die Impfung recht harmlos verläuft. 

Lassen wir die mittlere jährliche Sterbeziffer der 1 —t Jahre alten 
Kinder in l’reussen von 70 auf 1000 pro anno für ganz Deutschland gelten, 
so würden von den 1200000 einjährigen Geimpften innerhalb der 14 Tage, 
welche auf den Impfact folgen, etwa ö2f5 sterben müssen. Dem gegenüber 
dürfen wir die durch lmpfachäden entstandenen 17 Todesfälle zu den Un¬ 
glücksfällen rechnen, müssen aber ernstlich darauf bedacht sein, sie mehr 
und mehr zu vermeiden. Darauf hin zielen die Bemühungen der Behörden 
und vi 1er Impfärzte. Schon scheinen die vom Bundesrath gutgeheissenen 
Beschlüsse der Berliner impfcommission ihre guten Früchte zu tragen. Die 
Verbesserungen in der Impftechnik werden mehr und mehr zum Allgemein¬ 
gut, uud das Bewusstsein der Nothweudigkeit thunlichster Aseptik bei der 
Impfung bricht sich immer mehr Bahn. Möchte denn mancher frühere, 
hiermit nicht übereinstimmende Brauch schwinden, z. B. das Hin uud Her¬ 
wandern der Lanzette von Arm zu Arm uud von einem Impfliug zum andern. 
Statt dessen fange man die ausqueilende Lymphe in Capiilarröhrchen 
auf und reinige man die Lanzette nach Besorgung eines jeden Impflings 
Ferner wähle mau nur solche humanisirte Pusteln zur Abimpfung, welche 
von keiner entzündeten Areola umgeben sind, und wenn mau animale 
Lymphe züchtet, so vermeide mau jede Abimptung überreifer, geborstener 
oder nicht ganz normaler Pusteln, unter Verzicht auf die Flächenimplung, 
weil diese das Gutachten über die Brauchbarkeit oder Unschädlichkeit des 


Impfstoffs erschwert. — Was die namentlich von Freund in Breslaa em¬ 
pfohlenen Maassnahmen zur Aseptisirung der Impfstellen anbetrifft, so ist zu 
bemerken, dass die Abwaschung der Haut vor der Impfung mit couceotrirterea 
Desinficientien die Vaccine tödtet, dass aber schwächere Desinficientien 
z. B. 1:5000 Sublimatalkohol oder l:lüuü Sublimatwasser, welche der Wir¬ 
kung der eingeimpfteu Vaccine keinen wesentlichen Abbruch thun, die 
nachträgliche Entwickelung der Randröthe um die Pusteln nicht hiudera, 
also die Thätigkeit der entzündlichen Agentien in der Impflymphe oder 
etwaiger phlogogener Stoffe, welche in der Tiefe der Haut schlummern, nicht 
beeinträchtigten. Solche Abwaschungen nützen daher nicht viel und er¬ 
schweren das Impfgeschäft ungemein. Ein zweiter Vorschlag Freund’j 
verlangt, man möge das Pustelfeld vom 5. Tage nach der Impfung an¬ 
fänglich mit Sublimatcollodium elasticum 1:1000 bepinseln. Dieses Verfahren 
bietet zwar einige Vortheile, ist aber im öffentlichen Impfwesen unausführbar, 
und sein Nutzen reicht nicht weit, denn die Verschwärung der Impfpusteln 
unter dieser Schutzdecke wird mindestens nicht immer vermieden. 

In Betreff der Nachbehandlung etwaiger unliebsamer Vorkommnisse 
rathe ich zu solchen Mitteln, welche dem Publicum unbedenklich in die 
Hand gegeben werden können, und wo solche Mittel nicht ausreichen, über¬ 
nehme man die Nachbehandlung selbst. 

Nach einer umfänglichen Untersuchung Reissner\s besitzen die un- 
geimpft gcb.iebeueu kleinen Kinder eine wesentlich höhere Sterblichkeit aL> 
ihre geimpften Altersgenossen, weil eben nur die gesünderen Kinder der 
Impfung unterzogen werden. Demnach übt die von der Impfung herbei¬ 
geführte Gesundheitsstörung keinen wesentlichen Einfluss auf die üesammt- 
sterblichkeit der fraglichen Altersklasse der Bevölkerung, und auch die 
oben besprochenen Impfschäden und Todesfälle nach der Impfung stehen 
mit der sonstigen Erkrankungs- und Sterbeziffer der im Impttingsalter be¬ 
findlichen Menschen in gar keinem Vergleich. Dem Auftreten ernsterer 
Folgen der Impfung wird vorsichtiges Verfahren fast immer Vorbeugen; 
wird hierin nichts versäumt, so dürften nur noch ganz ausnahmsweise 
Unglücksfälle Vorkommen. Es bleibt unsere Pflicht, keine Mühe zu scheuen, 
solche Unglücksfälle zu vermeiden, im übrigen aber Deutschland nach wie 
vor gegen die Wiederkehr der Seuche zu schützen. 


XV. Therapeutische Mitteilungen. 

Zur Yerwertliuug des Saccharins. 

Von Heinrich Haike. 

Um über die Verwerthung des Saccharins in der Aledicin ein erschöpfen¬ 
des Urtheil zu gewiuneu, haben die bisher auf die von Salkowski und 
Adduco und Mos so erprobten Wirkungen hin angestellten Versuche des¬ 
halb nicht genügen können, weil einerseits ihre Zahl eine zu geringe ut, 
andererseits die dabei erzielten Resultate nicht einmal für die wenigen Fille 
übereinstimmen. Dieser Umstand musste zur Erweiterung der Casuisiii *uf- 
forderu, der ich hier einige Fälle hinzufügen möchte; zugleich halte ich es 
für angezeigt, die vagen Vo r schläge für die Verwendung des Saccharins in 
der Meüiciu von nicht wissenschaftlicher Seite in die gebührenden lirenien 
zurückzudrängeu. 

Zu den letzteren gehört die vorgescblagene Verwerthung des Saccharin 
als Corrigens unserer bitteren Arzneistoffe. Die Vermuthung lieg* IMr 
nahe, dass eine so intensive Süsskraft, wie sie das Saccharin besitzt, un 
Staude sei, einen anderen Geschmack zu verdecken; aber thatsichlich w 
dies nicht der Fall, wohl einerseits deshalb, weil süss und bitter durchaus 
nicht gerade Geschmacksgegeusätze sind, so dass eins das andere auf hebt, 
andererseits weil das Saccharin gleichsam zu substanzlos ist, um eine innige 
Vermischung seines Geschmackes mit dem des zu corrigirendeu Stoffes etn- 
geheu zu können. So ergiebt denu eine Chininmixtur mit Saccharin eiw 
viel unaugeuehmere Geschmacksempfindung als das Chinin an sich; denn 10 
ersten Moment nimmt mau deu fast anekelud süssen Geschmack des bom- 
geus und schon im nächsten oder auch zugleich deu ganz heterogenen Bj ner 
geschmack des Chinins wahr. Ebenso verhält es sich mit der Pulverfunn- 
Ich machte noch einen Versuch, durch Emulsion eine innige UeschiMCis 
mischuug herbeizuführen, aber ebenfalls ohne Erfolg. Deshalb ist * J 
endgültig von einer Verwerthung des Saccharins als Lorrigens abzusehen. 

Erfreulich dagegen bewährt hat sich das Saccharin in der Diät * 
Diabetiker, wenngleich es bisher noch nicht in seinem ganzen Umfange »ns 
genützt worden ist. Ich möchte hierzu einiges Erprobte zur Erweiterung 
seines Verwerthuugskreises mittheilen. . 

Als Versüssungsmittel für Kaffee oder Thee, das füglich entbehrt weni^ 
kann, eignen sich am besten die Saccharintabietten, deren jede den S“ 45 
werth eines Stückes Zucker hat. , 

Mit dem Zubiss kommen wir zu jenem Punkte in der Behandlung { 
Diabetiker, der schon so viele Versuche der mannichfachston Art veranlasst 
Alle die Arten vou Brot, die keines sind, widern die Patienten bei längere 
Genüsse an, weil sie in ihrer Beschaffenheit zu sehr vom Gewohnten 
weichen. Nun ist das Sacchariu zwar auch nicht im Stande, Brot im 
gemeinen für die Diabetiker zu schaffen, aber es lässt sich damit eiu 8f elt ’ n ^ jJ 
Theegebäck herstolleu, das dem mit Zucker gebackenen im Aussehen 
Geschmack völlig gleicht. Ich habe ein Saccharinbisquit auf folgende 
zubereiten Iasseu: Man quirlt drei Eidotter mit U,2 Saccharin + U,l* 8 
bicarb. in Substanz (die Lösung geht in dem gesammten Wassertest»^ 
vollkommen vor sich) ganz schaumig, vermischt damit den Schnee ' 
Eiweiss dieser Eier, lässt diese Masse unter beständigem Schlagen 
uud wieder kalt werden, indem man cs in kaltes V\asser setzt, ** e 
dies zwei Mal uud rührt daun schnell 50 g feinstes Kraftmehl d* 
Diesen Teig lässt man auf ein mit in Gel getauchtem Papier beo 
Kuchenblech laufen und etwa 10 Minuten bei gelinder Bitze hacken. ^ 
Diese Quantität reicht für etwa 4 Mahlzeiten, sodass die 8 

mehl auf 2 Tage vertheilt als Zuckerbildner wohl nicht in Betracht ff® 
zu werden braucht. Zudem ist dies Gebäck leicht in jedem Haush 


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8. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


935 


zustellen.— Eine weitere Bereicherung soll der Speisezettel der Diabetiker durch 
Compots erfahren. Die von Leyden 1 ) beobachtete Zersetzung des Saccha¬ 
rins in saurer Lösung habe ich dadurch verhindert, dass ich die Saccharin¬ 
lösung mit Natr. bic. neutralisirte, und zwar im Verhältniss von 5 S: 2 N, 
wodurch zugleich eine leichtere Löslichkeit der Substanz bewirkt wird. Ich 
habe so Pflaumen- und Stachelbeercompot zubereiten lassen, das sich in 
nichts von dem gewöhnlich genossenen unterscheidet. Natürlich ist die An¬ 
wendung des Saccharins in derselben Weise bei Gemüsen, soweit wir sie 
dem Diabetiker überhaupt geben, möglich. 

Alles das gilt auch für die diätetisch ähnliche Therapie der Adipositas. 

Ganz besonderen Dienst, scheinen mir gerade hierbei die zuckerfreien 
mit Saccharin hergestellten Weine zu leisten bestimmt zu sein, wie der be¬ 
reits auf der Levden’schen Klinik angewandte Saccharinchampagner, dessen 
Zuckergehalt nach der Fresenius’schen Analyse nur 0,16« beträgt, wäh¬ 
rend er sonst zwischen 12 und lSH schwankt. 

Einerseits werden wir diesen Wein prophylaktisch vorzüglich verwerthen 
können bei jenen Champagnertrinkern von Gewohnheit, die ein so bedeuten¬ 
des Contingent der Fettsüchtigen stellen, andererseits ist er ein dauernd 
brauchbares Excitans, wie es uns in jenem Stadium der Behandlung der 
Diabetiker und Fettsüchtigen nothwendig ist, wo wir die schweren Erschei¬ 
nungen bedeutender Herzschwäche andauernd zu bekämpfen haben und den 
Patienten gern Wein, aber keinen Zucker zuführen möchten. 

So hoch der Werth des Saccharins in seiner diätetisch-therapeutischen 
Verwendung anzuschlagen ist, so wenig, glaube ich, wird es sich als eigent¬ 
liches Medicament einen dauernden Platz erringen. 

Seine Wirkungen boim Diabetes als direkt die Bildung und Ausschei¬ 
dung von Zucker herabsetzend, wie sie Clemens, 2 ) auch Kohlschütter 
und Elsässer 3 ) beobachtet haben, werden wohl mit Recht von den letzteren 
selbst als Scheinerfolg auf die verminderte Nahrungsaufnahme zurückgeführt, 
die bei dem andauernden Genuss reinen Saccharins durch Appetitlosigkeit 
bedingt ist. Es wäre auch schwer erklärlich, wie eine Substanz, von der 
zur Evidenz erwiesen ist, dass sie, dem Organismus zugeführt, vom Stoffwechsel 
unberührt ihn wieder verlässt, auf die Stoffwechselerkrankung par excel- 
lence, den Diabetes, irgend einen Einfluss ausüben sollte. — Sichtlicher sind 
seine Wirkungen als Antisepticum. Zu den von Clemens 2 ) veröffentlichten 
Fällen von erfolgreicher Behandlung der Cystitis kann ich hier zwei hinzu- 
fügen, die bei Ausspülung mit ‘/seiger Lösung neben gleichzeitigem inner¬ 
lichen Gebrauch von 0,3 g 3 Mal täglich in Amylumkapseln in kurzer Zeit 
geheilt sind. Ebenso habe ich eine Ozaena mit 1 ?iger Saccharinlösung er¬ 
folgreich behandelt. — Die so stark concentrirte Lösung, welche bei der 
schweren Löslichkeit des Saccharins in Wasser (1:648) in reinem Wasser 
nicht zu erreichen ist, habe ich durch Zusatz ven Spir. vin., in dem Saccha¬ 
rin viel leichter löslich ist (1:33,3), hergestellt, weil ein Natronzusatz, der 
ja auch die Löslichkeit erhöht, die hierzu gerade nothwendige saure Be¬ 
schaffenheit der Lösung aufgehoben oder wenigstens vermindert hätte. 

R. Saccharin, pur. 3,0 
Aq. dest. 230,0 
Spir. vin. rectificatiss. 60,0. 

Vorläufig freilich sind an dem Saccharin noch keine Eigenschaften ent¬ 
deckt worden, die es vor unseren alt bewährten Antisepticis auszeichnen, so 
dass wir diesen um so eher treu bleiben werden, als das Saccharin bei 
weitem thenrer ist. — Ausführlicher werde ich diesen Gegenstand in einer 
demnächst erscheinenden Arbeit behandeln. 


— Ueber Löslichkeit des Saccharins macht Crespie im Provincial 
Medical Journal vom März 1888 folgende Mittheilungen. Dasselbe ist in 
kaltem Wasser ganz unlöslich, löst sich nur wenig in Wasser bei einer 
Temperatur von 50° C und wird selbst in kochendem Wasser nicht voll¬ 
ständig gelöst. Bei Zusatz von kohlensaurem Kali und kohlensaurem Natron 
findet eine Lösung statt, es entwickelt sich dabei Kohlensäure und bilden 
sich Kali- und Natronsalze, welche ebenso süss schmecken wie das Saccharin 
und in Flüssigkeiten ganz gelöst werden können- Man bringe ein derartig 
geformtes Saccharinplätzchen in die Tasse, füge heissen Kaffee, Thee, Milch 
hinzu, und das Getränk schmeckt bei stattgehabter Lösung ebenso gut, als 
wenn man Zucker dazu genommen hätte. Da Alkohol auch das Saccharin 
löst, so ist zu erwarten, dass die Industrie sich bald dieses Mittels bemäch¬ 
tigen wird, um süsse Weine, Schnäpse und Liqueure damit zu bereiten. 
Mosso hat berechnet, dass eine Gallone 10<>/o Alkohols 24 g Saccharin löst, 
eine Gallone 40°,'o Alkohols 88 g, eine Gallone 80o'o 160 g, während abso¬ 
luter Alkohol nur 130 g löst. Saccharin löst sich auch in warmem Glycerin. 
Bei 230° C schmilzt es und giebt einen charakteristischen Geruch. 


— Binz beschreibt im Centralblatt für kl. Med. 1888 No. 2 einige 
experimentelle Versuche Ober Ammoniumsalze und Campher als erre¬ 
gende Mittel) die A. v. Helm unter seiner und Dr. Geppert’s Anleitung 
ausgeführt hat und die geeignet sind, die schon längst am Menschen ge¬ 
wonnenen Erfahrungen zu bestätigen und dem Werth der genannten Medi- 
camente ganauere Grenzen zu geben. Die Ammoniacalia, z. B. Salmiak, 
sind zwar als Nervenerregungsmittel anzusehen, indem sie Athraungsgrösse 
und Blutdruck in wenigen Minuten um etwa den vierten bis fünften Theil 
steigern, jedoch ist die Wirkung nicht nachhaltig, und bei Einführung 
grosser Dosen drohen Krämpfe und Bewusstlosigkeit (l’räraie.) Campher 
hebt in jeder Dosis die von einer grossen Schwäche (z. B. durch Morphium) 
bedrohte Athmung wieder und lässt die Athmungsgrösse trotz ihrer Neigung 
zum Fallen nicht wieder auf das krankhafte niedrige Maass zurückgehen. 
Campher ist also ein ebenso gutes Reizmittel für die Athmung wie für 
das Herz. 


*) Deutsche med. Wochenschrift, April 1886. 
*) Allgem. med. Centralztg. 75, 1887. 

3 ) Dtsch. Archiv für klin. Medicin, 41. Bd. 


XVI. Emil du Bois-Reymond. 

Emil du Bois-Reymond feierte am 7. d. M. seinen 70. Ge¬ 
burtstag. Weit über die engeren Kreise hinaus ist dieser Tag ein 
Tag der Feier, du Bois-Reymond ist ein Mann von staunens- 
wertber Geistesschärfe, ein feiner durchdringender Geist: er ist der 
vornehmsten Vorkämpfer einer, der die Wissenschaft vom Druck 
speculativer Naturphilosophie befreien half, ein Lehrtalent von einer 
Klarheit und Anschaulichkeit, wie es wenige seiner Fachgenossen 
besitzen, ein Meister der formvollendeten Rede und ein Meister, der, 
trotz seiner vielseitigen Bildung und des grossartigen wissenschaft¬ 
lichen Materials, das er beherrscht, nie den Blick von seinem Arbeits¬ 
gebiet abwandte und nie den Blick für das Wesentliche verlor. 

Eine grosse Familie, — welche sich aus den Lehrern der Phy¬ 
siologie nahezu sämmtlicher Hochschulen Deutschlands und eines 
Theiles des Auslandes, den Schülern des Jubilars, welche sich aus 
den tausend und abertausend Aerzten, die seiner Lehre lauschten, 
und aus den Kreisen aller jener zusammensetzt, die seine genialen 
öffentlichen Vorträge hörten — ist an dem heutigen Tage von dem 
tief aus dem Herzen kommenden Wunsche beseelt, dass es dem 
bahnbrechenden Naturforscher, der für die Wissenschaft neue Ge¬ 
biete erschlossen hat, dem Altmeister der Physiologie, dem frucht¬ 
barsten und hingehendsten der Lehrer, dem makellosen und vornehmen 
Manne, der sein Leben ausschliesslich dem Dienste der Wahrheit, 
der Menschheit gewidmet hat, noch lange Jahre vergönnt sein möge, 
in vollster Geistes- und Körperkraft, wie bisher, sein segensreiches 
Wirken zu entfalten. Möge es ihm noch lange, lange vergönnt sein, 
in einer Zeit, wo sich eng begrenzter Specialismus so vordrängt, die 
Traditionen echter Wissenschaft aufrecht zu halten und zu ver¬ 
breiten. _ S. G. 

XVII. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Prof. Dr. Hertwig hat am 1. November seine Vorlesungen 
über vergleichende Anatomie in dem im Universitätsgebäude provisorisch er¬ 
richteten zweiten anatomischen Institut eröffnet. Das zweite anatomische 
Institut soll auf dem jetzigen alten Charitekirchhof, in der Nähe der Kli¬ 
niken, der Anatomie und der naturwissenschaftlichen Museen erbaut werden. 

— Die Medicinische Gesellschaft in Magdeburg hat in ihrer 
Sitzung vom 25. October folgenden Beschluss gefasst: „Tn schwerer Zeit, 
unter ergreifenden Umständen sind der Ruhm deutscher Wissenschaft und 
die Ehre des ärztlichen Standes von dessen berufensten Vertretern, den 
Herren Professoren Gerhardt und v. Bergmann, in vornehmer Weise ge¬ 
wahrt und hochgehalten. Die Medicinische Gesellschaft in Magdeburg er¬ 
achtet es für eine Ehrenpflicht, den Bannerträgern deutscher Wissenschaft 
ihren Dank und ihre Verehrung auszusprechen. Um diesen ihren Gesinnungen 
einen dauernden Ausdruck zu geben, ernennt sie die Herren Professoren 
Gerhardt und v. Bergmann zu Ehrenmitgliedern.“ Beide Herren 
haben die W T ahl dankend angenommen. 

— Der erste Assistent am hygienischen Institut, Dr. Carl Fraenkel, 
hat sich auf Grund einer Vorlesung -über den Einfluss der Kohlensäure auf 
die Lebensthätigkeit der Mikroorganismen“ als Privatdocent der Hygiene an 
der medicinischen Facultät der Universität Berlin habilitirt. 

— Dr. Dührssen hat sich als Privatdocent der Gehurtshülfe und Gy¬ 
näkologie an der medicinischen Facultät der Universität Berlin habilitirt. 

— Der Zahnarzt Prof Sauer, seit Bestehen des Universitätsinstituts 
für Zahnheilkunde Lehrer an demselben, ist auf seinen Antrag von dieser 
Stellung entbunden worden. Als sein Nachfolger ist der Zahnarzt Ludwig 
Warnekros zu Berlin commissarisch zum Lehrer der Zahnheilkunde er¬ 
nannt und zugloich mit der Leitung des zahntechnischen Laboratoriums beauf¬ 
tragt worden. 

— Die ärztliche Leitung sowohl wie die administrative Verwaltung der 
Maison de sante in Schöneberg wird in keiner Weise durch den Tod der 
bisherigen Besitzerin, Frau Geheimrath Levinstein, eine Aendcrung er¬ 
fahren. Die ärztliche Direktion der Anstalt verbleibt in den bewährten Händen 
des Herrn Dr. Jastrowitz. 

— Auf Veranlassung des Kultusministers werden unter der Leitung 
des Geheimen Medicinal-Raths Professor Dr. Koch im Laufe des Monats 
December hygienische Curse für Verwaltungs- und Schulbeamte 
stattfinden. Diese Curse sollen hauptsächlich in Demonstrationen bestehen, 
welche im hiesigen hygienischen Institut und im Hygiene-Museum abge¬ 
halten werden, sowie in Excursionen, bei welchen die sanitären Anlagen 
der Stadt Berlin besichtigt werden sollen, um so die Theilnehmer in 
möglichst kurzer Zeit mit den bewährtesten, ihren Wirkungskreis be¬ 
rührenden hygienischen Einrichtungen bekannt zu machen. Für den Cursus 
der Verwaltungsbeamten ist die Zeit vom 3. bis 15. December, für den der 
Schulbeamten die Woche vom 17. bis 22. December festgesetzt. Nähere 
Auskunft wird von der Direction der hygienischen Institute der königlichen 
Friedrich-Wilhelms-Universität (Klosterstr. 36) ertheilt. 

— Greifswald. Der medicinische Verein begeht am 16. und 
17. November das Fest seines 25jährigen Bestehens, ln der Fest¬ 
sitzung in der Universitäts-Aula am 17. November werden folgende Vorträge 
gehalten werden: Herr Schirmer: Einleitende Begrüssung; Herr Mosler: 
Ueber Alkoholmissbrauch; Herr Pernice: Zur Behandlung der Uteruscarci- 
nome; Herr Landois: Ueber Erregungsanomalieen der psychomotorischen 
Rindengebiete mit Berücksichtigung der Pathologie; Herr Strü bing: Ueber 
Pseudostimmbildung nach Ausschaltung des Kehlkopfes, speciell nach Ex¬ 
stirpation desselben; Herr Helfe rieh: Ueber chirurgische Eingriffe am 
Wirbelkanal und Rückenmark; Herr Loeffler: Zur Aetiologie der Diph¬ 
therie; Herr v. Preuschen: Was leistet die Behandlungsmethode von 


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936 


DEUTSCHE MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Thure Brandt in der Gynäkologie? HerrLöbker: Ueber die Einwirkung 
der Oarbolsäure auf die centralen und peripheren Nervenapparate bei direkter 
Einwirkung des Mittels; Herr Rinne: Zur Diagnostik und Therapie der Pyo- 
nephrose; Herr Peiper: Zur Frage der Uebertragung der Tuherculose durch 
die Schutzpockenimpfung. Der Festsitzung geht am 16. November ein Fest¬ 
essen und Commers voraus, am 17. Abends findet ein Medicinerball statt. 
Während der Tage der Festlichkeiten wird im Physiologischen Institut eine 
Ausstellung von medicinisch wichtigen Apparaten, Instrumenten, Präparaten 
und Bildwerken geöffnet sein. Eine Besichtigung der medicinischen Univer- 
sitätsinstitutc schliesst sich an die Festsitzung an. 

— Budapest. Königliche Gesellschaft der Aerzte. In den 
zwei im Monate October d. J. stattgefundenen ordentlichen Sitzungen de- 
monstrirten: Dr. Szenäsy einen operativ geheilten Fall von Echinococcus 
der Leber bei einer 28jährigen Frau; nach Entleerung der Flüssigkeit trat 
aus der Leber starke Blutung auf, welche die Anlegung von 5 Nähten er¬ 
forderte. Die Operation wurde am 29. März d. J. ausgefülirt. Heilung er¬ 
folgte am 8. September d. J. — Dr. Schwarz stellte einen Fall von corti- 
caler Ataxie vor bei einem 50jährigen Manne, der mit Fieber, Erbrechen, 
Bewusstlosigkeit, ohne Lähmung erkrankte. Nach Ablauf dieser Erschei¬ 
nungen bestand in der linken oberen Extremität hochgradige Ataxie; Sensi¬ 
bilität und Muskelgefühl normal, die stereognostische Fähigkeit war jedoch 
mangelhaft und ist es noch weiter. Die Ataxie in einer Extremität, ohne 
andere Erscheinungen, erweist den corlicalen Ursprung. — Dr. Neumann 
demonstrirt einen operativ geheilten Fall von Entzündungsknoten des Stimm¬ 
bandes bei einem 25jährigen Sänger, der durch acht Monate erfolglos be¬ 
handelt wurde; Dr. Neu mann entfernte den Knoten nach Cocainisirung des 
Kehlkopfes mittelst einer eigens verfertigten Zange. — Dr. Mätrai stellte 
ein 10 Tage altes Kind vor mit beiderseitiger Hasenscharte und Wolfsrachen; 
der Fall ist insofern interessant, als man an demselben die intramaxillaren 
Knochen gesondert stehen sehen kann. — In beiden Sitzungen hielt Dr. 
Jelenffy einen Vortrag unter dem Titel: „Beiträge zur Anatomie, Physio¬ 
logie und Pathologie der Kehlkopfmuskeln“. 

— Brüssel. Bei der Preisvertheilung der Königlich medicinischen Aka¬ 
demie ereignete sich ein bedauerlicher Vorfall. Der Staatspreis für die 
Lösung der Aufgabe .De l’hygiöne alimentaire dans la the'rapentique des 
maladies“ war nach Eröffnung des Briefes, welcher den Namen des Verfassers 
der preisgekrönten Schrift enthielt, dem Dr. Scoby, welcher kurz vorher 
gestorben ist, zugefallen. 

— Italien. Prof. Salvioli in Genua ist einem Typhus erlegen. 
Kaum 35 Jahre ist er alt geworden. Seit 1882 bekleidete er die Professur 
für allgemeine Pathologie an der Universität Genua (Rif. med.) 

— Zur medicinischen PubJicistik. Die „Beiträge zur klini¬ 
schen Chirurgie“, welche bisher von Prof. P. Bruns als Mittheilungen 
aus der chirurgischen Kliuik zu Tübingen berausgegeben wurden, haben eine 
Erweiterung erfahren, indem sich die Professoren Bruns, Czerny, Krön- 
lein und Socin als Herausgeber vereinigt haben. Die „Beiträge“ erscheinen 
jetzt als Publicationsorgan der chirurgischen Kliniken zu Tübingen, Heidel¬ 
berg, Zürich und Basel, in welchem alle aus den 4 Kliniken hervorgehenden 
Arbeiten niedergelegt werden sollen. Das eben erschienene 1. Heft des 
IV. Bandes enthält neben anderen Arbeiten Beiträge von sämmtlichen Her¬ 
ausgebern. — Das vor 32 Jahren vom dermaligen Ministerialrath Dr. Ludwig 
Markusovszky gegründete Wochenblatt „Orvosi hetilap“. als dessen Re- 
dacteur bis vor Kurzem der jüngst verstorbene Decan der medicinischen 
Facultät, Prof. Koloman Balogh, fungirte, wird von Neujahr 1889 an in 
das Eigenthum und in die Redaction der Professoren Antal und llögyes 
übergehen. Ausser diesem Blatte erscheint noch in Budapest, auch bereits 
im 28. Jahrgange, eine zweite Wochenschrift „Gyügydszat“, welche, unter 
Aegide des Prof. Josef Kovacs, von Dr. M. Schächter redigirt wird. 

— Der Regierungs- und Medicinalrath Dr. Rapmund in Aurich hat 
einen Commentar zum Reichsimpfgesetz (Verl. v. Fischer’s mediein. 
Buchhandlung, Berlin) herausgegeben, der nicht nur für Aerzte und Impf¬ 
ärzte, sondern vor Allem für den Gebrauch der mit der Leitung und Ueber- 
wachung des Impfwesens betrauten Verwaltungsbehörden und Medicinal- 
beamten bestimmt ist. Sämmtliche für das deutsche Reich und für Preussen 
betreffs des Impfwesens erlassenen und zur Zeit noch geltenden gesetzlichen 
Bestimmungen, Verordnungen etc. sind ebenso wie die einschlägigen oberst¬ 
gerichtlichen Entscheidungen auf das Vollständigste zusammengestellt. Ein 
alphabetisches Sachregister erleichtert das Nachschlagen. Das Buch wird 
zweifellos von weifen Kreisen der Aerzte mit Freuden begrüsst werden. 

— Von dem Verzeichniss dos medicinischen Bücherlagers der Moser 
sehen Buch- und Antiquariatshandlung in Tübingen sind kurz hintereinander 
zwei neue Hefte erschienen, deren erstes Neurologie, Psychiatrie und Psycho¬ 
logie, deren zweites Nachträge zu Gynaekologie enthält. Das letztere Heft 
umfasst zumeist Werke aus der werthvollen zum Ankauf gelangten Bibliothek 
von Prof. Scanzoni von Lichten fei s.' 

— Erscheinungen von Bleivergiftung durch den Gebrauch der 
mittelst Bleiröhren in die Häuser geleiteten Stadtquellen sind seit einiger 
Zeit in Krossen a. 0. beobachtet worden. Durch chemische Analysen ist 
nun festgestellt, dass das Wasser der Quellen ein vorzügliches, gesundes 
Trinkwasser ist, weder Blei noch andere schädliche Stoffe enthält, auch von 
schädlichen Organismen .fast völlig frei ist; es behält diese gute Beschaffenheit 
in der öffentlichen Leitung, die nur aus Thon- und Eisenröhren besteht, 
und erhält den schädlichen Bleigehalt nur durch die Hausleitungen, 
namentlich wenn es längere Zeit (über Nacht) ruhig in denselben gestanden 
hat, im Laufe des Tages verschwindet der Bleigehalt ganz oder ist nur in 
unschädlichen Spuren vorhanden. Auffallend bleibt das jetzige plötzliche 
Auftreten von Vergiftungen, da die Leitung mehrere Jahrzehnte bereits be¬ 
steht, ohne jemals Anlass zu Klagen gegeben zu haben. Man vermuthet. 
dass die zeitigen Grundwasserverhältnisse oder Witterungseinflüsse dem 
Wasser einen grösseren Gehalt an Luft oder Kohlensäure zugebracht haben 
als bisher. 


No. 45 


*— Gletscherbacterien. Schmelck in Christiania (Centralbl. f. 
Bacteriologie) fand auf dem „Jerstedalsbrä“, dem grössten europäisch*-!! 
Gletscher, in dem Wasser der vom „schmelzenden Eise gespeisten Flow, 
ebenso in Schnee von dem Gletscher zahlreiche Bacteriencolonieeo. Währen.: 
des Wachsthums bildeten sie einen grünen fluorescirenden Farbstoff Unter 
dem Mikroskop zeigton sie sich als kurze bewegliche Stäbchen und waren 
in ihrem Wachsthum dem Bacillus fluorescens liquefaciens sehr ähnlich 
Verf. bringt das constante Vorkommen dieser Bacterienart in den Eisregiomi 
mit der eigentümlichen grünen Farbe des Eiswassers in Verbinduni. 
während der Schneeschmelze vermehren sich die die Bacterien ausser¬ 
ordentlich. 

— Im Anschluss an ihre früheren Mittheilungen über den Einflov 
des chronischen Alkoholismus auf das Nerven- und Muskc!- 
svstem teilten Mairet und Combemale über die Wirkung dieses Giftr¬ 
auf die anderen Körpersysteme in der Academie des Sciences (19. Mä- 
1888) folgendes mit. Herz: Verringerung der Zahl der Herzschläge, *k 
Vermehrung, die ziemlich rasch die normale Zahl aber nur um‘ wenig über¬ 
schreitet bis in die letzte Zeit der Vergiftung. Karotiden-oder Jugularpu!>- 
Athmung: Zuerst leichte Veränderungen, dann Vermehrung bis zur V*r 
doppelnng der Frequenz, dabei sind die Züge kurz und o^crflächli*!. 
Autopsie: Inselweise Lungencongestion, Ecchymosen und Oedem. Verdaumi?'- 
tract: Zuerst mehr oder wenig ausgesprochene Intoleranz, dann Gewöhuurr 
au den Alkohol. Häufig Diarrhoe, Ascites, allgemeiner Icterus und Hypertroph- 
der Leber. Autopsie: Magenerweiterung, Congestion und fettige Degenen 
tion der Leber, die Nieren sklerosirt. Fortpflanzuugsapparat: Verminderuw 
der geschlechtlichen Erregbarkeit, Hodenatrophie. 

— Alkoholische Phrenicus- und Vaguslähmung. Mr. Shar- 
key berichtete in der Sitzung der Londoner pathologischen Gesellschaft 
vom 17. April den Fall einer Frau, die seit langem sich dem Trünke er¬ 
geben hatte. Sie hatte mehrmals Anfälle von Diarrhoe und Hämoptw 
gehabt. Bei ihrem Eintritt in’s Hospital constatirte man Paraplegie n>;: 
Atrophie der Beine und fast völligen Verlust der Sensibilität. Sehr bai*: 
stellte sich Lähmung des Diaphragma ein mit Dysphagie und AthmuD?- 
besehleunigung. Der Tod trat plötzlich während eines dyspnoischen Aotol* 
ein. Bei der Section fand sich Spitzentuberculo.se, Lebercirrhose und ent¬ 
zündliche Erscheinungen entlang den Gefässen des Centralnervensystem>. 
viel ausgesprochener noch am Phrenicus, am Vagus und in den von diesen 
Nerven versorgten Muskeln. Mr. Orraerod wies darauf hin, dass die AI 
koholneuritis gewöhnlich heilt, dass aber mitunter plötzliche Todesfälle ein- 
treten, plötzlicher Tod ist zu fürchten, wenn der Vagus betroffen ist. Bei 
dem plötzlichen Tod eines Kindes fand er einen Cervicalabscess, der der 
einen Vagus stark comprirairte. Sonst war nichts vorhanden, dem min di- 
plötzliche Ende hätte zuschreiben können. 

— Dr. Jul. Pauly hat sich, wie er uns mittheilt, als deutscher Cur* 
arzt in Nervi niedergelassen. 

— Universitäten. München. Prof. Sachs in Würzburg 6»t einen 
Ruf als Professor der Botanik nach München abgelehnt. — St. Petersburc. 
Dr. D. Wjerushski hat sich als Privatdocent für innere Mediein an 4u 
militär-medicinischen Akademie habilitirt. 


XVm. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König bib« 
Allergnädigst geruht, dem Kreis-Wundarzt Dr. Costers zu Berleburg ae: 
Kgl. Kronen-Orden IV. CI. zu verleihen. — Ernennung: Der KreU-rbp 
sikus Dr. Schiller in Münsterberg ist aus dem Kreise Münsterberg in «[• 
Kreis Wehlau versetzt worden. — Niederlassungen: Die Aerzte: Dr.rloc.i 
in Brandenburg 0.Pr., Hoske in Mariendorf, Schnikel in Doershelf. ir 
Fallmeier in Alfeld, Dr. Kahn in Frankfurt a. M., Dr. Schleussner :t 
Homburg v. d. H., Dr. Aisdorff in Bonn, Dr. Starck in Ehrenfeld. •• 
Piro in Zülpich, Dr. Niemann in Much, Dr. Braschossin Aedt. Dr. 
manu in Baumholder.— Verzogen sind: Die Aerzte: Richter von 
berg i. Pr. nach Groppe. Dr. Lullies von Allenberg nach Swinsk.Dr. Ganu r - 
von Altfelde nach Steglitz, Geh. San.-RathDr. Idele r von Zehlendorf nach > e ' 
baden, Dr. Lamprecht von Leipzig nach Stettin, San.-Rath Dr. Schln 
von Grabow a. 0. nach Bredow, Dr. Lewin von Belgard nach R jnn ^. f ' 
Dr. Knöner von Gehrden nach Salzhemmendorf, Dr. Schwarz von “ 
der nach Gehrden, Dr. Ahrens von Salzhemmendorf nach Wiesbaden. 
Jankofsky von Suhl nach Wittingen, Springe von Hannover nach ■ 
tingen, Dr. Filbry von Bonn nach Köln, Dr. Wershoven von.Gode»*- 
nach Saarlouis, I)r. Schmalfuss von Düsseldorf nach Ehrenfeld, Dr. ' 
bor von nümbrecht nach Giessen, Dr. Hermanns von Köln nach n .J 
weide, Dr. Dorenberg von Xanten, Dr. Halm von Krefeld nach ,r -- 
dorf, Dr. Bunsmann von Wolbeck nach Xanten, Dr. Kreuels von 
»en nach Neuss, Dr. Krauss von Darmstadt nach Frankfurt a. s -- s 
Zahnarzt Kirchner von Hanau nach Frankfurt a. M. — ' erS j, 
sind: Die Aerzte: Dr Lintermann in Ronsdorf, Dr. Emun< > 
Much, Dr. Halbrock, Med.-Rath Dr. Kirchhof und Landphys. . 
Schmidt in Hannover, Dr. Seppeier in Northeim, San.-Rath. Dr. 

in Pakosch, Kr.-Phys. San.-Rath Dr. Simon in Merseburg, Geh. • 

Dr. Cohn in Berlin. — Vakauto Stellen: Dio Physikate der Kre» 
seburg und Münsterberg. Die Kr.-Wuudarztstelle des Kreises Hanau. 

2. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Niederlassung*"- , 
F. Müller, Dr. M. Kolb, Dr. R. Zeitlmann in Müncbeu, Dr. y, 
in München, Dr. G. Süssmayr in Altmannstein, Arzt J. Detze 1 j 
DDr. Heimann und Rollmann in Landau. — Verzogen: Dr. 1 cJ , ; 
pfuud von Maxhütte nach Heman, Dr. Hanemann von Regen» t 
Maxhütto, Dr. G. Gaill von Waldmünchen nach München. — ucs 

Dr. W. Wetzl er in Weissenborn. __ _ 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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I 


Donnerstag JW 46 . 15. November 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Saoitäts-Rath Dr. S. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thleme, Leipzig-Berlin. 


I. Eine seltene Affection des Halssympathicus. 1 ) 

Von Dr. J. Sanielsohii, 

Oberarzt der Kölner Augenheilanstalt für Arme. 

Meine Herren! Affectionen des Halssympathicus, selbst in der j 
typischen Form des physiologischen Versuchs, zählen zwar nicht zu 
den Alltagsbeobachtungen des Klinikers, sind jedoch keineswegs so | 
selten, dass ich mit Vorführung eines ähnlichen Falles Ihre Auf- ; 
merksamkeit an dieser Stelle in Anspruch zu nehmen wagen dürfte. ; 
Wenn ich dennoch um Ihr geneigtes Gehör bitte, so geschieht das 1 
in der Meinung, dass der zu demonstrirende Fall klinische Combi- ! 
nationen von einer Eigenart bietet, welche ich nach der mir be¬ 
kannten Literatur für bisher noch unbeschrieben zu halten geneigt . 
bin, und weil ich andererseits aus Ihrer Mitte manche Bemerkung j 
erwarten darf, welche den seltsamen Fall noch besser zu beleuchten | 
vermag. 

Die Patientin, welche ich Ihnen vorzustellen die Ehre habe, ist eine 
Krau von 65 Jahren, welche, wie Sie sehen, eines für ihr Alter ganz ausser- 
gewöhnlichen, kräftigen Wohlbefindens sich erfreut. Ausser einer links- j 
seitigen Migräne, an welcher sie seit Jahren gleich ihrer Tochter leidet, ist j 
sie, wie die Anamnese und wiederholt die körperliche Untersuchung gelehrt 1 
hat, als vollkommen gesund zu betrachten, namentlich findet sich sowohl von 
Seiten des Nerven- wie des Gefässsystems keine nennenswerthe Anomalie. 
Sie suchte die Hülfe der von mir geleiteten Anstalt vor nunmehr 3*/* Jahren i 
auf mit der Bitte, ihr einige kleine fibromatöse Geschwülste der Haut des I 
linken oberen Lides zu entfernen, welche sie für die Ihnen sofort auffallende 
verticale Verengerung der linken Lidspalto verantwortlich machte. Eine auch j 
nur oberflächliche Untersuchung zeigte jedoch sofort, dass dieser Verenge- j 
rung der Lidspalte eine ganz andere Ursache zu Grunde liege. 

Wenn Sie das Gesicht der Pat. betrachten, so fallt Ihnen ausser dieser 
bereits genannten Verengerung der Lidspalte auch ein Eingesunken sein des 
linken Augapfels auf, und bei näherem Zusehen werden Sie auch eine nicht 
unerhebliche Verengerung der linken Pupille wahrnehmen. Eine genaue Ana- ( 
lyse der genannten Erscheinungen lehrt, dass die Verengerung der Lidspalte ! 
auf einem massigen Herabgesunkensein des oberen Lides beruht, welche I 
Ptosis jedoch allein den Tarsaltheil des Lides betrifft und zwar in der Weise, < 
dass die sog. Deckfalte der Lidhaut recbterseits fast völlig verstrichen er¬ 
scheint. Während links der Tarsaltheil des Lides, gemessen von der Deck¬ 
falte bis zum freien Lidrande 3 Millimeter beträgt, beträgt derselbe rechts 
7 mm. Die Hebung des Lides selbst geschieht jedoch scheinbar mit der¬ 
selben Kraft, da die Cilien sich rechts in gleichem Maasse bei der Blick- 
liebung nach oben und vorn richten wie links. Auch stellt sich der rechte | 
Augenbrauenbogen bei der Oeffnung der Lidspalte nicht höher als links, so 
dass von eiuer vieariirenden Wirkung des Stimmuskels wie bei paralytischer 1 
Ptosis hier keine Rede sein kann. 

Die rechte Pupille zeigt, wie erwähnt, eine nicht unbeträchtliche Ver- | 
engerung: sie misst 2 mm im Durchmesser, während die linke bei mittlerer 
Weite 3 Eg mm beträgt. Ihre Reaction, sowohl die direkte wie consensuelle, 
ist minimal und nur bei feinster Beobachtung mit der Lupe zu erkennen. 
Die Einträufelung von Cocain verursacht keine Erweiterung, die von Atropin 
eine mittlere, wie etwa nach Oculomotoriuslähmung. Die Accommodation, so¬ 
weit von einer solchen bei dem Alter der Pat. noch die Rede sein kann, 
zeigt auf beiden Augen gleiche Verhältnisse; desgleichen Refraction, Seh¬ 
schärfe und ophthalmoskopischer Befund, der völlig normal erscheint. Des¬ 
gleichen Farbe und Zeichnung der Iris. Auch der intraoculäre Druck ist j 
rechterseits, wenn man das Zurückgesunkensein des Bulbus berücksichtigt, | 
in keiner Weise verändert. Dieses Zurückgesunkensein ist hinreichend auf- | 
fallend, wurde jedoch einer numerischen Bestimmung nicht unterzogen. 

Diese geschilderte Trias von Augensymptomen stellt das unter 
dem Namen der Ptosis Horneri hinreichend gekannte Krank¬ 
heitsbild dar, welches besonders durch die Zusammenstellung 

*) Vortrag, gehalten in der vereinigten neurologischen und inneren 
Section der 61. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


Nicati’s aus der Horner’schen Klinik bekannt geworden ist. Es 
deckt sich dieser Svmptomencomplex völlig mit den Versuchsergeb¬ 
nissen, welche CI. Bernard mit seiner klassischen Durchschnei¬ 
dung des Halssympathicus erzielt hat. Allerdings fehlen in dem 
Bilde noch diejenigen Erscheinungen, welche die Lähmung der Ge- 
fässnerven zur Folge hat. und denen man in den klinischen Be¬ 
obachtungen dieser Ptosisform zu begegnen pflegt. Als die Unter¬ 
suchung auf diesen Punkt gelenkt wurde, zeigte sich schon für die 
zufühlende Hand ein deutlicher Temperaturunterschied beider Ge¬ 
sichtshälften, und zwar in dem Sinne, dass die rechte Wange deut¬ 
lich kühler erschien. Das Thermometer zeigte die Ohrtemperatur 
rechts 36,6°, links 36,9°; auf der Wange ist der Unterschied fast 
1° zu Gunsten der linken Seite. Dementsprechend zeigt sich auch 
die rechte Gesichtshälfte blasser als die linke, welchen Unterschied 
man willkürlich durch körperliche Bewegung vermehren kann. Ich 
lasse die Patientin einige Male auf- und abgehen, und Sie sehen, 
wie die linke Gesichtshälfte flammend roth erscheint, während die 
rechte ihre Blässe völlig bewahrt. Diese Röthe der linken Gesichts¬ 
hälfte erscheint in scharfer Linie uud genau die Mitte des Gesichtes 
einhaltend. Gleichzeitig giebt Patientin an, dass die linke Gesichts¬ 
hälfte, seitdem diese Röthe aufgetreten sei, leicht schwitze, während 
sie niemals sonst zum Schwitzen geneigt gewesen sei, und auch 
jetzt die rechte Seite niemals an» Schwitzen Theil nehme. Diese 
Angabe der Patientin wurde durch Pilocarpininjeetion auf ihre 
Wahrheit geprüft, und es zeigte sich in der That, dass nach einer 
Injection von 0,01 in den Arm nach 15 Minuten der ganze Körper, 
mit Ausnahme der rechten Gesichtshälfte, von Schweissperlen be¬ 
deckt wurde, dass jedoch die rechte Gesichtshälfte völlig trocken 
blieb und höchstens in den Furchen der Haut von der linken Seite 
her etwas benetzt wurde. Ara Halse war bereits auf beiden 
Hälften Schweisssecretion zu verzeichnen. 

Ausser dieser Röthung und Temperaturerhöhung war auf der 
linken Seite nichts Anomales, speciell an dem Auge zu finden. 
Dieser geschilderte Zustand war nach der Aussage der Patientin in 
der Weise aufgetreten, dass vor vier Jahren die genannten Er¬ 
scheinungen auf der rechten Gesichtshälfte bemerkt wurden, während 
die linksseitigen sich erst vor zwei Jahren eingefunden haben sollen. 

Wie sind nun diese Erscheinungen zu deuten? 

In Betreff der rechtsseitigen Augensymptome kann wohl kaum 
ein Zweifel obwalten, dass dieselben durch eine Lähmung der in 
dem Halssympathicus verlaufenden sogenannten oculo-pupillären 
Fasern bedingt werden. Dieselben erscheinen so typisch, wie sie 
der klassische Bernard’sche Versuch regelmässig ergiebt. Schwie¬ 
riger gestaltet sich die Frage, wie das Ausbleiben der vasomoto¬ 
rischen Lähmungserscheinuugen der rechten Gesichtshälfte zu er¬ 
klären sei. Zunächst könnte man daran denken, dass von Anbeginn 
auch die Vasomotoren mitgelähmt gewesen seien, jedoch in kürzerer 
Zeit ihre Function wiedererlangt, hätten, währeud die Lähmung der 
oculo-pupillären Fasern persistire. A priori lässt sich eine solche 
Annahme nicht zurückweisen, da bei dem offenbar gesonderten Ver¬ 
laufe dieser differenten Fasern im Halsstrange eine lähmende Ur¬ 
sache dieselben auch gesondert treffen kanu, wie es ja beim Vagus 
in ähnlicher Weise mit den die verschiedenen Organe versorgenden 
Fasern sowohl experimentell wie pathologisch bekannt ist. Aber 
wenn wir uns erinnern, dass die recht scharf beobachtende Patientin 
von diesen vasculären Symptomen auf der rechten Gesichtshälfte 
niemals etwas beobachtet hat, während dieselben auf der linken 
Seite sofort beim Eintritte sie lebhaft beschäftigten, so werden wir 
diese Auffassung wohl schwer aufrecht halten dürfen. 


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938 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 46 


Eine zweite Annahme wäre die, dass die vasomotorische Läh¬ 
mung der rechten Gesichtshälfte in der That noch bestehe, dass 
aber deren Einfluss auf die Temperatur sich in das gerade Gegen- 
theil verwandelt habe. Es ist ja hinreichend bekannt, dass die 
einer experimentellen Durchschneidung der Gefässnerven folgende 
Strombeschleunigung und die davon abhäugende Temperaturerhöhung 
keine bleibende, sondern eine vorübergehende ist und nach mehr 
oder weniger langer Zeit der Stromverlangsamung und der durch 
dieselbe bedingten Verminderung der Oxydationsvorgänge und Tem¬ 
peraturerniedrigung Platz zu machen pflegt. Diese Erwägung hat 
auch Nicati für die klinische Beobachtung seiner Fälle verwerthet, 
in denen der ursprünglichen Temperaturerhöhung der afficirten 
Seite im Laufe der Zeit die Temperaturerniedrigung folgte. Auch 
dieser Annahme steht das Ergebniss der Anamnese gegenüber, 
welche nichts von einem Wechsel der subjectiven Temperatur¬ 
empfindung dieser Seite ergiebt. Ausserdem zeigt die objective 
Temperaturmessung, dass wir es nicht mit einer Temperaturernie¬ 
drigung, sondern vielmehr mit einer normalen Temperatur dieser 
Seite zu thun haben, und endlich erweist sich die Curve der rechts¬ 
seitigen Temporalis völlig normal und zeigt keineswegs die Gestalt, 
welche Sie für die linke Temporalis sofort als die einer erschlafften 
Gefässwand zu bew r ahrheiten in der Lage sein werden. 

Endlich wäre noch die Möglichkeit zu erwähnen, dass nicht die 
Vasocoustrictoren, sondern die Vasodilatatoren gelähmt waren. Aber 
abgesehen davon, dass wir über den Verlauf dieser noch hypotheti¬ 
schen Fasern und deren Beziehung speciell zum Halssympathicus 
gar keine Kenntnisse haben, so würde die vermisste Teraperatur- 
erniedrigung schon gegen diese Auffassung argumentiren, so dass 
wir von einer weiteren Discussion dieses Punktes wohl Abstand 
nehmen dürfen. 

Es bleibt also nur die Auffassung übrig, dass vom 
Anbeginn allein die rechtsseitigen oculo-pupilläreu Fa¬ 
sern von der Lähraungsursache getroffen wurden, während 
die Vasomotoren völlig intact verblieben. 

Viel einfacher gestaltet sich das Verständnis für die AfTection 
der linken Gesichtshälfte. Hier erscheinen die Lähmungssymptome 
der Vasomotoren, und dieser allein, so typisch und unvermischt, 
dass eine weitere Discussion derselben fast überflüssig erscheint. 
Die scharf abschneidende Röthung, die Temperaturerhöhung, das 
einseitige Schwitzen (dessen physiologisches Verständnis uns aller¬ 
dings noch nicht hinreichend geklärt erscheint), bei Abwesenheit 
aller oculo-pupillären Symptome, alle diese vasomotorischen Symptome 
finden ihre objective Demonstration in diesen Curven der linken 
Temporalis, welche ich Ihnen vorzulegen mir erlaube. Dieselben, 
mit dem Sphygmographen von Dudgeon aufgenommen, zeigen Ihnen 
in dem absteigenden Schenkel nicht eine einfache Rückstosselevation; 
sondern statt dieser eine Menge kleiner Einbiegungen, welche deut¬ 
lich für die Erschlaffung der Gefässwand sprechen. 

Ich darf nicht verschweigen, dass die geschilderten Verhält¬ 
nisse der linken Gesichtshälfte das Resultat der Beobachtung vou 
drei Jahren sind; in letzterer Zeit hat sich nun eine Veränderung 
vollzogen, welche zu Gunsten meiner so eben vorgetragenen Auf¬ 
fassung noch beredter sprechen dürfte, als meine bisherigen Ausfüh¬ 
rungen. Während, wie oben erwähnt, bis heran die Temperatur 
der linken Wange um fast 1<> die der rechten überschritt, ergaben 
in jüngster Zeit unternommene Temperaturmessungen eine völlige 
Umkehrung dieses Verhältnisses. Jetzt ist schon für die zufühlende 
Hand, wie Sie sich überzeugen können, die linke Gesichtshälfte 
kühler, welcher Unterschied zur Zeit einen ganzen Grad beträgt, 
jedoch derart, dass die rechte Seite ihre frühere Temperatur be¬ 
wahrt hat, während die linke dieselbe veränderte. Das scheint in 
der That für die von Nicati vertretene oben erörterte Auffassung 
zu sprechen und einen ganz eindeutigen Beweis für die Intactheit der 
rechtsseitigen Vasomotoren zu erbringen. 

Das ganze Krankheitsbild würde sich nach diesen Ausführungen 
so gestalten, dass auf der rechten Seite eine Lähmung der 
oculo-pupillären Fasern mit functioneller Erhaltung der 
vasomotorischen, auf der linken dagegen eine Lähmung 
der Vasomotoren bei functioneller Erhaltung der oculo- 
pupillären Fasern sich darstellt. 

In den Versuchen von CI. Bernard findet sich bereits das phy¬ 
siologische Vorbild für diese höchst seltsame pathologische Combi- 
nation. Er erwähnt, dass er versucht habe, diese beiden im Hals¬ 
strange gemeinsam verlaufenden Fasersysteme functionell zu sondern, 
und dass es ihm durch Eingriffe am Centralnervensystem in der Ge¬ 
gend der Med. oblong, gelungen sei. einmal allein die Vasomotoren, 
das andere Mal allein die oculo-pupillären Fasern auszuschalten. 

Welcher Art die bedingende Ursache dieser pathologischen 
AfTection sei, darüber wage ich bei der bereits erwähnten Abwesen¬ 
heit aller krankhaften Veränderungen am Halse oder anderen Or¬ 
ganen kein Urtheil zu versuchen. Es lag nahe, mit Hinblick auf 
die Bernard’schen Versuche, nach Erscheinungen’ zu fahnden, 


welche auf eine Localisation in der Medull. oblong, hinzuweiseo 
geeignet waren. Insbesondere wurde auf eine methodische Harn¬ 
untersuchung um so mehr Gewicht gelegt, als an einem Tage de< 
Jahres 1885 eine deutliche Zuckerreaction wahrgenommen wurde zi 
einer Zeit, als Patientin über vermehrte Harnsecretion aus eigenem 
Antriebe klagte. Da aber unzählige Controlproben nie wieder eine 
gleiche Reaction ergaben, so kann auf jenes Factum kein Werth ge¬ 
legt werden, so dass in der ätiologischen Deutung des Falles wir 
unsere völlige Unkenntniss zugestehen müssen. Ebenso bescheiden 
gestaltet sich der therapeutische Erfolg. Mit der methodischen 
Galvanisation des Sympathicus habe ich nur erreicht, dass ich dir 
Patientiu in continuirlicher Beobachtung halten und so in die an¬ 
genehme Lage kommen konnte, sie Ihnen heute vorzustellen. 

Im Anschlüsse an diese pathologische Beobachtung, gestatten 
Sie mir, noch zwei Punkte von allgemeiner physiologischer Bedeu¬ 
tung zu behandeln, deren noch streitige Auffassung durch jene eine 
erklärende Beleuchtung gewinneu dürfte. Erstens: Bekanntlich 
bringt eine hinreichend starke Lösung von Cocain in das Auge ge¬ 
träufelt die entgegengesetzte Trias der Erscheinungen hervor, weicht 
wir oben als Resultat einer Lähmung der vom Sympathicus inner- 
virten oculo-pupillären Fasern kennen gelernt haben. In der Thai 
gelingt es auch bekanntlich, durch Reizung des peripheren Ende? 
des Halssympathicus sowohl Erweiterung der Pupille wie Vergrösse- 
rung der Lidspalte und Hervortreten des Bulbus zu erzeugen. Es 
lag nun nahe, diese durch Cocaineinträufelung hervorgerufenen 
Symptome als Reizung der Sympathicusendigungen aufzufassen, und 
so sehen wir denn in der That, dass die meisten Forscher die 
Cocainwirkung in dieser Richtung aufzufassen geneigt sind, und 
zwar so, dass sie die Erweiterung der Pupille entweder als eint 
Reizung des noch streitigen Dilatator pupillae oder als Folge der 
Coutraction der Irisgefässe betrachten, während sie für die Erweite¬ 
rung der Lidspalte und für das Hervortreten des Bulbus die vom 
Sympathicus innervirten, in der Substanz des oberen Lides und in 
der Fissura orbital, sup. verlaufenden sogenannten Müller’schen 
Muskelfasern in Anspruch nehmen. Nur Koller, welchem wir di< 
Einführung des Cocains in die Praxis verdanken, verwirft diese 
Auffassung und stellt sich, in specie für die Erweiterung der Lid¬ 
spalte und das damit zusammenhängende Glotzen des Auges, den 
Vorgang so vor, dass er die mittlere Weite der Lidspalte als das 
Resultat einer Contraction des Orbicularmuskels auffasst, welche 
reflectorisch durch die die Trigeminusfasern des Auges treffenden 
äusseren Reize eingeleitet wird. Werden nun durch Coca in diese 
Trigerainusendigungen leitungsunfähig gemacht, so fallen damit die 
Impulse für den Reflex fort, der M. orbicularis erschlafft, aml 
damit erweitert sich die Lidspalte. 

Unser Fall scheint mir nun geeignet, diese beiden entgegen¬ 
gesetzten Ansichten zu prüfen. Da, wie bereits erwähnt, die rechts¬ 
seitige Pupille durch energischste Cocainisirung keine Erweiterung 
erfährt, so konnten wir für die Pupille die Streitfrage nicht ent¬ 
scheiden. Dagegen zeigte sich trotz der Sympathicuslähmung eine 
deutliche Erweiterung der rechten Lidspalte durch Cocain. Dieseln« 
zeigte in vielen Versuchen vor Cocaineinträufelung eine Höhe von 
6,5 mm, während die linke 10 mm beträgt ; nach viermaliger Ein¬ 
träufelung von einigen Tropfen einer 3 °/o Cocainlösung erweiterte 
sich die rechte Lidspalte auf 9 mm, während die rechte Papille un¬ 
verändert bleibt. Da auf dieser Seite, wie wir sahen, eine völlige 
Lähmung der oculo-pupillären Fasern des Sympathicus angenommen 
werden muss, so kann der Sympathicus füglich nicht der Angri"^ 
punkt des Cocains gewesen sein, und so bin ich geneigt, die a°*‘ 

1 er’sehe Auffassung für die Erweiteruug der Lidspalte als die nö¬ 
tigere anzunehmen. 

Zweitens: Die Existenz eines Dilatator pupillae, das heis>« 
eines unter der Einwirkung des Sympathicus stehenden und wr 
activen Erweiterung der Pupille dienenden besonderen Müsse' 
ist, wie Sie wissen, ein viel umstrittener Punkt der Physiologe 
Noch in der neuesten Auflage seines Lehrbuches bestreitet i 
Grünhagen, und auch von anatomischer Seite glaubt ihn new 
dings Eversbusch gänzlich abgethan zu haben. Die unz ^ 
hafte Einwirkung des Sympathicus auf die Weite der Pupille erM 
die Bekämpfer dieses Muskels einzig als Einwirkung auf die lnsgelle ¬ 
deren wechselnder Füllungszustand die Breite der Iris befliß 
Unser Fall zeigt nun, wie erörtert, eine functioneile Sonderung ^ 
im Sympathicusstamme verlaufenden Faserarten. Da wir au ' 
linken Gesichtshälfte der Patientin nur Symptome einer 
renlähmung haben, so müsste, wenn jene Anschauung richtig 
sich hier eine Verengerung der Pupille zeigen; da dieselbe 
völlig fehlt, während auf der rechten Seite bei alleiniger 1A ^ 
der oculo-pupillären Fasern im Gegentheile eine Pupillen verenge^ 
vorhanden ist, so scheint diese Beobachtung für die Enstenz^.^ 
Dilatator pupillae für das Menschenauge in unzweideutigster 
zu sprechen. 


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1 5. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 939 


II. Ueber Kehlkopftuberculose, ihre 
Behandlung und Heilung. 1 ) 

Von Dr. Keimer, 

Kpecialist für Nasen-, Hals- und Ohrenleiden in Düsseldorf. 

Seit den Tagen Louis’, welcher zuerst den Satz aufstellte, dass 
ohne eine vorhergehende Lungenschwindsucht keine Kehlkopf- 
xchwindsucht auftreten könne, da diese nur durch die Wirkung der 
Sputa erzeugt werde, pflanzte sich dieser Glaube von der secundären 
Natur der Larynxphthise durch die Medicin fort bis in die allerletzte 
Zeit; von den Lehrstühlen wurde er gepredigt als ein unangreif¬ 
bares Dogma, in den Werken der inneren Medicin und patholo¬ 
gischen Anatomie fand er seinen lauten Widerhall, was Wuuder, 
dass die ärztliche Welt, befangen in ihrem Urtheil, auch ihr Handeln 
darnach einrichtete. Und doch musste man sich bei vorurtheilsloser 
Ueberlegung sagen, dass diese Louis’sche Lehre durch eine Reihe 
von Thatsachen geradezu widerlegt werde. 

Felix v. Niemeyer, dieser geistreiche Kliniker, machte mit 
Recht schon in den ersten Auflagen seines für fast eine Generation 
von Aerzten maassgebenden Werkes der speciellen Pathologie und 
Therapie auf den Widerspruch aufmerksam zwischen jenem behaup¬ 
teten Entstehungsraodus der phthisischen Larynxgeschwüre und dem 
Erfahrungssatze, dass das doch ungleich mehr zersetzte, schärfere 
und daher ätzendere Secret aus bronchiectatischen oder gangränösen 
Höhlen fast niemals ulceröse Processe des Larynx bedinge. Trotz¬ 
dem behielt auch für ihn das alte Dogma seine absolut bindende 
Kraft, und auch er zieht den praktischen Schluss uicht, dass gleiche 
Ursachen gleiche Wirkungen an verschiedenen Stellen äussern, und 
dass dieselben Ursachen auch mal in umgekehrter Ordnung zuerst 
den Larynx und dann erst die Lungen afficiren können. Wie bei 
den inneren Klinikern, so war es auch bei den pathologischen Ana¬ 
tomen. Heinze, welcher im Jahre 1879 eine geradezu musterhafte 
Arbeit über die Kehlkopfschwindsucht schrieb, und dessen patho¬ 
logisch-anatomische Studien über diese Krankheit für immer Werth 
behalteu werden trotz der veränderten modernen Anschauungen, gab 
der alten Lehre von der secundären Infection des Kehlkopfes den 
schwersten Stoss durch den Nachweis, dass der Destructionsprocess 
bei der Larynxtuberculose nicht auf der Oberfläche, sondern inner¬ 
halb der Gebilde beginne, doch führt er weiter aus, dass er in der 
Litteratur keine durch die Section bestätigte Beobachtung von äch¬ 
ten tuberculösen Geschwüreu des Larynx als primäre Affectiou uud 
bei intacten Lungen gefunden habe; die Möglichkeit, dass der Larynx 
primär erkranke, könne nicht vou der Hand gewiesen werden, da 
bei nur angegriffenem Larynx der Nachweis schwer zu erbringen, 
und da eine primäre Larynxtuberculose erst dann erwiesen sei, 
wenn einmal an einer Leiche eine Larynxtuberculose gefunden 
werde bei völlig intacten Lungen. — Ganz ähnliche Anschauungen 
entwickelt auch Eppinger in seiner pathologischen Anatomie des 
Larynx und der Trachea, auch für ihn existirt eine primäre Larynx¬ 
phthise wohl kaum, und die klinischen Beobachtungen Voltolini's und 
Anderer sind nach ihm mit aller Reserve aufzunehraen. Selbst die 
Laryngologen von Fach konnten sich nicht losringen von der alten, 
gleichsam eingeimpften Idee; wagte es doch ein so ausgezeichneter 
Beobachter, wie Türck, nicht einmal, selbst bei ausgesprochener 
Lungentuberculose einen ulceröseu Process des Larynx als einen 
tuberculösen anzusprechen, eine übertriebene Gewissenhaftigkeit, 
welche man nur dann versteht, wenn man bedeukt. dass zu seiner 
Zeit ein grosser Kampf darüber ausgefochten wurde, ob überhaupt 
die bei Tuberculose vorfindlichen Larynxulcerationeu auf rein tuber¬ 
kulöser Basis beruhten, da man das damals einzig beweisende 
Postulat, den miliaren Tuberkel, oft vermisste. Wie sollte nun ein 
so minutiöser Forscher erst aus dem rein klinischen Bilde sich ein 
Lrtheil auf eine primäre Tuberculose gestatten. Auch Störk und 
Mackenzie huldigen fast absolut der Lehre von der secundären Natur 
der Larynxtuberculose. 

Mit der Entdeckung des Tuberkelbacillus durch R. Koch 
wurde in diese Frage ein neues Licht hinein getragen. Man lernte 
eine ganze Menge localer Processe als wahre Tuberculösen erkennen, 
eine grosse Reihe von Knochenerkrankuugen, die alte Caries, fun- 
göse Erscheinungen der Gelenke, entlarvten sich als die Producte 
der Einwirkung der Tuberkelbacillen auf die betreffenden Gewebe, 
die früher als Scrophulose und Lupus bezeichneten Vorgänge inner¬ 
halb der Drüsen, auf der äusseren Haut und den Schleimhäuten 
Hessen durch den Fund des jetzt als sicherstes Kriterium für die 
Natur der Erkrankung zu fordernden Bacillus tubercul. ihre Zuge¬ 
hörigkeit. zu jener grossen, im Allgemeinen als Tuberculose zu be¬ 
zeichnenden Krankheitsgruppe nachweisen. Man beschrieb locale 
Tuberculösen der verschiedensten Organe, man lernte die Impf- 
tuberculose kennen und musste sich bei der Wucht aller dieser 

') Nach einem im Düsseldorfer ärztlichen Vereine gehaltenen Vortrage. 


Thatsachen endlich sagen, dass doch der Kehlkopf ebenso gut 
! primär das Angriffsobject der Tuberkelbacillen sein könne, wie z. B. 

die Harn- und Geschlechtsorgane. Auch der von Heinze geforderte 
, Nachweis der tuberculösen Affectiou des Larynx ohne Betheiligung 
1 der Lungen wurde durch die Section erbracht. Nach dem ganz 
vortrefflichen, vor einigen Monaten erschienenen Werke Theodor 
Heryng’s in Warschau, „Die Heilbarkeit der Larynxphthise“, auf das 
wir noch öfter zurückgehen müssen, da es der Feder des neben 
Hermann Krause wohl energischsten und glücklichsten Bekämpfers 
dieser schrecklichen Krankheit entstammt, war es wohl zuerst Pro- 
; grebinsky, welcher einen Fall zu seciren und mitzutheilen Ge- 
! legenheit hatte, bei welchem eine ausgesprochene Laryuxphthise neben 
intacten Lungen vorhanden war; auch Löri führt einen Fall an. 
bei welchem neben colpssalen tuberculösen Zerstörungen des Velums 
und der Rachengebilde sich eine intacte Lunge vorfand. 

Eine weitere Stütze fand die Lehre von der primären Larynx- 
i tuberculose vou Seiten der pathologischen Anatomie durch die Mit¬ 
theilungen E. Fränkel’s in Hamburg und Professor Orth’s in 
Göttingen, welcher mit aller Entschiedenheit den Satz aufstellte. 
, dass die Tuberculose garnicht so selten local im Kehlkopf vor- 
i komme, während von chirurgischer Seite Richard Volkmann auf 
einem der letzten Chirurgencongresse. soweit mir erinnerlich, die 
I primäre Natur der Zungen-, Gaumen- und Rachentuberculosc her- 
; vorhob. 

Auch die innere Medicin verschloss sich nicht mehr den immer 
lauter redenden Thatsachen, und so finden wir denn in den neuesten 
Werken der Pathologie und Therapie mit mehr oder minderer Ent- 
i schiedenheit und Reserve die primäre Larynxphthise in ihr Recht 
1 gestellt. 

„Dass die Tuberculose imLarynx beginnen kann, sagt Strümpell. 

; wird ' zwar von manchen Aerzten bestritten, meiner Ansicht nach 
aber mit Unrecht. Die klinische Erfahrung lehrt nicht selten, 
dass bis dahin anscheinend ganz gesunde Menschen mit Heiserkeit 
erkranken, und dass die zuerst für eine gewöhnliche Laryngitis ge¬ 
haltene Krankheit sich erst durch ihren späteren Verlauf als eine 
i Tuberculose herausstellt. An den Lungen lässt sich anfangs trotz 
j der genauesten Untersuchung nicht das geringste physicalische 
! Symptom einer Erkrankung nachweisen, und erst in viel späterer 
Zeit treten zu den Erscheinungen der Larynxaffection die deutlichen 
Zeichen der Lungentuberculose hinzu. In derartigen Fällen eine 
1 primäre Lungentuberculose anzunehmen, welche anfangs nur nicht 
; nachgewiesen werden konnte, erscheint uns gekünstelt. Vielmehr 
; spricht alles für die Annahme, dass das tuberculöse Gift (die Ba- 
| cillen) zuweilen auch zuerst im Larynx haften kann, hier die ersten 
j Erscheinungen der Tuberculose hervorruft und erst später auf die 
[ Lungen übergreift.“ — Nun könnte es aber scheiuen, dass ich vor 
! Ihnen, meine Herren, als der Apostel einer ganz neuen Wahrheit 
auftreten und mit der alten Erfahrung brechend die neue geradezu 
umgekehrte Lehre predigen möchte, dass die Tuberculose überhaupt 
in überwiegender Zahl zuerst im Larynx und dann erst in den 
Lungen auftrete. Das liegt mir ganz fern, auch ich bin ein getreuer 
Anhänger des alten Glaubens, nur mit mehr minderer Einschränkung, 
i auch ich schwöre zu dem alten Louis’schen Satze, nur bin ich 
nicht Fanatiker genug, keine, oder nur äusserst seltene Ausuahmen 
zuzugeben, sondern ich möchte eine wohl nicht so sehr seltene Ab¬ 
weichung von der Regel constatiren. Auch für mich hat nach der 
Entdeckung der Tuberkelbacillen die alte Annahme etwas sehr Be¬ 
stechendes, und ich glaube, dass sie wohl für die meisten Fälle auch 
zutreffend sein mag, dass die Sputa aus den Lungen resp. nach unserer 
j richtigeren modernen Anschauung, die in ihnen befindlichen Bacillen, 
es sind, welche den Larynx inficiren, nur möchte ich mit aller Ent¬ 
schiedenheit auch die umgekehrte Möglichkeit feststellen, dass auch 
von oben her, sei es durch den Respirationsstrom, sei es durch die 
den Mund- oder Rachensecreten resp. Speisen beigemischten Bacillen, 
eine Invasion derselben zuerst im Larynx und von da aus erst in 
den Lungen stattfiuden kann. Denn das lehrt auch wieder die Er¬ 
fahrung, dass einer primären Larynxphthise nach mehr oder minder 
langer Zeit eine Lungenphthise folgt. Mir fällt hierbei die Erzählung 
zweier Fälle ein, welche Hermann Weber in seinem so sehr an¬ 
regenden Werkchen: „Vorträge über die hygienische und klimatische 
; Behandlung der chronischen Lungenphthise“, mittheilt, wo eine 
| Amme, welche ein schwindsüchtiges Kind nährte, zuerst ein Ge- 
! schwür an der Seite der Zunge bekam, dann heiser wurde und 
später an Lungentuberculose starb. Im zweiten Falle bekam eine 
1 Mutter, welche mit ihrer schwindsüchtigen Tochter das Bett theilte 
i und dieselbe immer küsste, zuerst ein Geschwür an der Zunge, dann 
| an den Mandeln, ehe Allgemeintuberculose sie dahinraffte. 

Die Schwierigkeit leuchtet von selbst ein, im betreffenden Falle 
! anzugeben, ob nun zuerst der Larynx oder die Lungen angegriffen 
sind. Sollte sich die Entdeckung Heryng’s, welcher auf der Wies¬ 
badener Naturforscher-Versammlung ein Präparat zu demonstriren in 
der Lage war, wo innerhalb zweier im Ausführungsgange einer Schleim- 


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940 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


drüse am Processus vocalis befindlichen Cylinderzellen Tuberkel¬ 
bacillen nachweisbar waren, sich öfter bestätigen lassen, und sollte 
der constante Befund relativ grosser Schleimdrüsen in dieser Gegend 
des Kehlkopfes (Heryng) und die arapullenartige Erweiterung der¬ 
selben an ihrem Anfangstheile (Hoyer) eine anatomisch sichere 
sein, so würde dadurch dem Verständniss der primären Infection 
dieser Stellen ein bedeutender Vorschub geleistet sein, dann würde 
man auch verstehen können, warum gerade hier die Kehlkopf- 
tuberculose so oft ihren Anfang nimmt. 

Ich habe mit diesem Raisounement Ihre Geduld etwas lange in 
Anspruch genommen, doch ist die Frage von so eminent praktischer 
Wichtigkeit, dass Sie meinen Eifer verzeihen wollen. Wenn 
erst die Ueberzeugung in das Bewusstsein der Aerzte gedrungen 
sein wird, dass nicht jede Larynxphthise eine Lungenphthise zur ab¬ 
soluten Voraussetzung hat, dass auch zuerst der Kehlkopf an dieser 
mörderischen Geissei des Menschengeschlechts erkranken kann, dann 
wird man mit derselben Energie, mit der man die localen Tuber¬ 
eulosen anderer Regionen bekämpft und heilt, auch gegen die noch 
localisirte Tuberculose des Larynx zu Felde ziehen, die Kraukheit 
in ihrem Anfänge ersticken und nach glücklicher Heiluug das frohe 
Bewusstsein in sich tragen, ein sonst dem qualvollsten Tode ver¬ 
fallenes Menschenleben gerettet zu haben. Dann wird es sich aber 
auch der praktische Arzt zur heiligsten Pflicht machen, bei allen 
Störungen des Kehlkopfes zum Spiegel zu greifen, er wird sich und 
seine Patienten nicht mehr mit dem vagen Begriffe eines Kehlkopf¬ 
katarrhs, gegen den man Emser Wasser trinken und inhaliren müsse, 
trösten, sondern nach Fesstellung der Diagnose durch den Spiegel 
mit zäher Hartnäckigkeit nicht eher ruhen, bis die Krankheit im 
Kehlkopfe vollkommen getilgt und die Gefahr beseitigt ist; denn 
jeder anhaltende Katarrh ist unter Umständen eine Gefahr, da er 
dem Bacillus eine Eingangspforte schafft. Er wird zu diesem ener¬ 
gischen Vorgehen um so mehr angespornt, als wir jetzt das stolze 
Bewusstsein in uns tragen dürfen, die noch vor wenigen Jahren 
als fast absolut trostlos zu bezeichnende Prognose der Phthisis laryngea 
mit Ausnahme weniger Formen bei frühzeitiger Behandlung als 
durchaus nicht so aussichtslos, sondern sogar als recht gut bezeich¬ 
nen zu können. Die Laryngologie hat sich mit dieser Errungen¬ 
schaft ein neues Lorbeerreis in den Kranz ihrer grossen Verdienste 
um die Gesammtmedicin und um das Wohl der leidenden Mensch¬ 
heit gewunden. 

Welch ein gewaltiger Umschwung in unseren Anschauungen, 
welch ein bedeutender Fortschritt in unserem Können! Noch 
1880 sagt Eppinger in seiner pathologischen Anatomie des Larynx 
und der Trachea: „Es giebt keinen verbürgten Fall, wo tuberculöse 
Geschwüre des Larynx in dem eben gedachten Sinne geheilt wären 
(d. h. mit reiner Narbenbildung) etc. Wenn auch v. Ziemssen 
zwei Fälle von geheilter Larynxtuberculose anführt, so sind das 
eben einzig dastehende Fälle, die wir der Beobachtung eines so be¬ 
währten Forschers wegen als solche hinnehmen, ohne das Bedenken 
erheben zu wollen, dass die Narben in den angezogenen Fällen von 
anderen Erkrankungen herrühren könnten. Unserer Erfahrung ge¬ 
mäss müssen wir an dem obigen Grundsätze, mit der grösst-mög- 
lichsten Einschränkung desselben für die allerseltensten Fälle, fest- 
halten. Daher kommt es ja auch, dass Kliniker, die bei Tubercu- 
lösen eine Kehlkopftuberculose constatiren, solche Fälle für höchst 
schwierig, wenn nicht verloren halten.“ Und kaum 7 Jahre später 
schreibt Brehmer begeistert: „Seit Einführung der Milchsäure in 
die Heilmethode für Kehlkopfgeschwüre ist die Heilung das gewöhn¬ 
liche und nur einzelne Fälle bleiben uugeheilt.“ — 

Wer die Geschichte der Behandlung der Kehlkopfphthise ver¬ 
folgt hat, weiss es, dass bis vor wenigen Jahren einem gewissen 
Nihilismus gehuldigt wurde. Man linderte und tröstete, bis der 
Tod den armen Dulder von seinem Leiden erlöste. Selbst ein so 
energischer Laryngologe, wie Störk, versprach sich nach so vielen 
Misserfolgen nur von einer Hebung der Kräfte, von klimatischen 
und Milchcuren Erfolge, während er der localen Behandlung nur 
ein sehr bescheidenes Feld einräumte, und Mackenzie sieht in dem 
Einblasen von Morphiumpulver ein Mittel, welches den Kranken 
über seine Schmerzen und Schluckbeschwerdeu hinwegbringt, und 
man liest bei seiner Kritik der von Anderen geübten Behandlung 
nur zu deutlich seine eigenen Worte durch die Zeilen: „Die Prognose 
der Kehlkopfschwiudsucht ist stets äusserst ungünstig, und es ist 
nicht sicher, dass jemals ein Fall zur Genesung kommt.“ 

Ich will Sie nun nicht, meine Herren, mit der Schilderung aller 
gegen die Larynxphthise ins Feld geführten Heilmittel und Heil¬ 
methoden ermüden, es zeigt sich auch hier wieder die Richtigkeit 
des alten Erfahrungssatzes, je ohnmächtiger unsere Kunst, desto 
reichhaltiger unsere Mittel. 

Während Schnitzler warm für Plumbum acet. und jetzt be¬ 
sonders für Jodoform eintritt, Schech von Acidum boric., allein oder 
mit Jodoform gemischt, befriedigende Wirkung sah, rühmte in 
neuester Zeit Rosen b erg 20procentiges Meutholöl, und Lublinsky, 


No. 4 6 

später auch Prior, Jodol. Ich habe selbst in den Jahren 84 und 85 
als Assistent Hack’s in Freiburg ein relativ grosses Material von 
Larynxphthise mit allen jenen Mitteln behandelt und muss gestehen, 
dass die Erfolge recht wenig befriedigende waren. Gewiss gelingt 
es, mit Jodoformeinblasungen, ebenso mit Jodolpulver, welches letztere 
sofort nach der Entdeckung durch Ciamician und Silber und nach 
den auf der Mazzoni’schen Klinik in Rom damit erzielten Erfolgen 
bei Geschwüren der verschiedensten Art von mir verwandt wurde, 
oberflächliche Ulcerationen, namentlich nicht tiefgehende tuberculösr 
Erosionsgeschwüre zum Vernarben zu bringen, bei tieferen und 
ausgebreiteteren Processen aber, und namentlich bei Infiltrationen, 
leisten beide Mittel nach meiner Erfahrung höchstens ein Reinigen 
und besseres Aussehen des Geschwürsgrundes. Doch steht der an¬ 
dauernden Anwendung des Jodoforms der bei den meisten Patienten 
unverkennbare Widerwille, das lästige Aufstossen und die oft schon 
bald eintretende bedeutende Beeinträchtigung des Appetites entgegen. 
Umstände, welche bei der doch absolut nicht einwandfreien anti- 
tuberculösen Natur des Mittels laut genug dagegen sprechen dürften. 
Ich muss mich überhaupt als einen ziemlich strengen Gegner aller 
Pulvereinblasungen in den Kehlkopf bezeichnen und ich stehe seit 
Jahren ganz auf dem Standpunkte Heryng’s, welcher diese An 
der Behandlung als die bequemste zwar, aber auch mangelhaftest, 
bezeichnet, und ich freue mich, dass eine so gewichtige Autorität 
wie die v. Schrötter’s, in dem leider bis jetzt nur bis zum 
3. Hefte gediehenen Werke über die Krankheiten des Kehlkopfs ihr 
Verdammungsurtheil über diese in der Hand so Vieler als Täuschung 
und Spielerei zu bezeichnende Methode fällt. Wie oft werden ganz 
andere Theile getroffen, als die, deren Behandlung es gilt, und wie 
rasch werden nicht die Pulverpartikel bei dem unvermeidlichen 
Hustenreiz w'ieder herausgeschleudert. Ja dieser Reiz ist nach 
meiner Erfahrung anhaltender und unangenehmer, wie der einer 
kräftigen Milchsäurepinselung. Darum habe ich auch das Jodol bei 
meinen Versuchen im Jahre 85 in Emulsion mittelst des Pinsels 
eingerieben, ohne aber damit, wie ich schon eben anführte, sehr 
ermuthigende Resultate zu erzielen. Ungleich besser waren meine 
Erfahrungen mit dem Einspritzen von 20procentigera Mentholöl. 
welches bei sehr reizbaren, empfindlichen und einer energischen Cur 
mehr abgeneigten Patienten und bei leichteren geschwungen Fonneu 
entschiedene Vorzüge und einen nicht zu verkennenden Werth hat. 
Ich kann die Erfolge Roseüberg’s und v. Brunn’» bestätigen 
und werde später noch Gelegenheit finden, noch einmal dmnf 
zurückzukommen. 

Eine neue Aera in der Therapie begann aber erst mit.derEin¬ 
führung der Milchsäure in die Behandlung der Larynxphthise duMi 
Krause in Berlin. Gestützt auf die guten Erfahrungen. *dche 
zuerst von Mosetig-Morhof, dann Mikulicz und Wölfler bei 
flachem Hautkrebs und Lupus mit diesem Mittel gemacht, versuchte 
derselbe auch dessen Wirksamkeit bei den geschwürigen Formen 
der Larynxtuberculose, und zwar mit einem so ermutbigenden Er¬ 
folge, selbst bei ganz verzweifelten Fällen, dass er in seiner im 
Jahre 85 in No. 29 der Berl. klin. Wochenschrift erschienenen ersten. 
Aufsehen erregenden Arbeit über diesen Gegenstand über 14 Fäü r 
berichten konnte, welche einen unverkennbaren Erfolg dieser Be¬ 
handlung erkennen Hessen. In der Berliner Medic. Gesellschaft 
(14. October 85) war Krause in der Lage, den Kehlkopf eines an 
Lungenphthise verstorbenen, von ihm mit Acidum lact behandelten 
Patienten vorzuzeigen, wo sich an Stelle der früheren Geschwüre 
eine vollkommene Vernarbung zeigte. Mit vielem Eifer bemächtig 
sich die Laryngologie dieses neuen, so viel versprechenden Mittel», 
und schon bald fehlte es nicht an Bestätigung von den verschiedensten 
Seiten; so namentlich von der v. Schrött er’sehen Klinik m 
Wien, durch Jellinek, durch Seifert von der Würzburger 
Klinik etc. Namentlich trat für die Richtigkeit der Krause sehen 
Angaben, trotz der abfälligen Kritik Schnitzler’s, welcher m> 
Jodoform dieselben Resultate erzielt haben wollte, mit überzeugender 
Entschiedenheit Theodor Heryng auf der 59. Versammlung Deutscher 
Naturforscher und Aerzte in Berlin ein, indem er an der Hand von 
22 Beobachtungen die Wahrheit des Krause’schen Ausspruch«, 
dass bei gut erhaltenem Kräftezustand und sorgfältiger Technik kein 
tuberculöses Geschwür der Vernarbung durch Milchsäure widerstehe, 
bestätigte. Schon in einer in der No. 11 der Berliner klin. Wochen¬ 
schrift vom Jahre 85 erschienenen Arbeit über Chromsäureätzungen 
in Nase, Pharynx und Larynx hatte Heryng für eine energischere 
Behandlung der Kehlkopfschwindsucht plaidirt, und seine dama*-‘ 
mitgetheilten Erfolge mit dem an einer Sondeangeschmolzenen Acidum 
chrom. waren ermuthigend genug für die Nachprüfung und konn en 
auch durch Massei in Neapel durch einige Fälle bestätigt werden- 
Diese Versuche gab aber Heryng nach der Einführung der Milc 
säure auf, da letztere vor der ersteren den grossen Vorzug vorau> 
hat, viel weniger stürmisch zu wirken und das gesunde Gewe <• 
und die gesunden Epithelien nicht anzugreifen, also bei aller euer 
gischen Einwirkung gegen die tuberculöseLarynxaffection doch die ge 


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15. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 941 


sunde Umgebung nicht in den Kreis ihrer Wirkung zu ziehen. Gar bald 
musste er sich aber sagen, dass bei starker Infiltration und bei jener 
tumorartigen, oft als erste Erscheiuung der Larynxphthise sich mani- 
festirenden Localisation der Tuberculose in der Regio interarytaenoidea 
die Wirkung der Milchsäure keine hinreichend tiefe und alles Krankhafte 
zerstörende sei, dass dieselbe hier zu langsam oder überhaupt garniclit 
wirke, wie denn jeder mit dem Mittel hinreichend Vertraute bald 
seine Hauptdomaine bei den geschwürigen Processen erkannte. 
Aus diesem Grunde hatte schon Krause eine Curette construirt, 
welche, wie ein scharfer Löffel wirkend, namentlich jene pilzförmige 
tuberculöse Erhebung in der Rirnula abkratzen, wund machen und 
so der Milchsäure eine bessere Eingangspforte eröffnen sollte. Ileryng 
ging noch einen und zwar sehr bedeutenden Schritt weiter; er sagte 
sich mit Recht, dass jenes Abschaben doch nur die obersten Schich¬ 
ten treffe, und dass die in der Tiefe liegenden Tuberkeldepots da¬ 
mit kaum entfernt werden könnten, man müsse statt eines Cnrette- 
ments ein Evidement, ein Herausheben oder Herausschneiden der 
infiltrirteu Partieen vornehmen. 

Wenn Sie daher die vor Ihnen liegenden Heryng’schen Curetten 
mit dem Krause’schen, ebenfalls vorliegenden Instrumente ver¬ 
gleichen, so finden Sie gleich, dass die Heryng'sehe sog. Curette 
mehr als Messer wirkt, sie ist so gearbeitet, dass ihre Schnittfläche 
schräg von unten uach oben ansteigt und den mit kräftigem Druck 
erfassten Theil in langsamem Zuge tief abtrennt, also das ganze er¬ 
krankte Gewebe beseitigt. Eine sehr sinnreiche Schrauben Vorrich¬ 
tung lässt die verschiedenen Nummern der Curette nach allen 
Richtungen sicher stellen und befestigen. 

Ausserdem fügte Heryng noch eine Reihe von Messern zu tiefen 
Incisionen in die infiltrirten Th eile, namentlich die Ligamenta ary- 
epiglottica und die Epiglottis, und ein nach Art des Gottstein’schen 
Ringmessers für die Entfernung der hypertrophischen Lusch ka’schen 
Mandel construirtes Messer hinzu und schuf so ein solides chirur¬ 
gisches Armamentarium gegen die so lange als ein noli me tangere 
betrachtete Krankheit. 

Das Verdienst, die Behandlung der Larynxphthise auf einen 
chirurgischen Boden gestellt zu haben, gebührt allerdings Moritz 
Schmidt in Frankfurt a. Main, welcher bei tiefen und mächtigen 
Infiltraten namentlich an der Epiglottis, bei denen eiue 'meistens 
sehr heftige Schluckbehinderung vorhanden zu sein pflegt, dreiste 
und tiefe Incisionen, ja Spaltungen der Epiglottis empfahl, eine 
Methode, welche, vielfach und energisch angefeindet, in den Händen 
messerdreister Laryngologen, so z. B. Max Schaeffer’s in Bremen 
und Heryng’s, sehr gute Resultate, namentlich sehr grosse Erleich¬ 
terung des Schluckens bewirkte. 

So exact, so zielbewusst war aber bis dahin kein Laryngologe 
vorgegangen, keiner hatte so vorzügliche Resultate erzielt, so dass 
ich Heryng als den Vater der chirurgischen Behandlung der Larynx¬ 
phthise bezeichnen möchte, welchem neben Hermann Krause und 
Moritz Schmidt das unsterbliche Verdienst gebührt, das alte 
Bollwerk fest eingewurzelten Aberglaubens zertrümmert zu haben, 
dass gegen die Larynxphthise die Kunst der Aerzte machtlos, ja 
ihre Kunst nur schädlich sei. Man muss die begeisterte Zustim¬ 
mung gesehen haben, welche dem Heryng’schen Vortrage und der 
Demonstration mikroskopischer Präparate und makroskopischer aus 
dem Kehlkopfe Tuberculöser entfernter Stücke folgte, wie wenig 
die absprechende Kritik Schnitzler’s, welcher noch immer das 
Heil im Jodoform sieht, verfangen wollte, um zu begreifen, dass 
dieser von eigener Begeisterung durchglühte Vortrag Heryng’s eine 
Etappe bedeutet in dem Kampf gegen einen der schlimmsten Feinde 
des Menschgeschlechtes. In einem im November 1887 erschienenen 
grösseren Werke, auf welches ich schon oben verwies und welches 
mir zur besonderen Anregung diente (Die Heilbarkeit der Larynx¬ 
phthise), hat nun Heryng seine reichen anatomischen, pathologisch 
anatomischen und klinischen Untersuchungen, Studien und thera¬ 
peutischen Erfahrungen niedergelegt, und kann ich jedem, welcher 
sich eingehender über die hier in Betracht kommenden Fragen be¬ 
lehren will, die Lectüre desselben nur warm empfehlen, wie es denn 
für jeden Arzt, welcher selbst mit streiten will in dem heiss ent¬ 
brannten Kampfe, unerlässlich sein wird, die Heryng’schen Er¬ 
fahrungen sich zu Nutze zu machen und an der Hand der vorzüg¬ 
lichen Krankengeschichten Anhalt zu gewinnen für sein eigenes 
Vorgehen. 

Durch die chirurgische Methode, zu welcher Heryng auch die 
Milchsäurebehandlung rechnet, gelang es ihm, auf 35 Fälle von 
Larynxtuberculose in 27 Fällen eine mehr oder weniger lange Zeit 
andauernde Heilung, in 2 Fällen eine bedeutende Besserung zu er¬ 
zielen, und zwar ergab die reine Acidum lact.-Behandlung ohne Curette- 
ment auf 16 Fälle 11 Mal vollständige Heilung (resp. Vernarbung), 
welche */2 bis 2 l /2 Jahre beobachtet wurde, 1 Mal ein Recidiv, 
während bei 20 mit Curettement behandelten Fällen 15 Mal Ver¬ 
narbung erzielt wurde, ein Resultat, welches gegen die früheren 
Erfolge als geradezu glänzend bezeichnet werden muss, umsomehr, 


weun man bedenkt, dass unter den (namentlich unter den mit der 
Curette behandelten) Patieuten solche wareu, welche an den 
schwersten Larynxaffectionen bei vorgeschrittenen Lungenaffectiouen 
litten, bei denen es sich schon um die Frage der Tracheotomie 
handelte, und wo selbst der Ary- und Santorin’sche Knorpel entfernt 
werden mussten. — In der letzten Zeit versuchte Heryng auch 
parenchymatöse Injectioneu von Milchsäure und Jodoformemulsion in 
die infiltrirteu Partieen, doch sind die Erfahrungen noch zu neu, 
um sich über den Werth oder Unwerth dieser Methode schon jetzt 
ein Urtheil bilden zu köunen. 

Eine andere Methode der Behandlung schwerer Larynxtuber¬ 
culose dürfte auch den Nichtspecialisten besonders interessiren, die¬ 
selbe besteht in der von Moritz Schmidt zuerst empfohlenen 
Tracheotomie, mit der es ihm gelang, von 7 wegen grosser Stenose 
operirten Fällen 5 zum Heilen zu bringen, bei 2 von ihnen heilten 
auch die Lungen aus. Es eröffnet sich da eine noch nicht abseh¬ 
bare Perspective, und wird vielleicht die Zeit kommen, wo nach 
Klärung unserer Ansichten die Tracheotomie nicht erst bei steno¬ 
tischen Erscheinungen, sondern schon früher mit zur Bekämpfung 
der Larynxphthise herangezogen werden wird, da sie trotz der 
gegentheiligen Ausführung Mäckeuzie’s entschieden zur Ruhig¬ 
stellung des Organs beiträgt und dadurch glücklichere Bedingungen 
für die Ausheilung desselben schafft. 

Wenn ich Ihnen nun, meine Herreu, nach diesem kurzen 
Ueberblick über die Therapie der Kehlkopfphthise meine eigene, 
schon seit einigen Jahren geübte Methode schildern darf, so bestand 
dieselbe seit der Krause’schen Publication in der consequenteu 
und energischen Anwendung der Milchsäure uud in der letzten Zeit 
in deren Combination mit dem Curettement.. Meine früheren Er¬ 
fahrungen mit Jodoform, Jodol, Borsäure etc. habe ich schon kurz 
geschildert, glänzend waren die damit erzielten Resultate nicht, 
ebensowenig, wie die mit der von Löri empfohlenen Jod-Jodkali- 
Opiumtincturmischung, welche mau mit der Spritze in den Kehlkopf 
einspritzt. Dagegen waren die mit der Milchsäure consequent an- 
gestellten Versuche so ermuthigend, und die Erfolge so befriedigend, 
dass ich für mich die Ueberzeugung gewann, namentlich als mit 
der täglichen Anwendung des Mittels auch die so uöthige Vertraut¬ 
heit mit demselben erlangt war, dass bei richtigem Gebrauch jede 
nicht zu weit vorgeschrittene ulceröse Tuberculose des Kehlkopfs 
damit zu heilen resp. zum Vernarben zu bringeu sei. Ich sage, bei 
richtigem und energischem Gebrauche desselben; neuerdings hat 
Massini in Neapel der Milchsäure jeden Werth in der Therapie 
der Larynxtuberculose abgesprochen, und ich muss bei meiner Er¬ 
fahrung mit diesem Mittel und bei der günstigen Erfahrung viel 
bedeutenderer Laryngologen diese Lehre Massini’s mit aller Ent¬ 
schiedenheit bekämpfen und muss seine Misserfolge in der nicht 
richtigen Anwendung suchen. Ich bediene mich zur Pinselung dieses 
festen, aber noch etwas biegsamen Pinselstieles, an dessen Ende 
ein Schraubengang eingeschnitten ist, um den ich aus Bruns’scher 
Watte einen etwa 4—5 Tropfen haltenden Pinselkopf drehe. Es 
gehört dazu einige Uebung, dieselbe liefert dann aber einen absolut 
sicher und fest haftenden Pinsel, welcher nach dem Gebrauche mit 
dem Messer abgetrennt werden muss. Mit diesem wird anfangs 
eine 20, dann eine 40 und bald eine 50, 60, ja bei sehr wenig 
reizbaren Patienten eine 80procentige Lösung von Acidum lact. in Aq. 
dest. derb eingerieben. Ein sanftes Betupfen hilft garnichts, die 
Pinselung muss ordentlich etwas roh gemacht werden, wobei der 
Patient angewiesen werden muss, die Zunge nicht loszulassen, da 
sonst der Pinsel aus dem Keklkopf herausschlüpft. Jeder Pinselung 
wird, eine Anästhesirung mit einer 10- bis 20proc. Cocainlösung 
vorausgeschickt, wodurch die Empfindlichkeit sehr heruntergesetzt 
wird, und die Anfälle von Glottiskrampf sehr vermindert werden. 
Ich sehe sehr selten einen solchen, und sollte derselbe einmal ein- 
treten, so genügt ein rasches Schlucken kalten Wassers, einige feste 
Schläge auf den Rücken, oder schlimmsten Falles die von Max 
Schaeffer empfohlene Faradisation zu Seiten des Larynx, den¬ 
selben bald zum Schwinden zu bringen. Handelt es sich um ganz 
umschriebene Ulcerationen und ganz ruhige Patienten, so kann man 
reine Milchsäure auftragen. Je nach der Concentration und der 
Reizbarkeit des Gewebes sieht man nun nach der Einreibung die 
erkrankte Stelle mit einem weissgrauen Flor bis zu einem schwachen 
grauen Schorf bedeckt werden, und ist es geboten, erst nach Ab- 
stossen desselben, etwa jeden 2. bis 3. Tag zu pinseln, event. bei 
geringer Reaction jeden Tag eine Einreibung vorzunehmen. 

Natürlich passt die ganze Behandlung nur für muthige, dem 
Arzte voll vertrauende und intelligente Patienten, wobei die hier in 
Frage kommende Intelligenz' nicht immer unter den oberen Zehn¬ 
tausend zu suchen ist, sondern unter manchem fadenscheinigen Ge¬ 
wände sich findet. Bei einer Behandlung, welche so grosse Aus¬ 
dauer, so viel Verständniss der Nothwendigkeit der anhaltendeu 
schmerzhaften Prozeduren fordert, welche von dem Patienten ein 
Hineinleben seines ganzen Ichs in die Intentionen des Arztes fordert, 


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942 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4fi 


kann nur ein beide Theile voll befriedigendes Resultat erzielt wer¬ 
den, wenn der leidende Theil ein klares Bild seines Zustandes, 
der ihm drohenden Gefahren und der ihm bleibenden Hoffnung 
erhält. Eine der Hauptaufgaben meiner Behandlung ist die An¬ 
spannung aller moralischen Kräfte des Patienten in dem Kampfe, 
den er kämpft für seine eigene Gesundheit und sein eigenes Leben, 
in diesem erbitterten Kampfe um’s Dasein hört jede schwächliche 
Rücksicht auf, wir müssen mit dem System des Schönfärbens absolut 
brechen, und so habe ich es mir seit Jahren zur Aufgabe gestellt, 
in Fällen, welche mir gerechte Aussicht auf Heilung zu haben 
scheinen, bei strengster Pflichterfüllung von Seiten der Patienten 
und des Arztes, die ersteren über ihren Zustand mit aller Schonung 
aufzuklären, und ich muss sagen, dass ich dabei immer gut gefahren 
bin. Die Worte Dettweiler’s in seinem so sehr lesenswertheu 
Buche „Die Behandlung der Lungenschwindsucht in geschlossenen 
Heilanstalten“ sind mir ganz aus der Seele gesprochen: „Ich be¬ 
trachte diese Methode des Vertuschens und Beraäntelns als eine 
der wesentlichsten Ursachen für das Ueberhandnehraen der Krank¬ 
heit bis zu dem Punkte, wo die Heilbarkeit schon fraglich wird, 
und bin aus ernst erwogenen Gründen schon längst von diesem 
falschen, verderblichen Mitleid abgegangen. Der Patient, der viel¬ 
leicht an einer schweren Lungenerkrankung meist bereits mit Zer¬ 
störung leidet, muss zum Wenigsten wissen, dass es sich um viel 
mehr als eine Verschleimung, eine „leichte katarrhalische Affection“ 
seiner Lunge handelt, man fürchte nicht eine schwere psychische 
Deroute, die ihm die Kenntniss des wahren Sachverhaltes bringt. 

. Er verwindet die betrübende Thatsache bald, wenn sie ihm nicht 
in brüsker Weise, sondern mit dem nöthigen Geschick in einer, 
seiner moralischen Kraft angepassten Form, am besteu nach und 
nach, unterbreitet wird. Die richtig gewählte Art der Tröstung, 
die Versicherung der Heilungs- resp. Besserungsf&higkeit seines Zu¬ 
standes wird im Verein mit dem unsere Kranken meist beherrschen¬ 
den Sanguinismus, welcher fast immer nur das Gute aus unseren 
Worten hören will, ihm bald die nöthige Hoffnungsfreudigkeit wieder 
geben. Der Patient wird aber von jetzt ab doch daran glauben, 
dass er mitzuhelfen hat, dass sich die Sache nicht selbstverständlich 
während der Verbüssung einer von vornherein festgestellten Cur- 
zeit abmachen wird. Ich habe in einer vielhundertfältigen Er¬ 
fahrung nie Schaden und nur Nutzen von diesem Vorgehen ge¬ 
sehen !“ 

Natürlich wird man nur in heilbaren Fällen so verfahren, bei 
von vornherein hoffnungslosem Zustande wird die schöne Pflicht 
des Arztes in ihr Recht zu treten haben, zu beruhigen und zu 
trösten, und es stirbt dann der ja so gern hoffende Phthisiker mit der 
festen Ueberzeugung, an einem chronischen, ungefährlichen Katarrhe 
zu leiden, für den der kommende Frühling die Heilung bringen 
müsste. — Bei dieser Krankheit gilt vor Allem das principiis 
obsta, die unselige Manier vieler dem alten Schlendrian huldigender 
Aerzte, ihre phthisischen Patienten erst dann energisch behandeln 
zu wollen, wenn schon das drohende Gespenst die eigenen Ver¬ 
wandten mit der Todtenmaske angrinst, kann nicht streng genug 
verdammt werden, das ärztliche Publicum muss die Ueberzeugung 
gewinnen, dass wir bei frühzeitigem Erkennen nicht so machtlos 
gegenüber stehen dieser mörderischen Krankheit. (Fortsetzung folgt.) i 


in. Ueber Intubation des Larynx. 

Von Joseph O’Dwyer in New-York. 

Mancherlei widersprechende Berichte über die Erfolge des von 
mir eingeführten Verfahrens der Intubation des Larynx dürften es 
an der Zeit erscheinen lassen, auch in einer deutschen Zeitschrift i 
einmal kurz über die weiteren Ergebnisse zu berichten, welche mit ! 
der genannten Methode erzielt sind. Als dieser Gegenstand im Juni | 
vergangenen Jahres zuerst in der New-Yorker Akademie der Medicin 
discutirt wurde, hatte Dr. Dillon Brown 860 Fälle von 65 Opera¬ 
teuren in verschiedenen Theilen des Landes gesammelt, die 27 % ; 
Heilungen ergaben. Dr. Max J. Stern in Philadelphia vermehrte 
einige Monate später die Zahl der bekannten Fälle auf 953 mit 26 % 
Heilungen, und Dr. Waxhara berichtete auf dem letzten medicini- j 
sehen Congress in Washington über 1072 Fälle mit 27 % Heilungen. 
Hier waren die Resultate einzelner Operateure sehr schlechte. Ein 
Operataur hatte 31 Fälle mit nur einer Heilung, andere 20, 10 und 
9 ohne einen einzigen Erfolg. Wenigstens von einem dieser Fälle 
kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass das Ausbleiben des Erfolgs ! 
nicht durch Ungeschicklichkeit seitens des Operateurs verschuldet war. 1 

Dieselben widersprechenden Resultate erfährt man häufig genug 
auch bei der Tracheotomie. In über 15 Fällen von Croup, in i 
denen ich entweder selbst operirte oder anderen assistirte, trat 
nur in zwei Fällen Heilung ein. Diese Erfahrung führte eben zu 
den Versuchen mit der Intubation. Ich kenne viele Operateure, 
deren Resultate eben so schlecht und selbst noch schlechter waren 
als meine eigenen. Ich erwähne diese Thatsachen nur, um zu i 


zeigen, wie irrige Schlussfolgerungen sich aus einer beschränkten 
Erfahrung, sowohl mit der Intubation wie. mit der Tracheotomie, 
ergeben können. Diese Operationen sind ira besten Falle nur ein 
mechanisches Mittel, um ein mechanisches Athmungshinderniss in 
den oberen Luftwegen zu überwinden, das nur einen der verschiedenen 
Factoren darstellt, die Zusammenwirken, um den Croup zu einer 
gefährlichen Krankheit zu machen. Wer beide Operationen hin¬ 
reichend oft ausgeführt hat, um alle Typen der Krankheit zu Ge¬ 
sicht zu bekommen, ob er nun anfänglich brillante Erfolge oder 
vollständiges Misslingen zu verzeichnen hatte, wird schliesslich zu 
den Resultaten kommen, wie sie oben dargelegt sind. Wenn man also 
die statistischen Verhältnisse in dieser Weise auffasst, so hat jeder 
Operateur, der in ca. 100 Fällen intubirt hat, mindestens 24 o/ 0 der 
Kranken gerettet. Meine eigenen Resultate in 142 Fällen der Privat¬ 
praxis, abgesehen von 65 Experiraentalfällen, waren 27 % Heilungen. 
Dr. Brown hatte in 195 Fällen 26%, Dr. Waxham in 160Fälleu 
28%, Dr. Frank Huber in 94 Fällen 39%, und Dr. Geo. W. Hay 
am Boston City-Hospital in 107 Fällen 24%. 

Die Schwierigkeit der Ausführung der Intubation, die einzig 
dem kurzen Zeitraum zuzuschreiben ist, der dem Operateur zur Ver¬ 
fügung steht, muss das Resultat anfänglich in gewissem Grade be¬ 
einflussen, weil die Gefahr des Shocks, durch in die Länge gezogene 
oder wiederholte Versuche, eine Tuba in den Larynx einzubringen, 
nothwendigerweise sehr gross ist. Besitzt indessen der Operateur 
ausreichende Uebung, sodass es ihm gelingt, die Canüle stets in 
weniger als 5 Secunden einzuführen oder zu entfernen, so hat diese 
Gefahr garnichts auf sich. Die Geschicklichkeit, die nöthig ist, um 
diese Operation rasch und ohne Verletzung auszuführen, kann nur 
durch sehr grosse Uebung erlangt werden. Erlangt man diese nicht 
am Kadaver, so kann sie nur um den Preis vieler Leiden für den 
unglücklichen ersten Patienten, ja selbst von Menschenleben, erreicht 
werden. Ohne diese Uebung ist selbst der hervorragendste Chirurg; 
zur Ausführung dieser Operation ebensowenig geeignet wie der gestern 
promovirte Arzt. Nachdem ich öfters mit angesehen habe, wie andere 
Aerzte, nachdem sie einige Uebung am Kadaver erworben hatten, zuui 
ersten Mal am Lebenden intubirten, bin ich völlig davon überzeugt, 
dass die Tracheotomie für den Patienten ein sichereres und für den 
Dabeistehenden weniger abstossendes Verfahren darstellt, als die 
Intubation in der Hand eines Neulings. Ferner ist die Tracheotomie 
auch sicherer für den Operateur, denn stirbt der Patient a«f dem 
Operationstisch, so hat das eine klar ersichtliche Ursache, od 
kann sich damit trösten, dass dasselbe vielen hervorragendef&inir; 
gen, lebenden und verstorbenen, widerfahren ist. Tritt dageg»l*i 
der Intubation ein Todesfall ein, so kann man keine Ursache w- 
zeigen, und der Operateur läuft Gefahr, auf Schadenersatz oder seM 
unter schlimmer Beschuldigung verklagt zu werden. 

Mindestens einige der veröffentlichten Fälle (und wahrscheinlich 
viele nicht veröffentlichte) von Asphyxie durch sogenanntes Her- 
unterstossen von Membranen waren in Wirklichkeit dem Einbringen 
zu vieler Finger in den Larynx, andere dem Einsetzen der Tuba 
in falsche Wege zuzuschreiben. Ich habe der Section zweier solcher 
Fälle beigewohnt, und die Operateure waren durchaus keine Neu¬ 
linge. Es ist besonders hervorzuheben, dass ein solches Ereignis 
wie das Herabstossen von Pseudomembranen vor der Tnba mitunter 
vorkommt. 

Neben den Schwierigkeiten der Ausführung der Operation bildet 
die Herstellung der Tuben und das Vorkommen höchst unvollkommener 
Instrumente im Handel ein ernstes Hinderniss für den Erfolg der 
Intubation. Ein Instrumentenmacher kann, trotzdem er eine voll¬ 
kommene Tuba als Modell vor sich hat, wenn die Unterweisung 
nicht recht oft wiederholt wird, recht schlechte Erfolge erzielen. 

Die Anfertigung meiner Instrumente war das Ergebniss einer 
Reihe von Experimenten, die sich über mehrere Jahre ausdebnten. 
und auf die wichtigsten Veränderungen, die sich während An* 
Entstehens als nothwendig ergaben, wurden wir durch die Leichen¬ 
befunde hingelenkt. Experimente dieser Art wären nutzlose Zei - 
und Geldvergeudung, wenn dasselbe Resultat auf anderem Wege zu 
erreichen wäre, was indessen nicht der Fall ist. obwohl es an > er ' 
suchen in dieser Hinsicht nicht gefehlt hat. # 

Ich kenne einige unter den vielen Modificationen dieser 1 üben, 
die ohne irgend welche Erfahmng an der Leiche und mit sc r 
geringer am Krankenbett construirt waren. Einige von diesen, oben 
und unten mit schneidenden Kanten versehen, sehen gerade so au>. 
als ob sie besonders dazu construirt seien, in den entzündeten o * 
weben des Larynx und der vorderen Trachealwand so viel Lnnei 
als möglich anzurichten. An Verbesserungen ist bisher nur die knns 
liehe Epiglottis von Dr. Waxham in Chicago erdacht worden. D*** 
Verbesserung gewährt einen grossen Vortheil, weil man mit i 
Hülfe die Schwierigkeiten der Deglutition überwinden kann, die 
einzigen stichhaltigen nicht theoretischen Einwurf gegen d ,e . . 
tion bei Croup oder irgend einer anderen heilbaren Form der Lary 
Stenose bildet. _ 


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15. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


943 


IV. Ein nicht gewöhnlicher Fall von Pyämie 
nach Scharlach. 

Mitgetheilt von Dr. S. Laache in Christiania. 

Der Patient, ein 4jähriger kräftiger Knabe. Arndt B., Solm des 
Schiffscapitains B. zu Sandefjord, hat im Sommer 1886 an einer ziemlich 
schweren Halsdiphtherie gelitten, ist aber sonst gesund gewesen. Eine 
Schwester und ein Bruder des Pat. machten im November und December 
1886 und Januar 1887 den Scharlach durch. „Arndt“ wurde gleich in’s 
Land fortgeschickt, um wo möglich die Krankheit zu vermeiden. Das ganze 
Haus wird auf das sorgfältigste gereinigt, und erst einen Monat nachher 
— Montag, den 21. Februar, Nachmittags — der Kleine zurückgeholt. 

Donnerstag, also schon nach 2'/a Tag, traten früh Morgens die gewöhn¬ 
lichen Erscheinungen des Scharlachfiebors auf, und bei der bald nachher 
vorgenommenen Untersuchung zeigte sich beginnende Röthe an der Brust, 
die Halsschleimhaut war injicirt, aber ohne Belag, die Temperatur 39,4«, 
Puls 140. Abends hatte sich der Ausschlag über den ganzen Körper, mit | 
Ausnahme des Gesichtes, verbreitet. 

Aus der Krankengeschichte l ) entnehmen wir nur das Wichtigste. Die ; 
Entwickelung der Krankheit geht ja überdies vom ersten Anfang an aus der J 
Temperaturtafel hervor. 


Die Halsbeschwerden waren ganz gering, der Ausschlag ging regel¬ 
recht zurück, die Desquamation bot nichts Auffälliges dar, und im Anfang 
der zweiten Woche fiel auch die übrigens bisher nicht besonders hohe 
Körpertemperatur ab, ohne jedoch 38,5° zu erreichen. Am Schluss der¬ 
selben Woche stieg das Fieber aber wiederum in die Höhe, hielt sich dann 
ungefähr 8 Tage unregelmässig, bis in der zweiten Hälfte der dritten Woche 
ein sehr hohes, zum Theil durch Schüttelfrost eingeleitetes, intermittirendes 
Fieber sich einstellte, welcher Zustand circa eine Woche andauerte. Dann 
geht das Fieber lytisch herunter, und Patient wird nach und nach in die 
Reconvalescenz übergeführt. 

Von anderen Erscheinungen sind noch zu erwähnen: Am 23. Tage 
(18. März) traten Albumin und Blut im Harn, am folgenden Tage Infiltration 
der linken unteren Lungenlappen und Abends eine Pustel am linken (später 
3 ähnliche am rechten) Schulterblatt auf, das linke Schultergelenk wurde 
schmerzhaft. Das früher gute Allgemeinbefinden verschlechterte sich be¬ 
deutend, Status typhosus war in ausgesprochener Weise vorhanden. Dem 
Niedergange des Fiebers entsprechend, gingen indessen sowohl die allge¬ 
meinen als die localen Erscheinungen nach und nach zurück. Am längsten 
hielt sich die Lungeninfiltration, die sich am 54. Tage noch spurenweise 
nachweisen Hess. Im Mai war Patient ganz restituirt und ist später voll¬ 
kommen gesund gewesen. 

Die Behandlung war zu gleicher Zeit antipyretisch (Bäder und ein 
paar Mal Salicyl resp. Antipyrin) und kräftig stimulirend (Kampher, 
Tokajer etc.). 

Das Auftreten von Pyämie nach Scharlach ist an sich keine 
grosse Seltenheit, und auch Heilung ist selbst in ausgesprochenen 
Fällen nichts Unerhörtes. Was den hier referirten Fall betrifft, so 


*) Es ist zu bemerken, dass Verf. den Pat. nur zweimal gesehen hat, 
nämlich am 14. und 21. März. Mein verehrter College Dr. Freng zu 
Sandefjord hat die Behandlung geleitet und mir gütigst die ausführliche 
Krankengeschichte überlassen. 


ist die Entwickelung und das sehr reine Bild nicht ohne Interesse, 
weshalb ich gewagt habe, denselben einem grösseren Leserkreis vor¬ 
zuführen. 

Die Diagnose, die in diesen Fällen gewöhnlich einfach ist, 
war hier anfangs nicht ohne Schwierigkeiten. Bei meinem ersten 
Besuche, 14. März, war die Persistenz des Fiebers das Einzige, 
was vorlug, und unsere Aufgabe bestand darin, die Ursache des¬ 
selben zu entdecken. Einige Rasselgeräusche waren an der Hinter- 
fläcbe der Lungen zwar vorhanden, aber sonst Hess sich irgend 
welches Localleiden, wodurch das Fieber erklärt werden konnte, 
nicht nachweisen. Der Zustand Hess sich vorläufig nur als ein 
„Secundär-“ oder „Nachfieber“ bezeichnen. Die Temperatursteige¬ 
rung an demselbeu Tage bis 40,7° war allerdings etwas verdächtig; 
augenblicklich zeigte das Thermometer aber 37,8°, der Kranke lag 
im ruhigen Schlaf, hatte viel wasserhellen Harn gelassen, kurz und 
gut, es sah so aus, als ob eine, durch die Behandlung (ein Bad 
und eine Dosis salicylsaures Natron, welche beide übrigens später 
nur ganz gering antipyretisch wirkten) eingeleitete „Krisis“ einge¬ 
treten wäre. Hin und wieder sieht man ja, dass protrahirte Tem- 
| peratursteigerungen nach einem dargereichten Antipyreticum definitiv 


herabgesetzt werden. So habe ich vor Jahren eine derartige Pneu¬ 
monie beobachtet, wo einige Stunden nach einer dargereichteu 
Antipyrindose die weit über die Norm hinaus prolongirte Temperatur¬ 
steigerung abfiel, und die Curve dem entsprechend gleichsam abge¬ 
baut wurde. Häufig kommt dies allerdings nicht vor, und es trat 
in der That auch hier dieser Fall nicht ein. Nur wenige Stunden 
nachher, in derselben Nacht, begann die Temperatur nämlich wieder 
in die Höhe zu gehen und erreichte am Morgen des nächsten 
Tages 40.5°. Der erste Fieberanfall wurde dann von einer Reihe 
ähnlicher gefolgt, und als ich den Patienten acht Tage später (am 
21. März) wiedersah, hatte sich das Bild im' hohen Grade geändert. 
Eine voll entwickelte Pyämie lag vor. Dies vorauszusehen war 
wohl kaum möglich; mein College und ich konnten es wenigstens 
nicht. Der Fall hat mich aber darüber belehrt, dass ein anscheinend 
recht gelindes Nachfieber in gewissen, obwohl glücklicherweise 
seltenen Fällen, der Vorläufer schwerer und gefährlicher Erscheinun¬ 
gen sein kann. 

Wie bekannt, hat Thomas in Ziemssen’s Handbuch geltend 
gemacht, dass sich gewisse Fälle von Scharlach durch ein unver- 
hältnissmässig heftiges, jedenfalls langdauerndes Fieber auszeichnen, 
während die Localaffectionen nur gering sind, d. h. in einer nicht 
bedeutsamen Schwellung der Halsdrüsen bestehen können. 

Henoch 1 ) meint, dass das protrahirte Fieber in einzelnen 
Fällen darauf beruht, dass das Exanthem ungewöhnlich lange 
(8—9 Tage) stehen bleibt. Ein fortgesetztes abendliches Fieber 
lässt sich nach ihm auch als der „letzte Ausläufer der Infection“ 


') Vorlesungen über Kinderkrankh. 1887,'p. 633. 



Ui u«il. Aiuuiuin eneumuuio, fusuuUUUuug, Bctiuiersou uu liuken 

S: SaUcylaaure* Natron. und Blut Schultorgelenk. 

A: Antipyrin. im Harn. 


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944 


DEÜT8CHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


5 

No. 46 


denkeu. Sonst muss in derartigen Fällen an die eine oder die 
andere Complication gedacht werden. 

Koren 1 ) ist nach seinen reichen Erfahrungen in den hiesigen 
Epidemielazarethen mit He noch in Uebereinstimmung und spricht 
sich dahin aus, dass locale Ursachen für das fortgesetzte Fieber 
herausgefunden werden müssen. 

Dem entgegen hat neuerdings Gumprecht 2 ) aus dem Friedrichs- 1 
hainer Krankenhause in Berlin mehrere Fälle mitgetheilt, in denen ; 
ein, nicht auf Lncalaffectiouen beruhendes Nachfieber aufge- 1 
treten ist. 

Hätte nun in unserem Falle das Fieber in einem früheren 
Stadium, z. B. am 14. Märe, aufgehört, so hätten wir dasselbe 
schlechthin nur als Nachfieber bezeichnen können. Der spätere 
Verlauf zeigte aber, dass die vorhergegangenen Temperaturerhöhungen 
pyämischen Ursprunges waren. Von dieser Seite betrachtet, darf 
vielleicht aus unserem Falle geschlossen werden, dass die Gum- 
precht'schen und ähnliche Fälle auch pyämischen Ursprunges 
seien, gewissermaassen als abortive Pyämieen zu betrachten sind. 
Gumprecht bringt auch seine Fälle mit der „secundären Infec- 
tion“ in Verbindung. Es ist wohl nicht zweifelhaft, dass bei un- ; 
serem Patienten pyogene Staphylo- oder Streptococcen in dem Pustel- } 
inhalt vorhanden waren. Die äusseren Umstände erlaubten indessen 
die Untersuchung nicht; für die Diagnose war es ja auch nicht i 
nöthig. 

Der Fall giebt übrigens auch in anderer Beziehung Anlass zum 
Nachdenken. An welcher Stelle hat z. B. die secundäre Infection 
stattgefunden? Die Halsaffection war ja höchst gering, die Hals- 
(Iriisen nicht merkbar geschwollen. Dennoch ist es wohl das Wahr¬ 
scheinlichste, dass die Eingangspforte in den Tonsillen oder deren 
Umgebung gelegen ist. _ 

V. Behandlung der Diphtherie mittelst 
Einblasen von Zuckerstaub. 3 ) 

Von C. Lorey in Frankfurt a. Main. 

Die grosse Zahl der Todesfälle an Diphtherie, von Jahr zu 
Jahr zunehmend, das Fehlen einer sicheren Therapie gegen diese 
mörderische Krankheit, lassen es gerechtfertigt erscheinen, über ein 
Gurverfahren zu berichten, welches zu jeder Zeit leicht anwendbar, 
mit keinem Nachtheil für den Organismus verbunden ist. Meine 
nun seit n /4 Jahren gesammelten ziemlich zahlreichen Beobachtungen 
erlauben mir den Ausspruch, dass mit demselben, wenn regelmässig 
durchgeführt, überraschend gute Resultate erzielt werden. 

In Betreff des Wesens der Diphtherie wird jetzt wohl all¬ 
gemein angenommen, dass der Krankheitserreger von aussen in den 
Organismus eindringt. Die Untersuchungen von Klebs und Löffler 
haben uns das Vorhandensein eines der Diphtherie eigenthümlichen 
Bacillus wahrscheinlich gemacht, wenn es auch nach dem Berichte 
von Hofmann noch nicht möglich gewesen, constante Unterschiede 
zwischen virulenten und nicht virulenten Culturen aufzufinden. 

Oertel beschreibt in seinem neuesten classischen Werke den 
Diphtheriebacillus als Stäbchen und Ketten bildende Coccen. Die¬ 
selben erregen auf der Schleimhaut eigenthümliche Entzündungs¬ 
erscheinungen mit reichlicher Ausscheidung von Leukocythen, als 
Reaction gegen die Eindringlinge. Die Spaltpilze gelangen in diese 
Zellen, zersetzen die Eiweisskörper der letzteren. Die Producte 
dieses Zerfalles sind die Ptomaine. In dem Entstehen der letzteren 
haben wir die deletäre Wirkung der Diphtherie zu suchen. 

In Betreff der Behandlung der Erkrankten wird jetzt von den 
meisten Aerzten nach der von Oertel bereits vor Jahren ange¬ 
gebenen Richtschnur verfahren. Dieselbe lautet in kurzen Worten: 

„Massenhafte gewaltsame Ablösung der Pseudomembranen, 
Aetzungen sind nutzlos und gefährlich. Es ist zu erstreben, die 
durch die Diphtherie bedingte entzündliche Reaction der Schleim¬ 
haut nicht zu bekämpfen, sondern iu energischer Weise zu rascher 
und ausgiebiger Eiterproduction anzuregen.“ 

Bekanntlich gelten in diesem Sinne wirkend hauptsächlich 
Papaiotin und Aqua calcis. Nächstdem sind desinficirende Mittel 
mit der erkrankten Schleimhaut in Berührung zu bringen und so 
die Weiterverbreitung der Diphtherie zu bekämpfen. 

Zur Erfüllung beider Aufgaben der Behandlung habe 
ich gefunden, dass durch häufiges Einblasen von feinst- 
vertheiltem Zucker, dem sog. Zuckerstaub der Pharma- 
copoe, auf die erkrankte Schleimhaut ganz ausserordent¬ 
lich günstige Wirkung erzielt wird. 

Das Verfahren selbst ist höchst einfach, am besten mittelst 
eines kleinen Apparates auszuführen, der aus einer Glasröhre mit 

') Medüelelser otn Skarlagensfeber. Christ.iania. 1884, p. 31. 

*) Deutsche med. Wochenschrift 1888, No. 37. 

3 ) Vortrag, gehalten in der Section für Pädiatrie der 61. Versammlung 
Deutscher Naturforscher und Aerzte. 


Fenster zur Aufnahme des Pulvers und Gummiballen mit Schlauch 
zusammengesetzt wird. Die Glasröhre ist natürlich nach jedes¬ 
maligem Gebrauche zu reinigen und zu desinficiren. Der Zucker¬ 
staub wird möglichst reichlich und oft, je nach der Stärke der Er¬ 
krankung über die Mandeln, die Rachenwand und in die hintere 
Nasenhöhle geblasen. Bei Ergriffensein des Kehlkopfes auf den 
Eingang des Letzteren. Nach der Tracheotomie, besonders wenn 
die Expectoration stockt, durch die Canüle in die Trachea. 

Ich habe nunmehr über 80 Beobachtungen genau aufgezeichnei 
und zusammengestellt. Die beobachteten und behandelten Fälle 
umfassen alle Perioden des Kindesalters vom ersten Lebensjahre an. 
ferner einige Erwachsene, besonders Angehörige der erkrankten 
Kinder. Ebenso sind alle Formen und Grade der Diphtheritis bei 
dieser Zusammenstellung vertreten. 

Wenn ich hier natürlich keine ausführliche Casuistik vortragen 
kann, so sei wenigstens in kurzen Zügen das Ergebniss derselben 
mitgetheilt: 

1. Die Dauer und Ausdehnung des diphtheritischen Belage? 
wird wesentlich abgekürzt, damit die Gefahr der Allgemeinerkrankung 
des Organismus vermindert. Besonders Hess sich dies erkennen bei 
Fällen, welche frisch erkrankt zur Behandlung gekommen. 

2. Der häufig vorhandene faulige Geruch schwindet mei>t 
nach ein- oder mehrmaligem Einblassen des Zuckerstaubes. 

3. Die Schleimhaut der Tonsillen und des Pharynx erscheint 
frischer und belebter. Die Membranen heben sich ab, werden locker, 
rahmartig. Es entwickelt sich eine reichliche schleimige Absonderung. 

4. In manchen Fällen, bei welchen bereits Zeichen des Er¬ 
griffenseins des Kehlkopfes vorhanden waren, wurde der Husten 
nach jedesmaligem Einblasen von Zuckerstaub über den Kehlkopf 
lose, und die beunruhigenden Erscheinungen gingen allmählich 
zurück. 

Die günstige Wirkung des Zuckers auf schlechte Granulationen 
ist schon sehr lange bekannt. In den letzten Jahren ist derselbe 
wieder auf verschiedenen Kliniken beim Verband verwendet worden. 
Zuckerstaub wirkt speciell im Pharynx auf die eutzündete Schleim¬ 
haut wohlthätig und schmerzstillend. Dadurch, dass uocli so reich¬ 
liche Anwendung desselben mit keinem Nachtheil für den Organismus 
verbunden, verdient er entschieden den Vorrang vor vielen zur ört¬ 
lichen Behandlung bei Diphtherie empfohlenen und verwendeten 
Mitteln. 

Durch Eindringen der feinsten Zuckerstaubpartikelchen in die 
Schleimhautfalten, wird behufs Auflösung derselben ein S ifteslrom 
nach der Oberfläche entstehen, dem wir gewiss das Vermögen Zu¬ 
trauen dürfen, nicht zu tief eingedrungene feindliche Organismen 
an die Oberfläche zu befördern. Ob dieselben durch die concentrirt»’ 
Zuckerlösung unschädlich gemacht werden, oder ob in solcher dem 
Diphtheriebacillus feindliche Organismen sich entwickeln, bedarf 
weiterer Untersuchung von Fachmännern. 

Ein fernerer Vorzug der Zuckereinblasungen vor einfachen des- 
inficirenden Ausspülungen mit Aq. calcis etc. beruht in der länger 
andauernden, und dadurch mehr in die oberen Gewebsschichten 
eiudringenden Wirkung des Zuckerstaubes. Häufige nachträglich' 
Ausspülungen der Rachenhöhle sind natürlich auch wünschenswerth- 
am besten mit schwacher Kochsalzlösung, schon um den reichlich 
im Pharynx sich ansammelnden Schleim und die losgelösten Mem¬ 
branen zu entfernen. Jedoch schadet auch das Verschlucken der 
letzteren nichts, indem bekanntlich diphtheritische Erkrankung der 
Magenschleimhaut zu den grössten Seltenheiten gehört. 

Dass daneben die Allgemeinbehandluug der Erkrankten nach 
den bekannten Grundsätzen zu leiten ist, versteht sich von selbst 
Von Medicamenten wende ich mit Vorliebe Apomorphin 0,05— 0,1'' 
auf 120 Mixtur an, besonders wenn sich die ersten Zeichen von 
Ergriffensein des Kehlkopfes bemerkbar machen. Nach Ablauf de> 
acuten Stadiums der Erkrankung ist es meist zweckmässig, ein leicht 
verdauliches Stahlpräparat (Tinctura ferri chlorati cum Glyceriu. n 
längere Zeit nehmen zu lassen. 

Zum Schlüsse will ich noch der Fälle gedenken, welche im 
Spitale an Sepsis oder Pneumonie in Folge von Diphtherie gc 
storben sind. Bei einer Anzahl derselben wurde während der ersten 
Tage des Spitalaufenthaltes ausgedehnte Ulceration im Pharynx 
mit starkem Belage und Foetor notirt. Die von Prof. Weigert 
oder seinem Assistenten ausgeführten Sectionen ergaben bei diesen 
Kindern eine auffallend vorgeschrittene Heilung der örtlichen Er¬ 
krankung, im Vergleich zu nicht mit Zuckereinblasungen behan¬ 
delten Fällen. 

Fortgesetzt habe ich Gelegenheit, diese auffallend günstigen 
Erfolge der Zuckerbehandlung bei Diphtherie zu beobachten. 

Ich habe den sicheren Eindruck gewonnen, dass leichtere räl * 
eine bedeutend kürzere Heilungsdauer bei Anwendung derselben 
erfordern, manche im Beginne recht schwer erscheinende Erkrankung 
bei sofortiger ausgiebiger Durchführung der Zuckereinblasungen eine 
raschen günstigen Verlauf genommen. 


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15. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


945 


Diese Erfolge, verbünden mit dem leichten und unbedenk¬ 
lichen Heilverfahren, berechtigen gewiss, die Zuckereinblasuugen zu 
empfehlen: nicht als Specificum, sondern als ein Mittel, 
welches wie kaum ein anderes geeignet ist, die von Oertel 
für die Behandlung der Diphtherie gestellte Aufgabe zu 
erfüllen. 

VI. Untersuchungen über die antiseptische 
Wirkung verschiedener gegen Diphtheritis 
empfohlener Mittel. 

Von Dr. Friedrich Engelmann in Kreuznach. 

Im Centralblatt für klinische Mediciu (1886, p. 241) habe ich 
auf die antiseptischen Eigenschaften der Essigsäure resp. des Essigs 
aufmerksam gemacht und zu weiteren Versucheu in Betreff der 
Verwendbarkeit derselben bei der Behandlung der Diphtheritis auf¬ 
gefordert. Es ist mir nicht bekannt geworden, ob von Auderen 
solche Versuche gemacht worden sind; ich selbst hatte nur in be¬ 
schränkter Weise dazu Gelegenheit, da Diphtheritis, besonders 
schlimme Formen, hier im Ganzen selten sind. Ich suchte jedoch 
die Frage auf dem Wege des Experimentes der Entscheidung näher 
zu bringen in der Weise, dass ich die verschiedensten gegen Diph¬ 
theritis empfohlenen Mittel in Bezug auf ihre autiseptische Dignität 
einer Prüfung unterzog und dieselben in dieser Beziehung mit der 
von mir empfohlenen Essigsäure verglich. Die Resultate dieser Ver¬ 
suche erschienen mir nicht unwichtig, sodass eine etwas eingehendere 
Mittheilung derselben nicht ungerechtfertigt erscheint. 

Die gegen Diptheritis local angewandten Mittel zerfallen in 
solche, welche auflösend auf die Membranen wirken sollen, uud in 
solche, welche antiseptisch sind, d. h. die Mikroorgauisraen tödteu 
oder doch in ihrer raschen Entwickelung hemmen sollen. Nur mit 
den letzteren haben wir es hier zu thun. 

Aus naheliegenden Gründen konnte ich zur Prüfung nicht die 
noch zweifelhaften Organismen der Diphtheritis selbst benutzen. Es 
erscheint mir jedoch genügend, die verschiedenen Mittel auf ihre 
Wirksamkeit gegen die gewöhnlichen Fäulnissbacterien zu prüfen, 
da wohl anzunehmen ist, dass diejenigen, welche hier am sichersten 
wirken, auch gegen pathogene Formen die meiste Garantie geben, 
und weiter* dass solche Mittel, welche die Entwickelung der Fäuluiss- 
bacterien nicht aufzuhalten im Staude sind, sicherlich nicht be¬ 
rechtigt sind, gegen infectiöse Erkrankungen empfohlen zu werden. 

Von einem jeden Mittel, welches zur localen Bekämpfung eines 
infectiösen Processes angewandt wird, muss in ersten Linie verlangt 
werden, dass es sicher antiseptisch wirkt. Weitere Erfordernisse 
sind, dass es die gesunden Gewebe in weiterer Ausdehnung nicht I 
zerstört; dass es in der Menge, in welcher es dem Organismus zu- I 
geführt wird, nicht giftig auf denselben wirkt. Wünschenswerth ist 
ferner, dass es möglichst tief in die Gewebe einzudringen vermag, , 
ohne dieselben zu zerstören, und endlich, dass es in seiner Anwendung 
möglichst wenig unangenehm ist. Nach diesen Richtungeu hin 
würden die Mittel zu prüfen sein; zunächst wie sich dieselben als 
Antiseptica bewähren. 

Die Versuche wurden zuvörderst in der gewöhnlichen Weise 
gemacht, dass Stücke Seidenfäden bestimmte Zeit in starke bacterien- 
haltige faulige Flüssigkeit eingebracht, hierauf gleiche Zeit in der 
antiseptischen Flüssigkeit verweilten und dann auf Nährgelatine aus- 
gesäet und die Entwickelung der Colonieen beobachtet wurde. Die 
nächste Tabelle zeigt das Resultat dieser ersten Versuchsreihe, die 
entwickelten Colonieen sind am zweiten, vierten und sechsten Tag 
verzeichnet. 



Am 2. Tag 

Am 4. Tag 

Am 6. Tag 

Acid. carbol. 2 % . . 

0 

0 

0 

Acid. acet. 2% . - . 
Acid. salicyl 2% in 

0 

o 

0 

Spir. u. Aqu. ana. 
Acid. salicyl conc- in 

0 

0 

0 

Aqu. suspendirt. . 

0 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Kal. chlor. Sol. conc. 
Bromi u. Kal. brornat. 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

— 

ana. 5 °/o. 

0 

0 

U 

Chinolin 5 °/o .... 

0 

0 

0 

01. Terebinth .... 

0 

0 

0 

Resorcin 10°,'o. . . . 

0 

0 

0 

Argent. nitr. 10°/o . 

0 

0 

0 

Argent. nitr. 5 % . . 

0 

0 

0 

Acid. hydrochlr. 1 °/o 

0 

0 

0 

Acid. lact 5 °/o ... 

0 

0 

0 

Acid. borac. 5 % . • 

0 

0 

0 

Chin. sulfur. 5% . . 

Einzelne 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Aqu. Calcis. 

Zahlreiche 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Hydrat, cbloral. 10% 

0 

0 

0 



Am 2. Tag 

Am 4. Ta# 

. Am 6. Tag 

01. Eucalypti .... 

0 

0 

0 

Glycerin. 

0 

0 

0 

Thvraol 5 %. 

0 

0 

0 

Natr. benz. 5 % . . . 

Zahlreiche 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Acid. tann. 5 o/o . . . 

0 

0 

0 

Spiritus, rectif..... 

0 

0 

0 

Aqu. Chlori. 

Zahlreiche 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Acid. carbol. 





Spir. ana. 0,5 .... 





T. Jodi. 1,0. 


0 

0 

0 

Aqu. destill. 





Glycerin ana. 2,5 . . 





Sulfur in Aqu. sus- 




pendirt. 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

— 

T. Jodi. 4,0. \ 




Ac. carbol. 1,0 . . .( 




Liq. Ferri. 2,0. . . . j 




Glycerini 20,0 . . . . J 




Kal. hypermang. 5 % 

0 

0 

0 

Liquor Ferri. sesqu.. 

0 

0 

0 

T. Jodi. 

0 

0 

0 

Control le. 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

0 


Aus dieser Versuchsreihe scheint hervorzugehen, dass die 
meisten empfohlenen Mittel sicher autiseptisch wirken, nur wenige 
haben iu ihrer Wirkung versagt. Dazu gehört das vielgebrauchte 
Kali chloricura, welches selbst in gesättigter Lösung sich unwirksam 
zeigte, also seine zweifelhafte Wirksamkeit jedenfalls nicht seiner 
antiseptischeu Dignität verdankt. Chinin und Natron benzoicum 
sind unbrauchbar, die Aqua Chlori ist nur bei ganz frischer Zube¬ 
reitung einigermaassen sicher, zersetzt sich jedoch sehr rasch. Der 
Schwefel zeigt selbst in starker Suspension keine antiseptischen 
Eigenschaften. 

Soll eiu Antiscpticuin sicher wirken, so ist zu verlangen, dass 
es auch, noch in einer stärkeren Verdünnung als die empfohlene 
seiue Wirksamkeit sicher ausübt, denu uur selten wird es unver- 
dünut auf die Stelle selbst einwirken können. Es war daher weiter 
zu prüfen, ob die oben angeführten Mittel auch noch in stärkerer 
Verdünnung antiseptisch wirken. Die folgende Tabelle giebt das 
Resultat der Versuche, welche nach derselben Methode wie die 
ersten angestellt wurden. 



Am 2. Tag. 

Am 4. Tag. 

Am 6. Tag. 

Acid. carbol. 1% . . 

0 

Einzelne 

Einzelne 

Acid. carbol. 0,5% • 

Zahlreiche 

— 

— 

Acid. acet. 1% ... 

0 

Einzelne 

Einzelne 

Acid. acet. 0,5% . • 

Zahlreiche 

— 

— 

Acid. salicyl. 1% • 

0 

Einzelne 

Einzelne 

Acid. salicyl. 0.5% . 

Zahlreiche 


— 

Acid. borac. 2% . . 

Zahlreiche 


— 

Acid. tann. 2% . . ■ 

0 

0 

0 

Acid. tann. 1 °.'o . • • 

Zahlreiche 

— 

— 

Acid. lact. 2% ... 

0 

0 

0 

Acid. lact. 1% • • . 

Zahlreiche 

— 

— 

Thymol 2%. 

Zahlreiche 

Flüssig 

— 

Kal. hypermang. 1% 

0 

0 

0 

Kal. hypermang. 0,50 

Zahlreiche 

Flüssig 

— 

Chinolin 2%. 

0 

0 

0 

Chinolin 1% .... 

Zahlreiche 

Desgl. 

Flüssig 

Resorcin 5% .... 

0 

0 

0 

Resorcin 2% .... 

Zahlreiche 

— 

— 

Chloral 10%. 

0 

0 

0 

Chloral 5%. 

0 

0 

0 

01. Eucalypti 50% . 

Zahlreiche 

— 

— 

01. Terebinth. 50o o . 

0 

Einzelne 

Ziemlich zahlreich 

01. Terebinth. 25% . 

Zahlreiche 

Massenhaft 

Flüssig 

Liq. ferri 50"/ o • • • 

0 

0 

0 

Liq. ferri 25% . . . 

Einzelne 

Zahlreiche 

Sehr zahlreich 

T. Jodi 50% .... 

0 

0 

0 

T Jodi 25% .... 

0 

Zahlreiche 

— 

Argent. nitr. 3% . . 

0 

0 

0 

Spir. rectif. 50% . . 

Zahlreiche 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Glycerin 50° o . . . . 

Zahlreiche 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 

Control le. 

Zahlreiche 

Sehr zahlreiche 

Flüssig 


Darnach würden als unsicher zu betraeilten sein Acid. carbol. 
I und Acid acet. in schwächerer als 2 ft /o Lösung, ebenso Acid. 
1 salicyl., Acid. tann. und lact. und Chinolin. Kal. hypermang. 
i giebt bei 1 % noch hinreichende Sicherheit, dagegen ist Borsäure 
, sehr unsicher, ebenso Thymol, Resorcin, das Ol. Terebinth., 01. Eu- 
| calypti, Glycerin und Spiritus. Der Höllenstein zeigt sich in ziem¬ 
licher Verdünnung noch als eiu sicheres Antisepticum, ebenso Liquor 
I Ferri und Tinct. Jodi. 

Etwas anders gestaltete sich das Resultat, weuu ich den Ver¬ 
such in der Weise abänderte, dass ich an Stelle der Seidenfäden 
gleich grosse Stückchen faulenden thierischen Gewebes, Harublasen- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


946 


No. 4$ 


wand des Schweines, benutzte. Die Ursache dieser Verschieden¬ 
heit beruht wohl in der Eigenschaft der verschiedenen Mittel in 
die Gewebe einzudringen und mit Eiweisskörpern mehr oder weniger 
unlösliche Verbindungen einzugehen. 



Am 2. Tag 

Am 4. Tag 

Am 6. Tag 

Acid. carbol. 1 % . . 

Einzeln 

Zahlreich 

Flüssig 

Acid. acet. 1 % . . . 

0 

0 

0 

Acid. salycil. 1 °/o- . 

o 

Einzeln 

Wenig zahlreich 

Acid. borac. 5 % . . 

Einzeln 

Zahlreich 

Flüssig 

Acid. tann. 2 %. . . 

0 

0 

0 

Cbinolin. 5% . . . . 

Einzeln 

Zahlreich 

Zahlreich 

Recorsin. 10% . . . 

Einzeln 

Zahlreich 

Flüssig 

Kal. hypermang. 1 % 

0 

0 

0 

Kal. hypermaug.0,5 % 

Zahlreich 

Zahlreich 

Flüssig 

01. Terebinth. 

0 

0 

0 

01. Terebinth. 50°/° 

Einzeln 

Zahlreich 

Flüssig 

01. Eucalvpti .... 

0 

Einzeln 

Zahlreich 

Argent. nitr. 5 % . . 

0 

0 

0 

Liquor Ferri 50 o (0 . 

0 

0 

0 

T. Jodi. 50 o/o ... . 

0 

0 

0 

Spir. rectif.. 

Zahlreich 

Zahlreich 

Flüssig 

Glycerin. 

Zahlreich 

Zahlreich 

Flüssig 

Controlle. 

Zahlreich 

Flüssig 

— 


Um die Mittel unter Verhältnissen, welche den thatsächlichen 
möglichst gleich sind, zu untersuchen, verfuhr ich folgendermaassen. 
Frische Schweinsblase wurde zunächst zehn Tage lang in faulige 
Flüssigkeit eingelegt, so dass dieselbe nicht nur auf der Oberfläche 
faulend war, sondern dass, wie auf gehärteten Schnitten nachzu¬ 
weisen, die Fäulnissbacterien auch die oberflächlichen Schichten 
des Gewebes durchsetzten. Gleichmässig grosse Stücke dieser 
Blasenhaut wurdep, die Schleimhaut nach oben, über die Mündung 
breiter Medicinflaschen schlaff ausgebreitet, so dass sie eine concave 
Fläche bildeten, und auf dieselbe die' zu untersuchenden Flüssig¬ 
keiten gebracht. Es wurden Proben vor und nach dem Aufgiessen 
und zwar nach ein bis fünf Stunden entnommen, indem der Platin¬ 
draht fest auf die Schleimhautfläche der Art, dass er die ober¬ 
flächlichen Schichten durchdrang, aufgedrückt wurde. Schliesslich 
wurde noch, nachdem die Flüssigkeit zwölf Stunden gestanden 
hatte, nochmals von der Oberfläche und der Innenfläche abgeimpft. 
Letzteres geschah zu dem Zwecke, um zu constatiren, ob etwa 
durch das Gewebe hindurch eine desinficirende Einwirkung erfolgt 
sei. Es würde den Raum überschreiten, wollte ich die Versuche ein¬ 
gehend wiedergeben; ich muss mich darauf beschränken, hier wie bei 
weiteren Versuchsreihen das Resultat derselben kurz wiederzugeben. 
Es liess sich eine vollständige desinficirende Wirkung constatiren. 

Nach einer Stunde durch: Acid. carbol. 2,6%; Acid. acet. 
2,6 %; Acid. salicyl. 2,5 %; Chinolin 10 %; Acid. lact. 3 %; 
Resorcin 20%; Argent. nitr. 6%; 01. Terebinth.; Aether; Tinct. 
Jodi. 60 %; Liquor Fern 50 %. 

Nach zwei Stunden durch: Acid. acet. 2%; Acid. carbol. 2%; 
Acid. salicyl. 2 %. 

Nach drei Stunden durch: Tinct. Jodi. 25 %; Liquor Ferri 
25 %; 01. Eucalypti. 

Abschwächend wirkten: Acid. carbol. 1 %; Acid. acet. 1 %; 
Acid. salicyl. 1%; Acid. borac. 4%; Spir. vin. rect.; Chloral 
20 %; Kal. hypermang. 1 %; Acid. tann. 10 %. 

Als ganz unwirksam erwiesen sich: Acid. borac. 2%; Chlo¬ 
ral 10 %; Acid. tann. 5 %; Resorcin 10 %; Spir. vin. rect. 
60%; Glycerin; Eis. 1 ) 

Der scheinbare Widerspruch, welcher in dem Resultate dieser 
Untersuchungsreihe bei einzelnen Flüssigkeiten im Gegensätze zu 
der vorigen sich findet, dass z. B. Ac. tann. und Kal. hypermang. 
in stärkerer Concentration schwächer oder gar nicht wirken, ist 
wohl so zu erklären, dass dieselben oberflächlich wirken und eine 
feste Schicht bilden, welche durch den fest aufgedrückten Platin¬ 
draht durchdrungen wurde. Hervorzuheben ist noch, dass Glycerin 
selbst bei zwölfstündiger Berührung nicht nur keine Wirkung er¬ 
kennen liess, sondern dass bei allen Proben sich ein auffallend 
üppiges Wachsthum der Colonieen zeigte. Es möchte von Wichtig¬ 
keit sein, dies hervorzuheben, da den Pinselflüssigkeiten mit Vorliebe 
Glycerin zugesetzt wird, was hiernach als durchaus fehlerhaft 
bezeichnet werden muss. 

Eine Einwirkung durch die Gewebe fand nur bei der Essig¬ 
säure statt; hier zeigten sich die nach zwölfstündiger Einwirkung 
entnommenen Impfstriche sämmtlich steril, während bei sämmtlichen 
übrigen Flüssigkeiten höchstens eine geringe Abschwächung in der 
Ueppigkeit des Wachsthums zu constatiren war. Auf diese Eigen¬ 
schaft der Essigsäure wird weiter unten noch zurückgekommen werden. 

Eine weitere Versuchsreihe wurde in der Art ausgeführt, dass 

') Kisstücke auf die Schleimhaut gebracht, beeinträchtigen die Ent¬ 
wickelung- der Colonieen in den Impfstichen nur in sehr geringem Maasse. 


auf der ausgespannten wie oben behandelten Blasenschleimhaut Pin¬ 
selungen mit verschiedenen Mitteln vorgenommen wurden. Die ge¬ 
spannte Schleimhaut wurde in Zwischenräumen je drei Mal fest und 
gleichmässig mit Wattebäuschen, welche in die betreffenden Flüssig¬ 
keiten eingetaucht waren, überstrichen, hierauf auf dieselbe sterili- 
sirtes Wasser gebracht, um dieselbe feucht zu erhalten, und so dir 
natürlichen Verhältnisse nach Möglichkeit nachzuahmen. Irapfproben 
wurden vor und nach jeder Pinselung entnommen. 

Das Resultat dieser Versuche ist kurz folgendes: 

Eine vollständige Wirkung zeigte sich: 
nach einmaligem Pinseln bei: Sublimat 0,1%; Liquor Ferri. 
nach dreimaligem Pinseln bei: Sublimat 0,2%o; Acid. carb. 5°, 
Acid. acet. 5%; Acid. salicyl. 5%; Arg. nitr. 10%; Tinct. Jodi; 
Liquor Ferri 50%. 

nach sechsmaligem Pinselu fand eine abschwächende, jedoch kein? 
vollständig desinficirende Einwirkung statt bei: Acid. carbol 2° 
Acid. acet. 2%; Acid. salicyl. 2%; Kal. hypermang. 1%; Acid 
borac. 10%; Acid. lact. 6%; Resorcin 20%; Chinolin 5%; Spir 
vin. rect. 

Ganz wirkungslos zeigten sich: 01. Eucalypti; 01. Terebinth; Pe¬ 
troleum; Chloral 20%; Resorcin 10%; Acid. lact. 3%; Acid. tann. 
10%; Spir. vin. rect. 50%; Glycerin. 

Diese Versuchsreihe scheint mir die wichtigste, weil hier diV 
desinficirenden Mittel unter annähernd natürlichen Bedingungen ge¬ 
prüft wurden. Nach derselben könnten behufs einer Desinfection 
durch Pinselung nur diejenigen in Betracht kommen, welche nach 
höchstens dreimaliger Einwirkung ein vollständiges Resultat erzieh 
haben, während alle anderen als durchaus unzuverlässig verworfo 
I werden müssen. Denn es besteht kein Zweifel, dass, wenn dieselben 
bei der Prüfung gegen inficirte Hautflächen die Probe nicht bestan¬ 
den, sie uns im Ernstfälle gänzlich im Stiche lassen werden. And 
die als wirksam bezeichneten Mittel müssten in einer noch stärkeren 
Concentration als der angegebenen in Anwendung gezogen werden. 

! wenn sie als vollständig sicher bezeichnet werden sollen. 

Es war weiter von Interesse zu prüfen, in wie weit der Inha¬ 
lation zerstäubter Flüssigkeiten eine antiseptische Wirkung me- 
t schrieben werden darf. Die Versuche wurden der Art vorgenommen. 

; dass in ähnlicher Weise wie bei den vorigen faulig inficirte Bla^cn- 
schleirahaut, ausgespannt in bestimmter Entfernung etwa 10 Minuten 
! lang dem Spray ausgesetzt wurde, dieses mehrmals wiederholt, and 
I vor und nach jeder Application Impfproben entnommen wurden 

Die einfachem Wasserdampf ausgesetzten ScbleimbSflte zeigen 
in den Impfstrichen ein entschieden üppigeres Wachsthmn als die¬ 
jenigen der Controlle, bei welchen von der befeuchteten Schleimhaut 
i ohne Anwendung des Sprays abgeimpft worden war. Ebenso hat 
j es den Anschein, als wenn bei sämmtlichen Proben mit der Dauer 
I der Einwirkung des Sprays die Ueppigkeit der Culturen zunehme. 

Die Versuche wurden angestellt mit: Acid. carbol. 5°/o; Acid- 
| acet. 5%; Acid. salicyl. 5 %; Acid. tann. 6 %; Sublimat l°/oo'- 
| Eucalypti; Spiritus rectif. Sämmtliche zeigten sich nicht nur als 
vollkommen wirkungslos bei dreimaliger Anwendung, sondern die 
Culturen wurden üppiger. Nur bei der Verwendung einer Sublimat- 
! lösung von l°/oo erzielte ich nach der ersten Einwirkung bereits ec 
günstiges Resultat; bei lOprocentiger Essigsäure nach der dritten 
Beide möchten jedoch in dieser Concentration bei Spray nicht ic 
Frage kommen können, sodass der Schluss gerechtfertigt erscheint 
dass bei ihrer gewissen Unwirksamkeit und der möglichen Schädlich¬ 
keit, Inhalationen überhaupt wegzulassen sind. 

! Werfen wir noch einen Blick auf das Resultat der verschieden 
| Versuche, so kommen wir zu dem Schluss, dass unter der gros*’- 
j Menge der empfohlenen Mittel nur wenige zur weiteren praktische: 
Prüfung empfohlen werden können. Betrachten wir diese weniZ'- 
unter den Gesichtspunkten, die ich im Beginn der Arbeit als <*• 
der Beurtheilung maassgebend aufgestellt habe, so würde zunädi- 
die Frage zu beantworten sein, wie verhalten sie sich in Bezug ^ 
ihre Giftigkeit der nächsten Umgebung sowohl wie dem 

■ Organismus gegenüber? In ersterer Beziehung würde die Anwendung 

I von Tinct. Jodi, Liquor Ferri nicht unbedenklich sein, währro 
i Sublimat wegeu seiner Giftigkeit, bei Kindern wenigstens, nur m 
äussersten Nothfall in Gebrauch gezogen werden sollte. Auch ein f 
öprocentige Lösung von Carbolsäure möchte für wiederholte App 11 
cation nicht empfehlenswerth sein, wenn auch gerade mit ihr aH rl - 
oder in Verbindung mit anderen starken Mitteln scheinbar die be>t<‘- 
Erfolge erzielt wordeu sind. 

Die übrig bleibenden Mittel Acid. salicyl. 5%; Acid. ** 
5%; Argent. nitr. 10% stehen sich wohl in Bezug auf 
geringe Reizwirkung und Giftigkeit ziemlich gleich. Unter <1^ 
selben möchte ich für meine Person der Essigsäure den »ort 
geben und zwar aus mehrfachen Gründen. Zunächst ist 
in Form des Essigs überall leicht zu beschaffen. Es ,' oD 

nicht zu unterschätzendem Werth, dass der Arzt gleich 
ersten Besuche das Mittel appliciren kann, ohne auf die Rückkun.- 


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15. November. 


DEUTSCHE MEDIClNlSCÄE WOCÄEtf8CtfR!W. 


947 


des Boten aus der Apotheke zu warten, und die Mehrzahl der Kranken 
hat die Apotheke nicht in der Nähe. Dann ist sie unzweifelhaft 
unschädlich, kann also den Angehörigen unbedenklich in die Hände ! 
gegeben und in unbegrenzter Menge in Anwendung gebracht werden, ! 
und ferner ist sie weder unangenehm durch Geschmack noch Geruch. 
Schliesslich aber möchte ich noch auf eine Eigenschaft der Essigsäure auf¬ 
merksam machen, welche sie vor allen anderen antiseptischen Mitteln 
auszeichnet, und welche mir von nicht zu unterschätzender Bedeutung zu 
sein scheint, die Leichtigkeit mit welcher sie die Gewebe durchdringt. 

Ich habe eine Reihe von Versuchen angestellt, um sie in 
dieser Hinsicht mit anderen antiseptischen Mitteln zu vergleichen. 
Gleichmässig grosse, würfelförmige Stücke frischen Fleisches, etwa 
5 cm hoch, wurden in Gläsern mit breiter Oeffnung auf eine Schicht 
Watte mit Fliesspapier bedeckt, welche mit den verschiedenen 
Flüssigkeiten durchtränkt war, eingelegt in der Weise, dass nur 
die untere Fläche des Fleischstückes in Berührung mit der Flüssig¬ 
keit kam. Selbstverständlich wurde Rücksicht darauf genommen, 
dass die Richtung der Muskelfasern bei sämmtlichen Proben dieselbe 
war. Die aufgesaugte Flüssigkeit wurde jeden Tag vorsichtig, ohne 
die Fleischstücke direkt zu berühren, wieder ersetzt. 

Es fand sich, dass nach Verlauf von vier Tagen die Controlle, 
welche auf Wasser gebracht war, stark faulig roch und beim Ab¬ 
impfen von der Oberfläche massenhafte Entwickelung von Colonieen 
zeigte. Aehnlich wenn auch minder intensiv verhielten sich die 
Impfproben von Sublimat 1 °/ 00 , Chinolin 5 % und Salicylsäure 
5 % während nur die Proben mit Carbolsäure 5 % und Essig¬ 
säure ein negatives Impfresultat ergaben. Dasselbe war bei der 
Carbolsäure durch die Verdunstung derselben bedingt, denn bei 
dem Controlversuch in der Weise, dass auf die wässerige Lösung 
eine dünne Schicht Oel aufgebracht und so die Verdunstung stark 
beschränkt wurde, fand sich schon nach 2 Tagen ein üppiges Wachs¬ 
thum von Fäulnissorganismen. Das Fleischstück, welches auf 
Essigsäure gebracht war, zeigte eine schwärzliche Färbung und auf 
der Oberfläche stark sauere Reaction. Wiederholte Versuche gaben 
stets das gleiche Resultat. Dieselben wurden noch in der Weise 
rnodificirt, dass anstatt frischer Fleischwürfel solche von faulendem 1 
Fleisch genommen wurden. Das Resultat war stets das gleiche; 
nach 24 Stunden spätestens war das ganze Stück von der Essig¬ 
säure durchdrungen, vollständig aseptisch, so dass jede Impfung 
steril blieb, während bei sämmtlicheu anderen zur Prüfung heran¬ 
gezogenen Flüssigkeiten jede Einwirkung vermisst wurde. 

Wie energisch diese Eigenschaft der Essigsäure, in die Gewebe 
einzudringen, ist, zeigt ein anderer Versuch. Ein Streifen frischen 
Fleisches 15 cm lang wurde in einer Flasche der Art aufgehängt, dass 
nur die Basis einige Millimeter tief in die an den Boden der Flasche 
befindliche fünfprocentige Essigsäure eintauchte. Nach zwei Ta¬ 
gen zeigte die Spitze des Streifens stark saure Reaction, und nach 
Wochen zeigten Impfungen von der höchsten Stelle, dass das Fleisch 
vollständig aseptisch geblieben war. Ein ähnlicher Versuch mit 
faulendem Fleisch ergab, dass nach 3 Tagen die ganze Masse des- 
inficirt war. Weitere Versuche und Beobachtungen müssen ergeben, 
wie weit diese Eigenschaft der Essigsäure, die mir sehr beachtens- 
werth zu sein scheint, sich praktisch verwertheu lässt Zur Des¬ 
inficirung tuberculöser Sputa dürfte sie sich vortrefflich eignen, da sie 
im Gegensätze zu dem starken, allen Kranken höchst widerlichen Ge¬ 
rüche der Carbolsäure kräftig und erfrischend riecht Die Versuche in 
dieser Richtung sind noch nicht abgeschlossen. Ob sie bei Gelenktuber- 
culose und ähnlichen Erkrankungen nicht eine Zukunft hat, müssten 
Versuche in ausgedehnterer Weise zeigen; in den wenigen Fällen, in 
welchen ich sie anwandte, schien das Resultat ein günstiges zu sein. 

Meiner Ansicht nach sollte die Behandlung der Diphtheritis 
dieselbe sein, wie diejenige ähnlicher infectiöser Processe. Der Chi¬ 
rurg und Gynäkologe bekämpft die septische Infection stets energisch 
local, warum sollte hier dasselbe nicht möglich sein? Bestehen doch 
viele Analogieen zwischen der Diphtheritis und letzterer, besonders 
wie sie im Wochenbette auftritt Die leichteren Fälle, wie sie früher 
fast regelmässig als Milchfieber auftraten, sind die häufigsten und 
heilen alle mit oder ohne Behandlung. Zeitweise kommt es zu 
ernsteren Fällen oder ganzen Epidemieen, hier greift der Geburts¬ 
helfer energisch ein, räumt den Uterus aus, desinficirt energisch. 
Aehnlich sollte es auch bei der Diphtheritis sein. Dass dies mittelst 
eines sicheren, gefahrlosen Antisepticum geschehen muss, ist noth- 
wendig. Als solches gerade empfiehlt sich die Essigsäure, welche 
zum Pinseln in zehnprocentiger, zum fleissigen Ausspüleu durch 
Mund und Nase in zweiprocentiger Lösung zu empfehlen ist. Das 
Bedenken, dass durch den Act des Pinseins leicht Lymph- und 
Blutbahnen für das Eindringen der Organismen eröffnet werden, 
scheint mir hinfällig, sobald wirklich desinficirt wird, scheut sich 
doch auch der Geburtshelfer keinen Augenblick, den septisch in- 
ficirten Uterus auszukratzen und die Lymphbahnen in nächster Nähe 
des Bauchfelles zu eröffnen. Der Ein wand, dass die kleinen Krankeu 
. ufgeregt und erschöpft werden, ist bei ernsten Fällen kaum stichhaltig. 


Ich fasse zum Schlüsse die Resultate meiner Untersuchungen 
in nachstehenden Sätzen zusammen: 

1. Diphtheritis muss nach denselben Principien behandelt werden, 
welche für analoge Processe in Chirurgie und Geburtshülfe allge¬ 
meine Geltung haben. 

2. Die zur localen Behandlung der Diphtheritis empfohlenen 
Mittel verdienen zum grossen Theil kein Vertrauen, da dieselben 
nicht hinreichend antiseptisch wirken. 

3. Sicher wirken fast nur die auch in der Chirurgie bewährten 
Mittel in hinreichend starker Concentration, ihnen gleich die bisher 
wenig beachtete Essigsäure. 

4. Die meisten wirksamen Antiseptica eignen sich wegen ihrer 
local oder allgemein giftig wirkenden Eigenschaften nur schlecht zur 
Anwendung gegen Diphtheritis. 

5. Die Essigsäure erscheint wegen ihrer sicheren antiseptischen 
Wirkung, ihrer Unschädlichkeit und geringen Reizung besonders 
empfehlenswert!). Die Eigenschaft, thierische Gewebe leicht zu durch¬ 
dringen, erhöht ihren Werth. 


VII. Referate und Kritiken. 

v. Zeissl. Lehrbuch der Syphilis und der örtlichen vene¬ 
rischen Krankheiten; neu bearbeitet von M. v. Zeissl. 5. Auf¬ 
lage. Stuttgart, Enke, 1888. Ref. Joseph (Berlin). 

Das Erscheinen dieses von allen Seiten anerkannten Lehrbuches 
in seiner 5. Auflage beweist am besten den Werth desselben, so 
dass der Sohn sich wohl berechtigt fühlen durfte, das Werk seines 
Vaters mit immer weiteren Neubearbeitungen einzelner Capitel ver¬ 
sehen, den heranwachsenden ärztlichen Generationen vorzuführen, 
um so das Andenken des zu früh der Wissenschaft Entrissenen 
wach zu erhalten. Unter den in den letzten Jahren immer zahl¬ 
reicher erscheinenden Lehrbüchern unserer Specialdisciplin kann 
man in der That sagen, hat das Zeissl’sche einen der ersten Plätze 
zu beanspruchen. Mit der ausserordentlich reichen Erfahrung ver¬ 
bündet sich die gründliche Durcharbeitung. Daneben hat M. 

1 v. Zeissl bis zur jüngsten Zeit in seltener Vollständigkeit alle neuen 
Erscheinungen auf diesem Gebiete berücksichtigt. Als ein besonderer 
Vorzug muss noch hervorgehoben werden, dass einzelne kleine Ca¬ 
pitel von Forschern verfasst sind, welche auf ihrem Gebiete ganz 
specielle Erfahrungen gesammelt haben. Wir nennen nur die Be¬ 
arbeitung der syphilitischen Erkrankungen des Kehlkopfes und der 
Luftröhre von Schrötter, des Auges von Mauthner, der Ein¬ 
geweide des Brust- und Bauchraumes von Chiari, die Bemerkungen 
über Aufnahme, Umsatz und Ausscheidung des Hg von Maly und 
die Abschnitte über die endoskopische Untersuchung der Harnröhre 
von Grünfeld, wie die Ophthalmia blennorrhoica von Hock. 

Zeissl kann sich nicht dazu entschHessen, den Tripperprocess 
mit einer so bestimmten Schärfe, wie es von anderer Seite geschehen 
ist, in eine Urethritis ant. und post, ganz sicher zu scheiden, eben¬ 
so muss er die Behauptung, dass man mit einer gewöhnlichen Tripper¬ 
spritze Flüssigkeiten in die hinteren Partieen der Harnröhre bringen 
könne, als unrichtig bezeichnen. 

Als strenge Dualisten huldigen die Verfasser der Ansicht, dass 
die syphilitische Initialsklerose bereits der locale Ausdruck der all¬ 
gemeinen Erkrankung ist Hiernach ist es selbstverständlich, wenn sie 
die Excision nur insofern für angezeigt halten, um durch die Ent¬ 
fernung des syphilitischen Primäraffectes einen sich langsam unter 
der allgemeinen Therapie resorbirenden Krankheitsherd rasch zu 
beseitigen. .Ebenso sprechen sie sich gegen die Präventiv-Allgemein- 
behandlung aus und wenden das Hg erst frühestens 8 - 10 Wochen 
nach dem Auftreten des ersten Exanthems an, entweder wenn dieses 
einer exspectativen oder Jodbehandlung zu langsam weicht, oder 
wenn Gefahr drohende schwere Erscheinungen von Seiten der 
Sinnesorgane, der Eingeweide oder des centralen Nervensystems auf- 
treten. Die Fournier’sche intermittirende, Jahre lang anhaltende 
Hg-Anwendung wird von den Verfassern nicht gebilligt, dagegen 
legen sie mehr Gewicht auf die Jodbehandlung und glauben, dass 
die zweckmässig und mit dem entsprechenden Regimen verabreichten 
Jodpräparate im Stande sind, die Manifestationen der Syphilis zum 
Schwinden zu bringen oder dieselben so abzuschwächen, dass sie 
einer geringen Anzahl mercurieller Frictionen weichen, ohne dass 
nach Jahr und Tag ein Recidiv auftritt, und demgemäss die Heilung 
der Syphilis nahezu als definitive angesehen werden kann. 

An der äusseren Ausstattung des Buches ist nichts auszusetzen, 
sehr zu bedauern ist aber, dass demselben nur ein Autoren- und 
kein Sachregister beigegeben ist. 

Sir H. Thompson. Die Strioturen and Fisteln der Harnröhre. 

Uebersetzt und mit Rücksicht auf die deutsche Literatur bearbeitet 
von L. Casper. 306 S. München, Finsterlin, 1888. Ref. K. Roser. 

Es war ein Ereigniss, als im Jahre 1862 Thompson’s Mono¬ 
graphie über die Strioturen erschien. Seit der Zeit hat das Buch 


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948 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


No. 4« 


vier Auflagen erlebt, die aber den Text beinahe unverändert Hessen: 
so war und blieb z. B. von deutschen Autoren Rokitansky der 
Einzige, welcher von Zeit zu Zeit citirt wird. Der Uebersetzer der 
neuesten Auflage (1>85) hat versucht, diesem Mangel dadurch ab¬ 
zuhelfen, dass er die Ansichten deutscher Forscher in Anmerkungen 
einschaltete. Wenn dieses in umfangreicherem Grade geschehen 
wäre, dann hätte mau diese deutsche Ausgabe mit grösserem Hecht 
empfehlen können. Sb hätte z B. die Excision der Stricturen 
Erwähnung verdient. Bei mehreren Gelegenheiten wäre der Hinweis 
auf antiseptische Vorsichtsmaassregeln am Platze gewesen. Die 
Urethrotomia externa bei traumatischen Rupturen der Urethra und 
die Nachbehandlung bei derselben gehört eigentlich auch noch in 
den Bereich des Themas. Der Uebersetzer ist sich übrigens der 
Mängel und der Vorzüge des Werkes so klar bewusst, dass wir 
zur Kritik desselben nur einen Satz aus der Vorrede herauszugreifen 
brauchen: „Mögen immerhin gewisse Punkte, wie die Eiutheilung 
der Stricturen. das Capitel über die interne Urethrotoinie und das 
Harnfieber strittig in der Auffassung sein, andere Theile. wie z. B. 
die Darstellung der Symptome und pathologischen Effecte, die 
Dilatationsbehandlung der Stricturen, das Capitel über Harn¬ 
verhaltung, sind wahrhaft klassisch in Form und Inhalt.“ 


C. Schotten. Kurzes Lehrbuch der Analyse des Harns. 185 S. 

Wien, Deutike. 1888. Referent Leo. 

Au guten Lehrbüchern, welche dieselbe Materie behandeln, 
fehlt es freilich nicht, aber jedes derselben hat einzelne mehr oder 
weniger hervortretende Mängel aufzuweisen. So führt bei den sonst 
so vorzüglichen Werken von Neubauer und Vogel sowie von 
Salkowski und Leube die getrennte Abhandlung der chemischen 
und der klinischen Verhältnisse zu mancherlei Unbequemlichkeit. 
Es ist daher entschieden als zweckmässig zu erachten, dass Schotten 
sein Buch nicht in einen chemischen und inedicinischen, rcspective 
qualitativen und quantitativen Abschnitt getheilt, sondern jeden 
Gegenstand an einer Stelle vollständig erschöpft hat. Es wird da¬ 
her zuerst über das Vorkommen der einzelnen Substanzen im ge¬ 
sunden resp. pathologischen Ham gesprochen, mit Berücksichtigung 
der quantitativen Verhältnisse, ferner über die Herkunft und den 
Entstehungsprocess; dann über die Darstellung der Substanzen aus 
dem Harn, über die Eigenschaften derselben, über den Nachweis 
und die quantitative Bestimmung. Das Hauptgewicht legt Schotten 
auf die chemische Charakterisirung und Klarlegung der analytischen 
Methoden bei den einzelnen Verbindungen. Besonders hervor¬ 
heben möchte ich hier die eingehende Besprechung der Körper der 
aromatischen Reihe, der Hippursäure und der Galleusäuren. Am 
Schlüsse giebt Verfasser in zweckmässiger Weise in kurzen Worten 
eine Anleitung zur Ausführung einer Harnanalyse in speciellen Fällen. 
In einem Anhänge wird kurz der Harn des Hundes und Pflanzen¬ 
fressers besprochen. 

Wenn schliesslich nicht verschwiegen werden darf, dass Re¬ 
ferent in einzelnen Punkten mit dem Verfasser nicht übereinstimmt 
(so in Betreff der Definition einer echten und unechten Albuminurie), 
so soll damit der Werth des Buches nicht betroffen werden. Im 
Gegentheil wird dasselbe, welches die Grundlage mehrjähriger, vom 
Verfasser ausgeübter Lehrthätigkeit darstellt, hiermit zum Studium 
bestens empfohlen. 


Carl Spengler. Ueber die Erblichkeit multipler Exostosen. 

Inauguraldissertation. 28 S. Strassburg, 1887. Ref. R. 

Die Ergebnisse seiner Arbeit werden vom Verfasser in folgenden 
Sätzen zusammengefasst: 

1. Die multiple Exostosenbildung, die in früher Jugend heginnt und mit 
dem Abschluss des Knochenwachsthums ihr Ende erreicht, steht in keinem 
direkten Zusammenhang mit Syphilis, Tuberculose, Sciophulose, Traumen, 
Rhachitis. 2. Die Krankheit selbst ist nie erworben, sondern geht aus¬ 
nahmslos, entweder aus einer erblichen Anlage hervor oder aus einer An¬ 
lage, die von den Ascendenten einmal erworben, auf die Descendenten durch 
Beeinflussung der Geschlechtsproducte vererbt worden ist. 3. Multiple Ex- 
ostoseubildung muss als eine Entwickelungsstörung im Parablast aufgefasst 
werden. 4. Sie befällt hauptsächlich das männliche Geschlecht, das weib¬ 
liche ist nicht immun, aber widerstandsfähiger. 5. Die multiplen Exostosen 
vererben sich direkt von männlichen oder weiblichen Ascendenten auf männ¬ 
liche oder weibliche Descendenten oder aber nach dem Rückfalltypus von 
Grossvater auf Enkel. 

Der Arbeit sind die Stammtafeln einer exostntischen und einer Dalto- 
nistenfamilie beigegeben. 


VIII. Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 7. November 1888. 

Vorsitzender: Herr Sicgmund. 

Herr Leo: Ueber die Function des Magens and die therapeu¬ 
tischen Erfolge der Magenausspttlnng bei .Säuglingen. Herr Leo hat 


in der Senator’schen Poliklinik bei 134 gesunden und kranken Säuglingen 
und Neugeborenen die Magensondirung resp. die Ausspülung vorgenommen. 

Die Reaction des Mageninhaltes auf Lakmus ist je nach der Reaction 
der getrunkenen Milch gleich nach der Nahrungsaufnahme verschieden. Nach 
15 Minuten stets deutliche aber schwachsaure Reaction, die allmählich an In¬ 
tensität zunimmt. Freie Säure lässt sich, wenn überhaupt, so erst 
längere Zeit nach der Nahrungsaufnahme nachweisen. Häufig ist 
dies selbst eine Stunde nach dem Trinken noch nicht der Fall. Der nüch¬ 
terne Inhalt, welcher stets intensiv sauer reagirt, enthält fast immer freie 
Säure. Die freie Säure ist Salzsäure. Zuweilen ist auch Milchsäure vor¬ 
handen, flüchtige Fettsäuren niemals. Das Fehlen freier HCl während der 
Verdauung beweist jedoch keineswegs, dass keine HCl abgeschieden wird. 
Aber die secernirte HCl wird sofort von der Milch gebunden. Ein kleiner 
Tlieil der Säure wird völlig neutralisirt, ein anderer bewirkt die Bildung 
saurer Verbindungen, wahrscheinlich sauren phosphorsauren Natrons. Diese 
bisher unbekannte säurebindende Eigenschaft der Milch ist auch von Wichtig¬ 
keit für die Behandlung mancher Magenkrankheiten Ewachsener. 

Pepsin ist fast immer, Lab ohne Ausnahme vorhanden. 

Besonders bei älteren Säuglingen enthält der Mageninhalt kurz nach 
dem Trinken reichliche Mengen verschluckten Schleimes. Bei Neugeborenen 
enthält der nüchterne Inhalt häufig Reste von Bultfarbstoff und reichlich« 
weisse Blutzellen, wahrscheinlich in Folge einer normalen entzündlichen 
Reizung der Schleimhaut durch die ungewohnte Zufuhr von Nahrung. Nach 
'/a Stunde ist stets ein beträchtlicher Theil der Milch aus dem Magen 
verschwunden. Die Zeit, bis alle Milch den Magen verlassen hat, schwanii 
nach dem Alter des Säuglings und der Art der Nahrung zwischen 1 und 
2 Stunden. Trotzdem nach dieser Zeit der Magen keine sichtbaren Nabrungs¬ 
reste, sondern nur ganz geringe Mengen einer schleimigen Flüssigkeit 
enthält, darf er nicht als wirklich leer betrachtet werden, da die geringe 
zu Tage geförderte Flüssigkeit die sämmtlichen Secretbestandtheile und zwar 
in starker ('oncentration enthält. Dieser Inhalt des nüchternen Magens ist. 
wie bewiesen wird, ein Residuum des voraufgegange.ieu Verdauungsprocesses. 

Die verdauende Wirkung des Secretes auf die Milch wurde durch 
Ausheberung des Mageninhaltes in bestimmten Zeiträumen bestimmt. Es 
findet im Magen eine deutliche Vermehrung der Propeptone und des 
Peptons statt. Es wird betont, dass, besonders wegen der säurebindenden 
Eigenschaft der Milch, Verdauungsversuche ausserhalb des Organismus nicht 
mit den Vorgängen im Magen zu identificiren sind. Für die eigentlich« 
Verdauung der Milch ist die Peptonisirung im Magen von untergeordneter 
Bedeutung. Die Ilauptvordauung findet ira Darm statt. Geronnene Milch wH 
durch Trypsin nicht leichter verdaut als ungeronnene. Schliesslich hat Leo 
constatirt, dass von den beim Trinken verschluckten Mikroorganismen (au# 
dem Speichel resp. Verunreinigungen der Milch stammend) ein Theil durch 
den Aufenthalt im Säuglingsmagen in ihrer Entwicklung gehemmt wird- 

Unter pathologischen Verhältnissen ist die Reaction auf Lakmus tiif 
Zeit nach dem Trinken ebenfalls stets sauer. Häufig ist die Acidität ahuorm 
hoch. Sehr oft wird dieselbe zum grössten Theil bedingt durch flüchtig« 
Fettsäuren und Milchsäure. Zuweilen ist aber auch die vorhanden« bah- 
säure reichlicher als in der Norm. Pepsin fehlt auch unter pathologischen 
Verhältnissen fast nie, Lab ist immer vorhanden. 

Eine der hervorstechendsten Begleiterscheinungen fast aller Magen- 
affectioneu ist das abnorm lange Verweilen der Ingesta im Magen- we? 
beruht auf einer mangelhaften motorischen Function des Magens, die md«r 
Regel nicht Ursache sondern Folge der Krankheit ist. 

Häufig findet man reichliche Mengen zähen Schleimes, bei chronischer 
Gastritis sogar ganz compncte Coagula von Mucin. Beim Einfuhren«f 
Sonde macht sich, besonders bei Gastrectasie, nicht selten ein Entweichen 
beträchtlicher Gasmengen bemerkbar. 

Leo berichtet dann über die von ihm gosammelten Erfahrungen üb« 
den therapeutischen Werth der Magenausspülung. Er fügt zur 
keit einige Tiopfen einer alkoholischen Thymollösung. Besonders aurrallen 
ist hei allen Affectionen, die mit Erbrechen einhergehen, die günstige Be¬ 
einflussung dieses Symptoms. Die besten Erfolge erzielte er bei * £a,er 
Dyspepsie mit und ohne Erbrechen, mit resp. ohne Fieber und DannaneetioB. 
Weniger günstig waren die Erfolge bei ausgesprochener Cholera infantuc. 
obgleich auch hier in einer grossen Zahl von Fällen Heilung erzielt »w* 
und die Methode jedenfalls in geeigneten Fällen anzuwenden ist. Auchfl 
eitrigen Fällen von chronischer resp. subacuter Gastritis, sowie von Dürrn 
ohne Appelitsstörung wurden gute Erfolge erzielt. Leo ist daher mit r.p 
stein und anderen Autoren der Meinung, dass für die Indication der Mag^ 
ausspülung im Säuglingsalter viel weitere Grenzen zu ziehen sind al* 1 
späteren Alter. 

Herr A. Baginsky hat, kurz nachdem Epstein seine erete 
öfTentlichung über den Gegenstand machte, Untersuchungen ober ' 
Magenverdauung hei Säuglingen angestellt, die jedoch nicht v ?™ en1 
wurden, weil die Ergebnisse derselben keine Auhaltspunkte für die Tnef*P 
zu liefern schienen. In l'ebereinstiinmung mit den Ergebnissen «>a ' 

wurde gefunden, dass in Fällen von chronischer Dyspepsie mit Erbr« 
von habituellem Erbrechen, acutem Brechdurchfall eiu reichlicher i* 
schuss von Säure im Mageninhalt vorhanden war. Es wurde festgest • 
dass Salzsäure fast nie fehlte, dass Buttersäure fast nie vorhanden 
Milchsäure, Peptone Hessen sich nachweisen. — Zwei MittheiWBgeP _ 
Vortragenden sind besonders interessant gewesen: 1) das Säurebindung»" 
mögen der Milch, 2) das Vorkommen von Labferment im kindlichen 
Die erste Angabe ist mit Vorsicht aufzunehmen, wenn nicht bewiesen * ^ 
kann, dass die genossene Milch von Hause aus frei von alkalischen L 
war. Im Uebrigen ist die Fähigkeit der Milch, einen gewissen Saurez ^ 
zu vertragen, ohne dass Gerinnung eintritt, durch Uffelmanh um - 
Redners frühere Untersuchungen bekannt. Da die Milch nach Salzsäurez 
lockerer gerinnt, so hat man deshalb schon den Versuch gemwmi ^ 
Kunden die Milch stets mit einem ganz geringen Zusatz von Salzs*“ 


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15. November. 


DEUTSCHE MBD1C1N1SCHE WOCHENSCHRIFT. 


949 


verabreichen. Was den zweiten Punkt, das Vorkommen von Labferment be¬ 
trifft, so ist letzteres wichtig, weil das Labfermeut anders auf sterilisirte 
Milch als auf rohe einwirkt. Da augenblicklich vielfach sterilisirte Milch 
den Kindern zur Nahrung verabreicht wird, so wird dieses Verhalten mit 
Rücksicht auf den Nährwerth der sterilisirten Milch neuerdings zu studiren 
sein.— Was die Magenausspüluugen selbst anlangt, so ist Herr Baginsky 
im Wesentlichen mit dem, was Herr Leo mitgetheilt hat, einverstanden, 
allerdings möchte er sich etwas weniger enthusiastisch aussprechen. Jeder 
Krankheitsfall, der mit schweren entzündlichen Reizungserscheinungen ver¬ 
läuft, scheint ihm die mechanische Behandlung auszuschliessen, zu ver¬ 
werfen ist sie überdies hei Cholera infantum, wenn Coliaps begonnen hat. 
Dagegen ist sie ein ganz souveränes Mittel bei habituellem Erbrechen der 
Kinder nach der Ablactation, eine ausgezeichnete Methode bei allen chro¬ 
nischen Fällen von atonischen Zuständen des Darmtractus, also nament¬ 
lich bei rhachitischen Kindern. Ob man, wie Herr Leo vorschlägt, anti¬ 
septische Mittel anwenden soll, will Herr Baginsky noch nicht ent¬ 
scheiden; dieses Verfahren scheint ihm nicht ganz ungefährlich zu sein, 
weil gewiss unter Umständen Reste der Spülflüssigkeit Zurückbleiben können, 
deren Wirkung auf den Darmtractus nicht zu ermessen ist. — Was den 
Gegensatz der Magenausspülung zu der von Baginsky empfohlenen Darin- 
au88püiung anlangt, so darf man nicht a priori schliessen: da wo der 
Magen in Mitleidenschaft gezogen ist, ist die Magenausspülung, die Darm- 
ausspüluug dagegen nur dort am Platze, wc Kolikschmerzen bestehen, die Kin¬ 
der schleimigen Stuhlgang haben etc. So scharf lassen sich die Indicationen 
nicht trennen. Man findet, dass die Darmausspülung auch bei Erbrechen 
häufig von wesentlichem Nutzen ist, wo die Magenausspülung ganz im Stiche 
lässt, und die Darmausspülung ist immerhin doch ein wesentlich leichterer 
Eingriff als die Magenausspülung, nur muss man die Vorsicht üben, dass 
man bei letzterer niemals reines Wasser anwendet, sondern eine physiolo¬ 
gische Kochsalzlösung, weil man sonst häufig Reizerscheinungen im unteren 
Abschnitt des Darmcanals auftreten sehen kann 

HerrHenoch möchte zuerst einem Missverständniss Vorbeugen, welches 
daraus entstehen könnte, dass der Vortragende anführte, Herr lienoch habe 
für acute Dyspepsien die Darreichung eines Emeticums empfohlen. Diese 
Empfehlung beziehe sich natürlich nicht auf Säuglinge, sondern auf ältere 
Kinder, und hier werde diese sehr alte und bewährte Methode heute jeden¬ 
falls viel zu wenig angewandt. Die Magenausspülung anlangend sieht Herr 
lienoch die Hauptschwierigkeit in der Unmöglichkeit, genau die Indicationen 
für das Verfahren abzugrenzen. Aus dem Vortrage des Herrn Leo geht 
hervor, dass auch er über diese Schwierigkeit nicht hinweggekommen sei. 
Jeder Kinderarzt werde doch zugeben, dass es acute Dyspepsieen gebe, die 
mit derselben Intensität der Erscheinungen auftreten, wie die Cholera in¬ 
fantum, die wir gewohnt sind, als Infectionskrankheit aufzufassen; oft sei die 
sichere Diagnosestellung in diesen Fällen ganz unmöglich. Nun haben sich 
sowohl Herr Leo wie Herr Baginsky gerade in Fällen von Cholera infantum 
gegen die Magenausspülung erklärt. Um also hier nach den richtigen In¬ 
dicationen zu handeln, muss man die diagnostischen Kriterien für eiue 
sichere Unterscheidung der verschiedenen pathologischen Zustände angeben 
können. Ausserdem stehen die Resultate anderer Beobachter, z. B. Ep- 
stein’js hiermit in direktem Widersprach, der gerade bei der Kindercholera 
die glänzendsten Erfolge von der Magenausspülung gesehen haben wollte. — 
Die eigenen Erfahrungen He noch’s sind nicht so reichhaltig, wie die des 
Vortragenden. Seine Abtheilung in der Charite sei nicht sehr geeignet, zu 
definitiven Resultaten über diese Dinge zu gelangen, weil die Kinder meistens 
in sehr elendem Zustande zur Aufnahme gelangen, so dass sie meistens, 
trotz momentanen Erfolges der Ausspülungen, doch zu Grunde gehen. Davon 
abgesehen, habe er in einer Anzahl von Fällen entschiedene Erfolge ge¬ 
sehen. Das Erbrechen namentlich hörte auf, in mehreren Fällen sogar 
augenblicklich, in anderen Fällen wieder mussten die Ausspülungen wieder¬ 
holt werden, bis sich ein Erfolg einstellte, in noch anderen blieben sie ganz 
erfolglos. Gefahren besitze die Methode nicht, doch sei zu überlegen, ob : 
nicht bei ausgedehnterer Anwendung in der Poliklinik oder in der Sprech- j 
stunde des Armenarztes, namentlich bei mangelnder .Assistenz, Verletzungen ' 
Vorkommen könnten. — Herr Henoch erwähnt bei dieser Gelegenheit eine9 I 
anderen Verfahrens, das ihm während des letzten Sommers bei infantiler 
Cholera ausgezeichnete Erfolge gegeben habe. Die hochgradigen Fälle, mit i 
schwindendem Puls, den bekannten zurückgesunkenen Augen, kurz den Er- i 
scheinungen des Collapses, wie sie dem Kinderärzte so häufig zu Gesicht ; 
kommen, behandelte er, statt wie früher mit Campher- oder Aetherinjectionen, 
mit subcutanen Injectionen einer physiologischen Kochsalzlösung (etwa 0,6: 
100), 6—8 — 10 Pravaz’sche Spritzen auf einmal, mitunter am Tage 30 bis 
50 Injectionen, und erzielte damit oft ganz unerwartet günstige Resultate. 

Herr Patschkowski: Herr Leo sprach sich gegen die Darreichung 
von verdünntem Eiweiss bei Zuständen von Magendarmkatarrh aus, weil das¬ 
selbe nicht gut vertragen werde. Dies dürfte zumeist an der Art der Dar¬ 
reichung liegen. Herr Patschkowski hat die Erfahrung gemacht, dass, | 
wenn man das verdünnte Eiweiss, solange Neigung zum Erbrechen besteht, | 
nach der Uhr alle fünf Minuten einen Theelöffel voll reicht, selten der Er¬ 
folg ausbleibt, und wenn dennoch weiter erbrochen wird, die gastrischen j 
Störungen meistens in cerebralen Affectionen ihren Ursprung haben. 

Herr Klein hat in 30 Fällen von Cholera infantum Magenausspülungen 
mit gutem Erfolg angewandt und dabei auch bei den elendesten Kindern ( 
nie üble Zufalle gesehen. Die Spülflüssigkeit bestand in 2 % Borsäure- oder ■ 
1 /s 1 Salicylsäurelösung. Da die Magenausspülung nur das Symptom des Er¬ 
brechens beseitigt, wurde daneben die von Henoch eingeführte Therapie 
der Behandlung mit eiskalter Milch und in den ersten Anfängen die abfüh¬ 
rende Behandlung instituirt. 

Herr Leo verwahrt sich dagegen, dass er die Methode allzu sanguinisch 
empfohlen habe. Eine schädliche Einwirkung der Vermischung der Spül¬ 
flüssigkeit mit Thymol hat er nicht beobachtet und kann dieselbe um so 
weniger zugeben, als man von der medicamentösen Darreichung von Thymol 


gute Erfolge gesehen hat. — Die Schwierigkeit der Stellung der Diagnose, 
welche Herr Henoch hervorgehoben hat, erkennt Herr Len an und hat 
deshalb auch betont, dass die Versuche fnrtzusetzen seien. Wenn Herr 
Henoch jedoch meinte, er habe bei C'holora infantum keine Erfolge ge¬ 
sehen, so beruhe das auf einem Missverständniss, relativ waren die Erfolge 
zwar hier nicht so günstig, doch immerhin vorhanden, und namentlich wurde 
das Erbrechen günstig beeinflusst, eine Thatsache, die auch Herr Henoch 
bestätigte. Schon dieser Umstand allein berechtige, die Methode als eine 
dauernde Bereicherung der Therapie der in Frage kommenden Affectionen 
anzusehen. Die von Herrn Henoch geäusserten Bedenken hinsichtlich der 
Ausführung des Verfahrens bestehen bei einiger Uebung des Ausführenden 
nicht, der eiuer Assistenz recht gut entbehren könne. Ueber die Anwen¬ 
dungsweise des Eiweisswassers fehlt Herrn Leo die genaue Controle in 
seinen Fällen. 

IX. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 12. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Curschmann; Schriftführer: Herr Nonne. 

1. Herr Schede berichtet im Anschluss an seine Bemerkungen 
über Osteomyelitis des Unterkiefers in voriger Sitzung, dass 
auf seiner Abtheilung augenblicklich ein ganz ähnlicher Fall in 
Bebandlnng sei. Dieses Mal habe er den Unterkiefer von aussen 
blossgelegt und die äussere Knochenlamelle abgeraeisselt; das 
verjauchte Mark habe dadurch einen guten Abfluss nach aussen 
bekommen; der Verlauf sei in diesem Falle ein guter. 

2. Herr Cordua zeigt ein bei einer Magenreseotion gewonne¬ 
nes Präparat. Es handelt sich um das ganze mittlere Drittel des 
Magens. Die Operation wurde wegen eines chronischen Magen¬ 
geschwürs, welches zu hochgradigen Beschwerden geführt hatte, 
vorgennraraen. 

Die 46jährige Frau litt schon seit 10 Jahren an Gastralgieen, 
seit 6 Jahren war ein Tumor in der linken Bauchseite zu constati- 
ren, seit zwei Jahren ziemlich schnelle Abmagerung, Abnahme des 
Körpergewichts um 40 Pfund, häufige Schmerzen, starkes Erbrechen, 
auch bei vorsichtigster Diät. Herr Cordua fand einen im linken 
Hvpochondrium gelegenen, etwas verschieblichen, bei der Respiration 
sich bewegenden, von Leber und Milz abzugrenzenden Tumor. 
Vortragender stellte, in Uebereinstimmung mit Herrn Curschmann, 
mit Rücksicht auf die langsame Entwickelung, das Fehlen von Me¬ 
tastasen und die Beweglichkeit die Diagnose auf Ulcus ventriculi 
chronic, mit Hypertrophie der Magenwand, wobei noch an die 
Möglichkeit eines Netztumor9 mit secundärer Verwachsung mit dem 
Magen gedacht wurde. Nach der Eröffnung des Magens durch den 
von v. Hacker empfohlenen Schnitt zeigte es sich, dass die Mitte 
der vorderen Magenwand verhärtet, das Netz stark geschrumpft 
war. Eine Drüse in der Umgebung war nicht krebsig degenerirt. 
Auch sonst fanden sich nirgends verdächtige Knötchen. Nach Ab¬ 
lösen des Netzes von der grossen und kleinen Curvatur nahm Vor¬ 
tragender die Resection der Mitte des Magens vor, machte die 
inneren Wölffler’schen Darmnähte, an der Serosa die Czerny- 
Lembert’schen Nähte. Blutstillung, Toilette der Bauchhöhle, Schluss 
der Bauchwunde. Der Verlauf war bisher (Patientin befindet sich 
am siebenten Tage) ein recht günstiger, nur in den ersten zwei 
Tagen bestand heftiges Erbrechen; der Fall giebt eine gute Prognose. 

Au der vorderen Magenwand fand sich ein über 3-Markstück 
grosses Geschwür mit circulärer, derber, schwieliger Verdickung der 
umgebenden Wand. 

3. Herr Sa enger demonstrirt die Präparate eines Falles von 
acuter allgemeiner Carcinose bei einem 35jährigen Arbeiter, 
der auf der Abtheilung des Herrn Dr. Eisenlohr im Neuen Allge¬ 
meinen Krankenhause zur Autopsie gelangt ist. Die ersten Krank¬ 
heitssymptome waren: Doppelsehen in Folge einer rechtsseitigen 
Abducensparese; dann Abnahme des Sehvermögens bis zur totalen 
Erblindung des rechten Auges. Vergrösserung und Infiltration der 
Cervical- und Inguiuallymphdrüsen. Auffallende Schlängelung und 
Erweiterung des Venennetzes in der Haut über dem unteren Theil 
des Sternums. Nacheinander traten sodann schmerzhafte durch 
Metastasen bedingte Anschwellungen in der Rücken-, rechtsseitigen 
Hals- und Vorderarmmuskulatur auf. Ebenso unter der Kopfhaut 
und an den Uebergangsstellen der Rippen in die Knorpel. Am 
15. Tage seines Krankenhausufenthaltes (ca. 23. Krankheitstag) 
starb Patient nach dreitägigem hohen Fieber und heftigem Delirium. 

Die Section ergab einen kinderfaustgrossen, aus Carcinomknoten 
bestehenden, höckerigen Tumor im vorderen Mediastinum, welcher 
mit der Vena anonyma sinistra so verwachsen war, dass die Krebs¬ 
massen frei in das Lumen derselben hineinragten. Miliarcarcinose 
der Pleuren und in der Leber. Metastatische Krebsknoten im 
Pericard, Oesophagus, Magen und Darm; ferner in den vorher er¬ 
wähnten Körperstellen. Besonderes Interesse verdient die Carcinose 
der Dora mater, welche durch zahlreiche, flache, markige Krebs¬ 
massen mit der Innenfläche der Calotte verwachsen war. Die 
Scheiden des rechten N. opticus waren ampullenartig erweitert Die 


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950 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46 


mikroskopische Untersuchung von Seiten des Herrn Prof. Deutsch¬ 
mann ergab eine Neuroretinitis mit beginnender Infiltration der 
Chorioidea. 

Im Anschluss au die Demonstration einiger wesentlicher ma¬ 
kroskopischer und mikroskopischer Präparate dieses Falles referirte 
Herr Saenger über einen von Herrn Eisenlohr früher beobachteten 
analogen Fall von allgemeiner acuter Carcinose, bei dem die Me¬ 
tastasen IV 2 Jahr nach Amputation der linken Mamma wegen Car- 
cinom aufgetreten waren, nnd zwar klinisch sich kennzeichnend 
zuerst mit allmählicher Abnahme des beiderseitigen Gehörs bis zur 
völligen Taubheit. Dann rechtsseitige Facialis- und Abducens- 
lähmung. Anschwellung der Axillar-, Cervical- und Inguinallymph- 
drüsen. Massenhafte Entwickelung von verschieden grossen Knoten 
im Abdomen und von kleinen Knötchen in der Nähe der Operations¬ 
narbe. Nach dreiwöchentlichem Krankenhausaufenthalt Exitus 
letalis. 

Die Section ergab Krebsmetastasen im Pericard, in der Leber, 
Nieren, in den meisten Lymphdrüsen und vor allem im Peritoneum 
und Darm. Eine besondere Dignität erhält dieser Fall durch das 
Vorhandensein einer nur mikroskopisch erkennbaren Carcinose 
der Pia mater. 

4. Herr Arning stellt einen Fall von in oberflächliche Gan¬ 
grän ansgegangener Urticaria vor. Bei einem löjähr. phthisisch 
belasteten Mädchen hatten sich am linken Vorderarm, im Gesicht, 
am r. Oberschenkel und an der r. Schulter unter leichtem Stechen 
und Jucken circa fünfpfennigstückgrosse, papulöse Efflorescenzen, 
die dann zu typischen Quaddeln wurden, entwickelt. Die Ober¬ 
fläche derselben wurde dann gangränös. Die Gangrän blieb ganz 
oberflächlich. Die Ursache der Affection wurde im vorliegenden 
Falle in dem Genuss von Radieschen gesehen. 

Vortragender schliesst aus verschiedenen Gründen einen Pem¬ 
phigus aus. Der Fall erinnert an einen von Doutrelepont vor 
2 Jahren beschrieben Fall von multipler Hautgangrän nach FiDger- 
verletzung. 

Herr Curschmann bemerkt, dass Gangränzustände der Haut nach 
den bisherigen Erfahrungen auf embolischem Wege, bei allgemeinen Kachexieen 
und auf dem Boden von Trophoneurosen vorkämen. Vortragender sab 
jedoch vor mehreren Jahren einen Fall, der in diese drei Kategorieen nicht 
hineinpasst; bei einem gesunden, kräftigen jungen Menschen bestanden an 
ganz differenten Stellen der Haut die verschiedensten Stadien und Grade 
der Hautgangrän, ohne dass irgend eine Aetiologie nachzuweisen war: cs 
kam zu spontaner Ausheilung des Processes. 

Redner hält den Fall des Herrn Arning im anatomischen Sinne 
für eine Urticaria, während er ihn in ätiologischer Hinsicht nicht dafür 
halten möchte; er glaubt, dass man sich später mehr als bisher in der 
Dermatologie auf den ätiologischen Standpunkt stellen werde. 

5. Herr Räther (Altona). M. H.! Ich erlaube mir einen Fall 
von Morbus Basedowii vorzustellen, der bis auf geringen Exoph¬ 
thalmus vorläufig als geheilt zu betrachten ist. Die Pat. ist un- 
verheirathet, 58 Jahre alt und hat den grössten Theil ihres Lebens 
als Dienstmädchen uud in den letzten Jahren als Kochfrau fungirt. 
Vor etwa 10 Jahren fing sie an, an Herzklopfen zu leiden, auch fiel 
ihrer Umgebung bald das Anwachsen eines Kropfes auf, welcher 
schliesslich die Grösse zweier kleiner Fäuste erreichte. Menstruirt war 
sie regelmässig, nicht übermässig stark, jedoch bis zum 52. Jahre. Vor 
2 Jahren fing der Kropf allmählich an abzunehmen und ist jetzt voll¬ 
ständig verschwunden, auch das Herzklopfen verringerte sich so, dass 
sie jetzt keine Beschwerden mehr hat. Der Puls ist 72 in der Minute. 
Die Rückbildung ist spontan erfolgt, sie hat zwar einige Zeit 
Blaud’sche Pillen und später Solut. Fowleri genommen, beides nicht 
lange. Behandelt habe ich sie selbst nicht, es fiel mir die geringe 
Prominenz ihrer Augen auf, als sie ihre Schwester besuchte, welche 
an Uterusmyom in meiner Klinik liegt, und ertheilte mir ihr Haus¬ 
arzt freundlichst die Erlaubniss sie hier vorzustellen. 

Sitzung am 26. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Curschmann; Schriftführer: Herr Sick. 

1. Herr Plate deraonstrirt einen Fall von Morbus Addisonii. 
Es handelt sich um einen 17 Jahre alten, am 21. Mai in das All¬ 
gemeine Krankenhaus aufgenommenen, gracil gebauten Kellner, 
dessen Anamnese nichts besonderes bietet, welcher ausser Maseru 
und Keuchhusten nie an einer Krankheit gelitten hat. In letzter 
Zeit hat er bei geringer schlechter Nahrung viel arbeiten müssen. 
Seit mehreren Wochen bemerkte er eine zunehmende Braunfärbung 
der Haut, fühlt sich schwach und elend, hat öfters Aufstossen, Er¬ 
brechen, Appetitlosigkeit. Man findet eine ausgesprochene Bronce- 
färbung der Haut, die am intensivsten ist im Gesicht, an den Händen 
und deu Genitalien. Die Pigmentvertheilung ist eine ungleiche, be¬ 
sonders stark ist sie an den Ohren. Die Haut ist im Allgemeinen 
trocken und wenig elastisch. Die Conjunctivae sind blass, nicht 
pigmentirt, die Nägel rosenroth. Die Schleimhaut am Oberkiefer 
ist theilweise pigmentirt. Erbrechen besteht zur Zeit nicht mehr. 
Die Untersuchung der inneren Organe ergiebt, dass die linke Lungen¬ 


spitze suspect ist, Herz normal, die Milz ist vergrössert, deutlich 
palpabel, fühlt sich hart an, die Leber ist nicht vergrössert, das 
Abdomeu eingezogen. Das Blut ist dunkelroth, mikroskopisch findet 
sich höchstens eine geringe Vermehrung der farblosen Blutkörperchen. 
Temp. normal, Urin eiweissfrei. Zustand seit der Aufnahme un¬ 
verändert. 

2. Herr Lauen stein spricht über daumenlose Hand nnd 
Behandlung derselben (mit Krankenvorstellung). (Der Vortrag ist 
in No. 30, p. 612 dieser Wochenschrift zum Abdruck gelangt) 

3. Herr Meyer stellt ein 8 Tage altes Kind vor mit abnormer 
Beweglichkeit der Finger, die ganz auf das Dorsura der Hand 
umgelegt werden können. Interessant ist, dass der Vater und eine 
Tante des Kindes dieselbe Anomalie zeigen. Bedingt ist der Zustand 
durch eine angeborene Schlaffheit der Kapsel resp. Bänder der 
Metacarpophalangealgelenke. 

4. Fortsetzung des Vortrages des Herrn Voigt: Ueber Impf- 
sohäden. (Der Vortrag ist im Zusammenhang in No. 43 und fol¬ 
gende dieser Wochenschrift zum Abdruck gelangt). 

In der Debatte über den Vortrag des Herrn Voigt fragt Herr Piia 
an, wie man aseptisch abimpfen müsse, denn eine gründliche Desinfection 
des Impffeldes verhindere die Impfwirkung resp. mache sie mangelhaft. Herr 
Voigt erwide.t, dass man das Impffeld desinficiren müsse, die Pusteln selbst 
gründlich zu desinficiren gelinge nur auf Kosten der Wirksamkeit. 


X. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung am 19. October 1888. 

(Originalbericht.) 

Vorsitzender: Herr Meynert; Schriftführer: Herr Bergmeister. 

1. Herr Fuchs stellt eineu Fall von Ptosis congenita vor, die durch 
Abwesenheit oder Verkümmerung des M. levator palpebrae bedingt ist. Die>e 
Art vou Ptosis ist oft erblich; so hat Fuchs einen Fall beobachtet, bei 
welchem die Erblichkeit durch mehrere Generationen nachzuweisen war. Im 
vorgestellten Falle lässt sich keine Erblichkeit constatiren. Der operativ 
Erfolg in diesem Falle ist ein solcher, wie ihn Redner noch nie gesehen 
hat. Es wurde, nach der Methode von Panas, ein ungefähr 1cm breiter 
Stiel aus der Haut des herabhängenden Lides gebildet, vorher frei priparirt 
und durch 2 dem Brauenbogeu parallele Schnitte so von der Unterlage ab¬ 
gehoben, dass er medial und lateral in seinem natürlichen Zusammenhänge 
verblieb. Der aus der Haut des Lides gebildete Stiel wurde dann unter dem 
Braueubogeu durchgeführt und an den Schnittrand der Stirnhaut genäht 
Dadurch wurde nicht nur das Lid nach oben gezogen, sondern auch der 
Musculus frontalis zur Bewegung des Lides berangezogen. Der Erfolg der 
vor 6 Monaten ausgeführten Operation ist auch ein dauerhafter. Ausserdem 
hat diese Methode noch den Vortheil, dass sie die normale Deckfalte de? 
gesunden Auges herstellt. 

Herr v. Reuss findet das im demonstrirten Falle erzielte Resultat 
wunderbar und säraintliclie bis jetzt mit anderen Methoden erzielten iber- 
treffend. 

2. Herr v. Hochenegg stellt ein Kind vor, bei welchem er eine 
Atresla ani vaginalis so operirt hat, dass er die Ampulle des Rectums er¬ 
öffnet« und das Rectum in die äussere Wunde einnähte, die Fistel zwischen 
Rectum und Vagina wurde geschlossen, und es besteht gegenwärtig eine gam 
gute Analöffnung. 

3. Herr v. Hochenegg demonstrirt ferner eine 52jährige Frau, die 

wegen eines Carcinoms der Analportion vor 2 Jahren von Billroth operirt 
worden war. Bald nach der Operation bildete sich ein Prolapsos rectii der 
sehr gross wurde und bedeutende Beschwerden verursachte. Hochenegg 
enucleirte das Kreuzbein und legte einen Anus präternaturalis sacralis 
Der Erfolg ist ein vorzüglicher. , 

4. Herr Alexander Fraenkel: Ueber die Bedentung von Fr«* 
körpern in Wnndeu. Aus den Versuchen des Vortr. hat sich ergeben: 

1. Dass in Wunden mit eindringende Fremdkörper an und für sch 
keinen Anlass zu phlegmonösen Processen geben, sie vielmehr in der weitaus 
grössten Mehrzahl der Fälle ohne jedwede nennenswerthe locale oder all?*" 
meine Störung einheilen. 

2. Dass dies auch für Fremdkörper Giltigkeit hat, die keine gj*p 
Oberfläche haben, mithin auch leicht grobe, selbst für das freie Auge sic ^ 
bare Verunreinigungen mit sich führen, die dann Träger unzähliger Keime sin 

3. Dass diese mit in die Wunde eindringenden Fremdkörper nur dann 

befähigt erscheinen, locale oder allgemeine Störungen hervorzurufen, " en 
ihnen Keime in einem bestimmten Stadium der Virulenz und von für 
betreffende Thierspecies specifischor Pathogenität anhaften, oder aber 
stimmte chemisch wirksame Substanzen, die zum Theil auch patnoge 
Eigenschaften haben können. y er . 

Es zeigen also diese Versuche, dass die als wirksam befundenen 
unreinigungen nicht jenen Stoffen angehören, die, sei es wo el . fD 

angetroffen werden, mithin auch im gegebenen Falle leicht in die 1 " UB1 
eindringen könnten; die Verunreinigung durch die Erde vielleicht au»g 


nommen. 1 

Trifft man aber bei menschlichen Wuuden mit dem Befunde eines rre 
körpers auch Eiterung und phlegmonöse Processe vergesellschaftet, so 
nur die Annahme, dass diese nicht auf den Fremdkörper zu schiewn 
sondern die Ursache dieser Erscheinungen vielmehr nebenher gehl- ^ 
können uns der Anschauung nicht verschliessen. das9 in der Majori..^ 
Fälle die pathogenen Agentien unabhängig von Fremdkörpern n . 
und von aussen in die Wunde importirt wurden und erst dann oft im 
körper einen guten Boden für ihre Aufnahme und nachträgliche Entwic ^ 
ihrer pathogenen Eigenschaften gefunden haben. Dass häufig g eni *« ^ 
Import dieser specifischen Keime durch nicht aseptische Manipul*“ 0D 


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15. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


951 


Aerzte an den Wunden der Verletzten verschuldet wird, kann man wohl mit 
Sicherheit behaupten. Alle Verunreinigungen, die eventuell eine durch zu¬ 
fällige Verletzung entstandene Wunde birgt, scheinen nicht jene ominöse Be¬ 
deutung zu haben, wie etwa eine noch so kurz währende, nicht aseptische 
Sondenuntersuchung. Der Vortragende plaidirt daher dafür,' den in der 
Kriegschirurgie gütigen Grundsatz, jede überflüssige Manipulation an den 
Wunden zu unterlassen und die baldmöglichste aseptische Occlusion vorzu¬ 
nehmen, auch auf gewisse Friedensverletzungen auszudehnen und auch hier 
die Mehrzahl der Wunden — zumal die kleineren — a priori als aseptische 
zu betrachten und der Heilung unter dem trockenen Schorfe zu überlassen. 

M. 

XI. 61. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte, Köln 18.—23. Sept. 1888. 

(Original bericht.) 

Vorträge ln den aUgemeinen Sitzungen. 

Dem mit lebhaftem Beifalle belohnten, mehr als einstündigen Vortrage 
Waldeyer’s folgte ein, der vorgerückten Stunde wegen, in der Versamm¬ 
lung in wesentlich verkürzter Form gehaltener Vortrag des Freiburger 
Zoologen, Geh. Hofrath Prof. Dr. August Weismann über die Hypo¬ 
these einer Vererbung von Verletzungen. Bei der Wichtigkeit dieses in 
den letzten Jahren viel umstrittenen Themas wird es den Lesern dieser 
Wochenschrift voraussichtlich doppelt werthvoll erscheinen, dass Herr Weis- 
mann auf meine Bitte die grosse Güte gehabt hat, folgenden kurzen Aus¬ 
zug seines Vortrages mir zur Verfügung zu stellen. 

Lamarck erklärte die Umwandlung der Arten durch die direkte Wir¬ 
kung äusserer Einflüsse auf den Körper, hauptsächlich durch die Wirkungen 
gesteigerten oder verminderten Gebrauchs eines Theils. Dies setzt die Ver¬ 
erbung erworbener Eigenschaften voraus, die auch Darwin noch als mög¬ 
lich aunahm und deshalb das Lamarck’sche Umwandlungsprincip neben 
seinem Selectionsprincip beibehielt. Redner hatte schon vor einigen Jahren 
seine Zweifel an dem Vorkommen einer solchen Vererbung geäussert und 
bestreitet die Berechtigung des Lamarck’schen Princips. Dasselbe steht 
und fallt mit der Vererbung erworbener Eigenschaften. Die einzigen direk¬ 
ten Beweise, welche für eine derartige Vererbung geltend gemacht werden 
können, sind die Fälle von Vererbung von Verletzungen, und gegen die 
Beweiskraft dieser Fälle richtet sich nun der Redner. Er erwähnt zuerst 
der Fälle, die deshalb werthlos sind, weil der Beweis fehlt, dass die ver¬ 
erbte Missbildung wirklich auf Verletzung beruhte. Dahin gehört der Fall 
von zwei schwanzlosen Kätzchen, welche auf der Wiesbadener Naturforscher¬ 
versammlung vorgezeigt wurden, und deren Mutter angeblich der Schwanz 
abgefahren sein soll. Selbst wenn dies nachgewiesen und nicht blos eine 
Vermuthung wäre, würde der Fall kein Beweis für die Vererbung von Ver¬ 
letzungen sein, weil der Vater unbekannt ist, und dieser möglicherweise eine 
angeborene und also auch vererbbare Verkümmerung des Schwanzes be¬ 
sessen haben könnte. Dass eine solche Vermuthung nicht allzu gewagt ist, 
wird dadurch gezeigt, dass in einem Städtchen des südlichen Schwarzwaldes 
in den letzten Jahren plötzlich eine ganze Anzahl schwanzloser Kätzchen 
aufgetaucht sind, die nachweislich von einem zufällig dorthin verschlagenen 
Kater von der schwanzlosen Rasse der Insel Mau abstammen. 

Rednor bespricht dann die von Anderen geäusserte Ansicht, es möchte 
das öftere Vorkommen von Stutzschwänzen bei Hunden und auch bei Katzen 
daher rühren, dass in manchen Gegenden die Sitte herrscht, den Schwanz 
zu kappen. Er widerlegt dieselbe an der Hand der Untersuchungen von 
Döderlein, Richter und Bonnet, welche gezeigt haben, dass angeborene 
Verkümmerung des Schwanzes auch bei solchen Rassen vorkommt, bei denen 
die Mode des Schwanzkappens nicht besteht Auch der anatomische Befund 
solcher angeborenen Stummelschwänze widerlegt diese Ansicht, indem er 
zeigt, dass es sich hier um einen mehr oder minder fortgeschrittenen Rück- 
bildungsprocess der Schwanzwirbelsäule handelt, um eine angeborene Miss¬ 
bildung, die Redner aus seinem Princip der Panmixie erklärt. Der Schwanz 
ist von keinem entschiedenen Nutzen mehr für unseren Haushund und 
unsere Hauskatze; deshalb können Abnormitäten desselben, wenn sie Vor¬ 
kommen, erhalten bleiben und sich auf Nachkommen ausbreiten. Tritt dann 
noch Bevorzugung der Abnormität durch den Menschen hinzu, so kommt es 
zur Bildung einer schwanzlosen Rasse, wie solche von der Katze auf der 
Insel Mau und in Japan thatsächlich bestehen. 

Redner theilt nun Versuche mit, welche er mit weissen Mäusen an¬ 
gestellt hat. Er schnitt einem Dutzend von ihnen die Schwänze ab und 
fand, dass von den 330 Jungen, welche dieselben in 10 Monaten hervor- 
brachten, nicht ein einziges mit auch nur um ein weniges verkürztem Schwanz 
sich befand. Er züchtete dann von Jungen dieser ersten Generation eine 
zweite, schnitt diesen wieder den Schwanz ab, und erhielt von ihnen 2C0 
Junge, alle mit normalem Schwanz. Aus dieser zweiten Generation züchtete 
er eine dritte, der wieder die Schwänze gekappt wurden. Auch diese ergab 
noch 103 Junge, alle mit normalen Schwänzen, und endlich wurde auch 
noch eine vierte Generation in gleicher Weise behandelt, die bis jetzt 67 
normalschwänzige Junge geliefert hat. Im Ganzen stammen 700 Junge 
von den entschwänzten Eltern, von denen keins eine Abnormität des Schwanzes 
besitzt. 

Diese Versuche sind beweisend, insoweit wenigstens, als sie alle die 
Berichte von Ererbung einmaliger und nur bei einem Elter eingetretener 
Verletzungen in’s Gebiet der Täuschungen und falschen Schlüsse verweisen. 
Dafür aber, dass eine längere Fortsetzung des Versuchs auf 10, 20 oder 
100 Generationen ein Vererbungsresultat hervorgebracht haben würde, be¬ 
sitzen wir keinerlei Anzeichen. Im Gegentheil haben alle die oft citirten 
Verstümmelungen des Körpers, wie sie von wilden Völkern der Erde seit 
langer Zeit geübt wurden, noch nicht zu einer erblichen Missbildung geführt. 
Die mancherlei Fälle von scheinbarer Vererbung einmaliger Verletzungen 
beruhen aber dennoch keineswegs auf mangelhafter Beobachtung, sondern 


zum Theil darauf, dass die Verletzung des Elters und die Missbildung des 
Kindes sich in Wirklichkeit gar nicht entsprechen. Denkbar freilich bleibt 
es immer, dass ein solches Correspondiren zwischen beiden einmal wirklich 
vorkäme; dann beruht es aber auf zufälligem Zusammentreffen, nicht auf 
causalem Zusammenhang. Die Wissenschaft hat längst die frühere Ansicht 
vom „Versehen“ in der Hoffnung befindlicher Frauen verlassen, obgleich es 
einzelne Fälle giebt, in denen das Kind unzweifelhaft ein Mal an sich trägt, 

! das an eine stattgehabte tiefe physische Impression der Mutter erinnert. 

I Ganz ebenso steht es mit der Vererbung von Verletzungen; sie existirt nicht 
und muss 'mit „Versehen“ in die gleiche wissenschaftliche Rumpelkammer 
geworfen werden. — Ob aber damit das ganze Lamarck’sche Princip als 
nicht existirend nachgewiesen ist, ist eine weitere Frage, deren Lösung in 
der Möglichkeit liegt, die Erscheinungen ohne Hülfe desselben zu verstehen. 

Das Wesentliche hat der Vortragende natürlich, aber nur in gedräng- 
i tester Kürze, aus dem Inhalte seines Vortrages hier mitgetheilt; wer aber 
! eingehender sich über die Einzelheiten des hochwichtigen Vortrages zu un- 
| terrichten wünscht, wird dieselben in dem hoffentlich in den nächsten Wochen 
erscheinenden Tageblatte der Versammlung nachlesen müssen. Namentlich 
wird, meiner Meinung nach, jeder Chirurg und jeder, der eingehend die 
Thatsachen und Theorieen der Entwickelungsgeschichte und der Vererbung 
studiren will, diesen Vortrag nicht unberücksichtigt lassen dürfen, der in 
der Versammlung grosses Interesse und allgemeinen Beifall fand. 

Auch von den Rednern der dritten allgemeinen Versammlung 
hatten die beiden Herren Prof. Dr. Exner aus Wien und Vaihinger aus 
Halle a. S. die grosse Güte, mir auf meine Bitte eigenhändige 'Auszüge aus 
| ihren Vorträgen für diese Zeitung zu übergeben, während Herr Geh. Hof- 
, rath Prof. Dr. Meynert (Wien) mir einen sehr ausführlichen Auszug seines 
Vortrages „über Gehirn und Gesittung“ zur Verfügung stellte, der aber, trotz 
seines hochwichtigen Inhaltes und der vollendeten Form des Vortrages, mit 
Rücksicht auf den beschränkten Raum, den diese Zeitung nur zur Verfügung 
hat, leider nur wesentlich gekürzt hier wiedergegeben werden kann. 

Der Vortrag von Prof. Sigmund Exner (Wien) behandelt die aU- 
j gemeinen Denkfehler der Mensehen. Das Nervensystem der Menschen 
j und Thiere hat im Allgemeinen die Tendenz, gegen die Eindrücke der 
i Aussenwelt so zu reagiren, wie es im Grossen und Ganzen zweckdienlich, 

| d. h. zur Erhaltung des Individuums und seiner Nachkommenschaft vor- 
theilhaft ist. Es reagirt als Mechanismus auch dann so, wenn diese Rc- 
] äctionsweise im einzelnen Ausnahmefalle unzweckmässig ist. 

, An der Hand der Instincte verschiedener Thiere wird gezeigt, dass die- 
! selben zwar zu den oft bewunderten Leistungen und Gebahrungsweisen führen, 

! dass aber die Einzelhandlungen, die ein Thier dabei ausführt, demselben nur 
in der Combination mit dem ganzen Complexe nervöser Vorgänge und Zu¬ 
stände, welche dem Instincte angehören, möglich ist. Ein Vogel kann noch 
so geschickt im Nestbau sein, die Fäden noch so gut verflechten: in einer 
Schlinge gefangen wird ihm diese Geschicklichkeit nicht zur Verfügung 
stehen, um sich durch dieselbe von einer Schlinge zu befreien. Er kann 
nun nicht flechten, er versucht es nicht einmal, diese seine Kunstfertigkeit 
zu verwert,hen. Andererseits sitzt eine Bruthenne ihre 21 Tage auf ihrem 
Neste, auch weun man ihr alle Eier weggenommen hat. 

Die Instincthandlungen zeigen also eine gewisse Starrheit ihrer Com¬ 
binationen ; es kann nicht ein Theil der ganzen Combination (die Thltigkeit 
des Flechtens beim Nestbau) isolirt in Anwendung kommen, und dieselben 
I laufen auch ab, wenn sie im speciellen Falle zwecklos sind (Bruthenne ohne 
Eier). Eine analoge Starrheit zeigt sich auch bei den höheren Leistungen 
des Nervensystems, bei Leistungen, die Verstandeshandlungen schon näher 
stehen. 

Der Jagdhund überwindet gelegentlich mit ausserordentlichem Geschick 
Terrainschwierigkeiten; er kann auch Knochen in seine Hütte tragen oder 
forttragen, um sie zu verscharren- Niemals aber wird er z. B. einen, ihm 
den Weg versperrenden, dürren Ast bei Seite tragen, auch wenn ihm dies 
physisch ein Leichtes wäre. Die bei der Ueberwindung von Terrainschwierig¬ 
keiten verwertheten nervösen Impulse bilden also eine Combination; die bei 
der Verteidigung und Verwahrung seiner Nahrung in Action tretenden Im¬ 
pulse bilden auch eine Combination; beide aber sind so starr, dass die in 
der einen Combination enthaltene Fertigkeit (das Forttragen) in die andere 
nicht einbezogen werden kann. In Bezug auf das Vorwärtskommen steht 
dem Hunde eine Fähigkeit mit dem Maul zu tragen nicht zu Gebote, er hat 
sie gleichsam vergessen. 

Je starrer derartige Combinationen sind, desto näher steht die Hand¬ 
lungsweise des Thieres der instinctiven; je lösbarer die Combinationen sind, 
d. h. in je mannichfaltigeren Fällen dem Thiere eine, ihm von der Natur ver¬ 
liehene Fähigkeit thatsächlich zur Verfügung steht, desto mehr nähert sich 
sein Gcbahren der Verstandeshandlung. 

Auch der Mensch hat Instincte, dadurch charakterisirt, dass gewisse 
Actionen in starren Combinationen so ausgeführt werden, wie sie im Grossen 
und Ganzen zweckdienlich sind. Es sind das die Reflexe. Der Mensch 
blinzelt bei Berührung des Auges. Er thut es auch, wenn es im speciellen 
Falle überflüssig oder schädlich ist, wie bei einer Augenoperation, sowie die 
Bruthenne auch ohne Eier brütet. Der Mechanismus fungirt ent¬ 
sprechend dem allgemein Zutreffenden und nimmt auf den spe¬ 
ciellen Ausnahmefall keine Rücksicht. Diese Eigenthümlichkeit nun 
findet sich, von den niedrigsten Functionen des Nervensystems angefangen 
! bis zu den höchsten, jenen des Denkvermögens, immer wieder und bildet 
die Grundlage der typischen allgemeinen Denkfehler. Immer handelt es sich 
um eine Functionsweise unseres Nervensystems, wie sie in der ungeheuren 
Mehrzahl der Fälle zutreffend ist, bei Uebersehung des Speciellen im vor¬ 
liegenden Ausnahinefalle. 

Es wird gezeigt, dass die grösste Zahl der Sinnestäuschungen hierauf 
beruht. Ein auf den Bulbus wirkender Druck erzeugt eine Lichterscheinung 
an einem bestimmten Orte, weil in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle sich 
eben an jenem Orte im Raume ein helles Objact befinden muss, wenn diese 
Netzbaut8telle in Erregung sein soll. Hier tritt der Eindruck noch wie ein 


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952 DEUTSCHE MEDICINISOHE WOCHEN SCHRIFT. __ No. 46 


Reflex mit zwingender Gewalt ein, ob wir den Druck als Ursache kennen 
oder nicht. 

Aber auch Täuschungen, die der Sinnensphäre schon mehr entrückt sind, 
kommen noch auf demselben Wege zu Stande. Alle Taschenspielerkünste 
rechnen mit dieser Eigenthümlichkeit unserer nervösen Processe. 

In allen diesen Fällen pflegen wir uns der Täuschungen, denen wir 
unterliegen, noch bewusst zu sein. Es giebt aber allgemeine Denkfehler, 
über welche nicht mehr alle Menschen aufgeklärt werden können. Aufstei¬ 
gend zu immer complicirteren psychischen Leistungen, bespricht der Vortr. 
die Fehlwirkungen derselben. Es mögen hier nur die auf die Glücksspiele 
Bezug nehmenden Vorurtheile angeführt sein. Wenn der Lotteriespieler 
glaubt, eine Nummer, die lange nicht gezogen wurde, habe grössere Wahr¬ 
scheinlichkeit, demnächst zu gewinnen, als die anderen, so beruht dies auf 
dem im Grossen und Ganzen richtigen Gedanken, dass im Laufe der Zeit 
alle Nummern gleich oft gezogen werden. Diesem Gedanken associirt sich 
die Erinnerung daran, dass die einzige weisse Kugel um so wahrscheinlicher 
jetzt aus der Urne gehoben wird, je mehr schwarze Kugeln schon vorher 
gehoben wurden; dass ein gewisser Baum in einem zu fällenden Walde um 
so sicherer heute unter die Axt kommt, je mehr andere Bäume des Waldes 
schon vorher gefällt wurden u. s. w. Der Lotteriespieler begeht deshalb 
einen Denkfehler, weil er das Specielle des vorliegenden Falles, dass nämlich 
nach jeder Ziehung wieder alle Nummern in die Urne gelegt werden, nicht 
in Betracht zieht. 

Auch der Ausspruch: „jener Mensch habe Glück im Spiele“, beruhtauf 
einem Denkfehler. Es kann Jemand Glück im Spiele gehabt haben, nicht 
aber im Allgemeinen haben. Das gewöhnlich zutreffende bei diesem Denk¬ 
fehler ist der Umstand, dass wir mit Recht die Erlebnisse eines Menschen 
mit seinen Eigenschaften in Beziehung bringen; so sprechen wir ihm auch 
hier eine Eigenschaft zu, indem wir ihn „glücklich im Spiele“ nennen, und 
übersehen dabei das Specielle, dass die Vertheilung z. B. der Spielkarten 
unmöglich von dem Betheiligten abhängen kann. 

Aber nicht nur im alltäglichen Leben finden wir diese typischen Denk¬ 
fehler, auch in die Kunst uud Wissenschaft sind dieselben vorgedrungen. 
Der Vortragende zeigt, dass dieselben im Gebiete der ersteren, welche nicht 
nach wahr und falsch, sondern nach schön und unschön fragt, frei walten, 
ja in gewissem Sinne die Grundlage des künstlerischen Schaffens uud des 
künstlerischen Gewissens bilden. Hier handelt es sich immer um das allge¬ 
mein Zutreffende; das Specielle des vorliegenden Falles bleibt ausser Be¬ 
tracht. Ein Balkon, der von zwei horizontalen Eisenschienen getragen wird, 
ist unschön, der Beschauer verlangt stützende, aus der Mauer herauswach- 
sende Consolen, um den Eindruck der Sicherheit zu gewinnen, ohne welchen 
der der Schönheit nicht möglich ist. Es entspricht das dem allgemein rich¬ 
tigen Verhältnisse zwischen dem Tragenden und dem Getragenen; das 
Specielle des Falles, die Verwerthung des Eisens mit seiner Tragfähigkeit, 
sowie die correcteste Berechnung desselben, die gelungene Belastungsprobe 
u. s. w. kommt bei diesem Urtheile über die Schönheit nicht in’s Spiel. 
Ein ähnliches Verhalten . unseres Schönheitsgefühls lässt sich für alle Ge¬ 
biete der Kunst erweisen. 

Um zu zeigen, dass dieselben typischen und allgemeinen Denkfehler 
auch der Wissenschaft nicht fremd sind, führt der Vortr. das Sophisma des 
Zeno von Elea an, das seit 2000 Jahren bis in die jüngste Zeit Gegenstand 
philosophischer Erörterungen ist. Nach demselben kann Achilles eine 
Schildkröte im Laufe nicht einholen, weil er erst eine Weile laufen muss, 
um seine Entfernung von der Schildkröte zu halbiren, dann muss er noch 
laufen, um sie auf 74, dann, um sie auf l /s, dann auf */»« u - s. w. zu ver¬ 
ringern. Da er also immer noch eine Weile braucht, um den Rest der Ent¬ 
fernung nochmals zu halbiren, so kann er die Schildkröte nicht erreichen. 
Auch hier beruht der Denkfehler darauf, dass das im Allgemeinen Zutreffende 
in unseren Denkvorgäugen prävalirt; es besteht hier darin, dass eine unend¬ 
liche Reihe von Zeittheilchen eine unendlich grosse Summe ergeben muss. 
Das Specielle des Falles ist übersehen worden, dass nämlich, wenn die 
Glieder dieser unendlichen Reihe nach dem hier waltenden Gesetze au Grösse 
abnehmen, die Summe nicht unendlich gross ist. Es ist dieses Specielle 
übersehen worden, obwohl Jedermann eine Meterlänge in dieselbe unendliche 
Anzahl von nach demselben Gesetze abnehmenden Gliedern zerlegt denken 
kann, deren Summe aber doch nur 1 m ist, da er die Glieder ja selbst dar¬ 
aus gebildet hat 

Von der Bruthenne, welche ihr leeres Nest bebrütet, bis zu dem Pro¬ 
blem des Zeno von Elea zieht durch Thier und Mensch eine continuirliche 
Kette von Denkfehlern, sämmtlich darauf beruhend, dass das Nervensystem 
der Aussenwelt gegenüber so fungirt, wie es in der grössten Mehrzahl der 
Fälle, nicht aber in dem vorliegenden speciellen Ausnahmefall zutreffend ist, 
und deren typische Art uns einen Einblick in die phylogenetische Entwicke¬ 
lung und in die Mechanik des Denkprocesses, diesen im weitesten Sinne ge¬ 
nommen, gestattet. 

Professor Dr. Vaihinger (Halle a. S.) sprach über das Thema: 
Natarforechnngr ud Schale. Der Redner batte sich die Aufgabe gestellt, 
den gleichnamigen Vortrag, welchen Preyer auf der vorjährigen Natur- 
forschervorsammlung in Wiesbaden gehalten hat, zu bekämpfen. Er stimmte 
zwar mit Preyer darin überein, dass die Physiologie das Recht uud die 
Pflicht habe, dio Grundlagen der Pädagogik zu revidiren und die physiologische 
Pädagogik die „Pädagogik der Zukunft“ sei, aber er machte Preyer den 
Vorwurf, gerade das wichtigste biologische Gesetz übersehen zu haben, das 
Gesetz vom Parallelismus der phylogenetischen und der ontogenetischen 
Entwickelung. Aus diesem biogenetischen Gesetze ergebe sich nämlich das 
psychogenetische Gesetz, dass auch die geistige Entwickelung des Einzelnen 
eine Iteeupitulation der Entwickelung der ganzen Menschheit sein müsse, 
und daraus wiederum ergebe sich als das oberste pädagogische Princip der 
i$atx: „Die Erziehungsgeschichte des einzelnen menschlichen Individuums 
muss allen culturhistorischeu Stufen der Menschheit parallel gehen.“ In 
der Culturgesebichte der Menschheit seien nun die 8 Hauptstufen hervor- 
getreton: 1) das griechisch-römische Alterthum, 2) das Christen!hum, 3; die 


neuere Naturwissenschaft und Literatur. Es sei somit auch das einzelne 
Individuum durch diese drei Culturstufen hindurchzuführen, und gerade vom 
biologisch - physiologischen Standpunkte aus sei die Consequenz nicht zu 
umgehen, dass die Beschäftigung mit dem classischen Alterthum eine noth- 
wendige Durchgangsstufe der Bildung des Einzelnen sei. Der Redner weist 
dann darauf hin, dass diese biologisch - ontwickelungsgeschichtliche Be¬ 
trachtungsweise der Pädagogik nichts Neues sei: durch reichliche Citate 
erweist er, dass die deutschen Literaturheroen, die Philosophen, die 
Pädagogen, die Philologen und selbst die Theologen schon lange diese Idee 
gehabt haben, dass dieselbe aber aus einer unerwiesenen Hypothese erst 
dann in eine wohlbegründete Theorie verwandelt worden sei, seitdem die 
exacte Naturwissenschaft jenes biogenetische Grundgesetz aufgofunden und 
begründet habe. Für die Anwendung dieses organischen Grundgesetzes auf 
die Entwickelung der Psyche führte der Redner dann noch zahlreiche Beleg* 
an und schilderte dann fernerhin, dass .und inwiefern das humanistisch* 
Gymnasium im Princip jenem pädagogischen Grundsatz gerecht werde, indem 
es in das griechisch-römische Alterthum, in die christlich-germanische Weh 
und die moderne Naturwissenschaft und Literatur einfübre. Allerdings s-‘i 
an dem Gymnasium Vieles zu tadeln, und Preyer habe besonders in 
folgenden Punkten recht: 1) die körperliche Erziehung bleibe hinter dea 
Anforderungen der Physiologie zurück; 2) der naturwissenschaftliche Unter¬ 
richt werde vielfach unbillig vernachlässigt; 3) beim Unterricht werden vi*l 
didaktische Missgriffe gemacht. Die künftigen Gymnasiallehrer seien 
daher in Zukunft in die auf Physiologie begründete Pädagogik gründlich 
einzuweihen. (Schluss folgt.) 

XII. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

12 . 

H. Kühne. Ueber ein combinirtes Verfahren, Spalt¬ 
pilze im thierischen Gewebe nachzuweisen. Dermatolo¬ 
gische Studien. 6 . Heft. 

Dem Verfasser ist es gelungen, mit dem von ihm angewandten 
combinirten Färbe verfahren sämmtliche im thierischen Gewebe vor¬ 
kommenden Spaltpilze nachzuweisen. Letztere zerfallen nach ihrem 
Verhalten dem Methylenblau und Violett gegenüber in drei Classen. 
nämlich in solche, die sich wie die Typhusbacillen im Gewebe nur 
durch Methylenblau differenziren lassen, solche, für welche sich fast 
nur oder allein Violett eignet, wie die Tuberkel- und Leprabacillen, 
und solche, welche beide Farben annehmen, wie die Milzbrand¬ 
bacillen etc. 

Will man nun irgend ein Material auf seinen Gehalt an Spalt¬ 
pilzen prüfen, so empfiehlt Verfasser folgendes Verfahren: 

Man füllt ein Glasschälchen zur Hälfte mit 1% wässeriger 
Lösung von Ammou. carbon. und filtrirt solange concentrirte wässe¬ 
rige Methylenblaulösung hinzu, bis ein Tröpfchen auf Fliesspapier 
einen intensiv dunkelblauen Fleck hinterlässt. In diese Lösung legt 
man 10—12 in Alkohol entwässerte Schnitte für 10—15 Minuten, 
spült sie dann in Wasser ab und bringt sie je nach ihrer Dicke in 
Salzsäure 1 : 500—1000 Wasser. Bei sehr feinen Schnitten genügeu 
2 — 3 Secunden, um die gewünschte Differenzirung herbeizuführen. 
welche man an einem hellblauen Tone des Schnittes erkennt 
Darauf wird der Schnitt in mindestens drei Schalen Wasser von der 
Säure befreit. Schliesslich fängt man jeden einzelnen Schnitt mit 
einem Deckgläschen, welches mittelst einer nach der Fläche zn ge¬ 
bogenen Pincette leicht horizontal gehalten werden kann, auf, 
dass er sich ohne Faltenbilduug ausbreitet, lässt das überflüssige 
Wasser auf Fliesspapier ablaufen und richtet nun auf den Schnitt 
mittelst eines kleinen Ballongebläses, welches mit einem zur Spitze 
ausgezogenen Glasröhrchen versehen ist, einen verticalen Lnftstiom. 
durch welchen der Schnitt bei einiger Uebung lufttrocken wird and 
fest an dem Deckgläschen anklebt. Eine leichte, nachträgliche Er¬ 
wärmung auf einer polirten Glasplatte beseitigt den lehrten Rest 
Wasser, worauf man den zum Einlegen fertigen Schnitt in ein Schli¬ 
chen mit Xylol gleiten lässt. 

Legt man auf Differenzirung des Gewebes noch grösseres Ge¬ 
wicht, so trocknet man die Schnitte nicht auf, sondern entwässert 
sie in absolutem Alkohol, welchem man, falls eine weitere Entfär¬ 
bung nicht gewünscht wird, Methylenblaualkohol zusetzt. Nach der 
Entwässerung wird in einem dünnflüssigen ätherischen Oele. wi* 
Tereben oder Thymen aufgehellt und schliesslich in Xylol wieder 
entölt. 

Uiu die Mikroben auf ihr Verhalten dem Violett gegenüber zu 
prüfen, empfiehlt Verfasser die von ihm modificirte Gram’sche Fär¬ 
bung: In die der Methylenblaulösung ganz analog bereitete Violett¬ 
lösung legt man die entwässerten Schnitte 5—10 Minuten, bei Ver- 
muthung von Tuberkelbacillen eine Stunde hinein, behandelt sie 
2 -3 Minuten mit der gewöhnlichen Jodjodkaliumlösung, spült wiede¬ 
rum in Wasser ab und bringt sie in eine concentrirte alkoholisch* 
Lösung von Fluorescein, bis sie beinahe entfärbt sind. Der Rest 
des Farbstoffes sowohl als auch das Fluorescein werden dann in 
zwei Schälchen mit absolutem Alkohol ausgezogen. Als Probe der 
vollendeten Ausziehung kann daun noch das Nelkenöl dienen; zeige« 
sich nun in diesem um die Schnitte herum keine violetten Wölkrhiu 


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15. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


953 


mehr, so wird in Xylol eutölt, nachdem vorher das Nelkenöl in 
Tereben oder Thymen ausgewaschen ist. Man vermeidet auf diese 
Weise am sichersten Farbstoffniederschläge, kürzt die Ausziehungs¬ 
zeit ab und bringt eine grössere Zahl von Spaltpilzen zur Anschauung. 
Das von Weigert benutzte Anilinöl als Ausziehungsmittel fand Ver¬ 
fasser nicht so gut. Dagegen bekam er zu weiteren Versuchen sehr 
ermunternde Resultate, wenn die entwässerten Schnitte für IO Minuten 
in eiue mit Salzsäure (1 Tr. auf 50,0 Farblösung) versetzte concen- 
trirte wässerige Violettlösung gelegt, dann in Wasser gut abgespült, 
wie gewöhnlich mit Jodjodkaliumlösung behandelt, wiederum in 
Wasser abgespült, auf einer stumpfen Glasnadel aufgefangen, einige 
Secunden in absoluten Alkohol getaucht und schliesslich in reines 
Anilinöl gebracht wurden. Nach vollendeter Entfärbung wurde das 
Anilinöl iu zwei Schalen Xylol ausgespült, womit die Schnitte zum 
Einlegen in Balsam fertig waren. Die so gewonnenen Präparate 
zeichneteu sich durch Reinheit und äusserst scharfe Färbung der 
Spaltpilze aus. Schöne Doppelfärbungen erhielt Verfasser durch Vor¬ 
farben mit Carmin oder Nachfärben mit Vesuvin. die indessen theil- 
weise nach 3—4 Wachen sich zu entfärben begannen. Görges. 

Geburtshülfe und Gynaekologie. 

10 . 

Cameron. The iufluence of leukaemia upon preg- 
nancv and labour. The americ. journ. of med. Sciences. XCV, 
1. 1888. 

Interessante Mittheilung eines, eine 36jährige VII.-Gebärende be¬ 
treffenden Falles von Leukämie, bezüglich dessen folgende Gesichts¬ 
punkte hervorzuheben sind. Grossmutter, Mutter und Bruder der 
Patientin haben an leukämischen Symptomen gelitten. Zwei ihrer 
Kinder haben ausgesprochene Leukämie, eiu anderes w'enig ge¬ 
sundes zeigt Abnahme der rothen Blutkörperchen und MilzvergrÖsse- 
rung, bei keinem der Kinder beträgt die Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen 5000000 auf 1 kbmm, Alle haben Anfälle von Gelbsucht. 
Die Milzvergrösserung wurde bei der Patientin zu Beginn der sechs¬ 
ten Schwangerschaft bemerkt. Entsprechend dem Fortschreiteu der 
Schwangerschaft ist die Zunahme der weissen und Abnahme der 
rothen Blutkörperchen zu constatiren. Während der Geburt und in 
der Zeit p. part. ist stärkere Blutung nicht eiugetreten, auch die 
Lochien waren nicht blutig. Nach der Geburt vermehren sich die 
rothen und nehmen die weissen Blutkörperchen entsprechend ab, 
die im Verlaufe der Schwangerschaft entstandenen Oedeme und Dys¬ 
pnoe schwinden. Das bei der 7. Geburt von Cameron beobach¬ 
tete Kind zeigte in seinem Blute nichts von leukämischen Verände¬ 
rungen. starb jedoch, von der Mutter gestillt, unter Auftreten von 
Purpura, Erbrechen und Durchfällen. Die Patientin wurde zum 
8. Male gravid. Eug. Fraenkel (Hamburg). 

T. Kroner. Ueber die Beziehungen der Gonorrhoe zu 
den Generationsvorgängen. Archiv f. Gyn. Bd. XXXI, Heft 2. 

Wenngleich die Möglichkeit einer durch das Wochenbett be¬ 
günstigten gonorrhoischen Endometritis, Salpingitis und Perimetritis 
nicht von der Hand zu weisen ist, so bedarf es immer noch des 
Nachweises eines öfteren Vorkommens einer solchen, ehe man 
berechtigt ist, bei bestehender Gonorrhoe selbst leichtere puerperale 
Erkrankungen, als in erster Reihe durch diese bedingt, ansehen 
zu dürfen. Kroner machte den Versuch, Licht in diese Frage zu 
bringen. Er stellte Nachforschungen über das weitere Schicksal 
von 97 Frauen au, welche zur Zeit ihrer Entbindung unzweifelhaft 
gonorrhoisch erkrankt waren. 2 von diesen waren gestorben, aber 
nicht in Folge von Gonorrhoe, sondern nachweislich an schwerer 
Sepsis. Von den anderen 95 machten 80 ein glattes Wocheubett 
durch und blieben vollkommen gesund. Bei 37 Frauen hat sich 
Kroner durch die Untersuchung überzeugt, dass die Adnexa des 
Uterus nichts pathologisches darboten. Nur 15 Frauen hatten an 
fieberhaften Störungen mit Schmerzen im Leibe gelitten. Eiu schäd¬ 
licher Einfluss auf das Wochenbett ist daher nicht häufig. 

Von Nöggerath ist die Gonorrhoe beschuldigt worden, eine 
häufige Ursache des Aborts und der Frühgeburt zu sein. Kroner’s 
Nachforschungen ergaben, dass von 97 gonorrhoischen Frauen nur 
8 das blennorrhoische Kind zu früh geboren hatten, 1 im achten, 
7 im neunten Monat. Aborte sind bei chronischer Gonorrhoe ver- 
h&ltnissmässig selten. Da nach Kroner’s Nachforschungen eine 
Gefährdung des Wochenbettes einer gonorrhoischen Frau nichts 
weniger als Regel anzusehen ist, so ist eine grosse Häufigkeit von 
relativer Sterilitätspeciell iu Folge perimetritischerProcesse in puerperio 
auf gonorrhoischer Basis nicht zu erwarten, wie dies Kroner that- 
sächlich an einer Reihe von Frauen nachweisen konnte, welche, an 
chronischer Gonorrhoe leidend, wiederholt aufeinanderfolgende 
Blennorrhoegeburten durchmachten. 

L. Korn. Ueber die Verhütung der Augenentzündung 
der Neugeborenen. Arch. f. Gyn. Bd. XXXI, Heft 2. 

Unter 1600 auf einander folgenden Entbindungen in der 


Frauenklinik zu Dresden wurde kein einziger Fall von frischer 
Blennorrhoe bei Anwendung des Crede’sehen Verfahrens beobachtet. 
Dasselbe verhütet mit Sicherheit eine Erkrankung an Ophthalmo¬ 
blennorrhoe. Korn hat nun. angeregt durch die Mittheilungen 
Kaltenbach’s, Cohn s uud Hegar’s die Frage geprüft, ob 
durch peiuliche Reinlichkeit allein ohne Argentum nitricum. Be¬ 
handlung dieselben guten Resultate erzielt werden können. Sein 
Verfahren bestand darin, dass die Kreisseude selbst einer gründ¬ 
lichen Reinigung unterzogen wurde. Vollbad, Desinfection der 
äusseren Genitalieu, Bospülung derselben mit Sublimat 1 : 1000, 
Vaginalausspülung mit Sublimat I : 3000. Reinigung der kindlichen 
Augenlider mit in reines Wasserleitungswasser getauchten Watte¬ 
bäuscheheu. 100 Fälle wurden so behandelt. Keine Erkrankung 
an Ophthalmoblennorrhoe zeigte sich. Das Verfahren wurde noch 
mehr vereinfacht, da Korn annahra, wie Hegar schon ausge¬ 
sprochen hatte, dass höchst wahrscheinlich eine Infection des kind¬ 
lichen Auges während des Durchganges durch die Scheide über¬ 
haupt nicht zu Stande komme, dass dieselbe vielmehr stets eine 
nachträgliche, gewissermaassen künstliche, bei unzweckmässiger Rei¬ 
nigung erzeugte sei. Sämmtliche in der Anstalt geborenen Kinder 
wurden, ohne Rücksicht auf eine vorhergegangene Reinigung der 
Gebärenden, in der oben beschriebenen Weise nur mit gewöhn¬ 
lichem Wasserleitungswasser abgewaschen. 1000 Kinder sind bis 
jetzt ohne Argentum nitricum behandelt worden. Von diesen er¬ 
krankten 4 iu den ersten 4 Tagen = 0,4 %. Nachblenuorrhoeen 
kamen 3 Fälle vor. Korn fasst die Resultate seiner Versuchsreihe 
in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Das Crede’sche Verfahren zur Verhütung der Ophthalmo¬ 
blennorrhoe, eine richtige Handhabung desselben vorausgesetzt, ist 
ein absolut sicheres und zuverlässiges. 

2. Allein wirksam bei dem Crede’sehen Verfahreu ist das 
Argentum nitricum. Dasselbe ist somit ein Specificum gegen die 
Gonococcen. 

3. Die Infection des kindlichen Auges mit Trippergift erfolgt 
nicht in der Scheide, sondern stets erst nach der Geburt; nur 
Gesichtslagen könneu eine Ausnahme von dieser Regel machen. 

4. Die blosse peinlichste Reinlichkeit bei der Geburt wie im 
Wochenbette, besonders in der oben beschriebenen Weise geübt, 
ist im Stande, die Erkrankungen an Augenentzündung auf ein 
Minimum zu beschränken, höchstwahrscheinlich sogar vollständigzu 
vermeiden. 

6. Das Verfahren ist, da es eine Sublimatdesinfection der 
Scheide nicht voraussetzt, in allen Hebaramenlehranstalten einzu¬ 
führen. Flaischlen. 

XIII. Oeffentliches Sanit&tswesen. 

Nochmals die neueste Ministerialverordnung bezüglich der 
Privat-Irrenanstalten. Antwort an Prof. Falk in Berlin. 
Von Dr. A. Schmitz in Bonn. 

Meine in No. 35 dieser Wochenschrift gebrachte Besprechung der 
MinisterialVerfügung vom 19. Januar d. J. scheint den Herrn Physikus Prof. 
Falk zur Abfassusg seines in No. 4 '1 dieses Blattes enthaltenen Aufsatzes 
mit bewogen zu haben, wenn er schreibt: ,.Aueh diese Zeitschrift hat solchen 
anstaltsärztliehen Beklemmungen Raum gewährt“, und an anderer Stelle 
meine Worte ohue Nennung meines Namens in „ “ citirt. Ich glaube nicht 
ohne Weiteres solche Aeusserungen des Herrn Falk hinnehmen zu dürfen, 
sondern, jedoch nur zur Sache, Einiges, lediglich zur Richtigstellung 
derselben und zur Erläuterung der Verordnung erwidern zu sollen, da qui 
tacet, consentire videtur. 

Falk tritt für die neue Ministerialverordnung in die Schranken und 
sagt, man hätte zunächst abwarten können, ob der Erlass wirklich schädlich 
für die Anstalten, und seine Ausführung ungeahnt schwierig sei. ,.Statt 
dessen“, heisst es weiter, „wird dies ohne Erfahrung schlank weg behauptet.* 4 
Durch eine Gegenbemerkung will ich den Herrn Redacteur nicht in Ver¬ 
legenheit bringen, halte aber solche Artigkeiten für mindestens nicht ange¬ 
bracht in Behandlung wissenschaftlicher Zeit- und Streitfragen. Dass die 
gegen diese Verordnung gemachten Bedenken wohl begründet sind nnd waren, 
wird keiner ernstlich bestreiten, der mit diesen Fragen nicht nur theoretisch, 
sondern auch praktisch sich beschäftigt hat. Ob die Verordnung für die 
Privat-Irrenanstalten schädlich ist, das Hesse sich in etwa durch das Verhält- 
ni8S der seit Erlass derselben gegen früher in den Pensionärclassen der öffent¬ 
lichen Irrenanstalten mehr aufgenommenen Geisteskranken klarstellen. Aber 
auch jetzt schon habe ich soviel Erfahrung gesammelt, dass ich nicht an¬ 
stehe nochmal zu betonen, dass die erstgenannten Anstalten unter der Ver¬ 
fügung leiden, weil die Hausärzte und die Angehörigen, um das Physikats- 
attest mit seinen Unannehmlichkeiten zu umgehen, jetzt häufiger die öffent¬ 
lichen Anstalten für ihre Kranken wühlen. 

Die Forderung, dass der zuständige Physikus das Attest ausstelle, ist 
nicht nur „ungeahnt schwierig“, sondern wird oft genug zur Unmöglichkeit 
werden. Ohne viele andere wichtigo Momente, z. B. eine möglichst schnelle 
Unterbringung des Kranken, Unwohlsein oder Verhinderung des Physikus 
wegen wichtigerer Amtsgeschäfte, zu berühren, will ich nur die Ortsverhält¬ 
nisse erwähnen. Bleiben wir nicht in den hübschen Strassen der Residenz¬ 
stadt und anderer Grossstädte, sondern gehen einmal auf das platte Land. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46 


954 


Welche körperliche Anstrengung wird da dem Physikus z. B. in gebirgigen 
und unwirtlichen Gegenden zugeinuthet, um einen Kranken behufs Attesti- 
rung der vorhandenen Geistesstörung zu erreichen, welcher Zeitverlust für 
Ar/t uud Patienten wird nicht oft genug stattfinden, obwohl der Hausarzt 
vielleicht am Orte des Kranken, der Physikus dagegen Stunden weit 
weg wohnt. 

Die neuen Bestimmungen schädigen aber auch direkt die Kranken, uud 
deshalb erfolgte aus Fachkreisen ein grosser Widerspruch gegen die Verordnung. 
Anderswo könnte ich mich über diesen Punkt ausführlicher verbreiten, hier 
darf ich nicht zu viel Raum beanspruchen. Von mehreren erlebten Fällen 
will ich nur einen anführen. Ein kranker Herr lässt mich rufen, um von 
mir zu hören, ob ich die Ansicht zweier ihn behandelnder Collegen, von 
denen der eine ein geachteter Psychiater war. dass seine Aufnahme in eine 
Anstalt zweckmässig sei. theilte. Während ich mich mit dein Patienten 
unterhalte und ihn mit grosser Mühe bestimmt habe, um alles Aufsehen zu 
vermeiden, unverzüglich abzureisen, erscheint im Gartenthore, welches vom 
Zimmer ans zu übersehen war. der zuständige Kreisphysikus. Der Kranke, 
der sich kaum von einem schweren mehrtägigen Tobsuchtsanfalle erholt 
hatte, gerieth über das Auftauchen der Medicinalperson ausser sich, was der 
Kreisphysikus vou ihm wolle, er habe ihn nicht rufen lassen, wenn er zu 
ihm komme, würde er ihm den Schädel einschlagen, alles sei von seinen 
Geschwistern angezettelt, um ihn zu vernichten. Ich hatte meine liebe Noth. 
den Kranken zu beruhigen, welcher, durch das vorschriftsmässige Erscheinen 
des beamteten Arztes in nicht geringe Aufregung versetzt, an seiner Ge¬ 
sundheit direkt durch die unnöthige Erregung geschädigt wurde. 

Dieser und andere Fälle derselben Art brachten mich, um solchen für 
deu Arzt, den Kranken und die Umgebung gleich unliebsamen Sceuen aus¬ 
zuweichen, zu dem oft schweren Entschlüsse, die Kranken lieber in öffent¬ 
lichen Anstalten unterzubringen. Hier haben wir thatsächliche Erfahrungen, 
„dass die neuen Einrichtungen die Kranken schädigen, die Angehörigen 
behelligen. 4 * Die Liquidation des Medicinalbeamten, welche bei Zurückleguug 
von weiten Strecken oft ziemlich kostspielig werden kann im Vergleiche 
zum hausärztlichen Attest, will ich nur im Vorbeigehen berühren. 

Entgegen der Falk’sehen Aeusserung, gerade Leiter besonders grosser 
Privatinstitute hätten in Berliner Vereinsdiscussionen erklärt, durch jene 
Bestimmungen in ihrer Berufsthätigk- it sich nie im mindesten gehemmt oder 
belästigt gefühlt zu haben, sage ich, dass gerade Leiter besonders grosser 
dortiger Privatinstitute mir schrieben: „Die betreffende neue Verordnung 
leistet Unglaubliches, es ist schwer, keine Satvre dazu zu schreiben. Sie 
verschlechtert die Privatanstalten, vermindert ihre Leistungsfähigkeit und 
hält die besseren Elemente ab, sie sich zum Berufe zu wählen. Die 
schlechteren beeinflusst sie nicht, der Procentsatz der Unheilbaren wird 
nicht vermindert.** Das ist auch eine Antwort von einem in seinem Urtheilo 
sehr vorsichtigen Fachcollegen, von einem unserer tüchtigsten Irrenärzte. 

Was die von Falk erwähnten anderen Culturstaaten betrifft, so hätte 
der Herr College sich leicht überzeugen können, dass in vielen derselben 
solche oder ähnliche Bestimmungen mit Bezug auf das Attestwesen, wie in 
der preussischen Verfügung, nicht existiren. 

Dass gerade gegen die Forderung des amtsärztlichen Attestes sich die 
Angriffe richten, wie Falk meint, hat ausser den bereits angeführten noch 
andere gute Gründe, welche auch nicht durch seine Deductionen an Werth 
verlieren. Nicht weiss ich, welche schlimmen Erfahrungen Herr Falk mit 
der „moralischen Qualification“ seiner Collegen gemacht hat; immerhin 
halte ich es für äusserst bedenklich, ohne weiteres ihm zuzustimmen. Sollte 
ich doch glauben, duss der Herr Minister nur solchen Candidaten der 
Medicin die Approbation als Arzt ertheilte. gegen deren moralische Qualification 
und Zuverlässigkeit nach Empfehlung durch die Facultäten nichts cinzu- 
w enden wäre. Statt so schwero generelle Anschuldigungen gegen seine 
Standesgenossen loszulassen, hätte Herr Falk nicht nur mir, sondern sicher 
vielen anderen Collegen einen grossen Gefallen erwiesen, wenn er ein 
einziges sicheres Beispiel aus seinen vielleicht gemachten Erfahrungen mit- 
getheilt hätte, dass ein preussischer Arzt sich wissentlich zum Werkzeuge : 
eiues Verbrechens gegen die persönliche Freiheit durch Ausstellung eines 
falschen Attestes hätte brauchen lassen. 

Nicht mehr Glück scheint mir der Herr College zu haben, wenn er die 
Wissenschaft neben der Zuverlässigkeit in das Gefecht führt. W r erden sich 
ausser dein angestellten Physikus nicht noch andere Aerzte finden, welche 
als Specialisten von Ruf, als Leiter grosser Anstalten, als Vertreter ihres 
Faches, sich in der ärztlichen Welt einen bedeutenden Namen erworben, 
welche das Physikatsexamen abgelegt haben, welche früher als Physici ange¬ 
stellt waren, welche noch Regierungs-Medicinalbeamte sind! Trotzdem kann 
nach der Verordnung nur der zuständige Kreisphysikus das gütige Attest 
ausstollen. Und wenn auch Herr Falk oft genug bemerkt zu haben glaubt, 
„dass gerade besonders „zuverlässige“ praktische Aerzte jeder Attestschreiberei 
abhold sind“, so wird er mir doch nicht bestreiten wollen, dass sehr viele 
andere Aerzte im Stande und auch geneigt sind, das von der Behörde ver¬ 
langte Attest vorschriftsmässig auszustelleu. Was also die wissenschaftliche 
Befähigung und Zuverlässigkeit betrifft, so kann ich mir mit Bezug auf das 
verlangte Physikatsattest keine grössere lucousequenz denken. Oder giebt 
es einen vernünftigen Grund für die Behauptung, dass ein Arzt, der gestern 
Physikus war und heute nicht mehr ist, morgen nicht gerade so wissen¬ 
schaftlich gebildet uud zuverlässig wäre, um ein vorsehriftsmässiges Attest 
auszu>t<dlcii aN früher. Glaube e>, wer es kann! 

Für die offene Mittheilung des Collegen, „das Ziel aller Aenderungs-, 
bozw. Rovsorungsbcxirebungen — soll wohl heissen der financielleu Lage 
der Physiker — ist, noch schärfer private und beamtete Aerzte zu sondern“, 
wollen wir demselben recht dankbar sein. Die praktischen Aerzte werden 
bei der neuen Wahl zur Aer/tokammer daran denken und durch passende 
Wahlen ihre Rechte zu wahren suchen. 

Die wiederholt gctallcneu Aeusserungen, dass eonsequenterweisc auch 
behufs Aufnahme in öffentlichen Irrenanstalten das Physikatsattest gefordert 
werden müsse, scheinen auch in Berlin ihre ernsten Vertreter zu finden. 


Gerade in dieser Ungleichstellung der Aerzte der Privat- und öffentlicher 
Anstalten mussten die ersteren ein durch nichts provocirtes Misstrauen, 
eine Beleidigung finden. 

Endlich bestreite ich aber auch dem Herrn Collegen Falk, dass o 
| „bei jenen Revisionen vollends nicht auf praktisch-psychiatrische, sondern 
1 wesentlich auf hygienische und administrative Dinge ankomme." Ich »rau - - 
I meineu Augen nicht, als ich diese Aeusserungen des Königlichen Krei- 
I physikus für Teltow uud Charlottenburg las. Heisst es doch mit Bezu- 
: auf die Beaufsichtigung der Privat-Irrenanstalten in der Verordnung wörtlie 
„Ueber jede Revision ist der Landespolizeibehörde ein ausführlicher Berich 
zu erstatten, bei welchem insbesondere folgende Punkte zu berücksichtige:, 
sind: II, 2 c, Die Kranken. — Der zeitige Bestand, Belegung der Käun. 
(Ueberfülluug) — Trennung der Geschlechter — Zustand der Kranken 
(Reinlichkeit, Ernährungszustand, Kleidung), etwaige Spuren von Verletzuntre 
und deren mutlimaas.sliche Entstehung (Anwendung von Zwangsmitteln, Mi߬ 
handlungen) — geistiger Zustand — Beschwerden der Kranken“ — — 
Wenn die letztgenannten Punkte aber nicht praktisch-psychiatrische Ding- 
darstellen und wenn sie, zumal bei Revisionen, nicht von eminent gTO$>-r 
Wichtigkeit sind, dann solle mir einer sagen, was denn mehr zur praktische 
Psychiatrie gehört, als die richtige und sachgemässe Beurtheilung des Geistes¬ 
zustandes der Anstaltsinsassen und die schnelle und exacte Prüfung der b- 
i jeder Revision vorkommenden Klagen der Kranken wegen unberechtigt- - 
! Freiheitsentziehung. 

Zu der Behauptung Falk's, „schon immer hatte übrigens der Physik«.- 
das Recht uud die amtliche Obliegenheit, die Irrenanstalten im Kreise n 
revidire», und auch der Regierungsmedicinalrath waltete gelegentlich dk> - 
Amtes,“ wage ich kein Wort zu sagen, um die Wirkung dersell»en uirt 
abzuschwächen. Statt alles anderen erinnere ich den Collegen nur an d: 

I Circ.-Verf. vom 7. Mai 1859. (v. Bethmann-IIollweg). 

Während Falk die volle Beibehaltung der Vorordnung fordert, nidr 
blos wegen wünschenswerther Stetigkeit von behördlichen Verordnungei. 
sondern auch wegen der Zweckdienlichkeit der wichtigsten Bestimmung?! 
so wird er schon zuzugeben die Güte haben, um mit seinen eigenen Wort- 
zu reden, dass mit mir viele andere Aerzte, und es scheint doch die Mehrzal 
zu sein, nicht seiner Meinung, sondern der festen Ueberzeugung sind, da- 
! je eher je besser, diese uuzweckmässigen, die verschiedensten Lebens- ul 
| Gesellschaftskreise schwer schädigenden Bestimmungen beseitigt werde;.. 

| jedenfalls nicht schnell genug zum Besseren gestaltet werden können. 

XTV. Therapeutische Mitteilungen. 

Dermatothernpeutische Mittheilungen') 

von Dr. Edmund Saalfeld in Berlin. 

Von den geradezu überraschenden Erfolgen, die ich in einer Reihe 
Fällen von Hemicrauie, in denen alle bisher angewandten Mittel, auch J- 
vielen in neuester Zeit sonst empfohlenen, nutzlos gewesen, von ein»-' 
10%igen Mentholsalbe ' J ) gesehen hatte, und der dabei so deutlich h«n-r- 
getretenen auästhesirenden Wirkung derselben auf die Haut ausgehend 
wandte ich das Menthol in verschiedener Form bei vielen Hautkrankheit- 
an, bei denen das Jucken ein hervorragendes Symptom bildet. So schaff: 
die Zusammensetzung von 

(1) Rp. Menthol. 1,5—2,5 

Spirit, vin. rectificat. 50,0 
M.D.S. Aeusserlich, zum Tupfen 

häufig Patienten mit juckenden Dermatonosen verschiedenster Art Linderen, 
wo 2—3°/oiger C-arbolspiritus oder 1 —2%iger Salicylspiritus ohneWirkur . 
gewesen, oder wegen ihrer irritirenden Eigenschaften uicht in Anwenduu. 
gebracht werden konnten, bezw. ausgesetzt werden inussteu. Dieselbe u.- 
ästhesirende Wirkung zeigt eine Mentholsalbe: 

(2) Rp. Menthol. 2,5 

Ol. Oliv. 7,5— 10.0 
Lanolin, ad 50,0 
M F. Ungt. 

Diese Zusammensetzung erscheint besonders indicirt bei Urticaria. Pr 
ritus cutaneus, und zwar hier speciell bei Pruritus senilis, welch' letzter - 
ja mehr oder weniger auf der physiologischen luvolution der Haut (resp. <: ■ 
Fettschicht) beruht, wodurch eine abnorme Trockenheit und Sprödigkeit i 
Haut hervorgerufen wird, die ihrerseits wiederum eine gesteigerte Seusibiiit 
der Hautnerven erzeugen. Um den fehlenden Fettgehalt der Haut zu -.- - 
setzen, bedienen wir uns von allen Fetten resp. Salbengruudiagen am bei¬ 
des Lanolins, und dieses in Verbindung mit Menthol wirkt günstig nicht i, 
auf die primäre Erkrankung, sondern auf die durch das Kratzen hervor*: 
rufenen secundären Eczeme. Eines wegen des therapeutischen Erfolges 
beachtenswerten Falles von Pruritus cutaneus möchte ich hier kurz erwähnt: 
Der 48jährige Patient, reitender Schutzmann, erkrankte vor *2'/« Jahren . 
Hautjucken, das ursprünglich mit grössester Wahrscheinlichkeit durch Sca: 
bedingt war. Nachdem diese geheilt war, blieb das Jucken bestehen. \ • 

2 Jahren hatte ich Gelegenheit, den Patienten zu beobachten: es blieb ( 
mals jede gegen die Affection gerichtete Therapie ohne wesentlichen Nut • 

[ Nachdem Pat. dann von verschiedenen Seiten ohne nenuenswerthen Er - 
— auch eine grössere Reihe von Tlieer- und Schwefelbädern hatte ni- 
gefruchtet — behandelt war, constatirte ich jetzt bei ihm Pruritus cutai: 
mit Urticaria mässigen Grades und geringes Kratzeczem; von Scabies o : 
anderen Epizoen war absolut nichts zu entdecken. Bei einer I—2 mal • i. 
liehen Anwendung von 


') Nach in der Berliner dermatologischen Vereinigung und auf u- 
Naturforscher-Versammlung zu Köln gemachten Mittheilungen. 

J ) s. Therap. Monatshefte 1887, p. 100 ff. 


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15. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 955 


(3) Rp. Menthol. 2,5 

Bals. Peruv. 5,0 
Ungt. Wilsonii 
Lanolin, ana ad 50,0 
M.F. Ungt. 

war nach 6 Tagen eine wesentliche Besserung eingetreten, das Jucken war 
geringer und seltener, das subjective Befinden gehoben: diese Besserung war 
nach weiteren 6 Tagen noch erheblicher. Pat., der vorher völlig verzweifelt 
war. fasste neuen Lebensmut!), seine Aeusserung war: „Es ist gar kein 
Vergleich gegen früher!“ Nach weiteren 6 Tagen war nur noch an ein¬ 
zelnen kleinen Stellen beider Oberarme und am Thorax ab und zu auftreten¬ 
des Stechen und Kribbeln, kein eigentliches Jucken mehr vorhanden. 

Ausser der die Sensibilität herabsetzenden Eigenschaft kommt dem 
Menthol noch eine andere sehr wichtige zu, nämlich die Wirkung, welche es 
auf alte, chronische, infiltrirte Ec/.eme ausübt: so gelang es mir, ein chro¬ 
nisches, stark infiltrirtes Unterschenkeleczem, das zu jener Reihe von Fällen 
gehört, die von französischer Seite als „Lichen hypertrophicus“ bezeichnet 
werden, bei dem bisher alle sonst gebräuchlichen Mittel ohne Erfolg gewesen 
w'aren, durch Mentholsalben, die allerdings zuletzt einen ziemlich hohen Men¬ 
tholgehalt, nämlich 15% hatten, zur definitiven Heilung zu bringen. 

Die Toleranz der Haut gegen das Menthol ist im Allgemeinen ziemlich 1 
gross: nur in einem Falle verursachte eine 3%ige Salbe starkes Brennen { 
und auch Reizerscheinungen: allerdings handelte es sich hier um eine ab- j 
norm irritable Haut, die ausserdem eczematös gereizt war. Seiner prakti- ! 
sehen Wichtigkeit wegen halte ich die in allerletzter Zeit gemachte Erfah- 1 
rung der Erwähnung werth, dass sich 5%ige Mentholsalben ausserordentlich 
gut gegen die durch Raupen- und Mückenstiche hervorgerufenen Quaddeln I 
bewährt, haben. 

Zur Erklärung des zuletzt angegebenen Receptes (3) möchte ich be- 1 
merken, dass der darin enthaltene Perubalsam nicht etwa als Antiparasiticum 
wirken soll; es hat sich, wie nämlich bei vielen Salben, die Verbindung von 
Perubalsam 10—15—20% mit Ungt. Wilsonii (Rp. Benzoes pulv. 5,0, Ax- j 
ung. porci 160,0, digere, cola, adde Zinc. oxydat. 25,0, M.F. Ungt.) oder mit 
Ungt leniens als Salbengrundlage vorzüglich bewährt: diese Zusammensetzung i 
wirkt im Allgemeinen reizmildernd, kommt also speciell da in Betracht, wo j 
die Anwendung von anderen Fetten wegen der Reizerscheinungen nicht an- i 
gängig ist (altbekannt ist ja die Zufügung von Perubalsam zu einer | 
Argentnmsalbe): so konnte ich vielfach in Fällen, wo das officinelle Ungt. | 
praecipitatum album oder auch eine frisch bereitete Praecipitatsalbe nicht I 
vertragen wurde, ich aber auf den Gebrauch des Hydrargyrum praecipitatum : 
album nicht gern verzichten wollte, letzteres in der Formel: 

(4) Rp. Hydrargyr. praecipitat. alb. 1,0—2,0 i 

Bals. Peruv. 2,0—3,0 
Ungt. Wilson. 20.0 

oder Ungt. leuient. 20,0 ! 

oder Ungt. Wilson. 

Ungt. lenient. ana 10,0 
M.F. Ungt. 

zur Anwendung bringen. Diese Zusammensetzung möchte ich besonders em¬ 
pfehlen bei specifischen Ulcera cruris. in deren Umgebung sich ein Eczem 
ausgebildet hat. Wenn letzteres nicht der Fall ist, habe ich von einer Ver¬ 
bindung von (5) Rp. Ungt. praecipitat. rubr. 

Ungt. einer, ana 
M.F. Ungt. 

bessere Erfolge gesehen, als von den ührigen sonst gebräuchlichen Mitteln, 
also Ungt. praecipitatum rubrum allein oder Sublimatumschlägen oder Em- 
plastrum mercuriale resp. Emplastrum mercuriale americanum u. s. w. 

Bei Erwähnung des Ungt. cinereum möchte ich bemerken, dass ich das¬ 
selbe gegen Pediculi pubis gar nicht mehr verordne, statt seiner vielmehr 
nur noch, nach einer persönlichen Mittheilung des Herrn Dr. Haslund in j 
Kopenhagen, einen Sublimatessig: 

(6) Rp. Hydrargyr. bichlorat. 0,2 

Acet. 60,0 

M.D. sub signo veneni. 1 

S Aeusserlich, zum Einreiben. 

Fügt man zu dieser Formel noch einen 2*/a— 5%igen Mentholgehalt ; 
hinzu und ersetzt den Essig zur Hälfte durch Spir tus, also 

(7) Rp. Hydrargyr. bichlorat. 0,2 > 

Menthol. 1,5—3,0 

Spirit, vin. rectificat. 

Acet. ana 30,0 j 

M.D. sub signo veneni. 

S. Aeusserlich, zum Einreiben. 

so hat mau ein Medicament, das sich nützlich erweist in denjenigen Fällen 
von Pruritus genitalium, in welchen man Verdacht auf Pediculi hat, letztere 1 
aber objectiv nicht nachweisen kann, also besonders in der allerersten Zeit ! 
der Affection. _ (Schluss folgt.) 

— Dr. G. Ch. Minopoulos kommt auf Grund von Untersuchungen, 
dieser auf der Königlichen Üniversitätsfrauenklinik in München anstellte t 
(Münch, med. Wchschr. No. 45, 1888) über die Verwendung des Creolins 
in der Gebartshtllfe zu folgenden Schlüssen: Das t’rcolin ist ein werth¬ 
volles Ersatzmittel des Sublimats und der Carbolsäure, da es die Vor- 
theile derselben zum mindesten im gleichen Grade besitzt, ohne dass ihm 
deren unangenehme Nebenwirkungen anhafteu. Vermöge seiner vollkomme¬ 
nen Ungiftigkeit kann dasselbe auch unbedenklich den Hebammen und Laien i 
in die Hand gegeben werden, wodurch es sich vor dem immerhin nur mit 
grosser Vorsicht anzuwendendeu Sublimat, sowie der Carbolsäure auszeich¬ 
net. Es darf daher wohl das Creoliu, auf Grund seiner vortrefflichen Eigen¬ 
schaften den Geburtshelfern und Gynäkologen als Autisepticum aufs Dring¬ 
lichste empfohlen werden. Zwar müssen einige unbedeutende Nachtheile 
des Mittels in den Kauf genommen werden, nämlich sein scharfer theerartiger 


Geruch, welcher mauchen Individuen nicht gerade angenehm ist, sowie seine 
Undurchsichtigkeit, welche die Wahrnehmung und Controlirung des ausge¬ 
spülten Geruchs behindert. Ausserdem setzen sich nach langem Gebrauch 
die harzigen Elemente desselben auf dem Boden und an den Wänden der 
damit in Berührung kommenden Gegenstände ab, so dass sie einen ölig 
schmutzigen Belag bekommen, sofern sie nicht öfters sorgfältig mit Alkohol 
gereinigt werden. Dafür hat es andererseits den Vorzug, dass es die Hände 
nicht angreift, was ja bei der Anwendung von Sublimat und Carbolsäure 
häufig der Fall zu sein pflegt. Zum Schluss wird in Uebereiustimmung mit. 
Esmarch dem Wunsche Ausdruck gegebeu, dass die Güte des Präparats immer 
die gleiche sein möge. Seit einiger Zeit nämlich giebt dasselbe eine dün¬ 
nere schmutzig trübe Emulsion. Lässt man dieselbe einen oder zwei Tage 
stehen, so schlagen sich ölige, schmutzig braune Tropfen am Boden dos 
Gefässes nieder, die Emulsion wird nahezu durchsichtig und es ist nicht 
unwahrscheinlich, dass das Mittel dadurch einen gewissen Grad seiner Wirk¬ 
samkeit einbüsst. Deswegen ist es empfehleusw'erth, bei der Anwendung 
desselben womöglich immer eine frische Lösung herzustellen. Was endlich 
den Procentsatz und die Quantität der Ausspülungsflüssigkeit anbolangt. 
so scheint es sehr rathsam zu sein, wenn dieselbe mindestens einprocentig 
nicht unter zwei Litern beträgt, so dass der dicke Schleim des Genitalkanals 
möglichst vollkommen weggeschwemmt wird und die in den verschiedenen 
Falten und Buchten der Schleimhaut lauernden Keime und Sporen abge- 
tödtet werden. 


— Ueber Saccharin veröffentlicht Dr. Pavy in London, im „Lancet“ 
einen längeren Aufsatz, in welchem er eine angebliche Aeusserung über die 
Schädlichkeit des Saccharins richtig stellt, die ihm Dr. Worms im „Bulletin 
de l’Academie“ zugesehrieben hat, wonach Saccharin Magenbeschwerden mache, 
und er es bei Diabetikern nicht mehr verwende. Dr. Pavy deutet zugleich an. 
dass bei diesen ungünstigen Nachrichten über Saccharin Triebfedern thätig 
gewesen sind, deren einzige Absicht gewesen sei, das Saccharin im Publicum 
zu discreditiren. Das Saccharin sei vielmehr vollkommen unschädlich und 
unzweifelhaft für den Diabetiker als eine grosse Errungenschaft zu betrach¬ 
ten. (Zum Versfändniss der Angelegenheit sei bemerkt, dass in Frankreich 
ein ungeheurer Zoll zu Gunsten der Zuckerproducenten besteht, die durch 
das Saccharin, das zollfrei und an Süsskraft dem Zucker gewaltig (290 Mal) 
überlegen ist, sich in ihrem Erwerbe bedroht glauben. Daher die Bemühun¬ 
gen, das Saccharin zu discreditiren. Aum. des Ref.) 

— Collodiom antisepticiim. Collodium 10,0 

Sublimat 0,01. 

Von diesem Collodium an der Stelle, wo die Nadel in die Haut eingeführt 
werden soll, eine Schicht in Grösse einer Münze aufzutragen und dann 
den Nadelstich zu machen. (Berl. kl. Wchschr.). 

— Rassische Frostsalbe wird nach Hoffinger (Ph. Post 1887, 852, 
gemäss nachfolgender Vorschrift bereitet: 


Medull. oss. . . . 

. 280 

Acid. muriat. conc. 

. 210 

Ungt Althaeae . . 

. 840 

Extr. Opii aquos. . 

. 18 

Camphor. 

70 

Terebinth. venet. . 

. 140 


(Pharmac. Ztg. 1888, No 23.) 

— Ainand Routh empfiehlt im Brit. med. Journal gegen Praritus 
padendi Waschungen mit einer Lösung von einem Theelöffel voll Borax in 
ca. % 1 heissen Wassers, zu welchem 5 Tropfen 01. Menth, pip. hinzugefügt 
sind. Die Lösung muss vorher gut durchgeschüttelt werden. 

— Resorcin bei KrebsufTectlonen im Gesicht wird im British med. 
Journal als vorzügliches, heilsames Mittel empfohlen, entweder’ in gleichen 
Theilen oder in 2 zu 3 mit Vaselin gemischt. Eine .Salbe von 20,0 Resorcin 
und 30.«> Vaselin wird auf die Geschwulst täglich aufgetragen, bis sich ein 
Schorf gebildet hat, nach dessen Abfallen eine Jodoformvaselinesalbe applicirt 
wird, worauf sich Fleischgranulationen bilden und gesunde Narbenhildung 
eintritt. 

— Gegen chronische Acne wird im Lyon medical 5. August 1888 
folgende Mischung empfohlen: 

Resorcin 
Pulv. Amyli 
Zinc. oxyd. ana 4,0 
* Ugt. Petrolei 12,0 

Abends einzureiben und des Morgens mittelst in Olivenöl eingetauchter 
Watte zu entfernen. Das Mittel soll die Haut nicht reizen und dabei sehr 
heilkräftig wirken. 

XY. Heinrich v. Bamberger f. 

Am 9. November starb in Wien Professor Heinrich v. Bam¬ 
berger. Vorbehaltlich einer eingehenden Würdigung dieses hervor¬ 
ragenden Forschers, Lehrers und Arztes, dessen Tod der medicinischen 
Wissenschaft eine tiefe und schmerzliche Lücke gerissen hat, mögen 
nur folgende kurzen biographischen Notizen hier ihren Platz finden. J ) 
H. v. Bamberger, geboren am 27. December 1822 in Prag, 
widmete sich iu seiner Vaterstadt dem Studium der Medicin und 
erlangte daselbst 1847 den Doctorgrad. Einen Theil der Studien¬ 
zeit verbrachte Bamberger an der Wiener Universität, wo damals 
Skoda und Rokitansky lehrten. Bamberger fuugirte hierauf 
als Secundararzt im Allgemeinen Krankenhause zu Prag, war 1849 
und 1850 als Assistent an der Prager medicinischen Kliuik, sodann 
1851—1854 als klinischer Assistent des mittlerweile von Leipzig 

‘) S. Biograph. Lexikon hervorr. Aerzte. 


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956 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46 


nach Wien berufeneu Professors Oppolzer thätig und wurde im 
Frühjahr 1854 als Professor der speoiellen Pathologie und Therapie 
an die Universität Würzburg berufen. Hier entfaltete Bamberger 
eine fruchtbare litterarische Lehrthätigkeit und wurde 1872 nach 
dem Tode seines Lehrers Oppolzer zu dessen Nachfolger als Pro¬ 
fessor der speciellen Pathologie und Therapie und Vorstand einer 
medicinischen Klinik an der Wiener Universität ernannt. 

Seine Hauptwerke sind: „Lehrbuch der Kraukheiten des Herzens“ 
(1857); „Die Krankheiten des chvlopoetischen Systems“ (2. Aufl. 
1864); ..Ueber Bacon von Verulam“ (1865). 


XVI. Kleine Mittheilungen. ! 

— Berlin. Hofrath Dr. Preyer, früher ordentlicher Professor der 
Physiologie in Jena, hat sich mit einer Antrittsvorlesung „Ueber die Be¬ 
deutung der vergleichenden Physiologie“ an der medicinischen Pacultät der i 
Universität Berlin habilitirt. 

— Freiburg i. B. Am 7. November starb Dr. Rudolph Maier, Pro- i 
fessor der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie an der Uni¬ 
versität Freiburg. 

— Marburg. Am Montag den 29. October wurde die neu gegrün¬ 
dete medicinische Poliklinik als Unterrichtsanstalt durch eine Eröff¬ 
nungsrede über die Aufgaben des poliklinischen Unterrichts von 
Prof. Rumpf in Gegenwart der medicinischen Facultät und der Studireuden 
eingeweiht. Nach dem Vortrage von Prof. Rumpf fand eine Besichtigung 
der poliklinischen Räume und der neu angekauften Instrumente und Appa- i 
rate statt. Ein gemeinschaftlicher Frühschoppen beschloss die schöne Feier. 

— Budapest. Auf Anregung des hauptstädtischen Arztes Dr. J. Samek ; 
wurde hier ein Hülfsverein gegründet, der den Zweck verfolgt, praktischen j 
Acrzten, welche zeitweilig durch Erkrankung erwerbsunfähig werden, während j 
dieser Zeit eine Unterstützung von wenigstens drei Gulden täglich zu sichern. | 
Die erste (constituirende) Generalversammlung hat bereits stattgefunden; in 
derselben wurden gewählt: zum Präsidenten Prof. Kolo man Müller, zum 
Schriftführer Dr. J. Schulhof, zum Controleur Dr. A. Szikszay uud zu 
Rechnungsrevisoren die DDr. Ign. Kassai und Karl Meszaros. — In der 
letzten Sitzung des Landes-Sanitätsrathes wurden mittelst geheimer : 
Abstimmung für die Stelle des Präsidenten candidirt: die Professoren Ko- j 
ranyi, Lumnitzer und Than; zum Notar des Sanitätsrathes wurde Dr. I 
Ludwig v. Csätary wieder gewählt, der bereits seit 20 Jahren als solcher 
functionirt. — Die unter dem Protectorate des Erzherzogs Josef bestehende 
allgemeine Poliklinik erfreut sich dauernd einer wachsenden Frequenz: i 
im Monat October 1. J. wurden daselbst 1041 Kranke mit 5657 Ordinationen | 
behandelt. — Behufs Errichtung von Aerztekammern in Ungarn, welche 
Dr. Schwartzer auf der jüngsten Wanderversammlung in Tätrafüred be- ! 
antragte, werden eifrige Bewegungen allerorts in Schrift und That eingeleitet. 

— Paris. Am Mittwoch, den 14. November, fand die feierliche Er¬ 
öffnung des Institut Pasteur statt. 

— Der ärztliche Verein zu Hamburg hat soeben den Jahrgang | 
1887 seiner Verhandlungen, die einen Separatabdruck aus dieser Wochen- j 
Schrift bilden, herausgegeben. Der Band ist in diesem Jahre ein besonders i 
stattlicher geworden. Aus dem reichen Inhalte möchten wir besonders den ! 
Vortrag Curschmann’s: „Statistisches und Klinisches über den Unterleibs- : 
typhus in Hamburg“ hervorheben, an den sich eine ausserordentlich ein- ; 
gehende Discussion, die durch eine ganze Reihe von Sitzungen ging, an¬ 
schloss. Daran reihen sich Vorträge von Schede: „Operation des Mast- \ 
darmkrebses“; Lauenstein: „Chirurgie der Nieren“ und „Operative Heilung ' 
des Milzabscesses“; Kü in me 11: „Trepanation bei Tuberculose des Schädel- 1 
knochens“; E. Fraeukel: „Syphilis der Trachea“; F. Wolff: „Ueber Cere- i 
brospinalmeningitis“, und eine ganze Zahl weiterer interessanter Mittheilun- ! 
gen und Demonstrationen, die theils als Originalartikel, theils im Rahmen 
der Vereinspiotokolle in dieser Wochenschrift erschienen sind. Die wissen¬ 
schaftlichen Verhandlungen des Hamburger Vereins haben ja schon seit Jahren 
manchen dauernden Beitrag für den Ausbau der medicinischen Wissenschaft 
geliefert. 

— Zum internationalen dermatologischen Congress, welcher 
1889 in Paris stattfinden wird, veiöffentlicht das dortige Organisationscomite 
folgende Themata der Verhandlungen: 1) Ueber die Feststellung der Gruppe 
Lichen; 2) Ueber Pityriasis rubra — über die allgemeinen exfoliativen, 
primären Hautentzündungen; 3) Ueber Pemphigus — über die complexen ! 
und multiformen Blasenexantheme; 4) Das Trichophyton und die tricho- i 
phytischen Hautkrankheiten; 5) Allgemeine Auffassung und Dauer der Sy- ! 
philisbebandlung: 6) Relative Häufigkeit und Entstehungsbedingung tertiärer ! 
Syphilis Bekanntlich ist Mitglied des Organisationscomites für Deutschland ' 
Herr Dr. 0. Lassar. 

— Seitens des Comites des Intercolonial Medical Congress in ; 
Melbourne ergeht an uns die Aufforderung, die Aerzte Deutschlands zum 
Besuche des Congresses einzuladen. Der Norddeutsche Lloyd hat für die i 
Besucher des Congresses eine Preisermässigung von 20%, die Messagerie ! 
Maritime von :t()% des gewöhnlichen Passagepreises zugesagt. Beide Com- I 
pagnieen stellen die Bedingung, dass Reflectanten auf diese Vergünstigung 
sich darüber ausweisen, dass sie „qualified medical practitionera en ronte to j 
the Congress“ sind. Solche Besucher würden bei ihrer Ankunft in Melbourne ' 
Freipässe über alle Eisenbahnen der Colonie erhalten, wie sie im Allge¬ 
meinen auf eine herzliche Aufnahme rechnen dürfen. — Der Cougress fällt 
zusammen mit der Ausstellung, deren deutsche Abtheilung eine besonders 
interessante ist. 

— Die Zahl derG eist es kr anken indenlrrenanstaltenPreussens 
betrug nach der „Stat. Corr.“ im Jahre 1886 37 892, während zehu Jahre 
vorher nur 20 748 gezählt wurden. Unter Abzug derjenigen, welche im 


Jahre 1886 in mehreren Irrenanstalten nach einander untergebracht waren, 
ergiebt sich eine Zahl von 35 524 Personen gegen 20 115 im Jahre 1876. 
Darunter befanden sich 19 245 (1876 10 754) männliche und 16 276 (9361 
weibliche. Unter 100 Geisteskranken wurden also 60 (1876 56) Männer 
und 40 (44) Frauen gezählt. Was die Krankheitsformen betrifft, so litten 
47,0 (1876 54,3)% der Männer und 78,3 (81,2)% der Frauen an einfach« 
Geistesstörung, ferner 17,0 (16,4)% bezw. 5,2 (3,7)% an paralytischer 
Geistesstörung, 7,9 (8,9) bezw. 7,2. (7,4)% an Inibeciilit&t, Idiotie oder 
Cretiuismus und 20,6 (13,7)% der Männer sowie 1,5 (1,2)% der Frauen 
an Säuferwahnsinn. 1,5 (0,8) bezw. 1,3 (0,3)% waren nicht geistes¬ 
krank, und nur zur Beobachtung etc. in den Anstalten. Die Zunahme d* 
Säuferwahnsinns ist nach Obigem ungemein stark. 

— Preisausschreiben. Die Redaction des „Morgagni“ hat zu Ehren 
Tommasis’ einen Preis von 500 Lire ausgeschrieben für die beste Arbeit 
über das Thema: „Es ist in kurz gefasster, aber zusamraenfassender Wen¬ 
der gegenwärtige Stand des Wissens über die Localisationen im Rücken¬ 
mark darzustellen, womöglich mit neuen Thatsacben zum Studium dieser 
Frage beizutragen.“ Die Arbeit ist im Manuscript einzureichen, und zwar 
der Redactiou des „Morgagni“ in Mailand, bis zum 31. December 1889. - 
Die prämiirte Schrift erscheint im „Morgagni“, die nicht prämiirten Mann- 
scripte verbleiben ein Jahr lang in der Redaction zur Verfügung der Autoren. 

— ln der Sitzung des Vereins der Aerzte im Regierungsbezirk Düssel¬ 
dorf hielt Dr. Levis eineu Vortrag über Perforativperitonitis und 
stellte als Resultat seiner Erfahrungen folgende Thesen auf: 1) Bei 
jeder Perforativperitonitis soll laparotomirt werden. 2) Auch hei jeder 
anderen Peritonitis mit massenhaftem oder gar eitrigem Exsudat soll laparo¬ 
tomirt werden. 3) Die Laparotomie ist zu verwerfen bei den Bauchfell¬ 
entzündungen, die sich eiuer Entbindung anschliessen und meist zu keinem 
wesentlichen Exsudat führen. 

— Bei der Bedeutung, welche von ärztlicher Seite der Nothwendigkeit 
gleichmässiger Lieferungen und absoluter Reinheit des neuen Schlaf¬ 
mittels Sulfonal beigelegt werden muss, haben die Farbenfabriken ton 
Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld, die Chemische Fabrik auf Actien ivorm. 
E. Schering), Berlin, die Firma J. D. Riedel, Berlin und die Chemische 
Fabrik vorm. Hofman & Schoetensack in Ludwigsbafen ein Ueberein- 
kommen getroffen, ihre Fabricate einer wissenschaftlichen Doppelcontrole n 
unterwerfen und von jetzt ab jede ihrer Ablieferungen unter einer solch« 
strengen Prüfung und nach gleichen festgesetzten Typen stattfinden za 
lassen. 

— Universitäten. Freiburg. Dr. Killian hat sich als Print 
docent für Rbino-Larvngologie habilitirt. — Moskau. Der frühere Professor 
der Medicin an der Universität Moskau, Dr. A. Poluuin, ist gestorben - 
Cincinnati. Dr. E. Williams, Professor der Ohrenheilkunde am Miami 
medical College ist gestorben. — Newcastle. Dr. Craster, früher Pro¬ 
fessor der Materia medica. ist gestorben. 


XVII. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König lab« 
Allergnädigst geniht, den praktischen Aerzten Dr. Esberg und Dr. Fischor 
zu Hannover, sowie Dr. Mühsam und Dr. Paprosch zu Berlin den Cha¬ 
rakter als Sanitätsrath zu verleiheu. — Ernennung: Der Kreis-Physikus 
Dr. Herwig zu Lehe ist aus dem Kreise Geestemünde in den Kreis Lebe 
versetzt worden. — Niederlassungen: Die Aerzte: DDr-Löwenthal. 
Dunkelberg, Gebert, Lorenz, Ritter, Hopmann, Levy, Lewin. 
Wagner, J. B. Bendix und P. Bendix, Johansen, Szablewski. 
Flatow, Schütz, Rahmer, Samter, Mertsching, Fraustädter,Schon 
und die Zahnärzte Bechert und Liebmann sämmtlich in Berlin. — 
Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Falkenthal uud P. A. Friedländer 
von Charlotteuburg, Dr. Alf. Friedländer von Breslau, Dr. Reichenheia 
von Heidelberg, Dr. Strassmann von Tegel, Janicki von Inowrazla». Pf 
Schaefer von Braunschweig, Dr. Fischer von Wüstewaltersdorf l ,r - 
Steding von Dannenberg, sämmtlich nach Berlin; von Berlin Ob.*Stabsatf 
Dr. Lemke nach Ratzeburg, Krause nach Brandenburg a. H., Krüger 
nach Opalenitza, Levy nach Kienitz, Dr. Hanau von Frankenau nach Neo 
dämm, Zimmermann von Lieberose nach Goeritz a. 0., Dr. Konitzko w« 
Trotha nach Querfurt, Dr. Meyer von Schnackenberg nach Dannenberg - 
Verstorben ist: Der Arzt: Dr. Lappe in Stade.— Vakante Stellen: 
Die Physikate der Kreise Soltau, Neutomischel und Schildberg. 

2. Bayern. (Münch, med. Wochenschr.) Verzogen: Dr. A. S tieie 
von Maroldsweisbach nach Schweinfurt. 


3. Württemberg. (Med. Corr.-Bl. d. württemb. ärztl. Landesm. 
Auszeichnungen: Ob.-Stabsarzt I. CI. Dr. Hell durch Dienstebrenzeiche L 
I. CI. für 25jäbr. Dienstzeit, Ob.-St.-A. I. CI. Dr. Burk durch Ritterkr. n 
Ordens d. württb. Krone, Dr. Gärtner in Tübingen und Stadtdir. WuDdaui 
Dr. Steudel in Stuttgart durch Titel einos San.-Rathes. — Ernennungen 
Ob.-A.-Wundarzt Dr. Romberg in Nürtingen zum Ob.-Ass.-Arzt daseih.“ 1 - 
Dr. 0. Schleicher in Stuttgart zum Ass.-Arzt u. II. Lehrer a. d. 
Hebammenschule in Stuttgart, Dr. Stiegele in Stuttgart zum consuhirenne“ 
Leibarzt Ihrer Majestät der Königin. — Niederlassungen: Dr. Elhlan J 
in Mundelsheim, Dr. E. Hartmann in Laichingen. — Verzogen: l ,r -' 
F. B. Heiraerdiuger vou Gaildorf nach Spiegelberg, Dr. H. Teufe] y 5 
Weikersheim nach Brettheim, Dr. J. Egenter von Brettbeim nach K' nl ? r 
eggwald, Dr. K. Mech von Mundelsheim nach Eningen. — Gestorben. 
Ob.-Ass.-Arzt a. D. Dr. Emraert in Münsingen. Dr. v. Burckbardt n> 
Wildbad, Ob.-Ass.-Arzt Dr. Buck in Ehingen, Distr.-Arzt Eberhard « 
Lonsee, Dr. G. R. R. Kehrer in Stuttgart, Ob.-A.-Wundarzt Dr. Lampartff 
in Reutlingen. 


Gedruckt bet Julia* SltUafeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 4:7 


22. November 1888, 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksielitiguug des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Rod&ctenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guümann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber Alkoholmissbrauch. * 1 ) 

Von Fr. Mosler. 

In einem Vortrage, den ich vor Jahresfrist im Aerzteverein zu 
Stralsund über Behandlung der genuinen fibrinösen Lun¬ 
genentzündung gehalten, habe ich die Aufmerksamkeit darauf 
gelenkt, dass Prognose und Behandlung dieser Krankheit besondere 
Berücksichtigung erfordern, weil Alter und Lebensgewohnheiten 
von grossem Einfluss sind. Menschen, die überarbeitet, an viele 
Lebensreize gewöhnt sind, Potatoren vor Allem, sind am meisten 
gefährdet. 

Was trägt bei den unaufhörlichen Erregungen uud Reibungen 
des heutigen Lebens nicht Alles dazu bei, das Nervensystem, speciell 
die Herzthätigkeit, zu beeinflussen, damit den Widerstand bei acuten 
Krankheiten zu verringern? 

Viel grösser wird der Schaden dadurch, dass Viele in den An¬ 
strengungen der täglichen Arbeit ihre Stärkung im Alkohol suchen. 

Wo sollen wir bei der heutigen Lebensweise mit dem Begriff 
des abusus spirituosorum beginnen? Wo hört der erlaubte Gebrauch 
auf, wo fängt der Missbrauch an? 

Absolute Enthaltsamkeit als Norm ist undurchführbar, aber 
auch unberechtigt. Fröhliche Geselligkeit bei Wein und Bier ist 
im Wesen unseres Volkes begründet. Die Grenze ist individuell, 
aber sie muss von jedem Gebildeten erkannt und innegehalten werden. 

Unser deutscher Verein gegen den Missbrauch von 
Alkohol ist darum kein Temperenzverein, sondern will nur den 
Missbrauch bekämpfen. Lebendiges Vorbild, gutes Beispiel sind 
die mächtigsten Bildungsmittei. Alle Gebildeten sind mitschuldig 
an dem Krebsschaden unserer Nation, wenn sie nicht selbst den 
Missbrauch meiden. 

Es würde zu weit führen, alle die Ursachen anfzuzählen, welche 
dazu beitragen, dass während des letzten Menschenalters in allen 
Culturländern der Alkoholgenuss in steter Zunahme begriffen ist. 

Die Grösse des Uebels und seine Folgen sind den meisten 
Menschen noch wenig zum Bewusstsein gekommen. Selbst in den 
gebildeten Kreisen der Bevölkerung herrscht auffallende Unkenntniss 
über die Grösse der Gefahr, welche die Völker durch die Trunk¬ 
sucht bedroht. 

Zu viel ist der Branntwein bisher als Object der Besteuerung 
betrachtet worden, aber nicht als das, als was ihn die Aerzte zu 
betrachten haben, als Gift. Gehört zu den Giften, ebenso wie das 
Morphium, nicht auch der Alkohol, wenn er missbräuchlich 
genossen wird? Derselbe ist ein Gift, das eine der schwersten 
Volkskrankheiten unserer Zeit herbeiführt, nämlich den chronischen 
Alkoholismns. 

Zu seiner Bekämpfung ist dasselbe Verfahren angezeigt, wie 
bei anderen Volkskrankheiten. Ein Seuchengesetz wird allgemein 
für nothwendig erachtet. Auch die Maassregeln gegen den Alkohol¬ 
missbrauch müssen möglichst bald Gesetzesform erhalten. Von 
ärztlicher Seite ist darauf zu dringen. 

Welcher Arzt sollte nicht traurige Erfahrungen über die Aus¬ 
breitung des Alkoholmissbrauches gemacht haben? In Fällen, in 
denen man keine Ahnung davon hat, muss dieser Gefahr Rechnung 
getragen werden. Sind wir nicht Alle bestürzt von der grossen 
Zahl plötzlicher Todesfälle in Folge von Herzschlag, Hirnschlagfluss, 
Lungenlähmung? 

l ) Vortrag, gehalten in der grossen Aula der Universität beim Stif¬ 
tungsfeste des Ureifswalder medicinischen Vereins am 16. November 1888. 


! Nicht nur bei der vorher erwähnten Lungenentzündung, fast 
bei der Mehrzahl aller acuten Krankheiten bedingt die so häufige 
Complication mit Alkoholisraus ein vollständig verändertes Krankheits¬ 
bild mit schlimmen Erscheinungen. Die Gefahr des Collapses, der 
i darauf folgenden Herzlähmung müssen wir stets im Auge haben, 
um nicht durch plötzlichen Eintritt des Todes überrascht zu werden. 
Auch die Nieren werden, da sie durch Alkoholmissbrauch erheblich 
geschwächt werden, mehr in Mitleidenschaft gezogen, wenn andere 
Krankheitsgifte, wie die der Lungenentzündung, des Typhus, des 
Scharlachs, in den Körper dringen. Der Verlust der Bürstenbesätze 
der Nierenepithelien scheint daran Schuld zu sein. 

Längst ist bekannt, dass durch Alkoholmissbrauch ein ganzes 
Heer von Krankheiten entsteht, dass kein Organ unseres Körpers 
vor seiner zerstörenden Wirkung bewahrt bleibt. 

Englische Aerzte geben sogar an, dass die Hälfte aller Er¬ 
krankungen durch den Alkohol verursacht werde, 
j Am meisten in die Augen fallend ist die Mannichfaltigkeit der 
dadurch herbeigeführten Nervenkrankheiten, vom Tremor alcoholicus 
; an, sowie von der alkoholischen Paraplegie und Ataxie bis zum aus¬ 
gesprochenen Wahnsinn. 

i In der Mehrzahl der civilisirten Staaten haben 20—40 % der 
Wahnsinnigen ihr furchtbares Schicksal dem Alkohol zu danken. 
Wird das Uebel nicht dadurch erheblich gesteigert, dass viele dieser 
Krankheiten in hohem Grade erblich sind? Beispielsweise wurde 
constatirt, dass unter 300 blödsinnigen Kindern, deren Eltern in 
Bezug auf ihren Gesundheitszustand und ihre Lebensweise genau 
i untersucht wurden, 145 sich befanden, deren Eltern Gewohnheits¬ 
trinker waren. 

Ueber derartige Vererbung sind der Pariser Akademie Versuche 
i von Mairet und Combemale mitgetheilt worden. Mit einer ge¬ 
sunden Hündin zeugte ein chronisch mit Alkohol vergifteter Hund 

I 12 Junge, von denen 2 todtgeboren wurden, die übrigen innerhalb 
65 Tage sämmtlich zu Grunde gingen. Unzweifelhafte Zeichen 
alkoholischer Entartung fanden sich bei Allen in Form von Ver- 
; dickungen der Schädelknochen, Auflagerungen der Dura mater, 
Leberverfettung. 

Während der 3 letzten Wochen ihrer Schwangerschaft wurde 
eine kräftige Hündin acut mit Alkohol vergiftet. Sie gebar 3 todte 
und 3 lebende Junge; von den letzteren waren 2 körperlich gut 
entwickelt, jedoch wenig intelligent, während das dritte, eine 
Hündin, deutliche körperliche und intellectuelle Defecte zeigte. 

Um den Einfluss des Alkohols auch auf die dritte Generation 
zu prüfen, wurde die letztbeschriebene Hündin wiederum mit einem 
gesunden Hunde zusammengebracht. Sie gebar 3 lebendige Junge, 
von denen eins sehr zahlreiche Hemmungsbildungen darbot, das 
zweite an Offenbleiben des Ductus Botalli zu Grunde ging, das 
| dritte von Atrophie der Hinterstränge befallen wurde. 

Die Alkoholfrage ist von grosser hygienischer Bedeutung. Sie 
bildet einen Theil und zwar einen wichtigen Theil der socialen 
Frage. Gemeinsam mit den Aerzten haben daran Interesse Social¬ 
politiker, Criminalisten und Gesetzgeber. 

In England sind unter allen verarmten, auf öffentliche Unter¬ 
stützung angewiesenen Familien 75 % durch die Trunksucht des 
j Familienhauptes in dieses Elend gerathen, in Genf und Paris 80%, 
in Deutschland sogar 90%. 

Das ganze Elend tritt noch deutlicher vor Augen, wenn wir 
statt der procentischen absolute Zahlen reden lassen. „In den Ver¬ 
einigten Staaten von Nordamerika allein hat“ — so berichtet der 
Minister Everett — „in den Jahren von 1860—1870 der Cnnsnm 


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958 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


von Spirituosen eine direkte Ausgabe von 3 Milliarden und eine 
indirekte von 600 Millionen Dollar der Nation auferlegt, 300 000 
Menschepieben vernichtet, 100 000 Kinder in die Armenhäuser ge¬ 
schickt und wenigstens 150 000 Leute in Gefängnisse und Arbeits¬ 
häuser, wenigstens 2000 Selbstmorde, den Verlust von wenigstens 
10 Millionen Dollar durch Feuer oder Gewalt verursacht und 20 000 
Wittwen und eine Million Waisen gemacht.“ 

Für die meisten Staaten Europa’s würde eine derartige Zu¬ 
sammenstellung noch weit ungünstigere Zahlen ergeben. Und ver¬ 
gessen wir nicht: es ist nur der allerkleinste Theil des Elends, 
welcher Aufnahme findet in die Zahlenreihen der Statistik. Vom 
ersten Glase bis zum Wahnsinn, zum Verbrechen, bis zur Verzweif¬ 
lung und zum Selbstmorde giebt es tausend Stufen des Elends. 
Nur wer zur untersten herabsank, wird vou der Statistik beachtet. 
Vergessen wir auch nicht, dass jeder dieser Elenden zugleich das 
Lebensglück Anderer vernichtet. Wie viel zerstörtes Familienglück, 
wie viel Kummer, wie viel Thränen unschuldig Mitleidender, wie 
viel tiefer, nagender Seelenschmerz, von denen niemals eine Kunde 
in das statistische Bureau dringt (Bunge). 

Der Ernst der Frage geht daraus hervor, dass von einer grossen 
Zahl hygienischer Congresse der Alkoholmissbrauch auf die Ta¬ 
gesordnung gesetzt worden ist. Mit seltener Einmüthigkeit hat der 
sechste, im October 1887 in Wien abgehaltene internationale Con- 
gress den Satz aufgestellt, dass die Fuselseuche so rasch als thun- 
lich, so energisch als möglich bekämpft werden müsse, solle nicht 
die ganze menschliche Gesellschaft durch dieselbe bedroht werden. 

Lassen wir diese ernste Mahnung als allgemeinen Weckruf gelten. 

Der alte Grundsatz, dass, um ein Uebel zu bekämpfen, man 
mit den Ursachen desselben genau bekaunt sein muss, hat die in 
Wien versammelten Sachverständigen aller Länder veranlasst, die 
wesentlichen Ursachen der Zunahme der Trunksucht und deren 
schlimme Folgen zu erforschen. Einstimmig erkannte man als 
solche den niedrigen Preis des Branntweins, die übergrosse Zahl der 
Schnapsverkaufstellen, die grosse Unreinheit des Trinkschnapses 
und endlich, wenigstens in vielen Ländern und Landestheilen, die 
sehr dürftige materielle und geistige Lage der niederen Volks¬ 
schichten. 

Da die in Wien angenommenen Resolutionen die Meiuuugs- 
äusserung einer grossen Zahl der tüchtigsten Sachverständigen aus 
allen Theilen Europa’s darstellen, so hat die Frage über die Mittel 
zur Bekämpfung der Branntweinpest daselbst einen gewissen Ab¬ 
schluss erlangt, ist dadurch ein feststehendes Programm gegeben, 
dem nicht nur die österreichische Regierung in ihrem Gesetz¬ 
entwurf, sondern auch die deutsche Reichsregierung bei ihrem 
Vorgehen volle Berücksichtigung schenkt. Wer der allgemeinen Be¬ 
wegung sich anschliessen will, muss mit den dort angenommenen 
Thesen bekannt sein. Sie lauten: 

1. Die Schäden des missbräuchlichen Alkoholgenusses sind in 
allen Culturstaaten mehr oder weniger vorhanden, und die Folgen 
desselben sind vornehmlich in Krauken- und Irrenanstalten, Gefan¬ 
genen-, Arbeite- und Armenversorgungshäusern zu finden. Es ist 
daher eine wichtige Aufgabe der Hygiene, sich an dem Kampfe 
gegen diese Schädigung des körperlichen, geistigen und sittlichen 
Lebens und der Gefährdung der Wohlfahrt des Familien- und Ge¬ 
meinwesens, sowie gegen ihre Ursachen zu betheiligen. 

2. Die Ursachen dieses gemeinschädlichen Uebels sind überall 
im Wege entsprechend zusammengestellter Enqueten zu ermitteln 
und ihnen von Seiten des Staates und der Gesellschaft gemeinsam 
entgegenzutreten. 

3. Die private Thätigkeit kann diesen Zweck fördern durch 
Belehrung und Aufklärung über Werth und Schädlichkeit des 
Alkohols (Mässigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine) und Beschaffung 
billiger und wohlthätiger Ersatzmittel für spirituöse Getränke 
(Volkskaffee- und Theehäuser unter Ausschluss destillirter spirituöser 
Getränke), durch Begünstigung aller Einrichtungen zur Aufbesserung 
der Lage der ärmeren Bevölkerungsschichten (Beschaffung gesunder 
und billiger Nahrungsmittel und Arbeiterwohnungen, Volksküchen 
und Sparkassen etc.), durch Errichtung von Anstalten zum Versuche 
der Heilung Trunksüchtiger (Trinkerasyle). 

4. Der Staat kann wesentlich wirken: durch Vertheuerung des 
zum Consum gelangenden Branntweins (hohe Besteuerung) und 
mässige Besteuerung der minder alkoholhaltigen Getränke, durch 
Verminderung der Branntweinverkaufsstellen (strenger Bedürfniss- 
nachweis), Festsetzung der Polizeistunde, durch wirksame Beauf¬ 
sichtigung der Schankstellen und Sorge für Reinheit des zum Ge¬ 
nüsse bestimmten Branntweins (Eutfuselung), durch Bestrafung der 
Schankwirthe, welche die Trunksucht irgendwie begünstigen, durch 
Bestrafung der öffentlichen Trunkenheit, durch zwangsweise Unter¬ 
bringung der Gewohnheitstrinker in eigens eingerichteten staatlichen 
Anstalten. 

5. Es ist anzustreben, dass die in öffeutlicheu Krankenhäusern 
und Irrenanstalten behandelten und zur Entlassung kommenden 


No. 47 


Alkoholisten noch eine Zeit lang in einer besonderen, zu diesem 
Zweck errichteten Abtheilung verbleiben können, damit sie, körperlich 
und geistig gekräftigt, gegen den Alkoholreiz widerstandsfähiger 
werden. 

6. Ein ausgiebiger Erfolg der Bekämpfung des Alkoholismus 
ist nur zu erwarten, wenn die nothwendigen Maassregeln gleich¬ 
zeitig, andauernd und genau ineinandergreifend zur Anwendung 
kommen. 

Ebenso wie Geheimrath Spiuola in seinem so anregend-.-!) 
Vortrage am 31. October 1887 in der deutschen Gesellschaft für 
öffentliche Gesundheitspflege in Berliu verfahren ist, muss auch ich 
es mir versagen, allseitig diese Maassregeln zu besprechen. Nur 
einige Punkte möchte ich hervorheben, die von besonderem Interesse 
für den Arzt siud. 

Darf ich zunächst einiges über bestehende Vereine und derer 
verschiedenen Charakter erwähnen? 

Am 21. September 1877 wurde vom Pfarrer Rochat in Gern 
ein Schweizerischer Mässigkeitsverein auf Grundlage gänzlicher Ent¬ 
haltsamkeit von allen berauschenden Getränken gegründet. Später 
erhielt er den Namen „Schweizerischer Verein des blauen 
Kreuzes“ auf Grund einer gewissen Analogie mit der Gesellschaft 
des rothen Kreuzes für die Pflege der Verwundeten. Letztere 
konnte man um so eher als ältere Schwester betrachten, als beid-- 
Vereine die Stadt Genf zur Wiege hatten. 

Allmählich dehnte sich dieser Verein über die Grenzen der 
Schweiz aus. Daher trägt er nunmehr den allgemeinen Namen 
„Mässigkeitsverein des blauen Kreuzes“ und zerfällt in einen 
schweizerischen, deutschen, französischen Zweig u. 8. w. 

Der Güte des Herrn Bovet in Bern verdanke ich genauen 
Mittheilungen über die Wirksamkeit dieses Vereins. 

Am 29. März 1883 bat eine Anzahl deutscher Männer aller 
politischen und confessionellen Richtungen, sowie verschiedener 
Stände und Berufsstellungen den deutschen Verein gegen Miss¬ 
brauch geistiger Getränke in’s Leben gerufen. Derselbe hat seinen 
Sitz in Bremen. Die Satzungen des Vereins, sowie die Bericht 
über die in Hamburg, Berlin, Dresden, Darmstadt abgt- 
gehaltenen Jahresversammlungen lasse ich hier vertheilen. 

Herr 0. Lamraers aus Bremen, der unermüdliche und hoch¬ 
verdiente Geschäftsführer des Vereins, konnte in der am 13. Sept 
dieses Jahres zu Gotha abgehaltenen Versammlung mittheilen, das? 
die Aussichten auf Erfolg der Bestrebungen des Vereins in Zunahme 
begriffen seien, dass eine Mitgliederzahl über 10 000 existire. aber 
man dürfe in der Agitation nicht nachlassen, damit wir hinter 
Resultaten anderer Nationen nicht Zurückbleiben. 

Beispielsweise sei mir vou Norwegen und Schweden zu erwähnen 
gestattet, wie günstig Gesetzgebung und Vereinsthätigkeit Zusammen¬ 
wirken können. In Schweden rechnete man vor 50 Jahren, da.*' 
auf den Kopf der Bevölkerung, Frauen und Kinder mitgerechneu 
jährlich 54 Liter Branntwein kamen; jetzt sind es nur 8 Liter. I: 
Norwegen rechnete man auf den Kopf der Bevölkerung 16 Liter v-r 
50 Jahren; dies Quantum ist jetzt herabgedrückt auf 3 l /-2 Li*» - ' 
Unter allen europäischen, wohl auch aussereuropäischen Länder, 
ragt Norwegen in dieser Beziehung am vortheilhaflesten hervor. 

Wie Dr. Baer, mit Recht der Classiker der Alkoholfrage er¬ 
nannt, besonders betont, ist dies der beste Beweis, dass ein kalt-- 
nördliches Klima einen reichlichen Genuss alkoholischer Getränk 
nicht bediugt. 

In Stockholm, wie überhaupt in Schweden, wird auf den Ver¬ 
kauf ganz fuselfreien, reinen Alkohols das grösste Gewicht geirrt 
Man behauptet, speciell für die Stadt Stockholm, dass dort die Fäi ■ 
von Delirium tremens sich um 50 % vermindert haben, seitdem *■< 
zehnfach gereinigter Branntwein in den Verkehr gebracht wird. 

Sollten wir Gleiches nicht auch bei uns durch Gesetzgebun. 
und Vereinsthätigkeit zu erlangen vermögen? 

Glücklicherweise beginnt auch in Deutschland die Staat licl - 
Gesetzgebung in der von dem Wiener Congress angegebenen Ri-t 
tung erfreulich vorzuschreiten in angemessener Besteuerung d - 
Trinkbranntweins, in zweckmässiger Regelung des Scbankconcessi' ! - 
wesens, scharfer Controle der Wirthe und besonderer Sorge f 
Reinigung des Trinkschnapses. 

Einen für den Arzt besonders wichtigen Punkt will ich hera.- 
greifen. Das Reichsgesundheitsamt, um dessen wirksames Schaff 
wir vielfach von Ausländern beneidet werden, hat uns Aufklän.:. 
gegeben über die Beschaffenheit des von den breitesten Schieb* 
der deutschen Bevölkerung genossenen Branntweins in Bezug ±. 
seinen Gehalt an Fuselöl, dem mit Recht eine so gesundheitasebä. 
liehe Einwirkung auf den menschlichen Organismus zugesebrn l ~: 
wird. Alle, welche im übermässigen Genuss des verunreinic* : 
Branntweins eine Gefahr für das Volkswohl erblicken, werden »i* r 
Reichsgesundheitsamt, speciell dem damit beauftragten Geheimn» 
Seil, für die verdienstvolle Arbeit, die ich Ihnen hier vorl- - 
dankbar sein. 


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22. November. DEUTSCHE MEDICIMSCHE WOCHENSCÄRIET. £50 


Iu der 1. Tabelle, die Sie aufschlagen wollen, werden die aus 
Schankstätten der verschiedensten Theile unseres Vaterlandes durch 
Privatpersonen und Behörden erlangten 265 Schnapsproben nach 
ihrem Alkoholgehalte geordnet. Derselbe wechselt in hohem Grade. 
Ziemlich die Mitte nehmen die aus Nordhausen bezogenen Proben 
eiu; die aus Süddeutschland bezogenen siud im Alkoholgehalt meist 
etwas geringer als die Nordhäuser. 

Die 2. Tabelle ordnet die Proben nach ihrem Gehalt an 
Fuselöl iu 100 Theilen der Flüssigkeit. Ganz fuselfrei waren 
überhaupt nur 33 Proben, darunter in erster Linie 4 Proben aus 
Nord hausen. Von den aus Süddeutschland bezogenen waren 
fuselfrei 4 aus dem Grossherzogthum Hessen, nämlich aus 
Darmstadt, Mainz, Eberstadt, Bretzenheim, je eine aus München, 
Geisenheim, Esslingen. Verhältnissmässig am meisten Fuselöl zeigten 
die Proben aus Eisass - Lothringen, Westpbalen, der Rheinprovinz, 
Hannover, Posen, Ost- und Westpreussen, Baden und Braunschweig. 

Die Proben sind vor dem Inkrafttreten des neuen Branntwein¬ 
gesetzes genommen. Sehr wichtig wird es sein, nach einiger Zeit 
durch Wiederholung festzustellen, welchen Einfluss die neue Steuer¬ 
gesetzgebung gehabt hat. 

Gestatten Sie mir noch wenige Worte hinsichtlich der Be¬ 
schränkung der Schankstellen. In Frankreich hat der Trunk enorm 
zugeuommen seit Aufhebung des unter dem III. Kaiserreiche 1851 
eingeführten Schankgesetzes, das den Präfekten das Recht einräumte, 
die Schankstätteu zu unterdrücken, die Concession zurückzunehmen. 

In England, wo sicherlich das Princip der persönlichen-und 
der Handelsfreiheit tief in der Bevölkerung eingewurzelt ist, findet 
im Parlament ein steter Kampf statt gegen die Ueberhandnahme der 
Schankstätten. Das sog. Local-Optiongesetz will, dass jede Gemeinde 
alljährlich bestimmen soll, ob überhaupt Schaukstätten in der Ge¬ 
meinde und wie viel von ihnen vorhanden sein sollen. Die Steuer¬ 
zahler, die ja für die Schäden des Alkoholisraus aufzukommen 
haben, die dadurch verarmten Familien ernähren müssen, kommen 
zusammen uud sollen im Stande sein, den Schaden zu beseitigen, 
die Schaukstätten ganz zu unterdrücken, wenigstens ihre Zahl zu 
fixiren. An der Spitze dieser Partei stehen die liberalsten Männer, 
deren Führer der bekannte Parlamentarier Sir Wilfrid Lawson ist. 

Sie sehen hieraus, wie grosses Gewicht man dort auf die Zahl 
der Schankstellen legt. Weil indess der Nachtheil sich nicht genau 
mathematisch beweisen lässt, wird diese Frage noch nicht genugsam 
berücksichtigt. Strengere Maassregeln dürften im allgemeinen Interesse 
geboten sein. 

Wenn wir in Zukunft mit den Mitteln der Besteuerung, der 
damit in Zusammenhang stehenden Reinigung des Branntweins, mit 
der Einschränkung der Schankstätten etwas erzielt haben, werden 
immer noch viele Personen übrig bleiben, gegen die weitere Schritte 
dringend erforderlich sind. Das Uebel ist zu gross, zu tief in das 
Leben des Volkes und der Familien eingelebt, als dass es mit theil- 
weisen Maassregeln wirksam bekämpft werden könnte. 

Gewobnheitsmässige Trunksucht führt in zahlreichen Fällen 
endlich zu Geisteskrankheit und Verschwendung, veranlasst somit 
schon Entmündigung. In den meisten Fällen genügen aber die 
Voraussetzungen für die gerichtliche Entziehung der Geschäftsfähig¬ 
keit, vor allem der Gewalt über andere Personen nicht. 

Bevor der Trunkenbold dem Wahnsinn verfällt, ist er schon im 
Stande, Frau und Kinder in der traurigsten Weise zu Grunde zu 
richten. Die Angehörigen des Trunkenboldes sind zu schützen, die 
Entziehung der eheherrlichen, bez. väterlichen Gewalt gegen Personen, 
welche dieselbe schmählich missbrauchen, ist eine unabweisbare 
Pflicht des Staates gegen die Opfer dieses Missbrauches. 

Hat diese specielle Frage für uns Aerzte nicht ein so hervor¬ 
ragendes Interesse, dass wir mit aller Energie dafür eintreten müssen? 

Die Möglichkeit der Heilung des von der Trunksucht Er¬ 
griffenen beruht vielfach auf der Zulässigkeit der Beschränkung in 
der persönlichen Verfügungsfreiheit. Die Trinkerheilstätten, über¬ 
haupt Kraukenhäuser können, wie ich aus eigener Erfahrung von 
Alkoholisten, welche als Reconvalescenten von acuten Krankheiten 
iu meiner Klinik waren, vielfach bestätigen kann, nur dann Erfolge 
erzielen, wenn sie im Stande sind, ihre Pfleglinge solange als er¬ 
forderlich auch gegen den Willen derselben zurückzuhalten. 

Auch die Armenpflege muss aus dem Zustande der Wehrlosig¬ 
keit befreit werden, in welcher sie sich den Trunkenbolden gegen¬ 
über befindet. Sie muss jetzt mitansehen, wie dieselben sich und 
ihre Familien zu Grunde richten, dadurch mit Sicherheit die Lasten 
der Armenpflege erschweren. 

Nachdem der in unserer Provinzialhauptstadt Stettin kürzlich 
abgehaltene Juristentag, gestützt auf die Gutachten von 0. Lammers 
in Bremen und Rechtsanwalt Fuld iu Mainz, die Frage, ob zu den 
bisher geltenden Entmündigungsgründen als dritter und neuer die 
gewohnheitsmässige Trunksucht hinzukommen soll, entschieden bejaht 
hat, ist auch von dem Karlsruher Armen pflegertag das Vorher 
uud Nachher des richterlichen Actes als Aufgabe der Gemeinde- 


Armenpflege- oder privater Wohlthätigkeitsvereine in Betracht ge¬ 
zogen worden. Die Armenpflege kann die Heilung armer Trinker 
nur dann mit Erfolg unter ihre Zwecke aufuehmen, wenu sie es 
mit Aussicht auf Erfolg versuchen kann. Dies wird und kann erst 
daun der Fall sein, wenn die Entmündigung der Gewohnheits¬ 
trinker rechtlich zulässig seiu wird. 

Der deutsche Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke 
hat gelegentlich seiner am 13. und 14. September in Darmstadt ab¬ 
gehaltenen Jahresversammlung diese wichtige Frage eingehend schon 
erörtert. Das Referat des Senats-Präsidenten Dr. v. Stroesser 
aus Karlsruhe erlaube ich mir Ihnen vorzulegen. In der darauf 
folgenden Discussion hatMiquel, der gefeierte Parlamentarier und 
verdienstvolle Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, zum ersten 
Male mit aller Bestimmtheit ein Reichsgesetz zur Bekämpfung des 
übermässigen Genusses von geistigen Getränken und dessen Folgen 
verlangt. Nach seiner Meinung müsste dasselbe ein Specialgesetz 
sein, da wir es mit einer ganz speciellen, leider sehr verbreiteten 
Volksleidenschaft zu thun haben, die in dem Gesetze nach allen 
Richtungen aitzubehandeln sei. 

Die Holländer, bekanntlich ein frei regiertes Volk, siud uns 
auf dem Gebiete des Kampfes, selbst mit Zwangsgesetzen, gegen das 
übermässige Trinken weit voraus, wie überhaupt die freiesten 
Völker am entschiedensten vorgegangen sind. Wir brauchen nur 
an Amerika, an Norwegen uud Schweden, an die Schweiz, an 
Holland zu erinnern, während die absolut regierten Staaten, wie 
Russland, so gut wie uichts gethan haben. Wir stehen leider bis 
jetzt noch iu der Mitte. 

Bei der ungeheuren Wichtigkeit, die die Alkoholfrage für die 
Gegenwart und Zukunft eines Volkes hat, darf es als Aufgabe eines 
jeden denkenden Menschen betrachtet werden, an der Behandlung 
derselben theilzunehmen. 

Um wieviel mehr muss es als Aufgabe, ja als Pflicht desjenigen 
Standes erscheinen, der sich das Studium und die Behandlung der 
Volkskrankheiten zur Lebensaufgabe gemacht hat. Der bis in die 
weitesten Schichten des Volkes verbreitete Schnapsgenuss muss als 
eine Krankheit aufgefasst werden. Es ist eine endemische und 
epidemische Krankheit für unser Volk, wie sie eine pande- 
mische Seuche für die ganze Menschheit ist. Die Bekämpfung der¬ 
selben ist eine der würdigsten Anfgaben für die Gesammtheit 
der Aerzte aller Länder. 

Mit Stolz darf ich erwähnen, dass im deutschen Verein gegen 
den Missbrauch geistiger Getränke die Aerzte eine hervorragende 
Rolle spielen. Ich brauche nur Namen zu nennen wie Nasse, 
Graf, Baer, Leyden, Nothnagel, Wasserfuhr, Maerklin, 
Finklenburg, Bockendahl. Leider fehlt noch die Betheiligung 
der Aerzte in grossen Massen. ' Und doch ist gerade auf diesem 
Felde die Aussaat ärztlicher Einsicht so lohnend. In den ärzt¬ 
lichen Vereinen sollte dafür gesorgt werden, dass geeignete uud 
bereite Kräfte die Mitwirkung am Ort übernehmen. Schliessen sich 
dieselben der besonderen Organisation an, die hierfür besteht, einem 
Orts- oder Bezirksvereine als Vorstandsmitglieder, oder in Ermange¬ 
lung dessen dem Gesammtverein als vermittelnde Vertreter für 
Werbung, Schriftenvertheilung und schaffendes Thun, zur Darbie¬ 
tung von Ersatz für Schnaps oder zur Heilung von Säufern, so wird 
gerade der Arzt finden, dass man seinem Worte am gläubigsten 
traut, seiner Führung am willigsten nachgeht. Von seinen hochver¬ 
dienten Standesgenossen, wieGraf, Nasse, Leyden, Baer,Wasser¬ 
fuhr, Finklenburg lasse er sich nicht vergebens auf diese Bahn 
der Ehre rufen. Immer und immer wieder ist in ärztlichen 
Vereinen die Alkoholfrage auf die Tagesordnung zu 
bringen, durch Petitionen darauf zu dringen, dass die in 
Aussicht genommene Gesetzes Vorlage gegen Trunksucht 
auch in Deutschland Gesetzeskraft erlange. 

In nachahmenswerter, hervorragender Weise haben sich die 
Aerzte und ärztlichen Vereine der Schweiz 1 ) an dem jahre¬ 
langen Kampfe mit dem Alkoholismus betheiligt. 


*) Herr Dr. J. Pernisch in Schuls-Tarasp, mit welchem ich während 
meines dortigen Aufenthalts im August 1888 die Alkoholfrage besprochen 
habe, hat die Güte gehabt, über deren Entwickelung in der Schweiz und die 
Mitwirkung der Schweizer Aerzte folgende interessante Mittheilungen mir 
zu machen: 

1. „Die Mitwirkung der Schweizerischen Aerzte beim Zustandekommen 
unseres Alkoholgesetzes. Die „Schweizerische Aerztecommission“ hat sich 
schon seit dem Jahre 18S2 mit Arbeiten über die Alkoholfrage beschäftigt 
und die gesetzliche Bekämpfung des Alkoholmissbrauches angeregt. In die 
„Eidgenössische Commission zur Prüfung der Frage der Bekämpfung des 
Alkoholismus“ wurden auch neun unserer hervorragendsten Aerzte gewählt, 
und als schliesslich aus den Berathungen dieser Commission und denjenigen 
unserer verschiedenen gesetzgebenden Behörden der Entwurf eines derartigen 
Gesetzes, welches das staatliche Alkoholmonopol einführte, hervorging, 
wurde der Entwurf von den Aerzten der Schweiz warm empfohlen, und er- 
liess z. B. die „SocietA medioa del Cantone di Ticino“ noch vor der Ab- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Ich glaube diesen meinen Vortrag nicht würdiger schliessen zu 
können, als mit den denkwürdigen Worten, welche Dr. Sonderegger, 
der Präsident des ärztlichen Centralvereins in der Schweiz, am 
31. October 1885 zu Olten nach erledigter Alkoholfrage an die 
Vereinsmitglieder gerichtet hat. 

„Wir empfinden es als ein grosses Glück, dass die logisch und 
moralisch unklare, rein anarchistische Auffassung, welche die Zügel¬ 
losigkeit des Einzelnen und die Rechtlosigkeit der staatlichen Ge¬ 
sellschaft als republikanische Freiheit proclamirt und die Massen- 
und Rassenverschlechterung als ein unveräusserliches Menschenrecht 
behandelt, bei der Alkoholabstimmung mit unterlegen ist; wir sind 
stolz darauf, dass wir Schweizer, obschon nachgerade die drittgrössten 
Branntweintrinker Europa’s, doch noch die sittliche Kraft haben, 
auf der abschüssigen Bahn freiwillig umzukehren. Vox populi, vox 
Dei. Wir werden Zeit und Arbeit und Geduld brauchen, die Ziele 
zu erreichen, nach welchen Zschokke und Jeremias Gotthelf, 
nach welchen unsere gemeinnützigen Gesellschaften und unsere 
Bundesversammlung so ernst und muthig strebten, und insbesondere 
uns Aerzten wird die Aufgabe zufallen, mit erneuter Kraft und 
zäher Beharrlichkeit, jeder in seiner Gemeinde und in seinem Cantone, 
Alles zu thun, was unsere Volksernährung verbessern und das ge¬ 
sundheitliche Wohl des Landes fördern kann. Die Medicin ist nicht 
nur Wissenschaft und Kunst, sondern ebenso sehr auch Socialismus; 
sie ist für uns ein integrirender Theil der republikanischen Politik: 
Einer für Alle und Alle für Einen. Die Medicin ist genau das, 
was die Aerzte aus ihr machen, und ihre Zukunft hängt von dem 
Wissen und Können, von dem Patriotismus und der Ausdauer der 
Aerzte ab.“ 

Möchten Deutschlands Aerzte ihren so oft bewiesenen Patrio¬ 
tismus, ihre trotz vorübergehender Schmähungen vom Auslande 
stets gerühmte Einsicht und Ausdauer auch iu dieser so wich¬ 
tigen Sache aufs Neue bethätigen. 

Die von mir benutzte Literatur: 

A. Baer, Die Trunksucht und ihre Bekämpfung durch die Vereins- 
thätigkeit. 3. Auflage. Berlin, Th. Chr. Fr. Enslin (Richard Schoetz), 1884. 

— Wilhelm Martius, Der Kampf gegen den Alkoholmissbrauch. Mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch 
geistiger Getränke. Halle, Eugen Strien, 1884. — G. Bunge, Die Alkohol¬ 
frage. Ein Vortrag. II. Auflage. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1887. — 
A. Lammers, Erhöhung der Kraft in Menschen und Völkern. Volkswirtschaft¬ 
liche Zeitfragen. Heft 70. Berlin, Leonhard Simion, 1887. — VI. interna¬ 
tionaler Congress für Hygiene und Demographie zu Wien 1887. Arbeiten 
der Hygienischen Sectionen. Wien, Verlag der Organisationscommission des 
Congresses, 1888. — Verhandlungen der II. internationalen Versammlung 
gegen den Missbrauch geistiger Getränke in Zürich 1887. Zürich, Druck von 
Ulrich u. Comp, im Berichthaus, 1888. — A. Lammers, Branntwein-und 
Kaffeeschenken. Berlin, L. Simion, 1882. — Spinola, Die Alkoholfrage 
auf dem hygienischen Congress zu Wien. Vortrag. Deutsche Gesellschaft 
füröffentl. Gesundheitspflege in Berlin 31. October 1887. Discussion von Baer 
und Wasserfuhr. Deutsche Medicinalzeitung No. 11, 18S8, p. 138. — 
Aerzte als Mässigkeitsbeförderer. Deutsche med. Wochenschrift No. 18, 
1888, p. 365. — Sonderegger, Vox populi, vox Dei. Eröffnungsrede 
bei der XXX. Versammlung des ärztlichen Central Vereins. C'orrespondenz- 
blatt für Schweizer Aerzte, No. 22, 1885. — Nencki, Die Alkobolfrage. 
Vortrag gehalten in der medicinischen Gesellschaft in Bern am 15. Januar 1884. 

— Eugen Seil, Ueber Branntwein, seine Darstellung und Beschaffenheit 
im Hinblick auf seinen Gehalt an Verunreinigungen. Arbeiten aus dem 
Kaiser!. Gesundheitsamte. Bd. IV. 


n. Zur Pathologie der Magenschleimhaut. 

Von Prof. Dr. M. Litten. 1 ) 

Die Pathologie der Magenkrankheiten ist in ein wesentlich 
anderes Stadium getreten, seitdem man die physiologischen Bestand¬ 
teile des Magensaftes einer genauen Untersuchung unterzogen hat. 
Namentlich waren es die Bestimmungen der abgesonderten Salz¬ 
säure, die in den Vordergrund der Untersuchungen traten und zum 
Theil wichtige Resultate ergeben haben. Indess haben die- 


slimmung über das Alkoholgesetz vom 25. October 188) einen besonderen, 
das Alkoholmonopol dringendst auempfehlenden Aufruf. 

2. Das nach der brillanten, ebenerwähnten Volksabstimmung von der 
grossen Majorität des Schweizer Volkes angenommene und dann rechts¬ 
kräftig gewordene, d. li. unsere Bundesverfassung in dieser Beziehung ab¬ 
ändernde Alkoholgesetz führte zur Einsetzung einer eidgenössischen Alkohol¬ 
verwaltung, welche den Staatsbetrieb leitet, für die Production eines mög¬ 
lichst fuselfreien Alkoholes Sorge trägt und durch bedeutende Erhöhung 
des Preises den Consum zu beschränken, resp. den Alkoholmissbrauch zu 
bekämpfen strebt. Der Alkoholmissbrauch trat in der Schweiz früher am 
stärksten und am krassesten im Canton Bern zu Tage, und rücksichtlich 
der Wirksamkeit unseres Schweizerischen Alkoholgesetzes brachten viele 
unserer Tagesblätter im Anfänge dieses Jahres die erfreuliche Nachricht, 
dass der Alkoholgenuss im Canton Bern bereits bedeutend nachgelassen 
habe.“ 

*) Vortrag, gehalten in der Soction für innere Medicin der 61. Ver¬ 
sammlung heutM’her Naturforscher und Aerzte. 


No. 47 


selben doch schliesslich den Anfangs erhofften Erwartungen nicht 
entsprochen. Wohl ist eine Reihe schwerer Erkrankungen der 
Magenschleimhaut anfgefundeu worden, bei denen die Salzsäureab¬ 
sonderung in einer grossen Zahl der Fälle vollständig oder fast 
vollständig fehlt; in anderen Fällen jedoch hat man vorübergehend 
oder längere Zeit hindurch ebenfalls das Fehlen der Salzsäure nach- 
gewiesen, ohne dass Veränderungen der Schleimhaut ernsterer Natur 
Vorlagen. Dies gilt ganz besonders von der grossen Gruppe der¬ 
jenigen Processe, welche man schlechtweg als „Magenkatarrh“ oder 
„Dyspepsie“ bezeichnet. Wenn man eine grosse Anzahl von Magen¬ 
kranken untersucht, wie sie kommen, und besonders poliklinische 
Kranke, so findet man theils vorübergehend, theils längere Zeit hin¬ 
durch bei vielen ein längeres Fehlen der Salzsäure oder eine hoch¬ 
gradig verminderte Absonderung derselben. Gleichzeitig ist bei 
diesen Kranken eine sehr starke Schleimabsonderung vorhanden, 
daneben starker Zungenbelag, Foetor ex ore, psychische Verstimmung 
und Depression, Kopfschmerz mit Benommenheit, verschiedenartige 
Hautausschläge, Erythme mit und ohne Quaddelbildung, Urticaria. 
Ziehen in den Gelenken und Schmerzen daselbst. Der Urin zeigt 
bei fehlender Salzsäureaction neutrale Reaction, bei verminderter 
SalzsäureabsondeniDg Abnahme der sauren Reaction. Daneben 
bieten solche Kranke im Anfang das wechselvolle Bild dyspeptischer 
Beschwerden dar neben starkerSchleimabsonderung. Diesem klinischen 
Bilde entspricht eine gelockerte sammetartige Schleimhautoberfläebe. 
eventuell bei längerem Bestehen eine polypöse Wucherung der 
Drüseneleraente mit reichlicher Vascularisation. Bei geeignetem 
Verhalten und rationeller Therapie werden derartige Kranke inner¬ 
halb kürzerer oder längerer Zeit geheilt; die abnorme Scblcitnab- 
sonderung hört wieder auf, die Salzsäuresecretion fängt wieder an. 
und die Verdauung wird wieder normal. In vielen anderen Fällen ür 
sebieht dies nicht. Vielmehr schreitet der Krankheitsprocess weiter 
fort, und nach einiger Zeit hört auch die Eiweissverdauung auf, normal 
zu sein. Exprimirt man in solchen Fällen den Magensaft und säuert 
denselben bis zur deutlichen Reaction auf Congopapier mit HCl au. 
so tritt eine Verdauung des Eiweissscheibchens im Therraostateo 
nicht in der normalen Zeit ein, sondern beginnt vielleicht erst nach 
6 —8 Standen, wobei alsdann eine Ausnagung desselben vom Rande 
ans eintritt. Gleichzeitig nimmt die Schleimabsonderung der 
Magenschleimhaut wesentlich ab, ohne jedoch gänzlich zu sistiren. 
Hat man nun Gelegenheit, das weitere Fortschreiten dieses Processe* 
an einer grösseren Reihe von Kranken zu studiren, so kann man 
schrittweise das Weiterschreiten des Verlöschens der Function der 
Magenschleimhaut deutlich constatiren. Derartige Fälle gestalten 
sich klinisch folgendermaassen: Es handelt sich meist nm no-h 
jugendliche Individuen, die seit längerer Zeit an sogenanntem 
„schlechten Magen“ gelitten haben. Erbrechen besteht zuweilen 
nach dem Genuss gewisser Speisen, fehlt aber auch in anderen 
Fällen gänzlich. Gewöhnlich bestehen heftige cardialgischeSchmerzen, 
die von der linken Seite nach der Herzgrube ziehen und bald ab 
stich-, bald als krampfartig empfunden werden. Dieselben ^treten 
dann und wann bei leerem Magen, öfters auch bei gelulltem auf. 
sodass die Kranken aus Furcht vor den Folgen möglichst wenig 
essen und sich nur mehr von Suppen und anderen flüssigen Spei** 
ernähren, ohne jedoch durch diese Diät die beschriebenen Schmerzen 
ganz zu verlieren. Aufstossen von Gasen pflegt meistens zu fehlen: 
der Stuhlgaug ist dauernd angehalten, daneben besteht Benommen¬ 
heit des Kopfes und heftiger Schmerz daselbst. Infolge der on- 
genügenden Ernährung klagen die Kranken über das Gefühl von 
grosser Müdigkeit und Abgeschlagenheit in den Beinen. Die sicht¬ 
baren Schleimhäute sind blass, und es bestehen daneben auch die 
übrigen Symptome der Anämie. Die grossen Uuterleibsdrüsm 
pflegen unverändert zu sein. Die Zunge häufig belegt, in anderen 
Fällen ganz rein. Die Hauptklagen beziehen sich auf die erwähnten 
cardialgischen Schmerzen, welche ira Epigastrium ihren Sitz haben 
und von hier aus nach der unteren Apertur der linken Thorasseite 
ausstrahlen, sowie auf die Unfähigkeit, Nahrung ohne grössere Be¬ 
schwerden, namentlich ohne Druck im Epigastrium aufznnehmen 
Aus Furcht vor Schmerz und Druck ira Magen gemessen sie nur 
die leichtest verdaulichen Speisen, und auch diese nur in sehr ge¬ 
ringer Quantität. So haben wir uns immer von Neuem wiener 
davon überzeugt, dass derartige Kranke zum Verzehren eines MDcn- 
brodes oder zum Trinken eines Glases Wassers eine ganz auffallen' 
lange Zeit gebrauchten, wobei sie das Brödchen in ganz kl' 1 "' 
Stückchen zerbröckelten uud diese mit äusserster Vorsicht hei g' el ', 
zeitigem Verschlucken ganz kleiner Quantitäten Flüssigkeit in ''cj 
Magen gelangen Hessen. Es machte durchaus den Eindruck, ah " 
sie aus Furcht vor Schmerz jeden grösseren Bissen oder je" 11 
grösseren Schluck ängstlich vermieden. — Auf unsere Vers«' 1 '- 
die Function des Magens zu prüfen, wolleu wir nicht näher eingenen. 
sondern nur die Resultate derselben erwähnen, wobei ich besonder^ 
hervorhebe, dass ich diese Versuche bei jedem einzelnen Kranken i» 1 
Hülfe mehrerer Herren Collegen wochenlang jeden zweiten 



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22. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


961 


wiederholt und modificirt habe. Vorher jedoch möchte ich noch eine 
Beobachtung hinzufügen, welche die Schleimabsonderung des Magens 
in den vorliegenden Fällen betrifft. Während es sonst bei chroni¬ 
schem Magenkatarrh fast stets gelingt, aus dem nüchternen Magen 
grössere oder geringere Schleiramassen zu gewinnen, die leicht durch 
die Sonde exprimirt werden, oder während sonst die Kranken un¬ 
mittelbar nach dem Einführen der Sonde zunächst dicken zähen 
Schleim exprimiren, dem dann die unverdauten und oft gleichfalls 
in Schleim eingebetteten Speisereste folgen, konnten wir in den vor¬ 
liegenden Fällen weder bei nüchternem, noch bei gefülltem Magen 
jemals Schleimbeimengungen weder in freiem Zustande, noch als 
L’mhüllungsmasse der Speisereste nachweisen. Das Filtrat des Magen¬ 
saftes ergab auch infolge dessen mit Kochsalz und Essigsäure nur 
minimalste Spuren einer Trübung durch Mucin. — Wenn man 
1 Stunde nach einem aus 2 Weissbroden und 2 Gläsern Wasser be¬ 
stehenden Probefrühstück den entstandenen Chymus exprimirte, so 
erschien derselbe schon bei oberflächlicher Besichtigung von anderer 
Beschaffenheit, als sonst normal verdauter Speisebrei. Während sich 
sonst bekanntlich letzterer als eine sandfeine Masse am Boden des 
Auffanggefässes absetzt, und das Wasser mit den gelösten Bestand- 
theileu sich darüber schichtet, so machte hier der exprimirte 
Speisebrei den Eindruck, als wären kleinere und grössere Stückchen 
Weissbrod in Wasser gequollen und schwämmeu gleichmässig ver¬ 
theilt darin umher. Das Filtrat des Chymus reagirte stets ganz 
schwach sauer; im Durchschnitt genügten 0,3 ccm einer J /io nor- 
mal-Kalilauge zur Neutralisirung, was einer Gesamrntaciditat von 
0,01 %, auf Salzsäure berechnet, entspräche. Die Reactionen auf 
freie Salzsäure, mit Methylviolett, Congoroth. Tropäolin und Phloro- 
glucin-Vanillin angestellt, traten niemals auf. Dagegen ergab das 
Uffei mann'sehe Reagens, mit dem Aetherauszug des vorher ein¬ 
geengten Filtrats zusammengebracht, eine hellgelbe Färbung (schwache 
Milchsäurereaction). Eine Ueberführung des Eiweiss in Peptou fand 
in den vorgeschrittenen Fällen dieser Art überhaupt nicht statt. Selbst 
während 28 Stunden verdaute der stark mit HCl angesäuerte Magen¬ 
saft in diesen Fällen das Eiweissscheibchen im Thermostaten nicht. 
Das Filtrat ergab keine Bluretreaction. Dieses absolut negative Re¬ 
sultat bekamen wir in je 15, in annähernd gleicher Weise ange- 
stellten Verdauungsversuchen bei 3 verschiedenen Kranken. Selbst 
auch in den Fällen fand keine Aufhellung des Eiweissscheibchens 
statt, wenn grössere Mengen HCl zugesetzt wurden, ebensowenig als 
in diesen Fällen am Schluss des Versuches nach 28 Stunden eine 
Biuretreactiou wahrgenommen werden konnte.' Wurden dagegen 
200 ccm einer 2% Salzsäurelösung in den leeren Magen gebracht 
und eine Stunde darin belassen, so verdaute der nunmehr ex¬ 
primirte Mageninhalt ein Eiweissscheibchen im Thermostaten inner¬ 
halb 24 Stunden fast vollständig, bis auf einige kleine Reste. Sechs 
Stunden nach Anstellung dieses Versuches war dasEiweissscheibchen fast 
noch unversehrt, doch konnte man eine beginnende Einschmelzung am 
Rande bereits erkennen. Dieser Versuch wurde hauptsächlich deshalb 
angestellt, um dem Einwurf zu begegneq, dass nur deshalb sich im 
Magen kein Pepsin bilde, weil aus Mangel an freier Salzsäure die 
pepsinogeue Substanz sich nicht in Pepsin umwandeln könne. Iu- 
dess wird durch das Resultat dieses Versuches hinlänglich bewiesen, 
dass selbst trotz des Eingiessens freier Salzsäure die Pepsinbildung 
im Magen und demgemäss die Eiweissverdauung auf’s hochgradigste 
gelitten hatten. Das Gleiche gilt für die Ausscheidung des Lab¬ 
ferments. Brachten wir genau neutralisirtes Filtrat des Magen¬ 
saftes dieser Kranken mit amphoter reagirender Milch zusammen, 
so trat nach 2 Stunden noch keine Caseinausscheidung im Ther¬ 
mostaten ein. Auch dieser Befund wurde durch oft wiederholte 
Untersuchungen bestätigt und ergänzt. So wurde den Kranken nach 
Ausspülung des nüchternen Magens eine Quantität warmer Milch 
verabreicht, die nach 1 Stunde unverändert, nur leicht grau gefärbt, 
wieder ausgehebert wurde. Die Milch reagirte hierbei nach wie vor 
amphoter. Das Filtrat derselben, mit frischer Milch im Thermostaten 
zusammengebracht, bewirkte ebenfalls keine Caseinausscheidung. 
Ebensowenig trat eine Ausfällung des Caseins auf, wenn wir den 
bei den letztgeschilderten Eiweissverdauungsversuchen durch direktes 
Kingiessen einer 2 proc. Salzsäurelösung entstandenen Magensaft 
neutralisirt mit frischer Milch zusamraenbrachten. Es dürfte dies die 
einwandfreiste Methode sein, sich über die Anwesenheit des Lab¬ 
proenzyms im Magen zu orientiren, welches demnach in den vor¬ 
liegenden Fällen vollständig fehlte. Hinzuzufügen wäre noch, dass 
das Filtrat des Mageninhalts (zu verschiedenen Zeiten, bis 2 Stunden 
nach dem Probefrühstück untersucht) Jodjodkalium unverändert 
liess, dagegen ungewöhnlich reichliche Mengen reducirender Sub¬ 
stanzen (Zucker) enthielt, wie die Trommer’sche Probe ergab. — 
Der Urin war in allen Fällen von sonst normaler Beschaffenheit, 
sehr niedrigem specifischemGewicht und stets neutraler Reaction. 

Wenn wir diese Fälle vom pathologischen Standpunkte aus be¬ 
trachten, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass wir es mit 
einem fast vollständigen Erlöschen sämmtlicher Functionen der 


Magenschleimhaut, resp. der Magendrüsen zu thun haben; anatomisch 
wird von den Autoren, die analoge Fälle beobachtet haben, eine 
Atrophie der Magenschleimhaut resp. ein Untergang der Magendrüsen 
angenommen.*) Auf Grund meiner eigenen, hier mitgetheilten Beob¬ 
achtungen und Untersuchungen glaube ich berechtigt zu sein, das 
Endstadium der Krankheit, welches ich soeben geschildert habe, zurück¬ 
zuführen auf den schleimigen Katarrh der Magenschleimhaut, von dem 
ich bei diesem Vortrage ausgegangen bin. Je nach den anatomischen 
Veränderungen, welche die Magenschleimhaut auf dem langen Wege, 
welcher zu dem geschilderten Endstadium führt, durchmacht, werden 
sich die physiologischen und pathologischen Erscheinungen erklären 
lassen. Der gelockerten sammetartigen und reichlich vascularisirten 
Schleimhautoberfläche mit polypöser Wucherung der Schleimdrüsen 
entsprechen die starke Schleimabsonderung, die dyspeptischen Be¬ 
schwerden, die Verminderung, resp. das vollständige Fehlen der 
Salzsäuresecretion. Bei längerem Bestehen des Katarrhs gehen zu¬ 
nächst allmählich die Schleimdrüsen zu Grunde, durch die stark 
proliferirende, wuchernde Schleimhaut werden die Drüsenausführungs¬ 
gänge unwegsam, es bilden sich cystischc Degenerationen, die Drüsen¬ 
körper rücken immer mehr nach der Oberfläche, werden kürzer 
und schliesslich so vollständig rareficirt, dass es stellenweise zum 
vollständigen Untergang derselben kommen kann. Die Schleim¬ 
haut nimmt mehr den Charakter der Schwiele an, das unter der 
Mucosa gelegene Bindegewebe wird verdichtet und in Granulations¬ 
gewebe uragewandelt, schliesslich kann es sogar zur cirrhotischen 
Degeneration des Magens kommen, wie in einem von Nothnagel 
beschriebenen Falle. Charakteristisch ist das Erlöschen der Schleim¬ 
absonderung im Verlauf des chronischen Magenkatarrhs, sowie das 
Fehlen sämmtlicher Componenten des Magensaftes in schweren 
Fällen. Während jedoch in allen Fällen der letzteren Art die 
Secretion der Salzsäure vollständig fehlt oder auf ein Minimum 
herabgesetzt ist, wird die Pepsin- und Labausscheidung lediglich 
abhängen von der Ausdehnung der Schleimhauterkrankung. So 
wissen wir, dass die Pepsindrüsenschläuche vorzugsweise am Pylorus, 
die Labdrüsen im Fundus des Magens ihren Sitz haben. Je nach 
dem grösseren oder geringeren Untergang der Drüsen wird sich das 
klinische Bild in gradueller Beziehung verschieden verhalten müssen. 
Ist die gesammte Schleimhaut mit den Drüsenkörperu untergegangeu, 
dann wird auch die gesammte Function der Magenschleimhaut er¬ 
loschen sein. Ist die Schleimhaut vorzugsweise in der Gegend des 
Pylorus erkrankt, so wird es vorzugsweise die Pepsinabsonderung 
sein, die herabgesetzt oder erloschen ist, während bei Erkrankungen 
am Fundus das Fehlen des Labferraents charakteristisch sein wird. 
Wir haben alle Arten von Uebergängen dieser Erkrankung, sowie 
das constante Fortschreiten bis zum völligen Erlöschen der Function 
der Magenschleimhaut beobachtet. Wenn wir somit den schleimigen 
Katarrh als eine wichtige und nicht zu seltene ätiologische Ursache 
der sogenannten „Atrophie der Magenschleimhaut“ hinstellteu, so 
soll damit keineswegs gesagt sein, dass es die einzige derselben ist. 
So ist dieselbe anatomische Veränderung von anderen Autoren in 
der Nachbarschaft carcinomatöser Neubildungen gefunden worden, 
während ich selbst dieselbe bei Individuen gefunden habe, die zu 
selbstmörderischen Zwecken Schwefelsäure zu sich genommen hatten. 
Jedenfalls fehlt es nicht au Sectionsbefuuden, die das kliuische 
Postulat des Drüsenunterganges sicher nachgewiesen haben. 

Kehren wir noch einmal zum klinischen Bilde der „Atrophie der 
Magenschleimhaut“ zurück, so glauben wir, dass es bereits gelungen 
ist, die Aufstellung eines solchen anzubahnen. Charakteristisch und 
in allen Fällen wiederkehrend ist der cardialgische Schmerz, das 
Fehlen der Schleimabsonderuug, die Abnahme oder das vollständige 
Versiegen der Salzsäuresecretion, die Beeinträchtigung der Eiweiss¬ 
verdauung, das Fehlen des Labferments und die Inanition. Letztere 
kann in hochgradigen Fällen bis zur äussersten, ja tödtlich verlau¬ 
fenden Anämie führen, wie solche Fälle von Quincke, Nothnagel 
und namentlich von Kinnikut beschrieben worden sind, welche 
sich unter dem Bilde der pernieiösen progressiven Anämie darstell¬ 
ten und den charakteristischen Blutbefund, sowie die nicht minder 
charakteristischen Retinalblutuugen erkennen Hessen. Wenn diese, 
durch hochgradigste Inanition bedingte Anämie iu keinem unserer 
Fälle beobachtet wurde, so ist dies wohl so zu erklären, dass die 
Kranken in Folge ihrer noch ziemlich vollständig erhaltenen moto¬ 
rischen Kraft des Magens die in letzterem unverdaut gebliebeueu 
Speisen in den Darm beförderten, wo dieselben der Darmverdauung 
anheimfielen. 

Ueber die motorische Kraft des Magens bei unseren Krankeu 
kann ich keine entscheidenden Angaben machen. Nur schien mir 
dieselbe nicht wesentlich herabgesetzt. Dagegen schieu die Resorp- 

*) Von einzelnen Autoren wird auch schwere Hysterie als Ursache der 
geschilderten „functioneilen“ Störungen der Magenschleimhaut angegeben. 
Definitiv zurückzuweisen wäre eine derartige Ansicht, welche in den hyste¬ 
rischen Lähmungen ihr Analogon hätte, für manche Fälle wohl nicht; nur 
kann iu unseren Fällen von dieser Aetiologie keine Rede sein. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47 


962 


tionsfähigkeit der Mageuschleimheut nicht intact geblieben zu sein, 
was daraus hervorzugehen scheint, dass Jodkalium bei Darreichung 
in Gelatinekapseln erst mehrere Stunden nach Einführung in den 
Magen im Harn wieder erschien. Ebenfalls für eine Störuug der 
Resorptionsfähigkeit des Magens scheint uns die Thatsache zu 
sprechen, welche wir auch bei vielen anderen Magenkranken be¬ 
obachteten, dass geringe Quantitäten Elüssigkeit, welche des Morgens 
genossen worden waren, sich noch Mittags (nach 6 und mehr Stunden) 
deutlich im Magen nachweisen Hessen. Dagegen können wir mit 
absoluter Bestimmtheit jegliche Dilatation des Magens, sowie jede 
Geschwulstbildung bei den 18—32jährigen Kranken ausschliessen. 

Mit Rücksicht auf die Aetiologie erscheint es uns von grösster und 
wichtigster Bedeutung, jeden einzelnen Fall von schleimigem Magen¬ 
katarrh mit der grössten Vorsicht und Sorgfalt zu behandeln, um 
eben zu verhüten, dass derselbe chronisch werde und in jenes ge¬ 
schilderte Stadium der schwersten Ernährungsstörung übergehe. 
Therapeutisch können wir in frischeren Fällen noch am meisten 
Ausspülungen des Magens mit 2°/o Salzsäurelösung em¬ 
pfehlen, wobei ein Theil des Spülwassers im Magen zu¬ 
rückgelassen wird; im späteren Stadium haben wir kochsalzhal¬ 
tige Wasser (die Thermen von Wiesbaden, Kissiugen) sowie Pepsin 
und Salzsäure angewendet, jedoch ohne andauernden Erfolg. Viel 
wichtiger ist die Regulirung der Diät, wenn man von dem Gesichts¬ 
punkt ausgeht, dass bei dem Daniederliegen der Magenverdauung 
vorzugsweise die Darmverdauung in deren Rechte treten muss. Auf 
diese Weise gelingt es, die Kranken längere Zeit hindurch in ziem¬ 
lich gleichbleibendem Gewichtszustand zu erhalten. 

III. Aus der I. medicinisehen Universitätsklinik des Herrn 
Geh. Rath Leyden in Berlin. 

Ueber die motorische Thätigkeit des 
menschlichen Magens. 1 ) 

Von Dr. G. Klemperer, 

Assistent der Klinik. 

Die neuere Erforschung der Magenkrankheiten, welche unser 
Verständniss dieses complicirten Gebietes nicht wenig gefördert und 
auch unser therapeutisches Handeln in vieler Beziehung beeinflusst 
hat, wandte sich bisher mit einer gewissen Einseitigkeit haupt¬ 
sächlich einer Function des Magens zu. Fast alle Arbeiten der 
letzten Jahre beziehen sich auf die Secretionsverhältnisse, wie sie 
sich unter bestimmten Bedingungen im gesunden und kranken 
Magen vorfinden, und deutlich waltet bei einzelnen Autoren das 
Bestreben vor, den heu erhobenen Befunden wechselnden Säure¬ 
gehaltes die alten Krankheitsbilder anzupassen. 

Dagegen ist unsere Einsicht in den Ablauf der übrigen Functionen 
des Magens, insbesondere der rein mechanischen, nicht wesentlich 
gefördert wordeu. 

Und doch kommt der motorischen Thätigkeit des Magens eine 
ganz hervorragende Wichtigkeit zu, die vom Physiologen wie vom 
Arzte mindestens dieselbe Beachtung fordert wie die chemische. 

Gewiss ist die Verarbeitung der Speisen im gesunden Magen 
nicht ohne Bedeutung; aber sie ist für das Bestehen des Organismus 
nicht unbedingt nothwendig, und es ist ganz sicher, dass die Speisen, 
auch ohne im Magen chemisch verändert zu sein, vom Darm in die 
resorbirbare Modification übergeführt und also für den Körper 
nutzbar gemacht werden können. Bekannt sind die physiologisch¬ 
chirurgischen Experimente, dass Hunde, denen der Magen gänzHch 
exstirpirt wurde, sich Jahre lang in gutem Ernährungszustände 
hielten, und in der Pathologie giebt es Fälle, auf welche gerade in 
letzter Zeit sich erhöht die Aufmerksamkeit gerichtet hat, bei denen 
der Chemismus des Magens in äusserster Weise darniederliegt, ohne 
dass die Beschwerden der Patienten oder ihr Aussehen eine schwere 
Schädigung der Ernährung verriethen. 

Wenn danach die chemischen Functionen verhältnissmässig 
leicht compensirbar erscheinen, so muss die motorische Thätigkeit 
des Magens als für die ganze Oekonomie des Körpers unentbehrlich 
bezeichnet werden. Wenn der Magen seinen Inhalt nicht in den 
Darm überführeu kann, so ist das Leben unmöglich; die traurigen 
Fälle von Stenosirung des Pylorus bieten hierfür ein Beispiel. Und 
jede Störung in dem normalen Ablauf der motorischen Thätigkeit 
schädigt das Gauze durch verminderte Zufuhr von Arbeitsmaterial 
für den Darm, ganz abgesehen davon, dass das längere Verweilen 
der Speisen im Magen zu den unangenehmsten subjectiven und 
ohjectiven Störungen führt. 

Von nicht geringer Wichtigkeit ist es daher, in den Ablauf des 
motorischen Processes unter normalen und pathologischen Verhältnissen 
eineu tieferen Einblick zu gewinnen. 

In der That ist von Alters her dies Gebiet Gegenstand fleissiger 
und mannichfaltiger Bearbeitung gewesen. Eine geradezu erstaunlich 

‘) Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin. 


grosse Litteratur hat sich angehäuft; das Verzeichniss, das Poensgen 1 , 
in seiner historischen Uebersicht über unser Thema zusammengestellt 
hat, umfasst über 600 Nummern. Und wie lautet das Urtheil, das 
Kussmaul, der Meister der Magenpathologie, über diese Litteratur 
fällt? „Mehr wie auf einem anderen Gebiet der Medicin liegen auf 
diesem Meinungen, Hypothesen und dogmatische Lehrsätze in un¬ 
geheurer Zahl und voller Widersprüche wirr durcheinander auf¬ 
gespeichert.“ 2 ). 

Im Hinblick auf die ausgezeichnete Zusammenstellung von Poens- 
gen die bis 1882 reicht, unterlasse ich es, auf die bezügliche Litteratur 
näher einzugehen. Nachher sind noch mehrere Arbeiten erschienen 
— ich erwähne besonders die von Rossbach *) und v. Pfungen. 4 } 
welche sehr interessante Beobachtungen am Hund und am Gastro- 
tomirten bringen, für praktische Zwecke verwerthbare Resultate aber 
nicht enthalteh. 

In den klinischen Betrachtungen schliesst sich die Erörterung 
der motorischen Function gewöhnUch an die anatomische Dila¬ 
tation des Magens an; allbekannt ist das Krankheitsbild der Ektasie, 
bei der die Speisen überlange im ausgedehnten Magen verweilen 
und nun den mannichfachsten Gährungsprocessen unterliegen, 
während dem Darme immer weniger Nahrung zugeführt wird und 
der Körper fortschreitender Inanition verfällt. Dass es motorische 
Schwächezustände giebt auch unabhängig von der motorischen 
Ektasie, darauf haben Rosenbach 5 ) und Kussmaul 6 ) zuerst hin- 
gewiesen. Der erstere hat unter dem Namen der motorischen In- 
sufflcienz ein eigenes Krankheitsbild beschrieben, das er als den 
Vorläufer der Dilatation betrachtet wissen will, während Kuss¬ 
maul den alten Namen der Atonie wieder einführt, für Zustände, 
bei denen die motorische Magenschwäche unter den Symptomen der 
Ektasie zu Tage tritt, ohne dass sich eine solche anatomisch nach¬ 
weisen Hesse. 

Die neueren Lehrbücher der Magenkrankheiten drücken sich 
über die motorischen Functionen mit der durch die Sachlage ge¬ 
botenen Zurückhaltung aus; sie enthalteu theoretische Betrachtungen, 
wie sie Cohnheim in seiner Allgemeinen Pathologie sehr scharf 
präcisirt hat, dass zwischen den verschiedenen Functionen des Ma¬ 
gens ein inniger Zusammenhang bestehe, so dass Störung der einen 
Function unweigerlich die der anderen nach sich ziehe. Mit jeder 
Störung des Chemismus ist auch Störung der Resorption und ab¬ 
normer Ablauf der Peristaltik verbunden. Denn eine ausgiebige 
Motion erscheint bedingt durch den eine bestimmte Höhe erreichen¬ 
den Säuregrad. Im letzten Jahre ist eine Monographie von Herrn 
v. Pfungen erschienen, welche sich sehr gründUch mit der KHnik 
der sogenannten Magenatonie beschäftigt. Eine Reihe von verschie¬ 
denen Krankheitsbildern werden unter diesen Namen subsumirt 
deren hervorstechendstes Symptom angeblich in der motorischen 
Insufflcienz besteht, ohne dass über die Diagnostik dieses Zustandes 
etwas Neues angeführt wird. 

Gewiss Hegt hier eine ganz empfindliche Lücke in unseren 
Kenntnissen vor. Während wir uns über die Säureabsonderang mit 
einer gewissen Leichtigkeit jederzeit unterrichten und nicht un¬ 
wichtige Schlüsse daraus ziehen könneu, müssen wir uns in Bezur 
auf die ungleich wichtigeren motorischen Verhältnisse mit dem gant 
allgemeinen Wissen begnügen, dass Störungen derselben nicht selten, 
ja bei tiefgehenden chemischeu Anomalieen sogar die Regel sind 
Dringend vermissen wir Methoden, durch die für jede Krankhehs- 
classe auch die motorischen Verhältnisse festgestellt werden. 

Einen sehr bemerkenswerthen Versuch diese Lücke auszufüllm. 
verdanken wir Professor Ewald. 7 ) Er verwendet das Salol, einrt 
chemischen Köper, welcher in alkalischen Medien in Salicylsänrr 
und Phenol sich zersetzt, während er in saurer Lösung ganz un- 
lösHch ist Er giebt dem Patienten 2 g Salol ein, das im Magen un- 
zereetzt und unresorbirt bleibt und erst beim Uebergang in den Danb 
in seine Componenten zerfällt, die alsbald resorbirt und in gewisser 
Zeit im Harn nachzuweisen sind. Aus der Zeit, die zwischen ihr 
Einnahme des Salols und der Nachweisbarkeit der Salicylursiur? 
im Harn (Blaufärbung durch Eisenchlorid) verstreicht, macht Ewalo 
Schlüsse auf die motorische Kraft des Magens. Ich habe die* 
ingeniöse Probe oft angestellt und bin oft zu guten Resultaten d>- 
mit gelangt. Jedoch muss doch hervorgehoben werden, dass di-. 
Salolreaction im Harn streng genommen nur anzeigt, wann die erst* 
Salolmenge in den Darm Übertritt, und quantitative Bestimmungrc 
nicht gut damit anzustellen sind. Auch kann der Magen sehr gut 

') Eugen Poensgen, Die motorischen Verrichtungen des men«.' 
liehen Magens und ihre Störungen. Strassburg, Trübner, 1882. 

*) Vorrede zu Poensgen"s Arbeit. 

3 ) Rossbach, Congress für innere Medicin 1885. 

4 ) v. Pfungen, Ueber Atonie des Magens. Wiener Klinische Zeit- m 
Streitfragen, S. 261. 

s ) Rosenbach, Volkmann’s Vorträge No. 51. 

6 ) Kussmaul, Archiv f. klin. Medicin Bd. VI. 

7 ) Therapeutische Monatshefte 1888, No. 8. 


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22. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 963 


2 g Salol bewältigen und doch einigertnaassen grösseren Ansprüchen 
gegenüber sich renitent erweisen. Schliesslich ist das Salol ein 
leichtes, fettiges Pulver, das sich leicht in Schleimhautfalten 
verfangen kann und also bei guter motorischer Kraft doch nicht 
zur Zeit in den Darm gelangt. Alles Umstände, die es erklärlich 
machen, dass hin und wieder das Vertrauen auf die Salolreaction 
getäuscht werden kann. 

Bei dieser Lage der Dinge, die gewiss Jeder, der sich mit Ma¬ 
genkrankheiten beschäftigt, peinlich empfunden hat, war ich seit 
lange bemüht, eine Methode zu finden, die über die motorische 
Thätigkeit des Magens, namentlich in Kranhheitsfällen, klare Vor¬ 
stellungen zu bilden gestattet. 

Der einfachste Weg ist der, eine bestimmte Mahlzeit geniessen 
zu lassen und durch die Magenaspiration festzustellen, ob nach einer 
bestimmten Zeit der Magen leer ist. So nennt Leube den Magen 
motorisch genügend arbeitsfähig, der 7 Stunden nach seiner be¬ 
kannten Probemahlzeit leer gefunden wird. Es ist aber sehr oft 
betont worden und wohl auch ohne weiteres einleuchtend, dass dies 
Merkmal nicht immer zutrifft. Könnte man indess feststellen, wie 
viel von einem bestimmten Nahrungsmittel in einer bestimmten Zeit 
den Magen verlassen hat, so hätte man den besten klinischen Maass¬ 
stab für die motorische Thätigkeit. Bisher sind alle Versuche der¬ 
art gescheitert. Einmal wird von den eingenommenen Nahrungs¬ 
mitteln ein nicht zu bestimmender Theil resorbirt, die zurückblei¬ 
benden Ingesta werden vielfach chemisch verändert, durch den 
hinzutretenden Magensaft in schwer festzustellender Weise verdünnt, 
oft mit Schleim vermischt, und was der technischen Schwierigkeiten 
mehr sind, — kurzum es gelingt nur schwer, aus dem wiederge¬ 
wonnenen Inhalt einen einigerraaassen exacten Schluss auf die mo¬ 
torische Kraft des Magens zu machen. 

Nur eine Gruppe von Körpern giebt es, die im Magen nur 
geringfügigen, dabei typischen Zersetzungen unterliegen, die gar- 
nicht resorbirt werden, die mit leichter Mühe aus dem Magen ge¬ 
wonnen und mit Aufwand von wenig Technik so gereinigt werden 
könuen, dass die zurückerhaltene Menge direkt mit der ein¬ 
gegebenen verglichen werden kann. 

Das sind die flüssigen Fette. 

Es ist in Ludwig’s Laboratorium zuerst festgestellt worden, 
dass neutrales Fett im Magen 1—2 °/ 0 Fettsäure abspaltet; nachher 
ist diese Thatsache auch von pathologischer Seite u.A. von Friedrich 
Müller 1 ) bestätigt worden; ich habe mich selbst in mehreren Ver¬ 
suchen davon überzeugt. Ueber die Resorbirbarkeit des Neutral¬ 
fettes und der höheren Fettsäuren sind in der Litteratur bestimmte 
Angaben nicht vorhanden. Ich habe diesbezügliche, später zu ver¬ 
öffentlichende Versuchsreihen an Hunden mit unterbundenem Pylorus 
zusammen mit meinem Collegen Dr. Scheurlen angestellt, und wir 
haben ganz sicher feststellen können, dass weder Fett noch Fett¬ 
säuren vom Magen resorbirt werden. Eine Verdünnung ist bei 
Fetten nicht zu befürchten, und von allen Verunreinigungen ist es 
durch Aetherbehandlung sehr leicht zu befreien. In Betracht kommt 
nur der geringe Verlust des abgespaltenen Glycerins. 

Es stellt also flüssiges Fett, insbesondere das Olivenöl, ein vor¬ 
zügliches Mittel dar, um den Magen auf seine motorische Fähigkeit 
zu prüfen. 

Ich habe mir auf Grund der angeführten Thatsachen folgendes 
Verfahren gebildet, welches über die motorische Thätigkeit des 
Magens bestimmte Schlüsse gestattet. 

Durch die eingeführte Schlundsonde werden in den leeren oder 
reingespülten Magen 100 g Olivenöl eingegossen. Es werden am 
besten 105 g Oel abgewogen; ungefähr 5 g bleiben im Glas, am 
Trichter und am Schlauch hängen; davon habe ich mich mehrere- 
male durch Aufnahme dieser Mengen mit Aether überzeugt. Nach 
2 Stunden wird der Mageninhalt aspirirt. Die Hauptmenge des im 
Magen gebliebenen Oels wird gewöhnlich bei den ersten Aspiratious- 
zügen entleert. Danach werden mehreremale 200—300 ccm Wasser 
eingegossen und wieder aspirirt, bis das Wasser klar und ohne 
Oelbeimischungen zurückkehrt. Die gesammten aspirirten Flüssig¬ 
keiten werden vereinigt, im Scheidetrichter nach dem Absetzen vom 
klaren Wasser getrennt; das zurückbleibende schleim- und wasser¬ 
getrübte Oel mit Aether aufgenommen, der Aether im vorher ge¬ 
wogenen Kolben verjagt, und das wieder reine Oel gewogen. Man 
erführt so die Menge des Oels, welche der Magen in 2 Stunden in 
den Darm übergeführt bat, und welche ein gut verwerthbarer 
Zahlenausdruck ist für die motorische Kraft des Magens. 

Ich habe dies Verfahren beim Hunde, der sich bekanntlich 
ohne Fesselung und ohne Quälerei bequem ausspülen lässt, gut aus¬ 
gebildet, ehe ich es bei gesunden Menschen und Magenkranken zur 
Anwendung brachte. Dass das Verfahren wirklich das leistete, was 
es soll, dadurch habe ich mich durch vielfache Versuche überzeugt, 
indem ich unmittelbar der Eingiessung die Aspiration folgen liess. 


') Zeitschrift für klinische Medicin, Bd. XII, p. 107. 


Die Fehlergrenzen des Verfahrens betragen 2—3 g, und diese sind 
für den klinischen Zweck vollkommen unwesentlich. 

Bevor ich auf die Versuche selbst eingehe, will ich noch be¬ 
merken, dass es mir natürlich durchaus fernliegt, dies Verfahren 
etwa als für die Zwecke der täglichen Praxis geeignet empfehlen 
zu wollen. 

Ich habe vielmehr bei meinen Versuchen den bestimmten Zweck 
verfolgt, in den verschiedensten Krankheitszuständen die motorische 
Kraft des Magens festzustellen, um dadurch für den einzelnen 
Fall die Untersuchung überflüssig zu machen und doch 
aus dem Gesammtbilde der anderen Zeichen einen siche¬ 
ren Schluss auf die motorische Kraft und damit eine ge¬ 
wisse therapeutische Directive zu ermöglichen. 

Die Untersuchungen, deren hauptsächlichste Resultate ich nun 
kurz berichten will, werden in der „Zeitschrift für klinische Medicin“ 
demnächst ausführlich berichtet werden. 

Sie sind sämmtlich während des letzten Jahres an Patienten 
der ersten medicinischen Klinik des Herrn Geh. Rath Leyden an¬ 
gestellt worden. Bei vielen Versuchen hatte ich mich der werth¬ 
vollen Beihülfe der Collegen Dr. Johannessen aus Christiania und 
Dr. Kaufmann aus New-York zu erfreuen, denen ich auch an 
dieser Stelle für ihre freundliche Bemühung bestens danke. 

Zunächst will ich auf einige physiologische Fragen, mit denen 
ein besonderes klinisches Interesse verknüpft ist, kurz eingehen. 

Welcher Art sind die Magenbewegungen? Giebt es motorisch ver¬ 
schiedenartige Abtheilungen des Magens, einen Fundus- und einen 
Pylorusmagen? Diese Fragen, in der neueren Litteratur noch viel 
umstritten, stehen für die ärztliche Betrachtung in zweiter Linie. 
Auch die genauere Bestimmung der nervösen Apparate, durch welche 
die Magenbewegungen ausgelöst werden, liegt ausserhalb des Rahmens 
meiner Versuche. Hier dürfen wir wohl auf Grund der bekannten 
Goltz’sehen Versuche wie vielfältiger klinischer Erfahrung als ge¬ 
sichert annehraen, dass im Magen selbstthätige Nerveucentra vor¬ 
handen sind, die die motorische Thätigkeit des Organs hervorrufen, 
während andererseits vom Gehirn aus moderirende nervöse Einflüsse 
thätig sind, die ihrerseits wieder rem central oder auf dem Wege 
des Reflexes hervorgerufen werden. 

Dagegen schien es mir klinisch von besonderem Interesse, fest¬ 
zustellen, wodurch denn der Reiz für die motorischen Nerven des 
Magens ausgelöst wird. Vielfältige Erfahrungen, die ich gleich init- 
theilen werde, hatten mich an dem fast überall festgehaltenen Satz 
zweifeln lassen, dass es die eine gewisse Concentration erreichende 
Säure ist, welche die Bewegungen veranlasst. Ich habe an mehreren 
Menschen mit gesundem Magen die Frage dadurch zu entscheiden 
gesucht, dass ich ihnen soviel Natron bicarbonicum oder Magnesia 
usta eingab, als hinreichte, um den Mageninhalt vollkommen zu 
neutralisiren. 

Es hat sich dabei herausgestellt, dass der Endeffect der moto¬ 
rischen Leistung durch die Reaction so gut wie garnicht tangirt 
wurde. Bei ganz neutralem, ja bei schwach alkalisch reagirendem 
Inhalt bewältigte der Magen die Normalmenge, ca. 75 g Oel. Wir 
müssen demnach annehmen, dass auch ohne die Säure der Reiz des 
den Magen füllenden Inhalts genügt, um die Nerventhätigkeit an¬ 
zuregen, welche die Fortschaffung in den Darm veranlasst. 

Ferner versuchte ich festzustellen, in welcher zeitlichen Auf¬ 
einanderfolge die Entleerung des Magens stattfindet, und ob die 
vielfältig wiederholte Angabe zu Recht besteht, dass der Pylorus, 
längere Zeit geschlossen, sich in bestimmten Zwischenräumen öffnet, 
und so gewissermaassen eine stossweise Magenentleerung zu Stande 
kommt. 

Ich habe an einem gesunden jungen Manne die Aspiration der 
eingegosseuen 100 g Oel in fünf Versuchen 20, 45, 60, 90 und 
120 Minuten nach der Eingiessung bewirkt. Es fanden sich im 
Magen vor: nach 20 Minuten nur noch 91, nach 45 noch 72 g Oel, 
nach 1 Stunde 55, nach IV 2 Stunde 40 und nach 2 Stunden 25 g 
Oel. Ohne aus dieser einen Versuchsreihe allgemeine Schlüsse 
ziehen zu wollen, so muss ich doch für den untersuchten Magen 
wenigstens behaupten, dass nicht ein erst nach längerer Ruhe be¬ 
ginnendes stossweises Hiuauswerfen, sondern vielmehr ein Abströmen 
des Mageninhalts nach dem Duodenum stattfindet. Die Curve der 
Entleerung würde in dem untersuchten Falle eine stetig abfallende 
gerade Linie darstellen. 

Es stimmt diese Beobachtung sehr gut mit den Angaben von 
Claude Bernard, die Bernstein bestätigt hat, dass die Function 
des Pankreas in demselben Moment begiunt, in dem der Magen 
angefüllt wird. Auch die alte Beobachtung von Busch spricht 
hierfür, der durch eine Dünndarmfistel zehn Minuten nach dem 
Essen die ersten Brocken des Mageninhalts hinaustreten sah. 

Von klinischer Wichtigkeit ist ferner die Entscheidung der 
Frage, ob ein übergrosser Säuregehalt die Magenbewegungen hemmt 
bezw. durch eine spastische Einwirkung auf den Pylorus ihren 
Endeffect verringert. Ich habe zu diesem Zwecke von 3 Personen 


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964 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47 


bald nach dem Gel 200 ccm einer Salzsäurelösung von 3 pro mille 
trinken lassen. In diesen 3 Versuchen fanden sich bei dem einen 
Individuum noch 31, bei dem zweiten 34, bei dem dritten 51 g Oel 
im Magen vor. Es hatte also die künstliche Hyperacidität nur in 
einem Falle eine wesentliche Hemmung der motorischen Thätigkeit 
ergeben. 

Ich habe dann festzustellen gesucht, ob eine Beschleunigung 
der Entleerung des gesunden Magens durch die Bittermittel hervor¬ 
gerufen wird. Ich gab (in den gewöhnlichen Dosen) Tinct. Stryclini, 
Tinct. Rhei, Tinct. Gentianae; eine Einwirkung auf die Entleerung 
der 100 g Oel habe ich in 5 Versuchen nicht gesehen. 

Der Alkohol wurde in der in der Charite üblichen Form der 
Mixtura alcoholica (mit 25 Vol 0/ 0 Alk.) angewandt. 1—2 Esslöffel 
derselben hatten keinen Effect; dagegen übten grössere Gaben einen 
deutlich schädigenden Einfluss. Ein junger Wärter, der gleich nach 
der Oeleingiessung 120 ccm der Mixtur schnell zu sich nahm, hatte 
nach 2 Stunden von 100 g noch 68 im Magen. 

Schliesslich will ich noch erwähnen, dass ich den Einfluss der 
Tageszeit auf die Magenbewegungen geprüft habe; ein neuerer Autor 
nennt bei Gelegenheit einer Discussion über das Probefrühstück 
den Magen am Morgen torpide. Schon die Berücksichtigung der 
Lebensweise Derjenigen, welche bald nach dem Aufstehen ein sehr 
reichliches Frühstück geniessen, hätte von dieser Bemerkung zurück¬ 
halten können. Ich habe Morgens, Mittags und spät Nachmittags 
einige Versuche angestellt und einen Einfluss der Tageszeit nie zu 
constatiren vermocht. 

Indem ich diese physiologischen Versuche resumire, ergeben 
sich folgende Sätze: 

Die Entleerung des Magens kann auch nach Abstumpfung der 
Magensäuren prompt erfolgen. Eine Erhöhung des natürlichen 
Säuregehalts kann die Entleerung des Magens verlangsamen. 

Die Entleerung des Magens fand bei einer untersuchten gesun¬ 
den Person in continuirlichem Abströraen statt. 

Bittermittel und kleine Gaben Alkohol beeinflussten die Magen¬ 
entleerung des Gesunden nicht, ungewohnt grosse Gaben Alkohol 
wirkten hemmend. 

Ich gehe nun zu den Untersuchungen an Magenkranken über. 

Vorher will ich die Mittelzahl erwähnen, die an mehreren Ge¬ 
sunden festgestellt wurde, die sich übrigens freiwillig zur Ausspülung 
erboten. Die Normalzahl der Oelentleerung nach 2 Stunden beträgt 
70—80 g. In Fällen von motorischer Schwäche sinkt diese Zahl 
ganz beträchtlich; sie gestattete mir ein exactes Urtheil über die 
motorische Leistungsfähigkeit des Magens. 

Um das Referat nicht über Gebühr auszudehnen, verzichte ich 
an dieser Stelle darauf, die bei den folgenden Fällen gestellten 
Diagnosen durch ausführliches Eingehen auf die Krankengeschichten 
zu begründen; bezüglich der allgemeinen Systematisirung, über 
welche noch vielfache Uneinigkeit herrscht, schliesse ich mich der 
Einthoilung an, welche Professor Ewald in seiner Klinik der Ma¬ 
genkrankheiten gegeben hat. 

Ich habe 13 chronische Magenkatarrhe untersucht; alles schwere 
Dyspespieen mit den bekannten subjectiven Symptomen, auf die ich 
hier nicht näher einzugehen brauche. 

Die chemische Untersuchung des Mageninhalts, welche in vielen 
Fällen quantitativ ausgeführt 'wurde, ergab fast immer sehr herab¬ 
gesetzte Salzsäurewerthe; die organischen Säuren waren in einzelnen 
Fällen sehr vermehrt. Fast in allen Fällen, doch nicht regelmässig, 
befand sich im Ausgespülten viel Schleim. Hyperacidität bestand 
in keinem Fall, auch Dilatation war niemals nachzuweisen. Der 
Aetiologie nach • betrafen 5 Fälle Alkoholisten, einer war auf Tabak¬ 
missbrauch zurückzufahren; 2 waren offenbar durch consequent 
fortgesetzte Nahrungsüberladung acquirirt, 2 betrafen Phthisiker, 
einer einen Herzkranken mit gestörter Compensation, bei zweien 
Hess sich eine bestimmte Aetiologie nicht nachweisen. Ich will 
nun in grossen Zügen angeben, wie sich die motorischen Verhält¬ 
nisse gestalteten; die genauen Zahlenangaben glaube ich der aus¬ 
führlichen Veröffentlichung Vorbehalten zu dürfen. Es ergab sich 
bei allen diesen Patienten, als sie mit Appetitlosigkeit und mannich- 
fachen Beschwerden in die Anstalt eintraten, eine bedeutende Herab¬ 
setzung der motorischen Kraft. Die Zahlen variiren von 23 bis 
44 g Oel, welche anstatt 75 in 2 Stundeu vom Magen bewältigt 
wurden. — Die medio amen tose Behandlung war bei einzelnen 
absolut exspectativ, bei anderen wurde Salzsäure und Kochsalzlösung 
verabreicht. Auf die gesunkenen Salzsäurewerthe war kein durch¬ 
greifender Einfluss bemerkbar; gerade die, welche HCl und NaCl 
bekamen, waren es oft nicht, bei denen sich die chemischen Func¬ 
tionen hoben. Dagegen wurde bei allen Patienten durchweg eine 
Besserung ihrer Beschwerden erreicht, sie verliessen in arbeitsfähi¬ 
gem Zustande das Hospital. Und bei allen hoben sich die mo¬ 
torischen Functionen, die im Anfang so darnieder gelegen 
hatten. Die sehr instructiven Schlusszahlen betragen 60—70 g Oel, 
Welche in 2 Stunden von 100 herausgeschafft wurden. 


Die genaue Analyse der behandelten Fälle bietet noch manche' 
Interessante. An dieser Stelle, wo es darauf ankommt, das Facit 
zu ziehen, will ich hauptsächlich betonen, dass es nach diesen Be¬ 
obachtungen unzulässig erscheint, ein gesondertes Krankheitsbild der 
motorischen Insufficienz oder der Atonie aufzustellen. Denn wir 
sehen, dass die motorische Schwäche ein wesentliches Symptom 
aller chronischen Magenkatarrhe zur Zeit der Exacerbation bildet. 

Aus unseren Versuchen geht weiterhin hervor, dass ein grosser 
Theil der Beschwerden, von denen die Patienten mit chronischem 
Katarrh gequält werden, durch die motorische Schwäche verursach: 
wird. Denn ich sah oft die Beschwerden weichen in eben dem¬ 
selben Maasse wie sich die motorische Thätigkeit besserte, währen! 
und trotzdem der chemische Befund unverändert blieb, und als«, 
wohl auch die anatomische Läsion sich nicht restituirt hatte. 

Es ist nicht die Gastritis, nicht der Katarrh, den wir geheilt 
haben, wenn wir die Beschwerden des Patienten verschwinden sehen: 
auf den anatomischen Zustand vermögen wir wenig einzuw’irken: 
durch eine geeignete Behandlung beeinflussen wir vielmehr di> 
Nervencentra des Magens, welche seiner motorischen Thätigkeit vor¬ 
stehen, und durch die Hebung der motorischen Function wird der 
Schaden der anatomischen Läsion compensirt. 

Noch viel schlagender manifestirte sich die Möglichkeit einer 
bedeutenden Compensation hochgradiger chemischer und anatomischer 
Anomalieen in einem Falle von sog. Atrophie der Magenschleimhaut 
Die Diagnose wurde gestellt, als das Ausgespülte mehrere Male auf 
Salzsäure und Fermente mit ganz negativem Erfolg geprüft war; 
nur durch Eingiessen einer 2 ö /oo Salzsäure Hess sich noch etwa.« 
Ferment aus dem Magen gewinnen. 

Der Patient, ein 63jähriger Sattler, befand sich in massigem 
Ernährungszustände und wog 132 Pfd.; die Beschwerden waren die 
einer intensiven Dyspepsie. 

Die motorische Kraft entsprach beim Beginn der Beobachtune 
74 der normalen, er brachte 21 g Oel heraus. 

Nach 4wöchentlicher Behandlung, unter wesentlicher Abnahme 
der Beschwerden, brachte er 46 g, nach 7 Wochen bei der Ent¬ 
lassung, als er wesentlich gebessert war, 56 g Oel heraus. 

Ich möchte bei der Erwähnung dieses Falles nicht unterlassen, 
gegen die Bezeichnung Phtliisis Ventriculi, die Herr George Meyer 
in der letzten Sitzung solchen Zuständen beilegte, Bedenken zu 
äussern. Unter Pbthisis versteht die Klinik ein allgemeine« 
Schwinden des Körpers infolge der Erkrankung eines einzelnen 
Organes; es ist aber charakteristisch für die Magenatrophie, dass in 
vielen Fällen, solange die Muscularis nicht wesentlich ergriffen 
ist, die motorische Kraft ausreicht, um das Allgemeinbefinden lang- 
gut zu erhalten. Und selbst wenn die motorische Kraft zu versagen 
beginnt, gelingt es, genau wie bei chronischen Katarrhen, durch ein«- 
entsprechende Behandlung dieselbe bis nahe an das Normalmaas' 
wiederherzustellen, wenn auch der destructive anatomische Procts« 
als irreparabel zu betrachten ist. 

Die vorgetragenen Beobachtungen lehren uns, dass !>ei chro¬ 
nischen Katarrhen der Höhepunkt der Beschwerden dadurch eintritt. 
dass die fortwirkende Noxe die nervösen Apparat« im Magen un¬ 
günstig beeinflusst und dadurch die motorischen Functionen in einer 
mit dem Fortbestehen des Organismus unverträglichen Weise be¬ 
einträchtigt. Nicht das Versiegen der Salzsäure verursacht das Er¬ 
lahmen der motorischen Thätigkeit; deün diese hebt sich, ohne das» 
die Säureabsonderung steigt. 

Den nervösen Centren des Magens ist die Regulatiou der Thätig- 
keit dieses wichtigsten Organs anvertraut; hat die einwirkemlr 
Schädlichkeit eine Intensität erreicht, gross genug, die Nerven¬ 
apparate ernstlich in Mitleidenschaft zu ziehen, so erlahmt die Be¬ 
wegung des Magens, und der Patient ist gezwungen, sich um sein--« 
Fortbestehens willen der Schädlichkeit wenigstens so lange zu ent¬ 
ziehen, bis die nervösen Apparate soweit erholt sind, um eventuell 
der wieder einwirkenden Noxe von Neuem eine Zeit lang Staud zj 
halten. 

Wenn ich so durch meine Untersuchungen unausweichlich dazu 
gedrängt werde, in dem Leidensverlauf der chrouischen Katarrh«* 
den die motorische Bewegung beherrschenden nervösen Centrec 
eine überaus wichtige Rolle zuzuweisen, so stehe ich damit durchau- 
nicht auf hypothetischem Boden. Wenig beachtet freilich ist di-.- 
wichtige Mittheilung von Jürgens, 1 ) welcher bei 41 Fälleu. die im 
Leben das Bild der Dyspepsie dargeboten hatten, eine totale D>- 
generation der Meissner’schen und Auerbach’schen Nervenplexu- 
nachzuweisen vermochte. Leider ist eine ausführliche Be-schreibui.» 
dieser Befunde noch nicht erfolgt; auch scheinen sie in der Litteratu: 
die einzigen geblieben zu sein. Ich zweifle nicht daran, dass 
gelingen wird, für die Anschauung, die ich aus den functionell« -i 
Befunden gewinnen musste, auch die gänzlich gesicherte anatomisch' 
Basis zu gewinnen. 

‘) III. Congress für innere Medici». Verhandlungen S. 253. 


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22. November. 

Mit dieser Würdigung der Bedeutung der nervösen Apparate 
des Magens für die chronischen Katarrhe und ihren langen, zwischen 
Heilung und Exacerbation hin- und herschwankenden Verlauf ge¬ 
winnen wir den besten Uebergang zur Betrachtung der Magen¬ 
neurosen. Die Fälle, über die ich verfüge, sind nicht zahlreich, 
bieten aber doch die significauten Symptome in ausgeprägter 
Deutlichkeit. Es handelt sich um 2 Reflexdyspepsieen bei Band¬ 
wurmkrankheit, die nach Abtreibung der Tänie verschwunden waren; 

3 Fälle von erstmaliger Bleikolik, die sich bis zu der Attacke besten 
Appetites erfreut hatten, und nach dem Vorübergeben der Kolik 
einen ganz gesundeu Magen hatten. Hierzu 2 Fälle neurasthenischer 
Dyspepsie, die beide verringerte Salzsäureacidität hatten. In allen 
diesen Fällen war während der Periode der Appetitlosigkeit und 
Dyspepsie die motorische Kraft bedeutend geschwächt. Bei den 
Bandwurmdyspepsieen betrug die in 2 Stunden bewältigte Oelmenge 
28, 34, 46 g. Bei den Bleikoliken 41, 39, 20, 21 g. In wieder- 
hergestelltcm Zustande betrugen die Werthe 70 —80 g. Die beiden 
Neurastheniker, der eine Buchbinder, der andere Gärtner, beide mit 
vielfältigen anderen nervösen Klagen, zeigten Werthe, die ebenfalls 
bedeutend unter der Norm lagen, 41, 47, 51 g in 2 Stuuden. 

Von Fällen eigentlicher Leube’scher nervöser Dyspepsie, d. h. 
solchen, die bei absolut gesunden Verdauungsverhältnissen dys¬ 
peptische Beschwerden haben, habe ich keinen untersuchen können. 
Indess darf ich mich wohl der Meinung von Leyden und Ewald 
auschHessen, dass Fälle, die wirklich gar keine Anomalie der ver¬ 
dauenden Kräfte darbieten, ausserordentlich selten sind; bei 2 Fällen, 
die auf unserer Klinik beobachtet und von Dr. Wiessner in seiner 
Dissertation publicirt sind, hat sich eine starke Hyperacidität heraus¬ 
gestellt. 

Bei den von mir beobachteten Fällen von Magenneuroseu hat 
sich eine bedeutende Schwächung der Magenbewegung herausge¬ 
stellt. Auf die Pathologie der nervösen Dyspepsie, die seit ihrer 
Itehabilitirung durch Leube neuerdings von verschiedenen Autoren 
eine ausgezeichnete Würdigung erfahren hat, ich nenne nur Ley¬ 
den, Stiller, Ewald, will ich nicht weiter eingehen. Betonen 
will ich nur, wie sehr der Befund der verringerten motorischen j 
Kraft bei nervösen Dyspepsieen übereinstimmt mit den gleichen Be- j 
fanden auf der Höhe chronischer Katarrhe. Was bei den Katarrhen : 
das Letzte ist, die Affection der nervösen Apparate, ist bei den 
Neurosen das Primäre. So erklärt sich denn auch die oft gemachte 
Erfahrung, dass nervöse Menschen selten bis zu wirklichen Katarrhen 
des Magens kommen, und dass solche Leute von chronischer Ga¬ 
stritis befallen werden, deren Nervensystem im Anfang ein sehr 
gutes ist. Fis erklärt sich weiter aus meinen Beobachtungen die 
Thatsache, dass manche Neurosen und Katarrhe in einem gewissen 
Stadium sich so ähnlich sehen, dass die differentielle Diagnose nur 
sehw'er zu stellen ist. I 

Indem ich nun zu den anatomischen Erkrankungen des Magens 
übergehe, bemerke ich, dass die Fälle von Ulcus, die ich beobachtet 
habe, natürlich meinem diagnostischen Verfahren nicht unterzogen ' 
wurden, wie sie denn auf unserer Klinik nur ausnahmsweise ausge¬ 
spült werden. 

Ueber die Fälle von Dilatation im Zusammenhang mit den Hyper¬ 
aciditäten und Hypersecretionen will ich an anderer Stelle berichten. 

Es bleiben die Carcinome, von denen ich 5 beobachtet habe. 
Bei zweien war der Effect der motorischen Kraft ein minimaler, 
ja fast Null. Die Section ergab, wie wir es erwarteten, fast voll¬ 
kommenen Verschluss des Pylorus durch das Neoplasma. Bei zweien, 
die ebenfalls durch die Section bestätigt wurden, deckten sich Be¬ 
schwerden und chemische Erscheinungen mit den Symptomen chro¬ 
nisch katarrhalischer Affection. Bei beiden war die motorische 
Function sehr geschwächt (die in 2 Stunden bewältigten Oelraengen 
siud 31, 36, 37, 41). In einem wurde einmal 61 g herausgeschafft. 
Die Section ergab in der That starke Gastritis, und die motorische 
Schwäche ebenso wie die Thatsache, dass dieselbe vorübergehend 
behoben wurde, dürfte nach den vorhergehenden Befunden nichts 
Befremdendes mehr haben. Bemerkenswerth ist der 5. Fall, der 
ein noch jetzt in Behandlung befindliches Carcinom der Cardia be¬ 
trifft. Als Patient eintrat, konnte er wenig und mit Beschwerden 
schlucken. Es gelang nach einiger Zeit, die Sonde einzuführen. 
Die Ausspülung ergab Fehlen der Salzsäurereaction, HCl 0,25 °/oo- ! 
Die motorische Kraft war ca. 74* 23 g Oel wurden herausgeschafft, j 
Patient wurde und wird noch jetzt von Dr. Renvers mit der 
Dauercanüle behandelt, sein Allgemeinbefinden hat sich nicht be 
deutend, aber doch merkbar gehoben. Sein ‘Magen bewältigte bei 
der letzten Untersuchung 53 g Oel. Die starke Herabsetzung der 
motorischen Kraft bei der ersten Untersuchung setze ich auf Rech¬ 
nung der tief bekümmerten Stimmung, in welcher Patient, der den 
Hungertod vor Augen sah, sich befand. Der Einfluss von Gemüths- . 
bewegungen auf die motorische Sphäre des Magens wird durch 
vielfältige Erfahrung zu gut gestützt, als dass er durch besondere 
Experimente belegt Werden müsste. 


965 


Ein specifischer Einfluss des Carcinoms auf die motorischen 
Erscheinungen ist nicht zu constatiren; derselbe wird bedingt durch 
die von dem Carcinom verursachten anderweitigen anatomischen 
Processe. 

Fasse ich die über Katarrhe, Neurosen und Carcinom des Ma¬ 
gens vorgetrageuen Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich: 

Die Steigerung und der Höhepunkt der dyspeptischen Be¬ 
schwerden bei chronischem Katarrh wird durch motorische Schwäche 
bedingt. Die Besserung ist abhängig von der. zunehmenden moto¬ 
rischen Kraft. 

Reflexneurosen und gewisse neurasthenische Dyspepsieen zeigen 
verringerte motorische Kraft. 

Carcinome beeinflussen die motorische Kraft meist durch die 
secundären anatomischen Processe. 

Zum Schluss will ich kurz einige Bemerkungen über Diagnostik 
und Therapie mir gestatten, die sich aus den vorgetragenen Unter¬ 
suchungen ergeben haben. 

Was die Diagnostik der motorischen Zustände aulangt, so er¬ 
wähnte ich bereits, dass das Oelverfahren, so werthvoll die durch 
dasselbe erhaltenen Resultate für die Praxis auch sein mögen, für 
praktische Zwecke selbst wenig geeignet erscheint. Ich habe es 
bereits vorher als das Ziel meiner Untersuchung bezeichnet, durch 
dieselben die motorische Diagnostik für den einzelnen Fall über¬ 
flüssig zu machen; aber immerhin wird es höchst wünschens- 
werth sein, schon aus dem direkten Ergebniss der Probeausspülung, 
die den allgemeinen diagnostischen Zwecken dient, auch im einzelnen 
Falle sich wenigstens annähernd über die mechanischen Verhältnisse zu 
orientiren. Für diesen Zweck erscheint mir weder die Ewald’sche 
noch die Leube’sehe Probemahlzeit sehr geeignet; am weitesten 
kommt man noch mit der Riege 1’sehen, welche iu Beefsteak, 
Suppe und Brod besteht und 5 Stunden später aspirirt wird. Ist 
man mit derselben vertraut, so wird man schätzungsweise aus dem 
erhaltenen Filterrückstand auch über die motorische Kraft viel er¬ 
fahren. Noch bessere Dienste leistete mir die Probemahlzeit, die ich 
gewöhnlich auf der Klinik den Patienten verabreiche, und welche 
aus V 2 Liter Milch und 2 Weissbrödchen besteht, die 2 Stunden 
später aspirirt wird. Ich bin natürlich nicht in der Lage, bestimmte 
Zahlen angeben zu können. Hier ist alles Sache der Uebung und 
des Vertrautseins mit dem bestimmten Verfahren; aber ich selbst 
getraue mich wohl, aus dem Ergebniss einer solchen Probeaus¬ 
spülung ein annäherndes Urtheil über die motorischen Verhältnisse 
zu erreichen. 

Von den vielen Medicamenten, über welche die Therapie des 
Magens verfügt, will ich an dieser Stelle nur den Alkohol und die 
Bittermittel besprechen. Der Alkohol befördert die Bewegungen 
des geschwächten Magens ausserordentlich. 50 g unserer Mix¬ 
tur, bald nach dem Oel gegeben, steigerten bei chronischem Katarrh 
die herausgeschaffte Menge von 31 auf 53, von 34 auf 61 u. s. w. 
Die Araara, namentlich Strychnin, zeigten ähnliche, wenn auch 
nicht so markante Wirkung. 

Diese Befunde sind wohl geeignet, namentlich dem Alkohol, 
der auf Grund der chemischen Diagnostik viel geschmäht wurde, 
wieder den Platz in der Magentberapie und Magenhygiene anzu¬ 
weisen, der ihm zukommt und den er übrigens bei Aerzten und 
Laien trotz der chemischen Untersuchungen stets eingenommen hat. 

Und nun möchte ich mir noch einige allgemeine Bemerkungen 
über die Therapie gestatten. 

Indem meine Untersuchungen die wesentliche Betheiligung der 
motorischen Schwäche an dem Symptomencomplex der Magen¬ 
neurosen und Katarrhe in ihrer vollen Bedeutung würdigen, werfen 
sie auf die Magentherapie im allgemeinen ein besonderes Licht. 

Wer die therapeutischen Bestrebungen auf diesem Gebiete ver¬ 
folgt hat, weiss, dass die heterogensten Mittel für die Magentherapie 
herangezogen worden sind. Aus dem ganzen weiten Gebiete der 
Heilpotenzen, der rationellen uud irrationellen ist keine einzige, die 
nicht im einzelnen Falle sich hilfreich erwiesen hat. 

Nach dem Ergebniss der vorgetragenen Untersuchungen liegt 
es nahe, darauf hinzuweisen, dass all diese Heilverfahren durch die 
Einwirkung auf die nervösen Centra, und zwar nicht selten durch eine 
psychische, ihren Erfolg finden. Es liegt mir fern, die direkten greif¬ 
baren Einwirkungen von Säuren, Alkalien und Kochsalz, vor allem die 
der Magenausspülung zu bezweifeln. Aber jeder, der die schnelle und 
ausgezeichnete Einwirkung dieser Heilfactoren nicht nur in manchen 
Neurosen, sondern auch oft bei zweifelloser Gastritis gesehen hat, 
der muss sich sagen, dass ein gut Theil der Wirkung auf Rechnung 
der Suggestion zu setzen ist. So wird es auch verständlich, trotz 
der diagnostischen und therapeutischen Fortschritte, dass kaum bei 
anderen Krankheiten der individuellen Kunst des Arztes so viel 
überlassen bleibt, wie bei denen des Magens. 

So wird es freilich auch verständlich, dass die erzielten Erfolge 
so oft wieder verloren gehen. 

Die wirkliche Heilung, nicht nur der Neurosen, sondern auch 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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966 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4; 


«Kt Katarrhe ist erst daun eingetreten, wenn die Nerveuceutra, durch 
deren Affeetion die motorische Schwäche bedingt ist, in den Zustand 
der völligen Gesundheit gelangt sind. 

Dieses Ziel wird am vollkommensten durch die Ernährungs¬ 
therapie erreicht. In der That halten wir eine reichliche Ernährung, 
die auf rationelle physiologische Grundlagen sich stützt, für die 
beste Therapie der Magenneurosen und Magenkatarrhe. Die allge¬ 
meinen Grundsätze der Ernährungstherapie, wie sie namentlich von 
Geheimrath Leyden formulirt worden sind, bedürfen freilich für 
den besonderen Fall des erkrankten Magens nicht unwesentlicher 
Modificatiouen. Auf die Besonderheiten will ich indess an dieser 
Stelle um so weniger eingehen, als demnächst aus unserer Klinik 
eine Reihe von Arbeiten über die Ernährungstherapie hervorgehen 
werden. Schliesseu will ich mit der Hervorhebung des Factums, 
dass durch eine vorsichtig geleitete Ernährungscur im Verein mit 
mancherlei mechanischen Eingriffen alle Patienten, die an Er¬ 
scheinungen motorischer Schwäche des Magens auf unserer Klinik 
behandelt worden, wesentliche Besserung, die meisten völlige Heilung 
ihrer Beschwerden gefunden haben. 

IV. Aus der medicinischen Abtheilung des Allerheiligen 
Hospitals zu Breslau. (Primärarzt Prof. Dr. Rosenbach.) 

Ueber das Secret des nüchternen Magens. 

Von Dr. Heinrich Rosin, Assistenzarzt. 

Die Untersuchungen über die Gesetze der Magensaftsecretiou 
und über den Chemismus der Umwandelung der Ingesta, welche im 
letzten Jahrzehnt, in eingehendster Weise ausgeführt worden sind, 
haben bis jetzt dem praktischen Arzte sowohl auf diagnostischem, 
wie therapeutischem Gebiete wenig Nutzen gebracht. Derselbe muss 
noch immer grösstentheils an den auf empirischem Wege gefunde¬ 
nen Medicamenten und diätetischen Curen festhalten, und der Aus¬ 
druck „Magenkatarrh“, unter welcher Kategorie die verschiedensten 
Erkrankungsformen des secretorisehen, motorischen und nervösen 
Apparates des Magens verstanden werden, ist noch immer nicht 
durch einigermaassen pathogenetisch begründete Bezeichnungen so 
ersetzt, wie dies Rosenbach (Volkmann’s Saraml. klin. Vorträge 
No. 152) für die motorisch-chemische Insufficienz des Magens postu- 
lirt hat. 

Die Schwierigkeiten, die sich einer eingehenden Untersuchung 
des Magensaftes entgegenstellen, sind bekanntlich mannichfaltige. 
Sie beruhen theilweise in der Schwierigkeit der Secretgewinnung, 
da dasselbe über die ganze Magenwand vertheilt ist, ohne dass di- 
chotomisch getheilte Drüsengänge ihm einen Ansammlungsort und 
eine gemeinsame Ausflussöffnung verschaffen. Sie beruhen ferner 
auf der Thatsache, dass kaum ein Organ so sehr in seiner Thätig- 
keit vom Allgemeinzustande und von anderen Organerkrankungen 
des Individuums beeinflusst zu werden scheint, wie der Magen, auf 
dessen Thätigkeit Ruhe und Bewegung und Gemüthsstimmungen 
jeder Art nicht minder nachhaltig einwirken. 

Ganz besonders aber dürften die Schwierigkeiten, eine Gesetz¬ 
mässigkeit in der Magensecretion festzustellen, auf denjenigen, bis¬ 
her nicht genügend berücksichtigten Umständen beruhen, welche 
0. Rosenbach in seiner Abhandlung: „Zur Diagnostik des Magen- 
carcinoms“ (Centr.-Bl. f. kl. Med. 1887 No. 32) bereits gewürdigt 
hat. Da nämlich der Magen im Gegensatz zu den meisten anderen 
Drüsenorganen bald nach der Abscheidung sein Secret mit den In- 
gestis, also mit chemisch differenten Stoffen, vermengt, welche durch 
Neutralisation, Oxydation, Reduction, Peptonisirung etc. die mannig¬ 
faltigsten Veränderungen in seiner Zusammensetzung hervorrufen, 
so kann naturgemüss der zur Zeit der Verdauung ausgeheberte, fil- 
trirte Magensaft nicht das ursprünglich zur Verdauung bestimmte 
Secret in unveränderter Zusammensetzung enthalten. Wir haben 
vielmehr dann nur einen, oft nicht eiumal mehr zum Peptonisiren 
verwendbaren Ueberrest vor uns, aus dessen chemischen Bestand¬ 
teilen durchaus nicht auf die Qualität und Quantität der zur Ver¬ 
dauung wirklich notwendigen Componenteu geschlossen werden 
kann. So können wir einerseits, wenn wir z. B. nicht genügend 
Pepsin, oder keine freie Salzsäure im Magensaft finden, gar nicht 
erkennen, ob nicht trotzdem genügende Mengen dieser Stoffe abge¬ 
schieden wurden, andererseits können wir, falls wirz. B. einen Ueber- 
schuss an Salzsäure finden, nicht wissen, ob nicht bloss durch eine ver¬ 
mehrte nachträgliche Conccntration, durch Wasserverbrauch oder Re¬ 
sorption ein scheinbar grösserer Procentsatz an Salzsäure sich ergiebt. 
„Es darf sich also nicht um die Frage handeln, ob der Verdauuugsaft, 
wie er aus dem Magen entnommen ist, noch weiter verdaut, son- 
«lern um die viel wichtigere, ob er im Magen seine Pflicht getan 
hat.“ (Rosenbach.) 

Es dürfte daher kaum gelingen, zu irgend welchen positiven 
und praktisch wichtigen Ergebnissen zu gelangen, wenn das Magen- 


sccret unter den immerhin complicirten Verhältnissen einer Prob 
mahlzeit oder eines Probefrühstücks studirt wird, selbst dan- 
nicht, wenn die Methoden der chemischen Untersuchung der ein¬ 
zelnen Bestandteile des Magensaftes ausgebildeter und zuverläs« 
ger wären, als es heute der Fall ist. Bietet doch bereits d: 
Weissbrod dem Magensaft chemisch so differente Substanzen, da¬ 
nach Einnahme desselben das Secret schon bedeutende quantitativ 
und qualitative Veränderungen erleiden muss. Alle Verdönnun;- 
des Secrets aber (Eiswasser) vermehren bekanntlich die Schwirri. 
keiten der Untersuchung nicht nur durch abnorme Reizune fr 
Schleimhaut, sondern auch durch die Verminderung des Prooento- 
haltes an wässerigen Bestandteilen. 

Die Untersuchungen müssen vielmehr unter den allereinfack*. 
Bedingungen geführt werden, in welche die Magensecretion ahn- 
1 haupt versetzt werden kann. Solche einfachste Bedingungen fr 
I Magensecretion bietet nun der leere Magen, nicht aber der hu 
' gerade oder durch künstliche Ausspülung entleerte, wo, abgeseb-* 
vom Reize der Ausspülung, durch Zurückbleiben von Wasserresi- 
erhebliche Differenzen gesetzt werden. Dagegen dürfte der nüu- 
terne Magen morgens früh, zu einer Zeit, wo sein Leersein ein pby 
! Biologischer Zustand ist, zur Beobachtung der Secretion geeiav 
j sein. Es müssen dann dem nüchternen Magen die allereinfack- 
i Nährstoffe, reine Kohlehydrate, z. B. Amylum, reine Eiweissstof- 
j z. B. Pepton, Hühnereiweiss, reine leimgebende Substanzen. Sali 
Medicamente etc. zugeführt werden. Man dürfte dann nach eingeh«- 
der Aualyse dieser Ingesta selbst (nicht nur der filtrirten Maat- 
säfte), falls auch die motorischen und chemischen Bedingungen di 
selben bleiben, zu einer durch längere Beobachtungsreihen begrö' 
deten Secretions- und Verdauungstheorie gelangen und von da an 
auch pathologische Zustände der Secretion bestimmen können. Eia 
derartige Untersuchungsform setzt aber die Beantwortung einer h-! 
wichtigen, bis jetzt noch nicht genügend erörterten Vorfrage voran* 
Ist der nüchterne Magen geeignet zu derartigen Untersuchung-: 
Ist nicht vielmehr sein Zustand ein von dem zur Zeit der Höhe fr- 
Verdauung so abweichender, dass er überhaupt zu solchen Versuch¬ 
sich nicht eignet? Sollte nicht vielmehr die Annahme der Fi 1 
siologen und Kliniker, dass der leere Magen überhaupt ohne Ser 
sei, berechtigt sein? 

Auf Grund solcher Erwägungen sind auf Veranlassung meic-* 
hochverehrten Chefarztes, Herrn Professor Rosenbach, aufhiesi.- 
Abtheilung seit 4 Monaten Untersuchungen des nüchteren Magen«"- 
angestellt worden. Rosenbach hatte, wie er bereits in der I. Aufla." 
der „Encyclopädie“ (Artikel Dyspepsie) andeutet, wiederholt * 
Ausheberung des nüchternen Magens freie Salzsäure als ein Zeicb- 
vorhandener Saftsecretion vorgefunden und diesen Zustand als i- 
normale Verhalten angesprochen, da nach seiner Auffassung, der- 
auch in der zweiten Auflage der „Encyclopädie“ Ausdruck ' 
hat, die Reizung des nüchternen Magens mH der Schlundsonde st-'- 
einige Tropfen Magensaft erziele (p. 483, Bd. V). Die im frie¬ 
den zu beschreibenden Untersuchungen wurden mit Ausschluss i '- 
Reizung durch die Sonde unternommen, 1 ) denn diese, eine 
elastische Gummisonde, wurde sofort, nachdem sie bis in den Mj: 
gelangt war, oder höchstens 15 bis 20 Secunden später, nach" 
einmaliger Pressbewegung des Patienten wieder herausgeführt. 1* 
bei wurde das obere Ende des Schlauches dicht am Munde mit fr- 
Finger fest comprimirt, um so die etwa darin enthaltene Flüssig!'- 
festzuhalten. 

Die meisten der untersuchten Personen waren von krifu- 
Constitution. Ein Theil davon war überhaupt nicht erkrankt 
gehörte zu der nicht geringen Zahl derjenigen, die nur wegen n 
jectiver Beschwerden, ohne jeden objectiven Befund, das Ho>| - 
frequentiren. Ein anderer Theil, ebenfalls kräftiger Constitut; 
litt an die Magensecretion sicher nicht beeinflussenden Erkrank¬ 
gen. Ein dritter Theil endlich litt an Constitutionsanoroalieen - 
! chronischen Krankheiten, jedoch waren auch diese Patienten frei' 

1 Verdauungsstörungen und erfreuten sich eines sehr regen Appy 

Was durch die Sonde heraufbefördert war, wurde auf b- 
und Durchsichtigkeit untersucht. Mittelst der bekannten Metb ,j: - 

*) Während unsere Untersuchungen angestellt wurden, ist eine * 
reiche Abhandlung von Schreiber erschienen (Arch. für eiperimeni- • 
u. Pharmakolog. Bd. 24), welche einige der hier zu erörternden l-- 1 
behandelt und zu gleichen Resultaten gelangt, vor Allem auch '»* 
Rosenbach (1. c.) behauptete Vorkommen freier Salzsäure im jtf*'“- 
nüchternen Magen feststellt. Aus dem Wortlaut der Bemerkung R-*. 1 “/ 
ersten Auflage der Encyclopädie: „Ueberhaupt glauben wir, dass die 
Salzsäure häufiger fehlt als von den Velden annimmt . . . denn *u 
in 2 Fällen atonischer Verdauungsschwäche auch im nüchternen 
durch den Reiz der Sonde keine freie Salzsäure erhalten“, geht do--- 1 
klar hervor, dass Rosenbach auf Grund seiner Untersuchungen -i ■' 
Wesenheit freier Säure im nüchternen Magen für das Normale b»i 
Auffassung, gegen die Riegel s. Z. Widerspruch erhoben hat. 
Encyclopädie, II. Aufl. Bd. V,J3. 483. 


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22 . November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 967 


wurde das Vorhandensein der freien Salzsäure constatirt. Hierauf 
wurde mit Kalilauge und Kupfersulfat die Biuretreaction vorge- 
noramen. Ausserdem wurde mit einer dünnen Liquor ferri-Lösung 
auf Gelbfärbung (Milchsäure), mit Fehling’scher Lösung auf redu- 
eirende Substanzen untersucht. An einer Anzahl von nüchternen 
Magensäften endlich wurde die peptische Kraft, sowie die Labfer- j 
mentwirkung im Brütofen untersucht. 

1. Die erste Frage, die sich bot, war folgende: Ist der mensch¬ 
liche Magen morgens früh im nüchternen Zustande leer, wie dies 
im Allgemeinen angenommen wird und wie ein Theil der Physio¬ 
logen es durch das Thierexperiment festgestellt hatten. Die Frage 
muss nach unseren Erfahrungen im Allgemeinen verneint werden. 

^ 00 44 morgens nüchtern nach der oben angeführten Methode 
ausgeheberten Magensäften gelang es nur in 2 Fällen nicht, nach ! 
dem Einführen und sofortigen Wiederherausnehmen der Schlund¬ 
sonde saures Magensecret zu gewinnen. In diesen wenigen Fällen > 
blieb die Sonde leer, und in den Fenstern sass etwas Schleim, viel- j 
leicht nur aus dem Oesoghagus stammend. In allen übrigen Fällen 
ergossen sich aus den Fenstern der Sonde 3, meistens 4 — 5, in 
mehreren Fällen mehr als 10 ccm sauren Magensaftes. Die weiter 
unten angegebene Tabelle beweist gerade in diesen letzten Fällen 
durch das Vorhandensein bedeutender Mengen Salzsäure, dass es 
sich nicht etwa um verschluckten Speichel, der im Mageu eine 
saure Umänderung erfuhr, oder um heimlich getrunkenes Wasser han¬ 
delte. Ein anderer Theil der Magensäfte (nur 11 unter 42) enthielt 
keine freie Salzsäure. Hier zeigte die deutlich gelbgrüne Färbung 
(siehe unten) an, dass es ebenfalls sich nicht um Speichel, respec- 
tive Wasser handeln konnte. Nur ein sehr kleiner Theil zeigte ' 
auch die Gelbfärbung nicht, sondern nur eine Biuretreaction, die 1 
allerdings, wie später gezeigt werden wird, für Magensecret nicht 
charakteristisch ist. 

Jedenfalls darf mit Sicherheit behauptet werden, dass der 
nüchterne Magen morgens früh in sehr vielen Fälleu (95 % nach 
nachfolgender Tabelle) nicht leer ist, sondern Secret enthält. 

2. Eine weitere Frage ist nun folgende: Welche charakteristi¬ 
schen Bestandtheile enthält der nüchterne Magensaft? Als der 
wichtigste Bestandteil muss die freie Salzsäure betrachtet werden, 
nicht allein, weil es genügend bewiesen ist, dass ihr Vorkommen 
im Allgemeinen auch das Vorhandensein von Pepsin voraussetzt 
und mit wenigen Ausnahmen, bei reichlicher Menge, auch auf voll¬ 
kommene peptische Kraft schliessen lässt sondern vor allem, weil 
die Methoden ihres Nachweises im Laufe der letzten Jahre soweit 
gefördert sind, dass sie auch in geringen Quantitäten mit Sicherheit 
nachgewiesen werden kann. Das Congopapier und Günzburg's | 
Phloroglucin-Vanillin reichen vollkommen für diesen Nachweis aus. 
Wird das Congopapier deutlich blau, nicht violett so beträgt be- i 
kanntlich die Quantität mehr als ungefähr 0,09 °/o, so dass also 
Congopapier zu einer, wenn auch wenig genauen, so doch dem 
praktischen Bedürfnis ziemlich genügenden, quantitativen Prüfung, 
wenigstens im positiven Sinne, herangezogen werden kann. Nicht 
möglich ist dies beim Phloroglucin-Vanillin, dennoch ist es rathsam, 
diese Probe, namentlich bei schwacher Congoreaction, ebenfalls vor¬ 
zunehmen, weil dasselbe nur freie Salzsäure anzeigt und so den 
Verdacht beseitigt, dass die Congoreaction etwa von anderen (orga- j 
rtischen) Säuren, vor allem von Milchsäure, bedingt ist, wiewohl 
von dieser Säure sehr erhebliche Quantitäten nöthig sind, um das 
Congopapier zu beeinflussen. 

Es wurde nun in 31 von 42 Fällen freie H CI im Magensaft 
gefunden; bei einem Theil derselben (16) wurde Congo deutlich 
und intensiv blau, die Quantität betrug mehr als ungefähr 0,09 %. ; 
Es muss als ein wichtiger Punkt hervorgehoben werden, dass gerade : 
diejenigen Magensäfte, die besonders gelb gefärbt waren und auf j 
Anwesenheit von Galle schliessen Hessen, zum Theil die stärksten 
.Salzsäurequantitäten enthielten. Die Galle scheint weuiger neutrali- 
sirend auf die Säuren zu wirken, oder vielmehr trotz ihrer neutra- 
lisirenden Kraft scheint sie die Salzsäuresecretion stärker anzuregen, 
vielleicht vermöge des in ihr enthaltenen Bitterstoffes. Letzteres be¬ 
darf jedoch noch einer eingehenden Untersuchung. Uebrigens waren 
einzelne, auch wenig gelbgefärbte Magensäfte, reich an Salzsäure. 

3. Enthält der nüchterne Mageusaft auch Pepsin? Diese Frage 
wird einfach durch den Verdauungsversuch beantwortet. 6 nüchterne 
Magensäfte, die reichlich Salzsäure enthielten, wurden nach der 
Filtration, etwa 4 ccm an Quantität, mit einem etwa 1 mm dicken, 

1 ccm grossen Stückchen Hühnereiweiss versetzt. Dasselbe war 
in allen Fällen spätestens nach 60 Minuten vollständig aufgelöst. 
Ausserdem wurden noch 2 Magensäfte, in denen Salzsäure fehlte, mit 
einem Tropfen Acidum mur. conc. (auf 4 ccm) versetzt; auch diese 
verdauten innerhalb 60 Minuten das Eiweissscheibchen. Der nüchterne 
Magensaft enthält* also in allen darauf hin untersuchten Fällen 
Pepsin, so dass bei genügender Menge Salzsäure seine peptische 
Kraft eine vollkommene ist. 

4. Eine weitere Frage ist die: Kommen auch organische Säu¬ 


ren im nüchternen Magensaft vor und welche sind es? Die Beant¬ 
wortung -dieser Frage stösst auf Schwierigkeiten, welche in der 
Mangelhaftigkeit, der vorhandenen Methoden liegen. 

Von der am häufigsten im Magensaft vorkommenden organischen 
Säure, der Milchsäure, welche sowohl als Fleischmilchsäure, wie als 
Gährungsmilchsäure durch die Speisen dem Magen zugeführt wird, 
ist es noch nicht nachgewiesen, dass sie auch noch ausserdem als ein 
besonderer Bestandteil des Magensaftes vorkommt. Es wäre nun 
der nüchterne Magensaft, und zwar in den Fällen, in denen er im 
übrigen seine peptische Eigenschaft vollkommen besitzt, geeignet für 
die Untersuchung auf Milchsäure. In der That wurden auch sehr 
viele nüchtern gewonnene Magensäfte auf Milchsäure untersucht, 
stets mit negativem Erfolge. Dennoch ist aus dieser Thatsache der 
Schluss, dass Milchsäure im Magensaft enthalten sei, nicht mit aller 
Sicherheit zu ziehen, weil der Nachweis von Milchsäure, der nach 
Uffelmann’s Methode (Liq. ferri -f Carbol, oder Liq. ferri in sehr 
verdünnter Lösung) geführt werden muss, trotz ihres Vorhandenseins 
nicht immer gelingt, da bekanntlich gelöste Albumiuate und pbos- 
phorsaure Salze die Reaction verhindern. (Eine Ausschüttelung der 
Milchsäure mit Aether führte bei den geringen Quantitäten, mit de¬ 
nen gearbeitet werden musste, zu keinem Resultat.) Uebrigens würde 
auch der positive Ausfall der Reaction keine volle Beweiskraft ha¬ 
ben, da bekanntlich viele andere Substanzen einen positiven Aus¬ 
fall der Probe ergeben. 

Was nun den Nachweis anderer organischer Säuren, und zwar 
flüchtiger betrifft, so sind die Methoden ihres Nachweises noch über¬ 
aus mangelhaft. Sie sollen z. B. durch den Geruch erkannt werden. Der 
nüchterne Magensaft hat stets einen Geruch, der sehr wohl von 
Fettsäuren herrühren kann. Ob dieselben aber dem Mageu ent¬ 
stammen, oder vielleicht als dem Munde angehörig und durch Zerset¬ 
zung des nächtlichen Secrets und der im Munde verbliebenen Speise¬ 
reste entstanden, sich dem Sondeninhalt nur beigemischt haben, lässt 
sich füglich nicht entscheiden. 

5. In fast allen Fällen ergiebt der ausgeheherte, nüchterne 
Magensaft Biuretreaction. Unter dieser Reaction soll hier jede Rosa¬ 
färbung nach Zusatz von Alkali und Kupfersulfat verstanden wer¬ 
den. Alleinige Violettfärbung, wiewohl auch aus der Beimischung 
von Roth zu dem Ultramarinblau der alkalischen Kupfersulfatlösung 
entstanden, wurde nicht beachtet, weil die Quantitäten des die Re¬ 
action bedingenden Stoffes sicher sehr gering waren. Dieses so 
überaus häutige Vorkommen der Biuretreaction des nüchternen 
Magensaftes, welches auf Anwesenheit von Pepton schliessen lässt, 
würde unter der Voraussetzung, dass der nüchterne Magen die Spei¬ 
sen des vorigen Tages normalerweise bereits längst in den Darm 
befördert hat, zum mindesten rätbselhaft sein, wenn ihr Auftreten 
nicht durch folgende Thatsachen erklärt würde: 

a. Reiner Speichel giebt häufig eine Biuretreaction (Rosafärbung); 

b. Speichel mit Salzsäure und Pepsiu giebt eine, im Vergleich zur 

ursprünglichen, noch stärkere Biuretreaction; 

c. Nach längerem Stehen ist die Biuretreaction im Speichel ver¬ 
mehrt : 

d. Schleim aus Nase und Rachen sowie aus den Bronchien ergiebt 

eine Biuretreaction; 

e. Noch ganz andere, nicht, verdaute Körper, z. B. Fibrin, rohes 
. und gekochtes Hühnereiweiss, Weissbrod ergeben nach gehöriger 

Verkleinerungund Vermischung mit Kalilauge eine Biuretreaction. 

Ob wie in diesen Substanzen, so auch im nüchternen Magensäfte 
die Biuretreaction von vorhandenem Pepton oder aus anderen Ur¬ 
sachen sich herleitet, bedarf weiterer eingehender Untersuchungen, 
die jedoch erst dann ein wirkliches Resultat haben werden, wenn 
die so sehr complicirte Lehre vou den Umwandeluugen der Albu- 
minosen ihren Abschluss gefunden haben wird. 

Jedenfalls kann die Biuretreaction des nüchternen Magensaftes 
von verschlucktem Speichel, verschlucktem Schleim, oder vom Ma¬ 
genschleim selbst herrühren. 

6. Wiederholt wurde der nüchterne Magensaft mit Fehling’scher 
Losung auf reducirende Substanzen, vor allem auf Traubenzucker 
untersucht. Die Resultate fielen stets negativ aus. 

7. Der nüchterne Magensaft kann auch Labferment euthalteu. 
Von vier daraufhin untersuchten Fällen trat nach Neutralisirung des 
Magensaftes in zwei Fällen eine Gerinnung der zugesetzteu neutralen 
Milch im Brütofen in 20 Minuten ein. 

8. Der nüchterne Magensaft ist in der Mehrzahl der Fälle ge¬ 
färbt. Die Farbe schwankt zwischen gelb und gelbgrün. Bei län¬ 
gerem Stehen werden alle Magensäfte . grün (auch beim Kochen), 
eine Anzahl selbst blaugrün, besonders der Filterrückstand, wenn 
der Mageusaft etwa filtrirt worden war. Nach weiterem Stehen¬ 
bleiben (ca. 3—4 Tage) verblasst ein Theil der Magensäfte gänzlich. 
Es liegt nahe, als einzigen Färbestotf deu Gallenfarbstoff auzuneh- 
men, zumal die Gmelin’sclie Probe häufig gelingt. Als ein eigen- 
thümlicher Befund muss es jedoch hingestellt werden, dass eine An¬ 
zahl Magensäfte Urobilin, als Derivat des Bilirubins, enthalten, indem 


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908 

sie die charakteristischen Absorptionsstreifen desselben zwischen blau 
und grün ergeben. Auch dieser Punkt bedarf noch weiterer Unter¬ 
suchungen. 

Zum Schluss folgt noch eine Tabelle, welche das Verhalten der 
Salzsäure, Biuretreaction etc. kennzeichnen soll. 



Krankheit 

Salzsäure 

Biuret- 

reaction 

Reac- 
tion mit 
Liquor 
ferri 

Farbe 

Quantität 

W. j 

Myalgieen 

4- (sehr stark) 

4- 1 

— 

blassgelb 

4 

ccm 

A.; 

Rlieum. art. ehr. 

+ (sehr stark) 

4- . 

— 

gelb 

5 

- 

IM 

Auaemia 

4- (sehr stark) 

4- 

— 

blassgelb 

10 

„ 

R. 

Lumbago 

— 

— 

— 

— 

— 


S. 

Siue inorbo 

4 (sehr stark) 

— 

— 

blassgelb 

8 


K. 

Anaemia 

— 

4- 

— 

gelb 

4 

n 

W. 

Pleurodynie 

4- (stark) 

4- 

' — 

gelb 

3 

n 

e. 

Rheum. inusc. 

— 

-- 

— 

— 

— 


M. 

Phth. pulni. 

’ — 

4- 

— 1 

weiss 

3 


K.| 

Plitb. pulm. 

-f- (schwach) 

-H 

1 — 

gelb_ 

4 

T 

ß. 1 

ßronchit. 

-j- (schwach) 

4- 

— 

gelbgrfiu 

5 


II. 

Plith. pulm. 

4 (sehr stark) 

+ 

1 

gelbgrün 

8 

y> 

<i. 

Rheumat. musc. 

(sehr schwach) 

4 


weiss 

4 

7 

B. 1 

Rheumat. musc. 

4 (inässigbissehr 
stark violett) 

4- 


grüngelb 

5 

Ti 

s. 

Nephrolithiasis 

— 

4- 

— 

weiss 

5 

Ti 

K. 

Anaemie 

— 

4- 

— 

gelb 

6 

Ti 

S. 

Nephrolitiasis 

-1- (stark violett, 

4 

— 

gell» 

5 

„ 

P. 

Rheumat. musc. 

— 

4- 

1 

gelbgrün 

4 

* 

w. 

Rheumat. musc. 

— (neutrale Re- 
action) 

+ 


j weissgelb 

3 

- 

K. 

Rheumat. musc. 

4- (massig, stark 
violett) 

4- 

1 — 

grün 

5 


P. 

Anaemia 

4 (massig) 

4- 


weiss 

4 


K. 

[ Sine morbo 

4- (stark) 


— 

n°H’_ 

5 


A. 

Lumbago 

4 (sehr stark) 

4- 

— 

gelbgrün 

11 


/. 

\ t'atarrh. vesic. 

-- 

4- 

— 

hellgelb 

4 


M. 

Cirrh. Iiepat. 


4- 


weiss 

7 

n 

M. 

Leukämia 

-f- (sehr stark) 

4 


weiss 

G 

n 

s. 

Coxalgia 

-|- (schwach) 

4 


grün 

fi 

Ti 

<;. 

Hysteria 

4 (stark) 

4- 

. — 

gelbgrün 

10 

n 

K. 

ßronchit. 

+ 

4 

I — 

1 gelb 

3 

Ti 

L. 

Rheumat. musc. 

4 

+ 

1 — 

weiss 

4 

» 

p. 

(Jingivitis 

f (stark) 

4 


grün_ 

7 


p-! 

Rheumat. musc. 

4 (schwach) 

+ 


1 gelbgrün 

5 


1*. 

Phth. pulm. 

— 

4- 

1 

' weiss 

4 


A. 

Rheumat. musc. 

— 

4 

! - 

grüngelb 

3 


K. 

Otitis 

4 (stark) 

4 . 

I - 

grün 

12 

„ 

K. 

Rheumat. 

4- (stark) 

4- 

1 

gelborauge 

8 

Ti 

W. 

Lateralsclerose 

4 (stark) 

4 

• — 

grün 

6 

Ti 

11. 

ßronchit. 

4 (>tark) 

+ 

— 

weiss 

4 

n 

L. 

ßronchit. 

14- (stark) 

4- 

1 — 

gelb 

3 

Ti 

P. 

Phth. pulm. 

4 (schwach) 

4- 

- 

weiss 

4 

Ti 

M. 

Sine inorbo 

14 - (massig) 

+ 


gelb 

4 

Ti 

11. 

ßronchit. 

4- (stark) 

4 

! — 

gelbgrün 

5 

y, 

M. 

t'irrh. Iiepat. 

1 4 (schwach) 

4 - 


weiss 

3 

jy 

<i. 

Hysteria 

, -- 

, + 


weiss 

3 

- 


Die vorstehenden Untersuchungen dürften also den Beweis er- 


bracht haben, dass der nüchterne Magen morgens früh bei Gesunden 
nicht leer zu sein braucht, dass er vielmehr in zahlreichen Fällen 
die charakteristischen Bestandteile des Magensaftes, ferner auch die 
volle peptische Kraft besitzen kann. Uebrigens soll noch erwähnt 
werden, dass eine gewisse Constanz in der täglichen Beschaffenheit 
des nüchternen Secrets bei einzelnen Individuen zu bestehen scheint. 
Darüber, so wie über andere Resultate, vor allem auch nach Ein¬ 
führung bestimmter Ingesta sollen noch weiterhin Untersuchungen 
gemacht werden. 

Zum Schlüsse spreche ich meinem hochverehrten Chef, Herrn 
Prof. l)r. Rosenbach, meinen Dank aus für die Anregung zu diesen 
Untersuchungen und für die zahlreichen Unterweisungen bei deren 
Ausführung. 

Y. Neuere Arbeiten über Magenkrankheiten. 

Th. Rosenheim. Ueber die Säuren des gesunden und 
kranken Magens bei Einführung von Kohlehydraten. 
Virchow s Archiv 111. Bd. 1888. 

Nach den Untersuchungen von Ewald und Boas über die 
Verdauungsvorgänge im gesunden menschlichen Magen herrscht 
zwischen der Milchsäure und der Salzsäure insofern ein gewisser 
Antagonismus, als jene bei Genuss von Kohlehydraten im I. Stadium 
allein zu finden ist, dann aber mit dem Auftreten der HCl immer 
mehr verschwindet. R. erschien aber die Untersuchungsmethode 
dieser Autoren nicht ganz zuverlässig, und als er von Neuem in 
äusserst sorgsamer und exacter Weise an vier Gesunden und zwölf 
Kranken Art und Menge der bei Zuführung von Kohlehydraten im 
Mageninhalt während der verschiedenen Stadien der Verdauung ver¬ 
kommenden Säuren prüfte, da zeigte es sich, dass nach einer Probe- 


No. U 


mahlzeit von 50 g Weissbrod 4 150 g lauwarmen Wassers die Salz¬ 
säure schon früh in nicht unbeträchtlicher Menge erscheint, dau: 
1 pro Mille übersteigt und bis zur völligen Elimination der Speis« 
in das Duodenum bleibt, während die Milchsäure zwar auch b 
allen Phasen nachweisbar ist, aber ihr Werth nie 1 pro Mille erreidii 
i und in jedem Stadium geringer ist als der entsprechende HO- 
j Werth. Die Säurewerthe schwanken bei demselben Individuum b 
den gleichen Verdauungsphasen nicht unbeträchtlich, und ausserdem 
bestehen bei verschiedenen Individuen in den gleichen Stadien nirb 
I allein Unterschiede in den absoluten Werthen, sondern ganz 1— 
sonders in der Schnelligkeit des Verdauungsprocesses. ln Bern: 
j auf das Verhalten der Säuren bietet ein katarrhalisch afficiiv 
! Magen (mit und ohne Ectasie) keine Unterschiede dar von eiota 
i gesunden; nur wenn schon nach 15 Minuten die nachweisbare HO- 
I Menge 1 pro Mille übersteigt, handelt es sich um Hyperacidität. 

Wurde statt des Weissbrotes die in demselben enthaltene Stärk- 
und Zucker für sich allein (in Form von 25 g Weizenstärke -f.n 
Zucker in 200 g Aqua zu einem Kleister aufgekocht) dem Magd 
einverleibt, so war die HCl-Production unter normalen und patho¬ 
logischen Verhältnissen im Ganzen erheblich geringer als bei Er 
früheren Probemahlzeit; ebenso bei reiner Stärkekost Es bestimm: 
; also die Art der Ingesta den Absonderungsvorgang. Aronsoho. 

R. Krukenberg. Ueber die diagnostische Bedeutuo. 
; des Salzsäurenachweises beim Magenkrebs. 73S. Inaugurai- 
Dissertation. Heidelberg, 1888. 

Die vorliegende, vortrefflich und umsichtig gearbeitete Disser¬ 
tation behandelt die Bedeutung des Salzsäuremangels beim Kr4 
an der Hand der modernen Untersuchungsmethoden. Der Verfasse: 
hat zu diesem Zwecke die meisten für den Salzsäurenacbweis ia 
, Betracht kommenden Reactionen auf ihren Werth hin geprüft uni 
: dabei gefunden, dass jedes der Reagentien auch das in letzter Z>i: 

: viel gerühmte Phloroglucin-Vanillin gewisse Fehlerquellen in a« 
schliesst, die sich bei combinirter Anwendung (wofür auch Referent 
stets eingetreten ist) leicht vermeiden lassen. An diese sich überall 
auf eigene Versuche stützenden Auseinandersetzungen reiht Er¬ 
fasser eine Tabelle (p. 21), auf welcher man die Grenzwertbe Er 
H Cl-Reaction bei den einzelnen Farbstoffen, den Einfluss von Ei¬ 
weisskörpern bezw. Peptonen, Speichel, Kochsalz, Stärk ekleL'ttr. 
Milch- und Buttersfiuren sowie der Amidosäuren (Leucin) in über¬ 
sichtlicher Weise verzeichnet findet. Der Verfasser kommt r 
Rücksicht auf seine Ergebnisse zu dem Schluss, dass bei combinirter 
Anwendung der Farbstoffreactionen (Methylviolett, Congo, Er- 
paeolin, Eisenchloridcarboi, Phloroglucin-Vanillin) der qualitativ 
Nachweis freier HCl im Magensaft sich mit einer für die Praxis ' 
auf genügenden Sicherheit führen lässt, alle übrigen Methoden E- 
gegen vom streng analytischen Schmidt’schen Verfahren abgesehen 

viel umständlicher und in ihren Resultaten durchaus nicht zweiME 

| seien. 

Der zweite Theil der Arbeit beschäftigt sich mit der Fnu<- 
bei welchen Zuständen ausser dem Carcinom noch das Fehlen Irei- 
H CI zur Beobachtung kommt, und in welcher Weise hierdurch «m 
1 diagnostische Werth des Salzsäuremangels bei Carcinom tansi- 
wird. Aus den sorgfältigen Literaturzusammenstellungen des Er. 

I ergab sich, dass constantes Fehlen der H Cl-Reaction ausser En 
Magencarcinom noch 1) bei der Atrophie der MagenschleiniE 1 
(Catarrhus gastricus atrophicans) sowie bei den toxischen GastritiE' 

2) beim Magenkatarrh mit starker Schleimabsonderung (Catarrnn- 
mucosus), 3) bei der pernieiösen Anämie Vorkommen. Ferner za®* 
folgende seltenere Zustände coustant H Cl-Mangel, wenngleich b:^ 
über noch nicht genügende Erfahrungen vorliegen: 1) Carcinom 
Duodenum, 2) Rückfluss von Galle und Darmiohalt in den Magre- 

3) Morbus Addisonii, 4) Gastritis diphtheritica. Ein häufiges aE 

nicht constantes Fehlen der H CI liess sich endlich constatm’ 1 
1) Beim Amyloid des Magens, 2) bei nervöser Dyspepsie. » ■ 
fieberhaften Krankheiten. Den wichtigsten Zustand für die •’ 
nannte differential-diagnostische Frage stellt der chrouisch-mu ' 
Katarrh und die Atrophie der Magenschleimhaut dar, während. R ' 
Verfasser mit Recht hervorhebt, die übrigen Zustände in dieser Hin-' 1 ' ■' 
bei sorgfältiger Untersuchung keine erheblichen SchwierigkE" 
machen. Bei Fehlen sonst charakteristischer Symptome kanti 1 1 
die Differentialdiagnose zwischen den erstgenannten Krankb i - 
und dem Magencarcinom sehr erschwert werden. „ 

Andererseits ist bekanntlich gegenüber der diagnostischen ' 
deutung des Salzsäuremangels der Einwand erhoben, dass 
bei Carcinom Salzsäure in nachweisbaren oder selbst erheMn 1 
Mengen vorhanden sei. Die in letzterer Hinsicht vom Verfass - 
machten Zusammenstellungen ergaben, dass mindestens 34 der.im- 
Fälle in der Litteratur beschrieben sind. 

Die Befunde des Verfassers selbst ergaben unter 15 H» cn | ' 
Carcinom der Heidelberger Klinik (darunter drei durch Section 
stätigt) bis auf einen, der aber auch nur Anfangs Salzsäurerea>ti rt ' 1 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


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22. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 969 


zeigte, constantes Fehlen derselben. Ausserdem beschreibt Verfasser 
zwei weitere interessante Fälle: einen mit wechselndem Vorhanden¬ 
sein von HCl bei durch die Section nachgewiesenem Carcinora, 
einen zweiten, durch Cachexie und Vorhandensein eines Tumor 
und eonstanter reichlicher Salzsäurennwesenheit ausgezeichneten 
mit altem Ulcus, narbiger Stenose und Traotionsdivertikel des 
Duodenum. 

Im Allgemeinen scheint dem Verfasser „die Thatsache festzu¬ 
stehen, dass in der übergrossen Zahl der Magencarcinome der Nach¬ 
weis freier HCl constant oder fast constant vermisst wird, dass 
allerdings eine Reihe Ausnahmen von dieser Regel Vorkommen, die 
aber meist auf Anfangsstadien der Krebserkrankung oder das voran¬ 
gegangene Bestehen eines Magenulcus zu beziehen sind.“ Das 
Fehlen der Salzsäure erklärt Verfasser aus einer gleichartigen Wir¬ 
kung verschiedener Factoren, hauptsächlich atrophisch-degenerativer 
Zustände der Schleimhaut und des concomitirenden Mageukatarrhs. 

Gerraain See. Les maladies de l’estomac, jugees par 
un nouveau reactif chimique. Communication faite ä l’acaderaie 
de Medecine; Janv. 1888. 

Verfasser giebt auf Grund der modernen Forschungen (v. d. Vel¬ 
den, Ewald, Riegel, Jaworski und Gluzinski, Cahn, v. Mering, Boas 
u. A.) ein ausführliches Resümee der in Deutschland in jüngster Zeit 
angegebenen und praktisch verwertheten Untersuchungsraethoden. 
See präconisirt als Salzsäurereagens das Günzburg’sche Phloro- 
glucin-Vanillin, das sich ihm vortrefflich bewährt hat. Als Probe¬ 
mahlzeit dient ihm Jaworski’s Eiweissmethode mit der Modifica- 
tion, dass die Prüfung nach 45—60 Minuten und mit ganz geringer 
Wassereingiessung erfolgt. 

Die Eintheilung der chronischen Magenaffeetionen in solche mit 
normaler, unzureichender oder fehlender, übermässiger und wech¬ 
selnder Saftsecretion hat Verfasser genau nach dem vom Ref. (diese 
Wochenschrift, 1887, No. 24—26) gegebenen Schema gewählt, wie 
sich denn erfreulicher Weise auch sonst vielfach Bestätigungen der 
1. c. vertretenen Anschauungen vorfinden. 

See's Untersuchungen stützen sich auf 16 Fälle, von denen 10 
Salzsäuremangel zeigten, darunter 2 Carcinome, 2 Fälle von Bacil- 
lose, 1 Vitium cordis, 1 Nephritis, 1 Fall von Diabetes, 1 Fall von 
Dyspepsie bei einem alten Paralytiker, 1 Fall von alter Dilatation, 

1 Fall (von Salzsäure Verminderung) bei einem an Tripperrheuma¬ 
tismus Leidenden. In 2 Fällen wurde Hyperacidität beobachtet, und 
zwar in einem Fall von chronischer Enteritis und einem Fall von 
mit Dyspepsie verbundener Anaemie. Die normale Gruppe umfasst 

2 Fälle von einfacher Dilatation und Darrakatarrh, eine alte Ga- 
strectasie ohne Abmagerung, einen Fall von Magen-Darmkatarrh. 

Von der ersten Gruppe erscheint besonders Fall 10 erwähnens¬ 
wert!), wo bei einem 30jährigen an Tripperrheumatismus leidenden, 
in Bezug auf die Verdauungsfunctioneu völlig normalen Individuum 
die wiederholt angestellte Salzsäureprüfung negativ ausfiel. Der 
Fall reiht sich demnach den von Wolff und Ewald mitgetheilten 
(Berl. klin. W. 1887) vollkommen an. See ist demnach der von 
den letztgenannten und auch vom Ref. vertretenen Ansicht, dass 
selbst bei gesunden Individuen eine (wenigstens bezüglich der £i- 
weissverdauung) minimale Functiousleistung statt haben kanu, wäh¬ 
rend der Darm hierfür vicariirend in Action tritt. Jedenfalls leidet 
die Ernährung merkwürdigerweise, wie wir wiederholt beobachtet 
haben und auch Verfasser hervorhebt, hierbei durchaus keine Einbusse. 

Bezüglich der Fälle mit normalem Chemismus macht See auf 
einige durchaus beacbtenswerthe, bisher zu wenig gewürdigte Mo¬ 
mente aufmerksam, die Verfasser bereits früher wiederholt betont 
hat. Es handelt sich nämlich in vielen Fällen sogenannter Dys¬ 
pepsie keineswegs um Magenstörungen, sondern der Herd der Be¬ 
schwerden liegt im Dickdarm und besteht in muskulärer Atonie 
oder mechanischen Störungen. Es sind dies die Fälle, bei denen 
sich im Publikum der Gebrauch von Abführmitteln mit Erfolg ein¬ 
gebürgert hat. . 

Die therapeutischen Bemerkungen des Verfassers richten sich 
gegen die bisher in der Magentherapie übliche Schablone und for¬ 
dern ein Regime, das sich an den Chemismus des kranken Indivi¬ 
duums anlehnt. Demnach ist bei Fehlen von H CI den Amylaceen 
in verschiedener Form ein weit grösserer Spielraum als bisher ein¬ 
zuräumen, Eiweisskörper dagegen nur in beschränktem Masse zu 
gestatten, während die Fülle mit Hyperacidität gerade umgekehrt 
Einschränkung von Amylaceen und möglichst ausgiebige Fleisch¬ 
kost erheischen. Boas. 

Haas. Ueber die praktisch verwendbaren Farben- 
reactionen Zum Säurenachweis im Mageninhalt. Inaugural- 
Dissertation. Erlangen, 1887. 

Die thatsächliehen Ergebnisse der auch den Praktiker inter- 
essirenden Arbeit sind folgende: 

Von den Proben zum Nachweis der freien Salzsäure im Magen¬ 
inhalt ist die Phloroglucin - Vanillinprobe die schärfste. 


Sie erleidet keine wesentlichen Störungen durch Eiweiss, Peptone, 
saures phosphorsaures Natron oder Kochsalz. 

Verwendet wird die Günzburg’sche Lösung: 2 Theile Phloro¬ 
glucin, 1 Theil Vanillin in 30 Theilen Alkohol gelöst. Einige 
Tropfen Phloroglucinlösung werden mit der gleichen Menge zu 
untersuchender Flüssigkeit in einem Porzellanschälchen gemischt 
und langsam verdampft. Salzsäurelösungen von 2—’/# °/ 0 hinter¬ 
lassen einen schönen hochrothen Niederschlag, Milchsäurelösungen 
derselben Concentration rufen keine Reaction hervor. Essigsäure 
und Buttersäure von 2 und 1 % sind wirkungslos. 

Nächst der Phloroglucin-Vanillinprobe sind noch geeignet die 
Probe mit Heideibeerfarbstoff, und die Tropaeolinprobe in 
der von Boas angegebenen Modification. Zur Heidclbeerfarbstoff- 
reaction wird nach üffelmann’s Vorschläge das amylalkoholische 
Extract der Heidelbeeren verwendet. Je 1 ccm dieser schön blau- 
rothen Flüssigkeit wird mit 1 ccm Säurelösung im Reagensglase ge¬ 
mischt. Nach ürnschütteln und Absetzenlassen zeigen die Schichten, 
je nach Milchsäure- oder Salzsäuregehalt, verschiedene Färbung: bei 
Milchsäure ist die untere Schicht blassrosa oder farblos, bei Salz¬ 
säure je nach dem Gehalt (von 2— V 4 °/o) johannisbeerroth, die 
obere Schicht bei beiden blauroth. 

Die anderen Proben sind weniger zuverlässig. 

Zur raschen Orieutirung, ob Salzsäure vorhanden sei. dient das 
Congopapier. 

Zum Nachweis der Milchsäure ist die Eisenchlorid-Carbol- 
probe vollkommen auerkennenswerth; die Lösung besteht aus 3 Tro¬ 
pfen Liquor ferri sesquichlor., 3 Tropfen concentrirter wässeriger 
Carbollösung und 20 Cubikeentimeter Aqua destillata und muss 
frisch bereitet werden. 

Das amethystblaue Reagens wird durch Salzsäure entweder ent¬ 
färbt oder nimmt graue oder blaugraue Farbentöne au, während 
bei Milchsäure eine grünlich gelbe bis gelbliche Farbenreaction ein- 
tritt. Wo Milchsäure und Salzsäure gleichzeitig vorhanden sind, 
tritt auch noch, eventuell nach Verdünnung, wenn die Salzsäure 
überwiegt (conf. Original), die Reaction deutlich hervor. 

Für die Praxis, welche zu differentiell-diagnostischen Zwecken 
solcher Proben nicht mehr entbehren kann, empfiehlt Haas folgen¬ 
den Gang der Untersuchung: 

Der filtrirte Magensaft wird zuuächst mit Congopapier (Merck) 
auf Vorhandensein freier Salzsäure überhaupt geprüft. (Blaufärbung 
des Papiers). 

Fällt diese Probe positiv aus, so soll zunächst die Probe mit 
Tropaeolinpapier angestellt werden. 

Letzteres wird befeuchtet mit Magensaft, an der Luft oder über 
der Flamme getrocknet. (Brannfärbung, beim Trocknen in lila 
übergehend.) 

Fallen diese Proben positiv aus. so ist mehr als 1% freie Salz¬ 
säure vorhanden. 

Giebt Tropaeolinpapier keine Reaction, so kanu man mit Hei- 
delbeerfarbstoff oder Phloroglucin-Vanillin (übrigens kein theures 
Reagens) Salzsäuregehalt von 0,25—0,1% nach weisen. Fallen diese 
Probeu negativ aus, so ist freie Salzsäure kaum vorhanden. 

Schliesslich wird noch die Eisenchlorid-Carbolprobe mit all¬ 
mählicher Verdünnung des Magensaftes ausgeführt, um sich von der 
Anwesenheit der Milchsäure zu überzeugen. (Gelbfärbung.) 

Hat man alle Reagentien zur Hand, so ist eine solche Unter¬ 
suchung in wenigen Minuten auszuführen und genügt für die 
meisten Fälle der Praxis. Buchwald. 

Boas. Ein neues Reagens für den Nachweis freier 
Salzsäure im Mageninhalt. Ctrl bl. f. kliu. Med. 1888, No. 45. 

Löst man eine geringe Menge chemisch reinen Resorcius iu mehr 
oder weniger concentrirter Salzsäure und erhitzt, so tritt bei Gegen¬ 
wart von Rohrzucker eine schöne pfirsich- bis purpurrothe Färbung 
ein, die beim Erkalten an Intensität noch zunimmt. Ueberschuss 
vou Kalilauge verwandelt die Rothfärbung in ein gesättigtes Gelb. 
Eben so wie Salzsäure verhalten sich auch Schwefel-, Salpeter- und 
Phosphorsäure. Nimmt man eine stark verdünnte Mineralsäure, 
so tritt die genannte Reaction nicht mehr ein, wohl aber, wenn 
man wenige Tropfen derselben mit Resorcin und Rohrzucker im 
Schälchen langsam bis zur Trockne eindampft. Man erhält dann 
einen schön zinnoberrothen Spiegel, der bei längerem Stehen einen 
bräunlichen Farbenton annimmt. Organische Säuren, speziell Milch-, 
Butter- und Essigsäure, sowie saure Eiweissverbindungen geben die 
Reaction weder in der Eprouvette noch im Schälchen. 

Die letztgenannte für diluirtc Säuren ausschliesslich in Betracht 
kommende Probe im Schälchen erweist sich bei successiver Ver¬ 
dünnung als äusserst empfindlich: noch bei V-.' 0 0 /oo (bekanntlich die 
Reactionsgrenze der Günzburg’schen Probe) ist bei gehöriger Vor¬ 
schrift und langsamer Verdampfung ein durchaus deutlicher kar- 
moisinrother Spiegel zu erhalten. 

Behufs Anwendung der Probe für Mageninhaltsuntersuchungen 


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970 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47 


hat der Autor die folgende Zusammensetzung am zweckmässigsten 
gefunden: Resorcin. resublim. 5,0, Sacchar. 3,0, Spirit, dilut. ad. 100,0. 
Versetzt man 5—6 Tropfen Mageninhalt oder noch weniger mit 2 
bis 3 Tropfen der genannten Lösung und erhitzt über kleiner 
Flamme auf einem Porzellanplfittchen oder im Schälchen, so erhält 
man uach der vollständigen Verdampfung einen schönen rosa- bis j 
zinnoberrothen. der Phloroglucin-Vanillinreaction sehr ähnlichen j 
Spiegel, der sich beim Erkalten allmählich verfärbt. Bei zu starkem 
Erhitzen kann durch Verbrennen der organischen Substanzen, nament- ! 
lieh des Zuckers, die Reaction, ähnlich wie bei der Gönzburg’sehen j 
Probe, undeutlich ausfallen, bezw. latent bleiben, ln gleicher Weise i 
kann man auch die Reaction anstellen, indem man einen Streifen i 
Fliesspapier in salzsäurehaltigen Mageninhalt tancht, 1—2 Tropfen 
der Resorcinzuckerlösung dazu tropft und langsam über kleiner 
Flamme erhitzt, man erhält dann zuerst einen violetten, bei weiterem 
Erhitzen ziegelrothen, bei Aetherzusatz sich nicht entfarbeuden Fleck. 

S. G. 

E. G. Johnson (Stockholm). Studien über das Vorkom¬ 
men des Labfermentes im Magen des Menschen unter pa¬ 
thologischen Verhältnissen. (Aus d. med. Klinik des Herrn 
Prof. Dr. Riege 1-Giessen). Zeitsc.hr. f. kl. Med. Bd. XIV. 

Die Untersuchungen sind an 24 Kranken verschiedener Art ge¬ 
macht worden und ergaben das constante Vorkommen des Labfer¬ 
mentes in jedem Stadium des Verdauungsprocesses mit Ausnahme 
der Magensäfte von Krebskranken, in denen es nie gefunden 
wurde; auch scheint es bei Fiebernden zu fehlen. 

Das Ferment geht nicht in den Harn über und wahrscheinlich 
unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht in die Faeces. Es wurde 
ferner beobachtet, dass gekochte Milch etwas langsamer gerinnt als 
frische, und dass nach erfolgter Coagulation keine Milchsäure vor¬ 
handen ist. 

Sehr auffallend sind einige kurz erwähnte Versuche, die, an 
Hunden gewonnen, ein Fehlen des Labfermentes bei diesen Thieren 
ergaben. 

Boas (Berlin). Untersuchungen über das Labferment 
und Labzymogen im gesunden und kranken Magen. Zcit- 
schr. f. kl.'Med. Bd. XIV. 

Die bereits von Hammersten beobachteten Eigenschaften des 
Labfermentes wurdeu von Boas an gesundem Menschen nachgeprüft 
und bestätigt. Mit Sicherheit konnte nachgewiesen werden, dass 
vom Beginne bis Ende der Verdauung neben dem Labferment auch 
ein Labzymogen, analog dem Pepsinogen in seinem Verhalten vor¬ 
kommt. Es zeigte sich, dass das eigentliche Secret der Drüsen¬ 
schicht nicht das Labenzym selbst, sondern das Zymogen 
ist, das erst unter dem Einfluss freier Salzsäure sich in Labferment 
umwandelt. Die Trennung der Vorstufe vom Fermente gelingt iu 
jedem Magensaft durch schwache Alkalisirung, die das vorhandene 
Enzym zerstört, während das erhalten bleibende Zymogen durch 
Salzsäure alsdann in wirksames Ferment übergeführt werden kann. 

Die Ausscheidung des Labferments durch den Ham ist unbe¬ 
deutend und inconstant. 

Unter pathologischen Verhältnissen kann die Bildung von Lab- 
ferment vermehrt oder vermindert sein, oder sie fehlt ganz. Am 
werthvollsteu erscheint Boas für die Diagnostik das völlige Fehlen 
des Enzym, wie es bei drei Arten von chronischen Magenaffectiouen 
constatirt wurde: beim chronisch-mueösein Magenkatarrh, bei der 
Atrophie der Magenschleimhaut und beim Magencarcinom. In pro¬ 
gnostischer Beziehung deutet absoluter und constanter Schwund des 
Eabferments auf einen dauernd irreparablen Zustand der Magen¬ 
schleimhaut. 

G. Klemperer. Die diagnostische Verweithbarkeit des 
Eabferments. Mit Bemerkungen über die therapeutischen Indica- 
tionen der Kalksalze in Mageukrankheiten. (Aus der I. medicini- 
sclien Klinik des Herrn Geh. Rath Professor Dr. Leyden.) Zeit¬ 
schrift f. kl. Med. Bd. XIV. 

Das Labferment wurde von Klemperer in allen Magen¬ 
säften nachgewiesen, die freie Salzsäure enthielten; im Beginn 
der Verdauung und im nüchternen Magen fehlte dagegen mit der 
freien Säure auch das Ferment, wohl aber war eine Vorstufe des¬ 
selben, ein Proenzym, vorhanden, das im Gegensätze zu dem 
eigentlichen Enzym weder durch die Alkalesoenz noch durch hohe 
Temperaturen (70°) zerstört wird. Dieses Labzymogen wird im 
alkalischen Magensaft durch zugesetzte Calciumchloridlösung, da ja 
Kalksalze die Gerinnung befördern, erkannt. 

Was nun die diagnostische Yerwerthbarkeit des Eabferments 
betrifft, so ist dieselbe sehr gering, da es stets mit der freien 
Salzsäure zugleich angetroffen wird. Fehlt die freie Säure, so wird 
constant doch Labzymogen gefunden, dessen Production zu den 
dauerhaftesten Functionen der Magenschleimhaut gehört. 

Klemperer erwähnt dann eine Anzahl von Magenkrankheiten, 


bei denen Milch schlecht vertragen wurde, bei denen aber durch 
die Darreichung von Kalk Verbindungen störende Symptome, wie 
Dyspepsie, Durchfälle, beseitigt wurden. Er empfiehlt, in solchen 
Fällen Kalkwasser (2 Esslöffel auf V 2 Liter Milch) oder kohlen¬ 
sauren Kalk (messerspitzenweise) oder Calciumchlorid (in 1 procen- 
tiger Lösung) nehmen zu lassen. Auch ganz unabhängig von der 
Milch leisten die Kalkverbindungen, namentlich bei Beschwerden 
nach Fettgenuss, durch Verseifung der Fette gute Dienste. 

Rosenheim. 

Gluzinski. Ueber das Verhalten des Magensaftes in 
fieberhaften Krankheiteu. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 42. Bd., 
Heft 5. 

Verf. berichtet über die Untersuchungen des verstorbenen 
Dr. Wolfram aus der Klinik des Prof. Korczynski, welche zwar 
nicht abgeschlossen sind, immerhin aber auch für den praktischen 
Arzt Bemerkenswerthes enthalten. Dass die Verdauungs- und Re¬ 
sorptionskraft fiebernder Kranker nicht ganz erloschen ist, wissen 
wir, immerhin ist sie erheblich herabgesetzt. Einschlägige, aber 
wenig ausgedehnte Untersuchungen lagen vor von Ma nass ein, 
Uffelmann, Velden, Sassecki. Wolfram bediente sich der 
' von Gluzinski und Jaworski vorgeschlagenen bekannten Methode 
um den Magensaft zu untersuchen. In 15 Fällen von Typhus 
exanthem., abdominalis, Pneumonie, Intermittens, Phthisis, Pleuritis 
wurden die Untersuchungen vorgenommen. Es stellte sich heraus, 
dass bei allen acuten Infectiouskrankheiten während der ganzen 
Dauer des Fiebers (mit Ausnahme des sog. amphibolen Endstadiums 
des Typhus abdominalis) der Magensaft keine Salzsäure enthielt Es 
stimmt dies theilweis mit Angaben der genannten Autoren überein. 
Der Magensaft verdaute weder im Organismus, noch ausserhalb 
desselben. — Der aspirirte Magensaft enthielt bei Albuminatnahrung 
keine Peptone, doch enthielt er Pepsin, denn, sowie man ent¬ 
sprechende Mengen der Salzsäure hinzufügte, ging die Verdauung 
gut von Statten. Mit dem Nachlassen resp. Aufhören des Fiebers 
wurde der Magensaft wieder normal. 

Bei chronisch fieberhaften Erkrankungen erwies sich der Magen¬ 
saft normal, soweit die nicht zahlreichen Untersuchungen zeigen. 
Nicht die erhöhte Temperatur, sondern wesentlich die Ursache des 
Fiebers, die Art der Iufection bedingen den Unterschied im Ver¬ 
halten des Magensaftes. Rationell ist demzufolge derartigen Kranken 
Salzsäure als Arzneimittel zu reichen, während andere Säuren, wie 
Phosphorsäure, Acid. Halleri, nichts nützen. Buchwald 

R. Freiherr v. Pfungen. Ueber Atonie des Mageus. 
Klin. Zeit- und Streitfragen Bd. I, Heft 7—10. Wien, Wilhelm Brau- 
raüller, 1887. 

Der vorliegenden Schrift liegt die Tendenz zu Grunde, die 
bisher vielfach in der Luft schwebenden Lehren von der Mageu- 
atonie auf Grund der modernen Anschauungen über die Verdauungs- 
vorgänge. einer kritischen Prüfung und Revision zn unterziehen. 

Nach einer historischen Einleitung, welche die bisher bestehen¬ 
den Anschauungen über Atonie recapitulirt., wendet sich der Verf. 
den neueren Studien über den Chemismus zu, aus denen er Alles, 
was für die Atonielehre verwendbar ist, auf’s Sorgsamste zusammen¬ 
getragen hat. 

Speciell der von Riegel u. A. betonte ursächliche Zusammen¬ 
hang zwischen vermehrter Salzsäureabscheiduug und Magenerschlaffung 
I resp. Dilatation ist vom Verf. eingehend gewürdigt. In dieser 
Beziehung liegen von ihm selbst interessante Versuche an einem 
Fistelträger vor, bei dem eine Durchspülung mit stark salzsäure¬ 
haltigem Wasser teraporäreu Sphincterverschluss zur Folge hatte, 
j Zugleich damit wurde coustant Schmerz an der Cardia sowie inten- 
! siver dumpfer Kopfschmerz beobachtet. 

Die auch praktisch wichtige Frage, ob das Primäre der Magen- 
| erschlaffung in der Hyperacidität zu suchen sei, oder die letztere 
I erst eine Folge der Anstauung von Verdauungsproducten darstelle, 

1 ventilirt der Verf. unter Heranziehung der einschlägigen Arbeiten. 

1 ohne indessen eine endgültige Entscheidung zu fällen. 

Im zweiten Theil der Abhandlung werden die Diagnostik. 
| Symptomatologie, Ausgänge und Therapie eingehend besprochen. 
1 Eine Casuistik illustrirt die Anschauungen des Verf. über Magen- 
* atonie. Letztere ist vielleicht der schwächste Theil der Arbeit, da 
I gerade hier chemische Prüfungen, welche die Diagnose hätten 
sichern können, driugend erwünscht gewesen wären. 

In therapeutischer Hinsicht haben sich dem Verf. die folgenden 
| Maassnahmen bewährt: Zwei Stunden nach Tisch 1,0—1,5 Natrium 
j bicarb., ev. sind auch später noch oder spätestens 1 Stunde vor der 
' nachfolgenden Mahlzeit die Dosen zu wiederholen. Bei einzelnen 
Kranken waren' 2 Stunden nach dem Abendessen resp. Nachts 
kleinere Mengen Soda nothwendig. Besonders nothwendig erschien 
die Darreichung nach dem Abendessen, falls sie nach Tisch ver¬ 
gessen wurde, oder bei acuter Indigestion bezw. grosser Speisezufuhr, 
endlich bei Koprostase. Liegt deu cardialgischen Anfällen Anämie 


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22. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 971 


aus welcher Ursache auch immer zu Grunde, so treten an Stelle 
der Sodadarreichung Eisenpräparate, besonders die Blaud’schen 
Pillen. Bei Erkältungscardialgieen, die besonders bei Frauen häufig 
Vorkommen, erweisen sich warme Kleidung und warme Getränke 
besonders nützlich. Bei Hyperästhesie der epignstralen Bauchdecken 
war Darreichung von 1 Glas warmer Milch nach Tisch von gutem 
Erfolg begleitet. Auch die Application der Anode erwirkte länger¬ 
währende Besserung oder Heilung. Während des Mittagessens lässt 
Verf. Acid. rauriaticum in der üblichen Weise darreichen, nach 
dem Essen erschien es nicht zweckmässig. Auch zum Abendessen 
kann die Salzsäuremixtur mit Erfolg gebraucht werden. Besonders 
werthvoll erschien es, die Salzsäure bei Personen mit Neigung zur 
Indigestion, zumal während der Sommerzeit anzuwenden. Die Diät 
soll zunächst vorsichtig gewählt werden, später können auch Fette 
und, um eine rasche Gewichtszunahme zu erreichen, Milch in 
grösseren Quantitäten gereicht werden. Auch mässiger Tabaksgenuss 
ist unbedenklich zu gestatten. Der Stuhl ist zu reguliren ev. unter 
Zuhülfenahme von Pulv. rad. Rhei in festzustellenden Dosen, oder 
durch Tinct. Rhei Darelli oder durch Pillen und Corapositionen von 
Rheum, Aloe, Podophyllin. Nebenbei sind Bewegung im Freien zu 
rathen, Aufenthalt in dumpfen, ungenügend ventilirten Räumen so¬ 
wie geistige Anstrengungen zu verbieten. Auch die Regelung des 
Schlafes ist von Wichtigkeit. Deu Beschluss der Abhandlung macht 
ein Expose über die Hebung der Ernährung im Anschluss an die 
bekannten diätetischen Erfahrungen der modernen Zeit. 

Auch wenn wir den Schlussfolgerungen des Verf.’s nicht in 
allen Punkten beitreten können, müssen wir den Fleiss und die 
Sorgfalt hervorheben, mit der er die Litteratur bis auf die jüngste 
Zeit kritisch verfolgt und gesichtet hat. Wir können demnach Den¬ 
jenigen, welche sich über die Lehre von der Magenatonie im Be¬ 
sonderen oder über die moderne Entwickelung der Magenpathologie 
überhaupt instruiren wollen, die vorliegende Abhandlung ange¬ 
legentlich zum Studium empfehlen. Boas. 

W. Jaworski (Krakau). Zur Diagnose des atrophischen 
Magenkatarrhs. Verhandlungen des VII. Congresses für innere 
Medicin. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 3888. 

Verfasser sieht in dem Fehlen von Pepsin und Labferment 
das hauptsächlichste klinisch diagnostische Merkmal des atrophi¬ 
schen Magenkatarrhes. Um sicher die Abwesenheit der beiden 
Enzyme nachzuweisen, sind 2 Vorsichtsmassregeln zu beachten. 
Einmal soll man bei Ansäuerung der Verdauungsflüssigkeit (behufs 
Prüfung der peptischen Kraft des Ausgeheberten) so lange von 
der Salzsäure zusetzen, bis Tropaeolinpapier sich deutlich roth- 
braun tärbt; dann erst ist im Falle der Nichtverdauung des Eiweiss¬ 
stückchens der Schluss auf Abwesenheit des Pepsin gerechtfertigt. 

Da ferner durch die Salzsäure die Pepsin- und Labferment¬ 
ausscheidung in hohem Grade angeregt wird, so empfiehlt es sich, 
in den nüchternen leeren Magen circa 200 cbcm 1 /jo norm. HCl 
einzuführen und nach Q 2 Stunde etwa wieder heraufzuholen. Wer¬ 
den in dieser Flüssigkeit bei geeigneter Versuchsanordnung die 
beiden Fermente vermisst, so ist jetzt die Diagnose auf vollkom¬ 
mene Atrophie der Magenschleimhaut berechtigt. 

W. Jaworski (Krakau). Ueber die Verschiedenheit in 
der Beschaffenheit des nüchternen Magensaftes bei Ma¬ 
gensaftfluss. Verhandlungen des VII. Congresses für innere 
Medicin. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1888. 

Bei der in Rede stehenden Krankheit findet Jaworski nüch¬ 
terne Magensäfte mit freier, partiell freier und latenter Salz¬ 
säure, von denen die beiden letzteren dann deutliche Biuretreaction 
geben. Auch der Bodensatz der Säfte zeigt Unterschiede der 
mikroskopischen Bilder. Stets sieht man charakteristisch grup- 
pirte Zellkerne, von Leucocyten lierrühreud, deren Protoplasma 
durch den Magensaft verdaut worden ist. In 8 Fällen wurden 
kleine schneckenförmige Spiralen angetroffen, die Jaworski 
als durch Verdauung entstandene Veränderungen des Secretes des 
Rachenorgans (bei Pharyngitis chron.) anspricht. Schliesslich können 
Magenepithelien desquamiren, ja sogar einzelne Labdrüseu 
abgestossen werden, besonders wo nüchtern partiell freie Salzsäure 
constatirt wurde. Für diese letzteren Fälle ist man genöthigt, der 
chronischen Hypersecretion ein anatomisches Substrat zu Grunde zu 
legen; denn die Bindung der Salzsäure erfolgt hier wesentlich durch 
Verdauung von ausgetretenem Blutserum, das als Product einer 
Entzündung dem Magensaft beigemengt wird. Jaworski hält des¬ 
halb für diese Zustände die Bezeichnung „saurer Katarrh“ für 
berechtigt. Er hat die Affection auch häufig bei Ulcus ventriculi 
gefunden und ist der Ansicht, dass sie schliesslich in Atrophie der 
Magenschleimhaut ausgehen könne. Rosen heim. 

Peyer. Beiträge zur Kenntniss der Neurosen des 
Magens und des Darms. forr.-Blatt f. Schweizer Aerzte. 1888, 
No. 20. 


Nach einer Reihe casuistischer Mittheiluugen über krankhaftes 
Hungergefühl, Heisshunger oder Ochsenhunger (Boulimie, Cynorexie) 
bekennt sich Verf. zu folgenden Anschauungen in dieser Frage. Er 
unterscheidet eine acute und chronische Form. Die acute Form 
tritt plötzlich ohne Prodromalerscheinungen sehr heftig auf, sodass 
die Umgebung die Affection für eine schwere Erkrankung hält. In 
einer halben oder einer ganzen Stunde ist der Aufall vorüber und 
kehrt garnicht oder in sehr langen Zwischenräumen wieder. Die 
chronische Form hat mancherlei Vorläufer, einige Zeit vorher treten 
neurasthenische oder hysterische Symptome, auffallend häufiges 
Nahrungsbedürfniss auf, die Anfälle kehren täglich ein oder mehrere 
Male wieder. Das krankhafte Hungergefühl ist in mehr oder weniger 
starkem Grade ständig vorhanden, selbst Jahre hindurch. Die Ur¬ 
sachen des Heisshungers sind: I. Anhaltende Erregung des Nerven¬ 
systems durch Kummer und Sorgen. II. Erschöpfungszustände des 
ganzen Körpers und des Nervensystems nach langen und schweren 
Erkrankungen. III. Allgemeine erbliche Neurasthenie. IV. Hysterie. 
V. In wenigen Fällen ist die Erkrankung als eine für sich existi- 
rende Neurose des Mageus zu betrachten. 

Bei der Therapie wird man die Grundursache behandeln, da 
die Boulimie nur ein Symptom ist. Bei allgemeiner Körperschwäche 
besteht die Diät in sorgfältigem Roboriren der Kranken, öfter liegt 
der Boulimie eine Erkrankung des Sexualapparats zu Grunde, öfter 
Neurasthenie oder Hysterie. Ist keine Grundursache zu erkennen, 
so giebt man Nervina und Tonica, z. B. Tinct. Valerian. und Tinct. 
Ferr. pomat. ana oder Tinct. nervin. Bestuscheffii; auch Natr. broraat., 
Arsenik und Brom, subnitr. Dr. Guiper empfiehlt vorzugsweise den 
lange fortgesetzten Genuss von rohem geschabtem Fleisch. Der 
Anfall selbst wird am besten coupirt oder erleichtert durch den 
möglichst schnellen Genuss von einem bis mehreren Gläsern starken 
Weines oder schweren Bieres. 

(Dieser krankhafte Heisshunger ist unter dem Namen „Boulemos“ 
bereits im Talmud erwähnt [Mischnah: Joma, Abschnitt 8, Cap. 6J. 
Den Weisen des Talmud muss die Erkrankung gleichfalls als eine 
sehr schwere erschienen sein, denn sie gestatten selbst an einem 
Fasttage einem derartigeu Kranken sogar religionsgesetzlich verbotene 
Speisen zu geben, „bis er wieder klare Augen hat.“ Anm. d. Ref.) R. 

J. Glax. Ueber die Neurosen des Magens. Klin. Zeit- 
und Streitfragen Bd. I, Heft 6. Wien, Wilhelm Braumüller, 1887. 

Verf. will in dieser Abhandlung die Lehre von den Magen¬ 
neurosen auf Grund eigener Erfahrungen kritisch beleuchten. Es 
handelt sich hier um keine erschöpfende Darstellung dieses so 
schwierigen Capitels, sondern es wird uns in grossen Zügen das auf 
diesem Gebiete bisher Geleistete vorgeführt. Dabei scheint es mir 
von Vortheil für das Verständnis, dass Verf. bei seiner Eintheilung 
des Stoffes streng schematisch vorgeht, und dürfte gerade dieser 
Umstand dem praktischen Arzte die Lectüre dieser Arbeit, die 
manchen nützlichen Wink enthält, erleichtern. 

Meitzer (New-York). Ein Fall von Dysphagie nebst 
Bemerkungen. Berl. kl. Wochenschr. 1888, Nr. 8 und 9. 

Seit 19 Jahren klagt eine Dame darüber, dass alles, was sie 
schluckt, flüssig oder fest, nicht nach dem Magen gelangt, sondern 
oberhalb desselben liegen bleibt, und nur durch eiue complicirte 
Würgebewegung kann sie die Schluckmasse beliebig von selbst in 
den Magen befördern. Bevor Pat. die Speisen künstlich herunter¬ 
würgt, vermag sie dieselben mit grosser Leichtigkeit stets heraus¬ 
zubrechen; ist die Schluckmasse aber einmal im Magen, so kann' 
sie durch keine Mittel dieselbe nach oben befördern. Von der 
Station oberhalb des Magens findet keinerlei Resorption des Speise¬ 
brei statt. Die Sonde gleitet 38 cm tief in den Oesophagus, dann 
bedarf es eines Druckes, um sie weiter iu den Magen zu schieben. 
Nach einer reichlichen Mahlzeit ist eine ziemlich deutliche Dämpfung 
an der Wirbelsäule zwischen 6. und 10. Dornfortsatz nachweisbar. 
Endlich sei erwähnt, dass man beim Auscultiren in der Magen¬ 
gegend während des Herunterschluckens aus dem Rachenraum 
niemals ein Geräusch hört, wohl aber beim künstlichen Herunter¬ 
würgen iu den Magen. 

Nach Ansicht des Verf. handelt es sich hier um nervösen 
Verschluss der Cardia mit Stauungsdilatation des untereu Oeso- 
phagustheiles. Pat. hatte als mögliche Ursache das Heben einer 
schweren Last angegeben, wie auch sonst diese Aetiologie für sog. 
primäre Oesophagusdilatationen häufig betont wird: indess scheint 
es Meitzer plausibler, das Eintreten der Menstruation, das mit der 
Dysphagie zusammenfiel, und das ja auch andere so zahlreiche Ver¬ 
änderungen im weiblichen Organismus hervorbringt, für die Ent¬ 
stehung verantwortlich zu machen. Der hier beobachtete constante 
Mangel eines Schluckgeräusches zeigt an, dass die Speise die 
Cardia nicht passirt hat; erst wenn der intrathoracale Respirations¬ 
druck von der Pat. willkürlich verstärkt wurde, gelangte die 
Schluckmasse in den Magen. 


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972 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47 


Jaworski. Worin bestellt der therapeutische Effect 
des Karlsbader Thermalwassers? Wien. uied. Presse, 1888 
No. 4 u. 5. 

Nach bisher herrschender Ansicht sollte das Karlsbader Wasser 
die Magenfunction an regen und die Verdauung beschleunigen, 
.laworski hatte indess experimentell festgestellt, dass geringe 
Quantitäten des Brunnens zwar diese Seeretion befördernde Wirkung 
besitzeu, dass dasselbe aber in grösserer Quantität angewendet im 
Kaufe der Zeit die Magensaftproduction beschränkt und die Re¬ 
sorptionsfähigkeit und Empfindlichkeit der Schleimhaut herabsetzt. 
Ueberall nun, wo es sich um Hyperacidität und Hypersecretion 
handelt, wird das Wasser schon dadurch, dass es die übermässige 
Seeretion zur Norm bringt, günstig wirken. Aber auch bei vorge¬ 
schrittenen Störungen der Magenfunction, wo die Seeretion bereits 
in ein Abfallsstadium übergegaugen ist, in dem HCl und Pepsin 
in zu geringen Mengen producirt werden, können kleine Mengen 
des Brunnens die obeu angedeutete auregende Wirkung erzielen: 
im Ganzen ist aber hier weniger Erfolg zu erwarten. Schliesslich 
werden noch günstig beeinflusst durch die Cur: rein nervöse Hyper- 
secretionen, sowie manche Magenueurosen, indem das warm 
schwach alkalische Wasser die subjectiven Symptome durch Herab¬ 
setzung der Reizbarkeit der Schleimhaut mildert. Es erhellt hier¬ 
aus, dass eine Controlle des Verdauungschemismus in jedem ein¬ 
zelnen Falle nöthig ist, da sich nach dem Verhalten des Magen¬ 
saftes die in Anwendung zu ziehenden Wassermengen richten. 

Rosenheim. 

Der Uebersichtlichkeit wegen fügen wir der vorstehenden Zu¬ 
sammenstellung ein Verzeichniss deijenigen denselben Gegenstand 
behandelnden Originalmittheilungen und Referate bei, die im lau¬ 
fenden Jahrgänge der Wochenschrift bereits erschienen sind. An 
Originalmittheilungen gehören hierher: Gerhardt, Ueber Zeichen 
und Behandlung des einfachen chronischen Magengeschwürs (No. 18, 
p. 349); Cornils, Zur Behandlung des runden Magengeschwürs 
(No. 37, p. 755); A. Baginsky, Ueber Gährungsvorgänge im kind¬ 
lichen Darracanal (No. 20/21, p. 391 u. 414); ferner an Referaten: 
Ewald, Klinik der Verdauungskrankheiten (No. 30, p. 619); Leo. 
Ueber die Function des Magens und die. therapeutischen Erfolge 
der Magenausspülung bei Säuglingen (No. 46, p. 948); Ewald, 
Zur Verwerthung des Salols in der Diagnostik der Magenkrank¬ 
heiten (No. 30, p. 619); Dehio, Ueber die physikalische Diagnose 
der mechanischen Insufficienz des Magens (No. 21, p. 425); Hase¬ 
brock, Ueber erste Producte der Magenverdauung (No. 10, p. 197); 
Bursch insky. Zur Frage von den Säureschwankungen während 
des Schlafes und im Wachen (No. 20, p. 405); Sticker, Die 
Diagnostik der chemischen Function des Mageus (No. 14, p. 275); 
Klemperer, Zur chemischen Diagnostik der Magenkrankheiten 
(No. 20, p. 4'‘5); Kirstein, Methylviolettreaction des Magensaftes 
bei Magencarcinom (No. 7, p. 137); Reichmann, Experimentelle 
Untersuchungen über den Einfluss der bitteren Mittel auf die Func¬ 
tion des gesunden und kranken Magens (No. 20, p. 405); Reich - 
mann, Experimentelle Untersuchungen über den localen Einfluss 
des Chlornatrium auf die Magensecretion (No. 20, p. 405); G. 
Meyer, Ueber Mageuphthise (No. 44, p. 883); Rasmussen, Eine 
neue Theorie für das Entstehen des Ulcus chronicum ventriculi 
(No. 20, p. 405). 


VI. Referate und Kritiken. 

' L. Sohrötter. Vorlesungen über die Krankheiten des Kehl¬ 
kopfes, der Luftröhre, der Nase und des Rachens. II. und 
III. Lieferung. Wien, Braumüller, 1887. Ref. Max Schaeffer 
(Bremeu). 

Wenn Einer zu einem solchen Werke, wie dem vorangezeigten, 
berufen war, so ist es Schrötter, ein gleich vorzüglicher For¬ 
scher wie Diagnostiker und Lehrer, unter dessen Leitung sich eine 
Reihe deutscher und ausländischer Aerzte seit Jahren in der Rhiuo- 
skopie und Laryngoskopie in Wien ausgebildet hat und zu dessen 
Schülern auch Ref. sich zälileu darf. Ruhig und sachlich werden 
an der Hand einer reichen Erfahrung in gefälliger Form die ver¬ 
schiedenen Gebiete dieser Specialwissenschaften behandelt, auf denen 
Verf. theoretisch und praktisch so Vieles geleistet hat. Seine Schüler 
vor Allem werden mit Freuden sein Werk begriissen, das sie an 
die ihnen liebgewordenen Stunden auf Schrötter’s Klinik erinnert! 

1. Vorlesung: Geschichte. Nach Verf. wurde eigentlich erst 
durch L. Türk 1857 eine den übrigen medicinischeu Disciplineu 
würdig zur Seite stehende, ja die meisten überflügelnde Diagnostik, 
Pathologie und Therapie der Kehlkopfkrankheiten begründet, obwohl 
zugleich anerkannt wird, dass schon vor Türk scharfsinnige Mänuer 
die Idee gefasst hatten, mit Hülfe von Spiegeln die Rachen- und 
Kehlkopfhöhle zu untersuchen. Czermak führte die künstliche Be¬ 
leuchtung ein und kam auf die Idee der Rhino- und Tracheoskopie. 
v. Bruns machte die erste Kehlkopfpolypenoperation 1864. 


In der 2. Vorlesung wird die Beleuchtung besprochen. Zur 
! Uebertragung des Sonnen-Lampenlichtes bedient sich Schrötter 
| des Türk’sehen Stirnreflectors. Ueber die Benutzung des elek- 
! trischeu Lichtes sind die Acten noch nicht geschlossen. 

Die 3. und 4. Vorlesung handelt von der Anatomie des Larynx, 
und kommen die neuesten Untersuchungen von' Mandel stamm 
und Exil er über die Iuuervation der verschiedenen Muskeln zur 
Geltung. 

5. Vorlesung: Technik der Untersuchung; Schwierigkeit bei 
derselben, namentlich bei Kindern. Verf. macht darauf aufmerksam, 
dass es bis heute noch nicht gelingen wollte, die vordere Fläche 
der hinteren Laryuxwand voll zu übersehen. Wenn Verf. alle die 
verschiedenen Instrumente zur Aufrichtung der Epiglottis verwirft, 
so möchte Ref ihm doch hierin widersprechen, indem das von 
Reichert dazu angegebene Instrument diese Aufgabe in einfachster 
und vollkommenster Weise löst. — Dass Kinder nicht so schwierig 

, zu untersuchen sind, wenq nur der Arzt die nöthige Geduld besitzt, 
kann Ref. bestätigen, indem er kürzlich wieder' bei einem halbjähri¬ 
gen Kinde eines Collegen laryngoskopiscb constatiren konnte, dass 
es sich nicht um eine Crouperkrankung handle. 

6. Vorlesung: Untersuchung im Bette, Untersuchung des Kehl- 
! kopfes von aussen; Vergrösserung der Bilder; Autolaryngoskopie; 

I Demonstration. Verf. berichtigt den Irrthum, als ob man Kranke 

nicht ebenso gut im Bette untersuchen, behandeln könne. — Er 
i weist auf die Wichtigkeit der äusseren Untersuchung, die Ausculta- 
tion, Percussion des Larynx hin. — Die Durchleuchtung nennt Verf. 

I eine sehr elegante Spielerei. 

In der 7. Vorlesung bespricht Verf. die Auämie, Hyperämie, 
i Hämorrhagie, Blutungen iu die Schleimhaut und freie Blutungen, 
i das Hämatom in ihren Syiuptonnm, Verlauf und Therapie. 

In der 8. Vorlesung über den acuten Katarrh hält Verf. an 
seiner Ansicht fest, dass es katarrhalische Geschwüre nicht 
giebt. — Zu den verschiedenen Formen desselben rechnet er den 
Pseudocroup und die Laryngitis liypoglottica. Den sogenannten Herpes 
laryngis will Verf. durch stärkere Betheiligung der Drüsen mit 
! vielleicht weitergehender Verstopfung ihres Ausführuugsgauges er¬ 
klärt wissen. Bei der Therapie spricht -Verf. der Prophylaxe durch 
rechtzeitige Abhärtung etc. das Wort. 

9. und 10. Vorlesung: Den chronischen Katarrh bezeichnet Verf. 
als eine der häufigsten Erkrankungen. Mit Recht macht Verf. auf 
I den innigen Zusammenhang des Leidens mit dem chronischen Xasen- 
I rachenkatarrh aufmerksam, da sich jede Therapie, gegen jenen allein 
: gerichtet, vergeblich erweist, sobald nicht der Katarrh des ganzen 
! oberen Respirationstractus in Behandlung genommen wird. Dieser 
Fehler wird namentlich häufig von Anfängern gemacht, resp. solchen, 
j die sich zu wenig mit der Rhinoskopie beschäftigen. — Verf.’s Ver- 
i dict der Uvulotomie kann Ref. in vollem Umfange nicht unterschreiben. 

I Interessant, namentlich in der gegenwärtigen Zeit, sind Verf.’s 
Auslassungen über die Pachydermie von Virchow, die Chorditis 
| tuberosa und das Trachom Türk’s. Ferner werden hier die Laryn¬ 
gitis granulosa, Lar. sicca s. atrophicans, Störk’s chron. Blennorrhoe 
besprochen. Bei der Therapie lässt Verf. den Inhalationen einen 
! grösseren Spielraum als den Einblasungen, den grössten aber den 
Pinselungen mit Argent. nitric.-Lösungen und den Jodpräparaten. 
Den Nutzen von Trinkeuren hält Verf. für sehr problematisch. 

11. und 12. Vorlesung: Croup und Diphtherie. Verf. betrachtet 
: beide Formen als verschiedene Krankheitserscheinungen, sowohl 
| in anatomischer als klinischer Beziehung. Verf. glaubt, dass nur 
durch die bacteriologischen Untersuchungen allein festgestellt werden 
kann, ob beide Formen oder nur die contagiösen Formen identisch 
sind, also nur als Ausdrucksformen einer und derselben Schädlich¬ 
keit erscheinen. — Verf. wendet Zerstäubungen von Kalkwasser. 

1—2% Carbollösungen an, verwirft im Grossen und Ganzen Brech¬ 
mittel, will überhaupt bei der allgemeinen Behandlung von jeder 
i eingreifenden Therapie abseben. 

13. Vorlesung: Oedema laryDgis; phlegmonöse Entzündung: 
i chronische Entzündung der Schleimhaut und der submucösen Binde- 
' gewebe. — Sehr gute Abbildungen erleichtern das Verständniss dieser 

Erkrankungen. Bei ersteren empfiehlt Verf. eine energische Therapie, 
i für letztere gelten die Grundsätze der Polypenbehaudlung und die 
I Anwendung des systematischen Druckes. 

14. Vorlesung: Locale Therapie mit Ausschluss der eigentlichen 
operativen Eingriffe. — Es folgt die Beschreibung des vom Verf. 
verwandten Apparates zum Einathraen, der Instrumente zum Ein- 
blasen, Einspritzen und Einpinseln von Medicamenten. 

15. Vorlesung: Pericliondritis. Ueber das primäre Vor¬ 
kommen derselben kann gegenwärtig kein Zweifel mehr bestehen. 

! wenn sie auch am häufigsten eine secundäre Erkrankung ist im 
> Gefolge von anderen Krankheiten. Weiter können auch Traumen, 

I namentlich eingedrungene Fremdkörper, zu derselben führen. N&ch- 
I dem Verf. die durch Perichondritis an den verschiedenen Knorpeln 
I veranlassten Symptome geschildert, kommt er zu dem Schlüsse, 


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22. November, 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


073 


dass wir nur unter folgenden Voraussetzungen im Stande sein 
werden, die Diagnose auf Perichondritis zu stelleu: 

3, Bei Nachweis jener Erkrankungen, in deren Gefolge cs 
häufig zu Perichondritis kommt. (Hier bleibt noch die Differential¬ 
diagnose zwischen Perichondritis uud Entzündung des submucösen 
Gewebes zu stellen.) 

2. Bei Durchbruch eines Abscesses erst wenn man den frei¬ 
liegenden Knorpel sehen oder mit der Sonde fühlen kann (primär 
und secundär). 

3. Wenn man bei Ausführung der Laryngotomie auf eine 
Eiterhöhle mit in dieser freiliegendem Knorpel kommt. Bei Ent¬ 
zündung des submucösen Gewebes wird Eiterung, Durchbruch des 
Abscesses rascher erfolgen als bei Perichondritis. 

„Kann Perichondritis mit einer Neubildung verwechselt 
werden?“ Nur in jenen Ausnahmefällen, wo ein Neoplasma an den 
aryepiglottischen Falten überhaupt der seitlichen oder hinteren 
Wand aus der Tiefe heraus ganz gleichmässig wachsen würde. 
Gewiss aber würde der Verlauf auch hier bald Aufschluss geben; 
denn die Neubildungen nehmen allmählich, wenn es nicht gleich 
ursprünglich der Fall war, eine unregelmässige, oft deutlich 
höckerige Oberfläche an, wie sie bei Entzündungsgeschwülsten nie 
vorkommt. — Absichtlich führte Ref. die vom Verf. selbst ge¬ 
brauchten Worte hier an, da ja die Perichondritis im letzten Jahre 
in der Presse eine so grosse Rolle spielte. 

ln der 16. Vorlesung bespricht Verf. die Triehinosis, Soor, 
Erysipelas, Morbilli, Scarlatiua, Variola. Beim Ervsipelas laryngis 
beruht nach Verf. die ganze Aehnlichkeit des Processes mit ander- 
weit vorkoraraendem Erysipel durchaus nicht auf ausgeprägten ana¬ 
tomischen Erscheinungen, sondern nur auf der Acuität, auf der 
bestimmten Zeitfolge, in dem häufig ganz gleich ausgesprochenen 
typischen Fieberverlaufe, und um sich kurz auszudrücken, in dem 
Auftreten einer phlegmonösen Erkrankung des Laryux bei bestehen¬ 
dem Genius epidemicus erysipelatosus. 

17. Vorlesung: Typhus abdominalis. Verf. hatte 4 Jahre lang 
die Leitung der Typhusabtheilung des Rudolfspitales und findet 
einen viel geringeren Procentsatz von Larynxerkrankungen beim 
Typhus als Andere, weil eben jeder Typhöse laryngoskopirt wurde. 
Groupös-diphtheritische Erkrankungen hat Verf. nie beobachtet. 
Die dabei gesehenen Geschwüre betrachtet Verf. nicht als Decubitus- 
geschwüre, sondern hervorgegangen aus markiger Infiltration mit 
darauffolgendem Zerfall und Nekrose der bedeckenden Schleimhaut. 
Für die Perichondritis im Verlaufe des Typhus ist für die Diagnose 
von Wichtigkeit, dass die Schwellung durchaus nicht immer eine 
bedeutende sein muss. Ihr Verlauf kann sich Monate, selbst Jahre 
hinziehen, während in der Regel der Verlauf des Laryngotyphus 
ein sehr acuter ist. Bei den perichondritischen Processen ist meist 
die Tracheotomia superior nicht zu umgehen. 

18. und 19. Vorlesung: Tuberculose. Einige Fälle von pri¬ 
märer Kehlkopftuberculose sind sicher constatirt. Meist aber ist 
die Erkrankung eine secundäre, und die Uebertragung findet durch 
das den Larynx passirende mit Bacillen geschwängerte Sputum 
statt. Der Kehlkopf kommt gleich nach dem Darm in der Häufig¬ 
keitsscala der Infection von der Lunge her. Die Beschreibung der 
Geschwüre folgt an einem anderen Orte. Verf. hält an seiner 
Beobachtung fest, dass sehr häufig eine Uebereinstimmung der er¬ 
krankten Seite im Larynx mit jener der Lunge nachzuweisen ist, 
oder dass wenigstens dort, wo sich im Larynx die stärkere Erkran¬ 
kung äussert, dies auch an derselben Lungenseite der Fall ist. 
Ref. hat über diesen Punkt selbst seiner Zeit eine Arbeit geschrie¬ 
ben und diesen Zusammenhang anatomisch zu erklären versucht. 
Constante Schmerzen beim Schlingen hat Verf. nur bei Ulcerationen 
an der Kuppe uud namentlich der hintereu Fläche der hinteren 
Wand angetroffen; bei ihnen und solchen, die sich nach den ary¬ 
epiglottischen Falten fortsetzen, tritt häufig das sog. Fehlschlucken 
auf. Die vollständige Heilung der Larynxtuberculose bezeichnet 
Verf. als ungemein selten. Bei der Therapie spricht Verf. mit 
Recht der Milchsäurebehandlung nach Krause und Heryng das 
Wort, und kann Ref. verschiedene Fälle sehr schwerer Kehlkopf¬ 
tuberculose als mit dieser Behandlung geheilt, denen des Verf. an¬ 
reihen. 

Die von M. Schmidt empfohlenen Scarificationen leisten, wie 
Ref. dem Verf. bezeugen kann, symptomatisch Vorzügliches. 
Ebenso hat Ref. mit der Galvanokaustik und der Heryng’sehen 
chirurgischen Behandlung der Ulcera mehrere Fälle geheilt und diese 
Heilungen über 2 Jahre constatiren können. Die Laryngotomie 
rechnet Verf. nur zu den symptomatischen Mitteln bei Stenose, 
während M. Schmidt sie direkt zur Heilung der Larynxtuber¬ 
culose empfohlen und in verschiedenen Fällen mit bestem Erfolge 
angewandt hat. 

20. Vorlesung: Lupus, Lepra, Skieroma. Bei der Behandlung 
des Lupus hat Verf. mit Aetzungen der Geschwüre mit Argent. 
nitric., Zerstörung der Knoten mit diesem und der Galvanokaustik 


guten Erfolg gehabt. Ref. hat bei einem Falle die Milchsäure¬ 
behandlung, wie sie Verf. ausführen will, bereits zu einem vorzüg¬ 
lichen Heilresultate geführt, Sklerom (Rhinoskleroma Hebra’s) ist 
ein chronischer Entzündungsvorgang, der ohne Zweifel einmal in 
der Trachea, ein anderes Mal im Larynx oder am weichen Gaumen 
Vorkommen kann. Durch das Schrumpfen des Bindegewebes kommt 
es zu Setzung mehr oder minder ausgebreiteten, oft sehr harten 
Narbengewebes, während gegenüber anderen ähnlichen Processeu 
ein ulceröser Zerfall geradezu als sehr selten bezeichnet werden 
muss. Sobald es zur ausgebildeten Stenose gekommen ist, überbietet 
nach Verf. kein Verfahren die Erfolge der mechanischen Dila¬ 
tation. 

21. Vorlesung: Syphilis. Nach Lewin kommen auf 20 000 
coostitutionell Syphilitische 2,9 % an Larynxsyphilis Erkrankte. 
Die Krankheitsformen am Larynx sind der Katarrh, die Papeln, 
Infiltrate und Gummata, die Geschwüre, Perichondritis, die Narbeu 
und Neubildungen. Das Vorkommen der Papeln ist wohl allseitig 
jetzt anerkannt. Die Geschwüre entstehen nach Verf.’s Ansicht 1) aus 
den Papeln, 2) aus den Infiltraten, 3) aus den Gummageschwülsten, 
4) durch den Durchbruch perichondritischer Abscesse. 

22. Vorlesung: Syphilis, Rotz, Pyämische Processe. Die syphi¬ 
litischen Neubildungen hält Verf. mit Lewin nicht für spitze 
Condylome, sondern für polypöse Excrescenzen, welche zufällig an 
Syphilitischen auftreten. Bei der Therapie macht Verf. auf die 
Wichtigkeit der laryngoskopischen Untersuchung aufmerksam, indem 
nur so die Ursachen der Suffocation aufgefunden werden können 
und sich so oft die Tracheotomie umgehen lässt. Die starren Infiltrate, 
können ebenfalls, wenn sie einem antisyphilitischen Verfahren nicht 
weichen, gerade so gut wie jene die Larynxlichtung verengenden 
Narben die Tracheotomie nöthig machen. In beiden Fällen wird 
man meist mit Glück die mechanische Dilatation anwenden können. 

Ref. hat die Hauptpunkte, die ihm wichtig schienen, her¬ 
vorgehoben, ohne auf weitere Details einzugehen. Durch charak¬ 
teristische Krankheitsgeschichten typischer Fälle führt der Verf. 
in klarer zielbewusster Rede die vorstehenden Erkrankungen vor, 
begegnet jedem Zweifel, sichert die Diagnose und giebt an der 
Hand seiner reichen Erfahrung praktische Winke für ihre erfolg¬ 
reiche Behandlung. 

VTL Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Original bericht.) 

Sitzung am 14. November 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

Herr Rosenheim: Ueber Carcinom und Atrophie des Magens. 

Der Vortr. ist in seinen Untersuchungen der Frage näher getreten, wie weit 
eine pathologische Hemmung und Verminderung der Magensaftsecretion 
durch nachweisbare pathologisch-anatomische Veränderungen des Magens be¬ 
gründet ist. Die Untersuchungen wurden theils an dem Material der Für- 
bringer’schen Abtheiluug im Krankenhause Friedrichshain, theils auf 
der Senator’schen Kinik angestellt. Diejenige Affection, bei der wir 
hauptsächlich Verminderung der Magensaftsecretion constatiren, ist. das 
Carcinom. Vortr. untersuchte 16 Fälle von Carcinom, das 13 mal am Py- 
lorus, 2 mal an der kleinen Curvatur, 1 mal an der Cardia sass. Nach den 
Resultaten der chemischen Untersuchung lassen sich die Fälle in drei Gruppen 
theilen. Zu der ersten Gruppe gehören 14 Fälle, in denen constant freie 
Salzsäure vermisst wurde, zu der zweiten Gruppe 1 Fall, in welchem vor¬ 
übergehend solche nachgewiesen wurde, zu der dritten endlich 1 Fall, in 
dem nicht nur constant das Vorhandensein freier Salzsäure, sondern sogar 
solche Mengen derselben constatirt werden konnten, dass der Fall das als 
Hypersecretion bezeichnete Symptomenbild darbot. Was das Verhalten des 
Pepsin anlangt, so war, wie von vornherein anzunehmen war, da, wo die 
freie Salzsäure verringert war, auch der Pepsingehalt verringert, ohne dass 
ein genauer Parallelismus nachgewiesen werden konnte. Welche Form des 
Carcinoms vorlag, zeigte sich ohne Einfluss auf die Magensaftsecretion. 

Von hervorragendem Interesse ist jedenfalls der Fall, welcher der dritten 
der genannten Gruppen angehört. Er betraf eine 42jährige Patientin, die 
bereits 10 Jahre vor ihrer letzten Erkrankung Symptome eines Ulcus dar¬ 
geboten hatte. Dann war sie gesund gewesen, bis sie 7 Monate vor ihrer 
Aufnahme mit Druckbeschwerden in der Magengegend und Erbrechen er¬ 
krankte. Die Untersuchung des Magens ergab massige Dilatation, in der 
Gegend des Ostium Pylori wurde eine kleine Resistenz gefühlt. Der Salz¬ 
säuregehalt ergab sich zu 3°/oo. Aus der kleinen Resistenz wurde im weiteren 
Verlauf ein grosser Tumor, die Pat. wurde kachectisch; der anfänglich vor¬ 
handene Blutgehalt des Erbrochenen nahm ab. Trotzdem der Magensaft 
constant grosse Mengen Salzsäure aufwies, wurde doch an der Diagnose Car¬ 
cinom festgehalteu, und die Section bestätigte die Vermuthung. 

Worauf beruhte nun die eigenthümliche Thatsache, dass in diesem Falle 
die Magensaftsecretion normal war? Die anatomische Untersuchung ergab 
hierfür einen Anhaltspunkt. Das Carcinom beschränkte sich vorwiegend in 
diesem Falle nur auf die tieferen Magenschichten, die übrige Schleimhaut 
konnte als intact bezeichnet werden, ln den 14 Fällen der ersten Gruppe 
konnten mehr oder minder intensive Veränderungen der Mucosa nachgewiesen 
werden. Nun hat Ewald bereits früher in einem Falle, welcher der oben 
das zweite aufgeführten Gruppe zugezählt werden kann, eine wesentlich in- 
tacte Schleimhaut constatiren können, und er schloss daraus, dass nicht so- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47 


wohl das Carcinom, als vielmehr die Veränderung der Schleimhaut für den 
Ausfall in der Secretion anzuschuldigen sei. Dieser Schluss ist nach den 
Untersuchungen des Vortr. durchaus berechtigt. 

Was die Affection der Schleimhaut anlangt, so findet man neben Car¬ 
cinom in der Regel drei Erscheinungsformen derselben: zuerst Veränderungen 
katharrlich-entzündlicher Natur, daneben zweitens oft interstitielle Prozesse, 
und, wenn diese eine gewisse Ausdehnung erreicht haben, kann es endlich 
zur Schrumpfung kommen, die man in der Umgebung des Carcinoms, bis¬ 
weilen aber auch an entfernteren Stellen constatiren kann. In den meisten 
Fällen der erston Gruppe fanden sich partielle, in 2 Fällen dagegen bereits 
ausgedehntere Atrophieen. Der Vortragende ist der Ansicht, dass diese 
Sehleimhauterrkankung in erster Linie die zum Theil enorme Herabsetzung 
der secretorischcn Function des Magens bewirkt. Das klinisch so wichtige 
Symptom der chemischen Insufficienz hat also mit dem Carcinom als solchem 
nichts zu thun, es ist bedingt durch die begleitende SchleirahautafTection. Es 
fragt sich also, ob dieser Process ein constanter Begleiter des Carcinoms 
ist, und zweitens, ob er sich nur bei Carcinom findet? Beides trifft nicht 
zu. Es sind Fälle constatirt, in denen eine beträchtliche Störung der Salz- 
säuresecretion lediglich auf solche atrophische Zustände der Magenschleim¬ 
haut zurückgeführt werden konnte, und diese Fälle sind allein durch die 
chemische Analyse nicht von Carcinom zu unterscheiden. Eine Sonderstellung 
nehmen die totalen Atrophieen der Magenschleimhaut ein, die der Vor¬ 
tragende zweimal beobachtete: 

36jährige Arbeiterfrau, die von je her an Magenschwäche gelitten, er¬ 
krankte l'/j Jahr vor der Aufnahme an Diarrhoe. Sie ist seitdem beträcht¬ 
lich heruntergekommen, klagt . über Appetitlosigkeit und Mattigkeit. Die 
Untersuchung bei der Aufnahme ergiebt folgenden Status: Gracil gebaute, 
kleine Person, Fettpolster beträchtlich geschwunden; die Haut schilfert ab. 
fettarm; Gesicht stark gedunsen; Blutbefund der von pemiciöser Anaemie. 
Die Untersuchung der übrigen Organe ergiebt keinen Anhalt. Die Magen¬ 
saftanalyse ergiebt anscheinend völliges Versiegen der Salzsäuresecretion, 
Pepsin ist nur in Spuren vorhanden. Bei der Section zeigt sich makro¬ 
skopisch die Magenwand so gut wie nicht verändert. Bei der mikroskopischen ; 
Untersuchung stellt sich heraus, dass die Mucosa total atrophisch ist. Die 
Diarrhoe ist bedingt durch eine begleitende Enteritis. — Der zweite Fall 
betrifft eine 61jährige Frau, welche angab, dass sie seit einem Jahre an¬ 
gefangen habe abzumagorn. die Nahrungsaufnahme sei ihr verleidet, sie 
hatte Krampfanfalle in der Magengegend: sie war früher gut genährt, soll 
aber blass ausgesehen haben und litt schon früher an schwachem Magen. ; 
Die Untersuchung bei der Aufnahme ergab, dass Patientin äusserst anämisch 
war, Blutbefund jedoch nicht der von pemiciöser Anaemie. Ein Tumor 
fehlte. Salzsäuregehalt des Magensaftes unter 0,1° oo. Pepsinverdauung ver¬ 
langsamt. Die Obduction ergab denselben mikroskopischen Befund, wie im 
ersten Falle. Auch dieser Fall war complicirt durch eine Darmerkrankung. 

Herr Ewald steht schon lange auf dem Standpunkt, dass die Unter¬ 
suchung des Chemismus des Magens an sich kein Urtheil erlaubt über die 
Natur der zu Grunde liegenden Erkrankung, sondern nur Aufschluss giebt 
über die functionello Thätigkeit des Drüsenapparates. Ausser dem bereits 
citirten Falle, konnte Herr Ewald in einem anderen gelegentlich der Re- 
section eines Pyloruscarcinoms ein Stück der Magenschleimhaut untersuchen, 
die sich als ganz gesund erwies. Auch hier konnte bis kurz vor der Re- 
section normales Bestehen dor Salzsäuresecretion, des Pepsin und des Lab¬ 
ferments constatirt werden. Ein ähnlicher Fall ist vor einigen Wochen zur 
Obduction gekommen und zeigte bei der mikroskopischen Untersuchung ähnliche 
Verhältnisse. Was die atrophische Degeneration der Magenschleimhaut, die 
bei Carcinom den makroskopisch sichtbaren Ort der Neubildung weit über¬ 
schreiten kann, anlangt, so unterscheidet Herr Ewald zwei Formen, eine, 
welche wesentlich zu einer Zerstörung der Schleimhaut und Verdickung der 
Muscularis mucosae führt, und eine zweite Form, die von der Submucosa aus¬ 
geht und bei der es zu erheblicher Verdickung der Interstitien des Gewebes 
kommt (Demonstration von Zeichnungen nach mikroskop. Präparaten). Solche 
atrophische Zustände der Schleimhaut sind besonders häufig bei alten Leuten, 
wo sie entweder zufällig bei der Obduction gefunden werden, oder, wio es 
scheint, in einer ganzen Anzahl von Fällen die direkte Todesursache sind. 
Es giebt in der That, wie der Vortr. hervorhob, eine Reihe von Fällen, wo 
eine Differenzirung zwischen Carcinom und Atrophie auf Grund der chemi¬ 
schen Untersuchung allein nicht möglich ist. Erschwert wird die Diagnose 
noch durch das Vorkommen von Fällen von Neurosen, in denen es ebenfalls 
zu vollständigem Versiegen der normalen Safisecretion des Magens kommt. 

Herr Litten: Es giebt unzweifelhaft Fälle, in denen intra vitam die ! 
Symptome nachgewiesen werden können, die wir für typisch für dieses 
Krankheitsbild halten, und in denen bei der Section geueralisirte Atrophie 
der Magenschleimhaut constatirt wird. Es bedarf, um einen solchen Fall 
zu diagnosticiren aber einer sehr langeu Beobachtung und eines dauernd 
übereinstimmenden Ergebnisses der Untersuchung, wie in dem Falle, den 
Herr Litten vor einigen Monaten publicirt hat. Denn in anderen Fällen 
findet man jene Symptome auch vorübergehend; sie sind Wochen lang 
vorhanden, um dann wieder zu schwinden. Seit August d. J. beobachtet 
Herr Litten dieses Verhalten bei zwei Patienten. Boi beiden war Mouate 
laug das Versiegen der Salzsäuresecretion zu constatiren, der Urin reagirte 
beständig neutral, eine Verdauung des Eiweissscheibchens trat im Thermo¬ 
staten selbst nach 48 Stunden nicht ein, Milch gerann im Magen nicht. 
Aber es trat während der ganzen Zeit kein Gewichtsverlust ein, und nachdem 
der Zustaud drei Monate gedauert hatte, konnte wieder das Vorhandensein 
von Salzsäure und Pepsin nachgewiesen werden. Auch in diesen Fällen 
wird es sich um nervöse Zustände handeln. Für die fehlende Magenver¬ 
dauung tritt die Darmverdauung compensatorisch ein, und dieser Gesichts- | 
punkt muss auch die Regelung der Diät leiten. Die Therapie bestand in 
diesen Fällen in der Darreichung kochsalzhaitigor Thermen und in Magen¬ 
ausspülungen mit Salzsäure. 

HerrSchäffer hält den Beweis des Fehlens der Salzsäure noch nicht 
für erbracht, wenn man im Filtrat des Mageninhaltes mittels der Färbstoff- 


reaction oder der Verdauuugsprobe die Salzsäure nicht nachweisen kann. 
Unter 9 Carcinomfallen des Krankenhauses Moabit konnte er in 6 oder 7 
Fällen, wo die Farbstoffreaction keine freie Salzsäure nachweisen Hess, 
mittels des Verfahrens von Cahn und v. Mering einen hinreichenden 
Salzsäuregehalt nachweisen. Nach diesem Ergebniss kann also wohl die Er¬ 
krankung der Magenschleimhaut nicht die Ursache des Fehlens der Salzsäure 
sein. Als Erklärung dafür, dass- keine freie Salzsäure vorhanden ist, dürfte 
vielmehr der Umstand heranzuziehen sein, dass bei den meisten Magencarci- 
nomen eine Dilatation des Magens besteht, wodurch Verlangsamung der Ver¬ 
dauung bedingt wird, infolge deren sich lösliche Peptone und Albuminat«' 
im Magen anhäufen, die eine Farbstoffreaction verhindern. 

Herr Rosenheim hat das von dem letzten Redner angeführte Moment 
durch die Anordnung seiner Versuche ausgeschlossen. 

Vm. Aus dem Allgemeinen ärztlichen Verein 

in Köln. 

Herr Geh. Med.-Rath Dr. Schwartz: Die Bedeutung privat¬ 
ärztlicher Zeugnisse. Mit Rücksicht auf die vielen in letzter Zeit 
vorgekomraenen uud noch nicht erledigten Beschwerden über den 
angeordneten Ersatz privatärztlicher Zeugnisse durch amtliche 
ärztliche Zeugnisse, sucht der Vortragende die Fälle genau zu be¬ 
zeichnen, für welche nach den bestehenden Gesetzen und Ver¬ 
ordnungen das privatärztliche Zeugniss als gültig und genügend 
anerkannt werden müsse, und diejenigen Fälle, in welchen das amt¬ 
liche ärztliche Zeugniss zum Schutze besonderer Staatlicherinteressen 
nicht entbehrt werden könne. 

Das privatärztliche Zeugniss über die in Behandlung befindlichen 
Kranken und die für die Krankheitsdauer zu beachtenden Vor¬ 
schriften gehöre zu den wichtigsten ärztlichen Verrichtungen, 
ohne deren Anerkennung Seitens der zuständigen Behörden eine 
zw r eckinässige Krankenbehandlung kaum ausführbar sei. Wäre das 
privatärztliche Attest nicht ausreichend, um beispielsweise einen 
Kranken zeitweise den Schädlichkeiten seines Berufes, das krank« 
Kind dem Schulbesuche zu entziehen, uud für diese lediglich die 
Krankenbehandluug betreffenden Falls das Attest eines beamteten 
Arztes vorgeschrieben, so würde durch eine derartige Vorschrift das 
selbstständige Urtheil und die Verantwortlichkeit des behandelnden 
Arztes aufgehoben werden. Der Vortragende zeigt eingehend, 
dass die Gültigkeit privatärztlicher Zeugnisse uud Gutachten durch 
die deutsche und preussische Gesetzgebung ausdrücklich anerkannt 
sei uud zwar: 1) durch das preussische Gesetz vom 21. Juli 1815. 
betreffend die Gesundbeits- und Krankheitsscheine, sowie die mit 
wissenschaftlichen Gründen gestützten Gutachten der praktischen 
Aerzte; 2) durch das Gesetz vom 17. Mai 1856, betreffend den 
Beitritt zur allgemeinen Wittwenkasse; 3) das Sanitätsregulativ 
vom 8. August 1835; 4) den Ministerialerlass vom 14. Juli 1883. 
betreffend Schliessung der Schulen bei ansteckenden Krankheiten; 
5) die deutsche Civilprocessordhung vom 1. October 1879 und das 
neue deutsche Krankenkassengesetz. In all’ den genannten Ge¬ 
setzen und Verordnungen sei nur von ärztlichen Zeugnissen 
die Rede, deren richtige Ausstellung der strenge Paragraph 278 
des deutschen Strafgesetzbuches, welcher die Ausstellung unrichtiger 
ärztlicher Zeugnisse mit Haft von 2 Monaten bis 2 Jahren bestraft 
nach Möglichkeit sichert. Es sei also zweifellos, dass das privat- 
ärztliche Zeugniss überall, wo es sich lediglich um Kranken¬ 
behandlung handle, eine unanfechtbare gesetzliche Grundlage habe, 
und die Autorität dieses Zeugnisses nicht nur im Interesse des ärzt¬ 
lichen Standes, sondern hauptsächlich im Interesse der Kranken¬ 
behandlung und des Allgemeinwohls aufrecht erhalten werden müsse. 

Dagegen sei es auch ebenso unzweifelhaft, dass zum Schutze 
besonderer, mit der Krankenbehandlung nicht in Beziehung 
stehender Interessen, die staatliche Civil- uud Militärverwaltung, 
sowie die staatliche Rechtspflege besonderer Untersuchungen und 
Begutachtungen durch beamtete Civil- und Militärärzte bedürfe 
und deshalb amtliche Zeugnisse uud Gutachten durch besondere 
Gesetze und Verordnungen angeordnet habe. Wenn der Staat 
beispielsweise für die Austeilung und Entlassung seiner Beamten, für 
die Befreiung von der allgemeinen Wehrpflicht, von Haftstrafen u. s. w., 
amtliche Atteste verlange, so handle er nicht anders, wie jede 
Gesellschaft, die zum Schutze ihrer besonderen Interessen sogenannte 
Vertrauensärzte anstelle und deren Gutachten als für sieb 
maassgebend betrachte, ohne deshalb in die Befugnisse der 
behandelnden Aerzte einzagreifen. 

Bei Beurtheilung der vorliegenden Beschwerden gegen den von 
den staatlichen Behörden angeordneten Ersatz privatärztlicher 
Zeugnisse durch amtliche werde es sich also fragen, ob dazu eine 
zwingende Veranlassung durch besondere staatliche Interessen Vor¬ 
gelegen, oder ob unnöth iger Weise die Befugnisse des behandelnden 
Arztes beschränkt und den Kranken selbst unnöthige Kosten und 
Lasten auferlegt seien? 

Es werde Sache der Aerztekammer sein, die ihr vorliegenden 
bezüglichen Beschwerden in der genannten Richtung sorgfältig zu 


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22. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


975 


prüfen und eventuell an die zuständigen Instanzen zu befördern. — 
Es könne nicht in Abrede gestellt werden, dass privatärztlicbe 
Zeugnisse nicht selten iu einer für den beabsichtigten Zweck un¬ 
gehörigen und ungenügenden Form ausgestellt und dadurch zum 
Gebrauch bei Staatsbehörden ungeeignet würden. Letztere könnten 
aber nur von ihren Medicinalbeamten nach vorgeschriebener Form 
ausgestellte Atteste verlangen; nicht aber von allen anderen 
praktischen Aerzten, die nicht unter der Disciplinargewalt der Re¬ 
gierungen ständen. Es werde sich also sehr empfehlen, wenn durch 
die Aerztekammer für die Ausstellung privatärztlicher Zeugnisse und 
Gutachten formelle Vorschriften erlassen und gegeu ungehörige 
und leichtfertige Ausstellung von Zeugnissen und Gutachten Seitens 
der Vorstäude der Aerztekammer disciplinarisch vorgegangeu werde. 
Dadurch werde am besten die gesunkene Autorität privatärztlicher 
Zeugnisse wieder gehoben und einem weiteren Ersatz derselben 
durch amtliche Zeugnisse vorgebeugt werden können. 

Zu strafgerichtlichem Vorgehen gegen Aerzte wegen Ausstellung 
unrichtiger Zeugnisse wider besseres Wissen biete sich höchst 
selten Gelegenheit. Dem Vortr. sei während 37jähriger Wirksamkeit 
als Medicinalbeamter nur ein einziger Fall erinnerlich, in welchem 
ein praktischer Arzt wegen Ausstellung eines unrichtigen Attestes.mit 
einjährigem Gefängniss bestraft sei. Er habe später erfahren, dass 
der bestrafte Arzt Gewohnheitstrinker sei. Es sei auch nicht 
anzunehmen, dass ein irgend welcher Ueberlegung noch fähiger 
Arzt durch wissentliche Ausstellung eines unrichtigen Zeugnisses 
seine Ehre und sociale Stellung auf's Spiel setzen werde, namentlich 
nicht wegen der paar Mark, welche für ärztliche Zeugnisse gezahlt 
würden. Wie viele unrichtige Zeugnisse aber durch geschickte 
Simulation erschlichen und im guten Glauben ausgestellt werden, 
entziehe sich jeder Berechnung. Von den raffinirten Mitteln, welche 
beispielsweise durch Stellung sogenannter Strohmänner angewendet 
werden, um Atteste zu erschleichen, theilt Vortr. Fälle aus seiuer 
eigenen Erfahrung mit. 

Die Frage über die Bedeutung privatärztlicher Atteste sei 
heutigen Tages eine besonders brenuende, da auch die nicht 
approbirten Heilkünstlei die Berechtigung zur Ausstellung gültiger 
Zeugnisse erstrebeu, und ein bezüglicher Antrag noch kürzlich von 
einem nicht approbirten, sehr beschäftigten Homöopathen Vorgelegen 
habe. — Auch hänge die segensreiche Wirksamkeit der neuen 
deutschen Kranken- und Unfallversicherungsgesetze grösstentheils ab 
von der fachkundigen und gewissenhaften Ausstellung der bezüg¬ 
lichen privatärztlichen Zeugnisse und Gutachten. — Nachdem die 
Bemühungen, die verlorenen Vorrechte der approbirten Aerzte für 
die Krankenbehandlung wieder herzustellen, bisher wegen der 
Uneinigkeit der Aerzte über die einzuschlagenden Wege gescheitert 
seien, werde hoffentlich das letzte Vorrecht, welches dem approbirten 
Arzte noch geblieben, auf dem nunmehr durch Errichtung der Aerzte¬ 
kammer gebotenen gesetzlichen Wege einheitlich vertheidigt 
und für die Zukunft ungeschmälert erhalten bleiben 

In der an den Vortrag sich anschliessenden Discussion erklärt inan sich 
allgemein mit den Ausführungen des Redners einverstanden, ln der Be¬ 
schränkung der Attestirbefugniss der nicht beamteten Aerzte erblickt man 
••ine schwere Schädigung der Interessen der Aerzte sowie des Publikums. 
Man exemplificirt auf die Ministerialverordnung vom 19. Januar 1888, wo¬ 
nach bei Aufnahme eines Geisteskranken in eine Privatirrenanstalt das 
Attest des Kreisphysikus erforderlich ist; ferner auf die Verfügung der König¬ 
lichen Regierung zu Cobleuz vom 20. Januar 1887, gemäss der bei Schul- 
versäumniss eines kranken Kindes ein Kreisphysikatsattest verlangt werden 
kann. — Einige Redner weisen darauf hin, dass vielfach ärztliche Atteste 
mangelhaft abgefasst werden. Um den Behörden keinen Grund zur Klage 
zu geben, sei es nothwendig, das Attest recht genau und ausführlich auszu¬ 
stellen. 


Flg. l. Die Marburger Hebammentasche hat, wie 

beistehende Figur (1) zeigt, die Form einer 
Damentasche und ist mit breitem gut fass¬ 
barem Ledergriff versehen. Sie wiegt mit 
vollständigem Inhalte (wasserdichte Unterlage 
mit inbegriffen) 3900 g. Die beiden breiten 
Seitenwände sind mit der Bodenfläche mittels 
eines Charniers verbunden und lassen sich 
vollständig auseinander klappen (Figur 2) und 
flach auf den Tisch legen. Die schmalen 
Seiten stehen fest und bilden mit einem 
Querstabe die Stützen für die Tasche. 

So ist es möglich, die Tasche zwecks 
der Desinfection innen und aussen mit einem Haudtuche und grüner Seife 
in allen Eckeu und Winkeln gründlich zu reinigen und trocken auszuputzen. 
Fig. 2. FI*. 3. 




XIII. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Die Marburger Hebanim entasche. 

Von Professor F. Ahlfeld. 

Auf dem zweiten Gynäkologen-Congress zu Halle erlaubte ich mir, den 
Herren Fachcollegen eine Hebammeutasche vorzuzeigen, die meines Erachtens 
allen Ansprüchen genügen dürfte. 

Ich schicke voraus, dass ich seit Jahren bemüht gewesen bin, eine 
brauchbare Hebammentasche zu construiren, und manches Modell ist ange¬ 
fertigt und als nicht genügend wieder zurückgestellt worden, ehe die unteu 
zu beschreibende Hebammentasche fertig wurde. 

Da die Königliche Entbindungs- und Hebammen-Lehranstalt zu Marburg 
in der Lage war, eine Sammlung der in Deutschland und einigen angrenzenden 
Ländern gebräuchlichen Taschen anzuschaffen, eine Sammlung, welche ich 
den geehrten Herren Collegeu ebenfalls vorführen konnte, so bin ich in der 
Lage, die von mir angegebene Hebammentasche mit einer grossen Reihe in 
Gebrauch befindlicher Modelle zu vergleichen. 

Bei der Herstellung einer Hebammentasche ist vor Allem Rücksicht zu 
nehmen auf die Möglichkeit, das Behältniss für die Instrumente u. s. w. gründ¬ 
lich säubern zu können. Die Tasche muss ferner compendiös, nicht zu 
schwer sein und muss eine gefällige, nicht zu auffallende Form haben. 


In dieser Tasche sind nun die Instrumente derart untergebracht 
(Figur 3), dass die Spülkanne auf dem Boden der Tasche aufliegt. Die 
Flasche mit Carbolsäure und das Messglass, sowie das Fläschchen für 
Hoffmannstropfen und das Porzellangefäss für Vaselin befinden sich aufrecht¬ 
stehend an der Innenseite der feststehende:*, schmalen Wand der Tasche, 
woselbst auch noch die Handbürste untergebracht ist. 

Auf der Innenseite einer der beiden aufklappbaren grossen Seitenflächen 
sind, in einem leicht abnehmbaren Riemen eingeschnallt, untergebracht: 
ein Fieberthermometer, ein Badethermometer, ein neusilberner Katheter, 
eine Sabelschnurscheere, eine Nagelscheere, zwei Glasmutterrohre, zwei Glas- 
afterrohre, eine Kinderklystierspritze mit Afterrohr. 

Ein kleines au dem feststehenden Querbalken hängendes Leinwaud- 
täschchen enthält Nabelscbnurband, Warzenschoner, Milchpumpe, Seidenweb¬ 
katheter und eine Sanduhr in Holzhülse. 

Die Wattetampons sind in besonderen Packetchen (siehe unten) ein¬ 
gepackt und befinden sich in einer Blechbüchse in der Spülkanne. 

Ausserdem ist noch eine Rolle wasserdichter Stoff als Bettunterlage 
beigofügt. 

Für die Landhebammen wird ein Tragriemen beigegeben, der mittels 
zweier Haken an die Ringe des Handgriffes der Tasche angebracht werden 
kann, damit bei weiten Entfernungen, bei Sturm, Regen, Schnee, Kälte, wo 
die Hebamme einen Schirm braucht, sie beide Hände frei hat, eventuell vor 
Kälte schützen kann. 

Wie die Tasche, so sind auch die einzelnen Instrumente und Utensilien 
in ihrer jetzigen Form erst nach und nach entstanden, und ich halte es 
nicht für unzweckmässig, auf einzelne dieser Modelle näher einzugehen. 

Spülkanne: Von der Benutzung einer rein gläsernen Spülkanne habe 
ich abgesehen; ebenso schien es mir nicht passend, eine gläserne Spülkanne 
in einem Blechrahmen zu nehmen, weil diese Instrumente unzweifelhaft 
öfter zerbrochen werden würden, ein Verlust, der für eine Hebamme auf 
dem Lande nur schwer zu ersetzen ist. Der Vortheil der Glasspülkannen, 
die Möglichkeit genauerer Reinhaltung, glaube ich dadurch erreichen zu 
können, dass unsere Spülkanne keinen todten Punkt enthält. Der Boden 
senkt sich trichterförmig sanft nach dem Centrum zu, so dass jeder Tropfen 
ablaufen muss. Nichtsdestoweniger erlaubt ein Fussgestell, dass die Spül¬ 
kanne, ohne dass der abführende Schlauch gedrückt wird, aufrecht gestellt 
werden kann. Handhabe und Henkel ermöglichen ebenso das iu der Hand 
Halten und Aufhängen des Instrumentes. 

Carbolflasche und Messglas: Ich halte die Benutzung eines Mess¬ 
glases für sicherer, als den Gebrauch einer graduirten Carbolflasche; zumal, 
wenn es sich um den Gebrauch kleiner Quantitäten von Carbolsäure handelt, 
lassen sich die Mischungen mit einem Messglase sicherer darstellen. 

Die Flasche ist mit einem Patentgummipfropfen verschlossen, und der 
Stopfen lässt sich erst herausnehmen, wenn der comprimirende Gummiring 
durch Aufdrehen der Schraube gelockert wird. 

Die flüssige Carbolsäure wird stets mit Methylblau so intensiv gefärbt, 
dass eine Verwechselung mit anderen Flüssigkeiten ausgeschlossen ist. 

W a ttetampons: Der Umstand, dass Wattepfropfen, welche, zwecks 
einer Blutstillung zur Ausstopfung der Scheide längere Zeit iu der Hebe- 
ammentasebe vorräthig gehalten, häufig eine Beschaffenheit angenommen 
haben, dass sie im entscheidenden Momente eigentlich nicht mehr zur Tam¬ 
ponade verwendet werden dürften, hat mich veranlasst, die Hebammen¬ 
taschen mit kleinen in Pergamentpapier und Leinwand verschlossenen Packeten 
zu versehen, welche die zur Tamponade nothwendigeu Wattepfropfen bergen. 
Siehe hierüber diese Zeitschrift 1887 No. 33. Jedes solohe Packet enthält 
10 Wattepfropfen und einen Tampon aus Jodoformgaze gefertigt. Die Heb¬ 
amme führt stets zwei solcher Packete bei sich. Im Falle einer nothwendig 
werdenden Tamponade bindet sie das Leinwandsäckchen auf, öffnet das Per¬ 
gamentpapier und hat nun Wattetampons die nach ihrer Verpacknng bisher 
nie betastet worden waren. 

Ausser diesem Tamponpacketchen führt die Hebamme Verbandwatte 
bei sich. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47 


Sanduhr: Den Gebrauch eiuer Sanduhr habe ich seit acht Jahren 
eingeführt. Dies lustrument erscheint mir, indem die meisten Hebammen 
keine Uhr, im anderen Falle selten eine mit Secundenzeiger versehene be¬ 
sitzen, ganz nothweudig. Wie sollten sie anders die Abnormität der kind¬ 
lichen Herztöne, des mütterlichen Pulses, sicher erkennen können? 

Wasserdichte Bettuuterlage: Wir geben den Hebammen der 
Landdistricte einen Meter doppelt gummirten Unterlagenstoff mit, da dieses 
nothwendige Stück kaum jemals in den Dörfern angetroffen wird. 

Seidenwebkatheter: Ein flexibeler Katheter, um ohne Gefahr während 
der Geburt katheterisiren zu können, scheint mir ein nothwendiger Bestand- 
thoil einer Hebammentasche sein zu müssen. 

Die Tasche, enthaltend: 1. Irrigator mit Blecheinsatz für Tampons und l 
2 Packete Tampons, 2. l'/a m schwarzen Patentschlauch, 3. 2 Glasmutter- | 
rohre, 4. 2 Glasafterrohre, 5. Carbolflasche mit eingebrannter Schrift und ! 
Patentpfropf, ß. Mensurglas, 7. 2 Handbürsten, 8. Nagelscheere, 9. Glas mit 
Etikette „Hoffmannstropfen“, 10. Porcellaubüchse mit eingebrannter Schrift i 
-Vaselin“, 11. Nabelsehnurscheere, 12. Badethermometer iu Holzhülse, 13. 
Fieberthermometer in Holzhülse, 14. Neusilberner weibl. Katheter, 15. Sei- ] 
denwebkatheter, 16. Sanduhr in Holzbüchschen, 17. Milchpumpe, 18. 2 Gummi- 
war/.enhütchen, 19. Packetchen Nabelschnurband, 20. Kinderklystierspritze 
mit Hornansatz, kostet 33 Mk. Kommt noch 21. 1 m Gummiunterlage und ! 
22. ein Tragriemen hinzu, so steigt der Preis auf 41 Mk.') 

Zugleich mit unserer Marburger Hebammentasche kommt in den Handel I 
die „Winter’sche Tasche“, richtiger der Wiuter’sche „Kasten“. Winter 
empfiehlt das Instrumentarium in der „Allgemeinen deutschen Hebammen¬ 
zeitung“ 1888, No. 16. 

Es sei mir gestattet, die Unterschiede zwischen dem Winter’scheu Iu- 
strumentenkasten und der Marburger Tasche hervorzuheben. Winter hat 
für das Bebältniss Holz gewählt. Dies war kein glücklicher Gedanke. Der 
Kasten ist. nicht zu desinficiren. Fliesst Blut, Eiter, Wochenfluss auf 
die Innenfläche des Kastens, so sickern diese Stoffe in das Holz ein und 
sind mit dem besten Willen nicht wieder herauszubringen. Je mehr der 
Kasten Risse bekommt, was nicht ausbleiben kann, desto grösser wird die 
Gefahr. Die eingeleimten Leisten lösen sich, sowie der Kasten innen feucht 
wird (Irrigator), los, und die eng angeordneteu Ingesta sind dann haltlos und 
rutschen durcheinander. 

Der Kasten ist zu schwer. Er wiegt nahezu 10 Pfd. Damit ist schon 
der Gebrauch für Landhebammen ausgeschlossen. Denn man kann einer Heb¬ 
amme nicht zumuthen, mehrere Kilometer weit einen so schweren Kasten zu 
tragen. Noch dazu ist der Handgriff zu klein und scharf, dass er die Hand 
einsrhucidet. 

Der Ka>ton hat eine auffallende Form. College Winter wird sich 
bald überzeugen, dass selbst die Hebammen in Berlin ihn zu Hause lassen 
und mit einer kleinen Handtasche oder einem Körbchen bewaffnet sich auf 
der Strasse zeigen. Meine Warnung in dieser Beziehung, die ich in Halle 
äusserte, ist das Product jahrelanger Erfahrung. Holzkasten tragen die 
Hebammen nicht, man müsste dem Kasten deuu einen Ueberzug geben. Auf 
den Inspectionsreisen zur Beiwohnung der Hebammenprüfung habe ich dies 
wiederum vollständig bestätigt gefunden. Die Ilebammeu sagten es auch 
kurz heraus, dass die Kasten zu „unbequem“ seien. 

Der Glasirrigator im Winter’schen Instrumentarium ist unpraktisch. 

Er wird zerbrechen. Besonders leicht wird der Glasauslauf abbrechen, und 1 
damit ist das Instrument unbrauchbar. ( 

Der Schlauch ist in einem schwer zu reinigeuden Täschchen untergebracht, i 

Die Einrichtung, für die Instrumente, welche in Berührung mit den [ 
Genitalien kommen, ein besonderes ßlechbehältniss zu schaffen, halle ich für I 
überflüssig, sobald sich die ganze Tasche, wie die unserige, gut reinigen lässt. I 

Dies Blechbehältniss zum Auskochen der Instrumente zu benutzen, ist 
nicht praktisch. Die Hebamme muss sich dazu einen Spiritusbrenner an- j 
schaffen, und das Blechgefäss wird in kurzer Zeit ruinirt sein. Da jeder i 
Topf, «ler zu dem Zwecke gehalten wird, das Gleiche leistet, so ist es wohl j 
einfacher, die Hebammen auzuweiseu, die Instrumente auf dem Herde zu i 
kochen. 

Dem Winter’schen Instrumentarium fehlt ein Mensurglas, eine Nagel- 
scheere, eine Kiuderklystierspritze oder Spritzenballon, ein flexibeler Katheter, 
eine Sanduhr, eine Milchpumpe, Gummiwarzenhütchen. 

Wenn trotzdem der Preis des Winter’schen Kastens mit 30 Mk. an- I 
gesetzt ist, so ist 33 Mk. für unsere reichhaltigere Marburger Tasche ein I 
billiger Preis gegenüber der Berliner. 


— Die Krankenversicherung der Arbeiter und die ersten Ergeb¬ 
nisse derselben, wie sich solche nach der Bearbeitung-') des Kaiserl. Statist. 
Amts gestalten, stellen sich wie folgt: Die Zahl der Krankenkassen 
im deutschen Reich belief sich Eude 1886 auf 19 238 mit einer 1 
Mitgliederzahl von 4 570 087 oder durchschnittlich 237,6 Mitglieder in jeder 
Kasse, und auf je 100 mäuulicho Mitglieder kamen 22,2 weibliche. Wenn j 
mau den Mitgliedbestand der auf berggesetzlicher Vorschrift begründeten 
Knappschaftskasscu hinzurechnet, so waren insgesammt zu Ende 1886 im 
deutschen Reiche gegen Erwerbslosigkeit in Fällen von Krankheit gesetzlich 
versichert 4 914 000 Personen oder 10% der Gesammtbevölkeruug. Von 
den einzelnen Bundesstaaten kamen auf je 1000 Einwohner Versicherte: in j 
Hamburg 4SI,9, Königreich Sachsen 177,0, Elsass-I.othringen und Hessen 
je 1 1 >5,0, Baden 86,1, Preussen 85,5, Württemberg 81, Bayern 72,7. — j 
Die niedrigsten Ziffern finden sich für Waldeck '31,4), die beiden Mecklen- | 
bürg und Oldenbutg. — Die Einnahmen an Beiträgen und Eintrittsgeldern 1 
betrugen 61 388 190 Mk., die Gesammtausgaben 5 804 802 Mk., darunter au j 
Krankheitskosten 52 452 343 Mk. oder 12,4 Mk. pro Mitglied. Erkruukungs- | 

*) Die Tasche ist nur zu beziehen durch Instrumeuteumacher W. Holz- j 
hauer iu Marburg. — Derselbe hält auch die Tampouadepacketchen vor- 
räthig uud liefert solche im Einzelnen für 60 Pf. 

r ) Statistik des deutschen Reichs, N. F. Bd. 31. 


falle kamen überhaupt vor 1 892 307, oder auf je 100 Mitglieder 40,1, mit 
einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 15,4 Tagen (d. h. Kranbheits- 
tagen, für welche Unterstützung gezahlt wurde). Jeder Erkrankungsfall 
kostete durchschnittlich circa 31 Mk. und zwar wurde gezahlt: 


für den Arzt. 

überhaupt 

10 212 873 Mk. 

odor durchschnittlich 
im einzelnen Erkran¬ 
kungsfall 

6,04 Mk. 

- Arzneien und sonstige 

Heilmittel .... 

8 060 499 „ 


4,76 , 

15,22 . 

an Krankengeld .... 

25 764 596 „ 

* 

„ Sterbegeld .... 

2 442 281 - 

n 

1,44 . 

Unterstützung an Wöchne- 

rinnen. 

703 957 „ 


0,42 . 

Verpflegungskosten an An- 

stalten. 

5 268 137 „ 

„ 

3,11 , 


Die gesammten Krankheitskosten in jedem Krankheitsfall waren ver 
hältnissmässig am bedeutendsten in Berlin (45,55 Mk.), derauächst in 
Bremen (43,65), Schleswig-Holstein (3.7,61), Hamburg (36,25) und Elsasi- 
Lothringen (35,53), am niedrigsten im Fürstenthura Lippe (14,49), Mecklen 
burg-Strelitz (15,21) und Reuss j. L. (16,93). Unter den sechs grössten 
deutschen Bundesstaaten hatte Württemberg die bedeutendste (33,42 Mk. . 
Königreich Sachsen die geringste (27,95 Mk.) Ausgabe für Krankheitskosten 

— Die Zahl der SterbefSIle im preußischen Staate war im Jahr? 
1887 uugemein gering. Sie betrug 730076 gegen 786465 im Jahre 1886 
und 761630 im Jahre 1S85. Es sind also im vorigen Jahre 56389 Menschen 
weniger gestorben als im Vorjahre. Die Abnahme der Sterbefälle beträgt 
mithin 7,2%. Unter den Verstorbenen befanden sich 382607 (l>86 
412493) männliche und 347469 (373972) weibliche Persouen. Abgenommen 
hat insbesondere die Zahl der verstorbenen Kinder bis zu 12 Jahren, die 
360710 betrug gegen 409816 und 384 339 in den Vorjahren. Erwachsene 
starben 325460 gegen 333058 und 332671 in den Vorjahren. Die Zahl 
der im Alter von 80—90 Jahren verstorbenen Personen betrug 23149, die 
der im Alter von 90—100 Jahren verstorbenen 2042, die der über 100 Jahre 
alten 83 ('darunter 61 Frauen). 1786 geboren waren 24, 1785 10, 1781 3. 
1783 4, 1782 5, 1781 4, 1780 2, vor 1780 10. 

X. Therapeutische Mittheilungen. 

Dermatotherapeutische Mittheilungen 

von Dr. Edmund Saalfeld in Berlin. 

(Schluss aus No. 46.) 

DasSalol hatte ich bereits bei Hautkrankheiten, bevor von anderer Seite 
hierüber etwas publicirt war, äuge wandt; einige kurze Angaben mögen daher 
wohl gestattet sein. Das Salol, als eine 5- bis 8°/oige Salbe mit Vaselmuni 
flavum oder nach der oben erwähnten Grundlage mit Bals. Peruv. und l’ngt 
Wilson, resp. Ungt. leniens bereitet, bewirkte bei vielen Eczemen schnellere 
Heilung als die in den betreffenden Fällen sonst angezeigt erscheinende in¬ 
differente Salbenbehandlung mit Ungt. vaselin. plumbicum oder Borvaselin oder 
bei Fällen, wo Salicylsalben resp. -Pasten nicht vertragen wurden. Einen sehr 
schnellen Erfolg sah ich bei mehreren Fällen von Impetigo contagiosa bei 
zwei Familien, von deren einer 2 Kinder hieran erkrankt waren, während 
bei der anderen Familie ausser drei Schwestern auch die Mutter erkrankt 
war. Einen Patienten mit über das ganze Gesicht und die Halsgegend ver¬ 
breiteter Sycosis simplex — der Patient litt ursprünglich an Sycosis para¬ 
sitaria, wegen der er in einem hiesigen Krankenhnuse 1 */* Jahr lang be¬ 
handelt, mehrfach in Narkose mit dem scharfen Löffel ausgekratzt war und 
schliesslich wegen der übrig gebliebenen resp. entstandenen Sycosis simplex 
als unheilbar entlassen wurde — gelang es mir mit einer Salolsalbe so weit 
zu bessern, dass ich es wagen durfte, zu dieser Salbe Schwefel und Kali 
carbonicum hiuzuzufügen, vermöge deren ich direkt auf die geschwollenen 
und vergrösserten Follikel einzuwirken im Stande war, so dass der Patient 
nunmehr als fast vollkommen geheilt und jetzt wieder arbeitsfähig betrachte! 
werden kann. Vor Anwendung des Salol hatte der Patient allein von der 
Anwendung von Umschlägen mit essigsaurer Thonerde oder 5%iger Bor¬ 
lösung mit Bleiwasser zu gleichen Theilen Erleichterung gegen die ausser¬ 
ordentlich schmerzhafte Spannung der Gesichts- und oberen Halshaut gehabt. 
Salbeu vertrug er im Allgemeinen gar nicht, weder indifferente noch diffe¬ 
rente mit Ausnahme eiuer schwachen Resorciusalbe, die anfangs etwas Bes.-e- 
ruug des Leidens herbeiführte, dann aber, weil diese nicht progressiv fon¬ 
schritt, und die Salbe mit höherem Resorciugehalt neue Reizerscheinuuge» 
verursacht hatte, ausgesetzt werden musste. Die zuletzt bei dem Patienten 
angewandte Salbe hatte folgende Zusammensetzung: 

(X) Rp. Kali carbon. 1.0 
01. Oliv. 10,0 
Zinc. oxydat. 

Amyl. aua 15,0 
Salol. 5,0 

Sulfur, praecipitat. 6,0 
Lanolin, ad 100,0 
M.F. Ungt. 

Dass hierbei eine genügende mechanische Therapie, bestehend in Ef 
Öffnung der Pusteln resp. Epilation von in vereiterten Follikeln steckende« 
Haaren mit nachfolgendem Ausdrücken des Eiters, häufiges Rasireu etc. Dicht 
ausser Acht gelassen wurde, versteht sich von selbst. 

Dass Resorciu bei deu verschiedenartigsten Fällen von Kczeiu günstig 
einwirkt, ist schon zu häufig constatirt, als dass ich zu seinem Lobe noch etwa-- 
hinzufügen könnte. Hervorheben möchte ich nur noch, dass ich es oft b» 1 
gutem Erfolge bei solchen Eczemen anwandte, die unter einer indifferenten 
Salbentherapie bis zu einem gewissen Grade der Besserung gediehen 
ohne hierbei weitere Fortschritte zu machet), bei denen ich aber, um f> nf 


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/ 


2*2. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 977 


vollständige Heilung zu erzielen, die Anwendung von Theerpräparateu nicht 
wagte oder, falls ich dieselben anwandte, von ihnen bald wieder wegen der 
durch sie bedingten heftigen Reizerscheinungen Abstand nehmen musste. 
Auch die das Juckgefühl herabsetzende Eigenschaft des Resorcins, die aller¬ 
dings und bei Weitem nicht so beträchtlich als die des Menthols ist, hatte 
ich häufig Gelegenheit wahrzunehmen. Die Austrockuungsfähigkeit des Re¬ 
sorcins erscheint mir besonders bei alten nässenden Unterschenkeieczemen 
beinerkenswerth, bei denen ich mit einer Salbe von 
(9) Rp. Resorcin. 2,5 

Ungt. vaselin. plurabic. 50,0 
M.F. Ungt. 

gute Erfolge erzielte: schneller wird das Resultat bisweilen noch erreicht, 
wenn dem Resorcin das gleiche Quantum Acid. boricum zugefügt wird, eine 
Composition, deren Zweckmässigkeit ich auch von anderer Seite empfehlen 
hörte. Das zuletzt und bereits oben erwähnte Unguentum vaseliui plumbicum 
(Kaposi) ist ein schätzenswerther Ersatz für das Ungt. diachylon. Hebrae, 
das, soviel ich weiss, bei den praktischen Aerzten noch wenig bekannt ist. 
Die Vorschrift hierfür ist: 

(10'' Rp. Emplast. diaehyl. simpl. 

Vaselin, ana 100.0 
Liquef. misce 

(Kaposi, Pathologie und Therapie der Hautkraukheiten, 3. Auf!., p. 500.) 

Die von Liebreich so warm empfohlene interne Anwendung von Acidum 
arsenicosum statt der sonst allgemein üblichen Sol. Fowler. habe ich in einer 
sehr grossen Anzahl von Fällen durchaus gerechtfertigt gefunden, da dieses 
Präparat mit wenigen Ausnahmen von den Patienten ausserordentlich gut 
vertragen wird, und mau in Folge der hierdurch ermöglichten grösseren Zu¬ 
fuhr von Arsenik wirklich Erfolge erzielen kann, während man wegeu gastri¬ 
scher Erscheinungen häufig die Sol. Fowler. auszusetzen genöthigt ist und 
dann auf eine Arzneiwirkuug verzichten muss. Ich verorduete das Acid. ar- 
senicos. entweder in Granules zu 1 resp. ’/a nig, wie sie in den meisten Apo¬ 
theken vorräthig sind, oder für die poliklinische Praxis in ein.er Lösung, 
nämlich: 

(11) Rp. Sol. Acid. arsenicos. 0,01 : 40,0 
D.S. Theelöffelweise zu nehmen, 
oder 

(1*2) Rp. Sol. Acid. arsenicos. 0,005:40,0 
D.S. Theelöffelweise zu nehmen. 

In der ersten Verordnung kommt auf einen Theelöffel der Lösung 
(I Theelöffel Wasser zu 4 g angenommen) auf jeden Theelöffel 1 mg Acid. 
arsenicos., während in der zweiten für Kinder bestimmten Vorschrift in jedem 
Theelöffel der Lösung ein halbes Milligramm Acid. arsenicos. enthalten ist. 
Sobald die Einzeldosen vergrössert werden sollen, wird die ganze Dosis des 
Acid. arsenicos. erhöht, so dass der Patient nicht genöthigt ist, auf einmal 
mehrere Theelöffel der Lösung zu nehmen. 


— Gegen Magendilatation wendet Boulland das Tannin (British 
Med. Journal Juli 21 1888) als ein absorbirendes, autiseptisches und die 
Magenschleimhaut coutrahirendes Mittel au. Er reicht dasselbe, um Obsti¬ 
pation zu verhindern, in kleinen Dosen täglich mehrmals, pro die 0,9, und 
hat dieselben Erfolge erlangt wie durch die bisweilen Nachtheil bringenden 
Magenausspüluugen. Nach 20 Tagen war das Volumen des Magens, wie die 
Percussion ergab, bis zum Normalen reducirt. Selbstverständlich müssen die 
Kranken während dieser Zeit leicht verdauliche Nahrungsmittel, wenig Amy- 
lacea geniessen. Ausserdem vermindert das Tannin die Schleimproduction, 
beseitigt die bei der Verdauung öfter auftretenden Schmerzen und erweist 
sich bei Magenblutungen ebenso wirksam wie Ergotin und Liquor Ferr. ses- 
quichloratus. 

— Dr. Vernon (Semaine medicale No. 15) empfiehlt das rapa'iu zur 
Forderung der Verdauung bei Dyspepsleen und in Fällen, iu denen eine 
Ueberernährung erforderlich ist (Diabetes, Tuberculose, zehrende Krank¬ 
heiten). Der berühmte Chemiker Würtz hat gezeigt, dass das Papain mit 
ausserordentlicher Energie und Promptheit verdauend auf Proteinsubstanzen 
thierischer und pflanzlicher Provenienz wirkt. Während Pepsin nur iu 
grossen Dosen und in einem sauren Medium wirkt, hat das Papain schon 
in kleinen Gaben sicheren Erfolg. 

— In der Province medicale vom 14. Juli 1888 bespricht Dr. M. C. 
Paul die antiseptisclie Eigenschaft des Saccharin und seine ferment¬ 
zerstörende Wirkung, die auf die Magensaftabsonderuug Einfluss ausübt. 
Zahlreiche Untersuchungen, die er angestellt, sollen die antiseptische Wir¬ 
kung gegen mannichfaehe Mikrobenaffectionen darthun. Im Verhältniss von 
5 auf 1 000 verhinderte es die ummoniakalische Uringährung und ist anti¬ 
putrid. In derselben Mischung hält es die Entwickelung des Bacterium termo 
auf, in der Mischung von 2 auf 1000 die des Staphylococcus pyogenes 
aureus und in der 9 auf 3 000 verzögert es die Bildung vom Streptococcus 
des Puerperalfiebers. Da das Saccharin ausserdem unverändert 
durch die Nieren ausgeschieden wird, dürfte es sich bei Pye¬ 
litis und Pyelonephritis als heilsam bewähren und statt der 
Borsäure mit besserem Erfolg Anwendung finden. 

— Gegen Singultus empfiehlt Böttrich langes Anhalten des Athens 
nach einer tiefen Inspiration. Hält man den Athem über den Moment eines 
neu auftreteudeu Singultus an, so ist letzterer meist verschwunden. Druck 
auf die äusseren Gehörgänge muss recht kräftig sein, um bei Singultus 
Erfolg zu erzielen, und lässt selbst dann häufig im Stich. 

— Magnesiumsilicat gegen chronische Diarrhoe wird von Dehove 
als erfolgreiches Mittel in Gaben von 23—60 g täglich empfohlen. Zumal 
bei Phthisikern, wo die Diarrhoeen schwer zu beseitigen sind, bewirkt das 
Mittel, mit Milch gereicht, die erfolgreichsten Dienste, nur muss damit län¬ 
gere Zeit fortgefahren werden, da die Verdauung und der Appetit der Kranken 
zugleich dadurch gebessert, Milch und andere zur Kräftigung derselben die¬ 
nende Nahrungsmittel gut vertragen werden. 


XI. Heinrich v. Bamberger f. 

Wien, den 15. November 1888. 

Eine Trauerbotschaft zieht durch die gesammte medicinische 
Welt. Der Besten einer unseres Standes hat für immer seine Augen 
geschlossen; ein edles Herz hat zu schlagen aufgehört. Heinrich 
v. Bamberger ist nicht mehr. 

Schwer trifft der Verlust die medicinischeu Wissenschaften, 
unter deren glänzendsten Vertretern Bamberger einen hervorragen¬ 
den Platz eingenommen hat; doppelt schmerzlich ist aber das Hin¬ 
scheiden des Meisters für die Alma mater, deren Zierde er war, 
sowie für den Schüler, der zu seinen Füssen sass und mit Entzücken 
seinen unschätzbaren Worten lauschte. 

Werfen wir einen Rückblick auf das Leben des Verblichenen, 
so finden wir. dass es ein köstliches Leben w'ar, weil es Mühe, und 
Arbeit war. 

Am 22. December 1822 als Sohn eiuer angesehenen jüdischen 
Kaufmanusfamilie bei Prag geboren, vollendete Bamberger in seiner 
Geburtsstadt seine Gymnasial- und akademischen Studien und wurde 
au der dortigen Alma mater Caroliuensis im Jahre 1847 zum Doctor 
der Medicin promovirt. Bald nach seiner Promotion hatte er das 
Glück, Assistent Oppolzer’s zu werden, der damals in Prag wirkte 
und mit Meisterblick in Bamberger einen der begabtesten seiner 
Schüler erkannte. 1851 wurde Oppolzer von Leipzig nach Wien 
berufen, wohiu ihm auch seiu Assistent Bamberger folgte. Hier 
war es, wo Bamberger unter der Leituug Oppolzer’s und unter 
dem Einfluss der Lehren Rokitansky’s den Grundstein zu seinem 
künftigen Ruhme legte. Hier beganu er auch seine Lehrthätigkeit 
durch Curse iu der physikalischen Diagnostik, die ausserordentlich 
stark frequentirt waren und die schon damals den vortrefflichen 
Lehrer erkennen Hessen. 

Im Jahre 1854, also kaum 32 Jahre alt, wurde Bamberger 
als Professor der speciellen Pathologie und Vorstand der raedicini- 
schen Klinik an die damals auf der Höhe ihres Ruhmes stehende 
Universität Würzburg berufen, woselbst er neben Mäuuern wie 
Schönlein, Virchow, Kölliker, Scanzoni etc. zu wirken hatte. 
Wie sehr Bamberger hier seinen Platz ausfüllte, beweist nicht 
nur die schon damals so gerühmte Lehrfahigkeit, sondern auch seine 
literarische Thätigkeit. Hier vollendete er sein berühmtes Werk 
„Lehrbuch der Krankheiten des Herzens“ (1857) und bereicherte 
die medicinische Literatur mit seinen „Krankheiten des chylopoetischen 
Systems“ und seiner historischen Studie über „Bacon von Verulam“ 
(1865). Nach 18jähriger segensreicher Thätigkeit an der Würzburger 
Hochschule kehrte Bamberger an die Stätte zurück, von der er 
ausgegangen, als Nachfolger seines Meisters Oppolzer, iu welcher 
Eigenschaft er bis zu seinem Lebensende thätig war. 

Hier entfaltete Bamberger als Arzt, Lehrer und Schriftsteller 
eine fruchtbare Thätigkeit, die ihn auf den Zenith seines Ruhmes 
brachte. Von Nah und Fern kamen zahllose Kranke seinen Rath 
eiuzuholen; schaarenweise strömten Aerzte aus aller Herren Länder 
herbei, um seine Lehren in sich aufzunehmen, und verschiedene 
Zeit- und Wochenschriften geben Zeugniss von seiner originellen Pro- 
ductivität. Leider trat gerade iu letzterer Beziehung in den letzten 
Jahren ein Stillstand ein, der zum nicht geringen Theil seiner auf¬ 
reibenden ärztlichen Thätigkeit zuzuschreiben ist. Dazu kam noch 
ein schwerer Schicksalsschlag, der Verlust eines hoffnungsvollen 
Sohnes, welcher nicht ohne Einwirkung auf seinen Gemiithszustand 
bleiben konnte. 

Im verflossenen Jahre trat eine Wandluug ein, mit verjüngten 
Kräften nahm Bamberger seine literarische Thätigkeit wieder auf, 
und fast schien es, als ob eine neue Epoche im wissenschaftlichen 
Leben dieses Mannes beginnen sollte. Doch der Neid der Götter 
wollte es anders. 

Zum Schlüsse des heurigen Somrnersem.isters begab sich Bam¬ 
berger scheinbar in voller Gesundheit auf seine Besitzung Zeheuthof 
bei Scheibbs. Gegen Mitte August begann er zu kräukeln. Die 
Hauptsymptome waren damals Abnahme des Appetits, des subjectiven 
Kraftgefühls, nächtliche Schweisse und rapide Abnahme des Körper¬ 
gewichtes; dazu gesellten sich später Hüsteln uud Heiserkeit. Am 
1. September entdeckte er selbst — wie die behandelnden Aerzte 
Nothnagel, Schrötter. Widerhofer mittheilen — eine wallnuss¬ 
grosse Drüse in der Supraclavirulavgegend. Schon damals erklärte 
Bamberger mit seinem ihm eigenen diagnostischen Scharfblick 
seinen Zustand und stellte eine traurige Prognose Vou Mitte Sep¬ 
tember bis zum Ende des Lebens dauerte die Temperaturerhöhung 
(38,5—390 des Abends). Bei seiner Rückkehr nach Wien, in den 
letzten Septembertagen hielten die genannten Erscheinungen an. 
Eine laryngoskopische Untersuchung ergab einen unbedeutenden 
Katarrh, in allen anderen Organen war keine Veränderung zu finden, 
aus welcher das Fieber und die Abmagerung hätten erklärt werden 
können. Drei Wochen vor dem Tode begannen heftige paroxysmale 
Hustenanfalle, bei denen hellrothes Blut mit grossen Beschwerden 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47 


978 


expectorirt wurde. Wiederholte Untersuchung auf Tuberkelbacillen 
ergab ein negatives Resultat, dagegen fanden sich grosse polymorphe, 
in starker Verfettung begriffene Zelleu. Die physikalische Unter¬ 
suchung der Lunge ergab eine leichte Dämpfung entsprechend der 
rechten Fossa supraspinata, die sich später etwas nach unten aus¬ 
breitete: die Auscultation überall rauhes vesiculöses Inspirium und 
an der Stelle der Dämpfung verstärktes Exspirium. Mittlerweile ent¬ 
deckte Bamberger selbst eine neue Inturaescenz nahe dem linken 
Sternoclaviculargelenk, die offenbar vom Sternum ausging und eine auf¬ 
fällig weiche Consistenz hatte. Zugleich war die oben erwähnte Drüse 
rechts gewachsen und bot in der Peripherie harte, höckerige Beschaffen¬ 
heit. Nun konnte über die maligne neoplosinatische Natur des Leidens 
kein Zweifel mehr sein. Im weiteren Verlaufe kamen noch Oedem 
der linken oberen Extremität, leichte Parästhesieen uud Schmerzen 
in der rechten oberen Extremität, allgemeines Anasarka bei normaler 
Beschaffenheit des Harnes und schliesslich ein Stenosengeräusch bei 
den Hustenanfällen dazu. In den letzten Tagen traten unter Steigerung 
aller obigen Symptome Somnolenz und Benommenheit des Sensoriums 
hinzu. Der Tod erfolgte, nachdem sich am Abend des 7. November 
reichlich Rasselgeräusche in den grossen Luftwegen eingestellt hatten 
uud immer noch reines Blut ausgeworfen wurde, sanft im soporösen 
Zustande am 9. Novembor früh. 

Sonntag trugen wir ihn zu Grabe, den Mann, der ebenso her¬ 
vorragend war als Arzt, Lehrer, Forscher und — last not least — 
als Mensch. In Bamberger verliert die leidende Menschheit einen 
humanen, treuen und aufopfernden Arzt, die Studentenschaft einen 
ihrer wärmsten Beschützer und Freunde, unsere Hochschule eine 
ihrer glänzendsten Leuchten. 

Bamberger als Kliniker glauben wir am besten durch die 
Worte zu charakterisiren, die Nothnagel, in einem in seiner Klinik 
gehaltenen Nachrufe, dem Andenken seines Freundes widmet: 

„Es wird oftmals gesagt, die Medicin sei eine Wissenschaft und 
Kunst zugleich. In hervorragendem Maasse trifft diese Anschauung 
gerade für die klinische Seite unseres Faches zu. Es giebt grosse 
Kliniker, bei welchen die naturwissenschaftliche Veranlagung, die 
strenge methodische Schulung und Art des Denkens minder ent¬ 
wickelt ist, die aber mit der Inspiration des Künstlers in ihrem 
Fache thätig sind, ln der Regel mit einem eminenten Gedächtnisse 
bedacht, taucht ihnen oft unbewusst, blitzschnell im gegebenen Falle 
eine Reihe von Erinnerungsbildern auf, dieselben gruppiren sich, 
die Vergleichung mit dem concreten Falle vollzieht sich, und die 
schnelle, genial concipirte Diagnose ist fertig. Kliniker dieser Art 
sind weniger literarisch thätig — ihre Leistung ist das imponirende 
Handeln in der Praxis, die Diagnose, Prognose, die therapeutische 
lndieationsstellung. Andere dagegen gehen in der Praxis, im Lebeu, 
wie im Laboratorium vor, in der ärztlichen Kunst ebenso, wie in 
der ärztlichen Wissenschaft. Die strenge Methodik ist der rothe 
Faden, welcher auch ihre klinische Thätigkeit durchzieht. Sie be¬ 
folgen auch im ärztlichen Handeln das inductive Verfahren, von der 
Analyse des Einzelnen gelangen sie zum Ganzen. 

Heinrich v. Bamberger gehörte zu den glücklich bean- 
lagten Geistern, in welchen beide Seiten in gleichem Maasse ver¬ 
treten waren. Und wenn ich seine Eigenart als Kliniker und Arzt 
charakterisiren soll, so möchte ich es mit den Worten thun: er 
dachte naturwissenschaftlich uud handelte künstlerisch. 
Darin ist das Geheimniss zu suchen, welches Bamberger’s Ruf 
als Arzt, als Diagnostiker und Kliniker begründete. 

Als die wissenschaftliche deutsche klinische Schule aufblühte, 
hat Bamberger in vorderster Reihe an ihrem Aufbaue mitgear¬ 
beitet. Er entwickelte sich anderswie Skoda, anders wie Traube 
und wieder anders wie Oppolzer. Als nächsten ihm Geistesver¬ 
wandten möchte ich l'rerichs bezeichnen in der ganzen Art der 
Veranlagung. Bei beiden ist es die plastische, künstlerisch schöne 
Art der Behandlung klinischer Gegenstände, zugleich gesättigt mit 
anatomischem und physiologischem Denken, welche die Bewunde¬ 
rung und den lauten Beifall aller Fachgenossen hervorrief. Bam¬ 
berger’s Werke über die Krankheiten des chylopoetiscben Systems 
und über die Herzkrankheiten sind unvergleichliche Muster klini¬ 
scher Auffassung und Darstellung. Sie machen seinen Namen in 
der Wissenschaft unvergänglich. 

Und was er als Lehrer war? Sie, meine Herren, wissen es am 
besten. Sie kennen seine durchdringende Art, die verwinkeltsten Fälle 
auseinander zu legen, Sie haben oft genug seine staunenerregende 
Erfahrung bewundert, Sie waren oft genug von der meisterhaften 
Kunst seiner Darstellungsgabe entzückt. 

Das Alles ist nun zu Ende — und in tiefem Schmerze beklagen 
wir den Verlust, der die Wissenschaft eines ihrer hervorragendsten 
Träger, Sie eines grossen klinischen Lehrers und unsere Hochschule 
eines ihrer glänzendsten Vertreter beraubte. Wieder ist einer der 
Namen ausgelöscht, welche die unmittelbare Fortsetzung der zweiten 
grossen Wiener Schule bildeten. Wie in der ersten sich Van Swie- 
ten, de Haen. Stoll und Peter Frank aneinanderreihten, so 


reiht sich in der zweiten der Name des Klinikers Bamberger 
leuchtend an das Gedächtniss, von Skoda und Oppolzer. Ehre 
und unvergängliches Gedenken sei dem Namen Bamberger’s! 
Gesegnet sei sein Gedächtniss!“ N. 


XII. Das 26jährige Stiftungsfest des Greife- 
walder medicinischen Vereins. 

Die Leistungen des Greifswalder medicinischen Vereins legen das be¬ 
redteste Zeuguiss ab für seine ununterbrochene rastlose Arbeit und haben 
ihm einen hervorragenden Platz unter deu deutschen medicinischen Gesell¬ 
schaften zugewiesen. Die Verhandlungen des Vereins bilden eine Zierde 
dieser Wochenschrift. Getrosten Muthes kann er seinen neuen Lebensab¬ 
schnitt beginnen, um fernerhin seines hohen Amtes zu walten: Pflege und 
Hütung der ärztlichen Wissenschaft und Kunst. Vergessen wollen wir da¬ 
bei nicht, dass diese von der Gesellschaft erreichte Höhe in erster Linie 
der Kraft und Hingabe ihrer früheren und gegenwärtigen Leiter Barde¬ 
leben, Budge, Pernice, Rühle, Landois, Grohe, Bengelsdorff, 
Mosler, Schirmer, nicht minder aber auch der regen Mitarbeit uud 
Theilnahme aller Mitglieder zu verdanken ist. 

Das schöne Fest der 25jährigen Stiftung des Vereins wurde durch die 
angekündigte Ausstellung mcdicinisch wichtiger Gegenstände am Iß.d.M. 
im neuen physiologischen Institut eröffnet. Das in diesem Winter erst 
seinem Unterrichtszwecke übergebene Institut ist mit den meisten Apparaten, 
den werthvollsten Sammlungen in vollkommenster Weise ausgestattet. 
Ausserdem hatten das chemische, physikalische, mineralogische, sowie das 
pharmakologische Institut ihre werthvollen Sammlungen an allen, für den 
medicinischen Unterricht besonders wichtigen Präparaten und Apparaten zu 
genauerem Studium aufgestellt. Auch die auf die moderne Bakteriologie 
bezüglichen Gegenstände waren von Seiten des pathologisch-anatomischen 
und hygienischen Instituts zur Darstellung gebracht Von der geographischen 
Gesellschaft war durch Professor Minnigerode eine Ausstellung eiuer 
neueu Serie von Seila’schen Hochgebirgs-l’hotographieen veranstaltet Die 
normale und pathologische Anatomie waren durch die interessantesten Prä¬ 
parate und Phantome vertreten. Klinisch wichtige Apparate, Instrumente. 
Abbildungen, Instrumente für Kehlkopf und Nase, welche die laryngologische 
Poliklinik in grosser Zahl ausstellte, Apparate zur Vaccination und Revacci- 
nation nebst dazu gehörigen Abbildungen, bildeten den Kern der Aus¬ 
stellung. 

Am Abend des 16. November fand im grossen Vogler’schen Saal der 
Festcommers der Mediciner statt, zu welchem ausser den vollzählig er¬ 
schienenen Studireuden der Medicin die Professoren und Docenten sämmt- 
licher Facultäten, viele auswärtige und einheimische Freunde des Vereins 
sich eingefunden hatten. Nach Kröffnung des Commerses brachte Herr 
Geh. Rath Mosler folgenden, mit grossem Beifall aufgenommenen Toast 
auf den Kaiser aus: 

Heil dem deutschen Volke, dass nach so viel schweren Tagen tiefster 
Trauer neues Leben wiederkehrt! Niemals wird zwar der Schmerz um den 
rasch erfolgten Heimgang unserer beiden heissgeliebten Kaiser in unserem 
Herzen erlöschen. Dürfen wir aber in diesem unserem Schmerze verzagen.' 
Strahlt nicht in frischem Glanz der Hohenzollern Sonne? In dem Urenkel 
jener Ilohenzollernpriesterin acht nationalen Sinnes und Geistes, in dem 
Enkel unseres Heldenkaisers, des erhabenen Gründers des deutschen Reiches, 
iu dem Sohne des ruhmgekrf.nten Siegers von Weissenburg und Wörth, 
der in seiner einnehmenden Heldengestalt Nord- und Süddeutschland geeint, 
hat die Vorsehung wiederum eineu Kaiser uns geschenkt, wie er edler, 
pflichttreuer, thatkräftiger nicht gedacht werden kann. Heil Germania Dir! 
Kaum kennt die Geschichte einen Herrscher, der nach kurzer Ilegierungszeit 
so viele hervorragende Leistungen aufzuweisen hat. Begeistert sind *ir 
Alle noch von dem Aufruf an sein Volk, von seinen Eröffnungsreden im 
Reichstag und Abgeordnetenhaus. Die Eiuheit des deutschen Reiches, dir 
Macht unseres Herrscherhauses haben dabei glänzend sich bewährt. Wk 
herrlich wurde seine Friedensliebe bewiesen durch je ne denkwürdige 
Nordlandsfahrt. Welche Erfolge hat er errungen durch seine süd¬ 
ländischen Fahrten! So viel Hass Kaiser Barbarossa, so viel Liehe bat 
Kaiser Wilhelm in Italien hinterlassen. Hochverehrte Festgenosseu! War 
es nicht einer seiner ersten Regierungsacte, durch den er für die Ehrt 
deutscher Wissenschaft, für das Ansehen deutscher Aerzte eingetreten ist? 
Lassen Sie uns darum bei dem heutigen Medicinercommerse einer der ältesten 
deutschen Universitäten ihm ganz besonders danken, dass er in jeder Lage 
durch Wort und That ein deutscher Kaiser ist, der es nach seinem eigenen 
Ausspruch als der Hohenzollern höchsten Stolz erkennt, über das edelste 
und gesittetste Volk zu regieren. Auch unser Volk hat ein Banner skh 
erkoren, das es hoch hielt im Strom der Geschichte, das es seinen späten 
Enkeln vererbte wie Jago als ein Talisman, als ein Zauberding, auf das» 
sie würdig leben der grossen Almen. Und dieser Talisman? Er bat uns 
Gott sei Dank noch nicht verlassen. Denn das wissen wir Alle: uuvr 
Heil beruht auf der selbstlosen Gesinnung, auf der Opferwilligkeit, auf der 
Hingabe, auf dem Idealismus In unserem jugendlichen Kaiser wohnt dieser 
Idealismus, gepaart mit einem Realismus, durch den zu Deutschlands Heile 
seit vielen Jahren uns Allen vorleuchtet sein grosser, sein eiserner Kanzler, 
l'ommilitonen! Treu und unentwegt lassen Sie uns den Bahnen dieses helj- 
leuebtenden Doppelgestirns alle Zeit Folge leisten, vor allem aber. wenn> 
wiederum noth timt, wenn unser Kaiser ruft, Mann für Mann zusammen- 
stehen für’s Vaterland, das theuere! Von jeher sind ja die Universitäten di J 
Wärme ausstrahlenden Sonnen gewesen für’s ganze deutsche Volk. Das 
das muss immer so bleiben. Dann werden unsere Hochschulen dem MaJr 
die besten Bürger, der Krohe die tüchtigsten Rätho liefern, dem Je«• 
erstandenen Reich eine kräftige Wehr. Denu Bildung und ideales Strebe“ 
werden dem deutschen Volke nicht mangeln. Und nunmehr, meine sehr 
verehrten, meine lieben Herren Commilitonen, fül en Sie Alle Ihre Rech' 1 


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22. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 979 


so voll, wie Ihr Her/, überfliesst von dankbarer Verehrung und Liebe zu 
unserem Kaiser, und stimmen Sie am heutiger Festcommers, zumal beim 
ersten Toaste, der von unserer altehrwürdigen Alma nrnter aus freudigem 
Anlass unserm jungen Kaiser dargobraolit wird, mit doppelter und dreifacher 
Begeisterung ein in den Jubelruf: Hoch lebe unser allerguädigstcr König 
und Herr, hoch Ipbe Se. Majestät, des deutschen Volkes Liebling, unseres 
theueren Vaterlandes Hort und Schirmherr, »ler hohe Förderer von Wissen¬ 
schaft und Kunst, unser ritterlicher Kaiser Wilhelm II., noch! 

Dr. Löbker richtet darauf Worte der Begrüssung an Alle, welche zu dem 
Feste des medicinischen Vereins erschienen waren, worauf l’rof. Overbeck 
als Vorsitzender des naturwissenschaftlichen Vereins mit folgenden Worten 
erwiderte: Wenn ich mir erlaube, die freundlichen, den Gästen gewidmeten 
Worte des Vorredners zu beantworten, so geschieht dies aus einem Grunde, 
den ich am einfachsten durch ein Gleichniss aussprechen kann. — Sie wissen 
Alle, dass unsere neuen Colonieen bis jetzt hauptsächlich aus sogenannten 
Interessensphären bestehen: schmale Küstenstriche mit einem grossen, noch 
wenig erforschten Hinterlande, ln gleicher Weise beherrschen die Natur¬ 
wissenschaften kleine Gebiete, hinter denen weite unbekannten Gegenden, 
liegen. Aber anders wie die colonialen Nachbarn missgönnen sich die Natur¬ 
forscher nicht gegenseitig ihre Interessensphären- Im Gegentheil. Wir 
freuen uns, wenn unsere Nachbarn auf ihren Entdeckungsreisen unsere An¬ 
siedelungen besuchen. Vor Allem gilt dies von den in unserer Mitte ange¬ 
siedelten Medicinern. Ihre Interessensphäre berührt sich mit derjenigen 
aller Naturwissenschafton. Heute hat uns die Greifswalder medicinische 
Colonie in ihre Hauptstadt — ihren medicinischen Verein — eingeladen, 
das Stiftuugsfest mit ihnen zu feiern. Zahlreich sind wir erschienen und 
freuen uns mit ihnen über die Blüthe ihres Vereins. Vor allem aber der 
naturwissenschaftliche Verein, den hier zu vertreten ich die Ehre habe, darf 
sich wohl als berufen ansehen, dem medicinischen Verein zuerst ein Glückauf 
zuzurufen. Wir wissen es Alle: die Thätigkeit des Mediciners ist eine an¬ 
strengende und aufreibende. Bei Tag und Nacht kommen ihre heimtücki¬ 
schen Feinde: die Krankheiten. Fortdauernd sind die Mediciner in Waffen, 
dieselben zu bekämpfen. Gleich guten Jägern, suchen sie ihre Feinde in 
den geheimsten Schlupfwinkeln des Organismus auf. Aber jeden Monat ein¬ 
mal kehren unsere Mediciner wieder in ihre Hauptstadt — in ihren Verein 
zurück — reich beladen mit der Jagdbeute interessanter Krankheitsfälle. 
Und diese Fälle erwecken bei ihnen stets gute Einfälle, die zum Heil der 
leidenden Menschheit ausfallen. Schnell wandern ihre neuen Entdeckungen 
in die Deutsche Mediciuische Wochenschrift, und sie haben dem Verein 
hochgeachteten, wissenschaftlichen Ruf erworben. Dass aber die Herren 
Mediciner nach gethaner Arbeit die Freuden des Lebens nicht verschmähen, 
das zeigen ihre frohen Festmahle nach ihren Sitzungen, das zeigt ferner ihr 
reichhaltiges und vielseitiges Festprogramm. Manchen schmerzlichen Verlust 
hat der Verein seit seiner Gründung erfahren. Ausser Bardeleben, der 
von hier in einen anderen Wirkungskreis überging, wurden dem Verein 
durch den Tod entrissen Männer wie Hueter, Vogt, Grohd, Budge. Ein 
alter, kräftiger Stamm ist aber dem Verein seit seiner Gründung geblieben 
Eine junge, strebsame Generation ist hinzugetreten. So kann der Verein 
mit den besten Hoffnungen für die Zukunft in seine neue Entwickelungs- 
pha.se treten. Wir wünschen ihm zunächst, dass sich seine Mitglieder/.ahl 
in den nächsten 25 Jahren abermals verdoppele, wie in der Zeit seit seiner 
Gründung. Vor allem aber wünschen wir ihm, dass seine wissenschaftliche 
Thätigkeit, wie bisher, erfolgreich sein möge zum Segen für die leidende 
Menschheit und zum Wohle unserer Universität. Daraufhin lassen Sie uns 
die Gläser erhebeu: Der Medicinische Verein zu Greifswald lebe hoch! 

Der Vorsitzende der geographischen Gesellschaft Professor Dr. Credner 
sprach darauf wanne Begrüssungsworfe. Er hob hervor, dass das Gedeihen 
des medicinischen Veieins wesentlich seiner innigen Verknüpfung mit der 
medicinischen Facultät zu danken sei, der Facultät, deren kräftigem Ge¬ 
deihen es hauptsächlich zu danken sei, dass Greifswald nicht mehr, wie 
früher, den kleinen Universitäten Preussens und Deutschlands zugezählt wer¬ 
den dürfe, sondern sich inehr und mehr der Zahl der grösseren Universitäten 
angereiht habe. Darauf dankte der stellvertretende Rector der Universität, 
Prof. Schwanert, nachdem ihm vorher noch durch ein Mitglied des Stu- 
dentencomite’s eine besondere Begrüssung geworden war. 

Telegraphische Glückwünsche waren eingetroffen von den Herren Bill - 
roth (Wien), Leyden, Seil (Berlin), Graf (Elberfeld), Roth (Basel), 
Peukert (Ariern), Nagel (Hofgeismar), Hans Schmid, Lenz (Stettin). 
Am folgenden Tage konnten noch Begrüssungstelegramme von der Berliner I 
medicinischen Gesellschaft, dem zeitigen Rector der Universität Berlin, Prof. | 
Dr. Gerhardt, vom Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, Geh. Rath j 
Koehier, dem Redacteur der Deutschen medicinischen Wochenschrift. L)r. 

S. Guttmann, verlesen werden. 

Das Programm der Festsitzung, die am 17. d. M. in der grossen 
Aula der Universität stattfand, haben wir bereits in der vorigen Nummer 
mitgetheilt. Herr Schirmer, als derzeitiger Vorsitzender des Vereins, er- 
öffnete die Sitzung mit folgender Ansprache: In unserem leicht beweglichen, 
schuell fortschreitenden Jahrhundert sind *25 Jahre freilich nur eine kurze 
Spanne Zeit, und sie geht so leicht unbemerkt daher, weun mau nicht einen 
Augenblick Halt macht, mit Freudigkeit auf die zurückgelegte Strecke Weges 
schaut und sich die Wanderung und das in diesem Zeitraum Erlebte iu’s 1 
Gedächtnis« zurückruft. Es handelt sich heute hier um einen Verein, der 
‘25 Jahre lang in wachsendem Gedeihen bestanden hat. dessen Gründer zum 
Thoil noch Mitglieder und eifrige Pfleger desselben sind. L>a darf es denn 
nicht auffällig sein, dass gerade diese eine ausgedehntere Feier dieses Vereins 
nach *25jähriger, heilsamer Wirksamkeit wünschten ‘und in’s Leben riefen. ' 
Wir möchten pietätvoll einen Gedenksteiu setzen, auf welchem nicht nur die 
zurückgelegte Wegeslänge zu lesen ist, sondern auch dasjenige, was auf 
diesem Wege erreicht ist. Und wahrlich! wir dürfen dies nicht gering an¬ 
schlagen. So manche wissenschaftliche Vereine, die hierorts früher oder 
spätdr gegründet waren, haben nur ein kurzes Lehen gehabt. Unser Pommer¬ 
land ist im Ganzen für das Yoreinsleben nur ein steiniger und unfruchtbarer 


Boden. Daher war es ein Wagniss, ge wisse rmaasseu eine Pionierarbeit, als 
1857 unser Professor Budge, welcher nach segensreichem, langjährigem 
Wirken uns unlängst genommen wurde, einen physiologischen Verein für 
die Studirenden hiesiger Hochschule gründete, welcher viele Jahre in Blüthe 
stand. Dieser Verein war ein Vorläufer für unseren medicinischen Verein 
und hat wohl die Anregung zur Gründung des letzteren gegeben. Im Jahre 
1863 traten die Docenten der Medicin au unserer Hochschule zusammen, um 
eine innigere Vereinigung, einen festeren Zusammenhang und einen engeren 
geistigen Verkehr der hiesigen Aerzte zu bewirken und hierfür den Verein 
zu stiften, dessen Jubelfest wir heute feiern. Es waren vornehmlich Barde- 
lebeu, Budge, Pernice, Rühle, I.andois, Grohe und Bengelsdorff, 
welche für diese neue Schöpfung Eifer und Hingabe entwickelten. Sämmt- 
liche hiesige Aerzte damaliger Zeit traten bei, keiner schloss sich aus, und 
so war für den jungen Verein eiue breite Grundlage gewonnen. Da die bei 
Weitem grösste Anzahl der Aerzte unserer Universität angehörte, so wurde 
die medicinische Facultät zum Grundstock für den neuen Verein auserseheu. 
und der Wechsel und W'andel im Facultätsleben. wodurch ein engerer Puls¬ 
schlag zu Stande kommt, wurde auch auf den medicinischen Verein über¬ 
tragen. Der jedesmalige Decan war stets der Vorsitzende und der jüngste 
Privatdocent der Schriftführer. Dies hat sich auch bis jetzt erhalten. Bei 
der Gründung im Jahre 1863 war Vorsitzender Pernice, Schriftführer Lan- 
dois, die beide noch unserer Hochschule und unserem Verein erhalten sind. 
In monatlicher Zusammenkunft in einem öffentlichen Local wurden von Ver- 
einsmitgliedern wissenschaftliche Vorträge gehalten, nicht selten mit Demon¬ 
strationen von Kranken, von Präparaten und Instrumenten verbunden, au 
diese schloss sich eine häufig ausgiebige Discussiou. Zum Schluss wurde 
ein gemeinsames einfaches Abendessen eingenommen. Besonders thätigeu 
Antheil entwickelten die Assistenten. Dabei gedieh das wissenschaftliche 
Leben und die Collegialität. 

Es ist ja eine bekannte Erfahrungstatsache, dass nur durch wieder¬ 
holten Verkehr ein nähere* Bekanntwerdeu, ein grösseres gegenseitiges In¬ 
teresse, ein gemeinsameres Zusammengehen, eine gegenseitige Werthschätzung 
' und freundschaftliche Gesinnung zu Stande kommen kann. Dazu hat unser 
Verein treffliche Gelegenheit geboten, so dass wir vollen Grund haben, dank¬ 
bar auf das von ihnen Geschaffene zurückzublicken. Nicht wenige, welche 
diesem Verein angehörten, sind wieder ausgeschieden, sei es, dass sie einem 
Rufe folgend, oder sich einen anderen Wohnsitz wählend, Greifswald ver- 
liessen, sei es, dass wir in einer Vereinssitzung ihnen den im Grabe Ver¬ 
stummten ein letztes ehrendes Gedenkwort widmeten. Einzelne sind aber 
vom Anfang bis zur jetzigen Zeit unserem Vereine g.'blieben, und diese 
blicken heute mit besonderer Freude und Erhebung zurück auf das, was 
der Verein geliefert hat, und wissen zu rühmen, was ihnen derselbe ge¬ 
wesen ist und noch ist. Und auch von ehemaligen, jetzt auswärts lebenden 
Mitgliedern ist uns bei Gelegenheit der gegenwärtigen Feier manch Zeugnis« 
des treuen anerkennenden Andenkens au uusern Verein geworden. So haben 
wir es denn nicht unterlassen können, aus unserem engeren Kreise heraus- 
tretend, unsere Festfreude in weitere Kreise zu verbreiten und derselben 
einen mannichfachen Ausdruck zu geben. Wenn auch nur eine kleinere An¬ 
zahl Auswärtiger unserer Einladung hat folgen können, so empfinden wir 
umsomehr die Ehre, die uns durch den Besuch von Gästen zu Theil ge¬ 
worden ist, und danken diesen ganz ergebenst. Mit besonderer Herzlichkeit 
begrüssen wir aber die hier erschienene medicinische Jugend, die berufen 
ist, das zu vollenden, was ihre Lehrer wohl erstrebt, aber noch nicht er¬ 
reicht haben; denn die jüngere Generation soll immer vollkommener werden, 
als die vorhergehende. Und nun zum Werk! 

Die Reihe der Vortragenden eröffuote Herr Mosler: Ueber Alkoholmiss¬ 
brauch ;') dann folgten: HerrPernice: Zur Behandlung der Uteruscarcinome: 
Herr Landois: Ueber Erregungsanomalieen der psychomotorischen Rindenge¬ 
biete mit Berücksichtigung der Pathologie: Herr Strübing: Ueber Pseudo¬ 
stimmbildung nach Ausschaltung des Kehlkopfes, speciell nach Exstirpation 
desselben. 3 ) Der vorgerückten Zeit wegen konnte leider die Tagesordnung 
nicht erledigt werden. Nachmittags wurden unter Loitung des Herrn Rinno 
die medicinischen Institute besucht und die neueren Einrichtungen in den¬ 
selben demonstrirt. Abends fand ein Medicinerball statt, der einen glänzenden 
Verlauf nahm. Das Fest, dessen äusseren Verlauf wir hier in kurzen Zügen 
geschildert haben, hat sich also nach jeder Richtung zu einem äusserst 
gelungenen gestaltet. 

XIII. Die Eröffnung des Pasteur-Instituts. 

Ara 14. November hat in Paris die Eröffnung des fortan unter 
Pasteur’s Leitung stehenden Instituts zur Behandlung der Hunds- 
wuth in feierlicher Weise stattgefunden, in Gegenwart des Präsidenten der 
Republik und einer grossen Anzahl von Männern von Rang und Namen in 
der wissenschaftlichen und politischen Welt. Die Mittel zum Bau und zur 
Unterhaltung dieses Instituts im Betrage von über *200000.) Frs. wurden 
bekanntlich durch eine Art Nationalsubscription grösstentheils iu Frankreich, 
zum geringen Theil auch im Auslande aufgebracht. Gleichzeitig soll das 
Institut dem Unterricht der Bacterienforschung und zu Forschungen über 
Prophylaxe und Therapie der Infectionskrankheiten dienen. Bortrand, 
Secretär der Akademie der Wissenschaften leitete die Feier mit einer Rede 
zum Lobe Pasteur’s ein. Er erwähnte unter Anderem eine interessante 
Aeusserung eines Freundes von Pasteur aus dessen Studienzeit. Pasteur, 
sagte jener, kennt nicht die Grenzen der Wissenschaft, ich fürchte, er 
wird sich mit unfruchtbaren Versuchen abgebeu, er liebt die unlösbaren 
Probleme. Herr Grancher gab einen geschichtlichen Abriss über die 
Entstehung der Impfung und die Entwickelung der Lehre von den Infec- 
tionskraukheiten. Den Angriffen Koch’s, die er als wissenschaftliche aus¬ 
drücklich anerkennt, sowie anderer französischer Gelehrter legt er wenig 

') Der Vortrag ist an anderer Stelle dieser Nummer veröffentlicht. 

3 ) Die Vorträge werden in_dieser Wochenschrift veröffentlicht werden. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47 


Gewicht bei, der Rcweis existirt, die Ziffern sprechen für sich selbst. Wir 
erfahren aus Grancber’s Rede, dass bereits zwanzig dem Pasteur’schen 
ähnliche Institute in Russland, Italien, Brasilien, Argentinien etc. existiren. i 
Die Sterblichkeit ist nirgends höher als 5% gewesen. Hei den letzten j 
Impfungen iin Institut Pasteur sank die Sterblichkeit selbst auf 0,1» °/u. 
Hei nicht geimpften Gebissenen im Departement de la Seine beträgt die 
Sterblichkeit l‘>%. Herr Chrystophle gab eine Uebersicht über die 
tinanzielle Lage des Instituts'. Es sind im Ganzen 2 58G 68U Frs. einge- 
komrnen, der Ankauf von Grund und Boden, der Hau etc. kosteten 
1 463 38t» Frs., die Apparate erfordern noch 100 OSO Frs., 1 022 000 Frs. 
sind unch vorhanden, doch werden noch weitere Gaben erwartet. Dann 
verlas der Sohn Pasteur’s dessen Antwort. Er erwähnte zunächst, dass 
ein Ruhmesanspruch Frankreichs in seiner vortrefflichen Organisation des 
Unterrichts liege, für den es stets viel gethan habe; er dankte dann allen 
denen, die zum Entstehen des neuen Instituts beigetragen haben, der Sultan, 
der Kaiser von Brasilien und der Czar haben königliche Gaben gespendet, j 
doch selbst aus Arbeiterkreisen sind Beiträge geflossen. Sodann gedachte ] 
Pasteur seiner hingeschiedenen Lehrer und Freunde: Dumas, Bailey, j 
Bert, Vulpian. Der Unterricht in dem neuen Institut wird in folgender 
Weise gehandhabt werden. Grancher, Behandlung der Hundswuth, mit ! 
Hülfe von Chantemesse, Charrin und Terrillon; Duclaux, biologische 1 
Chemie (bisher in der Sorbonne), er wird das allgemeine bacteriologisehe 
Laboratorium leiten; Chamberland, Mikrobenlehre in ihrer Beziehung zur 
Hygiene; Roux, Methoden der Bacterienforschung in ihrer Anwendung auf 
die Medicin. Endlich werden noch die Herren Metschnikoff und Ga- , 
malaia über die Morphologie der niederen Lebewesen und vergleichende | 
Mikrobenlehre Studien anstellen. Die Schlussworte Pasteur’s wiederzu- j 
geben, müssen wir uns versagen, sie handeln von de: Kritik in wissen J 
schaftlichen Dingen: leider hat Pasteur nicht immer danach gehandelt. 
Vlsdann erfolgten Ordensverleihungen seitens des Präsidenten und der I 
Rundgang durch das neue Institut. 

.... 

XIV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Am 17. November fand die dritte Sitzung der Aerzte- j 
kanuner der Provinz Brandenburg und des Stadtkreises Berlin 
statt. Den Vorsitz führte an Stelle des erkrankten Geh. Rath Körte Geh. 
Rath Zinn (Eberswalde). Der Sitzung wohnte der Oberpräsident Excellenz 
v. Achenbach bei. Gemäss der Tagesordnung trat die Kammer zunächst in 
die ßerathung ein über den Antrag des Centralausschusses der ärztlichen 
Bezirksvereine Berlins: „In Anbetracht, dass die ministerielle Verfügung I 
vom 19. Januar d. J., betreffend die Aufnahme von Geisteskranken in Privat¬ 
irrenanstalten, im hohen Grade geeignet ist, einen scharfen Gegensatz 
zwischen beamteten und nichtbeamteten Acrzten hervorzurufen, in Anbetracht 
ferner, dass diese Verfügung nicht nur die materiellen Interessen des Publi 
kums und der praktischen Aerzte schädigt, sondern vor Allem auch die Zu¬ 
verlässigkeit und wissenschaftliche Tüchtigkeit der letzteren sehr in Frage 
stellt, richtet der Centralausschuss der ärztlichen Bezirksvereine Berlins an 
die Aerztekammern das dringende Ersuchen, die wohl berechtigten Interessen j 
der praktischen Aerzte der genannten Verfügung gegenüber in entschiedener 1 
Weiso wahrzunehmen.“ Gegenüber den Ausführungen des Referenten, Herrn i 
Mendel, welcher im Sinne des gestellten Antrages plaidirte, vertraten Ex- | 
cellenz v. Achenbach und Herr Kreisphysikns Dr. Wiede mann (Neu- I 
nippin) den Standpunkt, welcher durch Herrn Prof. Falk in dieser Wochen- I 
schrift seinen Ausdruck und seitens des Herrn Dr. Schmitz (siehe diese I 
Wochenschrift No. 46) Widerlegung fand Herr Geh. San.-Rath Zinn 
(Eberswalde) machte in durchgreifender und zündender Rede die Auffassung 
des Referenten zu der seinen, und die Kammer fasste einstimmig folgenden 
Beschluss: „Indem die Aerztekammer der Provinz Brandenburg und des 
Stadtkreises Berlin sich dem Anträge des Centralausschusses der ärztlichen 
Bezirksvereine Berlins anschliesst, beauftragt sie ihren Vorstand, eine Denk- i 
schrift an den Herrn Minister über die Nothwendigkeit der Abänderung der 
ministeriellen Verfügung vom 19. Januar d. J. auszuarbeiten und dieselbe 
den übrigen preussischen Aerztekammern mit der Bitte zu übersenden, sich 
der Denkschrift anzuschliessen.“ — Der vou Herrn A. Martin erstattete Be¬ 
richt über die neueren Vorschläge zur Reform der Wochenbett¬ 
hygiene führte zur Einsetzung einer aus den Herren Martin, Wiebecke 
und Solger bestehenden Commission, welche auf Grund des gehörten Be¬ 
richtes den preussischen Aerztekammern Vorschläge zur Verbesserung des 
Hebnnunenwesens unterbreiten soll. Die Commission soll der nächsten 
Sitzung der Kammer Bericht erstatten. (Bei der Wichtigkeit des Gegen¬ 
standes werden wir das Referat des Herrn Martin in einer der nächsten 
Nummern in extenso publiciren.) — Ueber den letzten Gegenstand der Tages¬ 
ordnung: Die Fürsorge für invalide Aerzte, Arztwittwen und 
-Waisen in der Provinz Brandenburg, referirte Herr Selb erg, dessen 
Anträge dahin lautend angenommen wurden: .,Die Aerztekammer wolle bo- 
srhliessen: I) den Beitritt zur Centralljüifscasso der Aerzte Deutschlands 
den ('«liegen warm zu empfehlen; 2^ ebenso denselben dringend an’s Herz 
‘zu legen, zU beiden Passen der Hnfeland’schen Stiftung beizutrtgen; 
r3) ferner eine Commission zu ernennen; welche die Vorarbeiten einer Cassc 
für die Reg.-Bezirke Potsdam und Frankfurt a- 0. nach Art der Berliner 
Aerzte-Unterstützunpscasse für die nächste Aerztekammer zu liefern hat.“ In 
diese Commission wurden gewählt die Herren Selberg, Hadlich, Wehmer, 
Ipscher und Wiebecke. (Auch über das Referat des Herrn Selberg 
werden wir noch ein ausführlicheres Referat bringen.) — Die Mitglieder der 
Kammer vereinigten sich nach den viele Stunden dauernden Berathungen 
zu einem gemeinsamen Mittagessen, an welchem Excellenz v. Achenbach 
iheilnahm. 

— Der ordentliche Professor der Hygiene Reg.-Rath Dr, Gaffky in 
Giesseu ist zum ausserordentlichen Mitglied des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes ernannt worden. 


— Auf deu Du Bois Reymond-Commers, welchen der Gelehrte 
bescheidenen Sinnes abgelehnt hat, scheinen die Studenten nicht sobald 
verzichten zu wollen. Der Ausschuss hat vielmehr die Absicht, mit der 
geplanten Festlichkeit zugleich eine Ovation für Rudolf v. Gneist zu ver¬ 
binden, dessen fünfzigjähriges Doctorjubiläum vor einigen Tagen gefeiert 
worden ist. Man hofft, dass die beiden hochverdienten Professoren sich be 
stimmen lassen werden, diese Dank- und Sympathiebeweise von der Berliner 
Studentenschaft entgegenzunehmen, welcher die bedeutende Lehrkraft beider 
Jubilare von Anbeginn ausschliesslich zugute gekommenist. 

— Der am 15. d. M. unter dem Vorsitz des Ministerialdirektors Greift 
stattgehabten Sitzung des Berliner Kreisverbandes der Genossenschaft 
der freiwilligen Krankenpfleger im Kriege wohnten die Minister 
v. Bötticher und v. Gossler, der Universitätsrector Gerhardt, sowie 
zahlreiche Studirende bei. Nachdem Wiehern (Hamburg) Bericht erstattet, 
sprach Professor v. Bergmann über moderne antiseptische Wundbehand¬ 
lung, Professor Brunner über allgemeine Wehrpflicht als Grundgedanken 
der freiwilligen Krankenpflege und Schutzwehr gegen unnöthige Kriege. 
Ein von Excellenz Greift vorgeschlagenes Huldigungstelegramm an den 
Kaiser wurde von einem dreimaligen begeisterten noch auf Seine Majestät 
einj-timmig angenommen. 

— Am 6. d. M. starb in San Reino der Director des Seehospizes auf 
Norderney, Dr. Lorent, der, seit 1887 als Nachfolger Rohden’s wirksam, 
sich nicht unerhebliche Verdienste um die Weitergestaltung jener gross- 
artigen Schöpfung Beneke’s erworben hat. 

— Der Ostercyclus der Feriencurse für praktische Aerzte wird 
am 11. März n. J. beginnen und bis Mitte April dauern. Ein genauer 
Lections-Catalog wird demnächst in dieser Wochenschrift zur Veröffent¬ 
lichung gelangen. 

— Neapel. Die Errichtung eines neuen Uni versitätsgebäu- 
des ist beschlossen worden. Die Kosten für Herstellung der nöthigen Räume, 
welche sämratliche zur Universität gehörigen Anstalten, Museen, Labora¬ 
torien, Bibliotheken und Kliniken einschliesson werden, sind auf 16160000 Lir~ 
veranschlagt. Die Anstalten sollen in vier Jahren fertig gestellt sein. 

— Zur medicinischen Publicistik. In London erscheint sei' 
kurzem eine neue Fachzeitschrift „The Illustrated Medical News", 
die mit Kupferstichen und Lithograpbieen verschwenderisch ausgestattet i>t 
Eine zweite neue medicinische Zeitschrift soll unter dem Titel „Journal 
of Dermatology“ binnen Kurzem erscheinen. 

— Das vierte Heft der von P. F. van Hamei Roos in Amsterdam 
redigirten Revue internationale des falsifications hat folgenden 
reichen Inhalt: In Amerika beobachtete Verfälschungen (B. F. Davenport': 
Die Verfälschung der pharmaceutischeu Extracte mittelst Dextrin; Analysen 
ungarischer Weine (Leo Liebermann); Abnormaler Wein; Das Laboratorium 
auf der Brüsseler Ausstellung. — Wissenschaftlich-analytische Methoden: 
Baurawollsamenöl im Olivenöl; Untersuchungen bezüglich der Zusammen¬ 
setzung der Milch. — Kleine Chronik: Vergiftung infolge des Genusses von 
Brod von unreinem Roggen; Bleivergiftung durch Trinkwasser; Eine neue 
Weinverfälschung; Von Dr. van llamel Itoos zu Amsterdam, beobachtete 
Verfälschungen von Kaffee; Muskatblüthe, Bier, Johannisbeersaft und Pfeffer. 

— Die bekannte Fabrik elektrischer Apparate von Reiniger, Gebbert 
und Schall in Erlangen ist, wie uns von derselben mitgetheilt wird, seiten.' 
der Brüsseler internationalen Ausstellung sowohl als Aussteller im Allgemei¬ 
nen, als auch speciell für ein neues Verticalgalvanouieter im Grossen 
internationalen Wettstreit für Industrie, Wissenschaft und Kunst dun) 
Verleiheng der goldenen Medaille ausgezeichnet. 

— Universitäten: Greifswald. Dr. E. Hoffraanu hat sich aK 
Privat-Docent für Ohrenheilkunde habilitirt. 

XY. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem praktischen Arzt Geh. San.-Rath Dr. Pfeffer in 
Düsseldorf, dem Ober-Stabsarzt I. CI. a. D. Dr. Karpinski in Berlin uni 
dem Marine-Stabsarzt Sander I den Rothen Adler-Olden vierter Classe. den. 
praktischen Arzt Generalarzt a. D. Dr. Scbmundt in Guhrau den Königl. 
Kronen-Orden zweiter Classe und dem Ober-Stabsarzt I. CI. a. D. Dr. Nieter 
in Berlin den Königl. Kronen-Orden dritter Classe zu verleihen. — Er¬ 
nennung: Der seitherige commissarische Verwalter des Physikats des 
Kreises Schmieget, Stabsarzt a. D. Dr. Doepner zu Schmiegel, ist deflnitri 
zum Kreis-Physikus ernannt worden. — Niederlassungen: Die Aerzte: 
Sachs in Königsberg i. Pr., Dr. Bol dt in Schwetz, Dr. Pütter in Stral¬ 
sund, Dr. Silberstein in Neustädtel, Dr. Eggert in Görlitz, Dr. Hampel 
in Lassroth, Dr. Karnbach, Dr. Niemann, Behrendt und Dr. Schwalbe 
sämmtlich in Magdeburg, Dr. Otto in Gutenswegen, Dr. Cohnstaedt in 
Erfurt; der Zahnarzt Engel in Hirschberg, — Verzogen sind: Die 
Aerzte: Dr. Wolfheim von Schippenbeil nach Königsberg i. P. r Go Id¬ 
stein von Neidenburg nach Drossen, Dr. Lemke vop Liebstadt nach Ditt- 
richsdorf, Juergens von Brandenburg 0. Pr. nach Wörmditt, "Df.'Kohn 
von Ems nach Baldenburg, Dr. Pospisil von Burg i. Spreewald, Dr. Las- 
kowski von Reichthal nach Gramschütz, Dr. Baer von Breslan näch Hirsch¬ 
berg, Dr. Lepere von Fordon nach Petersdorf, Dr. Anton von Unna nach 
Schreiberhau, Drechsler von Breslau nach Sohrneundorf, Geh. Med.-Ratk 
i)r. Strahler von Görlitz nach Berlin, Seyffert von Görlitz, Dr. Mas«' 
von Gr. Kunzendorf, Rohnstock von Proskau nach Bitterfeld; Kreis Wund¬ 
arzt Dr. Wach von Kupp nach Oppeln, Dr. Thorn von Berlin nach Mag¬ 
deburg, Dr. Koehne'von Aschersleben nach Schönbausen, Wwber 
Elberfeld nach Arneberg, Dr.. Güotz von Dresden nach Erfurt, Dr. Planer 
von Erfurt nach 8chmiedeberg, Dr. Schrakamp. von Hamburg nach Gie¬ 
boldehausen, Henkel von Wilderaann nach Süpplingen (Braunschweig), Dr. 
Saenger von Gieboldehäueeü nach Neainühlen. — Yetbtdi'bahi sind: Die 
Aerzte: Eug. Hirsch in Kortau, Dr.. Juliusbe-rg in Breslau. 


Gedruckt bei Julius 8ittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag J\g 48. 29. November 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. 8. Gnttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber wiederholte Infection mit pathogenen 
Schimmelpilzen und über Abschwächung der¬ 
selben. 1 ) 

Von I’rof. Dr. Ribbert in Bonn. 

Bei früherer Gelegenheit' 2 ) habe ich Beobachtungen mitgetheilt. 
aus denen hervorgeht, dass der Ablauf eiuer einmaligen Infection 
mit Aspergillus flaveseens nicht ohne Einfluss ist auf eine wieder¬ 
holte Infection. Als Folge einer noch andauernden oder abgelaufe¬ 
nen Erkrankung konnte ich in Uebereinstiramung mit Angaben an¬ 
derer Autoren eine Vermehrung der im Blute circulirendeu Leuko- 
cyten nachweisen. Da mich meine Untersuchungen nun gelehrt 
hatten, dass in den Kreislauf eingebrachte Sporen pathogener Schim¬ 
melpilze in den einzelnen Organen durch die in ihrer Umgebung 
sich ansammelnden Leukocyten im Wachsthum gehemmt und even¬ 
tuell vernichtet weiden können, so lag die Annahme nahe, dass die 
Vermehrung der mehrkernigen weissen Blutkörperchen dadurch von 
Einfluss sein könne, dass durch sie eine raschere und dichtere Um¬ 
hüllung und damit auch eine energischere Wachsthumsbeschränkung 
stattfinden würde. Die Erfolge der weiteren Experimente stimmten 
zu dieser Voraussetzung und bestärkteu mich in meiner Ansicht 
von der Bedeutung des Leukocytenwalles für die Entwickelung der 
Sporen. 

Es zeigte sich nämlich, dass zwischen den ohue voraufgegau- 
gene Infection und den nach einer solchen in den Nieren entstehen¬ 
den Heerden typische Unterschiede vorhanden waren. Während 
dort die Heerde zelliger Infiltration sich allmählich in das umge¬ 
hende normale Nierengewebe verloren, waren sie hier, nachdem sie 
von vornherein rascher zur Entwickelung gekommen waren, scharf 
begrenzt, und die Leukocyten lagen in ihnen deutlich dichter ge- 
dräugt. Im Zusammenhang damit fand sich dort eine weit beträcht¬ 
lichere Entwickelung der Pilze, die oft in das umgehende Nieren¬ 
parenchym nur vou wenigen Leukocyten umgehen oder ganz frei 
vorragten, während sie hier überall von deu zelligen Massen um¬ 
schlossen wurden und in einem Falle, in welchem die Infection mit 
geringen Sporenmengen erfolgt war, nur zur Bildung eines Strahlen¬ 
kranzes gelaugt waren, wie er sonst allein in Lunge und Leber zur 
Beobachtung kommt. Diese auf die Niere bezüglichen Resultate 
konuten durch weitere Untersuchungen leicht bestätigt werden (vgl. 
Nippen, Ueber den Verlauf der Aspergillusmykose nach voraufge- 
gaugener einmaliger Infectiou. Dissert, Bonn, 1888). Wenn nuu 
auch der Erfolg dieser Versuche der Art war, dass aus ihnen ein 
Einfluss der überstandenen auf eine neue Infection mit pathogenen 
Schimmelpilzen deutlich hervorging, so hafteten ihnen doch auch 
andererseits manche Mängel an. Eine Immunität w;ar ja auf diesem 
Wege niclit erzielt worden, die Kaninchen gingen vielmehr an den 
Folgen der zweiten Infection, sobald nur die Menge des infectiösen 
Materials gross genug war, gleichfalls zu Grunde, wenn sie auch 
durchschnittlich, und oft beträchtlich länger lebteu als die gleich 
behandelten nicht vorinficirten Controllthiere. Ausserdem waren die 
histologischen Verhältnisse wegen des gleichzeitigen Vorhandenseins 
alter und junger Heerde oft schwierig zu übersehen. Diese und 
manche andere Umstände bewogen mich zu einer Aenderung der 

') Nach einem Vortrage, gehalten in der Section für allgemeine Patho¬ 
logie und pathologische Anatomie der 61. Versammlung Deutscher Naturfor¬ 
scher und Aerzte. 

-J ) Der Untergang pathogener Schimmelpilze. Monographie, Bonn, Max 
Cohen, 1887. 


Methode dahin, dass ich nunmehr zur zweiten Infection die vordere 
Angenkammer wählte. Man kann den Process hei blossem Auge in 
seiner ganzen Ausdehnung verfolgen und hat. es in der Hand, ihn 
im gewünschten Moment zu unterbrechen und die mikroskopische 
Untersuchung vorzunehmen. 

In meiner Monographie berichtete ich über die nach Injection 
geringer Mengen von Sporen des Aspergillus in die vordere Augen¬ 
kammer entstehenden Processe. Es bilden sich auf der Iris makro¬ 
skopisch sichtbare, je nach der Dichtigkeit der angewandten Emul¬ 
sion verschieden zahlreiche miliare und subiniliare Knötchen, die aus 
Leukocyten und Fibrin bestehen, und in deren Innerem man unter 
dem Mikroskop die Aufquellung, dürftige Entwickelung, das Abster¬ 
ben und das Verschwinden der Sporen in aufeinanderfolgenden Sta¬ 
dien im Verlauf von einigen Tagen verfolgen kann. Auch die zel¬ 
ligen Bestaudtheile der Knötchen werden allmählich undeutlicher, 
trüber, lösen sich auf und werden resorbirt, nachdem die Sporen 
schon vorher unsichtbar geworden sind. Bei blossem Auge sieht man 
diese Rückbildung der Knötchen deutlich vor sich gehen und die 
Iris wieder klarer werden. Trotzdem nun auf letzterer die Processe 
zur Heilung gelangen, tritt doch in den meisten Fällen noch nach¬ 
träglich ein Hypopyon mit Untergang des Bulbus auf, und die Unter¬ 
suchung ergiebt. dass in dem entstandenen Eiter lange Pilzfäden vor¬ 
handen sind. Hier kann es sich nur um die Keimung solcher 
Sporen handeln, die von der Leukocytenumhülluug nicht in gleichem 
Umfange erreicht und deshalb im Wachsthum nicht oder nur wenig 
beschränkt wurden. Einen solchen unvollkommenen zelligen Ein¬ 
schluss beobachtet man an der hinteren Fläche der Cornea, im Be¬ 
reich der Pupille und an der Hinterfläche der Iris. Die an diesen 
Orten sich ansammelnden Leukocyten werden aufäuglieh gleichfalls 
alle von der Oberfläche der Iris geliefert, sie gelangen aber au jene 
Stellen naturgemäss in geringerer Menge, da der grösste Theil zu¬ 
nächst von den Sporen auf der Iris in Anspruch genommen wird. 
Da sie ausserdem zur Wanderung auch etwas längere Zeit gebrauchen, 
so verzögert sich der ausreichende, zellige Einschluss an den ge¬ 
nannten Orten, und man kann die Sporen inzwischen lebhaft Spros¬ 
sen treiben sehen. Sehr gut lassen sich diese Verhältnisse in dem 
die Iris und Pupille gemeinsam überziehenden Fibrinbelag studiren, 
iu welchem die Sporen eingebettet liegen. So weit er sich im Be¬ 
reich der Iris befindet, sind die Knötchen frisch ausgebildet, die 
Sporen aber rudimentär entwickelt, im Bereich der Pupille dagegen 
nimmt mit der Entfernung vom Rande der Iris die Menge der Leu¬ 
kocyten rasch ab, die Entwickelung der Sporen, die im Centrum 
der Pupille nur spärliche Zellen in ihrer Nachbarschaft haben, in 
entsprechender Ausdehnung zu, so «lass es hier schon zur Bildung 
längerer Fäden kommt. Diese Verhältnisse zeigen besser als alle 
Ueberleguug den Einfluss des Leukocyteumautels auf das Wachs- 
thum der Keime, deun da doch anzunehmen ist, dass in der vor¬ 
deren Augenkararner durchweg die gleichen Bediugungen herrschen, 
dürfte zur Erklärung der Verschieden betten in der Sporenentwicke- 
lung nur das Verhalten der Zellen übrig bleiben. 

Diese früheren Beobachtungen legte ich nun meinen weiteren 
I Untersuchungen zu Grunde, iudera ich den Ablauf der Vorgänge hei 
iutacten und vorinficirten Thieren verglich. Ich benutzte stets zwei 
Kaninchen von gleichem Alter und gleichem Ernährungszustand. 

1 Dem einen injicirte ich eine geringe Menge einer dünnen Sporeuemul- 
sion in eine Ohrvene und liess dann beide acht Tage bis acht Wo¬ 
chen unbehelligt. Dann spritzte ich dem Thiere in je eine vordere 
I Augenkammer durch eine mit einem Staarraesser am Rande der 
Cornea hergestellte Einstichöffnung je einen Cubikcentirneter einer 


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982 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 48 


dünnen Sporenemulsion. Der grössere Theil derselben lief natürlich 
neben der Canfile wieder heraus, aber ich war auf diese Weise sicher, 
dass das Kanunerwnsser durch die Aufschwemmung verdrängt wurde, 
und in beiden Augenkammern ungefähr die gleiche Sporenmenge 
vorhanden war. 

Im Verlauf der Erkrankung ergaben sich nun typische Verschie¬ 
denheiten. Während nämlich hei dem bis dahin intacten Thiere 
nach Ablauf der ersten Erscheinungen Hvpopyon sich einstellte, blieb 
dieses bei dem anderen Thiere gewöhnlich ganz aus, oder trat in 
seltenen Fällen viel später auf. Von vornherein zeigte sich in der 
Entstehung der Knötchen auf der Iris eine deutliche Differenz. Sie 
entwickelten sich bei dem vorinficirten Thier schneller, ihre Zahl 
nahm rascher zu, und ihr Umfang war auf der Höhe der Erkrankung 
beträchtlich grösser. — Schon nach 4 Stunden konnte man in einem 
Falle auf der Iris des einen Kaninchens mehrere Knötchen deutlich 
wahrnehmen, während auf der des auderen nur wenige eben erst 
angedeutet waren. Besonders klar trat dieser Unterschied im Be¬ 
reich der Pupille hervor, in welche eben auch die Leukocyten ra¬ 
scher als gewöhnlich in genügender Menge einwanderten. Unter- j 
suchte man mit Hülfe des Mikroskops, so stellte sich heraus, dass ( 
die Grössendifferenz der Knötchen durch die verschiedene Menge der j 
Leukocyten bediugt war, die bei dem einen Thiere um das Mehr¬ 
fache reichlicher und dichter lagen, als bei dem anderen. Entspre¬ 
chend diesen Verhältnissen Hess sich nun auch leicht nachweisen, 
dass durchschnittlich die Entwickelung der Sporen in den grösseren 
Zellhaufen eine geringere war als in den kleineren, uud weiter zeigte 
sich, dass die weniger ausgekeimten Sporen rascher verschwanden, 
und im Zusammenhang damit auch die zeitigen und fibrinösen 
Bestandteile der Knötchen schneller zerfielen und resorbirt wurden. 
Der Process heilte also trotz der grösseren Zellansammlungen schneller 
ab, als bei dem Controllthier, die Iris wurde früher wieder klar. 

So konnte man iu einem Falle am fünften Tage auf der Iris 
des vorgeimpften Thieres nur noch eine leichte schleierartige Trii- J 
bung, und am Rande der etwas unregelmässig verengten klaren Pu¬ 
pille einen schmalen Streifen weisslichen Exsudates wahrnehmen, • 
während in dem Auge des Controllthieres, neben einer Iristrübung 
innerhalb der Pupille, noch netzförmig verbundene Reste der Knöt¬ 
chen aufzufinden waren. Hier begann jetzt auch am Boden der 
Augenkammer ein schmaler Strich Eiters sichtbar zu werden, der 
in den nächsten Tagen rasch zunahm und schliesslich den Raum 
ganz ausfüllte. Dort dagegen blieb das Auge klar, die Trübung der 
Iris bildete sich zurück, und nur an ihrem Rande blieb noch län- : 
gere Zeit ein kleines weisses Fleckchen übrig. Ganz ausnahmsweise 
entstand auch in dem Auge des doppelt inficirten Thieres eine Eite¬ 
rung und zwar dann, wenn zu viele Sporen hiueingelangt waren, 
(»der wenn absichtlich die Injection hinter die Iris vorgenommen 
wurde, so dass an diese Stelle mehr Keime gelangten, als bei ein¬ 
facher Einspritzung der Fall gewesen wäre. Daraus dürfte aber auch 
hervorgeheu, dass nicht der Nährboden des Auges an sich eine Ver¬ 
änderung erfahren hatte, sondern dass wieder nur das Verhalten der 
Leukocyten zu den Sporen als maassgebend betrachtet werden kann. 

Diese Untersuchungen liefern eine Bestätigung der schon bei 
der Niere gewonnenen Beobachtungen und sind zudem weit klarer 
und überzeugender. Sie zeigen, dass dieselben Veränderungen des 
Körpers, die bei einer ersten Infection auftreten und zu einer Hei- : 
lung derselben, zu einer Vernichtung der pathogenen Mikroorgnnis- 1 
men führen können; bei wiederholter Erkrankung in verstärktem 
Maasse zur Geltung gelangen und zu einer rascheren Bewältigung 
der Infection führen. Auch Metsehnikoff lässt ja die Körper 
zellen in gleicher Weise erst bei der ersten Infection zur Geltung 
kommen, nur lässt er sie mittlerweile eine gesteigerte Fähigkeit zu 
intracellularer Vernichtung erlangt haben. Er geht also auch von 
der Anschauung aus. nach welcher die Schutzimpfung nicht so wirkt, 
dass die Bacterien in dem geimpften Körper sofort absterben, son¬ 
dern so. dass der lebhaftere Kampf zwischen Parasiten und Zellen 
rasch zu Ungunsten jener entschieden wird. 

Wenn ich nun auch nicht geneigt bin, aus meinen bei den 
Schimmelpilzen gewonnenen Beobachtungen weitgehende Schlüsse 
auf die bacteriellen Iufectionskrankheiten zu ziehen, so glaube ich 
doch, dass sie nach einer Richtung auch für sie Beachtung verdie¬ 
nen. Sie scheinen mir wenigstens zu zeigen, dass man nicht darauf 
verzichten darf, auch hier nach anatomisch nachweisbaren Verände¬ 
rungen zu forschen sei es. dass sie sich als bleibende (z. B. als Leu¬ 
kozytose, die auch bei Spaltpilzerkrankungen vielfach nachweisbar 
ist) manifestiren, oder dass sie sich erst als Unterschiede im Verlauf 
der nach voraufgegangener Schutzimpfung und der ohne eine solche 
eintretenden virulenten Infection geltend machen. 

Nun wird ja freilich neuerdings von mehreren Seiten der grösste 
Werth auf eine Aenderung der chemischen Bedingungen des Körper¬ 
nährbodens gelegt. So interessant und wichtig aber auch die da¬ 
rauf sich beziehenden Versuche von Nuttall, Emmerich und 
di Mattei sind, so scheinen sie mir doch eine auch histologisch nach¬ 


weisbare und vielleicht maassgebende Betheiligung der Gewebsbe- 
standtheile nicht auszuschliessen, zumal die geänderten chemischen 
Bedingungen doch nur auf eine Thätigkeit der Zellen zurückgeführt 
werden können. 

Bei dem engen Zusammnnhang zwischen Immunität und Ab¬ 
schwächung ist hier der geeignete Ort, um eine Beobachtung über 
die Möglichkeit einer Abschwächung pathogener Schimmelpilze an¬ 
zufügen. Die bisherigen dahin zielenden Versuche sind erfolglos 
gewesen, so die Bemühungen von Grawitz, 1 ) durch allmähliche Ge¬ 
wöhnung an einen sauren Nährboden und an niedere Temperaturen 
die Lebensbedingungen der Pilze zu ändern, so die Züchtungen von 
A. Fränkel, 2 ) der bei hohen Temperaturen, die eine Fructification 
ausschliessen, das Mycel längere Zeit wachsen Hess. Auch Ziegen¬ 
horn 3 ), der die Einwirkung höherer Wärmegrade auf das Mycel und 
auf die Sporen studirte, kam nicht zum Resultat. Eine von ihm 
scheinbar erreichte Abschwächung Hess sich darauf zurückführen, 
dass ein Theil der zur Infection verwandten Sporen in Folge der 
zur Anwendung gebrachten Methoden abgestorben war, und dass 
daher nur eine geringere Menge lebensfähiger Keime als in Control¬ 
versuchen zur Wirkung gelangte. 

Da so die bei den Spaltpilzen leicht zum Ziele führenden Me¬ 
thoden versagt hatten, so konnte es fraglich erscheinen, ob bei den 
Schimmelpilzen eine Aenderung ihrer Eigenschaften, die wir als Ab¬ 
schwächung bezeichnen, überhaupt möglich sein würde. Indessen 
zeigte mir eine zufällig gemachte Beobachtung, dass auch hier wei¬ 
tere Bemühungen Erfolg bringen könneu. Als ich von einer etwa 
ein Jahr lang in einem geschlossenen Glasgefäss trocken aufbewabr- 
ten Cultur des Aspergillus flavesceus neue Culturen anzulegen ver¬ 
suchte, fand ich sie völlig abgestorben. Ich dachte mir nun, da.* 
dieser Untergang der Sporen nicht plötzlich eingetreten wäre, da* 
sie vielmehr ihre Entwickelungsfähigkeit allmählich eingebüsst haben 
würden, uud dass die Abnahme ihrer Lebensenergie sich vielleicht 
als Abschwächung ihrer Wirkuug auf den thierischen Organismus zu 
erkennen geben würde. Die darauf gerichteten Untersuchungen ent¬ 
sprachen dieser Voraussetzung. Wenn ich das Wachsthum mehrere 
Monate trocken aufbewahrter Sporen mit den frisch dargestellten 
verglich, so zeigte sich, dass jene beträchtlich langsamer auskeimten 
als diese. Die ersten Keimungsprocesse wurden unter dem Mikro¬ 
skop auf der Oberfläche von Agarplatten verfolgt. Die getrockneten 
Sporen hatten nach vierstündiger Aufbewahrung bei Körpertempi - 
ratur nur zum kleinen Theil angefangen sich zu vergrössern und die 
ersten Spuren von Sprossung zu zeigen, während die anderen fast 
ausnahmslos gequollen waren, und einzelne auch schon kurze Fort¬ 
sätze getrieben hatten. Nach acht Stunden war von jenen ein Theil 
mit Sprossen versehen, die den Durchmesser der Sporen um das 
Fünf- bis Sechsfache übertrafen, andere waren gequollen, wieder an¬ 
dere noch ganz unverändert. Diese dagegen waren alle gekeimt 
und die gebildeten Fäden überragten zum Theil das Gesichtsfeld, 
waren also jedenfalls um das Mehrfache länger als dort. Dement¬ 
sprechend gestaltete sich auch der weitere Verlauf. Makroskopisch 
war bei den frischen Pilzen schon ein weisses Mycel zu sehen, ab 
bei den getrockneten nur ein durchsichtiger Belag vorhanden war. 
und nach 24—30 Stunden war dort schon eine reichliche gelbe 
Fructification, hier nur ein weisser Rasen ohne alle Sporenbildune 
zu bemerken. 

Es war so zweifellos festgestellt, dass die getrockneten Sporen 
eine verminderte Wachtsthurasenergie besassen, und es war anzu¬ 
nehmen, dass diese Eigenschaft sich im Körper als verminderte U- 
rulenz bemerkbar machen würde. In der That zeigte sich, dass die 
Keimung der Sporen auch im Körper langsamer vor sich ging, als bei 
Anwendung voll virulenter Culturen, dass die Thiere dementsprechend 
länger lebten, und dass grössere Mengen von Emulsion zur tßdtlicben 
Infection nothwendig waren. 

Diese Beobachtungen stehen im Einklang mit den Untersuchun¬ 
gen von Smirnow, 4 ) der nachwies, dass es sich bei der Abschwächuns 
von Bacterien nicht bloss um den Verlust einer einzigeu specifiscben 
Eigenschaft, sondern um eine allgemeine Degeneration handelt, dir 
in einer verminderten Wachsthumsenergie ihren Ausdruck findet. 

Nun war es aber freilich nicht sonderlich auffallend, da.* 
Sporen durch den schädigenden Einfluss längerer Trocknung v <*n 
ihrer Keimfähigkeit verloren hatten. Von einer Abschwächung drr 
Species liess sich doch nur dann reden, wenn auch die aus den 
Sporen gezüchteten Culturen die gleicheu Eigenschaften zeigten, kh 
musste sie deshalb daraufhin prüfen und war überrascht zu sehen, 
dass auch die aus der ersten Generation gewonnenen Sporen du 
gleiche verlangsamte Entwickelungsfähigkeit zeigten, und dass die*' 
verminderte Wachstliumsenergie sieb auch durch mehrere weiten 


') Virel». Arcli. Bd. 84. 

a ) Deutsche med. Woclienschr. 41. p. 546. 

;l ) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 21. 

4 ) Zeitschr. für Hygiene IV. 


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29. November 

Generationen erhielt. So war also eine Abschwächung des Asper¬ 
gillus flavescens auf einfachem Wege erreicht worden. 

Wenn nun auch diese zufällig gewonnenen Resultate noch wei¬ 
terer Untersuchung bedürfen, so lehren sie doch das Eine, dass 
auch bei pathogenen Schimmelpilzen eine Abschwächung ihrer Wir¬ 
kung sich erreichen lässt. Ich füge noch hinzu, dass ich in der 
letzten Zeit bei den obigen Versuchen zur ersten Infection stets nur 
noch die getrockneten Sporen oder deren Abkömmlinge anwandte, 
da ich es so besser als bei Anwendung voll virulenter Keime in der 
Hand hatte, die Erkrankung möglichst gelinde verlaufen zu lassen. 
Auch nach dieser Richtung kommen also meine Versuche dem ge- 
wöhnlichen Schutzimpfungsverfahren nahe. 

II. Zur Typhus-Therapie. 

Von Oberstabsarzt Dr. A. Vogl in München. 

Die klinische Beobachtung bildet zur Zeit noch die 'Haupt¬ 
grundlage zum Aufbau einer Fiebertheorie; hierin liegt für den 
Praktiker die Berechtigung, an diesem Thema den ihm zustehenden 
Autheil zu nehmen. 

Die medicamentöse Antipyrese hat mit ihren bis zur Ent¬ 
fieberung gelungenen thermischen Effecten bei unveränderter Fort¬ 
dauer und selbst Steigerung der übrigen Krankheitssymptoine die 
Lehre von der ausschliesslichen Gefahr der Hyperthermie etwas 
alterirt und der gegentheiligen Anschauung eiue Stütze gegeben, 
wonach die Temperaturerhöhung nicht blos gefahrlos, sondern sogar 
zweckdienlich sei — also nicht bekämpft werden müsse und dürfe. 

Die Hydrotherapie mit ihren zweifellosen, aber geringeren Bad¬ 
effecten bei ganz besonders günstiger Beeinflussung der übrigen 
Krankheitserscheinungen deutet doch darauf hin, dass man die hohe 
Temperatur herabdrückeu kann und darf, und dass die Misserfolge 
bezüglich der übrigen Symptome bei medicamentöser Antipyrese 
nicht in dem Gelingen der Entfieberung, sondern in den Mitteln 
gelegen sein dürfte, womit diese erreicht ward. Zur Zeit kann den 
Erfahrungen am Krankenbette weder die ausschliessliche Gefahr 
noch die gänzliche Gefahrlosigkeit der Fieberhitze mit Sicherheit 
entnommen werden, wohl aber scheint eine Therapie, welche das 
Fieber und mit ihm die übrigen Erscheinungen zu massigen ver¬ 
mag, von den besten Erfolgen gekrönt zu sein. Prof. Unverricht 
in .Jena 1 ) hat sich zur Aufgabe gestellt, „die Aerzte über den 
Wandel in den Anschauungen der Fieberbehandlung zu belehren“, 
und zu diesem Zwecke „eiue Blüthenlese aus den Arbeiten und 
Aussprüchen moderner Autoren“ vorgeführt. 

Da mir aber der Wandel der Anschauungen nach einer anderen 
Richtung vollzogen scheint, als dies hier gefolgert ist, und da die 
gar zu fragmentarische Behandlung der Hydrotherapie nicht der 
Höhe der oben gestellten Aufgabe entsprechen dürfte, so mag es 
gestattet sein, ergänzend über Gang und Stand der Hydrotherapie 
zu berichten und dann speciell über die Stellung der citirten 
Autoren zu dieser Therapie eine Nachlese zu halteu. 

Der Weg, welchen die Braud’sche Badebehandlung des Ab¬ 
dominaltyphus seit der ersten Publication bis jetzt durchschritten, 
war reich an Hindernisse»] und Mühen. Es wurde ihr nicht der 
hundertste Theil von Sympathie entgegeugebracht, deren jedes neue 
Autipyreticum sich zu erfreuen hatte, hauptsächlich deshalb, weil 
man in ihr nur eine erneute, verstärkte Auflage der schon häufig 
aufgetauchten uud wieder abgetretenen Kaltwasserbehandlung ver¬ 
schiedenster Form zu sehen meinte; auch der historische Theil der 
verschiedenen Bearbeitungen dieses Themas greift um so weiter in 
die Vorzeit zurück, je weiter die historischen Kenntnisse oder 
Quellen des Schriftstellers reichen; denn aus welchen Zeitperiodeu 
wäre wohl nicht etwas zu finden von der Verwendung des kalten 
Wassers zu Heilzwecken — ebenso wie von der bewussten oder 
unbewussten Antisepsis? 

Es ist nicht unbescheiden, die Verwendung der Bäder nach 
Brand eine geistige Schöpfung der Neuzeit zu nennen, die mit der 
rohen Empirie der früheren Badeprozeduren nicht in eiue Reihe 
gestellt werden darf; wie das krankmachende Agens, sich ver¬ 
mehrend, den iuficirten Organismus fortgesetzt deletär beeinflusst, 
bis es nach gesetzmässigem Verlaufe im Genesungsfalle wieder zur 
Ausscheidung gelangt, so versetzen die Tag und Nacht zur An¬ 
wendung gebrachten kalten Bäder durch die Hebung der Inner¬ 
vation der wichtigsten Lebensorgane den Organismus in einen wirk¬ 
samen Defeusivzustaud auf die Dauer des Angriffes durch die In¬ 
fection. Diesem noch immer zu wenig gewürdigten Gruudzug — 
der Methodik verdankt diese Therapie ihre Erfolge; es werden auch 
die Misserfolge einer Therapie verständlich, die den Organismus 
auch damit in eine erfolgreiche Defensive zu versetzen wähnt, in- 


l ) „Kritische Bemerkungen zur Fieberlehre“. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift No. 37 u. 38, 1888. 


983 


dem sie die Methode nur halb anwendet, d. h. innerhalb 24 Stunden 
12 Stunden, also während einer Acine von 4 Wochen 2 Wochen die 
Hände in den Schooss legt; von den therapeutischen Erfolgen, 
deren mau sich in einer grossen Morgenremission nach einem Abends 
gereichten Bade oder gar nach einer vollen Dosis eines Medicaraentes 
erfreut, kann ja a priori noch weniger eine anhaltende Erhöhung 
der Widerstandsfähigkeit erhofft werden; und etwas anderes lässt 
sich von der Therapie des Typhus noch nicht verlangen! v Lieber¬ 
meister, v. Jürgensen, v. Ziemssen, Immermann, Winter- 
i nitz, Bartels, dann Riegel. Leichteustern und Andere haben 
diese Theorie und ihre praktischen Erfolge aufgegriffen, experimentell 
und klinisch geprüft und erprobt und sind ihre Anhänger geblieben 
‘ bis zur Stunde, einige mit kleinen Abweichungen, wie sie eine 
lange Praxis mit sich führt. 

1 Von dem Militärkrankenhause zu Stettin, wo diese Methode 
von den Oberstabsärzten Löwer, Kuhrt u. A. eingeführt wurde, 
ging sie auch auf andere über und erzielte nach den Berichten der 
Corpsgeneralärzte überall eine ganz überraschende Herabsetzung 
der Mortalität. Das k. k. Reichs-Kriegsministerium in Wien hat im 
Jahre 1885 auf Grund eines Berichtes der Militärsanitätscommission 
die Anwendung des Wasserheilverfahrens bei Typhus empfohlen 
i und die Militärärzte angewiesen, „sich desselben thunlichst oft zu 
j bedienen, umsomehr als in den meisten dieser Anstalten dessen 
Durchführung ohne besondere Schwierigkeit möglich.“ Berichter¬ 
stattung nach 3jährigem Versuche wurde augeordnet. 

In den meisten Universitätskliniken, so auch in München, hat 
I man sich damals auf längere oder kürzere fortgesetzte klinische 
I Versuche, hier mit vorzüglichen Erfolgen, beschränkt; eingebürgert 
hat sich die Methode nicht, und man kann nicht irren, wenn man 
die nöthigen Vorkehrungen, die Reformen im Wärterpersonal, die 
Neubeschaffungen etc. ebensowohl, als die Unlust der Aerzte, mit 
solchen Dingen zu kämpfen, als den faktischen Hemmschuh be¬ 
zeichnet. Durch die ablehnende Haltung der Kliniken wurde die 
Aufnahme der Methode in die städtische und ländliche Praxis 
den Aerzten nicht blos inopportun, sondern sogar zum Wagniss 
gemacht. 

Der gewichtigste Factor aber, der der Hydrotherapie sich eut- 
gegenstellte, war die schöpferische Thätigkeit, mit welcher iru 
letzten Decennium die Chemie bequeme Ersatzmittel für das nicht 
bequeme Bad uud das so häufig versagende Chinin zur Verfügung 
stellte; wenn auch das eine Antipyreticum, Anfangs ohne jede nach¬ 
theilige Nebenwirkung befunden, nach weiterer Prüfung sich durch¬ 
aus nicht gefahrlos erwies, so wurde bald ein zweites angeboten 
„mit noch grösserer antipyretischer Wirkung bei absoluter Gefahr¬ 
losigkeit.“ Die enorme Dimension der Anwendung dieser Mittel — 
immer und überall, wo das Thermometer auf 39,0° gestiegen — 
konnte nicht verfehlen, den wahren Werth dieser Mittel klar zu 
stelleu bezüglich ihrer Verwendbarkeit zur Antipyrese. Es war 
eine unangenehme Enttäuschung, ihren Schaden als grösser zu er¬ 
kennen als ihren Nutzen und zu erfahren, dass gerade da — in 
der Behandlung des Abdominaltyphus —, wo man am meisten 
j Hoffnung auf sie gesetzt, an Stelle des kalten Bades, des theueren 
I C'hinius und der trostlosen Exspectative, ihrer methodischen Ver¬ 
wendung wenigstens ernste Bedenken entgegenstehen. Jedoch die 
Anpreisungen, bona fide gemacht und von dem Gefühle einer Er¬ 
rungenschaft getragen, sollen umsoweniger getadelt werden, als man 
auf dem Wege der Antipyrese zu einem Specificum zu gelangen 
hoffte und nuu nach schlimmen Erfahrungen auch vor dem Be¬ 
kenntnisse nicht zurückschreckte, dass man zu viel gehofft. 

Niemand mehr wagt es, nach einer Formel, wie wir baden, 

| also alle 2 oder 3 Stunden, wenn die Körperwärme 39,0° in rect., 

; ein Antipyreticum zu reichen, weil die toxische Wirkung zu nahe 
; liegt; man begnügt sich, mit einer massigen Dosis eine Morgen¬ 
remission zu erzielen und das Wiederausteigen während der Tages¬ 
periode durch liydriatische Prozeduren hintanzuhalten; mau bedient 
sich somit einer combinirten Methode, in der das früher angewandte 
Chinin durch das gerade bevorzugte Antipyreticum vertreten ist. 

Die Hydrotherapie nach Brand hingegen hat, unbeirrt durch 
| diese Errungenschaften, consequent auf jede medieamentös-anti- 
pyretische Beihülfe verzichtet; sie hat deren Entbehrlichkeit als 
Unterstützungsmittel in Tausenden von Fällen bewiesen; nur als Er¬ 
satzmittel der Hydrotherapie, wo diese zeitlich oder für die ganze 
Acme contraindicirt, sollen die Antipyretica eintreten. 

Dies hat die Blicke wieder der Hydrotherapie zugewendet, die 
nuu in Deutschland schon wiederholt Gegenstand eingehender Dis- 
cussion auf inedicinischen Congressen war und auf Grundlage eines 
noch reichlicheren Materiales weiteren Erörterungen unterzogen 
werden wird. Auch in den Kliniken und grösseren Krankenhäusern 
hat sie inzwischen Aufnahme gefunden. Des Zusammenhanges 
wegen wird hierüber weiter unten berichtet werden. 

Ebenso weit ist diese Angelegenheit in Frankreich gediehen 
! — Dank der Ueberzeugungstreue und Energie Dr. Franz Glenard’s 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48 


in Lyon, 1 ) der als Kriegsgefangener in Stettin an Brand’s Seite 
in einem Typhusspitale thätig war und in seinem Vaterlande die 
Brand’sehe Methode mit den Worten kennzeichnete und empfahl: 

„Die Sterblichkeit im Typhus hängt hei der exspectativeu Be¬ 
handlung von der Schwere der Fälle ab. bei der „Kaltwasser¬ 
behandlung vom Arzte. 1 " 1 Ihm zunächst stehen Tripier und 
Bouveret in Lyon,-) welche mit rückhaltlosem Streben nach Wahr¬ 
heit vorwärts geschritten und durchgedrungen sind. Ihr Werk wird 
demnächst in deutscher l’ebersetzung erscheinen. Die hervor¬ 
ragendsten Kliniker zuerst in Lyon und dann nach 20 jähriger Ab¬ 
lehnung in Paris haben sich für die Methode ausgesprochen. Unter 
dem landruck, dem sich keiner entziehen kann, der mit Ernst und 
Nüchternheit die Wirkung der kalten Bäder an den Kranken sich 
vollziehen sieht, steht Tripier nicht an, auszurufen: „Wenn ich 
höre, dass diese Gemeinde, diese Kaserne dezimirt worden ist vom 
Typhus, so bin ich durch das Bewusstsein betrübt, dass durch das 
kalte Bad die Mehrzahl dieser Opfer hätte gerettet werdeu können”, 
und Bouveret sagt: „Es ist keine Uebertreibung, die Dothienterie 
eine Krankheit für das kalte Wasser zu nennen.' 1 

Vinay in Lyon 3 ) rühmt ganz besonders die Herabsetzung der 
Consumption und die Beschleunigung des Wiederersatzes bei An¬ 
wendung der kalten Bäder; damit würde die Reeonvalesceuz ganz 
ausserordentlich abgekürzt. Molliere in Lyon 3 ) ist überzeugt, dass 
die Brand sche Methode die beste Behandlungsart des Typhus ist; 
ebenso spricht sich Perl*et 3 ) daselbst für das kalte Bad aus. 
Lepine 3 ) in Lyon gesteht, dass das kalte Bad in schweren Fällen 
den Vorzug verdient und in den ataxo-adynamischen Fällen unent¬ 
behrlich ist; dennoch hat er „zu viel Vertrauen auf die Therapie, 
als dass er zugeben könnte, das gewöhnliche Wasser sei das beste 
Mittel gegen Infectionskrankheiten.” Mayet in Lyon ist für das Bad. 

Nach Reliant in Lyon 3 ) lässt die Brand sehe Methode die 
renale Form des Typhus verschwinden: „eile ouvre le rein aux 
eliminations plus que jamais necessaires!“ Bard in Lyon 3 ) ist ein 
lebhafter Anhänger der ausschliesslichen Bäderbehandlung uud 
wendet sich namentlich gegen das allgemeine Vorurtheil, dass deren 
Anwendung in der Stadtpraxis schwierig sei: „sie wird angenommen, 
wenn sie mit Ueberzeiignng vorgeschlagen wird,” sagt Bard. Du Ca- 
zal 3 ) hat in einer Militärepidemie in (’lermout die Methode mit Erfolg 
angewendet, der gerade in den schwereren Fällen ein überraschen¬ 
der gewesen; insbesondere hat er die Methode wirksam gefunden 
gegen Ataxie, Darmblutung und Bronchitis. 

Viger in Niort 3 ). Militärarzt, berichtet von einer kleinen Epidemie, 
in der er bei streng-methodischer Bäderbehandlung nur eine Morta¬ 
lität von 5,5% zu verzeichnen hatte. 

Davezac 3 ) iu Bordeaux, wo eine Typhusepidemie geherrscht 
hatte, rühmt die Bäderbehandlung als das einzige Hülfsmittel in 
schweren Fällen. 

Teissier pere 3 ) giebt nicht zu, dass man mit der Brand- 
scheu Methode die Sterblichkeit beträchtlich herabsetzeu könne; 
man vermöge aber damit die excessive Temperatur und die Ataxie 
zu bekämpfen und so die Mortalitätsziffer da herabzudrücken, wo 
man mit anderen Methoden nicht zum Ziel komme; das ist nach 
Teissier’s Auffassung „das richtige und billige Urtheil.“ 

Bond et in Lyon 3 ) kann aus seinen Erfahrungen weder zu 
Gunsten noch zu Ungunsten der Kaltwasserbehandlung sprechen; 
aber er glaubt, sich den Anschauungen der Lyoner Collegen an- 
schliessen zu müssen, deren Zahlen uud Behauptungen ihm eine 
ganz verlässige Garantie für die Wahrheit seien. 

Juhel-Renoy 4 ) im Hospital de la Pitie war der Erste, der 
iu Paris die Brand’sche Methode augewendet und verfochten hat. 
Er stellt die Frage auf: „Kann und muss die Kaltwasserbehand¬ 
lung iu allen Fällen von Typhus angeweudet werden?“ und richtet 
die Bitte an die Aerzte, sich selbstständig an die Lösung dieser 
Frage zu machen, die für ihn schon entschieden sei. 

Er findet das Hinderniss, das sich bis jetzt noch immer dieser 
Methode entgegenstellt, in dem Yorurtheile der Aerzte und Laien, 
dass Kälte und Luftzug die Entstehungsursache der Krankheiten seien 
' Die eindringlichen Worte, die er an seine Landsleute richtet, 
mau solle nicht über Tlieorieen streiten, sondern über Thatsachen. 
mögen auch bei denjenigen deutschen Aerzten Gehör finden, die 
sich bisher als Kritiker und Gegner hervorgethau. Er schliesst 
sich dem Mahnruf Fe reo l’s an, man möge nicht a priori ver- 
urtheilen. sondern mit ehrlicher Absicht prüfen, Ergebnisse sammeln 
und mittheilen, ungeschmüekt und frei von gewagten .Schlüssen uud 
aus Erfolgen und Misserfolgen sich eiu Urtheil bilden, auf welcher 
Seite das Wohl der Kranken liege. 

llenoy tadelt dann dieAngriffe auf die Statistiken vonBrand uud 

l ) Traiteineiit .le la fievre typhoide. Paris, Masson, 1883. 

•) La fievre typhoide traitee par les bains froids. Paris, Baillidre 
«•t fils, 1886 

3 ) Bulletin m.’dieal 1888. 

*) Bulletin medical No. 81 1888. 


Vogl, die sich damit begnügt hätteu, ihre Ergebnisse anderen gegen¬ 
über zu stellen, deren Richtigkeit ihrerseits nicht in Zweifel ge¬ 
zogen wurde, und meint, man hätte ihnen dasselbe geschuldet. 

Richard 1 ) in Paris -nennt „die Kaltwasserbehandlung eine 
wirkliche Methode, die fast in allen'Fällen ihre Anwendung findet 
und nur selten coutraindicirt ist; die Haut eliuiinirt nicht so leib¬ 
haft. wie die Niere; wenn mau nun“, sagt R. weiter, „periodisch und 
ergiebig die Temperatur herabsetzt, so steigert sich die Diurese und 
mit ihr die Ausscheidung krankhafter Stoffe. Die Bronchitis, sowie 
die infectiöse Nephritis bilden nicht bloss keine Contraindication. 
sondern zeigen geradezu die Anwendung der Bäderbehandlung au.* 
Clement in Paris 2 ) hebt zu Guusten des Antipyrin die Be¬ 
quemlichkeit. hervor, anerkennt aber die Wirkung der kalten Bäder. 
Dujardin-Beaumetz' 2 ) ist Anhänger der Medicatiou arim-e 
symptomatique, mit der man dieselben Resultate erzielen könne, 
wie mit der Hydrotherapie. 

Als einziger entschiedener Gegner der Kaltwasserbehandlung, 
sowie ‘auch der medicamentösen Antipyrese, tritt Peter 3 ) in 
Paris auf. 

Er weist vor Allem darauf hin, dass sich das Typhoidfieber, 
wie er es von seiner medicinischen Jugend her kenne, sehr verändert 
habe: „Mau beobachtet nicht mehr das Gurren des Leibes, die 
strohtrockene Zunge, deu Fuligo an den Naseuöffnungeu, die toben¬ 
den Delirien, die unaufhörlichen Agitationen. . . . Das Typhoid¬ 
fieber ist heutzutage weniger schwer als früher, oder besser gesagt, 
die schweren Formen sind seltener geworden.“ . . . 

„ . . Man verdaukt dies der verbesserten Hygiene in Pari«, 
wodurch die Widerstandskraft der Organe gehoben worden ist.* 

. . . „Ist der Mensch einmal erkrankt, so haben wir uns nicht mit 
dem KrankheitsstofF, sondern nur mit dem Erkrankten zu be¬ 
schäftigen . . . ersterer bleibt immer derselbe, letzterer zeigt Ver¬ 
schiedenheiten. . . . Der Typhuskranke muss behandelt werden, 
nicht der Typhus. . . . Der lebende Organismus strebt, .sich der 
infectiösen Agentien zu entledigen mittels seiner natürlichen 
Reinigungswege. Wie der Scharlach durch die Hauteruption, s» 
entledigt sich der Typhus durch den Darmkanal, auf welchem ja 
auch eine Eruption ist, unter der Form der Diarrhoe, durch die 
Haut unter der Form der Schweisse und durch die Schleimhaut 
als Nasenblutung, der Krankheitsstoffe. Dies geschieht spontan in 
den Fällen, die man früher Schleimfieber nannte. Der Arzt tnu.v 
hier nur beobachten; er muss Minister naturae, nicht Garnifex sein! 
Wenn die Zunge feucht bleibt, der Leib nicht aufgetrieben ist, woun 
die Haut offen ist oder mit anderen Worten, wenn sie wann 
duftend oder rnüssig feucht ist, und endlich, wenn er die Pulszahl 10U 
nicht überschreitet, kann man sicher sein, dass die Herziunervation 
wenig alterirt und der Typhus nicht schwer ist. Von der Temperatur¬ 
erhöhung. die für mich belanglos ist, spreche ich nicht!“ 

„Einem solchen Krankheitsbilde gegenüber soll der Arzt nicht- 
thun. Zur Erhaltung der Kräfte reiche er Milch und Bouillon, 
sehr frisches Wasser mit Wein und Citronensaft, letzteres, weil dif 
Pflanzensäuren ganz vorzüglich antiinfectiös wirken, zur luter- 
stützung der Natur und Umstimmung der absondernden Schleim- 
hautfläche alle 2 —3 Tage ein Purgativ (Seidlitzwasser) (pour laver 
les etables d’Augias!) uud ferner, was nie zu unterlassen. 2raal 
täglich ein kaltes Lavement — aber, um Gotteshimmelswillen! nur 
nicht mit Carbolsäure. Sie sehen, dass ich kein so grosser Gegner 
des kalten Wassers bin, denn ich reiche es auch da, wo ich mkh 
| jeder Medication enthalte — also bei der exspectativeu Behandlung' 
„Wenn aber schlimme Zufälle eiutreten, stehen wir vor iranz 
! ausdrücklichen Indicationen: blutige oder unblutige Ableitungen 
: (Schröpfköpfe und Vesikantien), Protoxyde d’hydrogene in Limonade. 

| Bäder, die kaum warm sind. . . . Mau sieht also, dass der zu- 
I wartende Arzt auch zu handeln weiss und zwar energisch, wenn « 
sein muss. Doch darf die Exspectative keineswegs die systematische 
Behandlung dos Typhus sein. Jede systematische Behandlung i> ! 
schlecht, aber die exspectative ist doch wenigstens unschädlich!' 

„Die systematische Bäderbehandlung ist, abgesehen von dt-r 
Gefährlichkeit, schwierig, bezüglich der Temperaturerniedrigum:: 

diese beträgt nur einige Zehntel; der medicinischen Behandlung ge¬ 
lingt es leicht, die Temperatur um 2—3° C herabzusetzeu, aber «j**r 
! Kranke wird hierbei vergiftet, bisweilen tritt plötzlicher Tod ein: 

: der Kranke ist zu sehr abgekühlt worden! Die Medicamente sin» 
j gänzlich zu verwerfen, weil sie nur durch toxische Wirkung die 
Temperatur herabsetsen. Die Wirkungslosigkeit der Bäder ist durch 
die Hamburger Beobachtungen festgestellt worden; sie sind au«li 
nicht unschädlich, aber der Schaden ist ein physikalischer uih 
nicht ein toxischer! Der Organismus wird nur misshandelt. abe f 
nicht getödtet; er bleibt erhalten, und darin liegt einige Beruhigung. 


*) Bulletin medical No. 24 u. f. f. 1888. 

2 ) Bulletin medical 1884. 

3 ) Bulletin medical No. 24 u. f. f. 1888. 


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29. 'November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHEN8CHRIFT. 


„Die Anwendung der sogenannteu Strenge der Bäderbeliand- 1 
luug vollzieht sich nicht ohne Widerstand und vermochte nicht, die i 
Sterblichkeit herabzusetzen. Sie erzeugt auch üble Zutalle uud 
zwar unmittelbare und ferner liegende. . . .“ 

.Ein unmittelbarer Zufall ist die Hypothermie gleich nach dem 
Bade; es wird in solchem Falle schwer, den Kranken wieder zu 
erwärmen; ich habe schon einen Fall von Typhus citirt, der nach 
einem Bade 35,6° in rect. hatte und später gestorben ist an eiuem 
ungeheuren Brandschorfe am Kreuzbeine; in einem anderen selbst 
beobachteten Falle einer schwer erkrankten Frau wurden wegen 
der Schwere der nervösen Zustände kalte Bäder gereicht; nach dem 
vierten Bade waren die schweren Xervensymptoine geschwunden, 
aber die Haut starb später (ulterieurement) ab; es entwickelte sich 
in der Mitte der Reconvalescenz eine Hautgangrän, an welcher die 
Kranke starb.“ 

„Zu den unmittelbar schlimmen Zufällen gehört eine schwere 
und selbst tödtliche Syncope; solche Fälle wurden factisch beobachtet, 
und da sich das Myocard vollkommen gesund zeigte, konnte nur 
die Behandlung allein Schuld des tödtlichen Ausganges gewesen 
sein.“ „Darmblutungen, Pldegmasieen, Lungencongestiou, Hämoptyse 
und Apoplexie der Lungen — dies Alles wurde nach dem kalteu 
Bade als Reflexwirkung der Kälte auf die Haut beobachtet. Man 
uiag einwenden, die Lungeucongestion komme auch ohne Bäder¬ 
behandlung vor, dem ist zu erwidern: Gewiss! aber nicht die 
II aemoptyse!“ 

„Zu den ('onsecutivzustämlen, die früher oder später nach den 
Bädern auftreten, zählen die Lohärpueumonieen, die ausserdem in 
typho selten sind. . . . Proust beobachtete zwei Fälle, wo in 
Folge der kalten Bäder eine Lobärpneumonie entstand mit tödt- 
licliem Ausgaug; die Autopsie zeigte echte Pneumonie a frigore, 
und nicht hypostatische oder einfach typhoide Pneumonie. Auch 
Barth verlor einen nach Brand behandelten Fall au Pneumonie.“ 

„Ein fast ungekanntes Ereigniss im Typhus ist die Pleuritis; 
nun, seit Anwendung der Bäder, ist diese Affectiou häufig geworden; 
erst gestern wurde mir ein solcher Fall mitgetheilt: ein Mädchen 
bekam in Folge der Bäderbehandlung eine Pleuritis, der sich Luugen- 
schwiudsucht und Bright’sche Krankheit mit tödtlichem Ausgange 
anreihte — in ununterbrochenen. Verlaufe von der Pleuresie e frigore 
au; auch ein tödtlicher Fall von Pericarditis uud ein solcher mit 
Eudocarditis in Folge der kalten Bäder wurde beobachtet.“ 

„Ferner liegende Folgezustäude sind die heftigsten Schmerzen 
au den Extremitäten; sie wurden auch von Molliere, Bondet 
häutiger beobachtet, selbst mit Periostitis.“ 

Schliesslich verspricht Peter, auch noch die Indicationen und 
Vorzüge der Hydrotherapie, die er ausgedehnt anwende, darzulegen. 

Da Peter gerade diejenigen Complicationen — Herzinsufficieoz 
Stasen im kleinen und grossen Kreislauf, lobäre Pueumonieen, Pleuri¬ 
tiden. Decubitus, deren Entwickelung wir der Infection und zum 
Theil auch der Hyperthermie zuschreibeu, durch die methodische 
Bäderbehandluüg aber auf eine ganz geringe Zahl herabgesetzt 
glauben, als par le froid d. h. durch die kalteu Bäder erzeugt hin¬ 
gestellt, so müssen ganz besondere locale oder individuelle Ver¬ 
schiedenheiten obwalten, welche erklären, dass hier par le froid er¬ 
zeugt, was dort durch die Kälte verhindert wird! 

Bei der geriugeu Intensität des heutigen Typhus in Paris, wie 
Peter ihn schildert, müsste mau allerdings eine Mortalität von 
8—10"/o bei Bäderbehaudlung auf deren „Accidents“ zurückführen; 
da aber die Mortalität, wie Molliere in einem Briefe Peter zu¬ 
ruft, allbekannter Weise in Paris noch durchschnittlich 22% be¬ 
trägt bei exspeetativ-svmptoraatischer Behandlung, so scheint die 
Infection dort, ebenso wie bei uns, immer noch eine schlimmere 
Rolle zu spieleu, als die Kälte des Wassers, und nicht viel milder 
zu sein, als zur Studienzeit Peters. 

Einer Abwägung dessen, was in den Sitzungen der Akademie * 
der Wissenschaften in Frankreich pro und contra Hydrotherapie ge- , 
sprechen worden ist, wird die Entscheidung ebenso leicht als be- j 
langreich, weil uns gerade in dieser Sache die Objectivität des 
l’rtheiles, welches nur Wahrheit und das Wohl des Kranken au- 
strebt, in schönstem Lichte entgegentritt. Es verriethe unsererseits | 
den grössten Mangel an Objectivität, die Ergebnisse dieser mit so 
viel Wissen und Würde gepflogenen Verhandlungen unbeachtet zu ' 
lassen! (Schluss folgt.) 

III. Ueber acute Parenchymdegeneration 
der zurückgebliebenen Niere in einem Falle 
von Nierenexstirpation. 1 ) 

Von Eug. Fraenkel. 

Meine Herren! Es ist Ihnen vielleicht noch erinnerlich, dass 
Herr Schede in seinem letzten inhaltreichen Vortrage „über Nieren- 1 

l ) Demonstration im ärztlichen Verein zu Hamburg. 


985 


exstirpation“ auch eines ein junges Mädchen betreffenden Falles 
Erwähnung that, bei welchem die Eutfernuug des Organs wegen 
bestehender Pyonephrose erforderlich wurde. Die Operation war 
in Folge der bedeutenden paranephritischen Schwielen recht schwierig 
gewesen, aber trotzdem durchaus gfmstig verlaufen. Der Fall schien 
auch sich ganz glücklich gestalten zu wollen, uud der am 3. Tage 
post operationein eingetretene Tod kam durchaus unerwartet, da, ab¬ 
gesehen von einer mangelhaften Diurese, nichts Auffälliges beobachtet 
worden war. Die Section der ausserhalb des Krankenhauses ver¬ 
storbenen Patientin klärte die Sache nicht auf; Herr Dr. Schede 
war dann so freundlich, mir die einschlägigen Organe zugängig zu 
machen .und ich konnte in völliger Uebereinstimmung mit ihm 
makroskopisch keine wesentlichen Veränderungen constatiren? das 
Herz bot ein blassröthliches, nicht verfettetes Myocard und eine 
Aplasie der Aorta dar, an der zurückgebliebenen, normale Grössen- 
verluiltuis.se zeigenden Niere fiel ausser einer hochgradigen Anämie 
des Organs, speciell der Rinde, nichts Besonderes auf. 

Um so iiberrascheuder waren aber die durch das Mikroskop nach- 
zuweiseuden Alterationen, wie sie sich an mit Alaun-Carmin und 
Bismarckbraun gefärbten Schnitten des in Mfiller’scher Lösung 
und Alkohol gehärteten Organs präseutirten. 

Schon bei Betrachtung mit schwacher Vergrösserung (Zeiss II, aa) 
war als augenfälligste Erscheinung ein frappanter Contrast in der 
Färbung der einzelueu Gewebsbestandtheile zu erkennen in dem 
Sinne, dass, während die die Markstrahlen zusammensetzenden Ele¬ 
mente einen gesättigteu Farbenton aufwiesen, die das Nierenlaby- 
rinth eonstituirendeu Harncanälcheu entweder nur schwach oder 
gar nicht gefärbt erschienen. Bei Anwendung stärkerer Vergrösse- 
rungen wurde als Ursache für dieses Verhalten festgestellt, dass 
das Epithel der gewundenen Cauälcheu sich hochgradig verändert 
hatte; die einzelnen Zellen waren beträchtlich geschwollen, zum 
Theil bis zur völligen Verlegung des Lumens, ein Kern entweder 
gar nicht oder nur undeutlich durch Audeutuug von Farbstoffab- 
lageruug an seiner Stelle sichtbar. Vielfach waren die Zellcontouren 
zwar noch vorhanden, es liess sich auch noch die Anwesenheit 
eines Kerns coustatiren, aber der letztere hatte seine Fähigkeit, 
sich mit Farbstoff zu irnprägniren, verloren. Dieser Befund kehrte 
in allen Gesichtsfeldern gleichmässig wieder, und nur graduelle 
Unterschiede bestanden, desgleichen waren bald längere bald nur 
kürzere Strecken der Harncanälcheu die beschriebenen Veränderun¬ 
gen eingegaugeu. Irgend welche Zeichen von Reaction in der Um¬ 
gebung der Cauälcheu, kleinzellige Infiltration oder Extravasate 
fehlten durchgehends. Gloraeruli nebst Kapseln und Markbestand- 
thcile unverändert, ebenso die Nierengefässe. (Demonstration mi¬ 
kroskopischer Präperate.) 

Was die Deutung der initgetheilten Befunde an langt, so werden 
Zweifel darüber nicht obwalten können, dass man es hier mit de- 
generativen, in die Kategorie der Coagulationsnekrose gehörigen 
Veränderungen des secernirenden Epithels zu thun hat, Läsionen 
ähnlich deueu, wie sie uns von der Einwirkung verschiedener dem 
Organismus ein verleibter giftiger Substanzen auf das Nierengewebe 
bekannt sind. Bei der grossen Ausdehuung, in welcher der ge¬ 
schilderte Process das Organ betroffen hat, erscheint es nicht ge¬ 
wagt, denselben mit dem ungünstigen Ausgang, den der Fall ge¬ 
nommen hat, in Beziehung zu bringeu. Es muss dabei freilich 
unentschieden bleiben, welche Noxe für das Zustandekommen der 
beregten Veränderungen bei dem in Rede stehenden Fall verant¬ 
wortlich gemacht werden muss, und ich möchte unter Hinweis auf 
die interessanten Untersuchungen von Seuger, welcher dem Gegen¬ 
stand auch experimentell näher zu treten sich bemüht hat, an die 
Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen dem bei 
Operation uud Verband benutzten Autisepticum und der 
dann als toxische zu bezeichnenden Epithelnekrose er- 
iuuert haben. 

Es bleibt Sache weiterer Untersuchungen, Klarheit darüber zu 
verschaffen, ob gerade bei operativen Eingriffen an den Nieren ähn¬ 
liche, schwere und ausgedehnte Erkrankungen des Nierenepithels 
häufiger und auch daun angetroffeu werden, wenn unter Vermeidung 
jedes giftigen Autisepticum operirt wird. 


IV. Zur Desinfection der Hände des Arztes. 

Von Prof. Fürbringer. 

Angesichts der fieberhaften Rührigkeit, mit welcher die Er¬ 
forschung der Lebenseigeuthümlichkeiten von tausend und aber 
tausend in der Luft, der Erde, im Wasser, ja in Schnee und Eis, 
am und im thierischen Körper, auf den Verkehrsmitteln der modernen 
Welt sich tummelnden Mikroorganismen — mit Beziehung auf die 
Resultate der Heilkunde und ohne solche 1 ) — in Angriff genommen 

b Die neueste, auf unser Thema bezügliche, gleichwohl den Fragen der 
Desinfection ganz fern stehende „botanische Excursion“ hat Mittmann 


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986 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48 


wird, contrastirt seltsam die zögernde Art, mit welcher Bacteriologen 
sich zu Untersuchungen über die wirksame Bekämpfung der auf der 
Oberfläche desjenigen Körpertheils hausenden Parasiteu bereit finden 
lassen, der zu den integrirendsten ärztlichen Instrumenten überhaupt 
zählt, der Hand. Obzwar die Neuzeit mit Einstimmigkeit die emi¬ 
nent praktische Bedeutung der Bearbeitung unseres Titelthemas 
hervorgehoben, und diese selbst mit den mindesten Schwierigkeiten 
der Technik zu kämpfen hat, sind doch drei volle Jahre in’s Land 
gegangen, ohne dass die Dreizahl der einschlägigen Arbeiten über¬ 
schritten worden, und man hat sich’s an den von Kümmell, 
Förster und dem Verfasser auf Grund einer durchsichtigen und 
jederzeit controlirbaren Versuchsanordnung geförderten Resultaten, 
die in den Grundzügen als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, 
genügen lassen. Inwieweit die guten praktischen Ergebnisse der 
Befolgung der gegebenen Vorschriften, oder die aus Nach¬ 
arbeiten resultireude Bestätigung der aufgestellten Gesetze oder 
auf anderem Gebiete liegende Beweggründe die Nöthigung zu 
neuen Publicationen abgelehnt, steht dahin. Bedauerlich war jeden¬ 
falls das Stillschweigen; denn einem, wenn auch in gewisser Rich¬ 
tung abgeschlossenen, so doch weitgehender Ergänzungen und brei¬ 
terer Basis bedürftigen Thema, wie dem vorliegenden, entspricht 
der Glaube an seine Erschöpfung keinenfalls. Um so lebhafter 
war es zu begrüssen, dass neuerdings Herr Dr. P. Landsberg sei¬ 
nem Wunsche, sich den drei genannten Autoren als vierten ange¬ 
reiht zu wissen, in einer uns soeben zu Augen gekommenen aus¬ 
führlichen Arbeit (Vierteljahrsschrift f. Dermat. u. Syph. 1888 
p. 719—756) motivirten Ausdruck verliehen. Der Autor war durch 
selbsteigene, offenbar allen Anforderungen der Neuzeit in Bezug auf 
den Nachweis genügenden Untersuchungen — dafür bürgt uns der 
Name Neisser — zur Erkeuntniss gekommen, dass ein nochmaliges 
Eingehen auf die Frage der Händedesinfectiou keinenfalls über¬ 
flüssig sei, und in der That würde das am Schlüsse in Arbeit ge¬ 
gebene Facit, das bedenkliche Abweichungen von dem bisher Ge¬ 
wonnenen involvirt, diese Erkenntniss rechtfertigen, wofern — mit 
dieser Bedingung steht und fallt der praktische Werth seiuer 
Publication — die Deutung des Ausfalls der Experimente sich als 
richtige, einwurfsfreie erweisen sollte. 

Schreiber dieses bedauert, bei aller Anerkennung des wahrhaft 
erstaunlichen Fleisses, von welchem die Arbeit Landsberg’s Kunde 
giebt, und der nach mehr als einer Richtung hin interessanten und 
nicht unwichtigen Ergebnisse, die sie enthält (es gilt dies weniger 
von den Versuchen an der Leiche, als von der Mannichfaltigkeit der 
verwandten Antiseptica und ihrer Application auf die lebende, ge¬ 
sunde und kranke Haut und Schleimhaut), eine Folgerung in 
Bezug auf die Händedesinfectiou mit und ohne Zuhülfe- 
nahme von Alkohol als willkürliche bezw. irrige be¬ 
zeichnen zu müssen. 

Um so mehr erachten wir uns zu diesem sofort zu erweisenden 
Ausspruche für verpflichtet, als unsere den Alkohol als integrirendes 
Zwischenglied zwischen der Scifenreinigung und Application des 
Desinficiens benutzende Desinfectionsmethode (vgl. diese Wochen¬ 
schrift 1887, p. 1022) nicht nur auf zahlreichen Stationen einge¬ 
führt, 1 ) sondern mit der Nothwendigkeit ihrer Aufnahme der immer¬ 
hin iu’s Gewicht fallende Mehrverbrauch vou Spiritus im Etat be¬ 
gründet wordeu ist. Steht mir somit auf der einen Seite die mo¬ 
ralische Verantwortung für die finanzielle Tragweite der durch mich 
veraulassten Maassnahmen, d. i. der Nachweis, dass für den Alkohol 
kein überflüssiges Geld ausgegeben, zu, so möchte ich mich anderer¬ 
seits, nachdem ich vou dem Inhalt der Arbeit Laudsberg’s Kennt- 
niss genommen, nicht dem Vorwurfe, und sei es auch nur dem eige¬ 
nen, aussetzen, als hätte ich wissentlich durch Schweigen einem 
Irrthum in der Wissenschaft Vorschub geleistet. Denn nicht jeder 
Leser wird Einsicht in die Tabellen Landsberg's nehmen und aus 
dem Schlussresultat Gewagtes argwöhnen! 

Landsberg kommt zum Schlüsse, dass die übliche einfache 
Waschung mit warmem Wasser, Seife und Sublimat „allen Ersatz- 

(A'irch. Arch. CXI1I, 1 (3. Vll. 1888) p. 203) unternommen und ein ganzes 
Alphabet von Mutterculturen mit 78 verschiedenen Pilzsorten aus dem Finger- 
nfigelschmutz gezüchtet und beschrieben. Wie dieser Autor es über sich 
gewonnen hat, es sich an dieser subalternen, weil rein desoriptiven Synopsis 
genügen zu lassen, nachdem wir bereits im Herbst 1887 in Anschluss an 
einen kurzen Bericht über die bacteriologischen Charaktere unseres Nagel¬ 
schmutzes ganz bestimmte Gesetze ihrer Gestaltung, nämlich nach der 
bacteriologischen Beschaffenheit des ('ontactmaterials und dessen Holle als 
Nährboden, aufgestellt und gezeigt, wurum die Zahl der Arten eine unbe¬ 
grenzte sein muss, ist uns um so unerfindlicher, als unsere Unter¬ 
suchungen als die ersten und letzten ihrer Art durch alle gangbaren me- 
diciuischen referirenden Zeitschriften, eine einzige ausgenommen, sehr bald 
nach ihrer Publication bekannt geworden. 

*) Ich darf freilich bei dieser Gelegenheit nicht imerwähnt lassen, dass 
laut Inhaltes brieflicher Mittheilungen meine Alkobolraethode hier und da 
schon vor dem Bekanntwerden meiner .Vorschriften“ seitens namhafter Chi¬ 
rurgen gehondhabt worden ist, so vom Collegen Braun seit einem Jahrzehnt. 


mittein die Spitze zu bieten vermag 1 *, und beklagt dieses negative 
Facit, das so sehr hinter den Erwartungen, zu welchen KümmelFs. 
Forster’s und unsere Veröffentlichungen berechtigt, zurückgeblie¬ 
ben. Was nun die diesem allerdings „tristen“ Resultat zu Grunde 
liegenden Versuche anlangt, so muss und darf ich mich iu meiner, 
aus des Autors eigensten Angaben hergeleiteten Widerlegung auf 
einen Vergleich des Desinfectionsresultates bei Benutzung von Subli¬ 
mat oder Carbolsäure mit und ohne Alkohol (nur diese 
■ Desinfectionen haben Bezug auf meine Methode) beschränken — 
j den beiden oben genannten Collegen dürfte eine Aufrechterhaltuntr 
I ihrer Ansichten gegenüber den Abweichungen Landsberg’s nicht 
minder leicht fallen —, muss indess der zahlenmässigen speciellen 
Erörterung den allgemeinen Satz voranstellen, dass leider die An¬ 
gaben Laudsberg's über Erfolg und Misserfolg des einzelnen Des- 
infectious- bezw. Züchtungsversuches in praktischer Beziehung über¬ 
haupt innerhalb weiter Grenzen uncoutrolirbar sind: Lands¬ 
berg hat nämlich nicht, wie seine Vorgänger, die aufgegangenen 
Keime gezählt, sondern begnügt sieb mit einem 4- oder —. von 
welchem jenes Wachsthum (Misserfolg), dieses Sterilbleiben der 
Nährmasse bedeutet. Selbst da, wo nach 8 und 10 Tagen ein ein- 
I ziger Herd, ja eine Schimmelcolonie vorgefunden, wird ein -f- ge- 
I spendet! Im Uebrigen vermag der Leser dem öden Pluszeichen nir¬ 
gends den — praktisch so werthvollen — Grad der Desinfection 
I anzusehen. Als ob es irrelevant wäre, eiueu“ Nichterfolg“ durch 
zwei oder drei, ein Dutzend, ein Schock oder ein Mille von Keim- 
producten ausgedrückt zu sehen, und als ob selbst der (bekannt¬ 
lich auch bei den exactesten Methoden keineswegs selbstverständ- 
| liehe) Nachweis, dass der oder jener vereinzelte Heerd nicht dm 
Fehlerquellen des Versuches, sondern dem Versuchsobject entstammt, 
ein Rangiren mit den Extremen der „Wachsthuiusgläser“ gestattete, 
und spärliche Heerde nicht dem — (dar Keimfreiheit) näher 
ständen, als dem -+- (dem Misserfolg)? 

Indess wir wollen einmal — zu Gunsten Laudsberg’s — au- 
nehmeu, dass ungeachtet seiner unglücklichen Plus- und Minusme¬ 
thode, die den Leser jeder Vorstellung über den Desinfectionsgra <1 
beraubt, eine gewisse Gleichmässigkeit im Ausfall der verschiedenen, 
die Unternagelräume etc. betreffenden Versuchsreihen bestanden bat. 
und iu der That die deponirten Zahlen einen verwerthbaren Aus¬ 
druck des praktischen Erfolges repräsentiren. Was lehren die letz¬ 
teren? Nichts Anderes, als dass, was freilich Landsberg nicht 
recht zum Bewusstsein gekommen sein kann, bei der Händedesinfn- 
tion mit Seife und Carbol oder Sublimat, aber ohne Alkohol (p. 745 
und 746) 62 mal die Gläser steril bliebeu und 64 mal Wachsthum ge¬ 
zeigt, während bei Alkoholverwendung (p. 746, 748 und 749) 28 mal 
Wachsthum (darunter 6mal je ein Heerd, den wir gleich Landaben: 
als Misserfolg verrechnet) und 170 mal Keimfreiheit notirtworden. Als- 
bei Verzichtleistung auf Alkohol über 50°/o Misserfolg, bei 
Zuhülfenahme von Alkohol nahezu 86% vollkommenen 
Erfolges! Aus diesem Resultat folgert Landsberg die Entbehr¬ 
lichkeit des Alkohols! 1 ) Uns zwingt schlichte Logik zur Annahme 
des Gegentheils, einer Bestätigung der Superiorität der ans An¬ 
lass der Erfüllung der so belangvollen Adhäsion zwischen Epidermis 
und antiseptischer Lösung warm empfohlenen Alkobolraethode, von 
der wir freilich absolute Vollkommenheit niemals behauptet; und 
wenn wir trotz des Sechstels der Landsberg’schen Nicht- bezw. 
unvollkommenen Erfolge unsere Beurtheiluug der eigenen Methode 
als eine der sichersten und brauchbarsten nach jeder Richtung hin 
aufrecht erhalten, so geschieht es, weil wir nun einmal durchau- 
nicht Veranlassung fiuden können, den Werth der wenig controlir¬ 
baren Versuche Landsberg’s über denjenigen der, wenn auch 
weniger zahlreichen, unsrigeu zu stellen. Non enumerandae, s*-d 
I perpendeudae sunt observationes! 

Wir argwöhnen eben aus den genannten Gründen, dass in dn. 

1 „Minusresultaten“ Landsberg’s so manche mit einigen wenigen 
I Herden stecken, die wir, obwohl sie dem „Ideal“ nicht entsprechen. 

weit entfernt sind, als Misserfolge anzusehen. 

! Ich vermag nicht zu schliessen, ohne noch eines, meines Er¬ 
achtens sehr wichtigen Punktes zu gedenken, der Verträglichkeit 
meiner Methode. Gerade die Schonung, welche der (80%ige) Al- 

*) Es hat Landsberg’s Argwohn eiregt, dass er mit Alkohol all- .• 
ähnliche Desinfectionsresultate erzielt, wie mit Sublimatalkohol, und besser*. 

! als mit secundärer Anwendung wässeriger Sublimat- oder ('arbollösun*:' i 
I Zum Glück erkennt er diese .Scheinerfolge" als auf Mängeln der Tech* » 

I beruhend: der Alkohol bezw. die alkoholischen Lösungen trocknen die H- ' 
stark aus und erschweren’die Entnahme der Präparate. Scheiden wir al- . 
die Versuche mit alkoholischen Lösungen — wieder zu Guusten der Lau - 
\ herg’sclien Argumentation — ganz aus, so behauptet sich gleichwohl e.. 

stattliche Superiorität unserer Methode gegenüber der auf Alkohol \t - 
! zichtenden (80 : 50% Erfolg). Dass auch durch Seife und Sublimatlösur..' 
ohne Alkohol gute Desinfectionsresultate erzielt werden können, wer wo ..-t 
es leugnen? Haben das nicht aber schon längst Kümmell und Forste 
erwiesen, und habe ich nicht selbst die unter Umständen erstaunliche Wirknu 
warmen macerirenden Seifenwassers besonders hervorgehoben? 


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29. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


987 


kohol der Haut angedeihen lässt, habe ich mit Bezugnahme auf 
meine — leider recht empfindlichen — Hände (p. 32) und noch 
mehr diejenigen meines Collegen Hahn (p. 55) besonders hervorge¬ 
hoben. Weitere zahlreiche Berichte haben das in geradezu ungeahn¬ 
ter Weise bestätigt, ja Ob.-St.-A. Körting hat „trotz häufigster Bear- 
beitungder Hände seit Einführung der Alkohol Waschung nicht mehr unter 
der empfindlichen Schrundenbildung zu leiden gehabt, welche vordem 
von einer gründlichen Desinfection der Hände unzertrennlich war“ 
(D. milit.-ärztl. Wochensehr. 18,^8. 1). Nichtsdestoweniger spricht 
Landsberg von der Erschwerung jeglicher Thätigkeit aus Anlass 
der durch den Alkohol erzeugten Parästhesieen, die auch von „ver- 
schiedentlichen Seiten 4 geklagt worden! Räumen wir — abermals 
zu Gunsten des Gegners — ohne Weiteres ein, dass die Letzteren 
respectable Gewährsmänner repräseutiren. Ja dann sind eben ihre 
Hände bedauerlicherweise noch empfindlicher als andere, bereits be¬ 
sonderer Schonung bedürftige, und wieder zeigt es sich, was ich 
eigens für meine Methode (p. 52) hervorgehoben, dass eben Voll¬ 
kommenes nicht existirt. Vielleicht macht Herr Landsberg 
auch noch einmal diese Erfahrung! Wie dem aber auch sei, ich 
danke ihm. dass er die Begründung des Werthes meiner Methode 
der Händedesinfection eine breitere Basis gegeben, kann iudessen 
doch nicht umhin, ihm zu empfehlen, seine selbstbewusste Sprache, 
die er — eindringlichst ohne recht ersichtlichen Grund — führt, 
in den Dienst anderer Unternehmungen zu stellen, als desjenigen, 
Anderer Erfahrungen rechtlos zu bemängeln. Zu letzteren zählen 
wir auch die «besonderen guten Erfolge 4 , die uns aus grossen und 
grössesten chirurgischen Krankenhausabtheilungen fort und fort von 
unserer Methode gemeldet werden. 1 ) Das Vorrecht eines kleinen 
Blickes entschuldigt wohl Irrungen innerhalb des Specialfachs, nicht 
aber weitgehende Uebertragungen solcher Irrungen auf das grosse 
Gebiet der praktischen Mediciu überhaupt. 

Wenn ich mit vorstehenden Sätzeu dem Ausdruck meiner 
natürlichen Empfindung einschränkende Gewalt angethan, so mag 
Herr Landsberg das meiner Hochachtung danken, die ich der¬ 
jenigen Universitätsklinik zolle, ohne deren Liberalität die guten 
Seiten seiner Arbeit nicht möglich gewesen. Dass ich letztere voll 
anerkenne in Bezug auf Interesse und bleibenden Werth, habe ich 
bereits erwähnt, und es erübrigt nur noch der Wunsch, dass eine 
berufene Kritik ihre Bedeutung nicht über Demjenigen vergesse, 
was wir — so recht gegen Gewohnheit und Geschmack — zum 
Gegenstände dieser Mittheilung zu machen verpflichtet waren. 

V. Die Bedeutung der Schweissabsonderung 
bei den acuten Infectionskrankheiten.') 

Von Prof. G. B. Queirolo in Genua. 

Die alte Mediciu war der festen Ueberzeugung, dass der 
Schweissabsonderung eine bedeutende Rolle bei der Heilung der 
acuten Infectionskrankheiten zukomme; sie glaubte, dass durch diese 
Hautthätigkeit schädliche Substanzen, die Materia peccans, aus 
dem Organismus eliminirt würden; in Folge dessen wurde auch die 
Diaphorese bei den Kranken nach Kräften gefördert. 

Ich werde mich hier nicht des Näheren über die historische 
Entwickelung der Bedeutung des Schweisses bei der Behandlung der 
acuten Krankheiten einlassen; wenige Citate, wie sie mir zufällig 
in alten medicinischen Werken aufstiessen, mögen genügen, zu 
zeigen, wie die Aerzte in früheren Zeiten von der Nothweudigkeit. 
die Krankeu reichlich schwitzen zu lassen, tief überzeugt waren. 

Labes decedit, aut quidquid impuri, noxiique inest, per excre- 
tionem urinae. sudoris. sputi, vomitus, febrisque evanescit. 

So schrieb Borsieri in dem Capitel: Ueber das Fieber. Und 
in dem Capitel über: Ephemera maligna bekräftigt er seine Be¬ 
hauptung noch ausdrücklicher mit den Worteu: 

Experientia edocemur non alia quam spontauea cutis excretione 
malignum virus. unde huiusraodi febris nascitur, melius, certiusque 
expelli: sudores enim quocumque modo imminuti, abrupti aut sup- 
pressi, mortem certissime afferunt. 

Solches hatte die ausgezeichneten alten Beobachter die Er¬ 
fahrung gelehrt. 

Und Frank, indem er diesen Gedanken Borsieri’s wieder- 
giebt, behauptet mit der grössten Sicherheit, dass bei hartnäckigem 
Nervenfieber die geringste Unterbrechung der Hautausscheiduug 
ganz sicher den Tod des Kranken beschleunigt. 

‘) So wieder am heutigen Tage durch Herrn Collegeu Lauousteiu 
aus Hamburg, der zugleich die durch den Zollanschluss dictirte wichtige 
Frage nach der Verwendbarkeit von denaturirtem Spiritus für unsere Me¬ 
thode anregt. Ich stehe einstweilen nicht an, diese Frage — gleichgültig, 
ob Holzgeist oder Pyridinbasen benutzt werden — zu bejahen, und gedenke 
auf diesen Punkt bei besonderer Gelegenheit zurückzukommen. 

*) Nach einem in der R. Accademia medica zu Genua gehaltenen 
Vortrage. 


Man hat diese Methode, die Kranken schwitzen zu machen, auch 
vortheilhaft gefunden bei der „febris pestilentialis 4 , indem die 
Aerzte bemüht waren, die rasche Ausstossung des Contagiums durch 
die Poren der Haut zu geeigneter Zeit zu fördern. 

Der Gedanke der Ausscheidung des Krankheitsstoffes durch die 
Haut beherrschte also den Geist der Aerzte bei der Behandlung der 
fieberhaften Krankheiten, jener Krankheiten nämlich, die wir heute 
Infectionskrankheiten nennen. 

Aber diese Idee verdunkelte sich nach und nach mit dem Ver¬ 
schwinden der Lehren, welche die Krankheit als den Ausdruck 
eines vom Organismus gegen ein malignum virus bestandenen 
Kampfes betrachteten, und ging fast vollends verloren nachdem der 
letzte Rest jener Lehre erloschen war, nämlich als man die Krank¬ 
heiten als den Ausdruck einer örtlichen Veränderung, als die aus¬ 
schliesslichen Wirkungen der Störungen zu betrachten begann, die 
in der Beschaffenheit des Organs vorkamen, in welchem man die 
Läsion vorzugsweise antraf; als endlich die Auffassung der Krank¬ 
heit als ein für sich bestehendes krankhaftes Wesen im Sinne der 
Alten endgiltig abgethan war. 

Auch erstand dieses im Geiste und in der Ueberzeugung der 
alten Aerzte so fest wurzelnde therapeutische Criterium nicht in 
diesen letzten Zeiten, in denen die Anschauungen über das Wesen 
der Krankheiten in Folge des experimentellen Nachweises von dem 
Vorhandensein des infectiösen Agens, der materia peccans, der 
lab es der Alten, sich wesentlich geändert haben: vollständige 
Wiederkehr zu den ältesten Anschauungen über das Wesen der 
Krankheiten. 

Durch die neue Lehre wurden die auf die Lehren der unter¬ 
gegangenen Schule gegründeten Methoden und therapeutischen Cri- 
terien nach und nach umgestürzt, und die Anschauung von einem 
Kampfe zwischen der Krankheit und dem Organismus, der sich von 
dem Feinde, der ihn angegriffen, zu befreien strebt, erstand neuer¬ 
dings: einerseits die natürliche Reaction des Organismus, der Kampf 
zwischen den Zellen (Phagocyten) und den Mikroben, in welchem 
der Schwächere unterliegt; andererseits die künstlichen Mittel, die 
man zur Unterstützung des Organismus herbeizuschaffen sucht, um 
ihm bei der Vernichtung der Feinde, die ihn in unendlicher Anzahl 
anfallen, beizustehen. 

Nichtsdestoweniger wurde die grosse Rolle, welche die Alten 
dem Schweisse in diesem Kampfe zuschrieben, nicht mehr anerkannt 
und die Diaphorese nicht mehr zu Ehren gebracht. Man bewies, 
dass im Schweisse keine Krankheitskeime vorhanden seien, und das, 
was nicht dazu beitrug, den Organismus von dem Material, welches 
die Krankheitsursache darstellt, zu befreien, konnte vom ätiolo¬ 
gischen Gesichtspunkte logischerweise keine Wirksamkeit bei der 
Behandlung der Krankheit selbst haben. 

Die Idee der Vernichtung des Infectionsstoffes hatte bisher die 
Oberhand über den Begriff seiner Ausscheidung. 

Aber in eine neue Phase sind schon unsere Anschauungen ge¬ 
treten über den Wirkungsmechanismus und über die Infectionsstoffe 
bei der Erzeugung der verschiedenen Krankheitsphänomene. 

Die Ursache der krankhaften Erscheinungen können die Bacte- 
rien selbst sein, die, einmal in den Blutkreis eingedruugen, auf die 
Gewebeselemente einwirken und daselbst ihre biologische und che¬ 
mische Thätigkeit entfalten; die Ursache aber liegt oft in giftigen 
chemischen Substanzen, welche die Bacterien in dem Organismus 
erzeugen und dem Blute abgeben. 

Bei verschiedenen Krankheiten ist schon der objective Beweis 
hierfür erbracht worden. 

Für die Cholera asiatica ist dies von Villiers, Semmola, 
Tizzoni, Cantani und Anderen nachgewiesen worden. 

Die Untersuchungen, die an der Medicinischen Klinik zu Genua 
bezüglich der Pneumonie angestellt wurden, haben ergeben, dass in 
dem Blute der Pneuraoniker toxische Substanzen vorhanden sind, 
von welchen, aller Wahrscheinlichkeit nach, die allgemeinen Krank¬ 
heitssymptome, insbesondere das Fieber abhängen. 

. Nachdem die Gegenwart von toxischen Substanzen in dem Blute 
kranker Individuen festgestellt wurde, schien es mir, dass man be¬ 
rechtigt wäre, anzunehmen, solche giftigen Stoffe finden sich auch 
in den Secretionsmaterialien des fiebernden Organismus vor. 

Entsprechend diesen Voraussetzungen, nahm ich mir vor, zu 
untersuchen, ob nicht der Schweiss von Kranken toxische Eigen¬ 
schaften besitzt, nachdem ich festgestellt hatte, dass dem Schweisse 
von Gesunden analoge Eigenschaften nicht innewohnen. 

Zu diesem Behufe experiraentirte ich au Kaninchen mit dem 
Schweisse fiebernder Kranken. Ich nahm Schweiss von an Blattern, 
Malaria, Typhus, und Gelenkrheumatismus erkrankten Personen. 
Für die Vergleichsversuche wandte ich stets Schweiss von fieberlosen 
Menschen an. 

Die bisher erlangten Resultate bestätigen die gemachten Voraus¬ 
setzungen. 

Allen Kaninchen, welchen ich genügende Mengen von Schweiss, 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48 


der von den oben erwähnten kranken Personen herrührte, einimpfte, 
starben nach 12, 24 und 48 Stunden; andere Kaninchen hingegen, 
auf welche ich, unter sonst ganz gleichen Bedingungen, dieselbe 
oder noch grössere Mengen von Schweiss gesunder Individuen impfte, 
litten nachher an keinerlei Beschwerde. 

Sämmtliche Kaninchen, welche mit krankem Schweiss geimpft 
wurden, starben ohne Steigerung ihrer Körpertemperatur, und bei 
der Section fand man keines der bekannten Zeichen der Infections¬ 
krankheiten. Namentlich fiel die constante Kleinheit der Milz auf. 
Bei dem einen oder dem anderen Thiere eonstatirte man in der 
Periteonalhöhle einen spärlichen serösen oder blutig-serösen Erguss. 

Was die Kranken betrifft, von welchen ich den mittels der 
trockenen Oefen künstlich vermehrten Schweiss nahm, so muss ich 
sagen, dass sie keinen Schaden davon trugen; im Gegentheil ging 
bei einigen die Temperatur rasch herab, was an den vorhergehen¬ 
den Tagen, wo sie der Wirkung der trockenen Oefen nicht aus¬ 
gesetzt wurden, nicht der Fall war. 

Aus diesen summarischen Untersuchungen ist es wohl gestattet 
den Schluss zu zieheu, dass, wenigsten für die erwähnten Krank¬ 
heiten, in dem Schweisse toxische Substanzen enthalten sind, über 
deren Natur ich vorläufig nichts Bestimmtes aussagen kann. Der 
Schweiss spielt daher bei den Infectionskrankheiten eine sehr wich¬ 
tige Rolle. Es muss also, wie dies schon die Alten richtig er¬ 
kannten, für eine grössere Schweissabsonderung bei der Behandlung 
der Infectionskrankheiten gesorgt werden, weil durch sie zweifels¬ 
ohne ein guter Theil der schädlichen Materialien aus dem Organis¬ 
mus entfernt wird, auf welche wohl die schweren Symptome in 
dem Verlaufe der Infectionskrankheiten zurückzuführen sind. 

Durch reichliche Schweisssecretion und Darreichung von abun¬ 
danten Flssüigkeitsmengen wird man gleichsam die „Waschung“ 
des von schädlichen Stoffen verunreinigten Organismus vollfuhren, 
die den infectiösen Keimen ihre Entstehung verdanken. 

So glaube ich, könnte man sich den Nutzen erklären, der von 
Cantani bei gewissen Infectionen empfohlenen Hvpodermoklyse, 
deren Wirksamkeit von Cantani, Maragliano uud Anderen an¬ 
erkannt wurde. 

Der Nachweis der Giftigkeit des Schweisses der Kranken führt 
uns auf eine sehr alte therapeutische Praxis; das darf uns nicht über¬ 
raschen, noch uns davon abhalten, selbe uns zu eigen zu machen; 
die weise Erfahrung der grossen Aerzte des Alterthums hat den 
alten Gesetzbüchern der Heilwissenschaft viele Wahrheiten anver¬ 
traut, die wir manchmal vielleicht mit allzu grosser Leichtigkeit 
verkannt haben, weil wir ungerechter Weise iu dasselbe Urtheil 
die erwiesene Thatsache, die oft die Frucht einer sehr scharfsinnigen 
Beobachtung gew'esen, und die irrige Auslegung dieser Thatsache 
vermengt haben, die sich auf die trügerischen Hypothesen gründete, 
welche von Zeit zu Zeit das Feld der Medicin behaupteten. 

So gingen manche Wahrheiten verloren, welche neuerdings er¬ 
stehen müssen; das ist das Schicksal der menschlichen Dinge, wie 
selbes schon der Dichter vor 2000 Jahren durchschaut hat. als er 
in seiner prophetischen Ode also sang: „Multa reuascentur 
quae iam cecidere, cadentque quae nunc sunt in ho- 
nore.“ 

VI. Ueber Keblkopftuberculose, ihre 
Behandlung und Heilung. 

Von Dr. Reimer, 

Specialist für Nasen-, Hals- und Olirenleiden iu Düsseldorf. 

(Fortsetzung aus No. 4fi.) 

Was nun den Effect der Milchsäurebehandlung angeht, so wird 
derselbe von allen Patienten schon bald gerühmt. Die bis dahin 
etwa bestehenden Schluckbeschwerden werden geringer, der Husten¬ 
reiz vermindert sich und der Auswurf zähen, schleimig-eitrigen 
Secretes aus dem Kehlkopfe nimmt ab. Auch der objective Befund 
lässt schon nach einiger Zeit eine entschiedene Besserung erkennen. 
Der schmutzig graue, mit Eiter bedeckte und zerfressene Grund der 
Geschwüre reinigt sich, es entwickeln sich frische und roth aus¬ 
sehende Granulationen, denen dann nach mehr oder minder langer 
Zeit eine ziemlich derbe, weiss-graue Narbe folgt, welche namentlich 
in der Regio interarytaenoidea leicht eine gekörnte, kleinwarzige 
Oberfläche hat, wie ich dieses in 2 Fällen beol achten konnte. Die 
Sicherheit, dass hier feste Vernarbung vorliegt, lässt sich bei der 
Schwierigkeit, namentlich die vordere Fläche der hinteren Kehlkopf¬ 
wand gut zu überschauen, nur durch die Sonde oder, wie ich dieses 
auch schon seit Jahren thue, durch einen trockenen, festen Watte¬ 
pinsel gewinnen. Zeigt derselbe nach starkem Ueberreiben der 
fraglichen Stellen keine Spur Blut, so muss die Stelle nicht mehr 
wund, sondern vernarbt sein. So werden wohl mehr oder minder 
alle Laryngologen verfahren, anch Heryng empfiehlt diese Methode. 

Die Milchsäure wirkt nnn nicht allein mächtig auf die Ulcerationen 


selber ein, sondern sie zeigt auch die zweifellose Fähigkeit, tuberculös 
infiltrirte Partieen allmählich zum Verschwinden zu bringen, wenn¬ 
schon ihre Wirksamkeit hier viel langsamer und unsicherer zu 
Tage tritt. Ich erinnere mich da ausser auderen einer Patientin 
aus meiner Freiburger Wirksamkeit, bei welcher diese tiefere 
W’irkung der Milchsäure so recht zu Tage trat. Hier bestand neben 
einer starken tuberculösen Infiltration des Lig. aryepiglottic. dextrum 
und einer starken bimförmigen Schwellung über dem r. Aryknorpd 
eine sehr starke Infiltration des rechten Lig. glossoepiglottieum 
lateral.; Jodpinselungen, Jodoform und Jodol wirkten hier nichts, 
während bei etwa 3 monatlicher kräftiger Milchsäureeinreibung die 
Infiltration des Zungenkehldeckelbandes fast ganz, die des Liganj. 
aryepiglotticum etwas zurückging, ebenso zeigte eine tumorartige 
tuberculöse Verdickung der hinteren Kehlkopfwand, welche auch 
nicht exulcerirt war, eiue entschiedene Verkleinerung. Das fernere 
Schicksal der Patieutin ist mir unbekannt. 

Zur Unterstützung der Milchsäure haben wir nun ein mächtiges 
Hülfsmittel in der Curette, mit welcher wir den geschwürigen Grund 
reinigen und für die Einwirkung des Medicamentes vorbereiten 
können. Zu diesem Zwecke habe ich schon seit längerer Zeit die 
Krause’sche Curette benutzt und gebrauche sie bei rein geschwüri¬ 
gen Processen auch noch. Neuerdings habe ich nach dem Vorgänge 
Heryng’s mit dessen Curette sowohl die pilzförmigen Wucherungen 
der Ritnula, als auch die tuberculösen Infiltrationen anderer Stellen 
angegriffen und zwischendurch Milchsäure verwandt. Die Curet- 
tining des Kehldeckels gelingt nur schwer, weil der elastisch*- 
Knorpel ausweicht, bei einem ruhigen Patienten gelingt sie trotzdem, 
und wenn man auch nicht alles Krankhafte entfernt, so wirkt durch 
die Wunde hindurch die Milchsäure nur um so energischer. Ich 
habe nun absolut nicht so schwere Fälle behandelt, wie Heryng. 
ich würde auch bei ambulatorischen Patienten mit so schweren 
Affectionen, wie sie Heryng schildert, durchaus nicht zu so ge¬ 
waltigen Eingriffen rathen, wie sie dort geschildert sind. Dazu ge¬ 
hört eben der Vorzug eines Spitales. dass man so manches gefahrb.-j 
vornehmen kann, was sich in der Hauspraxis von selbst verbietet. 

Einen besonderen Widerstand von Seiten der Patienten, wie 
Gottstein in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der Krank¬ 
heiten des Kehlkopfes meint, habe ich nur selten gefunden, im 
Gegentheil, die meisten Kranken haben mit einer bewunderungs- 
werthen Geduld die einzelnen Proceduren ertragen, da sie selbst 
bald die Erfahrung an sich machten, dass ihr Zustand besser wurde, 
und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hob sie bald über die 
Qualeu des Augenblicks hinweg. Wo dieser moralische Muth uu-1 
dieses stille Heldenthum nicht vorhanden sind, da soll man aller- 
diugs auf weitere chirurgische Behandlung verzichten, ein Halbe- 
ist da schlechter, als garnichts, es miscreditirt eine gute Metho*!-. 
ohne dem Kranken von irgend welchem Nutzen zu sein. 

Zu starke Reizerscheiuungen oder sonstige unangenehme Folget! 
habe ich trotz tausendfacher Anwendung dieser Methoden nie ge¬ 
sehen. Die Frage der Reeidive werden wir am Besten bei den Patienten 
selbst erörtern können. 

Dass ich aber nicht bei der einseitigen localen Behandlung de- 
Laryux stehen blieb, brauche ich kaum zu erwähnen. Ich lie" 
meine Patienten, so weit es anging, da die meisten absolut k*-in*- 
Crösus waren, alle die hygienischen Wohlthaten gemessen, wi*- 
wir sie als besonders nutzbringend bei der Phthise kennen gelern' 
haben. 

Das laute Sprechen wurde verboten, nur Flüstern gestattet: 
Milch lis zu 3 Litern, womöglich in 2-stündiger Pause, daneben 
noch Fleisch. Eier, Alkohol in Form von Cognac mit Milch, oder 
bei besser Situirteu ! /> Flasche kräftigen Rheiuweius und Bier dien¬ 
ten zur Kräftigung des meistens reducirten Körpers; mit der sogen. 
Ueberfütterung nach Debove — Peiper hatte ich bei keinem meiner 
Patienten Glück. 

Mit aller Entschiedenheit bestaud ich ausserdem auf dem mög¬ 
lichst ausgiebigen Genuss der frischen Luft bei Tag und Nacht, 
auf Abhärtuug des Körpers durch kühle Abreibungen und lau* 
Bäder, auf Entwöhnung von alleu unsinnigen Kleidungsstück* u. 
welche den kranken Hals iu Form von dicken Tüchern. Ohal- 
und Pelzkragen vor „Erkältung“ schützen sollen. 

Bei sehr reizbaren und zu Husten neigenden Patienten mit 
ausgesprochenen Lungenerscheinungen und reichlichem Auswurf ver¬ 
suchte ich auch den von Professor Schreiber in Königsberg ange¬ 
gebenen Apparat zu Inhalationen öliger Medicamente nach <!*•: 
Modification von Rosenberg, und zwar versuchte ich gewöhnli-h 
20-procentiges Mentholöl, von welchem ich 20 Tropfen in den Appar.it 
füllte und so lange inhaliren liess, als ein ausgesprochener Pfeffer¬ 
minzgeruch vorhanden war. Ich glaube davon bei 4 bis 6 maliger 
Anwendung pro die, namentlich in einem Falle, recht Gutes gesehen 
zu haben. 

In anderen Fällen, wo schon die Anschaffung des Apparate? 
zu theuer war, brachte die einfache Methode des durch eine Papier- 


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29. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


düte eingeathmeten, mit dem betreffenden Medicamente versetzten 
Wasserdampfes nach Mor. Schmidt Erleichterung und Wohlbe¬ 
finden. Auch hier nahm ich meistens Mentholöl, dann auch Terpen¬ 
tinöl, Latschenöl, Bals. Peruv. — Was die innere Behandlung an¬ 
geht, so experimentirte ich in Freiburg lange Zeit mit Arsenpillen, 
ohne dass ich eine besondere Leistung derselben constatiren konnte, 
viel besser gefiel mir die Wirkung des von Lepine und Germain 
See empfohlenen Terpin, welches bei starken Katarrhen mit reich¬ 
lichem Secret und starkem schleimigeitrigem Auswurf in der Dosis 
von 1,0 pro die entschieden secretionshemmend wirkte und aus¬ 
nahmslos gut vertragen wurde. Nach der ersten Publication Som- 
merbrodt’s wandte ich mich dem Creosot zu, welches ich freilich 
schon früher, aber nur in geringen, daher wohl unwirksamen Dosen 
gegeben hatte. Ich habe dasselbe ganz nach der Vorschrift mit 
Tolubalsam versetzt angewandt und muss sagen, dass ich mit der 
Wirkung recht zufrieden gewesen bin. Ich erwähnte schon oben, 
dass es nicht die schwersten Formen der Kehlkopf- und der meist 
begleitenden Lungentuberculose waren, welche ich zu behandeln 
hatte, und so mag es kommen, dass jene chronischen, an und für 
sich der Therapie zugänglicheren Tuberculösen leichter auf das 
Mittel reagirten. 

Ausnahmslos vertragen meine Patienten das Mittel gut, und ich 
kann Hoppmann nur beipflichten, dass es gerade bei an beglei¬ 
tenden Magenstörungen leidenden Kranken oft vorzüglich bekommt, 
ja hier gerade den Magen erregt und stimulirend wirkt, wie ich 
dies an zwei Fällen zeigen werde. 

Ob hier die Behinderung der abnormen Gährung des Magen¬ 
inhaltes eine Rolle spielt, wage ich nicht zu entscheiden. Einzelne 
Patienten, so eine Frau vom Lande, welche ich 14 Tage nach der 
ersten Verordnung wieder sah, stiegen trotz meiner recht concinnen 
Vorschrift in dieser Zeit auf 10 Capsein pro die, ohne unange¬ 
nehmes Aufstossen, Brennen und Belästigung zu spüren. Ausnahms¬ 
los nahm das sonst oft reichliche Sputum schon bald bedeutend ab, 
der Husten wurde geringer, der Appetit reger, das nächtliche 
Schwitzen verschwand, und es machte sich bei allen meinen Patien¬ 
ten mit wenigen Ausnahmen eine Zunahme des Gewichtes bemerk¬ 
bar, welche in einzelnen Fällen geradezu erstaunlich war. So notirte 
ich bei einem Herrn im Verlaufe von 5 Monaten eine Gewichtszu¬ 
nahme von 23 Pfund, bei einem anderen eine solche von 12 Pfund, 
Gewichtszunahmen von 2—5 Pfund waren bei den meisten schon 
im Verlaufe von einigen Wochen zu constatiren, ohne dass es dann 
zu einer weitereu Steigerung gekommen wäre. 

Wie viel hierbei dem Creosot, wie viel der besseren und nach 
genauerer Vorschrift geregelten Ernährung zuzuschreiben ist, kann 
ich nicht angeben, dass dabei aber das Creosot eine gewisse Rolle 
spielt, ist nach meiner Meinung ohne Zweifel. Nach etwa 3 Monaten 
Hess ich immer 1 Monat mit dem Gebrauche aussetzen und in der 
Zwischenseit Leberthran benutzen. Ueber Guajacol habe ich bis 
dahin keine Erfahrung. Meine Versuche haben mich so ermuthigt, 
dass ich nicht mehr auf das Creosot in der Behandlung der chroni¬ 
schen Phthise verzichten möchte. Wie viel dasselbe bei fieberhaften 
und acuteren Formen leistet, weiss ich nicht, da meine Fälle fast 
immer fieberlos waren. 

Mit allen diesen Maassnahmen zusammengenommen habe ich 
eine solche erfreuliche Besserung einiger, sich mir an vertrauend er 
Patienten erzielt, dass ich in der Lage bin, Ihnen hier 5 Fälle vor¬ 
zustellen, welche, theilweise früher in sehr desolaten Verhältnissen, 
sich jetzt körperlich entschieden frischer, theilweise sogar ganz frisch 
und wohl befinden, ihren Berufsgeschäften wieder ungestört nach¬ 
gehen und bei allerdings noch vorhandenen, theilweise bedeutend 
geminderten Lungenerscheinungen, alle die unurastösslichen Beweise 
von vernarbten tuberculösen Kehlkopfgeschwüren resp. geheilten In¬ 
filtrationen an sich tragen, wovon Sie sich gütigst gleich selbst 
überzeugen wollen. Dass damit mein ganzes Material an Tubercu¬ 
lösen erschöpft sei, will ich natürlich damit nicht sagen, aber nur 
diese unterzogen sich mit der nöthigen Ausdauer den von mir ge¬ 
forderten Manipulationen. 

Es liegt mir nun ganz fern, in Ihnen die Vorstellung erwecken 
zu wollen, als wenu ich mich dem Glauben hingäbe, diese Patienten 
von dem drohenden Gespenste der Tuberculose für alle Zeiten be¬ 
freit zu haben, eine Vernarbung tuberculöser Kehlkopfgeschwüre ist 
noch keine Heilung der Tuberculose überhaupt, sie ist nur ein be¬ 
deutender Schritt zum Ziele. Wir müssen ja immer festhalten, dass 
die Phthisis laryngea in überwiegender Häufigkeit eine Phthisis 
pulmonum zur Voraussetzung hat, und dass einer primären Larynx- 
phthise eine Lungenphthise folgt, dass also die Heilung des einen 
keine Heilung des anderen Prozesses zur absoluten Consequenz hat. 
Wenn wir aber annehmen dürfen, und das glaube ich unumstösslich, 
dass es eine primäre Larynxphthise giebt, dann werden wir auch in 
der Lage sein, das Individuum vor allgemeiner Phthise bewahren 
zu können bei frühzeitiger Erkennung und Ausheilung seiner 
Larynxgeschwüre, und daher uochmals die warme Empfehlung, sich 


989 


in irgendwie verdächtigen Fällen des Kehlkopfspiegels bedienen zu 
wollen. 

Auch das halte ich für eine unanfechtbare Wahrheit, dass wir 
bei früher Erkennung des tuberculösen Prozesses in den Lungen in 
der Lage sind, in nicht zu rapide verlaufenden Fällen diesem 
Würgengel eiu energisches Halt entgegensetzen zu können, dass 
zeigen uns die schönen Erfolge iu den trefflich geleiteten Anstalten 
zu Falkenstein, Reiboldsgrün, Görbersdorf, Berka und wie sie alle 
heissen mögen die Luftcurorte und Anstalten, und das beweisen auch 
die mit Lungentuberculose coraplicirten Laryuxtuberculosen, wo noch 
ein energisches Vorgehen die Larynxtuberculose zum Stillstand bringt. 
Wie lange aber dieser Stillstand dauern wird, bis der Tuberkelba- 
j cillus wieder die künstlich und mühsam erbauten Bollwerke unter- 
minirt hat und dieselben zum Sturze bringt, darüber muss die Zu¬ 
kunft entscheiden. Auch ich habe bei keinem meiner Patienten 
ein vollständiges Verschwinden der Bacillen, wohl ein bedeutendes 
Abnehmen derselben constatiren können. (Fortsetzung folgt.) 

VII. Feuilleton. 

Zum Capitel „Simulation“. 

Ein historischer Beitrag von Dr. Pagel, prakt. Arzt in Berlin. 

Seit der enormen Vermehrung des kassenärztlichen Kranken¬ 
materials, wie sie seit Emanation des bekannten Gesetzes in Deutsch¬ 
land stattgefunden hat, gewinnt unzweifelhaft die Frage betreffend 
die Möglichkeit leichter, schneller und sicherer Entlarvung von 
Simulanten eine erhöhtere Bedeutung, als sie früher besessen hat. 

Es dürfte nun wohl nicht gerade allgemein bekannt sein, dass 
schon Galen dem in der Ueberschrift bezeichneten Thema seine Auf¬ 
merksamkeit zugewendet und eine kleine, vou allen competenten 
Autoren als unzweifelhaft echt, d. h. als vou ihm wirklich her- 
rührend anerkannte Schrift hinterlasseu hat. welche sich im 
XIX. Bande der Kühn’sehen Ausgabe p. 1—7 befindet und den 
Titel führt: „/7«>C Je? i^eXij^ery robg Trpognoiou/isvoog voiretv“ (Quomodo 
morbum simulantes sint deprehendendi). Dieser Aufsatz besitzt 
mehr als rein historisches Interesse. Er ist auch darum bemerkens- 
werth, einmal, weil er viel knapper und uicht so weitschweifig ge¬ 
halten ist, wie viele andere Schriften Galen’s, dann aber auch, 
weil er ebensosehr von dem diagnostischen Scharfsinn, dem feinen 
Beobachtungsvermögen und logisch geschulten Verstände des grossen 
Pergameners, wie andererseits von dem relativ hohen Stande der 
medicinischen Kenntnisse zur damaligen Zeit zeugt. Da meines 
Wissens in der einschlägigen Litteratur dieses Galenischen 
Tractats nirgends Erwähnung geschieht, ausgenommen andeutungs¬ 
weise in dem von Blumenstock geschriebenen Artikel „Simu¬ 
lation“ in der 1. Auflage der Eulenburg’schen Realency- 
klopädie (Band XII p. 528), so dürfte eine Wiedergabe desselben 
an dieser Stelle in der folgenden freieren Uebersetzung gewiss vielen 
Lesern nicht unwillkommen sein. Der betreffende Aufsatz von Galen 
lautet: 

Wie man die Vorspiegelung einer Krankheit enthüllen 
soll. Aus vielen Gründen simubren die Menscheu eine Krankheit: 
Sache des Arztes aber ist es, in solchen Fälleu die Wahrheit auf¬ 
zudecken. Glauben doch selbst oft Laien, die Betrüger vou den 
wirklich Kranken unterscheiden zu können. — Auch Entzünduug, 
Erysipelas und Oedeme, die durch äusserlich angewandte Medi¬ 
camente künstlich hervorgerufen sind, muss der Arzt von solchen 
unterscheiden könuen, die aus wirklichen körperlichen Leiden her¬ 
vorgegangen sind, ebenso, ob eiu blutiger Auswurf aus der Mund¬ 
höhle, oder aus tiefer belegenen Theilen, wie Magen und Einge¬ 
weide, oder gar aus den Athmungsorganen stammt.. Es giebt Leute, 
die ganz beliebig, so oft sie wollen, Blut ausspeien können, indem 
sie mit der Zunge an irgend einer offenen Stelle des Zahnfleisches 
oder Gaumens saugen und das so gewonnene Blut unter einem 
künstlichen Hustenstoss zu Tage fördern in der Absicht, dadurch 
einen tieferen Sitz des Blutes vorzutäuschen. 

Auch Delirien und Wahnsinn werden nicht selten simulirt. Der 
Laie verlangt aber vom Arzt, dass er auch dies alles erkennt und 
richtig unterscheidet. 

Ich kenne auch Fälle, wo heftige, scheinbar ganz unerträgliche 
Schmerzen fingirt worden sind. So consultirte mich u. A. Jemand, 
der, wie er mir später selbst eingestand, um nicht in eine Bürger¬ 
versammlung gehen zu müssen, heftige Bauchschmerzen vorschützte. 
Ich ordnete warme Umschläge an, merkte aber sehr bald, dass es 
sich um Simulation handle, da der Mann, der mir als sehr äugstlieh 
bekannt w’ar, garnicht so dringend um Hülfe bat, auch von mir 
nicht die Darreichung eines Theriaks verlangte, das, wie er w T ohl 
wusste, einem anderen wirklich Kranken wenige Tage vorher ge¬ 
holfen hatte, was sicher sonst geschehen wäre, wenu der Betreffende 
nicht simulirt hätte. Auch waren prädisponirende, zur Erzeugung 
der Schmerzen geeignete Momente, wie Indigestion oder starke Er- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48 


kältung, nicht vorhergegangen. In meinem Verdacht wurde ich 
noch bestärkt dadurch, dass der angebliche Kranke sofort nach 
Beendigung der Versammlung gesund war. — In diesem Falle hatte 
ich meine Annahme nicht bloss auf eigentlich medicinische Gründe 
gestützt, sondern auch auf die äusseren, begleitenden Umstände, die 
zu eruiren, Sache des gewöhnlichen Menschenverstandes ist, wie 
ihn jeder besitzen sollte, leider aber nur wenige in so vollkommenem 
Maas.se besitzen, dass sie in jeder Lage das Richtige zu treffen 
wissen. Versteht der Arzt aber auch diese mehr äusseren Um¬ 
stände geschickt zu berücksichtigen, so wird er wohl immer in der 
Lage sein zu unterscheiden, ob Verstellung oder wirkliches Leiden 
vorliegt. Dies beweist auch folgender Fall, wo ein Individuum über 
heftige Schmerzen in beiden Beinen klagte. Es handelte sich um 
«inen jener Sklaven, welche die Verpflichtung haben, ihren Herrn 
im Falle einer Reise im Laufschritt zu begleiten. Ich wusste, dass 
der Herr des betr. Sklaven an jenem Tage gerade verreisen wollte, 
und schöpfte daher sofort Verdacht auf Simulation, die durch das 
eigentümliche Benehmen des Sklaven noch wahrscheinlicher wurde. 
Auch erfuhr ich auf meine Erkundigung bei einem seiner Kameraden, 
dass jener ein Liebesverhältniss mit einem Frauenzimmer unterhielt 
und ihm daher eine längere Abwesenheit von Hause sehr ungelegen 
sein musste. Bei der Untersuchung constatirte ich an einem Knie 
eine sehr grosse Anschwellung, die leicht einen Laien hätte stutzig 
machen können, aber dem Sachkundigen sofort den Charakter einer 
(durch Auflegen der Thapsiapflanze) künstlich erzeugten verrieth. 
Die Möglichkeit, dies zu erkennen, beruhte auf der ärztlichen Er¬ 
fahrung und hatte nichts mit der Kenntniss der äusseren Verhältnisse 
des Falles zu tbun. Ebenso war es speciell Sache ärztlicher Er¬ 
fahrung, die Momente zu wissen, welche etwa sonst noch als Ur¬ 
sachen des Tumors hätten angeschuldigt werden können, wie ange¬ 
strengtes Laufen, Schlag oder Stoss. Doch lag hier nichts von 
alledem vor. Auch konnte es sich um eine von innen heraus- 
koinmende Plethora nicht handeln, da der Mensch vorher ein weder 
bequemes noch üppiges Leben geführt hatte. Dazu kam, dass er 
mir auf die Frage nach dem Charakter des Schmerzes nur zögernd 
und unbestimmt antwortete und sich in Widersprüche verwickelte. 
Als ich daher nach der Abreise des Herrn ein Mittel anwandte, 
nicht gegen die Schmerzen, sondern nur zur Abschwächung der 
durch die Thapsia-Application hervorgerufenen Wirkung, so hatte 
dies zur Folge, dass der Kranke eine Stunde später vollkommen 
schmerzfrei zu sein bekannte. Dies wäre aber nicht der Fall ge¬ 
wesen, im Gegentheil wäre der Schmerz stärker geworden, wenn es 
sich um eine wirkliche Entzündung gehandelt hätte. — Auch auf 
den Grad der Heftigkeit des Schmerzes lassen sich aus dem Be¬ 
nehmen eines Patienten Schlüsse ziehen, insofern als bei wirklich 
heftigem Schmerz, gleichsam von demselben aufgcrüttelt, die Kranken 
fortwährend ihre Lage zu wechseln suchen, jede Art von Hülfe- 
leistung bereitwilligst acceptiren und von selbst in den Arzt dringen, 
doch nichts zu unterlassen, was nur irgendwie den Schmerz mög¬ 
lichst schnell beseitigen kann. Besteht dagegen nur geringer oder 
gar kein Schmerz, so verhalten sie sich gegen die ärztlichen Ver¬ 
ordnungen, besonders wenn sie in knapper Diät und scharfen Medi¬ 
kamenten bestehen, ablehnend. Der Arzt soll aber solchen Kranken, 
die ein schweres Leiden vorspiegeln, sagen, dass nur eingreifende 
Maassregeln, wie Schneiden oder Brennen oder Enthaltung von den 
Lieblingsspeisen resp. Getränken hier helfen können. 

Noch andere Symptome können das wirkliche Vorhandensein j 
eines heftigen Schmerzes glaubhaft machen, wie Kälte der Extremi- j 
täten, grosse Blässe, Ohnmächten, kalte Schweisse und nicht sowohl 
unregelmässige (die auch bei geringem Schmerz Vorkommen können), 
als vielmehr kleine und schwache Pulsschläge, endlich auch, dass 
die Patienten von selbst die richtige Beschreibung des für den 
afticirten Körpertheil charakteristischen und ihm specitisch eigen- 
thümlichen Schmerzes machen. Denn es giebt verschiedene Arten 
von Schmerzen: einige strahlen mehr über grössere Flächen aus, i 
andere sind gleichsam nur auf einen bestimmten Punkt fixirt; ] 
manche halten mehr stechenden, klopfenden und bohrenden, andere | 
mehr reissenden Charakter. Einige rufen förmliche Ohnmächten i 
hervor, andere sind mit dem Gefühl eines schweren Drucks vor- 1 
bunden. Auch sind manche mit Erbrechen, Unruhe im Leibe, 
Schwarzsehen u. dergl. complicirt. 


AuIqs Cornelius Celsns über den Krebs. 

Von Dr. Villaret. 

Wer sich die Mühe giebt die Werke der alten medicinischen 
Schriftsteller zu studiren, wird reichlich dafür belohnt werden. So ! 
und die Libri octo des oben angeführten Celsus voll der treffendsten ' 
Aussprüche. Zufällig traf ich letzthin auf das Capitel vom Krebs 
sind gestatte ich mir, einiges daraus nachfolgend zu citiren (Lib. V, 
Cap. XXVIII. 2). 


Fereque primum id fit, quod xaxoy&es 1 ) Graeci nominant. Deinde 
ex eo id xapxtvajfia , quod sine ulcere est, deinde ulcus, et eo thy- 
mium 2 )? Tolli nihil nisi xaxurjües potest: reliqua curationibus 
irritantur, et quo maior vis adhibita est, eo magis. Qui¬ 
dam usi sunt raedicamentis adurentibus; quidam ferro adusserunt: 
quidam scalpello exciderunt, neque ulli uraquara medicina profuit: 
sed adusta, protinus concitata sunt, et increverunt, 
donec occiderent. Excisa etiam, post inductam cicatricem, tarnen 
reverterunt, et causam mortis attulerunt. 

Cum interim plerique nullam vim adhibendo, qua tollere id 
malum tentent, sed iraponendo tantum lenia medicamenta, quae quasi 
blandiantur, quo minus ad ultimam senectutem perveniant, non pro- 
hibentur. Discernere autera cacoethes, quod curationem re- 
cipit, a carcinomate quod non recipit, nemo scire potest, nisi 
tempore et experimento. 

Ist es ein Cacoethes, so mildern sich bald die Symptome in 
Folge der angewandten Mittel. 

Wenn aber, so führt er fort, durch die angewandten Mittel 
malum protinus irritatura est, scire licet jam carcinoma esse; remo- 
vendaque sunt omnia acria, omnia vehementia! 

Kann es ein klareres Urtheil geben? 


VIII. Referate und Kritiken. 

Franz v. Preuschen. Die AHantois des Menschen. Eine ent¬ 
wickelungsgeschichtliche Studie auf Grund eigener Beobachtung. 
Mit 10 Tafeln. VIII und 195 S. 10 M. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 
1887. Ref. K. Bardeleben. 

v. Preuscheu beschreibt in diesem Werke die äussere Form 
und den inneren Aufbau des menschlichen Embryo, über welchen 
er im Jahre 1884 vorläufig berichtet hatte. Der Embryo war 
3,78 ram lang, vom Scheitelpunkt des Gehirns (Mittelhirn) bis zur 
Schwanzkrümmung gemessen. Die Frau, von der das dem Ver¬ 
fasser in frischem Zustande in die Hände gekommene Ei stammt, 
war „im October“ zuletzt, menstruirt; das Ei wurde am 6. December 
ausgestossen. Die Hauptsätze, welche Verfasser an die Spitze seiner 
Untersuchungen stellt, und welche er durch die thatsächlichen Be¬ 
funde, wie durch kritische Vergleichung mit anderen Fällen aus der 
Literatur zu erhärten sucht, sind folgende: 

Der Embryo besitzt eine blasenförmige Allantois; er 
liegt aber nicht frei in der Chorionhöhle, sondern ist durch eiue 
membranöse Verbindung, die Preuschen „Hautstiel“ nennt, 
an die äussere Eihaut angeheftet. 

Der „Hautstiel“ geht aus der Hautplatte der hinteren Amnion¬ 
falte hervor und stellt die niemals unterbrochene Verbindung 
zwischen Embryo und Chorion dar. 

Der Hautstiel dient als Brücke für die Gefässverbin- 
dung zwischen Embryo und Chorion. 

Die Allantois hat mit der Vascularisation und der 
Heranbringung des Bindegewebskeimes an die äussere 
Eihaut nichts zu thun, sie erlangt beim Meuschen überhaupt 
keine weitere Bedeutung, verkümmert bald und geht in ihrem 
ausserhalb des Embryo gelegenen Theile bis auf einige Residuen 
zu Grunde. 

Ehe wir auf die thatsächlichen Befunde eingehen und die Frage 
erörteru, inwieweit oder ob es dem Verfasser gelungen ist, aus 
ihnen genügende Stützen für die eben angeführten Sätze zu ge¬ 
winnen. soll darauf hingewiesen werden, dass nach einer Richtung 
hin jedenfalls das Werk Preuschen’s hohes Interesse erregen 
muss, da es dem Verfasser vergönnt gewesen ist, die bisher unge¬ 
druckt gebliebenen und verloren geglaubten „Studien zur Entwicke¬ 
lungsgeschichte des Menschen“ von Karl Ernst v. Baer, durch 
Vermittelung von Prof. Stieda (früher in Dorpat), an’s Licht zu 
ziehen. 

In dem literarischen Rückblick, der nicht weniger als 
100 Seiten eiunimmt, stellt Verfasser die von früheren Autoren 
beobachteten ähnlichen Fälle zusammeu; das Hauptinteresse erregen 
hier natürlich die eben erwähnten Studien Baer's, die sich für 
diese Frage auf sechs Embryonen beziehen, v. Baer, welcher die 
Allantois deutsch als „Harnsack“ bezeichnet, beschreibt dies 
Organ bei Embryonen von 14 Tagen bis zu 5 Wochen. Beim 
14 tägigen Embryo hat die Allantois die Gestalt einer keulenförmigen 
Blase, die halb so lang ist als der Embryo. Die Nabelblase ist 
daneben vorhauden. — Bei einem auf 3 Wochen geschätzten Ei 
ist der Embryo 1.5, der Harnsack 3 Linien lang. Der Stiel des¬ 
selben ist von „einem hellen Blatt lose umgeben, das zwei Gefasse 
führt und sich vom Stiel aus direkt auf das Chorion überschlägt, 
mit dem es verwächst'. Der Körper des Harnsackes ist zwischen 
Amnion und Chorion eingelagert. Nabelblase vorhanden. — Bei 
einem anderen, gleichfalls dreiwöchentlichen Ei mit missbildetem, 

*) Bösartiges Geschwür. 

a ) Thymium = vollständig entwicktdtes, offenes Krebsgeschwür. 


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29. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


991 


kaum 1 Linie langem Embryo entspringt die Allantois als 
wurstförraige, prall mit dicker Sülze gefüllte Blase aus dem 
hinteren Körperende des Embryos. — Der vierte, hierher ge¬ 
hörige Embryo von v. Baer ist ca. 4 Wochen alt; die Eihäute sind 
„verbildet“. Die Allantois entspringt als keulenförmiges Gebilde mit 
dünnem Stiel dicht neben der Nabelblase aus dem hinteren Körper¬ 
ende des Embryos und ist zwischen Amnion und Chorion einge¬ 
schlossen; sie ist von einem Häutchen lose umgeben. — Bei einem 
4—5 Wochen alten, 5 Linien langen Embryo mit Extremitäten, 
dessen Eihäute bis auf einen Rest entfernt waren, ist die Allantois 
zusammengefallen. Sie entspringt mit einem Stiel aus dem Hinter¬ 
darme. Nabelblase vorhanden. — Eine fünfwöchentliche Frucht 
schliesslich, mit rudimentärem Embryo, zeigt neben der Insertion 
des Nabelstranges am Chorion Nabelblase und Allantois. 

Das Verhalten bei seinem Embryo beschreibt Verfasser nun 
folgendermaassen: Das distale Körperende läuft in eine stumpfe 
Spitze aus; von dieser erhebt sich ein blasen- oder wurstförmiges 
Gebilde, dessen Ansatz an das Schwanzende durch ein vorgelagertes 
hautartiges Band — den „Hautstiel“ — überdeckt ist. Das blasen¬ 
förmige Gebilde — nach Preusclien die Allantois — erstreckt 
sich zunächst in der Richtung der Schwanzspitze, biegt alsdann fast 
rechtwinklig um und endet nach kurzem, nach hinten gerichtetem 
Verlauf und nach abermaliger Umbiegung in eine dorsalwärts ge¬ 
richtete, abgestumpfte Spitze. Besonders hervorgehoben wird, dass 
die Allantois nicht von der ventralen Seite des hinteren Körper¬ 
endes, sondern von der äussersten Schwanzspitze entspringt. Von 
dieser ist sie durch eine ringförmige Einziehung deutlich geschieden 
und durch den Ansatz des Ainnions getrennt. Letzteres iuserirt 
sich, nachdem es das hintere Körperende des Embryo knapp um¬ 
hüllt, auf der äussersten Spitze des Schwanzes und lässt die 
Allantois selbst frei, so dass diese ausserhalb der Aranionhöhle 
liegt. Vor der Allantois entspringt von der ventralen Seite des 
distalen Körperendes der „Hautstiel“. Derselbe verläuft auf der 
rechteu Seite des hinteren Körperendes, den Ansatz der Allantois 
an der Schwanzspitze, sowie letztere selbst und den untereu Theil 
der „Allantois“ von dieser Seite überdeckend, direkt nach dem 
Chorion und verbreitet sich hier in die innere Lamelle dieser Ei¬ 
haut. Die wurstförmige „Allantois“ verjüngt sich, kurz vor der 
Einsenkung in das hintere Körperende, ziemlich plötzlich, so dass 
von einem „Stiel“ kaum die Rede seiu könne. Auf der Bauchseite 
ist der Embryo in grosser Ausdehnung offen. Die Na bei blase 
fehlt. — Es fehlen, was sehr bemerkenswerth erscheint, die An¬ 
lagen der Augen und des Gehörorganes. 

Der Embryo wurde nach Härtung in „verdünnter Müller’scher 
Flüssigkeit und 72 % Alkohol“ — beides wohl nicht ganz geeig¬ 
nete Behandlungsarteu — in Glyceriuseife eingebettet und dann in 
Schnitte von 0,1 mm Dicke zerlegt (die Dicke der Schnitte ist entschie¬ 
den zu gross für die Erkennung feinerer Structurverhältnisse, vielleicht 
war dieselbe aber durch die Beschaffenheit des Embryos oder die 
vorhergegangene „Härtung“ geboten. Ref.). Die „Allantois“ ist auf 
acht Schnitten sichtbar (22—29). Inwieweit man an den Schnitten 
selbst etwas sehen kann, soll dahingestellt bleiben; auf den — 
übrigens von Weiland gut gezeichneten — Abbildungen ist 
sehr wenig zu erkennen. Die „Allantois“ ist, soviel ist sicher 
zu sehen, keine „Blase“, sondern ein Gang mit sehr dicken Wan¬ 
dungen und feinem Lumen. Nähere Einzelheiten fehlen sowohl in 
der Beschreibung, wie in den Abbildungen. 

Referent bezweifelt, dass Preuschen’s Darstellung die Fach¬ 
männer von dem Vorhandensein einer blasenförmigen Allantois beim 
Menschen überzeugen wird. Gerade iu diesem Hauptpunkte steht 
die Beschreibung des Verfassers nicht im Einklänge mit den oben 
aufgestellten Sätzen. Dagegen zweifelt wohl kein Embryologe an 
der Existenz eines Allantoisganges, der sich gewiss an dieser oder 
jener Stelle, besonders an seinem blinden Ende wird blasig er¬ 
weitern können — zumal bei nicht ganz normalem Verhalten. 

Welche Vortheile die Aufstellung eines „Hautstieles“ (s. o.) 
statt des Bauchstieles von His haben soll, ist dem Referenten 
gleichfalls nicht recht klar geworden. Einstweilen werden wir wohl 
gut thun, uns an die genaue, auf Untersuchungen von vielen 
Dutzenden normaler Embryonen gestützte Beschreibung von dem 
Verhalten der menschlichen Eihäute zu halteu, die der Leipziger 
Anatom gegeben hat. Die Richtigkeit der v. Baer ! sehen Beobachtungen 
soll jedoch nicht in Frage gestellt werden; indess ist für ein beim 
Menschen entschieden in der Reduction begriffenes Organ, wie 
die Allantois, auf die grosse Variabilität derartiger Bildungen 
hinzuweisen, welche die von einander abweichenden Befunde zuver¬ 
lässiger Beobachter zu erklären im Stande ist. 

Die Ausstattung des Buches ist eine ausgezeichnete. Leider 
vertheuern die vielen Tafeln dasselbe und, wie es dem Referenten 
scheint, unnöthig; denn die Wiedergabe der Schnitte hätte Ver¬ 
fasser wohl unterlassen oder doch erheblich einschränken können. 


Roderich Zeiss. Beschreibung und Gebrauchsanweisung 
eines neuen Apparates für Mikrophotographie. 52 p. 4. 
Mit 11 mikrophotographischen und 5 weiteren photographischen 
Tafeln und 9 Holzschnitten. Jena, Carl Zeiss, optische Werk¬ 
stätte, 1888. Ref. Carl Günther. 

Der Autor, Mitinhaber der berühmten optischen Werkstätte iu 
Jena, hat einen neuen Apparat für Mikrophotographie con- 
struirt, dessen Anordnung und Anwendung er in der vorliegenden 
Schrift erläutert. Der Autor beschränkt sich aber nicht hierauf 
allein, sondern giebt eine Darstellung der mikrophotographischeu 
Technik im Allgemeinen. Er schildert z. B. eingehend die Grund¬ 
sätze, die bei der Beleuchtung des Objectes maassgebend sind, er 
geht hierbei auf die verschiedenartigen zur Anwendung kommenden 
Lichtquellen ein, er bespricht die Behandlung der photographischen 
Platten etc. Anhangsweise wird auch die objective Demonstration 
mikroskopischer Bilder im Auditorium erläutert. Alle diese Dinge 
werden klar und verständlich vorgetragen und empfehlen sich zum 
Studium für Jeden, der sich mit dem Gegenstände befasst. — Eine 
Schilderung des neuen Apparates selbst, der mit Allem, was sich 
im Laufe der Zeit als nothwendig oder als zweckmässig heraus¬ 
gestellt hat, auf das Sorgfältigste ausgestattet ist, muss ich mir hier 
versagen. Was den wesentlichsten Theil des Apparates, die neuen 
apochromatischen Objectivsysteme der Firma Zeiss angeht, so ist 
es genugsam bekannt, dass dieselben an Leistungsfähigkeit alles 
frühere auf diesem Gebiete hinter sich lassen. Ref. hatte bei seinen 
eigeuen Studien Gelegenheit, sich von der Vortrefflichkeit dieser 
Systeme für mikrophotographische Zwecke zu überzeugen. — Die 
vorliegende Arbeit ist zum Preise von 3 Mark in dem Magaziu 
für Mikroskopie von G. König, Berlin NW. Dorotheenstrasse 29, 
zu haben. Daselbst steht auch der neue Zeiss’sehe Apparat zur 
Besichtigung aus. _ 


Faul Jeserioh. Die Mikrophotographie auf Bromsilbergela¬ 
tine bei natürlichem und künstlichem Lichte unter ganz 
besonderer Berücksichtigung des Kalklichtes. XIV und 
245 Seiten. Mit 00 Holzschnitten und 4 Tafeln iu Lichtdruck. 
7 Mark. Berlin, Julius Springer, 1888. Ref. Carl Günther. 

Der Autor, welcher als Gerichtschemiker oft in die Lage 
kommt, das gesehene mikroskopische Bild zum Zwecke späterer 
Verwerthung fixiren zu müssen, hat sich seit 9 Jahren mit mikro¬ 
photographischen Studien beschäftigt und giebt in vorliegendem 
Werke eine Darstellung der verschiedenen bei mikrophotographischeu 
Arbeiten in Betracht kommenden Dinge. Ganz ausführlich ist der 
rein photographische Theil behandelt, und auch der Erfahrene wird 
hier manches für ihn nützliche finden. Was die Beleuchtung der 
Objecte angeht, so fand der Autor das Kalklicht für seine Zwecke 
von besonderer Brauchbarkeit. Ein von ihm construirter, mit 
Kalklicht arbeitender Apparat wird genauer beschrieben. Dem 
Werke beigegeben sind 4 Tafeln mit 8 Photogrammen in Lichtdruck. 
Leider entsprechen diese Photogramme nicht deu Anforderungen, 
die man heutzutage an Mikrophotogramme stellen darf. 


IX. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 5. November 1888. 

Vorsitzender: Herr Fräntzel; Schriftführer: Herr P. Guttmann. 

DasProtokoll der vorigen Sitzung wird verleseu und angeuommen. 

1. Discussion über den Vortrag des Herrn Klemperer: 
Ueber die motorische Thätigkeit des Magens. 

Herr Ewald: Wenn ich mir erlaube, zu dem Vorträge des llerru 
Collegeu Klemperer das Wort zu ergreifen, so geschieht es zuerst, um 
meiner Befriedigung darüber Ausdruck zu geben, dass die Resultate, zu 
denen er mit seiner Methode gekommen ist. durchaus denen entsprechen, 
die ich die Ehre hatte, vor einiger Zeit Ihnen vorzutragen, und die Herr 
Einhorn unter meiner Leitung, mit der Salolmclhode gewonnen hatte. 
(Siehe Protokoll der Sitzung des Vereins für innere Medicin am 25. Juni 1888 
in No. 30 dieser Wochenschrift.) Dies gilt von den unter Eingabe von 
Strychnin, Salzsäure oder Alkalieu beobachteten Ergebnissen. 

Ich habe die Ehre gehabt, Ihnen seiner Zeit die betreffenden Tabellen 
und die Demonstrationsobjecte hier vorzulegen. Also in dieser Beziehung decken 
und bestätigen sich unsere Versuche in sehr erfreulicher Weise. Hinsicht¬ 
lich der von Herrn Klemperer angestellten Oelversuche möchte ich darauf 
hinweisen, dass ich in einer Arbeit, die ich mit Herrn Boas als Beitrag zur 
Physiologie und Pathologie der Verdauung II (Virchow’s Archiv) vor 
einiger Zeit veröffentlichte, ähnliche Versuche mit Oel beschrieben habe, 
die allerdings, wie ich gleich bemerken muss, nicht zu dem von Herrn 
Klemperer angestrebten Zwecke unternommen worden Es handelte sich 
damals für uns darum, den Einfluss des Gels auf die Stärkeverdauung zu 
eruiron. Wir haben Stärke mit Gel in bestimmten Verhältnissen zusammen- 
gehracht, das Gemisch in den Magen eingeführt und nun gesehen, wie 
viel Gel und Kleister nach einer bestimmten Zeit aus dem Magen wieder 
zu entleeren war. Dabei musste es uns ja vor allen Dingen auch darauf 
ankomraen, sieherzustellen, ob es möglich sei, die gesammte Quantität des 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48 


992 


Oels, die zu einer bestimmten Zeit im Magen vorhanden ist, durch die 
uns zugänglichen Methoden der Expression oder der Ausheberung wieder 
heraus zu fördern, und vor allen Dingen den Verlust festzustellen, der 
etwa dadurch, dass das Oel an den Magenwänden resp. dem Oesophagus 
haften bleibt, zustande kommt. Wir mussten uns nun leider 
damals mit dem Ergebniss zufrieden geben, dass die Mengen, 
welche wir wieder erlangten, sehr wechselnd waren, d. h. dass das, 
was zu Verluste kam, bei scheinbar ein und demselben Vorhältniss 
«los Individuums, also unter denselben Umständen der Verdauung, sehr ver¬ 
schieden war, so dass wir Differenzen zwischen 10—40 Cubikcentimeter auf 
100—150 und 200 Oel erhielten, also unter Umständen, wenn man die 
günstigste Beziehung im Sinne des Versuchs annimmt, bis zum fünften 
Theil der gesammten Menge. Auf der anderen Seite aber konnten wir an 
Versuchen, die wir ad hoc am ausgeschnittenen Magen anstellteu, der in 
Verbindung mit dem Oesophagus gelassen war, und den wir mit bestimmten 
Quantitäten Oel füllten, zeigen, dass bei dieser Anordnung, wenn man das 
Oel aus dem Magen durch den Oesophagus wieder abfliessen liess, nur 
geringe Quantitäten Oel zu Verlust gingen, dass also die Methode in dieser 
Hinsicht brauchbar ist. Ich weiss nicht, inwieweit sich nun Herr Klemperer 
vor den genannten Fehlerquellen geschützt hat; jedenfalls waren sie für 
uns damals Ursache und Anlass, dass wir auf die genannten Versuche in dem 
Sinne, sie für die Bestimmung der motorischen Thätigkeit des Magens zu be¬ 
nutzen, an die wir damals wohl dachten, nicht weiter eingegangen sind. 
Ich will übrigens dabei bemerken, dass sich die Menge des Oels, welches 
man wieder aus dem Magen herausbringt, auf einem sehr viel einfacheren 
Wege bestimmen lässt, als wenn man die umständliche Lösung des Oels in 
Aether vornimmt und den Aetherrückstand bestimmt. Das Oel sondert sich 
ja, gemischt mit Wasser oder wässeriger Flüssigkeit, in einem langen Mess- 
evlinder sehr scharf ab. Allerdings setzt sich, wenn der Magen viel Schleim 
enthält, eine Schleimschicht zwischen Wasser und Oel, so dass die scharfe 
Grenze zwischen beiden darunter leidet; aber im allgemeinen kann man 
doch auf diese Weise die Menge des Oels durch einfache Ablesung be¬ 
stimmen, und bei den Schwankungen, denen der Versuch an und für 
sich unterliegt, bedarf es einer feineren Bestimmung nicht. Wir haben 
uns aber damals zugleich davon überzeugt, dass das Eingiessen von Oel bei 
vorher gesunden Individuen eine mehr oder weniger starke Indigestion ver- 
anlasste, und ich stelle anheim, ob es gerade für derartige Versuche, die sich 
wesentlich mit kranken und zwar magenkranken Individuen beschäftigen 
sollen, ob es da gerade das richtige Verfahren ist, so grosse Quantitäten 
Oel einzugeben. Indessen hat ja Herr Klemperer selbst betont, dass 
sich seine Versuche für die Praxis nicht eignen würden, sondern' dass sie 
nur als Anhaltspunkt für änlicbe Verhältnisse zu betrachten wären. 

Was nun die Schlussfolgerungen betrifft, welche nerr Klemperer an 
seine Versuche für die pathologischen Verhältnisse geknüpft hat, so will ich 
es denjenigen Herren, die noch nach mir etwa in die Debatte eingreifen 
sollten, gern überlassen, sich darüber des Näheren zu verbreiten. Gestatten 
Sie mir nur, noch einige ganz allgemeine Bemerkungen über die Verwerthung 
dieser und ähnlicher Untersuchungsmethoden hier anzufügen. Ich glaube 
nämlich, dass Sie Alle, und vielleicht der Herr Redner selbst, in gewissem 
Maasse das Gefühl gehabt haben, dass er in der grossen Werthschätzung, 
die er den »tonischen Zuständen des Magens, also den Störungen der mo¬ 
torischen Functionen des Organs, beilegte, und denen er ja, wenn man das 
Rcsume aus seinen Darstellungen ziehen würde, eigentlich jetzt die erste Rolle für 
die Erkrankungen des Magens zuweisen wollte, — dass er darin etwas zu weit 
gegangen ist, und ich möchte gerade auch heute wieder betonen, dass die 
sämmtlichen Functionen, welche der Magen ausübt, also die Functionen der 
Secretion, die Functionen der motorischen Thätigkeit, dieFunctionen derResorp- 
tion, dass alle diese verschiedenen Functionen so eng mit einander in Verbindung 
stehen, dass es geradezu unmöglich ist, eine von denselben allein heraus¬ 
zugreifen und auf sie nun den Löwenantheil für die eventuellen Störungen 
zu schieben, dass sie vielmehr wie die Räder eines Uhrwerks ineinander 
greifen, von denen man keins entfernen kann, ohne zu gleicher Zeit eine 
Störung des ganzen Getriebes hervorzurufen. Wir haben uns, glaube ich, 
in dieser Beziehung — und dasselbe, was ich für die motorische Thätig¬ 
keit bemerke, möchte ich auch angewandt wissen auf die Untersuchungen 
des Chemismus und der resorptiven Verhältnisse des Magens — in der 
letzten Zeit in einer ähnlichen Lage befunden, wie unsere Vorgänger zu 
ihrer Zeit inhczug auf die Werthschätzung der Auscultation und Percussion. 
Sie wissen, dass, als einmal die Methode der Auscultation und der Percussion 
aufgekoramen war, eine Strömung existirte, welche die sogenannten physi¬ 
kalischen Zeichen in eine so enge Verbindung mit den pathologischen Verhält¬ 
nissen, die sich an den betreffenden Organen fanden, bringen wollte, dass 
man direkte specifische Zeichen für bestimmte specifische Erkrankungen zu sta- 
tuiren suchte, und dass es eigentlich erst Skoda gewesen ist, der mit diesen 
Anschauungen ein für allemal reinen Tisch gemacht hat. Aehnlich geht es 
uns im Augenblick in mancher Beziehung mit den Ergebnissen, die wir 
aus den Untersuchungen des Chemismus des Magens, seiner motorischen 
Thätigkeit und seinen anderen Functionen entnehmen wollen. Die Rich¬ 
tung und Neigung, aus den Ergebnissen der chemischen Untersuchung 
eine präcise specielle Diagnose ad hoc auf einen ganz bestimmten Er¬ 
krankungszustand zu stellen, hat sich meines Erachtens einer Ueber- 
tieibung schuldig gemacht. Man darf die Resultate der chemischen etc. 
Exploration des Magens als die Ergebnisse einer gestörten Function, 
aber niemals als die Ergebnisse eines bestimmten specifischen pathologischen 
Processes auffassen. So wie wir gesehen haben, dass bei dem Krebs in 
einer grossen Anzahl von Fällen die Secretion der Salzsäure vernichtet ist, 
resp. dass die freie Salzsäure sich nicht mehr nachveisen lässt, aber in 
einer anderen Reihe von Fällen die Secretion der freien Salzsäure doch 
n*>ch statt hat, und dass dies nur von der mehr oder weniger verbreiteten, 
"ft über die makroskopisch sichtbare Läsion oder Neubildung weit hinaus- 
g'diendeu Sehleimhauterkrankung, aber nicht von der specifischen Natur 
derselben abhängig »>t (»fr. Ewald, Klinik der Verdauungskrankheiten VI, 


p. 164). ebenso wird es sich verhalten mit den Beziehungen, welche zwischen 
der motorischen Function des Mageus und den Digestionsstörungen und den 
anatomischen Processen, die sich auf der Magenschleimhaut abspielen, be¬ 
stehen, und ich glaube gerade, dass man nach dieser Richtung eine gewisse 
Vorsicht walten lassen muss, und dass man nur durch das Zusammenfassen 
aller Symptome und aller Verhältnisse zu einer richtigen Diagnose und 
richtigen Behandlung im concreten Falle kommen wird. 

Herr George Meyer: Herr Klemperer hat zur Untersuchung des 
chemischen Verhaltens des Mageninhaltes als Methode angegeben, das be¬ 
treffende Individuum */> Liter Milch und 2 Weissbrödchen gemessen zu lassen, 
und dann nach 2 Stunden die Elimination dieses Frühstücks aus dem Magen 
zu bewerkstelligen. Ich habe zunächst gegen diese Art der Prüfung ein immer¬ 
hin für die Praxis wichtiges Bedenken. Es kann leicht geschehen, dass der 
Patient, da nach der Angabe des Herrn Klemperer ein zwe istündiges Verweilen 
der Ingesta im Magen erforderlich ist, diese Zeit nicht einhält, weil es bei 
vielen Kranken gewisse Unbequemlichkeiten mit sich bringen dürfte, eine 
Mahlzeit so früh einzunehmen, dass der Arzt dann in der Morgensprech¬ 
stunde die Expression vornehmen könnte. Noch schwieriger gestaltet sich 
das Verhältnis, wenn an einem Tage bei mehreren Kranken hinterein¬ 
ander die Untersuchung des Mageninhaltes vorgenommen werden soll. Wird 
das Probefrühstück aber später eingenommen, so wird der Arzt öfters recht 
lange Zeit w r arten müssen, bis der Zeitpunkt zur Expression des Magenin¬ 
haltes gekommen ist. Im ersteren Falle besonders wird die Methode keine 
zuverlässigen und brauchbaren Ergebnisse liefern. 

So gering diese Bedenken auch auf den ersten Blick sein mögen, so 
fallen sie doch für eine Methode in’s Gewicht, wenn ein anderes, bequemeres 
Verfahren vorhanden ist, wie das von Ewald, welches die Expression nach 
einer Stunde gestattet und welchem daher jene genannten Uebelstände 
nicht anhaften. 

Ein zweites Bedenken habe ich gegen die Anwendung von Milch. Er¬ 
wachsene vertragen den Genuss derselben vielfach sehr schlecht, besonders 
Magenkranke, die in vielen Fällen bereits kurze Zeit nach Einnahme von 
Milch dieselbe wieder erbrechen. Es ist eigentümlich, dass bei den magen¬ 
kranken Patienten des Herrn Klemperer dieses niemals der Fall gewesen 
zu sein scheint. 

In Betreff des Einwandes, den Herr Klemperer gegen den von mir 
für die Zustände von Schwund der Drüsen der Magenschleimhaut vor¬ 
geschlagenen Namen Phthisis ventriculi erhob, verweise ich auf meinen 
demnächst hier zu veröffentlichenden Vortrag, in welchem ich mir erlauben 
werde, die Gründe für diesen meinen Vorschlag ausführlicher darzulegen. 

Herr Boas: Ein Theil desjenigen, was ich zu bemerken hatte, ist be¬ 
reits durch die Ausführungen des Herrn Ewald anticipirt worden, und es 
bleibt mir daher nur übrig, einige Bemerkungen zu machen, bezüglich der 
Methode des Herrn Klemperer und der daraus gezogenen Schlüsse. Ich 
möchte hinsichtlich der in Gemeinschaft mit Herrn Ewald vor einiger Zeit 
augestellten Untersuchungen nur noch hervorheben, dass uns gerade die 
ausserordentliche physiologische Breite, die sich hierbei ergab, auffiel. Ich 
habe die Tabelle, die wir damals bezüglich der Rückstände, die wir 
bei den Oelversuchen bekommen hatten, wo es sich also um Quantitäten von 
150—200 Cubikcentimeter handelte, aufstellten, in der Weise umgerechnet, 
dass ich die Menge des verschwundenen Oels berechnet habe, und es ergab 
sich, dass die Schwankungen in den einzelnen Versuchen sich zwischen 0 
und 45 <Vo bewegten. Gerade bei der Darreichung von Oel kommen demnach 
ausserordentliche Differenzen schon beim physiologischen Magen vor. 
Diese Thatsache wird verständlich, wenn man sich erinnert, dass auch 
hinsichtlich der übrigen Functionen, namentlich des Chemismus, die 
weitgehendsten Verschiedenheiten constatirt worden sind. Ich erinnere an 
die Versuche von Ewald und Wolff, welche gezeigt haben, dass bei Per¬ 
sonen, bei denen eine subjective Störung absolut* nicht vorliegt, ein voll¬ 
kommenes Versagen der Saftsecretion stattfinden kann. In derselben Weise 
können wir uns auch denken, dass eine ausserordentliche Anpassungs- und 
Ausgleichungsfähigkeit des Magens hinsichtlich der Peristaltik statt hat, 
welche es gestattet, gewisse functionelle Störungen mit grosser Leichtigkeit 
zu compensiren. 

Eine weitere Frage ist die, ob der Chemismus des Magens überhaupt 
in irgend einer Verbindung steht mit der Eliminirung des Mageninhalts oder 
nicht. Nach der Richtung hin habe ich gegen die Versuche des Herrn 
Klemperer vor allen Dingen das eine Bedenken, dass es sich bei den¬ 
selben um Substanzen handelt, die nicht resorbirt werden. Nun ist es aber 
durch die Untersuchungen von Schmidt-Mülheim und neuerdings von 
Cahn erwiesen, dass eine Beziehung stattfindet zwischen der Resorption 
und peristaltischen Thätigkeit, wie es Herr Ewald vorhin schon angedeutet 
hat. Bei jenen Versuchen handelte es sich um Thiere, bei denen nach 
Einführung von Nahrungsmitteln von bestimmtem Eiweissgehalt in ver¬ 
schiedenen Digestionsperioden der untersuchte Mageninhalt annähernd die¬ 
selben Procentualverhältnisse an Stickstoffsubstanzen darbot Daraus folgt, 
dass ein gewisser Zusammenhang zwischen Resorption und der motorischen 
i Thätigkeit, über den wir im Einzelnen vorläufig noch nicht genügend unter¬ 
richtet sind, bestehen muss. 

Eine weitere Frage ist die, in welcher Weise speciell die Salzsäure zu 
der eliminirenden Thätigkeit des Magens in Beziehung steht In dieser 
Hinsicht glaube ich, dass man wohl allgemein Herrn Klemperer bei¬ 
stimmen muss in der Behauptung, dass die Säurebildung des Magens keine 
absolute Vorbedingung für die motorische Thätigkeit ist Anders schon 
verhält es sich mit der umgekehrten Frage, ob nicht bei einer übermässig 
ausgebildeten Säurcproduction ein Einfluss im Sinne der Hemmung der 
motorischen Action .statthaben kann. Herr Klemperer hat bedingungs- 
! weise bereits diese Tliatsachen zugegeben. Ich glaube, dass dieselbe sowohl 
I physiologisch als auch klinisch so gut gestützt ist, dass wir wohl behaupten 
j können, dass eine erhöhte Säurebildung die Peristaltik entschieden hemmt. 

I Ich erinnere an dieser Stelle nur an die interessanten Versuche de« Herrn 
I v. Pfungen, der bei einem gastrotomirten Kinde beobachtet hat, dass Ein- 


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29. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


993 


giessungen einer 2,5%oigen Salzsäurelösung eine spastische Contraction 
des Pylorus zur Folge hatten, die dann durch Neutralisirung mit Soda¬ 
lösung wieder beseitigt werden konnte. Dio klinischen Beobachtungen 
zeigen gleichfalls, dass wir in Fällen von Hyperacidität, wo wir also von 
grösseren Resorptionsstörungen absehen können, bei der Aspiration in der 
Regel eine grosse Menge von Residualflüssigkeit erhalten, welche uns an¬ 
zeigt, dass hier eine Behinderung der Peristaltik statthaben muss. 

Ein weiterer Punkt betrifft die Frage, inwieweit in Fällen von chro¬ 
nischen Katarrhen die Störung der peristaltischen Thätigkeit ein Haupt¬ 
symptom der subjectiven Störungen darstellt und von diesem Standpunkt 
aus eine Bekämpfung dieser funetionellen Störung durch die entsprechenden 
Mittel indicirt ist. Herr Kiemperer hat speciell für die Behandlung der 
chronischen Katarrhe angegeben, dass es zweckmässig wäre, von dem Ge¬ 
sichtspunkt aus, der ja nach den Anschauuugen, die er darüber entwickelt 
hat, auch consequent ist, Substanzen zu geben, die speciell die eliminirende 
Thätigkeit des Magens anregen. Hierbei ist aber eben gerade die Gefahr 
vorhanden, dass der Chemismus in ausgedehntem Maasse gestört wird, also 
z. B. bei Gährungsprocessen, wo Alcoholica im allgemeinen ja als contrain- 
dicirt gelten, Störungen, die man vermeiden will, geradezu begünstigt werden 
können. 

Einen anderen Punkt hat Herr Kiemperer nur nebenbei gestreift, 
nämlich, dass man in fast allen diesen Fällen nur sehr ungünstige thera¬ 
peutische Resultate oder doch nur vorübergehende erzielt durch Einwirkung 
auf den Chemismus, und dass speciell die Vermuthung naheliegt, dass es 
sich in vielen dieser Fälle um Suggestionswirkungen handelt, also nur um 
Heilungen, die entschieden nicht als objective und dauernde betrachtet 
werden können. Die Erfahrungen, die ich auf diesem Gebiete im Laufe 
der letzten Jahre gemacht habe, haben mir indessen bewiesen, dass gerade 
durch Einwirkungen auf den chemischen Digestionsverlauf gewisse günstige 
Resultate für die Magen Verdauung und im weiteren Sinne für die Verdauung 
überhaupt gewonnen werden können. Speciell habe ich bei dem Zustand, 
den ich als iusufficienz des Chemismus bezeichne, also wo es sich um sehr 
verringerte Säurebildung, sowie um Vorkommen von grossen Schleimmengen 
im Magen handelt, mit der Kochsalz-Salzsäuretherapie sehr befriedigende 
Erfolge erzielen können. 

Ich würde [die hierbei gewonnenen Ergebnisse nicht für ausreichend 
halten und selbst meine Beobachtungen anzweifeln, wenn ich nicht in metho¬ 
discher Weise die Ergebnisse dieser Kochsalz-Salzsäuretherapie zu verfolgen 
Gelegenheit gehabt hätte. Wenn man bei den Patienten Kochsalz in Gestalt von 
Wässern oder als einfache Salzlösungen in Verbindung mit Salzsäure in der 
gewöhnlichen Weise verwendet und dann mehrmals in der Woche methodisch 
untersucht, wobei man an den Untersuchungstagen Kochsalz und Salzsäure 
aussetzen lässt, so sieht man zuweilen schon nach 14 tägigen, meist nach 
3—4 wöchentlicher Anwendung dieser Therapie eine deutlich zu verfolgende 
Besserung der Drüsenproduction, mit der Hand in Hand ein subjectiv besseres 
Befinden einhergeht, ln denjenigen Fällen, die mit übermässiger Schleim- 
production verbunden sind, tritt fast regelmässig auch eine Verringerung 
oder ein Schwinden derselben ein. Diese Coincidenz der subjectiven Besse¬ 
rung mit der des Chemismus war für mich der Anlass, in diesen Fällen in 
der That einen thatsächlichen Einfluss der Therapie anzunehmen. Auch die 
Umkehr der Beobachtung, dass an Tagen, an denen es den Patienten schlecht 
geht, oder an welchen ein Diätfehler stattgefunden hat, regelmässig eine ver¬ 
ringerte Säurebildung und gleichzeitig eine Verschlechterung des Chemismus 
statt hatte, liefert mir den Beweis, dass es sich hier um tatsächliche gün¬ 
stige Einwirkungen, die Monate und Jahre lang bestehen können, han¬ 
deln müsse. Im Uebrigen kann ich mich demjenigen, was Herr Ewald zum 
Schluss seiner Ausführungen betont hatte, dass in allen Fällen eine Berück¬ 
sichtigung der verschiedenen im Magen vorkommenden Relationen, sowohl 
bei der Diagnostik als bei der Therapie, nothwendig ist, in jeder Hinsicht 
anschliessen. ______ (Fortsetzung folgt.) 


X. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 21. November 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

Der Vorsitzende macht der Gesellschaft Mittheilung von dem Ableben 
des Mitgliedes Dr. Simousohn in Friedrichsfelde. 

1. Herr Virchow demonstrirt Präparate eines Falles von Cyanqoeck- 
sllber-Vergiftung, der eine Reihe von anatomischen Veränderungen darbietet, 
ganz analog den früher nach Sublimatvergiftung beobachteten, die mehrfach 
Gegenstand der Discussion in der Gesellschaft gewesen sind. Es handelt sich 
um einen jungen Mann, der sich selbst vergiftet, nach Einverleibung des Giftes 
aber noch acht Tage gelebt hatte, so dass die betreffenden Veränderungen 
sich vollständig ausbilden konnten. AlleTheile des Digestionsapparates oberhalb 
des Pylorus, die zunächst mit dem aufgenommenen Gift in Contact gekommen 
sind, bieten keinerlei nennenswerthe Veränderungen, namentlich keine Spur 
einer Aetzwirkung dar. Die Magenschleimhaut ist intact. Die Zone der 
stärkeren Veränderungen beginnt ziemlich tief, nämlich im letzten Abschnitt 
des Ileum. Charakteristischer Weise finden sich die afficirten Stellen absatz¬ 
weise jedesmal an den Flexuren des Dickdarms, während sich dazwischen 
relativ normale Strecken vorfinden. Die Veränderungen entsprechen ganz 
dem früher beschriebenen Bilde. 

Die Nieren sind in ihrer ganzen Ausdehnung, und zwar in der Rinden¬ 
substanz, vorzugsweise in den gewundenen Harnkanälchen, in so colossaler 
Weise mit Kalkconcretionen gefüllt, wie in keinem der früher hier bepsrochenen 
Fälle. Dieser mikroskopische Befund ist um so bemerkenswerther, als bei der 
einfachen Betrachtung von diesem Kalk absolut nichts wahrzunehmen ist. Sieht 
man sich nach Verhältnissen um, die den hier bestehenden ähnlich sind, 
so dürften in erster Linie jene Kalkmetastasen heranzuziehen sein, die der 
Vortragende vor vielen Jahren beschrieben hat, die bei grossen Geschwulstbil¬ 
dungen in den Skeletknocben an verschiedenen Stellen des Körpers auftreten 


und von Zerstörungen des Knochengewebes herzuleiten sind. Dabei kommt 
es zu Kalkabsetzungen in den Nieren, welche genau in derselben Weise 
durch Concretionsbildung in den gewundenen Harucanälchen entstehen. Diese 
Erfahrung macht es doppelt wahrscheinlich, dass durch das Quecksilber, wie 
schon Prevost betont hat, das Knochengewebe angegriffen wird und so 
grosse Kalkmengen in die Circulation gelangen. — Herr Virchow geht bei 
dieser Gelegenheit auf eine neuere Arbeit von Kaufmann in Breslau ein, 
der den Grund der Kalkablagerung in den Nieren in Veränderungen des 
Gewebes, und zwar einerseits in einer Art von Nekrose, die er den Epithelien 
zuschreibt, andererseits und zwar vorzugsweise in Verstopfungen der kleinen 
Gefässe sucht. Er glaubt danach etwas Aehnliches annehmen zu sollen, wie 
es gelegentlich bei hämorrhagischen Infarcteu in der Niere beobachtet worden 
ist. Diese Analogie kann Herr Virchow nicht als zutreffend anerkennen. 
Kalkablagerung in Infarcten gehört einer sehr späten Periode derselben an. 
Erst nachdem das ursprüngliche Material, aus welchem der Infarct zusammen¬ 
gesetzt war, sich völlig verändert hat, sieht man Verkalkungen eintreten, 
also in einem abgestorbenen und gänzlich metamorphosirten Material. Der 
hier vorliegende Process hat damit gar keine Aehnlichkeit. Für die oben 
ausgesprochene Ansicht des Herrn Virchow sprechen auch die mehr als 
ein Jahrhundert alten Beobachtungen, welche bei chronischem Mercurialismus 
gemacht werden. Auch da zeigen sich Veränderungen des Skelets, nament¬ 
lich Rarefactionen des Gewebes. Die Annahme, dass in den acuten Fällen 
der Kalk durch einen analogen Process frei werde, bewegt sich also ganz auf 
dem Boden der Erfahrungstatsachen, und die gleichzeitige parenchymatöse 
Nephritis hat mit der Kalkalllagerung höchstens insofern etwas zu thun, als 
sie die Ausfuhr des Kalkes durch den Harn beeinträchtigt. 

2. Herr Hadra demonstrirt das Präparat eines Falles von Atresia ani, 
der vier Tage nach gelungener Colotomie durch einen unglücklichen Zufall 
an Erstickung zu Grunde ging. 

3. Herr Küster demonstrirt Präparate die durch drei in der voraufgegan¬ 
genen Woche ausgeführte Laparotomieen gewonnen wurden: a) Ein Cysto- 
sarkom des Ovarlnm, das durch dio Ovariotomie entfernt wurde; b) einen 
Fall von multiplen Myomen des Uterus, durch Laparomyomotomie beseitigt, 
welcher dadurch interessant ist, dass sich in den linksseitigen Anhängen des 
Uterus Veränderungen finden, die zu den seltenen gehören, nämlich ein 
Hydrops der Tuba Fallopiae; c) ein Carcinom der Bauhin’schen Klappe. 
Der letztere Fall betraf einen 39jährigen Mann, der seit längerer Zeit an Ver¬ 
stopfungen litt, die mit Diarrhoe abwechselten. Im letzten Sommer hatte er 
mehrere Male starke Darmblutungen. In der rechten Unterbauchgegend wurde 
ein höckeriger Tumor gefühlt, der eine starke Verschieblichkeit zeigte, was 
auf die Diagnose eines Oarcinoms des Colon ascendens führte. Bei der Er¬ 
öffnung des Leibes zeigte sich, dass das Coecum der Sitz war, was bei der 
erwähnten Beweglichkeit des Tumors auffallen musste. Die Hauptschwierigkeit 
des Zusammenfügens von Dünndarm und Dickdarm besteht bekanntlich in dem 
verschiedenen Umfange beider Darmabschnitte. Man kann diese Schwierigkeit 
überwinden einmal dadurch, dass man den Dünndarm nicht gerade, sondern 
schräg abschneidet, oder zweitens dadurch, dass man die Nähte am Dünndarm 
dichter legt als am Dickdarm. Herr Küster benutzte beide Wege. Das 
vorgelegte Präparat stellt nicht das ganze exstirpirte Darmstück dar, weil 
Vortragender nachträglich noch ein Stück des Dickdarms abschneidon musste, 
um zweifellos gesunde Darmenden mit einander zu vernähen. 

Vortragender hat bisher drei Carcinoino der Bau hin’sehen Klappe 
operirt, von denen die beiden ersten Fälle unglücklich ausliefen. Der erste, 
vor 10 Jahren operirte Patient ging an septischer Peritonitis zu Grunde, 
der zweite, dem es die ersten Tage nach der Operation ganz ausgezeichnet 
ging, an einer Perforationsperitonitis; bei der Section des letzteren Falles 
ergab sich, dass ein ganz schmaler Rand des genähten Darms nekrotisch ge¬ 
worden war. Es scheint, als ob Carcinome der Bauhin’schen Klappe 
häufiger sind, als Carcinome der übrigen Theile des Colon, wenn man das 
S romanum ausnimmt. Ein Carcinom des Colon transversum operirte Herr 
Küster im vorigen Jahre. Dieser Fall betraf ein 22jähriges Mädchen, das 
l 1 /* Jahre nach der Operation geheilt blieb und sich eines guten Wohl¬ 
befindens erfreute. Nach dieser Frist trat ein Recidiv auf. Es ist dies 
immerhin, bei dem weit vorgeschrittenen Carcinom, als ein sehr gutes Re¬ 
sultat zu bezeichnen. — Die drei Patienten, von denen die vorgelegten 
Präparate stammen, sind alle bei gutem Wohlbefinden. Von Interesse dürfte 
es sein zu beobachten, wie sich bei dem letztbeschriebenen Falle nach Ausschal¬ 
tung der Bauhin’schen Klappe die Verdauungsverhältnisse gestalten werden. 

4. Herr Höltzke: Zar Behandlung einiger hfiuflg verkommenden 
Bindehauterkrankungen. Die häufigste Erkrankung der Bindehaut ist die 
Conjunctivitis simplex oder catarrhalis. Als souveränes Mittel bei derselben 
hat sich das Argentum nitricum erwiesen, nicht als Tropfwasser, sondern in 
der von Graefe angegebenen Form des Pinselwassers. Dieselbe Therapie 
hat Platz zu greifen bei dem chronischen Katarrh, sofern derselbe mit Er¬ 
höhung der Schleimsocretion einhergeht. Findet man bei letzterer Erkrankung 
die Secretion mässig, zeigt sich die Bindehaut nur mehr oder weniger schmutzig 
verfärbt und geröthet und das bekannte sammetartige Aussehen der Membran, 
so ist das Zincum sulfuricum 0,5:60,0 am Platze. Bei den leichteren Fällen 
von chronischem Katarrh, die mit verhältnissmässig starker Hyperämie der 
Uebergangsfalte einhergehen, wo die papillarc Wucherung nicht so deutlich 
ausgesprochen ist, kommt man mit der Horner’scheu Bleisalbe leichter zum 
Ziel. Manche Fälle von Katarrh bei jugendlichen Individuen lassen sich am 
schnellsten durch Calomel beseitigen. 

Vorsichtiger in der Prognose, als bei den oben genannten, relativ 
harmlosen Erkrankungen, muss man bei den verschiedenen Formen der 
folliculären Bindehautentzündung sein. Dieselbe zerfällt in zwei Gruppen: 
das Trachom und den folliculären Katarrh. Das Trachom charakterisirt sich 
bekanntlich durch die Einlagerung sulziger Körner in die Bindehaut, die im 
weiteien Verlauf der Erkrankung entweder zu Sklerosirung oder zu Er¬ 
weichung führen, jedesmal aber zu Narbenbildung der Conjunctiva, 
wenn keine Behandlung Platz greift. Der bei Trachom so häpfig als 
Begleiterscheinung auftretende Pannus ist nach Röhl mann nicht als ab- 


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994 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48 


hängig zu betrachten von der Erkrankung der Bindehaut, sondern stellt 
ein Trachom der obersten Hornhautschicht dar. — In allen ausge¬ 
prägten Fällen, die mit starker Secretion und Thränen einhergehen, ist 
das Touchiren mit Argentum nitricum am Platze. Hat man damit die Se¬ 
cretion eingeschränkt, hat das Thränen nachgelassen, und haben die Granu- 
ationen nicht mehr das succulente Aussehen, so ist es Zeit, zum Cuprum 
sulfuricum überzugehen. Diese Therapie wird durch Complicationen seitens 
der Hornhaut nicht contraindicirt. Neben dieser älteren Therapie ist in 
neuerer Zeit gegen das Trachom die mechanische Entfernung der Körner 
durch Auspressen, Auskratzen oder Excision kleinerer Schleimhautfalten, 
sowie durch Glühhitze empfohlen worden. Letztere Operation ist bei An¬ 
wendung von Cocain nicht schmerzhaft und frei von unbequemen Reactionen. 
In den älteren Fällen von Trachom, die mit Pannus complicirt sind, muss 
sich die Therapie in erster Linie gegen die Hornhauterkrankung richten. 
Schweigger empfiehlt, in solchen Fällen den Spray von einer l°/ 0 igen 
Cuprum sulfuricum-Lösung einige Minuten auf die Hornhaut einwirken zu 
lassen. Vortr. hat in solchen Fällen sehr gute Wirkung von Jodoform, in 
Pulverform oder in Form einer Salbe applicirt, gesehen. Es ist aber zu 
betonen, dass, sobald noch sulzige Infiltrationen vorhanden sind, diese The¬ 
rapie contraindicirt ist. 

Beim folliculären Katarrh, namentlich den reinen Fällen, wie sie häufig 
epidemisch auftreten, ist eine ganz milde Behandlung angezeigt. Es genügt 
häufig, die Erkrankteu das Klima, die Wohnung wechseln zu lassen. Sehr 
gute Erfolge hat Vortr. auch von der Horner’schen Bleisalbe gesehen, so¬ 
wie vom Calomel. Förster hat neuerdings die Anwendung einer 4%igeu 
Boraxlösung empfohlen. 

Herr Korn wendet bei Trachom die Methode von Samelsohn, jedes 
einzelne Körnchen anzustechen, mit der Modification an, dass er ein gabel¬ 
förmiges Instrument gebraucht, welches gestattet, drei bis vier Körnchen auf 
einmal anzustechen. 


XI. Naturwissenschaftlich-medicinisclier 
Verein in Strassburg i. E. 

Medicinische Section. 

Sitzung am 1. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Schwalbe; Schriftführer: Herr Kuhn. 

1. Herr J. StiHing spricht über die Abhängigkeit der 
Myopie vom Schädelbau. Die Chamäprosopie disponirt zur 
Myopie, die Leptoprosopie zur Hypermelropie. Die Myopie ist eine 
entschiedene Rassenfrage, indem die Breitgesichtigkeit bei der einen 
Rasse, die Langgesiehtigkeit bei der anderen überwiegend vorkommt. 

2. Herr Naunyn macht auf ein bereits in der Dissertation von 
Valentini (Königsberg) erwähntes Vorkommniss aufmerksam. Bei 
subcutanen Injectionen löslicher Eisensalze, welche das Eiweiss 
nicht gerinnen machen (Ferr. pyrophosphor. c. Natr. oitr.), in höchst 
geringer Menge (entsprechend einer Eisenmenge von 0,25—0,5 mg) 
findet man bei kleinen Schildkröten (Emvs europaea) vollkommen 
deutliche diffuse Eisenreaction (Blaufärbung mit Fe Cy Kao und 
C1H) der Endothelien, der feineren Milzarterien, während nir¬ 
gend sonst in den Organen bei so geringen Dosen Spuren von dem 
eingeführten Eisen zu finden sind. 

Naunyn deutet darauf hin, dass diese Affinität des Eisens 
zu den genannten Zellen in der Milz vielleicht mit der Bedeutung 
im Zusammenhang gebracht werden könne, welche nach Alex. 
Schmidt das Milzparenchym für die Bildung von Haemoglobin be¬ 
sitzt (Dorpater Dissertation von Schwarz 1888). Naunyn demon- 
strirt die betreffenden mikroskopischen Präparate. 

Sitzung am 22. Juni 1888. 

Vorsitzender: Herr Schwalbe; Schriftführer: Herr Kuhn. 

Herr v. Recklinghausen spricht über leukämische Erkran¬ 
kungen und ihre Beziehungen zu Haut- und Herzaffectionen. 
Der Vortragende hat jüngst einen Fall beobachtet, der dem von ihm 
auf der Strassburger Naturforscherversammlung (1885) besprochenen 
Fall von Chloroin (Chlorolymphom) in vielen Beziehungen glich: 
erbsgrüne, vergrösserte Lymphdrüsen waren am Hals und der Wirbel¬ 
säule, grüne Färbung des Knochenmarks, der Schädel-, Wirbel-, 
Oberarm- und Oberschenkelknochen, eine Vergrösserung der Milz 
bis auf 375 g Gewicht und an ihr ein grünlicher Stich bei hell- 
rother Farbe zu erkennen; ausserdem enthielt die stark vergrösserte 
Tousille einen aufgebrochenen nekrotischen Herd mit bräunlicher, 
blutig infiltrirter Wand, während die umgebenden Weichtheile bis 
tief in die Gaumenmuskeln hinein, ebenso wie die andere Tonsille 
wiederum eine tief erbsgrüne Färbung darboten; endlich fanden sich 
zahlreiche Purpuralflecke an der äusseren Haut der Extremitäten 
und grössere hämorrhagische Infiltrationen an dem Zahnfleisch und 
der Schleimhaut beider Nasen- und Oberkieferhöhlen, zahllose Ecchy- 
inosen des Peri- und oberflächlichen Myocardium, der Lungen, der 
Darmschleimhaut, allgemeiner Blutmangel. 

Die Krankheit war unter dem Bilde einer skorbutischeu Affec- 
tion verlaufen, wiederholte Blutungen hatten aus der Nasen- und 
Rachenschleimhaut, stattgefunden, die erste Blutung 6 Tage vor dem 
Tode bei Gelegenheit eines, auf die Nase des 18jährigen kräftig ge¬ 
bauten Mannes geführten Faustschlages. 


In allen erbsgrün gefärbten Geweben, wie auch in den speck¬ 
häutigen Gerinnseln der Herzhöhlen war nicht nur eine reichliche, 
sondern durchweg die dichteste Anhäufung von Leukocyten, welche 
sich durch ihre beträchtliche Grösse und die gleichmässige. körnige 
Beschaffenheit ihres Protoplasmas auszeichneten; in den Ly mph- 
drüsen, wo sie die Grösse und Form sogen, epithelioider Zellen er¬ 
reichten, füllten sie dicht gedrängt die Lymphsinus und Lyraph- 
bahnen aus. Irgend ein besonderer Farbstoff, welcher die grüne 
Farbe veranlasst hätte, konnte nirgends nachgewiesen werden, eben¬ 
so wenig wie irgend eine Degeneration oder ein Zerfall des Gewebes; 
nur extravasirtes Blut und in einzelnen Lymphdrüsen goldgelbes 
Pigment innerhalb sehr grosser ramificirter Zellen (Endothelzellen 
der Lymphbahnen). Charcot’s Krystalle, die in dem früheren 
Falle vorhanden, fehlten gänzlich, bildeten sich auch nicht beim 
Zuwarten aus; auch wurde nach Bacterien mitten in den lympho¬ 
matösen Geweben, ebenso wie nach Monas globulus, dessen An¬ 
wesenheit Klebs für pernieiöse Anämie angegeben hat, vergeblich 
gesucht. 

Musste demnach die Diagnose in diesem Falle auf acute Anämie 
und Leukocytose lauten, so dürfte ihn der Beobachter andererseits 
auch, wie den früheren Fall, zu den leukämischen, bezüglich zu den 
pseudoleukämischen Affectionen rechnen — eine Auffassung, welche 
durch die Untersuchungen, die Woldstein in seinem ganz analogen 
Fall von Chlorolymphom am Blute des Lebenden wiederholt aus¬ 
geführt hat, auf’s Beste unterstützt wird. 

So wie nun eine andere, am hiesigen Orte uicht seltene und hier 
zuerst beschriebene (Rustizky) Affection, die Bildung multipler 
Myelome der Knochen, mit der Pseudoleukämie oder der malignen 
Lymphomatöse in eine nahe Beziehung gebracht worden ist (Zahn), 
so versuchte der Vortragende, eine ähnliche Stellung einem auf der 
hiesigen Klinik für Hautkrankheiten durch längere Zeit von Herrn 
Prof. Wolff beobachteten und alsdann anatomisch untersuchten Falle 
von Lichen ruber zuzuweisen. Das Exanthem hatte die Eigenschaften 
des richtigen Lichen ruber acuminosus (Hebra) dargeboten und 
sich über die ganze äussere Haut des ganzen Körpers mit Ausnahme 
der Volar- und Plantarflächen ausgebreitet. Nicht nur waren die 
Lymphdrüsen der Achsel-, Weichen-, und Unterkiefergegend be¬ 
trächtlich (bis zur Grösse eines Hühnereis) vergrössert — in Folge 
einer Wucherung der endothelialen Zellen ihrer Lymphbahnen — 
sondern auch die Milz hatte das 3fache Volumen erreicht, war 
365 g schwer, und das Knochenmark der 45jährigen Frau, die 
wiederholt geboren hatte, befand sich im Zustande des rothen Markes 
und derjenigen Hyperplasie (grosse Rundzellen und reichliche volu¬ 
minöse Osteoklasten), wie sie bei der Gruppe von leukämischen 
Affectionen nachweislich vorhanden ist. Freilich wurden in zwei 
inguinalen Lymphdrüsen erbsengrosse Heerde aufgefunden, deren 
Ursprung aber von den an den Zehen vorhandenen Schrunden und 
chronischen Ulcerationen hergeleitet werden dürfte. 

In derselben Hinsicht war aber der mikroskopische Befund des 
Lichen von grösstem Interesse, indem sich alle Knötchen als ex¬ 
quisite Lymphome darstellten, die im Stratum papillare und sub- 
papillare des Corium aufgetreten waren, oft confluirende Heerdchen 
bildeten, aber auch säulenartig nebeneinander standen und sich 
längs der Gefässseheiden und „Fettsäulen“ durch das Stratum reti- 
culare bis in das Unterhautgewebe fortsetzten. Eine Vermehrung 
der Oberhautzellen (Crocker), eine Abhebung der Deckschicht an 
den gekratzten Stellen, hyaline Cylinder in den Schweissgängen und 
eine Wucherung des Epithels der Knäueldrüsen und Haarfollikel 
(Normann) Hess sich nur vereinzelt nachweisen; auch wurden 
nur stellenweise in den kleinen subcutanen Venen leukocytenreiche. 
selteu hyalintragende Thromben aufgefunden; nicht die hyalinen 
Verstopfungen der Blutcapillaren der Papillen, wie sie Biadecki 
innerhalb der Lichenknötchen beobachtete. 

Die lymphomatösen Ablagerungen in der lichenösen Haut waren 
nun in jeder Beziehung, nämlich in der Anordnung und in der 
Form der Leukocyten, namentlich auch wegen des Mangels jeder 
Degeneration gänzlich der äusseren Haut gleich zu erachten, welche 
Recklinghausen in Würzburg der Leiche eines richtigen Leu- 
kämikers, eines Patienten des Dr. Kliuger, der das Kommen und 
rasche Schwinden derselben bei Lebzeiten hatte verfolgen können, 
entnommen hatte und es heute in mikroskopischen Präparaten zum 
Vergleich vorlegen konnte. Lieferte diese Identität der Structuren 
und des Verlaufs der leukämischen und der lichenösen Lymphome 
der Haut einen weiteren Anhalt, um auch den vorliegenden Lichen 
ruber zu der Gruppe der leukämischen und pseudoleukämischen 
Processe zu rechnen, so war freilich eine Vermehrung der farblosen 
Blutkörperchen an dem Leichenblute des Falles von Lichen nicht 
mehr über allen Zweifel zu erheben, dagegen kam eine derartige 
Blutveränderung wohl darin zum Ausdruck, dass erstens die Thromben 
der Hautvenen fast ganz aus Leukocyten bestanden, dass zweitens 
eine grossartige und sehr eigentümliche Thrombenbildung des linken, 
von Endo- und Myocarditis ganz freien Herzens ausgebildet war. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


995 


29. November. 


Von der Spitze her war nämlich die Seitenwand des linken Ventrikels 
in ihrer ganzen Länge mit einem äusserst derben, weisslichen bis 
zu 1,5 cm dicken, wenig geschichteten Thrombus bekleidet, welcher 
die Trabekel und Papillarmuskelu förmlich einmauerte, ohne die 
kugeligen Prominenzen der gewöhnlichen globösen Herzpolypen in 
die Herzhöhle hinein zu bilden. Auch diese Thromben waren an 
Leukocvten sehr reich, enthielten aber auch hyalines Fibrin. Ver¬ 
suche, diese Leukocvten mit Anilinfarben zu tingiren, um die in 
neuerer Zeit beliebten Arten, etwa Leukoblasten und Erythoblasten 
unterscheiden zu können, hatten keinen Erfolg an den Herzthromben 
ebensowenig wie in dem Knochenmark der geschilderten Fälle. 

Bei dem ersterwähnten Falle von Chlorolymphomen waren im 
Herzen keine Thromben, wohl aber zahllose Ecchymosen im Myo- 
und Pericardium, namentlich in der Nachbarschaft miliarer, in den 
Bindegewebsscheiden kleiner Blutgefässe, gelegener Lymphome nach¬ 
zuweisen. 


XII. K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 


ohrschleimhaut nachzuweisen. Auch die sogenannte paradoxe Reaction, die 
ausnahmslos nur bei solchen Fällen auftritt, wo durch sehr geringe Strom¬ 
stärke Klangempfindung ausgelöst werden kann, erklärt sich in der Weise, 
dass der Leitungswiderstand so bedeutend herabgesetzt ist, dass, ähnlich 
wie normaliter beim Auge, von jeder Stelle des Kopfes Stromschleifen zum 
Acusticus gelangen. Die versuchte Messung der Widerstände au der Leiche 
führte zu keinem Resultat, weil der Fäulnissvorgang die Leistungsfähigkeit 
in hohem Grade verstärkt, und eine isolirte Prüfung des Acusticus, wegen 
seiner anatomischen Lagerung im Tractus acusticus internus, neben dem Fa¬ 
cialis, unmöglich ist. 

Herr Benedikt verweist auf die in seinem Buche bereits vor 20 Jahren 
gegebenen Erklärung, nach welcher die tiefe Lage und die anatomisch phy¬ 
siologisch ungünstigen Verhältnisse des Acusticus Schuld seien, dass die 
Reizungen dieses Nerven unsichere Resultate liefern. Auch hat er als Grund, 
warum bei Kranken leichter Reaction eintritt, auf Schwellung und Exsudatiou 
im Mittelohr aufmerksam gemacht. Die Angabe, dass man nur höchst aus¬ 
nahmsweise bei gesunden Ohren Reaction erziele, bestreitet Redner auf 
Grundlage zahlreicher Erfahrungen. In seinen Vorlesungen sei es ihm stets 
gelungen, aus den gerade anwesenden Ambulanten und gesunden Leuten 
einzelne Individuen herauszufinden, welche Reaciion zeigten. M. 


Sitzung am 25. October 1888. 

Vorsitzender: Herr v. Dittel: Schriftführer: Herr Schustler. 

1. Herr Mosetig stellt eine Frau vor, welche mit einein das ganze Becken 
ausfüllenden, nach oben bis 2 Finger unter den Nabel reichenden Tumor 
auf seine Abtheilung kam. Es handelte sich um ein Myoflbrom des Uterus. 
Bei der Laparotomie zeigten sich die Veihältuisse für die Operation un¬ 
günstig, weshalb Redner die Bauchhöhle schloss, ohne den Tumor zu cxstir- 
piren. Zum grössten Erstaunen des Vortragenden besserte sich das Be¬ 
finden der Patientin zusehends, und der Tumor verkleinerte sich vou Tag 
zu Tag. so dass der vor 3 Wochen kopfgrosse Tumor jetzt kaum die Grösse 
einer Faust hat. lieber den Grund der Verkleinerung der Geschwulst lässt 
sich nichts bestimmtes sagen, vielleicht hat die während der Untersuchung 
derselben eingetretene Hyperämie dazu beigetrageu. 

2. Herr J. Po Hak: Ueber die elektrische Erregbarkeit der Hör¬ 
nerven. Die Angabe Brenner’s, dass jeder Hörnerv auf elektrischen 
Reiz mit einer Klangempfindung antworte, ist von vielen Autoren bestätigt, 
von vielen anderen angezweifelt wordeu. Das Ergebniss der Untersuchung 
über diesen Gegenstand, die Po Hak in Gemeinschaft mit Gärtner ange¬ 
stellt. hat, ist folgendes: 1) Der Hörnerv des gesunden Ohres- reagirt auf 
Ströme mittlerer Stärke (15 M. A) fast ausnahmslos nicht. 2) Bei entzünd¬ 
lichen Erkrankungen des Mittelohres, insbesondere bei den secretorischen 
Formen, tritt Reaction auf, und zwar schon bei Strömen, die weit unter der 
angegebenen Grenze sich befinden. Der Grund, warum nicht schon von den 
früheren Untersuchern übereinstimmende Resultate erzielt worden sind, liegt 
erstens darin, dass dieselben die Frage nicht präcisirt haben. Man darf 
eben nicht fragen, reagirt der Acusticus überhaupt auf den elektrischen 
Strom, man muss vielmehr die Frage dahin präcisiren, antwortet der Acusticus 
auf Ströme von ganz bestimmter maximaler Intensität? Ferner war die von 
den früheren Untersuchern angewandte Methode ungenügend, sie liess eine 
genaue Messung der Ströme nicht zu und war mit schweren Unannehmlich¬ 
keiten für den Untersuchten (Ohnmacht, Erbrechen, Schwindel, Schmerzen) 
verbunden. Der von Gärtner erfundene elektrodiagnostische Apparat er¬ 
möglicht nicht nur eine genaue Messung der angewandten Ströme, sondern 
führt auch die erwähnten Uebelstände nicht mit sich. Das Wesen dieses Appa¬ 
rates besteht in einem Pendelschlüssel, der einen Stromschluss von nur 
einer '/a" gestattet, und einem genau geaichten Galvanometer. Die Reize¬ 
lektrode wird an den Tragus, die indifferente an den Arm befestigt. Die 
Untersuchung normaler Gehörorgane ergab mit Ausnahme eines Falles nega¬ 
tive Resultate. Es waren fast ausnahmslos Mittelohrerkrankungen, insbe¬ 
sondere mit reichlicher Secretion verlaufende Formen, bei denen es gelang, 
auf galvanischen Reiz Klangempfindung auszulösen. 

Was die Erklärung der gefundenen Thatsacheu anlangt, so weisen Pollak 
und Gärtner nach, dass die von Brenner aufgestellte Hypothese des 
Reizhungers unhaltbar sei. Nach Brenner musste man annehmeu, dass 
der Hörnerv fast aller am Mittelohr Erkrankten hyperästhetisch wäre, und 
man musste schliessen, dass der Hörnerv des an Mittelohrkatarrh Leidenden 
um mehr als das 30 fache empfindlicher wäre als der des gesunden Ohres. 
Erb sprach daher nur mehr von einem elektrischen Reizhunger. 

Pollak und Gärtner stellen eine andere Hypothese auf, die auf 
physikalischer Grundlage beruht. Die Endigungen des Acusticus sind in 
einer knöchernen Kapsel eingeschlossen, die 2 Fenster besitzt, welche durch 
Membranen verschlossen sind. Sowohl die Knochen als auch die Membranen 
sind schlechte Leiter der Elektricität, der Acusticus selbst ist zwar ein guter 
Leiter, er wird aber von Stromschleifen, so lange die Isolimng der Endi¬ 
gungen des Acusticus intact ist, nicht getroffen werden können. Dies er¬ 
klärt ausreichend die Thatsache, dass der Acusticus des normalen Ohres 
ebeuso wenig durch den galvanischen Strom erregbar ist, als audere tief 
liegende sensitive Nerven, in denen wegen ihrer tiefen Lage die Stromdichte 
eine zu geringe ist. Ist aber der isolirende Ueberzug des Acusticus durch¬ 
brochen, sei es, dass der Knochen hyperämisch ist, oder dass Secrete im 
Miltelohr angesammclt und die Membranen ihres Epithels beraubt sind, so 
wird ein viel grösserer Stromantheil zum Acusticus gelangen können. Dies 
erklärt ausreichend die Thatsache, warum der Acusticus bei entzündlichen 
Gehörorganen schon durch schwache galvanische Ströme erregbar, weil in 
diesem Falle die Leistungsfähigkeit ihren höchsten Grad erreicht hat. Dass 
man bei manchen Fällen von sclerosirender Mittelohrentzündung auch gal¬ 
vanische Reaction antrifft, widerspricht nur scheinbar der Hypothese. Wie 
an anderen Orten, z. B. an der Haut, reichen ganz oberflächliche anatomische 
Veränderungen aus, um die Leitungsfähigkeit derselben in hohem Grade zu 
verstärken. In allen Fällen von sclerosirender Mittelohrentzündung, wo der 
Versuch positiv ausgefallen ist, war eine bedeutende Hyperämie der Mittel¬ 


Xm. Erster Congress der Italienischen Gesell¬ 
schaft für innere Medicin zu Rom. 

(Originalbericht.) 

(Schluss aus No. 45.) 

10. Fenoglio (Cagliari) demonstrirt mikroskopische Präparate eines Falles 
von Polymyositis, der mit Schmerzen, leichten Atrophieen in verschiedenen 
Muskelgruppen und zeitweisen Oedemen verlief. In einem Präparate aus 
dem Deltoides sieht, man sowohl zwischen den Muskelfasern wie im Innern 
derselben die entzündliche Exsudation. Im Innern der Muskelfasern treten 
Vacuolen auf, die durch seröse Imbibition der Substanz der Muskelfaser 
selbst erzeugt werden (Atrophia serosa des Autors). 

11. Cardarelli (Neapel) beschreibt eine bei kleinen Kindern von ihm 
häufig beobachtete Form von Pseudoleukämle, die mit in unregelmässigen 
Intervallen Jahre hindurch auftretendem Fieber, progredienter Caehexie, 
hartem Milztumor verbunden ist. Die Differentialdiagnose zwischen Malaria 
und der genannten Krankheit ist oft nicht leicht. In einem Falle exstirpirte 
d’Antona (Neapel) mit Glück die Milz; das Fieber verschwand, das Kind 
besserte sich erheblich. In der Milz fand sich ein dem Typhusbacillus 
ähnliches Gebilde. 

Feletti (Catania) sah bei chronischem Malariamilzturaor vou dem 
Einstossen langer Nadeln in die Milz und Befestigen derselben Erfolg, 
Fazio (Neapel) hingegen vou Chinininjectionen in das Milzparenchym. 

12. Giuffre (Palermo) experimentirte au Hunden über die Fort- 
leitung der Flüsterstlmine durch endopleürale Flüssigkeiten, indem 
er den Thieren ein Rohr in der Trachea befestigte, durch welches gesprochen 
wurde, und indem er während des Sprechens über der Pleurahöhle, die mit 
verschiedenen Flüssigkeiten gefüllt wurde, auscultirte. Bei der Fortleitung 
des Schalles kommen nach den Versuchen folgende Punkte in Betracht: 
1) Dichtigkeitszustand der Lunge; 2) Schwingungsvermögen der Thorax wand; 
3) pleuritische Adhäsion; 4) Quantität und Qualität der Flüssigkeit. 

Baccelli (Rom) bemerkt dazu, dass er diese Bedingungen schon selbst 
aufgestellt hat, dass dieselben aber nicht im Stande sind, die allgemeinen 
durch die klinische Erfahrung immer wieder bestätigten Regeln hinsichtlich 
des Verhaltens der Flüsterstimme bei der Auscultation pleuritischer Exsudate 
zu entkräften. 

13. Riva (Parma) entdeckte in dem menschlichen Darm grosse 
Quantitäten einer von ihm Bilinogen genannten Substanz, welche bei der 
Behandlung mit Säuren, ferner unter dem Einflüsse des Lichtes etc. Uro¬ 
bilin bildet. 

14. Petteruti (Neapel) fand in Fällen von Pleuritisadhäsion der 
Spitzen und des vorderen Randes ein in leichten Blasenerscheinungen be¬ 
stehendes respiratorisches Phänomen, welches mit der Herzsystole zusammen¬ 
fällt: Exspiratio systollca. 

Aus den weiteren Verhandlungen heben wir noch Folgendes hervor: 
Bianchi (Florenz) beschäftigte sich mit Oesophagus- und Magenaus- 
cultationen, welche während der Magenausspülungeu vorgenommen wurden. 
Testi gab mit Erfolg Thymol innerlich bei Typhus. Gualdi (Rom) 
empfiehlt Phenol bei Neuralgieen; ferner wendet er mit Erfolg In- 
jectionen von Phenol in öliger Lösung bei Tuberculösen an. March iafava 
(Rom) hält dafür, dass das Plasmodium der Malaria direct das rothe 
Blutkörperchen angreift und dessen Hämoglobin in Melanin umwandelt. Die 
Theorie von der 0rigo splenica der Melanäraio wäre damit umgestossen. 
Mosso (Turin) referirt über seine bekannten Versuche, die sich auf die 
Degeneration der Blutkörperchen beziehen. Marchiafava spricht über die 
Unterscheidungsmerkmale der Plasmodien und der Degenerationsproducte. 
Patella (Pavia) beschreibt zwei Fälle von Weil’scher Krankheit mit Icterus, 
Prostration, Lenden- und Wadenschmerz. Serafini (Neapel) fand bei einer 
Epidemie von Pneumonie, primärer Pleuritis, Meningitis stets den A. Fränkel- 
schen Organismus. Vizioli (Neapel) demonstrirt an einer jungen Person 
die Erscheinungen des grossen Hypnotismus. Marconi legt einen verbesserten 
Apparat zur Ausspülung der Pleurahöhle vor. Sonzino berichtet von einem 
Anchylostomiasisfall, der mit Thymol geheilt wurde. 

Bei Schluss des Congresses wurde Rom zum permanenten Sitz des 
Congresses erwählt. In geheimer Abstimmung wird sodann das vorbereitende 
Comite für den Congress des nächsten Jahres gewählt. Dasselbe besteht 
aus den Herren Baccelli (Rom), Bozzolo (Turin), Cantani (Neapel), 
Cardarelli (Neapel), de Renzi (Neapel), de Gio vanni (Padua), Federici 
Florenz), Galassi (Rom), Maragliano (Genua), Murri (Bologna), Riva 
Parma), Rossoni (Rom), Senise, Silvestrini, Tomaselli (Catania). 

_ Pensuti (Rom). 


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996 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHREPT. 


No. 48 


XIV. Journal-Revue. 

Chirurgie. 

7. 

Julius Wolff. Ueber Urauoplastik und Staphylor- 
rhaphie im frühen Kindesalter. Langenbeck’s Arch. B. XXXVI 
Heft 4. 

Wie verschieden die Chirurgen zu verschiedenen Zeiten über 
den Werth der Operationen urtheilten, welche deu Verschluss der 
angeborenen Gaumenspalte bezweckten, schildert Wolff ausführlich 
in der Einleitung seiner Arbeit, deren Aufgabe es sein soll, den 
Ausspruch Trelat’s aus dem Jahre 1884, dass derartige Operationen 
„gefährlich, unsicher im Erfolge und nutzlos“ seien, zu Schanden 
zu machen. Was zunächst die Gaumenplastik gefährlich mache, 
die Blutung bei der Operation und die mangelhafte Ernährung kurz 
nach derselben, bekämpft Verfasser, wie ihm dünkt, vollkommen, 
das Eine durch seine minutenlange Wundcompression. das Andere 
durch seine Ausspülungen der Mund-, Rachen- und Nasenhöhle bei 
herabhängendem Kopfe; denn die Schmerzhaftigkeit beim Schlucken 
und der Ekel gegen die Nahrung schreibe sich hauptsächlich von 
der Ansammlung des Schleimes und Eiters auf dem Gaumen und 
von dem Zungenbeläge her. Unter den 29 innerhalb der letzten 2 3 /4 
Jahre von Wolff operirten Patienten befanden sich 18 im Alter 
von V 12 bis 5 Jahren, davon starben an der Operation nur zwei 
schlecht genährte Kinder von 3 und 4 Monaten, demnach könne 
man die Operation nicht mehr gefährlich nennen. Auch sei der 
Erfolg gewissermaassen sicher; denn unter den 16 überlebenden 
Kindern sind 13 völlig, 1 unvollkommen und 2 nicht geheilt, von 
den 13 geheilten sind 8 nur einmal, 4 zweimal und 1 dreimal 
operirt worden. Diese Sicherheit im Erfolge sei erreichbar bei 
furchtloser Anwendung der Chloroformnarkose und bequemer Lage¬ 
rung der Patienten bei herabhäugendem Kopfe. Noch sicherer hofft 
Wolff den Erfolg in Zukunft dadurch zu gestalten, dass er in zwei 
Zeiten operirt. d. h. zunächst nur die beiden Gaumenbrücken ablöst 
und erst 5—8 Tage später die Spaltränder wund macht und zusammen¬ 
näht. Uranoplastik und Staphylorrhaphie müssen stets zugleich in 
einer Sitzung erfolgen. Bei dieser Methode dürfe man getrost 
das Operationsalter auf 10 Monate herabsetzen. Zuletzt die Vor¬ 
theile einer frühzeitigen Operation erblickt Wolff in der Sprach- 
verbesserung, er hat schon 6 Patienten aufzuweisen, einen von 22 
Jahren, 5 von 4 bis 8 Jahren, welche nach der Gaumenplastik ohne 
Obturator mit wohlklingender Stimme sprechen, und zwar wurde 
dieses Resultat nach eiuem mehrmonatlichen, durch einen Taub¬ 
stummenlehrer ertheilten Unterrichte erreicht.. Die sonstigen Vor¬ 
theile, welche die Herstellung eines künstlichen Gaumens biete, be¬ 
stehen darin, dass die Nase von der Mundhöhle geschieden sei, die 
staubige Luft nicht geradeswegs in den Kehlkopf gelange, die oft 
vorhandenen Gehörsstörungen verschwinden, und zuletzt übe das 
Bewusstsein, gleich andereu Mitmenschen einen Gaumen zu besitzen, 
auf die Patienten psychisch einen hervorragenden Einfluss aus. 

Wölfler. Zur mechanischen Behandlung des Erysipels. 
Mittheilungen des Vereins der Aerzte in Steiermark. 

Gegen die Ausbreitung des Erysipels hatte sich nach der Mit¬ 
theilung Otto’s aus dem von Gersuny geleiteten Krankenhause ein 
einfaches, dem Princip nach schon älteres Verfahren erfolgreich er- 
wieseu: eine kurze Spanne entfernt von der Röthungsgrenze wurde 
die Haut mit Leinölfirniss überzogen, mit Firnisspapier bedeckt und 
mit einer Binde umwickelt. Wölfler modificirte dieses Verfahren, 
indem er statt des Firniss zunächst Traumaticin (in 15 Fällen), 
später einen daumenbreiten Heftpflasterstreifen (in 4 Fällen) wählte, 
an welchem das Erysipel nach 1-2 Tagen Halt machte. Eine ge¬ 
nügende Erklärung dieser werthvollen Erfahrung vermag Wölfler 
nicht zu geben. Seiner Mittheilung schickt Verf. die Geschichte der 
Erysipeltherapie voraus. Morian (Essen). 

Paul Niehaus. Zur Behandlung der Wanderniere. 
Centralbl. f. Chirurgie No. 12. 

Der Autor ist der Ansicht, dass bei der Wanderniere — abge¬ 
sehen von der heute wohl kaum mehr unternommenen Nephrectomie 
— auch die Anheftungsmethode keine ermunternden Resultate 
liefere, und beschränkt sich nur auf eine entsprechende Bandage, 
die Niere zu fixiren. Er verwendet einen Apparat, welcher im 
Becken seine Stütze findet, nicht im Rücken. Derselbe ist we¬ 
sentlich ein doppeltes Bruchband, an dessen einer Seite ein 
federnder Stahlbügel zu der Nierengegend empor steigt. Ara Ende 
desselben befindet sich in einem Kugelgelenk eine drehbare Pelotte, 
welche ihrerseits noch mit einem Gurte um den Leib befestigt wird. 
Der Apparat wird im Liegen angelegt und Abends entfernt Bei 
einer Patientin, bei der dieser Apparat angewendet wurde, war der 
Erfolg ein augenblicklicher und eclatanter; Schmerzen hörten auf, 
die Verdauung wurde gut, die Gemüthsstimmung heiter. Niehaus 
glaubt daher, den Apparat empfehlen zu dürfen. 


Thiriar. De l’importance du dosage quotidien de 
l’uree en Chirurgie abdominale, Congres franQ. de Chirurgie 
II. Session. 

Der Autor giebt für die Diagnostik der Bauchgeschwülste ein 
Merkmal an, welches, wenn es sich bestätigen sollte, die Erkennung 
dieser Krankheiten in hohem Maasse fördern würde. Wenn ein Pa¬ 
tient ohne wesentliche Aenderung seiner gewöhnlichen Lebensweise — 
vorausgesetzt, dass er frei von Leiden der Nieren, Lungen etc. und frei 
von Fieber ist - in 24 Stunden weniger als 12 g Harnstoff meh¬ 
rere Tage hindurch ausscheide, so spreche das für einen malignen 
Tumor der Bauchhöhle; werde hingegen constant über 12 g ausge¬ 
schieden, so handle es sich um einen gutartigen Tumor. Der Autor 
stützt sich zur Bestätigung dieser Ansicht auf neun Beobachtungen. 
In einigen Fällen, wo die sonstigen Symptome auf ein bösartiges 
Leiden deuteten, war die Harnstoffausscheidung 19—29 g täglich, 
und die Annahme eines längeren Leidens wurde durch die Ope¬ 
ration resp. Section bestätigt. In vier anderen Fällen wurde ur¬ 
sprünglich eine Ovarialcyste angenommen; da aber die ü-menge 
täglich durchschnittlich nur 4,34—9,5 g betrug, schloss Thiriar 
auf eine Malignität (Carcinom), welcher Schluss sich in der That 
bewahrheitete. 

Zielewicz. Die Cholecystotomie mit Unterbindung 
des Ductus cysticus. Centralbl. f. Chirurg. No. 13. 

Eine 47 jährige Frau mit ikterischer Gesichtsfarbe klagt über 
Schmerzen in der Lebergegend und im Kreuz. Drei Finger breit 
unterhalb der Leber fühlt man eine faustgrosse, elastische, mit dem 
Peritoneum nicht verwachsene Geschwulst. Die Pravaz’sche 
Spritze ergab einen Inhalt aus eitrig-galliger, keine Gallensäuren ent¬ 
haltender Flüssigkeit. 

Bei der Operation zeigte sich die Gallenblase so stark mit der 
unteren hinteren Leberfläche verwachsen, dass jeder Versuch einer 
Lösung von einer starken Blutung begleitet wurde. Es wurde des¬ 
halb die Exstirpation der Blase aufgegeben und zunächst der Duct. 
cysticus doppelt unterbunden und die Brücke durchschnitten. Da¬ 
bei wurde das Leberparenchym zu tief angeschnitten. Die heftige 
Blutung wurde durch Umstechung und Tamponade gestillt. Nun 
gelang es, die Blase etwas vorzuziehen und an der Bauchwunde 
mittelst Seidennähte zu befestigen. Hierauf Incision der Blase und 
Entleerung des flüssigen Inhaltes und eines wall nussgrossen, maul- 
beerartigen Gallensteins. Der nach der 1 ständigen Operation auf¬ 
tretende Collaps wurde durch Aetherinjectionen und alle 3 Stunden 
durch je 6 subcutane Kochsalzlösung-Injectionen mittelst einer Pra- 
vaz’schen Spritze IV 2 Tage laug erfolgreich bekämpft. Die Bauch¬ 
wunde verkleinerte sich, und die Frau wurde mit einer kleinen Fistel 
entlassen. Diese Operation — die Unterbindung des Duct. cystic. 
und Ausräumung der Gallenblase mit Annähung an die Bauch¬ 
wand — ist bisher nur an Thieren probeweise ausgeführt, nicht 
aber beim Menschen. Der Autor meint, dass dadurch eine radicale 
Heilung der Gallensteine erzielt werde. Die bei der üblichen 
Cholecystotomie in Frage kommende Fistel glaubt er hier aus- 
schliessen zu können, da das von der Gallenblasenschleimhaut pro- 
ducirte Secret nach der Unterbindung des Ductus cyst abnahm und 
in Folge der Nachbehandlung ganz aufhörte, indem sich die Höhle 
mit Granulationen füllte. Ferner sei die Operation einfacher und 
gefahrloser als die Cholecystektomie. — Es kommt diese Operation, 
welche man als eine modificirte Cholecystotomie bezeichnen könnte, 
zu den übrigen, also 1) zu der Cholecystotomie, sei es, dass man 
diese mit Annähung an die Bauchwand vornimmt oder durch die 
Naht der Blase (Küster), 2) zu der Cholecystektomie. Sie wird 
meist dort am ehesten vorgenoinmeu werden, wo, wie im obigen 
Falle, die Trennung der Verwachsung der Blase mit allzugrossen Ge¬ 
fahren für den Patienten verbunden ist. 

Axel Iversen (Copenhagen). Beitrag zur Katheterisa- 
tion der Ureteren bei dem Manne. Centralbl. f. Chirurg. 
Nr. 16. 

Die Schwierigkeit, mit Sicherheit eine Erkrankung der einen 
Niere anzunehmen oder auszuschliessen, hat Iversen in einem 
Falle bewogen, die Sectio alta nach Guyon auszuführen und die 
Blase durch eine kleine elektrische Lampe zu dem Zwecke zu er¬ 
hellen, die Ureteren zu finden und einzeln zu katheterisiren. Aus 
dem rechten Ureter wurde stossweise ein heller Urin entleert, 
der aber doch feinkörnige und hyaline Cylinder zeigte; aus dem 
linken Ureter erhielt man durch einen contiuuirlichen Strahl eine 
eitrige Flüssigkeit. Da beide Nieren also als krank angesehen 
werden mussten, ferner der eitrige Abfluss der linken Niere unbe¬ 
hindert durch den Ureter vor sich ging, so wurde von einer Nieren¬ 
operation Abstand genommen. 

Meinhard Schmidt. Zur Frage der operativen Be¬ 
handlung der Darminvagination. Centralbl. f. Chirurg. 1888, 
No. 1. 

Ein zehnjähriges Mädchen erkrankte plötzlich mit Leibschmerz 


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29. November. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


997 


und Erbrechen. — Die genossene Milch wird ausgebrochen. Am 
Nachmittage des folgenden Tages ziemlich beträchtlicher fester Stuhl. 
Objectiv fand sich an der linken unteren Bauchseite ein cylindri- 
scher, kleiufingerlanger ca. 3 cm dicker, derber, nicht verschiebbarer, 
aber sehr schmerzhafter Tumor. Der Leib ist sonst weich, flach, 
unempfindlich. Am 3. Tage war das Befinden besser; der Tumor 
findet sich jetzt in der Regio coecalis. Von da ab nehmen die 
Schmerzen wieder bedeutend zu, der Leib fängt an, sich aufzu¬ 
blähen; der Tumor war am 4. Tage nicht mehr fühlbar. Auf einen 
Wassereinlauf am 5. Tage kam das Wasser mit einer sehr grossen 
Quantität fester normal dicker Fäces ohne besonderen üblen Geruch 
zurück. Ein Kothstück ist mit Blutspuren bedeckt. Später, sowie 
am folgenden 5. Tage nach der Erkrankung, ergoss sich auf einen 
Wassereiulauf eine grössere Menge dunklen flüssigen Blutes, und an 
diesem Tage wurde zum ersten Male eine dunkle, kothig 
riechende Flüssigkeit erbrochen. Starke Schmerzen, grosse 
Unruhe, Wimmern. Puls 132. Gesicht kühl. Am 6. Tage eklamp- 
tische Couvulsionen, blutige Ausleerungen, mehrmaliges Kothbrechen; 
Somnolenz, Leib sehr stark tympanitisch. Der am 7. Tage ange¬ 
legte anus pr. natur. konnte den Tod nicht verhüten. 

Die Sectiou bestätigte die Diagnose: Es handelte sich nur um 
Invagination des Ileuin ca. 15 cm oberhalb der Ueocoecalklappe, die 
Wand des betroffenen Darmstückes ist 6 Mal perforirt und zum 
Theil in gangränösen Fetzen heraushäugeud. Im Uebrigen fibrinöse 
Peritonitis. 

Die Wichtigkeit des Falles liegt darin, dass am 1., 3., 4., 5. Tage 
reiche Stuhleutleerungen stattfanden, und dass das Erbrechen tage¬ 
lang fehlte. Erst am 5. Tage waren die Zeichen völliger Darm- 
occlusion ausgebildet. Daraus folgt, dass bei der Invagination das 
Erbrechen von Kothmassen und überhaupt die Zeichen völliger 
Darmunwegsamkeit für das operative Eingreifen ohne Bedeutung 
sind. Ueberhaupt ist eine absolute Verstopfung bei der Inva- 
ginatiou auch nach Treves sehr selten, dagegen sind fast regel¬ 
mässig blutige Stühle vorhanden. Ebenso wie das Erbrechen sehr 
selten ist und gänzlich fehlen kann, kann auch der Meteorismus 
bis zum Ausbruche der unheilbaren Peritonitis ganz fehlen. Der 
Autor schliesst sich daher ganz der Meinung Treves’ an, nicht 
mit der Operation bis zum Auftreten des Erbrechens und des 
Meteorismus zu warten, da dann der Erfolg des Eingriffes werthlos 
ist, sondern frühzeitig zu operiren, d. h. wenn blutige Stühle und 
spätestens wenn die Anzeichen des Meteorismus sich zu bilden be¬ 
ginnen. Dann wäre die Operation viel leichter und der Erfolg viel 
eher zu erwarten. _ Emil Senger. 

XV. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Zu den Thesen des preussischen Medicinalbeamtenvereins. 

Erwiderung auf Dr. Kanzow’s „Berichtigung“. 1 ) 

Von Dr. R. Pick in Coblenz. 

Wenn man unbekannt mit den letztjährigen Verhandlungen des preussi¬ 
schen Medicinalbeamtenvereins Herrn Dr. Kanzow’s „Berichtigung“ liest, 
so muss man unbedingt den Eindruck gewinnen, als sei in diesem Verein 
von den Mitteln und Wegen, die ich in meiner „Erwiderung auf 
Dr. Wiener’« Impfung und Interessenpolitik der Kreisphysiker“ erwähnt 
habe, insbesondere von der Absenduug von Deputationen an den Reichs¬ 
kanzler und den Cultusminister, sowie von Petitionen an die beiden Häuser 
des Landtages niemals die Rede gewesen. 

Nun heisst es aber in dem Bericht über die am 28. Februar 1886 zu 
Berlin abgehaltene Delegirtenversammlung des genannten Vereins p. 20 
ausdrücklich: „Es erhob sich darüber“ — nämlich überden Antrag „Welche 
Mittel und Wege sind mit Rücksicht auf die heutige Berathung behufs 
Realisirung der in derselben als nothwendig erachteten Reformen einzu¬ 
schlagen?“ — „eine lebhafte Discussion, und wurden die verschiedenartigsten 
Vorschläge gemacht, von denen derjenige, bei Seiner Durchlaucht dem 
Herrn Reichskanzler als Ministerpräsidenten und Minister für Handel und 
Gewerbe, sowie bei Seiner Excellenz dem Herrn Cultusminister durch eine 
ad hoc zu wählende Deputation eine Audienz nachzusuchen und ihm unsere 
Wünsche vorzutragen, sowie beiden Landtagshäusern eine darauf bezügliche 
Petition einzureichen, allerdings die Zustimmung der Versammlung fand, 
nur hielt dieselbe es für nothwendig, dazu erst von der Hauptversammlung 
ermächtigt zu sein. Allgemein war man nämlich der Ansicht, dass die 
Commission als solche zur Einleitung sofortiger Schritte keine Vollmacht 
habe, und es überhaupt vorher erst erforderlich sei, die soeben gefassten 
Beschlüsse von der Hauptversammlung des Vereins, dem fast die Hälfte 
aller Medicinalbeamten angehöre, genehmigt zu sehen.“ 

Und was beschloss nach Annahme der Thesen bezüglich dieser Frage 
die Hauptversammlung in ihrer Sitzung vom 17. September 1886? „Die 
Commission vorläufig auf ein Jahr fortbestehen zu lassen und derselben 
die weitere Behandlung der vorstehenden“ — d. h. der auf die einzu¬ 
schlagenden Mittel und Wege bezüglichen — „Angelegenheit zu über¬ 
tragen.“ 

Dass diese Commission den aus ihrer Mitte hervorgegangenen und von 
ihr gebilligten Vorschlag später fallen lassen würde, konnte ich um so 
weniger ahnen, als darüber bis zum August 1887, d. i. bis zu der Zeit, wo 

l ) Deutsche med. Wochenschrift 1888, No. 10. 


ich die oben erwähnte Erwiderung niederschrieb, nicht das Geringste 
bekannt geworden war. Ganz gewiss aber ist nach dem Vorher¬ 
gehenden Herr Kanzow nicht befugt, von Wegen zu sprechen, 
welche ich dem preussischen Medicinalbeamtenverein imputirt habe, denn 
imputare heisst bekanntlich — doch das brauche ich dem Herrn Geh. Reg.- 
und Med.-Rath nicht erst auseinanderzusetzen. Richtig ist allerdings, dass 
der in Rede stehende Verein, wie ich mich nachträglich überzeugt habe, 
später, d. h. am 15. September 1887, beschlossen hat, aus gewissen 
Gründen von den angeblich meinerseits „ihm imputirten“ Wegen Abstand 
zu nehmen, ebenso richtig ist aber auch, dass ich, als im August 1887 
die Eingangs erwähnte Erwiderung 1 ) von mir verfasst ward, unmöglich 
von einem Beschlüsse Kenntniss haben konnte, der erst nach dem Januar 
1888 der Oeffentlichkeit übergeben wurde. 

Und warum hat man denn eigentlich die zuerst in Aussicht genomme¬ 
nen „Mittel und Wege“ nicht eingeschlagen? Das sagt uns mit lobens- 
werther Offenheit der Bericht über die 5. Hauptversammlung des preussi¬ 
schen Medicinalbeamtenvereins: 

„Ihrem vorjährigen Beschlüsse gemäss“, so heisst es dort, „hat sich 
der Vorstand mit den Commissionsmitgliedern behufs weiterer Behandlung 
der von der 4. Hauptversammlung angenommenen Thesen in Verbindung 
gesetzt, und wurde, besonders mit Rücksicht auf eine kurz vorher erst er¬ 
lassene Ministerialverfügung, betreffend die Collectiveingaben von Beamten, 
allseitig die Ansicht ausgesprochen, dass von jeder derartigen Eingabe, 
sowie von einer etwaigen Petition an die gesetzgebenden Körper und 
sonstigem agitatorischem Vorgehen abgesehen werden müsse, und es am 
zweckmässigsten sei, die Verhandlungen ebenso wie früher, auch in diesem 
Jahre den höchst entscheidenden Persönlichkeiten zur Kenntnissnahme zu 
überreichen. Letzteres ist geschehen, und haben es sich ausserdem sowohl 
die Commissionsmitglieder, als auch andere Mitglieder angelegen sein lassen, 
unseren Beschlüssen die möglichste Verbreitung zu verschaffen und immer 
weitere Kreise für deren Durchführung zu interessiren. “ 

Wenn man dies liest, wird man sich des Gefühls nicht erwehren 
können, dass der Ton der Entrüstung, welchen Herr Kanzow mir gegen¬ 
über anschlägt, doch ein sehr wenig berechtigter ist! Aus Zweckmässig¬ 
keitsgründen hat man sich darauf beschränkt, „den an der Spitze der 
Medicinalverwaltung stehenden Beamten Sonderabdrücke mittelst Anschreibens 
zu überreichen.“ Ob zu jenen Beamten auch der Fürst Reichskanzler ge¬ 
rechnet worden, erfahren wir zwar nicht; trotzdem dürfte diese Annahme 
zutreffen, da nach unserer Ansicht der Reichskanzler in erster Linie zu den 
„höchstentscheidenden Persönlichkeiten“ zählt. Dagegen wurde, weil in¬ 
zwischen den Beamten die Abseudung von Collectiveingaben 
untersagt worden war, von der anfänglich beabsichtigten Petition an 
die beiden Häuser des Landtages abgesehen; indessen trat an die Stelle 
dieser öffentlichen Agitation eine private, um den „Beschlüssen die mög¬ 
lichste Verbreitung zu verschaffen und immer weitere Kreise für deren 
Durchführung zu interessiren.“ 

Dass zu den „weiteren Kreisen“ auch Mitglieder der beiden Häuser 
des Landtages gehören, darf man wohl unterstellen, und wenn es der Fall 
ist, so besteht zwischen dem zuletzt beliebten Verfahren und dem ur¬ 
sprünglich von der Delegirtencommission angenommenen Vorschläge bezw. 
den von mir erwähnten Mitteln und Wegen thatsächlich doch kaum ein 
wesentlicher Unterschied. _ 

XVI. Therapeutische Mittheilungen. 

Nachtrag zu „Ein neuer Inhalationgapparat“. 

Von Jahr. 

Bezugnehmend auf meinen in No. 38 und 39 dieser Wochenschrift ver¬ 
öffentlichten Aufsatz über einen von mir construirten Inhalationsapparat 
möchte ich mir erlauben, noch darauf hinzuweisen, dass sich auch eine 
gründliche Desinfection der Schleimhäute der oberen Luftwege mittelst der 
zur Zeit in Gebrauch befindlichen Zerstäubungsapparate etc. aus folgenden 
Gründen meist ebensowenig erreichen lassen dürfte, wie durch Pinselungen etc. 

Bekanntlich unterliegt die Feuchtigkeitsschicht, mit welcher diese Schleim¬ 
häute überzogen sind, fortwährender Verdunstung. Die Quantität des ver¬ 
dunstenden Wassers wird bedingt durch die Temperatur und den Wasser¬ 
gehalt der einzuathmenden Luft, und zwar in der Weise, dass eine warme 
trockene Luft den gedachten Theilen die grösste, eine warme feuchte Luft 
aber die geringste Menge Wasser entzieht. Es dürfte auch kaum fraglich 
erscheinen, dass die Ausscheidung von Wasser seitens dieser Schleimhäute 
zum nicht geringen Theile von der Grösse der Verdunstung desselben ab¬ 
hängig ist; umsoweniger als durch Untersuchungen von R. Kayser 2 ) fest- 
gestellt worden ist, dass gerade den oberen Luftwegen — Nasen- und Mund¬ 
höhle, Rachenhöhle und Kehlkopf — der weitaus grössere Antheil — etwa 5 /s 
— an der Erwärmung und Befeuchtung der eingeatbmeten Luft zufällt. An¬ 
zunehmen ist nun, dass von den Medicamenten, welche mittelst eines Zer¬ 
stäubungsapparates auf die mit Feuchtigkeit überzogenen schrägen Flächen 
der Schleimhäute applicirt werden, der weitaus grössere Theil sofort abfliesst. 
Auch ist kaum zu erwarten, dass durch die meist nur mechanisch schwebend 
in dem eingeathmeten Luftstrom erhaltenen Partikel von Medicamenten alle 
Theile der in Rede stehenden Schleimhautflächen benetzt werden, namentlich 
solche nicht hinter Vorsprüngen etc. Derjenige Theil des in dieser Weise 

') Dieselbe wurde Ende August 1887 an die Redaction der Deutschen 
med. Wochenschrift eingesandt; Ende October erhielt ich die Correctur; 
erst in No. 6 dieser Zeitschrift vom 7. Februar 1888 erfolgte der Abdruck 
„verspätet wegen Raummangels“, wie eine beigelügte redactionelle Bemer¬ 
kung ausdrücklich besagt. 

*) Kayser, Die Bedeutung der Nase und der ersten Athmungswege 
für die Respiration. Archiv für die gesammte Physiologie. (Pflüger). 
1887 Bd. 41 p. 127 u. ff. 


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998 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


auf die Schleimhäute gebrachten Medicamentes aber, welcher auf diesen 
wirklich haften bleibt, dürfte, wenn überhaupt, so doeh nur ganz kurze Zeit 
mit den unterliegenden Schichten in Berührung treten können und dann nicht 
einmal in der gewünschten Concentration. Denn, wie in meinem früheren 
Aufsatze dargelegt worden, wird die Wasserentziehung von den Flächen dieser 
Organe durch den bei diesem so geübten Inhalationsverfahren eingeathmeten 
Luftstrom kaum sistirt, also die Ausscheidung von Feuchtigkeit durch die 
Schleimhäute während der Application von Medicamenten in der vorgedachten 
Art nicht unterbrochen: es muss daher wohl bedacht werden, dass unter 
solchen Umständen die auf der Oberfläche etwa abgelagerten Medicamente 
in den seltensten Fällen in die tiefer liegenden Schichten vorzudringen 
vermögen. 

Würde man nun aber z. B. eine Luft von über Körpertemperatur, 
welche vollständig mit Dämpfen gewisser Desinficientien gesättigt ist, eiu- 
athmen lassen, so muss während der Dauer der Inhalation eines solchen 
Luftgemenges die Verdunstung und damit die Absonderung von Feuchtigkeit 
seitens der Schleimhäute aufhören, die Absonderung wenigstens bedeutend 
vermindert werden, und da ein Theil des in der inhalirten Luft enthaltenen 
medicamentösen Dampfes sich auf den Schleimhautoborflächen deren niederer 
Temperatur wegen naturgemäss condensiren wird, dürfte sich eine gründ¬ 
liche Desinfection dieser Flächen recht wohl ermöglichen lassen, ohne dass 
noch dazu, wie bei den übrigen Verfahren grössere Mengen des angewandten 
Mittels zum Verschlucken gelangen. 

Diese letztere mittelst des von mir construirten Apparates ausführbare 
Applicationsmethode möchte darum namentlich auch noch den Vorzug ver¬ 
dienen, als die so zur Inhalation kommenden Dämpfe unter gewöhnlichem 
atmosphärischen Druck zur Verwendung gelangen können, und bei den In- 
halanten nicht Erscheinungen, wie Uebelkeit, Würgebewegungen und auch 
Erbrechen hervorrufen werden, welche oft bei der Inhalation von unter starkem 
Drucke zerstäubten Flüssigkeiten (z. B. beim Siegle’schen Apparat) Vor¬ 
kommen und eine längere Zeit fortgesetzte Inhalation oft unmöglich oder 
wenigstens sehr beschwerlich machen. 


— Ueber Succinimid-Qnecksllber. Nachdem schon Dessaignes 
im Jahre 1852 das Succinimid-Quecksilber entdeckt und beschrieben hatte, 
hat Dr. Vollert (Therap. Monatsh. 1888, Septemberheft) auf den Rath 
v. Mering’s es zuerst angewandt. Das Quecksilberoxyd geht mit dem 
Succinimid, einem Product der Bernsteinsäure, eine Verbindung ein und 
bildet mit jenem ein weisses, seidenartiges, in Wasser leicht lösliches 
Pulver. Die wässerige Lösung dieses Präparates bleibt absolut klar, trübt 
sich auch bei längerem Stehen nicht. Nach Prof. v. Mering entsprechen 
2 g Succinimid-Quecksilber 1 g Quecksilber. Vollert hat sich zu seinen 
Versuchen einer Lösung von 1,3: 100,0 bedient. Um die Schmerzhaftigkeit 
zu verhindern empfiehlt es sieb, 0,01 Cocain, muriatic. zu jeder Spritze 
hinzuzufügen. Alle Injectionen wurden nach der folgenden von Professor 
A. Wolff in Strassburg angegebenen Methode vorgenommen: „Das Ein¬ 
stechen der Nadel geschieht nicht senkrecht, wie dies von verschiedenen 
Autoren ad nates vorgenommen wird, sondern es wird eine starke Fett¬ 
polsterfalte aufgehoben und die Nadel parallel mit der Haut bis mitten in 
das Fettgewebe gestossen, so dass die Spitze nicht zu nahe der Haut und 
nicht bis auf die unterliegende Muskulatur zu stehen kommt. Es wird dann 
die Flüssigkeit langsam eingespritzt unter leichtem Massiren der Beule, 
welche nachher noch durch Streichen in das Zellgewebe vertheilt wird. Die 
Operation wird dann jeden Tag abwechselnd auf der linken oder rechten 
Seite der hinteren Rumpffläche vorgenommen.“ Auf diese Weise ist das 
Vorkommen von Abscessen nahezu ausgeschlossen. Die Zahl der zum Ver¬ 
schwinden der syphilitischen Erscheinungen nothwendigen Injectionen be¬ 
trägt ungefähr 20—30. Unter 210 Fällen hat Vollert 2raal Abscesse 
beobachtet, die aber unter Berücksichtigung der obigen Vorschriften gleich¬ 
falls vermieden werden können. Die Hauptvorzüge des Succinimid-Queck- 
silbers dürften in der Beständigkeit des Präparates und der Haltbarkeit der 
wässerigen Lösungen bestehen. 

— Dr. Silva Aranjo empfiehlt das salicylsanre Quecksilber inner¬ 
lich und äusserlich als brauchbares Mittel bei Syphilis und anderen Affec- 
tionen. Innerlich giebt Aranjo es in Dosen bis 25 mg. Zu subcutaner 
Injoction empfiehlt er folgende Formel: Hydrarg. salicyl. 0,5, Aq. dest. 30,0, 
Natr. carb. q. s. MDS. Zu Salben verschreibt Aranjo das Hydrargyrum 
salicylicum im Verhältniss 0,5—1,0:30,0. Die Vorzüge des Mittels be¬ 
stehen in seiner schnellen Wirkung, in dem Fehlen von Stomatitis, sowie 
Magen- und Darmbeschwerden. Auch bei Pilzaffectionen, sowie bei Go¬ 
norrhoe und Lepra hat sich das Mittel bewährt (Bulletin general de Thera- 
peutique, Februar 1888). 

— Statt Jodkalium hat, wie wir der Therap. Gaz. entnehmen, Dr. Wm. 
C. Wile mit bestem Erfolge sich der Jodwasserstoffsüure bei Asthma 
und Bronchitis bedient, zumal wenn Jodkali nicht vertragen wird. Leider 
ist in dem betreffenden Referat nichts über die Dosis der Jodwasserstoff¬ 
säure angegeben. 

— Paraldehyd empfiehlt, wie wir der Therap. Gazette entnehmen, 
Dr. U. B. La Moure (Albany Medical Annals for June) in Fällen von hef¬ 
tigem Erbrechen in Folge ton OvariaUeiden oder bei Schwangerschaft, 
Migräne u. a. Die Dosis beträgt 40 Tropfen Paraldehyd auf 30 g eines ein¬ 
fachen Elixirs, wovon theelöffelweise, wenn nöthig in halbstündigen Inter¬ 
vallen gereicht wird. Dieso Dosis wirkt nicht hypnotisch, sondern sedativ 
auf die Magenschleimhaut und den ganzen Darmcanal. Das Einzige, was 
der Anwendung im Wege steht, ist der unangenehme Geruch des Präpa¬ 
rates. 


— Glyeerin-Suppositorlen. Die von Boas in dieser Wochenschrift 
No. 28 zuerst empfohlenen Glycerin-8uppositorien (d. h. mit Glycerin ge¬ 
füllte Hohleuppositorion) haben den Anlass zur Herstellung ähnlicher Prä¬ 


No. 48 


parate mit angeblich gleicher oder noch besserer Wirkung gegeben. Wie 
Boas nun in der Pharm. Zeitung 1888, No. 80 berichtet, haben sich ihm 
weder die von Heck hergestellten Glycerin-Gelatinezäpfchen noch auch die 
von Dieterich in Helfenberg fabricirten Glycerinseifezäpfchen bewährt. 
Wegen der leichten Schmelzbarkeit des Materials und wegen des reichlichen 
Ergusses von Glycerin auf die Mastdarmschleimhaut zieht Boas die au> 
Cacaobutter bestehenden, zuerst von Saut er in Genf in den Handel ge¬ 
brachten Suppositorien allen übrigen vor. Bezüglich der Wirksamkeit des 
Glycerins betont Boas, dass das Glycerin keineswegs ein absolut sicheres 
und in allen Fällen wirksames Aperiens darstellt, sondern wesentlich in 
Fällen von Atonie der unteren Colonpartieen indicirt ist. 

xvn. Aus dem Verein für innere Medicin. 

In der Sitzung des Vereins für innere Medicin vom 19. d. M. 
widmete der Vorsitzende, Herr Geheimrath Leyden, dem verstor¬ 
benen Kliniker H. v. Bamberger, den folgenden warmempfundenen 
Nachruf: 

Meine Herren! Wie den Meisten von Ihnen schon bekannt sei 
wird, hat die deutsche mediciuische Wissenschaft, im speciellen ci- 
klinische Medicin, soeben einen neuen herben Verlust erlittet. 
Heinrich v. Bamberger in Wien ist am 9. November dahio- 
geschieden. Dem Verein ist die Anzeige direkt zugegangen, und habe 
ich den Vorsitzenden der Gesehäftscomraission ersucht, den Hinter¬ 
bliebenen für diese Anzeige zu danken und unsere Theilnahme an 
dem herben Verluste auszusprechen. 

Meine Herren! Die deutsche medicinische Klinik hat in diesem 
Jahre eine Reihe von schweren Verlusten zu beklagen. Ich erinnere 
nur an Wagner in Leipzig, an Rühle in Bonn, welche ein jäher 
Tod mitten aus ihrer segensreichen Thätigkeit, ira besten Maunes- 
alter dahinraffte. 

Zu diesen schweren Verlusten gesellt sich nun der unerwartete 
Tod H. v. Bamberger’s. Kaum hörten wir von seiner ernsten 
Erkrankung, als auch schon die erschütternde Botschaft von seinem 
Tode eintraf. Mit klarem Geiste hat er selbst zuerst die Bedentune 
seiner Krankheit erkannt und mnthig dem Tode in’s Auge gesehen. 

Die Bedeutung H. v. Bamberger’s als Kliniker und Arzt 
wird an anderen Stellen eingehend gewürdigt werden. Ich habe hier 
nur daran zu erinnern, dass er aus der höchsten Blüthe der neueren 
Wiener Schule hervorging, dass er Schüler von Skoda und Roki¬ 
tansky, sowie Assistent von Oppolzer war. Im Jahre 1854 
wurde er auf den klinischen Lehrstuhl nach Würzburg berufen, den 
er mit weltbekannter Auszeichnung bis zum Jahre 1872 einnahru. 
Nach Oppolzer’s Tode ging er als dessen Nachfolger nach Wien 
und wirkte dort bis zu seinem Tode, gleichgeachtet und beliebt ah 
Lehrer, als Arzt und als Mensch. 

Sein wissenschaftlicher Ruhm knüpft sich hauptsächlich an zwei 
grössere ' Werke, das Lehrbuch der Herzkrankheiten, welches in 
grosser Klarheit und Schärfe die Tendenz der physikalisch-diagnosti¬ 
schen Schule vertrat, und die Krankheiten des chylopoetischen 
Systems, in dem Sammelwerke der Pathologie und Therapie von 
R. Virchow. Der zahlreichen kleineren Arbeiten wollen wir hier 
nicht gedenken. 

Unserem Verein stand der Dahingeschiedene nicht allein alsein 
hervorragender Vertreter der inneren Medicin; sondern auch alscor- 
respondirendes Mitglied dieses Vereins besonders nahe. Ein treues, 
ehrendes Andenken wird ihm auch in unserer Mitte gesichert sein. 

Ich bitte Sie, zum Ausdruck dessen, sich von Ihren Plätzen zu 
erheben. (Geschieht.) 


XVIU. Das Langenbeck-Haus. 

Herr Geh. Rath Virchow machte in der jüngsten Sitzung der Berliner 
medicinischen Gesellschaft die Mittheilung, dass sich in Amerika ein Comi'-' 
für die Förderung des Langenbock-Hauses gebildet habe, welches sich au- 
folgenden Herren zusammensetzt: Dr. von Herff, San Antonio. Texa> 
Präsident. Dr. Baumgarten, St. Louis. Dr. Ferrer, San Francisco. Cal. 
Dr. Emil Fischer, Philadelphia, Penn. Dr. A. Jacobi, New York City- 
Dr. Loeber, New Orleans, La. Dr. Mendel, Milwaaukee, Wis. Dr. Salzer. 
Baltimore, Md. Dr. F. Lange, New Vork City: Secretär. 

Das genannte Comite hat den folgenden wannen Aufruf an die Deutschen 
Aerzte in den Vereinigten Staaten erlassen: Collcgen! Das unterzeichne!'' 
Comite fordert Euch hiermit auf, durch eine freigebige Beisteuer für <h'' 
Gründung des „Laugenbeck-Hauses“ in Berlin dem Gefühle unserer meih- 
cinischen Zusammengehörigkeit mit dem alten Heimathlande uml unserer 
Dankbarkeit für die in demselben genossene Berufserziehung Ausdruck ;>■ 
geben. Vertreter der medicinischen Gesellschaft in Berlin und der Deutscher. 
Gesellschaft für Chirurgie unter der Führung von Virchow und v. Berg¬ 
mann, haben sich zu einein Comit4 vereinigt, um der Deutschen nie-»- 
cinischen Welt die Förderung der in Angriff genommenen Stiftung “ - 
Herz zu logen. Soweit zu ersehen, beabsichtigt man, mit der Errichtuoc 
eines monumentalen Gebäudes aus freiwilligen Beiträgen, dem ärztlichen 
Stande einen grossartigen Centralpunkt für medicinische Sammelforschung, 
eine Stätte für gemeinsame, die Wissenschaft und die Interessen des 
fördernde Bestrebungen zu bieten. Dem Andenken des vortreffhenen 
chirurgischen Meistert Bernhard v. Langenbock, dos Hauptsclwpi« 0 


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29. November. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 999 


einer Deutschnationalen Chirurgie soll das Institut gewidmet sein. Der 
Umstand, dass die Kaiserin Augusta und Kaiser Wilhelm II. diesen Be- 
*strebuugen ihre hohe Protection geliehen haben, illustrirt in schöner Weise 
die Achtung, welche man in unserer alten Heimath unserem Stande, seinem 
selbstlosen, hingebenden Wirken und der Förderung seiner wissenschaftlichen 
Ziele augedeihen lässt. Es bietet sich für uns eine schöne Gelegenheit, zu 
beweisen, dass wir dessen eingedenk sind, was unserer Existenz im fernen, 
fremden Lande eine feste Grundlage gab, uns eine unschätzbare Mitgift 
für’s Leben wurde Wir haben fast alle dem deutschen Lande für die uns 
zu Theil gewordene Schulerziehung, Universitätsbildung, für die lehrreiche 
Schulung an klinischen Instituten keinerlei Aequivalent geboten, sondern 
mit den eingesammelten Schätzen, mit dem Rüstzeug für den Kampf um’s 
Dasein versehen, einem fremden Lande unsere Kraft geweiht, hier für uns 
gekämpft, die Familie gegründet, alle diejenigen Vortheile genossen, deren 
wir vermöge unserer Vorbereitung in der Heimath theilhaftig werden durften. 
Vergessen wir das nicht, auch Diejenigen nicht, welche vielleicht gekränkt, 
enttäuscht oder verfolgt den vaterländischen Gestaden den Rücken kehrten. 
Für seine Deutschen Universitäten mit dem belebenden, jugendfrischen 
Hauch, ihren hochstrebeudeu Zielen, ihrer kräftig das Volk durchströmenden 
Moral, behält jeder von uns ein warmes Herz. Und mag auch dieser oder 
jener, durch die Verhältnisse dazu gebracht, in anderem Sinne dem Vater¬ 
lande entfremdet sein, — als akademische Bürger, als Mediciner, fühlen 
wir uns eins mit unserem Heimathlande. Die hohe Stellung der heutigen 
Deutschen Medicin und ihre wohlthätige Beeinflussung ihrer Schwester in 
unserem Adoptivvaterlande erfüllt uns mit gerechtem Stolze. Ergreifen wir 
mit Freuden diese Gelegenheit, um geschlossen aufzutretcu. Es gilt eine 
gute, eine edle Sache! Beweisen wir durch die That, dass wir dankbar sein 
können und gern, soweit es in unseren Kräften steht, zur Förderung der 
Deutschen Wissenschaft mithelfen wollen, wenn schon den Meisten von uns 
die strengen Anforderungen des Daseinskampfes hiorzulande ein Streben in 
rein wissenschaftlichem Sinne versagen. Es ist zu erwähnen, dass in Folge 
pecuuiärer Insufficienz die Realisirung der beabsichtigten Langenbeck- 
Stiftung eine bedaueruswerthe Verzögerung zu erfahren droht. Helfen wir 
einmal mit und zeigen wir, dass wir in solchen Dingen von den Amerikanern 
etwas gelernt haben.“ 

Herr Virchow gab dem Gefühle der Freude uud der Geuugtbuung 
Ausdruck über die Bildung des amerikanischen Comites und über den 
oben wiedergegebenen Aufruf, der in jeder Zeile des deutschen Vaterlandes 
und der Zusammengehörigkeit mit dem alten Heimathlande dankbar gedenkt. 
Die Collegon jenseits des Oceans, so führte er weiter aus, werden die Räume 
des Langenbeck-Hauses stets zu ihrer gastlichen Aufnahme offen — uiid alle 
in dem Hause zur Förderung der Wissenschaft vorbereiteten Mittel zu ihrer 
Verfügung bereit finden. 

XIX. Aus London. 

24. November. 

Es wird Ihre Leser unzweifelhaft interessiren zu hören, dass jetzt 
active Schritte Seitens des ärztlichen Standes in London und England 
geschehen, um Klarheit in die zwischen Mackenzie und den Berliner 
Professoren schwebenden Streitfragen zu bringen. Man hat hier gewartet, 
nach dem Princip „Audi alteram partem“, bis Mackenzie seine Antwort 
auf den officiellen deutschen Bericht gegeben hatte, uud da jetzt beide 
Theile gesprochen haben, wird es ohne Zweifel zu einer baldigen Entschei¬ 
dung für oder wider kommen. Eigenthümlicher Weise ist der erste Schritt 
nicht gegen Mackenzie, sondern gegen den Redacteur des British Medical 
Journal geschehen. Bekanntlich veröffentlichte dieser vor einigen Wochen 
ein Facsimile eines Zettels, welchen der verstorbene Kaiser Friedrich kurz 
vor seinem Tode im Laufe einer Unterhaltung mit den englischen Aerzten 
geschrieben hatte, uud welcher Reflexionen gegen Professor v. Bergmann 
enthielt. Wie dieser Zettel, welcher nicht in Mackenzie’s Buch erschien, 
in die Hände des Redacteurs des British Medical Journal gekommen war, 
wurde nicht gesagt; es wurde nur bemerkt, dass der Redacteur denselben 
nicht von Mackenzie erhalten habe. 

Jeder, der die Verhältnisse kennt, wird sich den wahren Sachverhalt 
leicht zurechtlegeu können: indessen ist es nicht nöthig, auf diesen Punkt 
hier weiter einzugehen, da am nächsten Mittwoch oine Versammlung des 
Council der British Medical Association gehalten werden wird, mit dem be¬ 
sonderen Zweck, diesen Punkt vollständig in’s Klare zu bringen und dann 
Schritte zu thun, um dieses Odium von dem allgemeinen Aerzteverein auf die¬ 
jenigen abzuwälzen, welche allenfalls in dieser Sache für schuldig befunden 
werden mögen. 

Seit einigen Wochen war dieser Punkt zwischen den Spitzen des ärzt¬ 
lichen Standes hier discutirt worden, und schickten dieselben, nachdem eine 
Vereinbarung erreicht war, das folgende „Memorial“ an den Präsidenten und 
Verwaltungsrath der British Medical Association ein: 

„Die Unterzeichneten Mitglieder der British Medical Association und 
Andere erlauben sich die Aufmerksamkeit des Präsidenten und Verwaltungs- 
rathes darauf zu lenken, dass in Nummer 1450 des Journals der Association 
ein Scriptum des verstorbenen Kaisers Friedrich von Deutschland veröffent¬ 
licht worden ist, welches sich auf die Behandlung von einem seiner Aerzte 
bezieht. Die Unterzeichneten betrachten diese Veröffentlichung als eine 
Verletzung des professionellen Vertrauens, und das Erscheinen desselben in 
dem British Medical Journal als schimpflich für den ärztlichen Stand in 
England. Sie fordern deswegen den Präsidenten und Verwaltungsrath auf, 
sofortige Schritte zu thun, um die Association und den ärztlichen Stand von 
dein Schimpf, der jetzt in dieser Beziehung auf ihnen haftet, zu befreien.“ 

Dieses Memorial ist von deu Spitzen des ärztlichen Standos, wie Sir 
James Paget, Sir Joseph Lister, Sir Risdon Bennett, Sir Edward 
Sieveking, Sir Joseph Fayrer, Sir George Paget, Sir Henry Pit¬ 
mau, Sir Alfred Garrod, Dr. Pavy, Dr. Wilks, Dr. George John¬ 
son, und von einer grossen Anzahl anderer Aerzte unterzeichnet. 

Zu gleicher Zeit erscheint im British Medical Journal eine Notiz, worin 


nach einem kurzen Hinweis auf das betreffende Document, der Redacteur 
bemerkt, dass dasselbe wohl auf unvollständige Information gegründet sei, 
und dass man dem Verwaltungsrath eine wohl genügende Aufklärung der 
ganzen Angelegenheit geben werde. 

Die Sache steht also jetzt so, dass der Verwaltungsrath der British 
Medical Association entweder dem Memorial der Spitzen des ärztlichen Standes 
seine Zustimmung giebt, oder dass derselbe die Aufklärungen, welche der 
Redacteur, Mr. Ernest Hart, ihm geben wird, für genügend erklärt und 
zur Tagesordnung übergeht. 

Im ersteren Falle wird der Redacteur jedenfalls aufgefordert werden, 
seine Resignation einzureichen, da nur hierdurch der Schimpf, welcher, wie 
die Unterzeichner des Memorial behaupten, jetzt auf dem ärztlichen Stande 
in England haftet, gesühnt werden kann. Im letzteren Falle wird die Re- 
dactiou des British Medical Journal in den Händen von Mr. Hart bleiben; 
doch ist es in diesem Falle ganz sicher, dass nicht nur die Unterzeichner des 
Memorial, sondern auch eine sohr grosse Anzahl anderer Mitglieder der Asso¬ 
ciation ihre Resignation einreichen werden. Dies würde dann ohne Frage 
zu einem vollständigen Zusammenbruch des jetzigen Aerztevereins führen, 
und würde sich dann auf den Ruinen desselben wahrscheinlich eine neue 
Association erheben, in welcher der gegenwärtige Redacteur des British 
Medical Journal jedenfalls keine Stelle finden dürfte. 

Der jetzige Redacteur hat grossen Einfluss in dem Verwaltungsrathe 
und wird von Vielen für unentbehrlich gehalten, da sein literarisches und 
organisatorisches Talent das British Medical Journal wohl zu dem einfluss¬ 
reichsten Organ der medicinischen Presse in der ganzen Welt gemacht 
haben. Unserer Ansicht nach hat sich derselbe jedoch in dieser ganzen 
Angelegenheit in eine falsche Stellung gebracht, und scheint es uns vor 
Allem ganz unmöglich, dass irgend welche Aufklärungen, welche er allenfalls 
geben kann, die Ansicht von Sir James Paget und den übrigen Unterzeichnern 
des Memorial, dass ein Schimpf auf dem hiesigen ärzlichen Stande laste, 
zu ändern geeignet sein könnte. 

Wie man am hiesigen Hofe über dio Angelegenheit denkt, lässt .sich 
daraus ermessen, dass der Leibarzt der Königin, Sir William Jenner, 
seine Resignation als Mitglied der British Medical Association bereits ein¬ 
geschickt hat. Aus diesem Schritte wird auch unzweifelhaft der Verwaltungs¬ 
rath. entnehmen dass, wenn der gegenwärtige Redacteur am Ruder bleibt, 
massenhafte Resignationen folgen werden. 

Dass dies übrigens, wie oben bemerkt wurde, nur der erste Akt sein 
wird, kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen. Die Stimmung gegen 
Mackenzie ist sowohl unter den Aerzten wie im Publicum eine sehr ge¬ 
reizte, und obwohl natürlich die ganze augenblicklich schwebende Angelegen¬ 
heit indirekt gegen Mackenzie gerichtet ist, lässt sich als höchst wahr¬ 
scheinlich voraussehen, dass, wenn der erste Akt ausgespielt ist, weitere di¬ 
rekte Schritte folgen werden. In dieser Baziehung ist es bedeutsam, dass eine 
Anzahl von einflussreichen Mitgliedern der British Laryngological and Rhino- 
logical Association, welche soeben unter dem Präsidium von Mackenzie 
ihre erste Versammlung abgehalten hat, plötzlich ihre Resignation einge¬ 
schickt haben. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. 

Die Entscheidung der jetzt schwebenden Angelegenheit wird bereits 
stattgefunden haben, wenn Ihre nächste Nummer erscheint, und werde ich 
Ihnen weitere Mittheilungeu über die Entwickelung dieser cause celebre zu¬ 
gehen lassen. _ 

XX. Das biographische Lexikon hervor¬ 
ragender Aerzte. 

Das biographische Lexikon der hervorragenden Aerzte aller Zeiten und 
Völker, über welches wir beim Erscheinen jedes Bandes Bericht erstatteten, 
wobei wir Gelegenheit fanden, die Gediegenheit dieses werdenden Monumental¬ 
werkes hervorzuheben, liegt nunmehr mit dem VI. Bande vollendet vor uns. 
Der von Lieferung zu Lieferung sich steigernden, allgemeinen Anerkennung 
dieses Werkes haben wir heute den Dank hinzuzufügen, vor Allem dem Her¬ 
ausgeber Prof. Dr. August Hirsch, der allerdings von vornherein jede 
Bürgschaft für die vollendete Lösung der grossen Aufgabe bot, Dank aus¬ 
zusprechen den von dem Herausgeber gewählten Mitarbeitern, die sich auf 
das Glänzendste bewährt haben. Dank gebührt der Verlagsbuchhandlung 
von Urban & Schwarzenberg, die durch ihre buchhändlerischen Unterneh¬ 
mungen, vornehmlich durch ihre grossen encyklopädischen Werke, eine in’s 
Gewicht fallende Fördererin der medicinischen Literatur geworden ist. 

Aus dem Nachwort, welches der Herausgeber und der fleissige Special- 
redacteur des Werkes, Prof. Gurlt, dem vollendeten Werke mitgegeben 
haben, möchten wir die folgenden, über dasselbe orientirenden Daten her¬ 
vorheben. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nicht allein die hervor¬ 
ragenden Aerzte, sondern auch andere um die medicinischen Wissenschaften 
im weitesten Sinne verdiente Gelehrte, also nicht nur Anatomen und Phy¬ 
siologen, die niemals ärztlich gewirkt haben, sondern auch eine Anzahl an¬ 
derer Männer, namentlich Naturforscher: Physiker, Chemiker, Zoologen, Bo¬ 
taniker, biographisch geschildert worden sind, Wenn Namen mancher, sonst 
sehr bekannter lebender Aerzte doch in dem Lexikon sich nicht finden, so 
findet das seine Erklärung darin, dass der Herausgeber beim besten Willen 
nicht im Stande war, zuverlässige Nachrichten über dieselben zu erhalten. 
Was die Grundsätze betrifft, welche bei der Aufnahme der Lebenden sowohl 
als der Verstorbenen in das Lexikon geleitet haben, so war es für die Her¬ 
ausgeber raaassgebend, an erster Stelle die literarisch bekannten und ver¬ 
dienten Aerzte zu berücksichtigen, andere dagegen, deren Bedeutung eine, 
wenn auch glänzende, doch mehr ephemere war, entweder ganz wegzulassen, 
oder sie nur in aller Kürze anzuführen. 

Die Form hat sich mit dem Fortgang der einzelnen Bände, wenn auch 
nicht wesentlich, so doch da und dort ändern müssen. Eine Ergänzung hat 
das Lexikon durch die Nachträge erhalten; abgesehen von einer nicht unbe¬ 
trächtlichen Zahl ganz neuer Artikel konnten wesentliche Aenderungen, 
welche durch Todesfälle herbeigeführt waren, ferner Berichtigungen und Er- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1000 


No. 48 


gänzungen, welche sich als nothwendig zeigten, gebracht werden. Wäre es 
nicht für das Werk erspriesslich, derartige Ergänzungen fort¬ 
laufend in jährlichen Nachträgen zu bringen? Damit würden die 
kostspieligen Neuauflagen gespart werden, und ein derartiger Modus würde 
dem Lexikon und seinen Besitzern sehr zu Gute kommen. 

Nicht ohne Interesse ist die von Dr. Pagel, einem hervorragenden Mit¬ 
arbeiter des Lexikons, in dem Nachwort gebrachte statistische Zusammen¬ 
stellung der in dem Werke aufgeführten Personen. Es geht aus dieser 
Uebersicht, welche 14415 Personen, darunter 2910 lebende, umfasst, hervor, 
dass die deutschen oder in deutscher Sprache schreibenden Aerzte, nament¬ 
lich unter den lebenden, am stärksten vertreten sind. Wir finden 5045 
deutsche medicinische Schriftsteller, darunter 1137 lebende, es folgen dem¬ 
nächst die Franzosen und französischen Schweizer, die Briten, Italiener, Nord¬ 
amerikaner und darauf in absteigender Reibe die übrigen Nationalitäten. Das 
vorliegende Werk mit seinem überwältigenden Material wird von ähnlichen 
medicinisch-biographischen Werken nach keiner Seite hin erreicht. Wir 
dürfen nicht vergessen zu erwähnen, das auch A. Wernich eine Zeitlang 
bei der Herausgabe leitend mitgewirkt hat. 

Wir schliessen uns dem Wunsche der Herausgeber aus vollem Herzen 
an, dass die auf dieses grossartige Werk, welches zur Zeit in der medici- 
nischen Literatur aller Länder einzig dasteht, verwandte Mühe und Arbeit 
und die von den Verlegern gebrachten Opfer durch eine allgemeine, wohl 
verdiente Verbreitung unter den Aerzten ihren Lohn finden mögen. Wir 
dürfen, worauf wir bei einer früheren Besprechung schon hingewiesen 
haben, besonders hervorheben, dass dieses Lexikon nicht nur für jeden lite¬ 
rarisch thätigen Arzt das bewährteste Nachschlagebuch, sondern noch mehr 
ein Werk zum Studium der Geschichte der Medicin und des ärztlichen Standes 
und zur anregenden Lectüre, ein wahres Hausbuch für Aerzte ist. S. G. 


XXI. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Die Greifswalder medicinische Facultät hat die Herren 
Wilhelm Dieckerhoff und Julius Friedrich Holtz, beide in Berlin, 
zu Ehrendoctoren ernannt. 

Herr Dieckerhoff ist seit 1878 Professor der Thierheilkunde und 
Director der internen Klinik für grössere Hausthiere in Berlin. Als or¬ 
dentliches Mitglied gehört er der technischen Deputation für das Veterinär¬ 
wesen des landwirtschaftlichen Ministeriums seit 1875 an. Zum Theil ver¬ 
dankt auch seinen eifrigen Bemühungen der thierärztliche Stand die Er¬ 
hebung der Berliner Thierarzneischule zum Range einer Hochschule. Ehren¬ 
mitglied ist er von vielen thierärztlichen Vereinen auf Grund seiner vielen 
bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeiten, unter denen sein Lehrbuch der 
speciellen Pathologie und Therapie für Thierärzte obenan steht. 

Auf Grund zahlreicher ingeniöser Entdeckungen ist es das allseitig 
anerkannte Verdienst des Herrn Holtz, im Interesse der Heilkunde nicht 
nur die reinsten, sondern auch die besten chemischen Präparate dargestellt 
zu haben. Beispielsweise hat er zur Heistellung des Chlorais eine neue 
*Methode gefunden, die Salicylsäure und ihre Salze unter fortwährender 
Verbesserung dargestellt und zwar ausschliesslich für medicinische Zwecke. 
In einer von ihm entdeckten Weise lässt er das Jodoform auf elektro¬ 
lytischem Wege aus jodhaltigen Laugen bereiten, etc. Kein Wunder, 
dass die seit 15 Jahren mit so viel Sachkenntnis geleitete chemische Fahrik 
zu den ersten der Welt gehört. Seine Sorge um das Wohl der Fabrik¬ 
arbeiter ist allgemein gewürdigt. 

— Der Geheime Sanitätsrath Dr. Paul Gumbinner, welcher im Mai 
d. J. sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum feierte, ist den 24. d. M., 73 Jahre 
alt, gestorben. Bis kurze Zeit vor seinem Tode waltete er mit seltener Hin¬ 
gebung und Pflichttreue seines schweren Berufes. Seinen Tod betrauern 
neben seinen Angehörigen seine zahlreichen Pflegebefohlenen und ein grosser 
Kreis von Freunden. Ehre seinem Andenken! 

— Königsberg. Dem Direktor der städtischen Krankenanstalt und 
Docenten der Psychiatrie an der Universität Königsberg Dr. Meschede, 
unserem geschätzten Mitarbeiter ist das Prädicat Professor verliehen worden. 

— Wien. Dr. Wittelshöfer ist von der Redaction der Wiener 
medicinischen Wochenschrift wegen Erkrankung zurückgetreten, und wird 
vom 1. Januar ab Dr. Adler, städtischer Bezirksarzt, die Redaction dieser 
Wochenschrift übernehmen. 

— Sorbon, dem Begründer der Pariser Universität — nach ihm 
Sorbonne genannt —, wurde in seinem Geburtsorte in der Nähe von Rheims 
ein Denkmal errichtet. 

— Unter der Ueberschrift „Note Rinologiche“ giebt Dr. Putelle, 
Specialarzt für Hals- Nasen- und Ohrenkrankheiten in Venedig, in dem 
„Boll. delle malattie dell’ Orechio della Gola e dell Naso“ Anno VI, No. 5, 
1888, einen Bericht über seine diesbezüglichen Studien in Berlin. Indem er 
darauf hinweist, dass die Krankheiten der Nase an diesem Platze mit ganz 
besonderem Eifer und in ausgezeichneter Methode studirt und behandelt 
werden, hebt er insbesondere die in der Königl. Universitätspoliklinik 
für Hals- und Nasenkranke unter Leitung von Herrn Prof. B. Frankel 
gewonnenen Eindrücke hervor. — Verf. erkennt lebhaft die Sorgfalt an, mit 
welcher daselbst die vordere Rhinoskopie geübt wurde, eine Untersuchungs¬ 
methode, die an sich leicht anwendbar, sehr schwer unter Umständen jedoch 
bezüglich der Deutung der Befunde sich erweise. Sodann giebt er eine 
Uebersicht über die therapeutischen Methoden, welche er gegen die Haupt- 
affectionen anwenden sah und fügt Verschiedenheiten in denselben hinzu, 
wie solche sich in den Privat-Polikliniken von Krause und nartmann her¬ 
ausstellten. Besonders interessant erschienen ihm die einmal gesehene 
-glänzende“ Operation eines sehr grossen Nasenrachenpolypen mit dem 
Lange’scheu Cboanenhaken, und jener in der Berl. med. Gesellschaft vor- 
pestellte Fall — nahestehend dem Morbus Basedowii — welcher eine wesent¬ 
liche Abnahme der Struma und der dauernden Pulsbeschleuuigung nach 
rhinochirurgischen Eingriffen zeigte und seither vollkommen beschwerdefrei 


blieb. Verf. schliesst seinen hier gewonnenen Eindruck mit den Worten ab, 
dass die Methode der Frankol’schen Schule sowohl bezüglich der Diagnose 
wie der Therapie die beste Darstellung der modernen Rhinologie enthalte. 

— Der zehnte Jahresbericht über die Wirksamkeit der 
Augenheilanstalt für Arme in Posen für das Jahr 1887, erstattet 
von dem leitenden Arzte Dr. B. Wicherkiewicz, ergiebt über die Wirk¬ 
samkeit und die weitere Entwickelung dieser so gemeinnützigen Anstalt die 
ergiebigsten Belege. Die Zahl der Hülfesuchenden hat für das Jahr 1887 
die Höhe von 4321 erreicht. Der erste Theil des sorgfältig bearbeiteten 
Berichtes bringt allgemeine Bemerkungen und Chronik, der zweite Theil 
giebt eine specielle Statistik und klinische Nachrichten, welche ein beredtes 
Zeugniss für die Umsicht und intelligente Leitung der Anstalt, sowie für die 
wissenschaftlichen Bestrebungen des Herrn Dr. Wicherkiewicz ablegen. 

— Semaine medicale bringt interessante historische Daten über 
dio erste künstliche allgemeine Anästhesie. Am 5. November 1821 
hielt der Apotheker Storkmann aus Utika (Staat New-York) in Rome 
(Staat New-York) einen Vortrag über die Lachen erregende Wirkung des 
Stickoxyduls (N 2 O). Am Schluss des Vortrags liess der Redner den Gaso¬ 
meter mit dem Gas in einen benachbarten Raum bringen. Ein Zuhörer 
schlich sich heimlich in diesen Raum und athmete, um die angenebu* 
Wirkung des Gases noch einmal zu prüfen, davon in unbegrenzter Men*? 
ein. Nach wenigen Augenblicken fand man ihn in einem Zustand völliger 
Unempfindlichkeit und brachte ihn in einen Ballsaal, wo er bald wieder zu 
sich kam, indem er mit den Beinen und Füssen Bewegungen machte, als ob 
er tanzen wollte, nach einigen Minuten hörten jedoch diese Bewegungen, 
wahrscheinlich in Folge von Erschöpfung der Kräfte, auf. Nachtheilige 
Folgen blieben nicht zurück. Die Richtigkeit der Thatsacbe wird durch das 
schriftliche Zeugniss dreier noch lebender Personen bekräftigt, die vor 
67 Jahren diesem Ereigniss beigewohnt haben. 

— Giftige Wirkung des Cigarrettenrauchs. Dudley (Med. 
News 1888, 15. Septbr.) kommt durch Thierversuche zu dem Schluss, dass 
CO der giftigste Bestandteil des Tabackrauchs, und dass Cigarrettenrauchen 
schädlicher ist als Cigarren- oder Pfeifenrauchen, da bei ersterem der Rauch 
gewöhnlich eingeathmet wird, ohne dies ist das Cigarrettenrauchen nicht 
schädlicher. Wird Mäusen unter einer Glasglocke Cigarrettenrauch durch 
den Aspirator zugeführt, so sterben sie nach 6 Minuten. Die Spectralanalyse 
ergiebt CO Hämoglobin. (Centralbl. f. d. med. W.) 

— Universitäten. Greifswald. Dr. Bailowitz, II. Prosector am 
anatomischen Institut, hat sich als Privat-Docent für Anatomie habilitirt. — 
Göttingen. Am 15. November fand die feierliche Einweihung des neuer¬ 
bauten chemischen Laboratoriums statt. —■ Siena. Prof. Rummo, Docent 
für Pharmakologie in Neapel, wurde zum ordentlichen Professor der medicin.- 
propädeutischen Klinik an der medicinischen Facultät in Siena ernannt. — 
Pavia. Prof. Silva erhielt die ordentliche Professur für medicinische Pro¬ 
pädeutik in Pavia. — Baltimore. Prof. Osler von der Universität Pen- 
sylvanien hat seine Berufung zum Professor der medicinischen Klinik an der 
Universität in Baltimore angenommen. — Madrid. Professor Fernandez 
Chacon wurde zur Besetzung der Lehrkanzel für Geburtshülfe nach Madrid 
berufen. — Charkow. Privatdocent Shiltoff wurde zum ausserordeutlichea 
Professor der speciellen inneren Pathologie ernannt. 


XXII. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, den praktischen Aerzten San.-Rath Dr. Job. Staub 
sen. in Trier und San.-Rath Dr. Haffner in Bischofstein den Charakter als 
Geheimer Sanitätsrath zu verleihen. Dem Privatdocenten in der medic. Fa¬ 
cultät, Dr. Meschede in Königsberg ist das Prädikat „Professor“ verliehen 
worden. — Ernennungen: Der praktische Arzt Dr. Wassmann in Görlitz 
ist zum Kreis-Physikus des Kreisses Saarbrücken und der seitherige Kreis- 
Physikus des Kreises Wittgenstein, Dr. Schwienhorst zu Laasphe zum 
Kreis-Wundarzt des Kreises Kempen mit dem Wohnsitz in Süchteln ernannt 
worden. — Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Böttcher in Dan zig, 
Dr. Schalte in Weener, Dr. Rohwedder in Albersdorf, Dr. Burger in 
Wiederzwehren, Dr. Sauer in Frankenau, Dr. Siebei in Aachen; der Zahn¬ 
arzt Zielaskowski in Bochum. — Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. 
Hahn von Marienburg W. Pr. nach Altfelde, Dr. Habermann von Georgen- 
thal i. Th. nach Guben, Dr. Paulisch von Stettin nach Bogen a. D., Dr. 
Seliger von Coadjuthen nach Gehrde, Dr. Schirmeyer von Marburg nach 
Gelsenkirchen, Dr. Kober von Nümbrecht nach Hettenhausen, Dr. Lorenz 
von Netra nach Burgsteinfurt, San.-Rath Dr. Credner von Hanau nach Bad 
Nauheim, Dr. Springsfeld von Bonn nach Aachen, Dr. Eich von Jülich. 
Dr. Fühle von Bonn nach Merzig, Dr. Kuli mann von Baumholder nach 
Oberaula. — Verstorben sind: Die Aerzte: Dr. Staschek in Ober- 
Glogau, Dr. Hacketbal in Treffurt, Kreiswundarzt Dr. Zacharias in Garn- 
see, Ob.-Stabsarzt a. D. Dr. de Grousilliers in Bernstein, Reg.- und Geh. 
Med.-Rath Dr. Gemmel in Posen, Reg.- und Med.-Rath Dr. Reiche in 
Marienwerder, Dr. Gauwerky in Soest, Dr. Eymann in Ankum, Dr. Neub er 
in Meldorf, Dr. Meye in Gilgenburg, Dr. Pickert in Thale, Dr. Heimbs 
in Zinten, Kreis-Physikus Dr. Meyer in Liebenwerda, Kreis-Physikus Dr. 
Seifart in Langensalza, Dr. Vollmer in Bentschen, Dr. Simonsohn in 
Friedrichsfelde. — Vakante Stellen: Das Kreis-Physikat des Kreise« 
Sagan, das Physikat des Kreises Insterburg, die Kreiswundarztsteila des 
Kreises Marienwerder, die Physikate der Kreise Geestemünde und Lieben- 
werda, die Kreiswundarztstello des Kreises Worbis. 


2. Baden. (Aerztl. Mitth. a. Bad.) Niederlassung: Arzt F. Graf 
in Gochsheim. — Verzogen: Arzt J. Fischer von Gocbsheim nach Sinz¬ 
heim; Bez.-A. a. D. Hug von Waldshut nach Freiberg; Dr. E. Wörner 
von St. Blasien nach Buchen; Dr. Donner von Sinzheim. — Gestorben: 
l'r. A. Janzer in Breiten. 


Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 49 . 6. December 1888. 

DEDTSCEE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner* 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. 8. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ueber die Complication von Schwangerschaft 
und Geburt mit Tumoren der Beckenorgane. 1 ) 

Von Professor Fehling in Basel. 

Meine Herren! Von den grossen Erfolgen der operativen 
Gynäkologie hat die Geburtshülfe im engeren Sinne verhältniss- 
mässig am wenigsten Nutzeu gezogen; ausser für den Kaiserschnitt 
konnte die operative Gynäkologie ja für die geburtshülflichen Ope- ! 
rationsmethoden nicht viel Neues bringen, die Stellung der lndica- 
tionen wurde allerdings durch die Antisepsis in manchen Beziehun- ■ 
gen verändert. Dagegen musste naturgemäss auf dem Gebiet, wo : 
sich Geburtshülfe und operative Gynäkologie eng berühren, der ! 
Einfluss der veränderten Anschauungen über Indicationen und Aus¬ 
führung von Operationen sich geltend machen. So sehen wir in ! 
der Tliat unsere Anschauungen über das ärztliche Handeln hei Zu¬ 
sammentreffen von Geschwülsten der weiblichen Beckenorgane mit 
Schwangerschaft und Gehurt wesentlich verändert gegenüber denen i 
früherer Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Der einzelne Arzt, selbst 
der Specialist in diesem Fache, verfügt erfahrungsgemäss hier nicht 
über ein grosses Material und demgemäss nicht über ausreichende 
Erfahrung, über eine Reihe von Operationen wie bei Ovariotoraieen 
und Myoraotomieen; die Fälle, wo Tumoren der Beckenorgane sich 
mit Schwangerschaft und Geburt coinpliciren, sind selten, eben weil I 
diese Tumoren im grossen und ganzen der Entstehung der Schwan¬ 
gerschaft ungünstig sind. Und doch ist die praktische Bedeutung 
solcher Fälle für den Arzt eine grosse, häufig gilt es besonders in 
der Gehurt rasch einen folgenschweren Entschluss zu fassen, von 
dein nicht selten Wohl und Wehe von Mutter und Kind abhängen. 

Es scheint mir darum nicht unwichtig, über die wichtigsten 
Coraplicationeu solcher Geschwülste mit Schwangerschaft und Ge¬ 
burt und zwar über Ovarialtumoren, Fibromyome und Carcinom 
des Uterus in dieser Versammlung der praktischen Aerzte des Landes 
meine Anschauungen auszusprechen, wie sie sich auf Grund der 
gegenwärtigen Stellung der Gynäkologie entwickelt haben. 

Kommt ein derartiger Fall in der Schwangerschaft vor, so liegt 
der Fall meist günstiger, der Arzt bat Zeit zu genauer wiederholter 
Untersuchung und Ueberlegung des Falls, allenfalls zur Zuziehung 
des Raths erfahrener Collegen. Schwieriger liegt die Sache meist 
in der Gehurt; hier ist oft die Diagnose sehr erschwert, wegen der 
Auftreibung des Leibes, wegen der Spaunung durch die Wehen, die 
Differentialdiagnose zwischen Kinds- und Geschwulsttheilen kann 
manchmal recht schwierig werden. Hier gilt als goldene Regel, 
zur genauen Stellung der Diagnose tiefe Narkose der Gebärenden 
einzuleiten, man soll ja nie bei unfertiger Diagnose zur Operation 
übergehen, sondern erst dann, wenn eine wiederholte genaue äusser- 
liche uud iunerliche Untersuchung Klarheit über den Fall gegeben 
haben; nirgends rächt sich planloses Handeln mehr als in der Ge¬ 
burtshülfe. 

Was nun zuerst das Vorkommen von 
Ovarialtumoren 

in Schwangerschaft und Geburt betrifft, so muss man es im ganzen 
als ein seltenes bezeichnen. Unter 17832 Geburten der Berliner 
Klinik kamen Ovarialtumoren nur 20 Mal vor, also 1 : 891; diese 
Zahl ist nach meiner Erfahrung noch zu hoch, was sich leicht 
daraus erklärt, dass an einer Klinik wie der Berliner zahlreiche 
fälle der Art von auswärts zusaramenströmen. Von verschiedenen 

‘) Vortiag, gehalten in der Sitzung des schweizerischen ärztlichen 
Centralvereins in Olten. 


Beobachtern ist ein relatives Vorwiegen der Dermoide betont, da¬ 
gegen kann eine Neigung zur doppelseitigen malignen Erkrankung 
in der Schwangerschaft entschieden nicht zugegeben werden, der 
Uehergang der Ovarialtumoren in maligne ist ja ohnehin kein seltner. 

Merkwürdige Fälle sind in der Literatur beschrieben, wo bei 
doppelseitiger maligner Erkrankung nur minimale Reste gesunden, 
functionirenden Ovarialgewebes vorhanden gewesen waren. Wenige 
Beobachter dürften so glücklich gewesen sein, wie Litzmann, der 
ein Gleichbleiben des Tumors in wiederholten Schwangerschaften 
beobachten konnte. Weitaus in den meisten Fällen ist unter dem 
Einfluss des in der Schwangerschaft gesteigerten Blutandrangs zu 
den Geschlechtsteilen ein überaus rasches Wachsthum bemerkt 
worden. Hieraus folgen sehr lästige Beschwerden für die Schwangeren, 
enorme Spannung des Leibes nicht selten mit Anasarca, Dyspnoe, 
Ruptur des Tumors mit nachfolgender Peritonitis und bei kleineren 
Tumoren besonders in der ersten Hälfte der Schwangerschaft die 
Gefahr der Stieltorsion. 

Nicht selten tritt zur grossen Erleichterung der Kranken schon 
in • der Schwangerschaft spontaner Abort oder Frühgeburt ein. Ist 
dies nicht der Fall, so muss in jedem einzelnen Fall individuali- 
sirend entschieden werden, was zu thnn ist. 

Verhalten in der Schwangerschaft. 

Nach unseren heutigen Anschauungen werden wir sowohl die 
von Barnas empfohlene künstliche Frühgeburt, als die vou Spencer 
Wells ausgeführte Punction in der Schwangerschaft für die meisten 
Fälle ablehnen müssen. Die künstliche Frühgeburt wird der Mutter 
nichts nützen und nur das Leben des Kindes in Frage stellen, der 
Punction in der Schwangerschaft kleben dieselben Gefahren an wie 
ausserhalb derselben. 

Es wird daher gewiss mit Recht die in der Schwangerschaft 
auszuführende Ovariotomie jetzt allseitig empfohlen, dieselbe hat in den 
Händen von Olshausen, Schröder, Spencer Wells und andereu 
ganz ausgezeichnete Erfolge ergeben, auf 36 Fälle nur 1 Todesfall, 
während im ganzen 86 Fälle mit 9,5% Mortalität bekannt sind. 
Wie schon oben hervorgehoben, muss bei Auswahl der Fälle zur 
Operation in der Schwangerschaft individnalisirend vorgegangen 
werdet). Da man nie sicher weiss, ob nicht frühzeitige Ausstossung 
des Kindes folgt — auf 27 Ovariotomieen kam 10 mal Unterbrechung 
der Schwangerschaft, 17 mal ging dieselbe weiter, nach 01 shausen 
folgt in 20 % der Fälle nach Ovariotomie im 3. oder 4. Monat der 
Schwangerschaft Unterbrechung derselben — so wird mau bei Erst¬ 
oder Zweitgebärenden, überhaupt Frauen, welche wenig Kinderhaben, 
den Zeitpunkt hinauszuschieben suchen, um eiue lebensfähige Frucht 
zu erzielen; auch bei sehr kleinen Tumoren kann man meist zu¬ 
warten, wenn dieselben wenig oder gar keine Beschwerden machen. 

Für die Ovariotomie in der Schwangerschaft scheint mir ein 
Punkt bislang wenig beachtet zu sein, der Beachtung verdient. 
Findet sich bei der Operation auch das zweite Ovarium schon ernstlich 
entartet, so muss auch dieses entfernt werden, hiernach folgt dann 
fast immer, wie nach doppelseitiger Castration, ein Blutabgang aus 
dem Uterus, der bei bestehender Schwangerschaft die Ausstossung 
der Frucht im Gefolge haben dürfte. Ich erinnere mich eines 
Falles, wo ich bei einer jungen Frau überlegte, ob die Ovariotomie 
in graviditate auszuführen sei oder nicht; ich entschied mich für 
Zuwarten und musste hei der später ausgeführten Ovariotomie beide 
Ovarien entfernen. 

Bei irgendwie grösseren, besonders multiloculären Cysten ist die 
Operation schon darum iudicirt, weil nach oder in Folge der Ge- 


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1002 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49 


burt nicht selten Vereiterung oder Entzündung des Sacks statt¬ 
findet, vielleicht in Folge von Einwanderung von Entzündungserregern 
vom Uterus aus; ich habe bei einigen Fällen nach der Geburt an¬ 
haltendes Fieber bis zur Operation gesehen mit allseitiger Ver¬ 
wachsung der Cystenwandung. Trotzdem geben diese Fälle eine 
recht günstige Prognose. 

Die Operation unmittelbar vor der bevorstehenden Geburt aus¬ 
zuführen, wie Pippingsköld that, davor sollte eine genaue geburts- 
hülfliche Exploration schützen. 

Wesentlich anders wird unser Verfahren in der Geburt 
8ein. Hier ist die Complication schon viel ernster zu nehmen, es 
sterben nach der Statistik 29-40 °/o der Mütter. 

Die Schwierigkeiten, die der Tumor macht, liegen meist darin, 
dass derselbe, unterhalb des vorliegenden Theils im Beckeneingang 
oder im kleinen Becken selbst eingekeilt, den Eintritt des kind¬ 
lichen Theiles hindert. Ist der Tumor oberhalb des Beckens seitlich, 
hinter oder über dem Uterus geblieben, so wird er meist keine 
Schwierigkeiten für die Geburt veranlassen, höchstens atonisclie Blu¬ 
tungen in der Nachgeburtszeit bedingen. 

Die Gefahr für die Kreissende liegt in der nothwendigen Quet¬ 
schung des Tumors durch den Kindestheil, noch mehr durch ver¬ 
suchte oder wirklich ausgeführte Operationen; Ruptur des Tumors 
mit Peritonitis, oder Gangrän der Sackwandung kann die Folge sein. 

Hier steht nun als Verfahren vor allem voran der Versuch, in 
tiefer Narkose den Tumor an dem vorliegenden Th eil vorbei in die 
Höhe zu schieben; ohne Narkose kommt einem das unmöglich vor, 
in der Narkose geht es, wie ich mich selbst überzeugte, oft über¬ 
raschend leicht. Danach ist dann die Geburt nach den gewöhn¬ 
lichen Grundsätzen zu leiten. Gelingt dies nicht, so ist die Punction 
zu versuchen, die bei einfächerigen Cysten und bei grossen multi- 
loculären Säcken von Erfolg sein wird. Selbstverständlich würde in 
diesen Fällen die Punction von den Bauchdecken aus vorzuziehen 
sein, ist dies nicht möglich, so muss man sich bequemen, von der 
Scheide aus zu punctiren. Dagegen ist die Punction vom Rectum 
aus zu vermeiden. Playfair giebt an, dass er sowohl mit Reposition 
als mit Punction gute Resultate hatte. Entleert sich nach der 
Punction der Inhalt nicht, wie z. B. bei Colloidcysten mit zähem 
Inhalt oder bei Dermoiden, so ist es rationell, wie Fritsch empfiehlt, 
mit der Punction eine breite Incision von der Vagina aus zu ver¬ 
binden, die Sackw&ndung ähnlich wie bei Eröffnung einer Hämatokele 
mit den Schnitten der Vaginal wunde zu vernähen, und den mit den 
Fingern möglichst entleerten Sack mit Jodoformgaze zu tamponiren. 

Was die geburtshülfliehen Operationen hier betrifft, so soll man 
sich vor allem hüten, ohne Entleerung der Cyste gewaltsam die 
Frucht extrahiren zu wollen; ist die Entleerung auf irgend eine 
Weise gelungen, so folgt entweder die Geburt spontan, oder es 
kann nach sonstigen geburtshülflichen Regeln zur Zange oder 
Wendung geschritten werden. Falsch ist bei Gebärunmöglichkeit 
die Perforation des lebenden Kindes; hier ist der Kaiserschnitt aus- 
zuführen, dem man unter Umständen gleich die Ovariotomie an- 
schlie8st; bei todtem Kinde hüte man sich vor forcirter Zange oder 
Wendung und mache frühzeitig die Perforation und Extraction mit 
dem Craniotractor. 

Die Complication von Fibromyomen mit Schwanger¬ 
schaft und Geburt kommt deswegen wohl etwas seltener zur Be¬ 
obachtung als die mit Ovarialcysten, weil bei Fibromen die Conception 
überhaupt gehemmt ist Ich will auf die Frage, ob Fibromyome 
häufiger bei Verheiratheten oder Ledigen Vorkommen, hier nicht 
weiter eingehen, relativ häufiger habe ich diese Tumoren jedenfalls 
bei Ledigen beobachtet und speciell Myomotoraieen und Castrationcn 
entschieden häufiger bei Ledigen gemacht; man muss aber, um die 
Häufigkeit zu berechnen, nicht die absoluten Zahlen der mit Myomen 
behafteten Ledigen und Verheiratheten vergleichen, sondern die Pro- 
cente der überhaupt bei einem grossen Material in Beobachtung ge¬ 
kommenen Verheiratheten und Ledigen; dann werden wohl, was die 
Aetiologie betrifft, die Pathologen gegenüber den Gynäkologen Recht 
bekommen. Auch die Ansicht, dass wir viele Fibrome übersehen 
und nur die grössten erkennen, theile ich nicht, bei genauer Be¬ 
sorgung des Nachgeburtsgeschäfts entgeht uns nicht leicht ein Fibrom. 

Unter den 17 000 Geburten der SchrÖder’schen Klinik wurde 
12 mal Complication mit Schwaugerschaft, 18 mal Complication mit 
Geburt beobachtet, von den letzteren wurden 6 Mütter und 8 Kin¬ 
der erhalten. 

Charakteristisch ist eine meist enorm starke Zunahme des Tu¬ 
mors in der Schwangerschaft, die um so stärker sein wird, je mehr 
der Tumor der eigentlichen Uteruswand angchört, je bessere Er¬ 
nährungsverhältnisse er also darbietet; meist wurde im Tumor 
selbst eine hochgradige ödematöse Erweichung gefunden. Die Folgen 
werden natürlich verschiedene sein, je nachdem der Sitz des Tu¬ 
mors mehr ein subseröser, oder ein interstitieller oder subraucöser 
ist; ich will Sie damit nicht unnöthig ermüden; wer sich dafür 


interessirt, findet Ausführliches in dem Werke von Gusserow 
(Handbuch der Frauenkrankheiten). 

Rasches Wachsthum des Tumors bedingt nun Druck auf die 
Nachbarschaft, Blase, Uretereu, Mastdarm, Beckengefässe und damit 
die entsprechenden Beschwerden; bei subserösen Tumoren kommt 
es besonders leicht zu Einklemmungserscheinungen, in anderen 
Fälleu entsteht spontane Blutung und Abort. Die Prognose wird 
natürlich sehr verschieden sein, je nach dem Sitz des Tumors. 

Die Therapie in der Schwangerschaft anlangend, so ist 
zu bedenken, dass Fibroide an und für sich nicht unbedingt die 
Operation verlangen, wie ein Ovarialtumor; es kann ein Fibrom in 
der Schwangerschaft wachsen und nach der Geburt sich wieder 
spontan zurückbilden, wovon genügend Beispiele vorliegen, wir wer- 
deu also in der Schwangerschaft nicht unbedingt einzugreifen haben, 
blos weil ein Fibrom vorhanden ist Es ist daher auch der künst¬ 
liche Abort an und für sich nur wegen dieser Complication zu wider- 
rathen. Sind keine Störungen da, so heisst es zuwarten; ich war 
erst jüngst erstaunt, in einem Fall zu vernehmen, wie leicht die 
Geburt vor sich gegangen war, wo wegen multipler grosser subseröser 
und interstitieller Myome die Frage der Myomotomie und des Kaiser¬ 
schnitts erwogen woden war. 

Treten lebensbedrohliche Störungen in der Schwangerschaft 
auf, so mache man in Fällen, wo die Myomotomie überhaupt indi- 
cirt ist, die Myomotomie oder die Amputatio supravaginalis des 
schwangeren Uterus, die Kaltenbach zuerst ausführte. Je länger 
man hierbei zuwarten kann, um ein lebensfähiges Kind zu erzielen, 
um so besser. 

Passt der Fall nicht für die Myomotomie, so macht man besser 
den künstlichen Abort. Auch diese Laparotoraieen sind in der 
Schwangerschaft nicht mehr so gefährlich als früher: bei 8 Myomo- 
tomieen in der Schwangerschaft genasen 6 Mütter, 4 Kinder wurden 
ausgetragen; bei 7 Amputationen supravaginales uteri kamen 4 Hei¬ 
lungen vor. 

Die künstliche Frühgeburt kommt dann in Betracht, wenn sub¬ 
seröse Myome oder besonders retrocervicale Myome den Beckenein¬ 
gang verlegen, und keine Möglichkeit besteht, dieselben dauernd 
vom Beckeneingang in die Höhe zu schieben. Die Aufstellung der 
Indication, die Auswahl des Zeitpunkts, geschieht ganz nach den 
sonstigen geburtshülflichen Regelu. Im Wochenbett kann sich, wir 
ich nach künstlicher Frühgeburt erlebte, der retrocervicale Turner 
wieder stark zurückbildeu. 

Für die Geburt gilt als oberster Grundsatz abzuwarlen. so 
lange als möglich, falls kein Grund zum Eingreifen vorliegt Sicht 
selten bemerkt man spontanes Zurückweichen eines im Beckenein¬ 
gang eingeklemmten Tumors, oder es ist durch Knieellenbogenlage 
allenfalls mit Zubülfenahme der Narkose die Reposition möglich. 

Höchst selten kommt wohl die operative Entfernung eines ge¬ 
stielt sich vor dem Kind präsentirenden Myoms in Betracht, am 
ehesten noch bei den Cervicalmyomen selbst. 

Bei Erschwerung der Geburt, besonders durch Raunibeschrso- 
kung, concurriren. Zange, Perforation, Wendung nach den allgemein 
gültigen geburtshülflichen Regeln. Vor der Wendung möchte ich 
im Ganzen warneu, da sie die Mutter gefährdet, ohne grosse 
Chancen für das Kind zu geben. Im Ganzen sind die Resultate 
der gewöhnlichen geburtshülflichen Operationen hier schlecht. 

Ist das Kind lebend, so wird man bei absoluter und relativer 
Indication zum Kaiserschnitt greifen, bei letzterer dann, wenn das 
Myom ohnehin die Laparotomie erfordern würde, bei todtem Kinde 
wird man in diesem Fall die Perforation machen. 

Ob man sich zum conservativen Kaiserschnitt, oder iut Myomo¬ 
tomie mit Versenkung des Stiels nach Schröder oder zum Porro 
entschliessen wird, hängt ganz vom einzelnen Fall ab. Die Kaiser¬ 
schnitte in der Geburt haben bei Myomen schlechtere Resultate er¬ 
geben, als die Myomotomieen in der Schwangerschaft, Cazin zäh!: 
vou 28 Kaiserschnitten nur 4 mit Erfolg für die Mutter auf, Sai¬ 
ger berechnet auf 43 Operationen nur 7 Heilungen. 

Die Gefahren in der Nachgeburtszeit durch atonische Blutun¬ 
gen, ferner die im Wocheubett durch Gangrän und Nekrose de> 
Tumors werde ich hier nur andeuten. 

Von einem anderen Gesichtspunkt als die bisherigen Fälle 
werden wir die Complication der Schwangerschaft und 
Geburt mit Carcinom des Uterus zu betrachten haben. 

Hier handelt es sich um ein ohne Operation rasch tödtliche> 
Leiden, das allerdings die Conception erschwert und daher in der 
Schwangerschaft recht selten zur Beobachtung kommt. Auch hier 
beobachten wir dasselbe Verhalteu wie bei Ovarialtumoren und Myo¬ 
men, ein durch die Schwangerschaft bedingtes überaus rasclu-.' 
Wachsthum. Die Beschwerden in der Schwangerschaft siud die ge¬ 
wöhnlichen des Krebses am Cervix, nur durch die Schwangerschah 
gesteigert; auffallend häufig, in 30—40 % der Fälle, tritt spon¬ 
taner Abort oder Frühgeburt ein, in vielen Fällen bedingt durch 
Fortleitung eines iauchenden Cervicalkatarrhs auf das Endometrium 


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6. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sind schon die Gefahren in der Schwangerschaft gross durch den 
Blut- und Safteverlust, so steigert sich die Gefahr in der Geburt, zu¬ 
mal wenn das Carciuom hart ist und eine grosse Infiltration des pa- 
rainetranen Bindegewebes Platz gegriffen hat. Die Unmöglichkeit 
der starren Infiltration, bei der Geburt nachzugeben, bedingt schwere 
Zerreissungen oder Absterben des Kindes mit Infection der Mutter; 
auch bei lebendem Kind kann in der Geburt durch Resorption der 
zersetzten Massen Endometritis septica entstehen. Die Prognose ist 
danach für das Kind in der Schwangerschaft wegen der Häufig¬ 
keit der vorzeitigen Ausstossung schlecht, wird aber noch bedeutend 
schlechter mit der Geburt; auch für die Mutter ist, wie die statisti¬ 
schen Zahlen zeigen, die Aussicht, ganz abgesehen vom Carcinom, 
eine recht trübe. 

Es fragt sich daher, wie hat sich der Ar/t zu verhalten, so¬ 
bald in der Schwangerschaft die Diagnose Carcinom des Cervix 
feststeht? Meiner Ansicht nach bedingt die wesentlich audere Stel¬ 
lung, welche das Carcinom prognostisch einnimmt, als Ovarientumoren 
und Myome, andere therapeutische Grundsätze als bei diesen Affec- 
tionen. 

Eine Carcinomoperation in der Schwangerschaft hat nur dann 
einen Sinn, wenn sie im Gesunden vorgenommen werden kann, ist 
dies nicht der Fall, dann ist in erster Linie das Leben des Kindes 
zu berücksichtigen; ausgeschlossen sind demnach Operationen, 
welche die Mutter nicht radical heilen und das Kind gefährden, 
weil danach vorzeitige Ausstossung eintreten kann. 

So ist es gewiss mit Genugthuung zu begrüssen, dass es nach 
frühzeitig gestellter Diagnose bisher zwei mal möglich war, in den 
ersten Monaten den carcinomatös erkrankten Uterus samt dem Ei 
zu exstirpiren. Es verdieut diese, von Landau und Hofmeier 
ausgeführte Operation weiterhin, selbst in Fällen bis zum vierten 
oder fünften Monat ausgeführt zu werden, allenfalls nach vorheriger 
Einleitung des künstlichen Aborts, falls das Volum des Uterus für 
die Durchleitung durch die Vagina schon zu gross ist. 

Die supravaginale Excision des Cervix bietet heutzutage kaum 
geringere Gefahren als die Totalexstirpation, und zudem klebt ihr 
die Gefahr des nachfolgenden Aborts an, wie zahlreiche Fälle der 
Literatur beweisen. Ausnahmsweise könnte man bei noch im An¬ 
fänge befindlichem Cancroid der Vaginalportion, besonders der einen 
Lippe, sich mit der supravaginalen Excision begnügen. 

Ist radicale Operation in der Schwangerschaft nicht möglich, 
dann heisst es abwarten. die palliativen Operationen, Auskratzen und 
Paqueliu bewirken leicht Frühgeburt. 

Ebenso verwerfe ich künstlichen Abort und Frühgeburt; den 
künstlichen Abort, weil man in dieser Zeit besser die Totalexstirpa¬ 
tion macht, die Frühgeburt, wegen der durch sie bedingten Gefahr 
der Infection der Kreissenden und der trüben Prognose für das Kind. 

In der Geburt wird man bei Carcinom so lange wie thunlich 
abzuwarten und zu beobachten haben, was die Natur leistet; durch 
desinficirende Ausspülungen ist vor Infection zu schützen und bei 
der Untersuchung Acht zu geben, dass nicht der Finger zersetzte 
Massen in das Uteruscavum einführt. 

Macht die Erweiterung des Cervix nicht genügende Fortschritte, 
so wirken am besten dreiste Incisioneu desselben, man läuft aller¬ 
dings dabei Gefahr, wie ich in einem Falle erlebt, die Blase zu 
verletzen; weniger zu empfehlen ist die mechanische Erweiterung 
mit Cervicalkolpeuryntern nach Art derer von Barnes. Ist die 
Neubildung weich und im Zerfall begriffen, so kann mit Fingern, 
scharfem Löffel, Kneipzange, Ecraseur möglichst viel entfernt wer¬ 
den, um so die Geburt per vias naturales anzubahneh. Sobald wie 
möglich wird man durch Extraction mit der Zange oder an den 
Füssen die Geburt beenden; dagegen ist die Wendung bei Längs¬ 
lagen absolut zu verwerfen. 

Die Perforation ist nur bei todtem Kinde indicirt, sofern sich 
danach durch den Craniotractor die Frucht ohne zu schwere Ver¬ 
letzungen der Frau entwickeln lässt, nicht aber bei lebendem; ich 
halte es für falsch, hier ein kindliches Leben zu opfern, um der 
Mutter einige Wochen oder Monate eines jammervollen Daseins zu 
fristen. Bei lebendem Kinde soll, wenn Gebärunmöglichkeit festge¬ 
stellt ist, der Kaiserschnitt ausgeführt werden, und zwar empfiehlt 
es sich in diesen Fällen, um Infection zu vermeiden, ausnahmslos 
die Porro’sche Operation mit extraperitonealer Versorgung des 
Stumpfes vorzunehmen. 

Der Kaiserschnitt, verbunden mit Freund’scher Operation, wie 
ihn Spencer Wells im sechsten Monate der Schwangerschaft mit 
Erfolg für die Mutter, Bischoff im zehnten Monat mit Erfolg nur 
für das Kind ausgeführt hat, ist durch die oben geschilderten 
Methoden entbehrlich geworden. 

Meine Herren! Das sind die Grundsätze über die Complica- 
tion dieser Tumoren mit der Schwangerschaft, wie sie sich mir all¬ 
mählich ergeben haben, und wie sie auch von der Mehrzahl der 
Faebgenossen getheilt werden. Ich gebe zu, dass sich über einzelne 


1003 


Anschauungen streiten lässt, und dass sich auch in manchen neueren 
Lehrbüchern andere Anschauungen vertreten finden. 

Der Hauptgrundsatz soll in erster Linie immer der sein, Leben 
und Gesundheit der Mutter zu erhalten, nur wenn diese hoffnungs¬ 
los erkrankt ist, tritt das Leben der Frucht in den Vordergrund. 

Es sollte mich freuen, wenn meine heutigen Mittheilungen den 
einen oder den anderen von Ihnen veranlassen sollten, einschlägige 
Beobachtungen mitzutheileu; bei dem relativ seltenen Vorkommen 
der Fälle ist die Veröffentlichung jedes einzelnen nach den neueren 
antiseptischen Grundsätzen geleiteten Falles von Nutzen für die 
Wissenschaft und Praxis. 

n. Zwei Fälle von Echinococcus der Milz. 1 ) 

Von Dr. Fehleisen. 

Docent der Chirurgie an der Universität zu Berlin. 

Meine Herren! Ich bin heute in der Lage, Ihnen zwei ge¬ 
heilte Fälle von Echinococcus der Milz vorstellen zu können. 

Die erste Kranke, eine Frau von damals 38 Jahren, wurde am 5. No¬ 
vember 1886 von Herrn Geheimrath v. Bergmann operirt. Die Kranke 
klagte schon im Sommer 1883 mehrere Wochen lang über heftige Schmerzen 
unterhalb des linken Rippenbogens, die nach der Lendeugegend hin aus¬ 
strahlten. Dieselben wurden mit einer im Mai 1883 erfolgten Frühgeburt in 
Zusammenhang gebracht, bis im August 1883 in der linken Seite des 
Bauches dicht unter dem Rippenbogen eine etwa faustgrosse, leicht ver¬ 
schiebliche Geschwulst entdeckt wurde, welche sich in der Folge langsam 
und ohne erhebliche Beschwerden zu verursachen vergrösserte. Im Herbst 
1886 wandte sich die Kranke an einen Arzt, welcher in Folge der grossen 
Beweglichkeit des Tumors eine Ovarialcyste vermuthete und die Kranke nach 
der gynäkologischen Klinik schickte, von wo aus der Fall dann Herrn Ge¬ 
heimrath v. Bergmann überwiesen wurde. 

Der mannskopfgrosse, glatte, undeutlich fluetuirende Tumor nahm vor¬ 
wiegend die linke Bauchseite ein, war aber auffallend beweglich und liess 
sieh leicht nach unten und rechts hin verschieben. Eine Probepunction 
ergab wasserklaren Inhalt, welcher Hakenkr&nze enthielt. Die Untersuchung 
in Narkose liess einen Zusammenhang mit den Genitalorganen sowohl als 
mit Leber und Niere ausschliessen, so dass mit grosser Wahrscheinlichkeit 
als Sitz des Echinococcus eine Wandermilz angenommen werden konnte. Da 
nun die Wandermilz an sich schon so erhebliche und anhaltende Beschwer¬ 
den macht, dass einige Chirurgen sie exstirpirt haben, da ferner bei lange 
bestehender W'andermilz das Organ häufig ganz atrophisch gefunden wird,*) 
da endlich «ler Träger einer Wandennilz stets durch die Möglichkeit einer 
plötzlich eintretenden Axondrehung oder Torsion des Stiels einer gewissen 
Gefahr ausgesetzt ist, 3 ) so entschloss sich Herr v. Bergmann, eventuell 
die Exstirpation des Organes vorzunehmen. Die Operation, welche durch 
zahlreiche Adhäsionen der Cyste mit Darm und Netz erschwert war, be¬ 
stätigte die Diagnose eines Echinococcus in einer W'andermilz; jedoch war 
das Gewebe der Milz keineswegs, wie man vorausgesetzt hatte, atrophisch 
oder sonst irgendwie pathologisch verändert, das Parenchym erwies sich viel¬ 
mehr vollständig normal und anscheinend functionsfähig. 

Die Wunde heilte reactionslos, jedoch hatte die Kranke während der 
Reconvalescenz eine leichte linksseitige Pleuritis durchzumachen. Auf et¬ 
waige Veränderungen der Blutbeschaffenheit wurde sorgfältig geachtet. Das 
Blut war vor der Operation normal und blieb es auch, wie wiederholte und 
zu den verschiedensten Zeiten 4 ) angestellte Untersuchungen ergeben haben, 
nach der Wegnahme der Milz. 

Das Material, an welchem man die Folgen des Ausfalles der 
Milz beim Menschen beobachten konnte, ist noch ein kleines. Fälle 
von traumatischem Milzprolaps mit nachfolgender Abtragung der 
Milz sind ja nicht allzuselten beschrieben, aber sie stammen meist 
aus älterer Zeit und sind nicht zur Entscheidung der Frage von 
den Milzfunctionen verwerthet worden. Die Exstirpation der Milz 
ist nach der Zusammenstellung von Adel mann 5 ) bis Ende des 
vorigen Jahres 54 Mal gemacht worden; dabei ist aber 37 Mal der 
Exitus letalis eingetreten, und von den geheilten 17 Fällen sind 
nur 8 bis 9 genauer verfolgt worden. Pean beobachtete in zwei 
Fällen (Milzcyste und hypertrophische Milz) einige Wochen resp. 
Monate nach der Operation eine deutliche Vermehrung der weissen 
und Verminderung der rothen Blutkörperchen. Czerny (Wander- 

*) Auszugsweise vorgetragen in der freien Vereinigung der Chirurgen 
Berlins. 

*) Es kommen allerdings auch hyperplastische Wandermilzen vor, uuu 
zwar scheinen gerade diese mehr Beschwerden zu verursachen. 

*) Cfr. Horoch, Verh&ndl. des Chir.-Congr. 1885 I. Th. p. 60. Ab¬ 
gesehen von dem Alber t’schen Fall, welchen Horoch beschreibt, ist be¬ 
sonders das Citat aus Rokitansky beachtenswerth: „ln manchen Fällen 
wird sie (die W'andermilz), früher oder später, bei freier oder adhärenter Milz 
tödtlich, und zwar durch eine von der Zerrung des Magens und der Beein- 
trächliguug der Gefässlumina abzuleitende Gangrän des Magenblindsackes. 
Das dislocirte gezerrte Pankreas zieht in dem zum Milzhilus gehenden 
Strange über das untere Querstück des Duodenums hin und ist im Staude, 
dasselbe bis zur Undurchgängigkeit zu comprimiren'“ 

4 ) Die Kranke wurde auch nach der Entlassung aus der Klinik noch 
weiter beobachtet. 

8 ) Adelmann, Die Wandlungen der Splenotomie seit 30 Jahren. 
Laugenb. Arch. Bd. 36. — Die Arbeit enthält sehr genaue Literaturangaben, 
auf welche ich hier verweise. 


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1004 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49 


milz) fand keine Veränderung des Blutes, dagegen eine vorüber¬ 
gehende Anschwellung der Lymphdrüsen. Crede fand in seinem 
Fall (Cyste) das Blut vor der Operation normal, nach derselben 
trat eine bedeutende Verminderung der rothen, Vermehrung der 
weissen Blutkörperchen ein. Zugleich waren zahlreiche Mikro- 
cyten im Blute vorhanden. Es bestand entzündliche Schwellung 
der Schilddrüse, und es waren schwere Störungen des Allgemein¬ 
befindens vorhanden. Die Veränderung des Blutes begann 8 Tage 
nach der Operation, das Maximum der Entartung war nach zwei 
Monaten erreicht, und nach 4 1 /-.» Monaten waren wieder normale 
Verhältnisse vorhanden. Franzolini (Hypertrophia leucaemica) 
fand vor der Operation die weissen Blutkörperchen um das 5 fache 
vermehrt, 4 Monate nach der Operation war das Blut normal. 1 ) 
Billroth (Sarkom) beobachtete zu Beginn der 3. Woche nach der 
Operation eine beginnende Vermehrung der weissen Blutkörperchen. 
In Albert’s Fall (hypertrophische Wandermilz) ergab die Zählung 
der Blutkörperchen im Cubikmillimeter Blut vor der Operation 
1 600 000 rothe und 26 000 weisse Blutkörperchen, in der 3. Woche 
nach derselben 3 660 000 rothe und 12 000 weisse. Douat (Wander¬ 
milz, früher Intermittens) fand vor der Operation das Verhältuiss 
der w r eissen Blutkörperchen zu den rothen wie 1:250; 6 Monate 
nach der Operation wie 5—6:10 000. Martin (Wandermilz) er¬ 
wähnt nur, dass die Blutuntersuchung in seinem Falle nichts Ab¬ 
normes ergeben halte; es ist aber nicht erwähnt, wann und wie oft 
das Blut untersucht wurde. Endlich ist hier vielleicht auch ein 
Fall von Trendelenburg zu erwähnen, der in Adelmann’s Tabelle 
nicht aufgenommeu ist. Trend eien bürg entfernte, bei der Exstir¬ 
pation eines grossen retroperitonealen Sarkoms die gesunde Milz, 
weil ihre Gefässe zum Theil verletzt und unterbunden waren, und 
weil beim Anziehen der Geschwulst ein Theil der adhärenten Milz j 
abriss. In den ersten 3 Wochen war der Verlauf günstig, dann aber 
nahm der Ernährungszustand immer mehr ab. Es wurden 3 Mal 
Blutproben untersucht; das Blut erwies sich hydraulisch ohne rela¬ 
tive Vermehrung der weissen Blutkörperchen. Die Kranke starb 
wenige Wochen nach ihrer Entlassung, nachdem sich vorher Oedeme 
der unteren Extremitäten eingestellt hatten (Witzei, Beiträge z. 
Chir. d. Bauchorgane, Deutsche Zeitsehr. f. Chir. Bd. XXIV). In 
dem Falle des Herrn Geheimrath v. Bergmann, der die Kranke 
seit der Operation stets im Auge behalten hat, haben, wie schon 
oben erwähnt wurde, zahlreiche, zu den verschiedensten Zeiten an- 
gestellte Untersuchungen des Blutes immer normale Verhältnisse 
nachgewiesen; auch trat weder eine Vergrösseruug der Schilddrüse 
noch eine Anschwellung der Lymphdrüsen auf. 2 ) W'eshalb in 
diesem Falle Störungen ausgeblieben sind, welche sonst fast regel¬ 
mässig nach der Milzexstirpation aufgetreten zu sein scheinen, darüber 
können wohl erst weitere Erfahrungen und Untersuchungen Aufschluss 
geben. Schliesslich möchte ich noch erwähnen, dass dies der zweite Fall 
ist, in welchem eine Echinococcuscyste Veranlassung zur Exstirpation 
der Milz gegeben hat. Im Jahre 1873 exstirpirte Koeberle einen 
grossen Echinococcus der Milz. Auch er musste zahlreiche Ad¬ 
häsionen mit Darm, Magen, Leber und Zwerchfell trennen; der Fall 
endete tödtlich (cfr. Koeberle, Mem. de la Soc. de med. de Strass- 
bourg. T. X. 1873). 

Der zweite Kranke, welchen ich Ihnen vorstelle, ist von mir 
operirt worden, als ich während der Abwesenheit des Herrn Ge¬ 
heimrath v. Bergmann im vergangenen Februar denselben in der 
Klinik zu vertreten hatte. 

Der lljähr. Patient klagt seit 3 Jahren von Zeit zu Zeit über stechende 
Schmerzen in der Milzgegond: seit einem Jahre will seine Mutter eine 
Geschwulst bemerkt haben, welche auf Druck empfindlich war. Zu Anfang 
dieses Jahres nahmen die Beschwerden erheblich zu, und der Kranke kam in 
die Behandlung des Herrn Prof, bitten, welcher einen etwa orangegrossen 
Tumor der .Milz constatirte, an dem deutliche Fluctuation und sehr aus¬ 
geprägtes Hydatiden.schwirren wahrzunehmen war. Ausserdem fühlte man 
ein sehr scharfes und rauhes perisplenitisches Reiben. 3 ) Die Diagnose eines 
Echinococcus wurde durch eine Probepunction gesichert. Nachdem sich die 
entzündlichen Erscheinungen bei entsprechender Behandlung verloren hatton, 
wurde der Kranke der chirurgischen Klinik überwiesen. Der Tumor war 
noch erheblich gewachsen, er überragte die Mittellinie um 2—3 Finger breit 
nach rechts. Das Hydatidenschwirreu war auch damals noch sehr deutlich 
zu demonstriren, während das perispleuitische Reiben nicht mehr nachzu¬ 
weisen war. Die Cyste wurde am 25. Februar blossgelegt und in die Wunde 
eingenäht. (Verwachsungen mit der Bauchwand waren trotz der vorherge- 
gaugenen Perisplenitis nicht vorhanden.) Am 29. Februar wurde sie incidirt 
und ihres Inhaltes entleert. .Sie enthielt zahlreiche Hydatiden. Die Heilung 
erfolgte ohne Zwischenfall; nach etwa 5 Wochen konnte Patient mit massig 

‘) Dieser Fall wäre von 19 Fällen der einzige, wo die wegen Leukämie 
vorgenommene Milzexstirpation nicht zum Exitus letalis führte. 

') Am Halse der Kranken sind einige harte Lymphdrüsen zu fühlen. , 
Dieselben waren tuberculös erkrankt und stammen aus früher Kindheit, i 
Während der Behandlung blieben sic vollständig unverändert. 

3 ) Der Kranke wurde am 2. Februar 1888 von Herrn Prof. Litten der [ 
Gesellschaft der Charit6-Aerzte vorgestellt. 


secernirender Fistel aus der Klinik entlassen werden. Seit 14 Tagen ist die 
Fistel geschlossen. 

Solitäre Echinococeen der Milz sind sehr selten. Mosler 1 ) 
stellte 1884 neben 12 zum Theil ganz zufällig bei der Section ent¬ 
deckten Fällen 18 intra vitam beobachtete Fälle zusammen. Hirsch- 
berg 2 ) ergänzte auf meine Veranlassung die Mosler’sehe Tabellt 
und konnte bis zum Ende des Jahres 18^7 neun neue Fälle hinzu- 
fügeu. Bei 3 von diesen 27 Fällen ist aber die Diagnose nicht 
vollständig sicher gestellt; es sind dies 1) der Fall von Martineau 
(Kyste hvdatique suppose de la rate, l’Union med. 1874); 2) der 
Fall von Legroux (l’Union med. 1850), welchen, auch Mosler 
als zweifelhaft anführt; 3) der Fall von Uterhart 3 ) (Berl. klin. 
Wochenschr. 1869). Demnach liegen unter Hinzurechnung der 
beiden heute vorgestellten Fälle und eines Falles von Wassiljew, 4 ) 
welchen Hirschberg übersehen hat, nur 27 sichere klinische Be¬ 
obachtungen von solitärem Echinococcus der Milz vor. Von diesen 
starben 4 Kranke ohne therapeutischen Eingriff, theils an Erschöpfung, 
theils unter den Erscheinungen von Peritonitis und Pleuritis. 5 ) Eiu- 
mal trat nach einer einfachen Probepunction der Tod ein; es ent¬ 
stand eine schwere Peritonitis, und die schliesslich vorgenommen« 
Eröffnung der Cyste konnte den schlimmen Ausgang nicht mehr 
abwenden. 6 ) Die einfache Entleerung der Cyste durch Aspiration 
wurde in 3 Fällen 7 ) vorgenoramen, alle sind nicht lange genug be¬ 
obachtet, um eiu Recidiv ausschliessen zu können, welches, wie der 
oben erwähnte Fall von Wassiljew beweist, noch nach Jahresfrist 
auftreten kann. Dasselbe gilt von einem Kranken, dem Skoda') 
2 Mal nach vorhergegangener Entleerung verdünnte Jodtinctur ein¬ 
spritzte. Mosler (1. c.) behandelte seinen ersten Fall erst mit 
Aspiration, dann mit Carbolinjectionen. Es trat Eiterung ein, und 
als ein Durchbruch in der Lendengegend drohte, wurde von hiuten 
incidirt und drainirt. Der Kranke wurde mit Fistel entlassen. 

Die Methode von Recamier kam 2 Mal zur Anwendung; ein 
Kranker starb an Pyämie, 9 ) der andere wurde geheilt. I0 ) 

Nach Simon wurden 3 Fälle operirt; einmal trat Pyämie ein 
und führte zum Tode, 11 ) die anderen beiden Fälle verliefen günstig. 1 -) 

Nach der Methode von Volkmann wurde nur 2 Mal operirt: 
nämlich von Albert 13 ) und von mir; beide Fälle verliefen günstiir. 

Die einzeitige Incision wurde 5 Mal, 14 ) stets mit gutem Erfolg 
ausgeführt. Die Exstirpation endlich wurde, abgesehen von dem 
Bergmann’schen Falle, wo zugleich Wandermilz vorlag, nur \<mj 
K oeberle (1. c.) ausgeführt, und zwar bei einer sehr grossen Hv- 
datidencyste. welche in Folge einer Punction vereitert war. Die 


*) Mosler, Ueber Milzechinococcus und seine Behandlung:. Wies¬ 
baden 1884. 

-i ) Ueber Milzechinococcus. Inaug.-Diss., Berlin 1888. 

:t ) In diesem Falle konnte der Sitz der Cyste nur mit Wahrscheinlich¬ 
keit in die Milz verlegt werden: ausserdem ergab die Punction, nach welcher 
Heilung eintrat, nur eitrigen Inhalt, so dass auch die Diagnose .Echin-- 
coccus“ angefochten werden kann. 

4 ) M. A. Wassiljew, Chirurgitscheski westnik 1885, ref. Central* 
f. Chir. 1886. Am 29. December 1883 wurden 3500 ccm aspirirt, darut 
scheinbare Heilung. Nach einem Jahre Recidiv. Nach erneuter Puncti • 
trat Frost und hohes Fieber ein. Nun wurde die Cyste breit gespalten und 
mit der Bauchwand vernäht. Heilung. 

5 ) Schulz, bei Madelung, Beiträge Mecklenburger Aer/te zur Lehre 
von der Echinococcuskrankheit, Stuttgart 1885; Kühn, Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1877: Barret, Bull, de la soc. anat. de Paris 1828: Ewald. 
Eulenburg’s Realencyclopädie IV. Bd., p. 277. 

*’) Gayrand et Vidal, Gaz. des hop. 1850. — Solche lufectioneii 
lassen sich jetzt zwar mit Sicherheit vermeiden, aber ich möchte hier auf 
eine andere Gefahr hinweisen, welche die Probepunction der Milz dann mit 
sich bringt, wenn die Diagnose einer Cyste nicht feststeht: nämlich auf di»* 
Gefahr einer Blutung. Ewald erwähnt, dass auf der Klinik von F re rieh- 
in der irrigen Annahme eines Echinococcus die Milz punctirt wurde. In* 
Resultat waren nur weuige Tropfen Blut in der Spritze. Der Mann colh- 
birte bald und ging unter den Erscheinungen einer inneren Blutung 7 > 
Grunde. Die Section ergab eine beträchtliche Blutung in die Bauchlmhl«-. 
die Milz war stark vergrössert. in eine breiige Masse verwandelt, und aui 
der sonst ganz glatten Milzkapsel fand sich, entsprechend dem Stiche de: 
Pravaz’schen Spritze, eine kleine Oeffnuug, aus welcher offenbar die Blutung 
erfolgt war. (Eulenburg’s Realencyclopädie IX. Bd., p. 79.) 

7 ) Lebert und Berger, Berl. klin. Wochenschr. 1871: Sevestr.-. 
les Kystes hydatides de la rate, ref. Virchow-Hirsch’s Jahresber. ISv- 
Golubow, Medicinskoje Obosrenje 1885. 

8 ) Schroetter, Echinococcus lienis, Wien. med. Jahrb. 19. Bd.. 1S7»» 

9 ) Degaille, Bull, de la Soc. anat. T. XXV. 

10 ) Magdclaine, These de Paris 1868. 

n ) M. Wolff. Berl. klin. Wochenschr. 1870. 

,a ) Wilde, Arch. f. klin. Med. 8. Bd.; Holstein, ref. Vircli. » 
H irsch’s Jahresber. 1878. 

,:l ) Lihotzky, Deutsche Zeitschr. f. Chir. 23. Bd. 

w ) Rosenstein und Sänger, Berl. klin. Wochenschr. 1873: AI« ' 
sandri, ref. Centralbl. f. Chir. 1878; Kirchner, lnaug.-D. Berlin IST:*: 
Fick, Deutsche Zeitschrift für Chir. Bd. 24: Wassiljew. ref. »'ent 
blatt für Chir. 1886. 


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6. December. 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1005 


Operation war, wie schon oben erwähnt, wegen ausgedehnter Ad¬ 
häsionen sehr schwierig; die Kranke starb nach 17 Stunden. 

Schliesslich sind noch zu erwähnen der Fall von Kehlberg. 1 ) 
wo die Cyste nach einer Probepunction stationär blieb, sodass beim 
Fehlen von Beschwerden von einem Eingriff abgesehen wurde; der 
Fall von Berthelot,-) wo nach Durchbruch in deu Darm Spontan¬ 
heilung eintrat, und der Fall von Backhouse, :1 ) dessen Original 
mir leider nicht zugänglich war. Es wurde nach mehrfacher ver¬ 
geblicher Punction am Schulterblattwinkel eingeschnitten; Patient 
starb an Perforation des vereiterten Sackes in die Bauchhöhle. Ich 
muss es unentschieden lassen, ob dieser Todesfall der Punction 
oder der Schnittoperation zur Last fällt. Das Referat schliesst 
jedenfalls die Annahme nicht aus, dass schon vor der lncision Eite- i 
rung eingetreten war. 

| 

TU. Mittheilungen aus dem Fürstlichen Landkrankenhause 

zu Greiz. 

Zur Technik der Fisteloperationen. 

Von Medieinalratk Dr. H. Lindner, dirig. Arzt. 

Die Intestinalfisteln, d. h. die abnormen Ausmündungen von 
Eingeweide!) entweder auf die äussere Haut oder iu andere Schleim- 
haut-bekleidete Höhlen sind meistens mit bedeutenden Beschwerden 
für ihre Träger verknüpft und treiben die letzteren in den meisten 
Fällen dazu, Befreiung von ihren Leiden unter jeder Bedingung zu 
suchen, ln erster Linie kommen hier in Betracht die abnormen 
Ausmündungen resp. Communieationen der Organe der Verdauung 
und des Urogenitalsystems, insofern sie durch das fortwährende 
normwidrige Ausfliessen ihrer Seerete resp. ihres Inhalts nicht nur 
zu ekelerregenden Zuständen Veranlassung geben, sondern auch 
durch die mit dem fortwährenden Ueberfliessen der fötiden Massen 
verbundenen Folgeleiden an der Haut und Schleimhaut auf das All¬ 
gemeinbefinden der betr. Patienten sehr ungünstig zurückwirken. Man 
wird daher genöthigt sein, dem Wunsche der unglücklichen Patienten, 
von ihren Leiden durch operative Eingriffe befreit zu werden, selbst 
dann Folge zu geben, wenn die Operationen sehr ausgedehnt und 
sehr lebensgefährlich siud. Leider bleibt nun auf dem Gebiete der 
Fisteloperationen oft die ärztliche Kunst hinter den Wünschen des 
Arztes zurück, und oft sind es gerade Fisteln, deren Operation an¬ 
seheinend gar keine so grossen technischen Schwierigkeiten bietet, 
welche dem Heilbestreben am hartnäckigsten Widerstand leisten. 
Es ist daher jedenfalls nicht überflüssig, die Technik der Fistelope- I 
rationell weiter auszubilden und besonders auch dahin zu streben, i 
an Stelle von sehr eingreifenden und lebensgefährlichen Operationen 
einfachere und weniger gefährliche zu setzen; z. B. muss ich es für 
ausserordentlich wünscheuswerth halten, dass für die Kothfisteln der 
vorderen Bauchwand ein Modus gefunden werde, um der Darmresec- 
tion oder auch der Anlegung des Enterotoms zu entgehen, sind doch 
Fälle genug bekannt, in denen Patienten, w'elehe schon einen oder 
mehrere schwere Eingriffe glücklich überstanden hatten, schliesslich ■ 
an der zur Beseitigung des Anus präternaturalis unternommenen j 
Operation zu Grunde gingen. Ergiebt auch vielleicht :iu manchen 
Fällen die von Koch vorgeschlagene einfache Anfrischung und Naht 
der Oeffnung im lospräparirten Darm ohne Resection durch ihre , 
geringere Gefährlichkeit günstigere Chancen, so setzt doch auch 
dieser Eingriff ein längeres Hantiren in der Bauchhöhle und eine | 
breite Eröffnung der letzteren voraus, schafft also auch damit nicht 
unbedeutende Gelegenheitsursachen für etwaige Infection. Ausser- 1 
dem wird die Methode in vielen Fällen von grossen Kothfisteln sich j 
nicht anweuden lassen. • 

Schon bei den ersten Versuchen, die ich mit der Vereinigung i 
eomplicirter Dammrisse mittelst versenkter Nähte machte, kam mir j 
der Gedanke, ob es nicht möglich sein würde, auch bei der Ope- i 
ration von Intestinalfisteln die versenkten Nähte zu verwenden. 1 
Mehrere Fälle von Blasen- und Mastdarmscheidenfisteln, die ich zu j 
operiren gehabt hatte, hatten mich besonders betreffs der letzteren j 
die mauniehfachen Lücken der bisherigen Technik sehr schmerzlich I 
empfinden lassen. Leider fand sich, wie das ja gewöhnlich zu ge¬ 
schehen pflegt, nicht so bald die Gelegenheit, das theoretisch Con- 
struirte praktisch zu erproben, erst Ende des Jahres 1886 wurde in j 
meine Privatklinik zu Ludwigslust ein Fall von Anus präternaturalis 
autgenommen, der zum Experiment benutzt werden konnte. Freilich ; 
leistete für diesen Fall die versuchte Operation nicht das Gewünschte, j 
indess war der Fall ein so besonders ungünstiger, und es wurde I 
trozdem ein Achtungserfolg erzielt, es war ausserdem noch mancher j 
Tehler in der Technik dabei vorgekommen, so dass der Misserfolg 
nicht entmuthigen konnte. - Der Fall ist kurz folgender: 

l ) Echinococcus hepatis et lienis; Inaug-Diss. Berlin 1873. 

■’) .lourn. de meil. cliir. 1790. 

■■) Australian medical Journal 1885. Ref. Ceutralbl. f. Chir. 1886, p. 69G. I 


Kr., Tagelöhner aus Kr., wurde im Mai 1886 aufgenommen mit einer 
cigeuthümlicheu Infiltration entlang dem Quercolon, welche fast überall hart 
und höckerig war, nur an einer Stelle im linken Epigastrium weicher und 
undeutlich fluctuireud. An dieser einen umschriebenen Stelle, etwa in der 
Höhe der Spina auterior sup., zwischen dieser und der Mittellinie, war eine 
ringförmige Lücke iu den Bauchdecken zu constatiren, durch welche mau 
die Fingerspitze in die Bauchhöhle einführen konnte, und durch die sich bald 
mehr, bald weniger feine undeutlich fluctuireude Geschwulst wallnussgross 
hervorwölbte. Auf die vorgeschlagene Operation ging Patient nicht ein und 
verliess, nachdem durch Jodpinselung und hydropathische Umschläge eine 
Besserung der hauptsächlichsten Beschwerden erzielt war, die Anstalt. Zu 
Hause bildete sich dann ein Kothabscess, der aufbrach, es entstanden in der 
Folge eine Reihe von phlegmonösen Eiterungen iu der Bauchwand um die 
nun entstandene Kothfistel, es gelang aber, um diese für unser Thema irre¬ 
levante Vorgeschichte kurz abzumachen, schliesslich durch mehrfache Ope¬ 
rationen die Sache soweit zu bringen, dass nur noch eine einfache mark¬ 
st üekgrosse Kothfistel übrig blieb, deren Beseitigung l’at. dringend verlangte. 
— Der Kall lag sehr ungünstig, darüber gab ich mich keinen Täuschungen 
hin; die narbige Umgebung, ein sehr starker Sporn, das waren Factoren. die 
eine direkte Schliessung des widernatürlichen Afters als fast ganz aussichts¬ 
los erscheinen Hessen, auf der anderen Seite war Pat. sehr elend und her¬ 
untergekommen und bat dringend, keine gefährliche oder lang aussehende 
Behandlungsmethode zu wählen, ausserdem bestanden jedenfalls weithin 
gehende, sehr feste Verwachsungen des Darms mit der Bauchwand, es musste 
daher auf Resection des Darms und Anlegung des Enterotoms aus den 
sämmtlicheu angeführten Gründen verzichtet worden. Ich machte also den 
Versuch der direkten Schliessung, und zwar folgendermaassen: Zunächst 
frischte ich die Fistelräuder ausgiebig an und nähte die Fistel mit Oatgut 
möglichst exact, dann exstirpirte ich die Haut rings um die Fistel in der 
Breite von ca. 2 cm, legte nun eine zweite Nahtreihe, die etwa l /j cm beider¬ 
seits von der Fistel ein- resp. ausgestochen wurde, nähte so über die schon 
geschlossene Fistel eine Vs ein hohe Hautfalte als zweiten Verschluss her¬ 
über und schloss schliesslich als dritte Etage die Haut, durch tiefgreifende 
Seidennähte. Fünf Tage hielt die Naht, dann wurde sie durch den andrän¬ 
genden Koth gesprengt, aber auch nur au einer kleinen Stelle, die übrige 
Naht musste dann ebenfalls natürlich geöffnet werden, um eine Kothinfil- 
tralion zu verhüten. Der erste Versuch war also misslungen, aber zu diesem 
Misserfolg muss bemerkt werden, dass 1) der Fall, wie schon erwähnt, ein 
ganz besonders ungünstiger war, und die Umgebung der Fistel durch die 
vorhergegangenen Entzündungen und Operationen ausschliesslich aus fast 
scirrhöser Narbensubstanz bestaud, dass 2) die Anfrischung der Fistelränder 
von mir vielleicht etwas zu sparsam ausgeführt wurde, und dass 3) jedenfalls 
die Naht mit Catgut bei dieser Gelegenheit absolut ungenügend war, während 
bei der starren Narbe Seide vielleicht erheblich bessere Resultate gegeben 
hätte. 

Ein halbes Jahr später, auf dem ersten Congress der deutschen 
Gesellschaft für Gynäkologie, wurde von Schauta über zwei Fälle 
von Mastdarrascheidenfistelu berichtet., in denen er, allerdings von 
ganz anderen Erwägungen ausgehend als ich, eine ähnliche Opera- 
tionsmethode angewandt hatte, indem er die Colporrhaphie ausgefiihrt, 
so die Fistel mit angefrischt und schliesslich nach exacter Naht der 
Fistel die Scheidenschleimhaut über der vereinigten Fistel geschlossen 
hatte. Ob ausser in den von Schauta berichteten günstig ausge¬ 
gangenen Fällen weitere Operationen der Art gemacht worden sind, 
weiss ich nicht, gefunden habe ich darüber Nichts. — Erst im Juli 
dieses Jahres hatte ich wieder Gelegenheit, die oben geschilderte 
Operationsmethode anzuwendeu, und zwar bei einer Urachusfistel, 
diesmal mit günstigstem Erfolge: 

Frau Kaufmann W. aus G. wurde vor ca. ‘/4 Jahren von einem 
namhaften Gynäkologen wegen eines Uterinleidens laparotomirt und 
behielt nach dieser Operation eine Urachusfistel zurück, die der 
betr. Operateur zweimal ohne Erfolg zu schliessen versuchte. Da 
Pat. schwanger war, liess sie weiter nichts an sich machen, sah 
auch nach dem Wochenbette wegen Stillens von jedem Heilversuch 
ab. Als ich die Pat. im Juli untersuchte, fand ich 2—3 Querfinger 
breit oberhall) der Symphyse iu einer ca. l } /o cm breiten Laparo¬ 
tomienarbe eine lippenförmige Fistel, welche eben die Fingerkuppe 
eindriugen liess, und aus welcher fortwährend urinöse Flüssigkeit 
ausfloss. Aus der Fistelöffnung ragte ein erbsengrosses Sclileim- 
hautknötcheu prolapsartig hervor, welches bei Berührung sehr 
leicht blutete. Patientin verlangte operirt zu werdeu, da ihr die 
fortwährende Durrhnässung erhebliche Beschwerden verursachte. 
Am 24. Juli wurde die Operation in der Weise ausgeführt, dass 
ein längs gestelltes ovales Hautstück, dessen Umgrenzungsschnitte 
überall wenigstens 2 cm von der Fistelöffnung entfernt verliefen, 
Umschnitten und exstirpirt, dabei die Fistel zugleich angefrischt 
wurde. Die Exstirpation musste wegen der vorausgegangenen Ope 
rationen sehr vorsichtig gemacht werden, au einer kleinen Stelle 
fiel trotzdem das subseröse Fett vor. Nachdem die Anfrischung 
der Fistelränder noch etwas ausgiebiger gestaltet worden, wurde 
die Naht in der Weise angelegt, dass zunächst die Fistel exact 
vernäht, hierauf zwei tiefgreifende Seidennähte entsprechend der 
Lage der Fistel durch den Grund der nunmehr vorhandenen Wunde 
hindurchgeführt, aber nicht geknüpft wurden, dann über die Fistel 
durch eine zweite Nahtreihe eine ca. 0,5 cm hohe Falte herüher- 
genäht und schliesslich die Haut durch die bereits gelegten und 
eine reichliche Anzahl ausserdem eingelegter Seidennähte geschlossen 


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1006 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 49 


wurde. — Zu den versenkten Nähten wurde Juniperuscatgut benutzt. 
— Katheterisirt wurde nach der Operation nicht. Der Verlauf war 
ein absolut glatter. Pat. hatte niemals Beschwerden, es trat weder 
Schwellung noch sonst etwas Abnormes an der Wunde auf. Einige 
Nähte schnitten allerdings durch, an einigen Stellen trat auch eine 
oberflächliche Dehiscenz der Wundränder auf, das that indess dem 
günstigen Resultate keinen Abbruch: nach 10 Tagen stand Pat. auf, 
nach 3 Wochen war Alles fest vernarbt, die Fistel definitiv ge¬ 
schlossen. 

Ich glaube wohl, dass der letzt beschriebene Fall die Leistungs¬ 
fähigkeit der Methode glänzend beweist, und ich darf wohl dazu 
rathen. Versuche mit der Methode zu machen und ihre Leistungs¬ 
fähigkeit auch in Bezug auf andere Intestinalfisteln zu prüfen. Ob 
es gelingen wird, auch für die Beseitigung des Anus präternatura- 
lis mit dem geschilderten Verfahren etwas zu erreichen, lässt sich 
ja noch nicht sagen, ich möchte aber doch die Hoffnung uicht 
aufgeben, dass in uicht zu ungünstigen Fällen vielleicht eine ein¬ 
greifendere Operation durch die so viel einfachere direkte Schliessung 
wird umgangen werden können. 


IV. Aus der Poliklinik für Ohren- und Nasenkrankheiten 
des Herrn Dr. A. Hartmann in Berlin. 

Ueber den Eiterdurchbrucli bei Erkrankungen 
des Warzenfortsatzes an aussergewöknlichen 

Stellen. 

Von Dr. med. R. Cholewa, Assistenzarzt. 

Bei den spärlichen Veröffentlichungen über unser Thema in der 
otiatrischen Literatur scheint es nicht unangebracht, über mehrere 
Krankheitsfälle zu berichteu, welche sowohl an und für sich, als be¬ 
sonders durch die dabei eingeschlagene Therapie auch das Interesse 
des Nicht-Olirenspecialisten uuter den Collegen zu erregen ge¬ 
eignet sind. 

Aus der Ueberscbrift ergiebt sich, dass wir von den typischen 
Warzenfortsatzentzüudungen absehen, ihr Symptomencomplex, die 
Art der Entwickelung, Ausgänge und Therapie sind zu bekannt, 
als dass hier noch einmal darauf zurückzukommen wäre. Bei Ihnen 
sehen wir den Abscess sich gewöhnlich hinter dem Ohre entwickeln, 
der Eiter hebt die Ohrmuschel ab, nachdem er sich meist unter¬ 
halb der Crista teraporalis zwischen Periost und Knochen ergossen 
hat. Sei es, dass hier die Knocheulamelle durch die andrängende 
Entzündung morsch geworden ist, sei es. dass venöse Kmissurien 
ihm den Weg weisen, jedenfalls sind es Stellen, die der Bildungs¬ 
stätte des Eiters, dem Antrum, am nächsten liegen. Maassgebend 
für den Durchbruch ist fernerhin die Structur des Knochens. Be¬ 
steht derselbe mehr oder w’eniger aus diploetischera Gewebe — und 
dies ist ungefähr in 50 % uacli Zuckerkand! 1 ) der Fall — so 
wird ihm der Austritt nach allen Seiten gleichmässig erschwert sein, 
er wird den kürzesten Weg zwischen Antrum und Oberfläche des 
Knochens wählen und dort austreten, wo wir gewöhnt sind, bei 
der Eröffnung den Meissei aufzusetzeu. Dieses sind also die ge¬ 
wöhnlichen Fülle. Anders verhält es sich jedoch, wenu der Warzen¬ 
fortsatz nicht aus compacter Kuochenmasse besteht sondern ein 
weites Netz von pneumatischen Zellen sein Inneres erfüllt. Bezold 
war es, der auf die Bedingungen, die hierdurch gegeben sind, in 
seiner „Corrosionsanatomie“ aufmerksam gemacht und dort auch 
diese Schläfenbeine beschrieben hat. Nach ihm befanden sich unter 
400 Schläfenbeinen 22 Stück, also 5 %, wo die Spitze des Proc. 
mastoideus aus einer Höhle bestand, deren nach der Incisura 
mastoidea gelegene Corticalis papierdünn und leicht mit eiuer Steck¬ 
nadel zu durchstechen war. Nach meiuen Untersuchungen beläuft 
sich diese Zahl weit höher, indem unter deu mir gütigst von meinem 
Chef zur Verfügung gestellten 150 Schläfenbeinen sich nicht weniger 
als 15 fanden, an denen die Spitze des Warzenfortsatzes von eiuer 
oft nicht weniger als haselnussgrossen Höhle eingenommen war. 
Die Corticalis zeigte sich bei allen auf der Innenseite des Fortsatzes 
äusserst düun und glatt, während die äussere Seite, wie dies auch 
schon Bezold hervorhebt, rauh und compacter erscheint. Es wür¬ 
den sich in diesem Falle also schon 10 ü 0 ergeben, jedoch glaube 
ich, dass auch diese Zahl noch niedrig gegriffen ist, da Zucker¬ 
kand 1 versichert, unter 250 Schläfenbeinen eineu weit grösseren 
Procentsatz derartiger Warzenfortsätze gefunden zu haben. Aus 
diesem Grunde bin ich auch überzeugt, dass unter den Massen¬ 
veröffentlichungen von Aufineisselungen sich eine ganze Reihe finden, 
die eigentlich identisch mit unseren Fällen sind uud nur durch die 
Menge des übrigen Materials sich dem sichtenden Blicke entzogen 
haben. 


Nach Bezold sind die grössten Zellen an der Peripherie des 
Knochens gelegen, er nennt sie deshalb „Termiualzellen.“ Die 
grösste nimmt, wie gesagt, gewöhnlich die Spitze des Warzenfort¬ 
satzes eiu, und oft überbrückt diese mächtige Zelle in ihren Dimen¬ 
sionen die Incisura mastoidea, wodurch sich sozusagen eiu zweiter 
papierdüuner Fortsatz bildet, der sich an das Os occiput wohl au- 
l6hnt aber zum Schuppeuknochen gehört. Ferner finden sich auch 
solche Knoclienvacuoleu bis in’s Occiput, an der Wurzel der Processus 
zygomaticus u. s. w. An letzterer Stelle sind dieselben oft von 
solcher Grösse, dass Schwalbe in seiner Anatomie „der Sinnes¬ 
organe 14 von einem selbständigen Antrum squamosuro spricht, obwohl 
die Ansichten hierüber sehr getheilt sind. Die meisten Ohrenpatho¬ 
logen leugnen die Existenz eines selbständigen d. h. nicht mit dem 
Antrum des Warzenfortsatzes communicirenden Höhlensysteras in der 
Schuppe. Für dieselben ist das Antrum des Warzenfortsatzes das 
Antrum xar d. h. alle Entzündungen entstehen resp. passiren 

das Antrum, und die Entzündung entfernterer Gebiete oder Knochen¬ 
höhlen ist immer durch Fortleitung vom Antrum aus zu erkläret!. 
Diese anatomische Thatsache, d. h. die Höhlenbildung in allen Theilen 
des Schläfenbeins, genügt auch zur Erklärung des Durchbruchs voa 
Eiter bei Entzündungen des Knochens 1) an der innereu Lanielb 
der Spitze des Warzenfortsatzes, welche gegen das Occiput ge¬ 
richtet ist, 2) über der Crista temporalis von den Zellen der 
Schuppe aus. 

Bei deu Durchbrüchen an der Spitze ist der Vorgang, meiner 
Ansicht nach, rein mechanischer Natur. Der Eiter inficirt hier 
ziemlich rasch die sämmtlichen pneumatischen Zellen der Apophyse 
des Warzenfortsatzes und macht nur- deswegen keine grösseren 
Zerstörungen an dem ihm begegnenden Knochenmaterial, weil seinem 
Austritt an der inneren Lamelle der Spitze eben kein nenuenswertbes 
Hinderniss entgegensteht. Der Vorgaug, der sich hier abspielt. ist 
der reinste Typus eines Senkungsabcesses und behält auch diesen 
Charakter, nachdem der Eiter den Kuochen verlassen und zwischen 
die tiefen Muskel- uud Fascienschichteu des Halses getreten ist. 
Bezold hat durch eine Reihe von sinnreichen Versuchen diese 
Processe erläutert und in seinem Vorträge 1881 (gehalten im ärzt¬ 
lichen Vereine zu München) die anatomische Seite der durch sie 
bedingten Zerstörungen sowie das Krankheitsbild und die hiefür 
geeignete Therapie klar gelegt. Wenn nun Bezold weiter an¬ 
führt, dass er unter 400 Schläfenbeinen 4 Mal Dehiscenzrn 
an der inneren Lamelle und dem Wulst in der Incisura mastoi¬ 
dea gefunden hat, so ist dieses wohl für das Zustandekommen dieser 
Scnkungsabcesse von geringem Belang, als anatomische Tha tsacbe 
aber sehr beachtenswerte Kiesselbach (Beiträge zur normalen 
und pathologischen Anatomie des Schläfeubeins, Archiv für Ohren- 
kraukheiten XV) spricht sich dahin aus, dass neben dem Offen¬ 
bleiben der Fissura mast, squamosa oft Bildung vou Dehiscenzen 
in dieser Fissur und an anderen Theilen des Knochens einhergeht. 
Auch mir ist es aufgefallen, dass unter den oben genauuten von 
mir untersuchten Schläfenbeinen sich sechs fanden, wo neben den 
mächtigen pueumatischen Zellen an der Spitze sich theilweises 
Offenstehen der Fissura mast, squamosa fand, und dürfte dieses zur 
Erklärung des Durchbruchs von Eiter über der Crista tem¬ 
poralis zu verwerthen sein. 

Zuckerkandl 1 ) schildert hierhergehörige Fälle. Einen Fall, 
wo fünf kleine Löcher der hinteren Wand des äusseren Gehörgangs in 
die Warzenzellenräume führten. Ausserdem fand Zuckerkandl unter 
200 Schläfenbeinen 4 Fälle, „in welchen Dehiscenzen durch die 
Zellenräume des sich an der Bildung des Warzen fortsatzes betheili¬ 
genden Schuppenstückes in den hinteren Theil der Paukenhöhle 
führten.“ Es liegt auf der Hand, dass iu diesen letzteren vier 
Fällen z. B. eine acute purulente Otitis media sehr leicht eine 
Infeetion des Antrums und weiter der damit communicirenden Schup¬ 
penzellen hervorrufen könnte. In zwei Krankengeschichten, die ich 
im Anschluss an diese Bemerkungen folgen lassen werde, wird di*- 
sich noch deutlicher gestalten lassen. Ebenso kann für diese Fällt, 
wo die Entzündung des Knochens hauptsächlich die Squama betrifh. 
zur Entleerung des Eiters sehr leicht eine Dehiscenz in der äusseren 
Lamelle der Squama, wie sie Kiesseibach schildert, oder auch die 
theil weise geöffnete Sutura mastoid. squamosa benutzt werden. Ich 
sage, es kann der Fall seiu, will aber durchaus nicht in Abrede 
stellen, dass eine Einschmelzung der Corticalis hier eben so gut wie 
wo anders stattfindet, wenn gleich die Rapidität des Processes. wie 
aus einer der Krankengeschichten hervorgehen dürfte, wohl mehr 
für eine natürliche Oeffnung des Knochens spricht. Wir hätten also 
drei Durchbruchsstellen anatomisch charakterisirt 1) die gewöhnliche 
auf der Höhe des Knochens unterhalb der Crista teraporalis 
2. die an der Spitze und 3. die über der Crista temporalis. Bezold 
hat in eben jenem Vortrage einen Fall vorgeführt, der typisch für 
den Durchbruch au der Spitze des Warzen fortsatzes ist, und den 

*) Zuckerkandl. A. f. 0. 1873 No. 3. 


*) Zuckerkand], M. f. 0. Ib79 p. 4. 


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6. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHEN8CHRIFT. 


1007 


wir daher der Schilderung unseres Krankheitsbildes zu Grunde 
legen können. Während einer acuten Mittelohrentzündung bildet 
sich verhältnissmässig früh eine Entzündung des Warzenfortsatzes 
aus. Derselbe ist schmerzhaft, die Patienten fiebern bald mehr 
bald weniger, aber die Weichtheile über dem Knochen sind nicht 
geschwollen, kaum geröthet. Eine regelmässige Schwellung betrifft 
jedoch die obere hintere Wand des äusseren Gehörgangs, und wir 
sehen aus der in die Schwellung hineingezogenen Perforationsöffnung 
des Trommelfells Eiter hervortreten. Allmählich wird die Schmerz¬ 
haftigkeit um die Spitze des Warzenfortsatzes herum stärker, die 
Schwellung der Weichtheile unterhalb der Spitze nimmt sowohl 
nach vorn wie nach hinten an Ausdehnung zu, es bildet sich ein 
Caput obstipum aus. Die Schmerzhaftigkeit bei Druck auf diese 
gespannten, heissen, gerötheten Hautpartieen ist oft excessiv, dieselben 
fühlen sich bretthart an, und ohne dass deutliches Fluctuationsgefühl 
uns die Anwesenheit grösserer Mengen Eiter verrathen hätte, sehen 
wir denselben plötzlich bei unseren Manipulationen massenhaft aus 
dem äusseren Ohr hervortreten. Somit ist die Communication unseres 
Senkungsabcesses mit dem Antrum und der Paukenhöhle erwiesen, 
und es liegt an uns, diese durch den weitmaschigen Bau des 
Knochens bedingte leichte Communication zur erfolgreichen The¬ 
rapie zu benutzen. Ein ähnliches Krankheitsbild liefern uns die 
unter No. 3 bezeichneten entzündlichen Processe in der Squarna, 
welche ihren Eiterdurchbruch über der Crista temporalis haben. 
Auch dort geht wie in No. 2 eine acute Mittelohrentzündung, der 
sich ziemlich früh eine Entzündung des Antrums und der Schuppen¬ 
zellen hinzugesellt, vorher. Auch hier ist die hintere obere Wand 
des äusseren Gehörganges verschwollen und hat die Perforations¬ 
öffnung des Trommelfells in die Schwellung hineingezogen. Der 
Warzenfortsatz ist schmerzhaft, aber weder geröthet noch ge¬ 
schwollen, Schwellung und Röthung befinden sich hier oberhalb 
und hinter der Ohrmuschel, nach oben von der Crista temporalis. 
Hier ist die Schmerzhaftigkeit excessiv, die Kranken fiebern in 
hohem Grade, der Musculus temporalis und mit ihm die obere 
Partie der Ohrmuschel ist vom Kopfe abgehoben. Meist deutet 
hier deutliches Fluctuationsgefühl den weniger tief gelegenen Eiter 
an, welchen eine energische Incision ziemlich massenhaft entleert. 
Die eingeführte Sonde fühlt nach vorn und oben rauhen Knochen 
oder dringt in denselben hinein. 

Wir sehen also, dass für beide Durchbruchsstelleu, sowohl an 
der Spitze des Knochens wie oben an der Schuppe, dieselben ätio¬ 
logischen Momente maassgebend sind, es wird daher auch die Therapie 
für beide Affectionen dieselbe sein. Haben wir es mit einem 
Seukungsabscess unter den tiefen Fascien des Halses und den Mus¬ 
kelansätzen des Biventer und Sternocleidomastoideus zu thun, so 
werden wir nach gehöriger Reinigung und Desinfection der Umge¬ 
bung da eine schichtenweise Spaltung mit Scalpell und Hohlsonde 
vornehmen, wo Fluctuationsgefühl oder erhöhte Schmerzhaftigkeit 
die Nähe des Eiters vermuthen lässt. In den dieser Arbeit zu 
Grunde liegenden drei Fällen fand sich diese Stelle ungefähr drei 
Centimeter unterhalb und etwas nach hinten von der Spitze des 
Warzenfortsatzes. Nach Entleerung des Eiters wird die Höhle mit 
einer Desinfectionsflüssigkeit ausgespritzt, wobei es sich ab und 
zu ereignet, dass wir die Flüssigkeit wieder aus dem äusseren 
Ohr hervorschiessen sehen. Würde nicht schon der bei foreirtem 
Druck auf die entzündeten Weichtheile aus dem Ohre austretende 
Eiter ein sicherer Beweis für die leichte Communication des 
Absoesses mit Antrum und Paukenhöhle gewesen sein, so müssten 
wir angesichts der obigen Thatsache denselben als vollkommen 
erbracht ansehen. Ich führe dieses nur deswegen an, weil Bezold 
sich in seinem Vortrage dahin ausspricht, dass der Eiter an der 
Grenze von knorpeligem und knöchernem Gehörgang austritt und 
somit das Antrum quasi umgehen würde. Wenn nun ab und zu 
auch wohl ein Durchbruch von Eiter an dieser Stelle zugegeben 
werden kann, so darf doch nicht ausser Augen gelassen werden, 
dass dies eine Ausnahme und nicht die Regel ist. Und in diesem 
Sinne führen wir auch unsere Therapie weiter, indem wir durch 
eingelegte Gumrairöhren den Abfluss des Eiters aus dem Knochen 
zu erhalten und das Antrum vom Druck desselben zu befreien 
sucheu. Gelingt uns dieses, so schwillt der Gehörgang bald ab, 
das Trommelfell configurirt sich wieder, die zitzenförmige Perfo¬ 
rationsöffnung verschwindet, und die Hörfähigkeit stellt sich in voll¬ 
kommenem Maasse sehr rasch wieder ein. Nach einigen Tagen 
wird das Gummidrain mit einem dicken Zinkrohr vertauscht,, 
welches mit seinem Ende bis an oder in den Knochen hineinragt, 
und ich halte letzteres für das vollkommene Gelingen unserer The¬ 
rapie für eine fast nothwendige Voraussetzung. Es eignen sich 
also hierfür besonders solche Fälle, wo die ganze Kuppe des 
Warzenfortsatzes durch Eiter zerstört ist, oder wo, wie beim Durch¬ 
bruch an der Schuppe, der Eiter sich durch eine Dehiscenz im 
Knochen ergossen hat. Eben so gut, wie wir an beiden Stellen so¬ 
fort nach der Incision tief mit der Sonde eindringen können, eben¬ 


so leicht gelingt es uns, das Zinkrohr in den Knochen einzufügen 
und durch unausgesetzte Drainage die vollkommene und rasche 
Ausheilung der knöchernen Hohlräume herbeizuführen. 

Selbstverständlich wird das Zinkrohr nach und nach verkürzt 
und von verjüngtem Caliber gewählt. Wenn dann jede Spur von 
Secretion und sämmtliche Entzündungserscheinungen von Seiten des 
Knochens, der Paukenhöhle und der begrenzenden Weichtheile 
verschwunden sind, kann dasselbe definitiv fortgelassen werden. 
Ein Jodoformgazeverband wird in der ersten Zeit täglich, später 
einen Tag um den andern erneuert, wobei Paukenhöhle sowie 
äussere Wunde gereinigt werden; eine einfache Pelotte ersetzt zuletzt 
den voluminösen Verband. Auf diese Weise gelang es uns, in je 
zwei Fällen in verhältnissmässig kurzer Zeit Entzündungen des 
Warzenfortsatzes mit starker Eiterproduction zur vollkommenen 
Heilung zu bringen, und erlaube ich mir im Anschluss hieran die 
diesbezüglichen Krankengeschichten möglichst kurz mitzutheilen. 

I. Durchbruch des Eiters an der inneren Fläche der Spitze 
des Warzenfortsatzes. / 

1. A nna Seibeling, 17 Jahre altes, äusserst gracil gebautes mittelgrosses 
Mädchen, kommt am 2. September 1887 in poliklinische Behandlung. Sie 
giebt an, seit Ende August, krank zu sein, klagt über Schmerzen am rechten 
Ohr und eitrigen Ausfluss; die Untersuchung zeigt, dass derselbe noch an¬ 
hält und seinen (Srund in einer acuten Mittelohrentzündung hat. 

Am 14. September ist der Proe. mastoideus sehr schmerzhaft, keine 
Schwellung, Haut leicht geröthet, auf Jodtinetur-Pinselungen und Eisbeutel 
hinter das Ohr lassen die Schmerzen nach. Am 21. September starke 
Schwellung und Schmerz um die Spitze des Prnc. mastoideus, 2 —3 cm unter¬ 
halb derselben undeutliches Fluctuationsgefühl. Eisbeutel hat keinen Erfolg. 
Wilde’sehe Incision, dicht in der Insertion der Ohrmuschel vorgenommen, 
entleert keinen Eiter, hat aber eine wenn auch kurze Besserung des All¬ 
gemeinbefindens zur Folge. J>ie Schwellung unterhalb und nach hinten von 
der Spitze des Knochens nimmt am 25. September stark zu, durch Druck 
auf die gespannten Weichtheile entleert sich dicker rahmiger Eiter aus dem 
äusseren Gehörgang. Derselbe ist in der letzten Zeit stark verschwollen und 
zeigt in der Tiefe die charakteristische zitzenfürmige Perforationsöffnuug des 
Trommelfells, welche in die Schwellung der hinteren oberen Gehörgangswand 
hineingezogen ist. Am 26. September wird der Schnitt dort, wo sich am 
22. September schon undeutliches Fluctuationsgefühl zeigte, circa 3 cm nach 
hinten und unten von der Spitze des Knochens angelegt und fördert massen¬ 
haft dicken Eiter hervor. Bei Ausspülung der Höhle mit Carhollösung tritt 
dieselbe zum äusseren Gehörgang hervor, und es gelingt mit der Sonde nicht 
allein die Spitze und innere Seite des Knochens ahzutasten, sondern die 
Sonde dringt auch in verschiedene Loculumente desselben mehr oder weniger 
tief hinein. Einlegen eines Drainagerohres. Am 27. September Allgemein¬ 
befinden sehr gut, kein Schmerz, kein Fieber. Appetit und Schlaf sehr gut. 
Die Eiterung aus dein Gehörgang sistirt. Die Oeffnuug im Trommelfell schlicsst 
sieh langsam, am 8. October trifft die Sonde noch auf rauhen Knochen. Es 
ist unterdess der Gununidrain mit einem Zinkrohr vertauscht worden, welches 
mit seinem Lumen bis in den Knochen hiueinragt. Am 17. October ist die 
Secretion sowohl aus dem Ohr wie aus dem Knochen = 0, die Uürfähigkeit 
ist normal und ebenso gross wie auf dem nicht erkrankten linken Ohr. Bis 
zum 25. October bat sich der Fistelgang derartig verkürzt, dass das Zink¬ 
rohr weggelassen werden kann, die minutiöse Narbe hinter dem Ohr ist das 
Einzige, was die Patientin an die üherstandenc Gefahr erinnert. 

2. Einen ebenso günstigen Verlauf sahen wir in unserem zweiten 
! Fall, der einen 55jährigen Tischler, Aug. Below, betraf. Derselbe kam 

am 23. Juni mit Ohrenfluss und polypösen Wucherungen in Behandlung. 
Nachdem dieselben mehrmals per Curcttc entfernt und Patient zwischen 
durch wieder gearbeitet hatte, kam derselbe am 9. August mit starker Au- 
i Schwellung unterhalb des Warzenfortsatzes, die sich weit nach dem Ilinter- 
] haupt ausdehnte, hohem Fieber und schlechtestem Allgemeinbefinden wieder 
1 in die Klinik. Die Incision ging dieses Mal durch den Ansatz des Kopf- 
1 uickers bis durch die tiefen Fascien und entleerte viel Eiter; auch hier trifft 
' die Sonde auf rauhen Knochen. Das Allgemeinbefinden besserte sich sofort, 
j und trotz eines Erysipels, welches binnen 14*Tagen den ganzen Schädel 
I überzog, geht die Heilung des Knochens ruhig ihren Gang. Die Secretion 
I aus dem Ohre sistirte auch hier sehr rasch, am 5. October ist der Fistelgang 
| nur für ein dünnes, kurzes Zinkrohr noch durchgängig und schlicsst sich 
| Ende des Monats definitiv. 

II. Indem ich mich nun zu den Affectionen der Schuppe, oberhalb 
der Crista temporalis wende, tbeile ich ebenfalls zwei Krankenge¬ 
schichten mit, deren erste von mir selbst beobachtet, die zweite jedoch 
mir gütigst von meinen Chef zur Mittheilung überlassen wurde. 

3. Martha 11 aase. 22 Jahre, grosses schlankes Mädchen von äusserst 
i leidendem Aussehen, stellt sich am 27. September in der Klinik vor. Sic 

theilt mit, dass -io am 25. August an einer heftigen Ohrentzündung erkrankt 
sei, so r ort ärztliche Hülfe aufgesucht habe. Trotz der damals sofort vorge- 
; nommenen Paracentese stellten sich acht Tage darauf starke Schmerzen am 
Schuppcntheil des Knochens ein, die über den ganzen Kopf und Hals aus¬ 
strahlten. Die Ohrmuschel nebst dem Temporalis zeigen sich bei der 
Untersuchung stark abgehoben, der Gehörgang ist voll Eiter, die Hör¬ 
fähigkeit fast null. Bei der Incision oberhalb und etwas nach hinten von 
der Ohrmuschel entleert sich viel Eiter, die Sonde dringt tief in den Knochen 
hinein. Nach dem ersten Verbände entleert sich mit dem Eiter ein kleiner 
Sequester, das Allgemeinbefinden besserte sich sofort und die Ilörfahigkeit 
nahm von Tag zu Tag zu. In die Incisionsöffnung kommt ein dickes, ziem¬ 
lich langes Zinkrohr, so dass ein freier Einblick auf den erkrankten Knochen 
i bestehen blieb. Am 27. October ist die Ilörfahigkeit normal, die Secretion 


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1008 


DEUTSCHE MT5DICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49 


aus dem Knochen sistirt. die Heilung ist eine vollständige. Aus der elen¬ 
den blassen Gestalt war eine blühende Erscheinung geworden, die Patientin 
war bei einer nochmaligen Vorstellung in ihrer Frische und Stärke kaum 
wiederzuerkennen. 

4. Herr X.. 31 Jahre alt. erkrankte Ende August nach heftigem Schnupfen 
an acuter Mittelohrentzündung linkerseits, verbunden mit Schmerz. Sausen und 
Schwerhörigkeit und Ausfluss serös-schleimiger Flüssigkeit. Drei Tage vor 
der ersten Vorstellung am 14. September hatten sich in der Warzenfortsatz¬ 
gegend Schmerzen eingefunden, an denen sich die ganze linke Kopfhälfte 
betheiligte, nebst Fieber und Appetitlosigkeit. Bei der Untersuchung findet 
sich «las Trommelfell blasig vorgewölbt, die Spitze der blasigen Vorwölbung 
mit der kleinen Perforation der vorderen Gehörgangswand aufliegend, wo¬ 
durch der Secretabfluss gehindert ist. Es wird eine ausgiebige Spaltung der 
vorgewölbten Theile vorgenonnuen und ein Eisbeutel auf den Warzenfortsatz 
angeordnet, wodurch sowohl die Schmerzen als die übrigen Entzündungser¬ 
scheinungen sich verringern. Am ‘22. September stellt sich wieder stärkere 
Schmerzhaftigkeit ein, hinten und oberhalb der Ohrmuschel in der Schläfen¬ 
gegend bildet sich eine Anschwellung, die am 24. September etwas Flue- 
tuation oberhalb der Crista temporalis zeigt. Durch Ineisinn wird eine 
Menge Eiter entleert, der Knochen zeigt sich etwas nach hinten und oben 
vom Gehörgang vom Periost entblösst. ohne dass jedoch eine Lücke nach¬ 
weisbar ist. Drainage. Hierauf Nachlass sämmtlicher Erscheinungen, voll¬ 
ständiges Wohlbefinden. Vollständige Heilung mit Wiederherstellung des 
Hörvermögens in 14 Tagen. 

Die Heilung ist jedoch nicht immer ohne Eröffnung des Warzen¬ 
fortsatzes zu erreichen. Es kommen Fälle vor. wo kurz nach Ein¬ 
leitung der Drainage das Zurücktreten sämmtlicher Entzündungs¬ 
erscheinungen sowohl von Seiten des Knochens, wie der Paukenhöhle 
und der umgebenden Weichtbeile, für ein. Erlöschen des Processes 
spricht, wo das Allgemeinbefinden, die fast in integrum restituirte 
Hörfähigkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Indessen nach kurzer 
Zeit schwillt der weitgeöffnete Gehörgang wieder mehr und mehr 
zu. aus der Perforationsöffnung im Trommelfell entleert sich wieder 
Eiter, was darauf hinweist, dass die Entleerung des Eiters an der 
Spitze des Knochens entweder eine ungenügende ist, oder sich 
Granulationen im Knochen gebildet haben, die den Abfluss ver¬ 
hindern. Die Fortdauer der Eiterung veranlasst uns dann, die Auf- 
ineisselung des Antrums als Quelle des Eiters vorzunehmen. Von 
mancher Seite dürfte, und wohl nicht mit Unrecht, der Einwurf 
gemacht werden, dass durcli eine frühere Aufmeisselung das .cito“ 
in diesen Fällen correcter herbeigeführt wäre. Dem möchte ich 
gegenüber halten, dass erstens dieser Ausgang nur in einem Theil 
unserer Fälle zu verzeichnen ist, zweitens die Patienten sich nach 
Eröffnung des Senkungsabcesses so wohl gefühlt haben, dass die 
Gefahr des Verzuges bei der weitereu Behandlung ausgeschlossen 
erscheint. Besonders hat unser Verfahren für den Arzt, der ganz 
auf sich seihst angewiesen, feru von den Centren der Wissenschaft 
leben muss, etwas sehr Verlockendes. Ohne mehr Erfahrungen in 
der Ohrenheilkunde zu haben, als für die allgemeine Untersuchung 
und Beurtheilung solcher Fälle nothwendig ist, wird es ihm ein 
Leichtes sein, die augenblickliche Gefahr, welche durch Senkungs- 
abscesse oder Sepsis nach dein Gehirn droht, zu vermeiden. 

Bei der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes nun, welche bei 
Behandlung dieser Art von Eiterdurchbrüchen nöthig wurde, hat. 
Dr. Hartmaun davon Abstand genommen, in Bezug auf den Modus 
der Aufmeisselung dem Vorschläge Bezold’s zu folgen. Bezold 
sagt in seinem Münchener Vortrage: .Mein Vorschlag geht also dahin, 
für diese Fälle (Durchbruch an der einen Seite des Proc. mastoi- 
deus) den Perforationscanal nicht in der üblichen Weise in der 
Höhe des Gehörganges beginnen zu lassen und bis in den Central¬ 
raum der Warzenzellen, das Antrum, zu führen, sondern den 
Meissei weiter nach unten auf die Spitze des Proc. mastoideus auf¬ 
zusetzen und diesen in seiner ganzen Dicke bis zur Incisura mastoi- 
dea zu durchbohren.“ 

Es mag in manchen Fällen diese theoretisch nicht anzufechtende 
Therapie ihr Gutes haben, im Grossen und Ganzen dürfen wir aber 
nicht vergessen, dass die Quelle der Eiterung im Antrum proc. 
mastoidei zu suchen und zu finden ist. 

Deshalb wurde von Dr. Hartmann in diesen Fällen die 
Eröffnung an der gewöhnlichen Stelle vorgenommen. Es wurde in 
der Anheftungslinie der Ohrmuschel eingeschnitten und in der Höhe 
des oberen Raudes der äusseren Ohröffnung aufgeraeisselt. Schon 
nach den ersten Meisselsehlägen quillt gewöhnlich Eiter hervor, und 
nach Abtragung der Cortioalis zeigt sich das ganze Innere des 
Warzen fortsatzes mit schwammigen Granulationen überreichlich 
angefüllt. Dieselben werden mit dem scharfen Löffel entfernt und 
ein Jodoformgazeverband angelegt. Es zeigt sich, dass nach Aus¬ 
schabung des Antruins und der angrenzenden Bezirke die Eiterung 
sowohl aus den tiefen Muskel- und Fascienschichten wie auch aus 
der Paukenhöhle sofort verschwindet, und die definitive Heilung 
durch von Neuem eingeleitete Drainage der Knoehenwunde sehr 
bald herbeigeführt wird. Obgleich Fälle dieser Art z. B. von 
Hetlinger und Jacoby schon geschildert, sind, so möchte ich hier 
doch den Bericht über zwei folgeu lassen, von denen der erste in 


der Zeitschrift für Ohrenheilkunde Baud XIII von Dr. Hartmann 
im Jahre 1883 schon veröffentlicht, der zweite aber von mir 
selbst beobachtet worden ist. Dr. Hartmann’s Fall ist insofern 
interessant, als bei dem 60jährigen Arbeiter der Warzenfortsatz auch 
nur in der ersten Zeit der Erkrankung schmerzhaft gewesen war. 
Röthung und Schwellung desselben aber nie bestanden hatte. Auch 
hier war eine Communication des Scnkungsabscesses am Halse mit 
dein Antrum uud der Paukenhöhle nachzuweisen, obgleich die 
Incisiouswunde ziemlich entfernt in der Mitte der seitlichen Hal>- 
gegend lag, und deshalb auch eine hinreichende Drainage des 
Knochens nicht opportun erschien. Nach der Aufmeisselung ward 
der Verlauf rasch ein günstiger. 

In dem von mir beobachteten Falle, welcher einen kräftig ge¬ 
bauten 45jährigen Mann, H. II . . . ., betrifft, war die Erkrankung 
des Warzenfortsatzes die Folge einer etwas verzögerten Mittelohr¬ 
entzündung. Derselbe stellte sich uns gleich mit eitrigem Ohrenflu™ 
und einer starken Anschwellung unterhalb der Spitze des rechten 
Warzenfortsatzes, die aber vorn bis zur Wange, hinten bis zum 
Occiput reichte, vor. Die Geschwulst war roth, heiss, sehr schmerz¬ 
haft und zeigte ca. 3 cm nach hinten von der Spitze des Warzen¬ 
fortsatzes undeutliche Fluctuation. Auch hier trat auf Druck Eiter 
aus dem äusseren Ohre hervor, und wurde an jener Stelle daher 
eine tiefe Iucision gemacht. Trotzdem reichlich Eiter entleert 
wurde, war doch die Spitze des Knochens mit der Sonde nicht vom 
Periost entblösst zu fühlen, die Drainage konnte in Folge dessen 
auch nicht den günstigen Erfolg wie in unseren früheren Fällen 
haben. Nachdem immer erneute Schwellungen der umgehenden 
Weichtheile sowohl wie der oberen hinteren Gehörgangswand den 
Verdacht auf eine granulirende Knoehenentzündung sicher stellten, 
wurde zur Aufmeisselung des Warzen fortsatzes geschritten. Auch hier 
war die Cortioalis intact aber sehr dünn, so dass nach den ersten 
Meisseischlägen sofort reichlicher Eiter aber auch starke Granulationen 
hervortraten. Nach Ausschabung derselben uud Einleitung der Drai¬ 
nage schlossen sich die stark gewulsteten Fistelöffuungen am Halse von 
selbst, und war die Heilung binnen 4Wochen nach dem operativen Ein¬ 
griff eine vollkommene. In diesem Falle war die granulirende Knorhen- 
entzündung wohl der Hauptfactor, weshalb die defiuitive Heilune 
vermittelst der erst eingeleiteten Drainage nicht glückte, ferner aber 
auch dürfen wir in diesem Falle eine Lage der Durchbruchsöffnuni: 
am Knochen annehmen, die für die Einleitung einer Drainage un¬ 
günstig ist. Für diese Fälle also hat Bezold besonders di-' 
„Durchbohrung“ der Spitze des Warzenfortsatzes empfohlen, dnrli 
glaube ich mit unseren beiden Krankengeschichten den Beweis gc- 
liefert zu haben, dass die Aufmeisselung des Antruins sicberlich 
denselben günstigen Erfolg hat und iu manchen Fällen dem 
Bezold’schen Verfahren vorgezogen werden dürfte. 

Zum Schlüsse meiner Arbeit sage ich meinem verehrten Chef. 
Herrn Dr. A. Hartmann, für seine freundliche Unterstützungdur-h 
einschlägige Fälle und Präparate meinen wärmsten Dank. 


V. Zur Typhus-Therapie. 

Von Oberstabsarzt Dr. A. Vogl in München. 

(Schluss aus No. 48.) 

Wenden wir unseren Blick wieder zurück auf den jüngsten 
Stand der Frage der Typhustherapie in unserem Vaterlande. ><■ 
finden wir jetzt schon, bevor sie Gegenstand einer beabsichtigten 
erneuten Berathuug geworden, das Verhältniss der Stimmen -für 
und wider Hydrotherapie“ in Uebereinstimmung mit dem che« 
nachgewieseuen Uebergewichte der Anhänger über die nur mehr 
vereinzelte Opposition in Frankreich. 

Unverricht hat. wie schon erwähnt, bei Heranziehung 1 <i 
U rtheile verschiedener Autoren, namentlich uur das herausgenomim'“- 
was seinem Bestreben, die Liebermeister'schen Sätze nieder^ 
werfen, dienlich erschien; ganz selbstverständlich hat er alk • 
Sätze und Worte hervorgehoben, die sich gegen die Ausschluß' 1 ' 
keit der Gefahr der Hyperthermie aussprechen. Dadurch ist 
ches unerwähnt gebliebeu, was den Gesichtspunkt dieser khm <■ 
im Kernpunkte der Frage — der Fieberbehandlung — richtig 
zeichnen vermag. , 

In dem ersten Theile werdeu in anstehender Reihenfolge 11 ' 
Meinungsäusserungen der Kliniker über den Werth der me« m 
meutösen Antipvrese angeführt, und im zweiten Theile sin« 
Citate dazu bestimmt, die Ansichten über die antipyretische "*r'» 
des kalten Bades darzuthun. Die Ansichten über die \Virkung '' 
kalten Bades überhaupt sind theils unerwähnt gebliebeu. 
nur angedeutet, so dass ich mir das nachzutrageu gestatte. *•*-' . 

Beurtheilung der heutigeu Anschauungen „über Fieberbeham 11 ^ 
von Belang erscheint; der Hinweis auf die betreffende Literatur 
bei Un verricht zu ersehen. 


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6. Deeember. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


v. Jakscb spricht sich über den geringen Werth der anti¬ 
pyretischen Medicarnente und die tonisireude Wirkung der Bäder 
aus und nennt die Hydrotherapie „die wichtigste Errungenschaft 
der modernen Therapie.“ 

Strümpell betont die geringe Leistungsfähigkeit der medica- 
mentösen Antipyrese gegenüber der parenchymatösen Veränderung 
der Organe und sagt bezüglich der Therapie des Typhus, dass 
„nach dem jetzigen Stande nur die Br and'sehe Methode in Be¬ 
tracht kommen könue.“ 

Heubner: „Die Antipyretica bewirken keine Aenderung im 
Gesammtcomplex der Erscheinungen“ . . . „daher ist (mit Lieber¬ 
meister) die Wasserbehandlung als das Wichtigste zu erachten!“ 
H. spricht von der „durch tausendfache Erfahrung bestätigten, vor¬ 
züglichen Wirkung der Wasserbehandlung.“ 

Fraentzel äussert sich ganz ablehnend gegen medicamentöse 
Antipyrese, die er im Typhus nutzlos, in der Pneumonie gefährlich 
erachtet. Wenn F. seine neueren Erfahrungen bezüglich der Kalt¬ 
wasserbehandlung des Typhus als weniger günstig bezeichnet, so 
schliesst er sich doch der allgemeinen Meinung an, dass „die Be¬ 
handlung mit Bädern die besten Resultate giebt.“ Beiläufig soll 
die Mittheilung F.'s hier Erwähnung finden, dass Traube im Typhus 
(bei der stupiden Form) Bäder mit 14 u R später mit 16° R täglich 
zweimal und Begiessung mit 1—2 Eimern kalten Wassers anwendete 
und dieser Therapie bis zum Tode treu blieb. 

Stiller verwirft die Antipyrese ä tout prix, sei es mit Medi- 
camenten oder mit kaltem Wasser; aber zur Belebung des dar- 
uiederliegenden Nervensystems rühmt er das kalte Wasser in maass¬ 
voller Anwendung. 

Eich hörst machte in einer Epidemie in Zürich „absichtlich“ 
von der Kaltwasserbehandlung keinen Gebrauch. Deshalb er¬ 
scheint hier die Mittheilung bemerkenswert!), dass die häufigste 
Ursache des Todes Collaps und Pneumonie war, und dass besonders 
Mäuner zur Hyperpyrexie geneigt haben. 

Senator spricht sich gegen die medicamentöse Antipyrese aus 
und widerspricht der Bezeichnung des kalten Bades „als anti¬ 
pyretisches Mittel par excellence.“ Er empfiehlt das kalte Bad 
„wegen seiner anregenden Wirkung auf Nervensystem, Circulation 
und Athmung besonders bei der stupiden Form des Typhus.“ Im 
Uebrigen hält Seuator noch weitere Prüfung in dieser Richtung 
für geboten: „Die Erfahrung hat hier das entscheidende Wort zu 
führen.“ 

Goltdamraer’s Erfahrungen aus Bethanien sind in hohem 
Grade beachtenswerth; er erklärt sich getäuscht in dem ürtheile, 
das er früher über die Kaltwasserbehandlung in mit Brand fast 
übereinstimmend günstigem Maasse abgegeben hat. Aber G. war 
schon damals, wenn auch weniger als die übrigen Kliniker Berlins, 
der Strenge der Brand’seheu Methode noch ziemlich fern ge¬ 
blieben und äussert sich jetzt hauptsächlich nur unzufriedeu über 
die Enttäuschung bezüglich der antipyretischen Wirkung der kalten 
Bäder. 

Glaeser’s Bericht über „Die Temperaturverhältnisse in zwei¬ 
hundert tödtlich verlaufenen Typhusfallen“ gestattet dem Leser doch 
zu wenig Einsicht in den Temperaturgang der angezogenen Fälle, 
um die Frage: „Wo bleibt da die hohe Gefahr der Temperatur?“ 
nach einer oder der anderen Seite beantworten zu können. 

Bezüglich des Vergleichsraaterials, welches die Behandlung als 
einflusslos auf die Mortalität darstelleu sollte, habe ich in der 
nächst erscheinenden Arbeit nachzuweisen versucht, dass hier aller¬ 
dings diese Einflusslosigkeit zutreffend war: Die eine Hälfte des 
grossen Materiales war nur einer weniger als halben Bäderbehand¬ 
lung. hin und wieder sogar mit medicamentöser Antipyrese com- 
binirt, unterworfen; dies waren aber nach Gl. die „streng nach 
Brand“ behandelten Fälle; die andere Hälfte befand sich in einer 
«sogenannten exspectativ-symptomatischen Behandlung,“ die, wie 
Gl. zugiebt, ziemlich viel mit Kaltwasserproceduren — und wie es 
scheint, noch mehr als Gl. selbst weiss—combinirt war; die Hälfte 
dieser letzten Kategorie war wieder nach anderer Art behandelt 
worden, die Gl. „nicht strenge Bäderbehandlung“ nennt. Alle drei 
Kategorieen hatten 7,2% Mortalität. Die ganz gleiche Mortalität bei 
ganz gleichen localen, zeitlichen und individuellen Verhältnissen 
lässt hier auch unabweisbar auf Gleichheit der Therapie schliessen, 
und diese war sicher gegeben, denn bei strenger Bäderbehandlung 
nach Brand auf der einen und bei rein exspectativer Behandlung 
auf der anderen Seite können die Heilresultate nie und nimmer¬ 
mehr die gleichen sein! Die Behandlung war hier, wenn nicht 
Alles trügt, in allen Jahrgängen und auf allen vier Stationen eine 
mit Bädern combinirte symptomatische. Und doch dient diese 
Glaeser’sche Statistik in Ermangelung eigener Erfahrungen über¬ 
all als erstes und fast einziges Beweismoment gegen die nun in 
erdrückender Zahl vorliegenden Berichte über die günstigen Heil¬ 
resultate der streng-methodischen Hydrotherapie. 

Fi sc hl verwirft die medicamentöse Antipyrese ebenso wie die 


1009 


Bäder nicht gänzlich, doch hat er von beiden keine sicheren Erfolge 
gesehen. Gleichwohl würde F., wenn bei hyperpyretischen Tempe¬ 
raturen, die nach seinen Erfahrungen immer eine schlimme Prognose 
geben, alles andere im Stiche lässt, dennoch vielleicht wieder zu 
hydriatischen Methoden, und zwar, sobald die milderen Proeeduren 
versagen, auch zu den Bädern seine Zuflucht nehmen. 

Curschmann tadelt besonders das Schematische der Bäder¬ 
behandlung, da ein leichter inittelschwerer Fall von Typhus bei 
einem vordem gesunden, nicht zu alten Individuum von selber 
heile; er sei „ebenso wenig ein principieller Gegner der Kaltwasser¬ 
behandlung, wie ein Enthusiast nach Brand’scher Art;“ wenn er 
dieselbe anwende, so wähle er die Ziemssen'sehen allmählich ab¬ 
gekühlten Bäder. 

Naunyn, obwohl der erste, der die Lieber me ist er'scheu 
Sätze experimentell geprüft und zuröckgewiesen, rühmt doch mit 
Nachdruck die Vorzüge der Hydrotherapie, da diese in Doppel¬ 
wirkung zur Verwendung kommen könne: als Anregung bei niederer 
Temperatur und kurzer Dauer des Bades, und als Abkühlung bei 
mässiger Temperatur und längerer Dauer des Bades; in ersterer 
I Richtung geht N. in Strenge des Vollzuges noch über das Brand’sche 
Schema hinaus uud „würde den Verzicht auf die Bäderbehandlung 
als schlimmen Rückschritt beklagen.“ 

Zieht man aus diesen C'itaten ein Resume, so ergiebt sich, dass 
die Zahl derjenigen Kliniker sich erhöht hat, welche aus den Er¬ 
folgen der medicaraentösen Antipyrese einer- und der Bäderbehand¬ 
lung andererseits zu dem Schlüsse gekommen sind, dass nicht in 
der Hyperthermie Hauptgefahr und Angriffspunkt gelegen, und dass 
die überwiegend günstigen Resultate des kalten Bades weniger in 
der Herabsetzung der Temperatur als in der Erhöhung der Inner¬ 
vation der lebenswichtigen Organe zu suchen seien. 

Auf diese der Empirie entnommenen Sätze muss sich zur Zeit 
noch beschränkt werden, wenn man eine neue Fieberlehre gründen 
oder eine andere stürzen will; es fehlt jede Berechtigung, jetzt 
schon von Gefahrlosigkeit oder Nutzen des Fiebers zu sprechen 
und mit theoretischen Lehrsätzen der Empirie vorzugreifen. 

Unverricht nennt es irrationell, die Fieberhitze zu bekämpfen, 
da sie gefahrlos und selbst nützlich sei. Wenn es noch immer 
nicht ausser allen Zweifel gestellt ist, ob nicht doch dieses oder 
jenes Symptom direkt der Hitze entstammt, also auch durch die 
Antipyrese gehoben werden kann, so erscheint gar die Annahme 
einer absoluten Gefahrlosigkeit noch ebenso als Hypothese, wie der 
Nutzen der hohen Temperatur; sicher darf auch „diese Hypothese 
j noch nicht den Weg vom Studirzimmer in die Praxis nehmen,“ 
! denn mit Unverricht’s Worten kann man nur einverstanden sein. 

; dass „man mit der Hypothese den Pfad des exacten Wissens ver- 
j lässt und den Boden des Glaubens betritt, uud wo dieser herrscht, 
I auch der Fanatismus nicht fehlt.“ 

Der Schritt von der Discussiou der Gefahrlosigkeit zur An- 
! nähme des Nutzens der Hitze ist schon Glaubenssache, und der nun 
nicht mehr abwendbare Vorschlag, das Fieber mit künstlicher 
Temperaturerhöhung iu behandeln, wäre gewüss Fanatismus! Die 
Deductionen, mittels welcher Unverricht der Therapie eine Umkehr¬ 
gebietet, scheinen überdies nicht dazu angethan, bindende Bedeutung zu 
gewinnen: Im Jahre 1883 l ) wird Cohn heim citirt, nach welchem 
j die Wärmesteigerung das gefahrdrohendste Moment sei, wobei aber 
j schwer zu entscheiden sei, was hierbei auf Rechnung der Noxe und 
was auf die Temperaturerhöhung komme, und sich schliesslich da- 
; hin ausgesprochen, dass „das Fieber keine gefahrlose, aber trotz- 
1 dem eine weise Einrichtung“ sei. Im Jahre 1887‘ 2 ) wird auf Grund der 
an sich gewiss schätzenswerthen Befunde Pipping’s, wonach bei 
; den gewöhnlichen Pneumonietemperaturen die Pneuraococcen zwar 
; nicht vernichtet, aber doch in ihrer Entwickelung ungünstig beein¬ 
flusst werden und selbst ihre Form etwas ändern, die Temperatur¬ 
erhöhung als eine der Waffen bezeichnet, durch welche der Organis¬ 
mus seine Feinde vernichtet; die Genesungsfälle bei antipyretischer 
Behandlung werden damit erklärt, dass der Organismus noch eine 
grosse Reihe anderer vitaler Kräfte besitze, die dasselbe Ziel zu er¬ 
reichen vermögen; doch sei es irrationell, ihm auch die schwächste 
Waffe zu entwinden. 

Im Jahre 1888 3 ) heisst es: „Ob die Erhöhung der Eigenwärme 
etwas nützt, weiss ich ebenso wenig wie Herr Liebermeister 
das Gegentheil.“ Dass man es daraufhin irrationall nennen kann, 
gegen die Wärmestauung zu Felde zu ziehen, muss ebenso gut zu- 
j gegeben werden, als es rationell zu nennen; aber mit dem unver- 
! mittelten Abschlüsse der ganzen Sache durch Unverricht: „so 


*) Deutsche med. Wochenschrift 1883 p. 67. Unverricht: „Ueber 
Fieber und Fieberbehandlung.“ 

Ebendaselbst 1887 No. 21 u. 22. Unverricht: „Ueber moderne 
Fieberbehaudlung.“ 

3 ) Ebendaselbst 1888 37 u. 38. Unverricht: „Kritische Bemerkung 
zur Fieberlehre.“ 


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1010 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 49 


langt; der Sat/, dass das Fieber eine zweckmässige Einrichtung der 
Natur ist. nicht widerlegt ist, dürfen wir es nicht bekämpfen“, kann 
Angesichts obigen Wissensbekenntnisses weder ich, noch Jemand 
Anderer einverstanden sein. Die Bemerkung Unverricht’s an 
gleicher Stelle, dass es nicht rationell sein kann, gegen die Wärme¬ 
stauung zu Felde zu ziehen, wo nicht nur die Schädlichkeit der 
geringen Temperaturerhöhungen, mit denen wir es gewöhnlich 
zu thun haben, nicht bewiesen ist etc.“, legt nahe, dass unge¬ 
wöhnliche Temperaturerhöhungen nicht blos nicht nützlich, sondern 
sogar als gefährdend und angreifbar zugegeben werden wollen. 

Damit wäre eine Vereinbarung angebahnt, denn die antipyretische 
Aufgabe, die wir unseren Bädern stellen, ist ja keine andere, als die 
Verhütung einer Temperaturerhöhung über 39,0° C in rect. 

Dieser Punkt weist darauf hin, in einigen Sätzen Zweck und 
Wirkung der methodischen Bäderbehandlung von unserem Gesichts¬ 
punkte aus darzulegen und dabei auf die nächstliegenden üblichen 
Einwendungen Rücksicht zu nehmen. Die raitunterlaufenden Wieder¬ 
holungen früherer Auseinandersetzungen mögen in der eonsequenten 
Wiederkehr der Einwürfe ihre Entschuldigung finden: 

1. Als Anknüpfung an die Fiebertheorie kommt in erster 
Linie die Frage von der antipyretischen Wirkung der Bäder¬ 
behandlung in Betiaclit. Die Einwände, die hier erhoben werden, 
bewegen sich zwischen dem Vorwurfe der gänzlichen Unwirksamkeit 
einerseits und der hohen Gefahr einer Hypothermie andererseits, 
aus welcher der Kranke nur schwer wieder herauszubringen sei. 

U n verricht spricht von „kümmerlicher antipyretischer Wirkung 
des kalten Bades“. 

Es wird gern zugegeben, dass der Vergleich eines einzelnen 
Badeeffectes mit dein Glanzeffecte einer vollen Dosis Autipvriu, 
Natronsalicylat. Kairin etc., sehr zu Ungunsten des ersteren aus- 
falleu wird. Ueber das durchschnittliche Maass des Temperatur¬ 
abfalles nach »lern kalten Einzelbade hat sich v. Liebermeister 
berichtigend Unverriebt gegenüber ausgesprochen. Nach unseren 
Erfahrungen ist die Wirkung eines kalten Bades (14° R ’/t St. 1.), 
wenn sie mit der physiologischen Tendenz des nächtlichen Abfalls 
der Temperatur in Verbindung gebracht, d. h. wenn das Bad in den 
frühesten Morgenstunden oder um Mitternacht gereicht wird, immer¬ 
hin in den meisten Fällen eine ganz befriedigende; es zeigt sich um 
6 Uhr Morgens noch ein Tiefstand um 1.0° bis 1,5° C und selbst 
mehr; die verglichene Morgentemperatur an einem Tage, wo kein 
Bad gereicht ward, lässt leicht beurtheilen. wie viel vom Abfall 
als Badewirkung aufgefasst werden darf. Noch weniger ist der 
Effect eines Einzelbades zu unterschätzen, das bei einer Fcbris con- 
tinua in der Tagesperiode gereicht wird: man kann durch ein Bad 
in den Nachmittagsstunden die Abendexacerbation, die um 6 Uhr 
erreicht wird, ganz entschieden tiefer stellen, und da von dieser 
Stunde ab ohnehin das Ansteigen, wenigstens auf einige Zeit, sistirt, 
den Kranken auf länger von der excessiven Hyperthermie fernhalten. 

Diese Erfahrungen können es nur missbilligen, wenn dem 
praktischen Arzte vom theoretischen Standpunkte aus über anti¬ 
pyretische Unwirksamkeit des kalten Bades gesprochen und so 
die Lust genommen wird, auch nur ein kaltes Bad (Nachmittags 
oder früh Morgens) zu reichen, wo äussere Verhältnisse ihm die 
methodische Bäderbehaudlung schwierig erscheinen lassen. 

Soviel über die antipyretische Wirkung des Einzelbades! Schon 
eine einzige abgeschlossene Temperaturcurve eines mit Bädern (alle 
2 Stunden, Tag und Nachts, so oft der Kranke 39,0° C in rect. 
misst, ein Bad von 14° R x j\ Stunde lang) methodisch behandelten 
Typhuskranken belehrt über den Irrthum der Annahme der anti¬ 
pyretischen Wirkungslosigkeit der Bäderbehandlung in toto und über 
das antipyretische Ziel, das wir mit den Brand’schen Bädern an¬ 
streben und erreichen. Die alle 2 Stunden in die mit Gewalt 
in die Höhe tendirende Tagescurve und die etwas seltener in 
die zu eiuem hoheu Mitternachtsgipfel anstrebende Nachtcurve 
eingeschobenen kalten Bäder haben mit ihren Einzeleffecteu zur 
Folge, dass die Temperatur 2 Stunden nach dem Bade nicht 
wieder auf derselben Höhe (z. B. 40,0°), wie vor dem Bade und nach 
weiteren 2 Stunden, wenn nach dem Schema bei 39,0° wieder ein 
Bad gereicht ward, noch tiefer steht; es handelt sich um nichts 
anderes, als um ein fortgesetztes Aukämpfen gegen das Ansteigen, 
ein Herabdrücken der Exacerbationen durch die eingeschobenen 
kleinen Remissionen, und damit um einen erzwungenen Tieferstand 
der Durchschnittstemperatur aus 12 Temperaturmessungen in 
24Stunden. (Die Durchschnittstemperatur muss herunter! Ziemssen, 
Winternitz). Dazu kommt noch die hier nicht mit einberechnete 
Remis.sionszeit von einem Bade zum anderen — also die nächste 
eigentliche Badewirkung. Der beherrschende Einfluss der fort¬ 
gesetzten Bäder auf die Temperatur äussert sich noch ganz besonders 
dadurch, dass die Durchschnittstemperatur von Tag zu Tag tiefer zu 
stehen kommt — also auch eine Beeinflussung desGesammttemperatur- 
ganges durch allmähliche aber sichere Besiegung des Widerstandes 
gegen die Abkühlung. In Summa erweist sich also als das 


antipyretische Ziel unserer Bäder, die wir 2 oder 3stündlich 
reichen, nicht weil der Kranke 39,0° misst, sondern weil wir das 
Höheransteigen verhüten wollen, eine Ermässigung des Fiebers; 
die Erreichung eines Temperaturabfalles um jeden Preis, die Un ver¬ 
richt als das Ziel der methodischen Bäderbehandlung ansieht, haben 
wir nie als solches betrachtet und bezeichnet; sonst würden wir den 
Riess’schen Bädern unbedingt den Vorzug geben oder uns zu einer 
Aenderung des Brand’schen Schemas entschlossen dahin, dass 
schon bei 38,0° statt bei 39° C gebadet werde. Der Vorwurf „der 
antipyretischen Schwärmerei“ ist somit ebenso wie formell auch 
sachlich nicht am Platze. 

Mit dieser Herabsetzung der Durchschnittstemperatur, die sicher 
um 0,5 bis 1.0° C gelingt, und die jeder Arzt durch angestellte 
Vergleichversuche (1 Tag Bäderbehandlung, den anderen Tag Ex- 
spectation) sich sofort zur Anschauung bringen kann, geht ebenso 
unfehlbar die noch viel wichtigere Umgestaltung vor sich, welche 
die krankhaften Störungen von Seite des Kreislaufes und des Nerven¬ 
systems durch den iminerwiederkehrenden anregenden Einfluss der 
Kälte erfahren. Durch die totale Aenderung des Krankheitsbildes 
in allen Symptomen entspricht die Bäderbehandlung wirklich einer 
lndicatio raorbi und kann keinesfalls den eigentlichen antipyretischen 
Methoden beigezählt werden, wenn auch ihre Erfolge in den anti¬ 
pyretischen Effecten graphisch am Verlässigsten zur Darstellung 
kommen. 

2. Der Vorwurf der Gefahr des kalten Bades ist so ziemlich 
verstummt, nachdem den vielen Tausenden von Bädern, die in 
Deutschland und Frankreich gereicht worden sind, keine oder 
höchstens ganz vereinzelte Unfälle zur Last gelegt werden konnten. 
Wer auf Grund eigner Erfahrung von Gefahr des kalten Bades 
spricht, hat es einfach an ärztlicher Umsicht fehlen lassen, die sich 
beim ersten Bade ebenso wie bei der ersten Dosis eines medicaraeutösen 
Antipyreticuras dem Individuum zuwenden muss; wer aber ohne 
selbstständige Erfahrung oder ohne Information durch Erfahrene 
blos auf eine theoretische Befürchtung hin im genannten Sinne sich 
äussert, kann keine Beachtung beanspruchen gegenüber unserer ge¬ 
wissenhaften und reichen Beobachtung und der Versicherung, das.' 
ein kaltes Bad (14° R) an sich einem normal constituirten Typhus¬ 
kranken keinen Schaden bringt ; aber das Wartepersonal muss nicht 
blos mit den prophylaktischen Maassnahmen (unermüdete Frottirune 
der Körperoberfläche im Bade und Darreichung ergiebiger Quanti¬ 
täten von Bordeauxwein, Thee, Cognac) vertraut sein, sondern auch 
mit der Beobachtung derjenigen Erscheinungen, welche ernstere 
Vorgänge im Befinden des Kranken andeuten; andererseits wird der 
Arzt nie Erfolge erzielen mit einer Badeweise, bei der dem Wärter 
eine willkürliche Abbrechung des Bades gestattet ist. Es ist <k-shaW> 
„eiue frühere“ (i. e. vor Ablauf der 15 Minuten) „Herausnahme des 
Kranken aus dem Bade nur gestattet und befohlen, wenn eine auf¬ 
fällige Blässe oder bläuliche Röthe des Gesichts oder hochgradige 
Schwerathmigkeit wahrnehmbar ist.“ Ich bedauere, diese wohl¬ 
bewährte populäre Instruction für Wärter hier reproduciren zu 
müssen, da Un verricht nicht blos ihren Wortlaut, sondern auch 
ihren Sinn verändert hat; er sagt: „um einen Temperaturabfall uni 
jeden Preis zu erzielen, werden die Kranken erst aus dem Wasser 
genommen, wenn eine bläuliche Röthe etc....“ 

3. Viele kleinere und grössere Epidemieen einer Garnison oder 
Stadt schliessen auch bei stattgehabter exspectativer Behandlung 
mit einer Mortalität von 5% nnd noch weniger ab. Dies legt >o- 
fort die Folgerung nahe, dass die „methodische Bäderbehaudlung 
mit derselben Mortalität nicht an deren Tiefstand Schuld sein kann.“ 

Eine Verschiedenheit in der Intensität der Fälle einer Epidemie 
von einer anderen kann uicht in Abrede gestellt werden, ebenso 
wenig, dass eine exspectative Behandlung in ihren Resultaten einen 
Abdruck von der Schwere der Einzelfälle giebt, die in toto durch 
die rationellere Hygiene der Krankenpflege in etwas herabgedrück' 
ist iin Vergleich zu früher. 

Die Schwankungen in der Mortalität der Epidemieen in Lu 
letzten Decennien sind nun zeitlich und örtlich ganz bedeutende, 
sie bewegen sich zwischen 5%—15%; in Hamburg auno 1886: 11.5 V . 
früher 7—8%; in Paris jetzt noch über 25%. Man sieht trotz 
verbesserter Hygiene der Städte und Spitäler heute noch Epidemieen 
mit einer Mortalität, wie wir sie früher auch aufzuweisen hatten: 
wir danken der Hygiene wohl das Seltenerwerden des Typhus. 
Vergleicht man hiermit die Mortalität bei strengmethodischer Bäder¬ 
behandlung. so findet man ihre Ziffer immer und überall tief ge¬ 
stellt. fast so tief, dass man sagen kann, der höchste Prozentsatz l- i 
Bäderbehandlung nähert sich dem tiefsten bei exspectativer Behandlung 

Mögen sich für diesen Ausspruch mancherlei Ausnahmen finden 
lassen in extremen Einzelfällen, der Stand der Mortalität im Münchener 
Garnisonlazareth zeigt bei strengmethodischer Bäderbehandlung von 
1874—1887 eine Mortalität von durchschnittlich 2,7%, die 5" <> in 
keinem der Einzeljahre überschritten hatte; dass aber die Schwor, 
der Fälle eine sehr verschiedene war, ist aus den Sterblichkeits- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


6. December. 


1011 


Ziffern derselben Jahrgänge zu ersehen, die sieh zwischen 3,5% und 
18,8% bewegt hatten bei nicht strengraethodischer Bäderbehandlung, 
also nicht einmal exspectativer Behandlung. Diese Statistik, die 
ich gegen die lebhaften Einwände in dein nächst erscheinenden 
Aufsatze gerechtfertigt habe, stimmt mit den Leistungen der Hydro¬ 
therapie überall da, wo diese streng durchgeführt wurde, vollkommen 
überein. 

Ueber die Thatsache, dass wir auch bei den schwersten Epi- 
demieen die Mortalität coustant viel tiefer stehen haben, kommen 
die Gegner nicht hinweg; es erübrigt ihnen nur, zu sagen, dass 
überall und immer, wo die strengmethodische Bäderbehandlung 
zur Anwendung gekommen, der Typhus ein leichter gewesen sein 
muss, „denn die Behandlung kann dies nicht machen!“ — Es lässt 
sich aber eine solche leicht hingeworfene und von vielen Seiten 
gern aufgegriffene Vermuthung ganz gut richtig stellen, wenn man 
sich zur Einsichtnahme und Prüfung unserer Curven entschliesst; 
ich habe au schon erwähnter Stelle eingehend mein Material in 
dieser Richtung zergliedert und kann mich hier auf den Hinweis 
beschränken, dass wir zwei wichtige Momente haben, die die Schwere 
des mit Bädern behandelten Einzelfalles beurtheilen lassen: 1) die 
Dauer der Fieber-Acme darf man unter allen Verhältnissen als einen 
Maassstab der Infection gelten lassen, und da sie durch die Bäder¬ 
behandlung nachweislich nicht alterirt wird, drückt das Zahlenver- 
hältniss der Fälle mit 1 — 2—3 und mehrwöchentlicher Acme auch 
die Schwere der Fälle und der Epidemie aus; 2) die Tendenz zur 
Hyperthermie und Hyperpyrexie halten wir Aerzte am Kranken¬ 
bette — unbeschadet der ganz verlässigen Mittheilungen von sehr 
schweren Fällen mit massigem oder gar fehlendem Fieber bei lna- 
nition — noch als Kriterium einer schweren Infection aufrecht; wenn 
nun in einem Falle die Temperatur 2 Stunden nach einem Bade 
schon wieder der Anfang.-deraperatur (vor dem Bade) gleichkommt, 
und der Kranke in den ersten 4—5 und mehr Tagen (1. Woche 
der Acme) täglich 12—10—8 Bäder bedarf, um die Temperatur 
zu erraässigen, und wenn er dann im Laufe der 2. und 3. Woche 
noch täglich 8—4 Bäder benöthigt, so dürfen wir gewiss diesen 
Fall schwer nennen. Die Zahl der Bäder zeigt die Schwere an. 

Wir können also unsere Curven sprechen lassen, wie viel 
schwere und wie viel leichte Fälle uuser Material gebildet haben, 
und bitten nur, an Stelle weiterer Erörterung ebenso sorgfältig ge¬ 
führte Curven nebst Krankheitsberichten den unseren zum Vergleich 
an die Seite zu stellen. Die Exacerbationen stehen aber in unseren 
Fällen — eben in Folge der fortgesetzten Bäder — nicht so hoch, 
wie bei den allenfalls gleichzeitig exspectativ behandelten, gleich 
schweren Typheu, vielmehr um 0.5—1.0° tiefer, und da mit dem 
Tiefstand der Temperatur unter dem Einflüsse der Bäder auch der 
Status typhös, gehoben wird, so wird der Nichtvertraute unsere 
Typhen für leichter halten — statt zu gestehen, dass sie durch die 
Bäderbehandlung erst leichter gemacht worden sind. 

4. Man kann nicht eindringlich genug die Bedeutung hervor¬ 
heben. die in der möglichst frühzeitigen Einleitung der Bäderbchand- 
lung gelegen ist; die Erfüllung dieser Bedingung ist unerlässlich, um 
den Gesammtverlauf leichter zu gestalten, sie schliesst aber auch in 
sich, dass nicht selten ein Kranker mit hoher Temperatur gebadet 
wird, der sich daun als nicht typhös erweist, ein Vorwurf, dessen 
sich noch wenige Gegner nicht bedient haben. Wenn man bei ein¬ 
zelnen Autoren liest, „dass die Kaltwasserbehandlung gerade in 
schweren Formen ihre Triumphe feiert,“ so beweist dies, dass sie 
nicht so sehr wie wir den Schwerpunkt auf die frühzeitige Ein¬ 
leitung der Behandlung legen oder legen können, da ja dies letztere 
in militärischen Verhältnissen viel mehr der Fall ist, als irgend wo 
anders; es ist keine Täuschung, wenn gerade dem Beginne der Be¬ 
handlung noch vor der sicheren Diagnose, die ja am Tage der 
Aufnahme in den wenigsten Fällen möglich ist, ein grosser Anthcil 
an den günstigen Erfolgen zugeschrieben wird. Was aber die Bäder¬ 
behandlung wirklich auch später (2. Woche) noch leistet, kann mau 
an der ganz wesentlichen Umgestaltung der Curve und des Krank¬ 
heitsbildes erkennen, wenn nach einer mehr oder weniger langen 
exspectativen Behandlung mit einem Schlage die methodische Bäder¬ 
behandlung zur Durchführung gekommen ist. 

Mit diesen Sätzen sollte gesagt werden, dass die methodische 
Bäderbehandlung um so sicherer, je früher sie eingeleitet 
wird, ohne nachtheilige Nebenwirkungen die Hyper¬ 
thermie sowohl .als auch die übrigen Erscheinungen der 
typhösen Infection zu mässigen und so auch den Fällen 
von sch werer Infection einen, wenn auch nicht kürzeren, 
doch viel milderen Verlauf anzuweisen vermag. 

Je schwerer die Vergiftung, um so schwerer wird auch im All¬ 
gemeinen die normale Wärmeregulation (Un v err ich t)und die Function 
der übrigen Centren gestört sein. 

Die Badeffecte beweisen in ihren einzelnen Temperaturabfällen, 
dass man in der That eine durch Infection gesetzte Functions¬ 
störung eines nervösen Centrums zu überwinden vermag, und ge¬ 


statten den Schluss, dass die thatsächliche gleichzeitige Mässigung 
der übrigen Symptome ebenfalls auf die Beeinflussung der betreffen¬ 
den Centreu durch denselben peripheren Kältereiz zurückgeführt 
werden muss. 

Ebenso lange wie die Wirkung des Bades in der herabgesetzten 
Körperwärme sich äussert, ebenso lange hält sie auch an als sub- 
jectives und objectives Wohlbefinden des Kranken in Folge der er¬ 
höhten Gesammtinuervation. Die immer wiederholte Einwirkung 
des Bades, wie sie methodisch uach Brand geübt wird, muss zu 
einer günstigen Gesamratwirkung werden im Temperaturgang wie in 
den übrigen Symptomen der Infection. Abweichungen von dem 
hiermit ausgesprochenen Parallelismus zwischen den Störungen der 
verschiedenen Centren sind hierbei ebenso wenig ausgeschlossen, wie 
eine verschiedengradige gesonderte Beeinflussung derselben durch 
das kalte Bad. 

Es handelt sich nur um die Thatsache, dass kalte Bäder ge¬ 
rade so wie die Temperatur, und unter Umständen noch mehr, den 
Gefässtonus, die Hcrzthätigkeit, die Respiration, die Digestion, die 
Diurese, die Hautthätigkeit etc. etc. günstig zu beeinflussen vermögen 
auf den verschiedenen Wegen der Innervation. Diese Thatsache 
wird jetzt anerkannt vou allen Klinikern und Aerzten, die sich je 
durch den Versuch am Krankenbette an die Prüfung derselben ge¬ 
macht haben. 

Ausser den bereits als Stützen der Hydrotherapie genannten 
Klinikern (v. Liebermeister, v. Ziemssen, v. Jürgensen, 
Immermann, Winternitz, Bartels, Riegel, Leichten- 
stern etc.) und den oben citirten deutschen und französischen 
Klinikern haben sich Nothnagel, Bambergcr, Bauer, Mader, 
Trier, Murri, Ebstein, Fiedler. Weil. Böhm, Bettelheim, 
Pfuhl etc. etc. theils als rückhaltlose Anhänger der Bäderbehand¬ 
lung, theils wenigstens als vollkommen überzeugt vou den geschil¬ 
derten Wirkungen des kalten Bades ausgesprochen. Ich habe in 
schon erwähnter Arbeit die bezügl. Urtheile eingehender dargelegt. 

Nur darüber hat eine Einigung noch nicht stattgefunden, ob 
für die typischen Fälle von Abdominaltyphus jugendlicher männ¬ 
licher und weiblicher Individuen, welche doch überall das Haupt- 
contingent stellen, die streng-methodische B rand’sche Bäderbehand¬ 
lung — ohne Heranziehung der mediramentösen Antipyrese — als 
typische Behandlung anerkannt und aufgestellt werden solle. 

Gelangen die Kliniker durch weitere Prüfung zur Anerkennung 
unserer Ueberzeugung. dass eben gerade in der Methodik, die man 
häufig noch zur Schablone stempelt, die Garantie für die gepriese¬ 
nen Erfolge gelegen ist. dann wird der Brand’schen Methode der 
Eintritt in die allgemeine Praxis nicht mehr lange versagt bleiben. 

Die günstigen Erfahrungen werden die Zahl der Contraindi- 
cationeu des kalten Bades, welche die Anwendung milderer Bade¬ 
prozeduren oder medicamentöser Antipyrese gebieten, immer weiter 
zurückführen. 

Diejenigen wenigen Aerzte aber, welche noch nicht Anlass ge¬ 
nommen oder gefunden haben, zu selbstständigen Erfahrungen uud 
welche auch Angesichts der gleich zahlreichen wie verlässigen Be¬ 
richte verschiedener Kliniker und Aerzte noch zu keinem bestimm¬ 
teren Schlüsse gekommen sind, als „dass es nicht unwahrscheinlich 
ist, dass das Wasser eine Reihe Nebenwirkungen besitzt, die den 
Verlauf gewisser Erkrankungen, besonders des Typhus, günstig be¬ 
einflussen“, mögen obige Sätze zum Objecte ihrer Prüfung machen; 
dieselben gipfeln in der für uns unuinstössliehen Wahrnehmung, 
dass die methodische Bäderbehandlung unter Beseitigung des sog. 
Status typhös, den klinischen Verlauf günstig umgestaitet. aus einem 
schweren zu einem leichten macht und auf diese Weise Compli- 
cationen vermindert und die Mortalität herabsetzt; endlich dass die 
Genesenen in einem unvergleichlich günstigeren Zustande aus der 
Krankheit heraustraten, als bei jeder anderen Therapie. 

Diesen sachlichen Boden hat die bisherige Kritik nicht betreten; 
sie hat mehr an Brand etc. etc. als an seiner Methode ihre Schärfe 
versucht. 

Für uns liegt in dem Ernst der Sache, die nichts Geringeres 
betrifft, als die Herabsetzung der Mortalität in einer der verheerend¬ 
sten Seuchen der Menschheit, eine gebieterische Anregung, das, was 
wir erprobt haben, überzengungstreu und unverdrossen zu vertreten 
bis zur Bestätigung oder Widerlegung. 

VI. Ueber Kehlkopftuberculose, ihre 
Behandlung und Heilung. 

Von Dr. Keimer, 

Spezialist für Nasen-, Hals- uud Ohrenleiden in Düsseldorf. 

(Fortsetzung aus No. 48.) 

Gehen wir nun zur Casuistik raeiuer Beobachtungen über, so 
datirt die erste jetzt etwa 2 1 /’ Jahre zurück und fällt noch in 
meine Freiburger Zeit. 


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1012 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49 


Sie betraf einen Collegen, den Dr. G., welcher, damals noch Cand. med., 
meine Behandlung wegen einer starken Heiserkeit erbat (August 1885). 
l’in kurz zu sein, ich fand ein tief ausgefressenes, schmutziges, tuberculöses 
Geschwür der Reg. interarytaenoidea, welches auf beide Proc. vocales und 
links auch auf den hinteren Theil des wahren Stimmbandes überging. Die 
von mir nicht untersuchten Lungen sollten nach Angabe des Patienten, 
welcher von einem Freiburger Professor der inneren Medicin untersucht war, 
jetzt frei sein, er sei früher schon wegen Spitzenkatarrhs zwei Winter im 
Süden und den Sommer auf Borkum gewesen. Die Behandlung wurde mit 
Milchsäure in der angegebenen Weise vorgenommen, die Patient gut ver¬ 
trug. Nach etwa 6 Wochen war vollkommene Vernarbung erzielt, welche 
von meinem damaligen aus der Sommerfrische heimgekehrten Chef, dem 
leider so früh verstorbenen Professor Hack, constatirt wurde. Pat. sprach 
heiser, war mit seinem Zustande recht zufrieden, überstand die doch nicht 
so geringen Mühen eines medicinischen Staatsexamens sehr gut und wurde 
von mir während eines laryngologischen Cursus, welchen ich im März 1886 
hielt, dessen eifriger Theilnehmer er war, oft gesehen und auch anderen 
Zuhörern demonstrirt. Damals war das Bild des Kehlkopfes dasselbe, wie 
im August des vorigen Jahres. 

Später trat der College in den Dienst einer überseeischen Dampfer¬ 
gesellschaft, welcheu er noch im Jahre 1887 versah, über die weiteren 
Schicksale ist mir nichts bekannt. 

Der zweite Patient, bei welchem ich meine Erfahrung mit der Milch¬ 
säure machte, war ein Kaufmann von hier, Herr B., welcher mich im Juni 
1886 zum ersten Male consultirte. Derselbe war ein sehr kräftiger, sehr 
blühend aussehender Herr, den nur die Sorge wegen einer etwa 3 Monate 
andauernden geringen Heiserkeit und ein geringes schmerzhaftes Gefühl 
beim Schlucken sehr fester Bissen zu mir führte. Der Kehldeckel zeigte 
einen totalen Verlust seiner Spitze, dieselbe war durch ein schmutzig graues, 
an einzelnen Stellen mit papillären Wucherungen besetztes Geschwür zer¬ 
stört, am linken falschen Stimmbande eine geringe Verdickung und ober¬ 
flächlicher Epithelverlust. Beide Lungen waren ganz frei Erbliche Be¬ 
lastung lag nicht vor, die Frau des Patienten ,aber war vor */* Jahre an 
Phthisis pulmonum gestorben. Bei der Seltenheit tuberculöser Processe an 
dieser Stelle der Epiglottis und dem Freisein der Lungen war von anderer 
Seite schon eine energische Behandlung auf Lues gemacht worden, trotz¬ 
dem der sehr intelligente und von dem lebhaften Wunsche der Genesung 
beseelte Patient jede frühere Infection entschieden in Abrede stellte- Nach 
vieler Mühe gelang mir in einem mit der Krause’schen Curette entfernten 
Partikel der Nachweis einiger Tuberkelbaeillen und damit die Diagnose der 
Erkrankung, welche als primäre, wahrscheinlich als Impftuberculose des 
Kehldeckels aufgefasst werden musste. Ich habe den Patienten energisch 
am Kehldeckel mit Acid. lactic. pur., im Kehlkopfe mit 50procentiger Lösung 
behandelt und hatte die Freude, denselben nach etwa 6 Wochen vollkommen 
von seinem Leiden zn befreien. An Stelle des Ulcus entwickelte sich eine 
derbe graue Narbe, und die oberflächliche Ulceration des Lig. spurium ging 
ebenfalls ganz zurück. Die Lungen blieben absolut frei. Unterstützt 
wurde die Cur durch diätetische und hygienische Maassnahmen; nach der 
Behandlung wurden 6 Wochen im Schwarzwalde und 4 Wochen an der See 
verlebt. Nach l 3 /* Jahren sah ich den Patienten zum letzten Male und ich 
muss gestehen, dass ich bei Unkenntniss mit den früheren Verhältnissen 
nicht in der Lage gewesen wäre, an der Epiglottis irgend etwas vorher¬ 
gegangenes Krankhaftes zu entdecken, ich würde die schwach herzförmige 
Ausbuchtung der Spitze daun einfach für einen garnicht so seltenen Lusus 
naturae gehalten haben Das Allgemeinbefinden und der Zustand der Lungen 
waren vorzüglich. (Patient erfreut sich auch jetzt noch der besten Gesund¬ 
heit.) 

Fall 3 betrifft einen hiesigen Briefträger. Patient hatte schon vor 
Jahren beim Militär, wo er Musiker war, Hämoptoe, bekam im Herbst 18s6 
abermals einen Anfall und hinterher sich allmählich steigernde Heiserkeit. 
Kr nahm an Gewicht ab und musste «las Zimmer hüten. Als ich ihn zum 
ersten Male sah, fand ich einen mässig genährten, blassen und angegriffen 
aussehenden Manu von 42 Jahren. Pharynx und Larytix sehr stark con- 
gestionirt, der Kehlkopf rechts bis auf starke katarrhalische Röthung gesund, 
links war das ganze wahre Stimmband durch ein graugelbes Längsgeschwür 
gespalten und gleichsam in zwei Theile getheilt, dessen innerer Rand noch 
stark ausgefranst war. Der Processus vocalis links durch ein Ulcus freige¬ 
leg*. in der Rimula ein tiefes, schmutziges Geschwür: sehr viel Husten, keine 
Schluckbeschwerden. Beide Lungenspitzen sind infiltrirt, rechts mehr als 
links: rechts hinten unten unbestimmtes Athmen, au verschiedenen Stellen 
der Lungen mittelblasiges Rasseln. Innerlich wurde Terpin angewandt, der 
Larynx wurde nach gutem Cocainisiren anfangs mit einer 20-, bald 50pro- 
centigen Acid. lacticum-Lösung gepinselt, zwischendurch auch Mentholöl durch 
die Stimmbänder hindurch in die Trachea eingespritzt. Anfangs folgte dem 
localen Eingriffe leicht Glottiskrampf und heftiges andauerndes Brennen, doch 
Messen diese Störungen schon nach einer Woche nach, dann traten allmählich 
Verminderung des Hustens und ein bedeutender Nachlass des Auswurfs und 
ein besseres Aussehen der Geschwüre ein. Das zähe, eitrige Secret auf der 
Pars interarytänoidea, durch welches dieser empfindlichste Hustenpunkt be¬ 
ständig erregt wurde, verschwand nach und nach. Nach den Mentholein¬ 
spritzungen trat starkes und sehr belästigendes Brennen unterhalb des Brust¬ 
beins ein, wesw egen dasselbe fortgelassen wurde, statt dessen wurden 3 mal 
täglich mit Mentholöl versetzte warme Wasserdämpfe nach der Schmidt- 
schen Methode zur Zufriedenheit des Kranken benutzt. Das Terpin schien 
mir recht günstig auf den Katarrh und auch auf den Appetit einzuwirken, 
wie ich das in vielen Fällen gesehen habe. Um diese Zeit fiel die erste 
Publieation Sommerbrodt’s über grosse Oreosotdosen bei Phthise, und 
ich wandte diese Behandlung gleich bei unserem fieberfreien Patienten an. 
Die Kapseln belästigten aufaugs etwas durch das brenzliche Aufstosseu, 
wurden aber schon bald gut vertragen. Nach einigen Wochen war die 
Maximaldose von 10 Stück erreicht. Mit den grösseren Oreosotdosen zeigte 
''ich eine merkliche Besserung des ganzen Befindens, die Nachtschweisse 


hörten auf, der Appetit steigerte sich, das Sputum war immer mehr zurück¬ 
gegangen, und das Gewicht war in 6 Wochen um 5 Pfund gestiegen. Die 
energisch fortgesetzte Milchsäurebehandlung (später 80procentig) wurde 3 mal 
durch ein Ourettement der hinteren Wand mit der Krause’schen Curette 
i unterbrochen, weil hier Neigung zu papillären Wucherungen vorhauden war. 
Nach etwa 10 Wochen war der so colossale Ulcerationsprocess des Kehl¬ 
kopfes zur Vernarbung gebracht. Die Function des Organs blieb allerdings 
sehr beeinträchtigt, da eine bedeutende Schrumpfung des linken (unteren) 
Stimmbandrestes und eine höckerige feste Narbe der Rimula keine normale 
Stimmbildung mehr zu Stande kommen lässt. Während .der ganzen Cur 
nahm der Patient, welcher bei den grossen Oreosotdosen einen lebhaften 
Stoffumsatz zeigte, täglich 2 '/* Liter Milch und nebenbei seine recht ordent¬ 
lichen Mahlzeiten, er hielt sich fast den ganzen Tag in frischer Luft auf 
und machte Spaziergänge und weitere Touren in unsere waldige Umgebung. 
Unter dieser Behandlung sind auch die Lungenerscheinungen viel geringer 
geworden, nur die rechte Reg. iufraclavicularis und supraspinata erinnern 
noch ernstlich, den Patienten unter Aufsicht zu halten. 

Seit August versieht der Patient wieder seinen recht schweren Dienst, 
bei welchem er auch seine Stimme viel gebrauchen muss, doch hat er die 
colossalen Anstrengungen zur Weihnachtszeit und Neujahr ohne irgend welche 
Störung seines sehr guten Allgemeinbefindens ertragen und er versicherte 
mich öfter, dass er sich so wohl wie nie zuvor fühle; die Capsules wurden 
| 6 Wochen ausgesetzt und statt derselben Leberthran genommen, dann wurden 
| dieselben weiter gebraucht. Mitte Januar entwickelte sich auf dem rechten 
wahren Stimmbande, welches bis dahin frei gewesen war, eine oberflächliche 
Erosion, auch in der Regio arytänoidea zeigte sich an einer kleinen Stelle 
ein oberflächlicher Zerfall der Narbe; eine 8malige Pinselung mit 60pro- 
centiger Milchsäurelösuug genügte, den Process zum Verschwinden zu bringen. 
So kann ich Ihnen denn heute den Patienten mit seinen Narben irh Kehl¬ 
kopfe vorstellen und ich hoiFe, dass Sie mir zugeben werden, dass Herr S. 

1 durchaus keinen kranken Eindruck macht, wie er Ihnen dann auch bestätigen 
kann, dass er sich jetzt vollkommen wohl fühlt. (Der gute Zustand ist dauernd 
geblieben.) 

Den vierten Fall meiner Beobachtung sehen Sie hier. Es ist dieses 
der Schlosser CI. von hier; ich sah denselben vor einem Jahre zum ersten 
Male mit jener recht interessanten geschwürigen Aflection beider Processus 
vocales, welche schon öfter der Gegenstand hitziger Controversen und Aus¬ 
einandersetzungen in laryngologischen und ärztlichen Vereinen geworden 
sind. Ich glaube, dass ich Sie nicht ermüden werde, wenn ich an diesen 
Fall auknüpfend mich in aller Kürze über den augenblicklichen Stand der 
Frage der sogen, katarrhalischen Geschwüre des Kehlkopfes äussere Seit¬ 
dem Virchow mit der ihn auszeichnenden Klarheit und Schärfe in einem 
Vortrage im Jahre 1884 das so lange in der Literatur und im Munde der 
Aerzte seine unberechtigte Existenz behauptende katarrhalische Geschwür 
abgethan hat. ist dieser Begriff auch wohl von allen Laryngologen fallen 
gelassen. Wir wissen, dass es in Folge eines Katarrhs an den mit Piaffen¬ 
epithel bekleideten Stellen des Larynx, also namentlich den wahren Stimm¬ 
bändern und der Pars interarytaenoidea, durch Nekrose und Abstossuug 
des obersten Epithels zu sogen, erosiven Geschwüren kommen kann. Tiefere 
Substanzverluste dürfen dadurch nicht erzeugt werden. Diese namentlich 
auch an den Proc. vocales durch das mechanische Gegeneinanderreiben und 
Abstossen des Plattenepithels erzeugten Erosionen sind flach und haben ein 
geröthetes, oft lebhaft rothes Aussehen. Alle tieferen, mit wallartigen 
Rändern versehenen und einen grauen Grund zeigenden Ulcerationen sollten 
stets zur vorsichtigen Stellung der Diagnose mahnen; das lehren auch die 
pathologischen Anatomen, so Eppinger und Heinze. Ein Vorwärts¬ 
schreiten des Geschwürsprocesses auf das subepitheliale Stratum lässt schon 
mit ziemlicher Sicherheit den dyskrasischen Charakter des Ulcus erkennen. 

! Man muss daher Gott st ein ganz beistimmen, welcher in der neuesten 
Auflage (1888) seines kurzen, aber vorzüglichen Werkes über die Krank¬ 
heiten des Kehlkopfes sagt: „in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind 
Ulcerationen des Kehlkopfes dyskrasischen Ursprungs und tragen einen 
specifischen Charakter, d. h. sie gehen aus einer specifischen (tu bereu lösen, 
syphilitischen etc) Infiltration hervor, aber selbst Geschwüre, die sich aus 
einer einfachen, nicht specifischen Entzündung entwickeln, finden sich mit 
| Vorliebe auf dyskrasischem und inficirtem Boden.” Ja, ein so erfahrener 
Laryngologe, wie v. Schroetter, leugnet jede Geschwürsbildung beim 
Katarrh im Kehlkopfe und sagt, dass in diesem Falle immer eine tiefere 
Erkrankung vorliegt. „Oftmals ist man im gegebenen Augenblicke nicht in 
I der Lage, diese nachzuweisen, und erst viel später treten die Symptome, 
z. B. Syphilis oder Tuberculose deutlich hervor.“ Ich nfus* sagen, dass 
ich mich im Grossen und Ganzen dem nur anschliessen kann und dass ich 
auch jeden Patienten mit einem erosiven Geschwüre mit einem gewiss«; 

! Misstrauen ansehe, doch giebt es auch Ausnahmen, und gerade in aller letzter 
Zeit hatte ich Gelegenheit, einen geschwürigen Process ira Larynx beob¬ 
achten und heilen zu können, welcher ohne jede Dyskrasie zu Stande ge¬ 
kommen war. 

Ich weiss nicht, ob es Ihnen bekannt ist, dass im Jahre 1885 Torn- 
waldt iii Danzig eine sehr fleissige und in unseren Specialkreisen Sensation 
machende Arbeit über die Erkrankungen der Bursa pharyngea veröffentlichte, 
in welcher er als Folge derselben auch in gewissen Fällen Erkrankungen 
des Larynx und chronischen Bronchialkatarrh anfährt Ich war dann der 
Erste, welcher in einer kleinen Arbeit die Angaben Tornwaldt’s bestätigen 
und durch eine Reihe von Beobachtungen stützen konnte Secundäre l-arynx- 
erscheinungen wurden von mir nicht beobachtet, während Broich in Han¬ 
nover einen Fall von Bursitis mit Aflection des Larynx anführt. Während 
es sich bei Tornwählt um einen chronischen Katarrh mit Hypertrophie 
der hinteren Larynxwand handelte, fand ich bei meiner Patientin ein aller¬ 
dings nicht sehr tiefes Geschwür der Rimula mit Fortsetzung desselben auf 
die hintere Partie des rechten Stimmbandes. So schwer es auch sein mag. 
ein gutes Bild der Pars interarytänoidea zu gewinnen, hier wurde die>e 
durch eineu relativ grossen Kehlkopf und geringe Empfindlichkeit der Rachen 


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6. December. 


DEÜT8CHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1018 


gebilde sehr erleichtert. Das Geschwür kam erst zu Tage, als ein zäher, 
gelbgrüner Schleim, welcher diese Partie überlagerte, entfernt war. Der 
Grund war uneben, grau, warzig. Die hintere Rachenwand war trocken und 
mit ähnlichen festen Borken belegt, welche sich bis zu deF erweiterten Bursa 
empor erstreckten, aus deren kleiner Ausführungsöffnung ein dicker Schleim¬ 
faden hervorquoll, ähnlich, wie ich das in vielen Fällen gesehen habe. Die 
Nase war ganz frei, so dass schon deswegen auch an keine Störck’sche 
Blennorrhoe gedacht werden konnte. Die Pat. zeigte einen ausgebreitoten 
Lungenkatarrh, und da sie mir angab, dass ihr Mann schon 2 Jahre an der 
Schwindsucht laborire, so war der Schluss wohl berechtigt, auch hier an eine 
Tuberculose des Larynx zu denken. Eine mehrmalige Untersuchung auf 
Bacillen hatte stets ein negatives Resultat, dagegen zeigto der Belag im 
Kehlkopfe eine, fast möchte ich sagen, Reincultur der verschiedensten Coccen 
und Bacterieu. Um kurz zu sein, ich spaltete die Bursa mit dem galvano- 
kaustischen .Messer und ätzte sie hinterher in zwei verschiedenen Sitzungen 
kräftig mit Argent. nitr., worauf dann im Verlaufe einiger Wochen die Se- 
cretion ganz aufhöite, und dadurch und durch eine gleichzeitige locale Be¬ 
handlung des Larynx mit Carboiglycerin auch der Kehlkopf vollkommen 
ausheilte, so dass die seit 1 l ,a Jahren sehr heisere Patientin wieder in den 
vollen Besitz ihrer Stimme kam. 

Dieser Fall hat mich gelehrt, dass zersetzte Secrete hei hin¬ 
reichender Dauer ihrer Einwirkung Zerfall der obersten Epithel¬ 
schichten und ich möchte sagen, Corrosionsgeschwiire des Larynx 
hervorrufen können, ähnlich, wie dies Schottelius sehr über¬ 
zeugend als Wirkung des chronischen Katarrhs erklärt hat, wo das 
zwischen den vergrösserten und gequollenen Falten der Rimula 
stauende Seeret sich zersetzt und durch seine Zersetzungsproducte 
zur Nekrose der Epithelien und oberflächlichen Geschwüren führt. 

Sie sehen, dass es sich bei oberflächlichen geschwürigen Pro¬ 
cessen dieser Partieen des Kehlkopfes um ein genaues Sichten und 
Abwägen handelt, und dass wir nicht unter allen Umständen auf Tuber¬ 
culose oder Syphilis, schliessen dürfen. Diese Schwierigkeit der 
Diagnose wird noch vermehrt durch den Nachweis eines selbst tief 
gehenden geschwürigen Processes an den Processus vocales und der 
benachbarten Theile der Giesskannen. Es ist mir eine besonders 
angenehme Pflicht, zu erwähnen, dass die ersten Arbeiten über 
diesen Gegenstand von einem der Unseren, dem anwesenden Collegen 
Hünerraann gemacht sind, welcher mir seine hochinteressante 
und für diese Frage grundlegende Dissertation (12. August 81) 
freundlichst zur Verfügung stellte, wofür ich ihm hiermit bestens 
danke. Ich hoffe, dass der Herr College bei einer anderen Gelegen¬ 
heit Ihnen über seine wichtigen pathologisch-anatomischen Unter¬ 
suchungen der von ihm als Pachydermia laryngis bezeichneten 
Affection etwas Näheres mittheilen wird, ich kann diese Frage hier 
nur streifen. Nach Hiinermann entwickelt sich bei dieser Affection 
zunächst eine schwielige, hanfkorngrosse Verdickung des Epithels 
am Processus vocalis oder etwas darüber, welche, wenn das sub¬ 
epitheliale Gewebe mit betheiligt ist, allmählich eine kleine höckerige 
rothe Warze darstellt, die sich zurückbilden kann, aber meistens 
allmählich zerfallt, sich zerklüftet und durch Abstossung der Par¬ 
tieen dann ein dellenförmig vertieftes Geschwür mit erhabenen 
Rändern darstellt, welches in sehr seltenen Fällen bis auf den 
Knorpel geht und diesen selbst angreifen kann. Bald zeigt auch 
das andere Stimmband ein Abklatschgeschwür. Der fragliche 
Process wird fast nur bei Säufern gefunden. Virchow hat im 
letzten Sommer einen Ihnen wohl allen bekannten Vortrag über 
diesen Vorgang gehalten, den ich hier nur erwähnt haben will. 
Der Process hat mit Lues und Tuberculose absolut nichts zu thun; 
wir haben differentiell-diagnostisch mit ihm zu rechnen, ehe wir 
uns zur Diagnose tuberculöses Ulcus entschliessen. In dem uns hier 
beschäftigenden Falle war die Stellung der Diagnose nun nicht all¬ 
zu schwer, da die vorhandenen Lungenerscheinungen, Nachtschweisse, 
Abmagerung und Erschöpfung, namentlich aber der Nachweis von 
Tuberkelbacillen den Begriff tuberculöses Geschwür des Processus 
vocales und der Rimula fixirten. In anderen Fällen wird das recht 
schwer sein, oft ist es auch wohl anfangs ganz unmöglich, namentlich 
da es ohne Zweifel Uebergänge von ursprünglich gutartigen Erosionen 
zu tuberculösen geben wird. Im Allgemeinen sind, soweit meine 
Beobachtung reicht, die katarrhalischen, oder sagen wir auf nicht- 
dyskrasischer Basis beruhenden Erosionen von lebhafter, rother Färbung 
des Grundes und reactiver Röthe im Umkreis, während bei den 
tuberculösen Ulcerationen der Grund mehr einen grauen Eindruck 
macht und keine nennenswerthe Reactiou im Umkreise besteht. 
Immerhin seien wir vorsichtig bei der Abschätzung der Bedeutung 
dieser Ulcerationsform! 

Auch dieser Patient wurde in der Ihnen geschilderten Weise 
mit Milchsäure in steigender Goncentration behandelt, nachdem 
Mentholöl mir zu wenig rasch zu wirken schien. Innerlich gab es 
Creosot bis zu 10 Capsein. Auch hier verminderten sich bald die 
Schweisse, steigerte sich der Appetit, und nahmen die Körperkräfte 
in so erfreulicher Weise zu, dass nach längerer Pause die Arbeit 
im ganzen Umfange wieder aufgenommen werden konnte. In etwa 
2 Monaten war der Larynx gesund. Sie sehen jetzt beiderseits an 
den Processus vocales, namentlich aber rechts eine dellenförmige 


Vertiefung von grau-weisslicher Farbe, die Narbe, welche sich rechts 
auch nach der Rimula hinzieht. Die Stimme ist klar und rein. 
Interessant ist auch der Lungenbefund, da mir ausser geringem 
Katarrh in den unteren Lungenpartieen keine Veränderung an den 
Lungenspitzen nachzuweisen mehr möglich war. (Patient befindet 
sich sehr wohl.) (Fortsetzung folgt.) 

VII. Referate und Kritiken. 

B. Bemak. Neuritis. Separat-Abdruck aus der Real-Encyclo- 
pädie der gesammten Heilkunde. 27 S. Wien und Leipzig, 
Urban und Schwarzenberg, 1888. Referent: Edinger (Frank¬ 
furt a./M.). 

Die Eulenburg’sche Real-Encyclopädie hat in dieser Wochen¬ 
schrift schon so oft rühmende Erwähnung gefunden, dass es über¬ 
flüssig wäre, noch einmal auf die gründliche Gediegenheit vieler 
ihrer Aufsätze hinzuweisen. Dennoch mag es sich Referent nicht 
versagen, heute speciell unter jenen Arbeiten die Schrift E. Remak’s 
über Neuritis zu nennen. Denn diese gehört nicht nur zum 
Besten, was in der betreffenden Sammlung erschienen ist, sondern 
wir besitzen überhaupt bis heute noch keine so genaue und er¬ 
schöpfende Durcharbeitung des ganzen ungeheueren Stoffes, wie 
sie hier geboten wird. Nach Remak, der allerdings den Begriff 
weiter fasst, als es gewöhnlich geschieht, und z. B. die Druckläh¬ 
mung der peripheren Nerven ebenfalls behandelt, sind bis Ende 
1877 nicht weniger als 182 Einzelschriften über Neuritis erschienen. 
Durch eigene Arbeiten auf dem betreffenden Gebiete bekanntlich 
wohl berufen, hat der Verfasser es verstanden, die bisher nieder¬ 
gelegte ungemeiue Menge von Einzelthatsachen zu einem Gesammt- 
bilde zu gruppiren, das in der That als eine Musterleistung zu¬ 
sammenfassender Darstellungskunst bezeichnet werden darf. 

J. Hutobinson. Syphilis. Zum Gebrauch für Studirende und prak¬ 
tische Aerzte. Deutsche autorisirte Ausgabe von Dr. A. Koll- 
mann. Leipzig, Arnoldi’sche Buchhandlung, 1888. Ref. S. G. 

ln dem oben genannten zum Gebrauch für Studirende und 
praktische Aerzte bestimmten Compendium ist eine, trotz der Knapp¬ 
heit des für ein Compendium bemessenen Raumes, vollständig um¬ 
fassende Darstellung des grossen Gebietes der Syphilis niedergelegt. 
Und was ganz besonders für dieses Compendium in die Waage 
fällt: der Autor steht auf eigenen Füssen, er konnte seiner Dar¬ 
stellung zumeist seine eigenen Erfahrungen zu Grunde legen. Diese 
Vorzüge galten Ko 11 mann den Anlass zur Uebersetzung und Be¬ 
arbeitung des Compendiums, trotzdem, wie er in dem Vorwort her¬ 
vorhebt, bei der vorhandenen stattlichen Zahl vortrefflicher deut¬ 
scher Lehrbücher er sich mit nicht geringen Bedenken trug. Doch 
seine Bedenken schwanden mit dem Studium des Werkes. Und so 
wird es jedem Leser ergehen, der dieses Compendium studirt, in 
welchem, wie gesagt, selbst Erlebtes und Erprobtes wiedergegeben 
ist, das durch die Erläuterungen und Zusätze Kollmann’s einen 
noch höheren Werth erhält. 

E. Peiper. Die Schutzpockenimpftmg und ihre Ausführung. 

Wien und Leipzig, Urban und Schwarzenberg, 1888. Ref. Beumer. 

Bei der in den letzten Jahron erhöhten Berücksichtigung, welche die 
Vaccinationslehre an den Hochschulen erfahren, bei der Ernennung besonderer 
Impflehrer, denen die technische Unterweisung der Studirenden in der 
.Schutzpockenimpfung obliegt, konnte es nicht fehlen, dass alsbald geeignete 
diesbezügliche Monographieen erschienen. Mit dem Impfunterricht an der 
Universität Greifswald wurde der Privatdoceut Dr. Peiper betraut, von dem 
der vorstehende Leitfaden stammt. 

Das Buch Peiper’s orientirt in 12 Kapiteln und einem Anhänge, welcher 
die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen über das Impfwesen in Deutsch¬ 
land bez. Preussen enthält, über alle wichtigen Fragen, die auf das Impf¬ 
wesen Bezug haben. Der Verfasser giebt einen kurzen Uoberblick über die 
Geschichte der Pockenepidemieen, über die Untersuchungen über das Con- 
tagium der Variola vera und der Vaccine, über das Verhältniss der Menschen- 
zu den Thierpocken, über, die Geschichte der Vaccination und Revaccination. 
Es folgt sodann eino ausführliche Beschreibung der Hygiene und Technik 
der 'Impfung nach den vom Bundesrath im Juni 1885 genehmigten Be¬ 
stimmungen. Des weiteren werden die verschiedenen Lymphen, ihre Ge- 
wiunungs- und Conservirungsmethoden, der Verlauf der Schutzpocken, die 
Pathologie der Impfung, die Impfgegner und der Werth der Impfung be¬ 
sprochen. 

Die Sachkenntniss des Verfassers, die daraus hervorgehende Ueber- 
sichtlichkeit und Klarheit des gesammten Buches werden nicht verfehlen 
demselben viele Freunde zu erwerben, zudem dasselbe einem vorhandenen 
Bedürfniss nach derartigen Leitfäden voll und ganz Genüge leistet. 


Vm. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 5. November 1888. 

(Schluss aus No. 48.) 

Herr Leo: Ich unterlasse es, auf die vorgetragene Methode einzu¬ 
gehen, da ich dieselbe noch nicht geprüft habe, glaube aber, den vorhin 


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1014 


DEÜT80HE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No- 49 


gehörten Bedenken a priori zum grössten Theil auch zustimmen zu müssen. 
Dagegen möchte ich hervorheben, dass man vermittelst der von Leube 
empfohlenen Methode durch Bestimmung der Digestionsdauer, die aller¬ 
dings für geringe Abweichungen der Alteration der motorischen Thätigkeit i 
des Magens wohl kaum anwendbar ist, doch für prägnaute Fälle entschieden 
gute Resultate erzielen kann. 

Völlig einwandsfrei ist die Methode im Säuglingsalter. Das rührt daher, 
dass bei Säuglingen die Digestionsdauer normaler Weise sehr viel geringeren 
Schwankungen unterliegt als bei Erwachsenen. Ich habe constatiren können, 
dass, wenn man zwei Stunden nach der Nahrungsaufnahme beim Säugling noch 
Mageninhalt findet, man dann von einer herabgesetzten motorischen Thätigkeit 
des Magens sprechen darf, und ich habe ferner constatiren können, dass die 
verschiedensten Verdauungsstörungen des Säuglings einhergehen mit einer Al¬ 
teration der motorischen Thätigkeit des Magens, welche sehr häufig noch 
eine Zeit lang bestehen bleibt, nachdem im übrigen bereits scheinbar völliges 
Wohlbefinden besteht. 

Sodann möchte ich noch einen Punkt hervorhebeu. Der Herr Vor¬ 
tragende und die Herren Vorredner haben lediglich von einer pathologischer- 
seits herabgesetzten Thätigkeit des Magens hier gesprochen. Nun ist 
aber doch bekannt, dass auch eine gesteigerte Motion des Magens vor¬ 
kommt. Ich denke hierbei weniger an die gesteigerte Peristaltik bei Stenosen 
desPylorus, sondern zunächst an die zuerst von Kussmaul beschriebene und von 
ihm „peristaltische Unruhe des Magens“ genannte Affeetion. Hierbei handelt 
es sich um eine genuine resp. durch das Nervensystem erhöhte Motion des 
Magens. Die von Kussmaul beschriebenen Fälle und ähnliche, die sich in 
der Literatur finden, z. B. von Ewald, sind charakterisirt durch hörbares 
Kollern und sichtbare peristaltische Bewegungen. Ich möchte aber hervor¬ 
heben, dass auch eine entschieden erhöhte motorische Thätigkeit des Ma- 
ens vorkommt, ohne diese sicht- und hörbaren Symptome. Einen solchen 
all beobachte ich seit längerer Zeit. 

Es handelt sich hier um einen sehr kräftig gebauten und gut genährten 
Patienten im Alter von 37 Jahren. Derselbe leidet seit längerer Zeit an einem 
sehr heftig auftretenden Heisshunger, welcher je nach der Menge der vorher 
genossenen Nahrung früher oder später, in der Regel zwei Stunden nach der 
letzten Nahrungsaufnahme sich bemerklich machte. Ich erwähne besonders, 
dass der Pat. nicht an Diabetes mellitus leidet, welcher bekanntlich zuweilen 
mit Heisshunger verbunden ist. Wenn dieser Hoisshunger nicht gestillt wird, 
so stellt sich eine Benommenheit des Kopfes, darauf eine allgemeine Schweiss- 
secretion ein, und bald darauf folgt allgemeine Abgeschlagenheit und Mattigkeit, 
die den Pat. vollständig unfähig zu irgend einer Leistung, vor allem zu geis- i 
tiger Beschäftigung, macht. Dieser Zustand besteht an ihm seit über 10 Jahren 
und hat sich in den letzten beiden Jahren erheblich gesteigert. Ich habe bei 
ihm wiederholt die Magensondirung vorgenommen und dabei Resultate ge¬ 
funden, von denen ich einige Beispiele mittheileu möchte. So fand ich z.B., dass 
•in recht beträchtliches Frühstück, bestehend aus 2 mit Butter bestrichenen Bröd- 
chen, 2 gekochten Eiern, 2 Tassen halb Milch halb Thee, nach I I /a Stunden aus dem 
Magen vollständig verschwunden war. Ich liess ihn unmittelbar hierauf */* 1 Milch 
trinken und fand nach */a Stunde schon nur ganz verschwindende Käse¬ 
klümpchen vor. Ein anderes Mal untersuchte ich den Mageninhalt 1 Stunde, 
nachdem er ein wie vorhin erwähntes Frühstück genossen hatte, und konnte 
hier noch 20 ccm zu Tage fördern, die im übrigen vollständig normale 
Bestandteile enthielten. Da man unmöglich annehmen kann, dass diese be¬ 
trächtlichen Nahrungsmengen etwa in der kurzen Zeit vom Magen aus re- 
sorbirt sein möchten, so ist jedenfalls erwiesen, dass es sich in diesem Falle 
um eine gesteigerte motorische Thätigkeit des Magens handelt. Dieselbe ist 
in diesem Falle offenbar bedingt durch Beeinflussung vom Nervensystem aus. 
Der Patient leidet auch sonst an Affectionen von nervöser Ueberreiztheit, 
z. B. an Pollutionen, ausserdem sind die Reflexe bei ihm beträchtlich erhöht. 
Ich glaube, dass derartige Fälle von gesteigerter motorischer Thätigkeit, die 
bisher nicht beschrieben sind, nicht allzu selten Vorkommen, und dass wohl 
die meisten der als Bulimie beschriebenen Fälle hierher zu beziehen 
sind. Dieselben sind meist als Begleiterscheinungen nervöser Ueberreiztheit 
beobachtet worden; nur von Ewald ist ein Fall angegeben, der ein im 
übrigen vollständig gesundes Individuum betraf. Eine Untersuchung der 
motorischen Thätigkeit des Magens scheint in keinem dieser Fälle vorge¬ 
nommen zu sein. Ob auch der bei Diabetes mellitus zu beobachtende Heiss¬ 
hunger hierher zu ziehcu ist, will ich vorläufig unentschieden lassen. In 
Betreff der Therapie meines Falles erwähne ich, dass die verschiedenartigsten 
therapeutischen Massnahmen nicht viel geholfen haben. Der Patient hat 
unter anderem im vorigen Sommer eine modificirte Playfair-Cur durchge¬ 
macht, aber dieselbe hat an seinem Zustand fast garnichts geändert. In¬ 
folgedessen ist ihm verordnet, dass er alle 2 Stunden, noch bevor sich der 
Hunger eingestellt, eine beträchtliche Mahlzeit zu sich nimmt, und es sind 
dadurch wenigstens die sehr quälenden Symptome des Heisshungers eliminirt. 

Herr Litten: Ich muss mit der Bemerkung beginnen, dass icl» den 
Vortag des Herrn Klemperer nicht gehört habe. Ich will daher auch 
nicht auf denselben eingeben, sondern nur einen Gegenstand betonen, der 
sich durch die ganze Discussion gezogen hat und namentlich auch von 
Herrn Leo betont wurde, nämlich die Beziehungen der motorischen Kraft 
zur Resorption der Magenschleimhaut. Ich halte diesen Punkt für ausser¬ 
ordentlich wichtig, und auch Herr Ewald hat schon darauf hingewiesen, 
dass man die einzelnen Functionen des Magens nicht gesondert für sich 
betrachten darf, sondern dass diese vielmehr wie die Räder eines Uhrwerks 
ineinandergreifen. Schon seit mehreren Jahren, und namentlich auch auf 
dem Congress für innere Medicin in Wiesbaden, wies ich in meinem Vortrage über 
die Beziehungen zwischen den Dilatationen des Magens und der Beweglichkeit 
resp. Dislocation der rechten Niere auf die grosse Häufigkeit atonischer 
Magenzustündo hin, die darin beständen, dass bei Kranken, welche des 
Morgens früh (etwa zwischen 7 und 8 Uhr) eine Tasse Thee oder Milch 
getrunken oder überhaupt eine geringe Quantität leichtverdaulicher Flüssig¬ 
keit zu sich genommen hätten, Nachmittags um 2 Uhr noch ein ausserordent¬ 
lich deutliches Plätschern (Succussionsgcräuscli), auch ohne dass eine 


Ektasie des Magens bestände, oberhalb des Nabels nachgewiesen werden könne, 
selbst in Fällen, in denen die Kranken aufs bestimmteste versicherten, dass 
sie in der Zwischenzeit absolut keine Nahrung, weder feste noch flüssige, zu 
sich genommen hätten. Ich glaubte zuerst, dass die Kranken mir die Un¬ 
wahrheit sagten, und dass sie inzwischen Speisen zu sich genommen hätten: 
aber ich habe mich wiederholt von der Wahrheit der Tbatsache überzeugt, 
indem ich die Kranken selbst controllirte. Ich liess sie des Morgens um 
8 Uhr kommen und überzeugte mich davon, dass der Magen leer sei. Dann 
liess ich sie in meiner Gegenwart I Tasse Thee trinken und beobachtete 
oder liess sie bis Nachmittags 2 Uhr beobachten, ohne dass sie in der 
Zwischenzeit irgend welche Flüssigkeit zu sich nehmen durften. Noch nach 
6—7 Stunden war das Succussionsgeräusch in der Magengegend oberhalb 
des Nabels auf’s deutlichste wahrnehmbar, wenn mau mit den zusammen- 
gelcgten Fingern auf den Magen klopfte, und beim Aushebern des Magens resp. 
beim Exprimiren des Mageninhaltes wurde fast die gesainmte Quantität der 
eingeführten Flüssigkeit, welche sie unter meinen Augen zu sich genomen hatten, 
bis auf minimale Differenzen wieder zum Vorschein gebracht. Ich halte dies für 
eine sehr wichtige Thatsache. Theils handelte es sich um Kranke, bei 
denen der Magenchemismus in hohem Grade gestört war, theils um solche, 
bei denen derselbe durchaus sufficient war. Wie sollen wir diese That¬ 
sache auffassen? Wenn jemand eine geringe Quantität leicht verdaulicher 
Flüssigkeit (Kaffe habe ich absichtlich stets aus diesen Versuchen ausge¬ 
schlossen, vielmehr Milch, Thee und warmes Kochsalzwasser abwechselnd an- 
geweudet) zu sich nimmt, etwa eine Tasse voll, so meine ich, dass bei nor¬ 
maler Beschaffenheit der Magenschleimhaut diese Flüssigkeit nach kurzer 
Zeit durch die Blut- resp. durch die Lymph- und Blutgefässe vollständig 
resorbirt wird, und dass man, wenn man eine Sonde in den Magen einführt 
und exprimiren lässt, kaum noch Spuren von Flüssigkeit durch die Sonde 
wieder herausbekommt. Wenn nun die Resorption vollständig sistirt, und 
die Flüssigkeit viele Stunden lang unresorbirt im Magen verweilt, so wird 
wohl die motorische Kraft des Magens nun auch ihre Wirksamkeit entfalten 
und die Flüssigkeit weiter in’s Duodenum überführen; aber jedenfalls ist die 
primäre Function, die physiologisch in Kraft tritt, die resorbireude, und 
secundär erst dürfte die motorische Kraft des Magens in Frage kommen. 
Ich habe mich, wie gesagt, seit Jahren davon überzeugen können, dass bei 
vielen Magenkranken mit und ohne gestörten „Chemismus“ die Resorption«- 
fähigkeit der Magenschleimhaut in viel höherem Grade und viel früher er¬ 
krankt, als die motorische Kraft, und ich erwähne diesen Punkt für die¬ 
jenigen Herren, die sich mit Magenkrankheiten speciell beschäftigen, um ihnen 
weiteren Anlass zu geben, dieser Frage eventuell näher zu treten 

Herr Rosenheim: Das, was der Methode des Herrn Klemperer in¬ 
direkt zum Vorwurf gemacht wird, nämlich die vollkommen fehlende Resorp¬ 
tion für Fett und Fettsäure vom Magen aus, kann ich meinerseits, rein theo¬ 
retisch betrachtet, nur als einen Vorzug der Methode anerkennen, weil wir 
danach ganz gleiche und vergleichbare Resultate erwarten können. Da nichts 
durch Resorption verloren geht, so werden wir in der That gewissermaassen 
zahlenmässig die Störungen der Motilität in sicherer Weise ermitteln können, 
vorausgesetzt, dass alles Oel durch die Ausspülung wieder entfernt werden 
kann. Eine Frage wollte ich mir nur noch an den Herrn Vortrageuden er¬ 
lauben. Dieselbe betrifft den Einfluss der Veränderungen, welche die er¬ 
krankte Magenwaud auf das Fett ausübt. Es ist vorher nur erwähnt worden, 
dass die Salzsäure im Stande ist, einen Krampf der Pylorusmuskulatur her¬ 
beizuführen, und es könnte wohl sein, dass eine Verlangsamung in der Be¬ 
wegung des Magens, in der Fortbewegung der Speisen nach dem Darm zu 
dadurch bedingt ist, dass der Pylorus in Folge von übermässig vorhandener 
Salzsäure sich energisch für längere Zeit zusammenzieht. Diese Möglichkeit 
besteht aber nicht bloss für Salzsäure, sondern vor Allem für organische 
Säuren, und es würde wohl in Frage kommen, ob nicht ganz besonders 
unter pathologischen Verhältnissen von dem Olivenöl durch Ferinentw irkung 
Fettsäuren vielleicht abgcspalten werden, die diesen grossen Einfluss auf die 
Pylorusmuskulatur aus/.uüben im Stande sind. Es würde sich dann die lang¬ 
samere Beförderung des eingeführten Oels in den Darm auf diese einfache 
Weise erklären, und es dürfte dann nicht unmöglich sein, dass überhaupt 
keine Störung der Motilität in den erwähnten Fällen vorliegt. 

Herr Klemperer: Ich gestatte mir den Herren Vorrednern auf die 
verschiedenen Einwendungen und Anfragen ganz kurz zu erwidern. Herr 
Ewald machte zuerst darauf aufmerksam, dass man mit dem Salol im Ganzen 
und Grossen gleiche Resultate erhalten kann. Ich habe selbst auf die guteu 
Eigenschaften des Salol hingewiesen und verkenne nicht, dass es für die 
Praxis von Wichtigkeit ist, diese Probe anzuweuden, möchte jedoch uoehmaL 
betonen, dass der Salolprobe der Nachtheil anhaftet, dass man nicht allzu 
fest auf die Resultate bauen kann. Es kommen aus Gründen, die ira 
Einzelnen nicht immer genau zu controlireu sind, Fälle vor, wo man skt 
sagen muss, dass der Ausfall der Salolreaction den thatsächlichen Verhältnis!) 
nicht entsprechen kann. Ich habe öfter das Oelverfahren mit Salol Versucher, 
combinirt und habe doch auch Resultate bekommen, die das Vertrauen ui 
die Salolreaction erschüttern mussten. Herr Ewald hat besonders auf die 
verlangsamende Eigenschaft starken Salzsäuregehaltes hingewiesen : Herr 
Boas hat das ebenfalls betont und gemeint, das die Hyperacidität eine 
entschieden hemmende Einwirkung auf die motorische Kraft des Magens hat. 
Ich muss gestehen, ich habe mich mit Absicht sehr vorsichtig ausgedrückt: 
denn ich habe bei experimentellen Versuchen in einigen Fällen in der That 
solche Einwirkungen beobachtet, während in anderen wieder sich die mo¬ 
torische Kraft ganz gut gezeigt hat Auch bei wirklichen Hyperacidititen 
habe ich in einzelnen Fällen eine motorische Schwäche feststellen könuen. 
aber ich habe auch ausgesprochene Fälle bis 4 pro Mille IK'I beobachtet, 
wo die motorische Thätigkeit ganz gut erhalten war. Ich werde auf die?* 
Verhältnisse hei Gelegenheit einer Arbeit über die Magenerweiterunf 
zurückkommen. 

Daun hat Herr Ewald auf die Versuche hiugewiesen, die er selbst ii. 
Virchow’s Archiv veröffentlicht hat, und welche auch mit Oel angestellt 
worden sind. Jedoch hat er selbst zugegeben, dass er diagnostische Zwecke 


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6 . December. deutsche medicinische Wochenschrift. 1015 


dabei nicht im Auge gehabt, sondern ganz andere Intentionen verfolgt 
hat. Diese Versuche aber sind auch im übrigen verschieden von den 
meinigen, denn es handelte sich dabei nicht um reines Oel, sondern um 
eine grössere Quantität Stärkelösung, die zusammen mit Oel eingegosseu 
wurde; dabei ist die gesammte Flüssigkeitsmeuge viel grösser, bis zu 4UO Oubik- 
ceutimeter Lösung, die eingeflösst wurden, es werden also an die motorische 
Thätigkeit ganz andere Ansprüche gestellt. — Wenn Herr Ewald dann 
meinte, dass die Anwendung der Aetherausschüttelung wohl überflüssig sei, 
so mag der Aether vielleicht für einzelne Fälle nicht unbedingt nothwendig 
sein; aber das Oel ist vom Wasser nicht immer ohne weiteres zu trennen, 
weil namentlich bei katarrhalischen Zuständen grosse Schleimmengen vor¬ 
handen sind, die sich mit dem Oel innig vermischen. Die Bedenken, die Herr 
Ewald bezüglich der durch das Oel hervorzurufendeu Indigestionen äussert. 
glaube ich schon durch den Hinweis beseitigen zu können, dass ja in den 
meisten Fällen die Ilauptmenge des Oels zurückgewonnen wird, ohne dass 
es der Organismus resorbirt haben kann; aber auch in den wenigen Fällen, 
wo dio grössten Mengen, also 8 ü g Oel, in den Darm übergetreten sind, 
wurden, abgesehen von einigen schnell vorübergehenden Diarrhöen, irgend¬ 
welche Störungen durchaus nicht beobachtet. Ich möchte in diesem Zu¬ 
sammenhang darauf hinweisen, dass ja von englischer Seite die Oelein- 
giossung zu bestimmten therapeutische.! Zwecken benutzt wird, und dass 
namentlich bei Gallensteinen sehr günstige Erfolge davon berichtet werden. 

Herr Ewald hat schliesslich Bemerkungen mehr allgemeiner Natur 
gemacht, denen ich mich vollkommen anschliessen möchte, dass man sich 
hüten soll, zu viel Gewicht auf die einzelnen Functionen zu legen und 
darüber das Gesammtbild zu vernachlässige;!. Ich wollte die motorischen 
Störungen auch nicht übermässig in den Vordergrund rücken, sondern nur 
die Betheiligung derselben an den Krankheitszuständen schärfer präcisiren, 
als das bisher geschehen ist. 

Wenn Herr George Meyer das von mir angewandte Probefrühstück, 
das aus Milch und Brödchen bestand, bemängelte und dem gegenüber auf 
das Ewald’sche Probefrühstück hinwies, so liegt es mir durchaus fern, die 
Vortheile des Ewald’schen Probefrühstücks zu bemängeln. Uebrigeus glaube 
ich, dass Jeder mit der Probemahlzeit, an die er nun einmal in einer laugen 
Reihe von Untersuchungen sich gewöhnt, die besten Resultate erhalten wird; 
absolute Werthe sind ja überhaupt nicht zu gewinnen, es kommt nur auf 
die Vergleichbarkeit der einzelnen an. Ich halte es für einen besonderen 
Vorzug meines Milchfrühstücks. dass es dem Geübten gestattet, sich auch 
über die motorische Function des untersuchten Magens gute Vorstellungen 
zu bilden. Ob die praktischen Nachtheile, die Herr Meyer geltend machte, 
so wesentlich sind, lasse ich dahingestellt; im Uebrigen bezogen sich meine 
Darlegungen meist auf Krankenhauserfahrungen. 

Herrn Boas, der auf die augeblichen Schwankungen in den Resultaten 
des Verfahrens hiuwies, erwidere ich, wie ich schon vorher betonte, dass es 
sich bei seinen Versuchen und den meinen nicht um direct vergleichbare 
Werthe handelte, weil bei ihm gleichzeitig grosse Mengen Wasser in Betracht 
kommen. Zugleich aber möchte ich entschieden dem widersprechen, dass so 
grosse Schwankungen Vorkommen, wie er angegeben hat. Einen Zustand, 
bei dem mehr als 30 g Oel von 10U nach 2 Stunden im Magen gefunden werden, 
möchte ich immerhin als pathologisch bezeichnen. Was die Bemerkungen 
des Herrn Boas über die Beziehungen zwischen Resorption und motorischer 
Kraft angeht, so sehe ich gerade darin, dass keine Resorption beim Oel statt¬ 
findet, einen grösseren Vorzug der Oelmethode. Im Uebrigen möchte ich 
nicht annehmen, dass die Beziehungen zwischen Resorption und Motion so 
innige sind, wie Herr Boas glaubt. Ich habe Gelegenheit gehabt, einen 
Patienten zu beobachten, der durch eine Säurevergiftung eine isolirte Stenose 
des Pylorus bei sonst gut erhaltener Schleimhaut acquirirt hatte; derselbe 
ist von Herrn Geh. Rath Barde leben operirt und ganz geheilt worden. 
Es war vollkommene Stenosirung vorhanden, in den Darm ging nichts über, 
und es hat sich bei der darauf besonders gerichteten Beobachtung an diesem 
Falle gezeigt, dass die Anschauungen von der grossen Wichtigkeit der Re¬ 
sorption doch wohl nicht sich so halten lassen, wie sie bisher geäussert 
worden sind; denn die Resorption hat sich hier in der That sehr gering 
erwiesen, viel geringer als den geläufigen Ansichten entspricht, lin An¬ 
schluss an diese Beobachtungen habe ich einige Thierversuche angestellt, 
die ähnliche Resultate ergaben. Ich glaube daher, dass die Wichtigkeit 
der Magenresorption etwas überschätzt wird. 

Herr Leo hat die Vorzüge der Leube’schen Probemahlzeit hervorge¬ 
hoben. Ich möchte dem gegenüber betonen, dass diese Probe nur dann 
einen Ausschlag giebt, wenn es sich um ausserordentlich ausgesprochene 
Krankheitszustände handelt, und bei diesen kann man auch durch Inspection 
und Palpation, ohne eine Probemahlzeit, die Diagnose stellen. Bei Neurosen 
aber und Katarrhen zeigt diese Mahlzeit selten eine Differenz vom Normalen, 
trotzdem eine solche entschieden besteht. Ueber die Magenkrankheiten der 
Kinder fehlen mir eigene Erfahrungen. Schliesslich hat Herr Leo auf Fälle 
von gesteigerter Motion hingewiesen, u. A. auf Fälle von Stenose des Py¬ 
lorus und peristaltiscber Unruhe. Ich glaube, dass die letztere nicht wesent¬ 
lich in Betracht kommt, weil es sich nicht um coordinirte Bewegungen han¬ 
delt, die einen deutlichen Effect auf die Magenthätigkeit ausüben. Stenose 
des Pylorus kommt praktisch auch nicht in Frage, weil hier ebenfalls die 
Wirkung der Ueberführung in den Darm nicht ausgeübt wird. Im Uebrigen 
muss man nach den von Herrn Leo beschriebenen Untersuchungen aner¬ 
kennen, dass es Zustände von erhöhter motorischer Thätigkeit giebt, und ich 
halte die genaue Untersuchung eines Falles von Bulimie für eine wesentliche 
Bereicherung unserer Kenntnisse. Dass dieser Fall so geringe therapeutische 
Ergebnisse zu Tage gefördert hat, stimmt ja mit den Beobachtungen aller 
Nervenärzte überein. Ich glaube aber nicht, dass der Fall deswegen als ab¬ 
solut unheilbar zu betrachten ist und dass er nicht für eine umsichtige Er¬ 
nährungstherapie noch Chancen darbieten dürfte. 

Herr Litten erwähnt Fälle, bei welchen Morgens früh eine geringe 
Flüssigkeitsmenge eingegeben ist, die bis 2 Uhr Nachmittags im Magen blieb. 
AehnJiche Fälle sind in der französischen Literatur erwähnt und namentlich 


von Chomel als Dyspepsie des liquides beschrieben, Herr Geh. Rath Leyden 
hat in seinen Vorlesungen öfters darauf hingewiesen. Es sind das Fälle 
anscheinend nervöser Art, die sich bei festen Speisen vollkommen normal ver¬ 
halten, dagegen Flüssigkeiten gegenüber völlig streiken. Ich weiss nicht, ob 
Herr Litten die Fälle in Bezug auf das Verhalten der festen Stoffe genauer 
untersucht hat; ich glaube aber, dass es sich auch bei ihm um solche Dys¬ 
pepsie des liquides handelt. 

Auf die Ausführungen von Herrn Rosenheim in Bezug auf die Ein¬ 
wirkung der Fettsäure erwidere ich, dass nur geringe Abspaltungen von 
1—2% Fettsäure während des 2ständigen Aufenthalts im Magen in Frage 
kommen: im Mageninhalt bei Dilatation habe ich in der That schon 670 
Fettsäuren gefunden: aber ich habe das Oel nie länger als 2 Stunden im 
Magen gelassen. 

Herr Citrou: Ich habe zwei Fälle gesehen, die den von Herrn Leo 
durch hochgradige Bulimie mit collapsartigen Erscheinungen gekennzeich¬ 
neten auf’s Genaueste gleichen. Nach allen möglichen vergeblichen thera¬ 
peutischen Versuchen entdeckte ich zufällig, dass die meisten Verwandten 
des Patienten an Tuberculose litten; in der Annahme, dass in meinem Falle 
latente Tuberculose vorliege, leitete ich eine klimatische Cur ein, die den 
Pat. heilte. In dem zweiten Falle fand ich Eingeweidewürmer, nach deren 
Entfernung Heilung eintrat. 

Herr Litten: Ich bin nicht derselben Ansicht, wie der Herr Vorredner, 
dass unter physiologischen Verhältnissen die Resorptionsfähigkeit der Magen¬ 
schleimhaut die geringere Rolle spiele, als die motorische Kraft des Magens. 
Ich glaube vielmehr das Umgekehrte; zunächst wird die resorbirende 
Thätigkeit in ihre Rechte treten, und später erst werden die nichtaufge- 
sogenen Flüssigkeitsreste durch die motorische Thätigkeit des Magens in’s 
Duodenum befördert werden. Wenn dagegen in pathologischen Fällen, gleich 
den von mir angeführten, die Resorptionsfähigkeit der Magenschleimhaut so 
weit erloschen ist, dass eine Aufsaugung von Flüssigkeit überhaupt nicht 
oder nur innerhalb sehr weiter Grenzen eintritt, dann wird die motorische 
Thätigkeit des Magens in ihre Rechte treten und die Flüssigkeit weiter 
schieben. Derartige Fälle, wie ich sie vorher angeführt, sind aber keines¬ 
wegs Raritäten, sie kommen häufig vor und betreffen auffallender Weise 
sogar manchmal ganz gut genährte Individuen. Bewerkenswerth dabei 
erscheint noch der Umstand, dass der Chemismus in diesen Fällen ganz 
gut erhalten (sufficient) sein kann, und dass namentlich feste Speisen gut 
oiler annähernd genügend verdaut werden, während für die Resorption der 
flüssigen Speisen eiue vollständige Tusufficienz besteht. 

Herr Leo: Mit Bezug auf die Ausführungen von Herrn Citron be¬ 
merke ich, dass bei meinem Patienten auch eine Bandwurmcur angewandt 
wurde, aber ohne Erfolg, und dass die Lungen vollständig gesund sind. 

2. Herr Leyden: Bin Fall von Kohlenoxydvergiftung, 
Transfusion, Genesung (mit Krankenvorstelluug). (Der Vortrag 
wird in dieser Wochenschrift publicirt werden). 


IX. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 28. November 1888. 

Vorsitzender: Herr Henoch. 

Der Vorsitzende macht der Gesellschaft Mittheilung von dem Ableben 
des Mitgliedes Geh. Sanitätsrath Gu mb inner. 

1. Herr Bellarminoff demonstrirt eine neue Methode der Angen* 
Untersuchung. Das Auge wird cacainisirt, ein Glas auf die Hornhaut ge¬ 
legt und letztere etwas plattgedrückt; der kleine Zwischenraum wird durch 
einen Tropfen Flüssigkeit ausgefüllt. Man stellt dadurch ein hochgradig 
hypermetrophisches Auge her und erhält ein sehr grosses Gesichtsfeld. 

Herr Schweigger bestätigt das Thatsächliche der Mittheilung des 
Herrn Bellarminoff, deren praktische Bedeutung sich durch weitere 
Untersuchungen jedoch erst heraussteilen muss. Derselbe Gedanke hat 
übrigens bereits früher bei der von Fick angegebenen sogenannten Contact- 
brille eine anderweite praktische Verwerthung gefunden. 

Herr Remak: Ein Fall von Oedem auf spinaler Basis (mit Kranken¬ 
vorstellung). Der vorgestellte Kranke ist ein 38jähriger Mann, der dem 
Vortragenden zum ersten Male im Mai 1878 überwiesen wurde wegen einer 
Beweglichkeitsstörung der linken Hand, die auf eine 10 Wochen zuvor erlittene 
Vorderarmfractur zurückgeführt wurde. Es bestand damals Steifigkeit und 
starkes Oedem der linken Hand. Der Kranke wurde längere Zeit elektrisch 
behandelt und in arbeitsfähigem Zustande entlassen. Er hatte damals nicht 
angegeben, dass er bereits 1877 durch einen Fall von beträchtlicher Höhe 
eine Coutusion der Wirbelsäule erlitten hatte, an der er 6 Wochen lang 
in der Charite behandelt war. Am 26. Februar vorigen Jahres wurde er 
dem Vortragenden wieder überwiesen. Er hatte sich arbeitsunfähig ge¬ 
meldet wegen einer Abmagerung der linken Hand, die Mitte Januar vorigen 
Jahres eingetreten war, und gab weiter an, dass er seit 1886 an Hinter¬ 
kopfschmerz litte und seit 6 Wochen Schwierigkeiten beim Schlucken ver¬ 
spüre; auch das linke Bein sei schwächer, als das rechte. Objectiv liess 
sich Folgendes nachweisen: Die oberen Lider hängen etwas herab, Sprache 
intact, keine Atrophie der Zunge, keiue Neuritis optica; Sehwierigkeit beim 
Schlucken. In zweiter Linie ziemlich hochgradige Atrophie der linken Hand, ver¬ 
bunden mit Erscheinungen der Entartungsreaction. Endlich leichte motorische 
Schwäche des linken Beins und Steigerung des Kniephänomens links. Es 
handelte sich also um dreierlei Symptome: um leichte Bulbärerscheinungen, um 
degenerativo Atrophie der linken Hand und um leichte spastische Parese des 
linken Beines. Im Mai 1887 entzog sich Patient der Behandlung des Vortra¬ 
genden, nach einer Verschlechterung seines Zustandes fand er sich aber im März 
dieses Jahres wieder ein. Pat. war inzwischen selbst auf Störungen seiner 
Sensibilität aufmerksam geworden, und genauere Sensibilitätsprüfungen er¬ 
gaben nunmehr, dass eine partielle Empfindungslähmung für Schmerz, Wärme 
und Kälte bestand, die sich den ganzen Arm hinauf bis zum Unterkiefer- 


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1016 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49 


rande erstreckte, dann au der Brust herunter ging bis zum Bauch und zum 
Oberschenkel. Vorerst waren irgendwelche vasomotorische Phänomene nicht 
vorhanden. Am 20. October stellte der Vortragende den Kranken wegen 
seines Spinalleidens seinen Zuhörern vor, ohne dass an diesem Tage irgend 
welche Schwellungen vorhanden gewesen wären. Am folgenden Tage begann 
die linke Hand zu schwellen, und 10 Tage später auch die rechte, an welcher 
die Temperaturempfiudung ebenfalls gestört, die Motilität'aber normal ist. Seit 
etwa 6 Wochen besteht die starke Schwellung beider Hände, wie der Kranke 
sie augenblicklich darbietet, und die nicht sowohl ein Hautödem als ein 
Anasarka des Unterhautzellgewebes darstellt. Das Herz ist absolut normal, 
im Urin kein Eiweiss. Andere Oedeme sind nicht vorhanden. 

Seitdem Fr. Sch ult ze im Jahre 1882 darauf aufmerksam gemacht hat, 
dass Höhlenbildung im Rückenmark unter Umständen im Leben diagnosti- 
cirt werden kann, besonders wenn an irgend einer Stelle eine degenerative 
Atrophie besteht, und weit über dieses Gebiet hinaus Sensibilitätsstörungen, 
die namentlich Schmerz- und Temperatursinn betreffen, nachgewiesen werden 
können, ist die Diagnose auf Syringomyelie verhältnissmässig oft gestellt 
worden. Der Vortragende selbst hat bereits früher im Vereine für innere 
Medicin (s. diese Wochensehr. 1884 No. 47) einen solchen Fall vorgestellt. 
In dem heute vorgestellten Falle ist anzunehmen, dass langgestreckte glio- 
matöse Processe mit Höhlenbildung, am stärksten ausgebildet in der Cervi- 
calanschwellung, die Atrophie der linken Hand und die Sensibilitätsstörungen 
bedingen, dass der Process sich hinaufzieht bis in die Gegend der Medulla 
oblongata, wodurch die Bulbärerscheinungen erklärt werden. Die spastische 
Lähmung der unteren Extremität ist wohl auf eine Betheiligung des linken 
Seitenstranges zu beziehen. 

Was nun die trophischen Erscheinungen in diesem Falle betrifft, so 
sind ähnliche bereits in früheren Fällen öfter beobachtet. Die Frage, ob 
es sich hier um seröse Oedeme oder um entzündliche Oedeme handelt, 
möchte der Vortr. mit Wahrscheinlichkeit dahin beantworten, dass letzteres 
«ler Fall ist, dagegen enthält er sich weiterer Hypothesen bezüglich be¬ 
stimmter Theile der grauen Substanz des Rückenmarkes, von welchen dieselben 
möglicher Weise ausgehen k«»nnten. 

3. Herr Schüller: Ueber die künstliche Steigerung des Knochen- 
wachsthums beim Menschen. 

Die Erfahrungen über pathologisches Längenwachsthum der Knochen 
bei jugendlichen Individuen haben bereits vor einer Reihe von Jahren 
einerseits zu experimentellen Arbeiten über diesen Gegenstand (Ollier. 
v. Langenbeck, Bidder, Helferich u. A.) andererseits zu Vorschlägen 
Anlass gegeben, dieselben für therapeutische Zwecke am Menschen zu ver¬ 
werten (Ollier, v. Lan'genbeck, Bidder, Tillmanns). Einige Ver¬ 
suche dieser Art hat Ollier gemacht. Helferich gab auf dem letzten 
Chirurgencongress eine Methode an, die darin besteht, dass durch Anwendung 
eines elastischen Gummischlauches eine künstliche Stauung in dem be¬ 
treffenden Gliede hergestellt uud dadurch auch eine stärkere Ernährung des 
Knochens erzielt wird. Er verwandte dieses Verfahren bei Fracturen mit 
verzögerter Consolidation, bei ungleich langen Gliedern sonst normaler 
Individuen, zur Lösung von Se«|uestern bei Nekrosen und, in letzteren 
Fällen ziemlich resultatlos, bei zurückgebliebenem Knochenwachsthum nach 
essentieller Kinderlähmung. Der Vortragende hat nun die Compression 
mittelst eines elastischen Schlauches adoptirt, aber mit einer bestimmten 
lokalen und allgemeinen diätetischen Behandlung und in einigen Fällen mit 
operativen Maassnahmen. Der Schlauch wird zunächst oberhalb der be¬ 
treffenden Stelle um das Glied herumgelegt, und zwar so, dass der Druck 
nur auf die Venen geübt wird, der Zufluss des arteriellen Blutes dagegen 
frei ist. Daneben hat Vortragender das Glied massiren lassen, in der 
Weise, dass die Blutzufuhr nach dem Gliede wesentlich vermehrt wurde, 
ferner lässt er die Patienten gehen, die betroffenen Glieder gebrauchen, 
bestimmte Turnübungen machen und regulirt ihre Ernährung durch genaue 
Diätvorschriften, welche auf eine kräftige Ernährung, möglichste Kalkzufuhr 
und thunlichste Einschränkung der Milchsäurebilduug. gerichtet, und endlich 
lässt er regelmässig baden. Mit diesem Verfahren hat er einige ausge¬ 
zeichnete Erfolgo erzielt. In anderen Fällen wurde dasselbe mit dem 
Einbringen eines vernickelten Stahlstiftes combinirt, so in dem Falle einer 
16jährigen Patientin, die in ihrem dritten Lebensjahre an essentieller Kinder¬ 
lähmung litt, nach welcher eine Parese beider unteren Extremitäten zurück¬ 
blieb. Der rechte Unterschenkel war 3 cm im Körperwachsthum zurück¬ 
geblieben, der rechte Fuss, der überdies hochgradig schlotterig im Fuss- 
gelenk stand, hatte die Grösse eines Kinderfusses. In Narkose wurde unter 
strengster Asepsis der 2 mm starke Stift in der unteren Tibiadiaphyse 
schräg gegen den Intermediärknorpel zu eingebracht, Oypsverband; nach 
8 Tagen wurde der Stift entfernt, ein einfacher Schieneuverband angelegt 
uud die oben geschilderte Behandlung eingeleitet. Nach 2 Monaten war eine 
Verlängerung der Tibia um 1,7 cm nachzuweiseu, der Fuss ist länger und 
breiter geworden, mit der Tibia ist die Fibula gleichzeitig gewachsen, der 
Fuss schlottert nicht mehr, was wohl auf die Nachbehandlung zurückzuführen 
Ist. — An einigen weiteren Fällen, darunter ein Fall, bei dem es gelang, 
«lurch das Verfahren ein hochgradiges Genu valgum reactiv zur Heilung zu 
bringen — illustrirt der Vortragende die vorzüglichen Erfolge, welche das 
Verfahren ihm geliefert hat. (Die Discussion über den Vortrag wird vertagt.) 


X. Freie Vereinigung der Chirurgen Berlin’s. 

Sitzung am 5. November 1888 im Königlichen Klinikum. 

Vorsitzender: Herr Gurlt Schriftführer: Herr Langen buch. 

1. HerrGurlt; Ueber antike chirurgische Instrumente. Solche sind 
erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die damals begonnenen 
Ausgrabungen der im Jahre 79 n. Chr. verschütteten Städte Herculanum, 
Pompeji und Stabiae zu Tage gefördert und bereits damals, soviel bekannt, 
von Bayardi (1455) beschrieben worden. Spätere Beschreiber der im 
Museum zu Portici aufbewahrten Instrumente waren u. A. Jüngken, Kühn, 
Cüoulant, namentlich aber Peter Savenko (1821), der die ersten Ab¬ 


bildungen gab, nachdem im Jahre 1819 zu Pompeji in der Via consolare 
ein Hauptfund gemacht worden war. Die später im Museo Borbonico (jetzt 
Museo nazionale) zu Neapel vereinigten Instrumente wurden darauf in dem 
jener Sammlung gewidmeten Abbildungswerk von Benedetto Vulpes be¬ 
schrieben uud 1S47 in einer eigenen Schrift herausgegeben. Die neueren 
Publicationen über antike Instrumente rühren her vonVedrenes, in seiner 
Uebersetzung des Celsus (1876) und von Neugebauer (1882), der dar¬ 
über eine sehr gelehrte Abhandlung geliefert hat. 

Von den ausserhalb Italiens gemachten Funden sind die in Frank¬ 
reich vorgekommenon in den Museen zu Montauban, St. Gerraain-cn-Laye, 
Puy-en-Valais und zu Paris in den Sammlungen des Louvre, des Musee 
Cluay und Musee Orfela enthalten; die Funde, die in Deutschland gemacht 
worden sind, beschränken sich auf die Rheingegend und sind in verschiedenen 
Sammlungen niedergelegt. Es ist endlich noch eines anf der griechischen 
Insel Milos gemachten Fundes zu gedenken. Die Zahl der bekannten 
antiken chirurgischen Instrumente beläuft sich auf mehrere Hundert, unter 
denen die Pincetten und die Sonden vorzugsweise reichlich vertreten sind. 
In der grössten Mehrzahl bestehen die meistens sehr zierlich gearbeiteten 
Instrumente aus Bronce und sind in Folge dessen sehr gut couservirt, wo¬ 
gegen die nicht sehr zahlreich vorhandenen Instrumente aus Eisen (oder 
Stahl?) meistens erheblich vom Roste gelitten. haben. Verhältnissmässig 
selten sind silberne Instrumente, während einige Griffe von broncenen In¬ 
strumenten sich mit Silber eingelegt finden. 

Der Vortragende besprach darauf, unter Vorlegung der Abbildungen in 
den Werken von Vulpes und Vedrenes, sowie einer von ihm auf einer 
Tafel gemachten Zusammenstellung, die verschiedenen Arten von antiken 
Instrumenten: 

1. Sonden, specillum, ^ /rfXiy, dieselbe trägt einen grösseren oder 
kleineren Knopf, nuclus, «5 nuprjv, oder an einem Ende einen Spatel, lata 
specilli oxtremitas, ij <T7ra&opr)Xrj, oder einen Ohrlöffel, specillum 
auriculare, ^ pt/XiuTig, pijXtuTptg, cuToyXuptg, oder einen grösseren Löffel, 
ö xua&ioxog rfg prjXyg. Die Sonde, bei der man ein specillum tenue 
und tenuius unterscheidet, kann auch an beiden Enden einen Knopf oder 
eine Olive tragen, specillum utrunque capitatum, rd dianüpyvot/, auch 
mit einein Oehr versehen sein. Ein Etui zur Aufnahme mehrerer Sonden 
ist ebenfalls bekannt. 

2. Spatel, spatha, spata, ij tncd>9rj, theils am anderen Ende einen 
Sondenknopf oder Löffel tragend, theils mit einem Einschnitt versehen, in 
welchem man gelegentlich Reste einer eisernen Klinge gefunden hat, so dass 
eine Anzahl der Broncespatel wohl als Messergriffe aufzufasseu sind. Auch 
der Einschnitt, welcher an vielen unserer Spatel und Hohlsouden seil 
J. L. Petit (beim Einschneiden des Zungenbändchens zu verwenden) sich 
findet, kommt bereits vor. 

3. Rugineu, 6 gerade, gebogen, einen Dreizack bildend, 

tri de ns, fj Tptatva, letzterer aber auch vielleicht als 

4. Glüheisen, rd Tptatvosidkg xauryptov, zu deuten, andere Fonneu des 
ferramentum candens, z. B. mondförmig, tu pyuoei'fkg xaurpr-pio*. 

5. Hebel, <5 noyXiaxog, ganz ähnlich dem in unseren Trepanations- 
Bestecken befindlichen 

6. Haken, hamus, hamuluSjTÖ äyxc<rrpov, darunter scharfe (h. acutus) 
und stumpfe, rd TutpXdyxiarpn^ auch Angelhakeuformen. Ferner ein grosser 
eiserner Haken, uncus, wahrscheinlich zu geburtshülflichen Zwecken, zur 
Extraction des todten Foetus, <5 Ipßpuo&Xatmjg. 

7. Pincetten, vulsella, volsella, ij Xaßtg, rd Xaßiitov, klein, gross, 
gerade, winklich geknickt, breitspitzig, feinspitzig, gezähnt, versch liessbar 
mittelst eines Ringes. Die breitspitzigen, sehr zahlreich vorkonunendeu 
Pincetten sind nur zum kleinsten Theile als chirurgische Instrumente zu 
bezeichnen, dienten theils zu kosmetischen Zwecken, zum Ausziehen «ler 
Haare, tu TptyoXaßiov , rj TptynXaßig, theils zu anderen häuslichen Zwecken 

8. Zangen, forceps, mit schmalen, breiten, auch gebogenen Armen, 
werden als <)<jt dypa, ddovTdypa, fttCappa, Knochen-, Zahn-, Wurzelzange be¬ 
zeichnet. 

9. Lancetten, vielfach wohl zum Aderlass als t 6 pXeßoTupov benutzt. 

10. Messer, s calpellus,scalpellum, scalper,scalprum,^ a/xtXr t . 
tö trptXtov, theils klein, lancettförmig oder wie unsere Staarmesser gerade- 
oder convexschneidig, theils grösser, mit eiserner Klinge als Scheermesser. 
novacula, rj pdyatpa, theils sehr stark, convex, wie C. v. Graefe's 
Blattmesser. 

11. neftnadel, acus, •}) f>a<plg. 

12. Löffel, xua&ioxog , schwer zu deuten. 

13. Schröpfköpfe, cucurbitula, i] tnxua, aus Glas, Horn, Bronce. 

14. Katheter, fistula, «5 xa&srfjp, S-förmig gebogener männlicher 
Katheter, kleinerer für einen Knaben, weiblicher. 

15. Canülen, fistula, aus Blei, f. plum bea, vielleicht zur Drainage, 
f. fictilis, aus Thon, gross« r, um in einer Höhle ohne Nebenverletzung 
das Glüheisen auzuwenden; andere Canüle mit schreibfederartiger Spitze, 
mit einer Platte, um tieferes Eindringen zu verhüteu, auch mit einem 
(wahrscheinlich) Spritzenstempel. 

16. Specula, 6 xaTonrfjp, i) ötonTpa, für die Gebärmutter 3-blättrig 
(wie bei Vidus Vidius, Par4, Scultetus etc.) in neuester Zeit auch 
4-blättrig (Alf. Jacobelli) gefunden: ferner als s peculutn aui, rd >itxp>>^ 
ötönTptov, 2-blättrig. 

Ausser den vorstehenden Instrumenten, die sich sämmtlich in Original- 
Exemplaren vorfinden, werden von den Alten in ihren Schriften noch 
folgende chirurgische Instrumente erwähnt. 

17. Spritzen, elyster, 6 xXuorijp , darunter Ohrenspritzen, c ly st er 
oriularis, tuTeyyuiijg. 

18. Scheeren, forfex, </>aXtg. 

19. Hammer, malleolus, i) oyupa, rö ayupiov. 

20. Meissei, scalper excisorius, 6 sxxoneüg, flacher, planus. 
Hohlmeissel, «5 xuxXtaxog. 

21. Bohrer, terebra, rd riptrpov. 


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6. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


22. Säge, serrula, 6 izplwv. 

23. Trepan, tu rpuica\>ov, rpunavov äßd-nrurrov. 

24. Kronen t rep an. modiolus, rj /omxi), vtxtg, tu yoivtxtov. 

25. Meningophylax, pT^i^yotpoXa^. 

26. Linsenmesser, paxtordg ixxoneug. 

Dazu kommen noch, abgesehen von Augeninstrumenten, einige weitere 
nicht näher bekannte Instrumente wie dioxXetog xuafttaxog , zum Ausziehen 
von Pfeilen, und verschiedene Ferramente, z. H. des Meges für den Stein¬ 
schnitt, zur Punctio abdominis u. s. w. 

Dass den Alten auch chirurgische Bestecke bekannt waren, erläutert 
der Vortragende durch Vorlegung von Abbildungen von Basreliefs auf Grab¬ 
steinen von Aerzten; das eine von der Akropolis zu Athen (Asklepieios) das 
andere aus dem kapitolinischen Museum. 

Den Beschluss des Vortrages machte, als Beitrag zur Kriegschirurgie, 
eine .Mittheilung über Schleuderbleie, glans, plumbea glans, poXußdideg, 
poXußSawai. 

Herr Kose: Unser verehrter Herr Präsident hat zu Beginn seines 
interessanten Vortrages erwähnt, dass wohl schwerlich noch jetzt Instrumente 
aus Paris z. Zeit unter uns vorhanden seien. Wer sich für diese alter¬ 
tümlichen Instrumente interessirt, sollte nicht in Zürich au der alten Instru¬ 
mentensammlung im Kantouspital Vorbeigehen, welche so viele altmodische 
Instrumente enthält, wie man sie in den Comraentaren des V’idus Vidius, in 
den Tractaten des Bartholeinäus Maggi abgebildet findet. Sie stammen wahr¬ 
scheinlich noch aus der alten Chirurgenschule her, welcho Jahrhunderte lang 
in Zürich der Schöpfung einer Universität vorausgegangen ist. 

Herr Hirsch borg: Zu der interessanten Darstellung des Herrn Vor¬ 
tragenden möchte ich mir erlauben einige ganz kurze Bemerkungen hinzu¬ 
zufügen: Der Herr Vortragende vermisst bei den Alten eine lateinische 
Uebersetzung von Zutrrfjp, £u<npa, £u<rrpov, das Schabeisen. Aber Celsus 
nennt das Werkzeug zum Schaben der Bindehautrauhigkeiten specillum 
asperatum (VI, 6, 26. Vgl. Hippokr, de visu, Littre 111,292), und nach 
Hippokrates räth Celsus (VIII, 4), bei vermuthetem Schädelbruch Tinte 
aufzugiessen und zu schaben, indem er das Wort £ u<rrfjp ($eetv) mit scalpro 
deradeudum wiedergiebt. Unter den merkwürdigen Werkzugen der altgriechi¬ 
schen Heilkunde verdient auch der zinnerne Stab genannt zu werden, in dessen 
Oehr mittelst eines Fadens ein dicker Schwamm befestigt und von hinten nach 
vorn durchgezogen wurde, zur Entfernung von Nasenpolypen, ganz ähnlich 
wie bei den Instrumenten von Bellocq (vgl. Hippokr. de morb. II, 33 
Littre Vll, 50). Wiewohl der alte Hippokrates diesen Satz nicht selber 
geschrieben, so ist doch die jetzige Redaction seiner Schriften mindestens 
2000 Jahre alt. Noch interessanter ist in derselben Schrift, die nach dem 
Kmpyemschnitt eingeführte Zinnröhre, die mit dem Fortschritt der Heilung 
allmählich hervorgezogen und abgeschnitten und endlich ganz entfernt wird 
(al. 70). Die Drainage ist also nicht eine neue Erfindung. Endlich möchte 
ich, da doch auch von solchen Werkzeugen die Rede war, die uns nicht 
aufbewahrt, sondern nur in den Schriften der Alten niedergelegt sind, auf 
die zahlreichen Instrumente zur Einrenkung und Befestigung verrenkter uud 
gebrochener Gliedmaassen hin weisen, wie solche in den hippokratischen 
Schriften xepi dp^pütv und povXixdg beschrieben sind. 

Herr Gurlt verweist die letzterwähnten Abbildungen unter die Phanta¬ 
siegebilde. 

2. Herr R. Köhler: a) Demonstration eines Präparates von Hand¬ 
gelenksluxation. Im Herbst des Jahres 1883 fiel eine bis dahin ganz gesunde 
30jährige Frau von der Leiter, und zwar in der Art, dass ihr linker Arm mit 
dorsalflectirter Hand senkrecht den Boden erreichte. Unmittelbar nach 
dem Falle hatte die Hand ein unförmliches Aussehen erhalten 
war gebrauchsunfähig. Sie wurde monatelang von Laien behandelt, und 
die Difformitat blieb bestehen, es trat unter Schmerzen langsam eine 
Schwellung der ganzen Hand und des unteren Drittels des Vorderarmes auf, 
und die Finger bekamen ein taubes Gefühl. Ein Arzt machte nun einige 
Incisionen auf dem Dorsum manus in der Carpalgegend, Eiter wurde dabei 
nicht entleert. Die Anschwellung der Weichtheile nahm mit der Zeit immer 
mehr zu- Im Herbst 1884, also ein Jahr nach der Verletzung, kam die 
Patientin nach Berlin und in die Behandlung des Vortragenden. Die An¬ 
schwellung des Vorderarmes und der Hand war eine so unförmliche, die 
Weichtheile so speckartig degonerirt, dass man Knochentheile nicht durch¬ 
fühlen und die Grenze zwischen Hand und Vorderarm nicht mit Sicherheit 
erkennen konnte. Ausschabung der im Grunde der Fistel liegenden Knochcn- 
partieen. Nach einiger Zeit trat Gangrän der Finger auf, die zur Ab 
Setzung des Vorderarmes führte. Das Präparat wurde durch die Amputation 
gewonnen. 

Das Präparat stellt eine Volarluxation der Hand dar, der Carpus ist 
auf die Volarseite des Vorderarmes getreten, Radius und Ulna liegen auf 
dem Dorsum des Carpus, die Ulna auf dem Os triquetrum, der Radius auf 
der Basalseite des 3. Metacarpus. Gleichzeitig hat eine Verschiebung der 
bei der Luxation betheiligten Knochen in seitlicher Richtung in der Art 
stattgefunden, dass die Hand etwas radialwärts, die Vorderarmknochen ulnar- 
wärts abgewichen sind. An den Diaphysen beider Vorderarmknochen finden 
sich von chronischer Periostitis herrührende Knochenauflagerungen, am 
unteren Ende der Ulna zeigt sich Knorpelwucherung, an dem des Radius 
Defecte am Knochen, welche von den Ausschabungen mit dem scharfen 
Löffel herrührm. Was besonders charakteristisch ist und für eine trau¬ 
matische primäre Luxation der Hand spricht, ist der Umstand, dass ein 
grosser Theil des Knorpels der Gelenkfläche des Radius er¬ 
halten ist. Die Carpalknochen sind vollzählig vorhanden und mit einander 
verwachsen. 

Im Verlaufe der Discussion erwidert der Vortragende, dass ihm selbst¬ 
verständlich bekannt ist, dass ähnliche Lageverändorungen der das Hand¬ 
gelenk bildenden Knochen, wie solche das Präparat zeigt, auch durch chro¬ 
nische Pcocesse ohne Trauma Vorkommen. Die nähere Betrachtung des 
Präparates aber, sowie die Krankengeschichte beweist, dass das Präparat 
ohne Zweifel eine traumatische Luxation des Handgelenkes darstellt. Das 


1017 


Präparat, ist schon einmal von dem Vortragenden vor einigen Jahren in 
einer Situug der Gesellschaft der Charite-Aer/te demonstrirt. 

Herr Ob.-St.-A. Hahn hat einmal eine derartige Luxation gesehen, die 
während einer langen Eiterung in Folge von Sehnendurchschneidung durch 
Sensenhieb entstanden war und glaubt, dass auch bei dem Präparat des 
Vortragenden eine chronische Eiterung Veranlassung zur Entwickelung der 
Luxation gab. 

nerr R. Köhler glaubt an der Hand der sorgfältigen anamnestischen 
Erhebung an der rein traumatischen Natur dieser Luxation festhaiton zu 
müssen. 

Herr J. Israel: Wenn eine Luxation der Hand in Folge langdauern¬ 
der Gelenkeiteruug mit Aufbruch keino besonders seltone Erscheinung sein 
mag, so dürfto es doch weniger bekannt sein, dass derselbe Folgezustand 
verhältnissmässig acut nach Entzündungen des Handgelenkes auftreten kann, 
welche ohne Aufbruch, ohne Destruction des Gelenkes ausheileu. Ich habe 
ein solches Vorkommniss bei einem 7jährigen Mädchen beobachtet, welches 
im Scharlach entzündliche Affeetionen beider Handgelenke, des rechten Hüft- 
und linken Kniegelenkes bekam. Während es am rechten Hand- und Hüft¬ 
gelenk zur Eiterung und zum fistulösen Durchbruch kam, bildete sich die 
Entzündung des linken Handgelenkes schnell zurück. Nichts desto weniger 
war eine vollkommene Luxation desselben eingetreten, ganz das morpho¬ 
logische Abbild der von Herrn Köhler gezeigten Form, aber mit dem 
grossen Unterschiede, dass sie mit grösster Leichtigkeit reponirbar war durch 
Zug an der Hand oder Druck auf die Volarseite des Carpus. Hörten Zug 
oder Druck auf, so sank das Glied in die luxirte Stellung zurück. Die Be¬ 
wegungen im reponirten Zustande waren ganz glatt und normal; Knorpel¬ 
oder Kuochendefecte. gänz(jch ausgeschlossen. Diese Form erinnert am 
meiston au die typhösen Luxationen im Hüftgeleuk. 

Herr v. Bergmann fragt, ob überhaupt Eiterung bestauden hat. 

Herr R. Köhler betont, dass der incidirende Arzt keinen Eiter fand, 
und fügt noch hinzu, dass die Frau bis zum Unfall ganz gesund war. Ihm 
sei ebenfalls bekannt, dass ähnliche Lageveränderungen der das Hand¬ 
gelenk bildenden Knochen auch durch chronische Processo ohne Traumen 
vorkämen. 

b) Vorstellung eines Falles von traumatischer Lungenliernie. Ein 

50jähriger Mann wurde Ende August d. J. von einer Droschke überfahren, 
das Rad ging über die rechte Seite der Brust. Bei der Aufnahme in die 
Charite machte er den Eindruck eines Schwerverletzten, der Puls war klein, 
die Extremitäten kühl u. s. w. Am auffälligsten war die abnorm beschleu¬ 
nigte Respiration, 50 Athemzüge und mehr in der Minute und fortwährender 
Hustenreiz. Bei näherer Untersuchung fand sich auf der rechten Seite des 
Thorax in der Höhe der 6. und 7. Rippe, etwa in der Mitte zwischen Lin. 
mam. und axill eine über faustgrosse Geschwulst, welcho bei den sehr 
schmerzhaften Ilustenstössen sich hervorwölbte. Von dieser Geschwulst, ging 
ein eigentümliches, sehr lautes, auf Meter hin wahrnehmbares Geräusch aus, 
welches dem brodelnden, kochenden Wasser sohr ähnlich war; das Geräusch 
war fast ein continuirliches, durch die schnell auf einander folgenden Exspi- 
rationsstösse hervorgebracht. Legte man die Hand auf den Tumor, so fühlte 
man die heftigen Erschütterungen und ein Grösserwerden desselben. Die 
Percussion ergab hohen tympanitischen Schall, beim Auscultiren war nur 
das enorm laute Brodeln zu hören. An der Circuraferenz der Geschwulst 
konnte man in den 7. Zwischenknochenraum eindringen, ohne den geringsten 
Widerstand zu finden, die Intercostalmuskeln waren also zerrissen; die 
7. Rippe war fracturirt; kein Pneumothorax, kein Erguss in den rechten 
Pleurasack. Um die Basis der Geschwulst ein wenig ausgebreitetes Emphy¬ 
sem. Es bestand mithin eine grosse Lungenliernie, das Emphysem bewies 
die gleichzeitig bestehende Lungenruptur. Dass nicht gleichzeitig Pneumo¬ 
thorax bestand, konnte zwei Gründe haben, entweder es bestanden mehr oder 
weniger umfangreiche Verschiebungen der beiden Pleurablätter, oder aber, 
was wahrscheinlicher war, der Riss sass in dem gleichsam incarcerirten, also 
ausserhalb der Thoraxhöhlen befindlichen Lungenstück. Wogen letzterer 
Möglichkeit wurde die Reposition der Hernie nicht vorgenommen, sondern 
der Tumor nur durch ein um den Thorax geschlungenes Handtuch etwas 
comprimirt. Analeptica, Narcotica. Der Tumor verkleinerte sich langsam 
und war nach 6 Wochen bei gewöhnlichem Athmen nach und nach ver¬ 
schwunden. (Der Kranke wird vorgestellt.) Die Zerreissuug der Intercostal- 
muskulatur ist noch jetzt deutlich nachzuweisen, der Finger dringt an der 
betreffenden Stelle ohne Widerstand tief in den Brustraum ein; lässt man 
den Kranken husten, so drängt sich auch jetzt noch ein wallnussgrosser 
Tumor durch den Zwischenknochenraum nach aussen. (Schluss folgt.) 

XI. Journal-Revue. 

Physiologie und Physiologische Chemie. 

1 . 

H. Unverricht. Experimentelle Untersuchungen über 
die Innervation der Athembewegungen. Fortschr. d. Med. 
1888, No. 11. 

Verfasser narkotisirte die Versuchsthiere mit Morphium uud 
applicirte den faradischen Strom verschiedenen Theilen der Gross- 
hirnriude. Dabei fand er, dass nur von einer ganz umschriebenen 
Stelle derselben aus, welche in der dritten äusseren Windung nach 
aussen vom Orbicularisceutrum gelegen ist, eine typische Einwir¬ 
kung auf die Athmung zu erzielen war. Dieselbe bestand stets nur 
in Verlängerung der Athempause, variabel je nach der Stärke 
des elektrischen Reizes und der Erregbarkeit. Ob diese Stelle ein 
Hemraungscentrum für die Athmung darstellt und mit den Rindon- 
centren für die Muskelbewegungen analog zu setzen sei, lässt Ver¬ 
fasser in suspenso. Dafür würde sprechen: das langsame Ab¬ 
klingen des Phänomens nach Fortfall des Reizes, sowie der in 


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1018 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 49 


manchen Fällen auftretende ganz analoge Ersoheinuugscomplex der 
Kindenepilepsie. Dagegen lässt sich geltend macheu, dass Chloral- 
hydrat- und Aetherhetäubung, welche die Extreiuitäteiicentren 
lähmt, auf die von Unverricht gefundene, die Athmung hemmende 
Rindeupartie keinen Einfluss übt. Verfasser lässt daher auch die 
Möglichkeit zu, dass es sich vielleicht gar nicht um ein „Centrum“ 
im eigentlichen Sinne handelt, sondern um eine Stelle, an welcher 
eine grosse Anzahl an getrennten Orten entspringender, die Ath¬ 
mung hemmender Nervenfasern am meisten convergiren. 

C. E. Beevor und V. Horsley. Experimentelle Unter¬ 
suchungen über die Hirnrinde der Affen (Macacus siui- 
cus). Vortrag in der Pariser Soc. de Biol. 12. Xov. 1887. Journ. 
des Soc. scientif. 

lu Betreff der Technik ihrer Untersuchung legen die Autoren 
Werth darauf, dass sie au mit Aether betäubten Affen arbeiteten, 
dass sie ferner stets mit den schwächsten luductionsströmen reizten, 
mit denen sie überhaupt noch eine Reaction erzielten, und dass sie 
die Reizelektrode immer nur für (»inen Moment ansetzten, da, so¬ 
wie die Elektrode einen Augenblick länger an der Stelle blieb, so¬ 
fort verwirrende Einwirkungen auf die Nachbarcentren stattfanden, 
ln der vordersten Partie (?) fanden sie Centreu für das Drehen des 
Kopfes und der Augen nach der entgegengesetzten Seite. Am un¬ 
teren Ende der Gyri prä- und postceutrales fanden sie die Centren 
für die Gesichtsbewegungen, und zwar zwei: ein oberes für Hebung 
des Mundwinkels und Lid sch luss der entgegengesetzten Seite, und 
ein unteres für das Oeffneu des Mundes, Ausstrecken der Zunge 
und Saugbewegungen. Ungefähr in der Mitte dieser Winduugen 
eonstatirten sie das Centrum für die Bewegungen des Arms, ganz 
unten in diesem Centrum ein kleiues Feld, von dem aus lediglich 
Bewegungen des Daumens ausgelöst wurden. Auch die übrigen 
Bewegungen der einzelnen Theile des Arms sind sehr genau in 
kleinen Feldern loealisirt. Hingegen ist innerhalb des darüber ge¬ 
legenen Centrums für die untere Extremität eine weit geringere 
Differeuzirung für die einzelnen Bewegungen wahrzunehmen. Jedoch 
eonstatirten die Autoren auch hier ein abgegreuztes kleines Feld 
für die Beugung des Hallux. U. 

K. Hasebrock. Analyse einer chylösen pericardia len 
Flüssigkeit (Chvloperieardium). Zeitschr. f. phvsiol. Chemie. 
Bd. XII, 'p. 289. 

Es handelt sich um einen in Folge einer Tracheotomie zur 
Sectio» gekommenen Fall, bei dem im Perieardium eine blassröth- 
liche, trübe, milchige Flüssigkeit gefunden wurde. Das Perieardium 
selbst war normal. Aus den analytischen Befunden, welche einen 
ungewöhnlich hohen Werth für die festen Bestandtheile der Flüssig¬ 
keit, besonders den Fettgehalt derselben ergaben (10.8%), scliliesst 
Verfasser, dass die untersuchte Flüssigkeit Chylus gewesen sei. 
Denn ein so hoher Fettgehalt, wie der beobachtete, fiudet sich nur 
im Chylus. Hasebrock lässt es dahingestellt, ob es sich im vor¬ 
liegenden Fall um Berstung eines Chylusgefässes oder um einen 
capillaren Austritt von Chylus in Folge von Stauung gehandelt habe. 

_ Leo. 

XII. Therapeutische Mitteilungen. 

— Leinoine (Gaz. m«'d. 1888. N» 28 und 29) räth das llyoscyamin 
nur in kleinen Dosen I — 5 mg anzuwenden: *2 mg genügten bei neu rast lie- I 
nischer Agrypnie zur Herbeiführung eines 8ständigen Schlafes. Unange- 1 
nehme Nebenerscheinungen treten nicht auf. auch tritt Angewöhnung nicht ein. 
Auch bei erregten Geisteskranken genügen die obigen Dosen. Alle Formen 
der Geistesstörung sind geeignet. Die Verabreichung kann statt per Injee- 
tionom auch in Granulös, die man in etwas Wasser löst erfolgen (Neurolog. 
Centralbl.). 

— Dr. Kny (Strassburg) über therapeutische Wirkungen des llyos- 
cins. Kny verwandte IIyosciu. muriat. (Merck). Die suheutane Anwendung 
wurde bald aufgegeben. Durch innerliche Verabreichung wurden sehr zu¬ 
friedenstellende Resultate erzielt. Ks erhielten 88 den verschiedensten Krank¬ 
heitsgruppen angehörige Patienten der Strassburger Irrenklinik 3000 Einzel¬ 
dosen, nach spätestens 1—2 Stunden trat in 82'7io"o der Fälle 6 — 8 st fin¬ 
diger Schlaf ein, tlie meisten Misserfolge wurden bei Schlaflosigkeit ohne 
motorische Erregung beobachtet. Am günstigsten wirkte das Mittel hei 
Schlaflosigkeit, verbunden mit heftigen motorischen Erscheinungen, z. B. 1 
bei Manie und Paralyse. Die Dosis betrug 1 j— I mg, in der Regel tritt Ge- 1 
Widmung ein, so dass die Dosis gesteigert werden muss, 3 mg pro die war I 
die höchste Dosis. Nur in einem Falle war das Mittel ganz, erfolglos. Die j 
selten beobachteten Nebenerscheinungen bestanden in Trockenheit im Halse ! 
und Du rstgefü h I. Auch für Herzkranke ist das Mittel nicht sehr gefährlich, 
hei Aorteninsuffii-ienz wurde es ohne Nachtheil gegeben. Vorzüge de» j 
Mittels sind absolute Geschmacklosigkeit und leichte Löslichkeit, sowie die ( 
grosse Billigkeit (1 g Mk 2f>). Besonders günstig war die Wirkung bei 
frischer Manie, die auch in ihrem Verlaufe abgekürzt wurde. Bei ruhigen, I 
schlaflosen Kranken ist Sulfonal vor/.uzielu>n. Bei Paralysis agilans, 1 
Intentioiistrentor. bei multipler Sklerose ist Hyosciu ein pallia- j 
tivcs Mittel. \ erdauungsstörungen nach Hyosciu kommen ab und zu vor, l 
gebeu über zu keinen ernsten Bedenken Anlass. 


— Pcsce hat der Turiner Kgl. Akademie über die klinische Wirkung 
des Phenacetin folgende Mittheilungen gemacht. Phenacetin bewirkt aus¬ 
gesprochene und dauernde Herabsetzung der Fiebertemperatur und ist gleich¬ 
zeitig von wohlthuendem Einfluss auf das Allgemeinbefinden des Kranken. 
Dieser Abfall und der spätere Anstieg der Temperatur erfolgt fast stets langsam 
und allmählich. Mit 0,5 g erhält man im Allgemeinen einen Abfall von 
2—3°, diese Dosis wird besser auf einmal angewandt. Der Temperatur¬ 
abfall giebt gewöhnlich zu keiner unangenehmen oder gefährlichen Neben¬ 
wirkung Anlass, abgesehen von Schweissausbruch, der aber nie einen be¬ 
trächtlichen Grad erreicht. Das Phenacetin ist auch mit einer mächtigen 
autirheumatischen Wirkung begabt, es unterdrückt das Fieber und die Ge- 
leukschmerzen, vermindert die Druckempfindlichkeit, inacht die Bewegungen 
der Gelenke freier. Es ist auch von günstigem Einfluss auf die apyretischen 
Rheumatismen, auf deu Krankheitsprocess seihst hat es keinen abortiven Ein¬ 
fluss. Durch seine analgetische Wirkung ist es von Erfolg bei Neuralgie, 
(’ephalalgie, Migräne und anderen Reizzuständen der sensiblen Nerven. Ira 
Allgemeinen reichen 0,5 g aus, um die Schmerzen zum Schwinden zu brin¬ 
gen. wo es nöthig ist, kann diese Dose nach 2 — 3 Stunden wiederholt 
werden. Handelt es sich um Störungen durch Compression oder durch ana¬ 
tomische oder functioneile Läsionen der Nerven, wie Neuritiden, so muss 
man zu stärkeren Dosen (1 g) greifen und sie nach Bedürfniss wiederholen. 
(Vgl. über Phenacetin auch No. 18 dieser Wocheuschr.) 

— Parthenicin ist ein Alkaloid, das jüngst Dr. Ulrici in Cuba aus den 
Blättern und Blüthen von Parthenium hysterophorus, die gewöhnlich Artemisilla 
oiler Escola ainarga genannt wird, rein dargestellt hat. Es ist eine erystalli- 
nisclie Substanz von intensiv bitterem Geschmack. Thiere werden durch sie 
nach vorherigem starken Sinken der Temperatur vergiftet. Die Substanz lial 
anscheinend antipyretische, antitypische und analgesirende Wirkungen auf dep 
menschlichen Organismus, in Dosen von 0,95 einmal täglich verabreicht. 

— Professor Mays aus Philadelphia empfiehlt in der Monatsschrift 
„Polydinic“ das Thein in Dosen von 2—6 cg subcut. injicirt gegen fast 
alle Arten von Nerven- und Muskelschmerzen mit grosser Wärme. Kr hat 
dasselbe mit goradezu überraschendem Erfolge gegen die verschiedensten 
Formen von Muskelrheumatismus und Nouralgieen angewendet, ln den meisten 
Fällen verschwanden die Schmerzen schon nach der ersten Einspritzung 
gänzlich. Sogar in einem Falle von Tabes hat ihm das Mittel die wesent¬ 
lichsten Dienste gegeu die Schmerzen geleistet, während es allerdings in 
einem anderen Falle vollständig versagte. 

— Kreosot bei chronischen Lungenkrankheiten hat Soltmann (Fest¬ 
schrift z. 50. Jubelfeier d. Wilh.-Augusta-Kinderhospitals 1888; in 8 Fällen 
mit gutem Erfolge angewendet. Er verordnet: Kreosot gutt. 4—14, Spirit, 
aether. G—12, A»|. dest. 50,0, Sacchar. alb. 10,0. S- 2stümllich theelöffel- 
weise in 2 Tagen zu verbrauchen. Beiuahe iu allen Fällen war Appetit¬ 
steigerung, Zunahme des Körpergewichtes und Verschwinden der Lungen¬ 
erscheinungen zu beobachten. — Parenchymatöse Kreosotinjectionen in 3 % 
Oollösung wandte L. Rosenbusch (W. raed. Pr. No. 3) bei Lungenphtbise 
mit Erfolg an. Als Injectionsslelle wählt er deu zweiten Zwischenrippenraum 
oder die Fossa supraspiuata. 

— Schwefligsauren Kalk empfiehlt C. B. Witherle (Med. Ree. 

7 Jan.) innerlich zu 0,03 zweistündlich in Pillen gegen Lungenschwind¬ 
sucht. Es soll die günstige Wirkung der Bergeon’schen Gasklystiere, 
ohne deren Unannehmlichkeiten, hervorhringen. — Denselben Gedankengang 
! befolgt F. Battesti (Jouru. d. med. et d. pharmac. 1887), wenn er 
j schwefligsaures Natron (1:500 Ai|.), 2 Löffel täglich = 0,02 Salz, nehmen 
und daiauf einen Säuerling trinken lässt. 

— Zur Behandlung der Lungenschwlndsncht empfiehlt W. H. Spencer 
(Brit med. Journ. Jan. 28) innerlich Jodoform in kleinen Dosen, Einatb- 
mungen von Eucalyptus, endlich Chinin als Antipyretimm. — R. W. Philip 
(«las.) scliliesst aus Versuchen an Thieren, «lass Phthisiker an einem von den 
Bacillen erzeugten Gifte sterben, welches eine allgemeine Depression, be¬ 
sonders eine solche des Herzens hervorruft, und dessen Wirkungen durch 
Atropin behoben werden können. 

— Eine sehr einfache Behandlung des eingevrachseneu Nagels wird 

von Patin in der Gaz. des hnpitaux angegeben. Dieselbe besteht dann, 
dass man nach Reinigung und Dcsinfection des betreffenden Nagels mittelst 
eines Pinsels eine Tramnaticinlösung (10 Guttapercha in 80 Chloroform) in 
die lnterstitien zwischen Nagel und den Granulationen, anfangs mehrmals 
des Tages, später seltener, bringt. Bei einiger Schonung des Fusses hebt 
sich allmählich der Nagel von seiner Unterlage ab und kann schliesslich 
ohne Schmerzen mittelst einer Scheero abgetragen werden. Das Traumaticin 
wirkt hier anästhesirend durch das Chloroform und mechanisch durch das 
Guttapercha, das sich zwischen Nagel uud Granulationen eiudrängt und 
ersteren aus der eingewachsenen Lage befreit. 

— Prof. Winternitz sagt iu einer Besprechung des Buches _De la 
Suggestion et de ses applications ä la therapeutii|ue“, von Bern he im. 2. 
Auflage, Paris 1888 (in No. 14 der Internat, klin. Rundschau): Die Beob¬ 
achtung hat gezeigt, was die einfache Suggestion ln der Hypnose bei 
«lern gesunden Menschen an Functionsverämlcrungen zu bewirken ver¬ 
mag, es war daher nur logisch, sie auch therapeutisch in Anwendung zu 
bringen. Wenn man bei einem Hypnotisirten beliebig Anästhesie, Contrac- 
tureu, Bewegungen, Schmerzen etc. hervorrufen kann, so muss es doch mög¬ 
lich sein, durch einen analogen Vorgang krankhaft bedingte Auästhesieen, 
Conlracturen, Paralysen, Pariisthesieen, Schmerzen zum Versehwiuden zu 
bringen, soweit natürlich der Zustand der Organe diese Wiederherstellung 
gestaltet. „Es ist wieder nicht bloss die Lectüre der zahlreichen, inter¬ 
essanten und gut geschiliierten Beobachtungen Bernheiiu’s, aus der ich 
mein Uriheil über die Psychotherapie in der Hypnose gründe Was ich bei 
Bernheim gesehen, was ich bei Forel in Zürich erfahren, es drängt mich 
zu dem Schlüsse, ein mächtiges therapeutisches Agens ist vor uus, lesen wir. 
sehen wir, prüfen wir.“ _ 


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6. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1019 


XIII. Max v. Pettenkofer. 

Max v. Pettenkofer feierte am 3. d. M. seinen siebenzigsten 
Geburtstag. Ueberall wo gebildete Aerzte weilen, findet diese Feier 
die regste Antheilnahme und freudigen Widerhall — und wie sollte 
dies nicht auch der Fall seiu! Wer mit dem Gange unserer Wissen¬ 
schaft während der letzten Jahrzehnte vertraut ist, weiss, dass 
mit ihrer Weiterentwickelung die Hygiene mehr und mehr in 
den Vordergrund trat und sich an den deutschen Universitäten die 
ihr gebührende Stellung eroberte. Unter denjenigen, welche der 
Hygiene die nothwendigen Grundlagen gelegt haben, steht Petten¬ 
kofer in erster Reihe, ln der Zeit, als Virchow seine bekannten 
epidemiologischen Arbeiten veröffentlichte, die vorzüglichsten ihrer 
Art, welche sofort die beiden Hauptmomente der Epidemiologie mit 
Schärfe iu’s Auge fassten: auf der eineu Seite die Pathologie der 
Infectionskrankheiten, auf der anderen die praktischen Maassuahmeu 
gegen ihre Verbreitung — sehen wir auch Pettenkofer an der 
Arbeit ,.das Fach der Hygiene“, wie er selbst sich ausdrückt, „auf 
einen exactereu wissenschaftlichen Standpunkt zu heben und da¬ 
durch den Maassnahmen für die öffentliche und private Gesundheits¬ 
pflege eine dauernde und entwickelungsfähige Grundlage zu geben.“ 

Die Leistungen Pettenkofer's sind bekannt. Wie kein zweiter 
vertieft er sich in alle Anforderungen, welche die moderne öffent¬ 
liche Gesundheitspflege in allen ihren weiten Gebieten aufwirft. Allen 
Bedürfnissen, allen Fragen, welche die Hygiene stellt, hat er seine 
Kraft, seiu grosses Können gewidmet. Seine Schule steht in frucht¬ 
bringendster Schaffensthätigkeit. Es ist nicht am Platze, heute der 
Controverse zu gedenken zwischen Pettenkofer und Koch, jenem 
dritten ira Bunde der deutschen Forscher und Bahnbrecher auf dem 
Gebiete der Hygiene, dessen glänzende Forschungsresultate umge¬ 
staltend auf unsere bisherigen Anschauungen über das Wesen der 
Infectionskrankheiten wirkten. Gedenken dürfen wir heute nur, wie 
mächtig Pettenkofer die Ziele der öffentlichen Gesundheitspflege 
gefördert hat. Es würde zu weit führen, auch nur andeutungsweise 
seine zahlreichen Arbeiten hier analysireu zu wollen. Nur wollen 
wir besonders hervorheben, dass Pettenkofer es ist, der der 
Hygieue den breitesten Unterbau von Wissensgrundlagen durch seine 
fortgesetzten Beobachtungen und Experimente gegeben hat, dass er 
mit so manchem geläuterteu Resultat seiner Forschungen den Weg 
für die Gestaltung der öffentlichen Gesundheitspflege gezeigt hat, 
und dass es vornehmlich sein Verdienst ist, zuerst die Hygiene in 
den Kreis der akademischen Disciplinen eingefügt zu haben. 

Dem Altmeister Max v. Pettenkofer bringen wir unsere 
herzlichsten Glückwünsche dar. Möge es ihm noch lange, lange 
Jahre beschieden sein, seine Kraft, seinen Wissensschatz, seine 
mächtige Anregung, der Menschheit und der von ihm geförderten 
Wissenschaft widmen zu können. S. G. 


XIY. Aus London. 


I. December. 


Am vergangenen Mittwoch fand die Sitzung des Verwaltungsrathes der 
British Medical Association statt, in welcher über das von den .Spitzen des 
ärztlichen Standes eingesandte -Memorial“ berathen wurde. Da diese 
Sitzungen nicht öffentlich sind, muss inan sich mit dein kahlen offiriellen 
Berichte, welcher im Journal selbst erscheint, begnügen. Daraus orgiebt 
sich, dass die Veröffentlichung des Scriptum des verstorbenen Kaisers 
Friedrich bereits vor sechs Wochen zu Vorstellungen Veranlassung gegeben 
hatte, dass jedoch die Berat hung über diesen Gegenstand verschoben wurde, 
da man vermuthete, dass es zu einem Processe deswegen kommen könnte. (?!) 
Der Redacteur des Journals gab darauf die folgende Erklärung ab: Er habe 
das betreffende .Memorial“ sorgfältig in Erwägung gezogen, und bemerke 
dazu, dass das darin erwähnte Scriptum blns genau in Worten eine Ansicht 
über einen Gegenstand ausdrücke, der anderswo öffentlich discutirt war.“ 
Weiterhin wurde bemerkt, dass der Redacteur einein Sub-Comite des Jour¬ 


nals Dorumente unterbreitet habe, welche seiuer Ansicht nach einen gewich¬ 
tigen Grund dafür abgehen, dass die Veröffentlichung dieser Ansicht keinen 
Vertrauenshruch darstelle. Nichtsdestoweniger belauere er, dass die be¬ 
treffende Mittheilung im British Medical Journal erschienen sei. 

Dr. Bristowe stellte darauf den folgenden Antrag: .Der Verwaltungs- 
rath spricht sich entschieden gegen die Veröffentlichung irgend welcher De¬ 
tails aus, welche das ärztliche Vertrauen verletzen können. Der Redacteur 
des Journals hat dem Verwaltungsrath die Versicherung gegeben, dass er 
Gründe hatte, w r elche ihm ausreichend erschienen für die Ansicht, dass die 
Veröffentlichung des betreffenden Scriptum nicht ein Veitrauensbruch war, 
hat aber seiu Bedauern ausgedrückt, dass es im Journal erschien. Der Ver- 
waltungsrath seinerseits drückt sein Bedauern darüber aus, dass das Docu- 
ment unter irgend welchen Umständen veröffentlicht worden ist.“ Dieser 
Antrag wurde einstimmig angenommen und gleichzeitig beschlossen, dass 
den ( literzeichnern des .Memorial“ davon Mittheilung gemacht werden 
solle. 

Die ganze Angelegenheit erscheint nach dem Vorstehenden noch rüthsel- 
hatter als vorher. Man denkt unwillkürlich an die Sphinx, deren Ausdrücke 
noch bedeutend klarer erscheinen, als die vorstehenden Aufklärungen, welche 
nichts aufklären. So viel indessen kann man daraus schlicssen, dass in der 
ganzen Angelegenheit Verhältnisse Vorlagen, welche unter keinen Umständen 
veröffentlicht werden durften, und dass der Verwaltungsrath es für das Beste 


hielt, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Die Gerüchte, welche 
darüber umlaufen, werden auch am Besten mit Schweigen übergangen. 

Sir Mo re II Mackenzie bat in den letzten Tagen dem Royal College 
of Physicians of London, dessen Mitglied er seit einer Reihe von Jahren 
war, seine Resignation cingcsandt. Was ihn zu diesem aussergewöhnliehen 
Schritt bewogen haben mag, ist — unbekannt. 


XV. Kleine Mitteilungen. 

— Berlin. Mittwoch den 28. vorigen Monats hat der Geheime Ober- 
Mediciualrath Bardeleben zum ersten Male nach langwieriger Kraukheit, 
von seinen Zuhörern freudig und lebhaft begrüsst, in gewohnter geistvoller 
Frische wiederum Klinik und Vorlesung abgolialten. Auch wir verfehlen 
nicht, dem Gefühle der Freude Ausdruck zu geben über die Wiedergeuesung 
dieses hochverdienten Gelehrten, Chirurgen und Lehrers. 

— Der Assistent am Pharmakologischen Institut, Dr. A. Langgaard, 
hat sich mit einer Antrittsvorlesung über die neuen Schlafmittel au der mo- 
dieinisehen Facultät der Universität Berlin als Privatdocent habilitirt. 

— München. Eine Deputation der Stadtcollegien unter Führung der 
beiden Bürgermeister überbrachte dem Geheimrath Dr. v. Pettenkofer an¬ 
lässlich seines 70. Geburtstages mit einer künstlerisch ausgeführten Wid¬ 
mungsgabe als Ehrengabe 10000 Mk., welche als Stiftung für wissenschaft¬ 
liche und menscheufreuudliehe Ziele im Namen und Geiste des Jubilars für 
alle Zeiten dienen soll. Von der Stadt Leipzig wurde aus demselben Anlass 
eine Stiftung im Betrage von 5000 Mk. zu Prämien für Leistungen auf dem 
Gebiete der Hygiene errichtet. Ferner gingen dem Jubilar zahlreiche Glück¬ 
wünsche von Universitäten zu. u. a. aus Levdeu, Moskau, Petersburg, Kiew, 
Klauseuburg. Prag, Göttingen und Newhaven, ferner vom Schweizer Aerzte- 
verein, vielen bayerischen Corporationcn des Aerztestandes u. s. w. Der 
Prinzregent übersandte dem Jubilar ein prächtiges Bouquet, Herzog Karl 
Theodor in Bayern ein Handschreibern, Prinz Ludwig Ferdinand ein 
Telegramm aus Madrid: Cultusminister v. Gossler gratuliitc ebenfalls tele¬ 
graphisch. Zur persönlichen Gratulation erschien Rogierungsrath Dr. Renk, 
Mitglied des Reichsgesundheitsamts. 

— Breslau. In der dritten oidentlicheu Sitzung der Aerztekammer 
für die Provinz Schlesien wurde der Beschluss gefasst, eine Denkschrift aus¬ 
zuarbeiten, welche, an sämmtliehe Aerztekammern zur Mittheilung gebracht, 
dieselben bestimmen soll, sich einem an die entsprechende Staatsbehörde zu 
richtenden Anträge anzuschliessen, dahingehend: .1) Eine hohe Behörde 
möge Sorge tragen, dass der Erlass eitles allgemeinen Seuchcngesetzes vor¬ 
bereitet werde, bis dahin aber 2) eine allgemeine gesetzliche Regelung der 
Anzeigepflieht bei ansteckenden Krankheiten nach der Richtung hin anordnen, 
dass durch dieselbe auch wirklich prophylaefisch gewirkt werde.“ Mit der 
Ausarbeitung der Denkschrift für die nächste am 31. März 1889 stattfindende 
Sitzung wurden die Herren Dr. Körner-Breslau und Dr. Noack-Breslau 
beauftragt. 

— Prag. Prof. Dr. Soyka hat gelegentlich der Brüsseler Ausstellung 
für sein bacteriologisches Museum den ersten Preis, Fortschrittsdiplom und 
grosse goldene Medaille erhalten. Aus Anlass der Kopenhagener skandina¬ 
vischen Ausstellung, wo derselbe auf Verlangen der Ausstelluugscommission 
ebenfalls ein bacteriologisches Museum liors concours ausstellte, wurde der¬ 
selbe vom König von Dänemark zum Ritter des Danebrogordens ernannt. 

— Paris. Es hat sich ein Comite constituirt, um während der Welt¬ 
ausstellung von 1889 einen internationalen Congrcss für Otologie 
und Laryngologie vorzubereiten. — Der Minister für den öffentlichen 
Unterricht hat soeben eine Commission von Augenärzten ernannt zum 
Studium der Hygiene des Auges in den Schulen. 

— Lausanne. Als Professoren für die neu zu organisirendc medici- 
nische Facultät sind officiell designirt die Herren Dr. de DerenviIle und 
Dr. Rona, ersterer als Direktor der inneren Klinik, letzterer als chirur¬ 
gischer Kliniker. 

— Christiania. Dr. Kierulf, Professor an der Universität, zu Chri- 
stiania, ist gestorben. 

— Washington. Dem Congress ist eine Bill unterbreitet worden, 
welche den Zweck hat, die Gründung eines Nationallaboratoriums für 
Baeteriologie herbeizuführen. Zu dem Behufe haben die Antragsteller der 
Bill eineu Credit von 2'/j Million Dollars verlangt. 

— Santiago de Chili. Vom 15.-20 März 1889 findet bei Gelegen¬ 
heit der Einweihung eines neuen Instituts für innere Medicin, Chirurgie, 
Hygiene und Hülfswissenschafteu ein Aerztecongress statt 

— Im Verlag von Rreitkopf <V Härtel in Leipzig sind soeben die Ver¬ 
handlungen des zweiten Congresses der Deutschen Gesellschaft 
für Gynaekologie erschienen, die im Aufträge des Congresses von den 
Professoren Kaltenbach und Schwarz in Halle herausgegeben sind. Der 
mit 3 lithographirten Tafeln und 17 Holzschnitten ausgestattete voluminöse 
Band enthält, ausser kurzen, die Aeusserlichkeiteu des Congresses betreffen¬ 
den Mittbeiluugen, die wörtliche Wiedergabe der Verhandlungen, über die 
wir bereits im ausführlichen Auszuge berichtet haben. Der Band gieht somit 
ein vollständiges Bibi von der Thätigkeit und den Leistungen des Congresses, 
in deuen sich ein guter Theil der Fortschritte dieses Spezialgebietes der 
Wissenschaft überhaupt verkörpert. Die Herausgeber haben sich ihrer nicht 
leichten Aufgabe mit grosser Gewissenhaftigkeit entledigt. Bekanntlich findet 
der nächste Congrcss in Freiberg statt. 

— Von der Encyklopädie der Naturwissenschaften (Breslau, 
Ed. Treweudt), jenem grossartigeu Sammelwerk, auf das wir bereits des 
öfteren an dieser Stelle hiugewiesen haben, ist die 58. Lieferung der ersten 
Abt heilung erschienen. Diesel he bildet die 23. Lieferung des Handbuches 
der Botanik und enthält den Schluss des Artikels .Fossile Pflanzenreste“ 
von Prof. A. Schenk und den Anfang des Artikels .Pilze“ von Prof. 
Zopf. Wir benutzen die Gelegenheit, um von neuem auf dieses bedeut¬ 
same Werk hiuzuweiseu. 


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1020 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 49 


— Zur medicinischen Publicistik. Vom 1. Januar 1889 ab er¬ 
scheint in Heften von 2—3 Bogen eine polnische medicinische Monatsschrift 
unter dein Titel: „Nowiny Lekarskie“, unter der Redaction der Herren: 

1) r. v. Ohfapowski, Dr. Koehler, Sanitätsrath Dr. v. Kaczorowski, 
Dr. v. Swiecicki, Dr. Szum an n (Thorn), Dr. Wicherkiewicz, Dr. Zie¬ 
le wi cz. 

— Die bekannte Thafsache, dass zu heisse Speisen gesundheits¬ 
schädlich sind, und die bisher mangelhafte Beantwortung der Frage nach 
der Grenze und dem Grunde derselben veranlasste Dr. F. Späth zu Ver¬ 
suchen darüber, indem er vorerst Temperaturinessungen von Speisen und 
Getränken in Haushaltungen vornahm und Thierversuche darüber so an¬ 
stellte, dass verschiedenen Kaninchen, französischen Lapins u. a. jeweilig 
60—120» warmen, respective heissen Wassers mittelst eines elastischen Ka¬ 
theters in den Magen gebracht wurden. Er fand die verschiedensten patho¬ 
logischen Veränderungen: Bis zu 55» C einfache Hyperämie und Schleim¬ 
hautkatarrh; bei ungefähr 60» C beginnt bereits Geschwürsbildung, die sich 
bei höherer Temperatur auch nicht durch sofortiges Nachgiessen vbn kaltem 
Wasser verhindern lässt; bei 70» C Entzündung des Magens mit seröser 
Infiltration; Temperaturen von 75—80° C bewirken vollständige Zerstörung 
der Magenwandungen und trotz Eingiessen kalten Wassers Geschwürsbildung 
und nach einigen Tagen Tod. Aus den Versuchen zieht Späth die prak¬ 
tischen Folgerungen, dass Temperaturen von 40—50° 0 im Allgemeinen 
für flüssige und feste Speisen am zuträglichsten seieu: bei festen Speisen, 
die gekaut werden müssen, liegt die Grenze der Temperatur schon bei 
55° (.', bei -Flüssigkeiten können Temperaturen von 60, ja 65° 0 noch er¬ 
tragen werden, wenn sehr kleine Mengen genossen und kühle Zukost dazu 
genommen wird. Noch grössere Vorsicht bezüglich der Temperatur unserer 
Ingesta wird erforderlich sein bei Individuen mit Krankheiten des Digestions- 
tractus und auch bei Ernährung der Kinder und Säuglinge, bei welchen 
letzteren nach Uf fei mann 38° 0 die naturgemässeste Temperatur ist. 

— Mantegazza führt in seinem Buche „Das nervöse Jahrhundert“ 
oino harte Strafpredigt gegen unsere, die Nervosität fördernden Lebens¬ 
gewohnheiten, und kommt dabei auch auf den Einfluss des Rauchens. Ein 
französischer Arzt und Statistiker hat an 17 höheren Schulen in Frankreich 
Ermittelungen angestellt überdas Rauchen der durchschnittlich 20jährigen 
Schüler im Zusammenhang mit ihren Rangplätzen im Unterricht, wie sie in 
Frankreich allgemein üblich sind. Es hat sich ergeben, dass für etwa 1000 
Schüler der mittlere Rangplatz bei Nichtrauchern 16 war, bei schwachen 
Rauchern 19, bei starken 22, ein Resultat, welches zeigt, dass das Rauchen 
in jüngeren Jahren wenigstens der geistigen Thätigkeit nicht förderlich ist. 

— Francotte. De l’oedemo hydremique. Aus den Verhandlungen 
der „Academie de medecine de Belgique.“ Brüssel 1888. (Bulletin 4. Serie, 
toine 11, 1888.) Nach einer Darstellung der Lehre von dem Oedem bei 
Morbus Brightn und einer Kritik der von verschiedenen Autoren aufgcstell- 
teu Erklärungen kommt Francotte auf Grund eigener Versuche zu folgen¬ 
den Schlüssen: 1) Die experimentell erzeugte seröse Plethora endet mit 
Oedem der Haut und des Unterhautfettgewebes, der Hydrops dagegen ent¬ 
steht zuerst und am intensivsten in der Bauchhöhle und ihren Organen. 

2) Die entzündlichen Veränderungen der nautgofässo begünstigen die Ent¬ 
stehung des Oedems im Gebiet der entzündeten Theile. Die einfachen Alte¬ 
rationen (Kälte, Esmarch’sche Binde) haben darauf keinen Einfluss. 

3) Unterbindung der Vena femoralis und Sfase im allgemeinen begünstigen 
bei künstlicher seröser Plethora gleichmässig das Auftreten des Oedems. 

4) Unterbindung eines oder beider Ureteren, Reizung der Nieren durch 
Cantharidin beeinträchtigen nicht merklich das Resultat der Infusion phy¬ 
siologischer Kochsalzlösung. 

— Puerperale Septikämio und unreine Luft. U nderhill (Edin¬ 
burgh med. J. 1888 Mai) theilte 4 Fälle mit, in denen die Atmosphäre, welche 
die Wöchnerinnen umgab, verunreinigt war. Im 1. Fall befand sich in der 
Umgebung ein Mann in den letzten Stadien des Magencarcinoms, die Nach¬ 
geburt wurde manuell gelöst, Ansspülung mit Ka Mn 0*. Tod an Peritonitis. 
Im zweiten Falle wurde eine Patientin mit andauernder Blaseneiterung von 
einer Schwangeren gepflegt. Diese abortirte im 3. Monat, bekam am 4. Tage 
Schmerzen im Abdomen und etwas fötideu Ausfluss, darauf wurde der Uterus 
mit Dilatatorien erweitert und einige Fetzen entfernt. Tod an Peritonitis. 
In den beiden letzten Fällen handelte es sich um allgemeine fieberhafte Zu¬ 
stände im Anschluss an den Aufenthalt in Räumen, die mit schadhaften 
Closetröhrcu in Verbindung standen. Bestimmte Orgauerkrankungen wurden 
nicht uachgewiesen; in andere, luftige Räume gebracht, errholten sich die 
Kranken rasch. (Ctribl. f. d. med. W. 17. Novbr. 1888). 

— Dem Vortrage Dr. Rauch’s auf einem Meeting des State Board of 
Health im Staate Illinois entnehmen wir folgende bemerkenswerthe That- 
sachen in Bezug auf die Lebensdauer der Aerzte. Gegenüber anderen 
Statistikern, welche die mittlere Lebensdauer der Aerzte auf 57—62 Jahre 
angaben, fand Rauch aus statistischen Angaben über 14000 gesammelte 
Fälle innerhalb 10 Jahren im Staate Illinois, dass die mittlere Lebensdauer 
nur 52 Jahre betrug, und dass von jedem Hundert Aerzte nur etwa 11 drei 
oder 10 Jahre darüber hinaus lebeff. Seine Zusammenstellung beschränkte 
sich auf Stadt- und Landärzte, und betrug dio Zahl der Sterbefälle 800, auf 
jedes Jahr 13 p. Mille. Während in den ersten Jahren der Praxis 
die Durchschnittszahl der Todesfälle geringer war als das der 
übrigen männlichen Bevölkerung und weit geringer als die der 
Gesummtbevölkerung, fing sie an im Alter zwischen 40—50 zu 
steigen und wuchs immer mehr in der nächsten Decade, so dass 
sic die Durchschnittszahl der übrigen Bevölkerung übertraf. 
Es erhellt daraus, dass beim Eintritt in die Praxis die Aerzte eine kräftige 
Gesundheit und Widerstandsfähigkeit mitbringen, bei fortgesetzter Thätig¬ 
keit eine bedeutende Abnutzung sich einstellt, so dass vom 30. —70. Jahro 
die Todesziffer der Aerzte 8 »,o grösser als die der männlichen und von 
40—70 Jahre 11 % grösser als bei beiden Geschlechtern zusammen ist. 
Unter den während der 10 Jahre Verstorbenen erlagen über l5»,'o der 


Phthisis, 14»/o anderen Lungenaffectionen, 13% den Krankheiten des 
Nervensystems, 10 % Infcctionskrankh'eiteu, unter welchen 5 an DiplitheritD. 
je einer an Pocken und Gelbfieber, 8 an traumatischen Infectionen starben, 
ilie sie sich am Krankenbett geholt hatten. 18 Todesfälle wurden ausser¬ 
dem durch übermässigen Opium-, 12 durch Alkoholgenuss, 7 durch Selbst¬ 
mord registrirt. Letztere Todesursachen nahmen in letzter Zeit mit be¬ 
quemerer Gestaltung der Praxis und besserer Lebensweise ab- Rauch 
zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass das Leben der Aerzte 
sich durch die Praxis schneller abnutzt als in anderen übrigen Ständen, und 
dass derjenige, welcher ein langes Leben wünscht, besser daran 
thut, eine andere Oarriere zu ergreifen. (Wenn in Deutschland ein 
Statistiker daran ginge, den Durchschnitt der Lebensdauer der Aerzte in den 
letzten 10 Jahren fostzustellen, so wird er zu demselben Resultate gelangen, 
und ist zu befürchten, dass, wenn die materiellen Zustände unseres Standes, 
welcher durch den verstärkten Kampf um’s Dasein das umfangreiche Kassen¬ 
wesen, das Specialistenthum, die Polikliniken, Geheimmittelkrämerei, Pfuscher¬ 
thum, Naturär/.teunwcsen immor mehr in seiner Existenz bedroht wird, da> 
Resultat in den nächsten Jahren sich bedeutend ungünstiger gestalten wird ’> 

— Der Fabrik chemisch-pharmaceutischer Präparate von J. D. Riedel 
in Berlin sind auf der Brüsseler Ausstellung zwei goldene und eine hroncene 
Medaille zuerkannt worden, hauptsächlich als Anerkennung für ihre aus¬ 
gestellten Sulfonalpräparate und Sulfonaltabletten. 

— Cholera. Aus Chili wird berichtet., dass die Cholera in Val l’a 
raiso aufgetreten ist. 

— Pocken. Aus Italien wird berichtet, dass seit mehreren Jahren 
in einer grossen Zahl der Provinzen des Königreichs zahlreiche Pockeu- 
epidemieen unaufhörlich herrschen, und dass Angesichts der Schwierigkeit 
der Beschaffung einer guten Vaccine die Regierung den Beschluss gefasst 
hat, ein nationales Institut für die Beschaffung der Lymphe zu gründen, 
welches unterstellt ist dem Minister der öffentlichen Gesundheitspflege, und 
einer Commission, welche sich zusammensetzt aus einem Direktor der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege, einem Generalarzt der Armee und einem Vertretet 
der medicinischen Facultät der Universität zu Rom. 

— Universitäten. München. Der Privatdocent und 1. Assistent 
am Hygienischen Institut, Dr. R. Emtnerich, ist zum a. o. Professor er¬ 
nannt worden. — Krakau. Der Priv.-Doc. Dr. P. Pieniazek ist zum a. >. 
Professor der Laryngologie ornannt worden. — St. Petersburg. Dr. 
A. M. Lewin hat sich als Priv.-Doc- für interne Medicin an der militär-medi- 
cinischen Akademie rehabilitirt. — Pisa. Professor Grocco ist der Lehrstuhl 
der allgemeinen medicinischen Klinik übertragen worden.— Parma. Die a. >•. 
Professoren Caccherelli und Rat tone sind zu ordentlichen Professoren 
für specielle chirurgische Pathologie, bezw. für allgemeine Pathologie er¬ 
nannt. — Genua. Dr. Fano ist zum ord. Prof, der Physiologie ernannt. 

XVI. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, dem ordentlichen Professor in der medicinischeu Fa¬ 
cultät Dr. Hitzig zu Halle a. S. den Charakter als Geheimer Medicinal-Rath 
und dem praktischen Arzt Dr. Decker zu Frechen den Rothen Adler-Orden 
vierter Klasse zu verleihen. — Ernennungen: Der Kreis-Physikus de« 
Kreises Königsberg N M. (nördlich) Dr. Wiedner in Königsberg VM. 
in gleicher Eigenschaft in den Stadtkreis Kottbus versetzt worden. — 
Niederlassungen: Die Aerzte: Dr. Kuhn in Nikolaiken, Dr. Jacob? 
in Eydtkuhnen, Dr. Niggemann in Borgeutreich, Wagener in Münster 
i. W., Dr. Wagemanu in Lengerich, Dr. Plessner, Dr. Damm und Dr. 
Bochmer, sämmtlich in Wiesbaden, Dr. Dickmann in Düsseldorf, Dr. 
Einhaus in Ratingen, Jacobsen in Kaiserswerth, Dr. Loewcnstein in 
Elberfeld, Dr. Reinhard in Duisburg, Mor. Mayer in Winterburg, Sal- 
gendorff in Senheim, Gumport in Bartschiu, Dr. Sachs in Breslau. 
Dr. Lesshaft in Glatz. Die Zahnärzte: Krampe in Wiesbaden, Peter> 
in Limburg a. L., Balcke in Barmen, Guttmann in Breslau. — Verzo¬ 
gen sind: Die Aerzte: Dr. Kuhlmann von Dorsten nach Billerbeck. 
Dr. Greiff von Lengerich nach Tecklenburg, Dr. Niedieck von Borgen¬ 
treich nach Hoextcr, Dr. Schleussner von Homburg nach Dudelsdorf. 
Kober von Hettenhausen nach Brandoberndorf, Dr. l’nger von Rod a. d. 
Weil nach Gross-Sachsenheim in Bayern, Dr. Achenbach von Preunges¬ 
heim nach Frankfurt a. M., Dr. Bender von Bonn nach Düsseldorf, Dr. 
Holtkamp von Eitorf nach Krefeld, Dr. Kerris von RadevormwaLl uach 
Xanten, Senger von Magdeburg nach Krefeld, Dr. Brackmann von Kaiser¬ 
werth nach Rahden i. W., Dr. Bunsmann von Xanten nach Münster i. W. 
Dr. Kirschgässsr von Ratingen nach Köln, Dr. Kurt Schneider v.-u 
Breslau nach Göbersdorf. — Verstorben sind: Die Aerzte: Sauitäts- 
rath Dr. Arntz in Rindern, Dr. Horre in Calcar, Dr. Hufer in Frank¬ 
furt a. M., Kreiswundarzt Dr. Blechschmidt in Rohden W/Pr., Geheime 
Sanitätsrath Dr. Gumbinner in Berlin, Kreis-Physikus Sanitätsrath Dr. 
Tobias in Saarlouis. 


2. Bayern. (M. med. Wochenschr.) Auszeichnung: L>r. K. 
Bever in Aeschach durch Ritterkreuz 4. CI. d. Ord. d. hl. Michael. — 
Niederlassung: Dr.'0. Stör in Regensburg. — Verzogeu: Der prak¬ 
tische Arzt E. Gollwitzer von Barnau unbekannt wohin. Dr. J. Ra bin - 
wicz von Konstanz nach München. Bez.-Arzt a. D. Dr. Dick von habt 
nach Annweiler. Bez.-Arzt a. D. Dr. Mücke von Nürnberg nach Tiedm- 
hofen. — Gestorben: Gen.-Arzt a. I). Uofrath Dr. L. Tutschek it 
München. Dr. L. Graf und Dr. Wallenstätter in München. 


3. Baden. (Aerztl. Mitth. a. Bad.) Niederlassung: Dr. E. Salti«' 
in Mannheim als Ass.-A. a. städt. Krankenb. — Verzogen: Dr. Ott \ ■. 
Badenweiler nach Konstanz. Dr. Bohus t tedt von St. Petersburg na* r 
Karlsruhe. 


Gedruckt bei Juli ob Sittenfeld in Berlin W. 


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Donnerstag 


JW 50 


13. Deeember 1888, 


DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Pani Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanit&ts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thleme, Leipzig-Berlin. 


I. Ein geheilter Hirnabscess. l ) 

Von Prof. E. v. Bergmann. 

In der Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft am 5. d. M. 
stellte Prof. E. v. Bergmann einen Patienten seiner Klinik vor, an 
welchem er am 14. October a. c. die Eröffnung der geschlossenen 
Schädelhöhle behufs Entleerung eines vorher diagnosticirten Hirn- 
abscesses glücklich ausgeführt hatte. 

Obgleich die Chirurgen schon seit dem Ende des vorigen Jahr¬ 
hunderts die Frage nach der Möglichkeit der Eröffnung eines intra- 
craniellen Abscesses discutirt haben, ist die Scheu vor der absicht¬ 
lichen Verwundung des Seelenorgans doch so gross gewesen, dass 
erst Dupuytren in den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts 
es wagte, seine Instrumente in das Hirn, behufs Entleerung eines 
Hirnabscesses zu tauchen. So viel auch die Geschichte seiner kühnen 
Operation bewundert und wiedererzählt worden ist, Nachahmung hat 
sie ans guten Gründen nicht gefunden, zunächst weil Dupuytren’s 
Patient nach dem Eingriffe starb, und dann weil die Erkenntniss des 
tief liegenden Hirnabscesses auf fast unüberwindliche Schwierig¬ 
keiten stiess. 

Man musste erst die Entstehungs- und Entwickelungsgeschichte 
der Hirnabscesse näher kennen gelernt haben, ehe man die nötbigen 
Anhaltspunkte für eine annähernd sichere Diagnose derselben gewann. 

In dieser Beziehung ist nichts so wichtig als die Erfahrung, 
dass kein Hirnabscess eine primäre Erkrankung vorstellt, sondern 
stets eine secundäre im Gefolge eines anderen, vorausgegangenen 
Leidens auftretende. Diese präexistirenden Leiden sind ganz be¬ 
stimmte und meist sehr deutlich ckarakterisirte. Die Lehre von 
dem idiopathischen Hirnabscesse kann heute als eine aufgegebene 
und verlassene angesehen werden. 

Verwechselt mit den wenigen, als idiopathisch bezeichneten 
Hirnabscessen mag zuweilen ein Product der Hirntuberculose wor¬ 
den sein. Für gewöhnlich stellen die Conglomerate von Tuberkeln 
im Hirne trockene, käsige Massen und Herde vor, nur ausnahms¬ 
weise folgt ihrer Colliquation so viel Eiterbildung, dass sie den 
Anschein eines Abscesses gewinnen. A. Fränkel hat diesem 
Verhältnisse seine Aufmerksamkeit geschenkt, doch bei seinem Stu¬ 
dium nur zwei Fälle gefunden, anf welchen die Bezeichnung tuber- 
culöser Hirnabscess passen dürfte. Den einen hat er selbst be¬ 
obachtet und beschrieben. Er glich einem gewöhnlichen, chroni¬ 
schen mit rahmartigem Eiter erfüllten Abscesse. Allein die Unter¬ 
suchung der ihn einscheidenden Hirnschichten zeigte diese von 
Tuberkeln durchsetzt, in welchen dem Autor der Nachweis von 
reichlich vertretenen Tuberkelbacillen leicht gelang. Man wird an- 
nehraen dürfen, dass wenn eine Untersuchung, wie sie Fränkel 
geübt hat, bei sogenannten idiopathischen Hirnabscessen unterlassen 
ist, diese seltenen und fraglichen Störungen tuberculöse Abscesse, 
im Sinne der Fr än keTschen Beobachtung waren. 

Dreierlei Störungen sind es, die jedesmal einem im Marklager 
der Hemisphären verborgenen Abscesse vorangehen. 1) Eiter bil¬ 
dende Processe an und in den Knochen des Schädels. 2) Blutige 
Verletzungen der Weichtheile des Schädels, seiner knöchernen Wan¬ 
dungen und seines Inhalts. 3) Eiterungen im Gebiete des kleinen 
Kreislaufs, wie Lungenabscesse, putride Bronchitiden und auf die 
Lunge zmückwirkende schwere und langwierige Empyeme. 

Unter diesen drei für den Hirnabscess ätiologischen Momenten 


*) Referat der Redaction, naeli der ihr überlassenen Krankengeschichte. 


spielt die Eiterung im Felsenbeine, die Otitis media suppurativa die 
Hauptrolle. Die Zahl der vom Ohre aus inducirten dürfte nahezu 
die Hälfte aller Hirnabscesse betragen. 

Abgesehen von den Thrombosen, so die des Querblutleiters bei 
Eiterungen im Innern des Obres und abgesehen auch von der 
schnellen, sich bei diesen Affectionen entwickelnden Leptomenin- 
gitis purulenta, kommt die intracranielle Eiteransammlung entweder 
zwischen Knochen und Dura vor, oder, was ungleich häufiger ge¬ 
schieht, im Innern der Hirnsubstanz. Die erstere stellt eine 
continuirliche Ausbreitung des Eiters vor. Die dünnste Stelle 
im Knochen zwischen dem Mittelohre und der Grundfläche 
des Hirns ist offenbar das Tegraen tyrapani. Wird diese 
usurirt oder sonst wie eingeschmolzen und zerstört, so grenzt die 
harte Hirnhaut unmittelbar an’s Eiterdepot im Mittelohre und ver¬ 
mag der aus letzterem eindringende Eiter zwischen sie und dem 
Knochen weiter zu kriechen. Wie hier in die mittleren Schädel¬ 
gruben, so kann bei vorwiegender Betheiligung der Cellulae 
mastoideae an der Snppuration im Ohre, der Eiter auch in die 
hinteren Schädelgruben gerathen. Hierbei dürfte die Venenthrom¬ 
bose stets vorausgehen und der Eiter längs den thrombosirten Ge- 
fässen sich immer weiter ziehen, wie das ja an phlebitisch erkrankten 
Venensträngen der Fall zu sein pflegt. Hierher gehören die Fälle, 
wo bei Aufmeisseiungen des Processus mastoideus bis in die Scbädel- 
höhle hinein, deutlich aus ihr der Eiter hen-, quillt, oder auch die 
Fälle, wo nach Blosslegung der äusseren Schädelfläche oberhalb des 
Zitzenfortsatzes man aus dem Foramen mastoideum in der Sntura 
mastoideo-occipitalis ein Eitertröpfchen sich herausdrängen sieht. 

Bei weitem die Mehrzahl aller Hirnabscesse, welche sich in 
langsamer, durchaus chronischer Entwickelung an die Ohreneiterung 
schliessen, sind discontinuirlich, entfernt von der ersten Stelle der 
Eiterung im Cavum tympani entstandene und tief in der Hirn¬ 
substanz selbst liegende. Ihr Sitz ist die weisse Substanz, welche 
dabei von einem unveränderten grauen Hirnmantel bedeckt geblieben 
ist. Barr bat 76 Fälle von Hirnabscessen bei Ohreneiterungen zu¬ 
sammengestellt. In 56 sass der Abscess am Schläfelappen, in 13 
im Kleinhirn, in 4 sowohl im grossen als im kleinen Gehirn, in 
2 in der Brücke und in einem Falle im Hirnschenkel. Der 
Schläfelappen ist also der bevorzugte Sitz der betreffenden Ab¬ 
scesse. Ob Schläfe oder Grosshirn oder Kleinhirn den Abscess 
birgt, ist nicht unabhängig von der Stelle des Ohres, welche die 
ursprüngliche Eiterung besonders heimgesuebt hat. Wo diese auf 
die obere Fläche des Felsenbeins sich bezieht, also das Tegmen tyra¬ 
pani, wird wahrscheinlich der Schläfelappen Sitz des Abscesses sein, 
wo dagegen die Eiterung wesentlich die zelligen Räume des Processus 
mastoideus occupirte, wird eine der Hemisphären des Kleinhirnes ge¬ 
fährdet sein. 

Jeder Hirnabscess kann sich durch eine dreifache Symptomen¬ 
gruppe verrathen. Erstens durch Erscheinungen, wie sie jeder im 
Innern des Körpers verborgenen Eiterung eigentümlich zu sein 
pflegen. Zweitens durch Zeichen, welche ein Znnehmen des Hirn¬ 
druckes anzeigen und die allerdings niemals bei kleinen, mit grosser 
Wahrscheinlichkeit aber bei grossen Hirnabscesseu sich geltend machen 
werden. Drittens durch Störungen, meist Ausfällen in den Func¬ 
tionen deijenigen Hirnprovinzen und Partieen, an deren Stelle der 
Eiter getreten ist, sei es, dass diese aufgelöst und zerfallen, sei es, dass 
sie bloss auseinandergedrängt und ödematüs imbibirt gewesen sind. 

Es liegt auf der Hand, dass die letzte Symptomengruppe die 
für die Erkenntniss des Sitzes der Eiterung wichtigste ist. 

ln dem vorgestellten Falle der Heilung eines Hirnabscesses lian- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1022 


delte es sich um eine für die Eiterung im Schläfelappen und ihre 
Erkenntuiss ausserordenlich typische Beobachtung. 

Der 29jährige, schlanke, magere und etwas anämisch aussehende 
DrechslerHoffmann aus Berlin litt seit seinem 15.Lebensjahre an eit¬ 
rigem Ausflusse aus dem rechten Ohre. Wodurch dieser enstanden, ver¬ 
mochte er nicht anzugeben. Viel incommodirt habe ihn dasLeiden nicht. 
Der Ohrenfluss sei bald reichlich, bald spärlich, bald dickflüssig, bald 
weniger eitrig gewesen. Hin und wieder hätte er stärkere Schmerzen 
im kranken Ohre gehabt, so auch in den letzten drei Wochen, in 
welchen er sich an einen Ohrenarzt, Dr. Hartmann hierselbst, ge¬ 
wandt habe. Von diesem sei er in die Klinik geschafft worden. 
Mit der Zunahme des Ohrenwehes giebt er weiter an, in den letzten 
drei Wochen auch an Schwindelanfällen gelitten zu haben, so dass 
er plötzlich beim Gehen taumelte und ihm Begegnende anrannte. 
Er habe sich recht krank und matt, zumal Abends gefühlt. Seine 
Esslust sei geschwunden, und oft habe er Frösteln und Hitze ge¬ 
fühlt. Vor eiuigen Tagen begannen sehr heftige Kopfschmerzen, 
Tag und Nacht gleichraässig anhaltend und den Schlaf ihm raubend. 
Auf Befragen gab er an, dass der ganze Kopf weh thue, aber die 
rechte Seite doch unzweifelhaft mehr als die linke. Bei der Auf¬ 
nahme klagte Patient über Frost und die erwähnten Kopfschmerzen. 
Er machte den Eindruck grosser Hinfälligkeit und Apathie, ver¬ 
langte zu Bette zu liegen uud konnte dann kaum den Kopf erheben. 
Auf Fragen antwortete er nur langsam und kurz, mit offenbarer 
Selbstüberwindung. Seine Hautfarbe war leicht icterisch, die Zunge 
dick belegt. Körpertemperatur 39,7 und Respirationsfrequenz 24, 
Pulsfrequenz dagegen blos 50 in der Minute. Keine auffallenden 
Bewegungsstörungen au den Extremitäten. Als der Kranke aber 
aufgefordert wurde, die Arme frei ausgestreckt zu halten, sank nach 
wenig Augenblicken der linke Arm herab, während der rechte 
ruhig in der vorgeschriebenen Stellung blieb. Das wiederholte sich 
jedesmal, wenn der bezügliche Versuch angestellt wurde. Die 
Empfindlichkeit gegen Nadelsticlie schien am linken Arme und Beine 
erheblich geringer als rechts, ebenso war der Händedruck dort un¬ 
gleich schwächer, kaum kenntlich. Während der Untersuchung traten 
Zuckungen im Gebiete des rechten Facialis, also im Facialis, welcher 
der Seite des kranken Ohres entsprach, ein. Als der Anfall vorüber¬ 
gegangen war, bliebeu die unteren Zweige desselben Gesichtsnerven 
gelähmt. Die Zunge zeigte beim Ausstrecken keine Abweichung nach 
der einen oder anderen Seite. Die Pupillen waren gleich weit 
und reagirten gegen Lichteinfall. Keine Bewegungsstörungen an 
den Augenmuskeln. 

Im rechten äusseren Gehörgange dicker, übel riechender 
Eiter. Nach Fortspülen desselben sieht man die Tiefe mit 
Granulationen gefüllt und schon die obere Wand des knöchernen 
Gehörganges geschwollen, tiefer stehend. Die Granulationen bluten 
bei Berührung mit einer Sonde. Sie lassen sich nach oben zu auf- 
heben, wobei der Eiter hinter ihnen vorfliesst. Rauher Knochen 
wird mit der Sonde nicht gefühlt. Der Processus mastoideus ist 
nicht geschwollen, gegen Druck unempfindlich, während die Sondi- 
rung der, die Paukenhöhle offenbar ausfüllenden Granulationen sehr 
schmerzhaft war. Druck auf die Ohrmuschel ist nicht besonders 
empfindlich, mehr schon der starke Zug an derselben nach hinten 
und aufwärts, welcher behufs Einführung der Trichter vorgenom¬ 
men wurde. Das Hörvermögen auf dem linken Ohre normal, auf 
dem kranken rechten wird das Ticken einer Taschenuhr gar nicht, 
mässig lautes Sprechen dagegen noch auf 3 Schritte Entfernung ge¬ 
hört. Klopft man gegen den Schädel mit dem Finger oder einem 
Percussionshammer, so wird dadurch der Schmerz nur dann ge¬ 
steigert, wenn man die Seitenfläche über der Ohrmuschel trifft. 
Hier wird bei der Percussion einer ganz beschränkten Stelle über 
plötzliche und starke Steigerung des Schmerzes geklagt, nicht so 
bei Percussion des Warzenfortsatzes. 

Es stand fest, dass der Patient an einer alten, mehr als ein 
Decennium schon dauernden Eiterung des Mittelohres litt, und dass 
diese im Augenblicke eine sehr lebhafte war. Afficirt schien nach 
der Schwellung der oberen Wand des Gehörganges in seinem tief¬ 
sten Abschnitt, sowie nach der Lage der Granulationen, die vor¬ 
zugsweise von oben in s Cavum tympani herabhingen, und endlich 
deswegen, weil bei ihrer Verdrängung noch viel Eiter hinter ihnen 
zum Vorscheine kam, der obere Raum der Paukenhöhle. Eine Ver¬ 
breitung der Eiterung auf die Nebenhöhlen im Zitzenfortsatze war 
nicht nachweisbar, im Gegentheile liess sie sich aus dem Mangel von 
Empfindlichkeit, Schwellung oder Hautödem über diesem Fortsatze 
mit grösster Wahrscheinlichkeit ausschliessen. 

Genügte die Ohreneiterung, um das Fieber zu erklären? Es 
war von dem Kranken angegeben, dass die Exacerbation derselben 
schon vor drei Wochen aufgetreten sei und seit der regelmässigen 
ärztlichen Behandlung die Quantität des ausfliessenden Eiters eher 
geringer als grösser geworden wäre. Eine Verbreitung auf die Neben¬ 
höhlen lag nicht vor. Schon deswegen durfte eine Verbreitung 
der Eiterung nach einer anderen Richtung in Erwägung gezogen 


No. 50 


werden. Die Fiebererscheinungen und die mit ihnen verbundenen 
Störungen des Allgemeinbefindens waren solche, wie sie bei An¬ 
sammlungen von Eiter, tiefen Abscessbildungen, vorzukommeu pflegen. 
Frösteln und Zunahme des Unwohlseins in deu Abendstunden. 
Eine Körpertemperatur von 39,7, eine trockene, stark belegte 
Zunge, viel Durst uud grosse Hinfälligkeit und Mattigkeit mit dem 
Gefühle schwer krank zu sein. Da diese Erscheinungen zusammen¬ 
fielen mit einer Krankheit, in deren Verlaufe und Gefolgschaft die 
Bildung von Eiterdepots vorkommeu kann, wurden die Fieber¬ 
symptome auf die Möglichkeit einer solchen bezogen. Freilich 
hätte aus ihnen allein die Diagnose eines Hirnabscesses nicht ge¬ 
macht werden dürfen. Der Eiter konnte sich auch im Innern des 
Ohres weiter ausgebreitet haben, etwa in den Markräumen seiner 
Knochen, oder es konnte sich um eine beginnende Leptomeniugitis 
handeln. 

Gestatten die Symptome des Fiebers unter Anderem auch die 
Annahme eines Hirnabscesses, so ist die nächste Frage, wie steht es 
mit den specifischen cerebralen Erscheinungen. Ein kleiner Abscess 
in einer Grosshirnhemisphäre macht nur dann Symptome, wenn er 
in unmittelbarer Nähe der Rindenzone liegt. Es ist bekannt, wie 
gross z. B. im Frontallappen ein Abscess werden kann, ehe er nur 
ein Symptom, das auf sein Bestehen hinweisen könnte, in Erschei¬ 
nung treten lässt. Auch im Temporallappen dürfen wir nur danu 
auf Zeichen vom Abscesse rechnen, wenn sein Volumen so bedeutend 
geworden ist, dass der Zuwachs an Inhalt, welchen dadurch die 
Schädelhöhle erfährt, diejenigen Störungen hervorruft die in ihr eine 
Raum beanspruchende Masse erzeugt, Störungen, die bekanntlich 
in einer Verlangsamung der Blutbewegung im Cavum cranii be¬ 
stehen und gemeinhin als Drucksymptome gedeutet werden. 

In dem Krankheitsbilde des Patienten am 14. October gehörten 
dahin: die heftigen Kopfschmerzen, die ziemlich plötzlich vor vier 
Tagen begonnen hatten und in steter, quälender Steigerung vor¬ 
handen waren. Desgleichen ist der Schwindel, das Sehwanken und 
Taumeln ein Symptom des gesteigerteu Hirndrucks, ebenso die 
grosse Mattigkeit des Patienten und seine Torpidität das Zögern 
und die Schwerfälligkeit seiner Antworten, sowie das Bedürfniss sich 
niederzulegen, und die Unfähigkeit den Kopf zu erheben. Aber alle 
diese Symptome sind so vager und allgemeiner Art, dass sie allein 
den Zustand des sogenannten Hirndrucks nicht erweisen würden, 
wenu sich nicht zu ihnen die Pulsverlangsamung gesellt hätte und 
zwar eiue so bedeutende, wie die von blos 50 Schlägen in der 
Minute. In der Klinik war festgestellt worden, dass in wenig Stun¬ 
den die Pulsfrequenz von 64 Schlägen auf 50 und 46 gesunken 
war. In Verbindung mit dem Schwindel, der Prostration, der Schlä¬ 
frigkeit und den Kopfschmerzen ist dieses Symptom entscheidend, 
denn in einer solchen Combination bedeutet es in diesem Falle 
nichts anderes, als das Bestehen einer den Schädelraum beengenden 
Störung. Eine solche konnte neben und im Anschlüsse an die be¬ 
stehende Otitis rnedia suppurativa chronica nur in einem Hirn- 
abscesse, und zwar einem verbältnissmässig grossen, gesucht werden. 

Wo lag nun derselbe? Grosse, voluminöse Eiteransammlungen 
dürften zwischen Knochen und Dura nicht Vorkommen. Sie gehören 
ausschliesslich den Eiterungen in den weissen Marklagern der Hemi¬ 
sphären. Daher die Frage, ob der Temporallappen oder das Klein¬ 
hirn afficirt waren. 

Für den Temporallappen sprachen erstens der heftige Schmerz, 
unter welchem bei Percussion der rechten seitlichen Schädelgegend 
der Patient zusammenzuckte, zweitens der Sitz der Eiterung vorzugs¬ 
weise, oder sogar beschränkt bloss auf das Cavum tympani uud dessen 
oberer Fläche, neben Freiheit und Integrität des Processus mastoideus. 

Sicherlich wäre es erwünscht gewesen, ganz bestimmte Hinweise 
auf den Sitz des Abscesses zu haben, allein der Temporallappen kann 
in grosser Ausdehnung zerstört sein, ohne dass deswegen irgend eine 
Hirnfunction schwindet, oder sonstwie alterirt wird. Uns fehlen l>e- 
stimmte Hirnsymptome, die auf den Temporallappen bezogen werden 
müssen. 

In die Rinde des Schläfelappens verlegt die moderne Hirnpin- 
siologie die Centra des Gehörs für das gegenüberliegende Ohr. Au> 
dem Umstande, dass dieses, das linke Ohr, gesund war und doch 
in normaler Weise hörte, durfte aber auf eine Integrität des gegen- 
i überliegenden Schläfelappens nicht geschlossen werden, denn di** 

| Centren des Gehörs sollen ja im weissen Marke, nicht in den grauen 
| Rindenfeldern liegen. Das erstere, nicht die letzteren, pflegt vom 
j Abscesse destruirt zu werden. 

Im Allgemeinen darf man voraussetzen, dass ein grosser Absce?c* 
| im Schläfelappen überall den Druck in der Schädelhöhle durch 
i höhere Spannung des Liquor cerebrospinalis steigern wird, überall. 

' wo diese Flüssigkeit in den Sinus der Arachnoidea und in den Lyuiph- 
räumen des Hirns liegt. Ausser durch die Flüssigkeit in gleich- 
massiger Weise, wird aber noch durch die feste, richtiger festweiche 
Masse des Hirns der Druck fortgeleitet, hier natürlich ungleichm&ssig. 
so dass die Hirnprovinzen in der Nähe des Schlftfelnppens mehr al> 


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13. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1023 


die von ihm entfernter liegenden betroffen werden. Mau wird daher 
meinen dürfen, dass bei einem grossen Abscesse irgeudwo an der rechten 
Hemisphäre die von dieser versorgten - Functionen ira Allgemeinen, 
gegenüber denen der unveränderten linken herabgesetzt sein könnten. 
In der That waren die linken Extremitäten in ihrer Motilität und Sen¬ 
sibilität geschädigt. Nadelstiche wurden links weniger deutlich und 
weniger schmerzhaft als rechts verspürt, und die aufgehobene linke 
Hand sank bald kraftlos herab, während die rechte noch lange fest 
ausgestreckt gehalten wurde. Auch dieses Verhältniss wurde als 
ein Hinweis auf die rechte Hemisphäre angesehen. 

Aus der rechtsseitigen Facialislähmung liess sich für die Ab- 
scessdiagnose nichts gewinnen. .Der Nerv läuft mitten durch die 
eiternde Partie. Nichts ist wahrscheinlicher und bekanntlich bei 
den Ohreneiterungeu auch gewöhnlicher als die Reizungen resp. 
Zuckungen in dem Gebiete dieses Nerven, sowie seine Paralyse 
und Parese. 

Die Wahrnehmungen, über welche oben berichtet ist, führten 
zur Annahme eines Hirnabscesses im rechten Temporallappen. Wenn 
ein solcher Abscess die erwähnten Drucksymptome, namentlich 
die Pulsverlangsamung zur Folge gehabt hat, so muss er schon 
eine nicht unbedeutende Grösse erreicht haben. Lässt man ihn dann 
weiter wachsen, ein Wachsen, das in diesem Stadium mit über¬ 
raschender Schnelligkeit vorzuschreiteu vermag, so läuft man Gefahr, 
zu spät mit der Operation zu kommen, zu einer Zeit nämlich, wo 
schon der Durchbruch in den Seitenventrikel passirt und der 
tödtliche Ausgang unabwendbar ist. Es wurde daher von Prof, 
v. Bergmann, sowie ihm seine Diagnose sicher geworden war, zur 
< iperation geschritten. 

Zieht man an den, zumeist nach hinten gerichteten Punkt des 
hinteren Randes der Ohrmuschel eine Tangente und ebenso eine solche 
an den höchsten oberen Punkt derselben, so schneiden sich beide 
Linien über und etwas nach vorn von dem hinteren, unteren Winkel 
pes Scheitelbeins. Die Mängel, welche der Genauigkeit dieser Con- 
struction anhaften, lassen sich durch eine möglichst grosse Trepana- 
tiousöffnung ersetzen, so dass sicherlich der hintere Abschnitt des 
Schläfelappens und dessen untere Windung getroffen werden. 

Die bei dem Patienteu durch Ausraeisselung hergestellte Trepa¬ 
nationsöffnung stellte ein Quadrat von mehr als 3—4 cm Seiten¬ 
länge dar. Die blossgelegte Dura pulsirte deutlich und erschien 
unverändert. Sie wurde gespalten, und sofort drängte sich die 
ausserordentlich weiche Hirnsubstanz vor. Ein Einschnitt in dieselbe 
führte zu einer mässigen Blutung, aber nicht zum Eiter. Es war 
schwer die etwa 2 1 /-» Centimeter lange Hirnwunde auseinanderzuziehen, 
so zerfliessend weich war das Hirn. Drei mal war das Messer an¬ 
gesetzt, ehe der, ein wenig nach vorn vom Einschnitte gelegene Abscess 
erreicht wurde, und nun lebhaft ein grünlich gelber, sehr übelriechender 
Eiter, meiner Menge von etwa 30 ccm vorstürzte. Die Digitaluntersuchung 
ergab eine glattwandige, überall von weichen Massen begrenzte Höhle, 
ln dieselbe wurde Jodoformäther sehr vorsichtig, unter geringsten 
Druck, gebracht, und dann ein Drainrohr, wohl 1 cm tief, eingeführt. 
Rings um das Drainrohr kam locker in die Hirnwunde gesteckte 
Jodoformgaze, mit welcher die Knochen- und Weichtheilwunde noch 
weiter erfüllt wurde. Selbstverständlich war die Operation unter 
den in der Klinik üblichen Cautelen ausgeführt worden: Rasiren des 
ganzen Kopfes und Abwaschen desselben mit Seife und warmem 
Wasser, Aether und Sublimatlösung. Während der Operation genaue 
Blutstillung aus allen in den Hautdecken und der Pia blutenden 
Gefassen. Schliesslich der geschilderte Verband mit Jodoform¬ 
tamponade, wie er daselbst bei blutenden Hirnverletzungen besonders 
häufig in Anwendung gezogen zu werden pflegt. 

Schon vor der Operation war das Ohr mit einer Borsäurelösung 
möglichst vollkommen ausgespritzt und mit Jodoformpulver, sowie 
einem Propf von Jodoforragaze gefüllt worden. 

Der Puls hob sich mit der Entleerung des Eiters von 50 auf 
54 und nach 4 Stunden auf 88 Schläge. Ebenso gab Patient beim 
Erwachen aus der Chloroformnarkose an, dass seine Kopfschmerzen 
vollständig geschwunden wären. Sie sind auch nicht mehr wieder¬ 
gekehrt. Am späten Abende des Operationstages betrug die Tem¬ 
peratur noch 39,7. Am 15. November, nach einer ruhig durch¬ 
schlafenen Nacht, Temperatur 37,5, Puls 68. Die Parese des Facialis 
ist noch vorhanden, ebenso die leichte Ermüdung des linken Arms. 
Bei täglichem Verbandwechsel, Weglassen des Jodoformtampons 
vom zweiten Tage an, sowie Verkleinerung der Wunde durch je eine an 
ihren Winkeln angelegte Naht gestaltete sich der Wundverlauf so 
günstig als möglich. Das Drainrohr wurde vom 9. Tage ab verkürzt und 
von immer enger werdendem Caliber gewählt. Fieber uud Kopf¬ 
schmerzen blieben aus. Auch ein Prolapsus cerebri entwickelte sich 
nicht. Die üppigen Granulationen wurden häufig mit Lapis fortge¬ 
beizt und durch Auflegen von kleinen, kurzen Gazebäuschchen 
unter gehörigem Drucke erhalten. In weniger als 6 Wochen war 
die Wunde nbernarbt und die Narbe tief eingesunken, wie das an 


dem vorgestellteu. völlig gesunden und sehr gekräftigten Mann ge¬ 
sehen werden kann. 

Die Eiterung im Ohre hat noch nicht aufgehört, wenn sie auch 
bedeutend abgenomraen hat, so sind im Laufe von 24 Stundet nur 
noch wenige Tropfen Eiter zum Vorscheine oder viel mehr zur Auf¬ 
nahme in den im äusseren Gehörgange liegenden Tampon von Jodo¬ 
formgaze gekommen. Es ist täglich, unter möglichst geringem Drucke, 
das Ohr mit antiseptischen und adstringirenden Lösungen ausgespritzt 
worden. Auch wurden die Granulationen in der Tiefe der Pauken¬ 
höhle vorsichtig mit einem scharfen Löffel fortgekratzt und mehr¬ 
fach mit Lapis geätzt, sowie Jodoformpulver hineingeblasen. Den¬ 
noch besteht noch heute ein geringer, nicht riechender, aber 
deutlich eitriger Ohrenfluss. Es ist die Absicht des behandeluden 
Arztes, nicht eher den Patienten zu entlassen, als bis auch dieser 
Ohrenfluss beseitigt ist. 


n. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Liebermeister in Tübingen. 

Therapie. Die Prophylaxis der Lungenschwindsucht erfordert 
eine Reihe von Maassregeln, welche sich zum grosseu Theil direkt ab¬ 
leiten lassen aus der Erkenntniss, dass es sich um eine Infections- 
krankheit handelt, die durch Ansteckung von einem Individuum zum 
anderen sich fortpflanzt. Freilich ist die Kraukheit so verbreitet, dass 
man nicht daran denken kann, alle Gelegenheiten zur Infection voll¬ 
ständig zu beseitigen; aber man kann doch durch verhältnissmässig 
einfache Vorsichtsmaasregeln wesentlich dazu beitragen, diese Gelegen- 
heiteu einzuschränken. So wird man z. B. davor warnen, dass ein 
Gesunder, wenn es keinen besonderen Zweck hat, mit Kranken, die 
an ausgebildeter Phthisis leiden, lange Zeit zusammenlebe uud in 
den gleichen Räumen wohne. Es ist selbstverständlich, dass durch 
solche Vorsicht die ärztliche Behandlung und die Krankenpflege nicht 
beeinträchtigt werden darf; denn jeder Arzt und Krankenwärter muss 
ja, wenn er seinen Beruf erwählt, schon entschlossen sein, auch die 
mit demselben verbundenen Gefahren zu übernehmen. Noch mehr 
als für Andere ist die Vermeidung der Gemeinschaft mit Schwind¬ 
süchtigen geboten für Individuen, welchen mau aus irgend einem 
Grunde eine Disposition zur Erkrankung zuschreiben kann. Man 
wird ferner davon abrathen, Kleider und andere Effecten von Phthi¬ 
sikern bei Gesunden in Gebrauch zu ziehen, wenn sie nicht vorher 
in zuverlässiger Weise desinficirt sind. Besondere Berücksichtigung 
verlangt der Auswurf der Kranken: ich habe früher in die zur Auf¬ 
nahme der Sputa dienenden Gläser Mineralsäuren hineingiessen 
lassen; seit einigen Jahren wird zu diesem Zweck im hiesigen 
Krankenhause eine Sublimatlösung von 1:100 verwendet. Zur Des- 
infection von Wohnräumen, in welchen Kranke sich aufgehalteu 
haben, sind von einigem Werth die Schwefelräucherungen, wie sie 
bereits früher beschrieben wurden (Vorlesungen Bd. I, S. 230); 
wesentlich wirksamer ist wohl das Abspülen des Fussbodens und 
der Wände mit Sublimatlösung, die nachher vermittelst einer Lösung 
von kohlensaurem Natrium zersetzt und unschädlich gemacht wer¬ 
den kann. 

In Betreff der allgemeinen Prophylaxis verdient Berücksichtigung 
eine merkwürdige und bisher noch nicht genügend erklärte Erfahrung, 
welche aus der Statistik von Buchanan (1866) sich ergiebt: in 
zahlreichen englischen Städten ist in Folge zweckmässiger Canali- 
sation, wie dies erwartet worden war, der Abdorainaltyphus beträcht¬ 
lich seltener geworden; aber es hat auch, was man a priori nicht 
erwartet hatte, in den gleichen Städten die Häufigkeit der Lungen¬ 
schwindsucht wesentlich abgenommen. Der gleiche Forscher hat 
ferner gezeigt (1867), dass in einer Bevölkerung, welche auf einem 
für Wasser durchlässigen und daher trockenen Boden lebt, die 
Schwindsucht im Durchschnitt seltener ist als bei einer Bevölkerung, 
welche auf undurchlässigem Boden wohnt. (Deutsche Vierteljahrs¬ 
schrift für öffentliche Gesundheitspflege, Bd. I. 1869, p. 232.) 

Der schon wiederholt gemachte Vorschlag, dass man, um die 
Tuberculose eiuzuschränken, Kranke mit Lungenschwindsucht oder 
mit Anlage zu solcher verhindern solle, sich zu verheirathen, weil 
die Gefahr vorhanden ist, dass auf die Kinder durch Vererbung der 
Keim der Phthisis oder die Disposition zur Erkrankung übertragen 
werde, ist von zweifelhaftem Werth. Abgesehen davon, dass zur 
Durchführung eines derartigen Verbots dem Arzt die erforderliche 
Gewalt fehlt, scheint mir dieser Vorschlag auch deshalb nicht be¬ 
rechtigt, weil ich es nicht für die Aufgabe des Arztes halte, nach 
nationalökonomischen Rücksichten zu handeln oder gar die Rolle 
der Vorsehung spielen zu wollen. Ich pflege deshalb diese Frage, 
wenn sie an mich herantritt, nicht nach allgemeinen Gesichtspunkten, 
sondern von Fall zu Fall zu entscheiden unter Berücksichtigung des 
Zustandes des einzelnen Kranken, und meinen Rath hauptsächlich 
davon abhängig zu machen, ob für den betreffenden Kranken von 
der Verheirathung ein günstiger oder ein ungünstiger Einfluss auf 
den Verlauf seiner Krankheit zu erwarten ist. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50 


1024 


Zur individuellen Prophylaxis gehört es ferner, die disponiren- 
den Umstände und die Gelegenheitsursachen möglichst zu vermeiden, 
wie z. B. den Aufenthalt in schlechter Luft, Staubinhalationen, 
Erkältungen und dgl. Dagegen kanu Alles, was zur Kräftigung des 
Körpers dient, den Schutz gegen die Krankheit verstärken,- so 
namentlich zweckmässige Ernährung, Aufenthalt im Freien, Ge¬ 
wöhnung an kalte Waschungen und Bäder, eine vernünftige Gymna¬ 
stik und namentlich auch Lungengymnastik, die bei Gesunden ge¬ 
wiss ganz vortrefflich ist, aber leider auch oft in unverständiger 
Weise bei Kranken angerathen wird, denen sie nur schaden kann. 
Von besonderer Wichtigkeit ist eine sorgfältige Prophylaxis bei allen 
Individuen, bei welchen aus irgend einem Grunde eine besondere 
Disposition zu Lungenschwindsucht vorauszusetzen ist, z. B. wegen 
möglicher Vererbung oder wegen Scrofulose oder wegen Bestehens 
eines Habitus phthisicus oder wegen vorhandener chronischer Pneu¬ 
monie oder wegen Neigung zu Blutungen aus den Respirations¬ 
organen. Es gelingt sehr häufig, durch sorgfältige Pflege und sonstige 
zweckentsprechende Maassregeln solche Personen über die ihnen 
drohende Gefahr hinauszubringen, und vielleicht sogar die vorhandene 
Disposition allmählich zu vermindern oder zum Verschwinden zu 
bringen. Die zu diesem Zweck erforderliche Behandlung ist im 
Wesentlichen die gleiche wie die der Phthisis incipiens und kann 
deshalb bei der Erörterung der Indicatio raorbi besprochen werden. 

Ein Mittel, welches direkt gegen die in der Lunge vorhandenen 
Mikrobien der Tuberculose wirksam wäre und dieselben tödtete oder 
unschädlich machte, ohne dem Kranken wesentlich zu schaden, 
ist bisher noch nicht gefunden worden. Doch ist anzuerkennen, 
dass das Suchen nach einem solchen specifischen Heilmittel keines¬ 
wegs irrationell ist; nur werden wir nach den bisherigen Erfahrun¬ 
gen uns für berechtigt halten, auch in Zukunft gegenüber den von 
Zeit zu Zeit auftretenden Empfehlungen solcher Mittel eine gewisse 
Skepsis zu beobachten und ausreichende unzweideutige Thatsachen 
zu verlangen, bevor wir denselben Glauben schenken. Die Leicht¬ 
fertigkeit, mit welcher solche Mittel, oft noch bevor sie ernsthaft 
versucht worden waren, als unfehlbare Specifica angepriesen wurden, 
wird nur übertroffen durch die Leichtgläubigkeit, mit welcher die 
Kranken und auch einzelne Aerzte immer wieder dergleichen An¬ 
preisungen aufnehmen. Die innerliche Anwendung des Arsenik, die 
schon seit langer Zeit namentlich in Frankreich wiederholt versucht 
worden war und neuerlichst wieder von H. Büchner (1883) auf 
Grund theoretischer Reflexionen empfohlen wurde, hat keine be¬ 
deutenden Erfolge aufzuweisen; ich hatte schon im Jahre 1859 bei 
einer Reihe von Kranken Versuche mit diesem Mittel angestellt, 
deren Ergebnisse nicht zur Fortsetzung aufforderten; in einzelnen 
Fällen kann es jedoch zur Besserung des Ernährungszustandes 
beitragen. Das benzoesaure Natrium, welches als Specificum sowohl 
zu innerlicher Anwendung als in Form von Inhalationen empfohlen 
wurde (P. v. Rokitansky, 1879), ist bereits nahezu wieder ver¬ 
gessen. Auch viele andere Arzneimittel sind zu Inhalationen 
empfohlen worden; doch ist dabei zu berücksichtigen, dass dieselben 
% auf die kranken Theile der Lunge, die gewöhnlich infiltrirt sind 
und keine Luft aufnehmen, nicht direkt ein wirken. Ob durch lange 
fortgesetzte Einathmung von schwefliger Säure den Kranken mehr 
genützt als geschadet werde, ist noch nicht sicher festgestellt. — 
Die Erwägung, dass die febrile Consumption in letzter Instanz' auf 
der Oxydation der Körperbestandtheile durch den Sauerstoff beruhe, 
hat zu der etwas naiven Vorstellung geführt, man könne diese Con¬ 
sumption dadurch hemmen, dass man die Kranken weniger Sauer¬ 
stoff einathmen lasse; und so kam man auf die Stickstoffinhalationen 
(Treutier), bei denen dem Kranken eine an Sauerstoff ärmere 
Luft dargeboten werden sollte; die ärmliche Theorie lässt a priori 
keine Hoffnungen zu, und die Erfahrung, die ja allein maassgebend 
sein würde, scheint bisher nicht zu Gunsten dieses Verfahrens ge¬ 
sprochen zu haben. Ebenso verhält es sich mit den neuerlichst 
von Frankreich aus empfohlenen Schwefelwasserstoffklystiren. — 
Originell war jedenfalls die Idee, den Teufel durch Beelzebub aus¬ 
zutreiben, wie es neuerlichst in Italien (Cantani 1885) versucht 
wurde, indem man in die Lunge durch Inhalation Fäulnisserreger 
(Baoterium termo) einführte, welche im Kampfe um’s Dasein die 
Tuberkelbacillen überwinden sollten; leider ist, bis weitere Erfahrun¬ 
gen vorliegen, die Besorgniss nicht unbegründet, dass man den Zu¬ 
stand des Kranken wesentlich verschlimmern werde, wenn es gelänge, 
ausser der Tuberculose auch noch faulige Zersetzungen der Zerfalls- 
producte in den Lungen herbeizuführen. — Wo man den Tuberkel¬ 
bacillen direkt beikommen kann, wie bei manchen tuberculösen 
Entzündungen von Organen, welche der Chirurgie zugänglich sind, 
da kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass man im Stande 
sein werde, bei Anwendung von genügend eingreifenden Mitteln 
dieselben zu bewältigen. So hat in der hiesigen chirurgischen 
Klinik die örtliche Behandlung mit Jodoform sehr gute Resultate 
ergeben (P. Bruns, Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. II. 1886. 
S. 311. Bd. III. 1887. S. 133). Leider ist ein solches Verfahren 


nicht auf die Lunge anwendbar, und die Versuche mit parenchyma¬ 
tösen Injeetionen von Sublimatlösung oder Alkohol in die Lunge, 
wie sie von Hiller in der Leyden’schen Klinik ausgeführt wurden 
(1883), haben keine Erfolge ergeben, welche zur Nachahmung auf¬ 
fordern könnten. 

Somit sind wir bis auf Weiteres, um der Indicatio morbi zu 
genügen, auf eine mehr indirekte Behandlung angewieseu. Aber 
auch eine solche hat, wenn sie mit der nöthigen Consequenz durch- 
geführt, und wenn sie früh genug begonnen wird, in vielen Fällen 
sehr günstige Resultate aulzuweisen. Wir werden im folgenden 
die wichtigsten Maassregeln angeben, welche bei Phthisis incipiens 
zu empfehlen sind. Die gleichen Verordnungen gelten aber auch 
einerseits für Personen, bei denen bisher noch keine Tuberculose 
nachzuweisen, aber mit Grund eine Disposition für dieselbe anzu¬ 
nehmen ist, und andererseits für solche Kranke, welche sich schon 
im Stadium der Phthisis confirmata befinden; bei letzteren ist um 
so eher noch ein Erfolg zu hoffen, je weniger bisher die Krankheit 
Fortschritte gemacht hat. 

Die Indicationen, welche in solchen Fällen zu erfüllen sind, 
lassen sich in der Hauptsache unter drei Gesichtspunkte unter¬ 
bringen. 

1. Es muss der grösste Fleiss darauf verwendet werden, dass 
der Kranke vor Bronchialkatarrhen oder anderen Erkältungskrank¬ 
heiten behütet werde, und es muss jeder etwa vorhandene Katarrh 
mit peinlichster Sorgfalt behandelt werden. Es ist demnach jede 
Gelegenheit zu Erkältungen in sorgfältigster Weise zu vermeiden, 
namentlich Zugluft, plötzlicher Temperaturwechsel und besonders 
schnelle und andauernde Abkühlung nach vorhergegangener Erhitzung, 
aber auch längeres Verweilen in kalten Räumen, länger dau¬ 
ernde Abkühlungen und Durchnässungen der Füsse, unzureichende 
Kleidung u. s. w. Die Erkältung, welche ja für sich gewöhnlich 
keine ausreichende Krankheitsursache ist, wirkt erfahrungsgemäss 
vorzugsweise dann als solche, wenn anderweitige Krankheitserreger 
vorhanden sind, die dadurch zu gesteigerter Wirkung kommen kön¬ 
nen. Wer an beginnender Phthisis leidet oder Disposition zu der 
Krankheit hat, sollte anhaltend Wolle auf blosser Haut tragen. Es 
ist diese Verordnung eine der wichtigsten und häufig eine Vorbedin¬ 
gung für jede erfolgreiche Behandlung, da ohne die Ausführung der¬ 
selben erfahrungsgemäss nicht leicht ein genügender Schutz gegen 
Erkältungen erreicht werden kann. Der Apostel der Wollkleidung, 
G. Jäger, hat sich nach meiner Ansicht ein wirkliches Verdienst 
um die leidende Menschheit erworben; er hat zu der Verordnung 
des Wolletragens, welche ja schon seit langer Zeit von den Aerzten 
allen anämischen oder zu Erkältungskrankheiten geneigten Personen 
gegeben wurde und namentlich auch solchen, bei welchen eine ernst¬ 
hafte Krankheit der Respirationsorgane bestand oder zu befürchten 
war, diejenigen Uebertreibungen hinzugefügt, ohne welche bei dem 
schwindelbedürftigen Publicum auch eine an sich gute Sache nicht 
leicht durchdringt und wirklich populär wird. Wir werden natür¬ 
lich von seinen Anpreisungen alles das abziehen, was überflüssig 
oder verkehrt ist; aber es wäre gewiss nicht rathsam, wenn wir uns 
durch dergleichen Uebertreibungen eine an sich zweckmässige und 
seit alter Zeit erprobte Maassregel wollten verleiden lassen. Für jeden 
hierher gehörigen Kranken ist die Kleidung zu empfehlen, wie ich 
sie den entsprechenden Kranken von je her verordnet habe, und wie 
ich sie seit mehr als *20 Jahren selbst trage. Es soll die Haut vom 
Halse bis zu den Zehen überall mit Wolle in unmittelbarer Berüh- 
rührung sein; dazu sind erforderlich wollenes Hemd, wollene Unter¬ 
hosen und wollene Strümpfe. Diese wollene Unterkleidung gilt für 
den Sommer ebenso wie für den Winter; was darüber getragen wird, 
kann nach den Umständen wechseln, und aus welchem Stoff es be¬ 
steht, ist vollkommen gleichgültig, vorausgesetzt, dass die Kleidung 
überhaupt dem Klima und der Jahreszeit angemessen ist. Selbst¬ 
verständlich wird ein gebildeter Mensch für genügend häufigen 
Wechsel der Unterkleider Sorge tragen; aber auch' das Nachthemd 
sollte aus Wolle bestehen. Auch solche Kranke, denen im Anfang 
die Wolle auf blosser Haut unangenehm ist, gewöhnen sich bald an 
dieselbe und pflegen dann keine Neigung zu haben, sie mit anderem 
Stoff zu vertauschen. Der gewöhnliche Einwand, dass durch die 
Wolle die Haut verweichlicht werde, und dass dann der Kranke 
um so eher zu Erkältungen geneigt sei, ist nicht von Bedeutung: 
denn in erster Reihe muss das Bestreben stehen, gesnud zu werden, 
und erst in zweiter Reihe kann von Abhärtung die Rede sein. 
Uebrigens ist solche daneben keineswegs ausgeschlossen. Ich em¬ 
pfehle den Kranken regelmässige kalte Abwaschungen des ganzen 
Körpers morgens beim Aufstehen. Dabei ist aber Bedingung, dass 
die Procedur nicht zu lange dauere und namentlich nicht durch das 
überflüssige Frottiren der Haut nach dem Abwaschen verlängert 
werde; es genügt ein oberflächliches Abtrocknen, und man braucht 
nicht ängstlich bemüht zu sein, jeden Tropfen Wasser sorgfältig von 
der Haut zu entfernen. Die ganze Procedur vom Ausziehen des 
Hemdes bis zum Wiederanziehen desselben darf nur 3 Minuten in 


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13. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1025 


Anspruch nehmen, und es ist dem Kranken zu empfehlen, im An¬ 
fang dabei wirklich nach der Uhr zu sehen; er findet dann gewöhn¬ 
lich, dass 3 Minuten ein längerer Zeitraum sind, als er geglaubt 
hat. Bei Einhalten dieser Bedingung ist von der Procedur keine 
Erkältung zu befürchten, und der Gesunde dürfte sie auch im Win¬ 
ter im ungeheizten Zimmer vornehmem Wo noch keine ausge¬ 
sprochene Lungenkrankheit vorhanden ist, können im Sommer auch 
kalte Bäder gestattet werden. — Wenn trotz aller Sorgfalt aber 
dennoch eiu Katarrh entstanden ist, oder wenn er vor Beginn der 
Behandlung bereits vorhanden war, so ist er immer als eine ernst¬ 
hafte Krankheit anzusehen, welche einer sorgfältigen Behandlung 
bedarf. Oft ist andauerndes Bettliegen erforderlich, und solches 
muss jedenfalls verordnet werden bei allen Kranken, welche am 
Abend Fieber haben. Ausserdem sind die bei der Behandlung des 
Bronchialkatarrhs zu besprechenden Mittel anzuwenden, namentlich 
auch bei den geeigneten Kranken im Sommer Curen in Ems, 
Neuenahr, Ober-Salzbrunn, Soden u. s. w., oder, wenn der Kranke 
zu Hause bleiben muss, das reichliche Trinken von Emser oder 
Neuenahrer Wasser in Mischung mit heisser Milch. 

2. Eine weitere wichtige Indication besteht darin, die Kranken 
möglichst viel an die frische Luft zu bringen. Dabei muss aber 
zugleich die Vorsicht beobachtet werden, dass keine Veranlassung 
zu Erkältung gegeben wird. Vor allem ist zuträglich die Luft, 
welche von der Sonne beschienen wird. Die Kälte an sich ist 
nicht nachtheilig für den Kranken, der hinreichend bekleidet ist 
und durch die Nase athmet; deshalb darf eiu Kranker, der fieber¬ 
frei ist, auch bei Winterkälte, wenn nicht etwa scharfer Nord- oder 
Ostwind weht, in der Sonne spazieren gehen; aber er muss es ver¬ 
meiden, aus der Sonne heraus etwa um die Ecke zu gehen, wo er 
in den Schatten kommt. Der Kranke, welcher wegen Fieber im 
Bett liegen muss, kann wenigstens durch Oeffnen der Fenster für 
gute Luft sorgen und die Sonne hereinlasseu. Im Sommer dagegen 
ist die -zu grosse Hitze zu vermeiden. Während des grösseren 
Theils des Jahres ist unser Klima wenig günstig für Kranke mit 
Phthisis oder mit Anlage zu solcher; im Herbst, Winter und Früh¬ 
ling, während der Kranke der Sonne bedürftig wäre-, giebt, es ver- 
hältnissmässig wenige Tage, an welchen die Sonue nicht durch 
Wolken oder Nebel verhüllt wäre; und daraus ergiebt sich die 
Indication, den Kranken wo möglich in ein passenderes Klima zu 
schicken. Dazu kommt noch der nicht unwichtige Umstand, dass 
der Kranke durch die Entfernung von Hause auch zugleich seiner 
Geschäfte und der mannichfaltigen geselligen Verpflichtungen enthoben 
wird. Im Hochsommer ist es rathsam, sich der Hitze zu entziehen 
durch Aufenthalt in waldreicher Gegend und in etwas höherer Lage; 
zu bevorzugen sind dabei Nadelholzwaldungen. Herbst und Früh¬ 
ling sind in unserem Klima gewöhnlich noch ungünstiger für den 
Kranken als der Winter; Kranke, denen die Verhältnisse es ge¬ 
statten, sollten während dieser Jahreszeiten die gegen Norden ge¬ 
schützten Orte an den schweizerischen Seen (Gersau, Montreux, 
Lugano) oder an den oberitalienischen Seen (Pallanza, Cadenabbia) 
aufsuchen oder auch nach Arco, Meran oder endlich an einen der 
zahlreichen Kurorte der Riviera gehen. Der Kranke wird an diesen 
Orten weit häufiger als bei uns in der freien Luft und in der Sonne 
sich aufhalten können; doch darf er nicht etwa erwarten, dort immer 
blauen Himmel zu finden, und er darf vor allem auch dort nicht 
die Vorsichtsmaassregeln vernachlässigen, durch welche er zu Hause 
sich gegen Erkältung zu schützen pflegt. Leute, welche mit der 
Vorstellung, es müsse an jenen Orten ein ewiger Sommer herrschen, 
dorthin gehen, finden sich freilich enttäuscht und machen dann zu¬ 
weilen ihrem Missvergnügen Luft durch übertriebene Schilderungen 
der den Kranken erwartenden Unannehmlichkeiten und durch die 
Behauptung, es sei für den Kranken besser, zu Hause zu bleiben. 
Wer aber einfach mit der Erwartung hingeht, dort bessere klima¬ 
tische Verhältnisse zu finden als zu Hause und namentlich häufiger 
in freier Luft sich aufhalten zu können, hat keine Enttäuschung zu 
befurchten. Für die eigentlichen Wintermonate ist es zweckmässig 
noch weiter nach Süden zu gehen. Von den bisher genannten Kur¬ 
orten sind nnr etwa die an der Riviera zu empfehlen; ausserdem 
kommt in Betracht Ajaccio auf Corsika, ferner in Sicilien Palermo, 
Catania, Acireale, endlich die schon im subtropischen Gebiet ge¬ 
legenen Kurorte Madeira, Algier, Cairo. Wer es einrichten kann, 
thut wohl daran, seinen Aufenthalt dauernd im Süden zu nehmen; 
denn wenn auch in jenen Gegenden die Tuberculose keineswegs 
fehlt, so lehrt doch die Erfahrung, dass eine im Norden entstandene 
Tuberculose in südlicheren Gegenden eher zur Heilung kommt. 
Ich kenne Aerzte, Apotheker, Kaufleute, welche, als bereits Phthisis 
confirmata vorhanden war, auf die Dauer nach Sicilien, Afrika, 
Palästina ausgewandert sind, sich dort einen Wirkungskreis ge¬ 
gründet haben und sich einer guten Gesundheit erfreuen. 

Neben den südlichen Kurorten sind in den letzten Decennieu 
vielfach in Gebrauch gekommen die Höhenkurorte. Man war zu¬ 
nächst darauf aufmerksam geworden, dass in einer gewissen Höhe 


über der Meeresfläche die Lungentuberculose fast gar nicht mehr 
vorkommt. Die Höhe, mit welcher diese Immun itätszone beginnt, 
ist freilich nach den Breitegraden verschieden. Während in den 
Tropen dieselbe erst bei einer Höhe von etwa 2000 Meter beginnt, 
ist die Grenze in der Schweiz schon bei etwa 1000 Meter Höhe er¬ 
reicht, in Mitteldeutschland etwa bei 500 Meter und endlich im 
höheren Norden schon bei einer noch geringeren Erhebung über die 
Meeresfläche. Allmählich hat man dann erkannt, dass an diesen 
hochgelegenen Orten auch die schon vorhandeue Phthisis durch¬ 
schnittlich einen günstigeren Verlauf nimmt als im Tiefland. Während 
man anfangs diese Orte vorzugsweise als Sommerkurorte benutzte, 
hat die Erfahrung gelehrt, dass eine Winterkur entschieden mehr 
leistet als eine Somraerkur; und es erklärt sich dies wohl einfach 
daraus, dass eine Sommerkur im günstigsten Fall etwa zwei Mo¬ 
nate dauert, der Winteraufenthalt dagegen 5—7 Monate. Zum 
Winteraufenthalt sind nur solche Höhenkurorte geeignet, welche die 
nöthigen Einrichtungen und den Comfort für Kranke bieten. Unter 
den Kurorten im Hochgebirge ist vor allen zu nennen der älteste 
dieser Kurorte, Davos in Graubünden in einer Höhe von 1560 Meter, 
wo schon seit mehr als 20 Jahren Winterkuren gemacht werden, 
und wo seit einer Reihe von Jahren die Zahl der Winterkurgäste 
sich weit über 1000 beläuft, ferner das nur wenige Stunden davon 
entfernte Wiesen (1454 Meter). Diese Orte sind zu empfehleu für 
Kranke, bei welchen schon Tuberculose vorhanden ist; dagegen wird 
man im allgemeinen Bedenken tragen, Personen, bei welchen bisher 
nur eine Disposition zu Phthisis vorauszusetzen ist, an einen Ort 
zu schicken, wo sie mit zahlreichen Lungenkranken Zusammenleben. 
Für solche ist es wichtig, dass neuerlichst auch an einigen anderen 
hochgelegenen Orten die nöthigen Vorkehrungen für Winteraufenthalt 
getroffen worden sind, so namentlich in Sainaden (1740 Meter) und 
St. Moritz (1856 Meter) im Oberengadin, ferner in Andermatt 
(1450 Meter) an der Gotthardtstrasse. Eine weitere Vermehrung 
der Kurorte für Winteraufenthalt im Hochgebirge ist noch immer 
dringend zu wünschen, damit die zu enge Zusarnmenhäufuug der 
Kranken vermieden werde. Im deutschen Mittelgebirge liegt in 
einer Höhe von nur 540 Meter, aber doch schon in der Immunitäts¬ 
zone, Görbersdorf in Schlesien, wo die Heilanstalt von Dr. Br eh me r 
schon seit 1854 besteht, ferner in einer Höhe von etwa 450 Meter 
die Heilanstalt von Dr. Dettweiler in Falkenstein im Taunus. 
Diese geschlossenen Anstalten bieten den in vielen Fällen sehr wich¬ 
tigen Vortheil, dass die Kranken in ihrer Lebensweise nicht sich 
selbst überlassen sind, sondern unter sorgfältiger ärztlicher Aufsicht 
sich befinden. 

Dass der Aufenthalt an einem Höhenkurort , auf den Verlauf der 
Krankheit im allgemeinen günstig einwirkt, ist eine durch tausend¬ 
fache Erfahrung sichergestellte Thatsache. Die Erklärung derselben 
bietet dagegen zur Zeit noch Schwierigkeiten. Wahrscheinlich ist 
es nicht ein einzelner Umstand, welcher für sich den günstigen Ein¬ 
fluss ausübt, sondern es sind zahlreiche verschiedene Factoren, durch 
deren Zusammenwirken der Erfolg erreicht wird. Die relative Im¬ 
munität gegen Phthisis, welche oberhalb einer gewissen Höhe, die 
nach dem Breitengrade verschieden ist, gefunden wird, beruht ohne 
Zweifel zum Theil darauf, dass jene hoch gelegenen Gegenden nur 
eine dünne Bevölkerung haben; aber cs ist dies gewiss nicht der 
einzige Grund. Auch die Ansicht, dass die Bewohner jener hoch¬ 
gelegenen Gegenden wegen der dünnen Luft und des häufigen Berg¬ 
steigens besser entwickelte und deshalb widerstandsfähigere Lungen 
besitzen, reicht nicht aus, um diese Immunität zu erklären; es kommt 
nicht ganz selten vor, dass Bewohner des Hochgebirges, wenn sie 
sich lange Zeit im Tiefland aufhalten, daselbst an Lungenschwind¬ 
sucht erkranken; aber wenn sie dann in die hochgelegene Heimath 
zurückkehren, so nimmt häufig die Krankheit einen verhältniss- 
mässig günstigeu Verlauf, und die eingeschleppte Krankheit zeigt 
auch weniger Neigung sich auf andere Personen auszubreiten. Von 
grosser Bedeutung ist gewiss, dass in beträchtlichen Höhen der Luft¬ 
druck und damit die Dichtigkeit der Luft geringer ist als im Tief¬ 
land: während der durchschnittliche Barometerstand in der Höhe 
des Meeres 760 mm Quecksilber ist, beträgt er bei einer Höhe von 
1500 Meter nur ungefähr 630 bis 640 mm. Dass aber diese Ver¬ 
minderung des Luftdrucks bei Kranken mit Lungenschwindsucht eiue 
günstige Wirkung haben solle, ist keineswegs a priori klar. Man 
hat zwar schon gemeint, aus der Verdünnung der Luft ergebe sich 
eine Steigerung des Athembedürfnisses, indem dem Volumen nach 
mehr Luft eingeathmet werden müsse, und diese stärkere Leistung 
des Respirationsapparats sei von günstiger Wirkung; aber die Sache 
ist nicht so einfach, denn die Verdünnung wird einigermaassen com- 
pensirt dadurch, dass die verdünnte Luft leichter beweglich ist 
und leichter diffundirt; und wenn wirklich die Respirationsthätig- 
keit mehr in Anspruch genommen würde, so wäre das für Lungen¬ 
kranke gewiss eher ein Nachtheil als ein Vortheil. Von grösserer 
Bedeutung scheint mir, namentlich im Hinblick auf die bereits an¬ 
geführten Erfahrungen von Buch an an, der Umstand zu sein, dass 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50 


in der dünneren Luft die Wasserverdunstung stärker vor sich geht, 
dass also eine gewisse austrocknende Wirkung vorhanden ist, wäh¬ 
rend zugleich der Boden in Folge seiner Unebenheit und der geo¬ 
logischen Formation verhältnissmässig trocken ist. Dazu kommt 
ferner, dass die Luft in jenen Höhen viel reiner ist und viel freier 
von organischem und unorganischem Staub, und zwar besonders im 
Winter, wenn der Boden weit und breit anhaltend mit Schnee be¬ 
deckt ist. Diese beiden Umstände machen es z. B. erklärlich, dass 
man frisches Fleisch einfach an der Luft trocknen kann, ohne dass 
Fäulniss eint ritt. Und die reine Luft erklärt wohl auch, dass im 
Hochgebirge weit seltener frische Katarrhe auftreten. Mau hat auch 
schon daran gedacht, dass vielleicht durch die Kälte die Lebens¬ 
dauer der Mikroorganismen und namentlich der Tuberkelbacillen 
und ihrer Sporeu beeinträchtigt werde; doch ist darüber noch nichts 
sicheres festgestellt. Die ausgebreitete Schneedecke hat weiter die 
Folge, dass die localen Luftzuströmungen, welche von ungleicher 
Erwärmung des Bodens abhängen, und die für den Kranken meist 
nachtheiliger sind als die mehr allgemeinen Winde, fast vollständig 
aufgehoben sind, da auch bei stärkster Bestrahlung durch die Sonne 
der Schnee höchstens bis auf die Temperatur des Gefrierpunktes 
erwärmt werden kann. Ein wichtiges Moment ist ferner darin ge¬ 
geben . dass erfahrungsgemäss im Hochgebirge die meisten Leute, 
wenn sie einmal eiugewöhnt sind, weit besser essen als im Tief¬ 
lande, und dass deshalb neben einer allgemeinen Steigerung des 
Stoffumsatzes doch leichter noch ein Ueberschuss verbleibt, der zur 
Vermehrung der Körpersubstanz verwendet wird. Aehnliches kommt 
zwar an jedem Kurort zur Wirkung, an dem der Kranke von allen 
Geschäften und von den alltäglichen Sorgen frei ist und sich viel 
in freier Luft aufhält; aber im Hochgebirge scheint es doch in 
höherem Maasse der Fall zu sein. Auch die Abhärtung, welche im 
Hochgebirge bei längerem Aufenthalt erworben wird, ist nicht ganz 
ohne Bedeutung. Endlich aber, und dies ist wohl der wichtigste 
Punkt, giebt es im Hochgebirge weit mehr sonnige Tage als im 
Tiefland, und die Sonne hat eine weit stärkere Wirkung. Von den 
Wolken und Nebelschichten, welche uns im Tiefland die Sonne ver¬ 
hüllen oder ihre Wirkung abschwächen, liegt ein grosser Theil unter 
uns, wenn wir uns im Hochgebirge befinden. Man kann deshalb 
dort, auch wenn im Schatten das Thermometer noch weit unter dein 
Gefrierpunkt steht, in der Sonne spazieren gehen oder au geeigne¬ 
ten Plätzen sogar ruhig sitzen, ohne dass die Kälte unangenehm 
oder nachtheilig wird. So erklärt es sich, dass die Kranken in 
Davos sich mehr in freier Luft aufhalten können, als an man¬ 
chen südlichen Kurorten. Und diesem Umstaude glaube ich vor¬ 
zugsweise die günstige Wirkung des Hochgebirgsklimas zuschreiben 
zu müssen. 

Auch in Davos wird nicht jeder Phthisiker geheilt; es ist im 
Gegentheil unter den Kranken, welche mit ausgebildeter Phthisis 
eonfirmata dorthin gehen, der Procentsatz der wirklich andauernden 
Heilungen keineswegs hoch, und gewöhnlich werden solche dauernde 
Heilungen nur dann erreicht, wenn viele Jahre hindurch alljährlich 
der Aufenthalt im Hochgebirge wiederholt wird. Aber es wird ja 
auch kein verständiger Arzt sich der Illusion hingegeben haben, 
dass es irgend ein Mittel gebe, durch welches jede Tuberculose zur 
Heilung gebracht werden könne. Bei den Kranken dagegen, welche 
schon im Stadium der Phthisis incipiens, wenn noch keine umfang¬ 
reichen Verdichtungen oder Zerstörungen vorhanden sind, zum Auf¬ 
enthalt im Hochgebirge sich entschliessen, sind die vollständigen 
und dauernden Heilungen sehr häufig. Wenn wir alle Fälle zu¬ 
sammen nehmen — und ich kann dabei über ein ausgedehntes 
Beobachtungsmaterial verfügen, da ich alljährlich Gelegenheit habe, 
eine grössere Zahl von Kranken vor und nach dem Aufenthalt im 
Hochgebirge in vergleichender Weise zu untersuchen —, so unter¬ 
liegt es keinem Zweifel, dass der Verlauf der Krankheit während 
eines Winters im Hochgebirge durchschnittlich ein weit günstigerer 
ist. als er im Tieflande gewesen sein würde. 

Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, dass mit dem 
Aufenthalt in Davos mancherlei Schädlichkeiten verbunden sein 
können, vor denen inan die Kranken warnen muss. Ich denke da¬ 
bei weniger an die schon erwähnte Möglichkeit der Infection, welche 
durch den Verkehr mit zahlreichen Phthisikern gegeben wird; denn 
diese ist für die bereits an Tuberculose Leidenden von geringerer 
Bedeutung als bei denen, welche nur wegen vorausgesetzter Dispo¬ 
sition dorthin geschickt werden; vielmehr habe ich hauptsächlich 
im Auge die Neigung der Kranken, sich schon, sobald einige 
Besserung zu Stande gekommen ist, für gesund zu halten und eine 
Lebensweise anzunehmen, wie sie höchstens der Gesunde sich er¬ 
lauben dürfte. Ich halte es zwar für eine Uebertreibung, wenn 
man behauptet hat, dass mehr Phthisiker an ihrem Temperament 
als an der Krankheit zu Grunde gingen; aber dass zahlreiche Kranke 
ihren Zustand verschlimmern, weil sie zu früh sich für ganz oder 
annähernd gesund halten, unterliegt keinem Zweifel. Vor allem ist 
hier nochmals die sogenannte Lungengymnastik anzuführen. Viele 


Kranke glauben mit Gewaltmaassregeln ihre Lunge wieder in Ordnung 
bringen zu können; sie machen möglichst tiefe Athemzüge, treiben 
Zimmergymuastik, machen Bergbesteigungen und betheiligen sich 
bei allen möglichen Arten von Sport, bei denen die Respirations¬ 
organe angestrengt werden; und es giebt auch Aerzte, welche solche 
Uebung der Lungen als ein Heilmittel empfehlen. Und doch ist 
keinerlei tiefe ärztliche Wissenschaft, sondern nur der gewöhnlichste 
gesunde Menschenverstand dazu erforderlich, um zu begreifen, dass 
Verschwärungen in der Lunge eben so wenig wie solche in einem 
anderen Organ heilen können, sondern verschlimmert werden müssen, 
wenn das Organ häufig bedeutenden Zerrungen ausgesetzt wird. 
Ich habe Kranke gekannt, welche bei dem Aufenthalt im Hoch¬ 
gebirge sich vortrefflich befanden, dann aber anfingen, Lungen¬ 
gymnastik zu treiben, und bei denen nach einer Bergbesteigung der 
erste schwere Anfall von Haemoptoe eintrat, nach welchem dann 
die Krankheit schnell sich verschlimmerte und zum tödtlichen Ende 
führte. Ein Arzt, dessen Sohn an Phthisis incipiens litt und von 
einer glücklich überstandenen Pleuritis eine Einziehung des Thorax 
zurückbehalten hatte, wollte durch forcirte Gymnastik diese Ein¬ 
ziehung beseitigen und brachte es bald dahin, dass eine starke 
Haemoptoe sich einstellte, von der der Kranke sich nicht mehr er¬ 
holte. Ich kenne andere Fälle, welche nach einem Winter in Davos 
sich für geheilt hielten, wieder ganz zu ihrer früheren Lebensweise 
mit allen Anstrengungen und Schädlichkeiten derselben zurück¬ 
kehrten, und bei denen dann bald eine Verschlimmerung eintraL 
die nicht mehr rückgängig zu machen war. Ich warne deshalb die 
Kranken mit Phthisis eonfirmata, schon bevor sie sich in’s Hoch¬ 
gebirge begeben, vor der Illusion, als ob ein Winter genügen könne, 
um sie vollständig wiederherzustellen, und ich warne alle Kranken 
vor jeder Art von Lungengymnastik und vor jeder Anstrengung, 
mit der eine lebhaftere Athmung verbunden ist. Ich warne sie 
namentlich auch vor jeder sogenannten pneumatischen Behandlung, 
bei welcher die Inspiration oder die Exspiration mechanisch ge¬ 
steigert wird, wie sie leider von einzelnen Aerzten, die einen 
Waldenburg’schen Apparat oder ein Geigel’sches Schöpfrad¬ 
gebläse angeschafft haben, nun ohne Unterschied bei allen Arten 
von Lungenerkrankungen angewendet wird. Leute mit gesunden 
Lungen und auch Personen, bei welchen eine Disposition zu Phthisis 
besteht, bei denen man aber sicher ist, dass noch keine Ver¬ 
schwärungen in der Lunge vorhanden sind, mögen Gymnastik 
treiben und ihre Inspirationsmuskeln üben; für Lungenkranke ist 
es besser, das erkrankte Organ möglichst ruhig zu halten um! 
ihm nicht mehr Bewegung zuzumuthen, als unbedingt nöthig ist. — 
Es ist jedenfalls ein Vorzug der Behandlung in geschlossenen An¬ 
stalten, wie in Görbersdorf und Falkenstein, dass dort die Kranken 
in Folge der anhaltenden ärztlichen Aufsicht an Excessen jeder Art 
gehindert sind, denen sich manche in der Freiheit der anderweitigen 
Kurorte so gern hingeben. 

Welche Kranke sollen nach dem Süden geschickt werden, und 
für welche ist das Höhenklima zweckmässiger? Es ist dies eine 
Frage, welche gegenwärtig noch nicht in so exacter Weise, wie es 
zu wünschen wäre, beantwortet werden kann. Zunächst ist zu be¬ 
achten, dass diese beiderlei Arten von Kurorten keineswegs Gegen¬ 
sätze bilden. Der eine und wichtigste Zweck, dem Kranken zu er¬ 
möglichen, mehr als es zu Hause geschehen könnte, sich in frischer 
Luft und in der Sonne aufzuhalten, wird an beiden erreicht; und 
aus diesem Grunde kann man bei vielen Kranken sowohl das eine 
wie das andere empfehlen und die Entscheidung von besonderen 
Umständen oder von der Neigung der Kranken abhängig machen. 
Doch giebt es Fälle, bei welchen die Wahl nicht freisteht. Im 
Allgemeinen wird man bei schwächlichen und zarten Kranken, die 
gegen Temperaturwechsel und namentlich gegen Kälte empfindlich 
sind, überhaupt bei sogenannter erethischer Constitution, eher die 
südlichen Kurorte, bei noch kräftigen und weniger empfindlichen 
Kranken so wie bei mehr torpider Constitution eher das Hoch¬ 
gebirge bevorzugen. 

Kranke, welche Fieber haben, sollte man überhaupt nicht fort 
schicken, sondern zu Hause im Bett halten, bis das Fieber während 
längerer Zeit vollständig aufgehört hat. Ebenso wird man Kranke 
zu Hause lassen, bei denen der Zustand schon so schlimm ist, dass 
eine begründete Hoffnung auf Heilung nicht mehr aufrecht erhalten 
werden kann; es kommt zwar auch bei solchen Kranken in Folge 
des Klimawechsels nicht selten ein Stillstand oder auch einige 
Besserung zu Stande, aber dieselbe ist selten von langer Däner. 
Unter Umständen kann es schwierig sein zu entscheiden, ob ein 
Kranker schon zu den Unheilbaren zu rechnen sei, oder zu denen, 
bei welchen eine Klimaveränderung noch einige Hoffnung giebt 
und es ist ganz berechtigt, wenn man in solchen zweifelhaften 
Fällen auch die äusseren Umstände, Familienverhältnisse u. s. w. 
berücksichtigt; zuweilen wird ein Kranker doch noch gebessert bei 
welchem man zu der Wirkung des Klimawechsels nur noch wenig 
Vertrauen hatte. 


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13. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHEN8CHRUT. 


Seereisen wurden schon im Alterthum vielfach für Kranke mit 
Phthisis empfohlen, und sie bewähren sich auch heute noch. Von 
einiger Bedeutung ist es schon, wenn man Kranken, die nach 
Madeira. Algier, Aegypten gehen wollen, sagen kann, dass ihnen 
die Seereise voraussichtlich nicht schaden werde. Für eine eigent¬ 
liche Kur sind aber längere Seereisen erforderlich. Ein Kranker 
meiner Beobachtung, der schon Haemoptoe gehabt hatte, und bei 
dem Verdichtungen in der Lungenspitze nachzuweisen waren, kehrte 
anscheinend gesund zurück, nachdem er eine Reise nach Australien 
mit einem Segelschiff gemacht hatte, welches wie gewöhnlich um 
das Cap Horn hin und durch den Suez-Kanal zurück ging; freilich 
haben sich, nachdem er zu Hause mehr als 10 Jahre in einem 
äusserst anstrengendeu Berufe zugebracht hat, wieder einige Anzeichen 
der Krankheit eingestellt. Der günstige Einfluss lange dauernder 
Seereisen wird es vielleicht ermöglichen, dass die Hochthäler der 
Anden von Peru und Ecuador, welche in einer Höhe von etwa 
3000 Meter so ausserordentlich günstige klimatische Verhältnisse 
darbieten und schon jetzt für die Kfistenbewohner jener Länder 
die wichtigsten Sanatorien für Schwindsüchtige sind, in Zukunft, 
wenn erst, in jenen Ländern geordnete politische Zustände herge¬ 
stellt sein werden, auch von Europa aus von einzelnen Kranken 
zum Zweck der Heilung aufgesucht werden. (Fortsetzung folgt.) 

in. Ueber Phenacetin vom klinischen und 
physiologischen Standpunkte. 

Von Dr. Franz Mahnert in Graz. 

Wenn wir uns heute den Ursachen der einzelnen Krankheits¬ 
bilder nähern, wenn uns insbesondere die verschiedensten fieber¬ 
haften Processe in ihrer Entstehungsweise klarer werden, wenu wir 
heute, gezwungen durch unabänderliche Thatsachen der Bacteriologie, 
in der Lehre vom Fieber einen anderen Standpunkt einnehmen als 
früher: wenn wir heute die das Fieber hervorrufende Schädlichkeit 
Infeetion benenneu, und darunter jene krankhafte Störung im ganzen 
Wesen des Organismus verstehen, die bedingt ist durch bestimmte 
Infectiousträger, durch Mikroben und deren deletäre Wirkungen in 
Folge Bildung von Ptomainen und ungeformten Fermenten in thie- 
rischen Geweben,- wenn wir uns bemühen diese niederen Lebewesen 
in ihrer primären Ansiedelung zu vernichten, oder der Entwickelung 
von Cadaveralkaloiden zu steuern, die Wirkung der letzteren durch 
Mittel zu paralysiren oder abzuschwächen, durch Mittel, welche 
sonst unschädlich auf das Leben des Organismus wirken, so müssen 
wir uns glücklich nennen, „Specifica“ zu finden, die uns entstehende 
Krankheitsbilder coupiren, fortschreitende durch Vernichtung der 
Ursache hemmen. Wie viel Dank sind wir daher der Chemie 
schuldig, die uns Mittel wie Chinin und Salicylsäure verschaffte, die 
uns immer neue producirt. die am Krankenbette zu versuchen, 
unsere Aufgabe ist. Und so ist eine beständige Flucht in der 
Aufeinanderfolge der einzelnen Mittel, das eine geht, ein anderes 
kommt; kaum scheint sich eins auf der Höhe erhalten zu haben, 
so bringen Lobeshymnen ein anderes als besseren Ersatz des ersten. 
So kam es denn, dass wir Namen wie Kairin, Antithermin etc. selten 
mehr auf unseren Recepten sehen: sie waren wie Eintagsfliegen 
von kurzer Lebensdauer. 

Um so mehr Aufmerksamkeit aber müssen wir dann jenen 
Mitteln entgegenbringen, welche nach scharfer Prüfung ungeschmä¬ 
lerte Vorzüge sich erhalten, möglichst frei von schädlicher Neben¬ 
wirkung sind, oder gar specifisch einzelne Krankheitstypen zu beein¬ 
flussen scheinen. Zu diesen letzteren rechne ich nun ein Mittel, 
das in der letzteu Zeit bekannt geworden ist: das Phenacetin oder 
Acetphenetidin. 

Es ist die Acetylverbindung des Aethyläthers des Parami- 
dophenol, hat die Zusammensetzung 

*'b < nh (C H 3 — Co) 

steht demnach dem Antifebrin sehr nahe. 

Von Prof. Käst und 0. Hinsberg wurde es entdeckt und die 
Farbenfabriken vorm. Bayer u. Co. in Elberfeld stellen jetzt das¬ 
selbe sehr rein als glänzend weisse Krystalle dar, von schwach 
bitterem Geschmacke, die in kaltem und heissera Wasser sowie in 
kaltem Alkohol nur in Spuren, in warmem Alkohol aber leicht lös¬ 
lich sind, um aus letzterem beim Erkalten wieder herauszufallen. 
Auch Glycerin und Schwefeläther lösen erwärmt etwas mehr als kalt. 

Ara leichtesten ist das Phenacetin in Chloroform löslich, aus 
dem es sich erst nach Zusatz von Salzsäure wieder abscheidet. 

Gegen Natron und Kalilaugen in schwacher und starker Con- 
centration, sowie gegen saure Flüssigkeiten, Pepsinlösungen etc. 
verhält es sich völlig indifferent. Sein Schmelzpunkt liegt bei 135° C. 

Um nun zu ^fuhren, wie das Phenacetin den thierischen Orga¬ 
nismus beeinflr vandte ich mich zu Versuchen an Kalt- und 
Warmblütern *r Schwerlöslichkeit des Mittels begegnet man 


natürlich Schwierigkeiten in der reinen und verlässlichen Aus¬ 
führung der Versuche; trotzdem gelang es mir, die physiologische 
Beeinflussung des Organismus der Warmblüter genau zu präcisiren, 
und ich muss daher allen bisher gemachten Beobachtungen früherer 
Autoren entgegentreten, welche alle nur von einer schwach toxi¬ 
schen, nie letalen Wirkung des Phenacetins sprachen, und welche 
erklären, dass das Phenacetin nach übereinstimmenden Thierver¬ 
suchen selbst in grossen Dosen eine unschädliche harmlose Substanz 
sei, die nur vorübergehende üble Wirkungen erziele. 

Ich führe der Reihe nach einige der angestellten Thierversuche 
kurz an: 

I. Einige ccm lauwarmen phenacetinhaltigeu Wassers werden dem 
Frosche subcutan einverleibt. Negatives Resultat offenbar wegen des nur 
in Spuren gelösten Phenacetins. 

II. Oel- und Glycerinphenacetiuemulsionen, in den l.ymphsack der 
Frösche eingetragen, lassen die Thiere ganz unbeeinflusst., weil nach vielen 
Stunden bei Eröffnung des Sackes das Phenacetin sich ungelöst, nicht re- 
sorbirt vorfindet. 

Da bei solchen Resultaten beim Froscho nicht viel Ermunterndes her¬ 
auskam, wandte ich mich bald zu den Warmblütern, speciell zu den Ka¬ 
ninchen: 

III. Kaninchen von 870 g Gewicht, Zahl der Respirationen (R.) ‘25 X 4. 
der llerzcontrationen (H.) 40x4 in der Minute, einer Mastdarmtemperatur 
(M.T.) von 38.2° C, wird mit 1,50 g Phenacetin, das mit Gummi wohl emul- 
girt wurde, durch die Schlundsonde gefüttert. 

3 /a 6 Uhr Fütterung beendet; Thier ist ruhig, putzt sich. 

6 Uhr 4 Min. fängt au leicht zu taumeln. 

6 Uhr 10 Min- stellt sich ausgesprochene Schwäche, Unsicherheit, tau¬ 
melnder Gang ein, «loch erhält sich das Thier noch auf den Beinen. Mast¬ 
darmtemperatur 37,2: also nach V* Stunde schon um 2° C gesunken. 

6 Uhr 20 Min. Thier ermattet, sitzt ruhig, fällt öfter auf die eine 
Körperseite, richtet sich wieder empor; zum Gehen angeregt, taumelt es 
vorsichtig weiter, fallt ein oder das andere Mal zur Seite. 

7 Uhr M.T. = 35,6° C. 

7 Uhr 30 Min. Status idem. 

7 Uhr 55 Min. Thier ist etwas frischer und sicherer, M.T. = 34.K 0 , 
fängt an sich zu erholen, überlebt. 

Während der ganzen Versuchszeit blieben H. und R. ziemlich gleich. 

IV. Kaninchen, 1000 g, H. = 32 X 4, R. = 36 x 4, M. T. = 39.1, 
wird mit 3,00 Ph. durch die Schlundsonde gefüttert. (5 Uhr 55 Min. bis 
6 Uhr.) 

6 Uhr 18 Min. wird das Thier unsicher, fällt zur Seite, richtet sich 
wieder empor. 

6 Uhr 10 Min. urinirt sehr viel uuter heftigstem Schreien 

7 Uhr zunehmende Muskelschwäche, M.T. fallt auf 36,8° C, Ohrmuschel 
und Mundschleimhaut werden blasser. 

7 Uhr 30 Min. das Empfindungsvermögen ist vermindert, Nasen- und 
Cornealreflexe noch prompt. H. und R. dieselbe Schwäche besteht in gleicher 
Weise fort. 

8 Uhr das Thier fällt auf die Seite, respirirt frequenter, kann sich 
nicht mehr emporrichten, ist gelähmt; Haut- und Muskelsensibilität erlischt, 
die Reflexe werden schwächer, M.T. ist auf 34,5 gesunken. 

Um 10 Uhr sind sämmtliche Reflexe erloschen, die Respiration bleibt 
beschleunigt, H. = 39x4; das kalte blasse Thier bleibt gelähmt liegen: 
wird in Tücher gewickelt. Unter sonst gleichbleibendem Bilde erfolgt nach 
16 Stunden seit der Fütterung bei M T. — 31,7 der Tod. 

Die Section ergab beträchtliche Venostasis, Blutcoagula in Vorhöfen 
und Herzhöhlen, eine sehr blutreiche Leber, gelockerte und geröthete Magen¬ 
schleimhaut mit einzelnen Phenacetinkrystallen noch besetzt; die Harnblase 
zum 6 cm langen, 4 cm breiten Sacke ausgedehnt, der mit gelbem leicht 
trübem Harne erfüllt war. / 

Die Untersuchung des Blutes in vivo in Bezug auf Zahl und Beschaffen¬ 
heit der festen Elemente war völlig normal, während bereits 2 Stunden nach 
der Phenacetinfütterung die rothen Blutkörperchen nicht nur blasser, sondern 
alle ohne Ausnahme im Zustande der Schrumpfung sich befanden. 

V. Kaninchen, 650 g; H. = 37 X 4. R. = 26 x 4. M.T. = 38.6. 

4,50 g Ph. werden in Emulsion durch die Schlundsonde gegeben. 

(6 Uhr 35 Min. bis 6 Uhr 45 Min.) 

7 Uhr 30 Min. ist das Thier bereits schwächer, taumelt hin und her. 
Ohren kälter. M.T. = 37,2. 

Zunehmende Mattigkeit, H. = 33 X 4, R. = 28 X 4. 

Um 10 Uhr fallt das Thier auf die Seite, kann sich nicht mehr empor¬ 
richten. respirirt frequenter; Reflexe und Sensibilität nahezu erloschen. Ver¬ 
such wegen vorgerückter Stunde unterbrochen. In der Frühe des nächsten 
Tages, also nach weiteren 11 Stunden, fand ich das Thier in derselben Lage, 
mit sehr frequenter Respiration, II. = 33 x 4. Corneal- und andere Reflexo 
total erloschen. Zeitweise erfolgen krampfartige Zuckungen an allen 4 Ex¬ 
tremitäten; Haut und Schleimhäute sind sehr cyanotisch. M.T. des nicht 
eingewickelten Thieres sank auf 26o C. Nach 30 Stunden seil der Fütterung 
erfolgt der Tod. 

Der Sectionsbefund ergiebt wieder venöse Stauung. Blut- um! Faser¬ 
stoffgerinnsel im Herzen, Röthung der Magenschleimhaut, sehr ausgedehnte 
gefüllte Harnbinse. Der Blutbefund ist derselbe wie in IV. 

VI. Kaninchen, iOOO g; II. = 33 x 4. R. = 25 x 4. M. T. = 39. 
4,80 g Ph. werden in Emulsion in den Mund gefüttert (12 Uhr bis 12 Uhr 
8 Min.). 

12 Uhr 40 Min. fallt das bislang ruhige Thier taumelnd um, bleibt 
seitlich liegen, ohne Zuckung, ohne Krampf. II. = 34 x 4, R. = 27 x 4, 
M.T. = 36, also bereits Abfall um 3° C. Auf starken Reiz erfolgt Reaction, 
die Reflexe sind noch erhalten; zunehmende Schwäche. 



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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 50 


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12 l'hr 50 Min. 1,00 g Aetber sulfur. subeutau; nur momentan scheint 
das Thier sich emporzurichten, fällt wieder zur Seite und bleibt liegen wie 
früher; es lässt sich eben die Muskelschwäche durch Excitantia nicht be¬ 
seitigen. R. und H. werden schneller (Aetherwirkung), um nach und nach 
wieder zur früheren Norm zurückzukehren (Erlöschen der Aetherwirkung). 
Das Thier verharrte immer in gleicher Lage. 

7*2 Uhr wird der rechte N. ischiadicus frei präparirt; dabei zeigt 
sich, dass die Muskeln ihre ganze Empfindlichkeit eingebüsst haben, dass 
das Thier völlig reactionslos gegenüber diesem Eingriff ist. 

Auf elektrische Reizung des Ischiadicus erfolgen Zuckungen der Extre¬ 
mität, nach Durchtrennen desselben und Reizung des peripheren Stumpfes 
ebenfalls Zuckungen. 

Auch der Muskel für sich ist gegen den elektrischen Strom erregbar. 

Vs2 Uhr M.T. = 34,5. 

6 Uhr: Nur mehr Comealreflex erhalten, sonst Status idem H. = 
30 X 4, R. = 20 X 4, M. T. = 32,3 °. 

6 Uhr 30 Min.: Strychnin, nitric. 0,007 g subcutan. 

6 Uhr 35 Min.: Thier ruhig. 

6 Uhr 40 Min.: Thier ruhig. 

6 Uhr 45 Min., also erst nach 15 Minuten, erfolgt, uud da nur auf 
heftiges Beklopfen des Tisches, ein leises einmaliges Zusammenzucken. 

6 Uhr 50 Min. erfolgt der erste selbstständige aber sehr kurze Tetanus. 

fi Uhr 52 Min. ein zweiter, Pause bis 6 Uhr 56 Min., hierauf ein 
dritter, 6 Uhr 58 Min. Herzstillstand. 

VH. Kaninchen. 900 g, H = 38 x 4, R. = 24 X 4, M. T. = 38,9. 
Unterbindung der linken Art. cruralis; nachträgliche Fütterung mit 5,20 Phe¬ 
nacetin (6 Uhr bis 6 Uhr 10 Min.). 

Schon nach 25 Minuten tritt allgemeine Schwäche, Muskelzittern auf, 
das Thier taumelt, fällt zur Seite, bleibt gelähmt auch an der mit der Ligatur 
behafteten Extremität liegen. Die Sensibilität ist auffallend rasch herab¬ 
gesetzt. 

6 Uhr 40 Min. erfolgt ein kurzdauernder Streckkrampf der vorderen 
Extremitäten mit Opisthotonus; dieser vorübergehende Rückenmarksreiz¬ 
zustand macht rasch einer bleibenden motorischen und sensiblen Lähmung 
Platz. Von den Reflexen ist nur der der Cornea auslösbar. H. = 35 X 4, 
R. — 17 x 4, M. T. = 35,4. (Thier eingewickelt). 

6 Uhr 50 Min. wird die Haut der ganzen linken hinteren Extremität 
abprüparirt, die Muskeln mit der Schere abgetragen, ohne dass auch nur eine 
eiseste Reaction des’ : Thieres in motorischer oder sensibler Hinsicht erfolgte. 
Her/ und Respiration gehen ruhig weiter. 

7 Uhr 1Ö Min. wird der rechte N. ischiadicus blosgelegt, in den Lud¬ 
wig’sehen Reizträger eingeschaltet, das centrale Nervenende zerstört und 
der Inductionsstrom ausgelöst. Jedesmal erfolgt Zuckung der Extremität, 
die bei Stromunterbrechung aufhört. Der motorische Nerv ist nicht ge¬ 
lähmt, bleibt vom peripheren Stumpfe aus erregbar, auch die Muskelirrita¬ 
bilität ist vollkommen normal geblieben. 

7 Uhr 40 Min. H. = 31x4, R. = 20 X 4, M. T. = 33,5o C. Auch 
der Comealreflex erloschen. 

7 Uhr 44 Min. 0,003 g Strychnin, nitr. subcutan. 

8 Uhr 10 Min., also nach 26 Min. erst, erfolgt auf Beklopfen des 
Körpers eine einmalige Zuckung des Thieres; von da an wiederholen sich 
Einzelzuckungen meist nur nach Berührung, und es tritt nach einigen 
Stunden Erschöpfung ein. Zu einer echten Strychninwirkung kam es gar 
nicht. 

VIII. Kaninchen, 600 g, H. = 35 X 4, R. -- 25 X 4. 

6 Uhr 15 Min. werden 0,50 Phen. in wässeriger, alkoholischer, warmer 
Lösung subcutan applicirt. 

6 Uhr 20 Min. Thier auffallend ruhig, hält die Augen geschlossen, 
gestnssen öffnet es dieselben. 

6 Uhr 25 Min. wird schwach, verliert das Gleichgewicht, fallt zur 
Seite, richtet sich empor, geht taumelnd weiter; fällt wieder seitwärts etc. 
Nach einer Stunde fangt es sich wieder zu erholen an. 

Aus diesen und anderen Versuchen an Warmblütern entnehmen 
wir folgende physiologische Wirkung des Phenacetins: 

Das Phenacetin wirkt auf Warmblüter giftig ein, wenn es sub¬ 
cutan, oder in den Magen einverleibt wird; bei letzterer Darreichungs¬ 
weise benöthigt man grosser Gaben, um Intoxicationserscheinungen 
hervorzurufen. Nach kleinen Dosen 0,15—0,20 g p. Kilo Kaninchen 
tritt absolut keine Veränderung im Verhalten der Thiere ein, auch 
können dieselben oder doppelten Gaben längere Zeit hintereinander 
fortgesetzt werden, ohne nur eine merkliche Veränderung hervor¬ 
zurufen. Dosen von 0,50 Ph. subcutan, oder 1,00 g intern p. 1 Kilo 
Thier erzeugen bereits Erscheinungen der Unsicherheit und Muskel¬ 
schwäche, die nach einigen Stunden meist wieder schwinden. 

Dosen von 3,00 Ph. aufwärts p. 1 Kilo Kaninchen wirken meist 
immer letal, u. z. folgt einem äussert kurzen Reizungsstadium (VII) 
rasche Lähmung der Centralorgane des Rückenmarkes, damit ein¬ 
hergehende entsprechende Lähmung der Muskeln, deren Irritabilität 
aber völlig intact bleibt, auch vom peripheren Ende des durch¬ 
schnittenen Nerven aus erfolgen Contractionen des gelähmten 
Muskels, es handelt sich eben um keine periphere, sondern um eine 
centrale Lähmung. Gleichzeitig mit der Lähmung der motor. Centren 
sinkt das Empfindungs- nud Reflexvermögen, um schliesslich ganz 
zu verschwinden. In diesem Zustande kann man an Thieren operiren 
wie man will, sie reagiren nicht, empfinden nichts und sind ge¬ 
lähmt. Wir scheu also auf der Höhe der Phenacetinwirkung das 
Bild vollständiger Rückenmarkslähmung. Erst nach Stunden erfolgt 
auch Erschöpfung des Atheineeutrums und Herzstillstand, währeud 


welcher Zeit sich tiefgreifende Veränderungen im Blute entwickelt 
haben. Dass wir einen gewissen antagonistischen Gegensatz zur 
Strychninwirkung vor uns haben, lässt sich nicht verkeonen; phen- 
acetinisirte Thiere vertragen auffallend gut grosse Dosen Strychnin. 
Wenn wir nun die Wirkung des letzteren dahin präcisirt wissen, 
dass es die reflexhemmenden Centren im Rückenmarke lähmt (Noth¬ 
nagel), oder Widerstände der Erregungsleitung in der Verbindung 
| der einzelnen Gangliengruppen vermindert (Bernstein), dass es 
aufs ganze Rückenmark und nicht specifisch primär (S. Mayer) 
aufs verlängerte Mark wirkt, so können wir doch nicht bestimmt 
und präcise sagen: das Phenacetin wirkt reizend auf die reflex¬ 
hemmenden Centren der Medulla spinalis, vermehrt die Widerstände 
der Erregungsleitung der Ganglienzellen unter einander; wir sagen 
kurz: es vermindert, lähmt die Erregbarkeit der reflexvermittelnden 
Ganglien, lähmt die motorischen und sensiblen Centren. Die Wirkung 
erstreckt sich aufs ganze Rückenmark, ergreift endlich das ver¬ 
längerte Mark und führt zur Lähmung des Atbemcentrums und 
Stillstand der Respiration. Letztere könnte auch bedingt sein durch 
Lähmung des Athemcentrums in Folge veränderter Blutbeschaffen¬ 
heit, die sich in Schrumpfung der rothen Blutkörperchen und Auf¬ 
treten von Methämoglobin kund giebt; auch zeigten die weissen 
Blutkörperchen nicht mehr jene aroöbenartige Bewegung wie vor 
der Vergiftung. Und wenn wir nun auch erfahren, dass bei Thieren 
mit unterbundener Art. crural. gleichzeitige Lähmung auch dieser 
Extremität eintritt, so werden wir nicht irren, wenn wir sagen: das 
Phenacetin wirkt direct auf das Rückenmark. 

Was den Herzmuskel anlangt, so sahen wir niemals eine un¬ 
günstige Beeinflussung desselben durch Phenacetin. Die am Menschen 
aufgenommenen sphygmographischen Pulscurven, sowohl nach ein¬ 
maligem, als länger fortgesetztem Gebrauche dieses Mittels, werden 
dies erhärten. 

Was die Temperatur anlangt, so sehen wir schon uach Gaben 
von 1—1,50 g Ph. p. 1. Kilo Thier wesentlichen Abfall dersel¬ 
ben von 39,2 auf 37,2 innerhalb 8 /4 Stunden, im weiteren Verlaufe 
ein Sinken auf 35, 34 und darunter. Bei noch grösseren Gaben ist 
ein entsprechend rascheres und tieferes Sinken der Eigenwärme zu 
erkennen, u. z. bei Thieren, die, nachdem sie gelähmt sind, vor der 
Abgabe ihrer Wärme durch Einwickelungen geschützt wurden. Ueber 
die Beeinflussung der Eigenwärme gesunder Menschen berichte ich 
später. 

Von den Verdauungsorganen bemerkteich am Magen meist 
Röthung und leichte Schwellung der Schleimhaut; es gelangt von 
hier aus das Phenacetin zur Resorption, denn im Dünndarm der 
Versuchsthiere fand sich bereits nichts mehr davon vor. Wenn es 
uns auch nicht gelingt, das Phenacetin versuchsweise in saurem 
Magensafte bei Körpertemperatur zu lösen, wenn es sich auch den 
Pepsin-Salzsäure-Lösungen, Pankreasextracten u. s. w. gegenüber 
vollkommen indifferent verhielt, so spielen doch eben am Leben¬ 
den während des Verdauungsactes viele Momente mit, die sich noch 
unserer Beobachtung entziehen und die Resorption derartiger Stoffe 
bewirken. 

Die Darmperistaltik wird auf alle Fälle eine etwas regere. 

In Bezug auf die Ausscheidung müssen wir wohl sagen, dass 
das Acetphenetidin zum grossen Theil wohl unverändert den Körper 
im Harne verlässt, dass es eine Vermehrung der ausgeschiedenen 
Schwefelsäure bedingt, dass die Harnmenge selbst auffallend ver¬ 
mehrt ist, der Harn höher gefärbt und von höherem spec. Ge¬ 
wichte wird und in vielen Fällen eine positive Trommer sehe 
Reaction giebt. Es ist aber nicht Zucker, der die Reduction der 
alkalischen Kupfersulfatlösung bedingt, wie uns der Polarisations¬ 
apparat lehrt, sondern es ist eben das Phenacetin wie z. B. Chloral- 
hydrat eins jener Mittel, nach deren Genuss eine linksdrehende, 
alkalische Kupferlösung reducirende Substanz im Harne auftritt. 

Um nun das Phenacetin im Harn nachzuweisen, bedienen wir 
uns folgender Reaction: 

Der Harn wird mit concentrirter Salzsäure gekocht, mit einer 
concentrirten doppeltchromsauren Kalilösung versetzt, und etwas 
Carbolsäure hinzugefügt; der Harn nimmt darauf eine braunrothe 
Farbe an, die auf Zusatz von Ammoniak blau wird. 

Die therapeutische Verwendung dieses Mittels muss schon nach 
unseren Thierversuchen in zwei getrennten Wirkungskreisen sich be¬ 
wegen: wir betrachten das Phenacetin I. als Antipyreticum, und II 
als Nervinum. 

Bei sonst gesunden nicht fieberndeu Menschen erzeugen Galten 
von 0,10—2,00 g eine Erniedrigung der Eigenwärme um einige 
Zehntel bis 1° C. rufen ausser einer leichten Feuchtigkeit der Haut. 

■ vielleicht auch einer geringen Urinvermehrung, keine üblen Neben¬ 
wirkungen hervor. Magen. Darm- und Sinnesorgane bleiben unbe¬ 
einflusst. Bei schwächlichen, anämischen, etwas herabgekommenen 
Personen können aber, wie dies auch Hoppe berichtet, schon narh 
i Gaben von 1.80 g an Erscheinungen von Mattigkeit Schwindel. 


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13. Deeember. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Giihueu, Ueblichkeiteu u. s. w. auftreten, Erscheinungen, die nach 
2—3 Stunden völlig wieder vorüber sind. Handelt es sich aber 
um fieberhaft Erkrankte, gleichgültig welcher Natur immer das 
Fieber ist, so sind wir im Stande, durch Phenacetin die Eigenwärme 
immer herabzusetzen. 

Ko bl er behandelte auf der Klinik des Professor Bamberg er 
in Wien 50 Fälle verschiedener fieberhafter Erkrankungen anti¬ 
pyretisch mit Phenacetin. Tuberculose (11), Pneumonie (10), 
Typhus abd. (7), Morbilli (6), Sepsis puerperalis (4), Pleuritis (3), 
Pyämie (2), Typhus-Recidive (1), Meuiugitis cerebrospinalis (1), 
Peritonitis ac. purul. (1), Peritonitis tubercul. (1), Perityphlitis (1), 
Parametritis (1), Angina (1). Hoppe: Leukämie, Typhoide. Pneu- 
monieen, Catarrh. ventric. ac., Scarlatina diphter. etc., Rumpf: 
Erysipel, Lepine: Typhus. Rhoden: Rheumatism. art. ac. etc. 
Immer konnte die kräftige antifebrile Wirkung des Phenacetins con- 
statirt werden. 

Auch ich wandte das Mittel bei den verschiedensten fieberhaften 
Processen an, an deren Eiuzeibesprechung ich jetzt geben will. 

Ich stelle in den Vordergrund die Behandlung der Polyarthritis 
rheumatica acuta, nicht nur weil das Phenacetin hier seine günstige 
temperaturerniedrigende Eigenschaft zeigt, sondern weil es mir 
„specifisch“ den Gelenkrheumatismus zu beeinflussen 
sclieiut. Ich will einige Beispiele uud klinische Beobachtungen 
anführeu: 

1. Riotto, Ed., 15jähr. Ziegelarbeiter aus Udine, sucht am 27. April 
1888 Spitalshülfe wegen seit 2 Tagen bestehender Röthnng, Schwellung und 
Schmerzhaftigkeit der linken Fingergelenke, beider Knie- und Sprunggelenke. 
Nie früher Gelenkrheumatismus Überstunden. Diagnose: Polyarthritis rheu¬ 
matica acuta: keine Endocarditis. 

Temperaturen waren folgende: Am ersten Tage: 

8 Uhr früh — 38 

~ oo’r Um 4 Uhr uud 5 Uhr je 0,30 Phen. 

" " _ Eiue halbe Stunde nach der Einnahme trat jedes- 

g “ _ mal Schweiss auf. 

8 - = 37^6 

Die Hammenge war 970 cem vom spec. Gew. = 1025, ohne Eiweiss 
und Zucker. 

Am 28. April, also am zweiten Tage: 

8 Uhr - 38 

12 ' - Sfi 8 Um 9 Uhr > 10 Uhr ’ 4 Uhr J e °’ 30 

2 ’ LI n Einstüudiger Schweiss, je ‘/a Stunde nach der Einnahme 

“ des Pulvers aufgetreden. 

8 _ v- 37*4 

Die Hammenge war 980 ccm vom spec. Gew. — 1027, ohne Eiweiss 
und Zucker. Die Röthung der Gelenke und insbesondere deren Schmerz¬ 
haftigkeit hat auffallend nachgelassen. 

Am 29. April (3 Tag): 

8 Uhr = 37,2 

w " ~ o-'= Um 12 Uhr, 4 Uhr je 0,40 Phen. Schweiss wie früher, 

„ " “ nn\ nach der letzten Dosis keine Schmerzen in den Gelenken 

^ mehr, die Schwellung nahezu ganz verschwunden. 

8 I = 36*S 

Harnmenge = 980, vom spec. Gew. = 1030, ohne Eiweiss und Zucker. 
Am 30. April (4 Tag) volle Apyrexie, noch 2 Mal 0,40 Phen. absolut 
keine Geleukerscheiuungen mehr; keine Recidive, subjectives Wohlbefinden; 
Patient verlässt nach einigen Tagen weiterer Beobachtung das Spital. Wäh¬ 
rend der ganzen Dauer war jede andere Gelenkbehandlung durchaus aus¬ 
geschlossen. 

2. Di Giusto, Franz, Ziegelarbeiter aus Röflach, 24 Jahre alt, kommt 
am 26. April lS'di zur Aufnahme; ist seit 5 Tagen fieberhaft erkrankt unter 
schmerzhafter Schwellung beider Knie- und Sprunggelenke, des rechten 
Finger- uud des linken Ellbogengelenkcs. Zweimal schon ac. Gelenkrheu¬ 
matismus überstanden. 

Diagnose: Polyarthritis ac., Endocarditis. 

Die Temperaturen waren am 

27. April: 

8 Uhr = 38,9 

9 - ~ qo p Um 9 Uhr früh und 4 Uhr Nachmittag je 0.30 Phen. 

~ o -L Schweiss nach dem Pulver. 

a ~ ZL qo’ b Die Hammenge (H.M.) betrug 1000 ccm, vom spec. Gew. 

4 ■ o =1010. ohne Eiweiss und Zucker, 

b M = o o 

8 . = 37,3 

28. April (2. Tag): 

6 Uhr 38 

8 . = 37,7 

9 r = 37,9 Um 9 Uhr und 5 Uhr je 0,50 Phen. sehr starker Schweiss; 

10 _ = 37,2 die Empfindlichkeit der Gelenke etwas geringer. 

12 - = 36,8 H.M. = 1100. spec. Gew. 1018, ohne Alb. und ohne Sacch. 

4 , = 36,9 
8 „ = 36,2 

29. April: 

8 Uhr = 36,5 Um ^ Uhr, 12 Uhr, 4 Uhr je 0,30 Phen. Schmerzhaftig- 

10 „ =37 keit aller Gelenke bis auf die des linken Ellbogengelenkes 

12 „ = 37,4 verschwunden, nur noch geringe Schwellung zweier Finger- 

4 * = 36,f gelenke. 


30. April vollkommene Apyrexie, trotzdem noch dreimal 0,20 Phen. 
pro die 

1. Mai völlige Euphorie; Aussetzen mit Phen. 

5. Mai Recidiv im linken Schultergelenke ohne besonderen Tempera¬ 
turanstieg, auf zweimal 0,60 Phen. schwinden nach 2 Tagen die Schmerzen, 
die Beweglichkeit des Armes wird wieder hergestellt. 

Die H.M. = 1100, spec. Gew. = 1026 ohne Eiweiss. aber Trommer’- 
sclie Probe positiv. 

Patient bleibt durch mehrere Tage noch beobachtet, verlässt das Spital 
geheilt von der Arthritis, nicht von der Endocarditis. 

Auch hier war jede weitere Gelenkbehaudlung ausgeschlossen. 

3. Steiner, Josef, 41 Jahre, Sträfling aus der Anstalt Karlau, lag 
14 Tage im Strafhausspitale wegen heftigen fieberhaften Rheumatismus im 
linken Knie- und Hüftgelenk. Salicylbehandlung mit negativem Erfolge. 

Patient wächst am 6. Mai 1888 zu mit hochgradiger Schwellung und 
Röthung des rechten Sprung- und Knie-, des linken Knie- und Hüftgelenks. 
Vor 20 Jahren zum ersten Male Gelenkrheumatismus Überstauden. 

Diagnose: Polyarthritis ac. Herz frei. 

Am 6. Mai: 4 Uhr - 39,5 


’/at) 

6 

8 

9 

10 

12 

Am 7. Mai: 


= 39 
= 38 
= 37,5 
= 37,6 
= 37,8 
= 37,8 


4 Uhr 0,(>0 Phen., darauf ein 
einstündiger Schweiss. 


Fr. 8 Uhr 

= 38,9 

Va 10 „ 

= 38,7 

Val 2 „ 

= 38 

2 n 

= 38 

4 _ 

= 38,5 

5 * 

= 38,1 

7 „ 

= 37 

10 „ 

= 36,5 

12 „ 

= 36,3 

Am 

8. Mai 


Um 


9 Uhr 0,60 Phen., 
4 Uhr 0,90 Phen., 


darauf dreistündiger Schweiss, 
darauf bis um 8 Uhr Abends 
dauernder Schweiss. Die Schmerzhaftigkeit des linken 
Knie- und Sprunggelenks hat ganz nachgelassen. 


allen ergriffenen Gelenken bemerken. 

Die Temperaturen waren um 37,5° C. — Zweimal 0,60 Phen. p. die. 

Am 9. sind die Gelenke wieder völlig normal, Apyrexie und Euphorie, 
kein Phenacetin mehr. 

Patient verlässt am 11. Mai 1888, also nach 5 Tagen, befreit von dem 
schweren Gelenkrheumatismus, das Spital. 

Auch hier war ausschliessliche Phenacetinbehandlung. Der Ham stieg 
in seinem spec. Gew. von 1017 auf 1024. nicht so in der Menge, auch blieb 
die Trommer’sche Reactiou negativ. 

4. Peitler, Georg, 17jähr. Lehrling aus Trofaiach, sucht am 3. Mai 
1888 Aufnahme in’s Spital; er leidet seit 7 Tagen an schmerzhafter Schwel¬ 
lung beider Sprunggelenke, des linken Knie- und Handgelenks. Mit dem 
12. Jahre zum ersten Male Gelenkrheumatismus überstanden, litt er seither 
mehrfach an Recidiven. 

Bezeichnet« Gelcuko sind beträchtlich geröthet und geschwellt. 

Diagnose: Polyarthritis rheum. acut.. Endocarditis. 

Temperaturen: Am 3. Mai: 

4 Uhr = 38,7 

Um ‘/>5 Uhr 0,50 Phen., darauf 


5 

7 

8 
10 

Am 4. Mai: 
8 Uhr = 38.6 


=-- 38,5 
= 37,2 
= 36,7 
= 36 


*/a5 Uhr 0,50 Phen., 
leichter Schweiss. 


10 

12 

1 

4 

6 

8 

10 

12 


= 37,8 
= 36,4 
= 36 
= 38 
= 37,6 
= 36,2 
= 36.1 
= 37 


Um ‘,s9 Uhr früh und 4 Uhr Nachmittags je 0,90 Phen., 
darauf einstündiger leichter Schweiss; Schmerzen geringer, 
sonst Status idem. 


Um 4 Uhr 0,90 Phen., 
Schwellung und Schmerzen geringer. 


Am 5. Mai: 8 Uhr = 37,2 
12 „ =37,4 
4 „ =38,3 
8 , =36,6 
10 * =35 

Am 6. Mai sind alle ergriffenen Gelenke frei; Apyrexie uud Wohlbefinden. 
Aus Vorsicht uoch 2 Mal 0,30 Phen. 

Weitere sechs Tage der Beobachtung ergeben sich als völlig fieberfrei 
und lassen nirgends ein Recidiv erkennen, Patient verlässt genesen am 
12. Mai das Spital. Auch hier war jede andere Behandlung ausgeschlossen. 

5. Nimpfer, Johann, 45 Jahre, Tagelöhner, leidet seit 8 Tagen au 
schmerzhaften Schwellungen beider Knie- und Sprunggelenke, beider Schulter- 
und fast sämmtlicher Handgelenke; seit 2 Tagen trat auch schmerzhafte 
Röthung in der linken Hüfte auf. Sucht am 12. Mai 1888 mit 39° C Tem¬ 
peratur das Spital auf. 

Diagnose: Polyarthritis rheumat. ac. ohne Endocarditis, die Eigen¬ 
wärme verhielt sich folgendermaassen: 

Am 12. Mai: 

4 Uhr = 39 

7 " ZI ’/aS Uhr 0,90 Phen. — Es erfolgt ein zweistündiger 

R ” “ q 7 i Schweiss, und darauf Schlaf. 

4 “ ~ gßg Der Har» ist fiweisshaltig. 

10 " = 36, 


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1030 DEUTSCHE MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. No. 50 


Am 13. Mai: 
früh 8 Uhr = 38,2 

10 , = 37,8 

11 - = 37,5 

12 „ = 37,2 

1 _ 37 4 

* " _ „ ß 5 Die Gelenkschwellungeu sind dieselben; 

\ " - « um 7*10 Uhr früh und 4 Uhr Nachmittags je 0,90 

' " ” Phen. Wie gewöhnlich heftiger Schweissausbruch, 

* r __ „g’. 1—2 Stunden andauernd. Um 7 Uhr Abends dieses 

fi ’ = oo’ Tages sind die Gelenkschmerzen, die Röthe und 

7 " ~ 37 g Schwellung auffallend geringer. 

8 l = 37’,4 
y „ =37 

10 - = 37,8 
12 * — 37,2 

Am 14. Mai sind bereits Temperaturen folgende: 

8 Uhr = 37,5 
12 - = 37,4 
4 „ = 37,5 

doch werden um 8 Uhr und 4 Uhr noch je 0,90 Phen. ordinirt, die er¬ 
krankten Gelenke nut mehr wenig geschwellt, dagegen die Sternocostal- 
Gelenke linkerseits recht empfindlich, 

am 15. Mai hielten sich die Temperaturen auf 37° C, doch nimmt 
Patient noch um 7*10 Uhr 0,30, und um 4 Uhr 0,90 Phenacetin, 

am 16. Mai sind die Sternalgelenke wieder völlig normal, die Eigen¬ 
wärme constant afebrii, die Harnmenge steigt otwas und verliert das Eiweiss; 
Patient nimmt noch 2 Mal 0,90 Phen. p. die. 

am 17. Mai erleidet er ein Recidiv im linken Acromio-Clavicular- 
gelenk ohne Fieberexacerbirung; selbe schwindet auf weitere 2 Mal 
0,90 Phen , 

um 18. Mai sind sämmtliche Gelenke wieder normal, und kann i’utient, 
da kein weiteres Recidiv eintritt, am 25. Mai genesen entlassen werdin. 

Auch in dem Falle wurde sorgfältig jede audere Gelenkbehandlung 
gemieden. (Fortsetzung folgt.) 

IV. Ueber Kehlkopftuberculose, ihre 
Behandlung und Heilung. 

Von Dr. Keimer, 

Specialist für Nasen-, Hals- und Ohrenleiden in Düsseldorf. 

(Fortsetzung aus No. 49.) 

Der fünfte und sechste Fall bieten in sofern etwas Gemeinsames, als 
es sich bei beiden um einen ausgedehnten geschwürigen Process der Pars 
interarytaenoidea handelte; ich kann Ihnen beide Patienten leider nicht 
vorstollen, da beide nicht in Düsseldorf selbst wohnen. 

Der eine. Herr 0. aus Gr., entstammt einer stark belasteten Familie, 
wo schon der Vater und einige Geschwister der Tuberculose zum Opfer ge¬ 
fallen sind. Er selbst fühlte sich seit einem Jahre sehr herunter, war 
sehr nervös, litt an Herzpalpitationen, Kopfdruck, Gedächtnissschwäche, 
Unfähigkeit zu anstrengender geistiger Arbeit etc. etc. und bot das typische 
Gesammtbild eines Neurasthenikers. Seine Lungen wurden vielfach und | 
von sehr competenter Seite untersucht und nie etwas gefunden. Im Fe¬ 
bruar vergangenen Jahres wurde er etwas heiser, batte bald mehr, bald we- ! 
niger Stimme, zeigte aber selbst an den besten Tagen noch eine gewisse i 
Umflorung derselben. Anfangs Mai 1887 untersuchte ich den Patienten 
zum ersten Male. Ich fand einen kleinen, zarten Herrn mit überschwäng¬ 
lichen Klagen über alle möglichen und unmöglichen Empfindungen und i 
Krankheitserscheinungen. Bei der Inspection des Larynx fand sich in der 
Reg. interarytaenoidea ein ziemlich grosses, schmutzig belegtes Ulcus, an 
einzelnen Stellen mit papillären Excrescenzen besetzt, und starke Infiltration 
der Umgebung, welche bis zu den Santorin’schen Knorpeln hinaufging. 
Das Ulcus machte ganz den Eindruck des tuberculösen. Die Lungen waren i 
absolut frei. In den mit der Krause’schen Curettc abgekratzten Gewebs- 
partikeln des Geschwürbodens fanden sich verschiedene Male Bacillen. 
Nächtliche Schweisse fehlten, der Husten war kurz, ohne Secret, der Appetit 
war massig. Die schon damals gefasste Meinung, dass es sich hier um eine 
primäre Tuberculose des Larynx handele, wurde in der Folge für mich 
ziemlich unumstösslich, da die Lungen immer frei blieben, und mit der 
ziemlich raschen Vernarbung des Ulcus und den entsprechenden hygieni¬ 
schen und diätetischen Maassnahmen auch das ganze Befinden wieder ein 
mehr normales wurde. Es ist in diesem Falle der Schluss wohl nicht als 
zu hypothetisch anzusehen, dass bei der vielfachen Gelegenheit, Bacillen in 
sich aufzunehmen, während der Pflege des in Extremis der Lungenphthise 
sich befindenden Vaters unter Einfluss der augeborenen Disposition und der 
bedeutenden Schwächung des ganzen Organismus durch das nervöse Leiden 
vielleicht unter Mitwirkung eines Larynxkatarrhes eine lnfection der Rimula 
zu Stande kam, und sich so langsam hier der tuberculose Process entwickelte, 
ohne bis dahin auch secundär die Lungen zu afficiren. — Es wurde auch 
hier eine Milchsfiurebehandlung durchgeführt. welche mit 4maligem Cnrette- 
meut combinirt war. 

Patient hielt sehr gut, so dass ich später immer das Ulcus mit Acid. 
lact. pur. abrieb, was ohne besonders starke Keaction gut vertragen wurde. 
Innerlich wurden Crcosotcapsules gereicht in ziemlich rasch steigender Dosis. 
Täglich wurden 2'/'j I Milch, * a Flasche guten Rheinweines und etwas Bier 
verzehrt, nebenbei mit steigendem Appetit auch entsprechend Fleisch und 
Eier. Es wurde jede zweite Stunde gegessen. Patient befand sich fast be¬ 
ständig in frischer Luft,, arbeitete im Garten, machte Spaziergänge und 
schlief stets bei offenem Fenster. Jeden Morgen wurden kühle Abreibungen 
des ganzen Körpers vorgenommen. Nach 8 Wochen war das Ulcus voll¬ 


kommen und fest vernarbt, das Befinden war ein recht gutes geworden. Es 
wurde eine Gewichtszunahme von 12 Pfd. coustatirt; Patient sah blähend 
und frisch aus, und seine Leistungsfähigkeit hatte sich entsprechend ge¬ 
hoben, wenngleich alle geistige Thätigkeit, Lesen, Anfertigen schriftlicher 
Arbeiten und das Führen der Geschäftsbücher bald Ermüdung, Druck im 
Kopfe und Schwindel bewirkte. Ich habe den Patienten noch vor 8 Tagen 
gesehen und bin mit seinem Befinden sehr zufrieden gewesen, die Narbe der 
Rimula ist recht fest, auch die Infiltration der Umgebung ist wesentlich 
geringer, wennschon dieselbe nicht vollkommen geschwunden ist. (Auch 
heute. 28. März, finde ich denselben guten Befund, Patient will wieder eine 
Stelle annehmen, wobei er besonders darauf achten wird, dass er sich viel 
in frischer Luft aufhalten kann.) (Auch am 15. August ist der Kehlkopf 
gesund, die Lungen sind frei, das Befinden ist sehr gut, und hat Patient 
wieder eine .Stelle angenommen.) 

Bei dem Falle 6, einem früheren Fabrikarbeiter, jetzigen Spezereihändler 
B. aus Oberbilk, war die tuberculose Affection des Larynx fast genau die¬ 
selbe. Patient hat schon seit Jahren gehustet, bekam dann im Herbst 1886 
eine tuberculose Affection des rechten Handgelenks, weswegen in Köln eine 
Resection desselben gemacht wurde, und wurde im Winter 1887 heiser. 
Ich sah denselben auf Ersuchen unseres Mitgliedes, des Collegen Beck. 
Anfangs April 1887 zum ersten Male und fand damals eine pilzförmige 
Wucherung in der Rimula mit geschwürigem Zerfall. Beide Lungen waren 
angegriffen. Erst am 5. Juli konnte Patient in meine Behandlung treten, 
da es erst damals mit seiner Hand so weit besser ging, dass er sich wieder 
frei zu bewegen vermochte. Das Ulcus war tiefer geworden und zeigte einen 
wallförmigen Rand, glücklicherweise war aber keine besondere Infiltration 
der übrigen Kehlkopftheile vorhanden. Da Patient anfangs sehr empfindlich 
und schlecht zu spiegeln war, so wurde die Cur mit 20procentigem Men¬ 
tholöl begonnen und damit eine zwar nicht rasche, aber unverkennbare Rei¬ 
nigung des Geschwürs und gesunde Granulationsbildung erzielt Innerlich 
wurde sofort Creosot gegeben und gut vertragen, nebenbei die oben ange¬ 
führten diätetischen und hygienischen Maassnahmen; 4 mal täglich wurde 
Mentholöl mittelst der von Schmidt angegebenen Vorrichtung eingeathmet. 
da viel Auswurf vorhanden war. Nach 4 Wochen war Pat. so weit vorbe¬ 
reitet, dass ich zur Milchsäurebehandlung übergehen konnte, welche mir 
trotz der unverkennbar guten Wirkung des Menthols doch rascher zum Ziele 
i zu führen schien. Anfangs mit 20procentiger Lösung beginnend, kam ich 
| langsam auf eine 60procentige, höhere Concentrationen riefen zu starke 
j Roaction, namentlich dünne croupöse Beläge der umgebenden gesunden 
Schleimhaut hervor, worauf dann immer 3 Tage Pau9e eintreten musste. 
I Am 14. September 1887 war eine ganz feste Narbe erzielt; das Gewicht 
hatte um 4 1 /* Pfund zugenommen, der diffuse Katarrh war bedeutend ge- 
i ringer und damit der Auswurf viel vermindert. Pat. nahm Creosot weiter 
i und setzte nur von Mitte October bis Anfang December aus, während dessen 
Leberthran genommen wurde, die Mentholinhalationen wurden fortgebraucht. 
Ich sehe den Patienten etwa alle 6 Wochen und bin bei seiner letzten Prä¬ 
sentation sehr zufrieden gewesen, wie das Wohlsein desselben von Herrn 
Collegen Beck Ihnen bestätigt werden kann. Die Narbe ist fest geblieben 
und der Kehlkopf normal, der Lungenbefund ist günstig, und giebt der 
Kranke selbst an, dass er sich iu keinem Winter so gut gefühlt habe, 
wie jetzt. (Seit der Ablieferung dieser Arbeit (am 1. April 1888) hat sich 
der Zustand bedeutend verschlechtert, wozu namentlich die Affection de» 
Handgelenks Veranlassung gab. Der Arm musste amputirt werden, der 
Process auf den Lungen schritt rasch vorwärts, so dass der Exitus letalis 
bald zu befürchten steht. Ueber den Kehlkopfbefund kann ich nichts be¬ 
richten.) 

Meinen 7. Fall sehen Sie fiier. Derselbe entstammt dem hiesigen Marien¬ 
hospitale, dessen Chefarzt, der Herr College Strüter, die Güte hatte, ihn 
mir zur Behandlung des Kehlkopfes zu überlassen. Es ist der Arbiter L 
von hier. Er entstammt einer tuberculösen Familie uud liatte schon v.»r 
einigen Jahren starke Hämoptoe, welche sich auch im letzten wiederholle. 
Es waren ausgebreitete Lungenerscheinungen vorhanden. Die rechte Kehl¬ 
kopfseite war gesund, links fand sich das falsche Stirarahand in einen dicken 
ausgefressenen und ausgezackten Wulst verwandelt, vom wahren Stimmhand 
war nichts zu sehen, und glaubte ich auch, dass dieses in dem geschwürigen 
Processe mit aufgegangen sei, die entzündliche Schwellung setzte sich nach 
oben auf die linke Schildknorpelplatte fort. Auch von aussen war der 
Knorpel empfindlich, eum Zeichen, dass eine Perichondritis vorhanden war. 
In der Rimula war ein tiefes Geschwür. Die Behandlung wurde mit Men¬ 
tholöl eingeleitet und, wie in allen Fällen, das laute Sprechen verboten. 
Di« entzündliche Reizung der Schildknorpelplatte verminderte sich allmählich, 
und wagte ich daher schon nach 14 Tagen eine schwache Milchsäurelösung 
einzupinseln, welche ich von da ah in allmählich steigender Dosis und. fall» 
Reactiou eintrat, mit Mentholöl abwechselnd, anwandte. Als jede Reizung 
des Periehondriums verschwunden war, wurden init der Hervng’schen Cu- 
rette einige vorstehende Geschwürszacken abgetragen, uud so gelang es mit 
abwechselnden Mauipulationen, den ganzen Geschwürsprocess zur festen Ver¬ 
narbung zu bringen. Mit dem fester und derber Werden der Narbe kam 
auch das intacte untere Stimmband w ieder zu Gesicht, und wurden, um aueb 
den Erfolg functionel! möglichst gut zu gestalten, einige zu stark vorspriu 
i gende Stellen der Narbe, welche die Excursionen des unteren Stimmend.-» 
behinderten, mit dem Galvanokauter zerstört, so dass auch die Stimme, wie 
Sie jetzt hören, eine zwar noch immer etwas heisere, doch für die Schwere 
des Falles eine recht gute ist. Sie sehen jetzt beide Stimmbänder mit ihrer 
freien Kante beim Phoniren in ihrer ganzen Ausdehnung sich berühren, 
während aber das rechte sich in seiner ganzen Breite entfaltet, erscheint 
von dem linken nur ein schmaler Saum. Die vernarbten Stellen sind der*- 
und widerstandsfähig, sie sind so schon seit einigen Monateu, trotzdem der 
Pat., welcher bei Creosotbehandlung recht gute Fortschritte machte, wieder 
eine ziemlich heftige Hämoptoe hatte und in den letzten Wochen einen 
| acuten Gelenkrheumatismus überstand. Trotz dieser Schwächung des Ge- 
saimutkörpers hat sich in dem guten Befinden des Larynx nichts geändert 


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13. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1031 


und wird Ihnen der Patient erzählen können, dass seine Stimme in letzter 
Zeit noch besser wurde, so dass er jetzt wieder singen kann. Wie der Zu¬ 
stand seiner Lungen ist, kann ich Ihnen nicht mittheilen, da ich den Pa¬ 
tienten jetzt nach Wochen zum ersten Male wiedersehe, einer Aeusserung 
des Herrn Collegen St rät er zufolge ist derselbe in letzter Zeit nicht günstig 
"eweseu. (Larynx im August noch ganz gesund, Allgemeinbefinden be¬ 
friedigend.) 

Der achte Fall meiner Beobachtung betrifft einen Kaufmann aus C. in 
Westfalen, den Herrn Sch., welcher einer durchaus gesunden Familie ent¬ 
stammt. Die Eltern sind alt geworden und haben keine Lungenerkrankungen 
gehabt, die Geschwister erfreuen sich einer guten Gesundheit. Pat. wurde 
durch eine schon lauge andauernde geringe Heiserkeit geängstigt. Er hat 
vor einem Jahre ein paar Male Streifen Blutes entleert, hüstelt etwas, 
schwitzt leichter und fühlt sich nach relativ geringen Anstrengungen schon 
auffallend angegriffen. Da sein Appetit in letzter Zeit nachliess, so verlor 
er auch merklich an Gewicht. Auf der rechten Seite war das Larynxinnere 
auffallend geröthet, das rechte Stimmband zeigte eine grauröthliche Farbe, 
hatte keinen Oberflächenglauz und sah wie bestäubt aus, das oberste Epi¬ 
thel erschien an einzelnen Stellen gequollen oder verloren. Eine deutliche 
Erosion war nicht zu constatiren. Die linke Larynxhälfte war absolut nor¬ 
mal, im übrigen Kehlkopfe absolut nichts Verdächtiges. Es handelte sich 
also hier um einen einseitigen Katarrh, aber um einen solchen mit einem 
specifischen Charakter. Darauf deutete schon die halbseitige Affection hin. 
Ich habe die gute Lehre v. Schroetter’s, welche er in seinen laryngolo- 
gischon Cursen zu geben pflegte, bei halbseitigen katarrhalischen Erschei¬ 
nungen stets die Lungen genau zu untersuchen, da diese Fälle suspect 
seien, mehrfach bewahrheitet gefunden, wenn ich auch nicht gerade die Ge¬ 
legenheit hatte, die Angabe Löri’s zu beobachten, dass auf der Seite der 
Larynxerkrankung oft auch die Affection der Lunge, sei es tuberculöse In¬ 
filtration, sei es tuberculöse Pleuritis, sich befinde. Doch glaube ich das 
einem so guten und erfahrenen Laryngologeu, wie Lori es ist, gern und 
mochte auf dieses Factum hiermit hingewiesen haben. In beiden Fossae 
supraolavieulares und supraspinatao fanden sich, und zwar mehr links als 
rechts, schwache Dämpfung, kleinblasige Rasselgeräusche, rechts verlängertes 
Exspirium, links mit bronchialer Färbung. Fieber war nicht vorhanden. 
Im Morgensputum fanden sich wenige Bacillen. Die ßehaudlung war die¬ 
selbe, wie in allen übrigen Fällen, nur verwandte ich bei dem mehr ober¬ 
flächlichen Charakter des Processes im Larynx eine schwächere Ac. lactic.- 
Losung (40 o/o). Schon nach 10 Pinselungen war die katarrhalische Röthe 
fast ganz verschwunden, doch musste zwischen den einzelnen Pinselungen 
oft eine^ Pause von 4 Tagen eintreten, da sich ein eroupöser Belag bildete, 
ln der Zwischenzeit blies ich erst Jodoform ein, musste dasselbe aber, da 
es starke Appetitstörung bewirkte, mit Borsäure vertauschen. In 5 Wochen 
war die Larynxaffection abgespielt und kein Unterschied mehr zwischen 
beiden Hälften zu entdecken. Patieut ging längere Wochen aufs Land, ge¬ 
brauchte eine tüchtige Milchcur, machte kalte Abreibungen mit Brause und 
pflegte sich nach aller Möglichkeit, so dass ich erstaunt war, ihn nach etwa 
8 Wochen mit einer Gewichtszunahme von 23 Pfd. wiederzusehen. Creosot 
war beständig genommen. Der Katarrh der Lungenspitzen mit Infiltration 
derselben war bedeutend zurückgegangen, und erinnerten nur noch spärliche 
Rasselgeräusche und ein etwas matter Schall in der linken Fossa supra- 
clavicul. an die hier vorhanden gewesene schwere Affection. Der Husten 
war schon seit einiger Zeit ganz geschwunden und daher auch keine Unter¬ 
suchung auf Bacillen mehr anzustellen. Ich sah den Patienten zum letzten 
Male kurz vor Weihnachten, wo er mich mit grossem Danke versicherte, 
dass er sich sehr wohl fühle. Er hatte meine Vorschriften, welche in Ver¬ 
meidung aller Schädlichkeiten und aller Debauchen, im Anrathen möglichst 
guter Ernährung und Schutz vor allen Erkältungen bei möglichster Abhär¬ 
tung und Benutzung von möglichst viel frischer Luft bestanden, getreulich 
befolgt, da er ganz genau über seinen Zustand, dessen Gefahren und deren 
\ ermeiduDg informirt war. Die Lungen boten kaum noch einen Anhalt, zu 
besonderen Sorgen, der Kehlkopf war frei, nur schien das rechte Stimmband 
etwas schmaler, als links. Die Creosotbebandlung wird fortgesetzt, und 
nebenbei werden täglich 4 mal Inhalationen von Mentholöl mittelst des 
Schreiber’schen Apparates gemacht. Die Prognose dieses Falles wird man 
wohl günstig stellen können. (Jetzt (10. Octoher) befindet sich Patient nach 
brieflicher Mittheilung ganz wohl.) 

Meinen neunten Fall bin ich wieder so glücklich, Ihnen vorstellen zu 
können. Der Herr Kaufmann V. von hier hatte die Freundlichkeit, gern 
auf meinen Vorschlag einzugehen, sich Ihnen an diesem Abende zu präsen¬ 
ten. Der Fall hat manche interessante Seiten. Herr V. consultirte mich 
Mitte November wegen Druckgefühles im Halse, als dessen Ursache er ein 
grosses Granuium der hinteren Pharynxwand mit Recht vermuthete, im 
fiebrigen sei er, wie man zu sagen pflege, mager und gesund, und in der 
Tliat strafte ihn seine frische, fast rosige Gesichtsfarbe nicht Lügen. Wie 
das meine Gewohnheit ist, untersuchte ich auch den Larynx, und ich muss 
Ihnen Offen gestehen, dass der Anblick, der sich mir darbot, ein höchst 
unangenehmer war. Vor mir sass ein Patient, welcher von sich die feste 
Ueberzeugung hegte, dass er ein kerngesunder Mensch sei, und ich sollte 
ihn aus aller seiner Hoffnung reissen und ihm sagen, dass in seinem Halse 
ein unheimlicher Gast ganz uubemerkt seinen Wohnsitz aufgeschlagen habe 
und dass derselbe, wenn es nicht geliuge, ihn zu beseitigen, die Gesund¬ 
heit und das Leben in ernstliche Gefahr bringe. Es zeigte sich nämlich 
an der linken Seite der Epiglottis eine rothe, keulenförmige Infiltration, 
welche sich verschmälemd am Anfänge des Lig. ary-epiglottic. s. ihr Ende 
fand und welche auf der Höhe dieser Verdickung vier weisse durch das 
oberste Epi'hel (lurchschimmernde mohnsamengrosse Knötchen zeigte. Der 
übrige L;tr\n\ war absolut gesund. Es handelte sich hier um eine tuber¬ 
culöse Infiltration der Epiglottis mit vier miliaren Tuberkeln, ein Befund, 
welcher nur selten beobachtet wird. Ist schon die Tuberculöse des Epi- 
glottisrandes eine durchaus nicht sehr häufige und steht sie in der Häufig¬ 
keitsscala erst vielleicht au fünfter Stelle, so sind miliare Tuberkel ent¬ 


schieden als rarissimae aves zu bezeichnen. Man hat ihre Existenz mit 
aller Entschiedenheit geleugnet, und selbst so viel erfahrenen und über ein 
so grosses Beobachtungsmaterial verfügenden Laryngologeu, wie Türck und 
Störk, sind nur selten miliare Tuberkel zu Gesichte gekomraeu, Schnitzler 
theilte einen Fall von miliaren Knötchen an den Gaumenbögen, der Epiglottis 
und dem Arytänoidknorpel mit, wo Riesenzellen nachweisbar waren (Gott¬ 
stein). Dieser seltene Nachweis von miliaren Tuberkeln liegt ohne Zweifel, 
wie Virchow sagt, an dem raschen Zerfall der Knötchen und an deren 
oberflächlichem Sitze, welcher den raschen Zerfall nur begünstigt. In meinem 
Falle handelte es sich mit Sicherheit um Miliartuberkel, da in einem der¬ 
selben ausser lymphoiden und Riesenzellen auch Bacillen nachweisbar waren. 
Schon die Anamnese hätte Verdachtsmomente genug ergeben; auf ein ein¬ 
gehenderes Examen hörte ich von dem Patienten, dass er öfter an Luft¬ 
röhrenkatarrh gelitten, deswegen schon verschiedene Male in Ems Cur ge¬ 
braucht habe, es sei ihm auch schon vor 2 Jahren von einer Autorität ge¬ 
sagt worden, dass er an Lungeuspitzenkatarrh leide. Die Untersuchung der 
Lungen bestätigte den Kehlkopfbefund vollauf. Rechts oben fand sich eine 
kleine Caverne, in der linken Spitze bestand Katarrh. Das Morgensputum 
zeigte viele Bacillen. 

Ausserdem bestand eine Mastdarmfistel und eine sehr interessante 
Aflcction der Hände, welche ich als Impftuberculose anspreclieu zu müssen 
glaube, und welche, vielleicht durch Antoinfection zu Stande gekommen ist. 

Sie können sich von den warzig drüsigen, an einzelnen Stellen ge- 
schwürigen Neubildungen selbst überzeugen. Mit der kernigen Gesundheit 
war es also doch wohl etwas schwach bestellt, wennschon bei dem Mangel 
jedes Fiebers, bei der absolut normalen Function des Gesammtorganismus 
ein Stillstand des Lungenprocesses anzunehmen war. Als meine Beweiskette 
geschlossen war, verhehlte ich auch dem Patienten nicht, dass in seinem 
Halse ein Process spiele, welcher, mit seiner älteren Lungeuerkrankung in 
Verbindung stehend, absolut beseitigt werden müsse, und er sich darauf ge¬ 
fasst zu machen habe, dass er noch Jahre lang möglichst gesundlieitsgemäss 
leben und alle Schädlichkeiten jeglicher Art meiden müsse. Tch fand ein 
sehr williges Ohr, ein volles Verständniss für meine Vorschläge und den 
festen Willen, mich in meinen Heilbestrebungen voll und ganz zu unter¬ 
stützen. Ich versuchte gleich in einer der ersten Sitzungen, nachdem das 
Granuium mit dem Kauter beseitigt war, nach guter Cocainisirung, einen 
Theil des Infiltrats mit der Heryng’schen Curette abzutragen, und fand, wie 
Heryng, dass dieses recht schwer ist, da der Knorpel zu leicht ausweicht. 
Die Uuretten fassen aber so sicher, dass es mir doch golaug, ein Stück mit 
2 miliaren Knötchen abzutragen, deren eines ich zu den mikroskopischen 
Präparaten benutzte. Nach einem Tage Pause wurde Ac. lact. pur. eiugc- 
rieben und so mit Curette und Milchsäure weiter gearbeitet, bis die ganze 
Infiltration beseitigt war. Heute sehen Sie nur noch eine ganz feine lineare 
Partie, wo der Knorpel freiliegt, welche sich aber bald überhäuten wird. 
(Ist mittlerweile geschehen.) Die ganze übrige Partie zeigt sich ausgedcllt 
und vernarbt, so dass man jetzt kaum noch an den schweren Process denken 
würde, welcher sich hier abgespielt hat. (Die Heilung ist eine vollkommene. 
— 28. Mrz.) Innerlich bekam auch dieser Patieut Creosot, welches ununter¬ 
brochen genommen, gut vertragen wurdo, und dessen sehr gute Einwirkung 
auf seinen Auswurf Ihnen der Herr V. selbst schildern mag. Derselbe ist 
nämlich fast ganz geschwunden, nur Morgens werden noch einige geballte, 
feste Sputa entleert, welche allerdings immer noch Bacillen enthalten Der 
Katarrh der Lungenspitze ist um vieles besser. Die Gewichtszunahme betrug 
bis dahin 5 Pfund. Patient fühlt sich, wie ja auch früher, stets ganz 
gesund. (Fernere Schicksale unbekannt.) 

Dieser Fall zeigt wieder so sehr deutlich, wie wichtig die La¬ 
ryngoskopie für die Diagnose sein kann, und wie sehr es dem Prak¬ 
tiker anzurathen ist, in allen Fällen, wo über Halsbeschwerden ge¬ 
klagt wird oder wo sich die Lungen nicht gesund erweisen, auch 
den Larynx mit zu untersuchen, in welchem sich schon etwas vor- 
bereiteu mag. welches so frühzeitig erkannt und energisch behandelt, 
sofort im Keime erstickt werden kann, während es später schon dou 
Gruud zu lebenswichtigen Veränderungen gelegt haben mag. 

(Schluss folgt.) 

V. Feuilleton. 

Terrain- und Bergsteigeapparate. 

Von Dr. H. Nebel. 

Von Dr. von Corval aufgefordert, seinen „Bergsteigeapparat“ 
(Ther. Mtsh., August 1888) zu besprechen, wollte ich ursprüng¬ 
lich nicht öffentlich auf die Sache eingehen, weil ich in dieser 
Frage einen durchaus anderen Standpunkt einnehme, als der mir 
persönlich nahestehende College. Die Tragweite der Frage und der 
Umstand aber, dass Dr. von Corval meine, die Ansichten von 
Dr. Zander vertretende Arbeit (Beiträge zur mechanischen Behand¬ 
lung) zur Begründung seiner Empfehlung eines, unter Dr. Zander’s 
Apparaten vermeintlich „noch fehlenden“ Bergsteigeapparates heran¬ 
gezogen hat, zwingen mich, mit Ausserachtlassung persönlicher Rück¬ 
sichten, meine Meinung über die in Frage kommenden Apparate 
anszusprechen. 

Natürlich habe ich dabei nicht kindische Erfindungen, wie 
Herrn Mager’s „Terrainapparat“, im Auge und denke nicht deran, 
die verschiedenen derartigen Erfindungen aus Holz, Eisen uud Blech 
durchzusprechen. Aber die Idee als solche, das „Bergsteigen“ in’s 
Zimmer zu verpflanzen, scheint mir eine höchst unglückliche. Wenn 
bei den vielgeprieseuen Terraincuren die Steig-Tretbewegong das 



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1032 DEUTSCHE MEDIC1NI8CHE WOCHENSCHRIFT. No. 50 


punctum saliens und all das ändert* Schöne. Heilsame. Nebensache , 
wäre. — weun die problematische Idee, durch gleichzeitige Arm* 
und Beinbewegungen Beförderung des Kreislaufes im Gebiet der 
Vena cava superior und inferior erzielen zu wollen, praktische Be¬ 
deutung hätte, und wenn wirklich ein Bedürfniss für dergleichen 
vorläge, warum sollte man den Apparaten für mechanische Gym¬ 
nastik uicht, wie es Dr. von t'orval wünschenswerth erschien, den 
geistreich eonstruirten Apparat für Tret- und Greifbeweguug von 
Dr. von Corval und Ingenieur Zutt hinzu fügen? 

Aber de facto lässt sich doch das mit dem Bälgetreten. mit dem 
Herumstrampeln in einem Rade oder auf einer schiefen Ebene zu 
Bewirkende nicht entfernt mit den Vortheilen vergleichen, die wir 
uns verschaffen, indem wir uns aus ungünstigen Verhältnissen auf 
einige Zeit entfernen, — indem wir des Lehens Last und Sorgen 
fliehen, um in frischer Luft und schöuer Natur, in Wald und Flur 
Erholung zu suchen, — indem wir mit dem Körper auch den 
Geist erheben. Es ist mir unverständlich, wie Dr. von Corval. 
der sich mit den Zielen rationell betriebener Heilgymnastik vertraut 
gemacht und Gelegenheit gehabt hat, mit Dr. Zanderis mechani¬ 
scher Gymnastik Erfahrungen zu sammeln, auf die Idee kommen 
konnte, dass unter den Zand er'sehen Apparaten noch einer fehle, 
mittelst dessen man das erstreben soll, was Oertel durch das Berg¬ 
steigen mit Alpenstock erreichen will. 

Weun Dr. von Corval aber gar meine, in deu Beiträgen zur j 
mechanischen Gymnastik gegebenen Ausführungen über die Wir- | 
kungsart und die Vorzüge der Zander’schen Methode zur Begrün- ’ 
düng seiner Ansicht, als fehlte unter den Zander’schen Apparaten > 
noch ein sogenannter Bergsteigeapparat, anzieht, so hat er Dr. Zau 
der und mich entschieden missverstanden. 

Dr. Zander hat in einem, an Dr. Heiligenthal gerichteten 
Schreiben gegen die Aufstellung von Bergsteigeapparaten im Baden- 
Badener medico - mechanischen Institut Protest erhoben, weil der¬ 
gleichen seinen Intentionen, die Bewegungen — namentlich für 
Herzkranke. — zu individualisiren, zu localisiren und zu do- 
sireu. durchaus widerspreche. Er hat aber auch an Dr. von Cor¬ 
val (in einem mir in Abschrift zugegangenen Briefe) geschrieben: 

„Sie können aus dem, was ich Dr. Heiligenthal geschrie¬ 
ben habe, sowie aus dem Buche von Dr. Nebel ersehen, dass Ihr 
Apparat, ebensowenig 1 ) als Dr. Oertel’s Bergsteigemethode deu ln- 
dieatiouen entspricht, die ich für die gymnastische Behandlung der 
Herzkrankheiten aufgestellt habe. Sie sagen allerdings, dass Ihr Ap¬ 
parat „keineswegs die Zander’schen ersetzen soll“, gleich nachher 
glauben Sie jedoch, jener überwiegend grossen Zahl von Herzkranken, 
welche sich einer mechanischen Behandlung unterziehen können, 
einen theilweisen Ersatz bieten zu können. Ich muss Ihnen auf¬ 
richtig sagen, dass ich fürchte, dieser Ersatz wird mehr schaden, als 
nützen. Ich dringe darauf, dass die Herzkranken zuerst mit nur 
passiven Bewegungen behaudelt werden, oder, wenn man damit 
einige active vereinigen will, mit solchen, die nicht nur sehr schwach 
genommen werden können, sondern auch bequem, nicht erregend 
sind. Je nachdem die Circulation und die Herzaction kräftiger 
werden und der Patient stärkere active Bewegungeu ohne Herz¬ 
klopfen und Athemnoth vertragen kann, gebe ich mehr uud mehr 
active Bewegungen, doch keine solche combinirten Arm- und Bein¬ 
bewegungen, wie sie Ihr Apparat ertheilt; ich rathe dem Patienten 
aber, sich fleissig in freier Luft zu bewegen, mit oder ohne Steigen. 
Denn das Steigen ist doch nicht absolut nöthig. um eine ergie- I 
bige Ventilation der Lungen und eine vermehrte Transpiration , 
hervorzurufen. Die beste Vervollständigung und Nachbehandlung ! 
der mechanischen Gymnastik ist fleissiges Spazierengehen. Wenn 
nun Ihr Apparat die mechanische Gymnastik nicht er- i 
setzen kann und als Vervollständigung uud Nach- ; 
behandlung ganz unnöthig ist, mit dem Oertel’sehen Berg- | 
steigen aber (höchstens) die Gefährlichkeit für die Patienten theilt, j 
so sehe ich nicht ein, welchem Zweck er entspricht, welches wirk¬ 
liche Bedürfniss dadurch befriedigt wird. | 

Seiner Gefährlichkeit meinen Sie dadurch vorzubeugen, dass Sie 
bei schwächeren und erregbaren Patienten die Arrabewegungen ganz \ 
weglassen (!)-) und den Steigungswinkel sehr klein machen. Ich j 
frage aber: was gewinnt dauu der Patient durch den Gebrauch Ihres ’ 
Apparates, das er nicht besser durch Spazierengehen gewinnt? 
Soll Ihr Apparat wirklich eine Bedeutung haben, so muss er der ' 
Anstrengung des Bergsteigens wirklich entsprechen. Er wird dann 
für Kranke gefährlich, und wie leicht kann er von Curpfuschern miss¬ 
braucht werden!“ 

Ich für meine Person habe niemals ein Bedürfniss. wie es Dr. 
von Corval mit seinem „Bergsteigeapparat“ befriedigen wollte, em¬ 
pfunden. Die Zau der'scheu Apparate erwiesen sich mir stets als 

') Er hätte sagen sollen, „viel weniger“. 

*) Damit doch aber auch Wegfall der Hauptidee: „Beförderung des , 
Kreislaufes im Gebiet der Veua cava superior und inferior zugleich!“ 


durchaus ausreichend, um den Indicationen gerecht zti werden, die 
uns bei Behandlung von Herzkranken vorliegen. Es wäre mir un¬ 
heimlich. wenn icli fürchten müsste, dass die mir anvertrauten Herz¬ 
kranken an Ruder-, Bergsteige- etc. Complexbewegungen dienenden, 
für Gesunde ja wohl empfeblenswerthen Apparaten herumwirth- 
schaften wollten; es ist scliou schwer genug, sie von Verkehrtheiten 
und Üebertreibungeu an den gut zu eoutrolirenden, localisirteu. genau 
dosirbaren Bewegungen dienenden. Zander’schen Apparaten abzu¬ 
halten. 

Wenn ein Turnprofessor mit gewichtiger Miene den Apparat für 
Ruiupfrotirung als „Maschine gegen Leberleideu“ demonstrirt und 
aus dem staunenden Publikum unglücklicher Weise gerade einen mit 
mechanischer Gymnastik sehr wohl vertrauteu Arzt herausgreift, um 
ilm als leberleidendes Demonstrationsobject zu benutzen (wie es bei 
Einweihung des Römerbades in Berlin passirt ist!), so ist dies ja 
recht ergötzlich: wenn aber Aerzte aufangen, Apparate für bestimmt*- 
Krankheitsgruppen, — für Herzkranke zunächst. — nächstens wohl 
auch für Asthmatiker, Hämorrhoidarier u. s. w.. zu erfinden und als 
Spccifica hinzustellen, werden dadurch nicht die allerwegen auf der 
Lauer liegenden Curpfuscher ermuntert und ermuthigt, ähnliche Er¬ 
findungen für diese und andere Krankheitsgruppen zu machen und 
— mit geborgten Worten — auzupreisen? Wird dadurch nicht heut¬ 
zutage, wo Alles für industrielle Zwecke ausgebeutet wird, wo allem 
Schwindel Thür und Thore offen stehen, ein heilloser Unfug gross 
gezogen? Nach meiner Meinung benöthigen wir keiner „Bergsteige¬ 
apparate“ und sollten uns wohl hüten, den Turn Professoren, Heil¬ 
gymnasten u. s. w. neue Pforten zu eröffnen, durch welche sie sich 
in unser Gebiet Eingang zu verschaffen wissen. 

VI. Referate und Kritiken. 

Beoker. Jacques Daviel. Zur Erinnerung an den siebenten inter¬ 
nationalen Ophthalraologencongress zu Heidelberg, den 8. bis 
11. August 1888, gewidmet. Wiesbaden, J. F. Bergmann. 1888. 
Ref Magnus. 

Wahrlich die Ophthalmologie hat allen Grund. Becker für das 
kostbare Erinnerungsgeschenk, welches er den Theilnehmem des 
siebenten internationalen Ophtbalmologeucongresses gewidmet hat 
dankbar zu sein. Ein Bild des genialen Erfinders der Staaraus- 
ziehung, in einer künstlerisch so vollendeten Nachbildnng, wie die 
von Becker gebotene, ist ein Geschenk, dessen Werth ein jeder 
Ophthalmologe auf das Freudigste, auf das Dankbarste anerkennen 
wird. Zu den vielen Lorbeeren, welche Becker auf dem Gebiet 
der Linsenanatomie und Pathologie schon eingeerntet hat, ist die 
Veröffentlichung des Bildes vou Da viel ein neues Ruhmesblatt 
welches ihm ganz gewiss niemals vergessen sein soll. Denn gerade 
das Bild Daviel’s ist eine so grosse Seltenheit, dass es bisher 
wohl nur wenig Personen vergönnt gewesen sein wird, Kenntniss 
von demselben zu nehmen, und des Besitzes desselben konnten sich 
bis jetzt nur einige Wenige, vom Glück ganz besonders Bevorzugte 
rühmen. — In dem der Tafel beigegebenen Text berichtet Becker 
über die Entstehung des Bildes. Es wurde von dem französischen 
Maler und Bildhauer Francois de Vosge angefertigt und von 
le Mire in Kupfer gestochen. De Vosge. im 18. Lebensjahr von 
einer Iridochorioiditis befallen, welche zu einer kataraktösen Ent¬ 
artung beider Linsen führte, wurde 1756 von Da viel auf dem 
rechten Auge mit Erfolg am grauen Staar operirt, nachdem 2 Jahre 
vorher das linke Auge unter den Händen eines anderen Operateurs 
verloren gegangen war. Aus Dankbarkeit gegen Da viel fertigte 
de Vosge das Bildniss desselben an. und durch den Kunstsinn 
Becker’s ist jetzt dieses Bild, welches ein Säculum hindurch iu 
den Mappen der Sammler verschollen und vergessen war, an das 
Licht gezogen und der Welt auf’s Neue geschenkt worden. Ausser¬ 
dem hat Becker der Tafel noch eine historisch gleichfalls sehr 
werthvolle Beigabe angeschlossen, nämlich eine deutsche Ceher- 
setzung des Berichts, welchen Da viel 1758 an die Königlich 
Schwedische Akademie der Wissenschaften zu Stockholm über di* 
Operation angewachsener Staare eingesendet hat. Eine genaue Be¬ 
schreibung des Bildes iu französischer Sprache, welche von Heduu 
herrührt, macht mit einer Ode. welche im Mercur de France Juli 1752 
das Loh Daviel’s sang, den Schluss der in künstlerischer wie 
historischer Hinsicht gleich hervorragenden Veröffentlichung Beck er's 
Ich hin der Zustimmung nicht bloss der gesaramten ophthalmolo- 
gischen Welt, sondern auch aller derer, welche für Geschichte und 
Kunst sich interessiren, völlig sicher, wenn ich an dieser Stelle Ge¬ 
legenheit nehme, Becker für sein uneigennütziges Geschenk den 
wärmsten Dank abzustatten. 

J. Bruck. Ignaz Philipp Semmelweis. Eine gesellichtlich-medi- 

cinische Studie. 121 S. 2,80 M. Wien, Prochaska. Ref. 

Flaischlen. 

In anschaulicher Weise, iu lebendigen Farben entrollt Bruck 
ein Lebensbild des seltenen Mannes, der die ganze Kraft seines 


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13. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1033 


Geistes und seines Lebens eingesetzt hatte, um die Ursachen des 
Puerperalfiebers zu erforschen, — der, nachdem er diese Ursachen 
und damit auch die Mittel zur Verhütung derselben klar erkannt, 
nicht ruhte und keinen Weg unversucht liess, um seine Fachgenossen 
von der Wichtigkeit seiner Entdeckung zum Wohle der Menschheit 
zu überzeugen. Als Assistent der Wiener Gebärklinik hatte er 
Gelegenheit, zu sehen, welch’ furchtbare Opfer an Menschenleben 
die aufeinanderfolgenden Puerperalfieberepidemieen kosteten, an 
dieser Klinik sowohl wie in Pest als dirigirender Professor hatte er, 
nachdem er die ungeheure Wichtigkeit der Desinfection erkannt, 
durch die von ihm eingeführten Maassregeln (Chlorkalkwaschungen 
der Hände der Untersuchenden) die Mortalität in erstaunenerregender 
Weise herabgesetzt, und Hunderte von Wöchnerinnen dankten seinem 
Vorgehen die Errettung aus sonst sicherem Verderben. — In dem 
epochemachenden Werke, die Aetiologie und die Prophylaxe des 
Puerperalfiebers, hatte Semraelweis seine Anschauungen klar 
niedergelegt. Er zeigte, dass das Puerperalfieber ein Resorptions¬ 
fieber sei, bedingt durch die Einverleibung eines zersetzten thierisch- 
organischen Stoffes. Demnach bestände die Prophylaxe desselben 
darin, die Einbringung zersetzter Stoffe von aussen zu verhüten, 
die Entstehung zersetzter Stoffe in den Individuen hintanzuhalten 
und endlich die wirklich entstandenen zersetzten Stoffe so schnell 
wie möglich aus dem Organismus zu entfernen. Er betont die 
Nothwendigkeit der Desinficirung der Hände, Instrumente, und über¬ 
haupt aller Gegenstände, welche mit den Genitalien der Individuen 
in Berührung kommen. Mit logischer Schärfe auf Grund der ge¬ 
nauesten Beobachtungen und Experimente zeigt Semmel weis die 
Unhaltbarkeit der Ansichten seiner Gegner; er war es, der endlich 
Licht in das Dunkel brachte, das Jahrhunderte über den Ursachen 
der Entstehung des Kindbettfiebers gelagert hatte. 

Uus, die wir heute in der glücklichen Zeit leben, in der die 
Entdeckung von Semmelweis Gemeingut aller Geburtshelfer ge¬ 
worden ist, in der Puerperalfieberepidemieen nur noch zu den Sel¬ 
tenheiten gehören — uns muss es fast als unbegreiflich erscheinen, 
dass Männer, wie Späth, Carl Braun, Breisky, Skanzoni, 
Litzmauu u. A., anstatt die Mittheilungen von Semmel weis vor- j 
urtheilslos zu prüfen, nur mit Geringschätzung denselben begegneten, ! 
oder in zum Theil verkehrten alten Anschauungen befangen gegen i 
dieselben auftraten; dass noch zahllose Wöchnerinnen dahingerafft 
werden mussten, bevor der menschenerlösende Gedanke Semrael¬ 
weis’ überall zur That wurde. 

Semmel weis, dem Wohlthäter der Menschheit, wie ihn 
Carl Schroeder nennt, dem Lister in der Geburtshülfe, war es 
nicht beschieden, den endgültigen Sieg seiner Lehren zu erleben. 
Er starb am 14. August 1865 in einer Irrenanstalt zu Wien. 
„Felsenfest war sein Glaube, sagt Bruck, dass seine menschen¬ 
rettende Lehre sieghaft aus dem Kampfe hervorgehen werde, und 
doch wurde er ein Opfer seiner Verzweiflung, als er diesen Sieg 
in immer weitere Fernen gerückt glaubte. Der Gedanke, dass noch 
viele Tausende von Menschenleben zum Opfer fallen würden, ehe 
jener Zeitpunkt herannahte, von dem er selbst sagte, dass er früher 
oder später nach ihm unaufhaltsam kommen müsse, trieb ihu in 
die Nacht des Wahnsinns.“ 

Bruck’s Schrift athmet warme Begeisterung für den grossen 
Todten. Nicht allein den Forscher, den Schriftsteller, sondern auch 
den Menschen Semmelweis zeigt er uns in klaren Umrissen. Er ver¬ 
dankt dies gewiss nicht zum mindesten dem Umstande, dass er direkte 
Mittheilungen von Freunden und Schülern von Semmelweis über 
denselben verwerthen konnte. Genauere Literaturangaben geben dem 
Buche einen ferneren Werth. Jedem, der sich für die Geschichte 
der Geburtshülfe interessirt. sei es bestens empfohlen. 

VH. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicin. 

Sitzung am 19. November 1888. j 

Vorsitzender: Herr Fraentzel; Schriftführer: Herr P. Gutt- 
manu. 

Das Protokoll der vorigen Sitzung wird vorgelesen und ange¬ 
nommen. 

1. Herr Leyden gedenkt mit warmen Worten des Hinscheidens 
von Prof. v. Bamberger in Wien, zu dessen Andenken sich die 
Versammlung von den Sitzen erhebt. (Die Worte des Herrn Leyden 
sind in No. 48, p. 998 mitgetheilt.) 

2. Herr Fürbringer: Ich habe mir auf wenige Minuten das 
Wort erbeten, um den Herren Collegen ein neues Peptonpräparat 
zwar noch nicht zu empfehlen, aber doch zu demonstriren. Es ist 
dasselbe kürzlich in sehr stattlicher Menge dem Krankenhause 
Friedrichshain von dem Belgischen Generalconsul Lenders in 
London überwiesen worden und stammt von Dr. Denaeyer in 
Brüssel. Wer wollte leugnen, dass wir Aerzte uns auch noch gegen¬ 


wärtig in arger Verlegenheit um ein gutes und für uusere Zwecke 
brauchbares Peptonpräparat befinden? Dasjenige Präparat, das mit 
• Recht auf den höchsten Nährwerth Anspruch machen kann, ist 
wohl das Weyl’sche Caseinpepton, in dem sich nach den bestimmten 
Nachweisen von Krukenberg in Jena aus dem Jahre 188(5 neben 
mindestens 50 % Albumose ungefähr 6—7 % echten Peptons fin- 
| den. Dies Pepton steht an Nährwerth bedeutend über den beiden 
anderen, den Kemmericli’schen und Kochs’.sehen sogenannten 
Peptonen, die Weyl auf 38 resp. 13 % berechnet, welche aber 
nach Krukenberg grössstentheils gar keine echten Peptone sind, 
sondern Leimpeptone, die noch weniger den Stempel echter Eiweiss¬ 
derivate an sich tragen, als die Albumosen, und nach den Fütte¬ 
rungsversuchen von Zuntz wenig halten, was man von ihnen ver¬ 
sprochen. Die wohlschmeckenden Präparate von Cibil und Maggi 
sind viel mehr Genuss- als Nährmittel. Das Wey 1-Merck‘sche 
Pepton halte ich mit Ewald seines widerwärtigen Geruches und Ge¬ 
schmackes halber für wenig brauchbar zur inneren Darreichung, 
auch zersetzt sich das Präparat relativ leicht. Den letzteren Män¬ 
geln begegnet das neue Peptou ganz entschieden. Es stellt sich in 
schön klarer hellgelber dünnflüssiger Form dar und scheint sich in 
den Flascheu auf lange Zeit zu halten; ich habe 2—3 Wochen 
diese Fläschchen stehen lassen, ohne auch nur eine Spur von Zer¬ 
setzung zu bemerken. Dieses Pepton soll 20% Pepton enthalten. 
Das wäre kein allzu geringer Procentsatz; aber ich argwöhne, dass 
er zu hoch gegriffen ist, da die Flüssigkeit zu wenig bitter schmeckt. 
Das Präparat, ist fast völlig geruchlos, und was seinen Geschmack 
anlangt, so hat die Mehrzahl derjenigen Patienten, Collegen und 
Familienmitglieder, denen ich das Mittel zu kosten gegeben, es nicht, 
als schlechtschmeckend bezeichnet, einige sogar als wohlschmeckend, 
Niemand als widerlich. Der Geschmack erinnert am ehesten au 
den eiuer starken kalten Rindfleischbouillon. Ob das Präparat 
sonst erapfehlenswerth ist, namentlich in Bezug auf seinen Nähr¬ 
werth, weiss ich nicht, weil ich noch keine einschlägigen Versuche 
angestellt. Ich stelle den Herren hier gern einige Fläschchen be¬ 
hufs chemischer und physiologischer Prüfung zur Verfügung. Leider 
ist der Preis ein recht bedeutender. Ein Fläschchen zu 150 g 
(also günstigstenfalls 30 g Pepton) kostet 2 Mark, und ist diese Form 
bis auf Weiteres bei Herrn S. Vasen dahier, Hindersinstrasse 2, zu 
haben. Für Krankenhäuser, überhaupt für den Absatz iu grösserer 
Menge, stellt Herr Lenders eine Preisermässigung von 30 % iu 
Aussicht. Ich bitte die Herren, das Pepton zu kosten, und sich zu 
überzeugen, dass es in der That hinsichtlich des Geschmacks mit 
keinem der bekannten zu vergleichen ist. Es ist sterilisirt und nicht 
antiseptisirt. 

Beiläufig zeige ich Ihnen dann noch ein Eisenpeptonat aus 
derselben Quelle, das, von dem Geschmack abgesehen, dem beliebten 
Pizzala’schen Präparat am nächsten stehen dürfte. 

3. Herr Litten: Ueber einen Fall von Melanosarcom. (Der 
Vortrag wird in dieser Wochenschrift veröffentlicht werden.) 

Herr P. Guttmann: Betreffs der seltenen metastatischen Melano- 
sarkome nach Melanosarkora der Orbita kann ich einen Fall kurz erwähnen, 
von dem ich das Präparat in meiner pathologisch-anatomischen Sammlung 
besitze. Es war der ausserordentlich seltene Fall von metastatischem Mc- 
lanosarkom des Herzens (auch der Niere und des Darms) nach zurückgeblie- 
benenen Keimen von Melanosarkom in der Orbita des zu Grunde gegan¬ 
genen Auges. 

4. Discussion über den Vortrag des Herrn Leyden: Bin 
Pall von Kohlenoxydvergiftung, Transfusion, Genesung. 

Herr P. Guttmann: Im Anschluss an den Vortrag von Herrn Leyden 
möchte ich mir erlauben, über einen Fall von Kohlenoxydgasvergiftung 
wenige Bemerkungen zu machen, in welchem auch die Bluttransfusion 
ausgeführt worden ist. Am 14. December 1887 Morgens 7 Uhr 'wurden 
2 junge Mädchen aus Charlottenburg, welche dort am frühen Morgen in ihrer 
Schlafkammer durch Kohlenoxydgas tief betäubt aufgefunden worden waren, 
nach dem städtischen Krankenhause Moabit gebracht, das eine Mädchen be¬ 
reits todt, das andere in tiefstem Coma: auf Corneareizung kein Lidreflex, 
auf die stärksten sensiblen und elektrischen Reize keine Reaction, Respira¬ 
tion hochgradig dyspnoetisch, vollkommen unregelmässig, in jedem Augen¬ 
blick drohend zu sistiren, Puls sehr klein, frequent. Die Kranke wurde in 
einen geräumigen, luftigen Saal gebracht, und es wurde sofort die künstliche 
Respiration eingeleitet, welche dauernd mit Abwechselung der Assistenten- 
kräfte bis Nachmittags fortgeführt wurde, weil jedesmal, wenn sie vorüber¬ 
gehend unterbrochen war, sofort die Respiration unregelmässig wurde: ausser¬ 
dem Anwendung aller analeptischen Mittel, Aetherinjectionen, faradisehe Reize, 
Faradisation der Phrenici, die Zunge wurde vorgestreckt erhalten mittelst 
eines durch sie hindurchgezogenen Fadens, welcher mit einem Gewicht be¬ 
festigt war. Als trotzdem bis Nachmittags um 2 Uhr gar keine Reaction 
der tief bewusstlosen Kranken eintrat, schritten wir zur Transfusion von 
defibrinirtem Blut, das einer meiner Assistenzärzte opferwillig selbst darbot. 
Nachdem die Ellbogenvene rechterseits eröffnet und etwa 250 g Blut abge¬ 
lassen worden waten, wurden 200 g defibrinirtes auf Körpertemperatur er¬ 
wärmtes Blut in den centralwärts gelegenen Theil der Veno nach vorheriger 
Unterbindung des peripheren Theils injicirt. Es trat gar keine Reaction 
darnach ein, weder erwachte die Verunglückte aus der Bewusstlosigkeit, noch 
trat eine Verstärkung der Herzaction ein«- In dem gleichen Zustande, wie 


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1084 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHBN8CHRIFT, 


No. 50 


ich ihn geschildert habe, blieb die Kranke den ganzen Tag, den ganzen 
nächstfolgenden 15. Decembcr, und ebenso den 16. Deceinber. Ain Abend 
des 16. Deceinber traten Erscheinungen von Glottisödem auf, weshalb die 
Tracheotomie gemacht wurde. Die Kranke erwachte während dieser Operation j 
ebenfalls nicht. Am 17. December Nachmittags 5 Uhr, also nach einem j 
82 ständigen Aufenthalt im Krankenhause, während dessen die Bewusstlosig¬ 
keit stets die gleich tiefe war, starb die Kranke. Bei der Obduction fanden 
sich keine Veränderungen in den inneren Organen. 

Was nun den Werth der Bluttransfusion bei Kohlenoxydvergiftung 
betrifft, so ist derselbe schwer zu entscheiden. Auch Herr Leyden hat i 
sich sehr unbestimmt darüber ausgesprochen, ob die Transfusion in dem 
von ihm beobachteten Falle eine Wirkung gehabt habe auf die Genesung 
des Kranken oder nicht. Man muss ja immer in Berücksichtigung ziehen, 
dass doch eine ganze Anzahl von ziemlich schweren Fällen unter den ge¬ 
wöhnlichen Behandlungsmethoden zur Heilung gelangt Der Einzelne hat 
ja natürlich nicht zahlreiche Erfahrungen über Kohlenoxydgasvergiftungen, 
aber vielleicht darf ich doch erwähnen, dass ich im Laufe der letzten 9 Jahre 
IO Fälle von Kohlenoxydgasvergiftung, ausschliesslich des todt eingelieferten 
Falles, gesehen habe, darunter 6, welche genesen sind, und unter diesen 
6 Genesenen 2—3, die recht schwer waren. Man muss auch noch berück- i 
sichtigen, dass im Ganzen bei der Bluttransfusion doch nicht gerade viel I 
Blut transfundirt wird. Wenn wir bedenken, dass die Blutmasse des 
Menschen etwa Via des Körpergewichts beträgt, also bei einem robusten i 
Manne von etwa 78 kg Körpergewicht etwa 6 kg, so würde bei einer Trans- I 
fusion von selbst 500 g defibrinirten Blutes erst der zwölfte Theil gesundes 
Blut zu den übrigen "/u durch Kohlenoxydgas vergifteten Blutes treten. | 
Ich glaube deshalb, dass, wenn der Werth der Bluttransfusion natürlich 
nicht abzusprechen ist und das Mittel gewiss, wo die Möglichkeit seiner 
Anwendung besteht, zur Anwendung gelangen soll, doch der viel wesentlichere 
Werth bei der Behandlung der Kohlenoxydgasvergiftung in der reichlichen 
Zufuhr der frischen Luft zu den Lungen zu suchen ist. Wir wissen ja 
schon längst aus zahlreichen Experimenten, dass, wenn inan durch Kohleu- 
oxydblut längere Zeit und anhaltend Sauerstoff hindurchleitet oder auch nur 
athmosphärische Luft, beziehungsweise wenn man Kohlenoxydblut damit an¬ 
haltend schüttelt, allmählich das Kohlenoxyd aus dem Blut verschwindet, | 
wie die so einfach auszuführende spektroskopische Untersuchung das zeigt. 
Deshalb, meine ich, ist die Zufuhr von frischer Luft, namentlich durch j 
künstliche Respiration, die regelmässige Unteihaltung der Respiration das 
wesentlichste Mittel, und ich möchte daher glauben, dass, wenn Fälle von 
Kohlenoxydgasvergiftung, die nicht allzu schwer sind, zur Genesung kommen, ; 
neben den übrigen Mitteln gerade dieser Luftzufuhr das Wesentlichste dabei 
zuzuschreiben ist. Nun kommt es freilich oft vor, dass bei der Kohlenoxyd¬ 
gasvergiftung, selbst nachdem Tage vorübergegangen sind, und alles Mög¬ 
liche geschehen ist, dennoch der Tod eintritt. Das hat aber seine Ursache 
einmal in den Complicationen, die erfabrungsgemäss oft bei der Kohlenoxyd- j 
gasvergiftung hinzutreten, andererseits in den deletären Einwirkungen des 
Kohlenoxydgases auf die vitalen Organe, selbst nachdem es schon aus dem < 
Blute zum grösstem Theil verschwunden ist. 

Herr Fürbringer: Ich bin leider nicht in der Lage, einen klinischen 
Beitrag zur Wertschätzung der Bluttransfusion bei Kohlenoxydgasvergiftung : 
zu liefern, denn ich habe das vielleicht unerhörte Glück gehabt, dass j 
alle diejenigen Vergifteten (wenigsten */> Dutzend), die überhaupt noch Spuren 
von Athmung zeigten, entweder ohne oder durch kurze einleitende künst- j 
liehe Respiration im Zeitraum von einer Stunde bis längstens einem halben 
Tage wieder zum vollen Bewusstsein gelangt sind. Leider ist ein Theil j 
trotzdem noch später zu Grunde gegangen, aber nicht an den Folgen der j 
Kohlenoxydgasvergiftung als solcher, sondern an den Consequenzen anderer 
Ursachen, welche ich kurz besprechen möchte, nachdem College Guttmann 
das Stichwort Glottisoedem hat fallen lassen. Ich muss gestehen, dass ich die 
Nachkrankheiten gewisser Kohlenoxydvergifteten fast mehr zu fürchten ge- 1 
lernt habe, als die Intoxicationserscheinungen selbst, und da Herr Gutt- ! 
mann sich nicht geäussert hat, welche Vorstellungen er über die Ursache ■ 
des Glottisoedems hat, so möchte ich meine Meinung dahin aussprechen, 
dass das Kohlenoxyd al» solches mit dieser Larynxerkrankung wenig oder 
garnichts zu thun hat, sondern dass die acut entzündlichen Erscheinungen, 
wie sie sich im Kehlkopf abspielen, gern auch auf die Bronchien übergreifen 
und zu tödtlicher Broncbo-Pneumonie führen können, durch den Reiz ent¬ 
stehen, den die Producte der trockenen Destillation, der Rauch der brennen- ' 
den Gegenstände, entfalten. Ich kenne 3 solcher an den Begriff von Bränden 1 
mit Rauchentwickelung geknüpfter Fälle, von denen 2 aus Jena stammen. 
Es war da meines Wissens eine Circusbude in Brand geratheu dadurch, 1 
dass einige Schachteln richtiger alter Schwefelhölzer, mit denen 2 Kinder j 
gespielt, Feuer gefangen hatten. Die Kinder wurden bewusstloss intensiv | 
nach Rauch und schwefliger Säure riechend in meine Abtheilung eiugeliefert. 
Das eine erholte sich spontan bald wieder, das andere nach künstlicher | 
Respiration. Beide Kinder litten in Folge entzündlichen Oedems der ary- l 
epiglottischen Falten an den klinischen Erscheinungen des Croups. Das ! 
sogenannte Glottisoedem ging in dem einen Fall bald zurück, nahm aber in | 
dem anderen bedenklich zu, derart, dass ich die Messer zur Tracheotomie 
zurechtlegen Hess; wir warteten iudess und sahen zu unserer Freude das 
Kind in 2 Tagen gesunden. Der dritte Fall betrifft ein erschütterndes Er¬ 
eigniss, das vor 10 Tagen hier in Berlin sich abspielte. Drei Kinder eines < 
Arbeiters in der Pallisadenstrasse, welche unbewacht mit Zündhölzern ge¬ 
spielt und einen Zimmerbrand veranlasst hatten, wurden übeinandergeschichtet | 
an der nicht verschlossenen Thür gefunden. Die drei angerussten Körper 
wurden sofort nach dem Krankenhaus Friedrichshain gebracht. Zwei der¬ 
selben waren nicht „halberstickt“, wie in den Zeitungen berichtet, sondern 
bereits Leichen mit trüber Cornea. Das dritte Kind zeigte leichte Lebens¬ 
zeichen. Zwei sofort anwesende Assistenzärzte leiteten die künstliche Re¬ 
spiration ein, und als ich 2—3 Minuten später hinzukam, war die Athmung 
bereits wieder im Gange, wenn auch noch etwas stockend, der Puls wieder 
fühlbar. Das Kind kam bald zu sich, sprach etwas heiser, verbrachte den 


Tag ziemlich gut. erzählte, wie es in dem Kleiderschrank ,angegokelt* eb\. 
kurz zeigte sich wieder frei von den eigentlichen Symptomen der Kobleu- 
oxydvergiftung. In der Nacht fiel stärkere Heiserkeit auf, es traten die Er¬ 
scheinungen des Croups und der suffocativeu Bronchitis ein, die sich so 
schnell steigerten, dass in meiner Abwesenheit die Tracheotomie gemacht 
werden musste. Das hochfiebernde Kind starb demungeachtet und trotz 
sorgfältigster Pflege in der nächsten Nacht an den Lungencomplicationen. 
wie ein Croupkind. Wir fanden bei der Section, was wir erwartet hatten: 
zunächst eine entzündliche Schwellung der aryepiglottischen Falten mit 
leichten croupösen Beschlägen — es ist bekannt, dass bei Kohlendunstver¬ 
giftungen auch croupöse Processe im Rachen beobachtet werden — eine 
enorme Tracheitis und diffuse Bronchitis, sodass auf der Schnittfläche 
allenthalben Eiterpunkte in grosser Menge hervortraten, und beginnende 
Katarrhalpneumonie. Es darf nicht Wunder nehmen, dass derartige Reiz¬ 
erscheinungen starker Rauchaspirationen folgen. Sie wissen selbst aus eigener 
Erfahrung, wie intensiv ein einziger brennender Spahn unsere Athmung«- 
organe mit seinem Qualm belästigen kann. Die speciellen entzündungs¬ 
erregenden Producte selbst sind noch nicht genau bekannt Es scheint mir 
aber, als ob Holz, Stroh und namentlich Kleiderstoffe ganz besonders ver¬ 
derblich wirken. Man wird an die verschiedensten flüchtigen und brenzlichen 
Stoffe (Ammoniak, Essigsäure, Holzgeist, Brenzöle etc.) denken müssen. Mil 
Hämoglobinbindung im Blute haben sie nichts zu thun. (Schluss folgt.; 

vm. Berliner medicinisclie Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 5. December 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

Mit Bezug auf den Vortrag des Herrn Bellarminoff in der vorigen 
Sitzung macht Herr Hirsch borg darauf aufmerksam, dass ein mit dieser 
Methode optisch übereinstimmendes Verfahren bereits 1882 von ihm für 
das Fischauge angewandt sei. 1 ) Für die Untersuchung des Menschen¬ 
auges kann er jener Methode keinen besonderen Werth beilegen. Will man 
die Hornhaut ausschalten, so bedarf es nicht des immerhin etwas gewaltsamen 
Aufdrückens auf dieselbe: die Hornhaut kann man nach einer Idee von 
Helmholtz einfach durch Vorhalten einer Concavlinse von l */*—2" Brenn¬ 
weite ausschalten. Das Netzhautbild ist nach Grösse und Ausdehnung (Ge¬ 
sichtsfeld) genau dasselbe. — Herr Uhthoff bemerkt dazu, dass das Verfahren 
des Herrn Bellarminoff doch einige Vorzüge besitze. Es mache das Ge¬ 
sichtsfeld grösser, und die Orientirung sei eine bessere, als wenn man einfad] 
ein Concavglas vor das Auge bringt. Dagegen lasse sich allerdings geltend 
machen, dass die Methode für die Patienten bedeutend unbequemer sei. — 
Vor der Tagesordnung erhält sodann noch das Wort: 

1. Herr E. Hahn: Ueber operative Entfernung eines Eaehoadrwwn. 
Patient, ein 33jähriger, schwächlich aussehender Arzt, bemerkte Anfang 
dieses Jahres an der 9. Rippe einen Tumor, der sich allmählich vergrößerte 
und am 28. April von Bruns in Tübingen durch Resektion der 9. Rippe 
entfernt wurde. Vier Monate später stellte sich ein Recidiv ein. Das¬ 
selbe wurde am 19. September ebenfalls von Bruns durch Resection der 
8. Rippe operirt. Aber schon im November trat ein erneutes Recidiv auf. 
und Patient, der inzwischen von Süddeutschland in die Gegeud von Dessau 
übergesiedelt war, consultirte den Vortragenden. Man bemerkte an dem 
Patienten im Verlauf der 9. Rippe eine Narbe von ungefähr 15 cm Länge 
und in einem Winkel von 35 0 dazu eine ebenso lange Narbe. Am Schnitt¬ 
punkt der beiden Narben konnte ein etwa doppeltfaustgrosser Tumor narh- 
gewiesen werden. Da der Patient unter allen Umständen die Entfernung 
desselben wünschte, führte Vortragender am Tage zuvor die Operation aus. 
Er machte zunächst, den alten Narben folgend, Incisionen und priparirte 
die dadurch entstandenen vier Lappen in ihrer ganzen Ausdehnung von 
dem Tumor frei. Es schien anfangs, als ob es nicht nöthig sein würde di- 
Peritonealhöhle zu öffnen, bei dem Versuch, den Tumor mit der Hand zu 
umfassen, riss jedoch das Peritoneum ein. Die 6., 7., 8., 9. und 10. Ripp- 
wurde nun resecirt, der Tumor herausgewälzt, und damit in grosser Am¬ 
dehnung die Peritonealhöhle und die Pleurahöhle eröffnet. Sofort wurde di« 
Oeffnung mit antiseptischer Gaze verstopft, bis der Tumor entfernt war. 
und sodann das Zwerchfell an den oberen Wundrand angenäht. Da sich 
auf dem Peritoneum noch Tumorbildungen zeigten, musste noch ein hand¬ 
tellergrosses Stück des Peritoneum resecirt werden. Nunmehr gelang e> 
nicht mehr, die ganze Oeffnung in der Bauchhöhle zu schliessen, deshalb 
wurde in die Wunde antiseptische Gaze eingelegt — Was die Natur de- 
Tumors anlangt, so bestand derselbe ans hyalinem Knorpel mit sehr großen 
Zellen, ferner aus Netzknorpel und ausserdem aus einem Spindelzellen¬ 
sarkomgewebe uud an einzelnen Stellen auch aus myxomatösem Gewebe, >o 
dass der Tumor als ein Myxo-Fibro-C hondro-Sarkom bezeichnet werden 
kann. — Der Patient befindet sich seit der Operation relativ gut. Er¬ 
scheinungen von Peritonitis sind nicht vorhanden, so dass zu hoffen ist. 
dass er die Operation überstehen wird. 

Zur Tagesordnung erhält sodann das Wort: 

2. Herr Bramann: Ueber Dermoide der Nase (Krankenvorstelhmg . 
Vortragender stellt nach einigen einleitenden Worten über die Aetiologi« 
der Dermoide und über die Entwickelung der Nase vier Fälle von Dermoid 
der Nase vor: 

a) Ein etwa vier Monate altes Kind, das bald nach der Geburt auf die 
chirurgische Klinik gebracht wurde. Bei demselben faud sich im Bereich 
des unteren Theiles der knöchernen und des oberen Theiles der knorpeliges 
Nase in der Medianlinie eine Vorbuchtung, die von etwas gerötheter Haut 
bedeckt war. Die Geschwulst fluctuirte deutlich, und nach einigen Tages 
war sie perforirt; es entleerte sich der charakteristische Inhalt des Dermoid». 

l ) Veröffentlicht in K. du Bois-Reymond’s Arcb. 1882, 8. 501. Vgl. 
(Jentralbl. f. pr. Augenheilk. 1882, 8. 504. 


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13. December. 


DEÜT80HE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1035 


Seitdem besteht an der Perforationsstelle eine Fistel, aus der sich von Zeit 
zu Zeit ein wenig Dermoidbrei mit feinen Härchen ausdrücken lässt. Eine 
derartige Fistelbildung bei Dermoiden ist eine sehr häufige und kann sich 
dauernd erhalten, wie der folgende Fall zeigt. 

b) Patient, ein bereits erwachsener Mensch, giebt an, dass er als Kind von 
einem Jahre eine kleine Geschwulst auf der Nase gehabt habe. Allmählich 
sei aus der Geschwulst ein Geschwür geworden, und es habe sich eine 
grössere Menge Eiter aus demselben entleert. Seit der Zeit sei die Oeffnung 
nicht wieder verheilt, und von Zeit zu Zeit sei bei Druck auf den oberen 
Theil der Nase ein weisslicher Brei herausgekommen. Man sieht jetzt au 
der knöchernen Nase eine geringe Auftreibung und an dem unteren Rande 
derselben eine Einsenkung und die kleine Oeffnung. aus welcher ein Büschel 
Haare hervorwächst. 

c) Der dritte Patient ist ein Knabe, der ira Sommer vorigen Jahres in 
Behandlung kam. Er zeigte auf der Mitte der Nase eine grosse, fast halb¬ 
kugelige Geschwulst, die deutlich fluctuirte. Es konnte festgestellt werden, 
dass seit der Kindheit eine kleine Geschwulst bestanden hatte, die all¬ 
mählich wuchs, sich aber zu keiner Zeit öffnete. Vortragender exstirpirte 
den Sack und kam dabei sehr tief unter die Nasenbeine herunter, der Gang 
erstreckte sich bis zur Stirn hin. Der noch vorhandene Inhalt wurde mit 
dem scharfen Löffel beseitigt und die Wunde vernäht. 14 Wochen nach der 
Heilung zeigte sich wieder eine kleine Oeffnung, so dass wohl unterhalb des 
Nasenbeines noch ein Rest des Dermoidsackes zurückgeblieben ist. der durch 
eine zweite Operation zu entfernen sein wird. 

d) Der vierte Patient endlich giebt ebenfalls an, dass er schon als Kind 
eine Geschwulst mehr auf der linken Seite der Nase gehabt habe. Nahe 
der Nasenspitze befand sich eine kleine Oeffnung, aus welcher sich von Zeit 
zu Zeit weisslicher Brei entleerte. Im vorigen Jahre trat stärkere Entzündung 
und Schwellung auf, und die Geschwulst soll sich nach der rechten Seite 
ausgebreitet haben. Als Patient iu Behandlung kam, bot die Erkrankung 
das Bild eines Abscesses, so dass anfangs die Diagnose zweifelhaft sein konnte. 
Erst die nähere Analyse führte auf die Diagnose Dermoid. Auch hier wurde 
der Sack exstirpirt, der bis unter das Nasenbein herunterreichte. Die kleine 
Fistel nach der Nasenspitze führte in den Balg hinein. 

3. Discussion über den Vortrag des Herrn Schüller: lieber die 
fcOngtliehe Steigerung des Knochenwachsthonis beim Menschen. 

Herr Jul. Wolff hält es für dankenswerth, dass Herr Schüller die 
■Bestrebungen Ollier’s, Poncet’s und v. Langenbek’s, eine künstliche 
Steigerung des Längenwachsthums der Knochen zu bewirken, wioder aufge¬ 
nommen hat. Er hat aber in den von Herrn Schüller raitgetheilten Fällen 
nicht die Ueberzeuguug gewinnen können, dass hier das Einschlagen der 
Stifte von besonders grosser Wirkung gewesen ist; er glaubt vielmehr den 
Hrfolg wesentlich der übrigen Behandlung zuschreiben zu sollen. Herr 
Schüller hätte die Stifte nicht in die juxtepiphysäre Diaphysenschicht, 
sondern in die Diaphysenmitte einschlagen, und er hätte sie längere Zeit 
hindurch, als er es gethau, liegen lassen müssen. — Dem Versuch des Herrn 
Schüller, bei Genu valgum durch das Einschlagen eines Stifts in das 
Diaphysenende an der verkürzten lateralen Seite die Deformität zu beseitigen, 
vermag Herr Wolff nicht zuzustimmen. Es handelt sich bei Genu valgum 
keineswegs, wie Mikulicz meinte, jedesmal um eine Erkrankung der Dia- 
physenenden; vielmehr handelt es sich um überall gesundes Knochen- 
jgewebe, welches nur in Folge veränderter statischer Verhältnisse 
in seiner Form und inneren Architectur verändert ist, —wie dies Mikulicz 
selbst nach Betrachtung der Präparate des Herrn Wolffrauf dem Chirurgen- 
irongress 1884 zugegeben hat. Es kann demnach auch nur eine einzige 
Hehandluugsweise des Genu valgum geben, nämlich diejenige, welche in 
der möglichst schleunigen Herstellung richtiger statischer Verhältnisse — 
rnit oder ohne Zuhülfenahme der Osteotomie — besteht. — Herr Wolff 
kann ferner der von Herrn Schüller vertretenen Ollier’schen Auffassung 
nicht beistimmen, dass bei einer Reizung der Diaphyse der Reiz auf den 
Kpiphysenknorpel übertragen werde, und verweist auf seine eigenen 
Arbeiten, in welchen er gegenüber der noch fast überall, wie K. Barde¬ 
lehen sagt, „krampfhaft festgehaltenen“ Lehre vom ausschliesslich ap- 
positioneilen Wachsthum das expansive Wachsthum der Knochen unzwei¬ 
deutig nachgewiesen habe. Durch diesen Nachweis werde die wunderliche 
Olli er’sehe Theorie von der «irritation pratiquee ä distance“ umgestürzt. 

Herr Bidder ist der Ansicht, dass es Herrn Schüller gelungen ist, 
die durch das Experiment nachgewiesene Thatsache, dass nach Reizung der 
Diaphyse ein Längenwachsthum des Knochens eintrete, mit Erfolg für die 
Therapie zu verwerthen. Herr Bidder recapitulirt sodann die Ergebnisse 
jener Experimente, welche erwiesen haben, dass Zerstörung der inter¬ 
mediären Epiphysenknorpel das Längenwachsthum der Röhrenknochen 
hindert, dass durch Reizung der Diaphyse das Längenwachsthum ge¬ 
steigert wird, und dass endlich die Reizung der Diaphyse ihren Einfluss 
auf das Längenwacbsthum verliert, wenn man vorher den Epiphysenknorpel 
in der Weise schädigt, dass eine bindegewebige oder knöcherne Verwachsung 
zwischen Epiphyse und Diaphyse stattfindet. Zum Beweis der Tbatsachen führt 
Herr Bidder ältere eigene Experimente über partielle Entfernung des 
Fugenknorpels der Tibia mit nachfolgender Genu valgum-artiger Verkrümmung 
an. Besonders interessant sei der Erfolg, den Schüller durch Einschlagen 
eines Nagels in die laterale Hälfte des unteren Femurdiaphysenendes bei 
einem doppelseitigen Genu valgum erzielte, indem dieser Reiz in Verbin¬ 
dung mit anderen Maassnahmen durch partielle Steigerung des Längen¬ 
wachsthums völlige Heilung zur Folge hatte. Es sei daher zu hoffen, dass 
durch dieses Verfahren die orthopädische Behandlung des Genu valgum ab¬ 
gekürzt, und die Osteotomie eingeschränkt werden könne. Auf Herrn Wolff’8 
Auslassungen will Bidder nicht eingehen, da alle Sachverständigen darin 
einig seien, dass das Knochenwachsthum der Hauptsache nach ein appositio- 
nelles sei, und weil Niemand das Vorhandensein'eines sogenannten inter¬ 
stitiellen Knochenwachsthums in ganz beschränktem Maasse geleugnet habe. 

Herr Schüller verzichtet darauf, auf die alte Controverse, ob inter¬ 
stitielles oder appositionelles Knochenwachsthum, nochmals einzugehen, er 


' hält daran fest, dass für das Längenwachsthum der Schwerpunkt auf das 
i appositioneile Wachsthum zu legen ist. Herr Schüller leugnet keineswegs, 
i dass in seinen Fällen die übrige Behandlung für den Erfolg von Bedeutung 
gewesen ist; dass jedoch das günstige Ergebniss hiervon nicht allein ab¬ 
hängig gewesen ist, beweisen die Fälle, in welchen die übrige Behandlung 
für sich allein augewandt wurde. Seine Behandlung des Falles eines schweren, 
I vorher vergebens behandelten Genu valgum finde eine sehr gute Begründung 
; in der heutigen Lehre vom Genu valgum. Der Fall beweise auch, wie 
i wesentlich der Sitz des Reizes für den Erfolg ist. 

4. Herr v. Bergmann: Ein Fall von gehelltem Hlrnabscess (Kran¬ 
kenvorstellung). (Der Fall ist an anderer Stelle dieser Nummer mitgetheilt.) 


IX. Freie ■Vereinigung der Chirurgen Berlin’s. 

Sitzung am 5. November 1888 im Königlichen Klinikum. 

(Schluss aus No. 49.) 

3. Herr Sonnen burg theilt einen Fall von Totalnekrose der Femur* 

| diaphyse naeh Osteomyelitis mit und stellt die geheilte Patientin vor. 

Dieselbe erkrankte 1885 an acuter Osteomyelitis des Femur, 1887 wurde sie 
von Sonnenburg operirt. Die Operation bestand in einer Incision vom 
! Condylus externus bis zum Trochanter und Extraction der in einer mächti¬ 
gen, aber noch vollständigen, weichen, vom Periost gebildeten Todtenlade 
befindlichen Femurdiaphyse. Der Femurkopf war mit der Pfanne ver- 
■ wachsen. Der Fall zeichnet sich dadurch aus, dass hier, trotz der in 
solchen Fällen bekannten geringen Neiguug des Periost zur Knochen- 
: ueubildung (denn die grösste Anzahl derartiger osteomyelitischer Er- 
i krankungen führt zu Amputationen resp. Exarticulationen), eine Consoli- 
dation eintrat. Die Verkürzung entspricht ungefähr dem ausgestosseuen 
, Stücke. Der Vortragende nimmt an, dass die dicke, bei der Operation noch 
weiche, vorn Periost gebildete Knochenlade verknöchert ist, wozu auch Reize 
in Form von Ausschabungen u. dgl. m., die im Laufe der nächsten Monate 
nach der Operation noch vorgenommen wurden, beigetragen haben. 
Die Pat. kann mit Hülfe einer geeigneten Prothese gut gehen. Das Hüft¬ 
gelenk ist ankylotisch, Knie- und Fussgelenk nur wenig beweglich. 

4. Herr Helfe rieh (Greifswald) zeigt im Anschluss hieran einige Prä- 
> parate von Totalnekrose, welche experimentell in der Tibia von Kaninchen 
i durch Anbohrung der Markhöhle von unten her und Ausfüllung mit Holz¬ 
splittern erzeugt war. Die ganze Diaphyse liegt als Totalsequester (in einem 

; Präparate lose, in anderen noch nicht gelöst, aber deutlich demarkirt) in 
der Lade. Da die Experimente an wachsenden Thieren angestellt sind, ist 
die Art der Verbindung der oberen Epiphyse mit der neuen Tibialade zu 
sehen. Der Knochen ist hier weiter gewachsen, und die Linie des Inter¬ 
mediärknorpels erscheint an den Rändern intact (cf. Helferich’s Arbeit 
in Bd. X der deutschen Zeitschrift für Chirurgie). Völlig ungestört ist je¬ 
doch das weitere Wachsthum des Knochens nach dem schweren Eingriff 
nicht vor sich gegangen. 

Da es nach Helferich’s Erfahrung in einzelnen Fällen gelingt, Fälle 
von Totalnekrose mit geringerer Verkürzung zur Heilung zu bringen, als 
der Fall von Herrn Sonnenburg sie bietet, wenn nämlich die Sequestro- 
tornie nicht zu lange hinausgeschoben und darauf (ausser anderen Hülfs- 
. mittein) eine sehr energische permanente Gewichtsextension ausgeübt wird, 
so fragt er an, ob in dom vorgestellten Falle auch Extension angewendet 
wurde. 

Herr v. Bergmann erwähnt, dass er augenblicklich in der Lage sei, 

; die Behauptung des Herrn Souuenburg von dem Ausbleiben einer ersatz- 
fähigen Todtenlade in vielen Fällen der durch eine acute Osteomyelitis be¬ 
dingten Totalnekrose von grossen Röhrenknochen durch ein Beispiel zu 
illustriren. Er habe 2 Tage vorher einen Colossalsequester aus dem Vor¬ 
derarm eines 18j. Mädchens entfernt, der, wie das vorgewiesene Präparat 
; zeigt, den ganzen Radius repräsentirt. 

Vor 3 Vs Jahren war das Mädchen, wie es scheint, plötzlich schwer er- 
kraukt. Nebem dem linken Radius war noch der untere Abschnitt des 
rechten Femur afficirt. Grosse Fisteln führten von der Streck- und Beuge¬ 
seite des Vorderarms zum Sequester. Das Ellbogengelenk ist in seinen Be¬ 
wegungen verkürzt, das Handgelenk in Subluxationsstellung ankylotisch. 
Von einer Todtenlade existirt fast keine Spur. In Folge dessen bildet der 
Vorderarm einen Bogen, dessen Concavität nach der Radialseite liegt, und 
ist um G cm kürzer als der der anderen Seite. Das untere Ende der Ulna, 
namentlich dessen Proc. styloideus ragt auffallend nach abwärts vor. Zu¬ 
gleich zeigt auch die Ulna eine der erwähnten Form des Vorderarms ent¬ 
sprechende Krümmung. Die Patientin wird hereingebracht, um die be- 
j treffenden Verhältnisse zu demonstriren. 

Herr v. Bergmann meint, dass das Ausbleiben der sonst so präcise 
erfolgenden Kuochenneubildung von der osteoblastischen Schicht des Periosts 
abhängig sei, von der Schwere der osteomyelitischen Affection und von einem 
, längeren Verweilen des Eiters unter dem in toto abgehobenen Periost. 

; Letzterer Umstand dürfte für die Zerstörung der Osteoblasten raaass¬ 
gebend sein. 

Herr Wegner erwähnt eine zu Versailles 1870 ausgeführten Extraction 
I einer ganzen nekrotischen Humerusdiaphyse aus der umgebildeten Todten- 
I lade. 

Herr Ob.-St.-A Hahn hat aus einem Oberschenkelamputationsstumpf 
! eine nekrotische Diaphyse von 10 cm Länge herausgezogen. 

Herr P. Güterbock macht darauf aufmerksam, dass ein gleiches Ver- 
, halten wie in den Versuchspräparaten des Herrn Helferich bereits in 
klinisch beobachteten Fällen am Lebenden von ihm beschrieben worden sei. 
Hier sei nicht nur der nekrotische Humerusschaft, sondern auch das ent¬ 
sprechende Ellenbogengelenk, allerdings zu zwei verschiedenen Zeiten ent¬ 
fernt worden. Der von Herrn Güterbock selbst operirte Fall, den er s. Z. 
der Berliner medicinischen Gesellschaft vorgestellt, hatte trotz Zurückbleibens 
des Humerus im Wachsthum, wie er sich nachträglich überzeugt, ein recht 
befriedigendes functionelles Erp»**"'«« 



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1036 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 50 


Angesichts der guten, vom Herrn Vortragenden erzieltet! Resultate sei 
die Erinnerung vielleicht angebracht, dass, als einer der ersten deutschen 
Chirurgen in vorantiseptischer Zeit, der verewigte Lehrer des Redners, 
Wilms. Resectionen der ganzen Diaphyse nekrotischei Röhrenknochen, und 
zwar schon vor Bildung der Todtenlade, erfolgreich ausgeführt habe. Be¬ 
kannt sei ein die ganze Tibia betreffender, von Güterbock in seiner bereits 
erwähnten Arbeit angeführter Fall, welcher einen so günstigen Ausgang 
nahm, dass der betr. Patient zwar nicht als Soldat, so doch als Reitknecht 
eines Generals den Feldzug 1866 später mitmachen konnte. Heutzutage 
wäre der Entschluss zu einer Resection bei frischer Osteomyelitis, wo sich 
noch keine Todtenlade gebildet, kein so gewagter mehr, wie Redner in zwei 
von ihm jüngst operirten Fällen gesehen. 

Herr Sounenburg erwidert Herrn Helferich, dass die Nach¬ 
behandlung bei seiner Patientin im Anfänge mit starker Extension erfolgte. 
Dann meint er, dass das gute Resultat vielleicht hier auf den spät erfolgten 
operativen Kingrieff zurückzuführen sei. 

Herr Langeubueh hat im vorigen Jahre einer 20jährigen Dame die 
ganze linksseitige Ulna, welche multiple osteomyelitische Herde beherbergte, 
exstirpirt. Auch in diesem Falle hatte - sich keine Spur einer Todtenlade 
gebildet. 

5. Herr Sonnenburg: Vorstellung einer frühzeitig anfgetretenen 
Artliropathia labidorum. Redner stellt einen Patienten vor, der vor 
1 1 2 Jahren eine Distorsion des Fussgelenks und Fractur der Fibula 
im unteren Drittel erlitten hat. Dio Heilung ging glatt vor sich. Doch hat 
sich seit jener Zeit in dem betrellenden Gelenk eine allmählich entstehende 
Veränderung gezeigt, die den Patienten veranlasste, vor einigen Wochen 
seinen Rath zu suchen. 

Hei der Untersuchung zeigte sich oine starke Anschwellung des linken 
Fussgelenks, dio vorwiegend durch extraarticuläre Auflagerungen bedingt 
war. Wenn auch anscheinend das Bild der Arthritis deformans vorhanden 
war, so fehlten doch die speciell iutraarticulären Knorpelhyperplasieen. so 
dass man ohne Weiteres zur Annahme einer Arthropathia tabidorutn geführt 
wurde, zumal die vom Periost und den Weichtheilen ausgehende Knochen¬ 
neubildung bereits auf die Muskeln überzugehen schien. Defecte oder etwas 
lose Knochenstücke waren nicht vorhanden. Die Dorsal- und Plantarflexion 
waren durch die Geschwulst behindert, die seitlichen Bewegungen ausgie¬ 
biger als normal. 

Die Diagnose einer Arthropathia tabidorum wurde durch die weiteren 
Untersuchungen bestätigt. Die Kniephänomeue fehlten, die Sensibilität der 
Beine zeigte nur geringe Störungen, Analgesie war nicht vorhanden. Das Gehen 
war nicht auffallend, Ataxie nicht nachzuweisen. Unbedeutendes Schwanken 
bei geschlossenen Augen. Pupillen gegen Licht rcagirend, Sehvermögen ohne 
Störung. Kxeenfrische Schmerzen hat Pat. in den Beinen nie gehabt, auch 
kein Taubheit>gefühl. Ein erster Beginn relativ leichter tabischer Symptome 
ist entschieden vorhanden. 

Es fehlen in diesem Falle also Ataxie, Analgesie und Knochenbrüchig¬ 
keit, die drei Factoren, welche gewöhnlich für die Arthropathia tabidorum ver¬ 
antwortlich gemacht werden. Erkennt man aber die bei dem Patienten vor¬ 
handene Störung als Arthropathia tabidorum an, so muss man auch die Spe- 
eilicität des Leidens anerkennen. Ein direkter Zusammenhang mit dem 
Rückenmarksleiden ist anzunchmeu. Dabei ist es zuuächst einerlei, ob die 
spinalen Veränderungen oder die peripherische Nerveudegeneration die pri¬ 
mären Gelenkveränderungen bedingen. 

Auf dem vorletzten Chirurgencongress hat sich Sonnenburg für die 
Speeificität der Affectionen ausgesprochen und betont, dass, um Klarheit in 
die Suche zu bringen, man besonders die frühzeitig auftreteuden Formen 
beobachten müsse. Der vorliegende Fall eignet sich besonders zu näherem 
Studium, weil er in seltener Weise in einem ganz frühen Stadium der Tabes 
die charakteristischen Veränderungen der Gelenkenden in exquisiter Weise 
zeigt. 

Herr Rotter: Dieser Fall, welchen eben Herr Sonnen bürg für die 
Charcot’sche Ansicht, dass die Arthropathieen direkten Nerveneinflüssen 
ihre Entstehung verdanken, verwerthet hat, scheint mir gerade das Gegen- 
theil zu beweisen. Die Gelenkaffecliou, die starken extracapsulären Knochen¬ 
wucherungen sind im Anschluss an eine suprainallcoläre Fractur der Fibula 
entstanden. Herr Sonnenburg hat im Verlauf der Krankengeschichte be¬ 
tont, dass der Patient nach den Untersuchungen Westp hal’s an Sensibilitäts- ; 
Störungen der Beine leidet, und dass die Fussgelenksaffection ganz schmerzlos | 


Patienten Analgesie des Gelenkes nicht anzuuehmen sei. Eis sei ganz 
falsch, aus der Schmerzlosigkeit der Gelenkveränderungen ohne Weiteres 
einen Schluss auf etwa vorhandene Analgesie zu ziehen, bei dem vorge¬ 
stellten Kranken handle es sich um den ersten Beginn relativ leichter ta¬ 
bischer Zeichen. Trotz des Mangels einer Analgesie, Ataxie und Knochen¬ 
brüchigkeit seien die charakteristischen Veränderungen im Gelenk vorhanden. 
Die Erkrankung des Gelenkes sei hier eines der ersten Symptome, eine 
Thatsache, die Herr Rotter vergeblich zu leugnen suche. 

6. Herr v. Bergmann spricht über die Ursachen der schrigea Ge¬ 
sichtsspalten mit Bezug auf die 34 von Morre au zusammengest eilten 
Beobachtungen einer solchen. In diesen 34 Fällen Hessen sich 27 Mal 
gleichzeitige Störungen nachweisen, die auf eine im früheren Leben statt¬ 
gefundene Verbindung mit deren Amnion resp. Bildung amniotischer Stränge 
zurückzuführen waren. Wo auch die Stränge liegen, ob am Rande eino 
fötalen Spalts oder an irgend einer Stelle der Oberfläche eines der Theile. 
aus welchen sich der Oberkiefer aufbaut, immer wird ihre Druck- oder 
Zugwirkung darauf hinauskommen, dass der Zusammenstoss der den Spalt 
begrenzenden Theile ausbleibt, und so die Spaltbildung zu Stande kommt. 

Nach diesen Erfahrungen ist es nicht uninteressant, dass in voriger 
Woche zwei Kinder mit doppelten Hasenscharten in der Klinik zur Vorstellung 
kamen, bei denen es sich gleichzeitig um spontane Amputationen der Finger 
beider Hände handelte. Das eine der Kinder wird vorgestellt. Ein Hinweis 
auf die Möglichkeit der Entstehung auch der Hasenscharte durch die Ad¬ 
härenz oder Lage des die intrauterine Amputation besorgenden amniotischen 
Stranges liegt in der betreffenden Combination recht nahe. An einem dritten 
Kinde mit doppelter Hasenscharte, das ebenfalls vorgestellt wird, Anden 
sich zwei symmetrisch von der Mittellinie gelegene Hautläppchen, die an ihrer 
Basis eine weissliche lineare Einschnürung zeigen. Herr v. Bergmann 
möchte auch diese für Hautauhängscl halten, wie sie an der Ansatzstelle 
von früh gelösten amniotischen Strängen sich in der ersten Zeit des Fötal- 
lebens bilden können. 

Herr Rose: Die merkwürdige Missbildung an der Schleimhaut der 
Unterlippe, welche uns Herr v. Bergmann eben bei einem Kinde mit 
Hasenscharte gezeigt hat, entspricht ganz den Fällen, auf die ich 1S68 in 
meinem Vortrage über die angeborene Lippenfistel und den Unterlippen¬ 
rüssel die Aufmerksamkeit der Berliner Gesellschaft für Geburtshülfe geleckt 
habe. Dieselbe Lage symmetrisch beiderseits auf der Schleimhautseite der 
Unterlippe dicht am Lippenroth; mit der Sonde dringt man beiderseits 
parallel der Unterlippenhaut etwa 3 U cm ein. Es fehlt hier also die Ver¬ 
bindung mit dem Unterlipponrüssel, wie bei den meisten Fällen von Lippen¬ 
fistel, ganz so wie in meinem 2. Fall, den mein einstmaliger Secundärarzt 
Herr Dr. Fritsche (jetzt Director des Canton-Krankenhauses zu Glarus - ! in 
seiner Arbeit (Beiträge zur Statistik und Behandlung der angeborenen 
Missbildungen des Gesichtes (Hasenscharte, Lippenfistel, Gesichtsspalte) 1878 
aus meiner Züricher Klinik mitgetheilt uud allgebildet hat- 

Eigenthümlich diesem Fal 1 e hier ist, dass dio Schleimhaut des Grundes 
in den Fisteln wie zwei cylindrische Wulste gelegentlich vortritt, analog dem 
Prolapsus aui bei widernatürlichem After etc., wahrscheinlich, weil die 
Fisteln so auffallend breit gerathen sind, ganz entsprechend der grossen 
Breite des doppelten Wolfracheus. 

Es handelt sich um eine Inversion des Grundes bei diesen Sebleim- 
hautcylindern, während alle amniotischen Bänder, die ich kenne, flach band- 
i artig waren und an der äusseren Haut sassen. 

Alle diese Missbildungsn der Unterlippe, die Lippenfisteln, der v.»n 
| mir sogenannte Unterlippenrüssel, Ammou’s dreifaches Frenulum der Unter- 
j lippe, Birkett’s Unterlippencyste habe ich damals in meinem Vortrag in 
ihrer Entstehung erklärt durch den Hinweis auf die Bildung des Unter¬ 
kiefers mittelst eines unteren Zwischenkiefers, wie ihn zuerst Reichert 
bei einem Schweineembryo gefunden hat. 

Herr Madelung erklärte die demonstrirte Missbildung gleichfalls für 
angeborene Unterlippenfistel. Dass Sondirung der auf der Höhe der 
warzenähnlichen Knötchen liegenden Gruben nicht gelang, und der Schleim¬ 
austritt aus denselben nicht nachweisbar war, spricht nicht gegen diese 
Auffassung: in einem von Madelung vor Kurzem behandelten und anato¬ 
misch genau untersuchten Fall (v. Langenbeck’s Archiv Bd. XXXVII. 
Heft 2) war Sondirung unmöglich und der Schleimhautabgang ganz minimal. 

Herr v. Bergmann: Einen Gang in den beiden warzenähnlichen Er¬ 
hebungen habe ich mit Hülfe selbst feinster Sonden nicht finden können. 


verlaufen ist. Diese offenbar vorhandene Analgesie erklärt hinreichend durch 
die häufigen traumatischen Reize, welche sich beim natürlichen Gebrauch des 
Beines sowohl im Bereich der Fractur als auch im Gelenk und dessen Nachbar- < 
Schaft ergehen, die Entstehung der periostalen Knochenauflagerungen. In zwei | 
ganz analogen, von mir beobachteten Fällen von Fussgelenksarthropathieen, in j 
denen cs sich um Abbruch des Malleolus internus handelte, hatten sich gerade 
wie im Sonnenbürg’sehen Falle so mächtige Knochenwucherungen am un¬ 
teren Ende der Tibia uud Fibula gebildet. — Beide Patienten waren Wochen und 
Monate lang nach erfolgter Fractur umhergegangen. — Bei einem dritten 
Kranken, bei welchem durch einen Fall eine doppelseitige Malleolenfractur 
sich ereignet hatte, hat sich die Uallusproduction in der Grenze des nor¬ 
malen erhalten, weil der Patient ruhig in Verbänden gelegen hat. 

Wie diese Beobachtungen, so haben eine grosse Anzahl von in der 
Literatur enthaltenen Fällen in unzweifelhafter Weise bewiesen, dass der so 
oft angetroffene C'allus luxurians hei Tahideti nur durch die starken trau¬ 
matischen Reize entsteht, welche in Folge der Analgesie möglich sind. 

Zum Schluss erwähnt Herr Rotter, nachdem Herr Sonnenburg die 
Sensibilitütsslöruugen hei seinen Patienten leugnete, dass die Affection 
am Gelenk seines Patienten, nach dessen eigener Angabe schmerzlos 
verlaufen sei. So lange die Lehre der Arthropathieen besteht, ist dieses 
Sjinptoin auf eine bc-iehende Analgesie des Gelenkes und der umgehenden 
tieferen Weichtheile bezogen worden. Herr Rotter fragt, warum Herr 
Sounenburg gerade für diesen Fall eine andere Deutung auwenden will? 

Im Schlussworte betont Herr Sonnen burg noch einmal, dass bei seinem 


Richtigstellung zu Seite 1017: Herr Gurlt hat nicht die von mir er¬ 
wähnten Instrumente des Hippokrates unter die Phantasiegebilde verwiesen, 
sondern im Gegentheil sich lebhaft dafür interessirt. Er hat vielmehr die 
Abbildungen der Instrumente zur Einrenkung u. 8. w. in den Ausgaben 
— ich gedachte nur der Beschreibung im Text — für Phantasiegebilde 
der modernen Chirurgie erklärt. Richtig ist, dass nur eine ältere Hand¬ 
schrift des Hippokrates (No. 2248, aus der Sammlung desNiketas) ein»- 
Abbildung der berühmten Bank enthält, die noch dazu, nach Littrö, mit 
der Beschreibung des Hippokrates nicht übereinstimmt. J. Hirschberg 

X. Journal-Revue. 

Anatomie. 

3. 

Schwabach. Zur Entwickelung der Rachentonsille. 
Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. XXXII. 

Die vorliegende vortreffliche Arbeit beweist wieder einmal aufs 
schlagendste, dass eine anatomische Thatsache jeder vermeint¬ 
lichen klinischen Erfahrung vorangehen muss. In seiner frühe¬ 
ren Arbeit „Ueber die Bursa pharyngea“ (am gleichen Orte, Bd. XXIX' 
hatte Schwabach den Nachweis geliefert, dass eine Bursa pha- 
ryugea im Sinne Luschka’s nicht bestehe, dass dagegen in der 


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13. Deceniber. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT’. 1037 


Mittellinie der Rachentonsille eine einfache Einsenkung der Schleim- ; 
haut sich finde, welche als das Ende der an allen normalen 
Rachentonsillen vorhandenen mittleren Spalte oder als Vereinigungs¬ 
punkt der mittleren Spalte mit beiden seitlichen erscheine. Der 
Krage, ob diese Einsenkung irgend welche Bedeutung in anatomi- j 
scher oder physiologischer Hinsicht habe, ist Verfasser nunmehr 
näher getreten. Derselbe hat seine Untersuchungen an 45 mensch¬ 
lichen Embryonen angestellt (im anatomischen Laboratorium Wal- 
deyer : s). Zunächst ergab sich auf’s neue, dass Hypophysengang 
und Recessus phar. med. uicht in genetischem Zusammenhänge ste- ] 
heu, und dass der letztere erst dann auftritt, wenn der erstere längst 
geschlossen ist. An der Uebergangsstelle des Fornix phar. in die 
hintere Rachenwand in der Mittellinie der Schleimhaut fand sich 
eine zuerst in Form eines Grübchens oder einer flachen Spalte auf- 
tretende Einsenkung, der embryonale Recessus phar. raed., als erste 
Anlage der Rachentonsille. Die Einsenkung verflacht sich immer 
mehr, indem das Grübchen sich nach vorn in eine mehr oder we¬ 
niger ausgeprägte Längsspalte ausdehnt; die vordere Wand des 
trichterförmigen Grübchens geht somit unmittelbar iu die obere 
Wand der mittleren Spalte der Rachentonsille über, als deren leicht 
vertieftes Ende schliesslich bei reifen Früchten bezw. Kindern in 
den ersten Lebensmonaten sich die Einsenkuug erweist. Die Bil- , 
düng der Rachentonsille kommt dadurch zu Stande, dass zunächst 
in der Umgebung der Einsenkung lymphkörperchenartige Zellen ; 
mehr und mehr sich anhäufen. Diese Anhäufung, anfangs in der 
Gegend der Einsenkung am dichtesten, breitet sich bei fortschrei- | 
tender Entwickelung sowohl weiter nach vorn, als auch seitwärts, 
und zwar immer entsprechend der weiter fortschreitenden Ausbil- I 
düng der an der Schleimhautoberfläche sichtbaren Spalten, aus. 

Nachdem Schwabach auch diese Arbeit noch geliefert hat, , 
dürfte es doch an der Zeit sein, dass Veröffentlichungen über Er¬ 
krankungen der sog. Bursa pharyngea, als eines selbstständigen Or¬ 
ganes der Rachenhöhle, unterblieben. Es handelt sich iu solchen 
Fällen, wie Schwabach wiederholt dargelegt hat, lediglich um die 
pathologisch veränderte mittlere Spalte der Rachentonsille. Es ist j 
auch gar nicht erfindlich, weshalb manche Rhinologen eine wieder¬ 
holt bestätigte anatomische Thatsache nur deshalb leugnen wollen, 
weil sie wiederholt eine klinische Beobachtung gemacht zu haben 
glauben, die von dem ersten Beobachter aus Uukenntniss der fei¬ 
neren anatomischen Verhältnisse verkehrt gedeutet worden ist, die 
aber weit besser und leichter mit deu Schwabach’schen, als mit ! 
anderen Befunden sich erklären lässt. Wie viele Erkrankungen der 
Racheuhöhle giebt es doch im Kindesalter, die überaus leicht eine j 
Verklebung, Verwachsung der mittleren Spalte der Rachentonsille 
bewirken und damit zu Taschen- und Cystenbildung Anlass geben, j 
auch zu weiterer Erkrankung der solchergestalt veränderten Rachen- j 
tonsille führen können. Wenn nun anatomischerseits nachgewiesen 
wird, dass regelrechter Weise eine Taschenbildung in der Rachen¬ 
tonsille sich nicht findet, so ist wirklich nicht zu begreifen, wie 1 
ein Rhinologe, der doch nur die äusseren Verhältnisse, und dazu 
auch nur im Spiegel und an herausbeförderten Rachentonsillen, zu 
beurtheilen in der Lage ist, jene anatomische Thatsache nicht aner¬ 
kennen will. Man fragt sich unwillkürlich: Cui bono? 

Maximilian Bresgen (Frankfurt a. M.). I 

Innere Medicin. | 

16. 

.1 Hoffmann. Zur Lehre der Tetanie. Heidelberger Ha- ! 
bilitationsschrift. Deutsches Archiv für kl. Medicin, Bd. 48, Heft 1. j 

Die Arbeit enthält eine Anzahl werthvoller eigener Beobachtun¬ 
gen und bietet sowohl dem Praktiker als dem Specialisten eine j 
Reihe von werthvollen Details, so dass sie wohl verdient, allgemeine 
Beachtung zu finden. Die Tetanie (Corvisart’s) wurde zuerst im ! 
Jahre 1830 von Steinheim in Deutschland, 1831 von Dance in ] 
Frankreich beschrieben. Es folgten dann eine Reihe von Publica- | 
tionen namhafter Schriftsteller. Ein höchst wichtiges diagnostisches j 
Symptom entdeckte Trousseau, nämlich das nach ihm benannte 
Phänomen, wonach es gelingt, in den anfallsfreien Zeiten durch ! 
Compression der grossen Arterien und Nerven der sonst befallenen 
Glieder Anfälle hervorzurufen. Weitere Arbeiten rühren her von 
Kussmaul, Erb, Chvostek etc. Bezüglich der Erregbarkeit der 
Nerven und Muskeln bei Tetanie ist eine ausführliche Arbeit von i 
von Frankl-Hochwart iu demselben Bande des deutschen Ar¬ 
chivs für klinische Medicin erschienen; Hoffmann analvsirt nun 
genau 11 Fälle, denen er später noch vier neue anschliesst. Be¬ 
treffs der Aetiologie glaubt er, dass gewisse Berufsclassen dazu be¬ 
sonders neigen, nämlich Schuhmacher und Schmiede. Die Anfälle 
traten fast bei allen, übrigens durch sonstige Leiden geschwächten 
Kranken zwischen dem 16. und 25. Jahre auf. Ausführlicher äussert 
er sich über die nach der Kropfexstirpation auftretenden Störungen, 
welche mit dem Namen der Cachexia strumipriva belegt werden 
und jetzt genau gekannt sind. Er ist gegenüber Munk der Ansicht, 


dass die Entfernung des Kropfes aller Wahrscheinlichkeit nach als 
eins der ätiologischen Momente der Tetanie zu betrachten sei, 
(Weiss, Mikulicz, Schiff etc.) Das Gesammtbild der Tetanie 
als bekannt voraussetzend, bespricht er dann die weniger bekannten, 
resp. die wichtigeren Symptome. 

Die Verbreitung der Krämpfe anlangend, zeigt er, dass nur iu 
einem Falle Arme und Hände allein ergriffen waren, sonst waren 
Beine, Zunge, Kehlkopf, Schlund, Augenmuskeln etc. mitergriffen. 
Ausnahmlos bestand bilaterale AfFection, Berger, Mendel und 
Oppler sahen übrigens unilaterale. 

Die Dauer der Krampfanfälle wechselte von einigen Minuten 
bis zu Stunden, nur in einem Falle dauerte sie 10 Tage ununter¬ 
brochen. Die Heuber’schen Fälle, wo der Krampf länger dauerte, 
hält er für Tetanus. 

Das Muskelflimmeru als Vorbote der Anfälle wurde bei einigen 
Kranken besonders intensiv wahrgenommen. Die mechanische Mus¬ 
kelerregbarkeit war bald vermehrt, bald herabgesetzt, die Sehnen¬ 
reflexe meist normal, Paraesthesieen wurden als regelmässige Vorboten 
beobachtet. 

Gegenüber Beyer, Erb vermisste er das Trousseau'sche 
Phaenomen in keinem Falle. Aus dem Fehlen desselben geht nach 
seinen Untersuchungen nur hervor, dass der Einzelanfall abgelaufen 
ist, keineswegs aber, dass die Krankheit erloschen ist. Die elek¬ 
trische Erregbarkeit der Nerven der vom Krampfe heimgesuchten 
Theile war sowohl gegen deu galvanischen, wie gegen deu faradi- 
schen Strom in allen Fällen sehr gesteigert, dies gilt auch für Nerv, 
facialis, Ramus massetericus Nervi trigemini, Hypoglossus etc. Auch 
die mechanische Erregbarkeit der motorischen Nerven vermisste er 
nicht. Nach Erb’s Untersuchungen verhielt sich das Zuckungsgesetz 
der motorischen und sensiblen Nerven gleich, Hoffmann unter¬ 
suchte auch die sensiblen Nerven Tetaniekranker und fand das 
gleiche Verhalten, wie bei den motorischen Nerven, also gesteigerte 
Erregbarkeit gegenüber beiden Stromesarten, dasselbe gilt für die 
mechanische Erregbarkeit. Als Ursache des künstlichen Krampfes 
(Trousseau) sieht er die Anämisirung der peripher gelegenen 
Theile an. Die Dauer der Krankheit betrug in seinen Fällen l /2 bis 
21 Jahre. Es sind alle möglichen Formen dabei zu beobachten, in 
einzelnen ist das Leiden eben ein exquisit chronisches. Quoad vitam 
ist das Leiden günstig, da tödtliohe Fälle fast nur bei Kindern 
beobachtet wurden, auch sind Paresen, Paralysen nicht das Gewöhn¬ 
liche; häufiger wurde der rasche Wechsel der Fingernägel und die 
bräunliche Pigraentirung der Stirn und des Gesichtes beobachtet. 
Man zählt die Tetanie zu den Neurosen. Ueber den Sitz des Lei¬ 
dens, ob central, peripher etc., gehen die Ansichten weit auseinander. 
Hoffmann geht auf die verschiedenen Ansichten näher ein; sichere 
Daten werden wohl erst durch zahlreichere, sorgfältige mikrosko¬ 
pische Untersuchungen geeigneter Fälle gewonnen werden können. 

Zur Bekämpfung des Leidens erwiesen sich Bromkalium, Mor¬ 
phium, die galvanischen Ströme noch am vortheilhaftesten. 

Die neuere Literatur ist sorgfältig angegeben. Buchwald. 

Vierordt. Ueber die Tuberculose der serösen Häute. 
Zeitschrift für klinische Medicin, Bd. XIII, Heft 2. 

Die Tuberculose der serösen Häute tritt, wie der Verfasser sehr 
richtig bemerkt, gar nicht selten als eine gewissermaassen selbst¬ 
ständige Erkrankung auf, indem die Erkrankung desjenigen Organs, 
welches die Eingangspforte der Tuberculose in diesen Fällen dar¬ 
stellt, entweder ganz latent verläuft, oder nur ganz geringfügige 
Symptome macht. Verfasser unterscheidet hauptsächlich zwei Typen 
der Kranken, nämlich 1) einen Typus, bei welchem die Krankheit 
mit. einer exsudativen Pleuritis beginnt, und 2) einen Typus, bei 
welchem dieselbe mit Unterleibserscheinungen beginnt. In manchen 
Fällen ist der Verlauf einem Abdominaltyphus sehr ähnlich. Die 
Krankheit hat eine Neigung zu grossen, langdauernden Remissionen, 
welche eine Heilung Vortäuschen können, kann aber nach der wohl¬ 
begründeten Meinung des Verfassers auch wirklich heilen. In the¬ 
rapeutischer Beziehung empfiehlt Verfasser, in Fällen von Tubercu¬ 
lose des Peritoneums die Entleerung des Ascites durch Laparotomie. 
Eine grössere Anzahl Krankengeschichten sind der Arbeit als An¬ 
hang beigefügt. 

Kossel. Beiträge zur Lehre vom Auswurf. (Aus dem 
Laboratorium der zweiten medicinischen Klinik zu Berlin.) Zeit¬ 
schrift für klinische Medicin. Bd. XIII, Heft 2. 

Die Untersuchungen des Verfassers erstrecken sich auf die Be¬ 
stimmung des specifischen Gewichts des Nucleins und den Nach¬ 
weis des Peptous im Sputum. Wegen der eigenthümlichen Con- 
sistenz der Sputa, der Verschiedeuartigkeit der einzelnen Bestand- 
theile derselben und ihres Reichthums an Luftblasen war es noth- 
weudig, die Sputa vor der Bestimmung des specifischeu Gewichts 
gleichmässig zu verflüssigen, was durch Erwärmung derselben auf 
eine Temperatur von 60 bis 70° geschah. Die Bestimmung des 
specifischen Gewichts selbst geschah mittelst des Pvcnometers. Das 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50 


1038 


specifische Gewicht der untersuchten Sputa schwankte zwischen 
1004 und 1037. am grössten war das specifische Gewicht des serö¬ 
sen Sputums einer Herzkranken mit Lungeninfarct, welches gerade 
als das dünnflüssigste und wasserreichste erscheint, jedenfalls deshalb 
weil das seröse Sputum nicht ein Secret der Bronchial-Schleimhaut, 
sondern ein Transsudat aus den Blutgefässen ist. Das specifische 
Gewicht der Sputa ist ganz abhängig von der Beschaffenheit der¬ 
selben, namentlich von ihrem Eitergehalt, nicht aber von der Art 
der Krankheiten, bei denen sie producirt werden. Die Consistenz 
der Sputa ist im Allgemeinen abhängig vom Schleimgehalt und nicht 
von der Menge der festen Bestandteile. Die Bestimmung des Nu- 
clelns ergab im Allgemeinen, dass der Auswurf der Pneumonie- 
Kranken einen bei weitem grösseren Procentgehelt an XucleTu be¬ 
sitzt, als derjenige von Phthisikern. Pepton liess sich in allen phthi- 
sischen eiterhaltigen Sputis nachweisen, bei der Bronchitis dagegen 
nur in den zellenreichen Sputis. nicht dagegen in den rein schlei¬ 
migen. Bei zwei Fällen von Pneumonie untersuchte Fr. Müller 
das Sputum auf Pepton; vor der Krise fand sich dasselbe nicht 
darin, nach der Krise trat es in geringer Menge auf und uahm an 
Menge zu, als der Eitergehalt der Sputa grösser wurde. Verfasser 
hält es daher für wahrscheinlich, dass das Pepton aus dem Eiter 
stammt. 

Schreiber. Studien und Grundzüge zur rationellen 
localen Behandlung der Krankheiten des Respirations¬ 
apparates. Zeitschrift für klinische Medicin, Band XIII, Heft 2 
und 3/4. 

Verfasser hat sich der Aufgabe unterzogen, die bisherige respi¬ 
ratorische Therapie in Bezug auf ihre thatsächlichen Leistungen einer 
gründlichen Prüfung zu unterwerfen und macht, da das Resultat 
dieser Prüfung ein durchaus ungünstiges ist, den Versuch, an Stelle 
des Alten etwas neues Besseres zu setzen. Die Inhalationstherapie 
wurde zuerst auf ihre praktische Brauchbarkeit untersucht. Zu die¬ 
sem Zwecke wurden Versuche an Kaninchen angestellt, welchen ir¬ 
gend welche Lungenaffectionen künstlich beigebracht worden waren 
und welche dann einer Kohlenstaubatmosphäre ausgesetzt wurden. 
Dabei zeigte es sich, dass die Kohle bei doppelseitigen disseminirten 
Krankheitsherden nur in die gesunden Partieen und bei einseitigen 
Lungenaffectionen nur in die gesunde Lunge eindrang, und zwar 
dies auch dann, wenn die kranke Lunge lufthaltig gebliebeu war 
und sich an der Respiration betheiligte. Daraus folgt, dass die In¬ 
halation zerstäubter Stoffe für die Behandlung von Lungenkrank- 
heiteu in der bisher üblichen Anwendungsweise nicht brauchbar ist. 
Auch die Inhalation flüchtiger Substanzen verfehlt ihr Ziel, weil 
auch die Aspiration der gesunden Lunge für Luft diejenige der 
kranken bei weitem überwiegt. Was die Prüfung der pneumatischen 
Behandlung betrifft, so fand Schreiber, dass die Einathmung com- 
primirter Luft (im Gegensatz zu den Angaben von Waldenburg) 
die vitale Lungencapacität nur unwesentlich erhöht, zuweilen aber 
vermindert, und dass die Erhöhung der vitalen Lungencapacität in 
keinem Verhältniss zu der angewandten Luftverdichtung steht. Da¬ 
mit ist der Anwendung der comprimirten Luft zur Behandlung von 
Lungenaffectionen z. B. Compressions-Atelectase nach Pleuritis exsu¬ 
dativa der Boden entzogen. Auch die comprimirte Luft dringt in 
die erkrankte Lunge nicht ein. sondern nur in die gesunde. Die 
Exspiration in verdünnte Luft ergab Resultate, welche von denen 
Waldenburg’s und anderer Autoren erheblich abweichen. Die 
Menge Luft, welche von Gesunden in den luftverdfinnten Raum aus- 
geathmet wird, ist nicht viel grösser, als diejenige, welche bei ge¬ 
wöhnlicher Athmung ausgeschieden wird, und die etwa erhaltene po¬ 
sitive Differenz steht in keiuem Verhältniss zum Grade der Luft- 
verdünnung. Bei Emphysematikern ist das Resultat ein wenig 
günstiger, bleibt aber immer noch hinter den früher allgemein ge¬ 
hegten Erwartungen zurück. Selbstverständlich kann die Wirkung 
der Exspiration in verdünnte Luft sich nur erstrecken auf jenen ge¬ 
wissen Grad von Lungenblähung, welcher jedes Emphysem begleitet, 
nicht aber auf den anatomischen Kern des letzteren. An Stelle der 
alten werthlos befundenen Methoden setzt nun Schreiber eine an¬ 
dere Methode, welche im Wesentlichen darauf hinausläuft, bei ein¬ 
seitigen Erkrankungen die geschwächte Action der Athmungsmuskeln 
der kranken Seite zu stärken und diejenigen der Muskeln der ge¬ 
sunden Seite zu mässigen, die Aspiration der kranken Seite zu er¬ 
höhen, diejenige der gesunden zu hindern. Dies geschieht durch 
C'ompression der gesunden Seite mittelst besonderer Compressorien. 
Wenn dies geschieht, so dringt in die kranke Seite von den inha- 
lirten Stoffen oder der comprimirten Luft jedenfalls viel mehr ein, 
als ohne die Thoraxcompression. Zur Behandlung des Lungenera- 
physems empfiehlt sich die doppelseitige Thoraxcompression. welche 
mit einem zu diesem Zwecke angefertigten Gorset bewerkstelligt 
wird. Dadurch wird der abnorme Athmungstypus des Eraphysema- 
tikers fast normal, und wird dabei die exspirirte Luftmenge bedeu¬ 
tend vermehrt. Die Wirkung der Thoraxcompression beim Emphy- 


! sein kann noch erhöht werden durch gleichzeitige Ausathmung in 
verdünnte Luft. Aber auch diese Methode greift nur die beglei¬ 
tende Lungenblähung, nicht aber das organische Lungenemphysem 
an. In einem Anhang werden die von dem Verfasser benutzten 
Compressorien, Inhalationsapparate und stenographischen Methoden 
genauer mitgetheilt. Ob die von dem Verfasser durch äusserst mühe¬ 
volle und sorgfältige Beobachtungen gefundenen Thatsachen auch 
ihren Weg in die Praxis finden werden und einen wirklichen Fort¬ 
schritt der respiratiorisehen Therapie bedeuten, muss die Zukunft 
lehren. 

Kobler und Obermayer. Beitrag zur Kenntniss der 
paroxysmalen Hämoglobinurie. (Aus der mediciniscben Kli¬ 
nik des Herrn Hofrath Prof, von Bamberg er in Wien.) Zeit¬ 
schrift für klinische Medicin, Bd. XIII, Heft 2. 

Die Verfasser benützten einen Fall von reiner paroxysmaler Hä¬ 
moglobinurie, bei welchem die einzelnen Anfälle durch Kälteeinwir¬ 
kungen hervorgerufen wurden, um das Verhalten des Blutes und der 
Harnausscheidung eingehender zu studiren. Die mikroskopische Un¬ 
tersuchung des Blutes ergab nichts abnormes, dagegen wurde sowohl 
der Gehalt des Blutes an rothen Blutkörperchen, als auch derjenige 
an Hämoglobin durch die Anfälle bedeutend vermindert. Während 
am folgenden Tage die Zahl der rothen Blutkörperchen sich schon 
vollständig restituirt hat, ist der Hämoglobiugehalt des Blotes noch 
erheblich vermindert. Der Harn zeigte stets saure Reaction, eine 
leichte Trübung und mit Ausnahme der Anfälle bernsteingelbe Farbe. 
Acetessigsäure, Aceton und Pepton fehlten stets, Eiweiss war an den 
anfallsfreien Tagen nur in Spuren nachweisbar (wahrscheinlich we¬ 
gen eines geringen Eitergehalts in Folge von leichter Cystitis). Wäh¬ 
rend der Anfälle trat darin Serumalbumin und Globulin auf. Im 
Anfallsharn war Oxyhämoglobin und Methhämoglobin vorhanden. 
Die Harnmenge war während der Anfälle vermehrt, das specifische 
Gewicht vermindert, ebenso die Gesammtstickstoffausscheidung. 

Alexander (Breslau). 

Brault et Galliard. Un cas de cirrhose hypertrophique. 
dans le diabete sucre. Archives generales de Medecine, Janv. 1888. 

Die Autoren theilen einen jener seltenen Fälle von pigmen- 
tirter hypertrophischer Lebercirrhose bei Diabetes mit 
Sie gruppiren die bisherigen einschlägigen Beobachtungen in dia¬ 
betische Lebercirrbosen mit Hautpigmentirung — Diabete bronze — 
und solche, in denen die Pigmentirung nur die Leber, nicht die 
Haut betrifft. Der beschriebene Fall wies keine Broncefärbung auf. 
Es handelte sich um einen hochgradig diabetischen 45jähr. Mann 
mit hypertrophischer Lebercirrhose — die Leber wog 2650 g. 
Mikroskopischer Befund: Die Leber ist derartig von sklerotischen 
Bündeln durchzogen, „dass ebensoviel Bindegewebe wie Dröseo- 
substanz vorhanden ist“. Die stark derangirten Acini zeigen in der 
Mitte grössere und schwächer pigmentirte Zellen, am Rande kleine 
Zellen, deren Kern vor dichtem schwarzen körnigen Pigment kaum 
zu sehen ist. Die Zellen sind häufig ganz zu Grunde gegangen, und 
nur ihr Pigment ist erhalten, eingeschlossen vom Bindegewebe. 

Die Autoren nehmen als primär die Cirrhose an, welche die 
Zellen so in der Function stört dass sie sich zwar mit dem zuge¬ 
führten (abnormen?) Material von Blutfarbstoffstrümmern beladen, 
aber sich nicht wieder dessen entledigen können. Siud die Leber¬ 
zellen überschwemmt, so verbreitet sich der Farbstoff in Haut und 
anderen Organen, wodurch die BroncefÜrbung zu Stande kommt. 

Rosen fei d (Breslau). 

Chirurgie. 

8 . 

Weir and Seguin. Contribution to the diagnosis and 
surgical treatment of tumours of the cerebrum. Araeric. 
Journ. of raed. Sciences, July 1888, No. 195. 

Mittheilung eines interessanten Falles von diagnosticirtem und 
operativ entferntem Hirntumor bei einem 30jähr. Manne. Die ersten 
Krankheitssymptome stellten sich 6 Jahre vor der Beobachtung de> 
Pat. durch Weir ein, uud zwar in Form eines auf rechte Wange 
und Nackenseite beschränkten Krampfes, der sich in den nächsten 
beiden Jahren noch 2 Mal und dann häufiger wiederholte; gleich- 
! zeitig entstand rechtsseitige Faciobrachialparese. Dazu gesellte sich 
j Empfindlichkeit am Kopf in der linken Parietalgegend, welche 
. namentlich auf Beklopfen deutlich hervortrat. Die klinische Diagnose 
! lautete auf Hirntumor im Bereich der motorischen Zone, speciell 
des Ceutrums für Gesichts- und Armmuskulatur. 

; Bezüglich der Operationstechnik cfr. Orig. Der Tumor sass in 
! der weissen Substanz etwa 3 / 4 " unter der hinteren Ecke der 2. Stirn- 
! und der vorderen Ecke der präcentralen Windung und erwies sich 
als Sarkom. Unmittelbar auf die Operation war eine totale Lähmung 
1 der rechtsseitigen Extremitäten und nahezu völlige Aphasie gefolct. 

, indess verloren sich diese bedrohlichen Erscheinungen, und es be- 
! standen 5 Monate p. oper. nur noch Spuren der letzteren, sowir 
1 Zeicheu von Schwäche und Coordinationsstörungen in der rechte!: 


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13. December. DEUTSCUE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1039 


oberen Extremität; auch die rechte Lippen- und Nackenseite war 
paretisch. Die vor der Operation beobachteten spastischen Anfälle 
traten, wenn auch selten, noch bis in den 6. Monat p. oper. auf. 
Ein Recidiv des Tumors bestand um diese Zeit noch nicht. 

Eugen Fraenkel (Hamburg). 

Helferich. Zur Technik der Unterschenkelamputa¬ 
tion. Münchener med. Wochenschrift, No. 3, 1887. 

Um nach Unterschenkelamputationen den Decubitus über der 
Knochenkante der Tibia zu vermeiden, hat Helferich seit einer 
Reihe von Jahren mit gutem Erfolge einen inneren Hautlappen ver¬ 
wendet; etwa l /-2 cm auswärts von der Tibia, dort, wo sie durch¬ 
sägt werden soll, stiebt man das Messer ein und führt es parallel 
der Kante nach abwärts, es folgt der innere Begrenzungsschnitt des 
Lappens, dessen Basis reichlich die Hälfte des Gliedumfariges be¬ 
tragen muss, die Fascie und das Periost der vorderen Tibiafläche 
werden zugleich mit der Haut sorgfältigst zurückpräparirt, und die 
Amputation dann in gewöhnlicher Manier vollendet. (Von anderer 
Seite [s. Obalinski, Centralblatt f. Chirurgie No. 51, 1887] findet 
Helferich’s Verfahren keine Billigung, es werden vielmehr zwei 
seitliche Hautmuskelklappen empfohlen, welche hahnenkaramartig 
durch tiefe Plattennähte nebeu oberflächlichen Hautnähten so über 
der Tibia zusammengeheftet werden, dass kein Druck entstehen 
kann. Ref.) Morian (Essen). 

P. Berger. Resection des fragments et suture osseuse 
dans le traitement des pseudarthroses du femur etc. 
Revue de Chirurgie, 7. Jahrgang, No. 11, November 1887. 

Die bisherigen Operationen der nach Fracturen entstandenen 
Pseudarthrosen des Oberschenkels haben — namentlich wenn eine 
grosse Neigung zur Dislocation der Fracturenden besteht — viele 
Misserfolge ergeben. Verfasser hat daher in 2 Fällen, in welchen 
beiden es sich um erwachsene Männer handelte, folgende Modifica- 
tion der Resection mit bestem Erfolge angewendet: durch einen 
langen (äusseren) Schnitt (im 2. Falle T-Schnitt) wird das falsche 
Gelenk blossgelegt, sodann das obere Bruchende keilförmig zuge¬ 
schnitten und in das untere rinnenförmig gemachte Bruchende ein¬ 
geschoben. In dieser Stellung werden die Knochen — nachdem 
in vorher angelegte Bohrlöcher 2 doppelte Metallfäden gezogen 
worden sind — mit einander vereinigt, und die Suturen kurz ange¬ 
schnitten und versenkt; das vorher zurückgeschobene Periost wird 
wieder über die Suturen gelegt. Sodann Hautnaht und Drain und 
Lagerung auf einer schon vor der Operation nach dem Gliede ge¬ 
formten Gypsschiene. Die Operation ist sehr mühsam; das Be¬ 
arbeiten der Bruchenden wird durch starke Biegung des Femur am 
Orte der Pseudarthrose erst ermöglicht. Trotz strenger Antisepsis, 
die durchaus erforderlich ist, entstand im ersten Fall tiefe und 
langdauernde Eiterung, welche erst aufhörte, als sich ein kleiner 
Sequester mit der einen Sutur, welche aus Silberdraht bestand, 
ansgestossen hatte. Im zweiten Falle, welcher mit Platindraht ge¬ 
näht worden war, trat nur oberflächliche Eiterung ein, und beide 
Suturen heilten ein. In beiden Fällen trat aber gute Consolidation 
ein; noch nach Jahren konnte B. sich von dem guten Heilungs¬ 
resultat überzeugen. A. Bidder 

Helferich. Zur Behandlung der traumatischen Epi¬ 
physentrennung am oberen Humerusende nebst Bemer¬ 
kungen über die Technik der Aneinanderbefestigung 
zweier Knochen. Münchener med. Wochenschr. No. 40, 1'887. 

Eine frische subcutane Epiphyseutrennung am oberen Humerus¬ 
ende, welche bei einem 16jährigen Jünglinge durch Fall auf die 
Schulter entstanden war, gab Helferich Veranlassung zu einem ope¬ 
rativen Eingriffe, da sich auch in Narkose die Reposition nicht be¬ 
werkstelligen liess. Wie sich nach dem Einschnitte herausstellte, 
hatte sich das kolbige Epiphysenende durch einen Weichtbeilschlitz, 
anscheinend zwischen Mm. Biceps-Coroco'ideus und Subscapularis, 
unter den Processus corocoideus verschoben und wurde dort, wie in 
einem Knopf loche festgehalten; erst als man die Ränder des 
Schlitzes mit Haken auseinanderzog, schlüpfte dasselbe zurück. Es 
wurde nun dem Schulterkopfe mit der genau passenden Bruchfläche 
angefügt und durch einen schief durchgespiessten Stahlpfriemen an¬ 
geheftet. Am siebenten Tage wurde die Stahlnadel entfernt, von 
der vierten Woche ab vollendeten Elektricität, Massage und Gym¬ 
nastik das gute Resultat bis zu fast normaler Beweglichkeit. Die 
Epiphysentrennungen am oberen Humerusende sind gewöhnlich 
schwer zu reponiren und dann besonders schwer zu retiniren: Der 
abgerissene Schulterkopf pflegt in der Gewalt der Scapularmusku- 
latur elevirt und nach aussen rotirt zu werden, den ganzen Arm in 
derselben Stellung am beweglichen Schultergürtel zu fixiren, hat 
seine grossen Schwierigkeiten, dafür schlägt Helferich mit Recht 
vor, nach gelungener Reposition auch bei subcutaner Epiphysen- 
treuuung, wenn die Retention schwierig ist, dieselbe vermittelst 
eines solchen durch die Haut in die Fragmente gebohrten Stahl- 
pfriemens zu besorgen. Morian (Essen). 


M. C. Martin. Du traitement des ftactures du maxil- 
laire inferieur par un nouvel appareil. Revue de Chirurgie, 
7. Jahrgang, No. 11, November 1887. 

In einem längeren, durch viele Holzschnitte erläuterten Artikel 
giebt Martin ein Verfahren zur Behandlung der Brüche des Unter¬ 
kiefers an, welches in Deutschland in seinen wesentlichen Eigen- 
thümlichkeiten bereits seit Jahren erfunden und bekannt gemacht 
worden ist. Von v. Langenbeck und Sauer ist dasselbe auf 
mehreren Chirurgencongressen und bei anderen Gelegenheiten be¬ 
sprochen und demonstrirt worden. Es besteht kurz darin, dass 
man von den verlagerten Alveolen und Zähnen Gypsabgüsse macht, 
diese dann so zurechtstellt, dass sie sich den Gypsabgüssen des 
gesunden Oberkiefers anpassen, worauf dann eine genau passende 
Schiene geformt wird. In diese fügen sich die Zahnkronen der 
wieder in normale Stellung gebrachten Kieferfragmente ein und 
werden so eingerichtet erhalten. Auch die ganze Reihe der Zähne 
umfassende Drahtklammern wurden zu diesem Zwecke benutzt. 

A. Bidder. 

A. Wölfler. Ueber Sehnennaht und Sehnenplästik. 
Wiener med. Wochenschrift, 1888, No. 1. 

Ein 20jähriger Schneider zog sich mit der Scheerenspitze eine 
Verletzung auf der Rückseite des rechten Handgelenkes zu und 
konnte danach den dritten und vierten Finger erst gar nicht, später 
nur ein Wenig strecken. Bei der Operation, zwei Monate darauf, 
fand Wölfler alle vier Sehnen des Extensor digitorum communis 
durchtrennt, aber von den peripherisc’ien Stümpfen hatten sich die 
des zweiten und dritten Fingers mit der Indicatorsehne, die des 
vierten und fünften mit dem Exteusor quinti proprius verklebt, die 
centralen Stümpfe waren alle mit dem Indicator verbunden, daher 
erklärte sich die, wenn auch unbedeutende Streckungsfähigkeit des 
3. und 4. Fingers. Da die Stümpfe 8—9 cm weit auseinder ge¬ 
wichen waren, konnte an eine direkte Vereinigung derselben nicht 
gedacht werden; daher ersetzte Wölfler nach dem Vorgänge von 
Gluck den ca. 8 cm langen Defect durch je eine Catgutschlinge, 
der er aus Furcht vor deren allzu früher Resorption eine Seiden¬ 
schlinge hinzufügte, und, um auf alle Fälle etwas zu erzielen, hef¬ 
tete er noch die Sehnenenden zu zwei und zwei oben und unten 
einerseits an die Sehne des Indicator, andererseits an die des Ex¬ 
tensor quinti. Der Erfolg war wunderbar; obwohl sich die Seiden¬ 
fäden in voller Intactheit abstiessen, begann am 20. Tage die 
Streckung, und als Patient entlassen wurde (wann?), streckte er jeden 
Finger einzeln, Wölfler erblickt darin den Beweis, dass die Sehnen- 
endeu an den Fadenschlingen eine wohlgelungene Verbindung, ver- 
muthlich durch fibröse Stränge, gewonnen haben mussten. 

Wölfler empfiehlt in Anbetracht der zweifelhaften Erfolge 
aller übrigen Methoden der Sehnenplastik diese indirekte Art der 
Sehnennaht für retrahirte Sehnenstümpfe und bringt seine vor vier 
Jahren angegebene quere Sehnennaht in Erinnerung, bei der man 
durch zweimaliges* Ein- und Ausstechen erst das eine Sehnen¬ 
ende auf die Nadel reiht, dann in umgekehrter Richtung auf das 
andere und zuletzt den Faden knüpft. Auf die Naht der Sehnen¬ 
scheiden wird besonderer Werth gelegt. Morian (Essen). 

Tscherning. Beweglicher Schnürlappen der Leber 
durch Laparotomie fixirt. Centralbl. f. Chirurgie, No. 23. 

Eine 36jährige Frau leidet an einer Geschwulst der rechten 
Seitenbauchgegend, welche allmählich gewachsen ist und Schmerzen 
veranlasst hat. Diese waren oft so heftig, dass Patientin tage- ja 
wochenlang das Bett hüten musste, bei ruhiger Lage Nachlass des 
Schmerzes. Die objective Untersuchung ergab nur einen beweg¬ 
lichen Tumor, der von der rechten Lumbalgegend nach vorn etwas 
innerhalb der Mamillarliuie und von der Sp. il. a. s. d. bis zur 
Curvatur reichte, und dessen Dämpfung direkt in die Leberdämpfung 
überging. Oberfläche uneben, Consistenz fest. Diagnose: Leberge¬ 
schwulst oder Nieren- oder Lymphdrüsengeschwulst. Laparotomie 
über dem grössten Durchmesser der Geschwulst. Der Tumor ergab 
sich als ein interstitiell veränderter Leberlappen, welcher an die 
Seitenbauchwand durch Nähte etc. fixirt wurde. Der Erfolg der 
Fixirung war der, dass die Schmerzen geringer wurdeu und die 
Frau meist ihrer Arbeit nachgehen kann. Emil Senger. 


XI. Therapeutische Mittheilungen. 

— Den Rothlauf behandelt A. Wölfler (Mitth. d. Ver. d. Aerzte in 
Steiermark 1888) durch daumenbreite Streifen von Heftpflaster an den 
Grenzen der Entzündung — der einfache Druck soll genügen. 

— Ltthionpillen gegen Diabetes empfahl Vigier der Soc. de Ther. 
nach folgender Vorschrift: 

Rp. Lith. salicyl. 5,0 
Lith. benzoic. 10,0 
Suec. et Pulv. Liq. q. s. ad. pill. 

No. 100. S. 5—6 Pillen täglich. 

— In einem Falle von heftigem Nasenbluten, das durch nichts zu 
' stillen war, und bei dem Eis, Ergotin, Digitalis etc. nichts gefruchtet hatten. 


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1040 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5t) 


wandte Ernyei in Budapest Tampons mit Terpentinöl an (Billroth, 
llandb. der allg. Chirurg. Pathologie und Therapie) und hatte die Freude, 
die seit acht Tagen immer wieder sich erneuernde Blutung in wenigen 
Minuten zum Stillstand zu bringen. Die Reactionserscheinnngen des Ter¬ 
pentinöls auf der Naseuschleimhaut schwanden erst nach zwei Wochen. 

• Bester Presse No. 14.) 

— Jodkali bei hartnäckigem Priapismus. Mackenzie Booth 
(Lancet 14. Mai 1888) veröffentlicht eine Beobachtung über Priapismus bei 
einem 55jährigen Menschen, der wochenlang ohne Erfolg mit Blutegeln, 
Morphin, Bromkali in Dosen ton 3 g behandelt worden war und durch 
0,2 Jodkalium 4 mal täglich in einigen Tagen geheilt wurde. 

— Bei Ekzema palpebrarum empfiehlt Lai 11 er folgendes Mittel: 
Acid acet. glaciale 2 Theile, Glycerin 50, Aqua Laurocerasi 200. Einmal 
täglich mit einer weichen Bürste sorgfältig aufzustreichen. (Riforma medica 
22. März 1888.) 

— Behandlung der Epilepsie mit Sinnilotlnctur. (Lancet 31. 
März 1887.) Sinnilo ist die Frucht von Capparis coriacea. Ein englischer 
Arzt veröffentlichte schon vor 3 Jahren eine Mittheilung, wonach er sich mit 
Sinnilotinctur von seinen epileptischen Anfällen befreit haben wollte. Dr. 
Haie White hat in 7 Fällen von Epilepsie dieselbe in täglichen Dosen 
von 4—8 g angewendet. Sechsmal war die Wirkung sehr beachtenswert, 
die Anfälle verminderten sich beträchtlich an Zahl und hörten selbst, völlig 
auf. Die Tinclnr kann ohne nachtheilige Folgen lange Zeit angewendet werden. 

— Bei diplitlierilisciier Pharyngitis empfiehlt Roulin (Jouru. d. med. 
d. Paris. 22. Jan., p. 142) stündliche Ausspritzungen des Rachens mit 
cnrholsaurem Natron, 3 Esslöffel auf einen Liter Wasser. Weun Carbol- 
Itarn aufiritt, muss (las Mittel ausgesetzt werden Roulin will 82 Fälle 
ohne Verlust in dieser Weise geheilt haben. 

— Cholagoga. Prevost und Bivot haben Untersuchungen angestellt 
über die galientreibcnde Wirkung von Medicamenten und ihre Eliininiruug 
durch die Galle. Sie fanden wie Röhmann, dass Hunde bei Ausschluss 
von Fett aus der Nahrung sich ganz gut befanden. Die Gallensecretion 
wurde durch Nahrungsaufnahme, besonders durch Peptone vermehrt, Fett 
bewirkte keine Steigerung desselben, 150—200 ccm kaltes oder warmes 
Wasser vermehrten den Galleuabfluss ein wenig, Infusionen von kaltem 
Wasser störten die Gallensecretion nicht; wie diese Clystiere bei Icterus 
wirken, ist demnach schwer zu sagen. Als mächtigstes Cholagogum zeigte ! 
sich die Galle selbst, 3—4 ccm, einer Ratte suheutan inficirt, tödteu diese, und I 
man findet dann die Därme voller Galle, dazu flüssigen, oft blutigen Danninhalt. I 

— An Stelle des Secale cornutnm benützt Dorland (Med. News) 1 
Ustilago majalis als wehenbeförderndes Mittel mit gutem Erfolge. In 
Fällen, wo die Wehen aufhörten, und das Collum ausgedehnt war, sah er 
20—30 Minuten nach Anwendung von Ustilago majalis die Intensität, die 
Dauer und die Frequenz zunehmen. Die Uteruscoutractionen hatten die 
•'Ionische Form. Dorland empfiehlt den Gebrauch von Ustilago majalis in 
der Eröffnungsperiode, wenn die Wehen schwach und die Ausdehnung des 
Cervix bereits vorgeschritten ist. Ustilago majalis hat vor dem Secale 
cornutum den Vorzug der geringeren Giftigkeit und sichereren Wirkung. 
Dorlaud wendet ein Fluidextract in Dosen von 2—3 g mehrmals des 
’luges an und glaubt, dass man das Mittel auch in subcutanen Injectionen 
von 5—15 Tropfen auwenden könnte. 

— Anthrarobln. Nach Neu mann (W. allg. med. Ztg. No. 26) ist 
am wirksamsten gegen Psoriasis das Chrysarobin, sodanu die Pyrogallus- 
säure, Rifigallussäure wirkt am wenigsten intensiv. Authrarobin wirkt 
ähnlich wie die letztere, vielleicht etwas intensiver. Bei Psoriasis punctata, 
bei linsenförmigen reeenten Efflorescenzen kann es mit Erfolg angewendet 
werden, bei inveterirter Psoriasis ist die Wirkung sehr gering. Dagegen 
eignet es sich sehr gut für Pityriasis versicolor, nicht so gut gegen Herpes 
tonsnrans vesiculosus. 

— ln der Union medicale (28. August 1888) wird als wirksames Mittel 
gegen Migräne Antipyrin in folgender Mischung empfohlen: 

Antipyrin 3,0 

Syr. Sacch. (Rum) 15.0 
Syr. Citri 25,0 

Aq. destill. 60,0 

MDS. Bis zur Beseitigung 2stündl. 2 Theelöffel zu nehmen. 

— Bei Verbrennungen verordnet Wende mit Erfolg eine frisch zu¬ 
bereitete 4°«ige Cocainsalbe von reinem Cocain mit Lanolin. Diese Salbe 
beseitigt den Schmerz und heilt die Brandwunde sehr schnell. (Ref. hat die¬ 
sen*. Salbe mit Zusatz von 01. I.ini gleichfalls als erfolgreich angewendet 
und, weil weicher, besser befunden.) (Journal de Med. de Paris). 

— Kiesel fluorsaun-8 Ni.tron empfiehlt Dr. Bereu» in der Thera- 
peutic Gazette vom 16. Juli d. J. nach angestellten Culturversucbeu als 
keimtödtendes, an ti fermentatives, desodorlsirendes, albuinencoagu- 
lirendes Mittel. In einer Lösung von 1 : 1000 destillirtem Wasser wird es 
mit Erfolg äusserlich nach Cataractoperatiouen, bei katarrhalischen, puru¬ 
lenten Ophthahnieen, bei Nasen- und Halskatarrhen, bei eitriger Otitis, bei 
Utcrinalaffeetionen, bei Gonorrhoe, Balanitis, Gangrän, Taenia circinata und 
bei saurer Fermentation im Magen innerlich zu 0,06 in *200,0 Wasser ge¬ 
reicht. Das Mittel, bei 60 F in Wasser löslich, besitzt einen wenig säuer¬ 
lichen Geschmack, ist klar und geruchlos, ganz unschädlich, daher 
•lein Sublimat, selbst dem Creolin und Carbol vorzuziehen. Man 
kann dasselbe, ohne Gefahr zu befürchten, selbst bei entzündlichen Zuständen 
der Schleimhaut in Anwendung ziehen und da, wo Eiter und fermentative 
Proresse vorhanden, als schnell wirksames und unschädliches Mittel in der 

• ••*en angedeuteten Verdünnung gebrauchen. Verf. ersucht die Vorsteher 

• liirurgischer Anstalten, das Mittel auzuwenden, die sich dann von der 
Me lieren und schnellen, die anderen Antiseptica an Gefahrlosigkeit über- 
tieffeii'len Wirkung des Mittels überzeugen worden. 


XII. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Der Generalstabsarzt der Armee, Prof. Dr. v. Lauer, 
feierte gestern sein 60jähriges Dienstjubiläum, v. Lauer hat sich als Schrift¬ 
steller, vor Allem aber als Organisator um das deutsche Militärmedieinal- 
wesen die hervorragendsten Verdienste erworben. Unvergessen bei jedem 
Deutschen wird ihm ferner für alle Zeiten sein, was er als Leibarzt Kaiser 
Wilhelm I. gewesen ist. Dem verdienten Manne, welchem aus den wei¬ 
testen Kreisen Ovationen dargebracht wurden, bringen auch wir zu seinem 
heutigen Jubelfest unsere herzlichsten Glückwünsche dar. 

— Der Geh. Sanitätsrath Dr. Wegscheider, einer der verdientesten 
Aerzte Berlins, hat sich kürzlich aus Gesundheitsrücksichten von der Praxis 
zurückgezogen. Wir freuen uns, mittheilen zu können, dass derselbe durch 
Verleihung des Rothen Adler-Ordens III. CI. ausgezeichnet ist. 

— Greifswald. Dem Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Mosler ist der 
Rothe Adlerorden III. Classe, dem Prof. Dr. Helferich der Rothe Adlerurdeu 
IV. Classe verliehen worden. 

— Freiberg. Prof. Dr. Ziegler in Tübingen hat einen Ruf als 
Nachfolger Maiers erhalten und wird demselben voraussichtlich Folge leisten. 

— Paris. Zu den Congressen, die während der Pariser Ausstellung 
von 1889 tagen werden, gesellt sich auch ein Congress der Zahnärzte. 
Es ist bereits ein Coinite gewählt, dass die nöthigen Vorbereitungen treffen soll. 

— Budapest. Die ungarische Gelehrtenwelt und die Budapester medi- 
ciuisohe Facultäf haben einen schworen Verlust erlitten: Dr. Josef Len- 
hossek, ordentlicher Professor der desoriptiven und topographischen Ana¬ 
tomie ist nach kurzer Kraukheit im 71. Lebensjahre gestorben. Lenhossek 
war der älteste Professor und eine der grössten Zierden der ersten unga¬ 
rischen Universität; seiue Forschungen uud literarischen Arbeiten waren 
bahnbrechend, und nebst zahlreichen Orden und Auszeichnungen, die er 
besass, wurde er auch zum Mitgliede der hervorragendsten wissenschaft¬ 
lichen Gesellschaften von ganz Europa gewählt. An Stelle des verstorbenen 
Professors wird dessen Sohn und bisheriger Assistent Dr. Michael Len¬ 
to ossek in diesem Semester die Vorträge über Anatomie abhalten. Febci 
die definitive Besetzung dieses, sowie der Lehrstühle über Pharmakologie 
und der zweiien internen Klinik, welche letztere schon längere Zeit verwaist 
sind und supplirt werden, wird erst im nächsten Semester entschieden werden. 

— „Ueber den Einfluss des Alters der Eltern auf die Lebens¬ 
kraft der Kinder“ hat der Direktor des hauptstädtischen statistischen 
Bureaus, Josef Körösi, in'der ungarischen Akademie der Wissenschaften einr 
Vorlesung gehalten, wobei er nach seinen auf 24 000 Fälle basirenden Heoh- 
achtuugen zu folgenden Resulaten gelangte: Kinder von Vätern unter 25 Jahren 
sind von schwacher Constitution; am gesundesten sind Kinder von Vätern von 
25 bis 40 Jahren, die von Vätern über 40 Jahren sind wieder schwächer. 
Was die Mutter betrifft,* so sind die bis zum 35. Jahre geborenen die ge¬ 
sundesten, die vom 35. bis 40. Lebensjahre der Mutter geborenen Kinder 
sind um 8, die über 40 Jahre geborenen um 10% schwächer. Bezüglich des 
Altersverhältnisses der Eltern zu einander, so sind die Kinder am ge¬ 
sundesten, welche von älteren Vätern und jüngeren Müttern abkommen. die 
von Eltern gleichen Alters geborenen sind, etwas schwächer. 

— Die erste Landes-Irrenanstalt in Ungarn, auf dem Leopoldi- 
felde in Budapest, hat soeben die 20. Jahreswende ihres Bestandes gefeiert; 
am 6. December 1868 wurde die Anstalt der Oeffentlichkeit übergeben, am 
ersten Tage beherbergte dieselbe 84 Kranke. Das mit einem Kostenaufwand? 
von 1 */a Millionen Gulden hergestellte Heim für Irren war ursprünglich für 
300 Kranke eingerichtet, heute können daselbst schon 800 untergebracht 
werden, von welchen 15% geheilt entlassen werden. 

— Odessa. Prof. Dr. Met sehn ikow tritt von der Leitung der bac- 
teriologischeu Station in Odessa zurück. 

— Internationaler Congress für gerichtliche Medicin in 
Amerika. Die Gesellschaft für gerichtliche Medicin in New-York veran¬ 
staltet im Jahre 1889 einen internationalen Congress für gerichtliche Medicin. 
Er wird 4 Tage dauern. Wegen näherer Information wende mau sich au 
die Gesellschaft Broadway 57, New-York. 

— Die zweite Auflage des in weiteren ärztlichen Kreisen bekanntem 
und seinerzeit gut aufgenommenen Recepttaschenbuches für Kinder¬ 
krankheiten von Dr. Oscar Silbermann in Breslau, im Verlage von 
W. Köbner, ist erschienen und wird mit den nothwendig gewordenen Revi¬ 
sionen^ und Ergänzungen, der Anfführung zahlreicher, in die Therapie neu 
eingeführter und in der kinderärztlichen Praxis bewährter Arzneimittel gewi>» 
nicht verfehlen, sich zu den alten Freunden neue hinzuzuerwerben. Die 
Gruppirung ist eine äusserst zweckmässige, weil alphabetisch geordnet und 
umfasst das ganze Gebiet der Kinderheilkunde in kurzer, knapper und doch 
erschöpfender Weise. Wir können das nützliche Werkchen somit aufs neu? 
jedermann empfehlen. 

— Universitäten. Genua. Dr. Fano ist zum Professor der Phy¬ 
siologie ernannt. — Charkow. Die Lehrkanzel für specielle Therapie a» 
der Universität Charkow ist dem bisherigen Professor der specielle» incb- 
ciuischen Pathologie Dr. Obolenski übertragen worden. 

Xm. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König habe» 
Allergnädigst geruht, dem Badearzt des Bades Reinerz, Dr. Zdralek zu 
Breslau, den Charakter als Sanitätsrath, dem seither mit den Geschäften de» 
Reg.- und Med.-Raths bei der Kgl. Regierung zu Sigmaringen beauftragte“ 
Geh. San.-Rath Dr. Koch, jetzt zu Freiburg i. B., dem ordentlicheu Professur 
(ieh. Med.-Rath Dr. Mosler zu Greifswald und dem Kreis-Physikus »*'an. 
Rath Dr. Bleich zu Strehlen den Rothen Adler-Orden III. CI. m. d. Schl, 
dem ordentlichen Professor Dr. Helferich zu Greifswald den Rothen Adler- 
Orden IV. CI. zu verleihen, sowie dem Stabs- und Bat.-Arzt Dr. Klamroth 
in Torgau zur Anlegung des Ritterkreuzes I. CI. des Herzog!. Sachseu-Er- 
nestinischen Hausordens die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen. 


Gedruckt bei Jaltas Slttenfeld in Hcrlta W. 


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Donnerstag JW 51« 20. December 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheilungen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des Ärztlichen Standes. 

Begründet von Br. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redactenr Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thieme, Leipzig-Berlin. 


I. Ein Fall von Kohlenoxydvergiftung, 
Transfusion, Genesung. * 1 ) 

Von Professor E. Leyden. 

Der Kranke, welchen ich Ihnen hier vorstelle, bietet allerdings 
— wie das nach innerlichen Krankheiten gewöhnlich der Fall ist, 
nicht viel Auffälliges dar. Sie sehen nur, dass er einen Arm in 
der Binde trägt, sonst erscheint er von gesundem Aussehen und ge¬ 
sundem Verhalten. Wenn ich den Kranken entkleidete, so könnte 
ich Ihnen noch zeigen, dass er an beiden Armen Aderlasswun- 
deu zeigt, was heutzutage ein ziemlich seltenes Ereigniss ist. Nun 
ist aber nur die eine Am wunde behufs eiu»s Aderlasses gemacht, 
die Wunde am andern Arm rührt von einer Bluttransfusion her, 
welche an diesem Kranken auf meine Anordnung von den Herren 
Stabsärzten Renvers und Brettner zu therapeutischen Zwecken, 
und zwar, wie Sie sehen, mit günstigem Erfolge ausgeführt worden 
ist. Die Indication zur Transfusion gab eine Kohlendunstvergiftung, 
von der Patient betroffen worden ist. # 

Der Patient und noch ein Kamerad desselben sind diejenigen 
Personen, von denen in den Zeitungen unter den Unglücksfällen 
berichtet worden ist. Beide arbeiteten in dem neu erbauten Hotel 
-Metropole und waren bei der Legung der Gasröhren beschäftigt. 
Am Morgen wollten sie sich, von der Arbeit ermüdet, zur Ruhe 
legen und begaben sich in ein kleineres, neben ihrem Arbeiteraum 
gelegenes Zimmer. Da es hier recht kalt war, zündeten sie ein 
Holzkohlenfeuer an und begaben sich zur Ruhe. 

Am Morgen gegen 5 Uhr wurden beide bewusstlos, augen¬ 
scheinlich im Zustande der Kohlendunstvergiftuug vorgefunden. Ein 
hinzugerufener Arzt verordnete Wiederbelebungsversuche, wandte 
küustliche Athmung und Reizmittel an und Hess die beiden Patienten 
zur Charite befördern, wo sie der I. med. Klinik überwiesen wurden. 
Hier kamen sie zuerst in vollkommen bewusstlosem Zustande an. 
Indessen der eine gab bereits Zeichen des Lebens und kam bald 
zum Bewusstsein. Der zweite, der hier vorgeführte Patient, ver¬ 
harrte im tiefen Ooma. 

Es wurde ein Aderlass gemacht, die künstliche Respiration ein¬ 
geleitet, die Faradisation des Phrenicus angestellt, indessen ohne 
Erfolg. Als ich den Patienten um HV 4 Uhr in der Klinik vorstellte, 
befand er sich uoch in vollkommener Bewusstlosigkeit und in einem 
höchst bedenklichen Zustande. Er lag vollkommen schlaff und 
regungslos da. reagirte auf keinerlei Reize, weder auf Anrufen, noch 
Nadelstiche, ja die Corneae waren auf Berührung mit dem Finger 
vollkommen reactionslos. Alle Muskeln waren schlaff, die Pupillen 
eng, die Respiration mühsam und schnaufend. Die erschlaffte 
Zunge sank zurück und drohte Erstickung, sie musste daher, wie 
bei tiefer Chloroformnarkose, durch die Heister’sche Zange her¬ 
vorgezogen werden. Dadurch wurde die Respiration ziemlich frei, 
doch blieb sie mühsam und uugleich; zuweilen schnell und heftig, 
zuweilen traten lange Athempausen ein. 

Die auxiliären Halsmuskeln waren bei der Athmung betheiligt. 
Es bestand aber keine Cyanose, im Gegentheil, Lippen und 
Wangen hatten eine normale, helle, lebhafte Röthung. Die Puls¬ 
frequenz betrug 100, der Puls war ziemUch hoch, von guter Spannung. 
Die Temperatur war subnormal (36,2). 

W T ährend der Vorstellung verschlimmerte sich der Zustand des 


') Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin in Berlin. 


Patienten derartig, dass ich ihn alsbald aus dem Auditorium heraus¬ 
bringen Hess. 

Bei der Besprechung des Falles hob ich hervor, wie die Ver¬ 
giftung durch Kohlendunst auf die giftige Eigenschaft des CO 
zurückzuführen sei, welches in Folge seiner grossen Verwandtschaft 
zum Hämoglobiu den 0 aus den Blutkörperchen verdrängt. Da nun 
der 0 ein zum Leben nothwendiger Bestandteil des Blutes ist, so 
wird durch dessen Austreibung das Leben gefährdet. Es droht der 
Tod durch Erstickung, und zwar jene Form der Erstickung, welche 
auf O-Mangel (nicht COrAnhäufung) zurückzuführen ist. CO 2 -AU- 
häufung und damit Cyanose tritt erst in den späteren Stadien der 
CO-Vergiftung ein, gewöhnlich ist das Blut hellroth, wie ein ge¬ 
sundes O-haltiges. Die Erfahrung lehrt, dass bei CO-Vergiftung der 
Tod viel früher eintritt, ehe aller 0 aus dem Blute verschwunden ist. 
Wo aber die Grenze der Lebensfähigkeit liegt, wann der Exitus letalis 
unvermeidlich eintritt, lässt sich nicht sicher bestimmen. Auch in 
unserem Falle war das Vorhandensein von CO im Aderlassblute 

1 durch Herrn Prof. Salkowski spectroskopisch nachgewiesen worden, 
indessen konnte nicht wohl eruirt werden, wie viel 0 noch restirte. 
Jedenfalls liess die anhaltende Bewusstlosigkeit und die erschwerte 
unregelmässige Athmung auf einen hohen Grad der Intoxication und 
damit auf unmittelbare Lebensgefahr schliesseu. Andererseits war 
doch der Puls noch regelmässig und kräftig, die Prognose daher nicht 
| absolut ungünstig. Alles, was zur Rettung des Krankeu zu thun 
iu unserer Macht lag, musste ungesäumt ausgeführt werden. 

Ausser den bereits angewandten therapeutischen Mitteln musste 
nun auch an die Bluttransfusion gedacht werden, welche im 
Jahre 1864 zuerst von W. Kühne, damals Assistent Virchow s 
am pathologischen Institute, als Heilmethode gegen Kohlenoxyd¬ 
vergiftungen empfohlen und geübt worden ist. 

In einer Mittheilung: Verfahren bei Vergiftungen durch 
Kohlenoxyd im Centralblatt für die med. Wissenschaften 1864 No. 9 
p. 134 setzt W. Kühne auseinander, wie nach den Untersuchungen von 
Claude Bernard, Hoppe-Seyler, LotharMeyer u. A. zunächst 
die giftige Wirkung des Kohlenoxyds in einer Verdrängung des 
Sauerstoffs aus dem Blute bestehe. „Indem das Kohlenoxyd an 
die Stelle dieses Gases tritt, wird das Blut zugleich unfähig, neuen 
Sauerstoff aufzunehmeu, und da wir kein Mittel kennen, das darin 
so fest gebundene CO zu entfernen, so bleiben die einmal ver¬ 
gifteten Blutkörperchen für immer zur Respiration untauglich. Nach 
intensiven Vergiftungen mit Kohlendunst ist darum auch von der 
; ergiebigsten künstlichen Respiration kein Erfolg zu erwarteu. Nur 
ein Ersatz des verdorbenen Blutes durch neues respirationsfähiges, 
kann die Vergifteten retten, uud kaum dürfte sich daher eine bessere 
( Gelegenheit zur Anstellung der Transfusion des Blutes bieten als 
nach Vergiftungen mit Kohlenoxyd.“ — Es folgen nun Versuche 
an Thieren (Hunden), welche zeigen, dass diese aus den höchsten 
Graden der CO-Vergiftung. welche als absolut letal zu betracbteu 
waren, durch die Bluttransfusion gerettet werden können. — In 
Folge dieser interessanten und wichtigen Anregungen von W. Kühne 
ist die Bluttransfusion bei Menschen, die von Kohlendunsterstickung 
befallen waren, wiederholt zur Ausführung gekommen, und zwar 
i oinige Male ohne Erfolg, einige Male mit günstigem Resultat. Ich 
i habe nicht Zeit gefunden, die Literatur genau durchzusehen. Ich 
! verweise auf die übersichtliche Darstellung in der Toxikologie von 
j von Dr. L. Lew in (Wien und Leipzig 1885) p. 29. Hier ist auch 
die interessante Mittheilung von Hueter (Berl. kl. Wochenschrift 
1870 p. 341) citirt, wo H. über einen dem unsrigen sehr ähnlichen 
I Fall von schwerer CO-Vergiftung berichtet, welcher durch die Blut- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1042 


transfusion gerettet wurde. Huettfr bevorzugte die arterielle Trans- ! 
fusion, mit welchem Rechte, darüber erlaube ich mir kein maass- I 
gebendes Urtheil: Auch in Hueter’s Falle bestand vollständige Be- j 
wusstlosigkeit, der Puls war schwach und aussetzend, die Respiration i 
musste anfangs künstlich unterhalten werden. In diesem Zustande 
wurde dem Patienten eine Transfusion von 500 ccm geschlagenen, de- 
fribinirten Menschenblutes gemacht. Nicht lange danach gab der 
Patient, die ersten Proben der wiederkehrenden Reaction zu erkeunen 
und kehrte nach Verlauf von mehreren Stunden zum Bewusstsein 
zurück: er wurde vollkommen hergestellt. 

In den letzten fünfzehn Jahren und noch länger sind, so weit 
uns bekannt, keine weiteren Fälle von CO-Vergiftung mitgetheilt 
worden, welche mit Transfusion behandelt worden sind. Dies hat 
einen doppelten Grund. Einmal hat die Häufigkeit der CO-Ver- 
giftungen in Berlin seit der neuen polizeilichen Bestimmung, dass 
alle Oefen luftdichte Thüren und keine Klappen haben sollen, ganz 
erheblich abgenommen. Dennoch kommen in jedem Jahre noch 
mehrere Fälle auf der Klinik zur Beobachtung. Der zweite Grund 
liegt darin, dass die Operation der Bluttransfusion in der Neuzeit 
sehr in Misscredit gekommen und aus der Chirurgie total verbannt ist. 

Trotzdem bin ich der Ansicht, dass für die CO-Vergiftung die 
Berechtigung und Indication der Transfusion unbedingt aufrecht zu er- 
haltcu ist. Ich kann mich hierbei nur den von Kühne vorgetragenen 
Argumenten rückhaltlos anschliesseu. Da das Blut unfähig geworden, 
CO aufzunehmen, so besteht die Indication darin a) einen Theil 
dieses unbrauchbar gewordenen Blutes durch Aderlass zu entfernen, 
und b) eine genügende Menge neuen, respirationsfähigen Blutes in 
die Circulation einzuführen. Wie gross eine solche Menge, die man 
als genügend bezeichnen darf, sein soll, lässt sich nicht sicher be¬ 
rechnen. Naturgemäss ist die Menge Blut, welche man trausfundiren 
kann, nicht gar gross, sie wird zwischen 200 — 500 ccm schwanken, 
aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass in einer Reihe von Ver¬ 
giftungsfällen diese Quantität hinreichen wird, um das Leben zu 
unterhalten, solange bis durch die Heilkräfte des Organismus das Gift 
theilweise eliminirt, und das Blut wieder functionsfähig geworden ist. 
Es kommt darauf an, im kritischen Momente das Leben zu schützen, 
den Patienten über Wasser zu halten. Und dies vermag die Trans¬ 
fusion zu leisten. 

In dem vorliegenden Falle hielt ich den Zustand für ausser¬ 
ordentlich geeignet, um die Transfusion zu machen', denn der 
Patient befand sich in einem lebensgefährlichen Zustande, aber auch 
in einem Zusfande, wo man sagen konnte: man muss ihm ein 
paar Stunden weiter helfen, dann wird er wahrscheinlich wieder 
zu sich kommen. Die Transfusion wurde von den Herren Stabs¬ 
ärzten Renvers und Brettner gemacht, und zwar durch Injection 
von 250 ccm Blut, welches ein Mitkranker hergegeben hatte, in 
die rechte Armvene des immer noch ganz bewusstlosen Patienten. 
Unmittelbar nach der Transfusion hat der Patient noch keine er¬ 
hebliche Veränderung gezeigt, aber einige Stunden später bot er 
die ersten Zeichen der Reaction dar. Um 1 Uhr wurde die Trans¬ 
fusion gemacht, und um 6 Uhr wurde bemerkt, dass er sich im 
Bett uragedreht hatte, und dass er sich auf die Seite warf. Er 
hat dann die Nacht gut geschlafen, und Morgens um 4 Uhr ist er 
munter und vergnügt autgewacht. Der weitere Verlauf war eine 
schnelle Reconvalescenz. Patient ist, wie Sie sehen, vollkommen 
gesund zu nennen. 

Wenn uns zum Schluss noch die kritische Frage entgegen gehalten 
wird, ob wir in der That die Genesung des Patienten der Trans- ! 
fusion zuzuschreiben haben, so ist natürlich eine absolut sichere ( 
Antwort darauf nicht zu geben. Die Gegenprobe lässt sich nicht ! 
machen, wir können nicht zum zweiten Male versuchen, denselben ! 
Patienten in derselben Lage ohne die Transfusion zu behandelu. j 
Aber, meine Herren, ich bin der Meinung, dass es eine zu weit \ 
getriebene, negirende Kritik wäre, den entschiedenen Effect der 
Transfusion in Abrede zn stellen. Eine solche Zweifelsucht muss 
in der internen Therapie zurückgewiesen werden, sie wäre geeignet, 
jedes Vertrauen zu den ärztlichen Leistungen zu untergraben. Wir 
müssen an dem Standpunkt festhalten, dass eine therapeutische i 
Maassregel, deren Zweckmässigkeit durch wissenschaftliche Prüfung | 
nachgewiesen ist. in dem Falle, w r o sie angewandt wurde, wenn : 
der Ausgang ein glücklicher ist, auch wirklich an diesem glück- ; 
liehen Ausgange betheiligt war. Nach diesen Grundsätzen dürfen 
wir auch in unserem Falle mit Befriedigung sagen, dass wir durch 
die Transfusion den in sichtlicher Gefahr schwebenden Patienten j 
zum Lebe: zurückgebracht haben. 

Ich betrachte also die Transfusion in schweren Fällen der CO- 
Vergiftung als eine Indicatio vitalis. Da ein grosser Theil der so 
Verunglückten in die Hospitäler gebracht wird, so dürfte in der 
Mehrzahl der Fälle der Ausführung dieser Operation kein erheb¬ 
liches Hinderniss entgegenstehen. Ausserhalb der Hospitäler da¬ 
gegen wird die Operation nur selten mit der erforderlichen Schuellig- 
keit ausgeführt werden können. * 


No.51 

Ich erlaube mir zum Schlüsse noch den etwas genaueren 
Kraukheitsbericht durch Herrn cand. raed. Croner verlesen zu lassen. 

„Während der klinischen Vorstellung am Freitag um ll 1 /* Uhr 
wurden die Athemzüge, 32 in der Minute, wieder oberflächlicher 
und durch Pauseu unterbrochen, die sich jedesmal an eine tiefe 
Einathmung anschlossen. Puls 100, wenig kräftig, Arterie von mitt¬ 
lerer Spannung. Nachdem der Kranke etwa nach 8 Minuten aus dem 
Auditorium, dessen Luft durch Anwesenheit einer zahlreichen Zu¬ 
hörerschaft bedrückend war, entfernt wurde, blieb die Athraung 
oberflächlich und unregelmässig, und die Färbung des Gesichts wurde 
statt blassblauroth mehr blassblau. Etwa 3 /.jl bedeckte sich Stirn 
und Nase mit perlendem klebrigem Schweiss, die Nasenflügel be¬ 
wegten sich, der Puls wurde schwächer, 120 in der Minute, die 
Radialarterie fühlte sich schlaff an, Koth und Urin entleerten sich 
unwillkürlich. 

Um 1 Uhr wurde die Transfusion gemacht. — Einem kräf¬ 
tigen, gesunden Mann, welcher an einer chronischen Rückenmarks¬ 
krankheit leidet, wurden durch Aderlass ca. 300 ccm Blut ent¬ 
nommen, welches in einem Gefäss, das von heissera Wasser um¬ 
spült wurde, aufgefangen wurde. Nachdem dasselbe defibrinirt und 
durchgeseiht war, wurde es nach der Esmarch’schen Methode in die 
freigelegte peripher unterbundene geöffnete Vena mediana basilica 
eingelassen und es flössen im Ganzen etwa 250 ccm Blut ein. 
Nach Unterbindung des centralen Venenstumpfes wurde die Haut¬ 
wunde durch 3 Nähte geschlossen. Nach etwa 10 Minuten betrug 
die Zahl der Athemzüge in der Minute 40, Puls 120, etwas kräf¬ 
tiger. Spannung der Arterie unverändert, die Cyanose und Bewusst¬ 
losigkeit bestanden in gleicherweise fort. Abends 6 Uhr Puls 120, 
mässig kräftig, Arterie mässig gespannt, Temperatur 38,6. Das Ge¬ 
sicht ist weniger cyanotisch, Haut am ganzen Körper warm und feucht. 
Der Heister kann indess noch nicht entfernt werden, da bei dem Ver¬ 
such dazu die Zähne sofort geschlossen werden, nnd schnarchendes 
Athmen entsteht. Auf Nadelstiche reagirt der Kranke durch Oeffnen 
der Augen, sowie Abwehr mit den Armen und Hinüberlegen nach der 
anderen Seite. Am nächsten Tage Morgens V->4 Uhr erwacht der Kranke 
aus dem Schlaf, er öffnet die Augen, nennt auf Anfrage seinen Namen, 
lässt Urin, schluckt dargebotene Milch und verfällt dann wieder in 
Schlaf. Morgens 8 Uhr sitzt er im Bette, trinkt Caffee und verzehrt 
mit Appetit 2 Schrippeu. Respiratien 24, regelmässig, abdominal. 
Puls 88, kräftig, Arterie gut gespannt, Temperatur 37,2 Gesiebts¬ 
ausdruck ruhig, Blick frei, keine Cyanose, die Augäpfel scheinen 
weniger hervorstehend, Bindehäute nicht geröthet, Pupillen mittel¬ 
weit, gut aufLicht feagirend. Leib nicht aufgetrieben. Urin 1100, sp. <j 
1020, klar, ohne Zucker, ohne Eiweiss. Klagen über Benommenheit 
des Kopfes, geringe Schmerzen an der Stirn und im linken Arm. 
Während des Tages schlief der Kranke grösstentheils, war jedoch 
leicht zu wecken und nahm mit Appetit Nahrung zu sich. Am 
nächsten Tage R. 24. P. 90, T. 37,2, Urin 2200, spezifisches Ge¬ 
wicht 1013, ohne Eiweiss, ohne Zucker. Aderlass- und Transfusions¬ 
wunde verklebt. Bis auf geringe Schläfrigkeit vollkommenes Wohl¬ 
befinden.“ 

II. Subphrenischer Abscess bei rechtsseitiger 
Lungenentzündung und Abdominaltyphus 
oder acuter Leberentzündung. 

Von Oberstabsarzt 2. CI. Dr. E. Jahn in Bromberg. 

Unter der Fülle von interessanten Krankenbeobachtungen, welche 
das Berichtjahr 1887/88 auf der inneren Station des Garnisonlaz* 
reths zu Bromberg bot, ist es ein Fall eines nicht lufthaltigen sub¬ 
phrenischen (Leyden) oder hypophrenischen bezw. subdiaphra?' 
matischen (Bergson) Abscesses, welcher wegen seines seltenen Vor¬ 
kommens und seines glücklichen Ausganges sowohl wie wegen der 
verschieden zu deutenden Entstehung die Veröffentlichung und Be¬ 
sprechung rechtfertigt. 

Der Dragoner S., welcher angeblich während seiner Kindheit bereit- 
eine rechtsseitige Lungenentzündung überstanden hatte, von da ab aber stet- 
gesund gewesen wer, erkrankte am 24. Februar 1887 unter Schwindelgefu 
beim Aufstehen, Kopfschmerzen und folgendem Schüttelfrost, wozu oYn -»tu 
*25. Brustschmerzen gesellten, meldete sich am 26. krank und wurde roi 
den objectiven Krsheinungen einer rechtsseitigen Lungenentzündung, 1 
Unter- und Mittellappen ergriffen hatte, aufgenoinmen. Unter regelmässige® 
Verlauf trat am Ende des 6. Krankheitstages Krisis ein, welcher sehne- 
Reconvalescenz und vollständiges Wohlbefinden folgte. Am 23. März, 
rend der Kranke vollkommen gesund war. trat plötzlich Schüttelfrost u 1 
nachfolgender Temperatursteigerung auf 40,2 und Kopfschmerz in der Nie 
gegend ohne nachweisbare Organerkrankung auf. In den nächsten T«.’ 1 ’- 
fortdauernd hohe Temperatur ühcr 40,0 neben häufigem Frostgefühl. 1!r 
25. März Stiche in der linken Seite mit leisem Crepitiren an der l.uug« 
grenze auf der Höhe der Einathmung ohne Dämpfung, ohne Husten, ^ 
maliges Erbrechen. 26. März (4. Tag) leichte Milzvergrösserung. 2 ,,oD “ 
bräunliche, bröcklige Stühle, feuchte, weisslieh belegte Zunge, /nein» -" 


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20. December. 


starkes Erbrechen, Nasenbluten, etwas blutig gestreifter, schleimiger, zäher 
Auswurf Ordination: kalte Bäder von 15° R, wenn Temp. über 39° C, von 
15 Min. Dauer. 

27. März undeutliche, am 29. März deutliche, reichliche Roseola, starke 
Milzvergrösserung bis au den Rippenrand; vom 26.—29. täglich 5, 8, 4, 4 Bä¬ 
der; am HO. Klagen über Schmerzen im rechten Bein, Schwellung und Em¬ 
pfindlichkeit der Leistendrüsen: Leib etwas aufgetrieben, Stuhl nicht charak¬ 
teristisch, aber dünn, über den Lungen hinten und beiderseits Katarrh, 
Zunge wenig belegt, aber trocken. 

2. April. Nachdem am 30. fünf, am 31. zwei Bäder gegeben waren, 
hat die Temp. seit gestern 39,0 nicht erreicht, die Roseola beginnt abzu- 
ldassen, Allgemeinbefinden gut. Von jetzt ab regelmässig fortschreitende 
Entfieberung, welche am 6. (15. T.) vollständig erreicht ist. 

15. April. Nachdem der Kranke am 14. eine Stunde ausser Bett ge¬ 
wesen, sich vollkommen wohl gefühlt, mit Appetit rohes geschabtes Rind¬ 
fleisch genossen, trat in der Nacht (24.) heftiger Frost mit Temperatur- 
Steigerung auf 40,0 ohne nachweisliche Organerkrankuug auf. Es wurden 
sofort wieder kalte Bäder, am 15. 4, am 16. 3, genommen. Darauf Tempe¬ 
raturabfall am 17. auf 36,8 mit einer Steigerung des Abends auf 38,4, eben¬ 
so am 18. Am Morgen des 19. Klagen über grosses Schwächegefühl und 
heftigen Schmerz bei Druck auf das Epigastriuin. Mageugegend aufgetrieben, 
stark gespannt, häufiges Aufstossen; hinten, vorn und über der Lunge etwa 
handhoch ist der Schall gedämpft, uud hört man auf der Höhe der Inspira¬ 
tion leises Crepitiren, nach mehrmaligem tiefen Athmen ist das Athraungs- 
geräusch rein vesiculär. Der Kranke hustet öfter uud klagt über Stiche 
unter dem rechten Rippenrand. Auswurf schleimig mit einigen Spuren dunk¬ 
len Blutes. 

24. April. Seit dem 21. treten, nachdem die Temp. am 20. den ganzen 
Tag über subnormal gewesen war, zwischen 12 und 6 Uhr Nachmittags regel¬ 
mässige Temperatursteigerungen auf, häufig mit Frösteln oder leichtem Schüt¬ 
telfrost und Kopfschmerz eingeleitet, um über Nacht unter leichtem oder 
stärkerem Schweiss zur Norm oder wenig über die Norm zurückzugehen. 
Das Allgemeinbefinden wurde wesentlich dadurch gestört; häufige, mehr oder 
weniger lebhafte Schmerzen unter dem Schwertfortsatz und dem rechten 
Rippeurand mit mässigem Hustenreiz, der ab und zu ein leicht blutig tiugir- 
tes Sputum herausförderte, öftere Uebelkeit mit etwas Erbrechen waren die 
subjectiven Symptome, welchen folgender objective Befund zur Seite steht: 
über der Brust hinten rechts unten handhoher matter Schall mit abgeschwäch¬ 
tem Athmuugsgeräusch. Leberdämpfung misst in der Lin. axlll. 16, Lin. 
raammill. 21, Lin. parast. 18 cm; auf dem Brustbein in der Höhe der 14. R. 
ist der Schall gedämpft und reicht von da an 19 cm nach abwärts. Milz¬ 
dämpfung 13 cm hoch, geht nach vorn über die vordere Axillarlinie hinaus, 
reicht nach unten bis zum Rippenrand. Die Palpation der Leber ist etwas 
schmerzhaft, und der untere feste Leberrand lässt sich scharf begrenzen. 
Abdomen massig gespannt, leicht schmerzhaft auf Druck. Die Haut des 
ganzen Abdomens, der Lebergegend, des Epigastriums bis hinauf zu den 
Brustwarzen zeigt eine graugelbliche Farbe und wachsweiche, nicht elastische 
Beschaffenheit Der Urin zwischen 1600 und 2000 ccm, wechselnd in Menge 
und Farbe mit einem spec. Gew. von 1020, ist stets klar, frei von Eiweiss 
und Zucker, niemals icterisch; Stuhlgang regelmässig, theils dick, theils 
dünnbreiig, nicht lehmfarben. Am 27. April wurde im Stuhlgang ein I m 
langes Stück Bandwurm gefunden, 8,0 g Extr. filicis blieben trotz reich¬ 
licher dünner Stühle wirkungslos. Am 29. zeigte sich ausser der graugelb¬ 
lichen Färbung der Haut am Rumpf und der wachsartigen Beschaffenheit 
derselben am Abdomen eine schwach gelbliche Färbung der Conj. bulbi. 
Bei der Palpation der Lebergegend fühlte man unter dem Rippenrand eine 
etwa fünfmarkstückgrosse weich elastische Stelle, welche sich blasenartig an¬ 
fühlt und von festem Gewebe kreisrund umgeben ist Der Leberrand fühlt 
sich nicht so hart an, wie in den Tagen vorher. Der matte Schall hinten 
rechts unten reicht etwas höher hinauf, doch besteht kein Reiben, kein bron¬ 
chiales, nur abgeschwächtes Vesiculärathmen. 

ln den nächsten 4 Wochen trat trotz des fortdauernden mit Frösteln 
und Kopfschmerzen einhergehendeu abendlichen Fiebers, dem unter Schweiss 
regelmässige Morgenremissionen folgten, eine langsame Besserung des sub¬ 
jectiven Befindens ein. Wenn auch die täglichen Gaben von Chinin ab¬ 
wechselnd mit Antipyrin von keinem durchgreifenden Einfluss waren, so 
kürzten sie doch sichtlich das tägliche Fieberstadium ab. Das Aussehen 
des Kranken blieb indessen blass und elend, die Abmagerung nahm trotz 
guten Appetits und reichlicher Fleischnahrung zu, während die Hautdecken 
des Körpers eine normale Farbe und Beschaffenheit annahmen, nur bekam 
Anfang Juli das Gesicht zwischen Unterlippe und Augenbrauen eine scharf 
abgegrenzte auffallend leberartige Färbung. Der Kranke war vom 17. Juni 
des Vormittags bis gegen 3 Uhr Nachmittags ausser Bett, bis die Fieber¬ 
erscheinungen auftraten. Am 5. Juli wurde constatirt, dass die rechte Brust- 
,;eite beim Aufrichten in ihren unteren Partieen von der Brustwarze abwärts 
deutlich hervorgewölbt ist gegen die linke, die mehr flach und eingesunken. 
Die Lebergegend unter dem Rippenrand war nicht empfindlich, die Ver- 
grösserung des Organes hat sich erheblich zurückgebildet, so dass die Leber 
den Rippenrand in der Lin. mamm. um 2, in der Lin. parast. um 4 cm über¬ 
ragt. Schon am 8. traten Klagen über Schmerzen und Stiche im unteren 
Theil der rechten Brust, namentlich in der Seitenwand und nach hinten zu auf, 
am 12. erschienen die Zwischenrippenräume vergrössert, verstrichen, und fühlte 
man zwischen 8—11 R. undeutliche Fluctuation; bei Druck auf den 9 I. C. R. 
in der hinteren Axillarlinie bestand erhebliche Empfindlichkeit, und ergab 
eine Probepunction an dieser Stelle mit der Pravaz’sehen Spritze dicken, 
gelbgrünlichen Eiter. Am 15. wurde bei fieberfreiem Zustande in der 
Chloroformnarkose an der Punctionsstelle im 9.I.C.R. schichtenweise die 
dünne Muskulatur getrennt, mit einem spitzen Scalpel in derselben Richtung 
wie bei der Punction eingestochen, der Schnitt nach beiden Seiten hin 8 cm 
lang erweitert, wobei unter lautem Geräusch Luft in den leeren Pleuraraum 
drang. Beim breiten Auseinanderhalten des grossen Spaltes sah man deut¬ 
lich das Zwerchfall kuppelartig nach oben ragen, bewegungslos bei der Ath- 


1043 


mung stehen; die Pleurablätter fühlten sich mit dem eingeführten Finger 
zart und glatt an, während man auf der Kuppe des Zwerchfells das deutliche 
Gefühl der Fluctuation hatte. Als ein nochmaliger Einstich mit der Pra- 
vaz’schen Spritze an dem höchsten Punkt wieder eine Spritze voll dicken 
Eiters ergab, wurde unter Leitung der Canüle ein Einschnitt gemacht, aus 
dem sich nach Erweiterung mit dem geknöpften Messer ein Esslöffel Eiter 
entleerte. Nach gründlicher Ausspülung der Höhle mit 2% Kochsalzlösung, 
bis dieselbe klar abfloss, zeigte sie sich für den tastenden Finger etwa 
apfelgross. Die Wandungen derselben waren uneben, buchtig und nach 
de r. Lebergewebe zu vielfach mit Strängen und Fäden durchzogen. Nach 
nochmaliger Ausspülung wird in den Spalt des schlaff zusammengesunkenen 
Zwerchfells ein dickes Drain eingelegt und befestig, darüber ein fest 
schliessender antiseptischer Verband (Sublimatmull und Watte). Ein von 
Beklemmung begleiteter kurzer Collapszustand während der Spaltung des 
Zwerchfells war schnell vorübergegangen, und befand sich der Kranke, nach¬ 
dem er bequem gelagert war, in durchaus befriedigendem Zustande, wenn er 
auch bei jedem Athemzuge über lebhafte Schmerzen in der Tiefe der Wunde 
klagte. 

16. Juli. Nach einer Morphiuminjection von 0,01 eine im Ganzen leid¬ 
liche Nacht, der mehrfaches Erbrechen am Nachmittag vorangegangen war, 
welches durch Eisstückchen gemildert wurde. Die Schmerzen haben sich 
vermindert, die Athmung ist ruhig und tief, Temp. zwischen 37,0 und 37,5, 
R. 22, P. 82. Der Verband, welcher gestern Abend etwas beengte und oben 
sowie unten eingeschnitten wurde, liegt gut und ziemlich bequem. Der 
Versuch, sich auf die Seite zu legen, gelingt dem Kranken Nachmittag für 
einige Zeit. Die Haut ist meist feucht und kühl, der Durst lebhaft. 

17. Juli. Die Temp. ist gestern von Mittag an gauz allmählich ge¬ 
stiegen, so dass sie Abends 10 Uhr 38,4, Nachts 38,7, früh Morgens 38.2 
betrug. Trotzdem sollen die Beschwerden früh geringer sein, als gestern. Der 
Verband ist an der Wunde ziemlich weit mit Eiter durchtränkt, der eine 
grünliche Farbe zeigt. Die rechte Brusthälfte etwas gewölbter, die Athmung 
beschleunigt (28 R), P. 92. Der Verband wird gewechselt, das Drainrohr 
indessen in der Abscesshöhle belassen. Neben dem Drainrohr gelaugt mau 
in die Brusthöhle, in welche nach gründlicher Ausspülung mit 2 % Koch¬ 
salzlösung eine silberne dicke Canüle eingelegt und der Verband erneuert 
wird. Ueber Nacht hatte der Kranke mehrmals gehustet und einige blutig 
gefärbte Sputa ausgeworfeu. 

19. Juli. Bei Abendtemp. von 39,3, M. 38,0, R. 22, P. 88 gutes All¬ 
gemeinbefinden, fester ruhiger Schlaf, geringe Beschwerden. Beim Verbund¬ 
wechsel zeigt sich der Sublimatmull stark mit gelbem Eiter durchträukt. Im 
Draiurohr selbst kein eitriger Inhalt. Bei der Digitaluntersuchung gelangt 
man in einen 6 cm langen Canal, der ringsum geschlossen, nach unten vom 
Zwerchfell, nach oben von Verklebungen mit dem Brustfell begrenzt ist. 
Von der Abscesshöhle ist nichts mehr zu palpiren. Die Umgebung der 
Wunde schmerzlos, ebenso Druck auf den Rippeurand und die Lebergegend 
nicht empfindlich. Nach Ausspüien mit Kochsalz- und Nachspülen mit 1 °,o 
Carbollösuug, die rein abfliesst und von der nichts in die Pleurahöhle dringt, 
wird ein fingerdickes Drainrohr eingeschoben und der Verband erneuert. 
Untersuchung der Brust ergab hinten und vom Schulterblattwinkel abwärts 
matten Schall, bronchiales Athmen, reichliches Schaben und kleinblasiges 
klangloses Rasseln. Husten besteht kaum, Auswurf gering, schwach rost¬ 
farben. Appetit sehr gut. 

22. Juli. In den letzten Tagen mässiges abendliches Fieber, Anfangs 
bis 39,0, gestern 38,4, sowie ausgiebige Remissionen am Morgen bis 37,3, 
regelmässiger, guter Verlauf. Verbandwechsel, da der Verband durchtränkt 
ist; beim Ausspüien entleert sich kein Eiter, Drain wird um 1 cm verkürzt; 
Athinungsgeräusch h. u. unbestimmt, Reibegeräusche vermindert. 

27. Juli. Verbandwechsel, nachdem die Temp. in den letzten Tagen 
38,2 nicht überschritten. Der Canal ist 3,5 cm lang, Drain wird wieder ver¬ 
kürzt, Eiterung sehr gering. Athinungsgeräusch vesiculär, Schaben gering. 
Rasselgeräusche nicht vorhauden. 

2. August. Verbandwechsel, seit 3 Tagen vollkommen fieberfreier Zu¬ 
stand. Verkürzung des Drains, da die Fistel sich stark mit Granulationen 
gefüllt hat. Allgemeinbefinden sehr gut; der Kranke fühlt sich unter den 
Bäumen des Gartens, wo er den Tag über im Bett sich aufhält, sehr be¬ 
haglich. 

12. August. Verbandwechsel. Drainrohr, durch starke Granulationen 
aus der Wunde gedrängt, wird fortgelassen, ln der Umgebung der Wunde 
sowie nach hinten zu leicht gedämpfter Schall, Athmungsgeräusch etwas 
abgeschwächt, vesiculär ohne Nebengeräusche. 

19. August. Der Kranke ist seit 8 Tagen ausser Bett, hat in 14 Tagen 
um 2 Kilo zugenommen, sieht vorzüglich aus und ist frei von Beschwerden; 
die Wunde ist im Vernarben. 

10. September. Wunde durch feste Narbe geschlossen, Gewicht 128 Pf., 
also Zunahme in 3 Wochen um 9 Pf. Nur die unmittelbare Umgebung der 
Narbe zeigt etwas matten Schall. 

29. September. Vollkommenes Wohlbefinden, guter Ernährungszustand. 
Brustmaass 86—92, Bauch 83, Oberarm 26,5, Vorderarm 26 cm. Ueber 
den Lungen überall Vesiculärathmen, das in dem Bereich der Narbe in einem 
Umkreis eines Handtellers etwas abgeschwächt ist. Percussionsschall überall 
laut und tief, in der Seitenwand von der VII., au der vorderen Axillarlinie 
von der V. R. etwas matter Schall. Leberdämpfung beginnt in der Lin. 
mammill. au der VI. R., überragt den Rippenrand nicht. Appetit, Verdauung 
regelmässig, Baudwurmglieder sind nicht wieder bemerkt. Der Kranke wurde 
geheilt entlassen, wo er 14 Tage geschont wurde, von da ab aber jeden 
Dienst in der Schwadron that und weder beim Reiten noch beim Turnen 
irgend welche Beschwerden hatte. 

Ich habe den Kranken Anfang Mai zuletzt gesehen, und er befand sich 
vollkommen wohl, sah gesund und blühend aus; objectiv ist ausser der Narbe 
nichts Abnormes nachzuweisen, Lungenränder sind frei beweglich. Er 
hat, wie ich höre, den ganzen Sommerdienst bei der Schwadron raitgemacht 


DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


und ist jetzt (Ende August) zu den Herbstübungen mit seinem Truppentheil 
nusgerückt. 

Epikrisis. Recapitulire ich die einzelnen Phasen des 7monat¬ 
lichen Leidens, so ergeben sich 6 Momente, die von charakteristischer 
Bedeutung sind: 

1) UnvermitteltesAuftreteu einer croupösen rechtsseitigen Lungen¬ 
entzündung mit kritischemVerlauf am 6. Krankheitstage und regel¬ 
mässige Reconvalescenz (24. Februar — 22. März.) 

2) Die vollständige Genesung wird unmittelbar vor der Ent¬ 
lassung plötzlich uud unvorbereitet unterbrochen durch ein fieber¬ 
haftes Leiden mit typhösem Charakter und Verlauf — Schüttelfrost, 
abnorm hohe Temperatur, wiederholtes Erbrechen, grosser Milztumor, 
Roseola, dünne Stühle. — Unter Bäderbehandlung regelmässiger, 
leichter Verlauf mit 12tägigem Fieberstadium und folgender lang¬ 
samer Reconvalescenz. 

3) Unterbrechung der Reconvalescenz am 24. Krank heitstage 
(15. April) durch erneuten Schüttelfrost, 2tägigen hohen Tempera¬ 
turen, Schmerzen in der Magen- und Lebergegend, Völle und Auf- 
getriebenheit, Aufstossen, grosses Schwächegefühl. An ein 2tägiges 
hohes Fieber, welches wieder durch kalte Bäder modifieirt wird, 
schliesst sich: 

4) ein 3 monatliches chronisch verlaufendes Leiden mit theils 
reraittirendem, theils intermittirendem Fieberverlauf, sich characteri- 
sireud Anfangs durch starke Lebervergrösserung, Schmerzhaftigkeit 
unter dem Schwertfortsatz und rechten Rippenrand, Härte des vor¬ 
deren Leberrandes, elastisch-pralle Beschaffenheit einer umschrie¬ 
benen Partie unmittelbar unter dem Rippenrand, graugelbliche Ver¬ 
färbung, wachsartige und infiltrirte Beschaffenheit der Haut am 
Abdomen und der Brust, leberartiges Colorit der Gesichtshaut, 
regelmässiges Frösteln, Kopfschmerz uud starkes Krankheitsgefühl 
vom Mittag bis Abend, nächtlicher Schweiss, subnorraale Temperatur 
Morgens mit relativem Wohlbefinden am Vormittag (18. April bis 
13. Juli). 

5) AmEnde des 3. Monats lebhafte Druckempfindlichkeit zwischen 
8—11 R. in der Seiteuwand, Ausbuchtung der rechten Brusthälfte. 
Erweiterung der lutercostalräume, undeutliches Fluctuatiousgefühl — 
Probepunction ergiebt Eiter. 

6) Entleerung des subphrenischeu Abscesses durch Brust- und 
Zwerchfellschnitt, trockene Pleuritis mit Stägigem mässigem Fieber, 
geringe Eiterung aus dem sich schnell schliessenden Leberabscess. 
Schluss der Fistel unter 6 Verbäuden mit Ausspülung, vollständige 
Heilung und Dienstfähigkeit, 9 Wochen nach der Operation, 206 
Tage nach Beginn der Lungenentzündung. 

Als ich den Kranken am 19. April mit Uebernahme der inne¬ 
ren Station in Behandlung bekam, waren bereits die ersten acuten 
Erkrankungen (Pneumonie und Abdominaltyphus (?)) abgelaufen, 
der Kranke hatte auch bereits die dritte Phase, den erneuten 
Fieherparoxysmus überstanden und befand sich im Beginn des 
remittirend-intermittirenden Fieberstadiums. Die Erkrankung der 
Leber wurde von mir zuerst objectiv wahrgenommen, und die 
Vermuthung auf Bildung eines subphrenischen Abscesses gestellt. 
Die weitere Beobachtung in den nächsten Tagen ergab ganz un¬ 
zweifelhafte Zeichen, wie sie in der Krankengeschichte geschildert 
sind, und die Diagnose blieb gesichert. Anders indessen war es 
mit der Aetiologie und dem Zusammenhang des Abscesses mit den 
vorhergegangenen Krankheiten. Es blieben hier zwei Möglichkeiten, 
die in Betracht kommen. Einmal kann der Leberabscess als Me¬ 
tastase nach Abdominaltyphus aufgefasst werden, und dann würde 
der zweite Fieherparoxysmus am 15. April, der 2 Tage dauerte, als 
Ausdruck der stattgefundeneu Metastase anzusehen sein. Anderer¬ 
seits ist die Möglichkeit aber auch nicht von der Hand zu weisen, 
dass überhaupt kein Typhus bestand, vielmehr der Schüttelfrost am 
23. März, dem abnorm hohe Temperaturen, mehrmaliges starkes 
Erbrechen und Nasenbluten folgten, den Beginu eines idiopathischen 
Leberabscesses einleiteten, der vielleicht in einem loseu Zusammen¬ 
hänge mit der vorangegangenen rechtsseitigen Pneumonie stand. 
Von der letzteu Möglichkeit ausgehend, möchte ich zunächst dagegen 
hervorheben, dass die Pueumonie kritisch verlief, von keiner Pleu¬ 
ritis begleitet war, also auch von einer Fortpflanzung der Entzün¬ 
dung auf Zwerchfell, Leberüberzug und Lebergewebe nicht gut die 
Rede sein kann, mindestens würde der Kranke sich nicht vom 2. 
bis 23. März fieberfrei und vollkommen wohl befunden habeu. Es 
würden endlich mit dem 24. Mär/., wenn der Schüttelfrost und das 
folgende typhöse Fieber der Ausdruck für eine acute Lebererkran¬ 
kung gewesen wäre, schon jetzt objective Erscheinungen dieser 
Organerkrankung hervorgetreten sein. Von alledem nichts. Erst 
unmittelbar nach dem zweiten Paroxysmus (15. April) traten die 
unzweifelhafteu Symptome der Leberentzündung auf. Demgegenüber 
kann die Möglichkeit der Lazarethinfection an Typhus nicht aus¬ 
geschlossen werden, obwohl besonders hervorgehoben werden muss, 
dass der Kranke während seiner Reconvalescenz von Lungenent¬ 
zündung auf dem Tagesraum der Steinbaracke nur mit gleichartigen 


Nojl 

1 Krankeu, durch ein Zimmer und einen grossen luftigen Korridor 

I getrennt vom Typhuskrankensaal gelegen hat, auch während der 
Höhe der Krankheit niemals in Berührung mit Typhuskranken oder 
Reconvalescenten gekommen ist. Der Beginn des typhösen Pro- 
cesses ist allerdings durch das plötzliche Einsetzen und die von 
Beginn an hoheu Temperaturen ungewöhnlich, indessen ist der wei¬ 
tere Verlauf (Roseola, Milztumor, Bronchialkatarrh) zu wohl charak- 
terisirt, als dass man den Process anders gedeutet haben wurde, 
wenn nicht die dritte Phase der Krankheit eingetreten wäre und 
die Frage nach der Ursache des Leberabscesses iu den Vordergrund 
rückte. 

Wenn der Zusammenhang von Leberabscess und Dysenterieder 
Tropen feststeht und auf eine Phlebitis der Pfortaderwurzeln zurück¬ 
geführt wird (Budd), wenn man (Broussais und Audral) ferner 
daraus auf die Möglichkeit schliesst, dass dieser Zusammenhang auch 
bei anderen entzündlichen Ulcerationsprocesseu des Gastrointestinal- 
tractus vorhanden ist, so könnte man ihn ja auch mit vollem Reck 
für den typhösen Process auf der Darmschleimhaut verantwortlich 
machen. Demgegenüber sagt freilich Frerichs (Klinik der Leber¬ 
krankheiten 2. p. 110), „dass diese Anschauung iu Deutschland 
und England wenig Anklang fand, auch würde Hepatitis bei Rich¬ 
tigkeit dieser Voraussetzung uuendlich viel häufiger sein, als sie es 
in der That ist.“ Kussmaul erwähnt bei Besprechung eines aus 
eitriger Periphlebitis hervorgegangenen Leberabscesses (Berl. klin. 
Wochenschr. 1868 No. 12) einen Ausspruch von Bristowe, „dass 
am wahrscheinlichsten das auffallend häufige Zusammenkommen 
von Dysenterie und Leberabscessen einer gemeinschaftlichen, freilich 
noch unbekannten Ursache ihre Entstehung verdanke, die bei dem 
einen Dysenterie, bei dem anderen Leberabscess, bei dem dritten 
beide Leiden zugleich oder hinter einander hervorrufen könne.* 
Die nachträgliche Durchmusterung der mir zugänglichen Litteratur 
der letzten 24 Jahre hat zw r ar viele Veröffentlichungen über Leber- 
abscesse gezeitigt, die theils einem Trauma, theils Echinococcen ihren 
Ursprung verdanken, in einem Fall von Gaede (Berl. kirn. 
Wochenschr. 1880 No. 10) die Folge einer Pneumonie mit nach¬ 
folgendem Empyem war, indessen ist es mir nur gelungen 3 Fälle 
aufzufinden, in denen Abdominaltyphus als Ursache angenommen 
wurde. Diese verschwindende Zahl ist um so auffallender, als die 
Veröffentlichungen über Typhus in den letzten 20 Jahren einen 
Umfang und eine Vielseitigkeit erlangt haben, wie kaum auf einem 
anderen Krankheitsgebiet. Von den 3 Fällen liegt mir nur einer 
im Original vor, welcher von Dr. Asch aus der Strassburger Kin¬ 
derklinik (Berl. klin. Wochenschr. 1882 No. 51) geschildert wird 
und hierbei die beiden anderen Fälle von Sidlo bei einem 10- 
jährigen Mädchen und Tüngel bei einem 20jährigen Mann Erwäh¬ 
nung finden. Während der Fall von Sidlo unter Durchbruch des 
Abscesses iu den Darm am 120. Tage der Krankheit in vollständi¬ 
ger Genesung endete, starben die beiden von Asch und Tüngel 
unter sehr ähnlichem Verlauf und pathologischem Befunde. Hierbei 
macht Asch die Bemerkung, dass der Sidlo’sche Fall „manche 
Unklarheiten enthält, welche die Diagnose Leberabscess nicht 
ganz zweifellos erscheinen lassen.“ Indem er deducirt, dass 
es sich hier nur um einen einzigen sehr grossen Abscess bandeln 
könnte, fügt er hinzu, dass „metastatische Abscesse fast ausnahms¬ 
los multipel auftreten.“ Wenn diese Erfahrung richtig w r äre, würde 
der von mir beobachtete Fall noch weniger als die Folge von Ty¬ 
phus betrachtet werden können, da es sich gleichfalls nur um einen, 
und zwar auffallend kleinen, Abscess handelte. Indessen bleibt 
nach dem eingehenden Studium der Litteratur keine andere Auf¬ 
fassung übrig, und ich entscheide mich daher für die Annahme der 
Abhängigkeit des Abscesses von dem Typhusprocess und betrachte 
beide, den Asch’schen uud den meinigen als gleichartig in der 
Aetiologie trotz der Verschiedenheit im Verlauf, so dass ich die 
grosse Seltenheit des Vorkommens und den selten glücklichen Aus¬ 
gang in meinem Fall hier nochmals hervorheben will. 

Zum Schluss meiner Betrachtungen noch einige Worte über die 
Therapie beziehungsweise Operation. 

Nach dem objectiven Befunde war das Vorhandensein eines 
Abscesses, der sich in die Brusthöhle gedrängt batte uud, wie die 
Probepunction sowie die Erscheinungen zwischen der 8. — 11. K. 
nachwieseu, hier zum Durchbruch in den Pleuraraum kommen 
würde, unzweifelhaft. Um die Folgen einer eitrigen Pleuritis oder 
eines Durchbruchs in die rechte Lunge mit äusserst zweifelhaftem 
Ausgange zu vermeiden, war die künstliche Eröffnung angezeigt. 
Wegen der unzweifelhaften Lage des Abscesses an der convexen 
Leberfläche war die Laparotomie nach den Methoden von Simon 
oder Regin, Recamier oder endlich Saeuger iu Göttiogeu 
ausgeschlossen. Es konnte sich nur um eine Operation vom Pleura¬ 
raum her handeln. Den ersten mir bekannt gewordenen in dieser 
Weise operirten Fall stellte Israel (Berlin) dem 8. Cougress der 
deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin am 17. April 1871* 
als geheilt vor. Es handelte sich um Echinococcus der Lebereou- 


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20. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1045 


vexität, den er durch Rippenresection, Eröffnung der Pleurahöhle 
und Zwerchfellschnitt in mehrzeitiger Weise operirte. Er machte 
zwischen den einzelnen Acten 7 bezw. 9 Tage Pause, „ura Ver¬ 
wachsungen zu erzielen und den Eintritt von Luft in die Pleura¬ 
höhle zu vermeiden“. Heilung erfolgte in 9 : /2 Woche. Israel 
schloss damals seinen Vortrag mit den prophetischen Worten, „dass 
man mit der Zeit die Scheu überwinden wird, die gesunde Pleura¬ 
höhle zu eröffnen, sei es zu operativen Zwecken an der Lunge oder 
an den Bauchorganen, die dem Zwerchfell dicht anliegen.“ In der- j 
selben Sitzung stellte Geuzmer (Halle) eineu Fall von Leberechi¬ 
nococcus vor, welcher in derselben Weise, doch in einem Tempo 
operirt war. Die Leber war mit dem Zwerchfell verwachsen. Der 
jauchige Inhalt, der sich nach Incision des Sackes in die Pleura 
ergoss, wurde ausgiebig mit Salicylsäure ausgespült, so dass der 
Verlauf ein aseptischer wurde. Heilungsdauer 18 Wochen. Die 
seitdem in Fluss gekommene Discussion über subphrenische Abseesse 
im Allgemeinen und subdiaphragmatische Echinocoecen sowie deren 
Behandlung hat durch Leyden, Herrlich. Israel und Landau 
eine so lichtvolle und vielseitige Darstellung gewonnen, dass man 
uur die Zeitschriften aus dem Jahre 1886 in die Hand zu nehmen 
braucht, um ein fast altgeschlossenes, übersichtliches Bild der nicht 
so seltenen und interessanten Krankheitszustände zu erhalten, ln 
allen Veröffentlichungen wird der durch Rippenresection und Ein¬ 
dringen von der Brusthöhle aus gewählte Weg als nicht so gefähr¬ 
lich erwiesen, wie man früher annahm, und sind es namentlich 
3 Fälle von Herrlich ans der Klinik von Leydeu, welche den 
Ausgangspunkt für die eingehendsten Erörterungen und Klärungeu 
des Sachverhaltes boten. In der Discussion über diesen Vortrag 
sagt Leyden: >,Ich setze voraus, dass Adhäsionen zwischen den 
Pleurablättern so gut wie immer bestehen werden. Der kürzeste Weg 1 
ist durch die Rippenresection verbürgt. Ebenso sorgt sie für einen 
breiten Eingang zu derEiterung und dauernde Sicherung des Abflusses.“ 
Unter solchen Voraussetzungen machte ich denn auch die 
einzeitige Operation, war indessen nicht wenig überrascht, beim 
Einstich durch die Rippenpleura keine Verwachsung,' vollständig 
gesunde, zarte und glatte Pleurablätter zu finden und also einen 
Pneumothorax zu erzeugen. Ich befand mich somit in derselben 
Lage, wie ich später in dem Fall von Genzmer gefunden, nur 
dass ich keine Rippe resecirt hatte, was ich sonst bei allen 
Empyemoperationen thue. Das weitere Operationsverfahren war 
hiernach vorgezeichnet, und konnte ich auch eine nachträgliche 
Rippenresection unterlassen, weil der Abscess abnorm klein, der 
Eiterinhalt gering uud der Abfluss gesichert werden konnte. Schliess¬ 
lich bemerke ich noch, dass ich kurz vor Abschluss des Berichtes 
(Mai) in der Deutschen medicinischen Wochenschrift, 1888, No. 35, 
ein Referat vom 3. französischen Congress für Chirurgie lese, wo¬ 
nach Segond (Paris) 2 Pälle von Echinococcusoperation ebenfalls 
von der Pleura aus operirt hat, indem er die Thoraxwand mit oder 
ohne Rippenresection eröffnete und durch das Zwerchfell zur Cyste 
drang. Das Resultat war in beiden Fällen befriedigend, und 
er empfiehlt auf Grund der beiden Beobachtungen bei hinteren 
subdiaphragmatischen Cysten den transpleuralen Weg mit Rippen¬ 
resection. und zwar ein zeitig. Die Gefahren dieser Methode hält 
er für geringer, als die, welche aus den Manipulationen (Zerrung 
der Leber) der vorderen Incision resultiren. 


m. Ueber eine Chorea-Epidemie. 

Kurze Mittheilung von Dr. L. Laqner in Frankfurt a. M. 

Im Sommer des Jahres 1887 wurde das epidemische Auftreten 
von choreaähnlichen Erscheinungen in der Mädchenschule zu Schwan- 
heim bei Höchst a. M. beobachtet. — Durch die Freundlichkeit 
des dortigen Arztes Dr. Kräh und des Königl. Kreisphysikus 
Dr. Grand’homme zu Höchst ward es mir möglich, noch sieben 
der von genannter Affection befallenen Mädchen und zwar am 21. Juli 
1887 in der Behausung Dr. Kräh’s zu sehen. — Ich begnüge 
mich hier, aus später zu erörternden Gründen, mit der Veröffent¬ 
lichung der kurzen Krankennotizen, die ich mir damals zu machen 
Gelegenheit hatte: 

1. Caroline B., 12 Jahre alt, seit 13 Wochen klonische 
Zuckuugen im Gebiete des rechtsseitigen N. facialis, wie bei Tic 
convulsiv; rhythmische, andauernde Bewegungen des ganzen rechten 
Armes, welche dem Tremor bei Paralysis agitans ähnlich sind; 
paretisches Nachschleifen des linken Beines. — Diese halbseitigen 
Störungen traten angeblich unter Schmerzen auf, als sie von der 
Lehrerin eine körperliche Züchtigung empfing. 

2. Catharine R., 12 Jahre alt, krank seit 7 Wochen, leidet 
ebenfalls au den schon geschilderten Zitterbewegungen im rechten 
Arm und schleift beim Gehen das linke Bein nach. 

3. R. Gr., 10 Jahre alt, erkrankte vor 14 Tagen an leichter 
lähmungsartiger Schwäche der rechtsseitigen Extremitäten, später 
stellte sich ebenfalls Tremor im rechten Arm ein. Die Krankheit 


soll auch hier plötzlich und in Folge eines Schreckes in der Schule 
aufgetreten sein. 

4. Cathar. Ro., 11 Jahre alt, litt vor 3 Monaten an schweren 
hystero-epileptischen Anfällen (Chorea major mit saltator. Krämpfen, 
arc de cercle, lautes Schreien, Nachahmen von Hundegeheul und 
auderen Thierlauten). Jetzt zeigt die Patieutin nur noch leichte 
krampfhafte Zuckungen im linken Facialisgebiet und Tremor im 
rechten Arm. — Die unteren Extremitäten sind beiderseits frei. 

5. Anna W., seit 4 Wochen an klonischen Zuckungen im 
rechten Arm und einer Parese im linken Bein leidend. 

6. Cath. D., Tremor des rechten Armes, Nachschleifen des 
linken Beines. 

7. Therese H. litt an derselben Affection, wie die eben er¬ 
wähnte Patientin, ist aber jetzt vollkommen genesen. — Die letzt¬ 
genannten drei Patienten, deren Alter von mir nicht genau notirt 
wurde, zählen etwa 8 — 12 Jahre. 

Die Sensibilität der Kranken war nirgends gestört; vasomoto¬ 
rische oder trophische Störungen wareu nicht vorhanden. Psyche 
uud Hirnnerven (abgesehen von den geschilderten Zuckungen der Ge¬ 
sichtsmuskeln) erschienen vollkommen frei. Kopfschmerz, Schwindel etc. 
wurden nicht geklagt, überhaupt Hess das Allgemeinbefinden der 
kleinen Patienten sonst nichts zu wünscheu übrig. 

Im Ganzen sind sechszehn Kinder auf gleiche oder ähnliche 
Weise erkrankt. Nervös oder hysterisch sind die Kinder nach An¬ 
gaben des behandelnden Arztes vorher nicht gewesen, auch hereditär 
belastet waren wohl die wenigsten von ihnen. Ebensowenig ist 
dem behandelnden Arzte eine besondere anämische Constitution der 
Patienten aufgefallen; auch litt keine von ihnen an einem Herz¬ 
klappenfehler. Sie besuchten alle dieselbe Schulclasse, gewöhnlich 
brachen auch in den Unterrichtsstunden selbst die ersten Anzeichen 
der Erkrankung aus, und zwar fast immer in unmittelbarem An¬ 
schluss an Angst, Scham und andere gemüthliche Erregungen. 
— Die erst erkrankte Patieutin war ein Mädchen, welches vor 
2 Jahren an echter Chorea minor litt, dann ein Jahr gesund blieb, 
wieder zur Schule ging und während des Unterrichts einen Rückfall 
bekam in dem Augenblicke, wo sie von der Lehrerin bestraft werden 
sollte. An dieses Ereigniss schlossen sich im Laufe weniger Monate 
die übrigen Erkrankungen an. Der zeitliche Verlauf derselben war 
sehr verschieden: Im Spätsommer dieses Jahres noch konnte sich 
College Körner aus Frankfurt bei einem Besuche in Schwanheim 
von dem Vorhandensein einzelner leicht choreiformer Bewegungen bei 
zwei Schulkindern überzeugen, welche als die letzten Ausläufer der 
erwähuten Epidemie zu betrachten sein dürften. - Die Epidemie hat 
sich also über einen Zeitraum von fast l l > Jahren erstreckt. — 
Alle von der Krankheit Betroffenen sind genesen. 

Was nun die Charakterisirung der von mir geschilderten neu- 
ropathischen Symptomencomplexe betrifft, so handelt es sich iu den 
von mir persönlich beobachteten Fällen nicht um das eigenthüraliche 
typische Bild der Chorea minor, wie es allen Aerzten geläufig ist. 
Es wareu nicht die bizarren, stossweise in unregelmässigen Zwischen¬ 
räumen erfolgenden choreatischen Muskelactionen zu constatiren, 
die fast immer nur bei der Ausführung intendirter wiUkürlicher 
Bewegungsimpulse erfolgen und mit dem Namen der „Muskel¬ 
unruhe“ bezeichnet werden, sondern das Krankheitsbild setzt sich 
vielmehr aus mehr regelmässigen halbseitigen Zitterbewegungen der 
Arme und klonischen Muskelzuckungen im Gesicht, sowie Hemiparesen 
der oberen und unteren Extremität ohne Hemianästhesie zusammen 
und trug offenbar einen hysterischen Charakter. Da sowohl Dr. Kräh 
i wie Grand’homme und Dr. Körner auch in Bezug auf den grössten 
Theil der übrigen Kranken zu der gleichen Ansicht gelangt sind, 
welche ausserdem in der unter 4) geschilderten Beobachtung von 
echter Hysteroepilepsie eine wesentliche Stütze findet, so werden 
wir auch diese in der Schwanheimer Schule aufgetretene Gruppe von 
Erkrankungen nicht als eine „Veitstanz-Epidemie“ im engeren 
Sinne aufzufassen haben, sondern werden besser, da wir uns gewöhnt 
haben, mit dem Namen Chorea minor ein ganz bestimmtes, sehr 
häufig und zwar meist sporadisch vorkommendes, charakterisirtes 
Krankheitsbild zu bezeichnen, — die geschilderte Reiheufolge func- 
tioneller Nervenerkrankungen als ein epidemisches Auftreten 
hysterischer Affectionen ansehen. — Ganz passend wäre für 
die bunten, aus Lähmung- und Reizerscheinungen sich zusammen¬ 
setzenden Symptomengruppen, denen wir in der Schwanheimer 
Epidemie begegnet sind, der Begriff der „Emotionsneurosen“, dessen 
Aufstellung wir bekanntlich Berger verdanken (s. Eulenb. Real- 
encyclopädie 1. Aufl. III. Bd.); vom ätiologischen Gesichtspunkte aus 
Hesse sich diese Collectivbezeichuung sicherlich am ehesten rechtfertigen. 

Leugnen lässt sich übrigeus uicht, dass für die durch psychisches 
Coutagium, durch Nachahmung, Beispiel etc. nach anfänglicher Er¬ 
krankung einzelner Individuen endemisch in Schulen, Pensionaten. 
Klöstern u. s. w. erzeugten Neurosen, welchen Charakter sie auch 
gezeigt haben mögen — sich der Name „Chorea-Epidemie“ allge¬ 
mein eingebürgert zu haben scheint. War doch auch, wie die 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51 


Geschichte meldet, der ursprüngliche Veitstanz (Chorea St. Viti) eine 
epidemische krankhafte Tauzwuth, die im 14. Jahrhundert durch 
Wallfahrten nach der dem heiligen Vitus geweihten Kapelle bei 
Ulm geheilt wurde! - Aber gerade aus diesem Grunde habe ich 
eine kurze Skizzirung der von mir beobachteten Krankheitsfälle 
versucht, um gleich einzelnen früheren Autoren von Neuem zu zeigen, 
dass „epidemisch“ unter Kindern und wohl auch unter Erwachsenen 
auftretende Neurosen zumeist hysterische Krankheitsbilder darstellen. 

Au diese Mittheilung ausführlichere Litteraturaugabeu und ge¬ 
wisse auf die Schule bezügliche hygienische Betrachtungen zu 
knüpfen, erscheint mir um so weniger angezeigt, als Dr. Otto 
Körner von hier genauere Studien über diese Punkte im nächsten 
Hefte der Vierteljahrsschrift für öffentliqhe Gesundheitspflege zu 
veröffentlichen gedenkt. 

IV. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Liebermeister in Tübingen. 

(Fortsetzung aus No. 50.) 

3. Eiue besonders wichtige Indication besteht in der Vermehrung 
der Widerstandsfähigkeit des Kranken, wie sie hauptsächlich erreicht 
wird durch Verbesserung des Ernährungszustandes. Es ist zwar 
die Abzehrung nur eine indirecte Folge der Lungenerkrankung, 
und die Beseitigung derselben würde, wenn dabei die Lungeti- 
affection nicht besser würde, nur von zweifelhaftem Vortheil sein; 
aber die Erfahrung lehrt, dass mit der Besserung der Gesammt- 
ernährung des Körpers in der Regel auch die Lungeuerkrankung 
einen günstigeren Verlauf nimmt. Auch pflegt es schon dem Laien 
einleuchtend zu erscheinen, wenn man ihm sagt, dass, wo Etwas 
ausheilen solle, zunächst ein Ueberschuss von Material erforderlich 
sei. Das einfachste Maass für den Ernährungszustand bildet das 
Körpergewicht: wenn dasselbe zunimmt, so ist dies in der Regel 
ein Zeichen von Besserung, während die Abnahme einer Ver¬ 
schlimmerung entspricht. Nur müssen dabei die einfachen Vor- 
sichtsiuaassregeln berücksichtigt werden, welche schon früher dar¬ 
gelegt wurden (Vorlesungen, Bd. III. S. 194). und man muss sich 
namentlich vor dem Fehler hüten, welcher nicht ganz selten vor- 
koramt, dass man eine blosse Zunahme des Wassergehalts des 
Körpers für eine Zunahme an Körpersubstanz hält. Wo noch keine 
ausgebildete Tuberculose, sondern nur eine Disposition zu der Krank¬ 
heit besteht, ist eine Zunahme des Körpergewichts von sehr günstigem 
Einfluss; man kann dabei hoffen, dass die Veränderung der Con¬ 
stitution, welche mit einer bedeutenden Körpergewichtszunahme 
verbunden ist, zu einer Verminderung oder endlich zu vollständiger 
Tilgung dieser Disposition führen werde. Und auch bei Kranken 
mit Phthisis incipiens, namentlich mit Katarrh der Lungenspitzen, 
kommt es häufig vor, wenn es gelingt, dieselben Jahre lang auf 
einem beträchtlich höheren Körpergewicht zu erhalten, dass all¬ 
mählich die bedrohlichen Erscheinungen sich vollständig verlieren. 
Der von den Kranken häufig gemachte Einwand, dass sie von 
Jugend auf mager gewesen seien, kann nicht berücksichtigt werden: 
wer gesund ist, darf mager sein; wer krauk ist und gesund werden 
will, muss nothwendig einen Ueberschuss an Material haben. Auch 
kommt es namentlich bei weiblichen Kranken vor, dass ihnen eine 
bedeutende Zunahme unangenehm ist weil sie dadurch ihre schlanke 
Figur verlieren; aber bei verständigen Kranken wird die Sorge für 
Leben und Gesundheit über den kosmetischen Rücksichten stehen, 
und den unverständigen ist nicht zu helfen. Von Wichtigkeit ist 
es, dafür zu sorgen, dass die Zunahme an Körpersubstanz eine 
dauernde sei; denn wenn dieselbe nur kurze Zeit anhält, und dann 
wieder eine Abnahme eintritt, so pflegen auch die Krankheits¬ 
erscheinungen sich wieder zu verschlimmern. Es soll eben wo 
möglich die Constitution auf die Dauer verändert werden. 

Mau hat zwar häufig gemeint, die Lungenerkrankung könne auch heilen 
ohne Zunahme des Körpergewichts, und es wird dies nicht selten solchen 
Kranken, bei welchen es nicht gelungen ist, eine Zunahme des Körperge¬ 
wichts zu erreichen, als Trost gesagt; auch ist gewiss in der Theorie diese 
Möglichkeit zuzugebeu, leider aber kommt es in der Praxis nicht leicht vor. 
Ferner hat man zuweilen behauptet, es sei für den Kranken kein Vortheil, 
sondern ehernachtheilig, wenn sein Körper reicher an Fett werde, da dieses 
doch nur eine überflüssige Anhäufung von Ballast darstelle. Auch dieser 
Einwand ist rein theoretisch ausgedacht und wird hinfällig vor der alltäg¬ 
lichen Erfahrung, welche lehrt, dass bei dem Kranken, selbst wenn er zu¬ 
nächst nur an Fett zunimmt, allmählich auch die übrige Körpersubstanz 
und die Leistungsfähigkeit sich wiederherstellen, und namentlich auch die 
Lungenerkraukung einen günstigeren Verlauf nimmt. Es kommen zwar Fälle 
von Lungenschwindsucht bei übermässig fettleibigen Leuten vor, aber die¬ 
selben gehören zu den Seltenheiten, und auch bei diesen pflegt bald in 
Folge der Krankheit das Körpergewicht schnei) abzunehmcu. Es ist deshalb 
das Körpergewicht bei weitem der sicherste Maassstab für die Beurtheilung 
des Zustandes des Kranken und des Ganges der Krankheit. 

Die Mittel und Wege, deren wir uns bedienen können, um 
eine beträchtliche Zunahme des Körpergewichts zu erzielen, sind 
schon iu früheren Vorlesungen ausführlich erörtert worden (Bd. III. 


S. 115); es mögen hier die Grundzüge wiederholt werden. Da» 
Wichtigste ist die Zufuhr reichlichen Ernährungsmaterials, welche 
aber in sorgfältigster Weise der Individualität des Eiuzelfalles an¬ 
gepasst werden muss. Iu der Regel wird man, so lauge Fieber 
von einiger Intensität besteht,, nicht leicht eiue Zunahme des Körper¬ 
gewichts erreichen, einesteils weil das Fieber in Folge stärkerer 
Oxydation der Körperbestandtheile eine consutniremle Wirkung k;.t. 
und anderenteils, weil durch das Fieber der Appetit und die Ver¬ 
dauung beeinträchtigt werden. Weun aber kein Fieber vorhanden 
ist, und auch nicht etwa sonstige schwere Störuugen der Verdamme 
oder reichliche Diarrhöen besteheu, so gelingt es selbst bei weit 
vorgeschrittener Krankheit noch, durch eine umsichtige Leitung der 
Ernährung eine Körpergewichtszuuahme zu erreichen. Bei der Aus¬ 
wahl der Nahrungsmittel ist besonders zu berücksichtigen, dass die 
Nahrungsmittel, welche von den Nicht-Aerzten gewöhnlich vorzugs¬ 
weise als kräftige oder kraftspeudende angesehen werden, keines¬ 
wegs diejenigen sind, von deneu vorzugsweise eine Erhöhung des 
Körpergewichts erwartet werden kann. Wenn durch Bauting-Diit 
ein zu fetter Meusch mager gemacht werden kann, so wird zu 
Erreichung der entgegengesetzten Wirkung eine Art Anti-Bantius 
Diät am Platze sein. Wir werden deshalb dem Kranken nicht vor¬ 
zugsweise eine an Proteinsubstauzen reiche Nahrung verordnen, 
sondern ihm eine Ernährungsweise vorschreiben, bei welcher dr 
Fette und besonders auch die Kohlehydrate reichlich vertreten 
sind. W T o das Verhalten des Verdauungsupparats es gestattet. <Ij 
ist vor allem der reichliche Genuss von Milch zu empfehlen 
Wenn der Kranke täglich 1 l /-2 bis 2 Liter Milch zu sich nimmt. .*• 
darf mau im übrigen die Auswahl der Nahrung eiuigermaasseu der 
Neigung und dem Geschmack überlassen; doch ist es gewöhnlich 
nötbig, die Kranken noch ausdrücklich darauf aufmerksam za 
machen, dass es nicht zweckmässig ist, wenn sie etwa gegen ihre 
Neigung, weil sie davon Vortheil erhoffeu, sich zum reichlichen 
Genuss von eiweissreicher Nahruug zwingen, dass vielmehr neben 
der Milch Kartoffeln und Butterbrot oder selbst Kuchen und Süssis- 
keiten für sie besser sind als Beefsteaks und Eier. Wenn dir 
Kranken ohne jede theoretische Ueberlegung einfach ihrem Instinkt 
folgen, so kaun man in der Regel darauf rechnen, dass sie da> 
Richtige treffen. Man darf ihnen daher, vorausgesetzt, dass >k 
die erforderliche Menge Milch zu sich nehmen, im übrigen die an¬ 
genehme Verordnung machen, sie sollen essen, was sie gern essen, 
und sie sollen vermeiden, was sie nicht gern essen; nur wo ef«.i 
besondere Idiosynkrasieeu bestehen, z. B. Neigung zu sauren SpeU<-u. 
kann zuweilen eine gewisse Beschränkung erforderlich sein 

Damit die Milch von den Kranken gut ertrageu werde, sind 
gewisse Vorsichtsmaassregeln zu beobachten. Die frische Milch »dl 
nur in abgekochtem Zustande genossen werden. Zunächst nämlich 
lehrt die Erfahrung, dass sie dann weit besser und namentlich «eit 
eher auf die Dauer ertragen wird. Ausserdem aber ist nur nach 
vorherigem Abkochen die Sicherheit gegeben, dass nicht gewiv 
Krankheiten des Rindviehs (Maul- und Klauenseuche. Perlsucht) 
oder Krankheitskeime, welche zufällig durch Geschirre oder durch 
etwa zugesetztes Wasser in die Milch gelangen können, auf den 
Menschen übertragen werden. Von Wichtigkeit ist ferner, da» <1« 
Kranke immer nur kleine Quantitäten Milch auf einmal zu sieb 
nehme; um ein grosses Glas Milch, welches auf einmal getrunken 
wird und im Magen zu dicken Klumpen gerinnt, zu verdauen, Ȋnk 
ein Magen erforderlich sein von einer Leistungsfähigkeit, wie >w 
bei Kranken nicht leicht gefunden wird. Zum Geuuss eines halb:'.] 
Liter Milch soll sich der Kranke 1 bis 2 Stunden Zeit nehmet 
Er darf aber während des ganzen Tages in der Zwischenzeit zwischen 
den übrigen Mahlzeiten kleine Quantitäten zu sich nehmen, so da* 
im Ganzen ohne Mühe die Menge von l’/z bis 2 Liter bewältig 
werden kann. Ob er die Milch lauwarm oder kalt nehmen win 
kaun man seinem Ermessen anheim geben; von den meisten Kran¬ 
ken wird sie lauwarm besser ertragen. Manche Kranke vertrau»* 
eine mit Wasser verdünnte Milch, die nicht so leicht in grv»ci- 
Klumpen gerinnt, besser als unverdünnte; daun lasse mau aber Jj' 
erforderliche Wasser vor der Abkochung der Milch zusetzen uu ; 
mit der Milch abkochen. An vielen Orten pflegen ja schon J |r 
Händler für solcheu Wasserzusatz zu sorgen; von einer solcher 
Milch müssen natürlich entsprechend grössere Mengen genomm--" 
werden. Manche natürliche Mineralwässer (Emser oder Selter-' 
Wasser) kann man auch der noch heissen Milch nach dem " 
kochen zusetzen und die lauwarme Mischung trinken lassen 1 : 
Theil der Milch kann mit Zusatz von Kaffee oder Thee (s. u.) •’ 
uossen werden. Endlich sind auch die verschiedenen Arten ' 
Suppe oder Brei, die mit reichlichem Zusatz von Milch bere' 1 
werden, zu empfehlen. Auch saure Milch ist für diejenigen h r3 ' 
ken, deren Magen sie gut erträgt, gestattet. 

Die meisten Kranken vertragen die Milch, wenn sie in ps*' 1 
der Form zugeführt wird, ganz gut, und der Genuss derselben L 1 
Monate und Jahre lang fortgesetzt werden. Sollte ira Laute 11 


i 


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20. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1047 


Zeit einmal Widerwille dagegen sich einstellen, so ist es am besten, 
einige Wochen lang dieselbe ganz wegzulassen und dann wieder 
von vorn anzufangen. Manche Kranke, welche anfangs glauben, 
die Milch nicht vertragen zu können, gewöhnen sich allmählich an 
dieselbe, wenn ihnen die Wichtigkeit dieser Verordnung klar ge¬ 
worden ist, und wenn man mit kleinen Quantitäten anfängt, die 
von Tag zu Tag etwas grösser genommen werden. Den Kranken 
die Milch trotz bestehenden Widerwillens aufzuzwiugen oder sie 
ihnen, wie man es schon vorgeschlagen hat. mit der Schlundsonde 
einzugiessen, halte ich nicht für zweckmässig. In Fällen, in welchen 
die Milch nicht ertragen wird, ist die Aufgabe der passenden Er¬ 
nährung weit schwieriger. Man muss sich dann auf andere Weise 
zu helfen suchen, indem man eine Diät zusammenstellt, bei welcher 
Fette und Kohlehydrate reichlich vertreten sind. 

Uuter den Fetten steht mit Recht in besonderem Ruf der 
Leberthran, der häufig sogar als eine Art Specificum sowohl gegen 
Tuberculose im allgemeinen, als auch besonders gegen Lungen¬ 
schwindsucht und Scrofulose angesehen wurde. Man glaubte zu¬ 
weilen in besonderen Bestandteilen desselben, z. B. in dem spur¬ 
weise darin vorkommenden Jod, die Ursache der specifischen 
Wirkuug zu finden. In neuester Zeit gilt er mit Recht nur als ein 
Fett, welches zur reichlichen Einverleibung vorzugsweise geeignet 
ist. weil es leichter resorbirt wird als alle anderen Fette, sei es wegen 
des Gehalts an Gallenbestandtheilen (0. Naumann), oder sei es wegen 
des Gehalts an freien Fettsäuren (Buchheim). Wenn durch Leber¬ 
tran bedeutende Wirkungen erreicht werden sollen, so sind meist 
grosse Dosen erforderlich, die lange Zeit fortgesetzt werden. Die 
mässig dunklen Sorten scheinen besser und länger ertragen zu werden 
als die ganz hellen. Indem man mit einem Löffel morgens und 
abends anfangen und allmählich steigen lässt bringt man es häufig 
ohne grosse Schwierigkeit, bis auf 6 Esslöffel täglich oder noch weiter. 

Die Kohlehydrate können in jeder Form zugeführt werden, 
welche dem Kranken angenehm ist. Brot, Mehlspeisen, Kartoffeln, 
Hülsenfrüchte, mehlhaltige Suppen, zuckerhaltige Speisen sind zweck¬ 
mässige Nahrungsmittel. Im Herbst sind für manche Kranke auch 
Traubenkuren sehr geeignet, wie sie namentlich in Meran oder am 
Genfer See ausgeführt werden. Man hat dieselben früher häufig 
für eine Art Entziehungskur gehalten; in Wirklichkeit kann, wenn 
neben der gewöhnlichen Nahrung noch Trauben in grosser Menge 
genossen werden, dadurch eine beträchtliche Vermehrung der Körper¬ 
substanz erreicht werden. Von einiger Bedeutung sind auch Malz- 
cxtract und ähnliche Mittel; doch können davon nicht leicht so 
grosse Mengen genossen werden, dass dadurch ein wesentlicher 
Einfluss auf den Ernährungszustand ausgeübt wird. Auch die Alco¬ 
holica, und namentlich die stärkeren Bier- und Weinsorten, können 
hei den geeigneten Kranken einigermaassen zur Ernährung beitragen. 

Von gleicher Wichtigkeit wie die Vermehrung der Zufuhr von 
Krnähruugsmaterial ist die Verminderung des Verbrauchs. Alle 
Anstrengungen, sowohl körperliche als geistige, sind zu verbieten. 
Kranke mit weit vorgeschrittener Abzehrung lässt man am besten, 
auch wenn sie kein Fieber haben, anhaltend oder wenigstens einen 
grossen Theil des Tages im Bett liegen; dabei muss durch Oeffnen 
»ler Fenster oder auch durch Hinaustragen des Kranken mit dem 
Bett für frische Luft gesorgt werden; erst wenn der Kranke sich 
einigermaassen erholt hat. kann ihm bei passender Witterung Sitzen 
im Freien oder auch Spazierengehen gestattet werden; doch darf 
das Gehen niemals bis zur Ermüdung fortgesetzt werden. Zur 
Verminderung des Verbrauchs ist ferner neben der passenden Aus¬ 
wahl der Nährstoffe, wie sie bereits besprochen wurde, von hervor¬ 
ragender Bedeutung die Anwendung deijenigen Genussmittel, welche 
»•rfahrungsgemäss den Stoffverbrauch ermässigen, und welche des¬ 
halb als Sparmittel (Aliments d’epargne) bezeichnet werden können. 
Dahin gehören hauptsächlich Bier, Wein und andere Alcoholica, 
ferner Kaffee, Thee, Caeao. Coca und ähnliche Mittel. Die richtige 
Anwendung derselben erfordert grosse Sorgfalt und Umsicht bei der 
Auswahl und der Dosirung, und es muss dabei namentlich in vor¬ 
sichtiger Weise dielndividualität. des Einzelfalles berücksichtigt werden. 

Bei den meisten Genussmitteln besteht ein wesentlicher Theil 
ihrer W irkung darin, »lass sie die Oxydation der Körperbestand- 
theile beschränken; sie sind deshalb Sparmittel. Daneben aber 
haben die einzelnen Mittel auch noch mancherlei besondere Wirkungen. 
Eine scharfe Grenze zwischen Nahrungsmitteln und Genussmitteln 
lässt sich nicht feststellen. So z. B. hat noch Böcker, der Be¬ 
gründer der neueren Lehre von den Genussmitteln, den Zucker zu 
«Jen Genussmitteln gerechnet. Wir rechnen den Zucker und die 
übrigen Kohlehydrate, so weit sie im Körper oxydirt werden, zu 
den Nahrungsmitteln, weil sie zu den thermischen Leistungen des 
Organismus beitragen und vielleicht sogar, indem sie unter Umstän¬ 
den in Fett umgewandelt werden, an der Gewebebildung sich be¬ 
theiligen können. Die Kohlehydrate sind aber zugleich Sparmittel, 
insofern, so lange sie der Oxydation zu Gebote stehen, der Umsatz 
»ler Ei Weisssubstanzen und der Fette vermindert ist. Der Alkohol 


ist hauptsächlich von Bedeutung als Sparmittel, indem uuter seinem 
Einfluss der Gesammtstoffumsatz herabgesetzt wird; er hat aber zu¬ 
gleich, da er zum grössten Theil im Körper oxydirt wird, eineu ge¬ 
wissen Nährwertb, und viele stärkere Wein- und Biersorten ent¬ 
halten ausser dem Alkohol noch mancherlei andere Substanzen, 
namentlich Zuckerund andere Kohlehydrate, welche einen nicht 
ganz unbedeutenden Nährwerth besitzen. So erklärt es sich, dass 
man bei den geeigneten Kranken, wenn Milch nicht ertragen wird, 
dieselbe einigermaassen durch Alcoholica, namentlich durch spanische 
und griechische Weine oder andere starke Sorten oder durch 
ein kräftiges Bier ersetzen kann. Kaffee, Thee und ähuliche Ge¬ 
tränke sind an sich ohne eigentlichen Nährwerth; die bedeutende 
Wirkung dieser Mittel beruht einestheils darauf, dass sie als Spar¬ 
mittel den Stoffumsatz im Ganzen herabsetzen, anderentheils auf 
ihrer specifischen Wirkung auf das Nervensystem und besonders auf 
die Centralorgane Sie können ausserdem noch einen Nährwerth 
erhalten, wenn ihnen, wie es bei uns gewöhnlich geschieht, Zucker 
und Milch zugesetzt wird. Aehulich wie Kaffee und Thee scheint 
sich die reine Fleischbrühe zu verhalten, die aber in der gebräuch¬ 
lichen Anwendungsweise durch einen Gehalt an Fett und Eiweiss- 
substanzen und namentlich durch vielfache Zusätze zugleich zu 
einem Nahrungsmittel wird. Der Leim ist in seiner diätetischen 
Bedeutung etwa den Kohlehydraten an die Seite zu stellen, indem 
er ein oxydirbares Material darstellt, zugleich aber den Umsatz der 
Eiweisssubstanzen beschränkt. Vgl. F. W. Böcker, Beiträge zur 
Heilkunde, Bd. I. Crefeld 1849. — A. Marvaud, Les aliments 
d’epargne. 2. ed. Paris 1874. 

Bei vielen Kranken werden durch die Ausbildung einzelner 
Symptome der Krankheit oder durch Folgezustände oder Compli- 
cationen noch besondere Iudicationen gegeben, von denen hier die 
am häufigsten vorkommenden noch kurz besprochen werden sollen. 

Häufig ist Fieber vorhanden, und dieses bedarf in allen Fällen 
einer sorgfältigen Behandlung. Die zweckmässige Behandlung des¬ 
selben besteht aber nur zum kleineren Theil in der Anwendung 
der gewöhnlichen antipyretischen Mittel; es muss im Gegentheil 
ausdrücklich gewarnt werden vor der bequemen Praxis einzelner 
Aerzte, die genug gethan zu haben glauben, wenn sie bei jedem 
Kranken, der Fieber hat, ohne weitere Ueberlegung einfach ein 
antipyretisches Medicament aufschreiben. Das Fieber der Phthisis 
ist nur ein symptomatisches Fieber, welches von der Localerkrankung 
abhängig ist und keinen typischen Verlauf hat. Bei Pneumonie, 
Abdominaltyphus, Pocken, Masern« Scharlach, exanthematischem 
Typhus und anderen typisch verlaufenden Krankheiten wisseu wir. 
dass das von der Infection abhängige Fieber nach Ablauf einer 
gewissen Zeit von selbst aufhören wird, und es handelt sich des¬ 
halb bei der Behandlung desselben nur darum, bis zum Eintritt der 
spontanen Defervescenz den Kranken vor den zu heftigen Wirkungen 
der Temperatursteigerung zu schützen; bei der Phthisis dagegen 
dauert das Fieber, wenn nicht die Localerkrankuug gebessert wird, 
unbegrenzt fort bis zum Tode des Kranken. Es hat deshalb die 
symptomatische Behandlung dieses Fiebers nur geringen Werth; 
wenn nicht die Ursachen desselben beseitigt werden, so kehrt es 
immer wieder, und deshalb ist nur von solchen Maassregeln eine 
dauernde Wirkung zu erwarten, welche zugleich den Verlauf der 
Localerkrankung bessern oder deren Einwirkung auf den übrigen 
Körper vermindern. Zur Bekämpfung des Fiebers der Phthisiker 
ist vor allem erforderlich absolute Ruhe; jeder Kranke, bei dem die 
Temperatur im Rectum zeitweilig über 38° steigt, muss anhaltend 
im Bett liegen. Man kann sich in vielen Fällen überzeugen, dass 
in der That bei Durchführung dieser Verordnung das Fieber all¬ 
mählich abniramt und endlich ganz aufhört. Ferner trägt zur Ver¬ 
minderung des Fiebers bei die schon im früheren empfohlene Diät, 
bei welcher die Fette und Kohlehydrate überwiegen, und man 
kann in gewissem Sinne behaupten, dass in einzelnen Fällen der 
Leberthran ebenso wie die Alcoholica eine antipyretische Wirkung 
habe. Wo diese Anordnungen nicht ausreichen, um allmählich das 
Fieber herabzusetzen, da sind die Aussichten ungünstig. Man kann 
dann noch versuchen, durch Anwendung von antipyretischen Medi- 
camenten zur Abnahme des Fiebers beizutragen, aber man darf von 
denselben nur kleine Dosen auf deu ganzen Tag vertheilt geben. 
Es empfiehlt sich für diesen Zweck Chinin in Verbindung mit 
Digitalis (Rp. Chinin, sulfuric. 2.0, Pulv. fol. Digital. 0.5, Extr. 
Gentian. q. s. ut f. pil. No. 40. C. I). S. Täglich l> bis 10 Pillen), 
ferner auch die Salicvlsäure (in Saturation zu etwa 2 g pro die). 
Endlich giebt es noch einen besonderen Fall, in welchem anti¬ 
pyretische Medicamente in voller Dosis zweckmässig sind, wenn 
nämlich das Fieber nicht ein einfach hektisches Fieber ist, sondern 
als Continua mit anhaltender bedeutender Temperatursteigeruug 
verläuft. Wir werdeu diesen Fall später bei Besprechung der 
Phthisis florida erörtern. 

Einer besonderen symptomatischen Behandlung bedarf häufig 
der Husteu und der Auswurf. Wenn der Auswurf sehr reichlich 


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1048 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51 


ist, so kann er zuweilen durch Anwendung adstringirender Mittel 
vermindert verden. In dieser Richtung erweisen sich wirksam die 
Griffith’sche Mixtur, ferner Kreosot, Terpentinöl, Copaiva-Balsam, 
Plumbum aceticum. Wenn der Auswurf Neigung zu fauliger Zer¬ 
setzung zeigt, so sind Inhalationen von Terpentinöl zweckmässig. 

Die Mixtura antihectica Griffithii, bei der schwefelsaures Eisen 
und kohlensaures Kalium sich gegenseitig zersetzen, hat folgende Zusammen¬ 
setzung: Rp. Ferri sulfur. pur. 1.25, Kal. carhon. pur. 1.5, Aq. llenthae 
crisp. 250.0, adde Myrrhae pulv. 4.0 antea cum Sacchar. 15.0 contrit. 

MDS. Umgeschüttelt 4 mal täglich 1 Esslöffel. — Kreosot wird in ver¬ 
hält nissmässig grossen Dosen angeweudet, entweder iu Gallertkapseln mit 
Tolubalsam, oder auch in folgender Form: Kreosot. 1.5 (1), Tinct. Gentian. 

4.0, Spirit. Vin. rectif. 30.0, Vini Malac. 90.0. MDS. Täglich 1 bis 3 (!) 

Esslöffel in Wasser zu nehmen. — Terpentinöl wird in der Dosis von 
10 bis 30 Tropfen für den Tag gegeben, entweder in Milch oder besser in 
Gallertkapseln. 

Wo wenig Auswurf vorhanden ist, aber verbreitete Rasselge¬ 
räusche und andere Erscheinungen von Bronchialkatarrh fortbe- 
stehen, sind die sogenannten auflösenden Mittel, die Resolventia, 
atn Platz. Schon der reichliche Genuss von Milch pflegt die 
Schleimsecretion zu befördern oder, wie der Laie es ausdrückt und 
nicht selten als einen Einwand gegen den Milchgenuss erhebt, zu 
verschleimen; man kanu ihm unbedenklich sagen, dass diese Wir¬ 
kung der Milch zu den günstigen zu rechnen ist. Aehnlich wirken 
die schwach alkalischen Mineralwässer (Ems, Neuenahr etc.), die 
mau zu Hause am besten in Mischung mit ungefähr gleichen 
Theilen heisser Milch trinken lässt, aber nicht, wie es oft geschieht, 
in grossen Mengen morgens nüchtern, sondern während des ganzen 
Tages und jedesmal nur in kleinen Mengen. Hierher gehören ferner 
die Antimonpräparate und der Salmiak und namentlich die Ver¬ 
bindung beider in der von Alters her berühmten, in unserer Zeit 
aber ganz mit Unrecht oft gering geschätzten Mixtura solvens 
stibiata. Wo dagegen ein Reizhusten besteht, der heftiger ist, als 
es für die Expectoration des vorhandenen Auswurfs erforderlich 
sein würde, ist der vorsichtige Gebrauch von Morphium oder von 
Opium in Verbindung mit Salmiak oder mit Antimonpräparaten zweck¬ 
mässig. Nur selten wird es nöthig sein, wenn der Auswurf stockt, 
durch Senega oder Flores Benzoes zu stärkerem Husten zu reizen. 

Die Mixtura solvens stibiata hat die folgende Zusammensetzung: 

Rp. Ammon, muriat. 5.0, Tartar, stibiat. 0.05 (5 Centigramm), Aq. Foenicul. 

185.0, Succ. Liquir. 10,0 MDS. Alle 2 bis 3 Stunden 1 Esslöffel. 

Bei der Mixtura solvens opiata der hiesigen Klinik fehlt der 
Tartarus stibiatus, und es wird statt dessen Extr. Opii 0.2 bis 0.3 (20 bis 
30 Centigramm) zugesetzt. Zur Verminderung des Hustens dienen auch die bei 
der Behandlung der Pneumonie angeführten Pulver aus Sulfur, aurat. und Opium. 

Die Behandlung der Diarrhöen wird bei der Besprechung der 
Krankheiten des Darrakauals erörtert werden. Das gebräuchlichste 
Mittel ist Plumbum aceticum (0.03) in Verbindung mit Opium (0.01) 
mehrmals täglich; auch werden Tanuin, Magisteriura Bismuthi 
und andere adstringirende Mittel, meist in Verbindung mit Opium, 
augewendet. Als sehr wirksam hat sich mir in manchen Fällen 
das Zinkoxyd (0.1 bis 0.2 mehrmals täglich) erwiesen. 

Die reichlichen Sehweisse werden am besten beseitigt, wenn 
es gelingt, das hektische Fieber herabzusetzen und den allgemeinen 
Ernährungszustand zu bessern. In besonderen Fällen köunen 
Atropin, Agaricin, Hyoscin zu ihrer Verminderung beitragen. 

Wenn ein Kranker von Hämoptoe befallen wird, so ist zunächst 
absolute Ruhe im Bett zu verordnen, alles Sprechen zu verbieten, 
eine Eisblase auf die Brust zu legen, womöglich auf die Seite, von 
welcher das Blut herkorarat, durch kleine und oft wiederholte 
Morphinmdosen der Hustenreiz zu vermindern. Von Bedeutung ist 
auch die Beruhigung des Kranken durch die Versicherung, dass die 
Sache nicht so schlimm sei, als er sich denke. Wenn die Blutung 
sehr reichlich ist, so muss der Kranke in eine sitzende Stellung, 
die für die Expectoration und die Respiration bequem ist, gebracht 
werden; eine deutliche blutstillende Wirkung hat es, wenn man 
den Kranken mehrmals einen halben Esslöffel voll trockenes Koch¬ 
salz mit Wasser schlucken lässt. Inhalationen von Eisenchlorid 
oder anderen adstringirenden Mitteln sind nicht zu empfehlen, da 
sie nicht leicht auf die blutende Stelle einwirken werden und we¬ 
gen der damit verbundenen an¬ 
gestrengteren Respirationsbewe- 0,90 Phenacetin i-iW Phenacetin 

gungen eher die Blutung ver¬ 
schlimmern. Der Aderlass, der 390 
früher bei reichlicher Hämoptoe 8 
häufig angewendet wurde, würde ® 
nur dann einen Zweck haben, •> 
wenn durch den Bluterguss in die 380 


Bronchien dringende Erstickungs¬ 
gefahr entstände: dies ist aber 
selbst bei reichlicher Blutung doch 
nur selten der Fall, und wenn es 
geschähe, würde wohl gewöhnlich 
die Wirkung der Blutentziehuug 


zu spät kommen. Die gleiche Wirkung wie durch den Aderlass kann 
erreicht werden durch Anlegen einer mässig festen Umschnürung an 
Oberschenkeln und Oberarmen, das sogenannte Binden der Glieder, 
welches schon im Alterthum gebräuchlich war und neuerlichst wieder 
empfohlen wurde (v. Dusch, G. Seiz 1886.) — Um die Wiederkehr 
der Blutung zu verhüten, ist das wichtigste Mittel die Fortsetzung der 
absoluten Ruhe im Bett unter gleichzeitiger Anwendung von Morphium. 
Ausserdem wendet man an Ergotiu innerlich oder iu subcutaner Injek¬ 
tion. ferner Plumbum aceticum. In vielen Fällen hat sich mir die An¬ 
wendung von Digitalis wirksam erwiesen, die im Infusum (1.5 auf 150. 
stündlich 1 Esslöffel) oder in Pillen (1.0 auf 20 Pillen, täglich 4 mal 
2 Pillen) gegeben wird; man muss damit aussetzen, wenn deutliche 
Wirkung auf den Puls sich einstellt, oder wenn Brechneigung eiu- 
tritt. - (Sch lass folgt.) 

Y. Ueber Phenacetin vom klinischen und 
physiologischen Standpunkte. 

Von Dr. Franz Mahnert in Graz. 

(Schluss aus No. 50.) 

Aus diesen angeführten und anderen Beobachtungen dedueire 
ich die überaus günstige Beeinflussung des rheumatischen Processes 
selber durch Phenacetin, nicht nur des Fiebers allein, stimme mit 
Rohden überein und nehme eine ganz specifische Beeinflussung der 
Polyarthritis rheumatica acuta an. 

Ich sah die grössten Schwellungen der Gelenke innerhalb über¬ 
raschend kurzer Zeit zurückgehen, sah schell die Schmerzen und 
das Fieber schwinden, sah nahezu immer sehr bald eine wohl- 
thätige starke Transspiratiou der Haut eintreten, die oft so stark 
war, dass mehrere Male Wechsel der Wäsche erfolgen musste. Bei 
alledem beobachtete ich nie eine Magenverstimmung, nie Uebel- 
keiten. Erbrechen, es kam nie zu vasomotorischen Störungen etwa 
mit Stauung und Exsudation in die Gewebe des Gehörorganes, wie 
dies uach Salicyl so oft eintritt, daher auch nie Ohrensausen oder 
Eingenomraensein des Kopfes. So sumrairen sich die Vorzüge 
dieses Mittels, welche dessen Anwendung in der Therapie des acuten 
Gelenkrheumatismus geboten machen, insbesondere bei Personen, die 
sehr leicht zu Salicylsäureintoxicationen neigen. 

Dass der Heileffect von der Temperaturerniederung nicht allein ab¬ 
hängig ist, ist selbstverständlich, weil dieselbe auch durch Chinin er¬ 
wirkt werden kann, ohne ersteren in ebensolcher Weise herbeizufohren. 

Ob auch die so häufigen Complicationen der acuten Polyarthritis: 
als Nephritis, Endocarditis, Entzündungen der serösen Häute, pro- 
phylactisch gleich vermieden werden können, möchte ich bezweifeln. 
Dass es natürlich nicht an Beobachtungen fehlen wird, welche uns 
Fälle von acuter Polyarthritis vorführen, die einer Phenacetin¬ 
behandlung widerstanden, darf Niemanden befremden. Wie oft 
sehen wir dies ja bei der Salicyl- oder Antipyrinbehandlung des 
gleichen Processes, bei der Chinintherapie der Intermittens. ohne 
dass deshalb es Jemand wagen würde zu sagen: Salicylsäure wirkt 
nicht specifisch gegen Gelenkrheumatismus, Chinin nicht specifisch 
gegen Malaria. Und wenn wir auch, wie in einem der angeführten 
Fälle, trotz der Phenacetinbehandlung an einem der darauffolgenden 
Tage acute Nachschübe an anderen Gelenken wahrnehmen müssen, 
so ziehe ich da eine Parallele mit den Rückfällen der Febris inter- 
mitteus; daher gab ich auch immer noch aus Vorsicht, trotzdem 
die Patienten bereits abgefiebert waren, sie nirgends mehr ent¬ 
zündliche Gelenkerscheinungen darboten, durch mehrere Tage noch 
kleine Dosen Phenacetins. 

Zunächst genügen, wie die Beispiele zeigen, Gaben von 1.80 g 
p. die in 2 oder mehreren Einzeldosen gegeben auf der Höhe des 
Fiebers, eine Temperaturerniedrigung und Nachlass der anderen 
Erscheinungen herbeizuführen; bei kräftigen Individuen kann man 
gut 0,90 Phen. 2 bis 3 mal im Tage verabreichen, bei Kindern ge¬ 
nügte öftere Darreichung von 0,30 Phen. 

Der Temperaturabfall tritt allmählich ein, erreicht nach 3 oder 
4 Stunden sein Maximum. 

Ich lasse die Temperaturcurve des Falles 5 folgen (Fig. 1 ). 


Stunde 




Fl&ur 1. 

0.00 Phenacetin 


0.90 Ph. 0,90 Phenacetin. 
8 I» 4 S 12 4 



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20. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1010 


sie zeigt uns die stetige Remission auf Phenacetin, den allmählichen 
Anstieg des Fiebers und die Entfieberung am 3. und 4. Tage. 

Könnte man den Vorwurf erheben, dass das Phenacetin die 
Leistungsfähigkeit des Herzmuskel herabsetze, sei es nach einzelnen 
grösseren, oder länger fortgesetzten kleineren oder grossen Dosen, 
dass es Aenderungeu im Spannungsverhältnisse der Arterien, Herz¬ 
schwäche und Collaps herbeiführe, so wäre dies ein schwerwiegender 
(irund, mit Vorsicht und Voreingenommenheit der Phenacetinan¬ 
wendung zu begegnen. Belehren werden uns darüber die graphisch 
dargestellten Pulscurven. Ich lasse sie vom Falle 4 und 3 folgen. 


Am 17. April nimmt Patient vor 
Apyrexie Pheuactiu mit Agaricin. 

4 Uhr = 37 

5 „ = 37,2 
9 „ =36 

10 * = 35,6 
12 „ = 37 


Eintritt des Fiebers also in der 

2 Uhr = 37,5 
4 , = 37,6 
6 „ — 36 
8 „ = 36.4 
12 . = 38 



Fig. 2 zeigt 
uns die Pulscur¬ 
ven der Art. ra- 
dialis des Falles 4 
vor Phenacetin. 

Fig. 3 zeigt 
die Curve zur Zeit 
der grössten De- 
fervescenz, der 
Höhe der Wir¬ 
kung, auf 1 mal 
0,90 Phenacetin. 

Fig. 4 und 5 
entstammen dem 
Falle 3, stellen Radialpulscur- 
ven dar, u. z. Fig. 3 vor Phe¬ 
nacetin. Fig. 4 zur Zeit der 
grössten Apyrexie aufgenom- 
men. (Belastung 5 und 3 des 
englischen Sphygmographen). 

Diese Curveu lassen uns 
ganz und gar keine Eiubusse 
au Herzkraft erkennen, es 
nimmt mit der Entfieberung, 
mit der Verlangsamung der 
Herzcontractiouen die Stärke 
der einzelnen Blutwellen zu. 

Behufs Studiums der anti¬ 
pyretischen Wirkung des Phen¬ 
acetins gegenüber anderen fieberhaften Processen versuchte ich es 
bei pleuritischen Exsudaten, Bronchitis putrida, Phlebitis, septischen 
Endometritiden, Otitis media, einer grösseren Zahl Tuberculose etc. 
Immer konnte ich ein starkes Rückgehen der febrilen Temperaturen 
constatiren, z. B.: 

Zenz Johann. 20jähriger Knecht, kommt am 7. Mai 1888 zur Auf¬ 
nahme mit einem linksseitigen serösen Pleuraerguss. 

Temperaturen: 

Am 8. Mai: 


Figur 2. Vor Phenacetin. 


Figur 4. Vor Phenacetin. 



4 Uhr = 39,8 

5 
8 
9 

12 


1,20 Phenacetin 

5 8 9 


= 39,3 Um 4 Uhr 
= 36,3 0,60 Phenacetiu. 
= 36,3 
= 36,6 
Am 9. Mai: 

8 Uhr = 38,6 

“ Um 8 Uhr früh und 
Hooi 8 Uhr Abends je 

= 39 2 0,fi0 l>henacetin - 
= 37’, l 
Am 10. Mai: 

8 Uhr = 38,5 


9 

12 

2 

4 

6 

8 

12 


— 38.6 

~ Um 9Uhr früh und 
8 Uhr Abends je 
0,90 Phenacetin. 



= 37,3 
= 38 
= 38,6 
= 37 etc. 

Uoustaut war das Auftreten 
von heftigem .Schweiss, und eine 
Zunahme des specifischen Ge¬ 
wichtes des Harnes. 

Als weiteres Beispiel lasse ich die Temperaturcurve eines Falles von 
Otitis media folgen, in dem nach Dosen von 1,20 g Phen. kräftige Re¬ 
missionen erfolgten. (Siehe Fig. 6.) 

Es ist der 20 jährige T. K., der unter Schüttelfrösten und eitrigem 
Ohrenflusse erkrankt ist. 

Temperaturen: Am 16. April 1888: 

8 Uhr = 39 6 Uhr = 37.2 


Um 5 Uhr und 2 Uhr je 1,20 Pheuacetin mit je 0,001 g 
Agaricin. Das Fieber wird so hintangehalten, aber der 
Schweiss um nicht viel beseitigt. 

So könnte ich noch eine Menge anderer Beispiele erwähnen, 

wo sich das Phen¬ 
acetin zur Her¬ 
absetzung der Ei¬ 
genwärme treff¬ 
lichbewährte; ich 
greife weiter aus 
einer sehr grossen 
Zahl von Beob¬ 
achtungen an Tu- 
berculösen nur 
eine heraus, um 
an der Hand der¬ 
selben einige Va¬ 
riationen in der 
Dosirung des Phenacetins und 
dessen Werth gegenüber an¬ 
deren Antipyreticis zu be¬ 
sprechen. 

Noll. .loh., 26jähr. Finauz- 
wachaufseher, leidet seit 1 Jahr 
an rechtsseitiger tuberculöser Pleu¬ 
ritis und linksseitiger Spitzenin¬ 
fitration. 

Temperaturen am 27. Mai 1888: 
4,Uhr = 39,5 

5 „ = 38,5 Um 4 Uhr 0,90 

6 * = 38,2 Phen., Harn = 

7 „ = 37,2 1000, sp. Gew. = 

8 „ =37,8 1015, 

10 „ =38,2 — Trommor. 

12 „ =38,2 etc. 

Am 3. Juni nimmt er in den fieberfreien Intervallen das Pheuacetin 
zur Hintanhaltuug des Fiebers. 

8 Uhr = 37,2 4 Uhr = 37,2 

11 „ =37,5 6 „ =37 

1 „ =37,5 8 „ =37,3 

2 „ = 36,8 9 „ =38,2 

Um 11 Uhr früh und 4 Uhr Nachmittags je 0,90 Phen., das Fieber wird 

dadurch hinausgeschoben bis ge¬ 
gen die Abendstunden. Ham = 
1030, sp. Gew. = 1028, 

-t- Trommor. 

Am 10. Juni wird versuchs¬ 
weise 0,20 Pheu. 2 stündlich dar- 
gercicht: es steigen wirklich die 
Temperaturen an diesem Tage 
nicht viel über 38° C, am näch¬ 
sten Tage aber bei gleicher Dar¬ 
reichungsweise machen sich be¬ 
reits gröbere Schwankungen be¬ 
merkbar, die immer stärker wer¬ 
den; es gewöhnt sich eben der 
Organismus au kleine Phenacetin¬ 
dosen, die dann später nicht mehr 
wirken. 

Auch 1 stündliche Darreich¬ 
ung von 0,10 Pheuacetin ergiebt 
Temperaturschwankungeu um 
38« C am ersten Tage (siebe 
Temperaturtabelle Fig. 7), die zu 
bald nur in den nächsten Tagen 
wieder recht irregulär werdeu. 

Um nun einen Vergleich 
mit anderen Antipyreticis her- 


Fi&ur 6. 

1.20 Phenacetin 

3 4 5 6 8 



10 

r) 

= 

39,4 

7 

„ = 37 

12 



37,7 

8 

- = 35,5 

2 


— 

37,1 

9 

„ = 35,3! 

4 

* 

= 

40,1 

10 

„ = 35,4 

5 

n 

= 

38,6 

12 

* = 36 

9 Uhr 

und 

4 

Uhr je 

1,20 g Phenacetin 

; heftige Schweisse. 1 


zustellen, versuchte ich bei demselben Individuum bei nahezu jedesmal 
gleich hoher Eigenwärme der Reihe nach Antipyrin. Antifebrin, Chinin, 
Kairin, Natrium salicylicura, Thallin, Phenacetin. Da stellte sich 
denn heraus, dass 0,90 g Phen. die Temperatur intensiver herab¬ 
setzen als 1,00 g Antipyriu, als 1,00 g Chinin, 1,00 g Kairin, als 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51 


0,20 Thallin, während 2,00 g Natr. salicyl. das tuberculöse Fieber folge der einzelnen Blutwellen eher eine Stärke als Schwäche des 
durchaus nicht beeinflussten. Nur 0,30 Antifebrin wirkten um eine i Herzmuskels. 


Stunde früher und einige Zehntel intensiver, jedoch nicht so lange 


Dass nach Phenacetin der Harn öfters eine positive Trora- 


Figur 9. 
8 9 



— — — 1,00 Antipyrin. 

. - . - . 1,00 Kairin. 

.. — .. 1,00 Chinin, sulf. 


anhaltend wie Phenacetin (siehe Fig. 8 und 9). Weitere Vorzüge raer’sche Reaction giebt, davon habe ich schon berichtet; Kobler 

FJgur 8 Flpir 9 und andere hatten schon die gleiche Beobachtung 

4 5 6 7 8 9 io li 12 4 5 « 7 8 9 10 u 12 gemacht und constatirten, dass nicht Zucker, soudern 

eine andere Substanz die Reduction bewirken. Auf 
das Vorhandensein von Eiweiss im Harne hat 
Phenacetin durchaus keinen Einfluss. 

Zur Frage der temperaturerniedrigenden Wir¬ 
kung unseres Mittels reicht die Annahme, „es sei 
ein Antisepticum“ durchaus nicht aus. 

Wie Kovacz und Kobler berichten, würde ja 
nur der Bacillus subtilis, Bac. anthracis, Mikrococcus 
prodigiosus im Wachsthum etwas verzögert; letzterer 
erhielt sein normales rothes Pigment nicht, das aber 
bei Ueberimpfung auf gewöhnliche Fleischwasser¬ 
peptongelatine wieder auftrat. 

Wir wissen ja, dass Antipyretica und Antiseptica 
sich nie decken. 

4 _2,00 Natr. «alicyl. Zum Theil könnte wohl die Apyrexie durch 

-Erweiterung der pericheren Hautgefässe, den dadurch 

hervorgerufenen Schweiss, dessen \ erdnnstung unter 
des letzteren bestanden darin, dass der Schweiss weniger heftig war Steigerung des Wärmeverlustes zu Wege gebracht werden; das*; die 

als nach Thallin und Antifebrin, dass kein Ohrensausen wie nach vasomotorischen Gefässbahnen stark betheiligt sind, geht ja aus den 

Chinin und Salicyl auftrat; aufdasKairin erfolgteein starker Dreh- fast constant auftretenden Schweissen phenacetinisirter Fiebernder 
Schwindel und Schwarzwerden vor den Augen, auf Antifebrin ein hervor, und in der immensen Fähigkeit der kleinsten Gefässe, sich zu 
starkes Kältegefühl. verengern und zu erweitern, liegt ja der Kernpunkt der Wärme- 

Resumiren wir unsere Beobachtungen, so müssen wir sagen: regulirung. 
die einmalige Darreichung grösserer Dosen Phenacetins ist der fort- Ob wir aber uach Phenacetin wie nach Antipyrin eine Vor¬ 

gesetzten kleinerer vorzuziehen, um eine ausgiebige und länger- minderung der Stickstoffausscheidung, des Eiweisszerfalles und der 
andauernde Temperaturerniedrigung zu erzielen; die dabei fast con- Wärmeproduction annehmen sollen, ist, glaubeich, nicht entschieden, 

stant auftretende Hyperidrosis ist allerdings stärker und lässt sich Wie dem auch sei, unsere heutigen Erfahrungen müssen das Phen- 

auch durch gleichzeitiges Anwenden von Agaricin oder Atropin acetin unseren besten Antipyreticis an die Seite stellen, 
nicht völlig beheben. _ Und nun kurz zu einer zweiten wichtigen Anwendung uuseres 

Gaben von 0,60 bis 1,20 g mehrere Mal täglich werden im Mittels als Antineuralgicum, als Nervinum. Wir haben in der letzteren 


-2,00 Natr. aaltcyl. 

-0^0 Thallin. 

-0,80 Antifebrin. 


des letzteren bestanden darin, dass der Schweiss weniger heftig war 
als nach Thallin und Antifebrin, dass kein Ohrensausen wie nach 
Chinin und Salicyl auftrat; aufdasKairin erfolgte ein starker Dreh- 
Schwindel und Schwarzwerden vor den Augen, auf Antifebrin ein 
starkes Kältegefühl. 

Resumiren wir unsere Beobachtungen, so müssen wir sagen: 
die einmalige Darreichung grösserer Dosen Phenacetins ist der fort¬ 
gesetzten kleinerer vorzuziehen, um eine ausgiebige und länger- 
andauernde Temperaturerniedrigung zu erzielen; die dabei fast con¬ 
stant auftretende Hyperidrosis ist allerdings stärker und lässt sich 
auch durch gleichzeitiges Anwenden von Agaricin oder Atropin 
nicht völlig beheben. 

Gaben von 0,60 bis 1,20 g mehrere Mal täglich werden im 


allgemeinen gut vertragen, rufen einen allmählichen Temperatur- Zeit in dem Antipyrin und Antifebrin zwei sehr schätzbare Sedativa 
abfall hervor, wenn sie auf der Höhe des Fiebers gegeben werden, kennen gelernt, insbesondere hat die interne und subcutaue An¬ 


verhindern aber auch, in den fieberfreien Intervallen gegeben, ein 
baldiges erwartetes Ansteigen der Eigenwärme. Daher empfehle ich 
als beste Darreichungsweise besonders bei den Eiterungs- und 


Wendung des ersteren schon so weite Kreise gezogen, dass es als 
Mittel für Alles empfohlen wurde, und dass mau sogar in 
Laienkreisen hören muss: Ja, hat denn Ihr Arzt noch nicht das Anti¬ 


hektischen Fiebern die, eine einmalige grössere Dosis auf der Höhe pyrin verordnet?“ So musste es auch zu argem Missbrauch kommen 

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des Fiebers und eine zweite vor Eintritt des zu erwartenden Fiebers 
in der Apyrexie zu geben; denn meine Versuche, durch fortgesetzte 


und Ereignisse setzen, über die ich im Folgenden berichten will. 
Unsere Thierversuche schon weisen mit Naturnothwendig- 


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kleme« Gaben emo zweckn.Sss.gere Ord.nat.on zu eraelen - that- kejt auf eine Anwelld uaseres Mittels bei Störungen i.n Nerveu- 
sacbheh kommt es nach solchen me zu inner erheblichen Schweiss- te hi bei gesteigertem Reflex- und Empfindungsvermögen; 

secret.on - scheiterten einerseits an dem Lmstande, dass es eigentlich dieser Kichtnne 


nie recht zu einer ordentlichen Apyrexie kommt, andrerseits aber, 
dass nur zu bald durch die Gewöhnung an die kleinen Dosen nach 
einigen Tagen das Fieber dasselbe war, als ob gar kein Phenacetin 
gegeben worden wäre. Ausser dem acuten Gelenkrheumatismus 
wird keine wie immer geartete Infectionserkrankung specifisch durch 
Acetphenetidin beeinflusst. Beängstigende Collapserscheinungen bei 
der Darreichung desselben sind mir trotz der grossen Zahl von 
Beobachtungen nicht vorgekoininen. Handelte es sich auch öfters 
bei grossen Dosen um Temperaturen von 35°, so fehlte doch immer 
in diesen Fällen Cyanose und Herzschwäche! 

Letztere trat aber auch nicht ein nach länger fortgesetztem 
Gebrauche grösserer Tagesdosen. Folgende drei Pulscurven sollen 
ein Beispiel hierfür bieten. 

Pigur 10. 



Figur 11. 



apparate hin, bei gesteigertem Reflex- und Empfindungsvermögen; 
praktische Erfahrungen bekräftigen das Gesagte in dieser Richtung. 
Wir wenden daher das Phenacetin als promptes Nervinum bei 
verschiedenen peripheren und centralen Neuritiden, Neuralgieen und 
Reizungszuständen an. 

Ich habe es zunächst bei mehreren Trigemiuusneuralgieen 
glücklich versucht und will davon nur einen Fall mittheilen, der 

wegen anderweitiger Zustände ein hohes Interesse bietet. 

Eli. Flor., 60 j. Privatier, sucht wegen reissender heftiger Kopfschmerzen, 
seit 8 Tagen bestehender Uebfichkeiten und Erbrechen ärztliche Hülfe; Patient 
ist völlig appetitlos und sehr erregt. 

Diagnose lautet auf Neuralgia trigemini in allen drei Aesten und auf 
Catarrhus vontriculi. 

Im Verlaufe der Auamnesis giebt Patient folgende interessante Tliat- 
sache an: „Im Januar dieses Jahres suchte ich wegen heftig quälender Kopf- 
shmer/.en ärztliche Hülfe; mir wurde Antipyrin verordnet mit 
dem Bedeuten, mehrmals täglich ira Schmerzanfallo ein Pulver 
zn nehmen. Das Antipyrin half mir im Anfange immer 
hinweg, ich fühlte mich glücklich, zumal die schlaflosen 
Nächte verschwunden waren. Zub&ld aber schien mir die 
Wirkung nur vorübergehend, ich war genöthigt immer mehr 
Pulver zu nehmen, und so nehme ich schon seit 2 Mo¬ 
naten täglich 8 g Antipyrin (!), habe bis jetzt ungefähr 500 
Gramm verbiaucht. und könnte nicht leben, wenn man mir 
es jetzt entziehen wollte.“ 

Es handelte sieb also um einen exquisiten Fall 
von Autipyrinismus, übrigens der erste, der bisher 
beobachtet wurde, unter dem klinischen Bilde eines 
intensiven Magenkatarrhes, allgemeiner Erregtheit, 
leichten Tremor manuum et linguae. 


Fig. 10 zeigt den Radialpuls eines Tuberculösen vor Phenacetin, 
Fig. 11 nach 16,20 Phen., Fig. 12 nach 32.40 Phen. Sie sind alle 
drei bei gleichem Druck auf die Arterie aufgenommen und ver- 


rathen in der etwas steileren Ascension der geregelten Aufeinander- I schwindet. 


Bevor es zu dieser chronischen Antipyrinintoxi- 
cation gekommen, bedurfte es mehrerer Hundert 
Gramm des Mittels, ein Beweis, wie viel und wie 
lange man dasselbe ohne besonderen Schaden nehmen kann, 
ein Beweis aber auch, dass durch Antipyrin, selbst nach so grossen 
Dosen, nach so lange fortgesetztem Gebrauche, nicht jede Neuralgie 


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DEUTSCHE IIEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


105 t 


20. December. 

Die Druckschmerzpunkte bei unserer Trigeminusneuralgie moch¬ 
ten vielleicht gerade noch so intensiv vorhanden gewesen sein, wie 
vor Antipyrin. 

Eine rasche Entwöhnung schien mir nicht rathsam, eine all¬ 
mähliche viel mehr geboten, nur suchte ich ein passendes Ersatz¬ 
mittel. Da kam mir das Phenacetin wie gewünscht. 

Patient nahm am ersten Tage seine obligaten 8,00 g 
Antipyrin; am nächsten Tage zu Beginn jedes Schmerzanfalls je 
0,30 Phenacetin, innerhalb 24 Stunden 2,10 Phenacetin. Die folgende 
Nacht war unruhig, wenig Schlaf wegen heftiger Kopfschmerzen; 
daher fühlt sich Patient den kommenden Morgen ermattet, hegt 
wenig Vertrauen zu dem neuen Mittel; nimmt heute zu Beginn des 
Schmerzparoxysmus je 0,90 Phenacetin. 

Schon nach dieser ersten grösseren Dosis fühlt sich Patient 
woliler, verfällt in einen ruhigen Schlaf, der mehrere Stunden an¬ 
dauert, und aus dem er nur durch einen neuen neuralgischen Anfall 
geweckt wird; sofort folgen wieder 0,90 Phenacetin mit gleich gün¬ 
stiger Wirkung. So brauchte Patient bloss 4mal täglich diese Dosis 
zu nehmen, um sich einen erträglichen Zustand zu verschaffen. In 
solcher Weise fuhr ich mehrere Tage fort; es besserten sich Zunge, 
schlechte Verdauung und das Gemüthsleben. Schon nach 5 Tagen 
solcher Darreichungsweise konnte ich auf 2 und schliesslich lmal 
0,90 Phenacetin p. die gehen; die neuralgischen Schmerzen waren 
bedeutend gebessert, wenn auch nicht völlig behoben, die Nächte 
wurden grösstentheils durchschlafen, Patient wurde lucide und auf¬ 
geräumt, nahm immer weniger und weniger Phenacetin, bis er am 
Schlüsse nur noch 0,30 Sacchar. alb. in capsul. amyl. aus Furcht 
und Vorsicht vor wiederkommenden Schmerzen nahm. Nach 20 
Tagen konnte Patient geheilt vom Antipyrinismus und der Trige¬ 
minusneuralgie aus der Behandlung entlassen werden. 

Auch in einem anderen Falle von Trigeminusneuralgie, es war 
der 39 j. Pächter Au., der wegen rasender Kopfschmerzen förmlich 
verwirrt und deshalb von der Sicherheitswache aufgegriffen und 
dem Krankenhause zugeführt wurde, schwanden nach 12,60 Phen¬ 
acetin, innerhalb 8 Tagen genommen, vollkommen die Schmerzen; 
auch hier übten 0,60—0,90 Phenacetin wohlthuenden Schlaf aus. 

Auch bei Neuralgieen auf anderen Gebieten wandte ich es an 
und berichte, dass der Effect in einigen Fällen von Neuralgia ischiadica 
nahezu Null war, dass andere wieder günstig beeinflusst wurden; 
man muss eben bei allen diesen Processen individualisiren; auch 
bin ich der Ansicht, dass man durch locale Iujectionen eiue Neu¬ 
ralgie leichter und rationeller bekämpft, als durch inneren Gebrauch 
antineuralgischer Mittel. Und könnte mau das Phenacetin subcutan 
darreichen, so hätten — ich bin überzeugt — die Phenacetin- 
injectiouen auch bald jenen Ruf, wie es heute die Antipyrininjectio- 
neu haben. 

Gegen die reissenden Schmerzen bei Encephalo-Myelitis disse¬ 
minata, gegen die lancinirenden Schmerzen bei Tabes bewährten sich 
Gaben von 0,60—1,00 Phenacetin eben so vorzüglich, wie gegen die 
(’ougestivzustände bei chronischem Alkoholismus. 

Bei den asthmatischen Anfällen, wie selbe so häufig im Gefolge 
von Endaortitis und Insufficienz der Aorta auftreten, ist Phenacetin 
völlig nutzlos, während ich die beängstigenden Dyspnoeen durch 
Antipyrin, wenn auch nicht völlig, so doch für lange Zeit bannen 
konnte. 1 ) 

Dass das Phenacetin Erregungszustände bei Morb. Basedowii. 
Hemicranieen, neurasthenischen Kopfdruck, Ovarialneuralgieen u. s. w. 
günstig beeinflusse, andererseits die bohrenden Schmerzen bei 
Arthritis deforraans, hysterisch nervöse Beschwerden, und so manchen 
anderen neuralgischen Schmerz unbeeinflusst lasse, davon berichtet 
schon Rumpf. 

Von üblen Nebenwirkungen des Phenacetin kann ich ausser der 
Beobachtung des Collegen Metzler, der mich im physiologi¬ 
schen und klinischen Theile der Arbeit kräftig unterstützt hat, wo 
in einem Falle von Hemicranie bei einer etwas nervösen Dame auf 
0.90 Phenacetin reichlichste Urticaria im Gesichte und auf der Brust 
auftrat, die aber bald wieder schwand, nichts berichten; es scheinen 
auch thatsächlich die Exantheme nach Phenacetin seltener aufzutreten 
als nach Antipyrin. So haben wir denn in dem Phenacetin eins 
jener Mittel keunen gelernt, welches richtig angewendet nach zwei 
Seiten hin höchzuschätzeude Eigenschaften besitzt: die eines promp¬ 
ten unschädlichen Autipyreticums, und die eines trefflichen Anti- 
ucuralgicums; solche Eigenschaften müssen ihm einen ständigen 
Platz in der Pharmakologie sichern und eine verbreitete Anwendung 
seitens der praktischen Aerzte zu Nutze so mancher Patienten 
erzielen. 

Den physiologischen Theil der Arbeit führte ich im pharma¬ 
kologischen Institute des Herrn Prof. v. Schroff aus, den klini¬ 
schen Theil auf der internen Abtheilung des Prim. Dr. Platzl. 

’) Siehe meine Arbeit über Antipyrin. 


Literatur: 

Heusner (Barmen), Gutachten über Phenacetin. Therap. Monats¬ 
hefte März 1888. — 0. Hins borg u. A. Käst, Ueber die Wirkung des Acet- 
phenetidins. Centralblatt für d. med. Wissenschaften 1887. 9. — Hoppe, 
Ueber die Wirkung des Phenacetins. Inauguraldissertation. Berlin 1887 
u. Therap. Monatshefte 87. H. 4. — v. Jaksch, Ueber die Antipyretica und 
ihre Wirkung am Krankenbette. Wien. med. Presse 88. 1 u. 2. — G. 
Kobler, Das Acetphenetidin als Antipyreticum. Aus der med. Klinik 
des Hofr. Prof. v. Bamberger in Wien. Wien. raed. Wochenschrift 
1887 26, 27. — Lepin, Semaine inedicale 1887, 21/12: sur lc traitement 
de la fievre typhoide par la phenacetine. — Dujardin-Beaumetz, Semaine 
medicalo 1888, p. 15. — Fr. Müller, Ueber Acetphenetidin. Vortrag, geh. 
im Verein f. innere Med. Berlin—Juli 1888. — B. Rohden, Phenacetin. 
1 Deutsche med. Wochenschr. 1888, p. 15. — Rumpf, Ueber Phena¬ 
cetin. Berlin, klin. Wochenschr., nach einem Vortrage, gehalten auf der 
Aerzteversammlung des Reg.-Bezirkes Köln am 15. Mai 1888. 

VI. Ueber Kehlkopftuberculose, ihre 
Behandlung und Heilung. 

Von Dr. Keimer, 

Specialist für Nasen-, Hals- und Ohrenleiden in Düsseldorf. 

(Schluss aus No. 50.) 

Meinen 10. Fall sehen Sie in diesem zarten, kleinen Herrn M. von 
hier, welcher auch die Freundlichkeit hatte, mir die Ihnen vorliegenden 
1 Bilder meiner verschiedenen Larynxtuberculosen in ganz vortrefflicher Weise 
zu malen, nach denen Sie sich auch ein Bild von dem früheren und jetzigen 
Zustande der botr. Patienten machen können. Ich habe als schlechter 
Künstler von jedem meiner Kranken ein allerdings etwas rohes Bild seines 
I Kehlkopfes entworfen, und Herr M. hat es verstanden, unter meiner Leitung 
. Bilder herzusjclleu, welche wirklich kaum von der Natur abweichen. 

, Ich sah denselben vor 10 Wochen als ganz elenden Menschen, welcher 
kaum den Weg zu mir hatte zurücklegen können. Er war fast aphouisch, 
hustete sehr viel mit jenem bekannten, entsetzlich quälenden, trockenen 
Kehlkopfhusten der Tuberculösen, er schwitzte jede Nacht, hatte fast gar 
keinen Appetit und war mit. einem Worte total herunter. Ich fand in seinem 
] Kehlkopfe eine entsetzliche Zerstöning, beide wahren Stimmbänder, nament- 
j lieh aber das rechte, waren ausgefressen, fast gezähnt, ausserdem das rechte 
■ noch durch ein Längsgeschwür gespalten, an der vorderen Coramissur bestand 
ein tiefes Ulcus, welches sich in den subchordalen Raum fortsetzte, die Reg. 
interarytänoidea war ein grosser Geschwürskrater, das ganze Kehlkopfinnoro 
war bedeckt mit oinem schleimigen Eiter, welcher erst mit. dem Pinsel be¬ 
seitigt werden musste, um ein klares Bild zu bekommen; der Kehldeckel, 
die Trachea, das Velura und der Gaumen erschienen colossal blass. Die 
rechte Lunge war bis zur 2. Rippe inültrirt, zahlreiche Rasselgeräusche, 
bronchiales Exspirium, links Infiltration der Reg. supraspinata und supra- 
clavicularis, über der ganzen Lunge Katarrh. Ich muss gestehen, dass ich 
bei den so grossen Zerstörungen des Larynx und dem weit vorgeschrittenen 
Processe auf den Lungen, dem abendlichen Fieber und dem Herabgesetztseiu 
der Kräfte Bedenken hegte, eine energische Cur zu beginnen, doch ermuthigto 
l mich die Erklärung des Patienten, dass er sich jeder, auch der schlimmsten 
Behandlung unterziehen wolle, da er ohnedies wisse, dass ihm nur geringe 
Hoffnung bleibe. Ich habe nun mit einer 20 procentigen Milchsäurelösung 
dio Cur begonnen und bin langsam auf eine GOprocentige gestiegen, als 
Patient, welcher einen eisernen Willen entwickelte, dieselbe ohne zu grosse 
Schmerzen ertrug. Wunderbar günstig wirkte hier das Creosot auf den 
, Magen ein. Patient hatte mich gebeten, ich möge bei der Verordnung ja 
! seinen sehr schwachen Magen berücksichtigen, welcher ihn' schon seit Jahren 
quäle, und wegen dessen er oft eine Cur mit Karlsbader Salz gebrauche. 
Ich habe trotzdem den Versuch mit Creosot gewagt, da ich mir vorstellte, 
dass dadurch wohl die Gährungen und Zersetzungen in einem dyspeptischen 
oder chronisch katarrhalischen Magen hintangehalten werden möchten, und 
meine Voraussetzung hat mich auch nicht getäuscht. Die Kapseln wurden 
nicht allein gut vertragen, sondern die Magenstörungen auch bald beseitigt 
und ein recht guter Appetit erzielt. 

Der Nachtschweiss verlor sich nach etwa 3 Wochen mit den zusehends 
zunehmenden Kräften. Auch in diesem Falle wurdo das Jodoform, welches 
bei zu starker Reaction der Milchsäure angewandt wurde, absolut nicht ver¬ 
tragen, rief sehr unangenehmes Aufstosseu uud Ekel vor der Mahlzeit hervor. 
Sie sehen jetzt den Larynx noch nicht ausgeheilt, aber in eiuem verhältuiss- 
mässig recht guten Zustande. Die Stimmbäuder erscheinen als rothe, hinten 
ausgebuchtete, aber absolut nicht mehr gesehwürige Bänder, in der Rimula 
sieht man eine frisch granulironde Fläche, und von schmutzigem Belage ist 
gar nichts mehr zu sehen. 

Ich hoffe nach meiner Erfahrung, wenn der Allgemeinzustand ein so 
befriedigender bleibt, die Vernarbung und Ausheilung in etwa 5 Wochen 
Voraussagen zu können. Der Patient arbeitet wieder täglich mehrere Stunden, 
was er Monate lang nicht konnte, und fühlt sich recht gut. Ich glaube, dass 
man bei der Trostlosigkeit dieses Falles mit dem bis dahin doch unverkennbar 
erzielten Erfolge doppelt zufrieden sein kann, und wir wollen hoffen, dass 
auch dio Zukunft dem Patienten hält, was ihm die Gegenwart zu versprechen 
scheint. 

(Leider ist meine Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen. Es stürmten 
in letzter Zeit, auf den an uud für sich sehr reizbaren Mann Familienunau- 
nehmlichkeiten der schlimmsten Art ein, welche in Verbindung mit seiner 
schlechten finanziellen Lage seine Widerstandsfähigkeit sehr heruntersetzten, 
i Noth und Sorge waren tägliche Gäste Der Appetit wurde schlechter, die 
Lungenerscheiuungen gingen vorwärts, häufige Durchfälle Hessen die Mit- 
' betheiligung des Darmes an dem tuberculösen Processe vermuthen. Trotzdem 
I aber ist der Larynxbefund ein noch recht befriedigender, wennschon die 


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1052 DEUTSCHE MED1CIN1SCHE WOCHENSCHRIFT. No. 51 


Cur nicht mehr mit «ler alten Energie fortgesetzt wenlen konnte. Von Ge¬ 
schwüren ist nichts mehr zu sehen, «loch findet sich der Kehlkopf in einem 
siark conpestionirten Zustande. Sollte «ler Exitus letalis eintreten. so würtle 
es von Itesonderem Interesse sein, «lie Autopsie «les Larynx zu machen und 
ich würde dann nicht verfehlen, über den Befund zu berichten.) (Exitus trat 
ein, der Larynx war nicht zu bekommen.) 

Ein 11. Fall gehört eigentlich nicht «lirekt hierher, da er nicht einer 
energischen localen Behandlung unterzogen wurde. Doch bietet er gerade 
für «len praktischen Arzt ein besonderes Interesse. Kr betrifft einen Lehrer 
aus S. in Westfalen. Der Patient ist wohl erblich belastet, «la sein aller- 
«lings noch lebender Vater ausser Hämoptoe häufig an Lungenerscheinungen 
laborirt haben soll. Es wird das wohl eine «ler ja nicht seltenen Können 
«ler chronischen Phthisis sein. Er kam im Mai 1887 zum ersten Male zu mir 
und klagte, dass er schon seit dem Winter sehr heiser sei, diese Heiserkeit 
aber gerade in allerletzter Zeit sich noch gesteigert habe. Im l'ebripen sei 
er schon seit langen Jahren leicht heiser geworden und ihm, wie er sich 
ansdrückte, jede Erkältung auf den Hals gezogen. Kr ist ein sehr grosser, 
starkknochiger Mann mit kräftiger Muskulatur, sein Befinden hat nicht viel 
zu wmischen übrig gelassen, der Appetit war ein reger, nur fiel es auf, dass 
viel leichter und bei geringer Anstrengung starker Sehweiss ausbrach, auch 
Nachts wurde geschwitzt. 

Das Gewicht soll seit dem Winter um 10 Pfund zurückgegangen sein. 
Der Husten ist massig und fördert geballte, gelblich weisse Sputa zu Tage. 
Schluckbeschwerden bestehen nicht. Die Schleimhäute sind blass, der Larynx 
zeigt namentlich am Kehldeckel eine sehr blasse Farbe, was ja bei Tuber- 
« uli.se oft so sehr charakteristisch ist. ln der Kimulu befindet sich ein 
tiefes Geschwür mit wallartigem Rande und schmutzigem Grunde, das linke 
falsche .Stimmband ist infiltrirt, das wahre zeigt ein Längsgeschwür, so dass 
das Stimmband fast in zwei getheilt erscheint, massige bimförmige An¬ 
schwellung der Spitze des Ary- resp. Santorin’schen Knorpels, die rechte 
Kehlkopfseite ist gesund. An der linken Lungenspitze tyrapanitischer Schall, 
amphorisches Athmen und klingende Rasselgeräusche. Caveme. in der rech¬ 
ten R«‘g. supraclavicularis Rasselgeräusche und verlängertes Exspirium, in 
beiden Reg. infradaviculares mittelblasiges Rasseln, auf der ganzen Lunge 
zerstreut Rasselgeräusche. Bei dem doch im Ganzen befriedigenden Befinden 
war wohl anzunehmen, dass der Proeess oin chronischer war und die er¬ 
wähnten Veränderungen auf deu Lungen im Laufe der Jahre langsam zu 
Stande kamen. Nur schien der Kehlkopf sich in der letzten Zeit besonders 
in «len Vordergrund «les Krankheitsbihles stellen zu wollen. Ich erwirkte 
zunächst für den Patienten von seiner Vorgesetzten Behörde einen viertel¬ 
jährigen Urlaub und rieth «leinselben dringend an. sich den ganzen Tag in 
Feld und Wahl aufzuhalten, wozu ihm «ler zwar an landschaftlichen Schön¬ 
heiten nicht hervorragende, sonst aber mit schattigen Waldungen hinrei- 
«■heinl geschmückte Ort seiner Thätigkeit günstige Gelegenheit bot. Milch, 
welche in unvermisehter Form «ler eigene Stall lieferte, sollte nach Maass¬ 
gabe «les Bekommen» möglichst viel genommen wenlen. Innerlich gab ich 
auch hier Vreosot und liess Anfangs 4 Mal, später 6 Mal pro die Inhalatio¬ 
nen mittelst des Schreiber’schen Apparates mit Mentholöl machen, bis der 
Pfpflerminzgeruch verschwunden war. (20 Tropfen einer 20procentigen Lösung). 
Eine genau formulirtc Abhärtungscur mit morgendlichen kühlen Abreibungen 
«les ganzen Körpers und nachfolgender mit «ler Giesskaune zu applicirender 
Braus«' sollte vor Erkältungen schützen und zu tiefen Athemzügen anregen. 
Eine Milchsäurebehaudlung war nicht zu installiren. da die pecuniären Ver¬ 
hältnisse eineu wochenlangen Aufenthalt hier nicht gestatteten. 

Als ich nach 6 Wochen wieder Gelegenheit hatte, den Patienten zu 
sehen, war ich freiulig überrascht über das frische Aussehen desselben. Er 
selbst war sehr mit dein Erfolge «ler Cur zufrieden und sprach weniger 
heiser. Im Kehlkopfe waren «lie Erscheinungen nicht besonders zurückge- 
gangi u, nur fand ich die Geschwüre viel reiner und absolut nirgends eine 
Ten«lenz zu weiterem Zerfall uud zu stärkerer Infiltration. Es wenlen täg¬ 
lich 10 t'rcosotcapselu ohne alle Beschwerden genommen, nur hin und wie«ler 
nach Genuss von bestmders fettem Fleisch trat unbequemes und nach Creo- 
sot schmeckendes Aufstossen ein. Der Schweis» war verschwunden, «ler 
Husten und Auswurf geringer; an Gewicht waren 5 Pfund gmvnimeii. Es 
wurden täglich 5 Liter Milch verzehrt. 

I« - h sah dann «len Patienten vom 12. Juli bis zum 6. Oct«»ber nicht 
wieder. Ich hatte ihm abermals einen vierteljährigen Urlaub erwirkt, wel¬ 
cher zu lämllieheu Beschäftigungen und Jag«l benutzt wurde. An diesem 
läge fau«l ich «len Kranken vorzüglich aussehend. mit gebräuntem Teint, 
«lie Schleimhäute waren wieder roth. die Stimme viel klarer und klangvoller. 
d'T Appetit wunle als ein eolossaler geschildert. Das alte Gewicht war 
nicht nur erreicht, snudem noch um ein paar Pfund überschritten, Ermüdung 
• rat selbst bei angestrengten Jagdtoureu nicht früher ein. als in gesmulen 
Tagen, «ler Auswurf war nur massig und «ler Husten wenig belästigend. Im 
Larynx war eine «leutliehe Besserung zu «•«mstatire». namentlich war «las 
I lens «ler Pars iuterarytaenoidea entschieden kleiner geworden, und der Rest 
sah frisch aus. auch «las Längsgeschwür des linken wahren Stimmbandes 
hatte au Ausdehnung abgenoiumen. Die massige Infiltration «l«“s linken fal¬ 
schen Stimmbaudos und «ler Arypartie bestaud fort. Der Katarrh «ler rech¬ 
ten Lungenspitze hatte sieh wesentlich verringert, auch schien mir die linke 
Spitze geschrumpft und «lie (’averue kleiner. Was sich aber ganz unver¬ 
kennbar günstiger zeigte, war der allgemeine Katarrh, welcher fast ganz 
verschwunden war. Patient «Irän«rte sehr zur Wiederaufnahme seiner Be- 
rufsthätigkeit. ich verhehlte ihm allenlings die Gefahren derselben nicht, 
widehe aber in diesem Falle glücklicher Weise dudurch vermindert werden 
konnten, «lass «ler Vater, ein emeritirter Lehrer, «len halben Dienst auf sich 
nahm. An Stelle des Creosot wurtle von November bis Ende Decembcr 
Leberthran, «lann aber wieder Creosot genommen, «lie Mentholinhalationen 
wunli'ii fortgesetzt, un«l alle hygienischen Maassnahmen, so weit dieses in 
«ler \eräii«l«Ttcn Zeit geschehen konnte, innegehalten. Vor einigen Tagen 
(Knile Januar) erhielt irh einen Brief von «lern Patienten, welcher mir mit 
warmen Dankeswortcn die erfreuliche Mittheilung machte, «lass er sich vor¬ 


trefflich fühle und, um mich seiner eigenen Worte zu beilieneti: ..dass meine 
Stimme wieder gerade so rein gewonien ist, wie sie früher war.“ Dabei 
muss ich erwähnen, dass dieselbe ja seit laugen Jahren immer etwas heiser 
gewesen sein soll. Ob nun «ler Kehlkopf augenblicklich gosuml, ob der ge- 
sehwürige Proeess desselben vernarbt ist. darüber kann ich Ihncu natürlich 
nichts berichten, für unnnöglich halte ich nach der letzten Untersuchung 
dieses nicht, wenn ich auch nicht glaube, «lass «lie Infiltrate sich ganz zu¬ 
rückgebildet haben. Dass ja auch hier, wie in den meisten unserer Fälle, 
der böse Feind nicht völlig besiegt zu sein braucht, «lass er oft nur gefesselt ist 
und dass er eines Tages wieder seine Fesseln sprengen kann und wieder in 
erneutem Ansturm seine alten Positionen zu erobern tra«-hteii wird, wissen 
wir ja alle, wir wenlen wie ein kluger Feldherr stets unsere Post«-!! au— 
stellen müssen, um diesem Ansturm sofort ein kräftiges Halt cntgegeimifeu 
zu k«>nnen. 

Dass in diesem letzten Falle ohne die foreirte Behandlung ein 
befriedigendes Resultat erzielt wurde, spricht wohl zumeist für die 
bekannte Thatsache, dass bei Hebung des Gesammtorgauisraus un«l 
bei Schaffung der glücklichsten Aussen Verhältnisse mit Besserung 
des Lungeuprocesses auch der Larynxprocess spontan zurückgeheti 
kann. Dass dabei auch das Creosot uud das Menthol mitgewirkt 
haben, möchte ich nach den Mittheilungen Rosenberg’s und vieler 
anderer Forscher wohl glauben, eine weitere Consequenz würde ich 
nicht ziehen. Es müssen da viele Beobachtungen gemacht werden, 
ein Fall beweist ja gar nichts; immerhin wäre dort ein ähnlich«-» 
Vorgehen dem Praktiker anzuempfehlen, wo eine kräftigere und 
mehr versprechende Behandlung aus dem einen oder andercu 
Grunde nicht stattfinden kann. 

Am Schlüsse meines Vortrages fürchte ich vor Allem, mein«* 
Herren, dass der eine oder andere von Ihnen die Vorstellung liegen 
könute, ich gäbe mich dem Glauben hin, durch meine Behandlung 
die betreffenden Patieuten von der Laryuxphthise, selbst vou der 
Lungenphthise geheilt zu haben. Diese Vorstellung möchte ich durch¬ 
aus zerstreuen, sie würde der guten Sache ja nur schaden können, 
da sie einen Optimismus gross zöge, welcher deu kritischeu Blick 
trübt und der ärgste Feind jeglicher Wahrheit ist. Ich möchte an 
dieser Stelle es noch einmal resumirend betonen, dass jene Ver¬ 
narbungen noch keine definitiven Heilungen zu sein brauchen, wie 
dieses ja auch die Krause- und Heryng’schen Erfahrungen voll¬ 
auf bestätigen, ich selbst konnte Ihnen ja auch von einem Recidiv 
bei dem Falle 3 erzählen. Zudem sind unsere Erfahrungen ja 
noch viel zu kurz, um schon jetzt ein abschliessendes Urtheil fällen 
zu können, es werden auch Jahre vergehen, ehe wir von grossen 
Erfolgen reden dürfen. Bei einigen meiner Patienten, so bei Fall 6. 7 
und 10, ist die Prognose wohl ganz infaust zu stellen, weil die 
begleitenden schweren Lungen- resp. auch Darraerscheinungen wohl 
über kurz oder lang alle ärztliche Mühe und Kunst, allen Helden- 
muth der Kranken zu nichte machen werdeu. Ob in den anderen 
Fällen «lie jetzt schlummernden Lungenerscheiuungen nicht wieder 
aufwachen, ob nicht das unter der Asche glimmende Feuer 
eiues Tages durch irgend welche Schädlichkeit wieder zu einer ver¬ 
heerenden Flamme angefacht wird, und die jetzt noch abgekapselten, 
durch ein unglückliches Ungefähr in die Blutbahn eindringenden 
Sporen der Tuberkelbacillen ihre verderbenschwangere Saat nach 
allen Richtungen ausstreuen und in raschem Fluge das Leben ver¬ 
nichten werden, wer will das wissen und entscheiden. So lange noch 
das Mikroskop Bacillen nachzuweisen im Stande ist, so lange ist die 
Krankheit noch nicht erloschen, und in allen Fällen, in denen die 
Lungen mit ergriffen waren und in deuen es gelang, Sputum zu 
erhalten, waren dieselben noch aufzufinden, wenn sie auch, wie im 
Falle 8 uud 9, entschieden an Zahl abgenoiumen hatten. Nur bei 
den Fällen 2 und 5, welche ich für primäre Larynxphthison halten 
möchte, waren keine Bacillen in dem schwer zu erhaltenden 
Sputum nachweisbar. Ob aber nicht durch Jahre lange sorgfältige 
AUgcmeinbehandlung, durch sofortiges Beseitigen jedes Recidives im 
Kehlkopfe auch allmählich die Bacillen zu vernichten sein wenlen. 
das muss die Zukunft lehren. 

Auch den etwaigen Vorwurf möchte ich zurückweisen. al> 
wenn meine Fälle nur Musterfälle seien, dass die Erfolge in Wirk¬ 
lichkeit doch wohl nicht so glänzende, oder wenu auch nur temporär 
glänzende wären. Gewiss liegt darin etwas wahres, aber das mir 
zu Gebote stehende Material betrifft ja auch relativ günstige Fälle, 
ambulatorische Kranke, welche meistens keine zu schweren Begleit¬ 
erscheinungen darboten, fast alle fieberlos waren und keine rasch 
progressiven Processe zeigten, über ziemliche Widerstandskraft ver¬ 
fügten und daher viel besser der Behandlung zugänglich waren, 
als jeue fiebernden Phthisiker der Hospitäler mit ihren oft foudrox- 
anten Symptomen. Durch dieses verschiedene Material sind ja auch 
ohne Zweifel die oft ganz gegentheiligen Erfolge des Creosotbehand- 
lung zu erklären, wie dieses neuerdings wieder Fraentzel gegen 
Sommerbrodt wohl mit Recht behauptet. Die Hauptindicatnm 
dieses viel versprechenden Mittels, dem ja wohl bald das Guajaod 
substituirt werden dürfte, ist auch nach meiner Ansicht bei den 
nicht an anhaltendem Fieber leidenden Phthisikern zu suchen. Da- 


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1053 


20. December. 


DEÜT8CHE MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


neben möglichst günstige Ernährung, viel Aufenthalt in frischer Luft 
und, wo die Kräfte es erlauben und wo es angeht, Bergsteigen, 
Turnen, Jagen, Reiteu und vernünftiger Sport, genau vorgeschriebene 
kühle Abreibungen, das sind die Truppen, welche wir gegen den 
Erbfeind des Menschengeschlechts in das Feld führen müssen. 
„Einathmuug frischer Luft mit durch Muskelarbeit vertieften In¬ 
spirationen im Freien ist und bleibt die Hauptsache.“ (v. Ziemssen, 
klinische Vorträge, zehnter Vortrag.) 

Seien wir nicht gar zu stolz auf unsere Erfolge, aber seien 
wir auch nicht kleinmüthig. Die Zeit liegt hinter uns, wo man iu 
jedem Phthisiker auch einen Todeskandidaten sah, „nichts ist 
verderblicher, als die Idee, dass Phthise unheilbar sei; sie schliesst 
jeden ehrlichen Versuch aus, das Menschenmögliche zu thun, oder 
Opfer zu bringen, um den Stillstand oder die Heilung zu befördern.“ 
(Hermann Weber, Vorträge über die hygienische und klimatische 
Behandlung der chronischen Lungeuphthise.) Mit hoher Befriedi¬ 
gung dürfen wir auf die Errungenschaften der letzten Jahre zurfick- 
blicken, ein zielbewusstes Streben und ein planmässiges Vordringen 
macht sich auf der ganzen Linie der Phthisiotherapie bemerkbar, 
die Chirurgie, durch ihre antiseptischeu Cautelen zur höchsten 
Blüthe gebracht, kommt ihrer Mutter, der inneren Medicin, zur 
Hülfe iu dem Kampfe mit den ihr überlegenen und ihrer Kunst 
oft spottenden Tuberkelbacillen, sie öffnet die Leibeshöhle, um der 
Tuberculose des Peritoneums und der Unterleibsorgane zu steuern, 
sie exstirpirt verkäste und bacilleuhaltige Drüsen, sie legt die Ge¬ 
lenke offen und entfernt die fnugösen Partieen, sie beseitigt die 
tuberculös erkrankten Theile des Kehlkopfes mit Curette und 
Milchsäure, und alles das in der festen Ueberzeugung, mit der Ent¬ 
fernung der localen Processe den Gesammtorganismus vor der In¬ 
vasion der Bacillen zu bewahren. Daher auch unser Sinnen und 
Streben, möglichst bald die locale Tuberculose zu erkennen und zu 
behandeln, und daher auch mein Anfangs so energisches Betonen der 
Existenz der primären Larynxphthise. Mag ich auch darin etwas 
weit gegangen sein, so würde ich dieseu Vorwurf gern tragen in 
dem Bewusstsein, der guten Sache etwas geleistet zu haben. In 
diesem Glauben liegt so viel Ermuthigendes und Aneiferudes, dass 
ich ihn mir nicht rauben lassen möchte, in ihm findet auch der 
praktische Arzt den Sporn, bei jeder ihm irgend verdächtig er¬ 
scheinenden Halsaffection den Spiegel zur Hand zu nehmen, um ja 
frühzeitig den drohenden Feind zu erkennen und nach Möglichkeit 
zu besiegen. Wenn das Verständniss unserer Leistungsfähigkeit 
gegenüber der Kehlkopftuberculose erst Allgemeingut der Aerzte 
geworden ist, dann werden wir nicht mehr so oft und so spät jene 
unglücklichen Menschen unsere Hülfe vergebens erflehen sehen, 
welche diese schreckliche Krankheit zum qualvollen Tode verur¬ 
teilt hat. 

Mühsam und dornenvoll ist der Weg, der uns noch von dem 
ersehnten Ziele trennt, in weiter Ferne erst winkt die Siegespalme, 
aber wir wollen den Kampf mit dem Muthe des Soldaten kämpfen, 
welcher nicht eher ruht, bis er den letzten Wall erstürmt hat, und 
wir dürfen uns dann auch mit Stolz bimsten, raitgefochten zu haben 
in dem Streite mit dem ältesten und schlimmsten Feinde der 
Menschheit, auf den sich’ wohl ohne Zwang das Horazische Wort 
anwenden lässt: Pallida mors aequo pulsat pede pauperum taber- 
nas regumque turres. 


VII. Referate und Kritiken. 

P. Müller. Handbuch der Geburtshülfe. I. Band. Stuttgart, 
Ferdinand Enke, 1888. Ref. Flaischlen. 

Während die Hauptzweige der Medicin, unter ihnen auch die 
Gynäkologie, seit deu letzten Jahren vorzügliche Sammelw'erke auf¬ 
zuweisen habeu, in denen alles Wissenswerthe zusammen gefasst und 
mouographisch bearbeitet ist, entbehrte die Geburtshülfe bisher eines 
solchen Werkes. Unter der Aegide von Peter Müller hat sich 
nun eine Reihe von Gynäkologen vereinigt, um diesem Mangel abzu¬ 
helfen durch die Bearbeitung und Herausgabe eines „Handbuches 
der Geburtshülfe“, welches nicht allein dazu bestimmt sein soll, 
dem Gynäkologeu vom Fach, sondern auch dem allseitig beschäftigten 
Arzte Rath und Belehrung zu bieten. 

Der erste bis jetzt vorliegende Band enthält: 

Die Geschichte der Geburtshülfe, von Klein Wächter; 
die Anatomie und Physiologie der weiblichen Sexual¬ 
organe und die Physiologie der Schwangerschaft von 
J. Veit; die Physiologie der Geburt von R. Werth und die 
Physiologie des Wochenbettes vou F. Kehrer. 

Kleiuwächter führt dem Leser die Entwickelung der Geburts¬ 
hülfe von ihren ersten Anfängen im Alterthum bis auf die Neuzeit 
in anregender Weise vor. Auch von der Geschichte der Gynäko¬ 
logie, der Wissenschaft dieses Jahrhunderts giebt er einen kurzen 
Abriss. 

Eine Fülle von wissenswerthen Thatsachen hat J. Veit in den 


von ihm bearbeiteten Abschnitten zusammgestellt und den wichtigsten, 
gegenwärtig am eifrigsten discutirten Fragen eine besondere Be¬ 
achtung gewidmet. 

Unter Menstruation versteht K. nicht die blutige Ausscheidung 
aus den Genitalien allein, sondern er charakterisirt sie als einen in 
regelmässigen Pausen wiederkehrenden, mit der Ovulation in irgend 
einem Zusammenhang stehenden Vorgang, dessen äusseres Zeichen 
blutige Ausscheidung aus den Geuitalien ist. In Bezug auf die 
Anatomie der Menstrualblutung vertritt Veit im Wesentlichen den 
Standpunkt Moericke’s. Das Oberflächenepithel des Endometriums 
bleibt bei der menstruellen Blutung erhalten. Das Vorkommen von 
Epithelschüppchen in den blutigen Abgängen ist nur als ein acci- 
denteller Befund anzusehen. - Die menstruelle Blutung stammt 
von dem ganzen hyperämischen und leicht blutenden Endometrium, 
das während dieser Zeit in seinen Drüsen blutigen Schleim absondert. 
— Eine Tubenmenstruation hält Veit bisher für nicht erwiesen. 

Der Cervicalcanal wird nach Veit’s Ansicht zu keiner Zeit der 
Schwangerschaft zur Einbettung des Ei’s verbraucht. Es ist ein 
unteres Uterinsegment im nichtschwangereu, schwangeren und am 
deutlichsten im kreissenden Uterus vorhanden. Niemals steht das 
Ei mit der Cervixschleimhaut in fester Verbindung. — Veit stellt 
sich mit diesen Sätzen in dieser, in letzter Zeit viel discutirten Frage 
ganz auf die Seite der Berliner Schule. 

In Bezug auf die Anatomie der Placenta harreu uoch manche 
Fragen einer endgültigen Lösung. Die Frage nach der Bedeutung 
des intervillösen Raumes ist noch unentschieden. Waldeyer lässt 
circulirendes Blut in dem intervillösen Raum vorhanden sein. Es 
existirt nach Waldeyer ein vollständiger Kreislauf des müt- 
terlicheu Blutes, indem der intervillöse Raum die Rolle von Ca- 
pillaren spielt. Nach Carl Rüge enthält der intervillöse Raum 
normaler Weise kein Blut, sondern nur Gewebsflüssigkeit. Es han¬ 
delt sich nach diesem Autor immer um einen osmotischen Ver¬ 
kehr zwischen Mutter und Kind. 

Als die hauptsächlichste Quelle des Fruchtwassers sieht Veit 
das mütterliche Gewebe an; diesem wird, jedenfalls in der späteren 
Zeit der Schwangerschaft, in ununterbrochener Weise Urin des Foetus 
beigeraengt, dessen Menge jetzt noch nicht zu bestimmen ist. 

Dass gelöste Stoffe aus dem mütterlichen Kreislauf in den kind¬ 
lichen übergeheu, ist keinem Zweifel mehr unterworfen, ebenso ist 
es sehr wahrscheinlich, dass für corpusculäre Elemente eine Schranke 
zwischen Mutter und Kind unter normalen Verhältnissen besteht. 
Dass Stoffe vom Foetus zur Mutter übergehen, ist in neuerer Zeit 
direkt gefunden worden. 

Der vierte Abschnitt, Physiologie der Geburt, stammt aus 
der Feder Werth’s. Werth acceptirt die Bezeichnung „Contrac- 
tionsring“, mit welcher Schroeder die an der Innenwand des kreis¬ 
senden Uterus vorspringende Leiste bezeichnete, welche die functio- 
nirende Muskulatur des Uterus trennt von den als Durchtrittsschlauch 
bezeichneten Gebilden, dem unteren Uterinsegment und dem Cervix. 

Bis heute ist es eine noch ungelöste Frage, warum bei Hinter¬ 
hauptslagen fast regelmässig im Verlauf der Geburt das Hinterhaupt 
sich nach vorn dreht, so dass die kleine Fontanelle unter der Sym¬ 
physe steht. Werth erklärt diese Bewegung dadurch, dass dem 
Kopfe von Seiten der vorderen Beckenwand im Bereiche des Schara- 
bogens kein nennenswerther Widerstand sich darbietet, während seit¬ 
lich und hinten der weiteren Vorbewegung solche eutgegenstehen. 

Die Ablösung der Placenta durch die Wehen der Nachgeburts¬ 
periode erfolgt durch die fortschreitende Verkleinerung der Haft¬ 
fläche und durch Verdrängung der Placenta nach dem Lumen des 
Geburtscanales bin. Die Abhebung der Placenta vollzieht sich häufig 
an verschiedenen Punkten zugleich. 

In Bezug auf die Leitung der Nachgeburtsperiode redet Werth 
dem ab wartenden Verfahren das Wort, wenngleich er nicht den ex¬ 
tremen Standpunkt Ahlfeld’s anerkennt. Werth bespricht die vie¬ 
len Fragen, um deren Erörterung es sich in der Physiologie der 
Geburtshülfe handelt, in erschöpfender Weise. Auch nur die wesent¬ 
lichsten Punkte der inhaltreichen Abhandlung zu berühren, würde 
die Grenzen eines Referats weit überschreiten. 

Den Schluss des ersten Bandes bildet die Physiologie des 
Wochenbettes von F. Kehrer. Kehrer hält es für sehr frag¬ 
lich, ob das Fieber, welches namentlich iu präantiseptischen Zeiten 
oft gegen den 3. Tag im Wochenbett eintrat, mit der Secretion der 
Brustdrüse zusammenhängt. Der Hauptgrund gegen einen Zusam¬ 
menhang des F ; ebeis mit der Milchabsonderung ist der, dass diese 
'„Milchfieber“ in dem Maasse seltener geworden sind, je strenger die 
antiseptischen Maassregelu während der Geburt und des Wochen¬ 
bettes durchgeführt werden. Das Wort „Milchfieber“, sagt Kehrer, 
hat schon Tausenden von Frauen das Leben gekostet. Möge es 
endlich einmal aus dem ärztlichen Lexikon verschwinden 1 So rich¬ 
tig es ist, dass unter der Maske jedes Milchfiebers oft sich schwere 
Infectionen verbergen, so steht es doch nach der Ansicht einer 
Reihe von Autoren fest, dass die plötzlich stärker werdende Secre- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51 


1054 


tion der Brustdrüse allein nicht unerhebliche Temperatursteigerun 
geu bedingen kann. Eingehend bespricht K eh rer das wichtige Ca- 
pitel der Desinfection. 

Die Ausstattung des Handbuches ist eine sehr gute. Die zahl¬ 
reichen dem Text beigegebenen Abbildungen geben dem Werke einen 
besonderen Werth. 


B. Oestreich. Einfluss der Kost auf die Albuminurie. 

E. Sobotta. Ueber den Einfluss diätetischer Curen, insbe¬ 
sondere der Milchour bei der Behandlung der Albuminurie 
und des Morbus Brightii. 

B. Immerwahr. Ueber hämatogene Albuminurie. Inaugural¬ 
dissertationen. Berlin, 1887. Ref. S. Wein bäum. 

Die vorliegenden drei Dissertationen, welche aus der Leyden’schen 
Klinik hervorgegangen sind, beschäftigen sich mit einigen interessanten pa¬ 
thologischen und therapeutischen Fragen, welche die Albuminurie betreffen, 
und berücksichtigen besonders solche Fälle, in welchen keine oder doch keine 
erhebliche anatomisch charakterisirte Nierenerkrankung vorlag. Die beiden 
Arbeiten von Oestreich und Sobotta gehen von dem neuerdings mit 
Recht mehr als früher betonten Grundgedanken aus, dass die Albuminurie, 
einerlei, ob sie einer anatomischen Läsion der Nieren entspringt oder nicht, 
an und für sich durch den Verlust an organischem Material eine schwere 
Schädigung des Organismus verursacht, und dass es daher angezeigt er¬ 
scheine, durch diätetische Curen dem betreffenden Patienten Ersatz zu schaffen. 
Wie der Fall von Oestreich und noch evidenter die von Sobotta mitge- 
theilten Krankengeschichten und Untersuchungen zeigen, scheint in allen 
Fällen von Albuminurie eine vorwiegend aus Milch bestehende Diät den Vor¬ 
zug zu verdienen, sowohl im Vergleich mit Fleischkost, als besonders gegen¬ 
über einer gemischten Diät. Es zeigte sich, dass überhaupt eine geregelte 
recht nahrhafte Kost von günstigstem Einfluss auf das Allgemeinbefinden 
(Zunahme des Körpergewichts) und auf die Menge des ausgeschiedenen Ei- 
weisses ist, dass aber die Milch in letzterer Beziehung besonders günstig 
zu wirken scheint. Für die Zweifel, welche vornehmlich Oertel gegen die 
Zweckmässigkeit der Milchdiät erhebt, scheint also in diesen Fällen sich 
kein Anhalt zu finden. Besonders wirkte der reichliche Genuss von Milch 
niemals ungünstig auf den Stand der Oedeme, wie Oertel befürchtete. 

Immerwahr berichtet in seiner Arbeit über einige Fälle rein häma¬ 
togener Albuminurie, d. h. solcher Albuminurie, welche ihre Entstehung 
lediglich einer fehlerhaften Blutmischung, nicht aber einer Erkrankung des 
Herzens oder des Nierenparenchyms verdankt; darunter ist ein Fall von per- 
nieiöser Anämie, der mit Exitus letalis endete, drei Fälle von kachektischer 
Albuminurie, welche durch den Gebrauch der Milchcur völlig geheilt wurden, 
endlich einige neue Fälle von vorübergehender Peptonurie und Propeptonurie 
bei Pleuritis, Diphtherie und Typhoid, welche sich den von Hofmeister, 
Jak sch, Senator mitgetheilten Analogen anreihen. 


Vin. Verhandlungen des Vereins für innere 

Medicrn. 

Sitzung am 19. November 1888. 

(Schluss aus No. 44.) 

4. Discussion über den Vortrag des Herrn Leyden: Ein Fall 
von Kohlenoxydvergiftung, Transfusion, Genesung. 

Herr Löwenstein: Ich muss bekennen, dass ich in den letzten 15 
Jahren überhaupt keine Kohlenoxydvergiftungen gesehen habe; dagegen bin 
ich in den 60er Jahren nicht selten in der Lage gewesen, Kohlenoxydgas¬ 
vergiftungen zu beobachten und zu behandeln. Die Fälle, die ich gesehen 
habe, schliessen sich in ihrem Bilde und Verlaufe mehr denen des letzten 
Herrn Redners an. Wenn ich zu einem solchen Falle gekommen bin und 
überhaupt noch Lebensspuren vorfand, wenn Athmung und Herztbätigkeit 
auch noch so elend waren, war ich kühn genug, der erschreckten Familie 
eine gute Prognose zu stellen, und ich habe mich in dieser Prognose fast 
ausnahmslos nicht getäuscht. Die Behandlungsmethode konnte selbstver¬ 
ständlich — und das ist der Grund, weshalb ich das Wort nehme, weil ich 
mir die Behandlung immer vorstelle, wie der praktische Arzt mit seinen 
geringen Hülfsmitteln sie zu leiten hat — eine so ausgiebige nicht sein. 
Wenn es damals auch viel Sensation machte, dass der selige Martin eine 
solche Transfusion mit glücklichem Ausgang gemacht hatte, so sind doch 
die Fälle, wo wir praktischen Aerzte seiner Zeit Kohlenoxydgasvergiftungen 
zu behandeln hatten, wahrlich nicht geeignet gewesen, den gesammten 
Apparat zur Transfusion heranzuschaffen; auch war die Operation damals, 
wie heute noch, nicht in Jedermanns Hand. Nun ist es doch wichtig, dass 
man die Bebandlungsweise sich so zusammenstellt, dass sie möglich ist 
durch die Hand des Arztes allein, oder allenfalls mit Hülfe weniger ge¬ 
schickter Assistenten, wie sie der Augenblick ergiebt; und da muss ich 
sagen, dass selbst in den verzweifeltsten Fällen, wo man constatiren konnte, 
dass das Coma bereits Stunden gedauert hatte, immerhin noch eine 
Hülfe möglich war, auf dem schon angedeuteten Wege der künstlichen 
Respiration, der Reizung der Haut und namentlich der künstlichen Er¬ 
wärmung der peripherischen Theile. Sodann aber möchte ich noch einen 
Punkt hiuzufügen, der in der Discussion nicht erwähnt ist, das ist der 
Aderlass ohne Transfusion; zu Anfang, bei Erhaltung der Herzkraft in jeder 
möglichen Weise, in der Absicht, wenigstens einen Theil des Giftes aus 
dem Körper zu schaffen, und dann später, wenn die Reaction eingetreten 
ist, und das Herz sehr kräftig wird und der Puls recht hart, dann möchte 
ich den Aderlass wiederum nicht entbehren. Ich habe mir die Ueberzeugung 
gesammelt, dass alle die schweren Complicationen, die bei Kohlenoxydgas¬ 
vergiftung nachfolgen können, durch diesen letzteren ergiebigen Aderlass 
zum grossen Theil verhütet werden können. Ich betone das, weil der Ader¬ 


lass jetzt so sehr abgekommen ist, dass man bei vorkommenden Fällen zu¬ 
letzt an ihn denken könnte. Ich hätte auch gemeint, dass, wenn Herr 
Guttmann seinen Aderlass ein wenig früher gemacht hätte, vielleicht das 
so auffällig lange Coma in etwas hätte abgekürzt werden können. 

Herr Thorner: Im Anschluss an die Ausführungen des Herrn Für- 
bringer über die Reizungen der Respirationswege durch die Producte der 
trockenen Destillation, welche die Kohlenoxydgasvergiftung zu begleiten pflegt, 
möchte ich darauf aufmerksam machen, dass eine besonders schädliche 
Wirkung in diesem Sinne den Oxydationsproducten des Stickstoffs (mit 
alleiniger Ausnahme des Stickstoffoxyds) zukommt. Ich selbst war in der 
Lage, diese Erfahrung an meiner Person zu machen, als ich einmal im La¬ 
boratorium längere Zeit mit einer Anzahl Grove’scher Elemente gearbeitet 
hatte und eine sehr erhebliche Bronchitis mit den unangenehmsten Initial¬ 
erscheinungen acquirirte. Ich erinnere auch an dieser Stelle an den berühmten 
Fall, der seiner Zeit ausführlich in der Literatur erörtert wurde, wo auf 
einem Gute, als sich aus einem salpeterhaltigen Düngerhaufen starker Dampf 
entwickelte, die Gutsinsassen in der irrigen Meinung, es handle sich um 
ausgebrochenes Feuer, die Spritze bedienten und bei dieser Gelegenheit 
grosse Mengen der schädlichen, die Oxydationsproducte des Stickstoffs ent¬ 
haltenden Gase eicathmeten. Die Folge waren schwere croupöse Bronchi¬ 
tiden und, soviel ich mich entsinne, der Tod der am meisten betroffenen 
Personen. Aehnliche Producte finden sich aber häufig zusammen mit den 
übrigen Verbrennungsgasen. 

Herr Pulvermacher: Es dürfte von Interesse sein, über einen Fall 
Bericht zu hören, den ich vor kurzer Zeit in der Privatpraxis beobachtet 
habe. Ich wurde am 17. October dieses Jahres Abends II Uhr zu einer 
Frau gerufen, die ich im tiefsten Coma vorfand. Sie musste nach Aussage 
der Angehörigen ca. 10 Stunden so gelegen haben: die Thür war von innen 
verschlossen gewesen, und man hatte vorher nicht hinein gekonnt. Die Frau 
hatte Trachealrasseln, kleinen, flatternden Puls, fast vollständig erloscheneu 
Corneareflex, so dass ich den Zustand den Angehörigen gegenüber als höchst 
bedenklich bezeichnte, ohne im ersten Augenblick zu wissen, um was es sich 
eigentlich handelte. Es stellte sich dann aber bald heraus, dass im Zimmer 
ein Ofen mit zwei Klappen vorhanden war, es wurde constatirt, dass die 
Klappen geschlossen waren, und da ausserdem inzwischen ein erstickter Ka¬ 
narienvogel aufgefunden wurde, so stellte ich die Diagnose auf Kohlenoxyd¬ 
vergiftung. Die Luft in dem Zimmer war, als ich es mit den Angehörigen 
betrat, absolut rein: das Ofenfeuer musste also seit geraumer Zeit erloschen 
sein. Ich leitete eine energischo Therapie ein, bestehend in Zufuhr frischer 
Luft, künstlicher Respiration, Aetberspritzen in enormer Anzahl und diversen 
Hautreizen, und ich batte die Freude, nach einigen Stunden angestrengtester 
Arbeit zu sehen, dass der Zustand sich bedeutend gehoben hatte. Der Puls 
war so gut geworden, dass ich jetzt eine andere Prognose ^llen musste, 
und ich sagte den Angehörigen, dass die Frau wahrscheinlich wieder zum 
Leben zurückkehren würde, obgleich sie noch in tiefer Bewusstlosigkeit lag. 
Diese hielt auch noch bis zum Morgen des 20. October an, so dass sie im 
Ganzen etwa 60 Stunden währte. Durch continuirliche Anwendung von Ex- 
citantien und Hautreizen aller Art gelang es schliesslich, Herr des Comas 
zu werden. Eine unbedeutende Pleuritis schloss sich noch an; seit 8 Tagen 
ist die Frau wieder vollständig hergestellt. 

Herr Fraentzel: Die Frage über die Zweckmässigkeit und Heilsam¬ 
keit der Transfusion hat in den letzten zwanzig resp. dreissig Jahren, meine 
Herren, sehr verschiedene Stadien durchlaufen. Als Kühne, wesentlich 
durch theoretische Betrachtungen und experimentelle Untersuchungen, und 
der verstorbene Martin durch praktische Erfolge an erschöpften Wöchne¬ 
rinnen die Methode der Bluttransfusion von Mensch zu Mensch zur Aner¬ 
kennung, ja ich möchte sagen, in Mode gebracht hatte, wuchs wenigstens 
die theoretische Begeisterung für dieselbe von Jahr zu Jahr. Im Anfang 
der 70er Jahre begann man sogar, ohne sich jemals von der ganzen Be¬ 
handlung bestimmt physiologisch und pathologisch Rechenschaft zu geben. 
Thierbluttransfusionen zu versuchen. Bald wurden dieselben, namentlich 
die I>arambluttransfusionen auf das Wärmste empfohlen. Man glaubte, eine 
ganz neue Aera der Kriegschirurgie sei hereingebrochen, ein Tod durch 
Verblutung könne nicht mehr existiren, wenn man nur die nöthige Zahl 
präparirter Lämmer den Soldaten mit in die Feldschlacht gebe. So lauteten 
wenigstens die Berichte der damals an der Spitze der Lammbluttransfusi"iien 
stehenden Männer. Von allerhöchster Stelle wurden besondere Mittel zur 
Klärung dieser Frage bewilligt. Da kam Panum mit seiner sehr scharfen, 
aber gerechten Kritik. Mit dieser, wie von, einem Sturmwind hinweggefegt, 
verschwand die Lammbluttransfusion als physiologisch und pathologisch absolut 
unerlaubt aus dem Kreise der therapeutischen Eingriffe in überaus kurzer 
Zeit. Gleichzeitig begann man aber auch die Transfusionen mit defibrinirtern 
Menschenblut einer genaueren Kritik zu unterziehen. Ich möchte mich 
bei unserer beschränkten Zeit nicht auf Einzelheiten eiulassen und nur kurz 
erwähnen, dass die Möglichkeit von Gerinnungen in den Blutgefässen und 
die fast regelmässig nach der Transfusion auftretende Hämoglobinurie die 
ganze Methode als eine sehr gefährliche erscheinen lassen mussten. Dazu 
kam, dass die Physiologen unter Kronocker’s Leitung uns die Kochsalz¬ 
transfusionen als ein ungefährliches Verfahren kennen lehrten, welches 
wenigstens in gewissen Fällen das wirklich leisteten, was man mit Blut¬ 
transfusionen in so gefährlicher Weise vergeblich versucht hatte. Herr 
v. Bergmann hat in einer lichtvollen Rede, welche er im Jahre 1883 
zur Feier des Eröffnungstages der militärärztlichen Bildungsanstalten 
gehalten hat, die Schicksale der Transfusion im letzten Decenuium ausführ¬ 
licher beleuchtet. Er gelangt dabei zu dem Schlüsse, dass er die Bluttrans¬ 
fusion beim Menschen als eine das Leben direkt bedrohende Behandlungs¬ 
methode verwirft. Damit charakterisirt er den heutigen Standpunkt der 
Chirurgen. Und ich kann nicht in Abrede stellen, dass ich den von v. Berg¬ 
mann eingenommenen Standpunkt, tbeile. So sehr ja bei Kohlenoxydver¬ 
giftung ein Aderlass indicirt ist, ebenso sehr würde auch ein Verfahren an¬ 
gezeigt sein, durch welches nennenswerthe Mengen Sauerstoffes dem Blute 
zugoführt werden könnten. Zu diesem Zwecke würde ich eine Bluttraos- 


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20. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1055 


fusion wegen ihrer Gefährlichkeit nicht wagen. Von glücklich nach dieser 
Transfusion verlaufenen Fällen muss man sagen, dass das Leben trotz des 
vorgenommenen Verfahrens erhalten geblieben sei. Ob Transfusionen, von 
physiologischen Kochsalzlösungen bei Kohlenoxydvergiftungen Erfolg ver¬ 
sprechen, wage ich nicht zu bestimmen, weil mir dazu die nöthigen Er¬ 
fahrungen fehlen. 

Herr Leyden: Welche praktische Bedeutung die Transfusion bei 
der Kohlenoxydvergiftung haben kann und wird, das will ich keineswegs 
entscheiden. Ich habe in meinem kleinen Vortrage bereits gesagt, dass 
die Kohlenoxydvergiftung gegenwärtig, wenigstens in Berlin, sehr viel 
seltener geworden ist, wie früher — und das bestätigen auch die 
Mittheilungen, die von anderen Seiten gemacht sind —, wesentlich in Folge 
der neueren Ofeuordnung. Ferner ist anzuerkennen, dass in der Praxis 
eine Transfusion sich nicht so leicht machen lasse, namentlich gegenwärtig, 
wo die Transfusion überhaupt ziemlich in Misscredit gekommen ist; man 
darf also nicht erwarten, dass sich Instrumente zur Transfusion überall 
vorfinden. Aber anders steht die Sache, wenn wir die theoretisch wissen¬ 
schaftliche Begründung der Transfusion bei Kohlenoxydvergiftung in Frage 
und wenn wir ferner in Betracht ziehen, dass in Spitälern, wohin 
jedenfalls ein sehr erheblicher Theil der Kohlenoxydvergifteten gebracht 
wird, die Ausführung der Transfusion auf keine erheblichen Schwierigkeiten 
stösst. Dass die Transfusion als therapeutisches Mittel bei der Kohlenoxyd¬ 
vergiftung indicirt ist, kann meines Erachtens gar nicht in Frage gestellt 
werden. Ich erinnere an die Publicationen von W. Kühne aus dem Jahre 
1864, welche ich bei dieser Gelegenheit von Neuem durchgelesen habe, 
ln dieser Publication wird die Empfehlung der Transfusion gegen CO-Ver- 
giftung auf theoretische Erwägungen gestützt, ganz in demselben Gedanken¬ 
gange, wie ich sie letzthin ausgeführt habe, und die Richtigkeit dieser theore¬ 
tischen Erwägungen ist durch Experimente erwiesen. W. Kühne hat Thiere 
mit Kohlenoxyd vergiftet, hat genau die Symptome studirt, aus welchen er 
schliessen konute, dass diese Thiere absolut verloren waren, und solche Thiere 
sind wiederholt und mit Sicherheit durch Transfusion wieder zum Leben zurück- 
gernfen worden. Nun sind freilich heim Menschen die Verhältnisse nicht 
die ganz gleichen; denn den Thieren konnten sehr reichliche Mengen von 
frischem defibrinirtem Blute eingespritzt weiden, während beim Menschen 
begreiflicher Weise immer eine gewisse ziemlich enge Grenze gegeben ist. 
Trotzdem bleibt es aber unbestritten, dass wir in der Transfusion ein ganz 
direktes Gegenmittel besitzen, und dass auch mit den kleinen Mengen, welche 
für eine Transfusion von Menschenlut möglich sind, eine entscheidende 
Wirkung erreicht worden sei. Ich führte schon das vorige Mal aus, das- 
uachgewiesenermaassen die Erstickung, i. e. der Tod durch Kohlenoxyds 
Vergiftung viel früher erfolgt, als bis aller Sauerstoff aus dem Blute 
verdrängt ist. Freilich ist uns nicht bekannt, dass diese Grenze hat be¬ 
stimmt werden können, und es dürfte auch weder theoretisch noch im 
einzelnen Fall praktisch möglich sein, diese Grenze zu fixiren. Darin liegt 
natürlich ein Mangel für die theoretische Begründung, namentlich gegen¬ 
über demjenigen, was Herr Guttinanu vorgebracht hat. Ich muss also 
meine weiteren Deductionen an eine unbestimmte Grösse anknüpfen. Wenn 
ich aber annehme, dass der Tod eintritt, sobald etwa nur noch '/« des 
Blutes Sauerstoff enthält, und wenn ich ferner annehme, dass in einem be¬ 
stimmten Falle schwerer CO-Vergiftung nur etwa */« sauerstofffähiger Blut¬ 
körperchen übrig geblieben sind, so ist es klar, dass eine Procedur, welche 
durch Hinzufügen von 2—300 ccm defibrinirten gesunden Menschenblutes 
dieses '/ß um ein Erhebliches vergrössert, dass diese Procedur — sage ich — 
geradezu lebensrettend wirken muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 
die eingespritzte Blutmenge zwar im Verhältniss zur Gesammtblutmenge nur 
ein unbedeutender Theil ist, aber durchaus nicht ein unbedeutender Theil 
im Verhältniss zu der im Körper vorhandenen, noch sauerstofffähigen Blut¬ 
quantität. Theoretisch ist also gar nicht zu bezweifeln, dass die Transfusion 
in den möglichen ausführbaren Grenzen lebensrettend bei CO-Vergiftung 
wirken kann. Im einzelnen Falle wird sich freilich nicht leicht der Beweis 
führen lassen, dass der Patient ohne die Transfusion absolut hätte sterben 
müssen. Die Bedenken des Herrn P. Guttmann nach dieser Richtung 
werden sich nicht leicht beseitigen lassen. Aber dennoch sage ich, dass sie 
nicht berechtigt sind, und dass eine solche Art der Kritik die innere The¬ 
rapie im höchsten Maasse schädigen und zu einem verhängnissvollen Nihilismus 
führen würde. 

Es ist eben unmöglich, den Beweis zu führen, dass ein Patient, welcher 
bei einer gewissen zur Anwendung gezogenen Behandlungsweise gesund ge¬ 
worden ist, gestorben wäre, wenn diese Behandlung nicht stattgefunden hätte. 
In diesem Sinne lässt sich der Erfolg einer internen Therapie in der Regel 
nicht unzweifelhaft erweisen. In der Praxis müssen wir aber anerkennen, 
dass ein Mittel oder eine Behandlungsmethode, deren Wirksamkeit wissen¬ 
schaftlich dargethan ist, im einzelnen Falle auch zur Anwendung kommen 
soll, und dass man berechtigt ist, die erzielten guten Heilresultate ihr selbst 
zuzuschreibeD. Dies ist hier auch der Fall. Meiner Meinung nach soll in 
jedem schweren Fall von CO-Vergiftung die Transfusion mit Menschenblut, 
wenn sie eben ausführbar ist, auch gemacht werden, um so mehr, als die. Ope¬ 
ration ohne alle Gefahr ist. Warum sollen wir den Patienten im schweren 
Krankheitszustande 12, 24 Stunden, ja mehrere Tage liegen lassen, ohne ein¬ 
zugreifen, bloss deshalb, weil er möglicherweise auch ohne Transfusion 
zu sich kommt. Es ist besser, dass wir dreimal die Transfusion umsonst 
machen, als dass sie einmal versäumt wird, wo sie hätte nützen können. 
Herr Fräntzel hat zwar daran erinnert, dass die Operation der Transfusion 
an sich Gefahr für das Leben bringe, daher von den Chirurgen gegenwärtig 
ganz verworfen sei. Allein diese Einwürfe gelten fast ausschliesslich für die 
Lammbluttransfusion. Die Meuschenbluttransfusion birgt nur die gering¬ 
fügige Gefahr, dass kleine Gerinnsel in den Lungencapillaren stecken bleiben, 
diese Gefahr ist aber bei den sonst ganz gesunden Patienten ohne Bedeutung. 
Ferner bemerkt Herr Fräntzel, dass gegenwärtig die Kochsalzinfusion vor- 
gezogen werde, allein für die hier in Rede stehenden Zwecke kann dieselbe 
gar nicht in Betracht kommen, da sie kein O-fäbiges Blutkörperchen zuführt. 


Ich muss darnach wiederholt bekennen, dass ich, ohne zu weitgehende Fol¬ 
gerungen ziehen zu wollen, doch der Transfusion bei CO-Vergiftung eine 
entschiedene therapeutische Bedeutung zuspreche. 

Ich gestatte mir noch einige Bemerkungen als Entgegnung auf die 
Auseinandersetzungen von Herrn Guttmann. Es ist selbstverständlich 
auch bei uns nicht versäumt worden, dass alle anderen Heilverfahren, welche 
überhaupt bei CO-Vergiftung wie bei ähnlichen Zufällen indicirt sind, auch 
in unserem Falle in Anwendung gezogen sind. Dazu gehört der Aderlass, 
dessen ludication ich für solche Fälle durchaus anerkenne, dahin gehört 
ferner die künstliche Respiration unter Anwendung von Belebungs- 
rnittelu u. s. w. Dass die küustliche Respiration, da wo die spontane Respi¬ 
ration stockt, angewendet werden muss, ist selbstverständlich: denn wenn 
der Mensch aufhört zu athmen, ist eben die Aussicht auf Wiederherstellung 
des Lebens ausgeschlossen. Wenn Herr Guttmann aber ein grosses 
Gewicht auf die frische Luft legt, so kann ich darin nichts weiter sehen 
als einen Hautreiz, und dieser hat ja in gewissen Fällen, von Ohnmächten, 
Trunkenheiten u. s. w., einen erheblichen Werth, denn die Hautreize sind 
im Stande, das Bewusstsein zu wecken und die Respiration anzuregen. 
Dagegen kann ich nicht anerkennen, dass in dieser frischen Luft eine be¬ 
sondere Förderung des respiratorischen Gasaustausches gelegen ist. Ich 
möchte im Gegentheil vor der zu ausgedehnten, ohne Vorsicht angewendeten 
„frischen Luft“ warnen, da hieraus für den Patienten neue Schädlichkeiten 
entstehen können. Vor Kurzem wurden wiederum 3 Patienten auf die 
I. medicinische Klinik gebracht, welche durch CO-Vergiftung bewusstlos 
waren, aber sich ohne Anwendung energischer Mittel in wenigen Stunden 
erholten. Bei zweien war die Reconvalescenz ganz ungestört, die dritte Pa¬ 
tientin bekam aber am dritten Tage eine Pneumonie, welche in typischer 
Weise verlief und glücklich endete. Ich glaube, diese Pat. hat die Pneu¬ 
monie dadurch acquirirt, dass sie zum Zwecke der Wiederbelebung am Fund¬ 
orte dem frischen Luftzuge bei offenen Fenstern und Thüren und bei unge¬ 
nügender Bekleidung zu stark ausgesetzt wurde. Auch die künstliche 
Respiration kann bei der Kohlenoxydvergiftung nur den Effect haben, 
dass das noch respirationsfähige Blut oder die noch respirationsfähigen 
Blutkörperchen recht oft durch die Lunge kommen und dort frischen 
Sauerstoff aufnehmen, um ihn den Organen zuzuführen. Dagegen ist man 
auf diese Weise nicht im Stande, das CO durch den zugeführten 0 auszu¬ 
treiben. Denn das CO hat eine grössere Verwandtschaft zum Hämoglobin 
als der 0, es treibt letzteren aus, nicht umgekehrt. Wir besitzen im Gegen¬ 
theil kein Mittel, um das CO aus den Blutkörperchen zu vertreiben. Herr 
Guttmann bezog sich auf Beobachtungen, welche erwiesen hätten, wie das 
Kohlenoxyd aus den Blutkörperchen herauskommt. Ich möchte ihn jedoch 
fragen, ob er sich dabei auf bestimmte Thatsacben bezogen hat. Mir sind 
solche Untersuchungen nicht bekannt. Die Beobachtung an CO-Vergifteten 
lehrt nur soviel, dass bei Fortdauer des Lebens das CO nach und nach 
verschwindet und COa auftritt, wofür die nun deutliche Cyanose spricht. 
Es besteht also die Aussicht selbst bei hochgradiger CO-Vergiftung, dass, 
wenn eben das Leben fortdauert, nach und nach das CO verschwindet, und 
damit die Vergiftungserscheinungen überwunden werden. 

Ich versage mir, auf die von Herrn Fürbringer angeregten Verhält¬ 
nisse von Nachkraukheiten der CO-Vergiftung einzugehen. So interessaut. 
eine solche Besprechung an dieser Stelle wäre, so würde es doch unsere 
Discussion zu weit führen. 

Herr P. Guttmann: Ich kann die Frage von Herrn Leyden, ob 
ich mich mit meiner Behauptung, dass das Kohlenoxyd aus dem Blute durch 
anhaltende Schüttclung desselben mit athmosphärischer Luft allmählich ver¬ 
schwinde, auf experimentelle Erfahrungen stütze, bejahen. Diese Erfahrungen 
datiren von Donders, Zuntz, Eulenberg, Gr^hant, Jäderholm, 
Li mau und Anderen; durch diese Untersuchungen ist nachgewiesen, dass, 
wenn ein solches Kohlenoxydblut längere Zeit mit athmosphärischer Luft 
geschüttelt wird, oder wenn Sauerstoff beziehungsweise athmosphärische Luft 
anhaltend bindurchgetrieben wird, ja auch, wenn es ruhig Tage lang an der 
freien Luft steht, allmählich das Kohlenoxyd aus dem Blute verschwindet 
Das ist skeptroskopisch nachzuweisen. Das normale Blut zeigt im Skeptro- 
skop bekanntlich zwei Absorptionsstreifen zwischen den Frauenhofer’schen 
Linien D und E; dieselben verschwinden durch Zusatz von Schwefelammonium 
infolge der Reduction, und es tritt statt derselben (etwa in der Mitte 
zwischen beiden) ein breiter Streifen auf, der des reducirten Hämoglobin 
(Zeichnung an der Tafel). Das ist nun auch der Fall, wenn aus dem 
Kohlenoxydblut das Kohlenoxyd wieder verschwunden ist. Wenn man hin¬ 
gegen zu Kohlenoxydblut Schwefelammonium hinzusetzt, so tritt keine Re¬ 
duction ein, es bleiben also die beiden Absorptionsstreifen im Spectrum, 
zwischen D und E, bestehen. 

VÜL Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Originalbericht.) 

Sitzung am 12. December 1888. 

Vorsitzender: Herr Virchow. 

1. Herr Küster: Empyem-Operationen (Vorstellung von Kranken), 
j Vortragender hat seit 1873 110 Fälle von Empyem operirt, und zwar geht 
| er dabei von dem Grundsätze aus, so früh wie möglich durch Resection von 
i einer oder mehreren Rippen die Höhle zu eröffnen und die Oeffnuug stets am 
tiefsten Pnnkt anzulegen. Unter den Operirten befinden sich unter Anderen 
eine grössere Anzahl von Kindern. In einer früheren Discussion in der 
Berliner medicinischen Gesellschaft wurde, wie auch sonst von Vertretern 
der innern Medicin, hervorgehoben, dass man in Fällen von Empyem bei 
Kindern häufig ohne Operationen auskomme, und gegen die Radicaloperation 
der Einwand gemacht, es entstehe nothwendig eine Deformität des Thorax, 
die sich hinterher nicht wieder ausgleiche. Um diesem Einwand zu begegnen, 
führt der Vortragende eine Anzahl von Kindern vor, bei denen vor 
Jahren — bei einzelnen in einem Alter von weniger als einem Jahr — 
die Operation ausgeführt worden. Von einer Deformität ist in keinem 


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1056 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Falle die Rede. Desgleichen ist von den meisten Vertretern der inneren 
Medicin der Standpunkt festgehalten worden, man solle bei Empyem Tubercu- 
löser nicht radical operireu, sondern nur imNothfalle die Punctiou machen. 
Auch von dieser Gruppe der Empyemkranken stellt Herr Küster einen 
Operirten vor, der sich eines relativ ausserordentlich guten Wohlbefindens 
erfreut. (Herr Küster wird demnächst in einem Vortrage eingehender auf 
diesen Gegenstand zurückkommen.) 

2. Herr A. Blaschko: Ueber Dermatitis herpetiformls. Im Jahre 
1884 wurde zuerst von dem amerikanischen Dermatologen Dühring unter 
dem Namen Dermatitis herpetifonnis ein Krankheitsprocess beschrieben, 
der sich in das Hebra’sche System nicht einfügen Hess und welchen 
Dühring — nicht ganz ohne Widerspruch seitens anderer Autoren — 
als eine Krankheit für sich betrachtet wissen wollte. Zwei von dem Vor¬ 
tragenden beobachtete Krankheitsfälle gehören in die von Dühring gekenn¬ 
zeichnete Gruppe und mögen gleichzeitig die Eigenart derselben illustriren. 
Der erste Fall betraf eine 25jährige Frau, welche im Anschluss an ihr 
zweites Wochenbett vor 2'/a Jahr zuerst erkrankte. Einige Tage nach der 
Entbindung traten plötzlich auf Annen, Brust, Bauch, Gesicht und später 
auch auf den Oberschenkeln, heftig juckende rothe Flecken, Bläschen und 
Pusteln auf. Die Erkrankung hielt damals etwa zwei Monate an und endete 
spontan mit Genesung. Die Frau war gesund bis zum Frühjahr dieses 
Jahres, wo sie infolge eines Aborts an Blutungen litt, welche eine Aus¬ 
kratzung der Gebärmutter nöthig machten. Drei Tage darauf wurde sie von 
dem gleichen Ausschläge befallen. Es fanden sich in den verschiedensten 
Formen rothe Flecke, Bläschen, Knötchen und einzelne kleine Pusteln, 
zumeist aber Bläschen von .Stecknadelknopfgrösse auf geröthetem Grunde, 
daneben noch einige grössere Blasen, etwa von Erbsengrösse. Die Erup¬ 
tionen traten theils vereinzelt auf, theils auch in Gruppen, vorwiegend an 
den Beugeseiten des Arms, an Brust und Bauch. Während der ersten acht 
Tage der Beobachtung trat keine neue Attake auf, dann schossen wieder 
unter heftigem Jucken zahlreiche Bläschen an den Armen hervor. Nach 
(Jebrauch von Solutio Fowleri Hess die Erkrankung nach, überall dunkel¬ 
braune Pigmentflecke zurücklassend, die noch zwei Monate später, aber 
bedeutend abgeblasst, vorhanden waren. 

Der zweite Patient, welchen Herr Blaschko mit den Residuen seiner 
Erkrankung vorstellt, hat dieselbe seit November vorigen Jahres, wo zuerst 
plötzlich in beiden Kniekehlen handtellergrosse, heftig juckende rothe Flecke 
entstanden, auf denen sich in einigen Tagen Bläschengruppen entwickelten. 
Seitdem sind in mehrwöchentlichen Pausen noch an anderen Körperstellen 
ähnliche, zumeist herpesartige Exantheme zum Vorschein gekommen. Seit 
August dieses Jahres ist der Kranke in der Behandlung des Vortragenden. 
Auch bei ihm ist nach Gebrauch von Arsenik Besserung eiugetreten. Ein 
eigentlicher Anfall ist in letzter Zeit nicht mehr vorgekommen, und nur von 
Zeit zu Zeit einige wenige juckende Bläschen und grössere Blasen aufge¬ 
schossen. Auch hier sind au den ergriffenen Stellen Pigmentirungen der 
Haut zurückgeblieben. 

Schon von einzelnen Dermatologen der vorhebra’schen Zeit sind unter 
verschiedenen Namen Krankheitsbilder beschrieben, die dem von Dühring 
aufgestellten sehr nahe kamen und deren Charakteristisches in einem an¬ 
fallsweise auftretenden, vielgestaltigen, meist bläschenförmigen, mit Haut¬ 
jucken verbundenen und Pigment hinterlassenden Exanthem bestand. Nimmt 
man alle diese Beobachtungen zusammen, so wird man kaum umhin können, 
diese Erkrankungsform als eine Gruppe für sich aufzufassen Ueber die 
Aetiologie derselben ist heute noch nichts Gewisses zu sagen; manches weist 
darauf hin, dass nervöse Einflüsse im Spiele sind, doch bedarf es nach dieser 
Richtung noch weiterer Beobachtungen. Die Therapie anlangend wurde 
schon erwähnt, dass in den Fällen des Vortr. eine Arsenikmedication von 
Erfolg begleitet zu sein schien. 

3. Herr G. Behrend: Ueber Nervonlätriou and Haarausfall mit, 
Bezog auf die Alopecia areata. Joseph hat nach Excision des Inter¬ 
vertebralganglion des zweiten Cervicalnerven bei Katzen stets einen Haar¬ 
ausfall beobachtet, der dem Haarausfall bei Alopecia areata ausser¬ 
ordentlich ähnlich war, und schloss daraus, dass die Alopecia areata, 
wenigstens in einer grossen Reihe von Fällen eine trophische Störung sei, 
während Vortr. auf Grund seiner Untersuchungen die Erkrankung für eine 
Störung vasomotorischer Natur halten zu müssen glaubte. Er hat nun im 
physiologischen Laboratorium des Herrn Prof. Zuntz unter Mitwirkung des 
Herrn Dr. I. Munk au einer Reihe von Katzen genau in derselben Weise 
experimentirt wie Joseph, und in keinem einzigen von 9 Fällen dasselbe 
Resultat erhalten, obwohl die Katzen bezw. 9, 10, 12, 20, 23, 63, 120 Tage 
nach der Operation lebten. Zwei der Thiere, an denen die Excision des 
Ganglion vor 10 und 20 Tagen ansgeführt worden, demonstrirt der Vortr. 
und stellt dieselben, um den Nachweis zu führen, dass das Ganglion in der 
That total exstirpirt ist, zu einer eventuellen Section zur Verfügung. 

Herr Joseph hält die 9 negativ ausgefallenen Versuche des Vortr. 
nicht für beweisend gegenüber seinen eigenen 12 positiven Experimenten. 
Auch er hatte, als er seine Versuche begann, eine grosse Reihe von Miss¬ 
erfolgen und hofft, dass Herr Behrend, wenn er seine Versuche fortsetzt, 
noch zu dem gleichen Ergebnisse kommen wird. 

Herr Behrend erwidert, dass er nicht beabsichtige, diese Versuche 
weiter fortzufübren, da dieselben bisher schon zur Genüge zeigten, dass die 
Excision des Ganglion durchaus nicht, wie Herr Joseph in allen seinen 
Arbeiten berichtet habe, stets einen Haarausfall zur Folge habe. 
Dass Herr Joseph trotz vollständiger Entfernung des Ganglion einen Haar¬ 
ausfall nicht eintreten sah, sei ein Geständniss, mit welchem er erst jüngst 
und zwar auf Drängen Samuel’s hervortrete. Hätte Joseph in seinen 
früheren Publicationen offen gesagt, dass er nach regelrecht ausgeführter 
Operation in 37 Fällen nur 12 mal einen Haarausfall beobachtet habe, so 
würde Niemand zwei Jahre hindurch mit Herrn Joseph geglaubt haben, 
dass dieser Haarausfall von der Nervenläsion abhänge. 

Herr I. Munk hält es für ganz unwahrscheinlich, dass bei einem so einfachen 
Experiment erst eine ganze Reihe negativer und dann auf einmal lauter 


No. M 


positive Erfolge auftreten sollten, da es ein allgemeines Gesetz in der Physio¬ 
logie sei, dass, wenn ein Nerv eine bestimmte Function habe, mit der Eli¬ 
mination dieses Nerven jene Function aufhöre, und wenn, wie Herr Joseph 
behauptet, ein Nerv eine trophische Function auf das Haarwacbsthum habe, 
so müsse mit Entfernung dieses Nerven dieser Einfluss stets fortfallen, 
negative Erfolge dürften höchstens ganz ausnahmsweise eintreten. 

4. Discussion über den Vortrag des Herrn v. Bergmann: Geheilter 
Hirnabscess. Herr A. Hart mann theilt die Beobachtungen mit, die er bei 
dem von Herrn v. Bergmann vorgestellten Patienteu machte, bevor er 
denselben zur Operation überwies. Herr Hartmann ist durch die Aeusserung 
am Schluss des Vortrages des Herrn v. Bergmann befremdet worden, das* 
die Ohrenheilkunde bei der Behandlung von Ohreiterungen im Stiche lasse. 
Er hält die von Herrn v. Bergmann getadelten Ausspritzungen des Ohre' 
für erforderlich und glaubt sich damit in Uebereinstimmung zu befinden mit 
den englischen Chirurgen, die in den letzten Jahren in Bezug auf die Behand¬ 
lung von Hirnabscessen die günstigsten Erfolge zu verzeichnen haben und die 
besonderen Werth darauf legen, dass vor der Operation die Paukenhöhle ge¬ 
reinigt wird. Die englischen Chirurgen haben ihre schönen Erfolge gerade 
durch ihr Zusammenwirken mit der Ohrenheilkunde erzielt. — Die Methode der 
Ausspritzung ist eine ganz allgemein und überall mit den günstigsten Ergeb¬ 
nissen geübte. Es kommen ja Fälle vor, wo im Verlauf oder sogar in 
Folge dieser Methode der Ausgang ein unglücklicher ist, aber so lange 
diese Fälle die Ausnahme von der Regel bilden, uud so lange nichts bessere> 
an die Stelle gesetzt ist, wird man von einem allgemein bewährten Heilver¬ 
fahren nicht abgehen können. 

Herr v. Bergmann hat wiederholt Fälle vou Ohrenärzten zugewiesen 
bekommen, in denen Hirnabscesse, die von Ohreneiterungen ausgingen, schon 
durchgebrochen waren, und das ist begreiflich, denn wenn ein Hirnabsces' 
beginnt, Erscheinungen zu machen, so ist der Verlauf in der Regel ein rapider, 
und jedes Warten mit der Operation ist gefährlich. Herr v. Bergmann 
will keineswegs auf ein Zusammenwirken mit der Ohrenheilkunde verzichten, 
namentlich hat es in keiner Weise in seiner Absicht gelegen, mit Bezug 
auf den vorliegenden Fall gegen den behandelnden Ohrenarzt eine Anklag*- 
zu erheben. Er hat vielmehr ausdrücklich in seinem Vortrage betont, dass 
in diesem Falle der Hirnabscess nicht in direktem Zusammenhang mit der 
Mittelohreiterung stand, so dass also hier von einem direkten Hiueintreiben 
der Eitermassen keine Rede sein konnte. Aber er glaubt andererseits seine 
Bedenken nicht verschweigen zu dürfen gegenüber der vou ihm wiederholt 
beobachteten Thatsache, dass Ohrenärzte mit einer Vehemenz ausspritzeD. 
die ihm für die Kranken gefahrbringend erscheint. 

Herr Küster hält es nach seinen Erfahrungen für wünsebenswerth. 
dass in einer grossen Zahl von Fällen bei hartnäckigen Ohreueiterungen. 
die der gewöhnlichen Behandlung nicht weichen wollen, die Aufmeisselung 
des Processus mastoideus eher in Erwägung gezogen wird, als dies bisher 
zu geschehen pflegt. Man muss hierbei die Fälle unterscheiden, wo die 
Erkrankung primär im Processus mastoideus ihren Sitz hat und von da 
nach dem äusseren Gehörgang durchgebrochen ist, von denen, wo die Otitis 
sich secundär auf den Processus mastoideus verbreitet hat. Zu der ersten 
Gruppe gehört wahrscheinlich die grössere Zahl der Cholesteatome; wenn man 
in solchen Fällen die Aufmeisselung vornimmt, das Cholesteatom beseitigt 
und die Wunde tamponirt, hört in der Regel die Eiterung auf, das listig«- 
und nicht unbedenkliche fortwährende Ausspülen des Ohres wird sofort über¬ 
flüssig. Hierhin gehören ferner die ebenfalls nicht seltenen tuberkulöseu 
Erkrankungen des Processus mastoideus, die in der Regel über kurz oder 
lang eine Betheiligung des Mittelohrs zur Folge haben. Wenn man hi«-r 
den käsigen Herd vollständig •limiuirt, so erzielt man iu der grösseren Mehr¬ 
zahl der Fälle Heilung. Eine dritte Affection, welche primär im Proeessu-. 
mastoideus Vorkommen dürfte — Redner hat selbst keinen ganz sichereu 
Fall beobachtet — ist die Osteomyelitis. 

Was dann zweitens die Fälle anlangt, wo die Eiterung sich von einer 
primären Mittelohrentzündung auf den Knochen fortleitet, so ist auch hier 
ein allzu langes Abwarten nicht geboten. Das Operationsverfahren in diesen 
Fällen ist abhängig davon, ob das Trommelfell und die Gehörknöchelchen noch 
intact, resp. eine einfache Perforation des Trommelfells vorhanden, oder ob da> 
Trommelfell nahezu total zerstört, die Gehörknöchelchen ausgestossen sind. 
In letzterem Falle ist das Ohr ohnehin verloren; Herr Küster meisselt des¬ 
halb iu solchen Fällen bis in das Mittelohr durch und bringt von der hintereu 
inneren Oeffnung ein Drainrohr ein bis durch den äusseren Gehörgang. Auf 
diese Weise wird eine Eiteransamralung vollkommen verhindert, und fast in 
allen Fällen pflegt prompte Heilung einzutreten. In den Fällen, wo es sich 
darum bandelt, Trommelfell und Gehörknöchelchen zu erhalten, begnügt 
sich Redner damit, den knöchernen Gehörgang anzumeisseln und dann 
gleichfalls ein Drain durchzuführen, welches nach aussen vom Trommelfell 
vorbeiführt. Die Eiterentleerung ist dann allerdings keine so vollkommene, 
aber es lässt sich doch durch die seitlichen Oeffnungen des Drains unter 
geringem Druck Spülflüssigkeit einbringen, und die mit diesem Verfahren 
von dem Redner erzielten Resultate sind recht zufriedenstellende gewesen 

IX. Journal-Revue. 

Pathologische Anatomie und Mykologie. 

13. 

M. A. Raskina. lieber die Darstellung durchsichtiger 
fester Nährböden aus Milch und die Züchtung einiger 
pathogenen Bacterien auf dieseu Nährböden. (Aus dem 
klinisch-bacteriologischen Laboratorium des Professor Afanassje* 
in Petersburg). Wratsch No. 40 und 41, 1887. 

Von dem Gedanken ausgehend, dass Milch ein guter Nährboden 
für Mikroorganismen sei, versuchte Verf., dieselbe als künstlichen 
Nährboden für Bacterien zu benützen. »Solche Versuche sind wohl 
schon früher gemacht worden, doch sind dieselben wegeu der uu- 


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20. December. DEUTSCHE MEDICINISOHE WOCHEN8CHROT. 1057 


geeigneten Bereitungsweise gescheitert. Verf. • bereitet aus Milch 
zweierlei Nährböden, einen mit Beibehaltung des Caseins und einen 
zweiten, wo das Casein durch Pepton ersetzt ist; für die Be¬ 
reitung der Milchpeptongelatiue giebt Verf. folgeude Vorschrift: 
1000 ccm frische unabgeschöpfte Milch werden in einer Porzellan¬ 
schüssel auf 60—700 C erwärmt, worauf 70—100 g (7—10%) Ge¬ 
latine zugesetzt werden. Wenn letztere sich aufgelöst hat, lässt 
man die Milch aufkochen und durch 2—3 Minuten sieden, wobei 
das Casein ganz gerinut. Das geronnene Casein wird von dem 
Serum durch Durchpressen durch eine vierfache Organtiulage abge¬ 
sondert. Die auf diese Weise erhaltene Mischung von Serum und 
Gelatine hat eine schwach sauere Reaction und enthält ziemlich 
viel Fett; um letzteres fortzuschaffen, giesst man die Mischung in 
ein hohes und breites Glasgefäss und stellt sie für eine kurze Zeit 
in den Thermostaten. Nach 15—20 Minuten bilden sich zwei 
Schichten, eine untere feste durchsichtige und eine obere gelblich- 
weisse, trübe Schicht, die fast ausschliesslich aus Fettkörpern be¬ 
steht. Lässt man nun die ganze Masse erkalten, so wird die untere 
Schicht fest, und man kann leicht die Fettschicht mittelst eines 
Spatels wegnehmen. Die übrige Masse wird bis zum Sieden er¬ 
wärmt, mit 1 °/o Pepton versetzt, mit Soda bis zur schwach alkali¬ 
schen Reaction neutralisirt und durch ein Papierfilter filtrirt. Das 
Filtrat ist vollkommen durchsichtig, fast farblos oder schwach gelb¬ 
lich, wird bei gewöhnlicher Zimmertemperatur fest und trübt sich 
im Darapfapparat nicht. 

Etwas complicirter ist die Bereitung des Milchpeptonagar. Zu 
1000 ccm Milch werden 50 ccm (5%) Glycerin und 7 g Agar hin¬ 
zugesetzt, worauf man die Mischung 12—24 Stunden an einer kühlen 
Stelle stehen lässt. Das Glycerin wird hinzugefügt, um für einige 
Zeit die Gerinnung der Milch zu verhindern; nach Ablauf des ge¬ 
nannten Zeitraums ist das Agar aufgequollen, und die Milch be¬ 
kommt eine neutrale Reaction, wenn sie alkalisch war oder eine 
schwach saure, wahrscheinlich wegen der beginnenden sauren Gäh- 
rung. Diese Mischung wird nun 1 —1'/4 Stunden erhitzt, bis das 
ganze Casein geronnen und das Serum genügend klar ist, bis 
dahin ist auch das Agar gelöst. Das weitere Verfahren gleicht dem 
für die Milchpeptongelatine angegebenen. Beim Kochen verdampfen 
ungefähr 300 ccm Wasser, die man nicht zu ersetzen braucht, da 
man von vornherein darauf bedacht war, indem man statt 1% nur 
7 /io% Agar hinzugefügt hat. 

Um einen Nährboden aus Milch und Casein zu bekommen, 
muss man Serumgelatine oder Agar besonders und eine Lösung von 
Casein besonders bereiten. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, 
ein reines, fettfreies und leichtlösliches Casein zu erhalten. Die 
bequemste Methode ist nach Verf. folgende: Ein bestimmtes Volum 
unabgeschöpfter oder noch besser abgeschöpfter Milch wird bei 
Zimmertemperatur 48 Stunden stehen gelassen. Die Oberschicht 
wird weggenommen, und die unteren Schichten auf 70° C 15 bis 
20 Minuten erwärmt, wodurch das Casein dichter und aufgequollen 
wird und von dem Serum leichter getrennt werden kann. Das gut 
ausgedrückte Casein wird mit 95% Alkohol durchgewaschen, ge¬ 
trocknet, zu einem dünnen Pulver verrieben und in einem Kolben 
mit Aether und Alkohol so lange geschüttelt, bis alles Fett extrahirt 
ist; nun wird das Casein zwischen zwei Fliesspapierblättern ge¬ 
trocknet und 10—15 Minuten auf 120—140° erwärmt, wobei es in 
zähe, klebrige Stücke verwandelt wird, die durch Waschung in 
einer schwachen Lösung von Aetznatron durchsichtig werden und 
getrocknet eine harte Consistenz bekommen. Dieses Casein ist 
leicht löslich in alkalischem Wasser und giebt eine durchsichtige 
Lösung. Die Bereitung der Serumgelatine oder Agar geschieht hier 
folgender Maassen: 500 ccm Milch werden auf 60—70° C erwärmt 
und bis auf % des früheren Volums verdampft, hierauf werden 45 g 
Gelatine (12o/ 0 ) hinzugefügt und weiter wie bei der Bereitung der 
Milchpeptongelatine verfahren, nur mit dem Unterschiede, dass weder 
Pepton noch ein Alkali zugesetzt werden. Die durchfiltrirte Mischung 
von Gelatine und Serum, die bis auf 60° erwärmt wird, wird 
mit 125 ccm Casein versetzt. Dieser Nährboden enthält 2 l /a °/o Casein 
und mehr als 9% Gelatine. In derselben Weise wird auch Agar 
zubereitet. Der mit Agar bereitete Nährboden wird bei 96 o C ver¬ 
flüssigt und erstarrt bei 35 bis 36° C, während Fleischpeptonagar 
bei 40° erstarrt. 

An Stelle des Casein kann man vortheilhafter Natronalbuminat 
benützen, dessen Bereitung viel einfacher ist und Casein gegenüber 
den Vorzug hat, dass der Nährboden vollkommen durchsichtig ist. 
Die vom Verf. angewendete Darstellungsweise des Natronalbuminats 
ist eine Modification der Lieberkühn’schen Methode: Das Eiweiss 
von ganz frischen Eiern wird mit einem Glasstab unter tropfen¬ 
weisem Zusatz einer gesättigten Lösung von Aetznatron so lange 
gerührt, bis das ganze Eiweiss in eine harte, durchsichtige, sulzige 
Masse umgewandelt ist, welche mit einem durchgeglühten und aus¬ 
gekühlten Messer in kleine Stücke geschnitten wird, die in einem 
Kolbeu mit destillirteiu Wasser‘gewaschen und einige Stunden bei 


Zimmertemperatur stehen gelassen werden. Allmählich wird diese 
harte Masse wieder verflüssigt uud in eine durchsichtige gelbliche 
Flüssigkeit umgewandelt, die beim Kochen nicht gerinnt, die aber 
beim Zusatz von Säuren einen sehr reichen Niederschlag giebt, der 
sieb bei Säureüberschuss wieder löst. Um einen festen durchsich¬ 
tigen Nährboden mit diesem Natronalbuminat darzustellen, wird in 
die kochende Mischung von Serumgelatine oder Agar das flüssige 
Albuminat im Verhältuiss von 1—3% hinzugefügt, worauf man 
noch 1—2 Minuten kocheu lässt und filtrirt. Die Neutralisation ist 
hier nicht nothwendig, da das Natronalbuminat selbst alkalisch reagirt. 

Verf. hat bis jetzt folgende 6 Bacterienarten auf den Milch¬ 
nährböden mit Erfolg gezüchtet: Rotzbacillen, Kommabacillen, 
Typhusbacillen, Pneumoniebacillen, Staphylococcus aureus und albus. 
Diese Mikroorganismen wachsen auf den Milchnährböden ebeuso 
gut. manche sogar rascher als in den Fleisehnährböden. 

Schuirer. 


X. Oeffentliches Sanitätswesen. 

Uebersieht über die wichtigsten Ereignisse auf dem Ge¬ 
biete des Militärsanitätswesens im Jahre 1887. 1 ) 

Von Dr. W. Roth, 

Generalarzt 1. Classe und Corpsarzt des XII. Königlich Sächsischen Armeecorps. 

Die wichtigste Tbätigkeit entwickelt das Militärsanitätswesen jederzeit 
im Kriege, und muss daher eine vergleichende IJebersicht über die Leistungen 
auf diesem Gebiet an die Spitze gestellt werden. 

Der deutsch-französische Krieg hat im Jahre 1887 keinen neuen 
Band des Sanitätsberichtes über denselben entstehen sehen, die neuesten 
erschienenen Bände sind aus dem Jahre 1888, und nähert sich damit, das 
klassische Werk, welches sein ursprüngliches Vorbild, die ärztliche und 
chirurgische Geschichte des amei ikanischen Secessionskrieges weit hinter 
sich lässt, seinem Abschluss. 

Von dem russisch-türkischen Kriege 1877—1878 ist der III. Band 
erschienen, wie die früheren, unter dem Namen des früheren Hauptmedicinal- 
inspectors Koslow, welcher inzwischen ausser den russischen Originalbe¬ 
richten auch einen Auszug in französischer Sprache aus den beiden früheren 
Bänden hat erscheinen lassen. Der letzte III. Band behandelt die sanitäre 
Geschichte der Occupation von Bulgarien und die Angaben über die kriegs- 
gefangenenTürken, erstere von Lwow, letztere von Goldenberg erstattet. 
Das Occupationscorps setzte sich zusammen aus 3 152 Offizieren und Beamten 
und 111448 Mann, darunter 3 volle Armeecorps mit 2 Cavalleriedivisionen 
und 8 temporären Kriegshospitälern. Die Beschäftigung der Truppen be¬ 
stand in einem sehr ausgedehnten Wachtdienst und Arbeiten im öffentlichen 
Interesse, die Verpflegung war durchaus gut. Die sanitären Verhältnisse 
waren günstig, anstrengende Märsche waren nicht zu machen. Fast die 
Hälfte der 55561 Kranken, die vom 1. März bis 1. August behandelt wurden, 
waren Wechselfieber, der 6. Theil Typhuskranke, die Sterblichkeit betrug 
bei letzteren 4,17 %, im Ganzen 6,50 °/oo bei den Kriegsgefangenen. Ueber- 
raschend sind die grossen Differenzen der Stärkeangaben. Die türkische 
Armee hat nach den einen Angaben 113 015, nach den anderen 90 000 Ge¬ 
fangene an Russland verloren. Nach offiziellen Angaben überschritten 
67 000 gefangene Türken die rumänische Grenze, nach Verpflegungsrapporten 
nur 57 638. Werden hiervon 12 755 Gefangene der Kaukasusarmee abge¬ 
zogen, so bleiben nur 44883 für das Kriegstheater an der Donau übrig. 
Wenn man als mittlere Zahl 62 621 Gefangene zu Grunde legt, so erkrankten 
857,8, starben 841,1 o/oo, von 100 Erkrankten 15,40%. Von 100 Ver¬ 
storbenen kamen 42 auf Typhus, 13 auf acute Entzündung der Athmungs- 
organe, 12 auf Schleimdurchfall, 10 auf blutigen Durchfall. Als bedingend 
für die hohen Sterblichkeitsziffern sind die Winterkälte bei Mangel an 
warmer Kleidung, der Uebergang in ein rauhes Klima, die Erschöpfung des 
Organismus durch Strapazen und die Empfänglichkeit für Infectionskrank- 
heiten anzusehen. 

Sehr interessante sauitäre Gesichtspunkte bietet der Feldzug der Ita¬ 
liener in Abessinien. Dieselben haben in dem 15. Grad 37 Minuten 
nördlicher Breite und 39. Grad 37 Minuten östlicher Länge gelegenen, höchst 
uusalubren Massaua ein geologisch wie klimatisch höchst ungünstiges 
Terrain, in der Hauptsache Coralleninseln. in Besitz genommen. Das Grund¬ 
wasser enthält sehr viele organische Substanz und hat einen pestilenzialischen 
Geruch. Während die Insel selbst jeder Vegetation baar ist, findet sich iiu 
Hafen eine sehr reiche submarine Flora, die aber wegen der vielen Zer- 
setzungsproducte, die von ihr geliefert und welche bei den flach abfallenden 
Ufern in Menge an das Land gespült werden, in hygienischer Beziehung für 
Massaua sehr nachtheilig ist. Die Luft ist in Massaua in der Regel absolut 
still, und es ist daher die 32—42° C betragende Temperatur bei dem Fehlen 
jedes Windes oft ganz unerträglich, um so mehr, als die Luft in der Regel 
einen sehr grossen relativen Feuchtigkeitsgehalt hat, doch kommen, wie über¬ 
haupt im ganzen Rothen Meere, bisweilen auch plötzlich heftige Stürme 
und Wirbelwinde auf. Das Klima von Massaua, seiner Hitze wegen berüch¬ 
tigt, sodass Djidda ein Kochtopf, Massaua aber die Hölle geuannt wird, hat 
zwei heisse Perioden, die eine zu Anfang des Jahres, die andere von Mai 
bis October. Die Vorschiebung der Besatzung des Landes nach Westen 
führte am 25. Januar zu einem Gefecht mit den Abessiniern des Ras 
Alula bei Saati, am 26. Januar wurde eine italienische Colonne von etwa 
500 Mann, welche unter Führung des Oberstlieutenant de Cristoforis 
Munition und Lebensmittel von Monkullo nach Saati bringen sollte, zwischen 
diesen beiden Orten (bei Dogali) von einer starken abessinischen Ueber- 


') Vortrag, gehalten in der Section für Militär - Sanitätswesen der 
61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


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1058 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 51 


macht angegriffen und nach mehrstündiger maunhafter Gegenwehr bis auf 
den letzten Manu niedergemacht, einzelne Verwundete fanden dadurch 
Rettung, dass sie vom Gegner für todt gehalten wurden. Verlust der 
Italiener 23 Offiziere, darunter die Sanitätsoffiziere Gasparri und Feretti, 
396 Mann todt, 1 Offizier, 78 Mann verwundet. Als die Nachricht von 
dieser Niederlage nach Rom gelangte, wurde zunächst im Laufe des Februar 
bis April eine Verstärkung der afrikanischen Truppen um 5 Infauterie- 
hataillone, 3 Alpencompagnieen, 1 Escadron, sowie die entsprechenden Ar¬ 
tillerie- und Genietruppen vorgenommen, und hierauf unter dem 10. Juli 
1887 ein afrikanisches Sondercorps als Colonialtruppe in der Stärke von 
238 Offizieren und 4762 Mann (darunter eine Sanitätscompagnie mit 5 Offi¬ 
zieren und 100 Mann) gebildet. Das neue Corps trat im October 1887 
zusammen und wurde bis zum December auf 15 grossen Dampfern bei 
Massaua ausgeschifft. Dasselbe bestand aus deu Besatzungstruppen bei 
Massaua, dem afrikanischen Sondercorps und der neuen afrikanischen Bri¬ 
gade, Alles in Allem 23 Bataillone Infanterie, 2 Escadrons, 9 Compagnioen 
beziehungsweise Batterieen Artillerie, 3 Train-, 5 Genie-, 2 Sanitäts- und 
2 Lebensmittelcompagnieen, entsprechend 710 Offizieren, 17 630 Mann regu¬ 
lärer Truppen und etwa 1700 Baschi-Bozuks. 

Für das neue Corps wurden von dem Sanitätsgeneral Machiavclli 
hygienische Instructionen gegeben, welche nach dem Muster der für die 
Engländer in Suakim ausgearbeitet sind und grosse Bedeutung haben. Bei 
der Bekleidung und Ausrüstung der Offiziere, wie der Mannschaften, die im 
Allgemeinen den jetzigen, man möchte sagen, internationalen Anforderungen 
entsprechen, fällt der sehr reiche Maassstab auf, besonders bei der Ausrüstung 
der Offizierszelte. Auf den Transportschiffen wird ausgiebiger Raum ver¬ 
langt, für den Wasserbezug amerikanische Röhrenbrunnen, Destilliren und 
Abkochen. Der Minimalsatz von 5 Liter pro Kopf erscheint als Deckung 
des Gesammtbedarfs einschliesslich des Verdampfungsverlustes ziemlich nie¬ 
drig gegriffen. In der Verpflegung sind mit Recht gutes Küchenpersonal 
neben gutem Material in den Vordergrund gestellt, besonders werden Ge¬ 
würze betont, sowie auch Gemüse und Obst. Zum Backen des Brodes lässt 
sich auch Seewasser verwenden. Als Latrinen werden Tonnen auf Schub¬ 
karrengestellen in offenen Zelten mit täglicher Abfuhr und Dcsinfeetion mit 
salzsaurem Eisenoxydul oder Chloralaun in Aussicht genommen. Für die 
Schlächtereien in den Lagern werden strenge hygienische Gesichtspunkte 
verlangt. Für das Tränken der Thiere sowie der Schlacht- wie Nutzthiere 
sollen Maulkörbe aus Ilaargewebe in Anwendung kommen, um das Ver¬ 
schlucken der Blutegel zu verhindern. Für die Beschäftigung der Truppen 
ist die Thatsache wichtig, dass Morgens und Abends Malaria, Mittags Inso¬ 
lation zu fürchten sind. Zur Unterbringung der Kranken dienen Revier¬ 
krankenstuben (Baracken mit Luftfächern), Feldlazarethe und Schiffshospitäler, 
letztere für Infectiöse, zu Beobachtende und Reconvalesconten. Als Methode 
der Leichenbestattung wird die Leichenverbrennung in folgender Weise 
gerathen. Auf einem Oementfundament von 2 m Länge und l'/jm Breite 
wird eine Schicht Kohlen ausgebreitet, denen theergetränktes Werg in 
genügender Menge beigemischt ist. Der Cadaver wird mit Pech oder Harz 
reichlich bedeckt und dann in ein getheertes Tuch geschlagen. In diesem 
Zustande gelangt er auf den Scheiterhaufen, wird daselbst mit Kohle, Harz, 
Petroleum und Holz eingedeckt und angezündet. Die vollkommene Ver¬ 
brennung zu Asche soll in wenigen Stunden vor sich gehen. Es muss nach 
den bisherigen Erfahrungen als mindestens zweifelhaft erscheinen, ob mit so 
einfachen Mitteln, zumal in einem holzarmen Lande eine vollständige Ver¬ 
brennung der Leichen zu erreichen ist; wird sie schon bei Menschenleichen 
schwer sein, so greifen diese Bedenken noch mehr bei Thierleichen Platz, 
die in gleicher Weise beseitigt werden sollen. Ob diese sehr gut gear¬ 
beiteten hygienischen Instructionen noch weitere Verwendung finden werden, 
hängt von den Zeitverhältnissen ab, jedenfalls bilden sie zusammen mit 
«lenen für die englischen Truppen in Suakim ein Muster hygienischer Schutz- 
maassregeln für Kriege im heissen Tropenklima. 

Der Krieg der Franzosen in Tonking gehört nicht mehr unter 
die regulären Feldzüge. Er stellt nur noch den Einfluss eines mörderischen 
Klimas auf die Gesundheit der Occupationstruppen dar. Es liegen sehr 
werthvolle Arbeiten von französischen Sanitätsofficieren, namentlich der Ma¬ 
rine, hierüber vor. Es finden sich die vier Jahreszeiten der gemässigten 
Zone: ein heisser Sommer, ein milder, aber ausgesprochener Winter, zwischen 
beiden kurze Uebergangsperioden, fünf gute Monate vom November bis Ende 
März, fünf schlechte Monate von Mai bis Ende September und zwei leidliche 
Monate, der April und October. Von Mai bis Ende September hat Tonking 
den tropischen Charakter; Hitze und Regen, die Sonne im Zenith, 37° bei 
Tage und 85—36° C bei Nacht. Arbeit ist unmöglich und Ruhe nur nach 
kalten Waschungen zu erzielen. Ein Verlassen der Häuser kann nur zwischen 
5 und 7 des Abends oder in den'frühen Morgenstunden geschehen. Die 
Krankheiten, welche in Tonking beobachtet werden, sind in drei Gruppen 
zu theilen: 

I. Krankheiten, welche durch Klima und Bodenbeschaffenheit veranlasst 
werden: 1) Leberkrankheiten, 2) Dysenterie, 3) chronische Diarrhoe der 
heissen Länder, 4) Cholera, 5) Cholerine, 6) Malaria, 7) Sumpfanämie und 
Kachexie, 8) Insolation, 9) continuirliches Fieber, 10) multiple Furunkel, 
II) das anamitische Geschwür. 

II. Krankheiten, welche durch den Mangel sanitärer Prophylaxe und die 
Ausserachtlaasung hygienischer Gnindsätze entstehen: 1) Variola, 2) Lepra, 
3) Beri-beri, 4) parasitäre Krankheiten (Krätze, Herpes circinatus, Einge¬ 
weidewürmer), 5) venerische Krankheiten, 6) Pest. 

III. Eingeschleppte Krankheiten: Typhus. 

Während im Winter vorwiegend Erkältungskrankheiten beobachtet wer¬ 
den, treten vom Mai bis October Sumpffieber, Dysenterie und Leberaffectionen 
in den Vordergrund. Cholera ist endemisch und hat in einer Reihe von 
Jahren, namentlich von 1884—1887, grosse Verheerungen angerichtet. Eben¬ 
so eonstant herrscht Malaria in einem Lande, das % des Jahres unter 
Wasser steht, wie dies die Reiscultur mit sich bringt. Besonders gefährlich 
ist das Delta des rothen Flusse«. Bei den Surapffiebern ist der quotidiane 


und tertiane Typus unter dem Auftreten einer rapid zunehmenden Anämie 
das Gewöhnliche, Wald und Sumpf sind für die Infection gleich gefährlich. 
Gegen die Surapfkachexie ist eine baldige Abreise nach Europa das einzige 
Hülfsmittel, länger als 2—3 Jahre kann kein Europäer im Lande bleiben, 
soviel auch für die Verbesserung der Unterkunft in der letzten Zeit ge 
schehen ist. 

Aus den Kriegen der Engländer in Egypten werden jetzt noch 
einzelne Berichte veröffentlicht, die theils aus den früheren grösseren Feld¬ 
zügen, theils aus den einzelnen gelegentlichen Vorstössen stammen. Zu den 
ersteren gehört ein Bericht von Corban über das Lazareth zu Abu-Fatm». 
Dasselbe war ein Etappenlazareth für eine Strecke von 151 engl. Meilen uud 
enthielt 200 Betten in Baracken aus doppelten Matten, jede für 10 bi« 
12 Kranke, die als ein Muster improvisirter Baracken für Tropenverhältnisse 
gelten können. Das Lazareth nahm in 5 Monaten 83 Officiere und 931 ünter- 
officiere und Soldaten auf, von denen nur 3 Officiere und 25 Unterofficiere 
und Soldaten starben. Eine sehr interessante Uebersicht über den Weiter¬ 
transport der Kranken auf dem Nil zeigt auch bei diesem Berichte dir 
Schwierigkeiten der Ausnutzung dieser langen Etappenstrasse, welche ausser 
dem Krankentransport noch die Anlegung einer grossen Anzahl kleiner Lv 
zarethe bedingte. 

Ein kleiner Vorstoss von Wady-Halfa Ende 1885 nach Süden wuidr 
unter General Stephenson mit 264 Officiercu und 5873 Mann ausgeführt. 
Die feindlichen Dörfer wurden genommen mit unbedeutendem Verlust. Für 
den Krankendienst musste, wie immer in diesen Ländern, ein bedeutender 
Apparat aufgeboten werden: 7 Lazareth Stationen von der Basis (Assuan) bi> 
Koshe, ausserdem ein Feldlazareth mit 50 Betten, eine Krankenträger-Com¬ 
pagnie mit Kameelen, die 50 Mann anf einmal transportieren konnten. Der 
Rücktransport erfolgte in der oben angedeuteten Weise. 

Unter der Bezeichnung „Vorbereitungen eines Krieges zwischen 
England und Russland“ sind Studien der Oertlichkeit wie der Macht¬ 
mittel der etwa kriegführenden Mächte zu verstehen. Einschlagende Arbeiten 
hat der englische Sanitätsofficier O’Farrel auf Grund einer langen Dienst¬ 
zeit in Indien und Afghanistan geliefert. Die Ebenen des Sind und Punjal 
werden von Afghanistan und Beludschistan durch hohe Bergketten getrennt, 
ausserdem fliesst innerhalb der indischen Besitzungen der Indus. Die Eisen¬ 
bahn, welche von Peshawur nach Kuratschi im Flussthal entlang führt, i-: 
bei Sukkur unterbrochen, indem dort eine Dampffähre den Indus überschreitet. 

' und die Bahn dann auf dem rechten Ufer nach Kuratschi weiter geht. Zur 
Zeit verlaufen gegen die Grenze 4 andere Bahnen von Rawalpindi nach IV'- 
hawur (Khyberpass), eine zweite nach dem Knrumpass, und endlich eine 
vierte sehr wichtige von Sukkur nach Sibi, einem der Eugland dun-h dm 
Vertrag von Gaudamak zugefalleuen Districte. Diese Bahn, zwar nur 133 Meilen 
lang, hat eine besondere Bedeutung, da sie in die Thäler von Quetta, Pesbiu 
und Kandahar führt, d. h. in der Richtung, in welcher eine Invasion voraus- 
sichtlich erfolgen würde. 

Die wichtigsten Landstrassen von Sind nach Peshin, Kaudahar und 
Centralasien sind die Wege über Bolan und Harnai, welche eine eiudriu- 
gende Armee von Nordwesten nehmen würde, während die Abwehr de- 
Angriffs auf den Linien Kandahar-llerat oder Kandahar-Kabul erfolgen würde. 
Es folgt sodann eine eingehende Besprechung dieser Wege, von welchen die 
Bolan-Route durch die dominirende Lage von Quetta eine besondere Be¬ 
deutung hat, aber auch die Harnai-Linie für den Fall eines Rückzuges sehr 
wichtig ist. Afghanistan lässt zwei grosse strategische Dreiecke unterscheiden: 
Das des General Hamley und das andere von Lord Lytton. Das erstere hat 
zu seinen Ecken Herat, Balk und Kandahar, das letztere Ghazni, Kabul um: 
Jellalabad. Es wird angenommen, dass die Engländer im Staude sind, »li- 
eindringenden Russen, welche vom Helmund durch Kandahar vorrüekeu. 
zurückzuwerfen. Im Falle der Niederlage wäre der Rückzug durch den Ga- 
zarband-Pass auf Quetta event. auch auf der Harnai-Linie zu nehmen, im 
günstigen Falle würde der Feind auf Kandahar zurückgeworfen. 

Gestützt auf diese Betrachtungen entwirft O’Farrell ein Bild der für 
das operirende englische Armeecorps nöthigen Lazaretheinrichtuugen. Ein 
indisches Armeecorps besteht aus 9082 Engländern und 17202 Einge¬ 
borenen, zusammen 26284 Mann: dazu 35033 Mann Tross. — Lazareihein- 
| richtungen sind für 12% der englischen und eingeborenen Truppen vorge¬ 
sehen, entsprechend 3154 Betten, von welchen 1100 auf Feldlazarethe un i 
2054 auf stehende Lazarethe (Generalhospitals) kommen. Von den 110«' 
Betten für Feldlazarethe gehören den englischen Truppen 400. 4 Feld¬ 

lazarethe ä 100 bildend, 7 Feldlazarethe k 100 den eingeborenen Truppen. 
— Das Verhältnis der Krankenzahl von 12% bei den Truppen und 3° 

! bei dem Tross passt nur für gewöhnliche Verhältnisse, kann aber, wie in 
j Egypten, leicht auf 14 bis 18% gesteigert werden. Je nach der Art der 
I Kriegführung, ob dieselbe mehr defensiv oder mehr offensiv ist, werden di- 
stehenden Feldlazarethe oder die Feldlazarethe mehr zur Geltung kommm. 
Im Falle der Gegner Russland ist, werden die Kranken den Schutz d- 
Genfer Convention gemessen, während die Afghanen nur durch Waffenma-ht 
die Lazarethe respectiren. Die Feldlazarethe der englischen und indischst 
Truppen bestehen aus 100 Betten, welche in zwei Theile von je 50 Betten 
und diese wieder in zwei Sectionen von 25 Betten zerfallen, die kleinM- 
Einheit eines Feldlazaretbs. 

An Transportmitteln (Dandies und Transportthieren) erhalten die Trupi**-i 
5%, der Tross 1%. Als Transportthier für Afghanistan ist das Käme- 
gewählt worden. Zum Fortschaffen von Kranken steht es dem Maulthi-- 
dem Pferde, dem Esel und sogar dem Packochseu nach. Ein Kameel n-.- 
seinem Sattel, welcher eine Anzahl kranker Leute trägt, verursacht du^ > 
seine widerwärtigen Stösse höchst unangenehme Bewegungen und macht •! • 

1 hoch oben Sitzenden schwindlig, es können deshalb zur Ausrüstung n; 
Carolets uud Litieren gebraucht werden, wie sie sich bei einem Wöstet- 
marsch über Nushki nach Registan empfehlen würden. 

Die Cavallerie mit Ambulancen zu versehen, ist eine schwierig« Ab¬ 
gabe. Bei langsamen Märschen genügt der Daudie, bei schnelleren Br» 
gungen wird ein verwundeter Mann zwischen zwei Begleiter geuomratr 


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20. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE 

wodurch jedoch drei Mann ausfallen. Cacoiets auf kleinen Pferden mit eiuem 
berittenen Begleiter erscheinen ebenfalls nützlich, auch Kameele mit Cacoiets, 
deren schwingender Gang sehr unangenehm ist. Die starken Maulthiere 
werden sftmmtlich für Bergartillerie genommen, sie wären ein gutes Trans¬ 
portmittel, aber die kleinen sind nicht brauchbar. 

Für Infanterie ist überall, wo keine Wagen gehen können, das Maul¬ 
thier. der Pony, der Esel das nothwendige Packthier. Die Esel aus der 
Umgegend von Quetta sind sehr brauchbar, namentlich auch wegen ihrer 
Gelehrigkeit ihr Futter zu suchen. Zwischen zwei Maulthieren oder Pferden 
kann mau auch einen liegenden Mann in einem Palankin transportiren. 

Ein fahrbarer Weg für leichte Wagen mit Maulthieren, wie er nach 
Kandahar führt, ist die beste Möglichkeit für Krankentransport, Schwerver¬ 
letzte werden bei Operationen jenseits des Iudus gewöhnlich in dem Lushai- 
Daudie getragen, deren jeder bisher vier Träger hatte, in Zukunft werden 
es fünf sein. Jedem Dandie sollen zwei Wassergefässe (Chaguls) zugegeben 
werden, die auch wirklich gefüllt und auf ihre Haltbarkeit für Wasser 
geprüft sind. Dasselbe muss auch mit den ledernen Wassersäcken (Puckal 
Mussaks), welche von Ochsen getragen werden, der Fall sein, die, wenn sie 
neu sind, in Wasser gelegt und dann eingefettet werden müssen. 

Räderbahren sind auf guten Wegen sehr wohl zu verwenden und können 
sogar bei schlechten Wegen Vorzüge vor Dandies mit ungeübten Trägern 
haben, im Allgemeinen eignen sie sich aber nur für die zweite Linie. 

Alle Krankentransporte sollten, wie das auf dem Marsche von Kabul 
nach Kandahar durchgeführt war, in sich geschlossene Einheiten bilden, 
deren Transportmaterial an Menschen und Thieren dem befehlenden Sanitäts- 
officier unterstellt sein muss, was jetzt nicht der Fall ist. 

Eine interessante Uebersicht ergiebt der Vergleich zwischen der 
Leistungsfähigkeit der verschiedenen Transportmittel. Hiernach trägt ein 
Träger 40 Pfund, ein Esel 120 Pfund (= 3 Menschen), ein Maulthier, Pferd 
oder Ochse 160 Pfund (= 4 Menschen), ein Kameel 320 Pfund (= 8 Menschen 
oder 2 Maulthieren), ein leichter Wagen 480 Pfund (= 12 Menschen), ein 
Armee-Transportwagen 960 Pfund (= 24 Menschen). Wenn ein Feldlazareth 
verschiedene Transportmittel benutzt, so sind Maulthiere die zweckmässigsten, 
diesen folgen Menschen und dann Kameele, Maulthiere sind am zweckmässig¬ 
sten auch als Reserve. Auch die ersten llülfsmittel (Field Panniers, etwa 
entsprechend unseren Medicinkasten) werden am besten von Maulthieren oder 
Menschen mittelst Bambusstäben über die Schultern getragen. Die Organi¬ 
sation aller Transportmittel für den Sanitätsdienst ist am besten ebenso in 
sich abgeschlossen, wie die einer Gebirgsbatterie, die Aufsicht über die 
Dandies und die Träger führt am besten ein Sanitätsfeldwebel. 

Im Falle der Niederlage wäre der Rückzug durch den Gazarband-Pass 
anf Quetta eventuell auch auf der Harnai-Linie zu nehmen, im günstigsten 
Falle würde der Feind auf Kandahar zurückgeworfen. 

Bei der Unfruchtbarkeit von Afghanistan fehlt es an Gemüsen, deshalb 
ist scorbutische Ruhr häufig. Es soll daher den Europäern Citronensaft und 
«len Eingeborenen Amchur, das sind geschälte Mangos, verabreicht werden. 
Eingeborene Soldaten sollen wöchentlich eine Ration Fleisch bekommen, sie 
verlassen im Felde sehr bald ihre Vorurtheile. Feldlazarethe können sehr 
wohl für Europäer und Eingeborene gemeinsam sein. Die Frage der Ver¬ 
pflegung macht keine Schwierigkeiten. Auch Erholungsstationen k«mnen 
von demselbeu Arzte geleitet werden, wenn das Unterpersonal für Europäer 
und Eingeborene getreunt ist. 

Es würde sich empfehlen, für einen Feldzug in Afghanistan Directiven 
für den Sanitätsdienst in derselben Art zu erlassen, wie dies durch den 
Director general des englischen Sanitätsdienstes T. Crawford unter dem 
14. Februar 1885 für den Feldzug im Sudan geschehen ist. Man kann bei 
indischen Lazarethen von der Verschiedenheit der Race abseben, so dass 
die Ausstattung der englischen und indischen Lazarethe nahezu dieselbe 
sein kann. 

Der Aufsatz von O’Farell setzt sehr eingehende Karten voraus, wie 
dieselben hier nicht Gemeingut sind. Für einschlagende Arbeiten muss 
auf das Studium des Originalartikels verwiesen werden. (Schluss folgt.) 

XI. Therapeutische Mitteilungen. 

— Linden (Finska läkaresällskapets handl. 29, p. 337) empfiehlt gegen 
Blaseubatarrh mit Harnsäuregäbrung Injectionen von Soblimatlosnng 

1 : 75,000 bis 1 : 50,000. 

— llolsti (Finska läkaresällsk. handl. 28) empfiehlt Naphthalin bei 
chronischer Enteritis, wo andero Mittel erfolglos gewesen, für Erwach¬ 
sene 0,5 pro dosi 3—4 mal täglich, für Kinder 0,12—0,18 pro dosi 4 mal 
täglich. 

— Mohn (Norsk Magasiu f. laegevid.) empfiehlt gegen das convulsive 
Stadium des Stickhustens Schwefelräucherungen, etwa 25 g auf den 
Cubikmeter Raum. Nach 5 Stunden wird das Zimmer gelüftet und das 
Kind hineingebracht und verbleibt daselbst längere Zeit, z. B. die Nacht. 

— Wymer (American Lancet, Detroit) empfiehlt gegen Pneumonie 
Einblasungen tou kalter Luft in die Lunge (von 3 U C) und beschreibt eine 
von ihm beobachtete Erkrankung bei einem 16jährigen an croupöser Pneu¬ 
monie leidenden Menschen, die unter dieser Behandlung glücklich endete. 

— Ein russischer Arzt (?) giebt Phthisikern im Anfangsstadium Speck 
in Milch gekocht. Danach nimmt das Gewicht zu, der Husten vermindert 
sich, der Auswurf wird geringer, und der Appetit stellt sich ein. (Philadel¬ 
phia Medical Times, 15/11. 1888.) 

— Keferstein (Th. Mtsh. 1888. No. 9) giebt einige recht 
brauchbaro und, wie Verf. hinzufügt, iu der Praxis erprobte Receptformeln 
für die Anwendung des Kreosot. Die zuerst von Bouchardat, später 
vonFräntzel empfohlene Formel hat Keferstein in folgender Weise mo- 
dificirt: Rp. Kreosot. 1,3, Spirit, vin. rectif. 25,0, Aq. Cinnamomi 100,0, 

Syr. Cinnamomi 25,0. MDS. 3mal täglich 1 Esslöffel, jede Woche um einen 
Esslöffel steigend. Den in der Fräntzel’scheu Formel enthaltenen Wein 
will Verf. lieber extra gegeben wissen. Für Pillenform giebt derselbe fol¬ 
gende Formel: 


WOCHENSCHRIFT. 1059 

Rp. Kreosoti 4,0 
Pulv. rad. Alth. 

Succi Liquir. depur. ana 6,0 
Mucil. Gummi, arab. q. s. u. 
f. Pil. No. 120. Obduc. Gelatin. 

S. 3mal täglich 6 Pillen (6 Pillen enthalt«'ii 0,2 Kreosot). 

Bei grossem Hustenreiz und Diarrhoe wendet Keferstein folgende 
Formel an: Rp. Kreosot. 1,0 

Plumb. aeet. 

Opii puri ana 0,3 
Succi Liquir. 6,0 
Mucil. Gummi arab. q. s. u. f. 

Pil. No. 50 

S. 3inal täglich 5 Pillen (5 Pillen = 0.1 Kreosot). 

Auch in Emulsionsform lässt sich Kreosot nach Keferstein in folg«>n- 
der. auch für Kinder geeigneter Form reichen: 

Rp. Kreosot 1,3 M. f. emulsio. 

Solve in adde 

01. Amygd. 30,0 Tinct. Aur. comp. 1,0 

Gummi arab. 20,0 Elaeosaech. Menth 4,0 

Aq. dest. 100,0 MDS. 2—5mal täglich 1 Esslöffel 

(l Esslöffel = 0,1 Kreosot). 

Statt Aq. destill. kann auch Aq. Menth, pip. oder Decoct. Alth. oder 
dergl. gesetzt werden. 

ln Tropfenform giebt Keferstein das Kreosot in folgender Formel: 
Kreosot 3.0, Tinct. Cinnamomi 30,0. MDS. 3mal täglich 50 Tropfen oder 
Va Theelöffel in eiuem Tassenkopf warmer Milch unter starkem Umrühren 
hinzuzufügen (25 Tropfen = 0,1 Kreosot). Statt warmer Milch kann man 
auch warmen Haferschleim oder warmes Zuckerwasser oder in der besseren 
Praxis Malaga, Sherry oder Glühwein anwenden. 

XII. Zur Abwehr! 

Herr Karl Bardeleben hat sich veranlasst gesehen, iu No. 48 
dieser Wochenschrift ein längeres Referat über mein Werk ..Die 
Allantois des Menschen, eine entwickelungsgeschichtliche Studie etc. 
Wiesbaden 1887” zu veröffentlichen, das, abgesehen von einigen 
anerkennenden Worten, die sich auf die Auffindung der Baer’scheu 
Studien beziehen, in sehr absprechendem Sinne gehalten ist. So 
wenig ich nun auch der Ansicht huldige, dass ein absprechendes 
Referat auf die Dauer den Werth eines Werkes zu schädigen im 
Stande ist, so scheint mir doch eine kurze Entgegnung schon aus dem 
Grunde geboten, als manche Leser dieses Blattes vielleicht keine 
Gelegenheit finden werden, die Originalarbeit selbst zur Hand zu 
nehmen. 

Zunächst bemängelt Herr Karl Bardeleben die Conservirungs- 
methode. Nun ist mein Embryo, wie in meiner Schrift dargethau, 
von allen gut erhaltenen Embryonen, von welchen eine ununter¬ 
brochene Schnittserie existirt, der jüngste. Sämmtlichc gleichalterigen 
oder jüngeren Stücke, bei denen „geeignete Behandlungsmethoden' 4 
angewendet wurden, sind den Autoren hei dem Mikrotomiren 
missglückt. Wie man angesichts dieser Thatsachen behaupten 
kann, dass die von mir angewendete Behandlungsmethode nicht ge¬ 
eignet geweseu sei, ist mir unbegreiflich. Auch der Vorwurf über 
die Dicke der Schnitte ist vollkommen hinfällig, wie der Herr Re¬ 
ferent hei His, Anatomie menschlicher Embryonen III, Seite 11, 
nachlesen kann. Das dort Gesagte gilt genau für meinen Embryo, 
da die Mikrotomirung aus derselben Zeit stammt. 

Weiter sagt Herr Karl Bardelehen: „Die „Allantois“ ist auf 
acht Schnitten sichtbar. Inwieweit man an den Schnitten seihst 
etwes sehen kann, soll dahingestellt bleiben; auf den — übrigens 
von Weiland gut gezeichneten — Abbildungen ist sehr wenig zu 
erkennen— Nähere Einzelheiten fehlen sowohl in der Beschrei¬ 
bung wie in den Abbildungen.“ Ich weiss nicht, welche Anforde¬ 
rungen Herr Karl Bardeleben an Zeichnungen stellt; soviel steht 
jedenfalls fest, dass alles, was an dem hinteren Körperende hei 
Embryonen dieses Alters überhaupt sich findet, auf den Zeichnungen 
dargestellt und auf Seite 20 des Textes beschrieben ist. Es sind 
deutlich erkennbar: der Zusammenhang der Allantois mit dem hin¬ 
teren Leibesende, der Enddarro, die Einmündung des Allantois- 
ganges in den Enddarro, der Allantoisgang, soweit er in der Leibes¬ 
wand verläuft, der Allantoisgang in der Allantois selbst und endlich 
die solide Wandung der Allantois. Was bezweckt also Herr Karl 
Bardeleben mit diesen Ausführungen? Soll hier der Anschein er¬ 
weckt werden, als ob es sich um einen wesentlichen Mangel in 
Beobachtung, Zeichnung oder Beschreibung handelt? Ich möchte 
in der That wissen, welche „Einzelheiten“ der Herr Referent ver¬ 
misst? Freilich Anhaltspunkte für jene Anschauungen, die Herr 
Karl Barde leben über die Allantois in seinem Referat docu- 
mentirt, finden sich allerdings nicht, und das mag in seinen Augen 
ein Mangel sein. Auch die peinliche Naturtreue der Zeichnungen im 
Gegensatz zu den mehr schematisch gehaltenen von H i s mag 
Herrn Karl Bardelehen das Verständnis erschwert haben. 

Weiter sagt der Herr Referent „Die „Allantois“ ist, soviel ist 
sicher zu sehen, keine „Blase“, sondern ein Gang mit sehr dicken 
Wandungen.“ Hier scheint Herr Karl Bardeleben in der An- 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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nähme befangen zu sein, ich hätte behauptet, die Allantois sei eine 
Blase. Was ihn hierzu veranlasst haben kann, ist mir unerfindlich. 
Auf p. 10 meiner Schrift heisst es: Die Allantois ist ein „blasen¬ 
förmiges,“ auf p. 58, „blasenartiges Gebilde“ (nicht, ist eine 
Blase), und weiter: „Die Allantois ist abgesehen von dem 
Allantoisgang solide“ und endlich in meiner, von Herrn Karl I 
Bardeleben ebenfalls angeführten Mittheilung über denselben Gegen¬ 
stand aus dem Jahre 1884 (p. 11): „Die Allantois ist, abge¬ 
sehen von dem Allantoisgange, solide, so dass dieselbe 
füglich als Blase nicht bezeichnet werden kann.“ 

Sollte der Herr Referent annehmen, dass die Vergleichung der 
Form zweier Gegenstände die Identität derselben in sich schliesst? 

Schliesslich sagt Herr Karl Bardeleben, erbezweifele, „dass 
meine Darstellung die Fachmänner von dem VoEhandensein einer 
blasenförmigen Allantois beim Menschen überzeugen wird“, und 
wenige Zeilen später: „die Richtigkeit der v. Baer’schen Beobach¬ 
tungen soll jedoch nicht in Frage gestellt werden“. 

Jeder, der meine Schrift gelesen hat, weiss, dass eiue Haupt¬ 
stütze meines Beweises für die Existenz einer blasenförmigen Allantois, 
die von mir an’s Licht gezogenen, mit meiner Darstellung 
vollkommen übereinstimmende Beobachtungen Karl 
Ernst v. Baer’s sind. Sollte man es nun für möglich halten, 
dass ein Referent, der sich die Miene giebt, sachgemäss über eine 
ernste Arbeit zu referiren, solche Unglaublichkeiten leistet? Genau 
die gleiche Beobachtung, die zwei Autoren machen, wird bei dem 
einen ausdrücklich anerkannt, bei dem anderen in Zweifel gezogen. 
Herr Karl Bardeleben spricht sich damit selbst das Urtheil, es 
kommtihmnichtdaraufan, — was Jemand behauptet, son¬ 
dern — wer es behauptet. 

Damit ist die Tendenz des Referats hinreichend gekennzeichnet. 
Ich halte es daher nicht für nöthig, auf weitere Punkte, wie z. B. 
auf die für jeden Kenner des Buches geradezu widersinnige Frage, 
„welche Vortheile hat die Aufstellung eines Hautstieles statt des 
Bauchstieles von His“ einzugehen, glaube vielmehr, es getrost dem 
Urtheil der Sachverständigen überlassen zu können, was überzeu¬ 
gender auf sie wirken wird, die Ausführungen in meiner Schrift 
oder das Referat des Herrn Karl Bardeleben. 

Greifswald, den 6. December 1888. 

Franz von Preuschen. 

Xm. Kleine Mitteilungen. 

W. Roser f. Am 15. d. M. ist Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Roser 
in Marburg gestorben, wenige Tage bevor er sein 50jähriges Doctor- 
jubiläum zu feiern gedachte (10. Januar 1889). Eine Apoplexie hat 
ibu während des Schlafes betroffen und ihn sanft hinweggenommen. 
Wir behalten uns vor, über den Lebensgang dieses hervorragenden 
Forschers, Lehrers und Arztes noch eingehender zu berichten. 

— Berlin. Der Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Litzmann und Geh. 
Sauitätsrath Dr. Wegscheider sind zu Ehrenmitgliedern der Geburts¬ 
hilflichen Gesellschaft ernannt. Die Verdienste Litzmann’s, eines 
unserer hervorragenden Forscher auf dem Gebiete der Geburtshülfe, sicherten 
diesem gewiss einen Anspruch auf die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft, 
nicht minder aber sind die Verdienste Wegscheider’s, wenngleich sie 
nicht ebenso an die Oeffentlichkeit dringen konnten, wie die des litterarisch 
vielfach hervorgetretenen Forschers, geeignet, ihm ein Anrecht auf die 
gleiche Auszeichnung zu gewähren. Wegscheider gehört zu den Gründern 
der heute in so hoher Blüthe stehenden Gesellschaft und ist wohl der einzige 
noch Lebende von diesen Gründern. Dreizehn Jahre gehörte er der Gesell¬ 
schaft als Sekretär an, und die Protokolle aus dieser Zeit liefern das 
treffendste Zeugniss für seine Gewandtheit und seinen Fleiss. In ihnen findet 
sich mancher anregende Vortrag Wegscheider’s selbst, sowie mancher 
worthvollc Beitrag von ihm zu den Discussionen. Leider sind diese Proto¬ 
kolle nicht gedruckt worden, und es wäre vielleicht gar nicht unangemessen, 
wenn die Geburtshülfliche Gesellschaft noch jetzt Sorge trüge, manches da¬ 
von an’s Tageslicht zu ziehen, was in Vergessenheit gcrathen ist und doch 
verdiente, weiteren Kreisen bekannt zu werden. Mancher Professor der 
Geburtshülfe, der heute in Behaglichkeit seinen curulischen Stuhl einniramt, 
hat zu nicht geringem Theil seine Laufbahn Wegscheider zu danken, der 
mit seltener Uneigennützigkeit da, wo Verdienste Vorlagen, diese zu fördern 
verstand und förderte. Wegscheider hat sein ganzes Leben lang als Arzt 
für einen grossen Kreis segensreich gewirkt. Die Erfahrung, dass Verdienste, 
die sich der praktische Arzt erwirbt, gar zu leicht ohne irgend welche An¬ 
erkennung vergessen werden, ist keine seltene, und wir freuen uns, dass 
auch dem hervorragenden und hingebenden Praktiker mit seiner Ernennung 
zum Ehrenmitglied der Geburtshülflichen Gesellschaft die ihm gebührende 
Anerkennung zu Theil geworden ist. 

— Die Studireudeu der militärärztlichen Bilduugsaustalten ver- j 
anstalten heute Abend im grossen Saale der Philharmouie zur Feier des 
60 jährigen Dienstjubiläums des Generalstabsarztes Professor Dr. v. Lauer 
einen Festcomm^rs. 

— Die elfte öffentliche Versammlung der balneologischeu Section 
der Gesellschaft für Heilkunde wird im März 1889 in Berlin stattfinden. 
Vorträge sind bei dem Schriftführer Dr. Brock, Berlin, Schmidtstrasse 42, 
anzumelden. 


— Jena. An Stelle des nach Dorpat berufenen Professor Unver¬ 
richt sind die Herren Vierordt (Leipzig), Fr. Müller (Berlin) und 
Stintzing (München) vorgeschlagen worden. 

— Wien. Zum Vorsitzenden der K. K. Gesellschaft der Acrzte für 
das nächste Vereinsjahr ist Hofrath Prof. Dr. Billroth gewählt. 

— Breslau. Am 7./8. December faud der XVII. schlesische Bader- 
tag statt, dem die Curorte Alt-Haide, Charlottenhrunn, Cudowa, Flinsberg. 
Goczalkowitz, Görbersdorf-Königsdorff, Jastr/emb, Landeck, Langenau, Mus¬ 
kau, Reinerz, Salzbrunn und Warmbrunn, angehören. Aus der sehr reich¬ 
haltigen zur Erledigung gelangten Tagesordnung heben w ir folgende Themata 
hervor: 1) Antrag auf Gründung einer schlesischeli Bäderzeitung. 2) Bieten 
die Brunnenorte eine Garantie für frische Brunnenfüllung, und wie ist di#*-t- 
zu erreichen? 3) Die Gewerbesteuerpflicht der Zimraervermietber in Brunnen- 
und Badeorten. 4) Ueber die Verschiedenheit der meteorologischen Messungen 
im Gebirgscurorte, bedingt durch locale Gebirgsfonnationen. 5) Ueber Wetter¬ 
beobachtungen im Dienste der Heilkunde. 6) Desinfectionsordnung. 7) Da' 
Gesetz vom 11. Juni 1870 und die Genfer Convention vom 9. September 1887. 
den Schutz des geistigen Eigenthums betreffend. 8) Bericht des schlesischen 
Bädertages über die Art der Durchführung der Regierungsverordnung vom 
26. Januar 1885, bau- und sanitätspolizeiliche Vorschriften für die schlesi¬ 
schen Badeorte betreffend. Die Verhandlungen werden vom Vorsitzenden 
bearbeitet und künftiges Frühjahr im Druck erscheinen. 

— Wegen Raummangel sind wir leider nicht in der Lage, die Berichte 
über die Naturforscherversammlung noch in diesem Jahrgange zum 
Abdruck zu bringen, was wir um so mehr bedauern, als uns über die Vor¬ 
träge in den allgemeinen Sitzungen, über die wir noch nicht berichtet haben, 
zum Theil ausführliche Autorreferate vorliegen. Wir hoffen, damit jedoch 
auch im nächsten Jahre nicht zu spät zu kommen, um so mehr, als das Er¬ 
scheinen des officiellen Tageblattes sich ja immer noch verzögert. Wir 
werden gleichfalls zu Beginn des neuen Jahrganges noch eiue Reihe von 
Vorträgen aus den Sectionssitzungen, die uns von den Herren Vortragenden 
zur Verfügung gestellt sind, als Originalartikel veröffentlichen und hoffen, 
wenn wir das bereits Publicirte dazunehmen, in diesem Jahre von den Ver¬ 
handlungen der Kölner Versammlung ein besonders getreues Abbild gegeben 
zu haben. 

— St. Blasien (Wintercurort.) Seit dem Jahre 1884 hat eine stetig 
wachsende Anzahl von Curgästen sich der Wintercur in St. Blasien unter¬ 
zogen, und allseitig war die Zufriedenheit derer, welche unter bescheidenen 
Ansprüchen an gesellschaftliches Leben und Unterhaltung der prachtvollen 
Lage und den vorzüglichen Eigenschaften St. Blasiens, namentlich b*i 
Heilung von Krankheiten der Nerven und Athmungsorgane, zu Liebe sich 
zu einem dauernden Aufenthalt daselbst entschlossen. Die eigentliche mit 
dem dauernden Verbleiben einer festen Schneedecke zusammenhängende 
Wintersaison hat zwar noch nicht begonnen, dafür aber ist bei fast anhal¬ 
tend schönem Wetter und prächtigem Sonnenschein das Spätjahr so schön, 
wie es nur sein kann. 


XIV. Personalien. 

1. Preussen: Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht, den praktischen Aerzten Dr. Jungnickel in Greifeu- 
berg i. P. und Dr. Starck in Demmin den Charakter als Sanitätsrath sowie 
dem Geh. San.-Rath Dr. Wegscheider in Berlin den Rothen Adler-Orden 
III. CI. m. d. Schl, und dem Stabsarzt a. D. Dr. Frost zu Herborn den 
Kgl. Kronen-Orden III. CI. zu verleihen, ferner dem Botschaftsarzt San.-Rath 
Dr. Erhardt zur Anlegung des Ritterkreuzes der italienischen Krone di* 
Genehmigung zu ertheilen. — Ernennungen: Der praktische Arzt Dr. 
Schlegtendahl zu Lennep ist zum Kreis-Physikus des Kreises Lennep, der 
seitherige Kreis Wundarzt San.-Rath Dr. Seyferth zu Langensalza ist zum 
Kreis-Physikus des Kreises Langensalza und der seitherige Kreiswundarzt 
Dr. Berger zu Elberfeld zum Kreis-Physikus des Kreises Elberfeld ernannt 
worden. — Niederlassungen: Die Aerzte: DDr. Wegener, Wolff. 
Heymann, Lembke, Strelitz, Kann, Meyer, Lang, Eschricht und 
Graefe in Berlin, Keller in Eberswalde, Dr. Rubensohn in Wittenberg*. 
Bernstein in Mittenwalde, Dr. Ruschow in Stargard i. Pomra., Schaefer 
in Höhnstadt, Dr. Pariser in Alt-Scherbitz, Freuer in Mücheln, Dr. Tha mm 
in Lessen, Dr. Heinrichsdorf in Kolberg, Kompf in Rakwitz, Dr. Bur¬ 
winkel in Erfurt, Dr. Eggebrecht in Osterfeld, Dr. Overhage in Horst¬ 
mar, Dr. v. d. Helm, Dr. Schultze-Berge, Dr. Fricke und Dr. Oden¬ 
thal in Bonn, Dr. Kappes in Köln: die Zahnärzte: Egner und Karl 
Sueersen in Berlin. — Verzogen sind: Nach Berlin: Die Aeritr 
Dr. Plume von Neudamm, Dr. Vogeding von Bonn, Dr. Jacobi v.»n 
Breslau, Dr. Morgenstern von Schmargendorf, Dr. Hauser von Strassburt 
i. E., Dr. Katz von Plauen, Dr. Cohn von Wrietzeu; von Berlin: Dr 
Koenig nach Wiesbaden. Luce nach Niedermarsberg, Dr. Löhlein al> 
Professor nach Giessen; Dr. Puczynski von Neu-Trebbin nach Prechlau. 
Dr. Wichmann. von Eberswalde nach Braunschweig, Dr. Obermüller von 
Eberswalde nach Baden-Baden, Dr. Bourzatschky von Freienwalde aarii 
Flensburg, Dr. Blümcke von Köslin nach Regenwalde, Dr. Kessler von 
Greifewald nach Wollin, Dr. Mayser von Alt-Scherbitz nach Hildburghauseu 

2. Bayern. (Münch, raed. Wochenschr.) Ernennungen: Dr. " 
Gmehling in Selb zum bezirksärztlichen Stellvertreter daselbst, Dr. H. 
j Stadelmann zum bez.-ärztlichen Stellvertreter in Nordhalben. — Nieder 
lassungen: Dr. H. Grätz in Schweinfurt, Di. A. Guttenberg in Wür* 
bürg, Dr. H. Stadelmann in Nordhalben, Dr. J. Graf in Kirchlauben. Dr 
R. Hartmann in Marktsteft, Ass.-Arzt I. CI. Dr. Th. Brenner iu München 
— Verzogen: Dr. K. Scbaad von Kasendorf nach Selb, Dr. 0. Gmehlu.* 
von Gerolzhofen nach Selb, Dr. Rüb von Marktsteft nach Conneberg. - 
Gestorben: Dr. L. Freund in Schweinurt, Ob.-Stabsarzt I. CI. und Reg 
I Arzt Dr. A. Moser in Saargemünd. 


Gedruckt bei Julius 81ttenfeld tu Berlin W. 


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Donnerstag M 52, 27. December 1888. 

DEUTSCHE 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 

Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinalwesens nach amtlichen Mittheiluugen, der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege und der Interessen des ärztlichen Standes. 

Begründet von Dr. Paul Börner. 

Vierzehnter Jahrgang. 

Redacteur Sanitäts-Rath Dr. 8. Guttmann in Berlin W. Verlag von Georg Thleme, Leipzig-Berlin. 


I. Pseudostimme nach Ausschaltung des Kehl¬ 
kopfs, speciell nach Exstirpation desselben.*) 

Von Dr. Strfibing, Docent in Greifswald. 

Die Erzeugung der normalen Sprache setzt bekanntlich drei 
Factoreu voraus, nämlich einmal den stimmgebeuden Apparat, deu 
Kehlkopf, sodann die Articulationsvorrichtungen, die Nasen-, Rachen- 
und Mundhöhle und endlich einen Luftstrom, welcher von der 
Lunge als Blasebalg geliefert wird. Der letztere versetzt die Stimm¬ 
bänder iu Schwingungen, erzeugt so die Stimme, er lässt weiter die 
Articulationsvorrichtungen io Tbätigkeit treten und veranlasst damit 
die Bildung der Consonauteu und Vocale. Jeder dieser drei Fac- 
toren kann nun durch pathologische Zustände mehr oder weniger 
stark iu seiner Leistungsfähigkeit geschädigt werden, und diese 
Schädigung hat dann selbstverständlich Defecte der lauten Sprache 
zur Folge. Wo aber solche Defecte vorhanden sind, da sehen wir 
immer das Bestreben sich geltend machen, dieselben in ihren schäd¬ 
lichen Folgen zu compensiren, und es gelingt dies bisweilen in einer 
Vollendung, welche gerade uuser Staunen erregt. 

Ich will über diejenigen Zustände hier schnell hiuweggehen, 
in denen der Articulationsapparat trotz tiefgehender Störungen, 
die er erlitten, durch Compensationsvorrichtungen doch in den Stand 
gesetzt wird, seine Functionen in fast normaler Weise auszufnhren. 
Es sind dies die Fälle, in denen Menschen nach Verlust fast der 
ganzen Zunge doch wieder es erlernten, vernehmbar laut zu 
sprechen, und weiter diejenigen, iu welchen — wie Czermak 1 ) zuerst 
einen solchen Fall publicirt hat — bei vollständiger Verwachsung 
des Gaumensegels mit der hinteren Rachenwand die Resonanten 
ersetzt werden durch ganz ähnlich klingende Geräusche etc. 

Frappanter aber noch ist die Fähigkeit des Organismus, trotz 
vollständigen Verlustes des stimmgebenden Apparates, 
des Kehlkopfes, eine laute, vernehmbare Sprache zu bilden, 
und am frappantesten die Fähigkeit, diese Bildung sogar bei 
gäuzlichein Mangel des normalen Luftstroms zu ermöglichen. 
So beschrieb Czermak 2 ) eine Beobachtung, die in hohem Grade 
in damaliger Zeit die Aufmerksamkeit auf sich lenken musste, zu 
tdiier Zeit, in welcher die Rolle noch nicht ganz sicher fixirt war, 
welche der Kehlkopf und die Mundhöhle bei der Erzeugung der 
lauten Sprache spielen. 

Es handelte sich um ein 18jähriges Mädchen, bei welchem der 
Larynx unterhalb der Glottis vollständig verwachsen war, und 
welches bei gänzlichem Mangel der normalen Stimme und 
des ex- und inspiratorischen Luftstromes es doch zu einer, 
weun auch unvollkommenen, doch hinreichend verständlichen Sprach- 
lautbildung gebracht hatte. Die Sprachmaschine, die Articnlations- 
vorrichtungeu, waren bei der Patientin intact, ihr fehlte der tönende 
Luftstrom, welcher unter normalen Verhältnissen durch Mund und 
Nase streichend die Bildung hörbarer Consonanten und Vocale und 
damit lauter Worte bedingt. Den Luftstrom nun erzeugte das 
Mädchen durch geschickte Benutzung, durch Verdichtung und Ver¬ 
dünnung der geringen Mengen von Luft, welche Rachen und Mund¬ 
höhle fassen konnten, und diese Luftmengen verwandte sie zur 
Verstärkung derjenigen Geräusche, welche bei der uormalen Arti- 
culationsbewegung durch Verschiebung, Berührung und Trennung 
der Schleimbautoberflächen, oder durch die Herstellung und Durch- 


*) Vortrag, gehalten in der Festsitzung des Greifswalder medicinischen 
Vereins am 17. November 1888. 


brechung eines Verschlusses oder durch Reibung der Luft an ver¬ 
engten Stellen des Mundcanals entstehen. Diesen bei der Conso- 
nantbildung producirten Geräuschen wurde durch Veränderung der 
I Figuration der Mundhöhle der vocalische Charakter aufgedrückt. 
| So lernte die Patientin sich mit ihrer Umgebung gut und leicht 
! verständigen. 

Einen zweiten, dem Czermak’scheu aualogen Fall, lernte bald 
darauf Störk a ) kennen. Eine 23jährige Kranke hatte bei einem 
Selbstmordversuch die wahren Stimmbänder beiderseits verletzt, so 
dass diese zusammenwuchseu, und die Athmung nur durch eine 
Canüle, die unterhalb der Glottis eingesetzt wurde, möglich war. 
i Obwohl jede Communication zwischen Trachea und Mundrachenraum 
fehlte, wie sich bei der Section später auch herausstellte, so sprach 
die Pat. doch, wie Störk sich ausdrückt, „ganz unbehindert und 
verständigte sich leicht mit ihrer Umgebung.“ Auch hier hatte sich 
wieder der gleiche Mechanismus entwickelt wie bei der Czer- 
mak’schen Patientin. 

Diese Fälle hatten deu Beweis geliefert, dass durch die ge- 
i schickte Herstellung eines negativen und positiven Drucks in der 
Mundhöhle der zur Sprachlautbildung nöthige Luftstrom, wenn auch 
in geringer Intensität erzeugt, uud dass durch Verstärkung der nor¬ 
malen oder ähnlicher Articulationsgeräusche eine wahrnehmbare 
Sprache erlangt werden kann. Die so geschaffene Sprache war aber 
, doch immerhin relativ schwach, und genügte sie auch im Umgänge 
mit den Angehörigen, so war sie doch für die Bedürfnisse des ge¬ 
selligen und geschäftlichen Verkehrs nicht ausreichend. So entstand 
denn zuerst in Czermak 4 ) der Gedanke, auf künstlichem Wege 
seiner Pat. zu einer lauten Sprache dadurch zu verhelfen, dass er 
einen tönenden Luftstrom in den Raum hinter der Zunge leitete. 
Er wollte eine dünne, passend gekrümmte und mit einem Zungeu- 
werk versehene Röhre, welche die Articulationsbewegung nicht er¬ 
heblich störte, in die Mundöffnung einfuhren und Luft und Ton von 
aussen in den Raum hinter dem Zungengrund blasen. Zur Hervor¬ 
bringung des nöthigen Luftstromes bediente er sich zuerst des 
Blasebalgs. Czermak sprach aber dann den Gedanken aus, dass 
man die Exspirationsbewegungen des Pat. selbst zur Erzeugung des 
nöthigen Luftstroms benutzen könne. Er wollte das Mundstück der 
Stimmröhre mit der äusseren Oeffnung der Trachealcanüle verbinden 
und so den exspiratorischen Luftstrom, der gleichzeitig das Zungen¬ 
werk in Thätigkeit setzen sollte, in den Raum hinter der Zunge 
leiten. Mir ist nicht bekannt, dass Czermak diesen Gedanken in 
Wirklichkeit ausführte. Dagegen war es Störk, 5 ) der nach Ueber- 
windung der entgegenstehenden Schwierigkeiten den Beweis lieferte, 
dass auf diese Weise eine hörbare Sprache sich erzeugen Hesse. 

Diese Czermak’schen und Störk’schen Versuche haben heute 
nur ein historisches Interesse. Sie sind aber von Bedeutung, 
weil sie gewissermaassen den Uebergang bildeten zur Herstellung 
des künstlichen Kehlkopfs, wie er zuerst von Czerny construirt 
wurde. Denn das Princip, eine laute Sprache zu erzielen, ist hier 
wie dort das gleiche — ein künstlich tönender Luftstrom wird durch 
Mund und Nase geleitet und bedingt die Bildung vernehmbarer 
Consonanten und Vocale — also einer hörbaren Sprache. 

Mit der Construction der künstlichen Kehlkopfs, der später noch 
von Gussenbauer, Hueter, Foulis und v. Bruns die bekannten 
Verbesserungen erfuhr, glaubte man in der Frage der Stimmerzeugung 
nach Verlust des Kehlkopfs zum Abschluss gekommen zu sein. Die 
Resultate der Stimmbildung waren allerdings recht unvollkommen 
und mangelhaft, ganz abgesehen davon, dass das dauernde Tragen 
der Stimmcanüle Unannehmlichkeiten der verschiedensten Art für 


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DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52 


1062 


den Kranken mit sich brachte. Indessen man hatte eine hörbare, 
wenn auch in ihrem Metalltimbre wenig natürliche Sprache, und 
man schien hiermit das überhaupt Mögliche erreicht zu haben. 

ln der neuesten Zeit haben nun aber zwei Fälle Gesichtspunkte 
eröffnet, welche für die Zukunft jedenfalls eine gewisse Bedeutung 
erlangen werden. 

Störk operirte gemeinsam mit Dr. Gersuny am 13. Januar 
1885 einen Patienten mit Kehlkopfcarcinom. Nach vorheriger 
Spaltung wurde mittelst des Rasparatoriums, welches sich immer 
dicht am Knorpel hielt, der ganze Kehlkopf herausgehebelt. Die 
Schleimhaut aussen am Larynx, speciell der hintere Ueberzug des 
Ringknorpels wurde ebenso wie die des Pharynx und beider Arkaden 
intact erhalten. Beim Abtrennen der Schleimhaut von den Giess¬ 
beckenknorpeln blieben zwei flottirende Schleimhautlappen zurück, 
welche zusamraengenäht wurden. Da die Epiglottis vollkommen 
intact war, wurde sie nicht exstirpirt, sondern ihre seitlichen Ränder 
sammt dem abgetrennten Lig. epiglottideo-pharyngeum mit der 
vorderen Arkade vernäht. Der ganze Canal wurde mit Jodoform¬ 
gaze austamponirt und die Hautwunde geschlossen. Die Ernährung 
erfolgte durch einen in den oberen Mundwinkel eingelegten Nelaton- 
katheter. Die Wundheilung verlief ohne Störung, und schon am 
vierten Tage konnte der Pat. gut schlucken. Nach Entfernung des 
Jodoformgazetampons wurde eine Schornsteincanüle mit kurzer Kehl¬ 
kopfröhre eingelegt. Nun trat, sagt Störk, „das Merkwürdigste, 
ganz und gar Unerwartete ein: Der Pat. sprach, wenn auch mit 
rauher, aber ganz sonorer Stimme.“ Die Stimme entstand, wie die 
laryngoskopische Untersuchung zeigte, in einer querliegenden Glottis. 
Die hintere Lippe wurde von der bei der Operation erhalten ge¬ 
bliebenen hintereu Schleimhautwand, die vordere hingegen durch 
den unteren Theil des Nodus epiglottidis gebildet. Später änderte 
sich die Form der Glottis. Wie die Untersuchung zeigte, waren 
zwei sagittale, grobphonirende Lippen entstanden, die eine solche 
Lage und solches Aussehen darboten, wie die falschen Stimmbänder. 

Ich will hier nicht weiter auf die Ursachen eingehen, welche 
die Formveränderung der künstlichen Glottis bedingt haben. Störk 
hat für dieselbe eine wohl sicher zutreffende Erklärung gegeben. 

In der That waren die Resultate bei diesem Störk’schen Fall 
ausserordentlich zufriedenstellende. „Ich esse, trinke und spreche 
wie alle übrigen Menschen,“ schreibt später der Pat. 

Dieser Störk'sehe Fall hat seine grosse Bedeutung. Er zeigt 
die Bestrebungen der Natur zur Herstellung eines stimmerzeugendeu 
Apparats; er zeigt, dass, wenn Schleimhautfalten und Muskelreste 
erhalten bleiben, die Natur sich derselben in einer derartigen Weise 
bemächtigt, dass sie schliesslich Gebilde schafft, welche zur Er¬ 
zeugung von Stimmgeräuschen in Function treten können. Wo also 
die Verhältnisse es gestatten. Schleimbautpartieen am Kehlkopf¬ 
eingang zu erhalten, also besonders bei frühzeitiger Operation, wird 
man bei der totalen Exstirpation des Kehlkopfs immer hierauf Rück¬ 
sicht nehmen müssen, um functionelle Resultate zu erzielen, welche 
besser sind als die mit einem künstlichen Kehlkopf erreichbaren. 

Am 5. August d. Js. — ich komme nun zum zweiten und wissen¬ 
schaftlich weit interessanteren Fall — stellte Herr Dr. Schmid aus 
Stettin im hiesigen medicinischen Verein einen Pat. vor, welchem 
der ganze Kehlkopf exstirpirt war. Die klinischen Verhältnisse 
übergehe ich hier, da Herr Dr. Schmid dieselben in seinem Vortrage*) 
und in seiner demnächst im Langenbeck’schen Archiv zur Publi- 
cation kommenden Arbeit auseinandergesetzt hat. Es ist das der¬ 
selbe Fall, welcher neuerdings in einem etwas eigenthümlichen Ge¬ 
wände die Runde durch die Blätter der Tagespresse machte. 

Bei dem Manne war die obere Trachealöffnung vollständig zu¬ 
geheilt, sodass eine Communication zwischen Luftröhre und dem 
Rachenraum nicht bestand. Der Pat. sprach, wie die Herreu Collegen, 
welche der Sitzung beiwohnten, bestätigen werden, wenn auch mit 
rauher Stimme, doch laut und deutlich vernehmbar. 

Während in dem oben erwähnten Czermak'sehen Falle die 
neu erworbene Sprache nur relativ leise war, sprach unser Pat. 
so laut, dass er auf eine weite Distance hin verstanden werden 
konnte. Die bei ihm zur Entwickelung gelangte Sprache genügte 
vollständig den Bedürfnissen des Mannes im Verkehr des Lebens, 
und sie liess ihu das Fehlen seines Kehlkopfs absolut nicht empfinden. 
Die Stimme übertraf in Bezug auf Natürlichkeit bei weitem die 
Metallstimme eines künstlichen Kehlkopfs. Dabei konnte der Pat. 
mehrere Worte hinter einander sprechen. Das Luftquantum, 
mit welchem er arbeitete, war ein bei Weitem grösseres als das, 
welches der Czermak’schen Pat. zu Gebote stand. Der Fall war 
ausserordentlich frappirend, und die laute Sprache des Mannes er¬ 
regte unser Staunen in hohem Grade. 

Welcher Mechanismus hatte sich nur bei ihm entwickelt und 
ihn befähigt, bei fehlendem Kehlkopf in dieser höchst verständlichen, 
lauten Weise zu reden? 


*) S. diese Wochenschrift No. 42, p. 861. 


Herr Geheimrath Landois und ich untersuchten und beobach 
teten den Mann, und die Resultate unserer Beobachtungen, weicht 
wir in einer demnächst im Langenbeck’sehen Archiv erschei¬ 
nenden Arbeit niedergelegt haben, sind kurz folgende: 

Durch die Fortnahine 
des ganzen Kehlkopfs ist 
unterhalb der Zungenbasis 
ein Hohlraum (s.TafeL, A.) 
geschaffen, welcher durch 
Muskelkräfte verengt und 
erweitert werden kann. 
Dieser Raum wirkt, wie 
wir gleich sehen werden, 
an Stelle der Lungen als 
Blasebalg, er liefert den 
zum lauten Sprechen 
nöthigen Luftstrom. Dann 
nähert der Patient die 
Zungenwurzel stark der 
hinteren Rachenwand und 
schafft hier auf diese 
Weise eine enge Spalte, 
eine Stenose. Indem nun 
der Hohlraum durch 
Muskelcontraction ver¬ 
kleinert wird, entweicht 
die in ihm befindliche 
Luft durch die enge 
Spalte und erzeugt durch 
Reibung an den Wan¬ 
dungen derselben ein 
Steuosengeräusch. Dieses Stenosengeräusch tritt in seiner Be¬ 
deutung für die Sprache an die Stelle des unter gewöhnlichen 
normalen Verhältnissen von den Stimmbändern gebildeten Tons. 
Die Bildung der Vocale und Consonanten geschieht im Uebrigen in 
vollständig normaler Weise, denn der Articulationsapparat selbst ist 
ja bei dem Patienten in keiner Weise geschädigt oder verändert. 

Eine hörbare Sprache wird also bei dem Manne da¬ 
durch geschaffen, dass an Stelle der Lungen ein durch 
die Operation geschaffener Windkessel tritt, welcher 
eine Compression der Luft durch Muskelkräfte ermög¬ 
licht, und weiter dadurch, dass functioneil an Stelle der 
Stimmbänder eine Spaltbildung sich entwickelt, welche 
als Ersatz für den normalen Ton eiu Stenosengeräusch 
zu Stande kommen lässt, durch welches die Consonanten 
und Vocale verstärkt werden. Ich will noch bemerken, das> 
an der Bildung der Spalte sich wesentlich der Styloglossus und die 
Muskulatur der gegenüberliegenden Schlundkopfwand betheiligen, 
und dass die Compression und Austreibung der Luft aus dem Hohl- 
| raum gleichzeitig mit den besagten Muskeln bewirkt wird vom 
I Stylohyoideus und vom Cerato- und Chondropharvngeus. 

Drückt man mit einem Zungenspatel den Zungengrund stark 
nach vorwärts oder lässt man die Zunge ganz weit hervorstrecken 
und fixirt sie in dieser Stellung, so dass also die Annäherung der 
Zungenbasis an die hintere Rachenwand unmöglich wird, so ist der 
Patient sofort stimmlos; er ist dann nicht mehr im Stande, das 
Stenosengeräusch, die „Pseudostimme“, wie wir es nennen wollen, 
zu produciren. Die Fixation der hervorgestreckten Zunge darf aber 
I dem Manne nicht selbst überlassen werden, da er dann immer 
die Neigung hat, den zum Hervorbringen des Geräusches nöthigen 
Bewegungen der Zunge mit der Hand zu folgen. Hier hat der 
Patient es durch Muskelübung soweit gebracht, dass er auch bei 
etwas hervorgestreckter Zuuge trotzdem im Stande ist, die Zungeubasi? 
der hinteren Rachenwand zu nähern uud das Geräusch zu erzeugen. 

Da die gespannten Theile, welche die verengte Stelle begrenzen, 
keiner Modification der Spannung fähig sind, so ist die Pseudo¬ 
stimme durchaus monoton. 

Das Luftquantum in dem Hohlraum A genügt aber doch nicht 
zum langen, anhaltenden Reden. Hat der Mann einige Worte oder 
Buchstaben gesprochen, so ist die Luft verbraucht, und der Hohl¬ 
raum muss von Neuem mit Luft gefüllt werden. Es geschieht die? 

| nun durch Nachlass deijenigen Kräfte, welche den Hohlraum vorher 
verkleinert und verengt hatten. Ob an dieser Erweiterung nicht 
auch in etwas der Geniohyoideus und Sternohyoideus activ rait- 
wirken, bleibt zweifelhaft. 

Dass aber die Füllung des Hohlraums wohl wesentlich eine rein 
1 passive ist, erhellt aus dem Umstand, dass der Patient ohne vor- 
• herige Thätigkeit etwaiger Muskeln sofort intoniren kann. 

Wird so der vorher verengte Hohlraum durch das Auseinander¬ 
weichen seiner Wandungen wieder erweitert, so entsteht jetzt in 
!;ihm ein negativer Druck, und mit einem auscultatorisch. wenn auch 
•i leise, doch deutlich wahrnehmbaren „einrülpsartigen“ Gerüus<-b 



Schematische Darstellung. 


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27. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE W0CHBN8CHÄIFT. 


1063 


stürzt die Luft aus der Mundhöhle in den luftverdünnten Raum 
zurück. Derselbe wird aufs Neue gefüllt und zur Production wei¬ 
terer Stimmgeräusche befähigt. Möglich, dass auch der obere Theil 
des Oesophagus mit in etwas zum Windkessel verbraucht wird, 
wenigstens bekamen wir bei der Untersuchung mit dem laryngo- 
skopisclien Spiegel mehrere Male den Eindruck, als wenn Luft aus 
der Oesophagusöffuung hervorströme und die der OefFung aufliegen- 
den Schleimmassen in Blasen aufwerfe. Die Convexität der Blasen 
lag hierbei nach oben. 

Doch nicht nur auf diese bisher beschriebene Weise allein 
bringt der Mann hörbare Laute hervor; noch ein weiterer Mecha¬ 
nismus tritt bei ihm in Thätigkeit. Die bisher beschriebene „Pseuilo- 
stirame“ hört auf, wenn der hintere Theil der Zunge zur Consonant- 
bildung sich dem Gaumen nähert, namentlich also bei Erzeugung 
der K-Lante, des Gaumen-R und Ch. Alsdann ersetzt das be¬ 
treffende, aber hier durch intensive Muskelaction abnorm verstärkte 
Consonant-Gaumen-Zungen-Geräuscli die „Pseudostimme.“ Die Bildung 
der letzteren ist unter diesen Verhältnissen unmöglich, da die Zunge 
hierbei der hintereu Rachenwand nicht genähert werden kann. 

So haben also die von dem Manne hervorgebrachten Stimm¬ 
geräusche einen zweifachen Ort ihrer Entstehung. — Die Gau m en¬ 
böge u als schwingende Membranen kommeu bei der Bildung der 
„Pseudostiinrae“ nicht in Betracht. 

■Abgesehen von seinem hohen wissenschaftlichen Interesse, 
ist dieser Fall praktisch von grosser Bedeutung, da er zeigt, dass 
nach Entfernung des ganzen Kehlkopfs durch systematische Muskel¬ 
übung die Bildung einer „Pseudostimrae“ ermöglicht wird, welche 
an Stärke und Deutlichkeit der durch einen künstlichen Kehlkopf 
geschaffenen Stimme zum mindesten gleichkommt, an Natürlichkeit 
aber die letztere bei weitem übertrifft. Dieselben Resultate, welche 
hier eine instinctiv richtig, energisch und unablässig vorgenommene 
Muskelübung erzielt hat, werden um so leichter von den Kranken 
gewonnen werden können, wenn nach Exstirpation des Kehlkopfs 
sachverständige Hülfe dem Kranken die richtigen Wege weist, auf 
welchen er eine laute, hörbare Sprache wiedererlangen kann. 

Literatur. 

1. Czermak, Einige Beobachtungen über die Sprache bei vollständiger 
Verwachsung des Gaumensegels mit der hinteren Schlundwand. Sitzungs¬ 
berichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien 1858, 
29. Band, p. 173 — 2. Czermak, Ueber die Sprache bei luftdichter 

Verschliessung des Kehlkopfes. Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 
Band 35, 1859, p. 65. — 3. Stork, Klinik der Krankheiten des Kehl¬ 
kopfs. Stuttgart 1880, p. 54(!. — 4. Czermak. Ueber die Sprache etc. 

I. c. p. 71. — 5. Störk, 1. c. p. 553. — 6. Störk, Ueber Larynx- 
exstirpation wegen Krebsheilung eines Falles mit Herstellung normaler 
Respiration und Phonation. Wiener med. Wochenschrift No. 49, 50, 1887. 

II. Aus dem städtischen Krankenhause Moabit in Berlin. 

Ueber einen Fall von Melanosarcom in 
inneren Organen 1 ) 

Von Paul Guttmann. 

In der verflossenen Sitzung hatte ich, anknüpfend an den Vor¬ 
trag des Herrn Litten über Melanosarcom der Leber, einen Fall von 
Melanosarcom des Herzens erwähnt nach einem primären Me¬ 
lanosarcom in der Orbita, dessen Präparat sich in meiner pathologisch¬ 
anatomischen Sammlung befindet. In dem betreffenden Falle fanden 
sich auch Melanosarcome im Darm, im Unterlappen der rechten 
Lunge und in der rechten Niere. Ich werde mir dann erlauben, 
die pathologisch-anatomischen Präparate sowie einige mikroskopische 
zu demonstriren. 

Der Fall betraf eine 68jährige Frau, welche am 4. April 1879 
in das städtische Krankenhaus Moabit (damals uuter Leitung von 
Curschmann) aufgenommen wurde und am 12. April starb. Aus 
der Krankheitsgeschichte erwähne ich nur kurz, dass im Jahre 
1849, also 30 Jahre vor der letzten Krankheit, eine Entzündung 
und Anschwellung des rechten Auges aufgetreten war, und dass 
der Bulbus, stark vergrössert, aus der Augenhöhle hervorgeragt 
haben soll. Dann war allmählich der Bulbus immer kleiner gewor¬ 
den, schliesslich ganz eingeschrumpft und das Sehvermögen dieses 
Auges vollständig verloren gegangen. Eine Operation war nicht 
vorgenommen worden. Die Frau blieb gesund bis zum Jahre 1874. 
Von dieser Zeit an machten sich Krankheitssymptorae geltend, na¬ 
mentlich Athmungsbeschwerden und Husten, die aber erst wenige 
Wochen vor ihrer Aufnahme in das Krankenhaus Moabit zuge¬ 
nommen hatten. 

Bei der Untersuchung fand sich der rechte Bulbus bis auf eiuen 
kleinen Rest zusammengeschrumpft, von der Cornea war nichts mehr 
sichtbar. (Das andere Auge intact.) Im rechten unteren Lungen¬ 
lappen eine Infiltration. Herz mässig stark vergrössert, Dämpfung 

*) Vortrag und Demonstration, gehalten im Verein für innere Medicin. 


bis zum rechten Sternalrand reichend. An der Herzspitze ein systo¬ 
lisches Geräusch. Bei der Section fand sich an dem ganz ge¬ 
schrumpften rechten Bulbus sowie hinten in der Orbita eine mela- 
notische Geschwulst. 1 ) 

Das vergrösserte Herz, dessen Klappen intact sind, ist durch 
beide Ventrikel mit zahlreichen Geschwülsten von schwarzer Färbung 
durchsetzt. Dieselben Geschwülste siud im Endocard und auf der 
Oberfläche des Herzens. Die Geschwülste haben meistens mehr als 
Linsen- bis Bohnengrösse, einige sind sogar klein kirschgross. Eben¬ 
solche über bohnengrosse schwarzen Geschwülste finden sich an 
mehreren Stellen der Dünndarmschleimhaut, und eine Geschwulst 
auch au der Oberfläche des Darms. In der rechten Niere am Hilus 
ebenfalls eine überbohnengrosse schwarze Geschwulst; ferner eine 
Anzahl kleiner Geschwülste im rechten unteren Lungenlappen. 

Die mikroskopische Untersuchung hat gezeigt, dass diese Ge¬ 
schwülste Sarcome sind, und das Sarcom besteht, ausser dem 
schwarzen Pigment, dem Melanin, welches in grossen Massen eiu- 
gestreut ist, zum Theil aus Spindelzellen, zum Theil aus Rundzellen; 
beide Zellformen finden sich häufig durchmischt, aber auch getrennt, 
an einem und demselben Schnitte. 

Dass in dem vorliegenden Falle das Melanosarcom in der Orbita 
die primärb Affectiou, die Melanosarcome in den iuuereu Organen 
die secundäre Atfection sind, geht schon aus der Krankheitsgeschichte 
hervor; ausserdem gehören Primärsarcome in den inneren Orgauen 
zu den allergrössten Seltenheiten, während Primärsarcome in der 
Orbita verhältnissmässig häufig sind. Das Interessante des Falles 
aber beruht auf der langen Latenzperiode, welche verlief zwischen 
dem Primärsarcom in der Orbita und den Metastasen in den inneren 
Organen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Beginn der Sarcotn- 
entwickelung in der Orbita 30 Jahre vor dem Lebensende zurück¬ 
liegt, dass er also in jene Zeit fällt, wo die entzündliche Anschwellung 
und starke Hervortreibung des Bulbus auftrat. Dann hat, offenbar 
erst in der letzten Lebenszeit, nach bis dahin vollkommener Ge¬ 
sundheit, von der Geschwulst in der Orbita aus eine metastatische 
Entwickelung multipler Melanosarcome in den inneren Organen 
stattgefunden. Eine fast 3 Decennien lange Latenz zwischen dem 
Auftreten primärer und metastatischer Melanosarcome erscheint aller¬ 
dings als etwas ganz Ungewöhnliches. Indessen kennen wir Fälle 
genug aus der Litteratur, wenn auch nicht von so langer Latenz¬ 
dauer, wie in der hier mitgetheilten Beobachtung, doch von einer 
solchen, die viele Jahre betrug, wo nach Pigraeutgeschwülsten in 
der Haut oder in der Mamma später Metastasen in deu inneren 
Organen sich gebildet haben. (Folgt die Demonstration der patho¬ 
logisch-anatomischen und mikroskopischen Präparate.) 


III. Aus dem Stadtkrankenhause in Offenbach a. M. 

Ueber einen Fall von traumatischem Tetanus 
mit sogen, chirurgischem Scharlach. 

Von Dr Emil Schäffer. 

Der folgende Fall wurde von mir im Stadtkrankenhause zu 
Offenbach a. M. beobachtet: 

M. Ch., 23jährige Dienstmagd aus Obernau; mit 16 Jahren Maseru¬ 
erkrankung, nie Scharlach. Am 5. November 1887 zog sich Pat. bei der Ar¬ 
beit am Mittelfinger der rechten Hand eine kleine eiternde, mitunter sehr 
schmerzhafte Schnittwunde zu, die nach 8 Tagen geheilt war, nachdem Pat. 
Kamillenthee und „Zugpflaster“ als Verbandmaterial gebraucht hatte. Am 
13. November spürte Pat. (wie sie sagt, durch Erkältung beim Waschen 
entstanden) starke anfallsweise auftretende Rückenschmerzen. Gefühl von 
grosser Mattigkeit und Abgeschlagenbeit. Ara 14. November Steifigkeit und 
Spannung in der Nackenmuskulatur, Abends die ersten Schlingbeschwerden, 
15. November Nackeustarre mit Trismus. 

15. November Abends Uhr Aufnahme in das Krankenhaus. 

Sehr kräftig gebaute, grosse Pat., sehr guter Ernährungszustand, Puls 
normal frequent, kräftig, regelmässig. Respiration ruhig, kein Fieber. 

Kopf nach hinten gezogen, mit dem Gesicht nach links gekehrt, activ 
und passiv vollständig unbeweglich, Mund kann etwas über 1 cm weit ge¬ 
öffnet werden, die contrahirten Masseteren beiderseits stark hervorspringend, 
Stirn leicht gerunzelt, Bulbi frei beweglich; activ können die oberen Ex¬ 
tremitäten bis zur Horizontalen erhoben werden, freie Beweglichkeit in den 
unteren Extremitäten. 

An der Dorsalfläche des rechten Mittelfingers, etwa 1 cm über dem 
unteren Interphalangealgelenk, eine frische Narbe mit leicht geröthe- 
ter Umgebung, etwas druckempfindlich. 

Sensibilität normal, Patellarreflexe, Periostreflexe normal, Tricepssehnen- 
reflex beiderseits nur schwach auszulösen; kein Bauchdeckenreflex, Stich- 
und Strichreflexe besonders an der Planta pedis beiderseits gesteigert, kein 
Fussphänomen, keine Trousseau’schen Flecken. 

Untersuchung der Brust- und Bauchorgane ergab negatives Resultat. 
Urin 1011 spec. Gew. o. E. u. Z. — 16. November. Starke Schmerzen in 
der Gegend beider Masseteren; Sprechen sehr erschwert, Mund kann nur 

*) Herr College J. Hirschberg hat den Bulbus damals untersucht. 
Die Geschwulst erwies sich als Melanosarcom. 


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1064 


DEUTSCHE MEDICENIßOHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52 


mit Mähe gering geöffnet werden, Bauchmuskulatur leicht tonisch contrahirt, 
sonst wie 15. November. 

17. November. Sehr unruhige Nacht; Contractiou der Bauchdecken¬ 
muskulatur hat zugeuommen, Abdomen etwas abgeflacht, starke Druckempfind¬ 
lichkeit in der Magengegend. Abends hat sich der Zustand der Pat. inso¬ 
fern geändert, als die Starre der Gesichts-, Nacken-, Rückenmuskulatur sich 
erheblich gesteigert hat; Stirn stark gerunzelt, der Gesichtsausdruck hämisch 
grinsend, der Unterkiefer nach vorn stehend, der Mund dabei sehr in die 
Breite verzogen, Kopf in das Kopfkissen förmlich eingebohrt, stark nach 
rückwärts gezogen. Wirbelsäule nach voru gekrümmt, der Rumpf erhebt 
sich bogenförmig über der Bettunterlage. Die unteren Extremitäten befinden 
sich in ausgesprochenem Strecktetanus, vordere Bauchwand und Epigastrium 
ganz abgeflacht, Bauchmuskeln ausserordentlich straff gespannt, heftige 
Schmerzen in der Magengegend, Gesichts- und Rückenmuskulatur. Profuse 
Schweisssecretion. 

18. November. Patientin verbrachte die Nacht ohne jeglichen Schlaf, 
stöhnte sehr viel. Die continuirliche Starre der Körpermuskulatur wird von 
einzelnen anfallsweise auftretenden, ausserordentlich heftigen 
Muskelcontractionen unterbrochen, mittlere Dauer der Paroxysmen 1 bis 
2 Minuten in Intervallen von durchschnittlich ‘/a Stunde. Spontanes Auf¬ 
treten der Paroxysmen; bei den Anfällen schreit Patientin laut auf. Die 
Anfälle wiederholen sich in verschiedener Intensität noch 6 mal während 
der Nacht. 

19. November. Status im Wesentlichen unverändert. 

20 November. Profuse Schweisssecretion am ganzen Körper, Sensorium 
völlig frei, Krämpfe wie gestern; bei Beklopfen der Sehne des Qua- 
driceps fern, beiderseits intensiver Clonus beider Ober- und 
Unterschenkel mit vorwiegender Betheiligung der Streckmus¬ 
kulatur. Beim Auslösen der Achillessehnenzuckung tritt als 
Mitbewegung mit dem Reflex der gereizten Seite eine Plantar¬ 
flexion auf der anderen Seite auf. Beiderseits Fussclonus 

21. November. Stat. idem. Urin 1012 specifisches Gewicht, enthält 
geringe Mengen Eiweiss. 

22. Novemher. Im bisherigen Zustand keine wesentliche Veränderung 
eingetreten. Die Nächte verbringt Patientin, von häufig wiederkehrenden 
Krampfparoxysmen geplagt, grösstentheils schlaflos. 

23. November. Krampfparoxysmen heute stärker und schmerzhafter. 
Klagen über Halsschmerzen. 


3. December. Exanthem an den beiden oberen Extremitäten in grossen 
Fetzen schuppend, weniger stark schuppend am Rückeu, Krampfanfälle habeu 
sehr nachgelassen, Trismus, Opisthotonus, Strecktetanus in den unteren 
Extremitäten dauern fort. 

4. December. Status idem. 

7. December. Desquamation dauert fort. Sowohl die tonischen wie 
clonischen Muskelcontractionen lassen bedeutend an Intensität, letztere auch 
an Häufigkeit und Schmerzhaftigkeit nach. Pat. vermag bereits geringe 
Flexionsbewegungen in beiden Kniegelenken auszufnhren. 

9. December. Nachdem bereits die Desquamation nahezu vollendet 
war, tritt 

10. December unter ansteigendem Fieber Scharlachexanthem zum 
zweiten Mal an Hals, Brust und Rücken, am 

11. December an Bauch, oberen und unteren Extremitäten auf, ain 
Bauch miliaria cristallina. Klagen über starke Halsschmerzen. 

12. December. Starke Schmerzen in den Masseteren, der Bauch-. 
Rücken- und Nackenmuskulatur. 

13. December. Intensives scharlachrothes Exanthem besonders stark 
am Abdomen, der Streckseite der unteren Extremitäten. Krampfanfälle wieder 
sehr stark und heftig (von früh 8 Uhr bis Abends 8 Uhr zehn Mal), darunter 
einige in solcher Stärke, dass Pat. bei denselben vor Schmerzen wieder 
laut aufschreit und hoch im Bett emporgeworfen wird. Im Laufe des Tages 
mehrere Schlingkrämpfe mit hochgradiger Dyspnoe. 

14. December. Paroxysmen heute schwächer. Exanthem wie gestern. 

15 December. Starke Halsschmerzen, tonische Muskelstarre unverändert, 

Exanthem noch im Blüthestadium. 

16. December. Exanthem beginnt abzublassen. Krampfparoxysmen 
heute häufiger wie gestern. 

18. December. Opisthotonus hat etwas nachgelassen, Trismus unver¬ 
ändert, ebenso Strecktetanus der unteren Extremitäten. 

19. December. Exanthem schuppt ab. Der Kopf kann heute be¬ 
reits activ in kleinen Excursionen vor- und rückwärts bewegt werden. 

20. December. Trismus im Abnehmen begriffen. Beim Vorstrecken der 
Zunge beisst sich Patientin. von Krämpfen im Gebiet der Kanmuskeln 
überrascht, öfters in die Zunge. 

Rechts hinten unten, links hinten unten zahlreiche brouchitische Ge- 
I räusche, keine Dämpfung, Vesiculärathmen. 

21. December. Während früher der Rumpf der Pat. hoch bogenförmig 


November December 

I.V-23. 24. 25. 26. 27. 28. 20. SO. 1. 2. S. 4. 5. 6. 7. 8. 0. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. ». 



Smrlatina: I)..«i)namntlon Recidlv " Desqnüttäon 

Tetanus: imAbuebmeu im Zuuehmen im Abuelitneu. 


24. November. (Morgens) in nächster Nähe der Narbe, am rechten 
Handrücken, sowie am rechten Vorder- und Oberarm ein diffuses 
intensiv rothes Erythem, das sich bereits Abends als unzweifelhaftes 
Scharlachexanthem auf die Brust und den Hals erstreckt. 

Krampfparoxysmen stärker aber nicht häufiger. 

25. November. Exanthem hat sich auf das Gesicht, die linke obere 
Extremität und den Rücken ausgebreitet. Krampfparoxysmen sehr schmerz¬ 
haft und häufig; Patientin, bei völlig freiem Sensorium, vermag den Mund eben 
noch genügend zu öffnen, dass flüssige Nahrung (Milch, Fleischlösung mit 
Ei, Wein) eingeschüttet werden kann. Schlingkrämpfe mit bedeutender Cy- 
anose (Krämpfe der Respirationsmuskulatur). 

Exanthem am rechten Vorder- und Oberarm bereits abgeblasst, bat sich 
heute auf den ganzen Körper ausgebreitet. 

27. November. Krampfparoxysmen sehr intensiv, lange dauernd, so 
dass Patientin unter lautem Schroien bei den ruckweise auftretenden Anfallen 
bis zur Höhe der als Schutzvorrichtung seitlich angebrachten Bettbretter 
emporgeschnellt wird. Profuse Schweisssecretion, Klagen über sehr starken 
Durst. 

Exanthem au den übrigen Stellen (ausgenommen den rechten oberen 
Extremitäten) noch im Blüthestadium. 

28. November. Nach einer äusserst unruhigen Nacht treten im Laufe 
des heutigen Tages die Paroxysmen zwar nicht seltener, aber entschieden 
schwächer auf. Tetanische Contraction der Körpermuskulatur in gleicher 
Stärke wie früher. Sensorium frei. 

Scarlatina beginnt im Ganzen abzublassen. Auf der Rauchhaut 
zahlreiche Sudamina; Starke Halsschmerzen. Anschwellung der sub- 
maxillaren Lymphdrüsen kann bei der tetanischen Starre nicht con- 
statirt werden. 

29. November. Sensorium heute benommener, sonst keine wesentliche 
Veränderung. 

1. December. Morgens spontan auftretender, sehr heftiger Schlingkrampf, 
suffocatorischer Anfall; sonst Intensität und Häufigkeit der Krämpfe unver¬ 
ändert. 

2. December. An den oberen und uuteren Extremitäten, auf der Brust 
beginnt lamellöse Abschuppung. 


über der ßettuuterlage erhoben war, ist heute der Opisthotonus bereits soweit 
zurückgegangen, dass man eben kaum die Faust zwischen Wirbelsäule und 
Bettunterlage unterschieben kann. Tetan. Contraction der Bauchmuskulatur 
und Strecktetanus in den unteren Extremitäten bedeutend geringer. Beide 
obere Extremitäten frei beweglich. Fester ruhiger Schlaf, nur kurz und 
wenig unterbrochen von gewissermaassen noch rudimentär auflretenden 
Paroxysmen. 

25. December. Desquamation dauert fort. Die früher ausserordentlich 
kräftige und wohlgenährte Pat. ist jetzt bis zum Skelet abgemagert, ist sehr 
matt und müde, schläft fast den ganzen Tag. Letzter, nur kurze Zeit dauernder 
Krampfanfall; tetanische Muskelstarre sehr im Abnehmen begriffen; verein¬ 
zelte grobblasige Rasselgeräusche über beiden Lungen; sehr starkes Durst - 
gefühl. Pat. nimmt täglich 2 1 /»—3*/j 1 Milch, */*— 3 I* • Wein, 4 —6 Eier, 
feingehacktes Fleisch u. s. w. zu sich. 

31. December. Tetanische Starre der Nacken- und Bauchmuskulatur 
nur noch gering. Auf der Brust und besonders an den Händen noch deut¬ 
liche lamellöse Abschuppung. 

4. Januar. Pat. vermag sich bereits von selbst im Bett aufzusetzen: 
Trismus und Opisthotonus völlig verschwunden, Abdomen weich, Bauchdecken¬ 
reflexe sehr gesteigert. 

10. Januar. Pat. kann ohne Mühe feste Nahruug zu sich nehmen. 
Desquamation beendigt. Rigidität der Extremitäten- und Rücken¬ 
muskeln. 

26. Januar. Pat zum ersten Male ausser Bett; subjectives Wohlbe¬ 
finden. 

13. Februar. Pat., die sehr bedeutende Quantitäten Nahrung zu sich 
nimmt, erholt sich zusehends, Patellarreflexe beiderseits normal, 
geringe Achillessehnenzuckung, keine Mitbewegung, Hautstich¬ 
und Strichreflexe, besonders Bauchdeckenreflexe sehr leicht 
auszu lösen. 

U*. Februar. Pat. geheilt in ihre Heimath entlassen. 

Von den weiteren Aufzeichnungen über den Krankheitsverlauf sei noch 
der ausserordentlich retardirte Stuhl (vom 15. November bis 21. I>ecenabcr 
4 Stühle) und das im Höhestadium der Krankheit beträchtlich reducirte 
Urinquantum erwähnt. Die tägliche Uriumenge steigerte sieb mit dem 


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27. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1065 


Nachlassen der spastischen Erscheinungen von 150 und 200 ccm auf 13 — 1500 
in der Reconvalescenz. Der täglich untersuchte Urin enthielt öfters geringe 
Mengen Eiweiss (Essbach’scbes Reagenz), nie Zucker. Am 13. December nahm 
der Eiweissgebalt im Urin (spec. Gew. 1017) erheblich zu, Urin sedimen- 
tireud, dunkler gefärbt; im Sediment weisse und relativ spärlich rothe Blut- 
zellen, reichlich hyaline Cylinder. Am 18. December nahm das Eiweiss im 
Urin ab, die hyalinen Cylinder wurden spärlicher, vereinzelte Blutzellen und 
Nierenepithelien; am Körper keine Oedeme. 

Am 23. December im Urin nur wenig Eiweiss, hie und da hyaline 
Cylinder, spec. Gew. 1012. 

27. December. Urin ei weissfrei, ohne Sediment. 

Wenn ich nach Schilderung meiner Beobachtung ein Resume 
geben darf, so handelt es sich um einen traumatischen Tetanus, 
nach einer inficirten, vernachlässigten Fingerwunde, der mit reci- 
divirenderScarlatina combinirt war. Neben hochgradigem 
Trismus, Opisthotonus, Strecktetanns in den untern Extrem., brett- 
harter tetanischer Starre der Bauchmuskeln traten jedesmal zur 
Bliithezeit des Scharlachexanthems die sogenannten Stösse (nach 
Kose) in sehr schmerzhafter und ausserordentlich heftiger Weise j 
mit grosser Häufigkeit auf. so dass Patientin mehrmals laut schreiend ; 
im Bett hochemporgeschleudert wurde. Dass besonders länger | 
dauernde Tetanus-Erkrankungen in ihrer Intensität nachlassen, um i 
später wieder mit erneuter Heftigkeit aufzutreten, hat bereits Rose j 
in seiner Monographie über den Tetanus hervorgehoben. Ob es in i 
unserm Fall nur Zufall war, dass das verstärkte Auftreten ' 
beide Male mit dem Bliithestadium der Scarlatina zu¬ 
sammenfiel, vermag ich nicht zu entscheiden. Die Qualen 
der Patientin steigerten sich, als zu diesen schmerzhaften Krampf- ' 
paroxysmeu noch Krämpfe der Schling- und Respirationsmuskeln 
traten, und Patientin suffocatorische Anfälle zu überstehen hatte (wohl 
in Folge krampfhaften Glottisverschlusses.) Die Aussichten auf einen 
günstigen Ausgang der Krankheit waren — von der Combination 
mit Scarlatina vorläufig abgesehen — bei den so häufig und intensiv 
auftretendeu Stössen leicht erklärlicher Weise nur sehr gering, in¬ 
dem ja jeder neue Paroxysmus das Leben der Patientin, deren Er¬ 
nährung wegen des starken Trismus sehr grosse Schwierigkeiten bot, 
iii der ernstesten Weise bedrohte. Die über die ganze Skelettmus- 
kulatur ausgebreitete, nur an den beiden oberen Extremitäten we¬ 
niger stark entwickelte tetanische Starre liess nach 4 Wochen all¬ 
mählich nach, die Paroxysmeu nahmen an Häufigkeit und Intensität 
ab, Patientin verbrachte die Nächte wieder in erquickendem Schlaf 
und erholte sich bei roborirender Kost zusehends; lange Zeit nach¬ 
her war noch eine bedeutende Muskelrigidität nachzuweisen. 

Die Behandlung des Tetanus bestand in unserm Fall in grossen 
Dosen von Chloralhydrat; anfangs konnte die Verabreichung des i 
Medicainents in Tagesdosen von 6 — 12 g per os erfolgen, später | 
musste die Application per clysma in entsprechend erhöhten Dosen 
stattlinden, nachdem durch den innerlichen Gebrauch das Zustande- i 
kommen der Schlingkrämpfe begünstigt erscheint, was kein Wunder ‘ 
nehmen kann, wenn man bedenkt, dass Chloral, durch den Mund 
eingeführt, häutig kratzende Empfindungen im Rachen hervorruft. 
Obwohl gerade Tetanuskranke Narcotica in ganz bedeutenden Men¬ 
gen vertragen können, ist doch bei solchen Quantitäten eine genaue 
ärztliche Controle der Athmungs- und Herzthätigkeit nöthig. Von 
der Anwendung des in neuerer Zeit empfohlenen Curare wurde 
wegen der Unzuverlässigkeit des Präparates Umgang genommen. 

Die therapeutischen Massnahmen gegen Tetanus können über¬ 
haupt in Ermangelung eines Specificums nur symptomatische sein; 
mit einer mehr individualisirenden Behandlung wird man auch 
hier — soweit dies möglich ist — noch am meisten zur Linderung 
dieses entsetzlichen Leidens beitragen können; an dem für die Be¬ 
handlung leitenden Princip wird ja nichts geändert, ob in dem einen 
Fall Morphium, in dem zweiten Chloral und in einem dritten viel¬ 
leicht Bromkali eine bessere Wirkung hatten. Geradezu indicatio 
vitalis dagegen ist es, durch kräftige roborirende Nahrung auf jede 
mögliche Weise — per os oder per clysma — einer zu raschen 
Consumption der Körperkräfte vorzubeugen. Hoffentlich gelingt es 
auf dem neuerdings von Brieger und Crumpe eingeschlagenen 
Wege, die Tetannsbacillen resp. deren Stoffwechselproducte durch 
gewisse Ptomaine unschädlich zu machen und in ihnen ein 
Speeificum für diese lnfectionskrankheit zu finden. 

Zehn Tage nach dem Auftreten desTetanus und ebenso lange nach 
Vernarbung der eiternden Fingerwunde trat als Combination eine 
recidivirende Scharlacherkrankung auf, zuerst in nächster Um¬ 
gebung der leicht gerötheten und wenig druckempfindlichen Narbe, 
am Handrücken und vor Vorder- und Oberarm. Bei der 
Abendvisite war das Scharlachexanthem auf der Brust und am 
Hals nicht mehr zu verkennen. Nach Temperatursteigerungen 
bis zu 40,4 blasste nach 4 — ötägigem Bestehen das Exan¬ 
them ab, an seine Stelle tritt unter lytischer Defervescenz eine 
typische lamellöse Abschuppung, welche 8 Tage dauert. Nach¬ 
dem einige Tage bereits völlige Apyrexie bestand, erscheint unter 
Temperatursteigerung von 37,0 auf 39,6 am Hals, Brust und 


Rücken das Recidiv, 17 Tage nach dem Auftreten der ersten 
Erkrankuug. Tetanus und Krarapfparoxysmeu, die einige Tage vor¬ 
her bereits ziemlich uachliessen, treteu in alter Heftigkeit wieder 
auf, das Exanthem nimmt an Intensität zu, es besteht eine hohe 
Continua mit abendlichen Exacerbationen von 39,6—40,6, 
hohe Pulsfrequenz von 120— 140 per Minute. Nach mehr¬ 
tägiger Blüthezeit des recidiven Exanthems beginnt unter all¬ 
mählicher Defervescenz mit dem Abblassen eine Desqua¬ 
matio membranacea, die einige Wochen anhält. Die in der 
Zeit vom 13. — 27. December constatirten Urinbefuude rechtfertigen 
die Annahme einer, wenn auch nur leichten, Scharlach¬ 
nephritis. 

Die Diagnose Scarlatina stützt sich in unserem Falle — die 
wiederholten Klagen über heftige Halsschmerzen können hier bei 
der Unmöglichkeit eines objectiven diesbezüglichen Befundes selbst¬ 
verständlich nicht berücksichtigt werden — auf das charakte¬ 
ristische Exanthem und dessen Weiter Verbreitung, auf den 
Gesammtverlauf der Erkrankung (acutes Auftreten, hoheFebris 
continua, mit dem Abblassen lytische Defervescenz, später 
typische lamellöse Abschuppung) sowie auf das Auftreten 
der secundären Nephritis. Eine Verwechelung mit Masern 
war unter diesen Umständen nicht gut möglich. 

Ich habe noch einmal kurz die in vorliegendem Falle beobach¬ 
teten Scharlachsymptome zusammengestellt, für eventuelle Eiu- 
wände, als habe es sich hier nicht um Scharlach, sondern vielleicht 
nur um eiue von jenen Hautaffectionen gehandelt, die man mit 
Hoffa in die Zahl der congestiven, der toxischen und der 
septischen Erytheme einreihen kann. 

Was nun das Vorkommen des Reeidivs bei Scharlach an¬ 
langt, so waren meines Wissens Thomas, Körner und Troja¬ 
no wski die Ersten, welche hierüber genauere Mittheilungen 
machten. Weitere Beobachtungen liegen vor von He noch. 
Hüttenbrenner, Sörensen, Rill iet und Barthez. Thomas 
unterscheidet iu seiner Arbeit über Scharlach zwischen Recidiven, 
Pseudorecidiven und zweitmaligen Erkrankungen. In unserem 
Falle handelt es sich nach diesem Autor um ein wirkliches 
Recidiv (s. v. Zieinssen, Handbuch der spec. Path. u. Therap. 
1877, II, 2 p. 198 e.) Henoch erwähnt in seinen Vorlesungen 
über Kinderkrankheiten (1881 pag. 585) 4 selbst beobachtete Fälle 
von Scharlachrecidiv. Nach ihm dürften, wenn man nicht ein 
prägnantes Bild einer Scharlacherkraukung beim Recidiv 
erwartet, dieselben weniger selten sein als bis jetzt angenommen. 
Willan hat unter 2000 Scharlachfallen nur einmalige Erkrankun¬ 
gen beobachtet; nach d’Espinet und Picot, Steiner sind die 
Recidive des Scharlachs sehr selten. Strümpell schreibt in seinem 
Lehrbuch, dass in freilich sehr seltenen Fällen Scharlachrecidive 
Vorkommen, bei denen nach scheinbarem Ablauf der ersten Erkran¬ 
kuug ein neues Exanthem mit allen übrigen Erscheinungen des 
Scharlachs ausbricht. 

Wie kam die Pat. zu dem Scharlackexanthem? Unwahrscheinlich 
ist mir die Annahme, dass Pat. erst im Krankenhaus inficirt worden 
ist, da zu damaliger Zeit im Krankenhaus zufälliger Weise Scarlatina- 
Fälle nicht behandelt wurden. Viel wahrscheinlicher dagegen halte 
ich es, dass Pat. die Scbarlachinfection bereits in der Stadt vor 
ihrem Eintritt in das Krankenhaus acquirirte — in der Stadt wurden 
Scharlachfalle ärztlich behandelt. — Zweckmässig unterscheidet mau 
mit Naunyn zwischen „Infection“ und „Infect“. Mit „Infect“ 
bezeichnet Naunyn den Zustand der bereits vollzogenen In- 
fectionsWirkung. In unserem Falle wurde also aus der ausserhalb 
des Krankenhauses acquirirten „Infection“ im Krankenhause erst der 
wirkliche „Infect“. 

Die Annahme einer durch die Wunde geschaffenen Prädis- 
osition findet eine Stütze in der Thatsache, dass das erste 
charlachexanthem von der Narbe ausging. Wir haben also hier 
einen echten sog. chirurgischen Scharlach vor uns. Hoffa hat 
in seiner Monographie „über den sog. Chirurg. Scharlach“ (Volk¬ 
mann, Samml. klin. Vortr. No. 292) die bis jetzt unter diesem 
Namen angeführten Fälle einer eingehenden kritischen Besprechung 
unterzogen und, indem er neben seinen Beobachtungen die von 
Gerhardt, Leube, Riedinger, Smith, Lannelongue und 
Patin anführt, will er mit vollem Recht den Namen „Chirurg. 
Scharlach“, wenn überhaupt, so doch „nur jenen Fällen beigelegt 
wissen, bei denen die Scbarlachinfection wirklich ihren 
Ausgang von einer Wunde genommen hat.“ 

Die Incubationszeit des chirurg. Scharlachs ist nach den Be¬ 
obachtungen von James Paget, im Vergleich zu der der „gewöhn¬ 
lichen“ Scharlacherkrankung, immer verkürzt. In unserem Falle 
schwankt dieselbe für die Annahme der Scbarlachinfection von der 
Wunde aus zwischen 10 und 19 Tageu; id est ich rechne die 
Zeit, die zwischen der Verletzung und vollständigen Vernarbung 
einerseits und erstem Scharlachauftreten andererseits liegt. Leube, 
Hoffa theileu eine Incubationszeit von 9 Tagen mit, Riedinger 


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1066 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 52 


eine solche von 14 Tagen; Beobachtungen, welche mit denen von 
Paget ebensowenig übereinstimmen wie die meinige. 

Beiläufig will ich noch bemerken, dass in unserem Falle 
einer Infectionsmöglicbkeit für andere Patienten (ganz 
unabsichtlicher Weise) in erster Linie dadurch vorgebeugt war, 
dass die Tetanuskranke bereits nach dreitägigem Aufenthalt im 
Krankenhaus, also 6 Tage vor Ausbruch des Scharlachs isolirt 
wurde, da durch die häufig auftretenden Krampfparoxysmen die 
übrigen Saalkranken sehr belästigt wurden. 

Wenn ich zum Schluss noch eine kurze Bemerkung über die 
Gesamraterkrankung *) machen darf, so haben wir in vor¬ 
liegendem Falle ein Beispiel einer Mischiufeetiou, combinirt aus 
deu zwei specifischen aceidentellen Wuudkraukheiten: Traumat. 
Tetanus und sog. chirurg. Scharlach. Ich muss eingestehen, 
dass bei den so ausgesprochenen Symptomen eiuer schweren Tetanus- 
erkraukuug mit Erstickuugsanfällen, bei der relativen Machtlosigkeit 
unserer Therapie und noch mehr bei der Combination des Tetanus 
mit Scarlatina ich einen Ausgang iu Genesung nicht erwartete. Man 
kann sich hier wohl die Frage vorlegen, ob nicht gerade durch 
die Coincidenz der zwei lnfectionskrankheiten eiue gegenseitig 
ab sch wäch ende Beeinflussung in der Entwickelung beider zum 
Durchschlag gekommen ist und deu Ausgang in Genesung herbei¬ 
geführt hat. Seifert ist geneigt, für die von ihm beobachteten 
Fälle von gleichzeitiger Masern- mit Scharlacherkrankung 
anzunehmen, dass die eine Erkrankung einen abschwächendeu Ein¬ 
fluss auf den Infectionsstoff der zweiten ausgeübt hat (Verhaudl. d. 
VII. Congr. f. i. Med. p. 897). Ich muss mich leider darauf be¬ 
schränken, diese Frage nur beiläufig erwähnt zu haben, umsomehr, 
als ich mich lediglich nur auf diese eine Beobachtung stützen kann 
und ich weitere Angaben über die C'ombiuation von Tetanus mit 
Scharlach oder Scharlachrecidiv in der mir zugängigen Litteratur 
nicht finden konnte. 

Vielleicht ist es mir aber durch Veröffentlichung dieser Beob¬ 
achtung gelungen, einen kleinen Beitrag zur Beurtheilung analoger 
Fälle geliefert zu haben, womit ja der Zweck dieser Zeilen voll¬ 
kommen erreicht ist. 

Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, dem Oberarzt 
des Krankenhauses, Herrn I)r. W. Köhler, für das freundliche 
Interesse, das er in jeder Beziehung meiner Arbeit schenkte, auch 
an dieser Stelle bestens zu danken. 

IV. Die Anwendung der pneumatischen 
Kammern bei Herzleiden. 

Vou Dr. G. v. Liebig in Reichenhull-München. 

Der Einfluss des erhöhten Luftdruckes auf die Circulation wurde 
schon bei den ersten Beobachtungen in den pneumatischen Kammern 
als ein beruhigender erkannt. 

Allerdings hatte Jnnod, der 1833 als der erste Versuche über 
die physiologische Wirkung des erhöhten Luftdruckes anstellte, 
in Verbindung mit einer eigeuthümlichen und starken Erreguug des 
Nervensystems einen beschleunigten Puls gefunden, allein dies war 
durch seine Methode bedingt, denn seine Versuche wurden in einem 
engen Raume unter rascher Steigerung des Luftdruckes gemacht, 
welche sogleich wieder in ein rasches Fallen überging. 

Erst 1840 stellte Tabarie eine pneumatische Kammer her und 
gab die richtige Betriebsweise an, welche langsame Uebergänge 
und eine gleichbleibende Druckerhöhung, von der Dauer einer 
Stnnde, auf 30 bis 32 cm Hg verlangt, und nun fanden die Aerzte 
als Regel eine Verminderung -der Pulsfrequenz. 

Bei Gesunden tritt diese nicht immer in auffallender Weise 
hervor, denn dieGrÖsse der Herabsetzung wechselt nach v. Vivenot’s 
Beobachtungen je nach der Anfangsfrequenz, sie ist bisweilen 
grösser, bisweilen auch nur unbedeutend. Bei Kranken und bei 
geschwächten Personen, deren Puls gewöhnlich etwas rascher schlägt, 
ist sie viel bedeutender. Bertin, in seiner etude clinique, erwähnt 
als höchste von ihm beobachtete Herabsetzung der Frequenz, eines 
Falles von Emphysem auf beiden Lungen, in welchem der ge¬ 
wöhnlich 106 und 108 zählende Puls nach der ersten Sitzung auf 72, 
und in den folgendeu Sitzuugen bis auf 45 herabging, und erst 
längere Zeit nach Schluss der Behandlung erhob er sich wieder 
auf 56, und ähnliche Beispiele finden sich bei Pravaz. Milli et 
und J. Lange. 

Unter höheren Luftdrucken, zwischen 3 und 4 Atmosphären, 
wie sie in deu eisernen Luftschachten Vorkommen, iu denen man 
bei Wasserbauten zur Verdrängung des Wassers den Luftdruck er¬ 
höht, und auf deren Grund die Arbeiter sich bewegen, ist die Ver¬ 
langsamung des Pulses auch bei Gesunden oft eine stärkere. Im 

') Eine kurze graphische Darstellung habe ich in der Temperatur- 
curve pag. 1064 zu geben versucht. 


Kohlenwerke bei Lourches faud Pol, dessen Puls gewöhnlich 
70 Schläge zählte, eine Herabsetzung auf 55, Foley beobachtete 
bei dem Brückenbau zu Argenteuil an sich und an einem Collegen 
eine Verminderung der Pulsfrequenz um 8 und 10 Schläge. Foley 
bemerkte auch in anderer Richtung eine Einwirkung auf das Gefäss- 
system, nämlich darin, dass sich der Umfang der Radialarterie ver¬ 
minderte, und dass congestiv angeschwellte Venen am Augapfel zu¬ 
sammenfielen und verschwanden, Beobachtungen, welche später 
auch in den pneumatischen Kammern wiederholt werden konnteu. 

Eine weitere Wahrnehmung, welche mit Bezug auf das Circu- 
lationssystem gemacht wurde, ist das Sinken des Blutdruckes unter 
der gleichbleibenden Druckhöhe in der pneumatischen Kammer, 
und ich erwähne iu dieser Beziehung die Versuche von J. Lange, 
Panum, Mosso, Lazarus und Zadeck. 

Gestützt auf die Beobachtungen über die Pulsfrequenz durfte 
mau mit Recht dem erhöhten Luftdrucke eine beruhigende 
Wirkung auf die Herzthätigkeit zuschreiben, und einige versuchten 
seine Anwendung bei Herzkrankheiten, besonders auch mit Rücksicht 
auf die Erleichterung, welche die in verdichteter Luft auftretende 
stärkere Entfaltung der Lungen d ;r Herzthätigkeit gewähren könne. 
Andere warnten davor, weil sie an eine Erhöhung des Blutdruckes 
in deu pneumatischen Kammeru glaubten, und ein schlimmer Zufall, 
welchen J. Lange beobachtete, schien diese Ansicht zu bestätigen 
Auch schienen die Ergebnisse, welche Sandahl bei Klappenfehlern 
verschiedener Art durch den Luftdruck erzielte, nicht ermunternd, 
da er nur bei 9 Fällen unter 29 eine Besserung verzeichnete. 
Anders lauten die Angaben, wenn mau Fälle bestimmter Art be¬ 
trachtet, denn es liegen Beobachtungen günstigen Erfolges bei Iu- 
sufficienz der Mitralis, iu Verbindung mit grösseren oder geringeren 
Beschwerden der Athemorgane, von verschiedenen Aerzten vor, und 
auch ich habe zwei derartige Fälle beobachtet. Auch bei Schwäche 
des Herzmuskels, wie sie mit oder ohne Dilatation bei chronischem 
Lungenemphysem, alten chron. Bronchialkatarrhen und bei anämischen 
Zuständen vorkoramt, sind die Wirkungen auf die Herzthätigkeit 
immer kräftigende. 

Um über die Art und die Bedeutung der Wirkuug des erhöhten 
Luftdruckes auf die Circulation uns Klarheit zu verschaffen, müssen 
wir auf die Ursachen zurückgehen, welche zunächst die Verlang¬ 
samung des Pulses veranlassen. 

Eine Reihe vou Versuchen, welche ich mit einem in den thera¬ 
peutischen Monatsheften (Mai 1887) abgebildeten Circulationsapparate 
anstellte, ergaben, dass au einem geschlossenen Systeme elastischer 
Rohre, welches mit Wasser gefüllt ist, der erhöhte Luftdruck an sieh 
keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Circulation besitzt. 

Für den menschlichen Körper ist aber zu berücksichtigen, 
dass iu der verdichteten Luft die Lungenstellung erweitert wird, 
wodurch die saugende Spannung der Lungen und der negative 
Druck im Pleuraraume zunehmen muss. 

Die Erweiterung der Lungenstellung ist aus v. Vivenot s 
Arbeiten bekannt, und Panum hat die Grösse der mittleren Er¬ 
weiterung an zwei Personen bestimmt, er fand bei der einen eine 
Zunahme von 500 kbem, bei der anderen von 200 kbem. Die Ursache 
der Erweiterung ist der grössere Widerstand, welchen die verdichtete 
Luft der Zusammenziehung der Lungen entgegensetzt. 

Ich brachte also über dem Ausgangspunkte der Circulation 
eine saugende Spannung an, welche den Druck an dieser Stelle 
herabsetzte, sowie die Lungenspannung den Druck im Pleuraraume 
herabsetzt oder negativ macht, und nun wurde die Circulation ver¬ 
langsamt, während der Seitendruck in den elastischen Rohren des 
Circulationssystems zugleich sank. 1 ) 

Dies ist dieselbe Erscheinung, welche am grossen Kreisläufe 
auch unter dem gewöhnlichen Luftdrucke hervortritt, wenn bei der 
Einathmung die Spannung der Lungeu durch deren Ausdehnung 
verstärkt wird. Während der Blutdruck in den Arterien sinkt, ist 
dann nach Vierordt der Pulsschlag bei der gewöhnlichen Ein- 
athmuug verlangsamt, und Marey weist dasselbe an Pulscurven 
nach, die während einer langsam ausgeführten tiefen Einathmang 
aufgenommen waren. Die Curven, welche ich Ihnen vorlegen werde, 
zeigen die stärkste Verlangsamung am Ende der Einathmung 

Wenu es die Ausdehnung der Lungen ist, welche bei der Ein¬ 
athmung ein Sinken des Blutdruckes und eine Verlangsamung des 
Pulses veranlasst, so können wir schliessen, dass die Ausdehnung 
der Lungen, welche in der pneumatischen Kammer stattfindet, die 
gleiche Wirkung haben werde, welche stärker oder schwächer her¬ 
vortreten wird, je nachdem die mittlere Erweiterung der Lungen¬ 
stellung grösser oder kleiner ausfällt. 

Wir können diesen Schluss mit um so grösserer Sicherheit 
ziehen, als es gelungen ist, unter Beibehaltung der gleichen Be¬ 
dingungen auch an einem künstlichen Circulationssystem ein Sinkeu 


l ) Die Arbeit ist erschienen in du Bois-Reymond’s Archiv 18S8. 
physiol. Abtheil. 285. 


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27. December. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


T067 


des Seitendruckes und eine Verlangsamung der Circulation zu be¬ 
wirken. 

Eine Verlangsamung der Circulation ist nicht nothwendig immer 
mit einer Verminderung der Pulsfrequenz verbunden, und man sucht 
die Ursache der Verlangsamung des Pulses bei der Einathmung ge¬ 
wöhnlich in einer Erregung des Vagus. Allein wenn wir voraus¬ 
setzen, dass alle antreibenden oder verzögernden nervösen Einflüsse ; 
auf die Circulation ausgeschlossen bleiben, und wenn wir das Herz : 
als eine Maschine betrachten, so lässt sich nachweiseu, dass die 
mechanischen Verhältnisse hier ausreichen, um auch die Verlang¬ 
samung des Pulses zu erklären. 

Wir gelangen zu dieser Erklärung am leichtesten, wenu wir die 
Wirkung der Lungenspannung auf die Circulation, welche wir als 
Ursache der Verlangsamung ansehen können, genauer verfolgen. Die 
erste Wirkung ist immer eine Erniedrigung des Druckes im Pleura¬ 
raume. Nehmen wir an. die Lungenspannung betrage in der Aus- 
athmungsstellung 1 cm Hg, so ist der im Pleuraraum herrschende { 
Druck um 1 cm geringer, als der äussere Luftdruck, also 75 cm Hg, I 
wenu dieser 76 beträgt. Verstärkt sich nun die Lungenspannung i 
durch die erweiterte Stellung um 1 cm so nimmt der Druck irn 
Pleuraraume abermals um 1 cm ab und wird nun 74 cm. Den 
Unterschied dieses Druckes von dem äusseren Luftdrucke bezeichnet 
man als negativen Druck, und wenn dieser zunimmt, so wächst 
auch das Uebergewicht des äusseren Druckes über den Druck im I 
Pleuraraume. 

Durch die Zunahme des negativen Druckes ändert sich nun I 
das Verhältniss der Blutvertheilung im grossen und kleinen Kreis- i 
laufe, denn der stärker gewordene äussere Luftdruck drängt einen l 
entsprechend grösseren Theil des Inhalts der Gefässe nach dem Orte I 
des geringeren Druckes hin. i 

Das Blut, welches aus dem äussereu üebergewichte so weicht, I 
wird zum Theile der Vena cava und den Lungen zugeführt, zum 
Theile in der Aorta thoracica und ascendeus zurückgehalten. Im 
übrigen Gefässsysteme wird durch die Entziehung dieser Blutmenge 
die Spannung der Gefässwände und der Seitendruck geringer, und 
der Blutdruck sinkt also, während zugleich das Strombett durch 
das Zusainmendrückeu der Gefässe verengt wird. 

Die mit der Abnahme des Seitendruckes verbundene Verenguug 
des Strombettes bedingt nun eine Verlangsamung der Circu¬ 
lation. 

Wenn wir jetzt voraussetzen, dass die Herzthätigkeit nicht | 
durch besondere Reize verstärkt werde, so müsste bei gleicher Kraft 
und bei gleichem Inhalte des Herzstosses nach mechanischen Ge- I 
setzen die Zusammenziehung des Herzens nuu ebenfalls langsamer i 
erfolgen. Deun der Widerstand, welchen das in der Aorta asceudens | 
vorhaudene Blut der Zusammenziehung entgegensetzt, ist um die 
Zunahme des negativen Druckes gewachsen, weil diese das Ueber- j 
gewicht des äusseren Luftdruckes über den Druck im Pleuraraume \ 
verstärkt hat. Der Puls müsste träger werden, wie es auch Vierordt 
für den Durchschnitt der Pulse bei der Einathmung angegeben hat, 
und wie es auch an den vorliegenden Aufnahmen bei der Einathmung i 
zu erkennen ist. 

Die Wirkung des erhöhten Luftdruckes wäre hiernach, ohne 1 
einen grösseren Kraftverbrauch zu bedingen, eine mechanisch be- l 
ruhigende und inässigende. 

In Wirklichkeit ist die Verstärkung, welche die Spaunuug der 
Lungen durch deren stärkere Ausdehnung in der pneumatischen 
Kammer erfährt, nicht gross, sie beträgt bei der Zunahme um 
öOOkbcm soviel, wie bei einem gewöhnlichen Athemzuge, bei 200kbcm 
noch weniger. Bei einem Gesunden würde die Wirkung auf den 
Puls bei der Dehnung um 200 wohl kaum bemerklich werden. Bei 
Kranken kommt aber für die Wirkung auf den Puls das Verhältuiss 
tler gewöhnlich schwächeren Herzkraft zum atmosphärischen Ueber¬ 
gewichte in Betracht. Ausserdem kommt es bei ihnen weniger auf 
<lie Grösse, als auf die anhaltende Dauer der verstärkten Spannung an. 

Sehen wir uns um nach dem Aufenthaltsorte des Blutes, welches 
dem grossen Kreisläufe, uud zwar hauptsächlich dem Venensysteme, 
entzogen wird, so findet dieses Raum in den zu- und abführenden 
Gefassen der Lunge. Eiue Ueberfüllung dieser Gefässe kann nicht 
eintreten, weil ja die Erweiterung selbst maassgebend ist für die 
Blutmenge, welche der Lunge zugeführt wird. Ein grösserer Wider¬ 
stand in den unter dem äusserem Luftdrucke stehenden Capillaren 
tler Alveolen wird dabei ebenso wenig bemerkt, als bei einem tiefen 
Athemzuge, wahrscheinlich weil die Ausgleichung ihrer Schlingen 
und Biegungen bei der Ausdehnung das Hindurchströmen des Blutes 
erleichtert. Die Erweiterung der Lungeustellung bringt uns einen 
besonderen Vortheil noch in der besseren Entfaltung der Lungen, 
-weil diese die Arbeit für das rechte Herz vermindert, ein Vortheil, 
tler bei Herzleiden sehr werthvoll ist. Ausserdem erleichtert die 
Erweiterung der feinereu Bronchien das Athmen, und die Athem- 
züge werden unter der Wirkung des erhöhten Luftdruckes in der 
Regel grösser, während die Athemfrequenz abnimmt. 


Wenn wir nun fragen, wo die Gefahren gesucht werden müssen, 
welche etwa bei Herzkranken zu befürchten wären, so werden wir 
durch die Beobachtung auf die Uebergangsstufen zwischen dem ge¬ 
wöhnlichen und dem erhöhten und von diesem wieder zum gewöhn¬ 
lichen Luftdrucke hingewiesen, denn unter dem steigenden Luft¬ 
drucke hat man in der Regel eine geringe Zunahme des Blut¬ 
druckes gefunden, die unter dem bleibend erhöhten Luftdrucke 
einer Abnahme Platz macht. Unter dem fallenden Luftdrucke 
nimmt der Blutdruck noch stärker ab und erreicht erst mit oder 
nach der Herstellung des gewöhnlichen Luftdruckes wieder seine 
normale Grösse. 

Der Grund für die Zunahme des Blutdruckes, während der Luft¬ 
druck im Steigen begriffen ist, liegt in einer während dieser Zeit 
zunehmenden Erschwerung des Abflusses aus den Arterien und 
Venen, bedingt durch die verschiedene Grösse des Widerstandes, 
welchen Arterien und Veneu dem Üebergewichte des Atmosphären¬ 
druckes entgegenstellen. 

An dem Circulationsapparate erkennt man, dass runde, stärker 
elastische Rohre wie die Arterien, dem äusseren Ueberdrucke einen 
grösseren Widerstand leisten und nicht merklich an Umfang ver¬ 
lieren, während schwächere Rohre, die sich im Ruhestand abflachen, 
wie Venen und Capillaren, sichtlich stark zusamraengedrückt werden. 

Wenn nun unter dem steigenden Luftdrucke die Blutvertheilung 
sich zu ändern beginnt, so geben zuerst uud hauptsächlich die Venen 
etwas von ihrem Inhalte an die Lungen ab, uud diesem Vorgänge 
muss nun auch eine Abgabe geringerer Grösse von dem Inhalte der 
Arterien an die Venen folgen. Der Ausgleich kann sich aber nicht 
vollenden, so lange der Luftdruck im Steigen ist, weil die in jedem 
Augenblicke von neuem zunehmende Verengung der Venen und 
Capillaren den Abfluss aus den Arterien verzögert. Jeder Puls- 
schlag führt unterdessen der Lunge etwas mehr Blut zu, als der 
vorhergehende, und bringt neue Blutmengen in die Arterien, ehe 
noch der Inhalt des vorigen Pulses diese vollständig verlassen hat. 
Auf diese Weise kann sich leicht eine vorübergehende stärkere 
Füllung der Arterien, mit Steigerung des Blutdruckes ausbilden. 

Die Pulscurven, welche ich während des steigenden Luftdruckes 
bei tiefen Athemzügen erhielt, entsprechen durch ihre grössere Höhe 
einer Verenguug des Abflusses aus den Arterieu. Sobald die Zu¬ 
nahme des Luftdruckes mit dem Eintreten der bleibenden Druckhöhe 
aufhört, nehmen die Curven wieder die Grösse an, welche sie vor 
der Erhöhung des Luftdruckes besessen hatten. 

Gehen wir zu dem fallenden Luftdrucke über, so muss sich die 
veränderte Blutvertheilung, welche sich unter dem steigenden Luft¬ 
drucke allmählich ausgebildet hatte, unter dem fallenden wieder 
umkehren. 

Während der Luftdruck abnimmt, bleibt aber nicht nur von 
jedem Pulsschlage etwas Blut in dem Venensysteme zurück, sondern 
der Abfluss aus den Arterien wird auch in jedem Augenblicke mehr 
erleichtert, so dass sich die Arterien im Verhältnisse zu ihrem In¬ 
halte rascher entleeren. Dadurch sinkt der Blutdruck noch stärker, 
als er unter gleichbleibender Druckerhöhung schon abgenommen hatte. 

Wenn der normale Luftdruck wieder eingetreten ist, stellen sich 
mit dem vollendeten Ausgleiche die normalen Verhältnisse des Blut¬ 
druckes wieder her. 

Die Pulscurven, welche ich unter dem fallenden Luftdrucke 
erhielt, entsprechen dem erleichterten Abflüsse aus den Arterieu, 
indem sie kleiner werden, als unter der gleichbleibenden Druckhöhe, 
und sich der dicroten Form nähern. 

Diese Curven wurden an einem Manne erhalten, der sich durch 
die Schwäche seiner Gefässe besonders für die Beobachtung dieser 
Verhältnisse eignete, indem diese niemals Formen stärkerer Con- 
traction, anacrote Formen, hervorbrachten, welche bei normaler Be¬ 
schaffenheit der Gefässe durch ihr häufiges Auftreten die Ergebnisse 
leicht undeutlich machen. Bei jeder Aufnahme liess ich einen tiefen 
Athemzug nehmen, denn dies trägt bei, die Unterschiede der Puls¬ 
curven deutlicher hervortreten zu lassen; bei ruhigem gewöhnlichem 
Athmen ist der Unterschied zu unbedeutend, um aufzufallen. Nur 
einmal, bei einem Emphysematiker, erhielt ich bei gewöhnlichem 
Athmen unter dem fallenden Luftdrucke Curven, welche durch ein 
tieferes Herabsinkeu des Pulshebels bei jeder Einathmung die Ver¬ 
änderung in der Arterie auzeigen. 

Die Wiederherstellung der früheren Verhältnisse zeigt sich ge¬ 
wöhnlich auch in anderen Erscheinungen, indem Hyperämieen wieder¬ 
kehren, die unter der gleich bleibenden Druckerhöhung verschwun¬ 
den waren. Venen am Augapfel füllen sich bisweilen wieder, und Zahn¬ 
schmerzen, die aufgehört hatten, treten wieder auf. Bei Herzleiden 
kommt es vor, dass ein starker und frequenter Herzschlag, der sich 
unter dem erhöhten Luftdrucke beruhigt hatte, von neuem be¬ 
merklich wird. 

Um nachtheilige Folgen zu verhüten, die aus diesen Vorgängen 
entstehen könnten, ist es nöthig, die Uebergäuge des Luftdruckes 


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1068 


DEÜT8CHE MEDIOlNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52 


sehr langsam und allmählich eintreten zu lassen und im Anfänge 
den Ueberdruck auf eine nur geringe Höhe zu bringen. Complicirte 
Klappenfehler und Patienten, bei welchen man Zufälle irgend einer 
Art befürchten könnte, wird man den erhöhten Luftdruck überhaupt 
uicht gebrauchen lassen. Einfache Klappenfehler aber, welche zum 
grössten Theile compensirt sind, finden in dem Ausbleiben der 
Athembeschwerden, welche bisweilen dabei Vorkommen, und in der 
Erleichterung des Athmens und der Lungencirculation eine werth¬ 
volle Verbesserung ihres Zustandes. 

Die beiden Fälle von Mitralinsnfficienz, welche ich erwähnte, 
waren von dieser Art. Der eine betraf einen Herrn von 56 Jahren, | 
der bisweilen an Beengung litt und öfters an Bronchialkatarrhen. 
Er besuchte zweimal Reichenhall mit dem besten Erfolge, j 
Der andere Fall war der einer anämischen Dame von 37 Jahren, 
die im Gehen häufig durch Versagen der Herzthätigkeit An¬ 
fälle von Schwäche bekam. Die Athemgeräusche waren be¬ 
sonders auf der linken Seite nicht ganz normal. Nach einem 
dreiwöchentlichen Gebrauche konnte sie ohne Beschwerden kleine 
Spaziergänge auch auf leicht ansteigenden Wegen ausführen. 

Einen besonders vortheilbaften Einfluss scheint der erhöhte 
Luftdruck auf die Ernährung des Herzmuskels auszuüben, 
und dafür kommt neben der vermehrten Sauerstoffaufnahme vielleicht 
auch der Umstand in Betracht, dass eine leichtere Füllung der 
Arterien des Herzens durch die Abnahme des Druckes im Pleura¬ 
raume begünstigt wird. Die Verbesserung anämischer Zustände, 
die grössere Ausdauer bei Bewegung, das Verschwinden von Oedemen 
bei chronischem Lungenemphysem zeigen eine Kräftigung der Herz¬ 
thätigkeit genugsam an. 

Wenn die Schwäche des Herzmuskels mit einem unregelmässigen 
Pulse verbunden ist, tritt mit der zunehmenden Kraft bisweilen 
auch eine Hebung der Unregelmässigkeit ein, so bei einem älteren 
Manne, der verbreitetes Emphysem auf beiden Lungen batte, und ; 
der ausserdem durch anhaltende chronische Bronchialkatarrhe mit | 
Athemnoth stark herabgekommen war, so dass er an seinem Auf- ! 
kommen verzweifelte. Durch den Gebrauch des erhöhten Luft- j 
druckes gelangte er soweit, dass er kleine Spaziergänge gern unter- | 
nahm, und dass sich im Uebrigeu sein Befinden und seine Er- i 
nährung wesentlich besserten. Die Pulscurven, welche mit dem 
Sommerbrodt’schen Pulshebel aufgenommen wurden, und die dabei ; 
zur Anwendung kommenden Belastungen lassen die Zunahme der 
Kräftigung des Herzens deutlich erkennen. Die erste und zweite 
Aufnahme wurden vor dem Gebrauche, die dritte nachher gemacht. 

Bei der ersten Aufnahme waren die Curven mit der Belastung 
von 90 g schon unterdrückt, und erst weitere Aufnahmen mit einer j 
Belastung von 50—70 g gaben deutliche, aber unregelmässige i 
Curven. Nach dem Gebrauche hatte das Herz sich soweit gekräftigt, 
dass mau bei Belastung von 100 g in der dritten Aufnahme Curven 
erhielt, die zwar nicht gross, aber ganz normal waren. 

Die durch den Gebrauch des erhöhten Luftdruckes bewirkte 
Besseruug ist in der Regel eine für längere Zeit anhaltende. Sie ist 
um so dauernder, je länger der Gebrauch fortgesetzt wurde, weil i 
die Erweiterung der Lungenstellung dann ebenfalls länger bestehen 
bleibt, wenn auch in etwas geringerem Grade, als während des j 
Gebrauches. Dies erkennt man an der bleibend verminderten j 
Frequenz des Athmens, au den grösseren Atbemzügen und an der ! 
grösseren Lungencapacität. 

Um für diese Nachwirkung ein Beispiel zu geben, erwähne ich 
v. Vivenot, dessen Athemfrequenz uach längerem Gebrauche von 
16 auf 4 5 Athemzüge gefallen war. Nach 2 Jahren hatte er noch 
eine Frequenz von nur 5— 6 Athemzügen, und seine Lungencapacität 
war noch bedeutend grösser, als vor dem Gebrauche. Ein anderes 
Beispiel habe ich selbst beobachtet an einem Herrn, welcher während 
dreier Jahre meine Arbeiten als Gehilfe und als Versuchsperson 
unterstützt hatte, und der deshalb häufig unter dem erhöhten Luft¬ 
drucke geathrnet hatte. Bei ihm war die Frequenz von anfangs 
10 — 12 Athemzügen uoch im vierten Jahre auf 4 - 5 vermindert ge¬ 
blieben, und ihre Grösse hatte dem entsprechend zugenommen. 

In der bleibenden Grössenzunahme der Athemzüge liegt haupt¬ 
sächlich der Grund für die auch nach dem Gebrauche noch an¬ 
dauernde Verbesserung der Sauerstoffaufnahme, die für die Kräftigung 
des Herzens, wie des ganzen Körpers von so grosser Bedeutung ist. 

V. Ueber Tuberculose. 

Von Prof. Dr. Lieberineister in Tübingen. 

(Schluss.) 

Phthisis florida. 

Als Phthisis florida oder populär als galioppirende Schwind¬ 
sucht bezeichnet man die Fälle von Lungentuberculose, welche einen 
ungewöhnlich schnellen Verlauf nehmen. Während die gewöhn¬ 


lichen Fälle sich in chronischem Verlauf über Jahre erstrecken, ist 
bei diesen Fällen der Verlauf ein subacuter und führt in wenigen 
Wochen oder Monaten zum Tode. Ein solcher Verlauf kommt vor¬ 
zugsweise vor bei den Fällen, bei welchen eine ausgedehnte chro¬ 
nisch-pneumonische Infiltration schnell in tuberculösen Zerfall über¬ 
geht. Es ist dies zuweilen eine lobäre chronische Pneumonie, wie 
sie aus einer gewöhnlichen acuten fibrinösen Pneumonie hervor¬ 
gehen oder auch von Anfang au als tuberculöse Pneumonie auf- 
treten kann, wie sie aber auch in manchen Fällen nach einer reich¬ 
lichen Hämoptoe besonders bei schon vorher tuberculösen Kranken 
entsteht. In anderen Fällen handelt es sich um zahlreiche und 
meist confluirende lobuläre und peribronchitische Infiltrationen, 
welche schnell in ausgedehnter Weise verkäsen und zerfalleu. 

Die Symptomatologie der Phthisis florida unterscheidet sich von 
der gewöhnlichen Phthisis zunächst dadurch, dass von Anfang an 
ausgedehnte Verdichtungen nachgewiesen werden können, die iu 
manchen Fällen nicht ausschliesslich die oberen Lungenabschnitte 
betreffen, sondern zuweilen auch im Bereich der unteren Lungen¬ 
lappen sich finden, und bei denen verhältnissmässig schnell die 
Erscheinungen des Zerfalls und der Cavernenbildung sich ein¬ 
stellen. Ferner ist stärkeres Fieber vorhanden, bei dem die Tem¬ 
peratur häufig 40° erreicht oder überschreitet, und welches den 
Typus der Subcontinua und zeitweise selbst den der Continua zeigt, 
indem die Temperatur andauernd auf bedeutender Höhe verbleibt 
und nur Morgenremissionen zeigt, wie sie etwa den normaleu 
Tagesschwankungen entsprechen. In solchen Fälleu treten dann 
auch alle die Erscheinungen anf, welche bei der Febris coutinua 
als Folge der anhaltenden Temperatursteigerung sich einzustellen 
pflegen (Vorlesungen, Bd. III. p. 204 ff.), und es kommen namentlich 
auch die dem Fieber eigentümlichen Störungen der Gehirnfunctionen 
und die übrigen Erscheinungen des Status typhosus (Bd. Iü. p. 211) 
zu Stande, so dass zuweilen, wenn die Untersuchung der Lunge 
versäumt wurde, solche Fälle für Abdominaltyphus gehalten werden 
können. 

Traube erzählt (1860) einen Falt von „acuter tuberculösor Infiltration 
der Lungen", bei welchem erst durch die Obduction erkannt wurde, dass 
es sich nicht um einen Abdominaltyphus handelte, so wie einen ähnlichen 
Fall, bei welchem nur durch die Untersuchung dos Thorax die Verwechslung 
mit einem Typhus vermieden wurde. 

Die Behandlung ist im wesentlichen die gleiche wie bei den 
gewöhnlichen Fällen; doch werden durch den mehr acuten Verlauf 
zuweilen einige besondere Indicationen gegebeu. Namentlich kann in 
manchen Fällen das Fieber wegen seiner Höhe und wegen des gleicb- 
mässigen Andauerns ein energisches Einschreiten mit antipyretischen 
Mitteln erfordern. Zwar ist auch in diesen Fällen das Fieber nur 
die Folge der Localerkrankung, also ein symptomatisches, und es 
hat durchaus keinen typischen Verlauf; aber es hat auch umgekehrt 
das Fieber wieder einen Einfluss auf die Localerkrankung, indem 
durch die Temperatursteigerung die Neigung der Gewebe zum Zer¬ 
fall vermehrt wird und dadurch die Localerkrankung einen un¬ 
günstigeren Charakter annimrat. Wenn es gelingt, durch anti¬ 
pyretische Eingriffe das Fieber zeitweise herabzusetzen und so 
gleichsam diesen Circulus vitiosus zu durchbrechen, so zeigt nicht 
selten von dieser Zeit an die Localaffection eine weniger ungünstige 
Entwickelung. In Fällen, in welchen bereits ausgedehnte Verkäsung 
oder Destruction der Lunge besteht, hat eine solche Behandlung 
auf den weiteren Verlauf der Krankheit oft keinen wesentlichen 
Einfluss; aber es giebt Fälle mit weniger vorgeschrittener Destruction. 
bei welchen ein Theil der infiltrirten Lungenpartieen noch im Zu¬ 
stande einfacher chronischer Pneumonie sich befindet, und eine Lö¬ 
sung der Infiltration noch nicht unmöglich ist; und in solchen Fällen 
kann die Herstellung von einer oder mehreren starken Remissionen 
des Fiebers, indem dadurch die Möglichkeit einer solchen Lösung 
erhalten oder vermehrt wird, entscheidend sein für den weiteren 
Verlauf der Krankheit. Ob diese künstlichen Remissionen bewirkt 
werden durch energische Anwendung von kalteu Bädern oder durch 
Anwendung von antipyretischen Medicamenten, ist in diesem Falle 
nicht von Belang; man wird deshalb gewöhnlich die Anwendung 
von antipyretischen Medicamenten vorziehen und Chinin. Antipyriu 
oder Antifebrin geben in einer Dosis, welche ausreicht, um jedes¬ 
mal für eine Reihe von Stunden die Temperatur bis 38° oder noch 
etwas tiefer herabzusetzen. Je mehr das Fieber an sich schon den 
remittirenden oder intermittirenden Charakter hat, desto weniger ist 
Veranlassung gegeben zu der Anwendung der vollen antipyretischen 
Dosis; man kann dann höchstens versuchen, durch Anwendung von 
Salicylsäure oder von anderen antipyretischen Medicamenten in 
kleinen und auf den ganzen Tag vertheilten Dosen das Fieber im 
ganzen etwas zu vermindern. 

Aoute Miliartuberoulose. 

Die acute Miliartuberculose kommt hauptsächlich vor bei 
Kranken, bei welchen irgendwo im Körper, namentlich in den 
Lungen, der Pleura, dem Darm, dem Urogenitalapparat, den Knochen 


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‘27. Decembor. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1069 


mul Gelenken, den Lymphdrüsen ein älterer tuherculöser Herd vor¬ 
handen ist. von welchem aus eine reichliche Aufnahme des Tuherkel- 
giftes in das Blut, also eine Selbstinfection. stattgofunden hat. ln 
seltenen Fällen entsteht auch eine allgemeine Miliartuberculose, ohne 
«lass während des Lehens oder nach dem Tode ein älterer tuber¬ 
kulöser Herd gefunden wird. Wir werden in solchen Fällen an¬ 
nehmen müssen, dass entweder das Krankheitsgift in einer für un¬ 
sere bisherigen Untersuchungsmethoden nicht erkennbaren Form 
schon im Körper vorhanden war und plötzlich in grosser Menge 
in's Blut gelangte, oder dass von aussen her auf bisher unbekanntem 
Wege ein reichliches Eindringen in das Blut stattgefunden hat. 

Das Verhalten der allgemeinen Miliartuberculose in den Fällen, 
in welchen sie als secundäre Erkrankung zu einer bereits vor¬ 
geschrittenen Lungeutuherculose hinzukommt, ist bereits im früheren 
besprochen worden. In solchen Fällen bietet die Diagnose der 
Tuherculose keine Schwierigkeit. Anders aber ist es in den Fällen, 
in welchen auf eine unbedeutende und bisher vielleicht übersehene 
Localerkraukung die allgemeine Miliartuberculose folgt, oder in 
Avelchen sie ohne vorhergegangene Localerkrankung in acuter Weise 
auftritt. Die Symptome bestehen dann häufig vorzugsweise in einer 
Febris eontinua von langer Dauer ohne nachweisbare Local¬ 
erkrankung, und es ist dann natürlich, dass man zunächst an einen 
Abdominaltyphus denkt. Auch ist schon seit langer Zeit allgemein 
auerkanut, dass die Verwechselung einer acuten Miliartuberculose 
mit einem Abdominaltyphus zu denjenigen diagnostischen Irrthümern 
gehört, welche selbst bei der sorgfältigsten Krankenbeobachtung zu¬ 
weilen nicht zu vermeiden sind. Nach manchen Aeusserungen 
könnte es sogar scheinen, als ob einzelne Aerzte solche Ver¬ 
wechselung für die Hegel hielten und es deshalb etwas zu leicht 
nähmen, wenn ihnen ein derartiger Irrthum begegnet ist. ln Wirk¬ 
lichkeit lässt sich in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
<lie DiflFerentialdiagno.se mit Sicherheit oder wenigstens mit einem 
hohen Grade von Wahrscheinlichkeit machen, und die Fälle, in 
welchen ein Irrthum vorkommt, sind für den sorgfältigen Beobach¬ 
ter nur sehr seltene Ausnahmen. Man hat häufig die Sache so 
aufgefasst, als ob gerade dann, wenn eine tuherculose Meningitis zu 
schweren Gehirnerscheinungen führt, die Verwechselung mit Ab- 
«lominaltyphus besonders leicht möglich wäre; aber in diesem Falle 
wäre der Irrthum am wenigsten zu entschuldigen, denn dem auf¬ 
merksamen Beobachter sollte es dabei nicht entgehen, dass die 
Gehirnerscheinungen nicht einfach vom Fieber abhängig sind. Da¬ 
gegen ist die Verwechselung eher möglich, wenn die Krankheit 
■ohne ausgebildete Meningitis, aber mit hoher und lange dauernder 
Febris eontinua verläuft, und die vorhandenen typhösen Erscheinun¬ 
gen wirklich nur vom Fieber abhängig sind. Aber auch dann ist 
häufig die Diagnose noch mit Sicherheit, zu stellen, und in anderen 
Fällen sind wenigstens Umstände vorhanden, welche zur Vorsicht 
in der Diagnose auffordern und mit Wahrscheinlichkeit die richtige 
Auffassung begründen. Zunächst erreicht gewöhnlich das Fieber 
weniger hohe Grade als bei ausgebildetem Abdominnltyphus, es ist 
weniger continuirlich und zeigt nicht die typischen Aenderungen in 
<len einzelnen Wochen, wie sie für Abdominaltyphus charakteristisch 
>ind (s. Vorlesungen. Bd. I. p. 131); das Fieber hat überhaupt keinen 
bestimmten Typus und macht zeitweise stärkere Remissionen;’ zu¬ 
weilen kommt auch der sogenannte Typus inversus mit höherer 
Temperatur am Morgen vor; die Pulsfrequenz zeigt meist eine höhere 
Steigerung, oft stellt sich auch schon früh bedeutende Herzschwäche 
ein. zuweilen mit grosser Prostration oder überhaupt mit schwererem 
Allgemeinleiden, als es dem Fieber und dem übrigen Zustande des 
Kranken entsprechen würde. In der Regel fehlen die für Abdominal¬ 
typhus charakteristischen Erscheinungen, namentlich die Milz¬ 
schwellung. die Roseola und die abdominellen Erscheinungen: doch 
ist zu berücksichtigen, dass auch bei Abdominaltyphus einzelne 
«lieser Erscheinungen fehlen können, dass andererseits auch bei 
Miliartuberculose. namentlich wenn eine reichliche Tuberkelentwicke¬ 
lung in der Milz stattfindet, dieses Organ beträchtlich anschwellen 
kann, und dass bei vorhandener Darin!uberculose oder selbst bei 
zufälligem Darmkatarrh auch abdominelle Erscheinungen vorhanden 
.««ein können. Zuweilen tritt ein Herpes facialis auf, der bei Ab- 
«lominaltyphus nur selten vorkommt. Auch die früher angeführten 
«örtlichen Störungen, welche zuweilen in Folge der Entwickelung 
«ler Miliartuberkel in den einzelnen Organen zu Stande kommen, 
können von Wichtigkeit für die Diagnose sein: in den Lungen sind 
bei reichlicher Tuberkelentwickelung die katarrhalischen Erscheinun¬ 
gen gewönlich stärker als bei Abdominaltyphus, und die Respira¬ 
tionsfrequenz pflegt viel mehr gesteigert zu sein; wo eine tuberculöse 
Meningitis sich entwickelt, pflegen die Gehirnerscheinungen im 
\ ordergrund zu stehen. Von grosser Bedeutung für die Diagnose 
ist es ferner, wenn in den Lungenspitzen ältere Verdichtungen oder 
an anderen Körperstellen ältere tuberculöse Herde nachgewiesen 
werden können, um so mehr, als Kranke mit Tuberculöse 
.seltener als Gesunde von Abdominaltyphus befallen werden. End- 


' lieh ist es in einzelnen Fällen gelungen, die Tuberkelbacillen im 
Blute nachzuweisen: dagegen sind sie im Auswurf, selbst wenn die 
! Lungen mit sehr reichlichen Miliartuberkeln durchsetzt sind, nicht 
vorhanden, so lange nicht ein Zerfall tuherculöser Massen stattfindet. 

Die Prognose ist bei allgemeiner Miliartuberculose eine sehr 
ungünstige; doch ist eine Heilung nicht absolut unmöglich Schon 
, vor längerer Zeit sind (von Wunderlich n. A.) einzelne Fälle ruit- 
getheilt worden, welche als allgemeine Miliartuberculose’ mit günsti¬ 
gem Ausgang zu deuten sind ln der hiesigen Klinik kam zur Zeit, 
i als Prof. Niemeyer dieselbe leitete, ein Fall vor. bei dem acute 
j Miliartuberculose diagnosticirt war. bei dem aber eine bedeutende 
i Besserung eintrat, die Monate lang anhielt und mit Zunahme des 
1 Körpergewichts verbunden war; später aber erfolgte ein neuer Nach¬ 
schub, der zum Tode führte, und ich hatte Gelegenheit, durch die 
Seetion die Diagnose zu bestätigen. In der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle zeigt der Zustand stetige Verschlimmerung und führt im 
i Laufe einiger Wochen zum Tode. 

Die Behandlung der Miliartuberculose kann nur eine sym¬ 
ptomatische sein. Wo das Fieber einen hohen Grad erreicht und 
annähernd continuirlich ist, kann ein antipyretisches Eiuschreiten 
erforderlich sein. Die Herzschwäche giebt häufig eine Indication 
für Anwendung der stiinulirenden Mittel und namentlich der 
Alcoholica. 

YI. Feuilleton. 

; Zar Entwickelung und modernen Gestaltung der Irren- 

fiirsorge. 

Von Dr. Willi. Niessen, pract. Arzt in Neuenahr. 

Die zweckentsprechende Fürsorge für die in den letzten Jahr- 
; zehnten immer mehr zunehmende Zahl Irrer in alleu Ländern, ihre 
; Heilung, ihre humane Pflege im Falle der Unheilbarkeit, sind die 
wichtigsten Probleme der Psychiatrie und mit Recht ein Gegenstand 
I ernster Erwägung für Behörden und Aerzte. Selbst bis zur Mitte 
, des löten Jahrhunderts betrachtete die Gesellschaft die Irren nur 
[ als verlorene Glieder, der Staat sie als eine Last und Gefahr und 
j fühlte sich nur sicher, wenu er sie im Vorurtheil ihrer Unheilbarkeit 
; hinter Schloss und Riegel als gemeingefährliche Menschen in den 
j Händen eines Kerkermeisters wusste. Immer lauter und eindring¬ 
licher wurden aber die Stimmen der Aerzte und Menschenfreunde, 
die zunächst vom humanen Standpunkte aus darauf drangen, im 
Irren doch noch den Menschen zu achten und im Hinblick auf ein¬ 
zelne Genesungen, welche die Heilkraft der Natur seihst unter den 
ungünstigsten Verhältnissen des Tollhauses zu Stande gebracht hatte, 
an die Möglichkeit einer Heilung der Irren durch Verbesserung ihrer 
i materiellen Lage mahnten und sie eindringlich von den indolenten 
Behörden forderte. 

Während die Türken schon länger Verwahrungsorte für Irre 
; hatten, gründeten Mönche vom Orden de la Merci 1409 in Valencia 
die erste C’asa de Orates. Den Spaniern folgten die Italiener, und 
im Jahre 1660 wurde das Hotel Dieu in Paris für ihre Aufnahme 
bestimmt. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts errichtete man 
in London die Heilanstalt St. Lukes. Ein unbestrittenes Verdienst 
j bleibt es aber für Pinel, der zurZeit der französischen Revolution 
17-92 den Kranken die Ketten abnahm und sie menschlieh zu be- 
| handeln lehrte. Trotzdem berichtete 1818 Esquirol an den Minister, 

' dass die Irren in Frankreich schlechter daran seien, als die Verbrecher 
i und die Thiere. ln Deutschland erwarb sich Langermann grosse 
Verdienste um die Reform des Irrenwesens, der 1810 zum Leiter 
des Medicinalwesens in Preussen ernannt wurde. 1 ) 
j Wie ganz anders ist dieses in den letzten Jahrzehnten geworden! 
Der Geist der Humanität unserer Tage und das eifrige Bestreben, 
den Kranket! ihr Loos zu erleichtern, zeigeu sich deutlich in den 
prachtvollen und dabei äusserst zweckmässigen Anlagen, die in allen 
Ländern und nicht am wenigsten in Deutschland zur Aufnahme der 
Geisteskranken eingerichtet wurden. Aus Allem, was man in diesen 
Anstalten sieht, geht hervor, dass man bestrebt ist, dem Worte Es- 
| quirol s gerecht zu werden: „Die Irrenanstalt soll ein Mittel zur 
Heilung von Geisteskranken sein.“ Freilich betont Pelman 2 ) mit 
Recht, dass auch sie, wie alle Heilmittel, nur in der Hand eines 
tüchtigen und erfahrenen Arztes Tüchtiges leisten wird. Einen hüb- 
| sehen Ueberblick über die Entwickelung der grossen Institute zur 
Aufnahme von Geisteskranken geben gerade die verschiedenen rhei¬ 
nischen Anstalten. Was die rheinischen Provinzialanstalten an straffer, 
einheitlicher Leitung durch hervorragende Aerzte und an muster- 
[ hafter administrativer Organisation leisten, ist zu bekannt, vor allem 
' seit dein Erscheinen der detaillirten Beschreibung 3 ) der fünf Anstalten, 
um noch besonders bervorgehoben werden zu müssen. 

*) v. Krafft-Khing, Lehrbuch der Psychiatrie, Bd. I 

*) Eulenl«ur<r Encvclopädie, Bd. X. 

; 3 ) Düsseldorf, 1880. 


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1070 


DEUTSCHE 1IEDIC1MSCI1E WOCHENSCHRIFT. 


No. 52 


Was aber auch dem fleissigen Leser dieser inhaltreichen Publi- 
cation frappirt, wenn er die Anstalten zu sehen bekommt, das ist 
der palastähnliche Charakter, den einzelne derselben au sich tragen 
und ganz besonders die Bonner Anstalt. Wenn mau von der Stadt 
kommt, erblickt man hart hinter den letzten Häusern, welche Vor¬ 
posten von Neubauten bis an das Anstaltsterrain vorschicken, den 
langgestreckten, stattlichen Hauptbau der Männerseite, dessen Mittel¬ 
risalit den grossen Festsaal enthält. Dieser Eindruck steigert sich 
beim Betreten der grossen Eintrittshalle, deren Decke sechs ge¬ 
waltige Säulen tragen. Viele der inneren Einrichtungen der Anstalt 
können diese ersten Eindrücke nur verstärken. Ich will hier nur 
die sehr prompt functionirende Centralheizung nennen, die nur in 
«len Zellen nicht angewendet wird, so dass einzelne der Isolirräurae 
nur von einem starken Dampfrohre, das in einer Ecke vom Boden 
zur Decke zieht, ziemlich unvollkommen erwärmt werden, während 
andere Zellen zu je zwei einen gemeinsamen, eisernen Ofen besitzen, 
der von dem Zelleninneren durch einen starken gemauerten Mantel 
vollkommeu getrennt wird. Diese Einrichtung scheint sich gut zu 
bewähren und ist j«jdenfalls der Heizung der Zellen durch einfache 
unversteckte Kachelöfen vorzuziehen, wie dies in anderen Anstalten 
geschieht, so dass es Vorkommen kann, dass an einem Tage eiu 
wütliender Epileptiker mehrere solcher Oefen demolirte und durch 
die so gewonnene Oeffnung immer wieder auf dem Corridor erschien. 

Die sehr breiten Corridore in jeder Abtheilung der Bonner 
Anstalt liefern die denkbar geräumigsten und behaglichsten Aufent¬ 
haltsräume. Wer diese ziemlich consequente Durchführung der Be¬ 
schränkung jeder Abtheilung auf eine Etage gesehen hat, wird 
schwerlich geneigt sein, der Verlegung von Wohn- und Schlafräu¬ 
men auf zwei Stockwerke noch das Wort zu reden. 

Diese geschilderten und viele zu übergehenden opulenten und 
zweckmässigen Einrichtungen der Bonner Anstalt contrastiren nun 
um so mehr mit der geringen Ausdehnung des der Anstalt gehöri¬ 
gen Terrains. Es ist nicht nur unmöglich, die Mehrzahl der Kran¬ 
ken im Freien zu beschäftigen, sondern es lässt sich auch der Zeit¬ 
punkt voraussehen, wo die Anstalt rings von den immer näher 
heranrückenden Neubauten der Stadt Bonn umschlossen sein wird. 
Während die moderne Tendenz der Anstaltsanlage darauf ausgeht, 
den Kranken ein Maximum an freier Bewegung zu gewähren, steuert 
diese Lage der Bonner Anstalt einer der räumlichen Beschränkung 
folgenden inneren Einengung zu. Man darf wohl fragen, ob man 
nicht die arcliitectonische Ausführung etwas einfacher hätte halten 
können, um mit so ersparten Mitteln der Anstalt ein grösseres 
Terrain, als die ihr jetzt zu Gebote stehenden neun und fünfzig 
Morgen, zu geben. Auch andere Provinzialanstalten am Rhein 
haben — Grafenberg mit 89 Morgen, Andernach mit 48 — ein 
unzweifelhaft viel zu geringes Terrain, während Düren mit 108 und 
Merzig mit 130 Morgen annähernd ausreichende Fläche für Gärten 
und Aecker besitzen. ‘) 

Vier der Rheinischen Anstalten, Bonn, Andernach, Düren und 
Merzig Hegen an den Ausläufern des Eifelgebirges, und die Frage 
liegt nahe, ob es nicht möglich gewesen wäre, in den weniger be¬ 
völkerten Districten der Eifel billiges Terrain für eine auf land- 
wirthschaftlichen Betrieb vorzugsweise berechnete Anstalt zu finden. 
Damit wäre auf der anderen Seite etwas für die materielle Hebung 
und Culturförderung dieses so wenig entwickelten Gebietes ge¬ 
schehen, zumal ja in den letzten Jahreu der Ausbau eines Eisen¬ 
bahnnetzes in der Eifel projectirt und zum Theil durchgeführt ist. 

Wenn nun auch die meisten öffentlichen Anstalten Kranke 
besserer Stünde in b«*sonderen Abtheilungen als sogenannte Pen¬ 
sionäre aufnehmen, deren Zahl in manchen Anstalten nicht unbe¬ 
deutend ist, so hat sich auch der Unternehmungsgeist privater 
Aerzte der Irrenbehandlung zugewendet. 

Die meisten dieser Privatanstalten sind ausschliesslich für die 
höheren Stände bestimmt, und grösseren Ansprüchen gegenüber 
bieten sie thatsächlieh eine Reihe von Vortheilen, die eine öffent¬ 
liche Anstalt mit ihrem schwerfälligen Verwaltungsmechanismus in 
gleicher Weise nicht gewähren kann (Pelman). Erst seit Erbau¬ 
ung der neuen Provinzialanstalten ist in der Rheinproviuz für die 
Behandlung Geisteskranker aus den höheren Ständen öffentlich ge¬ 
sorgt: bis dahin kamen die Privatanstalten allein diesem Bedürf¬ 
nisse entgegen, und Männer wie Brosius, Erlenmeyer seu., Hertz 
und Richarz haben durch die Gründung ihrer musterhaften Institute 
in der Zeit zwischen 1830 und 1850 sich unschätzbare Verdienste 
»•rworben für das Rheinland, wie für die ganze Psychiatrie. Die 
stets wachsende Zahl und zunehmende Grösse der Privatanstalten 
beweist nur. dass dieselben einem wirklichen Bedürfnisse ent¬ 
sprechen. Das klassische Land der Privatirrenanstalten ist heute 
gerade die Rheinprovinz. Sieht man von den Kaltwasseranstalten 

Io neuester Zeit haben die meisten der genannten Anstalten «las 
ihnen ursprünglich zugewieseiie Terrain durch Land kaufe mehr oder weniger 
erweitert. 


ab, die jahraus jahrein eine grosse Anzahl psychisch Erkraukter 
aufnehmen, so finden wir am Rhein nicht weniger als 22 Privat¬ 
irrenanstalten, während auf das ganze Königreich Preussen 66 kom¬ 
men. Viele von ihnen sind seit langer Zeit renommirt und oft be¬ 
schrieben. So manche der älteren Anstalten lassen in ihrer Anlage 
die Entwickelungsgeschichte der Psychiatrie erkennen. Ich will in 
dieser Beziehung nur die Erleumey er’schen Anstalten nennen, die 
deutlich die Spuren der allmählichen Anpassung an die Fortschritte 
des Anstaltswesens tragen und neuerdings durch eine herrlich atu 
Rhein gelegene Villa für leichtere Fälle von Neurosen und für Re- 
convalescenten eine sehr zweckmässige Erweiterung erfahren haben. 
Einen ganz besonderen Vorzug der Erlenmeyer’schen Anstalt 
bildet die mit ihr verbundene Colonie, in der gebildete Kranke vou 
bescheideneren Ansprüchen nach Ablauf acuter Erregungen mit 
Gartenbau, landwirtschaftlicher Arbeit etc. beschäftigt werden und 
unter sehr günstigen hygienischen Verhältnissen vor dem totalen 
Verblöden geschützt sind, dem „abgelaufene Fälle“ so leicht ver¬ 
fallen. 

Wieviel gewisse Errungenschaften der modernen Technik für 
die innere Austaltseinrichtnng bedeuten, lehrt ein Gang durch eine 
der modernen staatlichen Anlagen; in erschöpfender Weise sind, 
soweit meine Erfahrung reicht, diese Errungenschaften bisher nur 
in einer der rheinischen Privatanstalten weitgehend ausgenutzt, 
worden. Diese, soviel mir bekannt, noch nirgends besprochene An¬ 
stalt, die aber besonders den Charakter einer nach technischer Seite 
vollkommen modernen Anlage trägt, verdient umsomehr eingehender 
geschildert zu werden, als sie von vorn herein in ihrer heutigen 
Gestalt geplant, in einem Guss ausgeführt ist und auch im Betriebe 
den höchsten Anforderungen genügt. Ich meine die v. Ehren- 
wall’sche Anlage in Ahrweiler. Dieselbe ist im Jahre 1882 in 
ihrer heutigen Form angelegt worden; sie zerfällt in eine grosse 
.Abtheilung für Geisteskranke, nach Geschlecht und Krankheitsform 
in sechs Unterabtheilungen gegliedert, und eine ebenfalls nach Ge¬ 
schlechtern getrennte Abtheilung für Nervenkranke. Ich will nur 
beiläufig erwähnen, dass sie unter allen rheinischen Anstalten ein«* 
der schönsten Lagen hat, in einer Ausbuchtung des Ahrthals, die 
ira Westen durch ein Felsenpanorama von imposantem Charakter 
abgeschlossen ist. Für die. immerhin grosse Anzahl Neurosen, die 
sich in der offenen Abtheilung der v. flhrenwall’soben An¬ 
stalt zusammenfiuden, fällt die Schönheit der Landschaft sicher in * 
Gewicht. Zahlreiche kürzere und weitere Ausflüge lassen sich von 
Ahrweiler aus in die Eifel und an den Rhein machen, und doch 
liegt dieser Theil des Ahrthals weit genug von der grosseu Heer¬ 
strasse der Rheinreisenden entfernt, um dem reizbaren Neurastheniker 
ungestörte Promenaden bieten zu können. Besonders hat die bis¬ 
herige Erfahrung gelehrt, dass die unmittelbare Nachbarschaft de* 
aufblühenden Bades Neuenahr mit seinen prachtvollen Promenadmi 
in dieser Beziehung als ein Vortheil anzusehen ist. Für Geistes¬ 
kranke ist der Charakter der weiteren Umgebung nicht im gleichen 
Maasse wichtig. Iu gewissen Stadien der Krankheit ist für sie di** 
Gartenanlage und der Comfort des Hauses wichtiger; hier spielt das 
ästhetische Moment eine untergeordnetere Rolle gegenüber den 
hygienischen Existeuzbedingungen. An Beschaffenheit von Wasser. 
Boden und Luft leistet die Ahrweiler Anstalt alles nur irgend 
Wünschenswerthe. Sie liegt vor der Stadt, auf durchlässigem, nach 
dem Ahrfluss zu schnell abfallemlem Bodeu, der Sonne nach allen 
Richtungen hin frei ausgesetzt, von Winden durch die Formation 
der Thalwände in hohem Grade geschützt. Für ausreiehemio 
Abführung aller Immunditien bietet die angedeutete Lage de^ 
Hauses zur Ahr die beste Gelegenheit. Vor Allem aber fehlen der 
v. Ehrenwall’schen Anstalt die beiden Hauptquellen der Luftvcr- 
derbniss bewQhnter Räume: im ganzen Hause brennt im ganzen 
Winter hindurch nur eiu Ofen, der Kücheuheerd, und nicht ein«- 
Leuchtflamme. Die Erwärmung des ganzen Hauses mit Eiuschluv- 
der Treppenhäuser und Corridore geschieht durch ein sehr voll¬ 
kommenes Centralheizsystem, die Beleuchtung durch elektrischem 
Glühlicht. Ein reichverzweigtes System von Kalt- und Warmwasser- 
röhren ermöglicht die Aufstellung zahlreicher Badewannen, eventuell 
auch an anderen Orten als in den dazu bestimmten Badezimmer» - 
Es sind nicht nur die beiden grossen Errungenschaften der heutigen 
Technik, «lie Centralheizung und die elektrische Beleuchtung. wa> 
der Anstalt den Stempel des Modernen aufdrückt; auch alle übriget» 
Einrichtungen stehen auf der Höhe der Zeit bis auf’s letzte Detail 
der Fenster und Thürcoustruction. Aber die Gliihlichtlampe unu 
der Calorifer lenken bei der ersten Besichtigung der Anstalt sofort 
die Aufmerksamkeit auf sich und sprechen mehr als andere eben'** 
vollendete aber mehr latente Einrichtungen des Hauses für «ii- 
Sorgfalt der Anlage und die Solidität der Ausführung. Eiue ein¬ 
gehende Schilderung aller architectonischen und technischen Kiu- 
richtungen des Hauses würde uns zu weit führen. Ich will nur ge¬ 
wisse charakteristische Züge hervorheben, z. B. die Verbindung 
aller Corridore des Hauses und aller Gärten mit dem Arbeits/.imnn . 


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27. December. DEUTSCHE MEÜICINISCHE WOCH ENSCH RIFT. 1071 


des Arztes und untereinander durch sinnreich angeordnete elektrische 
»Signale, welche die gewünschte Person und den Rufort gleichzeitig 
erkennen lassen. Eine ganz besoudere Aufmerksamkeit verdienen 
ferner die zweckmässigen Zelleueinricbtungeu. Eine fünffache Ab¬ 
stufung in Festigkeit und Ausstattung der „Zellenzimraer“, wie der 
Besitzer sie zutreffend nennt, gestattet eine weitgehende Individua- 
lisirung im Leben des Zelleninsassen und sichert dem zur Isolirung 
gezwungenen Kranken einen relativ grossen Comfort. Unreinliche 
Kranke bekommen das in der holländischen Anstalt Meerenberg er¬ 
probte Bett, das, in einen concaven Cementboden fest eingelassen, 
alle flüssigen Immunditien durch die Seegras- oder Holzwollen¬ 
füllung und eine darunter angebrachte feste Membran aus Segel¬ 
tuch auf deu genannten Cerneutboden fliessen lässt, von dem sie 
durch Wasser aufgenommeu und fortgespült werden. Diese Bett¬ 
einrichtungen, verbunden mittäglichen Bädern und Abreibungen der 
Haut, übertreft’en, wie besonders die reichen Erfahrungen in der 
Meerenberger Anstalt lehren, die bisher zur Verwendung ge¬ 
kommenen Methoden der Behandlung unreiner, gelähmter Kranken, 
besonders die Gummimatrazen-Behandlung. Auch die Zellen sind 
mit Glühlampen erleuchtet, die entweder in unerreichbarer Höhe leicht 
an der Decke befestigt, oder über der Thüre hinter dicken Glas¬ 
scheiben verborgen sind. Die leichte Glühlichtlampe ist auch in 
den Zimmern der social lebenden Kranken so au der Decke befestigt, 
dass ihr Leitungsdraht zugleich als Aufhängebaud dient. Dieser 
Draht kann aber ausser der Lampe nur noch wenige Pfund 
tragen und bietet also auch eine gewisse »Sicherheit gegen Suicidiums- 
versuehe. Die Heizkörper werden nach dem System von Bechern 
& Post mit Dampf von nur einer halben Atmosphäre Spannung ge¬ 
speist, indem zwischen Heizkörper und Dampfkessel, welcher gleich¬ 
zeitig den Dampf für die den Dynamo treibende Dampfmaschine 
abgiebt, Reducirventile eingeschaltet sind. Dem Dampfkessel liegt 
ausserdem noch durch eine ebenso einfache wie sinnreiche Vor¬ 
richtung die Aufgabe ob, permanent die Heisswasserreservoire mit 
heissem Wasser zu versehen. Die Dampfmaschine treibt neben dein 
Dynamo noch eine grosse Druckpumpe zur ausreichenden Ver¬ 
sorgung der Kaltwasserreservoire. Die weitere Coustructiou der in 
den einzelnen Zimmern stehenden Heizkörper gestattet eine zwischen 
weiten Grenzen schwankende und exact abmessbare Wärmezufuhr. 
Die Form der Heizkörper gewährt eine Beheizung der Zellen und 
Zimmer mit Ausschluss jeder Gefahr für die persönliche Sicherheit 
des Kranken. 

Die Sorgfalt und Umsicht, die sich in dieser äusseren Anlage 
ausspricht, spiegelt sich in der Art des Betriebes und des Innen¬ 
lebens wieder. Die Anstalt hat jetzt Platz für 34 Geisteskranke 
und 20 Nervenkranke. Der beinahe vollendete Erweiterungsbau 
bietet Raum für 15 weitere Kranke und zwei Aerzte neben dem 
Besitzer. Das Haus bildet ein Rechteck, dessen Seiten sehr ver¬ 
schiedene Höhen haben, so dass eine ausgiebige Ventilation des 
Binnenhofes gesichert ist.. Die ganze Anordnung umgiebt ein Kranz 
von 7 zum Theil sehr geräumigen Gärten, entsprechend den einzelnen 
Abtheiluugeu. Für Geisteskranke siud 2 der Seiten des Rechtecks 
bestimmt. Bei dieser Anordnung ist durch die Lage der Treppen¬ 
häuser, Corridore und Gärten einerseits durchaus für eine Trennung 
der beiden Geschlechter von einander, wie der ruhigeu von den 
unruhigen Krauken gesorgt; andererseits siud die Geisteskranken 
vollkommen von den Nervenkranken getrennt. Beide Kategorieeu 
sehen und hören nichts von einander. Eine derartige Trennung von 
Kranken, die doch alle unter eiuem Dache vereinigt sind und zu 
deren Wohnräumen der Arzt unmittelbar aus jeder beliebigen Ab¬ 
theilung gelangen kauu, war nur durch eine besondere Sorgfalt in 
der baulichen Anlage zu erreichen. Wer in dem sogenannten 
Pavillonsystem das Ideal einer Anstalt sieht, wird freilich diese con- 
centrirte Anordnung nicht unbedingt anerkennen wollen. Aberder 
ganze Zuschnitt des Anstaltslebens in Ahrweiler, der darauf aus¬ 
geht, dass der Arzt immer unter den Kranken ist, von jedem, auch 
dem kleinsten Vorfall sofort unterrichtet wird und das Warte¬ 
personal in jeder Einzelheit anleitet, fordert ein derartiges straffes 
Zusammenfassen der Einzeltheile. 

In grösseren Anstalten, wo die grössere Anzahl der Kranken 
die persönliche Intervention des Arztes in jedem besonderen Falle 
ziemlich ausschliesst, ist daher auch das Pavillonsystem eher durch¬ 
zuführen. Im inneren Leben der Ahrweiler Anstalt ist das familiäre 
Prinzip, das in so vielen Anstaltsprospecten eine Rolle spielt, that- 
sächlich verwirklicht. Freilich ist der wohlthuende Charakter dieses 
Lebens, der im Stillen wirkende Einfluss des Arztes nur durch 
persönliche Opfer desselben erkauft worden. Die gemeinsamen 
Aufenthalts- und Gesellschaftsräume der Nervenkranken sind auch 
zugleich die Wohnzimmer des Arztes und seiner Familie, der Arzt 
nimmt alle Mahlzeiten mit den männlichen, seine Frau mit den 
weiblichen Nervenkranken ein; die gemeinsamen Vergnügungen und 
Unterhaltungen der Kranken jeder Kategorie vollziehen sich unter 
Anregung und Betheiligung des Arztes. Sicherlich darf man eine 


solche Hingabe nicht als eine Forderung der ärztlichen Pflicht hin- 
| stellen, sie ist die Gabe einer besonderen Individualität, und Eines 
; schickt sich nicht für Alle. Unzweifelhaft gewinnt der dirigirende 
Ar/t einer Austalt durch den Verzicht einer getrennten Häuslich- 
! keit einen erheblich gesteigerten Einfluss auf seine Kranken. Die 
oben angedeutete stete Gontrole der nervenkranken Patienten er- 
• möglicht es nun auch, in der offenen Abtheilung der Austalt eine 
: Reihe von Neurosen und den Neurosen nahestehenden neurasthenisehen 
i Formen erfolgreich zu behandeln, die unter der Lebensform unserer 
modernen Curorte, Bäder etc. bedenklichen affectiven Reizen aus- 
1 gesetzt sind und, wenn diese freie Behandlung ungünstig eingewirkt 
1 hat, schliesslich der Clausur der Irrenanstalt verfallen. Für Nerven¬ 
kranke, die einer Controle ihrer Lebensweise nicht bedürfen oder 
| dieselbe nicht ertragen wollen, wäre der Aufenthalt in Ahrweiler 
nicht absolut anzurathen, da eine Anbequeroung au den etwas 
, patriarchalischen Charakter des dortigen Lebens gefordert werden 
müsste. Für solche Kranke ist ja auch gerade am Rhein durch 
; vorzüglich eingerichtete, von namhaften Neurologen geleitete Kalt- 
! wasseranstalten mehr als hinreichend gesorgt. Jugendliche Kranke 
aber, die sittlich noch nicht oder nicht mehr ganz tactfest sind, 1 ) 
, werden in Ahrweiler eine Sicherheit der Lebensführung finden, 
1 der die Illusion der Freiheit durchaus nicht fehlt; dasselbe gilt 
i von den Intoxicationsueurosen und den besserungsfähigen Epilepti¬ 
kern, wo der innere Halt gegenüber gewissen Reizen geschwächt ist. 
Die Geisteskranken der Anstalt werden in der Remission und in 
der Reconvalescenz in das familiäre Leben der Nervenkranken ein- 
: geführt und so auf die zukünftige Freiheit vorbereitet. Die imraer- 
! hin nur kleine Anzahl derer, die dauernd in der geschlossenen Abthei- 
[ lung gehalten werden müssen, sind nicht ausserhalb der 2 oder 3 
| officiellen Visiten auf die Wärter angewiesen, sondern bekommen 
stündlich einen der Aerzte zu seheu. Die Bauart des Hauses gestattet 
i es. alle Abtheilungen in kurzer Zeit zu durchgehen, und so schwebt 
über den Wärtern eine nie ruhende, unberechenbare Controle. 

1 Neben der gesellschaftlichen Anregung liegt eiu sehr wesentlicher 
i Theil der sonst, dem Oberwärterpersonal allein zugewiesenen Funo- 
i tionen in den Händen der Frau des Arztes. Auch hier entscheidet 
; die Individualität, und wem ein solches Verhältniss etwas ungewöhn¬ 
lich erscheinen sollte, den will ich daran erinnern, dass ein so erfah¬ 
rener und praktischer Psychiater wie Lewinstein in der Maisou de 
sante in allen Abtheilungen die Oberaufsicht in weibliche Hände legte. 

Nach Anlage und Verwaltung scheint mir die Anstalt in Ahr¬ 
weiler eine der orginellsten und lebensfähigsten Schöpfungen der mo¬ 
dernen psychiatrischen Praxis zu sein und verdient, näher von den 
sich interessirenden Collegen und Krankenhausvorständen angesehen 
zu werden. 

VII. Referate und Kritiken. 

I A. Benckiser und M. Hoftneier. Beiträge zur Anatomie des 
schwangeren und kreissenden Uterus. Stuttgart, Ferd. Enke, 
j Ref. F1 a i s c h 1 e n. 

Die vorliegende Arbeit der beiden Autoren stellt eine Ergän¬ 
zung des von Carl Schroeder herausgegebenen grossen Werkes: 
Der schwangere und kreisseude Uterus, dar. Auf Grund einer 
Reihe selten schöner anatomischer Präparate haben sie es unter¬ 
nommen, 3 Punkte au denselben zu prüfen: Das Verhalten des 
! Cervix und unteren Uterinsegments 1) in der Schwangerschaft und 
! 2) während der Geburt, besonders auch bei pathologischen Verhält- 
: nissen, und 3) das Verhalten der Arteria uterina am schwangeren 
Uterus. 

Benckiser hat im I. Theile: Zur Anatomie des Cervix 
; und des unteren Uterinsegments, sich die Aufgabe gestellt, 
die Frage zu beantworten: Ist schon in den früheren Monaten der 
»Schwangerschaft ein Theil des Uterus anatomisch als unteres Uterin- 
| segment zu unterscheiden, und entstammt dasselbe dem unteren Theil 
des Corpus uteri, oder geht es aus dem oberen Theile des Cervix 
1 hervor? — Bleibt der Cervix als solcher während der ganzen 
' Schwangerschaft erhalten oder trägt er durch Erweiterung seines 
oberen Abschnittes in der Schwangerschaft (ohne Einwirkung von 
; Wehenthätigkeit) in regelmässiger Weise zur Vergrösserung der 
i Uterushöhle bei? 

Den Anschauungen Schroeder's und seiner Schule nach 1 h- 
I steht der Uterus in allen Phasen seiner physiologischen und patho¬ 
logischen Thätigkeit aus 3 anatomisch und physiologisch versöhn - 
1 denen Theilen: oberes und unteres Uterinsegment und Cervix. Das 
untere Uterinsegment ist der Theil des Corpus, der über 
dem wahren inneren Muttermund liegt bis zur festen In¬ 
sertion des Peritoneums. Dieser Theil ist im nicht schwan¬ 
geren Zustande sehr klein, ist aber in der Schwangerschaft, in der 
j Geburt und im Wochenbett anatomisch und physiologisch scharf 


*) Die Anstalt will jedoch kein .ärztliches Pädagogium“ sein. 


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1072 


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No. r,2 


charakterisirt. Vor Allein lieht ihn sein anatomischer Hau vom 
Cervix, alter auch vom unteren Uterinsegment ab. — Der Cervix 
bleibt bis zum Ende der Schwangerschaft als solcher erhalten; er 
behält in der Schwangerschaft die für ihn charakteristische Schleim¬ 
haut. während das untere Uterinsegment mit wahrer Decidua aus¬ 
gekleidet ist. 

Diese Anschauungen prüfte Henckiser an 7 ausführlich be¬ 
schriebenen und durch schone Zeichnungen illustrirten Präparaten. 
Kr constatirte ein beträchtliches Dickenwachsthum des unteren Seg¬ 
ments gegenüber der übrigen Corpuswand in den frühesten Monaten, 
ln den späteren Monaten scheint das untere Segment mehr in die 
Länge gedehnt zu werden, wodurch eine Verdünnung und Lockerung 
in der Decidua zu Stande kommt. Der Unterschied in der Structur 
der Muscularis beider Corpusabschnitte ist auch erst in den späteren 
Monaten deutlich. Ueberall war eine bedeutende Differenz zwischen 
Cervix und Corpusgewebe zu coustatiren. Schon im Beginn der 
Wehenthätigkeit, sogar ohne dass der Cervix sich schon geöffnet 
hat, kann eine starke Dehnung des unteren Uterinsegments erfolgen. 
Auch die Schwangerschaftswehen können diese Dehnungen zu Stande 
bringen. Durch ein absolut einwandfreies Präparat, bei welchem 
am Ende der Schwangerschaft bei einem 4,3 langen Cervix die Ei¬ 
häute bis zum inneren Muttermund adhärent sind, ist der sichere 
Beweis erbracht, dass der Cervix bis zum Ende der Schwan¬ 
gerschaft erhalten bleibt. — Die von C. Schroeder vertretene 
und ausgebildete Lehre von der Bildung des unteren Uterinsegments 
in der Schwangerschaft bei Erhaltung des Cervix bis zum Beginn 
der AVeheu hat durch die beschriebenen Präparate unter physiolo¬ 
gischen und pathologischen Verhältnissen neue Stütze und erweiterte 
Beweise erhalten. 

Der II., von Hofmeier bearbeitete Abschnitt: Das Verhalten 
des unteren Uterinsegments bei Placenta praevia, bildet 
gleichsam eine Ergänzung zu dem ersten Theil. Hofmeier be¬ 
schreibt 3 ausserordentlich instructive Präparate von Uteris, welche 
in Folge von Placenta praevia verstorbenen Frauen entstammen. In 
allen 3 Präparaten, welche zum Theil auf den beigefügten Tafeln 
sehr schön reprodueirt sind, existirt ein wohlmarkirtes unteres 
Segment, in welchen in 2 Fällen die Placenta noch fest anhaftet; 
irn dritten bestellt sogar die ganze Haftfläche aus dem unteren 
Segment. Es muss daher ursprünglich schon das untere Segment 
aus einem Theil des mit Decidua bekleideten Uterus selbst ent¬ 
standen sein. Die Untersuchung der 3 unter sich ganz verschie¬ 
denen Präparate crgiebt ohne Zweifel folgende anatomische That- 
sachen: 

1. Es kommt auch bei Placenta praevia centralis zur Bildung 
eines eventuell sehr stark entwickelten unteren Uterinsegments. 

2. Die Placenta haftet demselben noch während des Geburts¬ 
beginnes. meist wohl an der Seite des grösseren Lappens, bis zum 
oberen Ende des Uervicalcanals fest an. 

Beide Thatsaehen sprechen mit Sicherheit für die Entwickelung 
des unteren Uterinsegments aus dem Uterus und nicht ans dem 
t’ervix. 

An zahlreichen, fast allen vorkommenden physiologischen und 
pathologischen Verhältnissen entsprechenden Präparaten hat Hof¬ 
meier Untersuchungen über die Arteria uterina am schwan¬ 
geren Uterus angestellt. Er berichtet über dieselben im HL Theil 
des Werkes. Das Verhalten der Arterien ist stets ganz dasselbe; 
an der Stelle, wo sie. au den Cervix herantretend, sich nach oben 
Umschlägen, geben sie einen starken Zweig nach dem untersten 
Theil des Cervix und den oberen Theilen der Scheide. Dann ver¬ 
laufen sie ziemlich frei an der äusseren Seite des Cervix herauf und 
geben erst in der Höhe der festen Auheftung des Peritoneums resp. 
des Contractionsringes den ersten grossen Ast zum Uterusgewebe. 
Dann gehen gewöhnlich mehrere starke Aeste in die Tiefe, und ein 
sehr starker Ast bildet den Gefässbogeu zur Arteria spermatica. Bei 
Placenta praevia kann wahrscheinlich, auch bei mangelhafter Cou- 
tractionsfähigkeit des unteren Segments, die Blutstillung dadurch zu 
Stande kommen, dass bei Contractiouen des eigentlichen Uterus- 
Körpers durch Verlagerung und Compression der Gcfässe hier eine 
sehr bedeutende Beschränkung der Circulation statthat. Hofmeier 
glaubt dass die Placentarentwickelung überhaupt nur auf die Ent¬ 
wickelung des Venensystems, nicht aber der arteriellen Gefässe an 
der Haftstelle von Einfluss ist. 

Die profusen, event. tödtlichen Blutungen bei sogen, tiefen Cervix¬ 
rissen entstehen durch Zerreissung eines Astes der Uterina oder sogar 
letzterer selbst. Unter gewöhnlichen Verhältnissen scheint das untere 
Uterinsegment geradezu arm an Gefässen zu sein. 

Neun schön ausgeführte Tafeln, welche zur Veranschaulichung einer 
grossen Reihe der in den Arbeiten beschriebenen Präparate dienen, 
vervollständigen das im l'cbrigen glänzend ausgestattete Werk. 


C. Moeli. Ueber irre Verbrecher. VIII. 180 S. Berlin, H. Korn¬ 
feld. Ref. Pelm an. 

Dem grösseren Werke von Sander und Richter 1 ) ist bald 
ein zweites ähnlichen Inhalts gefolgt. Es kann dem Werthe des 
Buches keinen Abbruch thun, dass es auf demselben Boden ent¬ 
standen ist und zum Theil auf demselben Materiale beruht wie 
jenes, während es der Sache selber nur zu Gute kommt, wenn sie 
möglichst vielseitig beleuchtet und von den verschiedensten Seiten 
aus in Angriff genommen wird. 

Es ist ja durchaus nothwendig, dass wir endlich über die Be¬ 
handlung und Unterbringung der irren Verbrecher in’s Reine kommen, 
und meiner Ansicht nach bringt uns Moeli hierin ein tüchtiges 
Stück vorwärts. Verf. theilt sein Werk in 5 Abschnitte ein. deren 
erster und ausgedehntester in einer grösseren Anzahl von Kranken¬ 
geschichten besteht. 

Der zweite Abschnitt ist dem Zusammenhänge von Geistes¬ 
störung und Verbrechen gewidmet. 

M. bedient sich hier der statistischen Methode, um zu be¬ 
stimmten Schlüssen zu gelangen, und wenn er auch selber darauf 
hinweist, dass diese Schlüsse vorzugsweise für Dalldorf und die be¬ 
sonderen Verhältnisse Berlins Gültigkeit haben, so erscheint das 
Material doch gross genug, um ihnen eine ausgedehntere Bedeutung 
zuzuerkennen. 

Der Verf. weist u. a. nach, dass das Strafgesetz häufiger von 
Geisteskranken als von Gesunden übertreten werde, und zwar zumal 
bei den Affectsverbrechern sind die Handlungen häufig durch krank¬ 
hafte Veränderungen veranlasst, die positive Antriebe zur Begehung 
der That iu sich tragen. Wir finden daher für die Affectsverbrechen 
ein Ueberwiegen der .Verbrecherischen Irren“, d. h., sie waren zur 
Zeit der That bereits krank. 

Anders verhält sich die Sache bei den Eigenthumsverbrechern, 
obwohl auch hier der Schwachsinn eine Rolle spielt. Die Schilderung, 
die M. von dem Schwachsinne entwirft, ist ausgezeichnet, und 
ebenso sachgemäss ist seine Bemerkung über die sogenannten .De¬ 
generationszeichen“, und dass es nicht zulässig sei, aus ihnen in 
einem gegebenen Falle Schlüsse auf das Vorhandensein einer 
Geistesstörung zu ziehen, da ein gesetzmässiges Verhalten dieser 
körperlichen Abweichungen zu der geistigen Erkrankung zur Zeit 
nicht nachweisbar sei. Das ist eine entschieden richtige und 
namentlich der uns von Italien aus zuströmendeu Bewegung gegen¬ 
über sehr zu beherzigende Bemerkung. 

Der Abschnitt über die Simulation von Geistesstörung beweist 
wieder einmal die Schwierigkeit des Gegenstandes, und dass sich 
hier eigentlich Niemand von Irrthum frei sprechen sollte. Da^s 
Simulation von Irrsinn nicht zu selten, sondern eher zu häufig an¬ 
genommen wird, glaube ich auch. Man erlebt gerade auf diesem 
Gebiete die wunderbarsten Dinge. 

Bei der Behandlung endlich, die den fünften und letzten Ab¬ 
schnitt bildet, können wir den Anschauungen Moeli's weit rück¬ 
haltloser zustimmen, als uns dies bei Sander möglich war. 

Auf alle Punkte, die hier in Betracht kommen, kann an dieser 
Stelle nicht näher eingegangeu werden. Nur so viel steht fest, 
dass gewisse geisteskranke Verbrecher nicht mehr in die Gefängnisse 
passen und dort unmöglich sind. Ebenso aber steht fest, dass eine 
Anzahl von ihnen, bei denen jene Eigenschaft zutrifft, auch nicht 
in die bestehenden Irrenanstalten passt und dort ebenso unmöglich 
ist. Dass es iu Dalldorf geht, findet seine Erklärung einfach 
darin, weil es dort früher nicht ging. Die Anhäufung irrer \ «r- 
brecher führte zu einem derartigen Nothstande, und namentlich 
mehrten sich die Ausbrüche in so bedenklichem Grade, dass eine 
Abhülfe unvermeidlich wurde. Diese Abhülfe wurde in einem be¬ 
sonderen und für diese Art von Kranken eigens eingerichteten Pa¬ 
villon geschaffen, und seither geht es. 

Ohne eine derartige Einrichtung hält M. die Behandlung einer 
so grossen Zahl irrer Verbrecher für nicht durchführbar. 

Hiermit können wir uns einverstanden erklären, aber gerade 
darin, dass dies nicht überall und in allen Anstalten möglich i>t. 
darin liegt die Schwierigkeit, und daher wird man wohl oder übel 
an die Aufgabe herantreten müssen, mit einer bestimmten Anstalt 
derartige Annexe zu verbinden. Ob dieses Loos eiue Straf- oder 
Irrenanstalt treffen wird, dünkt mir von mehr untergeordneter Be¬ 
deutung, sofern diese Kranken nur aus den eigentlichen Straf- und 
Irrenanstalten herauskommen, wohin sie nicht gehören. 

Auf manches Andere, so z. B. den überaus unheilvollen Einfluss 
des Alkoholmissbrauches, die Behandlung jugendlicher \ erbrechcr 
u. s. w. einzugehen, muss Verzicht geleistet werden, das Wenige 
wird hoffentlich genügen, um eine Andeutung von dem reichen 
Inhalte des Buches zu geben und zu seiner Lectüre anzuregen. 


*) Die Beziehungen von Geistesstörung und Verbrechen. Berlin 1SS>._ 


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27. Deceraber. 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1073 


Vm. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung am 10. Juli 1888. 

Vorsitzender: Herr Schede, später Herr Curschmann; Schrift¬ 
führer: Herr Sick. 

1. Wahl der Vorsitzenden und der Schriftführer für das 

zweite Halbjahr. Es werden gewählt zu Vorsitzenden: Herr Schede 
und Herr Eisenlohr; zu Schriftführern: Herr Deneke und Herr 
Pred öhl. 

2. Herr Mennig berichtet über einen Fall von primärem 
Sarkom des Herzens. 

Patientin, ein 18jähriges kräftiges Mädchen, ohne hereditäre Belastung, 
war bis zum 7. Februar d. J. stets gesund. Unter langsam zunehmender 
Verschlimmerung erkrankte sie an Appetitlosigkeit, Erbrechen, Dyspnoe und 
schliesslich Husten mit blutigem Auswurf. Am 1. März Hess sich bei hoch¬ 
gradiger Dyspnoe und Cyanose und einem kleinen unregelmässig unduliren- 
den Pulse ein Infarct im rechteu Unterlappen und ein enormes pericardiales 
Exsudat constatiren. Aus vitaler Indication Punction des Pericards mit 
einem Capillartroicart im 5. linken lutercostalraum eiuen Finger breit vom 
linken Stemalrande entfernt und Entleerung von 300 ccm eines blutig-serösen 
Exsudats. Sofortige wesentliche Erleichterung, die 8 Tage anhält. Tempe¬ 
ratur fast während der ganzen Krankheit normal. Der Puls kommt trotz 
Digitalis nach der Punction nicht unter 120 herunter. Am 4. März ist der 
Infarct nicht mehr nachweisbar. Am 9. März wieder hochgradige Dyspnoe. 
Cyanose und fadenförmigor Puls. II. Punction: Innerhalb 3 jt Stunden werden 
1000 ccm Exsudat abgelassen. Dabei wächst der Puls unter dem Finger. Schlaf 
kehrt zurück, und reichliche Diurese stellt sich ein, und es folgt für einige 
Tage subjectives Wohlbefinden, trotz der hohen Pulsfrequenz von 120—140. 
Am 20. März wurde die III. Punction, die 800 ccm, und am 25. März die 
IV. Punction, die 750 ccm ergab, nothwendig. Doch Dyspnoe und Cyanose 
schwanden nicht mehr, Oedeme traten auf, es stellte sich hartnäckiges Er¬ 
brechen ein, und am 29. März erfolgte unter den Zeichen grösster Erschöpfung 
der Exitus letalis. 

Die Sectiou ergiebt eine enorme Ausdehnung des Pericards, 
das die ganze linke Brusthöhle ausfüllt und die linke Lunge nach 
oben hin zu einem lederartigen, dünnen Lappen comprimirt hat. 
Es enthält ca. IV 2 1 eines serösen Exsudats, das iu seinen oberen 
Schichten klar und gelb, in seinen unteren Schichten dick und 
blutig war. Das Pericard selbst nicht verdickt, durchweg rosig iu- 
jicirt und nur wenig mit Fibriugerinnseln bedeckt. Das Herz, das 
Herrn Dr. Frankel zu näherer anatomischer Untersuchung über¬ 
geben wurde, klein und schlaff. In der vorderen Wand des rechten 
Vorhofs ein wall nussgrosser Tumor, der sich bei weiterer Unter¬ 
suchung als Spindelzellensarkom erweist. I 11 der rechten Lunge und 
im Abdomen nichts Abnormes. 

3. Herr Fraenkel demonstrirt: a) ein Präparat von geheilter 
Ruptur der Aorta am Uebergang des aufsteigenden Theils in den Bo¬ 
gen. Die Heilung ist eine complete, nicht bloss insofern, als die 
Rissstelle mit einer die Dicke der normalen sogar übertreffenden In¬ 
tima bekleidet, sondern auch deshalb, weil es zu keiner Dehnung 
der vernarbten Ruptur gekommen, und somit die Bildung eines Aneu¬ 
rysma, wie das sonst der Fall zu sein pflegt, ausgeblieben ist. 

Das Präparat stammt von einem im Jahre 1883 zur Section 
gekommenen 71jährigen Manne, welcher 18 Tage nach einer erlitte¬ 
nen Schenkelfractur zu Grunde ging. Fraenkel bemerkt, ohne 
auf Details einzugehen, da der Fall anderweitig publicirt werden 
soll, dass das Trauma, in dessen Gefolge die Fractur eintrat, mit 
dem Aortenriss sicher nicht, ätiologisch in Zusammenhang zu bringen 
ist, da der seit jenem Ereigniss verstrichene Zeitraum von 18 Tagen 
ein viel zu kurzer ist, als dass der immerhin beträchtliche Riss 
hätte zur Vernarbung gelangen können, hebt weiter hervor, dass 
der Riss, wie in der bei weitem grössten Zahl solcher Fälle, nicht 
zwischen den Schichten des Gefässrohres erfolgt ist. 
sondern innerhalb der Lamellen der Media verläuft, und 
endlich, dass das für die Vernarbung erforderlich gewesene 
Material ausschliesslich von der Intima geliefert worden 
ist. (Demonstration durch Zeichnung.) 

b) Ein Präparat von primärem Sarkom des rechten Vor' 
hofes aus der Praxis von Dr. Mennig. Unter Hinweis auf die 
von Herrn Mennig gegebenen klinischen Daten bemerkt Fraenkel, 
dass der Fall bestätigt habe, was ähnliche Beobachtungen aus der 
Literatur lehren, dass nämlich den Herzgeschwülsten eine 
besondere Symptomatologie nicht zukommt, dass vielmehr 
die Erscheinungen, welche sie hervorrufen, abhängen von 
der Grösse und dem Sitz der Tumoren. Da das rechte Ost. 
venös, im vorliegenden Falle durch den Tumor in keiner Weise ge- 
nirt wurde, sind auch Stauungserscheinungen und Symptome, welche 
sonst ev. auf eine Beeinträchtigung dieses Ostium hätten schliessen 
lassen, ausgeblieben. Fraenkel hebt ferner als in diagnostischer 
Beziehung wichtig und seiner Ansicht nach für die klinische 
Beurtheilung solcher Fälle in Zukunft wichtig hervor das rasche 
sich wieder Ansammeln des Herzbeutelexsudats nach der 
Punction. Das Exsudat selbst zeigte — und darin hätte ein 


Fingerzeig für die Diagnose im vorliegenden Falle liegen können — 
hämorrhagischen Charakter. Fraenkel betont endlich das 
Ausbleiben von Metastasen und das entschieden sehr rasch erfolgte 
Wachsthura der Geschwulst, da die Patientin noch wenige Wochen 
vor dem Tode keinerlei Krankheitserscheinungen dargeboten hatte. 

4. Herr Otto Laueustein: Ich möchte mir erlauben, Urnen 
einen Fall von primärer Darmresection mit Darmnaht zu de- 

monstrireu, welche wegen Gangrän des in einen Leistenbruchsack 
eingeklemmten Quercolons gemacht wordeu ist. Der Fall, welcher 
in mehr als eiuer Hinsicht mittheilenswerth erscheint, ist folgender: 

Der 68jährige Bäcker B. kam am 9. Mai d. J. auf die chirurgische Ab¬ 
theilung des Allgemeinen Krankenhauses mit Einklemmungserscheinungeu, 
die angeblich seit dem Tage vorher bestanden. Er gab an, dass er seit 
20 Jahren einen stets durch ein Bruchband reponirten Leistenbruch habe. 
Gestern beim Weglassen des Bruchbandes lebhafte Schmerzen in der rechten 
I'nterbauchgegend und Cession von Wind und Kothabgang. 

Kein Erbrechen. Man constatirt eine kindskopfgrosse, pralle, rechts¬ 
seitige Inguinalhemie, die sich auffallend hart anfühlt und druckempfindlich 
ist. Kein Oedem der bedeckenden Weichtheile; Puls kräftig, 80 Schläge, 
Ternp. 38.3. Operation von Herrn Dr. Schede vorgenommen. Nach Frei¬ 
legen des Bruchsackes zeigte sich derselbe theilweise hämorrhagisch infiltrirt 
und entleerte bei seiner Eröffnung eine äusserst übelriechende, sanguinolente 
Flüssigkeit. Der Bruchsackinhalt besteht aus dem grossen Netz und dem 
gangränösen Colon transversum. Da sich nach Erweiterung des einschnü¬ 
renden Ringes zeigte, dass der Darm zu sehr gespannt war, als dass ersieh 
genügend hätte vorziehen lassen, die mürbe Darmwand zudem bei ganz 
leichten Traetionen anfing an mehreren Stellen einzureissen, so w r urde die 
Wunde nach oben verlängert. Nach Abbinden und Abtragen des Netzes in 
mehreren Partieen gelang es, das Quercolon so weit hervorzuziehen, dass 
au beiden Enden des gangränösen Mittelstücks intacter Dickdarm zu Tage 
trat. Jetzt drängte sich die Frage auf: Soll ein künstlicher After angelegt, 
oder primär resecirt und genäht werden? Gegen ersteres sprach der Um¬ 
stand, dass man genöthigt gewesen wäre, den Anus präternaturalis im oberen 
Wundwinkel anzulegen, vielleicht, um jede Spannung auszuschalten, den 
schon gemachten Bauchschnitt nach oben hin zu verlängern. 

Dr. Schede entschied sich in Anbetracht des guten Kräftezustandes 
des Pat., und da, wie ich nachher des Weiteren ausführen werde, alle Be¬ 
dingungen erfüllt waren, die auf einen glücklichen Verlauf der zu unter¬ 
nehmenden Operation hoffen lassen durften, für die primäre Darmresection 
mit anschliessender Darmnaht. 

Das zu- und abführende Dickdarmende wurde jenseits der für die Re- 
section ausersehenen Stellen mit starken Seidenfäden abgeschlossen, es er¬ 
folgte die Excision eines 28 cm langen Darmstückes im zweifellos Gesunden 
und, nach vorheriger Vernähung des Mesocolon, Vereinigung dor Darmeuden 
durch eine circuläre Schleimhautnaht, indem von hinten her mittelst zweier 
mit Nadeln armirter Catgutfädon um die rechte und linke halbe Peripherie 
herum nach vorn zu fortlaufend genäht wurde. Dann folgten noch 2 circu¬ 
lare Reihen fortlaufender Muscularis-serosa-Nähte. Hierauf Lösung der 
Seidenfäden und Versenkung des Darmes. Nach Exstirpation des zum Theil 
ebenfalls gangränösen Bruchsackes und Reinigen des Bruchsackbcttes wurde 
dieses mit Jodoformgaze ausgestopft und die Haut darüber mit Seidenfäden 
zusammengezogen. Die Bauchwunde in der üblichen Weise mittelst Bauch- 
deckennaht-, dann Peritonealfascien- und Hautnaht geschlossen. Krüll, Watte, 
Heftpflasterverband. Dauer der Operation 1 Va Stunde. Die weitere Behand¬ 
lung war die bei Laparotomioen übliche. Pat. bekam in den ersten Tagen 
Opium, am 13. Tage auf Klysma Stuhlgang. Der Leib war stets weich, 
fieberloser Verlauf bei subjectivom Wohlbefinden. Nach 14 Tagen Secundär- 
naht des Bruchsackbettes, übrige Wunde per prirnam geheilt. Patient mit 
Bruchband geheilt entlassen. 

Der soeben mitgetheilto Fall ist nach zwei Seiten hin interessant, 
einmal wegen des anstandslosen Heilverlaufs, den derselbe genommen 
hat und dann wegen der verhältnissmässig kurzen Zeit, die von 
Beginn der Incarceratiou bis zur Herniotomie verflossen ist, und die 
genügt hatte, den eingeschlossenen Darm in so hohem Grade brandig 
werden zu lassen, ln Bezug auf den ersten Punkt darf ich an das 
erinnern, was in einer 1887 in Bonn erschienenen Inauguraldisser¬ 
tation über Behandlung gangränöser Brüche von Beckmann als 
conditio sine qua non für primäre Resection mit Darmnaht verlangt 
worden ist: Resection im Gesunden; vollendete Technik des Ope- 
rirenden, geschulte Assistenz und feinste Antiseptik, ausserdem die 
allgemeinen begünstigenden Momente, wie sie am sichersten ein 
chirurgisches Hospital bietet. 

Was den zweiten Punkt anbelangt, so ist für das rasche 
Braudigwerden des incarcerirten Darms hauptsächlich, wenn nicht 
ausschliesslich, die ungeheure Zerrung des Mesocolon zu beschuldigen, 
wodurch für bestimmte Darmbezirke die Ernährung völlig auf¬ 
gehoben wurde. 

Die neuerdings von Tantini in Lodi und Zesas in Bern an- 
gestellten experimentellen Studien, besonders die von ersterem ge¬ 
machten Injectionen in die Mesenterial- resp. Mesocolon- und Darm- 
wandgefiässe, haben gezeigt, dass entgegengesetzt der Gefässvertheilung 
in der Wand der Dünndarraschlingen, eine Anastomosenbildung der 
einzelnen .Gefässbezirke untereinander in der Wand des Dickdarms 
nicht statthat. Ist demnach eine Anzahl der im Mesocolon zum 
Darm verlaufenden Arterien aus irgend einem Grunde nicht fähig, 
ihren resp. Gefässbezirken in der Dickdarmwand Blut zuzuführen, 
so sind diese Darmpartieen rettungslos der Gangrän verfallen. 


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1074 


DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52 


Wörde man nun die Frage stellen, ob ein, die Technik völlig 
beherrschender Chirurg jede gangränöse Hernie, sofern nur die 
Hauptbedingung: guter Kräftezustand des Pat., erfüllt ist, so be¬ 
handeln soll wie der Fall B. behandelt wurde, so darf dies gewiss 
nicht so ohne weiteres bejaht werden. Es giebt Fälle, wo es un¬ 
möglich ist, au dem zuführenden, oft in Folge der stattgehabten 
Kothstagnation und Stauung weithin infarcirten Darmstück die 
Grenze zwischen Gesundem und Krankem sicher nachzuweisen. Ist 
es doch v. Bergmann, jetzt bekanntlich einem Gegner der primären 
Darmresection, bei eiuer Darmnaht nach Resection einer incarcerirten 
brandigen Schenkelhernie passirt, dass ihm erst durch das häufige 
Durchschneiden des Fadens durch die für's Auge, wie fürs Gefühl 
anscheinend völlig gesunde Darmwand Zweifel aufstiegen über die 
Lebensfähigkeit derselben; und hat doch Tantini vor nicht langer 
Zeit erst festgestellt, dass die Nekrose der Darmwand stets von 
innen nach aussen fortschreitet, indem zuerst das Epithel, dann die 
Schleimhaut und ganz zuletzt die Serosa mortificirt, also eine 
Täuschung in dieser Beziehung leicht Vorkommen könnte. Freilich 
giebt es ein Mittel, diese Schwierigkeit zu besiegen, welches auch 
schon von namhaften Chirurgen in Anwendung gezogen ist, wenn 
man nach dem Vorgang von Kocher und Baum unter Umständen 
nicht davor zurückschreckt, meterlange Darmstücke zu excidiren, 
um ganz sicher zu sein, dass man im Gesunden arbeitet. Doch ist 
hierbei zu bedenken, dass der Verlust langer Darmstücke und damit 
der Ausfall eines Theils der Verdauungsfläche für die Ernährung 
der operirten, selbst bei gutem Kräftezustand sich befindenden 
Individuen durchaus nicht gleichgültig ist. Baum's Patientwenigstens, 
welchem 2 m Darm resecirt worden waren , ist, nachdem er den 
operativen Eingriff überstandeu hatte, später doch an Ernährungs¬ 
störungen zu Grunde gegangen. In solchem Falle w’ürde man selbst 
als Anhänger der primären Darmresection mit Darmnaht wohl meist 
die Anlegung eines Anus praeternat. vorziehen, oder, nach Riedel’s 
Vorgänge, die Abschwellung des zuführendeu Darmstückes anstreben 
durch zeitweilige Drainage mittelst eines in das Darmlumen hoch 
hinaufgeführten dicken Gummirohrs, um dann ev. später zu reseciren 
und die resec. Darmenden mit Aussicht auf Haltbarkeit der Naht¬ 
linie zu vernähen. Im Grossen Ganzen dürfte doch bei Erfüllung 
der genannten nothwendigen Bedingungen, namentlich, wenn man 
auch noch in zweifelhaften Fällen sich die Rathschläge zu Nutze 
macht, die E. Hahn in der Berl. klin. Wocheuschr. zum Schutze 
der Nahtlinie giebt, nämlich temporäres Aufhäugen der genähten 
Darmschlinge in der Bauchhöhle mittelst darunter hergezogener 
Jodoformgazestreifen, dürfte doch, sage ich, die primäre Darm¬ 
resection mit Enterorrhaphie als berechtigte Behandlungsart brandiger 
Hernien anzuempfehlen sein, einmal, weil die Statistik zeigt, dass 
bei dieser Behandlung weniger Todesfälle Vorkommen, als bei An¬ 
legen eines künstlichen Afters, sofern uur zu letzteren die Zahl deter 
mit hinzugerechnet wird, welche bei den Versuchen, denselben später 
zu schliessen, zu Grunde gehen, dann, weil bei gutem Verlaufe die 
Heilungsdauer eine sehr viel kürzere ist. 

5. Herr Schede berichtet unter Vorzeigung der betreffenden 
Präparate über 20 eigene Fälle von Nierenexstirpation. 

Die Indicatiou war gegeben durch Tumoren der Nieren 3 mal 
(2 geh. 1 +), durch Nierenzerreissung (Trauma) bei bestehender 
Hydronephrose 1 mal (-+-), bei Hydronephrose der Wanderniere 2 mal 
(1 geh. 1 +), bei einfacher Hydronephrose 1 mal (geh.), bei Niereu¬ 
beckenfisteln 2 mal (geh.), bei Pyouephrose 4 mal (2 geh. 2 + ), 
bei Pyouephrosis tuberculosa 3 mal (1 + in den ersten Tagen nach der 
Operation, 2 auf längere Zeit gebessert, dann an Tuberculose ge¬ 
storben), durch eine unheilbare Ureter-Uterusfistel 1 mal (geheilt), 
durch vagiuale Exstirpation des carcinomatösen Uterus, wobei ein Ure 
ter carcinomatös gefunden und mit exstirpirt werden musste, 3 mal 
(2 geh. 1 -F). Im Ganzen wurden 11 geheilt, zwei auf längere Zeit ge¬ 
bessert. 7 starben in den ersten Tagen nach der Operation, die zum 
Theil unter sehr ungünstigen Verhältnissen unternommen werden musste. 
Obwohl die Mortalität bei Schede\s Operationen mit 35 °/o gegen¬ 
über der allgemeinen Mortalität der Nierenexstirpationen, die noch 
1885 von Gross auf 44.6 % festgestellt wurde, einen gewissen 
Fortschritt zeigt, hält Vortragender dieselbe doch noch für ausser¬ 
ordentlich verbesserungsfähig. Die grossen Fortschritte in der 
Sicherung der Diagnose, w'elche in den letzten Jahren gemacht sind, 
werden vor manchen verhängnissvollen Missgriffen schützen, und 
die grundsätzliche Verwerfung der transperitouealen Operationsme¬ 
thode, die künftig nur noch in ganz vereinzelten exceptionellen Fällen 
zur Anwendung kommeu darf, und ihre Ersetzung durch den an 
sich so gut wie ungefährlichen retroperitonealen Flankeuschnitt 
werden ohne Zweifel einer künftigen Statistik der Nierenexstir¬ 
pation ein ganz anderes Aussehen verleihen. (Der Vortrag wird 
anderen Orts ausführlich veröffentlicht werden.) 


IX. Aus den Sectionssitzungen der 01. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte. 

Herr Kraske (Freiburg): Ueber Tuberculose des Penis. 
Der Vortragende demoustrirt zuerst eine Abbildung, welche eine 
ausgedehnte tuberculöse Erkrankung der Harnröhre darstellt. Von 
der Pars membranacea bis zum Orificium extemum fanden sich in 
der Harnröhreuschleimhaut zahlreiche grössere und kleinere Ulce- 
rationen mit unregelmässigen Rändern, die durch Partieen gesunder 
Schleimhaut von einauder getrennt waren; das ausgedehnteste und 
auch am weitesten in die Tiefe greifende Geschwür befand sich in 
der Fossa navicularis, die in eine kraterförmige Höhle verwandelt 
war. Das Präparat stammte von einem 33jährigen Manne, bei dem 
ein Harnröhrenschanker diagnosticirt worden war, und der bald da¬ 
rauf ziemlich rasch zu Grunde ging. Bei der Section fand sich in 
der Lunge nur wenig, aber eine schwere Tuberculose der Nieren 
und der Harnw'ege, auch in dem einen Nebenhoden zeigte sich ein 
haselnussgrosser tuberculöser Heerd. — Während derartige Er¬ 
krankungen offenbar nicht so selten Vorkommen, sind tuberculöse 
Processe an der Eichel bisher wohl kaum bekannt geworden. Die 
sehr gut gelungene Abbildung einer solchen Affection, die der Vor¬ 
tragende demonstrirt, betrifft einen 49jährigen verheiratheten Mann, 
der ebenfalls mit der Diagnose eines venerischen Ulcus in die Frei¬ 
burger Klinik kam. Auf der dorsalen Fläche des Glans befand sich 
ein unregelmässig begrenztes, im Ganzen etwa markstückgrosses Ge¬ 
schwür, auf dessen Grunde inmitten eines gelblich-käsigen Belages 
stellenweise miliare graue Knötchen sichtbar waren. Die Ränder 
des Geschwürs waren ausgesprochen unterminirt, sodass an einzelnen 
Stellen die Sonde bis zu einen halben Centimeter unter die sehr 
verdünnte livide Schleimhaut vorgeschoben werden konnte. Eine 
stark livide Färbung zeigte übrigens die Schleimhaut auch in 
weiterer Umgebung des Geschwürs, und nach der rechten Seite 
zu fanden sich von dem Hauptgeschwür getrennt mehrere 
kleinere, zum Theil eben im Entstehen begriffene Ulcerationen: 
Lymphdrüsensehwellungen fehlten. Es wurde die Diagnose auf 
eine Tuberculose der Glans gestellt, obwohl der Patient sonst 
nirgends Zeichen einer tuberculösen Erkrankung anfwies. Als in 
der Chloroformnarkose das Geschwür mit einem Messer abgetragen 
wurde, zeigte sich, dass die käsige Infiltration im cavernöseti Ge¬ 
webe der Glans viel ausgedehnter war, als es der Schleimhaut- 
ulceration entsprach, auch ein zweiter flach geführter Schnitt traf 
noch stark erkranktes Gewebe, sodass die Amputation der Eichel 
gemacht wurde. Die Untersuchung der amputirteu Eichel ergab, 
dass die käsige Infiltration durch die ganze Dicke der Glans ging und 
auch auf der Harnröhrenschleimhaut bereits zu einem stecknadelkopf¬ 
grossen Geschwür geführt hatte. Der Kranke wurde rasch geheilt. 
Die Untersuchung der erkrankten Theile bestätigte mit Sicherheit 
die Diagnose. Es fanden sich Tuberkel mit typischen Riesenzellen 
und massenhaften Bacillen. 

Der Vortrageude glaubt, dass dieser Fall nicht bloss das Interesse 
eines Curiosums habe, sondern auch von Wichtigkeit für die Frage sei. 
ob eine tuberculöse Erkrankung durch Infectiou beim Coitus acquirirt 
werdeu könne. Bekanntlich wird dieser Modus der Infection für 
die tuberculösen Affectionen der Genitalorgane, besonders neuerdings 
von den Gynäkologen, vielfach angenommen. Die Anamnese sowohl, 
als auch die genaue Untersuchung der Frau ergab nun in dieser 
Beziehung im Falle des Vortragenden durchaus negative Resultate. 
Aber ganz abgesehen davon sprach auch die Ausdehnung der Er¬ 
krankung, welche die ganze Dicke der Eichel durchsetzte und in 
der Tiefe viel ausgebreiteter war als auf der Schleimhaut, gegen 
eine Infection von der Schleimhaut aus. Es ist vielmehr unge¬ 
zwungener, auzuuehmen, dass das Gift hier auf dem Wege der 
Blutbahn in das cavernöse Gewebe der Eichel gelangt sei, dass 
dieses zuerst Sitz der Erkrankuug war, uüd dass die Schleimhaut- 
ulceration erst secundär zu Stande kam. So wenig a priori die 
Möglichkeit einer Impftuberculose an der Glans zu bezweifelu ist. 
so kann doch der Fall nach des Vortragenden Ansicht nicht als Be¬ 
weis in diesem Sinne betrachtet werden. 

Herr F. Schnopfhagen (Linz): Faltungen des Orosshims. 
Unbefriedigt durch die bisher bekanut gewordenen Versuche die 
Entstehung der Gehirnwindungen zu erklären, hat Redner eine um¬ 
fassende Untersuchung des inneren Baues des Gehirnes in Rücksicht 
seiner Fasersysteme durchgeführt, getragen von dem Gedanken, e» 
müsse aus der Erkenntniss des Aufbaues des Gehirnmantels eine 
Theorie für die Entwickelung der Windungen sich gewinnen lassen. 

Als Thatsache ergab sich, dass die Projections- und die Associa¬ 
tionsfasern bestimmte Rindengebiete für sich beanspruchen. Ersten* 
strahlen radienförmig aus den Ganglien in die Rindenkämme ein. 
nachdem sie den Balken durchflochten und bei dieser Gelegenheit 
in zwei bis drei Lamellen für die Stirnwindungen sich getheilt 
haben. (Redner bespricht in erster Linie das Stirnhirn.) Die 


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27. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. ___ 1075 


Windungskämrae darf man, weil sie nur Projectionsfaseru enthalten, 
als anatomische Centren bezeichnen, die jedes von einem zugehörigen 
Rindengebiete umgeben sind, das nur Associationsfasern enthält. 
Die Gebiete siud durch die Furchen von einander geschieden. In 
der Tiefe der Furchen stossen sie aneinander, und hier siud sie 
durch die kürzesten Associationsfasern mit einander verbunden, 
während die je höher an den Wandungen gelegenen Punkte durch 
desto längere Fasern verbunden sind. In der Anlage existiren diese 
Verhältnisse natürlich schon zu einer Zeit, wo die Rindenoberfläche , 
noch ganz glatt ist. Wenn nun die Fasern wachsen, so werden 
die radiäreu Projectionsfasern in der Richtung ihres Verlaufes mit 
grosser Energie (weil sie sehr lang sind und nur nach einer Rich¬ 
tung hin wachsen können) die Rinde einporheben zu Wülsten. 
Die kürzesten Associationsfasern werden die geringste Wachs- 
thuinsenergie zeigen, und es werden längs der Linien, längs 
welcher sie die aufeinander stossenden Rindengebietc verbinden, 
die Furchen entstehen. Das zwischen Furchen und Kammhöhe 
gelegeue Wandungsgebiet erlaubt den verschieden langen und 
darum eine verschiedene Wachsthumsenergie besitzenden Asso¬ 
ciationsfasern, sich nach individuellem Vermögen am Aufbau der 
Windungen zu betheiligen. 

Herr Schimraelbusch (Köln): Infection bei heiler Haut. 
Schimmel husch ist experimentell der Frage näher getreten, ob 
eine Infection mit Mikroorganismen aus heiler Haut möglich sei. 
Angeregt durch die Versuche von Garre und Bockhart rieb er 
zunächst Staphylococcen-Reinculturen bei Moribunden in die Haut 
ein. Er erzielte bei frottireudem Reibeu (nicht bei einfachem Auf¬ 
trägen selbst sehr grosser Mengen von Cultur) Impetigopusteln resp. 
Furunkel und überzeugte sich an post mortem excidirten Haut¬ 
stücken davon, dass die Infection hier aus völlig heiler Haut erfolge, 
iudem die in die Haarbälge hineingedrückten Staphylococceu 
zwischeu Wurzelscheide und Haarschaft durch Wachsthumsdruck hinab¬ 
gedrängt werden. Von deu Schweissdrüsen aus sah er die Infection 
nie ihren Ausgang nehmen. Weiter machte Schimmelbuscli Eiu- 
reibungsversuehe mit Organismen welche vorwiegend Blutparasiten 
sind, und betrat damit einen Weg, welchen Roth (hygienisches In¬ 
stitut zu Berlin) bereits mit Erfolg eingeschlagen hatte. Er rieb 
in die Haut von Kaninchen Milzbrand, Kaninchensepticämie 
und Hühnercholera ein. Von 14 mit Milzbrand eingeriebenen 
Kaninchen starben 4. Bei einem dieser Fälle konnte bei genauer 
mikroskopischer Untersuchung eine Verletzung iu Folge der Ein¬ 
reibung nachgewiesen werden, bei den 3 anderen Thieren war an 
der Inunctionsstelle weder makro- noch mikroskopisch irgend etwas 
von einer Hautverletzung zu entdecken. Von 6 mit Kaninchen¬ 
septicämie eingeriebenen Kaninchen starben 2, von 3 ebenso mit 
Hühnercholera behandelten eins. 

Herr Brohl (Köln): Die Behandlung der Retroflexio uteri 
durch Verkürzung der Lig. rotunda. Nach einem kurzen Ueber- 
blick über die Geschichte der Operation und über die von 
Alexander, Gardener und Casati ausgeführten Operationen be¬ 
spricht der Vortragende an der Hand von 6 Fällen das Barden- 
heuer’sche Verfahren. Dieser legt beiderseits einen Schnitt parallel 
dem Lig. Poup. an, sucht das Lig. rot. oberhalb des Leistencanales 
auf, zieht es hervor, sticht es mittelst einer spitzen und scharfen 
Zange durch die Haut in der Leistengegend oder durch das Lig. 
Poup., sticht dann an der Durchtrittsstelle eine Nadel durch das 
Lig. rot., legt eine umschlungene und eine Knopfnaht an, schneidet 
das vor der Nahtstelle gelegene Stück des Lig. rot. ab und brennt 
den Stumpf mit dem Paquelin. In dem 6. Falle wurde das in 
jener Zange liegende l.ig. rot. zwischen Haut und M rect. abd. 
durchgestossen und in der Linea alba an die Haut befestigt. 

In allen Fällen hat der Uterus die ihm bei der Operation ge¬ 
gebene Stellung beibehalten, und sind die Patientinnen beschwerden¬ 
frei geblieben. 

Jene Fälle zeigen, dass durch eine ungefährliche und meist 
leichte Operation die Retroflexio uteri gehoben werden kann, und 
sind wir — die erste Operation wurde am 7. Juli 1888 ausgeführt 
— noch nicht berechtigt, das geschilderte Verfahren als eine Radi¬ 
kaloperation zu bezeichnen, so müssen wir doch mit dem erzielten 
Erfolge zufrieden sein und uns zur Empfehlung der Operation an¬ 
gespornt fühlen. Hervorzuheben an dem Operationsverfahren Bar- 
denheuer’s ist besonders die Befestigung der Stumpfe der Lig. rot., 
vor allem die Befestigung derselben an der Haut in der Linea alba. 
Denn hierdurch wird der M. rect. abd. sozusagen zum Träger des 
Lig. rot. und damit zum Träger des Uterus gemacht. 

Herr Brohl (Köln): Die Exstirpation der Harnblase und 
die Totalexcision der Blasenschleimhaut. Nach einem kurzen 
Ueberblick über die Geschichte der Harnblasenresectionen beschreibt 
der Vortragende den Symphysenschnitt (vgl. Barden heuer, Der 
extraperitoneale Explorativschnitt, p. 232), mittelst dessen Prof. 
Bardenheuer die Harnblase freilegte, darauf bespricht er 4 ope- 
rirte Fälle: 


1. Fall. Ein 57 Jahre alter, hochgradig abgeraagerter Schreiner leidet 
seit fünf Jahren an Blutverlust und an Schmerzen beim Wasserlassen, sowie 
zeitweise an Incontinentia urinae Es findet sich, dass eine Geschwulst von 
unebener Oberfläche den ganzen Fundus der verdickten Blase einnimmt, und 
dass die Harnleiter in die Geschwulst eindringen. Der rechte ist fingerdick, 
der linke bei der Operation nicht aufzufinden. Erst wird die ganze Blase 
exstirpirt und die Wunde behufs Stillung der Blutung und Aufsaugung des 
Secrets mit Schwämmen ausgestopft, die häufig erneuert werden. Die Wunde 
bedeckt sich mit schönen Granulationen. Doch wird der Patient immer mehr 
schläfrig und stirbt am vierzehnten Tage nach der Operation. Obductions- 
befund: Wundhöhle ganz abgeschlossen, keine Entzündung, linker Harnleiter 
verschlossen, linke Niere hydronephrotisch. 

2. Fall. Bei einem 7 Jahre alten Mädchen wird wegen Blasentuber- 
culose (mikroskopische Untersuchung) am 9. Mai 1887 die Blase blossgelegt, 
und zehn Tage später von einem Querschnitt aus die geröthete, gewulstete, 
dicht mit Knötchen besetzte Schleimhaut excidirt. Blasennaht.. Diese hält 
nicht. Im December kann das Kind, das sich gut erholt hat, das Bett ver¬ 
lassen. Es besteht noch eine kleine Blasenfistel, doch entleert sich der Urin 
zum grössten Theil durch die Harnröhre, uud zwar zwei- bis dreimal in der 
Stunde. Im Januar 1888 von Neuem Erkrankung und im März Tod in Folge 
von Tuberculose des Peritoneum. 

3. Fall. Bei einem 64jährigen, seit einem Jahre an Symptomen des 
Blasenkatarrhs leidenden Manne wird am 21. Juli 1887 die Rlase blossge¬ 
legt, und sieben Tage später ein in der hinteren Wand sitzender grösserer 
papillärer Tumor, ein Zottenkrebs (mikroskopische Untersuchung), sammt der 
ihn tragenden Blasenwand und die mit grauweissen, stecknadelkopfgrossen 
Knötchen dicht besetzte Schleimhaut des übrigen Theiles der Blase excidirt. 
Verweilkatheter. Die Blasennaht hält nicht. Alle drei bis vier Stunden Er¬ 
neuerung eines Verbandes, bestehend aus neuen desinficirten Schwämmen, 
Gaze u. s. w. Ausspülungen. Ende März 1888 Fistel geschlossen. Gutes 
Allgemeinbefinden. Incontinentia urinae. Symptome eines leichten Blasen¬ 
katarrhs. 

4. Fall. Ein 30 Jahre alter Schuhmacher leidet seit sieben Jahren an 
heftigen Blasenbeschwerden, muss in der letzten Zeit alle fünf Minuten 
Wasser lassen. 13 October 1886 Blosslegung und Eröffnung der Blase, 
Excision der gesammteu von zum Theil erbsengrossen Tumoren besetzten 
und in der Gegend der Harnleitermündungen narbig veränderten Blasen¬ 
schleimhaut, Ausstopfung der Wundhöhle. Wenige Tage Fieber. Am 
1. Januar 1887 kleine Blasenfistel. Am 30. August 1888 Wunde vollständig 
vernarbt. Keine Schmerzen mehr. Allgemeinbefinden sehr gut. Nach „Er¬ 
kältungen“ leichter Blasenkatarrh. Der Pat. vermag den Urin 2 I / a Stunden 
lang zu halten. 

Die vier beschriebenen Fälle beweisen, wie leicht es mittelst 
des Symphysenschnittes gelingt, in zweifelhaften Fällen Geschwülste 
der Harnblase zu entdecken, das Blaseninuere abzutasten und mit 
den Augen zu untersuchen. So kann keine sicht- und fühlbare 
Veränderung der Blase entgehen. Der Operateur ist in der Lage, 
noch so grosse, noch so ausgedehnte Tumoren zu entfernen mit oder 
ohne die Blasenwand. Insbesondere liefern jene Fälle den Beweis, 
dass ohne Eröffnung des Cavum peritonei die Schleimhaut der 
ganzen Harnblase und selbst die ganze Blase sich exstirpiren lässt, 
und, wie der letzte Fall glänzend beweist, dass diese Operation 
uicht allein vom Menschen überstanden wird, sondern ihn sogar von 
langjährigen schweren Leiden befreit. 


X. ö. Congress polnischer Aerzte und Natur¬ 
forscher zu Lemberg, 18.—22. Juli 1888. 

(Originalbericht.) 

(Schluss aus No. 39.) 

12. Herr Dr. Bujwid (Warschau): Ueber das Choleraroth. Im 
Jahre I88G beschrieb Bujwid einige Reactionen, welche die Cholerabacillen 
iu Culturen mit verschiedenen Säuren geben. Da seit jeuei Zeit sich her¬ 
ausgestellt hat, dass auch andere Bacillen dieselben Reactionen zeigen, giebt 
Bujwid jetzt die Art und Weise an, wie mau verfahren soll, wenn man 
die für die Cholerabacillen charakteristische Reaction erhalten 
will: Eine gut sterilisirte 2%ige Peptonlösung, welche mit 0,5% Kochsalz 
und Natrium bicarbonicum-Lösung bis zur alkalischen Reaction versetzt wird, 
wird mit dem Cholerabacillus geimpft uud 24 Stunden in den Thermostaten 
gestellt. Wenn man hierauf dieser Mischung Salz-, Phosphor-, Schwefel¬ 
oder Oxalsäure hinzusetzt, erhält man eine violettrothe Farbe, welche bei 
der Salzsäurereaction am schönsten ist. Andere Bacillen geben dieselbe 
Reaction erst nach längerer Zeit. 

13. Derselbe: Ueber die Resultate der in Warschau ansge¬ 
führten Impfungen nach Pasteur’s Methode. Von den bis zur Mitte 
1886 Geimpften starb einer. Bei den weiter mit Pasteur’s „schwächerer“ 
Methode Geimpften starben 8; Bujwid begann daher in späteren Fällen die 
„stärkere“ Impfmethode anzuwenden, und von den so Geimpften starb kein einzi¬ 
ger, ja sogar die Individuen (8), bei denen sich die Bisswunden im Gesicht 
befanden, welche Verletzungen bekanntlich die gefürchtetsten sind, sind fast 
alle am Leben erhalten und zeigen bis jetzt keine Lyssaerscheinungen. Von 
170 auf diese Weise Geimpften starben nur 2 Personen; darunter waren 
einige von Wölfen gebissen, bei denen Lyssa experimentell nachgewiesen 
wurde (die Köpfe wurden Bujwid zur Constatirung der Lyssa zugeschickt). 

14. Herr Kreisarzt Obtulowicz (Buczacz): Ueber einige Epidemieen 
von Typhus exanthematiens und dessen Yerbreitungswege. Auf Grund 
seiner, über 900 in einigen Epidemieen beobachtete Fälle umfassenden Tabelle 
gelangt Vortr. zu folgenden Schlüssen: Als die schlimmsten Herde für Typh. 
exauthematicus sind in Galizien die Gerichtsgefängnisse zu betrachten, welche 
in hygienischer Hinsicht sehr viel zu wünschen übrig lassen. Ebenso ist in 


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1076 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 52 


den Naphtliagegendeu (Boryslaw), in denen die ärmste Arbeiterclasse be¬ 
schäftigt ist, Typhus exanthematicus endemisch. Nach Galizien wird diese 
Krankheit ausserdem sehr oft aus dem benachbarten Ungarn oder der Buko¬ 
wina verschleppt. In materiell, geographisch und hygienisch sehr gut situirten 
Ortschaften entwickelte sich diese Infectionskrankheit ebenso gut wie in an¬ 
deren armen, schmutzigen. Es wäre zu wünschen, dass die Regierung die 
bisher existirenden Verordnungen verschärfte. 

15. Herr Assistent Dr. Braun (Krakau): Ein Fall von spontaner 
Gebärmutterrnptur während der Schwangerschaft. Extraction der 
Frncht 6 Wochen nachher durch Laparotomie. Bei einer seit einigen 
Monaten Schwangeren, IXpara, die seit 6 Wochen keine Fruchtbewegungen 
mehr fühlte, und bei der sich seit 2 Wochen Eiter durch Nabel und Scheide 
zeigte, konnte weder äussere noch innere genaue Untersuchung zur sicheren 
Diagnose führen; die Diagnose schwankte zwischen Peritonitis saccata nebst 
Schwangerschaft und Extrauterinschwangerschaft mit nachfolgender Vereite¬ 
rung der Frucht und Eiterdurchbruch durch Nabel und Scheide. Die Ende 
Mai 1. J. ausgeführte Laparotomie (bei Körpertemperatur der Kranken von 
40,5° C und 140 Pulszahl) ergab eine macerirte todte Frucht an einem 
14 ein langen Nabelschnurstreifeu in einer glattwandigen Höhle, welche durch 
eine Rupturöffnung mit dem Gebärmutterhalse comraunicirte. Der Fall lehrt, 
wie leicht eine Extrauterinschwangerschaft vorgetäuscht werden kann, und 
dass nach Gebärinutterruptur nicht durchaus der Tod eintreten muss. 

16. Derselbe: Ein Fall von künstlicher Frühgeburt wegen 
Oedema pulmonum. — Erweiterung des Gebärmutterhalses vermittelst 
des Hraun’schen Colpeurynthers. Im „Centralblatt für Gynäkologie“ 1887 
beschrieb Maurer aus Cobjenz eine Methode der Erweiterung des Gebär¬ 
mutterhalses behufs Herbeiführung künstlicher Frühgeburt, nämlich die ver¬ 
mittelst des Braun 1 sehen Colpeurynthers. Vortragender hebt nun hervor, 
dass Prof. Dr. Madurowicz (Krakau) bereits im Jahre 1861, als damaliger 
Assistent an der Wiener geburtshülflichen Klinik, dieselbe Methode, ohne 
sie aber beschrieben zu haben, in einem Falle von Blutung wegen Placenta 
praevia mit sehr gutem Erfolge, sowohl für die Mutter wie auch für das 
Kind, ausgeführt hat. Der damals behufs Tamponade in die Scheide ein- 
geführtc, mit Wasser nachher gefüllte Braun’sche Ballon gelangte zufällig 
in den Gebärmutterhals; Prof. Madurowicz befürchtete Berstung desselben. 
In dem Augenblick kam ihm aber der Gedanke, ob es nicht anginge, 
bei gleichzeitigem langsamem Auslassen des Wassers aus dem Col- 
peurynther an demselben vorsichtig während der Gebärmuttercontractionen 
zu ziehen, und auf diese Weise die für die Gebärende gefährlich werdende 
Geburt zu beendigen. Die Geburt wurde mit sowohl für die Mutter wie für 
das Kind günstigem Erfolge beendigt. Voriges Jahr verwendete I)r. Braun 
dieselbe Methode an einer Kranken, bei der es im Verlaufe von Nephritis 
im 1). Schwangerschaftsmonate zu Lungenödem gekommen war, und bei 
der keines der gewöhnlich anwendbaren und auch angewendeten Mittel die 
Geburt anregen konnte, mit gutem Erfolge. 

17. Herr Dr. Krasztyk (Warschau): Zur Behandlung des Trachoms. 
Auspressen (Elision) der Trachomfollikel wird ebenso wio alle anderen 
chirurgischen Behandlungsweisen des Trachoms wenig verwendet; manche 
Aerzte üben noch hie und da das Auspressen derselben mit den Fingern, 
ein Verfahren, welches keineswegs zu den für die Kranken angenehmen 
gehört. Vortragender demonslrirt eigenartig construirte Piucetten, welche 
sich für das Auspressen der Follikel sehr gut eignen; das Verfahren ist 
weniger schmerzhaft und leichter auszuführen als das Ausdrücken mit den 
Fingern. Im zweiten Theile seines Vortrages plaidirt Krasztyk für die 
Einrichtung eigens für Trachorakranke bestimmter Spitäler, in welchen die¬ 
selben sich nicht nur für die gewöhnlich angenommene Spitalzeit, sondern 
etwas länger aufhalten könnten. Die Entlassung der Kranken, bevor die 
Krankheit völlig geheilt, bringt weder den einzelnen Kranken yiel Nutzen, 
noch wird dadurch die Weiterverbreitung der Krankheit verhütet. Es wäre 
dies um so mehr zu wünschen, da sich auf dem Lande, was einige Kreis¬ 
ärzte Galiziens bestätigen, das Trachom ungemein schnell verbreitet uud in 
manchen Gegendeu bereits zur schweren Endemie wurde. 

18. Herr Sanitätsrath Dr. Kröwczyiiski (Lemberg): Abortive Be¬ 
handlung der Syphilis. Es gab eine Zeit, wo die Excision der Initial- 
sderose von hervorragender Seite empfohlen wurde; später kam es zur 
Keaction gegen diese Behandlungsmethode. In der Gegenwart stehen sich 
zwei Ansichten gegenüber: von Seite der Franzosen hat sich eine Oppo¬ 
sition gegen die Excision geltend gemacht, von deutscher Seite (Ne iss er 
vor allen) wird Ausbleiben der secundären Symptome behauptet, wenn man 
zeitig genug excidirt. Kröwczynski neigt zur letzteren Anschauung hin 
und glaubt, auf Grund eigener Erfahrung, dass es in manchen Fällen nach 
Excision des Primäraffectes wirklich zu keinen secundären Symptomen kom¬ 
men kann, dass nach derselben mindestens die nachfolgenden Recidive in 
leichterer Form auftreten. 

20 Herr Prof. Dr. Rydygier (Krakau): Ueber Sectio alt« Intra- 
peritonealis. Gerade das, was bei Sectio alta befürchtet wird, dass man 
das Peritoneum nicht berühre, macht Prof. Rydygier bei seiner neuen, in 
der Wiener med. Woch. 1888 genau beschriebenen Methode mit Absicht; 
die Steiuextraetion wird nach ihr auf dem Wege einer Laparotomie aus¬ 
geführt; die Eigenschaft des Peritoneums leicht Adhäsionen zu bilden, 
kommt hierbei sehr zu Statten. In einigen Fällen führte Prof. Rydygier 
diese Operation mit gutem Erfolge aus; man muss freilich mit der strengen 
Antisepsis und der Topographie gut vertraut sein. 

21. Derselbe: Ein neues Heilverfahren bei grossen Verbrennungs¬ 
wunden. Bei Verbrennungen der Haut auf einer grösseren Oberfläche droht 
dem Kranken nebst anderen Uomplicatiouen und Nachkrankheiten grosse 
Gefahr durch Retention des Eiters unter den sich ablö.^enden gangränösen 
Fetzen der Haut mit nachfolgender Pyämie. Prof. Rydygier hat au Hunden 
Veisuche angestellt, ob sich nicht durch Entfernung der verbranuten Haut¬ 
atellen, Vernähuiig der Wundränder oder eventuellen Ersatz des Defectcs 
durch plastische Operation, dieser Gefahr Vorbeugen Hesse. Die Versuche 
un Hunden ergaben ein positives Resultat; an Menschen hatte Professor 


Rydygier noch keine Gelegenheit, dieses Verfahren zu probiren. Natürlich 
kann diese Methode erst dann in Anwendung kommen, wenn sich bereits 
deutlich Demarcation ausgebildet hat. 

22. Herr Prof. Obaliiiski (Krakau): Ueber Laparotomie bei Imper- 
menbilität im Yerdauungstracte. Es ist nicht lange her, als auf Con- 
gressen und in der Literatur überall empfohlen wurde, die Laparotomie in 
allen Fällen von innerer Incarceration sofort auszuführen. Noch auf dem 
vorletzten Congresse der Chirurgen vom Jahre 1887 waren Ry[dygier und 
Stelzner für dieselbe eingetreten; der frühere eifrigste Vertreter derselben 
Anschauung, Mikulicz, hat seine Meinung zu Gunsten der Enterostoinie 
geändert. Auf Grund seiner Erfahrung kann Prof. Obaliiiski seine schon 
an anderer Stelle ausgesprochene Ansicht (Wiener med. Presse 1887) nicht 
ändern, er bleibt bei dem Satze: Es solle in jedem Falle von innerer 
Incarceration sofort zu r Laparotomie geschritten werden. Vonj44 
Fällen führte Prof. Obaliiiski 33 mal die Laparotomie aus. Die Erfolge sind fol¬ 
gende: Von 33 Operirteu genasen vollkommen 11, es sind somit 66 u /o Todes¬ 
fälle zu verzeichnen. Da in 9 von diesen Fällen die Laparotomie spät aus¬ 
geführt wurde, und bereits vor derselben die Hoffnung auf guten Erfolg 
gering war, kann man eine Mortalitätszifler von 50 bis 40% annehmen. Nur 
in einem Falle kann der Tod der Operation allein zugeschrieben werden; 
die Darmnähte gingen auseinander. In allen Fällen fand man bei der Ope¬ 
ration die Ursache der Incarceration, in 25 Fällen wurde sie unmittelbar be¬ 
seitigt; viermal machte man Enterostoinie, dreimal konnte die Ursache der 
Incarceration nicht beseitigt werden, in einem Falle trat der Tod während 
der Operation ein. Sogar in zweifelhaften Fällen ist, nach Obaliiiski, die 
Probe-Laparotomie angezeigt. 

23. Herr Dr. Bargez (Lemberg): Ueber die chirurgische Behandlung 
der Epilepsie durch Unterbindung der Vertebralarterien. Bekanntlich 
veröffentlichte Alexander im Jahre 1881 drei Fälle von geheilter Epilepsie 
nach Unterbindung der Vertebralarterien auf einer Seite. Neujahr verfügte 
derselbo schon über 21 derartige Fälle. Bargez hat dieselbe Operation in 
3 Fällen ausgeführt, in 2 Fällen hat er nur eine, iu einem Falle beide Ver¬ 
tebralarterien unterbunden. Einer derselben hatte nach der Operation im 
Mürz 1. J. keinen einzigen Anfall, die anderen 2 hatten je einen leichten 
Anfall nach der Operation. Ueber die Art der Wirksamkeit dieses Verfahrens 
ist nichts bekannt; die Behauptung, dass der Blutzufluss zum Gehirn ein 
kleinerer sei, ist in Anbetracht der vielen Anastomosen nicht haltbar. Bargez 
ist geneigt, die Besserung der hei der Operation möglichen Läsion des Sym- 
pathicus zuzuschreiben. Dafür würde auch die in allen Fällen nachher auf¬ 
tretende einseitige Myosis und Piosis sprechen. Vom technischen Stand¬ 
punkte ist sie nicht sehr zu empfehlen. 

24. Herr Goldflain (Warschau): Ueber die Ungleichheit des Knie- 
Phänomens bei Tabes dorsuaiis. Man liest fast in allen Handbüchern, dass 
Fehlen des Patellarsehneureflexes (Westphal), nebst manchen auderen, 
nicht aber durchaus nöthigen Symptomen mit Bestimmtheit Tabes diagno- 
sticiren lässt. Das Knicphänomen fehlt schon in den Anfangsstadien dieser 
Krankheit. Auf Grund genauer Untersuchungen kamGoldflam zu der Be¬ 
obachtung eines Symptomes, welches schon dann Tabes vermuthen lässt, 
wenn die Patellarsehnenreflexe noch erhalten, aber auf beiden Knieen un¬ 
gleich sind, wo kaum leichte neuralgiforme Schmerzen oder Paristhesieen 
sich zeigen, ln allen seinen Fällen ging das zeitliche Ungleichseiu des 
Kniephänomens in Fehlen desselben über. Das eben angegebene Symptom 
hat für die Fälle grosse prognostische und therapeutische Bedeutung, in 
denen durchgemachte Lues als Ursache von Tabes anzunehmen ist. — 
Ebenso wie das Kniephänomen verhielt sich in denselben Fällen der Achil¬ 
lessehnenreflex. 

25. Herr Reichmann (Warschau): Ueber Behandlung des atrophi¬ 
schen Magenkatarrhs vermittelst Panereasextract. In einer auf Atrophie 

dor Magendrüsen beruhenden Krankheit des Magens, bei dem sogenannten 
„atrophischen Magenkatarrh“, kann die Therapie, welche iu solchen Fällen 
angewendet wurde, keine positiven Resultate aufweisen; wir können die be¬ 
reits degeuerirten Drüsen nicht mehr zur Regeneration wecken. I>a auch iu 
solchen Fällen — Reich mann fand sie unter 107 Magenkranken 10 Mal — 
weder Salzsäure noch Pepsin, noch andere von aussen eingeführte Mittel 
etwas helfen, versuchte Reichmann in einigen derselben alkoholischen Pan- 
creasextract (12—15%) und Pancreatin; bald überzeugte er sich, dass die 
Verdauuug des früher stagnirenden Speisebreies rasch uud vollkommen von 
Statten ging. Die Krankheitssymptome wandten sich zum Bessern, und das 
allgemeine Befinden der Patienteu besserte sieh in kurzer Zeit. 

Kraus (Krakau). 

XI. Journal-Revue. 

Hautkrankheiten und Syphilis. 

4. 

H. Kühne. Zur pathologischen Anatomie der Lepra 
(mit 7 Abbildungen auf 2 lithogr. Tafeln). Dermatol. Studien. 
6. Heft, 

Bei deu farbetechnischen Versuchen stand dem Verf. ein sehr 
ergiebiges Lepramaterial zur Verfügung, welches er benutzte, um 
sich über die Existenz der sogenannten Leprazellen zu informiren. 
Bekanntlich waren dieselben zuerst von Unna in Abrede gestellt 
und nur als Querschnitte von pilzhaltigen Lympbgefässen gedeutet, 
während andere, wie Neisser und Touton, sie als einheitliche 
Zellen aufgefasst wissen wollen. Verf. stellte nun Präparate aus 
solchen Theilen her, welche Längsschnitte von Lymphgefässen in 
grösserer Zahl erwarten Hessen, also aus Nervenlängsschnitten, und 
fand hier in der That ausnahmslos jene langgestreckten, mehr oder 
weniger gewundenen Formen von Pilzmasseu, welche überall als 
die Lage der letzteren in Gefässeu anzeigend angesehen werden; 


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27. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1077 


daneben aber auch sämmtliche Uebergangsformen bis zum voll¬ 
ständigen Querschnitt. Durch zufälligen Befund bei der Unter¬ 
suchung eines Choleradarmes und nachfolgende Beobachtungen an 
Bluttrockenpräparaten von Mäuseseptikäraie kam Verf. zu dem 
Schlüsse, dass die sogenannten Vacuolen entweder durch nicht ge¬ 
färbtes Fibrin entstehen, oder durch ein nicht völlig mit Bacillen 
ausgefülltes Lymphgefäss (im Querschnitt), oder endlich, dass sie in 
der That in Zellen Vorkommen. Bei weiteren Versuchen mit den 
sehr ähnliche mikroskopishe Bilder darbietenden Präparaten vou 
Koch’schen Mäusebacillen kam Verf. zu der Ueberzeugung, dass die 
Leprabacillen in erster Linie in den Lymphgefassen günstige Be¬ 
dingungen zur Coloniebildung finden. Sieht man von den Bacillen 
enthaltenden Zellen normaler Grösse ab, so sind alle übrigen mehr 
oder weniger grossen Bacillenhaufen mit oder ohne Kerne und soge¬ 
nannte -Vacuolen als schräge oder gerade Lymphgefässschnitte auf¬ 
zufassen. Die häufig in den Bacillenhaufen liegenden gut gefärbten 
Kerne sind entweder als in den Haufen eingeschlossenen noch 
relativ gesunden Lymphkörperchen angehörig, oder als in der Um¬ 
gebung liegende Endothelzellenkerne zu betrachten. Zum Schlüsse 
der interessanten kleinen Abhandlung beschreibt Verf. die Methoden 
seiner Doppelfärbungen mit Karmin und Violett und Hämatoxylin- 
Fuchsin. Zwei litliogr. Tafeln mit 7 Abbildungen veranschaulichen 
in klarer Weise die vou dem Verfasser gewonnenen mikroskopischen 
Bilder und nehmen zugleich jeden Zweifel an der Richtigkeit seiner 
Anschauung über die Genese der Leprazellen. 

H. Kühne. Beitrag zu den Pilzbefundeu bei Mycosis 
fungoides. Dermatol. Studien. 6. Heft. 

In einem dem Verf. von Herrn Prof. Firket in Lüttich zur 
Untersuchung überlassenen Falle von Mycosis fungoides, welcher 
nach gewöhnlichem Verlaufe letal geendet hatte, fand Verf. neben 
den gewöhnlichen Streptococcen sehr starke Bacillen, welche die 
Milzbrandbacillen in allen Dimensionen mindestens um das Doppelte 
übertrafen. Während sich nämlich iu den ulcerirten und nicht ulcerirten 
Hautgeschwülsten, unter denen sich auch einige noch während des 
Lebens excidirte befanden, nur einmal grosse Mengen von Strepto¬ 
coccen fanden, endeckte Verf. in der Lunge neben den schon ein¬ 
mal gefundenen Streptococcen die oben erwähnten Spaltpilze, 
welche nachher auch in Leber, Niere, Milz und in einem dem 
Herzen entnommenen Fibringerinnsel sich vorfanden. Verf. will 
diese Spaltpilze nicht als causa morbi ansprechen, sondern bringt 
sie mit den gangränösen und septikämischen Erscheinungen in ursäch¬ 
liche Beziehung, obwohl die Eingangspforte nicht ermittelt wurde. 
Eine ähnliche Bacilleneinwanderung in eine sarkomatöse Geschwulst 
beobachtete Verf. bei einem Kalbe, welches in der Lunge haselnuss¬ 
grosse Knoten von Spindelzellensarkom zeigte. Auch hier konnte 
der Pilz nicht als Ursache der Sarkome angesehen werden. Immer¬ 
hin bleiben diese Befunde, wie auch Verf. zum Schlüsse bemerkt, 
sehr interessant, da diese accidentell eingewanderten Formen häufig 
den letalen Ausgang herbeiführen resp. beschleunigen mögen. 

M. Bockhart. Ueber die pseudo-gonorrhoische Ent¬ 
zündung der Harnröhre und des Nebenhodens. Monatsh. 
f. prakt. Dermat. 

Verf. hat in einem Zeiträume von fast 4 Jahren 15 Fälle 
acuter, nicht gonorrhoischer Entzündungen der Harnröhre beobachtet, 
die mit Sicherheit auf Infection durch Scheidensecret zurück¬ 
zuführen waren. Sämmtliche Patienten, von denei^zehn verheirathet 
waren, gehörten den besseren Ständen an; einer erwarb die Krank¬ 
heit von seiner Frau, die übrigen durch ausserehelichen Beischlaf. 

Nur zwei Fälle dauerten 9—10 Tage, die anderen waren am 
5. bis 8. Tage geheilt, einerlei ob mit oder ohne Behandlung. Das 
Secret war stets dünnflüssig und auf der Höhe der Erkrankung 
mukös-eitrig, zeigte aber nie den dicken, rahmigeu oder grüngelben 
Eiter der Gonorrhoe. Während die tägliche, mikroskopische Unter¬ 
suchung der ersten vier Fälle nichts Charakteristisches zeigte, machte 
Verf. beim fünften Falle eine höchst interessante Entdeckung. Ein 
Deckglaspräparat vom zweiten Tage der Erkrankung wurde unab¬ 
sichtlich mit heisser, kurz vorher zum Kochen erwärmter,.starker, 
wässeriger Methylviolettlösung gefärbt. Dabei sah nun Verf. eine 
Staphylococcenart, die er in den früheren, mit kalter Lösung ge¬ 
färbten Präparaten nie gesehen hatte. Sie fanden sich in beträcht¬ 
licher Auzahl, waren bedeutend kleiner als Gonococcen und bildeten 
mit wenigen- Ausnahmen Diplococcenform. Die Länge der letzteren 
betrug 0,5 —0,7 //, die Breite eines halbeu betrug ungefähr die 
Hälfte der Länge des ganzen Diplococcus. Der halbe Diplococcus 
war von Kugelform. Die Theilung dieser Coccen geschah auf die¬ 
selbe Weise, wie sie von Neisser für die Gonococcen beschrieben 
wurde. Diese kleinen Diplococcen fanden sich theils isolirt im 
Secret, meist aber in Gruppen von 2—6—8 beisammen und nur 
selten, in der Höhe der Krankheit, innerhalb der Eiterzellen. Noch 
in drei weiteren Urethritisfallen gelang es dein Verf., diese Coccen 


zu finden. Stets traten sie im Beginn und auf dem Höhepunkt der 
I Krankheit am zahlreichsten auf, um gegen Ende allmählich zu ver- 
' schwinden. Die schönsten Bilder erhielt Verf., wenn er die Deck¬ 
glaspräparate 5 Minuten lang auf sehr heisser, kurz vorher zum 
Kochen erwärmter, starker Methylviolett- oder Fuchsinlösung 
schwimmen Hess oder 24 Stunden lang in kalte, starke Methyl¬ 
violett- oder Methylenblaulösung einlegte, während es nicht gelang, 
i sie mit einer anderen Farbe zu tingiren. Natürlich versuchte Verf. 
j zunächst, diese Coccen auch im Vaginal- und Cervicalsecret nach¬ 
zuweisen. Es glückte aber unter 200 Fällen nur 5 Mal. Sodann 
j versuchte er Reineulturen darzustellen, die aber anfangs misslangen, 
bis es Verf. im November 1885 gelang, aus dem Secrete einer 
| Urethritis vom Manne sowie aus Scheidensecret diese kleinen Coccen 
in Reineulturen zu züchten. Es ergab sich als bester Nährboden 
erstarrtes Hammelblutserurn, welches mittelst einer 20% Lösung 
von pbosphorsaurem Natron alkalisch gemacht war, und als günstigste 
; Temperatur eine solche von 30—38°. 

Um nun die pathogene Natur dieser Coccen zu beweisen, 
impfte Verf. von einer 5 Tage alten Reincultur in die Urethra 
] eines jungen Arztes, der nie zuvor an einer Harnröhreuerkrankung 
j gelitten hatte, nachdem vorher der Urin entleert und die Harnröhre 
! durch Injection einer schwachen, sterilisirten Lösung von phosphor¬ 
saurem Natron vorbereitet war. Bereits 36 Stunden später traten 
die ersten Erscheinungen einer acuten Urethritis auf, die nun ihren 
regelrechten Verlauf nahm und ohne jegliche Behandlung nach 
10 Tagen geheilt war. In dem Secret waren dieselben, kleinen 
Coccen wie vorher beschrieben. 

Eine zweite Impfung sieben Tage später mit einer ebenfalls 
5 Tage alten Reincultur — diesmal aber aus Scheidensecret, 
während die erste aus Harnröhrensecret stammte — verlief mit 
heftiger Entzündung und starker Secretion, so dass nach vier Tagen 
; eine Behandlung eiugeleitet werden musste, in Folge deren die 
j Heilung dann ohne Störung in sieben Tagen erfolgte. Auch hier 
fanden sich dieselben Coccen, wenn auch in bedeutend grösserer 
Zahl und namentlich mit vielen cocceuhaltigen Eiterzellen. 

Dass nach beiden Impfungen die Entzündung bedeutend heftiger 
war als bei den auf natürliche Weise entstandenen, erklärt Verf. 
daraus, dass mehr Coccen in die Harnröhre gelangt waren, als es beim 
Beischlaf zu geschehen pflegt.. Verf. geht nun auf die Kranken- 
| geschichte zweier Fälle über, an die sich Entzündung des Samen- 
i Stranges und des Nebenhodens anschloss, im ersten Falle unzweifel- 
j haft durch endoskopische Untersuchung, indem Entzündungserreger 
1 in den hinteren Theil der Harnröhre verschleppt wurden, im zweiten 
Falle im Anschluss an körperliche Anstrengungen und dadurch be¬ 
wirkte Verbreitung der Entzündung. In diesem zweiten Falle, der 
, Verf. erst spät zu Gesicht kam, machte Verf. noch einen besonderen 
Befund. Er fand nämlich eine Mikrococcenart, welche die wenigen 
anderen noch vorhandenen Spaltpilze so sehr an Menge übertraf, 
dass man sie für die Ursache der Urethritis halten musste. Es 
! waren Streptococcen, die zunächst Diplococcenform bildeten; die 
* meisten lagen frei im Secret, einige lagen auf Epithelien; in jedem 
Präparat fanden sich ausserdem einige Eiterzellen, von denen jede 
einen dieser Diplococcen in ihrem Protoplasma eingeschlossen ent¬ 
hielt. Diese Coccen waren von eigenthümlicher Gestalt: die Hälfte 
I jedes Diplococcus hatte eine ovoide Form mit abgeplatteten Enden. 

Die Grösse war sehr verschieden und schwankte zwischen 0,9 und 
I 1,5 / j . Der Querdurchmesser eines halben Diplococcus betrug un¬ 
gefähr die Hälfte seines Längsdurchmessers. Es gelang dem Verf., 
auch von diesem Coccus Reineulturen darzustellen, die er aber 
nachher leider abbreclien musste. Impfversuche wurden nicht 
gemacht. 

Die Färbung geschah durch starke wässerige Methylviolett- 
und Fuchsinlösung. Zu erwähnen ist noch, dass bei den Rein- 
culturen diese ovoiden Coccen sich auch in langen Ketten präsen- 
tirten. 

Zum Schlüsse fasst Verf. seinen Befund in Folgendem zu¬ 
sammen : 

1. Es giebt eine pseudo-gonorrhoische, acute, gutartige Harn¬ 
röhrenentzündung, die in Folge einer Infection durch Spaltpilze 
des Scheidensecrets entsteht. Derartige pathogene Spaltpilze sind 
unter anderen, noch unbekannten, die oben beschriebenen, kleinen 
Staphylococcen und wahrscheinlich auch die ovoiden Streptococcen. 

2. Es giebt eine pseudo-gonorrhoische Nebenhodenentzündung, 
die sich im Anschluss an eine solche pseudo-genorrhoische Urethritis 
entwickeln kann. 

3. Diese gutartige, aber durch Infection entstandene Urethritis 
kann mit beginnender Harnröhrengonorrhoe verwechselt werdeu. 
Es ist daher bei der Beurtheilung der Natur und Entstehungsweise 
einer acuten Harnröhrenentzündung sowie auch einer Nebenhoden- 
eutzündung auf diese beiden hier beschriebenen Formen der 
Urethritis und Epididyraitis Rücksicht zu nehmen. 

Görges (Berlin). 


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No. 52 


1078 DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Schönberg. Pemphigus bei Kindern, möglicher 
weise in Zusammenhang mit Ausschlag bei Thieren. 
Norsk Maga/.. f. Lägevid. 1886, p. 174. 

Verf. theilt zwei Fälle von Pemphigus bei Kindern mit, die 
aller Wahrscheinlichkeit nach durch Infectiou von Kühen ent¬ 
standen waren, ln dem einen Falle bekam ein öjähriger Knabe 
Pemphigus auf dem Rumpf, den Händen und Füssen, und im Munde 
circulare Stomatitis. Bei zwei Kühen desselben Hofes fand sich 
vesiculäres Exanthem auf dem Euter. Die Infectiou war durch 
eine Wunde im Finger zu Stande gekommen, wo das Leiden mit 
einer Geschwulst seinen Anfaug nahm. Später sah Verf. einen Fall ! 
von vesiculöser Stomatitis bei einem Kinde, das 8 Tage lang Milch | 
von einer Kuh erhalten hatte, die eine vesiculöse Eruption auf dem j 
Euter hatte. Verf. deutet auf die Möglichkeit hin, dass Stomatitiden ! 
häutiger auf die Weise zu Stande kommen könnten. 

Buch (Willmanstrand, Finnland). 

XI. Oeffentliches Sanitätswesen. 

lebersicht über die wichtigsten Ereignisse auf dem Ge¬ 
biete des Militärsanitätswesens im Jahre 1887. 

Von l)r. W. Roth, j 

Generalarzt I. Classe und Corpsarzt des XII. Königlich Sächsischen Arineecorps. 

(Schluss aus No. 51.) 1 

Die transkaspische Eisenbahn, über deren Entstehung und Be- | 
deutung Heyfelder, früher Chefarzt der Expedition gegen Oeok-Tepe, ein 
höchst anschauliches Bild geliefert hat, ist ebenso sehr für die Civilisation . 
dieser Steppenländer als für die Eventualität eines Krieges zwischen Russ¬ 
land und England von Bedeutung. Alle sanitären Maassregeln einschliesslich 
des Krankentransportes werden durch diesen Schienenweg erst möglich. 
Der Schöpfer dieser Eisenbahnen ist der Generallieutenant Annenkow, ' 
welcher zunächst zwei Reserveeisenbahnbataillone formirte. Die Bahnlinie ' 
hat keine natürlichen Hindernisse, ausser drei bedeutenden Flüssen, dem I 
Tedschen. Murghab und Armu-Darga. sowie viele Bewässerungscanäle zu 1 
überwiuden, die grösste Schwierigkeit boten aber Wassermangel und Flug¬ 
sand, welcher letztere durch ein besonderes System überwunden wurde. Von | 
1880—1882 wurde die Strecke von Michailowsk bis Kisil-Arwat, 216 Werst, | 
gebaut, theilweise während des Krieges; 1885 erfolgte nach Formirung des 
zweiten Kisenbahnbataillons der Weiterhau. Zur Vermeidung des Umladens 
wurde zunächst der Anfangspunkt der Bahn von Michailowsk nach Krasno- 
wodsk, dessen Hafen besser ist. verlegt. Vom 2. Mai bis 29. November 
wurde die Bahn von Kisil-Arwat nach Aschabad eröffnet, am 2. Mai 1886 
bis Merw, am 30. November bis Tardshui fertiggestellt. Es waren somit 507 
Werst bis Merw in einem Jahre, die ganze Bahn bis zum Amu-Darga (759 Werst) 
in 1 */a Jahren vollendet worden. Es wurden täglich 3'/a—4'/a Werst Schienen 
gelegt. Ausser den Soldaten des zweiten Eisenbahnbataillons arbeiteten ' 
bis 18 000 Lohnarbeiter aus den verschiedensten Nationen. Das Land 
lieferte für den Bau nur Erde, nicht einmal überall Wasser, alles ; 
Uebrigo musste auf der Eisenbahn selbst beschafft werden, deren Wohn- ! 
und Kasernenzüge selbst die Unterkunft lieferten. Alle diese Verhältnisse 
stellten sich um so schwieriger, als das Land nur Lastthiere als Transport- : 
mittel hatte, selbst Wagen unbekannt waren. Die "Wasserlosigkeit grosssr 
Strecken wurde durch Zuleitung von den (Jebirgen her, die Anlegung j 
artesischer Brunnen und die Ableitung aus grösseren Flüssen bekämpft und 
von den Einwohnern besonders dankend anerkannt. Gegen die Versandung, j 
eine in Buchara von Osten nach Westen vorschreitende Calamität, kann bei 
vorhandenem Wasser, Lehm oder Salzerde durch Festigkeit des Bodens vor- i 
läufig Abhülfe geschaffen werden, auch Einlegen von Faschinen ist nützlich, \ 
ein sicheres Mittel ist jedoch nur das Anpflanzen von Sandgewächsen (Saxaul, i 
Tamarisken, wilder Hafer), am meisten wird jedoch die durch bessere Be¬ 
wässerung bedingte höhere Bodencultur leisten, es sind jetzt bereits Baum- I 
schulen angelegt. Für Fieberorte empfiehlt Hey felder die Anpflanzung von ; 
Eucalyptus, für wasserreiche Stellen Platanen. Der Mangel an Brennmaterial i 
dieser Länder, in denen keine Wälder existiren, wurde durch Petroleum aus • 
Baku ausgeglichen, welches in zweckmässig construirten Oefen gebrannt wird. ! 
Auch die Erschliessung von Erdölquellen bei Balla-Ischem war von grosser I 
Wichtigkeit. 

Die Kosten der Bahn waren beim Wegfall aller Kosten für den Boden¬ 
erwerb und der Nothwendigkeit von Kunstbauten nur 18 000 Rubel pro ’ 
Werst und 32 000 Rubel einschliesslich des Materials, demnach zehnmal I 
billiger als die anderen russischen Eisenbahnen- Die Bahn gestattet, ob- i 
wohl nur eingeleisig, grosse Truppenmassen zu bewegen, da die Bahnver- 
waltung 80 Locomotiven, 1000 Waggons und 500 Lowries besitzt, auf jeder I 
Station können täglich 12 paar Züge, jeder zu 45 Waggons, mit Mann- J 
schäften und Pferden mit Wasser versorgt werden. 

Der Sitz des Commandirenden aller Truppen ist Merw, ausserdem j 
stehen Garnisonen in Krasnowodsk, Usun-Oda, Kisil-Arwat, Geok-Tepe, 1 
Aschabad, Kachki, Pendsche. Die Truppen sind die zu diesem Zweck 
formirten transkaspischen Schützenbataillone, die beiden Eisenbahubataillone, \ 
Artillerie, einige Kosakenregimeutor und die Miliz aus Tekke-Turkmenen, j 
die sich sehr gut verwerthen lassen. Auch für die Orientalen hat die Eisen- i 
bahn grossen Vortheil gebracht, da die nach Persien reisenden Pilger sich I 
der Eisenbahn sehr vortheilhaft bedienen, und die Züge auch für die Sitten 
der Orientalen Raumabtbcilungen haben. 

Bezüglich der Gesuudheitsverhältnisse des Eisenbahnbataillons während ] 
des Baues hebt II oy fei der die Umsicht Annenkow's hervor, welcher im ! 
Sommer in der heissen Jahreszeit eine Arbeitspause eintreten liess, die 
Mannschaften in die Gebirge bei Aschabad legte und umgekehrt im Winter 
für warme Kleider sorgte. ' 


Eine Expedition der Japaner nach Formosa hat Beschreibung ge 
fuuden. Die wilden Bewohner des südöstlichen Formosa, welche den vom 
nordwestlichen Küstenlande eindringenden chinesischen Cultureinflüssen noch 
nicht ausgesetzt waren, beraubten und ermordeten wiederholt die japanischen 
Seeleute. Sie sollten gezüchtigt, und der Schifffahrt auf dem südlichen 
Meere wiederum Sicherheit verliehen werden. 

Im April 1874 wurde eiue Expedition von 5590 Mann gegen diese 
Volksstämme ausgeschifft, am 3. Juni der mächtigste der Stämme besiegt 
Die Truppen verblieben bis zum Deceraber auf der Insel. Das Sanitäts¬ 
personal unter der Leitung des Oberstabsarztes Kuwada bestand aus 
16 Militärärzten, 7 Civilärzten, 1 Pharmaceuten und 2 Rossärzten. Die 
Verpflegung bestand in Formosa hauptsächlich aus Reis; Rindfleisch und 
Geflügel konnten wöchentlich höchstens zweimal verabreicht werden. Von 
der Expedition erkrankten 16449 (2746,1 °/oo), es starben 393 (65,6 %o) 
hauptsächlich an Dysenterie uud Beri-Beri. Die Leichen wurden in Holz¬ 
särgen mit Kalkfüllung nach Japan gesendet. 

In der Behandlung des Beri-Beri, japanisch Kake, sind nach den Be¬ 
richten auf der japanischen Flotte bedeutende Fortschritte gemacht worden. 
Die Durchschnittszahl der Erkrankungen an diesem Leiden, welches als 
gestörte Function der peripheren Nerven und als Störungen des Blutkreis¬ 
laufes auftritt, nimmt wesentlich ab, in der japanischen Flotte betrug die 
Anzahl der Erkrankungen 324 u /oo 1883, 84,5 u /oo 1884 und 52,25 " oo 1885. 
Einen entschiedenen Antheil hieran scheint die Verbesserung der Ver¬ 
pflegung zu haben, welche im Ganzen recht kümmerlich war. Vor 1883 
betrug sie im Ganzen 37,20 Unzen, wovon 25,78 Reis, 9,56 Gemüse. 
4,85 Fisch, und 2,18 Fleisch waren, 1885 wurde sie auf 85,81 Unzen ver¬ 
mehrt, und zwar der Reis anf 18,45 Unzen vermindert, dafür 8,5 Unzen 
Weizen und 8,48 Unzen Brot gegeben: Gemüse wurden auf 17,80 Unzen 
und Milch auf l 1 /* Pint erhöht. Erfahrungen über die Behandlung von 
Kake auf chinesischen Kriegsschiffen in England haben ebenfalls den wohl- 
thätigen Einfluss einer guten Verpflegung bestätigt. 

Im Gebiet der Miiitärkrankonpflege sind die Arbeiten besonder' 
wichtig, welche die Verbindung des Sanitätsdienstes mit operi- 
renden Truppen in’s Auge fassen. Von denselben sind aus Oesterreich 
zu erwähnen: Podrazky, über die Militärsanität in einem Zukunftskriege, 
in welchem zur Vermeidung von Kriegsseuchen eine besondere Salubritäts- 
comraission eingesetzt werden soll, ferner Turnwald, die sanitäre Be¬ 
kämpfung der Kriegsseuchen in einem Kriege jenseits der Karpathen, ln 
Schweden hat Duner, dem Beispiel des ausgezeichneten finnischen Militär¬ 
arztes Wahlberg folgend, die Bedeutung des Zusammengehens des Sanitäts¬ 
dienstes mit den taktischen Formationen besonders gewürdigt Der französische 
Sanitätsofficier Robert hat in einem Werke, das man am besten als eine 
motivirte Kriegssanitätsordnung bezeichnet, ebenfalls der Wichtigkeit diese.' 
Zusammenhanges Ausdruck gegeben. Es wäre in hohem Grade wünschens- 
werth, wenn auch in der deutschen Armee ein solches, die Organisation, die 
Bestimmungen, das Material und die wissenschaftlichen Motive umfassende 
Werk dem Sanitätsofficier einen ebensolchen Anhalt böte, wie das obige 
für den Unterricht am Val-de-Grace verfasste. Ein gutes Muster für ein 
deutsches Werk dieser Art ist der erste administrative Band des Kriegs- 
Sanitätsberichts. 

Eine in ihrer Vollständigkeit klassische Arbeit behandelt den Ge- 
birgssanitätsdienst, in welcher der Schweizer Sanitätsofficier Frölich 
alles über diesen Gegenstand in den verschiedenen Staaten Bestehende ver¬ 
einigt hat, so dass sich jede Frage beantworten lässt. Aus der Unterkunft 
der Kranken ist hier die immer weitere Entwickelung des Barackenprincip' 
hervorzuheben. Es scheint, als ob die Docker’sehen Baracken vor denen 
aus Wellblech den Vorzug verdienen, da sie leichter sind, sich leichter auf¬ 
stellen lassen, durch das Abbrechen weniger leiden und innerlich einen 
freundlicheren Eiudruck machen. Es wird hierbei vorausgesetzt, dass der 
jalousieartige Fussboden der Wellblechbaracken nach dem vollkommeneren 
Princip der Docker’sehen Baracken umgeändert wird. 

Die freiwillige Krankenpflege hat durch die Kriegsetappenordnung 
vom 3. September 1887 eine neue organisatorische Fassung bekommen. 
Dieselbe lässt den Boden für die bisherige Thätigkeit unverändert, begrenzt 
aber die Aufgaben vund den Wirkungskreis präciser als bisher. Dass dem 
Militair-Strafgesetzbuch völlig untergeordnete Personal ist in Lazareth-. 
Etappen- und Depot-Personal getheilt und wird schon vorher ausgebildet. 
Es scheint auch nach den Beschlüssen der Conferenz zu Karlsruhe, dass die 
Organisation der freiwilligen Krankenpflege jetzt zu einem gewissen Abschluß 
gekommen sei. 

Aus dem Gebiete der staatlichen Organisation ist zu erwähnen, das> 
der Sanitätsdienst der norwegischen Armee, gelegentlich der Neuformirung 
derselben, ganz nach dem Princip der technischen Waffen eingerichtet worden 
ist. Der Sanitätsdienst der Schweiz, der ebenfalls ganz auf diesem Princip 
ruht, hat mehrere in dieser Richtung sehr durchgebildete Reglements 
erhalten. 

In Russland ist eine principielle Umänderung des Sanitätsdienstes 
noch nicht eingetreten, wohl aber ist in dem bisherigen Medicinaliuspector 
des Kaukasus, Geheimrath Remmert, die tüchtigste militärürztliche Kraft 
Russlands an die Spitze gestellt worden, so dass Reformen zu erwarten 
stehen. Die Verhandlungen der neugeschaffenen militärärztlichen Gesell¬ 
schaften versprechen dadurch besonders erspriessliche zu werden, dass an 
denselben Truppenofficiere theilnehmen und damit die Ergebnisse einen 
officiellen Charakter bekommen. Die Thätigkeit dieser Gesellschaften ist 
eine ausserordentlich rege gewesen. 

Eiue Russland eigenthümliehe Einrichtung, die medicinischen Cur.s- 
für Frauen am Nicolai-Hospital in Petersburg, ist am 30. Mai 1887 endgültig 
geschlossen worden. Heyfelder berichtet über sie folgendermaassen: Da> 
weitere Ergehen der Aerztinnen hat gezeigt, dass sie sich im Allgemeinen 
nicht an Orten niederliessen. wo sie besonders nöthig waren, namentlich 
nicht unter inuhamedanischer Bevölkerung, sondern die grossen Städte suchtet), 
auch vielfach sich mit männlichen Aerzten associirten. Ihre Verwendung ir< 


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27. December. 


DEUTSCHE MEDICIN'ISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1079 


Militärverhältnissen während der Achal-Teke-Expedition erwies sich ganz 
unmöglich, etwaige Schwangerschaften gestatten die Anforderung einer gleich- 
massigen Dienstleistung nicht. H. kommt auf Grund obiger Erfahrungen zu 
folgenden Resultaten: 1) Die Erweiterung der Existenzmöglichkeit für Frauen 
ist sehr wünschenswert!!. 2) Wenn dieselben sich dem ärztlichen Berufe 
zuwenden, so eignen sie sich am meisten zu Kinderärzten und Hebammen. 

3) Das Studium der Medicin durch Frauen bleibt stets eine Ausnahme und 
wird sich nie verallgemeinern, auch in Amerika und Russland gewinnt das¬ 
selbe trotz der Agitation keinen nennenswerthen l'mfang. 4) Frauen als 
Militärärzte sind ein Unding. 

Bezüglich der Unterkunft verlangen russische Militärärzte vor Allem 
die möglichste Herabsetzung in der Belegung der Zelte mit Rück¬ 
sicht auf das dort so häufige Trachom. Vorzüglich erscheint ein Vorschlag, 
Windschirme und Mannschaftszelte herzustellen; 1,80 m breite Leinwand¬ 
streifen werden in schräger Richtung von aufrecht stehenden eisernen Pfählen 
aus nach in die Erde geschlagenen Heringen ausgespannt. Wenn die Mann¬ 
schaften um das Feuer lagern, wird die Leinwand in einem 3 /* Kreis um 
dasselbe gespannt. Sie ist für diesen Zweck so geschnitten, dass der an 
die Stäbe befestigte Theil schmäler, der an die Heringe befestigte breiter ist. 

Bezüglich der Verpflegung kommt der Einführung frischer Seefische 
in die Truppenküche eine besondere Bedeutung zu. Die Sendung erfolgt auf 
Ordre der Truppentheile direkt von Hamburg in Körben mit Eis zu 150 Pfund. 
Nach Ankunft halten sich die Fische in einem kühlen Raume aufbewahrt 
noch 1 bis 2 Tage frisch. Die Zubereitung kann jeder Soldat leicht lernen 
und geschieht am besten in einem siebartigen Einsatzkessel, welcher in 
kochendes Wasser des überall vorhandenen Fleischkessels gestellt wird. Der 
Fisch wird kochfertig geliefert und braucht nur gesalzen und nach dem 
Augenmaasse in Portionen getheilt zu werden. Als Zuspeise wird eine Sauce 
und gekochte geschälte Kartoffeln gegeben. 

Von grossem Interesse war die Kochkunstausstellung zu Leipzig, 
in welcher der Menageheerd von Senking sich als die zweckmässigste 
Form erwiesen hat, während das Kochen im Wasserbade nach Becker hier 
auf der Ausstellung keinen Erfolg erzielte. Eigenartig und für Militär¬ 
zwecke nützlich sind auch die Grudeküchen (Braunkohlen-Koaks, die ohne 
Rückstand verbrennen). 

Unter den Verlusten, welche das Jahr 1887 dem Sanitätsdienst gebracht 
hat, steht oben an der Tod von Bernhard v. Langenbeck, welcher 
1848 als Generalstabsarzt der Schleswig-Holsteinischen Armee, 1864, 1866 
und 1870 als Generalarzt der Preussischen bezüglich Deutschen Armee den 
kranken Soldaten seine Dienste widmete. Auch ausser den kriegerischen 
Zeiten war Langen beck ein warmer Förderer und Freund des Sanitäts¬ 
corps, dem er seit 1864 als Generalarzt angehörte und in dem er 1882 als 
Generalarzt 1. CI. den Rang als Generallieutenant erhielt. Das deutsche 
Sanitätscorps, in dem Langenbeck die höchste persönliche Verehrung ge¬ 
noss, wird in der Erinnerung an seine unvergessliche Lehrthätigkeit Bern¬ 
hard v. Langenbeck ein dankbares Andenken bewahren. 

Aus der Deutschen Armee ist hier an dieser Stelle unter den Ver¬ 
storbenen der Kgl. Sächs. Generallieutenant z. D. Frhr. v. Hausen zu nennen. 
Für das Sanitätscorps ist es eine Ehrenpflicht dem ausgezeichneten Truppen¬ 
führer für die Anerkennung zu danken, welche der Verewigte bei jeder Ge¬ 
legenheit der ärztlichen Thätigkeit in echt kameradschaftlicher Weise ent¬ 
gegenbrachte. 

Entsprechend der bei den Truppen getroffenen Einrichtung, wonach in 
dem Regimentscasino unter dem Namen Salles d'honueur-Räume geschaffen 
sind, in welcher alles auf die rühmliche Vergangenheit des Truppentheils 
Bezügliche vereinigt ist, ist auch die gleiche Einrichtung in dem Militär- 
lazareth Val-de-Gräce für das Sanitätscorps getroffen worden. Auf den 
Wänden dieses Zimmers sind die Namen aller Militärärzte verzeichnet, die 
vor dem Feinde gefallen oder seit 1844 an epidemischen Krankheiten im j 
Kriege gestorben sind. Die Liste enthält 124 Namen, doch glaubt man, dass 
viele fehlen. Eine derartige Einrichtung, wie sie den Casinos der Truppen¬ 
theile schon längst eigentümlich ist, sollte für das Sanitätscorps überall, 
wenigstens am Sitze des Generalcommandos, getroffen sein, denn gerade eine 
muthige selbstlose Hingabe in unserem Berufe gipfelt in dem Satze: Nos 
omnes trahimur honoris amore! 


XIL Therapeutische Mittheilungen. 

Locale Anästhesie bei Exstirpation eines Lipomes. 

Von Dr. Spiering, Oberstabsarzt a. D. zu Halberstadt. 1 ) 

Ein öOjähriger sehr kräftiger Mann (Tapezierer) mit untersetztem 
Körperbau und starker Fettbildung befand sich wegen asthmatischer Be¬ 
schwerden, die ich nur auf Fettherz beziehen konnte, in meiner Behandlung 
und theilte mir, als sein Asthma ziemlich beseitigt war, mit, dass er au 
einer Geschwulst an der linken Rückenhälfte leide, welche nach lang¬ 
jährigem Bestehen seit einigeu Jahren durch Zunahme an Grösse ihn nicht 
nur beim Liegen auf dem Rücken belästige, sondern auch ein Gefühl von 
Pelzigkeit und Lähmung im linken Arme zu bedingen scheine, aus welchen 
Gründen er deren Beseitigung dringend wünsche. 

Meine Untersuchung ergab eine unter normal gefärbter Haut zwischen 
dem untersten Drittel des linken Schulterblattes und dem Rückgrate befind¬ 
liche Geschwulst, etwa von der Grösse eines Zwiebackes, von weicher Con- 
sistenz ohne Fluctuation, welche sich mit der Haut von den darunter 
gelegenen Theilen (den Rippen) leicht abheben Hess, an welcher aber die 
sie bedeckende Haut, jedenfalls in Folge des Druckes bei der Rückenlage, 
ziemlich fest adhärirte. Ich diagnosticirte die Geschwulst als ein Lipoma 
und entschied mich für die operative Entfernung derselben, welche ich dem 
Wunsche des Patienten gemäss am 11. Juni er. ausführte. 

Da mir aber bei der noch nicht ganz normalen Beschaffenheit des 
Herzens des Patienten eine allgemeine Narkose durch Chloroform nicht 

’) Nach einem im Verein der llalberstädter Aerzte gehaltenen Vortrage. 


ganz ungefährlich erschien, so setzte ich an deren Stelle die locale Anästhe- 
sirung mit Cocain, wozu ich mich einer Lösung von 0,25 Cocain, muriat. 
in 2,5 zweiprocentiger Carbolsäurelösung bediente, und deren Verlauf und 
Erfolg mitzutheilen, der Zweck dieses meines Vortrages ist. 

Nach völliger Desinficirung des Operationsgebietes so wie der Pravaz- 
spritze füllte ich letztere mit der angegebenen Flüssigkeit ganz, stach ihre 
Canüle in der Mitte des obem Randes der Geschwulst ein, führte dieselbe 
hinter der letztem, welche ich von den Rippen abhob, ein und entleerte 
sie zur Hälfte. Dann zog ich sie soweit zurück, dass ich mit ihrer Canüle 
zwischen Haut und Geschwulst gelangen konnte, stiess sie nunmehr in der 
Richtung des auszuführenden llautschnittes weiter vorwärts und abwärts 
und entleerte sie vollends zwischen Haut und Geschwulst. Dann führte ich 
die Canüle der wieder halbgefüllten Spritze in der Mitte des untern Randes 
der Geschwulst zwischen dieser und der Haut ebenfalls in der Richtung des 
auszufülirenden llautschnittes ein und entleerte sie in dieser Lage. 

Ich hatte somit 3 Fünftel der Flüssigkeit, und demnach 0,15 Cocain, 
muriat. verbraucht, eine etwas starke Dosis, die aber vom Patienten ohne 
joden Nachtheil ertragen wurde und dem Erfolg nach nothwendig erschien, 
da sie eben nur die Schmerzempfindung, nicht aber das Gefühl im Allge¬ 
meinen aufhob. 

Etwa 10 Minuten nach diesem Vorgänge schritt ich zur thunlichst 
aseptischen Auslösung der Geschwulst, die durch die erwähnte feste Ver¬ 
bindung zwischen letzterer und der Haut merklich erschwert wurde, bei 
der aber die Anästhesirung sich als vollkommen gelungen erwies. Nur wenn 
ich zur exacten Ablösung der Haut von der Geschwulst mich zum Gebrauche 
der Hakenpincette genöthigt sah, frug Patient, was ich denn da mache? 
Im Uebrigen verneinte er Schmerz zu empfinden, obwohl er die Hantirung 
bei der Operatiou wahr nahm. 

In erfreulicher Weise fiel die Geringfügigkeit der Blutung auf, so 
dass die Berieselung mit der massig kalten Desinfectionsflüssigkeit zu ihrer 
gänzlichen Stillung ausreichte. 

Die Heilung der Operationswunde ging normal von Statten, so dass 
die etwa 12 cm lange, mit desinficirten Seidenfäden geschlossene Wunde 
pr. int. heilte bis auf ca. 2 cm ihrer Mitte, wo jedenfalls die durch die 
Adhäsion an der Geschwulst zu sehr verdünnte Haut der nöthigen Lebens¬ 
energie entbehrte. Indess trat auch hier keine Eiterung, sondern nur .seröse 
Absonderung ein. und nach etwa 3 Wochen war auch dieser Rest der Wunde 
geschlossen, nachdem Patient schon vorher seinen Berufsgeschäfteu nach¬ 
gegangen war, w'obei die Lähmungserscheinungen im linken Arme mehr 
und mehr — bis jetzt gänzlich — schwanden. 

Bemerkenswerth erscheint mir noch der absolut aseptische Zustand des 
ausgelösten Lipomes, das ich Ihnen hier vorzeige, und das nach Ablauf von 
7 Wochen bei einfacher Einwicklung in Papier ausser der durch Eintrocknen 
bewirkten Schrumpfung keinerlei Veränderung zeigt, namentlich keine Spur 
von Verwesungsgeruch wahrnehmen lässt; ein Umstand, den ich auf die 
desinficirende Einwirkung des Cocains zu beziehen nicht abgeneigt bin, da 
das concurrirende Carbol in 2 % Auflösung mir für solchen Effect doch 
zu schwach erscheint 

Zum Schlüsse meiner Mittbeilung möchte ich wohl die häufigere Ver¬ 
wendung des Cocains bei oberflächlichere Körpertheilen betreffenden Ope¬ 
rationen, auch grösseren Umfanges, an Stelle der allgemeinen Narkose durch 
Chloroform und dergleichen empfehlen, und würde mich freuen, durch meiuen 
heutigen Vortrag hierzu angeregt zu haben. 


— Lange (Zur chirurgischen Behandlung der Hämorrhoiden. Verb, 
d. Deutsch. Ges. f. Chir. 1887) rühmt eine einfache, von amerikanischen 
Aerzten schon seit längerer Zeit mit Vorliebe angewandte Encheiresc zur 
Heilung von HSmorrlioidalgeschwttlsten. Der Kranke wird nämlich bei 
Anwendung dieses Verfahrens in seinem Befinden und Berufe so gut wie 
gar nicht gestört, und dabei soll der Erfolg an Sicherheit nichts zu wün¬ 
schen übrig lassen. Es besteht in einer für gewöhnlich nur einmal auszu- 
führenden Injection von 2 —6 Tropfen reiner oder mit Glycerin (1:1:2) ge¬ 
mischter Carbolsäure mittelst einer mit möglichst dünner Canüle armirten 
Pravaz’schen Spritze in den Knoten hinein. Dabei können mehrere in 
einer Sitzung nacheinander in Angriff genommen werden. Ist der einzelne 
Knoten gross, so empfiehlt es sich, die Injectionsflüssigkeit innerhalb des¬ 
selben auf mehrere Punkte zu vertheilen. Die Canüle wird schräg durch die 
Schleimhaut nach der Mitte des Knotens zu eingestochen und nach vollen¬ 
deter Injection eine Weile liegen gelassen, bis es zur Gerinnung des Blutes 
in ihrer Umgebung gekommen ist. Nach Entfernung der Nadel wird die 
Eiustichöffnung eine Weile comprimirt, um ein nerausfliesson des Carbois 
zu verhindern. Während dieser Eingriff bei inneren Knoten ganz schmerz¬ 
los ist, stellen sich bei äusseren nicht selten nachträglich so heftige 
Schmerzen ein, dass die Anwendung von Cocain oder schmerzstillenden 
Suppositorien nothwendig erscheint. Von Cautelen, die bei diesem Verfahren 
zu beachten wären, seien folgende hervorgehoben: Zur Zeit des Eingreifens 
dürfen entzündliche Reizungen nicht bestehen; einer Aetzung der Schleim¬ 
haut durch etwa herausdringende Carbolsäure muss mittelst Einfetten der 
Knoten mit Jodoformsalbe und durch sorgfältiges Abtrocknen der Canüle 
vor der Injection vorgebeugt werden; das Herauspressen innerer Knoten 
seitens des Kranken während der Injection darf nicht plötzlich unterbrochen 
werden, weil sonst die Nadel leicht herausgleiten könnte; schliesslich scheint 
sich eine etwa zweitägige Ruhe bei flüssiger Kost und angehaltenera Stuhle 
zu empfehlen. Einer reactiven Schwellung in den nächsten Tagen folgt 
bald ein Abschwellen und Schrumpfen der Knoten, an deren Stelle sich 
später leere Hautsäckchen vorfinden. Nur ausnahmsweise ist eine zweite, 
einige Wochen später vorzunehmende Injection erforderlich. 

— Um die bei dem bisherigen Verfahren in der Regel sich sehr in 
die Länge ziehende Heilung der Mastdarm fisteln wesentlich zu beschleu¬ 
nigen und vor Allem einer späteren Incontinenz nach Spaltung des Sphincter 
vorzubeugen, räth Lange (Die Behandlung der Mastdarmfisteln mittelst 
Excision und Naht. Verh. d. Deutsch. Ges. f. Chir. 1887) auf Grund einer 


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DEUTSCHE MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52 


allerdings noch nicht langen Reihe von Erfahrungen, nach Exstirpation des 
Fistelganges durch Etagen- und Schleimhautnaht mit Jodoformcatgut einen 
raschen Schluss der Wunde herzustellen. Zu diesem Behufe spaltet er nach 
Dehnung des Sphincter und Einführung eines mit einem Faden versehenen 
Schwammes in den Mastdarm auf die in den Fistelgang eingeführte Sonde 
zu vom Mastdarm aus die ganze Weichth'eilschieht bis auf die Wand des 
Fistelcanals, exstirpirt darauf denselben im Zusammenhänge sorgfältig, um 
schliesslich die erwähnte Naht folgen zu lassen. Je nach der Beschaffenheit 
der Fistel ist ein solches Verfahren mehr oder weniger schwierig, weil die 
radicale Entfernung des Fistelganges sammt seinen etwaigen Verzweigungen, 
sowie etwaiger Infiltrate eine unerlässliche Vorbedingung der Heilung durch 
erste Vereinigung ist. Erscheint daher die Herstellung ganz frischer, ent¬ 
zündungsfreier Wundflächen nicht thunlich, so leistet man besser auf die 
Naht Verzicht, oder führt sie nur theilweise aus. Lange hat die Zuver¬ 
sicht, dass die bisherigen, noch nicht idealen Resultate mit Vervollkommnung 
der Technik sehr viel besser sein werden. — Das gleiche Verfahren em¬ 
pfiehlt Moriui (Sul trattamento delle fistole anali prima intentione. Speri- 
mentale 1880), welcher aber zur Herstellung von Wundflächen mit einer 
gründlichen Ausschabung und Desinfection durch eine 2%oige Sublimat¬ 
lösung der Gewebe vor Anlegung der Naht sich begnügt. Bei strenger 
Bettruhe und knapper Kost lässt er den Stuhl 10 Tage anhalten, um dann 
erst die Nähte zu entfernen. 

— Strychnin als Hypnoticum. (Practitioner, Januar 1888). Brun¬ 
ton erzielto bei Schlaflosigkeit in Folge von Uoberanstrengung mit Strychnin 
vorzügliche Erfolge. Er erklärt dies in der Weise, dass, da die Schlaflosigkeit 
durch Uebermüdung bedingt sei, ein Mittel, welches dies Ermüdungsgefühl 
beseitigt, zum ruhigen Schlaf verhelfen werde« In manchen Fällen tbut 
dies ein leichtes alkoholisches Stimulans oder warmer Beef-tea. Wenn 
diese Mittel versagen, dann ist Strychnin zu versuchen, und zwar in Dosen 
von 0,0006 oder mehr, resp. 6—10 Tropfen Tinct. nuc. vomic. 


XIII. Kleine Mittheilungen. 

— Berlin. Am Sonntag, den 16. December, wurde auf dem Matthäi- 
kirchhof ein Denkmal des verstorbenen Berliner Arztes und als Parlamen¬ 
tarier weiteren Kreisen bekannten Dr. Löwe (Kalbe) feierlich enthüllt. 

— Paris. Fräulein Clara Schultze, der jüngsto Doctor der Medicin 
ihres Geschlechts, hat in ihrer Disputation über das Thema: „Der weib¬ 
liche Arzt im 19. Jahrhundert“ vor der Pariser Facultät glänzeud be¬ 
standen. Professor Charcot konnte sich nicht enthalten, in seiner Erwide¬ 
rung den neuerwachten Ehrgeiz eines Tbeiles des weiblichen Geschlechts, 
den ärztlichen Beruf auszuüben, zu geissein. „Ehrgeizige Frauen“, sagte 
er. „haben sich nie mit Handlangerstellen begnügt, die kriegerischen Frauen 
wollten stets die Rolle von Generälen, nie aber die einfacher Soldaten 

spielen. Als Aerzte erstreben jetzt die Frauen die Stollen an unseren 

Krankenhäusern, sie werden in den grossen Städten den ärztlichen Beruf 
ausübeu, aber sie werden sich hüten, den Kranken auf dem platten Lande 
ihre Sorgfalt zu widmen. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, dass diese 

Frauen mehr an sich als an die Menschheit denken, sie streben danach, 

die erste, augenfälligste und einträglichste Stelle einzunehmeu. Diese Be¬ 
strebungen sind unbillig, donu sie sind wider die Natur der Dinge und 
widerstreiten der Aosthetik. Sie sind hübsch, mein Fräulein, nun wohl, 
glauben Sie, dass gewisse Seiten des ärztlichen Berufs und seiner prak¬ 
tischen Ausübung mit Ihrer Schönheit, mit Ihrer Kleidung sich in Einklang 
bringen lassen?“ Im übrigen Hess Professor Charcot, wie die übrigen 
Redner, der Begabung des Fräulein Schultze seine vollste Anerkennung 
zu Theil werden. 

— Die französische Academio de medeciue hat nach dem Bericht 
<»lli\ier\s in Bezug auf die Dauer der Isolirung der an anstecken- 
■frTT Krankheiten leidenden, die Schule besuchenden Kinder 
folgende Beschlüsse gefasst (La proviue medicalo. 28. Jan 88): 1) die au 

Windpocken. Pocken, Scharlach, Masern, Mumps, Diphtheritis, Keuchhusten 
leidenden Schüler und Schülerinnen müssen von ihren die Schule besuchen¬ 
den Geschwistern und Schulkameraden isolirt gehalten werden. — 2) Die 
’ uor der Isolirung beträgt vom Anfänge der Krankheit dem Auftreten der 
ersten Sympjome bei Pocken, Scharlach, Diphtheritis 40 Tage, bei Wind¬ 
pocken, Maseru, Mumps 25 Tage. Bei Keuchhusten, dessen Dauer ver¬ 
schieden ist, soll die Isolirung erst 30 Tage, nachdem die charakteristischen 
Erscheinungen des Hustens aufgehört, ihr Ende finden. — 3) Vor der Be¬ 
endigung der Isolirung sollen die Reconvalescenten 2 — 3 Seifenbäder nehmen, 
nachdem sie cinigo Zeit allgemeine Abreibungen des Körpers und des Kopfes 
gebraucht haben. — 4) Kleidungsstücke, welche die Kinder zur Zeit der 
Erkrankung und während derselben gebraucht haben, müssen durch Wasser- 
dampt oder durch Schwefelräucherung desinficirt werden. — 5) Die Zimmer, 
in welchen die Kranken sich au'gehaltcu lieben, müssen häufig gelüftet, die 
Wände und Möbel desinficirt, i.ie Wäsche. Betten und Matratzen der Ein¬ 
wirkung des \\asserdampfes unsgeselzt werden. — d) In keinem Falle dürfen 
Schüler und Schülerinnen, welche an einer der erwähnten iui-t.ckemlen 
Krankheiten gelitten haben, zum Besuch der Schulen wieder zugelassen 
werden, wenn sie nicht ein ärztliches Zcugniss beibringen, an welcher Krank¬ 
heit sie geditte dass der verlangte Zeitraum verstrichen, und dass die vor- 
geschriebenen Desinfectiousmaassregcln stattgefunden haben. Ausserdem soll 
noch eine Controlle des Schularztes bei der Zulassung der F'krauktgeweseneu 
zum Schulbesuch vorausgehen. 

Einfluss des A1 koholismus auf (1 ie Verbrechen. M. Maram- 
bat, Arzt an den Prisons de la Seine, hat aus den Acten von 2950 Ver¬ 
tut heilten fojgemh- Zusammenstellung gemacht. In den Fällen von Diebstahl, 
\ ertrauensmissbrauch. Betrug waren von 10() Verurtheilten 70,9% Trinker, 
hei Körperverletzung 88° o; bei gewaltsamen Einbrüchen 77%; bei Vergehen 
gegen die Sittlichkeit 53%. bei Vagabondage etc. 79%. Zur Bekämpfung 
d*-r I runksucht will M. die Liccuzen für Schankstätteu höher besteuern, uni 


die Zahl der Schankstellen zu vermindern und dementsprechend die Steuern 
auf gesunde Getränke herabsetzen. Mehr noch würde durch gute Erziehune 
und frühe Gewöhnung an Sparsamkeit zu erzielen sein. Zu diesem Zweck¬ 
empfiehlt M. die Schul Sparkassen. 

— Ueber den Einfluss der Ernährung auf die Entstehuu- 
des Krebses veröffentlicht Dr. Hendley, Direktor des Hospitals in Je>- 
sore (Indien) iin British Med. Journal folgende bemerkenswerthe Thatsachen. 
Nach Be ne ko, welcher zuerst die Entstehung der Magenkrebse von dem 
übermässigen Fleischgenuss herleitete, waren es insbesondere Reclus und 
Verneuil in Frankreich, welche den Vegetarianern eine Immunität gegen 
Befallenwerden von Krebsaffectionen zusprachen. Hendley hat im Mayo«- 
hospital zu Jessore 102 Krebsoperationen zusammengestellt und ätiologisch 
naebgewiesen, dass unter ihnen 61, die grössere Zahl, sich befand, 
welche niemals animalische Nahrung zu sich genommen hatten. 
Sechs von diesen gehörten der Kaste der Saraogis an, die nicht nur de.-, 
Fleisches, sondern auch oinzelner Gemüsegattuugen sich enthalten und 
ilenuoch an Brustkrebs erkrankt waren. Die Zahl der im Mayoshospital be¬ 
handelten Krcbsfälle vertheilten sich in folgender Weise: 20 litten an Brust¬ 
krebs, 8 an Krebs der Zunge und Lippen, 17 an Krebs dos Gesichts uml 
des Kopfes. 11 an KreJjs der oberen Extremitäten, 8 an Krebs der unteren 
Extremitäten. 18 an Krebs des Rumpfes, 15 an Krebs des Penis, 1 an Krebs 
der Vulva, 1 an Krebs des Hodens, 3 an Krebs von Drüsen. 

— Neue Methode der Leberuntersuchung. Wijnhoff lässt den 
Patienten im Bett mit massig angezogenen Knicen aufsitzeu, wobei der Ober- 
; körper mit den Ellenbogen auf den Knieen sich stützt. Dann erschlaffen 
; die Bauchmuskeln, und der Arzt, hinter dem Kranken sitzend, betastet mit 
der rechten Hand die Leber. Er empfiehlt nur ganz schwach zu percutir«-n 
und zu gleicher Zeit das Stethoskop aufzusetzen. (Weekblad v, h. Nederl. 
Tijdschr. v. Geneesk.) 

— Acute Pneumonie während des fötalen Lebens hat ausser SigJ noch 
Dr. Stishan in Australien (British med. Journal 1886 No. 11) behauptet. 
Ein cyanotisch geborener Fötus starb 24 Stunden nach der Geburt. Bei 
j der Section fand sich in beiden Lungen acute Pneumonie. Die Mutter hatte 
an einem Lendenabscess und au Septicäinie gelitten. Das Kind war «in 
| 7 Monatskind. 

— Ueber ein neues Verfahren der Vernichtung der Leichen 
! berichtet La Provine medicale vom 6. October 1888 Folgendes: Dr. Cooper, 

| ein Arzt aus Pittsburg, hat sich ein Verfahren patentiren lassen, mittelst 
j dessen er einen menschlichen Loichnam in eine kleine solide Masse ver¬ 
wandelt, welche, ohne spätere Veränderung einzugehen, geruchlos bleibt und 
! das Aussehen des Marmors annimmt Diese Verwandlung erfolgt durch Zu- 
; sammendrücken dv.s Cadavers bei sehr hoher Temperatur. Der Körper eines 
Erwachsenen kann durch dies Verfahreu in eine compacte Masse von 12 bis 
15 Zoll im Durchmesser reducirt werden. Der betreffende Arzt besitzt und 
I zeigt seinen Besuchern die Reste einer Kinderleiche in der eleganten Form 
i eines kleinen marmoräbnlichon Kreuzos. Eine Gesellschaft von Actionären 
I ist in der Bildung begriffen, dieses Verfahren überall einzuführen. Die 
i Leichenverbrennung, der es bisher noch nicht gelungen ist, bei Regierungen 
j und dem Publikum die Vorurtheile gegen ihre Einführung zu überwinden, 
erhält durch die Entdeckung dos Dr. Cooper eine abermalige Concurrenz, 

| und fragt es sich, welche diesor Methoden den Platz behaupten wird. 


XIV. Personalien. 

I. Prcussen. Auszeichnungen: Se. Majestät der König haben 
Allergnädigst geruht dem praktischen Arzt Stabsarzt a. D. Dr. Roesen zu 
Bonn den Charakter als Sanitätsrath und dem Geheimen Sanitätsrath Dr. 
II. Hoff mann zu Frankfurt a. M. den Rothen Adler-Orden III. Classe zu 
verleihon, sowie Allerhöchst ihrem Leibarzt, Generalarzt Dr. Leuthold. 
Regimentsarzt vom Garde Cürassier-Regiment in Berlin, zur Anlegung des 
Komthurkreuzes mit dem Stern des Kgl. Bayerischen Verdienstordens vom 
heiligen Michael, des Sterns zum Commaudeurkreuz II. CI. des Grossherzogi. 
Badischen Ordens vom Zähringer Löwen, das Ehrenkreuzes II. CI. des Fnrstl. 
Lipposchen Hausordeus, des Komthurkreuzes mit dem Stern des Kaiser!. 
Oesterreichischen Franz Josef Ordens und des Grossofficierkreuzes des Orden- 
der Kgl. Italienischen Krone die Genehmigung zu ertheilen. — Nieder¬ 
lassungen: Die Aerzte: Dr. Koetter in Wewer, Dr. Engelhard in 
Plettenberg, Dr. Buck in Mengede, Dr. Hinderfeld in Königsteele. 
Drescher in Pakosch. Die Zahnärzte: Kraeft in Stralsund, Schulte 
in Dortmund. — Verzogen sind: Die Aerzte: Dr. Jahn von Rotenburg 
nach Stade, Geh. San.-Rath Dr. Koch von Sigmaringen nach Freiburg i. B.. 
Hirschkowitz von Lessen nach Amerika, Prof. Dr. Cohnstein von Berlin 
nach Charlottenburg, Dr. Ko eben von Forst nach Hamburg, Dr. v. JIo- 
viecki von Raschkow nach Amerika, Dr. Nitsche von Salzbrunn bezw. 
Breslau nach Posen, Dr. Jordan von Gnesen nach Schildberg, Dr. Kandlei 
von Schleiz nach Mühlrädlitz, Dr. Rödt von Osnabrück nach Hamburg, Dr. 
Kreuud von Schladen nach Osnabrück, Dr. Hagemeier von Everswinkel 
nach Leipzig, Dr. Eigenbrodt von Darmstadt und Dr. Kromeyer von 
Buseudorf, beide nach Bonn, Riesendahl von Neubrück nach Mülirose. 
Dr. I)oerken von Plettenberg nach Gevelsberg, Dr. Frese von Usseln nach 
Boedefeld, Dr. Guder von Ueckerraünde nach Laasphe, Hoerich von Witz¬ 
helden nach Beedenbostel, Dr. Nagel von Berlin nach Schnakenburg: der 
Zahnarzt: Landau von Breslau nach Berlin. — Verstorben sind: Die 
Aerzte: Dr. Wendenburg in Mücheln, Dr. Oruppi in Rockenem, Kreis¬ 
wundarzt Dr. Kley in Rahden, Boecking in Osterfeld, San.-Rath Dr. 
Bartscher in Osnabrück, Dr v. Przyjeoiski in Schildberg, Kreiswumlarzt 
Blechschmidt in Rehden, Dr. Caliam in Stolp, San.-Rath Dr. Lender 
in Berlin, Heise in Görlitz a. 0. — Vakante Stellen: Physikate Witkown 
und Filehue, Oberamts-Physikat Gammertingen, das Physikat des Kreises 
Goldberg, die Kreiswundarztstellen der Kreise Lübbecke und Oletzko, die 
Kreiswundarztstelle des Kreises Harthaus. 


Gedruckt bei Julius Sitteufeld in Berlin W. 


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